Band 20
Flucht ins Chaos von Rainer Castor
MOEWIG
Vorwort Der Arkonide Atlan erfuhr erst, nachdem er die ARK SUMMIA...
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Band 20
Flucht ins Chaos von Rainer Castor
MOEWIG
Vorwort Der Arkonide Atlan erfuhr erst, nachdem er die ARK SUMMIA erfolgreich abgeschlossen hatte und sein Logiksektor aktiviert worden war, das Geheimnis seines Lebens: Er war der Sohn und damit als Kristallprinz der designierte Nachfolger des vierzehn Arkonjahre zu vor von dessen Halbbruder Orbanaschol und seinen Helfern ermordeten Imperators Gonozal VII. Erbittert verfolgt von den Häschern des Brudermörders und zum Leben im Untergrund gezwungen, war Atlan fortan bemüht, das ihm zustehende Erbe anzutreten und den Tyrannen vom Kristallthron zu stürzen. Kein leichtes Unterfangen, denn Imperator Orbanaschol III. stand als Herrscher des Tai Ark’Tussan, des Großen Imperiums der Arkoniden, die volle Macht des in Zehntausenden Welten rechnenden Reiches ebenso zur Verfügung wie ein gnadenloser Geheimdienst oder die »Bluthunde« der Kralasenen-Truppe des Blinden Sofgart. Nachdem es Atlan und seinen Freunden gelungen war, auf der Welt Kraumon eine Basis zu schaffen, stand für den Kristallprinzen ein Ziel auf der Liste, bei dem sich persönliche und politische Interessen mischten: Er wollte seine Freundin Farnathia retten. Sie war im Verlauf der Flucht von dem Exilplaneten Gortavor in die Hände des Blinden Sofgart gefallen und wurde nun auf Sofgarts Folterwelt gefangen gehalten. Nach etlichen Schwierigkeiten gelang das Vorhaben, mit einem Kurierschiff glückte die Flucht. Obwohl dieses zwar ein relativ kleiner, aber sehr guter Raumer war, widerstand es nicht den Einflüssen der rätselhaften Sogmanton-Barriere, in die es die Flüchtlinge verschlug.
Nur knapp gelang die Rettung durch die hier operierenden Piraten der Sterne, und auch der von Sofgart in Farnathia implantierte Bio-Parasit konnte ausgeschaltet werden. Während Atlans geschwächte Freundin in Richmonds Schloss zurückblieb, gelangten der Kristallprinz und seine Verbündeten, unterstützt von den Piraten der Sterne, zur Freihandelswelt Jacinther IV. Hier wurde die Ankunft des imperialen Wirtschaftsstrategen erwartet. Könnte Atlan Ka’Mehantis Freemush Ta-Bargk in seine Gewalt bekommen, wäre dies ein empfindlicher Schlag gegen Orbanaschol… Wie für alle Bücher mit den Abenteuern aus der Jugendzeit Atlans gilt, dass die in sie einfließenden Heftromane des in den Jahren 1973 bis 1977 erstmals veröffentlichten Zyklus ATLAN -exklusiv- Der Held von Arkon von mir bearbeitet wurden, um aus fünf Einzelheften einen geschlossenen Roman zu machen, der dennoch dem ursprünglichen Flair möglichst nahe kommen soll. Damals erschienen im wöchentlichen Wechsel die unter ATLAN-exklusiv erscheinenden Hefte sowie die USOAbenteuer Im Auftrag der Menschheit; bei den USOAbenteuern gab es ab Band 137 eine Veränderung, als sie inhaltlich Dinge aus Atlans Jugendzeit aufgriffen und teilweise in der Handlungszeit Mitte des 29. Jahrhunderts fortführten. Für das Verständnis der ATLAN-exklusiv-Bände ist deren Kenntnis zwar nicht notwendig, der Vollständigkeit halber wird jedoch an einigen Stellen als Kapitel-Vorspanntext auf diese Verknüpfungen verwiesen. Für das vorliegende Buch 20 wurden, ungeachtet der notwendigen und sanften Eingriffe, Korrekturen, Kürzungen und Ergänzungen, folgende Romane zusammengestellt: Die Burg des Tyrannen von Hans Kneifel (Band 132), Flucht ins Chaos von H. G. Francis (Band 134), Die Image-Maschine von Kurt Mahr (Band 136), Jagd im Hyperraum von Clark Darlton
(Band 138) sowie Laboratorium des Satans von Dirk Hess (Band 140). Als Anhang gibt es das Kleine Arkon-Lexikon und zur Veranschaulichung der Schauplätze die Karten. Wie stets der obligatorische Dank an die Helfer im Hintergrund Michael Beck, Andréas Boegner, Kurt Kobler, Heiko Langhans, Michael Thiesen – sowie Sabine Kropp und Klaus N. Frick Viel Spaß – ad astra! Rainer Castor
Prolog 1141. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 18. Prago des Ansoor, im Jahre 10.497 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: In wenigen Tontas werden Atlan und ich aufbrechen und von Kortasch-Auromt nach Sebentool fliegen. Auf dem Plateau steht der Gleiter bereit; zwei Männer haben auf Befehl Tato Ruuvers das Regierungssymbol durch das Emblem einer bekannten Händlersippe von Etset-Auromt ersetzt das ist unauffälliger und wird diplomatische Verwicklungen verhindern Es wird ohnehin schwer genug sein, unsere Planungen umzusetzen: Für den 31. Prago des Ansoor ist die Ankunft des Imperialen Ökonomen Freemush Ta-Bargk angekündigt. Der Ka’Mehantis ist als Mitglied des Großen Rates und des Berlen Than der für den Handel zuständige Minister, ein Vertrauter Orbanaschols. Genug Zeit, um uns vorzubereiten. Am 3. Prago des Ansoor sind wir mit der GROVEMOOS der Piraten der Sogmanton-Barriere auf Broschaan-Raumhafen gelandet. Seit zehn Pragos befinden wir uns nun auf Jacinther IV, also dem vierten Planeten der gleichnamigen Sonne, die sich, 19.555 Lichtjahre von Arkon entfernt, 2143 Lichtjahre oberhalb der galaktischen Hauptebene befindet. Die hiesigen Umweltbedingungen sind extrem: Die Witterungsverhältnisse der feuchtheißen Atmosphäre wechseln häufig, Temperaturstürze sind mit heftigem Regen und ebensolchen Stürmen verbunden. Im Treibhausklima hat sich eine üppige Flora entwickelt, die das Land außerhalb der wenigen Ballungszentren als Dschungel und Sumpf bestimmt. Dennoch oder gerade deshalb ist Jacinther ein gern vom ArkonAdel besuchtes Ziel; hier läßt sich der Erwerb exotischer Waren mit
Großwildjagd und einem Urlaub unter Primitivbedingungen verbinden. Zweifellos spiegelt sich darin ganz deutlich die wachsende Dekadenz der höhergestellten Arkoniden wider, die unter Orbanaschols Herrschaft ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Ich kenne die Freihandelswelt von früheren Aufenthalten und bin mit den grundsätzlichen Bedingungen vertraut, leider jedoch nicht im eigentlich notwendigen Maß mit den aktuellen politischen Gegebenheiten. Diese mussten und müssen wir erkunden, doch schon jetzt kann fest gehalten werden, dass sie sich selbst für eine Welt vom Schlage Jacinthers recht bizarr gestalten. Drei Kontinente und eine Großinsel sind auf der »Landhemisphäre« des Planeten zu finden: der Nordkontinent Sebentool, der Südkontinent Braschoon, der Mittel- oder Äquatorialkontinent KevKev sowie Kortasch-Auromt. Jedem Kontinent ist als Verwalter ein Tato zugeordnet. Ihnen vorgesetzt ist der Generalbevollmächtigte des Tai Ark’Tussan, Fertomash Agmon, doch die vier Gouverneure befehden sich, weil jeder die Nachfolge Agmons antreten will, der als alt, senil und kränklich gilt und sich schon seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit hat blicken lassen – vielleicht sogar schon tot ist. Prillgram Galbass ist der Gouverneur von Broschaan; Stadt und Raumhafen gehören zu seinem direkten Einflussgebiet, nur über die Freihandelszone, den Markt selbst, hat er keine Machtbefugnisse zumindest keine offiziellen. Galbass erwies sich als kleines, dürres Männchen, ein habgieriger, machtbesessener, bösartiger Zwerg, der ein sadistisches Vergnügen daran hat, seine Gegner lebendig in Kunstharzblöcke einzugießen. Fast hätten wir das Schicksal anderer Opfer geteilt… Scheinbar in seinem Auftrag wollten wir an Bord der LAAKINTA nach Sebentool reisen. Doch das Schiff wurde von Leuten des Tato Mavillan Ruuver gekapert und nach Kortasch-Auromt umgeleitet, wo wir am 13. Prago des Ansoor ankamen. Es gelang uns, Ruuvers Pläne zu durchkreuzen, indem wir die Kontrolle über seine von Funkimpulsen gesteuerte Mooja-Armee gewannen.
Morvoner Sprangk und Eiskralle werden als Druckmittel hier zurückbleiben, während Atlans und mein Ziel Sebentool ist – dort werden wir es mit dem Gouverneur Djulf Sorpschan und Fertomash Agmon selbst zu tun bekommen. Und es kann als sicher gelten, dass der Tato von KevKev, Kaddoko, ebenfalls noch eine Rolle spielen wird. Die Handelsstation Sebentool besteht aus zwei Städten, die rund dreihundert Kilometer voneinander entfernt sind. In geologischer Vergangenheit ist hier entlang einer Boden spalte ein gigantisches Feld von Vulkanen aufgebrochen, vermutlich als Folge eines Meteoritenschauers, der seinerseits Tausende von Kratern aufgeworfen hat Längst haben sich viele Krater mit Wasser gefüllt, andere sind gänzlich verschwunden, weil der Dschungel sie überwuchert hat, wieder anderes sind unbewachsen und bilden Narben in der Landschaft. Die »Straße der tausend Krater«, zugleich eine breite Gleiterpiste, verbindet die Städte. Sie zieht sich von Sebentool-Varn, der Stadt des Raumhafens, in wirren Kurven durch die Landschaft, berührt einige der Kraterwälle, durchschneidet einen kleinen Teil der Dschungelsümpfe und den Urwald, ehe die Go-moassar-Khazilyi in der südlichen Stadt Sebentool-Broan endet. Djulf Sorpschan hat sich als Zentrum seiner Macht einen riesigen, runden Krater ausgesucht, der außen und innen vollständig bewachsen ist. Im Innern gibt es den berühmten Irrgarten, die Krone des Ringwalls bilden glas glatte Felsen, die als unübersteigbar gelten. Hin und wiederfinden sich angeblich Leichen oder Gerippe; Zeugen dafür, dass jemand versucht hat, in den Krater einzudringen. Die gesamte Anlage breitet sich unter einem flach gewölbten Prallfelddach aus, das dem Regen und den Orkanen widersteht. Der Garten, angefüllt mit seltenen Pflanzen, durchstreift von wilden oder halb zahmen Tieren, ist weit über die Grenzen des Planeten hinaus bekannt. Er gilt als eine Art planetares Wunder, als Kleinod inmitten einer Landschaft der extremen Umweltbedingungen. Der
große Khazil Sorpschans liegt in der Nähe der Siedlung SebentoolBraan…
Jacinther IV, Nordkontinent Sebentool, 19. Prago des Ansoor 10.497 da Ark. Bericht Vergord Eines Tages erschienen sie: Ich wusste nicht, warum sie sich gerade meinen kleinen Krater ausgesucht hatten; vielleicht, well er in der Nähe der Abzweigung lag, die zum Sitz von Fertomash Agmon führte. Ich kam soeben aus meinem Warenlager, ging an den Teichen und an der kleinen, vollrobotischen Hydroponikanlage vorbei und blieb neben dem Tor stehen. Es war mit vier Schichten von Maschendraht abgesichert. Ich konnte den Gleiter mit dem Zeichen des Gehörnten Yilld gut erkennen. »Ihr habt das Zeichen des Clans der Glenlivet?« Die beiden blickten mich an, und der Dicke nickte. »So ist es.« Seine Augen waren, als er mich musterte, auf eigentümliche Weise durchdringend. »Wir wollen zu den Händlern entlang der Straße der tausend Krater.« Ich grinste. »Also handeln. Mit mir?« »Warum nicht?« Während der Tonfall des dicken Mannes weich und listig klang, war die Stimme des Jüngeren etwas herrisch. Vermutlich war er unsicher. »Wir handeln nicht mit billigen Waren. Unsere Waren sind kostbar. Wir suchen einen Platz, wir suchen Kontakte, wir suchen Gesprächspartner, die gern große Gewinne machen wollen. Ob wir allerdings hier bei dir an der richtigen Adresse sind, wissen wir nicht.« Ich zuckte zusammen. Dann streckte ich die Hand aus und legte den Riegel herum. Kreischend in rostigen Angeln drehte sich die Tür nach innen auf. Wechselnde Hitze, die feuchte Wärme und der Dampf, der immer wieder nach den
Gewittern und Hurrikanen aufstieg, machten jedes Schmieren sofort zunichte. »Kommt herein! Man nennt mich Vergord, den Mehandor seltener Bodenbakterien und guter Mutationssamen.« Der Dicke schob sich an mir vorbei. Erst jetzt sah ich, dass er unter seiner Jacke mit den eingearbeiteten Kühlschlangen einen zerbeulten Brustpanzer trug. Seine knielangen Lederstiefel knirschten. »Wir handeln mit Wissen und Informationen, mit Tipps und mit Klugheit, mit Kontakten und nötigenfalls auch mit Waren. Und mit Kenntnissen«, warf der jüngere Mann wie beiläufig hin. »Eine leichte Ware. Sie braucht keine Lagerhäuser.« »Und verdirbt nicht so schnell«, konterte der Dicke. »Mich nennt man Claudevarn.« Der Jüngere deutete auf seine Brust. »Ich bin Modoff.« Modoff und Claudevarn. Fremde Namen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Ich musste also, wenn ich die nächsten Jahre ohne Konkurs überstehen wollte, jemanden von der NoctoNos verständigen. Aber das hatte noch Zeit, bis ich mit den beiden Fremden gesprochen hatte. »Können wir den Gleiter außerhalb des Kraters lassen?«, fragte der Dicke. »Oder stiehlt man ihn dort?« Ich hob die Schultern und breitete die Arme aus. »Normalerweise wird hier nichts gestohlen. Aber es kann sein, dass man einen Gleiter der Glenlivet einer genauen Prüfung unterzieht. Dann könnte er, unter bestimmten Umständen, nicht mehr so recht funktionieren.« Der Dicke lachte kurz und wandte mir, als wir nebeneinander den breiten Weg zum Haus entlanggingen, das Gesicht zu. Es war rund, aber von vielen Runzeln durchzogen und von einem schwarzen Vollbart bedeckt. Es strahlte geradezu teuflische Lust am Wortspiel aus, am Schachern und
an den vielfältigen Möglichkeiten der Verwirrung und der Tricks. »Sollte man den Gleiter untersuchen wollen, wird man unliebsame Überraschungen erleben«, versicherte Claudevarn. Plötzlich fürchtete ich mich ein wenig. Ich sprach die bekannte Formel: »Mein Haus ist euer Haus, und Profit bestimme unsere Rede.« Der jüngere Mann verneigte sich kurz und erwiderte leise: »Solange die Sonne scheint.« Ich machte eine einladende Bewegung, und wir gingen ins Haus, das, wie alle Bauwerke entlang der Straße, in einen Krater gebaut war. »Meiner« hatte einen Durchmesser von vierzig und eine Tiefe von fünfzehn Metern. Der Zugang war mit Desintegratoren aus dem der Straße zugewandten Teil des Ringwalls herausgeschnitten worden. Das Haus, ein flacher Bau mit gläsernem Dach, befand sich im Zentrum. »Ihr wisst sicher, dass hier nicht jeder einfach kommen und handeln kann?« Der Dicke funkelte mich an. »Bedarf man auf Freihandelswelten wie diesen etwa eines gesetzlichen Schutzes?« »Nicht direkt eines gesetzlichen Schutzes«, wich ich aus. »Aber Schutz werdet ihr brauchen.« »Wie viel? Von wem?«, erkundigte sich der jüngere Mann, der einen langsamen Rundgang entlang der hermetisch abgekapselten und an die biologischen Systeme angeschlossenen Vitrinen machte. Ich holte tief Luft und fragte zurück: »Glenlivet? Genauer – ich muss wissen, mit wem ich es zu tun habe, sonst kann ich euch keinen Rat geben.« »Von Kortasch-Auromt«, sagte der Dicke, als sei dies eine Erklärung. »Der Clan der Glenlivet hat uns geholfen. Wir sind neu hier und bringen neue Erkenntnisse. Wir sind die
Problemlöser.« »Recht so.« Ich wurde aus den beiden nicht ganz klug. Sie waren zu clever, zu redegewandt. Ich ahnte abermals, dass es mit ihnen Ärger geben würde. »Trotzdem braucht ihr Schutz. Es gibt eine Organisation hier, die gegen einen geringen Betrag den sicheren Handel gewährleistet. Hier, in den beiden Städten von Sebentool und entlang der Go-moassar-Khazilyi.« Der Jüngere warf mir einen Blick zu, in dem Kühnheit und Wildheit lagen. »Etwa die Nocto-Nos?« »So ist es.« Der Dicke stieß ein verdrossenes Grunzen aus, polierte mit seinem Ärmel den verbeulten Brustpanzer. »Die Nocto-Nos. Wir hörten bereits davon. Wir kennen solche Schutzgemeinschaften, und wir wissen auch, dass sie alle durchaus hierarchisch aufgebaut sind. Also haben sie einen obersten Chef. Bei der Korruption, die allenthalben auf Jacinther Vier vorzufinden ist, könnte ich mir denken, dass der Tato höchst selbst der Verantwortliche ist. Vertagen wir diese Erörterung. Gestattest du, Vergord, eine Reihe wichtiger Fragen? Wichtig für uns!« Ich nickte. In diesem großen, hellen Raum meines Hauses war meine Ware ausgebreitet. Nun konnte man Bodenbakterien und Samen nicht werbemäßig ausstellen, denn niemand sah ihnen ihre Kraft, Güte oder Schönheit an. Aber dafür konnte ich die Ergebnisse meiner Züchtungen zeigen. In den abgeschlossenen Vitrinen, die auf steinernen Sockeln standen und hell ausgeleuchtet waren, befanden sich Bodenproben in verschiedenen Stadien der Aufbereitung. Und aus den Samen waren schöne Blumen und allerlei Gewächse entstanden, die jedermann bewundern konnte. Große Teile des berühmten Gartens von Djulf Sorpschan stammten aus meinen Zuchthäusern und Gartentürmen, die sich entlang der inneren Kraterwandung in die Höhe schoben.
Der junge Mann hatte seinen Rundgang abgeschlossen und blieb jetzt in meiner Nähe stehen. Er schien unruhig zu sein. »Fragt!«, forderte ich sie auf. »Was ich beantworten kann und darf, werde ich beantworten.« »Können wir einen kleinen Krater mieten? Ist dies grundsätzlich möglich?« »Grundsätzlich schon.« »Können wir bestimmte Reklameaktionen starten?« »Dafür gilt das Gleiche.« »Gibt es nach deiner Meinung hier viele Probleme, die zu lösen sind? Mit wissenschaftlichen Methoden, mit Klugheit oder mit ein wenig Zauberei?« Der kleine, breitschultrige Mann zwinkerte listig; Reflexe tanzten auf seiner Glatze. Ich musste mich korrigieren. Er war nicht fett, keineswegs. Er war nur in einem besonderen Maß muskulös. Seine Bewegungen waren nicht die eines alternden, dicken Mannes. Sie waren kurz und schnell und sehr zielsicher. »Es gibt viele Probleme. Und wer sie lösen kann, wird sich Cholitt-Bündel verdienen.« »Ausgezeichnet.« Modoff lächelte verhalten. »Dann werden wir, indem wir die Probleme der anderen lösen, auch unsere lösen können. Nun eine Bitte – wir werden uns erkenntlich zeigen.« Ich neigte den Kopf und lauschte aufmerksam. »Bring uns mit einem der oberen Vertreter der Nocto-Nos zusammen! Und sag uns, wo wir in Ruhe Übernachten können. Ein gutes, nicht zu großes Hotel.« Ich grinste; zwei Kunden, das brachte eine saftige Prämie. Sie wurde auf die Rechnung der beiden addiert. »Es gibt nur eine gute Raststätte, nämlich Zum Mehan’phal. Der dreizehnte Krater von hier, links in Richtung Sebentool-Varn. Ein großer gelber Stein neben der Straße ist die Markierung. Heute Abend können wir uns in der Schenke treffen. Dort wird dann auch
jemand sein, der euch beraten kann.« Ich stand auf und gab damit zu erkennen, dass meine Zeit kostbar war. Claudevarn hielt mir seine Hand mit den überraschend gut geformten Fingern hin »Danke, Handelsmann. Wir treffen uns also heute Abend im Mehan’phal. Dann können wir alles in Ruhe und bei einem guten Glas Wein besprechen. In deinem Sinn, Vergord?« Ich schüttelte die Hand, und es erwies sich, dass der Kleinere der beiden eine geradezu mörderische Kraft in seinen Fingern hatte. Dann sah ich ihnen nach, wie sie meinen Krater verließen. Knapp einen Meter von dem Tisch entfernt brannte das Feuer im offenen Kamin. Die hellen Flammen beleuchteten die linke Hälfte des hochmütigen, abweisenden Kopfes von Banff, dem ungekrönten Herrn dieses Großkraters. Banff war der Große Kaufmann – von Kratergruppe zu Kratergruppe wechselten die Bezeichnungen, mit denen wir hier schon als Kinder aufwuchsen, ihre Bedeutung. Es war die einzige Möglichkeit, zwischen der vielschichtigen Verwandtschaft zu unterscheiden, zwischen der Wichtigkeit einzelner Clans, ausgedrückt durch die Höhe der Bilanzen, zwischen den verschiedenen Gütern, die auf dieser Freihandelswelt umgeschlagen wurden. Für jeden Fremden war das System völlig frustrierend, well total undurchsichtig. Als ich in das Gesicht des Großen Kaufmanns blickte, begann ich deutlich zu ahnen, dass sich in nächster Zeit entlang der Straße der tausend Krater einiges ereignen würde. Es hatte zu viele Gerüchte gegeben in den letzten Tagen… Vor uns standen Becher aus edlem Stahl, versehen mit einem zierlich ausgefrästen Mäander und den Initialen des Wirtes. Die Schenke war angefüllt mit dem Rauch aus vielen Pfeifen, in den sich der Gestank ungewaschener Körper und das Aroma verschiedener alkoholhaltiger Getränke mischten; es
roch nach Leder, nassem Pelz, nach Stoffen und den Bodendielen. Von draußen, durch die unregelmäßigen Öffnungen der Fenster, drang der Nebel herein. Er roch nach Humus und Schwefel, und diese Gerüche bereicherten noch den Dunst, der unter der niedrigen Decke hin und her waberte. Ich beugte mich vor. »Erhabener!« Ich umklammerte den Stahlbecher, schob ihn verlegen auf dem polierten Holz der Tischplatte hin und her. »Erhabener!«, wiederholte ich. »Es sind zwei. Ein kleiner Mann, click, mit einem Schwert an der Seite, womöglich ein Urungor, wie sie die Dagoristas tragen! Und ein junger Mann. Der trat sehr herrisch auf. Er hat, dies sage ich dir, eine mächtige Ausstrahlung.« Banff musterte mich wie eine Kreatur, die eben einem der Sümpfe rund um die Krater entstiegen war. »Unsinn«, sagte er schroff. »Berichte!« »Sie kamen mit einem Gleiter. Die Maschine trägt das Zeichen einer Händlerfamilie aus Kortasch-Auromt. Den Gehörnten Yilld. Es ist der Clan der Glenlivet. Sie suchten Kontakt mit mir; das war deutlich, Herr. Sie sagten, sie seien Händler. Der Dicke sieht aus wie ein Narr in des Imperators Diensten. Aber der andere, der junge Mann mit dem ernsten Gesicht, wirkt wie ein verkleideter Herrscher. Nun, vielleicht sind es verarmte Adlige, die ihren Besitz verkaufen müssen.« »Neue Händler. Das bedeutet immer Aufregung. Maßnahmen müssen getroffen, die Nocto-Nos muss verständigt werden…«, murmelte er. »Beginnen wir von vorn, Kleiner Handelsmann. Berichte.« Kleiner Handelsmann – das wurde ausgesprochen, als verkehre der Große Kaufmann mit dem Abschaum der Oden Insel. Ich unterdrückte das Frösteln und versicherte demütig: »Mit Vergnügen, Erhabener. Aber entschuldige, wenn ich Fehler mache und durcheinander komme. Ich habe keinen
solcherart geschulten Verstand wie du.« Angewidert trank Banff, dem man nachsagte, er sei ein gewisses Mitglied der Nocto-Nos, einen Schluck aus dem Becher. Er wiederholte schärfer und lauter: »Berichte!« Ich lehnte mich zurück, als ich geendet hatte, und sagte durch den Rauch und das Gemurmel der Gespräche, die die Schenke Zum Mehan’phal erfüllten: »So und nicht anders war es.« Dann, ganz plötzlich, zischte ich: »Erhabener.« Er drehte den Kopf. Seine Augen versuchten, den Dunst zu durchdringen. Banff, der ruhig und in äußerster Gelassenheit die Anwesenden musterte und die Atmosphäre in sich aufnahm, fragte: »Ja?« »Dort sind sie! Sie treten gerade durch die Tür. Ich glaube, sie suchen mich. Soll ich…?« Aus dem Kaminfeuer sprangen einige Funken und zischten zwischen unseren Köpfen hindurch. Banff winkte ab. »Sie werden an unseren Tisch kommen. Du wirst deinen Lohn erhalten.« »Ich zweifle nicht daran.« Die Organisation, deren nahezu oberster Chef der Große Kaufmann war, kassierte von jedem Handelnden zwischen den beiden Städten Tribut. Aber sie leistete dafür auch tatsächlich, was sie versprach: Der Handel fand ungestört statt, ohne Einmischung von Dieben oder Einbrechern. Auch schienen zwischen der Polizei dieses feuchtheißen Dschungelplaneten und der Nocto-Nos geheimnisvolle Bindungen zu bestehen. Diese beiden Institutionen kamen einander nicht ins Gehege. Obwohl der Große Kaufmann wusste, dass sich unter den rund zweihundert Gästen dieses Lokals mindestens fünfzig aktenkundige Verbrecher befanden, schwieg er. Alle auf Jacinther IV lebten in dieser Mischung zwischen Gesetz und Ungesetzlichkeit hervorragend. »Der Dicke scheint der Gefährlichere zu sein«, murmelte
Banff. »Hinter ihm, das ist der junge Mann mit dem harten Gesicht. Jetzt haben sie uns gesehen.« Ich hob die Hand und winkte. Der untersetzte Mann mit dem dunklen Lederumhang und dem polierten Brustharnisch winkte zurück. Er schob sich langsam, aber kraftvoll durch die Menge der Gäste. Schließlich blieb er vor dem Tisch stehen. Während schräg hinter ihm schweigend der junge Mann wartete, sagte er mit kraftvoller Stimme: »Sei gegrüßt, Vergord. Wir dürfen uns setzen?« Ich nickte. »Gern. Dies hier ist Banff, der Große Kaufmann. Er ist es, der mit euch reden wird.« »Danke«, sagte der Mann, der sich Claudevarn nannte. »Wir zahlen die erste Runde.« Er setzte sich, und der Arkonide namens Modoff kam näher an den Tisch heran.
1. Aus: Arenen als Friedensstifter Eine historische Betrachtung (basierend auf einem Bericht von Atlan da Gonozal), Harxid da Zoltral. In: Gesammelte Werke. Hakata, Starjoy 2441. Im weitesten Sinn sind jede Freihandelswelt oder die jeweiligen Freihandelszonen auf einem entsprechenden Planeten Orte von Informationsaustausch, Entspannung, Vergnügen und natürlich Handel – mit einer einzigen Einschränkung: Neutralität und Immunität sind zu achten und strikt zu wahren, also exterritoriales Gebiet im eigentlichen Sinne des Wortes. Dies entspricht dem historischen Markt von Nomaden: Der Vielzahl von Stämmen und Clans, oft verfeindet und dem Zwang der Blutrache unterworfen, waren Märkte dennoch heilig! Denn sogar bei Feindschaft ist Handel notwendig – und darüber hinaus wird geklatscht und getratscht, werden neueste Gerüchte und Nachrichten ausgetauscht und wird allen Arten von Zerstreuung, Erholung und Lustbarkeiten nachgegangen. Freihandelswelten dienen also der von Zwist und Krieg unabhängigen Völkerbegegnung, die eines besonderen Rechtsschutzes und einer Friedensgarantie bedarf. Um einen solchen Freihandelsfrieden zu sichern, wurden schon früh trotzdem ausbrechende Feindseligkeiten in die ritualisierte Form eines Arenakampfes gebannt, fußend auf uralter Arkon-Tradition und der Freizügigkeit im Rahmen der feudalen Gesellschaft. Denn Tatsache ist, dass es im Großen Imperium Tausende verschiedener Kolonial- und Fremdvölker gab – alle mit ihren Eigenheiten und spezifischen Mentalitäten. Dieser Vielfalt ließ sich kein einheitliches Muster aufdrücken. Die imperiale Herrschaftsund Regierungsebene war eines, das Lokale der Einzelwelten etwas ganz anderes. Vielfältige Aversionen und Aggressionen wollten kanalisiert sein. Letztlich eine Frage des Maßstabes und dessen, was »erträglicher«
erschien. Durch Ritualisierung sanktionierte Duell und Kampfformen im Kleinen, von goldäugigen Schiedsrichtern und unbestechlichen Positroniken überwacht, oder aber der Krieg zwischen Welten, Fürstentümer und ganzen Sektoren? Einem traditionsbewussten Arkoniden war stets das kleinere Übel lieber, nicht zuletzt auch und vor allem deshalb, weil er sich der wahren Größe des Imperiums bewusst war. Neben dem staatlichen Gewaltmonopol gab es deshalb von jeher die Möglichkeit der individuellen Auseinandersetzung – in Arenen ebenso wie beim Dagor-Duell oder Tjost, wobei die Einzelheiten im Verlauf der Jahrtausende ritualisiert worden waren. Die Formen der Duell-Forderung, die Wahl der Waffen, auch die Teilnahme von Sekundanten und Schiedsrichtern, genau festgelegte Verhaltensweisen, von Ablehnung oder der Bestimmung von Stellvertretern – alles das umfassen die Kodexformeln gemäß Spentsch und Mannax. Kein Ehrenmann arkonidischer Abstammung zog das in Zweifel, sogar Essoya akzeptierten es als Ausdruck einer Auseinandersetzung, in die sich der Staat nicht einzumischen hatte, weder auf imperialer noch auf lokaler Ebene, Gewaltmonopol hin oder her. Manche Kämpfe gewannen vor diesem Hintergrund mitunter die Qualität eines Gottesurteils, und auch das wurde von allen ohne Wenn und Aber akzeptiert. Es gehörte zu Arkon und dem Großen Imperium wie die Drei Welten oder Thantur-Lok. Neben den jährlichen Reifeprüfungen der ARKSUMMIA zählten für jeden echten Arkoniden beispielsweise die alle drei Jahre im DubnayorSystem stattfindenden KAYMUURTES zu den wichtigsten und traditionsreichsten, ja fast heiligen Feierlichkeiten. Es handelte sich um Wett- und Ausscheidungskämpfe, deren Sieger oft für Jahre hinaus bekannt wurden und uneingeschränktes Ansehen genossen…
Jacinther IV, Nordkontinent Sebentool, Zum Mehan’phal, 19. Prago des Ansoor 10.497 da Ark
Ich musterte schweigend die drei Männer an dem Tisch. Der unbedeutende Händler sah aus, als sei er von der Wichtigkeit seiner Person durchdrungen. Der andere, der sich als Banff hatte vorstellen lassen, trug die blasierte Miene eines Großverdieners zur Schau, der glaubte, alles sei mit Geld zu bezahlen. Zusammen mit Fartuloon hatte ich alles besprochen. In Wirklichkeit hatten wir nicht die geringste Absicht, uns hier als Händler niederzulassen. Unsere Pläne deuteten in eine andere Richtung. Als ich mich setzte, lockerte ich vorsichtig den kleinen Kombistrahler unter meiner Achselhöhle. »Erhabener Händler«, hörte ich Fartuloon mit seiner sanftesten Stimme sagen, »wir sind Ratsuchende. Unser Freund hier sagte uns, dass wir den Schutz der mächtigen Nocto-Nos brauchen. Bist du ein Abgesandter dieser Verbrecherorganisation?« Das Gesicht des anderen verfiel förmlich. Einen solchen Eröffnungszug hatte er nicht erwartet. Vergord geriet fast in Panik und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Eine ältliche Bedienung kam an den Tisch und beugte sich zu mir herunter. »Wein«, sagte ich halblaut. »Den besten gegen ein gutes Trinkgeld.« »Ich fliege, junger Erhabener«, sagte sie mit dem Krächzen eines flügellahmen Vogels und eilte davon. Wir waren wieder unter uns. Banff erholte sich nur langsam von seinem Schrecken und fragte heiser, fast wütend: »Du wagst es, uns als Verbrecher zu bezeichnen, und trotzdem willst du unseren Schutz?« Oft bewunderte ich Fartuloon. In diesem Fall vor allem seine kaltblütige Art. Er sagte ungerührt: »Wir können unseren Zehnt auch direkt an Tato Sorpschan entrichten. Dann vermeiden wir die Umwege und kommen vermutlich billiger weg. Oder willst du allen Ernstes behaupten, dass der
Gouverneur nicht das Haupt der Nocto-Nos ist?« Der Mann schnappte erschrocken nach Luft. Um unseren Tisch schien sich eine Zone eisigen Schweigens zu bilden und langsam auszudehnen. An den Nebentischen verstummten einige Gespräche. Ich warf, etwas leiser, ein: »Dein Erschrecken, Banff, ist gleichbedeutend mit einer Bestätigung. Abgesehen davon, dass wir keine Bestätigung mehr brauchen. Hier auf Jacinther Vier liegt alles ganz klar auf der Hand. Außerdem solltest du in der Lage sein, tiefer in die Herzen der Arkü blicken zu können.« Das Schweigen breitete sich weiter aus. Ich hatte unvermittelt das unschöne Gefühl, dass jemand mit einem Strahler oder Messer auf meinen Rücken zielte. Wir kannten diesen Planeten, der zwischen rasenden Orkanen und stechender Sonnenhitze schwankte und dazu noch eine geringfügig größere Schwerkraft hatte, noch immer nicht gut genug. Aber für unseren großen Schlag, den wir führen wollten, schienen alle diese kleinen Gefahren wenig zu wiegen. Langsam drehte ich mich um, sah aber nichts. Banff starrte Fartuloon schweigend in die Augen, dann wandte er sein Gesicht mir zu. Der Hochmut war verschwunden. Verblüffung und Wut zeichneten sich ab. »Ihr beide scheint die Gefahr zu lieben. Woher habt ihr eure Informationen?« »Wir kennen nicht nur Vergord und dich«, gab ich bedeutungsvoll zurück. »Wir kommen viel herum. Ein Ka’Mehantis braucht viele Augen und Ohren.« Das schien ihm den Rest zu geben. Wir hatten unsere einzelnen Aktionen genau aufeinander abgestimmt und abgesprochen. »Freemush Ta-Bargk?«, flüsterte Banff. Wir zogen, fast gleichzeitig, die Schultern hoch und breiteten
die Arme aus. Aber die Phantasie spielte Banff einen Streich nach dem anderen. Das Murmeln und das Klirren der Becher und der Essbestecke wurden wieder lauter. Die Kellnerin kam und stellte Becher und einen vollen Weinkrug vor uns hin. Fartuloon lächelte. »Man hat vom Zustand des Imperiumsbeauftragten gehört. Man denkt, dass er abgesetzt werden sollte.« Vergord lehnte sich zurück. Hinter seinen Schultern fiel ein Holzscheit in sich zusammen. Ein Funkenregen stob auf und wurde durch den Kamin gezogen. Banff schien rasend zu überlegen. Man sah ihm geradezu die Anstrengung an, die Konsequenzen dieser neuen Mitteilung zu verstehen. Dann brachte er mühsam hervor: »Der Imperiale Ökonom hat also von Agmons Zustand gehört. Oder besser davon, dass Agmon alles andere als präsent ist. Und ihr seid seine Sendboten. Das bedeutet, dass auch Freemush kommen wird, um einen neuen Generalbevollmächtigten auszuwählen und in sein Amt einzusetzen.« »Das scheint die logische Folgerung zu sein.« Fartuloon schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was ist das doch für ein trauriger Laden hier! Keine schönen Frauen! Teurer und saurer Wein! Und ein Gestank, dass es einem die Eingeweide umdreht!« Er lachte schallend und goss den Inhalt seines Bechers in sich hinein. Eine ununterbrochene Kette aus wilden und tödlichen Abenteuern führte von dem Tag an, da ich denken gelernt hatte, bis hierher an diesen Tisch in der verräucherten Schenkel Und noch immer überraschte mich Fartuloon oder Claudevarn, wie er sich nannte, mit neuen Seiten. »Das alles lässt sich schnell und gründlich ändern«, versprach Banff. »Vergiss den Tribut an die Nocto-Nos! Aber vergiss Sorpschan nicht – auf eine andere Weise.« »Er ist sicher unvergesslich«, sagte ich nicht ohne Ironie.
»Gebt mir eine Vierteltonta Zeit«, sagte Banff. »Wozu?« Die Spannung nahm zu. Bisher waren wir durch die Gefahren von Jacinther IV getrieben wie abgefallenes Laub in einem Bachlauf, aber nun schien es, dass wir wieder die Handelnden waren. Wir planten einzugreifen, und dies waren die ersten Schritte. Mit Ka’Mehantis Freemush, einem Mitglied des Berlen Than, in unserer Gewalt können wir Orbanaschol selbst einen Schlag versetzen! »Ich will euch die Wahrheit sagen, obwohl ich dies nicht dürfte, denn ich bin nicht zuständig. Aber ich nehme an, dass ihr plötzlich zu sehr wichtigen Personen geworden seid.« »Plane nicht, uns zu hintergehen! Ich bin schnell mit der Waffe. Wohin willst du gehen?« »Ein Visofongespräch führen.« »Mit wem?« »Mit einigen meiner Vertrauten. Ihr seid daran interessiert, Sorpschan zu sehen, mit ihm zu sprechen?« Philosophisch wich Fartuloon aus: »Wer ist das nicht?« »Dann wartet bitte. Es dauert nicht lange. Ihr könnt auch austrinken und vor der Schenke auf mich warten.« »Ich werde mit dir gehen«, sagte ich. Fartuloon nickte mir zu und raunte, für Banff und den Handelsmann unhörbar: »Kein unnötiges Risiko. Der Weg der nächsten Tontas ist ziemlich geradlinig.« Ich zwinkerte ihm zu und schob mich hinter der schlanken, schmalen Gestalt von Banff durch die Menge. Hier traf sich, in dieser frühen Abendtonta, der repräsentative Querschnitt der hiesigen Prominenz. Es lag etwas in der stickigen Luft. Niemand kannte uns, aber unsere Andeutungen reichten, well der unter der sichtbaren Oberfläche schwelende Machtkampf der vier Gouverneure bis hierher Wellen schlug. Die Tatos warteten förmlich darauf, dass Agmon starb oder getötet wurde. Mitten in diesem Konflikt steckten wir und
versuchten, ihn für unsere Zwecke auszunutzen. Die Holztür schwang knarrend zurück. Trotz der Informationen hatte Banff seine Arroganz nicht verloren. »Ich will nicht, dass du hörst, mit wem ich spreche.« »Gut. Einverstanden. Ich warte.« Ich schob meine rechte Hand unter den linken Arm, spürte den Kolben der Waffe unter den Fingern. Langsam bewegte ich mich hin und her und wartete förmlich darauf, dass mich jemand angriff. Mein Leben – das gefahrvolle Leben eines gehetzten Thronerben – war ohne solche Gefahren nicht denkbar. Seit wir aus der Sogmanton-Barriere herausgekommen und auf Jacinther IV gelandet waren, schienen wir Überfälle geradezu anzuziehen. Der Kaufmann sah mich an, während er scheinbar lässig mit jemandem sprach, den ich nicht erkennen konnte. Nur der Lärm aus der Schenke drang an meine wachsamen Ohren. Ich sah, wie Banff seine Hand hob und das Visofongespräch beendete. Er kam aus der abgedunkelten Zelle heraus, blieb vor mir stehen und sagte aufgeregt: »Ein paar Männer werden uns abholen. Der kleine Mann und du, ihr habt das Interesse Sorpschans geweckt. Vergesst nicht, dass ich es war, der diesen Kontakt ermöglicht hat.« »Ich bin ganz sicher, dass wir es nicht vergessen werden«, entgegnete ich zweideutig. »Die Männer sind von der NoctoNos?« »So ist es. Ich gehe hinein und bezahle den Wein.« »Wir sind geschmeichelt.« Ich folgte ihm wieder bis zum Tisch. Argwöhnische Blicke folgten uns, als wir aufbrachen und das Lokal verließen. Vor dem Mehan’phal blieben wir wartend stehen. Die planetare Anziehungskraft, die einige Zehntel höher war als der Standardwert, machte uns inzwischen nichts mehr aus. Aber die gewaltige Wand des Sturmes, die sich von Westen näherte und sich mit flammenden Blitzen ankündigte, brachte
drückende Schwüle mit sich. Schlagartig waren wir in Schweiß gebadet. Fartuloon zog den Mantel aus. »Wir fliegen mit unserem eigenen Gleiter?« Banff zog den Kopf zwischen die Schultern und entgegnete halblaut: »Ich weiß es nicht. Warten wir es ab.« »Was geht eigentlich hinter dem Energieschirm um Agmons Burg vor? Weiß das jemand von der Nocto-Nos?« Jedes Mal, wenn ich Agmons Namen erwähnte, zuckte Banff zusammen. So auch jetzt. »Niemand kennt Agmon wirklich. Man hörte und sah lange nichts von ihm.« Der Kaufmann krümmte sich. »Sorpschan wird es besser wissen, vielleicht.« Fartuloon deutete auf den Sturm, der schnell näher kam. »Hoffentlich kommen wir nicht in diesen Orkan aus Schwärze und Regen.« Von der Straße her näherte sich ein schwerer, großer Gleiter, der bemerkenswert niedrig flog. Kurz vor dem überdachten Eingang der Raststätte flammten Scheinwerfer auf und blendeten uns für Augenblicke. Als wir wieder sehen konnten, standen sechs Männer um uns herum. Ihre kleinen, dunkle schimmernden Waffen deuteten auf uns. Ärgerlich knurrte Fartuloon: »Sollen wir als Gefangene zu Sorpschan gebracht werden?« Eine kehlige Stimme hinter mir sagte: »Man hat auf Sorpschan bisher siebenundvierzig Attentate verübt. Dreimal wurde er fast getötet. Er ist misstrauisch. Banff – du bleibst hier. Die Männer kommen mit uns. Ness, du nimmst ihren Gleiter und fliegst hinterher. Darf ich bitten?« Der Mann, ein Hüne mit breiten Schultern und einem fahlen Gesicht, schob sich hinter mir in den Bereich des Lichts und deutete in die Richtung des Gleiters. Ein Mann rannte davon. Fartuloon und ich wechselten einen schnellen Blick; wir
gehorchten und gingen auf die Maschine zu. Die Männer waren augenscheinlich gewohnt, schnell und zuverlässig zu handeln. Kaum saßen wir, eingekeilt zwischen den Bewaffneten der Nocto-Nos, in dem Gleiter, startete die Maschine und raste in Richtung Sebentool-Braan davon. Wir flogen entlang der heranwalzenden Sturmwolke. Die Landschaft war in ein seltsames Zwielicht getaucht, aber das kannten wir bereits; der Planet wurde ständig und an allen Orten von solchen kurzen und heftigen Unwettern heimgesucht. Ich blickte aus dem Seitenfenster hinunter und sah die helle Straße. »Wie lange dauert es?«, knurrte Fartuloon. Auch auf ihn richtete ein schmalgesichtiger Mann die Waffe. Es bestand kein Zweifel; sie hatten den Auftrag, uns lebend oder tot zu Sorpschan zu bringen. Das konnte zwei Gründe haben. Entweder kannte uns Sorpschan nicht, dann würden wir überleben oder weiterkommen. Oder jemand hatte uns erkannt und verraten, und dann flogen wir in eine Falle. »Eine halbe Tonta, bei diesem Sturm«, knurrte der Pilot, aber er verringerte weder die Flughöhe noch die Geschwindigkeit. Viele Krater, große und kleine, säumten das Gebiet der gewundenen Piste. Nicht alle waren bewohnt; einige glänzten tiefschwarz zwischen den Moorflächen und den wild wuchernden Gebieten des Dschungels, dessen Bäume in den einzelnen Sturmstößen hin und her schwankten und sich halbwegs zu Boden beugten. »Hast du Angst, Dicker?«, fragte der Mann mit der heiseren Stimme. »Nein, aber ich bin unruhig.« »Warum?« »Weil ich nicht jeden Prago entführt werde, um mit einem Tato in seinem prunkvollen Garten zu sprechen.« Fartuloon starrte nach unten. Er prägte sich offenbar die nur noch
undeutlich zu erkennenden Geländemerkmale ein. Wissen und Kenntnisse dieser Art konnten unser Leben retten. »Alles passiert einmal zum ersten Mal«, sagte der Pilot respektlos. »Man sagt es«, knurrte ich und spürte die Mündung einer Waffe an meiner Seite. Sicherlich hatten sie ihre Anweisungen, aber eigentlich hätten sie die angeblichen Sendboten des Ka’Mehantis liebenswürdiger behandeln müssen. Dennoch verstanden wir das Misstrauen des Gouverneurs in seiner blütenübersäten Schutzinsel und verhielten uns bis zum Ende des Fluges ruhig. Der kleinere Gleiter mit dem Emblem der Glenlivet flog schräg hinter uns in geringerer Höhe. Die Lichter von Sebentool-Braan tauchten weit voraus aus der Dunkelheit auf, als uns der erste schwere Ansturm des Hurrikans traf. Der Gleiter wankte, als der Pilot gegensteuerte. In der Luft war plötzlich ein Heulen, und rings um uns blitzte und wetterleuchtete es. Krachend rollte der Donner über den sturmgepeitschten Dschungel. Die Landschaft unter uns verwandelte sich binnen weniger Augenblicke in ein Chaos umstürzender Bäume und Wasser, das als Fahnen aus den gefüllten Kratern hochgerissen wurde. Die Wolken und der Regen trieben heran, das Leuchten vom Armaturenbrett bewies, dass der Pilot seine Rundumtaster eingeschaltet hatte. Die Maschine tanzte in der bewegten Luft wie ein winziges Boot auf einem Ozean. Der Pilot riss an den Hebeln der Steuerung. Der Gleiter schoss in einer leichten Rechtskurve nach unten und huschte keine hundert Meter über den schwankenden Wipfeln auf einen verschwommenen Lichtfleck abseits der Stadt zu. Baumkronen und große Büsche flogen, sich drehend und überschlagend, unter uns nach Osten. Und immer wieder blendeten uns Blitze, die ganz in der Nähe einschlugen. Der Donner erschütterte die Maschine. Ich lehnte mich zurück,
klammerte mich an einem Griff und der Lehne der Vordersitze fest. Der Sturm verwüstete die Wälder, schlug mit den schweren Regengüssen die Pflanzen nieder und raste weiter, sich langsam drehend. Von rechts wurde es etwas heller. Ein rötlicher Glanz schimmerte durch die treibenden Wolken und zauberte Reflexe auf die Kraterseen. »Dort vorn? Ist das der Krater Sorpschans?«, fragte Fartuloon, als wir uns dem noch undeutlich erkennbaren Gebiet näherten. »Ja«, antwortete der Pilot. Die letzten Regenwolken und Nebelfetzen trieben vorbei. Der Sturm endete so schnell, wie er gekommen war. Jetzt sahen wir durch die Frontscheiben, wohin wir flogen: Ein Krater, an drei Vierteln seines Walles von einem seichten, sichelförmig gekrümmten See umgeben, schälte sich aus der dunstigen Landschaft. Deutlich erkannten wir die vergleichsweise riesigen Ausmaße – mehrere Kilometer Durchmesser! – und den flachen Schutzschirm, der sich über dem Khazil wölbte. Zwei Erhebungen wuchsen durch den Schirm hindurch und bildeten kleinere, fast halbkugelige Vorsprünge. Während unter der flachen Energiekuppel nur Dämmerung, durch wenige Lichtpunkte erhellt, zu sehen war, strahlten die kleinen Kuppeln weitaus heller. Der Gleiter sank tiefer, bremste ab und flog entlang einer schmalen, indirekt beleuchteten Piste auf ein weißes, torähnliches Bauwerk zu. Es bestand aus vier runden, massiven Türmen, die den Durchbruch des Ringwalls flankierten. Zwei außen, zwei innen. Zwischen den Türmen sahen wir den hell lodernden Energieschirm. Und wir konnten auch undeutlich die scharfen und glatten Felsen ausmachen, die wie ein riesiges Gebiss aus der bewachsenen Krone des Ringwalls ragten. »Wir landen«, sagte der Pilot. Die Waffen wurden zögernd
zurückgesteckt oder gesichert. Der Gleiter setzte weich vor dem Energieschirm auf. Die Türen schoben sich auf. »Durch den Schirm?« Fartuloon griff nach seinem Schwert. Es war keine symbolische Geste, wie ich wusste. Das Skarg war mehr als nur ein einfaches Schwert; selbst ich kannte seine Geheimnisse nicht. Zumindest nicht alle. »Nein.« Die Männer eskortierten uns über den nassen, mit feuchten Blättern bedeckten Pistenbelag bis zu einer hohen, schmalen Pforte neben dem rechten Torturm, die aus Stahl zu sein schien. Hinter einem schusssicheren Glasverschlag richteten sich Optiken auf uns. Tiefstrahler schalteten sich ein, und sicher richteten sich auch unsichtbare Mikrofone auf uns aus. »Bleibt vor dem Tor stehen! Ihr werdet geprüft«, sagte der Mann mit der unheimlichen Stimme. Der Halbkreis von Begleitern blieb außerhalb des Bereichs der hellen Lampen. »Und sicherlich hineingelassen«, sagte ich. Welche Gefahren verbergen sich auf dem Weg bis zum Zentrum des Kraters? Keiner von uns wusste es, aber wir hatten drei Dutzend verschiedene Gerüchte gehört. Lässt man uns deshalb unsere Waffen? Eine Prüfung? Schließlich, nach langen Zentitontas, sagte eine seidenweiche Stimme halblaut: »Ich bitte die Mittelsmänner des Ka’Mehantis, durch die Pforte zu treten und auf dem weiß gekennzeichneten Weg den Garten zu durchqueren. Ich gebe mir die Ehre, euch zu einem erlesenen Abendessen einzuladen. Tretet ein!« »Mit Vergnügen«, sagte ich. Die massive Stahlpforte verschwand langsam im Boden. Wir warteten, bis die Oberkante mit der Straße eine Ebene bildete, dann gingen wir vorwärts. Wir hörten die Schritte der Nocto-Nosii, die zu ihrem Gleiter zurückgingen. Jetzt konnten wir sicher sein, dass der machtgierige Gouverneur auch der Chef dieser
Schutzorganisation war. Fartuloon nutzte das schleifende, summende Geräusch, das die hinter uns hochgleitende Pforte verursachte, und flüsterte in mein Ohr: »Unser Ziel ist Freemush. Alles andere ist unwichtig. Lass mich lügen und bestätige, was ich sage.« Ich gab zurück: »Genau das habe ich vor. Aber der Park wird keine einfache Sache werden.« »Darauf sind wir vorbereitet.« Wir wagten, zuerst zögernd, dann schneller, die ersten Schritte in die neue Umgebung. Eine bedrohliche Atmosphäre erfüllte diesen stiller Garten unter dem Energiedach. Der Weg bestand aus einem selbstleuchtenden Material und wand sich zwischen den Pflanzengruppen hindurch. Ein widerlich süßer Geruch erfüllte die Luft. Es waren nur wenige Geräusche zu hören; die Bewegungen von Tieren, die in einem gerodeten und ausgelichteten Dschungel herumhuschten und einander verfolgten. »Los, weiter, ich habe Hunger!«, sagte Fartuloon grinsend. »Immerhin hat der Herr Tato ein kleines Festmahl angekündigt. Wein, gutes Essen, Frauen und Lautenmusik. Ach, diese Zeiten scheinen doch nicht vorbei zu sein.« Er legte die Hand an den Griff des Skarg, lachte grimmig auf und stapfte vorwärts. Ich ging links neben ihm. Langsam zog ich meine Waffe und entsicherte sie mit einer Daumenbewegung. Der leuchtende Pfad erhellte die nächstliegenden Büsche, die Grasbüschel und die schmalen Wasserläufe, die schwarzen Tümpel, deren Oberflächen mit farbenprächtigen Blüten bedeckt waren. Vereinzelte andere Lichtinseln waren undeutlich zu sehen, hinter Stämmen, in halber Höhe von Bäumen und inmitten bizarrer Kombinationen aus ausgehöhlten Felsen und Grasflächen. Wer immer diesen Park angelegt oder den bereits vorhandenen Dschungel verformt und veredelt hatte – sein
Verstand war damals schon krank gewesen. Etwas davon färbte wohl auf jeden Besucher des Parks ab, denn auch wir wurden stiller und missgestimmter, je mehr Windungen des Weges wir zurücklegten. »Halt!«, stieß ich plötzlich hervor und hob den Arm mit der Waffe. Über uns ertönte ein lang gezogenes Zischen. Dann eine Reihe schriller Schreie, die in ein flatterndes Geräusch übergingen. Zweige schnellten zurück, und ein Regen aus Aststückchen, Borke und Blättern ging über uns nieder. Ich ließ die Hand wieder sinken. »Es war nur ein Tier, das geflüchtet ist«, sagte Fartuloon. Unsere Nerven waren angespannt. Im Zentrum dieses verrückten Gartens lauerte wie eine Spinne im Netz Tato Djulf Sorpschan, der sich für den einzig aussichtsreichen Kandidaten für den Posten des Imperiumsbevollmächtigten hielt – genau wie die anderen Gouverneure ebenfalls. Dicke Tropfen fielen auf uns herunter. Wir wurden schneller und folgten den Windungen des Pfades. Rechts und links von uns bemerkten wir langsame, schleichende Bewegungen. Es war, als liefen Raubtiere neben uns her und lauerten auf einen günstigen Augenblick. Blieben wir stehen, hörten auch die Geräusche auf. Der Logiksektor raunte: Es ist ein psychologisch geschickt arrangierter Weg; denn die Besucher kommen erschöpft und verängstigt an. Wenn sie ankommen… Zwei Zentitontas nachdem wir eine Brücke aus Lianen und Pflanzenteilen passiert hatten, die über dem Weg baumelte, hielt mich der Bauchaufschneider am Arm fest. »Dort!« Ich drehte den Kopf und sah einen schwarzen, annähernd runden Tümpel, in den lange, peitschenähnliche Zweige hingen. Es stank nach Moder und Fäulnis. Aus verschiedenen Richtungen kamen leichte Windstöße und rührten die Oberfläche auf. Seltsame, schmetterlingsähnliche Lebewesen
strichen über das dunkle Wasser und kamen auf uns zu. »Ich sehe Insekten. Gefahr?« »Vielleicht.« Langsam gingen wir weiter. Der Weg verlief am Rand des Tümpels vorbei. Die Insekten schwirrten heran, bildeten eine kleine Wolke und wurden vom Licht magisch angezogen. Dann stürzten sie sich auf uns. Sie waren lästig, aber nicht gefährlich. Ihre Flügel berührten uns und blieben an der Kleidung kleben. Wir schlugen um uns und begannen zu laufen, um dieser Attacke zu entgehen. Mitten in diesem Wirbel aus spinnenartigen Beinen, schlagenden Flügeln und langen Fühlern rauschte Wasser: Ein flacher, hässlicher Kopf mit riesigen Augen erhob sich aus dem Tümpel. Tang, Schlamm und Pflanzenstücke rutschten und tropften entlang des Schlangenhalses herunter. Ein mörderischer Gestank schlug uns entgegen. Dann hefteten sich die Augen auf uns. Der Schädel hob sich, der Hals schwankte hin und her. Das Tier ähnelte auf einmal einer angreifenden Schlange mit breitem Halsschild. Allein der Schädel glich einer fürchterlichen Mutation eines Moojas. Eine lange Zunge schoss zwischen scharfen Reißzähnen hervor, dann stieß das Tier einen röchelnden Laut aus. Der Kopf zuckte in einer schnellen Bewegung herunter und traf auf den Weg – Fartuloon hatte sich mit einem schnellen Sprung zur Seite gerettet. »Es wird gefährlich«, knurrte er und riss das Skarg aus der Scheide. Noch immer schlugen wir nach diesen riesigen Motten, die in immer größerer Menge zwischen den Pflanzen hervorkamen. Ich blieb stehen, federte in den Knien und wischte fluchend die Motten von Stirn und Augen. Mindestens fünfzig Meter weit fiel der leuchtende Pfad am Tümpelrand entlang. Wir mussten darauf achten, den nicht mehr als einen Meter breiten Weg nicht zu verlassen, well wir
uns dann in die Einflusssphäre womöglich noch gefährlicherer Tiere begaben. Ein zweiter Hals tauchte aus dem Tümpel auf, aber der Kopf war noch zu weit entfernt. Wir rannten in einer Wolke von gelben Faltern dahin, die uns die Sicht versperrten und auf die Ohren, die Nase und die Augen zielten. Wieder stieß der Kopf zu, der Rachen weit aufgerissen, die langen Zähne vorgestreckt. Schlammtropfen flogen nach allen Seiten, als sich der Hals bog. Meine rechte Hand hielt die Waffe. Als der Kopf bis auf vier Meter heran war, feuerte ich. Der Donnerschlag versetzte diesen Teil des Dschungels in ein Chaos: Der Thermoblitz detonierte in dem offenen Rachen und zerfetzte den Kopf. Ich hechtete nach vorn durch die Wolke der Nachtfalter und rollte mich ab. »Schnell!«, schrie ich. »Der Garten ist tatsächlich eine tödliche Prüfung. Wir müssen…« Wohin? Ich kam wieder auf die Beine und versuchte, mich zu orientieren. Ringsum in den Zweigen und am Boden schrieen Tiere. Ein Schwarm Vögel flatterte an uns vorbei und schlug mit Schnäbeln und Schwingen nach uns. Es war eine akustische Hölle. Wir hörten Zischen und Schreie, hysterisches Kichern und drohendes Brüllen und Fauchen. Dann donnerte die Waffe Fartuloons auf und tötete das zweite Wassertier, das schnell herangeschwommen war und seinen Rachen nach dem Bauchaufschneider ausstreckte. Der Krach des Abschusses verstärkte noch den Lärm. »Wir müssen rechtzeitig zum Abendessen im Schloss oder wo auch immer sein«, ergänzte Fartuloon kühl. Wir blickten uns an und grinsten. Wir sahen mitgenommen und verdreckt aus. Schlammspritzer, tote Motten und Tangfetzen bedeckten unsere Kleidung. Wir schüttelten uns und rannten weiter, immer das leuchtende Band entlang. Hinter uns blieben die zerfetzten Reptilien zurück. »Ein unappetitlicher Anmarsch.« Ich blickte um mich jeden
Augenblick konnte eine neue Überraschung über uns hereinbrechen. Der Gouverneur wartete sicher auf uns und amüsierte sich über unsere Abenteuer, die ohne Zweifel aufgezeichnet wurden. »Und weitaus länger, als ich gedacht habe.« »Der Pfad führt im Zickzack durch die Anlage«, meinte ich ironisch. »Das verlängert bekanntlich die Strecke.« »Richtig. Und vergrößert meine Wut! Immerhin handeln wir im Auftrag des Ka’Mehantis!« Letzteres war natürlich eine Bemerkung in Richtung der unsichtbaren Zuhörer. Die Szenerie änderte sich jetzt fast unmerklich. Die Bäume, deren Luftwurzeln verfilzt waren, wurden kleiner und zeigten eindeutige Zeichen von Kultivierung. Die Lianen hingen geordnet an den Ästen. Büsche, Gestrüpp und die Inseln aus schwankenden Rohrgräsern sahen aus, als wären sie bewusst so angeordnet worden. Zwischen einzelnen Formationen waren Scheinwerfer versteckt angebracht. Riesige Mückenschwärme tanzten im Licht und bildeten sich ständig verändernde Schleier und Wolken. Wir atmeten schwer und schwitzten in der schwülen, wasserdampfgesättigten Luft. Trotzdem rannten wir hintereinander mit schussbereiten Waffen weiter. Eine große Lichtung öffnete sich, durch die der leuchtende Weg verlief. Wir erkannten in dem gelben Licht die Flanken eines riesigen Felsens, der schräg aus dem Boden wuchs, umgeben von runden, sorgfältig gestutzten Bäumen und großen Büschen, deren sternförmige Blüten bis hierher dufteten. Ein fast betäubendes Aroma. »Dahinter ist wohl das Hauptquartier des Gouverneurs«, murmelte Fartuloon. »Ich sehe den Turm.« Jenseits des Felsens erkannte ich eine helle Säule, die mit der durchsichtigen Fläche des
Energieschirms verschmolz. Hundert Meter ging es über die Lichtung, dann folgte ein Gürtel aus dicht stehenden Pflanzen. »Das hat sich tatsächlich ein Wahnsinniger ausgedacht. Aber es ist nicht mehrweit bis zu Ihrer Hoheit. Wir haben uns das Essen jedenfalls redlich verdient.« Wir waren erschöpft und wütend. Grimmig versicherte Fartuloon: »Diesen Weg und die Aufregungen wird Sorpschan bezahlen. Und zwar in sehr teurer Münze.« »Einverstanden.« Das Licht beleuchtete die Flanken des Felsens, der gelbrot und scharf aufragte. Als wir den Monolithen passierten, hielt mich Fartuloon auf, indem er einfach stehen blieb. Ich wich blitzschnell aus, um nicht mit voller Wucht in ihn hineinzurennen. Es war unheimlich still geworden. Wir konnten nur das Murmeln einer Quelle oder eines Wasserlaufes hören und ein unklares Rascheln schräg hinter uns. Ich drehte mich einmal um und musterte Meter um Meter der Umgebung. Dann fielen meine Augen wieder auf den Felsen. Gegen das undeutliche Licht, gegen den helleren Schein jenseits der dunklen Masse der Bäume hoben sich merkwürdige dreieckige Gestalten ab, die den Felsen an allen oberen Kanten bedeckten. Dadurch sah er aus, als sei er angesägt oder ausgebrochen worden. Ich flüsterte aufgeregt: »Was ist das dort oben? Siehst du, was ich meine?« Ich deutete hinauf. Im gleichen Moment kam Bewegung in diese Verzierungen. Sie verschoben sich nach rechts und nach links. Ich sah erschrocken, dass es sich um Raubvögel handeln musste, wenn ich die Größe in Betracht zog. »Vögel«, sagte Fartuloon alarmiert. »Schnell. Es sind zu viele!« Wir spurteten los. Als wir uns nach vorn warfen, breiteten die ersten Tiere ihre Flügel aus und stürzten sich in unsere
Richtung. Das Rauschen der Federn wurde zu einem lauten, drohenden Geräusch. Wir wurden schneller. Nur die Bäume oder das Gebäude selbst konnten uns Schutz geben. »Schneller!« Ich drehte mich halb um und erkannte, dass sich nicht weniger als dreißig Vögel auf uns konzentrierten. Noch behinderten sie sich gegenseitig, aber aus der Masse der schwarzen, flatternden Leiber schoben sich einige starke Exemplare heraus und flogen dicht hinter uns, einige Meter über unseren Köpfen. Ein Tier, schwarz wie die Nacht, faltete die Schwingen zusammen und ließ sich auf mich fallen. Bevor sich die Krallen der vorgestreckten Fänge in meine Schultern bohren konnten, riss ich die Waffe hoch, duckte mich und feuerte. Ich wurde geblendet, obwohl ich die Augen geschlossen hatte. Aber der Thermostrahl verbrannte den Vogel und sprengte die anderen auseinander. Sie begannen zu krächzen und rissen wütend ihre Hakenschnäbel auf. Ich feuerte dreimal in den dichten Schwarm hinein und rannte, so schnell ich es vermochte, weiter hinter dem Bauchaufschneider her. Er wirbelte herum und hob seine Waffe. Ich wich seitlich aus und spürte die Hitze der Strahlen. Hinter mir schrieen und flatterten die Vögel. Greifen sie alles an, was sich nachts hier bewegt, oder wurden sie ausgeschickt, um uns zu töten? »Bring dich in Sicherheit!«, dröhnte Fartuloons Stimme auf. Einige weitere Schüsse krachten, neben mir fiel mit einem hässlichen, klatschenden Geräusch ein toter Vogel auf den Pfad. Die Federn schmorten. Ich rannte auf Fartuloon zu. »Deckung!« Ich hielt die Waffe fest in der Hand und hechtete nach rechts. Über meine linke Schulter strich schnell und mit weit geöffnetem Schnabel ein Vogel. Sein Flügel schlug hart gegen meine Schläfe. Ich rolle mich im weichen Gras ab, kam sofort
wieder auf die Beine und schoss auf den nächsten Vogel, der aus dem Halbdunkel auf mich zusteuerte. Ich erwischte ihn am Kopf und wich aus, als der brennende Körper auf mich fiel. Die anderen Vögel, etwa ein Dutzend, umschwirrten uns in engen Kreisen und Spiralen, als wir den Pfad entlang auf den Lichtschein zutaumelten. Immer wieder stieß eines der Tiere auf uns herunter. Sie waren wie besessen; ihre Angriffswut ließ nicht nach, obwohl der Weg hinter uns mit brennenden und verschmorten Kadavern bedeckt war. Wir rannten weiter, keuchend und mit den Spuren des Kampfes an unseren Kleidern und Händen, zwischen den Büschen hindurch, an einer Reihe von Baumstämmen entlang, dem Licht entgegen. Ich drehte mich immer wieder um und gab einen Schuss nach dem anderen ab. Jedes Mal bäumte sich in den Lichtblitzen ein Vogel auf und stürzte ab. Die anderen verdoppelten ihre Angriffe, als wir zwischen den dichten Büschen herausbrachen, vor uns eine Brücke sahen und dahinter das Bauwerk. Noch einmal, mitten auf der breiten Brücke, blieben wir stehen, rissen die Arme hoch und feuerten gezielt auf die Vögel. Vor uns erschien eine Kette von Glutbällen, durch den Dschungel tobte der Lärm und rief abermals ein wildes Echo aus Schreien und Heulen und Flüchen hervor. »Ich traue meinen Augen nicht mehr.« Ich hatte Fartuloon selten so verblüfft gesehen und blieb ebenfalls starr stehen, während sich meine Augen an die reduzierte Helligkeit gewöhnten. Das Bild war tatsächlich bemerkenswert: Im Zentrum des mörderischen, stinkenden Dschungels befand sich eine große Rasenfläche. Sie war nicht völlig eben, sondern verlief in kleinen Hügeln und Senken. Ziersteine, eine Brunnenanlage, viele verborgene und deutlich sichtbare Lichter sowie zierliche Sträucher unterbrachen diese
glatte, jetzt dunkelgrüne Fläche. In ihrer Mitte stand ein lang gestrecktes, flaches Gebäude mit einer Front, die mindestens zweihundert Meter lang war. Jede einzelne Öffnung – es schienen riesige Fenstertüren zu sein – war hell erleuchtet. Am vorderen Ende des Gebäudes, das dort auf Stelzen stand, wo Felsen und Rasen einen Steilhang bildeten, sahen wir den Schaft des schlanken Turmes, dessen oberes Ende sich im durchsichtigen Schutzschirm verlor. »Dieser Sorpschan ist entweder eine schillernde, einmalige Gestalt, oder er ist verrückt«, sagte ich düster. Langsam gingen wir, die Waffen in den Händen, auf eine vorspringende, hell erleuchtete Plattform zu, die durch Treppenstufen mit dem Rasen verbunden war. Dort auf der Fläche sahen wir Windlichter, eine ganze Menge Arkoniden, Tische und Stühle. Eine idyllische Szene, zweifellos von unsichtbaren Prallfeldern von den Gefahren des Urwalds abgeschirmt. »Dahinter muss etwas anderes stecken. Das hat Methode. Vergiss nicht, dass wir nicht hier sind, um mit ihm Fragen der Etikette und des Wohlverhaltens zu diskutieren.« »Ich werde es nicht vergessen.« Ich blieb dicht neben ihm. Wir wurden erwartet. Je näher wir den untersten Stufen kamen, desto mehr der etwa hundert Personen sahen in unsere Richtung. »Offensichtlich die politisch interessierten Stützen der Sebentool-Gesellschaft«, bemerkte der Bauchaufschneider spöttisch. Wir blieben auf den mittleren Stufen stehen. Zwischen den teuer gekleideten Personen allen Alters, aller Größe und nicht nur arkonidischer Herkunft schob sich ein hagerer Mann in einem schwarzen Anzug nach vorn. »Ich bin Djulf Sorpschan. Mit Sicherheit seid ihr die letzten Gäste. Wir haben auf euch gewartet und uns köstlich amüsiert.« Fartuloon stemmte die Arme in die Seiten. Er hielt noch
immer die Waffe in der Hand und sagte laut und mit unverkennbarer Drohung: »Wir sind keine Bettler, und wir sind es nicht gewohnt, auf diese Weise empfangen zu werden.« Um den Gouverneur bildete sich ein Halbkreis. Worte des Erstaunens wurden laut. »Ich will und werde kein Risiko eingehen. Ich wurde mehrmals überfallen und lebe trotzdem noch. Und nicht jeder, der sich als wichtige Person ausgibt, ist auch eine.« Mit einer Stimme, die vor Ärger troff und die mir selbst fremd vorkam, sagte ich: »Wir sind also getestet worden. Haben wir die Probe bestanden?« »Glänzend. Es hätte nicht besser ausfallen können. Kommt herauf! Lasst euch von den Dienern helfen.« Wir nahmen die restlichen Stufen, passierten die plötzlich aufklaffende Strukturlücke des Prallfelds und standen vor dem Tato. Mein Logiksektor meinte grämlich: Nicht nur Sorpschan ist hier, sondern zweifellos auch Mittelsmänner der anderen drei Gouverneure. »Und nach dem Duschen und Umziehen könnt ihr euch sicher exakt ausweisen!«, rief der Gouverneur. »Natürlich«, behauptete Fartuloon. Sorpschan kam auf uns zu. »Du kommst also von Freemush. Worum geht es eigentlich?«, wandte er sich an mich, nachdem uns die Diener m Empfang genommen und wir uns im Gebäude erfrischt und gesäubert hatten. »Ich bin sehr neugierig, alles zu erfahren.« »Ich glaube nicht, dass wir besonders gesprächig sein werden«, konterte ich rau. »Wir sind verärgert.« Ich betrachtete ihn genauer. Sorpschan war ein schlanker Mann mit großen, fiebrigen Augen. Er hatte ein schmales Gesicht und dunkelblondes Haar, das lang in den Nacken fiel. An seinen dünnen Fingern funkelten schwere Ringe. »Ich bitte
um Entschuldigung, wenn ich euch verärgert haben sollte. Einem Mittelsmann, oder wie ihr gesagt habt, den Augen und Ohren des Ka’Mehantis gegenüber werde ich mich gebührend zu entschuldigen wissen.« Die Augen des Bauchaufschneiders funkelten angriffslustig. »Was mich versöhnen könnte, wäre ein gutes Essen. Mit viel Wein und in der Gesellschaft ausgesucht schöner Frauen.« Mit einer wahrhaft fürstlichen Armbewegung deutete Sorpschan um sich und sagte leutselig: »Alles das wirst du hier finden, mein Freund. Aber jetzt darf ich an die Tafel bitten.« Es hatten sich Gruppen gebildet. Ich könnte wetten, dass es hier von Spionen wimmelt. Aber bisher ist unsere wahre Identität noch nicht aufgedeckt worden. Der Gouverneur fasste uns leicht an den Armen und führte uns an das Kopfende der Tafel. Wir hatten die Ehrenplatze links und rechts neben ihm. Neugierige Blicke folgten uns, belauerten jede unserer Bewegungen. Der Tato klatschte in die Hände und setzte sich. Das Essen wurde aufgetragen, und die still brennenden Windlichter ließen die Situation weniger bedrohlich erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Wir saßen mit gespannten Muskeln und Nerven da und gaben uns den Anschein von Gelöstheit. Sorpschan war anscheinend nach einer Plauderei während der Mahlzeit zumute. Er lächelte Fartuloon mit zwei Reihen blendend weißer Zähne an. »Woher kommt ihr, meine Freunde?« »Wir sind hier gelandet, kamen auf etlichen Irrwegen an einige Stellen des Planeten und sind um die richtigen Eindrücke bemüht, um die richtigen Ratschläge geben zu können«, antwortete Fartuloon trocken. »Eine Auskunft voller Diplomatie.« Sorpschan hielt einem Robot sein Glas hin Die Maschine füllte es mit exakter
Perfektion zu zwei Dritteln. »Wir können es uns leisten«, sagte ich. »Denn die Augen eines Mitglieds des Berlen Than müssen die Dinge richtig sehen. Du hältst dich für den berechtigten Nachfolger des Imperiumsbeauftragten Fertomash Agmon?« Gnädig wandte sich Djulf mir zu. Für eine Mission von solch diplomatischer Delikatesse schien er mich wohl für reichlich jung zu halten. »So ist es, und sicher nicht zu Unrecht. Aus der Burg des alten Agmon, die hinter einem undurchlässigen Energieschirm liegt, hörte man seit langem nichts Persönliches.« Er betont das »undurchlässig«, raunte der Logiksektor, als sei das für ihn nicht der Fall! »Wie das?« Fartuloon flirtete ungeniert mit drei jungen Frauen gleichzeitig. Sie schienen von ihm fasziniert zu sein. Er grinste wie ein dicker, mondgesichtiger Teufel. Auch eine seiner unzähligen Masken. Wir kosteten das Essen. Es waren viele Gänge, und alle Speisen waren vorzüglich. »Nur seine Anordnungen und Verwaltungsakte erreichen uns noch. Mich und die anderen Tatos.« Er schien sich damit anzufreunden, dass wir tatsächlich die Wahrheit sagten. »Niemand auf Jacinther weiß genau, was hinter diesem Energieschirm vorgeht.« »Nicht einmal die Spione des Gouverneurs von Sebentool?«, erkundigte ich mich spöttisch. »Auch diese nicht«, gab er lächelnd zu. »Niemand. Niemand hat seit langer Zeit etwas von Agmon gesehen. Er ist mehr eine Legende. Schon allein aus diesem Grund begrüße ich die Ankunft des Ka’Mehantis.« Er könnte zwar dort wohl eindringen, dachte ich, aber noch hielt er sich zurück. An einen Angriff auf Agmon denkt er zweifellos nicht. Noch nicht. Die Diener servierten, die Gäste unterhielten sich, und aus
versteckten Lautsprechern kam eine unaufdringliche Musik. Meine Gedanken schweiften ab zu unseren beiden Freunden, die sich versteckten und zumindest hinsichtlich Tato Ruuver unsere Lebensversicherung darstellten. »Ebenso begrüßen das die drei anderen Tatos«, knurrte Fartuloon. »Verständlich«, entgegnete Sorpschan. »Sind deshalb auch Vertreter deiner drei Rivalen eingeladen?«, erkundigte ich mich nach einer Weile und deutete auf die Tafel. Hier hinter der Prallfeldbarriere war die Luft wunderbar kühl, sie stank nicht, und es gab auch keine Insekten. »Sicher. Sie werden ihren Herren berichten, dass die Boten des Ökonomen bei mir speisen und sich freundschaftlich mit mir unterhalten. Übrigens werde ich mir das Vergnügen bereiten, euch morgen mein Haus und meine Art, die Provinz zu leiten, zu zeigen.« »Danke«, sagte ich kühl und sah ihn über den Rand des Glases an. »Wir kennen bereits den Chef der Nocto-Nos.« Er lächelte. Dann kam ein Diener, beugte sich zum Ohr des Mannes und flüsterte etwas. Langsam änderte sich der Gesichtsausdruck des Tatos. Er starrte zuerst Fartuloon, dann mich an, schließlich sagte er kurz: »Entschuldigt mich.« Er stand auf, verließ die Tafel und eilte mit langen Schritten ins Haus. Wir blickten uns an und wussten fast automatisch, dass uns Gefahr drohte. Sie konnte eigentlich nur aus einer Richtung kommen. Aus Braschoon auf dem Südkontinent… Die anderen Gäste beruhigten sich schnell. Das ausgezeichnete Essen, die Getränke und die Unterhaltungen lenkten sie ab. Viele hatten noch gar nicht gemerkt, dass der Gouverneur die Tafel verlassen hatte. Wir ahnten, was jetzt kommen würde. Mit winzigen Gesten verständigten wir uns –
es gab immer einen Ausweg. Aber bis wir wussten, was wirklich geschehen war und welchen Grund die plötzliche Wut im Gesicht des Gouverneurs gehabt hatte, mussten wir unsere Maske weiter tragen. Ein Arkonide, der Begleiter meiner langhaarigen Nachbarin, sprach mich an. »Junger Mann«, sagte er halblaut. »Du bist offensichtlich weit herumgekommen?« »In der Tat«, gab ich zu und runzelte die Stirn. Sein Tonfall klingt nach Angriff. »Dann wirst du mir auch sagen können, warum gerade Tato Sorpschan der aussichtsreichste Kandidat für die Position des Imperiumsbeauftragten ist.« Ich schüttelte den Kopf und sah zwei Silhouetten gegen den hellen Hintergrund der Fenstertür eines Wohnraums näher kommen. »Er ist es ebenso wenig wie die anderen drei. Oder ebenso viel. Nichts ist sicher. Wir können den Entschluss des Hochedlen Freemush Ta-Bargk nicht beeinflussen.« Die Schatten kamen näher. Ich sah den Blick, den Fartuloon mir zuwarf. Höchste Alarmbereitschaft lag darin. »Ihr beeinflusst den Entschluss also nicht? Warum dann eure Anwesenheit?« Sicher war der Mann aus dem Lager eines anderen Gouverneurs. Hier auf Jacinther IV herrschten Strömungen und Verbindungen, die ein getreues Spiegelbild des Lebens am Hof Orbanaschols waren, nur kleiner und mit geringeren Zielen. Jetzt blieb der Tato hinter seinem Sessel stehen. Die Gestalt an seiner linken Seite… Ich drehte den Kopf und riskierte einen langen Blick. Der krumme Wirt der ARGINTAR! Wir hatten ihn gesehen, hatten mehrmals an den Theken seines Lokals gestanden, vor einiger Zeit auf dem südlichen Kontinent. Die ARGINTAR war das Schiff gewesen, auf dem wir zwei Kabinen auf dem Oberdeck gemietet hatten. Mit Sicherheit war er einer von Sorpschans Spionen.
Langsam verstummten die Unterhaltungen. Ein paar Gläser klirrten. Fartuloon saß entspannt da, lehnte sich zurück und ließ sich soeben sein Glas nachfüllen. Ich schob einen letzten Fleischbrocken in den Mund und kaute – für uns war das Essen beendet. Dann entspannte ich mich und hob mein Glas, das noch gefüllt war. Ich genoss den letzten Schluck Wein. Mit lauter, von Ärger gezeichneter Stimme begann der Gouverneur zu sprechen: »Unser Fest ist gestört worden. Diese beiden Männer, die sich als Mitarbeiter des verehrten Ka’Mehantis ausgeben, sind in Wirklichkeit alles andere als ehrenwerte Personen. Dieser Mann hier ist soeben eingetroffen und hat mich davon unterrichtet. Es ist wohl Zeitverschwendung, wenn ich auf alle eure Verbrechen eingehe, die in der letzten Zeit so viel Aufregung über Jacinther gebracht haben?« Fehler!, rief mein Extrasinn. Er fühlt sich zu sicher – aber seine Garde ist noch nicht da… Fartuloons Grinsen war nicht anders als unverschämt zu bezeichnen. Ich setzte das leere Glas ab; gerade eine Tonta lang hatten wir Ruhe gehabt. »Im Augenblick, Erhabener, scheint die Göttin des Glücks nicht bei uns zu weilen.« Fartuloon drehte sich halb herum. Ich sah, wie er sich für einen Sprung bereitmachte. »Der Anschein spricht gegen uns, aber wir werden rehabilitiert werden. Und dies in kurzer Zeit durch den Ka’Mehantis persönlich!« Der krumme Wirt, dessen Oberkörper zur linken Schulter hin gekippt war und dem mittelgroßen Mann ein merkwürdiges Aussehen gab, redete leise auf Sorpschan ein. Dieser brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen und hob eine Hand an den Mund. Einer seiner Ringe glühte auf; ein getarntes Funkgerät! »Ich werde kein Risiko eingehen. Das, was wir von euch wissen, reicht für…« Aufgeregtes Murmeln breitete sich wellenförmig entlang der
Tafel aus, erreichte das entgegengesetzte Ende und kam wieder zurück. Die junge Frau neben mir starrte mich mit großen Augen an und schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Fartuloons Hand schoss vor, warf in einer gekonnt ungeschickten Bewegung das Glas um. Das Signal! Ich sprang zurück, warf meinen Stuhl nach rechts und zog die Waffe. In demselben Wimpernschlag hechtete der Bauchaufschneider auf Sorpschan zu, schleuderte den Wirt mit einer wilden Handbewegung um fünf Meter zurück und stand plötzlich hinter dem Gouverneur. Ein Blitz funkelte auf und entpuppte sich als das Skarg, dessen Klinge quer vor dem Hals Sorpschans lag. »Sobald sich einer rührt«, rief Fartuloon, »stirbt Sorpschan!« Lähmendes Schweigen breitete sich aus. Mit einer Hand griff Fartuloon nach dem Arm des Tatos und drehte ihn auf dessen Rücken, schob ihn hoch. Ächzend krümmte sich Sorpschan. Ich feuerte einen Schuss ab. »Niemand rührt sich!« Ich stand nun zehn, zwölf Meter neben der Tafel und konnte jede verdächtige Bewegung sehen. Einige Augenblicke vergingen, in denen sich niemand rührte. Dann konnte ich aus den Augenwinkeln erkennen, dass sich aus dem Haus und hinter dem Haus hervor Männer näherten. Zweifellos die Leibwache des Gouverneurs. Sie blieben stehen, als sie erkannten, dass sich Sorpschan in unserer Gewalt befand. Wieder sprach Fartuloon. Seine Stimme war diesmal ungewöhnlich ernst. »Hört zu, alle! Wir haben den Gouverneur in unserer Gewalt. Geschieht uns etwas, stirbt er. Wir sind keine Spione. Ein Toter kann sich nicht mehr verteidigen, deshalb haben wir etwas dagegen, von diesem Mann und seinen Schergen getötet zu werden. Wir müssen uns absichern und flüchten. Sorpschan geht mit uns. Vorwärts!« »Und keine selbstmörderischen Aktionen.« Ich ging langsam
rückwärts, bis ich die Front des Gebäudes und die Tafel gleichzeitig überblicken konnte. Dann drehte ich mich um und winkte die drei Männer, die hinter mir standen und schwere Waffen in den Händen hielten, zur Seite. »Keine Dummheiten!« Sie gehorchten. Schritt um Schritt zog sich Fartuloon mit dem Gouverneur in seinem erbarmungslosen Griff zurück, in die Richtung der offenen Wohnräume. Niemand wagte sich zu rühren. In dem Augenblick aber, in dem wir uns die geringste Blöße gaben, würden sie über uns herfallen. Das bedeutete, dass wir zu unserer eigenen Sicherheit Sorpschan als Geisel behalten mussten. Die Leibwächter waren unschlüssig. Der lange Tisch mit den wie erstarrt dasitzenden Gästen war etwa zwanzig Meter von uns entfernt. Rechts von mir standen drei Männer, die ihre Waffen gesenkt hatten und sich ausschließlich auf Fartuloon und den Gouverneur konzentrierten. Ihnen gegenüber bildeten vier dunkel gekleidete Wächter eine lockere Linie. Auch sie starrten die beiden Männer an. Der Spion des Gouverneurs stand verkrümmt vor diesen vier Leibgardisten. Keiner sprach, keiner rührte sich. Die glänzende Schneide des Skarg sprach eine deutliche Sprache. »Warte hier!«, sagte Fartuloon. Ich nickte in seine Richtung. Mit einigen schnellen Schritten überquerte der Bauchaufschneider die Trennlinie zwischen Terrasse und Haus. Hilflos stolperte der Gouverneur hinter ihm her. Ich hörte, wie er gurgelte: »Ihr werdet nicht weit kommen. Früher oder später erwischen euch die Nocto-Nos oder die Polizei. Oder meine Leibwache.« Grimmig versprach Fartuloon: »Sie erwischen uns im Augenblick deines Ablebens, Tato. Es gibt einen anderen Weg aus deinem Dschungelkrater. Zeige ihn uns!« »Ich denke nicht daran.«
Ich blickte die beiden Gruppen warnend an, machte ein paar schnelle Sätze und wechselte meine Position. Ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden. Jeden Augenblick konnte diese instabile Situation explodieren. Fartuloon gab mir einen Wink. Ich begriff, riss einen weiten Mantel von der Wand und lehnte mit dem Rücken an eine breite Säule, die einen Raum halb abteilte. Dann hörte ich ein würgendes Stöhnen. Fartuloon drückte das Schwert hart gegen den Hals seines Gefangenen. »Den Weg! Wenn du den Krater verlässt, nimmst du nicht den leuchtenden Pfad.« »Nein, ich…« »Schneller! Oder willst du uns provozieren?« Mit der freien Hand vollführte Sorpschan einige ziellose Bewegungen, dann deutete er zu der blauen Tür im Hintergrund. Von seiner sprichwörtlichen Eleganz war jetzt nichts mehr zu merken. Er war nur mehr ein Mann, der zwischen Angst und Wut schwankte. »Das Boot… die Wasserstraße.« »Bring uns hin! Du kommst mit«, sagte Fartuloon gnadenlos. »Aber ich…« »Kein aber!« Fartuloon zerrte Sorpschan zur Tür. Ich kontrollierte weiterhin den Raum zwischen uns und den Wächtern. Bisher hatten sie noch keinen Angriff versucht, aber sie bewegten sich bereits unruhig. »Nimm den Mantel mit, Modoff.« »Schnell! Wir müssen das Haus verlassen«, sagte ich warnend. Die Tür glitt nahezu geräuschlos auf. »Hinunter!«, sagte Fartuloon. »Keine Tricks – sonst hast du das Skarg im Rücken.« Ich blieb in der Türöffnung stehen, übersah die Lage, schloss die Tür, hämmerte mit dem Griff der Waffe den Schalter in die Wand und zerstörte ihn, dann rannte ich hinter meinem
Freund her. Wir nahmen mit großen Schritten etwa dreißig Stufen, die mit einem weißen Teppich belegt waren. Als sich das Licht änderte, standen wir auf einer Plattform, die als schmale Zunge über dunkles Wasser hinausragte. Fartuloon presste die Spitze des Schwertes gegen die Wirbelsäule Sorpschans. »In welche Richtung, Erhabener?« »Nach links.« »Du begleitest uns. Wenn deine Leute auf uns schießen, sorge ich dafür, dass sie dich treffen.« Ich ging schnell bis an den Rand der Plattform. Links lagen drei Boote vertäut nebeneinander. Ich suchte das vermutlich schnellste aus, sprang hinein, wechselte augenblicklich ins nächste Boot über und feuerte auf die Steuerkonsolen, die sich in qualmende Trümmer verwandelten, und wiederholte das bei dem zweiten, das zurückbleiben würde. »Du steuerst?« Der Bauchaufschneider schob den Tato an den Spalt zwischen Bordwand und Steg heran. »Ja.« Ich versuchte, mich schnell mit den Kontrollen vertraut zu machen, und drückte den Kontakt. Das Energieaggregat brummte auf, hinter dem Heck des schnellen Gleitboots begann das Wasser zu brodeln. Nachdem ich die Leinen gelöst hatte, setzte ich mich vor die Steuerung und hielt das Boot im Rückwärtsgang der Unterwasserdüsen am Steg. »Hinein!« Ein nachdrücklicher Stoß, und Sorpschan sprang ins Boot. Fartuloon landete neben ihm und drückte ihn auf den Nachbarsitz nieder. Gleichzeitig öffnete ich die Unterwasserdüsen weit, ließ die Hitzeturbinen hochfahren und kauerte mich in dem Fahrersitz zusammen. Das Boot bäumte sich auf, raste in einer engen Kurve vom Steg weg. Die spitze Nase senkte sich wieder, und wir schossen in einen dunklen Tunnel aus Wasser und überhängenden Bäumen und Ästen hinein. Nach fünfzig Metern sah ich bei einem raschen Seitenblick nur noch die spitzwinklige Bugwelle, die immer
weiter am Bootsunterteil nach hinten wanderte, bis das Boot nur noch auf dem äußersten Teil des Hecks dahinglitt. »Ich nehme an«, brüllte Fartuloon durch das zischende Geräusch der Wellen, »dass dieser Kanal bis an den Rand des Kraters führt?« »Ja«, gab der Gouverneur zurück. Behutsam schob ich den Geschwindigkeitsregler nach vorn, fand den von mir gesuchten Schalter; drei Scheinwerfer flammten auf und strahlten gerade in den dunklen Schacht hinein, durch den wir rasten. Eine irre Vorstellung, durchzuckte es mich. Der Gouverneur verlässt sein Haus und seinen Krater auf dem Wasserweg. »Ich warne dich zum letzten Mal«, sagte Fartuloon brummig. »Wenn es Hindernisse oder Fallen gibt, stirbst du mit uns.« Der Gouverneur hielt sich krampfhaft fest, well das Boot Sprünge machte und unaufhörlich hart gegen das Wasser schlug. Wir bewegten uns fast wie ein über die Wellen hüpfender Kiesel dahin. Meine Augen bohrten sich in die Dunkelheit. »Erst am Ende«, ächzte der Gefangene. Ich versuchte, das tanzende Boot annähernd in der Mitte der Wasserrinne zu halten. Die bewachsenen Ufer huschten schnell vorbei. Meist war der Rand des Gewässers hinter riesigen Gewächsen und schwankenden Bündeln von Lianen verborgen. Wie Edelsteine leuchteten Orchideen aus den Zweigen. Augen von riesigen Tieren funkelten im Lichtschein der Lampen auf. Ich nahm alles nur undeutlich und schattenhaft wahr, konzentrierte mich auf dieses ungewöhnliche Fluchtgefährt. Der Kanal verlief in leichten Windungen durch den Kraterdschungel. Einmal hämmerte der Kiel des Bootes gegen ein großes Tier, dessen Weg wir kreuzten. Es gab einen harten Schlag, das Boot vollführte einen Sprung und drehte sich in der Luft nach links.
Es schwankte hin und her, als es wieder hart aufsetzte, dann schoss es mit weißer Heckwelle weiter. Hinter mir schrie der Gouverneur auf, während wir mitten in das Gewirr aus Blättern und kleinen Ästen hineinrasten; ein mächtiger Ast war heruntergebrochen und ragte ins Wasser. Wir schossen wie ein Projektil durch die grüne Barriere. Das Boot zerfetzte die Blätter, riss die Lianen auseinander und ließ die Äste zersplittern. Meine Muskeln verkrampften sich, ich erwartete einen Aufprall, der uns alle aus den durchfedernden Sitzen schleuderte und gegen einen Baum oder einen Felsen schmetterte. Aber das Boot landete im Wasser, tanzte hin und her, bis ich es wieder in die Gewalt bekam. »Du wählst einen ungewöhnlichen Weg«, sagte Fartuloon. »Ich liebe das Bizarre.« »Schade, dass wir auf diese Weise miteinander verkehren müssen«, sagte ich. »Ich meine es ehrlich. Aber die GarramboKonstellation ist nun einmal anders.« Sorpschan schrie aufgebracht: »Ich glaube keinem von euch. Nicht ein einziges Wort.« Fartuloon lachte entspannt. Er schien diese rasende Fahrt zu genießen. »Die Zeit wird uns rechtfertigen«, behauptete er großspurig. »Du wirst schon sehen.« Ich sah den Widerschein des Lichtes auf dem schwarzen Wasser und verringerte die Geschwindigkeit, als der Gouverneur »Halt!« sagte. Vor uns waren nur Dunkelheit und die kalkweißen Bahnen der drei Scheinwerfer. Das Boot sank weiter und weiter ins Wasser und wurde langsamer. Als der Bug in die schwarze, ölig wirkende Flüssigkeit tauchte, bildeten sich Wellen und Strudel. »Was ist los?« Ich drehte mich halb herum. Die rasende Fahrt schien unseren Gefangenen mitgenommen zu haben. Er saß regungslos auf seinem Sitz und klammerte sich an einem Handgriff fest. Fartuloon lehnte in den Polstern und richtete
die Spitze des kurzen Schwertes auf das Herz des Mannes. »Langsam weiter. Sonst kommt ihr niemals hinaus.« »Wie ist der Ausgang gesichert?«, fragte ich leise. Weißer Schaum quirlte hinter dem Heck des Bootes. Mit mäßiger Geschwindigkeit trieben wir weiter. »Durch eine Barriere aus Stahl und eine Tarnillusion. Was habt ihr mit mir vor?« Fartuloon knurrte: »Wir brauchen dich als Sicherheit. Wir nehmen dich mit bis zum Gleiter. Weiter nicht – vermutlich.« »Wie löse ich die Sperre auf?« Vor mir war das dunkle Wasser versperrt, endete vor einigen Stämmen, die quer über dem Kanal lagen. Fauliger Geruch stieg auf. Auf dem Wasser trieben losgerissene gelbe Blüten. »Der schwarze Knopf, links neben dem Steuer.« Ich fand den Knopf, drückte. Verborgene Maschinen summten auf. Nacheinander hoben sich die Stämme und kippten zurück in den Dschungel rechts und links neben anderen Bäumen. Das Fahrwasser war auf hundert Meter geradeaus frei. Das Boot fuhr langsam weiter. Ich wartete auf weitere Hindernisse. Einige Augenblicke vergingen, in denen nur das Summen der Maschine zu hören war und die Laute des halb natürlichen Urwaldes. Wir boten ein hervorragendes Ziel, falls die Leibgarde bereits hier war. Der Tato schien nicht der Mann zu sein, der sich uns hilflos auslieferte. »Was jetzt?« Ich glaubte, jenseits der Zweige und Gewächse die Augen der Verfolger zu sehen, wurde nervös… »Drück den Knopf zweimal!« Ich führte die Anordnung aus. Sorpschan war nur so mitteilsam, well die Spitze des Schwertes auf seine Kehle wies. Vor uns, etwa zwanzig Meter entfernt, entstand dicht unter dem Wasser eine Bewegung. Scharfe Spitzen und dicke Stücke Metall waren zu sehen, die mit wuchtigen Schrauben miteinander verbunden waren. Das Boot wäre aufgerissen und
zerstört werden, kommentierte der Logiksektor. Das Boot driftete über das vernichtende Unterwasserhindernis hinweg und wurde vor einer massiven Wand aus wild übereinander gefallenen Felsbrocken langsamer. Scheinbar endet hier der Kanal… »Die Illusion?« »Ja. Dreimal drücken.« Sehr einfallsreich, wisperte meine innere Stimme trocken. Ich betätigte den Schalter. Die Illusion verschwand. Ich fuhr langsam an. Die Felsen waren vollständig verschwunden. Wir fuhren durch einen engen Stollen, der durch den Ringwall des Kraters getrieben worden war. Weit vor uns verlor sich das Scheinwerferlicht in der Weite der Nacht über diesem Teil von Jacinther IV. Das Echo des brummenden Hochleistungsmotors brach sich an den Felsen. »In Kürze ist deine Gefangenschaft vorbei«, versicherte Fartuloon, als wir mit breiter Bugwelle aus dem Stollen hinaus auf den See fuhren – war es der, den wir während des Herflugs aus der Luft hatten erkennen können? Etwa dreitausend Meter weiter rechts steht der Gleiter, bestätigte der Extrasinn. Wenn wir Glück hatten, warteten die Leibwächter oder schnell alarmierte Nocto-Nosii dort nicht auf uns. Ich schaltete die Scheinwerfer aus. »Das nützt euch nichts«, wiederholte Sorpschan. »Ich habe Befehl erteilt, euch zu verhaften oder gegebenenfalls zu töten, und daran ändert sich nichts mehr. Selbst wenn ihr mich umbringt.« »Das hat niemand vor. Wir sind friedliche Leute«, sagte ich. Die Maschine des Bootes brummte auf. In der Dunkelheit zeichnete sich im schwachen Licht der Sterne nur die Kielspur ab. Ich steuerte auf die Stelle des Ufers zu, die dem Standort unseres Gleiters am nächsten lag. »Wohin werdet ihr flüchten?«
Fartuloon stieß ein dröhnendes Lachen aus. Er wirkte, als habe er zu viel Wein getrunken. »Wir sind nicht halb so naiv, nicht halb so verbrecherisch, wie Euer Erhabenheit anzunehmen belieben«, scherzte er. »Und nun… ein längerer Fußmarsch wird uns allen helfen. Wir fühlen uns dann besser durchblutet.« Der Kiel des schnellen Bootes schrammte auf den Kieseln. Ich schaltete die Maschine aus und sprang ins Wasser. Bis zum Knie versank ich im Schlick des Ufers, dann kletterten die beiden Männer über den Bug ins Land. »Vorwärts! Lass dich nicht durch meinen angenehmen Plauderton täuschen, Erhabener Tato. Ich bin gewohnt, schnell zu reagieren.« »Ich verstehe.« Wir bewegten uns, so schnell wir konnten, entlang des Ringwalls auf den Platz zu, an dem ich unseren Gleiter wusste. Uns trieb die Furcht, wieder in einen Hinterhalt zu geraten. Rund drei Kilometer… Wir liefen entlang eines Pfades, den ich mehr ahnen als sehen konnte. Unser einziges Licht war das der Sterne. Meistens rannten wir entlang der äußeren Schräge des Ringwalls, aber wir kamen auch hinunter in den Dschungel und an den Rand des Moores. Fartuloon fiel voran; er schien im Dunkeln sehen zu können wie eine Katze. Der Gouverneur, bald halbwegs am Ende seiner Kräfte, blieb in der Mitte. Er stolperte, fiel zu Boden und kam wieder hoch. Eigentlich hielt sich der Tato ganz gut, und er würde sich, wenn er es konnte, auf fürchterliche Weise rächen. Wir nahmen keine Rücksicht – aus zwei Gründen. Erstens hatten wir nichts Geringeres zu verlieren als unser Leben, und zweitens zielten wir direkt auf Freemush. Abermals wurden wir gezwungen, zu reagieren. Das Handeln war uns für den Augenblick unmöglich gemacht, aber die Tonta der Ruhe schien uns zusätzliche Kräfte verliehen zu haben.
Tiere schrieen und flüchteten vor uns. Andere Tiere, große Katzen und merkwürdige Reptilien, die wir niemals richtig sehen konnten, waren hinter uns her. Fartuloon schien in Wirklichkeit aus mehreren Personen zu bestehen, von denen jede ein ebenso guter Kämpfer war: Mit dem Schwert zerhackte er eine riesige Schlange, die sich aus einem Baum auf uns stürzte. Zweimal feuerte er, die Waffe auf geringe Intensität eingestellt, auf Raubtiere, die aus dem Sumpf auftauchten. Er erkannte intuitiv den Pfad, als sei es ein breiter Weg, der gut beleuchtet durch den Urwald führte. Schließlich hielt er an. »Noch hundert Meter. Geh du voraus. Gib Zeichen, wenn du eine Gefahr bemerkst!« »In Ordnung.« Ich bemühte mich, so leise wie möglich aufzutreten, und konzentrierte mich auf den Weg. Er war schmal, aber ich schaffte es, bis an den Rand der Straße vorzustoßen, und verbarg mich im Schatten eines Baumes. Dort ist der Gleiter, dachte ich. Warten sie darauf dass einer von uns über die Straße läuft? Ich wich nach rechts aus, bewegte mich nahezu geräuschlos hundertfünfzig Meter durch morastigen Dschungel und überquerte dann erst die Straße. Ich sah keinerlei Anzeichen dafür, dass der Gleiter bewacht wurde. Ich eilte dieselbe Strecke zurück, ließ mich auf Knie und Ellbogen nieder, robbte die wenigen Meter bis zum Gleiter und spähte um mich. Ich hörte nichts außer dem pochenden Herzschlag, der in den Ohren zu rauschen schien. Langsam stemmte ich mich vom Boden hoch. Meine Augen versuchten, die fast totale Dunkelheit zu durchdringen. Ich erreichte den Türgriff, zog mich vollends in die Höhe und drehte mich langsam um. Nichts. Dann hörte ich Geräusche und einige knackende Ästchen Fartuloon tief geduckt auf mich zu. »Alles in Ordnung?«, flüsterte er und riss die Tür auf der Fahrerseite auf.
»Ich habe nichts und niemanden gesehen«, versicherte ich und schwang mich in den Gleiter. »Gut. Du ahnst, wohin wir fliegen?« »Zu einem Ort, an dem wir uns ausschlafen können.« »Meinetwegen.« Der Gleiter drehte sich herum und raste die Piste entlang, bis Fartuloon die Maschine hochzog und wir knapp über den Wipfeln der Bäume dahinschwebten. Die Maschine brummte zuverlässig. Nur der Umstand, dass die Männer der Nocto-Nos ihre Aktionen nicht abgesprochen und koordiniert haben, behauptete meine innere Stimme, verhinderte, dass jemand den Gleiter bewacht hat. »Was ist mit Sorpschan?« Meine Augen fielen fast zu. Ich hatte Mühe, wach zu bleiben. »Er ist neben der Straße mit Lianen an einen Baum gefesselt und wird wohl nicht so schnell gefunden werden. Außerdem habe ich ihn paralysiert. Bis er aufwacht, haben wir einige Tontas Vorsprung.« »Und in welche Richtung steuerst du?« Er lachte grimmig. »Dorthin, wo uns niemand suchen wird.« Ich schluckte. Sein Plan war vermessen, aber gerade die kühnsten Gedanken hatten meist die größte Aussicht auf Erfolg. Ich stöhnte auf: »Zur Burg von Fertomash Agmon! Unser Kampf ist die Tat zweier Wahnsinniger. Wir…« Freundlich murmelte er: »Halt den Mund! Und versuche zu schlafen. Morgen sehen die Dinge ganz anders aus.« Der Sitz des rätselhaften Imperiumsbeauftragten lag etwa in der Mitte der Go-moassar-Khazilyi, also rund hundertfünfzig Kilometer von Sebentool-Varn oder von Sebentool-Braan entfernt. Wir hatten die Anlage noch nicht selbst gesehen, aber schon viel von ihr gehört: Weit ins Innere des Landes versetzt, hinter einem undurchdringlichen Hochenergieschirm, sollte es eine alte steinerne Burg sein.
Man munkelt, dass sie das Relikt einer ausgestorbenen Zivilisation ist, dachte ich und sagte gähnend: »Vielleicht.« »Vorher werden wir uns für die kommenden Auseinandersetzungen an einem sicheren Platz stärken und ausruhen.« Der Gleiter raste ohne Scheinwerfer durch die Nacht. Nur die Sterne mit ihrem schwachen Licht beleuchteten unseren Weg. Irgendwann schlief ich ein.
2. 1142. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 20. Prago des Ansoor, im Jahre 10.497 da Ark. Ich ziehe das Skarg, betrachte die breite Klinge des Stahls unbekannter Herkunft und lasse die ebenso fremdartige wie winzige Energiezelle aus der Parierstange schnappen. Ladekapazität: 100Prozent. Mikroprojektoren erzeugen auf Knopfdruck das Hüllfeld der Klinge, das wahlweise im Hochenergie- oder Paralysatormodus aufgeladen werden kann. Bald werde ich diese Wirkung brauchen, dort, bei der Energieglocke, die Agmons Burg einhüllt! In vielem entspricht das Skarg der Waffe der Dagoristas, die zahlreiche auf den ersten Blick absonderlich erscheinende Spezialkonstruktionen entwickelt haben. Doch diese traditionelle Ausstattung ist erwiesenermaßen nicht zu unterschätzen: ReitKampfroboter mit perfekter Bioschichttarnung gehören ebenso wie die legendären Omithopter-Libellen dazu; Grundausstattung sind stets das Dagorschwert und die Armmanschette zur PrallschildProjektion, um zum Beispie IV-Schirme partiell zu verstärken. Weil
sie grundsätzlich Einzelkämpfer waren, blieben die Arkonritter stets Individualisten, deren Traditionen vor allem auf die Zeit der Archaischen Perioden zurückgehen – genau wie die Umschreibung Yoner-Madrul für die seit damals »Bauchaufschneider« genannten Mediker. Ah, das Arkon-Rittertum auf der Basis von Dagor, dessen Mitglieder auch Tron’athorii Huhany-Zhy genannt werden – »Hohe Sprecher des Göttlich-Übersinnlichen Feuers…« Der Hauptkodex, die Zwölf Ehernen Prinzipien, entstand ebenso wie das Buch des Willens von Dolanty um 3100 da Ark. Zwei Hauptströmungen werden unterschieden: Die auf Meditation und Zurückgezogenheit bezogene geistige Ausrichtung steht der weltlichen Orientierung des Arkon-Rittertums gegenüber, jedoch nicht als Gegensatz, sondern als harmonische Ergänzung, die im Ideal zur Einheit verschmilzt. Eine mindestens fünfjährige Ausbildung gilt als normal; der Ritterschlag entspricht einem Meisterbrief so dass sich folgende Rangfolge ergibt: Adepten, Meister, Großmeister, Hochmeister… Ich erinnere mich noch genau daran, wie das Skarg in meinen Besitz gekommen ist. Dunkle, blutige und hässliche Geschehnisse haben sich vorher abgespielt, und auch mein alter, verbeulter Harnisch gehört in diese phantastische Vergangenheit Mit Geschichten dieser Art kann ich selbst hart gesottene Schurken erschrecken, und ich danke dem Universum, dass ich nicht unmittelbar Teilnehmer an diesen Greueltaten gewesen bin. Es ist eine Geschichte auf der Bühne der Sterne, in der ich nur in den letzten Zeilen erscheine. Aber ich kenne sie. Derjenige, der das Schwert schuf ist längst kosmischer Staub. Diejenigen, die es führten, zählen zu den größten Schlächtern zwischen den Galaxien. Und selbst ich, der es fand, kenne viele, aber längst nicht alle Geschichten, die damit verbunden sind. Sebentool, nahe Fertomash Agmons Teault’gor; 20. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Endlich erwachte ich ganz. Schon vorher war ich mehrmals
wach gewesen und hatte undeutlich Fartuloon bei verschiedenen Arbeiten gesehen und Unverständliches murmeln hören. Er improvisierte, aber sein Erfahrungsschatz machte selbst aus einer Improvisation etwas Vollwertiges. Ein kleines, heißes Feuer brannte, darüber drehte sich auf einem hölzernen Spieß ein Tier. Das Feuer war rauchlos und konnte uns nicht verraten. Ich drehte mich um und schaute mit verschlafenen Augen die Seitenwand des verschmutzten Gleiters entlang. Dort vorn, keine vier Kilometer entfernt, erhob sich die Energiekuppel über Agmons Burg. »Guten Morgen.« Fartuloon sah ausgeschlafen aus. »Dort drüben ist eine Quelle. Beeil dich! Vermutlich sind die Truppen des Tatos hinter uns her.« »Anzunehmen.« Ich wickelte mich aus dem Mantel und stand auf. In der Kühle des frühen Morgens fröstelte ich ein wenig. Wir befanden uns am Rand eines Urwaldstreifens, der abrupt in das Gelände eines Wüstenfleckens überging. Eine riesige Sandfläche dehnte sich aus; riesig deswegen, weil ich den gegenüberliegenden Rand nicht erkennen konnte. Dass sie annähernd rund war, wussten wir von den Karten. Die Sonne war eben aufgegangen, lange Schatten fielen über die Landschaft. Zweifellos nicht natürlich entstanden, kommentierte der Extrasinn. Der Sand ist reiner Feinstaub, wie er bei Desintegratoreinsatz entsteht; auch kommt der Übergang zum Urwald zu abrupt, während andererseits für eine echte Wüste zu viele Einzelpflanzen vorhanden sind. Das Gelände war nicht völlig eben, sondern bestand aus einer ununterbrochenen Folge leichter, dünenartiger Aufwerfungen. Keine davon schien höher als fünf Meter zu sein. Zwischen den Hügeln wuchsen vereinzelt runde, stachelige Gewächse von mehreren Metern Größe. Ich schüttelte den Mantel aus, faltete ihn zusammen und ging
hinüber zur Quelle, wusch mich und dachte: Wir sind wieder einmal auf der Flucht, und die Richtung, in die wir flüchten, führt genau in eine noch größere Gefahr. Aber bisher waren wir mit allen möglichen Gefahren fertig geworden. Außerdem ergab sich dort vorn, in viertausend Metern Entfernung, eine weitere Chance, Orbanaschol einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Wenn wir versuchten, in die Teault’gor-Burg des Imperiumsbeauftragten einzudringen, setzten wir uns Gefahren aus, die wir nicht genau kannten, die aber abzuschätzen waren. Ich setzte mich neben das Feuer und sah zu, wie Fartuloon mit dem Schwert den Braten zerteilte. Er tat dies mit der Geschicklichkeit eines versierten Küchenmeisters. »Hunger?« »Nicht wenig«, gab ich zu und starrte in die Wüste hinaus. »Beginne niemals einen Kampf mit leerem Magen – wenn es sich vermeiden lässt«, murmelte der Bauchaufschneider trocken. »Wenn wir zusammenrechnen, was wir von oder über Fertomash Agmon nicht wissen, könnten wir ein Buch darüber schreiben.« Mit dem Schwert deutete Fartuloon hinüber zur Energiekuppel. »Bald werden wir mehr wissen. Das Skarg wird uns das Eindringen ermöglichen.« Ich lächelte. In dem Dagorschwert hatte ich schon in meiner Kindheit geheimnisvolle Kräfte vermutet; inzwischen kannte ich einige seiner Möglichkeiten. Es war kurz, mit breiter Klinge und einem Knauf, der mich nach wie vor ungemein faszinierte. Die seltsame Figur schien aus Silber gearbeitet zu sein, doch Einzelheiten ließen sich nicht einmal bei genauerer Betrachtung erkennen: Je schärfer ich sie ansah, desto mehr schienen ihre Konturen zu zerfließen. Wir tranken Quellwasser, aßen den heißen, ungewürzten Braten und die letzten Konzentratwürfel aus unseren
schwindenden Vorräten. Die Sonne kletterte langsam über den Horizont hinauf, die Schatten wurden schärfer, aber unmerklich kürzer. »Hinter uns die Mördertruppe Sorpschans, vor uns eine Energiekuppel von mehr als dreitausend Metern Bodendurchmesser… wir sind wieder einmal mittendrin. Man macht es dir nicht leicht, Kristallprinz.« »Nehmen wir den Gleiter?« »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht«, erwiderte mein Freund. Zu Fuß waren wir langsamer, im Gleiter konnten wir einer gesehen oder geortet werden. Fartuloon warf einen sauber abgenagten Knochen über die Schulter und wischte sich über den Mund. »Bereit?« Ich schüttelte den Kopf. Ich war noch nicht satt, und meine Gedanken beschäftigten sich mit den Ereignissen, die hinter uns lagen. Wenn ich den kuppelartigen Energieschirm im Zentrum der sandigen Fläche betrachtete, fühlte ich so etwas wie eine finstere Drohung, die davon ausging. Der Schirm schien das stechende Sonnenlicht förmlich aufzusaugen. »Gleich.« Wir sollten den Gleiter nehmen und erst die letzten Schritte zu Fuß gehen. Wir würden auf diese Weise weniger Zeit verlieren und rascher in das Innere des Energieschirms hineingelangen. Ich schluckte den letzten Bissen Fleisch hinunter und holte einige Fasern mit einem zugespitzten Ästchen aus den Zähnen. Ich stand auf, deutete auf den Gleiter und sagte entschlossen: »Nehmen wir die Maschine. Ich habe seit letzter Nacht kein besonders gutes Verhältnis zu Fußmärschen.« Ich ging auf den Gleiter zu, überprüfte meine Waffe und die wenige Ausrüstung und öffnete die Tür. Fartuloon löschte das Feuer und beseitigte mit schnellen Bewegungen unsere wenigen Spuren. Ich glitt hinter das Steuer und überprüfte die Systeme. Langsam schob sich der Gleiter aus dem Unterholz. Die Scheiben und die Seitenwände waren stark verschmutzt.
Vor uns lag ein neuer Abschnitt. Fartuloon warf sich in den Sitz. Er lächelte mich an und sagte mit einer warmer, einfühlsamen Stimme: »Niemand versteht dich besser Kristallprinz.« Plötzlich wirkte er wieder einmal wie ein besorgter Vater. »Aber es ist noch ein sehr weiter Weg bis zu unserem Ziel. Deinem Ziel, wollte ich sagen.« Langsam schwebte der Gleiter in die Wüste hinaus. Das helle Tageslicht rief auf den verschmierten Scheiben starke Lichteffekte hervor. Ich schaltete die Reinigungsanlage ein. »Gäbe es einen weniger gefahrvollen und direkteren Weg, würden wir ihn längst beschritten haben. Wir werden von Orbanaschol verfolgt – er würde dich wie mich töten, wenn er uns fassen könnte. Das Leben, das wir führen…« Ich warf voller Bitterkeit ein: »… ist ein Leben von Verfolgten, Gehetzten, Gejagten!« »Zugegeben«, murmelte er. Der Gleiter raste mit einem Satz los und schwebte zwei Handbreit über dem Sand. »Allerdings auch das nicht weniger aufregende, aber befriedigendere Leben des Jägers. Wie gesagt, es gibt keinen anderen Weg als den, den wir gehen. Die andere Möglichkeit wäre totale Resignation.« »Ich weiß das ebenso gut wie du, Bauchaufschneider.« »Willst du resignieren?« »Nein«, sagte ich hart. Alles in mir sträubte sich gegen den Gedanken an diese Möglichkeit. Wir rasten über die Wüste. Fartuloon suchte die Landschaft hinter und den Himmel über uns ab. Ich hörte ihn zufrieden brummen. »Keine Verfolger?« »Nein.« Zwischen den Hügeln hindurch, den Einschnitten der kaum sichtbaren Täler folgend, durch die langen schwarzen Schatten der Wüstengewächse, näherten wir uns dem Energieschirm. Nicht einmal ein kleines Tier bewegte sich in dieser
gelbbraunen Zone der Verlassenheit. Ich umklammerte die Hebel der Steuerung und konzentrierte mich auf die vor mir liegende Strecke. Der Schirm mit seiner rauchglasähnlichen Wandung kam näher und füllte binnen kurzer Zeit das gesamte Blickfeld aus. »Halt! Wir müssen den Gleiter verstecken«, sagte Fartuloon. »Besser schlecht getarnt als gar nicht. Er könnte zu unserer Lebensrettung werden.« Ich bremste vor einem der letzten runden Büsche ab und steuerte dann das Gefährt mit aller Maschinenkraft in die krachenden Zweige hinein. Wir verschwanden fast völlig in dem Busch, dessen Blätter zitterten und herunterfielen, aber vom Bug und vom Heck ragte jeweils ein Meter daraus hervor. Wir schoben die Türen auf und bahnten uns einen Weg durch die Zweige. »Auf zu Agmon, dem Beauftragten des Tai Ark’Tussan.« Fartuloon blieb im Schatten stehen. Die Wüste um uns herum roch abgestanden, nach Fäulnis, irgendwie fremd. Es war, als sickere der Geruch durch den Schutzschirm. Fartuloon zog sein Schwert und hielt das Skarg waagerecht, während er auf das Energiefeld zustapfte. »Bleib hinter mir!« Schließlich standen wir unmittelbar vor der Fläche des Kraftfelds. Für uns war deren Krümmung nicht zu erkennen, denn aus der Nähe wirkte die Fläche wie eine gigantische Mauer, die bis in den Himmel ragte. Langsam streckte Fartuloon das Schwert aus. »Achtung!« Die Spitze der von einem Flirren umhüllten Klinge kam immer naher an die Energieschale heran, berührte sie… drang ein. Ein geräuschloser Vorgang, ohne lebensgefährliche Blitze, ohne dramatischen Lärm. Fartuloon vollführte drei Bewegungen: Zuerst schnitt er wie durch warmes Wachs oder weichen Stoff nach unten, dann führte er einen weiteren Schnitt schräg nach oben, schließlich einen dritten bis zu dem
Punkt, an dem er hineingestoßen war. Innerhalb dieses Dreiecks löste sich das Schirmfeld auf, verschwand als dichter Rauch: Wieder einmal hatte das geheimnisvolle Dagorschwert seine Möglichkeiten bewiesen. Wir blickten durch die Öffnung, dann sprang Fartuloon nach innen. Ich folgte mit einem langen Satz. Wir liefen ein paar Schritte in dem Dämmer geradeaus, blieben stehen und betrachteten die Szenerie vor unseren Augen. »Das ist besser als alle Erzählungen und Märchen.« Fartuloon war ehrlich verblüfft. Langsam schob er das Skarg in die Scheide, warf den Mantel über die Schultern zurück und marschierte los. Vor uns, begrenzt durch das Innere des Schirmes, breitete sich eine völlig ebene Fläche aus. Sie war von blaugrünem, kurzem Gras bedeckt, dessen Halme sich ineinander kräuselten wie ein schmutziges Fell. Vereinzelte Inseln aus Bäumen und Büschen standen unregelmäßig verteilt in dieser düsteren Landschaft, deren Zentrum dunkle Ruinen bildeten. Ich drehte mich um. Das Loch im Energievorhang schloss sich wieder; lautlos züngelten dunkle Streifen und Spitzen aus den Innenrändern und berührten einander, eine Art Netz oder Geflecht bildend. Der Schirm war unvermittelt wieder vollständig und undurchsichtig. Ich wandte mich erneut um. Diese Anhäufung von Ruinen, gemischt mit einzelnen neu errichteten Gerüsten und Stützen, hatte ich innerhalb des Schirms nicht vermutet. Eine geisterhafte Stille herrschte, und das Sonnenlicht drang stark gedämpft durch die Energiekuppel. Es gab kaum Schatten; kühle Luft, die von den Ruinen herzuwehen schien, ließ uns erschauern. »Ein merkwürdiges Heim hat sich Agmon ausgesucht«, sagte ich und folgte Fartuloon. Bis zu den ersten Steintrümmern und Mauern hatten wir etwa tausend Schritte
zurückzulegen. »Vielleicht hat er der eitlen Welt entsagt und sich in Dunkelheit und Stille zurückgezogen.« Die Reste gewaltiger Mauern wuchsen übergangslos aus dem Gras hervor. Sie waren gesäubert und bearbeitet worden, aber in einer Art, die jedes Zeichen der Vergangenheit erhalten hatte. Breite Simse, vielfarbige Kachelmosaiken und Reliefs unterbrachen die zyklopischen Mauern, schwangen sich über wuchtige Säulen und über die steilen Bögen alter Tore. Wie leere Augenhöhlen starrten uns Fensteröffnungen entgegen; klaffende Löcher in den Mauern. Nicht ein einziger Stein lag im Gras. Die äußeren Gebäudebereiche und die hausähnlichen Teile der Anlage schienen unbewohnt zu sein Wir sahen aus der Ferne einige Maschinen, die über den Rasen schwebten und mit langen, glitzernden Gliedmaßen zwischen den Halmen herumstocherten. Auch an einer Mauer schwebten einige Roboter und benutzten ihre Werkzeuge. Hin und wieder erklangen summende und klappernde Geräusche. Innerhalb der ersten Mauern gab es Bereiche die besser erhalten waren. Hier sahen wir, als wir darauf zugingen, ein neu gedecktes Dach, Stützen aus Stahlbeton oder anderem Material Fassaden waren verblendet worden, und wir konnten Gerüste, Metall Treppen und Stege zwischen den Mauern ausmachen. »Kannst du die Strukturlücke auch erzeugen, wenn wir aus irgendeinem Grund schnell fliehen müssen?«, erkundigte ich mich vorsichtig. »Mit Sicherheit.« Was ist das für ein Arkonide, der sich freiwillig in dieser düsteren Umgebung aufhält, obwohl ihm grundsätzlich sämtliche schönen Plätze von Jacinther zur Verfügung stehen würden?, fragte ich mich. Sofern die Umgebung Rückschlüsse auf den Charakter Agmons
zulässt, meldete sich der Logiksektor grämlich, dürfte euch eine düstere Persönlichkeit erwarten, ein Mann, der keinerlei Fröhlichkeit kennt. Bis auf dreihundert Meter hatten wir uns der Anlage genähert. Nun entdeckten wir hellere Stellen im Gras. Als wir abermals näher kamen, sahen wir, dass es sich um riesige, polierte Steinplatten handelte: ein Weg, der uns genau zum Eingang führte. »Düster, verlassen, leer…«, murmelte Fartuloon. »Die Burg scheint ohne Leben zu sein.« Er deutete auf die Roboter. »Ohne wirkliches Leben, meine ich. Natürlich erwarte ich keine Totenburg mit rasselnden Gerippen.« Die gesamte Anlage atmete Verlassenheit und eine sonderbare Bedrohung aus wie giftigen Dampf. Jeder Schritt verstärkte das Gefühl der Unsicherheit. Wir kamen an das erste Tor, einen mächtigen Spitzbogen, dessen Laibung mit den Fratzen und Gestalten von Ungeheuern und Fabeltieren versehen war. Geschöpfe einer längst vergessenen Vergangenheit, Wesen, die einmal Jacinther bevölkert hatten? Fartuloon streckte einem Fabelwesen, halb Vogel, halb Echse, die Zunge heraus und sagte grinsend: »Erinnert mich an meine geizige Erbtante. Väterlicherseits.« »Haha – ich dachte, du hast nicht mal deinen Vater gekannt?« Er winkte ab. Die Steinplatten führten durch eine Art Hof auf eine breite Freitreppe zu, die direkt vor einer aufrecht stehenden Mauer endete. Wir blieben kopfschüttelnd stehen. »Keine Spur von Agmon.« »Keine Spur von lebendigen Bewohnern dieser Burg.« Ich deutete auf eine Gruppe von Robotern, die, mit verschiedenen Baumaschinen ausgerüstet, an der linken Ecke der mächtigen, verwitterten Wand arbeiteten. Sie putzten die bröselnden Steine, injizierten mit riesigen Spritzen flüssigen Stein in die
Fugen und restaurierten die Fresken und gemeißelten Simse. »Weiter!« Wie die Stufen einer riesigen Freitreppe, aber ausgetreten, abbröckelnd und mit breiten Lücken zwischen Rampen und Geländern, ragte auch halblinks ein Gebäudeteil auf, in einer Plattform endend, die von siebzehn Säulen, einem Mauerrest und einem Torbogen begrenzt wurde. Wir stiegen hinauf. Es waren etwa fünfzig Stufen, jeweils fünf Handbreit hoch. Die Wesen, die diese Stufen einst benutzt hatten, waren offensichtlich größer als wir gewesen oder hatten über andere Gliedmaßen verfügt. Wir erreichten die letzten Stufen und drehten uns um, als wir die Plattform betreten hatten. Schräg über uns hingen riesige Steintafeln, einst Bestandteile eines Schutzdaches, in ihren verwitterten Widerlagern aus Stein. Es schien, als könne jeden Augenblick eine solche Platte herunterfallen und uns erschlagen. Die Plattform war mit Schutt und Steinbrocken bedeckt. Ich wurde zunehmend unruhiger. Das Schweigen zerrte an meinen Nerven. Obwohl die Arbeitsgeräusche der Maschinen die Stille durchbrachen, fehlte jeder organische Laut. Es schien kein einziges Tier zu geben, keinen Arkoniden, nichts. Nicht einmal die aus Mauerritzen wachsenden Büsche bewegten sich. »Wir sind aber auf dem richtigen Weg. Dort, die Platten, die Treppe, das Tor und…« Fartuloon ging auf die Säulen zu. Ich blieb noch einige Augenblicke lang stehen und sah nach unten. Wir befanden uns rund fünfundzwanzig Meter über dem Boden. Von hier aus konnte ich die Struktur dieses uralten Bauwerks erkennen. Es waren viele Mauervierecke, ineinander verschachtelt wie die Grafik eines Irren. Die Schnittpunkte wurden von Toren oder Türmen oder weit vorspringenden Erkern gebildet. Überall sah ich Robotergruppen, die sich mit den verschiedensten Arbeiten
beschäftigten. Ich fuhr herum und eilte Fartuloon nach. Er befand sich bereits zwischen den Säulen und ging weiter, in einer Hand den Schwertgriff, in der anderen den Luccot. »Fartuloon, wohin?« »Dorthin. Geradeaus!« Mir wurde klar, was er meinte, als ich neben ihm durch den Torbogen fiel und den nächsten gewaltigen Innenhof sah. Ein riesiges Areal, mit einem Boden aus Granitplatten. An den vier weiß gekalkten Wänden entdeckte ich Türöffnungen, Fensterhöhlen und wuchtige Reliefs auf abgesetzten Platten. Gesichter und so etwas wie eine Schrift waren zu erkennen, undeutlich und verwittert, nur an einigen Stellen restauriert. Der Basalt der Reliefplatten sah wie aufgerautes Metall aus. Wir bewegten uns auf einem Steg aus Stahlstreben und Gittern, der als Brücke die leere, dachlose Halle durchquerte. Unwillkürlich wurden wir schneller. Dreißig Schritte, fünfzig, sechzig… die andere Wand kam schnell näher. Wir erreichten ein kleineres Tor und befanden uns wieder in einer gänzlich neuen Umgebung auf der obersten Plattform eines runden Turmes mit Zinnen und Nebentürmen. Hier wuchsen Bäume und kleine Büsche mit farbigen Blüten. Wir erkannten auch Eingänge, die wohl nach unten führten… … und plötzlich waren wir von Männern umgeben: Sie tauchten hinter den knorrigen Stämmen auf, rannten hinter den Büschen hervor und kamen aus den Vertiefungen der Turmplattform. Sie alle trugen Waffen in den Händen. Einer feuerte schräg über unsere Köpfe hinweg in die Luft. Ich warf mich nach rechts, rannte im Zickzack auf einen der Niedergänge zu und hob die Waffe. »Halt!«, schrie eine schneidende Stimme. Ich kümmerte mich nicht darum, sah den Mann, der eben über die schmalen Stufen geklettert kam, und rannte weiter. Ich fiel nach rechts, nach links und wartete auf einen Schuss. Von rechts kam ein
anderer Mann, von links liefen zwei auf mich zu. In der Falle! Die Mündung meines Kombistrahlers deutete auf den Mann vor mir. Er war keine drei Meter entfernt. Ich hechtete auf ihn zu. Wieder krachte ein Schuss auf. Ich erreichte den Ankommenden: Ein Hieb traf sein Handgelenk, und die Waffe fiel zu seinen Füßen zu Boden. Dann hatte ich meinen Arm um seinen Hals gelegt und drehte den Mann herum. Weiterhin war mein Strahler feuerbereit, doch ich zögerte zu schießen. Der Mann wehrte sich nicht. Dicht an seinem Kopf vorbei blickte ich auf die Szene. Die drei Männer auf beiden Seiten blieben stehen, aber sie machten nicht den Eindruck, als würden sie sich einschüchtern lassen. Fartuloon wurde von fünf Männern umkreist. Sie griffen an, aber sie verwendeten ihre Waffen nicht. Fartuloon warf sich auf den ersten von ihnen, schmetterte ihn mit einem furchtbaren Hieb zu Boden und schnellte herum. Die anderen Männer warfen sich über ihn. Ihm wurde die Waffe aus der Hand geschlagen, und als er sich bückte, rissen ihm die Männer die Arme in die Höhe. Ich kann nicht feuern, ohne ihn zu gefährden. »Hört auf!«, rief ich und ließ meinen Gefangenen los. Ich sicherte den Kombistrahler und schob den Mann, der mich angreifen wollte, zur Seite. Langsam ging ich auf das Knäuel der kämpfenden Männer zu. »Lasst ihn los! Ich habe meine Waffe weggesteckt.« Ich blickte die Männer an – dunkel gekleidete Gestalten mit grimmigen Gesichtern. Sie passten zu diesen Gebäuden und der düsteren Stimmung unter der Energiekuppel. Mit einer gewaltigen Anstrengung, die drei der Angreifer nach verschiedenen Richtungen schleuderte, befreite sich der Bauchaufschneider aus den Griffen. Ein mittelgroßer, sehniger Mann in einer Art dunkelgrauer Uniform kam auf uns zu. Er
hatte, seine Waffe in beiden Händen, abseits gestanden und gewartet. »Wer seid ihr?« Ich atmete tief ein und aus. »Nocto-Nosii und deren Chef Sorpschan sind hinter uns her.« »Wir sind deshalb zu Agmon geflüchtet«, fügte Fartuloon hinzu. »Warum dieser Überfall?« Der Anführer stutzte. Kerben bedeckten sein Gesicht, dünne Augenbrauen wölbten sich über großen, sensiblen Augen. Langsam blickte er von einem seiner Männer zum anderen, musterte mich eindringlich, schließlich wandte er sich an Fartuloon. »Wie seid ihr hereingekommen?« »Ein persönlicher Trick von mir.« »Packt sie! Entwaffnet sie!«, befahl der Anführer scharf. Wir wehrten uns nicht. Bei einem Kampf hier oben wären wir getötet worden, und außerdem wollten wir ja zu Agmon. »Hinunter mit ihnen. Zum Erhabenen!« »Wir müssen mit dem Imperiumsbeauftragten sprechen«, sagte Fartuloon. Man führte uns mit vorgehaltenen Waffen zu einem der Niedergänge und trieb uns die Stufen hinunter. »Das geht schneller, als ihr es euch vorgestellt habt.« Die Männer umringten uns und richteten die Waffen wieder auf uns, als wir die nächsttiefere Plattform erreicht hatten. Dieser Raum war weitaus besser erhalten. Mildes Licht strahlte aus runden Lampen. Der Boden bestand aus einer federnden Plastikmasse. In der Mitte des Raumes sahen wir die Säule eines mechanisch betriebenen Lifts. »Bei den Scharten meines Skargs«, entfuhr es Fartuloon. »Ruinen mit Lifts. Wir dachten schon, dass…« »Ihr könnt später reden. Los, hinein!« Vier Männer stießen uns in den Lift und zwängten sich zu uns. Der Lift glitt summend abwärts. Durch die halb transparente Tür sahen wir mindestens zehn oder zwölf verschiedene Ebenen. Wir mussten uns unter dem Niveau des
Grasbodens dort draußen befinden. Langsam bremste der Lift ab, die Tür schob sich zurück. »Geradeaus. Versucht keine Tricks – wir sind hinter euch«, sagte der Anführer und rammte mir den Strahler in den Rücken. Wir verließen den Lift und marschierten etwa dreißig Meter über einen hellen Teppich, an dessen Ende ein großer Schreibtisch zu erkennen war. Eigentlich nur eine massive Platte, die in der Luft schwebte. Hinter der Platte sah ich einen kleinen Mann, der uns schweigend entgegenstarrte, bis er die Hand hob. »Lasst uns allein! Ich habe alles mitgehört.« Er deutete auf Bildschirme, die reihenweise links von dem Schreibtisch in die Wand eingebaut waren, zehn Reihen von jeweils zehn Stück. »Aber… du kennst sie nicht. Was sie sagen, kann erlogen sein. Denk an Sorpschan!«, sagte der Anführer. Mit einer dünnen, zornigen Stimme schrie der kleine Mann: »Ich weiß, was ich tue! Ich weiß, wer sie sind! Hinaus! Lasst mich mit ihnen allein!« Der Anführer zuckte mit den Achseln, drehte sich um und ging mit seinen Männern aus dem großen Saal. Fartuloon betrachtete wie ich die Einrichtung. Einige Stellen verdeutlichten, dass der Raum tief unter der planetaren Oberfläche mit Hilfe moderner Technik, Baumaterialien und neuen Einrichtungsgegenständen wohnlich oder zumindest weitaus gemütlicher als die übrige trostlose Umgebung gemacht worden war. Monitoren, Sessel und Tische, viele Lampen, der helle Teppich und schwere Vorhänge an glitzernden Stangen – das waren die Mittel, mit denen man aus dieser Gruft aus Granitblöcken einen Wohn- oder Arbeitsraum gemacht hatte. Deutlich sah ich an anderen Stellen, dass Gänge und Stollen und Tore in andere Räume führten, die Teil des uralten unterirdischen Systems sein mussten. Auch der Geruch nach Feuchtigkeit und Moder, den
auch die Heizung und die Luftumwälzanlage nicht vertreiben konnten, deutete darauf hin. »Willkommen«, sagte der Mann. Der Mund war verkniffen, als habe Agmon seit fünfzig Jahren ununterbrochen schlechte Laune, und stand schief, vermutlich ein Geburtsfehler oder die Folge einer Verwundung oder einer schlecht ausgeführten Operation. An beiden Seiten des Kopfes hing schütteres Blondhaar herunter. Die Augen waren schmal. »Danke«, versetzte ich. »Wir freuen uns, den Imperiumsbeauftragten in seiner farbigen, vor Leben sprühenden Umgebung zu treffen.« Der Mann schüttelte seinen schmalen Kopf. Als ich genauer hinblickte, sah ich, dass die hydraulische Säule des Sessels fast ganz ausgefahren war. Die dünnen Beinchen baumelten zwei Handbreit über dem Teppich. Dieser Mann, obwohl ein Arkonide, war ein ausgesprochener Zwergwüchsiger. Er schien meinen überraschten Blick bemerkt zu haben, denn er sagte: »Dies alles ist nicht unbedingt mein Geschmack. Außerdem bin ich nicht Agmon.« Fartuloon ging bis zum Tisch, stützte sich schwer darauf und schüttelte langsam und in gespielter Verblüffung den Kopf. »Dann kannst du nur der Tato des Äquatorialkontinents sein.« Der zwergenhafte Mann hob den Kopf, warf einen Blick zu den Quadern an der Decke und stöhnte: »Richtig. Und jetzt, nachdem ihr wisst, wer ich bin, werde ich hoffentlich auch eure Namen erfahren. Obwohl ich zu wissen glaube, dass sie unzweifelhaft falsch und darüber hinaus völlig nichts sagend sein werden.« »Ich bewundere deinen Scharfsinn, Kaddoko«, sagte ich. »Aber nehmen wir ruhig an, unsere Namen sind richtig. Claudevarn und Modoff. Und auch unsere Mission absolut ehrlich.«
Er drückte einen Schalter auf dem Pult, blickte kurz nach links und blinzelte kurzsichtig. Von einer Sitzgruppe lösten sich zwei schwere, bequem aussehende Sessel, schwebten über den Teppich bis vor die Platte und wurden angehalten. Wir setzten uns. »Ihr kennt vermutlich mein Ziel. Da ihr bei Sorpschan wart, kennt ihr auch das seine. Dieses ist augenblicklich Mode auf Jacinther.« Ich nickte. »Jeder Gouverneur will Generalbevollmächtigter werden. Ein verständliches bestreben.« Fartuloon entspannte sich, schob die Schwertscheide zur Seite und schlug die Beine übereinander. »Und jeder der Herren Tatos bildet sich auch ein, der beste Mann für diesen Posten zu sein. Mich würde deine Version brennend interessieren.« Ein Kichern antwortete. Dann schlugen die kleinen Fäuste auf den Tisch, und Kaddoko, der Tato des Kontinents KevKev, rief triumphierend: »Die anderen drei streiten sich. Sie buhlen um die Gunst. Sie haben vor lauter Rivalität vergessen, dass man handeln muss, um etwas zu erreichen. Ich habe gehandelt – obwohl ich dazu gezwungen wurde.« Fartuloon verdrehte die Augen und seufzte. »Sag mir, dass nicht wahr ist, was ich denke.« »Es ist wahr. Aber ich habe… nicht angefangen. Es geschah in Notwehr.« Wir glaubten ihm kein Wort. Sein Gesicht zeigt, dass er lügt. Fartuloon vergewisserte sich ernst: »Du hast Agmon getötet?« »Ja! Aber er schoss zuerst. Ich habe noch heute die Brandwunden an meiner Schulter.« »Berichte! Wir sind die Augen und Ohren des Ka’Mehantis, aber wir sind auch Geschäftsleute. Und ebenso, wie wir dich zu Fall bringen könnten, sind wir auch einem guten Geschäft nicht abgeneigt.«
Kaddoko lächelte verstehend. »Ihr habt ein Problem?« Fartuloon versicherte grimmig: »Das Problem schließt alles mit ein: uns, dich, den Ökonomen, die Gouverneure und das Amt, nach dem du gegriffen hast.« »Ich verstehe. Was sind eure Bedingungen?« »Du wirst sie erfahren, sobald wir wissen, wie wir handeln können. Aber das ist nur möglich, wenn wir alle Informationen haben über das, was hier vorgefallen ist. Fertomash Agmon ist also tot. Wie lange schon?« Kichernd sagte Kaddoko: »Ich versichere euch, dass er sehr tot ist. Ich selbst habe ihn töten müssen, vor wenigen Pragos. Notwehr, ihr versteht?« Plötzlich ertönte leise Musik aus unsichtbaren Lautsprechern. Das Farbenspiel der hundert eingeschalteten Monitoren bildete dazu einen unbestimmten Rhythmus. Mit Hilfe von Robotsonden, Spionkameras und arkonidischen Beobachtern konnte der Imperiumsbeauftragte, also der Herr über vier Tatos, hier unten Szenen und Unterhaltungen von hundert verschiedenen Plätzen auffangen, vermutlich fünfundzwanzig je Gouverneur. Auf diese Weise holte sich jetzt auch Kaddoko seine Informationen. Ein silberner Roboter schwebte herein und brachte uns Getränke und kleine Häppchen. Sie bildeten, angenehm schmeckend, einen starker Gegensatz zu der Umgebung, die melancholisch stimmen konnte. Fartuloon sagte brummig: »Du hast also den Beauftragten Orbanaschols in Notwehr getötet.« Der arkonidische Zwerg nickte heftig und umklammerte ein großes Glas mit seinen dünnen Fingerchen. »Anlässlich eines Besuchs, bei dem ich ihm meine Loyalität beweisen wollte. Er hat mich viele Pragos warten lassen, bis ich hierher vorgelassen wurde. Wir bekamen Streit. Er schoss dreimal auf mich. Oder öfter. Ich feuerte zurück und traf ihn. Und dann
kam mir die Idee meines Lebens.« Fartuloon fragte weiter. Ich merkte, dass er versuchte, diese Geschichte zu verarbeiten und ihre Bedeutung in unseren Plan einzubauen. Noch war der Bauchaufschneider unsicher, aber das spürte nur ich, Kaddoko auf keinen Fall. »Du hast dich also in der letzten Zeit als Agmon ausgegeben?« »Das ist richtig. Galbass, Sorpschan und Ruuver haben sich gegenseitig eifersüchtig bespitzelt, dabei ihre Arbeit vernachlässigt, und dennoch sind sie nicht zu ihrem Ziel gekommen. Ich spiele die Rolle von Agmon. Aber noch spiele ich sie zu schlecht. Ich habe von dem Besuch des Ka’Mehantis gehört, und gerade das macht mich unsicher. Wenn ihr mir helft, dann helfe ich euch. Oder wollt ihr als Rächer Agmons auftreten?« »Keineswegs«, versicherte ich. »Wir haben ganz andere Vorstellungen vom Erfolg unserer Mission.« »Ich habe jedenfalls Sicherheiten. Ihr könnt mir nicht gefährlich werden.« Fartuloon winkte lässig ab und sagte leicht ärgerlich: »Das Zeug hier, das ich trinke, ist ganz gut. Wir halten uns nicht mit lächerlichen Duellen einer Freihandelswelt auf. Wir wollen mehr.« Kaddoko trank einen Schluck und stellte das Glas hart ab. »Ich habe KevKev zu einem blühenden Gemeinwesen gemacht, die Freihandelszone ist beliebt, Adelige besuchen die Attraktionen des Kontinents. Ich bin von allen Gouverneuren der erfolgreichste. Ich versuche täglich fünfzehn Tontas lang, in die neue Rolle zu schlüpfen und sie von Prago zu Prago besser zu repräsentieren. In ein paar Votanii, so hoffe ich, habe ich das gesamte Instrumentarium so gut im Griff, dass ich die Rolle Agmons exakt spielen kann. Ich will als Agmon weiterherrschen.« Ich verstand. Auf seine unnachahmliche Weise ist er verrückt. Ist
denn kein Lebewesen, das die Möglichkeit hat, Macht auszuüben und zu herrschen, dagegen gesichert, dass es durchdreht und sein Können pervertiert? Kaddoko wollte sich selbst zum unsichtbaren Nachfolger machen, indem er in die Rolle des Agmon schlüpfte. Einen gesunden Imperiumsbevollmächtigten würde Freemush nicht absetzen, das war klar. Auf eine solch raffinierte Methode, Macht zu erlangen, sagte der Extrasinn, wäre keiner der drei anderen Gouverneure gekommen. »Du willst als Agmon weiterherrschen.« Fartuloon hielt dem Robot das Glas hin »Einen solchen Verbündeten brauchen wir. Wir werden dir helfen.« Fartuloon warf mir einen langen, intensiven Blick zu. Jetzt wurde es spannend. »Mein Partner spricht für mich«, bestätigte ich. »Mein Problem und eure Probleme machen uns also zu Verbündeten?«, erkundigte sich der falsche Agmon misstrauisch. Fartuloons Gelächter sprengte beinahe die Trommelfelle. Der Bauchaufschneider verspritzte etwas von dem hochprozentigen Inhalt des Glases. »Im wahrsten Sinn des Wortes.« Er beugte sich vor und wischte sich die Lachtränen von den Wangen. »Eine Reihe von Fragen, Kaddoko.« »Bitte.« »Agmon ist bekannt. Aber ebenso bekannt ist, dass er sich in der Öffentlichkeit sehr selten hat sehen lassen. Seit Jahren!« »Das ist richtig. Einige winzige Veränderungen, Biomolplast, und ich bin Agmon. Als ich ihn das erste Mal traf, vor langer Zeit, erkannte ich schon diese Chance.« »Weiter. Du bist in der letzten Zeit nur als Agmon aufgetreten?« »Sehr selten, aber einige Male. Niemand hat Verdacht
geschöpft. Ich kann die Reaktionen überprüfen.« Er deutete auf die Bildschirme, die ohne Ton liefen und uns ständig mit einem wirren Schauer von Farben und Formen überschütteten. »Wir helfen dir. Agmon wird eines ›natürlichen Todes‹ gestorben sein. Du verstehst?« Er nickte unschlüssig. »Aber…?« »Du kehrst zurück nach KevKev. Und wir sorgen dafür, dass Freemush Ta-Bargk dich zum Nachfolger Agmons ernennt. Sobald Agmon tot aufgefunden wird und zudem ein Gouverneur, der ihm wenigstens rein äußerlich einigermaßen ähnlich sah, aus seiner Residenz auf KevKev verschwindet, schöpft selbst ein Idiot Verdacht. Und weder wir, die Augen und Ohren des Ka’Mehantis, noch dieser selbst gehören dieser Gattung an.« Kaddoko senkte den Kopf. »Das widerspricht meinem Konzept.« »Nein«, sagte ich. Er blickte mich an, verwirrt und aus der Bahn seiner Überlegungen, Wünsche und Sehnsüchte gerissen. Er tat mir fast etwas Leid, aber dann dachte ich daran, dass er vermutlich ein Mörder war und, um seinen Weg fortzusetzen, auch weiterhin über Leichen gehen würde. »Was meinst du mit nein?« »Du hast, bis wir unsere Vorbereitungen beendet haben, noch einige Pragos Zeit. In diesen Tagen kannst du weiterhin versuchen, dir das Wissen des Verblichenen anzueignen. Was ist mit der Gefolgschaft Agmons? Hast du sie alle getötet oder umbringen lassen?« »Das nicht. Ich kam mit zwölf Männern meiner Leibwache. Nach dem Schusswechsel… Es gibt keine Zeugen! Die Roboter sind umprogrammiert, kein Außenstehender weiß, dass Agmon tot ist.« Fartuloon sagte: »Wir müssen die Kuppel verlassen, bevor der Ökonom eintrifft. Sein erster Besuch wird dem
mächtigsten Mann von Jacinther Vier gelten, also Agmon. Bei diesem Besuch wird Freemush eine Anzahl leerer Gebäude finden und einen Toten: Agmon. Die Wächter und die wenigen Bediensteten…«: Kaddoko hob die Hand und unterbrach: »Agmon war scheu. Er war im klassischen Sinn ein Misanthrop, das weiß jeder. Er hatte nicht eine einzige Frau hier. Er lebte allein mit seinen Robotern. Die Restaurierung dieser grauenvollen Mauern und des alten Fratzenzeugs war sein Lebensinhalt. Seine Behörde hat den Sitz in Sebentool-Varn beim Raumhafen, die Anweisungen erfolgen über Funk. Sämtliche Kodes und Siegel stehen mir zur Verfügung.« Fartuloon war damit beschäftigt, drei verschiedene Illusionen aufzubauen: Er musste Kaddoko täuschen, er musste Freemush in eine sorgfältig vorbereitete Falle laufen lassen, und er musste dafür sorgen, dass auch die drei anderen Gouverneure etwas von dem Schrecken abbekommen würden. Ich erkannte an seinem kühnen Grinsen, dass er seinen Plan fertig hatte. »Wenn Freemush kommt, wird er eindeutige Spuren finden, mein Freund.« Kaddoko nickte, stand noch immer im Bann seiner Vision von Macht und Einfluss. »Die erste Spur wird ihm sagen, dass Agmon gestorben ist. An Altersschwäche und darauf folgend an einem lächerlichen Unfall.« »Gut, gut«, meinte der Zwerg lachend. Vermutlich hat er niemals in seinem Leben Freunde gehabt, raunte es in mir, und jeder, der anders mit ihm verkehrt als die Speichel leckenden Untergebenen und die listenreichen Widersacher, hat relativ leichten Erfolg So wie wir jetzt. »Dann wird er erfahren, dass Agmons Truppe geflohen ist, um nicht angeklagt oder sonst irgendwie zur Verantwortung gezogen werden zu können.«
»Richtig.« »Schließlich wird er Notizen finden. Eine davon wird besagen, dass es keinen besseren Nachfolger für Agmon gibt als dich, mein Freund. Diese Notiz findet sich in den Akten, in Erlassen und in den privaten Unterlagen. Du bist also von ihm aus schon als Nachfolger vorgesehen worden. So weit dieser Teil. Zweitens werden wir, die Vertrauten und Augen, Freemush unseren Rat geben. Dass dieser Rat mit der Empfehlung identisch ist, dich zu ernennen, sollte klar sein. Erst ein einziges Mal hat der Ökonom unseren Empfehlungen nicht entsprochen und einen Mann eingesetzt, der uns ausgetrickst hatte. Es ist müßig, zu betonen, dass dieser Favorit ein schmähliches Ende nahm.« Fartuloon, dieser gerissene Schauspieler, hat noch längst nicht alle Register gezogen. »Ein schmähliches Ende. Trefflich ausgedrückt!« Kaddoko konnte sich vor Heiterkeit kaum halten. Sprunghaft wechselte seine Stimmung; er rutschte halb über die schwebende Tischplatte mit ihren Sprechgeräten und Tastaturen. »Du wirst, von KevKev aus, den ehrenwerten Ka’Mehantis einladen. Dort werden wir mit ihm zusammentreffen. Freemush wird dein wichtigster Gast seit Jahren sein, also bereite seine Ankunft entsprechend vor. Richte ein Fest aus, aber übertreibe nicht… Und jetzt sollten wir unsere Pläne in die Tat umsetzen. Wo ist die Leiche Agmons?« »Irgendwo dort hinten, vierte Ebene. In einem konservierenden Stasisfeld. Er sieht aus, als würde er schlafen – meine Nadlergeschosse hinterlassen keine nachweisbaren Spuren. Agmon besaß eine ganze Reihe dieser Feldgeneratoren, wohl, um biologische Funde seiner Ausgrabungen zu konservieren… Gut. Ich stimme zu. So werden wir es machen. Welche Gegenleistung verlangt ihr?« Ein Nadler! Er hat ihn kaltblütig ermordet! Ich sagte bedächtig:
»Abgesehen davon, dass wir deine Gastfreundschaft strapazieren werden, kannst du beruhigt schlafen. Der Umstand, dass wir dir helfen, ist Teil einer größeren Strategie. Unser Glück liegt nicht auf diesem Planeten. Außerdem vergaß mein Partner zu sagen, dass wir einige zusätzliche Spuren konstruieren werden.« Fartuloon korrigierte mich mit dröhnendem Gelächter: »Jugendlicher Übermut. Ich vergaß es nicht, sondern ich wurde unterbrochen. Um deine Wahl zusätzlich zu sichern, werden die drei anderen Tatos in den Tod Agmons verwickelt sein. Sagen wir… sie haben etwas nachgeholfen. Es wird schwer sein, etwas richtiggehend zu beweisen, aber ebenso schwer wird es Ruuver, Galbass und Sorpschan fallen, das Gegenteil zu beweisen, nämlich ihre Schuldlosigkeit.« »Ausgezeichnet!« Kaddoko sprang von seinem Sessel hinunter, ging um den Schreibtisch herum, und jetzt sahen wir, dass er wirklich nicht viel größer als hundertvierzig Zentimeter war. Er bot einen grotesken Anblick. »Das sind unsere Pläne stets.« Fartuloon erhob sich ebenfalls aus seinem Sessel. »Wir brauchen Zimmer und Schlafgelegenheiten. Aber zuerst ein kleiner Rundgang durch die Anlage, ja?« »Selbstverständlich. Ich werde euch zeigen, was ich weiß.« In der nächsten Tonta stellte er uns seine zwölf Leibgardisten vor, sagte ihnen, dass wir wichtige Gäste und wie wir zu behandeln seien. Dann folgte eine schnelle Führung durch die unterirdischen Gänge und Stollen. Einiges kannte er selbst noch nicht, einiges würde immer unerforscht bleiben, aber überall dort, wo sich die Restaurationswut des Imperiumsbeauftragten ausgetobt hatte, sahen wir die Kultur einer Gruppe von Geschöpfen, die es – ebenso wie Agmon selbst – offenbar vorgezogen hatten, den größten Teil ihres Lebens unter der Planetenoberfläche zu verbringen.
3. Aus: Epetran – ein Leben für das Tai Ark’Tussan. Eine Biografie. Von Leeham Shupp. Jubiläumsausgabe zum 1000. Geburtstag, Gos’Ranton, 7. Prago der Hara 14.823 da Ark Während einer Bergwanderung vom Regen überrascht, flüchteten sich die drei Männer in einen kleinen Pavillon. Inspiriert durch die malerische Umgebung, entbrannte bald ein halb ernster, halb scherzhafter Disput zum Thema »Majestätische Kräfte der Öden Insel.« »Die Hyperraumstürme der Sogmanton-Barriere sind zweifelsfrei das gewaltigste Phänomen, das ich jemals gesehen habe«, behauptete Stomor. »Ein Nichts, verglichen mit dem erhebenden Anblick der zentralgalaktischen Sternenballung vom Halo der Öden Insel aus, mein Freund«. entgegnete Dhalek. »Und doch beinahe unbedeutend angesichts des Oratoriums Tai Arbaraith.«, warf Epetran ein. »Wie kannst du das mit einer kosmischen Erscheinung vergleichen.«, protestierten die anderen. »Nun, ich kann es sehr wohl Vor vier Jahren, während des Kroualiin Putsches von 13.900 da Ark wurde mir ein altgedienter Kralasene als Personenschutz zugeteilt. Ihr wisst schon, einer dieser Burschen mit dem Raumfahrerblick und der Ausstrahlung eines Gletschers. Und was kein Schwarzes Loch und kein Hypersturm geschafft haben, das bewirkte die verzweifelte Schlussarie der schönen Thu Digfin, die vom Entrücken ihres geliebten Tran-Atlan erfährt: Eine kleine Träne perlte das Gesicht des Kralasenen herab und verschwand genauso schnell, wie sie entstanden war…« »Wahrlich, Epetran, Recht hast du«, gab Stomor zu. »Denn wer kann schon behaupten, er habe einen Kralasenen weinen sehen?«
»Erstaunlich, was ein paar Tontas Ruhe, ein Bad und frische Kleidung ausmachen können«, sagte Fartuloon, als er in mein Zimmer kam und sich in einen Sessel warf. Ich trat aus dem Bad. »Man fühlt sich nicht gerade wie neugeboren, aber so ähnlich.« Ich sortierte meine Kleidung aus. Wir versuchten, keinerlei Risiko einzugehen, und hatten uns an Agmons Besitz bedient und neu ausgerüstet. Auch jene Vorräte und Hilfsmittel, die wir leicht mit uns tragen konnten, waren ersetzt und ergänzt worden. Langsam zog ich mich an und sah dann auf den riesigen Bildschirm, der ein Fenster ersetzte. Er zeigte einen Blick in den großen Hof der alten Bauwerke, also die Fläche vor der Freitreppe, zwischen den Mauerresten. »Gehen wir an die Arbeit?«, fragte Fartuloon nach einer Weile. »Nimm Sorpschans Mantel mit!« Ich schaltete den Schirm ab und nickte. »Dein rastloser Verstand wird zwischenzeitlich wieder tätig gewesen sein, denke ich.« »Ja. Mir sind einige aparte Einzelheiten eingefallen. Und eines sage ich dir: Am Hof von Kaddoko werden wir dem Imperator einen harten Schlag versetzen, indem wir Freemush entführen. Bis zu diesem Punkt sind es nur wenige Schritte. Endlich sind wir die Handelnden.« »Ich freue mich ebenfalls darüber.« Wir verließen den Raum. Durch einen düsteren Korridor, den auch die hellen Beleuchtungskörper nicht sonderlich freundlicher machten, kamen wir an Reliefs und langen steinernen Bändern entsetzlicher Fratzen vorbei bis zu einer Treppe. Hier sahen wir den Aufzug, der von der Energie eines unterirdischen Wasserstroms angetrieben worden war – auch diese Anlage hatte Agmon von seinen Robotern restaurieren lassen. »Wir müssen in die vierte Ebene«, sagte ich leise.
»Ja.« Wir stiegen in den Kasten, der aus Holz und Schmiedeeisen bestand. Fartuloon löste einen Riegel. Der Liftkorb ruckte und hielt kurz darauf an. Wir stiegen aus und befanden uns in einem anderen Korridor. Über uns waren noch drei Ebenen, dann kam das Bodenniveau, das wir schon kannten. »Das ist ein subplanetarisches Labyrinth«, stellte ich fest. »Ich glaube nicht, dass selbst Agmon alle Gänge, Stollen und Säle kannte, ganz zu schweigen von zweifellos vorhandenen Geheimgängen.« »Hier kann sich eine Armee periodenlang verbergen.« Wir gingen über einen rostfarbenen Belag, der die Geräusche dämmte und die Bodenkälte abhielt, bis zu einem stählernen Schott. Von der anderen Seite des Korridors kamen uns zwei Männer entgegen. »Ihr sucht Agmons Leiche, nicht wahr?« rief einer von ihnen. Taunas, der Anführer dieser kleinen Truppe. »So ist es.« »Kaddoko schickt uns. Er wollte eben mit euch sprechen, aber ihr wart nicht mehr in euren Räumen.« »Das ist richtig. Ihr helft uns?«, fragte Fartuloon. Taunas öffnete das Schott. Ein eiskalter Luftstrom kam uns entgegen. Schlagartig bildeten sich Dampfwolken, wenn wir sprachen oder atmeten. Das Schott war dick isoliert. Klickend schaltete sich die Beleuchtung ein. Hier war ein riesiges Lager für konservierte Nahrungsmittel aller Art. Taunas betätigte ein Schaltgerät an seinem Handgelenk. »Ein Robot. Ich habe ihn gerufen.«. Wir gingen hinein. Drei Wände waren vollständig mit Fächern bedeckt. Viele von ihnen waren mit Klappen verschlossen, die meisten waren offen. Dort lagen in Folie eingeschweißte Fleischstücke und alle möglichen anderen Nahrungsmittel. Überall hatten sich Reif und dünnes Eis gebildet. Die beiden Männer rissen ein Fach dicht über dem
Boden auf, zogen die Lade heraus, und hier lag, in ein halb durchsichtiges Stasisfeld gehüllt, der Tote. »Hhm«, machte Fartuloon und schaltete den kleinen Feldgenerator aus. Agmon war in der Tat nicht viel größer als Kaddoko. Aber er war dunkelhaarig, und der Gesichtsschnitt war ganz anders. Das sollte unsere geringste Sorge sein. Ein Lastenrobot kam durch das offene Schott herein, schwebte auf Taunas zu und blieb summend neben ihm in der Luft schweben. »Aufladen und uns folgen!« Wir traten zurück. Mit seinen hydraulisch verstärkten Armen hob die Maschine das Bündel hoch, legte es erstaunlich sanft auf die Ladefläche und drehte auf der Stelle. Der Begleiter Taunas’ schob das Fach wieder zu und nickte. »Gehen wir.« Taunas ging voraus. Hinter ihm schwebte der Lastenrobot, eine veraltete, aber zuverlässige Konstruktion. Wir flankierten den Robot bis zum Lift, der uns zu einem Nebenturm an der Oberfläche beförderte. Als wir durch ein glasloses, aber neu eingerichtetes Fenster den Steg durch die leere Haupthalle sahen, fragte ich: »Kennt jemand eigentlich die ganze Anlage hier?« »Ich bezweifle stark«, antwortete Taunas mürrisch und wies auf die konservierte Leiche, »dass selbst der da alles kannte. Das ist eine Anlage, in der man sich so verlaufen kann, dass man verhungert oder wahnsinnig wird.« »Beides wollen wir nicht.« Wir kamen auf den Steg hinaus, bogen ab und betraten die von Trümmern übersäte Plattform vor der Treppe. Als wir unter dem Torbogen hindurchgingen, knisterte es über uns. Mein Kopf fuhr hoch, ich blickte nach oben. »Zurück!« Zwischen den Säulen und den Auflageflächen fiel ein ständiger Regen aus bröckelndem Stein herunter. Die schräge
Steinplatte zeigte lange Sprünge. Ein dreieckiges Stück löste sich, drehte sich langsam und fiel gerade auf die Ladefläche zu. »Robot – zurück!« Fartuloon breitete seine Arme aus, drehte sich um, packte die beiden Männer um die Hüften und sprang durch das Tor zurück auf den Steg. Summend schwebte die Maschine rückwärts, aber der Steinsplitter traf sie dennoch. Mitten in der Bewegung, der Robot war bereits unterhalb des steinernen Bogens, schlug der Steinsplitter ein. Er traf das Gehäuse der Maschine, durchschlug die Metallabdeckung und bohrte sich tief in die Eingeweide des Lastenrobots. Ich war mit einem weiten Satz in den Schutz eines Pfeilers gesprungen und sah und hörte, wie eine Lawine von Steinbrocken zwischen den Säulen herunterprasselte. Der Robot krachte zu Boden, die Leiche wurde heruntergeschleudert. Einige Blitze zuckten aus der Antriebsmaschinerie heraus, dann gab es eine scharfe Detonation. Schwarzer Rauch quoll aus den Trümmern. Die letzten Brocken fielen herunter und rollten staubend nach allen Seiten auseinander. »In Ordnung«, sagte ich. »Der Steinschlag ist vorbei.« Sie kamen zurück. Wir betrachteten den Schaden, aber offensichtlich war Fartuloon keineswegs beunruhigt. Er packte die Leiche und sagte ruhig: »Fangen wir an.« Wir legten die Leiche auf die Treppe. Auch den defekten Robot ließen wir dort, wo er zerstört worden war. Das schuf zusätzliche Verwirrung, da der Ökonom zweifellos eine Untersuchung einleiten würde. Fartuloon blieb stehen, stemmte die Arme in die Seiten und betrachtete das Arrangement. »Gut. Sieht aus, als hätte ihn der Schlag getroffen… Tretet ein paar große Steine die Treppenstufen hinunter. Das wirkt noch realistischer.« »In Ordnung.« Wir rollten einige große Brocken an den Rand der obersten
Stufe, traten andere Steine hinterher; eine kleine Steinlawine rollte hüpfend über die Stufen hinunter. »Gut so«, knurrte der Bauchaufschneider. »Sehr gut. Jetzt brauchen wir nur noch die Indizien zu verstreuen. Den Mantel!« Der alte Ushiran! Deswegen hatte er darauf bestanden, dass ich den Mantel, der aus dem Haus Sorpschans stammte, mitnehmen sollte. Ich nahm das Kleidungsstück von den Schultern und warf es rechts über das Geländer. Fartuloon nickte zufrieden. »Das wird Sorpschan sehr viel Ärger verursachen. Zurück in die Räume, von denen aus Agmon regiert hat.« Fartuloon kletterte, den Steinen ausweichend, die Treppe wieder hinauf. Kaddoko würde alles, was wir jetzt unternahmen, voll unterstützen. Langsam gingen wir über den Steg, den gesamten Weg zurück, den wir zum ersten Mal hierher gegangen waren. Wir kamen schließlich wieder in den Raum mit dem Schreibtisch. Dort fanden wir Kaddoko vor, der weitere »Beweise« herstellte. Fartuloon hatte ihm genau beschrieben, was er tun musste. »Wir bereiten den Aufbruch nach KevKev vor«, sagte Kaddoko am Abend. »Morgen früh starten wir.« Ich nickte. »Einverstanden. Die Unterlagen sind in Ordnung?« »Ja.« In den Protokollen waren die entsprechenden Stellen gefälscht und nachgetragen worden. Die gesprochenen und geschriebenen Texte sprachen von der Furcht Agmons, von den drei anderen Gouverneuren ermordet zu werden. Von dem Vertrauen war die Rede, das Agmon eigentlich nur einem Arkoniden gegenüber aufbringen konnte, nämlich dem Tato von KevKev. Fartuloon hatte weitere Spuren hinterlassen. Gegenstände, die bis zurück zu Ruuver zu verfolgen waren, waren platziert.
»Die Spuren… Hast du deine Männer angewiesen, alles wegzuräumen, sämtliche Fingerabdrücke und ähnliche Relikte zu beseitigen?« Kaddoko lächelte überlegen. »Wir waren nicht lange hier. Wir haben nicht viele Räume bewohnt und demnach kaum Spuren hinterlassen, die uns verraten können. Abgesehen davon räumen Taunas und seine Leute alles auf.« »Hoffen wir, dass wir die richtigen Dinge getan haben«, brummte Fartuloon. »Ich denke ununterbrochen darüber nach, was wir falsch gemacht haben könnten.« Wenn wir Freemush entführen wollen, dachte ich, dürfen wir nicht einen einzigen Fehler machen. Wir aßen, von Robotern bedient, tief im Innern des unheimlichen alten Gemäuers. Morgen würden wir an einem anderen Platz sein. »Wann, sagtet ihr, wird Freemush landen?« Ich lächelte. »Wir haben nichts gesagt. In einigen Pragos. Er wird sich laut genug melden, dessen können wir sicher sein.« Eine lustlose Stimmung herrschte im Augenblick. Jeder von uns war mit seinen Gedanken beschäftigt. Ich fragte mich, in welchem Maß wir Orbanaschol erpressen oder schädigen konnten, sobald wir seinen Vertrauten in der Gewalt hatten. Fartuloon lagen die verwirrenden Konstruktionen des Kampfes hinter den Kulissen am Herzen, und der zwergenhafte Mann mit dem schiefen Mund dachte nur noch an seine künftige Machtposition. Von allen denkbaren Verbündeten hatten wir uns mit unfehlbarer Sicherheit den bizarrsten ausgesucht. Ich stand auf. »Ich bin müde. Was immer wir morgen vorhaben ich möchte ausgeschlafen und frisch sein.« Fartuloon nickte mir zu und griff nach seinem Glas. »Ich werde noch eine halbe Tonta hier bleiben und mit dem Tato die letzten wichtigen Einzelheiten besprechen. Schlaf gut,
mein Freund.« »Danke, du auch.« Ich ging, einen Pokal halb voll Rotwein in der Hand, langsam durch die uralten Gänge. Ich zögerte, mein Zimmer aufzusuchen, als könnte ich dadurch etwas ändern oder auf halten. Mehrmals ging ich in einen der Querstollen hinein, bis das Licht spärlicher wurde und ich nicht mehr sah, was vor mir lag. Einmal glaubte ich, am unteren Ende einer langen, schmalen Treppe etwas zu sehen, was wie ein riesiges Auge aussah, aber es verschwand zu schnell. Dann, in einem Schacht, der nach links führte und eine Wendeltreppe enthielt, hörte ich ein lang gezogenes Stöhnen oder Fauchen. Ein Tier? Oder eine Maschine, ein Geheimnis der ausgestorbenen Bewohner dieser schwarzen, trostlosen Anlage? Langsam ging ich weiter, kletterte die Stufen einer breiten, hell ausgeleuchteten Treppe hinauf und trank, als ich die Kontaktplatte neben der Tür meines Zimmers drückte, einen Schluck Wein. Die Tür glitt lautlos auf. Mein Zimmer war eine freundliche Enklave inmitten einer zutiefst unheimlichen Umgebung. Ich setzte mich, drehte den Sessel in die Richtung der Bildwand und starrte, ohne die Bilder bewusst wahrzunehmen, auf die dunklen Umrisse der Ruinen, die hier abgebildet waren. Dann zog ich mich aus und legte mich schlafen. Mitten in der Nacht wurde ich wach; ein wüster Traum ließ mich schweißgebadet hochfahren. Als ich blinzelnd die Augen öffnete, glaubte ich, jemand stünde vor dem Bett. Dann erst erkannte ich, dass es ein tanzender Lichtpunkt war, der über die Türwand strich und flirrte. »Was ist das?«, flüsterte ich überrascht und tastete nach der Waffe neben dem Bett. Dann begriff ich. Mit einem Satz, die schwere Strahlwaffe in den Fingern, sprang ich auf die Beine. Ich wirbelte herum und heftete meinen Blick auf das
»Fenster«. Es war genau der Vorgang, den ich zu sehen erwartet hatte: Auf dem Bildschirm, dessen Aufnahmeeinrichtung in den Hof der Burg hinuntergerichtet war, sah ich zwei helle Lampen, die sich unruhig bewegten. Die starker weißen Lichtkegel fuhren über Reliefs, streiften die Gleiter mit den Zeichen Kaddokos, richteten sich auf Säulen. Ich sah, während ich mich schnell anzog und die Augen nicht von dem Bild nahm, dass sich ein schemenhaft erkennbarer Gleiter heranschob und einmal kurz die Scheinwerfer aufblinken ließ. Kurz erkannte ich das Emblem Sorpschans. »Auch das noch!« Eine übereilte Aktion wird mehr schaden als nützen, raunte der Extrasinn. Ich nahm die Spange des Funkgeräts, setzte sie auf mein linkes Handgelenk und drückte den Rufknopf. Dann flüsterte ich eindringlich: »Claudevarn! Ich rufe Claudevarn! Hier spricht Modoff!« Einige Augenblicke vergingen. Ich schaltete das Licht ein und sammelte in fieberhafter Eile von meiner Ausrüstung zusammen, was ich brauchte. Ein letzter Griff an die Gürtelschnalle, dann fuhr ich in meine Jacke. Noch immer keine Antwort. Abermals drückte ich den Rufknopf. Endlich erklang Fartuloons Stimme: »Was gibt es?« »Sorpschans Leute! Es kann nur noch Augenblicke dauern, bis sie Agmons Leiche entdecken!« »Verdammt! Hast du die anderen…?« Ich unterbrach: »Ich gehe hinaus und versuche, sie abzulenken. Sie müssen ein Verfahren kennen, mit dem sie die Energiekuppel aufgebrochen haben.« Fartuloon fluchte. »Gut. Lenk sie ab, aber lass dich nicht in einen gefährlichen Kampf ein. Ich wecke die anderen. Los!« Ich stürmte aus dem Zimmer. Mein Ziel war der runde Turm
beziehungsweise der Steg, der die Treppe mit der Turmplattform verband. Ich rannte durch die Korridore, sprang in den Lift hinein und wurde, als ich mich umdrehte, angerufen: »Was ist los? Warum rennet du so?« Taunas! Er rannte auf den Lift zu. »Sorpschans Leute«, stieß ich hervor. »Der ganze Plan ist in Gefahr!« Mit einem Satz sprang er zu mir herein. Die Lifttür schloss sich, und der Korb setzte sich in Bewegung. Ich erklärte ihm, was ich gesehen hatte, während Taunas seine Waffe zog, kurz überprüfte und entsicherte. Er lächelte kühl und aktivierte das Rufgerät an seinem Handgelenk. »Ich wecke meine Männer und informiere sie. Inzwischen kenne ich einige Tricks, mit denen Agmon seine Festung gesichert hat.« »Hoffentlich funktionieren sie.« Der Lift hielt, und über die Treppe rannten wir hinauf auf die Plattform. Sollte auch nur einer der Nocto-Nosii entkommen und dem Tato melden, was er gesehen hatte, waren nicht nur wir persönlich in Lebensgefahr, sondern unser weitaus wichtigerer Plan starb, ehe er die Chance hatte, überhaupt ausgeführt zu werden. »Wir müssen sie nach links treiben. An der Treppe und an der Längswand des Haupthauses vorbei«, sagte Taunas, als wir wie die Besessenen über den Steg rannten und jeden Augenblick erwarteten, von vorn unter Feuer genommen zu werden. »Gern, wenn ich es kann.« Die letzten fünfzehn Meter eilten wir auf Zehenspitzen voran. Über uns war der falsche Himmel der Energiekuppel. Kein einziger Stern war zu sehen. Wir ahnten unseren Weg mehr, als wir ihn sahen. Irgendwo vor uns waren die Säulen und die Torbögen und die Tonnen Schutt auf der Plattform. »Hinter mir her! Ich habe einen Restlichtverstärker«, flüsterte Taunas und setzte sich eine Brille auf. Vermutlich
erkannte er jetzt einige Umrisse und Einzelheiten. Wir tasteten uns, ich hatte meine linke Hand auf seine Schulter gelegt, geradeaus. »Halt!« Jetzt erkannte auch ich, wo wir uns befanden. Ich hatte etwa dasselbe Blickfeld wie vorhin in meinem Zimmer. Dort unten waren sie. Drei Gleiter und… sieben, neun, etwa fünfzehn Männer. Einer von ihnen ging genau in die Richtung, in der Agmons Leiche auf den Stufen lag, die Arme ausgebreitet. Ohne jede Warnung hob Taunas die Waffe und feuerte. Einen Meter vor dem Mann entstand ein heller Glutpunkt, der Knall der Detonation bildete einen schmerzenden Laut in der absoluten Stille. Als ich den ersten Schuss abgab, brach die Hölle los. Der Mann der Nocto-Nos, der auf dem Weg zu den untersten Treppenstufen gewesen war, taumelte und verlor seine Lampe. Dann kam er wieder auf die Füße und fiel auf einen Gleiter zu. Kurz davor, als ich mich gerade hinter einen Steinblock fallen ließ, hielt er an und riss seine Waffe unter der Achsel hervor. Taunas’ Schuss traf den Mann in die Brust und tötete ihn. Der nächste Treffer schlug zwischen den auseinander rennenden Männern ein. Mein Schuss veranlasste sie, nach links zu laufen. Über mir schlug das Feuer in die Platten und Säulen ein. Es hagelte Bruchstücke, die rund um uns einschlugen und in zahllose Splitter zerbrachen. »Wenn wir sie nicht töten, töten sie uns«, zischte Taunas kalt neben mir und erschoss einen Fliehenden. Jetzt rannten die Männer genau in die Richtung, die wir wünschten. Wo bleibt Fartuloon? Einer der Gleiter schwebte kniehoch und richtete seinen Suchscheinwerfer auf uns. Ich schoss und traf. Die Gleitermaschine heulte auf, und aus der Motorhaube schossen lange Flammen. Taunas entfesselte aus seiner Waffe ein wütendes Feuer und tötete den Piloten. Der Gleiter raste
an der Treppe vorbei, durch ein Tor hindurch und an einer der Ruinenmauern entlang hinaus auf die Grasfläche. Flammen, Rauch und Gestank verloren sich. Die Männer, es mochten noch ein Dutzend sein, zogen sich feuernd zurück und rannten die lange Mauer entlang. »Was jetzt?«, fragte ich. Irgendwo draußen im Gelände gab es einen Lichtblitz, dann erreichte uns der Donner einer schweren Detonation. »Hinterher. Die anderen warten schon. Es geht hinunter in die Katakomben der ausgestorbenen Erbauer.« »Verstanden.« Die Vision eines Kampfes in den unbekannten Gängen und Stollen tauchte vor meinem inneren Auge auf, als wir langsam die Treppe hinunterstiegen. Im Gras lag die Lampe und schickte einen schmalen Streifen Licht in unsere Richtung. Wir kamen an der Leiche vorbei, die mit ausgebreiteten Armen auf den Stufen lag. Keiner sagte ein Wort, aber ich rannte zur Lampe und holte sie. Einige Schüsse fauchten parallel zur Mauer, aber sie erreichten uns nicht. Wir rannten zur nächsten Ecke der Ruine und feuerten wieder auf die kaum sichtbaren Gestalten. Ich wollte losrennen, aber Taunas hielt mich zurück. »Noch nicht… Gut! Sie laufen in die Falle.« Es waren etwa zweihundert Schritte bis zum runden Turm. Als die Männer in entsprechender Entfernung waren, eröffneten einige Männer aus Kaddokos Leibwache das Feuer von oben herab. »Die Falle?«, rief ich durch den Lärm der Schüsse. Einige Männer schrieen auf. »Warte. Die Lampe!« »Hier.« Ich gab sie ihm. Er strahlte die Mauer an. Auch hier gab es riesige Steinplatten mit unlesbaren Inschriften und grausigen Köpfen und Gesichtern. Ineinander verknotete Leiber von Schreckensfiguren bildeten den Rahmen. Im
zuckenden Licht schien es, als erwachten sie zum Leben. Langsam zählte Taunas. Bei der achten Tafel blieb er stehen. Wir waren nur noch fünfzig Meter von der kleinen Gruppe entfernt, die ununterbrochen nach oben feuerte. Taunas sagte: »Halte sie zurück!« »In Ordnung.« Ich hob meine Waffe und schoss fünfzehnmal hintereinander. Die Treffer bildeten eine unterbrochene Reihe von kleinen Sonnen zwischen den Nocto-Nosii und uns. Ich sah nicht deutlich, was der Anführer von Kaddokos Leibwache mit der Tafel anstellte, aber plötzlich schwang sie nach außen und gab ein kleines Schaltpult frei. Die Hand des Mannes zuckte vor, der Zeigefinger drückte einen matt leuchtenden Knopf. Plötzlich schrieen die Männer vor uns alle gleichzeitig auf. Ein kreisrundes Stück Rasen fiel senkrecht nach unten. Mit großer Schnelligkeit; ich sah nur noch ein Loch im Boden. Dann, als ich die Waffe sinken ließ, ertönte von der Schalttafel her ein Summen. Eine zweite Steinplatte schwang auf und enthüllte ein Stück matt beleuchteten Ganges. »Hier hinein! Wir landen auf der neunten Ebene. Dort, wo auch die Soldaten Sorpschans sind.« Eine raffinierte Falle, sagte der Logiksektor. Vermutlich fällt die Platte die ersten Meter ungebremst abwärts, dann wird sie langsamer und transportiert die Gruppe nach unten. Mit einiger Sicherheit gab es rund um diese Bauwerke noch mehr solcher Fallen. Ich dachte an das Auge und das Stöhnen und folgte Taunas in den Korridor. »Ich bin etwas überfordert«, bekannte ich. »Was passiert jetzt? Was soll das Ganze eigentlich?« Taunas zuckte mit den schmalen Schultern und schob ein neues Magazin in die Waffe; die Lampe lag ausgeschaltet zu seinen Füßen. »Ich bin auch erst vor zwei Tagen auf diese
Anlage gestoßen. Die Röhre führt bis zum tiefsten Punkt der Anlage. Etwa sechzig Meter oder mehr. Dort ist eine kleine Halle, von der Gänge abzweigen.« Wir rannten geradeaus, während sich hinter uns die Platte schloss, und kamen an einen Lift, diesmal ein Antigravschacht, der nach unten führte. Wir sprangen durch den Eingang und wurden vom Transportfeld erfasst. »Gänge? Wohin führen sie?« »Keine Ahnung. Aber dieser Lift endet in einem der Gänge. Ich kenne sieben solcher Anlagen. Meine Männer werden die anderen benutzen. Wir sind dadurch im Vorteil, niemand entkommt lebend.« »Rücksicht kennt keiner von euch«, murmelte ich, aber er hatte natürlich Recht. Verriet einer der Männer, dass er hier Kaddokos Leibwache oder gar den Tato selbst gesehen hatte, war Kaddoko erledigt. Die Nocto-Nosii waren offensichtlich unseren Spuren gefolgt und verfügten über ein Verfahren, durch den Schirm zu kommen. Wir glitten durch die vier Meter durchmessende Röhre bis hinunter zum Grund. Wir kamen an keinem anderen Ausgang vorbei, sondern landeten auf der untersten Ebene. Der Logiksektor flüsterte: Sieben Anlagen, vermutlich nur von oben schaltbar, münden in Stollen, die auf die erwähnte Halle zuführen. Die anderen Stollen enden blind oder führen in die schreckliche Unterwelt der Burg. Ich sah einen uralten Gang. Er war unbeleuchtet, aber Licht drang vom anderen Ausgang ein. Es kam aus der Halle, von der Taunas gesprochen hatte. »Du musst führen. Ich kenne mich hier noch weniger aus als du«, sagte ich und fühlte, dass das Kraftfeld weiterhin abwärts gepolt blieb. Taunas verließ den Schacht und ging schnell geradeaus. »Meine Leute wissen, was sie zu tun haben.« Er legte den Finger an die Lippen und wurde noch leiser. Dicht an die
Mauer gepresst schlichen wir nach vorn, dem Licht entgegen. Einige Augenblicke vergingen, dann fragte jemand vor uns halblaut: »Was sollen wir hier? Einfach in einen der Korridore hinein? Diese teuflischen Fratzen hier… Durchzählen…« Sie waren also da und berieten sich. Die Plattform schien eben erst gelandet zu sein. Tatsächlich rochen wir das verschmorte und verbrannte Gras und den feinen Rauch, der davon aufstieg und von Luftströmen hochgewirbelt und mitgeschleppt wurde. »Elf.« Sofort nach diesem Wort krachte es auf der gegenüberliegenden Seite. Ein Schrei zitterte als Echo in den Gängen nach. »Meine Leute greifen an. Vorwärts!« Taunas keuchte, rannte geradeaus, erreichte die Schnittlinie von Gang und Halle und schoss zweimal. In den Höllenlärm der Auftreffdetonationen mischten sich Schreie – und dann ein anderer, fremder, grauenvoller Schrei. Er klang wie das Kreischen eines verwundeten Sauriers. »Was war das?«, flüsterte ich und feuerte an der Hüfte Taunas vorbei auf einen Mann der Nocto-Nos, der uns entdeckt hatte. Mein Schuss traf ihn in die Brust und schleuderte ihn einige Meter weit zurück. Zwei Männer rannten nach rechts über die Plattform. Die Gänge und Hallen, Korridore und Treppen, in den gewachsenen Felsen geschnitten und mit Fliesen verkleidet, bildeten rollende Echos und verstärkten die Explosionen noch. Einer der Kaddoko Leibwächter kam blutend aus der Deckung getaumelt und brach zusammen, keine zwanzig Meter von uns entfernt auf der anderen Seite der Plattform. Ein anderer Mann floh ins Ungewisse, in einen Gang hinein. Ich sprang zur Seite und sah plötzlich, dass sich die Plattform wieder hob. Auf ihr lagen vier tote Männer. Ohne sichtbaren Antrieb stieg die Platte höher und höher und bildete eine etwa meterdicke
Scheibe, die direkt vor der Öffnung des Korridors vorbei nach oben schwebte. Sie erreichte den oberen Rand des Loches – und plötzlich – herrschte Dunkelheit. »Taunas?« Er hat die Lampe, also soll er sie einschalten. Wieder hörte ich diesen unwirklichen Schrei. Er schien von rechts zu kommen, aber die vielen Echos brachen den Schall. so dass ich nichts Genaues sagen konnte. Ich stellte mir vor, wie die Scheibe jetzt durch den runden Schacht aufwärts schwebte und dort den alten Platz mitten im Rasen wieder einnahm. Mit sich nahm sie die getöteten Männer. »Hier! Hast du die Lampe?« »Du hast doch die Lampe. Verdammt! Warum gibt es hier kein Licht?« Auch meine Stimme kam als Echo zurück. Es war, als riefe ich in eine lange Röhre hinein. »Ich habe die Lampe nicht. Also liegt sie oben«, sagte Taunas dicht vor mir. »Wie lautet dein Rezept, Freund Anführer?«, fragte ich sarkastisch und überhörte den bissigen Kommentar meines Logiksektors. Von rechts – oder bildete ich es mir nur ein? – hörten wir seltsame schlurfende und schleifende Laute. Kälte zog mir die Kopfhaut zusammen, mein Magen schien plötzlich in einen harten Klumpen verwandelt. »Kein Rezept. Wir müssen warten, bis oben jemand die Anlage umpolt.« »Wer ist oben? Kaddoko?« »Er auch. Aber er weiß nicht, wo die Schalter sind. He! Hier ist Taunas! Meldet euch!« Als Antwort blitzte schräg vor uns ein Schuss auf, erhellte für einen Augenblick den Boden und die glatten steinernen Wände des Hohlzylinders. Der Schuss schlug in den Felsen und erzeugte einen rötlichen Glutfleck, der einige Zeit lang ein düsteres Licht abgab, das alles mit einem staubigen roten Schimmer überschüttete.
»Dann entwickle ein Rezept«, empfahl ich trocken und versuchte, in dem betreffenden Korridor den Mann auszumachen, der auf uns gefeuert hatte, »wie wir auf dem schnellsten Weg wieder nach oben kommen. Wir hätten auf die Plattform springen sollen.« Jetzt erkannte ich den Schatten, der auf dem Boden kniete und die Waffe auf uns richtete. Ich feuerte. Der Mann riss die Arme hoch, und seine Hände verkrampften sich. Sein Strahler zeigte zur Decke, als sich der Mann nach hinten überschlug. Das Licht erhellte notdürftig die Szene. »Taunas?«, kam es von rechts. Die Stimme klang verzerrt. Abermals schien ein eisiger Hauch durch das Gangsystem zu streichen, aus der Ferne drangen undefinierbare Geräusche heran. Mir war, als ströme der Fels einen giftigen Dunst aus, der sich schwer und betäubend auf meine Sinne legte. Einbildung, sicher, doch hier unten lauerten auch reale Gefahren – und diese bestanden nicht nur aus Sorpschans Leuten. Taunas warf sich auf den Boden, ich duckte mich eng an die Wand. »Hierher. Wo steckt ihr?« Sieh zu, dass du entkommst, wisperte es in meinen Gedanken. Ich schob meinen Kopf vor und blickte in drei verschiedene Korridore hinein. Nur dorthin fiel etwas von dem flackernden Licht. In einem Gang entdeckte ich drei tote Männer, die in gekrümmter Stellung auf dem Boden lagen. Aus einem anderen Korridor kam einer unserer Leute. Im dritten, ganz links, sah ich nur die Felswand. Sie war seltsam bearbeitet. Nein! Durch den Korridor bewegt sich etwas. Es sah wie der Kopf eines riesigen Wurmes aus. Ein riesiges Auge, darunter ein klaffender Spalt. Langsam schob sich dieser Spalt näher und näher. Vor dem Ungeheuer lag ein Toter. Der Rachen dieses Gestalt gewordenen Fabelwesens, das bleich und weich und ohne jede sichtbare Bewegung von
Füßen oder Tentakeln näher kroch, wurde noch weiter aufgerissen, bis er wie eine Schaufel über den Boden des Korridors glitt. »Taunas!«, schrie ich. »Dort!« Mit zitternden Fingern hob ich die Waffe. Neben mir krachte ein Schuss auf. Der Mann aus KevKev hatte rücksichtslos gefeuert. Fünf Männer rannten auf uns zu. Ich sah im Aufflammen des Strahls, wie dieses Wesen gierig nach dem toten oder sterbenden Mann schnappte. Der Schuss traf direkt das Auge, und der obere Teil des Schädels wurde weggerissen. Die Reaktion war erstaunlich: Der Körper des Tieres zog sich zusammen wie eine Feder, die man losgelassen hatte. In rasender Geschwindigkeit entfernte sich der scharfkantige Rachen. Der Tote wurde mitgeschleift und verschwand in der Dunkelheit. »Wer fehlt?«, fragte Taunas laut. Einige Namen wurden genannt. In der Schwärze vor uns sagte eine Stimme: »Drei sind oben geblieben.« »Schießt in jeden Gang hinein. Los, schnell!« »Warum?« »Wegen des Lichts. Oder hat jemand einen Lichtschalter entdeckt?«, rief ich aufgebracht. Die Männer gingen wieder auseinander. Ein paar Schüsse krachten auf und verwandelten die Rückseiten der Gänge in glühende rote Beleuchtungskörper von fragwürdiger Lichtstärke. Wir fanden niemanden. Jemand fragte: »Was jetzt?« »Ich sage euch…« »Ruhe!« Das war die befehlsgewohnte Stimme von Taunas. Er sagte, ruhiger und in bestimmtem Tonfall: »Wir bleiben zusammen. Dieser fette Mann, Kaddoko und drei von unseren Leuten sind oben. Sie kennen die Schaltungen. In einigen Zentitontas werden sie wissen, was sie zu tun haben. Wir
können hier alles brauchen, nur keine Panik.« Ich tastete mich langsam an der Wand entlang, bis ich das Loch erreichte, das den Antigravschacht markierte. Prüfend hielt ich die Hand hinein und spürte, dass das Feld noch immer nach unten drückte. Wir waren gefangen…
4. 1142. positronische Notierung, Nachtrag. Notiert am 20. Prago des Ansoor, im Jahre 10.497 da Ark. Ich glaube, dass Atlan genau weiß, wie sehr ich mich um ihn und sein Leben sorge. Aber die Angst, die ich jetzt und hier empfand, war stärker als alle anderen einschlägigen Empfindungen seit unserer Flucht vor Orbanaschol. Als ich auf der Treppe eingetroffen war, schien der Kampf bereits entschieden zu sein. Inzwischen wusste ich, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Platte mit den Angreifern ihre Abwärtsbewegung begonnen hatte. Und als ich den Boden erreicht hatte, waren Atlan und Taunas bereits verschwunden gewesen. »Verflucht sei eure Begriffsstutzigkeit!«, donnerte ich. »Tut etwas! Wir müssen nur dort hinunter…«Ich packte zwei der Männer an den Schultern, bohrte ihnen meine Finger in die Muskeln und schob sie vor mir her. Wir befanden uns auf dem Turm, auf der runden Plattform. Soeben war die Platte aus dem Untergrund dieses Bauwerks wieder aufgetaucht. Als wir unsere starker Handscheinwerfer auf diesen verbrannten Fleck richteten, sahen wir nur die Körper von Toten oder Bewusstlosen. Sie rührten sich nicht. »Sie sind euch gefolgt. Das ist der Grund…« Kaddoko rief etwas hinter uns her, was ich überhörte. Wir rannten von der Turmplattform hinunter auf den breiten Steg. Das Licht der Scheinwerfer tanzte vor uns über die Steine. Nur unsere keuchenden Atemzüge waren zu hören und die heftigen Schritte.
»Gibt es Antigravschächte?«, fragte ich. »Sie müssen umgeschaltet werden, ja.?« »So ist es. Taunas hat sie entdeckt.« Wir hasteten die Treppe abwärts. »Hier entlang?« »Ja. Links. Achte Tafel.« Wir rannten die alte Mauer entlang Ich zählte die Platten und ignorierte den Toten, auf den ich beinahe getreten wäre. Sieben… acht. »Halt. Ich gehe als einziger nach unten, und wenn ich einen Schuss abgebe, könnt ihr die Anlage umschalten.« »Verstanden.« Einer der Männer drückte nacheinander auf vier der Felder, in die Zeichen oder Buchstaben der ausgestorbenen Erbauer eingraviert waren. Langsam schwang die tonnenschwere Steinplatte nach außen. Sie ruhte in stählernen Gelenken. Drei Scheinwerfer leuchteten das kleine Schaltpult an. Ein Hebeldruck, und die zweite Platte schwang auf. Ich schob mich durch den Spalt und rannte den kurzen Korridor entlang. Dann schwang ich mich durch die Öffnung und schwebte langsam nach unten. Lebte Atlan noch? War er dort unten in tödliche Kampfe verwickelt worden? Ich richtete die Lampe nach unten und sah nichts anderes als den staubbedeckten Boden des Antigravschachtes. Dann, als ich mich bis auf zehn Meter dem Grund genähert hatte, hörte ich einen erstickten Ausruf das Trappeln vieler Füße und den Schrei: »Es kommt jemand durch den Schacht. Mit einer Lampe. Hierher!« Atlans Stimme! »Ich bin es«, rief ich laut und leuchtete nacheinander in die Gesichter, während ich den Boden erreichte. Ich lachte laut auf riss die Waffe hervor und gab nach oben einen kurzen Schuss mit schwacher Entladungsstärke ab. Von oben blinkte eine Lampe: Verstanden. »Ich wollte nachsehen«, sagte ich, aber gleichzeitig merkte ich, dass meine Stimme gar nicht fröhlich, sondern gepresst klang »Vielleicht, dachte ich, könnte ich euch helfen.« Ich hielt den Arm in die Einstiegsöffnung und spürte den
deutlichen Zug des Kraftfelds nach oben. »Hinauf. Die anderen warten. Kaddoko hat sich entschlossen, schnellstens zu starten.« »Das kann ich verstehen«. hörte ich Atlan sagen. »Das ist ein verdammt unheimlicher Platz.« Nacheinander sprangen wir in den Liftschacht und schwebten nach oben. Mir erschien es halbwegs wie eine Rückkehr ins Leben, und Atlan, der noch länger in der geheimnisvollen Tiefe dieser absonderlichen Teault’gor zugebracht hatte, würde diesen Eindruck noch viel stärker haben. Zweite Tonta des 21. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Nacheinander schoben sich die Gleiter durch die Strukturlücke in der Schirmkuppel ins Freie; es waren vier Fahrzeuge, und im größten saß ich, bequem neben Taunas in die Polster zurückgelehnt, während frische Luft in die Kabine strömte. In Agmons Kontrollraum flirrten mindestens fünfzig der hundert Monitoren wild durcheinander. Die anderen hatten, als wir den Raum zum letzten Mal verließen, Nachtszenen gezeigt. Wir hatten in den letzten Tontas alle verräterischen Spuren gründlich beseitigt und die Toten unter Kaddokos Leuten in die Gleiter geschafft. Dann einige Dezitontas Ausruhen, das Sammeln und nun der Abflug. »Zurück nach KevKev«, sagte Kaddoko leise und legte Agmons Fernsteuerung für die Strukturlückenschaltung auf dem Armaturenbrett ab. »Und dann Freemush und sein Empfang.« Ich musste lächeln. Nachdem der Bauchaufschneider unseren versteckten Gleiter gestartet und ihn mit vorprogrammierter Steuerung schräg in den Nachthimmel gejagt hatte – er würde weit entfernt über der Ozeanhemisphäre ins Meer stürzen – , schwang sich Fartuloon in unseren Gleiter und schmetterte die Tür zu. Der Pilot, neben dem Kaddoko saß, beschleunigte. Wir flogen in geringer Höhe
und ohne Scheinwerfer über die Wüste, gingen dann in größere Höhe und auf Südwestkurs, der uns nach KevKev bringen würde. Die Maschinen bildeten eine Staffel, die unsichtbar in der Nacht flog. Wenigstens hofften wir das. Rund 7800 Kilometer Flug bis nach Etset-KevKev liegen vor uns, über fünf Zeitzonen hinweg. »Alles fast ohne Verluste«, freute sich der Tato. »Über dem Meer werfen wir die Toten von Bord.« Der wahre Grund seiner Freude wird vielmehr der Umstand sein, raunte der Extrasinn, dass seinen drei Konkurrenten eine saubere Falle hinterlassen wurde. Die toten Nocto-Nosii und die Kampfspuren tragen zum Verwirrspiel bei. »Glücklicherweise«, murmelte Fartuloon. »Wie lange fliegen wir?«, fragte ich müde. Der Pilot antwortete: »Sechs Tontas etwa.« »Davon werde ich fünf schlafen.« Ich gähnte und kuschelte mich im Winkel der Polster zusammen. Aber aus dem Schlaf wurde natürlich nichts… Plötzlich drehte der Pilot an einem Schalter. Eine Geräuschflut schlug aus den Lautsprechern des Funkempfängers. Ich schrak auf und sah Fartuloon, der sich gespannt vorbeugte und sich auf das konzentrierte, was er hörte: »… Funkimpulse und einwandfreie Ortungen. Inzwischen haben die Raumhafenstationen auf ganz Jacinther die ersten Meldungen bestätigt, Hyperfunkkontakt wurde hergestellt: Es handelt sich um das Schiff des Ka’Mehantis Freemush Ta-Bargk…« Zu früh! Viel zu früh!, schrie mein Logiksektor. Wir sahen uns betroffen an. Zweifellos liebte dieser Herr Überraschungen. Und wir würden erst in rund sechs Tontas in der Hauptstadt auf KevKev oder in der Residenz von Kaddoko landen. Für weitere Vorbereitungen, wie ihr es geplant habt, ist keine Zeit mehr. Der Nachrichtensprecher fuhr unterdessen fort: »… kommt
nicht nur mit seinem eigenen Schiff, sondern mit einer Flotte von sechshundert Raumschiffen. Der Schiffsverband gibt Freemush Geleitschutz und ist wie die CAISED außerhalb der zwölften Planetenbahn materialisiert. Es handelt sich um hundert Schlachtkreuzer und je zweihundertfünfzig Schwere und Leichte Kreuzer…« Für uns eine weitere schlimme Überraschung, durchfuhr es mich siedend heiß. Die Lage ist völlig klar, flüsterte der Extrasinn. Er ist nicht zu einem Routinebesuch gekommen, sondern um die Macht und die Größe des Imperiums und des Imperators zu demonstrieren. Denn Freemush will mit seiner Mannschaft, die garantiert unbestechlich ist, auf Jacmther aufräumen. Unser Plan, ihn zu entführen, ist somit plötzlich in weite Ferne gerückt. Wir werden KevKev eben, erst erreicht haben, wenn die Schiffe in den Orbit einschwenken und landen… »Das ist aufregend!«, rief Kaddoko in erster Begeisterung, die ich überhaupt nicht teilte. »Bei meinen Einsetzungsfeierlichkeiten werden sechshundert Schiffe die Macht unterstreichen. Es wird ein denkwürdiger Prago werden.« »Verdammt!«, flüsterte ich und biss zornig auf die Fingerknöchel. »Keine unpassenden Ausdrücke«, warnte Fartuloon leise. Auch er hatte erkannt, dass unsere Sicherheit wieder einmal sehr in Frage gestellt war. Nicht nur unsere, sondern auch die unserer versteckten Freunde in Etset-Auromt. Und Kaddoko als Verbündeter ist unter diesen veränderten Umständen nichts wert, dachte ich. Der Flug ging weiter. Kaddoko, Fartuloon und ich dachten an verschiedene Dinge, aber alle kreisten sie um Freemush. Wieder einmal war ich nahe daran, alles aufzugeben. Aber ich dachte daran, dass ich mir dann ein Leben lang
Selbstvorwürfe machen würde. Wir mussten einen anderen Weg finden, einen neuen Plan machen, einen Ausweg finden. Und das in ganz kurzer Zeit… Als aus Sebentool die Landung der CAISED gemeldet wurde, kam nach einem rasenden Flug über das Meer endlich unser Ziel in Sicht: Die Halbinsel ragte, fast auf dem Äquator gelegen, rund 350 Kilometer weit ins Meer hinaus; die NordSüd-Ausdehnung hatte etwa die gleiche Größenordnung. Während Etset-KevKev weiter östlich nahe der Südküste lag, breitete sich der fünfzehn Kilometer durchmessende Raumhafen nördlich davon auf einem Felsplateau aus. Am nordwestlichsten Punkt von KevKev befand sich Kaddokos Teaultokan, rund 300 Kilometer von Raumhafen und Stadt entfernt: Weitläufig und flach schmiegten sich die zahllosen miteinander verbundenen Einzelgebäude an die schroff aufragende Felsklippe, die einen wirksamen Schutz gegen die Weststürme bot. Wir flogen von Westen her den aus dem Fels gefrästen, hell erleuchteten Gleiterunterstand an. Ein kalter Wind empfing uns, nachdem wir gelandet waren. Er brachte Regentropfen mit, die prasselnd gegen das Heck des Flugzeugs schlugen. Fröstelnd stiegen wir aus. Kaddoko musterte mich mit schmalen Augen. »Ihr bleibt hier, bis ihr abgeholt werdet!«, befahl er. »Ich muss noch einiges klären.« »Mir soll’s recht sein«, entgegnete ich betont gleichmütig. Ich sah ihm nach, bis er durch das Schott verschwunden war. Dann ging ich die vom langen Flug steifen Glieder reckend und streckend – zu dem Bauchaufschneider, der breit und wuchtig in der Einflugschleuse stand und auf das tobende Meer hinausblickte. Die Wellen rollten mit weißen Schaumkronen heran und brachen sich tief unter uns an den Felsen der Steilküste, über die die Lichtfinger von Scheinwerfern glitten.
»Was soll das?«, fragte Fartuloon unwillig. Ich antwortete nicht, well ich es ebenso wenig wusste wie er. Natürlich hatte auch ich damit gerechnet, dass Kaddoko uns gleich mit in seinen Palast nehmen würde. Alles sah ruhig aus. Nichts war passiert, was Kaddoko gewarnt hätte. Es war nichts geschehen, was in irgendeiner Weise ungewöhnlich war. Oder doch? Wir hatten nichts bemerkt. Das Schott öffnete sich. Zwei in dunkle Kombinationen gekleidete Männer mit silbern schimmernden Gürteln, Stiefeln und Armbändern kamen auf uns zu. »Wir haben den Auftrag, Sie zu beschützen«, sagte einer von ihnen. Ich verzichtete auf die Frage, vor wem. Vermutlich hätten sie mir doch nicht geantwortet. Sie blieben neben uns stehen, starrten wie wir auf das Meer hinaus und ließen sich den Regen ins Gesicht peitschen. Mich störte nicht, dass ich dabei nass wurde, da ich wusste, dass ich schon bald im Trockenen sein würde und meine Kleidung wechseln konnte. Da packte Fartuloon meinen Arm. Ich blickte, ebenso wie er, nach unten: Sieben zerlumpt gekleidete Männer kletterten, von den Scheinwerferbahnen erfasst, mühsam über die Felsen. Immer wieder wurden sie von Gischt übersprüht und von den Wellen zur Seite geschleudert. Sie waren aus einer Öffnung in der Steilwand gekommen, und ich zweifelte nicht daran, dass es flüchtige Gefangene waren. Niemand sonst hätte sich wohl freiwillig in eine so gefährliche Situation begeben. Entsetzt verfolgten wir, wie einer der Männer von einer haushohen Welle erfasst und ins Meer hinausgerissen wurde. Er verschwand sofort und tauchte nicht wieder auf. Die anderen kämpften sich weiter voran, sprangen von Fels zu Fels und klammerten sich fest, wenn eine höhere Welle kam. Sie wurden immer wieder überspult. Die beiden Wachen traten ebenfalls an die Kante heran und
blickten nach unten. Fast gleichzeitig zogen sie ihre Thermostrahler und schossen… Ich sprang in den Gleiter und beschleunigte die Maschine scharf: Somit kam ich in die Schusslinie und störte die Wachen. Ich sah, als der Gleiter wie ein Stein in die Tiefe stürzte, dass unten nur noch zwei Männer lebten. Sie kauerten zwischen den Steinen und wussten nicht mehr, wohin sie flüchten sollten. Bevor ich sie erreichen konnte, zuckte erneut ein Energiestrahl zu ihnen hinunter und verwandelte einen der beiden Männer in eine Glutwolke. Als lebende Fackel taumelte das Opfer in die See. Ich landete neben dem anderen Mann und schirmte ihn mit dem Gleiter gegen die Schützen ab. »Steigen Sie ein!«, brüllte ich ihm durch das offene Fenster zu. Er begriff, riss die Tür auf, warf sich mit einem verzweifelten Satz auf die Polster und krallte sich daran fest. »Schnell!«, rief er. »Weg! Schnell, beeilen Sie sich doch!« Ich ließ die Maschine sanft nach oben schweben und landete wieder neben dem Bauchaufschneider, der mich finster anstarrte. »Sie sind ein Lump«, zischte der Gerettete bitter. »Ich sollte Sie umbringen.« Ich drehte mich zu ihm um. »Was denn? Ich habe verhindert, dass Sie getötet wurden. Ist das nicht genug? Hätte ich versuchen sollen mit Ihnen zu flüchten? Was glauben Sie denn, wie weit wir gekommen wären?« Während er an mir vorbeistarrte, sah ich ihn erstaunt an. Noch niemals zuvor hatte ich einen Mann wie ihn gesehen: Seine Augen waren türkisblau ohne eine einzige weiße oder rote Stelle darin! Die Augäpfel schienen von einem Rauchschleier überzogen, der ständig in Bewegung war. Dabei konnte dieser Mann nicht blind sein, denn seine Reaktionen und Bewegungen hatten mir deutlich gezeigt, dass er seine
Umgebung ganz normal sehen konnte. Jetzt wandte er mir das schmale und hohlwangige Gesicht zu, und ich glaubte, unter dem Türkis winzige Pupillen erkennen zu können, war mir aber nicht sicher. Die weißen Haare hingen ihm wirr über die Stirn. Sie waren ebenso schmutzig wie das Gesicht, die Hände oder die Kleidung. Dieser Mann schien seit mehr als einer Arkon-Periode kein Wasser mehr gehabt zu haben, um sich zu waschen. Die Wachen kamen, rissen die Gleitertür auf und zerrten den Mann heraus. »Was machen Sie mit ihm?« fragte ich, als ich den Sitz hinter dem Steuer verlassen hatte. »Er kommt wieder nach unten. Wahrscheinlich lässt der Tato ihn erschießen. Auf Fluchtversuch stand bisher stets der Tod.« Der Blauäugige blickte mich an, und seine Lippen verzogen sich. »Also nur ein kleiner Aufschub. Das ist alles, was Sie erreicht haben, Sie Narr.« Sie schleppten ihn weg; das Schleusentor des Gleiterunterstands fuhr zu wir waren unvermittelt allein. Der Bauchaufschneider kratzte sich das bärtige Kinn, sagte jedoch nichts. Nur ein unausgesprochener Vorwurf stand in seinen Augen, während der Logiksektor seine Standardbeschuldigung raunte: Narr! Weil sich Kaddoko nicht meldete, stapften wir schließlich auf eigene Faust los und erreichten durch einen Gang einen Innenhof, der von einer beleuchteten transparenten Kuppel überdacht wurde. Sie glich einem mit Glassit überzogenen Spinnennetz, in das durchscheinende Wappen und Darstellungen von Kampfszenen eingelassen worden waren. Diese Verzierungen und der Mosaikboden bildeten offenbar den einzigen Luxus, den sich der Gouverneur des Kontinents KevKev leistete. Sämtliche Bauten waren schmucklos und geradezu schlicht. Kaddoko schien ein geiziger Mann zu sein.
Mir kam der Verdacht, dass er auf jede Investition verzichtet hatte, well er hoffte, Nachfolger des von ihm ermordeten Agmon zu werden und dann dessen »Palast« übernehmen zu können. Zwei Männer, die mit weiten roten Hosen und engen Blusen bekleidet waren, kamen uns entgegen. Sie meldeten, dass sie den Auftrag hätten, uns unsere Unterkünfte zu zeigen. Der Bauchaufschneider griff den Kleineren der beiden am Kragenaufschlag und zog ihn zu sich. Er musste zu ihm aufblicken, aber das störte ihn nicht. »Hoffentlich gibt es bald etwas zu essen«, sagte er mit tiefer Stimme. Grimmig blickte er den Mann an. »Mir wird schon schlecht vor Hunger.« »Lass mich los!« Fartuloon streckte seinen rechten Arm aus und hielt sein Opfer am gestreckten Arm in der Luft. Dabei war ihm keinerlei Anstrengung anzusehen. Die Demonstration wirkte augenblicklich. Der zweite Mann rief hastig: »Ich werde Ihnen etwas bringen, Erhabene.« Der Bauchaufschneider öffnete die Hand und ließ den Mann zu Boden fallen. Schweigend wartete er, bis der Bedienstete Kaddokos sich wieder erhoben hatte und voranging. Ich fragte leise: »War das klug?« »Nein, aber notwendig.« »Das wird sich zeigen.« Ich war nicht zufrieden mit der Entwicklung des Geschehens. Als Verbündete des Tatos hätte er uns zuvorkommender behandeln müssen. Wir kamen nicht als irgendwelche Besucher in diesen Palast, sondern als seine Partner. Davon aber war nichts zu spüren. »Hier ist es«, sagte der von Fartuloon misshandelte Arkonide. Er öffnete uns die Tür zu einem Haus, das zwischen zwei anderen Gebäuden stand. Es hatte zwei große Fenster zum Innenhof, auf dem mehrere Gleiter geparkt waren. »Ich
bringe Ihnen sofort etwas zu essen und zu trinken.« Wir traten ein, und ich war nicht überrascht, als ich sah, dass wirklich nur das Notwendigste vorhanden war. Der Bauchaufschneider fluchte, versetzte einem der beiden Betten einen Fußtritt, gab mir einen Wink und sagte: »Wir gehen zu Kaddoko. Sofort!« Ich war einverstanden. Wir konnten es uns tatsächlich nicht leisten, uns in die Ecke drängen zu lassen. Wenn wir unsere Pläne weiterverfolgen wollten, mussten wir Kaddoko rechtzeitig demonstrieren, was er von uns zu halten hatte. Mit Fartuloon verließ ich die Unterkunft, die uns angewiesen worden war. Wir durchquerten den Innenhof und betraten das größte und auffälligste Gebäude. Zwei schwer bewaffnete Männer stellten sich uns in den Weg. »Wohin?«, fragte einer von ihnen knapp. Die beiden hätten Zwillingsbrüder sein können. Ihnen war anzusehen, dass sie einem entpersönlichenden Drill unterworfen gewesen waren. Sie waren zweifellos zu lebenden Robotern geformt worden, die kritiklos taten, was Kaddoko ihnen befahl. »Der Tato erwartet uns«, antwortete Fartuloon abweisend. »Macht Platz!« Er trat so selbstsicher auf, dass die Männer zur Seite wichen. Fartuloon ging sofort an ihnen vorbei. Ich folgte ihm über einen Gang, dessen Seiten mit kartografischen Aufzeichnungen bedeckt waren. Ich glaubte, die Umrisse der verschiedenen Kontinente von Jacinther IV erkennen zu können. Fartuloon öffnete eine der drei Türen, die am Ende des Ganges lagen. Er hatte Glück, denn er wählte die richtige. Als das Schott zur Seite glitt, sah ich den Gouverneur, der inmitten mehrerer seiner Mitarbeiter saß. Hinter ihnen erhob sich die mit Instrumenten, Monitoren und Kontrollgeräten bedeckte Wand eines Kommunikationszentrums. Wir vernahmen gerade noch den Rest einer Mitteilung, die
einige Aufregung ausgelöst zu haben schien: »… wiederhole ich, dass der Ka’Mehantis direkt bei Agmons Teault’gor gelandet ist. Er plant, dort seine Nachforschungen zu beginnen. Wie es heißt, wird er von einer unerwartet starker Leibgarde begleitet. Zu erwähnen ist weiterhin, dass der gesamte Schiffsverband aus Robotschiffen…« Einer der Offiziere drehte den Ton auf, so dass wir die weiteren Worte nicht mehr verstehen konnten. Kaddoko blickte uns zornig an, sein Mund zuckte. »Ich habe euch nicht gerufen«, sagte er mit schriller Stimme. »Und ich verbitte mir, dass ihr hier unangemeldet eindringt.« Fartuloon tat, als habe er nichts gehört, und marschierte schnaufend in den Raum. »Freemush handelt.« Seine Stimme grollte. »Und du, Tato, hast die Absicht, uns das zu verschweigen?« Robotschiffe!, rief mein Logiksektor eindringlich. Die sechshundert Einheiten sind Automatschiffe. Mit diesem Hinweis verbunden war ein Wust von Bildern und Gedanken und Informationen, der in mir eine Idee weckte. Noch waren sämtliche Einzelheiten mehr als vage, aber dennoch formten sich in meinem Kopf die Grundzüge eines Plans. Und als ARK SUMMIA-Absolvent des dritten Grades mit aktiviertem Extrasinn hatte ich den großen Vorteil, die Detailausarbeitung meinem inneren Partner überlassen zu können… Mit wütender Gebärde schleuderte Kaddoko unterdessen einige Papiere vom Tisch und sprang auf. »Ihr scheint vergessen zu haben, wo ihr seid.« Mein väterlicher Freund schüttelte den Kopf. »Wir wissen sehr genau, wo wir sind und was du bist!« Dabei ging er zu einem anderen Tisch, auf dem mehrere Schalen mit Obst und gebratenem Fleisch standen. Er schnitt sich etwas Fleisch ab und biss herzhaft hinein. Noch bevor er den Brocken hinuntergeschluckt hatte, weiteten sich seine Augen, und sein
Gesicht wurde rot. Er spuckte den Bissen wieder aus und schüttelte sich. »Ich habe dich für einen kultivierten Mann gehalten, aber ich muss meine Meinung revidieren. Wer einen solchen Koch beschäftigt, kann nur ein Barbar sein.« »Jetzt ist es aber genug.« Ich sah, dass Kaddokos Hände bebten. Er war außer sich vor Wut. Das konnte auch Fartuloon nicht übersehen. Er ging zu dem Gouverneur und setzte sich vor ihm in einen Sessel. »Wir arbeiten zusammen, oder du bekommst Schwierigkeiten. Du hast die Wahl.« Der Bauchaufschneider war klein, aber der Gouverneur war noch kleiner. Als Fartuloon vor ihm saß, befanden sich beide Augenpaare in gleicher Höhe, obwohl Kaddoko stand. »Die Situation hat sich geändert. Freemush ist nicht nur mit einem Raumschiff gekommen, sondern mit der starker Deckung einer Flotte. Bald wird er wissen, dass der bedauernswerte Agmon tot ist.« Mit sorgenvoll gekrauster Stirn wandte sich der Tato von meinem Freund ab und ging zwischen den Tischen auf und ab, wobei er hin und wieder den Monitorschirmen nachdenkliche Blicke zuwarf. Schließlich fragte er: »Bist du sicher, dass alle unsere Spuren verwischt wurden?« Er hat Angst!, sagte der Logiksektor. Das macht ihn um so gefährlicher – für euch. »Niemand wird herausfinden, dass du…«, begann Fartuloon. »Halt den Mund!«, unterbrach Kaddoko ihn heftig. Der Bauchaufschneider grinste sardonisch. Noch war er überzeugt davon, den Gouverneur fest in seiner Hand zu haben. Ich war mir dessen ganz und gar nicht mehr so sicher wie er. Sorgfältig beobachtete ich Kaddoko. Er gefällt mir nicht. Wir befinden uns in seinem Palast, und wir sind inmitten seiner Männer. Hat Fartuloon vergessen, dass wir für Kaddoko nicht nur Verbündete, sondern auch lästige Zeugen sind?
»Keine unnötige Aufregung.« Ich bemühte mich, gelassen zu erscheinen. »Bis jetzt steht überhaupt nicht fest, ob Freemush mit seiner starker Streitmacht eingreifen wird. Warten wir die weitere Entwicklung ab und setzen unsere Planung um.« Kaddoko starrte mich an, als habe er mich vorher noch nie gesehen. Ich las nur Angst in seinem Gesicht, und ich begriff augenblicklich. Bis vor wenigen Tontas hatte er den festen Glauben gehabt, ganz leicht offiziell Generalbevollmächtigter des Großen Imperiums auf Jacinther IV zu werden. Mit Freemushs verfrühter Ankunft sah plötzlich alles ganz anders aus. Sollte Orbanaschols Vertrauter aufdecken, welche Verbrechen Kaddoko begangen hatte, um das hohe Amt zu erringen, war es um ihn geschehen. Schlagartig wurde mir klar, dass wir nicht mehr länger in diesem Palast bleiben durften. Sehr bald würde Kaddoko erkennen, dass er es sich nicht leisten konnte, uns leben zu lassen – weil wir als Augen und Ohren des Ka’Mehantis auftraten… Richtig, bestätigte meine innere Stimme. Selbst wenn alles nach Plan laufen würde – er weiß, dass ihr ihn immer in der Hand hättet und Mitwisser bleibt, die ihn erpressen könnten. Ich sagte: »Freemush hat dich nicht sofort umarmt. Das ist alles. Soll er nachforschen – so hatten wir es ohnehin geplant. Herausfinden wird er genau das, was wir wollen – vorausgesetzt, wir bewahren die Ruhe und behalten die Übersicht.« Er wandte sich abrupt ab, schüttelte den Kopf und sagte verächtlich: »Ich bin völlig ruhig, und ich übersehe die Lage. Es ist lächerlich, mir zu sagen, ich hätte die Übersicht verloren.« Ich schwieg, denn ich erkannte, dass Kaddoko keinem Argument zugänglich war. Mein Logiksektor bestätigte kalt: Er hat sich entschieden! Ihr seid eine Gefahr – und die will er ausschalten!
»Darum geht es uns nicht«, machte ich dennoch einen letzten Versuch. »Wir sind gekommen, um dir zu sagen, dass wir auf deiner Seite stehen, genau wie besprochen. Wir erwarten jedoch, über alles informiert zu werden.« »Das ist wohl das Mindeste, was wir verlangen können«, fügte Fartuloon polternd an, klatschte sich mit der offenen Hand gegen seinen blank gewetzten Brustpanzer, gab mir mit dem Kopf einen Wink und marschierte hinaus. Ich folgte ihm, während er raunte: »Schnell! Wir müssen uns beeilen.« Wir hasteten den Gang entlang und eilten an den Wachen vorbei auf den Innenhof. Dabei sahen wir uns kurz an. Der Bauchaufschneider hatte die Situation genauso klar und eindeutig erkannt wie ich. »Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es vielleicht noch bis zu einem Gleiter…« Wir waren noch keine zehn Schritte gegangen, als hinter uns aufgeregte Stimmen laut wurden. Fartuloon und ich begannen sofort zu laufen, rannten auf einen Gleiter zu, der auf dem Innenhof geparkt war. Ich riss die Tür auf, sprang hinein und startete die Aggregate. Der Bauchaufschneider wurde von zwei Soldaten des Tatos angefallen, die sich an ihn klammerten und ihn festhalten wollten. Er drehte sich zweimal um sich selbst, so dass die Männer den Boden unter den Füßen verloren und mit einigen Wachen zusammenprallten, die ihnen zu Hilfe kommen wollten. Schreiend ließen sie los Fartuloon lachte dröhnend und sprang zu mir in die Kabine. Der Gleiter hob ab und raste auf die Öffnung eines Tunnels zu, der ins Freie führte. In diesem Moment schoss einer der Männer Kaddokos mit einem Zweihand-Luccot auf uns. Der Plasmablitz schlug in das Heck der Maschine ein, und eine Explosion zerriss es. Nur die Panzerplatten in unserem Rücken schützten uns. »In den Gang!«, brüllte Fartuloon.
Ich gab mir alle Mühe, den letzten Schwung auszunutzen, doch er reichte nicht aus, den Gleiter so weit zu bringen, dass wir den Weg blockieren konnten. Er stürzte krachend auf den Boden und rutschte nur noch ein kleines Stückchen weiter. Fartuloon schlug mit dem Skarg zu – wir kletterten durch die zersplitterte Frontscheibe hinaus. Einige Impulsstrahlen fauchten über uns hinweg. Die glühende Hitze trieb uns voran. Heftig nach Atem ringend, rannten wir durch ein Seitenschott aus dem Gang, als wir sahen, dass Schüsse in die Decke gegangen waren und die Verkleidung in flüssige Glut verwandelt hatten. Wir stürmten einen schmalen Gang entlang und überrannten dabei einige junge Männer, die aus ihren Unterkünften getreten waren. Sie bereuten ihre Neugierde, nachdem sie mit Fartuloon in Berührung gekommen waren. Am Ende des Ganges erreichten wir einen abwärts gepolten Antigravschacht. Ohne zu zögern, sprangen wir hinein und ließen uns nach unten tragen, obwohl wir wussten, dass wir dort so leicht keinen Ausgang finden würden. Wir hofften jedoch, in diesem Bereich nicht so schnell entdeckt zu werden. Das war leider ein Irrtum. Kaum hatten wir den Schacht verlassen, als uns drei schwer bewaffnete Männer entgegenkamen. Sie zogen ihre Thermostrahler und legten sie auf uns an. Uns blieb nichts anderes übrig. Wir schossen. Die sonnenheißen Strahlen fauchten zu den Soldaten des Gouverneurs hinüber. Fartuloon traf zweimal. Seine Gegnerwaren auf der Stelle tot. Ich zielte auf die Schulter meines Gegenübers und machte ihn dadurch kampfunfähig. Als ich aber seine Schreie hörte, wünschte ich mir, ich hätte ebenso eiskalt gehandelt wie Fartuloon. Bei dieser Justierung unserer Waffen waren selbst kleine Verletzungen bereits tödlich – sofern man dabei überhaupt von »kleinen« Verletzungen sprechen konnte. Aus dem Hintergrund rückten
mehrere schwere Kampfroboter heran. Wenigstens sechs Männer begleiteten sie. Wir steckten in einer Sackgasse. »Zurück!«, entschied der Bauchaufschneider. Im Antigravfeld schwebten wir wieder nach oben. Niemand schien damit gerechnet zu haben, dass wir das tun würden, denn oben war es völlig still. Wir gingen eine Rampe hinauf, die nach draußen führen musste. Jetzt erst ertönte eine Alarmsirene, die einen nervenzermürbenden Lärm machte. Wir erreichten einen Saal, der zum privaten Bereich des Gouverneurs zu gehören schien. Hier gab es bescheidenen Luxus, der jedoch wenig Geschmack verriet. Die Sitzmöbel waren mit einem blauen Stoff bezogen, der keineswegs besonders teuer gewesen sein konnte. Nur die technischen Geräte hatten einen Standard, der ahnen ließ, über wie viel Geld dieser Zwerg tatsächlich verfügte. Fartuloon eilte einmal quer durch den Raum, schüttelte den Kopf und kehrte zu mir zurück. »Hier kommen wir nicht weiter.« Er deutete auf eine Tür, die in einer Nische lag. »Sie ist mit einem Sicherheitsschloss versehen. Ich kann sie nicht schnell genug öffnen. Wahrscheinlich würde ich dabei auch weiteren Alarm auslösen.« Wir kehrten zum Antigravschacht zurück und konnten gerade noch den Robotertrupp und die Wachen sehen, die sich auf einem anderen Gang von uns entfernten. »Es bleibt uns nichts anderes übrig«, sagte Fartuloon. »Wir müssen ihnen folgen. Nur dort geht es hinaus.« Wir kamen nur wenige Schritte weit, bis uns von hinten eine bekannte Stimme anrief. Wir drehten uns betont langsam um, ohne die Waffen zu heben. Mit hängenden Armen standen wir vor Kaddoko und vier seiner Orbtonen, die uns mit Strahlgewehren bedrohten. »Na also«, sagte er keifend. »Damit ist die Lage klar. Schafft die beiden nach unten.« Wir ergaben uns. Unter diesen Umständen zu kämpfen wäre
Selbstmord gewesen. Die Offiziere nahmen uns die Waffen ab. Als wir zum Antigravschacht geführt wurden, hörte ich, wie Kaddoko hämisch lachte. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Unter den gegebenen Umständen rechnete ich damit, dass Kaddoko uns hinrichten lassen würde: Ihm bleibt gar keine andere Wahl. Er muss uns töten… Der Raum, in den sie uns einsperrten, war hoch, feucht und kalt. Etwa zehn Männer erkannte ich auf den ersten Blick. Später zählte ich zwölf, denn zwei lagen in einer Nische, die man von der schweren Panzertür aus nicht einblicken konnte. Sie waren die einzigen der Gefangenen, die uns nicht angstvoll entgegenblickten. »Dem Ruhelosen sei Dank«, murmelte ein ausgemergelter Mann, der dicht neben dem Eingang auf dem Boden kauerte. Es war ein junger Arkonide, der von langer, qualvoller Haft gezeichnet war. Seine roten Augen lagen tief in den Höhlen, und sein Schädel trug nur noch wenige weiße Haare. Ich ließ mich neben ihm nieder. »Warum?« Er sah mich aus trüben Augen an. »Warum? Was warum?« »Warum danken Sie dem Ruhelosen?« Er lächelte unmerklich. »Ich dachte, das Hinrichtungskommando käme wieder einmal.« Ich war erschüttert. Welche Qualen müssen sie ausstehen! Nie wissen sie, wer herausgeholt wird, um getötet zu werden. Keiner von ihnen weiß, wie lange er noch leben darf. »Kaddoko lässt die Delinquenten über die Felsen in die Tiefe werfen«, erläuterte der Hagere, ohne danach gefragt zu sein. »Sie sterben auf den Klippen, und die See trägt sie hinaus. Es wimmelt von gefräßigen Raubfischen vor der Küste, die dafür sorgen, dass die Spuren verschwinden.« Er packte mich am Arm. Seine Augen schienen zu glühen. »Wollen Sie von Fischen gefressen werden?«, fragte er mich heiser, während ein Schauder über seinen Körper zu laufen schien. »Ich nicht!«
»Der Tato wird nicht mehr lange an der Macht sein«, entgegnete ich zuversichtlich. »Freemush Ta-Bargk, Orbanaschols Ökonom, ist eingetroffen. Er wird früher oder später kurzen Prozess mit Kaddoko machen.« »Habt ihr das gehört?«, schrie er und wiederholte meine Worte. Er sprang auf. Die anderen Gefangenen erhoben sich ebenfalls, waren nicht weniger erregt als der Hagere. Sie bedrängten uns mit ihren Fragen. Immer wieder wollten sie wissen, was geschehen war. Aber wir blieben vorsichtig. Wir beantworteten nur die Fragen, auf die wir eingehen konnten, ohne später Komplikationen von Seiten Kaddokos oder des Ökonomen befürchten zu müssen. Endlich schienen sie genug erfahren zu haben. Sie diskutierten miteinander und beachteten uns nicht mehr. Wir zogen uns in eine Ecke zurück, und Fartuloon sagte leise: »Es sieht schlecht aus.« »Ich bin eigentlich überrascht, dass er uns nicht gleich umgebracht hat.« »Zunächst sind wir ausgeschaltet und können keine für ihn gefährliche Verbindung zu Freemush aufnehmen.« Er starrte auf die leere Skarg-Scheide und schüttelte sich unbehaglich. »Er wird die Entwicklung genau verfolgen. Umbringen kann er uns immer noch.« Ich blickte zu der Leuchtplatte hinauf, die an der roh behauenen Felsdecke befestigt worden war und nur wenig Licht spendete. Es reichte jedoch aus, um erkennen zu können, dass dicht über dem Boden faustgroße Löcher in die Wände eingelassen waren. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Welchen Sinn haben sie? Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als ich ein großes, zwölfbeiniges Tier aus einem der Löcher kommen sah. Es hatte ein zottiges, feuchtes Fell, das aber nur den Körper bedeckte und nicht die Beine,
zwischen denen ich rosige Schwimmhäute entdeckte. Der Kopf war lang und schmal. Lange Schneidezähne, die messerscharf zu sein schienen, ragten daraus hervor. Ich wollte einen Warnschrei ausstoßen, als ich sah, wie das Tier sich an einem Gefangenen aufrichtete und ihm mit den Zähnen behutsam gegen das Knie stieß. Er beugte sich zu ihm hinab und reichte ihm ein Stückchen Fleisch, von dem er gegessen hatte. Das Tier nahm es, quiekte leise und verschwand in einem der Löcher. Der Mann blickte zu mir herüber und lächelte. »Keine Angst.« Er unterstrich seine Worte mit einer besänftigenden Geste. »Die Recks sind unsere Freunde. Sie sehen zwar gefährlich aus, aber uns tun sie nichts.« Beruhigt lehnte ich mich an den Fels zurück. Ich hätte kaum schlafen können, hätte ich befürchten müssen, von diesen Kreaturen überfallen zu werden. Der Hagere kam zu mir und kniete vor mir auf dem Boden nieder. Voller Spannung blickte er mich an. »Sie kommen von draußen. Haben Sie beobachtet, dass einige Gefangene geflohen sind?« Ich zögerte mit meiner Antwort. »Ja«, sagte ich dann, aber er hörte dennoch heraus, dass etwas nicht stimmte. »Sie haben es nicht geschafft?« »Nein«, sagte Fartuloon an meiner Stelle. »Kaddokos Leute haben sie erwischt.« »Alle?« »Nur einer hat es überlebt. Ein Mann mit blauen Augen. Ich habe noch nie solche Augen gesehen.« »Kolcho. Er lebt also! Danke, Fremder.« Er stand auf und kehrte zu den anderen zurück. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand und überlegte. Wasser benetzte plötzlich meine Füße. Ich blickte auf den Boden und sah, dass es durch die Öffnungen hereinschwappte. Keiner der
anderen Gefangenen achtete darauf, obwohl auch ihre Füße nass wurden. Sie schienen mit dieser Folter vertraut zu sein. Wir erhoben uns. Schweigend blieben wir stehen, bis Fartuloon es nicht mehr aushielt. »Was überlegst du dir? Ich seine dir doch an, dass du etwas ausbrütest – dafür kenne ich dich zu gut, mein Junge.« »Oh, nichts weiter.« »Sag’s schon. Ich muss wissen, was du vorhast, damit ich dich vor Dummheiten bewahren kann.« »Danke«, gab ich ironisch zurück. Er lächelte. »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit«, fuhr ich fort. »Wir müssen auf das Schiff des Ökonomen.« »Fein«, brummte er trocken. »Aber du kennst die Methode: immer einen Schritt vor dem anderen. Erster Schritt: Wir müssen hier heraus. Zweiter Schritt: Wir müssen den Palast verlassen und flüchten. Dritter Schritt: Wir müssen zum Ökonomen und seinem Schiff Dazu benötigen wir einen schnellen Gleiter. Vierter Schritt: Wir müssen das Abwehrsystem überwinden. Oder glaubst du, er lässt zwei Flüchtlinge so ohne weiteres an Bord?« Er schnaufte und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, als könne er sich nicht vorstellen, dass ich mir alles schon recht genau überlegt hatte. Dabei wusste ich, wie gut er mich kannte. Er war sich völlig darüber im Klaren, dass mein Plan bereits fertig war. »Du willst es also durchziehen?«, sagte er stöhnend. »Hast du den Verstand verloren?« »Nein.« Er schüttelte den Kopf und strich sich erregt mit der flachen Hand über den kahlen Schädel, der von herabtropfendem Wasser feucht geworden war. »Du hast keine Ahnung, das muss ich dir leider sagen. Bis jetzt hatten wir es noch nicht mit einer so einflussreichen und mächtigen Persönlichkeit wie Freemush zu tun. Ein Mann wie er fliegt nur unter starkem
Begleitschutz zu den Welten des Großen Imperiums.« »Dass er mit einer Streitmacht gekommen ist, wissen wir schon. Robotraumer!« Er fluchte leise. »Das meine ich nicht. Auch an Bord seines Raumers werden ständig Wachen und Spezialagenten um ihn herum sein, die dafür sorgen, dass ihm nichts passiert. Freemush ist kein besonders mutiger Mann.« »Woher weißt du das?« »Ich habe meine Quellen.« Seine Stimme klang unsicher. Ich hörte es heraus, well ich ihn so gut kannte. Vielleicht sagte er die Wahrheit, aber das glaubte ich nicht. Ich war vielmehr davon überzeugt, dass er mich nur vor einem gefährlichen Schritt zurückhalten wollte. »Freemush zu Kaddokos Empfang zu locker, um dann zuzuschlagen, ist eines – ihn an Bord seines Raumer jedoch…« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Uns bleibt keine andere Wahl.« »O doch!« »Welche?« »Wir lassen ihn ziehen. Alles wäre in Ordnung.« Er blickte mich beschwörend an. Ich lächelte humorlos und nickte. »Ich verstehe dich, und ich danke dir.« Er wollte mich vor einer Gefahr bewahren, well er um mein Leben fürchtete. Aber mir blieb dennoch keine Wahl. Und das sagte ich ihm auch: »Soll ich auf meine Ansprüche verzichten? Soll ich mich damit abfinden, dass ein Mann Imperator von Arkon ist, der kein Recht hat, es zu sein? Ich bin der rechtmäßige Nachfolger meines Vaters. Wenn ich nicht jede sich mir bietende Gelegenheit nutze, die Macht Orbanaschols zu schwächen, werde ich niemals Imperator werden. Dann habe ich auch kein Recht darauf. Freemush ist eine großartige Chance, und ich muss sie nutzen.« »Das hört sich alles fabelhaft an«, entgegnete er grantig, »aber leider stimmen die Voraussetzungen nicht mehr.
Freemush war in der Tat eine Chance, wäre er ohne Begleitflotte gekommen und hätten wir nach unserer ersten Planung vorgehen können. Jetzt aber sitzen wir in einem dunklen Loch und haben nasse Füße. Bleib realistisch, Junge.« Ich winkte ab. Plötzlich wurde es still im Raum. Nur das Plätschern des Wassers war noch zu hören. Ich hatte nicht bemerkt, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war. Die anderen Gefangenen blickten ängstlich auf die Tür. Jetzt erst vernahm ich die dumpfen Schritte, die sich uns näherten. Ich konnte mir das Verhalten der Männer nicht erklären. In einer Festung wie dieser gab es zahllose Laute und Geräusche, die in keinerlei Zusammenhang mit uns standen. Weshalb reagierten sie auf diese Schritte so eigenartig? Ich wusste es wenig später, als kein Zweifel mehr daran bestand, dass sich die Schritte uns näherten. Sie hallten im Gang wider. Der Boden schien unter unseren Füßen zu zittern. »Das Hinrichtungskommando«, sagte einer der Männer tonlos. Fartuloon und ich blickten uns unwillkürlich an, fragten uns, ebenso wie die anderen Gefangenen, ob man uns holen würde. Ich ertappte mich bei der Hoffnung, dass die Wahl auf einen anderen fiel – und erschrak vor mir selbst. Ich begann, Kaddoko zu hassen. Bisher hatte ich in ihm nicht viel mehr als einen rücksichtslosen, machthungrigen und geizigen Mann gesehen. Jetzt aber zeigt er ein anderes Gesicht. Er ist ein brutaler Sadist, dem es Freude macht, andere zu quälen. Die Tür öffnete sich. Ein Roboter trat ein. Er war so groß, dass sein metallener Kopf fast die Decke des Durchgangs berührte. Die kalt schimmernden Linsen richteten sich auf mich. Mir stockte der Atem. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht wirklich befürchtet, dass er mich zur Hinrichtung abführen könnte. Der Logiksektor raunte kühl: Niemand glaubt daran, dass es ausgerechnet ihn trifft, wenn das Schicksal auch noch
andere Möglichkeiten hat… Plötzlich war ich wie gelähmt. Meine Beine fühlten sich an wie Blei. Neben mir hörte ich Fartuloon keuchen. Da drehte sich der Roboterkopf weiter, und die Linsen richteten sich auf einen anderen Mann. Ich atmete auf. Unvermittelt schienen die anderen Männer im Raum in weite Ferne gerückt zu sein. Alles schien mich nichts mehr anzugehen, obwohl ich wusste, dass in diesem Moment ein anderer Mann so empfand wie ich vor wenigen Atemzügen noch. Der Roboter trat einen Schritt vor, streckte blitzschnell die Arme aus und packte zwei Männer zugleich. Bevor sie wussten, was geschah, wirbelte er sie mit unwiderstehlicher Kraft herum und schleppte sie hinaus. Krachend schloss sich die Panzertür hinter ihnen. Wir alle starrten auf das Schott, dumpf und niedergeschlagen. Beklemmende Stille herrschte, bis endlich einer der Männer schluchzend auf die Knie sank und die Hände vor das Gesicht presste. »Ich bringe Kaddoko mit eigenen Händen um«, sagte Fartuloon zornig. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand und schloss die Augen. In diesen Augenblicken fühlte ich mich so elend, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ich wusste, dass irgendwo über mir zwei Männer ermordet wurden, und ich konnte nichts tun. Plötzlich wusste ich auch, wie wahnwitzig meine Überlegungen gewesen waren. Es war geradezu lebensgefährlich, in dieser Situation daran zu denken, wie wir Freemush entführen konnten. Fartuloon hat Recht – wie immer. Wollten wir mit heiler Haut hier herauskommen, mussten wir konsequent und logisch Schritt für Schritt vorgehen. Wir dürfen keinen Fehler machen und müssen uns ganz auf unsere Flucht aus diesem Kerker konzentrieren. Alles andere wäre so gut wie Selbstmord. Einer der Männer kam zu uns. »Verzeiht«, sagte er mit
heiserer Stimme. »Ich muss mit jemandem reden, sonst werde ich verrückt.« Er wischte sich mit dem Handrücken über Mund und Augen. »Wenn ich wenigstens wüsste, weshalb ich hier bin. Aber ich weiß es nicht.« Er blickte uns flehend an, als warte er darauf, dass wir endlich etwas antworteten. »Wisst ihr es?« »Nein«, erwiderte Fartuloon. »Was machen sie mit den beiden?« »Die Roboter?« »Natürlich.« Fartuloon schob sich ein Feenre-Plättchen zwischen die Lippen. Er kaute mürrisch auf dem Pflanzenextrakt herum, der erfrischend wirkte und zugleich auch die Aufnahmefähigkeit des Blutes für Sauerstoff erhöhte. »Werden sie erschossen?« »Das wäre zu simpel für einen Mann wie Kaddoko. Nein – er lässt die Delinquenten mit Prallfeldern über die Felskante drängen. Manchmal werden sie auch von Robotern hinuntergestoßen…« Er stockte. Ich sah einen Reck aus einem Loch kommen. Das Tier hielt einen Zettel zwischen den Zähnen, eilte auf einen der Gefangenen zu, richtete sich an ihm auf und übergab ihm das Papier. Erregt beobachtete ich, wie der Mitgefangene es entfaltete und durchlas. Er hob den Kopf und blickte sich um. »Freemush wird vermutlich sehr bald hierher kommen. Unser Informant ist sicher, dass es nicht länger als vier planetare Tage dauert, bis er hier eintrifft. Er ist davon überzeugt, dass wir dann alle frei sein werden.« »Falls Kaddoko uns nicht vorher umbringt, damit wir Freemush nichts verraten können«, warf einer der Männer niedergeschlagen ein. Niemand antwortete ihm, denn alle wussten, wie berechtigt seine Befürchtungen waren. Kaddoko wollte Generalbevollmächtigter des Großen Imperiums für diese
Welt werden. Freemush würde dieses Amt aber kaum einem Mann anvertrauen, der es zu einer Willkürherrschaft missbrauchen konnte. Ich durchbrach das betroffene Schweigen und ging zu dem Mann, der die Botschaft erhalten hatte. »Die Recks sind wundervolle Tiere. Kommen sie überall hin? Auch zu den anderen Gefangenen?« »Wohin wir wollen.« »Das ist gut.« Er wusste nicht, was er von meinen Worten halten sollte. »Was meinst du?« »Du kennst den Mann, dessen Augen ganz blau sind? Kolcho?« »Natürlich kenne ich ihn. Wir alle kennen und lieben ihn. Für ihn wird es ganz besonders schwer werden.« »Warum?« »Er hat versucht zu fliehen, well er Freemush nicht in die Hände fallen wollte.« Ich stutzte und sagte gedehnt: »Moment mal… Woher wusste er von Freemush? Obwohl wir über ausgezeichnete Verbindungen verfügen, haben wir auch erst vor wenigen Tontas von der Ankunft erfahren. Und du behauptest, dass Kolcho es ebenfalls schon wusste und deshalb floh? Das ist unmöglich.« Er kreuzte die Arme vor der Brust und verzog seine Lippen zu einem eigenartigen Lächeln. »Vielleicht hat Kolcho bessere Quellen als ihr? Du kennst ihn nicht, sonst würdest du nicht an ihm zweifeln.« »Gut«, lenkte ich ein. »Ich glaube dir. Kannst du dafür sorgen, dass Kolcho mir einige Fragen beantwortet?« »Natürlich. Schreib auf, was du wissen willst.« »Er soll mir verraten, wie er aus diesem Kerker herausgekommen ist.«
»Seine Flucht ist gescheitert.« »Das ist eine andere Frage. Bitte, beeil dich! Wir haben keine Zeit zu verschenken.« Er gehorchte, nahm den Zettel und brachte aus seiner Kleidung einen Schreibstift hervor. Er schrieb meine Frage auf und notierte noch einige Worte mehr. Vermutlich wollte er Kolcho über mich informieren. Ich kehrte zu Fartuloon zurück, als die Tür sich öffnete und Schweberoboter eine große Schüssel mit einer dampfenden Flüssigkeit hereinbrachten. Sie stellten sie auf den Boden, obwohl das Wasser so hoch stand, dass es den Rand des Gefäßes sofort überspülte. Die Gefangenen warteten ängstlich, bis die Automaten den Raum wiederverlassen hatten. Dann stürzten sie sich hungrig auf die Schale. Fartuloon und ich verzichteten. »Kolcho könnte ein wichtiger Verbündeter werden«, sagte er leise. »Er weiß auf jeden Fall etwas über Freemush. Wir müssen uns erkundigen, weshalb er ihn so sehr fürchtet.« Ich beobachtete, wie der Mann vor einem Loch in der Wand in die Hocke ging und einige Male mit der flachen Hand auf das Wasser schlug, bis ein Reck erschien. Er gab dem Tier den Zettel, reichte ihm ein Stückchen Fleisch aus der Schale und nannte mehrmals den Namen Kolcho. Der Reck quiekte und verschwand. Wir warteten, Fartuloon stand wie ein Fels neben mir. Das kalte Wasser schien ihm nichts auszumachen. Nach geraumer Weile brummte er: »Hoffentlich hat der Bursche seinen Groll inzwischen vergessen.« Auch ich musste daran denken, wie Kolcho mich angesehen hatte, nachdem ich ihm das Leben gerettet hatte. Würde er mir jetzt helfen? Würde er abermals den Mut für einen Fluchtversuch aufbringen? Irgendwann floss das Wasser aus den Zellen ab, so dass wir uns endlich wieder auf den Boden setzen oder legen konnten. Ungeduldig warteten wir auf die Antwort von Kolcho. Je
länger sie ausblieb, desto mehr fürchtete ich, dass er seinen Groll nicht überwunden hatte. In der folgenden Nacht schlief ich kaum. Auch Fartuloon fand keine Ruhe. Immer wieder berieten wir, wie wir aus diesem Verlies entfliehen konnten, ohne allerdings einen Weg zu finden, der wirklich Erfolg versprach. Es genügte nicht, nur aus diesem Raum auszubrechen. Solange wir nicht wussten, wie die Flucht weitergehen sollte, hatten wir nur wenig Aussicht, heil davonzukommen.
5. Aus: Jahre der Krise, Betrachtungen zum beginnenden 20. Jahrtausend, Hemmar Ta-Khalloup; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.035 da Ark Konflikte lassen sich auf vielfältige Weise lösen, und es ist stets eine Frage der Beteiligten, inwieweit es zur Eskalation kommt. Dem Recht auf Notwehr entsprechend, stellt sich hier bei natürlich die Frage nach der zur Anwendung kommenden Gewalt, sei sie psychischer oder physischer Natur. Im Bestreben um eine grundsätzliche Vermeidung darf nicht übersehen werden, dass sie in vielen Situationen die letzte Alternative einer Reaktion ist. Dass Gewalt erneute Gewalt erzeugt, ist eine unmissverständliche Lektion planetarischer wie galaktischer Geschichte. Zum Zirkelschluss führt allerdings außer Kontrolle geratene Gewalt, die in ihren dumpfen Wiederholungen erschüttert und demoralisiert. Absolut tödlich ist dieser Kreislauf stets für die Unschuldigen, die in der gewaltsamen Beantwortung des ihnen zugefügten Unrechts ihrerseits schuldig werden. Prozesse dieser Art setzen sich fort, bis entweder die Vernichtung aller erreicht ist oder die Vernunft gesiegt hat. Dass Letzteres keine zwangsläufige Entwicklung sein muss, sondern einer die Ausnahme darstellt,
beweist die unübersehbare Ansammlung ausgeglühter Schlackekugeln, die vormals bewohnte Lebensinseln in der Weite des Weltalls waren… Im Kerker, 23. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Endlich erschien ein Reck und brachte einen Zettel mit. Der Mann, der das Tier auf den Weg geschickt hatte, nahm ihn und gab ihn mir. Als ich die Notizen sah, sagte ich: »Diese Schrift kenne ich nicht.« »Es ist eine Kürzelschrift. Soll ich vorlesen?« Wir ließen uns auf den Boden nieder. Die anderen Gefangenen drängten sich neugierig um uns. Mir wäre es lieber gewesen, hätten wir nicht so viele Mitwisser gehabt, aber ich konnte es nicht verhindern. »Kolcho schreibt, dass sie einen Wachroboter überwältigt haben und von einem Reck über einen stillgelegten Gang zu einem Ausgang geführt wurden.« Es fiel ihm schwer, die Nachricht in dem trüben Licht zu entziffern. Auch schien er die Kürzel nicht so sicher zu beherrschen, wie er vorgegeben hatte. Da weder ich noch Fartuloon jedoch etwas damit anfangen konnten, mussten wir froh sein, ihn zu haben. »Inzwischen wurden die Wachen verstärkt. Geht ein Roboter in einen Gefangenenraum, bleibt ein zweiter zur Sicherheit draußen. Er schießt sofort, sollte sich einer von uns auf den Gang hinaustrauen.« Er blickte auf. »Offenbar hat es jemand versucht. Sonst würde Kolcho nicht so etwas schreiben.« »Lies weiter«, drängte der Bauchaufschneider grob. Je deutlicher wurde, wie aussichtslos unsere Lage war, desto unruhiger wurde er. »Da gibt es nicht mehr viel zu lesen. Kolcho schreibt noch: Es gibt keine Fluchtmöglichkeiten mehr. Es wäre bessergewesen, Fremder, wenn du mich hättest sterben lassen, doch das konntest du nicht wissen.« Mutlos ließ er den Papierbogen sinken.
»Verdammt. Wenn Freemush nicht bald kommt, ist es für uns alle zu spät.« Ein anderer Gefangener wollte sich äußern, wurde aber von Fartuloon daran gehindert: »Still!« Jetzt hörten wir es auch: Dumpfe Schritte näherten sich. Hinrichtungsroboter? Mir krampfte sich das Herz zusammen. Ich wurde mir bewusst, dass ich mich während der ganzen Nacht vor diesem Augenblick gefürchtet hatte. Zugleich wurde mir klar, welch entsetzliche Qualen die anderen Gefangenen bereits durchgestanden hatten. Sie hielten sich hier schon seit langer Zeit auf und hatten diese grauenvollen Schritte schon häufig gehört. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Schrecken durch Gewöhnung nachließ und jemand nicht mehr auf diese Geräusche reagierte. Wen werden die Maschinen holen? Ist meine Zeit abgelaufen? Fartuloons Hand schloss sich um meinen Arm. »Ganz ruhig.« »Ich bin ganz ruhig«, log ich. Er spürte, dass ich mich verkrampft hatte, aber er sagte nichts. Ich war ihm dankbar dafür. Die Tür öffnete sich, der Roboter trat ein. Ich starrte ihn wie gebannt an. Dies war Lakhros – die Hölle. Grausamer konnte man Arkoniden nicht quälen. Jedem von uns er geht es gleich. Jeder hofft, dass nicht er, sondern ein anderer ausgewählt wird… Die kalten Linsen richteten sich auf mich. Die Maschine sagte: »Komm!« Irgendetwas schnürte mir die Kehle zu. Ich habe es geahnt. Kaddoko kann es sich nicht leisten, uns leben zu lassen. Ich wusste, dass die anderen Gefangenen heimlich aufatmeten, well es nicht sie, sondern mich getroffen hatte. Ich kann es ihnen nicht verübeln. »Nein«, sagte Fartuloon verzweifelt. »Nein, das lasse ich niemals zu.«
Der Roboter trat blitzschnell auf mich zu und packte mich, bevor ich ausweichen konnte. Ich verlor den Boden unter den Füßen. Wild schlug ich mit den Fäusten nach dem Metallkopf, um mich zu befreien, aber ebenso hätte ich versuchen können, einen Berg umzustoßen. »Nein. Ihr dürft das nicht zulassen. Packt ihn. Los doch.« Der Bauchaufschneider stürzte sich von hinten auf den Automaten und versuchte, ihn umzureißen. Es gelang ihm nicht. Er setzte seine unglaublichen Kräfte ein, umklammerte den Roboter, um ihn auszuheben. Aber auch jetzt blieb er erfolglos, obwohl ich ihn nach Kräften unterstützte. Der Automat stieß mit einem Arm nach hinter, traf Fartuloon am Kopf und schleuderte ihn zu Boden. Ich stemmte mich mit beiden Füßen gegen die Tür, doch die Maschine versetzte mir einen kräftigen Stoß, so dass ich in hohem Bogen auf den Gang hinausflog. Donnernd schloss sich die Tür hinter dem Roboter. Ich hörte, dass Fartuloon mit den Fäusten gegen das Schott hämmerte und wie ein Wahnsinniger schrie. Ich stand zwischen drei Kampfrobotern und sah ein, dass jeder Widerstand sinnlos war. »Wenn du dich wehrst, müssen wir dir die Arme brechen!« Ich ließ die Arme hängen. Mit blinder Gewalt kam ich gegen die Roboter nicht an. Sollte sich überhaupt noch eine Gelegenheit bieten, konnte ich sie nur nutzen, wenn ich jetzt auf sinnlosen Kampf verzichtete. »Bringt mich nach oben!« Einer der Automaten wies mir mit einem Handlungsarm die Richtung. Ich drehte mich um und ging los. Von Schritt zu Schritt steigerte sich meine Verzweiflung. Ich war nicht bereit, mich mit meinem Tode abzufinden. Noch suchte ich mit aller Macht nach einem Ausweg. In einem Antigravschacht schwebte ich zwischen zwei Robotern nach oben. Auch hier ergab sich keine Chance, irgendetwas zu tun. Dann ein kreisrunder Vorraum: Zwei Kampfroboter standen an den
beiden Ausgängen. Meine Eskorte führte mich weiter durch einen Gang bis zu einem Schott. Hier blieben sie stehen, ohne dass etwas geschah. »Was ist los? Warum geht es nicht weiter?« Sie antworteten mir nicht. Ich blickte mich um. Nichts hatte sich verändert. Die beiden Maschinen bewachten mich. Weiter hinten standen die anderen Automaten. Wohin hätte ich fliehen sollen? Als sich das Schott öffnete, fuhr ich herum. Mein Herzschlag beschleunigte sich, obwohl mein Logiksektor Aussichtslosigkeit signalisierte: Finde dich damit ab, Kristallprinz. Ein schmales Plateau lag vor mir. Von hier aus waren es nur noch fünfzig Schritte bis zum Abgrund. Ein steifer Wind wehte von Südwest. Er war feucht und heiß. In heftigen Böen wühlte er die See auf, die von Schaumkronen bedeckt war. Am Horizont erkannte ich ein Segelschiff. Es hatte schwer zu kämpfen und schien immer wieder in den Wellen zu versinken; an Bord befanden sich zweifellos Abenteuerurlauber. Jedes Mal, wenn ich schon glaubte, dass es untergegangen sei, tauchte es wieder auf. Ein Schwarm von Sturmvögeln zog dicht über den Wellen dahin. Ihr weißes Gefieder hob sich deutlich von dem dunklen Grün ab. In wenigen Augenblicken schon würde ich in die Tiefe geschleudert werden. Die See würde mich fortschwemmen und alle Spuren beseitigen. Kaddoko konnte dem Ökonomen gegenübertreten. Freemush würde ihm den Mord nicht nachweisen können. Der Gesandte des Imperators würde von niemandem erfahren, mit welchen Mitteln der Gouverneur versucht hatte, an die Macht zu kommen. Ein Stoß in den Rücken trieb mich nach vorn. Es begann zu regnen. Tropfen peitschten mir ins Gesicht. Was soll ich tun? Soll ich zur Kante rennen und versuchen, nach unten zu klettern? Sie schießen mich ab wie einen tollwütigen Bekkeran. Ich will aber nicht aufgeben… Kann
nicht… Ich stand im Regen, dachte einen irrealen Wimpernschlag fang an meine geliebte Farnathia und sah mich um. Zwanzig Meter entfernt hatte sich ein anderes Schott geöffnet. Zwei Männer stolperten heraus und blieben auf dem Plateau stehen, starrten mit leeren Augen zu mir herüber. Sie hatten sich schon aufgegeben, das war ihnen deutlich anzusehen. Ein dumpfes Geräusch ließ mich herumfahren. Kolcho stürzte aus einem Schott, war nur zehn Schritte entfernt, und auch er blickte mich an. Seine Augen leuchteten wie blaue Lampen. Ich zweifelte an mir selbst. Bin ich schon so weit, dass ich den Verstand verliere? Du bist völlig klar, stellte mein Extrahirn fest. Kolcho lächelte geradezu heiter, als ginge ihn das alles gar nichts an. »Du siehst, mein Freund, es war sinnlos, mir das Leben zu retten. Ich hätte es hinter mir gehabt. Du hast mich nur gequält.« Die beiden Männer zu meiner Rechten schreien auf. Ich fuhr herum. Die Schotten hinter uns hatten sich geschlossen. Nur noch ein Kampfroboter stand vor der Felswand. Neben ihm ragte der von blauen Kabelbündeln umgebene Kegel eines Prallfeldprojektors aus der Wand. Ich glaubte, die Druckfelder förmlich sehen zu können, die von ihm ausgingen. Sie hatten einen der beiden Männer erfasst und trieben ihn erbarmungslos auf die Kante zu. Er warf sich zu Boden, versuchte sich festzukrallen oder zur Seite auszuweichen. Kaddokos Todesmaschinerie war stärker. Wie ein welkes Blatt im Wind, so trieb er auf den Abgrund zu. Unwillkürlich blickte ich die Felswand hinauf. Dort oben standen Kaddoko und einige seiner Offiziere. Er grinste geradezu teuflisch zu mir herab. Der Mann wurde über die Kante hinausgepresst und stürzte in die Tiefe. Ich hörte den Schrei, den Aufschlag. Mir wurde
übel. Der zweite Mann hatte sich auf den Boden geworfen, krallte sich an einem kleinen Felssockel fest, aber das half ihm nichts. Das projizierte Kraftfeld riss ihn mit unwiderstehlicher Macht hoch und trieb ihn fort. »Halt! Aufhören!«, brüllte ich verzweifelt. »Kaddoko! Schluss damit!« Er beachtete mich nicht, sondern blickte auf den Mann, der in den Tod geschleudert wurde. Jetzt war ich dran. Keuchend drehte ich mich um, sah ein, dass ich verloren war. Es gab keinen Ausweg mehr! Meine Gedanken richteten sich auf Fartuloon, meinen väterlichen Freund, der für mich gesorgt hatte, seit mein Vater auf Erskomier ermordet worden war. Ich wusste, dass er unerträgliche Qualen erlitt. Er wäre lieber vor mir gestorben, als hilflos irgendwo da unten in einem Verlies zu stecken. Ich fürchtete, dass er den Verstand verlor. Famathia! Ich hatte sie aus den Klauen Sofgarts retten können. In Richmonds Schloss war sie derzeit in Sicherheit; der Tiermeister Corpkor war bei ihr. Ich… Das Energiefeld packte mich. Ich wurde umgeworfen und prallte auf den schartigen Boden. Wütend sprang ich auf, weil ich nicht als hilfloses Bündel behandelt werden wollte, aber die Kraft des Projektors war stärker. Sie schleuderte mich abermals auf den Fels. Rasend schnell rückte die Kante näher. Ich zerbiss mir die Lippen, well ich nicht schreien wollte. Und dann ertappte ich mich dabei, dass ich meine Finger doch in den Fels krallte und mich bemühte, irgendwo Halt zu finden. Die Instinkte spielten meinem Stolz einen Streich. Für einen Moment verharrte ich tatsächlich auf dem Fleck, doch dann purzelte ich weiter. Der Abgrund… Meine Beine rutschten über die Kante – als plötzlich der Druck wich. Keuchend klammerte ich mich an das feuchte Gestein. Atemlos vor Schwäche zog ich mich hoch, bis ich flach auf dem Bauch am Abgrund lag. Es genügt
Kaddoko nicht, mich zu töten, durchfuhr es mich. Vorher will er mich quälen. Er will mich leiden sehen. Vielleicht erwartet er, dass ich um mein Leben bettele. Der Regen prasselte auf meinen Rücken. Der Tato und seine Begleiter standen im Trockenen. Sie genossen das erbärmliche Schauspiel. Ich stand auf, meine Knie zitterten. Nichts behinderte mich dabei. Vor Schwäche taumelte ich ein wenig, stieß mit der Schulter gegen ein unsichtbares Hindernis. Ich streckte die Hand aus und berührte das Prallfeld. Jetzt hob ich auch den linken Arm. Auch auf dieser Seite ragte eine unsichtbare Wand auf. Als ich einige Schritte von der Felskante wegging, merkte ich, dass ich mich am Ende eines »Korridors« befand. Vom anderen Ende näherte sich langsam der Kampfroboter. Kaddoko reichte es noch nicht. Er will mich von dem Automaten in die Tiefe stürzen lassen. Ich verhielt mich so, wie er es vermutlich erwartete: Im ersten Schrecken versuchte ich, die Energiewand zu überwinden, aber sie war zu hoch. Warte, sagte der Extrasinn. Du kannst nichts anderes tun. Ich folgte der Vernunft und überlegte. Fartuloon hatte mich in vielfacher Hinsicht geschult, hinzu war die Vorbereitung zur ARK SUMMIA auf Largamenia gekommen. Der Bauchaufschneider hatte mich auf alle möglichen Kampfsituationen vorbereitet. Auch mit Robotern hatte ich trainiert. Das konnte Kaddoko nicht wissen. Ich hatte eine kleine Chance, diesen Automaten zu besiegen, aber nur dann, wenn ich schnell und entschlossen handelte. Ich blickte mich um und stellte fest, dass ich zu weit von dem Abgrund entfernt war. Vorsichtig wich ich vor dem Roboter zurück, um Kaddoko glauben zu lassen, dass ich Angst hatte. Die Maschine hob die beiden Handlungsarme, die mit Händen und Fingern ausgestattet waren. Kräftemäßig war sie mir zehn- oder gar hundertfach überlegen, aber sie war nicht
so schnell und gelenkig wie ich. Sie verfügte zwar über eine Positronik, die blitzschnell entscheiden und befehlen konnte, aber sie war nicht in der Lage, diese Entscheidungen ebenso schnell in Bewegung umzusetzen. Die Langsamkeit einer plumpe Mechanik minderte den Wert dieser Maschine, die auf Kraft und psychologische Wirkung ausgelegt war. Jeder andere Delinquent hätte sich in seiner Panik vermutlich dem Zugriff des Automaten ausgesetzt. Sobald dieser aber seine Kraft einsetzen konnte, war es zu spät. Kein Muskel widerstand der Hebelmechanik eines solchen Roboters. Als die Metallklauen auf mich zustießen, ließ ich mich fallen. Sie glitten über meine Schultern hinweg. Mit der linken Hand packte ich den rechten Unterarm des Automaten und warf mich mit aller Kraft nach links. Dadurch drehte ich den Roboter und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Natürlich versuchte er sofort, diesen Nachteil auszugleichen. Bevor er aber seinen angehobenen rechten Fuß wieder auf den Boden bringen konnte, stemmte ich mich gegen die Maschine. Der Roboter kippte tatsächlich über den Rand und stürzte in den Abgrund. Als er auf die Felsen prallte, schoss eine Stichflamme aus seinem Körper. Ich drehte mich um und sank auf die Knie. Ein Splitterschauer fegte jaulend über mich hinweg. Kolcho schrie begeistert auf. Als ich den Kopf hob, sah ich, dass er mir zuwinkte. Kaddoko aber zog seinen Luccot und richtete ihn auf mich. In diesem Moment blitzte es hinter mir auf. Ein Thermostrahl zuckte über den Palast hinweg. Der Gouverneur ließ irritiert seine Waffe sinken, blickte erblassend zu den Wolken hinauf. Ich wandte den Kopf. Überall kamen Gleiter aus dem Regen. Wohin ich auch blickte, überall waren Flugzeuge. Sie rasten heran und landeten auf dem Plateau, auf dem Felsen und auf den Dächern des Palastes. Plötzlich wimmelte es von blau
uniformierten Raumsoldaten. Ich eilte auf Kolcho zu, als ein nadelfeiner Energiestrahl an mir vorbeischoss. Mit einem weiten Satz sprang ich nach vorn und rollte über den Boden. Die Prallfelder bestanden nicht mehr. Im Fallen beobachtete ich Kaddoko, der erneut auf mich zielte. Wieder schnellte ich mich weiter und entging dem Tode abermals. Ich feind hinter einem Gleiter Deckung. Kolcho kam zu mir. »Weiter«, rief er keuchend. »Der Tato kommt.« Ich hörte Schreie. Eine dunkle Stimme brüllte Befehle. Mehrere Schüsse fielen. Dann tauchten Soldaten bei uns auf, die uns umzingelten. »Alles in Ordnung«, sagte einer von ihnen. »Wir haben Kaddoko entwaffnet.« Zögernd kamen wir hinter dem Gleiter hervor. Ich hörte, dass im Palast noch immer gekämpft wurde. Wiederholt zuckten Energiestrahlen in den regenverhangenen Himmel und erzeugten Dampfwolken. Einige Gebäude des Palastes brannten. Ein ranghoher Orbton trat auf mich zu und musterte mich mit schmalen Augen. »Ich würde gern wissen, warum Kaddoko Sie hinrichten wollte.« »Das ist nicht schwer zu erraten. Wir haben herausgefunden, dass er den Generalbevollmächtigten des Tai Ark’Tussan, Fertomash Agmon, ermordet hat. Er wollte sein Nachfolger werden.« Der Offizier nickte, und ich atmete auf. Seine Reaktion verriet mir, dass er mir glaubte. Vielleicht hatte Freemush sogar schon herausgefunden, was Kaddoko getan hatte. »Setzt euch in einen Gleiter und wartet, bis alles ruhig ist. Haltet euch aus den Kämpfen heraus.« Sie entfernten sich. Kolcho und ich ließen uns in die Polster sinken. Durch das offene Fenster wehte der Regen herein. Ich schloss es. Der Blauäugige legte mir die Hand auf die Schulter. »Du hast mir einmal geholfen. Willst du mir noch einmal
helfen?« »Wenn ich es kann – gern.« »Freemush ist nicht gerade mein Freund. Ich verdanke ihm zwar mein Leben, aber er hat sicherlich nicht eingegriffen, weil er mich erkannt hat, sondern well er Kaddoko wollte. Ich fürchte, wenn er mich sieht, wird es ungemütlich für mich.« »Was soll ich tun?« »Ich werde verschwinden und die Felsen hinunterklettern. Ohne Hilfe bin ich dort unten aber verloren. Komm zu mir, sobald du kannst. Vielleicht kannst du einen Gleiter organisieren.« »In Ordnung. Ich werde alles tun, was ich kann. Nur noch eine Frage: Was ist zwischen dir und Freemush passiert?« »Das ist eine zu lange Geschichte. Ich erzähle sie dir später. Ich habe auf seinem Raumschiff gedient, als Bordingenieur, vor Jahren. Als sich eine Gelegenheit ergab, verschwand ich, kam hierher nach Jacinther. Freemush ist keineswegs besser als Kaddoko.« »Orbanaschol arbeitet mit seltsamen Leuten zusammen.« Er packte mich am Kragenaufschlag und starrte mich zornig an, ließ mich aber sogleich wieder los »Orbanaschol ist ein Ehrenmann«, sagte er heftig. »Sag nichts gegen ihn, wenn wir Freunde bleiben wollen. Er kann nichts dafür, dass Männer wie Freemush zu so hohem Einfluss gekommen sind.« »Schon gut.« Er nickte mir zu und sprang aus dem Gleiter. Hastig eilte er davon. Ich sah ihn zwischen den Felsen verschwinden. Gern hätte ich ihm die Augen geöffnet, aber Kolcho war nun ein wichtiger Mann für mich. Er kennt das Raumschiff mit dem der Ökonom gekommen ist! Von ihm kann ich Informationen von unschätzbarem Wert bekommen. Eine massige Gestalt tauchte vor mir auf. »Modoff!« Ich habe meinen Freund Fartuloon niemals zuvor so
gesehen. Er war fassungslos vor Glück, mich lebend zu sehen. Und dennoch wahrte er, wie sein Ausruf bewies, unsere Tarnung. Als der Kampf um Kaddokos Palast schon entschieden zu sein schien, flackerte er unversehens wieder auf und entwickelte sich zu einer Schlacht, in der die Kampfroboter des Gouverneurs ein gewichtiges Wort mitredeten. Irgendwie hatte es einer der Offiziere Kaddokos geschafft, die Roboterkammern zu öffnen und die Maschinen zu aktivieren. Plötzlich tauchten sie überall auf und schossen auf alles, was sich bewegte. »Wir müssen weg hier!«, brüllte der Bauchaufschneider. Er riss mich förmlich aus dem Gleiter heraus und hetzte mit mir bis zu der Felsengruppe, hinter der auch Kolcho verschwunden war. Wir eilten unter einige wild wuchernde Büsche und warfen uns zu Boden. Der Palast glich einem Trümmerfeld. Überall explodierten Kampfmaschinen, die bei ihrem Ende weitere Zerstörungen anrichteten. Allmählich zeichnete sich ein Sieg der Truppen von Freemush ab. Da öffneten sich in der steil abfallenden Felswand einige verborgene Schotten. Zwanzig Gleiter aller Größenordnungen jagten nacheinander hervor, schwärmten fächerförmig aus und entfernten sich schnell. »Die Bekkar verlassen das Schiff«, brummte Fartuloon. Der Ökonom hatte mit einem derartigen Ausbruchsversuch gerechnet. Unversehens senkten sich etwa einhundert Kampfgleiter und Flugpanzer aus den niedrig hängenden Wolken herab und eröffneten das Sperrfeuer auf die fliehenden Maschinen. Wohin wir auch blickten, überall blitzten die Strahler auf, und überall explodierten die Gleiter. Ein feuerroter Rauchvorhang senkte sich über das Meer. Danach wurde es still, Auch im Palast wurde nicht mehr gekämpft. Wir erhoben uns und kehrten langsam zu dem
Gleiter zurück, in dem ich gesessen hatte. Jetzt zeigte sich, dass Fartuloons Entscheidung richtig gewesen war: Das Flugzeug war nur noch ein brennender Trümmerhaufen. Es hatte einen Volltreffer erhalten, den wir nicht überlebt hätten, wären wir in ihm geblieben. »Wir haben noch einmal Glück gehabt«, sagte Fartuloon. »Wir sollten uns aus dem Staub machen und zu Morvoner und Eiskralle zurückkehren. Vielleicht ist das Schiff der Piraten noch nicht wieder gestartet…« Ich schüttelte den Kopf. »Du weißt, dass ich etwas anderes plane.« Er blickte mich kopfschüttelnd an. »Du willst wirklich versuchen, in das Schiff zu kommen?« »Genau das.« »Das heißt, das Glück zu versuchen. Sei vernünftig. Es gibt Unternehmen, auf die man sich nicht einlassen darf. Sieh dich doch um. Freemush ist ein Mann, der hart zuschlägt, wenn es darauf ankommt. Er fackelt nicht lange, und er schont seine Feinde nicht. Deutlicher hätte man dir gar nicht demonstrieren können, mit wem du es zu tun hast.« Ich lächelte nur, als hätte ich seine Worte nicht gehört. Er schnaufte erregt. »Aber nein – du willst ausgerechnet in sein Schiff, es in deine Gewalt bringen und Freemush entführen.« »Alles ist möglich«, sagte ich. »Das sind deine Worte! Und unsere Chancen sind gut, well Freemush überhaupt nicht damit rechnet, dass jemand etwas Derartiges versuchen könnte.« Er legte mir die Hände auf die Schultern. »Sei vernünftig, Junge. Er ist mit sechshundert Robotkampfraumschiffen gekommen. Dagegen kannst du überhaupt nichts ausrichten.« »Ich will nicht sechshundert Schiffe an mich bringen, sondern nur eins.« »Junge«, sagte er beschwörend. »Glaubst du wirklich, dass
die positronischen Kommandogehirne tatenlos zusehen, wie du mit dem Flaggschiff verschwindest? Sie werden dich hartnäckiger als jeder Arkonide bis ans Ende der Öden Insel jagen und dann doch erwischen. Du kannst ihnen nicht entkommen.« Ich lächelte. »Ich habe einen Plan, Lehrmeister!« »Hah – ich sollte dir wie in alten Zeiten das Fell versohlen«, sagte er brummig. »Ich entsinne mich nicht, dass so etwas je passiert ist.« »Wirklich nicht?«, fragte er mit einem verdächtigen Blinzeln. »Dann wird es höchste Zeit.« Ein Soldat des Ka’Mehantis näherte sich. »Ihr könnt jetzt in den Palast kommen- oder in das, was davon noch übrig ist. Der Hochedle will euch alle sehen.« Der Mann, der als Mitglied des Zwölfer-Rates das Wirtschaftsgeschehen im Großen Imperium lenkte, war sehr groß. Zugleich war er sehr hager. Sein Kopf war völlig kahl, aber er verzichtete darauf, sich künstliches Haar einpflanzen zu lassen. In gelassener Haltung stand er im Innenhof des Palastes. Mehrere Orbtonen und Kampfroboter schirmten ihn ab, so dass ein Attentat ausgeschlossen war. Fartuloon und ich gesellten uns zu etwa einhundert freigelassenen Männern und Frauen. Die meisten von ihnen waren völlig zerlumpt. Sie sahen verhungert, krank und heruntergekommen aus. Fast alle waren Arkoniden. »Wir sind nach Jacinther Vier gekommen, um hier Ordnung zu schaffen«, begann der Mann mit lauter, durchdringender Stimme. »Wie Sie sehen, haben wir erreicht, was wir wollten. Kaddoko wurde verhaftet und wird verurteilt werden. Die Beweise reichen völlig aus. Er hat den Erhabenen Agmon ermordet, well er hoffte, dessen Nachfolger zu werden. Wir aber werden keinen der hiesigen Tatos als Generalbevollmächtigten des Tai Ark’Tussan einsetzen. Ich
habe meinen eigenen Mann mitgebracht, der dieses Amt übernehmen wird.« Er machte eine Pause und wartete die Wirkung seiner Worte ab. Er genoss es sichtlich, uns Freigelassene über die Ereignisse und seine Macht aufzuklären. »Von jetzt an wird hier also ein Mann die Geschicke leiten, der Imperator Orbanaschol treu ergeben ist und auf den wir uns verlassen können.« Abermals blickte er sich um. Dann hob er die Stimme und rief: »Sie alle sind frei und können gehen, wohin Sie wollen. Sie können sich irgendwo auf Jacinther niederlassen, wo es Ihnen gefällt. Sie können aber auch an Bord meines Schiffes CAISED diesen Planeten verlassen. Ich stelle es Ihnen frei.« Die meisten der ehemaligen Gefangenen jubelten. Ich stieß Fartuloon meinen Ellbogen in den Bauch. »Das ist es«, flüsterte ich. »Besser hätte es gar nicht kommen können.« »Du bist verrückt«, antwortete er so leise, dass nur ich ihn verstehen konnte. »Sie können sich mit dem versorgen, was Sie hier im Palast noch vorfinden«, rief Freemush. »Sie dürfen alles mitnehmen – ausgenommen Waffen, Roboter und Fahrzeuge.« Fartuloon trat vor. »Ich habe einen Wunsch. Ich möchte mein Skarg zurück. Das ist mein persönliches Eigentum, und ich werde es niemandem überlassen.« Er musste erst einmal erklären, was das Skarg war, dann erteilte Freemush die Genehmigung, ihm das »museale Dagorschwert« auszuhändigen. Ich erhielt meine Waffe nicht, sondern bekam lediglich ein Multifunktionsmesser. Es war nicht mehr als ein Werkzeug, aber ich konnte es gut gebrauchen. »Eine Frage noch«, sagte Fartuloon, als er das Skarg in die Scheide schob. Freemush blickte ihn unwillig an. »Was gibt es denn noch, Bras’cooi?«
»Wenn man auf die CAISED will, wie kommt man dahin, Hochedler?« »Zu Fuß«, entgegnete der Ökonom mit einem abfälligen Lächeln. »Und wo ist das Schiff?« »Auf dem Raumhafen von KevKev.« »Wenn er wüsste, wer ihn wirklich sprechen will, würde er auf der Stelle hier erscheinen«, murmelte Fartuloon. Er ging auf einen der Männer zu, die den Arbeitsraum bewachten, und sagte: »Wenn wir nicht sofort vorgelassen werden, wird dir der Hochedle den Kopf abreißen.« Er gab mir einen energischen Wink. Ich ging an den Wachen vorbei, als sei ich der Befehlshaber. Neben dem Bauchaufschneider betrat ich den einfach eingerichteten Raum, den vormals Kaddoko benutzt hatte. Über einen sorgfältig geschliffenen Marmorfußboden näherten wir uns dem Ökonomen. Freemush blickte uns ausgesprochen unwillig entgegen. »Was gibt es?« Die beiden Orbtonen, die bei ihm standen, zogen ihre Strahler. Sie schienen ein Attentat für nicht ausgeschlossen zu halten. »Hochedler«, sagte Fartuloon und verneigte sich so unterwürfig, dass ich fast gelacht hätte. »Wir haben eine Bitte.« »Ich habe keine Zeit, also wendet euch an einen meiner Orbtonen.« Er wies zur Tür. Fartuloon ließ sich nicht beeindrucken. »Das habe ich bereits getan«, schwindelte er. »Sie wagten es nicht, selbst darüber zu entscheiden. Es geht um zwei Freunde. Sie befinden sich auf Kortasch Auromt. Ich weiß, dass sie diesen Planeten einer heute als morgen verlassen wollen.« »Was geht das mich an?« »Nichts«, gab der Bauchaufschneider zu, wobei er so tat, als
sei er über diese Entdeckung selbst verblüfft. Ich wunderte mich, dass Freemush ihn noch nicht hinausgeworfen hatte, aber es schien gerade die naive Unverfrorenheit Fartuloons zu sein, die ihn daran hinderte. »Wir wollen sie holen und zur CAISED bringen. Da aber das Meer zwischen KevKev und der Großinsel liegt… Nun, wir benötigen also einen Gleiter, haben aber keine Chronners und…« »Ihr bekommt keinen.« »Draußen liegen die Trümmer von etlichen Gleitern herum, aus denen sich sicherlich ein funktionstüchtiges Fahrzeug zusammenbauen lässt. Es wird selbst dann nicht viel mehr als ein Wrack sein, aber für uns wird es so gut wie neu. Darum geht es mir. Gebt mir die Genehmigung, die Wracks auszuschlachten, Hochedler.« »Einverstanden. Und nun verschwinde, Fettsack!« Fartuloon verneigte sich tief. »Ich danke dem edlen Herrn.« Seine Stimme hörte sich an, als sei er ergriffen ob solcher Großzügigkeit. Ich aber wusste, dass er sich schwor, Freemush den »Fettsack« heimzuzahlen. Vor allem: Er hatte ein wenig zu sehr übertrieben. Freemush wurde argwöhnisch. Ich sah es ihm deutlich an. Deshalb legte ich meinem Freund die Hand auf die Schulter. Er begriff sofort, drehte sich um und ging mit mir zusammen hinaus. Als wir zwischen den Trümmern der Fahrzeuge standen, grinste er mich an. »Das war wohl ein bisschen zu dick auf getragen, wie?« »Los – an die Arbeit«, drängte ich. Keiner der anderen Freigelassenen dachte daran, sich auf ähnliche Weise zu versorgen. Sie hatten den Palast geplündert und alles an sich genommen, was die Männer des Ökonomen nicht schon vorher für sich selbst beansprucht hatten. Vom Plateau aus konnte man sie davonziehen sehen. In Gruppen von vier bis zehn Mann wanderten sie in das Tiefland hinaus, wo man sie noch eine Weile beobachten konnte.
Ich dachte nicht daran, mich mit geplündertem Gut zu beladen. Je weniger ich bei mir hatte, desto besser würde ich vorankommen. So machten Fartuloon und ich uns an die Arbeit. Wir nahmen uns einen Gleiter vor, bei dem die Karosserie noch weitgehend unbeschädigt war. Ein Energiestrahl war durch die Scheiben hindurchgeschlagen und hatte sie zerstört. Der Antrieb hatte einen Volltreffer erhalten, war jedoch nicht explodiert. Er musste ausgebaut werden. Die KSOL aber schien noch in Ordnung zu sein. Vielleicht konnte die Maschine nicht mehr vollautomatisch fliegen, aber das sollte uns nicht stören. Wir benötigten zwei planetare Tage, bis der Gleiter startbereit war. Weil ich Kolcho nicht so lange hatte warten lassen wollen, verständigte ich ihn, sobald sich dazu die Gelegenheit ergab, und brachte ihm auch Essen und zu trinken. Er wartete nun auf mich; sein Ziel war Etset-KevKev, die Stadt beim Raumhafen. »Wunderbar«, rief Fartuloon, als wir abschließend sogar noch neue Glassitscheiben eingesetzt hatten. »Besser geht’s nicht. Wir können einsteigen und zu unseren Freunden fliegen.« »Das könnten wir«, gab ich lächelnd zu, »aber das werden wir nicht.« Er blickte mich verblüfft an. »Sondern?« »Nur du fliegst zu Morvoner und Eiskralle. Ich mache mich auf den Weg zur CAISED.« »Ich wusste es. Du bist total übergeschnappt.« »Du wirst an Bord der GROVEMOOS gehen und zur Sogmanton-Barriere zurückkehren.« Über das positronische Informationsnetzwerk hatten wir herausgefunden, dass das Piratenschiff noch nicht gestartet war und noch auf BroschaanRaumhafen stand. Er sagte eindringlich: »Ich verstehe deinen Eifer, aber ich
muss dir sagen, dass du zu weit gehst. Zur guten Taktik gehört auch ein Rückzug, wenn man erkennt, dass die Schlacht nicht zu gewinnen ist. Und diese kannst du nicht gewinnen.« »Doch! Leb wohl!« Ich reichte ihm die Hand. »Du hörst bald von mir…« Für einen Augenblick schien es, als wolle er mir die Faust unter das Kinn setzen, um mich zu betäuben und in den Gleiter zu werfen. Als er mir jedoch in die Augen blickte, sah er ein, dass er damit nichts erreichen konnte. Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Sieh dich doch um. Freemush ist so gut abgeschirmt, dass niemand nahe genug an ihn herankommt, um ihn zu entführen.« »Die GROVEMOOS wird sehr bald folgenden Funkspruch erhalten«, sagte ich, als habe ich nichts gehört. »Kristallprinz! Nur das eine Wort. Nicht mehr. Wenn ich dieses Wort sende, habe ich Freemush.« »Warum verlangst du nicht gleich, dass ich die ganze Flotte vernichte?« »Das wäre ein wenig zu viel verlangt, findest du nicht auch? Aber deine Idee hat dennoch was für sich und ist in meinem Plan berücksichtigt…« Er stöhnte verzweifelt. Ich reichte ihm die Hand. Er versuchte, mich erneut zu halten, doch ich löste mich von ihm. »Danke, Lehrmeister. Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Das macht mich zuversichtlich. Denk daran: Ich habe einen Plan!« Ich nahm das Bündel Konzentratnahrung, das ich in einem anderen zerstörten Gleiter gefunden hatte, und ging. Fartuloon blickte mir zweifellos nach, aber ich drehte mich nicht um. Ich wollte nicht zu viel Aufsehen machen, denn ich bemerkte, dass einige Offiziere auf den Mauern des Palastes standen und uns beobachteten. Wenig später schon startete der Bauchaufschneider. Er flog dicht an mir vorbei, winkte mir
grüßend zu und bog dann ab. Die Maschine raste auf das Meer hinaus und verschwand schnell in den tief hängenden Wolken. Fast 8500 Kilometer Flug lagen vor ihm. Kolcho kam hinter einigen Felsen hervor, als er sicher war, dass man ihn vom Palast aus nicht sehen konnte. Seine Augen schimmerten nun so eigenartig, dass sie mich an das zerstörte Phalaym erinnerten, jene Säule, die in den Piratennestern von Richmonds Schloss angebetet worden war. »Gehen wir«, sagte er. »Der Raumhafen liegt nahe der Südküste der Halbinsel. Wir können ihn kaum verfehlen, wenn wir immer genau nach Südosten gehen. Sobald wir das Meer wieder sehen, ist die CAISED nicht mehr zu verfehlen. Sie hat immerhin zweihundert Meter Durchmesser. Aber wir werden einige Tage unterwegs sein.« Rund dreihundert Kilometer! Ich reichte ihm einige Konzentratriegel und einen Beutel mit Wasser. Er aß und trank langsam. Ich beobachtete ihn verstohlen. Er sollte nicht argwöhnisch werden und sich nicht vor mir verschließen. Er ist auf der CAISED gewesen und kann mir daher Informationen geben, die ich dringend benötige. Bis jetzt hatte ich nicht den Eindruck, dass er freiwillig damit herauskommen würde. Ich musste sie ihm herauslocken. Deshalb ließ ich mir Zeit. Nichts wäre unklüger, als ihn sogleich mit Fragen zu bestürmen. Der Boden war weich und nachgiebig unter unseren Füßen. Dichtes Gras bedeckte ihn. Wir kamen zunächst nur langsam voran, zumal wir immer wieder sumpfige Stellen umgehen mussten. Wie notwendig das war, bewiesen uns einige Kleidungsstücke, die auf der tückischen Oberfläche lagen. Die Spuren zeigten, dass hier wenigstens ein Mann versunken war, ohne dass andere ihm hatten helfen können. »Wenn meine Augen nicht wären, würde ich an Bord der CAISED gehen«, sagte Kolcho plötzlich. »Ich hasse diese Welt mit ihren vielen Stürmen, Gewittern und überraschenden
Wetterumschlägen. Dazu die politischen Verhältnisse, die alles andere als angenehm waren. Ich bin schon viel zu lange hier.« »Vielleicht können wir dir Kontaktlinsen besorgen?« Er schüttelte den Kopf. »Sie würden schmelzen.« Ich blickte ihn erstaunt an, aber er ging nicht weiter auf dieses Thema ein, obwohl er sich denken konnte, wie sehr es mich interessierte. Stattdessen fragte ich: »Warum ist es so gefährlich für dich an Bord der CAISED?« »Lassen wir das«, wich er aus. »Es ist so. Das genügt.« Ich musste seinen Wunsch, nicht über diese Frage zu sprechen, respektieren. Er wies auf den Dschungel am Horizont. »Dort wird es unangenehm. Wir müssen gut aufpassen, wenn wir mit heiler Haut durchkommen wollen.« »Tiere?« »Nicht nur das. Einige Pflanzen sind noch angriffslustiger. Aber das hängt von uns ab.« Wir bemerkten eine Schlange, die etwa doppelt so lang war wie ein ausgewachsener Mann. Sie lag im metallisch schimmernden Gras und genoss die spärlichen Sonnenstrahlen, die die dicke Wolkendecke durchdrangen. Wir schlugen einen Bogen, um sie zu umgehen. Nach wenigen Schritten hatten wir den Waldrand erreicht. Ich drehte mich um und blickte zum Palast Kaddokos zurück. Flammen brachen aus ihm hervor. Freemush ließ anzünden, was noch heil geblieben war. Einige Gleiter stiegen auf. »So ist er, der Herr Ökonom«, sagte Kolcho erbittert. »Er kann nichts anderes als brennen und vernichten, obwohl seine Aufgabe doch der Aufbau ist. Vermutlich dreht er durch, wenn er nicht ab und zu wieder etwas zerstören kann.« Er blickte mich an und fuhr fort: »Ich habe es oft genug erlebt.« Danach wandte er sich um und ging in das Unterholz. Ich folgte ihm. Nach einiger Zeit blieb er unter einem schlanken Baum stehen, der mit hellroten Blüten bedeckt war. Sie
wuchsen kelchförmig aus dem Stamm und den Ästen hervor. »Ich muss dich vor aggressiven Gedanken warnen. Einige Pflanzen reagieren darauf. Dies ist der Wald der Freundlichkeit. Am besten ist es, heiter gestimmt hindurchzugehen, aber das werden wir wohl kaum schaffen. Es genügt, wenn wir unsere Wut und Rachegedanken unterdrücken.« »Rachegedanken?« Ich lächelte, als habe ich ihn nicht richtig verstanden. »Ich denke nicht an Rache. Ich bin froh, aus dem Kerker und der Hinrichtung entkommen zu sein.« Er runzelte die Stirn, und seine Augen schienen von innen heraus blau zu leuchten. »O doch, Freund. Du planst etwas gegen Freemush, und es hat etwas mit Rache zu tun.« »Vielleicht.« »Ich würde dir sogar helfen, wenn ein Schlag gegen Freemush nicht zugleich auch Imperator Orbanaschol treffen würde. Leider ist der Ökonom ein unersetzlicher Mann für ihn.« »Und ich bin davon überzeugt, dass Freemush mit seiner Unbeherrschtheit und Unbesonnenheit Orbanaschol nur schadet. Würde er verschwinden, kann der Imperator endlich einen besseren und fähigeren Mann als Nachfolger einsetzen, ohne politische Komplikationen befürchten zu müssen.« Er schien verwirrt zu sein. Meine Behauptung war nicht mehr als ein Versuchsballon gewesen. Natürlich war nicht richtig, was ich gesagt hatte. Die politischen Zusammenhänge waren wesentlich komplizierter. Aber weil sie so subtil waren, konnte ich Orbanaschol III. mit einer Entführung Freemushs besonders treffen. Ich wollte wissen, ob Kolcho sie durchschaute, ob er die Abhängigkeiten der verschiedenen politischen Komponenten voneinander kannte und Einblick in das Spiel von Intrigen, Erpressung und wirtschaftlicher Verflechtung im Imperium hatte.
»Du bist nicht dumm«, entgegnete er zögernd. »Ich werde darüber nachdenken.« Er ging weiter. Innerlich begann ich zu triumphieren, dann dachte ich an seine Mahnung und unterdrückte alle Emotionen, die zu aggressiv waren. Der Wald war bald dicht und verfilzt, so dass der Weg außerordentlich beschwerlich war. Immer wieder mussten wir uns förmlich durch das Unterholz schneiden, um vorwärts zu kommen. Der sumpfige Boden steckte voller Würmer und Blutsauger, die über uns herfielen. Wiederholt gerieten wir an ganze Spinnenkolonien. Dann spannten sich praktisch von jedem Ast zu jedem Ast tückische und klebrige Netze. Aber Kolcho kannte sich aus. Er warnte mich jedes Mal rechtzeitig und sorgte dafür, dass wir diese tödlichen Fallen umgehen konnten. Nicht ein einziges Mal sah ich eine Spinne. Mein Begleiter verriet mir, dass sie faustgroß waren und in den Bäumen versteckt lebten, bis jemand die Netze berührte. Der Wald war grün in allen Nuancen. Nur frei stehende Bäume und Büsche trugen Blüten und Früchte. Kolcho nahm einige Male etwas Essbares von den Ästen aber, aber nicht alles schmeckte mir. Als es dunkelte, kletterten wir auf einen Urwaldriesen, der die anderen Bäume weit überragte. So hockten wir hoch über dem Blätterdach und konnten bis zur Küste zurückblicken. Ich schlief schnell ein. Kolcho rüttelte mich am frühen Morgen auf. »Gleiter! Verdammt, sie suchen mich.« Ich blickte schlaftrunken um mich und benötigte einige Zeit, bis ich begriff. Von der Küste her näherten sich uns zehn Maschinen, die breit ausgeschwärmt waren. »Wie kommst du darauf, dass sie dich suchen?«, fragte ich, während wir in aller Eile nach unten kletterten. Die Gleiter kamen so schnell näher, dass ich bereits fürchtete, es nicht mehr zu schaffen.
»Freemush wird von den anderen Gefangenen erfahren haben, dass ich in den Kerkern war.« Wir ließen uns förmlich von Ast zu Ast hinabfallen. Als ich zu den Gleitern hinüberblickte, merkte ich, dass man uns entdeckt hatte, denn alle Maschinen rasten direkt auf uns zu. Wir beeilten uns noch mehr. Unser Abstieg glich jetzt einem kaum noch kontrollierten Sturz. Mehr als einmal fand ich gerade noch Halt an einem Ast. Zweimal musste ich Kolcho stützen, damit er nicht in die Tiefe fiel. Dann blitzte es über uns auf. Der Energiestrahl schlug in den Baum und setzte ihn in Brand. Wir aber hatten den Boden erreicht und hetzten in wilden Sätzen durch das Unterholz. Zu unserem Unglück lichtete sich der Wald, so dass die Häscher immer wieder tiefen Einblick in das Gehölz erhielten. Wohin wir auch blickten, überall über uns sahen wir Gleiter. Sie jagten uns. Wir rannten durch den Dschungel, obwohl wir wussten, dass unsere Flucht keinen Sinn mehr hatte. Die Häscher feuerten in das Gehölz und entzündeten es. Ein Ring aus Feuer entstand, der uns umgab. Kolcho blieb stehen. Er rang wild nach Luft. Sein Gesicht war schweißüberströmt, und die Erregung trieb ihm Tränen in die absonderlichen Augen. »Ich will das alles nicht noch einmal erleben«, sagte er keuchend. »Bist du mein Freund?« Ich nickte. Er legte mir die Hände auf die Schultern. »Du hast ein Messer. Nimm es und töte mich, jetzt direkt! Ich will nicht noch einmal gefangen und gequält werden.« Ich sah mich um. Überall brannte der Wald. Über uns schwebten die Maschinen des Ökonomen. Ich konnte die Männer hinter den Scheiben erkennen. Sie beobachteten uns und warteten darauf, dass wir uns ergaben. »Ich werde niemals aufgeben. Niemals – selbst dann nicht, wenn alles aussichtslos zu sein scheint.« Er schob seine Hand unter seine Bluse. »Ich will dir ein
Geheimnis verraten.« »Behalte es für dich. Es nützt mir ebenso wenig wie dir, wenn wir tot sind.« »Dich wollen sie doch nicht. Sie wollen mich. Dich lassen sie sicherlich laufen… Hör zu«, sagte er beschwörend. »Ich weiß, dass es möglich ist, unsterblich zu werden!« Er starrte mich an, als erwarte er, dass ich vor Überraschung und Erregung zusammenbrechen werde. »Natürlich gibt es eine solche Möglichkeit«, entgegnete ich, ohne wirklich an meine Worte zu glauben. Wer spricht nicht alles von der Unsterblichkeit! Sie ist der große Wunschtraum aller Arkoniden. Votanthar’Fama ist der Kernbegriff vieler galaktischer Mythen und Sagen, meist wird er in Verbindung mit einer legendenumwobenen »Welt des Ewigen Lebens« genannt. Vielleicht ist Unsterblichkeit sogar das Zauberwort für alle intelligenten Lebewesen in der Öden Insel. Denn jeder weiß, dass er irgendwann sterben muss, und niemand will sich damit abfinden. »Glaube mir, ich fantasiere nicht. Es gibt ein Gerät, das die Zellen eines lebenden Körpers immer wieder regeneriert und aktiviert. Ich weiß es!« Ich drängte ihn weiter, well uns das Feuer zu nahe rückte. Die Hitze trieb uns den Schweiß aus den Poren. Da hörte ich einen Schrei, der mir einen Schauer über den Rücken jagte. Ein riesenhaftes Wesen musste ihn irgendwo in unserer Nähe ausgestoßen haben. Ich wollte fliehen, wusste aber nicht, wohin ich mich wenden sollte. Unwillkürlich krallte ich meine Hand um den Arm meines Begleiters. Solange die Gleiter noch über uns waren, hatte ich noch Hoffnung, gerettet zu werden. Ich wollte nicht im letzten Moment von einer Bestie zerrissen werden. Kolcho schrie: »Das ist unsere Chance!« Er zerrte mich mit sich. Schon nach wenigen Schritten brachen wir durch ein Gebüsch, hinter dem der Boden schräg
abfiel. Vor uns klaffte ein Loch im Boden, das übermannshoch war. Ein riesiger Echsenkopf fuhr auf uns zu, und eine mächtige, gespaltene Zunge zuckte uns entgegen. Ich starrte in einen Rachen voller messerscharfer Reißzähne. Bei dem Versuch zu fliehen rutschte ich auf den schleimigen Pflanzen aus, die den Boden bedeckten, stürzte und schlitterte direkt auf den geöffneten Rachen zu. Eine sechsfingerige Pranke senkte sich blitzschnell herab. Sie umklammerte mich und hielt mich. Ich erwartete, in den geifernden Schlund gezerrt zu werden, doch der Griff lockerte sich, und ich sank auf den Boden zurück. Über mir stand Kolcho mit gespreizten Beinen. Aus seinen Augen schienen blaue Blitze zu schießen. Er sprach auf die Riesenechse ein und sie reagierte! Das Maul schloss sich. Die rote Zunge zuckte jedoch immer wieder daraus hervor, und ihre Spitzen fuhren mir tastend über Gesicht und Brust. »Steh auf!« Kolcho zog mich vorsichtig zurück. Dabei sprach er ununterbrochen auf das Tier ein. Der mächtige Kopf war mit grünen und weißen Schuppen besetzt. Die roten Augen waren doppelt so groß wie eine Männerhand. Das Tier hatte kurze, aber außerordentlich muskulöse Beine, so dass es uns nur wenig überragte. Jetzt kam es weiter aus dem Loch hervor. Wir wichen zurück, bis es in voller Länge vor uns stand. Es war weitaus länger, als ich erwartet hatte. Der Körper war ebenfalls grünlich weiß, aber mit roten Punkten bedeckt. An den Seiten befanden sich dicke Hautfalten. Kolcho blickte nach oben. Er grinste höhnisch und winkte den Männern in den Gleitern zu. »Los jetzt!« Die Echse hatte sich umgedreht, so dass sie mit dem Kopf zuerst in das Loch kriechen konnte. Kolcho sprang von der Seite hinzu, setzte seine Füße in die Hautfalten und klammerte sich an den handlangen Hornzacken fest, die überall aus dem Rücken
hervorragten. »Los doch!« Ich sprang und klammerte mich ebenfalls fest. Meine Füße steckten zwischen den Hautfalten, wo sie erstaunlich festen Halt fanden. An den Schuppen riss ich mir die Hände auf, aber das störte mich nicht. Es gab einen fürchterlichen Ruck, so dass ich fast wieder heruntergeschleudert worden wäre. Ich krallte mich fest. Dann jagte die Echse in die Tiefe. Schlagartig wurde es dunkler. Ich blickte zurück und sah, dass die Soldaten zu spät begriffen hatten, was geschah. Jetzt schossen sie mit ihren Strahlern, aber es war zu spät. Ich schloss die Augen vor der Lichtflut, die in den Tunnel raste, uns aber nicht erreichte. »Halte dich gut fest!«, brüllte Kolcho. »Wenn du herunterfällst, bist du verloren. Diese Bestie hier habe ich unter Kontrolle, aber hier unten leben bestimmt noch zehn andere. Sie würden uns sofort töten.« Hin und wieder geriet die Echse so nahe an die Tunnelwand, dass mein Rücken daran rieb. Ab und zu schlug mir eine Baumwurzel in den Rücken, die aus dem Erdreich hervorragte. Aber das alles störte mich nicht. Ich presste mich mit aller Kraft an den Echsenkörper, dessen unglaubliche Muskeln ich unter mir spürte. Einige Male erkannte ich rot fluoreszierende Echsenaugen in der Dunkelheit. Der kaum noch erträgliche Raubtiergeruch reizte meine Schleimhäute. Ich würgte einige Male, well mir übel wurde. Neben mir hörte ich Kolcho schreien. Er benutzte eine Sprache, die ich nicht kannte. Befehligte er damit das Tier? Oder hing es mit seinen seltsamen Augen zusammen? Ich glaubte, sie in der Dunkelheit aufleuchten zu sehen. Vermutlich spielten mir meine überreizten Nerven einen Streich. Endlich, als ich mich kaum noch an der Echse halten konnte, wurde es vor uns hell. Ich erkannte eine runde Öffnung. Die Echse raste eine Schräge hinauf, Dschungel
umgab uns. Aste und Zweige scheuerten über den mächtigen Rücken und streiften uns wie lästige Insekten von ihr ab. Wir stürzten in das Unterholz. Kolcho sprang sofort wieder auf. »Komm hoch!«, schrie er mit schriller Stimme. »Auf einen Baum!« Ich gehorchte ihm blind, denn er hatte mir demonstriert, wie gut er sich auskannte. So schnell wie möglich kletterte ich hinter ihm her auf einen Baum. Aus luftiger Höhe blickten wir hinab. Unter uns jagte die Echse durch den Wald. »Sie kommt allmählich wieder zu sich. Bereits im Tunnel merkte ich, dass ich sie nicht mehr voll unter Kontrolle hatte. Sie hätte uns umgebracht, wenn sie uns unten erwischt hätte«, sagte mein Begleiter. Sein Gesicht sah eingefallen aus. Rings um die Augen hatten sich tiefe Falten gebildet. Kolcho schien innerhalb von Zentitontas um Jahre gealtert zu sein. Als ich höher auf den Baum kletterte, erkannte ich, dass wir nur eine Atempause gewonnen hatten. Die Gleiter kreisten zwar noch dort, wo der Wald brannte, einige aber schwärmten bereits aus und suchten weiter. Ein Gleiter flog direkt auf uns zu. Eilig stieg ich wieder nach unten und unterrichtete Kolcho. Er nickte nur und war keineswegs überrascht. »Mit Infrarotortung haben sie natürlich die Flucht der Echse erfasst, aber sie haben sie nicht mit uns in Verbindung gebracht. Jetzt denken sie vielleicht schon anders.« Er blickte nach unten. Unser unheimliches Transportmittel war verschwunden. »Der Merte hat sich beruhigt. Ich denke, die Echse ist in den Bau zurückgekehrt. Komm, wir gehen weiter.« Wieder ging es durch das nahezu undurchdringliche Gestrüpp, bis wir einen ausgetretenen Pfad erreichten, der sich tunnelartig durch das Grün schlängelte. Der Geruch, der ihm anhaftete, verriet mir sofort, dass er von den Echsen verwendet wurde. Weiterhin musste ich mich auf Kolcho verlassen. Er kannte sich auf dieser Welt am besten aus. Da er
auf diesem gefährlichen Weg blieb, folgte ich ihm. Ich war überzeugt davon, dass er wusste, was er tat. Dennoch blickte ich mich immer wieder um, well ich fürchtete, unversehens angefallen zu werden. Kolcho trieb mich immer wieder zur Eile an. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie unsere Spuren und schließlich auch uns gefunden haben.« Als ich nach oben blickte, entdeckte ich zufällig einen Gleiter, der in einiger Entfernung an uns vorbeiflog. Kolcho rannte einige Schritte, fuhr herum und winkte aufgeregt. Ich eilte zu ihm und sah den Kuppelbau ebenfalls, der sich mitten im Dschungel erhob. Er war nur mannshoch und wurde von Schlingpflanzen, Gräsern und Büschen fast vollkommen zugedeckt. Zugleich aber vernahm ich Schritte, die den Urwaldboden erschütterten. Herumfahrend bemerkte ich eine riesenhafte Echse, die durch den Tunnel kam. Kolcho trommelte mit den Fäusten gegen die Kuppel. Ich zog ihn zurück. »Versuch sie aufzuhalten.« »Das kann ich nicht. Ich bin zu schwach.« Der Merte raste förmlich auf uns zu. Er schien zu ahnen, dass wir ihm noch im letzten Moment entkommen konnten, sollte sich das Eingangsschott der Kuppel öffnen. In dem weit aufgerissenen Rachen blitzten die Zähne. Unwillkürlich griff ich nach meinem Messer, obwohl ich ahnte, dass ich damit nicht mal die Haut der Echse ritzen konnte. Kolcho packte mich an der Schulter. Ich spürte, dass er mich der Echse vorwerfen wollte, und stemmte mich gegen den Druck. Da glitt das Schott in der Kuppel zurück. Kolcho warf sich nach hinten und riss mich mit durch die Öffnung. Wir stürzten eine Treppe hinunter. Über uns schloss sich das Schott wieder, und mit einem ungeheuerlichen Krach prallte die Echse gegen das Gebäude, ohne allerdings etwas auszurichten. Kolcho half mir auf.
»Schon gut«, sagte ich, als ich merkte, dass er mir nicht in die Augen sehen konnte. Seine Lippen zuckten, er bat mich mit leiser Stimme: »Versuch, es zu vergessen, wenn du kannst.« »Es ist schon vergessen.« Die Stimme eines Mannes unterbrach uns. Ich drehte mich um. Vor uns stand ein verwachsener Arkonide. Er war ebenso groß wie ich, obwohl seine Beine kaum länger als meine Unterschenkel waren. Sein Oberkörper schien direkt aus dem Boden zu wachsen, und seine Schultern erreichten die doppelte Breite wie meine, obwohl diese auch nicht gerade als schmal zu bezeichnen waren. Er glich einem Umweltangepassten von einer überschweren Welt. Die Arme hatten die richtigen Proportionen zum Oberkörper, so dass die Hände fast den Boden berühren konnten. Der Kopf dagegen war so groß wie der eines normalen Arkoniden. Das Gesicht wirkte hart und war bartlos. Ich glaubte auch nicht, dass dieser Mann jemals einen Bart haben konnte, denn die Gesichtshaut war von großen roten Narben bedeckt. Das weißblonde Haar war kurz geschoren. »Willkommen in meiner Merteburg«, sagte er ironisch und schien nicht zu hören, dass sich die Echse, die uns verfolgt hatte, immer wieder gegen die Kuppel warf. »Viel später hätten Sie nicht kommen dürfen, meine Herren.« »Sie sind Parok, der Mertejäger«, sagte Kolcho atemlos. »Richtig?« »Nicht ganz. Parok stimmt, aber ich bin kein Mertejäger, sondern ein Mertemelker.« Kolcho grinste. »Als ob das ein Unterschied wäre.« »Es ist ein gewaltiger Unterschied. Ich töte keine Merte, sondern ich entnehme ihren Drüsen, die sie am Unterkiefer haben, nur eine Flüssigkeit, die man auf der Kristallwelt für ein exklusives Duftwässerchen benötigt. Mertedshin.« Er griff
nach meinem Arm, zog mich mit sich und führte mich in einen behaglich eingerichteten Raum. Kolcho folgte uns. »Ich habe die Funkgespräche der Gleiter abgehört. Man sucht diesen Mann mit den blauen Augen.« »Das ist der Grund, dass wir durch den Dschungel fliehen«, sagte Kolcho. »Können Sie uns helfen?« »Sie können auf gar keinen Fall hier bleiben. Die Gleiter werden bald hier auftauchen, und dann wird man die Kuppel durchsuchen.« »Sie haben Infrarotortung.« »Natürlich.« Parok blickte uns abwechselnd prüfend an. »In Kaddokos Palast ist einiges passiert, wie ich annehme. Hat man ihn ermordet?« »Nein, der Ka’Mehantis hat ihn verhaftet«, antwortete ich. »Er hat alle Gefangenen freigelassen und ihnen angeboten, sie mit zu anderen Planeten zu nehmen.« Parok setzte sich. Wir ließen uns ebenfalls auf die mit herrlichen Pelzen bezogenen Stühle nieder. Der Mertemelker schob ein großes Stück Fleisch in den Mikrowellengrill und schenkte uns eine rote Flüssigkeit ein, die sehr bitter schmeckte, uns aber angenehm erwärmte und erfrischte. Ich spürte schon bald nach dem ersten Schluck, wie die Müdigkeit von mir wich. »Freemush.« Parok tat, als hätten wir Zeit in Hülle und Fülle zur Verfügung. »Das ist typisch für ihn. Die Freigelassenen müssen vermutlich selbst sehen, wie sie zum Raumhafen kommen?« Ich nickte bestätigend. »Freemush ist ein Lump. Er weiß genau, dass nur ein kleiner Teil der Leute ankommen wird. Die meisten werden im Urwald und auf der Hochebene sterben. Hier wimmelt es von gefährlichen Raubtieren, Pflanzen und giftigen Insekten. Wer nicht gut ausgerüstet ist, kommt nicht durch.«
Er blickte mich an. »So ist das, Fremder. Der Ökonom kann sich rühmen, großherzig gewesen zu sein. Er ist der Mann, der die Gefangenen aus dem Kerker Kaddokos geholt hat und der es ihnen ermöglicht, Jacinther zu verlassen. Niemand wird je von den Toten sprechen, die auf dem Weg zum Raumhafen zurückbleiben. Im Großen Imperium wird man nur von positiven Taten berichten…« »Wir dürfen nicht lange hier bleiben«, unterbrach ich mahnend. Er ließ sich nicht in seinen Betrachtungen stören. »Freemush war schon immer ein Feigling. Er würde es niemals wagen, eine zu große Gruppe an Bord zu nehmen, von denen er nicht genau weiß, ob er den Leuten trauen kann. Hätte er den Mut dazu, hätte er sie mit seinen Gleitern zum Hafen gebracht.« »Das ist falsch«, sagte Kolcho heftig. »Er hat keinen Grund, irgendjemanden an Bord der CAISED zu fürchten. Das Schiff hat eine Sicherheitsschaltung, die dafür sorgt, dass es ständig von der Begleitflotte überwacht wird.« Atemlos hörte ich zu, was Kolcho berichtete. Ich unterbrach ihn nicht, um möglichst viele Informationen zu erhalten, denn ich spürte, dass er sofort schweigen würde, wenn er merkte, dass Parok ihn mit seiner unbeabsichtigten Provokation zum Reden gebracht hatte. »Ich bin mit der CAISED geflogen. Ich weiß, wovon ich spreche. Sollte das Schiff tatsächlich von einer feindlichen Gruppe übernommen werden, kann diese sich höchstens für eine Tonta halten. Danach wird die Sicherheitsschaltung wirksam, die die robotische Geleitschutzflotte alarmiert. Ein Hebel muss regelmäßig betätigt werden, sonst…« »Während dieser Zeit könnte man Freemush schon ermordet haben.« »Vielleicht«, entgegnete Kolcho abweisend. Er hatte mehr gesagt, als er wollte. »Wie kommen wir weiter? Können Sie uns helfen?«
Ich hörte nicht mehr, worüber die beiden Männer sprachen. Angestrengt überlegte ich, wie ich meinen Plan, die CAISED zu entführen, verwirklichen konnte. Ich wollte Freemush unbedingt haben, um Orbanaschol einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Er soll spüren, dass der Kristallprinz lebt und nicht auf seinen Anspruch verzichtet. Er soll wissen, dass es jemanden gibt, der ihn nicht als Imperator anerkennt. Aber je mehr ich über meinen Plan nachgrübelte, desto aussichtsloser erschien es mir allerdings, desto mehr Unwägbarkeiten wie die Sicherheitsschaltung kamen ins Spiel. Der Ökonom scheint mit allen Möglichkeiten gerechnet zu haben. Aus dem Nebenraum ertönte ein gleichmäßiges Summen. »Sie kommen!« Parok glitt von seinem Stuhl. Sein mächtiger Oberkörper schwankte leicht, als falle es ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten. Er winkte uns auffordernd zu, zog das Fleisch aus dem Grill und eilte voran. Wir liefen durch ein Labor: In zahlreichen Gläsern sah ich verschiedene Flüssigkeiten brodeln und kochen. Offenbar bereitete der Melker hier seine Essenzen zu, die er exportierte. Parok öffnete schließlich ein kreisrundes Schott zu einer Röhre, die schräg in die Tiefe führte. »Einsteigen! Mit den Füßen zuerst.« »Was ist das?«, fragte Kolcho argwöhnisch. »Die Röhre führt zu einem Fluss unter dem Dschungel. Ich benutze sie, wenn ich zur Hochebene will, um Wild zu jagen. Sie schirmt uns gegen die Ortung ab. Beeilen Sie sich!« Ich schwang mich hinein und glitt auf Antigravfeldern nach unten. Kolcho und Parok folgten mir in die Dunkelheit. Unwillkürlich streckte ich die Arme vor, um mich abfangen zu können, falls ich auf ein Hindernis prallen sollte. Diese Vorsichtsmaßnahme war jedoch nicht nötig. Schon nach kurzer Zeit wurde es hell, und ich schwebte in eine kleine Felshöhle hinein, die von mehreren Lampen ausgeleuchtet wurde. Wasser floss vorbei und verschwand einige Schritte
weiter wieder in einer Spalte. Parok führte uns jedoch durch einen anderen Spalt einige Schritte weiter bis zu einer noch kleineren Höhle, in der das Wasser fast stillstand. Er deutete auf ein primitives Floß, das aus Baumstämmen bestand. Fingerdicke Holzstifte führten durch die Stämme hindurch und verbanden sie. »Ich rate Ihnen, das Floß zu nehmen. Ich fliege normalerweise mit meiner Antigravplattform, aber das können Sie sich nicht leisten. Man würde Sie sofort orten.« Wir schoben das Floß ins Wasser. Ich fragte: »Wie kommen wir weiter?« »Nach der Ebene mündet der Fluss in einen Strom.« »Dieser führt bis zum Raumhafen?« »Nicht direkt. Er fließt westlich davon ins Meer. Von der Mündung aus ist es nicht mehr weit. Das schaffen Sie leicht, denn im Osten gibt es kaum noch Gefahren. Sie müssen nur aufpassen, dass Sie von der Strömung nicht auf das offene Meer hinausgetrieben werden.« Wir bedankten uns, sprangen auf das primitive Fahrzeug und stießen uns mit Paddel und Stakstange ab. Das Floß glitt in den dunklen Felsspalt und trieb ruhig dahin. Ohne ein einziges Wort miteinander zu wechseln, tauchten wir die Paddel ein. In Gedanken fragte ich mich, was uns draußen erwarten mochte. Ich dachte an Fartuloon. Hoffentlich befolgt er meine Worte und kehrt mit den Freunden im Piratenschiff zu Richmonds Schloss zurück. Die Hochebene breitete sich flach und eintönig aus, begrenzt von Hügeln und Küstengebirge der Halbinsel. Hüft hohes Gras bedeckte sie auf weiten Strecken, und nur vereinzelt gab es Baum- und Buschinseln, einige davon auch im breiter und tiefer werdenden Fluss. Ganze Herden von äsendem Wild boten uns eine unerwartet gute Deckung gegen die Infrarotortung. Solange man uns nicht direkt in die
Beobachtungsgeräte bekam, würde man uns kaum aufspüren können. Schweigend trieben wir auf die nächste Bauminsel zu. Wir hofften, notfalls unter den Bäumen Schutz finden zu können. Der Weg war weitaus weniger beschwerlich, als ich angenommen hatte, und wir kamen schnell voran. Kurz bevor wir die Bäume erreichten, erschütterte eine Explosion das Land. »Sie haben Paroks Bau zerstört!«, rief Kolcho ebenso aufgeregt wie betroffen. Über dem Dschungel stand eine pilzförmige Explosionswolke, die weiter in die Höhe wuchs. Die Druckwelle erreichte uns und fegte uns fast vom Floß. »Sie haben unsere Spuren bis zum Kuppelbau verfolgt und glaubten, wir seien noch dort.« »Nur so kann es gewesen sein.« Der Tod des Mertemelkers belastete mich. Ich fühlte mich schuld an dem Überfall, dessen Opfer er fraglos geworden war. Zugleich wuchs der Hass gegen Orbanaschol in mir. Mein Oheim stützte sich auf Männer wie Freemush und Sofgart. Sie konnten Verbrechen wie diese verüben, ohne fürchten zu müssen, sich dafür verantworten zu müssen. Ich schwor mir, alles daranzusetzen, was ich nur konnte, um meinen Plan zu verwirklichen. »Ich werde es Freemush heimzahlen.« Kolcho blickte mich an. In seinen blauen Augen konnte ich nicht lesen, was er empfand. »Wie willst du das machen?« Er lächelte unmerklich, well er sich nicht vorstellen konnte, dass ich wirklich etwas gegen den Ökonomen unternehmen könnte. »Ihn umbringen?« »Keineswegs. Ich werde an Bord der CAISED gehen und versuchen, das Schiff in meine Gewalt zu bringen.« »Obwohl du gehört hast, was ich erzählt habe? Es nützt dir nichts, Herr über die CAISED zu sein – sofern du das
überhaupt schaffst. Die ganze Robotflotte wird dich jagen und Freemush befreien.« »Ich habe einen Plan, wie man das verhindert.« Ich griff nach seinem Arm. »Du hast auch noch eine alte Rechnung mit Freemush zu begleichen. Wie wäre es, wenn du mit mir zusammenarbeiten würdest? Komm mit an Bord!« »Das geht nicht. Meine Augen würden mich verraten.« »Wir lassen uns etwas einfallen. Außerdem rechnet Freemush nicht damit, dass du so etwas tun könntest, jedenfalls nicht, nachdem er dich so gejagt hat.« »Vielleicht hast du Recht. Lass mich darüber nachdenken.« Schweigend paddelten wir weiter. Immer wieder blickten wir zurück. Ab und zu sahen wir Gleiter. doch sie näherten sich uns nicht. Die Sonne ging fast tiefer, als wir den Strom erreichten, von dem Parok gesprochen hatte. Er war deutlich breiter, floss aber nicht sehr schnell dahin. Wir entschlossen uns zu einer Rast. Die Gestalt hüpfte und sprang in grotesken Bewegungen durch das Gras, so dass weder Kolcho noch ich erkennen konnten, was sich da auf uns zu bewegte. Die Sonne tropfte glutrot dem Horizont entgegen, und ein bläulich diesiger Schleier lag über der Ebene. »Komm, wir verschwinden besser.« Kolcho zeigte auf das Floß, das am Ufer lag. Gemeinsam schleppten wir das primitive Fahrzeug ins Wasser. Da erschien ein mächtiger Schatten auf der Kuppe eines nahen Hügels. Ich glaubte zunächst, einen riesigen Affen zu sehen, und Kolcho schien etwas Ähnliches anzunehmen, denn er drängte zum Aufbruch. Dann aber winkte uns die eigenartige Erscheinung zu. »Das ist Parok!« Nie und nimmer hatte ich geglaubt, dass er den Angriff auf seine Kuppel überlebt haben könnte. Jetzt rannte er auf uns zu. Dabei stützte er seine Fäuste auf den
Boden und schwang seinen Körper nach der Art einiger Primaten zwischen den Armen weit nach vorn, bis er sich wieder aufstützen konnte. So kam eine eigenartig hüpfende und schwingende Bewegung zustande. »Das Floß ist zu klein«, sagte er, als er uns erreicht hatte, ohne uns zu begrüßen. »Wir müssen noch einige Stämme anbauen, oder es geht mit uns unter.« Wir sahen ein, dass zu dritt zu wenig Platz auf dem Gefährt war, und machten uns an die Arbeit, bis Parok zufrieden war. Dann übernahm er es, das Floß zu lenken. In gemächlicher Fahrt ging es nach Südosten. Er kauerte auf dem Heck und grinste uns vergnügt an, als wir zur Ruhe gekommen waren. »Ihr dachtet wohl, ich sei schon hinüber, wie?« »Es sah ganz danach aus«, entgegnete ich. »Die Kerle wollten unbedingt in meine Kuppel. Drohten mir. Da habe ich alles zusammengerafft, was ich noch hatte, und bin abgehauen. Es gibt viele Gänge unter der Oberfläche. Mit einigem Vergnügen habe ich beobachtet, wie sie sich austobten – wenn auch auf meine Kosten.« Kolcho runzelte die Stirn. »Es macht dir nichts aus?« Parok winkte ab. »Ich bin ein reicher Mann. Der MertedshinGrundstoff bringt viele Chronners. Irgendwann sollte ohnehin Schluss sein mit der Echsendressur. Ich hatte vor, bald in die Zivilisation zurückzukehren. Um so weniger gefällt mir, wie Freemush hier auftritt. Mann, ich werde es ihm noch zeigen.« Ich beobachtete ihn und glaubte zu erkennen, was diesen Mann zu seinem seltsamen Beruf getrieben hatte. Es waren Abenteuerlust und das Vergnügen am absolut Ungewöhnlichen. Parok suchte die Gefahr. Ich war davon überzeugt, dass er weiter im Wald gelebt hätte, wären wir ihm nicht begegnet. Er hatte sich uns angeschlossen, well er hoffte, bei uns etwas zu erleben. Der Mertemelker lenkte das Floß bis in die Mitte des Flusses,
weil wir hier die größte Geschwindigkeit erreichten. Wir beobachteten unsere Umgebung, stets darauf gefasst, von Gleitern überrascht zu werden. Dann hätten wir kaum eine Chance gehabt, aber unsere Situation wäre auch nicht besser gewesen, wenn wir uns näher am Ufer gehalten hätten. Parok sagte, dort hätten wir mit Angriffen von allerlei Getier zu rechnen.
6. Aus: Privatlog, Gaumarol da Bostich, gespeichert am Prago seines 15. Geburtstages gemäß arkonidischer Zeitrechnung, dem 13. Tartor 21.360 da Ark In der vom Heroldsamt gebilligten offiziellen Zählweise der Imperatoren – neben der viele andere, selten korrekte, meist von den jeweils am Ergebnis interessierten Khasurn verfälschte, deshalb um so klangvoller und bombastischer erscheinende existieren – sind insgesamt 493 Höchstedle namentlich aufgeführt, bis mit Zoltrat XII. der letzte vom Robotregenten abgesetzt wurde. Dies geschah im 18. 958. Jahr unserer Geschichte. Orcast XXI. und Orcast XXII. die nachfolgten, waren lediglich unwürdige Marionetten des Großen Koordinators. Fast neunzehn Jahrtausende, in denen die verschiedensten Persönlichkeiten vom Kristallthron aus die Geschicke des Tai Ark’Tussan lenkten. Häufig in weiser Voraussicht, gerecht und aufopferungsvoll, aber auch als tyrannische Egozentriker, größenwahnsinnige Irre oder brabbelnde Idioten. Es gab Könner und Genies, Schwächlinge und feige Schurken, Intriganten, Massenmörder, wahrhaft Große, Weise, Philosophen und solche, deren Name nur Schande bedeutet. Überliefert sind die Namen und Taten, vor allem der insgesamt siebzig noblen alten Familien, aus deren Reihen die Imperatoren
stammten, die große Politik machten, riesige Flotten kommandierten und zahllose Schlachten gewannen. Ungezählt und von der Geschichte vergessen dagegen die Unbekannten, ohne die das alles niemals möglich gewesen wäre, von denen allerdings das Bild unseres Volkes geprägt wurde. Manch ein Zhdopanthi hatte sich an diesen ein Beispiel nehmen sollen, andere lebten genau in diesem Sinne: tapfer, diszipliniert, pflichtbewusst, unerschütterlich treu, ergeben dem Imperator und mehr noch dem Imperium als Ganzem.
Südküste der Halbinsel, 27. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Am späten Nachmittag näherten wir uns dem Meer. Inzwischen glaubten wir nicht mehr an eine Gefahr durch die Soldaten des Ökonomen, als unversehens doch ein Gleiter hinter uns auftauchte. Parok versuchte, so schnell wie möglich in das Sumpfgras am Ufer des Stroms zu steuern, aber er schaffte es nicht. Die Besatzung der extrem langsam fliegenden Maschine hatte uns bereits entdeckt. »Ich schwimme an Land!«, schrie Kolcho, doch Parok packte ihn, bevor er sich ins Wasser werfen konnte. »Das würdest du nicht schaffen, mein Freund. Hier gibt es kleine Tierchen, die einen ungeheuerlichen Appetit haben.« Hilflos blickten wir dem Gleiter entgegen, der sich tief herabsenkte und dicht über dem Wasser näher schwebte. Für uns kam er direkt aus der untergehenden Sonne heraus, so dass wir nur seine dunklen Umrisse erkennen konnten. »Ganz ruhig. Noch ist nichts verloren.« In nur wenigen Schritten Entfernung glitt das Flugzeug an uns vorbei, und plötzlich sah ich das bärtige Gesicht, das sich grinsend im offenen Fenster zeigte. Die Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten sich auf dem kahlen Schädel. »Claudevarn!« Ich sprang auf und trat unvorsichtig an den Rand des Floßes, das gefährlich schwankte. Hätte Parok mich
nicht zurückgerissen, wäre es vielleicht sogar umgekippt. »Du hast dir viel Zeit gelassen!«, rief der Bauchaufschneider. »Ich suche dich schon seit einem Prago.« »Die Flussfahrt ist so schön«, antwortete Kolcho ironisch. »Wir wollen gar nicht an Land gehen.« »Das würdet ihr auch gar nicht schaffen. Die Ufer sind sumpfig und voller Gestrüpp. Steigt ein!« Mit gleicher Geschwindigkeit trieben die beiden so unterschiedlichen Fahrzeuge dahin. Fartuloon öffnete die Seitentür und half uns nacheinander in die Kabine. Dann ließ er die Maschine ansteigen, so dass wir uns umsehen konnten. Tatsächlich war das Ufer des weiteren Stromverlaufs so dicht bewachsen, dass ich kaum eine Stelle entdeckte, an der wir hätten landen können. Die Strömung hätte uns zweifellos ins Meer hinausgetrieben. »Ich habe nicht erwartet, dich hier zu sehen«, sagte ich, als ich neben ihm saß und er den Gleiter nach Osten lenkte. »Du solltest doch…« Er blickte mich grinsend an. »Ich kann dich doch nicht allein lassen, Söhnchen.« Ein Unterton in seiner Stimme sagte mir, dass das nicht der einzige Grund war. »Wo sind…?« »Der Chretkor und Morvoner warten in der Stadt. Sie können es kaum erwarten, dich wiederzusehen.« Er wies auf einige Erfrischungen, die er in der Stadt besorgt hatte. Wir bedienten uns. Mit knappen Worten berichtete ich, was geschehen war, seit wir uns getrennt hatten. Fartuloon fragte dann: »Und jetzt?« Ich drehte mich zu Kolcho und Parok um, die auf den hinteren Sitzen saßen. »Ich gehe wie geplant an Bord der CAISED«, sagte ich betont ruhig, wobei ich die beiden Männer genau beobachtete. Sie zeigten sich nicht im Mindesten überrascht.
»Und ich werde dich begleiten.« Parok zeigte mit dem Daumen auf Kolcho. »Und Blauauge auch – oder?« Kolcho nickte. »Wenn du mir sagen kannst, wie du der Robotbegleitflotte entkommen willst, bin ich dabei.« Ich überlegte, ob ich ihnen wirklich trauen durfte. Bei Parok hatte ich inzwischen keinen Zweifel mehr. Bei Kolcho war ich unsicher. Er hasste zwar Freemush, wusste aber nicht, ob er es sich leisten durfte, gegen ihn vorzugehen, da er damit gleichzeitig auch gegen Orbanaschol III. handelte. Außerdem dachte ich daran, wie er sich verhalten hatte, als wir vor der Kuppel Paroks von dem Merte angegriffen worden waren. Er hat mich opfern wollen, um sich selbst zu retten. Da er aber über besondere Kenntnisse betreffs der CAISED verfügt, brauchen wir ihn. »Ich sage dir, welchen Plan ich habe, wenn es so weit ist. Einverstanden?« Er blickte mich an. Seine seltsamen Augen überzogen sich mit blauen Schleiern. Ich glaubte erneut, ins Phalaym zu sehen, und ich fühlte, wie meine Umwelt um mich zu versinken drohte. Irgendetwas schien mir die Füße unter dem Leib wegzuziehen. Ich stemmte mich gegen das Fremde, das mich zu übernehmen drohte. Im gleichen Moment gewann ich die Gewalt über mich selbst zurück, von harten Impulsen des Extrasinns heimgesucht. Das Glühen in Kolchos Augen erlosch. Er senkte die Lider und sagte leise: »Ich vertraue dir.« »Wir werden also an Bord der CAISED gehen und warten, bis sie gestartet ist. Sobald sie das System verlassen hat, bilden wir zwei Gruppen. Die eine stößt zur Hauptleitzentrale vor und versucht, die Schiffsführung zu überwältigen. Kolcho weiß als ehemaliger Bordingenieur genau, welche Hintertürchen dazu geöffnet werden müssen.« »Dazu benötigen wir Waffen«, warf Parok ein, während Kolcho zustimmend nickte.
»Die besorgen wir uns an Bord«, versprach Fartuloon mit gleichmütiger Stimme, als sei nichts leichter als gerade das. »Wir werden uns – soweit möglich – auf Paralysewaffen beschränken«, fuhr ich fort. »Ich will kein Blutvergießen. Die zweite Gruppe stößt direkt zu Freemush vor und überwältigt ihn. Er wird unser Faustpfand sein, denn niemand von seiner Begleitmannschaft kann sich noch frei entscheiden, solange sein Leben bedroht ist.« »Es ist unmöglich, ihn in seinen Luxusräumen zu überraschen.« Kolcho schüttelte den Kopf. »Er wird so scharf bewacht, dass jeder Eindringling sofort stirbt, sobald er versucht, Freemush dort zu überwältigen.« »Ich habe nicht vor, ihn gerade dort anzugreifen, wo alle Chancen auf seiner Seite sind. Er wird seine Kabinen auch einmal verlassen, und sei es nur für eine kurze Zeit. Dann schlagen wir zu.« »Nein. Wir müssen ihn herauslocken. Als ich auf der CAISED war, ist er niemals während des Fluges aus seinen Räumen gekommen.« »Er ist nie in der Zentrale gewesen?« »Nicht ein einziges Mal.« »Er weiß genau, wo er am sichersten ist.« Parok sah mich ratlos an. »Genauso habe ich ihn eingeschätzt. Ein Feigling, der nicht mal seinen eigenen Männern über den Weg traut.« Ich blickte Kolcho an, und plötzlich wusste ich, was unser Lockmittel sein konnte, aber ich sagte es den anderen noch nicht. Ich wollte erst allein mit Fartuloon darüber sprechen. Der Raumhafen tauchte vor uns auf. Nur ein einziges Raumschiff befand sich auf ihm. Es war die CAISED – unser Ziel. Etset-KevKev lag in einem Felskessel schräg unter uns. Zum Meer hin öffnete sich eine Schlucht, die gerade breit genug war, mittelgroße Schiffe hindurchzulassen. Die Bevölkerung dieser Stadt – sicherlich nicht mehr als
dreißigtausend Arkoniden – schien sich sehr intensiv mit Fischfang zu befassen, denn ich sah in dem Hafen wenigstens fünfzig Fischerschiffe liegen. Hinzu kamen Yachten. Der anspruchslos eingerichtete Raumhafen befand sich auf dem Felsplateau nördlich der Stadt, so dass wir diese überfliegen mussten, um zur CAISED zu kommen. Fartuloon ließ den Gleiter jedoch absinken, da sich unsere Freunde noch im Talkessel aufhielten. Zwei planetare Tage später war es so weit: Der Kommandant der CAISED ließ in Etset-KevKev bekannt geben, dass der Raumer Jacinther IV verlassen würde. In einer offiziellen Verlautbarung wurde weiterhin mitgeteilt, dass Freemush Ta-Bargk seine Mission als erfüllt ansah, da nun wieder Ruhe und Ordnung auf dem Planeten herrschen. Ein Arkonide mit dem Namen Jalanock war der neue Generalbevollmächtigte des Großen Imperiums. Von ihm hieß es, er habe bedeutende wissenschaftliche Expeditionen bis tief in einen Spiralarm der Oden Insel hineingeführt, der über die Grenzen des Großen Imperiums hinausreichte und wo es zahlreiche ehemals offensichtlich vom Große Alten Volk besiedelte Welten geben sollte mehr als 30.000 Lichtjahre von Arkon entfernt. Auf ihnen sollte sich, wenn man den Berichten glauben wollte, neues, viel versprechendes Leben entwickeln. Ich erinnerte mich an einige Expeditionsfilme, die von Jalanock herausgegeben worden waren. Jacinther IV sollte wohl sein Alterssitz werden, während Raumschiffskommandant Kerlon und der Chefastronom Larsaf weiterhin auf Forschungsreisen gehen würden. »Wir lassen den Gleiter am besten hier«, sagte Fartuloon, als wir das Hotel verließen, in dem wir uns einquartiert hatten. »Es ist nicht nötig, Freemush zu provozieren.« Ich blickte ihn überrascht an und deutete dann auf die Maschine, die äußerlich kaum mehr als ein Wrack war. »Was
soll daran so auffallend sein, dass er sich herausgefordert fühlen könnte? Wir stellen ihn am Raumhafenrand ab – und das war’s.« Parok sagte: »Ich habe die Männer gesehen, die es tatsächlich geschafft haben, heil hier anzukommen. Man könnte die Nerven verlieren bei ihrem Anblick. Sie gehören fast alle in ein Hospital. Einige sind so erschöpft, dass sie kaum noch laufen können. Nur die Aussicht auf eine kostenlose Passage treibt sie weiter. Wenn wir dagegen mit einem Gleiter kommen, und sei er noch so schäbig, fallen wir nur unnötig auf. Und gerade das müssen wir vermeiden.« Kolcho verzog das Gesicht und schlug den Kragen seiner Jacke hoch. »Der Fußweg ist alles andere als gemütlich, Freunde.« »Wir gehen dennoch.« Die anderen hatten nichts mehr einzuwenden. Fartuloon und ich schritten voraus. Kolcho und Parok folgten uns. Der Blauäugige spielte nervös mit den Plastschalen, die er sich über die Augen legen wollte. Er wollte damit allerdings bis zum letzten Augenblick warten und sie sofort wieder abnehmen, sobald wir die Kontrollen passiert hatten. Anders war er nicht zu maskieren. Den Abschluss bildeten Eiskralle, der ständig darüber klagte, dass es zu kalt für ihn war, und Morvoner Sprangk, der uns alle überragte. Der Chretkor hatte eine Gestalt wie aus transparentem Eis; man konnte seine Organe, Nervenstränge und Adern deutlich erkennen. Mit nur 1,35 Metern Größe und einer ansonsten durchaus arkonoiden Gestalt war seine Hauptschwäche die ständige Angst, bei zu großer Hitze zu zerfließen oder bei zu großer Kälte zu erstarren. Sollte er jedoch einem Lebewesen, das er nicht mochte, die Hand geben, wurde diese zu einer fürchterlichen Waffe, die uns schon aus mancher Klemme befreit hatte. Morvoner Sprangk, etwa achtzig Jahre alt und 1,90 Meter
groß, war ein Veteran des Methankrieges und vom Hass gegen die Maahks durchdrungen; ein harter, narbengesichtiger, kahlköpfiger Kämpfer und Verc’athor, der als Zweimondträger und Kommandant der 5. Raumlandebrigade des 94. Einsatzgeschwaders unter dem Oberbefehl von DeKeon’athor Sakal einst im Dienst meines Vaters gestanden hatte, für zwei Jahrzehnte aber zwischen den Dimensionen verschollen gewesen war. Fartuloon hatte beide in ihrem Versteck abgeholt, in EtsetAuromt jedoch auch herausgefunden, dass die GROVEMOOS wenige Tontas zuvor abgeflogen war. Die »Piraten der Sterne« hatten zweifellos nicht länger auf unsere Rückkehr warten wollen – die Anwesenheit des Ka’Mehantis und seiner starker Begleitflotte waren zweifellos ein weiterer Grund gewesen. Nicht zuletzt deshalb waren die drei, entgegen meinem Wunsch, nach Etset-KevKev gekommen, und der Bauchaufschneider hatte sich auf die Suche nach mir und Kolcho gemacht. Sie an meiner Seite zu wissen beruhigte mehr, als ich mir zunächst hatte eingestehen wollen. Wir marschierten über schmale Steige den Berg bis zum Plateau hinauf. Der Weg war äußerst anstrengend. Bald sahen wir, dass noch einige andere Männer aufstiegen. Sie sahen zerlumpt, ausgehungert und erschöpft aus. Ich beobachtete sie und fragte mich immer wieder, ob Freemush sich wirklich darüber klar gewesen war, wen er zu sich an Bord eingeladen hatte, wo alles peinlich sauber sein würde. Unser gesamter Plan musste scheitern, sollte er die Auswanderer im letzten Moment abweisen oder auf ein Schiff der Begleitflotte beordern. Kolcho tippte mich an. »Du bist mir noch eine Auskunft schuldig.« Ich hatte ihm noch nicht verraten, was ich wirklich plante und wie ich die Sicherheitsschaltung der CAISED überwinden
wollte. Ich zögerte, den Rat zu befolgen, den Fartuloon mir erteilt hatte. Erst als mich der Bauchaufschneider beschwörend anblickte, gab ich mir einen Ruck und griff zu einer Notlüge. Ich konnte nicht anders handeln, weil wir Kolcho brauchten. Seine Kenntnisse konnten den Ausschlag geben. »Claudevarn hat dafür gesorgt, dass Freunde auf unserer Fluchtroute warten. Wir werden mit Freemush ausschleusen und uns von ihnen aufnehmen lassen. Dann kann niemand mehr etwas gegen uns unternehmen, da wir den Ökonomen als Geisel haben.« »Woher wissen deine Freunde, wo sie auf uns warten sollen?« Der Blauäugige blieb argwöhnisch. »Das Zeitfenster ist extrem schmal!« »Ich habe mehrere Treffpunkte mit ihnen vereinbart.« Die Stimme des Bauchaufschneiders klang sehr überzeugend und selbstsicher. »Sie werden schneller bei uns sein als die Verfolger.« Kolcho blickte mich prüfend an. Dann entspannte sich sein Gesicht, er akzeptierte den Plan. Niemand konnte sagen, wie er sich entschieden hätte, wenn er auch nur geahnt hätte, was ich wirklich vorhatte. Die CAISED war nicht mehr weit entfernt, als wir das Plateau erreichten. Jetzt aber kam ein starker Wind auf und peitschte uns Regen ins Gesicht. Es wurde so dunkler, dass wir uns schließlich nur noch nach den Positionslichtern des Schiffes und des Raumhafens richten konnten. Immer wieder zuckten Blitze in das Meer hinab und erhellten die Szene. Ich sah zahlreiche Gestalten, die sich auf das Schiff zu schleppten, und mein Zorn gegen den Ökonomen wuchs. Es wäre eine Kleinigkeit für ihn gewesen, seine Passagiere mit einigen Gleitern einzusammeln. »Das Wetter ist günstig für mich«, sagte Kolcho. »So komme ich nahe an den Raumer heran, ohne die Haftschalen benutzen
zu müssen.« Ich seufzte und wischte mir übers Gesicht. »Weshalb hält das Plast nicht, wenn du es über deine Augen legst?« »Ich weiß es nicht.« Schweigend kämpften wir uns an das Schiff heran, das zwar vom Bautyp her einem Schweren Kreuzer entsprach, jedoch als Flaggschiff des Ka’Mehantis zweifellos eine Sonderkonstruktion war. Ein letzter, besonders heftiger Regenschauer erfasste uns, als wir den Ring der Landestützen passierten und uns der ausgefahrenen Bodenrampe näherten. Vor uns hatte sich eine Schlange aus etwa zehn Männern gebildet, die ungeduldig warteten. Zwei Orbtonen standen im Trockenen und blickten gelangweilt auf die Gruppe durchnässter Männer herab. »Freemush macht sich hier viele Freunde«, murmelte Fartuloon. »Um so besser für uns«, sagte ich ebenso leise. »Sie werden sich letztlich auf unsere Seite schlagen.« Niemand wagte, gegen das Verhalten der Uniformierten zu protestieren, well alle fürchteten, im letzten Moment zurückgewiesen zu werden. Kolcho verbarg sich hinter Sprangk und hatte die Augen fast geschlossen. Als das fang ersehnte Kommando kam, drückte er sich die beiden Haftschalen auf die Augäpfel. Er bemühte sich, gelassen auszusehen, als er sich neben mir in die Polschleuse drängte. Die Offiziere musterten uns. Es schien, als seien sie auf Kolcho aufmerksam geworden, doch dann richteten sich ihre Blicke auf Fartuloon, der sie grinsend grüßte. Sie hielten uns nicht auf. Roboter erwarteten uns und geleiteten uns bis in die Unterkünfte im unteren Teil des Schiffes, in denen wir uns während des Fluges aufhalten sollten. Sie waren notdürftig für den Transport von Passagieren hergerichtet worden. Insgesamt wollten rund
vierzig Personen mit der CAISED Jacinther IV verlassen. Versorgungsroboter verteilten trockene Kleider und eine erste bescheidene Mahlzeit. Kolcho entfernte die Haftschalen, die sich tatsächlich bereits verformt hatten. Er schob sie in die Hosentasche, um sie notfalls noch einmal benutzen zu können. Seine Augen tränten stark. Wir zogen uns in eine Ecke in dem quadratischen Raum zurück und setzten uns auf die dort ausgebreiteten Decken. Keiner von uns sprach, bis die CAISED endlich startete. »Achtung – nicht umdrehen«, raunte ich. Kolcho blickte mich unsicher an. »Zwei Orbtonen. Sie scheinen etwas entdeckt zu haben.« Die beiden Männer, die überraschend hereingekommen waren, standen mit angeschlagenen Paralysatoren am Eingangsschott und sahen sich suchend um. Auffallend lange betrachteten sie unsere Gruppe, so dass ich bereits fürchtete, dass wir ihren Verdacht erregt hatten. Doch dann gingen sie auf einen bärtigen Arkoniden zu, der weit von uns entfernt auf dem Boden kauerte und tat, als schliefe er. Erst als die Offiziere unmittelbar vor ihm standen, hob er den Kopf; in seinem Gesicht sah ich die Angst. Sie zerrten ihn hoch, tasteten ihn ab und zogen einen Energiestrahler aus der Hose. »Wir hatten vereinbart, dass ihr ohne Waffen an Bord kommt«, sagte einer der Orbtonen scharf. »Sei froh, dass die CAISED schon gestartet ist.« Sie stießen ihn so heftig zurück, dass er zu Boden stürzte, und verließen den Raum wieder. Ich atmete auf. Es war gut, dass wir nicht versucht hatten, Waffen in der Stadt zu kaufen und an Bord zu schmuggeln. Die installierten Beobachtungsgeräte hätten uns verraten. Kolcho pfiff durch die Zähne. »Mir wird unwohl. Warum schlagen wir nicht schon los? Je länger wir warten, desto größer wird das Risiko. Sollten sie mich hier finden, wissen sie
Bescheid.« »Wir müssen uns zunächst Waffen besorgen«, entgegnete ich. »Dabei darf uns niemand überraschen, sonst ist der ganze Plan verdorben.« »Ich habe euch nicht umsonst diese Ecke empfohlen. Hier habe ich einmal eine Reparatur durchgeführt. Direkt hinter dir befindet sich ein Kabelschacht. Man kann ihn von hier aus öffnen.« Er deutete auf Eiskralle. »Der durchsichtige Zwerg ist klein genug. Im Schacht ist nicht viel Platz, aber für ihn reicht es.« »Wenn du mich noch einmal Zwerg nennst, bringe ich dir das Frieren bei, Jüngling«, drohte der Chretkor und hob seine Rechte. Kolcho grinste nun »Im Schacht kommst du rasch an eine Stelle, wo du ihn wieder verlassen kannst. Von da an kommt alles auf dich an. In den Gängen gibt es Schränke, in denen Schutzanzüge, Paralysatoren und dergleichen verstaut sind. Standardnotausrüstung. Sie wurden aber alle mit einem Warnsystem versehen, das du ausschalten musst. Das überlasse ich deiner Geschicklichkeit.« »Du musst mir schon ein wenig mehr über dieses System verraten«, forderte Eiskralle. »Freemush hat eine besondere Sicherung auf der Basis biologischer Sensoren einbauen lassen, die mit der Positronik in Verbindung stehen. Keiner von uns konnte sie überlisten, als wir sie getestet haben, aber du wirst es sicherlich schaffen, Chretkor. Wenn nicht – musst du einen der Soldaten überwältigen und entwaffnen.« Während dieser Worte hatte er sich bereits neben mich gesetzt. Mit einem kleinen Messer, das Morvoner ihm gegeben hatte, öffnete er den Schacht. Eiskralle schob sich an mir vorbei und ging hinter meinem Rücken in Deckung. Als ich sicher war, dass keiner der anderen Gefangenen etwas gemerkt hatte,
kroch er in den Schacht und verschwand. Wir mussten warten, ohne ihm helfen zu können. In der ersten Phase meines Planes kam es ausschließlich auf den einen Mann an, der uns Waffen besorgte. Eine andere Lösung gab es leider nicht. Mir wäre erheblich wohler gewesen, wenn wir weniger riskant hätten vorgehen können. Fartuloon lächelte beruhigend, als könne überhaupt nichts schief gehen. Wir wussten, dass wir uns auf Eiskralle verlassen konnten. Er war klein und geschmeidig und konnte notfalls lautlos zuschlagen. Keiner von uns anderen hätte so unauffällig wie er vorgehen können. Eine schier endlose Zeit verstrich, ohne dass sich etwas ereignete. Die anderen Passagiere hatten sich längst hingelegt, schliefen vor Erschöpfung. Wie sieht es vor dem Schott aus? Hat Freemush Wachen oder Wachroboter postiert? Mit einigen Männern können wir fertig werden, mit einem oder mehreren Robotern noch nicht. Auf jeden Fall können wir sie nicht lautlos erledigen, und darauf kommt es an. Endlich hörte ich hinter mir ein leises Scharren. Ich drehte mich um. An einem Kabel senkte sich ein schwerer Thermostrahler im Schacht herab. Ich nahm ihn entgegen und zupfte leicht an dem Kabel, um Eiskralle zu verständigen. Wenig später folgten Paralysatoren; alle vom Standardmodell U-156. Fartuloon bestand darauf, dass ich zusätzlich zum Paralysator den Thermostrahler nahm. Stöhnend kehrte der Chretkor zurück. Er setzte sich neben mich auf den Boden und rieb sich Arme und Knie. »Das war entsetzlich. Der Schacht führt direkt an einem Heizungselement vorbei. Ich habe an den Armen und Beinen so schwere Verbrennungen erlitten, dass die Haut geschmolzen ist.« Er streckte mir seine transparenten Hände entgegen; eine Verwundung oder gar einen Substanzverlust konnte ich
natürlich nicht entdecken, dennoch nickte ich. »Ich kann mitfühlen, wie schwer du hast leiden müssen.« Ich gab mir Mühe, ernst zu bleiben. »Wir werden es dir zu danken wissen.« Er überprüfte seinen Paralysator und schien seinen Kummer bereits vergessen zu haben. Ich deutete auf das Schott. »Konntest du auch einen Blick auf den Gang werfen?« »Das war der Grund, weshalb ich so lange fortgeblieben bin. Ich habe mich umgesehen. Da draußen ist niemand.« Er richtete seinen U-156 auf die schlafenden Passagiere und bestrich sie mit den lähmenden Strahlen. Keiner von ihnen bewegte sich, als er getroffen wurde. Wir mussten uns den Rücken freihalten und uns davor sichern, dass einer der anderen Alarm schlug, wenn er entdeckte, dass wir nicht mehr hier waren. Ich erhob mich und ging zum Schott hinüber. Eiskralle folgte mir. Wie befürchtet ließ es sich nicht von innen öffnen. »Wie hast du die Sicherung ausgeschaltet?« Er zeigte mir seine Krallen, und ich wusste Bescheid. »Was machen wir jetzt?« Ein wenig ratlos blickte ich mich um. Parok, Kolcho, Fartuloon und Morvoner kamen ebenfalls herbei. Der Mertemelker begann damit, die Wand abzutasten. Irgendwo musste eine Schaltung verborgen sein. Wir warteten, bis er sich uns kopfschüttelnd zuwandte. »Das wird nichts. Wir könnten es mit dem Thermostrahler versuchen, aber damit würden wir bestimmt Alarm auslösen. Wir sollten sehen, ob uns der Kabelschacht nicht weiterführt.« Wir kehrten zu der Öffnung zurück, die wir noch nicht wieder geschlossen hatten. Parok kniete davor nieder und drückte die Kabel vorsichtig zur Seite. »Mit einem Desintegrator wäre das kein Problem. Wir könnten die Wand durchbrechen, ohne die Kabel zu beschädigen.«
Ich wandte mich an Kolcho: »Hast du einen Vorschlag?« Er kaute nachdenklich auf den Lippen herum. »Das Beste wäre, wenn Eiskralle das Schott von außen öffnen würde. Das dürfte jetzt gefahrlos sein, da die anderen paralysiert sind.« »Unmöglich«, sträubte sich der Chretkor. »Ich müsste dann ja abermals meine körperliche Existenz aufs Spiel setzen. Der Schacht führt an Heizungselementen vorbei, die mich vernichten, wenn ich…« Er sah unsere Mienen. »Also gut«, maulte er. »Ich gehe ja schon.« Er verschwand keuchend in dem engen Schacht. Wir gingen zum Schott und warteten. Jetzt ging es schnell, Eiskralle verschenkte keine Zeit. Lautlos öffnete sich das Schott; er stand auf dem Gang und blickte mich betrübt an. »Ich muss Abschied von dir nehmen«, sagte er, während die anderen sich an ihm vorbeischoben und den Gang entlang eilten. »Es geht zu Ende.« »Warum?« »Siehst du nicht, Kristallprinz, dass mein Körper sich auflöst? Die Wärme vernichtet mich.« Idiot!, zischte meine innere Stimme aufgebracht. Kolcho ist ein Verehrer Orbanaschols. Fasst er Eiskralles Worte nicht als Scherz auf, wendet er sich gegen euch. Kolcho war zusammengezuckt. Obwohl er schon mehrere Schritte von mir entfernt war und Eiskralle nicht sehr laut gesprochen hatte, musste er gehört haben, was dieser zu mir gesagt hatte. Er drehte sich halb um, blickte mich rätselhaft an und eilte dann zusammen mit den anderen weiter. Mir war der Schreck in die Glieder gefahren, und auch der Chretkor hatte gemerkt, welchen Fehler er gemacht hatte. »Verzeih. Ich hoffe, dass er…« »Schon gut«, unterbrach ich ihn. »So etwas darf dir nicht noch mal passieren!« Der Chretkor und ich liefen den Gang entlang und schlossen
zu den anderen auf. »Wir trennen uns«, sagte ich. »Wie abgemacht gehen Eiskralle und Kolcho mit mir, die anderen mit Claudevarn. Wir stoßen zu Freemush vor. Ihr konzentriert euch auf die Hauptleitzentrale; Eindringen und Ausschaltung der Besatzung haben wir besprochen. Kontaktaufnahme durch allgemeinen Interkom-Rundspruch, Stichwort: Thantur-Lok.« Zusammen mit Kolcho und Eiskralle stieg ich in einen aufwärts gepolten Antigravschacht. Wir hatten offensichtlich eine günstige Tonta erwischt. Im Schiff herrschte Ruhe. Damit hatten wir gerechnet, denn für die Männer und Raumsoldaten, die nicht direkt mit der Schiffsführung und der Bedienung der Maschinen zu tun hatten, trat nach dem Start eines Schiffes Leerlauf ein; die meisten würden bis zur ersten Transition schlafen. Noch immer beschleunigte die CAISED mit mäßigen Werten. Mit der ersten Transition war erst zu rechen, wenn wir im Sublichtflug den Rand des Jacinther-Systems erreicht hatten. Die Luxuskabinen des Ökonomen lagen vier Decks über der Zentrale in einem besonders ruhigen Bereich des Schiffes, weitab von Antrieb und Energieversorgung. Hier stießen wir auf die ersten beiden Wachen. Sie standen direkt vor dem Antigravschacht, wirkten allerdings überaus gelangweilt und unaufmerksam. Eiskralle und Kolcho schossen sofort mit dem Paralysator auf sie. Ich sprang hinzu und fing sie auf. Vorsichtig, um keinen unnötigen Lärm zu machen, ließ ich sie auf den Boden sinken. Wir waren allein auf einem leicht gekrümmten Gang, der zu den Räumen des Imperialen Ökonomen führte. Ich fragte Kolcho: »Gibt es irgendwelche positronischen Fallen?« »Ich erinnere mich an nichts dergleichen.« Ohne große Diskussion verstauten wir die betäubten Männer in einem kleinen Nebenraum, der als Archiv diente.
Lautlos eilten wir danach auf unser Ziel zu, ständig darauf gefasst, überrascht zu werden. Als wir die Abbiegung zu einem Radialgang erreichten, von der aus es nur noch wenige Schritte bis zu Freemush waren, blieben wir stehen. Ich schob mich vorsichtig an der Wand entlang bis zur Ecke und lugte herum. Sofort fuhr ich wieder zurück. »Was ist?«, wisperte Eiskralle. »Fünf Arbtanen und drei Kampfroboter.« Ratlos blickte er mich an. Diese Kampfgruppe war zu stark für uns. Wir mussten uns etwas einfallen lassen, wie wir sie überlisten oder wie wir von anderer Seite aus an den Ka’Mehantis herankommen konnten. Im augenblicklichen Stadium unserer Aktion konnten wir es uns nicht mehr erlauben, so lange zu warten, bis er seine Luxuskabinen vielleicht doch verließ. In der vagen Hoffnung, dass sich etwas geändert haben könnte, blickte ich noch einmal zu der Wache hin. Dabei fiel mir ein kaum merkliches Flimmern in der Luft auf. »Ich glaube, wir müssen umkehren. So geht es nicht.« Wir entfernten uns etwas weiter, um weniger stark gefährdet beratschlagen zu können. Kolcho fragte ungeduldig: »Was ist denn?« »Er hat sich sehr gut abgesichert. Im Gang befindet sich ein Prallfeld. Dahinter steht die Wache. Dort kommen wir nicht weiter.« »Ganz im Gegenteil.« Kolchos blaue Augen erhellten sich. Er lächelte triumphierend. »Das ist meine Chance.« Er gab mir seine Waffe und eilte auf die Ecke zu. Ich folgte ihm besorgt, denn ich fürchtete plötzlich, er könnte uns verraten wollen. Unvermittelt war ich mir überhaupt nicht mehr sicher, ob wir mit ihm zusammenarbeiten konnten. »Kolcho!« Er winkte mir beruhigend zu und trat – bevor ich es verhindern konnte – um die Ecke herum. Wie gelähmt blieb ich stehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was er allein und
waffenlos gegen die Energiewand und die Wachen unternehmen wollte. »Dafür lasse ich ihn zu Eis erstarren«, kündigte Eiskralle an. »Verlass dich darauf.« Wir pressten uns an die Wand und horchten. Da wir Kolchos Schritte nicht mehr hörten, nahm ich an, dass er vor dem Prallfeld stehen geblieben war. Seine Stimme erklang: »Lasst mich durch!« Jemand hustete, als habe er sich vor Überraschung verschluckt. Ein anderer Mann lachte unterdrückt. »Was willst du?« »Ich muss den Ka’Mehantis sprechen.« »Warum?« Einer der Männer schrie auf, als sei er überraschend von einem Schlag in den Leib getroffen worden. Ich hielt es nicht mehr aus und blickte um die Ecke. Was ich sah, veranlasste mich, offen herauszutreten. Fassungslos beobachtete ich das Geschehen. Eiskralle stand sofort neben mir und war nicht weniger erregt als ich. Kolchos Augen mussten blau glühen. Wir sahen es, obwohl er uns den Rücken zuwandte, denn sein Kopf war in eine Aureole gehüllt, ein gespenstisches Leuchten, das den ganzen Gang erfasste. Über das Prallfeld huschten Schlieren, es zitterte. Nebelschleier schienen in ihm zu wallen. Dahinter befanden sich die Offiziere und die Roboter. Sie waren wie zu Stein erstarrt, und ihre Körper begannen durchsichtig zu werden. Auch sie waren blau, so wie alles im Gang. Irgendetwas hatte sie mitten in der Bewegung gestoppt, förmlich eingefroren. Einer von ihnen hatte seinen Arm halb erhoben, wohl um die Waffe, die er in der Hand hielt, auf Kolcho zu richten. Ein eigentümliches Knistern kroch über die Wände. Ich bemerkte blaue Funken, die aus dem Boden, aus der Decke, aus den Männern und den Robotern zu sprühen begannen.
Die Wache wurde immer transparenter. Die Einzelheiten verschwanden, bis sich schließlich auch die Konturen verwischten und nur noch blauer, von innen heraus glühender Nebel den Gang erfüllte. Kolcho presste die Hände gegen das Gesicht und stöhnte laut auf. Im gleichen Moment verschwand das Blau. Alles sah wieder wie sonst aus, nur das Energiefeld, die Roboter und die Männer waren verschwunden! »Wo sind sie?«, fragte Eiskralle atemlos. »Mein Kopf.« Kolcho ächzte. »Das halte ich nicht aus.« Er schlug sich mit den Fäusten gegen die Schläfen und sank auf die Knie. Sein Gesicht verzerrte sich. Ich beugte mich über ihn, um ihm zu helfen, und ich sah, dass seine Augen nunmehr nahezu weiß-in-weiß waren. Langsam entspannte sich das Gesicht. Tiefe Falten bildeten sich um seinen Mund herum. Kolcho griff nach meinem Arm, zog sich daran hoch und sagte mühsam: »Es geht schon wieder.« »Wo sind sie?«, erkundigte der Chretkor sich erneut. »Kolcho, wo sind sie?« Kolcho blickte ihn an. Seine Schultern zuckten. »Sie sind weg. Nicht tot. Sie sind einfach nur weg.« »Weg? Wieso weg? Wo sind sie denn?« »In einer anderen Dimension? In einem anderen Universum? Ich weiß es nicht.« Er hob abwehrend die Arme. »Spielt das jetzt eine Rolle? Wir wollen Freemush, oder wollt ihr eine wissenschaftliche Erklärung ausgerechnet jetzt für etwas, über das ich selbst nichts weiß? Ich kann es. Es funktioniert. Das ist alles.« Ich ging schweigend auf das Schott zu, das zu den Räumen des Ökonomen führte. So viel wusste ich: Kolcho hatte die Männer und die Roboter nur deshalb verschwinden lassen können, well das Prallfeld da gewesen war. Ohne eine zusätzliche Kraft oder Energie ist er hilflos, bestätigte mein Extrasinn. Ähnlich muss es beim Angriff der Echse gewesen sein.
Ich legte die Hand auf die Kontaktscheibe. Das Schott glitt zur Seite. Ein Orbton stand mit dem Rücken zu mir hinter dem Schott und fuhr herum. »Was soll…?« Er sah meine Waffe – und brach gelähmt zusammen. Eiskralle und Kolcho schleppten ihn in den Gang hinaus und schlossen dann zu mir auf. Wir befanden uns in einem Vorraum, der so etwas wie eine Wachstube war. Hier gab es eine Reihe von Monitoren, die jedoch nicht eingeschaltet waren. Wir hatten Glück gehabt. Unser Angriff hätte sehr leicht schon auf dem Gang scheitern können. Ich öffnete das nächste Schott und drang mit erhobenem Paralysator in einen zweiten Vorraum mit sechseckigem Grundriss ein. Schotten standen offen, von rechts war Frauenlachen zu hören. Ich betrat die kleine Halle, in der Freemush in einem Wasserbecken schwamm. Er war unbekleidet und die beiden jungen Frauen, die bei ihm waren, ebenso. Sie kreischten laut auf, als sie uns sahen, begriffen die Situation jedoch offensichtlich früher als der Ökonom. Dieser schwang sich über den Beckenrand und kam mit hochrotem Kopf auf uns zu. »Verschwinden Sie, aber schnell!«, befahl er mit schneidend kalter Stimme. Dann erst sah er Kolcho und fuhr zurück. Mit bebenden Händen griff er nach einem Badetuch und hüllte sich darin ein. Die beiden Schönen flüchteten in die hinteren Räume. Eiskralle eilte ihnen nach und paralysierte sie, um zu verhindern, dass sie Alarm schlugen. Dabei stieß er auf zwei Bedienstete, die sich auf ihn warfen, aber gegen seine Waffe machtlos waren. »Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie etwas gegen mich ausrichten können?« Freemush hatte sich inzwischen angekleidet. Kolcho beachtete er kaum noch. Er warf ihm hin und wieder einen Blick zu, den ich nicht enträtseln konnte,
aber er sprach nicht mit ihm, schien nicht den mindesten Zweifel daran zu haben, dass ich diese Aktion führte. »Das wird sich zeigen«, antwortete ich gelassen. Vielleicht schauspielerte er ebenso wie ich, denn so ruhig, wie ich mich gab, war ich nicht. Ich setzte mich in einen der luxuriösen Sessel, legte die Waffen griffbereit auf die Knie und beobachtete den Ökonomen. Ich erwartete, dass er auf die Vorfälle bei Kaddokos Palast zu sprechen kommen und an meine Dankbarkeit appellieren würde, aber nichts dergleichen geschah, obwohl er mich ohne Zweifel erkannt hatte. Er schwieg beharrlich, während ich mich an Kolcho wandte: »Willst du mir nicht endlich sagen, weshalb er dein Feind ist?« Der Mann mit den blauen Augen schüttelte nur den Kopf. »Er bildet sich ein, ich hätte seine beiden Töchter auf dem Gewissen«, sagte Freemush mit ironischem Unterton. »Das ist natürlich Unsinn.« Kolcho presste die Lippen fest zusammen. Er sagte kein Wort, aber in seinem Gesicht las ich eine düstere Drohung. Freemush spürte, dass er zu weit gegangen war. »Darüber kann man doch vernünftig miteinander reden. Muss deshalb ein Überfall wie dieser inszeniert werden?« »Du solltest versuchen, die Zentrale zu erreichen«, riet mir Kolcho. »Unter den gegebenen Umständen kannst du es dir sogar erlauben, selbst hinunterzugehen. Wir haben ihn, und das ist Sicherheit genug.« Ich schüttelte den Kopf, akzeptierte die Erklärung des Ökonomen nicht. Der Hass zwischen den beiden Männern muss ein anderes Motiv haben, raunte auch der Extrasinn, sonst hätte Freemush keinen Grund gehabt, Kolcho derart zu verfolgen, wie er es tat. Oder fürchtet er, dass Kolcho seine Karriere ruinieren könnte, weil er Dinge über ihn weiß, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind? Ich durfte den Politiker nicht aus den Augen lassen, denn sonst würde Kolcho unter Umständen über ihn herfallen und
ihn töten. Der Mann mit den unheimlichen Augen war nicht ohne Grund mit an Bord der CAISED gekommen. Er weiß ganz genau, weshalb er an dieser Aktion teilnimmt. Plötzlich erklang aus dem Interkom das vereinbarte Stichwort: »Thantur-Lok!« Geschafft! Sofort schaltete ich die Verbindung, ein großer Bildwürfel flammte an der Wand auf. Ich sah das bärtige Gesicht Fartuloons und atmete auf. Der Bauchaufschneider schnaufte: »Ein hartes Stück Arbeit. Aber das Schiff ist in unserer Hand. Wie ich seine, warst du ebenfalls erfolgreich. Überraschungseffekt ist wirklich was Feines.« Freemush lächelte herablassend, war keineswegs erschüttert. »Das genügt nicht. Sie können mit diesem Schiff nicht entkommen. Das Sicherheitssystem ist so ausgeklügelt, dass Sie keine Chance haben. Geben Sie auf, bevor es zu spät ist.« »Wir kommen in die Zentrale«, sagte ich. »Das schaffen Sie nie«, behauptete Freemush. »Halten Sie den Mund!«, fuhr ich ihn an, ging zu ihm und hielt ihm die Mündung des Thermostrahlers unter das Kinn. »Sollten Sie versuchen, mich zu überwältigen, oder sollte einer Ihrer Männer auf mich schießen, habe ich immer noch Zeit genug, um abzudrücken. Und ich werde es tun.« Ein anderer Bildwürfel erhellte sich. Ich sah das kantige Gesicht eines Offiziers. Die Auszeichnungen auf seiner Uniform zeigten mir, dass er ein kampferprobter Mann war. »Wer auch immer Sie sind«, sagte er mit schleppender Stimme. »Sie sollten wissen, dass das Schiff alarmiert ist. Die gesamte Besatzung ist auf den Beinen. Wir sind entschlossen zu kämpfen.« »Dazu ist es zu spät.« »Das glauben Sie! Ich weiß es besser. Wir haben noch genügend Möglichkeiten, Sie auszuschalten.« »Was auch immer Sie tun«, gab ich kühl zurück, »es wird
den Hochedlen das Leben kosten.« »Verzichten Sie auf Befreiungsaktionen, Orbton!«, befahl Freemush. »Diese Narren haben ohnehin keine Chance. Wir können sie gewähren lassen.« Ich ging mit ihm zum Ausgangsschott. Kolcho öffnete es. Im Gang davor standen etwa fünfzig Arbtanen und Orbtonen, alle bewaffnet. Unter diesen Umständen wurde der nächste, unbedingt notwendige Schritt in unserem Plan zumindest erschwert. Wir mussten mit Freemush in die Hauptzentrale, um gezielt operieren zu können. Geteilt waren wir nicht stark genug. »Schicken Sie die Männer weg.« Ich bemühte mich, so ruhig wie möglich zu erscheinen. Freemush durfte nicht merken, dass ich – vermutlich – nicht schießen würde. Ein toter Ka’Mehantis nutzte mir überhaupt nichts, zumal ich damit rechnen musste, dass man mich sofort töten würde, falls ich Freemush umbrachte. »Gehen Sie in Ihre Kabinen zurück«, sagte er zu den Männern im Gang. »Lassen Sie uns unbelästigt bis in die Zentrale. Und verzichten Sie darauf, den Antrieb lahm zu legen. Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen.« Sie wichen zurück, verschwanden aber nicht ganz. Langsam ging ich mit Freemush auf den Antigravschacht zu, durch den ich nach unten zur Hauptzentrale kommen wollte. Kolcho und Eiskralle folgten mir. »Ganz ruhig«, flüsterte ich. »Es lohnt sich nicht für Sie, einen Fehler zu machen.« Er blickte starr nach vorn. Ich konnte ihm einen gewissen Respekt nicht verweigern. Dieser hoch gewachsene Mann hatte sich in der Gewalt, und er war sich seiner Sache so sicher, wie ich meiner war. Seine Augen zeigten mir, dass er jetzt nicht mehr nervös zu machen war. Auf seinen schmalen Lippen schien mir sogar ein Lächeln zu liegen. Je näher wir dem Schacht kamen, desto mehr steigerte sich
meine Unruhe. Hatte ich auch keinen Fehler gemacht? War der Plan wirklich lückenlos? Verließ Freemush sich nur auf die Sicherheitsschaltung der CAISED, mit deren Hilfe die gesamte Begleitflotte alarmiert wurde, falls nicht in bestimmten Abständen ein Hebel in der Zentrale betätigt wurde? Ich wusste genau, wie ich diese Schaltung überlisten konnte. Durfte ich aber wirklich so sicher sein? Stimmten meine Informationen? Sie sind richtig, meldete sich mein Logiksektor. Der Plan ist so gut, dass jede Gegenreaktion zu spät kommen wird. Wir hatten den Schacht erreicht. »Vorsichtig«, mahnte ich und drängte den Vertrauten des Imperators in das abwärts gepolte Feld. Wir sanken nach unten. Wiederum schlossen sich uns Eiskralle und Kolcho sofort an. Unbehagen beschlich mich, als wir uns der nächsten Öffnung näherten. Für einen Moment würde ich ungedeckt sein. Verfügte Freemush über besonders geschulte Männer, die blitzschnell zuschlagen konnten, hatte er eine reelle Chance. Ich blickte nach oben. »Aufpassen, Eiskralle!« Ein dunkler Schatten schoss auf mich zu. Ein Faustschlag traf mein Handgelenk, und der Thermostrahler ruckte zur Seite. Die Mündung schlug Freemush gegen das Kinn und schleuderte seinen Kopf zurück, aber alles ging so schnell, dass ich auch dann nicht mehr hätte abdrücken können, wenn ich es gewollt hätte. Eine Hand riss mich aus dem Schacht heraus. Ich stürzte zwischen zwei athletisch gebaute Männer, die mich mit gezielten Faustschlägen auszuschalten versuchten. Sie erwarteten, dass ich zurückweichen würde, um in den Schacht zu flüchten. Tatsächlich aber warf ich mich nach vorn, rollte mich zwischen ihnen hindurch ab und kam hinter ihnen sofort wieder auf die Füße. Meine Hände zuckten hoch, und ich setzte einen der gefährlichen Griffe an, die mir Fartuloon beigebracht hatte. Mit einem Aufschrei flog einer
der beiden Männer über mich hinweg und stürzte in eine Gruppe von etwa sieben Männern hinein, die auf uns zustürmten und in den Kampf eingreifen wollten. An meinem zweiten Gegner vorbei sah ich, dass Kolcho und Eiskralle Freemush gepackt und an der Flucht gehindert hatten. Sie hielten ihn im Antigravschacht und verschwanden mit ihm nach unten. Buchstäblich im letzten Moment griff Kolcho nach meinem Thermostrahler, der auf dem Boden lag. Ich war allein. Jetzt kam es darauf an, so wenig Zeit wie möglich zu verschwenden. Deshalb schlug ich mit aller Kraft zu. Der Mann blockte meinen Angriff ab, war jedoch machtlos gegen den Überwurf, den ich sofort folgen ließ und mit dem ich ihn ebenfalls gegen die anderen Männer schleuderte, um sie zu behindern. Dadurch verschaffte ich mir ein wenig Luft. Ich stand allein vor dem Schacht, und genau das war es, worauf sie gewartet hatten. Plötzlich hielten sie ihre Strahler in den Händen. Mir blieb keine andere Wahl: Ich sprang mitten in die Gruppe, so dass die Männer nicht auf mich schießen konnten, ohne sich selbst zu treffen. Wütende Faustschläge trafen mich; ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Dennoch konnte ich zwei von Freemushs Soldaten zugleich packen und sie mit zur Schachtöffnung reißen. Wir stürzten zu Boden. Damit hatte ich gerechnet, rollte mich kopfüber ab und warf mich in das Antigravfeld. Ich war allein im Schacht und schwebte entsetzlich langsam nach unten, wartete fiebernd darauf, dass einer meiner Gegner über mir erschien und mich mit einem Strahlschuss erledigte. Doch als oben der erste Kopf erschien, hatte ich das nächste Deck bereits erreicht und konnte hinausspringen. Eiskralle, Kolcho und der Ökonom standen vor einer Gruppe von Offizieren, die uns den Weg zur Hauptzentrale versperrten. Ich ging zu Kolcho, nahm ihm die Waffe aus der Hand und
setzte sie Freemush an den Hinterkopf. »Jetzt reicht es«, sagte ich heftig atmend. »Sind die Männer nicht verschwunden, sobald ich bis drei gezählt habe, sind Sie ein toter Mann.« Er erkannte, wie wütend ich war, und zuckte sichtbar zusammen. »Sie haben es gehört. Also ziehen Sie sich zurück. Schnell!« »Eins!« Die Männer wichen zögernd zurück. Freemush zitterte stärker. War er also doch der Feigling, als der er bezeichnet wurde? »Den Paralysator!«, befahl ich. Kolcho gehorchte. Er schoss auf die Männer, von denen vier auf der Stelle bewusstlos zusammenbrachen. »Zwei!« Die anderen rannten. Eiskralle ging voraus und öffnete das Schott zur Zentrale. Fartuloon, Parok und Morvoner atmeten erleichtert auf. Auch sie hatten Schwierigkeiten gehabt. Drei Orbtonen lagen paralysiert auf dem Boden. Ein vierter Mann kauerte vor einem Sessel, war durch einen Messerstich am Hals verletzt worden – der Kommandant im Rang eines Vere’athor, ein Dreiplanetenträger. Ich beruhigte mich erst, als das Hauptschott hinter uns zuglitt. »Kolcho und Parok, bringt die vier nach draußen! Dort können sie versorgt werden.« Die beiden gehorchten augenblicklich, schleppten die Bewusstlosen hinaus und stützten den Verletzten, als er die Zentrale verließ. Endlich waren wir allein. Wir hatten das Schiff in der Hand denn die Hintertür, durch die Fartuloons Gruppe in die Zentrale eingedrungen war, wurde selbstverständlich von uns gesichert. Morvoner löste Verschlusszustand aus, so dass sämtliche Schotten und Sicherungspforten geschlossen wurden. Hinzu kamen die Vorrangschaltungen der Zentralepulte, die nicht so ohne weiteres umgangen werden konnten.
Die CAISED hatte das Sonnensystem noch nicht verlassen. Mit fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegte sie sich auf die Bahn der äußeren Planeten zu. Auf den Ortungsschirmen waren die Reflexe der 600 Robotbegleitschiffe deutlich zu erkennen. Die Flotte bewegte sich hinter uns her. »Nun, junger Mann?« Freemush sprach herablassend und lächelte überlegen. »Wie geht es denn nun weiter?« Ich lächelte in der gleichen Art wie er. »Wo ist der Hebel der Sicherheitsschaltung, Kolcho?« Bevor dieser antworten konnte, sagte Freemush: »Darüber ist auch mein ehemaliger Chefingenieur nicht informiert. Ich habe die Sicherheitseinrichtungen ein wenig ändern lassen, nachdem er aus meinem Dienst ausgeschieden war.« Ich ließ mir meine Überraschung nicht anmerken. Ich hatte nicht vermutet, dass Kolcho eine derart hohe Funktion auf der CAISED gehabt hatte. »Nun, mein Freund? Wollen Sie noch immer nicht aufgeben?« »Keineswegs.« Ich ging zum Terminal des Hauptcomputers und tippte die galaktischen Koordinaten des ersten Transitionsziels ein, die mir mein Extrasinn zuraunte. Freemush versuchte, mir zu folgen, aber Fartuloon stellte sich ihm in den Weg. Kolcho kam zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. »Wohin?« »Wart es ab!« Plötzlich blinkte ein Warnlicht auf dem Steuerpult. Zahlreiche Instrumentenanzeigen sanken auf null herab. Fartuloon fluchte wie ein Arenakämpfer. »Sie haben das Transitionstriebwerk lahm gelegt«, sagte Parok, der in einem freien Sessel saß und dampfende K’amana aus einem Becher trank. Freemush verlor etwas von seiner
Sicherheit. Auf den Ortungsschirmen konnte ich ablesen, dass die Flotte aufholte und dichter zu uns aufschloss. War es schon so weit? War die Tonta der Sicherheitsschaltung vorüber? Ein Bildwürfel erhellte sich. Wiederum sah ich das harte Gesicht des Orbtons, der bereits einmal mit uns verhandelt hatte. »Wir haben uns entschlossen, Ihnen das Schiff nicht zu überlassen.« »Das ist Ihre Sache. Sie haben die Folgen zu verantworten.« Er schüttelte den Kopf. »Wir werden nicht nachgeben. Notfalls stürmen wir die Zentrale mit Gewalt.« »Sie werden tun, was ich Ihnen befohlen habe!« Freemush sah nicht mehr so überlegen aus. »Wir bedauern, aber das werden wir nicht tun. Sie können sich nicht mehr frei entscheiden, Zhdopanda. Deshalb befolgen wir Ihre Befehle nicht mehr.« »Legen Sie Wert darauf, posthum den Zarakh-Tantor-Orden verliehen zu bekommen?«, erkundigte ich mich ironisch. Seit den Uranfängen des Tai Ark’Tussan gab es diesen besonderen Orden, der offiziell nicht den geringsten Wert hatte, insgeheim aber als die größte Auszeichnung galt, die einem arkonidischen Orbton verliehen werden konnte. Er bekam ihn jedoch nur, wenn er entgegen allen Befehlen und völlig nach eigenem Ermessen handelte, sich diese krasse Befehlsverweigerung im Nachhinein aber als richtig und angemessen erwies. Eine Anklage wegen Insubordination war ansonsten noch der harmlose Teil dessen, was der Betreffende zu erwarten hatte. Freemush fluchte plötzlich in ähnlicher Weise wie vorher Fartuloon. »Sie können der Robotflotte nicht entkommen. Das ist völlig ausgeschlossen. Haben sie das erst einmal begriffen, werden sie aufgeben.« Ich lächelte und beobachtete Freemush und den Offizier,
und ich sah, dass Freemush versuchte, mit den Augen Zeichen zu geben. Absichtlich wandte ich mich ab, und der Erfolg stellte sich unmittelbar darauf ein. »Gut«, sagte der Orbton. »Die Sicherheit des Gefangenen geht vor.« Er schaltete ab. Natürlich glaubten er und Freemush, dass wir tatsächlich früher oder später aufgeben würden, wenn uns die Flotte so dicht auf den Fersen blieb, dass wir ihr nicht entkommen konnten. Morvoner Sprangk setzte sich in den Sessel des Piloten. Die benötigten Daten liefen von der Positronik ein. Unterdessen stiegen die Instrumentenanzeigen wieder auf die früheren Werte. Überall leuchteten Freizeichen auf. Die CAISED beschleunigte nun mit voller Kraft, das Dröhnen der Impulstriebwerke ließ die Schiffszelle erzittern. Die nächste Sonne war Lichtjahre weit von uns entfernt. Als kleiner Punkt leuchtete sie auf dem Panoramaschirm der Hauptzentrale. Nachdem die Sprungberechnungen abgeschlossen waren und der Rand des Jacinther-Systems erreicht war, leitete Sprangk die erste Transition ein. Der Strukturfeld-Konverter des Ferm-Taark riss das Schiff aus dem vierdimensionalen Raum-Zeit-Gefüge und schleuderte es, während uns die ziehenden Schmerzen heimsuchten, in Nullzeit ans programmierte Ziel. Freemush saß in einem Sessel am Konferenztisch in der Zentrale. Er lächelte mir geradezu verzeihend zu, so, wie Fartuloon es manchmal getan hatte, wenn ich gegen seinen Rat versucht hatte, meine Vorstellungen durchzusetzen, und dabei gescheitert war. »Nun?« Seine harte Stimme passte nicht so recht zu seiner Miene. »Begreifen Sie endlich, junger Freund?« Er fühlte sich absolut sicher. Die dritte Transition lag hinter uns. Aus der Sicht des Ka’Mehantis hatte uns auch dieser Sprung nichts eingebracht. Die Robotflotte hatte die Strukturerschütterungen geortet und war uns gefolgt. Soeben
war sie in unserer Nähe aufgetaucht. Auf den Instrumententafeln leuchteten ganze Kaskaden von Warnlampen auf. Das war ein unübersehbares Zeichen dafür, dass die robotischen Verfolger Aktionen einleiteten, mit denen sie die CAISED lahm legen wollten. Fartuloon und ich blickten uns an. In seinen Augen blitzte es triumphierend auf. Jetzt wussten wir, dass mein Plan auch wirklich funktionierte. »Weiter«, rief ich. »Die nächste Transition!« »Das ist doch Irrsinn!« Kolcho glitt aus seinem Sessel und kam auf mich zu. Vielleicht wollte er mich packen und durchschütteln. Er kam nicht mehr dazu, denn Morvoner handelte zuverlässig. Die CAISED verschwand abermals aus dem uns vertrauten Kontinuum. Nach dieser vierten Transition würden wir knapp 20.000 Lichtjahre von Jacinther IV entfernt sein… ...und als das Schiff wieder materialisierte, raste es durch das Chaos: In der Panoramagalerie erschienen nicht die Sterne auf samtener Schwärze, sondern graubraune, rötliche und rotbläuliche Wirbel umfluteten den Raumer, der von unsichtbaren Gewalten hin und her geworfen wurde. Kolcho fuhr herum und starrte fassungslos auf die Bildschirme. Der Ökonom sah jetzt ganz und gar nicht mehr selbstsicher aus. Zum ersten Mal schien er zu ahnen, dass wir durchaus nicht blind in seine Robotfalle gelaufen waren, sondern dass wir sehr genau gewusst hatten, was wir taten. Lange bevor er den vollen Umfang des Geschehens erfasste, beobachtete ich, wie die Ortungsreflexe auf den Schirmen schlagartig anwuchsen. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, denn wir hatten einen äußerst wichtigen Teilsieg errungen. Vielleicht hatten wir sogar schon auf der ganzen Linie gewonnen. Morvoner stand auf und ließ die CAISED steuerlos weiterfliegen. »Wo sind wir?« Freemush keuchte. »Was habt ihr getan?«
»Wohin hast du uns gebracht?« Kolcho blickte mich an, und eine unheimliche Gewalt schien mich niederzudrücken. Ich stemmte mich gegen die Kraft, die von ihm ausging, während ich zugleich das ungeheuerliche Maß der Gefahr erkannte. Wiederum konnte Kolcho auf freie Energie zurückgreifen, mit deren Hilfe er seine Macht uferlos ausweiten konnte. Die Situation glich jener beim Prallfeld vor der Luxuskabine. Überwand Kolcho seine Panik nicht, konnte er uns womöglich alle verschwinden lassen – vielleicht sogar die CAISED… So ruhig, wie ich konnte, sagte ich: »Ich habe die CAISED in die Sogmanton-Barriere gelenkt.« Kolcho erblasste. »Dann sind wir verloren.« »Sie sind ja wahnsinnig!« Freemush vermochte sich nicht vorzustellen, dass wir die Situation beherrschten. »Es wäre einfacher gewesen, hätten Sie mich gleich ermordet.« »Darum ging und geht es mir nicht«, antwortete ich und ließ mich von meinem Siegesgefühl mitreißen, als ich auf die Ortungsschirme deutete. »Sehen Sie, Ihre Flotte ist uns gefolgt. Sechshundert Robotraumschiffe modernster Bauart sind in die Sogmanton-Barriere gerast! Und sie haben keine Chance, aus ihr wieder herauszukommen!« »Jetzt verstehe ich endlich.« Kolcho sank in einen Sessel. Seine Hände verkrampften sich ineinander. Dichter Schweiß bedeckte seine Stirn, und Tränen der Erregung füllten seine Augen. Fehler!, signalisierte mein Logiksektor und ließ in mir Orbanaschols Bild aufblitzen. Das war zu früh. Er wird dich umbringen. Töte ihn! Mein Extrasinn war völlig frei von Emotionen und dachte mit mathematischer Exaktheit. Er kannte keine moralische Wertung aus sich selbst heraus und konnte mir daher keine fertigen Entscheidungen anbieten, nach denen ich mich blind richten konnte. Ich griff nicht nach dem Thermostrahler, und
ich tat nichts, um die auf kommende Gefahr schon im Keim zu ersticken. »Du hast mich betrogen.« Kolchos Augen bekamen einen gefährlichen blauen Glanz, schienen von innen heraus zu leuchten. »Du hast es gar nicht auf Freemush abgesehen. Du wolltest ihn gar nicht entführen.« »Nicht? Da irrst du dich gewaltig.« Der Versuch, ihn abzufangen, war zu schwach angelegt. Meine Worte hatten zu wenig Nachdruck. Ich spürte es selbst. »Nein, Atlan, du wolltest die Begleitflotte. Du wolltest Imperator Orbanaschol treffen, und du hast ihn auch getroffen, denn selbst ein Mann wie er kann nicht auf eine derartige Macht verzichten wie unsereins auf einen Dolch.« Er kam auf mich zu. »Du weißt genau, wie du die CAISED wieder aus der Barriere herausführen kannst. Für dich ist der Flug hier nicht zu Ende, sonst hättest du dich nicht freiwillig hierher gewagt.« »Du hast Recht. Die CAISED wird die Barriere sehr bald wieder verlassen. Die Robotflotte aber wird hier bleiben.« Kolchos türkisblau glühende Augen weiteten sich. »Sobald du sie brauchst, wirst du sie dir holen, um sie gegen Orbanaschol zu führen. Ist das richtig?« »Was soll das?« Fartuloon sprach mit scharfer Stimme. »Kolcho, beruhige dich!« »Nein, Dicker. Ich werde niemandem helfen, der gegen Orbanaschol Krieg führt.« Er streckte eine Hand aus. Plötzlich entstand ein blaues Lichtfeld vor seinem Kopf Ich erinnerte mich schaudernd an die Ereignisse vor dem Prallfeld. »Tötet ihn, sonst…«, rief ich. Da flutete auch schon das blaue Licht auf mich zu. Ich stürzte in ein blaues Nichts… Schon in der ersten Phase des Geschehens, die mit keinerlei Zeitgefühl verbunden ist, entgleite ich der für mich bisher gültigen
Wirklichkeit. Die CAISED verschwimmt vor meinen Augen, und körperlos wechsele ich ins AII hinüber. Unwillkürlich erwarte ich, in die Sogmanton-Barriere zu gelangen, aber von ihr ist nichts zu sehen. Dennoch spüre ich ihre bedrohliche Nähe. Zugleich erkenne ich, dass Kolcho nicht aus dem Schiff; sondern von ihr die energetische Unterstützung erhält, die er benötigt… Bevor ich mich orientiert hatte, glitt ich bereits in eine neue Welt In unmittelbarer Nähe befand sich nun eine blaue Riesensonne, von der ich mit unwiderstehlicher Gewalt angezogen wurde. Ich stemmte mich unwillkürlich mit aller Kraft gegen den Schweresog, ohne auch nur den geringsten Effekt zu erreichen. Nichts schien mich vor der Glut retten zu können, als ich mich plötzlich in der Atmosphäre eines Sauerstoffplaneten wieder fand. Ich schwebte über einem fruchtbaren, besiedelten Land und sah Kugelraumschiffe starten und landen. Zahlreiche Transportgleiter flogen zwischen den Siedlungen hin und her. Über dem Vorland eines Gebirges fand ein Gleiterrennen statt. Deutlich konnte ich die bizarr gestalteten Maschinen sehen, die durch die vorgegebenen Bahnen rasten und dabei oft bedrohlich nahe an die Zuschauermassen herankamen. Es schien sich um eine Abart des Karaketta-Rennens zu handeln, das, von Imperator Bargk I. 3750 da Ark initiiert, seither alle zwei Arkonjahre auf der Kristallwelt rings um den Hügel der Weisen durchgeführt wurde – ein Spektakel mit vergleichsweise primitiven »Raketengleitern«. Dann blitzte es irgendwo hinter mir auf. Ich sah einen Energiestrahl in ein hohes Gebäude einschlagen, wo er sofort mehrere vernichtende Explosionen auslöste. Bevor ich noch den tieferen Sinn dieses Geschehens verstehen konnte, wurde ich erneut weitergerissen. Ich eilte durch ein dichtes Gewimmel von arkonoiden Wesen. Über mir leuchtete eine gelbgrünliche Sonne. Geschrei umgab mich. Irgendwie kam
mir alles vertraut und bekannt vor, so als hätte ich alles schon einmal erlebt, als sei ich schon einmal exakt in diesem Augenblick an dieser Stelle gewesen. Ein riesenhafter Mann trat mir in den Weg und hielt mich fest. Er blickte mich aus gelblichen Augen prüfend an. Das Haar reichte ihm bis unmittelbar über die Augen. »Wo bist du gewesen?«, fragte er. Ich kannte seinen Namen und wollte ihn mit einem freundschaftlichen Schlag auf die Schulter begrüßen. Meine Hand glitt durch ihn hindurch, und er verschwand. Dafür sah ich einen blauen Planeten unter mir in der Schwärze des Alls schweben. Zwei weiße Monde umkreisten ihn. Walzenförmige Raumschiffe flogen auf die blaue Welt zu. Bevor ich noch ausmachen konnte, ob diese Raumer in freundschaftlicher oder feindlicher Absicht kamen, stürzte ich weiter und fand mich in der Zentrale eines Schiffes wieder, das über einem grünen Ozean schwebte. Eine nur undeutlich zu erkennende Gestalt wies auf einen Monitor und damit den dort abgebildeten Text, der mit den Worten Fragmentarische Texte von Yxathorm überschrieben war. Also sprach der Träger des Lichts: Ihr, die ihr in der Dämmerung der Unwissenheit zufrieden schlummert, werdet niemals über das Stadium des Vor-Menschtums hinauskommen. Zu Menschen werdet ihr nur, wenn ihr die Verbote missachtet, eure Augen öffnet und euch der Erkenntnis zuwendet. Von diesem Augenblick an werdet ihr nicht mehr unschuldig sein, sondern gut und böse zugleich, und ihr werdet wissen, dass ihr gut und böse seid. Große Mühen und Leiden werden über euch kommen, aber wenn ihr unbeirrt weiter nach dem Licht der Erkenntnis strebt, werdet ihr in ferner Zukunft die Vollkommenheit erreichen. Viele Fallen lauem auf euren Wegen, aber auch viele Hilfen erwarten euch. Eine dieser Hilfen ist der Stein der Weisen; in den richtigen Händen kann er Dinge vollbringen, die euch wie Wunder erscheinen werden. Doch schwer ist es, ihn zu suchen, und noch schwerer, ihn zu behalten.
… bis ich das Bild auf dem größten Schirm der Außenbeobachtung entdeckte. Es handelte sich um eine riesige schwarze Plattform, die mitten im Raum schwebte und in ein ungewisses Leuchten gehüllt war. Sie hatte keinerlei Erhebungen, Einbuchtungen oder Öffnungen, soweit sich das feststellen ließ, und war quaderförmig, das heißt, sie wurde von drei Paaren deckungsgleicher Rechtecke begrenzt. Die Länge der Plattform betrug sechstausend, die Breite zweitausend und die Höhe tausend Meter. Unter den Raumfahrern des Großen Imperiums kursierten zahllose Gerüchte über dieses Objekt. Man nannte es die »Vergessene Positronik« oder auch die »Vergessene Plattform«, und die meisten Raumfahrer fürchteten es mehr als alle Dunkelsonnen, Hyperstürme und Antimaterielöcher zusammen. Es hieß, dass die Vergessene Positronik das Überbleibsel eines kosmischen Urvolks sei, das angeblich ausgestorben war, bevor sich die Vorfahren der Arkoniden das Feuer untertan machten. Seitdem trieb die Plattform ruhelos durch den Raum, tauchte unvermittelt einmal in diesem, dann in jenem stellaren Sektor auf und brachte Tod und Verderben über die Raumfahrer, die ihr begegneten. Von Fartuloon wusste ich, dass diese Plattform im Verlauf der letzten Arkon-Perioden angeblich im von den Leuchtsternen Mhalloy, 12-LOKORN und 39-KARRATT sowie der Sogmanton-Barriere markierten Raumbereich dreimal gesichtet worden war! Sie sollte auch der Schlüssel zu einem weiteren Überbleibsel jenes legendären Urvolks sein – nämlich der Schlüssel zum mysteriösen Stein der Weisen, der angeblich dem, der ihn fand und der sich seiner würdig erwies, große Macht und großes Glück schenkte. Niemand wusste genau, wie dieser Stein der Weisen aussah, und niemand wusste, wo er sich befand. Viele hatten versucht, ihn zu finden. Die Glücklicheren von ihnen
hatten niemals eine Spur entdeckt, die zu ihm führte; alle anderen waren verschwunden. Als die Bilder sich abrupt auflösten und ich meinen Widerstand mehr und mehr aufgab, erfasste ich allmählich, was mit mir geschah. Ich wusste, dass Kolcho mich mit seinen paranormalen Kräften aus meiner Existenzebene schleudern wollte und dafür die energetischen Verhältnisse der Sogmanton-Barriere benutzte. Er hatte von anderen Dimensionen gesprochen, in die er die Roboter und Offiziere der CAISED abgedrängt hatte. Damit hatte er vermutlich keinesfalls höher dimensionierte Kontinua gemeint. Vielmehr meinte er Paralleluniversen… Ich kannte die arkonidischen Theorien, hatte mich auch schon mit der Hyperthorik beschäftigt. Nach ihnen gab es neben dem Standarduniversum, in dem ich lebte, noch unzählige weitere Universen, die parallel dazu bestanden oder durch zeitliche »Unterschiede« voneinander getrennt waren. Das war genau der Eindruck, den ich jetzt erhielt. Aber ich war weit davon entfernt, überzeugende Beweise für die Existenz dieser Universen zu erhalten, denn meine Wahrnehmungen – oder das, was ich dafür hielt – vermischten sich mit den Gedanken und Erinnerungen Kolchos. Ich erlebte Szenen mit, die eine maßgebliche Rolle in seinem Leben gespielt hatten, ich blickte in Universen, die sich nur durch Kleinigkeiten vom Standarduniversum unterschieden. So sah ich mehrfach die Wirbel und Strömungen der Sogmanton-Barriere, wobei jeweils andere Farben überwogen. Ich glaubte Sogmanton Agh’Khaal zu sehen, an Bord seines Raumers; seine besessene Suche nach dem legendären Land Arbaraith. Riesige Kristalle taumelten durch mein Blickfeld, von blitzenden Reflexen übersät und einem sphärischen Klingen und Läuten begleitet. Ich sah sogar jenen Mann, der mein Namenspatron war, den Heroen Tran-Atlan – und es
wunderte mich nicht einmal, dass er mein Gesicht hatte. Ich hatte keinerlei Zeitgefühl, aber ich ahnte zumindest, dass die Ereignisse in rasender Geschwindigkeit abrollten. Vielleicht war ich in einer Existenzebene, in der ganz andere Zeitgesetze galten als etwa an Bord der CAISED. Das aber war nicht das Problem, das mich beschäftigte: Ich wollte nicht zu einem ruhelosen Wanderer zwischen den Dimensionen und Universen werden, wie es auch von der »Vergessenen Positronik« behauptet wurde. Ich wollte mich Kolcho nicht unterwerfen. Deshalb hatte ich mich zunächst mit aller Kraft gegen ihn gewehrt, so, wie es vielleicht alle getan hatten, die in einen solchen Kampf mit ihm verwickelt worden waren. Dann aber erinnerte ich mich an die besonderen Bedingungen der Sogmanton-Barriere. Weshalb hatte ich die CAISED denn hierher geführt und damit die 600 Robotbegleitschiffe in die Falle gelockt? Ich hatte es doch nur getan, well ich wusste, dass die positronischen Kommandanten und die wenigen Mitglieder der Notbesatzungen, die vielleicht an Bord waren, den gleichen Fehler machen würden, den ich gemacht hatte, als ich mit meinen Freunden zum ersten Mal in die Barriere geraten war. Auch ich hatte versucht, mich mit dem Raumer freizukämpfen. In der Annahme, dass die kosmonautischen Gesetze auch in der Barriere galten, hatte ich mich so verhalten, wie es sonst überall im Universum richtig gewesen wäre. In der Sogmanton-Barriere aber war es falsch, sich zu wehren. Hier musste man sich den Strömungen ergeben und sie dadurch für sich nutzen. Nur wer ihnen nachgab, konnte sich aus ihnen befreien und ein Ziel erreichen, wenn auch auf Umwegen. Als ich mir dessen bewusst wurde, gab ich den Widerstand gegen die Parakräfte Kolchos sofort auf. Ich spürte, dass er mir weit überlegen war, und konnte deshalb
nur gegen ihn bestehen, wenn ich ihm auswich, keinen Widerstand entgegensetzte und ihn auf diese Weise quasi ins Leere laufen ließ. Wieder wurde ich durch die Dimensionen geschleudert, wobei wie in einem Trickfilm immer wieder Erinnerungsfetzen aus seinem Leben vor meinem geistigen Auge erschienen. Allmählich begann ich zu ahnen, was ihn und Freemush zu Feinden gemacht hatte. Kolcho war fest davon überzeugt, dass Freemush seine beiden Töchter auf dem Gewissen hatte. Sie waren nicht mehr aufgetaucht, nachdem der Ka’Mehantis sie zu einer Festlichkeit in einem seiner zahlreichen Landhäuser auf einem Kolonialplaneten eingeladen hatte. Kolchos Nachforschungen waren vergeblich gewesen, und so hatte er sich eines Pragos dazu hinreißen lassen, mit den Bordkanonen der CAISED auf eine Fabrikationsanlage zu feuern, die Freemush gehörte. Es hatte viele Tote gegeben, der wirtschaftliche Schaden war ebenfalls immens gewesen. Ich erfuhr nicht, wie Kolcho von Bord der CAISED und dann nach Jacinther IV gekommen war. Es interessierte mich auch nicht, denn mir ging es darum, in meine angestammte Existenzebene zurückzukommen und den Kampf gegen den Blauäugigen zu gewinnen. Irgendwann tauchten die Gestalten meiner Freunde vor mir auf. Sie sahen transparent aus und schienen unwirklich zu sein. Ich sah sie als absonderliche helle Schatten vor dem Bild eines roten Riesenplaneten, wie bei einer Überblendung in einem Trividfilm. Sie wurden rasch überdeckt von den übergroßen türkisblauen Augen Kolchos, der mich anstarrte und vernichten wollte. Ich machte den Fehler, mich an meine Freunde klammern zu wollen, und verlor dadurch sofort den Kontakt mit ihnen. Augenblicklich gab ich nach und ließ mich widerstandslos treiben.
Wie erhofft näherte ich mich dadurch meinen Freunden wieder. Ich tat nichts, um den Vorgang zu beschleunigen, sondern wartete einfach nur ab. Die Hauptleitzentrale der CAISED wurde wirklich. Ich sah meine Freunde in einem blauen, wallenden Licht. Vor mir stand Kolcho mit verzerrtem Gesicht. Er sah uralt und erschöpft aus. Schweiß bedeckte seine Stirn. Er streckte mir die Hände entgegen, als wolle er mich mit bloßen Fingern durch die Dimensionen und Universen stoßen. Bis jetzt war im Standarduniversum alles bewegungslos gewesen, so als sei dort die Zeit stehen geblieben. Das änderte sich schlagartig, als ich mein Gewicht wieder fühlte, als ich atmen konnte und die vielfältigen Geräusche in der Zentrale wahrnahm. Eiskralle sprang auf Kolcho zu. Dieser wollte dem Angriff ausweichen, reagierte aber zu spät. Die Hände berührten den Mann mit den blauen Augen. Kolcho schrie auf, erstarrte augenblicklich zu Eis. Der Chretkor prallte gegen ihn, und der Blauäugige zersplitterte zu Millionen von Kristallen. Unwillkürlich trat ich vor. Auch ich streckte meine Arme nach Kolcho aus und versuchte, das Verhängnis zu verhindern. Aber ich kam zu spät. Etwas Eiskaltes fiel mir in die geöffnete Hand. Instinktiv hielt ich es fest, während ich eine blaue Perle zu Boden fallen sah. Sie zersprang zu Staub, ähnlich wie es mit dem Phalaym geschehen war. Ich blickte auf das, was ich aufgefangen hatte, etwas, das von einem Auge Kolchos übrig geblieben war – ein türkisblaues, ovales Gebilde. Es war kleiner als ein Auge. Ohne nachzudenken, steckte ich es in die Tasche. Aufgeregt bedrängten mich meine Freunde. Sie wollten wissen, was geschehen und wo ich gewesen war. Fartuloon fasste sich als Erster. Das war, als Freemush versuchte, aus der Hauptleitzentrale zu fliehen: Er hatte angenommen, das allgemeine Durcheinander für sich nutzen zu können. Der
Bauchaufschneider sprang ihm aber so schnell hinterher, dass er ihn noch vor dem Ausgangsschott erreichte. »So haben wir nicht gewettet, Freundchen!« Er packte den Ökonomen und riss ihn kräftig zurück. Jetzt erinnerten sich auch Eiskralle, Morvoner und Parok daran, wie gefährlich unsere Lage nach wie vor war. Sie beruhigten sich, nachdem ich ihnen einen kurzen Bericht abgegeben hatte. »Du warst kaum mehr als ein schwacher blauer Schatten.« Fartuloon runzelte die Stirn. »Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, als du plötzlich zurückkamst. Diesen Moment hat Eiskralle genutzt.« »Wie lange hat das alles gedauert?« Er machte eine unbestimmte Geste, die mir bedeuten sollte, dass er es nicht genau wusste. »Es ging sehr schnell. Bevor wir dreimal Luft geholt hatten, war alles vorbei.« Er blickte auf das, was von Kolcho übrig geblieben war. »Schade um ihn. Irgendwie mochte ich ihn, wenngleich ich nicht schlau aus ihm wurde. Er hätte uns mit seinen Parakräften sehr helfen können.« Ein Reinigungsroboter rollte heran und saugte die Überreste auf. Wir ließen es geschehen. Als die Maschine fertig war, schaltete ich sie ab. Sie war zum Sarg für Kolcho geworden. »Wir werden sie ausschleusen«, bestimmte ich, »und gemeinsam die Rhudhinda sprechen.« Fartuloon und Morvoner Sprangk diskutierten leise darüber, wie sie die CAISED aus dem Sog der Barriere steuern sollten. Ich saß in einem Sessel am Besprechungstisch und blickte nachdenklich auf das ovale Ding in meiner Hand, das einmal ein Auge Kolchos gewesen war. Nebelschleier bewegten sich unter der spiegelnd glatten Oberfläche. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es mir jemals gelingen würde, das Geheimnis zu lösen. Kann es mir vielleicht einmal den Weg zu anderen Universen öffnen? Ich schob das Oval in meine Tasche zurück.
Der Logiksektor sagte: Irgendwann wirst du vielleicht mehr erfahren. Parok kam zu mir und wies mit dem Daumen über die Schulter. »Da ist ein Offizier. Er will mit uns verhandeln.« »Lass ihn herein!« Der Mertemelker eilte zum Hauptschott und öffnete es. Aufmerksam beobachtete er den Offizier, der mit erhobenen Händen hereinkam. Es war der gleiche Mann, mit dem ich nun schon zweimal verhandelt hatte. Ich vermutete, dass er ein hoch gestellter Sicherheitsbeamter war, den man zu Sonderaufgaben für Freemush abgestellt hatte. Ich stand auf. »Was führt Sie zu uns?« Er verneigte sich knapp vor dem Ökonomen und nahm dann meine Einladung an, am Tisch Platz zu nehmen. »Die Auseinandersetzung steht unentschieden. Sie haben den Ka’Mehantis, aber wir kontrollieren das Schiffsinnere. Wenn wir wollen, können wir Sie erledigen. Mit Gewalt!« »Sie irren sich. Sie haben auf der ganzen Linie verloren. Sicherlich könnten Sie versuchen, uns auszuschalten, indem Sie zum Beispiel Giftgas einströmen lassen. Aber das würde Ihnen nichts helfen. Sie wissen genau, dass uns immer noch genügend Zeit bliebe, Freemush Ta-Bargk zu töten. Und genau das wollen Sie verhindern.« »Sie haben Recht. Nur aus diesem Grund haben wir noch nicht zugeschlagen. Aber wie wollen Sie jetzt weiterkommen? Sie befinden sich in einer Sackgasse.« Ich deutete auf Sprangk, der die CAISED lenkte. »Finden Sie?« Er konnte auch von seinem Platz aus deutlich erkennen, dass die CAISED nicht mehr steuerlos durch die SogmantonBarriere trieb, sondern von unserem Freund geschickt »gelenkt« wurde. Immer noch wirbelten bräunliche Energieschleier über die Panoramagalerie. Die Instrumente
zeigten völlig falsche Werte an, aber wir hatten inzwischen gelernt, sie richtig zu interpretieren. »Kein Schiff ist bisher aus der Sogmanton-Barriere herausgekommen«, behauptete der Offizier. Ich lächelte. »Das ist der große Irrtum, dem auch ich vor einiger Zeit noch erlag. Wir führen die CAISED genau dorthin, wohin wir wollen. Verlassen Sie sich darauf; niemand wird uns daran hindern. Natürlich könnten Ihre Männer versuchen, die Zentrale zu stürmen, aber das würde ihnen nichts nützen. Denn Sie wissen nicht, wie ein Schiff unter diesen Umständen gesteuert werden muss. Vergessen Sie nicht, dass die Begleitflotte auf jeden Fall in der Barriere bleiben wird.« Er blickte erst mich und dann den Ökonomen an. Freemush machte eine resignierende Geste. »Wir werden bald auf einem Asteroiden landen. Bis dahin sollen sich Mannschaften und Offiziere in einem Hangar versammelt haben; vorher legen Sie sämtliche Waffen ab.« »Sie glauben, dass wir uns kampflos ergeben?« »Natürlich werden Sie das. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig. Überlegen Sie es sich in Ruhe und geben Sie uns dann Bescheid. Aber wie Sie sich auch entscheiden – es ändert nichts daran, dass wir die CAISED fest in der Hand haben.« Er stand auf, grüßte militärisch und verließ die Zentrale. »Wir legen Schutzanzüge an«, sagte Fartuloon. »Ich glaube zwar nicht, dass sich noch etwas ändert, aber Vorsicht hat noch nie geschadet.« Wir fanden alles, was wir benötigten, in den Ausrüstungsschränken. Sogar für Eiskralle war ein Schutzanzug vorhanden, der recht gut passte. Nur Parok musste verzichten; er probierte mehrere Ausrüstungen aus, feind jedoch nichts, was für ihn geeignet war. Schließlich begnügte er sich mit einem Aggregatgürtel, der bei Bedarf einen IV-Schirm errichten konnte.
Freemush war sichtlich schockiert, als die CAISED die Barriere tatsächlich durchstieß und in den freien Raum vordrang. Bis zu diesem Zeitpunkt schien er immer noch gehofft zu haben, dass sich der Kristall zu seinen Gunsten drehen könnte. Als die CAISED aber beschleunigte und die Wirbel hinter uns zurückblieben, sank er in sich zusammen. Er sprach kein Wort. Das spöttische Lächeln Fartuloons deprimierte ihn. Danach dauerte es nicht lange, bis Richmonds Schloss in der Panoramagalerie erschien. Freemush richtete sich wieder auf. Erstaunt blickte er auf das seltsame Gebilde, das aus einem Asteroiden und zahllosen Raumschiffswracks bestand. Überall auf der Oberfläche des unregelmäßig geformten, grob an eine bauchige Flasche erinnernden, abschnittsweise ausgehöhlten Gebildes von rund tausend Kilometern Durchmesser waren bündelweise Raumschiffe, Raumschiffsteile und Wracks zu erkennen. Die Piraten hatten sie aneinander geschweißt, so dass teilweise wahre Berge entstanden waren, die weit in den Raum hinausragten. Ich meldete mich über Funk und ließ mich mit Hanwigurt Sheeron verbinden. Wie bei unserer ersten Begegnung hatte er auf einer Art Diwan Platz genommen und hockte mit untergeschlagenen Beinen zwischen Kissen. Die kleinen, fleischigen Hände waren vor dem Bauch gefaltet. Schweiß lief vom kahlen Schädel über die feisten Wangen herab. Seine Kleidung dagegen war sehr gepflegt und übertrieben elegant. Und ebenfalls wie bei unserer ersten Begegnung versuchte der Telepath, meine Gedanken zu sondieren; es gelang ihm nicht – mein Monoschirm hielt. Ein wenig unmutig sah er mich an. »Wir haben ein Schiff geortet, das sich nicht anhand unserer Unterlagen identifizieren lässt.« »Das ist schnell erklärt: Wir befinden uns an Bord der
CAISED. Das ist das Flaggschiff des Ka’Mehantis Freemush Ta-Bargk.« Er zuckte sichtbar zusammen, und seine Augen verengten sich. Meine Nachricht hatte ihn vollkommen überrumpelt. »Keine Sorge«, fuhr ich rasch fort, um ihn zu beruhigen. »Uns ist keine Begleitflotte auf den Fersen – denn die steckt schon in der Barriere fest; insgesamt sechshundert Robotraumer. Wir haben den Ökonomen überrumpelt und ausgespielt.« Auf den Schirmen rückte der Asteroid schnell näher. Morvoner setzte zur Landung an – neben der GROVEMOOS, die zwischenzeitlich natürlich schon eingetroffen war. »Wie soll ich das verstehen?« Der Oberpirat und seine Leute lebten am Rande der Sogmanton-Barriere. Sie plünderten die Raumschiffe aus, die hier strandeten, konnten so ein relativ sorgenfreies Leben führen. Hin und wieder flog ein Schiff nach Jacinther IV oder anderen Freihandelswelten, um dort die erbeuteten Waren abzusetzen. Eine direkte Gefahr bestand nicht für die Piraten, denn niemand im Großen Imperium wusste, dass die verschollenen Schiffe doch nicht so hoffnungslos verloren waren, wie es den Anschein hatte. Aus diesem Grunde brauchte Sheeron auch nicht um seine Piratenexistenz zu bangen. Ganz anders sah es aus, wenn die Behörden des Großen Imperiums aufmerksam wurden. Zweifellos würden die Sicherheitsorgane eine Großfahndung nach dem Imperialen Ökonomen auslösen. Ich war überzeugt davon, dass schon in dieser Tonta im Tai Ark’Tussan Alarm gegeben wurde. Ein so außerordentlich wichtiger Mann wie er konnte nicht entführt werden, ohne dass sich eine Meute auf seine Spur setzte. Darüber war sich auch Sheeron klar. Seine Unruhe war für mich daher sehr verständlich. Ich erklärte ihm, mit welchem Trick wir Freemush hereingelegt hatten. »Die Spur führt also direkt in die
Sogmanton-Barriere«, schloss ich meine Ausführungen. »Niemand im Großen Imperium wird auf den Gedanken kommen, dass Freemush heil daraus hervorgekommen ist. Jeder muss annehmen, dass er tot ist.« Die CAISED war gelandet. Ich lächelte und sagte: »Hiermit übergebe ich dir die CAISED und ihre Besatzung – ausgenommen den Ökonomen. Um die Robotraumer könnt ihr euch mit euren Staubeiern kümmern, denn die KSOLKommandanten werden in den Gewalten der Barriere kaum lange einwandfrei funktionieren.« Er lachte. »Einverstanden, Kristallprinz!« Aus dem Hintergrund erklang Freemushs ersticktes Keuchen. Erst durch Sheerons Anrede war ihm wirklich bewusst geworden, was hinter unserer Aktion gegen ihn und damit auch Imperator Orbanaschol steckte: Der vor allem von Sofgarts Kralasenen gesuchte Thronfolger hatte gezeigt, dass mit ihm zu rechnen war! Die Schleusen der CAISED öffneten sich. Piraten in Schutzanzügen kamen an Bord. Wir konnten auf den zahlreichen Monitoren beobachten, wie sie in die verschiedenen Sektionen vordrangen, die Besatzung entwaffneten und in den Hangars zusammentrieben. Wir warteten ab, wollten die Zentrale mit Freemush erst dann verlassen, wenn keinerlei Gefahr mehr bestand. Niemand sollte uns noch im letzten Augenblick überraschen. So atmete ich unwillkürlich auf, als sich das Hauptschott endlich öffnete und die Piraten in die Zentrale kamen. Neugierig starrten sie Freemush an. Keiner von ihnen hatte bisher eine so hoch gestellte Persönlichkeit des Großen Imperiums persönlich gesehen. Er machte zweifellos einen ziemlich kläglichen Eindruck auf sie, denn sie wandten sich schon bald wieder von ihm ab. Ich gab meinen Freunden einen Wink. Wir nahmen
Freemush in die Mitte und verließen die Hauptzentrale. Famathia! Endlich! Die Tochter des Tatos Armanck Dedanter von Gortavor war völlig genesen. Sie hatte alles überstanden. In ihren hellroten Augen war nichts mehr von dem schrecklichen Geschehen zu erkennen, das sie bedroht hatte. Nichts mehr erinnerte an die Metamorphose, zu der sie gezwungen worden war. Ich schloss sie in meine Arme und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Sie flüsterte meinen Namen. »Ich möchte nur noch weg von hier. Kannst du das verstehen?« Natürlich konnte ich das. »Wir verlassen Richmonds Teaultokan noch heute. Sheeron wird auch froh sein, wenn wir verschwinden.« Ich lächelte. »Vermutlich bringen wir viel mehr Unruhe in dieses Nest, als die Piraten vertragen können.« Ich fasste ihre Hand. Fartuloon, Eiskralle, Morvoner, Corpkor, Parok und Freemush erwarteten uns. Schon vor einigen Pragos waren Farnathia und der Tiermeister auf die POLVPRON umgezogen, unseren Leichten Kreuzer. »Wir werden noch heute starten«, kündigte ich an. »Ich habe bereits mit Sheeron darüber gesprochen.« Fartuloon grinste. »Er wird wieder besser schlafen, sobald wir weg sind.« Parok ergriff meine Hand. »Atlan, ich werde nicht mitfliegen.« »Nicht?« Erstaunt blickte ich ihn an. »Warum nicht?« »Ich hatte mir vorgenommen, es Freemush heimzuzahlen, well er meine Mertekuppel zerstören ließ. Das habe ich getan. Ich habe euch geholfen, ihn zu entführen. Mehr kann und will ich nicht tun.« »Wir könnten einen Mann wie dich brauchen.« »Danke. Das höre ich natürlich gem. Dennoch werde ich euch nicht länger begleiten. Ich werde mit dem nächsten Flug
der Piraten nach Jacinther zurückkehren und mir von dort eine Passage zu einem anderen Planeten besorgen, auf dem es sich gut leben lässt. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Dann wirst du stets auf meine Hilfe rechnen können.« Ich bedauerte seine Entscheidung aufrichtig. Einen Mann wie ihn hätte ich gern noch länger an meiner Seite gewusst. Aber ich musste respektieren, dass er nicht bei uns bleiben wollte. »Wohin fliegen wir?«, fragte Eiskralle. »Nach Kraumon.«
7. Ein merkwürdig geformtes Raumschiff glitt mit gemächlicher Fahrt durch das ALL Es bestand aus zwei voneinander getrennten Teilen, die durch vier Streben verbunden waren. Der größere Teil war eine Kugel von etwa fünfzig Metern Durchmesser. Aus der Hülle der Kugel drangen hier und dort Auswüchse, die Antennen oder Sensoren, vielleicht auch Waffen sein mochten. Der zweite Teil des Fahrzeugs bestand aus einem Konus, der an seinem dicken Ende, das er der Kugel zuwandte, etwa dreißig Meter durchmaß. Aus dem verjüngten Ende trat stummelförmig ein Rohransatz hervor, bei dem es sich um ein Triebwerk handelte. In einem Raum im Zentrum der Kugel, inmitten einer verwirrenden Fülle fremdartiger Gerätschaften, hielten sich zwei Wesen auf die einem Arkoniden äußerst merkwürdig vorgekommen wären. Sie ruhten auf flexiblen Liegen, die sich der Form ihrer Körper anzupassen vermochten. Die Position der Liegen war zentral gewählt, so dass die beiden Wesen mit ihren langen, tentakelähnlichen Armen jedes Gerät im Umkreis erreichen konnten. Die Kuppeldecke war als ovale Bildfläche gestaltet, diente aber nicht nur rein optischen Beobachtungszwecken, denn sie zeigte nicht
nur, was jedes normale Auge ohne Hilfsgerät sehen konnte, nämlich die verwirren de Sternenfülle der inneren Milchstraße, sondern auch Flecken, Funken und Punkte, die in den unterschiedlichsten Farben und Intensitäten glühten und Ortungsreflexe sein mussten. Auf der Kopfscheibe der beiden Wesen flackerten Lichter, von denen die meisten einen sattroten Farbton hatten. Plötzlich jedoch veränderte sich etwas im Gehabe der beiden fremdartigen Astronauten. Einer von ihnen richtete sich halb von seiner Liege auf und ließ einen summenden Ton der Überraschung hören. Gleichzeitig begannen die Lichter auf seiner Kopfscheibe ins Bläuliche zu spielen. Er war sichtlich erregt, und ein Teil der Erregung sprang auf das zweite Wesen über, das sich noch nicht gerührt hatte. Einer der Tentakel schoss in die Höhe. Die dreifingrige Greifzangenhand wies auf einen grellgelb strahlenden Punkt, der über den Bildschirmrand eingewandert war und sich mit großer Geschwindigkeit auf das Zentrum der Bildfläche zu bewegte. Die Sprache der Wesen war eine Abfolge von Summtönen. Die Laute gingen von der Kopfscheibe aus, obwohl dort kein dem arkonidischen Mund vergleichbares Organ zu entdecken war. Die Aneinanderreihung verschiedener Summfrequenzen und die Nuancierung der einzelnen Töne oder Tongruppen verliehen den Lauten Informationsgehalt und machten sie in ihrer Gesamtheit zu einer bemerkenswert vielgestaltigen Kommunikationsform. »Ein mächtiges Fahrzeug«, summte das Wesen, das den gelben Ortungsreflex zuerst bemerkt hatte. »Das Produkt einer Technologie, die Hyperkräfte nutzt«. pflichtete ihm das andere bei. »Ich bin begierig, diese Wesen kennen zu lernen.« »Wenn sie sich kennen lernen lassen wollen.« »Unseren Wünschen hat sich noch niemand widersetzen können. Du weißt, dass es im Rat der Weisen Bestrebungen gibt, unser Volk zum höchstentwickelten dieser Sterneinsel zu proklamieren« »Wir werden sehen«, antwortete das andere Wesen gelassen. »Auf jeden Fall sollten wir uns schleunigst zurückziehen. Die
Fremden sind von uns kaum achthundert Sonnenabstände entfernt. Wenn sie uns bemerken, werden sie womöglich misstrauisch.« Er gab einen hellen, vielfach unterbrochenen Summton von sich, ein akustisches Signal für den Autopiloten. Das Triebwerk lief an. Das seltsame Raumschiff vollführte eine schaffe Wendung und entfernte sich mit rasch wachsender Geschwindigkeit aus seinem bisherigen Operationsgebiet.
An Bord der POLVPRON, 32. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Auf dem Weg nach Kraumon hatte der Leichte Kreuzer soeben die dritte Transition hinter sich gebracht. Der ziehende, unwirkliche Schmerz, den die Ferm durch den Hyperraum jedes Mal auslöste, war verklungen. Farnathia – tief in ihren Kontursessel gerutscht – sah zu mir herüber. Als ich ihren Blick erwiderte, lächelte sie, aber es war ein klägliches, schmerzhaftes Lächeln. »Hat es wehgetan?«, fragte ich sanft. »Hat es wehgetan?«, polterte hinter mir Fartuloons tiefe Stimme. »Fällt dir nichts Gescheiteres ein? Natürlich schmerzt eine Transition, aber sie wird sich daran gewöhnen. Wir haben noch zwei weitere Hypersprünge vor uns.« Ich war zornig wegen seiner Grobheit, wirbelte den Sessel herum und fasste den kahlköpfigen Bauchaufschneider ins Auge. Er hielt meinem Blick mühelos stand. Nach einer Weile zuckte es um seine Mundwinkel, schließlich fing er dröhnend an zu lachen. So machte er es immer. Jedes Mal, wenn er mich durch irgendetwas in Zorn gebracht hatte und ich ihn deshalb zur Rede stellen wollte, ließ er mich getrost auf sich zukommen, stand da, standhaft wie ein kirtanesischer Hoplit, und strahlte eine Aura von Überlegenheit und Erfahrung aus, die mich im Handumdrehen entwaffnete.
»Nichts für ungut.« Er lächelte, nachdem er sich von seinem Heiterkeitsausbruch erholt hatte. »Ich weiß, wie dir zumute ist. Aber es gibt wichtigere Dinge als den Transitikonsschmerz. Wenn wir auf Kraumon ankommen, müssen wir ganz genau wissen, wie wir Freemush gegen Orbanaschol einsetzen wollen.« Natürlich hatte er Recht. Ich hatte den Anfang einer Idee, die ich im Gespräch mit Fartuloon zwischen zwei Transitionen weiterzuentwickeln gedachte. Aber ich kam nicht einmal dazu, das erste Wort auszusprechen. Eiskralle stieß plötzlich einen spitzen Schrei aus. Er saß vor der Kommunikationskonsole und starrte mit großen Augen auf die Datenanzeige eines Bildschirms. »Ein Hilferuf, wenn mich nicht alles täuscht!« »Lass mich das sehen.« Ich schaltete den Datenbildschirm meines Terminals ein und empfing sofort dasselbe Bild, das den Chretkor so erregte. Für die Auswertung von Signalen, die in keinem der uns bekannten Kodes gesendet wurden – und das war hier der Fall – verwendete der KSOLBordrechner eine symbolische Darstellung, die die empfangenen Signale je nach Gehalt, Form, Intensität, Länge, Modulation und anderen Parametern durch Symbole wiedergab. Er zeichnete sozusagen ein Bild der Signale. In diesem Fall war er mit wenigen ausgekommen. Bei dem Funkspruch handelte es sich um Gruppen von nur zwei verschiedenen Signalen. Das eine gab der Rechner durch das Bild eines Punktes wieder, das andere stellte er als einen Strich von mäßiger Länge dar: Entspricht der interstellaren Arkon-Vorschrift für die Abfassung von Hilferufen. Zwei Signale, jeweils zu Gruppen von dreien zusammengefasst, die erste Gruppe dreimal abstrahlen, dann die zweite, dann wieder die erste… und so weiter. »Ortung«, dröhnte Fartuloons Stimme. Ich zuckte
zusammen. Ohne dass ich es bemerkte, war er hinter mich getreten und sah mir über die Schulter. »Gleich«, rief Eiskralle. »Gleich habe ich es.« Ich blickte zur Panoramagalerie. Der Sternenteppich der inneren Milchstraße umgab uns von allen Seiten. Dem bloßen Auge war es unmöglich zu entscheiden, welcher unter diesen Millionen von Lichtpunkten uns am nächsten stand. Bei der Sternendichte dieses Raumsektors war es jedoch normal, dass wir uns nicht mehr als ein paar Lichtvontanii von einem Fixstern entfernt befanden. Morvoner meldete ungerührt: »Positionsbestimmung abgeschlossen. Die Distanzen zu den Referenzpunkten liegen innerhalb der normalen Sprungtoleranzen. Entfernung bis Leuchtstern 12-LOKORN: 3464 Lichtjahre. Bis Leuchtstern Mhalloy: 2804 Lichtjahre. Bis Kraumon sind es noch 1276 Lichtjahre. Von Richmonds Schloss sind wir 1802 Lichtjahre entfernt. Nur 574 Lichtjahre ist der offene Sternhaufen mit der Katalognummer BB14-CM0002-A1 entfernt, offiziell Ort der Begegnung genannt…« »Mirkandol.« Fartuloon ließ ein sonderbares Hüsteln hören. »Die Bezeichnung stammt vom ersten Höchstedlen in der langen Reihe der alles sehenden, alles wissenden Imperatoren, nämlich von Gwalon dem Ersten…« Der Chretkor rief hastig weitere Daten. Der akustische Servo reagierte darauf, und im Rundumbildschirm entstand eine Ausschnittsvergrößerung. Ein hellgelber Lichtpunkt wurde von seiner Umgebung isoliert und schien mit rasender Geschwindigkeit auf uns zuzuwachsen. »Der Ausgangspunkt des Hilferufs.« Der Ausschnitt zeigte den hellgelben Lichtfleck der fremden Sonne und weit abseits einen schwachen, kaum wahrnehmbaren Lichtpunkt. Das mochte ein Planet sein. »Entfernung nur zwei Lichtvontanii.« Über eine solche Entfernung konnten selbst die besten
Hyperteleskope ein Planetensystem nicht in alle seine Bestandteile auflösen. War der matte Lichtpunkt wirklich ein Planet, musste es sich um einen Gasriesen handeln. Die kleineren, näheren Welten wurden vom Zentralgestirn überdeckt, optisch wie auch hyperphysikalisch. Da half nur noch direkte Hypertastung, mit der Eiskralle soeben beschäftigt war. Während er sich bewegte, durchdrang das Licht der Wandbeleuchtung seine durchsichtige Körpersubstanz und enthüllte das Spiel der Muskeln. »Vier Planeten!«, rief er. »Drei in Sonnennähe, ein vierter, ein Riese, weit draußen.« Meine Analyse war also richtig gewesen. Fartuloon fragte: »Ist die Ortung genau genug, dass man erkennen kann, von welchem Planeten der Hilferuf kommt?« »Nein, das ist sie nicht.« Eiskralle drehte sich um und musterte mich mit vorwurfsvollem Blick. »Bei dem ganzen Gerede ist mir so heiß geworden, dass ich bitten muss, die Temperatur ein wenig niedriger einzustellen.« Ich achtete nicht auf ihn. Ich wusste nicht, was es war, das mir diesen merkwürdigen Hilferuf so interessant erscheinen ließ. Aber ich war fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Fartuloon schien meinen Entschluss zu erraten. »Du willst dem Funkspruch nachgehen, nicht wahr?« »Ja. Hast du Einwände?« Er streckte die Hände vor und die Innenflächen nach oben. Die Bewegung veranlasste ihn, die Schultern dabei ein wenig zu heben. Das war die alte arkonidische Geste, die zum Ausdruck bringen sollte: Mach du, was du willst! Meine Finger huschten über die Schalter und Sensorkuhlen auf meiner Konsole. Dabei warf ich einen raschen Blick auf Farnathia. Ihr Schmerz schien sich gelegt zu haben. Als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie wiederum, diesmal freundlich und ohne Zurückhaltung. Aufgrund meiner
Schaltungen wich die POLVPRON von ihrem bisherigen Kurs ab. Für den Augenblick war Kraumon vergessen. Wir nahmen Kurs auf das unbekannte Sonnensystem mit den vier Planeten, aus dem der Hilferuf gekommen zu sein schien. Die beiden fremden Wesen befanden sich jetzt in einem anderen Raum. Er war groß und hatte an vielen Stellen kleine Fenster. Die Aufmerksamkeit der beiden Wesen jedoch war nicht auf den Ausblick, sondern auf eine große Bildschirmfläche gerichtet, die die Schwärze des Alls und darin den grellgelben Lichtpunkt wiedergab. »Sie sind ahnungslos«, summte eines der beiden Wesen. »Ich frage mich, was sie dazu veranlasst hat, den Kurs zu wechseln.« »Das glaube ich zu wissen. Der Wasserstoffatmer hat einen Hilferuf abgestrahlt. Diesen haben die Fremden in dem Kugelraumschiff empfangen. Nun kommen sie hierher, um Hilfe zu leisten.« »Hilfe zu leisten?«, fragte das zweite Wesen erstaunt. »Nach der Form des Raumschiffs zu urteilen, handelt es sich bei den Fremden um solche, die sich Arkoniden nennen. Wir wissen aber, dass die Wasserstoffatmer und die Arkoniden in heftiger Fehde leben. Warum sollte ein Arkonide auf den Hilferuf eines Maahks reagieren?« »Du ahnst nicht, wie schlau diese Geschöpfe sind.« Die Antwort klang deutlich belustigt. »Es gibt so viele Verständigungskodes, wie es Sternenvölker gibt. Anhand des Kodes, der in einem Funkspruch verwendet wird, lässt sich unmissverständlich auf die Volkszugehörigkeit dessen schließen, von dem der Spruch ausgesandt wurde. Weil nun aber Raumschiffe weite Strecken zurücklegen und auch in Gegenden vorstoßen, die weit von ihrem Herkunftsort entfernt sind und von einem anderen Volk beherrscht werden, und will von der Besatzung des Schiffes nicht verlangt werden kann, dass sie alle fremden Verständigungskodes beherrscht, haben sich einige Sternenvölker dieser Galaxis auf einen interstellaren Kode geeinigt, der jedermann verständlich ist. Die
Maahks wissen, dass sie sich in einem Gebiet befinden, in das der arkonidische Einfluss reicht. Ein Hilferuf, im Kode der Wasserstoffatmer abgestrahlt, hätte wahrscheinlich eine ganze arkonidische Flotte alarmiert. So jedoch verwendeten sie den interstellaren Kode. Niemand weiß, dass es sich bei den Hilfesuchenden um Wasserstoffatmer handelt. Dadurch vermeiden sie die Konfrontation mit der arkonidischen Militärmacht.« Das zweite Wesen schien plötzlich das Interesse an dem Thema verloren zu haben. Mit einem seiner Tentakel deutete es zu dem Bildschirm hinauf auf dem inzwischen ein Koordinatennetz erschienen war. Der gelbe Lichtpunkt näherte sich dem Zentrum des Netzes. »Ich weiß, was du meinst«, sagte das erste Wesen. »Es wird Zeit, dass wir sie einfangen.« Um in einem fremden Sonnensystem einem Hilferuf nachzugehen, untersuchte man naturgemäß jene Planeten zuerst, die die arkonähnlichsten Umweltbedingungen aufwiesen. Im Laufe der Jahrtausende arkonidischer Astronautik hatte sich erwiesen, dass intelligentes Leben, auch wenn es von nichtarkonoider Form war, sich mit Vorliebe auf solchen Welten bildete, die unseren in etwa ähnlich waren. Wir waren nahezu sicher, dass der Hilferuf von der Antenne eines Raumschiffs abgestrahlt worden war, denn nur raumfahrende Völker beherrschten normalerweise die Technologie des Hyperfunks. Handelte es sich andererseits um ein Fahrzeug, das von außen gekommen und in diesem System fremd war, war es nicht unbedingt plausibel, dass der Spruch von dem arkonähnlichsten Planeten dieses Systems gesandt worden war. Das Fahrzeug hätte zum Beispiel in den Wasserstoffstürmen des Gasriesen in Not geraten können. Trotzdem wandten wir unsere Aufmerksamkeit zuerst der Welt zu, die den Synchronwelten von Tiga Ranton am ehesten
glich. Es war, von der fremden Sonne aus gerechnet, der zweite Planet. Er besaß eine vorzügliche Sauerstoffatmosphäre, sein Echospektrum wies das Vorhandensein lebender organischer Materie nach. Die POLVPRON zog nach der Kurztransitikon und dem notwendigen etliche Tontas langen Sublichtflug tangential an der hellgelben Sonne vorbei und näherte sich nun der fremden Welt. Nach wie vor hielten sich nur Fartuloon, Farnathia, Eiskralle, Morvoner und ich im Kommandostand auf. Der Gefangene befand sich in der sicheren Obhut einiger Roboter, und Corpkor beschäftigte sich mit seiner Tiermenagerie. Wir hatten etwa vier Fünftel der Entfernung von der Sonne bis zu dem fremden Planeten zurückgelegt, als die mit normallichtschnellen Mikrowellen arbeitende Nahortung uns die ersten Eindrücke von den Oberflächenkonturen der unbekannten Welt lieferte. Wir unterschieden Kontinente und Meere, warme und kalte Gebiete, und als die Entfernung weiter schrumpfte, bemerkten wir Zentren hektischer Aktivität von bedeutender Größe, die Städte sein mussten. Damit war klar, dass wir eine hoch zivilisierte Welt vor uns hatten. Unsere Antennen versuchten, den Funkverkehr zu belauschen, der sich auf dieser Welt abspielen musste, empfingen aber keine Signale. Die unbekannte Zivilisation schien sich weder elektromagnetischer noch hyperfunktechnischer Kommunikationsmethoden zu bedienen. Der Verdacht verdichtete sich daher, dass der Hilferuf, den wir empfangen hatten, von Geschöpfen stammte, die nicht auf dieser Welt zu Hause waren. Fremde also, die womöglich von den Bewohnern des Planeten bedroht wurden? Es ist nicht unbedingt eure Aufgabe, euch um Hilferufe zu kümmern, von denen ihr nicht wisst, wer sie ausgesandt hat, nörgelte der Logiksektor am Rande der
Wahrnehmungsschwelle. Mit eurem kleinen, nur hundert Meter durchmessenden Raumschiff ist es sogar ein Risiko, sich allzu nahe an den fremden Planeten heranzuwagen. Das war richtig, aber unzähmbare Neugierde hatte sich meiner bemächtigt. Ich will wissen, was hier vorgeht – nur 1276 Lichtjahre von unserer Kraumon-Basis entfernt! Genau das ist auch der Grund, weshalb Fartuloon nicht energischer Einspruch erhebt. Der 33. Prago des Ansoor war schon angebrochen, und wir waren nur noch 1,2 Millionen Kilometer von der Oberfläche des fremden Planeten entfernt – sein derzeitiger Sonnenabstand betrug 152,4 Millionen Kilometer – , als wir in ein Fesselfeld gerieten, dessen ungeheurer Kraft unsere Impulstriebwerke hilflos unterlegen waren. Die unbekannte Kraft bugsierte uns sanft hinunter auf die Oberfläche des Planeten, ohne dass wir etwas dagegen hätten unternehmen können. Auf unserem Bildschirm waren weite weiße Wolkenfelder zu sehen und daneben das Blau ausgedehnter Meere. Die Oberfläche der unbekannten Welt schien zu mehr als einem Drittel aus Wasser zu bestehen. Die Kontinente waren zumeist grün. Nur hier und dort unterbrachen dunklere Farbtöne von Gebirgsketten oder das Graubraun kleiner Wüstenstriche den Eindruck der allgemeinen Fruchtbarkeit. Wir leiteten die üblichen Messungen ein und ermittelten, dass die Umweltbedingungen in der Tat denen der drei Arkonwelten glichen. Die Atmosphäre war atembar und enthielt einige Prozent mehr Sauerstoff als die Luft, an die wir gewöhnt waren. Der Planet drehte sich einmal in rund zwölf Tontas um seine Achse, an der Oberfläche herrschte eine Gravitation, die um zwanzig Prozent über der Standardschwerkraft lag, und die über den gesamten Planeten gemittelte Temperatur lag im Augenblick um drei Grad unter dem Wert, den man normalerweise auf Arkon I gemessen
hätte. Die Städte der Fremden waren weit auseinander gezogen. Eigentlich waren es keine Städte, sondern nur Gegenden, in denen die Gebäude näher beieinander standen als auf dem freien Land. Die Bewohner dieser Welt leideten nicht an Platzmangel. Ihre Städte enthielten schier endlos erscheinende Grünflächen. Offensichtlich hatten sie es sich zur Regel gemacht, dass niemand näher als einen halben Kilometer an seinem Nachbarn lebte. Nur der innerste Kern der Städte war dichter bebaut. Dort waren auch die Gebäude größer und dienten nicht nur reinen Wohnzwecken. Wir versuchten, mit Hilfe der Ausschnittsvergrößerung das Zentrum einer der riesigen Städte in erkennbare Einzelheiten aufzulösen. Dabei erlebten wir eine erste Überraschung, denn die Ausschnittsvergrößerung funktionierte nicht – das optische System sprach auf den Befehl nicht mehr an. Fartuloon, der die Vergrößerung hatte einblenden wollen, war perplex und brummte: »Eiskralle, prüf das Optik-System und finde den Fehler!« Ich sagte nichts dazu, obwohl ich schon jetzt fest davon überzeugt war, dass es sich nicht um einen Systemfehler handelte. Inzwischen wurde klar, dass wir einem riesigen, freien Feld entgegensanken, dessen Oberfläche aus einem hellgrauen bis weißen Material bestand und im Glanz der fremden Sonne weithin sichtbar erstrahlte. Es musste sich um einen Raumhafen handeln, obwohl weder Raumfahrzeuge noch die üblichen Kontrolleinrichtungen zu sehen waren. Wir befanden uns in einer Höhe von etwa fünfzehn Kilometern, als wir die zweite Überraschung erlebten. Hinter dem Horizont schoss ein mächtiges Raumschiff empor. Es schien auf uns zuzuhalten, aber das erwies sich bald als optische Täuschung. Das gigantische Fahrzeug war auf dem Weg hinaus in den Raum. Seine Hülle flimmerte, und
hinter sich her zog als leuchtender Schlauch die Kontur eines Prallschirms. Die Form des Fahrzeugs war charakteristisch wie eine Granate alten Stils geformt – zylindrisch, vorne zugespitzt. Die Länge der »Granate« betrug rund einen Kilometer, ihre Dicke etwa ein Viertel davon. Typ Grauwal! Das ist ein Maahk-Kampfschiff, ein Fahrzeug der erbittertsten Feinde, die Arkon seit den bewusstseinstauschenden Vecorat jemals gehabt hat. Fartuloon war ebenso überrascht wie ich. Unsere erste Reaktion war, sofort auf Gefechtsstation zu gehen. Das war reiner Instinkt. Beim Anblick eines Maahks bereitete sich ein Arkonide auf Angriff oder Verteidigung vor. Dann jedoch zogen wir aus dem leuchtenden Schlauch des Prallfelds unsere Schlüsse. »Er kam weder freiwillig hierher«, brummte Fartuloon, »noch fliegt er freiwillig wieder ab!« Meine Gedanken gingen weiter. »Glaubst du, dass er es war, der den Hilferuf ausstrahlte?« Fartuloon wiegte den kahlen Schädel. »Möglich. Er wurde vielleicht hierher gelockt wie wir auch. Die She’Huhan mögen wissen, warum. Er hielt die Lage für gefährlich und funkte um Hilfe – mit interstellarem Kode, well ihm sonst in dieser Gegend niemand zu Hilfe gekommen wäre. Die Fremden haben irgendetwas mit ihm gemacht. Jetzt sind sie fertig und schicken ihn wieder fort.« Er sah mich an, als hätte er plötzlich eine Idee. Ich wusste, was er dachte. »Uns erwartet das gleiche Schicksal, nicht wahr?« »So sieht es aus.« Eiskralle kam jammernd herüber. »Es gibt keinen Fehler im optischen System. Aber kalt ist es hier. So kalt, dass ich zu zerbrechen fürchte.« Sein Gesichtsausdruck war wie üblich nicht zu deuten. So vollkommen war die Durchsichtigkeit seiner Substanz, dass das Auge weitaus mehr Gehirn und
durchscheinende Muskeln als Miene erblickte. »Du brauchst dich nicht mehr darum zu kümmern«, sagte ich. »Das Optik-System ist völlig in Ordnung.« Fartuloon musterte mich nachdenklich. »Du meinst…?« »Ja.« »Nun, wir werden sehen.« Kurze Zeit später setzte die POLVPRON auf. Die Landung war so sanft, als hätte unser Bordrechner sie ausgeführt. Wir waren rund fünfundzwanzig Kilometer von einer der riesigen Städte entfernt. Auf dem Bildschirm erstreckte sich die grauweiße Fläche des Landefelds bis an den Horizont. Die Gebäude der fernen Stadtwaren Punkte, die keine Einzelheiten offenbarten. »Und jetzt?«, fragte Fartuloon. Farnathia hatte inzwischen die Zentrale verlassen, um sich hinzulegen. Eiskralle erkundigte sich besorgt: »Meinst du nicht, dass sie sich mit uns in Verbindung setzen werden?« »Irgendwie auf jeden Fall«, bestätigte der Bauchaufschneider knurrend. »Fragt sich nur, wann und wie.« Ich kniff die Augen zusammen. »Wir müssen nicht auf sie warten. Wir können aussteigen und uns die Stadt aus der Nähe ansehen.« Fartuloon warf einen misstrauischen Blick auf den Bildschirm. »Ja, das können wir.« Dann erhob sich seine Stimme zu einem zornigen Dröhnen. »Und bei allen Göttern Arkons wir sollten es tun! Eiskralle und Morvoner bleiben hier als Bordwache. Atlan und ich nehmen einen Fluggleiter und fliegen zur Stadt. Wir zeigen den Fremden, dass wir uns nicht vor ihnen fürchten.« Neben meinem Lehrmeister schwebte ich hinab zum GleiterHangar. Wir machten eines der Fahrzeuge startbereit, ein linsenförmiges Beiboot, das höchstens vier Personen Platz bot und in der oberen Hälfte eine Glassitkuppel bot, die den Blick
nach allen Richtungen ermöglichte. Wir stiegen ein. Fartuloon setzte sich hinter das Steuer und leitete die Ausschleusung ein; der Gleiter löste sich aus der Halterung, schwebte auf das Schleusenschott zu… Die dritte Überraschung: Das Triebwerk summte, der Gleiter schwebte über dem glatten Boden des Hangars, aber das Schott rührte sich nicht! Fartuloon hielt das Fahrzeug an, bearbeitete grimmig die Schalttasten. Aber das Schott blieb geschlossen. Fartuloon erkannte die Nutzlosigkeit seiner Versuche, bugsierte den Gleiter zurück zur Halterung und setzte ihn ab. Seufzend öffnete er das Luk. »Ich glaube«, sagte er mit schwerer Stimme, als wir hinausstiegen, »die Lage ist weitaus unangenehmer, als wir bisher gemeint haben.« »Ich glaube, wir haben da einen sehr interessanten Fang gemacht«, sagte das erste Wesen und betrachtete auf dem Bildschirm beinahe andächtig das vom Traktorfeld zu Boden gezwungene arkonidische Kugelraumschiff. »Wir haben uns schon des öfteren mit Arkoniden befasst. Ich wüsste nicht, warum gerade diese hier so interessant sein sollten.« »Bedenke doch, welche Art von arkonidischen Raumfahrzeugen wir bisher auf Tsopan zu sehen bekamen« »Es waren in allen Fällen größere als dieses hier.« »Ganz richtig Und noch etwas unterschied sich von diesem Fahrzeug« »Noch etwas….?« »Ja, bevor wir sie einfingen…« »Ah, ich weiß. Die arkonidischen Fahrzeuge waren niemals allein. Wir mussten stets mit viel List ein einzelnes Fahrzeug aus dem Verband locken, damit wir es mit dem Traktorfeld zur Landung zwingen konnten.« »Darin«, sagte das erste Wesen, »liegt der Unterschied zwischen
den Arkoniden, die wir bis lang kennerlernten, und denen, die heute angekommen sind. Das arkonidische Volk befindet sich im Krieg mit den Wasserstoffatmer. Unser Raumsektor wird, wie wir aus den Bewusstseinen unserer Gäste entnommen haben, als der arkonidischen Einflusssphäre zugehörig betrachtet. Aber sicher scheinen sich die Arkoniden trotzdem nicht zu fühlen. Deswegen fliegen sie hier im allgemeinen nur mit mächtigen Raumschiffen und möglichst im starkem Verband. Unser heutiger Gast ist von anderer Art. Ich bezeichnete den Raumer, als ich ihn draußen zum ersten Mal bemerkte, als mächtig. Jetzt, da ich weiß, dass es sich um ein arkonidisches Raumschiff handelt, muss ich zugeben, dass seine Größe keineswegs beeindruckend ist. Wie viel Mut muss die Mannschaft dieses Fahrzeugs haben, um sich allein und mit einem so kleinen Schiff hier her zu wagen? Vielleicht haben sie auch gar kein Übermaß an Mut. Vielleicht war irgendeine katastrophale Entwicklung daran schuld, dass sie sich hierher wagten. Wie dem auch sei… ich bin überzeugt, dass wir seit langem erstmals wieder einen überaus interessanten Fall vor uns haben. Und ich werde alles tun, dass wir uns aus dieser interessanten Besatzung die interessantesten Leute heraussuchen.« »Das Kraftfeld ist nicht nur ein Fesselfeld, sondern es legt gezielt Funktionen lahm«, knurrte Fartuloon eine Tonta später. »Wir können weder aussteigen noch unsere Bordwaffen gebrauchen.« Diesmal waren wir alle, bis auf Freemush, in der Zentrale versammelt, um unsere Lage zu diskutieren. Noch hatten sich die Fremden nicht gemeldet. Wir wussten nicht, warum wir hier zur Landung gezwungen worden waren und was man mit uns vorhatte. Plötzlich meldete sich jemand zu Wort, von dem wir nicht so früh schon einen Beitrag zu dieser Diskussion erwartet hätten: Farnathia. Sie erkundigte sich mit ihrer hellen, klaren Stimme:
»Auch nicht unseren Sender?« »Auch nicht unseren Sender«, grollte Fartuloon, ohne über Farnathias Frage nachzudenken. »Das ist merkwürdig.« Farnathia schüttelte den Kopf, dass ihr die langen, silberhellen Haare um die Schultern flogen. »Wieso?« »Weil der Maahk einen Hilferuf abstrahlen konnte. Erinnerst du dich? Nur deswegen sind wir überhaupt hier.« Ihr Gedankengang war von bestechender Klarheit und Logik. Der Maahk war ohne Zweifel in die gleiche Art von Fesselfeld eingesponnen worden wie wir. Das Feld riegelte das Raumschiff energetisch von der Umgebung ab, Funktionen wurden blockiert die Ausschnittsvergrößerung des optischen Systems, die Öffnungsmechanismen der Schotten, die Bordgeschütze. Es war durchaus logisch anzunehmen, dass auch die Sendeanlagen die Feldhülle nicht würden durchdringen können. Allerdings haben wir noch keinen Versuch in dieser Richtung angestellt, dachte ich. Gesetzt den Fall, unsere Vermutung ist richtig und die Sender funktionieren in der Tat nicht mehr. Das bedeutet, dass die Maahks irgendeine Möglichkeit gefunden haben, die dicht schließende Feldhülle wenigstens für die Funkwellen ihres Hypersenders durchlässig zu machen. Die Maahk-Technologie ist unserer nicht überlegen. Was die Maahks können, bringen auch wir fertig. Gab es eine Möglichkeit, die Feldhülle zu durchbohren, würden wir sie finden. Nur war unser Ziel ein anderes. Es genügte uns nicht, einen Hilferuf abzusetzen. Wir waren ziemlich sicher, dass ihn niemand empfangen würde. Und sollte ihn doch jemand empfangen, war es wahrscheinlich einer von Orbanaschols Häschern. Wir wollten mehr. Wir wollten das Schiff verlassen und unsere Bordwaffen einsetzen können; denn unsere Feuerkraft reichte sicherlich aus, um die
Bewohner der Stadt zu beeindrucken. Je länger ich über das Problem nachdachte, desto gezielter bewegten sich meine Gedanken, unterstützt von den Impulsen des Logiksektors: Ihr werdet zuerst die Natur des Fesselfeldes ergründen müssen, seine energetische Struktur, seine Form und so weiter. Danach müsst ihr überlegen, wie durch anlegen eines Gegenfeldes das Fesselfeld durch Interferenz in begrenzten Bereichen annulliert werden kann. Einer dieser Bereiche liegt zum Beispiel vor der Mündung eines Strahlgeschützes, so dass ihr es abfeuern, ein anderer unmittelbar vor einer der Schleusen, so dass ihr sie öffnen und das Schiff verlassen könnt. Ich sah auf und bemerkte die Blicke aller, die gespannt auf mich gerichtet waren. »Was… was ist…?« Farnathia lächelte strahlend. Fartuloon hatte ein unverschämtes Grinsen auf dem Gesicht. »Du hast das Problem schon gelöst, wie?« »Nein. Ich habe nur den Anfang einer Idee…« Die beiden Wesen hatten den Raum nicht verlassen, von dem aus sie das arkonidische Raumschiff beobachteten. Eine ganze Reihe fremdartiger Messgeräte war zusätzlich zum Leben erwacht. Von dieser Zentrale aus konnte jede noch so winzige Lebensäußerung angemessen werden. »Der kritische Zeitpunkt nähert sich«, sagte das erste Wesen. »Wir haben wirklich einen äußerst interessanten Fang gemacht.« »Ich stimme dir zu. Sie haben keine Zeit verloren, sondern unverzüglich die Feldstruktur erforscht, und nun sind sie dabei, das Feld zu manipulieren.« Das zweite Wesen schwieg einen Atemzug fang und fuhr dann fort: »Hat das etwas mit deinem Plan zu tun?« »Ja. Mein Plan kann nur wirksam werden, wenn die Besatzung des Fahrzeugs eine Möglichkeit findet, das Schiff zu verlassen.« »Ich wollte, du wärst nicht so verschlossen und würdest mich wissen lassen, was du vorhast.«
Die Kopfscheibe des ersten Wesens leuchtete plötzlich in sattem Grünblau – ein Zeichen dafür, dass es sich vorzüglich amüsierte. »Ich bin alt, Soon-Soon, und habe dieselben Mucken, die viele Alte haben. Ich habe eine Überraschung für dich, also verdirb sie nicht, indem du mich ausfragst. Ich liefere dir von der für deine Zwecke höchst interessanten Mannschaft das interessanteste Mitglied. In wenigen Maxiskopen wirst du mehr wissen und meine Weisheit anerkennen.« Soon-Soon schwieg Seine Kopfscheibe leuchtete nur noch in blassem, mattem Rot – ein Zeichen dafür, dass er verdrossen war. Das erste Wesen jedoch war mit Begeisterung bei der Arbeit und nahm die gedrückte Stimmung seines Artgenossen nicht zur Kenntnis. Es verfolgte die Messgeräte, die die Vorgänge an Bord des arkonidischen Raumschiffs beobachteten. Zwar konnte es nicht unmittelbar durch die Wandung der Kugel hindurchblicken, aber die Anzeigen waren genau genug dass es zu jedem Zeitpunkt ziemlich exakt darüber informiert war, was innerhalb der stählernen Rundung vor sich ging Schließlich leuchtete eine Kontrolllampe in grellem Blau auf, und dazu zirpte ein Warngerät. Das erste Wesen erhob sich von seiner Liege. Seine Kopfscheibe flackerte nun ebenfalls blau und strahlte Zeichen höchster Erregung ab. »Sie haben es geschafft«, jubelte das Wesen. »Sie haben das Feld durchbrochen.« Triumphierend wandte es sich seinem jüngeren Begleiter zu. »Jetzt wirst du sehen, wie mein Plan funktioniert.« Die Tontas vergingen wie im Flug. Wir arbeiteten wie besessen: Analyse der Struktur des Fesselfeldes, Simulierung des Feldes im KSOL-Bordrechner und Entwicklung einer geeigneten Interferenzmethode, Berechnung der erforderlichen Energie, Installation der Generatoren und Projektoren, erste Testversuche. Wir kamen kaum mehr zu Atem, und trotzdem wurden wir nicht müde. Es war weniger die Gefahr, die uns anstachelte, als vielmehr das Empfinden,
dass wir von einer völlig fremden Technik herausgefordert wurden. Noch wussten wir nicht, ob eine Gefahr überhaupt existierte. Hatten wir nicht Grund zu glauben, dass der Maahk auf dieselbe Weise heruntergeholt worden war wie wir, und hatte er nicht frei und unbehelligt wieder abfliegen dürfen? Das heißt: nicht ganz frei. Die Möglichkeit, seine Bordwaffen einzusetzen, war ihm nicht gelassen worden. Wir konzentrierten uns zunächst darauf, eine der Schleusen zu öffnen. Als Versuchsobjekt hatten wir die nahe dem Südpol der POLVPRON gelegene Bodenschleuse ausgesucht. Beim fünften Test hatten wir Erfolg. Durch den Arkonstahl der Wandung hindurchwirkend, interferierte unser Gegenfeld mit dem von draußen erstellten »Fesselfeld« und brachte dieses auf einer kreisförmigen Fläche zum Erlöschen. Farnathia betätigte den Öffnungsmechanismus, die Schotthälften teilten sich und glitten beiseite. Vor unseren Blicken lag der von der Stadt abgewandte Teil des riesigen Landefeldes. Warme, trockene Luft, von fremdartigen Düften erfüllt, schlug uns entgegen. Fartuloon hob ein Stück Draht, bei der Installation des Gegenfeldprojektors übrig geblieben, und warf es durch die Öffnung hinaus. Es fiel unbehindert zu Boden. Damit stand fest, dass wir von nun an keine Schwierigkeit mehr hatten, die POLVPRON zu verlassen. Ich nickte zufrieden. »Eiskralle und ich sehen uns die Stadt aus der Nähe an. Fartuloon, du übernimmst das Kommando hier an Bord. Während wir draußen sind, könnt ihr die Installationen vornehmen, die notwendig sind, um das Fesselfeld vor der Mündung des schweren Polgeschützes zu annullieren.« Er war einverstanden. Auf dem Weg zurück zur Zentrale hatte er jedoch noch eine Idee: »Man kann nie wissen, wie sich die Dinge entwickeln. Ihr nehmt am besten einen
automatischen Kodegeber mit… für den Fall, dass ihr irgendwo festgehalten werdet und euch nicht mit uns in Verbindung setzen könnt.« »Die Idee ist gut, aber ich seine nicht ein, warum sie auf uns beschränkt werden sollte. Falls Eiskralle und mir uns zu suchen, und in diesem Fall seid ihr denselben Fährnissen ausgesetzt wie zuvor. Die vernünftigste Lösung ist also, dass wir alle Kodegeber tragen.« Kodegeber waren winzige Geräte, die in stetiger Wiederholung charakteristische Impulse abgaben. Gewöhnlich handelte es sich um elektromagnetische Signale, die von einfachen Radiogeräten empfangen werden konnten. Es gab jedoch auch solche, die auf Hyperfunkbasis arbeiteten und über Lichtjahre hinweg zu empfangen waren. Jedes Gerät konnte auf seine eigene, individuelle Impulsfolge justiert werden, so dass sich anhand der Signale die Identität des Trägers mühelos feststellen ließ. Kurz vor unserem Aufbruch – nach einem Essen und zwei Tontas Schlaf – gab es noch eine kleine Schwierigkeit: Farnathia bestand darauf, mit uns zu kommen. Es bedurfte Fartuloons und meiner ganzen Überredungsgabe, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Draußen näherte sich unterdessen die Sonne dem Horizont. Die hereinbrechende Dämmerung war für unser Vorhaben gut geeignet. Eiskralle und ich schwebten im Antigravschacht zur Polschleuse hinab, als ich plötzlich aus der Höhe – gedämpft zwar, aber dennoch deutlich – einen fang gezogenen Schrei hörte. Ich schaltete sofort mein Armbandfunkgerät ein und rief Fartuloon. »Was war das?« »Ich weiß es nicht. Kam aus Richtung der Kabinen. Ich sehe nach…« Er unterbrach sich mitten im Satz. Eine unheimliche Ahnung stieg in mir auf. »Was ist los? Sprich weiter!«
»Farnathia! Sie ist… verschwunden!« Ich wusste nicht, wie ich so schnell zum Äquatordeck hinaufkam, aber kurz nachdem Fartuloon seine entsetzliche Botschaft hervorgestoßen hatte, stand ich schon in Farnathias Kabine. Sie war ordentlich aufgeräumt, und in der Luft hing der Duft des Parfüms, das Farnathia verwendete. Daneben gab es eine zweite Duftnote, die mir fremd war, der ich jedoch in der ersten Aufregung keinerlei Beachtung schenkte. Wir durchsuchten die umliegenden Räumlichkeiten und fanden weder meine Freundin noch eine Spur von ihr. Allmählich begann mein Verstand, das Ungeheuerliche zu akzeptieren: Farnathia ist entführt worden. Wir eilten zur Zentrale hinüber und überprüften die Anzeigen der Geräte. Nichts wies darauf hin, dass jemand ohne unser Wissen ins Schiff eingedrungen war. Die Aktivitätsindikatoren der Schotten zeigten unverändert den alten Stand. Keines war in der Zwischenzeit geöffnet worden: Wir standen vor einem Rätsel. Jemand ist in die POLVPRON eingedrungen, um Farnathia zu entführen. Aber er hat keine Spur hinterlassen. Er kann doch nicht durch die Wände gekommen sein. Ratlos kehrten Fartuloon und ich zu der Kabine zurück. Die Aufregung des ersten Augenblicks war verflogen. Nimm zur Kenntnis, sagte der Logiksektor, dass Farnathias Entführung ohne Kampf vonstatten ging. Es gibt keine Spuren von Unordnung Sie muss völlig überrascht worden sein, fand nur noch Zeit, den Schrei auszustoßen. Dieses Mal interessierte ich mich für den Fremdgeruch, der die Luft erfüllte. Er war – mit einem Wort – fremdartig. Eine merkwürdige Mischung aus Parfüm und dem Geruch von Fäulnis, etwas völlig Unbekanntes, nie zuvor Gerochenes. Fartuloon hatte ihn ebenfalls bemerkt. »Ich nehme an, das ist der Körpergeruch der Fremden.« »Das werden wir bald wissen. Wir brechen sofort auf.«
Fartuloon sah auf, schien über etwas nachzudenken. Er kam auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte mit ungewöhnlichem Ernst: »Es ist womöglich keine gute Idee, jetzt auf Erkundung zu gehen.« »Warum nicht?«, brauste ich auf. »Wir müssen sofort…« »Eben deswegen. Die Sorge um Farnathia raubt dir das nüchterne Denken. So wirst du ein williges Opfer der Fremden.« Eher hilflos brach es aus mir hervor: »Ich werde ihnen zeigen, was es heißt, eine Arkonidin zu entführen. Ich werde…« Sein missbilligender Blick brachte mich zum Schweigen. Ich sah ein, dass er Recht hatte. Ich war aufgeregt, hatte meine Sinne nicht beisammen. Ich wollte so rasch wie möglich aufbrechen, ohne zu wissen, wohin ich mich wenden sollte und was ich zu tun hatte, um Farnathia zu befreien. Wieder einmal! Was hat sie den Göttern getan, dass es stets sie erwischt? Die Bilder von Gortavor standen mir wieder vor Augen, auch jene der Folterwelt Sofgarts, gefolgt von denen der Sogmanton-Barriere, Farnathias schrecklicher Metamorphose… In rund einer Arkon-Periode, am 23. Prago der Prikur, wird sie erst sechzehn – und hat mehr erlebt, durchgestanden und erlitten als viele Alte. »Ich erkenne mit Befriedigung«, sagte er, »dass du anfängst zu denken. Wahrscheinlich kann ich dich nicht zurückhalten. Aber wenn du gehst, bitte ich dich, eines zu bedenken: Die Fremden sind mächtig. Ihre Technologie ist der unseren wahrscheinlich überlegen! Denk nur daran, auf welche Weise Farnathia entführt wurde: Die Fremden kamen durch einen halben Meter Arkonstahl, ohne Spuren zu hinterlassen.« Ich nickte. Meine Ruhe war zurückgekehrt. Alles trieb mich hinaus, um nach Farnathia zu suchen. Aber in erster Linie war wichtig, dass ich meinen kühlen Verstand bewahrte.
Das erste Wesen war von einem kurzen Ausflug zurückgekehrt. Es hatte sich mit Hilfe des Teletransportfeldes eines Materieprojektors an Bord des arkonidischen Raumschiffs versetzt und von dort ein Besatzungsmitglied entführt. Soon-Soon war begeistert. »Ich verstehe. Du entführst ein Mitglied der Mannschaft, und die übrigen werden versuchen, den Entführten zu finden und zu befreien. Wer sich bei diesem Versuch am geschicktesten anstellt, ist für unsere Zwecke der Interessanteste.« Das entführte Mitglied war eine Frau, wie dank früherer Erfahrungen mit Arkoniden und ähnlichen Geschöpfen hatte festgestellt werden können – sie befand sich in einem Nebenraum, bewusstlos, ansonsten unversehrt. »Richtig ich erwarte, dass derjenige, der die Frau zu befreien versucht, sich gegenüber den anderen Besatzungsmitgliedern durch größere Tatkraft, höheres Wissen und vermehrte Umsicht auszeichnet.« Seine Kopfscheibe funkelte in glitzernden blauen Farben. Er war freudig erregt, deutete auf den großen Bildschirm, der optische Eindrücke ebenso wie die Ergebnisse der Ortung vermittelte, und wies auf einen grellen Punkt, der sich rasch dem Mittelpunkt der Bildfläche näherte. »Da ist er. Er hat das Raumschiff verlassen und ist auf dem geradesten Weg hierher. Er verliert keine Zeit.« »Das sollte uns zu denken geben«, wandte Soon-Soon ein. »Er muss sich darüber im Klaren sein, dass wir sie beobachten. Er kann sich denken, dass wir ihn nicht so ohne weiteres an die Gefangene heranlassen.« »Wäre es nicht so, müsste man in der Tat über ihn enttäuscht sein. Aber ich bin sicher, dass du in Kürze etwas zu sehen bekommen wirst.« Soon-Soon hatte weitere Einwände: »Woher weiß er überhaupt, in welche Richtung er sich wenden muss? Er hält genau auf uns zu! Woher weiß er, dass sich die Gefangene hier befindet?« »Eine kluge Frage. Sie bringt mich auf eine Vermutung, der ich sofort nachgehen werde. Ich nehme an…« Er unterbrach sich mitten
im Satz. Der grelle Leuchtfleck war plötzlich vom Bildschirm verschwunden. Soon-Soon fuhr überrascht auf. »Was ist das? Wo ist er?« Die Lichter auf der Kopfscheibe des ersten Wesens flackerten ins Grünliche, ein deutliches Anzeichen dafür, dass auch es nun Besorgnis empfand. »Ich sagte dir, dass du in Kürze etwas zu sehen bekommen würdest. Nun ist es geschehen. Der Fremde hat sich unserer Beobachtung entzogen.« Soon-Soon summte einige unverständliche Laute. »Für meine Begriffe ist dieses Geschöpf ein wenig zu interessant. Ich fühlte mich wohler, hätten wir uns eines ausgesucht, das nicht sämtliche Tricks dieser Galaxis beherrscht.« Aber das erste Wesen war schon wieder guten Mutes. »Jetzt ist es an der Zeit, deinem Verdacht nachzugehen. Wir wissen nicht, wo der Arkonide ist. Aber es gibt Mittel, ihn in eine Falle zu locken.« Fartuloon hatte in der Schleuse ein Sende- und Empfangsgerät installiert, einen jener tragbaren kleinen Kästen, die nach dem elektromagnetischen Prinzip funktionieren; aber mehr brauchten wir auch nicht. Die Verständigung klappte ausgezeichnet. Wir arbeiteten mit Raffern und Zerhackern. Die Fremden mochten noch so schlau sein – es würde ein paar Tontas dauern, bis sie unseren Kode gebrochen hatten, und dann war es immer noch eine Frage, ob sie Satron beherrschten. Wir glitten, in leichte Einsatzanzüge gehüllt, deren Falthelme im Nacken zu Wülsten zusammengerollt werden konnten, in geringer Höhe über das weite Landefeld dahin. Farnathias Kodegeber lieferte ein deutliches, stationäres Signal, das wir im Laufe weniger Augenblicke angepeilt hatten. Wir machten etwa zehn Messungen zur Kreuzpeilung, bis wir nahezu auf den Meter genau wussten, wo sie sich im Augenblick aufhielt. Eiskralle und ich trugen je ein
Hodometer. Wir kalibrierten die »Wegzähler« so, dass der Ort, an dem Farnathia gefangen gehalten wurde, den Koordinatenursprung mit den Koordination 0, 0, 0 bildete. Die Hodometer funktionierten, indem sie Beschleunigungen zu Geschwindigkeiten, und Geschwindigkeiten zu zurückgelegten Strecken integrierten. Sie waren, solange wir uns an Bord des Fluggleiters befanden, ebenso zuverlässig wie später, wenn wir uns zu Fuß würden fortbewegen müssen. Indem wir ständig in die Richtung abnehmender Koordinatenwerte strebten, konnten wir den Aufenthaltsort meiner Geliebten nicht verfehlen. Eines machte mir Sorge, denn ich war sicher, dass die Fremden die POLVPRON scharf beobachteten. Es ist ihnen gewiss nicht entgangen, dass wir ihr Fesselfeld an einer Stelle durchbrochen und einen Fluggleiter gestartet haben. Auf ihren Orterschirmen müssen sie uns kommen sehen. Welchen Sinn aber hat unser Unternehmen, wenn wir dem Gegner Gelegenheit geben, seine Verteidigung auf unsere Ankunft einzurichten? Ich sprach mit Fartuloon darüber. Obwohl seine Worte tausendfach zerhackt, zusammengepresst und wieder auseinander gezogen worden waren, klang seine Stimme so echt aus dem Helmempfänger, als stünde er unmittelbar neben mir. »Irgendwo am Rand der Stadt musst du den Gleiter absetzen. Sonst läufst du ihnen genau in die Arme. In ein paar Zentitontas wird es völlig dunkel sein. Ich kann von hier aus nicht genau erkennen, ob die Stadt beleuchtet ist…« Wir waren näher dran und sahen eine düstere, dunkelrote Glocke, die sich über der fremden Stadt erhob. Ich beschrieb Fartuloon den Anblick. »Das ist aufschlussreich. Ihr optisches Sehvermögen umfasst anscheinend einen weiten Bereich im Infraroten, tiefrotes Licht dürfte für ihre Augen am hellsten sein. Das ist ein Nachteil für euch, mein Junge. Bedenke das!«
»Wir haben die Deflektoren unserer Einsatzanzüge.« »Ohne sie wäret ihr von vornherein verloren.« »Ich habe eine Idee, wie wir ihre Ortung durcheinander bringen. Sobald wir den Rand der Stadt erreicht haben, schalte ich den Antigrav ab. Mit den Luftkissen…« »Das ist Selbstmord«, unterbrach er mich scharf. »Bei diesem Fahrzeugtyp ist das Luftkissen nur zur zusätzlichen Stabilisierung gedacht. Es kann den Gleiter nicht tragen. Im günstigsten Fall würdet ihr ziemlich hart aufsetzen und das Fahrzeug ruinieren.« Ich lachte. »Was wäre daran so schlimm?« »Tu es nicht. Du riskierst deinen Hals.« Ich antwortete nicht mehr. Vor uns tauchten der Rand des Landefelds und die ersten Häuser der Stadt auf. Es waren merkwürdig geformte Gebäude, durchweg von ovalem Grundriss. Die Wände stiegen nahezu fensterlos schräg geneigt in die Höhe und bildeten einen messerscharfen First. Es hieß, dass die Gebäudeform einer jeden Zivilisation auf das in vorgeschichtlicher Zeit verwendete Baumaterial hinwies – Rundhäuser zum Beispiel auf Schilf und Rohr, viereckige Gebäude auf Baumstämme und die arkonidischen Trichter auf den arkonidischen Riesenlotos, der mit Stamm und Kelch schon ein fertiges Gebäude abgegeben hatte. Es fiel mir schwer, aus dem Anblick der fremden Gebäude auf das Baumaterial zu schließen, das diesem Volk in seiner Vorgeschichte zur Verfügung gestanden hatte. Eiskralle murrte » Es ist zu kalt.« »In ein paar Augenblicken wird es dir zu warm werden.« »Das darf nicht sein. Dann zerschmelze ich.« »Halt den Mund!« Wider seine Gewohnheit war er tatsächlich ruhig. Die Fremden legten ihre Städte tatsächlich in großzügigster Weise an. Es gab weite Grünflächen und, wie ich mit
Überraschung feststellte, keinerlei Straßen. Der Verkehr dieses Planeten schien sich ausschließlich durch die Luft zu bewegen. Jede Erinnerung an die Zeiten, in denen Räder über Straßen gerollt waren, schien ebenso verblichen wie die an Fußwege. Die Grünflächen waren üppig mit Bäumen und Büschen bestanden und boten uns gute Deckung. Ich wartete, bis der Gleiter, von der Stadtmitte her gesehen, in den Ortungsschutz eines besonders hoch aufragenden Gebäudes gelangte, dann schaltete ich das Triebwerk aus. Der Gleiter fing sofort zu torkeln an. Eiskralle stieß einen ängstlichen Laut aus und klammerte sich an die Haltegurte. Zwei Wimpernschläge fang stürzten wir wie ein Stein. Dann hatte ich die Luftkissen auf Höchstleistung getrimmt. Ich richtete den Bug des Gleiters schräg nach oben, so dass uns die glatte Unterfläche als aerodynamische Bremse diente. Wir hatten eine gehörige Vorwärtsfahrt. Das half beim Bremsen, aber sobald wir Bodenberührung hatten, würde es uns tüchtig schütteln. Eiskralle rief voller Angst: »Mir ist heiß!« »Beiß dir auf die Glaszunge! Wir sind gleich unten.« Ein Park, übergossen von düsterrotem Licht, kam mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu. In diesem Augenblick dachte ich an Fartuloons warnende Worte. Hatte ich mir zu viel vorgenommen? Ich richtete die Nase des Gleiters steiler in die Höhe. Nur schwerfällig gehorchte das Fahrzeug dem Steuer. Wir waren zu langsam geworden und fielen abermals. Ein letzter Knall, das Fahrzeug drehte sich wie ein Karussell, dann war Ruhe. Ich war benommen, aber bei Sinnen. Eiskralle starrte mich aus großen, ängstlichen Augen an. Ich drückte den Knopf, der meine Gurte löste. »Raus! Gleich sind uns die Fremden auf den Fersen!« Wir rissen an uns, was wir an Gerät mitgebracht hatten. Ich öffnete das Luk. Das war ein banger Augenblick. Der harte Aufprall hatte die Fahrzeughülle deformiert, und die
Lukhälften verharrten einen Augenblick, bevor sie sich quietschend in Bewegung setzten. Warme, trockene Luft drang zu uns herein. Eiskralle turnte als Erster hinaus. Er hatte seinen Schreck überwunden und verschwand sofort in der Deckung eines Gebüschs. Ich folgte ihm auf dem Fuß. Vorerst ging alles gut – auffällig gut, möchte ich fast sagen. Wir tauchten hinter dem Gebüsch unter. Ringsherum war es ruhig. Dank der eingeschalteten Deflektorfelder waren wir für normale Augen unsichtbar. Aus sicherer Entfernung warf ich einen Blick zurück auf unserem Fluggleiter. Das düstere rote Licht, das von Leuchtplatten ausgestrahlt wurde, die frei in der Luft schwebten, kam mir nicht sehr zustatten. Ich hatte den Eindruck, dass das Fahrzeug nicht übermäßig beschädigt worden war. Vermutlich war es noch immer flugtauglich. Mit meinem Armbandsender war ein Befehlsgeber gekoppelt, der den Autopiloten des Gleiters programmieren konnte. Falls die Fremden das Fahrzeug nicht abschleppten und irgendwo deponierten, würden wir es im Notfall zu uns rufen und mit ihm davonfliegen können. Wir sahen uns um. Die Stille war nahezu unwirklich. Es gab kein Geräusch außer dem leisen Rascheln der Blätter, die der warme Wind bewegte. Wo sind die Fremden? Ist es ihre Gewohnheit, nachts so ruhig zu sein, oder hat unsere Bruchlandung sie verschreckt? Eiskralles aufgeregte Stimme riss mich aus den Überlegungen: »Sie bewegt sich. Sie bewegt sich.« Seitdem wir die Deflektorschirme eingeschaltet hatten, konnte ich ihn nicht mehr sehen. Ich wusste jedoch, dass er sich in unmittelbarer Nähe befand: Ich sah deutlich die Stelle, an der sein unsichtbarer Körper die Zweige des Gebüschs auseinander drängte. In mein Armband war ein MiniaturOrtergerät integriert, das ich jetzt einschaltete und das mir das Ergebnis auf die Helminnenseite projizierte. Die Anzeige von
Farnathias Kodegeber bildete einen kleinen, gelblichen Lichtfleck. Die ganze Zeit über war er stationär gewesen… »Das glaube ich nicht«, antwortete ich grimmig. »Ich auch nicht«, dröhnte mir Fartuloons Stimme ins Ohr. Ich erschrak, hatte für den Augenblick vergessen, dass er weiterhin mit uns verbunden war und wir ihn über Helmfunk empfingen. »Das ist ein Trick. Sie haben Farnathias Kodegeber gefunden und seine Funktion erkannt. Jetzt schaffen sie das Gerät woandershin, um euch in eine Falle zu locken.« Das war genau meine Ansicht. »Ich habe vor, mich an das ursprüngliche Ziel zu halten.« »Fünf zu eins, dass du damit Recht hast, mein Junge.« »Ich bin nicht so sicher.« Eiskralle hatte die Unterhaltung zwischen Fartuloon und mir mitgehört. »Vielleicht sollten wir uns trennen. Der eine folgt dem Kodegeber, der andere kümmert sich um das ursprüngliche Ziel.« »Hör nicht auf ihn!«, drängte Fartuloon. »Er ist durcheinander, wahrscheinlich ist ihm entweder zu kalt oder zu heiß, und in solchen Lagen durchschaut er die Dinge nicht ganz.« Ich musste lachen. »Ich fühle mich ganz und gar wohl«, protestierte mein durchsichtiger Freund, »und meine Gedanken sind die Ergebnisse einer völlig unantastbaren Logik. Der Gegner bietet uns zwei Ziele, und da wir zwei Mann sind, sollten wir…« »Ich habe mich anders entschieden«, unterbrach ich ihn. »Wir halten uns an die ursprünglichen Koordinaten. Und je schneller wir sind, desto größer ist unsere Aussicht auf Erfolg.« Er seufzte. »Die Götter geben und die Götter nehmen. Was vermag ich armes Geschöpf gegen das unerforschliche walten des Schicksals auszurichten?« Wir setzten uns in Bewegung. Auf den Ort zu, von dem aus
Farnathias Kodegeber ursprünglich gesendet hatte. Die klickenden Lumineszenzmarken unserer Hodometer bewiesen uns, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Ich wollte nur, ich wäre meiner Sache sicherer.
8. »Du hattest recht«. verkündete das erste Wesen, nachdem es etwa eine halbe Maxiskope fang unterwegs gewesen war. »Es gibt einen triftigen Grund, warum der Arkonide geradewegs das Ziel ansteuert. Die Gefangene war präpariert.« Einer seiner Tentakel schnellte nach vorne. In der Greifzange erblickte Soon-Soon ein winziges, kugelförmiges Gerät. »Sie trug das an einem der beiden Körperteile, die bei den Arkoniden dem Hörsinn dienen. Es war halb in einer Hautfalte verborgen und nur sehr schwer zufinden. Zudem wehrte sich die Gefangene; ich musste sie abermals betäuben.« »Was ist es?« »Ein höchst primitiver, aber äußerst wirksamer elektromagnetischer Sender. Innerhalb einer Skope sendet er zehnmal dieselbe Impulsfolge ab. Ohne Zweifel ein Gerät, das mühelos anpeilt werden kann.« Soon-Soon war befriedigt. Er liebte es, wenn alle Unklarheiten beseitigt waren. Zwar erschien ihm die Aufgewecktheit der Arkoniden nahezu Furcht erregend, aber jetzt wussten sie wenigstens, woran sie waren. »Was hast du vor?« »Ich habe vor, unseren ungebetenen Gast in eine Falle zu locker. Es besteht nun kein Zweifel mehr daran, dass es sich bei ihm um ein überaus interessantes Spezimen des arkonidischen Volkes handelt. Wir können uns weiteres Suchen sparen. Je rascher wir ihn einfangen, desto früher kommst du dazu, sein Bewusstseinsabbild anzufertigen.«
Soon-Soon war begeistert. Seine Kopfscheibe glitzerte in leuchtend blauen Farben. »Die Sicherheitsgruppe ist benachrichtigt. Der Platz ist geschickt gewählt. Jemand, der Leute aus Raumschiffen entführt, würde ihn wohl als Versteck für seine Gefangenen wählen.« »Du hast vor, den Sender dort zu platzieren?« »Ja.« Ein grünlicher Unterton der Besorgnis mischte sich in das blaue Flimmern auf Soon-Soons Kopfscheibe. »Was, wenn der Arkonide auf deinen Trick nicht hereinfällt? Wenn er ihn durchschaut?« »Damit glaube ich nicht rechnen zu müssen. Die Signale des Senders sind der einzige Anhaltspunkt, den er hat. Wechselt der Sender den Standort, muss er annehmen, dass das auch für die Gefangene gilt. Alles andere wäre pure Spekulation, und ich halte den Unbekannten für zu schlau, als dass er sich darauf einließe.« Als das Wesen sah, dass Soon-Soon weitere Einwände hatte, kam es ihm rasch zuvor: »Im Übrigen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Die Sicherheitsgruppe hat eine ihrer Abteilungen damit beauftragt, die Stadt nach dem Arkoniden zu durchsuchen. Fangen wollen wir ihn erst in der Falle, weil wir nicht wissen, wie er bewaffnet ist. Aber wir wollen sichergehen, dass er auch wirklich in die Falle geht.« Eiskralle gab einen komischen Seufzer von sich. »Da kommen sie schon wieder.« Wir steckten unter einem dichten Gebüsch, dem zwanzigsten oder dreißigsten, unter dem wir Zuflucht gesucht hatten, seitdem wir mit dem Gleiter gelandet waren. Vor kurzem war die Stadt unvermittelt zum Leben erwacht. Ihre Einwohner hatten wir zwar immer noch nicht zu Gesicht bekommen, dafür aber viele ihrer Fahrzeuge – kreis – runde, linsenförmig gewölbte Scheiben, unseren eigenen Gleitern nicht unähnlich, jedoch von geringerem Umfang. Sie
schwirrten nahezu lautlos, jedoch mit großer Geschwindigkeit durch die Luft, hielten abrupt an, standen eine Zeit fang völlig unbeweglich und schossen schließlich wieder davon. Solche Manöver waren nur mit Hilfe eines äußerst leistungsstarken Antigrav-Aggregats möglich. Mein Respekt vor der Technologie der Fremden wuchs von Zentitonta zu Zentitonta. Es wurde rasch klar, dass sie nach uns suchten. Das war einerseits ein erfreuliches Zeichen, denn es wies darauf hin, dass wir durch unsere Bruchlandung für den Gegner in der Tat aus dem Blickfeld verschwunden waren. Andererseits jedoch bewies die Art, wie die kleinen Gleitlinsen rings um uns herum förmlich in der Luft klebten, dass die Fremden diesen vorübergehenden Nachteil längst wieder wettgemacht hatten. Sie hatten uns wieder gefunden. Der Auftrag der kleinen Gleiterflotte bestand jedoch nicht darin, uns gefangen zu nehmen oder sonst wie unschädlich zu machen, sondern uns zu beobachten. Das bemühen, uns beim Auftauchen der Gleitlinsen zu verstecken, schien mir rein akademisch zu sein. Wir hatten nach wie vor die Deflektorschirme aktiviert. Optisch waren wir also nicht wahrzunehmen. Ich hatte den Verdacht, dass die Fremden die Deflektoren energetisch anmessen konnten. Es war also gerade das Mittel, mit dem wir uns zu verbergen hofften, das uns verriet. Mein erster Impuls war gewesen, den Deflektorschirm auszuschalten. Dann jedoch kam mir eine bessere Idee. Der Gegner hatte – dessen war ich mir sicher – Farnathias Kodegeber gefunden und war auf den Gedanken gekommen, ihn als Lockmittel zu benutzen. Er hatte ihn Farnathia abgenommen und an einen Ort gebracht, an dem er gleichzeitig eine Falle für uns errichtete. Unter diesen Umständen ist es besser, dachte ich, die Gegenseite zuerst glauben zu machen, dass wir auf ihren Trick hereinfallen, bevor wir zum
zweiten Mal unsichtbar werden. Ich rief Eiskralle an. »Stell dein Hodometer um!« »Warum? Sollen wir doch…?« »Frag nicht. Justiere ihn auf die Position, an der sich Farnathias Kodegeber jetzt befindet.« Er brummte vor sich hin. Was er tat, konnte ich infolge des Deflektorfeldes natürlich nicht sehen. »Geschehen«, meldete er nach wenigen Augenblicken. »Was jetzt?« »Wo liegt der neue Nullpunkt?« »Halblinks voraus.« Ich überlegte. Schlagen wir auf der Stelle einen neuen Kurs ein, wird der Gegner misstrauisch. Wir müssen langsam vorgehen, zögernd, unsicher – als wüssten wir nicht genau, wohin wir uns zu wenden haben – und dann verschwinden. Ich teilte Eiskralle meinen Plan mit. Er war nicht begeistert davon, aber das irritierte mich nicht: Eiskralle war selten von dem begeistert, was ich oder ein anderer ihm vorschlug. »Murren« gehörte zu ihm wie die Angst, zu schmelzen oder zu erstarren. Ich kroch als Erster unter dem Gebüsch hervor. Über uns standen vier Linsengleiter. Es mochten mehr sein, aber in dem ungewissen Licht konnte ich nur diese vier entdecken. Als hätte ich nichts zu befürchten, wanderte ich offen über die weite Grasfläche und wich den Büschen aus, um rascher voranzukommen. Optisch war ich weiterhin unsichtbar, aber ich war nahezu sicher, dass die Fremden meinen Deflektorschirm als prallen Lichtfleck auf ihren Ortungsgeräten sahen. Ich hörte Eiskralle hastig atmen und wusste, ohne ihn zu sehen, dass er dicht hinter mir war. Wir erreichten den nördlichen Rand des Parkgeländes und befanden uns nun an der Grenze eines Grundstücks, von dem sich ein Gebäude von beeindruckender Größe erhob. Die Grenze war leicht aus zumachen: Jenseits befand sich nur niedriges Gras, das zu dem künstlich erhaltenen Wildwuchs
des Parks einen markanten Gegensatz bildete. Wir schritten weiter aus und hielten uns dabei ein wenig mehr als bislang nach links. Die Deflektorschirme verbargen uns, aber unsere Spuren waren in der kurz getrimmten Grünfläche natürlich deutlich zu sehen. Ich blickte auf und sah, dass die Fluglinsen sich wieder in Bewegung gesetzt hatten. Es gehörte zur Taktik des Gegners, uns nicht ständig mit denselben Fahrzeugen zu folgen, sondern, sobald wir uns bewegten, die bisherigen Verfolger abzurufen und sie durch neue zu ersetzen. Ungehindert, jedoch stets unter Beobachtung, legten wir einen weiteren Kilometer zurück. Immer deutlicher näherten wir uns dem zweiten Ziel, das der Gegner uns durch die Verlagerung des Kodegebers vorgegeben hatte. Es wurde allmählich Zeit, dass wir uns richtig unsichtbar machten. Ich wollte mich vergewissern, ob der Gegner genug Grund für die Annahme hatte, wir seien auf seinen Trick hereingefallen. Deswegen wartete ich so lange. Zu lange…? Wir überquerten eine ebene, deckungslose Fläche, als sich einer der linsenförmigen Gleiter aus dem Verband löste und in steilem Flug auf uns zugeschossen kam. Erst wenige Meter vor mir fing der Pilot den Sturz ab, zog sein Fahrzeug in die Waagrechte und sauste geradewegs auf mich zu, als wollte er mich rammen. Das bewies, dass die Fremden in der Tat trotz unserer Deflektorschirme auf den Meter genau wussten, wo wir uns befanden. Ich stieß einen Warnruf aus und warf mich zur Seite. Bevor ich mich wehrte, wollte ich genau wissen, ob die Fremden nun wirklich Gewalt einzusetzen gedachten oder ob man uns nur einschüchtern wollte. Unglücklicherweise war Eiskralle weniger besonnen. Ich hörte ihn wütend aufschreien. Aus meinem Helmempfänger drang ein leises, doppeltes Knacken. Ich wusste sofort, was es bedeutete.
»Nicht schießen!«, schrie ich. Aber es war zu spät: Scheinbar aus dem Nichts entstand die gleißende Lichtbahn des Energiestrahls. Eiskralle hatte sich ebenfalls vor dem heranbrausenden Gleiter in Sicherheit gebracht, das Fahrzeug war zwischen uns hindurchgeschossen. Eiskralles Schuss erwischte es am Heck. In dem flachen Aufbau des Gleiters erschien ein Loch mit glühenden, gezackten Rändern von der Größe eines Männerkopfes. Das Fahrzeug geriet ins Taumeln. Der Pilot schaffte es noch, seine Fahrt etwa auf ein Drittel des ursprünglichen Wertes zu verringern. Aber dann war er mit seiner Kunst zu Ende. Die Linse schlug auf, sprang wieder in die Höhe, prallte ein paar Mal auf den Boden zurück und barst schließlich. Eiskralle und ich eilten auf die Unglücksstelle zu. In dem Gewirr von Trümmerstücken und zerstreutem Gerät entdeckten wir auf den ersten Blick nichts, was wir als den Piloten des abgestürzten Fahrzeugs hätten identifizieren mögen. Ich hörte Eiskralle einen halb erstickten Ruf der Überraschung ausstoßen. »Dort… links«, sagte er mit bebender Stimme. »Neben dem kleinen Busch.« Das Ding sah aus wie eine überdimensionale Wurst, die an einem Ende schon angeschnitten war. Es war knapp anderthalb Meter lang und an der umfangreichsten Stelle etwa einen halben Meter dick. Jene Stelle eben war das Ende, an dem »die Wurst« angeschnitten zu sein schien. Die Schnittstelle wies eine vielfältige Granulation auf. In bleichgraue Materie eingesprenkelt, gab es Substanzen verschiedener Farbe Aus den Seiten des Gebildes ragten dicht unterhalb der »Schnittstelle« zwei tentakelartige, lange Arme hervor, die in dreifingrigen Greifzangen endeten. Unterhalb des Tentakelansatzes drang etwas Undefinierbares aus dem
Leib. Schließlich entwuchsen dem wurstähnlichen Körper noch zwei Paar Beinextremitäten, ein kräftig entwickeltes unmittelbar hinter der Schnittstelle und ein verkümmertes, kleineres kurz vor dem sich verjüngenden Ende der Wurst. Der Anblick des Geschöpfs war so fremdartig, dass ich ratlos dastand und es anstarrte. Ich konnte nicht erkennen, ob es bekleidet war oder nicht. Wenn ja, war seine Kleidung von derselben bleichgrauen Farbe wie die Haut, so dass nicht zu erkennen war, wo die Nacktheit aufhörte und die Kleidung begann. Eiskralles Stimme schreckte mich aus meiner Nachdenklichkeit: »Welch ein hässliches Ding.« Eigenartig, durchfuhr es mich. Bei der Mehrzahl aller Gelegenheiten ein aufgeschlossenes, tolerantes Wesen mit weltoffenen Ansichten, hat er sich dennoch gewisse Vorurteile bewahrt. So zum Beispiel die Meinung, er zerbreche bei niedrigen Temperaturen wie Glas und zerlaufe in der Wärme. Oder die erstaunliche Ansicht, dass nur Geschöpfe von arkonoidem Äußeren einen Anspruch darauf haben, als schön bezeichnet zu werden abhängig natürlich davon, ob Eiskralle sie wirklich als schön empfindet. Nicht Arkonoide Wesen jedoch sind grundsätzlich hässlich oder gar abscheulich, eine Nuancierung, der nur des Chretkors privater Maßstab zugrunde liegt. Beim Anblick der abgeschnittenen Wurst konnte er aufgrund seiner Einstellung wohl nicht anders empfinden, als er sich soeben ausgedrückt hatte. Er befand sich jedoch außerdem in einem Zustand hochgradiger Erregung. Damit hatte ich nicht gerechnet. Überdies ließ er es bei den abfälligen Worten nicht bewenden. Ich konnte nicht sehen, was er tat. Erst als er den Deflektorschirm abschaltete, erschien er in meinem Blickfeld. Aber da war es für ein Eingreifen schon zu spät. Er kniete an der Seite des bewusstlosen Wesens und packte es mit beiden Händen an dem sich verjüngenden Körperende…
»Nicht!« Aber er hatte schon zugepackt. Durch den bisher reglosen Körper des Fremden ging ein Ruck. Er erstarrte zu Eis. Denn das war die unheimlich anmutenden Parafähigkeit des Chretkors – er konnte organischer Materie, die er mit einem bestimmten Griff seiner Hände packte, willentlich alle ihr innewohnende Wärme entziehen und sie auf der Stelle zu Eis erstarren lassen. Ich wollte ihn ob seiner Voreiligkeit schelten. Er aber sprang auf und sah sich um. Da er seinen Deflektor ausgeschaltet hatte, konnte ich ihn deutlich sehen. Er starrte an mir vorbei. Für einen Wimpernschlag zeigte sein gläsernes Gesicht einen deutlich erkennbaren Ausdruck, eine Grimasse der Furcht. Ich hatte während der vergangenen Zentitontas die Szene ringsum völlig vergessen. Die Angst, die aus Eiskralles Augen leuchtete, erinnerte mich an die Gleiter der Fremden, die rings um uns in der Nacht schwebten und die Vorgänge ohne Zweifel beobachtet hatten. Ich wirbelte herum und sah sie auf uns zukommen. Sie flogen niedrig, kaum zwei Meter über dem Boden, und mit beachtlicher Geschwindigkeit. Für mich bestand kein Zweifel daran, dass sie uns angreifen wollten. Ihrer Übermacht waren wir nicht gewachsen. Es trennten uns nur wenige Meter von einem dichten Gebüsch, in dessen Schatten wir Deckung finden konnten. Ich schaltete meinen Deflektor ebenfalls aus und packte den vor Schreck erstarrten Chretkor am Arm. »Nichts wie weg!« Das Leuchten auf der Kopfscheibe des ersten Wesens hatte schon vor einiger Zeit den Farbton der Besorgnis angenommen. Ohne einen Laut von sich zu geben, lauschte es den Sendungen, die von den Fahrzeugen der Sicherheitsgruppe abgestrahlt wurden und ihn über die Entwicklungen informierten. Schließlich, als in der raschen Folge der Nachrichten eine kurze Pause eintrat, sah das Wesen auf und sagte in einer für einen Arkoniden kaum nachvollziehbaren
Ausdrucksweise: »Sie haben einen Toten erzeugt« »Sie….?«, fragte Soon-Soon überrascht. »Es sind zwei – nicht nur einer, wie wir zunächst annahmen.« Der Umstand, dass ein Mitglied der Sicherheitsgruppe getötet worden war, schien für das erste Wesen von geringerer Bedeutung zu sein als die Erkenntnis, dass es sich bei den Fremden nicht um einen, sondern um zwei Arkoniden handelte. »Aber sie sind auf dem Weg zur Falle?« »Das nehmen wir an.« »Wir nehmen an? Wir wissen es nicht?« »Ganz richtig. Bisher konnten die Leute der Sicherheitsgruppe den Fremden leicht folgen. Sie hatten sich mit einer Art Feldschirm umgeben – unsere Leute nehmen an, dass es sich um einen handelte, der den für arkonidische Augen sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums um den Träger herumlenkt und diesen daher für arkonidische Begriffe unsichtbar macht. Für unsere Ortergeräte wurden sie dafür um so auffälliger. Das müssen sie gemerkt haben. Nach dem Zwischenfall schalteten sie die Schirme ab und verschwanden in einer Deckung, aus der sie bisher noch nicht wieder aufgetaucht sind.« »Von welchem Zwischenfall sprichst du?« Das erste Wesen schien sich erst jetzt zu besinnen, dass Soon-Soon an dem telepathischen Nachrichtenaustausch mit den Fahrzeugen der Sicherheitsgruppe nicht teilgenommen hatte. Die Fähigkeit des Gedankenlesens beherrschten diese Wesen nicht. Über kurze Strecken hinweg bedienten sie sich allerdings zur Nachrichtenübermittlung telepathischer Signale… Diese gingen jedoch nicht von ihren Gehirnen oder Bewusstseinen aus, sondern von Sendegeräten, die die Signale auf paramechanische Art und Weise erzeugten. Auch zum Empfang der Impulse wurde ein Umsetzer benötigt, der die Signale wieder in akustisch wahrnehmbare Informationen verwandelte. Das erste Wesen berichtete knapp von dem Abschuss des Gleiters und dem Tod des Piloten.
»Der Kosmos gönne ihm eine günstige Rekonfigurierung«, murmelte Soon-Soon summend. »Und zu Eis gefroren, sagst du?« »Ja. Eine paranormale Kraft hat ihm abrupt auch das letzte Quantum Wärme aus dem Leib gezogen. Er wirkt wie jemand, sagen die Sicherheitsleute, der in einen Tank flüssiger Luft getaucht war. Es ist nur ein Arkonide, der andere ein Chretkor!« »Aber sie haben den Weg zur Falle eingeschlagen?« »Ganz eindeutig. Als unsere Leute sie beobachteten, waren sie zunächst auf dem Weg hierher; dann bogen sie allmählich ab. Ich bin sicher dass wir uns um sie vorerst nicht weiter zu kümmern brauchen. Wenn es so weit ist, tauchen sie ganz von selbst vor der Falle auf.« Soon-Soon musterte ihn, und das grünliche Leuchten seiner Kopfscheibe zeigte ernste Besorgnis. »Verzeih mir, wenn ich nicht dasselbe Vertrauen habe wie du. Erlaubst du mir, dass ich meine eigenen Vorkehrungen treffe?« Das erste Wesen schien überrascht. » Welch eine Frage! Wir sind gleichberechtigte Wissenschaftler. Wie hätte ich dir Vorschriften zu machen?« »Ich dachte… vielleicht passt es nicht in deinen Plan. Und dein Plan hat selbstverständlich Vorrang. Ich möchte mich ein wenig um die Gefangene kümmern und sicherstellen, dass alles in Ordnung ist, selbst wenn die beiden Arkoniden plötzlich hier auftauchen sollten.« »Das ist dir unbenommen.« Ich hatte es mir anders vorgestellt. Unser Vorstoß sollte eine kühl geplante, mit Bedacht und ohne Hast ausgeführte Unternehmung sein. Jetzt jedoch stoben wir durch das Gebüsch, wie von Hradschirs Feuerfurien gehetzt, und jeder Schritt, den die Fahrzeuge der Verfolger hinter uns zurückblieben, erschien uns eine völlig unverdiente Gunst des Schicksals. In der Richtung, die wir eingeschlagen hatten, als wir uns
von der Leiche des Fremden entfernten, gab es kleine Waldungen und jede Menge Gebüsch. Nach einer Vierteltonta hatten wir guten Grund zu glauben, dass die Verfolger unsere Spur endgültig verloren hatten. Kein einziges Fahrzeug befand sich mehr in unserer Nähe. Soweit ich sehen konnte, waren die Gleiter annähernd gleichmäßig über die Strecke verteilt, die zu dem Punkt führte, von dem die Signale von Farnathias Kodegeber jetzt ausgingen – dem Ort also, von dem wir annahmen, dass er eine Falle sei. Sie erwarten also nach wie vor, uns auf diesem Weg zu finden, dachte ich, und das ist ein nicht unbedeutender Erfolg unserer Taktik. Gleichzeitig bedeutet es freilich, ergänzte der Extrasinn, dass ihr keine Zeit verlieren dürft. Die Fremden werden euch eine gewisse Zeitspanne geben, innerhalb der ihr in der Nähe der Falle auftaucht solltet. Erfüllt ihr diese Erwartung nicht, schlagen sie Alarm und beginnen anderenorts zu suchen. Bis es so weit ist, müssen wir unser wahres Ziel also erreicht und Farnathia befreit haben. Ich packte Eiskralle, der keuchend vor mir herstürmte, an der Schulter und zwang ihn anzuhalten. »Warum hast du das Wesen umgebracht?« In seinen Augen stand noch immer derselbe Ausdruck von Furcht, den ich an ihm bemerkt hatte, als er sich auf den Fremden stürzte. »Ich… ich weiß es nicht«, stieß er hervor. »Es war… etwas in mir… Ich musste es tun. Der Fremde war in eine sonderbare… Aura gehüllt… ich…« Er hob die Hände und starrte sie an – sie, in denen diese unglaubliche Kraft wohnte – als sähe er sie zum ersten Mal. Ich wusste nicht, was in ihn gefahren war, sah aber von langatmigen Vorwürfen ab. Im Augenblick hatte die Taktik eindeutig Vorrang: Mein Hodometer wies aus, dass wir nur noch knapp einen Kilometer von dem Ort entfernt waren, an dem wir Farnathia vermuteten. Wenn wir sie befreit und in Sicherheit gebracht hatten, war immer noch Zeit, dem
Chretkor Vorhaltungen zu machen. Wir drangen weiter vor, durch Gebüsch und an kleinen Gruppen von Bäumen vorbei, die nahe beieinander standen. Die Nacht war durchdrungen von dem düsteren roten Licht, das die Fremden zur Beleuchtung ihrer Stadt verwendeten. Die Versuchung war groß, das schummrige Halbdunkel als einen weiteren Vorteil zu sehen. Ich ging jedoch davon aus, dass die Augen der Fremden anders beschaffen waren als die unseren und dass sie eben in diesem Licht genauso gut sehen konnten wie wir bei strahlendem Sonnenschein. Wir waren also auf die Deckung angewiesen, die die Büsche und Bäume boten. Es sah so aus, als befänden wir uns nun in dem Park, in dessen Zentrum zweifellos das Gebäude stand, in dem Farnathia gefangen gehalten wurde. Und als wir schließlich den Rand eines Wäldchens erreichten und auf eine mit niedrigem Gebüsch bestandene Lichtung hinauslugten, wusste ich, dass ich Recht gehabt hatte – zumindest mit dem von mir vermuteten Gebäude. Etwa zweihundert Meter entfernt erhob sich das größte Bauwerk, das ich auf dieser Welt bis jetzt gesehen hatte. Die Länge betrug mehr als einhundert Meter, und es war wenigstens dreißig Meter hoch. Gemessen an den anderen, war es ein Gigant unter den Bauten dieser Welt. Es hatte die übliche Form, lang gestreckt, oval, mit steilaufragenden, leicht geneigten Wänden, die in der Höhe einen messerscharfen First bildeten. Nur hier und dort waren die Wandflächen von kleinen Fensteröffnungen durchbrochen. Und der Umstand, dass aus sämtlichen Fensteröffnungen Licht schimmerte, tat ein übriges, um uns klar zu machen, dass es sich hier nicht nur um ein großes, sondern auch um ein wichtiges Gebäude handelte. Bei näherem Hinschauen entpuppte sich ein in Bodennähe
gelegenes, größeres »Fenster« als Eingang. Ich fasste ihn schärfer ins Auge, versuchte, in der matten Helligkeit, die aus der Öffnung hervordrang, die Bewegung fremder Gestalten zu erkennen. Aber es regte sich nichts. Das Bauwerk war erleuchtet, ansonsten schien es genauso ausgestorben wie alle anderen Häuser der Stadt. »Wir versuchen, dort einzudringen«, flüsterte ich und deutete auf den Eingang. »Ich an deiner Stelle würde mich zuerst umsehen.« Ich hatte keine Ahnung, wonach ich mich hätte umsehen sollen. »Sie bauen mit leichtem Material. Holzähnlich. Ihre Türen leisten keinem ernsthaften Eindringling nennenswerten Widerstand. Sie werden also Sensoren eingebaut haben, die die Ankunft von Unbefugten anzeigen.« Eiskralle besaß bessere Augen als ich. Ich hegte keinen Zweifel an seiner Einschätzung des Baumaterials. Diese Welt hatte ein warmes Klima. Verwundernswert war es also nicht, wenn man hier leicht baute. Und seine Schlussfolgerungen ergaben ebenfalls Sinn. Waren schon die Türen nicht standhaft, sollte man zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen anbringen, um sich gegen unerwünschte Eindringlinge zu schützen. In dem Augenblick, in dem wir durch das düster erleuchtete Portal eindrangen, würde wahrscheinlich im ganzen Gebäude die Alarmanlage zu schrillen beginnen – oder was sonst auch immer die Fremden anstelle von Sirenen benutzten. »Also… was schlägst du vor?« »Rundgang«, antwortete er knapp, wartete meine Antwort erst gar nicht ab, sondern setzte sich sofort in Bewegung. Am Rande des Waldes entlang begannen wir, das Gebäude zu umrunden. Meine Unruhe wuchs, denn nach meiner Schätzung war der Augenblick bald gekommen, in dem die Fremden uns in der Nähe der Falle erwarteten und unruhig werden würden, sollten wir uns nicht zeigen. Eiskralle
dagegen war plötzlich die Ruhe selbst. Er war der geborene Späher, und keine Aufgabe konnte man ihm mit größerer Zuversicht anvertrauen als die, eine Lage auszukundschaften, ein Versteck zu finden oder einen Zugang zu einem sorgfältig geschützten Ort zu ermitteln. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Eiskralle streckte plötzlich die Hand aus und hielt mich an. »Sieh dort!« Sein ausgestreckter Arm wies auf einen riesigen Baum. Er musste uralt sein und war der einzige seiner Art in unmittelbarer Nähe des Gebäudes. Die knorrigen Äste, die zum Teil selbst wiederum die Stärke ausgewachsener Baumstämme erreichten, ragten an einigen Stellen bis auf wenige Meter an die steilen Wände des Bauwerks heran. Ein Ast wies geradewegs auf eines der Fenster. Ich begriff sofort, was der Chretkor meinte. »Der dicke Ast, nicht wahr? Er reicht bis auf wenige Schritte an das Fenster heran!« Ich konnte sein Gesicht nicht genau erkennen, aber ich war mir sicher, dass er hämisch grinste. »Wie weit kannst du springen?« »Fünf, sechs Meter… mit ausreichendem Anlauf.« »Das dort sind wenigstens sieben. Anlauf gibt es nur auf dem Ast, und der ist nicht besonders gerade. Möchtest du es wagen?« Jetzt war der Spott unüberhörbar. »Immerhin sind es höchstens zwölf Meter bis auf den Boden.« »Also was dann?« »Siehst du den Ast darüber?« Ich sah ihn. Er war dünn, ragte nicht annähernd so nahe an das Gebäude heran wie der dickere, tiefere und schien von Schmarotzerpflanzen befallen zu sein, die unordentlichen Haaren gleich in die Tiefe hingen. »Den…?« »Den mit den Fransen. Die brauchen wir nämlich, um durch das Fenster zu kommen.« Ich ahnte Schlimmes. »Affen spielen?«
»Natürlich.« Er kicherte. »Affen spielen. Anders schaffen wir es nicht.« Die Mühe wäre uns erspart geblieben, hätten wir ohne Ortungsgefahr die Mikrograv-Projektoren unserer flugfähigen Einsatzanzüge einsetzen können. Mir kam das ganze Unternehmen höchst riskant vor, dennoch blieb uns nichts anderes übrig. Der mächtige Stamm des Baumes bot uns genug Angriffspunkte, so dass wir nahezu mühelos bis auf den Ast gelangten, den Eiskralle sich ausgesucht hatte. Wir tasteten uns so weit vor, wie der Ast uns tragen konnte. Als er sich bedrohlich unter unserem Gewicht zu biegen begann, wies der Chretkor auf eine der langen, dicken Lianen und zischte mir zu: »Daran hinab… so weit du kannst.« »Und du?« »Ich setze das Ding in Schwung, dann komme ich nach.« Es war eine wenig verlockende Aussicht, im nächsten Augenblick rund achtzehn Meter tief zu stürzen. Ohne weiter zu fragen, tat ich, was Eiskralle mir auftrug, packte die Liane wie ein Seil und turnte daran hinab. Das dicke, zähe Gewächs hielt mühelos mein Gewicht. Es bewegte sich kaum, während ich daran nach unten kletterte. Ich kam in einiger Entfernung an dem Ast vorbei, den ich mir ursprünglich ausgesucht hatte. Ein paar Meter tiefer war die Liane so dünn, dass ich es für besser hielt anzuhalten. Ich bemerkte, wie Eiskralle mit ruckartigen Bewegungen versuchte, die Schlingpflanze in Bewegung zu bringen. Er brauchte eine Zeit lang, aber schließlich hatte er Erfolg: Die Liane begann, wie ein Pendel zu schwingen. Ich bewegte mich abwechselnd auf die Wand des Gebäudes zu und dann wieder von ihr weg. Geschickt schaffte es der Chretkor, die Amplitude des Pendels allmählich zu vergrößern, bis ich, am unteren Ende der Schlingpflanze hängend, beim weitesten Ausschlag nur noch wenige Meter von dem Fenster entfernt war.
Dahinter war im matten Licht ein zum größten Teil leerer Raum zu erkennen. Nichts bewegte sich darin. Ich versuchte auszumachen, welche Art von Material die Fremden für ihre Fenster verwendeten. Im Geiste sah ich uns schon springen und gegen ein undurchdringliches Hindernis prallen, so dass der Sturz in die Tiefe eine unausbleibliche Folge war. Aber es schien keinen Rahmen zu geben, und der Durchblick war, wenn man die geringe Intensität des Lichts in Betracht zog, viel zu klar. Mein Logiksektor bestätigte den Schluss, dass es überhaupt keine Scheibe gab. Das Fenster war eine Öffnung in der Wand. Die Schwingungen des Pendels wurden langsamer. Ich blickte in die Höhe und erkannte, warum: Der Chretkor hing nun ebenfalls an der Liane und hangelte sich zu mir herab. Dabei krümmte und streckte er sich jedoch im Rhythmus des schwingenden Pendels, so dass die alte Ausschlagweite bald wiederhergestellt war. »Keine Scheiben, gut«, raunte Eiskralle, als er direkt über mir angekommen war. »Achtung jetzt!« Ich hatte zunächst keine Ahnung, was er meinte, und fragte mich verzweifelt, was er beabsichtigte – denn das Signal zum Sprung war es nicht gewesen. Von einem Augenblick zum andern kam mir die Erleuchtung: Das Holz einer Schlingpflanze ist gewiss kein guter Wärmeleiter, dennoch spürte ich den Kälteschock, der die Liane plötzlich durchfuhr. Eiskralle hatte seine Parakräfte mobilisiert. Ich hörte es über mir knistern und krachen, als das erstarrte Holz brach und sich der untere Teil der Liane vom Rest der Schlingpflanze löste. Eiskralle hatte genau den richtigen Augenblick abgepasst; wir flogen auf die Fensteröffnung zu. Ich duckte mich instinktiv, um mit Kopf und Schultern nicht gegen den oberen Rahmen zu prallen. Einen halben Atemzug später schlug ich schwer zu Boden und rollte ab. Ich überschlug mich mehrmals, und die Luft wurde mir aus den Lungen gepresst,
als ich schließlich gegen die Wand prallte. Benommen richtete ich mich auf. Mitten in dem leeren Raum lag das Stück Liane, das an seinem dicken Ende ein hässliches graues Aussehen hatte. Daneben stand der Chretkor und grinste gläsern. »Gut gelandet, wie?« »Gelandet. Über die Qualität der Landung reden wir besser nicht.« Er hörte mir gar nicht zu, sondern lauschte. In den Tiefen des Gebäudes war es still. Ich blickte mich um und sah, dass sich der Raum an zwei gegenüberliegenden Seiten trichterförmig verengte. Die Trichter setzten sich als Gang fort, der gerade so hoch war, dass ich mich gebückt darin bewegen konnte. Die Beleuchtung der Gänge war nicht intensiver als die des Zimmers. Ich konnte gerade noch erkennen, dass der Korridor zur Rechten geradlinig an der Außenwand des Gebäudes entlang lief, während der andere sich allmählich einwärts krümmte. In diesen deutete Eiskralle und entschied: »Dorthin!« Ich folgte ihm. Der Gang hatte einen kreisförmigen Querschnitt und durchmaß nur wenig über anderthalb Meter. Das Licht drang aus den Wänden. Sie glühten rot, strahlten jedoch keine Hitze aus. Vereinzelt gab es in den runden Wänden des Ganges Öffnungen, ebenfalls verjüngte Enden von Trichtern, die jenem glichen, durch den wir gekommen waren. Jede Öffnung führte in einen Raum. Die Räume waren von unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Form, aber eines war ihnen allen gemeinsam – sie waren kahl und leer. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fremden völlig ohne Mobiliar auskommen«, sagte ich schließlich, nachdem wir den sechsten leeren Raum inspiziert hatten. »Natürlich nicht. Es gibt nur eine Erklärung: Das Gebäude ist neu und erst zum geringsten Teil in Betrieb genommen
worden.« Der Gedanke erschien einleuchtend – und erschreckend zugleich. »Oder vielleicht überhaupt noch nicht.« »Falsch«, korrigierte mich der Chretkor. »Einen Verwendungszweck gibt es auf jeden Fall.« »Welchen?« »Man hat hier eine entführte Arkonidin untergebracht.« Der Gang wand sich in schlangengleichen Windungen durch das Innere des Gebäudes. Treppen schien die fremde Zivilisation nicht zu kennen. Die Prinzipien ihrer Architektur unterschieden sich von denen der arkonidischen so sehr, dass wir Sinn und Zusammenhang der Räumlichkeiten nicht enträtseln konnten. Alles wirkte verspielt und nutzlos. Aber ich wusste aus den vielen Begegnungen mit fremden Sternenvölkern, dass der eine für sinnlos hielt, worin der andere einen wichtigen, tieferen Sinn sah. Ich ließ das fremdartige Bild einfach auf mich wirken, ohne ein Urteil darüber zu fällen. Dennoch erschien mir das Innere des Gebäudes wie eine »magische Welt«, die mich um so mehr verwirrte, je weiter wir vordrangen. Zum ersten Mal kam mir so richtig zum Bewusstsein, wie fremdartig die Zivilisation dieser Welt in Wirklichkeit war. Wir hatten etwa zwei Dutzend leerer Räume der verschiedensten Größen und Formen zu sehen bekommen. Alle waren leer, und nirgendwo gab es eine Spur von Farnathia. Ich wurde missmutig und dann verzweifelt. Was, wenn ich mich geirrt habe? Wenn sich wirklich niemand in diesem Gebäude aufhält? Wenn sie sich doch dort befindet, woher die Signale ihres Kodegebers kommen? Eiskralle beobachtete mich. Als mir die Verzweiflung deutlich genug auf dem Gesicht geschrieben stand, sagte er herausfordernd: »Warum tust du nicht das Einfachste?« »Was ist das?«
»Rufen!« Er wartete nicht auf meine Entscheidung, sondern legte selbst die Hände trichterförmig an den Mund und rief laut und deutlich: »Farnathia…!« Und tatsächlich! Von irgendwoher kam Antwort, ein schwaches, ungewisses Geräusch, aber dann, als wir uns an der Richtung orientierten, aus der es kam, immer lauter, immer deutlicher, bis ich schließlich Farnathias Stimme erkannte und ein paar Augenblicke später auch die Worte verstand: »Hier… Atlan… hier…« Da gab es für mich kein Halten mehr. Gebückt rannte ich den kreisrunden Gang entlang, bis ich schließlich vor der Trichtermündung stand, aus der ihre Rufe hervordrangen. Ich sprang hindurch und sah aus den Augenwinkeln den Chretkor, der mir dicht auf den Fersen war, aber, vorausschauender als ich in meiner Aufregung, seine Waffe schussbereit in der Hand hielt. Der Raum war oval, anscheinend die bevorzugte Grundrissform der Fremden, und leer. Das heißt: Nahe der weiten Trichtermündung stand Farnathia. Ihre Miene zeigte den Kummer und die Sorge, die sie sich gemacht hatte. Tränen stiegen ihr in die hellroten Augen, als sie mich erkannte. Sie stieß ein trockenes Schluchzen aus und taumelte mir entgegen. Ich berg sie in den Armen. Lange Zeit standen wir einfach da, wortlos, ich ihre Haare streichelnd, ihr Gesicht an meiner Schulter geborgen. Es gab nichts zu sagen. Wir hatten sie gefunden. Das war das Wichtigste. Die Frage ist, zischte der Extrasinn grob, ob ihr heil aus diesem Gebäude hinauskommt. Plötzlich hörte ich hinter mir eine spöttische Stimme. Der Chretkor natürlich. Er meinte wohl, lange genug geduldig hinter uns gestanden zu haben. »Ähm, ihr beiden – es hat sich etwas getan…« Ich fuhr herum und sah sofort, was er meinte: Vor der
Trichtermündung, durch die wir hereingekommen waren, lag ein waberndes, halb durchsichtiges Flimmern – ohne Zweifel ein energetisches Feld. Eiskralle zog aus einer der Taschen seiner Montur einen Lichtschreiber und schleuderte ihn in Richtung des Trichters, wo er gegen das Flimmern prallte und zu Boden fiel. Damit war klar, weshalb Farnathia den Raum nicht verlassen hatte – sie war bis zu unserer Ankunft hier gefangen gewesen, und wir waren in die Falle gelaufen. »Ein einfaches Prallfeld«, sagte der Chretkor fast verächtlich und hob die Waffe. »Vielleicht finden wir heraus, ob und wie weit es in die Wand zu beiden Seiten des Trichters hineinreicht.« In diesem Augenblick meldete sich eine fremde, seltsam klingende Stimme zu Wort. »Nein, das könnt ihr nicht«, sagte sie in einwandfreiem Satron, wenn auch mit ungewöhnlich hohem und fremdartig singendem Tonfall. »Wir haben uns dagegen gesichert.« Die Worte schienen aus der Höhe zu kommen. Unwillkürlich rissen wir die Köpfe in den Nacken und blickten auf. Dann jedoch merkten wir, dass die fremdartige Akustik des ovalen Raumes uns getäuscht hatte. Die Stimme kam in Wirklichkeit vom anderen Ende des Zimmers. Eiskralle stieß einen schrillen Schrei aus. Auch mich durchfuhr beim Anblick des fremden Geschöpfs eine atavistische Mischung aus Furcht und Abscheu. Lediglich Farnathia verhielt sich ruhig – ein Zeichen dafür, dass sie mit den Unbekannten schon des Öfteren Kontakt gehabt hatte. Das Wesen sah so aus wie der Gleiterpilot: eine angeschnittene »Wurst«, anderthalb Meter lang, mit langen Tentakeln, vier Beinen und einem konisch zulaufenden Hinterteil. Es war offensichtlich nicht bewaffnet. Einen Unterschied zu dem Piloten bemerkte ich jedoch: Der Fremde trug oben auf dem Körper ein kleines, kastenförmiges Gerät,
und als er weitersprach, drang die fremdartige, singende Stimme eben aus diesem Kasten. Es gab keinen Zweifel – es musste sich um einen Translator handeln. Der Logiksektor bestätigte: Die Fremden sind schon mit Arkoniden in Berührung gekommen, und ihre Geräte beherrschen eure Sprache. Der Fremde sagte: »Mein Name wird von euch wohl wie Soon-Soon ausgesprochen. Ich bin ein Skine. Ihr aber seid meine Gefangenen!« Eiskralle stieß ein drohendes Knurren aus. Ich hielt ihn mit einer Hand zurück. Seine hemmungslose Wut war hier fehl am Platze. Wir durften nicht vergessen, dass die fremde Technologie der unseren um etliches voraus war. Wir mussten mit kühler Überlegung vorgehen. »Mein Name ist Atlan. Wir sind Arkoniden, richtig. Aber wir sind nicht gewillt, uns als deine Gefangenen zu betrachten.« Es funkelte auf der runden, flachen Fläche, in der der Vorderteil seines Körpers endete. Die Einsprenkelungen, die wir auch schon bei dem verunglückten Piloten gesehen hatten, leuchteten aus eigener Kraft. Es gab verschiedene Farben, aber Blau herrschte vor. Die singende Stimme erklang aus dem Translator: »Ich wüsste nicht, wie ihr euch gegen das Gefangensein wehren könntet.« Ich griff zum Gürtelholster und zog den Kombistrahler hervor, wog ihn spielerisch in der Hand. »Mit dem hier. Ich glaube nicht, dass du dieser Waffe viel entgegenzusetzen hast. Wenigstens im Augenblick nicht.« Es gab nichts, woran ich hätte erkennen können, dass er erschrak. Auch seine nächsten Worte stellten für mich eine völlig ungewöhnliche Reaktion dar: »Verzeih mir, dass ich mich falsch ausdrückte. Selbstverständlich seid ihr nicht meine Gefangenen. Ihr seid überhaupt keine Gefangenen. Ihr seid appropriiert, und zwar nur vorübergehend. Nicht für mich, sondern für das Projekt.«
Natürlich wusste ich nicht, wovon er sprach, dennoch brachte ich meine Einwände der Reihe nach vor. »Ausprobiert ist wie gefangen.« »Siehst du. Deshalb konnte mein Translator zwischen den beiden Begriffen nicht unterscheiden.« »Und wir weigern uns, uns als Gefangene zu betrachten.« »Aber ihr seht doch das Schirmfeld, das vor dem Eingang liegt!« Das Gerät arbeitete so vorzüglich, dass es Emotionen mit in seine Übersetzungen einflechten konnte: Der Skine gab sich verwundert und ratlos zugleich, well wir wohl – seiner Meinung nach – zu dumm waren, um zu begreifen, dass wir gefangen waren, ob wir nun wollten oder nicht. Ich richtete die Mündung meines Kombistrahlers auf die Mitte seines Leibes, da ich annahm, dass einer oder mehrere der bunten Einschlüsse in seiner Kopfscheibe Sehorgane darstellten und dass er ohne Schwierigkeit beobachten konnte, was ich tat. »Genug mit dem Unsinn«, sagte ich hart. »Entweder du sorgst dafür, dass der Feldschirm sofort verschwindet und man uns drei ungehindert zu unserem Raumschiff zurückkehren lässt, oder du wirst dir in Zukunft überhaupt keine Sorgen mehr zu machen brauchen.« Eine Zeit fang war er still, dann meldete sich der Translator, diesmal im Tonfall der interessierten Verwunderung: »Du willst also meinen Tod erzeugen?« Er beabsichtigte es gewiss nicht – aber die Art, wie die Feststellung ausgesprochen wurde, klang verletzend. Er kam mir vor wie ein Zoologe, der ein tropisches Insekt auf die Handfläche gesetzt hatte und zu ihm sagte: So, du willst mich also beißen… Aber was ist das für eine Ausdrucksweise: seinen Tod erzeugen? Ich geriet einen Augenblick aus dem Gleichgewicht, und diese kurze Zeitspanne nutzte er, um fortzufahren: »Es hätte dir auffallen müssen, dass wir von dem Toten, den der Chretkor draußen erzeugt hat, noch kein Wort sprachen.«
Ich horchte auf. Sie kennen also auch Eiskralles Volk… Wir hatten einen Skinen getötet – im Affekt, wie ich bereit war, Eiskralle zugute zu halten. Er spricht von »Tod erzeugen«… Schon in der Ausdrucksweise deutete sich der gewaltige Unterschied zwischen unserer Denkweise und der der Skinen an. »Ich weiß, dass die meisten primitiven Rassen den Tod fürchten und den, der Tote erzeugt, verachten und bestrafen.« Wie geschickt Soon-Soon zu verletzen verstand: Wir Arkoniden – primitiv? »Euch ist die Erkenntnis noch nicht zuteil geworden, dass der Kosmos von der Substanz des Seins niemals etwas verliert. Die Summe der drei Erscheinungsformen des Seins, nämlich Bewusstsein, Energie und Masse, ist für alle Zeiten konstant. Derjenige, der den Tod erleidet, wie ihr euch ausdrückt, geht doch nicht verloren. Seine Substanz wird umgruppiert und rekonfiguriert. In einer neuen Form bleibt er ein Bestandteil des Kosmos. Wer dies erkennt, dem kommt aller Abscheu, alle Furcht vor dem Tode abhanden. Er empfindet das Sterben als einen ebenso natürlichen Vorgang wie das Atmen, das Sehen und das Geborenwerden. Und du willst mich schrecken, indem du mir mit deiner Waffe drohst?« Er ist verrückt. Ich darf mich von ihm nicht irremachen lassen. Er blufft nur! »Ich gebe dir eine Millitonta Zeit«, knurrte ich. »Du weißt, was eine Millitonta ist?« »Etwa drei Miniskopen«, antwortete er gelassen. »Erkenne ich nach einer Millitonta kein Anzeichen dafür, dass ihr das Schirmfeld entfernt habt, töte ich dich… ob du den Tod fürchtest oder nicht.« »Und wirst danach noch immer gefangen sein«, verspottete er mich. Es war ein eigenartiges Fluidum, das von dem Wesen ausging, das dem Tod derart gelassen ins Auge sah. Lächelte
der Skine jetzt? Ich wusste nicht, wie auf seiner Kopfscheibe das Äquivalent eines Lächelns auszusehen hatte. Aber in demselben Maß, in dem er mir seine Gelassenheit förmlich zublinkte, bis sie schließlich den oval geformten Raum ganz zu erfüllen schien, in demselben Maß schrumpfte meine Wut, fiel mein Zorn in sich zusammen. Die Millitonta war längst vergangen, und ich hatte den Strahler nicht abgefeuert. Ich kam mir dumm und lächerlich vor, senkte die Hand mit der Waffe und sah zu Boden. »Du hast gewonnen«, sagte ich dumpf. »Vorerst. Die Verantwortung für das, was nun kommt, fällt auf dich.« »Ich trage sie. Wir fürchten uns nicht vor den Geschützen deines Raumschiffs.« Ich erschrak. Kann er meine Gedanken lesen? Ich hatte wirklich an Fartuloon gedacht und daran, dass es ihm mittlerweile gelungen sein müsse, das Fesselfeld in der Nähe der Geschützmündungen zu beseitigen. Sind die Skinen natürliche Telepathen? Nein – mein Monoschirm hat keinen Zugriffsversuch registriert. Laut sagte ich: »Ich will wissen, was es mit diesem Projekt auf sich hat. Für welchen Zweck sind wir, wie du sagst, appropriiert worden?«. »Wir sind ein Volk von Wissenschaftlern. Der Drang, das Universum zu erforschen, ist uns angeboren. Wir bearbeiten eine ungeheure Menge von Fachgebieten. Meines ist zum Beispiel die Erforschung der Bewusstseine der intelligenten Wesen, die dieses Universum bevölkern. Ich brauche euch, um ein Abbild eures Bewusstseins herzustellen. Denn wir sind auch leidenschaftliche Sammler.« »Ein Abbild? Wie wird das gemacht?« »Wir haben Geräte. Ich glaube, du würdest ihre Wirkungsweise nicht verstehen.« Ich schluckte auch diese Beleidigung. »Ist die Herstellung dieses… Abbilds mit Schmerzen oder gar Gefahren
verbunden?« Abbild eines Bewusstseins? Wie soll das funktionieren?, dachte ich. Wir wissen zwar, dass extrem hochfrequente Bereiche des hyperenergetischen Spektrums mit Bewusstsein, Bewusstseinsprozessen und Paragaben in Verbindung stehen, aber das Geheimnis von Geist und Seele kennen wir nicht. Nicht umsonst ist die Fähigkeit der bewusstseinstauschenden Vecorat so erschreckend… Vor der Erstbegegnung mit den Methans waren diese Insektenwesen der Erzfeind der Arkoniden. »Mit Schmerzen auf keinen Fall. Gefahren jedoch gibt es durchaus, allerdings sind sie minimal. Unter tausend Fällen ereignet sich im Durchschnitt einer, bei dem das Bewusstsein des Versuchsobjekts dauernd gestört wird. Es verbleibt dann in unserer Obhut und wird von uns versorgt, so dass es keine Not leidet. Andere Appropriierte blieben freiwillig bei uns und wurden auf den oberen Welten angesiedelt.« Ein Schauder fiel mir über den Rücken. Welche Diskrepanz zwischen dem erhabenen Glauben an die Konstanz des Kosmos und der Einstellung, die ein intelligentes Wesen als »Versuchsobjekt« bezeichnete. Ich erschrak abermals vor den Unterschieden, die uns trennten. Ich wollte alles in meiner Macht Stehende tun, um uns vor dem Schicksal zu bewahren, »Studienobjekte« der Skinen zu werden. Vor allen Dingen aber gilt meine Sorge Farnathia. Von ihrem Bewusstsein darf auf keinen Fall ein Abbild hergestellt werden. Sie hat in jüngster Zeit viel zu viel durchgemacht… Hier bietet sich eine Möglichkeit! »Ich bin bereit, deinem Projekt zu dienen, aber ich habe Bedingungen.« »Nenne sie!«, sagte der Skine gelassen. »Und ich will sehen, ob ich darauf eingehen kann.« »Behalte mich hier und lass die Frau und meinen Freund wieder an Bord unseres Raumschiffs zurückkehren. Als Ersatz
für die beiden biete ich dir meinen alten Lehrmeister. Er ist im Schiff und wird hierher kommen, sollten wir uns einigen.« Soon-Soon überlegte nur kurz. »Ich nehme an. Das Bewusstsein deines Lehrmeisters ist für mich von größerem Interesse als das der Frau oder des Chretkors.« Das ging so einfach, dass ich misstrauisch wurde. »Ich warne dich, falls du betrügerische Absichten haben solltest. Fartuloon wird erst hierher kommen, wenn Farnathia und Eiskralle ungehindert zurückgekehrt sind.« Seiner Antwort entnahm ich, dass er meine Warnung nicht verstand. »Was du sagst, ergibt keinen Sinn. Ich habe dein Angebot angenommen, also werden wir so handeln.« »Farnathia und Eiskralle sind frei?« »Noch nicht. Erst möchte ich die Zusicherung deines Lehrmeisters, dass er sich dem Projekt zur Verfügung stellt. Ich nehme an, ihr verfügt über die notwendigen Kommunikationsmittel…?« Auf diese Gelegenheit hatte ich gewartet. Ich aktivierte meinen kleinen Sender und rief Fartuloon. Der Empfänger war so eingestellt, dass Soon-Soon über die Außenlautsprecher des Helms die Antworten des Bauchaufschneiders hören konnte: »Allen She’Huhan sei Dank! Wo steckst du, mein Junge? Wie…« »Hör zu!«, unterbrach ich ihn scharf und schilderte mit knappen Worten unsere Erlebnisse. Ich sprach von SoonSoons Projekt und erläuterte das Angebot, das ich gemacht hatte. »Du willst mich gegen Farnathia und Eiskralle austauschen. Natürlich bleibt mir nichts anderes übrig, als deinem Wunsch zu entsprechen; aber glaube nur nicht, dass ich begeistert bin.« Er meinte es nicht so. In Wirklichkeit hätte er bedingungslos sein Leben für Farnathia und Eiskralle eingesetzt. Aber ich hatte ihn da, wo ich ihn haben wollte. Jetzt kam der
entscheidende Augenblick. Etwas ruhiger sagte ich: »Es tut mir Leid, Alter. Ich dachte zuerst an Singtauman. Aber alles in allem gerechnet bist du für die Skinen zweifellos das tauglichere Versuchsobjekt.« Es war einen Atemzug lang still am anderen Ende. Dann hörte ich den Alten seufzen, und schließlich antwortete er im Tonfall eines Mannes, der sich schweren Herzens in sein Schicksal ergab: »Also schön, ich mache mich reisefertig. Jemand wird mir hoffentlich sagen, wohin ich mich zu wenden habe.« Das klang so unbeteiligt, so normal, dass ich nicht sagen konnte, ob Fartuloon nun meisterhaft schauspielerte oder ob er mich einfach nicht verstanden hatte. Der Logiksektor sagte: Er hat dich verstanden! Farnathia und Eiskralle wurden freigelassen: Das Prallfeld verschwand, zwei Skinen, ebenfalls mit Translatoren ausgestattet, erschienen und begleiteten die beiden hinaus. Auf meine Frage erklärte Soon-Soon, sie würden in je einem der kleinen, linsenförmigen Gleiter zur POLVPRON gebracht. Der Skine erwartete, dass Fartuloon sich, sobald die beiden an Bord gegangen waren, hierher auf den Weg machte. Die Lage des Gebäudes, in dem wir uns befanden, war dem Bauchaufschneider genau beschrieben worden, denn er hatte es abgelehnt, sich in einem der skinischen Gleiter transportieren zu lassen, sondern wollte sein eigenes Fahrzeug benutzen. Das war Teil meines Plan! Wir brauchten ein Transportmittel, auf das wir uns verlassen konnten. Ich hatte Fartuloon diesen verdeckten Tipp gegeben, den auch Farnathia und Eiskralle verstanden. Singtauman war natürlich keine Person, sondern der Name der großen Nordhalbinsel des Großkontinents Bargak auf der Südhemisphäre von Gortavor. Dort hatten Fartuloon und ich vor zwei Jahren ein
gefährliches Abenteuer bestanden. Dass wir der Gefahr nicht nur lebend, sondern sogar unverletzt entgangen waren, verdankten wir einem Trick, den Fartuloon angewendet hatte. Ich gedachte, denselben Trick auch hier zu verwenden. Soon-Soon führte mich durch leere, gewundene Gänge mit rot glühenden Wänden in einen anderen, größeren Raum des riesigen Gebäudes. Er unterschied sich von allen anderen dadurch, dass er eingerichtet war – förmlich voll gepackt mit Geräten, deren Funktion ich nicht kannte und von denen ich nicht wusste, nach welchen Prinzipien sie arbeiteten. Ich sah nur, dass die Ovalform auch hier vorherrschte. Es gab nicht das ineinander verschachtelte Neben-, Über- und Durcheinander von zylindrischen, kubischen und kugeligen Formen, wie ich es von unseren Labors, Schalträumen und Aggregaten kannte. Jedes Gerät, selbst der riesige Bildschirm, der an der Decke angebracht war, hatte einen ovalen Querschnitt. In der Mitte des Raumes standen zwei liegenähnliche Möbel. Auf einem davon lag ein Skine, der in den Anblick des Bildschirms vertieft schien. Die Lichter auf seiner Kopfscheibe glommen in Rotnuancen. Der Logiksektor, unabhängig von meinem Wachbewusstsein arbeitend, stellte fest, dass die Farbe der Leuchtorgane auf der Kopfscheibe der Skinen zweifellos mit ihrer Gemütsverfassung in Zusammenhang stand: Rot bedeutet Ausgeglichenheit, Blau Erregung. Die Intensität des Gefühls spiegelt sich in der Leuchtstärke wider. Es gelang Soon-Soon, die Aufmerksamkeit des auf der Liege Ruhenden auf mich zu ziehen. Dass ich erwartet worden war, erkannte ich daran, dass auch der zweite Skine einen Translator trug. Er richtete sich ein wenig auf, indem er allein die Muskeln seines flexiblen Körpers verwendete: Das Vorderende des Körpers bog er so zur Seite, dass sich mir die Kopfscheibe zuwandte. Ich nahm an, dass er mich mustere,
ohne jedoch sagen zu können, welche der leuchtenden Flecken seine Augen waren. »Das ist Atlan«, sagte Soon-Soon. Er bediente sich der summenden, für unsere Stimmbänder nahezu unartikulierten Sprache der Skinen. Der Translator übersetzte jeden seiner Sätze. Soon-Soon wandte sich mir zu. »Das ist einer der bedeutendsten Wissenschaftler von…« Als der Translator die Summgeräusche übersetzte, die den skinischen Namen dieses Planeten darstellten, kam etwas heraus, was wie Tsopan klang. »Seinen Namen kennt er fast selbst nicht mehr, so viele Beinamen wurden ihm im Lauf der Zeit verliehen. Man nennt ihn das ›erste Wesen‹ oder ›den Weisen‹, auch ›den Überlegenen‹ oder ›den wahren Forscher‹. Obwohl wir natürlich auf die eine oder andere Art alle Forscher sind.« Ich nahm an, dass es unter den Skinen eine gesellschaftliche oder politische Rangordnung gab, und mutmaßte, dass »der wahre Forscher« sozusagen zur Hierarchiespitze gehörte. Um mich zu vergewissern, fragte ich nach der politischen Struktur der skinischen Gesellschaft, wollte wissen, wie sie sich regierten, welche Rechte der Einzelne hatte und ob wirklich alle Skinen ausschließlich mit der Wissenschaft beschäftigt waren. Die Antworten, die ich sowohl von Soon-Soon als auch von dem wahren Forscher bekam, belehrten mich, dass alle Vorstellungen, die ich mir bisher von der Gesellschaft der Skinen gemacht hatte, falsch waren. Ich hatte arkonidische Gegebenheiten und unsere Mentalität auf die Seinen übertragen und musste nun zu meiner Bestürzung feststellen, dass ich es hier mit einem Volk zu tun hatte, das uns nicht nur in technologischer, sondern auch in jeder anderen Hinsicht weit überlegen war…
9. Aus: Tradition oder arkonidische Starrköpfigkeit?, EssaySammlungen Band XIX, Hemmar Ta-Khalloup; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.025 da Ark Eine liebe Freundin fragte mich einmal, wie es möglich sei, dass im Tai Ark’Tussan über einen Zeitraum von Jahrzehntausenden – sei es nach terranischer oder arkonidischer Rechnung – die Traditionen nahezu unverändert Bestand hatten. Und damit meinte sie sowohl die des Kristallprotokolls als auch die der Kriegführung, der Besiedelung, der Industrialisierung. Dies alles mache einen sehr ritualisierten, um nicht zu sagen starrköpfigen Eindruck. Nun, soweit wir wissen, entwickelte sich die arkonidische Zivilisation über einen Zeitraum von etwa zehntausend Jahren weitgehend unbehelligt – von der Zäsur der Archaischen Periode en einmal abgesehen. Wir erforschten, wir expandierten, wir eroberten, und wir achteten sehr darauf dass unsere innere Einheit gewahrt blieb. Unsere Aufzeichnungen waren stets präzise, der Nachrichtenaustausch von Planet zu Planet, von Schiff zu Schiff war umfassend, angesichts der Datenmengen jedoch auch bürokratisch formalisiert. Auf allen von uns besiedelten Planeten etablierten wir rasch die Datensphären großer Positronik-Netze; alles, was man auf der Mutterwelt und den älteren Kolonialplaneten wusste, wurde eingespeichert und war den anderen zugänglich. Zunächst selektiv, später umfassend dehnten wir diesen Prozess auf die vom Imperium vereinnahmten Fremdvölker aus. Selbst als sich die Mehandor und andere weitgehend selbständige Völker ausbreiteten, bewahrten sie dieses Erbe. Das Gewicht der abgefragten Informationen verlagerte sich, aber der wachsende Inhalt blieb allen zugänglich. Rein äußerlich mag es Veränderungen gegeben haben, sicher, dennoch empfinden sich sogar Zaliter, Preboner, Ekhoniden
und wie sie alle heißen als Arkoniden! Alle waren und sind Arkon! Wir bestimmten unsere Größe, unsere Grenzen – die natürlich ständig erweitert werden mussten – , unsere Macht, unser zivilisatorisches Streben. Arkon definierte sich uns nur über sich selbst, bestes Beispiel ist die Selbstglorifizierung durch die drei Synchronwelten! Arkon und das Tai Ark’Tussan brachten anderen Völkern zwar die arkonidische Lebensweise, übernahmen im Gegenzug aber nichts. Oh, es gab durchaus Informationen über die Xenointelligenzen, einschließlich solcher, die sie selbst beigesteuert hatten. Selbstverständlich sind therborische Kompositionen auch bei Arkoniden beliebt, und viele Erkenntnisse anderer flossen beispielsweise in die Dagor-Lehren ein. Mit dieser Adaption jedoch wurde das alles arkonidisch! Die Originale dagegen waren in den Positronik-Netzen ausdrücklich als aus nicht arkonoider Quelle stammend gekennzeichnet. Die Geschichtsschreibung des Tai Ark’Tussan verzichtete bewusst auf fast alle Daten, die mit Arkon nichts zu tun hatten, manches wurde sogar gezielt verfälscht, wie es mit den Informationen über die »Stammväter« oder Tiga Ranton geschah. Deshalb ist es für mich als Archivar mitunter so schwer, an fremde Originalinformationen heranzukommen. Wenn sich nun unsere jungen Studenten mit der Geschichte des Reiches befassten, erhielten sie genau diese arkonidischen Informationen – und keine anderen. Die Originalinformationen sind zwar in den Datenbänken vorhanden, aber vorsortiert, so dass nicht nach artfremden Aspekten geforscht werden kann. Oder nur untergewissen Schwierigkeiten. Zudem waren – und sind – viele dieser Dateien beim Aufruf mit automatischen Benachrichtigungskodes ausgestattet, die bei den entsprechenden Behörden je nach Art und Umfang der Abfrage verschiedene Grade ungebührlichen Interesses bezeugen. Keine Zensur, jedenfalls keine direkte, aber eine subtile Form der Überwachung! Xenologische Forschung wurde einer entmutigt, damit die Pioniere nicht – wie sagte der terranische Kipling? – über
die Mauer gingen. Und dieses System hat sich über die Jahrtausende erhalten! Die von Arkon abstammenden Völker jagten im Laufe der Zeit für sie wichtige Daten ab, brachten auch neue ein, aber das war vorhersehbar und bewilligt. Der Gesamtprozess hat sich natürlich auch im Laufe der Zeit gewandelt, spätestens mit Epetrans Mammutpositronik auf Arkon III, erst recht seit deren Aktivierung als »Großer Koordinator«... Unter dem Strich jedoch fühlten sich alle durch die permanente kulturelle Einverleibung als Arkoniden, wenngleich sie unterschiedliche Privilegien und Funktionen besaßen – allerdings wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass nur auf Tiga Ranton selbst die wahren Arkoniden leben. Somit wurde einerseits ein hohes Maß an Loyalität geschaffen, und andererseits wurde die Hierarchie der Arkon-Völker eingerichtet… Tsopan, 33. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Der Name der Stadt, in der ich mich befand, lautete Xascat. Wie viele Bewohner Tsopan insgesamt hatte, bekam ich nicht heraus, denn weder Soon-Soon noch der wahre Forscher wussten es offenbar. Aber es konnte sich um nicht mehr als einige hundert Millionen handeln. Da die hoch entwickelte Technik der Skinen das ganze Planetenvolk mit allem versorgte, was es zum bequemen Leben brauchte, hatte sich die Bevölkerungszahl im Laufe der Jahrtausende fast von selbst auf einen für eine Welt dieser Größe ungewöhnlich niedrigen Wert eingependelt. Tsopans »Landwirtschaft« war automatisiert: Sie produzierte genau so viel, wie die Skinen für ihr gewiss nicht frugales Dasein brauchten. Die natürlichen Rohstoffvorräte der Planeten des Tsopan-Systems – ergänzt durch perfektionierte Wiederaufbereitung, Nukleosynthese, MasseEnergie-Pendler und Materieumwandlung würden die
skinische Technik, wie der Forscher versicherte, noch Jahrmillionen mit allem Notwendigen versehen. »… reicht die Geschichte des skinischen Volkes einige Jahrhunderttausende in die Vergangenheit«, sagte er. »Den Versuch, uns auszubreiten und andere Welten zu kolonisieren, haben wir niemals unternommen. Das mag damit zusammenhängen, dass es in unserer unmittelbaren Nähe keine intelligenten Sternenvölker gab und wir aus dem All niemals bedroht wurden. Denn gerade solche Bedrohungen sind es häufig, die den Selbsterhaltungstrieb eines Volkes in eine aktive Kraft verwandeln und daraus einen aggressiven Expansionstrieb machen. Dennoch haben wir das Universum gründlich erforscht…« »Das Universum? Beschränkten sich eure Forschungen nicht nur auf unsere Galaxis, sondern habt ihr sogar ferne Sterneninseln aufgesucht?«, fragte ich neugierig und dachte an die technologischen Möglichkeiten dieses Volkes. Sie antworteten nicht und wichen weiteren Fragen in dieser Richtung aus. Dennoch gewann ich den Eindruck, dass sie in der langen Zeit intensiven Forschens tatsächlich bis in die hintersten Winkel des Universums vorgestoßen waren. In einem Jahrhunderttausend friedlichsten Daseins gewachsen, war die skinische Gesellschaft ein äußerst lockeres und formloses Gebilde. Es gab keine Vorschriften, kaum Gesetze. Das Ansehen und der »Rang« eines Mannes oder einer Frau richteten sich nach dem Ausmaß, in dem er oder sie zum »Wohle der Allgemeinheit« beitrug sei es durch seine Forschung, seine Kreativität, seine Kunst, denn die Skinen waren ein Volk der Gelehrten und Wissenschaftler, der leidenschaftlichen Forscher, Sammler und Philosophen. Es gab keine Regierung, keine Volksvertretung, wohl aber einen »Rat der Weisen« als eine Art Diskussionsforum. Das gesprochene Wort war für die Skinen das wichtigste
Kommunikationsmittel. Eine Schrift schien es nicht zu geben, sämtliche Aufzeichnungen erfolgten akustisch. Dieser Einstellung der Skinen entsprach, dass Lügen, also Worte, die eine Lage anders zu beschreiben suchten, als sie in Wirklichkeit war, etwas gänzlich Unbekanntes waren. »Auf das gesprochene Wort ist Verlass! Das ist selbstverständlich, daran kann man nicht rütteln…« Die Skinen waren zweigeschlechtlich. Weibliche Skinen waren durchschnittlich von größerem Körperumfang als die männlichen. Das war das einzige Merkmal, nach dem die unerfahrenen Augen eines Fremden die beiden Geschlechter zu trennen vermochten. »Wir selbst«, versicherte Soon-Soon mit süffisantem Tonfall, den der Translator genau wiedergab, »haben bei der Unterscheidung keinerlei Schwierigkeiten.« Die knorpeligen Ansätze unterhalb der Stelle, an der die langen Greifarme aus dem Körper drangen, waren Ohren, die im Bedarfsfall rüsselförmig ausgestreckt werden konnten. Das rückwärtige, verjüngte Körperende der Skinen berg sowohl das Äquivalent eines Mundes als auch die Mündung des Kanals, durch den Körperabfälle ausgeschieden wurden. Der Mund der Skinen diente allerdings nur zur Nahrungsaufnahme. Die akustische Kommunikation erfolgte über eine Membran der farbigen Kopfscheibe. Ich war erstaunt, wie freizügig Soon-Soon und der Forscher über ihre eigene Welt sprachen, ohne eine einzige Frage über die Zivilisation zu stellen, der ich entstammte. Dann wurde mir bewusst, dass sie nicht nur unsere Sprache beherrschten, sondern auch über das Große Imperium bestens informiert waren. Mit keinem Wort gab ich deshalb zu verstehen, dass ich ein Mitglied der herrschenden Dynastie war, von einem Mörder verfolgt und auf dem Wege, mein rechtmäßiges Erbe zu einzufordern. Eine eigentliche Religion schien es auf Tsopan nicht zu
geben, stattdessen glaubte man an die Konstanz oder »Unminderbarkeit« des Kosmos – ein Glaube, aus dem sich auch die Furchtlosigkeit angesichts des Todes ableitete. Mit diesem Glauben in Verbindung stand zweifellos das, was mich brennend interessierte: die bevorstehende Anfertigung von »Abbildern des Bewusstseins«. Ich hatte inzwischen verstanden, dass Soon-Soon der derzeitige Leiter dieses uralten Projektes war, aber worum es im Einzelnen dabei ging, wusste ich noch nicht. Als ich die erste diesbezügliche Frage stellte, winkte jedoch der wahre Forscher mit einem seiner Tentakel und deutete mit der dreifingrigen Greifhand auf den Bildschirm. »Er kommt.« Der Bildschirm zeigte die Grünfläche, die das riesige Gebäude umgab. Ein arkonidischer Gleiter hatte sich auf die Bildfläche geschoben, setzte soeben zur Landung an. Ich sah, wie sich das Luk öffnete, und erkannte Fartuloons stämmige Gestalt. Er sah sich einige Augenblicke fang unschlüssig um, bis sich ihm zwei Skinen näherten. Er schien von Farnathia und Eiskralle auf das Aussehen der Bewohner von Tsopan vorbereitet worden sein, denn er zeigte keine Reaktion. Willig ließ er sich von den beiden Fremden den Weg weisen und verschwand von der Bildfläche, als er sich dem Eingang näherte. In der vergangenen Tonta hatte ich mich so eingehend damit beschäftigt, Tsopan und die skinische Gesellschaft zu verstehen, dass mein Plan mehr und mehr in den Hintergrund meines Bewusstseins getreten war. Jetzt jedoch streifte ich alle ablenkenden Gedanken von mir ab. Jetzt ging es nur noch um die Freiheit. So imposant und fortgeschritten diese Zivilisation auch sein mag, ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mich ihr als Experimentiergegenstand zur Verfügung zu stellen. Die skinischen Führer blieben draußen auf dem Gang zurück. Fartuloon betrat allein den mit Geräten voll gestopften
Raum, blinzelte in das Licht, sah mich und grinste mir freundlich zu. »Es freut mich, dich wohlauf zu sehen. Zwar haben Farnathia und Eiskralle mir schon alles berichtet, aber es geht eben doch nichts über die Gewissheit.« Sein Blick wandte sich den beiden Skinen zu, und er fragte mit grollender Stimme: »Welches Recht haben sie, uns für ihre Zwecke zu beanspruchen?« »Ich glaube, von Recht spricht man hier nicht«, antwortete ich, als Soon-Soon und der wahre Forscher zögerten. »Es passt in ihr Vorhaben, und da sie uns keinen Schaden zuzufügen gedenken, verstehen sie nicht, warum wir Einwände dagegen haben könnten.« »Haben sie mit dem Maahk dasselbe gemacht?« »Ich nehme an, du sprichst von dem Raumschiff der Wasserstoffatmer«, sagte Soon-Soon. »Ja, auch von einigen ihrer Bewusstseine wurden Abbilder hergestellt. Sie waren uns fremd. An ihnen waren wir besonders interessiert.« »Der Ungeist soll sie fressen«, knurrte Fartuloon und wandte sich mir zu, offenbar, um eine weitere Frage zu stellen. Er kam jedoch nicht dazu. Unter meinen Füßen hob sich plötzlich der Boden. Brüllender Donner brandete auf. Das Gebäude schwankte. Die dünnen Wände warfen sich auf und bekamen Beulen. Im Boden entstand ein klaffender Riss, und durch die Mündung des Trichters fauchte ein heißer Luftstrom herein. Fast hätte ich vor Begeisterung aufgeschrien. Das war Fartuloons Trick von Singtauman! Er wirkte auch hier. Soon-Soon fuhr entsetzt herum und stieß ein hohes Summen aus, das der Translator nicht übersetzte. Der Forscher sprang von seiner Liege auf. Beide Skinen eilten in Richtung Ausgang, die Explosion hatte ihnen alle Fassung geraubt. Sie achteten nicht mehr auf uns. Auf diesen Augenblick hatte Fartuloon gewartet. Blitzschnell zog er den Paralysator hervor, den er unter seinem Umhang
getragen hatte. Soon-Soon und der Forscher erreichten den Ausgang, uns den Rücken zuwendend, als die Lähmwaffe summte. Gewiss: Fartuloon hatte sich auf ein Risiko eingelassen, als er, dem Beispiel von Singtauman folgend, nur den Lähmstrahler mitgebracht hatte. Die Geschöpfe auf Singtauman glichen den Oothern der Spinnenwüste, ein Paralysator wirkte auf ihr Nervensystem ebenso wie auf das unsere. Hier jedoch liegt der Fall anders. Sind die Skinen für arkonidische Lähmstrahlung empfänglich? Sie waren es: Der Forscher und Soon-Soon bäumten sich auf, als der Strahl sie traf. Mit summenden, singenden Geräuschen sanken sie zur Seite und blieben reglos liegen. Fartuloon beäugte sie misstrauisch, dann packte er mich bei der Schulter. »Raus hier! Solch eine Gelegenheit kommt nicht wieder.« Ich hatte keine Ahnung, wo innerhalb des riesigen Gebäudes wir uns befanden. Fartuloon jedoch hatte sich den Weg, den er unter Führung der beiden Skinen gekommen war, bestens gemerkt. Die gewundenen Gänge waren von Qualm gefüllt. Überall knisterte und krachte es in den Wänden. Ich hatte von Soon-Soon erfahren, dass dieses Bauwerk erst vor kurzem errichtet worden war und als neues »Forschungszentrum für Fremdintelligenz-Bewusstseine« dienen sollte. Nur der geringste Teil der Laboratorien war schon eingerichtet worden. Dem Vorbild von Singtauman getreulich folgend, hatte Fartuloon einen hochbrisanten chemischen Sprengkörper mitgebracht und in einem unbemerkten Augenblick im Innern des Gebäudes deponiert; selbstverständlich so geschickt, dass die ihn begleitenden Skinen nichts davon merkten. Die Zündung der Sprengkapsel war auf eine Laufzeit von einer Dezitonta eingestellt gewesen. Obwohl chemischer Natur, war die Sprengwirkung groß genug, dass sie den leichten Bau bis in seine Grundfesten hinab erschüttert hatte. Das Ziel der
Explosion war hier wie auf Singtauman, die Aufmerksamkeit derer, die uns gefangen hielten, von uns abzulenken. Der Trick hatte funktioniert. Wir waren frei! Nach wenigen Zentitontas erreichten wir den Ausgang. Kein einziger Skine war uns entgegengetreten. Nur wenige Meter entfernt stand der Gleiter. Wir eilten darauf zu. Fartuloon hatte das Luk nur angelehnt. Mit einem Sprung waren wir im Innern des Fahrzeugs. Das Triebwerk heulte auf. Fartuloon steuerte den Gleiter wie ein Geschoss in die Höhe. Über den Wipfeln des Wäldchens, das das Forschungszentrum umgab, ließ er das Fahrzeug abkippen und nahm direkten Kurs auf das Raumlandefeld. »Alles ist für einen Blitzstart vorbereitet. Sobald wir durch das Außenschott der Hangarschleuse fliegen, hebt die POLVPRON ab.« »Und das Fesselfeld…?« »Liegt zwar noch an, aber wir haben inzwischen eine Methode entwickelt, um es in seiner Gesamtheit zu beseitigen. Wir verbrauchen dafür zwar extrem viel Energie, aber was sonst wollen wir tun, um von dieser verdammten Welt abzuheben?« Ich schwieg, dachte an Soon-Soon und den Forscher, die jetzt hilf und reglos in ihrem Labor lagen, und so etwas wie Mitleid und Schuldbewusstsein wollten mich überkommen. Ich schob die Gedanken beiseite. Wir schossen in niedrigem Flug über die spitzgiebligen Häuser der Skinen hinweg. Im Osten begann sich der Himmel zu röten. Ein neuer Tag kündete sich an. Weit vor uns tauchte der Rand des Landefeldes auf. Wir flogen über die Stelle hinweg, an der ich notgelandet war. Der beschädigte Gleiter lag noch so da, wie Eiskralle und ich ihn verlassen hatten. Niemand hatte sich um ihn gekümmert. Die Positionslichter der POLVPRON erschienen. Ich empfand erste Erleichterung. Bald hatten wir es geschafft. Ich wusste mittlerweile, dass die Skinen über eine besondere Art
von Transmitter verfügten, Materieprojektor genannte zweipolige Geräte mit frei projizierbaren Entoder Rematerialisationszonen eines »Teletransportfelds«, mit denen sie Gegenstände transmittieren konnten, ohne dass sich an beiden Enden der Transportstrecke ein Gerät befinden musste. Mit Hilfe eines solchen Zweipol- oder Fiktivtransmitters hatten sie Farnathia unbemerkt aus der POLVPRON entführt – und sie konnten auch jedes beliebige andere Mitglied der Schiffsbesatzung von Bord entführen. Wir waren also bis zu dem Augenblick in Gefahr, in dem wir die Reichweite der skinischen Transmitter verlassen hatten. Aber ich hoffte darauf, dass uns nichts geschehen würde, solange der Forscher und Soon-Soon bewusstlos waren, und das konnten – reagierten sie auf Lähmstrahlung so wie wir – noch ein paar Tontas sein. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als unser Gleiter plötzlich zu rucken begann. Ich stieß einen Warnruf aus, aber Fartuloon reagierte nicht. Er saß über das Steuer gebeugt und schien zu schlafen. Panik ergriff mich. Was war geschehen? Das Fahrzeug neigte sich in steilem Flug dem Landefeld entgegen. Ich versuchte, Fartuloon beiseite zu zerren und das Steuer zu bedienen. Im selben Augenblick befiel mich bleierne Müdigkeit. Ich war nicht mehr imstande, einen Arm zu bewegen. Meine Hand sank schlaff herab, bevor sie das Steuer fassen konnte. Abgrundtiefe Gleichgültigkeit bemächtigte sich meiner. Ich sah den glatten Boden des Landefeldes mit hoher Geschwindigkeit auf uns zukommen. Dennoch schloss ich die Augen, schlief ein. Mein Bewusstsein kehrte nur zögernd zurück. Allmählich setzte die Erinnerung ein. Ich empfand keinerlei Schmerz. Ich sah mich wieder in dem Gleiter sitzen, über den reglosen Fartuloon gebeugt, verzweifelt nach dem Steuer greifend. Ich sah das Landefeld auf uns zurasen, und erst jetzt empfand ich
die Todesangst, die ich, als sich der Vorfall wirklich zutrug, nicht empfunden hatte. Ich bäumte mich auf, schrie… … und öffnete die Augen. Das Erste, was mir auffiel, war der Umstand, dass ich nicht lag, sondern aufrecht stand. Rings um mich war eine gläserne Wand, so dicht, dass ich mich nur wenig zu bewegen brauchte, um sie zu berühren. Sie war glatt und hatte dieselbe Temperatur wie meine Hautoberfläche, fühlte sich also weder wärmer noch kälter an. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte in die Höhe. Die Röhre schien endlos zu sein und war irgendwo in der Ferne von einem zarten Leuchten erfüllt. Sie stand in einer riesigen Halle, die ihr Licht aus Leuchtkörpern unter der weniger weit entfernten Decke bezog – die Röhre erschien mir deutlich länger. Auf dem Boden standen hier und dort Gruppen von fremdartigen Geräten und Maschinen. Hunderte von Skinen hielten sich in der Halle auf und waren, ihren Bewegungen nach zu urteilen, emsig beschäftigt. Ein Wandbereich der vom Grundriss wohl ebenfalls ovalen – Halle war von besonderem Interesse: Sie bildete eine riesige ovale Fläche von graubrauner Farbe und schien aus Metall zu bestehen. Eingebettet in diese Fläche waren linsenförmige Erhebungen aus unbekanntem Material, die von Zeit zu Zeit, in unregelmäßigen Abständen, gelblich rot aufleuchteten. Es war ein verwirrendes Lichterspiel. Ich hatte keine Ahnung, welchen Zweck die Wand erfüllte, aber ihr Anblick faszinierte. Ich nahm Geräusche wahr und stellte fest, dass mich die Wandung der Röhre nicht so vollkommen von der Umwelt isolierte, wie ich zuerst angenommen hatte. Das Summen skinischer Stimmen war allgegenwärtig. Um mich schienen sie sich jedoch nicht zu kümmern. Ich dachte darüber nach, wie ich in diese Lage geraten sein mochte: Anscheinend sind SoonSoon und der Forscher längst nicht so lange bewusstlos gewesen, wie Fartuloon und ich erwartet haben. Sie müssen ziemlich rasch wieder
zu sich gekommen sein. Dass wir auf dem Wege zur POLVPRON waren, konnten sie sich denken. Sie brauchten also nicht lange nach uns zu suchen. Die Müdigkeit, der wir zum Opfer fielen, muss die Auswirkung einer Waffe gewesen sein, die die Skinen gegen uns eingesetzt haben. Ich wusste nicht, nach welchem Prinzip die Waffe funktionierte, aber mittlerweile hatte ich eine hohe Achtung vor der skinischen Technologie und traute ihr zu, dass sie auch die unwahrscheinlichsten Tricks beherrschte. Der Sturz unseres Gleiters war anscheinend rechtzeitig abgefangen worden. Wir waren nicht zerschellt, sondern unter dem Einfluss eines Prall- und Steuerfeldes sanft gelandet. Ich konnte mich zwar nicht so frei bewegen, dass ich alle Muskeln und Gliedmaßen hätte ausprobieren können. Die enge Wand der Röhre hinderte mich daran. Aber soweit ich feststellen konnte, war ich unverletzt. Bleibt nur die Frage, was aus Fartuloon wurde. Haben die Skinen auch ihn hierher gebracht? Ich sah mich um. Zu meiner Linken entdeckte ich in etwa fünf Metern Abstand eine zweite Röhre, auch sie mit einem Durchmesser, der einen arkonidischen Körper gerade umschloss, und einer Höhe, die bis zur Decke hinaufreichte. Innerhalb der Röhre befand sich eine fremde Gestalt. Ich riss die Augen weit auf. Das konnte nicht Fartuloon sein! Diese undeutlichen Konturen, dieser farblose Körper. Das war… »Eiskralle!«, rief ich, so laut ich konnte. Er hörte mich und wandte mir das Gesicht zu. Wie fast immer war seine Miene nicht zu deuten. Erst als er mir antwortete, konnte ich am Klang seiner Stimme seine Gemütsverfassung identifizieren. »Ja, ich bin es«, antwortete er im kläglichen Tonfall. »Ich habe Angst! Diese Röhre erstickt mich fast. Es ist zu warm. Ich werde bald zerfließen.« Ich störte mich nicht an seinem Jammern, sondern fragte nach Fartuloon. Eiskralle berichtete: »Der Gleiter ist planmäßig
in die Hangarschleuse eingeflogen. Erst als niemand ausstieg, wurden wir misstrauisch. Wir öffneten das Luk und fanden den bewusstlosen Alten.« Also hatten die Skinen das Fahrzeug ferngesteuert in die POLVPRON bugsiert. Mich jedoch hatten sie zuvor – wahrscheinlich mit Hilfe eines ihrer Fiktivtransmitter – aus dem Gleiter geholt und hierher gebracht. »Wir waren eine Zeit lang ratlos. Niemand wusste, was zu tun sei. Wir versuchten, Fartuloon wieder zu sich zu bringen, aber alle Versuche in dieser Richtung schlugen fetal. Weiter weiß ich nichts. Es wurde mir plötzlich schwarz vor den Augen, und als ich wieder zu mir kam, war ich in der durchsichtigen Röhre neben dir.« Die Skinen hatten also abermals einen Austausch vorgenommen. Erst Fartuloon gegen Farnathia und Eiskralle und nun den Chretkor gegen Fartuloon. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Anscheinend beabsichtigten sie nach wie vor, uns als Versuchsobjekte zu benutzen. Für Soon-Soons Projekt. Und ich war nach wie vor nicht gewillt, mich in dieser Art und Weise missbrauchen zu lassen. Gib es auf, meldete sich mein Extrasinn kühl. Wie willst du ihnen entkommen? Ich sah an mir hinab. Die Skinen hatten mir nichts abgenommen, nicht einmal den Kombistrahler. Diesmal müssen wir eben ein wenig härter handeln. Und einschlafen, bevor du auf den Abzug drückst, verspottete mich die innere Stimme. Du hast erfahren, wie mächtig ihre Möglichkeiten sind. Ich an deiner Stelle würde auf jeden Widerstand verzichten und mich einfach in mein Schicksal ergeben. Schließlich haben sie versprochen, dass ihr keine Schmerzen zu erdulden habt, nicht wahr? Und darauf willst du dich verlassen? Sie lügen nicht! Die bewusste Verfälschung der Wahrheit ist
ihnen unbekannt. Natürlich hatte der Logiksektor Recht, und ich ärgerte mich darüber, denn mein Ichbewusstsein war von jeglichem Gedanken an Kapitulation weit entfernt. Ich bäumte mich gegen die Ungerechtigkeit auf, die mir hier widerfahren sollte. Ich allein war Herr meines Körpers und meines Geistes. Niemand hatte das Recht, gegen meinen Willen nach seinem Gutdünken damit zu verfahren… Der Extrasinn unterbrach meine Überlegungen: Zur Weisheit gehört auch die Fähigkeit, die Unvermeidbarkeit einer Entwicklung zu erkennen. Übrigens – sprich mit dem, der da kommt! vielleicht kann er dich überzeugen. Aus der Menge der Skinen, die sich an den verschiedenartigen Maschinen zu schaffen machten, hatte sich ein Wesen gelöst und kam auf meine Röhre zu. Es war mir zwar noch immer unmöglich, einen Skinen vom anderen zu unterscheiden, aber ich hätte schwören mögen, dass dieses Geschöpf Soon-Soon war. Der Skine blieb vor der Röhre stehen, und aus dem Translator drangen die Worte: »Du bist ein sehr merkwürdiges Wesen.« Was mich am meisten überraschte, war der gleichgültigfreundliche Tonfall, dessen sich der Translator bediente. Ich hatte schon mehrmals die Erfahrung gemacht, dass das Gerät in seiner Übersetzung die Emotionen des Sprechenden zum Ausdruck bringen konnte. Soon-Soon schien mir nicht zu zürnen. Er betrachtete mich nicht als Gefahr oder Gewalttäter, sondern lediglich als ein merkwürdiges Wesen. »Warum merkwürdig?« »Du verstehst es, Worte zu sagen, die nicht im Einklang mit dem stehen, was du denkst.« Das also ist es. Der des Lügens gänzlich Unkundige betrachtete es als ein Phänomen, dass ich die Unwahrheit zu sagen verstand. Ich hatte ihm und dem Forscher versprochen,
mich dem Projekt zur Verfügung zu stellen, und mich später diesem Versprechen durch die Flucht entziehen wollen. Darin sah Soon-Soon eine Diskrepanz, die mich zu einem »merkwürdigen Wesen« stempelte. Es wäre interessant gewesen, diesen elementaren Unterschied der Denkweisen näher zu analysieren. Aber dazu hatte ich keine Zeit. »Warum habt ihr meinen Freund wieder geholt?« »Der dicke Mann mit dem kahlen Kopf war uns ein wenig zu gefährlich und zu widerspenstig. Er wäre ohne Zweifel ein interessantes Versuchsobjekt gewesen, aber das Risiko, das wir mit seiner Behandlung eingegangen wären, erschien uns zu groß. So holten wir uns also den gläsernen Mann wieder zurück.« »Ist das der Ort, an dem die Herstellung des Bewusstseinsabbilds erfolgen soll?« Einer der beiden Tentakel wies auf die graubraune Wand mit den flackernden, linsenförmigen Erhebungen. »Das dort sind die Fallen.« Falls das eine Antwort auf meine Frage sein sollte, verstand ich sie nicht. »Fallen…?« »Wir nennen sie so«, sagte der Skine belustigt. »Was sich einmal darin befindet, kann nicht mehr heraus – es sei denn, wir holen es.« »Und was befindet sich darin?« »Nun – eben die Abbilder der Bewusstseine, die wir mit diesen Maschinen und Geräten hergestellt haben.« Eine unwirkliche Ahnung von etwas Ungeheuerlichem, Abscheulichem, Unbegreiflichem bemächtigte mich meiner. »Du hast mir nicht gesagt, wie diese Abbilder aussehen.« Ich wollte ihn nicht verschrecken. Ich bediente mich desselben halb sachlichen, halb unbeteiligten Tonfalls, den auch der Translator gebrauchte, selbst wenn er über die haarsträubendsten Dinge sprach.
»Wie meinst du… aussehen? Wie sieht ein Bewusstsein aus? Auf optischem Wege kann man es selbstverständlich nicht wahrnehmen.« »Aber du sprachst von Bewusstseinsabbildern.« »Nun, was ist denn ein Abbild? Eine Wiedergabe des Originals.« Ich hätte am liebsten vor Entsetzen geschrien. Aber ich zwang mich zur Ruhe. Mein Verdacht war grässlich. »Eine Wiedergabe, die auch sämtliche Funktionen des Originals ausführen kann?« »Natürlich. Sonst verdiente sie es nicht, Abbild genannt zu werden.« »Und was geschieht mit dem Original, nachdem das Abbild hergestellt wurde?« »Es befindet sich dort, wo es stets seinen Sitz hatte. In deinem Körper zum Beispiel.« Ich schwieg, war vor Entsetzen wie gelähmt. Die Skinen beabsichtigten nicht, sich mit einer Aufzeichnung unserer Bewusstseinsinhalte zufrieden zu geben. Sie wollten exakte Duplikate davon herstellen, echte, funktionierende Doppel unser selbst! Nach der Behandlung würde es zwei AtlanBewusstseine geben – eines hier in der Röhre und ein anderes dort in einer der leuchtenden Linsen, »Fallen« genannt, gefangen für alle Ewigkeit! Nein, das darf nicht geschehen! Ohne auf Soon-Soon zu achten, wandte ich mich an Eiskralle: »Kannst du mit der Röhre etwas anfangen?« Er verstand mich sofort. »Affirmativ! Sie besteht mehr als zur Hälfte aus organischer Materie!« »Hast du gehört, was er sagte?« »Einen Teil davon. Ich verstehe längst nicht alles.« »Er will Doppelgänger unseres Bewusstseins herstellen. Lassen wir uns das gefallen?«
»Nein!«, schrie er entsetzt. »Dann pack zu!« Soon-Soon war auf seinen kurzen Beinen ein paar Schritte weit zurückgewichen. »Nein, nein…«, jammerte es aus dem Translator. »Was habt ihr vor? Ihr dürft den Ablauf nicht stören.« Ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf den Chretkor. Die Röhren waren so eng, dass man darin den Arm nicht heben konnte. Eiskralle musste die Handflächen auf die Röhrenwandung legen, um seine Kräfte zum Einsatz zu bringen. Er wand sich und krümmte sich. Aber die Arme wurden ihm von der Wand des durchsichtigen Behälters an den Körper gepresst, in normaler Haltung, also mit den Handflächen dem Körper zu. »Ich schaffe es nicht«, jammerte er. »Mir wird heiß und immer heißer…« »Reiß dich zusammen! Von dir hängt alles ab. Sonst wird es bald zwei Eiskrallen geben – einen hier in der Röhre und einen dort drüben in der Wand.« Er knurrte bösartig. Das war das Zeichen, dass er das Letzte aus sich herauszuholen versuchte. Er ging in die Knie, soweit die enge Röhre ihm das erlaubte, und drehte die Arme, bis sie fast aus den Gelenken zu springen drohten. »Aufhören!« Soon-Soons Kopfscheibe war eine in grellem Blau leuchtende Fläche. Er befand sich im Zustand höchster Erregung. »Ihr könnt jetzt nicht… Es ist nicht zulässig…« »Jetzt!«, schrie Eiskralle. »Ich hab’s!« Er stöhnte auf, als er den Krallenhänden die letzte Drehung gab. Dann griff er zu. Das durchsichtige Material der Röhre verfärbte sich augenblicklich, wurde grünlich trüb. Für Augenblicke entschwand der Chretkor meinen blicken, bis ich es krachen und bersten hörte. In der grünlichen Oberfläche der Röhre entstanden Sprünge und Risse. Aus Soon-Soons
Translator kamen unverständliche Laute. Er konnte nicht mehr zusammenhängend sprechen. Plötzlich barst aus der Röhre ein großes Stück heraus. Ein Stiefel erschien und trat mit voller Wucht gegen die Ränder der Öffnung. Besorgt blickte ich in die Höhe. Die riesige Röhre, ihrer Basis beraubt, begann zu wanken. »Schnell! Das Ding fällt um.« Eiskralle brach aus dem Loch hervor. Ich sah, wie er mitten im Schritt zögerte, als er SoonSoon erblickte, der weiterhin vor meiner Röhre stand, nun allerdings ein paar Meter entfernt, und in den höchsten Fisteltönen summte. Ich wusste, was in seinem durchsichtigen Gehirn vor sich ging, und rief: »Lass den Skinen in Ruhe! Komm her und hilf mir raus!« Ringsum in der riesigen Halle waren die Skinen aufmerksam geworden. Hundertstimmiges, aufgeregtes Summen klang auf. Immer mehr neigte sich die Säule, aus der der Chretkor sich befreit hatte. Ich wich zurück, so weit ich konnte, als ich sah, wie sich die Hände der Röhrenwandung näherten. Es knisterte, als er seine Kräfte spielen ließ und der organischen Materie der Wand jegliche Wärme entzog. Der Effekt wiederholte sich: Die Wandung wurde trübe und verfärbte sich grünlich. Mit dröhnendem Knall drang Eiskralles Stiefel durch das erstarrte Material. Ein Loch entstand, das sich unter den Tritten rasch erweiterte. Ich zwängte mich hinaus, auch meine Säule wankte nun. In wenigen Augenblicken würde sie in die Halle stürzen. Vor mir stand Soon-Soon, winselte in schrillen Summtönen, hatte die Beherrschung vollends verloren. Kein einziger verständlicher Laut kam mehr aus dem Translator. Ich zog den Strahler. Wo wir uns genau befanden, wusste ich nicht, auch nicht, wo das Gebäude, zu dem diese Halle gehörte, in Relation zum Landefeld lag. Aber das war vorerst
unwichtig. Ausschlaggebend war einzig und allein, dass wir den Skinen entkamen, solange die Überraschung und das Entsetzen sie gepackt hielten. Ihre Aufmerksamkeit war den wankenden Röhren zugewandt. Das war die beste Gelegenheit. Ich feuerte eine Salve dicht über die Leiber hinweg. Das hielt sie nicht auf, denn sie hatten in der Tat keinerlei Furcht vor dem Tod. »Dort drüben«, hörte ich den Chretkor. »Ausgang.« An einer Stelle der Seitenwand, die meinem Blick bisher verborgen gewesen war, gab es eine Art Portal. Das musste der Ausgang sein. Wir rannten. Einmal sah ich mich um und erkannte zu meiner großen Erleichterung, dass die Skinen sich um uns gar nicht kümmerten. Ihre einzige Sorge galt den beiden Röhren. Die durchsichtigen Gebilde stürzten endgültig. Die Skinen erkannten, dass sie sie nicht mehr aufzuhalten vermochten, und wichen zur Seite, um nicht erschlagen zu werden. Donnerndes Getöse erfüllte die riesige Halle, als die Säulen beim Aufprall auf den Boden in Hunderttausende Stücke zerbrachen und ein Regen glitzernder Trümmer durch die Luft pfiff. Das Portal öffnete sich selbsttätig, als wir uns ihm bis auf wenige Meter Abstand genähert hatten. Von draußen schimmerte der helle Tag herein. Als wir den Ausgang passiert hatten, befanden wir uns am Rand eines weit ausgedehnten Parkgeländes. Wir rannten weiter, bis uns die Luft auszugehen drohte. Dann gingen wir hinter einem ausgedehnten Gebüsch in Deckung. Eiskralle grinste mich an und holte mit stoßenden, keuchenden Atemzügen Luft. »Das hätten wir geschafft.« »Ja, das hätten wir geschafft.« Du Narr, spottete mein Extrasinn. In spätestens einer Tonta haben sie dich wieder. Ich versuchte, mich nach dem Stand der Sonne zu
orientieren. Das Landefeld lag im Süden der Stadt. Die Sonne stand inzwischen fast im Zenit. In ihre Richtung hatten wir uns also zu wenden, da sich Xascat auf der Nordhalbkugel befand. Ich überlegte, ob ich uns die Suche nicht dadurch erleichtern sollte, dass ich über Funk die POLVPRON rief und mich von dorther anpeilen ließ. Schließlich ließ ich den Gedanken jedoch fallen. Die Skinen warteten sicherlich nur darauf, um unsere Sender anzupeilen. Die ersten Fluglinsen tauchten am wolkenlosen Himmel auf. Die Jagd hatte begonnen. Ich hütete mich, das Deflektorgerät zu benutzen. Büsche und Bäume boten uns ausreichend Deckung. Weil der Chretkor nur eine Arbeitsmontur trug, hätte er sich ohnehin nicht unsichtbar machen können. Ich justierte mein Hodometer auf einen Koordinatenursprung, der in südlicher Richtung zehn Kilometer entfernt war. Er würde uns von nun an als Wegweiser dienen. Selbst wenn wir zur Seite ausweichen mussten, um deckungsfreies Gelände oder Gebäude zu umgehen, würde er uns wieder auf den richtigen Kurs zurückbringen. Wir kamen zunächst gut voran. Die Vorliebe der Skinen für weite Grünflächen mit halbwildem Baumbestand kam uns sehr zustatten. Die Gleiter kreisten überall, aber ihre Piloten bekamen uns nie zu Gesicht. Von Zeit zu Zeit wagte ich es, Eiskralle auf einen dicht belaubten Baum hinaufzuschicken und ihn aus luftiger Höhe Umschau halten zu lassen. Er war dabei weniger gefährdet als ich, denn sein durchsichtiger Körper war nicht so leicht wahrzunehmen wie der meine. Bei den ersten Versuchen meldete der Chretkor weiter nichts als noch mehr Parks und Grünflächen und dazwischen die spitzen Firste von Häusern, die wir mühelos umgehen konnten. Aber dann, bei seiner siebten Klettertour, kehrte er mit gläsernem, siegessicherem Lächeln zurück. »Ich habe es gesehen.«
»Was?« »Das Landefeld.« Ich packte ihn vor Begeisterung bei den Schultern. »Wo? Wie weit noch?« Er machte ein missbilligendes Gesicht und versuchte, sich meinem Griff zu entwinden. Ich ließ los »Wenn du mich so rüttelst, zerbreche ich«, beklagte er sich vorwurfsvoll. »Sieh meine unvergleichliche Gestalt, meinen gläsernen Körper… Möchtest du so etwas vollkommenes zerbrechen?« Ich hob scheinbar drohend die Faust. »Wenn du mir nicht sofort sagst, was ich wissen will, wird von deiner vollkommenen Schönheit bald nichts mehr übrig sein.« »Also…« Er holte tief Luft in dem unverkennbaren Bestreben, die Sache spannend zu machen. Ich griff erneut nach seiner Schulter. Er stieß einen Protestschrei aus und wich einen Schritt zurück. »Genau in der Richtung, die du ausgewählt hast. Höchstens noch fünf Kilometer entfernt.« »Konntest du die POLVPRON sehen?« »Nicht deutlich, nur das obere Drittel oder so ragt über den Horizont.« Die Erleichterung machte mich fast schlapp. Ich ließ mich zu Boden fallen und lehnte den Rücken gegen den Stamm des Baumes, von dem der Chretkor soeben herabgestiegen war. Siehst du?, dachte ich. Wir schaffen es doch. Warte ab, Narr, erklang die schroffe Antwort. Die Tonta ist noch nicht um – und bis zur POLVPRON benötigt ihr die doppelte oder gar dreifache Zeit! Der Raum, in dem der wahre Forscher und Soon-Soon zur Besprechung zusammenfanden, lag unmittelbar neben der großen Halle, in der die ungestürzten Säulen eine verheerende Verwüstung angerichtet hatten. Das Gemüt der beiden Skinen war von Sorge erfüllt. Ihre Kopfscheiben leuchteten in schmutzigem Braun – das
übliche Rot vermischt mit dem tiefen Grün des Grams. »Der Schaden ist beträchtlich«, sagte der Forscher. »Es wird Maxiskopen dauern, bis die Maschinen den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt haben. Willst du nicht auf den Versuch verzichten?« Blauer Ärger flackerte für die Dauer einer Miniskope über SoonSoons Kopfscheibe. »Das Projekt ist Jahrtausende alt, und noch nie haben wir vor einer Fremdintelligenz kapitulieren müssen. Nein, ich möchte nicht verzichten. Im Gegenteil ist meine Neugierde jetzt nahezu unerträglich. Ich muss in den Besitz einer Kopie des Bewusstseins dieses Arkoniden kommen.« Der Forscher stieß ein summendes Geräusch aus, das Äquivalent eines Seufzers. »Dann müssen wir eben warten, bis sie wieder an Bord ihres Raumschiffes sind. Von dort holen wir sie.« Soon-Soon ließ einen Laut hören, der zum Ausdruck brachte, dass er nicht besonders glücklich war. »Du wünschst es anders?«, erkundigte sich der Forscher. »Ja. Ich glaube, in der Haltung besonders des einen, der sich Atlan nennt, einen Zug zu erkennen, der uns völlig fremd ist. Ich möchte ihn als Hochmut bezeichnen – als die Fähigkeit, Freude darüber zu empfinden, dass der Unterlegene dem Überlegenen Schaden zufügt. Es ist ein sehr interessanter Zug, aber ich muss zugeben, dass er mir Ärger bereitet. Ich möchte die beiden fangen, bevor sie ihr Raumschiff erreichen.« Die Kopfscheibe des Forschers leuchtete vorübergehend in hellem Blaurot. Es war offensichtlich erheitert. »Aber Soon-Soon«, tadelte er gut gelaunt. »Du machst emotionelle Beweggründe zum Maßstab deines Handelns?« »Ich schäme mich dessen, aber im Augenblick kann ich nicht anders.« »Gut. Und wie willst du sie fassen, ohne zu wissen, wo sie sich befinden?« »Sie sind auf jedem Fall auf dem Weg zu ihrem Raumschiff Ich brauche also nur ein paar Posten am Rand des Landefelds
aufzustellen, um ihrer ganz sicher zu sein. Aber selbst das genügt mir nicht. Ganz abgesehen davon, dass es zu Komplikationen kommen könnte, sollten sie plötzlich am Rand des Feldes auftauchen und von Bord ihres Raumschiffs aus gesehen werden. Nein, ich möchte mir größere Genugtuung verschaffen. Ich beabsichtige, sie irrezuführen und sie in dem Augenblick zu ergreifen, in dem sie erkennen, dass sie irregeführt worden sind.« »Das heißt, irrationales Handeln auf die Spitze treiben.« »Ich bitte dich, verzeih mir. Du weißt, ich bin nicht der ungelehrigste deiner Schüler. Ich werde meine Emotionen in Zukunft zu zügeln wissen.« »Einverstanden. Was hast du vor?« »Ich dachte an den Weitflächenprojektor…« Allmählich verlangsamte sich unser Marsch. Die Skinen waren auf die Idee gekommen, dass wir uns auf dem geradesten Weg zum Landefeld begeben würden, und je näher wir dem Rand des Feldes kamen, desto dichter wurden die Scharen der Linsengleiter, die über uns durch die Luft schwirrten. Immer öfter waren wir gezwungen, vor einem vorbeifliegenden Schwarm in Deckung zu gehen, und immer seltener bot sich die Gelegenheit, Eiskralle in die Krone eines Baumes hinaufzuschicken. Dabei war gerade dies für unser Weiterkommen von Bedeutung. Je näher wir dem Landefeld kamen, desto öfter musste ich das Hodometer rejustieren. Die anfängliche Einstellung war nur grob richtig gewesen. Jetzt, da wir die Umrisse der POLVPRON am Horizont erkennen konnten, war es möglich, die Einstellung genauer vorzunehmen, und zwar um so präziser, je näher wir dem Ziel kamen. Die letzte Einstellung, die ich vorgenommen hatte, schätzte Eiskralle auf eine Genauigkeit von nicht besser als plus/minus zwei Kilometer radial. Das heißt: Der Punkt, den das
Hodometer anpeilte, lag irgendwo innerhalb eines Kreises von zwei Kilometern Radius, dessen Mittelpunkt die POLVPRON bildete. Das hörte sich nicht nach viel an. Aber wer von einem unerbittlichen Gegner gejagt wurde und sich darüber im Klaren war, dass unter der Schwerkraft von Tsopan ein Fußgänger wenigstens eine Tonta brauchte, um fünf Kilometer zurückzulegen, wünschte sich in einer solchen Lage nichts sehnlicher als eine weitere Gelegenheit, sein Hodometer von neuem und mit größerer Genauigkeit zu justieren. Wir kamen schließlich in einen dichten Wald, der in der Hauptsache aus gigantischen, breitkronigen Bäumen bestand. Ich zögerte anfangs, das Gehölz zu betreten. Denn wäre ich ein Skine gewesen, hätte ich mir ausgerechnet, dass die Gejagten sich nirgendwo lieber hinwandten als gerade in einen solchen Wald, der jede Menge Deckungsmöglichkeiten bot. Und ich hätte gerade in diesem Wald die Mehrzahl meiner Wachtposten aufgestellt, damit die Flüchtigen auf keinen Fall entkamen. In Wirklichkeit aber blieb uns gar keine andere Wahl, als den Wald zu durchqueren. Erstens lag er auf dem geraden Weg zum Landefeld. Und wir waren darauf angewiesen, den geraden Weg zu nehmen, well sich die Zahl der Gleiter, die nach uns suchten, ständig vermehrte und die Gefahr bestand, dass sie uns doch noch erwischen würden. Zweitens aber boten gerade die riesigen Bäume mit dem dichten Laub die beste Möglichkeit, ein letztes Mal nach der POLVPRON Ausschau zu halten und eine letzte, endgültige Justierung des Hodometers vorzunehmen. Wir drangen also in den Wald ein. Nach etwa einhundert Metern hielt ich an und sagte: »Wir brauchen eine neue Justierung.« Eiskralle seufzte. Unter normalen Umständen hätte er sich über die Zumutung beschwert. Aber er wusste, wie kritisch unsere Lage war, sagte nichts und trat auf den nächsten Baum
zu. Ich half ihm, den untersten Ast zu erreichen. Von da an ging es leicht. Ich sah ihn im Laubwerk verschwinden. Kaum eine Dezitonta verging, dann kam er wieder herab. »Richtung… dort drüben«, sagte er und senkte den Arm, so dass er in einer geraden Linie etwa nach Südwest bei Süd wies. »Entfernung: schätzungsweise drei Kilometer.« »Du bist verrückt. Das kann nicht sein.« Ich musterte die Hodometeranzeige. Die letzte Anzeige wies annähernd nach Südosten. Wir konnten uns selbstverständlich um ein paar Grad in der Richtung geirrt haben. Aber dass der Kurs jetzt plötzlich Südwest bei Süd anstatt Südost sein sollte, das wollte ich nicht glauben. »Ich habe mich nicht geirrt. Ich habe mir die Richtung genau eingeprägt und mir einen Markierungspunkt am Stamm des nächsten Baumes genommen. Dort ist er… der Stumpf des abgebrochenen Astes dort oben.« Ich kannte seine Gewissenhaftigkeit in Fällen dieser Art. Der abgebrochene Aststumpf lag haargenau auf 192 Grad, also bis auf ein halbes Grad auf Südwest bei Süd. Ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte, war ratlos. »Vielleicht«, sagte Eiskralle gehässig, »möchtest du selbst nach oben klettern und dich überzeugen?« »Guter Gedanke. Nicht, weil ich dir misstraue. Sondern weil ich die Skinen aller denkbaren Tricks für fähig halte. Verstanden?« Er war halbwegs versöhnt. Ich kletterte hinauf und erreichte den Ast, auf dem Eiskralle gesessen hatte. Ich setzte mich rittlings darauf und schob mich vorwärts, sah mich um und vergewisserte mich, dass die Gleiterbesatzungen mich nicht sehen konnten. Ich begriff erst jetzt, wie schwierig Eiskralles Aufgabe bisher gewesen war. Er musste aus dieser luftigen Höhe die Silhouette der POLVPRON anpeilen und sich dann irgendwo in der näheren Umgebung ein Merkmal suchen, das
in derselben Richtung lag. Das war ein mühseliges Unternehmen, und es wunderte mich nicht mehr, dass unsere Einweisung selbst auf so geringe Entfernung noch einen Fehler von bedeutender Größe hatte. Ich blickte über die Wipfel der Bäume und die Firste der Häuser hinweg auf das Landefeld hinaus, sah die Kugel der POLVPRON, senkte den Blick und versuchte, den Aststumpf zu finden, nach dem Eiskralle sich orientiert hatte. Als ich ihn gefunden hatte, fuhr es mir wie ein elektrischer Schock durch den Körper. Der Stumpf lag weit links von der Richtung, in der sich unser Raumschiff befand. Wie der Chretkor ihn als Markierung hatte wählen können, war mir unklar. Ich suchte nach einem besseren Merker, blickte hinab in das grüne Halbdunkel des Waldes und fand einen kleinen, verkümmerten Baum. Die Stelle, an der sein dünner Stamm aus dem Boden drang, lag genau in derselben Richtung wie die Silhouette der POLVPRON. Sie war noch weiter nach Westen verschoben als bisher, und das konnte ich mir nicht erklären. Aber es hatte keinen Zweck, weitere Zeit zu verlieren. Es war alles in Ordnung, bis ich dann – ehe ich mit dem Abstieg begann – meine Peilung vorsichtshalber noch einmal überprüfte. Ich fixierte den dürren Baumstamm, ließ den Blick in die Höhe gleiten und visierte über die Wipfel des Waldes hinweg die POLVPRON an. Als ich sah, dass meine Markierung in den wenigen Augenblicken weit nach links ausgewandert war, dass die POLVPRON weit mehr westlich stand, als ich vor kurzer Zeit gemeint hatte, hätte ich vor lauter Schreck fast den Halt verloren und wäre in die Tiefe gestürzt. Ich fing mich jedoch im letzten Augenblick. Was hier geschah, ging nicht mit rechten Dingen zu. Jetzt erst, wahrscheinlich viel zu spät, dachte ich an die Mittel, die den Skinen dank ihrer überlegenen Technik zur Verfügung
standen – und begriff, dass wir einem Trick aufgesessen waren. Das bedeutete, dass uns unmittelbar Gefahr drohte. Rasch glitt ich am Stamm des Baumes hinab, dass mir selbst durch das strapazierfähige Material der Montur hindurch auf der Haut heiß wurde. Unten erwartete mich Eiskralle mit spöttischer Miene. Er änderte seinen Gesichtsausdruck, als er mich erblickte. »Was… was ist los?« »Sie haben uns getäuscht. Sie gaukeln uns irgendeine optische Illusion vor, die uns irreführt. Das Landefeld liegt nicht dort, wo wir es sehen. Wer weiß, wie lange wir schon in die Irre gegangen sind.« Er war ratlos. »Und was jetzt?« »Wir warten. Irgendwann werden die Skinen der Sache müde werden und die Illusion ausschalten. Bis dahin halten wir uns versteckt.« Die Skinen verstehen es offensichtlich, großmaßstäbliche dreidimensionale Bilder zu projizieren, die die reale Landschaft komplett überdecken, sagte der Logiksektor. Mit diesem Kunststück haben sie euch einen Anblick des Landefeldes und der POLVPRON vorgegaukelt, der sich nicht mit der Wirklichkeit deckt. Der Unterschied zwischen Illusion und Wirklichkeit wird zuerst gering gehalten, damit die Unterschiede, die sich von einer Justierung des Hodometers zur nächsten ergeben, nicht misstrauisch machen. Erst als ihr dem Ziel nahe gekommen seid, wurde die Diskrepanz deutlich. So richtig die Hypothese war, so falsch waren, wie sich bald herausstellte, die Schlussfolgerungen, die ich daraus zog. Ich dachte, wir brauchten hier nur zu warten, bis den Skinen die Geduld ausging. Was ich übersah, war die Tatsache, dass sie mit Hilfe der optischen Illusion unsere Bewegungen hatten kontrollieren können. Sie wussten, dass wir zu unserem Raumschiff zurückwollten. Indem sie das Landefeld und die
POLVPRON an einen bestimmten Ort projizierten, zwangen sie uns, die Richtung zu diesem Ort einzuschlagen. Sie wussten also, entlang welcher Linie wir uns bewegen würden, und brauchten ihre Posten nur entlang unseres Kurses aufzustellen, um uns ganz sicher wieder in die Hände zu bekommen. Eiskralle und ich waren rechtschaffen müde. Ich konnte mich kaum noch erinnern, wenn ich das letzte Mal geschlafen hatte, hinzu kamen Hunger und Durst. Wir setzten uns auf den Boden und lehnten uns gegen den Baumstamm. Ich musste wohl eingeschlafen sein. Denn als ich plötzlich das mittlerweile vertraute, aufgeregt helle Summen einer skinischen Stimme hörte, fuhr ich benommen in die Höhe. Es nützte mir allerdings nichts mehr. Etwas traf mich mit der Wucht eines Huftritts gegen den Kopf. Ich sah noch den Boden auf mich zukommen, als ich stürzte, aber den Aufprall spürte ich nicht mehr. Ich stand wieder in der durchsichtigen Röhre, und fünf Meter entfernt gab es eine zweite Röhre mit Eiskralle. Er war bei Sinnen und warf mir einen halb zerknirschten, halb bedauernden Blick zu. Etwas allerdings war anders: Die Skinen huschten nicht mehr geschäftig und emsig hin und her, sondern sie drängten sich um eine Gerätegruppe in der Mitte der Halle. Ihre Kopfscheiben leuchteten in hellstem Blau. Etwas Unvorhergesehenes musste geschehen sein. Meine Neugierde erwachte. Der Umstand, dass der zweite Fluchtversuch ebenso wie der erste misslungen war, hatte mich entmutigt, aber nicht ganz. Jetzt, da die Aufmerksamkeit der Skinen ausschließlich auf die eine Gruppe von Maschinen konzentriert war, schien mir der richtige Augenblick gekommen. Ich fasste den Chretkor scharf ins Auge und zischte: »Nichts wie raus hier!«
Er nickte nur zögernd. Viel schien er von der Idee nicht zu halten. Aber er begann abermals, sich zu drehen und zu winden, wie er es schon einmal getan hatte, um mit seinen Handflächen die Wandung der Röhre zu berühren. Er hatte es fast geschafft, als das Unerwartete geschah: Die Röhren bewegten sich. Ich fühlte die Wandung an mir entlang gleiten und stellte fest, dass sie sich senkte, in den Boden der Halle hineinglitt. Eiskralle hatte sofort innegehalten, als er die Bewegung der Röhren bemerkte, bot nun den Anblick der personifizierten Bestürzung – auch dann noch, als das obere Ende der Röhren längst im Boden verschwunden war. Wir waren froh, aber der Chretkor stand weiterhin so, wie er sich zuletzt gekrümmt hatte. Der Anblick reizte fast zum Lachen. »Heh, wach auf!« Er löste sich aus der Starre. Mit großen Augen blickte er sich um. »Wa… warum?« Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich ein Skine vor uns. Ich glaubte, Soon-Soon zu erkennen, wusste aber nicht, wo er so plötzlich herkam. Es mochte sein, dass er einen der zweipoligen Transmitter benutzt hatte. »Man hat euch gesagt, dass ihr frei sein werdet, sobald die Behandlung abgeschlossen ist«, sagte er, und an der Betonung des Translators erkannte ich, dass es wirklich Soon-Soon war. Er schwieg, als erwarte er eine Antwort. »Ja…?« »Was man euch gesagt hat, ist richtig. Ihr seid frei. Dennoch möchte ich dich bitten, noch eine Zeit fang bei uns zu verweilen.« Ein paar Augenblicke fang war ich sprachlos. »Heißt das, dass die Behandlung abgeschlossen ist?« »Ja, das heißt es.« Ich versuchte, nachträglich Zeichen oder Symptome zu erkennen. Aber ich fühlte mich völlig normal. Die Herstellung
des »Abbilds meines Bewusstseins« hatte keinerlei Spuren oder Nebenwirkungen hinterlassen. Ich erholte mich von der Überraschung und ahnte, dass Soon-Soons seltsame Erklärung mit dem zu tun hatte, was die Skinen mit Erregung erfüllte. »Wir sind also frei?«, vergewisserte ich mich, um meiner Sache ganz sicher zu sein. »Ihr habt Abbilder unseres Bewusstseins erzeugt, und wir können gehen?« »Ja, das könnt ihr. Nur…« »Du bittest mich, noch eine Weile zu bleiben. Warum?« »Ich möchte dir etwas zeigen.« »Und Eiskralle?« »Draußen steht einer unserer Fluggleiter für deinen gläsernen Freund bereit. Er wird ihn zu eurem Raumschiff bringen.« Ich sah den Chretkor fragend an. »Du willst gehen?« Er machte begeistert die Geste der Zustimmung. »Je eher, desto besser.« »Gut. Richte Fartuloon aus, dass sich hier etwas Wichtiges ereignet hat und dass ich ein wenig später komme.« »Bist du sicher, dass du den Kerlen trauen kannst?« »Ich bin sicher. Ihr braucht euch um mich keine Sorgen zu machen.« Er ging auf den Ausgang zu. Zwei Skinen nahmen sich seiner an, um ihn zu dem Fahrzeug zu geleiten. Soon-Soon winkte. »Komm mit, damit ich dir das eigenartige zeigen kann.« »Du machst mich neugierig.« Wir näherten uns der mehrere hundert Personen starker Skinengruppe, die sich um die Ansammlung von Maschinen im Mittelpunkt der Halle drängte. Als sie uns kommen sahen, wichen sie aus und bildeten eine Gasse, durch die wir bis an eine kompliziert und fremdartig aussehende Konsole gelangten. Soon-Soon drückte ein paar Knöpfe. »Zuerst zeige
ich dir das Bewusstsein deines gläsernen Freundes.« Er schien meinen ungläubigen Blick deuten zu können, denn er beeilte sich hinzuzufügen: »Ich weiß, ich sagte, ein Bewusstsein sei optisch nicht sichtbar. Diese Aussage gilt nach wie vor. Aber innerhalb der ›Falle‹ erzeugt das Bewusstseinsabbild gewisse energetische Veränderungen, die wir sichtbar machen können. Eine rechnergestützte Simulation, wenn du so willst.« Aus einer Spalte quoll ein ovales Stück glänzender Folie. Sie war dunkler bis auf eine Anzahl wirrer, heller Spuren und sah fast wie eine Röntgenaufnahme aus. Soon-Soon ergriff sie und hielt sie mir entgegen. Ich sah etwas, das mich an eine unregelmäßig geformte, hundertbeinige Spinne denken ließ: Die Mitte bildete ein heller Kern, von dem aus eine Vielzahl tentakel- oder spinnenbeinähnlicher Fäden auswärts strebte. »Das«, sagte der Skine mit Nachdruck, »ist das energetische Abbild der Veränderung, die das Bewusstsein deines Freundes in der Speicherzelle erzeugt.« Er drückte abermals eine Serie von Knöpfen. »Und jetzt kommt das Abbild deines Bewusstseins.« Eine zweite Folie glitt aus dem Schlitz. Auch diese ergriff Soon-Soon und hob sie in die Höhe. Das Bild war grundverschieden von dem, das ich wenige Augenblicke zuvor gesehen hatte, und ich begriff, warum die Skinen so erregt waren. Das Bild zeigte zwei Spinnen anstelle einer, die Eiskralles Bewusstseinsabdruck erzeugt hatte. »Du siehst es!« Soon-Soons Translator sprach mit schwerer Stimme. »Du bist ein gänzlich ungewöhnliches Wesen, Arkonide Atlan. Bei dem Versuch, ein Abbild deines Bewusstseins herzustellen, entstanden ohne unser Dazutun zwei!« In gleichen Augenblick, in dem er es sagte, fiel mir die einzige plausible Erklärung ein: Der Extrasinn! Er wurde offensichtlich als selbständiges Bewusstsein erfasst. Deshalb existiert das Abbild meines Bewusstseins nun doppelt, und die Skinen sind
aus verständlichen Gründen verwirrt. Die Frage ist allerdings, ob beide Abbilder eine Mischung aus Extrasinn und Atlan-Abbild sind oder ob eines nur den Extrasinn und das andere mein Bewusstsein darstellt. Etwas Ähnliches war ihnen im Laufe ihrer Jahrtausende alten Praxis offensichtlich noch niemals passiert. Ich konnte ihre Bestürzung verstehen. Andererseits fühlte ich mich nicht verpflichtet, sie aufzuklären, und beabsichtigte, das Geheimnis meines Extrasinns für mich zu behalten. »Ich weiß keine Erklärung«, log ich. »Vielleicht sind eure Maschinen defekt.« »Bei uns gibt es keine defekten Maschinen.« Soon-Soon reagierte abweisend. »Bei uns funktioniert alles – besonders solch wichtige Geräte wie diese hier.« Dann versuchte er, mich auszuforschen, schilderte, wie er uns durch die optische Täuschung genarrt hatte, wie Posten entlang unseres voraussichtlichen Weges aufgestellt worden waren, um in dem Augenblick über uns herzufallen, in dem wir es am wenigsten erwarteten. Er berichtete, dass er inzwischen gelernt habe, uns für »rabiate Gesellen« zu halten. Deshalb hatte er kein zusätzliches Risiko eingehen wollen und uns der Behandlung unterzogen, wahrend wir noch bewusstlos waren. »Es macht für die Prozedur keinen Unterschied, ob der, dessen Bewusstsein abgebildet werden soll, wach ist oder schläft oder ohnmächtig ist. Solange er lebt, wird das Abbild ordnungsgemäß erzeugt. Also: Habt ihr auf eurer Flucht irgendwelche ungewöhnlichen Erlebnisse gehabt, die das Entstehen von zwei Abbildern deines Bewusstseins erklären könnten?« »Nein.« Nicht ohne Schadenfreude fügte ich hinzu: »Die Idee, eine Kopie meines Bewusstseins herzustellen, war deine. Für unerwartete Folgen bin ich nicht verantwortlich.« Er hörte den Spott nicht – oder wollte ihn nicht hören – ,
sondern sagte mit ernster, eindringlicher Stimme: »Durch dieses Ereignis werden Ergebnisse jahrtausendelanger Forschungen in Frage gestellt. Eine Theorie hat zu wanken begonnen – eine Theorie, die wir bisher für die am sichersten fundierte hielten. Wie kann ein solcher Vorfall dich so gleichgültig lassen?« Ich lachte. »Ganz einfach. Weil ich mich nicht für die Bewusstseine anderer Wesen interessiere oder sie gar sammele. Was gedenkt ihr zu tun? Was geschieht mit dem überzähligen Duplikat?« »Wir wissen es nicht. Beide Abbilder existieren in derselben Speicherzelle. Wären sie nicht identisch, würden sie einander stören oder gar auslöschen. So jedoch scheinen sie sich zu… vertragen.« »Was macht ihr normalerweise mit den Abbildern, nachdem ihr sie gespeichert habt?« »Wir rufen sie bei Gelegenheit ab, um sie genau zu untersuchen. Nach Abschluss der Untersuchung werden sie wieder in die ›Fallen‹ überführt.« »Und dasselbe werdet ihr auch mit meinen beiden Bewusstseinsabbildern tun?« »Ich glaube es nicht.« Die Stimme des Translators klang halbwegs verzweifelt. »Warum nicht?« »Weil wir als Behälter für das aus einem Speicher abberufene Bewusstseinsabbild ein so genanntes Leerbewusstsein zur Verfügung stellen müssen – also einen von uns, dessen Eigenbewusstsein ausreichend…« Er zögerte, schien nach dem richtigen Begriff zu suchen, fuhr dann fort: »›Präpariert‹ worden ist, so dass er als Empfänger fungieren kann.« Also ein Prozess, der ähnlichen Prinzipien zu folgen scheint wie bei den Vecorat, raunte der Extrasinn. Hier wie dort dreht es sich
um die Verschiebung und den Austausch von Bewusstseinen, allerdings auf Wissen basierend, das das der arkonidischen Paraphysik deutlich übersteigt. »Solange es sich nur um ein Fremdbewusstsein handelt, ist alles in Ordnung. Das haben wir schon hunderttausendmal getan, und dabei gibt es keine Gefahr. Wechseln jetzt jedoch plötzlich zwei Bewusstseinsabbilder zum Leerbewusstsein, kann es sein, dass der Empfänger beschädigt wird. Dass nicht nur sein Bewusstsein, sondern sogar sein Gehirn einen bleibenden Schaden davonträgt. Deshalb weiß ich nicht, was wir tun sollen.« Soon-Soon stand so, dass seine Kopfscheibe auf die graubraune Speicherwand mit den flackernden Kuppeln gerichtet war. In einer verbarg sich das »Doppelbewusstsein«. Der Skine schien die Wand anzustarren, als erwarte er allein aus ihrem Anblick eine Lösung seines Problems. In diesem Augenblick geschah etwas Seltsames: Ein merkwürdiges Geräusch ging von der Wand aus. Es klang wie ein hohles Sausen, das in äußerst tiefer Tonlage begann und dann rasch höher und schriller wurde. Als es eine solche Lautstärke erreicht hatte, dass meine Ohren zu schmerzen begannen, brach es plötzlich ab. Ich hatte keine Ahnung, was vorgefallen war. Aber den Skinen schien es nicht anders zu ergehen, denn plötzlich leuchteten ihre Kopfscheiben nicht mehr blau, sondern türkis und schließlich sogar grün, wodurch signalisiert wurde, dass sie tiefe Sorge empfanden. Niemand schien zu wissen, was zu tun war. Das aufgeregte Summen skinischer Stimmen umgab mich von allen Seiten. Nur Soon-Soon trug einen Translator. Ich konnte also nicht verstehen, was die andern zu sagen hatten. Ich blickte mich um und bemerkte einen einzelnen Skinen, der sich aus der eifrig diskutierenden Gruppe löste und ohne sonderliche Eile auf den Ausgang zuging. Ich sah ihn das Portal öffnen und
hinaus ins Freie treten. Nebenbei nahm ich zur Kenntnis, dass draußen die Sonne schien. Es war also noch immer oder schon wieder – Tag. Letzteres, flüsterte es in mir. Aber noch der dreiunddreißigste Prago des Ansoor. Soon-Soon schien sich zu einem Entschluss durchgerungen zu haben. Er betätigte noch einmal dieselbe Gruppe von Schaltknöpfen. Zum dritten Mal spie der Schlitz eine Folie aus. Soon-Soon nahm sie auf und betrachtete sie. Das spitze Summen, das er gleich darauf ausstieß, konnte nur als ein Schrei des Entsetzens gedeutet werden. Ich bemühte mich, an das Bild heranzukommen, was nicht einfach war, da die Skinen es untereinander herumreichten und nicht höher hielten, als für ihre geringe Körperhöhe notwendig war. Ich entriss es schließlich einer Greifhand und sah, worüber SoonSoon so entsetzt war: Eine der beiden »Spinnen« war verschwunden – es befand sich demnach nur noch eines der Abbilder meines Bewusstseins in der Speicherzelle! Die Erregung hielt unvermindert an. Schließlich zog mich Soon-Soon beiseite, führte mich aus der Halle in einen Nebenraum und lud mich ein, auf einer skinischen Liege Platz zu nehmen. Ich wollte wissen, was er vorhatte; plötzlich schien er jedoch meine Fragen nicht mehr zu verstehen und versank in dumpfes Brüten. Kurz darauf öffnete sich der Eingang, und ein weiterer Skine kam herein. Er trug einen Translator und sagte: »Ich kann mir vorstellen, dass du mich nicht erkennst, denn für deine Augen sehen alle Skinen gleich aus. Ich bin derjenige, den sie den wahren Forscher nennen. Ich habe mit Soon-Soons Projekt eigentlich nichts zu tun. Meine Studien sind anderer Art. Nur manchmal werde ich meiner großen Weisheit wegen als Berater hinzugezogen.« Die Sache ist also wichtig! Dass er jetzt hier auftauchte, bewies,
dass seine Dienste dringend gebraucht wurden. »Ich weiß nicht, wie ich dir erklären soll, was hier geschehen ist, well ich es mir selbst kaum erklären kann. Fest steht jedoch, dass eines der beiden Abbilder aus der ›Falle‹ entkommen ist. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der nur dadurch ermöglicht worden sein kann, dass sich in ein und derselben Speicherzelle zwei Abbilder befanden. Wir wissen, dass ein Bewusstseinsabbild ohne materielle Bindung oder die strukturelle Anpassung durch einen Bewussteinsprojektor nicht existieren kann. Das entwichene Abbild muss also einen Körper gefunden haben, in den es überwechselte. Heißt, irgendwo auf dieser Welt lebt in diesem Augenblick ein Wesen, das zwar nicht in körperlicher, aber wohl in geistiger Hinsicht dein absolutes Ebenbild ist. Dein Bewusstsein muss von außergewöhnlicher Intensität zu sein. Es hat zweifellos das Eigenbewusstsein des Gastkörpers bezwungen und beherrscht seinen Gast vollkommen. Wäre es anders, hätte sich der Befallene selbstverständlich schon längst gemeldet.« Mir schwamm es vor den Augen. Mein Bewusstsein im Körper eines Skinen! Denn nur ein Skine kann es sein, in dessen Gehirn das Abbild aus der Speicherzelle geflohen ist. Ein skinischer Atlan! Was wird er tun? Was hat er vor? Plötzlich fiel mir der eine Skine ein, den ich beobachtet hatte, wie er sich von der Versammlung in der Halle davonstahl. Ich sprang auf. »Ich habe ihn gesehen!« »Wen?« »Den Skinen, in dem sich mein Bewusstsein versteckt hat.« Ich beschrieb den Vorgang. »Wann war das?« »Vor nicht mehr als vier Dezitontas.« »Also etwa zwanzig Skopen«, antwortete der Forscher niedergeschlagen. »Er wird längst verschwunden sein. Vielleicht sogar zu den oberen Welten…« Soon-Soon überprüfte die Skinen in der Halle. »Es fehlt in
der Tat einer meiner Techniker. Er ist seit kurzem spurlos verschwunden.« »Lass überall nach ihm suchen. Wir müssen unserer Sache sicher sein. Ist das abgebildete Bewusstsein des Arkoniden wirklich in seinen Körper geflüchtet, wird es schwer sein, ihn zu fassen. Denn unser Freund Atlan ist ein Wesen von ungewöhnlichen Fähigkeiten.« Der wahre Forscher wandte mir die Kopfscheibe zu, die in hellem Rot leuchtete, ein Zeichen dafür, dass er sein seelisches Gleichgewicht nicht verloren hatte. »Du wirst uns helfen müssen.« »Helfen…?« »Dein Bewusstsein wieder einzufangen.« Ich lachte rau auf. »O nein! Das ist euer Problem. Ihr veranstaltet diese merkwürdigen Spielchen, Abbilder von Bewusstseinen herzustellen. Fangt es selbst wieder ein.« »An deiner Stelle würde ich die Sache nicht so leicht nehmen.« »Warum nicht?« »Das Bewusstsein eines Arkoniden steckt im Körper eines Skinen. Dein Bewusstsein! Meinst du, es fühlt sich dort wohl? Bei nächster Gelegenheit wird es zweifellos versuchen – da es über diese Fähigkeit zu verfügen scheint! – , sich einen besser geeigneten Gastkörper zu verschaffen…« In Gedanken ergänzte ich unwillkürlich: Zum Beispiel auf der POLVPRON. Das war in der Tat bedenklich. Die Sache war wirklich nicht so einfach, wie ich sie mir gedacht hatte. Es liegt also auch in meinem eigenen Interesse, dass es gefunden und in den Speicher zurückgebracht wird, bevor es sich in meinen Freunden… hm, einnistet… »Wir brauchen dich«, fuhr der Forscher fort, »weil nur du weißt, wie du – und damit auch dein Bewusstseinsabbild – denkst und handelst. Leider können wir nicht sagen, welchen Einfluss das übernommene und unterdrückte
Skinenbewusstsein samt dessen Erinnerungen und Mentalität auf die Persönlichkeit hat.« Was bedeutet, meldete sich der Extrasinn spitz, dass es nicht dein »absolutes Ebenbild« sein kann, wie der Forscher zunächst behauptet hat! Denn wäre das der Fall, müsste es wirklich wie du denken und handeln. Was hattest du aber getan? Der »zweite Atlan« hat dich doch gesehen – würdest du nicht versuchen, mit dir selbst Kontakt aufzunehmen, schon allein aus dem Grund, well du dir selbst am ehesten vertrauen kannst? Würdest du dich einfach davonstehlen? Nein, Kristallprinz, bei dieser Abbildungsprozedur ist etwas schief gelaufen. Ziemlich schief sogar! Oder es ist der Einfluss des Skinenbewusstseins, dachte ich. Eine Art Vermischung vielleicht. Selbst mit einer nur teilweisen Überlappung dürften Veränderungen verbunden sein, vielleicht ein Zustand der Desorientierung. Ich wäre dann womöglich ebenfalls zunächst einmal geflüchtet… Je länger ich nachdachte, desto klarer wurde mir, dass es keineswegs nur mehr ein Problem der Skinen war, sondern auch das meine. »Ich werde mir die Sache überlegen«, behauptete ich, aber ich wusste, dass ich mich dieser absonderlichen Jagd nicht entziehen konnte und wollte. An der Jagd nach meinem eigenen Bewusstsein, das mit mir, meinem Ich, unter Umständen nicht viel gemeinsam hat – oder vielleicht sogar nur die Kopie meines Extrasinns ist. »Zunächst aber will ich zu meinen Freunden, sie warnen und mich mit ihnen besprechen! Außerdem habe ich Hunger und Durst und muss mich ausschlafen. Versucht ihr unterdessen, die Spur des verschwundenen Technikers aufzunehmen, dann sehen wir weiter.« »Gut. Ein Gleiter wird dich zu deinem Raumschiff bringen. Wir melden uns.« Ich nickte und war froh, als ich kurz darauf bei der POLVPRON den Gleiterverlassen konnte. Eiskralle hatte die
Freunde schon informiert, soweit er die Geschehnisse miterlebt hatte. Meine Ergänzung rief eine Mischung von Unverständnis, Entsetzen, Abscheu und Ärger hervor. Eigentlich hätten wir nun starten können, denn das hyperphysikalische Fesselund Traktorfeld war verschwunden. Die Skinen standen also zu ihrer grundsätzlichen Zusage, wir seien frei. Dennoch verließen wir Tsopan aus gutem Grund nicht, denn letztlich ging es irgendwie um mich. Nach einer ausgedehnten Mahlzeit legte ich mich hin und schlief überraschend schnell ein.
10. Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi. In: Kompendium von Sekundärveröffentlichungen diverser Archive, hier: Tod und Erbe von Tsopan (A-EV-137-74), Sonthrax-BonningVerlagsgruppe, Lepso, 1310 Galaktikum-Normzeit (NGZ) … waren ein hochintelligentes Volk das Ende des zwanzigsten Jahrhunderts irdischer Zeitrechnung im Zenit seiner Entwicklung gestanden hatte. Die Skinen hatten als Wissenschaftler, Forscher und Philosophen nicht den Weg der meisten raumfahrenden Völker beschritten und nach den ersten Schritten hinaus ins All sofort auch das gesamte Universum erobern wollen. Denn Expansion und Eroberung bedeuteten Kampf so dass die Skinen, von Natur aus friedfertig und nicht zur Lüge fähig, den Auseinandersetzungen mit anderen Völkern der Galaxis aus dem Weg gingen. In strenger Isolation überlebten sie das Reich der Varganen ebenso unbehelligt wie die Herrschaft der Lemurer, deren Großes Tamanium nahezu die gesamte Milchstraße umfasst hatte. Nicht einmal vom lemurisch-halutischen Krieg wurden sie tangiert, weil ihre Vorstöße in den Weltraum, um dessen Geheimnisse zu
erforschen, stets Einzelunternehmungen geblieben waren. Natürlich hatte es auch in den Reihen der Skinen viele Mahner gegeben, die behaupteten, sie könnten sich nur durch Kontakte zu anderen Intelligenzen zu kosmischer Größe emporschwingen. Doch entgegen diesen Befürchtungen bedeutete die Isolation keineswegs »geistige Inzucht«, sondern gerade das freiwillige Klaustrum befruchtete das Forschungsstreben. Die Skinen entwickelten sogar eine Methode, die ihnen erlaubte, Fremdwesen eingehend zu studieren und besser verstehen zu lernen, ohne ständig mit ihnen Kontakt haben zu müssen, indem sie Bewusstseinsabbilder jener Wesen schufen, die ihnen als interessant genug erschienen. Im Laufe der jahrtausendelangen Sammlertätigkeit konnten die Bewohner Tsopans unzählige Bewusstseinsabbilder in ihren Speichern deponieren. Obwohl die Speicherbänke mit der Zeit gigantische Ausmaße annahmen, brachten es die Skinen niemals über sich, auch nur eines dieser Abbilder zu löschen. Die Sammlung von Xascat war der wertvollste Schatz dieses Volkes; die »Fallen« enthielten das gesamte Spektrum des vielfältigen Lebens einerganzen Sterneninsel und auch viele Nuancen des Lebens von außerhalb der galaktischen Grenzen. Es gab Bewusstseinsabbilder von Vertretern der herrschenden Völker wie auch von solchen, die längst untergegangen waren oder noch zu den Aufstrebenden gehörten. Aus den Untersuchungen gewannen die Skinen wertvolle Erkenntnisse, die sie ihrem Ziel, das Geheimnis des Lebens endgültig zu ergründen, immer näher brachten. Doch dann kam es, knapp vor dem Erreichen ihres Ziels, Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zur Katastrophe, und es war der ungehemmte Forscherdrang der Skinen selbst, der sie in den Untergang stürzte: Bei hyperphysikalischen Experimenten mit Antimaterie spielten sie mit Gewalten, denen sie letztlich nicht gewachsen waren. Auch diesmal hatte es warnende und mahnende Stimmen gegeben (ein Teil der in Xascat gesammelten Bewusstseinsabbilder wurde sogar zur Stadt Vors evakuiert), der
Forscherdrang siegte jedoch, die Versuche gingen weiter- und gerieten außer Kontrolle. Eine Explosion vernichtete direkt zwar nur Xascat, den Ort der Experimente, aber es kam zu einem anderen Effekt, mit dem niemand gerechnet hatte: Hyperphysikalisch stabilisierte und in die Atmosphäre geschleuderte Antimateriepartikel verteilten sich über ganz Tsopan. Vielleicht handelte es sich auch um bei der Katastrophe freigesetzte hyperenergetische Kräfte oder Reaktionen der »Tore« zu den »oberen Welten«, die permanent neue Antimaterie entstehen ließen – Tatsache war, dass eine langsame, aber unaufhaltsame Kettenreaktion eingeleitet worden war, well die Antimaterie immer neue Explosionsherde schuf. (Hinweis: Die aus skinischen Hinterlassenschaften stammenden Aufzeichnungen sprechen zwar von »Antimaterie«, es ist allerdings nicht sicher, ob das angesichts der beschriebenen Effekte und Phänomene die korrekte Übersetzung ist; in jedem Fall spielten hyperphysikalische Faktoren eine entscheidende Rolle.) Darüber hinaus schwebte ein Großteil der weiterhin entstehenden und durch hyperenergetische Felder größtenteils isolierten Antimaterie in Form gewaltiger Fadenstrukturen und Gespinste in der Atmosphäre und machte jegliche Luftfahrt und insbesondere die Evakuierung der vom Untergang bedrohten Bevölkerung in den Weltraum unmöglich. Erschwerend kam hinzu, dass der Einsatz der skinischen Fiktivtransmitter ebenso wie der Zugang zu den oberen Welten komplett gestört war. Dennoch unternommene verzweifelte Versuche endeten stets in gewaltigen Explosionen. Die Zivilisation der Skinen brach zusammen, es kam zu Überfällen und Plünderungen. Lediglich die vor der Katastrophe angelegten Bunkersilos sicherten mit ihren Sauerstoff-, Nährstoff- und Wasservorräten für eine Weile das Überleben. Zum Zeitpunkt des Unglücks hatten sich einige Skinenraumschiffe außerhalb Tsopans befunden, denen nun keine Landung mehr möglich war. Wurde es doch versucht, endete es in einer Katastrophe. Die Raumfahrer mussten ohnmächtig zusehen,
dass ihre Artgenossen der Vernichtung entgegentaumelten – und schließlich sahen sie ihre Heimatwelt sterben: Als der Planet Tsopan von einer gewaltigen Eruption zerrissen wurde, beobachteten es nur diese letzten Vertreter des einstmals großen Volkes, die in den Raumschiffen an den Grenzen des Sonnensystems warteten. Sie erkannten auf den Ortungsreliefs und Bildschirmen, wie sich ein riesiger Keil aus Antimaterie durch die Planetenkruste fraß und den Himmelskörper in Trümmer riss. Die Insassen der Raumschiffe waren nicht in der Lage, die Saat der skinischen Zivilisation dauerhaft auf andere Welten zu tragen, und starben alle. Nur wenige Hinterlassenschaften und akustische Aufzeichnungen wurden irgendwann gefunden und konnten ausgewertet werden. Aus ihnen wissen wir auch von den Bewusstseinsabbildern, die der Wissenschaftler Bard Mo kurz vor dem endgültigen Untergang freigesetzt hatte: Mit Hilfe eines Bewusstseinsprojektors, der die Abbilder strukturell umwandelte und durch den Hyperraum schleuderte, wurden sie über die gesamte Galaxis verteilt in der Hoffnung, dass sie den Kontakt zu intelligenten Lebewesen fanden. Denn mit der Versetzung erhielten die Abbilder eine Art »Tastaura« mit einer Reichweite von mehreren Lichtjahren. Kamen sie in die Nähe eines Intelligenzwesens, wurden sie von diesem angezogen und gingen in dessen Geist über. Zu den freigesetzten Bewusstseinsabbildern gehörten unter anderem jene von Pholketz, Wryvn, Z.P.T. Ok’Opprepper, Vaulfrost, Xzettrat, Epe und – Atlan…
An Bord der POLVPRON, 34. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Acht Tontas nach meiner Rückkehr meldete sich Soon-Soon über Funk: »Der Träger deines Bewusstseinsabbilds ist zu einer der oberen Welten namens Sketan gelangt. Dort traf vor einer Maxiskope ein Skine ein, den niemand erwartet hatte. Er behauptete, einen wichtigen Forschungsauftrag zu haben,
verließ sofort die Station und muss nun auf der Oberfläche von Sketan sein. Eine Überprüfung ergab, dass er gelogen hat; es gibt keinen solchen Forschungsauftrag. Da er wie du ein merkwürdiges Wesen ist…« »Ich gehe nicht allein – Fartuloon wird mich begleiten!«, antwortete ich energisch. »Und ich will wissen, was es mit diesen oberen Welten auf sich hat.« »Die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs deiner Mission würde durch deinen Lehrmeister wohl verdoppelt – einverstanden. Man wird euch abholen.« Er zögerte. »Auf eure eigene primitive Ausrüstung werdet ihr verzichten müssen, well sie beim Durchgang vermutlich beschädigt oder auf Sketan nicht korrekt funktionieren würde und uns keine Zeit für eine Anpassung bleibt. Zieht auch die für euch angefertigten und mit dem Fluggleiter gelieferten Monturen an. In der Torhalle zur oberen Welt werdet ihr alles Weitere bekommen, was sonst benötigt wird: Translatoren, damit ihr euch verständigen könnt, Funkgeräte zur Kontaktaufnahme über größere Entfernungen und dergleichen.« Er unterbrach die Verbindung, ehe ich etwas sagen konnte. Von Fartuloon klang ein erbitterter Fluch. Auf meine Frage war Soon-Soon nicht eingegangen, und ich fragte mich unwillkürlich, ob er vielleicht der Meinung war, dass mit der Bezeichnung »obere Welten« schon alles gesagt sei. Wie es aussieht, werden wir uns auf einen Sprung ins Ungewisse einlassen müssen, dachte ich. Das gefällt weder meinem Lehrmeister noch mir. Leider haben wir keine Möglichkeit, auf die Art und Weise der Skinen einzuwirken. Der einzige Ausweg wäre der sofortige Start der POLVPRON. Doch genau das, so gestand ich mir ein, wäre mir überaus schäbig und feige vorgekommen. Ich war noch nie jemand gewesen, der einfach davonlief, sondern hatte mich stets den Problemen gestellt. Dem Bauchaufschneider war anzusehen,
dass seine Gedanken in die gleiche Richtung gingen, und mein Logiksektor sandte grämliche Kommentare in mein Wachbewusstsein, die ich jedoch ignorierte. »Mein Name ist Skagos«, sagte der Skine, der uns in Empfang nahm, nachdem zwei Skinen Fartuloon und mich in eine kuppelartige Halle geführt hatten, die rötlich erleuchtet war. Ringsum sah ich weitere Skinen herumkriechen, die mir unverständlichen Aufgaben nachgingen. »Ich bin der verantwortliche Wissenschaftler dieser Torhalle. Was ihr dort seht, sind arbeitende Materieprojektoren zu den oberen Welten.« Von der Decke hingen mehrere Dutzend röhrenförmige Gebilde mit trichterartigen Öffnungen herab, in und unter denen ich ein bläuliches Schimmern sah. Ich nahm an, dass es sich bei den »Toren« um Transmitter handelte, und die »oberen Welten« konnten nur die anderen Planeten dieses Systems sein. Derartig konstruierte »Transmitter« hatte ich zwar noch nie zuvor gesehen. Aber wir Arkoniden beherrschen ja auch nicht das Prinzip der Zweipol- oder Fiktivtransmitter der Skinen. Laut sagte ich: »Wer garantiert uns, dass es eine Rückkehr von diesen oberen Welten gibt?« »Das garantiere ich persönlich.« Ich musste es ihm glauben, denn die Skinen logen nicht. »Sobald du den Träger deines Bewusstseins gestellt und isoliert hast, kannst du ihn hierher zurückbringen. Die Wissenschaftler der Station helfen dir. Sie sind informiert.« Das klang scheinbar ungefährlich, aber ich war nicht mehr von der »Unfehlbarkeit« der skinischen Technik überzeugt. »Und was sind diese so genannten oberen Welten…?« »Man kann auf ihnen leben«, sagte Skagos lakonisch. »Auf Sketan gibt es nur einige unserer Forschungsstationen: Man wird euch aber überall helfen, sollte es nötig sein. Einzelheiten erfahrt ihr dort. Wissenschaftler Lateran wird euch instruieren.
Er leitet die Stationen auf Sketan. Inzwischen wissen wir, dass der Träger deines Bewusstseinsabbilds dort schon gearbeitet hat.« Damit war ich genau genommen so schlau wie zuvor. Nachdenklich betrachtete ich die trichterförmigen Öffnungen, die von der Kuppeldecke bis in etwa zwei Meter Höhe herunterreichten, scheinbar bereit, alles aufzusaugen, was sich unmittelbar unter ihnen befand. Vereinzelt intensivierte sich das bläuliche Schimmern bei dem einen oder anderen Trichter, sonst waren keine Veränderungen zu bemerken. Dennoch war ich davon überzeugt, dass es eine vielfältige Aktivität außerhalb meines Wahrnehmungsvermögens gab, einen Austausch von Informationen, hyperenergetische Ströme und dergleichen. »Folgt mir!«, sagte Skagos. Wir gingen hinter ihm her, bis wir unter einem der Trichter standen. »Noch niemals geschah es, dass ein gespeichertes Bewusstseinsabbild selbständig aus einer Falle entkam. Es ist uns unbegreiflich, wie das geschehen konnte. Wir müssen eine Antwort finden. Und nur ihr könnt uns dabei helfen. Danach könnt ihr Tsopan verlassen.« »Sehr zuvorkommend«, sagte Fartuloon trocken und zupfte an der grauen Montur aus der Produktion der Skinen. Äußerlich war sie unseren Bordkombinationen nachgebildet, doch schon der Versuch einer Materialanalyse hatte unsere Geräte überfordert. Der Bauchaufschneider hatte, sehr zu seinem Verdruss, sogar seinen geliebten Brustharnisch und das Skarg an Bord der POLVPRON zurücklassen müssen. Ich fragte: »Und wie gelangen wir zurück, wenn wir den Träger erwischt haben? Überhaupt: Wie sollen wir ihn festhalten und verhindern, dass das Bewusstseinsabbild abermals entkommt?« »Mit Hilfe von besonderen Projektoren könnt ihr eine hyperenergetische Sperre um den Träger legen, die das
Bewusstseinsabbild an einem Körpertausch hindert. Die Stärke der Projektoremission lässt sich ebenso wie die Reichweite variieren, so dass diese paralysieren oder auch töten und vernichten kann. Doch das wird, hoffe ich, nicht notwendig sein. Mit diesen Projektoren betäubte Skinen können keine Bewusstseinsabbilder aufnehmen.« Auf seinen Wink hin brachten zwei Skinen die uns versprochene Ausrüstung und wiesen uns ein. Es handelte sich um handbreite schwarze Gürtel mit vielen Taschen und Etuis; well die Länge auf den Körperumfang eines Skinen zugeschnitten war, mussten wir sie uns als Schultergurt umhängen. Die kastenförmigen Translatoren waren eingeschaltet, die Funkgeräte eben mal fingergroße und -dicke Stäbe, deren Einstellung und Justierung sprachgesteuert erfolgten. In einer Art Holster steckten die von Skagos erwähnten Projektoren – ebenfalls stabförmig, handspannenlang und mit Griffstücken versehen, die ergonomisch natürlich auf die dreifingrigen Greifzangenhände der Skinen zugeschnitten waren. Mit einem Hebel konnte zwischen den Einstellungsmodi gewechselt werden, ein Druckkopf entsprach dem Abzug. Eine Rädelschraube diente der Reichweitenjustierung. Etuis und Taschen bargen Nahrungskonzentratriegel und mit Mineralwasser gefüllte Ampullen. Nach der Einweisung sagte Skagos: »Bleibt ruhig stehen. Der Transporteffekt wird gleich eingeleitet.« Seine Greifhand lag auf einem Hebel. »Ich wünsche euch Erfolg. Danach steht euch das Universum offen.« »Nun mach schon!«, knurrte Fartuloon. Skagos drückte den Hebel nach unten. Das Flimmern über uns wurde stärker, und dann vermeinte ich, einen leichten Stromstoß zu spüren. Die Halle mit den Trichtern, Skagos, die langen Reihen der Schalttafeln, selbst Fartuloon neben mir –
alles verschwand, als senke sich eine Nebelwolke auf uns herab. Dann zog mich etwas nach oben, blitzschnell und ruckartig. Im nächsten Augenblick entmaterialisierte ich. Für Fartuloon und mich war es nur ein Augenblick: Als der Abstrahleffekt nach uns griff, standen wir unter einem von vielen Trichtern in der Halle von Xascat. Sofort danach standen wir abermals unter einem Trichter, dessen Flimmern langsam schwächer wurde. Aber es war der einzige Trichter, der von der Decke herabhing, und über der transparenten Kuppel breitete sich ein bleierner Himmel aus. Ein Skine bewegte sich auf uns zu. Er trug einen Translator und sagte: »Ich bin Lateran. Verlasst den Erfassungsbereich des Tores.« »Diese obere Welt heißt Sketan?«, vergewisserte ich mich nach der Vorstellung. »Gehört sie zum selben Sonnensystem wie Tsopan?« Neugierig erreichten wir den Rand der transparenten Kuppel, die sich von einer leichten Anhöhe erhob, und blickten hinaus auf eine fremdartige Landschaft. Nirgends konnte ich, obwohl es überall gleichmäßig hell war, an dem wolkenlosen, bleigrauen Himmel die hellgelbe Sonne Tsopans entdecken. Dann suchte ich nach anderen Gebäuden und Vegetation, wurde aber erneut enttäuscht. Ich konnte nur schemenhafte Gebilde erkennen, die eine kristalline Struktur zu haben schienen. Rund einen Kilometer entfernt bemerkte ich einen breiten Streifen, der aus glitzernden Farbpartikeln zusammengesetzt war, die sich immer wieder untereinander vermischten und so den Eindruck entstehen ließen, als fließe dort ein Strom. Gibt es auf dieser Welt überhaupt etwas, das einem normalen Planeten entspricht? Der Skine war uns gefolgt und antwortete: »Sketan ist kein Planet unseres Systems. Früher einmal war Sketan ein Planet eines ganz normalen Sonnensystems mit richtigem organischem Leben – jetzt aber ist es eine Welt, die im
Hyperraum existiert.« »Im Hyperraum? Deshalb obere Welten?« Ich starrte ihn ungläubig an, während mich ein Impuls des Extrasinns auf die Formulierung früher im Zusammenhang mit richtigem organischem Leben hinwies und zu der logischen Schlussfolgerung kam, dass nun auf Sketan mit irgendwie verändertem Leben zu rechnen sei. »Im Hyperraum gibt es keine Stofflichkeit im uns vertrauten Sinn. Alles entmaterialisiert beim Übergang ins übergeordnete Kontinuum, und erst mit Ende der Transition kommt es zur Wiederverstofflichung. Wie soll es da möglich sein, dass gar ein vollständiger Planet außerhalb des Standarduniversums existiert? Und das dauerhaft?« »Warum sollte das nicht möglich sein? Es gibt viele Wunder im Kosmos, und es ist die Aufgabe meines Volkes, ihre Natur zu erkennen und sie zu erklären. Gewaltige Naturkatastrophen, die Entstehung einer Supernova zum Beispiel, rufen mitunter ebenso wie Hyperstürme oder andere Phänomene Dimensionsverschiebungen und Risse im Raum – Zeit -Kontinuum hervor, durch die sogar ein ganzer Planet und mehr in den Hyperraum geschleudert werden können.« Der Extrasinn sagte nörgelnd: Ein allgemeines Beispiel, das nicht zwangsläufig auf Sketan zutreffen muss. Die Skinen mögen zwar nicht lügen, aber dieser Lateran weiß genau, wie er sich vor eindeutigen Aussagen drücken kann. »Das schon. Aber wie…?«, begann ich verwirrt und dachte an die exotischen Bedingungen in der Sogmanton-Barriere wie an die »Gespenster«, die wir auf Kraumon erlebt hatten. Unwillkürlich reproduzierte mein fotografisches Gedächtnis ein Gespräch; plötzlich hörte ich, genau wie vor wenigen Arkon-Perioden, Tirakos Stimme, als spreche er direkt neben mir und sei nicht inzwischen auf der Welt der Kralasenen umgekommen:
»… pendeln diese Bedauernswerten zwischen den Dimensionen. Sie können sich auf die Dauer weder dort noch hier halten. Sie wechseln vom Hyperraum zum Standarduniversum und zurück. Meine Frage: Wie ist ein solcher Zustand überhaupt möglich und wissenschaftlich zu erklären? Darf ich das Hyperphysikalische Basisaxiom zitieren? Im Verhältnis zum vierdimensionalen Raum-ZeitKontinuum des Standarduniversums ist die Struktur des Hyperkontinuums eine Singularität, das heißt, die Begriffe Raum, Zeit, Materie und die mit ihnen verbundenen physikalischen Gesetze können nur bei den hyperphysikalischen Äquivalenten und Ableitungen, die ins Standarduniversum eintreten, Anwendung finden.« Fartuloon lächelte. »Richtig, aber schon die Entrückung einer Semitransition zeigt, dass es Zwischenformen gibt. Das Standarduniversum ist ein Teilkontinuum innerhalb des von uns recht ungenau Hyperraum genannten Bereichs, in dem vierdimensionale Konventionen gelten. Erst besondere Phänomene markieren den Übergang zu Bereichen, die nicht zu diesem Teilkontinuum gehören. Die Entmaterialisation eines konventionellen Objektes ist vor diesem Hintergrund die Transformation vom Teilkontinuum zur Zustandsform der übergeordneten fünf- oder n-dimensionalen Konvention. Die ›Geister‹ pendeln zwischen den Kontinua, aber solltest du mich nach einer exakten Formel fragen, muss ich leider passen. In die Mathematik der Hyperthorik muss ich mich zuerst einlesen wenn ich mich recht entsinne, geht sie auf solche Themen ein.« »Hyperthorik?« Tirako runzelte die Stirn. »Das sind doch die Algorithmen, Formalismen und Beschreibungsmöglichkeiten eines meist als ›spekulative Grenzwissenschaft‹ angesehenen Forschungszweiges, weil von einer praktischen Auswertung dieser Erkenntnisse nie die Rede sein konnte. Theorien
hinsichtlich Paralleluniversen, aus denen der Gesamtkosmos bestehen soll, lokal begrenzte Universalstrukturen und dergleichen…« … nutzten Fesselfeldprojektoren, in deren hyperenergetischem Feldsphärenbereich eine Entmaterialisation unterbunden wurde, um eines der »Gespenster« einzufangen, erinnerte ich mich und auch daran, wie Kher mir, nachdem ich von ihm mitgerissen worden war, die Struktur des eigentlichen Hyperraums beschrieben hatte, die »… einer rötlichen Emulsion gleicht, in der merkwürdige Knäuel oder quallenhafte Gebilde zu erkennen sind.« Transitions-, Entstofflichungs- und Überlappungseffekte waren aber nur eine Seite, etwas ganz anderes eine materielle Stabilisation im Hyperraum, was gleichbedeutend mit einem »Abbruch« der Hypertransmission quasi auf »halber Strecke« sein musste. Davon war in der mir bekannten Technologiegeschichte Arkons nirgends die Rede. Lateran sagte unterdessen: »Eingehüllt in eine hyperenergetische Blase, die im Inneren bis zu einem gewissen Grad die vertraute Stofflichkeit bewahrt, entsteht bei geeigneten Bedingungen ein eigenständiges, in sich geschlossenes Raum-Zeit-Gefüge im Miniaturformat, welches das Verwehen der Materie im Hyperkontinuum unterbindet.« Ich musste zugeben, dass sich diese Erklärung recht plausibel anhörte; auch Fartuloon nickte zustimmend. Der Logiksektor wandte ein: Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese hyperenergetische Blase natürlich entstanden oder künstlicher Natur ist. Künstlicher Natur?, dachte ich skeptisch. Der arkonidischen Technik ist es nicht einmal möglich, für ein Objekt von Raumschiffsgröße eine solche Energieblase zu erstellen – ganz zu schweigen für einen Planeten. In Mineralwasser entstehen Blasen, wenn die Flasche geöffnet wird; ein ganz natürlicher Vorgang Die von Lateran angesprochene gewaltige Naturkatastrophe dürfte im
übertragenen Sinne die »Flasche« des Standard Universums geöffnet haben, so dass die »Blase Sketan« in den Hyperraum gelangte. Laut fragte ich: »Wie konntet ihr diese Welt überhaupt im Hyperraum finden? Und da ihr von den oberen Welten im Plural sprecht, ist Sketan nicht die einzige euch zugängliche, oder?« »Die notwendigen technischen Mittel wurden schon vor langer Zeit entwickelt.« Das war ein ziemlich überheblich klingender Hinweis auf die »Rückständigkeit« von uns Arkoniden. »Stabile Welten im Hyperraum sind zwar äußerst selten, dennoch entdeckten wir eine ganze Reihe davon. Die meisten sind unbewohnbar oder sogar extrem lebensfeindlich, was mit den Randbedingungen ihrer Versetzung ebenso zusammenhängt wie mit der Art ihrer Stabilisierung. Andere wurden von uns auf künstlichem Wege renaturiert.« Auch das leuchtete mir ein, obwohl er weiterhin allgemein blieb und nicht auf Sketan direkt einging. Ich wies auf den von der Kuppel hängenden Trichter. »Und sie können mit einem Materietransmitter erreicht werden?« Die Kopffläche des Skinen leuchtete orangefarben mit vereinzelten blauen Einsprengseln, die für wachsende Erregung standen, vielleicht auch nur Ungeduld und Verärgerung über mein Nachhaken ausdrückten. »Es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen Materietransmitter, sondern um eine permanente Verbindungsröhre, ein… hyperenergetisches Tor. Der Effekt dürfte mit der Arbeitsweise eurer Überlichtantriebe verwandt sein, eine Art Dimensionstransmitter. Der Translator wird es vermutlich mit ›extern induzierter Transition‹ übersetzen.« »Verstehe. Warum aber ist mein Bewusstseinsabbild ausgerechnet nach Sketan geflüchtet? Was gibt es hier so Besonderes? Die Informationen hat es zweifellos von dem unterdrückten Skinenbewusstsein erhalten, aber…«
»Sketan ist… anders. Wir unterhalten hier diese Hauptstation und kleinere Stützpunkte, die über die ganze Oberfläche verstreut sind. Die Anziehungskraft ist etwas geringer als die Tsopans, die Atmosphäre atembar, das Klima erträglich. Ein im elektromagnetischen Spektrum strahlender Bestandteil der schützenden Blase knapp außerhalb der Lufthülle sorgt für Licht und Wärme. In regelmäßigen Abständen verdunkelt sich sogar der Himmel, so dass es einen Tag-und-Nacht-Rhythmus gibt. Ein künstlicher Effekt, schon von den Bewohnern hervorgerufen, ehe der Planet in den Hyperraum versetzt wurde…« Gemeinplätze!, behauptete mein Extrasinn. Nur zwischen den Zeilen klingt durch, dass diese Versetzung wie auch die Stabilisation der Welt im Hyperraum von diesen Bewohnern herbeigeführt wurde. Die Blase ist also doch künstlicher Natur! Lateran zögerte. »Es gibt diese Bewohner heute eigentlich nicht mehr…« Ich wurde aufmerksam und dachte an die Formulierung früher einmal ein Planet mit richtigem organischem Leben. Auch Fartuloon hatte den Widerspruch bemerkt. Ich fragte: »Es gibt sie eigentlich nicht mehr? Was soll das heißen?« Diesmal dauerte es fast drei Zentitontas, ehe der Skine antwortete: »Unsere Forschungen befassen sich mit diesem Phänomen. Ihr werdet es selbst erleben. Es werden schemenhafte Gebilde auftauchen, die jedoch so lange keine Gefahr darstellen, wie sie materielos bleiben.« »Verstofflicht aber schon? Müssen wir mit Angriffen rechnen?« Er sprach unbeeindruckt weiter: »Wir wissen, dass sie nur für kurze Zeit stoffliche Gestalt annehmen können, selbst aber keinen direkten Einfluss auf ihre Materialisation ausüben können. Es sind Wesen, die jenseits von Raum und Zeit existieren. Vielleicht war Sketan einst ihre Heimatwelt, und sie
verloren ihren festen Körper, als der Planet in den Hyperraum gerissen wurde.« »Habt ihr versucht, Kontakt mit ihnen aufzunehmen?« »Sicher haben wir das, aber es gelang nicht. Wir nennen diese Wesen ›Brons‹, aber keiner weiß, wie sie sich selbst bezeichnen.« Ich seufzte, weil mir das, was sich der Skine mühsam aus der blinkenden Kopfscheibe ziehen ließ, immer weniger gefiel. Missmutig verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Es wird Zeit, dass du deutlicher wirst und wir dir nicht jedes Informationsquant einzeln abringen müssen, Skine! Sonst werden wir nämlich sofort nach Tsopan zurückkehren.« Nun leuchtete seine Kopfscheibe blau, und ein vom Translator nicht übersetztes Summen ging von der Membran aus. Nach kurzem Zögern informierte uns Lateran dann deutlich gesprächiger zunächst über das Aussehen der Brons, berichtete von Ruinenstädten und dort gefundenen Aufzeichnungen, die zumindest teilweise entschlüsselt worden waren. »… hat sich Sketan nach der Katastrophe in einigen Faktoren verändert. Der Planet selbst blieb materiell!. Nur das organische Leben wurde instabil. Die Pflanzen fanden schneller zu dem ursprünglichen Zustand zurück. Die Brons und die Tierwelt dagegen nicht.« »Wisst ihr, was geschehen ist? Ich meine, habt ihr etwas über die Ereignisse herausgefunden, die Sketan in den Hyperraum schleuderten? Handelte es sich um eine Naturkatastrophe?« »Keine Naturkatastrophe. Soweit die Aufzeichnungen entschlüsselt wurden, lässt sich die Vergangenheit rekonstruieren, den Rest müssen wir extrapolieren.« Ich fragte ungeduldig: »Was ist passiert?« »Ein erster Unfall ereignete sich, als versucht wurde, die Welt an eine andere Position im Sonnensystem zu befördern. Gewaltige Antriebsanlagen waren entstanden, mit denen
ermöglicht werden sollte, Sketan näher an die Sonne heranzubringen. Das Experiment misslang. Unaufhaltsam trieb Sketan immer weiter von der Sonne weg und schließlich hinaus in den Raum zwischen den Sternen. Die vorhandenen Anlagen ermöglichten allerdings die Schaffung der selbstleuchtenden Schutzblase.« Ich nickte. Damit ist klar, woher Sketan diese hat und dass Leben auf ihm ohne Sonne möglich ist. Doch das Rätsel des jetzigen Zustands der Brons bleibt. Und wie sind die anderen oberen Welten der Skinen einzuschätzen? Stumm warteten wir, bis Lateran weitersprach: »Die BronsWissenschaftler gaben nicht auf. Weil die Sonne zu einem kleinen, fernen Stern geworden war, musste eine leistungsfähige neue Energiequelle gefunden werden. So kamen die Brons auf die Idee, den Hyperraum direkt anzuzapfen. Erneut wurden Versuchsanlagen gebaut, die meisten unter der Oberfläche. Mit ihnen, so hofften sie, würde es gelingen, die quasi unerschöpflichen Energievorräte des höher geordneten Kontinuums und seiner Paralleluniversen zu erreichen und auszunutzen…« Ich verstand, von Impulsen meines Logiksektors unterstützt: Sofern es gelingt, die Verbindung zu einem energetisch »höherwertigen« Raum-Zeit-Gefüge herzustellen, muss die entropische Differenz zu einem automatischen Energiefluss führen, der mit geeigneten Antennen aufgefangen werden kann. Entsprechend transformiert, lässt sich diese Energie Endverbrauchern direkt zuführen oder aber zwischenspeichern. »Irgendwann glückte der erste Versuch. Die Aufzeichnungen sind leider lückenhaft. Fest steht aber, dass von nun an noch mehr Mittel investiert wurden und die Wissenschaftler ungehindert ihre Experimente durchführen konnten. Warnende Stimmen wurden überhört. Schließlich fand das entscheidende Experiment statt, sämtliche
Zapfanlagen wurden eingeschaltet und mit der Schutzblase gekoppelt. Die hyperphysikalischen Kontakttaster schickten Saugfelder aus, die das Gefüge des Raum-Zeit-Kontinuums durchbrachen. Doch der Effekt kehrte sich plötzlich um: Statt Energie abzuleiten, wurde die ganze Welt in den Hyperraum gerissen! Und noch während das geschah, entstofflichten die Bewohner, alle ohne Ausnahme. Das Weitere ist Spekulation: Ihre Füße fanden zweifellos keinen festen Boden mehr, manche von ihnen sanken haltlos in die Kruste des Planeten und kamen vielleicht nie mehr zum Vorschein. Andere schwebten entstofflicht über die Oberfläche und versuchten natürlich, das Unglaubliche zu begreifen. Manchmal materialisierten sie und nahmen feste Formen an, wenn auch nur für kurze Zeit. Die Brons hatten keinen Einfluss darauf, zu sehr hatte sich ihre Welt verändert. Seltsame Dinge geschahen auf ihr, die mit den bisher gültigen Naturgesetzen nicht erklärt werden konnten. Alle Tiere und Pflanzen waren verschwunden und kehrten auch nicht zurück. Erst im Verlauf vieler Jahrhunderte entwickelte sich eine neue, ganz andere Vegetation. Die Energiezapfanlagen aber funktionierten nun wie eigentlich geplant, so dass die Atmosphäre dank der von ihnen vorsorgten Schutzblase erhalten blieb, gleichzeitig verhinderte diese Blase nun auch das Verwehen im übergeordneten Kontinuum.« Sattrotes Blinken überzog Laterans Kopfscheibe. »Die Untersuchung der Generatoren und Projektoren hat uns eine Reihe neuer Erkenntnisse beschert; einige fanden inzwischen bei den anderen oberen Welten Anwendung. Es gelang uns sogar in mehreren Fällen, den Versetzungseffekt zu reproduzieren und die Schutzblasen zu verbessern. Sogar eine Ableitung angezapfter Energie nach Tsopan funktioniert über Kraftfeldröhren, die denen der Torverbindungen gleichen.« Ich lauschte fasziniert und musste mir zum wiederholten
Mal bewusst machen, dass die Technologie der Skinen der der Arkoniden trichterpalasthoch überlegen war. Stationär in den Hyperraum eingebettete, materiell! stabile Welten; die gezielte Versetzung von Planeten in das übergeordnete Kontinuum, das gleichzeitig der »Energieerzeugung« dient und um ein Vielfaches leistungsfähiger als unsere Fusionsreaktoren sein muss; Transmitter die nicht auf Gegengeräte angewiesen sind und auch Ziele im Hyperraum erreichen… »Das alles ist ja sehr interessant, aber wenn wir noch länger hier in der Station bleiben, bekommt der Flüchtige zu viel Vorsprung«, meldete sich zu meinem Erstaunen Fartuloon, der bisher kein Wort gesagt hatte, knurrig zu Wort. »Kann er dort draußen ohne Hilfsmittel längere Zeit überleben? Gibt es Nahrungsmittel? Wohin wird er sich gewendet haben?« »Es gibt genug Nahrungsmittel. An manchen Stellen wachsen Bäume mit essbaren Früchten, und Wasser ist auch vorhanden, besonders in den Wäldern jenseits des Steinstroms. Nur auf den Plateaus und Hügeln, so wie hier, wo wir die Station errichtet haben, gibt es seltsame Phänomene, die keiner natürlichen Entwicklung entsprungen sind. Es hat zwar inzwischen eine Anpassung stattgefunden, aber für lange Zeit scheint es eine… temporale Differenz gegeben zu haben, eine Art Dilatationseffekt, so dass der hiesige Zeitablauf gegenüber dem des Standarduniversum deutlich verlangsamt war und…« »Wo befindet sich die nächste Station der Skinen?« Weshalb ist er so ungeduldig?, fragte ich mich verblüfft. Er tut gerade so, als interessiere ihn die Technik der Skinen nicht. Ich sah ihn an, doch er zeigte mit keiner Miene, dass er meine unausgesprochene Frage verstanden hatte. Und ich hatte ebenso wenig den Eindruck, dass er später darauf einzugehen bereit war. Ich seufzte innerlich. Manchmal war der Bauchaufschneider, obwohl ich ihn quasi mein Leben fang
kannte, ein unergründliches Rätsel, das mich in tiefste Verwirrung stürzte. In Augenblicken wie diesen erschien mir das Äußere des vordergründig dicklichen Manns nur als Maske, die etwas ganz, ganz anderes überdeckte. »Weit weg von hier, ihr werdet sie zu Fuß nicht erreichen. Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, was das Bewusstseinsabbild hier will. Es hat sich über den Steinstrom entfernt.« Lateran begleitete uns zum Ausgang, und in der Tat strömte atembare und warme Luft in unsere Lungen. Der Boden war mit feinkörnigem Kies bedeckt, der in allen Farben leuchtete. »Ich wünsche euch Erfolg«, verabschiedete sich der Leiter der Station von uns. »Ihr könnt jederzeit Funkkontakt mit uns aufnehmen, sollte es erforderlich sein.« Er schloss die Tür, und wir standen vor der Kuppelstation im Freien einer unbekannten Welt. Nachdem wir den kristallinen Wald durchquert hatten, standen wir am Ufer des bunten Stroms, den wir von der Station aus gesehen hatten. Wie gebannt starrten wir auf die sich langsam vorbeischiebende bunte Masse, die im ersten Augenblick an ein Mosaik erinnerte. Es war kein Wasser, das an uns vorbeifloss, sondern ein Strom faustgroßer Kiesel, die in allen Farben schillerten. Aus der Ferne war vereinzelt ein dumpfes Druunuuf zu hören, für das wir keine Erklärung hatten. »Ein Strom aus Kieseln«, sagte Fartuloon. »Welche Kraft schiebt das Zeug voran?« Ich zuckte mit den Achseln. »Frag mich nicht. Wir werden sicher noch weitere Überraschungen erleben. Ich habe keine Lust, in den Kieseln zu versinken.« »Dein kopiertes Ich hat es geschafft, also kein Problem.« Fartuloon setzte vorsichtig den rechten Fuß auf die langsam dahingleitende Masse und sank knapp einen Zentimeter ein.
Er hielt sich an meinen Händen fest, setzte auch den linken Fuß auf und stand nun auf den bunten Kieseln, sank allmählich bis zu den Knöcheln ein und bewegte sich langsam »stromabwärts«. »Es geht, glaube ich«, sagte er, zum Sprung ans Ufer bereit. »Du bist leichter als ich…« »Vielleicht ist es in der Mitte tiefer.« »Die Dicke der Schicht spielt keine Rolle. Wir sollten es versuchen.« Ich zog Fartuloon ans Ufer zurück. Suchend blickte ich mich um. Es gab einige baumähnliche Gebilde, aber ich war mir nicht sicher, ob sie für meine Zwecke verwendbar waren. Ein Versuch konnte jedoch nicht schaden. »Was hast du vor?« »Ein Floß oder zumindest ein Stamm, der nicht in den Kieseln versinkt. Wir nehmen ihn als Rettungsanker mit.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch Unsinn. Ich konnte auf den fließenden Kieseln stehen und bin nur ein bisschen eingesunken. Wir dürfen nur nicht zu lange auf einem Fleck bleiben, sondern müssen versuchen, so schnell wie möglich auf die andere Seite zu gelangen. Immer einen Fuß nach dem anderen, ehe er einsinken kann.« Halbwegs überzeugt näherte mich dennoch einem der Kristallbäume und versuchte, einen »Ast« abzubrechen. Es gelang mir zwar, aber er zersprang in tausend Splitter. Damit ließ sich nichts anfangen. So blieb mir nichts anderes übrig, als Fartuloons Vorschlag anzunehmen, wollten wir den Fluss überqueren. Und das mussten wir, denn jenseits des Flusses, hatte Lateran behauptet, war mein Bewusstseinsabbild verschwunden, und irgendwo dort gab es auch richtige Vegetation. Jeder Flüchtling würde sich zwangsläufig dorthin wenden, nicht aber in die Kristallwüste auf dieser Seite. Diesmal ging ich vor, Fartuloon blieb dicht hinter mir. Ich
spürte, wie mein Fuß langsam einsank, und ging weiter, ehe sich die Kiesel vollends um ihn schließen konnten. Mein väterlicher Freund hatte wieder einmal Recht. Etwa in der Mitte des Stroms sanken wir tiefer ein. Fartuloon deutete mit der Hand hinüber. »Nach rechts, da ist so etwas wie eine Insel.« Tatsächlich erhob sich aus dem Kieselstrom ein flacher Buckel aus kahlem Fels, auf dem dennoch verkrüppelte Bäume standen. Wenn es wirklich richtige Bäume mit Wurzeln sind, fragte ich mich, woher beziehen sie ihre Nahrung und Feuchtigkeit? Wir liefen, um nicht weiter einzusinken, und erreichten nach mehreren hundert Metern die Insel, vor der sich der Strom der Kiesel teilte. »Geschafft.« Fartuloon musterte die Bäume, deren violette Blätter wie Pfeilspitzen aussahen. Ich tastete die Rinde und Äste ab, und es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie aus Holz bestanden. Die erste Spur von echter Vegetation, die wir auf Sketan entdeckten. Das andere Ufer war noch etliche hundert Meter entfernt. Mein Blick glitt über die seltsame Landschaft, und ich versuchte mich zu erinnern, ob ich schon einmal etwas Ähnliches gesehen hatte. Eine Welt im Hyperraum! Unglaublich! In der flachen Mulde auf dem höchsten Punkt des Steinbuckels hatte sich ein wenig Humus angesammelt, den der Wind hierher gebracht haben mochte – wenn es überhaupt Wind gab. Und in der feuchten Krume bemerkte ich einen Abdruck. Es war der dreizehige Fußabdruck eines Skinen, und er war frisch. Fartuloon war nicht besonders überrascht, als ich ihn auf meine Entdeckung aufmerksam machte. »Er wird ähnliche Schwierigkeiten wie wir gehabt haben, als er den Fluss überquerte. Am anderen Ufer finden wir sicher weitere Spuren.« Das hoffte ich auch und mahnte zum Aufbruch. Wir wussten
nicht, wenn die künstliche Nacht begann, und ich hatte keine Lust, den Fluss bei plötzlicher Dunkelheit zu überqueren. Es wurde ein Dauerlauf, doch wir erreichten das andere Ufer ohne Zwischenfall. Der Boden hier war sandig und feucht, obwohl ich keine Spur offenen Wassers entdecken konnte. Die Bäume, die in einiger Entfernung wuchsen, waren kräftig und hoch, standen aber nicht sehr dicht. Ich sah sogar eine Art von kristallinem Gras zwischen den Wurzeln, die sicherlich tief reichten, um Feuchtigkeit aufsaugen zu können. Fartuloon suchte das Ufer nach den Spuren des Skinen ab, fand aber keine. »Irgendwo muss er an Land gegangen sein«, sagte er. »Es hat wenig Sinn, wenn wir ziellos in den Wald eindringen und auf unser Glück oder den Zufall hoffen. Spuren gibt es nur am Ufer. Ich gehe noch einmal los, du nimmst die andere Richtung. Wir treffen uns nachher hier an dieser Stelle wieder.« Ich fand nichts, sosehr ich meine Augen auch anstrengte. An manchen Stellen war das Ufer felsig, und ein Skine würde hier kaum Fußabdrücke hinterlassen. Je länger wir vergeblich am Fluss nach seinen Spuren suchten, desto weiter drang er unterdessen ins Landesinnere vor. Deshalb kehrte ich um. Fartuloon war noch nicht da. Ich setzte mich auf eine starke Baumwurzel und überlegte, wie wir am besten weiter vorgingen. So aussichtslos es auch zu sein schien, auf einer unbekannten und merkwürdigen Welt jemanden zu finden, von dem man nicht wusste, wohin genau er sich gewandt hatte, so sinnlos war es ebenso, jetzt aufgeben zu wollen. Die Frage war: Was können wir tun, um die Chance eines Erfolges zu vergrößern? Hinter mir war ein Geräusch. Zuerst glaubte ich, Fartuloon kehre zurück, und drehte mich in aller Ruhe um. Aber es war nicht Fartuloon. Es war ein Bron, genau wie Lateran sie
beschrieben hatte. Erwar mindestens zweieinhalb Meter groß, fast ebenso breit und trug keine Bekleidung. Seine Haut war schwarzbraun und wirkte wie ein Lederpanzer. Haare konnte ich nicht entdecken. Der Körper hatte zwei Arme mit zarten und feingliedrigen Greifwerkzeugen und stand auf zwei unförmig wirkenden säulenförmigen Beinen. Der riesige Kopf war kugelrund, erreichte einen Durchmesser von fünfzig Zentimetern und wuchs ohne Übergang aus dem klobigen Leib. Ich sah vier facettierte Augen – zwei an »normaler« Position vorn, zwei weitere seitwärts versetzt – , jedoch weder Ohren noch eine Nase. Der dreieckige Mund war weit geöffnet. Kleine fühlerartige Auswüchse auf dem Schädel erinnerten wie die Facettenaugen an Insekten. Der Insektenabkömmling war unbewaffnet. Ich blieb ruhig sitzen, tastete nach dem Hebel meines Projektors, den ich von den Skinen erhalten hatte, und stellte das Gerät, ohne es aus dem Gürtelholster zu ziehen, auf Paralyse. Der Bron schien mindestens ebenso erstaunt zu sein wie ich. Er war stehen geblieben und starrte mich an, soweit das bei seinen Augen gesagt werden konnte. Vorläufig sah es nicht so aus, als habe das Wesen feindselige Absichten. Vielleicht ist es doch möglich, Verbindung mit ihm aufzunehmen? Ich sollte ihn fragen, ob er uns bei der Suche nach dem Skinen behilflich sein kann. Ich schaltete den Translator ein. »Ich komme in Frieden und möchte mit dir sprechen. Kannst du mich verstehen?« Zwar öffnete und schloss sich der dreieckige Mund mehrmals, aber kein Ton kam daraus hervor. Ich wiederholte meine Frage, aber noch während meine Worte in der summenden Skinensprache aus dem Gerät drangen, verschwammen die Umrisse des Brons. Das war es, wovon Lateran gesprochen hatte: Der Bron entmaterialisierte, ohne es
zu wollen, und er hatte keinen Einfluss auf diesen Vorgang, der ohne technische Hilfsmittel stattfand. Vor meinen Augen verschwand das Wesen, nur seine mächtigen Fußabdrücke im Boden blieben. Abermals fühlte ich mich an die Ereignisse auf Kraumon erinnert, als wir es mit den »Gespenstern« der Arkoniden und Maahks zu tun bekommen hatten. Sorgfältig untersuchte ich die Spuren des seltsamen Wesens, das hier seinen materiellen Zustand nicht erhalten konnte. Es waren riesige Abdrücke, und sie zeugten von dem erstaunlichen Gewicht des Brons. Fartuloon kehrte zurück und schüttelte schon von weitem den Kopf. »Nichts zu finden. Er ist über die Felsen ans Ufer geklettert. Suchen wir im Wald weiter.« Ich berichtete ihm von meiner Begegnung mit dem Bron und zeigte ihm die Spuren. Wir verfolgten sie ein Stück in den Wald hinein, bis sie plötzlich aufhörten. Das musste die Stelle sein, an der er materialisiert war. Bezogen auf die zurückgelegte Wegstrecke, hatte er seine festmaterielle Struktur vielleicht eine Dezitonta lang stabilisieren können. Fartuloon sagte nach einigem Überlegen: »Wir werden diesen Halbgeistern noch öfter begegnen, als uns lieb sein dürfte. Sollten sie angreifen, werden uns wehren müssen. Aber unsere erste Sorge gilt dem Skinen. Ich schlage vor, wir behalten die jetzt eingeschlagene Richtung bei. Sobald das Gelände wieder übersichtlicher wird, suchen wir parallel zum Flusslauf weiter.« »Und wenn es vorher dunkel wird?« Ich sah durch die Baumkronen hinauf zum bleiernen Himmel. Noch waren keine Anzeichen einer beginnenden Dämmerung zu bemerken. »Rasten wir.« Wir marschierten weiter. Es gab ausgetretene Pfade mit älteren Spuren der Brons. Zwischen den Bäumen und
Büschen, von denen einige Früchte trugen, »wuchsen« immer wieder die kristallinen Gebilde, die bei einer kräftigen Berührung sofort zerbarsten. Der Boden war dann wie mit Glassplittern übersät. Der Anblick erinnerte mich an Eiskralle, wenn er seine Fähigkeit einsetzte; sein Opfer sah dann ähnlich aus. Fartuloon probierte eine der Früchte und fand sie äußerst schmackhaft. Ich selbst verspürte noch keinen Hunger, und er meinte sarkastisch: »Du willst wohl erst einmal abwarten, ob ich es überlebe.« Als sich der Wald lichtete, hatten wir an die fünf Kilometer zurückgelegt. Vor uns lag eine weite, nur kärglich mit niedriger Vegetation bedeckte Ebene, an einigen Stellen von Hügeln und flachen Tälern unterbrochen. Auch Fartuloon sah die flüchtigen Schatten, die vor uns auftauchten und keine festen Formen annahmen. Ohne ein Wort zu sagen, griff er nach seinem Projektor und deutete auf einige größere Felsbrocken, die fast einen Ring bildeten und Schutz boten. Wir setzten uns auf den trockenen Boden. Ich kontrollierte den Translator, denn ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass eine Verständigung mit den Brons gelang, während Fartuloon anderer Meinung war: »Du hast doch gehört, dass die Skinen es schon seit langem versuchen, ohne erfolgreich gewesen zu sein.« Die Schemen schienen zu tanzen. Manche von ihnen schwebten über dem Boden, nahmen festere Gestalt an und sanken dann nach unten, aber sobald ihre Füße den Grund berührten, lösten sie sich wieder in nichts auf. Deutlicher konnten sie nicht demonstrieren, dass sie zu materialisieren wünschten, es aber nicht vermochten. Fartuloon flüsterte unwillkürlich. »Ich kann verstehen, dass den Skinen viel daran liegt, das Geheimnis der Brons zu lüften. Eines ihrer Bewusstseinsabbilder würde den skinischen
Forschergeist ebenso wie ihre Sammlerleidenschaft triumphieren lassen.« Ich sprang mit einem Satz auf, als mitten zwischen uns ein Bron materialisierte und seine Form behielt. Auch Fartuloon brachte sich in Sicherheit, denn der Riese hob den rechten Arm, als wolle er zuschlagen. Eine Waffe entdeckte ich nicht. Hastig sagte ich in den Translator: »Kannst du mich verstehen?« Er zögerte, hatte mich also zumindest gehört, wenn auch sicher nicht verstanden. Als ich das Vibrieren der Schädelauswüchse bemerkte, fragte ich mich, ob diese der akustischen Verständigung dienten. Plötzlich griff er an! Ich selbst hätte sicherlich noch gezögert, aber nicht Fartuloon. Kaltblütig richtete er den Projektor gegen den heranstampfenden Bron und feuerte – im Vernichtungsmodus. Kaum traf der scharf gebündelte Energiestrahl den Bron, entmaterialisierte er, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Fartuloon ließ den Projektor sinken. »Sie verschwinden ohne Verletzung und…« Er nickte zögernd und sprach mehr zu sich selbst. »Die eigentlich vernichtenden Projektoremissionen haben hier eine andere Wirkung als im Standarduniversum, wenigstens auf die Brons. Offensichtlich werden sie aus ihrem derzeitigen instabilen Zustand herausgerissen. Entweder verwehen sie endgültig im Hyperraum oder rematerialisieren vielleicht im Standarduniversum.« Er lächelte flüchtig. »Eine sehr vage Theorie, wie ich hinzufügen muss.« Vor den Felsen standen plötzlich drei weitere Brons. Nochmals versuchte ich, ihnen unsere friedlichen Absichten zu verdeutlichen, wieder vergebens. Diesmal brauchten wir aber zum Glück die Projektoren nicht als Waffen einzusetzen, denn sie wurden zu vage erkennbaren Schatten, die aber nicht sofort spurlos verschwanden, sondern unschlüssig in unserer Nähe verharrten. Jeden Augenblick, so mussten wir
befürchten, konnten sie wieder ihre feste Struktur zurückerhalten. Als Schatten über die Landschaft fielen, sah ich nach oben und merkte, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Es dämmerte. Allerdings war es eine Dämmerung, die sich kaum mit jener auf normalen Welten vergleichen ließ. Hier auf Sketan setzte sie mit einem Schlag rund um den ganzen Planeten ein, well der Leuchteffekt der Blase, der überall gleichmäßig in Erscheinung bat, seine Intensität verlor. »Sollten wir nicht besser ein Feuer anzünden?«, fragte ich und sah irritiert auf, well wieder einmal das rätselhafte »Druuf-Druuf« zu hören war. »Ich bin dafür, sofern wir genügend Brennholz finden.« Der Waldrand war nicht weit, und trockene Äste gab es in jeder Menge, so dass wir nur fünfmal gingen, um den Vorrat für einige Tontas einzusammeln. Leider hatten wir Lateran vergessen zu fragen, wie lange die Nacht auf Sketan dauerte. Mit Hilfe des Projektors zündete ich die kleineren Äste an, und bald war das Innere des Steinkreises hell erleuchtet. Fartuloon hatte einige Früchte aus dem Wald mitgebracht, die wir nun verzehrten. Sie schmeckten wirklich gut, sättigten jedoch nicht sehr. Deshalb aß ich noch einen Konzentratriegel. Fartuloon lehnte sich gegen die vom Feuerschein angestrahlten Felsbrocken. »Wir müssen herausfinden, wie sich die Brons in der Nacht verhalten. Beobachten wir sie, damit wir später um so ruhiger schlafen können.« »Du meinst, eine Wache sei überflüssig?« »Das eben will ich ja wissen«, brummte er. Wir merkten bald, dass die Brons in respektvoller Entfernung vom Feuer blieben. Ihre Schattengestalten waren in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Nur wenn sie näher herankamen, sah ich sie schemenhaft. Einmal materialisierte einer von ihnen, lief sofort herbei, blieb aber dann in fünf Metern Entfernung stehen und starrte mit seinen großen
Facettenaugen in unsere Richtung. Sein Mund bewegte sich unaufhörlich, als wolle er seinen wartenden Gefährten einen Bericht übermitteln, doch es war kein Laut zu vernehmen. Schließlich machte der Bron kehrt und verschwand in der Nacht. Fartuloon seufzte. »Sie kommen nicht näher, solange das Feuer brennt. Einer muss also wach bleiben, um Holz nachzulegen. Hoffentlich reicht es.« »Wenn wir sparsam damit umgehen, brennt es noch viele Tontas.« Er rolle sich zusammen, schloss die Augen und murmelte: »Vielen Dank, dass du die erste Wache übernehmen willst.« Wenige Augenblicke später schnarchte er bereits. Da saß ich nun auf einer fremden und unheimlichen Welt im Hyperraum zwischen Felsen und bösartigen Schattenwesen an einem Holzfeuer, den Projektor griffbereit, ständig meine Umgebung beobachtend, nur um einen Skinen zu finden, der mit meinem Bewusstseinsabbild durchgebrannt war. Wahrhaftig eine mehr als merkwürdige Situation. Fartuloon berichtete, nachdem er mich hatte ausschlafen lassen, dass die Nacht ungefähr acht Tontas gedauert hatte. »Dann ist es abrupt hell geworden, aber die Brons sind des Feuers wegen nicht näher an unsere Steinfestung herangekommen. Sofern Dunkel- und Helligkeitsperiode von gleicher Länge sind, haben wir also einen Sechzehn-TontaTag.« Wir frühstückten, überlegten, in welche Richtung wir uns nun wenden sollten, und wurden uns darüber einig, dass nur eine Suche am Waldrand entlang ein Ergebnis bringen konnte. Ich fragte mich abermals, warum der Skine überhaupt hierher geflohen war, da er doch mein Bewusstseinsabbild trug. Seine Flucht erschien mir immer unlogischer und unvernünftiger. Fartuloon dachte ähnlich, leider fanden wir auch diesmal keine abschließende Erklärung. Weitere schemenhafte
Gestalten tauchten auf, und sie zogen sich nur dann zurück, wenn wir uns vom Waldrand entfernten. Als uns das allmählich auffiel, machten wir die Probe aufs Exempel und fanden heraus, dass die Brons versuchten, uns am Betreten des Waldes zu hindern. »Sie wollen, dass wir draußen bleiben«, knurrte Fartuloon. »Im Wald ist also etwas, das sie vor uns verbergen.« »Was können sie schon verbergen wollen? Aber gut, zeigen wir ihnen unseren guten Willen und halten uns vom Waldrand fern.« Unsere Suche nach den Spuren des Skinen wurde schließlich belohnt. Fartuloon deutete plötzlich vor sich auf den sandigen Boden. »Hier hat er den Wald verlassen! Die Spur führt in die Ebene hinein, sofern er die Richtung beibehalten hat. Machen wir uns auf einen ausgedehnten Spaziergang gefasst.« Als wir die Richtung änderten und uns endgültig vom Waldrand entfernten, blieben die meisten Brons zurück. Nur wenige folgten uns, meist in halbstofflichem und fast transparentem Zustand. Sie hielten sich in respektvoller Entfernung, und nur dann, wenn sie materialisierten, griffen sie blitzschnell an. Fartuloon schickte mehrere von ihnen mit einem gut gezielten Energiebündel in das unbekannte Reich der Unsichtbarkeit, das unter Umständen auch identisch mit ihrem Tod war. Wir wanderten durch ein breites und flaches Tal, in dem ein klarer Bach floss. Das Wasser war kalt und ohne Geschmack. Um Ampullen unserer Gürtel zu sparen, löschten wir daran unseren Durst und stellten bei der Gelegenheit fest, dass auch der Skine an dieser Stelle Rast gemacht hatte. Er ermüdete ebenfalls – das gab uns die Hoffnung, ihn doch noch einzuholen. Wir folgten dem Lauf des Baches talaufwärts. Rechts und links wurde der Wald wieder dichter, aber die Brons hinderten uns nicht daran, ihn an einer Stelle zu betreten, um Früchte zu sammeln.
Wiederholt fanden wir die Spuren des Skinen, denn meist war der Talgrund sandig und feucht. Nur manchmal trat Fels zutage. Die Zielsicherheit, mit der er voranstrebte, ließ nur zu deutlich erkennen, dass ihm das Ziel seiner Flucht bekannt war. War er schon einmal auf Sketan gewesen? Oder hatte er Forschungsberichte studiert? Nach weiteren drei Tontas Marsch blieb Fartuloon, der vorgegangen war, plötzlich stehen. Wir hatten das Ende des Tals erreicht und standen auf einer fang gestreckten Anhöhe, die in Marschrichtung sanft in eine Ebene hinabfiel. Dort erblickte ich, als ich neben Fartuloon stand, in der Ferne eine Stadt. Ich konnte sie in der klaren Luft gut erkennen. In den Straßen sah ich niemanden. Nichts bewegte sich. Die Stadt war wie ausgestorben. »Dort lebt niemand. Eine Geisterstadt. Gehen wir hin?« »Natürlich. Die Spuren beweisen, dass der Skine die Stadt kennt und zu ihr wollte. Wenn überhaupt, finden wir ihn dort.« Erst als wir näher herankamen, bemerkten wir die Schäden an den Häusern. Die meisten waren halb verfallen oder gar eingestürzt. Schwarze und rechteckige Löcher waren alles, was von den Fenstern übrig geblieben war. Sie waren recht groß und passten im Größenverhältnis zu den Brons. Als wir das an vielen Stellen geborstene Straßenpflaster der Ruinenstadt betraten, verloren wir die Spur des Skinen. Von nun an mussten wir uns auf das Glück verlassen. Es tauchten auch wieder Brons auf und boten einen unheimlichen Anblick, wenn sie geisterhaft als kaum erkennbare Schatten durch ihre einstige Stadt schwebten oder plötzlich für kurze Zeit materialisierten. Mir fiel auf, dass sie uns keine Aufmerksamkeit mehr schenkten, sondern die kurzen Pausen der Materialisation benutzten, die Häuser zu betreten. Wahrscheinlich war ihr Kontakt zur Realität doch größer, als
Fartuloon und ich bisher angenommen hatten, und sie waren zweifellos dabei, ihre Stadt wieder aufzubauen, wenn auch in unendlich mühsamer Kurzarbeit, im wahrsten Sinne des Wortes. »Wir sollten uns um das Zentrum der Stadt kümmern«, sagte Fartuloon. »Ich habe zwar keine Ahnung, was der Skine in diesen Ruinen sucht, aber sicher kriecht er nicht in den Nebengassen herum. Die Brons haben vielleicht Dinge zurückgelassen, die interessant sind. Wenn ja, werden sie dort besonders wachsam und zahlreich sein.« Eigentlich interessierten mich die Brons nicht sonderlich, solange sie uns nicht behelligten. Trotzdem stimmte ich Fartuloon zu, denn mein Bewusstseinsabbild war nicht ohne Grund hierher gekommen. Der »Betrieb« nahm zu, als wir die Hauptstraße erreichten, die schnurgerade auf das Zentrum der Ruinenstadt zuführte. Immer öfter erschienen stabile Brons und eilten in die Häuser. Nur wenige von ihnen beachteten uns. Zwei Angriffe mussten wir dennoch mit unseren Projektoren abwehren. Jedes Mal verschwanden die Brons spurlos. Ich hätte gern gewusst, was mit ihnen geschah und ob sie jemals wieder zurückkehren konnten, doch das war wohl eine Frage, die mir niemand beantworten konnte. Die Straße mündete in einen riesigen freien Platz, der von noch gut erhaltenen Gebäuden eingerahmt wurde. Die Bauten von fünfzig bis hundert Metern Höhe waren in ihrer schlichten Kuppel- und der von Waben überzogenen schlanken Granatform derart eintönig, um nicht zu sagen einfallslos, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob es sich vormals wirklich um eine Stadt zu Wohnzwecken gehandelt hatte oder ob wir es nicht vielmehr mit einer »industriellen Anlage« im weitesten Sinne zu tun hatten. Der Boden unter unseren Füßen war eben und fest und erinnerte an Beton. In der Mitte des Platzes erhob sich ein quadratisch geformter
Steinblock, zu dessen Oberseite die Stufen einer Treppenanlage hinaufführten. Ob etwas auf dem Block war, konnten wir nicht sehen. Aber wir sahen die schattengleichen Brons, die den Block umschwärmten. »Aha!«, machte Fartuloon. »Da ist etwas, das wichtig für sie zu sein scheint. Sehen wir uns das mal an.« Ich warf einen besorgten Blick hinauf zum Himmel. »Wann wird es dunkel?« »Keine Ahnung, aber sobald die Dämmerung einsetzt, wissen wir endgültig, wie lange Tag und Nacht dauern. Seit Beginn der Helligkeit sind rund vier Tontas vergangen. Leider können wir hier kein Feuer machen, falls wir nicht doch noch Holz finden. Los, verlieren wir keine Zeit.« Wohl war mir nicht zumute, als wir quer über den freien Platz auf den Block zugingen. Die Brons umtanzten uns wie riesige Mücken, aber im schattenhaften Zustand konnten sie uns nichts anhaben. Fartuloon hielt den Projektor stets schussbereit, falls doch eins der Wesen materialisierte und uns angriff. Dann standen wir vor den Stufen, und Fartuloon sagte: »Ich gebe dir Deckung. Geh voran!« Es war mehr ein Klettern als ein Gehen, aber dann hatte ich es geschafft und stand auf dem Steinblock, der vielleicht fünf Meter hoch war. Die Oberseite war eben und wurde nur von einem quadratischen Schacht in der Mitte unterbrochen, aus dem Licht drang und der senkrecht in die Tiefe führte. Brons schwebten von oben herbei und sanken in ihn hinab, ohne mich zu beachten. Es war, als sähen sie mich nicht. Fartuloon kletterte ebenfalls herauf und nickte befriedigt. »Das ist ein Hinweis darauf, dass sie in der Dunkelheit nichts sehen können. Ich möchte nur wissen, ob künstliches Licht auch eine ähnliche abschreckende Wirkung auf sie hat wie Feuer. Wenn ja, würden sie den Schacht meiden.« Er blickte hinab. »Wir müssen wissen, was da unten ist. Aber leider sind
wir keine Schatten, die schwerelos herumschweben können. Und ich seine weder Stufen noch eine Leiter.« Den Boden des Schachtes erkannte ich in zehn Metern Tiefe. Das war zu hoch für einen Sprung, zumal wir auch nie mehr heraufgekommen wären. Es musste also eine andere Möglichkeit geben. Aber welche?
11. Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi, SonthraxBonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1310 Galaktikum-Normzeit (NGZ) … dauert es manchmal lange, bis sich aus Mosaiksteinchen das Gesamtbild ergibt. Als die Menschheit mit dem Roten Universum der Druuf und dessen deutlich langsamerem Zeitablauf konfrontiert wurde, war es der Arkonide Atlan, der mit seinen berühmten Atlantis-Berichten die ersten konkreten Hinweise zu diesem Phänomen geben konnte. Nicht einmal er wusste zu diesem Zeitpunkt – Folge der von seinem Lehrmeister mit dem OMIRGIS verursachten Erinnerungsbeeinflussung – , dass die Ereignisse mit Larsafsystem keineswegs seine erste Begegnung mit diesen Insektenabkömmlingen gewesen war. Doch selbst wenn uns die Erlebnisse aus seiner Jugendzeit schon damals zugänglich gewesen wären, hätten wir – eben erst mit dem Techno-Erbe der Arkoniden ins All vorgestoßen – dennoch die mit den Skinen, ihren oberen Welten und vor allem Sketan verbundenen Konsequenzen nicht einzuschätzen gewusst. Es bedurfte der Konfrontation mit den Zweitkonditionierten und Bestien, um Zugang zur so genannten Paratron-Technologie zu erhalten, den auf dem Paratron-Konverter beruhenden Dimensionstransmittern, die gezielte Aufrisse zum übergeordneten Kontinuum erstellen können,
als Schutzschirm ebenso wie als Hyperantrieb Verwendung finden und durch Paratronblasen den stationären Aufenthalt im Hyperraum ermöglichen, wie die Para-Arsenale der Zweitkonditionierten eindruckvoll bewiesen. Dennoch, und das sei ausdrücklich betont, gibt es immer noch einen quantitativen Unterschied zwischen jenen Arsenalen, in denen die Dolans stationiert waren, und der unfreiwilligen Versetzung des Druufplaneten in den Hyperraum. Dieser verließ auf diese Weise naturgemäß auch das Rote Universum mit seinem 72.000fach verlangsamten Zeitablauf und nur deshalb war den Skinen über ihre Tore der Zugang möglich. Mit der späteren Ausbildung der Überlappungszonen zwischen unserem und dem Druuf-Universum hatten diese Ereignisse ursächlich jedoch nichts zu tun, obwohl ein Zusammenhang durchaus besteht, wenn wir uns den Verlauf und die Ausdehnung der riesigen Entladungszone betrachten, die bis hin zur SogmantonBarriere reichte. Auch hier kann Atlan als Zeitzeuge dienen, doch das ist eine andere Geschichte… »Ich habe eine Idee«, behauptete Fartuloon plötzlich, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. Er nahm einen Konzentratriegel aus einem Gürteletui und ließ ihn in den Schacht fallen. Die Anziehungskraft des Planeten wirkte im ersten Augenblick wie erwartet. Der Riegel fiel, wurde aber plötzlich jäh abgebremst. Von da an sank er langsam in die Tiefe und landete zehn Meter unter uns sanft auf dem Boden, nachdem er am Schluss etwas zur Seite abgedrängt worden war. »Antigravitation«, sagte ich, kaum überrascht. »Richtig. Wir können also gemütlich nach unten schweben. Das Kraftfeld wirkt zweifellos in umgekehrter Richtung, sobald uns das Feld von unten her erfasst, und trägt uns auch
wieder hoch. Na los, worauf warten wir denn noch…?« »Und die Brons? Sie greifen uns sicher an, wenn wir hier eindringen. Der Schacht hat zweifellos eine besondere Bedeutung für sie.« »Sie greifen ohnehin an, also was soll’s? Außerdem vermute ich, dass unser Skine ebenfalls da unten ist. Seine Zielstrebigkeit wäre damit erklärt, wenn auch nicht das Warum.« Er hatte natürlich Recht. Ehe Fartuloon mir zuvorkommen konnte, trat ich einen Schritt vor und spürte, wie ich von dem Kraftfeld umschlossen wurde. Langsam sank ich in die Tiefe. Als ich nach oben blickte, sah ich Fartuloons Füße unmittelbar über mir. Drei oder vier Brons folgten uns. Sie fielen ein wenig schneller und schwebten geradezu durch uns hindurch, als seien wir nicht vorhanden. In Wirklichkeit waren sie nicht vorhanden, wenigstens nicht materiell!. Wir landeten sanft und standen in einer weiten Halle, in deren Decke der Schacht mündete. Einige Brons schwebten in einen der vier abzweigenden Korridore hinein und verloren sich irgendwo in diesen Seitengängen. Einer verzichtete auf den Korridor und kürzte seinen Weg ab, indem er einfach in der Wand verschwand. »Warum tun sie das nicht immer?«, fragte ich. Fartuloon vermutete: »Sie könnten es jederzeit, aber da sie keinen Einfluss auf den Zeitpunkt ihrer gelegentlichen Materialisationen haben, könnte es passieren, dass sie mitten in der Mauer stofflich werden, und ich fürchte, das ist kein erfreuliches Erlebnis für sie. Deshalb benutzen sie den Schacht und die Korridore, um an ihr Ziel zu gelangen. Lediglich die Wagemutigen gehen das Risiko ein, von fester Materie eingeschlossen zu sein.« Wir standen eine Weile in der Halle und beobachteten die Brons, die uns völlig ignorierten. Mir war, als würden sie nicht
mehr so oft materialisieren wie zuvor. Und jetzt spürte ich auch das leichte Vibrieren unter meinen Füßen. Irgendwo unter der Halle, tief im Felsen des Planeten, liefen zweifellos gewaltige Maschinen. Ich teilte Fartuloon meine Beobachtung mit. »Die technische Anlage stammt zweifellos noch aus jener Zeit, in der sich Sketan im Normaluniversum befand. Um so mehr möchte ich wissen, warum sich die instabilen Brons ebenso wie der Skine dafür interessieren.« Er nickte, nachdem er eine Weile gelauscht hatte. »Welchen Korridor nehmen wir?« Der Einwurf kam nicht überraschend. »Die Frage ist, ob der Schacht der einzige Eingang zu der Anlage ist. Wenn ja, kann der Skine nur durch ihn hereingekommen sein, sofern er überhaupt hier ist. Gehen wir nun beide zusammen, kann er die Anlage vielleicht unbemerkt verlassen, und wir bemerken es nicht einmal und suchen weiter. Was also tun wir?« »Dann müssten wir uns trennen, und das halte ich nicht für ratsam« Mir war der Gedanke ebenfalls nicht angenehm, allein hier zu warten oder durch endlose Korridore zu irren. Ich hob den von dem Bauchaufschneider verwendeten Konzentratriegel vom Boden auf. Während ich ihn zerbröckelte und zu Staub zerrieb, ging ich in die Mitte der Halle. Vorsichtig streute ich ringsum das Pulver so aus, dass der Skine seine Spuren hinterlassen musste, wollte er den Bereich des Antigravfeldes betreten und die Anlage verlassen. Als ich zu Fartuloon zurückkehrte, grinste er mir wohlwollend entgegen. »Du bist ein guter Schüler.« Mitunter konnte er es nicht lassen, mich wieder daran zu erinnern, dass er fast mein ganzes Leben mein Pflegevater und Lehrmeister gewesen war. »Nun brauchen wir uns nicht zu trennen und wissen bei unserer Rückkehr doch, ob der Skine das Weite
gesucht hat – vorausgesetzt, er ist hier. Hoffentlich bemerkt er es nicht.« »Kaum. Das Pulver ist fein verstreut.« »Dann wiederhole ich meine Frage: Welchen Korridor nehmen wir?« »Den rechten, dort sind die wenigsten Brons hinein.« »Dann ist es der falsche.« »Vielleicht. Aber der Skine wird froh sein, wenn er von ihnen möglichst wenig belästigt wird.« »Richtig«, stimmte er zu. »Also, dann los…« Boden, Decke und Wände waren glatt, bestanden aus einer Art Plast und leuchteten von innen heraus. Energie war zweifellos genügend vorhanden, denn es wurde nicht damit gespart. Einmal kamen uns zwei Brons entgegen, zum Glück nur als halbmaterielle und fast durchsichtige Schemen. Ihr kurzes Zögern bewies, dass sie uns bemerkt hatten, aber sie schwebten weiter, mitten durch uns hindurch. Für einen Augenblick überkam mich die schreckliche Vorstellung, was geschehen würde, wenn sie in mir materialisierten. Rasch verscheuchte ich die unangenehme Vision. Es ist besser, nicht über derartige Dinge nachzudenken. Ein anderes Mal sahen wir einen Bron materialisieren, der uns entgegenschwebte. Kaum stand er auf seinen Füßen, griff er uns auch schon an. Dass Brons keine Waffen benutzten, erklärte ich mir dadurch, dass sie keine materiellen Dinge bei sich tragen konnten, solange sie als entstofflichte Wesen existierten. Fartuloon riss seinen Projektor hoch, kam aber nicht mehr dazu, ihn zu benutzen. Der Bron war blitzschnell über ihm und rannte ihn förmlich über den Haufen, so dass der Bauchaufschneider zu Boden stürzte, während der Bron, vom eigenen Schwung getragen, weiterlief, sich allerdings sofort umdrehte und erneut Anlauf nahm, um auch mich niederzutrampeln. Fartuloon schoss im Liegen, und der Bron
verschwand, bevor er mich erreichen konnte. Ich half dem Bauchaufschneider auf die Beine. Er schnaufte. »Wie ein wild gewordener Naat. Wenn sie dich richtig erwischen, bist du hin. Schieß also immer rechtzeitig.« Der Korridor endete in einer zweiten Halle, die wesentlich kleiner war und eine Art Verteiler sein musste, denn es führten nicht nur Gänge in alle Richtungen weiter, sondern auch Antigravschächte nach unten. Fartuloon blieb vor einem von ihnen stehen. »Die Maschinenanlagen liegen unter uns, also müssen wir, um sie zu erkunden, ebenfalls nach unten.« Wenn du ehrlich bist, flüsterte der Extrasinn, musst du dir gestehen, dass dir in diesem Augenblick der Skine ziemlich gleichgültig ist. Das technische Geheimnis eines fremden Volkes, dessen Planet in den Hyperraum versetzt wurde und dessen Mitglieder die feste Stofflichkeit verloren haben und sich dennoch mit materiellen Dingen befassen, fasziniert dich immer mehr. Diesmal war Fartuloon schneller als ich und ließ sich in die Tiefe sinken, den Skinenprojektor schussbereit in der rechten Hand. Als meine Füße wieder festen Boden berührten, war das Vibrieren viel stärker geworden. Auch vernahm ich nun das gleichmäßige Geräusch irgendwelcher Maschinen und Aggregate. Es war wärmer geworden. Weiterhin diente Licht aus den Wänden der Beleuchtung. Wir standen abermals in einer Halle, aber nur zwei Gänge führten in entgegengesetzten Richtungen weiter. Als ich in den einen hineinblickte, zuckte ich unwillkürlich zusammen. An seinem Ende und nur undeutlich zu erkennen, well die Entfernung zu groß war, erblickte ich eine Gestalt vom Aussehen einer »angeschnittenen Wurst«. »Der Skine«, flüsterte ich und stieß den Bauchaufschneider an. »Da ist er.« Wir wichen ein wenig zur Seite, um nicht sofort gesehen zu werden. »Vielleicht kommt er hierher. Sobald wir den Gang
betreten, sieht er uns sofort.« Wir verhielten uns ruhig in der Hoffnung, der Skine würde in unsere Richtung kommen, aber er tat uns den Gefallen nicht. Ohne einen Laut von sich zu geben, verschwand er in einem der vielen Seitengänge, und wir wussten nicht einmal, ob er uns bemerkt hatte. »Sollen wir ihm nach?« Die Maschinengeräusche kamen aus dem anderen Korridor. »Ich wüsste gern, ob er uns bemerkt hat. Wenn nicht, könnten wir ihm folgen, ohne aufzufallen. Die Maschinen haben Zeit.« »Der Skine auch«, sagte Fartuloon. »Für die Anlage der Brons haben wir noch mehr Zeit, sobald der Skine erst einmal gefasst und in das Energiefeld gesperrt ist.« Er nickte und wir gingen los. Erst jetzt zeigte sich, wie schwer es war, den abzweigenden Gang zu bestimmen, den der Skine benutzt hatte. Es gab zu viele von ihnen. Sie waren kahl und leer. Einige betraten wir, begegneten aber weder einem Bron noch dem Skinen. Mutlos geworden, gaben wir die Suche schließlich auf, nicht ohne die triumphierende Bemerkung des Bauchaufschneiders: »Na also.« Wir kehrten in die Halle zurück. »Na schön, nehmen wir den zweiten Korridor und sehen uns die Anlage an.« Hier begegneten uns wieder mehr Brons, die sogar als Schatten über unser Eindringen besorgt zu sein schienen, denn sie umschwirrten uns in Scharen. Ganz offensichtlich versuchten sie, uns von einem weiteren Vordringen abzuhalten. Vielleicht hofften sie auch, gerade jetzt zu materialisieren, um uns angreifen zu können. Wir drangen weiter vor, ohne uns um sie zu kümmern. Meiner Schätzung nach befanden wir uns etwa fünfzig Meter tief unter dem Zentralplatz der Ruinenstadt. Der letzte Schacht war lang gewesen. Von der Halle aus führten keine weiteren mehr in die Tiefe, doch wir wussten nicht, ob wir schon die unterste
Sohle erreicht hatten. Es konnte gut sein, dass die eigentlichen Maschinenhallen noch tiefer lagen und beachtliche Ausdehnung erreichten. Der Logiksektor flüsterte: Die Geräusche und Vibrationen sprechen dafür. Der Korridor hatte keine Seitengänge und endete vor einer Metallwand, die einfach zu bedienende Handgriffe aufwies. Die Brons fürchteten die geringe Dicke der Wand nicht, denn sie schwebten ohne Zögern durch sie hindurch, hin und her. »Wir müssen sie wohl öffnen.« Fartuloon zögerte. »Los, ich halte den Projektor bereit.« Es fiel mir nicht schwer, den Mechanismus zu begreifen, denn nur ein Hebel war umzulegen. Die schenkeldicke Wand versank im Boden und gab den Blick in einen nach rechts und links abzweigenden Korridor frei, der in der Art einer Galerie um eine kreisförmige Halle von mehreren hundert Metern Durchmesser herumführte. Eine transparente Barriere oberhalb einer fast kopfhohen Brüstung trennte Korridor und Halle. Fartuloon schob mich weiter, bis wir eine Nische fanden, wo uns selbst die Brons nicht bemerken konnten, sofern sie nicht gerade direkt an uns vorbeischwebten. Ich wagte einen vorsichtigen Blick hinab in die Halle, deren Boden etwa zehn Meter tiefer lag. Zuerst sah ich nur lange Reihen von Maschinenblöcken und Aggregaten unbekannter Natur, riesige Schalttafeln und genau in der Mitte eine auf ihrer Fläche ruhende Halbkugel aus einem von innen erhellten milchigen Material. Brons gingen zwischen den Maschinenanlagen hin und her, nicht hastig, sondern mit einer für sie ungewöhnlichen Ruhe und Gelassenheit. Offensichtlich kontrollierten sie die reibungslose Funktion der einzelnen Aggregate und ließen sich Zeit dabei. Ich sah keinen einzigen instabilen Bron. Auf der einen Seite der riesigen Halle, deren nur leicht
gewölbte Decke zwanzig Meter über uns war, hatten die unbekannten Erbauer eine Art Tribüne errichtet. Es war keine Zuschauertribüne, sondern mehr ein von einem Geländer umgebenes großes Podium. Auf ihm standen Tische und Sitzgelegenheiten, passend für die bis zu drei Meter großen Brons. Dutzende saßen an den Tischen, ließen sich von anderen bedienen, tranken und aßen mit einer genüsslichen Ruhe, als könnten sie niemals ihren festen Körper verlieren und wieder zu schattenhaften Geistern werden. Langsam dämmerte mir die Erkenntnis des Geschehens. »Die Anlage… bewirkt, dass sie stofflich bleiben!« Fartuloon nickte. »Nun wissen wir, warum sie hierher kommen. Sie haben es geschafft, die sicherlich zu einem anderen Zweck konstruierte Anlage für ihre Zwecke umzufunktionieren. Hier können sie materialisieren. Wahrscheinlich haben sie ein bestimmtes System, so dass jeder von ihnen an die Reihe kommt. Eine Art Erholungszentrum vom Geisterdasein.« »Aber wie machen sie es?« »Kraftfelder, Bestrahlung, Energieströmungen – was weiß ich? Könnte ähnlich wie bei den Fesselfeldprojektoren auf Kraumon funktionieren. Hier jedenfalls dürfen uns die Brons nicht erwischen. Ob der Skine deswegen hierher kam?« »Zumindest muss er etwas geahnt oder gar gewusst haben.« Eine verrückte Idee schoss mir durch den Kopf: Kann es sein, dass das Bewusstseinsabbild vielleicht hofft, sich hier mit einem eigenen Körper außerhalb des Skinenträgers zu materialisieren? Dass es so zu einem echten Atlan-Doppel kommt? Wie sollte das umgesetzt werden?, fragte der Logiksektor kühl. Im Gegensatz zu den Brons gibt es keinen entmaterialisierten Körper, sondern nur den immateriellen Bewusstseinsinhalt. Wer weiß schon, was wirklich in ihm vorgeht? Ich jedenfalls kann keine Ähnlichkeit mit mir selbst entdecken…
Schweigend beobachteten wir noch eine Weile des Treiben auf der Tribüne. Die Brons genossen den Zustand ihrer körperlichen Realität und das Bewusstsein, nicht unwillkürlich wieder in die Instabilität zurückkehren zu müssen. Es gab auch einige Türen, die zu dahinter liegenden Räumen führten. Ab und zu verschwand ein Bron darin, von einem zweiten gefolgt. Der Bauchaufschneider grinste, sagte aber nichts. Ich schrak zusammen, als ich Schritte vernahm. Ehe ich mich umdrehen konnte, packte eine Hand mit eisernem Griff zu und nahm mir den Projektor ab. Gleichzeitig wurde Fartuloon von einem zweiten Bron entwaffnet, der unbemerkt herbeigekommen war. Den Gürtel mit dem Translator ließ man mir; die Wesen schienen demnach zu wissen, dass der Kasten lediglich ein Übersetzergerät war, keine Waffe. Fartuloon war so verblüfft, dass er keinen Ton hervorbrachte, als er unsanft auf die Beine gestellt wurde. Dann aber begann er leise zu fluchen. Ich bemerkte, dass mein Translator die ganze Zeit eingeschaltet gewesen sein musste; vielleicht ausreichend lange, um die Brons-Sprache zu entschlüsseln? Die seltsamen Wesen führten uns mit sanfter Gewalt eine Treppe hinab in die Halle, wo wir von anderen Brons erwartet wurden, die uns aus ihren Facettenaugen entgegenblickten. Es sah so aus, als hätten sie uns erwartet. Als wir vor ihnen standen, kam plötzlich eine Stimme aus meinem Translator, zerstückelt und unartikuliert. Ich wusste sofort, was das war: der Versuch des automatisch arbeitenden Skinengerätes, eine nicht vorhandene akustische Mitteilung dennoch akustisch wiederzugeben. Demnach verständigten sich die Brons untereinander telepathisch oder durch Ultraschall, der für unsere Ohren unhörbar blieb. Die Stimme sagte: »Was sucht… auf unserer Welt… kommt woher?« Als niemand von uns sofort antwortete, fuhr die Stimme fort und fragte: »Wolltet… ungeborene Königin
stehlen?« Es wurde höchste Zeit, dass wir unsere Fassung wiedergewannen, sonst waren wir verloren, das wurde mir klar. Sie haben also eine Königin, eine ungeborene. Und sie nehmen an, wir wollten sie entführen. Wenn wir den Irrtum nicht so schnell wie möglich aufklären, kann alles Mögliche passieren. »Wir suchen einen Skinen.« Ich hoffte, dass die Brons wussten, was ein Skine war. »Wir wollen nichts von eurer Königin, die wir nicht einmal kennen. Wir kamen in Frieden.« Die Verständigung funktionierte immer besser; die Antwort kam nun sofort und nicht mehr ganz so undeutlich: »Warum… in Stadt?« »Der Skine, den wir verfolgen, führte uns hierher. Er muss ebenfalls noch hier irgendwo sein. Übergebt ihn uns, dann gehen wir wieder und kehren nie mehr zurück. Wir wollen nur ihn, sonst nichts.« »… nicht einfach… habt unser… entdeckt.« »Wir werden es vergessen«, versprach ich. Es entstand eine kurze Pause. Fartuloon sagte ohne Rücksicht auf den eingeschalteten Translator, der jedes seiner Worte in die Sprache der Brons übersetzte: »Inzwischen rennt uns der Skine davon, und wir erwischen ihn nie. Sie sollten uns die Projektoren wiedergeben und uns laufen lassen. Schade, dass man nicht vernünftig mit ihnen reden kann.« Ich gab ihm ein Zeichen, vorsichtig zu sein. Doch Fartuloon war ein kluger Taktiker, der genau wusste, was er sagte. »Unser Schicksal könnt ihr niemals vergessen, well ihr von einer anderen Welt kommt«, sagte einer der Brons, und well mehrere uns umstanden, war nicht zu erkennen, welcher von ihnen zu uns sprach. Auf dem Podium rückten Neugierige ans Geländer und sahen zu uns herab. »Wir werden versuchen, seiner habhaft zu werden. Bis dahin bleibt ihr hier.« Ich wusste, dass jeder Protest sinnlos war, wollte aber doch
einen Vorteil herausschlagen. »Gut, wir fügen uns. Ist es möglich, dass wir uns mit Euren Wissenschaftlern oder Technikern unterhalten? Vielleicht können wir euch helfen, denn wir kommen nicht nur von einer anderen Welt, sondern auch aus einem anderen Raum-Zeit-Gefüge.« »Bekannt… werdet Gelegenheit erhalten.« Immerhin ein Teilerfolg, wisperte der Extrasinn. Ohne Widerstand zu leisten, ließen wir uns von den Brons in einen von der Galerie abzweigenden Raum führen, der halbwegs zwischen Podium und Ausgang lag. Unsere Projektoren wurden zuvor in einem Regalkasten auf dem Korridor abgelegt. Ich überzeugte mich davon, ob die Brons vor der offenen Tür blieben und Wache standen – was nicht der Fall war! – , und sagte: »Sie sind nicht unfreundlich, obwohl wir doch einige von ihnen entmaterialisiert haben. Ich hoffe, dass wir uns mit ihnen einigen können.« »Ich ebenfalls. Vor allem bin ich gespannt, ob sie uns den Skinen bringen. Außerhalb der Materialisationsanlage können sie nur eingeschränkt handeln, und ich denke, dass sie es durchaus fertig bringen, den Skinen herzulocken. Denn das wäre ihre einzige Chance, ihn festzusetzen.« »Ja, so wie uns.« »Immerhin ist es von Vorteil, dass wir uns mit ihnen verständigen können.« Da wir im Augenblick nichts tun konnten, streckten wir uns auf den für Brons gemachten Liegen aus, die natürlich viel zu groß für uns waren, und versuchten zu schlafen. Mir gelang es nicht sofort, aber Fartuloon begann bald zu schnarchen. Zwei Brons weckten uns rund vier Tontas später und überbrachten die Nachricht, dass der Skine nicht gefasst werden konnte, well es nicht gelang, ihn hierher zu der Anlage zu locker. Er hielt sich jedoch weiterhin in der subplanetarischen Station auf und wurde ständig beobachtet.
Ich überlegte, ob ich eine Frage bezüglich der ungeborenen Königin stellen sollte, verzichtete aber dann darauf. Hatten sie ihren Verdacht vergessen, um so besser für uns. »Wann können wir gehen?« »Darüber entscheidet der Rat der Sechsundsechzig. Sofern festgestellt wird, dass ihr keinen Schaden anrichten könnt, solltet ihr diesen Skinen, die auf unsere Welt gekommen sind, den guten Rat geben, wieder zu verschwinden. Sie haben hier nichts zu suchen, und sie haben auch nicht die Absicht, uns zu helfen. Wir mögen sie nicht.« Unser Translator übersetzte immer besser. Die unverständlichen Laute der Brons wurden zu einer gewählten Sprache, die gar nicht zu den klobigen Geschöpfen passte. Die beiden Brons verließen uns, nachdem sie sich fast höflich verabschiedet hatten. Wir waren wieder allein. Fartuloon sah mich an. »Was sagst du dazu? Hoffentlich halten sie uns nicht mehr zu lange fest, sonst müssen wir versuchen, uns selbst zu befreien.« Abermals zwei Tontas später erschien ein Bron und betrachtete uns forschend. Er war mindestens drei Meter hoch und mit einem feuerroten Umhang bekleidet, der vermuten ließ, dass er einen besonderen Posten bekleidete. Vielleicht gehörte er zu dem bereits erwähnten »Rat der 66«. Dann würde er die Entscheidung bringen. Unwillkürlich erhoben wir uns, damit wir uns nicht ganz so klein fühlen. Endlich sagte er: »Die Ältesten unseres Volkes haben lange beraten, was wir mit euch tun sollen, und der Entschluss ist uns nicht leicht gefallen. Wir sind überzeugt, dass ihr intelligent seid. Wir können euch nicht erlauben, uns schon jetzt zu verlassen. Ihr müsst bleiben.« Fartuloon öffnete schon den Mund zum Protest, besann sich dann aber und nickte mir zu. »Warum sollen wir bleiben? Wir haben keine feindlichen Absichten!«
»Weil ihr uns helfen sollt! Wir brauchen Euren Rat, und vor allen Dingen brauchen wir außerhalb der Station eure festen Körper. Ihr werdet innerhalb der Station untergebracht und von unseren Wissenschaftlern in die technischen Geheimnisse der Anlage eingeweiht. Je schneller wir zum Ziel gelangen, desto einer können wir euch die Freiheit zurückgeben. Im körperlosen Zustand ist es uns unmöglich, Gegenstände zu berühren oder einen Einfluss auf sie auszuüben. Nicht einmal das Öffnen einer Tür ist möglich. Aber sobald wir materialisieren, können wir Handgriffe vornehmen, die vorher genau geplant und einstudiert werden, um keine Zeit zu verlieren. So umlagerten wir jahrelang diese Station, und jeder wartete auf seine Gelegenheit, den Plan in die Tat umzusetzen. Wozu man sonst ein paar Tage gebraucht hätte, erfordert nun Jahre. Es gelang uns, den Plan der Wissenschaftler zu verwirklichen. Wir schufen in der runden Halle, die ihr bereits kennt, ein Hyperfeld mit Materialisationseffekt. In seinem Wirkungsbereich behalten wir die feste Körperform beliebig lange bei, und eines Tages, so hoffen wir, werden wir sie auch außerhalb dauerhaft zurückerhalten. Zumindest aber sind wir nun in der Lage, in dieser Anlage pausenlos zu arbeiten und technische Geräte zu entwickeln und zu miniaturisieren, die uns eine beliebige Materialisation auch auf der Oberfläche erlauben, sofern wir ein solches Gerät bei uns tragen.« Fartuloon sagte: »Wir wünschen euch viel Erfolg und hoffen, dass ihr so euer unglaubliches Schicksal verbessern könnt. Auf unsere Mitarbeit müsst ihr allerdings verzichten!« »Ihr könnt euch nicht weigern, in eurem eigenen Interesse.« »O doch, das können wir!«, rief der Bauchaufschneider aufgebracht. »Wir lassen uns zu nichts zwingen. Ich jedenfalls werde keine Hand für euch rühren.« »Ich weigere mich ebenfalls«, pflichtete ich ihm bei, nachdem ich seine Taktik erkannt hatte.
Der Bron zog sich bis zur Tür zurück. »Ich kann eure Erregung verstehen, aber an unserer Entscheidung ändert das nichts. Sie ist endgültig.« Er ging, und Augenblicke später betraten zwei Brons den Raum. »Folgt uns!« Es hatte zur Zeit wenig Sinn, einen Fluchtversuch zu starten. In der Anlage waren zu viele Brons, die uns beobachteten. Erst wenn wir den Bereich des Materialisierungsfeldes verlassen und dorthin gelangen, wo die Brons nicht mehr dauerhaft ihre Stofflichkeit erhalten, dachte ich, sind wir einigermaßen in Sicherheit. Bis ihre Aufmerksamkeit nachgelassen hat, müssen wir warten. Sie führten uns an der Galerie entlang. Ich merkte mir genau die Stelle, an der wir die Anlage betreten hatten. Sie lag dem Erholungspodium genau gegenüber. Wir gingen etwa zwanzig Meter weit. Hinter der Tür führten wenige Stufen in einen Raum, der ähnlich wie der erste eingerichtet war. Wortlos zogen sich die Brons zurück. Ich setzte mich und schaltete den Translator aus. »Na wunderbar.« Auch Fartuloon setzte sich. »Wir werden fliehen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Hast du gesehen, wo unsere beiden Projektoren liegen?« »Ja. Keine dreißig Meter von hier entfernt in einem nicht verschlossenen Kasten. Wann?« »Abwarten. Auf ein paar Tontas kommt es nun auch nicht mehr an.« Wir nahmen einige Konzentrate zu uns. Unseren Durst stillten wir mit den Ampullen. Dann streckten wir uns auf den Betten aus, um Kräfte zu schonen. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, erschien ein Bron im Eingang. In den Händen trug er ein unförmiges Gerät, das er vorsichtig auf den Boden stellte. Er sprach schon, während ich noch den Translator einschaltete: »… Auftrag der Wissenschaftler mitteilen, dass ihr diesen Apparat auf seine
Funktion untersuchen sollt. Betrachtet es als eine Art Test. Ich komme in einer Zeitspanne wieder, die ihr zwei Tontas nennt.« Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Fartuloon stand auf und betrachtete das fast hüfthohe Gerät. »Weißt du, was das ist?« Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« Ich musste die Geschicklichkeit seiner dicken Finger bewundern, die mit unendlicher Behutsamkeit und Vorsicht über das Gehäuse, den leicht gewölbten und reichhaltig facettierten, saphirähnlichen Kristall an der Oberseite sowie die Schalter, Hebel und Knöpfe des Bedienungspanels glitten. Das Ding erinnerte mich an einen klobigen Scheinwerfer, aber mit Sicherheit war es etwas ganz anderes. Die Brons schienen in der Tat die Absicht zu haben, uns ihrem wissenschaftlichen Team einzuverleiben. Fartuloon sagte schließlich sehr bedächtig: »Es handelt sich um einen Projektor, aber er unterscheidet sich erheblich von den uns bekannten. Es gibt einige Schaltungen, die mir unsinnig erscheinen. Die Vorder- oder Oberseite mit dem Kristall ist nichts anderes als die eigentliche Projektoreinheit. Erfassungsbereich von mindestens hundertachtzig Grad, zweifellos aber auch fokussierbar. Diese Anordnung lässt darauf schließen, dass das Gerät irgendetwas ausstrahlt. Um den Test zu bestehen, müssten wir das Ding auseinander nehmen. Ich weiß aber nicht, ob ich es in der zur Verfügung stehenden Zeit auch wieder zusammensetzen kann. Was also sollen wir tun?« Ich ging zu ihm, betrachtete die Apparatur, konnte aber nicht viel mit dem anfangen, was ich sah. »Hat es eine eigene Energieversorgung?« Er nickte. »Im unteren Teil. Das steht fest. Aber ich müsste das Ding eben zerlegen, wie ich schon sagte.«
»Gibt es keine andere Möglichkeit, die Funktion des Gerätes zu erproben? Schalte es doch einfach mal ein!« Zu meiner Überraschung begann er breit zu grinsen. »Eine ausgezeichnete Idee. Zumal wir keine andere Wahl haben, denn die Brons haben uns keinerlei Werkzeug zur Verfügung gestellt. Das lässt darauf schließen, dass wir seine Arbeitsweise auch ohne zusätzliche Mühe enträtseln können.« Er drehte den Apparat so, dass der Projektorkristall auf die Wand zeigte, die der Tür gegenüberlag. »Die Frage ist nur, ob ich den richtigen Schalter finde, der das Gerät aktiviert.« Ich zog mich zum Bett zurück. »Hoffentlich explodiert das Ding nicht.« »Das wäre sicherlich nicht im Sinn seiner Erfinder.« Mit gemischten Gefühlen sah ich, wie seine Finger zögernd über das Instrumentarium der Schalttafel glitten. Mein Extrasinn meldete, dass eine halbe Tonta vergangen war, seit die Brons das Gerät gebracht hatten. Es blieben uns also noch eineinhalb, das Geheimnis zu lüften. Ich fragte mich, was uns das nützen würde. Auf keinen Fall war ich davon überzeugt, dass sie uns danach freiließen. Fartuloon schien endlich die richtige Schaltkombination gefunden zu haben. Mehrmals nickte er zuversichtlich, drückte einen Hebel nieder und gleichzeitig zwei Knöpfe ein. Im gleichen Augenblick materialisierte aus dem Nichts heraus ein Bron, der kaum anderthalb Meter groß war. Es musste sich um ein sehr junges Exemplar handeln, das zufällig in diesem Augenblick in völlig entstofflichtem Zustand unter der Decke unseres Gefängnisses schwebte. Jedenfalls unterlag der junge Bron sofort der Schwerkraft, stürzte in die Tiefe und schlug auf den harten Boden. Er blieb materiell! und verschwand nicht wieder. Fartuloon rief: »Das ist der Beweis! Die Reichweite des stabilen Materialisationsfeldes der Anlage reicht nur bis zur
Hälfte des Raumes.« »Und mit dem Gerät ist es möglich, entstofflichte Brons zu materialisieren.« »Genau. Mit Hilfe dieser Technik wollen sie erreichen, dass sie auch außerhalb der Station ihre feste Struktur erhalten und behalten. Nur ist dieser Apparat sehr unhandlich und schwer, vielleicht nicht für die Brons, aber für uns. Dreimal darfst du raten, was sie von uns erwarten.« Die Antwort fiel mir nicht schwer: »Sie hoffen, dass wir ihnen dieses Gerät in verkleinerter Form konstruieren können.« Fartuloon nickte. »Richtig. Nun frage ich dich: Sollen wir ihnen verraten, dass wir die Funktion des Gerätes herausfanden – oder sollen wir es nicht? Sie kennen das Prinzip, Dinge aus dem Hyperraum stabil zu materialisieren. Aber sie wissen noch nicht, wie sie das entsprechende Gerät verkleinern und sein Gewicht verringern sollen, ohne die Wirkung zu vermindern. Sie wollen, dass wir ihnen dabei helfen.« Wussten die Brons, dass wir ihnen helfen konnten, würden sie uns erst recht nicht mehr freilassen. Das war die logische Folgerung. Was aber machen sie mit uns, wenn wir die unfähigen spielen? Geben sie uns die Freiheit – oder bringen sie uns um? Die Brons taten mir Leid. Ich bedauerte sie und ihr Schicksal. Doch das rechtfertigt nicht, dass sie uns gefangen halten oder gar umbringen. Und genau dazu scheinen sie entschlossen zu sein! »Schalte den Apparat wieder ab!«, forderte ich Fartuloon auf. »Der junge Bron erholt sich von seiner Überraschung. Wenn der zuschlägt…« Fartuloon reagierte wesentlich schneller, als ich erwartet hatte: Der schwache Schimmer, der von dem Projektionskristall ausging, erlosch. Im gleichen Augenblick wurde der Bron, der sich mit drohender Gebärde vom Boden
erheben wollte, unsichtbar und verschwand spurlos. Der Bauchaufschneider lehnte sich zurück. »Die Funktion dieses Apparates ist klar. Natürlich kann ich nur vermuten, auf welcher Basis er genau arbeitet, aber er scheint ähnlich wie unsere zu Parafallen modifizierten Fesselfeldprojektoren zu funktionieren, die ebenfalls eine Entmaterialisation verhindern können. Weiterhin steht fest, wie Sketan beweist, dass die Brons vom Normalraum aus in den Hyperraum vordringen und dort im Schutz einer hyperenergetischen Blase verharren können. Transitionen und Transmitter kennen sie zweifellos ebenfalls. Die in den Hyperraum verbannten Brons materialisieren entweder völlig willkürlich und kurzfristig oder mit Hilfe technischer Mittel. Letzteres nur so lange, wie die dafür entwickelten Anlagen arbeiten. Eine dauerhafte Stabilisierung scheint ihnen im Augenblick nicht möglich zu sein. Ich vermute, dass auch in dieser Hinsicht von uns eine Lösung verlangt wird. So Leid es mir tut, die kann ich ihnen nicht geben.« Ich musste ihm beipflichten. Hinsichtlich der Struktur des fünfdimensionalen Kontinuums, das allgemein Hyperraum genannt wurde, hatten wir nur wenig oder gar keine Erfahrung. Die arkonidische Technik nutzte zwar Überlichtantriebe, die mit Hilfe von Transitionen die Überwindung gewaltiger Strecken ermöglichten, aber die Gesetze dieses fremden Kontinuums waren uns weitgehend unbekannt. Vor allen Dingen schon deshalb, well eine Transition quasi in »Nullzeit« stattfand und schon aus diesem Grund phänomenologisch keine Erkenntnisse über »den Hyperraum an sich« und seine Natur gewonnen werden konnten. Im Hyperraum gab es für uns keine Stabilität, während die Brons in der vierdimensionalen Raum-ZeitStruktur keine Stabilität erhalten konnten, diese jedoch wünschten. Das Problem ist also die Umkehr der Verhältnisse.
»Wir sollten ihnen die Wahrheit sagen«, schlug ich vor. »Was können wir sonst tun? Hast du einen besseren Vorschlag?« »Leider nicht. Aber das Ergebnis ändert sich dadurch wohl kaum. Ihre Zukunft hängt davon ab, das Problem der Stabilisierung zu lösen. Die Frage ist, ob es ihnen auf einer Welt etwas nutzt, die sich im Hyperraum befindet, wenngleich im Inneren einer schützenden Hyperenergieblase. Im Augenblick sieht es so aus, als müsse außerhalb dieser Anlage jeder von ihnen einen Projektor mit sich herumschleppen, der handlicher sein sollte als jener dort.« Wie immer wir uns auch entscheiden würden, mir wurde bei Fartuloons Worten endgültig klar, dass uns die Brons die Freiheit nicht zurückgeben konnten. In ihrem eigenen Interesse nicht, denn schließlich stammten wir aus dem Standarduniversum, in das sie zurückkehren wollten. Wenn ihnen überhaupt jemand helfen konnte, so ihre Hoffnung, dann wir! »Was würde geschehen, wenn wir ihnen einen Tipp geben? Das heißt, wenn du einen für sie hast?« Fartuloon sah mich schief an. »Einen Tipp? Du glaubst doch wohl nicht, dass sie damit zufrieden wären, oder? Schließlich sind wir für sie auch dann wertvoll, wenn wir ihnen technisch nicht helfen können. Wir könnten als Versuchsobjekte dienen. Nur dann, wenn wir ihnen wirklich ein kleineres Modell liefern, bestünde vielleicht die Möglichkeit, dass sie uns freilassen. Aber das würde Jahre dauern. Haben wir so viel Zeit?« Seine Frage war überflüssig. Wir mussten also eine andere Lösung finden, sosehr ich die grundsätzliche Bereitschaft hatte, den Brons helfen zu wollen. Meine Überlegungen endeten, als der Bron mit dem feuerroten Umhang eintrat. Ich schaltete den Translator ein. Durch das Gerät klang seine Stimme – im Gegensatz zu den Übersetzungen der Skinen –
neutral, aber ich war fest davon überzeugt, dass in ihr eine gewisse Enttäuschung mitschwang. »Ihr mögt eure eigene Methode haben, Dinge zu untersuchen und zu analysieren. Dennoch interessiert es den Rat, was ihr herausgefunden habt.« Er deutete auf das Gerät. »Was ist das? Es genügt, wenn ihr uns sagen könnt, wie man ein Gerät mit der gleichen Kapazität herstellen kann, ohne dass es mehr als die Hälfte wiegt. Das ist eure Aufgabe.« Fartuloon warf mir einen Blick zu, dessen Bedeutung ich nur zu gut kannte. Er wollte die Verhandlung führen. »Das benötigt sehr viel Zeit.« Er deutete auf den Projektor. »Wir haben die Funktion erkannt und wissen, dass mit diesem Projektor Gegenstände – auch Organismen – materialisiert werden können. Die Arbeitsweise ist uns klar. Es bedeutet jedoch jahrelange Forschungsarbeit, einen Projektor mit halbem Gewicht und gleicher Kapazität herzustellen. Wollt ihr uns so lange gefangen halten?« Der Bron erwiderte: »Unsere Spezialisten haben mit der Lösung dieser Aufgabe bereits begonnen. Sie sind jedoch für positive Anregungen und Verbesserungsvorschläge dankbar. Das ist der einzige Grund, warum wir euch festhalten. Wir sind davon überzeugt, dass ihr uns helfen könnt, wenn ihr nur wollt. Und ihr werdet uns helfen, oder ihr werdet den Rest eures Lebens hier verbringen.« »Also Erpressung.« »Wir nennen es Selbsterhaltungstrieb«, korrigierte der Bron kühl. »Diese seltsamen Wesen, die ihr Skinen nennt, wollen uns nicht helfen. Sie nennen sich zwar Forscher, Gelehrte und Wissenschaftler, aber sie sind nur entsetzlich neugierig und leiden unter ihrer Langeweile. Sie leben im materiellen Universum. Sie sind stofflich, können sich nach Belieben bewegen und vermehren, sie können alle Dinge greifen und begreifen. Aber sie sind und bleiben unzufrieden. Sie sind
deshalb unzufrieden, well sie alles haben, was sie haben wollen. Genau darin liegt der Ursprung des Untergangs vieler technisch hoch stehender Zivilisationen. Wir haben nichts gegen diese Skinen, aber wir wollen, dass sie von unserer Welt verschwinden. Ihr sollt uns auch dabei helfen.« Ehe Fartuloon antworten konnte, sagte ich: »Eure Welt gehört euch. Hier bestimmt ihr. Aber wir sind nicht bereit, euch unter Zwang zu helfen.« Der Blick der Facettenaugen, von denen ich nur zwei deutlich erkennen konnte, war nicht zu deuten. Aber die Antwort war eindeutig: »Wir müssen sicher sein. Selbst wenn ihr euer Wort geben würdet – ihr würdet es nicht halten. Ihr seid intelligent, und euer Selbsterhaltungstrieb ist zu stark ausgeprägt. Nach den logischen Berechnungen des Rates zu urteilen, trachtet ihr in erster Linie danach, diese Welt so schnell wie möglich zu verlassen. Unser Schicksal ist euch folglich aus Eigeninteresse gleichgültig. Wir haben Verständnis für euer Problem, den geflohenen Skinen einzufangen. Aber dieses Problem ist nichtig gegen das unsere.« Immerhin ist das ein klarer Standpunkt! Ein wenig Kooperation von beiden Seiten, – und wir hätten sicher mit den Brons auf einen Nenner kommen können. Aber so, wie es aussieht, ist das unmöglich. Sie misstrauen uns, wir misstrauen ihnen – beide zu Recht. Ich fing einen warnenden Blick Fartuloons auf – und schwieg. Er sagte: »Wir versuchen, euer Problem zu lösen. Denn es gibt immer noch die Skinen, die ihr um Rat fragen könnt. Sie haben immerhin eine direkte Verbindung vom Normal- zum Hyperraum, deren Natur selbst uns nicht bekannt ist. Wir sind davon überzeugt, dass sie technisch in der Lage sind, euch eine Lösung anzubieten, wenn ihr sie darum ersucht. Unser eigenes Schicksal jedoch hat weder mit dem euren noch mit
dem der Skinen zu tun. Jeder muss versuchen, es selbst in die Hand zu nehmen und zu meistern.« »Was soll ich dem Rat mitteilen?« »Wir versuchen, eine gerechte Lösung zu finden. Sie könnte so aussehen, dass wir zwischen euch und den Skinen vermitteln.« Ohne jede Entgegnung verließ der Bron den Raum. Fartuloon sah ihm nach. »In erster Linie müssen wir uns selbst helfen, das hat er völlig richtig erkannt. Und damit fangen wir sofort an…« Fartuloon stemmte den Projektor und wog ihn prüfend in den Händen. Dann stellte er wieder ab und wandte sich mir zu. »Ziemlich schwer und unhandlich, vermutlich auch für die Brons. Wir müssen versuchen, an die Skinenprojektoren heranzukommen. Das sollten wir schaffen.« »Inzwischen werden sie Wachen aufgestellt haben.« »Ausprobieren«, sagte er zuversichtlich. Auf der Rundgalerie stand zu meinem Erstaunen wirklich kein Posten; sie schienen ihrer Sache ziemlich sicher zu sein, vielleicht, well hier der Bereich war, in dem die Brons materiell! stabil waren. Wenn wir uns bückten, verdeckte uns die Brüstung, und die Brons im unteren Teil der Halle konnten uns ebenso wenig sehen wie jene auf dem Podium. Trotzdem durften wir nicht leichtsinnig werden. Wir hatten keine Ahnung, wo sich der Versammlungsraum des Rates befand. Vielleicht lag er unter der runden Halle, in Gewölben, die noch von dem Stabilisierungsfeld erfasst wurden. Der Erholungsbetrieb auf dem Podium jedenfalls ging ungestört weiter. Fartuloon hielt an. »Hol die beiden Projektoren!« Immer noch gebückt fiel ich weiter. Ebenso wenig wie Fartuloon begriff ich, warum die Brons die uns abgenommenen Projektoren so offen deponiert hatten. Fast erweckte dieses Verhalten den Eindruck, als wolle man uns
zur Flucht ermuntern. Ein Bron trat aus einem Raum auf die Galerie heraus. Inzwischen hatte ich jedoch den Kasten erreicht und duckte mich blitzschnell dahinter. Der Bron kam sehr schnell näher, und ich wagte kaum zu atmen. Als er auf meiner Höhe war, hatte es den Anschein, als ginge er langsamer. Aber das war nur Einbildung. Er verschwand in einem der Antigravschächte, die zum unteren Teil der Halle führten. Vorsichtig erhob ich mich und tastete nach den beiden Stäben, die ich in meiner gebückten Haltung nicht sehen konnte. Ich spürte das kühle Metall, das sich ungemein beruhigend anfühlte. Hastig nahm ich die beiden Projektoren an mich und fiel geduckt zurück zu Fartuloon, der mich ungeduldig erwartete. Wir eilten die Galerie entlang bis zum Hallenausgang. Ich legte die Hand auf den Hebel, während ich aus den Augenwinkeln heraus sehen konnte, wie sich mehrere Brons näherten. Sie mussten inzwischen unsere Flucht bemerkt haben. Noch ehe sie uns erreichen und am Verlassen der inneren Anlage hindern konnten, war die schenkeldicke Metallwand geöffnet. Mit zwei Sätzen hatten wir den Wirkungsbereich des Stabilisierungsfeldes verlassen und standen in dem Korridor, durch den wir hierher gekommen waren. Von diesem Augenblick an konnten uns die Brons nur in ihren Materialisationsphasen angreifen. Wir verloren keine Zeit und hatten den Weg zurück, den wir gekommen waren, als wir den Skinen suchten. Hat er die Anlage noch nicht verlassen und hält sich weiterhin irgendwo versteckt? Nicht mehr lange, und wir werden auch das wissen. Der Antigravlift brachte uns in den oberen Teil der subplanetarischen Anlage. Ohne Schwierigkeiten fanden wir den Weg zur großen Vorhalle unter dem runden Stadtplatz. Ich bedeutete Fartuloon zurückzubleiben, während ich bis zum Hauptschacht ging, um nach eventuellen Spuren des
Skinen zu sehen. Ich bückte mich. In der Tat war das Pulver des Konzentratriegels an mehreren Stellen verwischt. Aber das können auch zufällig materialisierende Brons verursacht haben. Meine Zweifel blieben bestehen, bis ich den Abdruck eines dreizehigen Fußes entdeckte. Damit stand fest, dass der Skine die Anlage verlassen hatte. »Oben ist es dunkel.« Ich gab Fartuloon einen Wink. »Es ist also wieder Nacht. Da finden wir draußen keine Spuren. Sollen wir hier unten übernachten oder lieber oben in der Stadt?« Fartuloons Gesicht drückte nur wenig Begeisterung aus. Unschlüssig stand ich unter der Kante der Schachtöffnung. Ein weiterer Schritt würde mich in den Bereich des Antigravfeldes bringen. Da nahm Fartuloon mir die Entscheidung ab. Kurz entschlossen gab er mir einen Stoß und folgte mir. Beinahe nebeneinander schwebten wir dem Ende des Schachtes entgegen, wo wir automatisch von einem Prallfeld zur Seite geschoben wurden und sanft auf dem Steinblock im Zentrum der Stadt landeten. In der Nacht waren selbst die Schatten der Brons nicht mehr zu erkennen. Wir kletterten die Stufen zum Platz hinab und gingen auf die Einmündung der Hauptstraße zu. Die Silhouetten der Ruinen hoben sich nahezu gar nicht vom dunklen Himmel ab. »Wir verlieren nichts«, sagte Fartuloon. »Hier gibt es ohnehin keine Spuren, und selbst bei Tageslicht würden wir nichts entdecken können. Wir können nur hoffen, dass der Skine über kurz oder fang zur Station zurückkehrt. Vielleicht finden wir seine Spuren unterwegs. Bis zum Stadtrand können wir gehen, ohne uns zu verirren. Dort machen wir Rast, bis es wieder hell wird. Wir hätten übrigens die Zeit unserer Gefangenschaft nutzen und schlafen sollen. Ich bin müde.« Müde war ich auch. Ich hatte nichts gegen Fartuloons Vorschlag einzuwenden und folgte ihm wortlos. Von
körperlosen Brons war nichts zu bemerken. Wir brauchten eine Tonta, um den Stadtrand zu erreichen. Nun lagen die Ruinen hinter uns – und vor uns befand sich die Ebene, an die sich der fünf Kilometer breite Waldstreifen bis zum Steinfluss anschloss. »Sobald es hell ist, kehren wir zur Skinenstation zurück«, sagte Fartuloon, während wir einen Lagerplatz suchten. »Hier geht es ein wenig bergauf. Ich nehme an, das ist der Hügel, über den wir kamen.« Wir fanden eine geschützte Mulde und versuchten einzuschlafen. Zwei Tontas später erhellte sich von einem Augenblick zum anderen der Himmel, und ich schrak auf. Ich hatte schlecht geträumt. Mein Gefühl sagte mir, dass meine Knochen aus Blei bestünden. Mühsam raffte ich mich auf und weckte Fartuloon, der undefinierbare Geräusche von sich gab. Als ich mich aufrichtete, sah ich den Bron, der am Rand der Mulde stand und auf uns herabblickte. Vor seiner Brust hing an Riemen befestigt ein Projektor, wie man ihn uns zur Untersuchung übergeben hatte. Der Projektionskristall war nach innen gerichtet, stabilisierte den Träger demnach dauerhaft. Ich schaltete den Translator ein und sagte laut: »Wir haben Besuch…« Der Bauchaufschneider griff nach seinem Skinenprojektor, hielt aber die Stabmündung noch zum Boden gerichtet. »Lasst uns in Ruhe. Ihr müsst selbst eine Lösung finden.« »Ihr hattet versprochen, uns zu helfen. Ihr habt euer Wort gebrochen.« »Nein, das haben wir nicht. Denn wir können euch nur dann langfristig helfen, wenn wir in den Normalraum zurückkehren. Dort müssen die Mittel entwickelt werden, um euch die permanente Stofflichkeit wiederzugeben. Ich bin davon überzeugt, dass die Skinen in der Lage sind, euch eine
brauchbare Lösung anzubieten. Schließlich sind sie es, die eine ständige Verbindung zu den Welten im Hyperraum haben.« »Die Skinen müssen unsere Welt verlassen.« Fartuloon zuckte mit den Achseln. »Uns wollt ihr behalten, aber wir können euch nicht helfen. Die Skinen hingegen könnten euch helfen, und ihr wollt, dass sie eure Welt verlassen. Ist das logisch und vernünftig?« »Kommt ihr mit mir zurück?« Ich hielt es nicht mehr länger aus. Die Sturheit der Brons ging mir gewaltig auf die Nerven. »Nein!«, rief ich wütend. »Wir haben andere und für uns lebenswichtige Aufgaben, bei denen ihr uns auch nicht helfen wollt oder könnt. Wir versuchen, die Skinen zu überreden, etwas für euch zu tun. Mehr könnt ihr nicht erwarten.« »Ihr kommt mit mir.« Nun wurde es auch Fartuloon zu viel. Er richtete den Stabprojektor auf den Bron. »Verschwinde, ehe meine Geduld endet! Du weißt, was mit dir passiert. Geh also!« Der Bron rührte sich nicht von der Stelle. »Der Projektor schützt mich. Ihr könnt mir nichts anhaben. Es werden noch andere kommen, und sie werden euch einfangen. Kommt besser freiwillig…« »Bleib stehen«, warnte Fartuloon, als sich der Bron in Bewegung setzte. »Ich spaße nicht. Du irrst, wenn du glaubst, dein Projektor könne dich schützen. Er stabilisiert nur deinen Körper, mehr nicht. Die Energie des Stabs kann dich töten, und zwar für alle Zeiten. Verschwinde also…« Aber der Bron ging weiter. Vom Stadtrand her sah ich zwei weitere strukturstabilisierte Brons auf uns zukommen. Sie trugen ebenfalls Projektoren. Es würde höchste Zeit, ihnen zu demonstrieren, dass wir nicht hilflos waren. Fartuloon schoss entgegen seiner Ankündigung zunächst im Paralysatormodus, als der Bron seiner Aufforderung keine Folge leistete. Dennoch
genügte die Wirkung: Das Wesen verlor seine Gewalt über den Dreimeterkörper und dessen motorische Funktionen. Der Bron sank nach vorne, der Projektor prallte hart auf den Steinboden. Vielleicht schaltete er sich durch den Aufprall automatisch ab oder er wurde defekt oder es hing mit dem Skinenprojektor zusammen – jedenfalls entmaterialisierte der halb betäubte Bron sofort und schwebte als kaum erkennbarer Schatten davon, seiner Stabilität beraubt und damit hilflos, während der Projektor zurückblieb. Fartuloon sah zur Stadt. »Sie haben es gesehen und wissen nun, dass der Projektor sie nicht schützen kann. Von nun an werden sie vorsichtiger sein. Es ist trotzdem besser, wenn wir uns auf den Weg machen. Essen können wir später.« Die beiden Brons blieben zurück, aber wir spürten die ständige Gegenwart der entstofflichten Lebewesen, die immer in unserer Nähe blieben. Unangefochten durchquerten wir das Tal und die Ebene, bis wir den Waldrand wieder vor uns sahen. Dahinter lag der Steinfluss. Es war noch immer hell, obwohl inzwischen mehr als vier Tontas vergangen waren. An manchen Stellen hatten wir die Spur des Skinen entdeckt, aber sie verlor sich stets kurz danach wieder auf trockenem Boden oder den Felsen. Ich blieb stehen. »Am Waldrand wimmelt es von Brons. Langsam sollten sie doch begriffen haben, dass sie nichts erreichen werden.« »Du vergisst, was sie bei unserer Gefangennahme fragten«, erinnerte mich Fartuloon. »Ihre ungeborene Königin.« »Darunter kann ich mir überhaupt nichts vorstellen.« »Sie sind offensichtlich Insektenabkömmlinge, und Insekten legen Eier. Ihre ungeborene Königin ist also höchstwahrscheinlich ein Ei.« »Was hat das mit uns zu tun?« »Dieses Ei oder ihre Eier allgemein müssen sich dort im
Wald befinden – und zwar in stabilem Zustand, sonst könnte man es wohl kaum stehlen! Erinnere dich daran, dass sie uns am Eindringen zu hindern versuchten. Als Embryo sind die Brons offensichtlich materiell!, sie werden erst nach der Geburt oder dem Ausschlüpfen entstofflicht.« Ich schwieg, denn mir fiel keine vernünftigere Begründung für das Verhalten der Brons ein. Da Fartuloon weitermarschierte, folgte ich ihm schweigend, den Skinenstab schussbereit, falls einer der herumschwirrenden Schatten plötzlich materialisieren und angreifen sollte. Wir drangen in den Wald ein. Zweimal stürmten materialisierte Brons auf uns zu. Fartuloon, der voranging, richtete den Stab auf sie, und sie verschwanden spurlos. Ich atmete auf, als wir das Ufer des langsam vorbeiziehenden Kieselstroms erreichten. Auf der anderen Seite sah ich eine flüchtige Bewegung, und als ich genauer hinsah, erkannte ich einen Skinen, der in die Kristallebene vordrang, genau in Richtung der Kuppelstation. Seine Eile zeugte davon, dass er auf der Flucht war. Er floh zweifellos weniger vor uns als vor den Brons. »Los!« Fartuloon sprang auf die Kiesel. Ich folgte ihm, und diesmal schafften wir die Überquerung des sonderbaren Stroms ohne Pause auf der Insel. Wir erreichten das andere Ufer und hielten uns nicht damit auf, nach den Spuren des Skinen zu suchen. Die Station war nicht zu übersehen. Der Skine hatte das gleiche Ziel wie wir, aber wir waren schneller als er. Als wir den Buschwald aus Kristallgebilden hinter uns ließen und die Kuppelstation direkt vor uns sahen, erblickten wir auch den Skinen. Er hatte sich bis kurz vor den Eingang geschleppt und war zusammengebrochen. Ein wenig verkrümmt versuchte er weiterzukriechen. Seine Glieder zuckten, als habe er Schmerzen. Ich fiel schneller als Fartuloon
und bückte mich. Der Translator war eingeschaltet. »Was ist mit dir? Bist du verletzt?« Er musste mich verstehen, gab aber keine Antwort. Das flache Gesicht schimmerte dunkelblau. Nur dreißig Meter entfernt öffnete sich der Eingang zur Station. Ein Skine kam heraus, und nach seinen ersten Worten wusste ich, dass es Lateran war. »Ihr seid zurückgekommen? Ist das der Skine, den ihr sucht?« »Es scheint so.« Fartuloon half mir, den Skinen in die Station zu tragen. Er schien einen Schock erlitten zu haben. Das ist bei den Verhältnissen auf Sketan kein Wunder. Wir haben ihn, das ist die Hauptsache. Die anderen Skinen der Station kamen herbei, kehrten dann aber an ihre Arbeit zurück. Fartuloon beschäftigte sich mit unserem Gefangenen. Ich fragte Lateran: »Wir müssen zurück nach Tsopan, zusammen mit dem Träger meines Bewusstseinsabbilds. Kannst du das Tor aktivieren?« »Bist du sicher, dass der Skine der Träger ist? Ich meine: noch ist?« Der Schreck fuhr mir derart in die Glieder, dass ich für einen Augenblick unfähig war, Lateran zu antworten. Wir hatten versäumt, das energetische Fesselfeld um den Skinen zu legen. Mein Bewusstseinsabbild hatte inzwischen genügend Zeit gehabt, sich einen neuen Träger zu wählen. Und wenn das geschehen war, begann die Suche von vorn. Hastig verstellte ich die Intensität des Stabprojektors und hüllte den immer noch halb bewusstlosen Skinen in das energetische Feld. Dann erst untersuchte ihn ein Assistent von Lateran mit einem kastenförmigen Sensor. Der Befund war eindeutig: Es war nur das Bewusstsein des Skinen vorhanden. Die Frage blieb offen, wo und wenn sich mein Bewusstseinsabbild abgesetzt hatte. Wir standen genau wieder dort, wo wir begonnen hatten.
12. Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi. In: Kompendium von Sekundärveröffentlichungen diverser Archive, hier: Der zweite Atlan (A-139/145-74), Sonthrax-Bonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1310 Galaktikum-Normzeit (NGZ) Ob erweiterte Kenntnisse im ultrahochfrequenten Bereich des hyperenergetischen Spektrums, die beängstigende Fähigkeit des von den Arkoniden in Ergänzung ihrer vokallosen Sprache auch VeCoRat XaKuZeFToNa-CiZ, kurz Vecorat, genannten Fremdvolks, das als »Individualverformer« rein geistig den eigenen Individualkörper verlassen und auf einen anderen überspringen konnte – wobei es zum Austausch mit dem Bewusstsein des Opfers kam, das im Vecorat-Körper zur Handlungsunfähigkeit verurteilt war – , die gezielte Bewusstseinswanderung oder Fernprojektion im Sinne eines Zerotraums oder die Paragabe der Pedotransferierung bei den Cappins: Die technische Möglichkeit des untergegangenen Volks der Skinen, Bewusstseinsabbilder herzustellen, die sogar eigenständig agieren konnten, bleibt nach bisherigen Erkenntnissen ein Unikat. Seit der Begegnung mit den Cappins ist bekannt, dass mit dem Begriff Bewusstsein jene »Konstante« verbunden werden muss, die man ÜBSEF nennt. ÜBSEF steht hier für »überlagernde Sextabezugs-Frequenz«, auch »Hypersexta-Modulpar(a)strahlung« genannt – die individuelle sechsdimensionale Energiekonstante, die nur bei hoch entwickelten Lebewesen anzutreffen ist. Ihr Verständnis ist eng an das des Dakkarraums oder der Dakkarzone gebunden, eines nach dem Cappin Ascina Dakkar (»ein unglücklich verkrüppelter kleiner Mann mit haarlosem Schädel«) benannten Mediums, das als energetisch neutrale Librationszone »zwischen«
fünfter und sechster Dimension angesehen und deshalb auch als fünfdimensionaler Überlagerungsraum, Librationsgrenze zwischen der fünften und sechsten Dimension oder Hypersexta-Halbspur umschrieben wird. Von alldem wusste das kurz vor der Zerstörung Tsopans freigesetzte immaterielle Atlan-Bewusstseinsabbild nichts, als es im März des Jahres 2843 den siebzehn Jahre alten Springer Curs Groomer, der an Bord der BROLTANVOR III als Techniker arbeitete und gerade eine Antennenanlage an der Außenhülle reparierte, mit seiner »Tastaura« ortete. Kampflos übernahm der Atlan-Bewusstseinsinhalt den Körper des jungen Mannes, im festen Glauben, sich noch immer im Jahr 10.497daArkzu befinden. An Bord des sechshundert Meter langen Walzenschiffs behauptete er daher, der verfolgte Arkonide Ginez Bragha zu sein. Patriarch Broltanvor und die übrigen Springer vermuteten aus verständlichen Gründen, dass der Verstand Curs Groomers Schaden genommen hatte. Auf der freien Handelswelt Suskor, dem dritten Planeten der gelben Sonne Phrokus, floh Atlan/Broomer, der sich als Opfer einer verwirrenden Intrige sah, aus dem Springerschiff tauchte in der Stadt Apvron unter und maskierte sich. Die von den Springern ausgelöste Fahndung nach Broomer machte den epsalischen USOSpezialisten Frünkojes Dom aufmerksam, der die BROLTANVOR sorgfältig beobachtete, weil der konservative Patriarch für seine Feindschaft gegenüber Terranern und Neu-Arkoniden bekannt war. Als Curs Groomers Vater Warton seinen Sohn in Apvron entdeckte, kam es zu einem heftigen Wortwechsel, von dem Dorn nur den Namen »Atlan« verstand. In der Annahme, dass der junge Springer Lordadmiral Atlan eine wichtige Botschaft überbringen wolle, half er Atlan/Broomer bei seiner weiteren Flucht und verbarg ihn in seinem als Jagdhütte getarnten Stützpunkt vor den Suchmannschaften der Springer. Das war der Auftakt einer abenteuerlichen Odyssee, die Atlan mit dem Bewusstsein seines jüngeren Ichs konfrontierte. Schon während
des Fluges nach Quinto-Center veränderte sich Curs Groomers Körper, so dass sich seine Züge immer mehr denen des jungen Kristallprinzen Atlan anglichen, und im Hauptquartier der USO erwachte sogar dessen Extrasinn. Die Geschehnisse führten zum zeitweiligen Verlust des Zellaktivators und endeten schließlich mit dem nur als überaus tragisch zu nennenden Tod von »Atlan II«. Einzelheiten aus den entsprechenden Datensammlungen der USOAnnalen finden sich in den beigefügten Einzeldateien… Sketan, 36. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Ich entsann mich der Worte des Wissenschaftlers auf Tsopan. Skagos hatte behauptet, kein Skine könne ein fremdes Bewusstsein aufnehmen, wenn er paralysiert war. Hätte ich rechtzeitig daran gedacht, wäre es meinem flüchtigen Bewusstseinsabbild unmöglich gewesen, den Träger zu wechseln. Jetzt aber konnte es in jedem der in der Station befindlichen Skinen sein. Mir blieb keine andere Wahl. Selbst Fartuloon konnte es nicht verhindern, denn ich handelte für alle überraschend und blitzartig: Mit dem Projektor paralysierte ich nicht nur die Skinen, die Lateran in die Kuppel gerufen hatte, sondern auch den verblüfften Fartuloon. Mit Hilfe der mir inzwischen vertrauten Methode konnte ich sie nun einzeln untersuchen, fest davon überzeugt, das Bewusstseinsabbild in einem von ihnen zu finden. Auf mich selbst würde das Bewusstsein nicht überspringen, well es sich dann zweifellos der Gefahr aussetzte, sofort von meiner eigenen Persönlichkeit aufgesaugt zu werden. Die Untersuchung verlief negativ. Weder Fartuloon noch einer der Skinen war der Träger des entflohenen Bewusstseinsabbilds. Lateran erholte sich langsam und nahm meine Erklärung mit stoischer Ruhe entgegen. »Du hast richtig und logisch gehandelt. Nun wissen wir, dass das Abbild noch irgendwo dort draußen ist, vielleicht sogar in einem Bron…«
Ich sah ihn an, von eisigem Schreck durchzuckt. »Du meinst, es könne von einem instabilen Bron gehalten werden? Wie sollten wir dann an es herankommen? Sobald wir ein Fesselfeld errichten, verschwindet doch der Bron. Wo bleibt dann das Bewusstsein? In ihm, obwohl ohne Körper? Oder kann es auch ohne Körper existieren?« Der Skine ging nicht darauf ein. »Wichtig ist, dass es gefunden wird.« »Ich fürchte, wir haben wieder einen Fußmarsch vor uns.« Fartuloon hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest. Die ersten Blicke, die mir galten, waren alles andere als freundlich. »Du hättest mich warnen sollen. Fast hätte ich mir das Genick gebrochen.« »Es blieb keine Zeit. Wenn du der Träger gewesen wärest, hätte meine immaterielle Kopie Zeit gehabt, erneut zu fliehen. Aber nun wissen wir ja, dass sie nicht in der Station zu finden ist.« Ich wandte mich an Lateran: »Warum besteht kein Kontakt zwischen Skinen und Brons? Kannst du das erklären? Was ist mit ihrer ungeborenen Königin?« Lateran bemühte sich, uns einen Überblick zu geben. Die Skinen wussten eine ganze Menge, hatten aber niemals Konsequenzen gezogen. Die Brons waren ihnen gleichgültig, und nur dann, wenn sie in materiellem Zustand angriffen, wurden sie mit Energieschocks vertrieben. Wir erfuhren, dass die Brons wirklich Eier legten, die stabil blieben. Jeder Materielle konnte die Eier stehlen, ohne dass er daran gehindert wurde. Die Skinen hatten wiederholt einige aus dem -Wald geholt, um sie zu untersuchen und mehr über die Brons zu erfahren. Auf diese Weise hatten sie vor nicht allzu langer Zeit auch erkannt, dass ein ganz bestimmtes Ei mit besonderer Sorgfalt behütet und ausgebrütet wurde: das Ei der Königin! Politisch schien diese Königin keine Rolle zu spielen, denn nach
unseren Erfahrungen war ein Rat der Wissenschaftler für die Geschicke der Brons verantwortlich. Trotzdem hatte die Königin Bedeutung, entweder eine symbolische – oder, unter Berücksichtigung der Insektenabstammung, von ihr hing die Vermehrung des gesamten Bron-Volks ab. Fartuloon sagte kühl: »Dann haben wir einen Anhaltspunkt. Wir suchen das Ei der Königin und werden es den Brons nur dann zurückgeben, wenn sie uns den Träger des Bewusstseinsabbilds ausliefern.« Lateran war zu meiner Überraschung mit dem Plan einverstanden. Irgendwie schien er froh darüber zu sein, den Brons eins auswischen zu können. Mir blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls zuzustimmen. Diesmal nahmen wir weitere Ausrüstungsgegenstände mit, darunter einen großen Beutel, um notfalls das Ei der Königin transportieren zu können, das fast »ein Drittel Mannschatten« groß sein sollte, also etwa einen halben Meter. Von den gesummten Segenswünschen Laterans und seiner Skinen begleitet, verließen wir abermals die Station. Unser erstes Ziel war der Wald jenseits des Kieselstroms. Wir folgten dem Flusslauf ein Stück, um dann in Richtung der Ruinenstadt abzubiegen. Es war, als ahnten die Brons unsere Absicht: Sie umschwärmten uns in schattenhaften Scharen, und immer dann, wenn einer von ihnen materialisierte, griff er mit erbitterter Wut an. Schon daran konnten wir fast exakt erkennen, in welcher Richtung das Ei der Königin lag – es sei denn, die Brons versuchten uns zu täuschen. Ich bemühte mich, über den Translator Kontakt aufzunehmen, hatte damit aber keinen Erfolg. Die Angriffe verdoppelten sich, während wir durch ein Gebiet wanderten, das wir bisher noch nicht betreten hatten. Meiner Schätzung nach hielten wir uns einige Kilometer weiter »westlich« auf als bei der ersten Expedition – wenn die
Stadt als »Norden« definiert war – und marschierten parallel zur früheren Route. Auf diese Weise mussten wir die Stadt auf direktem Weg erreichen. Etwa drei Kilometer vom Flussufer entfernt wurde der Boden plötzlich sandig und trocken. Es wuchsen fast keine Bäume mehr, dafür waren die kristallinen Gewächse zahlreicher, wurden förmlich zum Kristallwald. Es gab die Gebilde in allen nur denkbaren Formen und Farben. Ihre Entstehung blieb mir ein Rätsel, auf keinen Fall konnten sie organischen Ursprungs sein. In diesem Teil des Waldes war es heller, da kein Blätterdach das Kunstlicht abschirmte. Gegen die gleichmäßige Helligkeit waren die Schatten halbstabiler Brons deutlich zu erkennen. Sie schwebten ständig über uns und warteten darauf, dass sie materialisierten. Zum Glück geschah das aber nicht. Fartuloon blieb stehen und deutete nach Norden. »Wir müssten eigentlich bald die Ebene erreichen. Falls es überhaupt einen organisierten Kontakt der Brons untereinander gibt, ist der Rat gewarnt. Und es gibt für sie nur ein einziges Mittel, uns aufzuhalten oder gefangen zu nehmen: Sie müssen mit ihren Projektoren kommen. Ich bin überzeugt davon, dass sich damit ein Fesselfeld aufbauen lässt, aus dem auch wir nicht entkommen können. Also sollten wir mit einem baldigen Angriff stabilisierter Brons rechnen.« Wir marschierten weiter. Mitten im Kristallwald kam es dann zu der befürchteten Auseinandersetzung. Sie waren plötzlich da und kamen von allen Seiten. Ich zählte etwa zwei Dutzend Brons, von denen jeder einen Projektor vor der Brust trug. So schnell wir konnten, suchten wir Deckung in einer Mulde. Fartuloon hielt seinen Skinenstab bereit, während ich rief: »Wir suchen einen Bron, einen ganz bestimmten Bron. Wollt ihr uns dabei helfen?« Sie wollten nicht mit uns sprechen – und sie griffen an. Der Bauchaufschneider rief: »Sieh zu, dass wir sie uns vom Leib
halten. Wir dürfen sie nicht näher als zehn Meter heranlassen, sonst haben sie uns. Noch einmal lassen sie uns nicht entkommen.« Die Reichweite der skinischen Stabprojektoren war wesentlich größer als jene der Bronswaffen. Zum Glück reichte der Paralysemodus, um die Brons verschwinden zu lassen. Die zu Boden krachenden Projektoren wurden von uns im Vernichtungsmodus zu formlosen Klumpen geschossen. Wir konnten den Angriff abschlagen. Nur drei oder vier materielle Brons zogen sich zurück und entkamen im Gewirr des Kristallwaldes. Fartuloon ließ die Waffe sinken, blieb aber in Deckung. »Ob sie uns lediglich ablenken wollten? Ich habe keine Ahnung, woher sie es wissen können, aber ich möchte wetten, dass sie genau darüber orientiert sind, was wir planen. Vielleicht haben sie im entstofflichten Zustand unsere Gespräche unbeobachtet belauscht. Ich halte es sogar für möglich, dass sie in der Station der Skinen waren, als wir dort mit Lateran unsere Pläne besprachen. Dann wissen sie auch, dass wir das Ei der Königin haben wollen, um sie damit zur Kooperation zu zwingen. Dies alles vorausgesetzt, müsste es uns gelingen, ihre Handlungsweise richtig und logisch zu beurteilen. Dann finden wir dieses Ei. Oder eben jenen Bron, der dein Bewusstseinsabbild birgt.« »Und wo, glaubst du, ist das Ei?« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Überall, nur nicht im Wald.« »Aber Lateran sagte doch…« »Natürlich, musste er doch, weil er nicht lügen kann. Die anderen Eier wurden stets im Wald gefunden. Aber nicht das Ei der Königin. Das Ei ist materiell, bleibt überall auf dieser Welt stabil. Sie können es demnach überall verstecken.« Er kratzte sich den Bart und grinste. »Denk die Gedanken des
anderen, das alte Spiel: Weil das Ei überall sein kann, dürfte es genau dort sein, wo es am offensichtlichsten ist und deshalb dort am wenigsten vermutet wird. Vermutlich befindet es sich also doch in der Anlage, wenn auch nicht in jenem Teil, der im Einflussbereich des Stabilisierungsfeldes liegt.« »Also: auf zur Stadt?« Er nickte. Wir ließen den Kristallwald hinter uns, durchquerten den natürlichen Wald bis zur Ebene und hielten an, weil es Nacht wurde. Fartuloon sagte: »Die Frage ist: Gehen wir weiter oder übernachten wir hier am Waldrand, wo es genügend Holz für ein Feuer gibt?« »Ist die Zeit nicht zu kostbar?« »Zeit ist immer kostbar. Aber es hat wenig Sinn, müde und erschöpft gegen die Brons anzutreten. Mich beschäftigt noch eine andere Frage: Glaubst du, dass es möglich ist, dem Bron, der Träger deines Bewusstseinsabbilds ist, diesen Zustand anzumerken? Ich meine damit: Können wir ihn entdecken, ohne jeden einzelnen Bron untersuchen zu müssen?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich unsicher. »Ich weiß überhaupt nicht, was diese Kopie meines Ichs vorhat. Sie handelt ganz und gar nicht so, wie ich handeln würde.« Er ging weiter. »Wir sollten versuchen, zumindest den Stadtrand noch zu erreichen, dann ruhen wir uns aus.« Obwohl es finster war, erreichten wir unbehelligt die lang gestreckte Hügelkette vor der Stadt. »Einer bleibt besser wach.« Fartuloon setzte sich auf einen Stein. »Die restlichen sieben Tontas oder so vergehen auch. Vielleicht brechen wir schon vor der Dämmerung wieder auf. Der Weg ist nicht zu verfehlen.« Ich war froh, einige Tontas schlafen zu können, da Fartuloon die erste Wache übernahm. Bequem war es nicht, halb im Sitzen und halb im Liegen auf dem harten Boden zu schlafen,
aber besser als nichts. Einmal hörte ich das Zischen von Fartuloons Projektor, aber es weckte mich nicht ganz auf. Wahrscheinlich hatte nur ein einzelner Bron angegriffen. Im Traum fragte ich mich, was eigentlich geschah, wenn ausgerechnet dieser Bron der Träger meines Bewusstsein war… Die letzte Tonta vor dem Aufbruch spazierte ich um unser einfaches Lager herum, den Stab schussbereit in der Hand. Aber nichts geschah. Zwei Tontas bevor es hell wurde, weckte ich Fartuloon, und wir machten uns nach einem kurzen Konzentratfrühstück auf den Weg. Trotz der Dunkelheit kamen wir schnell voran. Die Richtung kannten wir. Wir mussten nur darauf achten, dass wir sie nicht verloren. Als es dämmerte, wurde uns klar, dass wir die Stadt doch verfehlt hatten. Sie lag weiter rechts, und nur die Kuppeln der höchsten Gebäude waren zu erkennen. Wir waren zu weit westlich geraten. Ich blieb stehen. Fartuloon marschierte noch ein Stück weiter, bis er auf einem flachen Hügel stand. Er winkte mir, ihm zu folgen. »Da liegt eine Siedlung.« Er deutete in die hinter dem Hügel liegende Ebene. »Eine kleine Siedlung, sie scheint bewohnt zu sein. Brons?« »Wer sonst?« »Richtig, wer sonst? Aber dann müssten sie dort ebenfalls ein Stabilisierungsfeld errichtet haben. Oder gibt es natürliche Umstände, die eine längere und vielleicht sogar gewollte Materialisation gestatten? Ist das aber der Fall, wäre die Anlage unter der Stadt überflüssig. Also: Was ist mit der Siedlung?« Ich zuckte mit den Achseln. »Gehen wir hin und sehen nach.« Eigentlich hatte ich meinen schnell ausgesprochenen Vorschlag nicht ganz ernst gemeint, zu meiner Verwunderung stimmte Fartuloon jedoch sofort zu: »Genau. Zur Stadt können
wir noch immer gehen, sollten wir in dem Dorf nichts finden. Mir scheint, es sind primitive Kleinhäuser, eigentlich mehr Hütten. Sie können noch nicht sehr alt sein. Auf keinen Fall stammen sie aus jener Zeit vor der Transition des Planeten in den Hyperraum. Also los…« Auf dem Weg zu diesem »Dorf« griffen die Brons wieder öfter an. Sie materialisierten nicht häufiger und länger als sonst, aber sie traten in deutlich größerer Zahl auf. Die meisten von ihnen, nahm ich an, blieben ohnehin unsichtbar. Nur jene, die als Schatten erschienen, waren gefährlich, well sie jeden Augenblick feste Gestalt annehmen und über uns herfallen konnten. Geschah das, half nur ein sofortiger und gezielter Beschuss. Dann verschwanden sie, und ich nahm an, dass sie für längere Zeit in den Hyperraum verbannt wurden, aber nicht starben. Die Siedlung kam näher. Und – das fiel sowohl Fartuloon wie auch mir auf: Die Dauer der Materialisation wurde größer. Dafür griffen die Brons nicht mehr so blindlings an. Fartuloon blieb stehen. »Ich neige nun doch mehr zu der Meinung, dass es natürliche Ursachen hat. Vielleicht befindet sich hier unter der Oberfläche ein hyperenergetisches Feld, das den Entmaterialisationseffekt für eine gewisse Zeit neutralisiert. Oder eine weitere technische Anlage, wie wir sie in der Stadt fanden. Aber warum in einer so lächerlich winzigen und unbedeutenden Siedlung mitten in der Ebene?« »Wer behauptet, sie sei unbedeutend?« Er warf mir einen forschenden Blick zu, schien meine Gedanken zu erraten und nickte. »Ja, du hast Recht. Jetzt greifen die Brons nicht mehr an. Vielmehr habe ich den Eindruck, als würden sie uns erwarten, das kann auch eine Falle sein. Sie haben festgestellt, dass sie uns im Kampf nicht überwältigen können, wenigstens nicht dort, wo ihnen ständig die Gefahr der Entstofflichung droht. Sollten unsere
Vermutungen stimmen, ist das hier anders. Wir müssen also doppelt vorsichtig sein. Gehen wir – aber wachsam bleiben. Lass keinen Bron näher als bis auf zehn Meter heran. Mit dem Translator ist eine Verständigung auch auf größere Distanz möglich.« Als wir uns der Siedlung näherten, erwartete uns eine geschlossene Front der klobigen Geschöpfe, die jedoch unbewaffnet schienen. Auch trugen sie keine Projektoren. Sie standen einfach da, eine lebende Mauer. Abermals hielt Fartuloon an. »Wir müssen mit ihnen reden, denn wir können sie nicht einfach umbringen. Ich gebe dir Deckung.« Wie sollte ich den Brons klar machen, was wir suchten? Und wie sollten sie selbst feststellen, ob einer der Ihren ein fremdes Bewusstsein in sich trug? Trotz der geringen Erfolgschance versuchte ich es. Nachdem ich die Bestätigung erhielt, dass sie mich verstanden, berichtete ich in kurzen Zügen, was geschehen war. Ich bat sie um ihre Unterstützung bei der Suche nach einem Bron, der sich offensichtlich seltsam benahm und »besessen« zu sein schien. Dann versicherte ich ihnen, dass ihrem Artgenossen kein Leid zugefügt werden würde, sondern dass es möglich sei, das Bewusstseinsabbild mit Hilfe eines Fesselfeldes zu isolieren und nach Tsopan zu bringen. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber ich erlaubte mir die Notlüge. Natürlich mussten wir den Bron mitnehmen, denn das Bewusstsein allein ließ sich ohne Träger nicht transportieren. Die Brons reagierten negativ und forderten uns nachdrücklich zum Rückzug auf. Ich warf Fartuloon einen fragenden Blick zu. Er nickte. »Verhandlungspause! Wir müssen beraten.« Ich kehrte zu ihm zurück. Er hatte inzwischen eine breite Bodenrille gefunden, die parallel zur Siedlung verlief. Hier waren wir einigermaßen sicher, selbst wenn die Brons mit Energiewaffen angegriffen hätten. Ich setzte mich auf einen
mit Gras bewachsenen Vorsprung, so dass ich die wartenden Brons beobachten konnte. »Was nun?« Fartuloon hatte wieder Wettlaune: »Mein Translator gegen deine Hose, dass sich der gesuchte Bron in der Siedlung aufhält. Und sie wissen das. Wir könnten also bis zur Nacht warten und dann versuchen, in die Siedlung zu gelangen. Nur – wie finden wir den Burschen dann?« Er hätte wissen müssen, dass es darauf keine Antwort gab. »Meiner Meinung nach können wir nichts anderes tun, als jeden einzelnen Bron zu untersuchen. Schließlich hat uns Lateran den kleinen Sensor mitgegeben. Allerdings muss dazu dieser Bron vom Energiefeld gehalten werden, sonst kann das Bewusstsein überspringen. Ich bin sicher, dass wir nur durch einen Zufall Erfolg haben.« »Klar, weil wir ohne Methode arbeiten müssen«, gab er entmutigt zu. Der Gedanke, einige tausend Brons untersuchen zu müssen, bereitete ihm wenig Freude. »Und wenn sie uns dabei überraschen, ist die Hölle los.« »Eben deshalb brauchen wir ja das Ei der Königin. Es war dein eigener Vorschlag, hast du das vergessen? Mit ihm zwingen wir sie, sich untersuchen zu lassen.« Sein Blick ging zu den schweigend wartenden Brons. »Wie werden wir die erst einmal los? Wir haben beobachtet, dass sie sich in etwa einem Kilometer Entfernung regelmäßig entstofflichen. Somit haben wir einen ungefähren Hinweis auf die Reichweite des natürlichen Energiefeldes, das ihre dauernde Stabilisierung verursacht. Ziehen wir uns bis zur Grenze zurück, haben wir einigermaßen Ruhe. Sollten sie eine Erklärung verlangen, gibst du keine Antwort. Sie haben ja auch nicht auf unsere Fragen reagiert.« »Trotzdem werde ich es noch einmal versuchen. Sie sollen wenigstens wissen, worum es geht.« Ich stand auf und verließ den Graben. Dreißig Meter vor der
Front der Brons blieb ich stehen. »Wir bieten euch abermals an, das Problem auf friedliche Weise zu lösen. Wir brauchen nur einen einzigen von euch, aber wir müssen ihn finden. Dazu ist eine harmlose Untersuchung notwendig. Gestattet uns diese Untersuchung, und wir können euch morgen schon wieder verlassen, in Frieden und Freundschaft.« Die Antwort war klar und deutlich: »Verlasst dieses Gebiet sofort, oder wir werden euch töten. Es ist heiliger Boden.« »Heiliger Boden…?« Das bestätigte unsere Vermutung, dass sich das Ei der Königin in der Siedlung befand und dort scharf bewacht wurde. Es würde nicht so einfach sein, an es heranzugelangen. »Ihr nehmt unser Angebot nicht an?« »Nein! Geht endlich!« Ich gab auf und ging zu Fartuloon zurück, der alles mitgehört hatte. Es war unnötig, weitere Worte zu wechseln. Schweigend nahmen wir unsere Sachen auf und entfernten uns von der Front der Brons, die regungslos abwarteten, bis wir die unsichtbare Grenze überschritten. Der Bauchaufschneider deutete auf einige Kristallbüsche am Rand einer Mulde. »Dort bleiben wir, bis es wieder dunkel wird. Von hier aus können wir die Siedlung und das Vorgelände bestens beobachten. Materialisieren einzelne Brons, schicken wir sie in den Hyperraum. Organisiert angreifen können sie nur mit den Projektoren Und von denen scheint es nicht zu viele zu geben.« Die Mulde bot eine gute Deckung. Bis zum Einbruch der Dunkelheit würden noch Tontas vergehen, aber wenn wir nicht zu oft belästigt wurden, konnten wir abwechselnd schlafen. Die Ruhepause würde uns gut tun. Trotzdem verging die Zeit unendlich langsam. Während meiner Wache näherte sich kein Bron, aber es war gerade diese Eintönigkeit, die mich mehr und mehr zermürbte. Dazu kam die tote
Landschaft, wenn man von den instabilen Wesen und der nahen Siedlung absah, in der ich hin und wieder Bewegung bemerkte. Ich war sicher, dass man uns scharf überwachte. Endlich kam die Nacht. Ich weckte Fartuloon auf, der wie üblich grauenhaft schnarchte. Obwohl wir nicht wussten, ob uns die Brons in der Dunkelheit sahen oder nicht, fühlten wir uns bei Nacht sicherer. Wir hielten die Skinenstäbe schussbereit, als wir die Mulde verließen und langsam auf den Rand der Siedlung zumarschierten. Wenig später tauchten die Umrisse der ersten Häuser vor uns auf, aber wir waren noch keinem Bron begegnet. Der als Schutzwall errichtete Holzzaun bereitete uns keine Schwierigkeiten. Mühelos kletterten wir darüber und standen auf der holperigen Dorfstraße, ohne zu wissen, in welche Richtung wir uns zuerst wenden sollten. Aus einigen Fenstern drang Licht. Innerhalb ihrer Palisaden fühlten sich die Brons offenbar sicher. Ich wunderte mich darüber, warum nicht mehr von ihnen hier lebten. Oder ist es das Privileg einiger Bevorzugten, ständig in diesem natürlichen Stabilisierungsfeld sein zu dürfen? Gibt es auf dieser Welt noch andere solche Felder? Wir mussten den Bron mit meinem Bewusstseinsabbild finden oder das Ei der Königin. War das gelungen, galt es, so schnell wie möglich das Dorf wieder zu verlassen, um den Brons an einem sicheren Ort unsere Bedingungen zu diktieren. Fartuloon zog mich mit sich. »Wir müssen zur Mitte der Siedlung«, flüsterte er. »Wenn es einen sicheren Platz für das Ei gibt, dann mitten im Dorf. Im Zentrum des Stabilisierungsfeldes.« Seine Vermutung hatte einiges für sich. Wortlos folgte ich ihm. Manchmal erkannte ich hinter den beleuchteten Fenstern Bewegungen. Die Schatten waren die von Brons, daran konnte kein Zweifel bestehen. Leben sie wie damals, als ihre Welt noch im Normalraum existierte und sie niemals ihre feste Struktur verloren?
Damit kehrten meine Gedanken zum Ei der Königin zurück. Genau in diesem Augenblick blieb Fartuloon stehen, als er um eine Hausecke biegen wollte. Fast hätte ich ihn umgelaufen. Er deutete nach vorn. »Dort! Das Ei der Königin…« Zuerst sah ich überhaupt nichts, denn grelles Licht blendete mich. Es stammte von Scheinwerfern, die auf fünf Meter hohen Masten halbkreisförmig angebracht waren. Darunter erkannte ich einen dunklen, rechteckigen Schatten, der wie ein Haus mit flachem Dach aussah. Im Bereich des Lichtkranzes standen einige Brons, die unzweifelhaft Energiestrahler an Riemen über der Schulter trugen. Wir duckten uns hinter die Veranda des kleinen Hauses, in dem kein Licht brannte. »Was nun?«, fragte Fartuloon. »Da kommen wir nicht unbemerkt heran. Der ganze Platz ist angestrahlt.« »Aber nicht von der anderen Seite. Von dort aus scheinen sie keinen Angriff zu befürchten. Warum nicht?« »Woher soll ich das wissen?« Er dachte nach, schien aber zu keinem befriedigenden Ergebnis zu gelangen. »Versuchen wir es, uns bleibt ohnehin nichts anderes übrig.« Wir huschten seitwärts über einige verwachsene Beete, um in den toten Winkel des Scheinwerferlichts zu kommen. Bald begriffen wir, warum hier jeder Versuch, das Ei zu stehlen, zum Scheitern verurteilt war: Wir standen vor einer glatten, fugenlosen Wand. Von dieser Seite aus konnte niemand das Haus betreten. »Wenn wir herumgehen, sehen sie uns sofort«, sagte Fartuloon leise. »Ich wundere mich, dass sie keine Patrouillen einsetzen. Instabile Brons gibt es jedenfalls nicht in der Siedlung.« »Wir müssen sie paralysieren, ehe sie Alarm schlagen können.« »Sicher, keine andere Möglichkeit. Und dann rein in das
Haus. Ist dort wirklich das Ei, müssen wir es finden, ehe die Posten wieder aufwachen. Wir haben vielleicht eine halbe Tonta Zeit.« Wir hatten die Stabprojektoren auf Betäubung gestellt. Die Überraschung musste auf Anhieb gelingen. Die Frage ist nur: Wann werden die fünf Wachen abgelöst?, meldete sich der Extrasinn. Vorsichtig schlichen wir an der schmalen Seitenfront des fensterlosen Hauses entlang, bis wir in den Bereich des Scheinwerferlichts gerieten. Die fünf Posten standen immer noch reglos am selben Fleck, ihre Waffen unter den mächtigen Armen. Fartuloon hob seinen Strahler und nickte mir zu. »Jetzt!« Die fünf Brons kamen nicht einmal dazu, sich zu bewegen, bevor sie zusammensackten und reglos in den grellen Lichtkegeln liegen blieben. Kam zufällig ein anderer Bron vorbei, wusste er sofort, was geschehen war. Aber das war eins der Risiken, die wir auf uns nehmen mussten, wollten wir Erfolg haben. Schnell rannten wir zum Eingang. Die Tür war nicht verschlossen, wahrscheinlich deshalb, damit der Pfleger des Eies der Königin jederzeit das Bruthaus betreten konnte. Wir huschten in den dunklen Vorraum und schlossen die Tür. Das Dunkel verwandelte sich schnell in ein rötliches Dämmerlicht. Wahrscheinlich eine Automatik, die auf Körperwärme oder Gewicht reagierte. Jedenfalls konnten wir nun wieder etwas sehen. Eine offene Tür führte in einen schmalen Korridor, aus dem uns eine angenehme Wärme entgegenströmte. Brutwärme!, durchzuckte es mich. Hier sind wir richtig! Rechts des Korridors sah ich kleine, wabenförmige Kammern hinter einer transparenten Scheibe. Auch in ihnen glomm das rötliche Licht, aber auf den länglichen Schalenlagern konnte ich nichts entdecken, was einem Ei
ähnlich sah. Die Wärme nahm zu, und sie wurde fast unerträglich, als wir die letzte – unverschlossene – Kammer erreichten. Da lag das Ei der Königin, braun und unansehnlich, etwa einen halben Meter lang und von einer lederartigen Schale umgeben. Als ich genauer hinsah, konnte ich bemerken, dass sich die Haut manchmal zuckend bewegte. Sie wird bald ausschlüpfen. »Schnapp es dir!«, drängte Fartuloon. »Wir müssen verschwinden.« Ich nahm den Sack von der Schulter und öffnete ihn, trat vor und hob das Ei aus seinem künstlichen Nest. Es war zum Glück nicht schwer und wirkte auch stabil genug, um den Transport zu überstehen. Vorsichtig ließ ich es in den Sack gleiten, den Fartuloon schloss und mir auf die Schulter hob. Ohne ein weiteres Wort kehrten wir zum Ausgang zurück. Die Posten lagen noch immer betäubt vor dem Bruthaus. Kein anderer Bron war zu sehen. Hastig verschwanden wir hinter dem Haus und erreichten unangefochten den Holzzaun. Fartuloon half mir beim überklettern, dann folgte er. So schnell wir konnten, versuchten wir, Distanz zu gewinnen. Niemand schien uns zu folgen, aber in der Finsternis ließ sich das nicht so genau feststellen. Schließlich erreichten wir die Mulde, die außerhalb des Stabilisierungsbereiches lag. Völlig außer Atem, beschlossen wir, hier den Rest der Nacht zu verbringen. In der Finsternis war nichts zu sehen, nur einige wenige Lichter in der Siedlung verrieten die Richtung. Jeden Augenblick musste dort der Diebstahl des heiligen Eies entdeckt werden… Die Scheinwerfer wurden plötzlich heller. Ich konnte jetzt die Schatten hin und her eilender Brons erkennen. Es war sinnlos, bei der großen Entfernung den Translator einzuschalten, aber ich tat es doch. Vielleicht kam ein Suchtrupp mit Projektoren in unsere Nähe, dann würde das
Gerät die lautlose Sprache akustisch wiedergeben und die Brons verraten. Weitere Scheinwerfer flammten auf und bestrichen mit grellen Kegeln die nähere Umgebung der Siedlung. Nur Fartuloon und ich kamen als Diebe des Eies in Frage, also wussten die Brons auch, wonach sie suchen mussten. Ich stellte fest, dass einige der Lichter wanderten und die Siedlung verließen; Brons, die unsere Spur gefunden hatten, denn die Lichter kamen direkt auf unser Versteck zu. Lautlos hob ich den Stabprojektor und überzeugte mich davon, dass er auf Betäubung eingestellt war. Ich wollte keinen Bron mehr töten oder für immer in den Hyperraum verbannen, denn sollte er zufällig der Träger meines Bewusstseinsabbildes sein… Ich versuchte, nicht an diese Möglichkeit zu denken und mir die Folgen auszumalen. Etwa hundert Meter von der Mulde entfernt hielten die Brons an. Wahrscheinlich hatten sie die Grenze des Stabilisierungsfeldes erreicht und schalteten nun ihre Projektoren ein, falls sie welche bei sich trugen. Viel konnte ich nicht erkennen. Zu hören war nichts. Es war, als bereite sich ein Trupp Gespenster zum Sturm auf unser Versteck vor – aber diesmal waren es Wesen aus Fleisch und Blut. Fartuloon kroch bis zum Rand der Mulde vor. Pedantisch zählte er die Lichter und sagte dann: »Fünf, aber dahinten kommen noch mehr. Verstärkung. Sie wissen also, dass wir hier sind. Willst du mit ihnen sprechen?« »Erst dann, wenn sie sich zuerst melden.« »Na schön, warten wir also…« Eine halbe Tonta später zählten wir zwanzig Lichter, aber es waren bestimmt doppelt so viele oder noch mehr Brons, die in der Dunkelheit lauerten und auf das Tageslicht zu warten schienen. »Wir sollten aufbrechen«, schlug Fartuloon vor, als ich ihm meine Vermutung mitteilte. »Sie können uns nicht
folgen. Da wir das Ei mitnehmen, werden sie unter allen Umständen versuchen, Kontakt mit uns aufzunehmen, aber das dürfte in größerer Entfernung von ihrer Siedlung sicherer für uns sein.« »Und was ist mit dem Bron, der mein Bewusstsein trägt?« »Den werden sie sicher gegen das Ei austauschen. Ich frage mich nur, ob sie ihn finden können.« »Früher oder später verrät er sich von selbst.« Ehe wir unsere Diskussion fortsetzen konnten, drang die Stimme eines Brons aus dem Translator: »Wir wissen, wo ihr seid und dass ihr das Ei der Königin gestohlen habt. Gebt es uns zurück, sonst töten wir euch.« Das war kurz und deutlich. »Wir tauschen das Ei gegen den gesuchten Bron ein!«, rief ich. »Gestattet die gestern von mir vorgeschlagene Untersuchung. Mein Gefährte wird hier bei dem Ei bleiben, ich komme mit in die Siedlung.« Es entstand eine kurze Pause, in der sich die Brons berieten. Fartuloon flüsterte unterdessen: »Du bist verrückt, freiwillig in die Siedlung gehen zu wollen. Sie bringen dich um, während ich hier sitze und das Ei ausbrüte.« »Sie werden sich hüten, mir auch nur ein Haar zu krümmen. Ich sage ihnen, dass du das Ei vernichtest, sollte ich nach einer bestimmten Frist nicht zurück sein. Du wirst sehen, wie zahm sie dann sind.« »Hoffentlich. Wenn sie wirklich auf dein Angebot eingehen, mach die Sensor-Untersuchung auf dem Vorfeld, damit ich dich stets im Auge behalten kann.« Er richtete sich auf und blickte in Richtung des Dorfes. »Noch mehr Lichter.« Gleichzeitig meldete sich der Bron: »Einer von euch darf im Dorf nach dem fremden Bewusstsein suchen, aber wir wollen das Ei sofort zurück. Die junge Königin erleidet Schaden, weil dem Ei die gewohnte Wärme fehlt. Sie könnte sterben.« »Das Ei bleibt hier. Je schneller ich den gesuchten Bron
gefunden habe, desto eher könnt ihr es haben. Es liegt an euch, ob die Königin stirbt oder nicht.« Es fiel mir schwer, diese Bedingung zu stellen, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Die Reaktion der Brons bewies, dass meine harte Taktik richtig war: »Die Dämmerung beginnt gleich. Einer von euch kann mit uns kommen.« Ich überprüfte den Sensor. Es war ein kleiner Kasten, an dessen Frontseite ein kleiner Bildschirm das Ergebnis der Bewusstseinsuntersuchung anzeigte. Fand ich den Bron, der Träger meines Bewusstseinsabbilds war, würde ich es sofort wissen. Langsam kletterte ich aus der Mulde und ging den wartenden Brons entgegen. Ich überquerte die unsichtbare Grenze zum Stabilisierungsfeld und erreichte die Brons, die mich schweigend in ihre Mitte nahmen. Noch während wir auf die Siedlung zuschritten, erhellte sich der Himmel. Kurz vor der Palisade hielt ich an. »Hier!« Ich deutete auf den Sensor. »Sämtliche Bewohner sollen einzeln zu mir kommen, damit ich das Gerät auf sie richten kann. Es dauert nur wenige Augenblicke und ist ungefährlich. Sobald ich den Bron, den wir suchen, gefunden habe, bringe wir ihn zu den Skinen, denn nur sie können ihn von dem zweiten Bewusstsein befreien. Dann ist er wieder frei und kann zu euch zurückkehren.« »Und das Ei der Königin?« »Ihr erhaltet es, sobald ich den Bron über die Grenze des Stabilisierungsfeldes gebracht habe.« Ich konnte Fartuloon in tausend Metern Entfernung am Rand der Mulde stehen sehen. In der Rechten hielt er den Projektor, mit der anderen Hand winkte er mir. Ich gab ihm ein Zeichen, dass bei mir alles in Ordnung sei. Nur drei Brons blieben bei mir, während die anderen in die Siedlung zurückkehrten, nachdem ich sie untersucht hatte. Von den Wachen unbemerkt, stellte ich den Skinenprojektor auf den
Sperrfeldmodus ein und hoffte, dass bei maximaler Reichweiteneinstellung der Erfassungsbereich groß genug war, um mein Bewusstseinsabbild am abermaligen Wechsel hindern zu können. Kurz darauf wurde es im Dorf lebendig. Einer nach dem anderen kamen die Brons zu mir. Allmählich bildete sich eine lange Schlange, und für mich gab es keine Möglichkeit, einen Bron von dem anderen zu unterscheiden. Ich konnte also nicht wissen, ob sich wirklich alle der Überprüfung stellten. Aber das konnte ja nur in ihrem eigenen Interesse liegen, da sie das Ei der Königin zurückhaben wollten. Immer wieder die gleiche Prozedur: Ich drückte den Kasten mit dem Sensor gegen die breite Brust eines Brons und sah auf den kleinen Bildschirm. Nichts rührte sich. Der Nächste… Ich schätzte, dass mehr als fünfhundert Brons an mir vorbeimarschierten. Die drei Wachtposten, die mit ihren Waffen immer in meiner Nähe blieben, wurden abgelöst. Ich hatte Hunger und Durst, bediente mich an den Gürteletuis, winkte dem nächsten Bron und fragte, während ich ihn untersuchte: »Wie viele leben in der Siedlung?« Der Translator übersetzte: »Zweitausend – oder mehr. Wir wissen es nicht genau.« Also erst ein Viertel der Bewohner. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich ein Aufblitzen seitlich von mir. Fartuloon, auf den ich längere Zeit nicht geachtet hatte, feuerte auf vier mit Projektoren ausgerüstete Brons, die ihn offensichtlich angriffen, um sich das Ei der Königin zu holen. Ich wollte mich an die Wachtposten wenden und sah ihre Waffen, die in unmissverständlicher Absicht auf mich gerichtet waren. Die Brons würden mich sofort töten, wenn es den anderen gelang, Fartuloon das Ei abzunehmen. Der Bauchaufschneider ließ mit gezielten Schüssen einen Angreifer nach dem anderen verschwinden.
»Nun?« Ich wandte mich an die Brons, die die Waffen wieder senkten, als sie sahen, dass ihr Plan fehlgeschlagen war. Als sie nichts sagten, rief ich dem nächsten wartenden Bron zu: »Los, der Nächste…« Sechshundert, siebenhundert. Endlich die erwartete Sensorreaktion. Der Bron vor mir war der Träger meines Bewusstseins. Ohne den Sensor hätte ich das niemals herausgefunden, denn er benahm sich völlig normal und so wie alle anderen Brons. Und er schien von der Wirkung des Projektors nichts zu bemerken. Was denkt er nun? Warum reagiert er nicht? Das Bewusstsein steht sich doch quasi selbst gegenüber; die Atlan-Kopie ist ich… Abermals kamen mir starke Zweifel an der Exaktheit der skinischen Abbildungsprozedur, zumindest was mein Abbild betraf. Oder ist es nur das Abbild des Extrasinns, das aus purem Selbsterhaltungstrieb so handelt, um seine Eigenständigkeit und Freiheit zu bewahren? Meine innere Stimme schwieg, darauf wusste nicht einmal der bei der ARK SUMMIA aktivierte Logiksektor eine Antwort. So freundlich wie möglich sagte ich: »Würdest du mich bitte begleiten? Du brauchst dich nicht zu fürchten, du wirst bald wieder ein freier Bron sein. Lass dir einen Stabilisierungsprojektor geben, denn wir gehen über die Grenze.« Einer der Wachtposten gab ihm das unhandliche Gerät, dann folgte er mir. Niemand hielt uns auf. Als wir die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, drehte ich mich um. Die Brons kehrten in die Siedlung zurück, lediglich die drei Bewaffneten schickten sich an, uns nachzugehen. Wahrscheinlich hatten sie den Auftrag, das Ei in Sicherheit zu bringen. Fartuloon empfing uns am Rand der Mulde, während ich die Reichweite des energetischen Fesselfelds verringerte. Für einen Augenblick blinkte ein bislang nicht sichtbares
Leuchtfeld blau auf. Weil es sofort mit der neuen Justierung wieder erlosch, dachte ich mir zunächst nichts dabei… Fartuloon schielte in Richtung des Sackes mit dem Ei. »Was ist damit? Geben wir es ihnen zurück?« Ich bemerkte, dass sich nicht nur drei, sondern bereits zwanzig bewaffnete Brons der Mulde näherten. Von weiter links kamen etwa fünfzig von ihnen, ebenfalls alle schwer bewaffnet. Der Bron im Fesselfeld begann plötzlich zu sprechen. Der Translator gab nur ein sinnloses Gestammel wieder, aus dem weder Fartuloon noch ich schlau wurden. Erst als der Bron halb bewusstlos zusammenbrach und reglos liegen blieb, kam mir ein schrecklicher Verdacht: Hastig bückte ich mich und setzte den Sensor gegen seine Brust. Keine Reaktion! Das Fesselfeld muss bei der Reichweitenänderung durchlässig geworden sein. Meine Bewusstseinskopie ist abermals geflohen, aber wohin? Ich richtete mich wieder auf. Weit konnte das Bewusstsein nicht gesprungen sein. Fartuloon fuhr zusammen, als ich ihm ohne ein Wort der Erklärung das Gerät gegen die Brust hielt. Aber auch bei ihm gab es keine Reaktion. Somit kam nur einer der Brons in Frage, die auf uns zumarschierten und ihre Waffen hoben. Ich glitt in die Mulde und holte das Ei der Königin aus dem Transportsack. Mit beiden Händen hielt ich das braune Ding in die Höhe. »Wollt ihr mit uns auch eure zukünftige Königin töten?« Die Brons blieben am Rand des Stabilisierungsbereichs stehen. Es waren mindestens siebzig. Wir hatten kaum eine Chance. Der Bauchaufschneider sagte leise: »Nur sieben oder acht haben Projektoren, die sie stabil erhalten. Wir müssen aus der Reichweite ihrer Waffen heraus, dann können uns nur diese wenigen folgen. Glaubst du, dass wir das in einem Schnelllauf
schaffen, ehe sie das Feuer eröffnen?« »Haben wir eine Wahl? Gut, ich trage das Ei. Es ist unsere Lebensversicherung.« In Sichtdeckung verpackte ich das Ei wieder und bereitete mich auf den Blitzstart vor. Fartuloon war bereit und beobachtete die Brons, die an der Grenze standen und nicht weitergingen. Aber die Reichweite ihrer Strahler genügte noch, um uns zu erledigen. »Los!« Er begann zu rennen. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell er trotz seiner Körperfülle laufen konnte. Ich hatte alle Mühe, ihm dicht auf den Fersen zu bleiben und das Tempo zu halten, hatte allerdings auch das Ei zu schleppen. Einmal sah ich über die Schulter: Die Brons schienen so überrascht über unsere plötzliche Flucht zu sein, dass sie vorerst nicht reagierten. Vielleicht befürchteten sie aber auch, das Ei zu treffen. Jedenfalls verlangsamten wir nach einer Weile unseren Lauf und hielten an. Ich setzte mich auf einen durchsichtig schimmernden Stein von der Größe eines ausgewachsenen Mannes. Den Sack mit dem Ei hielt ich vorsichtig auf dem Schoß. Translator und Sensorkasten baumelten vor meiner Brust am Gürtel. Fartuloon beobachtete die Brons. »Sie müssen über die neue Situation erst beraten.« Ich atmete noch heftig. Ein Blick zeigte mir, dass der ehemalige Träger meines Bewusstseinsabbilds, der stammelnde Bron, aufgestanden war und zur Siedlung zurückwankte. Und dann fiel mein Blick zufällig auf den Bildschirm des Sensors, der von meiner Brust gegen den Sack mit dem Ei gedrückt wurde. Reaktion! Es schien eine Tonta zu dauern, bis ich begriff, dass das Bewusstseinsabbild in den Körper der ungeborenen Königin der Brons geschlüpft war, dann rief ich Fartuloon zu und deutete auf das Ei: »Schnell! Fesselfeld ein!«
Er reagierte, ohne Fragen zu stellen. Wenige Augenblicke später war der Stabprojektor so an dem Sack befestigt, dass das Ei von dem energetischen Feld eingehüllt wurde, aus dem es für mein Bewusstsein kein Entkommen mehr gab. Ich atmete tief ein und aus. »Und nun nichts wie weg hier!« »Acht Brons mit Projektoren haben die Grenze überschritten und folgen uns. Wir müssen sie ausschalten, oder willst du ihnen das mit dem Ei erklären?« Ich verneinte, und er schlug vor, dass ich vorgehen solle, während er den Vormarsch der Angreifer stoppte. Da die Reichweite unserer Skinenprojektoren größer war als die Bronswaffen, war das Risiko für ihn nicht groß. Ich stimmte zu, ließ mir den Transportbeutel von ihm umhängen und marschierte los, auf den fernen Waldrand zu. Ich drehte mich nicht um, als ich das Zischen des Projektors hörte. Den Translator hatte ich abgeschaltet. Auf einem Hügel hielt ich an. Fartuloon war etwa dreihundert Meter hinter mir, als ich mich nach ihm umblickte. Er war allein. Drüben bei der Mulde sah ich die verkohlten Projektoren der Brons liegen, von ihnen selbst war keine Spur mehr zu sehen. Außerhalb des Stabilisierungsfeldeswaren sie durch die Trefferverschwunden, und Fartuloon hatte die verwaisten Projektoren vernichtet. Er schnaufte. »Wären wir doch schon in der Station.« »Mit den zufällig stabilen werden wir fertig«, brummte ich. »Die Hauptsache ist, wir haben das Bewusstsein. Und jetzt kann es nicht mehr fliehen.« »Hoffen wir es.« Er deutete nach vorn. »Auf zu den Früchten des Waldes, ich habe Hunger.« Als es dunkler wurde, erreichten wir den Waldrand. Wir hatten uns beeilt, denn in dieser Nacht wollten wir nicht ohne das schützende Feuer rasten und vielleicht auch schlafen. Fartuloon ging gleich los, als wir einen geeigneten Lagerplatz
gefunden hatten, brachte Holz und Früchte. Das Feuer sollte einen weiteren Zweck erfüllen: Das Ei durfte nicht noch einmal der nächtlichen Kühle ausgesetzt werden, wenngleich ich annahm, dass es von dem energetischen Fesselfeld genügend isoliert wurde. Aber wenn die Königin vor ihrer Geburt starb, war mein Bewusstsein – seine Kopie! – verloren. Ein Bron, der dicht bei uns materialisierte, wich vor dem Feuer zurück, wie wir es erwartet hatten. Ich versuchte vergeblich, mich mit ihm zu verständigen und zur Übermittlung einer Botschaft zu bewegen. Doch er verschwand im Dunkel der Nacht und kehrte nicht mehr zurück. Einigermaßen gesättigt übernahm Fartuloon die erste Wache, während ich mich dicht neben das Feuer legte, um zu schlafen. Das Ei wurde von der Ausstrahlung der Glut gewärmt. Wenn es irgendwie möglich war, sollten die Brons es unbeschädigt zurückerhalten. Später wachte ich bis zum Morgengrauen. Als ich Fartuloon weckte und wir aufbrachen, drehte er sich noch einmal um, ehe wir in den Wald eindrangen. Dann beeilte er sich, mich einzuholen. Erst nach einer Weile, als wir schon tief im Wald waren, teilte er mir mit: »Es sind zehn Brons, die uns verfolgen. Sie müssen Projektoren tragen, kommen wohl aus der Ruinenstadt. Der Rat steht also mit der Siedlung in Verbindung. Somit müssen wir mit weiteren Angriffen rechnen. Hoffentlich können sich Lateran und seine Wissenschaftler verteidigen.« Wir gingen schneller, um einen größeren Vorsprung zu erhalten. Es war unser Glück, dass die uns verfolgenden Brons nicht entstofflichen konnten, solange sie den Projektor bei sich hatten. Zwar wären sie dann schneller vorangekommen, hätten aber nicht mehr nach Belieben materialisieren können. Ohne Zwischenfall durchquerten wir den Kristallwald, in dem es von Bronsschatten nur so wimmelte. Ihren
Bewegungen nach zu urteilen, waren sie ziemlich wütend. Nur wenige von ihnen materialisierten und griffen an. Die meisten entstofflichten schon wieder, ehe sie ihre Absicht umsetzen konnten. Ohne Aufenthalt marschierten wir weiter, bis wir endlich das Ufer des Kieselstroms erreichten. Wir überquerten ihn, ohne etwas von Verfolgern zu bemerken. Vielleicht hatten sie aufgegeben und waren in die Ruinenstadt zurückgekehrt. Lateran empfing uns mit seiner gewohnten sachlichen Freundlichkeit und reagierte erstaunt, als wir ihm unsere Erlebnisse berichteten. »Das Ei der Königin? So habt ihr es geschafft, den Wahrheitsgehalt der Legende zu ergründen? Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich zugeben, an die Geschichte nicht geglaubt zu haben. Die Brons haben nicht euren Tod erzeugt? Und das gesuchte Bewusstseinsabbild ist im Körper der ungeborenen Königin gefangen? Gut, gut. Ihr werdet so schnell wie möglich nach Tsopan zurückkehren wollen. Für uns hier kann ich nur hoffen, dass wir nicht von den Brons angegriffen werden, sobald sie Projektoren in ausreichender Zahl hergestellt haben, um eine ganze Armee zu stabilisieren. Wir werden Sketan wohl als Forschungsprojekt aufgeben müssen…« »Wir werden Skagos die Lage eindringlich zu schildern wissen«, versprach ich. Er begleitete uns unter den Trichter und aktivierte das bläulich flimmernde Feld. Einige andere Skinen kontrollierten die Schaltanlagen, während Lateran sagte: »Die Verbindung ist hergestellt. Sobald es Skagos gelungen ist, dein Bewusstseinsabbild aus dem Ei zu extrahieren und zu isolieren, soll er das Ei zurücksenden. Ich wäre dafür, dass es den Brons zurückgegeben wird, um den Frieden mit ihnen zu erhalten.« Die flache Scheibe seines Kopfes leuchtete in hellem Blau, als
er den Haupthebel umlegte. Fartuloon stand dicht neben mir unter dem Trichter, dessen Öffnung plötzlich heller strahlte. Den Beutel mit dem Ei hielt ich fest an mich gepresst. Dann spürte ich, wie der Trichter uns aufsaugte, und wir entmaterialisierten. Wir standen wieder in der Halle der Tore. Skagos – ich nahm wenigstens sofort an, dass er es war – drehte sich um, nachdem unser »Tor zu den oberen Welten« ausgeschaltet war. Mein Translator war eingeschaltet, aber ich vernahm nur einen Ausruf der Überraschung, mehr nicht. Gleichzeitig fühlte ich einen kräftigen Stoß gegen die Brust. In dem Beutel bewegte sich etwas mit einer Heftigkeit, die mich erschreckte. Der Stoff zerriss, lederartige Schalensplitter fielen auf den Boden. Ihnen folgte der Körper der soeben geborenen Königin. Zum Schluss polterte der Projektor vor Skagos’ Füße. Fartuloon sprang zur Seite, als sich die junge Bron aufrichtete und eine drohende Haltung einnahm. Sie war nicht ganz einen Meter groß, deutlich schlanker als ein normaler Bron und musste zusammengerollt im Ei gelegen haben. Die Arme und Beine waren kräftig, und ich war davon überzeugt, dass sie bereits jetzt schon ein gefährlicher Gegner sein konnte. Ich begriff überhaupt nichts mehr, und in meiner Verwirrung beging ich in diesen Augenblicken mehr als nur einen Fehler. Fartuloon aber auch. Skagos hob den Projektor vom Boden, und seine ersten Worte waren: »Warum ist er eingeschaltet, auf Sperrfeld…?« Als er ihn ausschaltete, kam mir erst zum Bewusstsein, was er tat. Ich sprang zu Fartuloon und wollte dessen Projektor nehmen, als mir einfiel, dass er den seinen Lateran zurückgegeben hatte. Also sprang ich hinter Skagos her und riss ihm den Stab aus den Klauen. Hastig schaltete ich das Fesselfeld wieder ein und ging auf die junge Bron zu, die mich ruhig erwartete. Zwar wusste ich nicht, ob die Neugeborene
mich bereits verstehen konnte, aber es hätte mich nicht gewundert, wenn das der Fall gewesen wäre. Jedenfalls sagte ich in beruhigendem Tonfall: »Nur eine Vorsichtsmaßnahme, es wird dir nichts geschehen.« Fartuloon sprach meine Befürchtungen aus: »Die Königin war ohne Sperre, das Abbild kann längst erneut übergesprungen sein. Prüf das sofort!« Die Anzeige des Sensors rührte sich nicht. Ich war so enttäuscht und wütend, dass ich Skagos den Projektor vor die Füße donnerte. Aber dann fasste ich mich und sagte: »Verzeih, Skagos, aber nun war alles umsonst. Das Fesselfeld hätte nicht abgeschaltet werden dürfen. Mein Bewusstseinsabbild war in dieser Bron. Es muss auf einen der hier anwesenden Skinen übergewechselt sein. Warte…!« Es waren mit Skagos insgesamt sieben Skinen. Einer von ihnen war jetzt zweifellos der Träger meines Bewusstseins. Damit es nicht abermals wechseln konnte – wer weiß, wohin – , mussten sie sofort paralysiert werden. Zum zweiten Mal rannte ich zum Projektor, hob ihn auf und schaltete ihn auf Betäubung. Dann richtete ich ihn gegen die Anwesenden – allerdings um den Bruchteil eines Wimpernschlags zu spät: Einer der Skinen rannte unter einen der Trichter, den er vorher aktiviert hatte. Ehe er von dem Lähmungsfeld erfasst werden konnte, entmaterialisierte er. Auch ohne den Sensor in Anspruch zu nehmen, wusste ich, dass er der neue Träger meines Bewusstseinsabbilds war und er war nun auf einer oberen Welt. Zum dritten Mal warf ich den Strahler weg, diesmal endgültig. Fartuloon schob die zitternde Bron unter den Sketan-Trichter und sagte: »Wir müssen sie zurückschicken, und zwar sofort. Lateran benötigt die Bron-Königin als Sicherheit.« Wenig später war die Königin verschwunden. Inzwischen war mir klar geworden, was während unseres Transportes
von Sketan nach Tsopan geschehen war: Im Hyperraum war das energetische Fesselfeld unwirksam geworden, gleichzeitig hatte die Belastung durch die Transition das Zerbrechen des Eies bewirkt. Vielleicht wäre es nicht zu einem erneuten Überspringen meines Bewusstseinsabbilds auf einen anderen Träger gekommen, hätte Skagos das nach der Transition wieder wirksame Feld nicht abgeschaltet. Am liebsten hätte ich ihm meine Faust in das bläulich blinkende Scheibengesicht geschlagen, aber ich beherrschte mich. Er sagte: »Zum Glück wissen wir, durch welches Tor der Träger deines Bewusstseins verschwand. Die Suche wird nicht schwierig sein, hoffe ich…« »Das hoffe ich auch«, knurrte ich mit unterdrückter Wut. »Die Stationen auf Sketan befinden sich in großer Gefahr, denn die dortigen Eingeborenen werden bald versuchen, jeden Skinen von ihrer Welt zu vertreiben. Sie haben entsprechende Geräte entwickelt. An deiner Stelle würde ich mich darum kümmern.« »Das werde ich auch. Ebenso wichtig ist es aber, dein Bewusstseinsabbild einzufangen. Ein solches hat es in unserer wissenschaftlichen Praxis noch nie gegeben! Wir müssen sein Geheimnis ergründen, was immer es kosten mag.« »Es kann uns das Leben kosten«, sagte Fartuloon sarkastisch. »Aber das ist euch Skinen ja egal.« »Nicht egal, aber immerhin ein Preis, den wir zu zahlen bereit sind.« »Ihr?«, rief ich ungläubig. »Es ist unser Leben.« Skagos’ flaches Kopfgesicht schimmerte nun violett. »Der Kosmos verliert von der Substanz des Seins niemals etwas. Die Summe der drei Erscheinungsformen des Seins, Bewusstsein, Energie und Masse, ist für alle Zeiten konstant. Niemand geht verloren…« Fartuloon sah so aus, als wolle er platzen, aber diesmal war
ich es, der zur Besonnenheit riet. Es hatte wirklich keinen Sinn, mit dem Skinen zu diskutieren. Skagos kroch zu den Kontrolltafeln. »Macht euch bereit!«, tönte es aus dem Translator. »Ihr müsst abermals ein Tor zu den oberen Welten…« Fartuloon protestierte laut: »Nichts da! Wir gehen zuerst an Bord unseres Raumschiffs, duschen, schlafen uns aus und essen uns satt.« Zu meiner Überraschung willigte Skagos ohne Zögern ein. »Gut, ich gewähre euch eine kurze Rast, aber dann wartet das Tor auf euch. Die obere Welt, zu der ihr kommen werdet, hält keine Gefahren für euch bereit. Es ist eine gute Welt, auf der kein Platz für Krankheiten ist…« Während wir auf den Gleiter warteten, sah ich Fartuloon an. »Findest du nicht auch, dass wir in einer verfluchten Zwickmühle stecken? Wir hetzen von einem Hyperraumplaneten zum anderen, bloß um einem Phantom nachzujagen, denn mein kopiertes Bewusstsein ist nichts anderes als ein Phantom, ein nicht greifbarer Schatten.« Fartuloon versuchte zu grinsen. »Was heißt Schatten? Immerhin ein unsterblicher Schatten. Selbst wenn du schon tot bist, lebt dein zweites Bewusstseinsabbild im Speicher der Skinen weiter. Ist das vielleicht kein Trost?« Ich antwortete nicht, und er fuhr verträumt fort: »Eine Welt, auf der angeblich kein Platz für Krankheiten ist? Muss ja eine sehr gesunde Welt sein. Ich gestehe, dass diese Andeutung das Interesse eines alten Bauchaufschneiders wie mich weckt…« »Die Skinen reden oft in Gleichnissen«, wiegelte ich mürrisch ab. Er zuckte mit den Schultern. »Wir werden essen und trinken und ein paar Tontas schlafen. Und dann, im Namen aller She’Huhan des Universums, gehen wir eben erneut zu einer der oberen Welten. Orbanaschol muss warten, und wenn er
wüsste, wie sehr du ihm auf den Fersen bist, wäre er froh über jeden Prago, den er ungestört lebt.« Orbanaschol – Imperator von Arkon und Mörder meines Vaters! Ja, er wird warten müssen.
13. 1143. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 2. Prago der Prikur, im Jahre 10.497 da Ark. Manchmal, wenn mich die Schicksalsschläge und Unbilden, die die tückischen Raumgeister, wankelmütigen She’Huhan und sonstigen kosmischen Mächte und Halunken bereithalten, etwas zu sehr beuteln, überkommt mich der starke Drang, alles in die Ecke zu donnern. Mit einem heftigen, gut zu hörenden Knall! Meist vergeht ein solcher Anfall ebenso schnell, wie er kam, und das Verantwortungsgefühl obsiegt. Es gibt allerdings auch Augenblicke, die in ernste Depression zu münden drohen. Dann sehne ich mich nach der Ruhe und Beschaulichkeit meines geheimen Zeitverstecks und möchte am liebsten Skarg und Harnisch in der hintersten Ecke der Rüstkammer verschwinden lassen. Nachdenklich drehe ich den kleinen OMIRGOS zwischen den Fingern, denn heute ist solch ein Augenblick! Vor fast exakt zwei Perioden nach Arkon-Zeitmaß haben wir am 4. Prago des Tedar mit der GONOZAL Kraumon erreicht. Der dortige »schlafende Stützpunkt«, in den Jahren um 10.475 da Ark errichtet, ist ausgelegt, bei Bedarf in den insgesamt 47 Gebäuden zehntausend oder mehr Dauerbewohner aufzunehmen, denn es ist zwingend notwendig, zunächst eine sichere Basis zu schaffen hinsichtlich
Ausstattung, Personal, organisatorisch wie logistisch. Wir, die Getreuen des ermordeten Imperators und Verbündeten des Kristallprinzen, können auf die in den letzten Jahre ausgearbeiteten Pläne zurückgreifen. Es ist vorgesehen, auf Kraumon mit der Zeit Helfer und Mitstreiter zusammenzuziehen, um den eigentlichen Kampf gegen Orbanaschol zu beginnen. Der informierte Kreis jener, die die Koordinaten dieser Welt kennen, ist auf ein absolutes Minimum beschränkt. Dennoch bleibt das ein Unsicherheitsfaktor, der mir Sorgen macht, sich aber nicht vermeiden lässt. Langsam wird nun die Zeit knapp, und es kann sein, dass der vereinbarte Termin in der Prikur nicht eingehalten werden kann, an dem das erste Kontingent der Vertrauten eintreffen sollte. Dass Atlan in seiner Ungeduld und seinem Tatendrang handeln würde – vor allem aus verständlicher Sorge um die auf Gortavorin die Hände des Blinden Sofgart gefallene Farnathia Declanter – , hatte ich berücksichtigt. Und der Bursche schaffte es tatsächlich, drang über den Kralasenen-Planeten Trumschvaar bis zur Folterwelt Ganberaan vor und befreite seine Geliebte. Nicht einkalkulierbar war dann jedoch, dass es sie in die SogmantonBarriere verschlagen würde. Auch der anschließende »Abstecher« nach Jacinther IV sollte zunächst »nur« dazu dienen, mit den »Grauzayna« Büchsen der Gantries einen ersten Schlag gegen Orbanaschol und seine Clique zu führen. Immerhin galt Fertomash Agmon, der Generalbevollmächtigte des Imperiums der Freihandelswelt, als ein treuer Anhänger Orbanaschols. Die dortigen Abenteuer und der mit ihnen verbundene Zeitverlust, das muss ich neidlos anerkennen, wurden vielfach aufgewogen von dem tatsächlichen Schlag, den wir dank Atlans Geschick und Hartnäckigkeit letztlich führen konnten: Ka’Mehantis Freemush Ta-Bargk befindet sich in unserer Gewalt, Orbanaschol hat 600 seiner Robotschiffe in der Sogmanton-Barriere verloren! Eigentlich sollten wir inzwischen aber längst wieder auf Kraumon
sein. Die geplante Ankunft der zusätzlichen Mitstreiter ist ein ebenso gewichtiger Grund wie die schon in der 1140. positronischen Notierung erwähnte Tatsache, dass bald die alljährlichen Flottenmanöver im nur knapp 1300 Lichtjahre von Kraumon entfernten Yagooson-Sektor stattfinden werden, wo am Ende wohl 80.000 bis 100.000 Einheiten aller Größenordnungen zusammengezogen sein dürften. Diesen Faktor müssen wir bei unseren weiteren Aktionen berucksichtigen, soll Kraumons galaktonavigatorische Position geheim bleiben. Aber nein – stattdessen hängen wir bei den Skinen fest und hetzen einem von ihnen hergestellten Bewusstseinsabbild Atlans hinterher! So faszinierend die damit verbundenen Aspekte auch sein mögen, die immerhin vom erweiterten Verständnis des Kosmos, seiner Kräfte und den Geheimnissen von Bewusstsein und Leben bis hin zu den technologischen Erkenntnissen rings um Fiktivtransmitter, Hyperraumwelten und aus dem übergeordneten Kontinuum abgezapfter Energie reichen: Unter dem Strich bleibt es frustrierend. Um gegen den Willen dieser hemmungslosen Forscher vorgehen und mit der POLVPRON doch starten zu können, musste ich schon verdammt tief in meine Trickkiste greifen, verbunden mit der Gefahr, mich zu verraten. Es heißt also, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und darauf zu hoffen, dass dieses leidige Zwischenspiel bald sein glückliches Ende findet. Seit der Rückkehr von Sketan sind nicht einmal vier Tontas vergangen, und die Skinen drängen darauf dass wir die Spur des Flüchtigen erneut aufnehmen sollen. Der Name der »oberen Welt« ist, wie man uns inzwischen mitteilte, Cematrang. Skagos’ Andeutung, es handele sich bei dieser um eine, auf der angeblich kein Platz für Krankheiten ist, weckte in mir eine Ahnung, die durch die weiteren Informationen leider bestätigt wurde: Die Skinen haben dort Aras angesiedelt, die wie viele andere zum Kopieren ihrer Bewusstseine nach Tsopan gebracht wurden. Ich kenne diese Springernachkommen nur zu gut. Sie sind ohne Zweifel die besten Chirurgen oder Chemo-Biologen der bekannten
Öden Insel. Allerdings verstehen es diese schlauen Burschen ebenso meisterhaft wie ihre Mehandor-Artgenossen, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in klingende Münze umzuwandeln. Ich bin mir sicher, dass sie sogar durch künstlich hervorgerufene Seuchen planetaren Ausmaßes viele Imperiumswelten in Abhängigkeit zu ihren Medikamenten und Therapiesystemen gebracht haben. Wie auch immer: Diese Aras scheinen einen Vertrag mit den Skinen geschlossen zu haben; einerseits kümmern sie sich um jene bedauernswerten Geschöpfe, die die Abbildungsprozedur nicht ohne Schaden überstehen, zum anderen dürfen sie, von den Skinen unterstützt, auf Cematrang forschen und ihre Neigungen ausleben. Ausgerechnet dorthin hat sich das Bewusstseinsabbild geflüchtet… Nun, es hilft wohl nichts: Atlan und ich werden aufbrechen, der Gleiter der Skinen wartet. Wenigstens konnte ich durchsetzen, dass ich diesmal Skarg und Harnisch, ohne die ich mich quasi nackt fühle, mitnehmen darf. Die Ereignisse auf Sketan haben die friedfertigen Skinen sogar davon überzeugt, dass eine Bewaffnung erforderlich sein könnte, und uns Kombistrahler zugestanden. Ob sie nach dem Transportvorgang auch funktionieren, ist eine andere Frage. Alles Weitere wird sich zeigen, Improvisation ist ja unsere zweite Natur geworden…
»Obere Welt« Cematrang, 2. Prago der Prikur 10.497 da Ark Diesmal war irgendetwas anders. Ich konnte es mir nicht erklären, aber die unbekannten Energieströme rissen uns aus dem Transportbereich, entmaterialisierten uns und verstofflichten uns augenblicklich wieder. Der energetische Schock war extrem, ich brach zusammen. Mein Kopf schmerzte, und ich fühlte mein Herz krampfhaft schlagen. Schweiß stand auf meiner Stirn. Die Atmosphäre schien wie vor einem Gewitter elektrisch geladen zu sein. Nur fehlten die Wolken. Das eintönige Grau
des Himmels zog sich bis zum Horizont hin, nur unterbrochen von zirrusähnlichen Silberfäden, die dicht über mir entstanden. Sie wirbelten empor und verloren sich in dem diffuser Eindruck des Hyperraumhimmels. Schwacher Wind ließ den schwarz glänzenden Sand einer weiten Ebene über meinen Körper rieseln. Es war heiß und stickig. Neben mir richtete sich Fartuloon stöhnend auf. Sein Gesicht wirkte auf den ersten Blick verquollen. Der schwarze Bart war zerzaust, Sand hing in kleinen Klümpchen in den Barthaaren und klebte an seiner Stirn. Sein blank geriebener Harnisch funkelte im Widerschein der hyperdimensionalen Entladungen über uns. Doch dann wurde es still. Der Himmel war wieder leer und grau. »Atlan… gut. Etwas hat uns fortgerissen und verhindert, dass wir in der hiesigen Torhalle materialisierten! Ob deine Bewusstseinskopie etwas damit zu tun hat?« Ich zuckte mit den Achseln und stand langsam auf. Wir konnten überallhin gelangt sein, nur nicht auf die Welt, die sich mein anderes Ich ausgesucht hatte. Angeblich hatte es meine Eigenschaften, die positiven wie auch die negativen, so dass ich mich praktisch selbst überlisten musste, wollte ich es unschädlich machen. Weil ich inzwischen an einer exakten Abbildung zweifelte, wurde die Verfolgung noch schwieriger. Dennoch war es ein mehr als nur befremdliches Gefühl, zu wissen, dass ein künstlich hergestellter Geist-Seele-Komplex als mehr oder weniger genaue Kopie der eigenen Seele durch den Kosmos geisterte und andere Lebewesen »übernahm«. Mit einer müden Handbewegung schüttelte ich den feinen Staub ab, der sich in meiner Kleidung festgesetzt hatte. Die zweipoligen Transmitter der Skinen kommen ohne ein Empfangsgerät am Ende der Transportstrecke aus, meldete sich der Logiksektor. Vergleichbares gilt offenbar für die Verbindungen zu den Hyperraumwelten.
Hoffen wir also, dass wir auch wirklich zum Zielplaneten Cematrang gelangt sind Wo mag sich auf dieser endlos weiten Wüste die Gegenstation zum Stützpunkt Xascat befinden? Ich beschattete die Stirn mit der Rechten und versuchte mir vorzustellen, wie eventuelle Bewohner dieses wüstenhaften Planeten aussehen mochten. In der Ferne wurde die düstere Ebene von gezackten Bergrücken begrenzt. Eine glitzernde Schiene teilte die Ebene in zwei Hälften. Plötzlich ging ein Vibrieren durch die Schiene. »Jemand hat Energie eingeleitet«, flüsterte ich aufgeregt. Doch außer der gähnenden Leere, erfüllt von Hitze und Staub, war nichts Besonderes zu erkennen. Du kannst es mal wieder nicht abwarten, spottete mein Extrasinn. Manchmal hätte ich den lästigen Mahner in meinem innern gern abgeschaltet. Aber das war nicht möglich. Fartuloons Räuspern riss mich aus meinen Überlegungen; er zog das Skarg aus der Scheide. »Dort, neben der Schiene.« Ich folgte seinem Blick und entdeckte einen Sandstrudel. Aus der glitzernden Sandmasse schoss plötzlich ein Strahl pulverisierten Gesteins in die Höhe. Es klang, als würde aus einem Dampfkessel heiße Luft abgelassen werden. Die Schwertspitze deutete auf die sich weiter ausdehnende Sanderhebung. Ein kleiner Hügel wölbte sich nun auf, brach auseinander und bildete einen Kraterwall aus schwarzem Sand. Das Schnaufen des »Dampfkessels« wurde stärker. Ich fühlte, wie meine Spannung wuchs. Bewohner der Wüstenwelt? Wurde diese Welt von Sandkreaturen bevölkert? Sie konnten schwerlich eine eigene Technologie entwickelt haben. Eine arkonidische Schwebebahn würden sie selbstverständlich niemals bedienen können. Oder waren wir auf die defekte Leitung gestoßen? Über dem Krater erschien eine Rundung, halbmondförmig und dunkelbraun gefärbt. Was im diffuser Licht des grauen Himmels glitzerte, waren
kleine diamantähnliche Auswüchse. Täusche ich mich, oder starren mich diese winzigen Diamanten tatsächlich an? Ein Fremdwesen. Es beobachtet dich, wisperte mein Extrasinn, während sich das unbekannte Wesen Zeit ließ. Vielleicht aber war es auch nur an den Sand gebunden und konnte sich nicht erheben. Es hatte jedenfalls eine Geduld, die ich selten aufbringen konnte. »Es kommt raus!«, rief Fartuloon. Ich öffnete automatisch den Verschluss meines Halfters und zog den Kombistrahler. Die Abstrahlmündung zeigte genau auf den glitzernden Halbmond, der sich aus dem Sandloch reckte. Beim geringsten Anzeichen einer Gefahr würde ich bedenkenlos schießen. Am Horizont wurde ein Punkt sichtbar, der sich zusehends vergrößerte. Ein Schwebezug kam genau auf uns zu. Behielt er seine augenblickliche Geschwindigkeit bei, würde er bald hier sein. Seltsame Laute, begleitet von einem asthmatischen Keuchen, drangen aus dem Sandloch. Es hörte sich wie ein stetig wiederholtes Viwo, Viwo an. Anscheinend war die Sandkreatur harmlos, und ich beschloss, sie Viwo zu nennen. Schaden konnte es nicht, einen »einheimischen Freund« zu haben. Das Ding verschmolz beinahe konturlose mit dem dunklen Quarzsand. Die Oberflächendiamanten glühten scheinbar von innen heraus. Der Zug musste jeden Augenblick neben uns halten: Energetische Entladungen begleiteten den Bremsvorgang, noch war er mehrere hundert Meter von uns entfernt. Über dem tropfenförmigen Wagen staute sich überhitzte Luft vor einem flimmernden Schirmfeld. Viwo kroch witternd um uns herum. Auf dem Sand blieb eine gläserne Schmelzschicht zurück, die leicht dampfte. Fartuloon schien nun ebenfalls von der Ungefährlichkeit des kleinen Wesens überzeugt zu sein und fuhr sich mit der Rechten durch den gekräuselten
Vollbart. Bei näherer Betrachtung schien Viwo aus einem Stück rostigen Eisens zu bestehen. In unregelmäßiger Anordnung wuchsen kleine Diamanten auf der kantigen »Haut«. Es schienen seine Sinnesorgane zu sein. Eine Mundöffnung war nicht zu erkennen. Ob es ein primitives Wesen oder Tier war, konnte ich nicht beurteilen. Oft hat sich schon gezeigt, dass die voreilige Beurteilung eines Fremdrassigen zu den schwierigsten Verwicklungen führen kann. Auch die Skinen wirken unbeholfen und plump, vollbringen aber Leistungen, die wir Arkoniden uns nur im Traum vorstellen können. Die äußere Form sagt überhaupt nichts über die Qualifikation eines Wesens aus. Maßgeblich ist nur die soziale und technische Leistung Davon allerdings ist bei dem »Eisen-Viwo« noch nichts zu beobachten. Fartuloon und ich erschraken, als die Energiezuleitungen des Schwebezugs mit einem peitschenartigen Knall in die Halterungen zurückschnappten. Der Wagen stand abrupt still. Ich bemerkte wieder das leise Säuseln des Windes, der die Gluthitze der Sandebene an unseren schweißnassen Gesichtern vorbeiwehte. Hinter der Frontscheibe des Wagens, der handhoch über der Schiene schwebte, tauchte für wenige Augenblicke eine spindeldürre Gestalt auf. Zischend öffnete sich eine Tür. Sand knirschte, als der Fremde auf der anderen Wagenseite ausstieg. Zuerst geschah gar nichts. Fartuloon kniff die Augen zusammen und starrte zu dem Schwebewagen hinüber. Der Fremde ließ sich Zeit. Es bestand kein Zweifel, dass er unsere Ankunft beobachtet hatte. Da wir nicht wussten, wie die Bewohner dieser Hyperraumwelt auf Besuch von Tsopan reagierten, waren wir verunsichert, weil jede falsche Reaktion unser Ende bedeuten konnte. Unterdrücktes Stöhnen drang zu uns herüber. Ich gab Fartuloon ein Zeichen. Er verstand mich sofort. Der schwarze Sand knirschte unter unseren Füßen. Ich hielt den
Kombistrahler in der Hand. Fartuloon das Skarg. Der EisenViwo röchelte leise und buddelte sich hastig in den Sand ein, und wenige Augenblicke später war nichts mehr von ihm zu sehen. Die verglasten Sandstellen, die er durch einen Prozess seines Metabolismus hervorgerufen hatte, wurden rasch vom anwehenden Sand zugedeckt. Beim Schwebewagen knackte es metallisch. Ein arkonidischer Hochenergie-Luccot, Typ TS-II, warnte mich mein Extrasinn. Der Fremde hat die Deuterium-Katalyse aktiviert, ist also zu allem entschlossen. Richtig, durchfuhr es mich und ich stieß einen Warnruf aus, doch er reagierte nicht. Ich versuchte es noch einmal: »Wir kommen von den Skinen und haben keine bösen Absichten…« Statt einer Antwort zuckte ein grell blendender Impulsstrahl über unsere Köpfe hinweg. Hätten wir uns nicht blitzschnell geduckt und wären tief gebückt auf den Schwebewagen zugestürmt, der Kerl hätte uns glatt getötet. Hinter uns zerschmolz Sand. Der Fremde hatte uns mit der vollen Energieleistung seines Strahlers beschossen. Das war mehr als deutlich. Er will uns töten, durchzuckte es mich siedend heiß. Steckt mein zweites Ich in seinem Körper? Ist es kurz vor unserem Erscheinen in diesen Körper eingedrungen und hat sofort die Offensive ergriffen, gar den Transportvorgang beeinflusst? Immerhin hat es einige Tontas Vorsprung Das würde durchaus meiner eigenen Handlungsweise entsprechen. Du hast es nicht mit einer völlig identischen Psyche zu tun! Darauf hätte mich mein Extrasinn nicht hinzuweisen brauchen. Ich kannte die grotesken Probleme selbst, die wir seit der Bewusstseinsabbildung durch die Skinen zu meistern hatten. Wir berührten das heiße Metall des Schwebewagens. Die Außenzelle hatte sich noch nicht abgekühlt. Der Fremde hockte auf der anderen Seite. Als ich mich vorsichtig um die
gerundete Heckseite beugte, konnte ich seinen Schatten sehen. Ein schmaler, extrem hager zu bezeichnender Körper mit einem spitz zulaufenden Kopf. Ein Ara! Ich schaltete den Kombistrahler von Desintegrations- auf Paralysemodus um, wollte unseren Gegner nicht töten, sondern nur kampfunfähig machen. Immerhin konnte er uns wertvolle Informationen über diese Welt liefern. Ich gab Fartuloon einen Wink. Der Bauchaufschneider hatte sich langsam daran gewöhnt, dass ich in gefährlichen Situationen die Initiative ergriff. Kein leichter Stand für einen famosen Lehrmeister, aber verständlich. Wir waren Partner, gleichberechtigte Kämpfer in einem Spiel von galaktischem Ausmaß. Fartuloon ging nach rechts, während ich wenige Augenblicke an der Heckrundung verharrte. Im gleichen Augenblick ertönte hinter dem Fahrzeug ein Schrei. Ich erstarrte. So konnte nur ein Wahnsinniger in höchstem Entsetzen schreien. Was ging in dem Fremden vor? Auf dieser absonderlichen Welt war mir und Fartuloon alles fremd. Daran konnte auch die Vertrautheit nichts ändern, die wir beim Anblick der Schwebebahn empfunden hatten. Das Zischen eines Dampfstrahls ertönte, und unser Gegner wimmerte entsetzt. »Jetzt!« Ich lief gebückt um die Heckrundung. Fartuloon kam auf der anderen Seite, hechtete wie ich über die Schiene hinweg, rollte im Sand ab und kam augenblicklich wieder auf die Beine. Als ich sah, wer uns mit dem Strahler bedroht hatte, entspannte ich mich unwillkürlich. »Nicht schießen… bitte nicht schießen!« Die Worte erstickten in heiserem Gurgeln. Fartuloon drehte den zuckenden Körper des Aras mit dem Schwert herum. Verächtlich schürzte er die Lippen; er verachtete die Aras aus tiefstem Herzen. Immerhin war er ein Yoner-Madrul des arkonidischen Hofes gewesen, als Leibarzt
meines Vaters ein Mediziner der arkonidischen Oberschicht. »Ist gar nicht mehr gut beieinander, unser Freund.« Dem musste ich zustimmen. Der Ara war über und über mit stinkenden Abszessen bedeckt, schien fast bei lebendigem Leib zu verfaulen. An vielen Stellen hatte er sich notdürftig mit einer schnell trocknenden Gelatinemasse besprüht, doch die Wunden waren immer wieder aufgeplatzt. Aber das konnte nicht der Grund für das abrupte Ende der Auseinandersetzung sein. Immerhin hatte er uns töten wollen. Ich drehte mich suchend um, und als ich das heisere »Viwo, Viwo!« hörte, wusste ich Bescheid und musste unwillkürlich grinsen. Der kleine Sandbewohner hatte unserem Gegner einen erhitzten Sandstrahl ins Gesicht geblasen. »Der Viwo erweist sich als äußerst nützlicher Begleiter.« Fartuloon kniete nieder und wollte der Kreatur spontan über die diamantenen Kopfauswüchse streicheln, zuckte jedoch zurück, als über dem Viwo eine elektrische Entladung knisterte. Der kleine Bursche hatte also mehr zu bieten, als wir geahnt hatten; zweifellos verfügte er über eine leistungsstarke organische Batterie, die es ihm ermöglichte, Sand zu einer glasähnlichen Substanz zu schmelzen. »Wir bekommen Besuch.« Ich deutete in den flimmernden Hintergrund der Ebene. Aus der Ferne näherte sich ein zweiter Schwebezug. An dem hoch aufgeblähten Schild aus ionisierten Luftmassen erkannte ich, dass das Fahrzeug mit extremen Werten beschleunigte. Fartuloon deutete mit der Schwertspitze auf den wimmernden Ara. »Wenn die genauso verrückt sind, können wir einpacken.« Ich ließ meinen Blick über den kranken Ara gleiten. Wäre mein Ekel vor diesem geschundenen Körper nicht zu stark gewesen, ich hätte ihm aufgeholfen. Aber ich wusste, dass manche Aras entsetzliche Kampfstoffe entwickelten, die bei
Testserien oft schon ganze Medizinerteams dezimiert hatten. Ich verzichtete auf einen erneuten Versuch, doch noch eine Antwort von ihm zu bekommen. »Vielleicht erfahren wir von den anderen mehr.« Fartuloon nickte mir nur zu. Der zweite Schwebezug bremste stark, wirbelte düstere Sandwolken auf und kam dann endgültig zum Stehen – in deutlichem Abstand von dem ersten Fahrzeug. Anscheinend wollte die Besatzung mit dem Kranken keinen direkten Kontakt. »Komm, wir gehen ihnen entgegen«, schlug ich vor. Fartuloon brummelte etwas in seinen Bart und folgte mir. Drüben öffnete sich eine Luke. Ich erhob die Rechte und rief: »Wer ihr auch seid, wir wollen mit euch reden. Wir kommen von Tsopan. Wir suchen…« Im nächsten Augenblick schloss ich geblendet die Augen. Dicht vor unseren Füßen brodelte der Boden, glühende Sandkörnchen versengten mir die Haare. Mit dem angewinkelten Arm schützte instinktiv die Augen. Ein Warnschuss, beruhigte der Extrasinn. Ihr seid ohne Deckung Sie hätten euch jederzeit töten können. Ich kniff die Augen zusammen, um durch die wabernden Luftmassen etwas erkennen zu können. Doch die Sichtblende der Frontscheibe war herabgelassen. Die Besatzung konnte uns sehen, wir sie aber nicht. Eine kalte Stimme wurde von den Außenlautsprechern des Schwebezugs übertragen: »Wir werden eure Angaben später nachprüfen. Habt ihr den Gosner’alor-Celis berührt?« »Nein, haben wir nicht.« Die Antwort fiel mir leicht. Ich ahnte, weshalb uns der Fremde fragte. Anscheinend hatte sich der Ara mit einem Virus infiziert, und die Besatzung des Schwebewagens befürchtete nun eine Verbreitung der Krankheit. Mir wurde langsam klar, dass wir auf dieser Hyperraumwelt noch mehr Aras antreffen würden. Wo ein
Medo-Inspekteur zu finden war, gab es ohne Zweifel auch AraForschungslaboratorien, in denen die Galaktischen Mediziner ihre gefährlichen Medikamente und Kampfstoffe entwickelten. Mein zweites Ich hatte sich wirklich eine interessante Welt als Zuflucht ausgesucht – eine Welt ohne Krankheiten, hatte Skagos behauptet. Hah! Die Aras werden uns kaum bei der Suche helfen. Sofern es überhaupt zu einer Suche danach kommt. So, wie die Dinge jetzt liegen, stehen unsere Aussichten nicht besonders gut. »Aus dem Weg, wenn ihr nicht sterben wollt!« Hatte die Lautsprecherstimme zunächst emotionslos und kalt geklungen, so wurde sie jetzt schneidend. Uns blieb nichts anderes übrig, als schleunigst aus der Reichweite des ersten Schwebewagens zu verschwinden. Ich ahnte, was kommen würde. »Nein… bitte nicht!«, stöhnte der infizierte Ara und versuchte sich aufzurichten. Doch es gelang ihm nicht. Ein schwach gefächerter Energiestrahl beendete seine Leiden. Luccot-Glut verwandelte seinen Körper innerhalb weniger Augenblicke in ein Häufchen verwehender Asche. Ich wandte meinen Blick ab. Dass die Aras auch sich selbst und ihren Artgenossen gegenüber unnachgiebig waren, wusste ich. Aber ich hatte nie aus nächster Nähe miterleben müssen, wie sie so was erledigten. Sie hätten dich ebenso eliminiert. Seuchenträger sind eine Gefahr. Mein Extrasinn hatte wie immer Recht. Die Öffnungsluke schwang federnd in ihre Halterung, und die kleine Treppe sprang heraus. Zwei Aras in leichten Schutzanzügen stiegen heraus und gingen wortlos an uns vorbei. Ich versuchte erst gar nicht, sie anzusprechen. Sie hielten lange Spritzdüsen in den Händen und trugen Desinfektionsbehälter auf dem Rücken. Wenig später war der erste Schwebewagen in einer Wolke aus rosafarbenen Dämpfen verschwunden. Wenn die Aras etwas taten, erledigten sie es gründlich.
»Wir sollten fragen, ob sie uns in die Station mitnehmen.« Fartuloon machte ein zweifelndes Gesicht. »Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, wollen wir hier in der Wüste nicht verdursten. Davor kann uns der Viwo auch nicht bewahren.« »Halt!« Die energische Stimme eines Aras brachte uns zum Stehen. »Ich muss euch zuerst untersuchen. Öffnet eure Kleidung!« Ich löste die Magnetöse der Kombination. Fartuloon legte seinen zerschrammten Harnisch zwar ab, doch es gefiel ihm nicht, wie die Aras mit ihm redeten. Er würde sich bei passender Gelegenheit entsprechend revanchieren, dessen war ich mir ganz sicher. »Und weiter!« Ich wollte möglichst rasch aus dieser verdammten Wüste verschwinden und wurde langsam ungeduldig. Ein Ara, ebenfalls durch einen durchsichtigen Schutzanzug von der Außenwelt abgeschirmt, hielt zwei kleine Folien in der Hand. Das Zeug leuchtete dunkelblau. »Presst die Testfolien gegen eure Haut.« Die Dinger waren unsere Fahrkarten zur Station der Aras. Ich ahnte, dass wir den Galaktischen Medizinern höchst unwillkommen waren. Doch diese waren vom Wohlwollen der Skinen abhängig und konnten uns nicht einfach in der Wüste zurücklassen, denn ich war sicher, dass sie von unserer Ankunft wussten, und auch, dass ich mein Bewusstseinsabbild verfolgte. »Das Zeug brennt ja bestialisch!« Ich zuckte zusammen und sah, wie sich unter dem Schlüsselbein ein daumennagelgroßes Hautstück in bläulichen Rauch auflöste. Zurück blieb eine gläsern schimmernde Brandwunde. Die Aras hüstelten belustigt. »Glück gehabt, Arkonide. Hättet ihr euch infiziert, wärt ihr jetzt schon tot. Die Testfolien wirken als Virusbeschleuniger.«
»Ihr geht wohl kein Risiko ein, was?« Das arrogante Benehmen der Spitzköpfe ging mir auf die Nerven. »Wer Risiken eingeht, ist selbst schuld. Nur derjenige überlebt, der alle Faktoren seines Handelns vorausberechnet und sich zur größtmöglichen Wahrscheinlichkeit durchringt… und natürlich danach handelt.« Das war die gefühllose Maxime der Aras, durch sie waren sie berühmt und berüchtigt geworden. Ich erinnerte mich daran, dass das Akronym ZGG für Zayü Gosner’alor Gor’chron stand also »Hilfe in Not«. Im Kontext der Ara-Mentalität lautet die Übersetzung jedoch einer und treffender: Der Klient bekommt, was er bezahlt. »Ihr könnt uns nach Cematrang-I begleiten. Wir haben von den Skinen Bescheid bekommen. Anscheinend wurde euer Transport durch das Attentat verzögert. Ihr seid in der GelarWüste materialisiert. Ein Wunder, dass ihr nicht verformt worden seid.« Die Augen des Aras funkelten rötlich. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er uns weiter in der Wüste herumirren lassen. »Es gab einen Ausbruch harter Hyperstrahlung.« »Attentat?«, fragte ich neugierig. Der Ara zögerte einen Augenblick, wusste nicht, wie viel er uns sagen durfte und wie viel nicht. »Die Hyperröhrenverbindung zu den Skinen wurde unterbrochen.« »Von den Skinen selbst?« Ich wurde unruhig. Mein Extrasinn brauchte mir keine Situationsanalyse zu übermitteln, denn ich war mir sicher, dass nicht die Skinen, sondern etwas anderes dahinter steckte. Die Aras antworteten nicht, sondern drängten uns nach der erfolgten Desinfektion des ersten Wagens durch die Luke. Fartuloon und ich erreichten die Sitzreihe der vorderen Schalensessel, als uns auch schon der Andruck des sofort gestarteten Fahrzeugs in die Polster presste. Ein erfrischender Luftstrom blies uns ins Gesicht. Eine Wohltat nach dem unfreiwilligen Aufenthalt in der Wüste.
Vier Aras saßen im Cockpit. »Es war ein Skine, der den Ankunftstrichter beschädigt hat, nicht wahr?«, fragte ich. Die Aras drehten sich nicht einmal um. Einer sagte lediglich: »Das wird euch der Kommandant Tocce-Lanceet vielleicht sagen. Sofern er euch überhaupt empfängt.« Ich lehnte mich zurück und starrte durch die seitliche Sichtluke. Das eintönige Grau des Himmels verschmolz mit der dunklen Färbung der Quarzwüste. Die Berge waren nun deutlich zu erkennen, der Zug fuhr genau auf sie zu. Die flimmernden Luftschichten verzerrten die Sicht ein wenig, doch ich konnte bereits Einzelheiten unterscheiden. Da gab es bernsteinartige Hügel, unter denen gezackt-gewundene Objekte lagen. Weiter entfernt ragten regelmäßig geformte Türme auf. Die Station, dachte ich. Eine ziemlich große Anlage. Irgendwo dort hat sich mein zweites Ich sicher einen neuen Körper gesucht. Es muss so gewesen sein: Es hat den Skinen übernommen und ist durch die Röhre gegangen. Um unsere Ankunft zu vereiteln oder doch zumindest zu verzögern, hat es das Transportsystem beschädigt. Deshalb sind wir in der Wuste materialisiert. Ich teilte Fartuloon meine Vermutung mit. Der Bauchaufschneider knirschte mit den Zähnen. »Somit dürften wir geradewegs in eine Falle deines zweiten Ichs transportiert werden. An seiner Stelle wärst du ebenfalls nicht untätig geblieben. Denn schließlich bist du es, der sich selbst auf diese groteske Weise bekämpft.« Als der Schwebezug abbremste, wurde ich nervös und spürte, wie mir die salzigen Tropfen meines Augensekrets über die Wangen liefen. Die Ungewissheit, was mein Bewusstseinsabbild inzwischen unternommen haben könnte, verbunden mit der Gewissheit, dass es jederzeit den Gastkörper verlassen konnte, lastete inzwischen wie ein
Alptraum auf mir. Die subplanetarische Halle der Ara-Station Cematrang-I nahm uns auf. Kommandant Tocce-Lanceet empfing uns sofort. Er war von einer aufdringlichen Freundlichkeit. Wie alle Aras besaß er einen spindeldürren Körper, dazu sehr feingliedrige Hände, die er aus Furcht vor Ansteckungskrankheiten in desinfizierten Plastikhandschuhen verbarg. Seine blau gefärbten Lippen wirkten wie Striche im bleichen Gesicht. Seine Augen musterten mich wie ein Versuchsobjekt, ehe er uns in eine Halle führte und auf einen mannshohe Betonblock wies, der von einer Aura fluoreszierender Strahlen umwabert wurde. Hyperenergie! In Kopfhöhe klaffte eine Sichtluke, ansonsten war der Block makellos geschlossen. Kein Riss, keine Öffnung, geschweige denn ein Entriegelungsmechanismus war erkennbar. Aus den Umformungsbänken, die das Betonmonstrum umgaben, ertönte schrilles Kreischen. Auf Oszillatorschirmen zuckten grüne Signale. Ein Lautsprecher übertrug das Pochen eines Kreislaufsystems. Ich stöhnte unterdrückt, als mir der Ara den Zweck dieses Objekts erklärte: »Sie kommen leider zu spät. Der Skine, der die Transportröhre sperren wollte, hat sich leider irreparable Organschäden zugezogen. Er steckt in diesem Block. Wir mussten ihn einsiegeln, damit seine Organsubstanz unter der Strahlungsbelastung nicht zerfließt.« Strahlungsbelastung? Tocce-Lanceet bemerkte meinen ungläubigen Blick und antwortete sofort: »Als er die Geräte sprengen wollte, wurden hyperdimensionale Wellenschauer freigesetzt. Nur durch den mutigen Einsatz unserer Androiden konnten wir die Gefahr bannen. Inzwischen wird das Kontrollpult von unseren Technikern instand gesetzt.« Der Skine steckt also in dem Block, ist lebendig begraben. Ich
versuchte, mich in die Lage dieses bedauernswerten Wesens zu versetzen, versuchte mir vorzustellen, was es jetzt empfinden mochte. Es war entsetzlich. Umgeben von einer stahlharten, lichtundurchlässigen Masse, nur durch dünne Kanülen versorgt zu werden. Die Frage ist, ob das Bewusstseinsabbild abermals den Körper wechseln konnte oder nicht. »Sie können mir nicht weismachen, dass diese Grausamkeit nur zu Ihrer Sicherheit erfolgt ist«, sagte ich rau. »Sie haben vielmehr die Gelegenheit wahrgenommen, endlich einmal einen Skinen Ihren Tests zu unterziehen und…« Tocce-Lanceet unterbrach mich barsch: »Wenn wir Sie in den Laboratorien von Cematrang verschwinden lassen, können auch die Skinen nicht mehr helfen. Dass wir Sie nicht für einen Versuch eingeplant haben, liegt lediglich an unserer wohlwollenden Auslegung des Abkommens mit den Skinen. Hhm, zwei Arkoniden fehlen eigentlich noch im Programm. Es gibt da ein Säurevirus, das jeden arkonidischen Körper in einer Millitonta zersetzen kann. Das bedeutet jedoch nicht das Ende des Betreffenden. Im Gegenteil. Das Bewusstsein bleibt an die verflüssigte Organbrühe gebunden. Uns fehlen nur noch abschließende Tests, mit denen wir beweisen wollen, dass diese intelligente Substanz langfristig lebensfähig ist…« »Ich verabscheue Sie! Was haben solche Versuche mit dem Ethos eines Mediziners gemein?« Der Ara reagierte nicht auf meinen Gefühlsausbruch, wohl aber mein Logiksektor: Naw! Tocce-Lanceet hatte zweifellos schon zu viele Wesen leiden und sterben sehen, so dass meine Anklagen keinerlei Eindruck auf ihn machten. Völlig unbeeindruckt fuhr er fort: »Der säurehaltige Organbrei mit dem Bewusstsein eines Arkoniden könnte in unsere Großpositroniken eingebaut werden. Die Säurepartikel würden die Datenströme auf leichte Weise sicherstellen, so dass wir einen intelligenten Datenspeicher
von immenser Kapazität bekämen.« Insgeheim beschloss ich, nach der Rückkehr den Skinen darüber zu berichten. Vielleicht würden sie solche Versuche verbieten, obwohl sie selbst fanatische Forscher waren – im Gegensatz zu diesen Aras aber von grundsätzlicher Friedfertigkeit. Ein wandgroßer Bildschirm übertrug grelle Farbenspiele. Das Liniengewirr zerfloss in einen Kaskadenschauer aller nur möglichen Variationen. Geometrische Formen bildeten sich und wurden von pulsierenden Strukturen abgelöst. Ich starrte fasziniert auf den Fiktivschirm. Solche Geräte waren mir von Largamenia vertraut. Viele Adlige vertrieben sich ihre Zeit mit solchen Farben- und Formenspielen, die entweder von einem nicht arkonidischen Diener oder sogar von dem Besitzer des Geräts selbst erzeugt wurden. Man musste nur das Gehirn des Betreffenden an die Apparatur anschließen. Wessen Gehirn?, fragte mein Extrasinn. Im selben Augenblick wusste ich, wer auf dem Bildschirm die Fiktivspiele erzeugte. Ein Ara-Mediziner hatte weitere Kabel an den Betonblock angelegt, in dem der bedauernswerte Skine steckte, mit dem mein kopiertes Bewusstsein hierher geflohen war. Der Logiksektor bestätigte die fürchterliche Ahnung: Der unglückliche Skine im Betonblock. Tocce-Lanceet flüsterte mit seinen Assistenten, die sofort einige Schaltungen vornahmen. Augenblicklich verschwanden die Farbenspiele und machten dem Grau eines normalen Bildschirms Platz. Der Ara sagte spöttisch: »Passen Sie genau auf. Dann brauchen Sie mir keine unnötigen Fragen mehr zu stellen. Ich vermute zwar, dass die Skinen Sie nur zum Herumspionieren hergeschickt haben, aber ich will unsere Gönner, die zugleich unsere Kerkermeister sind, nicht enttäuschen.« Tocce-Lanceet wollte uns also die gewünschten
Informationen geben, die wir benötigten, um mein zweites Ich zu jagen. Der Bildschirm zeigte die Trichter der Torhalle auf Tsopan. Die Konturen verwischten sich leicht, dann stabilisierte sich die Szene. Die Farbqualität ließ zwar zu wünschen übrig, aber man konnte jedes Detail erkennen. »Bilder der Erinnerung des Skinen.« Ein Blick in die kalten Augen des Aras genügte; ich verzichtete auf eine Entgegnung. »Er wird jetzt die Ereignisse seit seinem Erscheinen bei uns auf den Fiktivschirm übertragen.« Ich sah, wie sich der Skine auf dem Bildschirm selbst abbildete. Er beschrieb seine Flucht von Xascat nach Cematrang, wo er die Ankunftsröhre beschädigte, um uns an der Verfolgung zu hindern. Zu diesem Zeitpunkt war er von meinem zweiten flüchtigen Ich besessen, das ganz zielstrebig gehandelt hatte. Erst die Detonation unterbrach seine weitere Flucht. Ich sah auf dem Schirm, dass mehrere Aras den Schwerverletzten hinausschafften und ins Medozentrum zur weiteren Behandlung trugen. Plötzlich übertrug der Gefangene Bilder seines gesunden Körpers. Ich erkannte deutlich den »Wurstkörper« und die gleißenden Organflecken seiner Kopfscheibe. Die verbal formulierten Gedanken des Skinen wurden in eine unmodulierte Stimme transformiert: »Ich bin wieder Xaxax… das kopierte Bewusstsein hat mich verlassen! Ich will zurück nach Tsopan… lasst mich nach Tsopan zurückkehren. Ich bin kein Saboteur… lasst mich zurückkehren.« Auch wenn die Stimme keinerlei Gefühlsakzente hatte und lediglich die akustische Wiedergabe von Gehirnströmen und Bewusstseinsimpulsen war, ließ die abgehackte Diktion deutlich die verzweifelte Lage des gefangenen Skinen erkennen. Obwohl ich wusste, dass Tocce-Lanceet meinen Wunsch niemals erfüllen würde, verlangte ich: »Helfen Sie dem Skinen!«
»Gefühlsduselei, Arkonide! Das hier ist Cematrang. Für Gefühle ist bei uns kein Platz. Hier zählen nur Ergebnisse. Wissenschaftliche Ergebnisse, versteht sich.« Tocce-Lanceet kicherte. »Er bleibt so lange dort, wie wir noch eine Spur seines Bewusstseins messen können. Wir haben nicht oft Skinen bei uns zu Besuch. Einerseits verlangen diese kindischen Wissenschaftler, dass wir für sie forschen und sie medizinisch unterstützen, aber auf der anderen Seite haben wir kaum skinisches Versuchsmaterial. Sie müssen zugeben, dass das ein unhaltbarer Zustand ist. Wir haben uns mehr oder weniger damit abgefunden, den Rest unseres Lebens auf Cematrang verbringen zu müssen, Doch wir wollen unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten. Das geht nur, wenn die Skinen uns wohl gesinnt bleiben. Ein Zustand, der nur durch unsere erfolgreiche Arbeit aufrechterhalten werden kann.« Natürlich, dachte ich. Nur nehme ich es dir nicht ab, dass du dich mit deinem unfreiwilligen Aufenthalt auf Cematrang abgefunden hast. Dieser Planet befand sich im Hyperraum und hatte nur durch das Transportsystem eine Pforte zum Normalraum. Das Große Imperium, die Sterne, alles, was sich dort befand, würde den Aras für immer verschlossen bleiben. Ich ahnte, dass Tocce-Lanceet deshalb so vernarrt darauf war, einen Skinen gründlich untersuchen zu können, weil er die Rückkehr ins Standarduniversum plante. Und zwar ohne Erlaubnis der Skinen. Ich sprach meine Vermutung nicht laut aus. Die Streitigkeiten zwischen den Skinen und den Aras gingen mich nichts an. Bei loyalen Arkoniden hätte ich sicher nichts unversucht gelassen, um sie aus dieser Lage zu befreien. Die Aras dagegen… So schnell wie möglich wollte ich mit den notwendigen Nachforschungen beginnen. Mein Bewusstseinsabbild war in
der Zwischenzeit nicht untätig geblieben, das stand für mich fest, denn Trägerkörper gab es hier genug. Hat es sich einen Ara- oder einen anderen Körper angeeignet? Noch nie ist es vorgekommen, dass ein kopierter GeistSeele-Komplex selbständig aus dem Speicher fliehen konnte, und ich muss annehmen, dass mein aktivierter Extrasinn dafür ebenso wie für die Zweifachabbildung verantwortlich war – und es scheint noch mehr schief gegangen zu sein. Auf dem Fiktivschirm verblasste die Geisterprojektion des Skinen. »Sie können dabei sein, wenn ich meine Leute teste. Ich bin sehr daran interessiert, diese lästige Bewusstseinseinheit so schnell wie möglich loszuwerden. Die Skinen sollen sich bessere Sachen einfallen lassen, wenn sie uns und Cematrang einer Prüfung unterziehen wollen.« Ich sah den Ara prüfend an. Tocce-Lanceet war natürlich ungemein wütend, dass wir ihm ins Handwerk pfuschten. Er hätte uns am liebsten postwendend nach Tsopan zurückbefördert oder aber in seinen Folteretagen verschwinden lassen. Beides war nicht möglich. Bevor die Verbindung nicht völlig instand gesetzt war, konnten wir nicht zurückkehren. Bei der zweiten Möglichkeit sorgte die strenge Abmachung zwischen Aras und Skinen, dass uns nichts geschah. Nicht kalkulierbare Unglücksfälle sind natürlich davon ausgeschlossen, sagte der Logiksektor kalt. Kein Skine wird etwas unternehmen, sollten du und Fartuloon von einem tödlichen Virus infiziert werden. Eure Nachforschungen führen euch bestimmt in die abgeschirmten Laboratorien. Seht euch also vor! Fartuloon hatte sich bis jetzt zurückgehalten. Er konnte die Aras nicht leiden und wäre bei der kleinsten Gelegenheit aus der Haut gefahren. Er beherrschte sich mustergültig und begnügte sich damit, die Umgebung aufmerksam zu mustern. Unterdessen leitete Tocce-Lanceet die angekündigten Tests
ein, mit denen er sicherstellen wollte, dass keiner seiner Mitarbeiter das Opfer des geflüchteten Bewusstseinsabbilds geworden war. Der Ara brach schreiend zusammen, nachdem er in der Aufregung den glühenden Energiebogen gestreift und sich den Arm bis zum Ellbogen verbrannt hatte. Der schwarze Stumpf bröckelte ab, die glasiert wirkende Schnittstelle wurde sichtbar. Zwei Medoroboter schleppten den Schreienden in den Hintergrund des großen Saales. Sie kümmerten sich nicht um die Verletzung, sondern überließen ihn einfach seinem Schicksal. Ich presste die Zähne zusammen. So gefühllos die Aras anderen Wesen gegenüber waren, so kalt und berechnend verhielten sie sich selbstverständlich auch den eigenen Artgenossen gegenüber. Wer einen Fehler beging, musste die Konsequenzen tragen. »Wir haben keinen Erfolg«, bemerkte Tocce-Lanceet so nebenbei, als ginge ihn das Ganze überhaupt nichts an. »Das Bewusstsein hat sich längst aus seinem Wirtskörper gelöst.« Ich blickte zu den glühenden Energieschenkeln hinüber, die das Hyperfeld erzeugten, das schon mehrere Aras verletzt hatte. Meinen Vorschlag, den Sensor der Skinen in Verbindung mit den Stabprojektoren zu verwenden, hatte der Ara brüsk abgewiesen. Ebenso die Paralyse der kompletten Mannschaft. Stattdessen wollte er die eigenen Geräte und Methoden einsetzen, mit überaus zweifelhaftem, um nicht zu sagen keinem Erfolg. Ein Energiefeld riegelte die versammelten Aras ab. Es sah ganz so aus, dass das Bewusstseinsabbild nicht darunter war, sondern längst woanders vielleicht in irgendeinem Patienten oder gar Versuchstier. »Sie können Ihre Leute ja weiter drangsalieren«, stieß ich hervor. »Fartuloon und ich jedenfalls werden in die anderen Labortrakte gehen und eigene Untersuchungen beginnen.«
»Und wenn ich nicht die Erlaubnis dazu gebe?« Früher oder später wird es zu offenen Feindseligkeiten zwischen uns und diesem Tocce-Lanceet kommen, durchzuckte es mich. Im Augenblick war der Ara vollauf damit beschäftigt, seine Leute unter Kontrolle zu halten. Die Aufregung, die durch das auftauchen des besessenen Skinen in die Station getragen worden war, hatte die Aras völlig unvorbereitet getroffen. Vielleicht lag darin der Grund, weshalb er nicht die Skinenmethode einsetzen wollte. Wer weiß, was sie alles zu verbergen haben? »Wie wollen Sie Ihre Weigerung vor den Skinen begründen?« Im Gesicht des Aras verzog sich kein Muskel. Der Mediziner hatte sich absolut unter Kontrolle. »Ich sagte Ihnen schon, dass wir Sie in unseren Versuchsstationen verschwinden lassen können, für immer. Was dort unten mit Ihnen geschieht, können Sie sich nicht einmal in Ihren kühnsten Träumen ausmalen.« »Alpträume träfe es eher – und ob ich das kann«, entgegnete ich barsch. »Sie haben uns ja schon ein paar Kostproben Ihrer Veranlagung geboten. Glauben Sie mir, für Kreaturen wie Sie kann ich nur tiefste Verachtung empfinden. Sie ahnen ja nicht, auf wie viel Sie verzichten, weil Sie jedes Gefühl abgelegt haben. Die Galaxis wird nicht von den Galaktischen Medizinern zusammengehalten… nein, Arkon ist durch Härte und Großmut so mächtig geworden.« Der Ara stieß seinen Atem geräuschvoll aus. »Wollen Sie mir Predigten über das Tai Ark’Tussan, seine Hofschranzen und Orbanaschols Kristallkamarilla halten, Arkonide?« Ich bemerkte, dass ich ihn beinahe aus der Fassung gebracht hatte, zog es aber vor, den Bogen nicht zu überspannen. Auf Cematrang hatte Tocce-Lanceet die absolute Macht. »Bitte, wie Sie wollen. Sehen Sie sich in meiner Station um. Aber denken Sie daran, dass ich nicht für Ihre Sicherheit garantieren kann.
Stößt Ihnen dort unten etwas zu, dürfen Sie von mir keine Hilfe erwarten.« »Ich habe nichts anderes erwartet«, sagte ich bissig. Fartuloon klopfte auf das Skarg. »So ganz wehrlos sind wir ja nun auch nicht.« Der Ara drehte sich um und überwachte weiterhin die Mediziner, die sich der Tortur seiner Bewusstseinstests unterziehen mussten. Die stabilisierten Energieschenkel flackerten, als wieder ein Ara zu nahe herankam. Doch diesmal passierte nichts weiter – der Mann hatte sich nur ein Loch in die Kombination gebrannt. Ich sah, wie Tocce-Lanceet die Mundwinkel herunterzog. Fast schien es mir, als würde er es bedauern, dass es nicht zu einem ernsteren Zwischenfall gekommen war. Ich hatte seine sadistische Natur völlig richtig eingeschätzt, denn als ich mit Fartuloon den Saal verlassen wollte, röhrten die Umformerbänke auf. In der prasselnden Glut der Hyperenergie verbrannte ein Ara bei lebendigem Leib. Erst als sich der Energiefluss stabilisiert hatte, brach Tocce-Lanceets meckerndes Lachen ab. »Komm! Ich muss hier raus… Wenn wir noch länger bleiben, kann ich für nichts garantieren. Dieser Ara ist eine Schande für die Schöpfung, das lebende Beispiel für die These, dass wir alle nur eine Fehlleistung der Natur sind.« Die Türen verschwanden zischend in den Wandöffnungen. Vor uns erstreckte sich ein fang gezogener Gang, der in den Hauptverteiler mündete. Fartuloon sah mich lange an, ehe er antwortete: »Nein, sondern eine bedauerliche Fehlentwicklung, an der wir Arkoniden nicht ganz unschuldig sind. Wir haben zugelassen, dass sich die Aras derart spezialisieren, wir haben uns zu sehr auf ihre objektiv und unbestritten blendenden chirurgisch-medizinischen Fähigkeiten verlassen und sie noch dazu angespornt, sich zu perfektionieren. Ohne das und ihre ausgeprägte Mehandor-
Mentalität wären sie niemals so grausam geworden. Für die Aras gab es nur diese Möglichkeit, dem enormen Leistungsdruck standzuhalten. Nämlich hart und unbeugsam gegen sich selbst und andere zu werden.« Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu dürfen. »Das sagst gerade du… du, der sie aus tiefstem Herzen verabscheut?« Er lächelte. »Wer ist schon perfekt? Ein klein bisschen Verständnis können selbst diese Kreaturen erwarten. Würden wir genauso unbeugsam reagieren, wären wir nämlich nicht besser als sie.« Ich wusste, dass Fartuloon Recht hatte. Der Gang lag leer und verlassen vor uns. Auch im Hauptverteiler war niemand zu sehen. Tocce-Lanceet hatte alle Mitarbeiter in den Saal zur Untersuchung befohlen, es fragte sich nur, ob der Träger meines Bewusstseinsabbilds dem Folge geleistet hatte. »Vermutlich wird das flüchtige Bewusstsein nervös, wenn wir seinem derzeitigen Wirtskörper zu nahe auf den Pelz rücken.« »Da wäre ich nicht so sicher. Es kann uns in eine Falle locker. Den Aras dürfte das nur recht sein. Die sind froh, wenn wir spurlos verschwinden.« »Trotzdem…« Ich war mir nicht sicher, ob mein zweites Ich so logisch und kaltschnäuzig reagieren würde. »Es weiß ja nicht, welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden. Es muss damit rechnen, dass wir bereits wissen, in welchem Körper es steckt.« Fartuloon nickte. »Möglich ist alles.« Von dem Hauptverteiler führten Antigravschächte zu den tiefer gelegenen Laboratorien. Ich prüfte den Sensor am Gürtel und deutete auf einen Schacht. »Beginnen wir von unten langsam hocharbeiten.« Aus den Gitterkäfigen reckten sich weiße Arme. Schwaches Stöhnen ließ uns innehalten. Wir mussten uns erst an die Dunkelheit in dem tiefstgelegenen Gangsystem gewöhnen. Bis
auf ein paar Blaulichtröhren gab es hier keine Beleuchtungssysteme. »Die biologische Vorratskammer der Aras«, presste ich hervor. »Diese… schrecken vor nichts zurück. Das hier sind Luccis… halbintelligente Transmanen.« »Aber wie kommen die Aras hier auf Cematrang zu so vielen? Da können nur die Skinen ihre Hände im Spiel haben.« »Vielleicht hatten die Aras sie bereits bei sich? Ihr Raumschiff oder ihre Raumschiffe wurden ebenso eingefangen wie unsere POLVPRON oder der Maahkraumer.« Die Luccis waren Säugetiere mit der Intelligenz eines Kindes. Sie hatten birnenförmige Körper und lang gestreckte Tierköpfe, auf denen runde, trichterförmige Ohren saßen. Ihre Augen leuchteten bernsteinfarben. Ein zarter Flaumpelz bedeckte ihre Haut. Neben zwei kräftigen Sprungbeinen hatten sie ein zierliches Armpaar mit völlig arkonoid wirkenden Händen. Die Schnauzen der bedauernswerten Wesen zuckten. Sie schienen zu wissen, dass die Aras sie jederzeit zu irgendeinem grauenvollen Experiment abholen konnten. »Du, Arkonide«, wisperte es aus dem Käfig. Überrascht hielt ich inne. Dass Luccis sprechen konnten, hatte ich nicht gewusst. »Ihr versteht uns? Erzählt uns, wie ihr hierher gekommen seid!« »Spitzköpfe uns schon immer besitzen… sie unsere Brut leben lassen.« Der Lucci bat um Nahrung, hatte großen Hunger. Bittend streckte er seine Hände aus dem Käfig. Ich überlegte nicht lange und nahm ein paar Konzentratriegel aus der Gürteltasche. »Lass das lieber!«, warnte Fartuloon. »Unsinn! Wem sollte das schaden? Wenn es nach mir ginge, würde ich die armen Kreaturen sofort freilassen.« »Das würde ich am liebsten auch, aber…« »Seit wenn so vorsichtig?« Ich sah meinen Freund
nachdenklich an. »Wir können uns unserer Haut wehren. Ich will mir jedenfalls keine Gelegenheit entgehen lassen, ihnen eins auszuwischen. Besonders der Kommandant ist mir sehr ans Herz gewachsen.« Der Bauchaufschneider antwortete nicht, während der Lucci mir die Riegel aus der Hand riss und sie in den Mund stopfte. Ich sah, dass seine Nagezähne gelb und brüchig waren. Die Aras taten nur das Allernotwendigste für ihre Versuchskreaturen. »Mehr haben wollen… bitte, geben!« Ich schüttelte bedauernd den Kopf. »Mehr haben wir nicht. Aber wenn ihr mir verratet, wo sich eure Futtersilos befinden, kann ich euch vielleicht helfen.« »Futter!« Der Aufschrei verhallte im düsteren Gewölbe. »Futter im Raum ganz hinten.« Fartuloon brummelte etwas in seinen Bart und folgte mir. »Nicht ärgerlich sein«, rief ich ihm über die Schulter zu, »sobald die Luccis satt sind, können sie uns mehr über die Anlage berichten.« Vor uns lag eine verschlossene Stahltür. Ein Schloss schützte das Silo vor unbefugtem Zugriff. Fartuloon kniete nieder und ließ seine Finger über die schimmernde Wölbung gleiten. »Bekommst du das Ding auf?« »Ich bin mit schon ganz anderen Sachen fertig geworden. Aber es ist von innen verriegelt.« »Was?« Ich sah ihn ungläubig an. »Das bedeutet ja, dass jemand in der Futterkammer ist.« Wir pressten unsere Ohren lauschend an das kalte Metall der Türfüllung. Nichts. Es war totenstill, abgesehen vom piepsenden Geräusch aus den Lucci-Käfigen. »Wir wagen es trotzdem.« »Wie du meinst.« Fartuloon hielt die Spitze des Skargs vor das Schloss. Im nächsten Augenblick knatterte ein greller Blitz, und die Tür schwang auf. Dahinter herrschte völlige
Finsternis, aus der uns schaler Geruch in die Nasen drang. Ich wartete nicht ab, sondern sprang mit gezogener Waffe vor. Aus der Finsternis kam ein seltsames Geräusch. Ich hatte es schon einmal vernommen, wusste es im Augenblick aber nicht genau einzuordnen. Mein Extrasinn wusste Rat: Klingt wie ein Eisen-Viwo. Wie sollen diese kleinen Sandkreaturen in die abgesicherte Station der Aras gekommen sein? Plötzlich stieß ich mit dem Fuß gegen etwas Weiches, Nachgiebiges. Ich blieb stehen. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Ich zog den Fuß langsam zurück und stieß noch einmal vor. Die nachgiebige Masse war noch immer vorhanden. »Was ist los?« Ich konnte Fartuloons massigen Körper in der offen stehenden Tür erkennen. »Hier liegt etwas.« »Nichts anfassen! Ich suche den Lichtkontakt.« Fartuloons Hand glitt über die Betonwand, und im nächsten Augenblick wurde die Futterkammer in helles Licht getaucht. Ich sah mich um. Eiskalter Schrecken durchfuhr mich. Auf dem Boden lag ein toter Ara. Sein verkrampfter Körper war bereits in Verwesung übergegangen. Ich musste krampfhaft schlucken. »Hast du ihn berührt?«, fragte mich Fartuloon nun schon zum wiederholten Mal. »Nur mit der Stiefelspitze.« Er atmete erleichtert auf. »Wer weiß, an welchem Virus er gestorben ist. Hier ist alles möglich. Komm, lass uns so schnell wie möglich verschwinden!« »Wenn der Ara tatsächlich an einer Infektion gestorben ist, erwischt es uns auch. Wir haben hier einiges berührt. Die Wand, die Tür. Und die Luft eingeatmet. Es kommt also auch nicht mehr darauf an, ob ich den Toten berührt habe oder nicht, oder?«
»Hast du eine Ahnung…« Das Zischen eines Dampfstrahls ließ uns zusammenzucken. Ich drehte mich um und richtete den Lauf des Kombistrahlers in den Hintergrund, wo sich Futtercontainer bis unter die Decke stapelten. Aus dem Boden stieg ein Dampfstrahl. Erleichtert ließ ich den Strahler sinken. »Ein Eisen-Viwo! Möchte nur wissen, wie die kleine Kreatur in die Futterstation eindringen konnte; sieht aus, als bestehe das Fundament aus dickem Stahlbeton.« Fartuloon hielt gebührenden Abstand zu dem Viwo. Er hatte die erste Begegnung mit einem dieser Sandbewohner nicht vergessen. Aus der zerfransten Bodenöffnung reckte sich der schwarze, von vielen Diamantauswüchsen bedeckte Kopf. Die funkelnden Sinnesorgane reflektierten das Licht der Leuchtstoffröhren. »Der hat sich durch den Boden geschmolzen«, stieß Fartuloon bewundernd hervor und deutete auf die tropfenförmig erkalteten Stellen des Einstiegslochs. »Na klar… dass wir nicht gleich darauf gekommen sind. Wir haben doch selbst miterlebt, wie so ein Sandwühler die Quarzkörner zu einer gläsernen Masse zerschmolzen hat.« Ich betrachtete das Wesen, das erneut einen Strahl heißer Luft aus seinem Körper pustete. »Der Viwo hat auch den Ara auf dem Gewissen – sofern man hier von einem Gewissen überhaupt sprechen kann.« Wir musterten den toten Ara. Sein Gesicht war von dem glühend heißen Dampfstrahl voll getroffen worden. Anscheinend hatte der Viwo sogar mit superstarken Elektroschocks zugeschlagen. Wir wussten inzwischen, zu welchen Leistungen die kleinen Sandbewohner fähig waren. Ich überwand meinen Ekel und beugte mich näher über den Toten. Ein dünnes Metallband umlief die spitz zulaufende Stirn, eine aufgedruckte Mikroschaltung und in den Schädel
eingelassene Elektroden verrieten mir seinen Zweck. »Ein Sender. Dieser Ara bekam Befehle direkt ins Großhirn übertragen.« »Sieht so aus, aber was…?« Fartuloon machte ein ratloses Gesicht. »Der Tote wurde von einer Zentrale aus ferngesteuert. Das bedeutet nichts anderes, als dass es hier Aras gibt, die keinen eigenen Willen mehr haben.« Er nickte zustimmend. »Du willst diese manipulierten Aras finden und sie gegen Tocce-Lanceets Leute aufhetzen, wenn ich dich richtig interpretiere. Aber du vergisst, dass diese Aras freiwillig niemals gegen ihren Kommandanten aufbegehren können. Selbst wenn sie es wollten.« Fartuloon hatte meinen Plan erfasst und sofort den schwachen Punkt in meiner Kombination entdeckt. Vielleicht können wir sie von den Mikrosendern befreien? Ich verwarf den Gedanken sofort wieder, denn dann hätte es bestimmt keine Sendeträger mehr gegeben. So leicht würde das nicht sein. Und etwas anderes habe ich noch nicht bedacht. »Wenn ich mich nicht täusche, hat Tocce-Lanceet keine Aras auf ihren Bewusstseinsstand untersucht, die einen solchen Sender trugen. Mir sind jedenfalls keine aufgefallen.« Fartuloons Augen blitzten. »Wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Wir hätten sie bestimmt bemerkt.« »Entweder glaubte uns Tocce-Lanceet die Geschichte vom wandernden Bewusstsein nicht, oder diese manipulierten Aras können nicht von einem anderen Bewusstsein übernommen werden. Ich bezweifle jedoch, dass die Aras so gut über die Technik der Bewusstseinsabbildung der Skinen informiert sind.« Wir wollten uns nicht länger im Futterraum aufhalten. Ich packte einen rechteckigen Behälter mit Pressfutter und verließ den Raum. Hinter mir stieß der Viwo seine charakteristischen
Laute aus. Ich hörte, wie er über den Boden glitt und wieder in dem Loch verschwand. Die Luccis rissen uns das gepresste Spezialfutter förmlich aus den Händen, verletzten sich dabei teilweise an den Gitterstäben. Für Augenblicke war nichts außer einem kehligen Schmatzen zu hören. Sie stritten sich nicht um das Futter, sondern ließen jedem seine Portion zukommen. Fartuloon ließ ein schnalzendes Geräusch hören. »Esskultur haben die armen Biester nicht, aber sie erinnern mich an meine letzte Mahlzeit.« Das grollende Geräusch aus Fartuloons Magengegend war nicht zu überhören. »Dein Schlemmermahl musst du zurückstellen«, entgegnete ich spöttisch, kannte ich doch seine Leidenschaft. Mit einem raffiniert zubereiteten Essen war er spielend leicht zu ködern. »Wenn ich an die mikrowellengegrillten Zalakmuscheln denke… die köstlichen Papayafrüchte, Wein von Morgol…« »Hör auf, vom Essen zu träumen! Frag lieber mal die Luccis, ob sie etwas von den ferngesteuerten Aras wissen.« Er seufzte. Seine dicken Finger glitten prüfend über seine Hüften. »Ich habe bereits abgenommen. Außerdem ist die Konzentratnahrung auf die Dauer schädlich, genau wie Synthon. Du weißt ja gar nicht, was so ein Schlemmermahl bewirkt. Es regt die geistige Tätigkeit an, schärft deine Sinne und…« Ich unterbrach ihn: »Sobald wir wieder auf der POLVPRON sind, kannst du dir ein Essen von der Zentralpositronik komponieren lassen. Jetzt musst du darauf verzichten.« »Schon gut.« Er wandte sich an die Luccis, die uns aufmerksam durch die Gitterstäbe hindurch anschauten. »Kennt ihr die Aras mit den Stirnbändern?« Die Antwort kam wie auf Kommando: »Spitzkopf mit Eisen uns bringen Futter. Er jetzt tot.« »Woher wisst ihr, was mit dem Ara passiert ist?«
Die Luccis schüttelten die Köpfe. Entweder waren sie furchtbar naiv, oder sie wollten etwas vor uns verheimlichen. »Spitzkopf nicht mehr kommen. Wir viel Hunger. Anderer Spitzkopf mit Eisen weit weg.« »Wie weit?«, hakte ich sofort nach. »Anderer Spitzkopf mit Eisen auf anderer Seite… hinter… Handwand.« Ich merkte, dass der Lucci nach einer passenden Erklärung für den Aufenthaltsort der manipulierten Aras suchte. Doch sein Wortschatz reichte nicht dazu aus. Ich konnte mir jedoch zusammenreimen, was er meinte. In dem Riesengebäude, das sich rechteckig und flach über einen Kilometer Länge und siebenhundert Meter Breite erstreckte, gab es Antigravschächte. Diese führten zu fünfzig tiefer gelegenen Etagen von gleicher Grundfläche. Der Lucci konnte nur einen nebenan gelegenen Bereich dieser Etage meinen. »Ihr habt uns sehr geholfen«, rief ich den Eingekerkerten zu, die sich ihre Schnauzen abwischten. Fartuloon drehte sich noch einmal um. »Arme Kreaturen. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken. Wer weiß, ob sie noch lange leben. Vermutlich werden sie schon bald zu einem Versuch geholt.« »Ich hätte sie gern freigelassen. Aber…« Ich brach ab.
14. Aus: Ethnologischer Katalog des Robotregenten, Aras; Zentralarchiv, Arkon III, 19.020 da Ark … im gesamten Tai Ark’Tussan als geniale Biomediziner, Bakterio- und Virologen, sowie Genetiker bekannt und als »Galaktische Mediziner« bezeichnet, gehören die Aras zur
arkonoiden Völkerfamilie. Ihre unmittelbaren Vorfahren sind die Galaktischen Händler (Mehandor, Springer), die ihrerseits von den Iprasa-Raumnomaden abstammen. Die Aras gingen um 6270 da Ark in der Regierungszeit von Imperator Gonozal II. aus einer Mehandor-Sippe hervor, die sich auf den Handel mit pharmakologisch bedeutsamen Spezialchemikalien, Arzneimitteln, Toxinen und ursprünglich auch exotischen Tier-, Pilz- und Pflanzenarten spezialisiert hatte. Nicht zuletzt aus Furcht vor der Gefährlichkeit dieser Waren wurde diese Sippe von den anderen Springern gemieden. Da sexuelle Kontakte und Partnerschaften daher nur noch innerhalb der Sippe möglich waren, kam es aufgrund des kleinen Genpools zu einer beschleunigten Evolution, verbunden mit einer raschen Veränderung des Erscheinungsbildes; aus den robusten, schwergebauten Springern entstanden innerhalb kurzer Zeit die schmächtigen und gesundheitlich anfälligeren Aras. Seither leptosomer Körperbautypus; der asthenische Habitus hat Psychasthenie zur Folge, also eine Neigung zu Schizophrenie, krankhafter Empfindsamkeit und Selbstunterschätzung. Auswirkungen nur teilweise positiv, da Komplexkompensation (Antriebkraft für herausragende Leistungen vor allem in Biomedizin); dem gegenüber steht das Negative: künstliche Hervorrufung planetarer Seuchen, um aus Abhängigkeit Gewinn zu schöpfen; Forschungsprojekte und skrupellose Methoden außerhalb aller Ethik, hauptsächlich zur Befriedigung krankhaften Ehrgeizes im Bemühen, die letzten Rätsel des Lebens zu lösen, um dann bessere, quasi »ultimate« Geschäfte machen zu können. Selbstverständlich beschäftigen sich nicht alle Aras mit medizinischer Forschung, aber die merkantile Tradition der Springer lebt in allen Aras weiter. Heilung von Krankheiten ist zugleich auch Geschäft. Im Regelfall wird daher nicht von »Patienten« sondern von »Klienten« gesprochen. Ein solcher Klient ist für die forschungseifrigen Aras immer auch Versuchsobjekt. Abgesehen von Krisenfällen, die ihre Gesamtheit bedrohen, treten die Aras selten als
politische Einheit in Erscheinung; vielmehr reagieren Teilgruppen oder einzelne Galaktische Mediziner individualistisch autark und kooperieren mit den unterschiedlichsten politischen Gruppierungen. In der Zunft der »Mantar-Heiler« sammeln sich traditionell seit Jahrtausenden die außergewöhnlichsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Galaktischen Mediziner ihrer Generation. Zum engeren Kreis der Zunft gehören in der Regel nicht mehr als zehn bis fünfzehn Personen. Das sind die hoch angesehenen Zada-Laktroteü, die Zunftmeister Die Ursprünge des Mantar-Zada reichen bis in fernste Vergangenheit zurück, zu jenem längst von Mythen umgebenen Weisen Mantar, der in der Tradition der Golteinheiler eine maßgebliche Rolle spielte. Die Golteinheiler verfügten über eigene Heiler-Raumschiffe. Ab etwa 10.500 da Ark verloren sich ihre Spur und ihre Kenntnisse in der Geschichte; nur vage Berichte erinnerten noch an sie – bis Aras in der ihnen eigenen und verfremdeten Art die Tradition aufgriffen und in der Zunft der Mantarheiler quasi neu belebten. Medospezialisten rings um Mantar da Monotos, den Bauchaufschneider und Leibarzt des Imperators Barkam I. können quasi als »Ara-Urahnen« angesehen werden. Sie waren neben dem Paraphysiker Belzikaan und den Dryhanen beteiligt, als erstmals eine »Große Feuermutter« als Bewusstseinsverbund vieler ZhyFamü einschließlich ihres aus geistiger Kraft »materialisierten« Scheinkörpers entstand. Ihr war zu verdanken, dass der Invasionsversuch der Vecorat früh genug aufgedeckt und letztlich abgewehrt wurde, so dass sie erst rund 2500 Arkonjahre später einen erneuten Vorstoß wagten, seither aber als »Erzfeinde« der Arkoniden gelten… Wir kannten nur die ungefähre Richtung, in der wir die manipulierten Aras suchen wollten. Neben uns erstreckten sich hell beleuchtete Laboratorien. Wir bekamen immer wieder die entsetzlichsten Dinge zu Gesicht. Cematrang-I war
eine planetare Folterkammer. Selbst auf Ganberaan, der Welt des Foltermeisters Sofgart, hatte ich nicht so furchtbare Qualen mit ansehen müssen wie hier. Ganberaan war dagegen der reinste Urlaubsplanet gewesen. Was auf Cematrang geschah, überstieg einfach unser Vorstellungsvermögen, erschien wie die Inkarnation des absoluten Bösen. Unter dem Deckmantel medizinischer Forschung wurden Grausamkeiten begangen, für die ich einfach keine Vergleichsmöglichkeiten heranziehen konnte. »Dort«, stieß ich würgend hervor. Fartuloon folgte meiner ausgestreckten Hand und erschauerte, als er das Schreckliche zu Gesicht bekam. Die Aras nach dem Bewusstseinstest wieder an ihre Arbeitsstätten zurückgekehrt – störten sich überhaupt nicht, dass wir ihnen zuschauten. Sie hoben den Stahlbehälter auf zwei vorgestreckte Metallgreifer. Rötliche Flüssigkeit spritzte aus einer Kanüle und verschmierte mehrere Gläser. Der Kopf, der auf die Stahlfläche montiert worden war, schnitt furchtbare Grimassen. Er gehörte einem primatenhaften Wesen, dessen Augen tränten. Fast schien es uns, als würde er blutige Tränen weinen. Die Kiefer schlugen rhythmisch aufeinander. Es klang wie das Hämmern einer Maschine. Töne vermochte der Kopf nicht mehr zu artikulieren. Die Schnittfläche endete über dem Bereich der Stimmbänder. »Komm! Wir können doch nichts dagegen unternehmen. Wenn ich noch länger zuschauen muss, beende ich den grausamen Spuk.« Ich schaute nach rechts, wo der Rumpf des Wesens auf einer schräg gekippten Trage lag. Am wunden Hals waren verschiedene Röhren und Leitungssysteme angebracht worden, die verschieden gefärbt waren. Sie führten in dicken Bündeln zu einer Versuchsapparatur hinüber, die wiederum mit dem Kopf verbunden war. Jetzt löste ein Ara-
Wissenschaftler die Kabel vom Kopf. Ein anderer kappte die Verbindung vom Rumpf Ein Strahl schwärzlichen Blutes schoss aus dem Körper. Ein Heilpflaster stoppte die Blutung. Die Aras aktivierten ein Kraftfeld, das sich über den Kopf legte. Auf einmal beruhigten sich die panikartig verzerrten Gesichtszüge. Das Zähneklappern hörte augenblicklich auf. Wir hörten den Befehl: »Rechter Arm hoch!« Zu unserem größten Erstaunen bewegte der weit vom Kopf entfernte Körper seinen rechten Arm. Zuerst zuckten nur die klobigen Finger, dann richtete sich der Arm wie zum Gruß auf. »Linker Arm hoch!« Auch diesmal reagierte der Rumpf in der verlangten Art und Weise. Die Aras sahen sich triumphierend lächelnd an. Telekinetische Reizung der Nerven, meinte mein Extrasinn. Dann haben die Aras also einen Weg gefunden, solche Kräfte paramechanisch zu erzeugen. Der behaarte Rumpf erhob sich von der Liege. Es sah absurd aus, wie der Körper ohne Kopf agierte. Schwankend kam das Ding auf die Beine und bewegte seine Arme zuckend auf und ab. Vorsichtig setzte es Schritt vor Schritt. »Aus dem Weg!« Fartuloon riss sein Skarg aus der Scheide und versetzte mir einen Stoß vor die Brust. Der mächtige Rumpf war ganz nahe herangekommen und bewegte seine Arme mit Handkantenschlägen auf und ab. Er schien uns nicht zu bemerken. Wie sollte er das auch. Der Kopf auf der Apparatur hatte die Augen halb geschlossen. Die Aras gaben pausenlos Befehle. Sie hatten das Ungetüm auf uns gehetzt. »Dieser Spaß geht wirklich zu weit!« Bevor ich meinen Kombistrahler aus dem Halfter gerissen hatte, war Fartuloon vorgesprungen. Das Skarg fuhr singend durch die Luft, traf den braunschwarzen Rumpf und zertrennte ihn in zwei Hälften. Das keifende Lachen der Aras erstarb. Sie wollten
wütend nach ihren Waffen greifen, doch unsere Blicke ließen sie reglos verharren. Wir stiegen über die zuckenden Körperhälften des Rumpfes hinweg und gingen auf die Wissenschaftler zu. Als der eine Fartuloons blutverschmiertes Schwert dicht vor seinem Körper sah, stieß er einen Schrei aus. »Nein… bitte nicht!« Fartuloon lachte verächtlich. »Ihr hättet nichts anderes verdient. Aber ich will die Gastfreundschaft eures Kommandanten nicht über Gebühr strapazieren.« Die Skargspitze hinterließ eine rostrote Spur auf der weißen Kombination des Mediziners. Zitternd sprühte dieser ein Desinfektionsmittel darüber. Ich sah zum Kopf des Primaten. »Er ist tot. Endlich.« Die Augen des abgetrennten Kopfes hatten sich endgültig geschlossen. Selbst die vorher verzerrt wirkenden Gesichtszüge waren locker und abgeklärt. »Das werden wir nach oben melden. Ihr habt uns den entscheidenden Versuch ruiniert«, keifte der Gruppenleiter. Seine Fistelstimme brach abrupt ab, als Fartuloon das Skarg abermals hob und auf den Ara zuging. Ohne eine Miene zu verziehen, wischte er die blutverschmierte Schneide an der Kombination des zitternden Aras ab. »Und wer hat den Körper auf uns gehetzt?« Ich stimmte Fartuloon zu. »Schlimm genug, dass ihr so barbarische Versuche macht. Ihr habt es euch selbst zuzuschreiben. Wenn ihr dem Kopf nicht den Befehl zum Angriff gegeben hättet, wäre das nicht passiert. Aber ich bin froh, dass das arme Wesen nicht mehr zu leiden braucht.« Die Aras machten verächtliche Gebärden. Ich verstand, was sie ausdrücken wollten. Mitleid gilt bei ihnen als Schwäche. Fartuloon konnte sich eine letzte Bemerkung nicht verkneifen: »Nur der Starke kann sich Mitleid leisten. Der
Schwache verkriecht sich hinter seinen grausamen Wahnvorstellungen. Die verleihen ihm ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit. Damit ist erst Schluss, wenn der Starke ihn in die Wirklichkeit zurückholt.« Die von einem Energiefeld umspielte Schneide des Skargs fuhr singend durch die Luft, und die Aras duckten sich entsetzt. Fartuloons Gelächter erschütterte den Raum. Auf dem Versuchstisch zitterten die Reagenzgläschen. Wir verließen den Ort des Grauens und ließen zumindest nachdenklich gewordene Aras zurück, die langsam die Versuchsanordnung demontierten. Ich wusste, dass wir diese Wesen nicht ändern konnten. Sobald sie ihren Schrecken überwunden hatten, würden sie die nächste Versuchskreatur aus dem Käfig holen und da weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Aus angrenzenden Räumen drangen Schreie. Das Summen überlasteter Versuchsapparaturen ließ uns ahnen, was dort vor sich ging. »Komm!« Fartuloon packte mich am Arm und zog mich durch den Gang. Plötzlich ertönte eine Stimme: »Durchgang verboten! Stehen bleiben!« Die Aras trugen schwere Strahlwaffen. Sie würden sich kaum auf unsere Argumente einlassen. »Tocce-Lanceet hat uns freien Zugang zu allen Stationen zugesichert«, begann ich trotzdem. »Was gibt es denn dort unten für geheimnisvolle Dinge, die wir nicht sehen sollen?« »Zutritt verboten!«, wiederholte der Ara stereotyp. Fünf Galaktische Mediziner, zählte ich automatisch. Fünf Hochenergie-Luccots, deren Mündungen tückisch funkelten. Sie brauchten nur den Sensorpunkt zu berühren, und wir würden uns in qualmende Aschehäufchen verwandeln. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Fartuloon spielerisch über seinen Gürtel fingerte. Ein Außenstehender hätte darin eine
nervöse Reaktion erkannt. Ich wusste, dass Fartuloon eine Idee hatte, wie wir trotz der Bewachung in den Korridor eindringen konnten. Sein Gürtel enthielt die merkwürdigsten Dinge: Mikroschaltungen, mit denen man Kurzschlüsse hervorrufen konnte, Giftkapseln und vieles andere mehr. Ich verstand sein ungestümes Räuspern richtig. Er konnte nichts unternehmen, solange uns die Aras wie Wundertiere anstarrten. Wenige Augenblicke mussten genügen. Auch wenn ich nicht wusste, was er anstellen wollte. »Dort drüben!«, rief ich und deutete auf das flimmernde Kraftfeld des Antigravschachts. Die Aras folgten ruckartig meiner ausgestreckten Hand. Im gleichen Augenblick biss Fartuloon auf eine kleine grünlich funkelnde Kapsel und schleuderte sie zwischen die Wachtposten. »Was soll das?« Die Aras waren auf einmal sehr unsicher geworden. Sie wussten, dass wir in einen verbotenen Bereich eindringen wollten, und hielten unsere Reaktion für einen Trick, der sie ablenken sollte. Was ja im Grunde auch der Zweck meines Tuns gewesen war. »Ich muss mich getäuscht haben. Aber mir war, als sei eben ein Lucci hochgeschwebt.« »Ein Lucci?« Die Aras lachten. »Das Biomaterial steckt im Zellentrakt. Ihr wollt uns wohl für dumm verkaufen?« »Ich sagte ja, dass ich mich auch getäuscht haben kann.« Die Aras strahlten wieder jene eisige, unpersönliche Aura aus, die ich von ihnen gewohnt war. Fartuloon berührte meinen Arm. Das bedeutete so viel wie: Wir müssen verschwinden. Die Mündungen der Strahler hoben sich leicht an. »Verschwindet endlich!« Das brauchten uns die dürren Kerle nicht zweimal zu sagen. Wir beeilten uns, die nächste Gangbiegung zu erreichen. Ich drehte mich nicht einmal mehr um. Auch als hinter uns höllischer Lärm ausbrach, ging ich weiter. Kaum waren wir
um die Gangbiegung gelaufen, als ein Energiestrahl neben uns in die metallverkleidete Wand zuckte. Das heisere Fauchen eines zweiten Schusses folgte. Ein schwarz gezacktes Loch gähnte in der Wand. Glutflüssiges Material tropfte auf den Boden. Fartuloon grinste hinterhältig. Sein Plan schien Erfolg gehabt zu haben. Ich wollte um die Ecke schauen, doch der Bauchaufschneider hielt mich zurück. »Manchmal wirkt das Gas nicht sofort. Ein zuckender Armmuskel, und ein Strahler wird ausgelöst. Wir können uns keine Fehler erlauben.« Gut kombiniert, durchzuckte es mich, als ein dritter Glutstrahl durch den Gang raste. Dann erstarb das Röcheln der fünf Aras. Bis auf das leise Summen des Antigravfeldes war nichts mehr zu hören. »Jetzt!« Wir sprangen aus der Deckung. Bereit, einer weiteren Attacke blitzschnell auszuweichen. Doch das war nicht mehr nötig. Die Wachtposten lagen verkrümmt vor dem Antigravschacht. Die kleinen Wandraster der Luftreinigungsanlage saugten die letzten Giftschwaden auf. Wir konnten unbesorgt in den Schacht springen. »Wie lange wirkt dein Zeug?« Fartuloon verzog den Mund. Seine Augen funkelten. »Kommt darauf an. Normalerweise nicht sehr lange… Aber bei diesen Spitzköpfen kann es lange dauern. Eine Tonta vielleicht.« So weit wir sehen konnten: Plexiglasregale mit starren Körpern. Ein riesiger Saal voller Tiefschläfer. »Das sind Aras… Tausende von ihnen.« Fartuloon fiel über die hohl klingenden Bodenfliesen. Es roch nach Desinfektionsmitteln und irgendeiner synthetischen Nährlösung. »Unglaublich.« »Jetzt wissen wir, was die Aras vor uns verbergen wollten. Fragt sich nur, weshalb. Ich seine darin nichts Gefährliches. Ob wir nun wissen, dass hier unten Tiefschläfer lagern oder nicht,
ändert nichts an unserer Einstellung zu den Aras oder an unserem Plan.« Der Bauchaufschneider betrachtete die automatischen Überwachungsgeräte, die unter jedem Regal angebracht worden waren. Ein Licht für das normale Funktionieren der Nahrungsinfusion, ein anderes Licht für den Notfall. Kühlaggregate summten verhalten. Die Augen der schlafenden Aras waren unnatürlich weit geöffnet. Ihre Pupillen waren groß. In den wachsbleichen Gesichtern zuckte kein Muskel. Erst jetzt fiel mir auf, dass alle völlig gleich aussahen. »Das gäbe ein herrliches Durcheinander, würden wir die Burschen wecken«, sagte Fartuloon. Ich versuchte mir vorzustellen, was geschehen würde, sollten die Tiefschläfer in die oberen Etagen vordringen. Es waren zu viele, als dass Tocce-Lanceet sie kurzfristig unterbringen und versorgen konnte. Das absolute Chaos musste die Folge sein. Ich konnte mir jedenfalls nicht vorstellen, dass die Tiefschläfer nach der Wiedererweckung freiwillig in die Wüste hinausgingen. Die Aras waren empfindlich, besonders ungünstigen Witterungsverhältnissen gegenüber. Natürlich würden sie niemals auf ihre vielen Desinfektionsmittel verzichten. Nein, das würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende von Cematrang bedeuten. »Wenn etwas schief gehen sollte, können wir ja die großen Erwecker spielen«, sagte ich leichthin, auch wenn ich mir der Konsequenzen bewusst war. Wir gingen weiter durch die endlos erscheinenden Reihen der dicht an dicht über- und nebeneinander gestapelten Körper. Die Ruhe machte uns unvorsichtig. Von den Schläfern drohte keine Gefahr. Als hinter uns ein lautloser Schatten auftauchte, war es fast zu spät. Ich sah zufällig hoch. Ein
kantiger Gegenstand schoss mit der Geschwindigkeit eines abstürzenden Raumschiffs auf uns herunter. »Aus dem Weg!« Ich riss den Bauchaufschneider zu Boden. Wir rutschten der Länge nach über die glatten Fliesen und kamen erst dicht neben einem Regal zum Liegen. Donnerndes Bersten ließ uns zusammenzucken. Kaum eine Körperlänge von uns entfernt bohrte sich ein tonnenschwerer Nahrungsmittelbehälter in den Boden und platzte auseinander. Seine scharfkantigen Metallseiten hatten die Bodenfliesen durchschlagen und sogar noch Stahlbetonbrocken aus dem Fundament gerissen. Wenn du nicht reagiert hättest, gäbe es nur Organbrei von euch! Mein Extrasinn war mal wieder sehr zartfühlend. Aber er hatte Recht. Unter der Tonnenlast stinkender Nahrungskonzentrate wären wir nur schwerlich zu identifizieren gewesen. Jetzt waren wir nur über und über mit einer gelblichen Brühe besudelt worden. Ich wischte mir das Zeug aus den Augenwinkeln und stand auf. »Das war haarscharf, was?« Fartuloon grunzte unwillig. Ihn hatte eine ganze Ladung des Vitaminbreis getroffen und war ihm durch den Halsausschnitt unter den Harnisch gelaufen. »Absicht?« »Keine Ahnung. Die Tiefschläfer nicht. Es muss jemand anders gewesen sein, wenn es überhaupt jemand war.« Fartuloon spielte auf die Möglichkeit an, dass sich der Behälter durch Zufall aus der Verankerung gelöst haben konnte. »Und wenn mein Bewusstseinsabbild seine Hand im Spiel hat?« Er hörte sofort auf, sich die stinkenden Reste des Nahrungsbreis aus dem Harnisch zu kratzen. »Dann hätten wir einen Ara sehen müssen. Oder ein anderes Wesen, dessen Körper dein anderes Ich übernommen hat. Hier war außer uns
und den Tiefschläfern niemand.« »Wirklich nicht?« Ich deutete auf die gelbe Nahrungsflüssigkeit, die den Boden überschwemmt hatte. Seitlich neben dem Regal klumpte sich das Zeug zusammen und begann bereits einzutrocknen. Mitten in der gelben Lache war ein Fußabdruck zu sehen. Die geriffelten Linien der Schuhsohle waren nicht zu übersehen. »Ein Ara… du hattest Recht.« Fartuloon schluckte. Ich sah ihm an, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Die starren Körper ringsum machten den Eindruck, als würden sie jeden Augenblick aufstehen. Der Unbekannte konnte jeden Augenblick erneut zuschlagen. Doch der ließ sich Zeit. Ringsum wurde Rascheln laut. Wie Pergament, das sich unter einem Schwall heißer Luft spannt. In den Regalen um uns herum bewegten sich die Tiefschläfer… »Das sind manipulierte Aras«, sagte ich, nachdem ich meine Fassung zurückgewonnen hatte. »Nicht alle tragen das Stirnband mit dem Mikrosender.« Fartuloon hatte richtig beobachtet. Die aufwachenden Aras hatten noch keinen Befehlsgeber. Jene, die das Metallband über der Stirn trugen, blieben reglos liegen. Die anderen bewegten sich wie Schlafwandler. Unsicher, wohin sie gehen sollten, rutschten sie von den Regalen herunter und liefen ziellos umher. Einige von ihnen rutschten auf der schleimigen Nahrungsflüssigkeit aus, drehten sich wie Käfer im Kreis, die auf dem Rücken lagen und das Gleichgewicht nicht wieder fanden. Wir waren plötzlich von diesen schwankenden Gestalten umgeben, die uns aus leeren Augen anstarrten. »Die scheinen sich in einer ähnlichen Lage zu befinden wie der Tote im Futterraum der Luccis«, vermutete ich. »Freiwillig haben sie sich garantiert nicht…« Ich brach ab. Uns wurde es unheimlich zumute. Die Aras starrten uns nur an und sagten keinen Ton. Entweder hatte man ihnen die Zungen
abgeschnitten, oder sie wagten es nicht, uns anzureden. Wir waren auf alles gefasst, auch darauf, dass man diesen Aras den freien Willen genommen hatte. Die Existenz der Mikrosender in den Stirnbändern sprach für diese Möglichkeit. Ich wollte der Sache endlich auf den Grund gehen. »Hat euch der Kommandant zum Tiefschlaf verurteilt?«, fragte ich den Erstbesten. »Seid ihr Sträflinge… oder was sonst?« Keine Antwort. Wir konnten sehen, wie sie Lippenbewegungen machten und uns mit einer Art von Aufmerksamkeit ansahen, die wir von kleinen Kindern gewohnt waren. Ich sah genauer hin und erkannte, dass sie uns nachahmen wollten. Ja, sie versuchen, meine Worte zu wiederholen. Es kommt aber nur ein Lallen dabei heraus. »Denen fehlt wirklich etwas.« Fartuloon tippte sich viel sagend an die Stirn. »Ich wusste ja schon immer, dass es mit den Aras bergab geht. Eine so spezialisierte Spezies muss zugrunde gehen.« Ich erkannte wieder einmal, wie sehr Fartuloon die Aras verabscheute. Besser konnte man es nicht ausdrücken. Ich akzeptierte sogar seine Erklärung für den bedauernswerten Zustand dieser Aras. »Von denen werden wir sicher nicht erfahren, wer sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Wohl auch nicht, ob der herabstürzende Nahrungsbehälter absichtlich oder zufällig in unsere Richtung fiel.« »Vielleicht kann ich Ihnen helfen!« Ich drehte mich blitzschnell um und schaute in das Gesicht eines freundlich lächelnden Aras. Irgendetwas kam mir sofort bekannt an ihm vor. Ob es die Augen waren oder die Art, wie er sich bewegte. Ich konnte es nicht sagen. Auch Fartuloon schien diesen Ara schon einmal gesehen haben und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sie scheinen etwas zugänglicher als Ihre Freunde zu sein«, eröffnete ich die Unterhaltung. »Ich
heiße Atlan!« Wieder dieses verräterische Leuchten in den Augen des Aras. Ich hätte geschworen, schon einmal in dieses Augenpaar geblickt zu haben. Das alte Sprichwort, in den Augen seines Gesprächspartners dessen Seele erkennen zu können, hatte durchaus Gültigkeit. Dennoch rätselte ich über die Identität dieses Aras, der sich durch sein Benehmen auffallend von den anderen unterschied. Ich aktivierte den Skinensensor, doch dieser zeigte keine Reaktion. »Atlan… ein schöner Name. Einer der Heroen…« Er verlor auf einmal den freundlichen Unterton, mit dem er uns angesprochen hatte. In seiner Stimme klang etwas nur schwer beherrschtes mit, was mich vorsichtig werden ließ. Dieser Ara schien die Psyche einer wilden Katze zu haben, versuchte seine Opfer in Sicherheit zu wiegen, um dann in geeignetem Moment zuzuschlagen. »Atlan…«, wiederholte er gedehnt. »Damit kann ich nicht aufwarten. Nennen Sie mich einfach Ogh.« »Also gut, Ogh… was können Sie uns über diese Aras hier sagen? Ihr Zustand ist alles andere als normal.« »Natürlich sind diese armen Geschöpfe nicht normal zu nennen. Ich hörte, wie Sie sich vorhin Gedanken über den Grund ihres Andersseins machten. Sie hatten durchaus Recht… diese Aras wurden bestraft. Sie waren nicht mit den Bioexperimenten des großen Tocce-Lanceet einverstanden. Es kam zu einer Meuterei, den Rest können Sie sich selbst zusammenreimen.« »Das schon…« Ich sprach den Satz nicht zu Ende. Irgendwie hatte ich das ungute Gefühl, dieser Ogh würde uns nur nach dem Mund reden. Warum war er normal, aber nicht seine Leidensgenossen? Wenn er mir dafür keine plausible Erklärung liefern konnte, würde ich ihn schonungslos in die Enge treiben.
Aber er kam mir zuvor, indem er leichthin sagte: »Sie wundern sich sicher, dass ich reden kann und die andern nicht. Ganz einfach. Die Gedächtnislöschung wurde routinemäßig einer Maschine übertragen. Ein Kollege von mir überwachte ihre Funktion und vergaß in meinem Fall, das berühmte Knöpfchen zu drücken.« »Das soll einer gewagt haben? Ziemlich gefährlich bei der Art eures Kommandanten.« Doch Ogh war nicht so leicht zu erschüttern. Vielleicht hatte er auch nur eine gehörige Portion Phantasie, mit der er sich alle möglichen Dinge ausdenken konnte. Bis ich seine Worte nachprüfen konnte, ließ sich allerhand erledigen. Uns zum Beispiel! Ich beschloss, weiterhin vorsichtig zu bleiben. Ogh lächelte. Seine Gelassenheit war zu offensichtlich, um natürlich sein zu können. »Gute Freunde erkennt man eben immer an ihren Taten. Das gilt sogar bei uns Aras, auch wenn man uns so was nicht zutraut. Jeder arkonidischen Gräuelpropaganda zuwider.« »Lassen wir das«, sagte ich leise. »Wie wollen Sie Ihren Gefährten helfen? Es wird nicht lange dauern, und ihr Erwachen wird bemerkt.« »Vielleicht wurde es sogar schon bemerkt. Deshalb müssen wir uns beeilen. Ich hoffe, Sie behindern uns nicht.« Er blickte uns prüfend an. Besonders Fartuloon. Was wollte er von Fartuloon? Traute er ihm nicht oder fürchtete er sich vor ihm? Ich konnte mir beides nicht vorstellen. »Uns ist egal, was Sie vorhaben. Wie ich sehe, können Sie uns nicht helfen…« Ich hustete unterdrückt und erkannte, dass Ogh irgendwie froh war, dass ich nichts von meiner Suche nach dem kopierten Bewusstsein erwähnt hatte. Ich korrigierte mich unbewusst. Was sollte dieser Meuterer von meinem flüchtigen Ich wissen? Wenn es in seinen Körper geschlüpft wäre, hätte ich längst etwas merken müssen; aber
beim Sensor gab es keine Reaktion! Oder könnte dein anderes Ich inzwischen dazugelernt haben? Ich verdrängte den Impuls meines Extrasinns. Ein unangenehmes Gefühl blieb jedoch. Restlos hatte Ogh meine Bedenken nicht zerstreuen können. »Wir wollen nach draußen kommen«, erklärte Ogh seinen Plan. »In Cematrang-II habe ich weit mehr Verbündete, als der Kommandant ahnt. Wenn wir dorthin gelangen, werden wir siegen. Ich nehme an, das liegt auch in Ihrem Interesse, Atlan?« »Wir wollten uns eigentlich nicht in die Angelegenheiten von Cematrang einmischen. Sobald wir unseren Auftrag erledigt haben, verschwinden wir von hier.« »Schade… Aber die Torstation ist doch noch…« Ogh biss sich rasch auf die Lippen. Er machte einen nervösen Eindruck, bereute offensichtlich, dieses Thema angeschnitten zu haben. Was weiß Ogh von der beschädigten Verbindung? Ich schlug sogleich in die Kerbe, die sich mir bot. »Sie können noch nicht lange hier unten sein. Was wissen Sie über das Attentat?« »Attentat?« Ogh druckste eine Weile herum. Dann bequemte er sich zu einer Erklärung, well er bemerkt hatte, dass ich wieder misstrauisch geworden war. »Ja… kurz bevor sie mich zur Gedächtnislöschung schickten, soll ein verrückter Skine angekommen sein. Der hat die Kontrollen beschädigt. Mehr weiß ich auch nicht.« Eine plausible Erklärung, musste ich eingestehen. Ogh war froh, dass ich nicht weiter nachhakte. Er drehte sich um und ordnete seine Heerschar, die inzwischen auf etwa fünfzig wiedererweckte Aras angewachsen war. Sie schienen sich ohne Widerspruch Oghs Oberbefehl zu unterwerfen. »Das Schwierigste meiner Aktion wird der Ausbruch sein«, stellte er nüchtern fest. »Es lässt sich wohl nicht vermeiden, dass ein paar von uns…« Er machte eine großspurige Geste.
»Aber ihr Opfer ist nicht umsonst. Sie werden für die endgültige Befreiung Cematrangs sterben.« »Große Worte!«, stellte ich bissig fest. Ich konnte mir diese Bemerkung nicht verkneifen. Ogh als Freiheitskämpfer erschien mir einfach absurd. Er redete auf die Aras ein, die ihn bewundernd anstarrten. Wie Kinder, die einem alles wissenden Vater gegenüberstehen. Ogh gestikulierte und versuchte, seinen Plan so verständlich wie möglich zu schildern. »Ihr springt jetzt in den Antigrav, verstanden?« »Antigrav?«, wiederholte ein Ara. »Anti… grav«, sagten die anderen Gedächtnislosen. »Ja, und ihr schwebt nach oben. Los, verschwindet endlich! Wir dürfen keine Zeit verlieren.« Ogh wurde ärgerlich. Es schien nicht alles so zu klappen, wie er sich vorgestellt hatte. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Ich dachte an die Wachen, die Fartuloon betäubt hatte. Wenn wir Glück hatten, waren sie noch bewusstlos. Zehn Aras liefen im Gleichschritt auf den Antigrav zu, sprangen in das flimmernde Transportfeld und schwebten hoch. Ich wollte Ogh gerade von den Wachen berichten, doch er hörte mir nicht zu. Gebannt starrte er in den Schacht. »Wenn mein Plan klappt, sind wir bald draußen.« Im gleichen Augenblick ertönte das Fauchen mehrerer Strahlschüsse. Der Kampf wurde mehrere Etagen über uns ausgetragen. Wir konnten jeden einzelnen Schuss hören und sehen. Der Widerschein greller Energieentladungen irrlichterte bis zu uns herunter. Schreie erklangen. Kommandorufe wurden laut. Ogh grinste dennoch zufrieden in sich hinein. »Der Stoßtrupp ist verloren«, sagte er kalt. »Ich musste damit rechnen, dass der Ausgang bewacht wird.« Im Transportfeld trieben ein paar Verwundete herunter.
Streifschüsse der auf höchste Leistungsabgabe geschalteten Thermowaffen hatten sie grässlich zugerichtet. Doch die Aras jammerten nicht. »Sie wussten, dass Ihre Kameraden verloren sind!« Meine Stimme klang frostig. Sollte Ogh ruhig wissen, was ich von seinen Aktionen hielt. »Das war notwendig. Nur so konnte ich die Schachtwachen ablenken. Wir nehmen natürlich einen anderen Weg.« Ogh deutete auf den Lift für die Nahrungscontainer. Ein gerissener Bursche. Ogh trieb seine inzwischen wieder auf fünfzig Aras angewachsene Streitmacht auf den Lift zu. Der Platz reichte für etwa vierzig Aras. »Das klappt doch wunderbar!«, rief er begeistert. »Jetzt kann mich keiner mehr aufhalten.« Nachdem er etwa vierzig Aras in den quadratischen Raum verfrachtet hatte, schloss Ogh die Schiebetore und drückte auf Durchfahrt. »Die kommen im Hauptverteiler wieder heraus. Hoffen wir, dass sie mehr Glück als wir haben.« »Und was sollen wir tun?«, fragte ein Ara. »Ihr begleitet mich. Natürlich nur, wenn ihr wollt. Ich hatte angenommen, dass ihr für den Befreiungskampf von Cematrang seid… oder habe ich mich in euch getäuscht?« Ogh machte ein beleidigtes Gesicht. Ein guter Schauspieler, stellte mein Extrasinn fest. Er opfert auch diesen Ara-Trupp, um seine Widersacher abzulenken. Fartuloon war dem Geschehen schweigend und ohne sichtbare Anteilnahme gefolgt. Er flüsterte mir zu: »Bleiben wir in seiner Nähe. Vermutlich hat sich dein flüchtiger Bewusstseinsinhalt nicht gerade in die Nähe des Kommandanten begeben. Dieser Ogh wird uns zu den Schlupfwinkeln von Cematrang führen.« Ich gab dem Bauchaufschneider Recht. Aber wenn uns Ogh ebenso wie seine Kameraden einem Ablenkungsmanöver
opfern wollte? Wir mussten das Risiko in Kauf nehmen. »Uns bleibt ein sicherer Abgang… ich meine, Aufgang.« Ogh lachte und schien darauf zu warten, dass wir seinen schlechten Witz auch noch gutheißen würden. »Wie wollen Sie nach oben gelangen?« »Wir verstecken uns zwischen nicht verwerteten Futterresten. Da vermuten sie uns garantiert nicht. Außerdem haben die jetzt genug mit den anderen zu tun. Ihr bleibt am besten bei mir.« Ogh ging auf ein schmales Förderband zu, das schräg nach oben durch eine düstere Röhre verschwand. Es war aktiviert und schien auf Dauerbetrieb geschaltet worden zu sein. Ich sah gerade noch, wie ein regungsloser Ara im Deckenloch verschwand. »Was war mit dem Ara los?«, fragte ich hastig. Die Sache gefiel mir immer weniger. »Ganz einfach – er ist tot. Er hat die Gedächtnislöschung und die Tiefschlafprozedur nicht überstanden. Die Positronik beseitigt solche Unglücksfälle automatisch.« Es blieb uns nichts anderes übrig, als Ogh Glauben zu schenken. »Los, legt euch der Reihe nach auf das Band. Wir wollen endlich aus dieser Gruft verschwinden.« Ich sprang auf das Band, das mich rasch höher trug. Fartuloon folgte mir. Als ich mich umdrehte, um zu sehen, ob Ogh uns folgte, war es bereits zu spät. Ein greller Paralyseschauer zuckte durch unsere Körper und lähmte uns augenblicklich. Doch unsere Sinne blieben wach. Ich konnte die gesamte Halle überblicken, bevor wir in der düsteren Röhre verschwanden. Unten stand Ogh und winkte lauthals lachend zu uns hoch. Ein Ara beugte sich neugierig über mich. Der weiße Mundschutz bedeckte sein halbes Gesicht. Die Augenlider waren zusammengekniffen und bedeckten rötlich glühende Augen. Ein starrer Blick. Der Mediziner stieß ein Skalpell in
meinen Arm. Ich verspürte keinen Schmerz. Also stand ich noch unter der Wirkung des Paralysatortreffers. »Das ist kein Androide. Seit wann haben wir dort unten Arkoniden?« Ein zweiter Ara trat in mein Blickfeld. Ich konnte meinen Kopf nicht drehen, doch meine Sinne waren wach, und ich konnte alles um mich herum hören und sehen. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was meinte der Ara, hatte er Androiden erwartet? Der erste Ara hob die dürren Schultern. Er hantierte an irgendeinem Messgerät. Ich konnte nicht sehen, worum es sich handelte, doch eins stand fest: Ich befand mich in einem Versuchslaboratorium der Aras. Sie öffneten meine Kombination. Wenig später hatten sie meinen Brustkorb freigelegt. Die dürren Springerabkömmlinge betrachteten neidisch meinen muskulösen Körper. Einer von ihnen setzte das Skalpell auf meine Haut. Ich konnte es nicht genau sehen, aber die Reflexion in dem kleinen Deckenspiegel genügte mir vollständig. Ich sah, dass sich eine blutige Linie quer über meine Brust zog. Dann wusste ich, was die Aras mit mir vorhatten: Sie wollen mich bei lebendigem Leibe sezieren! Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Mein Körper stand noch immer unter der Einwirkung des Paralysatortreffers. Das habe ich diesem verdammten Ogh zu verdanken. Er hat Fartuloon und mich nur als Mittel zum Zweck missbraucht, ebenso wie die anderen in der Halle der Tiefschläfer. In mir wuchs der furchtbare Verdacht: Ist Ogh der Träger meines kopierten Bewusstseins geworden? Warum zeigte der Sensor keine Reaktion? Selbst wenn es so war, ich konnte nichts mehr daran ändern. Mein zweites Ich hatte gewonnen. Aus dem Labor der Aras würde ich nicht mehr lebend herauskommen. Panik erfüllte mich. Mein Extrasinn meldete sich nicht. Hatte er die Aussichtslosigkeit meiner Lage erkannt und sich abgekapselt?
Oder hatte die Paralysatorenergie seine Aktivität ebenfalls gelähmt? Egal. »Sieht aus, als würde er alles mitbekommen«, kicherte ein Ara. »Das ist ganz bestimmt kein Androide. Möchte bloß wissen, wie Tocce-Lanceet an diese Burschen gekommen ist. Ich denke, wir haben keine Verbindung nach draußen. Sonst brauchten wir doch keine Androiden herzustellen. Nur mit ihnen gelingt der Vorstoß über die Zapfenergiebahnen. Die normalen Tore werden von den Skinen kontrolliert…« Androiden? Vorstoß über Zapfenergiebahnen?, durchzuckte es meine gepeinigten Sinne. Wovon reden sie eigentlich Androiden, Normaluniversum. Wollen sie etwa aus dem Hyperraumgefängnis ausbrechen? Verständlich wäre das schon. Was hatten die Aras inzwischen mit Fartuloon gemacht? Ich konnte den Bauchaufschneider nirgendwo sehen, geschweige denn hören. Selbst der kleine Deckenspiegel zeigte mir nicht, ob Fartuloon im gleichen Raum wie ich lag. Es gelang mir kaum, meine aufkeimende Angst zu kontrollieren. Ich hätte wie ein Tier um mein Leben gekämpft, wäre ich bewegungsfähig gewesen, doch so war ich der Willkür des Ara-Teams ausgeliefert. »Es ist weitaus interessanter, die Einwirkung der Hyperstrahlung auf einen natürlich gewachsenen Organismus zu beobachten als auf einen dieser langweiligen Androiden.« »Ja, du hast Recht, Popol.« Was faseln sie dauernd von Androiden? Haben sie etwa Androiden auf dem Förderband erwartet? Das kann nur bedeuten, dass die Tiefschläfer nichts anderes als Androiden sind. Ein schwarzer Metallkasten wurde in mein Blickfeld gerückt. Ich wusste, was die spiralig gewundenen Antennen auf seiner Vorderseite zu bedeuten hatten. Das war ein Generator, der Hyperenergie abstrahlte. Ich würde den Versuch nicht überleben. Die Hyperstrahlung würde mich zerfetzen. Und
das bei wachen Sinnen. Möglich war aber auch, dass die Aras künstliche Mutationen hervorrufen wollten. Dann würde ich mich in ein Monstrum verwandeln. Die Hyperraumzapfung! Ist das die Lösung? Wollen sie gegen die Hyperenergie unempfindliche Androiden nach Tsopan schicken und die Skinen überraschen? Sollen die Androiden vielleicht die gespeicherten Bewusstseinabbilder der Aras aufnehmen und von Tsopan aus helfen? »Der Arkonide weiß wohl, was wir mit ihm vorhaben. Sieht ganz schön ängstlich aus, was?« Ein zustimmendes Lachen ertönte neben mir. »Es ist ja auch kein Vergnügen.« Ich wollte meine Muskeln zusammenkrampfen und voller Wut in diese verkniffenen Gesichter schlagen. Ich wollte den Aras austreiben, mit Wehrlosen ihre ungeheuerlichen Versuche anzustellen. Doch es misslang. Die Paralysewirkung hielt unvermindert an. Oder täuschte ich mich? In meinen Fingern kribbelte es leicht. Ich hätte schreien mögen. Nicht mehr lange, und ich konnte es dieser Bande zeigen. Ich konzentrierte mich völlig auf meine Muskelarbeit, musste vorsichtig sein. Bei der geringsten Bewegung würden sie Verdacht schöpfen und mich erneut paralysieren. Ein Generator fiel summend an. Es knisterte, als Funken von einer Antennenspirale auf die andere übersprangen. »Pass auf, dass die Schockwirkung nicht nachlässt. Das ist kein Androide.« Das galt mir. Ich wurde unruhig. Würde er mich jetzt untersuchen, war ich verloren. Ich biss die Zähne zusammen und wartete aufgeregt ab, was jetzt kommen musste. Der Ara hantierte mit einer schimmernden Nadel, deren Spitze glühend rot war. Irgendein Gift, durchzuckte es mich. Ich durfte mich nicht bewegen. Nicht einmal zusammenzucken, mochte der Schmerz noch so groß sein. Sie hatten mich nicht
angeschnallt. Das war mein Vorteil, den ich mir nicht verscherzen durfte. Er stieß mir die Nadel in die Seite. Glühende Schmerzwellen rasten durch meinen Körper. Ich zuckte nicht zusammen. Er drückte die Nadel weiter in meinen Körper. Es war entsetzlich. Lass ihn nichts merken! Traf er jetzt einen Nerv, war alles umsonst gewesen. Aber meine Beherrschung war ohnehin bald zu Ende. Die Nadel musste ein Mittel enthalten, das jede Muskelfaser zur Reaktion reizte. Ich versuchte, mich durch eiserne Willenskraft zu beherrschen. Triumphierend wurde mir bewusst, dass ich die Zähne zusammenpressen konnte. Langsam verschwand die Paralyse. Das Kribbeln in den Fußzehen wurde stärker. Im gleichen Augenblick riss der Ara die Testnadel aus meiner Seite. »Wir können anfangen. Der Arkonide ist in Ordnung.« »Sollen wir nicht noch mal bei Tocce-Lanceet rückfragen?« Ich war froh über jeden Augenblick Zeitgewinn. »Nicht nötig, Leute«, kam die Antwort aus einer anderen Ecke des Laboratoriums. »Tocce-Lanceet hat die Auswahl der Versuchskörper selbst getroffen.« Wieder dieses teuflische Lachen meiner Peiniger. »Stellt euch vor… diese hirnlosen Androiden reißen sich darum, von uns zerstrahlt zu werden!« »Zu komisch.« Ein radarschirmähnliches Gerät wurde mir über den Kopf geschoben. Ich konnte nur noch einen Teilbereich des Laboratoriums überblicken. Natürlich vermochte ich jetzt ohne besondere Schwierigkeiten die Augäpfel zu drehen, um einen besseren Sichtwinkel zu erhalten, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Mit jeder verstreichenden Millitonta wuchs meine Aktionsfähigkeit. Dann knackte ein Schalter. Heftige Kopfschmerzen rasten durch meinen Schädel. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre dem Projektor ausgewichen. Das
hätte mein sofortiges Ende bedeutet. »Anfangen!« Jetzt musste ich handeln, ob ich wollte oder nicht. Der Ara hatte den Befehl zum Beginn des Experimentes gegeben. Mir blieb keine Zeit mehr, meine Muskelkraft auszuprobieren. Als ich von der flachen Liege springen wollte, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass meine Füße von stählernen Klammern umschlossen waren. »Ihr Hhracks!«, tobte Fartuloon. »Lasst eure Spinnenfinger von meinem Körper! Ich lasse doch euch erbärmliche Kreaturen nicht an meinen kostbaren Leib heran!« Fartuloon war wieder voll da. Auf einmal wusste ich, dass die Aras uns nicht töten würden. Wir waren eben keine wehrlosen Androiden, die man je nach Bedarf aus dem Lagerraum abrief. Plötzlich fiel das Skarg polternd auf den Boden. Du kannst dem Bauchaufschneider nicht alles überlassen, sagte mein Extrasinn. Natürlich nicht. Mit einer heftigen Armbewegung fetzte ich den Projektor von meinem Kopf, zerriss die Zuleitungen. Ich achtete nicht darauf, dass ich mir bei einem Kurzschluss die Finger verbrannte. »Der andere will sich auch befreien.« In der Stimme des Aras schwang Angst. So etwas hatten sie noch nicht erlebt. In ihrem ganzen Leben hatte sich wohl noch kein Opfer von der Schlachtbank erhoben und sich gewehrt. Ich sah aus den Augenwinkeln heraus, wie einer der Mediziner auf den nächsten Instrumentenschrank zueilte und die Schlösser aufschnappen ließ. Darunter kam eine Schaltfläche zum Vorschein. Ich wusste nur zu gut, welchem Zweck diese Hebel dienten. Ohne Sicherheitssysteme würden die Aras an Androiden keine Versuche vornehmen. Tests mit harter Hyperstrahlung brachten immer unkontrollierbare Gefahren mit sich. Fartuloon wirbelte einen Ara durch die
Luft, der sich zu nahe an dessen Behandlungsliege gewagt hatte. Der Spitzkopf krachte gegen eine Recheneinheit und blieb bewegungslos liegen. »Noch jemand? Macht uns endlich los, verdammte Bande!« Ich zerrte an den Fußfesseln, doch die Stahlbänder gaben nicht nach. Ich war nach wie vor gefangen. Und ich ahnte, was der eine Ara vorhatte, malte mir lebhaft aus, was geschah, wenn er die Versuchsapparatur unter Starkstrom setzte. Sie wollten uns ausschalten oder sogar töten. Viel Zeit blieb uns nicht. Eben löste der Ara eine Sicherheitskappe von den Kontakten. Der Bauchaufschneider blickte zu mir herüber. Er lag am anderen Ende des Laboratoriums und hatte ebenfalls die Nachwirkungen des unverhofften Paralysatortreffers überwunden. Auch er war an die Liege gefesselt. Sein Skarg lag auf dem Boden. Er beugte sich hinunter, kam jedoch nicht ganz an die Waffe heran. Die Fußfesseln hielten ihn fest. Keuchend streckte er die Hand noch ein bisschen weiter aus. Da sprang ein Ara heran, der aus den Augenwinkeln gesehen hatte, was der Bauchaufschneider im Schilde führte. Er wollte das Schwert mit dem Fuß wegstoßen, doch Fartuloon war schneller, erwischte den Ara am Bein, zerrte ihn blitzschnell zu sich auf die Liege und versetzte ihm einen heftigen Schlag. Der Mediziner sank in sich zusammen. Durch den hastigen Sprung des Aras war das Skarg näher an die Liege herangerutscht. Fartuloon griff zu und schob das blitzende Metall quer durch die Fußfesseln. Dass er sich dabei vielleicht verletzte, schien ihm nichts auszumachen. Ein Ruck, und das Dagorschwert hatte die Fesseln gesprengt. Kaum war Fartuloon von der Liege gesprungen, als hinter ihm eine grellgrüne Entladung hochzuckte. Der schwarzbärtige Bauchaufschneider stand wie ein Rachegott zwischen den Trümmern der medizinischen Apparaturen und hielt das
Skarg in der Rechten. »Lasst Atlan frei!« Doch der Ara wollte auch die zweite Liege desintegrieren. Er umfasste soeben den Hebel, der die Energie dazu freigeben sollte. Ein blitzender Schemen schnellte durch das Labor, und der Ara ließ aufschreiend den Hebel des Schaltkastens los. Das Skarg steckte in seinem Körper. Langsam rutschte der Ara an der Wand herunter. »Das hättest du dir ersparen können.« Bevor die anderen etwas unternehmen konnten, war Fartuloon neben den tödlich Verwundeten gesprungen und hatte das Schwert an sich gerissen. »Keine falsche Bewegung!« Die Aras waren noch bleicher geworden, als sie ohnehin schon waren, standen zitternd an der anderen Laboratoriumswand und schwiegen. Sie waren wohl davon überzeugt, dass Fartuloon wahnsinnig geworden war und jetzt kurzen Prozess mit ihnen machen würde. Doch zuerst befreite er auch mich von den Fußfesseln. Erleichtert massierte ich mir die Fußgelenke. »Das war knapp, alter Bauchaufschneider.« Er grinste, wischte das Skarg an der Liege ab und deutete zu den zitternden Aras hinüber. »Was geschieht mit den Burschen?« Ich machte ein möglichst strenges Gesicht und sagte frostig: »Töten« Die Aras glaubten uns jedes Wort. Immerhin hätten sie sich uns gegenüber nicht anders verhalten. Sie schrien entsetzt durcheinander und versuchten, aus dem Raum zu fliehen. »Lass sie laufen!«, rief Fartuloon und lachte dröhnend. Das gefiel seinem martialischen Gemüt. Nach den überstandenen Schrecken hatten wir wahrhaftig eine Aufmunterung nötig. »Würde mich nicht wundern, wenn dieser Tocce-Lanceet alles mit angesehen hat. Dem ist es doch nur allzu willkommen, wenn wir bei unserer Suche draufgehen.«
»Ganz recht, Arkonide«, ertönte es am Eingang zum Laboratorium. Tocce-Lanceet kam langsam näher, begleitet von einer schwer bewaffneten Eskorte. Sein dünnlippiger Mund hatte sich zu einem überheblichen Grinsen verzogen. »Beachtlich, wie Sie sich befreit haben. Ich habe alles beobachtet.« Damit gab Tocce-Lanceet unumwunden zu, dass er von unserer Verwendung als Versuchsobjekte Kenntnis gehabt hatte. »Und wie wollen Sie den Skinen unser Ableben plausibel machen? Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass Sie auf Dauer gegen den Willen der Skinen verstoßen können, oder?« Tocce-Lanceet hatte nur ein müdes Lächeln für mich übrig. »Was scheren mich die Skinen? Nicht mehr lange, und wir zeigen es diesen Kreaturen. Sind Sie tatsächlich so naiv, dass Sie annehmen, wir hätten uns mit unserer Gefangenschaft abgefunden?« »Wie wollen Sie denn von Cematrang entkommen?« Tocce-Lanceet lachte unbeherrscht. »Fragen Sie Ihr zweites Ich. Ihr kopiertes Bewusstsein kennt unseren Plan. Es hat nämlich etwas Ähnliches vor.« Ich sprang vor. »Sie kennen den Wirtskörper?« »Natürlich.« Der Ara ließ seine Worte wirken, bevor er fortfuhr: »Sie haben sich von ihm hereinlegen lassen, als Sie unten bei den Androiden herumstöberten.« Ogh, durchzuckte es mich. Dieser heimtückische Bursche. Ich ballte die Rechte zur Faust. »Also doch! Ich habe es geahnt. Aber der Sensor…« Ich schlug mir gegen die Stirn. »Und wir dachten zuerst, Sie hätten sich dort unten ein privates Straflager eingerichtet. Es ist ein gigantisches AndroidenArsenal. Was haben Sie eigentlich mit den vielen Körpern vor?« »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht, Arkonide.« Ich lächelte kühl. Meine Überlegungen schienen sich zu
bestätigen. Der Plan der Aras hatte einiges für sich: Statt die normalen Tore nach Tsopan zu verwenden, sollten offensichtlich die Androiden über die Energiezapfverbindung geschickt werden, die deshalb unempfindlich gegen die Hyperstrahlung sein mussten. Mit entsprechenden Informationen ausgestattet, konnten sie nach der Übernahme der Bewusstseinsabbilder der Aras von Tsopan aus helfen. Und weil Androiden kein Eigenbewusstsein haben, ergänzte der Logiksektor, konnte der Skinensensor keine Reaktion zeigen, denn dein Bewusstseinsabbild war ja das einzige feststellbare. Fartuloon polierte das Skarg mit einem Stück Zellstoffblank. Als er das Schwert gegen die Beleuchtung hielt, rissen die Bewaffneten ihre Strahler hoch. Sie würden bei der geringsten Kleinigkeit schießen. »Ich muss diesen Ogh unbedingt erwischen«, stieß ich hervor. »Aber nicht in meinem Stützpunkt. Sie haben schon genug Durcheinander angerichtet.« Fartuloon stellte sich breitbeinig vor die Aras und stemmte seine Fäuste in die Hüften. »Wir verlassen Cematrang nicht ohne das Bewusstseinsabbild. Sie haben Ihre Anweisungen von den Skinen, also halten Sie sich daran. Wenn wir nicht wohlbehalten nach Tsopan zurückkehren, werden die Skinen Ihre gesamten Kliniken und Experimentalstätten beseitigen. Ein Knopfdruck genügt.« Er hatte extra dick aufgetragen, aber anscheinend hatte er den Schwachpunkt der Aras getroffen. Tocce-Lanceet wusste selbst, dass er sich nicht alles erlauben konnte. Möglich, dass die Skinen schon früher mit der Vernichtung von Cematrang gedroht hatten. Die Skinen waren zwar friedlicher Natur, aber sie brauchten nur die planetarische Schutzblase abzuschalten, und der Planet würde rettungslos im Hyperraum verwehen. Keine Macht des Universums konnte ihn dann zurückholen.
»Sie brauchen sich nicht so aufzuspielen – der Gesuchte befindet sich nicht mehr in der Station. Ihm gelang nach einem kurzen Schusswechsel die Flucht aus dem Gebäude.« Ich sah den Kommandanten streng an. »Und wo ist Ogh mit seinen Genossen jetzt?« »Irgendwo dort draußen. In der Sandwüste. Wir haben sie aus dem Erfassungsbereich der Überwachung verloren. Tut mir wirklich leid.« »Auf Ihr Mitleid können wir verzichten. Lassen Sie uns jetzt hinaus. Wir verfolgen Ogh und die anderen Androiden. Lassen Sie sich nicht einfallen, uns dabei irgendwelche Schwierigkeiten zu machen.« »Das machen Sie schon selbst«, kicherte der Ara und spielte dann auf unseren Reinfall mit Ogh an. Ich überging seine ironische Bemerkung und fragte ihn nach der Reparatur des Verbindungssystems. »Die Techniker arbeiten noch. Es sind gerade ein paar Skinen angekommen. Transporte von Tsopan nach Cematrang sind inzwischen wieder ohne Schwierigkeiten möglich. Nur mit der umgekehrten Reise hapert es noch. Aber das ist nur eine Frage von Tontas.« Jetzt verstand ich das Einlenken von Tocce-Lanceet. Die Skinen hatten für uns Partei ergriffen. Uns drohte also keine unmittelbare Gefahr mehr. Wir konnten die Station verlassen.
15. Aus: Die Arkon-Tagebücher, Tauaag al-Ribini. Galaxian Traveller Books, Eureka, Terra 2124 Wenn ein Terraner behauptet, er habe die Arkoniden verstanden, kann es sich nur um einen Spinner handeln, einen Wichtigtuer, der den daheimgebliebenen mit der »großen, weiten Milchstraße«
imponieren möchte, die er während einer Vier-Tage-Pauschalreise ins Arkon-System »erfahren« haben will. Seit beinahe einem Jahr lebe ich nun unter ihnen. Manchmal gelingt es mir, den nächsten Satz meines Gesprächspartners zu erahnen oder seine »rudimentäre« Mimik ausnahmsweise richtig zu interpretieren. Und manchmal wird meine Antwort als »geistreich«, »erfrischend« oder »interessant« kommentiert. Um einen der aktiven Arkoniden zu manipulieren (was bei den über den Extrasinn verfügenden Personen sowieso utopisch ist), benötigt es der seltenen Momente angespannter Konzentration, die ich scherzhaft »das terranische Zhy« bezeichnen möchte. Die einzige Möglichkeit, die mir bekannt ist, das einzige »Tor« zum Wesen der Arkoniden ist ihr Stolz: der vollkommen berechtigte Stolz auf die großartigen Leistungen ihrer Ahnen. Um dieses Gefühl, das die arkonidische Gesellschaft schon seit Jahrtausenden prägt und durchdringt, zu verstehen, erscheint es zwingend notwendig, selbst einer Kultur anzugehören, die auf ähnlichen Grundwerten aufgebaut ist (wie zum Beispiel die altarabische, der ich entstamme). Wie groß sogar die kulturelle Kluft zwischen den reinrassigen Arkoniden und ihren zahlreichen Kolonialvölkern bereits kurz nach den Archaischen Perioden gewesen ist, lässt sich anhand eines Ereignisses aus der Regierungszeit von Zoltral I. darstellen, dem ersten Imperator, der seinem Titel die Floskel »der Bewahrer des Gath-Faehrl« hinzufügte: Als im Jahr 3794 da Ark eine Gesandtschaft von Largamenia-Kolonisten ihre Dienste bei der Wiederherstellung der ursprünglichen Flora und Fauna von Gos’Ranton angeboten hat (die Largamenier galten damals als die Besten auf dem Gebiet der »genetischen Rekonstruktion«), lehnte der Ka’Marhantis Sheffal da Sisaal das Angebot mit den Worten ab: »Arkoniden sind genauso stolz darauf was sie geschaffen haben, wie darauf, was sie untergehen ließen.« Die empörten Wissenschaftler erwirkten eine Audienz bei Zoltral I. selbst. Als sie die Einfachheit des geplanten Verfahrens am Beispiel eines geklonten Exemplars des legendären Hammants demonstriert
hatten, ließ der angewiderte Zoltral I. das Raubtier töten und die Largamenier von der Kristallwelt verjagen – weil das derart triviale und prosaische Vorhaben als Majestätsbeleidigung empfunden wurde… Über uns spannte sich der graue, konturlose Himmel. Die zirrusähnlichen Silberfäden, die wir kurz nach unserer Ankunft beobachtet hatten, waren verschwunden. Die düstere Atmosphäre wirkte bedrückend und lähmend auf mich. Aber vielleicht war an dieser Stimmung auch die geringe Erfolgschance unserer Bewusstseinsjagd schuld. »Nicht mal Spuren.« Fartuloon zog ein zerknirschtes Gesicht. Vor uns erstreckte sich eine düstere Bodenwelle. Dahinter ragten spiegelglatt abgerundete Felsbarrieren in den bleigrauen Himmel. Düstere Schatten verbargen Details vor unseren suchenden Augen. »Was würdest du zuerst unternehmen? Wir müssen daran denken, dass sich deine Bewusstseinskopie zumindest ähnlich wie du verhält. Vielleicht ist der Androidenkörper nicht so leicht zu beherrschen, aber inzwischen wird das Bewusstsein gelernt haben, dann umzugehen, als sei es schon immer sein eigener Körper gewesen.« Ich stocherte mit der Rechten im warmen Quarzsand herum und sah ihn nachdenklich an. »Ich würde erst mal die Aras in Sicherheit wiegen. Sollen sie denken, ich hätte außer der Flucht nichts anderes im Kopf.« »Stimmt. So ähnlich dürfte dieser Ogh kombiniert haben. Und weiter?« »Hm… ich würde in die Station zurückkehren. Oder in eine benachbarte. Die Androiden brauchen Waffen. Ogh hat meine Erfahrung und meine Erinnerung. Es wird ihm nicht schwer fallen, die willenlosen Androiden in Kämpfer zu verwandeln. Er hat nichts mehr zu verlieren.« Ich stand ruckartig auf und
sah mich um, konnte jedoch nichts Verdächtiges erspähen. Fartuloon deutete zu den riesigen Felserhebungen hinüber. »Von dort aus kann man die Station beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Wir könnten uns dort einen Beobachtungsstand einrichten.« »Willst du dich hier häuslich niederlassen?« Er lachte, kannte meine Ungeduld. Wir liefen wortlos zu den Felsen hinüber und standen wenig später direkt vor den massigen Erhebungen. Das Material der Felsgiganten musste vor Urzeiten gewaltigen Hitzegraden ausgesetzt gewesen sein. Die Schmelzspuren waren nicht zu übersehen. Es lag nahe, dass bei der Versetzung von Cematrang in den Hyperraum eine planetare Katastrophe über den Planeten hereingebrochen war. Zwischen den Felsrücken schlängelte sich eine enge Rinne empor. Ich kam spielend vorwärts und rutschte nicht ein einziges Mal ab. Fartuloon hatte es da schon etwas schwerer. Sein Körperumfang war für derartige Kletterpartien nicht gerade geeignet. Er blieb wiederholt stecken und kam nur mit meiner Hilfe wieder frei. »Ein voller Bauch hat eben auch seine Nachteile«, sagte ich ironisch. »Keinen Neid, mein Lieber. Asketen wie du haben es in Notzeiten verdammt schwer.« Dann hatten wir es geschafft. Schwer atmend standen wir auf dem Felskamm, von dem aus wir sowohl über die Sandwüste als auch über die Felsbarriere schauen konnten. Die Station war von hier aus in ihrer Gesamtheit überschaubar. Ein Fremder hätte niemals vermutet, dass unter diesem fang gestreckten Gebäudekomplex so grauenhafte Dinge geschahen. Von außen wirkte er harmlos und friedlich. Hinter den Felsen erhoben sich unzählige gelb schimmernde Blöcke, in denen riesige Tiere eingeschlossen waren – offensichtlich eine Masse, die während der planetaren
Katastrophe geschmolzen war und sich dann fugenlos um die Kreaturen dieser Welt geschlossen hatte. Wir liefen hinunter, um die seltsamen Gebilde aus allernächster Nähe betrachten zu können. Ich achtete nicht auf die unzähligen Löcher, die ringsum in der Felsmasse zu sehen waren, und überhörte das leise »Viwo-Viwo«. Die eingeschlossenen Giganten aus der Urzeit Cematrangs waren interessanter als die kleinen Sandkreaturen. Ich ließ meine Hände über einen Block gleiten. Die bernsteinartige Substanz fühlte sich wie Plastik an, war jedoch tausendmal widerstandsfähiger. Fartuloon hinterließ selbst mit seinem Skarg nur winzige Kratzer. Und doch war das Material so klar und durchsichtig wie hochwertiges Glas. »Unheimlich«, flüsterte ich unwillkürlich, als sei zu befürchten, dass die Urtiere jeden Augenblick aus ihrem jahrtausendelangen Schlaf erwachen könnten. Da schwebte ein Saurier in der bernsteinfarbenen Masse, unverletzt und bestens konserviert. Seine katzenartigen Augen starrten uns an. Ich hatte das Gefühl, als würden sie leben. In der Tat sahen die Tierkörper aus, als warteten sie nur auf ihre Befreiung. Das war natürlich ein Trugschluss. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass nach so langer Zeit noch ein Lebensfunke in den massigen Körpern steckte. Wir entdeckten Schlangen, gigantische Krebse, Flugsaurier und primatenhafte Wesen in den luftdicht abgeschlossenen Massen. Sie alle mussten von der Katastrophe überrascht worden sein. Teilweise boten sich uns schreckliche Szenen. In einem durchsichtigen Block fanden wir einen Flugsaurier, der einen Primaten riss. In den Augen des arkonoiden Wesens stand nacktes Entsetzen. Eine blutähnliche Flüssigkeit bedeckte seinen Pelz. Die Farben wirkten frisch und natürlich. Bevor wir unsere Beobachtungen fortsetzen konnten, ließen uns donnernde Explosionen zusammenzucken. »Das war drüben in der Station!« Wir rannten zurück und
stiegen auf die Felsbarriere, von der aus wir den Überblick hatten. Wenig später kauerten wir schwer atmend auf dem Massiv. Über dem Hauptgebäude von Cematrang-I stand eine Feuerlohe. Schwarzer Qualm drang durch eine gezackte Öffnung ins Freie. Winzige Gestalten liefen aufgeregt um den Brandherd. Schweber starteten, die Chemikalien zur Feuerbekämpfung abwarfen. »Das kann nur Ogh mit seinen Androiden gewesen sein.« Fartuloon nickte. »Er hat es also geschafft, in die Station zurückzukehren. Womöglich wollte er die Waffenkammer plündern, und dabei ist etwas schief gegangen.« »Hoffentlich ist er dabei draufgegangen. Dann wäre die Suche endlich zu Ende.« »Mach dir keine Hoffnungen. Er ist ebenso gerissen wie du, weil er dein Bewusstsein repräsentiert.« »Wie ist er in die Station eingedrungen? Dann kennen wir seinen Rückweg und brauchen nur am Hintertürmchen zu lauern und ihn abzufangen.« Fartuloon dämpfte meinen Optimismus. »Selbst wenn wir wissen, wie Ogh in die Station gekommen ist, kennen wir seine weiteren Pläne nicht. Will er innerhalb der Station eine Art Guerillakampf organisieren oder will er nach Tsopan fliehen? Und hältst du ihn für so naiv, dass er blindlings in unsere Arme läuft?« »Natürlich nicht.« Wir beschränkten uns darauf, das Geschehen zu beobachten. Das Wummern weiterer Detonationen drang dumpf an unsere Ohren. Ein ganzer Flachbau stand schließlich in Flammen, während an einigen Stellen subplanetarische Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden gesprengt wurden. Mehrere Krater wölbten sich auf und fielen zeitlupenhaft in sich zusammen. »Die gehen ganz schön hart ran«, sagte Fartuloon
anerkennend. »Aber was wird aus uns, sollten Androiden das Verbindungssystem nach Tsopan vernichten?« Diese Möglichkeit hatte ich wohlweislich ignoriert. Irgendwie nahm ich fest an, Ogh wolle auf alle Fälle ins Standarduniversum fliehen. Ich hielt ihn nicht für so beschränkt, dass er nur an der absoluten Herrschaft auf Cematrang interessiert war. Aber wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. »Dort!« Mein Blick folgte Fartuloons ausgestrecktem Arm. »Androiden!« Ein Trupp von Oghs Androiden brach aus der Station aus und hetzte durch die Wüste. Wir konnten mehrere Gleiter sehen, die sich aus den Qualmwolken erhoben und Jagd auf die Flüchtenden machten. »Die Androiden haben keine Chance. Ob Ogh bei ihnen ist?« Fartuloon zuckte mit den Schultern. Über der Wüste blitzte es hell auf. Mehrere Androiden verschwanden im Glutstrahl des Thermoschusses. Jetzt blieben einige der Flüchtenden stehen, kauerten am Boden nieder und hantierten an einer schweren Waffe. Wenige Atemzüge bevor der ihnen am nächsten stehende Luftgleiter schießen konnte, lösten sie sie aus. Das Fahrzeug zerplatzte in einem Glutregen. Die AraAndroiden suchten eilig Deckung vor den umherfliegenden Trümmerstücken. »Bei diesen kaltblütigen Burschen könnte Ogh sein.« »Möglich.« Der Kampf in der Ebene wogte unentschieden hin und her. Die Androiden hatten schwere Waffen erbeutet und setzten den Gleitern schwer zu. Die Verluste waren auf beiden Seiten etwa gleich groß. Ich hoffte noch immer, Ogh zwischen den Kämpfenden zu entdecken. Doch auf diese Entfernung sahen Aras wie Androiden alle gleich aus. Als hinter uns Strahlschüsse aufbrüllten, war es fast schon zu spät.
Fartuloon packte mich am Arm und stieß mich in die schräg abwärts führende Gesteinsrinne. Bevor ich überhaupt wusste, was um uns herum vor sich ging, rutschte ich mit einer Irrsinnsgeschwindigkeit in das düstere Tal hinunter. Der glatte Felsen bot mir keinerlei Halt. Fartuloon folgte mir sofort. Im Fahrtwind wirbelten mir die schulterlangen Haare um den Kopf. Ich konnte jedoch noch sehen, wie ein riesiger Bernsteinblock splitternd zerbrach. Dann wurde ich plötzlich von einer Bodenwelle abgestoppt, überschlug mich in hohem Bogen und landete im aufstiebenden Quarzsand einer Mulde. Fartuloon prallte gegen mich. Wir überschlugen uns und kamen schwer atmend auf die Beine. »Was war das?«, fragte ich keuchend. »Jemand hat die durchsichtigen Blöcke mit einer Energiewaffe zerstört. Die Explosion hat tonnenschwere Brocken wie Spielzeug durch die Luft gewirbelt.« Ein heißer, stinkender Luftschwall kam uns entgegen. Es roch nach Tier, Blut, Schweiß und irgendwelchen Sekreten. »Wer…?« »Ogh natürlich!« So natürlich war das gar nicht. Wann sollte der Androide hierher gekommen sein? Wir hatten den gesamten Wüstenstreifen zwischen den Hügeln und der Station überblicken können. Dort unten war keiner näher als einen halben Kilometer an die Felsenkette herangekommen. Ein urweltliches Brüllen ließ uns herumfahren. Ich packte Fartuloons Arm, um mich seiner Gegenwart zu versichern. »Tiere? Ich dachte, hier gibt es nur die kleinen EisenViwos?« »Man lernt nie aus«, brummte Fartuloon. Dann erbebte der Boden wie unter den Schritten von Giganten. »Festhalten!« »Wo denn?« Die Felsen waren glatt wie Glas. Wir wurden durcheinander geschüttelt. Mehrere Felsnasen überzogen sich
plötzlich mit einem Netzwerk aus haarfeinen Rissen und brachen dann splitternd auseinander. »Wir müssen hier weg. Die Täler werden zur Todesfalle. Nur in der Wüste haben wir eine Chance.« Ich musste mich zusammenreißen. Ein Gefühl der Hilflosigkeit drohte mich zu übermannen. Das Toben hatte etwas nachgelassen. Dafür ertönte von einer anderen Stelle des Felsenparks das Zischen einer riesigen Schlange. Ich stellte mir jedenfalls vor, dass diese Geräusche nur von einer Schlange erzeugt werden konnten. Wir befanden uns in einem Irrgarten, dessen Inneres von unglaublichen Geräuschen erfüllt wurde. Ringsum knisterten die glasierten Wände, brachen Felsnasen auseinander oder zogen sich breite Risse durch den Boden. Das wirklich unangenehme an unserer Situation war, dass wir weder einen Überblick hatten noch wussten, was hier überhaupt vor sich ging. Wir konnten nur noch den herabbrechenden Felsmassen ausweichen und hoffen, dass hinter der nächsten Biegung ein Durchgang war. Sollten wir einen Gang ohne Durchschlupf erreichen, war unser Schicksal besiegelt. Plötzlich wurde es um uns herum dunkel. Etwas Schwarzes hatte sich über uns geschoben und versperrte uns den Blick. »Ein Saurier!«, schrie Fartuloon. Bevor ich meinen Strahler ziehen konnte, hatte Fartuloon sein Dagorschwert aus der Scheide gerissen. Die riesige Tatze glitt schwerfällig über die glatten Felsen. Ihre Schuppenhaut war an vielen Stellen brüchig. Blutähnliche Sekrete tropften ölig herab. Als Fartuloon das Skarg schwang und mit aller Kraft in die Klaue schlug, brach Donnergrollen über uns herein. Fartuloon wurde mitsamt seiner Waffe hochgerissen. Erst als sich das Skarg aus dem Fleisch löste, fiel der Bauchaufschneider zu Boden. Trotz seiner Dickleibigkeit kam er sofort wieder auf die Beine und schaute sich hastig nach
einem Unterschlupf um. Für wenige Augenblicke tauchte der massige Schädel des Tiers über uns auf. Ein kantiger Kopf mit fliehender Stirn und einem Zackenkranz im Nacken. Die gespaltene Zunge glitt zwischen den gelben Reißzähnen hervor, sonderte eine klebrige Substanz ab. Die gelben Katzenaugen des Ungetüms hatten uns anscheinend erspäht. Das Untier beugte sich herab und versuchte seine riesige Schnauze in den Gang zu schieben. Doch der Durchgang war zu eng. Obwohl wir von einem heftigen Gesteinsschauer aus losgebrochenen Platten überschüttet wurden, kam der Saurier nicht weiter. Wir pressten uns an die Wand und rutschten weiter nach rechts, wo sich ein Durchschlupf andeutete. Eine Zunge kam uns bedenklich nahe. Fartuloon schlug sofort mit dem Skarg danach, doch die Waffe blieb daran hängen. Das Schwert wurde dem Bauchaufschneider aus der Hand gerissen und in einen Seitengang geschleudert. Wir hörten, dass es über die Felsen klirrte und dann liegen blieb. Grässliches Brüllen war zu hören. Dazwischen ertönte zischendes »Viwo, Viwo« aus dem Sand. Ich riss die Augen auf. Vor uns verbrannte die Saurierzunge in einer leuchtenden Entladung. Ich sah, dass sich ein Eisen-Viwo aus dem zerschmolzenen Sand reckte und sofort wie der in seinem Felsengang verschwand. Hinter ihm füllte nachrutschender Quarzsand das Loch im Boden. »Hast… hast du das gesehen?«, kam es mir schwerfällig von den Lippen. »Ein Eisen-Viwo hat das Biest erledigt!« Fartuloon war genauso überrascht wie ich. Wir krochen durch eine schmale Felsenöffnung in den angrenzenden Gang; fast wäre ich über Fartuloons Skarg gestolpert. Die Waffe lag schimmernd zwischen den Felsen und etwas weiter ein Toter. »Ogh!«, rief ich unwillkürlich. Die Pranke des Sauriers hatte den Androidenkörper zerquetscht. In der Ferne kämpften
zwei Urweltbestien miteinander. Ihr Toben war deutlich zu vernehmen. Immer neue Erdstöße liefen durch den felsigen Boden. Felsbrocken polterten aus den uns umgebenden Wänden und blieben vor uns liegen. Fartuloon hob sein Schwert auf und streifte den toten Androiden nur mit einem Blick. »Das ist nicht Ogh.« Seine Feststellung beruhigte mich ungemein. Nicht die Vorstellung, die Bewusstseinskopie könnte schon wieder den Körper gewechselt haben, ängstigte mich – nein, trotz allem fühlte ich weiterhin eine seltsame Vertrautheit zu meinem anderen Ich. Es hatte tapfer gekämpft und durch seine Aktionen heilloses Durcheinander auf Cematrang verursacht. Besser hätte ich es auch nicht machen können. Ich hob den schweren Thermostrahler auf, der neben dem Toten lag. Eine rasche Überprüfung ergab jedoch, dass das Energiemagazin leer geschossen war. Wir suchten nach einem Ausgang aus dem Felsenlabyrinth. Das Toben der riesigen Tiere hatte sich etwas in die Ferne verlagert. »Dort drüben!« Fartuloon zeigte auf einen breiten Felsspalt, hinter dem es gelblich schimmerte. »Dort kommen wir durch.« Wir überquerten die Schneise und bückten uns. Das gelbliche Leuchten füllte unser gesamtes Blickfeld aus. Der Geruch nach verwesendem Fleisch war plötzlich stärker. Ich musste den unvermittelten Brechreiz unterdrücken. Was erwartete uns hinter der Felsenbarriere? »Daher stammen also die Urweltbestien«, stellte Fartuloon fest. »Ich hatte es schon vermutet, aber diese Möglichkeit erschien mir dann doch zu fantastisch.« Die meisten gelblich schimmernden Blöcke waren von genau dosierten Strahlschüssen gesprengt worden. Das bernsteinähnliche Material war im ganzen Tal verstreut – wie die Hohlformen einer gigantischen Denkmalsfabrikation. Sofern man die Abgüsse der Tiere als Denkmäler einer archaischen
Vergangenheit Cematrangs bezeichnen konnte. An einigen Stellen fanden wir unbeschädigte Felsen, die große Insekten umschlossen, dann viele Tierkadaver, die sich rasch auflösten. Grässlicher Gestank erfüllte das Tal »Jemand hat die durchsichtigen Felsen gespalten.« Das ungeheure Gräberfeld erinnerte an die mythische Darstellung einer Götterwalstatt. Alles war gigantisch und bis ins Groteske verzerrt. »Ogh hat die Tiere freigesetzt«, antwortete ich überzeugt. »Bei dem Durcheinander, das diese Giganten zweifelsohne anrichten, kann ein geschickter Kämpfer den Aras großen Schaden zufügen.« Die logische Schlussfolgerung ließ nichts anderes zu. Offen blieb nur, ob die Tiere tatsächlich einfach mit Schüssen zu beleben gewesen waren. Die bernsteinähnliche Masse hatte die Tierkörper ohne Zweifel perfekt konserviert. Das konnte nur damals bei der Versetzung des Planeten in den Hyperraum geschehen sein. Plötzliche Hitzeentwicklung hatte jene Substanz gelöst und die flüchtenden Tiere umschlossen. Seitdem war aller Wahrscheinlichkeit nach eine halbe Ewigkeit vergangen. Fartuloon schien meine Gedanken zu erraten. »Ich kann es mir nur so erklären, dass hyperdimensionale Einflüsse an der Wiederbelebung beteiligt sind. Die Bernsteinmasse mag eine ideale Konservierung sein. Dann fehlt nur noch die Reanimierung der eingeschlossenen Körper. Wir wissen, dass die Aras dann experimentieren. Perfekt konservierte Körper werden extrem hochfrequenter Hyperstrahlung ausgesetzt. Das Ergebnis ist zweifellos ein funktionsfähiger Körper. Warum sollte die Natur dieses schwierige Problem nicht auf eigene Weise gelöst haben?« Cematrang war in den Hyperraum eingelagert. Fartuloons Überlegung hatte also durchaus nicht nur hypothetische Züge. Doch dann sahen wir die düsteren Felsenlöcher. Auf einmal
hatten wir den Kampflärm und das riesige Gräberfeld vergessen. Vor uns gähnte ein schwarzer Tunnel, dessen Ränder geschmolzen wirkten. Aus der Tiefe drang das hektische Pfeifen und Rumoren der Sandbewohner herauf. »Viwos. Die Kleinen haben einen Tunnel in die Felsen getrieben. Anzunehmen, dass man von hier aus in die Wüste gelangt.« »Oder in die Station.« Mir war der Gedanke gekommen, Ogh könnte von hier aus seine Attacke gegen die schlafenden Saurier geführt haben, als er durch den Gang aus der Station hierher gelangt war. Wir wollten uns gerade näher mit dem Tunnel der Sandbewohner befassen, als ein Hilfeschrei ertönte. »Das war ein Ara.« Kaum hatten wir mit einiger Mühe die nächste Bernsteinerhebung erklommen, als wir eine entsetzliche Szene sahen. »Das ist Ogh«, stöhnte ich. »Er wird angegriffen.« Der Flugsaurier hatte den Androiden mit dem fast körperlangen Zackenschnabel gepackt und flatterte mit ihm über mehrere Felsen hinweg. Ogh versuchte nach seiner Strahlwaffe im Gürtel zu greifen, doch die spitzen Knochenzacken auf den Schnabelflächen bohrten sich tief in seinen Körper. Er musste furchtbare Schmerzen ausstehen, denn ich war mir sicher, dass auch die Androiden der Aras mit den Vor- und Nachteilen eines Nervensystems ausgestattet waren. Warum verlässt sein aufgepfropftes Bewusstsein den Körper nicht?, fragte mein Extrasinn. Ich wusste keine Antwort. Wollte ich Ogh jemals selbst danach fragen, musste ich ihn sofort aus den Klauen befreien. Ich richtete meinen Kombistrahler auf den Flugsaurier, der nicht weit von uns entfernt hockte und sein Opfer festhielt. »Nicht mit dem Strahler. Du würdest ihn dann nicht retten. Im Gegenteil. Besser, wir locken das Vieh von ihm weg.«
Aber wie? Eben flog der Flugsaurier erneut auf. Seine lederhäutigen Fledermausschwingen machten ein paar matte Bewegungen. Die Zeit der Konservierungsstarre war zweifellos nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Fartuloon sprang aus der Deckung und ließ das Skarg durch die Luft wirbeln. Der Saurier flatterte erschrocken höher. Seine rötlichen Augen hefteten sich auf den neuen Widersacher. Das Tier zögerte, konnte Fartuloon anscheinend weder als Opfer noch als Jäger einordnen. Ogh schrie. Seine Brust war blutüberströmt. Zwischen den Fetzen der Kombination schimmerte das rohe Fleisch. Ich wollte dennoch einen Schuss wagen. Ein Loch in den breit gefächerten Flügeln würde das Biest wohl nicht verkraften, und noch war es nicht so hoch, dass ein Sturz Oghs Ende bedeutet hätte. Das Aufheulen mächtiger Generatoren markierte die Wende. »Aras!«, schrie Fartuloon. Über der Felsbarriere tauchten etwa zehn schwer bewaffnete Gleiter auf. Die Galaktischen Mediziner machten Jagd auf die wiederbelebten Saurier, von denen einige sicher auch in die Station eingedrungen waren. Wie Raubvögel stürzten sich die Gleiter auf den Flugsaurier herab. Den Jagdkommandos war es egal, ob Ogh dabei getötet wurde, deshalb durfte ich nicht mehr länger zögern. Ich streckte die Rechte mit dem Kombistrahler aus, justierte die Abstrahlmündung auf schärfste Bündelung und schoss. Der Thermostrahl fraß sich mit Lichtgeschwindigkeit in den Kopf des fliegenden Ungetüms. Im gleichen Augenblick ließ die Bestie ihr Opfer los Ogh stürzte schreiend in die Tiefe und verschwand irgendwo zwischen den Felsen. Dann war die Hölle los Die Aras schossen auf alles, was sich bewegte. Dicht neben uns zerschmolz ein körpergroßer Block, aus dem sich ein Insekt befreite, das kurz darauf in den Impulsgluten der schweren Luccots endete.
»Weg hier! Die nehmen keine Rücksicht.« »Aber Ogh…«, begann ich und fiel dicht hinter Fartuloon her. »Wir können ihn nicht hier liegen lassen. Er ist verwundet.« »Das hat er sich selbst eingebrockt.« Das Fauchen der Strahlwaffen wurde lauter. Dicht über uns huschte der ovale Schatten eines Gleiters hinweg und zwang uns augenblicklich in Deckung. Glutspritzer versengten meine Kombination. Der beißende Qualm ließ mich husten. Ich konnte kaum noch etwas sehen. Von dem vergasenden Gestein waren giftige Dämpfe freigesetzt worden, die uns jetzt fast die Besinnung raubten. Wenn wir noch länger hier verharrten, würden wir die nächsten Augenblicke nicht überleben. Die Aras schienen fest entschlossen zu sein, das ganze Tal in einen Lavasee zu verwandeln. Wir krochen im Schutz einer Bodenwelle vorwärts. Wohin sollen wir fliehen? »Kopf runter!« Fartuloon stieß mich in die Deckung der Felsen. Vor uns tobte eine gewaltige Schlange. Der rubinrote Schuppenkörper war über und über mit Brandwunden bedeckt, das Tier halb verrückt vor Schmerzen. Aus dem Vorderteil entsprangen kleine Greifklauen, die sich in einem Krampf um den eigenen Kopf schlangen. Jetzt zuckte die Riesenschlange wie von der Sehne eines Bogens abgeschnellt durch die Luft. Wir sprangen aus der Deckung und liefen geduckt an einem schwelenden Tierkadaver vorbei. Doch die Schlange musste uns entdeckt haben. Ihr wütendes Zischen ließ mir fast das Blut in den Adern gefrieren. Wir liefen, so schnell wir konnten. Die qualmgeschwängerte Luft machte uns das Atmen zur Qual. Unsere Gesichter waren schweißbedeckt und von umherfliegenden Rußteilchen völlig verschmiert. Der Kopf der Schlange streifte mich. Ich erhielt einen mächtigen Schlag vor die Brust und stürzte zu Boden. Das Tier
duckte sich, um erneut auszuholen; es schien mich für den Urheber der brennenden Qualen zu halten. Die starren Augen fixierten mich. Ich rollte blitzschnell um die eigene Achse, entkam dem erneuten Angriff um Haaresbreite und unterlief auch den nächsten Stoß der Schlange. Fartuloon stieß mich beiseite. »Keine Zeit für Geschicklichkeitsspiele.« »Die Energiebatterie meines Strahlers reicht nicht mehr lange…« Fartuloon stand unter dem pendelnden Kopf der Riesenschlange und riss das Skarg hoch. Gleichzeitig stieß das Ungetüm zu und bohrte praktisch seinen eigenen Kopf in das blitzende Schwert. Blut tropfte über Fartuloons Arm. Das sterbende Tier riss dem Bauchaufschneider die Waffe aus der Hand. Fartuloon musste sich dabei die Hand verletzt haben, sein Gesicht war eine Grimasse, als er sich das Blut vom Arm wischte. »Weiter!« Das war alles. Typisch Fartuloon. Ein Pragmatiker, wie er im Buche stand. Die eine Sache war erledigt, nun kam die nächste dran. Er hatte kaum Zeit, das Skarg aus dem Kopf der Riesenschlange zu ziehen, well sich zwei Gleiter im Sturzflug näherten. Das Heulen der verdrängten Luftmassen wurde lauter. »Wetter, dass Tocce-Lanceet zuschaut?« »Das traue ich dem Ara ohne weiteres zu.« Während wir versuchten, im Schutz der Felsblöcke zu bleiben, kreisten uns die Gleiter ein. Neben uns zuckten mehrere Glutstrahlen in den Boden, die uns fast die Stiefel versengten. »Die spielen mit uns«, rief Fartuloon. »Und so ein kleiner Treffer ganz nebenbei schickt uns ins Jenseits.« Wir konnten den Gleitern kaum noch entkommen. Ich spürte, dass meine Kräfte nachließen. Lange würde ich das nicht mehr durchstehen. Da kam mir die rettende Idee. »Der Tunnel der Eisen-Viwos.« Fartuloons rußgeschwärztes Gesicht verzog sich zu einem
Grinsen. Er schlug mir derb auf die Schulter. »Diese Idee könnte fast von mir stammen. Los, nichts wie weg von hier!« Es war ein Spießrutenlaufen zwischen noch lebenden Bestien und den dichter aufschließenden Gleitern. Vor uns tauchten ein paar wiedererweckte Insekten auf. Diese Kreaturen waren fast größer als wir und stellten eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Glücklicherweise fanden die Gleiter in ihnen einen Gegner, der wichtiger als wir war, als eine riesige Stechmücke mit einem Gleiter kollidierte. Das Insekt versuchte trotz der Verletzungen, seinen stählern schimmernden Saugrüssel durch die Sichtkuppel zu bohren. Mücke wie Gleiter verloren dabei ständig an Höhe. Wir versuchten, ihnen rechtzeitig auszuweichen. In diesem Augenblick drang die Mücke durch die Scheibe aus Panzerplast und bohrte ihren Rüssel in den Körper des steuernden Aras. Wir sahen, dass der Mann von einem Augenblick zum andern blutrot wurde. Dann löste er sich auf. Doch das Insekt überlebte seinen Sieg nicht. Der Gleiter prallte gegen Felsspitzen, überschlug sich und ging in Flammen auf. Eine schwarze Qualmwolke hing über dem Unglücksort. Mehrere Gleiter schossen in den Metallklumpen hinein. Das Ereignis machte die anderen Aras vorsichtiger. Sie flogen jetzt in eng aufgeschlossenen Staffeln und griffen die restlichen Urzeittiere nur im Verband an. Inzwischen hatten wir den Tunnel der Eisen-Viwos erreicht und wälzten keuchend einen Saurierrumpf beiseite. Ich presste angewidert die Zähne zusammen. Wenig später war die düstere Öffnung freigelegt. In der Tiefe glühten winzige Lichtpünktchen. »Als ob die Sandkreaturen nur darauf warten, dass wir in ihr Reich eindringen.« »Uns bleibt keine andere Wahl. Oder willst du von den Aras zusammengeschossen werden?« Ich verneinte selbstverständlich und kletterte über den
niedrigen Wall vor dem kaum mannshohen Tunnel. Erst jetzt wurde ich auf die Blutspur aufmerksam, die sich vom Tunneleingang aus bis in den düsteren Gang fortsetzte. Fartuloon und ich hatten den gleichen Gedanken. »Ogh war hier und hat ebenfalls Zuflucht im Tunnel gesucht.« Das sind ja feine Aussichten, dachte ich. Aber es hatte keinen Sinn, noch länger hier draußen zu verharren. Ogh war schwer verletzt. Ich schwankte zwischen Hass und Freundschaft. Sicher war, dass ich den Körper meines zweiten Ichs nicht so leicht töten konnte. Wenn überhaupt! Ein Strahlschuss beendete abrupt unsere Zweifel. Die Aras hatten den Tunnelzugang aufs Korn genommen. Und sie schossen verdammt gut. Wenige Schritte, und wir waren im Höhlengang verschwunden. Hinter uns wurde die Öffnung vom glutflüssigen Gestein versiegelt. Ohne Desintegrator würden wir nie wieder herauskommen – es sei denn, es gab einen zweiten Ausgang. Zuerst tasteten wir uns vorsichtig an der glatten Wand vorwärts. Es war stockdunkel, die Luft drückend und heiß. Meine Kehle war wie nach einem tagelangen Wüstenmarsch ausgedörrt. Pass auf, dass du keinen Viwo berührst, warnte mich mein Extrasinn vor den elektrischen Schlägen der kleinen Sandbewohner. Doch mir wurde langsam alles gleichgültig. Sollten die Kreaturen doch auftauchen und uns einen schnellen Tod verschaffen. Das war vielleicht besser, als weiter durch die Finsternis zu stolpern. Zeitweilig wurde der Gang so eng, dass wir nur auf allen vieren vorwärts kriechen konnten. Als ich mir vorstellte, dass über uns womöglich einige hundert Tonnen Sand lasteten, drohte mich kurzfristig Panik zu überwältigen. Fartuloon hörte mich stöhnen. Ich fragte nicht, wie er es fertig brachte, in einer solchen Lage die Nerven zu behalten.
»Wir kommen irgendwie raus. Denk an etwas anderes… konzentriere dich.« Ich schüttelte den Kopf und merkte, dass heißer Sand von der Röhrenwand rieselte. »Hier kommen wir nicht mehr lebend raus.« »Denk an Farnathia!« Ich schloss die Augen und bemühte mich, die aufkeimende Panik zurückzudrängen. Farnathias Bild entstand vor meinem Auge. Der Extrasinn unterstützte mich, lieferte mir fotografisch exakte Szenen, die ich erlebt hatte. Famathia… ich komme! Uns trennte eine unbegreifliche Barriere. Nicht nur dieser stickige Sandtunnel, nicht nur die Wüste von Cematrang – nein, der Hyperraum! Erst wenn wir die Verbindung der Skinen durchschreiten würden, konnten wir die nicht messbare Distanz zwischen den Kontinua überwinden. Erst dann würden wir nach Tsopan gelangen, wo Farnathia in der POLVPRON auf mich wartete. Wie lächerlich gering war da die Distanz zwischen dem Tunnel und der Ara-Station. Ich schöpfte neuen Mut und schob mich unermüdlich vorwärts. »Weiter so!«, keuchte Fartuloon hinter mir. »Ich glaube, da vorn wird es heller.« Ich konnte nichts dergleichen sehen. Fartuloon musste sich selbst etwas eingeredet zu haben, oder aber er war einer Halluzination aufgesessen. Aber vielleicht war es doch keine Täuschung gewesen: Etwas kühlere Luft streifte plötzlich mein schweißnasses Gesicht. Ich tastete mit beiden Händen die Rundung des Tunnels ab. Sie stießen ins Leere. Ich versuchte aufzustehen, und es gelang mir. »Hier ist mehr Platz!«, rief ich begeistert. Ich wusste nicht, wie lange wir schon durch die Finsternis gekrochen waren. Es war höchste Zeit, dass wir uns aufrichten konnten. Vor uns tauchten winzige Lichtpünktchen auf. Fast wie Sterne,
durchzuckte es mich, nach geglückter Transition. Die Lichter kamen näher, umringten uns und spendeten einen milchigen Lichtschein. Die Konturen des engen Tunnels traten auf einmal reliefartig hervor und gestatteten uns einen Blick in das vor uns liegende Labyrinth. Nachdem sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte ich, dass überall Viwos hockten. Hätte ich genau gewusst, dass ihre diamantartigen Körperauswüchse mit Augen identisch waren, ich hätte geschworen, sie würden uns neugierig anstarren. Fartuloon zuckte zurück und stieß fluchend gegen die Tunneldecke, als einer der Eisen-Viwos einen Dampfstrahl abließ. »Die Biester können uns hier unten bequem schmoren«, brummte er in einem Anflug von Galgenhumor. »Halbgar gesotten bin ich ohnehin schon.« Es war drückend heiß. Die Eisen-Viwos schienen die trockene Luft noch mehr aufzuheizen. Was wussten wir schon über den Metabolismus der seltsamen Sandkreaturen? Aber sie griffen uns nicht an, sondern schienen darauf zu warten, dass wir den ersten Schritt machten. »Los – sie scheinen heute ihren friedlichen Tag zu haben! Wir versuchen, einfach durchzubrechen.« Ich konnte nicht sehen, ob Fartuloon einverstanden war. Er kroch dicht hinter mir. Vor uns verschwand ein Viwo im schimmernden Sand. Die gesamte Tunnelröhre war mit einer harten Glasur überzogen. Nicht gleichmäßig, denn an vielen Stellen rieselte der Sand durch, aber völlig ausreichend, um dem Stollen eine gewisse Stabilität zu verleihen. Es wurde wieder dunkler. Neben uns gähnten finstere Löcher. Als ich genauer hinschaute, erkannte ich die leuchtenden Sensorpunkte der Viwos. Verrückte Bande, dachte ich. Sie haben uns bis jetzt nichts getan. Anscheinend spüren sie instinktiv, dass wir keine Gegner sind. Wenn ich es recht bedachte, handelten die Viwos völlig
logisch. Als Fartuloon zugreifen wollte, folgte eine elektrische Entladung. Der Androide im Futtersilo der Luccis hatte sie sicher ebenfalls angegriffen. Die natürlichste Reaktion der Welt darauf war eine Abwehrreaktion. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass wir uns hinsichtlich der Intelligenz dieser kleinen Wesen ziemlich getäuscht hatten. Es wäre nicht schwer gewesen, uns in diesem stickigen Sandtunnel anzugreifen. Aber die Viwos taten nichts dergleichen. Sie beobachteten uns nur. »Vielleicht sollten wir so einen kleinen Burschen mit auf die POLVPRON nehmen«, murmelte ich spontan. Hinter mir erklang asthmatisches Schnaufen. Fartuloon hatte es wirklich nicht leicht, bei seinem Körperumfang durch die wieder enger werdende Röhre zu kriechen. »Ich bin froh, wenn ich von dieser Lakhros-Welt nichts mehr hören und sehen muss. Und du willst so ein Eisenbiest mit nach Tsopan schleppen? Manchmal verstehe ich dich nicht. Noch sind wir nicht dort. Und ich bezweifle langsam, dass wir jemals zu unseren Freunden zurückkehren können. Selbst wenn du einen Viwo mitnehmen kannst, hast du die Rechnung ohne Corpkor gemacht. Unser Tierbändiger würde dir den Viwo schnell ausspannen…« Fartuloon machte eine Pause und schnappte nach Luft. Reden und gleichzeitig vorwärts kriechen konnte er nicht. »Keine Volksreden, Bauchaufschneider.« »Spott ist ein Vorrecht der Jugend. Nicht aber die Intelligenz. Hast du daran gedacht, dass ein Viwo mit Leichtigkeit jede Raumschiffswandung durchschmelzen kann? Oder hast du vergessen, dass die Eisenbiester auch durch den dicken Stahlbeton der Ara-Station gedrungen sind?« Ich erkannte, wie töricht es war, an ein Souvenir von Cematrang überhaupt zu denken. Wir steckten tief unter der Wüste und wussten nicht einmal, in welche Richtung wir
krochen. Wir waren weit davon entfernt, an eine Rückkehr zu unserem Raumschiff auch nur denken zu dürfen. Ich zweifelte auch daran, einen Viwo so einfach einpacken zu können. Die Sandbewohner schienen sehr eigenwillig zu sein. Ich grub meine Hände weiter in den heißen Boden und zog mich vorwärts. Wiederholt zerbröckelte die stützende Schmelzschicht in meinen Händen. Sie fasste sich wie Plastik an, doch ich wusste, dass es geschmolzener Sand war, der sich mit den Ausscheidungsprodukten der Viwos verbunden hatte. Plötzlich stieß ich ins Leere. Ein kalter Lufthauch traf mich wie ein Keulenschlag. Ich atmete tief durch und kroch hastig weiter. Die Temperatur war schlagartig gesunken. »Ich glaube, wir haben es überstanden.« »Hoffentlich.« Es ging jetzt schräg nach oben. Ein heller Lichtfleck umriss die ausgestanzt wirkende Öffnung. Gezackte Metallstreben ragten bizarr und scherenschnittartig herunter. Über dir ist ein Gebäude, sagte der Extrasinn. Meine Hände schrammten über Betonblöcke, die kantig im Weg hingen. Ich achtete nicht darauf, sondern arbeitete mich fieberhaft weiter hoch, wollte endlich raus aus der stickigen Enge. »Wo sind wir herausgekommen?« Ich schob mich vorsichtig höher. Zuerst erkannte ich gar nichts. Die Decke über mir schimmerte metallisch. Vor mir versperrte eine dunkle Masse die Aussicht. Ich stemmte mich mit einem Ruck hoch. »Ein Toter… Dahinten liegen noch mehr!« Schlagartig erkannte ich die Umgebung wieder. »Der Androidensaal!« Ich reichte Fartuloon die Hand. Wenig später standen wir im Raum und schüttelten den Sandstaub ab. Ich blickte mich aufmerksam um, denn seit unserem ersten Besuch hatte sich hier allerhand verändert. Die meisten Androiden waren von den Stapelregalen verschwunden. Der Rest lag am Boden. Strahlschüsse hatten die dürren Körper durchbohrt. Hier
waren auch zahlreiche Aras gestorben, nicht nur Androiden. Der Kampf musste mit äußerster Heftigkeit und Härte geführt worden sein. In den Wänden klafften dunkle Schmelzlöcher. Zahlreiche Regale waren zersplittert. Verkohlte Plastikteile lagen überall verstreut. »Wir hätten nicht früher hochkommen dürfen«, sagte Fartuloon. »Hier war die Hölle los.« »Sieht ganz danach aus.« Ich sah mich aufmerksam um. Mit einem Mal wusste ich, was mich so beunruhigte: Ich suchte Ogh unter den Erschossenen. Der Androide musste kurz vor uns aus dem Schacht gekrochen sein, denn unterwegs hatten wir ihn nicht bemerkt. Ein Wunder, dass er es überhaupt so weit geschafft hatte, immerhin war er ziemlich schwer verwundet gewesen. Der Flugsaurier hatte tiefe Wunden in seinen Körper geschlagen. Dann war da noch der Sturz zwischen die Felsen gewesen. Ich hatte wirklich nicht dann gerechnet, dass er so weit kommen würde. Du machst dir Sorgen um Ogh?, flüsterte es in mir. Verwundert erkannte ich, dass es mir keineswegs gleichgültig war, ob Ogh tot war. Fast empfand ich ein brüderliches Verhältnis zu dem verschwundenen Ara-Androiden. Ausschlaggebend dafür war natürlich das Wissen um seine seelische Identität. Mein Bewusstseinsabbild war in den Körper geschlüpft und hatte um seine Freiheit gekämpft. Ich fragte mich, ob wir jemals zu einer Übereinkunft kommen konnten. Betrachteten wir einander als lästige Konkurrenten? Eine Frage konnte ich mir nicht beantworten: Warum hat meine Bewusstseinskopie den Körper im Augenblick höchster Gefahr nicht wieder verlassen? Weshalb ist sie weiter in Ogh geblieben? Ich hoffte, Ogh möglichst rasch zu finden. Das würde viele Dinge klären helfen – und mich auch beruhigen. Ich ließ meinen Blick über die reglosen Körper der Androiden schweifen. Ein eigentümlich stechender Geruch reizte meine
Nasenschleimhäute. Mir fiel auf, dass mehrere Androiden plötzlich im Dämmer verschwunden waren. Eben noch hatte ich die Toten gesehen, jetzt waren sie weg. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Ich wandte mich an Fartuloon. »Hast du etwas bemerkt? Die Aras lassen die Androiden verschwinden. Möchte bloß wissen, wie sie das anstellen.« Er schüttelte den Kopf. »Das wollte ich dich auch gerade fragen.« »Aber… außer uns ist doch niemand in der Halle.« Ich brauchte nur Fartuloons ungläubiges Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass er weder an Geister noch an übermächtige technische Apparaturen dachte. »Hier haben doch fünf Androiden gelegen. Die können nicht spurlos verschwinden.« Uns beschlich ein äußerst ungemütliches Gefühl. Das düstere Halbdunkel der Halle und die vielen Toten bildeten eine unheimliche Kulisse. Wäre nicht der stechende Geruch irgendeiner säurehaltigen Chemikalie gewesen, hätte ich das Gefühl gehabt, in einem zeitlosen Totenreich eingeschlossen zu sein. Aber so wussten wir, dass die Aras eine Substanz besaßen, mit der sie ihre Toten verschwinden ließen. »Säure!«, schrie Fartuloon und deutete auf eine Gruppe verkrampft daliegender Androiden. Ich sah, dass die Körper von einem Sprühregen eingehüllt wurden. Sofort bildete sich ein schäumender Blasenteppich, die organische Substanz wallte auf und wurde zu ätzenden Dämpfen, die augenblicklich abgesaugt wurden. Als ich genauer hinschaute, bemerkte ich kaum Ei große Roboter, die dicht über dem Boden schwebten. Sie versprühten die auflösende Substanz, während andere die Reste aufsaugten. Ein eisiger Schreck durchzuckte mich. Was war, wenn die Aras den unterirdischen Raum hermetisch abgeriegelt hatten? Die winzigen Reinigungsroboter würden auch uns nicht
verschonen. Fartuloon konnte sich gerade noch durch einen Sprung hinter das nächstliegende Regal retten. Die Säure des heranfliegenden Roboters ließ einen Toten verschwinden, doch sie hatte ohne Zweifel dem Bauchaufschneider gegolten. »Jetzt sind wir dran!« Ich kauerte mich ebenfalls rasch hinter das umgekippte Regal. Fartuloon geriet ins Schwitzen. Im spiegelnden Material des Plexiglasregals erkannte ich mein Gesicht: Staub, Blut und Schweiß hatten es in eine erstarrende Maske verwandelt. Ich wandte mich entsetzt ab. Die Jagd auf mein zweites Ich trieb mich durch eine Hölle, die ich bisher höchstens aus Alpträumen gekannt hatte. Die Jagd hatte mich verändert. Ich war zweifellos härter und unnachgiebiger gegen mich und andere geworden, denn ich fühlte mich als Gehetzter, erbarmungslos gejagt von der Angst, der andere könnte allein auf der Walstatt bleiben. Vergleichbare Gedankengänge musste ich meinem zweiten Ich zugestehen. Diese vermeintliche oder tatsächliche Identität machte mich langsam rasend. Es war nicht das Gefühl, plötzlich nicht mehr allein und einmalig dazustehen, sondern das Gefühl der Ohnmacht, das Gefühl, eine willenlose Figur im Spiel unbekannter Mächte und Kräfte zu sein. Fartuloons Stimme riss mich aus den Grübeleien: »Sie gehen systematisch vor. Dort… die erste Staffel kommt genau auf uns zu, die anderen beiden Gruppen von links und rechts. Wir können hier nicht länger in Deckung bleiben.« Vor uns verdampften weitere Androiden im Säureregen der Roboter. Die Luft war von den ätzenden Dämpfen erfüllt, die durch die Umwandlung frei wurden und nicht schnell genug abgesaugt wurden. Das Atmen fiel uns immer schwerer. Ich entdeckte eine schmale Bresche zwischen den anrückenden Säuberungskolonnen. Wir zögerten nicht länger, sondern rannten wie von Furien gehetzt zwischen den Schwaden
hindurch. Doch ein Säurestrahl erwischte mich am rechten Arm. Entsetzt sah ich, dass sich meine Haut von einem Atemzug zum anderen blasig verfärbte. Fartuloon riss einen Stoffstreifen unter einem Regal hervor und rieb die hellrote Stelle auf meinem Arm dann ab. Es schmerzte fürchterlich. Ich biss die Zähne zusammen, presste den Stofffetzen fest auf die brennende Wunde und lief weiter. Millitontas bevor die Roboter weitere Androiden auflösten, die seltsam verkrampft neben uns lagen, sprang einer der vermeintlichen Toten blitzschnell auf. »Ogh!«, rief ich. »Das ist Ogh!« Der Androide wich trotz seiner blutenden Wunden geschickt den heranschwebenden Robotern aus. Ehe wir reagieren konnten, war er im Halbdunkel der Halle verschwunden. Ich hörte, dass mehrere Regalwände krachend zusammenstürzten, dann war es bis auf das leise Zischen der Säurenebel still. Fartuloon hob kurz entschlossen das Skarg und knurrte grimmig. Zwischen uns und den Antigravschächten bildeten die Säuberungskolonnen der Kleinroboter eine undurchdringliche Barriere. Mittlerweile waren nahezu alle Androiden verschwunden. Die Säureschwaden hatten ganze Arbeit geleistet. Weiterhin brannte mein Arm wie Feuer. Ein Vorgeschmack dessen, was mich erwartete, sollte ich in den vollen Säureschauer einer Roboterstaffel geraten. Ich wusste, dass uns letztlich nur ein Weg aus der Falle übrig blieb: der Tunnel der Eisen-Viwos! Und mir graute davor. Ich wollte mir nicht vorstellen, die Tortur einer erneuten Durchquerung durchmachen zu müssen, wusste, dass mich diese Wahnsinnstour noch lange in meinen Alpträumen verfolgen würde. Ich schüttelte den Kopf. Lieber versuchen, irgendwie durch die Roboterstaffeln zu brechen, um zu den Antigravschächten zu gelangen.
Ogh verhielt sich still. Ich hoffte, dass er jetzt vernünftigen Argumenten zugänglich war, saßen wir doch im gleichen Boot. Selbst wenn seine Verletzungen nicht so ernst waren, wie ich ursprünglich angenommen hatte, würde er eine zweite Durchquerung des Viwo-Tunnels bestimmt nicht überleben. Ich sah den Androiden verzweifelt am Rand des Tunnellochs kauern. Er hatte sich abgestützt und starrte mit glanzlosen Augen in die düstere Tiefe. »Ogh! Lauf nicht weg! Du kommst nicht lebend aus der Station heraus.« Der Androide drehte langsam, fast zeitlupenhaft seinen spitz zulaufenden Kopf. Die Augen waren aufgerissen. Wieder hatte ich das eigentümliche Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. »Ogh… gib auf. Wenn wir uns jetzt nicht verständigen, ist es mit uns allen aus.« »Vorsicht!«, rief Fartuloon. »Der Kerl darf uns nicht noch mal reinlegen.« »Keine Sorge, diesmal weiß er, worum es geht.« Er nickte langsam und stand auf. Ich sah unter seiner zerfetzten Kombination die schrecklichen Wunden, die ihm der Flugsaurier zugefügt hatte. Zweifellos waren die Androidenkörper wesentlich widerstandsfähiger als die ihrer Schöpfer. Ogh verzog jedenfalls keine Miene. »Ich habe keine Waffe mehr. Der verdammte Saurier…« Er machte eine Pause. Anscheinend bereitete ihm das Sprechen Schwierigkeiten. »Ihr hättet mich sonst nicht erwischt. Und die Roboter hätten mich niemals aufhalten können. Ich wäre längst in der Kommandozentrale und hätte diesen Tocce-Lanceet erledigt.« »Du hast keinen Strahler. Auch ich habe keine funktionierende Waffe mehr. Die Chancen sind also wieder annähernd gleich verteilt.« Ogh deutete auf meinen Kombistrahler, der locker im Halfter steckte. Ich schüttelte den Kopf. »Nein… die Energiebatterie ist leer. Ich bluffe nicht,
Ogh. Wie hättest du es gern – mit den Fäusten oder mit einer Stahlstange?« Ich stieß mit dem Fuß an die Verstrebungen der Plexiglasregale, die überall am Boden verstreut lagen. Fartuloon wurde ungeduldig. »Hört auf. Die Roboter warten nicht, bis ihr reinen Tisch gemacht habt.« Wir mussten erneut ausweichen. Jetzt hatten uns die Roboter sogar vom Tunnel der Eisen-Viwos abgeschnitten. Ich sah, dass die Säurenebel den düsteren Schacht einhüllten. Von unten drang ein zorniges Zischen an unsere Ohren. Oder hatte ich mich getäuscht? Plötzlich packte Ogh eine Stahlverstrebung und schleuderte sie uns mit aller Kraft entgegen. Wir mussten uns ducken. Fartuloon stieß einen wütenden Schrei aus: »Dieser heimtückische…!« Hinter uns klirrte es metallisch. Ein Säureregen verschleierte uns die Sicht. Oghs Wurfgeschoss hatte mindestens fünf Roboter zerschmettert, die hinter uns aufgetaucht waren. Einen Atemzug später hätten sie uns verdampft. Fartuloon drehte sich langsam um, ließ das Skarg sinken und schaute den Androiden ungläubig an. »Du… hast uns das Leben gerettet.« »Soll ich mich sterben lassen?« Ich lachte trocken. Das war reinste Ironie. Er hatte bisher deutlich zu verstehen gegeben, dass nur einer von uns beiden überleben sollte. Was bezweckt er mit seinem plötzlichen Meinungsumschwung? »Allein komme ich hier nicht raus. Ihr müsst mir helfen.« Der Bursche war logisch und dachte völlig folgerichtig. »Gut, Waffenstillstand. Sollten wir heil aus dieser Lakhros herauskommen, erledigen wir das andere. Abgemacht?« »Abgemacht.« Er reichte mir die Hand, die sich kalt anfühlte. Das konnte daran liegen, dass er viel Blut verloren hatte. Aber auch am anderen Stoffwechsel der Androiden.
Trotzdem konnte ich mich eines seltsamen Gefühls nicht erwehren. Wer außer mir hatte schon einmal einem Wesen die Hand gegeben, das eine völlig Kopie des eigenen Bewusstseins beherbergte? Selbst auf Tsopan begegneten sich Original und Abbild nicht. Fartuloon machte eine unwillige Geste. Ihm wäre wohl lieber gesehen, wenn wir eine andere Entscheidung getroffen hätten. Ich sah mich aufmerksam um. Die Roboter kamen von drei Seiten und ließen nur ein nahezu kreisförmiges Stück in der Hallenmitte übrig. Hier lagen noch ein paar Androiden auf dem Boden. Neben uns stapelten sich teilweise zusammengebrochene Plexiglasregale. Ihre stählernen Stützbögen waren herausgebrochen, lagen am Boden oder steckten zwischen den Trümmern. »Wir schieben ein Regal vor uns her«, schlug ich vor. »Anders kommen wir nicht durch.« Fartuloon war skeptisch. »Und wenn die Säure das Material ebenfalls auflöst?« »Damit müssen wir rechnen. Eine andere Chance haben wir nicht. Bewaffnet euch mit Stahlverstrebungen! Ogh hat uns ja demonstriert, wie man die Roboter vernichten kann.« Jetzt handelten Ogh und ich wie Zwillingsbrüder. Mein Extrasinn sagte: Lass dich nicht von ihm einwickeln. Er ist ein ebenso guter Schauspieler wie du. Aber ihm fehlt etwas, das du bereits als selbstverständlich hinnimmst: mich! Ich beschloss, den Hinweis zu beachten. Hatte Ogh tatsächlich keinen Extrasinn, konnte ich ihn später überwältigen. Wir steckten uns mehrere Stahlstreben in die Gürtel, packten gemeinsam das nächststehende Regal, kippten es, so dass es ein Schild vor unseren Körpern bildete, und schoben es vorwärts. Es ging langsamer, als uns lieb war, denn hinter uns schlossen die Roboter auf. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass diese Dinger ferngesteuert wurden. Sollte
Tocce-Lanceet an den Kontrollen sitzen… »Gleich stoßen wir mit ihnen zusammen«, stieß Fartuloon zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor. Das Scharren des vorwärts rutschenden Regals mischte sich mit dem Zischen der Säurenebel. Inzwischen war kein einziger Androide mehr zu sehen. »Jetzt!« Mehr als zwanzig Säureroboter prallten wie kleine Bälle gegen das durchsichtige Regal, ich sah, dass die Säure in dicken Rinnsalen an der Regalwand herabtropfte. Doch sie drang nicht bis zu uns durch. »Aufpassen, dass wir nicht in das Zeug treten!« Wir änderten die Richtung und schoben das Regal jetzt zielstrebig auf die breiten Tore zu, hinter denen sich die Antigravschächte befanden. Plötzlich wirbelte Fartuloon herum und erwischte mindestens sechs Roboter mit dem Skarg. Es knackte metallisch, als die Roboter in der Luft zerschmettert wurden. Auf dem Boden vermischten sich die Reste mit dem Inhalt der auslaufenden Säuretanks. Ich hielt erschrocken inne. Ogh zog ebenfalls blitzschnell die Hände von dem Regal zurück. Die harte Plexiglasmasse war auf einmal weich wie Schaumstoff. Äußerlich war noch keine Veränderung festzustellen, aber ich konnte unseren Schutzschild mit dem Finger durchstoßen. »Die verdammte Säure!« Ich schätzte die Entfernung zu den Toren. »Wenn wir gezielt vorgehen, schaffen wir es vielleicht. Ogh… wir wehren die Roboter ab. Fartuloon muss versuchen, das Tor zu knacken.« Wir verloren keine weiteren Worte und verließen unsere fragwürdig gewordene Deckung. Wie Hornissen summten die Roboter heran, entschlossen, unsere Körper in den Säuredämpfen aufzulösen. Ogh und ich schlugen gleichzeitig mit den Stahlstangen zu. Mehrere Roboter gingen zu Bruch. Wir mussten aufpassen, dass uns die Säurespritzer nicht
erwischten. Auch die zweite Angriffswelle konnten wir abwehren. Es gelang uns zwar nicht, sie zu vernichten, aber doch zumindest aus dem Kurs zu drängen. Fartuloon rannte brüllend los, ließ das Skarg rotieren und schleuderte eine Reihe von Robotern gegen die Wand, wo sie zerplatzten. Aus den Augenwinkeln erkannte ich erleichtert, dass er bereits am Tor ankam und das Dagorschwert zwischen die Torhälften stemmte. Wir hatten alle Hände voll dann zu tun, die ständig angreifenden Roboter abzuwehren. Schweiß lief mir in Strömen über den Rücken und die Brust. Keuchend hielt ich inne. »Wie steht’s…? Wie weit bist du?« Fartuloon antwortete nicht. Dafür ertönte ein lautes Krachen. Ogh und ich ließen von den Robotern ab, die sofort heranschwirrten. Wir erreichten Fartuloon und stemmten uns gemeinsam gegen das Tor. Es knackte noch einmal, und die Torhälften schwangen auf. Erleichtert stürzen wir auf die Antigravschächte zu, deren Kraftfeld uns verheißungsvoll entgegenschimmerte. Plötzlich zischten mehrere Strahlschüsse über uns hinweg. Hinter uns verschmorten die übrig gebliebenen Säuberungsroboter im Gluthauch der Hochenergie-Luccots. Wir blieben wie erstarrt stehen, die Hitze raubte uns fast den Atem. »Keine Bewegung! Die nächste Salve trifft euch.« Tocce-Lanceet! Seine Leibwache kam aus der Deckung und richtete schwere Impulsstrahler auf uns. Ich sah, dass Oghs Hände zitterten, während sein Gesicht überhaupt keine Gefühlsregung ausdrückte. Der Androide schien zu wissen, dass seine Chancen noch schlechter standen als unsere. TocceLanceet versperrte uns demonstrativ den Weg zu den Antigravschächten. »Ihr habt meine Station verwüstet. Mein Androidenprojekt ist gescheitert. Meine kühnsten Träume sind zunichte gemacht worden. Das verdanke ich euch. Ihr werdet einen
schrecklichen Tod sterben.« Er zerrte ein Glasröhrchen aus der Kombinationstasche und hielt es gegen das Licht. Ich erkannte winzige Kristalle, die in einer blauen Emulsion schwebten. Das grelle Licht der Deckenbeleuchtung schuf schimmernde Reflexe in der seltsamen Substanz. Der Ara grinste. »Ihr erinnert euch sicherlich an den Medo-Inspektor, der kurz vor eurer Ankunft aus der Station floh? Ihr seid ihm in der Wüste begegnet.« Und ob ich mich an den bedauernswerten Ara erinnerte! Mein Extrasinn reproduzierte fotografisch exakte Szenen. Das Bild des Aras entstand. Dann das Suchkommando, das wenig später mit einem zweiten Schwebezug aufgetaucht war. Der Ara hielt das Röhrchen mit der blauen Emulsion demonstrativ hoch. »Und hier haben wir die Viren, die den Körper des Medo-Inspektors verfaulen ließen. Wir haben leider noch kein Gegenmittel. Wer dann experimentiert, muss mit allem rechnen. Normalerweise arbeiten wir mit dem Zarakh-Virus in absoluter Isolation. Der Medo-Inspektor beging einen Fehler, den er nicht mehr rückgängig machen konnte.« Ich ahnte, was jetzt kommen sollte. Tocce-Lanceet wollte uns mit diesem grauenhaften Virus infizieren. Fartuloon hob unwillkürlich das Skarg, doch die Abstrahlmündungen der Impulsstrahler ruckten sofort hoch. Es hatte keinen Sinn. Die Aras würden uns schneller zerstrahlt haben, als Fartuloon das Schwert bewegen konnte. Tocce-Lanceet kostete seinen Triumph aus, malte uns den Beginn des körperlichen Verfalls in allen Einzelheiten aus. Ich brachte ihn zum Schweigen: »Sie sind das Krankhafteste, was mir jemals begegnet ist. Ich frage mich, welche Daseinsberechtigung Sie haben. Sie sind eine Schande für alles und jeden!« Er hatte mich ausreden lassen. Ich sah, wie sich die weiße
Haut über seinen Schläfen spannte. Dieser Ara empfand unbändigen Hass. Weshalb? Abgesehen von seiner psychischen Abnormität mochte ein gewisser Neid daran schuld sein. Neid, dass wir Cematrang verlassen konnten und er hier bleiben musste. Als Verbannter im Hyperraum. Der Gnade der Skinen ausgeliefert. »Wir hätten diese Welt verlassen können, doch Sie haben das Androidenprojekt vernichtet«, stieß er wütend hervor. »Diese Körper sollten nach Tsopan geschafft werden, um unsere Bewusstseinsabbilder aus den Speichern der Skinen zu übernehmen. Wir hätten die Skinen mit unseren Doppelgängern im Handumdrehen besiegt können. Und ihr seid schuld, dass der große Plan gescheitert ist. Deshalb werde ich jeden Augenblick eures körperlichen Zerfalls mit größter Befriedigung verfolgen.« Wir warteten ab. Angesichts der drohenden Strahler hatten wir keine andere Wahl, standen vor der Entscheidung, ob wir den schnellen Tod durch die Strahlwaffen oder den langsamen Tod durch die Viren wählen sollten. Ich lehnte beides ab. Solange wir nicht infiziert sind, werde ich nicht aufgeben. »Zurücktreten!«, befahl Tocce-Lanceet den Waffenträgern. Die Männer wichen bis an den Rand des Antigravschachts zurück. Sobald wir infiziert waren, würden sie in das aufwärts gepolte Kraftfeld springen. Ich ahnte, dass eine Sicherheitszone energetischer Art diese Etage von den anderen absperren würde. Tocce-Lanceet hatte zweifellos dafür gesorgt, dass seine Station nicht gefährdet wurde. Ich spielte meinen letzten Trumpf aus. »Das wird den Skinen nicht gefallen. Wir haben freies Geleit. Wie wollen Sie diese Privatexekution vor den Skinen rechtfertigen?« Der Ara antwortete nicht. Ich sah, wie seine Augenlider nervös zuckten. Also hatte ich ins Schwarze getroffen. Skinen befanden sich auf Cematrang, um die Verbindung zu
reparieren. Selbst wenn das inzwischen schon geschehen war, würden einige von ihnen ohne Zweifel nicht nur die Tore genau kontrollieren, sondern sich auch für die Ereignisse in der Wüste interessieren. »Ich töte euch«, keuchte Tocce-Lanceet, und während er das Röhrchen hob, um es zu werfen, erklang im leeren Saal der Androiden ein bekanntes, rhythmisches Pfeifen. Überrascht ließ der Ara die Hand sinken. Im selben Augenblick sprang ich auf ihn zu, stieß ihn vor die Brust und hechtete auf den Antigrav zu. Ein Glutstrahl zuckte über mich hinweg. Ich sah noch, dass sich Tocce-Lanceet schreiend in den Scherben der Viruslösung wälzte, dann hatte ich zwei der Bewaffneten unterlaufen. Fartuloon und Ogh hatten ebenfalls reagiert. Als ich Tocce-Lanceet angriff, gingen sie ebenfalls gegen die Wachen vor. Fartuloon erledigte den Nächststehenden mit dem Skarg, Ogh packte einen und schleuderte ihn über die Schulter. »Nicht zu nahe an ihn ran!«, schrie ich. Die Viren waren hochaktiv, und die geringste Berührung genügte, um sich zu infizieren. Ogh besiegte den letzten Wachtposten. Als ich sah, wie geschickt der Androide die Dagortechnik beherrschte, musste ich grinsen. Sein Körper war von meiner Bewusstseinskopie beseelt, konnte genauso gut kämpfen wie ich. Bis auf Unterschiede natürlich, die sich durch den Androidenkörper ergaben. Tocce-Lanceet kroch auf allen vieren näher. Wir sprangen beiseite und entgingen seinen Händen. In den wenigen Augenblicken seit der Infektion hatte sein Gesicht eine bläuliche Färbung angenommen. Schwarze Pusteln bedeckten seine Haut. Er machte verzweifelte Anstrengungen, uns doch noch zu berühren. Dann gab er es auf. Doch seine Augen schimmerten hasserfüllt. Er versuchte, uns einen Schwächeanfall vorzutäuschen, um dann im letzten
Augenblick vorzuspringen. Als er sah, dass wir nicht darauf hereinfielen, bat er wimmernd um eine Strahlwaffe. »Sie haben selbst gesagt, dass es gegen das Virus kein Gegenmittel gibt«, stellte ich kalt fest. »Sie sterben den Tod, den Sie uns zugedacht haben. Zweifellos eine sehr gerechte Lösung.« Er kroch auf die betäubten Wachtposten zu, doch ich wollte nicht zulassen, dass noch weitere Aras von den Zarakh-Viren infiziert wurden. Ich hob einen Impulsstrahler auf und drückte ab. In der Glut verschwand der Ara mitsamt seinen tödlichen Keimen. Nur der Glutfleck am Boden blieb zurück. Ich wandte mich an Ogh: »Noch immer Lust auf den Entscheidungskampf?« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie du kämpfen kannst. Leider kann ich nicht aus diesem Körper entfliehen. Andererseits ist es eine große Belastung, dauernd mit meinem Original konfrontiert zu werden; aber ich hoffe, dass wir uns irgendwie arrangieren.« Er kann tatsächlich nicht mehr aus seinem Körper, wisperte mein Extrasinn. Der Androidenkörper, einem Ara perfekt nachgebildet, störte mich überhaupt nicht. »Die Skinen werden uns darüber mehr sagen können. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass wir nach Tsopan zurückkehren. Dort kannst du auch deine Wunden behandeln lassen.« Ogh lächelte versöhnlich. »Ich begleite euch.« Fartuloon gefiel das Ganze nicht, konnte oder wollte wohl nicht verstehen, dass ich mich mit Ogh geeinigt hatte. Immerhin hatten wir verzweifelte Anstrengungen unternommen, seiner habhaft zu werden. Wir hatten mehr als einmal unser Leben aufs Spiel gesetzt, um die flüchtige Bewusstseinskopie zu fangen, und diese hatte mit aller Kraft gegen uns gekämpft.
Der Antigrav transportierte uns nach oben. Überall waren Schäden des Androidenausbruchs zu sehen. Wir kamen ungehindert in den Torsaal. Fartuloon flüsterte hastig: »Besser, wir binden den Skineri nicht alles auf die Nase. Sollen sie später selbst erfahren, dass Tocce-Lanceet tot ist. Je einer wir mit der POLVPRON starten können, desto besser.« Ich nickte ihm unauffällig zu. Zwei skinische Wissenschaftler empfingen uns. Die graubraunen, etwa anderthalb Meter langen Körper richteten sich auf ihrem hinteren Beinpaar auf. Aus den tragbaren Translatorgeräten ertönten ihre Stimmen: »Ihr habt also Erfolg gehabt. Sehr gut, denn das Transportsystem ist inzwischen repariert. Wir können sofort nach Tsopan zurückkehren.« Sonst nichts. Wir stellten uns unter den Trichter, wurden von dem bläulichen Flimmern eingehüllt und abgestrahlt. Es ging alles ganz reibungslos. Doch kaum rematerialisiert, wurde Ogh von den Skinen in ein Fesselfeld gehüllt und fortgeschleppt. Skagos sagte: »Wir müssen ihn untersuchen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Wir geben euch Bescheid, sobald alles vorüber ist. So lange werdet ihr in Quarantäne bleiben.« Auch das noch. Fartuloon stieß einen unwilligen Seufzer aus, als man uns in einen kahlen und fensterlosen Raum begleitete. Zwei Pritschen bildeten das einzige Mobiliar. An den Wänden entdeckte ich buckelartig vorgewölbte Sensoren. »Möchte wissen, womit ich das alles verdient habe«, klagte der Bauchaufschneider. »Mein armer Bauch. So viel habe ich noch nie abgenommen.« Dann vergingen etwa fünf Tontas. Wir konnten nichts unternehmen. Es wurde uns auch nicht erlaubt, Kontakt mit unseren Freunden auf der POLVPRON aufzunehmen. Als die Tür lautlos aufglitt, sprangen wir von den Liegen und sahen den hereinkommenden Skinen neugierig entgegen.
Die Kopfscheiben der fremdartigen Intelligenzen schimmerten verhalten. Im Hintergrund flimmerte ein Fesselfeld, in dem sich Ogh befand und einen zerknirschten Eindruck machte. »Sie haben dich untersucht«, murmelte ich. »Was ist mit dem Bewusstseinsabbild?« Die Stimme des Ara-Androiden klang merkwürdig verzerrt. »Sie können mich nicht aus dem Androidenkörper lösen. Sogar mit ihren Geräten nicht.« »Richtig. Wir wissen jetzt, dass ein unbeseelter Androidenkörper keine Bewusstseinskopie mehr freigibt. Es sei denn, man erzeugt den Tod des Körpers – wollt ihr ihn mitnehmen?« Von diesem Angebot überrumpelt, stimmten wir zu – die Freude darüber, endlich Tsopan verlassen zu können, überwog alle Zweifel. Nur weg von hier! In der Schleuse der POLVPRON erwartete mich Farnathia. Ein Blick in ihre hellrot schimmernden Augen verriet mir, dass sie unendlich froh war, mich wieder in ihrer Nähe zu haben. Sie wusste, dass Ogh der Träger meines Bewusstseinsabbilds war. Als ich sie im Arm hielt, wurde mir erst die Tragweite dessen klar, was mit seiner Anwesenheit unter Umständen verbunden war: Ogh konnte zu meinem Nebenbuhler werden. Ich verdrängte den Gedanken und küsste Farnathia. Ich hörte nicht mehr, dass sich die Schleuse automatisch verriegelte. In Farnathias Armen vergaß ich die Strapazen. Sie würde mir auch dabei helfen, die Alpträume von Cematrang zu vergessen…
Epilog Ich bin Atlan – und ich bin es auch wieder nicht. Das ist mein Problem, mit dem ich fertig werden muss. Aber es ist auch Atlans Problem, mit dem er nicht so richtig fertig wird. Aber ich bin auch Ogh, und wenn ich mich im Spiegel seine, blickt mir ein Ara entgegen. Ein ungemein blasshäutiges Wesen von großem und hagerem Wuchs. Die roten Augen in dem schmalen, blassen Gesicht erinnern an die Abstammung von den Arkoniden. Mein Kopf ist lang gestreckt, läuft oben spitz zu und hat keine Behaarung. Dennoch ist mein Körper nicht der eines geborenen Aras, sondern wurde von diesen in der Retorte erschaffen. Ein Androide. Ich bin Atlan im Körper eines Ara-Androiden. Ich denke wie Atlan, fühle ähnlich wie er, und ich habe von ihm auch den Hass auf Orbanaschol III. geerbt. Dennoch verfolge ich nicht dieselben Ziele wie er. Ich bin Atlan zwar so ähnlich wie ein Ei einem anderen, aber ich bin ihm nicht gleich. Um einen verständlichen Vergleich zu gebrauchen: Ich bin sein spiegelverkehrtes Ebenbild. Ich habe alles Wissen und alle Erfahrungen von Atlan, doch mein Charakter ist anders. Als die Skinen Atlans Bewusstseinsabbild speicherten, passierte ihnen eine Panne. Ein Duplikat von Atlans Bewusstsein wurde zwar in die »Falle« dauerhaft aufgenommen, aber das zweite Abbild seines Bewusstseins nahezu gleichzeitig freigesetzt. Das war ich. Natürlich machten sie Jagd auf mich, als sie feststellten, dass ich ohne die Zuhilfenahme von technischen Geräten beliebig die Körper wechseln konnte. Die Jagd ging über die »oberen Welten« im Hyperraum, und ich wurde immer mehr in die Enge getrieben. Dennoch wäre Atlan meiner nie habhaftgeworden, hätte ich nicht einen Fehler gemacht. Als ich in die Ara-Station auf einer der »oberen Welten« gelangte, entdeckte ich Körper ohne eigenes Bewusstsein. Ich wollte mir diese
Chance, einen eigenen Körper zu erhalten und nicht nur ein unerwünschter Parasit zu sein, nicht entgehen lassen. Also schlüpfte ich in einen der Androidenkörper die zwar lebten, aber nicht »beseelt« waren. Zu spät merkte ich, dass ich für immer in diesem Körper gefangen bin. Ich, das entfesselte Altan-Bewusstseinsabbild, kann nicht mehr in einen anderen Körper überwechseln. Ich muss für immer in Ogh bleiben. Es gelang Atlan, mich zu den Skinen zu bringen. Wäre ich auf Tsopan geblieben, hätten sie mich sichergetötet, weil sie keinen anderen Ausweg sahen, das unerwünschte Duplikat von Atlans Bewusstsein aus der Welt zu schaffen. Doch Atlan nimmt mich mit… ENDE
Kleines Arkon-Glossar Archaische Perioden: Bezeichnung für die Epoche des Niedergangs zwischen etwa 3000 und 3760 da Ark, als galaxisweite, aus dem Galaktischen Zentrum hervorbrechende Hyperstürme die Kontakte zwischen den Welten abbrachen, weil nahezu die gesamte fünfdimensionale Hypertechnik lahm gelegt war. Nach dem Abflauen der Hyperstürme musste die arkonidische Raumfahrt quasi von null an neu beginnen und aufgebaut werden. ARK SUMMIA: Bezeichnung der elitären Reifeprüfung im Großen Imperium, unterteilt in drei Stufen oder Grade; die beiden ersten betreffen in erster Linie theoretische Examina und entsprechen ihrem Abschluss nach einem Laktrote (Meister) bzw. Tai-Laktrote (Großmeister). Die Zulassung durch die Faehrl-Kommission der »Kleinen Runde« zur Teilnahme an den abschließenden Prüfungen (charakterliche Eignung, Anwendung des erlernten Wissens in der Praxis unter Extrembedingungen usw.) ist auf wenige Hertasonen eines jeden Jahrgangs beschränkt, von denen wiederum noch weniger den dritten Grad bestehen – dies ist dann gleichbedeutend mit der Aktivierung des Extrasinns in den Paraphysikalischen Aktivierungskliniken der jeweiligen Faehrl-Institute. Im Großen Imperium gibt es insgesamt nur fünf ARK SUMMIA-Prüfungswelten: Iprasa ist die älteste, Largamenia die bedeutendste, hinzu kommen noch Goshbar, Soral und Alassa. Bauchaufschneider: In den Archaischen Perioden entstandene arkonidische Umschreibung von Ärzten und Medikern; ihr Zeichen ist eine Amtskette aus Cholitt.
Bekkar: Rattenähnliche Nager; auf vielen Welten und auch in Raumschiffen anzutreffen. Den Tieren wird ein außergewöhnliches Gespür nachgesagt: »Verlassen die Bekkar das Schiff, erlebt es seinen letzten Flug!« Berlen Than: Wörtlich »Zwölf(er)-Rat«; Regierungsgremium des Großen Rates (Tad Than); Mitglieder sind: 1. Gos’Laktrote (Kristallmeister); 2. Khasurn-Laktrote (Kelchmeister); 3. Gos’Mascant (Kristallmarschall); 4. Ka’Celis-moas (Erster Hoher Inspekteur), 5. Ka’Chronntis (Oberbeschaffungsmeister), 6. Ka’Gortis (Kriegsminister, zugleich Minister für Raumfahrt und Raumflotte), 7. Ka’Mehantis (Chefwissenschaftler), 8. Ka’Mehantis (Imperialer Ökonom, Handelsminister), 9. Ka’Gon’thek-Bras’cooi (Chef des Kolonisationsamtes), 10. Ka’Addagtis (Innenminister), 11. Ka’Ksoltis (Minister der »Obersten Behörde für Kybernetik und Nachrichtenwesen«), 12. Mitglied ist der Imperator selbst. Biomolplast: Mit Hilfe dieser synthetisch hergestellten Masse lässt sich körperliches Gewebe perfekt nachahmen, weil sie sich komplikationslos mit dem natürlichen Körpergewebe verbindet. Biomolplast ist in jeder Hinsicht formbar – plastisch, passt sich den Körperformen an und kann dauerhaft so eingefärbt werden, dass es sich im Zuge eines Chamäleoneffekts der Haut- und Körperfarbe seiner Umgebung anpasst. So ist Biomolplast für den Betrachter nicht mehr von dem natürlich gewachsenen Körpergewebe zu unterscheiden. Das Material wurde entwickelt, um Patienten, die durch äußere Einwirkung wie etwa Verbrennungen Gewebeverluste erlitten haben, ein normales Aussehen zu verleihen, um auf diese Weise die Zeit zu überbrücken, die für die natürliche Heilung oder für Operationen nötig ist.
Biomolplast kann auf Wunden aufgetragen/aufgesprüht werden, ohne dass dabei die natürlichen Heilungsprozesse gestört oder gar eingeschränkt werden. Ein derart perfektes Material bietet sich natürlich auch für Masken an und wird entsprechend häufig eben dafür benutzt. Biomolplast kann aufgrund seiner Eigenschaften nach Gebrauch nicht einfach mechanisch entfernt werden, sondern muss vorher mit Hilfe von Spezialgeräten schwach bestrahlt werden. Bei diesem Prozess verändert sich Biomolplast chemisch, so dass etwa noch am Körper haftende Reste abgezogen oder abgerieben werden können. Bras’cooi: Kolonialarkonide/Kolonialer, abgeleitet von Braan und Cooi. Da die mitunter körperlich veränderten KolonialNachkommen von den »echten« Arkoniden stets mehr oder weniger »von oben herab« betrachtet wurden und werden, ist die aufziehend gemeinte, ironische bis boshafte Zweitbedeutung von Bras’cooi im Sinne von »unangenehme Verwandtschaft« bis hin zu »Halunke« zu sehen und kann durchaus auch als Schimpfwort Verwendung finden. Weil das Herabblicken auf »die Kolonialarkoniden« weit verbreitet ist, kann man den zum geflügelten Wort gewordenen Ausspruch »Das kann ja nur ein Kolonialer (gemacht, verursacht, verschuldet…) haben« demzufolge häufig hören. Aus den Arkoniden gingen mit der Zeit durch Besiedlung etwa drei bis fünftausend Kolonialvölker hervor, aus denen sich teilweise wiederum neue Zweigvölker abspalteten; beispielhaft werden an dieser Stelle nur ein paar aufgezählt: Iprasaner, Raumnomaden, Springer (Eigenbezeichnung: Mehandor, also Händler), Aras, Überschwere, Zaliter, Ekhoniden, Preboner, Tuglanten, Soltener, Azgonen, Rusufer, Lepsoter usw. Chronner(s):
Währungseinheit
auf
imperialer
Ebene;
Unterteilung: 1 Chronner = 10 Merkons = 100 Skalitos. Als Bargeld in Form von Lochmünzen mit den Münzeinheiten zehn, hundert, tausend, zehntausend hergestellt, die zu Bündeln zusammengefasst werden (genormte Stäbe mit Verschraubung; Münzen in Form von einen Millimeter dicken Scheiben aus Cholitt-III). Eine Million Chronners, als Zehntausendermünzen gebündelt, ergeben beispielsweise einen »Stab« von 100 Millimetern Länge. Dagor-Duell: Neben dem staatlichen Gewaltmonopol hat es von jeher die Möglichkeit der individuellen Auseinandersetzung gegeben, in Arenen ebenso wie beim Duell oder Tjost; die Einzelheiten sind im Verlauf der Jahrtausende ritualisiert worden. Formen der DuellForderung, Wahl der Waffen, Teilnahme von Sekundanten und Schiedsrichtern, genau festgelegte Verhaltensweisen, von Ablehnung oder der Bestimmung von Stellvertretern – alles das umfassen die Kodexformeln gemäß Spentsch und Mannax. Kein Ehrenmann arkonidischer Abstammung zieht es in Zweifel, sogar Essoya akzeptieren es als Ausdruck einer Auseinandersetzung, in die sich der Staat nicht einzumischen hat, weder auf Imperialer noch auf Lokaler Ebene, Gewaltmonopol hin oder her. Manche Kämpfe gewinnen vor diesem Hintergrund mitunter die Qualität eines Gottesurteils, und auch das ist von allen ohne Wenn und Aber akzeptiert. Es gehört zu Arkon und dem Großen Imperium wie die Drei Welten oder Thantur-Lok. Dagorista: Arkon-Rittertum auf der Basis von Dagor; Mitglieder auch Tron’athorii Huhany-Zhy genannt (»Hohe Sprecher des Göttlich-Übersinnlichen Feuers«). Zwei Hauptströmungen sind im Dagor zu unterscheiden: Die auf Meditation und Zurückgezogenheit ausgerichtete geistige – um
nicht zu sagen geistliche – Ausrichtung durch Hochmeister steht der weltlichen Orientierung des Arkon-Rittertums gegenüber, jedoch nicht als Gegensatz, sondern als harmonische Ergänzung, die im Ideal zur Einheit verschmilzt. Eine mindestens fünfjährige Ausbildung gilt als normal; Ritterschlag gleich Meisterbrief, so dass sich als Rangfolge ergibt: Adept (Hertaso), Meister (Laktrote), Großmeister (TaiLaktrote), Hochmeister (Thi-Laktrote). Ein Dagorista hat die waffenlosen Kampftechniken zu beherrschen. Die mit den Kräften des Gegners arbeitende Verteidigung wird Kanth-Yrrh genannt, hinzu kommen Siima-Ley-Griffe, Dagorcai als Übungsvortrag. Entspannung durch Dagor-Semihypnose, Atemübungen. Weil grundsätzlich Einzelkämpfer, blieben die Arkonritter Individualisten und entwickelten – auf den ersten Blick – absonderlich erscheinende Spezialwaffen und -konstruktionen. Doch die traditionelle Ausstattung eines Dagorista ist erwiesenermaßen nicht zu unterschätzen: ReitKampfroboter mit Bioschichttarnung können ebenso wie die legendären Ornithopter-Libellen dazugehören; Grundausstattung sind stets des Dagorschwert (Urungor) und die Armmanschette (Urunlad) zur Prallfeldschild-Projektion. Debara Hamtar: »Öde Insel«, arkonidische Bezeichnung für die Milchstraße. Essoya: Nichtadlige Arkoniden, benannt nach einer grünen Blätterfrucht (Essoya-yonki); mitunter auch als Schimpfwort verwendet. Etset: Stadt, Siedlung. Ferm-Taárk: Transitionstriebwerk, -antrieb.
Gebieter: Anrede des deutlich schwächeren gegenüber dem höheren Rang; vor allem aber von Robotern allen Arkoniden gegenüber. Gosner: Wörtlich »wohl/Wohl« i. w. S. angenehm, angenehmer Zustand, gutes Befinden, Gesundheit; als verkürzte Form als Grußformel verwendet und deshalb auch im Sinne von »Gruß, grüßen« übersetzt. Gosner’alor: Wörtlich »Wohl/Gesundheit plus Rettung«, »Gesundheits-Rettung«; allgemeiner Medizin, Medik, Medo. »Medizin-Symbol«: Kreuz aus schwarzen Balken mit offenem Zentrum, umgeben von einem vierfach, jeweils an den Kreuzbalken unterbrochenen Kreisring; mit hellblauem Hintergrund steht es für »Medizin« allgemein, bei gelbem Hintergrund handelt es sich um eine Seuchenwarnung bzw. allgemein Biohazard oder das Kennzeichen eines Seuchenkommandos. Gosner’alor-Celis: »Medo-Inspekteur«, abgeleitet von Celis, Gosner’alor. Gwalon I: Im neunzehnten Jahrtausend vor Beginn der terranisch-christlichen Zeitrechnung begann die Besiedelung des damals noch Urdnir genannten Kugelsternhaufens. Im etwa zwanzig Jahre dauernden »Großen Befreiungskrieg« erkämpften sich die Arkoniden die Unabhängigkeit von ihren Stammvätern, den Akonen. Im Jahr 18.334 vor Christus rief Reichsadmiral Farthu von Lloonet den imperialistischen Absolutismus aus und regierte in der Folge als Imperator Gwalon I. Unter seiner Herrschaft wurde auch der »Zentrumskrieg« gegen die Akonen geführt, der die endgültige Unabhängigkeit brachte. Beim ersten Militärputsch 1808 da Ark (18.294 vor Christus) kam es unter
dem Befehl von Flottenadmiral Utarf da Volgathir zur Landung auf Arkon von ihm loyal ergebenen Einheiten (u. a. 34. Raumlande-Brigade); Gwalon konnte mit Hilfe der Admirale Thantur und Petesch III. die ihn begleiteten, im letzten Augenblick entkommen und verschwand mit unbekanntem Ziel in den Tiefen der Galaxis. Geschichtsverfälschungen von Volgathir I. und späteren Imperatoren sowie die »rückdatierte« Arkonzeitrechnung sorgten dafür, dass diese Vorgeschichte nur noch einem kleinen Kreis Informierter bekannt blieb. Hradschirs Höllenplanet: Geläufiger Fluch, obwohl niemand wirklich diesen Planeten kennt oder überhaupt gesichert wäre, dass er tatsächlich existiert. Hyperraum: Allgemeine Bezeichnung für das übergeordnete Kontinuum, in das das vierdimensionale Raum-Zeit-Gefüge des so genannten Standarduniversums sowie ungezählte andere (Parallel-)Universen des Multiversums eingebettet sind. Im Hyperraum als Kontinuum außerhalb vertrauten Raumes und vertrauter Zeit verliert die im Standarduniversum höchstmögliche Ausbreitungsgeschwindigkeit in Form der Lichtgeschwindigkeit ihre Gültigkeit, so dass er für überlichtschnelle Fortbewegungen verwendet werden kann. Aufgrund der im Hyperraum geltenden (hyper-)physikalischen Gesetze verwandelt sich dort ein materieller Körper zwangsläufig in einen übergeordneten Energie-Impuls, sofern er nicht durch spezielle Kraftfelder vor den Einflüssen des Hyperraums geschützt wird und somit quasi ein Miniatur-Universum für sich bildet. Im Verhältnis zur uns bekannten Welt ist der Hyperraum eine Singularität: Dieser Begriff ist in der Physik der Ausdruck dafür, wenn eine physikalische Größe unendlich wird und/oder wenn die
bekannten physikalischen Gesetze ihre Gültigkeit verlieren; eine Bedingung – kein Raum, keine Zeit, keine Materie – , die aus unserer Sicht für den Hyperraum zutrifft. Sofern keine Schutzmaßnahmen ergriffen werden, bedeutet für uns das Eindringen »in den Hyperraum« den Verlust der raumzeitlich fixierten Struktur, vereinfachend »Entmaterialisation« genannt. Modell hierzu kann ein DiaProjektor sein, dessen Bild nur dann sichtbar ist, wenn die Projektionsebene einer Leinwand in den Strahlengang gehalten wird. Sowie diesem flächig projizierten Bild aber Gelegenheit gegeben wird, Tiefe und Körperlichkeit zu entwickeln – beispielsweise die Projektion in einen Glasbehälter erfolgt, der mit trüber Flüssigkeit gefüllt ist – , wird das ursprünglich klare und konturenscharfe Abbild undeutlich, fließt auseinander und verschwimmt. Hypersturm: Hyperphysikalisches Phänomen im Standarduniversum, ausgelöst durch chaotische Konzentrationen von Hyperenergie; häufig begleitet von Verzerrungen des Raumes und der Zeit; kann zum Ausfall von Hypertechnik führen. Hyperthorik: Als »spekulative Grenzwissenschaft« einiger altarkonidischer Mathematiker angesehener Forschungszweig der Hyperphysik, dessen Algorithmen, Formalismen und Beschreibungsmöglichkeiten angeblich zur Darstellung von diversen hyperphysikalischen Phänomenen und sogar von Paralleluniversen herangezogen werden können. Impulsstrahler: Von den Arkoniden als Luccot bezeichnete Waffe, bei der als Ergebnis von DeuteriumKatalysefusionsladungen den Impulstriebwerken vergleichbare Hochenergie-Plasmaimpulse zum Einsatz
kommen, die durch hyperenergetische Felder gebündelt und beschleunigt werden; die Wirkung entspricht der beim Massendefekt freigesetzten Energie (Standardleistung einer Handwaffe = ein Milligramm Deuterium pro Schuss, dem eine Energiefreisetzung von rund drei Kilogramm Vergleichs-TNT im Ziel gleichkommt; als Schiffsgeschütz zum Beispiel »Breitfächerung mit Wirkungsentfaltung von fünf Kilotonnen TNT pro Quadratkilometer«). Die beste Wirkung entfaltet der Impulsstrahler im Vakuum des Weltalls; innerhalb einer Atmosphäre ist die Reichweite deutlich verringert, da es zu Streuverlusten kommt, und unter Wasser oder in dichteren Medien kann es zu Energierückschlägen kommen. Es ist angeraten, Impulsstrahler auch bei Handwaffenausführung nicht innerhalb geschlossener Räume einzusetzen, will man nicht selbst gebraten werden. In Atlans Jugendzeit waren Modelle der Serie TS-11 im Einsatz. Jacinther: Gelbe Standardsonne vom Typ G3V, 19.555 Lichtjahre von Arkon entfernt, 2143 Lichtjahre oberhalb der galaktischen Hauptebene; insgesamt zwölf Planeten, Nummer vier ist eine Freihandelswelt. Jacinther IV: Vierter von zwölf Planeten der Sonne Jacinther. Mittlerer Bahnradius: 147,2 Millionen Kilometer. Planetarer Durchmesser: 11.584 Kilometer. Schwerkraft: 1,06 Gravos. Rotation: 417,73 Tage zu 14,93 Tontas (21,2 Stunden). Neigung der Polachse: 13 Grad. Kein Mond. Rund ein Drittel der Oberfläche wird von drei Kontinenten und einer Großinsel bestimmt, konzentriert in der »Landhemisphäre«, während die gegenüberliegende »Ozeanhemisphäre« nur eine Unzahl kleiner bis kleinster Inseln und Atolle aufweist: Nordkontinent Sebentool (rued 6500 zu 7000 Kilometer); Südkontinent Braschoon (rued 10.000 zu 6400 Kilometer); Mittel- oder
Äquatorialkontinent KevKev (rued 6600 zu 5400 Kilometer); dreieckige Großinsel Kortasch-Auromt (rued 1700 zu 1700 Kilometer). Umweltbedingungen extrem: Temperaturstürze, heftige Regen, Stürme und häufig wechselnde Witterungsverhältnisse bei feuchtheißer Atmosphäre. Treibhausklima mit üppiger Flora außerhalb der Ballungszentren ist das Land von Dschungel und Sumpfland bestimmt, die Tierwelt entsprechend vielfältig, wild und verlockendes Ziel für Großwildjäger. Auf jedem Kontinent sowie der Großinsel existiert eine Handelsniederlassung mit Raumhafen, angrenzender Wohnstadt und Freihandelszone. K’amana: Kaffeeähnliches arkonidisches Getränk, wird heiß serviert, dunkelbraune bis schwarze Farbe. Ka’Mehantis: Bezeichnung/Titel des »Imperialen Ökonomen« = Handelsminister des Großen Rates/Tai Than; Mitglied des Berlen Than. Karaketta(-Rennen): Von Imperator Bargk I. initiiert, wird 3750 da Ark auf Arkon I rings um den Hügel der Weisen das seither alle zwei Arkonjahre stattfindende Karaketta-Rennen erstmals durchgeführt ein Spektakel mit vergleichsweise primitiven »Raketengleitern«. In schwebenden Gondeln mit Korpuskularantrieb – den so genannten Karakettas – rast ein Fahrerfeld durch einen Kurs, der von schwebenden Pylonen abgesteckt wird. Das ganze Rennen findet in luftiger Höhe statt, üblicherweise 60 Meter über dem Boden; es geht in rasanter Geschwindigkeit über einen Kreiskurs, bei dem jede Runde rund 160 Kilometer lang ist. Bei zwölf Rundenwerden insgesamt rund 1920 Kilometer zurückgelegt.
KAYMUURTES: Fast heilige, alle drei Arkonjahre stattfindende Wett- und Ausscheidungskämpfe in Arenen. Kombistrahler: Kombinationswaffe mit wahlweiser Thermostrahl-Desintegrator- oder Paralysatorwirkung; robust und praxiserprobt. In Atlans Jugendzeit waren Modelle der Serie TZU-4 im Einsatz. Kralasenen: Söldner- und Geheimtruppe des Blinden Sofgart (leiten ihre Bezeichnung von Tormana da Bargkate, der als Wettergott ebenso der von Sturm und Stärke war und in den Archaischen Perioden auch Kralas genannt wurde). KSOL (plus Kodezahl): Bezeichnung von Positroniken; in Atlans Jugendzeit sind KSOL-73/85 bis -73/95 im Einsatz. Siehe auch: Mikro-KSOL. Lakhros: Arkonidischer Begriff, der etwa »Hölle« entspricht. Laktrote: Bezeichnung für einen überlegenen Rang im Sinne von Weiser, Meister; abgeleitet davon zum Beispiel Laktran in Thek-Laktran (Hügel der Weisen); je nach Zusammenhang auch im Sinne von Doktor oder Professor verwendet. Largamenia: Name des zweiten von fünf Planeten der Sonne Larga. Durchmesser: 12.145 Kilometer, Schwerkraft: 1,05 Gravos, Umlaufdauer: 314,18 Tage zu 15,49 Tontas (22 Stunden), Neigung der Polachse: 26 Grad, Durchschnittstemperatur: 13 Grad Celsius. Grundsteinlegung der Siedlung Tifto durch Imperator Quertamagin IV. im Jahr 2550 da Ark; um 3460 da Ark dann Hauptstadt Tiftorum. Hier wird 4050 da Ark nach Iprasa und Goshbar das dritte FaehrlInstitut gegründet, der Planet entwickelt sich in den folgenden
Jahrtausenden zur bedeutendsten der fünf ARK SUMMIAPrüfungswelten. Leichter Kreuzer: Arkonidisches Kugelraumschiff von 100 Metern Durchmesser. Lerc: Einheit der »Intelligenzstufenskala«. Die mehrfach in der arkonidischen Geschichte neu definierten Lerc-Einheiten der vereinfacht als Intelligenzstufe umschriebenen Skala haben nur mittelbar etwas mit »Intelligenz« zu tun. Tatsächlich handelt es sich um einen rein rechnerisch ermittelten Wert, in den eine ganze Reihe von Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung eingehen. Hauptkomponenten sind durch Ausbildung und aufstockende Hypnoschulung vermitteltes Wissen, die grundsätzliche Fähigkeit, dieses praktisch umzusetzen, geistige Beweglichkeit, Aktivität und Willensstärke. Alle diese Komponenten schlagen sich in spezifischen Spektralmustern der Individualschwingungsauren nieder und lassen sich mit einem komplexen Algorithmus auf einen einfachen Zahlenwert reduzieren. Als Schwellenwert zur Ausschaltung des Robotregenten legte der Wissenschaftler Epetran 50 Lerc fest, den Atlan im Frühjahr 2040 nach Christus überbot; Epetran selbst soll mit 86,125 Lerc den höchsten jemals nach seiner Definition gemessenen Wert gehabt haben. Luccot: Arkonidische Bezeichnung für einen HochenergieImpulsstrahler. Maahks: Auch wenn die Maahks und ihnen ähnelnde Völker von den Arkoniden als »Methanatmer« oder kurz »Methans« bezeichnet werden, ist dieser Begriff irreführend: Die bis zu 2,20 Meter großen und bis zu 1,50 Meter breiten Wesen atmen
in erster Linie Wasserstoff (und ein bisschen Methan) ein und Ammoniak aus; dieses Gas ist unter dem auf Maahkwelten herrschenden Druck sowie den Temperaturen von 70 bis 100 Grad Celsius noch nicht flüssig geworden. Die Maahks entwickelten sich vor mehr als 50.000 Jahren in Andromeda. Als dort die Lemurer auftauchten, wurden die Maahkvölker in die Milchstraße vertrieben, wo es in Atlans Jugendzeit zum kriegerischen Kontakt mit den Arkoniden kommt – die so genannten Methankrieg(e) in mehrfach wechselnden heißen und kalten Phasen. Mehandor: Wörtlich »Händler«, auch Eigenbezeichnung des Volkes der »Springer«. Merte: Riesenechse des Planeten Jacinther IV von zwanzig und mehr Metern Länge. Der mächtige Kopf mit einem Rachen voller messerscharfer Reißzähne ist mit grünen und weißen Schuppen besetzt, der Körper ebenfalls grünlich weiß, aber mit roten Punkten bedeckt. An den Seiten befinden sich dicke Hautfalten, handlange Hornzacken ragen überall aus dem Rücken hervor. Das Tier hat kurze, aber außerordentlich muskulöse Beine – in sechsfingerigen Pranken endend – , so dass es eine Schulterhöhe von etwa 1,70 Metern erreicht. Die roten Augen sind doppelt so groß wie eine Männerhand, die Zunge ist gespalten. Die Gelege der Tiere, von denen ein scharfer Gestank ausströmt, befinden sich in selbst gegrabenen Höhlen unter dem Dschungel. Aus Unterkieferdrüsen wird von »Mertemelkern« eine Flüssigkeit entnommen, die auf Arkon I für ein exklusives Duftwässerchen benötigt wird, das so genannte Mertedshin. Mikrograv: Kurzund Sammelbezeichnung für Mikrogravitator und Mikrogravoneutralisator; im allgemeinen
ein miniaturisiertes Gerät, das beide Wirkungen kombiniert und Teil von Schutzanzügen ist (zum Beispiel für die Erzeugung einer sprachgesteuert-vektorierbaren AntigravFlugblase) oder zum Transport von Gütern eingesetzt wird. Mikrogravitator: Tragbares oder in Schutzanzüge integriertes Mikroaggregat, das in einer Umgebung mit geringerer Schwerkraft für den Träger Standardgravitation erzeugt; häufig kombiniert mit einem Mikrogravoneutralisator. Mikrogravoneutralisator: Tragbares oder in Schutzanzüge integriertes Mikroaggregat, das in einer Umgebung mit erhöhter Schwerkraft diese für den Träger auf Standardwert reduziert oder ganz aufhebt; häufig kombiniert mit einem Mikrogravitator. Nocto-Nos: Händler-Schutzgemeinschaft. Nos: Mond, Phonem-Ableitung von Gos, im Sinne von »Trabant, Satellit, im Orbit von«; i. w. S. »unter Einfluss von«. Öde Insel: Bezeichnung der Arkoniden für die Milchstraße, die auch Nebelsektor genannt wird; abgeleitet von Debara, Hamtar. Omir-Gos: Ein aus dem Zhy Bewussten Seins materialisierter Kristall, gekennzeichnet durch seine 1024 Facetten und ein goldenes Lumineszenzleuchten; Atlans Ziehvater und Lehrmeister Fartuloon (»der letzte Calurier«) verwendete offenbar verschiedene technisch oder paramechanisch genutzte Sonderformen von OMIRGOS, unter anderem bei der Flucht vom Planeten Gortavor (siehe ATLAN Buch 17). Orbton(en): Offizier(e) ab einfachem Mondträger.
Paralysator: Strahlwaffe, die das dem Willen unterworfene periphere Nervensystem von Lebewesen lähmt. Das für die lebenswichtigen Körperfunktionen notwendige autonome Nervensystem bleibt dabei weitgehend unbeeinflusst. Die getroffene Person ist vollkommen bewegungsunfähig (= Paralyse), kann aber noch normal denken, sehen und hören. Die Wirkung des Paralysestrahls hält meist für einige Stunden an. In Atlans Jugendzeit waren Modelle der Serie U-156 im Einsatz. Ranton Votanthar’Fama: Legendenumwobene »Welt des Ewigen Lebens« (= Kunstwelt der Superintelligenz ES), Kernbegriff vieler galaktischer Mythen und Sagen. Rhudhinda: Gesprochener Nachruf auf die Toten; »gemeinsam die Rhudhinda sprechen« = die Toten ehren. Satron: Abkürzung von Same Arkon bona = »hört Arkon sprechen«; Bezeichnung für die lingua franca im Großen Imperium: als Satron = klassisches Interkosmo, als Satron-I = Interkosmo (ate Verleihung des Handelsmonopols an die Springer im Jahr 6050 vor Christus), als Arkona-I = Hofsprache (vor allem auf Arkon I). Um etwa 1000 nach Christus entwickelt sich das »moderne Interkosmo« (umschrieben als Satron-Ia); der forcierte Handel von Springern mit Aras und Antis/Baalols führt zur verstärkten Einbindung medospezifischer Begriffe wie auch religiöser Wortschöpfungen, so daß ca.300 Arkonjahre später auch die Version Satron-Ib weit verbreitet ist. Schlachtkreuzer: Arkonidisches Kugelraumschiff von 500 Metern Durchmesser.
Schlachtschiff: Arkonidisches Metern Durchmesser.
Kugelraumschiff
von
800
Schwerer Kreuzer: Arkonidisches Kugelraumschiff von 200 Metern Durchmesser. She’Huhan: Sternengötter; je zwölf Frauen und Männer, die jeweils zur Hälfte dem »Unterreich« (verkörpert durch das Große Schwarze Zentralloch der Öden Insel) und dem »Oberreich« (symbolisiert durch die Sternenweite der HaloKugelsternhaufen) zugerechnet werden; u. a. Ipharsyn (Gott des Lichts und der Dreiheit), Merakon (Gott der Jugend und Kraft), Qinshora (Göttin der Liebe und unendlichen Güte), Tormana da Bargk (als Wettergott auch der von Sturm und Stärke, wurde in den Archaischen Perioden auch Kralas genannt). Skorgon: Wörtlich Ableitung von gon.
der/die
»Verschleierte«,
Phonem-
Sogmanton-Barriere: Nach seinem Entdecker Sogmanton Agh’Khaal benanntes, fast vierhundert Lichtjahre breites, verdreht schlauchförmiges, überaus turbulentes Gebiet mit Hyperstürmen und dergleichen unangenehmen Phänomenen, denen über Jahrtausende hinweg ungezählte Raumschiffe zum Opfer fielen. Eine Zone im Weltraum, der hier nicht schwarz, sondern von eigentümlich rötlicher Farbe war, durchzogen von riesigen bräunlich roten Schlieren. Arkonidische Hyperphysiker deuteten das Phänomen als höherdimensionale Bezugsebene, die das Standardkontinuum tangierte. In der Sogmanton-Barriere selbst kam es zu hyperenergetischen Einbrüchen und Aufrissen: Der Austausch
von Normal- und Hyperenergie löste Hyperstürme, starke Strukturerschütterungen und Verzerrungen aus, und es gab übergeordnete Wirbel, Strudel und wechselnde Sogrichtungen. Staubballungen waren von Energieorkanen und Quantenturbulenzen durchdrungen. Stellenweise führten die Kraftfeldlinien zu Transmitter oder Transitionseffekten, bei denen Objekte um Lichtstunden und mehr versetzt wurden oder aber gar nicht mehr im Standardkontinuum auftauchten. Das Zentrum der Barriere, fünf Lichtjahre im Durchmesser, war eine Ansammlung kosmischer Materie, in der es ständig brodelte und gärte: Dort konzentrierten sich die fremdartigen Energieströme und machten sich am deutlichsten bemerkbar. Im weiten Umkreis der Aufrisse waren Orter und Taster gestört. Sogmanton Agh’Khaal hielt das Barrierenzentrum für den Standort des legendären Ursprungsplaneten Arbaraith, eine Vermutung, die erst sehr viel später indirekt bestätigt werden sollte. Die Sogmanton-Barriere verschwand beim Höhepunkt rings um die Auseinandersetzung mit den Cyen/ Tekteronii der Jahre 2046 bis 2048 spurlos (siehe ATLAN-Buch 16). Synthon: Versorgungsengpässe und eine ausgeprägte Abneigung gegen natürliche Nahrungsmittel – weil mit dem Töten von Pflanzen und Tieren verbunden – führten schon zur Zeit der ersten Methankriege zur Einführung von Synthonahrung auf der Basis künstlicher Fotosynthese. Zwar hielt sich der Genus des Natürlichen vor allem im Rahmen prunkvoller Festivitäten (Stichworte: Einhaltung gesellschaftlicher Normen, Luxus, Exotik), doch allgemeine Grundnahrung war die synthetische, eine optimale Mischung aus Nährstoffen, Vitaminen und Mineralstoffen sowie Spurenelementen, die für den Metabolismus eines Arkoniden erforderlich waren (auch wenn es über die optische und
geschmackliche »Gestaltung« geteilte Meinungen gab). Mit ihr verbunden waren allerdings – wie sich sehr viel später herausstellte – bei Dauergenuss eine gesteigerte Neigung zu Allergien sowie eine kumulative Wirkung von knapp an der Nachweisgrenze befindlichen krebserregenden Inhaltsstoffen, die erst in Verbindung mit der allgemeinen Immunschwäche karzinogen symptomatisch wurden (Leukämie, Sarkom F Arkon usw.). Hierbei waren in der arkonidischen Spätzeit Männer weitaus stärker betroffen als Frauen, die sich aufgrund ihres Metabolismus als grundsätzlich robuster erwiesen (Mutterschaft usw.), andererseits aber die kumulierten Karzinogene vor allem an ihre männlichen Nachkommen weitergaben. Tai Arbaraith: Meisterhaftes Oratorium, das die Heroen-Saga um Arbaraith aufgreift; die symphonische Umsetzung des Lebens, des Kampfes und der Entrückung des archaischen Heroen Tran-Atlan vom Introitus mit dem Chor der Bestien über die Hymnen der Kristallobelisken bis hin zu Entrückung und Abschied (u. a. verzweifelte Schlussarie der schönen Thu Digfin, die vom Entrücken ihres geliebten Tran-Atlan erfährt) und der Schlusskantate. Tai Ark’Tussan: Großes Arkon-Imperium, meist nur als Großes Imperium übersetzt; umfasst neben den Kugelsternhaufen Thantur-Lok und Cerkol große Bereiche der als Öde Insel umschriebenen Milchstraßenhauptebene mit insgesamt mehreren zehntausend von Arkoniden und Fremdvölkern besiedelten Welten. Teaultokan: Palast, Residenz, Schloss.
Teault’gor: Burg, Festung. Tran-Atlan: Einer der Zwölf Heroen, Namenspatron Atlans. Mit seiner Heroen-Saga verbindet sich unter anderem die Mari-Danta, das »Lied der Letzten Hoffnung«. Translator: Gerät zur Verständigung zwischen Intelligenzvölkern, die verschiedene Sprachen sprechen. Der Rechner eines Translators benötigt eine ausreichende Lautmenge der bislang unbekannten Sprache, um deren Grundstruktur zu analysieren und eine rasche Kommunikation auf gegenseitiger Basis zu gestatten. Solche Übersetzungsgeräte können von Raumfahrern bei Einsätzen auf unbekannten Welten verwendet oder in Funkanlagen von Raumschiffen und stationär direkt vorgeschaltet werden. Translatoren können lautbildende Sprachen verarbeiten, Zisch-, Knurrund Pfeiftöne nur bedingt. Kommunikationsweisen in optischer, taktiler, olfaktorischer oder anderer Art sind mit normalen Geräten gar nicht zu entschlüsseln. Transmitter (auch: Materie-Transmitter): Stationäre Anlage zur zeitverlustfreien Beförderung von Personen und Gegenständen, die als Transportmedium den Hyperraum benutzt. Das eigentliche Transportfeld ist dem TransitionsStrukturfeld vergleichbar, der Transportvorgang an sich stets ein ganzheitlicher (es handelt sich nicht um Scanning nach dem Vorbild eines Fernsehbildes wegen quantenmechanischer Unschärfe sowie der Problematik der Gesamtinformationsmenge!). Tsopan: Heimatwelt der Skinen. Zweiter von vier Planeten der hellgelben Sonne Tsopans Stern, von Kraumon 1276
Lichtjahre, von Richmonds Schloss 1802 Lichtjahre, von Arkon 27.784 Lichtjahre entfernt. Mittlerer Bahnradius: 152 Millionen Kilometer. Planetarer Durchmesser: 12.234 Kilometer. Schwerkraft: 1,21 Gravos. Tageslänge rund zwölf Tontas (siebzehn Stunden). Kein Mond. Der Planet wurde bei Antimaterie-Experimenten der Skinen Ende des 20. Jahrhunderts irdischer Zeitrechnung vernichtet, nur wenige Skinen konnten vorher mit Raumschiffen fliehen. Ultraleichtkreuzer: Arkonidisches Kugelraumschiff von 60 Metern Durchmesser; eingesetzt als Beiboot (Reichweite 500 Lichtjahre) oder in eigenständigen Verbänden (hierbei dann von deutlich größerer Reichweite). Votan(ii): Wörtlich »Periode(n)«, auch »Zyklus, Kreis(lauf)«; arkonidische Bezeichnung für »Monat«. Votanthar: Wörtlich »ewig, Ewigkeit«. Votanthar’Fama: Wörtlich »ewiges Leben«, Kernbegriff vieler galaktischer Mythen und Sagen, meist in Verbindung mit einer legendenumwobenen »Welt des Ewigen Lebens« genannt (= Kunstwelt der Superintelligenz ES) – Ranton Votanthar’Fama. Ylld: Ausgestorbenes Riesenreptil, halb Schlange, halb Drache häufiges arkonidisches Heraldik-Symbol (u. a. beim Tu-RaCel-Emblem oder als Brusttätowierung bei Mitgliedern der SENTENZA). Yoner-Madrul: Bauchaufschneider; in den Archaischen Perioden entstandene arkonidische Umschreibung von Ärzten und Medikern; ihr Zeichen ist eine Amtskette aus Cholitt.
Zarakh-Tantor-Orden: Wörtlich »Dunkelheit, Finsternis, fehlendes Tageslicht« plus »Erlösung, Befreiung, Freiheit«. Seit den Uranfängen des Tai Ark’Tussan gibt es diesen besonderen Orden, der offiziell nicht den geringsten Wert hat, insgeheim aber als die größte Auszeichnung gilt, die einem arkonidischen Orbton verliehen werden kann. Er bekommt ihn nur – eine groteske Ironie – , wenn er entgegen allen Befehlen und völlig nach eigenem Ermessen handelt, sich diese krasse Befehlsverweigerung im Nachhinein aber als richtig und angemessen erweist (ansonsten ist eine Anklage wegen Insubordination noch der harmlose Teil dessen, was der betreffende Offizier und seine Familie zu erwarten haben – zumal dieser Orden in der Regel ohnehin posthum verliehen wird). Zayii Gosner’alor Gor’chron (ZGG): Wörtlich »Patienten/Klienten Gesundheit/Wohl Rettung Kampf (um) Chron(ners)«; freier übersetzt: »Rettung/Hilfe in Not/im Notfall« – ist als Akronym ZGG etwa vergleichbar dem »Roten Kreuz«/»Roten Halbmond« (wird meist mit dem »MedizinSymbol« verwendet). Im Kontext der Ara-Mentalität lautet die Übersetzung einer: »(die) Rettung/Heilung/Gesundheit (der) Klienten (gibt es nur für hart) umkämpfte Chronners« bzw. als Kurzform: »Der Klient bekommt, was er bezahlt.« Zeitrechnung: Ein Arkonjahr entspricht dem siderischen Umlauf von 365,22 Arkontagen (Pragos) zu exakt 28,37 (Erd-)Stunden. Gerechnet wird mit 365 Arkontagen je Arkonjahr: Alle 50 Arkonjahre ergibt sich somit ein Schaltjahr, in dem elf Arkontage angehängt werden (diese elf Schalttage entsprechen den elf Heroen, die Schaltperiode selbst wird nach dem mythischen zwölften Heroen »Pragos des Vretatou«
genannt). Das Arkonjahr ist unterteilt in zehn Perioden (= »Monate«) zu je 36 Arkontagen, hinzu kommen die fünf Pragos der »Katanen des Capits« (Feiertage, die auf uralte Riten zurückgehen; früher wurden damit die Fruchtbarkeitsgötter geehrt, mit der Zeit verloren die Katanen an Bedeutung). Folgende Namen/Reihenfolge gilt: 1. der Eyilon, 2. die Hara, 3. der Tarman, 4. der Dryhan, 5. der Messon, 6. der Tedar, 7. der Ansoor, 8. die Prikur, 9. die Coroma, 10. der Tartor, dazu die Katanen des Capits vor dem Jahreswechsel. Umrechnung: 0,846 Arkonjahre = 1 Erdjahr; 1 Arkonjahr = 1,182 Erdjahre.