Flash Gordon muß auf dem unerforschten Planeten Mongo notlanden. Dort wird er zum Verbündeten der Löwenmenschen in ihre...
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Flash Gordon muß auf dem unerforschten Planeten Mongo notlanden. Dort wird er zum Verbündeten der Löwenmenschen in ihrem heroischen Kampf gegen Ming, den gnadenlosen Tyrannen von Mongo… Flash Gordon – der legendäre amerikanische ScienceFiction-Held von Comic und Leinwand. Seine Abenteuer inspirierten George Lucas zu seinem grandiosen KRIEG DER STERNE. Die Romane um Flash Gordon erscheinen jetzt erstmalig in deutscher Sprache bei Bastei-Lübbe.
Alex Raymond mit Con Steffanson
Flash Gordon und die Löwenmenschen Science Fiction-Roman.
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 103
Erste Auflage 5/1978 Zweite Auflage 3/1979 Copyright 1977 by King Features Syndicate, Inc./ Bulls Pressedienst, Frankfurt/Main All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1978 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch-Gladbach Originaltitel: Flash Gordon – The Lion Men of Mongo Ins Deutsche übertragen von Michael Görden Titelillustration: Bulls-Pressedienst Umschlaggestaltung: Bastei-Graphik (S) Druck und Verarbeitung: Mohndruck Reinhard Mohn GmbH, Gütersloh Printed in Western Germany ISBN 3-404-00931-2
I Bis zehn Minuten vor der geplanten Landung lief alles glatt. Dann begann das interplanetare Forschungsschiff Schwierigkeiten zu machen. Die Temperatur in der ovalen Schiffszentrale stieg schnell an, zunächst nur immer um ein halbes Grad. Plötzlich traten Temperatursprünge von fünf Grad und mehr auf. Die zentrale Steuerkonsole wurde glühend heiß. Schwaden eines beißenden, blauen Rauchs stiegen auf und Funken sprühten. Dr. Zarkov, ein großer, stämmiger Mann mit einem wild aussehenden schwarzen Bart, stand gerade vor den Monitoren der Scanner und studierte die Bilder der Gegend, die sie überflogen. »Palmaceae«, dozierte er mit seiner dröhnenden Stimme. »Extrem große Exemplare, aber eindeutig Palmengewächse. Genau was ich hier erwartet habe. Und dazwischen Gruppen zypressenähnlicher Bäume. So habe ich mir das vorgestellt. Und was haben wir denn da?« Er beugte sich vor und berührte den mittleren der fünf Beobachtungsbildschirme fast mit seinem breiten Gesicht. »Ja, natürlich, chrysopsis mariana und hieradum scabum. Im Gegensatz zu den verwandten Arten auf der Erde erreicht die Flora dieses Teufelsplaneten die drei- bis vierfache Höhe. Aber sonst ist alles so, wie ich es mir vorgestellt habe.« »Haben Sie auch die Schwierigkeiten mit unserem Schiff erwartet?« fragte Dale Arden, ein dunkelhaariges Mädchen, Mitte Zwanzig und Zarkovs Assistentin. Ihr schlanker Körper steckte in einer enganliegenden, blauen Schiffskombination. Zarkov blickte blinzelnd von seinem Bildschirm auf. Er schnupperte nach dem beißenden Rauch, der allmählich die Zentrale füllte. »Was ist das?« knurrte er. Dale kauerte in ihrem Pneumo-Sessel und deutete auf die Steuerkonsole. »Wie schlimm ist es, Flash?« Im Pilotensitz schüttelte Flash Gordon den Kopf, ohne seinen 5
Blick von den Kontrollen vor ihm abzuwenden. »Weiß nicht«, sagte er. »Ich lasse gerade einen Kontrollcheck durchlaufen. Der wird uns sagen, was los ist.« Der Pilot war groß und breitschultrig, mit blondem Haar und sonnengebräunter Haut. Ihm fehlte noch ein Jahr an seinem dreißigsten Geburtstag. Zusammen bildeten die drei die Besatzung des ersten irdischen Raumschiffs über dem unerforschten Planeten Mongo. Zarkov schob sich durch die Zentrale. Seine Raumfahrerstiefel schlurften über den Plastikboden. »Es kann nichts Ernstes sein!« donnerte er los. »Ich habe das Schiff selbst entworfen und genau den Erfordernissen unserer Pionier-Expedition nach Mongo angepaßt.« Die Hitze in dem von Metallwänden umgebenen Raum stieg. Der Rauch aus der Steuerkonsole wurde dichter. »Ich habe keine Kontrolle mehr über die Landemechanik. Die Landestützen lassen sich nicht ausfahren. Die automatische Landesteuerung ist ausgefallen, obwohl ich keine Ahnung habe, wie das geschehen konnte.« Flash unternahm einige Schaltversuche an einer Instrumententafel zu seiner Linken. »Jetzt versagt auch das Hilfs-Kontrollsystem!« »Unmöglich!« schnappte Zarkov und ging neben Flash in die Knie. »Aber da das Unmögliche nun mal passiert ist, werden wir eben das Ersatz-Hilfs-Kontrollsystem benutzen.« Er machte sich an einem zweiten Kontrollbord, unter dem eben von Flash bearbeiteten, zu schaffen. »Immer noch keine Reaktion«, berichtete Flash nach einigen Sekunden. »Wir haben keine Kontrolle mehr über das Schiff.« Nachdem er sich auf dem Boden ausgestreckt und einen elektrischen Schraubenzieher aus einer Tasche seiner Allzweckkombination gefischt hatte, fiel Zarkov über die Abdeckung eines Panels zu Flashs Füßen her. »Ich habe selbst die Testflüge mit diesem Schiff auf unserem Basisplaneten durchgeführt. Ich kann mich nicht…« Er bekam die Abdeckplatte los, warf sie zur Seite und fuhr mit seiner großen Hand in die entstande6
ne Öffnung. »Das ist jetzt eine Art offener Herzmassage. Es sollte eigentlich die Landeautomatik wieder in Gang setzen.« Flash wartete weitere zwanzig Sekunden, dann mußte er feststellen, daß sich trotzdem nichts rührte. Dale war aufgesprungen und hatte sich neben Flash gestellt. Sie berührte seine Schulter leicht mit ihrer schlanken Hand. »Sieht aus, als ob uns eine Bruchlandung bevorstünde.« »Lächerlich!« schnaubte Zarkov und bewaffnete sich wieder mit seinem Schraubenzieher. »Ich habe dieses Schiff narrensicher gebaut und übernehme jede Garantie dafür.« Er richtete sich auf. Seine Hand zupfte nervös an dem dichten, schwarzen Bart. »Mal abgesehen davon, habe ich in den Bau dieser Seifenkiste fast das ganze Vermögen der Interplanetaren Stiftung gesteckt. Wenn wir sie jetzt abstürzen lassen, setzen wir zwanzig Millionen Kredits in den Sand!« »Dale hat recht, Doc«, widersprach Flash. »Entweder ein Absturz oder eine Notlandung.« »Ich kann nicht zulassen –« »Okay, geschenkt!« unterbrach der große, blonde Raumfahrer den Wissenschaftler. »Sie und Dale steigen aus. Ich bleibe hinter den Kontrollen und versuche eine saubere Notlandung. Auf diese Weise sind Sie beide sicher, und wir haben auch noch eine Chance, das Schiff zu retten.« Die Hand des Mädchens strich über Flashs Schulter. »Das hat keinen Zweck, Flash! Es ist zu gefährlich für dich«, sagte sie. »Selbst wenn wir das Schiff verlieren sollten, brauchen wir nur Dr. Zarkovs Laborschiff im Orbit anzufunken, und die Robotsteuerung wird uns –« »Wenn ich merke, daß ich das Schiff wirklich nicht mehr retten kann, steige ich auch aus und rufe vorher über Funk ein Rettungsboot für uns runter«, versicherte ihr Flash. »Aber ich will erst versuchen, das Schiff zu retten. Jetzt mach dich mit dem Doc für die Notausschleusung fertig.« »Das ist nicht richtig, Flash!« protestierte Zarkov mit seiner 7
lauten Stimme. »Als Erbauer dieses Schiffes sollte ich bis zuletzt an Bord bleiben.« Flash grinste. »Soweit ich gehört habe, geht der Kapitän mit seinem Schiff unter, nicht der Konstrukteur.« Dale war zu einem Wandfach gelaufen und riß drei Fluggürtel heraus. »Hier ist einer für dich, Flash.« Widerstrebend schnallte sich Zarkov ebenfalls einen der Gürtel um. »Denken Sie daran, Flash, daß ich auch bei der Konstruktion dieser Rettungs-Fluggürtel mitgewirkt habe. Sie werden Ihnen die genaue Position der Plätze, an denen Dale und ich aufsetzen werden, über die Schiffsmonitoren melden.« »Wenn ich das Schiff runtergebracht habe, finde ich euch an Hand der Signale«, bestätigte Flash. »Gut, gut«, knurrte der bärtige Wissenschaftler. »Wir werden uns nicht von unseren Landestellen rühren und dort auf Sie warten.« Nachdem sie ihren Fluggürtel angelegt hatte, küßte Dale Flash flüchtig auf die Wange. »Wir sehen dich bald wieder, ja?« flüsterte sie. »Ich übernehme jede Garantie dafür«, antwortete er ihr mit einer von Zarkovs Lieblingsphrasen. Das schlanke Mädchen ging zur Notschleuse und entfernte mit geübtem Griff die Sicherheitsabdeckung. Dann zwängte sie sich in den Katapultschacht und wurde wenige Minuten später vom Mechanismus der Notschleuse aus dem Schiff geschleudert. »Zwanzig Millionen sind auch nicht alles«, meinte Zarkov noch, als er ihr in die Notschleuse folgte. »Riskieren Sie nicht zuviel, Flash. Wenn es keinen Zweck mehr hat, steigen Sie aus!« Die Hitze in der kleinen Zentrale des Raumschiffs lag jetzt bei über 80 Grad, wenn man dem Thermometer an der Steuerkonsole noch trauen durfte. Flash kämpfte weiter mit den Steuerschaltungen und den ver8
schiedenen Hilfs- und Notsystemen. Es rührte sich nichts. Die Steuerung war völlig ausgefallen. Fünf Minuten nach dem Absprung von Zarkov und Dale gab Flash endlich auf und schwang sich aus dem Pilotensitz. »Doc und die Interplanetare Stiftung werden sich nicht darüber freuen, aber hier ist nichts mehr zu retten.« Er notierte sich die Positionen, an denen Dale und der Doktor gelandet waren, und wollte zur Funkanlage gehen, um das Robotgehirn des Laborschiffes in der Umlaufbahn um Mongo zu verständigen. Aber bevor er die Funkanlage erreichte, begann das Schiff wild zu taumeln. Flammen peitschten aus der Steuerkonsole, und dann stürzte das Schiff senkrecht auf die Planetenoberfläche zu.
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II Sie kamen durch Risse und Spalten in der geborstenen Metallhülle und durch die offene Notschleuse. Es waren schlangenähnliche Wesen mit orangefarbenen, fast zwei Meter langen Leibern, die sich auf rotgeränderten Saugnäpfen fortbewegten und dabei eine schleimige Flüssigkeit absonderten. Sie wanden sich die Wände der Zentrale herab, tauchten überall hinter den zertrümmerten Instrumentenkonsolen auf. Ihre Schleimspuren zogen sich über die Bildschirme. Gut zwei Dutzend von ihnen näherten sich der reglosen, menschlichen Gestalt auf dem verschmorten Plastikboden der Schiffszentrale. Gespaltene Zungen zischelten zwischen scharfen Fängen. Flash stöhnte. Er lag lang ausgestreckt auf dem Rücken. Seine linke Hand zuckte unkontrolliert. Langsam kehrte das Bewußtsein zurück. Der Raumfahrer öffnete die Augen. Als er den Alptraum sah, der sich ihm zischelnd näherte, murmelte er: »Ich möchte wissen, ob Zarkov sich euch auch so vorgestellt hat.« Vorsichtig tastete er mit der Rechten nach seinem Blaster. Er zog die Waffe und richtete sie auf die vorderste Kreatur. »Zurück!« warnte er. Der Kopf des Reptils fuhr hoch wie der einer irdischen Schlange, die zustoßen will. Flash feuerte. Ein knisterndes Geräusch, und der hocherhobene Reptilkopf war verschwunden. Für Sekundenbruchteile hing noch sein schattenhaftes Bild in der Luft, dann löste es sich in Nichts auf. Das zweite Reptil schoß vor, um Flash anzugreifen. Wieder knisterte der Blaster. Die anderen Wesen erstarrten. Im nächsten Moment wandten sie sich unter mißtönendem Kreischen zur Flucht. Sie zwängten sich zurück in die Risse und Löcher, aus denen sie gekommen waren, und hinterließen überall bläuliche Schleimspuren. 10
Eine Berührung mit den schleimigen Spuren vermeidend, arbeitete Flash sich zur Funkanlage vor. »Nicht gerade eine gelungene Notlandung«, kommentierte er die Verwüstung in der Zentrale. Er stellte fest, daß alle Kommunikationseinrichtungen so vollständig ruiniert waren wie der Rest des Schiffes. Das Robotgehirn des Mutterschiffs war von Dr. Zarkov leider nur mit einer sehr begrenzten Kapazität ausgestattet worden, die keine eigene Initiative des Gehirns zuließ. Für eine Rettung des abgestürzten Teams fehlte ihm die entsprechende Programmierung. Einstweilen saß Flash mit den anderen auf dieser Welt fest. Nach kurzer Überlegung entschied er sich dafür, zunächst nach Dale und Zarkov zu suchen und dabei nur das Notwendigste mitzunehmen. Später würde er mit Zarkov gemeinsam das Schiffswrack ausschlachten. Im Augenblick war es zweckmäßiger, die technische Ausrüstung und die Nahrungskonserven hier zurückzulassen. In einen Plastikrucksack packte er einige Notrationen, zwei Reserveblaster und einige auf einer fremden Welt nützliche, technische Ausrüstungsteile. Ein Jagdmesser steckte er in seinen Gürtel. Draußen war es früher Nachmittag. Flash schätzte, daß er nicht länger als eine Stunde bewußtlos gewesen war. »Dale und Zarkov müßten noch an ihren Landeplätzen auf mich warten.« Durch den beschädigten Notausstieg blickte er auf die Wildnis von Mongo hinab. Er sah Streifen schilfartiger Gräser, dazwischen die Stämme von hohen Palmbäumen. Ober dem Boden wimmelte es von goldfarbenen Fluginsekten. Von den Reptilien war keine Spur mehr zu entdecken. Flash sprang hinunter in den Schlamm von Mongo. Die Luft draußen war feucht und drückend. Sie trieb ihm sofort den Schweiß aus den Poren. Zwischen den riesigen Grasbüschen blieb er stehen und blickte einen Augenblick zu der heißen, fremden Sonne auf. Dann befragte er seinen Kompaß, nickte sich selbst zu und 11
machte sich auf die Suche nach Dale und Zarkov. Eine neue Hyperraum-Flugtechnik mit Hilfe eines WarpFeldes, an deren Entwicklung Dr. Zarkovs Stiftung beteiligt gewesen war, hatte das Sonnensystem des Planeten Mongo erst vor kurzer Zeit für die Erde erreichbar gemacht. Mit einem auf der neuen Technik beruhenden Raumschiffsantrieb konnte die lichtjahrweite Entfernung zu diesem System zum ersten Mal bezwungen werden. Zarkov hatte mit Dale und Flash zusammen bereits einen anderen Planeten des Systems erkundet. Er rechnete auf allen Welten in der Biosphäre von Mongos Sonne mit humanoiden Intelligenzwesen auf verschiedenen Kulturstufen. Die Fernbeobachtungen der letzten Wochen schienen seine Erwartungen zu bestätigen. »Von diesen Schlangen hat er allerdings nichts gesagt«, meinte Flash, während er sich einen Weg durch das zähe, verfilzte Unterholz zwischen den Palmbäumen bahnte. Hoch über ihm trafen sich gigantische Palmwedel und bildeten ein grünes, schimmerndes Dach, das sich über den größten Teil des Dschungels wölbte. Hunderte von großen Schmetterlingen flatterten im Zwielicht zwischen den Bäumen. Leuchtend rot, Silber, tief blau oder strahlend weiß leuchteten sie immer wieder in den Lichtstreifen auf, die durch das Blätterdach drangen. Von allen Seiten erklangen an Vögel erinnernde Rufe, zwitschernd und pfeifend. Nach ungefähr einer Viertelstunde Marsch stieß Flash auf eine Art Straße. »Sieht nach Menschenhand aus«, sagte er sich. Der staubige Weg führte schnurgerade durch den dichten Dschungel und war fast zehn Meter breit. Der Pilot stellte fest, daß die Dschungelpiste ihn in die Nähe von Zarkovs Landestelle bringen mußte. »Vorausgesetzt sein Fluggürtel arbeitet ein bißchen besser als sein Erkundungsschiff.« Als Flash der Straße über eine Stunde gefolgt war, legte er eine Pause ein. »Ich habe doch noch ein schönes Stück mit dem 12
Schiff zurückgelegt«, sagte er sich. »Sieht aus, als ob ich für mein erstes Rendezvous noch einiges zu laufen habe.« In einiger Entfernung hörte er etwas. Die Straße machte eine Kurve hinter seinem Rastplatz, die er nicht überblicken konnte. Das Geräusch wirkte wie ein Schaben und Hacken. Flash schob sich vorsichtig am Straßenrand um die Biegung. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah er einen mächtigen, verkrüppelten Eichenbaum. An dem Baum hing ein Toter.
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III Der tote Humanoide mußte schon einige Zeit an dem Baum hängen. Vögel und Insekten waren dabei, sich intensiv mit ihm zu beschäftigen, wobei sie bereits erhebliche Fortschritte gemacht hatten. Trotzdem war noch zu erkennen, was man mit schwarzen Buchstaben in seine Brust gebrannt hatte: Er besaß eine verbotene Waffe. Flash starrte auf die sachte über ihm pendelnde Leiche. »Es gibt also Menschen auf diesem Planeten«, überlegte er laut. »Sie scheinen untereinander kein sehr gutes Verhältnis zu haben, und eine Waffe zu besitzen steht unter Todesstrafe.« Er machte sich wieder auf den Weg. Nach einigen Schritten griff er zu dem Holster an seiner Seite. »Ich frage mich, welche Waffen verboten sind.« Er nahm das Holster ab, zog den Blaster heraus und verstaute das Holster im Rucksack. Die Waffe schob er hinten in den Gürtel, wo sie von seinem losen Hemd verborgen wurde. Fünf Meilen weiter stieß er auf den nächsten Toten, der wie der erste an einem Baum aufgehängt war. Dieser Mann war noch nicht so lange tot. Die Etikettierung auf seiner Brust lautete: Hingerichtet auf Befehl von Kaiser Ming. Er stahl Lebensmittel. »Eine harte Gesellschaftsordnung, in die wir hier geraten sind«, kommentierte Flash. »Einen Mann umzubringen, weil er Lebensmittel gestohlen hat!« Er ging weiter und warf hin und wieder einen Blick über die Schulter. »Bin gespannt, welchen Empfang uns dieser Kaiser Ming bereiten wird, falls wir jemals das Vergnügen haben.« Nach einigen Minuten kam ihm plötzlich etwas anderes zu Bewußtsein. »Auf jeden Fall wird sich Zarkov freuen zu erfahren, daß sein Lingual-Translator funktioniert.« Zu den Vorbereitungen des ersten Landungsunternehmens auf Mongo hatte gehört, daß Zarkov sich selbst, Dale und Flash Micro14
Spezialgeräte ins Gehirn implantieren ließ. Das Gerät übersetzte jede geschriebene und gesprochene Sprache, mit der sie auf Mongo in Berührung kommen würden, und erlaubte ihnen, in dieser Sprache zu antworten. Da der Translator direkte Verbindung mit ihren Gehirnen hatte, erschien es ihnen, als hätten sie die Sprachen Mongos schon immer fließend gesprochen. Schließlich wich das Licht des späten Nachmittags der Dämmerung. Der Tag auf Mongo war nicht wesentlich länger als ein Erdtag. Eine alle Konturen verschwimmenlassende Dunkelheit breitete sich zwischen den Bäumen aus. Flash blieb stehen. »Hier etwa müßte Zarkov gelandet sein«, meinte er und schaute sich um. »Dales Landeplatz muß noch weiter weg sein.« Der Fluggürtel gab seinem Benutzer die Möglichkeit, die Flugrichtung zu beeinflussen. Wenn nichts schief gegangen war, würde der Doktor in der Lage gewesen sein, auf der Straße glatt herunterzukommen und nicht irgendwo in den Bäumen und Büschen zu landen. Zum wiederholten Male bedauerte Flash, daß sein eigener Fluggürtel beim Absturz beschädigt worden war. »Zarkov!« rief Flash mit vorgehaltenen Händen in alle Richtungen. »Doc! Sind Sie hier? He, Zarkov! Wo stecken Sie?« Keine Antwort. Dann sah Flash etwas an einem dornigen Busch heben der Straße hängen. Es war ein Fetzen Kleidung. Der Pilot zerrte ihn von der Dornenranke. »Von Zarkovs Kombination abgerissen«, stellte er fest. »Und das darauf sieht aus wie ein Blutfleck!« Er nahm eine kleine, runde Taschenlampe aus dem Rucksack. In der Nähe der Stelle, an der der Fetzen im Gebüsch gehangen hatte, entdeckte er Fußspuren. Ein Teil der Spuren schien von Zarkovs Stiefeln zu stammen, aber die anderen waren eindeutig Abdrücke einfacher Sandalen. Einige Meter weiter tauchten die Zeichen eines Kampfes auf: Fußspuren, die sich kreuzten, zertrampelte Büsche am Wegrand, abgebrochene 15
Zweige. Blut war nicht zu sehen, was hoffentlich ein gutes Zeichen darstellte. Flash bückte sich, um die Fußspuren genau zu untersuchen. »Zwei oder drei große Männer«, stellte er fest. »Es wird trotzdem keine Kleinigkeit für sie gewesen sein, Zarkov zu überwältigen.« Er schwenkte den Lichtkegel der Taschenlampe über die Straße. »Mal sehen, wohin sie ihn geschleppt haben.« Es gab Anzeichen, daß die unbekannten Angreifer den Wissenschaftler über die Straße und auf der anderen Seite in den Wald getragen hatten. Büsche und hohe Farne waren zur Seite gebogen und kennzeichneten deutlich eine Stelle, wo mehrere Männer von der Straße in den Wald eingedrungen waren. Als er in das dunkle Dickicht vor ihm leuchtete, entschied sich Flash, zunächst darauf zu verzichten, Zarkovs Spur zu folgen. Der Dschungel war schon bei Tageslicht nicht sonderlich einladend gewesen. Bei Nacht würde das Unterholz auch mit Lampe kaum passierbar sein, von den Überraschungen einer unbekannten Tierwelt ganz zu schweigen. Zuerst mußte Dale gefunden werden. Er schaltete die Lampe ab und lief in einem gleichmäßigen Trab weiter über die Straße in Richtung auf Dales Landeplatz. Aus der Dunkelheit antwortete eine rauhe Stimme: »Wenn du die junge Frau suchst, kann ich dir sagen, wo sie hingebracht wurde.« An der von den Schiffsmonitoren aufgezeichneten Landestelle führte die Straße auf eine Lichtung. Ein ovaler See lag im Zentrum der freien Fläche. Frösche quakten dumpf vom gegenüberliegenden Ufer. »Dale! Flash ist hier! Wo bist du?« Ein Rascheln näherte sich durch die Bäume am Seeufer. »Dale, bist du es?«
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IV Es war ein kleiner, verwachsener Mann, der Flash von der anderen Seite des Dschungelteichs angesprochen hatte. Er trug einen einfachen, lehmfarbenen Umhang, der von Lederriemen zusammengehalten wurde, ein grob gewebtes Hemd und ledrige Stiefel aus weichem Fell. Sein Haar war lang und ungeschnitten, mit grauen Strähnen. Von den unteren Vorderzähnen fehlten eine ganze Reihe. »Du bist ein Fremdländer«, erklärte der Mann mit rauher, heiserer Stimme, »wie das Mädchen.« Flash kam um den Teich herum. Dabei hielt er den Lichtkegel der Lampe ständig auf den Mann gerichtet. Es sah nicht so aus, als ob in den Büschen noch andere lauern würden. »Du hast das Mädchen gesehen?« fragte Flash und baute sich vor dem Mann auf. »Ja, ja!« bestätigte der Verwachsene. »Sah sie so klar vor mir, wie ich dich jetzt hier stehen sehe. Na, eigentlich sogar noch klarer, weil es da ja noch hell war. Ein hübsches Mädchen mit dunklem Haar. Zu hübsch, das war ihr Pech.« »Was soll das heißen?« »Ich wollte sagen, daß das der Grund ist, warum sie sie mitgenommen haben.« »Wer hat sie mitgenommen?« »Die Kaiserliche Polizei.« Der Verwachsene rieb sich sein langes Kinn. »Gut verschnürt und auf seinen Sattel gepackt hat sie der Polizeioffizier.« »Sie wurde verhaftet?« Der kleine Mann antwortete mit einem trockenen Kichern. »Zu hübsch, habe ich das nicht schon gesagt, zu hübsch. Nein, Fremdländer, sie haben sie in die Hauptstadt gebracht. Siehst du, unser Kaiser ist an hübschen, jungen Mädchen immer sehr interessiert, und viele Mädchen werden fortgeschafft, um in seinem Palast zu landen.« »Du sprichst von Kaiser Ming?« 17
»Aye, Ming, Herrscher des Neuen Reiches«, erklärte er. »Und bald, wenn er seine Pläne vollendet hat, Herrscher von ganz Mongo.« »Wie lange ist es her, daß sie sie mitgenommen haben?« »Es gibt keine Chance mehr, sie einzuholen«, meinte der Verwachsene, »falls du daran denken solltest. Sie waren zwar zu Pferd, die zwei Kaiserlichen, die sie mitgenommen haben. Aber inzwischen werden sie mit ihr an Bord eines Flugschiffes sein und sie zu Mings Palast fliegen.« »Wie weit ist es von hier zur Hauptstadt?« Der Kleine gab eine Entfernung von etwa 500 Kilometern an. »Wo kann ich ein Flugschiff dorthin bekommen?« Das trockene Kichern des Verwachsenen war diesmal noch lauter. »Willst du dein Leben mit einem Strick um den Hals an einem dieser Bäume beenden, Fremdländer?« antwortete er. »Willst du damit sagen, daß auch der Gebrauch von Luftschiffen unter Todesstrafe steht?« »Für jeden mit Ausnahme der Kaiserlichen Polizei und denen, die zum inneren Kreis des Kaisers gehören«, erläuterte der Mann. »Aber wenn du unbedingt zur Hauptstadt willst, ich kann dir die schnellste Route zeigen. Mein Name ist Harn, und ich habe schon oft als Führer gedient.« Flash entschied, daß er unter diesen Umständen auf keinen Fall zurückkehren und Dr. Zarkovs Spur folgen würde. Der stämmige Wissenschaftler war durchaus in der Lage, eine Weile selbst für sich zu sorgen. Es war zunächst einmal Dale, die er so schnell wie möglich finden mußte. »Ausgezeichnet«, erklärte er Harn. »Ich nehme dein Angebot an.« »Mein gewöhnlicher Lohn, Fremdländer, sind fünf Mingots den Tag.« »Ich habe nichts von euerem lokalen Geld.« Während er den Tragebeutel auf dem Rücken des großen Fremdländers eingehend musterte, meinte Harn: »Vielleicht hast du wertvolle Dinge bei dir, etwas aus deinem eigenen 18
Land, das du hier gegen Geld eintauschen kannst. Nicht weit von hier ist ein Gasthof, das Durchbohrte Herz, und ich kenne den Wirtsherrn. Er ist ein alter Freund von mir. Selbst in diesen schweren Zeiten hat er noch genug Bares, um brauchbares Importzeug in Zahlung zu nehmen.« Nachdem er das magere, faltige Gesicht des Verwachsenen einige Sekunden betrachtet hatte, sagte Flash: »Also gut, sehen wir uns das Durchbohrte Herz an.« * Dichter Nebel zog zwischen den Bäumen auf, und die Nacht wurde grau und naß. Die Geräusche des Dschungels wirkten jetzt dumpf und undeutlich. »Sind wir hier nahe am Wasser?« fragte Flash seinen Führer. »Aye«, antwortete Harn, »wir sind nicht weiter als eine Meile vom Großen Fluß entfernt.« Er marschierte einige Schritte vor Flash. »Kann ich dem Fluß zur Hauptstadt folgen?« »Vielleicht. Mach dir keine Sorgen, Fremdländer. Ich werde schon dafür sorgen, daß du dein Ziel erreichst«, versprach der Verwachsene. »Das Durchbohrte Herz liegt direkt am Fluß, und wenn wir erst dort sind, werde ich dir helfen, den günstigsten Weg zu finden.« Der Flußnebel war eiskalt. Er trieb jetzt in dichten Nebelbänken heran, ließ die Bäume am Wegrand zu einer ununterbrochenen grauen Wand werden und wallte über den schlammigen Grund zu ihren Füßen. »Du hast wirklich Glück gehabt«, sagte Harn nach einer Weile, »daß du mich in dieser Nacht getroffen hast. Es gibt nicht viele, die hier herauskommen, wenn es dunkel geworden ist.« »Warum das? – Habt ihr hier ein Waldgespenst?« »Mach nur dumme Scherze, Fremdländer, aber…« Der Führer schwieg und blieb lauschend stehen. »Wir müssen uns beei19
len, hier wegzukommen«, sagte er nach einigen Sekunden angespannten Lauschens. »Was gibt es?« Harn begann in einem schnellen Trab über den Weg zu laufen, dessen schmalen Windungen sie folgten. »Die Nacht bringt viele Gefahren«, rief er über die Schulter. Zu ihrer Rechten kam aus einiger Entfernung ein lautes Krachen von Ästen und Büschen. »Und vor welcher besonderen Gefahr laufen wir gerade weg?« »In meinen Ohren hört sich das sehr nach einem Salamander an.« »Einen Salamander? Warum sind denn…« Das Krachen und Bersten war jetzt auch direkt vor ihnen zu hören. Dann sah Flash eine der Kreaturen. Sie war drei Meter lang, der Körper von glitzernden, grünen Schuppen bedeckt und mit leuchtenden, gelben Flecken überzogen. Der Salamander öffnete sein breites Maul, und Flash sah, daß er, abgesehen von seiner Größe, noch einen anderen entscheidenden Unterschied zu seinen kleinen irdischen Verwandten hatte. Aus seinem Maul blitzten große, schlangenähnliche Fänge. Mit einigen stampfenden Schritten seiner kräftigen Säulenbeine stellte sich ihnen der Riesensalamander mitten in den Weg.
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V Zarkov schimpfte leise vor sich hin. Sein breiter Rücken lehnte an der schwarzen Felswand einer großen Höhle, und der Wissenschaftler war damit beschäftigt, über seine derzeitige Situation nachzudenken. »Es muß jetzt schon Abend sein«, grollte er. »Ich habe einen ausgezeichneten Zeitsinn, gewöhnlich irre ich mich da nie. Es ist Abend, und das heißt, ich habe eine weitere Mahlzeit verpaßt.« Er versuchte sich an seinem Vollbart zu kratzen, aber die Lederriemen, mit denen seine Handgelenke gefesselt waren, behinderten ihn zu sehr. Einige Meter entfernt brannte in der Dunkelheit der weiten Höhle ein kleines Feuer. Sein dichter Rauch stieg zu den dunklen Schatten der Felsdecke auf. Neben dem Feuer saßen drei schmale Männer, gekleidet in Kapuzenmäntel und einfache Sandalen. »Ich bin bereits auf sechs Planeten, vier Satelliten und einem kleineren Mond in Gefangenschaft geraten«, fuhr der bärtige Wissenschaftler mit seiner dröhnenden Stimme fort, »aber bisher bin ich dabei immer gut verpflegt worden. Besonders gut meinte man es mit mir auf Jupiter, wo ich als Hauptattraktion für ein Kannibalenfest vorbereitet wurde, das aber glücklicherweise…« »Sie müssen sich gedulden!« Einer der Kapuzenmänner war zu dem aufgebrachten Zarkov getreten. »Wir haben keine leichte Zeiten auf Mongo. Viele Menschen finden überhaupt nichts mehr zu essen. Selbst für uns ist es nicht immer einfach, obwohl wir Magier sind und daher…« »Wenn ihr schon Magier seid, warum zaubert ihr dann kein Essen her, he?« »Wartet, bis unser Meister kommt. Dann werden wir sehen, was wir für Euch tun können«, versprach der Magier seinem Gefangenen. Zarkov war schon seit mehreren Stunden in der Gewalt der 21
Kapuzenmänner. Sein Fluggürtel hatte ihm nach einer kurzen Periode des unkontrollierten Sturzes eine sichere Landung erlaubt. Langsam war er durch den klaren Sommerhimmel von Mongo herabgeschwebt. Die Steuerung des Gürtels funktionierte ausgezeichnet und ermöglichte Zarkov, eine im Dschungel unter ihm auftauchende Straße anzufliegen. In die Betrachtung einer neuen Art der linaria canadensis versunken, schaffte er eine rauhe, aber sichere Landung auf der Straße, bei der er eine riesige Staubwolke aufwirbelte. Um ihn herum erhoben sich die Pflanzen bis zu einer imponierenden Höhe von fast zwei Metern. Die Hände auf die Hüften gestützt, musterte er seinen Landeplatz. »Faszinierend«, stellte er fest. »Genau, was ich erwartet habe.« Schließlich legte Zarkov seinen Fluggürtel ab und zog aus einer der unzähligen Taschen seiner Arbeitskombination einen Protein-Riegel. Als er sich das Nahrungskonzentrat in den Mund schieben wollte, hörte er etwas. Es war ein kaum wahrnehmbares Geräusch, aber er war sicher, daß es Schritte auf trockenen Zweigen gewesen sein mußten. Zarkov überquerte die Straße und starrte in das Dschungeldickicht, während er seinen von der Landung zerzausten Bart glattstrich. »Ich bin in meinen vierzig Forscherjahren schon auf alle möglichen Arten empfangen worden«, sagte er sich, »und am unangenehmsten waren bisher immer die, bei denen sich jemand auf Katzenpfoten um mich herumschlängelte.« Jemand sprang von einem Baum über ihm auf ihn herab. Ein kräftiger Arm legte sich um seinen Nacken, bog ihm den Kopf nach hinten. »Was ist das?« brüllte Zarkov. Er schlug mit der Faust nach hinten und fühlte, daß er eine Nase traf. »Nicht Bruder Igon! Schlag ihn nicht auf den kostbaren Schädel!« beruhigte eine Stimme aus den Büschen. »Wir brau22
chen seinen ungewöhnlichen Intellekt noch!« Aus dem Augenwinkel sah Zarkov den Mann und eine zum Schlag erhobene Metallstange. Zarkov schleuderte seinen Angreifer in das Gewirr von Baumwurzeln. Er wich einige Schritte zurück, aber dann wurde er von zwei anderen Männern angesprungen. Die beiden waren groß und kräftig, ihre muskulösen Körper in Kapuzenmäntel gehüllt. Einen konnte Zarkov sich mit einem rechten Haken vom Leib halten. Der andere bekam ihn zu fassen. »So machen wir uns zuviel Arbeit mit ihm«, rief der Bruder Igon Genannte. »Gib ihm das Fläschchen, Bruder Beltor.« Ein zischendes Geräusch, etwas wurde in Zarkovs Gesicht gesprüht. Er holte noch zu einem weiteren wütenden Hieb aus, bevor er kopfüber in ein Dornengebüsch stürzte. In dieser halbdunklen Felsenhöhle war er wieder zu sich gekommen, an Armen und Beinen gefesselt. Jetzt wandte er sich an den von den anderen Bruder Beitor gerufenen Kapuzenmann. »Lassen Sie mich etwas fragen, das nichts mit dem Essen zu tun hat«, bat Zarkov. »Als Sie mich zu dritt überwältigt haben, wurde etwas von meinem Verstand gesagt, meiner Intelligenz. Ich garantiere, daß ich zu den brillantesten Wissenschaftlern unseres Universums gehöre, aber andererseits bin ich mir auch sicher, daß sich mein Ruf noch nicht bis nach Mongo herumgesprochen haben kann.« »Das ist wahr, Dr. Zarkov«, antwortete Bruder Beitor. »Wir hoffen, daß jemand mit Ihren geistigen Fähigkeiten eine große Unterstützung für die Sache der Magier sein kann.« »Aber woher wissen Sie so sicher von meinen geistigen Fähigkeiten?« Der Magier streckte die Hände aus. »Wir haben es aus Ihren Gedanken gelesen«, sagte er schlicht.
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VI Dale war ungefähr fünf Minuten vor Zarkov gelandet, gut 15 Kilometer vom Landeplatz des Wissenschaftlers entfernt. Ihr Fluggürtel hatte sie sicher aus dem Luftsog des abstürzenden Forschungsschiffes getragen. Während sie nach unten schwebte, beobachtete sie das davonrasende Schiff. Sie hoffte, daß Flash eine sichere Notlandung schaffen würde. Sie sorgte sich um den Piloten. Aber sie war sicher, daß er auch einen Absturz irgendwie überleben würde. Nach einigen Minuten verschwand das Schiff am dunstigen Horizont, und sie wandte sich den Kontrollen ihres Fluggürtels zu. Unter sich sah sie dichten Dschungel, der sich nach allen Seiten ausbreitete. Einige hundert Meter tiefer entdeckte sie eine Straße zwischen den Bäumen und Büschen. Dicht neben der Straße öffnete sich eine Lichtung mit einem kleinen See in der Mitte. »Für die Landung ist dieser Platz so gut wie jeder andere«, sagte sie sich. Das dunkelhaarige Mädchen verfehlte den angesteuerten Landeplatz knapp. Im letzten Augenblick mußte sie einige hastige Kurskorrekturen durchführen, um nicht in das Astgewirr eines Baumriesen zu geraten. Die Hände noch an den Kontrollknöpfen des Gürtels, prallte sie gegen die Palmwedel eines Baumes neben dem Teich. Sie rutschte ab, überschlug sich und landete hart auf Mongos Erde, wobei sie sich den Fuß umknickte. »Schmerzt, als ob er gebrochen wäre.« Sie schaltete das Flugaggregat ab und tastete auf dem Boden liegend nach ihrem Fuß. »Nein, scheint nur eine böse Prellung zu sein.« Vorsichtig richtete sie sich auf. Trotz der Schmerzen konnte sie noch laufen. Hufschläge kamen auf der Straße näher. Am Rand der Lichtung wirbelte Staub auf, der sich über den klaren Teich legte. 24
Aus der Staubwolke galoppierten zwei Reiter. »Sieh mal, was da von den Bäumen gefallen ist, Alax«, rief der erste Reiter und hielt auf Dale zu. Er war ein stämmiger, untersetzter Mann, bärtig und in einen schwarzen Mantel mit goldenen Borden gehüllt. Auf dem Kopf trug er einen goldenen Helm, den ein scharlachroter Federbusch zierte. Durch einen Spalt des schwarzen Umhangs schimmerte die Brustplatte einer goldenen Rüstung. »Hübsch, hübsch!« stimmte sein Begleiter zu. Der mit Alax angeredete war nicht ganz so untersetzt, und seinen goldenen Helm zierte kein Federbusch. »Ein ganz reizender Fund, Hauptmann. Man kann nicht damit rechnen, in dieser verlassenen Ecke des Reiches auf so einen Schatz zu stoßen.« »Und warst du es nicht selber, Alax, der unser Flugschiff weiter oben am Fluß treffen wollte?« Der Hauptmann lachte, während er die schwarzhaarige Dale nicht aus den Augen ließ. »Wenn wir uns nach deinem Wunsch gerichtet hätten, würden wir diese Maid verpaßt haben, die sicherlich die persönliche Aufmerksamkeit unseres Kaisers wert ist.« »Vielleicht auch Eure Beförderung, Hauptmann.« Dale machte einen unsicheren Schritt auf die Männer zu. »Wer seid ihr?« Der Hauptmann hob grinsend die behandschuhte Pranke an seinen Helm. »Ich bin Hauptmann Hales der Kaiserlichen Polizei. Zu Ihren Diensten, Mädchen. In meiner Begleitung treffen sie den ehrenwerten Leutnant Alax.« Alax, die behandschuhten Hände am Sattelknauf, lehnte sich zu dem Mädchen herab. »Du bist nicht aus dieser Domäne«, stellte er fest. »Woher kommst du?« »Ich gehöre zu einem Forschungsteam«, antwortete Dale. Bei diesen Worten schob sie eine Hand langsam in Richtung der Kontrollen ihres Fluggürtels. »Wir kommen ursprünglich von einem anderen Planeten, der Erde genannt wird.« 25
»Wir?« fragte der untersetzte Hauptmann. »Wo sind die anderen?« »Es gab Schwierigkeiten mit unserem Schiff. Wir mußten abspringen.« »Wieviele seid ihr denn?« »Drei.« »Alle junge Mädchen wie du?« »Nein. Ich bin das einzige weibliche Mitglied des Teams.« »Wo sind die anderen heruntergekommen?« Dale zögerte. »Ich weiß es nicht genau.« »Jedenfalls nicht hier in der Nähe, so wie es aussieht«, warf Alax ein. »Du hast in der Tat viel Glück«, erklärte Hauptmann Haies dem Mädchen, »direkt unter den Schutz der Kaiserlichen Polizei zu kommen. Ohne Kenntnis des Reiches, ahnst du gar nicht, in welch gefährlichem und unsicherem Gebiet du dich hier befindest. Komm mit uns, meine Schöne.« Dale schüttelte den Kopf. »Ich muß hierbleiben und auf die anderen warten«, wandte sie ein. »Unsinn. Du wirst es in der Hauptstadt wesentlich bequemer haben«, sagte der Hauptmann. »Kaiser Ming ist wissenschaftlich gebildet, und ein weit vorausschauender Mann. Er wird begierig darauf sein, mit dir und deinen Freunden zu sprechen.« »Besonders mit dir«, ergänzte Alax mit bedeutungsvollem Lächeln. »Das klingt sehr freundlich«, meinte Dale. »Wenn meine Freunde hier eintreffen, werden wir gerne Ihrer Einladung folgen.« »Kein Grund so lange zu warten«, beharrte der Hauptmann. »Wir können arrangieren, daß deine Begleiter uns so schnell wie möglich folgen.« »Ich ziehe vor, hier zu warten.« Hauptmann Haies nickte seinem jungen Leutnant zu. »Alax, 26
überzeuge du doch bitte die junge Dame.« Dale riß an dem Aufwärtschalter ihres Fluggürtels. Der Hauptmann reagierte blitzschnell. Mit einem mächtigen Satz war er aus dem Sattel. Er bekam Dales Beine zu fassen, bevor das Mädchen mehr als zwei Meter emporgeschwebt war. Beide hingen in der Luft, vom Antrieb des Gürtels gehalten. Aber der Auftrieb reichte nicht für zwei Personen, so daß sie in zwei Meter Höhe hin und her pendelten. Mit einem schnellen Griff beendete Haies seinen unfreiwilligen Flug. Er langte nach oben und hieb mit der Faust auf die Gürtelschaltung. Das Gerät gab ein knirschendes Geräusch von sich. Dann stürzten die zwei zu Boden. Hauptmann Haies war als erster wieder auf den Beinen. Er beugte sich zu dem noch am Boden liegenden Mädchen. »Ich empfehle dir dringend, unserer Einladung ohne weiteres Zögern Folge zu leisten«, knurrte er.
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VII »Sie werden uns zerreißen!« schrie Harn, Flashs neuer Führer, entsetzt. Palmwedel, abgebrochene Zweige und Blätter prasselten auf die beiden Männer, als ein zweiter Riesensalamander neben ihnen durch die Bäume brach und sich rechts in den Weg stellte. »Hier lang«, rief Flash. Auf ihrer Linken schienen die letzten Fluchtchancen zu liegen. Der Verwachsene wich Schritt für Schritt vor der Bestie zurück, die ihm den Weg versperrte. Er schaute furchtsam zur Seite nach dem anderen Tier. Als er sich umdrehte und in die von Flash angegebene Richtung laufen wollte, verfing sich sein Fuß in einer zähen Dornenranke. »Jetzt hat er mich!« kreischte er auf den Weg stürzend. Der zweite Salamander senkte den Kopf über den am Boden liegenden Mann. »Drück dich flach auf den Boden«, rief Flash, »und versuch, hier herüber zu kriechen.« »Mit mir ist es zuende, Fremdländer«, antwortete Harn. »Ich bekomme meinen Fuß nicht mehr frei!« Der Kopf der Bestie war jetzt nur noch einen Meter über dem sich verzweifelt windenden Harn. Das Maul öffnete sich und zeigte scharfe Fänge, zwischen denen eine gespaltene Zuge hervorschoß. Flash griff unter sein Hemd. Mit dem Blaster in der Hand sprang er zwei Schritte vor. »Halt den Kopf unten«, warnte er Harn. Die Strahlenpistole sandte einen knisternden Strahl auf den angreifenden Salamander. Es gab ein dumpfes Explosionsgeräusch, und der Kopf der Kreatur verwandelte sich in Staub. »Ein Wunder«, rief Harn aus. »Große und mächtige Zauberei!« 28
Der enthauptete Salamander wälzte seinen Körper über den Weg und brach durch die Büsche und das Unterholz. Dann verendete er zuckend. Harn richtete sich benommen auf und befreite seinen Fuß aus dem Rankenbündel. »Sein Weibchen sieht uns jetzt mit anderen Augen«, kommentierte er und lachte sein heiseres Lachen. Der andere Riesensalamander hatte sich nach dem Schuß sofort abgewandt und war in die Sicherheit des Dschungels geflohen. Nach einem prüfenden Blick in die Runde schob Flash seine Waffe zurück in den Gürtel. »Machen wir, daß wir weiter kommen.« Harn trat zu ihm. »Du hast in der Tat eine mächtige Waffe bei dir, Fremdländer«, flüsterte der Verwachsene. »Viel mächtiger als alles, was die Kaiserliche Polizei zu bieten hat.« Er deutete auf das lose Hemd, unter dem der Blaster jetzt wieder verborgen war. »Du bist klug, sie nicht jedem zu zeigen. Wenn sie dich mit dieser Waffe fassen, bedeutet das deinen sicheren Tod.« »Aber erst bekommen sie diese Waffe zu spüren!« Der Führer nickte. »Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich dich verrate, Fremdländer. Ab heute verdanke ich dir mein Leben, es gibt nichts mehr, was ich nicht für dich tun würde.« »Dann kannst du mich ja jetzt endlich zu dem Gasthof führen«, erwiderte Flash. »Ich will so schnell wie möglich die Hauptstadt erreichen.« * Durch den Nebel war ein blutendes Herz, durchbohrt von einem silbernen Pfeil, zu erkennen. Harn deutete mit dem Kopf auf das Gasthof-Schild. »Wir sind sicher angelangt«, sagte er. »Danken wir den Göttern, daß wir es geschafft haben. Abgesehen von den Göttern, wenn du nicht…« 29
»Ich glaube nicht«, unterbrach Flash, »daß es eine gute Idee ist, unser Treffen mit den Salamandern irgendwo zu erwähnen!« »Aye«, stimmte Harn zu. »Du hast völlig recht, Fremdländer.« Er stieg vor Flash die steinerne Treppe zur Eichentür des Gebäudes hinauf. Der Gasthof war ein flacher, langgestreckter Bau, mit Schindeln gedeckt. »Von jetzt an mußt du dich ganz auf Harn verlassen. Trau keinem anderen. In diesen schrecklichen Zeiten leben alle in Furcht vor Ming, dem Gnadenlosen.« Licht und Wärme schlugen ihnen aus der sich öffnenden Tür entgegen. Sie betraten einen großen Raum mit holzgetäfelten Wänden und einer riesigen, gemauerten Feuerstelle. Es gab ein gutes Dutzend runder Holztische und eine Bar an der gegenüberliegenden Wand. Zwei kräftige Männer in dunklen Tuniken und kniehohen, schlammbedeckten Stiefeln saßen an einem Tisch, über Kupferkrüge mit einem schäumenden Gebräu gebeugt. Sonst waren keine Gäste im Durchbohrten Herzen zu sehen. Hinter der Bar beschäftigte sich der Wirt damit, ein frisches Faß anzuschlagen. Er war fett. Um die Hüften hielt er seine Fleischmassen mit einem Lederriemen zusammen, an dem eine gefleckte Schürze hing. Eine Lederweste verbarg seinen gewölbten Bauch nur notdürftig. »Ah, einen guten Abend, Harn«, sagte er, als er die neuen Gästen entdeckte. »Wir hätten gerne einen separaten Raum für ein Abendessen.« Harn schlurfte zur Bar. »Mein Freund hier hat eine längere Reise hinter sich, von einem weitentfernten Land des Reiches. Er ist müde und hungrig. Später hätten wir uns gerne einmal in Ruhe mit dir unterhalten, Segensreich.« »Such dir einen passenden Raum aus«, antwortete der dicke Segensreich. »Du kannst jeden haben. Wie du siehst, haben wir heute Abend nicht gerade Hochbetrieb.« Er stützte einen enormen Ellenbogen auf die Bar und beugte seine Fettmassen in Richtung. »Woher kommt Ihr, Sir?« 30
»Von weit her«, knurrte Flash. »Oh, Ihr legt Wert auf Diskretion«, meinte der Wirt. »Ihr werdet im Durchbohrten Herz einen Ort finden, an dem man die Privatsphäre eines Mannes zu respektieren weiß.« Mit den Fingern langsam auf die Theke trommelnd, sagte Harn: »Ich denke, wir sollten die glückliche Ankunft meines Freundes gebührend feiern. Hast du noch etwas von deinem besonderen Branntwein auf Lager, Segensreich?« Das linke Augenlid des Wirtes antwortete mit einem kaum wahrnehmbaren Zwinkern. »Meinen besonderen Branntwein, sagst du… aye, den sollt ihr haben, Harn. Wie die Götter es fügten, fand gerade heute wieder eine Fuhre ihren Weg zu mir.« Er lächelte Flash verschwörerisch an. »Sie müssen wissen, Sir, dieser besondere Branntwein ist von so vorzüglicher Qualität, daß unser Kaiser selbst dafür Sorge trägt, alle Flaschen in den Palastkeller schaffen zu lassen. Ein ungewöhnlich guter Tropfen. Aber trotzdem, hin und wieder kommen ein oder zwei Flaschen über den Großen Fluß zu mir.« »Mit einem Bier wäre ich auch zufrieden«, entgegnete Flash. »Oh, nein!« drängte Harn. »Ich habe dir einiges zu verdanken, mein Freund, und du mußt mir erlauben, dir wenigstens mit diesem guten Tropfen meine Dankbarkeit zu zeigen.« Flash grinste. »Also gut.« »Wir essen in dem Raum hinter dem Kamin«, erklärte Harn dem dicken Wirt. »Wenn der Branntwein soweit ist, kannst du ihn dort servieren.« »Ihr versteht, Sir«, versicherte Segensreich Flash, »einen so guten Tropfen muß man sicher aufbewahren. Ihr werdet mich entschuldigen, während ich ihn jetzt hole.« Der separate Eßraum hatte weiß gekalkte Wände zwischen schweren Holzpfeilern und einen eigenen großen Kamin. »Ich zünde uns ein Feuer zum Aufwärmen an, Fremdländer«, sagte Harn und machte sich an der Feuerstelle zu schaffen. Kniend hielt er ein Wachsstreichholz an das Reisig unter den 31
gekreuzten Scheiten. »So, jetzt wird es gleich lustig flackern.« »Hmm«, keuchte Segensreich in der Tür. »Hier ist er, der gute Branntwein. Ihr werdet feststellen, Sir, er braucht den Vergleich mit dem Besten, was Ihr je getrunken habt, nicht zu scheuen.« »Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Flash. Er nahm eines der Gläser von dem Tablett. Harn nahm das verbleibende Glas und roch genießerisch daran. »Ah, was für ein Duft.« »Ich schicke euch ein Mädchen, dem ihr eure Wünsche auftragen könnt«, sagte Segensreich. Er zog sich zurück und schloß die Tür hinter sich. »So«, rief Flash und hob sein Glas in Richtung des Verwachsenen. »Cheers!« Harn zögerte und rieb sich den Bauch. »Du mußt mir verzeihen, Fremdländer.« Das Glas in der Hand, ließ er sich unsicher in einen der rohgezimmerten Stühle neben dem hölzernen Tisch fallen. »Die Schrecken unseres vorausgegangenen Treffens mit dem Tod machen mir noch zu schaffen… Ich fühle, daß ich mich erst einmal ruhig hinsetzen muß.« »Dann ist Branntwein genau das Richtige, um euch wieder in Form zu bringen, Harn.« »Ich glaube, im Moment kann ich einfach nichts herunterbekommen, Freund. Aber du solltest dich davon bitte nicht abhalten lassen und deinen Branntwein ruhig schon genießen.« »Wenn du meinst.« Flash wandte sich ab. Als er sich wieder zu Harn umdrehte, war sein Glas leer. »Du hast recht. Es ist wirklich ein ausgezeichneter Tropfen…« Harn erhob sich halb aus seinem Stuhl und beobachtete ihn. »Was fehlt dir, Fremdländer?« »Ich… ich habe… ich…« Flash holte mit einer Hand aus. Dann brach er in die Knie.
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VIII »Ich glaube, das sollten wir nicht riskieren«, sagte der dicke Wirt. Er saß, seine dicken Beine lang ausgestreckt, auf einem Stuhl neben der Feuerstelle in dem kleinen Eßraum. »Und ich sage dir, wir riskieren gar nichts dabei.« Harn marschierte auf den hölzernen Dielen auf und ab, wobei er vorsichtig Flashs bewegungslosem Körper auswich. »Ich habe genug Übung, diesen Hauptmann Haies über’s Ohr zu hauen.« »Aye, aber der Hauptmann weiß mit Sicherheit, daß dieser Fremdländer eine Waffe unbekannter Bauart bei sich hat«, entgegnete Segensreich. »Du hast mir selbst erzählt, wie sie so eine Waffe bei dem Mädchen gefunden haben, als es gefesselt wurde.« »Sicher, der Hauptmann erwartet, bei dem blonden Fremdländer eine ähnliche Waffe zu finden«, räumte Harn ein. »Ich werde ihm einfach von dem Kampf mit den Riesensalamander erzählen. Die Pistole des Fremdländers ging bei dieser furchtbaren Attacke leider verloren.« Er lachte wieder sein trockenes, heiseres Lachen. »Ich war so begierig, ihm diesen Kerl auszuliefern, daß ich nicht riskieren wollte, umzukehren und die verlorene Waffe zu suchen.« Jedesmal wenn Segensreich zustimmend nickte, gerieten die Fettmassen seiner Brust und seines Bauches in Bewegung. »Das könnte klappen, Harn. Trotzdem –« »Es wird klappen!« versicherte der Verwachsene. »Wir werden die Waffe behalten, die in seinem Gürtel steckt. Und bevor wir ihn zum Kai bringen, sehen wir uns auch den Inhalt seines Rucksacks gründlich an.« »Laß es genug sein, Harn! Eine Pistole können wir vielleicht unterschlagen, aber nicht mehr.« Harn lachte und hämmerte mit den knochigen Fingern gegen seine Brust. Unter seinem Hemd klingelten Münzen. »Bis jetzt, Segensreich, habe ich 50 Mingots bekommen, um diesen 33
Fremdländer einzufangen. Für dieses Almosen mußte ich mich ganz schön anstrengen. Ich mußte stundenlang auf gefährlichem Posten im Dschungel warten. Dann mußte ich mir eine vernünftige Geschichte einfallen lassen, um den Kerl hierher zu locken. Selbst mein Leben mußte ich riskieren. Und das ist, wie du mir zugeben wirst, etwas mehr als 50 Mingots wert.« »Du wirst noch einmal 50 bekommen, wenn du ihn bei dem Luftschiff der Kaiserlichen Polizei ablieferst, das am Kai wartet«, ergänzte der Dicke. »Bei der Gelegenheit, vergiß nicht, was ich für meine Unterstützung erwarte.« »Schon gut«, sagte Harn und schob Segensreichs letzte Bemerkung mit einer Handbewegung zur Seite. »Bleiben Wir bei der Pistole, Segensreich. Ich versichere dir, sie ist stärker als alles, was die Kaiserliche Polizei oder die Armee vorzuweisen haben.« Er ging zum Feuer hinüber und wärmte seine Hände an den Flammen. »Es ist kaum abzuschätzen, wieviel man in gewissen Kreisen bereit wäre dafür zu zahlen. Ich bin sicher, die Magier werden einiges dafür bieten und besonders die Löwenmenschen.« »Löwenmenschen«, schnaubte Segensreich. »Ein machtloses Rebellenvolk, daß sich in der Wildnis verbirgt und von Mings Sturz träumt. Die könnten sich nicht mal eine Mahlzeit im Durchbohrten Herz leisten, ganz zu schweigen von dieser Pistole.« »Du vergißt, daß im Krieg nicht immer die Wahrheit erzählt wird«, sagte Harn. »Du hast nur Propaganda gehört. Die Löwenmenschen haben Anhänger, das versichere ich dir, Anhänger, die sich noch andere Dinge leisten können als diese Pistole. Und dann ist da noch Prinz Barin selbst.« Der dicke Wirt schüttelte den Kopf. »Er und seine Anhänger müssen sich im Waldkönigreich verstecken, Harn, in ständiger Angst vor der Rache Mings.« »Vielleicht. Aber vielleicht ist das auch nur Propaganda«, erwiderte Harn. »Wie dem auch sei, ich nehme mir jetzt seine 34
Pistole. Denn ich habe nicht mehr viel Zeit, sie sicher zu verstecken, bevor ich den Fremdländer zum Kai bringe.« »Er sieht recht schwer aus«, meinte Segensreich. »Du weißt, jedesmal wenn ich etwas Schweres tragen muß, habe ich anschließend furchtbare Schmerzen…« »Dann laß mich dir das ersparen«, rief Flash und sprang auf die Füße. »Und hier, Harn, ist die Pistole, hinter der du so her bist!« Er richtete die Waffe auf den herangetretenen Führer. »Was soll das heißen?« stammelte Segensreich. »Das heißt, du geschwätziger Idiot«, schrie Harn, »daß du nicht genug Betäubungsmittel in den Branntwein gemischt hast!« »Nicht doch.« Flash grinste. »Es heißt nur, daß ich den Branntwein ins Feuer geschüttet habe und mich nur bewußtlos stellte. Auf der alten Erde habe ich einen Onkel, der mich immer gewarnt hat, mit Fremden zu trinken. Nun, Harn, das Geld!« »Was verlangst du, Fremdländer?« »Die Münzen, die du vor einem Moment hast klingeln lassen. Ich brauche etwas von eurer lokalen Währung. Gib sie mir!« »Ich fürchte, du hast falsch verstanden…« »Wenn du mir sie nicht sofort gibst, muß ich deine Leiche danach absuchen!« unterbrach Flash. Er hatte nicht vor, den Verwachsenen umzubringen, aber wußte, daß dieser Bluff bei Harn wirken würde. »Nun gut, wenn du unbedingt einen Mann um die wohlverdienten Früchte seiner harten Arbeit bringen willst.« Harn schob eine Hand unter sein Hemd. »Wenn jetzt etwas anderes als das Geld zum Vorschein kommt, bist du auf der Stelle tot.« »Ich trage es in einem Lederbeutel bei mir, den meine selige Großmutter mir eigenhändig…« »Das Geld!« Langsam reichte Harn Flash den Beutel. »Ich versichere dir, 35
daß du keine Chance hast, Fremdländer. Die Kaiserliche Polizei weiß von den beiden Männern, die zu dem jungen Mädchen gehören. Sie wird nicht ruhen, bis sie euch beide in Gewahrsam hat.« »Das hört sich an, als ob sie nur das Mädchen gefaßt hätten?« »Soweit ich erfahren habe.« »Und sie ist in der Hauptstadt?« »Aye, wo du auch bald sein wirst«, erklärte Harn. »Nur, daß du in einem Kerker unter dem Palast sitzen wirst und sie…« »Segensreich!« schnitt ihm Flash das Wort ab. »Ich tat nur, was man von mir verlangt hat, Sir. Es wurde so befohlen. Es ist ganz sinnlos, wenn ihr mir etwas antut.« Flash langte hinter sich in seinen Rucksack und brachte eine kleine Rolle Plastikseil zum Vorschein. »Mach deinem Namen jetzt die notwendige Ehre, Segensreich, und verschnüre deinen Freund hier gut.« »Oh, nein, er ist nicht mein Freund«, widersprach Segensreich. »Ich kenn’ den Kerl eigentlich kaum. Wirklich, er ist…« »Fessele ihn und knebele ihn gut«, befahl Flash. »Anschließend werde ich dir denselben Segen zuteil werden lassen. Und beeil dich. Ich habe noch eine Verabredung mit der Kaiserlichen Polizei.«
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IX Der Mann in dem hohen Turm blickte über die Stadt, die sich unter ihm in der Dunkelheit ausbreitete. Eine Stadt von Türmen, Spitzdächern und Minaretten, über denen unzählige Fahnen wehten, erleuchtet von hunderten schimmernden Kugeln eines pastellfarbenen Lichtes. »Ich denke oft«, seufzte er, »daß die Menschen von Mongo einzigartig sind in ihrem Mangel an Dankbarkeit.« Mit seiner spinnenartigen Hand wies er auf das große Fenster. »Ich gebe ihnen eine so wunderbare Hauptstadt für ihr Reich und trotzdem…« Er zuckte die Achseln, ging durch den runden Raum zu einem feinpolierten, hölzernen Tisch und nahm einige Blätter eines feinen Papiers auf. »Der Geist des Aufruhrs und der Unzufriedenheit erhebt sich immer wieder.« Er setzte sich in einen hochlehnigen, thronähnlichen Stuhl auf einem Podest neben dem Tisch und faltete die Finger vor seinem hohen, scharfgeschnittenen Gesicht. »Ich fürchte, dagegen hilft nichts, als die Zahl der öffentlichen Hinrichtungen drastisch zu erhöhen.« Auf einem niedrigeren Stuhl saß ein breitschultriger Mann mit kurzgeschorenen Haaren, der Polizeimeister. »Ein weises Wort, Ming«, sagte er, »vielleicht nur in diesen Zeiten… Wir stehen vor der Erntezeit, und wie Ihr wißt, haben wir bereits eine ernste Lebensmittel–« »Ich denke auch oft, daß es meinem Volk an der einfachsten Intelligenz mangelt«, unterbrach Ming. »Meine letzte Proklamation gab jedem verschiedene, ausgezeichnete Anweisungen, wie diese bedauerliche Hungersnot zu beheben ist. Trotzdem fahren viele fort, Aufruhr zu verbreiten und meine Befehle zu ignorieren.« Er war ein großer, hagerer Mann von fünfzig Jahren, gekleidet in eine juwelenbesetzte, safrangelbe Robe. Auf dem haarlosen Schädel trug er eine enganliegende, randlose Kappe. Sein Gesicht prägten ein nach unten gebogener Schnurrbart und ein schmaler Kinnbart. Den kleinen Kinnbart 37
rieb er sich jetzt. »Wenn sie die verkündete Weisheit des Reiches ignorieren, Erik, müssen sie die Konsequenzen tragen. Wir werden fünf zusätzliche öffentliche Hinrichtungen pro Woche ausführen lassen. Je eine mit Aufsässigen aus den fünf unruhigsten Domänen.« »Sehr gut, Sir«, stimmte der breitschultrige Erik zu. Ein junger Mann in militärisch zugeschnittener Kleidung lehnte an einem hohen Pfeiler neben dem Fenster. »Mir scheint, wir sollten die Kampfspiele wiederbeleben«, schaltete er sich ein. Ming wandte sein hageres Gesicht zu dem jungen Mann. »Als Landwirtschaftsminister brauchst du dich nicht um die öffentlichen Lustbarkeiten zu kümmern.« »Gerade als solchem«, erwiderte Haldor mit einem Lächeln, »erscheinen mir die Turnierspiele zur Zeit besonders nützlich.« Ming lehnte sich in seinem Thronsessel vor und stützte eine Hand auf sein Knie. »Wie das?« »In erster Linie, weil sie die Gedanken der Leute von ihren anderen Problemen ablenken«, antwortete der junge Minister. »Du hast hier in der Hauptstadt selbst eine beträchtliche Zahl von unzufriedenen Bürgern, was du nicht vergessen solltest. Viele von ihnen sind wichtige Leute; Leute, die uns bis jetzt unterstützt haben, besonders finanziell, und deren Unterstützung wir brauchen. Und wenn, solche Leute anfangen, sich über ihre eigenen Lebensmittel-Rationen Gedanken zu machen…« »Es gibt keine Lebensmittelknappheit in der Hauptstadt«, unterbrach Ming scharf. »Wenn gewisse Narren oder Nörgler immer noch daran glauben, dann nur, weil du, Haldor, ihnen die landwirtschaftliche Situation im Reich nicht richtig verständlich gemacht hast!« »Mag sein«, räumte Haldor, noch immer lächelnd, ein. »Trotzdem, Ming, bleiben wir bei den Spielen. Wir könnten dafür die bekanntesten Aufrührer der einzelnen Domänen zu38
sammentreiben. Setzen wir sie in der Arena ausgesuchten wilden Bestien vor, vielleicht sogar ein paar Affenmenschen…« »Wozu soll das Ganze gut sein?« fragte Erik. »In der Hauptsache dazu, uns eine Menge Leute vom Hals zu schaffen, die gegen das gegenwärtige Reich sind«, erklärte Haldor. »Nur, daß wir uns der Sache bei den Turnierspielen nicht mit solchen Aufsehen entledigen wie bei öffentlichen Exekutionen.« Ming seufzte wieder. »Du hältst deine lieben Mitbürger für viel empfindlicher, als sie sind, Haldor«, sagte er. »Aber davon abgesehen, ich denke, wir sollten eine neue Folge von Spielen vorbereiten. Selbstverständlich zusätzlich zur Erhöhung der Hinrichtungszahl. Arbeite die Details aus, Erik, und ich werde eine entsprechende Proklamation erlassen.« »Jawohl, Sir.« Ming legte sein Kinn auf die scharfen Fingerspitzen der zusammengelegten Hände. »Ja, ein bißchen Prunk und Festlichkeit macht sich immer gut. Das bringt ihre kindlichen Gemüter auf andere Gedanken, diese Narren«, murmelte er. »Prinzessin Aura wird für die Spiele eine neue Garderobe brauchen.« Er starrte auf Erik hinab. »Bei dieser Gelegenheit, wo steckt meine Tochter?« »Nun…« Erik zog das Wort in die Länge, aber konnte ihm dann nichts hinzufügen. Haldor lachte. »Sie ist unterwegs, um Demokratie zu praktizieren.« Ming zog die Augenbrauen hoch. »Was soll das heißen?« »Ich wollte damit sagen, daß die Prinzessin heute Nachmittag den Palast verlassen hat, in gewöhnlicher Straßenkleidung«, erklärte der Minister. »Sie liebt es, sich unter das Volk zu mischen und herauszufinden –« »Herauszufinden, daß es ein Haufen Narren sind«, sagte der Kaiser wütend. »Ich habe Aura verboten, solche närrischen Ausflüge zu unternehmen. Erik, sorge dafür, daß sie gefunden 39
und sofort in den Palast zurückgebracht wird!« »Meine Männer suchen die Stadt bereits nach der Prinzessin ab«, antwortete der Polizeimeister. Haldor wartete einen Augenblick, dann wandte er ein: »Wir haben wichtigere Probleme.« »Du scheinst zu viel Vergnügen an deiner augenblicklichen Position zu finden. Vielleicht würdest du die Sache in einer niedrigeren ernster nehmen«, knurrte Ming. »Vielleicht.« Das Lächeln auf dem Gesicht des jungen Mannes verschwand nicht. »Wie dem auch sei, ich meine, wir sollten unsere Aufmerksamkeit besser der Tatsache zuwenden, daß anscheinend drei Menschen von einem fremden Planeten auf Mongo gelandet sind.« »Anscheinend ist dabei das Schlüsselwort«, sagte der Kaiser. »Ich habe hier einen vollständigen Bericht über den gemeldeten Zwischenfall.« Er wedelte mit den Blättern in seiner Hand. »Wir haben bereits Männer in den Dschungel geschickt, die diese Fremden finden sollen«, erwiderte Erik, »und natürlich ihr Flugschiff. Aber bis jetzt haben wir nur das Mädchen.« »Was mich daran erinnert«, sagte Ming, sich erhebend, »daß ich Hauptmann Haies versprochen habe, dem Verhör dieser jungen Frau beizuwohnen.« »Es heißt, sie sei sehr schön«, bemerkte Haldor. »Schön oder nicht«, entgegnete Ming, »wir werden bald herausgefunden haben, was Wahres an ihrer Geschichte ist.« »Nehmen wir an, es ist etwas Wahres daran?« »Ich sollte dich eigentlich nicht erinnern müssen, daß wir bisher unbesiegbar waren, Haldor«, erklärte Ming. »So soll es auch bleiben. Es gibt niemanden, sei er von Mongo oder einem fernen Planeten, der sich der Macht von Ming widersetzen kann.« Er schritt zu einem von hohen Pfeilern umrahmten Ausgang. »Du tust gut daran, das nicht zu vergessen!« * 40
Mit einem Messer in der Hand kam der hagere Magier auf Zarkov zu. Der bärtige Wissenschaftler hatte dösend an der Höhlenwand gelehnt. Jetzt versuchte er sich trotz der Fesseln aufzurichten. »Also haben Sie sich doch entschlossen, mich beiseite zu schaffen!« »Kein Grund hier herumzuschreien, Dr. Zarkov«, antwortete ihm Bruder Beitor. »Meine Begleiter versuchen gerade etwas Schlaf zu finden. Ich will Ihnen nur die Fesseln losschneiden.« »Welche Materialvergeudung!« kommentierte Zarkov mit kaum leiserer Stimme. »Lösen Sie die Knoten, dann können Sie wenigstens die Stricke weiter verwenden.« »Ich verstehe nicht viel von Knoten«, entschuldigte sich der Magier. »Bruder Anmar wird bald hier eintreffen. Er wird etwas zu essen für Sie mitbringen.« »Wenn er etwas besorgen kann«, ergänzte Zarkov. »Er weiß, was wir brauchen. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.« Beitor begann die Stricke aufzuschneiden. »Sie können untereinander direkt von Gehirn zu Gehirn Gedanken austauschen?« »Ja. Wir haben die grundlegenden Voraussetzungen dazu bereits erarbeitet gehabt, bevor Ming uns verbannte.« »Wer ist dieser Ming?« »Der Kaiser des Neuen Reiches«, erläuterte Beitor. »Nach einem erfolgreichen Putsch und der Beseitigung aller legalen Regierungen der Nachbarländer erklärte er alle von uns, die nicht für ihn arbeiten wollten, zu Gesetzlosen.« Als Zarkov die Hände freibekam, benutzte er sie zuerst dazu, seinen verstaubten Bart auszubürsten. »Und dieser Ming regiert sein Reich mit Hilfe von Zauberei und Magie?« Beitor beendete seine Arbeit an Zarkovs Fesseln und trat zurück. »Wir waren nicht immer Magier.« »Sie müssen Beitor verzeihen. Er übertreibt manchmal das mystifizierende Element in unserer Tarnung.« Die Worte ka41
men von einem großen, blonden Mann, der unbemerkt die Höhle betreten hatte. Er trug den gleichen Kapuzenmantel wie die anderen Magier, aber seine Kapuze war zurückgestreift. »Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, das Essen aus Thram zuzubereiten«, meinte er und setzte einen schweren Sack aus rauhem Leinen ab. »In meiner derzeitigen Verfassung esse ich praktisch alles«, antwortete Zarkov. »Selbst Thram, was immer das auch sein mag!« »Es ist etwas ähnliches wie… nun, wie ein irdisches Kaninchen«, erklärte der Blonde. »Haben Sie das jetzt auch aus meinen Gedanken gelesen?« »So ist es. Ich bin Bruder Anmar.« Er streckte Zarkov die Hand hin. »Ich freue mich, einen Mann von so außerordentlicher geistiger Kapazität unter uns zu haben, Dr. Zarkov.« »Ist die Freude so groß, daß Sie mich am liebsten gar nicht mehr gehen lassen wollen?« »Ich befürchte, für den Augenblick müssen wir Sie bei uns behalten«, sagte Anmar. »Wir haben ein spezifisches Probelm, das bald gelöst werden muß, und Sie scheinen uns der richtige Mann dafür zu sein. Morgen früh werden wir uns deshalb mit Ihnen auf den Weg ins Waldkönigreich machen.« »Welcher Art ist denn euer Problem?« »Es hängt mit einer Waffe zusammen. Einem neuen Typ einer Blaster-Kanone für Flugschiffe, der nicht funktioniert, wie er soll.« »Waffen gehörten schon immer zu meinem Spezialgebiet«, verkündete Zarkov mit seiner dröhnenden Stimme. »Damals am London Institute of Technology…« »Entschuldigt mich!« Bruder Beitor hob den Sack mit den Thrams auf und trug ihn zu der glimmenden Feuerstelle. »Ich bereite schon das Essen vor.« Zarkov stand vorsichtig auf. Während er weitersprach, machte er sich daran, seine Kombination gründlich zu entstauben, 42
was ihn und Anmar in eine Staubwolke hüllte. »Ich bin nicht allein auf euer verfluchtes Mongo gekommen«, sagte er. »Habt ihr diese Tatsache schon aus meinem Gehirn gefischt?« »Ja. Ich weiß von Dale Arden und Flash Gordon«, bestätigte der blonde Chefmagier. »Bedauerlicherweise können wir Ihnen keine Gelegenheit geben, jetzt nach den beiden zu suchen.« »Wißt ihr wenigstens, ob sie noch leben und wo sie sein könnten?« fragte Zarkov. Anmar antwortete mit einer verneinenden Kopfbewegung. »Wir haben bisher noch nicht die geeigneten Geräte entwickelt, um unser außersinnliches Wahrnehmungsvermögen so auszudehnen, daß wir Ihnen auf diesem Weg die gewünschten Informationen über Ihre Begleiter verschaffen könnten.« »Das geeignete Gerät?« rief der Wissenschaftler. »Sie haben mich bisher wohl auf den Arm nehmen wollen? Ihr seit keine Magier, ihr seit –« »Genau«, unterbrach Anmar. »Wir sind Wissenschaftler.«
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X Ein Dutzend hölzerne Docks erstreckten sich vom Ufer in den Fluß. Ihre Enden verloren sich im dichten Nebel, der über dem Wasser lag. Die gepflasterte Straße, die sich den Hügel hinunter zu den Anlegestellen wand, schimmerte schwarz und feucht in der nebligen Dunkelheit. Eine Siedlung war um den kleinen Flußhafen entstanden, etwa dreißig niedrige Gebäude aus Holz oder Stein. Schmale Gassen führten durch die baufällig aussehende, kleine Stadt, einige gepflastert, andere nur Reihen von Schlammpfützen. Flash bewegte sich vorsichtig durch die nebelverhangenen Gassen. Um die Schultern trug er einen dunklen Überwurf, den er sich von dem gut gefesselten und geknebelten Harn geborgt hatte. In dieser Umgebung sollte ein Luftschiff eigentlich nicht allzu schwer zu entdecken sein, sagte er sich. Er hatte vor, das Flugschiff zu kapern und damit bis in die Nähe der Hauptstadt zu fliegen. Dort würde er Dale zur Flucht verhelfen, nachdem er sich zuvor gründlich in der kaiserlichen Metropole umgesehen hatte. Aus einigen der Fenster an der Straße fiel schwaches, gelbes Licht. Und aus dem Gebäude vor ihm kamen Rauch, Lärm und rauhes Gelächter. Ein grobgezeichnetes Schild über der offenstehenden Tür verriet, daß er sich um die Kneipe »Zum Einäugigen Matrosen« handelte. Gerade als Flash die offene Türe passiert hatte, flog hinter ihm jemand in die Nacht und landete unsanft im Schlamm der Gasse. »Kann sein, daß wir Ming hier nicht besonders mögen«, schrie eine wütende Stimme aus dem »Einäugigen Matrosen«, »aber auf diese revolutionären Reden können wir verzichten!« »Ihr versteht ja gar nicht, worum es geht!« rief der auf die Straße Geworfene zurück. »Vielleicht sollte ich euch…« »Er braucht noch eine Lektion, scheint mir!« ertönte eine an44
dere rauhe Stimme dazwischen. »Geben wir sie ihm, diesem struppigen Gauner!« Flash hatte sich umgewandt und beobachtete die Szene. Der Mann auf der Erde wirkte groß und breitgebaut. Er trug eine Leder-Tunika und einen kurzen Kilt anstelle von Hosen. Sein Haar bildete eine struppige, gelbe Mähne, die in einen dichten Bart überging. Als er jetzt aufstand, wurde sein gut einen Meter langer Schwanz mit einer gelben Quaste am Ende sichtbar. Der Schwanz peitschte gereizt durch die Luft. »Kommt schon her«, forderte der Mann auf der Straße. »Laßt sehen, was für eine Figur ihr gegen Tun, den Löwenmenschen, macht!« Ein großer Mann mit speckigem, schwarzem Bart erschien in der Tür der Kneipe. »Du weißt gar nicht, was kämpfen heißt, du zu groß geratene Straßenkatze!« lachte er. Die Fäuste geballt, ging er auf Tun zu. Aber aus den wallenden Nebelschwaden tauchte noch eine andere Gestalt auf. Sie näherte sich dem Löwenmenschen leise von hinten und hielt einen kurzen Holzknüppel zum Schlag erhoben. »Hinter dir!« warnte Flash. Ohne sich umzudrehen, fiel der Löwenmensch in die Knie und holte mit seinem kräftigen Schwanz aus. Der Knüppel des heimtückischen Angreifers zischte wirkungslos durch die Luft, dann traf ihn der Löwenschwanz wie eine Peitsche. Er ließ die Schlagwaffe mit einem Aufschrei fallen. Bevor Tun wieder auf die Beine kommen konnte, warf sich der Schwarzbärtige auf ihn. Ein weiterer Mann stürzte aus der Kneipe und drosch auf den Löwenmenschen ein. Der Mann, der Tun von hinten niederknüppeln wollte, griff unter seinen losen Umhang und zog ein Messer. »Das läßt du bleiben!« Flashs rechte Hand zuckte vor. »He!« Das Messer fiel in den Schlamm. Der Mann schlug auf Flash ein. 45
Grinsend tänzelte Flash zur Seite und fing die zum Schlag erhobene Faust des anderen ab. Ein Hebelgriff und der Angreifer verschwand taumelnd im Nebel. Noch ein Mann aus der Kneipe gesellte sich zu den Kämpfenden. Über einem Auge hatte er eine schwarze Augenklappe. Zu dritt fielen sie jetzt über den fauchenden Löwenmenschen her. »Auch mit dreien von euch werde ich spielend fertig«, knurrte Tun. »Ich bin ein Mann, der mit einem ganzen Haufen von eurem Pack fertig wird!« »Du bist überhaupt kein Mann. Du hast gerade erst gelernt, auf den Hinterläufen zu stehen, Löwenbastard!« kam die Antwort. Obwohl er wußte, daß er sich jetzt besser nach einem Luftschiff umsehen sollte, lief Flash zu dem Knäuel kämpfender Männer. »Das ist kein fairer Kampf«, sagte er und griff sich den Kerl mit der Augenklappe. »Falls du der »Einäugige Matrose« selbst bist, machst du besser, daß du wieder hinter deine Theke kommst!« Er zerrte den Einäugigen von Tun fort und stieß ihn zurück in die Kneipe. »Sehr verbunden«, ächzte Tun. »Mit den restlichen beiden werd’ ich schon selber fertig… uh!« Eine Hand preßte den Kopf des Löwenmenschen in den Schlamm. Flash bekam den Arm eines anderen Mannes zu fassen. Er wirbelte ihn herum, dann folgte ein schneller Schulterwurf. Sekunden später hörte er das Geräusch eines schweren Körpers, der durch Holz brach und auf Wasser klatschte. »Dann kann ich mir auch gleich noch den Letzten vornehmen«, meinte Flash. Er langte nach dem Bärtigen, der Tuns zottigen Kopf immer wieder in den Schlamm schmetterte. Etwas traf Flash hinter dem Ohr. Der Nebel verwandelte sich in gähnende Schwärze, in die Flash stürzte.
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XI Das dünne Sonnenlicht eines dunstigen Morgens fiel durch die einzige Luke. Flash richtete sich von dem rohgezimmerten Holzboden auf und schaute sich um. Er befand sich in einer kleinen Kabine, die zu einem Schiff gehören mußte, und das Schiff trieb auf dem Fluß. Er konnte die Bewegung spüren. Auf dem Boden ausgestreckt, direkt unter der Lukenöffnung in der Decke, lag Tun. Sein Mund stand offen, und er stöhnte laut. Es gab keine Einrichtung in dem Raum, nur den blanken Holzboden. Flash stand auf. Während er sich die Beule hinter dem Ohr rieb, knurrte er: »Da hab’ ich wohl einen glatt übersehen.« Er ging etwas unsicher zu der schweren Holztür der Kabine. Sie war von außen verriegelt. »Guten Morgen, Kamerad«, rief Tun. Er hatte die Augen geöffnet und streckte sich schnurrend. Sein Schwanz fuhr über den Boden. »Ich bin überzeugt, ich wäre mit diesem Trio betrunkener Schläger fertig geworden. Und mit der Hilfe eines feinen Kerls wie dir hätte es ein Kinderspiel sein müssen.« »Leider waren es mehr als drei«, antwortete Flash grinsend. »Einer von den zusätzlichen hat mich von hinten erwischt.« Der Löwenmensch tastete sich mit seinen großen Händen ab. »Es fühlt sich an, als wenn ich nicht mehr Schrammen und Beulen hätte als vor dem Kampf. Nein, halt! Hier ist ein hübsches, frisches Ei auf meinem Schädel. Diesmal hat es Tun also auch von hinten erwischt.« Mit einem Ächzen stand er vom Boden auf. »Tun – das bin ich. Mein Volk nennt man die Löwenmenschen. Eine stolze und kampflustige Rasse, wie du sicher bereits bemerkt hast.« Er streckte seine Hand aus. Flash schlug ein. »Angenehm. Flash Gordon ist mein Name.« Der Löwenmensch betrachtete ihn eindringlich. »Ich habe noch niemanden von deiner Art gesehen. Woher kommst du?« »Von einem anderen Planeten, der Erde genannt wird«, erwi47
derte Flash. Er erklärte Tun seine Forschungsmission, erzählte ihm vom Absturz des Raumschiffes und von seiner derzeitigen Suche nach Dr. Zarkov und Dale. »Von einem anderen Planeten, he?« Tun rieb sich mit den Handknöcheln nachdenklich die wirre, gelbe Haarmähne. »Wie ist das Leben auf deiner Welt – habt ihr dort mehr Freiheit als die Menschen hier auf Mongo?« »Ich würde sagen, etwas besser ist es schon«, antwortete Flash. »Gibt es Männer wie Ming, den Gnadenlosen, auf eurem Planeten?« »Zur Zeit nicht mehr.« »Ich fühle«, erklärte ihm Tun, »wie alle meiner Rasse, daß Ming aufgehalten werden muß. Nein, nicht nur aufgehalten werden. Er muß beseitigt werden. Er darf keine weiteren Länder mehr erobern. Er muß aus allen Ländern vertrieben werden, die sich schon unter seiner Herrschaft befinden.« »Welche Möglichkeiten habt ihr denn, gegen ihn vorzugehen?« »Nur eine!« »Revolution?« »Aye.« Tun nickte mit seinem zottigen Kopf. »Siehst du, Ming hatte die allgemeinen Wahlen abgeschafft und sich zum Herrscher auf Lebenszeit ernannt. Er hatte alle höheren Gerichte schließen lassen und sich selbst zum obersten Richter erklärt. Es gibt noch ein Parlament, aber es besteht nur aus seinen Lakaien und Strohmännern.« »Wie konnte er überhaupt an die Macht kommen?« »Es gab eine lange Periode von Hungersnöten und wirtschaftlichen Katastrophen. Die allgemeine Unzufriedenheit war groß. Das alte Regime wurde immer schwächer und Ming inszenierte einen Staatsstreich, der anfänglich sogar von vielen Bürgern unterstützt wurde. Von da an beherrschte er die Hauptstadt und damit das Verwaltungszentrum des Reiches. Er 48
baute eine riesige, gutausgerüstete Armee auf und eine schlagkräftige, allgegenwärtige Reichspolizei, die ihm völlig ergeben ist.« »Um eine Revolution zu entfachen«, überlegte Flash, »braucht man viele Dinge, nicht zuletzt Waffen.« »Aye. Heute ist jeder ein Verbrecher, der eine technisierte Waffe, egal welcher Art, besitzt, außer natürlich, er gehört zu Mings Männern.« Flash erinnerte das an seine eigene Blaster-Pistole. Er fühlte unter sein Hemd. Die Waffe war weg. Sein Rucksack war ihm ebenfalls abgenommen worden. »Hast du irgendeine Ahnung, wer uns hier festhält, Tun?« Der Schwanz des Löwenmenschen schlug unruhig hin und her. »Von der langsamen Fahrt, mit der wir auf dem Fluß treiben, würde ich sagen, wir sind auf einem Lastkahn. Viele der Flußschiffer vom Großen Fluß betreiben nicht ganz legale Handelsgeschäfte.« »Was haben sie mit uns vor?« »Ich fürchte, man bringt uns zu einer der Hafenstädte mit schlechtem Ruf, die an den Seitenarmen des Großen Flusses liegen. Dort wird man uns als Sklaven verkaufen.« Flash ruckte. »Fahren wir in Richtung der Hauptstadt?« »Aye«, bestätigte Tun nach einem längeren Blick durch die Luke in Richtung der jetzt hoch am Himmel stehenden Sonne. »Gut«, kommentierte Flash. »Wir werden uns bei passender Gelegenheit um die Flucht kümmern.« Tun senkte die Augen. Sein Schwanz wand sich verschämt um ein Bein. »Ich muß gestehen, daß ich eine große Vorliebe für grünes Bier habe«, seufzte er. »An sich ist nichts Schlimmes dabei, abgesehen davon, daß es mich viel redseliger macht, als gut für mich ist. Ich will dir einen Rat geben, Flash. Laß dich nie auf politische Diskussionen in dreckigen Flußkneipen ein.« »Oder vor dreckigen Flußkneipen«, ergänzte Flash lachend. 49
»Was ich dir sagen will ist, daß es mir aufrichtig leid tut, einen vernünftigen Kerl wie dich in eine so unangenehme Situation zu bringen, nur weil ich meine Zunge nicht im Zaum halten konnte. Wenn ich –« Die schwere Tür flog auf. Der Mann, der in der Türöffnung erschien, war nicht mehr ganz vollständig. Ein Bein fehlte ihm, und der rechte Arm war auch nicht mehr an seinem Platz. »Du!« sagte er und zeigte dabei mit der verbliebenen Hand auf Flash. Flash blickte den Mann an, ohne zu antworten. »Auf Deck«, sagte der unvollständige Mann. »Will mich oben jemand sehen?« »Aye.« Der Mann an der Tür wich ruckartig einen Schritt zurück und schwang sein Holzbein dabei mit geübter Eleganz. »Komm raus, du!« »Was ist mit Tun?« fragte Tun. »Legt oben keiner auf meine Gesellschaft wert?« Der Einarmige faßte an den Gürtel, und ein langes Messer erschien in seiner Hand. »Du bleibst hier!« Flash trat aus der Kabine, wobei er Tun beruhigend zuwinkte. »Wem werde ich vorgestellt?« »Dem Kapitän.« »Worum geht es?« »Geschäfte.« * Die Straße war staubig und zog sich an trockenen, verödeten Feldern entlang. Bereits zu dieser frühen Stunde flimmerte die Luft in der Hitze, und die Sonne brannte mit stechender Glut. Die Hufen der Pferde wirbelten kleine Staubfahnen auf, die träge in der heißen Luft hingen. Zarkov wischte sich mit der Rückseite seiner Faust über die 50
staubigen Lippen. Er trug jetzt, wie seine Begleiter, einen Kapuzenmantel. In dem Feld zu seiner Rechten entdeckte er etwas, das auf den ersten Blick an eine Vogelscheuche denken ließ. Keine besonders wirksame, denn ein Schwärm hellgrüner Krähenvögel pickte an ihr und flatterte um ihren Kopf und die ausgestreckten Arme. Dann erkannte Zarkov, was er da vor sich hatte: »Es ist ein Mensch!« »Hingerichtet auf Mings Befehl«, erklärte Bruder Anmar, der gerade neben Zarkov ritt. »Aus welchem Grund?« »Sein Getreide wollte nicht wachsen«, sagte Anmar. »Wie bei vielen hier in diesem Tal.« »Kennen Sie die Ursache für das schlechte Wachstum?« »Oh, ja! Eine bestimmte Sorte von Kampfgas, die Mings Luftschiffe über den nahegelegenen Städten und Dörfern abgelassen haben, vernichtete fast alles pflanzliche Leben in dieser Region. Die jungen Pflanzen verfaulten auf den Feldern.« »Und Ming akzeptierte das nicht als Ursache?« »Ich vermute, inzwischen muß er ein Einsehen gehabt haben«, meinte Anmar. »In der letzten Zeit sind nur noch wenige Bauern hingerichtet worden. Dieser Mann hier ist, wie ihr jetzt sicher erkennen könnt, ja bereits einige Monate tot.« »Warum nimmt ihn niemand von diesem schrecklichen Gestell?« »Das würde für jeden, der es versucht, den Tod bedeuten«, erwiderte der blonde Magier. »Und falls die Kaiserliche Polizei nicht in der Lage sein sollte, den Täter zu fassen, würde man eine Geisel nehmen und an seiner Stelle öffentlich hinrichten.« Den Staub aus seinem Bart klopfend, stellte Zarkov mit dröhnender Stimme fest: »So kann man keinen Planeten regieren!« Eine Pferdelänge vor ihm wandte sich Bruder Beitor um und blickte über die Schulter: »Vielleicht sind Sie jetzt umso mehr bereit, uns zu helfen.« Zarkovs linkes Auge zwinkerte, und sein Gesicht legte sich 51
in Falten. »Ich sähe diesen Ming gerne aus dem Verkehr gezogen!« gab er zu. »Das ist es, woran wir alle arbeiten.« Am Straßenrand standen zwei nackte Jungen. Der größere von ihnen, ein schmales Gerippe von etwa sieben Jahren, trug eine Augenbinde aus einem zerrissenen Kleiderfetzen. Beide hielten hölzerne Schalen in verschrammten, schmutzigen Händen. »Etwas zu essen? Ein paar Münzen?« bettelten sie. Bruder Igon, der an der Spitze ritt, zügelte sein Pferd. »Ihr bettelt hier an keiner sehr belebten Stelle.« Er griff in die Satteltasche. »In der Stadt ist es heute zu gefährlich, Sir«, antwortete ihm der Ältere. »Warum das?« Vom Sattel gebeugt, reichte Bruder Igon ihnen zwei silberne Münzen. »Fünf Männer sollen heute mittag gehängt werden«, erklärte der andere Junge. »Was haben sie verbrochen?« wollte Igon wissen. »Nichts. Es sind keine Verbrecher«, sagte der Junge. »Einfach nur als abschreckendes Beispiel für uns alle.« »Wir haben schon genug solcher abschreckenden Beispiele gesehen. Deshalb sind wir heute hier heraus gekommen«, fügte der Ältere hinzu. »So, so. Nun, hier ist etwas Brot und Käse für euch«, sagte Igon. Die fünf Kapuzenmänner ritten wieder an. Zarkov schaute sich zweimal nach den nackten Jungen um. Nach einigen Minuten schweigenden Reitens fragte er: »Diese öffentlichen Hinrichtungen werden oft abgehalten?« »Sehr oft«, antwortete Anmar. »In vielen Dörfern und Städten fast einmal in der Woche. Sie wurden eingeführt, um die Bevölkerung in ständiger Angst vor Ming und der Kaiserlichen Polizei zu halten. Wie Sie sich vorstellen können, haben sie 52
aber auch oft den gegenteiligen Effekt. Es kommt immer wieder zu kleinen Volksaufständen, worauf die Zahl der Hinrichtungen dann weiter erhöht wird.« »Reisen wir noch zu Pferd bis zur nächsten Stadt?« »Aye. Wir haben noch einige Meilen vor uns, bevor wir das versteckte Luftschiff erreichen, das uns ins Waldkönigreich bringen wird.« »Sind wir noch vor Mittag in der Stadt?« »Wahrscheinlich.« »Und als wandernde Hexenmeister verkleidet, können wir die Stadt ohne weiteres passieren?« fragte der stämmige Wissenschaftler. »Aye, wie ich letzte Nacht erklärt habe. In vielen Gegenden unseres Planeten glaubt man noch an Zauberei und Hexenkunst«, sagte Anmar. »Selbst wer nicht mehr daran glaubt, findet Vergnügen daran, sich hin und wieder von ein paar Zaubertricks unterhalten zu lassen. So haben wir uns entschlossen, als Magier aufzutreten, und bisher hat Ming gegen niemanden von uns etwas unternommen. Wir sind in der Lage, uns frei im ganzen Reich zu bewegen. Trotzdem würde uns der Kaiser sofort jagen lassen, wenn er von unserer wahren Identität erführe.« »Hat denn bisher noch niemand ernsthaft versucht, diese Hinrichtungen zu verhindern?« erkundigte sich Zarkov. »Es bedeutet für jeden, der es versucht, den sicheren Tod!« Zarkov fuhr sich mit der Hand über die Hüfte. Unter seinem Kapuzenmantel steckte sein Blaster in einer der unzähligen Taschen seiner Arbeitskombination. Anmar hatte ihm die Waffe auf Ehrenwort ausgehändigt, bevor sie zu ihrer Reise aufgebrochen waren. »Nicht unbedingt«, meinte der Doktor. »Was wollen Sie damit sagen?« Zarkov antwortete nicht.
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XII Der Kapitän hockte am Bug des Lastkahns mit Flashs Rucksack vor sich zwischen den Füßen. Er war ein rundlicher Mann, der ein rotes Tuch abenteuerlich um den Kopf geschlungen hatte. »Vielleicht können wir zwei zu einer Vereinbarung kommen, die uns beiden Vorteile bietet. Ich könnte mir da ein Geschäft vorstellen«, sagte der Kapitän mit leiser, kehliger Stimme. Flash stand an der Steuerbord-Reling und betrachtete die Landschaft, an der sie vorbeifuhren. Ein dichter, grüner Pflanzenteppich zog sich bis an die Wasserlinie herab. Große, verzweigte Luftwurzeln hingen in den Fluß, an denen ein gelblichgrünes Moos schimmert. Das Land sah sumpfig aus. »Woran denkt Ihr denn dabei, Kapitän?« »Es gibt da einige Dinge, die wir nicht unbedingt hier in aller Öffentlichkeit besprechen sollten.« »Dann gehen wir doch in Ihre Kabine.« »Da ist es auch nicht besser«, erwiderte der Kapitän. »Da können sie zwar nicht immer sehen, was ich gerade treibe, aber dafür um so besser zuhören, ohne selbst gesehen zu werden. Nein, eigentlich ist hier doch der beste Platz für ein vertrauliches Gespräch. Man sieht wenigstens sofort, wenn sich einer nähert.« Er beugte sich vor und klopfte auf den Rucksack zwischen seinen Knien. »Ich habe die, die wir dir abgenommen haben, zu den anderen hier gepackt. Zu viele haben sie schon gesehen.« Flash wandte sich zu ihm um. »Ihr seid also an den Waffen interessiert?« Das wettergegerbte Gesicht des Flußschiffers verzog sich. »Haltet um Himmels willen eure Zunge im Zaum«, warnte er. »Wir können nicht vorsichtig genug sein. Solche Geräte sind, wie Ihr wohl wißt, verboten. Wenn man so etwas bei mir finden würde, baumelte ich noch vor Sonnenuntergang auf einem 54
öffentlichen Platz mit einem Strick um den Hals. Es ist ein großes Risiko, daß ich mit Euch eingehe.« »Ihr solltet sie vielleicht besser der Kaiserlichen Polizei aushändigen.« Das Gesicht des Kapitäns bekam noch einige zusätzliche Falten. »Nein, das war eigentlich nicht das, woran ich gedacht habe«, meinte er. »Was mir durch den Kopf geht ist folgendes: Wie kommt Ihr an diese Waffen?« Flash musterte ihn einen Augenblick scharf. »Ihr wollt mehr davon, das ist es?« »Aye.« Das faltige Gesicht nickte bedächtig. »Schon diese drei hier – nun, sie würden ein kleines Vermögen einbringen, wenn man sie am richtigen Ort verkaufen würde. Auch wenn ich in diesen Dingen kein großer Experte bin, sehen sie mir nach einer ganz ungewöhnlich hochentwickelten Waffentechnik aus. Sie scheinen besser zu sein, als alles was die Kaiserliche Polizei aufbieten kann. Ich nehme an, Ihr seit für einen gut verborgenen Waffenschmied tätig.« »Wem würdet ihr meine Prachtstücke denn anbieten?« fragte Flash. »Ihr müßt Eure Kunden so gut kennen wie ich«, antwortete der Kapitän mit mißtrauisch hochgezogenen Augenbraunen. »Als Mann, der riskiert, solche Gegenstände zu schmuggeln, solltet Ihr genau wissen, wo Ihr den Markt für Eure Erzeugnisse findet.« »Ich bin zunächst daran interessiert, wie Ihr diesen Markt seht.« »Nun gut, Sir. Wenn ich schnell zu Geld kommen wollte, würde ich mich an die Piratenbande im Süden von hier wenden«, erklärte der Kapitän nachdenklich. »Aber die werden keinesfalls so viel bezahlen wie Prinz Barin.« »Prinz Barin«, wiederholte Flash leise. Er hatte auch Harn und den dicken Wirt von diesem Mann reden hören. »Stimmt es, daß du mehr davon besorgen kannst?« Der Kapi55
tän streichelte mit seiner fleischigen Hand den Rucksack mit Flashs Blastern darin. Flash hockte sich nieder, so daß er dem Kapitän direkt in die Äugen sehen konnte. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch vertrauen soll.« »Fragt jeden Mann auf dem Fluß«, antwortete der Kapitän mit erhobener Stimme. »Ich bin Flußschiffer, seit ich ein milchgesichtiger Jüngling war. Es lebt niemand, der es wagt Kapitän Norlag einen Betrüger zu nennen oder an meinem Wort zu zweifeln.« Grinsend erwiderte Flash: »Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, Ihr habt vor, mich an die Sklavenhändler zu verhökern.« »Eh?« Kapitän Norlag blickte zur Seite und fummelte am Knoten seiner Kopfbedeckung. Nach einem kräftigen Räuspern lehnte er sich zu Flash vor. »Ich will ganz offen mit Euch sein, Sir. Vielleicht habe ich wirklich daran gedacht, mich umzuhören, was für Euren Begleiter geboten wird. Ihr wißt, es sind schwere Zeiten, und Löwenmenschen sind trotz ihrer Wildheit keine schlechten Arbeiter. Sie bringen in der Regel keinen schlechten Preis. Aber Euch, Sir, habe ich niemals vorgehabt…« »Führt Eure Fahrt uns in Richtung der Hauptstadt?« Der Kapitän zögerte. »Ja«, sagte er schließlich. »Wir haben zwanzig Meilen flußabwärts eine Ladung aufzunehmen.« »Laßt mich die Angelegenheit mit meinem Begleiter besprechen!« »Wollt Ihr damit sagen, dieser Wilde ist Euer Partner, Sir?« »Er ist an jedem Geschäft, das wir abschließen, beteiligt«, antwortete Flash. »Er wird mir helfen, eine Entscheidung zu treffen, ob die Leute für die ich arbeite, an einem Geschäft mit Euch interessiert sind.« »Nun gut«, erklärte der Kapitän, »wenn das so ist. Wieviele von diesen, nun ja, Stücken seit ihr in der Lage, mir zu besor56
gen?« »Wieviele könnt Ihr absetzen?« Der Flußkapitän schnappte nach Luft. »Wollt Ihr sagen, Sir, daß es keine Begrenzung in der Zahl gibt?« »Wenn ich Euch eine beschaffen kann, kann ich Euch auch ein paar Dutzend besorgen.« »Ein paar Dutzend? Mögen mir die Götter beistehen! Warum nicht? Mit einem Dutzend davon könnte ein Mann…« Er brach in ein kehliges Lachen aus. »Und nun zum Preis«, unterbrach Flash das Lachen. »Nun, Sir, Ihr müßt verstehen, daß ich bei dieser Sache viel riskiere. Gehen wir einmal davon aus, ich würde Euch zwanzig Prozent bieten, von allem, was ich dafür erziele.« »Nein, üblicherweise bekommen wir sechzig«, stellte Flash fest. »Aber vielleicht kann ich meinen Geschäftspartner zureden, fünfzig zu akzeptieren.« »Fünfzig?« Der Kapitän schlug sich mit der groben Hand vor die Stirn. »Waffen wie diese bekommt Ihr von niemandem sonst auf ganz Mongo. Vergeßt das nicht!« Nach einigen gedankenschweren Seufzern und einem kräftigen Schneuzen seiner breiten Nase erhob sich der Kapitän. »Also gut, Sir, sagen wir fünfzig! Hier habt Ihr die Hand von Kapitän Norlag darauf.« Als Flash in die kleine Kabine unter Deck zurückkehrte, blickte der Löwenmensch ihm erwartungsvoll entgegen. »Was hat unser ehrenwerter Kapitän verlauten lassen?« »Ich denke, wenn ich ihn noch ein bißchen bluffen kann, machen wir keine Bekanntschaft mit den Sklavenhändlern«, erwiderte Flash. Der Marktplatz der Stadt war mit Fahnen geschmückt. Musikanten in bunten Gewändern spielten einen festlichen Marsch. Händler liefen geschäftig umher, und es gab sogar da und dort etwas zu essen zu kaufen. Aber die Bürger der Stadt standen 57
schweigend auf dem rötlichen Pflaster des Platzes. Magere, armselig gekleidete Gestalten, die nicht vorgaben, irgendwelchen Gefallen an dem zu erwartenden Schauspiel zu finden. Zwischen ihnen tauchten hin und wieder herausgeputzte Uniformen der Kaiserlichen Polizei auf. Aber auch die Träger dieser Uniformen schienen trotz ihrer gelegentlichen Scherze und ihres überheblichen Auftretens nicht in bester Stimmung zu sein. Eine halbe Stunde vor der angesetzten Zeit der Hinrichtungen verstummten auch sie. Um die hohen, hölzernen Galgen herrschte ein bedrücktes Schweigen. Dr. Zarkov hatte einen guten Blick über den ganzen Platz. Er lag lang ausgestreckt auf dem Flachdach eines zweistöckigen Gasthofes gegenüber dem Schafott. Er trug nur seine Arbeitskombination, damit er nicht mit den Magiern in Verbindung gebracht werden konnte, falls sein Vorhaben fehlschlagen sollte. In der Hand hielt er seinen Blaster. Neben ihm, nur in der einfachen Tracht eines Bauern verkleidet, kauerte Bruder Anmar. »Ich habe immer noch erhebliche Bedenken bei dieser Sache«, flüsterte er. »Sie können noch vorausreiten und mit den anderen vor der Stadt auf mich warten«, antwortete ihm Zarkov mit leiser Stimme. Jetzt bewies der Wissenschaftler, daß er, soweit es die Situation erforderte, sogar seine Stimme senken konnte. »Nein. Als Sie mir Ihren Plan erklärt haben, versprach ich, Ihnen zu helfen«, sagte Anmar, »und dabei bleibe ich auch, selbst wenn mir jetzt scheint, ich hätte besser meine Zustimmung zu diesem verrückten Unternehmen verweigert. Sie können ganz schön überzeugend sein. Aber wir riskieren nicht gerne einen Mann von Ihrem Intellekt im Kampf.« »Ich garantiere Ihnen, daß ich meinen Intellekt noch geraume Zeit zu benutzen vorhabe«, brummte Zarkov. »Ming und seine Gorillas werden in der näheren Zukunft nicht das Vergnügen bekommen, Dr. Zarkovs Hals in einer Schlinge zu sehen.« Er robbte zur Kante des Daches vor. »Dann wollen wir mal sehen. 58
Die Gefangenen sind also dort drüben in dem Steingutgebäude hinter den Galgen.« »Ja, und fünf Kaiserliche bewachen das Haus.« Zarkov nickte. »Drei vor der Straßenfront und zwei auf der Rückseite. Wenn wir die Sache von der Rückfront angehen, haben wir es also zunächst nur mit zweien zu tun.« Er studierte die Umgebung des Marktplatzes. »Soweit ich sehe, haben sie nur ein Flugschiff hier. Es liegt drüben im Hof hinter dem Gefängnis.« Während er sich sein bärtiges Kinn rieb, überlegte er laut: »Am Besten zerstören wir das Flugschiff. Natürlich könnte man es auch für die Flucht der Gefangenen benutzen, aber es würde mich zuviel Zeit kosten, ihnen beizubringen, wie sie mit dem verdammten Ding umzugehen haben.« »Sie wissen, wie ein Luftschiff eines Typs zu bedienen ist, den sie gerade erst zu Gesicht bekommen haben?« »Wüßte nicht, warum ich das nicht wissen sollte«, erwiderte Zarkov überzeugt. »Wo sind nun die Pferde? Ah, dort im Gatter neben dem Gefängnis. Und was steht da an der Einmündung der Straße, die wir zur Flucht benutzen wollen? Ein Heuwagen. Ganz ausgezeichnet dieser Heuwagen.« Der Wissenschaftler begann sich an das Dach gepreßt zurück zu arbeiten. Er schwang sich über die Dachkante der von der Straße abgewandten Seite und landete auf einem hölzernen Balkon. Der kleine Balkon ächzte in seinen Balken, als ihn das Gewicht des kräftigen Wissenschaftlers traf. Über die Regenrinne setzte Zarkov seinen Abstieg fort. Im Schatten eines kleinen Hinterhofes wartete er darauf, daß Anmar ihm auf demselben Weg folgte. »Erinnern Sie mich daran, daß ich Ihnen ein paar GymnastikÜbungen von der Erde beibringe«, meinte er zu Anmar, als er endlich neben ihm stand. »Zehn Minuten am Tag, und ich garantiere Ihnen, das wirkt.« Durch Gassen und Höfe bewegten sich die beiden vorsichtig 59
auf einer Route, die Zarkov von oben ausgemacht hatte, bis sie an eine bestimmte Stelle in der Nähe der Rückfront des Gefängnisses anlangten. Die Straße, die Zarkov für die Flucht ausgewählt hatte, lag verlassen vor ihnen. »Hier trennen wir uns für kurze Zeit.« Zarkov zog einen roten zylindrischen Gegenstand aus einer seiner unzähligen Taschen. »Sie beziehen drüben hinter dem Heuwagen Posten, Bruder. Wenn wir vorbeigallopiert kommen, geben Sie ihm einen kräftigen Stoß, damit die Straße erst einmal für eine Weile blockiert ist.« »Wir?« »Ich und die Gefangenen natürlich«, sagte Zarkov. »Sind Sie ausreichend bei Kräften, um den Wagen ins Rollen zu bekommen?« »Da haben Sie nichts zu befürchten.« »Wenn ich kein zusätzliches Pferd für Sie auftreiben kann, müssen Sie bei mir mit aufsteigen. Na, wir werden ja sehen.« Mit diesen Worten verließ Zarkov den Magier an der Ecke der verlassenen Straße. Einer der wachehaltenden Polizisten lehnte mit der Hüfte an dem eisernen Geländer der Treppe zur Hintertür des Gefängnisses. Der andere, er war fast noch ein Junge, patroullierte in Front des stumpfnasigen Kaiserlichen Polizeikreuzers. Als der Junge sich dem anderen Wachtposten zuwandte, rannte Zarkov im Zickzack zu dem Flugschiff. Er schaffte es, ohne entdeckt zu werden, und schwang sich auf einen der Flügel. Der Rumpf des Schiffes verbarg ihn jetzt vor den Augen der Wachen. Er zündete die Signalleuchtbombe in seiner Hand und warf sie unter das Schiff. Zehn Sekunden später begann ein enormer Feuerzauber. Rote und grüne Funken sprühten nach allen Seiten unter dem Flugschiff hervor. »Bei allen Göttern!« rief der junge Polizist. »Was ist mit dem 60
Kreuzer los?« Er lief zum Schiff und riß seine Schlüssel aus der Tasche, mit denen er die Kabinentür öffnete. »Was muß ich jetzt bloß abschalten?« »Entschuldigt, junger Freund!« Zarkov versetzte ihm einen vorsichtigen Schlag ins Genick, und der Junge klappte zusammen. Der Bug des Schiffes verbarg den Überfall. Den niedergeschlagenen Polizisten über der Schulter, kletterte Zarkov in das Schiff. Nach einem kurzen Blick über die Kontrolle knurrte er: »Einfach. Höchst einfach konstruiert.« Er lachte und schnippte mit seinen großen Fingern. »Da können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen!« Er startete das Schiff und rammte seinen Bug in die Rückwand des Gefängnisses. Der andere Posten, der noch immer den Funkenregen von unter dem Schiff beobachtete, konnte sich im letzten Augenblick zur Seite werfen. Die stumpfe Nase des Kreuzers schlug eine beachtliche Bresche in die Wand. Wenige Sekunden nach dem Aufprall war Zarkov wieder aus dem Schiff und zwängte sich neben dem Bug durch die entstandene Öffnung. Ein verwirrter Sergeant starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Verwüstung und bemühte sich seinen goldenen Helm aufzusetzen. Er bemerkte Zarkov nicht, bis der stämmige Wissenschaftler direkt vor ihm stand. »Was geht hier…?« Ein Handkantenschlag Zarkovs setzte ihn außer Gefecht. An seinem Gürtel hing ein Ring mit ein paar Dutzend Schlüsseln. »Das dauerte jetzt zu lange«, entschied Zarkov. Er hetzte den Korridor entlang und erreichte die Gefängniszellen. »Treten Sie von der Tür zurück, Gentlemen«, rief er den fünf Gefangenen zu. Der Blaster knisterte, und die Zellentür löste sich in Rauch auf. »Okay«, erklärte ihnen Zarkov, »jetzt raus in den Hof und zum Gatter. Schnappen Sie sich Pferde und reiten Sie die Stra61
ße nach rechts hinunter. Bleiben Sie auf der Straße, bis sie aus der Stadt sind.« »Glauben Sie wirklich, daß wir eine Chance haben?« fragte einer der Gefangenen. »Dafür garantiere ich«, dröhnte Zarkov. »Und jetzt bewegt euch. Ich habe noch ein kleines Gespräch mit dem Sergeant zu führen.«
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XIII Der Angriff erfolgte wenige Minuten nach Sonnenuntergang. Gegen Abend fuhr der Lastkahn schwerfällig durch eine weite, sumpfige Flußniederung. Zwischen den riesigen Luftwurzeln der Mangrovenbäume an beiden Seiten des gewundenen Flußlaufes stiegen Nebelschwaden auf. Mit der Dämmerung fiel ein tödliches Schweigen über die eintönige Landschaft. »Ich hätte das heiße, trockene Klima meiner Heimat besser nie verlassen«, seufzte Tun. Er starrte durch die Ladeluke in die feuchten Nebelschwaden. »Und wozu das ganze, wirst du mich zurecht fragen. Ich hatte einen Auftrag: Die Vorbereitung einer revolutionären… He!« Flash trat zu ihm. »Was siehst du?« Der Löwenmensch streckte seinen zottigen Kopf vor. Sein langer Schwanz zuckte nervös. »Dunkle Schatten unter der Wasseroberfläche. Sie nähern sich von allen Seiten dem Schiff!« »Ich sehe überhaupt nichts«, sagte Flash nach einem Blick durch die Luke. »Da unter der Wasseroberfläche!« zeigte ihm Tun. »Wenn mich meine Augen nicht völlig im Stich lassen, erhalten wir Besuch von –« »Meermänner!« gellte ein Schrei von Deck. Tun rannte zu der noch immer verschlossenen Kabinentür und warf sich mit der Schulter dagegen. »Ich habe bereits einmal das Vergnügen mit diesen Teufeln gehabt. Ein höllisches Vergnügen, versichere ich dir!« »Sie können unter Wasser atmen?« »Aye«, antwortete der Löwenmensch, während er sich weiter gegen die Tür stemmte. »Sie leben eigentlich im Meer, aber einige Stämme haben sich in dieser öden Sumpfgegend angesiedelt. Gelegentlich überfallen sie Schiffe oder Lastkähne. Für sie ist das eine Art Kampfsport, bei dem es immer etwas zu 63
plündern gibt. Sie sind Amphibien, können also auch auf dem Land leben.« Die Tür wurde plötzlich von außen aufgerissen und Tun stürzte taumelnd die Kajütentreppe herauf. Kapitän Norlag fing ihn auf. »Wir haben Besuch von Meermännern!« Er hielt Flashs Blaster in der Hand. »Bei allen Flußdämonen! Ich komme mit dieser Waffe nicht zurecht. Könnt Ihr mir zeigen, wie man sie bedient, Sir? Und beeilt Euch, Sir, beeilt Euch!« Ein Todesschrei hallte vom Vorderdeck, gefolgt vom Platschen nasser Füßen über die Schiffsplanken. Flash nahm die Waffe entgegen und erkannte, daß sich der Kapitän seinen Rucksack auf den Rücken geschnallt hatte. Ohne jede Warnung faßte er den Flußkapitän beim Genick und beförderte ihn die letzten Stufen hinab. »Es wird Zeit, daß ich mein Eigentum wieder an mich nehme!« Norlag stolperte und stürzte. Flash zerrte ihm den Rucksack vom Rücken und stieß ihn in die Kabine. »Leg den Riegel vor«, befahl er Tun. »Erledigt. Und was jetzt?« Flash warf ihm einen der Blaster aus dem Rucksack zu. »Ich erkläre dir, wie du mit diesem Ding umgehen mußt.« »Wir…« Flash fuhr herum. Eine große, geschuppte Gestalt warf sich die Treppe herunter auf ihn. Der Meermann schimmerte in einem blassen Grün. Sein muskulöser Körper war von feinen, feuchten Schuppen bedeckt. Sein Kopf erinnerte eher an ein Reptil als an einen Menschen, mit den flatternden Kiemenbündeln neben jedem Ohrloch. Sein Mund öffnete sich und zeigte seine scharfen, schmalen Zähne. In seiner rechten Hand hielt er eine Art kurzen Speer. Flash war zur Seite ausgewichen, und der Meermann landete auf der Stelle, an der Flash gerade noch gestanden hatte. »Waffe weg!« befahl ihm Flash, aber der Meermann richtete 64
sich sofort wieder auf und sprang ihn ohne zu Zögern an. Der Blaster knisterte. Als der Meermann diesmal wieder auf dem Boden landete, war der obere Teil seines Körpers verschwunden. »He!« rief Tun aus und schaute von den Überresten des Angreifers auf die Waffe in seiner eigenen Hand. »Das ist in der Tat eine mächtige Waffe!« Schnell erklärte Flash ihm, wie der Blaster zu bedienen war. »Wenn wir diesen Kahn verlassen, kannst du mich dann zur Hauptstadt führen?« fragte Flash den Löwenmenschen. »Das kann ich, mein Freund. Aber es liegen noch gut zweihundert Meilen vor uns bis zur Hauptstadt.« »Dann werden wir uns jetzt auf den Weg machen und dieses gastliche Schiff verlassen.« »Jetzt oder nie«, stimmte der Löwenmensch zu. »Lastkähne sind sowieso keins meiner bevorzugten Transportmittel.« An Deck fanden sie fünf weitere Meermänner im Kampf mit der Besatzung vor. Als Flash und Tun an Deck erschienen, war der nächste Meermann gerade dabei, einem jungen Matrosen die Kehle durchzuschneiden. Der Löwenmensch schob den Blaster in den Gürtel und sprang. Mit einem Satz war er bei dem überraschten Amphibienmann, trat ihm das erhobene Messer aus der Hand, packte die nasse Kreatur und stemmte sie über den Kopf, bevor er sie über die Reling warf. »Die Pistole hebe ich mir für echte Notfälle auf«, rief er Flash zu. Dann wandte er sich mit röhrendem Lachen einem anderen Meermann zu. Der zweite Gegner hatte ein Besatzungsmitglied auf die Planken geworfen und beugte sich mit einem zweischneidigen Messer über den hilflosen Mann. »Zurück in den Schlamm mit dir, mein Junge«, brüllte der Löwenmensch. Sein Schwanz peitschte die Decksplanken. Er griff den Meermann beim Genick und beförderte ihn nach 65
zwei kurzen, gezielten Schlägen über die Reling. Der Grüne versank lautlos im schlammigen Flußwasser. »Hinter dir!« warnte Flash. Ein dritter Meermann schlich jetzt von hinten auf den lachenden Löwenmenschen zu. Er holte mit einem Messer zu einem Hieb gegen Tuns Rücken aus. Flash hatte den Blaster ebenfalls in den Gürtel geschoben und sprang vor. Im letzten Augenblick bekam er den Meermann an der Schulter zu fassen. »Mach, daß du zu deinen Freunden kommst«, empfahl er dem Grünen. Er bog den Meermann nach hinten und trieb ihm das Knie in den Rücken. Flash bekam die Hand mit dem Messer in den Griff. Mit einem Ruck drehte er sie dem Meermann auf den Rücken, der aufschreiend die Waffe fallen ließ. Ein Tritt in den verlängerten Rücken ließ ihn über die Reling verschwinden. Als er den Körper seines Gegners im Wasser aufschlagen hörte, legte sich ein kräftiger Arm von hinten um Flashs Hals. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen. »Du erlaubst, daß ich mich revanchiere«, bot Tun an. Der Druck auf Flashs Kehle verschwand. Er konnte sich gerade noch rechtzeitig umdrehen, um seinen grünen Angreifer mit einem Entsetzensschrei über Bord stürzen zu sehen. Einen Augenblick später war vom anderen Ende des Schiffes das Platschen von Wasser zu hören. »Ich glaube, das war der letzte«, lachte Tun. »Er hat vorgezogen, selbst ins Wasser zurückzuspringen, bevor ich ihm dabei behilflich sein konnte.« »Suchen wir uns zusammen, was wir für die weitere Reise gebrauchen können«, erwiderte Flash. »Und dann folgen wir seinem Beispiel, bevor die Mannschaft ihren Kapitän wiederfindet.« Weit entfernt klang ein Heulen durch die dunkler werdende Dämmerung. Ein warmer Wind wehte die Hügel herab und trieb Blätter und Zweige raschelnd über den felsigen Grund. 66
Verbranntes Buschwerk und abgestorbene, knorrige Bäume säumten in grotesken Gruppen die Straßen. Obwohl die Gegend unbewohnt war, sah man ihr die Verwüstungen eines langen Krieges an. Die Hufschläge der Pferde echoten laut durch das Zwielicht. »Dort, wo wir sie hingeschickt haben, sind sie sicher genug«, beruhigte Anmar noch einmal Dr. Zarkov. Vor einer Stunde hatten sich die Magier an einem Kreuzweg von den befreiten Gefangenen, die so knapp ihrer Hinrichtung entgangen waren, getrennt. Die fünf Befreiten waren zu einem vorläufig sicheren Versteck geschickt worden, während die Magier ihren Weg in das Hügelland fortsetzten, um dort das verborgene Luftschiff zu treffen. Von hinten schaltete sich Bruder Beitor in das Gespräch ein. »Ein sehr erfolgreicher Streich, Dr. Zarkov. Aber ich fürchte, Mings Polizei wird sich dafür an den anderen Bürgern der Stadt rächen. Sie werden einfach fünf andere Bürger der Stadt an Stelle der Befreiten hinrichten.« Der Wissenschaftler lachte dröhnend. Das Gelächter hallte von den riesigen Felsbrocken und Geröllhalden wider, zwischen denen sich der Weg jetzt die Hügel hinaufwand. »Ich garantiere dafür, daß so etwas nicht passieren wird«, antwortete Zarkov schließlich. »Aber diese Art von willkürlichem Terror entspricht genau der Politik Mings«, warf Anmar ein. »Wie können Sie sicher sein, daß er nicht einfach neue Hinrichtungen anordnet?« »Weil er überzeugt sein wird, daß die befohlene Hinrichrichtung genau wie geplant stattgefunden hat«, erklärte Zarkov. »Ich wünschte mir nur, diesen Trick könnten wir auch noch in einigen anderen Städten ausprobieren.« »Was für einen Trick? Meinen Sie eine Kriegslist oder etwas ähnliches?« »So könnte man es auch nennen«, Zarkov schob seine, breiten Schultern vor und setzte sich im Sattel zurecht. »Bevor die 67
restlichen Wachen Bekanntschaft mit meinem Blaster machten, während die Gefangenen schon draußen die Pferde sattelten, hatte ich noch ein Gespräch mit dem Sergeant, den ich gleich zu Anfang niederschlagen mußte. Er war der kommandierende Polizeioffizier der Stadt. Ich versah in mit einem kleinen Einstich am Oberarm und verband ihn dafür auch eigenhändig. Dann brachte ich ihn wieder auf die Beine. Die anschließende Unterhaltung überzeugte ihn davon, daß er es bei mir mit einem mächtigen und gefährlichen Wissenschaftler zu tun hatte, der selbst ein Auge auf Mings Thron geworfen hatte. Das war nicht schwer, da er ja gesehen hatte, wie ich mir Zugang zu seiner Bastille verschaffte, ohne daß die Kaiserliche Polizei etwas dagegen zu unternehmen in der Lage war. Deshalb machte es auch keine Mühe ihm einzureden, ich hätte ihm ein kleines Andenken unter die Haut implantiert.« »Was implantiert?« »Ich erzählte ihm, es sei eine kleine, winzig kleine Bombe, aber explosiv genug, um ihn in Stück zu reißen. Wenn er versuchen würde sie zu entfernen oder die Stelle nur unvorsichtig berührte, würde die Explosion sofort ausgelöst. Und ich überzeugte ihn auch davon, daß ich die Zündung selbst aus einiger Entfernung vornehmen konnte…« »Was Sie sofort tun würden, falls er eine falsche Meldung über die Hinrichtung weiterleiten sollte«, unterbrach Anmar. »Ihr habt es verstanden«, bestätigte der Wissenschaftler. »Es sollte ihn zumindest die nächsten Wochen davon abhalten, irgendwelche Berichte über die mißglückte Hinrichtung an die Hauptstadt zu leiten. Irgendwann wird er sich natürlich fragen, ob ihn Zarkov nicht hereingelegt hat, aber wahrscheinlich wird er selbst dann aus Selbsterhaltungsgründen über den Zwischenfall schweigen.« »Es könnte tatsächlich funktionieren«, gab Bruder Beitor zu. Das Heulen, das sie schon früher gehört hatten, wiederholte sich. Kurz darauf wurde es aus einer anderen Richtung beant68
wortet. Zwischen den dunklen Bäumen, durch die sie jetzt ritten, war nichts zu erkennen. »Was für eine Tierart ist das?« fragte Zarkov. »Klingt wie der canis lupus.« »Über diese Gegend gibt es alte Legenden«, erklärte Anmar. »Ich habe, Ihnen schon erzählt, daß viele Menschen auf Mongo noch an Magie und Hexerei glauben.« »Und was sagt der Aberglaube über diese Hügel?« »Man sagt, daß hier eine Menschenart lebt«, antwortete Anmar, »die sich in Wölfe verwandeln kann.«
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XIV »Noch eine Nacht in diesem Sumpf, und mir wächst Moos in der Mähne«, knurrte Tun vorwurfsvoll. Er streckte die Arme über den Kopf und reckte sich vorsichtig auf dem breiten Ast, der ihm als Nachtlager gedient hatte. Zwei Äste über ihm in einer mächtigen Astgabel war Flash mit dem Inhalt seines Rucksacks beschäftigt. »Was hältst du von einem Frühstück aus Biskuits und Wasser, Tun?« Der Nebel löste sich unter den Strahlen der aufgehenden Sonne auf. Die Vögel lärmten schon seit über einer Stunde, und die Freunde hatten bereits eine ganze Reihe neuer Insektenarten kennengelernt. »Ich erinnere mich, daß wir einige Stücke Trockenfleisch aus dem Vorrat des guten Kapitäns mitgenommen haben«, antwortete der Löwenmensch. »Das sollte unser Mittagessen werden.« »Ein Löwenmann muß den Tag mit etwas anderem als einer Kindermahlzeit beginnen«, meinte Tun und streckte Flash eine seiner klauenartigen Hände entgegen. »Ich nehme meinen Anteil jetzt schon, Freund Flash.« Nachdem er sich einige Minuten intensiv mit seinem Frühstück befaßt hatte, fragte Tun: »Wie sehen deine weiteren Pläne für den heutigen Tag aus, mein Freund?« »Es bleibt bei unserem Marsch Richtung Hauptstadt«, antwortete Flash. »Ich muß erfahren, was aus Dale Arden geworden ist.« »Dein Vorhaben ist alles andere als ungefährlich«, entgegnete der Löwenmensch, während er mit seinem Schwanz nach den Insektenwolken schlug. »Aber ich weiß, daß du der richtige Kerl für so eine Sache bist. Trotzdem ist es keine Kleinigkeit, sich im Alleingang mit Ming dem Gnadenlosen anzulegen.« »Es bleibt mir wohl nichts anders übrig«, erwiderte Flash. 70
»Ich würde mich freuen, dich an meiner Seite zu sehen.« Tun schüttelte sein zottiges Haupt. »Ich wünschte, ich könnte dir beistehen. Aber für einen Löwenmenschen bedeutet es den sicheren Tod, sich in der Hauptstadt zu zeigen. Und mein Schwanz ist schwer zu verkleiden.« Er kratzte sich an seiner gelben Haarmähne. »Ich habe in der vergangenen Nacht über deinen Plan nachgedacht. Es hat keinen Zweck, wenn ich dich bis in die Hauptstadt begleite. Am Besten machte ich mich auf den Rückweg zu meinem Volk. Zur Zeit bestehen keine Chancen, in diesem Teil des Reiches Unterstützung für unsere Erhebung zu finden.« Flash kletterte auf den morastigen Boden hinunter. »Wie weit ist es von hier zum Land deines Volkes?« fragte er. »Unser Land liegt etwa hundert Meilen südlich von hier.« Nachdem er den Rest seines Fleisches heruntergeschlungen hatte, folgte der Löwenmensch Flash. »Die einzige Möglichkeit für mein Volk ist, sich mit Prinz Barin gegen Ming zu verbünden.« »Wer ist dieser Prinz Barin?« fragte Flash. »Seinen Namen habe ich schon einige Male gehört.« Tun setzte sich an die Spitze und die beiden setzten ihren Marsch fort. »Gegen Mittag sollten wir in Tintura sein, und dort werden wir uns besser trennen«, sagte der Löwenmensch. »Um auf Prinz Barin zurückzukommen, er ist der rechtmäßige Herrscher des Reiches. Mings Putsch hat seinen Vater vom Thron gestoßen. Als sein Vater auf Mings Befehl hingerichtet wurde, war Barin noch ein Baby. Jetzt wird er etwa Ende Zwanzig sein. Er lebt im Exil im Waldkönigreich von Arboria, wo er im Geheimen seine Gefolgschaft sammelt. Mehr und mehr Männer finden das Leben unter Mings Herrschaft unerträglich und schließen sich Prinz Barin an.« Flash wischte sich zwei blauschimmernde Insekten vom Handrücken. »Wäre Barin ein besserer Herrscher als Ming?« »Aye«, meinte Tun. »Er ist ein ehrlicher, junger Kerl, der an 71
eine weitgehend demokratisierte Regierungsform glaubt. Die miserable Lage, in die sein Vater das Reich gebracht hat, war nicht sein Fehler. Soweit ich gehört habe, regiert er im Waldreich gerecht und fair.« »Trotzdem hörte es sich an, als ob du nicht recht überzeugt von ihm bist.« »Was mich selbst betrifft schon, aber die Löwenmenschen sind eine stolze und unbeugsame Rasse. Viele meiner Landsleute trauen Barin nicht. Sie würden eine wirkliche Demokratie der demokratisierten Monarchie eines Prinzen Barin vorziehen.« »Aber du glaubst, der einzige Weg Ming zu stürzen, ist sich mit Prinz Barin und seinen Gefolgsleuten zusammenzutun?« »Genau, mein Freund!« Tun klopfte Flash auf den Rücken. »Du hast die politische Situation hier auf Mongo schon weitgehend begriffen. Ich sollte…« Er hielt Flash an der Schulter fest. »Ich rieche etwas!« Er hob den Kopf witternd in die feuchte Morgenluft. »Komische Sache. Es muß ein Feuer sein, hier in diesem Sumpfland. Kommt von da drüben.« Er wies nach rechts. Flash blickte in die angegebene Richtung, ohne etwas zu erkennen. »Bist du sicher?« Nach einigen weiteren Hefen Atemzügen antwortete der Löwenmensch: »Aye! Hier ist etwas, das ich inmitten dieses Sumpfes nicht erwartet habe. Es riecht nach verbrannten Kunststoffen. Könnte ein verunglücktes Fahrzeug sein. Vielleicht ein Flugschiff.« Er winkte Flash ihm zu folgen und brach durch ein dichtes Bambusgebüsch. Langsam arbeiteten sie sich durch knietiefen Morast zwischen zähen Schachtelhalmen von riesiger Größe. Jetzt nahm auch Flash den beißenden Brandgeruch war. »Da ist es«, flüsterte Tun. Fünfzig Meter vor Ihnen lag ein silbernes Flugschiff. Es war hier abgestürzt, und die Maschinen hatten dabei Feuer gefan72
gen. Der Bug der verschrammten Maschine war eingedrückt, die Pilotenkanzel gesprungen. Alle Luken waren rauchgeschwärzt. Aus dem offenen Ausstieg quollen Schwaden eines beißenden, dunklen Rauches. »Sieht nicht so aus, als ob wir damit selbst noch etwas anfangen könnten«, bemerkte Flash. »Nein, leider. Eigentlich hatte ich gehofft, wir könnten es für die weitere Reise benutzen.« Der Löwenmensch deutete auf das Wrack. »Siehst du die Insignien dort neben dem Ausstieg? Das ist Mings Symbol – die aufgehende Sonne. Das Schiff gehört zum Palast.« »Dann sollten wir uns lieber davon überzeugen, daß niemand mehr an Bord ist!« »Wahrscheinlich sind alle vor dem Absturz abgesprungen, aber sehen wir nach.« Sie waren noch keine zwanzig Schritte weiter, als sie in einiger Entfernung ein Mädchen schreien hörten.
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XV Ming strich mit seiner knochigen Hand über das Sonnenemblem auf seiner Robe. Vorgebeugt beobachtete er von seinem Stuhl aus durch eine Glaswand eine quadratische Zelle. Das Glas war nur von seiner Seite aus durchsichtig. »Sehr attraktiv«, murmelte der Kaiser. »In der Tat eine schöne junge Frau.« Neben Mings Platz stand Hauptmann Haies. »Aye. Sofort als ich sie sah, dachte ich mir…« »Gut, gut!« unterbrach ihn der Kaiser. Seine Augen leuchteten, während er Dale Arden in der Verhörzelle vor ihnen beobachtete. Das schlanke, dunkelhaarige Mädchen war im Augenblick allein. Haies und seine Untergebenen hatten gerade eine Reihe von Verhören durchgeführt. Dale saß zusammengesunken auf einem harten Metallstuhl, ihr Kopf war zur Seite gefallen, die Augen geschlossen. Der rechte Arm hing kraftlos herab. Ein Bein ihrer Kombination war bis zur Hüfte zerfetzt, und die entblößte Haut zeigte blutige Schrammen. »Du warst vielleicht ein wenig zu eifrig bei dem Verhör, Haies.« Ming strich sich nachdenklich über den Kinnbart. »Mein Diensteifer ist bisher noch von niemandem kritisiert worden, Sir. Ich versichere Euch –« Ming winkte ungeduldig ab. »Trotzdem scheint sie deine Verhöre ohne großen Schaden überstanden zu haben und ohne, daß du etwas Entscheidendes von ihr erfahren konntest. Ich möchte der Schönheit dieses Geschöpfes keinen ernsthaften Schaden zufügen, aber ich muß wissen, warum sie auf diesen Planeten gekommen ist und was man auf ihrer Heimatwelt vorhat.« »Ich bin sicher, sie bringt uns nichts Gutes.« »Niemand bringt etwas Gutes für Ming«, sagte der finstere Herrscher und erhob sich. »Das gehört zu dem Preis, den ein Mann dafür bezahlen muß, an der Spitze zu stehen. Ich will 74
sehen, ob ich unsere Schönheit überreden kann, uns etwas mehr über sich zu erzählen.« »Wünscht Ihr meine Unterstützung, Sir?« »Nein, Hauptmann. Die Möglichkeiten deiner Verhörmethoden sind ausgeschöpft.« Der Kaiser öffnete eine in der Wandverkleidung verborgene Tür und betrat den Verhörraum. Als er eintrat, hob Dale Arden den Kopf. »Ich fürchte, man hat Ihnen nicht die beste Behandlung angedeihen lassen, meine Liebe«, begrüßte sie Ming. »Ich muß um Entschuldigung bitten und stehe in Eurer Schuld.« »Wer sind Sie?« fragte Dale überrascht. »Ich bin Ming«, antwortete er mit einem dünnen Lächeln. »Herrscher des Neuen Reiches und dabei, Herrscher dieses ganzen Planeten zu werden.« »Dann bin ich auf Ihren Befehl hierher gebracht und verhört worden?« »Nein, nicht auf meinen persönlichen Befehl. Sobald mich ein Wort darüber erreichte, was hier geschieht, eilte ich her, um der Sache ein Ende zu bereiten.« »Ich bin schon einige Stunden hier.« »Ihr werdet verstehen, daß die Regierungsgeschäfte eine schwere Last sind. Erst vor wenigen Augenblicken fand man die Zeit, mich von Eurer Anwesenheit zu unterrichten.« Ming setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber, faltete die Hände unter seinem Kinn und beobachtete sie aufmerksam. »Nun bin ich hier und hoffe, Ihr akzeptiert, daß ich Euch herzlich und aufrichtig auf Mongo willkommen heiße.« »Wann komme ich hier heraus?« »Aus diesem Raum hier? Sofort«, antwortete er. »Ihr werdet mir allerdings das Vergnügen bereiten, für einige Zeit Gast in meinem Palast zu sein.« »Als Gefangene?« »Als mein persönlicher Gast selbstverständlich. Ihr begreift 75
sicher, daß Eure Ankunft auf Mongo ein seltenes und wunderbares Ereignis ist. Einen Besucher von einem anderen Planeten in unserer Mitte zu haben, ist äußerst ungewöhnlich. Erde, sagtet Ihr, wird dieser Planet genannt? Nun, einen Besucher von der Erde zu haben, ist in der Tat eine wunderbare Sache. Es gibt vieles, was wir von Euch erfahren möchten.« »Das habe ich bereits bemerkt. Ihre Polizei gab sich alle Mühe, möglichst viel von mir zu erfahren.« »Nochmals muß ich mich aufrichtig entschuldigen. Einige meiner Polizisten sind manchmal übereifrig«, erklärte Ming. »Ihr könnt natürlich nicht ahnen, daß in diesem Teil des Reiches eine unruhige Zeit hinter uns liegt. Es gab eine fanatische Opposition gegen die Regierung. Noch immer herrscht ein gefährlicher Radikalismus in den Grenzstaaten. Die harte Reaktion der Polizei wäre Euch nur zu verständlich, wenn Ihr die Methoden der Aufrührer kennen würdet. Trotzdem entschuldigt das nicht die Behandlung, die Euch widerfahren ist.« Dale setzte sich gerade auf. »Ich glaube nicht, daß ich Ihre Entschuldigung annehmen kann. Einer Ihrer Polizisten sprach davon, daß viele junge Mädchen zum Vergnügen des Kaisers in den Palast gebracht werden. Ich kann mir das weitere Schicksal dieser Mädchen vorstellen…« »Es gibt viele Leute, die sich über mich falsche Vorstellungen machen, und noch mehr, die falsche Vorstellungen vom Palastleben haben«, beruhigte sie Ming. »Ihr findet in mir einen Mann von Ehre. Ich werde jeden bestrafen, der dummes Geschwätz verbreitet wie dieser törichte Offizier.« »Trotzdem würde ich mich wesentlich wohler fühlen, wenn Sie mir zusicherten, daß ich frei kommen und gehen kann, wann ich will.« »Ihr werdet Euch bald wieder ganz frei bewegen können, meine Liebe.« Ming lächelte vielsagend. »Aber zunächst seid Ihr noch eine Fremde auf diesem Planeten, ganz auf Euch alleine gestellt. Mongo ist eine fremde, schwerverständliche 76
Welt voller Gefahren. Ich bin nur zu gerne bereit, Euch mit dieser Welt vertraut zu machen. Wer wäre besser dazu geeignet als der Herrscher des Neuen Reiches selbst?« »Sehr aufmerksam von Ihnen!« »Sind Sie denn ganz alleine gekommen?« »Ihre Schergen dürften Ihnen doch bereits gesagt haben, daß wir ein Team von dreien waren.« »Nur drei?« »Wie ich diesem Hauptmann immer und immer wieder erzählt habe – nur drei!« Ming nickte langsam. »Und was ist der Grund für Eure Reise hierher?« »Ein Forschungsauftrag«, antwortete Dale müde. »Die PlanExplo Stiftung finanziert uns, damit wir Planeten untersuchen, die von den Raumfahrtprogrammen einer der großen irdischen Nationen noch nicht erfaßt worden sind.« »Auf eurem Planeten gibt es also verschiedene Regierungen. Er wird nicht von einem König oder Imperator regiert?« »So ist es.« »Bedauerlich«, meinte Ming. »Sehr bedauerlich.« Er rieb sich mit den Fingerspitzen über sein scharfes Kinn. »Wer sind Eure beiden Begleiter gewesen und was ist aus ihnen geworden?« »Unser Schiff drohte abzustürzen«, erzählte Dale. »Zwei von uns sprangen deshalb sofort ab, während der Dritte an Bord blieb und eine Notlandung versuchte.« »Aber ihr wißt nicht, wie der weitere Flug verlaufen ist?« »Nein.« »Hoffen wir, daß dem Piloten noch eine sichere Landung geglückt ist. Meine Männer sind bereits auf der Suche nach dem Schiff.« »Gibt es schon irgendwelche Hinweise?« »Bis jetzt nicht.« Ming lehnte sich zu Dale vor und beobachtete das Mädchen unter halbgeschlossenen Lidern. »Wer war 77
der Mann, der im Schiff geblieben ist?« »Sein Name ist Flash Gordon.« »Flash Gordon? Ich hoffe, ich habe bald Gelegenheit, ihn kennenzulernen.« »Die werden Sie sicher bekommen«, lächelte Dale. * Als der Morgen anbrach, begann es in den Hügeln zu regnen. Dr. Zarkov stand als erster auf. Er hatte mit seinem breiten Rücken an den Stamm eines abgestorbenen Baumes gelehnt geschlafen. Das blattlose Astwerk über ihm konnte den Regen nicht aufhalten. Er erhob sich und schüttelte die Wassertropfen aus Haupthaar und Bart. Während er sich den Rücken massierte, ging er langsam zu Bruder Igon, der bei den Pferden stand. Igon hatte die letzte Nachtwache gehalten. »Nichts Außergewöhnliches vorgefallen«, meldete er gähnend. »Das Heulen hat die Nacht über angehalten.« »Vielleicht hat ihr Ruf schon das Hügelland erreicht«, meinte Igon grinsend. »Die Wolfsmenschen werden sich gefürchtet haben, uns anzugreifen.« Zarkov schlug die Arme zum Aufwärmen gegen den Leib und musterte die felsige Hügellandschaft. »Irgendwann würde ich gerne noch einmal hierher zurückkommen und versuchen, ein Pärchen von dieser Art zu fangen. Ich habe schon auf verschiedenen Planeten Gerüchte über Gestaltwechsler und Wendehäuter gehört, aber .bis jetzt habe ich noch keinem Auge in Auge gegenübergestanden.« Plötzlich erinnerte er sich, daß er einen Kapuzenmantel trug, und streifte schnell die Kapuze über den Kopf, da der Regen immer heftiger wurde. »In ein paar Stunden sind wir bei unserem Luftschiff«, sagte Igon. »Ihre Befreiungsaktion hat unseren Zeitplan etwas durcheinander gebracht.« »Was haltet ihr von einem kleinen Frühstück, bevor wir un78
seren Ritt fortsetzen«, rief Anmar, der jetzt ebenfalls erwacht war. »Viel! Und klein braucht es auch nicht unbedingt zu sein«, antwortete Zarkov mit seiner dröhnenden Stimme. Weniger als zwei Stunden später saßen sie wieder zu Pferd und näherten sich nach kurzem Ritt einem Waldgebiet. Die Bäume erinnerten an irdische Buchen und Eichen, waren aber beachtlich höher. Dutzende von goldenen Vögeln kreisten um die hohen Baumwipfel. »Wir sind nicht mehr weit von einem Nebenarm des Großen Fluß«, erklärte Bruder Anmar, »deshalb sind hier so viele Reihervögel in der Luft. Wir haben das Schiff hier ganz in der Nähe versteckt. Es liegt in der Scheune hinter einem einsamen Waldgehöft. Dieser Pfad führt dorthin.« Er lenkte sein Pferd vom Hauptweg auf einen schmalen Waldpfad, der sich durch dichtes Buschwerk zog. Nach mehreren Biegungen erreichte die Gruppe eine Lichtung, auf der das Gehöft lag. Das Haus war aus ungebrannten Ziegel errichtet und strohgedeckt. Dahinter war ein großer Holzverschlag zu sehen, der offenbar die Scheune darstellte. Niemand kam ihnen entgegen. Nichts rührte sich. »Wir sind hier«, rief Anmar, aber alles blieb still.
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XVI Tun bahnte sich mit seinen starken Armen einen Weg durch das dichte Gestrüpp von Ranken und Lianen. »Wir sind gleich da«, kündigte er an. »Dort hinüber, mein Freund!« »Langsam jetzt!« warnte Flash, der auf dem von Tun gebahnten Pfad folgte. »Es kann auch eine Falle sein.« »Nein, dafür klangen die Schreie zu echt«, erwiderte Tun. »Ich habe schon genug Menschen um ihr Leben schreien gehört, um echte von nachgeahmten unterscheiden zu können. Aye, da ist die Kleine ja!« An den untersten Ast eines knorrigen Baumes klammerte sich ein Mädchen mit Händen und Füßen. Ihr langes, kastanienrotes Haar fiel ihr übers Gesicht. Sie trug eine enganliegende Fliegerkombination, die zerfetzt und schlammbedeckt war. Vor dem Baum stand ein Riesensalamander, wie Flash schon einen auf dem Weg zum »Durchbohrten Herzen« kennengelernt hatte. Dieser hier war noch etwas größer. Sein Maul mit den langen Fängen stand weit offen, und die gespaltene Zuge reckte sich dem entsetzten Mädchen entgegen. »Keine Angst, Mädchen!« rief der Löwenmensch. Zu Flash gewandt meinte er: »Laß sehen, ob ich diesen Kameraden nicht mit deiner wunderbaren Blasterpistole zu Leibe rücken kann.« Bevor Flash antworten konnte, rannte Tun auf die riesige Kreatur zu. Der Salamander gab fauchende Laute von sich, während er darauf wartete, daß das Mädchen den Halt verlor und ihm förmlich in den aufgerissenen Rachen stürzte. »He, du häßliches Biest!« brüllte Tun, als er die rechte Flanke des Tieres fast erreicht hatte. Der gigantische Kopf senkte sich in Richtung des Löwenmenschen, und kleine, kalte Reptilienaugen musterten den neuen Angreifer. »Deine Karriere als Schrecken der Sümpfe ist beendet!« Tun 80
wollte seinen Blaster ziehen, da schlug die Kreatur mit ihrem mächtigen Schwanz zu. Der Schlag traf den Löwenmenschen vor die Brust. Nach Atem ringend, taumelte er zurück, dabei stolperte er über eine Baumwurzel. Er stürzte und verlor seine Waffe, als er hart auf den Rücken schlug. Der Salamander wandte jetzt seine ganze Aufmerksamkeit dem Löwenmenschen zu und ging ihn zischend mit gesenktem Kopf an. Eine Sekunde später verwehte der Kopf des riesigen Tieres in einer Rauchschwade. Flash hatte zu seinem Blaster gegriffen und den ungleichen Kampf beendet. »Danke, Freund!« keuchte Tun. Auf den Ellbogen arbeitete er sich aus dem Morast, in den er gestürzt war. Der Körper des Riesensalamanders zitterte, dann fiel er zur Seite. Der Boden erbebte, als er aufschlug. »Ich kann nicht mehr…« Das Mädchen verlor den Halt. Flash sprang vor und fing es auf, bevor es in den Sumpf stürzte. Galant setzte er die junge Frau auf die Füße. »Waren Sie allein in dem Schiff?« fragte er. Sie strich ihr langes Haar zurück und lächelte ihn erschöpft an. »Ja, ich war allein«, antwortete sie. »Ihr braucht euch um niemanden anderes zu kümmern. Wenn ich nicht so ungeschickt gewesen wäre, beim Absprang aus dem abstürzenden Schiff meine Waffe zu verlieren… ach was! Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Ist ihr Freund schwer verletzt?« »Keine Spur, Mädchen«, sagte Tun, der auf sie zukam. »Ein Löwenmensch ist nicht so leicht umzubringen, auch wenn er hin und wieder mal außer Atem kommt.« Das Mädchen starrte auf Tuns aufgerichteten Schwanz. »Ich habe nicht bemerkt… oh, ich danke Ihnen beiden!« »Ihr braucht Euch keine Mühe zu geben, ich weiß, daß Löwenmenschen im Palast nicht sehr beliebt sind. Leider kann man sich seine Retter nicht immer aussuchen, Mädchen. Da 81
hast du Pech gehabt.« »Bitte verzeiht! Ich glaube nicht an die Vorurteile der neuen Herren des Reiches. Woher wißt ihr, daß ich aus dem Palast bin? Ach so! Ihr habt das abgestürzte Schiff gefunden.« Sie blickte zu Flash auf. »Meinen Sie, wir können das Schiff wieder instand setzen?« Er schüttelte den Kopf. »Da ist nichts mehr zu retten.« Das Mädchen warf sein kastanienfarbiges Haar zurück und biß sich auf die Lippe. »Ich frage mich, wie ich aus diesem Sumpf herauskomme.« »Wir sind auf dem Weg nach Tintura«, erklärte Flash. »Wir reisen zu Fuß, aber wir nehmen Sie gerne mit.« »Wenn Ihr einen Löwenmenschen als Eskorte ertragen könnt«, setzte Tun hinzu. Das Mädchen lächelte ihn an. »Ich bin sehr dankbar, wenn Sie beide erlauben, daß ich mich Ihnen anschließen darf. Und ich weiß Ihre Begleitung zu schätzen.« Nach kurzem Zögern antwortete der Löwenmensch: »Ich heiße Tun, und das ist Flash Gordon.« »Mein Name ist Ilana. Ich bin eine Zofe von Prinzessin Aura!« »Die Prinzessin hat dir ihr Schiff geliehen?« fragte Flash überrascht. »Eigentlich nicht«, erwiderte sie mit gesenktem Kopf. »Manchmal werde ich furchtbar ruhelos. Es ist so einsam und abgeschlossen, das Leben im Palast. Nun, wenn ich es einfach nicht mehr aushalten kann, nehme ich mir, was ich brauche, und verschwinde. Gestern habe ich dazu das Flugschiff genommen.« »Machen sie dir große Schwierigkeiten, wenn du ohne das Schiff zurückkommst?« fragte der Löwenmensch. »Etwas Ärger wird es schon geben, vermute ich«, antwortete sie. »Glücklicherweise bin ich eine von Prinzessin Auras Lieblingszofen.« »Ich verstehe«, meinte Flash. 82
* Zarkov entdeckte als erster das Blut. »Das sieht mir nach einer heftigen Auseinandersetzung aus«, verkündete er mit seiner dröhnenden Stimme. »Jemand wurde hier gegen die Wand geschlagen und fiel dann in das Stroh.« Der stämmige Doktor untersuchte zusammen mit Igon und Anmar die Scheune des verlassenen Waldhofes. Das Luftschiff war verschwunden. Igon kniete auf dem Boden. »Das Schiff ist herausgerollt worden«, stellte er fest. »Aber draußen gibt es keine Anzeichen, daß sie hier irgendwo ausgestiegen sind. Es sind nirgendwo Brennspuren zu sehen.« »Vielleicht haben sie es ein Stück den Weg hinuntergezogen, bevor sie gestartet sind«, vermutete Anmar. Er schritt langsam durch die schattige Scheune, um die von Dr. Zarkov entdeckten Blutspuren auf dem Stroh und an den Holzbalken der Rückwand zu untersuchen. »Es gibt viele Möglichkeiten, was hier passiert sein kann«, meinte Igon. Ein Streifen Sonnenlicht, der durch einen Ritz im Holz in die Scheune fiel, ließ etwas neben Zarkovs mit Sandalen versehenen Füßen im Stroh aufleuchten. »He«, rief er und hob den glänzenden Gegenstand auf. »Was haben wir denn da?« Es war ein goldener Ring. »Ein Ohrring!« Zarkov hielt sich das Ding vor die Nase. »Zum ersten Mal, daß ich auf einen Ohrring stoße, an dem noch das halbe Ohr hängt, zu dem er mal gehörte. Können Sie etwas damit anfangen?« Er reichte ihn Anmar. Anmar nahm das Fundstück und reichte es nach einem kurzen Blick darauf an Igon weiter. »Was würdest du sagen, Bruder?« »Die Flußgeier«, bestätigte der andere Magier. »Die Flußgeier«, erklärte Bruder Anmar Zarkov, »sind eine 83
Bande von Strauchdieben, die von einer Flußstadt hier in der Nähe aus ihr Unwesen treiben. Im allgemeinen halten sie sich bei ihren Unfällen aber an die Frachtkähne und Schiffe auf dem Großen Fluß.« »Sie müssen irgendwie erfahren haben, daß hier ein Flugschiff versteckt gehalten wurde«, nahm Bruder Igon an. »So eine Beute bringt auf dem Schwarzen Markt für verbotene Technik keinen schlechten Preis.« »Und sie tragen Schmuck wie diesen Ohrring?« fragte Zarkov. »Aye. Sie sind verrückt nach Schmuck und Juwelen. Sie tragen ihn, um ihren persönlichen Reichtum zu beweisen.« »Es ist also wahrscheinlich, daß diese Flußgeier das Schiff in ihre Gewalt gebracht haben?« »Davon ist mit Sicherheit auszugehen.« »Sie wissen, wo die Kerle zu finden sind?« »Wir haben eine gute Chance, sie zu finden.« Zarkov nickte. »Dann los«, dröhnte er. »Sehen wir zu, daß wir das verdammte Schiff zurückbekommen.«
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XVII Silberne Moskitoschwärme tanzten über ihren Köpfen in der bleiernen Nachmittagsluft. In den riesigen Bäumen kreischten große, dunkelrote Vögel mit spitzen Schnäbeln. Mit einem Seufzer fragte das Mädchen: »Können wir noch eine Pause machen? Oder sind wir schon bald in Tintura?« Der Löwenmensch wandte sich um und kam langsam zurück zu ihr. »Es sind noch gut fünf Meilen. Wir rasten lieber noch einmal, wenn dir danach ist.« »Ich würde es sehr begrüßen.« Sie entdeckte einen umgestürzten Baum in dem Morast und stampfte dorthin. Tun stellte sich dicht neben Flash und sprach den großen, blonden Mann mit gesenkter Stimme an. Sie drehten beide dem Mädchen den Rücken zu. »Als ich dir erzählte, es sei ein halber Tagesmarsch bis Tintura, wußte ich noch nicht, daß wir ein Mädchen mitzuschleppen haben würden.« »Sie kann meine Chance sein, so schnell wie möglich in die Hauptstadt zu gelangen«, antwortete Flash leise. »Was hast du vor?« »Kann sie sich von Tintura aus mit dem Palast in Verbindung setzen?« »Aye! Es gibt eine Radio-Kommunikationsstation dort.« »Sobald ein Flugschiff kommt, um sie abzuholen, werde ich mir erlauben, das Schiff vorübergehend auszulernen.« »Ich bin sicher, daß dir das nicht schwer fallen wird, mein Freund«, antwortete Tun mit einem leisen Lachen. »Wahrscheinlich bin ich lange genug in der Stadt, um dir dabei ein wenig zur Hand zu gehen.« Sein Gesicht überschattete sich. »Sei vorsichtig mit diesem Mädchen. Ich habe da ein ungutes Gefühl, das mir sagt, sie ist nicht –« »Hallo! Ich glaube, ich kann wieder weiter.« Das rothaarige Mädchen war aufgestanden und winkte den beiden. Mit einem Knurren setzte sich Tun wieder an die Spitze. 85
Das Mädchen nahm Flashs Arm. »Kann ich eine Weile neben dir marschieren? Ich bin an so lange Fußmärsche einfach nicht gewöhnt. Das Hofleben verweichlicht doch sehr.« »Wie lange lebst du schon im Palast?« »Zu lange«, erwiderte sie. »Manchmal habe ich das Ganze einfach satt. Dann verschwinde ich, wie ich es gestern versucht habe.« »Kann Prinzession Aura deine Dienste denn entbehren?« »Nun ja. Sie regt sich nicht besonders über mein Verschwinden auf. Es gibt sehr viele Bedienstete im Palast und nur eine Prinzessin. Es gibt auch ohne mich genug Leute, die ständig bemüht sind, ihr die Wünsche von den Augen abzulesen.« »Du machst dir nicht viel aus der Prinzessin?« »Oh, sie ist schon in Ordnung. Ich glaube, sie macht sich aus dem ganzen Pomp und der Speichelleckerei im Palast nicht mehr als ich. Wenn dein Vater der Kaiser ist, bleibt dir nichts anderes übrig, als eine bestimmte Lebensweise zu akzeptieren.« »Und was sagt Ming selbst dazu?« »Ich möchte nicht über ihn sprechen.« Einige Zeiten wanderten sie schweigend nebeneinander. Ein leuchtend gelber Falter schwirrte vor ihnen über den Pfad. »Ich habe dich gerade erst kennengelernt«, sagte das Mädchen schließlich. »Trotzdem habe ich den Eindruck, du bist –«, sie runzelte die Stirn und suchte nach Worten, »– daß du anders bist als die Männer, die ich bisher kenne.« Flash lächelte und schwieg. »Aus welcher Domäne des Reiches kommst du?« fragte sie. »Einer weit entfernten.« Das Stirnrunzeln des Mädchens vertiefte sich. Sie blieb stehen. »Und warum reist du mit einem Löwenmenschen?« »Tun hat mein Leben gerettet«, erklärte Flash, »und ich seins. Das ist ein guter Grund, um Freundschaft zu schließen.« »Du hast auch mir das Leben gerettet«, erinnerte ihn das 86
Mädchen. »Das heißt, wir sind auch Freunde, nicht wahr?« »Ja, wir sind Freunde.« Sie hakte sich bei ihm unter, und sie gingen weiter. »Wie bist du in diesen Sumpf gelangt?« »Wir sind von einem Flußkahn gesprungen.« »Wie kam es dazu?« »Wir hatten etwas dagegen, als Sklaven verkauft zu werden.« »Ich bin sehr froh, daß ihr hier in der Gegend von Bord gegangen seid«, sagte sie nach einer Pause. »Flash?« »Ja?« »Wenn wir in Tintura angekommen sind, erlaubst du mir dann, dich und Tin zu einem Essen einzuladen? Es gibt einige ganz passable Gasthäuser dort am Fluß. Wir können zusammen dinieren, und dann kümmere ich mich darum, wie ich wieder in die Hauptstadt zurückkomme.« »Ich nehme die Einladung gerne an«, antwortete Flash. * Das Gasthaus Zum kalten Hafen war groß, mit grauen, rohverputzten Steinwänden. Kupferne Pfannen und Gerätschaften hingen von umlaufenden Holzbalken an den Wänden. Flash, das Mädchen und der Löwenmensch saßen an einem langen Holztisch unter einem der schmalen, hohen Fenster. Es war die erste Stunde nach Sonnenuntergang, und die enge Gasse draußen füllte ein dichter Nebel. »Kein schlechtes Gasthaus, das wir hier in Tintura gefunden haben«, sagte der Löwenmensch und brach sich ein großes Stück Brot von dem Laib im Brotkorb vor ihnen ab. »Jedenfalls viel besser als diese Flußschenke, aus der man mich vorgestern nacht so taktlos hinausbefördert hat.« Das Mädchen starrte auf die Flammen im Kamin. »Ich habe keine besondere Lust, in den Palast zurückzukehren.« »Denkst du nicht, daß du schon lange genug fort bist?« fragte 87
Flash. »Doch, ich fürchte, ich bin.« Sie lächelte ihn geheimnisvoll an. »Wißt ihr, in meiner Heimat nennt man dieses Brot… He!« Der Löwenmensch sprang so plötzlich auf, daß er den Stuhl umstieß. »Keine weitere Bewegung, Löwenmann!« warnte der Hauptmann der Kaiserlichen Polizei, der sich ihrem Tisch näherte. Er hielt eine entsicherte Strahlpistole in der Hand. Fünf weitere Polizisten folgten ihm. Das halbe Dutzend aufmarschierender Polizisten im Auge behaltend, erhob sich Flash ebenfalls. »Ihr hättet bei Eurem abgestürzten Schiff bleiben sollen, Prinzessin Aura«, sprach der Hauptmann das Mädchen an. Sie blieb regungslos auf ihrem Stuhl sitzen und presste die Lippen zusammen. »Was soll das bedeuten?« verlangte der Löwenmensch ärgerlich zu wissen. Sein Schwanz schlug nervös hin und her. »Haben wir etwa mit der Tochter von Ming, dem Gnadenlosen, Freundschaft geschlossen und an einem Tisch gegessen?« Die Prinzessin senkte die Augen. »Es tut mir leid.« »Wenn Ihr nach draußen gehen wollt, Prinzessin«, sagte der Hauptmann in übertrieben höflichem Ton und legte die Hand an seinen goldenen Helm, »Ihr werdet dort ein Luftschiff finden, das im Auftrag des Palastes auf Euch wartet.« »Ich bin nicht sicher, ob ich –« »Meine Befehle, die ich vom Oberkommandierenden, unserem Kaiser selbst, erhalten habe, besagen, daß ich für Eure Rückkehr, und zwar Eure unverzügliche Rückkehr, in den Palast zu sorgen habe, Prinzessin.« »Ich wünsche, bei meinen Freunden zu bleiben!« »Die werden mit uns kommen.« »Nicht ohne Kampf«, schrie Tun und griff zu seiner unter dem Hemd versteckten Waffe. 88
Der Hauptmann feuerte mit seinem Strahler. Ein knisternder Energiestrahl zerschnitt den schweren Tisch sauber in zwei Hälften. Eine Hälfte stürzte auf Prinzessin Aura und bedeckte sie mit Tellern und Essensresten. Die andere fiel gegen Flash. »Mein nächster Schuß zerlegt dich in zwei Hälften, Löwenmensch!« Der Hauptmann half der Prinzessin mit der freien Hand auf die Beine. »Verzeiht meine entschlossene Handlungsweise, Prinzessin, aber ich mußte Euren beiden sogenannten Freunden beweisen, daß ich es ernst meine.« »Warum werden wir zur Hauptstadt gebracht?« fragte Flash. Er beschäftigte sich mit der Reinigung seines bespritzten Hemdes und nahm gelassen eine Leinenserviette zu Hilfe. »Kümmere du dich darum, dein Hemd wieder sauber zu bekommen«, antwortete der Hauptmann ihm. »Männer, eskortiert diese beiden Kerle zum Flugschiff. Seht zu, sie lebend in den Palast zu bringen, aber tötet sie bei dem geringsten Fluchtversuch.« »Was habt Ihr denn mit ihnen vor?« fragte Prinzessin Aura. »Wenn es nach mir ginge, würden die beiden hier an Ort und Stelle erschossen, besonders dieser halbmenschliche Löwenbastard. Aber ich habe Befehl, Rekruten zu sammeln.« »Rekruten wofür?« wollte Tun wissen. »Für die Spiele«, erwiderte der Hauptmann. * Die meisten der niedrigen Holzbauten lagen direkt am Flußufer und hatten eigene Piers und Anlegestellen. Im Wasser spiegelte sich die untergehende Sonne blutrot. Auf den Straßen und Stegen war niemand zu sehen. Nach und nach flackerten hinter einigen Fenstern Lichter auf. Zarkov lag zusammen mit Anmar in einem Dickicht unter einer Gruppe großer Eichenbäume, die an der Straße gegenüber 89
dem ersten Haus aufragten. Die anderen Männer waren eine halbe Meile entfernt mit den Pferden zurückgeblieben. »Nicht viel los«, bemerkte Zarkov. »Das große Lagerhaus am Ende der Häuserreihe vor uns«, sagte Anmar, »dort treffen sich die Geier in der Regel mit den Händlern. Drinnen brennt Licht.« Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne schimmerten auf dem Schindeldach des Lagerhauses. Dann verschwand die Sonne endgültig hinter den Bäumen, und es wurde schlagartig dunkel. »Können sie gewagt haben, das Schiff am hellichten Tage durch die Stadt zum Lagerhaus zu schaffen?« erkundigte sich der Wissenschaftler. »Die Stadt ist für ihren schlechten Ruf bekannt«, erwiderte Anmar. »Hier wird ein guter Teil des Schmuggels und der Hehlerei der Gegend abgewickelt.« Anmar preßte seine Fingerspitzen gegen die Stirn. »Ich will versuchen, die Gedanken von jemandem im Lagerhaus zu lesen.« »Ah, gut«, murmelte der Magier nach einer Weile. »Ich habe Kontakt mit einem unserer eigenen Männer gehabt, Bruder Orlan.« »Dann werden Ihre Leute da drinnen festgehalten?« Anmar antwortete zunächst nicht. »Sehen sie«, erklärte er schließlich, »bis jetzt können wir nur über sehr kurze Distanzen untereinander telephatische Verbindung aufnehmen. Um Informationen über eine große Entfernung zu senden, etwa aus Mings Hauptstadt, brauchen wir eine Art Relaiskette von ausgebildeten Telepathen. Daher war Bruder Orlan nicht in der Lage uns mitzuteilen, was geschehen ist, bis ich jetzt in seine Reichweite gekommen bin.« »Was meldet er?« »Die Flußgeier haben unser Versteck spät in der vergangenen Nacht angegriffen. Der Wachhabende schlief leider gerade, und so wurde ihre Annäherung weder physisch noch mental entdeckt, bis es zu spät war.« Anmar hielt die Fingerspitzen 90
weiterhin an die Stirn gepreßt. »Unsere Männer leben alle noch und werden im Lagerhaus gefangen gehalten, um sie bei Gelegenheit an die Sklavenhändler zu verkaufen.« »Das Flugschiff ist auch da?« »Aye. Sie haben es im Lagerhaus. Sie haben vor, es einer Rebellengruppe in der südlichen Wüste zu verkaufen. Einer fanatischen Richtung, muß ich hinzufügen, mit der wir nichts zu tun haben. Im Augenblick sind nur drei der Piraten im Haus. Die anderen feiern ihren Sieg in einer Schenke am anderen Ende der Stadt.« »Wo sind unsere Leute, und wo sind die drei Wachen?« fragte Zarkov ruhig. »Unsere Brüder sind in einem Verschlag über dem Hauptraum des Lagerhauses. Sie werden nicht direkt bewacht. Der Verschlag ist verriegelt, und die drei Geier untersuchen in der Lagerhalle das Flugschiff.« »Okay.« Zarkov stand auf und tastete nach seinem Fluggürtel. »Warten Sie hier. Ich gehe das Schiff holen.« »Was haben Sie vor, Zarkov?« »Ich werde die Sache über das Dach angehen«, erläuterte der stämmige Wissenschaftler mit dröhnender Stimme. »Ich befreie Ihre Jungs, schalte diese drei Kerle aus und hole Ihnen Ihren Luftkreuzer zurück. Dauert alles nicht lange!« »Meinen Sie?« »Ich garantiere es Ihnen!« Vor den Augen des überraschten Anmar hob der Wissenschaftler vom Boden ab und stieg langsam zwischen den Bäumen in die Höhe. Er schwebte über die Baumgipfel und steuerte, mit einer Hand die Kontrollen des Gürtels bedienend, das Dach des Lagerhauses an. »Über welche technischen Mittel verfügt er denn noch?« wunderte sich Anmar, als er Zarkov auf den Schindeln knien und einen kleinen, leuchtenden Gegenstand gegen das Dachen schwingen sah. Einen Augenblick später schien der Wissen91
schaftler direkt durch das Dach zu schweben. Danach blieb alles still. Kein Geräusch drang vom Lagerhaus zu Anmar herüber. Auf dem Fluß zog ein großer Lastkahn, beladen mit Holzstämmen, vorbei. Eine gelbe Laterne beleuchtete sein Heck. Anmar erhob sich ebenfalls und trat einige Schritte vor. Irgendwo heulte ein Tier. Plötzlich schien die nächstgelegene Wand des Lagerhauses in die Nacht hinaus zu explodieren. Balken, Bretter und Fenster bogen sich nach außen und zersplitterten in einem krachenden Wirbel. Durch die Öffnung kam das Luftschiff geschossen. »Keine Frage, wer da am Steuer sitzt«, murmelte Anmar und rannte auf die Straße, um das Flugzeug zu treffen. »Zarkov scheint eine besondere Begabung zu haben, mit Luftschiffen Wände einzureißen.«
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XVIII Hier unten gab es weder Tag noch Nacht. Eine feuchte Dunkelheit erfüllte die verwinkelten Steinkorridore und die niedrigen Zellen. Auf dem Boden ihrer Zelle lag ein Haufen faulendes Stroh, und in einer nicht erkennbaren Ecke tropfte etwas unentwegt. Aus einer der um die nächste Ecke gelegenen Kerkerzellen rief ein alter Mann: »Ihr Narren, seht ihr denn nicht, daß ich nicht hierher gehöre!« Er wiederholte seine Frage immer wieder. »Ich kann dem Alten nur beipflichten«, sagte Tun, während er auf den schmutzigen Steinen auf und ab lief. »Was meinst du, Flash – hat uns die Rothaarige hereingelegt?« »Das macht keinen großen Unterschied.« Flash lehnte sich mit seiner breiten Schulter gegen die schwere, hölzerne Zellentür und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. »Aye. Du hast recht. Verraten oder nicht, wir sind hier sicher hinter Schloß und Riegel.« Vom Korridor hörten sie den Knall einer Peitsche. »Steht in der Reihe, ihr blöden Bastarde. Steht in der Reihe!« Fackellicht flackerte auf. Flash wandte sich um und spähte durch das kleine, vergitterte Fenster in der Tür. »Eine Parade«, sagte er. Zwei Kaiserliche Polizisten gingen an der Spitze und hielten ihre Stunner auf eine Reihe von aneinandergeketteten Männer gerichtet, die zwischen ihnen schlurfte. Diese Männer waren riesig, jeder über zwei Meter groß mit breiten Schultern. Sie trugen nur zerfetzte Lendenschurze und waren von Kopf bis Fuß mit dichtem braunen Fell bedeckt. Ihre Gesichter erinnerten an Gorillas. »Weiter, weiter!« brüllte ein Polizeioffizier vom Ende der Reihe mit den sieben Affenmenschen. Neben ihm lief ein junger schmaler Polizist, der eine Fackel trug. Seine Uniform war ihm mindestens zwei Nummern zu 93
weit. »Kein Grund zur Neugier!« rief er Flash und Tun zu, als er sie hinter dem Fenster ihrer Kerkertür entdeckte. »Ihr könnt euch diese Kerle noch früh genug aus der Nähe ansehen.« Der letzte Affenmensch in der Reihe knurrte wütend. Er hieb mit seiner behaarten Faust nach dem Jungen. Der junge Polizist versuchte auszuweichen und verlor dabei seine Fackel. »Stunnt das Vieh!« befahl der Offizier. Die beiden Stunner summten. Der Affenmensch erstarrte mit gebleckten Zähnen. »Heb die Fackel auf, du Kindskopf. Das nächste Mal läßt du dich nicht von Gefangenen ablenken, wenn du hier unten Dienst hast.« »Ja, Sir!« Der Offizier hakte einen Schlüsselbund von seinem Gürtel und löste den paralysierten Affenmenschen von den Ketten, die ihn mit seinem Vordermann verbanden. Er blickte zu Flash und Tun hinüber. »Ich muß euren werten Kampfpartner zurücklassen und ihn später von jemand abholen lassen«, erklärte er den beiden. »Ihr braucht keine Angst zu haben, für die nächsten Stunden ist das Vieh steif wie ein Brett.« »Um Tun, dem Löwenmenschen, Angst einzujagen, mußt du ihm schon etwas anderes zeigen als einen armen Wilden«, antwortete Tun. »So?« Der Offizier lachte. »Vielleicht änderst du deine Ansicht noch, wenn du erst mal in der Arena stehst.« »Wann finden diese Arenaspiele denn statt?« fragte der Löwenmensch. »Kannst du es nicht mehr erwarten, daß man dir den Hals bricht? Nur Geduld. Wenn alles klar geht und meine Männer sich nicht alle so aufführen wie dieser junge Trottel eben, ist das heute dein letzter Tag unter den Lebenden.« »Dann sind die Spiele schon –« »Morgen!« 94
* Das Licht des Überwachungsmonitors warf tiefe, dunkle Schatten zwischen Mings tiefliegende Augen und ließ seine scharfe Nase noch mehr hervortreten. Er saß in einem hochlehnigen Stuhl, die Hände umklammerten die geschwungenen Armstützen, und beobachtete eine Wand mit Bildschirmen. »Jeder kann zerbrochen werden«, murmelte er. »Dieser Flash Gordon mag noch so gelassen und selbstsicher auftreten. Wenn er erst einmal in der Arena steht, wird er um sein elendes Leben flehen und betteln.« Ein dünnes Kichern schüttelte seinen Körper. Die in der Kerkerzelle versteckten Infrarot-Kameras brachten dem Herrscher klare, scharfe Bilder von Flash und Tun. »Ich bitte um Verzeihung, Sir!« Ein kleiner, rundlicher Mann in einem weißen Arbeitskittel hatte den Raum betreten und neben Mings Stuhl Position bezogen. Unter einem Arm trug er eine Papierrolle, und in der Hand hielt er ein Blatt mit Zeichnungen. Ming wandte seinen Blick nicht von dem Bildschirm. »Ich kann verstehen, daß sich Dale Arden von so einem Mann angezogen fühlt«, sagte er. »Es ist sein Äußeres, aber ich vermute, da ist nichts unter der Oberfläche, kein Intellekt, von dem es sich zu sprechen lohnt. Hört auf mit den Papieren zu rascheln, Norber!« »Verzeiht mir, Sir.« Mit seiner freien Hand setzte sich Norber die randlose Brille zurecht. Ming streckte die Hand aus und schaltete den Überwachungsbildschirm aus. Er erhob sich und stellte sich vor den kleinen Wissenschaftler. »Was wollt Ihr, Norber?« Mings Bewegung veranlaßte Norber instinktiv einige Schritte zurückzutreten. »Die Pistole, Sir.« »Was für eine Pistole, Norber?« »Die Waffe, die wir diesem fremden Gefangenen abgenommen haben. Sie gleicht der Waffe, die diese Dale Arden bei 95
sich hatte. Wir haben eine Reihe von Tests und Untersuchungen an den Waffen vorgenommen.« Er hielt Ming ein Bündel Aufzeichnungen und Aufrisse hin. »Ich beschäftige, und das gegen gutes Geld, Wissenschaftler wie Euch, Norber, damit sie mir ersparen, mich durch einen Wust von belanglosen technischen Einzelheiten arbeiten zu müssen«, erklärte der Kaiser. »Ich will nur hören, was Ihr herausgefunden habt!« Eine der Zeichnungen rutschte aus dem Packen und flatterte über den schwarzgekachelten Boden. »Oh, ich bitte um Verzeihung, Sir!« flüsterte Norber und bemühte sich, das Blatt wieder in die Finger zu bekommen. »Laßt das! Erzählt mir endlich, was mit der Waffe los ist, Norber!« Norber fuhr hoch und versuchte Haltung anzunehmen. »Sie ist allen Strahlenwaffen überlegen, die bei uns auch nur in der Planung sind, Sir. Ihre Mikro-Schaltkreise bezeugen eine Technologie, die mit nichts zu vergleichen ist, was unsere Laboratorien aufzubieten haben. Und ihre Reichweite und Vernichtungskraft ist phantastisch. Ich habe hier eine Tabelle, die einen Vergleich mit –« »Erspart mir den Papierkram, Norber«, unterbrach Ming. »Geht in Euer Laboratorium zurück und macht Euch sofort daran, die Waffe nachzubauen. In spätestens einem Monat will ich ein funktionstüchtiges Duplikat sehen.« »Sir«, wandte Norber ein. »Das wird unmöglich sein.« »Unmöglich?« »Diese Unterlagen hier beweisen… wenn Ihr sie nicht lesen wollt, Sir, vielleicht erlaubt Ihr mir, sie Euch zu erklären. Das grundlegende Problem besteht darin, nun Sir, es gibt drei Einzelteile an dieser Waffe, deren Funktionsweise ich einfach nicht erklären kann. Ich verstehe nicht, was ihre Aufgabe ist, wie sie arbeiten –« »An die Arbeit! Findet es heraus!« 96
»Ich werde mich bemühen, Sir. Aber wegen dieses Problems bin ich eigentlich zu Euch gekommen.« Norber deutete auf den ausgeschalteten Überwachungsmonitor. »Wenn Ihr dafür sorgen könntet, daß dieser große, blonde Fremde in unser Labor gebracht wird…« »Nein. Er hat in seinem Kerker zu bleiben.« »Er könnte uns die rätselhaften Teile erklären und uns damit wochenlange Untersuchungen sparen.« »Ihr müßt auf Flash Gordon bei Euren Forschungen verzichten.« »Aber –« »Haltet Euch an Dale Arden.« »Es ist unwahrscheinlich, daß eine Frau die wissenschaftlichen Voraussetzungen mitbringt –« »Sie ist für interplanetarische Forschungen ausgebildet, Norber. Und falls sie Euch nicht helfen kann, werdet Ihr warten müssen, bis wir das dritte Mitglied des Teams gefunden haben, diesen Dr. Zarkov.« »Das ist alles schön und gut, Sir«, murrte Norber. »Aber bedenkt, das wir so wertvolle Wochen verlieren können. Warum laßt Ihr mich nicht einfach mit diesem Flash Gordon reden?« »Mit Flash Gordon habe ich etwas anderes vor.« »Und was, wenn ich fragen darf, Sir?« »Er stirbt morgen in der Arena.« * Das Luftschiff senkte sich langsam aus dem Morgenhimmel herab. Schon schwebte es durch ein Labyrinth von riesigen Bäumen. Bäumen, die hunderte von Metern aufragten, mit unglaublich breiten Ästen, die sich überall kreuzten und ineinanderwuchsen. Und zwischen diesen gigantischen Ästen war eine Stadt gebaut. »Selbst ich habe so etwas noch nirgendwo gesehen«, rief 97
Zarkov mit seiner dröhnenden Stimme aus. »Schaut euch die Größe der chenopodium botrys und der rheum rhaponticum an. Phantastisch, phantastisch.« »Vor vielen Jahrhunderten hat ein verbannter König mit dem Bau begonnen«, erklärte Anmar. »Und Prinz Barin hat der Stadt ihre heutige Gestalt gegeben, seit er hier im Exil lebt.« »Und was ist das in diesem riesigen Walnußbaum? Tatsächlich, ein Aufzug«, sagte der beeindruckte Wissenschaftler. »Arboria teilt sich in verschiedene Ebenen auf«, fuhr Anmar fort. »Sie haben nichts mehr mit gesellschaftlichen Stufen zu tun, sondern werden heute nur nach ihrer Funktion unterschieden. Ein komplexes System von Aufzügen, Rampen und Rolltreppen verbindet die einzelnen Ebenen.« Zarkov preßte seinen Kopf an die Kanzel, um so weit wie möglich nach oben schauen zu können. »Habe ich da oben Geschützstellungen gesehen?« »Aye. Verteidigungsanlagen gegen einen Luftangriff durch Ming. Bis jetzt haben sie uns gute Dienste geleistet. Der Kaiser hat zwei fehlgeschlagene Luftinvasionen hinter sich. Danach sind wir seit Monaten nicht mehr aus der Luft angegriffen worden.« Als das Schiff die Landeplattform ansteuerte, konnte Zarkov die ersten Bürger des Waldkönigreiches sehen. Sie trugen alle Kleidung in den Farben es Waldes. »Sie sehen alle jung aus«, stellte er fest. »Es könnte das gesunde Leben in Arboria sein«, lachte Anmar, »aber ich muß zugeben, daß es in erster Linie junge Leute sind, die Ming den Rücken kehren und sich uns anschließen. Wenn jemand älter ist, muß er zuviel zurücklassen, wenn er sich den Rebellen anschließt. Deshalb rühren sich die älteren Bürger nicht, egal wie grausam Ming das Reich regiert.« »Und enden dann irgendwann als hilflose Opfer, die am Galgen ihres Marktplatzes baumeln«, ergänzte Zarkov. »Wissen Sie, Anmar, ich habe mich immer frei gefühlt, das Universum 98
zu durchstreifen. Man sollte nie mehr besitzen, als man mit sich herumtragen kann, wenn es sich einrichten läßt. Auch wenn diese Bemerkung nicht direkt von Dr. Zarkov stammt, ist es eine gute und wichtige.« Ein kaum wahrnehmbarer Ruck zeigte ihnen an, daß sie aufgesetzt hatten. Die runde Landeplattform saß in einem Kreuz der gigantischen Äste. Das Landefeld war von blasser Goldfarbe. Neben der herangerollten Ausstiegsrampe stand ein mittelgroßer, junge Mann in einem dunkelgrünen Umhang. Der junge Mann begrüßte Zarkov, als der Wissenschaftler die goldfarbene Rampe herunterstieg. »Dr. Zarkov«, sagte er, »erlauben Sie mir, Sie herzlich in Arboria willkommen zu heißen. Ich hoffe Ihr Aufenthalt hier wird Ihnen einen besseren Eindruck von Mongo und seinen Menschen vermitteln, als was Ihnen bisher auf unserer Welt widerfahren ist. Mein Name ist Marco.« Zarkov warf einen Blick in die Runde und erwiderte: »Solange ich ein Gefangener bin, ziehe ich natürlich einen angenehmen Ort als Gefängnis vor. Aber an den Tatsachen ändert das allerdings auch nichts.« Marco deutete eine Verbeugung an. »Erlauben Sie, Ihnen das aufrichte Bedauern von Prinz Barin zu übermitteln, daß wir Sie auf so zweifelhafte Art zu uns einladen mußten, Doktor. Leider zwingen uns die Probleme, denen wir gegenüberstehen, schon einmal dazu, drastische Mittel zu wählen.« »Sparen Sie sich große Erklärungen«, dröhnte Zarkov. »Wenn Sie der Absicht sind, daß der Zweck die Mittel heiligt, unterscheiden Sie sich nicht wesentlich von Ming und seinen Methoden. Ich lebe schon eine Weile länger als Sie und habe einige Welten mehr kennengelernt. Ich kann Ihnen versichern, einen guten Alleinherrscher gibt es nicht, egal was er auch verspricht.« Marco blickte Zarkov offen in die Augen und räusperte sich. »Prinz Barin ist in einer entfernten Gegend des Königreiches 99
auf der Jagd. Er wird erst in einigen Tagen zurück sein. Ich stehe mit ihm in Verbindung, und er bat mich, Ihnen seine besten Wünsche zu übermitteln, Dr. Zarkov.« »Was ist eigentlich Ihre genaue Funktion hier, Marco?« »Ich bin, was man auf Ihrer Welt einen… Anmar, was ist der entsprechende Begriff?« »Ein Public-Relations-Mann«, erläuterte Anmar. »Ah, das erklärt alles«, grollte Zarkov. »Nun«, fuhr Marco mit leicht verzogenem Gesicht fort, »wird Dr. Anmar Ihnen den Weg zu Ihrem Quartier zeigen, das direkt beim Laborkomplex liegt.« »Ich würde gerne zuerst die Labors sehen«, sagte Zarkov zu Anmar. »Sehr gut. Folgen Sie mir bitte.« Sie ließen Marco und die anderen Magier beim Flugschiff zurück, und Anmar führte Zarkov zu einem gewaltigen Stamm am Rand des Landefeldes. Vor ihnen öffnete sich eine Aufzugstür, und sie fuhren in die nächste Ebene hinab. Nach einer Reihe von Rampen, einer geschwungenen Brücke, die von einem Baum zum anderen führte, und golden schimmernden Treppen erreichten sie einen weiteren Aufzug. Er brachte sie in einen langen Tunnel mit kunstvoll geschnittenen, grünen Wänden. Am Ende des Tunnels erwartete sie eine Tür, die geöffnet wurde, als Anmar und Zarkov noch fünf Schritte von ihr entfernt waren. »Guten Tag, Tag, Tag«, ertönte eine blecherne Stimme. Zarkov starrte auf das Ding, das die Tür geöffnet hatte, hinter der eine weitläufige Laboranlage lag. »He, das ist ja ein Robot!« Der Maschinenmensch war 1,50 Meter hoch und von matter Kupferfarbe. Sein Kopf erinnerte an die Karikatur eines menschlichen Kopfes. Mit einer Verbeugung sagte er: »Guten Tag, Tag, Tag. Stehe zu Diensten, Diensten.« 100
»Ich muß gestehen«, meinte Anmar, »daß ich bisher noch nicht alle Ticks dieses Maschinenmenschen ausmerzen konnte.« »Ticks, Ticks Ticks«, echote der Robot. »Wenn ich Ihre Waffe erst in Ordnung gebracht habe«, versprach Zarkov, »werde ich auch einen Blick auf Ihren Robot werfen.« »Gut, gut, gut«, kommentierte der Robot.
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XIX Überall wehten Fahnen und Wimpel in der klaren Morgenluft. Die ganze Stadt war geschmückt. Menschenmassen schoben sich durch die Straßen und Gassen zur Arena. Zwei junge Polizisten der Kaiserlichen Polizei drängten sich gegen den Menschenstrom durch die Straßen. Ihre Stiefel glänzten, ihre scharlachroten Umhänge wehten im Morgenwind. Passanten zur Seite stoßend, betraten sie ein großes Kaffeehaus. Der Besitzer stand in der Tür zur Küche. Es gab dreißig kleine, weiße Tische im Gastraum, aber es waren nur vier Gäste zu sehen. »Ja, Gentlemen?« fragte der Eigentümer die Eintretenden. »Nur ein Routine-Besuch, Großväterchen«, sagte einer der Polizisten. »Du weißt ja, heute ist Turnier-Tag.« »Aye, das ist bekannt. Deshalb habe ich heute auch so wenig zu tun«, antwortete der alte Mann. »Und letzte Woche konnte ich weder Fleisch noch frische –« »Am Turnier-Tag«, sagte der andere Polizist und rieb seine dicken Finger über die goldenen Verzierungen seiner Brustplatte, »wünscht der Kaiser, daß jeder am Vergnügen teilhat.« »Mein Vergnügen ist harte Arbeit. Hier gibt es viel zu tun für mich.« Einer der Gäste sprang auf und machte, daß er zur Tür hinauskam. »Ich zahle morgen, Egun«, rief er noch. »Jetzt muß ich mich beeilen, in die Arena zu kommen.« Dann verschwand er durch die Tür. »Eine gute Idee«, stimmte ihm der erste Polizist zu. »Ihr anderen solltet seinem Beispiel folgen. Beeilt euch!« »Und du, Großväterchen«, meinte sein Kollege, »machst dich jetzt besser auch auf die Beine, damit du noch einen guten Platz bekommst.« »Ich habe schon viele Spiele gesehen« erklärte ihm der alte 102
Mann, »unter Königen und Prinzen und Kaisern.« Der zweite Polizeioffizier trat auf den Alten zu und schlug ihm hart ins Gesicht. »Verstehst wohl nicht, Alter? Der Kaiser wünscht, alle Bürger im Stadion zu sehen, damit alle miterleben können, was mit Rebellen und Verrätern im Neuen Reich geschieht.« Der alte Mann knüpfte langsam seinen Servierumhang auf und ließ ihn auf den Boden fallen. »Ich gehe sofort«, flüsterte er. Draußen wurden aufgeregte Stimmen laut. Sechs kräftige, weiße Zugtiere rollten einen metallenen Käfigwagen in Richtung der Arena am Kaffeehaus vorbei. »Schaut euch das an!« rief eine dicke Frau in einem zerschlissenen Arbeitskittel. »So was habe ich noch nie gesehen!« »Gegen die hat kein Mensch eine Chance!« »Geht nicht so nah ran!« In dem starken Käfig liefen zwei große Tigerkatzen gereizt auf und ab. Sie brüllten und fauchten in die aufgeregte Menschenmenge. Mit ihren Pranken schlugen sie immer wieder gegen die Gitter. Die Tiere gehörten zu einer besonderen Art, die nur in einigen entlegenen Regionen des Waldkönigreiches lebte. Aus der Stirn jedes Tigers wuchs ein einzelnes weißes Horn, einen halben Meter lang und scharf wie ein Speer. Seit Ming an die Macht gekommen war, wurden diese Horntiger speziell für die Spiele in den Kaiserlichen Gärten gezüchtet. Von einer großen Menschenmenge begleitet, rollte der Wagen weiter in Richtung der großen Arena. Immer mehr Menschen strömten durch die steinernen Portale der Stadionanlage, aber vielen sah man an, daß sie sich nur widerstrebend bei den Kaiserlichen Spielen einfanden. *
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Mings knochige Hand streichelte über Dale’s nackten Arm. »Welche bessere Gelegenheit könnte es geben, mein Volk kennenzulernen, als ein Ereignis wie dieses, meine Liebe.« »Ich würde gerne darauf verzichten.« Dale war jetzt in ein langes, ärmelloses Kleid nach der derzeitigen Mode des Palastes gekleidet. »Außerdem würde ich vorziehen, weiter meine eigene Kleidung zu tragen.« Ming hob die Augenbrauen. »Ich dachte, Ihr hättet Euch dieses schöne Stück selbst ausgesucht, um uns eine Freude zu machen.« »Heute morgen erschienen zwei kräftige Frauen bei mir, packten mich und kleideten mich neu ein«, erwiderte Dale. »Von Aussuchen kann gar keine Rede sein.« »Ich muß mich wieder einmal bei Euch entschuldigen, meine Liebe. Wie Ihr seht, wird die Diensteifrigkeit meiner Untergebenen oft zur Last. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was es der Dienerschaft bedeutet, auch meinen unausgesprochenen Wünschen nachzukommen. Nun kommt, meine Beste, wir müssen uns auf die kaiserliche Tribüne begeben.« »Ich will nicht gehen.« »Ihr müßt. Ich bestehe wirklich darauf.« Er führte sie am Arm zu der mit einem Vorhang verhangenen Tür des Raumes. »Ich verspreche Euch, daß Ihr ein ungewöhnliches Schauspiel erleben werdet.« Resignierend ließ sich Dale durch eine Reihe von hohen Korridoren und einen unterirdischen Durchgang führen. Nach zehn Minuten gelangten sie in eine gläserne Loge, von der aus man die ganze Arena überblicken konnte. Mehrere Mitglieder von Mings innerstem Führungskreis, unter ihnen auch Erik, saßen bereits dort. Einen Augenblick nachdem Ming Dale zu dem Sitz an seiner Seite geleitet hatte, erschien der junge Haldor mit Prinzessin Aura. Ming zog seinen Umhang enger um seinen hageren Körper. »Ich freue mich sehr, daß du noch rechtzeitig für dieses wun104
derbare Schauspiel in die Hauptstadt zurückgekehrt bist«, begrüßte er seine Tochter. Das rothaarige Mädchen nahm hinter seinem Vater Platz. »Deine Polizei hat mich überredet zurückzukommen«, erwiderte sie, »und Haldor hat mich überredet hierher zu kommen.« Haldor lächelte die Prinzessin an. »Als verwöhntes Kind, Aura, liebst du es vorzugeben, Dinge nicht zu mögen, an denen teilzunehmen du besonders begierig bist.« Ming wandte sich ab und lehnte sich vor, bis seine Ellbogen auf dem Geländer der Loge lagen. Über seinen Bart streichend, musterte er die gefüllten Ränge der Arena. »Eine stattliche Masse Volk«, sagte er. »Alle Ränge scheinen bis auf den letzten Platz besetzt.« Er hob die rechte Hand und winkte. Überall aus dem ovalen Rund der Arena erschallten Fanfaren. Im Abstand von wenigen Metern stand ein Ring von rot uniformierten Fanfarenbläsern um die Kampfbahn. Ming lehnte sich zu Dale hinüber. »Ich habe eine sehr effektive Organisation für solche Angelegenheiten«, erklärte er. »Beachtet, wie perfekt alles an diesem Schauspiel arrangiert ist.« »Wie beginnt das Programm diesmal?« fragte Haldor. »Auf traditionelle Art«, antwortete der Kaiser, »mit dem Aufmarsch der Gefangenen.« Trompeten ertönten, deren Klang von den Fanfaren aufgenommen wurde. Unten am unteren Ende der Arena wurde ein eisernes Tor aufgeschwungen. Der erste Gefangene, ein in Fetzen gehüllter, magerer Alter, taumelte ans Licht und stürzte in den Sand der Arena. Eine hinter ihm erscheinende Wache trieb ihn mit einem Speer wieder in die Höhe. »Man hätte jemand mit einer besseren Kondition an die Spitze setzen müssen«, murmelte Haldor. Es waren fast fünfzig Männer, die unsicher aus der Dunkelheit des Kerkertores in das grelle Licht der Arena traten. Einige 105
wirkten gebeugt und verfallen. Andere schritten aufrecht vorwärts, stolz und ungebrochen. Ein Dutzend Wachen, mit Speeren und Stunnern bewaffnet, trieb die Gefangenen rund um die Kampfbahn zur Kaiserlichen Tribüne. Dale richtete sich plötzlich in ihrem Sitz auf und atmete tief durch. Sie hatte den blonden, jungen Mann fast am Ende der Reihe entdeckt. »Flash!« rief sie. Hinter ihr wiederholte Prinzessin Aura den Namen: »Flash!« Ming lachte.
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XX Flash blickte zur Kaiserlichen Tribüne hinauf. Das Sonnenlicht spiegelte sich in den dicken Glaswänden und gleißte schmerzhaft in Flashs Augen. Aber er erkannte Dale Arden sofort. Er hob den rechten Arm zum Gruß. »He, du Bastard!« warnte die Wache. »Hier gibt es kein Winken zu Kaiser Ming mehr. Vergiß deinen Rang und dein elendes Rebellenleben nicht!« Flash lächelte die Wache freundlich an und senkte seine Hand. In der Loge war Dale aufgesprungen und preßte die Handflächen gegen die Scheibe. Sie schien ihm etwas zurufen zu wollen, aber Flash konnte nichts verstehen. Ein anderes Mädchen erschien neben ihr. »Da ist ja unsere Prinzessin«, bemerkte Tun. »Die Jammergestalt neben den beiden ist Ming, der Gnadenlose, persönlich.« »Das dachte ich mir« erwiderte Flash. »Er scheint sich nicht schlecht zu amüsieren.« »Er hat schon immer Spaß daran gehabt, andere leiden zu sehen.« »Vorwärts, ihr Dreckskerle!« brüllte die Wache. »Zurück in die Katakomben mit euch. Ihr kommt schon noch früh genug wieder in die Arena.« Während sie zurück zum Eingangstor getrieben wurden, fragte Tun: »Kennst du auch das dunkelhaarige Mädchen in Mings Loge, Freund?« »Ja, sie ist Dale Arden, das Mädchen, wegen dem ich in die Hauptstadt gekommen bin.« »Du hast dich zurückgehalten«, meinte der Löwenmensch. »An deiner Stelle wäre ich wahrscheinlich auf die Tribüne losgestürmt.« »Das hätte ihr nicht viel genützt.« »Ich bezweifle, ob wir überhaupt noch etwas zu ihrer Rettung 107
unternehmen können.« »Soweit ich gesehen habe, hat die Loge zwei Eingänge«, sagte Flash. »Und die Mauern um die Arena sind nicht sehr hoch.« »Du bist mit mehr als großer Wahrscheinlichkeit ein toter Mann, bevor du das Innere der Loge erreichst«, entgegnete Tun. »Die Wachen auf beiden Seiten der Kaiserlichen Tribüne hast du ja wohl auch gesehen.« »Man könnte sie ablenken.« »Aye, man könnte.« Eine dünne, rauhe Stimme schallte aus den Lautsprechern rings um die Arena. »Wartet einen Augenblick, Gefangene!« »Halt, ihr Hundesöhne. Hört ihr nicht, was euer Kaiser befiehlt?« »Was für eine Teufelei ist ihm jetzt noch eingefallen?« murmelte Tun. »Prinzessin Aura, die von allen meinen Untertanen fast so geliebt wird wie von mir, hat mich gebeten, den Gefangenen eine besondere Gnade zu erweisen«, fuhr die Stimme des Kaisers fort. »Ihrer hohen Gesinnung ist es zu verdanken, daß ich den Gefangenen eine einzigartige Chance eröffne. Jeder Mann, der zwei Kämpfe in den heutigen Spielen siegreich beendet, gewinnt damit auch seine Freiheit.« Einige der Gefangenen jubelten bei diesen Worten. »Ein fauler Trick«, meinte einer. »Er hat sich etwas Neues einfallen lassen, um uns zu quälen.« »Was debattiert ihr hier«, lachte eine der Wachen. »Es gewinnt sowieso keiner von euch.« »Was hälst du davon, Tun?« fragte Flash seinen Gefährten. »Ming ist nicht zu trauen«, knurrte er. »Aber es ist nicht auszuschließen, daß Aura einigen Einfluß auf ihren Vater hat.« Flash nickte nachdenklich. *
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»Das kannst du nicht tun, Vater«, wiederholte Aura. Ihre Hände umklammerten die Lehnen ihres Stuhles. Der Kaiser beobachtete sie aus den Augenwinkeln. »Dein übertriebenes Interesse an Flash Gordon berührt mich unangenehm«, antwortete er. »Was soll Dale Arden denken, meine Liebe?« »Sie wissen, was ich denke«, schaltete sich Dale ein. »Sie sind ein hinterhältiger, grausamer –« »Grausam?« Der Kaiser blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf Dale. »Habe ich nicht jedem, der im Kampf siegreich ist, die Freiheit versprochen?« »Flash Gordon kam mit mir zusammen in einer friedlichen Mission nach Mongo. Und Sie behandeln ihn wie einen Ihrer Staatsfeinde!« »Ich versichere Euch, ich behandle ihn sehr rücksichtsvoll. Tatsächlich gehören diese Spiele zu meinen mildesten Methoden, mit Abweichlern und Aufrührern zu verfahren.« »Flash ist kein Aufrührer«, protestierte Aura verzweifelt. »Er und Tun haben mir das Leben gerettet. Ich habe dir die ganze Geschichte wieder und wieder erzählt.« »Ja, du hast sie mir oft genug erzählt, Aura. Und deshalb kann ich sie auch schon nicht mehr hören. Ich habe sie satt.« Er beugte sich vor und gab ein Signal mit seiner knochigen Hand. Fast die Hälfte der Zuschauer applaudierte begeistert, als ein Seitentor aufschwang, und zwei riesige Affenmenschen die Arena betraten. Einer hob seine zottige Pranke, um die Augen gegen die grelle Nachmittagssonne zu schützen. Als nächste wurden zwei Gefangene in die Kampfbahn gestoßen. Erwartungsvolles Schweigen senkte sich über das; Stadion. Nur das Knattern der vielen Fahnen und Wimpel im den warmen Windböen war zu hören. Ein Affenmensch knurrte und ging auf die beide Gefangenen zu. Es waren zwei kleine Männer in mittlerem Alter. Inzwischen begann der zweite Affenmensch die Gruppe 109
langsam zu umkreisen. Die Gefangenen rührten sich nicht von der Stelle. Mit einem wilden Schrei stürzte ein Affenmensch vor und packte einen der Männer, hob ihn hoch über seinen Gorillaschädel und schmetterte ihn gegen die steinerne Arenamauer. Dann riß er ihn wieder hoch, schmetterte ihn noch einmal gegen die Wand. Beifall wurde laut. Der Affenmensch bückte sich jetzt über sein reglos am Boden liegendes Opfer. Mit gebleckten Zähnen biß er nach dem Hals des Mannes. Dale wandte sich ab. »Du wirst sehen, daß der Augenblick des Tötens der faszinierendste Teil der Darbietung ist, meine Liebe.« Ming faßte mit seinen harten, spitzen Fingern nach ihren Wangen und zwang sie wieder in Richtung des Kampfes zu blicken. »Da haben wir schon einen, der heute seine Freiheit nicht mehr gewinnt«, bemerkte Haldor. Einen Moment später tötete der zweite Affenmensch den zweiten Gefangenen.
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XXI »Sie heben sich uns bis zum Schluß auf, scheint mir«, meinte Tun. Er saß auf einer niedrigen Holzbank, den breiten Rücken gegen die gemauerte Wand des Ganges gelehnt. Es waren nur noch etwa zehn Gefangene übrig. Flash stand am eisernen Gitter des Arenatores und beobachtete die Kämpfe. »Bis jetzt hat keiner überlebt«, stellte er fest. »Das ist alles so sinnlos. Sinnloser Mord.« »Aye. Aber du kannst die Menschen auf den Rängen schreien und klatschen hören«, erwiderte der Löwenmensch. »Das klingt mir, als ob sie einen Sinn in diesem Schauspiel sehen.« »Du hast mir selbst erzählt, die meisten wären wahrscheinlich nicht freiwillig hierher gekommen. Ihr Beifall ist nicht echt. Sie geben nur vor, Gefallen daran zu finden, um keine Schwierigkeiten zu bekommen.« »Sie könnten ein Ende mit solchen widerwärtigen Schauspielen machen«, sagte Tun, »wenn sie den Mut dazu aufbrächten, Ming vom Thron zu jagen.« Er trat neben Flash an das Tor. »Da, schau sie dir an. Tausende von Menschen sitzen da und erlauben dem Kaiser, dieses Spektakel aufzuführen. Wenn sie wirklich Mut hätten –« »Genug von solchen Reden, Löwenmensch!« Ein Wachposten stieß Tun den Lanzenschaft in die Seite. Der Löwenmensch lachte und schob die Lanze mit dem kleinen Finger zur Seite. »Was willst du noch von mir, Schwachkopf? Ich bin doch längst zum Tod in der Arena verurteilt.« Bevor der Wächter antworten konnte, erschien sein Vorgesetzter. »Ja, Sir?« »Schick den Blonden und den Löwenbastard rein.« »Du hast zu nahe beim letzten Wettkampf gestanden«, machte ihn Tun aufmerksam. »Deine Uniform ist blutig.« Der große, bärtige Wächter blickte verwirrt und begann an seinem Umhang zu reiben. »Wo? Wo?« 111
Der andere Wächter öffnete das Gitter. »In die Arena mit euch beiden«, befahl er. »Seht zu, daß ihr dem Publikum mehr bieten könnt, als eure Vorgänger.« »Wir werden euch schon vorführen, wie man kämpft«, versprach Tun. Er reckte die Schultern und schritt mit erhobenem Kopf in die Arena. Flash folgte. Die Leichen der letzten drei »Wettkämpfer« waren noch nicht abgeräumt worden. Sie lagen im Sand ausgestreckt, mit Wolken von Fliegen bedeckt. Am klaren Himmel über dem Stadion kreisten bereits Aasvögel. »Ich weiß, was ich diesen hirnlosen Muskelpaketen zu bieten habe«, knurrte Tun. »Und du hast ja auch schon bewiesen, daß du auf dich aufpassen kannst.« Nach einem Blick zur Kaiserlichen Tribüne wandte Flash seine Aufmerksamkeit dem Tor zu, durch das die Affenmenschen kommen mußten. »Ich frage mich noch immer, ob Ming wohl zu seinem Wort steht.« »Vergiß nicht, er sprach von zwei Siegen. Nach unserem Triumph über diese Kerle, haben wir also noch andere Gegner zu erwarten.« »Da sind sie ja.« Zwei frische Affenmenschen waren in der Arena erschienen. Das Paar bewegte sich sehr langsam, Schritt für Schritt, auf Flash und den Löwenmenschen zu. »Bei den sieben blauen Augen des Donnergottes«, rief Tun. »Dieses lange Herumstehen ist nicht nach meinem Geschmack.« Er rannte direkt auf die zwei Affenmenschen los. »Paßt auf, ihr Bastarde.« Überrascht zog sich einer der Affenmenschen einen Schritt zurück. Der andere lief ohne zu zögern weiter und fletschte die Zähne. »Du bist also der Mutigste hier«, lachte der Löwenmensch. »Dann sollst du auch zuerst dran kommen!« Mit einem riesigen Satz tauchte er unter den erhobenen Fäusten seines Gegners 112
durch und landete einen Schlag in die Magengegend des behaarten Riesen. Bevor der Affenmensch begriff, was ihm geschah, erhielt er zwei, drei weitere Treffer. Flash hatte inzwischen den anderen Affenmenschen erreicht. »Ich will dir eine Chance geben«, rief er ihm zu. »Mach, daß du zurück in deinen Käfig kommst, sonst muß ich dich töten.« Er sprang Flash an. Aber Flash hatte sich schon zur Seite geworfen. Als der Affenmensch an ihm vorbei segelte, trat Flash blitzschnell mit seinem schweren Stiefel zu und verpaßte dem feisten Nacken des Affenmenschen einen Handkantenschlag. Der Affenmensch stürzte keuchend auf den Bauch. Flash umkreiste ihn. Mit einem Hebelgriff ließ er den Affenmenschen aufbrüllend durch den Arenasand rollen. »Ich hab’ meinen erledigt!« Tun ließ den Affenmenschen mit gebrochenem Genick zu Boden sinken. »Brauchst du Hilfe?« »Nein, danke«, grinste Flash. Der überlebende Affenmensch hatte sich schwankend erhoben, machte aber keine Anstalten näher zu kommen. Er warf einen Blick auf die Leiche seines Kameraden, dann wandte er sich ab und lief zurück zu dem Tor, aus dem er gekommen war. Die Menge im Stadion brüllte Beifall. Schließlich verebbte er. Endlich erklang eine harte Stimme aus den Lautsprechern. »Der Kaiser gratuliert den Siegern«, verkündete Haldor. »Er erinnert aber daran, daß ein Mann für den Preis seiner Freiheit zwei Kämpfe überleben muß.« »Aye, wir wissen Bescheid!« rief Tun. »Haltet keine großen Reden, sondern laßt uns weiter kämpfen.« Ein anderes Gitter in der Wand wurde hochgezogen.
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XXII Zwei riesige, gelbschwarze Horntiere stürzten in die Arena. Nach den ersten Sprüngen verharrten sie bewegungslos und preßten ihre muskulösen Körper gegen den Boden. Dann schlichen sie, die Körper flach am Boden, auf ihre Opfer zu, die Muskeln zum Sprung gespannt. Die Menge hielt den Atem an. »Hast du auf deinen Reisen schon etwas wie diese Tierchen kennengelernt?« fragte der Löwenmensch. »Eigentlich nicht. Die Hörner sehen nicht sehr anziehend aus.« »Aye, sie sind eine tödliche Waffe. Mit einem Hieb können diese Tiger einen Mann aufschlitzen.« Tun beobachtete die Tiere, während sein Schwanz begann, im gleichen Rhythmus den Boden zu peitschen wie die der Tiger. »Sie sind messerscharf, diese Hörner. Aber wir sollten trotzdem keine Schwierigkeiten haben, mit diesem Paar fertig zu werden.« Aus der dunklen Toröffnung tauchte ein dritter Horntiger auf. Die Menge begann leise und furchtsam zu flüstern. »Der Bursche an der Spitze steht kurz vor dem Sprung«, stellte Tun gelassen fest. »Den nehme ich.« Der Löwenmensch warf sich dem Tiger entgegen. Der Schwanz des Tieres richtete sich steil auf, seine Flanken zitterten. Dann sprang es. Tun war auf dem Rücken gelandet. Als der Tiger jetzt über ihn schoß, trat der Löwenmensch mit beiden Füßen zu und schleuderte das Tier zur Seite. Der Tritt hatte die Bestie an einer empfindlichen Stelle getroffen. Sie krümmte sich jaulend im Sand. Tun war sofort über ihr. Sein starker Arm legte sich um den Hals des Tigers, die andere Hand faßte nach dem Horn. Er begann mit zusammengebissenen Zähnen daran zu zerren. Ein splitterndes Geräusch war zu hören, dann hielt der Löwen114
mensch das abgebrochene Horn in der Faust. »Das war es, was mir noch fehlte«, rief er. Ohne den Griff um den Hals des Tigers zu lockern, wälzte er sich mit der Bestie zur Seite, holte weit aus und stieß das Horn in das Herz des Tieres. Die riesige Katze war sofort tot. Der zweite Tiger hatte die Kämpfenden knurrend umkreist und stürzte sich jetzt ohne Warnung auf Flash. Seine Klauen schlugen nach Flashs Gesicht und seiner Brust. Flash stemmte sich gegen das aufgerichtete Tier, das nur noch auf den Hinterläufen stand. Er schmetterte ihm die Faust zwischen die Augen. Ein zweiter, noch kräftigerer Schlag folgte. Das Tier heulte auf und riß Flash zu Boden. Der Raumfahrer wollte sich zur Seite rollen, aber der schwere Körper der Bestie preßte ihn in den Sand. Er hörte ein Fauchen neben sich. Der dritte Tiger war heran und schlug mit seiner Tatze nach Flashs Füßen. Scharfe Krallen blitzten vor Flashs Augen. Getreu Tuns Beispiel griff Flash nach dem Horn der halb betäubten Bestie über ihm. Seine starke Faust begann daran zu biegen und zu zerren. Blut lief von seiner zerschnittenen Handfläche. Der andere Tiger schlug nach dem Arm. Flash bog das Horn mit äußerster Kraft. Dann brach es aus der Schädeldecke. Der andere Tiger hatte inzwischen die Haut von Flashs Arm zerfetzt. Die scharfen Klauen färbten sich rot von Blut. Die Bestie begann zufrieden zu schnurren. Das Schnurren ging schnell in ein drohendes Fauchen über. Flash stach mit der neuen Waffe nach dem Hals des Tieres neben ihm. Er riß die improvisierte Waffe zurück und stieß wieder zu. Der zweite Hieb drang dem Tiger durch das kleine Auge direkt ins Hirn. Das Tier krümmte sich im Todeskampf und fiel verendend 115
zur Seite. Der Tiger über Flash rührte sich nicht mehr. Die Ellbogen zu Hilfe nehmend, versuchte Flash sich unter ihm vor zu arbeiten. »Spar dir die Mühe!« Tun war jetzt heran und packte den Horntiger von hinten beim Schwanz. Er zerrte das letzte überlebende Tier von Flash herunter und schwang es am Schwanz durch die Luft. Wie ein Hammerwerfer ließ er den mächtigen Tierkörper um seinen Kopf kreisen. Dann löste er den Griff. Das Tier flog über den Sand und zerschmetterte sich den Schädel an der Arenamauer. Flash griff dankbar nach Tuns ausgestreckter Hand und ließ sich auf die Beine helfen. »Du hast dich jetzt mehr als einmal bei mir revanchiert«, bedankte er sich. »Ich bin ein sehr ungeduldiger Mann wie alle Löwenmenschen«, sagte Tun. »Ich muß zugeben, diese Arenakämpfe gefallen mir wesentlich besser als das Herumsitzen in dunklen Kerkerkellern.« Die Hände in die Hüften gestemmt und den Kopf stolz zurückgeworfen, starrte der Löwenmensch in die Runde. Das Tor zu den Tigerkäfigen war geschlossen worden. »Wenn sie uns keine weiteren Horntiger schicken, würde ich sagen, wir haben gewonnen. Komm, holen wir uns unseren Preis bei Ming ab.« Er nahm seinen Freund beim Arm, und sie gingen durch die Arena zur Loge des Kaisers. Die Zuschauermenge erhob sich von den Steinbänken und jubelte ihnen mit zum Gruß erhobenen Händen zu. »Sie sind frei.« »Frei, wie der Kaiser versprochen hat!« Unmittelbar vor der Kaiserlichen Tribüne erhob sich eine steinerne Plattform. Flash sprang hinauf und grinste den Herrscher an. »Ich bin Flash Gordon«, rief er, »ich komme vom Planeten Erde.« »Und ich bin Tun, der Löwenmensch!« Tun war neben Flash getreten. 116
»Wir haben zwei Kämpfe gewonnen und fordern unsere versprochene Freiheit«, rief Flash zu der gläsernen Loge fünf Meter über ihm hinauf. Mings Atem beschlug das Glas, als er sich vorbeugte, um auf die beiden Sieger herunterzuschauen. Ein kaum merkliches Lächeln verzog seine schmalen Lippen. »Hier ist, was du für deinen Freund und dich gewonnen hast, Flash Gordon!« Die steinerne Plattform klappte wie eine riesige Falltür nach unten. Flash und der Löwenmensch stürzten sich überschlagend in die Dunkelheit. * Der Roboter stürzte wiederum scheppernd zu Boden. Dr. Zarkov blickte vor den Diagrammen und Berechnungen auf dem Arbeitstisch vor ihm auf. »Mach nur weiter so«, warnte er, »dann überhole ich dich noch heute.« »Verzeihung, -zeihung«, antwortete der kupferfarbene, mechanisierte Mensch. »Ich wollte Ihnen eine Erfrischung bringen, bringen.« Mit der einen Hand seine Augen reibend und mit der anderen an seinem Bart zupfend, blinzelte Zarkov in Richtung des Laborfensters. Ohne das er es bemerkt hatte, war es bereits Nacht geworden. »Ich könnte etwas zu Essen vertragen. Bring es her!« »Kann nicht, nicht«, entschuldigte sich der Roboter. »Unglücklicherweise habe ich das Tablett verloren, als ich fiel, fiel, fiel.« »Macht nichts«, dröhnte Zarkov. »Stell dich in die hinterste Ecke des Labors und rühr dich nicht. Ich will endlich mit dieser Waffengeschichte fertig werden.« Er wandte sich wieder den über das Pult verstreuten Berechnungen zu. Bevor der Roboter den zugewiesenen Platz erreicht hatte, er117
tönt bereits wieder seine blecherne Stimme: »Hallo, hallo. Guten Abend, Abend.« Zarkov erhob sich verärgert, sah dann aber, daß die Worte Anmar galten, der gerade den Raum betreten hatte. »Sind Sie bitte ein paar Minuten still und halten mir das Blechmonstrum vom Leib«, begrüßte der irdische Wissenschaftler seinen Kollegen von Mongo. Drei Minuten später setzte Zarkov sich an seinen Schreibtisch zurück und verschränkte die Hände hinter seinem Nakken. »Da ist sie, Anmar, alles auf diesem Blatt ausgearbeitet. Ein paar einfache Änderungen, und aus eurer Blasterkanone ist eine völlig neue Waffe geworden.« Anmar studierte Zarkovs Skizzen und Formeln. »Warum bin ich nicht auf diese Lösung gekommen«, murmelte er schließlich begeistert. »Meine Bewunderung für ihr Genie ist jetzt noch gewachsen.« »Das kann sie auch ruhig.« Anmar fuhr sich mit einer Hand über die Wange. »Entschuldigen Sie, Zarkov. Über meine Begeisterung hätte ich beinahe vergessen, daß ich wichtige Neuigkeiten für Sie habe.« »Neuigkeiten?« Der Wissenschaftler zog die Augenbrauen hoch. »Irgend etwas über Flash Gordon oder Dale?« »Aye«, bejahte Anmar zögernd. »Sagen Sie mir, was es ist. Ich werde nicht ohnmächtig werden oder in Tränen ausbrechen.« »Ihre Freunde leben beide noch, aber sie sind Gefangene von Ming dem Gnadenlosen. Diese Information hat uns heute über telepathische Verbindungsmänner aus der Hauptstadt erreicht.« »Und dort sind Flash und Dale jetzt? In der Hauptstadt von Mings Reich?« »Heute nachmittag waren sie mit Sicherheit dort. Es scheint, daß Ming Spiele abgehalten hat – Kampfspiele in der Arena.« »Ihr meint eine Art Sportveranstaltung?« »Nein. Als Sport würde das wohl nur ein Mann wie dieser 118
Ming zu bezeichnen wagen. In diesen Kampfspielen läßt Ming politische Gegner wilden Tieren vorwerfen.« Zarkov ballte die Rechte zur Faust. »Und dort sind Flash und Dale gesehen worden, in der Arena?« »Nur Flash Gordon. Dale Arden hat auch an den Spielen teilgenommen, aber an der Seite des Kaisers in seiner Loge. Wenn sie eine attraktive junge Frau ist, wird Ming sie kaum hinrichten lassen. Mit hübschen Mädchen hat er in der Regel etwas anderes vor.« »Ich verstehe«, erwiderte Zarkov mit gesenkter Stimme. »Flash Gordon kämpfte in der Arena mit Affenmenschen und danach mit Horntigern«, erzählte Anmar weiter. »Er scheint alle Kämpfe überstanden zu haben.« »Das ist Flash! Das sieht ihm ähnlich!« »Wo er sich zur Zeit tatsächlich aufhält, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Unser Informant nimmt an, daß er wieder in Mings Kerker gebracht wurde. Auf jeden Fall, Zarkov, ist sicher, daß die beiden noch leben.« Zarkov legte dem Magier die Hand auf die Schulter. »Anmar«, sagte er überraschend leise, »ich werde euch diese Kanone wie versprochen zusammenbauen. Danach werde ich einige neue Waffen für meinen eigenen Bedarf konstruieren. Und dann fliege ich zu Mings Hauptstadt und hole Flash und Dale da heraus. Sie und Prinz Barin und jeder verdammte Bürger von Arboria sollte dann nicht versuchen, mich zurückzuhalten.« »Wir werden sie nicht festhalten«, versprach Anmar.
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XXIII Flash erwachte. Um ihn war schwärzeste Finsternis. Er erinnerte sich daran, aus beachtlicher Höhe auf steinigen Boden gestürzt zu sein. Danach hatte er die Besinnung verloren. »Tun?« rief er mit trockener Stimme. »Tun, bist du hier?« Es kam keine Antwort. Flash lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Nach einiger Zeit hatte er den Eindruck, irgendwo in der Nähe schwache Atemzüge zu hören. Er kroch auf Händen und Knien in Richtung dieser Geräusche. »Tun?« Der Löwenmensch lag auf dem Rücken ausgestreckt und stöhnte jetzt leise. Ihn leicht anstoßend, fragte Flash: »Bist du verletzt?« »Beim einzigen Barthaar des Wassergottes!« knurrte Tun benommen. »Das war ein Sturz, was?« »Bestimmt gut zehn Meter tief.« »Rein gefühlsmäßig kommt es mir vor, als ob ich mir nichts Wesentliches gebrochen habe.« Tun setzte sich ächzend auf. »Und wie geht es dir, Freund?« »Ein paar Beulen und Schrammen, mehr nicht.« »Jetzt hast du selbst erleben können, wie Ming der Gnadenlose seine Versprechen hält«, sagte Tun. »Und Tausende von Feiglingen auf den Rängen des Stadions haben es auch gesehen. Jetzt sollten sie eigentlich bereit sein, etwas gegen diesen Verbrecher zu unternehmen, aber darauf können wir uns nicht verlassen.« »Sieht aus, als befänden wir uns wieder in den Kaiserlichen Kerkern.« »Aye. Und wahrscheinlich werden wir die Sonne zum letztenmal gesehen haben.« Flashs Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Er drehte langsam den Kopf und starrte angestrengt in alle Richtungen. »Mir scheint, dort drüben sehe ich einen 120
schwachen Lichtschimmer.« »Wo? Oh, ja, jetzt sehe ich auch etwas.« »Ich geh’ und seh’ mir das aus der Nähe an.« Flash erhob sich und tastete mit den Fingern nach der Wand des Raumes. Nach einigen Versuchen berührten seine Hände kalte, feuchte Steine. Vorsichtig arbeitete er sich an der Wand entlang zu dem kaum wahrnehmbaren Lichtschein vor. »Hier ist eine Tür. Scheint aus Holz zu sein. Das Licht fällt durch einen Spalt unter der Tür.« »Kannst du etwas durch den Spalt ausmachen?« Flash kniete und legte den Kopf auf den Steinboden. »Einen steinernen Fußboden von Fackeln erleuchtet.« Tun hatte sich neben den Freund gelegt. »Aye, wir sind wieder in Mings Kerker. Ich nehme den Geruch von Gefangenen war. Einige sind schon eine ganze Weile hier, und einer ist schon mehrere Tage tot.« »Was besagen könnte, daß man uns hier nicht viel Aufmerksamkeit widmet.« »Aye. Vielleicht will Ming uns hier einfach verschmachten lassen«, meinte Tun. »Ich kann mir da allerdings schönere Todesarten vorstellen. Ich… au!« »Was hast du?« »Ich habe vergessen, daß ich noch dieses Tigerhorn im Gürtel trage. Gerade hab’ ich mich daran geschnitten.« »Warte«, rief Flash. »Ich muß meins noch in der Hand gehalten haben, als wir in dieses Loch gestürzt sind.« Gebückt begann er den Boden abzutasten. »Da ist es ja!« »Also haben wir jetzt zwei Waffen, aber niemanden, gegen den wir sie einsetzen können.« »Wir können es mit der Tür versuchen«, schlug Flash vor. »Die Chance steht nicht schlecht, daß wir uns mit diesen Hornmessern hindurcharbeiten können. Versuchen wir es.« Sie machten sich sofort an die Arbeit. Eine Stunde später knarrte die Tür und wurde plötzlich von 121
außen aufgerissen. »Rührt euch nicht«, befahl ein Polizeioffizier, der auf der Schwelle erschien. Drei andere Uniformierte standen hinter ihm. »Ihr armen Narren, habt ihr wirklich geglaubt, wir würden eure Zelle nicht über Kameras beobachten lassen? Euer Ausbruchversuch war richtig rührend, deshalb wollten wir euch nicht gleich den Spaß verderben. Jetzt gebt mir eure Waffen!« »Die mußt du dir schon holen kommen«, knurrte der Löwenmensch und wich mit aufgerichtetem Schwanz zurück. Der Offizier nickte einem seiner Männer zu. Ein Stunner summte. Der Löwenmensch erstarrte, wo er gerade stand. »Das kannst du auch sofort haben«, sagte der Kerkermeister zu Flash, »also gib mir deine Waffe und sammle auch die von deinem Kameraden ein.« Flash gehorchte. Er wand Tun das Horn aus den steifen Fingern und händigte es zusammen mit dem eigenen den Wachen aus. »Bei dieser Gelegenheit möchte ich euch noch auf etwas hinweisen«, bemerkte der Offizier zum Abschluß. »Selbst wenn ihr euch durch die Tür gearbeitet hättet, draußen hättet ihr den ersten Schritt in den Gang nicht überlebt. Auf jede Tür sind automatisch auszulösende Blaster gerichtet. Sie reagieren auf jede unauthorisierte Bewegung.« Er lächelte kalt. »Bitte seid in Zukunft vorsichtiger. Wir möchten nicht, daß ihr schon jetzt sterbt.« »Warum diese Sorge?« »Ming hat noch viel mit euch vor.«
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XXIV Tun stöhnte wieder. Seine linke Hand zuckte unkontrolliert, sein linker Arm sank zitternd herunter. Langsam verlor auch der aufgerichtete Löwenschwanz seine Starre. Flash konnte in der Dunkelheit inzwischen genug sehen, um diese Anzeichen für das Ende der Schockwirkung des Stunnerschusses an Tun zu bemerken. Der Stunnerschuß hatte den Löwenmensch für mehrere Stunden betäubt. Flash besaß keine Möglichkeit, die Zeit genau zu messen, aber sein ausgeprägtes Zeitgefühl sagte ihm, daß sie schon mindestens zehn Stunden in ihrem neuen Kerker verbracht haben mußten. »Tun, wie geht es dir?« »Ich bin wütend, Freund, sehr wütend«, antwortete der Löwenmensch mit rauher Stimme. »Erleben zu müssen, wie diese Folterknechte mit mir umgesprungen sind, ohne einen von ihnen in die Hände zu bekommen!« Flash massierte dem großen Löwenmann die Arme und Handgelenke. »Fühlst du schon wieder etwas?« »Es beginnt überall zu jucken, aber ich habe meine Muskeln wieder unter Kontrolle. Haben sie uns inzwischen etwas zu essen gebracht? Wenige Augenblicke nach dem Schuß konnte ich auch nichts mehr hören und sehen.« »Sie müssen dich voll erwischt haben. Nein, zu essen ist nichts hereingereicht worden.« »Also hat Ming tatsächlich vor, uns verhungern zu lassen.« »Dieser Polizeioffizier machte eine Andeutung, daß Ming noch etwas viel Schmerzhafteres mit uns vorhaben könnte.« Der Löwenmensch ging in die Knie, um seine verkrampften Gelenke zu lockern. »Weißt du, Flash, ich kann verstehen, warum Ming mich haßt. Die Löwenmenschen lieben ihn schließlich auch nicht. Aber du bist doch nur zu einem freundschaftlichen Besuch nach Mongo gekommen. Er kennt dich 123
doch eigentlich gar nicht. Warum will er dich unbedingt beseitigen?« »Es muß etwas mit Dale zu tun haben.« »Oh, daran hätte ich denken sollen. Ming scheint ein Auge auf das Mädchen geworfen zu haben. Er nimmt wohl an, seine Chancen bei ihr steigen, wenn du erst richtig erledigt bist.« »Ich fürchte, du hast recht.« »Da kommt jemand«, flüsterte Tun. Die Schritte waren sehr leise und auf dem Steinboden nur für die feinen Ohren eines Löwenmenschen zu hören. Vor der Zellentür verharrten sie. Ein Schlüssel wurde leise in das Schloß geschoben, ein Riegel klickte, und der Beizen wurde zurückgezogen. Die Tür wurde leise geöffnet. Vor ihnen stand Prinzessin Aura, in einen langen, schwarzen Kapuzenmantel gehüllt, der auch ihr kastanienrotes Haar verbarg. »Schnell, folgt mir. Ich habe ein Flugschiff bereitstehen«, flüsterte sie, »und ich habe dafür gesorgt, daß die Überwachungskameras in diesem Sektor für einige Minuten nicht arbeiten. Kommt, wir müssen uns beeilen!« »Können wir dir noch trauen?« fragte Tun. »Ja, ihr müßt. Nur beeilt euch bitte!« Flash ergriff sie am Arm. »Ich kann die Hauptstadt nicht ohne Dale Arden verlassen.« »Wenn du hier bleibst, stirbst du auf einer Folterbank oder in den Klauen irgendeiner Bestie. Oh, Flash, du mußt mit mir kommen.« »Weißt du, wo Dale sich aufhält?« »Ja. Sie ist im Nordturm, in den Frauengemächern«, antwortete Aura zögernd. »Sag’ mir, wie ich dorthin komme, ohne daß jemand etwas bemerkt, oder jedenfalls möglichst wenige.« »Du kommst niemals lebend dorthin und wieder zurück. Komm jetzt mit mir, bitte Flash!« 124
Flash schüttelte den Kopf. »Sag mir den Weg!« »Also gut. Ich sag dir, was du tun mußt.« So schnell und genau wie möglich beschrieb sie ihm den Weg von den Kerkern bis zum Nordturm des Palastes, wobei sie auch die Umgebung der verschiedenen Sicherheitsanlagen erklärte, soweit sie ihr bekannt waren. »Aber vor dem Zimmer von Dale hat mein Vater zwei Sonderwachen postieren lassen«, schloß sie. »Tun, du gehst mit Aura zum Luftschiff.« »Nein, ich komme mit dir, Flash!« »Du hast genug für mich riskiert«, widersprach Flash entschieden, »du gehst mit Aura. Wenn ich Dale hier rausgeholt habe, stoßen wir zu euch. Aura, wo ist das Schiff versteckt?« »Außerhalb der Stadt am Fluß.« Sie gab ihm rasch die genaue Positionsbeschreibung. »Dann viel Glück, Freund«, verabschiedete sich Tun. »Wir warten auf dich.« »Wartet nicht länger als eine Stunde.« Flash trat in den Korridor und lief auf die nächste Abzweigung zu. Entsprechend Auras Anweisung bog er nach rechts ab. Nach genau zehn Schritten blieb er stehen und zog an dem eisernen Fackelhalter, der hier in die Wand eingelassen war. Leise öffnete sich ein schmaler Durchlaß in der Steinmauer. Durch den Geheimgang erreichte er in zehn Minuten den kaiserlichen Palast. Hier ging der Gang in die Mauern des Palastes über. Die rauhen Steinmauern wurden von gekalkten Wänden abgelöst. Die Luft wurde heiß und trocken. Niemand begegnete Flash. Endlich gelangte er an den von Aura beschriebenen Punkt, der sich bereits im Nordturm befinden mußte. Er entdeckte die angekündigte Steinblume an der Wand und drehte sie nach rechts. Ein schmaler Spalt klaffte plötzlich neben ihm in der Wand. Schwere, seidene Vorhänge versperrten ihm die Sicht. Flash lachte einen Augenblick, bevor er nach dem Spalt im Vorhang griff und den Wandbehang wenige Zentimeter zur Seite schob. 125
Er sah die Tür von Dales Zimmer und zwei Männer, die rechts und links neben der Tür saßen. Der Mann auf der linken döste. Der andere Wächter hatte seinen Mantel eng um sich geschlungen, als sei ihm kalt. Er war wach. Flash hüstelte. Der Wächter nahm keine Notiz davon. Flash hustete laut. Der Mann richtete sich auf und blickte in die Runde. Erst ein weiteres Husten brachte ihn dazu, auf den Vorhang zuzugehen. Als er direkt davor stand, schoß ihm Flashs Faust aus dem Vorhangspalt gegen die Schläfe. Bevor der Bewußtlose auf den Boden stürzen konnte, hatte Flash ihn gepackt und hinter den Vorhang in den Geheimgang gezerrt. Mit sicheren, geübten Griffen fesselte und knebelte er den Mann, wozu er Streifen aus dem Mantel der Wache riß. Nachdem er sich Mantel und Schlüsselbund des Bewußtlosen ausgeliehen hatte, trat Flash hinaus auf den Gang vor Dales Zimmer. Der zweite Wächter schlief noch immer. Flash näherte sich leise der Tür. Er fand den richtigen Schlüssel beim zweiten Versuch, schloß auf und betrat das Gemach. Die Tür zog er hinter sich wieder zu. Das dunkelhaarige Mädchen stand an der offenen Balkontür und blickte hinauf zu den Sternen am Nachthimmel. Jetzt wandte es sich um. »Ihr braucht nicht zu versuchen… Flash!« Dale lief durch den großen, mit weißen Möbeln ausgestatteten Raum zu ihm. »Leider hat es länger gedauert dich zu finden, als ich geplant hatte.« »Oh, Flash.« Sie schmiegte sich an ihn und küßte ihn. Sanft löste er sich aus ihrer Umarmung. »Hat Ming auch Dr. Zarkov?« »Nein. Hast du ihn nach dem Absturz nicht an seiner Landestelle gefunden?« »Ich kam zu spät«, erwiderte Flash. »Ich vermute, daß er von jemand verschleppt worden ist. Es gab entsprechende Spuren. 126
Aber wenn es nicht Mings Leute waren, weiß ich nicht, von wem.« Dale gab ihm noch einen schnellen Kuß. »Okay. Ich bin fertig. Wir können uns später noch unterhalten. Schnell hier raus.« Sie hatten gerade einige Schritte auf die Tür zu gemacht, als sie geöffnet wurde. Ming trat in den Raum.
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XXV Die Straße wurde von schimmernden Lichtkugeln erleuchtet. Sie schwebten in vier Meter Höhe, blaßgrün, blaßgelb und blaßorange. Großblättrige Eichenbäume säumten die Straße und warfen bizarre Schatten auf das kunstvolle Steinmosaik des Pflasters. Ein kühler Wind hatte sich erhoben. Tun, in einen langen Mantel gekleidet, den Aura für ihn bereitgehalten hatte, schritt an der Seite der Prinzessin. »Bei den drei goldenen Hörnern der Schicksalsgöttin«, knurrte er, »ich wünschte, wir könnten schneller laufen.« »Wir sind hier in der Öffentlichkeit«, erinnerte Aura ihn. »Wir dürfen niemand auf uns aufmerksam machen. Wenn wir laufen, fallen wir nur auf.« »Aye, du hast natürlich recht.« Sie gingen durch eine Ladenstraße mit kleinen, niedrigen Läden, die sich zwischen die Bäume duckten. Alle Geschäfte waren geschlossen, und einige sahen aus, als ob sie schon wochenlang nichts mehr zu verkaufen gehabt hätten. »Du kennst Flash Gordon noch nicht sehr lange?« fragte Aura. »Nein, aber ich kenne ihn gut. Wir haben in kurzer Zeit sehr viel gemeinsam durchgestanden. Das verbindet.« »Ich nehme an«, sagte das Mädchen, »er liebt diese Dale Arden?« »Er ist weit gereist und hat hart gekämpft, um sie zu finden. Ich muß zugeben, das sieht nach einer großen Liebe aus.« »Hat er denn nie darüber gesprochen?« Sie gelangten an eine Kreuzung, und sie zog Tun nach rechts. Vor ihnen war jetzt der Fluß zu sehen. »Weißt du, Prinzessin, unter Männern, besonders unter Männern, die gemeinsam kämpfen müssen, wird über dieses Thema kaum gesprochen. Ich kann dir nicht sagen, warum das so ist, aber es ist so.« Die Uferpromenade am Fluß war noch ziemlich belebt. Viele 128
Kaffeehäuser und Schenken waren geöffnet und konnten sich nicht über mangelnden Zustrom beklagen. »Die alte Werft, zu der wir wollen«, erklärte Aura, »liegt nur eine halbe Meile hinter diesem Distrikt.« »Du kannst diese Sache unmöglich ganz alleine vorbereitet haben?« »Nein, ich hatte zuverlässige Helfer.« Tun fuhr sich mit seiner großen Hand unter die Kapuze, die seine Mähne verbarg, um sich am Bart zu kratzen. »Jemand könnte uns verraten.« »Nein«, versicherte ihm die Prinzessin. »Auf meine wenigen Freunde im Palast kann ich mich absolut verlassen.« »He da, ihr beiden«, rief eine undeutliche Stimme von hinten. Tun blieb stehen und wandte sich langsam um. Zwei große Männer, die Helme und Mäntel der Kaiserlichen Polizei trugen, näherten sich ihnen. Die Männer kamen aus einer Schenke und überquerten gerade die Straße. »Was kann ich für Euch tun?« fragte Tun. »Halt dich zurück«, flüsterte Aura ihm noch zu. »Du brauchst nicht zu zittern, alter Schwachkopf«, sagte der Polizist, der sie angerufen hatte. »Wir sind nicht im Dienst.« Sein Begleiter lachte gröhlend und schwankte leicht. »Aye, unser Dienst besteht darin, soviele Bierkrüge zu heben wie möglich.« »Und deshalb wenden wir uns an euch –« »Genau«, fuhr der andere fort, »weil wir nämlich eine junge Dame suchen, die das Vergnügen dieser Nacht mit uns teilt.« »Und du, alter Schwachkopf, scheinst da eine junge Dame mitzuführen, die wir dich höflichst bitten, uns zu überlassen, aber ein bißchen plötzlich –« »Sonst müssen wir dich leider über den Haufen schießen«, gröhlte sein Kamerad. »Ihr müßt verzeihen, ehrenwerte Herren«, antwortete Tun. »Es ist war, daß ich mit einer jungen Dame unterwegs bin. 129
Aber ich muß Euch warnen. Sie ist meine Tochter und hat wegen ihrer Häßlichkeit bisher noch keinen Mann bekommen können.« »Häßlich, sagst du?« »Sehr sogar«, sagte Tun, »auch wenn es mich schmerzt, das von meinem eigenen Fleisch und Blut sagen zu müssen.« »Wir können uns da nicht auf deine Worte verlassen«, meinte einer der Polizisten. »Nein, Schwachkopf, das müssen wir uns selbst ansehen.« »Ich wollte Euch gerade dazu auffordern«, erwiderte der Löwenmensch. »Tretet näher.« Die beiden Männer kamen schwankend auf Aura zu, um in ihre Kapuze blicken zu können. Beide beugten ihre Köpfe vor, und einer griff nach Auras Mantel. In diesem Augenblick handelte der Löwenmensch. Er faßte zu und schlug die Köpfe der Polizisten zusammen. Es gab einen lauten Knall. Bevor die beiden betrunkenen Polizisten sich von dem Schock erholt hatten, verabreichte Tun ihnen exakte Genickschläge. Sie stürzten zu Boden und blieben ohne sich zu rühren auf dem Steinmosaik des Gehsteiges liegen. »Jetzt«, meinte Tun, »sollten wir doch besser laufen.«
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XXVI Der Kaiser strich seinen Schnurrbart mit dem knochigen Zeigefinger glatt. »Flash Gordon, nicht wahr?« sagte er dabei. Er zog die Tür hinter sich ins Schloß. »Ja, Ming.« »Ich hätte so etwas erwarten sollen, seit die Monitoren in deinem Zellentrakt nicht mehr funktionieren. Seit einer halben Stunde schon stimmt da unten etwas nicht.« »Ich bin gekommen, um Dale mitzunehmen«, erklärte ihm Flash. Ein trockenes, feinseliges Lächeln schüttelte Ming. »Ach, tatsächlich, mein heldenhafter Besucher aus dem Weltraum? Du kommst hier ohne Waffen oder Verbündete her, in der verrückten Hoffnung gegen mich bestehen zu können – mich, den Kaiser. Du bist ein Narr, ein lächerlicher Narr.« »Du mußt es wissen!« Flash stürzte sich auf den in Seide gekleideten Kaiser. Ming wich ihm aus und zog einen Blaster aus seiner Robe. »Du wirst durch deine eigene Waffe sterben, Flash Gordon!« Die Blasterpistole knisterte. Aber Flash war bereits gesprungen. Im Sprung hatte er sich unter den Energiestrahl des Blasters geduckt. »Fassen Sie mich nicht an!« kreischte Ming, als Flash ihn packte. Die zwei Männer rollten über den Boden. Ein Tisch stürzte um, und eine schwere bronze Lampe fiel auf den mit Fellen ausgelegten Boden. Flash bekam die Hand mit dem Blaster zu fassen. »Laß los!« »Nein, Bastard!« Aber Ming konnte dem stahlharten Griff nicht länger widerstehen. Mit einem Schmerzensschrei ließ er die Waffe fallen. Dale hob sie schnell auf. Mit einem brutalen Tritt befreite sich Ming von Flash. 131
Flashs Kopf schlug hart gegen eine Ecke des umgestürzten Tisches. Ming kam wieder auf die Beine und streckte Dale seine Spinnenhand entgegen. »Gib sie mir zurück, meine Kleine, sofort!« »Bleib stehen, wo du bist, Ming, sonst benutze ich die Waffe.« Flash faßte sich an den Kopf und versuchte aufzustehen. Ming näherte sich Dale langsam. »Ich bezweifele sehr, meine Liebe, daß ein so edelmütiges Mädchen wie du einfach einen Mann niederschießen kann.« »Ich kann.« Flash hatte sich halb aufgerichtet, fiel aber wieder zurück. Sein Kopf war wieder klar, aber er bekam seine Muskeln noch nicht unter Kontrolle. »Glaubst du wirklich?« Ming lachte sein dünnes, böses Lachen und griff nach der Waffe in Dales Hand. »So nicht«, rief Flash, der sich jetzt ganz erholt hatte. Er warf sich mit der Schulter gegen Ming, der gegen die Wand taumelte. Dort verfing der Kaiser sich in den weißen Wandbehängen, mit denen das Zimmer dekoriert war. Flash sprang ihm nach und riß ihn am seidenen Kragen aus den Vorhängen. »Hier, du Menschenfresser!« Er knallte ihm die Faust gegen das spitze Kinn. Ming sackte zurück gegen die Wand. An der Tür wurde jetzt wild geklopft. Der schlafende Wächter war offenbar aus seinen Träumen aufgeschreckt worden. »Majestät, Majestät«, rief der Posten. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Ming saß benommen auf dem Boden. Flash trat auf den Balkon hinaus und warf einen Blick in die Gärten tief unten. »Sieht nicht so aus, als ob wir da hinunter verschwinden könnten«, entschied er. »Also müssen wir den 132
Weg zurück, auf dem ich gekommen bin.« Der Kaiser hatte sich inzwischen aufgerichtet. Er griff sich die bronzene Lampe und holte damit gegen Flash aus, der noch in der Tür zum Balkon stand. Flash warf sich reaktionsschnell zur Seite, aber Ming konnte seinen Schlag nicht mehr abbremsen. Er wurde vom eigenen Schwung mitgerissen, taumelte durch die Tür und stürzte mit einem überraschten Schrei über die Balkonbrüstung. »Das Ende eines Tyrannen«, grinste Flash und lief zur Tür. Er öffnete sie einen Spalt und imitierte die Stimme des Kaisers. »Komm herein, Narr. Der Fremde ist los!« »Ich dachte mir, daß etwas nicht in Ordnung –« Mit einem einzigen Schlag ins Genick setzte Flash den Wachposten außer Gefecht. Bevor der Mann zusammenbrach, riß Flash ihm den Mantel von den Schultern. Er legte ihn Dale um und sagte: »Jetzt gehen wir wohl am besten.« Sie faßte seine Hand, und die beiden liefen auf den Korridor.
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XXVII Tun stand auf dem brüchigen Pier und starrte auf das nächtliche Ufer hinüber. »Noch immer nichts von ihnen zu sehen«, sagte er. »Jetzt ist es schon über eine Stunde her, daß wir uns getrennt haben.« Er ging wieder zurück in das Bootshaus an der Spitze des Piers. Hier drinnen lag das Flugschiff, zum größten Teil unter alten Netzen verborgen. Aura saß mit gefalteten Händen auf einem umgedrehten Fischkorb am Eingang. »Kommen sie?« fragte sie leise. Der Löwenmensch schüttelte seinen zottigen Kopf. »Nein, niemand draußen zu sehen.« »Ich weiß, daß du schnell aus der Hauptstadt verschwinden mußt. Tun. Falls weder Flash noch Dale in einer Stunde erschienen sind, fliege ich dich hier raus.« Tun antwortete nicht sofort. Schließlich meinte er: »Wir warten noch eine Stunde, und dann sehen wir weiter.« Die Minuten verstrichen. Der Schwanz des Löwenmenschen schlug unruhig hin und her. Nach einiger Zeit begann Tun wieder draußen auf dem Pier auf und ab zulaufen. Dann hörte er Schritte über das morsche Holz näherkommen, konnte aber im Dunst, der über dem Wasser lag, zunächst niemand erkennen. Seine rechte Hand faßte an den Gürtel zu der Pistole, die er dem betrunkenen Polizisten abgenommen hatte. Aber aus dem Nebel tauchte ein grinsender Flash Gordon auf, der Dale Arden am Arm führte. »Alles klar?« fragte er Tun. »Aye«, lachte Tun und lief seinem Freund entgegen, um ihm die Hand zu schütteln. Flash machte ihn mit Dale bekannt. »Was ist mit deinem anderen Freund?« erkundigte sich Tun, als er die beiden in das Versteck des Flugbootes führte. »Es sieht aus, als wäre Dr. Zarkov nicht von Mings Leuten 134
gefaßt worden«, erwiderte Flash. »Ich werde zurück in die Wildnis gehen müssen, um dort seine Spur aufzunehmen.« »Flash, du lebst!« Aura warf sich in seine Arme. Sie küßte ihn auf die Stirn. »Ich bin froh, daß du noch gekommen bist.« Dale wollte gerade zu einer Bemerkung ansetzen, aber der Löwenmensch zog sie zum Einstieg des Flugschiffes. »Wir müssen sofort starten«, rief er. »Ming kann jede Minute erfahren, daß einige seiner Gefangenen verschwunden sind.« »Ich glaube nicht, daß Ming überhaupt noch etwas erfährt«, meinte Flash zu Tun, während sie den Frauen in das Schiff halfen. Flash schwang sich in den Pilotensitz und studierte die Kontrollen. »Ich brauchen deine Hilfe dazu, Aura!« »Ich kann das Schiff fliegen«, erbot sie sich. »Nein, das übernehme ich lieber selber. Aber du kannst mir als Co-Pilot assistieren.« Nachdem er die Luken gesichert hatte, wollte Tun wissen, was mit Ming geschehen war. »Ich erzähle es dir«, sagte Dale, die weiter hinten in der Kabine saß. Sie gab ihm einen knappen Bericht der Ereignisse im Palast. Flash hatte das Schiff mit Auras Hilfe in die Luft gebracht und dabei einfach das morsche Dach des Bootshauses durchbrochen. Die Prinzessin wandte sich in ihrem Sitz nach Dale um. »Was ist mit meinem Vater passiert?« »Es gab einen Kampf zwischen deinem Vater und mir in Dales Zimmer. Er stürzte vom Balkon«, erklärte Flash ihr. Aura starrte einen Augenblick schweigend in die Nacht hinaus. »Ist er tot?« »Ich weiß es nicht. Wir sind nicht dageblieben.« »Ich verstehe.« Sie schwieg wieder. »Ich weiß nicht, was ich jetzt empfinden soll«, sagte sie endlich leise. Ein schrilles Heulen ertönte plötzlich unterhalb des Schiffes. »Polizeischiffe…«, flüsterte die Prinzessin und griff nach Flashs Arm.
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XXVIII Stimmen schallten durch den Nebel. Stimmen, die die Kabinenscheiben erzittern ließen und in ihren Ohren dröhnten. Aus starken Lautsprechern wurden ihnen Befehle zugebrüllt. »Hier ist die Kaiserliche Polizei. Landen Sie sofort!« »Sie haben eine Minute zum Landen!« »Wir schießen sie ab, wenn sie nicht sofort zur Landung ansetzen!« »Unsere Waffen sind schußbereit?« fragte Flash Aura. »Ja, aber wir werden sie nicht einsetzen müssen.« Die Prinzessin schaltete die Polizeifrequenz am Funkgerät ein. Sie zog ein Mikrofon zu sich herüber und sagte: »Hier spricht Prinzessin Aura. Sie lassen uns unverzüglich passieren!« Die Antwort kam nicht über Funk, sondern über die Lautsprecher der verfolgenden Polizeischiffe. »Sie haben noch dreißig Sekunden zum Landen. Danach schießen wir Sie ab.« »Haben Sie nicht verstanden, was ich Ihnen befohlen habe?« Flash schaltete das Funkgerät ab. »Klingt, als hätten sie nicht vor, dir zu gehorchen«, meinte er zu Aura. Er blickte suchend über die Armaturen. »Wir haben keine Ortungsgeräte?« »Das ist kein Kampfschiff. Die Blasterkanonen wurden auch erst nachträglich installiert.« »Ich habe den Eindruck, da draußen sind drei von den Burschen«, sagte Flash. »Ihre genaue Position läßt sich in diesem Nebel optisch nicht erfassen, aber einer müßte über uns sein.« Er steuerte ihr Schiff nach oben und ließ es sich auf die Seite legen, während sie schnell an Höhe gewannen. »Ich sehe einen Kreuzer über uns«, warnte Tun. Ihr Schiff zog schräg an dem Polizeikreuzer vorbei und stieg weiter. Gleichzeitig zwang Flash es in eine Kurve auf den Gegner zu, der noch nicht auf ihr Manöver reagierte. Flash raste direkt von oben auf das Schiff herab, preßte den Feuerknopf für die Blasterkanone an der Unterseite ihres Schiffs und 136
ließ sich dann zur Seite abrollen. »Du hast ihn erwischt!« rief Tun, der seinen zottigen Kopf zum hinteren Kanzelfenster reckte. »Bei den vier Keulen des Kriegsgottes, der wird uns nicht mehr zur Landung auffordern.« Flash ließ das Schiff wieder aufsteigen und zog eine enge Schleife. Dann ließ er das Schiff plötzlich durchsacken und feuerte. Der Löwenmensch meldete den zweiten Treffer. »Nur noch einen, Flash«, lachte er. »Ich frage mich, wo der dritte steckt«, antwortete Flash. Etwas knallte auf das hintere Verdeck ihres Schiffes. »Ein Flammenmann!« schrie Aura und deutete zur Seite. »Sie haben ihn herunter geschickt, um die Kabine aufzuschneiden.« Ein Mann in einer roten Lederkombination erschien jetzt auf dem rechten Stabilisierungsflügel ihres Schiffes. Er trug schwere Saugstiefel und einen Fluggürtel. In seinen Händen hielt er eine Art Laserschweißgerät, aus dem lange Flammen schlugen. »Ich werfe ihn da runter«, knurrte der Löwenmensch. Er balancierte durch die Kabine und öffnete die Einstiegsluke. Der Mann auf dem Flügel richtete seinen Laser jetzt gegen den Flügel selbst. Energiebündel fraßen sich funkensprühend in das Metall. Tun hatte sich auf den Flügel hinausgeschwungen. Breitbeinig das Gleichgewicht haltend, schob er sich an den Flammenmann heran. »Er wird abstürzen, Flash!« rief Aura. Der Flammenmann hob seinen Flammenwerfer gegen Tun. Aura preßte die Hände vor die Augen. Der Löwenmensch ließ sich fallen und die Flamme des Lasers raste über ihn hinweg. Tun rollte sich auf die Seite und klammerte sich an der Kante des Flügels fest. Dann trat er zu. Der Tritt riß den Roten zur Seite. Die Haftung seiner Saug137
stiefel löste sich vom Metall des Flügels. Schreiend verschwand er im Nebel. Tun schaute zu dem verbleibenden Polizeischiff hinauf, rümpfte die Nase und balancierte dann zurück zum Einstieg. Dale hatte den kurzen Kampf verfolgt und drückte die Tür jetzt einen Spalt gegen den Luftdruck des Fahrtwindes auf. Der Löwenmensch zwängte sich durch die schmale Öffnung. »Paß bitte auf, daß du meinen Schwanz nicht abklemmst«, grinste er. Flash beschleunigte sofort wieder mit voller Kraft. Einen Augenblick später raste ein Energiestrahl des letzten Polizeikreuzers an ihnen vorbei. »Daneben!« freute sich Tun. »Aber sie werden es weiter versuchen.« »Wir haben das schnellere Schiff«, beruhigte ihn Flash. »Und solange sie keine Verstärkung anfordern, haben wir es nur mit einem Verfolger zu tun.« Nach zehn Minuten wilder Jagd hatten sie das Polizeischiff endgültig abgehängt. Es war hinter ihnen in den Nebelschwaden verschwunden. Auch fünfzehn Minuten später waren keine neuen Verfolger aufgetaucht. »Scheint, daß sie uns aus den Augen verloren haben«, verkündete Tun. »Ab jetzt«, sagte Aura, »werden sie mich erbarmungslos jagen, ob mein Vater noch lebt oder nicht. Man wird mich als eine Verräterin des Reiches betrachten.« »Du kannst sofort zurückkehren«, versicherte ihr Flash, »sobald wir sicher irgendwo gelandet sind.« »Nein, daß kann ich nicht mehr. Ich weiß noch nicht, wie ich mich jetzt entscheiden soll.« Nachdem er einen neuen Kurs gesetzt hatte, wandte Flash sich an den Löwenmenschen. »Wir fliegen zuerst deine Heimat an, Tun. Danach mache ich mich zusammen mit Dale auf die Suche nach Dr. Zarkov.« »Er muß noch am Leben sein«, meinte Dale. 138
»Doc ist praktisch unzerstörbar«, pflichtete Flash bei. Das Schiff raste weiter durch die Nacht von Mongo. Nach einiger Zeit begann das Fahrzeug plötzlich vom Kurs abzuweichen und zu taumeln. »Wir haben doch noch nicht alle Probleme hinter uns, Freunde«, bemerkte Tun. Nach einem Blick aus der Kanzel meinte er: »Dieser Kerl mit dem Flammenwerfer hat den Flügel ernsthafter beschädigt, als ich dachte.« »Du hast recht, Tun«, antwortete Flash. »Wir landen besser, bevor der Flügel zu Bruch geht.« »Es wäre gut, wenn wir noch gemeinsam mit unserer Schwinge ankämen.« Der Nebel hatte sich inzwischen aufgelöst. Um sie herum herrschte absolute Dunkelheit, auch unter ihnen war nichts auszumachen. Flash setzte mit Hilfe der Instrumente und Auras Unterstützung zu einer fast blinden Landung an. Steiniger Grund tauchte unter ihnen in der Nacht auf, dann rasten sie über eine sandige Ebene. Das Schiff setzte auf, würde hochgeschleudert, setzte wieder auf und kam dann schlingernd zu stehen. »Keine Ahnung, wo wir hier sind.« , »Eine sehr gute Landung, Flash«, lobte ihn Aura und umarmte ihn kurz. »Wie geht es jetzt weiter, Flash?« unterbrach Dale die beiden. »Am besten bleiben wir bis zum Morgen im Schiff. Hier dürften wir am sichersten sein.« »Wir haben Essen und Trinken an Bord«, stimmte Aura zu. »Ich sehe zu, was ich finden kann«, rief Tun. »Unser Sieg sollte eigentlich gebührend begossen werden.« »Hoffentlich ist eine Siegesfeier angebracht«, sagte Flash.
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XXIX Tun wachte als erster auf. Er rieb sich die Augen und strich seinen zusammengerollten Schwanz glatt. Plötzlich stürzte er zum Kabinenfenster. »Kann das sein?« murmelte er. Dann war er mit einem Satz bei der Ausstiegsluke und sprang in den Sand hinab. Breitbeinig richtete er sich auf und schnupperte in der schon recht warmen Morgenluft. Er nickte und blickte über die trokkene Landschaft aus orangenen Sanddünen und braunen Felsen. »Beim zweiten Kopf des Gottes der glücklichen Reisen«, rief er aus, »das hier ist meine Heimat – das Land der Löwenmenschen.« »Wie sieht es aus?« fragte Flash, der jetzt aus dem Flugschiff kletterte. Tun breitete die Arme aus. »Wir sind in der letzten Nacht viel weiter gekommen, als wir angenommen haben.« »Wir haben deine Heimatdomäne erreicht?« »Aye. Wir sind da, und ich bin wieder zu Hause«, lachte Tun zufrieden. »Ich wette, mein Heimatdorf ist keine zwanzig Meilen von hier entfernt.« »Mit dem Schiff können wir keinen Start mehr riskieren. Wir werden uns also zu Fuß dorthin auf den Weg machen müssen«, erklärte Flash. »Aber vorher wird ausgiebig gefrühstückt!« Flash lehnte sich gegen den Rumpf des Schiffes, um Schatten vor der heißen Sonne zu finden. »Glaubst du, daß sich nach Mings Tod die Dinge auf Mongo verändern?« fragte er Tun. »Sie könnten sich verändern, falls er wirklich tot ist«, erwiderte Tun. »Aber nicht ohne Kampf. Du kannst sicher sein, daß Mings Gefolgsleute, Männer wie Erik und Haldor, alles daran setzen werden, an der Macht zu bleiben. Wahrscheinlich werden sie Mings Tod zunächst sogar geheimhalten. So etwas hat es im Reich schon mehrfach gegeben.« »Ihr braucht also immer noch eine Revolution«, meinte Flash. 140
»Aye!« Aura war leise aus dem Schiff geklettert und gesellte sich zu ihnen. »Wir sind in deiner Heimat, Tun.« »So ist es, Prinzessin. Ich habe Flash gerade erzählt, daß wir voraussichtlich nur einen Fußmarsch von zwanzig Meilen bis zu meinem Heimatdorf haben.« »Du brauchst mich nicht mehr Prinzessin zu nennen«, sagte Aura. »Das ist jetzt endgültig vorbei.« Sie trat näher zu Flash. »Ich bin ja bereits an längere Märsche gewöhnt. Wann brechen wir auf?« Sie warf einen besorgten Blick auf Dale Arden, die inzwischen auch erschienen war. »Glaubst du nicht, daß Dale noch etwas Erholung braucht nach allem, was sie durchgemacht hat?« »Nicht mehr als du, Prinzessin«, erwiderte Dale, die die Bemerkung gehört hatte. Nach dem Frühstück brachen sie auf. In der glühenden Hitze über der öden Landschaft wurde der Marsch bald besonders für die Frauen zur Qual. Gegen Mittag brach Aura zusammen, und Tun mußte sie eine Weile tragen, was ihr nicht sehr zusagte. Dale hielt sich besser, aber auch sie war froh, als es gegen Abend langsam kühler wurde. Der Himmel überzog sich mit einem rauchigen Blau. »Wir sind bald da«, verkündete Tun. Wenige Schritte weiter verharrte er plötzlich und begann angestrengt zu schnuppern. »Es sind Fremde im Dorf«, knurrte er. »Mings Männer?« »Nein, aber ich kann noch nichts Genaues sagen. Wartet hier!« Tun verschwand in der hereinbrechenden Dunkelheit. Nach einer halben Stunde tauchte er wieder auf. »Schwierigkeiten?« fragte Dale. »Schwer zu sagen«, grinste Tun. »Sieht aus, als ob im Dorf eine große Feier stattfindet.«
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XXX Lange Reihen rohgezimmerter Eichentische standen entlang der einzigen Straße des Dorfes der Löwenmenschen. Dicke Talglichter in kupfernen Leuchtern erhoben sich auf allen Tischen und erleuchteten die ganze Straße mit ihrem flackernden, gelben Licht. Um die Leuchter standen riesige Platten mit Fleisch, Brot, Gemüsen und fremdartigen Früchten. Zwischen den Tischen schimmerten Holzkohlenfeuer, über denen sich große Fleischspieße drehten. »Bei der Warze auf der Nase der Göttin des Vergnügens!« rief ein rotmähniger, großer Löwenmann, der gerade einen Krug mit einem schäumenden Getränk an die Lippen hob. »Da kommt Tun nach Hause!« »Aye, Nak«, lachte Tun. »Und ich habe gute Freunde mitgebracht.« Er breitete die Arme aus und schob Flash, Dale und Aura vor. Nak knallte seinen Krug auf den Tisch und ging Tun entgegen. »Wir haben die wildesten Gerüchte über dich gehört.« Andere Männer und Frauen aus dem Dorf hatten Tun jetzt auch bemerkt und sammelten sich um den Ankömmling. Sie umarmten ihn, küßten ihn und schlugen ihm kräftig auf die Schultern. Etwas abseits von der Gruppe standen Flash und die beiden Mädchen. Das Dorf der Löwenmenschen bestand aus sauberen, weißen Steinhäusern, niedrig, mit kunstvollen geschwungenen Schindeldächern. Zur Dorfmitte hin erhoben sich einige größere, zweistöckige Gebäude. Gut zweihundert Löwenmenschen, Männer, Frauen und Kinder, füllten die Straße und umkreisten die festlichen Tafeln. Außer ihnen waren etwa fünfzig Männer in waldgrünen Trachten zu sehen, von denen einige Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken trugen. »Was wird hier denn eigentlich so gefeiert?« wunderte sich 142
Dale. »Nachdem, was mir Tun auf dem Weg erzählt hat«, erklärte ihr Flash, »müssen die Löwenmenschen eine Art Bündnis mit dem Waldkönigreich von Prinz Barin geschlossen haben.« »Ist Barin hier?« Ein schlanker, junger Mann mit hellen Haar und einem Schnurrbart trat an ihre Seite. »Der Prinz hält sich in Arboria auf«, sagte er. »Ich bin Tomo.« Er streckte Flash die Rechte entgegen. »Ich gehe jede Wette ein, daß Sie Flash Gordon sind.« Flash schüttelte die angebotene Hand und lachte. »Woher kennen Sie meinen Namen?« wollte er wissen. Tomo lächelte. »Sie haben offenbar bisher noch nicht bemerkt, daß Sie inzwischen auf Mongo zu einer Art Berühmtheit geworden sind. Auch wenn Ming dafür gesorgt hat, alle Nachrichtenverbindungen des Reiches vollständig unter seine Kontrolle zu bringen, gibt es noch viele Wege auf denen Neuigkeiten schnell von Mund zu Mund weitergetragen werden. Wir haben daher bereits von Ihren Heldentaten in der Arena gehört.« »Er war fantastisch!« bestätigte Aura. Tomo schaute sie überrascht an. »Ist sie Euere Gefangene, Flash Gordon? Ich habe gerade erst erkannt, daß ich Prinzessin Aura vor mir habe.« »Ich bin keine Prinzessin mehr«, sagte das rothaarige Mädchen. »Aura hat uns die Flucht aus Mings Kerkern ermöglicht«, erklärte Flash. »Sie steht auf unserer Seite.« »Vielleicht ist das ein gutes Vorzeichen«, erwiderte Tomo. »Nachdem jetzt auch die Löwenmenschen mit uns gemeinsam gegen Ming kämpfen wollen, könnte die entscheidende Wende bevorstehen.« »Möglicherweise ist Ming bereits tot«, ergänzte Flash. »Was sagen Sie da, Mann!« Tomos Augen weiteten sich. 143
»Ming der Gnadenlose tot?« Flash nahm Tomo bei Seite und erzählte ihm in einer ruhigen Ecke schnell von seinem Kampf mit dem Kaiser. »Diese Neuigkeit muß ich sofort an Prinz Barin durchgeben«, rief Tomo nach dem Bericht aufgeregt. »Vergeßt nicht«, dämpfte Flash seine Begeisterung, »Ming kann den Sturz auch überlebt haben.« Nachdem er sich nochmals nach Auras Vertrauenswürdigkeit erkundigt hatte, lud Tomo Flash und die beiden Frauen ein, morgen mit ihm zusammen in das Waldkönigreich zu Prinz Barin zu fliegen. Die Waldleute waren mit mehreren Luftschiffen ins Land der Löwenmenschen gekommen. »Ich nehme die Einladung gerne an«, bedankte sich Flash. »Aber sagen Sie mir, Tomo, das Waldkönigreich verfügt über Luftschiffe, haben sie auch technische Produktionseinrichtungen und wissenschaftliche Forschungsstätten?« »Ming hat zwar versucht alle Gegner auf einem vorindustriellen Entwicklungsniveau zu halten, aber das Waldkönigreich hat sich diesen Einfluß entzogen. Warum fragen Sie?« »Wie Sie wissen werden, kommen wir von einem anderen Sonnensystem«, erklärte Flash. »Unsere einzige Chance, in unsere Heimat zurückzukehren, ist unser Mutterschiff im Orbit zu erreichen. Unsere Landefähre ist über dem Dschungel abgestürzt.« »Wir werden alles tun, Ihnen bei der Reparatur ihres Schiffes behilflich zu sein«, versprach Tomo. Tun drängte sich an Flashs Seite und begrüßte Tomo. »Was mich am meisten freut ist, daß mein Volk sich endlich zu einem Bündnis mit Barin entschlossen hat. Ich fühle, Mongo ist bald endgültig befreit.« »Ja«, erwiderte Tomo, »aber bis dahin erwartet uns noch ein harter, langer Kampf.« »Nichts lieben Löwenmenschen mehr als den Kampf!«
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XXXI Die Luftkreuzer waren große Schiffe in den grünen Farben des Waldkönigreiches. Mit wedelndem Schwanz und die Fäuste in die Hüften gestemmt, bewunderte Tun das Schiff, mit dem Flash bald fliegen würde. »Aye, das sieht nach einer soliden Technik aus.« »Ein ernstzunehmender Gegner für alle Schiffe aus Mings Luftflotte«, versicherte Tomo stolz. Es war bereits später Vormittag. Die vier arborianischen Schiffe lagen in einer Senke außerhalb des Dorfes. Heißer Wind fegte durch die kahlen Äste der wenigen vertrockneten Bäume. Ungefähr fünfzig Löwenmenschen waren vom Dorf herüber gekommen, um die Gäste zu verabschieden. Tun suchte nach Flash und trat neben den Freund. »Ich muß hier bei meinen Leuten bleiben«, sagte er. »Der Kampf muß vorbereitet werden, wir müssen eine gemeinsame Strategie mit den Waldleuten entwickeln, und es gibt noch viele Details für den Feldzug auszuarbeiten. Man braucht mich hier, Flash. Aber ich fühle bestimmt, daß wir uns wiedersehen werden, da kannst du sicher sein.« »Ich bin davon überzeugt«, lachte Flash. »Sage mir, Freund, weißt du schon, ob ihr für eine längere Zeit auf Mongo bleiben werdet?« »Auf jeden Fall solange bis wir Zarkov gefunden haben«, erwiderte Flash. »Wie es danach weitergeht, kann ich noch nicht sagen.« Die Arborianer in ihren grünen Uniformen hatten inzwischen ihre Schiffe bestiegen. »Wir warten nur noch auf dich, Flash«, rief Tomo. Als Flash sich nach Dale umsah, um mit ihr an Bord von Tomos Schiff zu gehen, fiel ihm auf, daß Aura nirgendwo zu sehen war. »Ist Aura schon an Bord?« »Ja, aber auf einem anderen Schiff«, erklärte Dale. 145
»Warum das?« »Sie war heute morgen nicht recht bei Laune und wollte eine Weile alleine sein.« »Vielleicht hebt der Besuch im Waldkönigreich ihre Stimmung«, meinte Tomo. »Sie und Barin kennen sich aus ihrer Kindheit am Hof. Damals waren glücklichere Tage, als Ming die Macht noch nicht an sich gerissen hatte.« Flash half Dale auf die Rampe zum Einstieg des Flugschiffes. Dann winkte er Tun lachend zum Abschied und folgte ihr an Bord. * Der Mittagshimmel verfinsterte sich plötzlich. »Es gibt Ärger«, gab der Pilot ihres Luftkreuzers durch. Das Schwirren riesiger Flügel wurde immer lauter. Ein Surren und Pfeifen umgab das Schiff. Tomo sprang von seinem Sitz im Passagierabteil auf und stürzte zu einem der vorderen Fenster. »Ein großer Schwarm von ihnen. Sie scheinen uns anzugreifen.« Flash und Dale eilten an seine Seite. »Was sind das für Bestien?« fragt Dale. »Man nennt sie Flugdrachen oder Harpien«, erläuterte Tomo ruhig, während er beobachtete, wie die großen fliegenden Reptilien das Schiff umschwärmten. »Eine der ältesten Lebensformen dieses Planeten.« »Sie ähneln etwas den langen ausgestorbenen pterodactylus unserer Heimatwelt«, stellte Flash fest. »Aber sie sind ein gutes Stück größer.« »Sie hausen in abgelegenen Regionen des Waldkönigreiches«, sagte Tomo. »Aber hin und wieder schwärmen sie aus, um Flugschiffe anzugreifen. Vielleicht sehen sie in den Schiffen Konkurrenten für ihre Luftreviere.« Die Harpien krächzten schrill, während sie das Schiff um146
kreisten. Manchmal streiften ihre ledernen Schwingen fast den Rumpf. Durch die offene Tür zur Pilotenkanzel rief der Pilot: »Soll ich die Blaster einsetzen?« Tomo gab das Feuer frei. Die Energiekanonen des Schiffes zischten und knisterten. Ein riesiger Flugdrache, der an ihrem Fenster vorbei segelte, wurde getroffen. Sein spitzer, grüner Schädel verwandelte sich in Rauch. Dann traf er den zweiten, als er mit dem Schnabel nach dem Flügel des Schiffes hackte. »Klar machen zur Landung«, befahl Tomo dem Piloten. »Wir sind dicht vor Arboria.« »Flash, da!« Dale deutete aus dem Fenster auf ein anderes Schiff. Eine dichte Wolke von riesigen Harpien hatte dieses Schiff eingehüllt. Lederne Schwingen schlugen wild. Zwei der Flugreptilien hielten direkt auf die Pilotenkanzel zu. Das Kabinenfenster wurde zerschmettert. Das Schiff begann zu taumeln, legte sich auf die Seite und trudelte im Zickzack auf das grüne Laubdach unter ihnen hinunter. »Sie haben eines unserer Schiffe runtergeholt!« rief Flash. »Ich habe gerade einen Hilferuf an Arboria abgesetzt.« »Flash, ich bin sicher, das war das Schiff, mit dem Aura geflogen ist«, sorgte sich Dale. Das abstürzende Schiff befand sich jetzt bereits weit unter ihnen, schien sich aber etwas abgefangen zu haben und steuerte in Richtung Arboria. Es schoß dicht über die Wipfel der gigantischen Bäume des Waldkönigreiches. »Ich gehe runter und versuche den anderen zu folgen«, kündigte der Pilot an. Er ließ das Schiff steil nach unten stürzen. Die durch die Blasterschüsse bereits stark dezimierten Harpien werteten das Manöver offenbar als Rückzug und ließen von dem Schiff ab. Kreischend flatterten sie davon. »Lichtung in Sicht«, rief der Pilot zu Tomo. »Landen Sie dort«, befahl der blonde Mann mit dem 147
Schnurrbart. »Wir arbeiten uns dann zu Fuß zur Absturzstelle vor.« Eine knappe Meile vor ihnen war das Schiff mit Aura an Bord gerade durch das Blätterdach der riesigen Bäume gebrochen und in der grünen Dunkelheit darunter verschwunden. * Mit einem Schraubenzieher in der Hand und einem anderen zwischen den Zähnen stand Dr. Zarkov neben einem Luftkreuzer. Seit Sonnenaufgang arbeitete er ohne Pause an der Blasterkanone im Bug des Schiffes. Um ihn herum war ein Wust von Werkzeugen aller Art ausgebreitet, von elektronischen Präzisionsinstrumenten bis zu einem gewöhnlichen Holzhammer. Es war jetzt fast Mittag, und durch die offene Tür des Hangars konnte der Wissenschaftler die riesigen Äste von Arboria golden in der Sonne schimmern sehen. Zarkov duckte sich unter den Rumpf des Schiffes und führte einige schnelle Bewegungen aus. »So, das war’s«, dröhnte seine Stimme dann durch den Hangar. »Mahlzeit, -zeit, -zeit«, ertönte eine vertraute blecherne Stimme. Durch das Hangartor kam der Kupferrobot. Auf der erhobenen metallenen Hand balancierte er ein Tablett. Auf dem Tablett standen mehrere Teller einer Mahlzeit und ein Krug. »Zeit für die Mittagsmahlzeit«, wiederholte der Robot. Zarkov ließ die Schraubenzieher fallen und rannte auf den Metallmenschen zu. »Zehn zu eins, er läßt es wieder fallen«, schnaubte er. Der Fuß des Roboters verfing sich in einem Kabel, das sich aus dem Rumpf des Schiffes ringelte. »O-o-o!« Mit einem kraftvollen Spurt erreichte Zarkov den Robot und bekam das Tablett zu fassen, bevor das Blechmonstrum auf den Boden schepperte. »Bier, Brot, verschiedene Sorten von Käse.« Zarkov unter148
suchte das Tablett. »Das könnte Fleisch sein –« »Eine helfende Hand könnte jetzt von großem Nutzen sein«, knirschte der gestürzte Maschinenmensch vom Boden. Zarkov stellte das Tablett zur Seite und griff den Roboter bei den Armgliedern. Vorsichtig richtete er ihn in eine stehende Position auf. »Jetzt kannst du es wieder mit Laufen versuchen.« Als Zarkov sich wieder seinem Tablett zuwenden wollte, erschien Anmar aus einem Aufzug, der in einem Ast verborgen war, der wie eine Säule durch den Hangar lief. Der Magier rannte zu Zarkov. »Ärger?« fragte Zarkov. »Wie weit seid ihr mit der neuen Waffe?« »Habe gerade die letzten Schrauben angezogen. Ich habe das verdammte Ding zwar noch nicht testen können, aber ich garantiere, daß sie besser ist als alles, womit ihre Jungs zur Zeit ausgerüstet sind.« »Sehr gut«, meinte Anmar. »Wir haben Nachricht von Ihren Freunden Flash Gordon und Dale Arden.« Der Wissenschaftler schob das Tablett zur Seite und sprang auf die Füße. »Wo sind sie?« »Unterwegs nach Arboria«, erklärte Anmar. »Sie konnten Ming entkommen und wurden von unseren Leuten aufgenommen.« Zarkov blickte ihn scharf an. »Aber etwas ist schief gegangen. Ich lese es aus Ihrem Gesicht, ganz ohne Telepathie.« »Die Luftkreuzer, in denen sie hierherflogen, wurden von einem Schwärm riesiger Flugreptilien angegriffen.« »Das klingt nicht gut.« »Eine Flotte zu ihrer Rettung startet gerade«, sagte Anmar. »Glauben Sie dieses Schiff ist fertig zum Kampf?« »Das garantiere ich«, dröhnte Zarkov mit seiner lautesten Stimme. »Machen wir, daß wir an Bord kommen!«
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XXXII Alles stand auf dem Kopf. Aura war in eine Ecke des abgestürzten Schiffes gerollt. Sie schüttelte benommen den Kopf, als sie versuchte sich vom Schock des Aufpralls zu erholen. Langsam klärte sich ihr Blick. Über ihr hingen die Sitze der Kabine vom jetzt oben liegenden Boden des Schiffes herab. Sie schob sich das lange Haar aus der Stirn. Feiner Rauch schien die ganze Kabine zu füllen. Auf Händen und Knien arbeitete sie sich vor zu einer Stelle, an der Licht in die Kabine fiel. »Vielleicht…«, murmelte sie, »brauche ich erst einmal etwas frische Luft. Mit Notlandungen habe ich ja jetzt schon ziemlich Erfahrung.« Sie erreichte einen Riß im Rumpf des Schiffes, durch den das Licht schimmerte. Sie griff nach einem Sitz über ihr und versuchte sich daran aufzurichten. Dann warf sie einen Blick durch den Spalt. Sie schrie entsetzt auf. Der große Schnabel einer Harpie schlug nach ihr. Das Mädchen ließ den Sitz los und taumelte zurück in die Kabine. Ihr wurde schwindelig. Sie bemühte sich einen Halt zu finden. Dabei geriet sie wieder in die Nähe des Spaltes, rutschte aus und stürzte nach draußen. Sie fiel gut zwei Meter tief, schlug auf einen dicken Zweig, rollte davon herunter und brach durch eine Gewirr von dornigen Ranken noch einmal fünf Meter in die Tiefe. Die scharfen Dornen zerfetzten ihre Kombination. Sie versuchte sich an einer Ranke festzuhalten, aber die Dornen schnitten in ihre Handfläche, und sie mußte loslassen. Sie fiel weiter, rollte über einen weiteren riesigen Ast und landete dann zwischen den meterhohen Wurzeln des Baumes. Als sie dort auf einem Haufen verwelkter Blätter aufschlug, 150
der den Aufprall zu ihrem Glück milderte, verlor sie erneut das Bewußtsein. Die Harpien kreisten weiter oben noch immer um das Wrack, schrien und kreischten, konnten aber nicht durch das dichte Gewirr von Ästen und Ranken tauchen, um dem Mädchen zu folgen. Vor ihnen war sie hier sicher. Wie sie da auf den braunen und goldenen Blättern lag, die Wange auf den Ellbogen gelehnt, sah sie wie ein schlafendes Kind aus. Dann raschelte etwas wenige Meter neben ihr. Es war der lange Fangarm einer großen Pflanze mit klebrigen, schillernden Blättern. Der Fangarm tastete sich über die Blätter auf das bewußtlose Mädchen zu. Seine Unterseite bedeckten purpurne Saugnäpfe. * Der große, junge Mann mit den breiten Schultern zog einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken. Er war in den grünen Farben des Waldkönigreiches gekleidet und unterschied sich darin nicht von seinen Begleitern. Als er gerade seinen Bogen spannen wollte, kam ein Mann mit wehendem Mantel über den breiten Ast, auf dem sie standen, auf ihn zugelaufen. »Eine Botschaft von Tomo«, keuchte der Mann außer Atem. Prinz Barin senkte seinen Bogen. »Dringend?« »Aye, sehr dringend.« Der Mann war wenige Schritte vor dem Prinz stehen geblieben und rang immer noch nach Atem. »Tomo hat gerade den Palast angefunkt. Von dort wurde die Botschaft an uns über unseren Sprechfunk durchgegeben.« »Und was ist nun die Botschaft, Harl?« »Tomos Luftschiffe wurden von Harpien angegriffen, während sie vom Land der Löwenmenschen nach Arboria zurückflogen. Ein Schiff ist abgestürzt.« »Wurde eine Rettungsflotte entsandt?« 151
»Aye, sie sind gerade gestartet.« Barin nickte. »Jetzt hol’ erst mal tief Luft.« Er lächelte den noch immer keuchenden Boten an. »Das wird eine gute Gelegenheit sein, um festzustellen, was die neuen Blasterkanonen der Magier leisten.« »Das Schiff, das als erstes mit ihnen ausgestattet wurde, ist bei der Entsatzflotte. Dieser Zarkov steuert es selbst.« »Die Absturzstelle des einen Schiffes muß hier in der Nähe sein, wenn Tomo die übliche Route geflogen ist. Was meinst du, Harl?« »Ich habe hier die genaue Position eingetragen.« Harl reichte dem Prinzen eine Kartenskizze. »Also ist dieser Jagdausflug auch noch zu etwas anderem gut. Machen wir uns auf den Weg!« »Sollen wir uns in dieser gefährlichen Gegend des Waldes zu Fuß durchkämpfen?« fragte Harl. »Es gibt viele gefährliche Stellen im Waldkönigreich«, lachte der Prinz. »Dieser Umstand sollte uns nirgendwo aufhalten.« Er gab dem halben Dutzend Männer in seiner Begleitung ein Zeichen. »Kommt Männer, es gibt ernsthaftere Arbeit für uns.«
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XXXIII Aura sah den Fangarm, kurz bevor er sie packen konnte. Als sie zu sich kam, hörte sie erst nur etwas, das sich raschelnd durch die Blätter schob. Das Mädchen hob den Kopf. Ihr Blick fiel auf den riesigen Arm der fleischfressenden Pflanze, der sich direkt auf sie zubewegte und sie fast erreicht hatte. Der Fangarm tastete sich weiter. Seine Saugnäpfe gaben leise, schmatzende Geräusche von sich. Sie sprang auf, aber dabei mußte sie feststellen, daß sie nicht mehr laufen konnte. Ihr rechtes Kniegelenk schien bei dem Sturz etwas abbekommen zu haben. Wenn es nur eine Frage des Schmerzes gewesen wäre, sie wäre mit zusammengebissenen Zähnen aus der Reichweite der schrecklichen Pflanze gehumpelt. Aber sie hatte überhaupt keine Kontrolle mehr über ihr rechtes Bein. Beim ersten Schritt brach sie in die Knie. Die Spitze des Fangarms berührte sie in diesem Augenblick und legte sich um ihr Bein. Schreiend versuchte das Mädchen den Tentakel abzuschütteln. Der Fangarm hatte ihr Bein jedoch sofort fest im Griff und zog sie zurück auf den Blätterhaufen. Es wand sich weiter um ihr Bein, dann um ihre Hüfte. Sie schrie verzweifelt weiter, nicht weil sie hoffte, jemand würde sie hören, sondern weil sie nicht wußte, was sie sonst tun sollte. Als nicht besonders vertrauenswürdigem Gast hatten ihr die Arborianer auf dem Flug keine Waffe zugestanden. Es blieb ihr nichts anders übrig, als sich irgendwo festzukrallen, aber der Fangarm zog sie unerbittlich auf das Zentrum der fleischfressenden Pflanze zu. Sie verlor immer wieder den Halt und rutschte ein Stück weiter. Zunächst bemerkte sie gar nicht, daß sich Menschen näherten. Das erste Anzeichen für die Anwesenheit der Retter, das ihr 153
zu Bewußtsein kam, war der Rauch. »Werft sie genau in die Blüte«, dirigierte Prinz Barin. »Werft die Fackeln da hinein, das ist das Maul. Noch mehr Fackeln her!« Dann sah sie Barin mit einem Blaster in der Hand auf sich zulaufen. Neben ihm liefen zwei andere grüngekleidete Männer mit Fackeln in den Fäusten. Während der Prinz den Strahl seiner Pistole auf den Fangarm richtete, erreichten die beiden Männer die Pflanze selbst und stießen die Fackeln in das blütenartige Maul der tödlichen Blume. Ein hohes Wimmern ertönte aus der Blüte. Dann rollten sich die Blütenblätter zusammen und begannen zu verkohlen. Der Fangarm erschlaffte und streckte sich zitternd aus. Aura kam frei. Barin war an ihrer Seite und versuchte ihr auf die Beine zu helfen. »Hast du dir das Knie verletzt?« »Ja, hoffentlich nur eine Prellung.« Sie stützte sich auf seinen Arm. »Du bist Barin, Prinz Barin?« »Das bin ich. Und du mußt Aura sein. Prinzessin Aura. Seit unserer Kindheit im Palast ist viel geschehen.« »Ja, damals war es der Palast deines Vaters und mein Vater war mit mir euer Gast.« »Und jetzt sind wir Feinde, du und ich, Aura?« »Nein«, lächelte sie, »ich will nicht mehr Prinzessin Aura sein und Anspruch auf einen Thron haben.« »Du bist als Gast willkommen, Aura. Wir leben hier nicht schlecht im Waldkönigreich, abgesehen –« »Abgesehen von meinem Vater«, beendete sie seinen Satz. »Wie kommt es überhaupt, daß du hier in der Nähe warst?« Er lächelte sie an und legte den Arm um ihre Schulter. »Vielleicht sollte man es Schicksal nennen«, antwortete er. *
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Tomo streckte einen Finger gegen Himmel. »Schau dir das an, Flash!« rief er. »Hast du das schon irgendwo gesehen?« Flash nickte. »Habe ich, Tomo, habe ich.« Drei schwerbewaffnete Rettungsschiffe aus Arboria waren eingetroffen und räumten mit den in der Luft verbliebenen Harpien auf. Besonders eins schoß ganze Schwärme der Flugreptilien ab. Den Arm um Dale gelegt, stand Flash neben ihrem sicher gelandeten Flugschiff und beobachtete den Kampf am Himmel über ihnen. »Was für eine Waffe setzt dieser dritte Kreuzer ein?« fragte der begeisterte Tomo. »Sie desintegriert die Bestien sofort und vollständig. Sie verschwinden einfach, verdampfen regelrecht.« Ein anderer der Luftkreuzer setzte jetzt zur Landung neben ihnen an, nachdem er alle Harpien in seiner Reichweite erledigt hatte. Seine Augen noch immer nach oben gerichtet, bemerkte Tomo: »Vielleicht stecken die Magier hinter dieser neuen Waffe.« »Wer sind die Magier?« erkundigte sich Dale verwundert. »Wie Sie wissen«, erklärte ihr Tomo, »hat Ming immer versucht, seinen Gegner auf einem sehr niedrigen Niveau der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung zu halten. Gleich nach seiner Machtübernahme machte er es zu einem Verbrechen für jeden Wissenschaftler, für uns zu arbeiten. Darauf steht die Todesstrafe.« Der junge Mann lächelte. »Aber auch Ming erklärte Zauberei und Magie nicht zu einem Verbrechen. Mongo hat eine alte und ehrwürdige Tradition der magischen Künste.« »Ich verstehe«, meinte Dale, »also nennen sich euere Wissenschaftler Magier.« »Ich weiß nicht, ob sie Ming damit noch immer täuschen können, aber die Männer der Wissenschaft lieben Scherze«, fuhr Tomo fort. »Also behalten sie ihre Maskerade bei. Ihre Bruderschaften gibt es überall auf Mongo, und über diese Ver155
einigungen führen sie unserer Sache ständig die fähigsten Köpfe des Reiches zu. Sie haben viele neue Entwicklungen hervorgebracht, nicht nur auf dem Waffensektor.« Er blickte wieder zum Himmel hinauf. »Es ist gut möglich, daß wir einem ihrer neuesten Rekruten diese fantastischen Blasterkanonen zu verdanken haben.« »Das würde mich wundern. Es sei denn –« Flash unterbrach sich und deutete auf die anderen beiden Kreuzer, die jetzt ebenfalls zur Landung einschwenkten. Einen Augenblick später setzten sie neben den beiden bereits gelandeten Schiffen in der Lichtung auf. Flash nahm Dale bei der Hand und ging mit ihr auf das Schiff zu, von dem aus die neue Blasterwaffe eingesetzt worden war. Bevor sie es erreicht hatten, wurde der Seitenausstieg aufgerissen, und ein großer, bärtiger Mann in einer grünen Arbeitskombination sprang heraus. »Ich wußte, daß ich damit alles übertroffen habe, was es zur Zeit auf Mongo an Energiewaffen gibt«, dröhnte ihnen eine laute Stimme entgegen. »Was sagst du dazu, Flash?« »Ein großer Durchbruch in der Harpienvertilgung, Doc«, grinste Flash. Dale umarmte den stämmigen Wissenschaftler. »Zarkov! Sie leben noch!« »Warum sollte ich tot sein?« dröhnte er los, »bei meiner Konstitution und den Diätvorschriften, an die ich mich immer halte. Allerdings muß ich diesen Magiern noch einiges über Vitamine beibringen. Sie können da noch nichts Anständiges synthetisieren. Besonders von Vitamin Z haben sie noch nie etwas gehört!« »Haben Sie den nicht selbst entdeckt, Doc, und nach sich benannt?« fragte Flash. »Ach ja, das war ja Vitamin Z.« Zarkov beantwortete Dales Umarmung mit einer enthusiastischen Umklammerung, die allerdings eher einem Grizzly angemessen gewesen wäre. »Es gibt hier noch viel für mich zu tun. Diese Burschen haben un156
wahrscheinliches Glück gehabt, daß ich sie überzeugen konnte, mich auf dem schnellsten Weg nach Arboria zu bringen, zum besten Labor außerhalb von Mings Palast.« Er trat von Dale zurück und betrachtete seine beiden Freunde, während er sich in unvermeidlicher Manier begann den Bart zu reiben. »Ich habe gehört, ihr habt Ming ganz schön zu schaffen gemacht. Sie haben Affen, Tiger und Löwen geschlachtet, Flash, heißt es.« »Nur Tiger«, berichtigte Flash. »Mit den Löwenmenschen habe ich eine dauerhafte Freundschaft geschlossen.« »Das ist die alte Flash-Gordon-Anpassungsfähigkeit«, verkündete Zarkov mit seiner dröhnenden Stimme. »Man kann ihn über jeden Planeten des Universums abwerfen, er landet immer auf den Füßen.« »Bei dieser Gelegenheit«, warf Flash ein, »sie haben versprochen unser Schiff nach Arboria zu bringen und uns bei der Reparatur zu unterstützen.« Zarkov fuhr fort sich den Bart zu kratzen. »Ach, ja… das Forschungsschiff«, sagte er in einer Tonlage, die er als gesenkte Stimme empfand, obwohl er auf der ganzen Lichtung gut zu verstehen war. »Sie sehen nicht sehr begeistert aus, bei dem Gedanken bald wieder von hier starten zu können«, meinte Dale. »Wir müssen natürlich irgendwann zurück zu unserem Laborschiff«, erwiderte Zarkov, »aber ich sage euch, es gibt da für mich noch einige sehr interessante Probleme zu lösen, die hier in Arboria warten. Das größte Problem dürfte Ming sein. Was soll man mit einem Kerl machen, der die Wissenschaften kriminalisiert hat. Hier muß etwas geschehen.« »Ming kann bereits tot sein«, erklärte Flash. »Tot?« Flash berichtete von ihren Abenteuern im kaiserlichen Palast. Als er geendet hatte, schüttelte Zarkov den Kopf. »Falls der alte Junge wirklich aus dem Rennen sein sollte, lassen sie aus 157
dem Palast nichts darüber durchsickern«, sagte der Wissenschaftler. »Im Gegenteil, wir haben heute morgen eine Sendung über Radio aufgefangen, die eine neue Deklaration, von Ming persönlich, angekündigt hat.« Er nickte Flash und Dale zu und schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Würde es euch viel ausmachen noch etwas hier auf Mongo zu bleiben, ihr beiden?« Flash blickte zu Dale hinüber, und sie nickte ihm zu. Er lächelte Zarkov an und antwortete: »Überhaupt nichts.« ENDE
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