Meilensteine der Nationalökonomie
Meilensteine der Nationalökonomie F. A . H a y e k ( H r s g . ) · Beiträge zur Gel...
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Meilensteine der Nationalökonomie
Meilensteine der Nationalökonomie F. A . H a y e k ( H r s g . ) · Beiträge zur Geldtheorie XVI, 511 Seiten. 2007 (Reprint von 1933). ISBN 978-3-540-72211-3 F. M a c h l u p · Führer durch die Krisenpolitik XX, 232 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72261-8 O. Morgenstern · Die Grenzen der Wirtschaftspolitik XII, 136 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72117-8 E. Salin · Geschichte der Volkswirtschaftslehre XII, 106 Seiten. 2007 (Reprint von 1929). ISBN 978-3-540-72259-5 G. Schmölders · Finanzpolitik XVI, 520 Seiten. 2007 (Reprint von 1970). ISBN 978-3-540-72213-7 W. S o m b a r t · Die Ordnung des Wirtschaftslebens XII, 65 Seiten. 2007 (Reprint von 1927). ISBN 978-3-540-72253-3 F. W. Taylor, A. Wallichs · Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstätten X, 158 Seiten. 2007 (Reprint von 1919). ISBN 978-3-540-72147-5
Günter Schmölders
Finanzpolitik Reprint der 3., neu überarbeiteten Auflage Berlin, Heidelberg, New York, 1970
Mit 6 Abbildungen und 15 Tabellen
123
Ursprünglich erschienen in der Reihe: Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft
ISBN 978-3-540-72213-7 Springer Berlin Heidelberg New York
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134/3180YL - 5 4 3 2 1 0
Gedruckt auf s¨aurefreiem Papier
Enzyklopadie der Rechts- und Staatswissenschaft Begriindet von F. von Liszt und W. Kaskel
Herausgegeben von W. Kunkel • P. Lerche • W. Mieth • W. Vogt
Abteilung Staatswissenschaft
Finanzpolitik von
Dr. Dr. h. c. Giinter Schmolders o. Professor der Wirtschaftlichen Staatswissenschaften an der Universitat zu Koln
Dritte, neu iiberarbeitete Auflage
Mit 6 Abbildungen und 15 Tabellen
Springer -Verlag Berlin • Heidelberg • New York 1970
Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begrundeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nadidruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, audi bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfaltigungen fiir gewerbliche Zwecke ist gemafi § 54 UrhG eine Vergutung an den Verlag zu zahlen, deren Hohe mit dem Verlag zu vereinbaren ist. (c) by Springer-Verlag Berlin • Heidelberg 1955, 1965 and 1970. Library of Congress Catalog Card Number 78-126894. Titel-Nr. 4433
Vorwort zur dritten Auf lage Die vorliegende Neuauflage halt an der Grundkonzeption des Buches unverandert fest; gegeniiber der zweiten Auf lage ist sie durchgehend auf den neuesten Stand gebracht und inhaltlich nur dort erweitert worden, wo es unumganglich war. Im Gegenteil ging mein Bestreben dahin, die Darstellung nach Moglichkeit zu straffen, um den Umfang des Buches trotz Berucksichtigung der neuen Aspekte nicht weiter anschwellen zu lassen. Wie im Vorwort zur zweiten Auflage begriindet, fiihlte ich mich veranlafit, an einigen Stellen, an denen es besonders angebracht erschien, die theoretischen Aspekte noch starker als bisher zu betonen. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch die teilweise recht umfangreichen Fufinoten zu sehen, in denen die weiterfiihrende Literatur zusammengestellt ist, um ein tieferes Eindringen in diese Probleme zu erleichtern. Straflich vernachlassigt wird heute in den meisten gangigen Lehrbuchern die Geschichte der offentlichen Finanzen und die historische Entwicklung unserer finanzpolitischen Institutionen. Es erschien mir daher angezeigt, dem Leser wenigstens in den Hauptabschnitten jeweils auch die fniheren Losungen unserer Probleme vor Augen zu fiihren, aus denen vieles zu lernen ist, was abstrakte Modelle schlechterdings nicht vermitteln konnen. Auch bei der Neubearbeitung konnte ich wieder auf viele Anregungen und sowohl kritische als auch zustimmende Stellungnahmen zurlickgreifen, vor allem auch auf die systematische Durcharbeitung des gesamten Stoffes in hunderten von Seminarveranstaltungen, Arbeitsgemeinschaften und Symposien. Aus der Arbeit unseres Kolner Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts, das inzwischen in das funfte Jahrzehnt seines Bestehens eingetreten ist, sind allein in der Neuen Folge liber 40 Bande an Forschungsarbeiten hervorgegangen *; auch diese Untersuchungen haben in dem vorliegenden Buch ihren Niederschlag gefunden. Besonderen Dank schulde ich fur treue Mitarbeit an der vorliegenden Neuauflage Herrn Dipl.-Kfm. Bert Riirup sowie alien Mitarbeitern im Institut und Seminar. Koln, im Februar 1970
Glinter Schmolders
1 Siehe hierzu: Finanzwissensdiaftlidie Forsdiung und Lehre an der Universitat zu Koln 1927—1967, Berlin 1967.
Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage Im Vorwort zur ersten Auflage ging es darum, den finanzpolitischen Aspekt der Finanzwissenschaft als selbstandigen Stoff- und Lehrbereich abzugrenzen und zu rechtfertigen. In den zehn Jahren, die seither vergangen sind, hat sich das neue Fachgebiet in Schrifttum und Lehre uberraschend schnell und umfassend durchgesetzt, so dafi es fiir die zweite Auflage keiner Rechtfertigung mehr bedarf. Gleichzeitig hat sich herausgestellt, dafi die „Finanz theorie", die seinerzeit als besonderer Band dieser Enzyklopadie angekiindigt worden war, bislang nicht erscheinen konnte; aus diesem Grunde ist die finanztheoretische Problematik in der vorliegenden Neubearbeitung in den entsprechenden Abschnitten weitgehend mitberucksichtigt worden. Wenn dadurch auch der Umfang des Buches nicht unbetrachtlich angewachsen ist, so hat doch seine Lesbarkeit, so hoffe ich, darunter nicht gelitten; der finanzwissenschaftlich und finanzpolitisch Interessierte findet dafiir jetzt Theorie und Politik zu den wichtigsten Problemen an Ort und Stelle miteinander vereinigt. Zusammen mit der „Geldpolitik
Giinter Schmolders
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung § 1. Der Gegenstand der Finanzpolitik § 2. Neue Wege finanzwissenschaftlicher Forschung § 3. Empirische Theorie der Finanzpolitik
. . . . . .
II. Die Finanzverfassung § 4. Ursprung und Wesen § 5. Finanzverfassung und Staatsverfassung § 6. Institutionen der Finanzverfassung § 7. Die Finanzverfassung im Bundesstaat § 8. Ansatze supranationaler Finanzverfassungen
1 5 11
16 21 27 41 54
III. Die finanzpolitische Willensbildung A. P l a n u n g u n d V o l l z u g § 9. Der Haushaltsplan § 10. Haushaltsgrundsatze § 11. Die Aufstellung des Budgetentwurfs § 12. Parlamentarische Beratung und Verabschiedung § 13. Der Vollzug des Haushaltsplanes B. D i e t r e i b e n d e n K r a f t e § 14. Eigenart und Dynamik der parlamentarischen Beschluftfassung . § 15. Das Obergewicht der Exekutive § 16. Der vorparlamentarische Raum § 17. Die offentliche Meinung § 18. Foderalistische und zentralistische Tendenzen im deutschen Finanzausgleich § 19. Die „Anziehungskraft des zentralen Etats" § 20. Die Technik des Finanzausgleichs
60 64 80 86 89 94 108 119 130 145 150 155
IV. Die Ausgabenpolitik A. D a s „ G e s e t z " d e r w a c h s e n d e n Staatstatigkeit § 21. Der Tatbestand §22. Die Ursachen der Entwicklung § 23. Das „optimale" Budgetvolumen B. D i e o f f e n t l i c h e n A u s g a b e n § 24. Die offentliche Hand als Arbeitgeber und Auftraggeber . . . § 25. „Geschenkwirtschaft" und Marktwirtschaft: Die Subventionen . § 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlichen Hand C. D i e o f f e n t l i c h e n A u s g a b e n i m D i e n s t e d e r W i r t schaftspolitik § 27. Die Korrektur der Einkommensverteilung § 28. Offentliche Ausgaben im Dienste der Strukturpolitik . . . . § 29. Der Kampf gegen Konjunktur- und Wachstumsschwankungen .
173 187 197 205 223 235
247 263 276
Inhaltsverzeichnis
VIII V. Die Einnahmenpolitik A. D i e § 30. § 31. § 32.
offentlichen Einnahmen Einnahmen aus offentlichen Erwerbsunternehmen Gebiihren, Beitrage und Steuern „Aufterordentliche" Einnahmen der offentlichen Hand
B. D i e § 33. § 34. § 35.
Kunst der B e s t e u e r u n g Die Steuertechnik Steuermoral und Steuerwiderstand Die Gerechtigkeit in der Besteuerung
311 323 338
C. D i e § 36. § 37. § 38.
S t e u e r n als I n s t r u m e n t der P o l i t i k Steuersystem und Wirtschaftssystem Die Wirkungen der Besteuerung Die Steuer im Dienste der Wirtschaftspolitik
348 359 375
D. D i e § 39. § 40. § 41.
P o l i t i k der o f f e n t l i c h e n Schulden Arten und Formen der offentlichen Schuld Die offentliche Schuld als Mittel der Wirtschaftspolitik Maftstabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung .
.
. .
.
. .
292 298 . 305
393 . 400 . 414
VI. Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik A. O r d n u n g s m a f t i g k e i t d e r F i n a n z g e b a r u n g § 42. Die Finanzkontrolle § 43. Der formale Haushaltsausgleich
426 434
B. F i n a n z p o l i t i k i m D i e n s t e d e r W i r t s c h a f t s p o l i t i k § 44. Die Interdependenz der Erfolgsmaftstabe : 438 § 45. Haushaltsplan, Finanzplan und Nationalbudget 450 § 46. Finanzpolitik oder „Fiscal Policy"? 462 C. F i n a n z p o l i t i k a l s „ g r o fi e P o l i t i k " § 47. Finanzpolitik und Zahlungsbilanz § 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
474 482
Namenverzeichnis
500
Sachverzeichnis
506
„Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch." (Goethe, Wahlverwandtschaften)
I. Einleitung § 1. Der Gegenstand der Finanzpolitik Es gehort zum besonderen Ruhm der deutschsprachigen Kameralwissenschaft, dafi sie schon hundert Jahre vor der klassischen britischen „Volkswohlstandslehre" die damaligen Probleme der Sozialokonomik erkannt, diskutiert und Losungen fiir sie vorgeschlagen hat, die in der praktischen Politik der Zeit anwendbar waren. Auch als sich spater die mit gutem Recht so genannte „Politische Okonomie" den gleichen Problemen zuwandte *, von der Erschliefiung der binnenwirtschaftlichen Produktivkrafte iiber AuSenwirtschaft und Verkehr bis zur gerechten Verteilung der Gemeinlasten, blieb insbesondere die Finanzwissenschaft den Aufgaben der praktischen Politik und der offentlichen Verwaltung gewidmet; Finanzwissenschaft war und ist weithin wissenschaftliche Finanzpolitik. Vollends in einer Zeit, die sich eine Wiederbelebung der Wissenschaft von der Politik zur Aufgabe gestellt hat, deren stolze Ahnenreihe bis zu Montesquieu und Bodin, Aristoteles und Plato hinaufreicht, darf die Finanzwissenschaft nicht abseits stehen; angesichts der Erweiterung des Aufgabenkreises, den die moderne Entwicklung des Staatslebens gerade der Finanzgebarung der offentlichen Korperschaften auferlegt hat, findet unsere traditionsreiche Wissenschaft vielmehr wieder zu jenem zentralen Standort innerhalb der „Politischen Okonomie" zuriick, wie sie ihn in ihrer Glanzzeit gerade im deutschen Sprachgebiet unbestritten besafi. In der literarischen Diskussion der letzten Jahrzehnte ist eine Anzahl breitangelegter Versuche hervorgetreten, die Theorie der offentlichen Finanzen dem Gesamtkonzept der okonomischen Theorie einzugliedern 2, die es mit der Zusammensetzung des Sozialprodukts aus dem privaten und dem 1
Sdimolders, G.: Gesdiidite der Volkswirtsdiaftslehre, rowohlts deutsche enzyklopadie, Bd. 163/164, 5. AufL, Hamburg 1970. 2 Vgl. u. a. Rolph, E. R.: The Theory of Fiscal Economics, Berkeley und Los Angeles 1954; Musgrave, R. A.: The Theory of Public Finance, New York-TorontoLondon 1959; Haller, H.: Finanzpolitik, 4. AufL, Tubingen-Zurich 1968; ferner, wenn auch etwas einseitig, Hansen, A. H.: Fiscal Policy and Business Cycles, New York 1941, und Lerner, A. P.: The Economics of Control, New York 1949. 1
Sdimolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
2
Einleitung
offentlichen „Sektor" und mit der Verteilung des Volkseinkommens auf individuelle und kollektive Bedarfsdeckung zu tun hat. Diese Entwicklung einer „Finanzwirtschaftstheorie" liegt auf der gleichen Linie der „Okonomisierung" der Finanzpolitik, wie sie F. K. Mann schon vor mehr als drei Jahrzehnten fiir die „Staatswirtschaft unserer Zeit" in dem allmahlichen Obergang vom blofien „Anteilsystem" des steuerheischenden Staates zu einem „Kontrollsystem
Mann, F. K.: Die Staatswirtsdiaft unserer Zeit, Jena 1929. Lauf enburger, H.: Finances comparees, Etat-Unis, France, Grande-Bretagne, Suisse, U.R.S.S., Paris 1947, S. 12. 5 Mann, F. K.: Die Finanzwirtsdiaft als Modell und als System, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 19, 1958/59, S. 25. 6 „Die mit Modellen arbeitende Theorie ist nicht in der Lage, derartige Reaktionen in ihre Verhaltenshypothesen aufzunehmen. Sie arbeitet notgedrungen mit einer gewissen Anzahl schematisierter Annahmen. Es ist jedoch ohne weiteres moglich, die theoretischen Deduktionen durch Hinzufiigung solcher differenzierter psychologischer Reaktionen zu modifizieren, um fiir eine konkrete Volkswirtschaft eine realistischere Vorstellung von den Wirkungen bestimmter MaEnahmen oder der Wirksamkeit einzelner Institutionen zu erhalten." (Haller, H.: Finanzpolitik, a.a.O., S. 6.) 4
§ 1. Der Gegenstand der Finanzpolitik
3
Gesetzmafiigkeiten aller Politik, nicht dem rationalen Schema eines wiinschenswerten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wie jenes, von dem die okonomisch-theoretischen Modelle auszugehen pflegen. Auf der anderen Seite entspringen die Versuche, die Finanzwirtschaft der offentlichen Hand als integrierenden Bestandteil im volkswirtschaftlichen Gesamtprozefi zu sehen, in dem sich audi der Finanzpolitik ein neues und weites Aufgabenfeld erschliefit, der richtigen Erkenntnis, dafi unser Gegenstand heute nicht mehr allein durch den Bereich der offentlichen Haushaltseinnahmen abgegrenzt ist, wie dies noch bis zu W. Gerloff weitverbreitete Auffassung war 7 ; seit iiberall anerkannt wird, dafi auch die offentlichen Ausgaben in ihren Wirkungen und Wirkungsmoglichkeiten zum Forschungsund Handlungsobjekt der Finanzpolitik gehoren, ist sie langst iiber den engen Rahmen der Staatsfinanzwirtschaft klassischer Pragung hinausgewachsen. Einerseits greifen die Hoheitsakte, deren sich die offentliche Hand zur Erfullung ihrer finanzpolitischen Aufgaben bedient, weit iiber das im engeren Sinne „wirtschaftliche
1*
Einleitung
4
zung aus den unterschiedlichen Zielvorstellungen und Entscheidungsbereichen, mit denen beide operieren 9 . Der Entscheidungsbereich der Geldpolitik ist monothematisch oder bestenfalls dyothematisch; sie ist wesentlich auf das Ziel der Wahrungsstabilitat im Inneren und nach aufien fixiert, ein Merkmal, in dem audi letztlich ihre institutionelle Verselbstandigung begriindet ist. Die Finanzpolitik dagegen ist polythematisch; die jeweils unter Einsatz ihrer Mittel verfolgten Ziele unterliegen im historischen Ablauf einem steten Wandel. War es im Kameralismus anfanglich das einseitig fiskalische Ziel, die Schatzkammer des Fiirsten oft ohne viel Riicksicht auf die herrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen, nicht selten zunachst sogar unter Mifiachtung aller volkswirtschaftlichen Erwagungen, mit Reichtiimern zu fiillen, so gait es im Liberalismus im wesentlichen nur, mit Hilfe der Steuern und sonstigen Abgaben den eigentlichen Staatsbedarf zu decken. Der Interventionsstaat moderner Pragung bringt die Polythematik der Finanzpolitik in dem Nebeneinander zahlreicher verschiedener Zielsetzungen zum Ausdruck. Ob bei alledem das „klassischec< Ziel der Deckung des staatsfinanzwirtschaftlichen Eigenbedarfs oder die genannten anderen Ziele der Wirtschafts- oder Sozialpolitik Vorrang geniefien, bestimmt sich letztlich nach dem Ergebnis der politischen Meinungs- und Willensbildung im Parlament; dabei kann und mufi die Wissenschaft ihr Urteil iiber Zweckmafiigkeit oder Unzweckmafiigkeit dieser oder jener finanzpolitischen Mafinahme beisteuern, ohne sich f reilich gro£en Illusionen dariiber hinzugeben, ob derartige Mahnungen, Ratschlage und Appelle im politischen Bereich gegeniiber den massiven Interessen, Vorurteilen und taktischen Uberlegungen Gehor finden. Die frohe Hoffnung W. Gerloffs, die wissenschaftliche Finanzpolitik konne „ebenso Mittel des politischen Erkennens wie Wegweiser politischen Handelns" sein, hat sich jedenfalls bis heute nur in sehr geringem Mafie erfullt. Der Gegenstand unserer Finanzpolitik bestimmt sich nach alledem zunachst aus dem Ziel der Inganghaltung des Staatsapparates als solchem und dariiber hinaus, sofern die offentlichen Einnahmen und Ausgaben in den Dienst struktur-, konjunktur- oder wahrungspolitischer Ziele treten, nach der Art und den Folgen des finanzpolitischen Handelns in diesem Dienst; da solche Ziele der Finanzpolitik allemal von der politischen Willensbildung aufgetragen werden, lassen sich Erfolg oder Mifierfolg der Mafinahmen jeweils nur an dem Grad der Erreichung dieser Ziele, nicht dagegen an dem Instrument dieser Politik ablesen. Aus dieser Beschrankung ihres Urteils erwachst der wissenschaftlichen Finanzpolitik andererseits zugleich das Recht und die Pflicht, unermiidlich an die politisch-psychologische Eigengesetzlichkeit der Institutionen und Prozesse zu erinnern, in denen sich alle reale Finanzpolitik vollzieht; Ursachen und Folgen, Ziele und Mittel sowie Moglichkeiten und Grenzen der Mafinahmen sind zu erforschen, Kategorien und Begriffe sind 9
Vgl. Schmolders, G.: Geldpolitik, 2. Aufl. Tiibingen-Zurich 1968, S. 392 ff.
§ 2. Neue WegefinanzwissensdiaftlicherForschung
5
zu entwickeln, die eine verbesserte Einsicht in diese Zusammenhange ermoglichen, urn die treibenden Krafte, die Institutionen und Prozesse sowie ihre Erfolge und Mifierfolge sine ira et studio zu erkennen.
§ 2. Neue WegefinanzwissenschaftlicherForschung „Die altere finanzwissenschaftliche Forschung hat vielfach der Sammlung von Tatsachenmaterial mehr Gewicht als seiner Analyse beigelegt, wahrend die neuere, wobei vornehmlich an gewisse radikale Vertreter der functional Finance* gedacht ist, den Zusammenhang mit der Tatsachenwelt nicht selten zu verlieren scheint. Hier den Ausgleich zu schaffen, ist die Aufgabe, vor der die Finanzwissenschaft steht; dazu aber bedarf ihre Arbeit einer methodologischen Besinnung." Mit diesen Worten kennzeichnete W. Gerloff 10 die Bedeutung der Methodenlehre als einer Wegweiserin der finanzwissenschaftlichen Forschungsarbeit; deskriptive Tatsachenbeobachtung und deduktive Analyse miissen zusammenwirken, um aus der Fiille der Einzelergebnisse Tendenzen und Regelmafiigkeiten herauszuheben und sie als Erscheinungen gesetzmafiigen Charakters verstandlich zu machen. Die Gesetzmafiigkeit oder besser Eigengesetzlichkeit dieser Erscheinungen ist in der Finanzwissenschaft ebenso wie in der Wirtschaftstheorie durch das menschliche Element bestimmt, durch den Umstand, dafi Aufbau und Vollzug der Finanzwirtschaft Menschenwerk sind; wie alles Wirtschaften menschliches Handeln ist, so wird auch das Wirtschaften im offentlichen Bereich von den mannigfaltigen Motivationen und Reaktionen der aktiv und passiv daran beteiligten Menschen bestimmt. Den Kontakt mit dem Menschlich-Allzumenschlichen, den die „reine
Einleitung
6
ten logisch aus Pramissen abzuleiten, die keiner immanenten Kritik zuganglich sind; im zweiten Fall dagegen kann man sich mit der logischen „Richtigkeit" des Modells nicht begnligen, sondern mufi die aufgestellten Hypothesen audi an ihrer „Wichtigkeit" (Salin) messen, an ihrer Ubereinstimmung oder Nichtiibereinstimmung mit der Wirklichkeit, in der gerade ein „ rationales" Handeln nun einmal eher die Ausnahme als die Regel, jedenfalls keineswegs besonders verbreitet ist. Uber den Wert des „rationalen" Modells und seine heuristische Bedeutung in der wissenschaftlichen Forschung ist damit kein absprechendes Urteil gefallt; jede Aussage iiber menschliches Handeln braucht eine Norm, wie sie zweifellos die Theorie vom Rationalverhalten mit der Verbindlichkeit ihrer „exakten" Ableitungen in besonders eleganter Form setzen kann. Audi die Theorie der Finanzpolitik mufi sidi darum bemiihen, dem Finanzpolitiker fiir sein Handeln gewisse Normen an die Hand zu geben, um ihn in die Lage zu versetzen, fiir jedes von ihm verfolgte Ziel und in jeder Situation adaquate Mafinahmen zu ergreifen; will und soil doch auch der Politiker seine Mittel „rational" einsetzen. Er wird dazu um so eher in der Lage sein, je besser ihn die Wissenschaft iiber die zu erwartenden Reaktionen und das wirkliche Verhalten der Steuerzahler und der Empfanger offentlicher Leistungen, der Beamten, Politiker und Interessenvertreter unterrichtet. Deshalb muf? der Trennungsstrich dort gezogen werden, wo sich die Theorie anschickt, die „rationale" Norm mit der Verhaltenswirklichkeit a priori zu identifizieren und alle jene Wirkungskrafte, die in rational-okonomischen Kategorien nun einmal nidit fafibar sind, in den Bereich der „Imponderabilien" zu verbannen, fiir die sie sidi nicht weiter interessiert n; unter dem Einflul? dieses weitverbreiteten neoklassischen Denkstiles liefe sie andernfalls Gefahr, iiber der „Immunisierung gegen den Einflufi aufierokonomischer Faktoren" der „Immunisierung gegen die Erfahrung iiberhaupt" zu verf alien 12. Insbesondere sind es zwei grundlegende Pramissen, von denen die Theorie des Rationalverhaltens auszugehen pflegt, die aber in der Wirklichkeit niemals auch nur annaherungsweise zutreffen, namlich die Annahme einer unendlich grofien Anpassungsgeschwindigkeit, mit der sich die Reaktionen im Wirtschaftsablauf vollziehen, und die sogenannte „ceteris paribus"Hypothese, die es erlaubt, die einzelnen Reaktionen gedanklich zu isolieren. Gerade das Zeitmoment, das sowohl verzogerte Reaktionen wie auch Antizipationen umfafit (Signalwirkungen), und die wechselnden Umstande, Gegen- und Nebenwirkungen politisch-okonomischer Art bilden jedoch das 11
Schmolders, G.: Volkswirtschaftslehre und Psychologic, Berlin 1962, S. 15. Albert, H.: Modell-Platonismus, Der neoklassische Stil des okonomischen Denkens in kritisdier Beleuchtung, in: Sozialwissensdiaft und Gesellsdiaftsgestaltung, Festsdirift fiir G. Weisser, hrsg. von F. Karrenberg und H. Albert, Berlin 1963, S. 73. 12
§ 2. Neue Wege finanzwissenschaftlicher Forschung
7
eigentliche Element aller politischen und damit auch aller wirtschafts- und finanzpolitischer Erfolgschancen und Risiken. In einer fur die Wirklichkeitserkenntnis brauchbaren Theorie geblihrt daher gerade der verzogerten Anpassung, den Erwartungen und Antizipationen sowie auch alien jenen mannigfachen Wechselwirkungen, die die bequeme „ceteris paribus
8
Einleitung
Ausgangshypothese, dafi das Finanzamt es nur mit abgefeimten Betrugern zu tun habe, fiihrt zu falschen Schlufifolgerungen. Nicht viel anders verhalt es sich mit den Annahmen der „reinen" Finanztheorie iiber das Verhalten von Empfangern und Nutzniefiern staatlicher Ausgaben, ja der Trager der Finanzpolitik und ihrer ausfuhrenden Organe selbst; das soziologische „Rollenspiel" aller Beteiligten gehorcht seinen eigenen Gesetzen. Eine brauchbare Theorie der Finanzpolitik mufi daher versuchen, dem Finanzpolitiker die rationale Wahl seiner Ziele und den rationalen Einsatz seiner Mittel gerade dadurch zu erleichtern, dafi sie ihm zeigt, wie er neben dem rationalen audi das irrationale Verhalten der Menschen und die Eigengesetzlichkeit der Institutionen und Gruppen systematisch beriicksichtigen kann. Dieser Aufgabe widmet sich die Finanzpsychologie, die sich in den letzten Jahren aus der Erkenntnis dieser Zusammenhange entwickelt und inzwischen im In- und Ausland bereits weitgehend durchgesetzt hat 1 6 . Sie erhebt nicht den Anspruch, eine „neue Wissenschaft" zu sein; in ihrer Eigenart als systematische „Verhaltensforschung" im Bereich der offentlichen Finanzwirtschaft ist sie vielmehr eine mit den Methoden der empirischen Sozialforschung arbeitende eigene Forschungsrichtung der Finanzwissenschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Zusammenhang mit alien anderen Wissenschaften vom Menschen, insbesondere der Psychologie, der Soziologie und der Sozialpsychologie, jene irrationalen Krafte des Menschlich-Allzumenschlichen aufzuspuren und zu analysieren, die hinter der Fassade des Formalen und Institutionellen die eigentliche Dynamik der parlamentarischen Willensbildung auf der einen, die Einstellungen und Reaktionen der steuerzahlenden und leistungsheischenden Staatsbiirger auf der anderen Seite bestimmen. Dabei bemiiht sich diese neue Forschungsrichtung von vornherein, jenen Fehler zu vermeiden, dem seinerzeit die „psychologische Schule" der subjektiven Wertlehre zum Opfer fiel, den Fehler namlich, ihre Hypothesen auf einer rationalisierend-introspektiven Psychologie aufzubauen, die sich empirischer Nachpriifung weitgehend entzieht. Im Gegenteil sind die Hypothesen der empirischen Theorie umgekehrt nur an Hand systematischer Erfahrung der wirtschaftlichen Wirklichkeit zu gewinnen; die methodisch und technisch hochentwickelten Verfahren der empirischen Sozialforschung stehen zur Verfiigung, um die zunachst auf Grund systematischer Leitstudien entwickelten Hypothesen objektiv zu untersuchen, sie zu bestatigen oder zu widerlegen. Dieses Verfahren ist nicht mit jener „ empirischen Induktionc< gleichzusetzen, die der Historischen Schule der Volkswirtschaftslehre mit einigem den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Erwin von Beckerath zum 75. Geburtstag, Tubingen 1964, S. 520 ff.): 16 Sdimolders, G.: Finanzpsychologie, in: Finanzarchiv, N.F. Bd. 13, 1951/52, S. 1 ff.; ders.: Das Irrationale in der offentlidien Finanzwirtschaft, Probleme der Finanzpsychologie, rowohlts deutsche enzyklopadie, Bd. 100, Hamburg 1960; 2. Aufl. (unter dem Titel Finanz- und Steuerpsychologie), Reinbek 1970; Wirtschaftstheorie und Verhaltenstheorie, a.a.O.
§ 2. Neue Wege finanzwissenschaftliclier Forschung
9
Recht zum Vorwurf gemacht worden ist; die Methode der Verhaltensforschung und damit audi der Finanzpsychologie kann man demgegeniiber vielleicht als „empirische Deduktion" bezeichnen, d. h. als fortschreitende Deduktion aus jeweils neuen Hypothesen, die so lange an den Tatsachen gepriift und auf Grund dieser Priifung modifiziert werden, bis sie der Erfahrung standhalten 17. Es handelt sich dabei um nichts anderes als die Methode der empirischen Forschung in den Sozialwissenschaften schlechthin; empirische Sozialforschung, sozialokonomische Verhaltensforschung und Finanzpsychologie unterscheiden sich nur hinsichtlich der Richtung ihres Forschungsinteresses, nicht aber hinsichtlich ihrer wissenschaftstheoretischen Grundkonzeption und des Instrumentariums ihrer Forschungsmethoden. Die Finanzpsychologie mit ihrem besonderen Interessen- und Forschungsbereich ist von den ihr benachbarten Disziplinen, der empirischen Psychologie und der empirischen Soziologie, leicht abzugrenzen. Geht es der Psychologic in erster Linie selbst da um den Einzelmenschen, wo sie ihn in seinen sozialen Verflechtungen sieht, so ist die finanzpsychologische ebenso wie alle sozialokonomische, sozialpsychologische und soziologische Forschung an den Gesetzmafiigkeiten und Problemen des menschlichen Zusammenlebens interessiert; erforschen hier Soziologie und Sozialpsychologie die Funktionsweise der Gesellschaft und ihrer verschiedenen Gruppierungen, so konzentriert sich die sozialokonomische Verhaltensforschung auf das volkswirtschaftlich relevante Verhalten der Menschen als Unternehmer und Arbeiter, Verbraucher, Kaufer und Sparer 18, die Finanzpsychologie dagegen auf das finanzwirtschaftlich relevante Verhalten der Politiker, Staats- und Kommunalbeamten, der Steuerzahler und der Empfanger orTentlicher Leistungen, kurz aller am Prozefi der offentlichen Finanzwirtschaft materiell und ideell Beteiligten. Finanzpsychologie und Finanzsoziologie beschaftigen sich beide von ihrem Standpunkt aus mit den Wechselbeziehungen zwischen der Gesellschaft und den finanzwirtschaftlichen Institutionen des Staates (F. K. Mann, H. Sultan, R. Goldscheidt); wo es aber der Soziologie um die Gestaltungskrafte des Gruppenhandelns geht, untersucht die Psychologie die Motivationen und Reaktionen der Individuen, die ihm zugrunde liegen. Diese Abgrenzung bestatigt sich durch einen Blick auf die Verfahrensweisen, die jede Disziplin an ihrem bevorzugten Objekt ausbildet; beispiels17 Vgl. Schmolders, G.: Zehn Jahre sozialokonomische Verhaltensforschung in Koln, a.a.O.; Scherhorn, G.: Methodologische Grundlagen der sozialokonomischen Verhaltensforschung, Forschungsstelle fiir empirische Sozialokonomie, Koln, veroffentlicht als Nr. 942 der Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, KolnOpladen 1961, sowie Seidenfus, H. St.: Art. Verhaltensforschung, sozialokonomische, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 11, Stuttgart-Tubingen-Gottingen 1961, S. 95 ff., und Albert, H. (Hrsg.): Theorie und Realitat, Ausgewahlte Aufsatze zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften, Tubingen 1964. 18 Schmolders, G.: Dkonomische Verhaltensforschung, Arbeitsgemeinschaft fiir Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, H. 71, Koln-Opladen 1957.
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Einleitung
weise widmet sich die Sozialpsychologie heute besonders intensiv den experimentellen Methoden der Kleingruppenforschung 19 , die zur Erhellung finanzwissenschaftlicher Probleme im allgemeinen nur wenig beitragen konnen. Fiir uns handelt es sich vielmehr allermeist urn Grofigruppen, wie die des „Staates", der Beamtenschaft, der Interessenvertretungen, der Steuerzahler, der Subventionsempfanger u. a. m., bei deren Erforschung die Analyse zeitdokumentarischer Materialien und die Befragung von reprasentativen Stichproben im Vordergrund stehen; nur in relativ seltenen Fallen k a n n diese Arbeit auch durch Verfahren der unmittelbaren Beobachtung und des Experiments erganzt werden. Materiell untersucht die Finanzpsychologie einmal die Tatsachen und Erfahrungen der Finanzpolitik, die vorhandenen Institutionen, Dokumente, Gesetze und Gesetzgebungsmaterialien im Hinblick darauf, welche Einstellungen und Verhaltensweisen der Gesetzgeber, Politiker und Staatsbeamten, der Staatsbiirger und Steuerzahler usw. sich in ihnen widerspiegeln; zum anderen sucht sie solche Einstellungen und Verhaltensweisen nach Moglichkeit auch unmittelbar zu erforschen. Im ersten Fall wird das historisch vorgefundene Tatsachenmaterial nachtraglich analysiert, im zweiten bemiiht sich die Finanzpsychologie dariiber hinaus urn eigenes Primarmaterial, das sie mit ihren Kategorien zu interpretieren vermag. Die Sachverhalte, mit denen es die finanzpsychologische Forschung zu tun hat, gliedern sich dabei zwanglos einerseits in Ergebnisse von Verhaltensweisen, sei es, dafi sie als „Tatsachen" jedermann sichtbar sind oder statistisch oder ad hoc durch Befragung erhoben werden, andererseits in Verhaltensweisen und Verhaltensablaufe mit den vor dem Verhalten liegenden psychischen Sachverhalten wie Meinungen, Einstellungen, Zielsetzungen, Plane u. dgl. Aus dem statistisch-analytischen Vergleich solcher empirisch gewonnenen Aussagen iiber bestimmte Sachverhalte, der sich vornehmlich der Methoden der Haufigkeits- und Korrelationsrechnung bedient, ergeben sich ihr Erkenntnisse iiber Gewohnheiten und Motive, Tendenzen und Regelmafiigkeiten des menschlichen Verhaltens, die fiir die Finanzpolitik relevant sind. Erste Belege fiir die Fruchtbarkeit der neuen Forschungsrichtung liegen im I n - und Ausland bereits v o r 2 0 . Mogen diese ersten Ansatze im ganzen 19 Anger, H.: Theorienbildung und Modelldenken in der Kleingruppenforschung, in: Kolner Zeitschrift fiir Soziologie und Sozialpsychologie, 14. Jg., 1962, S. 4 ff. 20 Break, G. F.: Income Tax and Incentives to Work: An Empirical Study, in: The American Economic Review, 1957, S. 529 ff.; Duberge, J.: Psychologie sociale de Pimpot dans la France d'aujourd'hui, Paris 1961; Groves, H. M.: Empirical Studies of Income Tax Compliance, in: National Tax Journal, 1958, S. 291 ff.; Houchon, G.: Psycho-sociologie de la fraude flscale, Liege 1962; Laufenburger, H.: Theorie economique et psychologique des Finances Publiques, Paris 1956; Laure, M.: Traite de politique fiscale, Paris 1957; Reynaud, P. L.: La psychologie du contribuable devant Pimpot, in: Revue de Science et de Legislation Financieres, 1947/48; ders.: La Pression Fiscale Psychologique et le Dynamisme des Producteurs, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 19, 1958/59, S. 382 ff.; Schmolders, G.: Finanz- und
§ 3. Empirische Theorie der Finanzpolitik
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sicherlich noch kein geniigendes Fundament bieten, auf dem sich eine geschlossene Theorie aufbauen lafit, so darf doch aus ihnen M u t und Hoffnung geschopft werden, unter Heranziehung aller anderen Wissenschaften vom Menschen im oben erwahnten Sinne das Leitbild einer empirischen Theorie der Finanzpolitik zu entwickeln; ein Abwarten, bis sich alle Bausteine einer neuen Theorie liickenlos ineinanderfiigen, ist in der Wissenschaft noch nie fruchtbar gewesen.
§ 3. Empirische Theorie der Finanzpolitik „Eine besondere, leicht verstandliche A r t all der Illusionen, denen wir zum Opfer fallen konen, ist die politische Illusion. Sie umfafit im weiteren Sinne die irrigen politischen Urteile der sozialen Massen. Diese Illusionsart gliedert sich in verschiedene Untergruppen; wir beschranken uns hier jedoch auf die politische Illusion im engeren Sinne und auf die staatsfinanzwirtschaftliche Illusion. Die erste bezeichnet die Tauschungen der Massen iiber die Ziele und Wirkungen der staatlichen Tatigkeit; die zweite bezieht sich auf Irrtiimer iiber gewisse Mittel — nicht liber alle —, die das politische O r g a n bei der Verfolgung seiner Ziele einsetzt, genauer, auf die Irrtiimer iiber die offentlichen Einnahmen und Ausgaben. Die staatsfinanzwirtschaftSteuerpsychologie, a.a.O.; ders.: Die Politiker und die Wahrung, Bericht iiber eine demoskopische Untersuchung der Meinungsbildung in Finanz- und Wahrungsfragen im Dritten Deutschen Bundestag, Sdiriftenreihe zur Geld- und Finanzpolitik, Bd. VI, Frankfurt (Main) 1959; ders.: Der Grundsatz der Budgetpublizitat, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 18, 1957/58, S. 193 ff.; ders.: Unmerkliche Steuern, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 20, 1959/60, S. 23 if.; Shoup, C. Tax Tension and the British Fiscal System, in: National Tax Journal, 1961, S. 1 ff.; Striimpel, B.: Steuermoral und Steuerwiderstand der deutschen Selbstandigen. Ein Beitrag zur Lehre von den Steuerwirkungen (Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, Nr. 1682, Koln-Opladen 1966); ders.: Steuersystem und wirtschaftliche Entwicklung — Funktion und Technik der Personalbesteuerung, Tubingen 1968; ders.: Sozialokonomischer Wandel und Durchsetzbarkeit der Besteuerung, in Finanzarchiv NF. Bd. 25, Heft 3, 1966; Engelhardt, G.: Der Beitrag der Finanzpsychologie zu einer rationalen Steuerpolitik, in: Wirtschaftstheorie als Verhaltenstheorie, a.a.O.; ders.: Verhaltenslenkende Wirkungen der Einkommensteuer, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, Heft 38; Sainz de Bujanda, F.: La Gran Paradoja de la Ley General Tributaria, in: Revista de Derecho Financiero y de Haciendo Publica, Nr. 54, 1964; Schmolders, G., Striimpel, B.: Vergleichende Finanzpsychologie. Besteuerung und Steuermentalitat in einigen europaischen Landern, in: Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 1968; Schmolders, G.: Grundlagen einer effizienten Finanzpolitik: Empirische Analyse der Steuermentalitat, in: Finanz- und Geldpolitik im Umbruch, Hrsg.: H. Haller, H. C. Recktenwald, Mainz 1969; Daviter, J., Konke, J., Graf Schwerin, O.: Steuernorm und Steuerwirklichkeit, Bd. 1 — Steuertechnik und Steuerpraxis in Frankreich, Gro£britannien, Italien und Deutschland — (Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, Nr. 2040, Koln-Opladen 1969); Beichelt, B., Biervert, B., Daviter, H., Schmolders, G., Striimpel, B.: Steuernorm und Steuerwirklichkeit, Bd. II — Steuermentalitat und Steuermoral in Groftbritannien, Frankreich, Italien und Spanien (Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, Nr. 2041, Koln-Opladen 1969).
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Einleitung
liche Illusion setzt sich demnach aus zwei Kategorien von Irrtiimern zusammen, von denen die einen die Kosten des Staates und die anderen seine Niitzlichkeit in einem veranderten Licht erscheinen lassen" 21 . Mit diesen etwas iiberspitzten Gedankengangen leitete Amilcare Puviani schon urn die J a h r h u n d e r t w e n d e einen ersten systematischen Versuch ein, finanzwirtschaftliche Tatbestande mit soziologischen und psychologischen Kategorien des irrationalen Bereichs zu erklaren. Sicherlich haften diesem Versuch noch mancherlei Schwachen a n ; dazu gehort Puvianis auf primitivhedonistischem Gedankengut basierende, weithin spekulative „Psychologie" ebenso wie sein der Wirkung des Werkes durchaus abtragliches Bemiihen, dem Begriff „ Illusion" so viele Phanomene unterzuordnen, dafi ihm letztlich jegliche Aussagekraft verlorengeht 2 2 . Dennoch k o m m t dem fiir die heutige Psychologie dilettantisch anmutenden Gedankengang dieses Vorlaufers unserer Finanzpsychologie eine fiir die italienische Finanzwissenschaft charakteristische Bedeutung zu; unter den verschiedenen „nationalen Typen der Finanzwissenschaft" hat die deutsche von jeher die Neigung, „finanzwirtschaftliche Erscheinungen und Institutionen auch unter politisch-soziologischen Aspekten zu betrachten", mit der italienischen Finanzwissenschaft gemeinsam, in deren Arbeiten seit je okonomische, politisch-soziologische und rechtliche Komponenten aufs engste miteinander verbunden sind, w a h rend eine derartig „soziologische Durchblutung" in die franzosische Finanzwissenschaft erst seit einigen Jahrzehnten Eingang gefunden hat. Demgegeniiber hat die britisch-amerikanische Finanzwissenschaft den t)bergang zu einer wirklichkeitsnahen Betrachtungsweise erst in jener „bewundernswerten Synthese von strenger Theorie und Empirie" zu finden begonnen, wie sie in diesen Landern in der Form der amtlichen oder privaten „Reports" entwickelt worden i s t 2 3 ; im wissenschaftlichen Schrifttum ist hier jedoch die Auseinandersetzung zwischen Makrookonomik und Mikrookonomik nach wie vor in vollem Gange, wobei sich allerdings vielfach der Eindruck aufdrangt, als handele es sich dabei mehr um einen „Wettstreit der Irrtiimer" als um einen solchen um die zweckmafiigste theoretische Betrachtungsweise 24 . Diese Unterscheidung zwischen M a k r o - und Mikrookonomik hat mit dem oben erwahnten Unterschied zwischen Modelltheorie und empirischer
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Puviani, Amilcare: Teoria dell'Illusione finanzaria, 1903, deutsch: Die Illusionen in der offentlichen Finanzwirtschaft, Finanzwissensdiaftlidie Forschungsarbeiten, NF. 22, Berlin 1960, S. 15. 22 Ahnlich geht es Helmut Schoeck mit seinem ausgezeidineten Werk „Der Neid" (Freiburg-Mundien 1966), das er „eine Theorie der Gesellschaft" nennt; die Finanzpsychologie findet darin viele Ankniipfungspunkte. 23 Neumark, F.: Nationale Typen der Finanzwissenschaft, in: Wirtschafts- und Finanzprobleme des Interventionsstaates, Tubingen 1961, S. 81 ff. 24 Vgl. hierzu Machlup, F.: Der Wettstreit zwischen Mikro- und Makrotheorien in der Nationalokonomie, Walter Eucken Institut, Vortrage und Aufsatze, H. 4, Tubingen 1960.
§ 3. Empirische Theorie der Finanzpolitik
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Methode 25 nichts zu tun; die Makrookonomik ist keineswegs, so sehr die meisten Makromodelle zweifellos auf dem Rationalitatsaxiom beruhen 26 , allein auf die Modelle der Rationaltheorie angewiesen, und umgekehrt ist audi die empirische Methode nicht auf das Feld der Mikrookonomik beschrankt. Eine klare Trennung zwischen der mikro- und der makrookonomischen Ebene ist freilich nur logisch-rational moglich; geht man empirisch vor, so lafit sich zwar eine mikrookonomische Theorie ohne Bezugnahme auf die Makrookonomik aufstellen (ein Beispiel ist die Theorie vom Marktverhalten), aber eine ausschliefilich makrookonomisch operierende empirische Theorie ist schlechterdings unmoglich. Alle Hypothesen iiber makrookonomische Grofien miissen vielmehr notwendigerweise auf der mikrookonomischen Kenntnis der Zusammenhange beruhen; eine Prognose der Gesamtnachfrage kann z. B. nur dann zustande kommen, wenn sie auf die einzelnen Komponenten der Nachfrage zuriickgreifen kann. Globalgrofien wie Gesamtnachfrage, Gesamtinvestition, Volkseinkommen und Steueraufkommen usw. sind stets aus Elementen aggregiert, die auf ganz unterschiedliche Antriebskrafte zuriickgehen und unterschiedlichen Entwicklungsgesetzen unterliegen. Infolgedessen kann keine empirische Theorie, am wenigsten eine empirische Theorie der Finanzpolitik, sich auf die makrookonomische Betrachtungsweise beschranken. Das Paradebeispiel hierfiir ist die Steuerwirkungslehre 27 ; die Voraussage etwaiger „Signalwirkungen" einer bestimmten Steuer kann nur auf der Grundlage einer Mikrobetrachtung entwickelt werden, in der die konkreten „Loopholes
s L §.2Fossati, E.: Art. Mikrookonomik und Makrookonomik, in: Handworterbudi der 27 Sozialwissenschaften, Bd. 7, Stuttgart-Tubingen-Gottingen 1961, S. 329 ff. Vgl. § 37.
Einleitung
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auf gesicherten Annahmen iiber die Teilaggregate beruht; nur diese haben Ursachen, die man erkennen, und Tendenzen, die man prognostizieren kann. Neben der hier als „empirisch" bezeichneten modernen Forschungsmethode kann die Theorie der Finanzpolitik aber audi auf jene historischverstehende Methode zuruckgreifen, die beispielsweise in der finanzwissenschaftlichen Haushaltslehre eine lange Tradition besitzt; sie gipfelt darin, bestimmte finanzpolitische Verfahrensregeln — etwa die Haushaltsgrundsatze 28 — aus den in langen Jahrhunderten gewonnenen guten und schlechten Erfahrungen zu motivieren, zu rechtfertigen und verstandlich zu machen. Mag es sich hierbei audi weniger urn eine „historische Methode" im Sinne der Methodologie der Erfahrungswissenschaften handeln, so doch um das durchaus gerechtfertigte Bemuhen, aus den Fehlern und Unvollkommenlieiten der praktisdien Politik zu lernen; auch das ist eine Methode, deren heuristischer Nutzen sich aus einer Konfrontation von Norm und Wirklichkeit ergibt, ahnlich wie bei der empirischen Methode im oben skizzierten Sinne 29 . Dafi diese Normen aus Erfahrungen fruherer Zeiten entstanden sind, hindert im iibrigen nidit, die ihnen implizite zugrunde liegenden Hypothesen auch mit den Mitteln der empirischen Forschung zu uberpriifen; ob beispielsweise der Grundsatz der Non-Affektation heute noch, fiskalisch betrachtet, unter alien Umstanden mafigebend bleiben mufi oder ob gerade die Durchbrechung dieses Gesetzes etwa im Sinne der Zweckbindung von bestimmten Einnahmen fur den Strafienbau es erleichtern konnte, gewisse den Kraftfahrern auferlegte Abgaben zu motivieren, die ohne diese Zweckbindung schwerlich durchzusetzen waren, bleibt durchaus zu diskutieren. Auf dem Wege zu einer empirischen Theorie der Finanzpolitik, die sich mit der offentlichen Haushaltswirtschaft im Sinne der materiellen und funktionellen Abwicklung des Haushaltsplanes und mit den einzelnen Ausgaben und Einnahmen der offentlichen Hand beschaftigt, untersucht die Finanzpsychologie die Verhaltensweisen und Motive aller Beteiligten, angefangen von der finanzpolitischen Meinungs- und Willensbildung iiber die Durchfiihrung der so entstandenen finanzpolitischen Konzeption in der Exekutive bis zu den Verhaltensweisen und Reaktionen der Staatsbiirger, ihrer Grundeinstellung zu den offentlichen Korperschaften und Institutionen, ihren Anspriichen auf die Leistungen der offentlichen Hand und ihren Reaktionen auf die Besteuerung. Mit der systematischen Erforschung der Steuermentalitat, der Steuermoral und der legalen und illegalen Formen des Steuerwiderstandes fiigt sich die Finanzpsychologie zwanglos in das traditionelle Lehr28 29
Vgl. § 10. Vgl. z. B. Schneider, O.: Die Finanzpolitik des Kurfiirsten Klemens Wenzeslaus von Trier, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten (NF. H. 19), Berlin 1958.
§ 3. Empirische Theorie der Finanzpolitik
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gebaude der Finanzwissenschaft ein, es sinnvoll erweiternd, aber nicht sprengend 30. Der empirischen Theorie der Finanzpolitik ist damit ihr Weg vorgezeichnet. Er fiihrt von den institutionellen Rahmenbedingungen der Finanzverfassung und der Finanzgewalt iiber die treibenden Krafte der finanzpolitischen Meinungs- und Willensbildung, die ihren Niederschlag im Budget findet, zu den Zielen, Mitteln und Grenzen der Ausgaben- und Einnahmenpolitik, deren Saldo in der offentlichen Schuldenpolitik zum Ausdruck kommt. Die Theorie der Finanzpolitik mundet in den Versuch, Mafistabe fiir Erfolg oder Mifierfolg finanzpolitischen Handelns zu finden, sei es in den Kriterien der Ordnungsmafiigkeit der Finanzgebarung als solcher oder fiir die Finanzpolitik als Mittel der Wirtschaftspolitik und im Einsatz fiir Ziele der „grofien Politik", denen die Finanzpolitik heute zu dienen hat. 30 Vgl. Schmolders, G.: Wandlungen der Finanzwissensdiaft, in: Festgabe fiir Alex Moller, Karlsruhe 1968.
„Iniqua nunquam regna perpetuo manent." (Seneca, Medea)
II. Die Finanzverfassung § 4. Ursprung und Wesen Ober die Entstehung der offentlichen Finanzwirtschaft verdanken wir W. Gerloff und der von ihm angewandten ethnographischen Methode grundlegende neue Erkenntnisse 1. Danach sind Abgaben, dieses Wort in einem ganz weiten und allgemeinen Sinne verstanden, ihrer Entstehung nach weit alter als Geschenk und Tausch 2 ; sie sind so alt wie menschliches Zusammenleben iiberhaupt 3 , zumal das Gruppenbewufitsein alter ist als das Individualbewufitsein4. In der einfachsten politischen Gruppe sind „Hergaben" fur den Hauptlings- und Stammeshaushalt ungeachtet ihrer unbedingten Notwendigkeit noch mehr oder weniger wirklich oder anscheinend freiwillige Gaben oder Geschenke 5 ; jede hoher entwickelte politische Gruppe beruht dagegen bereits auf herrschaftlicher Schichtung, zumal stets „nur jene weltliche und geistliche Gewalt respektiert wird, die Opfer fordert" 6. Ist somit die Finanzgewalt als das Recht des Staates, von seinen Biirgern Abgaben zu erheben, gleichzeitig Bedingung und notwendige Folge seiner Existenz, so liegt darin zugleich auch der Ursprung der „ Finanzverf assung" als Inbegriff aller rechtlichen Normen, die fur die offentliche Finanzwirtschaft im ganzen, in Einnahmen und Ausgaben, gelten; Finanzgewalt und Finanzverfassung sind Urbestandteile jeder Staatshoheit und Staatsverfassung 7. Diese kulturgeschichtlich-soziologische Betrachtungsweise erganzt und erweitert die staatsrechtlich-staatsphilosophische These, die von Aristoteles bis zur Gegenwart im Staat mehr sieht als einen Vertrag der Staatsbiirger zu gemeinsamen Zwecken; daraus, dafi „die Existenz und Tatigkeit des Staates die absolute Voraussetzung fur jeden seiner Angehorigen in jeder Beziehung bildet, ergibt sich, dafi andererseits der einzelne dem Staate wieder bedingungslos die absolut notwendigen Mittel seiner wirtschaftlichen Existenz mit 1
Gerloff, W.: Die Entstehung der offentlichen Finanzwirtschaft, in: Die offentliche Finanzwirtschaft, Bd. I, Frankfurt a. M. 1948, S. 9—63. 2 5 Gerloff, W.: a.a.O., S. 59. Gerloff, W.: a.a.O., S. 58. 3 6 Gerloff, W.: a.a.O., S. 48. Gerloff, W.: a.a.O., S. 61. 4 7 Gerloff, W.: a.a.O., S. 23. Vgl. § 5.
§ 4. Ursprung und Wesen
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seinem eigenen Vermogen darbieten mufi, wenn und insoweit diese Mittel selbst die Bedingung der Existenz und Erhaltung des Staates bilden" 8 . Lorenz von Stein nennt dieses Prinzip das „des absoluten wirtschaftlichen Rechts des Staates", eines Rechts, das als Ausflufi der Staatshoheit hoher stehe als die blofie Zweckvereinbarung der Rousseauschen Vertragstheorie; von Emil Sax' „Steuerwertlehre" bis zur spateren italienischen Finanzwissenschaft erschien die Finanzgewalt zu einem blofien Monopol und die Steuer zu einem einseitig festgelegten Monopolpreis degradiert, den die jeweils regierte an die regierende Klasse bezahlen mufite 9. Steuern und Staatswirtschaft, Abgaben und Gemeinschaftsleistungen sind aber weit alter als die Geldwirtschaft und gehoren einer viel urtiimlicheren Schicht der sozialen Beziehungen an als diese 10 . Die Finanzgewalt ist somit in der Staatsgewalt als soldier begriindet; sie ist unabdingbare Grundlage jeder offentlichen Finanzwirtschaft, wenn audi wohl nicht ihr alleiniges Wesensmerkmal in dem Sinne, dafi die zwangsweise Aneignung von Mitteln als das wesentlichste Kriterium der Finanzwirtschaft uberhaupt angesehen werden konnte, wie dies gelegentlich behauptet worden i s t n . Will man das Wesen der Finanzverfassung erkennen, so bedarf es dazu vielmehr vor allem einer Untersudiung iiber das Verhaltnis von Finanzund Wahrungshoheit, das im Laufe der Geschichte manche diarakteristischen Wandlungen durchgemadit hat; neben dem Hoheitsrecht der Mlinzpragung und der normativen Regelung des Miinzwesens steht immer wieder der Wunsch der Fiirsten und Stande, aus der Munze, den Miinzverschlechterungen und dem Miinzbetrug eine Einnahmequelle zu machen. Dieses wechselvolle Verhaltnis zwischen Finanzpolitik und Wahrungspolitik ist stets zugleich ein Spiegelbild der Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft im allgemeinen gewesen; seit wir in der Geschichte des Wirtschaftslebens von Geld und Geldzeichen sprechen, lange Zeit vor dem Beginn der eigentlichen „Geldwirtschaft", dient die Munze gleichermafien als Tausch- und als Zahlungsmittel, erfiillt sie nebeneinander die Aufgaben des neutralen Mittlers im Austausch von Waren und Diensten und die der Leistungseinheit bei den obrigkeitlichen Zwangsabgaben, die zur Deckung des fiirstlich-hofischen oder fiskalischen Bedarfs erhoben werden 12. Schon im friihesten Stadium hat die Staatsgewalt die Miinzpragung ausgeiibt, die sie
8 v. Stein, L.: Lehrbudi der Finanzwissenschaft, Leipzig 1860, S. 16 ff. 9 De Viti de Marco, A.: Grundlehren der Finanzwirtsdiaft, Tubingen 1932, 10 Schmolders, G.: Geldpolitik, a.a.O., S. 13 ff. 11
S. 9.
So Hanya-Ito, der die „economy of compulsory acquisition" als „basic idea of fiscal science" gewertet wissen will. (The Annals of the Hitotsubashi Academy, Bd. Ill, No. 2, 1953, S. 264.) 12 Vgl. Schmolders, G.: Das Verhaltnis von Wahrungspolitik und Finanzpolitik in Geschichte und Gegenwart, in: „Deutsche Geldpolitik", Schriften der Akademie fur Deutsches Recht, Berlin 1941. 2
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
Die Finanzverfassung
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sich bald als ihr ausschliefiliches Recht vorbehielt, und nicht mit Unrecht hat man das offentliche Ordnungsinteresse an richtig und gleichmafiig ausgepragten Munzen mit dem an einem geordneten Mafi- und Gewichtssystem verglichen; die Wahrnehmung, dafi auch unter ihrem urspriinglichen Feingehalt ausgepragte Munzen sich noch lange Zeit hindurch als gangbar erwiesen, so dafi das Munzregal stets auch eine fiskalische Ausnutzung gestattete, hat andererseits bei dieser Monopolisierung der Miinzpragung in den Handen des Staates sicherlich von Anbeginn mitgespielt. Rechtlich findet diese Monopolisierung der Miinzpragung ihren fruhesten Niederschlag in den Regalien, wie sie in der auf dem Ronkalischen Reichstag 1158 erlassenen Constitutio Kaiser Friedrichs I. Barbarossa „Quae sint regalia" iiberliefert sind. Obgleich die in der Constitutio aufgefuhrten Rechte spater von den Glossatoren in das langobardische Lehnsrecht aufgenommen wurden und so als Bestandteil des Corpus juris i.w.S. nach Deutschland gelangten, sind sie unbestritten germanischen, nicht romischen Ursprungs; es handelt sich dabei um die alten kaiserlichen Vorrechte, die die lombardischen Stadte in Zeiten der Schwache des Reichs an sich gebracht hatten und die Barbarossa jetzt wiederherzustellen und zu festigen trachtete 13. Neben „Vectigalia" und „Monetae" sind darin „Argentaria" und „ Thesauri" aufgefiihrt; Besteuerung und Miinzpragung, der Silbererzbergbau und das Recht auf gefundene Schatze, wahrungs- und finanzpolitische Rechte stehen also anscheinend gleichberechtigt nebeneinander. In der im Rahmen des langobardischen Lehnrechts ausgebildeten Regalienlehre wird jedoch von Anbeginn zwischen regalia majora und minora unterschieden, zwischen den eigentlichen Majestatsrechten und den Monopolen, die nur oder vorwiegend der Starkung der Staatskasse dienen (regalia fisci), wie das Bergregal und das Recht des Kaisers auf gefundene Schatze. Die „vectigalia" sind Regalien fiskalischer Natur, soweit sie Einkiinfte aus schon bestehenden Steuern umfassen; wenn es sich aber um das — iibrigens sehr umstrittene — Recht handelt, neue Steuern einzufiihren oder bestehende zu erhohen, oder um das Recht, Steuern als Einnahmequellen zu verleihen, so erscheint dies als regale majus. Diese Verquickung von Fiskalismus und Geldordnung, die im 17. Jahrhundert der Zeit der Kipper und Wipper ihren Namen gab, steht auch an der Wiege des modernen Notenbankwesens, das dazu bestimmt schien, die Versorgung des Wirtschaftsverkehrs mit Zahlungsmitteln von dem Einflufi des „fiscus rapax" zu befreien. Die Bank von England, nach der schwedischen Reichsbank die alteste der modernen Zentralnotenbanken der Welt, entstand ursprunglich als Finanzierungsgesellschaft fur den Krieg Wilhelms von Ora13
1939.
Wolrad-Waitz, H.: Die Entwiddung des Begriffs der Regalien, Frankfurt
§ 4. Ursprung und Wesen
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nien gegen Frankreich. Der „ Tonnage Act" von 1694, durch den die Bank geschaff en wurde, bezweckte die Aufbringung von Mitteln fur die konigliche Kriegskasse; unter den verschiedenen Wegen, die zu diesem Ziel eingeschlagen wurden, befand sich audi die Privilegierung einer Glaubigergruppe namens „the Governor and Company of the Bank of England", die gegen Hergabe einer Staatsanleihe von 1,2 Mill. £ zu 8% Zinsen und 4000 £ jahrlich Provision zur Deckung der Verwaltungskosten das Recht zum Betriebe von Bankgeschaften mit Einschlufi der Befugnis erhielt, bis zum Betrage des Schuldkapitals Banknoten auszugeben. Von hier aus bis zur Notenbankautonomie des 19. Jahrhunderts war es noch ein weiter Weg. Das englische Bankgesetz von 1697 erneuerte und erweiterte zwar gegen einen neuen Kredit das Privileg der Banknotenausgabe der Bank von England, beseitigte das herrschende Nebeneinander von Staatspapiergeld und Banknoten aber keineswegs; bis 1825 waren in England die ^Exchequer Bills" als selbstandige Geldform in Umlauf. Die Einlosung dieser Noten iiberliefi der Staat jedoch in der Regel — abgesehen von der Annahme bei Steuerzahlungen — der Bank, die auf diese Weise mehr und mehr in die Rolle des zentralen Wahrungsinstituts hineinwuchs; vielleicht lag dieser Regelung auch, wie Dodwell meint, zum mindesten unbewufit der Gedanke zugrunde, fiir die Einlosbarkeit der Geldzeichen lieber eine erfahrene und zuverlassige Bank als ein Departement der Regierung verantwortlich zu machen 14. Mit dieser Entwicklung begann die Verselbstandigung der Wahrungsgegeniiber der staatlichen Finanzpolitik, gipfelnd in dem Banknotenmonopol der autonomen Zentralnotenbanken in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts. Die Versorgung der Volkswirtschaft mit den zum Giiter- und Leistungsaustausch erforderlichen Zahlungsmitteln blieb nunmehr eigenen, weitgehend selbstandigen Wahrungsinstanzen iiberlassen, die von dem Finanzbedarf des Staates mehr und mehr abgeriegelt und mit besonderen Sicherheiten gegen jeden Versuch einer fiskalischen Ausnutzung der staatlichen Wahrungshoheit ausgestattet wurden. Das Staatspapiergeld, diskreditiert durch den Zusammenbruch der franzosischen Assignatenwirtschaft, machte mehr und mehr den durch strenge Deckungsbestimmungen in ihrer Umlaufmenge begrenzten Noten selbstandiger Zentralbanken Platz; nur in Notzeiten griff der Fiskus hier und dort noch einmal auf die eigene Papiergeldausgabe als das bequemste Mittel besonders der Kriegsfinanzierung zuriick, das in der Finanzwissenschaft allgemein „als das bedenklichste und gleichwohl, nach Ausweis aller modernen Finanzgeschichte, unter Umstanden im Drange der Not als unausweichliches Mittel" zur Deckung des Finanzbedarfs gilt (A. Wagner). 14 Dodwell, D. W.: Treasuries and Central Banks especially in England and the United States, London 1934.
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Die Finanzverfassung
Die Weltwirtschaftskrise von 1930/31 brachte audi auf diesem Gebiet einen Umschwung, wie er krasser kaum gedacht werden konnte; zugleicli zeigte sich deutlich, in welchem Mafie unter der Oberflache des Goldwahrungssystems im Geldwesen schon seit langem fiskalische und staatlich-politische Einfliisse wirksam gewesen waren. Der Angelpunkt dieser Einfliisse waren die Kriegsschulden und die Reparationsanspriiche des Versailler Diktates und ihre Riickwirkung auf die Zahlungsbilanz- und Devisensituation der Schuldner- und Glaubigerlander; die „geborgte Deckung" der Nachkriegswahrungen, die sog. Gold-Devisen-Wahrung, beruhte im Kern auf dem Funktionieren eines Zahlungsbilanzmechanismus, der in den einseitigen Verpflichtungen der europaischen Lander gegeniiber der USA den Keim des unvermeidlichen Verfalls in sich trug. Der Zusammenbruch der Weltwirtschaft entthronte mit dem Glauben an die Goldwahrungsautomatik audi die Idee der binnenwirtschaftlichen Notenbankautonomie, ja das Idol eines vollkommen „neutralen Geldes" iiberhaupt. An die Stelle der auf stabile Wechselkurse ausgerichteten, wirtsehaftspolitisch neutralen Geldverfassung trat iiberall die staatliche Manipulation der Zahlungsbilanz mit dem Streben nach binnenwirtschaftlicher Konjunkturstabilisierung, die mit einer dauernden Stabilitat der Wechselkurse nicht vereinbar war. In den vom Gelde entblofiten Schuldnerlandern Europas kam es zur Einfuhrung der Devisenzwangswirtschaft; die Glaubigerlander suchten sich durch Herabsetzung der Goldparitat ihrer Wahrung und die Einrichtung von Wahrungsausgleichfonds zu helfen, deren Dotierung in der Regel aus dem Buchgewinn erfolgte, den die Notenbank bei der Neubewertung ihres Goldbestandes in abgewerteter Wahrung ausweisen konnte. War damit die „aufiere" Wahrungspolitik in alien Landern wieder mehr oder weniger der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik untergeordnet worden, die sich die Gestaltung der Zahlungsbilanz nicht mehr von einer anonymen Goldwahrungsautomatik aus der Hand nehmen lassen wollte, so gait das gleiche in noch hoherem Grade fur die innere Geldverfassung; die mechanische Bremse der Notenausgabe mittels der Deckungsvorschriften wurde iiberall, wo sie einer konjunkturpolitisch notwendigen Kreditausweitung hemmend im Wege stand, ausgeschaltet und durch eine staatliche Geldmengenregulierung ersetzt, die die Zahlungsmittelversorgung primar in den Dienst der inneren Wirtschaftspolitik stellte. In dem Mafie, in dem diese Wirtschaftspolitik sich der offentlichen Auftrage und staatlichen Subventionen bediente, um die heimische Wirtschaft zu starken und bis zur Hochstleistung der Kriegsvorbereitung und Kriegsfiihrung zu entfalten, war die Wahrungspolitik damit zugleich wieder ganzlich in den Dienst der offentlichen Finanzwirtschaft getreten.
§ 5. Finanzverfassung und Staatsverfassung
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§ 5. Finanzverfassung und Staatsverfassung Steht die Finanzgewalt als integrierender Bestandteil der Staatshoheit am Ursprung aller offentlichen Finanzwirtschaft, so betrifft sie doch zunachst nur einen Teil des offentlichen Finanzwesens, namlich die Beschaffung der fiir die Zwecke des Staatsbedarfs erforderlichen Einnahmen; die moderne „Finanzverfassung" mufi daruber hinaus den rechtlichen Rahmen fiir die gesamte Finanzgebarung der offentlichen Hand abstecken, angefangen von der formalen Ordnung des Staatshaushalts iiber die Steuern und Ausgaben bis zur staatlichen Vermogens- und Schuldenverwaltung und zum Finanzausgleich. Stets ist die Finanzverfassung ein Spiegelbild der Staatsverfassung, der Staatsform und der Grundkonzeption der Staatszwecke. Der „Nachtwachterstaat" im Sinne F. Lassalles, der sich darauf beschrankt, den Staatsbiirgern ein gewisses MindestmaC an Schutz und aufierer Sicherheit zu gewahrleisten, begmigt sich mit einer minimalen Inanspruchnahme der volkswirtschaftlichen Leistungskrafte fiir den offentlichen Bedarf, wahrend der „Wohlfahrtsstaat<< moderner Pragung, der die Umschichtung und womoglich sogar die Neuverteilung der Einkommen und Vermogen der Staatsbiirger in sein Programm aufgenommen hat, seine Finanzgewalt unter Umstanden bis an die Grenze des politisch uberhaupt Moglichen ausweitet. In Kriegszeiten verwischen sich auch diese Unterschiede zwischen den Staaten; Methoden und Formen der Kriegszwangswirtschaft und der Kriegsfinanzierung waren in den westlichen Demokratien kaum weniger drakonisch als in der Diktatur, die auch im Frieden keine grofien Riicksichten auf personliche Freiheit und Eigentum zu nehmen braucht. In normalen Zeiten pflegt jedoch eine Oberspannung des Bogens behordlicher Reglementierung und Zwangswirtschaft Widerstande und Reaktionen auszulosen, die in letzter Konsequenz den Bestand der Reehts- und Staatsordnung in Frage stellen, so dafi die Regierungen sich letztlich in ihrem eigenen Interesse veranlafit sehen, zu gesunden Grundsatzen einer von der offentlichen Meinung gebilligten rechtsstaatlichen Ordnung zuriickzukehren. Der enge Zusammenhang zwischen Finanzverfassung und Staatsverfassung zeigt sich in der parlamentarischen Demokratie besonders an der Abhangigkeit der Regierung von der Zustimmung des Parlaments zu ihrer jeweiligen finanzpolitischen Konzeption. Vor der „Prasidentschaftsdemokratie" des Generals de Gaulle und seines Nachfolgers Pompidou wurden in Frankreich allein in den vier Jahren von 1950—1953 nicht weniger als sieben Regierungskrisen dadurch verursacht, dafi die Nationalversammlung ihre Zustimmung zu notwendigen Finanzreformen und Stabilisierungsmafinahmen immer wieder verweigerte; die politische Schwache einer parlamentarischdemokratischen Regierung zeigt sich in ihrem Finanzgebaren in der Regel am deutlichsten.
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Die Finanzverfassung
Auf der anderen Seite hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in Deutschland gezeigt, dafi eine starke Finanzverfassung manche politischen Krisen iiberdauern und sogar die Grundlage fur politische Neukonstruktionen abgeben kann; fiir das Steuerrecht insbesondere ist der kuhne Satz gepragt worden: „Verfassungsrecht vergeht — Steuerrecht besteht" 15. Die wirtschaftliche und politische Normalisierung und Stabilisierung nach dem Ersten Weltkrieg wurde durch die 1919 und 1920 vollzogene Neugestaltung des Finanzwesens wesentlich erleichtert und gefordert. Die damals in der Reichsabgabenordnung und den Neufassungen aller wichtigen Steuergesetze niedergelegte rechtsstaatliche Ordnung der Finanzgewalt behielt auch das Dritte Reich trotz seiner vollig andersartigen staatsrechtlichen Struktur bis zum Zweiten Weltkriege im wesentlichen bei; sogar nach dem Zusammenbruch von 1945 „dauerte es kaum einige Wochen, bis die Finanzverwaltung wieder arbeitete, und das Steuerzahlen ging weiter, obwohl die politische Situation noch vollig ungeklart war" 16. Diese starke materielle Beharrungskraft und „institutionelle Eigendynamik" der geltenden Finanzordnung ist soziologisch und sozialpsychologisch zu erklaren; verfassungsrechtlich ist die Finanzverfassung nur eine abgeleitete, keineswegs in alien Teilen ausdriicklich kodifizierte systematische Ordnung. Der moderne Rechtsstaat beruht auf dem Grundsatz der Anerkennung gewisser Grundrechte seiner Burger, zu denen die personliche Freiheit und damit, neben anderen Personlichkeitsrechten, das Recht zum Eigentumserwerb und -besitz gehort 17 ; um diese Rechte zu gewahrleisten, unterwirft der Staat die Ausiibung seiner Staatsgewalt bestimmten verfassungsrechtlich garantierten Beschrankungen und organisatorischen Normen, die am anschaulichsten in der sog. Gewaltenteilung zum Ausdruck kommen. Der Verfassungsstaat der Neuzeit 1 8 pflegt die Bindungen und Schranken, die er dem politischen und staatlichen Handeln seiner Organe auferlegt, in einer geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassung zu verankern, die eine Art hoheres, uberzeitliches Recht verkorpert. C. J. Friedrich vergleicht die Verfassung mit den Regeln eines Spiels, die das „fair play" gewahrleisten; sie soil „ein System wirksamer Beschrankungen fiir das Handeln der Regierung" schaffen und dadurch die „Willkur", zu der jede Art von Macht15
Buhler, O.: Finanzgewalt im Wandel der Verfassungen, Festschrift fiir Richard Thoma zum 75. Geburtstag, Tubingen 1949. 16 Buhler, O.: ebenda. 17 Geiger, W.: Die Eigentumsgarantie des Artikels 14 (GG) und ihre Bedeutung fiir den sozialen Rechtsstaat, Vortr. geh. auf dem 3. Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung am 29. und 30. Januar 1960 in Bad Nauheim, in: Eigentum und Eigentiimer in unserer Gesellschaftsordnung, Veroffentlichungen der Walter-Raymond-Stiftung, Bd. 1, Koln-Opladen 1960. 18 Friedrich, C. J.: Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Enzyklopadie der Rechtsund Staatswissenschaft, Abt. Staatswissenschaft, Berlin-Gottingen-Heidelberg 1953, S. 26 ff.
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ausubung nur zu leicht auszuarten vermag, „in moglichst engen Grenzen halten" 19. Ahnliche Verfassungsnormen, wie sie die Staatsverfassung fiir die Gewaltenteilung im Staate und fiir die Ausubung der Staatsgewalt vorsieht, miifite der Verfassungsstaat der Neuzeit konsequenterweiser auch fiir die Finanzgewalt, eben in Form einer Finanzverfassung, akzeptieren, soil nicht gerade auf diesem besonders schliipfrigen Gebiet der „Willkur<£ Tiir und Tor geoffnet werden. Eine solche Finanzverfassung besteht auch in der Tat; freilich ist ihr Inhalt nur synthetisch aus den verschiedenen rechtlichen Regelungen abzuleiten. Nicht nur ist seit langem das Steuerrecht im positiven Verfassungsrecht der modernen Staaten verankert 20 ; auch die Haushaltsgrundsatze, die Monopole und Regalien, die erwerbswirtschaftliche Betatigung der offentlichen Hand, das Schuldenwesen und das offentliche Vermogen sind Gegenstande, die verfassungsrechtlicher Normensetzung zuganglich sind und bediirfen, deren geltende Regelung jedoch iiber zahlreiche Gesetzeswerke verstreut ist. Das eigenartige Phanomen, dafi die Finanzgewalt keineswegs als vierte zu den im Staatsrecht seit Montesquieu unterschiedenen drei Gewalten hinzutritt, sondern ihrerseits mit ihrer eigenen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung alle drei durchdringt und verbindet, kennzeichnet G. Wacke anschaulich als „ Finanzfunktion" des modernen Staates; er macht dabei auf die „sehr auffallige Tatsache" aufmerksam, dafi diese Finanzfunktion den Verfassungsgebern bei der Gestaltung der genannten drei staatlichen Grundfunktionen deutliche Abweichungen vom allgemeinen Bild aufzwang, so dafi man „insofern unleugbar der Finanzfunktion einen staatsrechtlichen Eigenwert zuerkennen (mufi), der eine bisher kaum geniigend erkannte verfassungsrechtliche Bedeutung besitzt" 21. So ist es nur konsequent, wenn iiber die im Abschnitt X des Bonner Grundgesetzes niedergelegten finanzpolitischen Einzelbestimmungen hinaus immer wieder die Schaffung einer eigenen Finanzverfassung gefordert wird, deren Rechtssatze sich aus dem Bereich des „iiberpositiven Rechts", der beherrschenden Rechtsschicht ergeben, die vor und unabhangig von alien positiven Normierungen gilt, so dafi sie „aus der 19 20
Friedridi, C. J.: a.a.O., S. 130 ff. Im Schweizer Kanton Appenzell war dagegen die Verfassung lange Zeit die einzige Grundlage jeglicher Abgabenerhebung; auch heute nodi sind in elf Kantonen die leitenden Grundsatze des Steuerwesens in der Verfassung niedergelegt und Bestimmungen iiber die subjektive Steuerpflicht, die Steuerhohe und die Progression finden sich auch in den Verfassungen der iibrigen Kantone. Vgl. Wacke, G.: Gesetzmafiigkeit und Gleichmafiigkeit, in: Steuer und Wirtschaft, 1947. Sp. 24. 21 Wacke, G.: Das Finanzwesen der Bundesrepublik, Tubingen 1950, S. 14. An anderer Stelle nennt Wacke den ganzen Abschnitt X des Bonner Grundgesetzes einen „Katalog von Verfassungsausnahmen" gegeniiber den vorangegangenen Bestimmungen der allgemeinen Bundesverfassung (S. 76).
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Kraft ihrer materiellrechtlichen Richtigkeit unmittelbare Geltung beanspruchen konnen" 22. Ansatzpunkte zu einer derartigen Finanzverfassung besitzt das deutsche Rechtsleben in der Abgabenordnung, die zahlreiche Grundbegriffe und Grundsatze des Steuerrechts enthalt und das Besteuerungsverfahren im allgemeinen, die Aufgaben der Finanzbehorden, den Steueranspruch sowie die Rechtsmittel gegen die Besteuerung und das Steuerstrafrecht regelt; sie ist nicht mit Unrecht als das deutsche „Steuergrundgesetz" bezeichnet worden, das freilich der Erganzung und Stutzung durch Verfassungsnormen bedarf. Gerade wenn, wie Wacke ausfiihrt, die Eigenart der „Finanzfunktion
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des Gewerbesteuergesetzes25 zu fallen hatte. Durch diese Entsclieidungen wurden zum Teil langjahrig geltende Gesetzesnormen und Erkenntnisse der standigen Rechtsprechung fur nichtig erklart; diese „Steuerreform im Prozefiwege" ist eine Entwicklung der Finanzverfassung, die zu mancherlei Bedenken Anlafi gibt 26. Fiir eine ausdriickliche Kodifizierung der Finanzverfassung im Grundgesetz fehlt es nicht an Vorschlagen. G. Strickrodt fafit die „Grundrechte einer wirtschaftsgerechten Finanzordnung" in folgenden Hauptforderungen zusammen 27 : „1. Die Wahrungsgerechtigkeit im Wirtschafts- und Rechtsleben stent unter dem Schutz der Verfassung. 2. Die Besteuerung findet ihre materielle und verfahrensmafiige Grenze an der eigenen Verantwortung des wirtschaftenden Burgers und seines Unternehmens fiir ihren unmittelbaren Beitrag zur Entwicklung einer sozial (aus-) gerichteten Marktwirtschaft. 3. Gesetze und Regierungsmafinahmen, durch die in den Besitzstanden und den Lasten der Burger oder ihrer Unternehmen wesentliche Veranderungen verursacht werden sollen oder konnen, sind in diesen ihren Wirkungen vor ihrem Inkrafttreten von der Regierung darzulegen und sachgemafi zu erlautern." Die Unverbindlichkeit und weitgespannte Auslegbarkeit dieser Formulierungen verdeutlicht zu Geniige die Schwierigkeiten, die bei einem verfassungsrechtlichen Einbau der Finanzverfassung in das Grundgesetz alsbald auftreten wurden 2 8 . Gewifi sind Wirtschafts- und Finanzverfassung im Grunde „zwei Seiten der gleichen Miinze" 29, da sie sich in ihren „tragenden Leitgedanken . . . auf bestimmte politische Ideale, nicht zuletzt auf einer bestimmten Vorstellung von der sozialen Gerechtigkeit" 30 griinden, die in den 25 Grundsatzentsdieidungen des Bundesverfassungsgeridites vom 24. 1. 1962 (BStBl I, S. 492, S. 500, S. 506). 26 Schmolders, G.: Erzwingt Karlsruhe die Steuerreform?, in: Die Zeit v. 13. 3. 1958. 27 Strickrodt, G.: Finanzverfassungsrecht . . . , a.a.O., S. 808; ders.: Wirtschaftsgerechte Finanzordnung unter Verfassungsgarantie, in: Unternehmer und Staatspolitik, Schriftenreihe „Der Selbstandige Unternehmer", Heft 7, Bonn 1953, S. 52. 28 In der Tat nimmt diese Frage in der neueren Diskussion einen breiten Raum ein. Vgl. hierzu besonders: Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverfassung — Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung, Berichte von K. M. Hettlage, Th. Maunz, E. Becker, H. Rumpf und Aussprache zu den Berichten in den Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Hamburg am 13. und 14. Oktober 1955, in: Veroffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 14, Berlin 1956; ferner: Brauer, K.: Probleme der Finanzverfassung und Finanzverwaltung in der Bundesrepublik, in: Die Urfentliche Verwaltung, 8. Jg., Nr. 19, 1955; Hettlage, K. M.: Art. Finanzverfassung, Staatslexikon, Bd. 3, 6. Aufl., Freiburg 1959; Strickrodt, G.: Die Finanzordnung als Lebensbasis der arbeitsteiligen Wirtschaft, Karlsruher Versicherungswoche, 1955, Heft 8; Wacke, G.: Die Finanzverfassung, in: Die Offentliche Verwaltung, 8. Jg., Nr. 19, 1955. 29 Hettlage, K. M.: Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverf., a.a.O., S. 3. 30 Hettlage, K. M.: Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverf., a.a.O., S. 4.
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Grundrechten der politischen Verfassung verankert sind. Andererseits treten infolge der Eigenart der Finanzgewalt zwischen Finanzverfassung und Staatsverfassung nicht selten Grundsatzdifferenzen auf; die Finanzverfassung mufke im Rechtsstaat „den staatlichen Steueranspruch grundsatzlich der gleichen rechtsstaatlichen Begrenzung und Formalisierung unterwerfen wie sonstige Eingriffe der Staatsgewalt, wenn die rechtsstaatliche G r u n d o r d n u n g vollstandig und widerspruchsfrei sein soil. O b w o h l die Besteuerung Teile des Einkommens oder des Vermogens ohne besondere Gegenleistung wegnimmt, stellt sie begrifflich keine Enteignung im Rechtssinn des Art. 14, Abs. 2 G G dar. Ein zentrales Verfassungsproblem der Finanzgewalt bildet aber die Frage, ob und w a n n eine zu hohe Besteuerung die Verfassungsgarantie des Eigentums in Art. 14, Abs. 1 G G in ihrem Wesensgehalt antasten wiirde (Art. 19, Abs. 2 G G ) . Die staatliche Finanzgewalt k a n n namlich eine wesentliche Durchbrechung des ganzen rechtsstaatlichen Schutzsystems bedeuten" 31 . Unter diesem Gesichtspunkt sind gelegentlich konfiskatorische Steuersatze, die das Eigentumsrecht aufzuheben drohen, orTen als verfassungswidrig angeprangert w o r d e n 3 2 ; in den U S A ist seit langem davon die Rede, die Bundeseinkommensteuer durch einen Verfassungszusatz auf den Hochstsatz von 2 5 % zu begrenzen 33 . Zu einer derartigen rechtsstaatlichen Kodifizierung der Finanzverfassung ist es aus verstandlichen Griinden bisher nirgends gekommen; als „ Finanzverfassung im staatsrechtlichen Sinne" bezeichnet K. M. Hettlage lediglich „den Inbegriff jener Verfassungsnormen, die sich mit der O r d n u n g des Geldwesens (sic!) und dem Ablauf der Finanzvorgange in der staatlichen H a u s halts-, Vermogens- und Schuldenwirtschaft und insbesondere der G r u n d o r d nung des Steuerwesens beim Staat und den eingegliederten Gemeinwesen befassen" 34 . Einen noch engeren Begriff der Finanzverfassung lassen die Gesetze zur Anderung und Erganzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) vom 23. 12. 1955 und vom 12. 5. 1969 erkennen, die mit mehrjahriger Verspatung die in Art. 107 des Bonner Grundgesetzes vorgesehene „endgiiltige Regelung" des Finanzausgleichs zwischen Bund und Landern herbeifuhrten 3 5 ; von einer verfassungsrechtlichen Eingrenzung des 31
Hettlage, K. M.: Art. Finanzverfassung, a.a.O., Sp. 319. Geiger, W.: Verfassungsrechtliche Forderungen zur Gestaltung der Wirtsdiaft?, Vortrag auf der XV. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft selbstandiger Unternehmer am 3. 12. 1953 in Bad Godesberg. 33 Blum, W. J. und Kalven, H. jr.: The Uneasy Case for Progressive Taxation, 2. Aufl., Chicago 1963. 34 Hetdage, K. M.: Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverfassung, a.a.O., S. 3. 35 Gesetz zur Anderung und Erganzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) vom 23. 12. 1955 (BgBl I, S. 817), Gesetz zur Anderung und Erganzung des Artikels 106 des Grundgesetzes vom 24. 12.1956 (BGBl I, S. 1077) und Einundzwanzigstes Gesetz zur Anderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 12. 5.1969 (BGBl I, 359). 32
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staatlichen Steueranspruchs in Analogie zur Eigentumsgarantie des Art. 14 oder von staatsbiirgerlichen „Grundrechtencc in dem von G. Strickrodt vorgesehenen Sinne ist in dieser „Finanzverfassung", deren materieller Inhalt zum Kapitel Finanzausgleich gehort 36, nicht die Rede. Bis es zu einer derartigen Kodifizierung kommt, besteht die geltende Finanzverfassung, deren Grundziige sich durchaus auch im geltenden Finanz-, insbesondere im Abgabenrecht abzeichnen, aus den geschriebenen und den ungeschriebenen Grundsatzen der historisch gewachsenen, von Gesetzgebung und Rechtsprechung erharteten Finanzordnung in Bund, Landern und Gemeinden. Ergibt sich die Notwendigkeit einer Finanzverfassung schon aus der Idee des Rechtsstaates im nationalen Raum, so gewinnt sie noch grofiere Bedeutung bei einer Ausweitung der offentlichen Finanzen auf den supranationalen Bereich. Hier werden die finanzpolitischen Mafinahmen der einzelnen Lander zum Ansatz einer uberstaatlichen Finanzpolitik; wird ein derartiges „internationales Finanz- und Wirtschaftssystem in immer konkreterer Weise entwickelt und durch Staatsvertrage und iiberstaatliche Institutionen verwirklicht, dann kann die innerstaatliche Finanzordnung nicht langer dem Zufall von Arrangements zwischen Regierung und Parlament, Notenbankleitung und privater Wirtschaft iiberlassen werden" 37. Hier zeichnet sich vielmehr insbesondere im Bereich der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Entwicklung ab, die, angefangen mit der Harmonisierung der Steuersysteme und Steuersatze, vielleicht eines Tages dazu bestimmt ist, iiber den finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenschlufi hinaus zu politischen Neubildungen zu fiihren 38.
§ 6. Institutionen der Finanzverfassung Als Institutionen der Finanzverfassung 39 fungieren in erster Linie diejenigen Organe der Staatsgewalt, die dazu berufen sind, die verfassungsmafiigen und gesetzlichen Grundlagen der finanzpolitischen Mafinahmen zu schaffen, im modernen Rechtsstaat also die verfassungsgebende Versammlung und das Parlament; zu den Institutionen der Finanzverfassung gehoren jedoch neben der Legislative auch die beiden anderen tragenden Saulen der Staatsgewalt, namlich die Exekutive und die Jurisdiktion. Ist doch auch und gerade im Bereich der Finanzverfassung die Gewaltenteilung Ausdruck jenes gerade der Demokratie in besonderem Mafie innewohnenden, erfahrungsgemafi nur zu berechtigten Mifitrauens gegen die Macht an sich und gegen die Gewalt jeder Regierung; in den Beziehungen zwischen der Steuerleistung des 36 37 38 39
Vgl.§§7, 18—20. Strickrodt, G.: Finanzverfassungsredit . . . a.a.O., S. 809. Vgl. § 8. # Zum Begriff jjFinanzverfassung" s. Ulsenheimer, K.: Untersuchungen zum Begriff der ^Finanzverfassung", Beitrage zur Erforschung der wirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg. M. E. Kamp), H. 13, Stuttgart 1969.
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Staatsbiirgers und seinen politischen Rechten neben dem Wahlrecht, insbesondere seinen Rechtsanspriichen auf Staatsleistungen aller Art, tritt der wechselseitige Einflufi von Staatsform und Finanzverfassung anschaulich hervor. In England, dessen parlamentarische Tradition eigentlich mit der Durchsetzung des Steuerbewilligungsrechtes begonnen hatte, lafit sich die enge Verbindung zwischen Steuerleistung und Wahlrecht besonders klar beobachten. Noch nach der Wahlrechtsreform von 1832 waren vier Fiinftel der erwachsenen Manner, vor allem die gesamte Arbeiterschaft, vom Wahlrecht ausgeschlossen; wahlberechtigt waren nur Hausbesitzer und diejenigen, die mindestens 10 £ jahrlich an Miete zahlten. Dem lag die Vorstellung zugrunde, dafi in der Miete, die an den „Landlord" bezahlt wurde, ein Teil der diesem auferlegten Steuerlast, insbesondere der sog. Armensteuern (poor rates), enthalten sei; der Gedanke, das Wahlrecht audi den nicht an der Aufbringung der Armenlasten beteiligten Volkskreisen oder womoglich gar den Unterstiitzungsempfangern selbst zu gewahren, erschien der damaligen offentlichen Meinung absurd 40. Erst unter Disraeli sowie spater unter Gladstone wurde das Wahlrecht wenigstens alien Haushaltungsvorstanden ohne Rucksicht auf ihre wirtschaftliche Lage zugebilligt; von 900 000 (1832) erhohte sich damit die Zahl der Wahlberechtigten auf annahernd 5 Millionen. Auch Preufien gewahrte seinen Burgern von 1849 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges politische Rechte nur nach Mafigabe ihrer Steuerleistung (Dreiklassenwahlrecht) 41. Im indirekten Wahlverfahren wahlten die Urwahler die Wahlmanner und diese die Abgeordneten; in jeder Gemeinde wurden die Urwahler nach der Hohe ihrer Zahlung an „direkten Staatssteuern" in drei Klassen geteilt, die jeweils ein Drittel der Gesamtsumme der Steuern deckten. Die Hochstbesteuerten hatten danach in ihrer Klasse die geringste Zahl der Wahler und dadurch das grofite Stimmengewicht. Im Jahre 1908 z. B. gehorten im Durchschnitt in jedem Urwahlbezirk 10 Urwahler der I., 37 der II. und 217 der III. Abteilung an. Lag diesem Wahlrecht noch die Vorstellung zugrunde, daiS zwischen der Bereitstellung von Mitteln fur Staatszwecke und der EinfluCnahme auf das politische Geschehen eine gewisse Parallelitat bestehen sollte, so setzte sich im Laufe der Zeit die egalitare Auffassung der Demokratie durch, nach der alien Staatsbiirgern unabhangig von ihrem finanziellen Beitrag gleiche politische Rechte zustehen; hatte schon Bismarck erklart, ein „widersinnigeres, elenderes Wahlsystem" als das Dreiklassenwahlrecht konne nicht gedacht werden 42, so verkiindete die Osterbotschaft des Kaisers 1917 endgiiltig die Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts, womit die unmittelbare Beziehung 40
Remers, L.: Roman der Staatskunst, Miinchen 1951. Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, Bd. 1: Deutsdies Verfassungsrecht im Zeitalter des Konstitutionalismus (1806—1918), Tubingen 1949, S. 232 ff.; Politisches Handworterbuch, hrsg. von Paul Hesse, Bd. 2, Leipzig 1923, S. 927 f. 42 Sitzung des Reichstages des Norddeutschen Bundes am 18. 3. 1867. 41
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zwischen der Steuerleistung des einzelnen und seinen politischen Rechten ersatzlos beseitigt wurde. Die legislative Institution der Finanzverfassung ist in den modernen Demokratien regelmafiig die Volksvertretung, das Parlament; in bundesstaatlich organisierten Demokratien sind daneben die Parlamente der einzelnen Regionalkorperschaften fur die Gesetzgebung zustandig. „Seit man sich d a r a n gewohnt hatte, Wahlen als die eigentliche Grundlage der rechtmafiigen Autoritat und damit der Eignung zur Representation zu betrachten, w a r diese zentrale Stellung der Parlamente nur zu natiirlich. Dafi m a n die Gesetzgebung als Menschenwerk, Gesetze nicht als Ausflufi der gottlichen Vernunft oder uralten Brauchs ansah, sondern als von Menschen geschaffene Regeln, trug zur Starkung der Parlamente bei; denn ihre offentlichen Beratungen waren im besonderen Mafie fiir den Prozefi der Gesetzgebung geeignet" 43 . Bei den offentlichen Einnahmen tritt die Legislativfunktion des Parlaments vor allem bei den Beschliissen iiber die Steuergesetze hervor. In Grofibritannien erscheinen beispielsweise audi die Steuergesetze noch heute in Form jahrlicher „Finanzgesetze" zusammen mit dem Haushaltsgesetz, ein Residuum aus der alten englischen Budgetpraxis, die einen festen und einen jahrlich neu zu bewilligenden Teil des ordentlichen Haushalts unterschied. In den kontinentalen Demokratien sind die Steuergesetze heute meist „endgiiltige", wenn auch in ihrem Inhalt nicht selten rasch wechselnde N o r m e n ; die haufigen „Steueranderungsgesetze" der letzten J a h r e kennzeichnen diese Tatsache schon in ihrer Bezeichnung. In vielen Fallen bewilligt die Legislative jedoch Steuern nur auf ein J a h r oder in anderer zeitlicher Begrenzung, so dafi vor dem Ablauf der gesetzten Frist eine erneute Beratung und Beschlufifassung erforderlich w i r d 44 . Die Befugnis der Lander zu eigener Steuergesetzgebung ist durch die Bestimmungen liber die Finanzhoheit in Art. 105 G G begrenzt; die der zwischen Bund und Landern „konkurrierenden < £ Gesetzgebung unterworfenen Steuern 45 hat die Gesetzgebungspraxis heute fast ausschliefilich der Finanzhoheit des Bundes zugewiesen, so dafi den Landern kein nennenswerter Spielraum zu eigener gesetzgeberischer Betatigung mehr geblieben ist 46 . D e r Zu43
Friedrich, C. J.: Der Verfassungsstaat der Neuzeit, a.a.O., S. 342. So z. B. bei den Bundessteuern in der Sdiweiz, bei den schwedisdien Kommunalsteuern und bei alien Sondersteuern fiir Kriegs- oder Krisenzeiten. Das gleiche gilt fiir die als „Aufwertungsersatz" gedadite durchsdinittliche 4%ige Sondersteuer auf Exportumsatze (bei gleichzeitiger ebenso grofier Steuerbegunstigung fiir Importe) im Rahmen des sog. Absicherungsgesetzes vom 29. 11. 1968, die inzwischen nadi erfolgter Aufwertung wieder aufier Kraft getreten ist (Naheres hierzu s. Schmolders, G.: Die Steuer als Instrument der Wahrungspolitik, in: Festschrift fiir F.Neumark, 1970). 45 Zum Begriff der konkurrierenden Gesetzgebung vgl. § 7. 46 Gorg, H.: Probleme der Bundesfinanzverwaltung, in: Staats- und verwaltungswissenschaftliche Beitrage, herausgegeben von der Hochschule fiir Verwaltungswissenschaften Speyer, Stuttgart 1957, S. 209. 44
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standigkeit des Landesrechtes unterliegen nur die von der konkurrierenden Gesetzgebung ausdriicklich ausgenommenen „6rtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern", solange diese niclit mit bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind; der Terminus „6rtliche . . . Steuern" ist an die Stelle des definitorischen Schmerzenskindes des Art. 105 G G a.F. „Steuern mit ortlich bedingtem Wirkungskreis" 47 getreten. M a g die Einftihrung dieses neuen Begriffs auch zu einer grofieren terminologischen Klarheit fiihren, so bleibt audi bei der derzeitigen Regelung die Frage offen, ob die Lander im Rahmen der ihnen durch die Verfassungsklausel zugesprochenen Legislativhoheit zur Starkung der Gemeindefinanzen (Art. 106, Abs. 5 G G ) auch solche Steuern einfiihren konnen, die den der Finanzhoheit des Bundes unterstehenden Steuern Abbruch tun konnen; dies hat das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Verpflichtung der Lander zur Bundestreue bisher stets verneint 48 . Die Gemeinden lassen sich in das Gewaltenteilungsschema nicht ohne weiteres einbeziehen; die Vielfalt der Funktionen des Gemeindeparlaments wird durch den Terminus „Gesetzgebung" nicht zutreffend gekennzeichnet 4 9 . Z w a r weist der R a t „Ziige einer ortlichen Volksvertretung auf, unterscheidet sich aber vom Parlament sowohl durch die Rechtsstellung seiner Mitglieder als auch durch die Funktionen, die er ausiibt. Seine Tatigkeit ist uberhaupt Verwaltungstatigkeit, nicht Rechtsetzung" 50 . Becker kennzeichnet diese T a t sache zutreffend durch den Begriff der Funktionentrennung, wobei „allerdings . . . nicht iibersehen werden (darf), dafi es der Grundsatz der Funktionentrennung nicht mit Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zu tun hat, wie dies bei der Gewaltenteilung der Fall ist, sondern im Bereich gemeindlicher Verwaltung lediglich Beschlufifassung und Ausfuhrung trennt" 51 . Eine gewisse kommunale Finanzhoheit tritt noch in dem aus dem Selbstverwaltungsprinzip abgeleiteten sog. Steuerfindungsrecht der Gemeinden zu-
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Den Versuch einer begrifflichen Definition unter Zugrundelegung der Rechtsprediung des Wiirttembergisdi-Badisdien Verwaltungsgerichtshofes und des Bayerischen Verfassungsgeriditshofes unternimmt Riethmacher, H. W.: Der Begriff der „Steuern mit ortlich bedingtem Wirkungskreis", unveroff. Diplom-Arbeit, Koln 1955; ferner auch: Wacke, G.: Anmerkungen zum Besdilufi des WurttembergischBadischen Verwaltungsgerichtshofes, in: Archiv des offentlichen Rechts, Bd. 77, Tubingen 1951/52, und Anmerkungen zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, in Juristenzeitung 1951, S. 149 f. 48 Vgl. hierzu fiir das Grundgesetz in alter Fassung Hamann, A.: Das Grundgesetz, Ein Kommentar fiir Wissenschaft und Praxis, Berlin-Neuwied-Darmstadt 1956, S. 361. 49 Schmolders, G.: Kommunale Finanzpolitik, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, Berlin-Gottingen-Heidelberg 1959, S. 32. 50 Becker, E.: Art. Gemeinde, in: Staatslexikon, Bd. 3, a.a.O., Sp. 696. 51 Becker, E.: Entwicklung der deutschen Gemeinden und Gemeindeverbande im Hinblick auf die Gegenwart, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, Berlin-Gottingen-Heidelberg 1956, S. 81.
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tage, das besonders deutlich in der Verfassung von Baden-Wurttemberg zum Ausdruck kommt. Hier heifit es in Art. 73, Abs. 2, dafi die Gemeinden im Kreise das Recht haben, eigene Steuern und Abgaben zu erheben. Dieses Recht ist jedoch auf die erwahnten ortlichen Aufwand- und Verbrauchsteuern beschrankt, so dafi der Erschliefiung eigener kommunaler Finanzquellen audi hier mit Riicksicht auf die „Loyalitatspflicht" der Gemeinden gegenuber Bund und Landern enge Grenzen gezogen sind 52. Fiir die offentlichen Ausgaben sind Bund und Lander nach Art. 109 GG a.F. die gesetzgebenden Institutionen; beide sind in ihrer Haushaltswirtschaft „selbstandig und voneinander unabhangig" 53. Dieser lapidare Grundsatz unterlag jedoch materiell schon immer in gewissem Mafie der Schwierigkeit, dafi sich „Haushalts"- und ,,Finanz"-Wirtschaft von Bund und Landern nicht immer genau trennen und voneinander abgrenzen liefien 54, sowie der Erfahrungstatsache, dafi sich „die aus okonomischen und sozialen Griinden unvermeidliche Tendenz zur Zentralisierung auf bestimmten Gebieten des offentlichen Finanzwesens" weiter durchsetzte 55 . Vollends durch die Erweiterung des Art. 109 GG im Rahmen der Einfiihrung des Stabilitatsgesetzes (1967), welches gegenwartig die materiellen Grundsatze aufstellt, „wie Bund, Lander und Gemeinden kunftighin ihre Finanzpolitik auf die wirtschaftspolitischen Ziele einrichten miissen" 56, wurde die Unabhangigkeit der Landerhaushalte im Zuge der Finanzreform (1969) zu einem rein formalen Prinzip degradiert. Neben dieser auf aufiere Umstande zuriickzufiihrenden Tendenz zu gewissen „Verzahnungen der Bundes- und Landeshaushalte" 57 wird die in der grundgesetzlichen Selbstverwaltungsgarantie verankerte haushaltswirtschaftliche Eigenverantwortung der Gemeinden noch weitergehend durch die anteilig auf Kosten der Selbstverwaltungsaufgaben permanent steigenden Aus-
52 Sattler, H.: Gemeindliche Finanzverfassung, Bedeutung gemeindlicher Finanzhoheit fiir die Selbstverwaltung, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, a.a.O., S. 25 f., vgl. auch Klein, F.: „Die verfassungsrechtliche Gewahrleistung der gemeindlichen Finanzhoheit im Spiegel der Reditsprediung", in: Finanzarchiv NF., Bd. 28 (1968), S. 271 ff. 53 Vgl. zum folgenden auch Biihler, O.: Erlauterungen zu Art. 109 GG a.F., in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar). 54 Hamann, A.: Das Grundgesetz, a.a.O., S. 369. 55 Jecht, H.: Art. Offentliche Finanzwirtschaft III, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 3, Stuttgart-Tubingen-Gottingen 1961, S. 691. In Art. 109, Abs. 3 GG heifit es jetzt: „Durch Bundesgesetz, . . . konnen fiir Bund und Lander gemeinsam geltende Grundsatze fiir das Haushaltsrecht, fiir eine konjunkturgerechte Haushaltswirtsdiaft und fiir eine mehrjahrige Finanzplanung aufgestellt werden." Hierzu Stucken, R.: Die Haushaltspolitik im Gesetz zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft vom 6. Juni 1967, in: Finanzarchiv NF., Bd. 27, 1968, S. 204. 56 Recktenwald, H. C.: Ist der Kameralismus iiberwunden?, in: Der Volkswirt, Nr. 11, 1969, S. 32. 57 Biihler, O.: Erlauterungen zu Art. 109 GG a.F., a.a.O.
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Die Finanzverfassung
gaben fur Pflicht- und Auftragsaufgaben von Bund und Landern eingeengt 58 ; der „Sachzwangcc des Bevolkerungswachstums, des forcierten Wiederaufbaus und des Ausbaus des Verkehrsnetzes lafit dariiber hinaus auch die „Freiwilligkeit" der Selbstverwaltungsaufgaben manchmal durchaus problematisch erscheinen 59. Exekutivinstitution der Finanzverfassung ist die Verwaltung, fiir die offentlichen Einnahmen die Finanzverwaltung 60 , deren Aufgabenbereich heute infolge der weitreichenden Einfliisse und Wechselwirkungen der Finanzpolitik auf alle Lebensbereiche stark erweitert worden ist. Durch die Reichsfinanzreform von 1919/20 war im Weimarer Staat neben der alten Zollverwaltung des Reiches eine eigene Reichsfinanzverwaltung mit Landesfinanzamtern (Oberfinanzdirektionen) und ortlichen Finanzamtern geschaffen worden, die nach dem Ubergang der Staatshoheit auf die einzelnen Lander diesen verblieben sind; die Bundesrepublik hat die fnihere Reichsfinanzverwaltung nicht wiederhergestellt, sondern eine komplizierte eigene Gewalten- und Zustandigkeitsverteilung geschaffen. Oberste Instanz der Bundesfinanzverwaltung ist der Bundesfinanzminister; als Mittelbehorden fungieren die Oberfinanzdirektionen, die jedoch zugleich Landesbehorden sind, sowie als ortliche Behorden des Bundes lediglich noch die Hauptzollamter und Zollamter, wahrend die Finanzamter heute Landesbehorden sind, so dafi der Bund keinerlei dezentrale Steuerverwaltungsbehorden mehr besitzt. Oberste Instanz der Landerfinanzverwaltung sind die Landerfinanzminister mit den Oberfinanzdirektionen als Mittelbehorden; als ortliche Behorden fungieren die Finanzamter, die alle ihnen iibertragenen Verwaltungsaufgaben fiir den Bund nur als Auftragsangelegenheiten bearbeiten konnen. Charakteristisch fiir diesen Aufbau der Finanzverwaltung ist das Zusarnmenfallen der Mittelbehorden von Bundes- und Landerfinanzverwaltung in den Oberfinanzdirektionen. Eine gewisse sachliche Kompetenzabgrenzung wird hier durch die Trennung in bundeseigene und landeseigene Verwaltungsstellen erreicht; praktisch arbeiten jedoch Bundes- und Landesbeamte nebeneinander, und nur die Leiter der Oberfinanz58
Becker, E.: Die Selbstverwaltung als verfassungsrechtliche Grundlage der kommunalen Ordnung in Bund und Landern, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, a.a.O., S. 129; ferner: Albers, W.: Aufgabe und Stellung der Gemeinde im Finanzsystem der gesamten offentlichen Hand, Finanzarchiv, NF. Bd. 19, 1958/59, S. 403 f. 59 Schmolders, G : Kommunale Finanzpolitik, a.a.O., S. 51. 60 Als Finanzverwaltung wird hier in Anpassung an den ublichen Sprachgebrauch die Steuer- und Zollverwaltung bezeichnet; im weiteren Sinne versteht man unter Finanzverwaltung heute oft die gesamte Tatigkeit des Staates in bezug auf Beschaffung, Verwaltung und Verwendung seiner Mittel, so daE die Grenzen zwischen der Finanzverwaltung und der allgemeinen Verwaltung verwischt werden. Vgl. hierzu auch: Hartmann, A.: Art. Finanzverwaltung, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 3, a.a.O., S. 668 ff.; ferner: Von der Reichsschatzkammer zur Bundesfinanzverwaltung, Jubilaumsschrift 1969.
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direktionen, die Oberfinanzprasidenten, sind gleichzeitig Bundes- und Landesbeamte 61 . Die Finanzverwaltung der Gemeinden ist auf die ihnen durch das Grundgesetz zugewiesenen Realsteuern beschrankt. Auch diese Kompetenz miissen sie jedoch weitgehend mit den ortlich zustandigen Finanzamtern teilen, deren Aufgabenbereich iiber das Ermittlungsverfahren hinaus weit in das Festsetzungsverfahren hineingreift; die Finanzamter befassen sich beispielsweise bei den Realsteuern neben der Ermittlung des Steuerobjektes, der Einheitswerte und des Steuerschuldners auch mit der Festsetzung der „Steuermefibetrage", so dafi den kommunalen Steueramtern lediglich — auf Grund der in eigener Zustandigkeit festgelegten „Hebesatze" — die Festsetzung der Steuerschuld und ihre Einziehung bzw. gegebenenfalls Beitreibung obliegt. Eine Ausnahme bildet nur die in der Regel von den Gemeinden allein verwaltete Gewerbelohnsummensteuer 62. In der kommunalen Finanzverwaltung zeichnet sich somit eine Entwicklung ab, die von der steuerlichen Selbstverwaltung immer weiter wegfiihrt; sie ist in gewisser Weise Ausdruck einer expansiven „administrierenden Gesetzgebung", die „auch die Entscheidungen der auf den Gesetzesvollzug abgedrangten Gemeinde immer starker antizipiert" 63. Im ganzen stellt sich damit die Finanzverwaltung heute als ein fast uniiberschaubarer Komplex von ineinander verschachtelten Behorden mit ,,Amtshilfe"verpflichtungen, gegenseitigen Auftragsangelegenheiten und oft schwierigen Kompetenzabgrenzungen dar; wenn dieser „organisierte Wirrwarr", den zu entwirren die Neufassung des Art. 108 GG horTentlich beitragen wird, bis heute nicht in sich selbst zusammengebrochen ist, „so ist das der Geschicklichkeit der Bundesgesetzgebung und des Bundesfmanzministers, der vor einer wohlmeinenden Verbiegung der Verfassung nicht zuruckschreckte, sowie der Einsicht der Landerfinanzminister und vor allem der traditionellen Gesinnung der Finanzbeamtenschaft zu danken. Im iibrigen hat die aufgespaltene Finanzverwaltung sich in aller Stille, insbesondere durch erweiterte Mitwirkungsrechte des Bundesfmanzministers bei der Verwaltung der Einkommen- und Korperschaftsteuer durch die Lander, in der 61 Der Aufbau der Finanzverwaltung ist geregelt im Gesetz iiber die Finanzverwaltung vom 6. 9. 1950 (BGBl I, S. 448) und im Zweiten Gesetz iiber die Finanzverwaltung vom 15. 5. 1952 (BGBl I, S. 293), modifiziert durch einige Anderungen und Erganzungen, zuletzt durch die Anpassung der verfassungsrechtlichen Vorschriften iiber die Steuerverwaltung an die Neuregelung der Steuerverteilung im Rahmen der Finanzreformgesetzgebung vom 12. 5. 1969. 62 Zur Kompetenzabgrenzung in der Verwaltung der Realsteuern siehe besonders: Kommunale Steuern und Umlagen, l.Abschnitt: Gemeindesteuern, darin: Froboss, E.: Allgemeines, S. 304, und Schiefer, J.: Die einzelnen Gemeindesteuern, S. 309 ff., in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, a.a.O. 63 Kottgen, A.: Die Gemeinde und der Bundesgesetzgeber, Schriftenreihe des Vereins zur Pflege kommunalwissenschaftlicher Aufgaben e. V., Berlin, Stuttgart 1957, S. 37.
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Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Verwaltungsmethode und der Gesinnung wieder mehr einer einheitlichen Verwaltungsorganisation angenahert." 64 Der Tatigkeitsbereich der Finanzverwaltung reicht durch ihre Mitwirkung bei der Gestaltung des Haushaltsplanes auch in den Ausgabensektor der Staatsfinanzwirtschaft hinein; kennzeichnend dafiir ist die dominierende Stellung des Bundesfinanzministers bei der Aufstellung des Haushaltsplanes. Das Schwergewicht der Ausgabenverwaltung verlagert sich jedoch in steigendem Mafie auf die allgemeine Verwaltung in Bund, Landern und Gemeinden; ein Grund dafiir ist die wachsende Kompliziertheit und Differenziertheit der Ausgabenzwecke, deren Erfiillung durch die genauere Sachkenntnis der einzelnen Verwaltungsressorts besser gewahrleistet ist als durch die oft unzureichende und meist nicht an okonomischen Prinzipien orientierte Sachkenntnis der Legislative 65 . Andererseits lafit diese Entwicklung einem ressortpartikularen Egoismus 66 und der „administrativ bedingten Eigendynamik der Haushaltstechnik" 67 einzelner Behorden breiten Raum; diese gehen bei ihren Anforderungen vielfach einfach von den Ausgabenansatzen des Vorjahres aus, die lediglich um bestimmte Wachstumszuschlage aufgestockt zu werden pflegen 68. Anschauliche Beispiele fur diese Eigendynamik der administrativen Ausgabentechnik bieten die Haushaltsmittel fur den Grtinen Plan. Diese Ausgabenpositionen wurden erstmals 1959 und seitdem Jahr fur Jahr als globale „Leertitel" in den Haushaltsplan eingestellt; den Schliissel fur die Verteilung liefert jeweils erst der Griine Bericht. Ist somit die Festsetzung der Gesamtsumme weitgehend das Resultat des Kraftespiels der politischen Willensbildung, so unterliegt ihre Verteilung und Verausgabung der Zustandigkeit einer fast uniibersehbaren Fiille von selbstandigen oder unselbstandigen Verwaltungskorperschaften, Sonderverwaltungen und hilfsfiskalischen Gebilden; fast nahert sich diese Art der Ausgabenpolitik dem Prinzip der Repartition, wie es bisher nur im Rahmen der Steuertechnik bekannt war, d. h., es wird irn politischen Kampf zunachst die Gesamtsumme global erkampft und die „Beute" anschliefiend auf die entsprechenden Aufgaben „repartiert" 69. In den letzten drei Jahrzehnten ist der Finanzverwaltung im modernen Wohlfahrtsstaat durch die zunehmende Komplizierung der Materie ein immer grofierer Tatigkeitsbereich zugewachsen, oft ohne dafi ihre Vollmach64
Hettlage, K. M.: Die Neuordnung der deutschen Finanzverfassung, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 14, 1953/54, S. 464. 65 Vgl. hierzu § 14. 66 Vgl. hierzu §15. 67 Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen fiir die Landwirtschaft, Zur Theorie einer sektoralen Finanzpolitik, Tubingen 1963, S. 118. 68 Eine etwas verungliickte Terminologie der letzten Jahre bezeichnet einen derartigen, an den Zahlen des Vorjahresplanes orientierten Haushaltsplan als „Uberrollungs-"haushalt; der Bund der Steuerzahler lieft sich den willkommenen AnlaE zu der Frage, wer eigentlich hier „uberrollt" werde, nicht entgehen. 69 Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen . . . , a.a.O., S. 118 f.
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ten verfassungsrechtlich oder iiberhaupt ausdriicklich entsprechend erweitert worden waren. Durchfuhrungsbestimmungen, Richtlinien und sonstige Verwaltungsanordnungen werden mit praktisch kaum anfechtbarer rechtlicher Geltung statt von der Legislative meist ohne jede offentliche Beratung und Diskussion unmittelbar von der Exekutive erlassen; der Inhalt dieser Anordnungen geht haufig iiber eine blofie Gesetzesauslegung weit hinaus, zumal es sich regelmafiig um Bestimmungen handelt, die materiell fur die Steuerbemessung von entscheidender Bedeutung sind, wie z. B. die Festlegung von Richtsatzen aller Art, Bestimmungen iiber die bei der Gewinnermittlung abzugsfahigen oder nicht abzugsfahigen Aufwendungen u. dgl. mehr. Auch durch die Veranlagung und die steuerlichen Buch- und Betriebspriifungen konnen im Einzelfall im Rahmen des behordlichen Ermessens materiell wirksame Entscheidungen herbeigefuhrt werden, deren Billigung durch die Legislative zum mindesten zweifelhaft sein kann; selbst wenn dem Steuerpflichtigen dagegen gewisse Rechtsmittel zur Verfiigung stehen, vermag doch die Praxis der Verwaltung in Auslegung und Anwendung der Gesetze Art und Mafi der Besteuerung weitgehend zu bestimmen, ohne daC der Gesetzgeber oder die OrTentlichkeit in diesem Stadium noch die Moglichkeit einer Einflufinahme besitzen. 1st somit die Exekutive in praxi immer mehr zum eigentlichen Trager der offentlichen Gewalt geworden, so hat sie sich auch in der Technik der Gesetzgebung weiter in den Vordergrund geschoben; das Recht der sog. Gesetzesinitiative steht zwar nach wie vor, wenigstens auf dem Kontinent, grundsatzlich auch dem Parlament zu, liegt aber tatsachlich heute weitgehend bei der Regierung 70 . Der Rechtsprechung (und der ihr nahestehenden Haushaltskontrolle) als der dritten Institution der Finanzverfassung ist ein doppelter Tatigkeitsbereich zugewiesen; der Finanzgerichtsbarkeit obliegt die Auslegung der Steuergesetze zur Gewahrleistung der Gerechtigkeit bei der Verwirklichung des staatlichen Steueranspruchs, der Haushaltskontrolle die kontrollierende Uberwachung der Gesetz-, Plan- und Ordnungsmafiigkeit der Haushaltsfiihrung von Bund, Landern und Gemeinden zugleich im Sinne ihrer Zweckmafiigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Finanzgerichtsbarkeit hat im Dienste der Finanzverfassung vor allem daruber zu wachen, dafi die im Gesetz festgelegten Regeln fur das oben erwahnte „fair play" auch eingehalten werden; das bedeutet zunachst und vor allem, dafi die Rechtsprechung befugt und berufen sein mufi, in strittigen Fallen alle Mafinahmen der Legislative und der Exekutive auf ihre Verfassungs- und Gesetzmafiigkeit zu priifen. Besonders in letzter Zeit sind in Deutschland verfassungsrechtliche Bedenken gerade auch auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung erhoben worden, beispielsweise gegen die Riickwirkung 70
Strickrodt, G.: Finanzordnung der Lander im Rahmen der Verfassung, Braunschweig-Berlin-Hamburg-Kiel 1951, S. 5. 3*
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belastender Vorschriften, „dariiber hinaus auch gegen die Ausdehnung von Ermessensentscheidungen, iiberhaupt gegen eine allzu freie Handhabung des behordlichen Ermessens sowie gegen Verwaltungsvorschriften und -praktiken mancherlei Art" 71. Daneben geht es urn die richtige Gesetzesauslegung und die Nachpriifung von Ermessensentscheidungen der Verwaltung sowie um die Vertiefung und Weiterbildung der Gesetzesnormen als soldier, die den wechselnden Verhaltnissen und strukturellen Wandlungen des Wirtschaftsund Soziallebens angepafit werden miissen. Um diese Aufgaben durchfiihren zu konnen, mufi die Rechtsprechung grundsatzlich sowohl von der Legislative als auch von der Exekutive unabhangig sein; sind es doch nicht zuletzt deren Mafinahmen und Entschliisse, die der Kontrolle der Rechtsprechung unterworfen werden sollen. „Es besteht noch keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt getrennt ist" (Montesquieu). Eine richterlich nachpriifbare Beschrankung der Ermessensfreiheit gilt infolgedessen mit Recht iiberhaupt als Voraussetzung des „Verfassungsstaates". Der Grundsatz des Verwaltungsrechts, „dafi keine Verwaltungsmafinahme, die irgend jemandem eine Last auferlegt, ohne gesetzliche Ermachtigung ergriffen werden kann", bedeutet flir die Besteuerung im besonderen, dafi audi auf diesem heifi umstrittenen Rechtsgebiet „die ,Willkurc in den allerengsten Grenzen gehalten" 72 und so der Personlichkeits- und Eigentumsschutz der Verfassung praktisch verwirklicht wird. Die Entwicklung einer besonderen Finanzgerichtsbarkeit nimmt den ordentlichen Gerichten zwar einerseits gewisse Zustandigkeiten, stellt auf der anderen Seite aber zweifellos „einen Schritt auf dem Wege zur Konzentration der Gewalten" 73 dar; die Richter der Finanzgerichte sind zwar auch „unabhangig", unterstehen aber nicht, wie man eigentlich erwarten sollte, dem Justiz-, sondern dem Finanzministerium. Die Besonderheit der Finanzgerichtsbarkeit gegeniiber der sonstigen Rechtsprechung liegt (Ausnahme Hamburg) aber gerade darin, dafi im Rechtsstreit regelmafiig auch der Staat selbst in seiner Eigenschaft als Fiskus, d. h. als Trager von Vermogensrechten oder als Inhaber der Steuerhoheit, eine der streitenden Parteien ist; nichtsdestoweniger haben die Finanzgerichte keineswegs einseitig die Belange des Fiskus zu wahren, sondern auch die Rechte und Interessen der Pflichtigen zu schutzen oder sollten dies wenigstens tun 74. 71
Strickrodt, G.: Finanzverfassungsrecht — Idee und Gestaltungsmoglichkeiten, a.a.O., S. 805; — Zum Problem der Riickwirkung von Steuervorschriften, siehe Vogel, A.: Zur Riickwirkung von Steuergesetzen, in: Finanz-Rundschau 1960, Nr. 2, S. 29 f.; Maassen, K.: Riickwirkung steuerlicher Rechtsnormen und der Grundsatz vom Vertrauensschutz, in: Finanz-Rundschau 1961, Nr. 7, S. 125 ff. 72 Friedrich, C. J.: Der Verfassungsstaat der Neuzeit, a.a.O., S. 130. 73 Ders.: ebenda, S. 129. 74 „Es geniigt nicht, dafi die Weisungsfreiheit und Unabhangigkeit der Richter vom Gesetz lediglich vorgeschrieben wird. Von Organen einer unabhangigen richter-
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Die Finanzrechtsprechung ist dabei, wie jede Rechtsprechung, nicht nur an den Wortlaut der geltenden Gesetze gebunden, sondern sie beriicksichtigt neben dem Willen des Gesetzgebers audi das Rechtsgefuhl des Volkes und die darin verwurzelte Wertordnung. Rechtsprechung und Gesetzesauslegung sind daher oft die Grundlage spaterer Gesetze, ein Vorgang, der das Rechtsleben vor einer Erstarrung in to ten Paragraphen bewahrt. Als „richtiges Recht" gilt dabei haufig zunachst etwas, was „geltendes Recht" erst noch werden soil. „ D a ein Plebiszit nicht moglich und ein Gesetzgebungsakt als rechtsbegriindendes F a k t u m nicht unbedingt notwendig ist, w i r d eine Erforschung der Uberzeugungen in freier Erorterung nicht nur auf dem wissenschaftlichen Niveau, sondern auf dem Forum der sog. offentlichen Meinung in der Fachund Tagespresse sowie auf Tagungen von Organisationen erforderlich." 75 In der Bundesrepublik Deutschland ist die Finanzgerichtsbarkeit nach Art. 108 Abs. 5 G G der Regelung durch ein einfaches Bundesgesetz uberlassen. Es kennzeichnet die Schwierigkeit der Materie, dafi dieses Gesetz, die Finanzgerichtsordnung ( F G O ) 7 6 , erst am 6. 10. 1965 mit Wirkung vom 1 . 1 . 1966 verabschiedet werden konnte, obwohl eine entsprechende Regierungsvorlage bereits dreimal — zuerst 1955 — (BT-Drucks. I I 1 7 7 6 , I I I 127, I V 1446) beim Bundestag eingebracht wurde. Die Finanzgerichtsordnung „begrundet gegeniiber der fruheren bundes-, landes- und besatzungsrechtlichen Zersplitterung die Einheit der Gerichtsverfassung der Finanzgerichtsbarkeit" 7 7 . I m Gegensatz zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht die Finanzgerichtsbarkeit nur aus einem zweistufigen Instanzenweg: den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof (BFH). „Ortlich zustandig ist das Finanzgericht, in dessen Bezirk die Behorde ihren Sitz hat, die den Verwaltungsakt erlassen hat, oder von der ein Verwaltungsakt begehrt w i r d " (§ 38, Abs. 1 F G O ) . Die Finanzgerichte ent-
lichen Gewalt . . . kann nur gesprochen werden, wenn die zur Reditsprechung berufenen Behorden grundsatzlich mit Richtern besetzt werden, die . . . den Organen der Verwaltung (Regierung) und Gesetzgebung gegeniiber audi personlich unabhangig sind" (ORR. Hartung: Die Stellung der Steuergerichte zur Finanzverwaltung, in: Der Betriebs-Berater, 1954, H. 7, S. 203). 75 Strickrodt, G.: Finanzverfassungsrecht — Idee und Gestaltungsmoglichkeiten, a.a.O., S. 809. 76 Bundesgesetzblatt 1965 I 1477. Die alte Regelung der Abgabenordnung vom 19. 6. 1950 (BGBl 50, 257) verstieft in mannigfaltiger Hinsicht gegen das Grundgesetz; vor allem entsprach sie nicht der Gewaltenteilung, da sie eine Rechtsprechung durch Beamte anstatt durch Richter zulieE. Dieser Zustand wurde erst durch das „Gesetz iiber Ma£nahmen auf dem Gebiete der Finanzgerichtsbarkeit" vom 22. 10. 1957 (BGBl I 1746), das sog. Vorschaltgesetz, beseitigt, das mit Wirkung vom 1. 1. 1958 bestimmte, dafi die Rechtsprechung durch Richter an unabhangigen, von den Verwaltungsbehorden getrennten Finanzgerichten zu erfolgen habe. 77 Tipke-Kruse, AO., 2/3. Auflage 1965/68, Finanzgerichtsordnung, Einfuhrung A 7, S. 1536. In der Finanzgerichtsordnung werden die Gerichtsverfassung, das Verfahren sowie Kosten- und Vollstreckungsfragen der Finanzgerichtsbarkeit geregelt.
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scheiden als erste Instanz iiber alle Streitigkeiten, die nicht ausdriicklich durch § 37 FGO an den Bundesfinanzhof 78 verwiesen sind 79 . Der Bundesfinanzhof hat seinen Sitz in Miinchen wie der friihere Reichsfinanzhof, dessen Nachfolger er ist; seine Mitglieder sind unabhangige Richter und werden vom Bundesprasidenten auf Lebenszeit ernannt (§14 FGO, Art. 60, Abs. 1 GG). Durch diese notwendige, nach langer Verzogerung verabschiedete Neuregelung wurde nun endlich der entscheidende Schritt in der Regelung dieses fur einen demokratischen Rechtsstaat wichtigen Zweiges der Finanzverfassung getan. Die Haushaltskontrolle 80 wird von selbstandigen Priifungsbehorden durchgefiihrt, die ebenfalls richterliche Unabhangigkeit besitzen. Auf der Landesebene sind es die Landesrechnungskammern oder Rechnungshofe, die in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Wiirttemberg auch fiir die Priifung der Finanzgebarung der Gemeinden zustandig sind. Fiir den Bund wurde der Bundesrechnungshof 8 1 in Frankfurt (Main) errichtet, eine nur dem Gesetz unterworfene Oberste Bundesbehorde, die die „gesamte Haushalts- und Wirtschaftsfiihrung der Bundesorgane und Bundesverwaltungencc iiberwacht 82 und „mit Zustimmung der nach Landesrecht zustandigen Stellen Priifungsaufgaben auch fiir Lander und juristische Personen des offentlichen Rechts auf deren Antrag ubernehmen" kann 83 . 78 § 36: „Der Bundesfinanzhof entscheidet iiber das Rechtsmittel 1) der Revision gegen Urteile des Finanzgerichts und gegen Entsdieidungen, die Urteilen des Finanzgerichts gleidi stehen, 2) der Beschwerde gegen andere Entsdieidungen des Finanzgeridits oder des Vorsitzenden des Senats." § 37: „Der Bundesfinanzhof entscheidet im ersten und letzten Reditszug iiber 1) die Klage wegen erstinstanzlidier Verwaltungsakte des Bundesministers der Finanzen auf dem Gebiete der Eingangsabgaben, 2) die Klage wegen verbindlicher Zolltarifauskiinfte, 3) die Klage wegen der Bescheide, durch die auf Grund eines Verbrauchsteuergesetzes oder des Gesetzes iiber das Branntweinmonopol ein Kontingentfuft oder ein Kontingent fiir einen Betrieb festgesetzt wird, 4) die Klage wegen monopolrechtlicher Verwaltungsakte der Bundesmonopolverwaltung fiir Branntwein und der Monopolverwaltung fiir Branntwein beim Landesfinanzamt Berlin oder ihrer Aufsichtsbehorden." 79 Vgl. § 35 FGO. 80 Vgl. § 42. 81 Vgl. § 42. 82 Gesetz iiber Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshof es vom 27. 11. 1950 (BGB1, S. 765). 83 Die verfassungsmaftig garantierte richterliche Unabhangigkeit der Rechnungshofe tauscht nicht dariiber hinweg, daft die Stellung der Rechnungshofe im Rahmen der Staatsgewalt in der Bundesrepublik keineswegs eindeutig ist. Man ordnet sie sehr verschieden als Organ der Legislative, der Exekutive, der Jurisdiktion und auch als „vierte Gewalt" ein. Vialon sieht nach eingehender Diskussion der Meinungen aus Haushaltspraxis, Wissenschaft und Rechtsprechung die Rechnungshofe als „eine verfassungsmaftig garantierte, erganzende Institution eigener Art der vollziehenden Gewalt" an, wobei „zwischen den Rechnungshofen und den Verantwortlichkeiten der vollziehenden Gewalt nicht die Grenze der Gewaltentrennung, sondern die der funktionellen, verfassungsrechtlich abgesicherten Aufgabentrennung verlauft". (Vialon, F. K.: Streitfragen der offentlichen Finanzkontrolle, Finanzarckiv, NF. Bd. 22, 1962, S. 11.)
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Neben diesen durch die Verf assung geschaffenen Institutionen der Finanzverfassung haben sich im Verlauf der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung insbesondere der letzten 80 Jahre zahlreiche quasistaatliche parafiskalische Gebilde aller Art als „ intermediare Finanzgewalten" 84 herausgebildet, die, ohne selbst Trager von Hoheitsrechten im eigentlichen Sinne zu sein, Aufgaben des Gemeininteresses ubernehmen und zu diesem Zweck mehr oder weniger steuerahnliche Abgaben einfordern. „Unter Hilfsfiskus oder intermediarer Finanzgewalt wird aber begriffen jede mit dem Recht der zwangsweisen Umlage ausgestattete Korperschaft, die sich der Befriedigung offentlichen Bedarfes w i d m e t . . . audi, wenn ein frei gewachsenes Gebilde dem Staat die Anerkennung als intermediare Finanzgewalt abzwingt." 85 Als parafiskalische Gebilde (Hilfsfisken) sind danach z. B. die Trager der Sozialversicherung (Unfall-, Invaliden-, Angestellten-, Knappschafts-, Arbeitslosenversicherung), der „Standeflskus" (Industrie- und Handels-, Handwerks-, Landwirtschafts-, Arztekammern usw. und sonstige Berufsvertretungen) sowie der Kirchenfiskus anzusehen, der sich heute immer mehr unter die Fittiche des „Staatsfiskus" begibt, wie sich an der Einziehung der in jiingster Zeit wieder heftig diskutierten Kirchensteuern durch die Finanzamter zeigt. Die Gewerkschaften sind, soweit die Zugehorigkeit zu ihnen zu einem mehr oder weniger offenen oder verdeckten Zwang fur den Arbeitnehmer geworden ist, ebenfalls auf dem Wege, eine Art von parafiskalischen Institutionen mit dem Recht zur Erhebung von Zwangsbeitragen zu werden. Inwieweit die Sondervermogen des Bundes als parafiskalische Gebilde anzusehen sind, ist schwer zu entscheiden; die Abgrenzung zwischen „Fiskus" und „Parafiskus" ist schwierig und nie vollig eindeutig durchzufuhren, weil ihr die jeweils historisch und soziologisch bedingte Auffassung von den „eigentlichen" Staatsaufgaben zugrunde liegt. Es lafit sich allerdings im Zuge der standig wachsenden Ausdehnung der Staatstatigkeit 86 die Tendenz feststellen, ursprtinglich private, z. B. karitative Betatigungen immer mehr als orTentliche Aufgaben anzusehen (z. B. staatliche Garantien fiir die Sozialversicherung oder deren Einbau in den Staatshaushalt). Die klassische „Gewaltenteilung
Herrmann, W.: Intermediare Finanzgewalten, Jena 1936. Naheres hierzu s. Smekal, C : Die Finanzwirtschaft intermediarer Gruppen, Innsbruck 1969. 85 Herrmann, W.: ebenda, S. 4 f. 86 Vgl. hierzu §§.21—23. 87 Peters, H.: Die Gewaltentrennung in moderner Sicht, Vortrag gehalten auf der Sitzung der Arbeitsgemeinsdiaft fiir Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen am 20.1.1954 in Diisseldorf, in: Schriften der Arbeitsgemeinsdiaft fiir Forsdiung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften, Heft 25, Koln-Opladen 1954.
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einer laufenden administrativen Steuerung der Verwaltung, sie greift also iiber den ihr funktionell im Sinne einer Funktionsteilung zugewiesenen R a u m hinaus" 87a , was A. Kottgen mit dem Begriff einer ,,administrierenden Gesetzgebung" charakterisiert 8 8 ; von dem wachsenden Schwergewicht der Exekutive auch auf dem Gebiet der Legislative w a r bereits oben die Rede. Am reinsten diirfte das Gewaltenteilungsprinzip im Rahmen der Finanzverfassung noch in der Jurisdiktion verwirklicht sein, wenigstens auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit, wahrend die Haushaltskontrolle bereits deutliche Ziige einer legislativ begriindeten Kontrolle iiber die Exekutive aufweist. Dieser durch die praktische Politik diktierten Entwicklung k a n n sich die Wissenschaft nicht verschliefien; so setzen sich auch die neuere Staatsrechtslehre und die Politische Wissenschaft mit der Frage auseinander, inwieweit das reine Prinzip der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus in den modernen demokratischen Verfassungs- und Lebensformen von einem funktionellen und institutionellen Pluralismus durchsetzt u n d mitunter abgelost wird. 1st die parlamentarische Demokratie als Staatsform an sich durch eine gewisse Lockerung der Gewaltenteilung gekennzeichnet 8 9 , so ist andererseits doch die von C a r l Schmitt 9 0 vertretene Anschauung, der Pluralismus sei eine Zerfallserscheinung der modernen Demokratie, heute weitgehend iiberwund e n 9 1 . „Der Pluralismus k a n n in seinen nachteiligen Wirkungen durch bewufite Verstarkung der integrierenden Krafte im Staat iiberwunden werden. D a z u gehoren das Bewufitmachen der auch in unserem Staate alien gemeinsamen politischen Ziele, die Starkung der oft vergessenen ethischen Krafte der Demokratie in alien ihren Erscheinungsformen, aber auch die Erkenntnis von Sinn und Bedeutung der Gewaltentrennung und Gewaltenbalance." 92 87a
Scheuner, U.: Die Aufgabe der Gesetzgebung in unserer Zeit, Vortrag vor der Mitgliederversammlung der Kommunalen Gemeinschaftsstelle fur Verwaltungsvereinfachung am 20. 5.1960 in Herford, in: Mitteilungen der Kommunalen Gemeinsdiaftsstelle fiir Verwaltungsvereinfachung (KGSt), Juni 1960. 88 Kottgen, A.: Die Gemeinde und der Bundesgesetzgeber, a.a.O., S. 37. 89 Scheuner, U.: a.a.O., S. 6 f. 90 Schmitt, C : Staat, Bewegung, Volk, 1933, S. 25 f., zitiert nach Peters, H.: Die Gewaltenteilung in moderner Sicht, a.a.O., S. 33. 91 Peters, H.: Die Gewaltenteilung in moderner Sicht, a.a.O., S. 33. 92 Peters, H.: Die Gewaltenteilung in moderner Sicht, a.a.O., S. 33. — Vgl. auch Sternberger, D.: Gewaltenteilung und parlamentarische Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Politische Vierteljahrsschrift, Jg. 1, H. 1, 1960, S. 22 ff. Sternberger setzt sich hier ebenfalls mit der Verwischung des klassischen Gewaltenteilungsprinzips auseinander, die er am Beispiel des Verhaltnisses von Parlament und Regierung erlautert. Die praktizierte „parlamentarische Regierungsweise" zwingt nach seiner Ansicht zu einer neuen Theorie, bei deren Ausbau das englische Regierungssystem als Vorbild dienen konne. — Ferner Steffani, W.: Gewaltenteilung im demokratisch-pluralistischen Rechtsstaat, in: Politische Vierteljahrsschrift, Jg. 3, H. 3, 1962, S. 256 sowie Kaltefleiter, W.: Funktion und Verantwortung in den europaischen Organisationen, Kolner Schriften zur Politischen Wissenschaft, Bd. 3, Frankfurt am Main-Bonn 1964, S. 27 ff.
§ 7. Die Finanzverfassung im Bundesstaat
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§ 7. Die Finanzverfassung im Bundesstaat 1st die Finanzverfassung ein integrierender Wesensbestandteil der Staatsverfassung, so ist auch der nach Bund, Landern und Gemeinden gegliederte Aufbau des Finanzwesens Inhalt und Ausdruck des Staatsaufbaus; nirgends tritt der foderative Charakter eines Bundesstaates, beispielsweise der Schweizerischen Eidgenossenschaft, klarer hervor als in der eifersiichtig von den Kantonen verteidigten eigenen Finanzhoheit. Audi in den Vereinigten Staaten besitzen die 50 Einzelstaaten heute noch das Recht, ihre Staatsangehorigen uneingeschrankt „direkt" und „indirekt" zu besteuern; materiell tritt allerdings die einzelstaatliche Steuerbelastung hinter der durch die Kriegsund Riistungsausgaben gewaltig angeschwollenen Bundessteuerlast mehr und mehr zuriick, eine in alien Bundesstaaten wiederkehrende Erscheinung, fur die J. Popitz das Schlagwort vom „Gesetz der Anziehungskraft des zentralen Etatsc< gepragt hat 9 3 . In jedem Bundesstaat, der nicht nur dem Namen nach foderalistisch aufgebaut ist, wie etwa die straff zentralistisch gefuhrte ,, Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken", sondern dem es mit der Bewahrung der traditionellen Eigenstaatlichkeit seiner Glieder ernst ist, erhebt sich das Problem einer finanzpolitischen „Gewaltenteilung" zwischen der Zentrale und ihren Gliedstaaten, zwischen Bund und Landern oder zwischen Eidgenossenschaft und Kantonen 94. Das Deutsche Reich von 1871 war ein Bundesstaat mit sehr ausgepragten Rechts- und Souveranitatsvorbehalten der Bundesfursten und -staaten; nur in zahem Kampf mit Reichstag und Bundesrat gelang es Bismarck, dem Reich Schritt fiir Schritt die durch seine wachsenden Aufgaben immer notwendiger werdende flnanzielle Unabhangigkeit zu erringen. Das Weimarer Reich stand dagegen von Anfang an im Zeichen der finanziellen Starkung der Zentrale auf Kosten der Gliedstaaten; die Lander wurden fast vollstandig zu Kostgangern des Reiches, dessen Steuergesetze verfassungsrechtlichen Vorrang vor denen der Lander genossen. Die damit begonnene zentralistische Entwicklung wurde im Hitlerstaat folgerichtig bis zum Ende fortgeftihrt, nachdem die verbrieften Rechte der Lander auf bestimmte Anteile an den sog. grofien „t)berweisungssteuern" (Einkommen-, Korperschaft-, Umsatzsteuer usw.) schon vorher weitgehend ausgehohlt worden waren 95. So ist es nicht verwunderlich, dafi der Neuaufbau des deutschen Staatsgefiiges nach dem Zusammenbruch von 1945 in starkstem Mafie von dem Bestreben gepragt war, dem foderalistischen Prinzip wieder Geltung zu verschaffen 96 und dieses Prinzip gerade in der Finanzverfassung besonders zu 93 94
Vgl. §19.
GerlofF, W.: Die Finanzgewalt im Bundesstaat, Frankfurt 1948. Vgl. hierzu § 18. Vgl. auch Muller, G.: Der Foderalismus in unserem Verfassungsrecht, in: Festgabe fur A. Moller, Karlsruhe 1968, S. 125 ff. 95
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verankern. Der umfangreiche Abschnitt X des Bonner Grundgesetzes — der einzige Abschnitt, der einem bestimmten Einzelgebiet der Staatstatigkeit gewidmet ist — regelt Gesetzgebung, Verteilung, Verwaltung und Rechtsprechung auf dem Gebiet des Finanzwesens in vielfaltiger Abweichung von den Bestimmungen, die fur die sonstigen Gebiete der Staatstatigkeit gelten, und mit einer Ausfiihrlichkeit, die die Frage hat aufkommen lassen, ob derartige Einzelheiten uberhaupt in die Verfassungsurkunde gehoren, die doch nur Grundsatze fiir die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung aufstellen, nicht aber materielles Recht in Einzelfragen schaffen sollen. „Schwer zu vereinigende Dinge" versucht das Grundgesetz in diesem Abschnitt zusammenfassend zu gestalten; Bund und Lander sind, wie erwahnt, in ihrer Haushaltswirtschaft gem. Art. 109, Abs. 1 GG formell selbstandig und voneinander unabhangig 97. Die Lander haben aber, da sie auf die Wirtschafts- und Steuerkraft des gleichen Staats- und Wirtschaftsraumes wie der Bund angewiesen sind, wie dieser den Erfordernissen eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Rechnung zu tragen; sie sind deshalb in ihrem Haushaltsgebaren unter bestimmten Voraussetzungen bundesgesetzlichen Vorschriften unterworfen (Art. 109, Abs. 4 GG). Sowohl der Bund als auch die Lander sollen „ihre Aufgaben so sehr als moglich mit eigenen Mitteln . . . erfiillen, ohne dadurch die vor allem aus sozial- und wirtschaftspolitischen Grunden erforderliche Einheit der Finanzpolitik zu gefahrden und ein Gefalle zwischen steuerschwachen und steuerstarken Landern entstehen zu lassen" 98. Dabei ist die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Landern „weniger im Hinblick auf die damit verbundenen Lasten und die Leistungsfahigkeit der Lander, als vielmehr aus einer bestimmten politischen Grundentscheidung iiber den bundesstaatlichen Aufbau erfolgt. Diese politische Grundentscheidung bestimmt die Aufgaben und Funktionen und damit weithin die Finanzverfassung des Ganzen und seiner Teile." •» Im Bundesstaat steht diese Aufgabentrennung ex definitione unter dem Grundsatz der Subsidiaritat, nach dem alle Aufgaben, die nicht ausdriicklich dem Oberverband oder dem jeweils hoheren Selbstverwaltungstrager zugewiesen sind, von den Unterverbanden und letztlich von den gemeindlichen Selbstverwaltungskorperschaften wahrgenommen werden 10 °. Dementsprechend obliegt die Ausiibung der Staatsgewalt nach Art. 30 des Bonner Grund97 V 98
§Ls6-
Schmid, K.: Die politische und staatsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: Die offentliche Verwaltung, 2. Jg., 1949, S. 206. 99 Hettlage, K. M.: Die Neuordnung der deutschen Finanzverfassung. Finanzarchiv, NF. Bd. 14, 1953/54, S. 441 f. 100 In den Vereinigten Staaten wird dieses Prinzip auf Abraham Lincoln zuriickgefiihrt, der damit eine „naturliche" Aufgabentrennung zwischen Bund und Landern zu begrunden versuchte: "Let the nation take hold of the larger works, and the states the smaller ones."
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gesetzes grundsatzlich den Landern, soweit nicht das Grundgesetz selbst ausdrucklich eine andere Aufgabenverteilung anordnet oder zulafit; die Aufgaben des Bundes werden in einem Katalog ausdriicklich aufgezahlt, so dafi alle anderen Staatsaufgaben nach dem Grundsatz der Subsidiaritat den Landern oder Gemeinden zufallen. Bundeseigene Verwaltungen mit eigenem Verwaltungsunterbau sieht das Grundgesetz nur fur die auswartige Politik, die Bundesfinanzen, Bundesbahn und Bundespost, die Bundeswasserstrafien und die Schiffahrt sowie fur die Bundesstrafien vor, ferner fur den Bundesgrenzschutz und fur gewisse Zentralstellen fiir das polizeiliche Auskunftsund Nachrichtenwesen zur Sammlung von Unterlagen fiir Zwecke des Verfassungsschutzes und der Kriminalpolizei. Dariiber hinaus hat der Bund das Recht, Verwaltungen einzurichten, insoweit gewisse Gegenstande durch seine „ausschliefiliche Gesetzgebung" geregelt werden, deren Umfang Art. 73 GG im einzelnen bestimmt. Den Landern verbleiben demgegeniiber alle anderen vor allem die traditionellen Staatsaufgaben auf dem Gebiet der offentlichen Ordnung, der Kulturpflege u. a. m., soweit sie nicht wiederum nach dem Subsidiaritatsgrundsatz zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinden gehoren, wie Gesundheits- und Wohnungswesen, Schule, Polizei, Wohlfahrts- und Jugendpflege. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden die „ Gemeinschaftsaufgaben" 101. Dieser Begriff war der Verfassung bisher fremd 102 ; sie werden allgemein als Landeraufgaben angesehen, bei deren Erfiillung der Bund mitwirkt. Das neue Rechtsinstitut soil die Kooperation zwischen Bund und Landern bei der Erfiillung bestimmter offentlicher Aufgaben auf eine gesicherte verfassungsrechtliche Grundlage stellen. Bund und Lander „wirken demnach in Zukunft bei der Erfiillung solcher staatlicher Aufgaben zusammen, die fiir die Entwicklung des Gesamtstaates besonders bedeutsam sindcc 103. Die in Art. 91 a, Abs. 1 GG aufgefiihrten Aufgaben (1. Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen einschlieClich der Hochschulkliniken, 2. Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, 3. Ver101 Zum Begriff der Gemeinschaftsaufgaben: Gutachten iiber die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Stuttgart-Koln-Berlin-Mainz 1966, Ziff. 129 ff.; Institut „Finanzen und Steuern", Einzelfragen zur Finanzreform, Brief 100, Bonn 1968; Heckt, W.: Zur Problematik der Gemeinsdiaftsaufgaben, in: Finanzarchiv NF., Bd. 28, 1969, Heft 1, S. 143 ff.; Klein, L.: Verfassungsrechtliche Grenzen der Gemeinschaftsaufgaben, in: Bd. 11 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer „Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund, Landern und Gemeinden", Berlin 1961; Pagenkopf: Neuordnung der Finanzen — Insbesondere die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Landern, in: Die offentliche Wirtschaft, 1967, Heft 4; Kolble: Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund und Landern, Bd. 11 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer, a.a.O. 102 In der Finanzreformdiskussion tauchte der Begriff der Gemeinschaftsaufgaben erstmalig in der Begriindung zum Entwurf eines Finanzverfassungsgesetzes im Jahre 1954 auf. Siehe BTDrucks. II 480. 103 Institut „Steuern und Finanzen", Brief 100, a.a.O., S. 65.
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besserung der Agrarstruktur und des Kustenschutzes) 1 0 4 w a r e n bislang Landersache, deren Wahrnehmung jedoch, wie die Vergangenheit gezeigt hat, die Mittel der zustandigen Lander teilweise iiberstieg, so dafi die verfassungsmafiig verankerte ,,Einheitlichkeit der Lebensverhaltnisse" (Art. 106, Abs. 3 GG) nicht gewahrleistet werden konnte. Nach dem neuen Art. 9 1 a Abs. 4 GG ist der Bund nunmehr verpflichtet, 5 0 % der Ausgaben fiir den Hochschulbau und die Wirtschaftsstrukturverbesserungen sowie mindestens 5 0 % fiir die Verbesserung der Agrarstruktur u n d des Kustenschutzes 105 zu bestreiten. Von entscheidender Bedeutung fiir eine befriedigende Erfullung dieser Aufgaben wird die Koordination der Rahmenplane, die von je einem Planungsrat 1 0 6 fiir jede Aufgabe aufgestellt werden, und der Planung der Einzelheiten sein, die ebenso wie die Durchfuhrung der Plane im Sinne des A r t . 83 G G nach wie vor Sache der Lander ist 1 0 7 . Wie sich diese Neuregelung in der Zukunft bewahren wird, lafit sich derzeit schwerlich abschatzen. Auf ein Problem kann aber bereits jetzt hingewiesen werden, namlich auf die Folgen der Fixierung des Bundesanteils bei den ersten beiden Aufgaben. Vor der Einfuhrung des Instituts der Gemeinschaftsaufgaben w a r es in das Ermessen des Bundes und in das Verhandlungsgeschick der Landervertreter gestellt, in welchem Umfang sich der Bund an diesen Aufgaben beteiligte, die er bereits bisher unterstiitzte, ohne dazu verfassungsmafiig verpflichtet zu sein; er konnte infolgedessen u. U . audi mehr als die nun vorgeschriebenen 5 0 % beisteuern. Der Nachteil der neuen Regelung machte sich erstmalig beim Ausbau der Universitat in Bremen bemerkbar, w o der Bund zunachst mehr als die Halfte zu tragen gedachte, dies aber dann doch im Hinblick auf den neuen Art. 9 1 a Abs. 4 G G unterliefi. Neben den Gemeinschaftsaufgaben sieht die Verfassung in dem neu eingefiihrten Art. 9 1 b G G ein Zusammenwirken von Bund u n d Landern durch konkrete Einzelvereinbarungen auf dem Gebiet der Bildungsplanung und bei Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung v o n iiberregionaler Bedeutung vor. Diese Aufgaben wurden der starren Regelung der Gemeinschaftsaufgaben nicht unterworfen, um sie mittels einer elastischen, dem spezifischen
104 Diese Enumeration im Grundgesetz soil verhindern, daft der Einfluft des Bundes durch einfaches Bundesgesetz ausgedehnt wird. Klein, F.: Das Finanzreformprogramm der Bundesregierung, in: Bulletin 1967, Nr. 83, S. 715; Strauft, F. J.: Die Finanzverfassung, Munchen-Wien 1969, S. 74. 105 Hierbei betragt zunachst die Bundesbeteiligung bei den Ausgaben im Rahmen des Kustenschutzes 70% und die bei der Agrarstrukturverbesserung 60%. 106 Jeder Planungsrat besteht aus Vertretern des Bundes und aller Lander. S. hierzu audi „Ausfiihrungsgesetze zu den Gemeinschaftsaufgaben", in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 46 vom 15. 4.1969, S. 395. 107 Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Anderung und Erganzung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz)'' BTDrucks. V 2861 Tz.270ff.; audi Straufi, F. J.: „Die Finanzverfassung", a.a.O., S. 102 f.
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Einzelfall angepafiten Form der Zusammenarbeit besser erfullen zu konnen 108 . Da der Verfassungsauftrag, im gesamten Bundesgebiet einheitliche Lebensverhaltnisse zu schaffen, nicht nur sozial-, sondern im gleichen Mafie finanzpolitisch zu sehen ist 109 , hat das GG i. d. F. von 1969 neben den Gemeinschaftsaufgaben und Einzelvereinbarungen in dem neuen Art. 104 a Abs. 4 GG die Moglichkeit von Finanzhilfe des Bundes fur besonders bedeutsame Investitionen der Lander und Gemeinden vorgesehen. Die zentralstaatlichen Investitionsbeihilfen sollen zur Ankurbelung der Wirtschaftstatigkeit bei einem Nachlassen der Beschaftigung und/oder des Wachstums sowie zum „Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet" dienen. Die Gewahrung derartiger Finanzhilfen kann als weiteres Beispiel fiir das Popitzsche „Gesetz" von der Anziehungskraft des zentralen Etats angesehen werden, da stets letztlich der Zentralinstanz, also dem Bund, die Sorge fiir „stetiges und angemessenes" Wirtschaftswachstum und fiir die „Einheitlichkeit der Lebensverhaltnisse" zufallt. Der foderalistische Aufbau pragt sich aufier in der Aufgabenverteilung, die ja zugleich weithin die Zuordnung der Ausgaben bedeutet, audi in der Aufteilung der Einnahmen, insbesondere der Steuern, zwischen dem Bund einerseits, den Landern und ihren Gemeinden andererseits unverkennbar aus. In den jahrzehntelangen Kampfen um die verfassungsrechtliche Regelung auf diesem Kerngebiet des Finanzausgleicbsli0 haben sich die verschiedensten Gestaltungsmoglichkeiten abgelost, miteinander vermischt und gegenseitig uberlagert; in der herrschenden Lehre haben sich aus diesem Gestaltungsprozefi im wesentlichen drei Grundformen herauskristallisiert, das Trennsystem, das Zuweisungssystem und das Mischsystem. Fiir das Trennsystem ist charakteristisch, dafi Einnahmequellen und Ausgabenbereiche der zentralen und der nachgeordneten Gebietskorperschaften ganzlich unabhangig nebeneinander stehen. Bei diesem System, das sich in reiner Form regelmafiig nur in jungen Bundesstaaten am Anfang ihrer Entwicklung findet, lassen sich wiederum zwei verschiedene Formen unterscheiden; entweder besitzen sowohl die Zentralgewalt wie die einzelnen Gliedstaaten das Recht, alle Besteuerungsobjekte und Bemessungsgrundlagen nach eigenem Belieben frei zu wahlen (freies Trennsystem), oder den einzelnen Gebietskorperschaften sind bestimmte Steuerquellen oder Steuerarten ausschliefilich vorbehalten (gebundenes Trennsystem). Das freie Trennsystem 108
„Fmanznadiricliten
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w i r d zum Unterschied vom gebundenen Trennsystem, welches die eigentliche Form des Trennsystems darstellt, besser als „Konkurrenzsystem" bezeichnet; es ist allerdings heute nur noch in den U S A verwirklicht, w o z. B. neben der Bundeseinkommensteuer audi die Einzelstaaten und zum Teil die Gemeinden von dem gleichen Einkommen eigene Einkommensteuern auf G r u n d besonderer Veranlagung und nach individuellen Tarifen erheben m . Auch in der Schweiz bestehen neben der Eidgenossischen „Wehrsteuer", einer Einkommensteuer mit erganzender Vermogensteuer, in den meisten Kantonen eigene Einkommen- und Vermogensteuern. Eine A r t Trennsystem w a r theoretisch von 1949—1951 in der Deutschen Bundesrepublik verwirklicht, wobei der Zentralgewalt alle Zolle und die meisten Verbrauchsteuern, den Landern die sogenannten „direkten" Steuern vorbehalten w a r e n ; der zunehmende Finanzbedarf des Bundes fuhrte jedoch in der Praxis alsbald zur Inanspruchnahme dieser Steuern auch von seiten des Bundes. fliefien den einzelnen Gebietskorperschaften Beim Zuweisungssystem112 zunachst die ihnen entsprechend ihrer Ertragshoheit zustehenden Einnahmen zu; anschliefiend erfolgt ein gewisser Ausgleich zwischen den finanzstarken und finanzschwachen Gebietskorperschaften durch ein System von Zuweisungen auf G r u n d bestimmter Bedarfsmerkmale. M a n unterscheidet dabei zwischen allgemeinen u n d speziellen Finanzzuweisungen. Die H o h e der allgemeinen Finanzzuweisungen wird nach einem komplizierten System von sog. Schlusselzahlen durch die Gegeniiberstellung von Bedarf und Steuerkraft einer Gebietskorperschaft ermittelt; die ihnen zugrunde liegenden Bedarfsmerkmale sind allgemeiner A r t wie etwa Einwohnerzahl, Berufsgruppierung, Zahl der Empfanger von Sozialleistungen usw. Die speziellen Finanzzuweisungen werden dagegen von Fall zu Fall nach speziellen Bedarfsmerkmalen einzelner Gebietskorperschaften, die zumeist in aufiergewohnlichen Belastungen und besonderen Notlagen begriindet sind, festgesetzt 1 1 3 . 111 Das „Governors Conference Committee on Intergovernmental Relations" hat festgestellt, daft im Jahre 1950 nicht weniger als 70% der Bundessteuereinnahmen aus solchen Steuern stammten, die gleichzeitig auch von den Einzelstaaten erhoben wurden. Dieses „Konkurrenzsystem" gilt vielfach als beste Losung des Finanzausgleichsproblems, da es die Finanzverantwortung der nachgeordneten Gebietskorperschaften klarer hervortreten lasse als die Notlosung der Bundeszuschusse. Vgl. Studenski, P.: Alternatives to Grants-in-aid, Vortrag auf dem Jahreskongreft des Tax Institute in Princeton, 3. 12.1953. 112 An Stelle der Bezeichnung „Zuweisungssystem" findet sich in der Literatur haufig die Bezeichnung „Verbundsystem", die jedoch aus verschiedenen Griinden wenig zweckma£ig erscheint; naheliegend ist insbesondere ihre Verwechslung mit dem Begriff des Steuerverbundes, wie er zwischen Landern und Gemeinden gema£ Art. 106, Abs. 4 GG besteht, einer bestimmten Verteilung der gesamten Ausgleichsmasse im Rahmen des Zuweisungssystems. In der jungsten Finanzreform von 1969 ist der „Steuerverbund", der bis danin nur auf die Einnahmen aus der Einkommenund Korperschaftsteuer bestand, auch auf die Umsatzsteuer ausgedehnt worden (vgh §20). 113 Vgl. § 30.
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Das Mischsystem verbindet Elemente des Trenn- und des Zuweisungssystems miteinander, lafit dabei allerdings in der Regel eine klare Trennung von Staatsaufgaben und -einnahmen vermissen; meist ist das Mischsystem das Resultat eines langjahrigen Konkurrenzkampfes des Zentralstaates mit seinen Gliedstaaten und ihren Gemeinden um die Steuerquellen der Volkswirtschaft, in dem sich die Zunahme der Aufgaben und damit der Ausgaben der verschiedenen Verwaltungen und ihr wechselndes Machtverhaltnis widerspiegelt. Dabei kann wiederum das „Zuschlags"-System vom „Oberweisungs"-System unterschieden werden. Beim Zuschlagssystem hat eine (durchweg die untergeordnete) Gebietskorperschaft zwar meist auch das Recht, eigene Steuern zu erheben, doch kann sie den gleichen Steuergegenstand durch Zuschlage zu den Steuern der anderen Korperschaft, meist der Zentralgewalt, besteuern. Beim Oberweisungssystem haben entweder die Einzelstaaten das Recht zur Erhebung von Abgaben, aus deren Aufkommen sie der Zentralgewalt mehr oder weniger freiwillig gewisse Anteile abtreten, oder der Bund besitzt die Steuerhoheit, wahrend die nachgeordneten Korperschaften auf Oberweisungen angewiesen sind 114 . Zwischen diesen verschiedenen Systemen hat die Praxis der Finanzpolitik wiederum mannigfache Mischformen herausgebildet, pragmatische Regelungen, bei denen oft parlamentarische Kompromisse, partikulare Vorbehalte und enge Finanzegoismen der beteiligten Partner Pate zu stehen pflegen; wie alle Politik die Kunst des Moglichen, so ist alle Finanzpolitik in besonderem Mafie die Kunst, die einander widerstrebenden Krafte der staatlichen Willensbildung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Das Grundgesetz bedient sich hierzu im Abschnitt X iiber das Finanzwesen einer Aufteilung der Steuerwirtschaft nach der Gesetzgebungs-, der Ertrags- und der Verwaltungshoheit. Im Rahmen der Gesetzgebungshoheit115 — auch Finanzhoheit genannt — unterliegen der ausschliefilichen Gesetzgebung des Bundes die Zolle und Finanzmonopole, ferner „die Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 vorliegen" (Art. 105 Abs. 2 GG), mithin alle wichtigen Steuern. Solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht, verbleibt auf diesen Gebieten die Befugnis zur Gesetzgebung den Landern; der Bund hat das Gesetzgebungsrecht nur, soweit ein Bediirfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, etwa weil es sich um Angelegenheiten handelt, die durch die Gesetzgebung einzelner Lander nicht wirksam geregelt werden konnen oder wenn ihre Regelung durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Lander oder 114
Nicht weniger als 4 8 % ihrer Einnahmen bezogen die Einzelstaaten der USA 1935 aus Zuweisungen der Bundesregierung; ist dieser Anteil auch inzwischen stark zunickgegangen, so muS doch auch heute noch der Bund jahrlich Milliarden fur Finanzzuweisungen aufwenden. 115 Art. 105 GG.
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der Gesamtheit beeintrachtigen konnte. Endlich ist die Bundesgesetzgebung zustandig, wenn der Gesichtspunkt der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere der Einheitlichkeit der Lebensverhaltnisse, eine iiber das Gebiet eines Landes hinausgreifende Regelung erfordert 116 . Ein neues Element in der bundesdeutschen Finanzverfassung stellt der „Notstandsartikelc< 115 c GG dar, der fiir den Verteidigungsfall jegliche, auch die ehedem den Landern zustehende Gesetzgebungskompetenz auf den Bund iibertragt. Fiir die Finanzverfassung bedeutet dies, dafi „mit Zustimmung des Bundesrates . . . das Finanzwesen des Bundes abweichend von Abschnitt X geregelt werden kann, wobei aber die Lebensfahigkeit der Lander, Gemeinden und Gemeindeverbande insbesondere auch in finanzieller Hinsicht zu wahren ist" (Art. 115 c Abs. 3 GG). De facto hat der Bund heute aber auch schon in Friedenszeiten die gesamte Gesetzgebungshoheit iiber alle Steuern aufier gem. Art. 105 Abs. 2 a iiber die „ortlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind" m . In Einzelheiten abweichend ist die Ertragshoheit118, die Verteilung des Steueraufkommens, geregelt; danach stehen dem Bund grundsatzlich die Ertrage aus „eigenen" Steuern (Zolle und Finanzmonopole) zu, dariiber hinaus die Verbrauchsteuern (mit Ausnahme der Biersteuer), die neu eingefiihrte Strafiengiiterverkehrssteuer, die bisher den Landern anvertrauten Kapital-, Verkehr-, Versicherungs- und Wechselsteuern, die Lastenausgleichsabgaben, die Erganzungsabgabe zur Einkommen- und Korperschaftsteuer und die erstmalig in der Verfassung erwahnten Abgaben im Rahmen der Europaischen Gemeinschaft. Dariiber hinaus fliefien dem Bund 50% des Aufkommens aus der Einkommen- und Korperschaftsteuer zu, allerdings gekiirzt um die Halfte des den Gemeinden gem. Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG und § 1 des Gemeindereformgesetzes vom 10. 7. 1969 zugedachten Teils von 14% des Einkommensteueraufkommens. Weiterhin stehen dem Bund fiir die Jahre 1970/71 70% des Umsatzsteueraufkommens zu. Einnahmequellen der Lander sind die Vermogensteuer, die Erbschaftsteuer und Kraftfahrzeugsteuer, 116 Begriff und Voraussetzungen der konkurrierenden Gesetzgebung sind in Art. 117 72 GG geregelt. Lag friiher das terminologisdie Problem bei der Deutung des „6rtlich bedingten Wirkungskreises", liegt es nunmehr bei der Bestimmung der „Gleichartigkeit". Fiir diese Bestimmung kommt es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes darauf an, ob und inwieweit eine Steuer dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfahigkeit ausschopft wie eine andere (vgl. BVerfGE 13, 193). In diesem Sinne sind die hessisdie Speiseeissteuer, die den Gemeinden, und die Umsatzsteuer, die dem Bund zustand, gleichartige Steuern, nicht aber Umsatz- und Getrankesteuer, ebenso wie die Einkommensteuer und die Einwohnersteuer in Wurttemberg-Hohenzollern nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes keine gleichartigen Steuern sein sollen (BVerfG 13, 75 if.). Die bisherigen Urteile und das ungewisse Kriterium „Quelle der wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit" lassen vermuten, dafi es nicht so bald118zu einer zufriedenstellenden Klarung dieses Begriffes kommen wird. Vgl. Art. 106 GG.
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ferner die Verkehrsteuern (mit Ausnahme der Beforderungssteuer), die Biersteuer, die Spielbankabgabe u n d 5 0 % der Einkommen- u n d Korperschaftsteuer, die aber ebenfalls urn den den Gemeinden zustehenden Anteil an der Einkommensteuer gekiirzt werden, sowie fiir die nachsten 2 J a h r e 3 0 % des Umsatzsteueraufkommens. Die Konzentration der Wirtschaft zieht in zunehmendem Mafie ein Auseinanderfallen von Betriebsstatte und Sitz der Unternehmensleitung nach sich, was wiederum eine Ballung des Korperschaftsteueraufkommens in den Landern des Unternehmenssitzes 1 1 9 bedeutet. D a das bisher weitgehend realisierte Prinzip des „6rtlichen Aufkommens" (Art. 107 Abs. 1 G G ) eine regional willkiirliche Radizierung der K o r perschaft- und audi der Einkommensteuer 1 2 0 nach sich ziehen wiirde, ist in Art. 107 Abs. 1, Satz 2 G G die Zerlegung dieser Steuern vorgesehen. Das entsprechende Zerlegungsgesetz, welches 1970 verabschiedet werden soil, sieht eine Verteilung der Korperschaftsteuer gemafi dem Gewerbesteueraufkommen und der Einkommensteuer gemafi den in einem Dreijahresturnus zu erstellenden Einkommensteuerstatistiken auf die einzelnen Lander vor. Den Gemeinden belafit die neue Regelung neben den Realsteuern und gegebenenfalls der Lohnsummensteuer einen Anteil am ortlichen Aufkommen aus dem proportional besteuerten Sockel der Einkommen bis zu 8000,— D M fiir Ledige (16 000 D M fiir zusammen veranlagte Ehegatten). Dafiir werden, um die Gemeindefinanzen konjunkturunempfindlicher zu gestalten, ca. 4 0 % des Gewerbesteueraufkommens zugunsten der iibergeordneten Gebietskorperschaften abgeschopft 1 2 1 . Dariiber hinaus besteht noch ein in A r t . 107 Abs. 2 G G verankerter Anspruch der Gemeinden auf einen durch Landesgesetz zu bestimmenden Anteil an den Gemeinschaftssteuern (EST,
119 Pragnante Beispiele bieten hierfiir Grofibanken, wie z. B. die „Deutsche Bank AG", die in 11 Bundeslandern ca. 900 Filialen unterhalt, ihren Sitz aber in Frankfurt/M. hat und demnadi nur dort korperschaftssteuerpflichtig wird. Die Steuer vorn Gewinn dieses Unternehmens wiirde demnadi allein Hessen zustehen, obwohl sie zu 9 /io nidit in diesem Land erwirtschaftet wurde. Vgl. Straufi, F. J.: Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 134 f. 120 Als Beispiel moge das Land Hamburg dienen, das etwa 200 000 Einpendler aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat. Die fiir diese Arbeitskrafte zu zahlende Lohnsteuer wird in Hamburg abgefiihrt, so da£ die beiden Wohnsitzlander nidit nur leer ausgehen, sondern sogar, da der Lohnsteuerjahresausgleich bei den Finanzamtern des Wohnortes beantragt werden mufi, Lohnsteuer zuriickzahlen miissen, die in Hamburg vereinnahmt wurde. 121 Nicht zu verwechseln mit dieser verfassungsmafiig garantierten Ertragshoheit sind die Zuschiisse des Bundes in der jiingsten Rezession; fiir 1969 stellt der Bund den Gemeinden 500 Mio. DM und fiir 1970 1 Milliarde DM zur Verfiigung. Diese Gelder, ebenso wie die Einnahmen aus der Erhohung der Mineralolsteuer um 3 Pf. je Liter im Jahre 1967 (hier ist 1970 mit einem Aufkommen von iiber 850 Mio. DM zu rechnen), stellen „ad hoc-Ma£nahmen" der iibergeordneten Instanzen zur Oberwindung der kommunalen Finanzmisere dar. Sie sind somit kein konstitutives Element der Finanzverfassung. (Abelein, M.: Die Reformen der Gemeindefinanzen im Rahmen des Finanzreformgesetzes", in: Die Verwaltungspraxis, Heft 1, 1969, S.7.)
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Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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KST, U S T ) . D a hieriiber hinaus den Gemeinden noch in diesem Rahmen nicht aufzufiihrende Bagatellsteuern zufliefien, werden sich die Gemeindefinanzen 1970 etwa wie folgt zusammensetzen 1 2 2 : 4 5 % Gewerbesteuer 3 5 % Einkommensteuer 1 5 % Grundsteuer 5 % sonstige Steuern. Die Gemeindefinanzen sind damit weitgehend vom P r i m a t der Gewerbesteuer befreit 1 2 3 . I m Prinzip stellt sich somit die Verteilung der Steuerquellen nach ihrem Ertrag als gebundenes Trennsystem d a r ; einen Schonheitsfehler bildet dabei lediglich die „verbundene Steuerwirtschaft" von Landern und Gemeinden bei der Ausschdpfung der Einkommen- und Korperschaftsteuer, sofern man die Fixierung des Anteils von Bund und Landern an den Gemeinschaftssteuern als eine A r t Trennsystem betrachten will. Wiederum in Einzelheiten abweichend ist die Verwaltungshoheit124 geregelt. „Z6lle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschliefilich der Einfuhrumsatzsteuer und die Abgaben im Rahmen der Europaischen Gemeinschaft werden durch Bundesfinanzbehorden verwaltet" (Art. 108 Abs. 1 Satz 1 G G ) . Bei der Verwaltung von Steuern, die ganz oder teilweise dem Bund zuflieCen (EST, KST, UST), werden die Landesfinanzbehorden im Auftrage des Bundes tatig, w a h r e n d die ubrigen Steuern getrennt verwaltet werden. Daruber hinaus ist aber in Art. 108 Abs. 4 G G die Moglichkeit eines verstarkten Zusammenwirkens von Bundes- und Landerfinanzbehorden ebenso wie eine gegenseitige Ubertragung der Finanzverwaltung vorgesehen. Die Verwaltung der den Gemeinden zufliefienden Steuern steht nach der Verfassung grundsatzlich den Landern zu, k a n n jedoch den Gemeinden iibertragen werden; von diesem Recht haben die Lander bislang im weiten U m -
122 £) ur ch diesen Austausdi der Steuerquellen gewinnen die Gemeinden 1970 schatzungsweise zwischen 1350 und 1400 Mio. DM. (Vgl. Blumentrath, M.: „Finanzreform — Gemeindefinanzreform", in: Der Gemeinderat, Heft 6, 1969, S. 146.) Im ubrigen soil die Gewerbesteuer im Rahmen der Steuerharmonisierung der EWG vom 1.1.1972 an um 40% gesenkt werden. 123 y o r j e r Reform von 1969 betrug der Anteil der Gewerbesteuer am Gemeindesteueraufkommen uber 80%; dieser Lowenanteil wurde zu 77°/o von nur 5°/o der Gewerbesteuerpflichtigen entrichtet. Vgl. Abelein, M.: Die Reformen der Gemeindefinanzen im Rahmen des Finanzreformgesetzes, in: Die Verwaltungspraxis, Heft 1, 1969, S. 6; Obert, G.: Eine zeitgemafie Finanzverfassung, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 65 vom 21. 5. 1969, S. 557. Gleichwohl ist H. Timm der Ansicht, daft die Gemeindefinanzreform „unter stabilisierungspolitischen Gesiditspunkten weit hinter den Erfordernissen" zuriickgeblieben ist (Gemeindefinanzpolitik in den Wachstumszyklen, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 28, 1969, S. 446). 124 Art. 108 GG; vgl. zum folgenden auch § 6.
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fang Gebrauch gemacht. Oberhaupt ist die praktische Finanzverwaltung seit langem durch vielfaltige Delegierungen von Zustandigkeiten, teils aus Griinden eines rationalen Behordenaufbaus, teils aus reinen Zweckmafiigkeitserwagungen gekennzeichnet. Um die Einheitlichkeit der Gesetzesanwendung im ganzen Bundesgebiet zu gewahrleisten, konnen der Aufbau der Verwaltungsbehorden, die Ausbildung der Beamten ebenso wie das von den Landesfinanzbehorden und gegebenenfalls von den Gemeinden (Gemeindeverbanden) anzuwendende Verfahren bundesgesetzlich geregelt werden. Zusammenfassend stellt sich das Verhaltnis zwischen Bund, Landern und Gemeinden auf finanzpolitischem Gebiet durchaus foderalistisch dar, wenn audi mit Einschrankungen auf dem Gebiet der Gesetzgebungshoheit, wo es durch die Finanzreform zu einer wesentlichen Kompetenzerweiterung des Bundes gekommen ist. Allerdings macht sich je langer je mehr die „Anziehungskraft des zentralen Etats" 125 in dem Sinne bemerkbar, dafi die neuen und meist finanziell besonders bedeutsamen Ausgaben des Staates zur Zentralgewalt hin tendieren, die fur ihre Erflillung entsprechend erweiterter Finanzmittel bedarf 126 . Bestehen geblieben ist in der neuen Regelung von 1969 das im GG verankerte „Trennsystem
125 126
Vgl. § 19. Daruber, dafi in aller Regel „der Gesamtstaat in erheblich gro£erem Umfang an der Zunahme der Staatsaufgaben teilhat, als die Gliedstaaten", vgl. Gerloff, W.: Die Finanzgewalt im Bundesstaat, a.a.O., S. 28; Begriindung der Vorlage der Bundesregierung vom 12.3.1954, S. 44 f.; vgl. audi die Neuregelung der Gemeinschaftsaufgaben und audi § 19. 127 Art. 106 Abs. 1, Ziff. 6 GG. 128 Art. 106 Abs. 3, Ziff. 1 und 2 GG. 129 Art. 106 Abs. 6 GG. 130 Art. 106 Abs. 6 GG. 131 Art. 106 Abs. 5 GG. 132 Gutachten iiber die Finanzreform in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 1. 4*
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Landern um den Anteilssatz; man geriet dabei „allmahlich in eine wachsende Verstimmung der natiirlichsten Verbiindeten, die es in einem Foderativsystem gibt, der Finanzminister von Bund und Landern" 133. Um diese zermiirbenden Auseinandersetzungen zu beenden, wurde im Finanzverfassungsgesetz von 1955/56 der Bundesanteil an der Einkommen- und Korperschaftsteuer — zunachst unter Einfiigung einer Obergangszeit — ab 1958 134 mit einem festen Prozentsatz fixiert. Aber bereits bei den Beratungen zum Haushaitsplan 1962 flammte der Streit um den Steueranteil wieder auf und fiihrte zunachst zu einer Kompromifilosung; die Lander leisteten fiir 1962 einen freiwilligen Finanzierungsbeitrag zum Bundeshaushalt von 1 Mrd. DM. Nach weiteren langwierigen Verhandlungen wurde schliefilich fiir 1963 ein Bundesanteil von 38 v. H. und ab 1964 ein soldier von 39 v. H. vereinbart. Hatte der Bund bereits durch die Fixierung des festen Prozentanteils in den Gesetzen von 1955/56 die letzten Reste einer „Kostgangerschaft" bei den Landern abgestreift 135 , so erhielt er durch diese Gesetze auch die Moglichkeit weiterer Mittelbeschaffung durch die Zubilligung, eine zusatzliche Erganzungsabgabe einzufiihren, die im Unterschied zu einer Erhohung der Einkommen- und Korperschaftsteuer allein dem Bund zufliefit136. Kennzeichnet sich darin einerseits deutlich das Bemuhen des Gesetzgebers, die aus der foderativen Zuordnung der Ertragsquellen ohne Anpassung an den wirklichen Bedarf folgenden Unzutraglichkeiten fiir den Bundeshaushalt zu beseitigen, so geht andererseits diese Anpassung allein auf Kosten der Steuerzahler, eine „ebenso verbliiffende wie primitive Losung des Finanzausgleichsproblems" 137. Neben der ultima ratio der Erganzungsabgabe sah das Finanzverfassungsgesetz von 1955/56 eine Revisionsklausel fiir die Anderung des Bundesanteils an der Einkommen- und Korperschaftsteuer, einer Regelung, die durch die Reform von 1969 nur noch fiir die neu in den Verbund einbezogene Umsatzsteuer gilt, fiir den Fall vor, dafi sich das Verhaltnis zwischen Einnahmen und Ausgaben des Bundes und das Verhaltnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben der Lander unterschiedlich entwickelt und in der Haushaltswirtschaft des Bundes oder der Lander ein erheblicher Fehlbedarf entsteht 138 . In Verbindung mit den dazu ergangenen Auslegungsgrundsatzen lag die besondere Bedeutung dieser Revisionsklausel wohl darin, dafi sie die bundesstaatliche Finanzordnung ausdriicklich auf das Prinzip der 133
Vialon, F. K.: Haushaltsredit, 2. AufL, Berlin und Frankfurt a. M. 1959,
S. 157. 134
Art. 106 Abs. 3 GG a.F. Vialon, F. K.: Haushaltsredit, a.a.O., S. 158. Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Erganzungsabgabe siehe Vialon, F. K.: Haushaltsredit, a.a.O., S. 148. 137 Gast, G : Staatenverbande und Finanzverfassung, in: Grime Briefe des Instituts Finanzen und Steuern, Nr. 35, Bonn 1961, S. 17. 138 Art. 106 Abs. 4 GG a.F. 135 136
§ 7. Die Finanzverfassung im Bundesstaat
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Konnexitat von Aufgabenkompetenz, Ausgabenbedarf, Bedarfsdeckung und Ertragsquellenzuweisung festlegt 1 3 9 ' 1 4 0 . Allerdings konnte die alte Revisionsklausel die Lander u. U. benachteiligen, wenn ihnen durch gesetzliche Mafinahmen neue Aufgaben zugewiesen oder Einnahmen gekiirzt w u r d e n ; das sollte die sog. Sicherungsklausel verhindern, die in einem solchen Falle die Sollvorschrift der Revisionsklausel zu einer Mufivorschrift machte 141 . Aber auch die heutige Regelung, nach der die Anteile von Bund und Landern an der Umsatzsteuer neu festzustellen sind, „wenn sich das Verhaltnis zwischen Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Lander wesentlich anders entwickelt" (Art. 106 Abs. 4 G G ) , lafit das oben erwahnte Prinzip der Konnexitat erkennen. Bei den ganzen Verhandlungen urn die Finanzreformgesetzgebung sowie der folgenden Diskussion urn den Steueranteil zeigte sich wieder einmal die Schwierigkeit, die wachsende Ausgabenfiille der Gebietskorperschaften mit einer dem Bedarf angepafken Steuerkompetenz und einem foderalistischen Staatsaufbau in Einklang zu bringen; dariiber hinaus diirfte aber, u n d dies soil kein Herunterspielen der erzielten Losung sein, die Entwicklung der Haushaltsvolumen von Bund, Landern und Gemeinden auch diese gesetzlich fixierte Steuerkompetenz auf die Dauer zu einer Ubergangslosung machen. So hat sich beispielsweise in Deutschland der Anteil der Reichs- bzw. Bundesausgaben am Gesamtbetrag der offentlichen Ausgaben von 1925 bis 1967 von 3 2 % auf 4 8 % erhoht. In diesem gewandelten Verhaltnis von Bundes-, Lander- und Gemeindehaushaltsvolumen tritt so recht die D y n a m i k der offentlichen Finanzwirtschaft mit ihren wechselnden und wachsenden Verpflichtungen zutage; eine wesentlich statische, auf Dauer berechnete Aufteilung der Steuerquellen und Gesetzgebungszustandigkeiten k a n n dieser D y n a m i k niemals gerecht werden. H i e r die rechte Mitte zwischen Bindung und Freiheit, zwischen rechtsstaatlicher O r d n u n g und der notwendigen Ermessensvollmacht fur die Exekutive zu finden, gehort zu den standig wiederkehrenden, niemals endgiiltig „erledigten c< Aufgaben der Staatskunst 1 4 2 .
139 Biihler, O.: Erlauterungen zu Art. 106—107 a.F., in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), S. 9. 140 Zur Problematik der Auslegungsgrundsatze dieser Revisionsklausel siehe: Terhalle, F.: Das Finanz- und Steuersystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 3. Bd., Tubingen 1958, S. 173. 141 Zum Verhaltnis von Revisions- und Sicherungsklausel vgl.: Biihler, O.: Erlauterungen zu Art. 106—107 a.F., a.a.O., S. 8 ff., und Vialon, F. K : Haushaltsrecht, a.a.O., S. 168 ff. 142 „Man sollte nicht versuchen, den natiirlichen und immerwahrenden finanzpolitischen Interessenkampf zwischen Bund und Landern um die Deckungsmittel bundesgesetzlich zu umgehen. Das fuhrt nur zur rechtsbegrifflichen Bemantelung politischer Interessen und zu einer weiteren politischen und sachlichen Belastung des Bundesverfassungsgerichts. Es wiirde das Bund-Lander-Verhaltnis, das in erster Linie ein politisches ist, weiter verfassungsrechtlich verharten und eher zu weiteren Rechtskonflikten als zu einem politisch ausgewogenen Bundesfrieden fiihren. Aufter-
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Das anschaulichste Gegenbeispiel zu dem foderalistisch orientierten Aufbau der Staatsgewalt in der Bundesrepublik ist die starkstens zentralistisch aufgebaute Finanzgewalt in der DDR, in der die ehemaligen Lander und Provinzen nur noch als Verwaltungsbezirke ohne Eigenstaatlichkeit fungieren. Mit der Finanzreform von 1950/51 wurden dort die bisher selbstandigen Haushalte der offentlichen Korperschaften zu einem einheitlichen Staatshaushalt zusammengefafk, der nicht nur die Einnahmen und Ausgaben der Republik sowie ihrer Lander und Kreise umfafit, sondern audi den Zuschufibedarf bzw. Oberschufi der Gemeinden, der Anstalten und Korperschaften des offentlichen Rechts und der Sozialversicherung, sowie Gewinne oder Verluste und Investitionen der volkseigenen Industrie. Damit liegt hier, obwohl die Gemeinden noch das Recht zur Erhebung eigener Steuern haben, mit der Aufstellung eines gemeinsamen Haushalts als Teil des allgemeinen Volkswirtschaftsplanes die Finanzgewalt praktisch ausschliefilich in den Handen der Zentralgewalt 143 .
§ 8. Ansatze supranationaler Finanzverfassungen Die nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der weltpolitischen Spannungen zwischen Ost und West zu neuem Leben erwachten Bestrebungen einer europaischen, dariiber hinaus einer atlantischen Partnerschaft auf politischem, wirtschaftlichem und militarischem Gebiet konnten nicht ohne Einflufi auf die Gestaltung der nationalen Finanzwirtschaften der beteiligten Lander bleiben; wenn, wie die Geschichte lehrt, jede engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zweier Lander eine grundsatzliche Ubereinstimmung ihrer politischen Ideale voraussetzt, so kann die politische Zusammenarbeit auch vor einer gewissen Abstimmung der nationalen Finanzinstitutionen und Haushalte keineswegs haltmachen. Diese iiberstaatliche Orientierung der Finanzpolitik ist allerdings weit schwieriger zu verwirklichen als eine gleichgerichtete Geld- und Wahrungspolitik; die aus der Weltwirtschaftskrise entstandene nationale Isolierung auf diesem Gebiet hat nach der Wiederherstellung der Konvertibilitat der Wahrungen heute wieder einer internationalen Kooperation Platz gemacht 144 . Nationale Finanzwirtschaft und Finanzpolitik sind jedoch in solchem Mafie Ausdruck der Eigenstaatlichkeit ihrer Trager, dafi man versucht ist, sie mit der Innen- und AufSenpolitik eines Landes auf eine Stufe zu stellen, deren Ziele und Mittel allein von den dem widerstrebt die Finanzpolitik ihrem Wesen nach einer handfesten reditlidien Funktionsordnung." (Hettlage, K. M.: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des neuen Finanzausgleichs, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 1953, H. 23.) 143 Vgl. hierzu: Kaemmel, E.: Das Finanzsystem der Deutschen Demokratischen Republik, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 3. Bd., a.a.O., S. 397 ff.; Meier, H.: Die Entwicklung des Haushaltswesens in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschland, Wirtschaftswissenschaftliche Veroffentlichungen des OsteuropaInstituts, Bd. 10, Berlin 1960. 144 Vgl. Schmolders, G.: Geldpolitik, a.a.O., S. 403 ff.
§ 8. Ansatze supranationaler Finanzverfassungen
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Verhaltnissen und Interessen des eigenen Staates bestimmt zu werden pflegen und deren Unterordnung unter gemeinsame internationale Gesichtspunkte daher gewissermafien fast einem Verzicht auf eigene Politik gleichkommen wiirde 145. Nichtsdestoweniger tragt heute vor allem auch die Aufienpolitik starke internationale Ziige; die gemeinsamen Verteidigungsaufgaben der westlichen Welt pragen den aufienpolitischen Mafinahmen der einzelnen Lander, dariiber hinaus aber auch ihren Militarhaushalten und ihrer Wehrpolitik schon unverkennbar einen gemeinsamen Stempel auf. Auch die Anfange und Ansatze einer liber den nationalen Raum hinausgreifenden Finanzpolitik sind hier zu finden, vor allem in Gestalt der amerikanischen Beihilfen zur Kriegsflnanzierung der Alliierten und in den verschiedenen Formen der amerikanischen Auslandshilfe nach Kriegsende 146. Die Erkenntnis, dafi die schweren Erschutterungen der Weltwirtschaft durch die Krise von 1930/32 mit ihren weitreichenden politischen Folgen nicht zum geringsten Teil auf die verhangnisvolle Rolle der Reparations- und Kriegsschuldenlasten in den Zwischenkriegsjahren zuriickzufiihren waren, veranlafite die Vereinigten Staaten schon vor ihrem Kriegseintritt, die den Alliierten zugesagte Riistungs- und Materialhilfe diesmal im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg im wesentlichen kostenlos zu gewahren. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Darbringung derartiger „Geschenke" an fremde Lander wurden an Hand eines fast vergessenen Gesetzes aus dem Jahre 1892 iiberwunden, auf Grund dessen amerikanisches Rustungsmaterial „verpachtet" werden durfte, soweit es nicht fiir offentliche Zwecke benotigt wurde. Als Churchill nach Dlinkirchen und der Kapitulation Frankreichs an President Roosevelt mit der dringenden Bitte um Material- und Waffenhilfe herantrat, begann die grofite einseitige Finanztransaktion der Geschichte in Gestalt der Pacht- und Leihabkommen, auf Grund deren die Vereinigten Staaten nach den abschlielSenden Berechnungen insgesamt an 35 Lander Material im Werte von 48,5 Mrd. Dollar geliefert haben, in erster Linie an Grofibritannien (31 Mrd.), an die Sowjetunion (11 Mrd.) und an Frankreich (3 Mrd.). Nach dem Zusammenbruch Deutschlands und Japans trat an die Stelle der Pacht- und Leihabkommen eine Anzahl von Hilfsaktionen fiir die Bevolkerung der europaischen Lander, die besonders unter den Kriegsfolgen zu leiden hatten, wie die UNRRA-Hilfe, die CARE- und GARIOA-Aktionen, die Hilfeleistungen der Besatzungstruppen, die Fiirsorge fiir die Vertriebenen (IRO) und vieles andere mehr 147 . In diese Zeit fallt die grundlegende Rede, die General George C. Marshall am 5. 6. 1947 vor den Studenten der Harvard-Universitat hielt, um darin 145 Schmolders, G.: Internationale Finanzpolitik, in: Internationale Wahrungsund Finanzpolitik, Festsdirift fiir Adolf Weber zum 85. Geburtstag, Berlin 1961, S. 137. 148 Vgl. § 48. 147 Vgl. § 48.
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das P r o g r a m m einer wirtschaftlichen und flnanziellen Europahilfe zu entwickeln, die seitdem zum Kern der „ internationalen Finanzpolitik" der U S A geworden ist; gleichzeitig reiften die Friichte der w a h r e n d des Krieges begonnenen Politik einer auf volkerrechtlichen Vertragen beruhenden W a h rungssolidaritat der 44 Nationen, die am 22. 7. 1944 in Bretton Woods die Schlufiakte liber die Schaffung des Weltwahrungsfonds und der Weltbank unterzeichnet hatten. Als europaisches Gegenstiick k a m es am 19. 9. 1950 zur Schaffung der Europaischen Zahlungsunion (EZU), an der audi die Bundesrepublik als gleichberechtigter Partner beteiligt w a r und die im Dezember 1958 durch das Europaische Wahrungsabkommen (EWA) abgelost wurde, das die partielle Konvertibilitat der Wahrungen wiederherstellte 1 4 8 . Ein Beispiel fur die Wirksamkeit dieser ersten europaischen Wahrungsinstitution w a r die schnelle Uberwindung der deutschen Zahlungsbilanzkrise vom Herbst 1950, die freilich zugleich vom beginnenden „Koreaboom" begiinstigt w a r ; unter dem Druck dieser internationalen Institution w a r in der Bundesrepublik die Erhohung der Korperschaftsteuer von 50 auf 60 v. H . und der Umsatzsteuer von 3 auf 4 v. H . ohne viel Federlesens in Parlament und Regierung durchzusetzen 149 . Von dem hier erstmals sichtbar in Erscheinung tretenden Einflufi einer iibernationalen Institution auf die Finanzpolitik eines Mitgliedstaates bis zum Wirksamwerden einer „ supranationalen Finanzverfassung" ist allerdings noch ein weiter Weg; an seinem Anfang miifite eine Abgrenzung und Kennzeichnung der Formen und Ziele einer gemeinsamen Finanzpolitik und eine genaue Festlegung ihres Aufgabenbereichs und Instrumentariums stehen. Ein Blick auf die oben erwahnten Probleme der Finanzverfassung im nationalen Bereich und auf die Schwierigkeit ihrer Integration in eine foderative Staatsverfassung veranschaulicht zur Geniige, welche Hemmungen und Widerstande hier auftreten miissen. Aus den Bausteinen, aus denen die nationale Finanzverfassung zusammengefiigt ist, konnen aber zumindest einzelne Ansatzpunkte fur eine supranationale Finanzverfassung gewonnen werden; auch im Geld- und Wahrungswesen beruht ja das, was im internationalen Rahmen seit Bretton Woods an Institutionen und Vereinbarungen geschaffen worden ist und sich bewahrt hat, auf der supranationalen A n w e n dung von im nationalen Bereich entwickelten Erkenntnissen und Maximen. Dabei verlangt der Begriff s u p r a n a t i o n a l c < ein besonderes Augenmerk; bei alien iiber den nationalen R a u m hinausgreifenden Uberlegungen konkurrieren die zu Unrecht mehr oder weniger synonym gebrauchten Begriffe „international" u n d „supranational" miteinander. Nach der staatsrechtlichen Unterscheidung zwischen internationalen und supranationalen Organisationen ist eine Organisation dann i n t e r n a t i o n a l " , wenn sie auf G r u n d einer ihr vertraglich zugebilligten Befugnis Beitrage von 148 149
Vgl. Schmolders, G.: Geldpolitik, a.a.O., S. 239 ff. Vgl. § 48.
§ 8. Ansatze supranationaler Finanzverfassungen
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den Mitgliedern erhebt, die sie fiir die von diesen gebilligten Zwecke verwendet; ^supranational" heifit dagegen eine Organisation, wenn sie wenigstens eines der folgenden Kriterien aufweist 1 5 0 : (1) Das betreffende O r g a n wird von der Bevolkerung der Genieinschaft gewahlt, (2) es unterliegt keinerlei staatlichen Instruktionen, (3) die Beschliisse der Organisation sind fiir die beteiligten Staaten verbindlich, w a h r e n d der Vollzug dieser Beschliisse gegeniiber dem Individuum den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt, womit (4) die Beschliisse der Gemeinschaft nicht nur fiir die Staaten, sondern auch fiir die Individuen verbindlich sind. Diese sind somit der iiberstaatlichen Organisation direkt unterworfen. Wendet m a n diese aus staatsrechtlichen Kategorien gewonnene Unterscheidung auf die oben definierten Begriffe Finanzgewalt und Finanzverfassung an, so erscheint die Finanzgewalt als das Recht einer mit eigener Finanzhoheit 1 5 1 ausgestatteten Institution (Behorde, Staat, Organisation), Einnahmen zu erheben; die Finanzgewalt k a n n infolgedessen integrierender Bestandteil sowohl einer internationalen als auch einer supranationalen Organisation sein. Dagegen lafit sich der Begriff Finanzverfassung als Inbegriff aller N o r m e n einer eigenen, rechtlich begriindeten flnanzwirtschaftlichen Einnahmen- und Ausgabengebarung nur auf eine supranationale O r ganisation anwenden, die durch die oben erwahnten Merkmale die Verantwortung fiir einen autonomen H a u s h a l t bzw. ein autonomes Budget tragt. „Internationale Finanzgewalt" besitzen demnach alle zwischenstaatlichen Zusammenschliisse, die hinsichtlich ihrer Mittelaufbringung vertraglich geregelte Anspruche an ihre Mitglieder geltend machen konnen; vielfach handelt es sich dabei urn Zusammenschliisse, deren Zweck gerade die gemeinsame Aufbringung der Mittel zur Finanzierung eines die Beteiligten interessierenden Projekts ist. Bei einer „supranationalen Finanzgewalt" beriihrt dagegen die Aufbringung der erforderlichen Mittel nur die Einnahmeseite eines Haushalts, dessen Ausgabenseite von der Erfiillung autonomer Aufgaben auf G r u n d der an die supranationale Organisation delegierten K o m petenz bedingt ist; politisch betrachtet, deutet die Ausiibung einer supra150 Ygi# Bindsdiedler, R. L.: Reditsfragen der Europaischen Einigung — ein Beitrag zu der Lehre von den Staatsverbindungen, Basel 1954, S. 75 f. Die vielfach vertretene Ansidit, daft mit der Einrichtung von supranationalen Gebilden eine (Teil-)Preisgabe der einzelstaatlichen Souveranitat verbunden sei, ist unzutreffend. Da im zwisdienstaatlichen Bereidi Souveranitat im juristischen Sinne nur Volkerrechtsunmittelbarkeit bedeuten kann, ist sie unteilbar, „solange die "Obertragung von Zustandigkeiten (an die iiberstaatliche Institution) auf volkerrechtlicher Grundlage beruht und damit audi die vom Volkerrecht vorgesehenen Auflosungsmoglichkeiten des zugrunde liegenden Staatsvertrages weiterbestehen . . . Wenn daher von einer Aufgabe und Obertragung von Souveranitatsrechten gesprochen wird, so ist juristisch gemeint die Einsdirankung der staatlichen Freiheit und Kompetenz zugunsten besonderer volkerrechtlicher Organe . . . " (Bindsdiedler, a.a.O., S. 75.) ^ Vgl § 7.
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nationalen Finanzgewalt auf das Vorhandensein eines eigenstandigen Machtgebildes „iiber" den Mitgliedsstaaten hin, das ihnen, wenn auch auf Grund delegierter Rechte, in einem gewissen Sinne Weisungen erteilen kann. Die Kodifizierung einer umfassenden und einheitlichen Finanzverfassung steht schon im Rahmen der nationalen Verfassung vor vielf altigen politischen und psychologischen Problemen, wie sie sich nicht zuletzt aus der jeweils mehr oder minder ausgepragten foderativen Struktur des Staatswesens ergeben; supranational unterliegt sie zunachst ahnlichen, dariiber hinaus jedoch sicherlich auch eigenen Gesetzen. Das foderative Element steht jedenfalls zumindest so lange am Anfang jeder supranationalen Organisation, bis das Vertragswerk kodifiziert ist und die Mitglieder auf nationale Rechte zugunsten der autonomen supranationalen Institution verzichtet haben; an der Wiege ihres Zusammenschlusses steht jedoch ebenfalls der Wille aller Beteiligten, zugunsten der supranationalen Organisation auf einen Teil ihrer nationalen Hoheitsrechte zu verzichten. Wo ein supranationaler Zusammenschlufi ins Leben gerufen werden soil, diirfte infolgedessen fur politischen Kuhhandel und nationalstaatliche Egoismen kein Platz sein; anderenfalls kommt das neue Gebilde schlechterdings nicht zustande. Hierin liegt der Unterschied zu einer nationalstaatlichen Finanzverfassung begriindet. Der einzelne Staat, der sich durch seine Verfassung konstituiert, ist gezwungen, seine Finanzverfassung unter der Dynamik des politischen Geschehens in den Rahmen seiner Staats verf assung einzufiigen; infolge der vielseitigen Stromungen und Tendenzen eines foderalistischen Staates tragt die Finanzverfassung dabei nur allzu oft die Ziige eines Kompromisses. Anders dagegen die supranationale Finanzverfassung; ist sie einmal kodifiziert, in den Mitgliedslandern durch die Parlamente gutgeheifien und in Kraft getreten, unterwirft sie alle Beteiligten den von ihnen — sicherlich unter manchem schmerzlichen Abstrich der eigenen Wiinsche und Vorstellungen — gebilligten Spielregeln und Normen, auf die sie von diesem Augenblick an keinen Einflufi mehr haben. Hier mag auch der Grund dafiir liegen, dafi es bis heute nur in zwei Fallen — der „Europaischen Donau-Kommission", die 1856 nach dem KrimKrieg durch die Pariser Vertrage gegrlindet wurde und die gewisse Hoheitsrechte gegeniiber den Anrainer-Staaten besafi 152, und der heute fiir uns wichtigeren europaischen Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl 153 (MontanUnion) moglich war, eine derartige supranationale Finanzverfassung zu verwirklichen. Die beteiligten Lander, neben Deutschland und Frankreich die 152
Vgl. Peters, M.: „Donauschiffahrt II, Verwaltungsrecht", in: Handworterbuch der Staatswissenschaften, 4. AufL, Jena 1926, S. 285 ff., sowie Prigrada, A.: International Agreements Concerning the Danube, New York 1953; Gorove, S.: Law and Politics of the Danube, Den Haag 1964. 153 Regul, R.: Internationale Finanzprobleme der Europaisdien Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 4. Bd., 31. Lfg., 1964, S. 288 rf.
§ 8. Ansatze supranationaler Finanzverfassungen
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Niederlande, Belgien, Luxemburg und Italien, haben auf diesem Teilgebiet ihrer nationalen Volkswirtschaft zugunsten der Gemeinschaft auf ihre nationale Hoheit verzichtet. Zu den der Gemeinschaft eingeraumten Rechten gehort audi die Erhebung einer eigenen Steuer („Montanumlage") von der Produktion der beteiligten Industrien, die l°/o des durchschnittlichen Produktionswertes nicht iiberschreiten darf. Bemerkenswert an dieser ersten supranationalen Finanzverfassung ist der Verzicht auf den in den Verfassungen der beteiligten Lander enthaltenen Grundsatz der Gewaltenteilung; der Haushaltsplan der Montan-Union wird ohne Mitwirkung des Plenums des Montan-Parlamentes von einem Ausschufi aufgestellt und beschlossen, dem lediglich die Prasidenten der Hohen Behorde, der gemeinsamen Versammlung, des Gerichtshofes und des Ministerrates angehoren. „Die Festsetzung des allgemeinen Haushaltsvoranschlages bedeutet fur die Hohe Behorde Ermachtigung und Verpflichtung, den Betrag der entsprechenden Einnahmen gemafi Art. 49 zu erheben. Die Hohe Behorde stellt die fur die Arbeit jedes der Organe vorgesehenen Mittel dem zustandigen Prasidenten zur Verfugung, der Verpflichtungen zu Zahlungen eingehen oder veranlassen oder Zahlungen leisten kann" (Art. 78). Auch in der Verfassung der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sind supranationale Ansatze vorhanden. So sorgt das Exekutivorgan der Gemeinschaft, die Kommission, in formal volliger Unabhangigkeit fiir die Anwendung des Gemeinschaftsrechts und iibt somit rechtsetzende und rechtsanwendende Befugnisse im Rahmen des Vertrages aus. Vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet, kann der EWG das Pradikat supranational allerdings noch nicht verliehen werden, da sie gegenwartig, sieht man von der Finanzierung des Ausrichtungs- und Garantiefonds ab, noch durch blofie Matrikularbeitrage finanziert wird. Fliefien ihr, wie es geplant und jiingst beschlossen wurde, demnachst die Einnahmen aus dem gemeinsamen Aufienzoll zu, so wird sie insoweit „supranational" finanziert. Erfolg oder Mifierfolg einer derartigen supranationalen Finanzverfassung wird nicht zuletzt dadurch bestimmt, inwieweit es ihr gelingt, im Rahmen ihrer eigenen Hoheitsbefugnisse einen Finanzausgleich in den zugeordneten Wirtschaftsbereichen oder Gemeinwesen zu verwirklichen. Hierzu bedarf es jedoch iiber die staatsrechtlichen Kriterien hinaus echter okonomischer Mafistabe, an denen sich ein derartiger supranationaler Finanzausgleich orientieren kann; davon wird in anderem Zusammenhang noch die Rede sein 154. 154
Vgl. § 48.
„Humanas actiones non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere." (Spinoza, Tractatus politicus)
III. Die finanzpolitische Willensbildung A. Planung und Vollzug § 9. Der Haushaltsplan Der Haushaltsplan, auch als Budget oder Etat bezeichnet, ist recht eigentlich das Zentrum der offentlichen Finanzwirtschaft, deren Ziele und Plane, Grofienordnungen und Grenzen darin ihren zahlenmafiigen Ausdruck und Niederschlag finden; als „Hauptbuch des Staates" programmiert er das „zu Zahlen geronnene Schicksal der Nation, das es zu gestalten gilt" *. Die offentliche Finanzwirtschaft ist ihrem Wesen nach Planwirtschaft; im Gegensatz zur privatunternehmerischen, betrieblichen Einzelwirtschaft, die taglich wechselnde Entschliisse und Entscheidungen je nach den wandelbaren Erfordernissen der Markte und Preise treffen mufi, beruht die offentliche Einnahmen- und Ausgabengebarung bis zur letzten Amtskasse des Gemeindeoberhauptes hinunter auf einem festen, in Zahlen gefafken Programm, dessen genaue Einhaltung jedem der beteiligten Ressortbeamten ausdriicklich zur Amtspflicht gemacht ist. Dieses Programm, das sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben der offentlichen Korperschaft umfafit, stellt seinem Wesen nach einen Voranschlag, eine Schatzung und einen Vergleich der kiinftigen Einnahmen und Ausgaben dar; es besteht in einer genauen Einzelaufstellung aller voraussehbaren Ausgaben und Einnahmen, die in ihrer Gesamtsumme aufeinander abgestimmt und miteinander ins GleichgeY/icht gebracht (balanciert) werden. Der Haushaltsplan ist aber nichtsdestoweniger keine „Bil^nzw im kaufmannischen Sinn, auch nicht eine Art Staatsvermogensrechnung (Obersicht liber Vermogen und Schulden) oder Abrechnung iiber Vergangenes; er ist auch keine unverbindliche Durchschnittsschatzung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben fur mehrere Jahre (Finanzplan). Der Haushaltsplan ist vielmehr, wie sein Name sagt, ein fester, verbindlicher Plan, ein Programm oder „SollK der Finanz1 Heinig, K.: Das Budget, Bd. I—III, Tubingen 1949/51; ders.: Haushaltfibel, Schriftenreihe des Bundes der Steuerzahler, H. 1, Bad Worishofen 1953, S. 12.
§ 9. Der Haushaltsplan
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gebarung fiir den ihm zugrunde gelegten Zeitraurn, das darum auch gelegentlich als Sollbudget oder Solletat bezeichnet und erst im Zuge seiner Durchfiihrung zurn „Istbudgetcc wird 2. Das Wort ^Budget", das sowohl englisch als auch franzosisch fiir den Haushaltsplan gebraucht wird, geht auf die englische parlamentarische Haushaltstradition zurlick. „Urspriinglich stammt ,budgetc von einem gallischen Wort, das ,Sackc bedeutet, latinisiert ,bulgac, Ledertasche; spater wurde im alten Franzosisch daraus ,bougettec; von diesem Wort ist das englische geholt. . . Der englische Chancellor of the Exchequer — der Finanzminister — entnimmt noch heute alljahrlich einem solchen ledernen ,budgetc die bis zu diesem Augenblick geheimgehaltenen Vorschlage iiber die notwendigen Steuern, er verbindet das mit einer zahlenmafiigen Darlegung der Staatsfinanzen: er ,6ffnet das Budgetc.
Heinig, K.: Das Budget, Bd. I, a.a.O., S. 12. Heinig versteht unter Budget nicht nur den Voranschlag oder Plan, sondern „die in einem Zahlenkorper fiir ein Jahr zusammengefaiken Staatsfinanzen, und zu diesen gehoren die einzelnen Stadien der Vorbereitung ebenso wie die der Abrechnung; sie alle sind das Budget in seinen einzelnen Phasen . . . Was ein ,Budgetc im funktionellen Sinne ist, wird vollig klar, wenn man es nicht nur als gegeniibergestellte Ausgaben und Einnahmen, sondern plastisch auffafit; als zwei Zahlenstauwerke, die eine Zeitperiode beginnen und abschlieften." (Das Budget, Bd. I, a.a.O., S. 14 f.) 4 Amonn, A.: Grundsatze der Finanzwissenschaft, 1. Teil, Bern 1947, S. 83. 5 Jeze, G.: Allgemeine Theorie des Budgets, deutsche Ausgabe von F. Neumark, Tubingen 1927, S. 35. 3
Die finanzpolitisdie Willensbildung
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mafiig eine Art politischer Generaldebatte, bei der von der Aufienpolitik (Haushaltsplan des Auswartigen Amtes) iiber die Verteidigungs-, Innen-, Wirtschafts-, Kultur- und Sozialpolitik bis zur Tatigkeit des Finanzministeriums alle Verwaltungszweige mit ihren Ausgaben und Einnahmen Revue passieren. Dabei wird die Bewilligung des Programms fur die kommende Periode in der Regel mit einer Kritik des in der Vergangenheit auf den einzelnen Tatigkeitsgebieten Geleisteten verbunden, so dafi die Haushaltsdebatte sich meist zugleich zu einer regelrechten Abrechnung der Volksvertretung mit der Regierung iiber ihre gesamte Politik ausweitet; mit der Verabschiedung und dem Inkrafttreten des Haushaltsplanes ist andererseits fur die neue Haushaltsperiode das gesamte politische Programm in seinen Grundziigen, seine Finanzierung sogar bis in die Einzelheiten hinein festgelegt. In dem Zustandekommen des Haushaltsplanes und dem Kraftespiel der ihn beeinflussenden Faktoren haben wir infolgedessen die gesamte politische, insbesondere aber die finanzpolitische Willensbildung der Nation wie in einem Brennspiegel vor Augen; in ihnen „fangen sich die fmanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Geschehnisse durch politisch gewollte Zahlen und Beschliisse" 6. Es ist daher nur konsequent, wenn der „zentrale Haushaltsplan" in planwirtschaftlich ausgerichteten Staatsgebilden wie der DDR und den Ostblockstaaten zum Kernstiick des Volkswirtschaftsplanes und zum Niederschlag nicht nur der Sollzahlen der Finanzpolitik, sondern der gesamten Wirtschaft und Wirtschaftspolitik wird; in der Zentralverwaltungswirtschaft erscheint der Staatshaushalt als Mittelpunkt des sog. „Volkswirtschaftsplanes" mit seinen Produktionsauflagen, Anbau- und Leistungsplanen. Die grofie Bedeutung, die dem Haushaltsplan als dem zahlenmafiigen Niederschlag des finanzpolitischen und dariiber hinaus des gesamtpolitischen Programms des Staates und der iibrigen offentlichen Korperschaften nach alledem zukommt, lafit es auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, dafi Haushaltsplane im heutigen Sinne noch eine verhaltnismafiig junge Institution sind. Durch den steigenden Anteil der offentlichen Hand am Volkseinkommen, weiterhin aber auch durch die zunehmende Zentralisierung des politischen und wirtschaftlichen Geschehens unter gleichzeitiger „Demokratisierung" der staatlichen Willensbildung erlangte der Haushaltsplan als fixiertes politisches Programm der Regierung erst im 20. Jahrhundert seine voile Bedeutung; F. Neumark stellt fest, „dafi eine Fiille von staatsrechtlichen, okonomisch-finanziellen und politischen Voraussetzungen gegeben sein mufke, um eine budgetmafiige Staatshaushaltswirtschaft technisch moglich,
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Weidimann, H. u. Wawrczeck, C : Neuordnung der offentlichen Haushalte, Hamburg 1952, S. V.
§ 9. Der Haushaltsplan
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wirtschafts- und finanzpolitisch rationell sowie politisch notwendig erscheinen zu lassen" 7 . Geschichtlich ist der Haushaltsplan in drei grofien Etappen jeweils in engem Zusammenhang mit dem parlamentarischen System entstanden. Die erste dieser Etappen ist durch das Steuerbewilligungsrecht der Volksvertretung gekennzeichnet. In England gelang es dem Parlament mit der „Petition of Rights" im Jahre 1628, jede direkte Besteuerung fiir ungesetzlich zu erklaren, zu der die Volksvertretung nicht ausdrucklich ihre Zustimmung gegeben hatte; allerdings dauerte es noch zwei voile Menschenalter, bis 1688 die „Bill of Rights" nicht nur die direkte Besteuerung, sondern jede staatliche Gelderhebung schlechthin einschliefilich der Zolle von der Zustimmung des Parlaments abhangig machte. Ahnliche Grundsatze kamen in Frankreich erst ein Jahrhundert spater, namlich mit der Grofien Revolution von 1789 zur Geltung. In der zweiten Etappe setzt sich, in zeitlichem Nebeneinander, ein Mitbestimmungsrecht des Parlaments nicht nur bei der Erhebung, sondern auch bei der Verwendung der aus Steuermitteln stammenden Gelder fiir orTentliche Zwecke durch. Schon 1665 hatte das Parlament dem Konig Karl II., der die Bewilligung umfangreicher Geldmittel fiir den Krieg gegen Holland forderte, die sog. „Appropriationsklausel" abgerungen, nach der orTentliche Einnahmen stets nur fiir eben den Zweck verwendet werden diirfen, fiir den sie bewilligt sind; auch diesen Sieg des Parlaments, die Kontrolle der offentlichen Ausgaben, brachte in Frankreich erst die Verfassung von 1791. Als dritte Etappe der Entstehung des Haushaltsplanes lafit sich die Zusammenfassung dieser beiden Bewilligungen zu einer meist jdhrlichen Beratung und Festsetzung aller Einnahmen und Ausgaben durch das Parlament kennzeichnen. Wiederum ist es England, wo sich noch im 17. Jahrhundert eine Teilung zwischen den jahrlich neu zu bewilligenden und den traditionellen, iiber langere Zeit gleichbleibenden Ausgaben und Einnahmen herausbildete, wobei insbesondere die Teezolle, spater auch die Einkommensteuer zu den jahrlich neu zu bewilligenden Einkiinften gehorten. „Die alle Ausgaben und Einnahmen balancierende jahrliche Beratung, die entsprechende Verwaltungsorganisation und das einheitliche Budget sind die Kronung jener Entwicklung. Aus historischen und innerpolitischen Griinden bildete sich die Budgetjahrlichkeit in den grofien Staaten, insbesondere in England, Frankreich, Deutschland, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, aber auch in den traditionsreichen Landern, wie z. B. den Niederlanden, Schweden, der Schweiz usw. auf nationaleigentiimlichen Wegen. Die Jahrlichkeit des Budgets wurde ebensooft erreicht wie verlassen, erobert wie verloren, zerschlagen wie aufgebaut." 8 7 Neumark, F.: Theorie und Praxis der Budgetgestaltung, in: Handbudi der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Bd. I, a.a.O., S. 554. 8 Heinig, K.: Das Budget, Bd. II, a.a.O., S. 34.
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Die finanzpolitische Willensbildung
Ungeachtet dieser engen Zusammenhange zwischen der Entstehung und Entwicklung der Institution des Haushaltsplanes u n d der parlamentarischen Staatsform und Praxis gehort die parlamentarische Beratung und Beschlufifassung iiber den Haushaltsplan nicht notwendig zu seinem Wesen u n d Bestand; ein moderner Staat ist z w a r ohne Parlament, aber nicht ohne H a u s haltsplan denkbar, u n d Bismarck hat beispielsweise von 1862 bis 1866 in Preufien auf G r u n d eines Budgets regiert, das ihm vom Landtag alljahrlich en bloc verweigert w u r d e 9 . Auch der Hitlerstaat hat J a h r fiir J a h r H a u s haltsplane aufgestellt, wenn auch nicht parlamentarisch verabschiedet oder auch nur veroffentlicht, und danach die Verwaltung gefuhrt; eine planmafiige Staatshaushaltsfiihrung „wird heute ohne Rucksicht auf die Verschiedenheit von Wirtschaftsordnung und politischem Regime ganz allgemein als unerlafilich angesehen und praktisch angewendet" 10 . Dabei fuhrt die Bedeutung des Finanzwesens im modernen Staat ganz von selbst dazu, dafi an der Aufstellung und Beratung des Haushaltsplanes alle berufenen Organe der Staatsgewalt mitwirken, wahrend gleichzeitig von den aktiv und passiv Beteiligten, von den grofien Interessentenorganisationen ebenso wie von den Steuerzahlern, unablassig nach Moglichkeiten und Wegen Ausschau gehalten wird, auch ihre Wiinsche und Gesichtspunkte im Zuge des Zustandekommens des Haushaltsplanes und bei seiner Durchfuhrung zur Geltung zu bringen; der Weg des Haushaltsplanes durch die verschiedenen Instanzen der Staatsgewalt bietet daher hervorragendes Anschauungsmaterial zum Studium der politischen Willensbildung im allgemeinen und der flnanzpolitischen Willensbildung im besonderen.
§ 10. HaushaJtsgrundsatze Das Grundgesetz (Art. 110—112) sowie das Haushaltsgrundsatzegesetz ( H G r G ) und die Bundeshaushaltsordnung ( B H O ) umschreiben mit jeweils wenigen Satzen Form und Inhalt des Haushaltsplanes; hinter diesen Satzen, die nicht selten wie Binsenwahrheiten anmuten, verbirgt sich das Erfahrungswissen vieler Lander und Zeiten u m die Unvollkommenheiten der ofTentlichen Finanzgebarung, deren wissenschaftliche Kritik ihren Niederschlag in den sog. Haushaltsgrundsatzen gefunden hat. Diese Grundsatze sind „begrirHich formulierte Erkenntnisse von Weltgeltung c< n ; sie haben in 9 Friauf, K. H.: Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, Bd. 1 — Verfassungsrechtlidie Untersuchungen iiber den Haushaltsplan im deutschen Fruhkonstitutionalismus, Berlin-Zurich 1968, S. 235 ff.; ferner Hirsch, J.: Parlament und Verwaltung, Teil II, Haushaltsplanung und Haushaltskontrolle, Stuttgart-Berlin-Koln-Mainz 1968, S. 29 und die dort angegebene Literatur. 10 Neumark, F.: Theorie und Praxis der Budgetgestaltung, a.a.O., S. 555. 11 Heinig, K.: Das Budget, Bd. I, a.a.O., S. 15. Die entgegengesetzte Position nimmt H. C. Recktenwald ein, wenn er die Haushaltsgrundsatze als „formalistische, aus Rechtsinterpretationen abgeleiteten Regeln und Tummelplatze meist pseudo-
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den meisten Staaten einen Niederschlag in der gesetzlichen Regelung des Haushaltswesens gefunden und sind insoweit ein wichtiges Mittel, die aus der N a t u r der Sache resultierenden Mangel der finanzpolitischen Willensbildung nach Moglichkeit zu korrigieren und durch institutionelle Schranken ein Mindestmafi an Rationalitat der politischen Entscheidungen zu sichern. „Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in den Haushaltsplan einzustellen" (Grundgesetz Art. 110 Abs. 1). Der Grundsatz der Vollstdndigkeit des Haushaltsplanes 12 will verhindern, dafi der Haushaltsplan dadurch, dafi notwendige Ausgaben verschwiegen oder Einnahmeposten „vergessen" werden, nur auf dem Papier als ausgeglichen erscheint (papierenes Gleichgewicht) oder dafi umgekehrt „schwarze Kassen" entstehen, die unkontrollierte und womoglich das Licht der Offentlichkeit scheuende Finanzmanipulationen offentlicher Stellen ermoglichen konnten. Vollstandig ist der Haushaltsplan erst dann, wenn auch alle Beitrdge Dritter zu den vorgesehenen Ausgaben, alle Einnahmen aus Sondervermogen und Ausgaben fiir diese sowie die Einnahmen und Ausgaben von Anstalten darin enthalten sind, die vom Bund allein oder mit Hilfe von Zuschiissen Dritter zu unterhalten sind, sofern diese Anstalten nicht ihre eigene juristische Personlichkeit besitzen. Z u r Vollstandigkeit gehort ferner das Bruttoprinzip 13 , nach dem weder Ausgaben noch Einnahmen vorweg abgezogen noch Einnahmen auf Ausgaben vorweg angerechnet werden dlirfen; in diesem Prinzip k o m m t die Verschiedenartigkeit der Betrachtungsweise im staatlichen und im privatwirtschaftlichen Bereich am starksten zum Ausdruck. „Fiir die Veranschlagung im Haushaltsplan ist die Erfassung aller Vorgange wichtig, um das die Einnahme- oder Ausgabeseite beriihrende administrative Vorfeld vollig zu iiberschauen und zu kontrollieren, nicht dagegen die blofie Ermittlung des nach Abzug des Aufwands entstehenden wirtschaftlichen Ergebnisses. Die Privatwirtschaft k a n n sich demgegeniiber (von vielen wichtigen Ausnahmen abgesehen) bei ihrem Voranschlags- und Abrechnungsverfahren auf die Ermittlung des wirtschaftlichen Gesamtergebnisses beschranken. Wiirde die Staatswirtschaft uneingeschrankt die N e t t o - , also Ertragsveranschlagung zulassen, entbehrte die Haushaltsfiihrung der Ubersicht iiber A r t und Umfang der Mafinahmen zur Erzielung dieses Ergebnisses. Mehr-Einnahmen gegeniiber dem vorweg abgezogenen Einnahmesoll wlirden mit Sicherheit zu einer wissensdiaftlicher Formalisten" bezeichnet; vgl.: Der Volkswirt, Nr. 11, 1969, S. 39 und: Neuer Rahmen fiir moderne Finanzpolitik? Zur uberfalligen Finanz- und Haushaltsreform, in: Finanz- und Geldpolitik im Umbruch. Hrsg.: H. Haller und H. C. Recktenwald, Mainz 1969, S. 23. 12 Niedergelegt in Art. 110 Abs. 1 GG, §§ 8, 12, 20, Abs. 1 HGrG sowie §§ 13, 15, 35 Abs. 1 BHO. 13 „Sachlich in keiner Weise zu rechtfertigen war es z. B., wenn die Entwiirfe der Haushaltsplane 1924/26 die zu erwartenden Reingewinne aus der Miinzpragung nur partial bzw. uberhaupt nicht in Einnahme stellten." (Neumark, F.: Der Reichshaushaltsplan, Jena 1929, S. 115.) 5
Sdimolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Erhohung des Aufwands, also zu einer weniger wirtschaftlichen Verwaltungsweise fiihren." 14 Das Bruttoprinzip ist im Deutschen Reich erstmalig im Haushaltsplan fur das Jahr 1900 durchgefiihrt worden, in dem auch die Einnahmen und Ausgaben der Reichspost und -telegraphenverwaltung, der Reichsdruckerei und der Reichseisenbahnen in voller Hohe veranschlagt waren; dagegen blieb der Reichshaushaltsplan noch bis 1919 insofern Nettobudget, als infolge des Fehlens einer reichseigenen Steuer- und Finanzverwaltung die Steuer- und Zolleinnahmen des Reichs stets nur abzuglich der an die Einzelstaaten abzufiihrenden Vergutungen ausgewiesen wurden 15. In den nichtveroffentlichten Haushaltsplanen des Hitlerstaates wurden zeitweise ebenfalls die an die Lander abgezweigten Anteile an den sog. Oberweisungssteuern lediglich als „durchlaufende Posten" behandelt, d. h., in die Haushaltssumme des Reiches merit mit eingerechnet, um die Steigerung des offentlichen Bedarfs zu verschleiern. Auch im geltenden Haushaltsrecht wird das Bruttoprinzip nicht voll durchgefiihrt; in den Bereichen, in denen an die Stelle der kameralistischen Rechnungslegung die kaufmannische Buchfiihrung getreten ist und nach kaufmannischen Grundsatzen im Hinblick auf den Geldertrag gewirtschaftet wird, bedarf es der vollstandigen Einzelnachweisung aller Einnahmen und Ausgaben naturlich nicht 16 . Nach Art. 110 Abs. 1 des Grundgesetzes braucht daher bei den Betrieben des Bundes und bei Sondervermogen nur das Endergebnis in den Haushaltsplan eingestellt zu werden. Ebenso konnen nach wie vor die Kosten einer Versteigerung, Vermessung und Abschatzung sowie gewisse Geblihren, Steuern und Beurkundungskosten, auch ein gewisser Sachaufwand bei Verkaufen, vorweg von den Einnahmen abgezogen werden; die Rechnung mufi jedoch den vorgenommenen Abzug voll erkennen lassen. Gravierender, da hierdurch u. U. die politische Kontrolle untergraben v/erden kann, ist die Tatsache, dafi vom Bruttoprinzip neuerdings auch im Rahmen der Kreditflnanzierung abgewichen wird. Nach § 13 Abs. 1 HGrG und § 15 Abs. 1 BHO durfen Kreditaufnahmen mit Kredittilgungen verrechnet werden, so dafi im Haushaltsplan nur der jeweilige Saldo zu erscheinen braucht. Begriindet wird dies damit, dafi volkswirtschaftlich nur die Nettoliquiditatswirkung der Staatsverschuldung von Interesse sei; das Volumen der Tilgungen und Neuverschuldungen erscheint somit nicht im Haushaltsplan, sondern nur in einer besonderen, dem eigentlichen Haushaltsplan hinzuzufiigenden Finanzierungsubersicht (§§ 10 Abs. 4 Nr. 2 HGrG, 13 Abs. 4 Nr. 2 BHO). 14 15 16
Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 338 f. Jeze, G.: Allgemeine Theorie des Budgets, a.a.O., S. 223. „Die Ausnahmen sind in der Praxis sehr umfangreich und bedeuten in ihrer Gesamtheit eine Beeintrachtigung der vollen Ubersichtlidikeit der offentlichen Finanzfuhrung." Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 338 f.
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Eine weitere Ausnahme von dem Grundsatz der Vollstandigkeit ist zwar nicht in einer gesetzlichen Bestimmung, wohl aber im Sachzusammenhang der offentlichen Finanzwirtschaft begriindet; der sog. „versteckte offentliche Bedarf" erscheint, obwohl es sich dabei jahrlich um Hunderte von Millionen handelt, in keinem offentlichen Haushaltsplan. Darunter versteht die Finanzwissenschaft die Gesamtheit aller derjenigen Leistungen, die die Staatsbiirger auf Grund gesetzlicher Bestimmungen oder Verwaltungsanordnungen fiir Zwecke der offentlichen Hand unentgeltlich zu erbringen haben, wozu Militar- und Arbeitsdienst ebenso rechnen wie die Tatigkeit als Schoffe und Geschworener und die vom Steuerpflichtigen in jeglicher Form zu leistende Mitwirkung bei der Steuerveranlagung 17. Auch in der Tatsache, dafi Eventualverbindlichkeiten des Staates (z. B. Biirgschaften fiir Hermes-Kredite) nicht im Haushaltsplan erscheinen, kann man einen gewissen Verstofi gegen das Vollstandigkeitsprinzip erblicken. „Der Haushaltsplan wird fiir ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt" (Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG). „Der Haushaltsplan ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen" (Art. 110 Abs. 1 Satz 2 GG). Gegen die damit verfassungsrechtlich vorgeschriebene Vorherigkeit18 des Haushaltsplanes, d. h. seine rechtzeitige Fertigstellung vor Beginn der Haushaltsperiode, wird haufig verstofien, obwohl es eigentlich geradezu zum Wesen jedes „Planes" gehort, dafi er zu dem Zeitpunkt, in dem mit seiner Ausfiihrung begonnen werden soil, fertig vorliegt. Nichtsdestoweniger gelingt die rechtzeitige Fertigstellung des umfangreichen Zahlenwerks, insbesondere in Ubergangs- und Krisenzeiten, nicht immer, so dafi zeitweise ohne giiltigen Plan gewirtschaftet werden mufi; aus Frankreich stammt fiir diesen dort nicht selten vorkommenden Fall das ^System der vorlaufigen Zwolftel", d. h. die Ermachtigung fiir die Verwaltung, bis auf weiteres monatlich Ausgaben in Hohe von je einem Zwolftel des letztjahrigen oder des noch nicht endgiiltig verabschiedeten neuen Jahreshaushaltsplanes vorzunehmen. In der Bundesrepublik Deutschland, deren Haushaltsplane niemals rechtzeitig vor Beginn der Haushaltsperiode fertiggestellt und verabschiedet werden konnten, gilt fiir diesen Fall eine generelle Ermachtigtmg fiir die Bundesregierung, alle Ausgaben zu leisten, die notig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Mafinahmen durchzufiihren, die rechtlich begriindeten Verpflichtungen des Bundes zu erfiillen und solche Bauten, Beschaffungen oder sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen fiir diese Zwecke weiterzugewahren, fiir die durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Betrage bewilligt worden sind; soweit die auf 17 18
5*
Vgl. hierzu im einzelnen § 21. Verankert in Art. 110 Abs. 2 GG; §§ 1, 30 BHO.
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besonderen Gesetzen beruhenden Einnahmen aus Steuern, Abgaben u n d sonstigen Quellen sowie der Betriebsmittelriicklage diese Ausgaben nicht decken, darf die Bundesregierung die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsfiihrung erforderlichen Mittel bis zur H o h e eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes im Wege des Kredits fliissig machen (Art. 111GG). Die Bedeutung der Vorschrift, dafi der Haushaltsplan in Einnahme u n d Ausgabe auszugleichen ist, scheint auf den ersten Blick etwas unklar; diese Forderung k a n n sich theoretisch sowohl auf die blofie Form als audi auf den materiellen Inhalt des Haushaltsplanes beziehen. Ein lediglich formaler Ausgleich des Haushaltsplanes w a r e es, wenn in Einnahme und Ausgabe die gleiche Endsumme erschiene, ohne dafi dieser Ausgleich durch eine materielle Ubereinstimmung der Einnahmen und Ausgaben in ihrer wirklichen H o h e erzielt wiirde; rechnerisch gelingt dies beispielsweise durch Einbeziehung fiktiver Grofien, hinter denen kein Zahlungsvorgang steht, wie erhoffter Kredite oder Zuschiisse auf der Einnahmenseite 19 bzw. ahnlicher Posten auf der Ausgabenseite. Dafi ein solcher lediglich formaler Ausgleich des Haushaltsplans nicht gemeint sein kann, geht aus dem Sinnzusammenhang dieser Ausgleichsvorschrift mit § 2 B H O , § 2 H G r G („Feststellung u n d Deckung des Finanzbedarfs") und mit Art. 112 G G hervor; die strenge Bindung der Finanzgebarung an einen Haushaltsplan w a r e sinnlos, wenn durch die Aufnahme beliebiger, nur in der Phantasie vorhandener Einnahmeposten auf der Einnahmeseite der Eintritt des Genehmigungsfalles gegebenenfalls verhindert oder zumindest weit hinausgeschoben werden konnte. Ist somit die Vorschrift des Haushaltsausgleichs im materiellen Sinne ( = „mit Zahlungen verbunden") 20 zu verstehen, so steht sie dennoch einer nunmehr durch die Verfassung (Art. 109 G G ) und das Stabilitatsgesetz (§ 5) vorgeschriebenen antizyklischen Finanzpolitik nicht im W e g e 2 1 . Denn ein modernes „ deficit spending" bedeutet ja nicht schlechthin, dafi ein Loch in die Finanzierungsdecke des Etats gerissen, d. h., mehr ausgegeben als ein19 Der Gemeindevorstand einer danischen Mittelstadt brachte den formalen Ausgleich des Haushaltsplanes durdi die Aufnahme eines Postens „Guthaben der Stadt bei den Steuerzahlern" zuwege, der in der Hohe des Fehlbetrages angesetzt wurde! 20 Vgl. Straufi, F. J.: Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 172; Klementa, J.: Die Haushaltsreform in der Bundesrepublik, in: Finanzpolitik von morgen, D I H T Schriftenreihe, Heft 114, S. 80 ff. Zur Wandlung bzw. Interpretation des Begriffes ausgeglidiener Haushalt siehe: Heinig, K.: Das Budget, Bd. II, a.a.O., S. 91 ff., insb. 97 ff. Auf die ideologischen und theoretischen Probleme des Postulats des Haushaltsausgleichs weist hin: Mann, F. K.: Ideologic und Theorie des Haushaltsausgleichs, in: Finanzarchiv NF., Bd. 21, 1961, S. 1 ff.; vgl. ferner Burkhead, J.: The Balanced Budget, in: The Quarterly Journal of Economics, Mai 1954, abgedruckt in: Readings in Fiscal Policy, London 1955, S. 3 ff.; Smithies, R.: The Balanced Budget, in: American Economic Review, Vol. 50, Mai 1960, Nr. 2. 21 Vgl. Stern, K., u. Munch, B.: Gesetz zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft, Stuttgart-Berlin-Koln-Mainz 1967, S. 126 ff.
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genommen werden soil, sondern daft zusatzliche Ausgaben durch Einnahmen aus Krediten finanziert werden. H i e r liegt also eine Parallele zu dem ehemaligen aufierordentlichen Haushalt, der, obzwar nicht mit „ordentlichen u Einnahmen (Steuern, Gebiihren, Beitrage) finanziert, dennoch ausgeglichen sein mufite. A u d i ein Eventualhaushalt kann verniinftigerweise nur ein ausgeglichener H a u s h a l t sein, da es sinnlos ware, mehr Mittel bereitzustellen, als durchfuhrungsreife Projekte vorliegen, oder ein hoheres Ausgabevolumen einzusetzen, als Finanzierungsmittel vorhanden sind oder aufgenommen werden konnen. Sollen im umgekehrten Falle einer inflationaren Hochkonjunktur im Laufe der Haushaltsperiode Gelder in einer Konjunkturausgleichsrucklage stillgelegt werden, so sind hierfur besondere Ausgabetitel im Plan einzurichten. In beiden Fallen haushaltspolitischer „Mafinahmen zur Abwendung eines gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtes" kann also mit einem materiell ausgeglichenen H a u s h a l t operiert werden. U m keine terminologische Verwirrung zu stiften, soil jedoch weiterhin von einem Budgetiiberschufi gesprochen werden, wenn die Einnahmen aus Steuern und anderen „ordentlichen" Einnahmen grofier sind als die mit diesen Mitteln finanzierten Ausgaben; entsprechendes gilt fur ein Budgetdefizit 2 2 . 22 Eine Neuinterpretation des Begriffes vom Ausgleich des Staatshaushaltes wird seit einiger Zeit in den USA benutzt. „Der Ausgleich wird nicht mehr jahrlich oder fur den Verlauf eines Konjunkturzyklus, sondern erst bei erreichter Vollbeschaftigung angestrebt" (Heller, W. W.: Das Zeitalter des Ukonomen, Tubingen 1968, S. 59). Bei diesem Konzept, das als „full- oder high-employment budget surplus" bezeichnet wird, werden die „tatsachlichen Ausgaben mit den hypothetischen Steuereinnahmen und Ubertragungen bei Vollbeschaftigung" verglichen. (Recktenwald, H. C : „Integrierte Wirtschafts- und Finanzpolitik", in: Finanzpolitik [Hrsg. H. C. Recktenwald], Koln-Berlin 1969, S. 24.) Dieser Uberschuft der hypothetischen Einnahmen uber die effektiven Ausgaben wird deflniert als „der Uberschu^ im Bundeshaushalt auf der Grundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, zu dem ein bestimmtes Budgetprogramm fuhren miifke, wenn die Volkswirtschaft im gesamten Fiskaljahr Vollbeschaftigung bei stabilen Preisen erreichen wiirde". Dieser Uberschufi „mifit somit die Ersparnis der Bundesregierung bei Vollbeschaftigung" (Levy, M.: „Budgetuberschuf$ bei Vollbeschaftigung", in: Finanzpolitik, a.a.O., S. 270). Auf diese Weise wird versucht, Defizit oder Uberschufi unter gesamtwirtschaftHchem Aspekt zu erklaren. Die untere Kurve auf Abb. 1, S. 70 zeigt an, da£ das tatsachliche Budget der USA von 1958 bis 1965 fast immer ein Defizit aufwies. Aus der oberen Kurve kann man jedoch ableiten, daft das Budget bei Vollbeschaftigung (das heifk wenn Sozialprodukt und Steuereinnahmen zu Vollbeschaftigungsbedingungen kalkuliert worden waren) einen Oberschufi aufgewiesen hatte. Das Wachstum der Volkswirtschaft hatte diesen Budgetuberschufi bei Vollbeschaftigung wegen der eingebauten Stabilisatoren (z. B. progressive Einkommensteuer) von Jahr zu Jahr vergroftert, wenn nicht die Regierung Kennedy-Johnson Anfang der sechziger Jahre die Staatsausgaben erhoht und Mitte der sechziger Jahre die Steuern gesenkt hattte. Aus dieser Darstellung geht im ubrigen auch hervor, daft zur Bekampfung der Nachfrageinflation im Jahre 1966 eine Steuererhohung sinnvoll gewesen ware. (Vgl. Samuelson, P. A.: Volkswirtschaftslehre, a.a.O.) (Zum Vollbeschaftigungsbudget s. auch die Gutachten des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1967 Zirf. 184 ff.; 1968 Ziff. 115 ff.; 1969 Ziff. 112 ff.)
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„Die Abschaffung der Zerspaltung des Haushaltes in ein ordentliches und aufierordentliches Budget wiirde in Deutschland einen grofien Fortschritt im Sinne der Obersichtlichkeit und der Klarheit bedeuten" 23 , schrieb Lotz in einer riickblickenden Betrachtung bereits im J a h r e 1917 (!). Seit der Finanz- und Haushaltsreform von 1969 ist die gem. § 3 R H O bis dahin noch gultige Unterscheidung des Etats in einen „ordenlichen" (aus regelmafiigen Einnahmen) und einen „aufierordentlichen" (mit Krediten, Beitragen Dritter zur Schuldentilgung und Einnahmen aus Veraufierung von aus Anleihemitteln beschafften Gegenstanden finanzierten) H a u s h a l t mit Ausnahme bei den Gemeindehaushaltsplanen 24 weggefallen. Diese Unterscheidung w a r in der Finanzwissenschaft seit langem beanstandet w o r d e n : F. N e u m a r k hat darauf aufmerksam gemacht, daft der Unterschied zwischen dem ordentlichen und dem aufierordentlichen Haushaltsplan letztlich auf die Verschiedenheit der „psychologischen Einstellung zum Problem der Deckung offentlicher Ausgaben durch Anleihen" hinauslauft: „im selben Augenblick, w o die Qualifizierung einer Ausgabe als ,auCerordentliche c automatisch ihre Einstellung in ein gesondertes Extraordinarium nach sich zieht, das nicht aus Steuermitteln, sondern Ublicherweise mit Hilfe von Anleihen finanziert wird, sind die Verwaltungen an einer solchen Qualifizierung ihrer Anforderungen ungleich starker interessiert . . ." 25 . Vollends da, w o ordentlicher und aufierordentlicher H a u s h a l t getrennt gefiihrt werden, so dafi die Gesamtsumme Fortsetzung Fu£note 22 15
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Abb. 1. Entnommen Samuelson, P. A.: Volkswirtschaftslehre, Bd. I, Ubersetzung der 7. amerikanisdien Auflage 1967, Koln o. J., S. 447. 23
Lotz, W.: Die deutsche Staatsfinanzwirtsdiaft im Kriege, Stuttgart 1917, S. 7f. Trotz der Bestrebungen, audi im Kommunalbereich das Extraordinarium abzuschaffen, sind die Gemeinden derzeit (1970) noch (z. B. §§ 78 if. Gemeindeordnung fur Nordrhein-Westfalen) verpflichtet, bei Schuldaufnahme diese in einem aufterordentlidien Haushaltsplan auszuweisen. 25 Neumark, F.: Der Reichshaushaltsplan, a.a.O., S. 200. 24
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des Finanzbedarfs nicht ersichtlich wird, ist der Grundsatz der Einheit des Haushaltsplanes entscheidend verletzt; die Budgetgeschichte Frankreichs zeigt die Folgen dieser „verwerf lichen Praxis der Zerstiickelung des Gesamtbetrages zwecks Verheimlichung ihrer genauen H o h e " besonders deutlich 2 6 . Aber auch da, w o die Gliederung der Ausgaben in ordentliche und aufierordentliche je nach A r t ihrer Deckung im Rahmen eines geschlossenen Gesamtplanes erfolgt, wie in Deutschland, „wird die Zerreifiung der Budgeteinheit den Blick von der Frage ablenken, ob unabhangig von den geplanten Verwendungszwecken Anleiheoperationen unter dem Gesichtswinkel ihrer gesamtwirtschaftlichen (konjunkturellen) Riickwirkungen aktuell erwunscht sind" oder nicht 2 7 . Abgesehen von diesen Gefahren ist die Einteilung des Haushaltsplanes in O r d i n a r i u m und Extraordinarium in den untergeordneten Gebietskorperschaften haufig recht unscharf; Ausgaben fur Schulneubauten stehen im ordentlichen Landesetat, wahrend dieselbe Ausgabe bei der Gemeinde, die den N e u b a u durchfuhrt, als Einnahme (Landeszuschufi) im Extraordinarium erscheint. Auch die Haushaltspraxis verwischt die Grenzen; besonders nach dem Kriege hat es sich in den Gemeinden eingebiirgert, Z u schusse v o m ordentlichen an den aufierordentlichen H a u s h a l t zu leisten (§ 9 G e m . H V O ) , d. h. auch den aufierordentlichen H a u s h a l t teilweise aus Steuermitteln zu finanzieren. A n die Stelle der Zweiteilung in einen „ordentlichen" und einen „aufierordentlichen" Haushalt ist heute ein Budget getreten 28 , auf welches sich auch die Ausgleichsvorschrift des Art. 110 Abs. 2 G G bezieht 29 , das aber in einen Verwaltungs- und Finanzhaushalt untergliedert werden k a n n ( § § 9 H G r G , 12 B H O ) . D e r Verwaltungs haushalt enthalt die zu erwartenden Verwaltungseinnahmen, die voraussichtlich zu leistenden Verwaltungsausgaben (Personalausgaben u n d sachliche Verwaltungsausgaben) und die voraussichtlich benotigten Verpflichtungsermachtigungen zur Leistung von Verwaltungsausgaben. Im Finanzhaushalt sind dagegen zu finden die zu erwartenden sonstigen Einnahmen, die voraussichtlich zu leistenden sonstigen Ausgaben, die voraussichtlich benotigten Verpflichtungsermachtigungen und der Z u schufi an den Verwaltungshaushalt. 26
Jeze, G.: Allgemeine Theorie des Budgets, a.a.O., S. 257. Neumark, F.: Theorie und Praxis der Budgetgestaltung, a.a.O., S. 580. Audi bei der Kannvorschrift des § 13 Abs. 3 HGrG („Durch Gesetz kann bestimmt werden, dafi im Haushaltsplan die Ausgaben zu bezeichnen sind, die durch Einnahmen aus Krediten gedeckt werden sollen") handelt es sich nicht um ein faktisches Wiederaufleben des a.o. Haushaltes, sondern lediglich um eine Kennzeichnung von Ausgaben in dem einen Budget. Hierin kommt lediglich eine gewisse Reminiszenz an die objektbezogene Verschuldung zum Vorschein. 29 Schriftlicher Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zu BT-Drucks. V 4378/4379, S. 10. 27
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Die finanzpolitisdie Willensbildung
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In haushaltstechnischer Hinsicht ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dafi der Haushaltsplan auch dann, wenn er in ein (nach Jahren getrenntes) Verwaltungs- und ein Finanzbudget geteilt wird, jahrlich durch Haushaltsgesetz mit nur einer Abschlufisumme festzustellen ist. Soweit der Verwaltungshaushalt fiir das zweite Jahr aufgestellt und bewilligt wird, mufi er jeweils in das nachste Haushaltsgesetz aufgenommen und zusammen mit dem anderen Teil, dem Finanzhaushalt, einheitlich festgestellt werden. Mag auch diese Neugliederung des Budgets einen Fortschritt hinsichtlich der Klarheit und Obersichtlichkeit darstellen, einen Fortschritt, der freilich dadurch verringert wird, dafi die beiden Plane um ein Jahr versetzt beginnen konnen, womit die Kontrolle erschwert wird, so diirfte damit das letzte Wort liber Wert und Unwert der Zweiteilung des Haushaltsplanes in einen ordentlichen und aufierordentlichen Haushaltsplan noch nicht gesprochen sein. Der in diesem Zusammenhang noch zu erwahnende Erganzungsbausbaltsplan (Anderungsvorschlag zu einem noch nicht verkiindeten Haushaltsplan) sowie auch der Nachtragshaushaltsplan (Anderung eines bereits verkiindeten Haushaltsplanes) stellen im Prinzip keinen Verstofi gegen den Grundsatz der Einheit dar; ihre formelle Behandlung erfolgt in der gleichen Art wie bei der Aufstellung des Haushaltsplanes, mit dem sie bei ihrer Durchfiihrung ebenso zu einer Einheit verschmelzen wie mit der Haushaltsrechnung. Einen im Hinblick auf seine konjunkturpolitische Bedeutung wohl verzeihlichen Verstofi gegen das Einheitspostulat stellt der sog. Eventualhaushalt dar, der nur dann zum Zuge kommt, wenn die konjunkturelle Lage sich soweit verschlechtert hat, dafi es fiskalischer Expansionsmafinahmen bedarf (vgl. den ersten und zweiten Eventualhaushalt zur "Oberwindung der Rezession in der ersten Halfte 1967). Die Art seiner verkiirzten Verabschiedung riickt ihn in die Nahe des Nachtragshaushaltes. Die Einbeziehung „aufierplanmafiiger" Ausgaben in das besondere Zustimmungsverfahren des Art. 112 GG, das fiir Haushaltsiiberschreitungen vorgesehen ist, deutet dagegen auf einen weiteren Grundsatz fiir Form und Inhalt des Haushaltsplanes hin, der als Prinzip der Spezialitat bezeichnet v^ird 30 und drei Forderungen umfafit. Nach dem Grundsatz der qualitativen Spezialitat gelten Ausgabeermachtigungen ausschliefilich fiir die im Haushaltsplan genannten Zwecke; Verschiebungen oder Ubertragungen von zu einem bestimmten Zweck bewilligten Mitteln auf einen anderen, vielleicht weniger reich dotierten Haushaltstitel sind damit verboten. Eine Moglichkeit, diese sog. Virements in Ausnahmefallen zu legalisieren, besteht darin, die 30
In der Budgetgeschichte wird dieses Prinzip auf die sog. Appropriationsklausel von 1665 zuruckgefiihrt. Vgl. o. § 9. In der jetzigen Gesetzgebung ist dieser Haushaltsgrundsatz in Art. 110 Abs. 4 GG, §§ 20 Abs. 2, 27 HGrG, 45 BHO verankert.
§10. Haushaltsgrundsatze
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betreffenden Titel im Haushaltsplan ausdrlicklich als „gegenseitig deckungsfahig" zu erklaren (§§ 15 HGrG, 20 Abs. 2 BHO). Sofern sich allerdings im Verlaufe des Haushaltsjahres bereits herausstellt, dafi die bewilligten Dekkungsmittel nicht ausreichen, bedarf es der Aufstellung eines Nachtragshaushaltsplanes in der oben beschriebenen Weise. Damit wird auch dem Grundsatz der quantitativen Spezialitdt Geniige getan, der bestimmt, dafi Ausgaben nur in der Hohe geleistet werden diirfen, in der die Mittel dafur im Haushaltsplan angesetzt sind. Dieses Postulat steht unter den Prinzipien einer ordnungsmafiigen Haushaltsfiihrung mit an erster Stelle; Ausnahmen von diesem Grundsatz — die sog. Haushaltsiiberschreitungen — bedurfen der Zustimmung des Finanzministers, die nur ausnahmsweise im Falle eines unabweisbaren Bediirfnisses erteilt werden darf (Art. 112 GG und § 37 Abs. 1, 2 BHO). Als Haushaltsiiberschreitungen in diesem Sinne gelten einmal „aufierplanmdflige
Bis einschliejRHdi 1959 lief das Haushaltsjahr vom 1. April bis 31. Marz. Das letzte dieser Haushaltsjahre endete am 31. Marz 1960. Nach Einschaltung eines Rumpfhaushaltsjahres vom 1. April bis 31. Dezember 1960 decken sich seit 1961 Haushaltsjahr und Kalenderjahr.
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haltsjahren verpflichten konnen, sind nur zulassig, wenn (das Haushaltsgesetz) dazu ermachtigt" (§38 BHO). Weitere Einschrankungen des Bewilligungs- und Genehmigungsverfahrens fiir Verpflichtungsermachtigungen erscheinen aber um so notwendiger, als sie einer normativen Grenze durch das Grundgesetz und das Haushaltsrecht nicht unterliegen 32 ; mit einem gewissen Unbehagen erinnert man sich in diesem Zusammenhang der hohen Bindungsermachtigungen, die der Verteidigungsminister in den Jahren 1955 bis 1960 in seinem Haushalt veranschlagt hatte 3 3 . Hohe Bindungs- bzw. Verpflichtungsermachtigungen bedeuten stets eine starke Einengung der finanziellen Bewegungsfreiheit in zukiinftigen Haushaltsjahren; es besteht die Gefahr, dafi sich Verpflichtungsermachtigungen — einmal bewilligt — der parlamentarischen Kontrolle mehr und mehr entziehen, eine Gefahr, der aber in gewisser Weise durch § 16 BHO begegnet wird, in dem vorgeschrieben ist, dafi diese Belastungen der Zukunft in ihrer jeweiligen Hohe ausgewiesen werden miissen. Das andert nichts daran, dafi Verpflichtungsermachtigungen im Falle eines Regierungswechsels eine politisch schwer ertragliche Prajudizierung der finanziellen Bewegungsfreiheit fiir die neue Exekutive darstellen konnen. Dienen die Bestimmungen iiber die Spezialitat der Haushaltsansatze einer Erleichterung der Kontrolle iiber die Einhaltung des von der Legislative beschlossenen Haushaltsplanes, so gehort das Verbot der Zweckbindung bestimmter Einnahmen fiir bestimmte Ausgabezwecke (Non-Affektation) zu den materiellen Grundsatzen der Finanzwirtschaft als soldier, die bereits bei der Aufstellung des Haushaltsplanes beachtet werden sollen; um so haufiger sind allerdings auch die Ausnahmen und Verstofie, die uns gerade hier begegnen. „Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel fiir alle Ausgaben" (§§ 7 HGrG, 8 BHO); grundsatzlich sollen der Regierung nicht die Hande gebunden sein, die aufkommenden Mittel im Rahmen des Haushaltsplanes nach der Rangordnung der Dringlichkeit des Ausgabenbedarfs zu verwenden. Sobald einzelne Ausgabezwecke durch Zuweisung einer besonderen Einnahmequelle gewissermafien privilegiert werden, wahrend sich die anderen Aufgabengebiete der Staatstatigkeit nach der Decke der sonstigen Einkiinfte strecken miissen, ist die Gleichwertigkeit der Staatszwecke durchbrochen; auf der anderen Seite wird die Verwaltung gegebenenfalls gezwungen, eine vielleicht wichtige Ausgabe zuriickzustellen, bis die fiir sie zweckbestimmte Einnahme aufgekommen ist. „Diese Seite ist aber weniger wichtig als die Unzulanglichkeit solcher Bindungen zugunsten der Verwaltungen, die bestimmte Einnahmen haben: Diese Verwaltungen wiirden im Falle der 32
Vgl. Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 676. Die Hohe dieser Bindungsermachtigung belief sich zeitweilig auf bis zu 17 Mrd. DM, und die Zweifel, daft diese Mittel in der geplanten Weise uberhaupt verausgabt werden konnten, bestatigten sich mehrmals; vgl. hierzu: Griineberg, G.: Die Hypothek der Bindungsermachtigungen, in: Der Volkswirt, 1958, Nr. 21, S.916f. 33
§10. Haushaltsgrundsatze
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Zulassigkeit solcher Zweckbindungen verlangen, dafi die Einnahmen in erster Linie zur Deckung ihres eigenen Ausgabebedarfs verwendet werden, wie dies gelegentlich angestrebt worden ist. Das Verbot hat die weitere Folge, dafi auch eine kassenmafiige Sonderbehandlung der Einnahmen durch die Verwaltung ausgeschlossen ist, was allerdings nicht bedeutet, dafi sie diese Barmittel nicht zur Deckung des ihr zugewiesenen Betriebsmittelbedarfs verwenden diirfte." 34 Jede Zufiihrung von Einnahmen, beispielsweise auch der sog. „Ruckeinnahmen", an bestimmte Ausgaben ist strenggenommen bereits ein Verstofi gegen den Grundsatz der Non-Affektation. Auch die Verpfandung von Deckungsmitteln ware hier zu nennen, wie sie beispielsweise zur Sicherung der deutschen Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg im Rahmen des Dawesplanes durchgefiihrt wurde; die Reichseinnahmen aus Zollen und vier grofien Verbrauchsteuern wurden fur die Reparationen verpfandet und die Einnahmen aus der Beforderungsteuer mit 210 Mill, fiir Auslandszahlungen zweckgebunden. Eine derartige Verpfandung von Deckungsmitteln fiir bestimmte Ausgaben darf heute die Bundesregierung auch kurzfristig nicht ohne Ermachtigung durch den Haushaltsplan oder ein besonderes Gesetz vornehmen. Eine Zweckbindung von Einnahmen erfolgt meist aus nichtfiskalischen Griinden. Die Einnahmen des Bundes aus der Pragung von Scheidemiinzen waren bis 1966 beispielsweise fiir Zwecke des Wohnungsbaus bestimmt, der Ertrag der Feuerschutzsteuer soil der Feuerverhiitung dienen, und die Einnahmen aus dem auf den Kraftverkehr entfallenen Teil der Mineralolsteuer fliefien nach Abzug eines bestimmten Sockelbetrages dem Strafienbau zu 3 5 ; dem gleichen Zweck zugewiesen war ein bestimmter Betrag der Beforderungsteuer 36 . Das sogenannte Notopfer Berlin wurde eigens zur finanziellen Unterstiitzung der ehemaligen Reichshauptstadt eingefiihrt. Auch die Bildung von Sondervermogen, wie beispielsweise derjenigen der Bundesbahn und -post sowie des Ausgleichsfonds des Lastenausgleichsgesetzes, sind strenggenommen Verstofie gegen den Grundsatz der Non-Affektation; der besondere Zweck rechtfertigt die Abtrennung dieser Sondervermogen vom Bundeshaushalt. Bei einem Oberhandnehmen dieser Sondervermogen ist jedoch ein Riickfall in die alteren Formen der „Fondswirtschaftc< zu befurchten, die mit der Anerkennung der Prinzipien der fiskalischen Kasseneinheit 37 und der Einheit des Haushaltsplanes iiberwunden schien; in der Dotierung einzelner Sozialaufgaben, Subventionsbereiche und „Sonderaufgaben", insbesondere 34
Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 86. Art. 1 des Strafienbaufinanzierungsgesetzes vom 28. 3. 1960. 36 Abschn. VII des Verkehrsfinanzgesetzes vom 6. 4.1955. 37 Man versteht darunter die rechnerisdie Zusammenfassung aller Staatskassen und die rechtlidie Wirkung der Sdiuldbefreiung bei Zahlung an eine dieser Kassen, selbst wenn sie im gegebenen Fall nicht die eigentlich „zustandige£f war. 35
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Die finanzpolitische Willensbildung
in der Finanzgebarung der Lander und Gemeinden, scheint sich eine gewisse Wiederbelebung dieser Fondswirtschaft anzubahnen. Neben den in das geltende Haushaltsrecht iibernommenen Grundsatzen der Haushaltsplanung hat die Finanzwissenschaft aus der Beobachtung der Unvollkommenheiten und Schwachen der Haushaltspraxis noch eine Anzahl weiterer Regeln und Grundsatze abgeleitet 38 . Hierzu gehort vor allem der Grundsatz der Genauigkeit des Budgets, d. h. eine in ihrer Hohe moglichst genaue Veranschlagung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben der kommenden Haushaltsperiode; die Erfahrung hat gelehrt, dafi es der (1st-) Genauigkeit der Voranschlage zugute kommt, wenn die Ausgabenansatze eher etwas hoher, die Einnahmen dagegen etwas bescheidener angesetzt werden, als sie rein rechnerisch zu erwarten sind. Selbst bei peinlich genauen Schatzungen ist es jedoch praktisch kaum jemals moglich, die Haushaltsansatze genau nach dem Plan im Haushaltsjahr zu vereinnahmen oder zu verausgaben; „Haushaltsreste" in einer Hohe von 3 bis 5 % des Haushaltsvolumens werden gemeinhin als normal angesehen 39. Die starke Ausweitung, die dieser Uberhang innerhalb des letzten Jahrzehnts zeitweilig bei den Ausgaben erfahren hat, wirft allerdings eine Reihe haushaltsrechtlicher und finanzpolitischer Probleme auf. Derartige Ausgabenreste konnen nur bei solchen Ausgabeposten entstehen, die entweder durch Gesetz iibertragbar (einmalige und aufierordentliche Ausgaben) oder im Haushaltsplan als iibertragbar gekennzeichnet sind; ihre Existenz erklart sich daraus, dafi die tatsachlich ver-
38 Lotz nennt als „moderne Grundsatze der Budgettechnik" die DrTentlichkeit, Vollstandigkeit und Einheitlichkeit, Spezialisierung des Budgets und die Genauigkeit der Budgetveranschlagung. Moll fuhrt fiinf „Postulate des Budgetwesens" auf, namlich. Dffentlichkeit, Einheitlichkeit und Vollstandigkeit, Spezialisierung, Genauigkeit, Klarheit und Durchsichtigkeit. Gerloff nennt die Grundsatze der Einheitlichkeit und Vollstandigkeit, der Wahrheit und DrTentlichkeit. Amonn zahlt die Forderungen nach Einheitlichkeit, Vollstandigkeit, Spezialisierung, Genauigkeit, Ausgeglichenheit und DrTentlichkeit auf. Die besonders in Frankreich und Deutschland entwickelte Lehre von den Haushaltsgrundsatzen bedient sich gelegentlich einer Gliederung der Grundsatze in „materiellef< und „formelle" oder in „statische" und „dynamische" Grundsatze, die allerdings bisher nicht zu besonderen Erkenntnissen gefiihrt hat. (Vgl. Lotz, W.: Finanzwissenschaft, 2. AufL, Tubingen 1931, S. 102 fT.; Moll, B.: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Berlin 1930, S. 69 fT.; GerlofT, W.: Die ofTentliche Finanzwirtschaft, a.a.O., S. 458 fT.; Amonn, A.: Grundsatze der Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 90 fT.) 39 Welch groteske Formen eine ungenaue Budgetierung annehmen kann, zeigen der Schweizer Bundeshaushalt und die Staatsrechnungen der Kantone in den Haushaltsjahren 1961 und 1962. 1961 legte der Bund einen ausgeglichenen Budgetvoranschlag vor, die Rechnung schloft jedoch mit einem UberschuB von 487 Mill. Franken. Im Haushaltsjahr 1962 legten 24 Kantone einen defizitaren Voranschlag vor, 23 davon schlossen mit einem erheblichen Oberschuft ab. Der Kanton Zurich, der als einziger Kanton ein Uberschufibudget vorlegte, schloft in der Rechnung mit dem 18fachen dieses Oberschusses. Hier werde das Prinzip der vorsichtigen Schatzungen zweifellos zugunsten eines ungerechtfertigten Fiskalpessimismus iibersteigert. (Zweckpessimismus als Budgetprinzip, Neue Zurcher Zeitung [Fernausgabe] v. 16. 7. 1963, Bl. 3.)
§10. Haushaltsgrundsatze
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ausgabten Betrage („Kassenrechnungc< 40) hinter den im Haushaltsplan angesetzten Summen zuriickbleiben. Ausgabenreste sind also nicht ausgenutzte Ausgabeermachtigungen, d. h. eine Differenz zwischen der haushaltsplanmafiigen Bewilligung und der kassenmafiigen Verausgabung, nicht etwa der kassenmafiige Unterschied zwischen Isteinnahmen und Istausgaben; einem haushaltsplanmafiigen Ausgaberest entspricht infolgedessen durchaus nicht immer ein Kassenrest*1 in gleicher Hohe, jedenfalls dann nicht, wenn der Ausgaberest, wie es die Regel ist, nicht durch Einnahmen des abgelaufenen Jahres „gedeckt" ist. Solche Ausgabereste konnen sich dann revolvierend von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr fortwalzen; da sie nicht im Haushaltsplan, sondern lediglich in der Haushaltsrechnung des laufenden Haushaltsjahres erscheinen, stellen sie praktisch „ungedeckte" Ausgaben des laufenden Haushaltsjahres dar. Eine weitere von der Finanzwissenschaft aufgestellte Budgetregel ist der Grundsatz der Klarheit und Ubersichtlichkeit des Budgets, der auf die formale Gestaltung des Haushaltsplanes abzielt 42 . Wenn auch die Kompliziertheit und Vielfalt der staatlichen Aufgaben dem klaren Aufbau und der Leichtverstandlichkeit des Haushaltsplanes zwangslaufig gewisse Grenzen setzt, so sind doch in den letzten Jahren einige Vorkehrungen getroffen worden, um den Haushaltsplan der Bundesrepublik ubersichtlicher zu machen. Auch die neue Haushaltssystematik halt grundsatzlich an dem Gliederungsprinzip nach der Ressortverantwortung fest (§§ 10 HGrG, 13 BHO), um die Ausiibung der parlamentarischen Kontrolle nicht zu erschweren. Somit wird nach wie vor fur jedes Ministerium ein Einzelplan gebildet, in dem die Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermachtigungen des betreffenden Ressorts zusammengefafit sind; die Einzelplane ihrerseits sind in Kapitel und Titel eingeteilt. Diese Einteilung in Titel richtet sich nunmehr nach einem fur Bund und Lander bis zu einem gewissen Grade gemeinsamen, gemafi den Anforderungen der automatischen Datenverarbeitung entwickelten Dezimalsystem, dem Gruppierungsplan (vgl. § § 1 0 Abs. 3 HGrG, 13 Abs. 3 BHO und Abbildung 2), und basiert auf der Gliederung des Staats40
Die „Kassenrechnungc< ist die geldrechnungsmaEige Aufstellung der tatsachlich erhobenen Haushaltseinnahmen und geleisteten Haushaltsausgaben, die von den einzelnen Amtskassen iiber die Oberkasse mit der Bundeshauptkasse abzurechnen sind. Die „Haushaltsrechnung" unterscheidet sidi von der Kassenrechnung „wie ein Wirtschaftsberidit von einer blol^en Kassenaufstellung" (Vialon); formell sind sie insofern gleich, als die Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben in derselben Anordnung zu erfolgen hat wie im Haushaltsplan, materiell unterscheiden sie sich jedoch dadurch, dafi die Haushaltsrechnung die Differenz von Ist und Soil nachweist und erlautert, so da£ mit Hilfe der Haushaltsrechnung ein Vergleich von Haushaltsplan und erTektivem Wirtschaftsergebnis moglich ist. Vgl. Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 894 f. 41 Zur Definition der haushaltsrechtlichen Begriffe siehe Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 294 ff. 42 Vgl. hierzu im einzelnen Heinig, K.: Haushaltsfibel, a.a.O., S. 52 ff.
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kontos im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 43. Der Gruppierungsplan stellt somit einen Katalog volkswirtschaftlicher Einnahme- und Ausgabekategorien dar, der die Zuordnung jedes Haushaltsansatzes zu einer bestimmten okonomischen Kategorie (Gruppe) erleichtern soil. Die Tatsache, dafi „die Ausgaben fiir manche Zwecke (wie z. B. Sozialausgaben) iiber eine ganze Reihe von Ministerien und Verwaltungsabteilungen zerstreut zu sein pflegen, wahrend sich umgekehrt bei einzelnen Ministerien und Abteilungen ein Konglomerat der verschiedenartigsten Aufgaben finden kann" 44 und somit der nur nach dem institutionellen (Ministerial-) Prinzip gegliederte Haushaltsplan viel von seiner Aussagekraft verliert, wenn es darum geht, die Ausgaben des Staates fiir bestimmte Aufgabenbereiche zusammenzufassen, veranlafite die Bundesregierung, seit 1956 freiwillig audi einen nach Aufgabenbereichen, also Funktionen, gegliederten Haushaltsplan zu veroffentlichen. Ein derartiger Funktionenplan (vgl. Abb. 2), dessen Erstellung durch §§11 HGrG, 14 BHO vorgeschrieben ist, kann zwar „als Zusammenfassung organisch zusammengehoriger oder institutionell verstreuter Ausgaben keine sichere und deshalb brauchbare Veranschlagung und Bewirtschaftungsgrundlage abgeben" 44a ); seine Bedeutung liegt vielmehr in der ubersichtlichen Darstellung der vom Staat zu erfullenden Aufgaben und der hierfiir beanspruchten Mittel. Die dadurch verbesserte Information der Offentlichkeit vermag vielleicht die offentliche Meinung zu einer kritischen Stellungnahme gegen die standig wachsende Ausgabenflut zu bringen und damit zu ihrer Eindammung beizutragen. Nicht nur die Erstellung und Verorfentlichung des Funktionenplans ist von 1970 an gesetzlich vorgeschrieben worden, sondern auch die eines „Haushaltsquerschnittesw, einer Zusammenfassung der Gruppierungs- und Funktioneniibersicht (§§ 11 Abs. 1 Ziff. 1 c HGrG, 14 Abs. 1 Nr. 1 c BHO). Neben diesen Gliederungen der Haushaltsmaterie nach drei verschiedenen Prinzipien ist durch die neue Bundeshaushaltsordnung in Verbindung mit dem Haushaltsgrundsatzegesetz die Erstellung einer Finanzierungsiiber43 Innerhalb der in Abb. 2 eingetragenen 10 Hauptgruppen werden durch die Anhangung einer zusatzlichen Stelle Untergruppen mit gleichem okonomischen Gehalt geschaffen. So erhalten beispielsweise Dienstbeziige und ahnliches die Gruppierungsnummer 42; unter 421 sind die Beziige des Bundesprasidenten, des Bundeskanzlers und anderer Regierungsmitglieder aufgefiihrt, unter 422 die Beziige der Beamten und Richter. Von den insgesamt vorgesehenen fiinf Stellen sind jedoch nur die ersten drei einheitlich fiir Bund und Lander vorgeschrieben. Die weitere Aufteilung im Haushaltsplan, d. h. die Gruppierung in der vierten und fiinften Stelle wird dagegen ausdriicklich in das Ermessen des Bundes und der beteiligten Lander gestellt. Vgl. Karl-Brauer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Stellungnahme Nr. 2 zur Reform des Haushaltsrechts, Dezember 1968, S. 6. 44 Bickel, W.: „Finanzwissenschaft und Statistik", in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Bd. 1, a.a.O., S. 144. 44a Allgemeine Vorbemerkungen zum Bundeshaushaltsplan fiir das Rechnungsjahr 1956, S. 27 f.
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§10. Haushaltsgrundsatze
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Einzelplan
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Geschaftsbereich d. Bundesministers d. Justiz
Gliederung nach dem Ministerialprinzip
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Abb. 2
sicht (§§ 10 Abs. 4 Ziff. 2 HGrG, 13 Abs. 4 Ziff. 2 BHO) verbindlich vorgeschrieben; die Finanzierungsubersicht ist Teil des Haushaltsplanes 45 . 45
Fur den Bundeshaushalt 1969 enthalt das Haushaltsgesetz die entsprechende Regelung hinsichtlich der Finanzierungsubersicht in § 5 Abs. 4. Der dort vorgeschriebene Nettofinanzierungssaldo ergibt sich im wesentlichen aus der Gegeniiberstellung von Kreditaufnahme und Schuldentilgung unter Beriicksichtigung der Miinzerlose und von kassenmafiigen Uberschiissen bzw. Fehlbetragen. Ein Nettofinanzierungsuberschu£ ergibt sich, wenn der Bund mehr Schulden tilgt, als er Kredite aufnimmt. Von einem Nettofinanzierungsdefizit spricht man, wenn die Kreditaufnahme die Tilgungsbetrage iibersteigt. Als Beispiel hierzu moge die Obersicht fiir den Bundeshaushalt 1969 dienen, wie sie in den Finanznachrichten Nr. 127 vom 1.8. 1969, S. 4, zu finden ist.
DiefinanzpolitischeWillensbildung
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Zusammenfassend lafit sich zu diesen Neuregelungen sagen, dafi sie niclit nur zu einer grofieren Durchsichtigkeit der offentlichen Finanzgebarung beitragen, sondern audi gleichzeitig eine rasche Aufbereitung der Haushaltsergebnisse mit Hilfe von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen ermoglichen. Damit ist dann audi die Moglichkeit einer langst falligen, zeitgerechten okonomischen Analyse der aktuellen Haushaltsdaten gegeben, wie sie insbesondere im Rahmen der kurzfristigen Konjunkturbeobaditung von grofier wirtschaftspolitischer Bedeutung sein kann. Dem Postulat der Klarheit tragt nach alledem die Haushaltsreform in besonderem Mafie Rechnung. Der Grundsatz der Wahrheit (Gerloff) schliefilich, so selbstverstandlich er klingen mag, gewinnt seine Berechtigung aus der Divergenz des theoretisdien Postulates zu den praktischen Gegebenheiten; seine Befolgung hangt nicht zuletzt von der Kontrolle durch das Parlament und die offentlidie Meinung ab. Der damit zusammenhangende Grundsatz der Offentlichkeit reidit iiber den Bereich der Haushaltswirtsdiaft hinaus in den Gesamtzusammenhang der orTentlichen Finanzwirtschaft in der Demokratie; ihm gebuhrt daher an anderer Stelle ausfiihrliche Behandlung 46.
§ 11. Die Aufstellung des Budgetentwurfs Ist der Haushaltsplan, wie im vorhergehenden naher erlautert, der zahlenmafiige Niederschlag des finanzpolitisch fiir die bevorstehende Haushaltsperiode Gewollten und Geplanten, so erscheint das Verfahren seiner Aufstellung nicht nur formal, sondern audi materiell von entscheidendem Gewicht fiir die finanzpolitische Willensbildung, die in der parlamentarischen Beratung des Entwurfs und seiner Verabschiedung in Gesetzesform zwar noch Abanderungen und Erganzungen erfahrt, deren ausschlaggebende Impulse jedoch gerade im Entwurfsstadium des Planes am starksten zur Geltung kommen. Die Frage, bei welcher Instanz der Staatsgewalt die Budget„initiative" liegt, d. h. welche Stelle zur Aufstellung des Entwurfs zustandig sein soil, hat daher in der Diskussion um die Organisationsformen des modernen Verfassungsstaates aus guten Griinden lange Zeit eine grofie Rolle gespielt; seit 1921 auch die Vereinigten Staaten zum alleinigen „Exekutivbudget
Vgl. § 17.
§ 1 1 . Die Aufstellung des Budgetentwurfs
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Flucht" praktisch oft eine Vormachtstellung in den Schofi 47 . Die Stellung des Finanzministers 48 im Kabinett ist andererseits haufig durch ein besonderes Vetorecht gegen Beschlusse von finanzieller Bedeutung oder durch die Befugnis gestarkt, die Voranschlage der iibrigen Ressorts selbstandig abzuandern oder zu kiirzen; schon daraus geht die Bedeutung hervor, die der Aufstellung des Entwurfs des Haushaltsplanes zukommt, der ja in Einnahmen und Ausgaben „ausgeglichen" sein mufi (Art. 110 Abs. 1 S. 2 G G ) . Bei der Aufstellung eines Haushaltsplanes lassen sich grundsatzlich zwei Verfahren unterscheiden. Das traditionelle Verfahren, wie es im wesentlichen auch in der Bundesrepublik gilt, vollzieht sich „von unten nach oben", w a h rend das neue „Flanning-Programming-Budgeting-System (PPBS)", das derzeit vor allem in den U S A erprobt wird, den Plan umgekehrt „von oben nach unten" aufstellen will. Fiir die Aufstellung des deutschen Bundeshaushaltes werden die Bedarfsanmeldungen der einzelnen Dienststellen „von unten nach oben" zu Einzelplanen der Ministerien zusammengefafit und in Form eines Voranschlages dem Bundesfinanzminister zugeleitet, der die Ansatze priift und mit den Vorjahreszahlen vergleicht 4 9 . Macht ein Ressort Neuanforderungen von erheblicher finanzieller Tragweite geltend, so hat es dem Bundesfinanzminister vor Aufstellung seines Voranschlages eine „Voranmeldung" zuzuleiten, in der das geplante Projekt nach A r t und finanziellen Auswirkungen erlautert ist. H a b e n alle Ressorts ihre Voranschlage nach diesem Muster eingereicht, so beginnt die eigentliche koordinierende Arbeit im Bundesfinanzministerium; die Haushaltsabteilung fafit die Abschlufizahlen aller Einzelplane zusammen und stellt sie den geschatzten Einnahmen gegeniiber, wobei sich regelmafiig erhebliche Ausgabenkiirzungen als notwendig erweisen. In langwierigen Verhandlungen mit den einzelnen Fachressorts wird nun versucht, zuerst zwischen den Sachbearbeitern von hiiben und driiben, weiterhin auf der Ebene der Abteilungsleiter und in den sog. Chefbesprechungen der Staatssekretare und Minister selbst die einzelnen Positionen der Ausgaben-
47 „Theoretisch hat man das Vetorecht immer dem Minister der Finanzen zugebilligt, praktisch ist aber der Budgetminister der wichtigere, denn er hat budgetare Kontrollrechte gegeniiber der Verwaltung. In der franzosischen Finanzkrise vom 9. Juni 1924 bis 23. Juli 1926 wurden zwolf Finanzminister verbraucht" (Heinig, K.: Das Budget, a.a.O., Bd. II, S. 250). 48 Vgl. hierzu: Der Finanzminister, Institut Finanzen und Steuern, H. 32, Bonn 1954; s. auch Eschenburg, T.: Wie machtig ist Alex Moller? — Die Stellung des Finanzministers — in: Die Zeit, Nr. 5 (1970), S. 6. 49 Die Aufstellung des Bundeshaushaltes ist im einzelnen im HGrG und in der BHO geregelt. Die Lander konnten bis zur Reform von 1969 nach dem vom Grundgesetz nicht aufter Kraft gesetzten Gesetz vom 17. 6. 1936 iiber die Vereinheitlichung des Haushaltswesens im Reich und in den Landern das bisherige uneinheitliche Reichshaushaltsrecht ohne weiteres als fortgeltend anwenden; erst durch das Inkrafttreten des Haushaltsgrundsatzegesetzes hat sich dies geandert. Bund und Lander unterliegen nunmehr im wesentlichen den gleichen Vorschriften.
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Sclimolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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seite den verfiigbaren Mitteln anzupassen; diese Verhandlungen erstrecken sich unter Umstanden auf jede einzelne Personalstelle, auf Biirobedarf, Heizung, Reisekosten und anderes mehr und nehmen deshalb meist eine ziemliche Zeit in Anspruch. Auf Grund dieser Vorbesprechungen innerhalb der Ressorts stellt der Finanzminister den Entwurf des Haushaltsplanes auf und legt ihn in einer Kabinettssitzung der Regierung vor; die in den Verhandlungen noch offen gebliebenen Fragen werden hier notfalls durdi Abstimmung entschieden. Dabei hat der Finanzminister im Interesse der Sache eine uberlegene Stellung, da er nur bei volliger Stimmeneinheit der anwesenden Kabinettsmitglieder und nie gegen die Stimme des Bundeskanzlers iiberstimmt werden kann. Der vom Kabinett gebilligte Entwurf geht nunmehr in Form einer Gesetzesvorlage zunachst dem Bundesrat zur Stellungnahme zu (erster Durchgang). Dabei erfahrt der Entwurf eine griindliche Priifung durch den Finanzausschufi, der sich aus den Finanzministern der Lander und ihren Sachverstandigen zusammensetzt; hier geht es besonders um die Benicksichtigung der Landerinteressen, wie denn iiberhaupt bereits beim Entwurf des Haushaltsplanes der Finanzausgleich, insbesondere der vertikale Finanzausgleich zwischen Bund und Landern, eine besondere Rolle spielt. Daneben befassen sich auch die verschiedenen Fachausschusse des Bundesrates mit den sie interessierenden Haushaltspositionen. Die Ergebnisse dieser Ausschufiberatungen werden vom Bundesrat zu einer einheitlichen Stellungnahme zusammengefafit, die mit dem Haushaltsvoranschlag wieder der Regierung zugeleitet wird; diese nimmt zu den Bemerkungen des Bundesrates Stellung, andert unter Umstanden ihren Vorschlag gemafi seinen Empfehlungen und reicht ihn darauf mit den Bemerkungen des Bundesrates und ihrer eigenen Stellungnahme dem Bundestag zur Beratung ein 50. Den umgekehrten Weg der Budgetaufstellung (von „oben nach unten") schlagt heute in den USA das neue Planning-Programming-BudgetingSystem (PPBS) 51 ein. Dieses Verfahren lehnt sich an die in der Fuhrung grofier Unternehmungen mit Erfolg praktizierten Methode des „Management 50 In den Landern ist das Verfahren ahnlich; auf dem Dienstweg werden die Bedarfsmeldungen von unten nach oben weitergegeben und von den Landerfinanzministern zu einem Haushaltsvoranschlag zusammengefafk. In den Gemeinden, insbesondere den GroEstadten, werden Einzelplane der Dezernate vom Stadtkammerer zu einem Entwurf zusammengefafk, der zur Feststellung an den Oberstadtdirektor geht; nach einer vom Gesetz vorgeschriebenen Frist der Offenlegung, wahrend der jeder Burger der Stadt die Moglichkeit zur Einsichtnahme und zur Kritik an dem Entwurf haben soil, gelangt der Entwurf zur Beratung an die Stadtverordnetenversammlung. 51 Planning bezeichnet die Erstellung von Alternativplanen zu gegebenen Zielen bei gleichzeitiger Ausdehnung des Betrachtungshorizonts hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen der verschiedenen Programmalternativen auf mehrere — meist 5—7 — Jahre. Mit der jahrlichen Budgetaufstellung findet gleichzeitig eine Priifung des Gesamtplanes statt.
§ 1 1 . Die Aufstellung des Budgetentwurfs
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by Objectives" an, bei der den nachgeordneten Stellen genau bestimmte Ziele vorgegeben w e r d e n 5 2 . D e r Haushaltsplan wird hier, ausgehend von den durch den parlamentarischen Willensbildungsprozefi festgelegten operational definierten Zielen der Staatstatigkeit, auf dem Wege aufgestellt, dafi die fiir die verschiedenen nationalen Ziele zustandigen Ressorts Alternativprogramme 53 entwickeln, von denen anschliefiend das wirtschaftlichste ausgewahlt w i r d ; nur die zu seiner Verwirklichung benotigten Mittel werden in den Etat eingesetzt, so dafi m a n dabei von einer „economic analysis in public sector decision-making" sprechen k a n n 54 . Den Anlafi zur Anwendung des PPBS gaben die guten Erfahrungen des Pentagon mit dieser neuen Budgetkonzeption 5 5 . Hierdurch ermutigt, liefi Programming heifit Auswahl bestimmter Alternativen anhand einer Zielfunktion (z. B. Aufwandsminimierung) unter Beaditung etwaiger Restriktionen. Budgeting weist auf den Bezug der Entscheidungen zum Staatshaushalt hin. Naheres bei: Novick, D. (Hrsg.): Program Budgeting. Program Analysis and the Federal Budget, Cambridge, Mass., 2. AufL, 1967; McKean, R. N.: Efficiency in Government through Systems Analysis, New York, 1958; Escarraz, R.: PPBS and the National Government: Alternative Approaches, in: National Tax Journal, Vol. XXI, No. 2, June 1968; Bureau of the Budget, Bulletin No. 68 — 9, April 12, 1968; Bureau of the Budget, Circular No. A — 11, Revised Transmittal Memorandum No. 32; July 25, 1968; PPBS — a Symposium, in: Public Administration Review, Vol.26, Dec. 1966; Enthoven, A. C : The Systems Analysis Approach, in US Senate Committee on Government Operations, Planning—Programming—Budgeting, Selected Comments, Prepared by the Subcommittee on National Security and International Operations. Committee Print-90th. Congress 1st Session 1967, S. 1—10; Hitch, C. J.: Decision Making in Large Organizations. Einen Uberblick iiber die Kongrefiliteratur gibt Reinermann, H.: Mit PPBS kontra Parkinson, in: Der Volkswirt 1968, Nr. 48, S. 42 ; 52 S. Odiorne, G. S.: Management by Objectives, Munchen 1967. 53 Um die verschiedenen Programme vergleichen zu konnen, mussen alle die gleiche Struktur im Aufbau haben. Beispiel einer Programmstruktur: Nationales Ziel 1. (2. B. Verbesserung des Erziehungswesens, operationalisiert in der Forderung nach Erhohung der Hochschulabsolventenzahl um 20°/o bei gleichbleibendem Wissensniveau), gegliedert in Kategorien 1.1. (Erhohung der Zahl der abgehaltenen Vorlesungsstunden an Universitaten), diese teilen sich ihrerseits auf in Subkategorien 1.1.1. (Ausbau der Universitatsbibliotheken durch Mikrofilmarchive mit Lesesalen), die letztlich als Fundament der gesamten Programmstruktur die Programmelemente enthalten 1.1.1.1. (Anzahl der benotigten Mikrofilmlesegerate). 54 Weidenbaum, M. L.: Economic Analysis and Government Expenditure Decisions, in: Finanzarchiv N R , Bd. 25 (1966), S. 463. 55 Nachdem McNamara 1961 das amerikanische Verteidigungsministerium iibernommen hatte, mufite er feststellen, daft es nicht moglich war, zu ermitteln, wie hoch die Kosten und die Effizienz von Waffensystemen waren (hier im Sinne einer „killing rate"); bis zu 12 Abteilungen seines Hauses planten und verwalteten unkoordiniert zum Teil aneinander vorbei und sogar gegeneinander. Durch Reorganisation nach dem PPBS wurden diese Mangel beseitigt und den verschiedenen Abteilungen den nationalen Zielen (z. B. auEere Sicherheit) entsprechende operational 6*
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sich President Johnson 1965 zu dem emphatischen Ausspruch verleiten, dieses neue Instrument, das von nun an auf das Gesamtbudget angewendet werden sollte, verspreche jedem Amerikaner ein besseres Leben zu den geringsten Kosten 56 . O b dieser Enthusiasmus gerechtfertigt ist, k a n n nur die Zukunft lehren; ein endgiiltiges Urteil lafit sich iiber das PPBS heute noch nicht fallen. Gewisse Schwachen der kurzfristigen Haushaltsplanung, insbesondere alle Unklarheiten beziiglich der Ziele der Staatstatigkeit und deren Rangfolge in der isolierten und kurzfristigen Betrachtungsweise sowie der Mangel an okonomischen Alternativen, Schwachen, die in der Vergangenheit oft zu einem Oberwiegen blofier politischer, oft auch traditioneller oder nur gefuhlsmafiig begriindeter Erwagungen gefiihrt haben 57 , konnen durch das PPBS weitgehend ausgemerzt w e r d e n 5 8 , da die enge Integration der jahrlichen Budgetierung mit einer mehrjahrigen Finanzplanung sowie die weitgehende Anwendung der Nutzen—Kosten-Analyse, verbunden mit einer Straffung der Verwaltungsorganisation, die sich in der Neugliederung des Budgets nach funktionalen oder Programm-Kriterien widerspiegelt, den jeweils rationaleren Entscheidungen den ihnen gebiihrenden Vorrang verschafft. Problematisch bleibt dagegen auch bei dem neuen Verfahren der Versuch einer Anwendung der Nutzen—Kosten-Analyse auch auf solche Tatbestande der offentlichen Finanzwirtschaft, die sich einem klaren kaufmannischen Kalkiil ihrer N a t u r nach entziehen 5 9 ; die mit diesem Budgetsystem verbunFortsetzung FufSnote 55 Ziele vorgegeben. Die moglichen Alternativen zur Erreichung dieser „Subziele" sind dabei nach Cost-Benefit-Gesichtspunkten (wobei als benefits im Verteidigungsdepartment im wesentlichen zerstortes gegnerisches Potential — Menschen und Anlagen — angesehen werden) zu analysieren; der Wert samtlicher Aktivitaten ist fortlaufend zu uberpriifen. (Vgl. Reinermann, H.: Mit PPBS kontra Parkinson, in: Der Volkswirt, 1968, Nr. 46.) 56 The White House: Introduction of New Government-Wide Planning and Budgeting System, August 25, 1965, S. 3, zit. aus Weidenbaum, M. L.: Economic Analysis and Government Expenditure Decisions, a.a.O., S. 463. 57 "The largest determining factor of the size and content of this year's budget is the last year's budget" (A. Wildavsky: The Politics of the Budgetary Process, Boston-Toronto 1964, S. 13). Einen — etwas spekulativen — Ansatz zur Erklarung dieses in der Verwaltung verwurzelten Festhaltens am Althergebrachten bietet die Petersdie „HierarchologiefC: (Peter, L. J., Hull, R.: The Peter Principle, New York, o. J.; ders.: Hierarchic der Unfahigen, in: Die Zeit, Nr. 4—6, 1970; s. auch „Jeder rnacht solange Karriere bis er versagt", in Capital, Nr. 11 (1969), S. 265 ff.). Peter behauptet, daft jeder in seiner hierarchischen Ordnung soweit aufsteigt, bis er eine Position erlangt, die seine Fahigkeiten iibersteigt. Ein Weg, die damit verbundene Inkompetenz zu kaschieren, kann nun darin bestehen, jedweden Vorgang so zu erledigen, wie er immer schon erledigt wurde. "The largest determining factor of this year's budget is the last year's budget", wie gesagt, ein spekulativer Erklarungsversuch. 58 Neumark, F.: Planung in der offentlichen Finanzwirtschaft, in: Schriften des Vereins fur Socialpolitik, N R Bd. 45, Berlin 1967, S. 8, S. 31. 59 S. auch Senf, P.: Die Reform der offentlichen Haushaltsgebarung zur Erhohung der Transparenz, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 52, Berlin 1969, S 158; s. auch o. S. 207 ff.
§ 1 1 . Die Aufstellung des Budgetentwurfs
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dene Zentralisierung der Verwaltung kann dariiber hinaus zu einer Gefahr fiir den f oderativen Aufbau des Staates werden 60 . Jeder ubersteigerte Zentralismus neigt letztlich dazu, Unsicherheit und Risiko zu unterschatzen und die Beweglichkeit und Anpassungsfahigkeit der unteren Ebenen einzuschranken, „mit dem Resultat von Uberorganisation und Unbeweglichkeit auf alien Ebenen" 61. Das Kardinalproblem jeder Aufteilung offentlicher Mittel auf die verschiedenen Bereiche der Staatstatigkeit mit ihren unterschiedlichen Zielen vermag auch das PPBS nicht zu losen 62 ; es beschrankt sich darauf, die Ziele und die damit korrespondierenden Programme innerhalb einzelner offentlicher Aufgabenbereiche zu analysieren, um hier jeweils moglichst optimale Losungen zu erarbeiten 63. Der entscheidende Durchbruch, der mit dem Budgetsystem in den Vereinigten Staaten gelungen ist, liegt auf dem Gebiet der Verwaltungsmentalitat und darin, die Aufstellung des Budgets nicht als einen sich Jahr fiir Jahr wiederholenden, aber jeweils abgeschlossenen Vorgang aufzufassen, sondern als einen endlosen Ruckkopplungsprozefi zwischen Losungen und damit verbundenen Zielkonflikten auf der Suche nach einer „besseren" Mittelaufteilung. Die zu diesem Mechanismus notwendige Elastizitat des Verwaltungsapparates 64 scheint das PPBS eher als das traditionelle Konzept zu gewahrleisten. Die Aufstellung des Haushaltsplans „von unten nach oben", d. h. die Einreichung der von den nachgeordneten Behorden aufgestellten Bedarfsanmeldungen, fiir die die Zentrale dann lediglich noch die Deckungsmittel bereitzustellen hat, gibt zudem immer wieder Anlafi zu dem Mifiverstandnis, als sei die Ausgabenseite das Primare der offentlichen Finanzwirtschaft, die Einnahmeseite dagegen sekundar, als hatten sich also im Staatshaushalt die Einnahmen nach den Ausgaben, nicht, wie im Privathaushalt, die Ausgaben nach den Einnahmen zu richten. Wenn diese aus oberflachlicher Betrachtungsweise stammende Vorstellung auch nicht der Wirklichkeit ent60 Dorn, D., Eckstein, G.: Wirtschaftlidikeit in der offentlichen Verwaltung; Neuere Ziele und Methoden der Budgetgestaltung, in: Sdimollers Jahrbuch, Jg. 88, 1968, S. 447. 61 Stolber, W. B.: Effizienz in der Abwasserwirtschaft, in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 88, 1968, S. 439 f.; auch ders.: Effizienz in der offentlichen Wirtschaft, in: Jahrl3uch fiir Sozialwissenschaften, Bd. 19 (1968), S. 387. 62 Dieses Verteilungsproblem mu£ bislang an den der Cost-Benefit-Analyse in diesem Bereich immanenten Schwierigkeiten scheitern, Zielfunktionen zweier Ministerien (z. B. Maximierung der killing-rate versus Erhohung der Universitatsabsolventen) gegeneinander abzuwagen bzw. auf den gleichen Nenner zu bringen. 63 Zu den erkenntnistheoretischen Grenzen dieses Verfahrens s. Kirsch, G : „2ur logischen Struktur des Problems einer Rationalisierung der Entscheidungsfindung auf Regierungsebene", in: Erster Bericht zur Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung, Anlagenband August 1969. 64 S. hierzu auch Luhmann, N . : Theorie der Verwaltungswissenschaft, Koln und Berlin 1966.
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spricht, so erscheint es doch notwendig, auf das gerade in der Beamtenmentalitat und der Wesenseigenart der Biirokratie begriindete Beharrungsvermogen zu achten; so starke Hemmungen diese Mentalitat der Einstellung neuer Haushaltspositionen entgegenzustellen pflegt, so leicht ist sie dazu geneigt, einmal aufgenommene Grofien unwillkiirlich als gegeben zu akzeptieren. Auf diese psychologisch zu deutenden Zusammenhange wird in anderem Zusammenhang noch zuriickzukommen sein.
§ 12. Parlamentarische Beratung und Verabschiedung Der Haushaltsvoranschlag wird in parlamentarischen Staaten nach seiner Aufstellung der Legislative zur Beratung und Beschlufifassung vorgelegt; aus der sachlichen, durch Fachwissen bestimmten Atmosphare der Vorbereitung, aus dem Herrschaftsbereich der Biirokratie, gelangt das Budget damit vor das politische Forum, auf die offene Szene der finanzpolitischen Willensbildung in Stadt und Land. Politisch bildet die Haushaltsdebatte im Parlament stets die grofie Moglichkeit zur Kritik an der Regierung; iiber der politischen Generaldebatte kommt dabei nicht selten die sachliche Haushaltsberatung zu kurz. Auf die Spitze getrieben wird die politische Natur der Haushaltsdebatte, wenn die parlamentarische Verweigerung des Etats zum taktischen Mittel wird, die Regierung zum Riicktritt zu zwingen, wie dies beispielsweise im Frankreich vor de Gaulle des ofteren geschah. Die Budgetverweigerung sollte in parlamentarisch regierten Staaten grundsatzlich nur als ultima ratio des innerpolitischen Machtkampfes gelten; zu viel hangt fur die Ordnung des staatlichen Lebens und seiner materiellen Grundlagen von der Kontinuitat der offentlichen Finanzgebarung ab, als dafi sie leichtfertig um kurzfristiger Parteiinteressen willen aufs Spiel gesetzt werden durfte, zumal sie iiber die Finanzierung der Regierungsgeschafte hinaus langst mehr und mehr Bedeutung fur die Wirtschaftsentwicklung und Beschaftigungslage im Lande gewonnen hat. Die alteste Tradition auf dem Gebiet der parlamentarischen Willensbildung besitzt Grofibritannien, dessen demokratische Einrichtungen allmahlich in idealer Weise mit den Erfordernissen fester finanzpolitischer Fiihrung in Einklang gebracht worden sind. Das Mittel, mit dessen Hilfe die englische Staatsklugheit es versteht, den jedem Parlament innewohnenden Drang zum unsachlichen Hineinregieren in die finanzpolitische Fiihrung in Schach zu halten, ist eine ehrwiirdige, in Jahrhunderten ausgebildete Tradition der aufieren Formen, insbesondere der Einhaltung ganz genauer Zeitabschnitte bei der Beratung des Haushaltsplanes. Nach einem formellen Austausch von Erklarungen zwischen Krone und Parlament beginnen im Herbst jeden Jahres die sog. „Ausschusse
§ 12. Parlamentarische Beratung und Verabsdiiedung
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die Einnahmen), die aber in Wirklichkeit samtliche Mitglieder des Unterhauses umfassen, ihre Arbeit 65 ; in der Diskussion im „Ausschufi" besitzen die Abgeordneten eine etwas grofiere Redefreiheit als im Plenum, wo die Zahl der Wortmeldungen fur den einzelnen Abgeordneten enger begrenzt ist. Die Ausgabenvorschlage der einzelnen Ressorts werden dem Parlament zur Beratung vorgelegt und von den Ressortministern vertreten; jeder Ressortetat ist in eine grofie Anzahl von Ausgabengruppen eingeteilt, iiber die gesondert abgestimmt wird, oft bis herunter zu Einzelsummen von nicht mehr als 10 £. Der tiefere Sinn dieser Zersplitterung ist es, dem Parlament formell jede Einzelheit zu ganzlich freier Entscheidung zu unterbreiten, wahrend in Wirklichkeit der sachliche Zusammenhang der einzelnen Posten haufig Bewilligungen prajudiziert und die Aufmerksamkeit von den grundsatzlichen Fragen ablenkt. Das politische Engagement des Parlaments zeigt sich dann regelmafiig darin, inwieweit es sich in subalterne Detailfragen verstricken lafit oder zielstrebig an die Priifung der wichtigen Blocke (z. B. Verteidigungsetat) herangeht. Diese Zielstrebigkeit ist um so wichtiger, als die ganze Beratung der Ausgabenseite des Haushaltsplanes traditionell in 20 Sitzungen beendet sein mufi, eine Zeitspanne, die nur in Ausnahmefallen um drei Tage verlangert werden kann; Voranschlage, die bis zu einem bestimmten Stichtage nicht behandelt worden sind, gelten als genehmigt. In der Zwischenzeit beschaftigt sich der Finanzminister mit der Vorbereitung seiner grofien Haushaltsrede, in der die Einnahmenvorschlage und damit die neuen Steuersatze verkiindet werden. Das Geheimnis der Dekkungsvorschlage und Steuersatze wird bis zum Augenblick der Verkiindigung strengstens gewahrt; seit Pitt gehoren die Budgetreden zu den grofien Ereignissen des parlamentarischen Lebens. Auf Grund alter Tradition findet an den Einnahmevorschlagen keine unmittelbare Kritik statt; dagegen wird zur Verhinderung spekulativer Ausnutzung der Beratungen fast das gesamte Steuerprogramm unverztiglich zum Gesetz erhoben, obgleich anschliefiend auch einige Diskussionstage fur die Beratungen des Einnahmeausschusses vorgesehen sind. So gelingt es durch den unmerklichen Zwang der Tradition und der genauen zeitlichen Festlegung des Beratungsganges, das Parlament mit seinen vielfaltig gespaltenen Interessen dem im Haushaltsplan konzentrierten Willen der Regierung weitgehend gefiigig zu machen. In der Bundesrepublik wird der Haushaltsplan nach seinem „ersten Durchgang" durch den Bundesrat dem Bundestag zunachst zur ersten Lesung vorgelegt, die regelmafiig noch nicht zu einer sachlichen Diskussion, sondern zur Uberweisung der Vorlage an den Haushaltsausschufi fiihrt. Der Haushaltsausschufi des Bundestages, der nach dem Starkeverhaltnis der Parteien 65 Zur Methode der Budgeterstellung in England siehe: Brittain, H.: The British Budgetary System, London 1959, S. 19 flF.
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zusammengesetzt ist und politisch deshalb ein Spiegelbild des Plenums darstellt, befafit sich mit einer eingehenden Oberpriifung des Haushaltsplanes Titel fur Titel, Position fur Position. Die Stellungnahme des Haushaltsausschusses, die im Plenum durch den Berichterstatter vorgetragen wird, leitet die zweite Lesung ein, die sachliche Einzelberatung der Vorschlage durch das Plenum. Findet der Voranschlag in der vom Haushaltsausschufi vorgelegten Form keine Billigung oder liegen noch Abanderungsantrage vor, so kommt es zur Rlickverweisung an den Ausschufi zwecks nochmaliger Beratung; endlich wird der Voranschlag dem Parlament zur dritten, der sog. politischen Lesung vorgelegt, die Gelegenheit zur Generaldebatte iiber die Regierungspolitik bietet und die mit der Abstimmung iiber die Vorlage endet 66 . Der Budgetvoranschlag hat nunmehr die Form gefunden, die dem Willen der Mehrheit des Bundestages entspricht; er wird jetzt dem Bundesrat zum „zweiten Durchgang" vorgelegt. Gegen den Entwurf des Bundestages kann der Bundesrat den Vermittlungsausschufi anrufen, der aus je zehn Vertretern beider Hauser besteht. Im Vermittlungsausschufi sind die Landervertreter nicht an die Weisungen ihrer Regierungen gebunden, eine Bestimmung, die die Sachlichkeit der Beratungen und Entscheidungen fordern soil; nicht mehr das Interesse der einzelnen Lander, sondern der Bundeshaushalt als solcher steht im Mittelpunkt. Schlagt der Vermittlungsausschufi eine Anderung des vom Parlament gebilligten Voranschlages vor, so wird eine nochmalige Beratung und Beschlufifassung im Plenum des Bundestages erforderlich; erst danach hat der Haushaltsplan seine endgliltige Form gefunden. Der Plan wird nunmehr nach Unterzeichnung durch den Bundesprasidenten unter Gegenzeichnung des Bundeskanzlers und des Bundesfinanzministers als Gesetz im Bundesgesetzblatt verorTentlicht und tritt damit in Kraft. In ahnlicher Weise werden die Haushaltsplane der einzelnen Lander in den Landtagen, in den Landern mit Zweikammersystemen in beiden Gremien, beraten und beschlossen. Audi der Gemeindehaushaltsplan wird, wahlt man wieder das Beispiel einer Grofistadt, zur ersten Lesung der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt und nach einer allgemeinen Debatte an Ausschiisse iiberwiesen, denen die sachliche Priifung der Einzelplane obliegt. "Dber den Finanzausschufi gelangt der Haushaltsvoranschlag zur zweiten und gleichzeitig letzten Lesung erneut an die Stadtverordnetenversammlung zuriick; nach seiner Bewilligung bedarf er noch einer Priifung durch die Aufsichtsbehorde (Regierungsprasident), die die Hebesatze der Realsteuern sowie etwaige Darlehen und Kassenkredite genehmigen mufi, bevor die Unterzeichnung und Veroffentlichung des Haushaltsplanes erfolgen kann. In den USA wird die Budgetvorlage des Prasidenten im „Appropriation Committee" des Reprasentantenhauses diskutiert, dessen Unterausschiisse zur Erleichterung ihrer Arbeit von den Beamten der Bundesverwaltung und 66
Vgl. § 14.
§13. Der Vollzug des Haushaltsplanes
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anderen Sachverstandigen Auskiinfte zu den zur Diskussion stehenden Punkten einholen und Vernehmungen durchfiihren. Auf Grund der schriftlichen Berichte der Unterausschiisse wird die Stellungnahme des Ausschusses dem Reprasentantenhaus vorgelegt; nebenher geht die Priifung des Haushaltsplanes im Senat. Weichen die Beurteilungen des Haushaltsvoranschlages durch beide Hauser voneinander ab, so tagen, ahnlich dem deutschen Vermittlungsausschufi, die Ausschiisse des Reprasentantenhauses und des Senats gemeinsam, urn eine Entscheidung herbeizufuhren 67. Nach Annahme durch beide Hauser wird das Budget dem Prasidenten vorgelegt, der zwar nicht beziiglich einzelner Positionen, wohl aber im Hinblick auf das gesamte Budget ein Vetorecht hat, eine Praxis, die dem deutschen Verfahren bei Aufstellung des Budgets fremd ist 68 ; sie wird gelegentlich dazu mifibraucht, dafi Bestimmungen nichtfinanziellen Inhalts, die sog. Riders (Reiter, oder besser blinde Passagiere) in die Budgetvorlage Eingang finden, urn bei dieser Gelegenheit bei der en bloc-Genehmigung des Budgets durch den Prasidenten ebenfalls durchgesetzt zu werden.
§ 13. Der Vollzug des Haushaltsplanes Mit der parlamentarischen Beratung und Verabschiedung des Haushaltsplanes, seiner Unterzeichnung und Verkundung ist das Finanzprogramm fur die neue Haushaltsperiode grundsatzlich umrissen und in seinen Grofienordnungen fixiert. Die finanzpolitische Willensbildung ruht jedoch auch wahrend des Ablaufs der Haushaltsperiode praktisch niemals. Weder verzichtet das Parlament darauf, auch nach AbschluS der Haushaltsberatungen Gesetze zu beschliefien, die finanzielle Bedeutung besitzen, noch beschrankt sich der „Vollzugc< des Haushaltsplanes durch die Regierung darauf, die im Haushaltsplan vorgesehenen Einnahmen und Ausgaben zu verwirklichen, wenn die jeweils wechselnde Lage zusatzliche MaCnahmen erfordert. Sobald sich beispielsweise, sei es infolge einer unvorhergesehenen Entwicklung der Einnahmen oder der Notwendigkeit iiber- oder aufierplanmafiiger Ausgaben, die Durchftihrung des Budgets in der festgelegten Form als unmoglich erweist, kommt es zu erneuten willensbildenden Akten der Legislative, indem Erganzungshaushalte oder Nachtragshaushalte in grundsatzlich dem gleichen Verfahren wie der urspriingliche Haushalt aufgestellt, beraten und beschlossen werden miissen. Aufierdem ist es jedoch schon wegen des langsamen Arbeitens der Gesetzgebungsmaschine haufig notwendig, aufierhalb des Rah67 68
Vgl. Rolph, E. R. und Break, G. F.: Public Finance, New York 1961, S. 53 f. Harris, L. C.: Das Finanz- und Steuersystem der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Bd. 3, a.a.O., S. 423. S. hierzu auch Stamm, F. H.: Die Bundesfinanzen der Vereinigten Staaten von Amerika, Stuttgart 1969, und besonders Groves, H. M.: Financing Government, 6. Aufl. New York-Chicago-San Francisco-Toronto-London 1964.
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mens des Budgets und vor der Verabschiedung eines Nachtragshaushaltes Mafinahmen von finanzieller Bedeutung in eigener Verantwortung der Exekutive zu treffen, deren Genehmigung nachtraglich durch die gesetzgebenden Stellen herbeigefiihrt werden mufi (Indemnitatserteilung). Wird die Indemnitat vom Parlament verweigert, so konnen theoretisch die verantwortlichen Beamten zur Rechenschaft gezogen werden; aus diesem Grunde setzt in alien Fallen, in denen sich Abweichungen vom Haushaltsplan als notwendig erweisen, bereits innerhalb der Verwaltung dadurch eine Art Selbstkontrolle ein, dafi liber- oder aufierplanmafiige Ausgaben der Genehmigung des Finanzministers bediirfen. Neben dieser Selbstkontrolle der Regierung hat auch die Legislative meist das Recht, von der Regierung jederzeit Auskunft und Aufklarung iiber ihre Finanzgebarung zu verlangen und Untersuchungsausschusse zur Aufklarung bestimmter Fragen oder Vorgange einzusetzen; in den USA steht dieses Recht dem Budgetdirektor zu. Im iibrigen entspricht es dem Grundsatz der Gewaltenteilung, dafi die Regierung den durch die Beschlusse der Volksvertretung manifestierten Willen uneingeschrankt zu vollziehen hat. Die Erhebung der gesetzlich festgelegten Steuern und Abgaben mufi einheitlich und streng gesetzmafiig erfolgen; die Verwaltung hat nur im Rahmen ihrer Ermessensvollmachten freie Hand und bleibt dabei stets an Sinn und Zweck der Mafinahmen gebunden. Auf der Ausgabenseite sind es vor allem die Sozial- und Personalausgaben, bei denen der Exekutive hinsichtlich der Ausfuhrung des Haushaltsplanes kaum viel Spielraum verbleibt, da hier bis ins einzelne gehende gesetzliche Bindungen, z. B. durch Besoldungs- und Versorgungsgesetze, Tarifbestimmungen u. dgl. mafigebend sind. Rechtlich stellen die Haushaltspositionen jedoch im allgemeinen keine Verpflichtung, sondern lediglich eine Ermachtigung flir die Verwaltung zu einem bestimmten Handeln dar 69 ; im Rahmen dieser Ermachtigung tragt die Exekutive die Verantwortung fur ihre Entscheidungen. Jede Verwaltungsstelle mufi sich vor jeder Ausgabe nicht nur dariiber Rechenschaft geben, ob diese Position im Haushaltsplan enthalten ist, sondern auch dariiber, ob eine vorgeplante Ausgabe noch notwendig oder in dieser Form notwendig ist. Dies ist insbesondere in den Fallen zu priifen, in denen die offentliche Hand als Vertragspartner, z. B. als Auftraggeber auftritt. „Im Einzelfall aber kann . . . nicht zweifelhaft sein, dafi die Regierung eine vorgesehene Mafinahme unterlassen darf, ja, dafi sie zu einer solchen Unterlassung verpflichtet ist, wenn der mit der finanziellen Planung beabsichtigte Erfolg nicht eintreten kann oder die finanziellen Verhaltnisse des Bundes eine Anderung des Programms bedingen." 70 Die Grundsatze fur die Ausfuhrung des Haushaltsplanes sind in §§ 34 fF. BHO niedergelegt. Die Haushaltsmittel sind wirtschaftlich und sparsam zu 69 70
Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 501 if. Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 501.
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verwalten; sie diirfen bei den einzelnen Zweckbestimmungen nur so weit und nicht eher in Anspruch genommen werden, als es zur wirtschaftlichen und sparsamen Fiihrung der Verwaltung erforderlich ist, und die bewilligten Betrage diirfen i. d. R. nur zu dem im Haushaltsplan bezeichneten Zweck, soweit und solange dieser fortdauert, und nur innerhalb des Rechnungsjahres verwendet werden (§§ 27 Abs. 1 HGrG; 45 Abs. 1 BHO) 7 1 . Auf diese Grundsatze sind die technischen und organisatorischen Einzelheiten fur die Ausfiihrung des Haushaltsplanes abgestimmt. Sobald der Haushaltsplan durch das Parlament festgestellt ist, erhalten die Minister als Spitzen der Verwaltung je einen beglaubigten Abdruck des fur sie mafigebenden Einzelplanes. Dariiber hinaus teilt ihnen der Finanzminister mit, in welcher Hohe Haushaltsmittel, die in einer Zweckbestimmung fiir die gesamte Verwaltung zusammengefafit sind, auf sie entfallen. Die Minister verteilen die Mittel, soweit sie nicht von ihnen selbst bewirtschaftet werden, auf die nachgeordneten Behorden; gleichzeitig werden ihre Kassen angewiesen, die Mittel zur Verfugung zu stellen. Zu Beginn des Haushaltsjahres stellen die Bundesbehorden nach Mafigabe der insgesamt zugewiesenen Mittel einen Plan auf, in dem festgelegt wird, wie die Mittel bei den einzelnen Titeln des Haushaltsplanes zu bewirtschaften sind. Der Kontrolle der Bewirtschaftung dient die Haushaltsuberwachungsliste, die entsprechend der Gliederung des Haushaltsplanes gefiihrt, monatlich aufgerechnet und mit der Kasse abgestimmt wird. Alle nachgeordneten Behorden miissen regelmafiig Aufstellungen iiber ihre Ausgaben einreichen, die dem Finanzministerium bereits wahrend der Haushaltsperiode einen nach Verwaltungen zusammengefafken Uberblick iiber die Durchfuhrung des Budgets geben; ebenso miissen iiber die Verwaltungseinnahmen Listen gefiihrt werden. Nur in grofien Behorden sind besondere Beamte oder gar besondere Abteilungen mit der Bewirtschaftung der laut Haushaltsplan zugewiesenen Mittel betraut; diese Aufgabe obliegt bei kleineren Behorden dem Leiter selbst. „Der Zahigkeit und dem Verhandlungsgeschick, der Geschmeidigkeit und wirtschaftlichen Einsicht, der Erfahrung und der Phantasie der Sachbearbeiter des Haushalts verdankt der Bundeshaushaltsplan es nicht zuletzt, wenn er gut oder schlecht, erfolgreich oder nicht durchgefiihrt werden kann." 72 Entbehrliche Kassenmittel miissen nach der Reichskassenordnung sofort auf das Bundeskonto bei der Deutschen Bundesbank abgefiihrt werden. Die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel als solche, also die Vereinnahmung und Verausgabung der angesetzten Betrage, ist in der modernen Verwaltung durch die funktionelle Trennung der Kassen- von den eigentlichen Verwaltungsbehorden gekennzeichnet, wie sie zuerst in Frankreich durchgefiihrt worden ist; spater ist auch die Trennung zwischen den Einnahmen71 72
Grundsatz der Spezialitat, vgl. § 10. Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 518.
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und den Ausgabenkassen iiblich geworden, „wobei man aber beachten mufi, dafi sie in ihrem Grundprinzip sicher einige tausend Jahre alt ist" 73. An die Stelle der althergebrachten eigenen Kassenorganisation der ofTentlichen Hand ist in manchen Landern, insbesondere in England, die Zentralnotenbank in ihrer Eigenschaft als „Hausbank" des Staates getreten; weder die Treasury (Finanzministerium) noch der Paymaster General (Staatshauptkasse) oder die einzelnen ausgabeberechtigten Verwaltungen besitzen eigene Kassen, statt dessen aber Konten bei der Bank von England, iiber die sie verfiigen konnen. Abweichungen von den im Haushaltsplan niedergelegten Betragen treten in erster Linie naturgemafi bei den Einnahmen auf; vor allem die Voranschlage des Steueraufkommens besitzen, von Ausnahmen (Repartitionssteuern) abgesehen, den Charakter blofier Schatzungen 74. Ahnlich stent es mit manchen Sachausgaben, deren Umfang audi durch vorher eingeholte Kostenvoranschlage nicht immer genau vorausbestimmt werden kann; sofern sich dadurch die Gefahr einer HaushaltsUberschreitung ergibt, ist vor der Zahlungsanweisung die ausdriickliche Zustimmung des Finanzministers einzuholen (Art. 112 GG). Dem Zweck rationeller Bewirtschaf tung der Haushaltsmittel dient weiterhin ein besonderes Verfahren, das aufier in der Bundesrepublik Deutschland auch in Schweden und in den Vereinigten Staaten eingefuhrt worden ist, die sog. Betriebsmittelzuweisung; dem Finanzminister bleibt es vorbehalten, die im Haushaltsplan vorgesehenen Mittel so freizugeben, dafi die Ausgaben unter Beriicksichtigung der tatsachlichen Einnahmeneingange bestmoglich an die jeweilige Kassenlage angepafit werden. F. Neumark weist darauf hin, dafi diese Befugnis des Finanzministers die Selbstandigkeit und Verantwortung der iibrigen Minister empfindlich beeintrachtigen und u. U. Anlafi zu politischen Streitigkeiten geben kann; „dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn einmal gewisse Verwaltungen sich durch (objektiv notwendige) Einschrankungen in der Zuweisung von Betriebsmitteln seitens des Finanzministers benachteiligt fiihlen und zum anderen das Parlament feststellen mufi, dafi Budgetbewilligungen, deren Verausgabung es ausdriicklich gewiinscht hat, faktisch nicht oder nur zu einem geringen Teil von der Regierung in Anspruch genommen werden" 75. Die Durchfuhrung des Haushaltsplanes bei Bund, Landern und Gemeinden flndet ihren Niederschlag in der sog. Rechnung, die noch heute, auch nach der Neuregelung von 1969, die inhaltlich den §§ 72—77 der R H O entspricht, mit Ausnahme der Erwerbsunternehmen der offentlichen Hand, nach
73 74 75
Heinig, K.: Das Budget, Bd. I, a.a.O., S. 167. Neumark, F.: Theorie und Praxis der Budgetgestaltung, a.a.O., S. 570. Neumark, F.: Theorie und Praxis der Budgetgestaltung, a.a.O., S. 571.
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den Methoden der Kameralistik 76 gefiihrt wird (vgl. §§ 38 f. HGrG, 81 fT. BHO). Dabei wird jede Ausgabe und jede Einnahme zuerst „angewiesen" oder „ins Soil gestellt" und bei der Auszahlung bzw. Einzahlung im „Ist" verbucht; die Differenz zwischen Soil und 1st ist der sog. „Rest", der entweder Bestand, Schuld oder Forderung sein kann. Neben den Sachkonten wird ein besonderes Kassenbuch gefiihrt, das alle Einnahmen und Ausgaben im Soil und Ist enthalt; daneben gibt es Sach- oder Naturalverzeichnisse fiir die verschiedensten Zwecke. Unabhangig von dieser laufenden Verbuchung der Betrage bei Anweisung und Zahlung wird in einer besonderen Rechnung — den bereits erwahnten Haushaltsuberwachungslisten — die Einhaltung des Haushaltsplans mittels eines Vergleichs der tatsachlich erfolgten Zahlungen mit den Planzahlen kontrolliert, um Haushaltsersparnisse oder -iiberschreitungen auf den einzelnen Titeln sogleich festzustellen. In den USA weist das Budgetamt des Prasidenten den Bundesbehorden die bewilligten Mittel vierteljahrlich zu und priift gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit ihrer Verwendung. Lafit sich eine offentliche Aufgabe mit geringeren Mitteln durchfuhren als dafiir vorgesehen sind, so behalt das Budgetamt die uberfltissigen Mittel ein und stellt sie in Reserve. Das Budgetamt hat also bei der Durchfiihrung des Haushaltsplans recht weitgehende Befugnisse, wie sie ahnlich in Deutschland keiner Stelle zustehen; dies mag im Interesse einer sparsamen Wirtschaf tsfiihrung durchaus wiinschenswert sein, bewirkt aber zweifellos eine Schmalerung der gesetzgebenden und die Exekutive bindenden Macht der Volksvertreter. In sachlicher Hinsicht ist jedoch eine Kontrolle durch eine der Exekutive fernstehende dritte Stelle regelmafiig wirksamer als die Selbstkontrolle der Verwaltung oder eine lediglich nachtragliche Rechnungspriifung, wie sie in den meisten europaischen Landern iiblich ist. Von den speziellen Formen der Finanzkontrolle sowie ihrer Rolle als Mafistab einer ordnungsmafiigen Finanzgebarung und dariiber hinaus als Erfolgsmafistab finanzpolitischen Handelns wird in anderem Zusammenhang noch ausfiihrlich die Rede sein 77.
76 Vgl. hierzu Held, G.: Theorie der Kameralredinung, Wiesbaden 1951; Winkelmann, H.: Kameralistische und kaufmannische Redinungslegungen in offentlichen Verwaltungen und Betrieben, Berlin 1950; Schnettler, A.: Dffentliche Betriebe, Essen 1956, 5.184 6°.; Sdinettler, A., und Ahrens, H.: Art. Rechnungswesen, in: Handworterbuch der Sozialwissensdiaften, 8. Bd., Stuttgart-Tubingen-Gottingen 1964, S. 738 f. 77 Vgl. § 42.
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B. Die treibenden Krafte § 14. Eigenart und Dynamik der parlamentarischen Beschlufifassung Die Wirklichkeit der finanzpolitischen Meinungs- und Willensbildung weicht von den dargestellten verfassungsrechtlichen N o r m e n und formalen Zustandigkeitsregelungen in vielen Beziehungen a b ; will die Finanzwissenschaft mehr sein als ein einfacher Paragraphenkatalog des geltenden Finanzund Haushaltsrechts, so k a n n sie sich nicht allein mit einer Betrachtung dieser Fassade begniigen, hinter der sich die wirklich entscheidenden Vorgange abspielen. Es gilt vielmehr, zu den treibenden Kraften der finanzpolitischen Meinungs- und Willensbildung selbst vorzudringen, wie sie in der Eigenart und D y n a m i k der parlamentarischen BeschluiSfassung wirksam sind und im Zusammenspiel zwischen der Exekutive, dem vorparlamentarischen R a u m und der offentlichen Meinung zutage t r e t e n 7 8 ; viele der Mangel und K l i p pen einer rationalen finanzpolitischen Willensbildung, wie sie sich im Alltagsleben der Finanzwirtschaft beobachten lassen, sind nicht zuletzt erst aus dem Kraftespiel dieser Faktoren zu erkennen und zu verstehen. Die Eigenart der parlamentarischen Beschlufifassung in ihrer Bedeutung fur die finanzpolitische Meinungs- und Willensbildung ist von der Finanzwissenschaft bisher vielfach vernachlassigt worden. Die traditionelle Theorie der Finanzpolitik begniigte sich in der Regel damit, den Instanzenzug zu beschreiben, in dem der Haushaltsplan zustande kommt, und erorterte d a r iiber hinaus lediglich noch den phasenmafiigen Ablauf des Haushaltskreislaufs 79 . Mit dieser gewissermafien statischen Betrachtung eines in Wirklichkeit dynamischen Vorganges versperrte sie sich den Zugang zur Erkenntnis von der Bedeutung, die diesem Instanzenweg mit seinen zahlreichen Klippen und Hindernissen fur das Zustandekommen und die Q u a l i t a t des Haushalts wie jedes anderen Gesetzes zukommt; nur zu leicht erscheint ihr das so zustandegekommene Gesetz als echter Ausdruck des Willens der Gesamtheit, der die Frage danach ausschliefit, ob das Ergebnis gut oder schlecht, richtig und zweckmafiig oder falsch oder wenigstens unzweckmafiig ist. Noch bedenklicher ist es, wenn die Theorie den eigentlichen Prozefi der Beschlufifassung vollig vernachlassigt; allzugern ergibt sich daraus der Eindruck, als handle es sich bei diesem Ablauf um ein lediglich organisatorisches Problem und urn eine Technik der Entscheidung, aus der sich ein straffes und sachgerechtes 78 "In the legislature, as in the executive, and probably not more so, budgetmaking is a political process, conducted in a political arena for political advantage. The legislature, like the budget, will reflect the integrating forces in a government which produce something that may be called city or state or national policy. The legislature, like the budget, will also reflect partisan interest and sectional interests." (Burkhead, J.: Government budgeting, a.a.O., S. 307.) 79 So beispielsweise Lotz, W.: Finanzwissenschaft, a.a.O.; Heinig, K.: Das Budget, a.a.O.
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H a n d e l n der verantwortlichen Politiker mit gleichsam unendlicher Reaktionsgeschwindigkeit von selbst ergeben miifite 80 . Die besondere D y n a m i k der parlamentarischen Beschlufifassung, die dazu fiihrt, dafi die endgiiltige Form und der konkrete Inhalt der Beschlusse und Gesetze mitunter stark von den Vorstellungen und dem Willen des jeweiligen Gesetzesinitiators abweichen, tritt bei der parlamentarischen Meinungs- und Willensbildung auf dem Gebiet der Finanz- und Steuerpolitik besonders anschaulich in Erscheinung. So verschieden A r t und G r a d der Mitwirkung parlamentarischer Gremien an der politischen Meinungs- und Willensbildung in den einzelnen Verfassungen geregelt sind, so ist doch die besondere D y n a mik jeder kollektiven Beschlufifassung gemeinsam; in mehr oder weniger griindlichen Beratungen grofierer oder kleinerer Gruppen, Versammlungen oder Korperschaften miissen gemeinschaftliche Beschlusse gefafit werden, deren Zustandekommen von der einfachen oder qualifizierten Mehrheit, wenn nicht von der einheitlichen Zustimmung aller Anwesenden oder gar aller Stimmberechtigten abhangt. Angefangen von der schweizerischen „Referendumsdemokratie", die konkrete Gesetzentwiirfe unmittelbar ihrem „Souveran", namlich der stimmberechtigten mannlichen Bevolkerung, zur Entscheidung vorlegt, bis zur Delegation der politischen Willensbildung an Parlament und Regierung auf viele J a h r e hinaus, wie sie sich im Verfassungsleben der grofien westlichen Demokratien herausgebildet hat, steht jedes Gemeinwesen vor der Aufgabe, in grofien und kleinen Fragen des Gemeinschaftslebens aus einer Vielzahl der Meinungen, Oberzeugungen und Interessen zu sachlichen und innerlich von der Mehrheit gebilligten Entscheidungen zu gelangen; diese kollektive Willensbildung steht in alien Verfassungsund Regierungsformen im wesentlichen vor den gleichen Problemen. Die Grundfrage, ob Kollektiventscheidungen iiberhaupt geeignet sind, politische Probleme in staatsmannischer Weisheit oder wenigstens im Sinn der praktischen Vernunft rational und zweckmafiig zu losen, ist oft bezweifelt oder schlechthin verneint w o r d e n :
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Musgrave bezeidmet die Beschaftigung mit der finanzpolitischen Willensbildung zum Zwecke einer optimalen Gestaltung des offentlichen Haushalts als eines der „central problems in the theory of public finance that no serious student of the subject can afford to disregard" (Musgrave, R. A.: The Theory of Public Finance, a.a.O., S. 133). Freilich stellt er am Ende seiner feinsinnigen Analyse uber die theoretischen Formen der politischen Haushaltsabstimmungen durch den Wahler etwas resigniert fest, dafi das Ergebnis inconclusive" ist; nicht zu Unrecht betont hierzu Recktenwald, dafi diese „einseitig-6konomische Interpretation" von Musgrave durch „ein Studium des Prozesses der soziologisch-politischen Willensbildung, wie er sich tatsachlich vollzieht", erganzt und verbessert werden miisse (Recktenwald, H. C : Eine Theorie der Staatswirtschaft, Bemerkungen zu Richard A. Musgraves Werk „The Theory of Public Finance", Jahrbucher fiir Nationalokonomie und Statistik, Bd. 175, 1963, S. 84).
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„ Jeder, sieht man ihn einzeln, ist leidlich klug und verstandig; sind sie in corpore, gleich wird euch ein Dummkopf daraus." 81 Die Massenpsychologie Le Bons spricht von der „verdummenden Wirkung" des Kollektivs, in dem die bewufite Personlichkeit mit ihrer Intelligenz, ihren Hemmungen und hoheren Anspriichen unterzugehen pflegt: „Entscheidungen iiber allgemeine Fragen, die von einer Versammlung hervorragender, aber verschiedenartiger Leute getroffen werden, sind solchen Entscheidungen, welche eine Versammlung von Dummkopfen treffen wiirde, nicht merklich iiberlegen." 82. Le Bon erklart diese Erscheinung mit der eigentiimlichen „Kollektivseelec<, die sich in jeder Masse bilde und die sich nur auf dem Niveau der niederen, also der alien gemeinsamen Qualitaten stabilisieren konne; C. G. Jung spricht von den „primitiveren Archetypen", die in dieser Kollektivseele aktiviert werden und die sich mehr durch Leidenschaftlichkeit und Willensstarke als durch Intelligenz auszuzeichnen pflegen 83. Das Gefiihl der Sicherheit, das sich in jeder Masse einstellt, verbindet sich mit einem Mangel an Verantwortungsgefiihl und der allgemeinen „enthemmenden" Wirkung des In-der-Masse-Seins 84 ; die Grausamkeit einer entfesselten Masse erklart sich daraus ebenso wie ihr Heldenmut, nicht zuletzt aber auch ihre Anfalligkeit fur platte Schlagworte und fur den Appell an das Gefiihl, an die Triebregungen der tieferen Schichten. „Alte Erfahrung zeigt, dafi in jeder grofieren Versammlung der Appell an das Gefiihl weit mehr ziindend ist als nuchterne sachgemaCe Belehrung. Das ganze Geheimnis des Schlagwortes liegt darin, dafi Gefiihlsregungen in Bewegung gesetzt werden, ohne dafi dem einzelnen der Gedankeninhalt des Schlagwortes zum Bewufitsein kommt." 85 Diese Erkenntnisse der Massenpsychologie, die lange Zeit hindurch als absolute Wahrheiten iiber die psychischen Funktionen nicht nur in der eigentlichen „Masse", sondern analog auch in alien sonstigen Gruppensituationen galten, mufiten zunachst als vernichtendes Urteil iiber jegliche Form und Prozedur der demokratischen Willensbildung als solcher, ja jeder kollektiven Beschlufifassung schlechthin erscheinen. „Behielte Le Bon mit seinen Anschauungen recht, so wiirde das weitgehende Konsequenzen fiir eine demokratische Regierungsform haben. Veranlafit durch die ernste Bedeutung solcher Konsequenzen wurde eine grofie Anzahl von Untersuchungen angestellt, in denen der Frage nachgegangen wurde, ob die Gruppensituation auf das Urteil einen giinstigen oder einen ungiinstigen Einflufi ausiibe; die 81
Schiller, Friedrich v.: Gedichte, III. Periode, in: Samtlidie Werke, Bd. I, Stuttgart 1873, S. 346. 82 Le Bon, G.: Psychologie der Massen, in: Kroners Taschenausgabe, Bd. 99, Stuttgart 1950, S. 16. 83 Jung, C. G.: Psychologische Typen, 8. AufL, Zurich 1950. 84 LeBon, G.: Psychologie der Massen, a.a.O. 85 Helfritz, H.: Allgemeines Staatsrecht, 5. Aufl., 1949, S. 47.
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Fragestellung wurde ferner dahin erweitert, ob das Gruppenurteil, worunter das arithmetisdie Mittel aller einzelnen Urteile verstanden wurde, besser sei als die Urteile einzelner." 86 In einer grofien Anzahl experimenteller Untersuchungen fand F. H. Knower 87, dafi zwar 8 5 % seiner Versuchspersonen einer Beeinflussung ihres Urteils durchaus zuganglich waren, dafi dabei aber sachliche und emotionale Argumente in gleichem Mafie wirksam waren, wobei sich die mannlichen Personen starker durch sachliche Argumente, die weiblichen starker durch emotionale beeinflussen liefien. Andere Versuche fuhrten Sherif88 zu ahnlichen Ergebnissen; in der Gruppensituation entstehen zwar andere, keineswegs aber unbedingt geringerwertige Urteile, zumal nach einer Feststellung von Jenness 89 die intelligenzmafiig weniger begabten Individuen dazu neigen, ihr Urteil in der Richtung derjenigen Mitglieder der Gruppe zu korrigieren, die die besseren Voraussetzungen zu einer adaquaten Urteilsbildung mitbringen. Hinzu kommt das Phanomen der Suggestion und der unter den einzelnen Mitgliedern einer Gruppe hochst ungleich verteilten Suggestibilitat; die Wirkung iiberragender Personlichkeiten, die die Meinungsbildung der Gruppe aufier mit sachlichen Argumenten audi mit ihrem Prestige beeinflussen und lenken konnen, erschopft sich nicht in diesem oder irgendeinem anderen „Einflufi", sondern ergibt sich als Resultante aller nur denkbaren Ausstrahlungen von Mensch zu Mensch im allgemeinen und von dem „Fuhrerc< zur Gruppe im besonderen. Auf diese und eine Reihe weiterer in- und auslandischer Untersuchungen gestiitzt, entwickelte Peter R. Hofstatter seine Theorie der „ Gruppendynamik" 90, die er mit einer eingehenden Kritik der Massenpsychologie von LeBon bis zu Ortega y Gasset und ihren Nachfolgern verband; es geht ihm um die „von Le Bon in Abrede gestellte Behauptung einer leistungsmafiigen Oberlegenheit der Gruppe", wobei er darauf hinweist, „dafi Le Bon die Gruppe gar nicht kennt; er sieht diese vor lauter Masse nicht" 91. Nur wenn eine Menge, z. B. im Falle der Panik, unstrukturiert zu handeln beginnt, ist sie eine Masse; sowie sie sich aber strukturiert, insbesondere Fuhrerrollen herausbildet, wird sie zu einer Gruppe. Von diesem Ausgangspunkt aus fuhrt Hofstatter auf Grund reichen empirischen Materials den Nachweis, dafi 86
Sodhi, Kripal Singh: Urteilsbildung im sozialen Kraftfeld, Gottingen 1953,
S. 14.
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Knower, F. H.: Experimental studies of dianges in attitudes. — A study of the effect of oral argument on dianges of attitudes, Journal of Social Psychology, Bd. 6, 1953, No. 3. 88 Sherif, M.: A study of some Social Factors in Perception, Archives of Psychology, 1935, No. 187; ders.: Group Influences upon the Formation of Norms and Attitudes, Readings in Social Psychology, New York 1947. 89 Jenness, A.: The Role of Discussion in Changing Opinion Regarding a Matter of Fact, Journal of Abnormal and Social Psychology, Bd. 27, 1932/33. 90 Hofstatter, Peter R.: Gruppendynamik, Kritik der Massenpsychologie, rowohlts deutsche enzyklopadie, Bd. 38, Hamburg 1957. 91 Hofstatter, Peter R.: Gruppendynamik, a.a.O., S. 21 f. 7
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Gruppenentscheidungen nicht nur ebenso „vernunftig" sein konnen wie die Entscheidungen einzelner, sondern dafi sich aus der Gruppendynamik im Regelfall fiir alle denkbaren Gruppenleistungen sogar ein Leistungsvorteil der Gruppe gegeniiber dem Individuum ergibt. Schon vor fast einem halben Jahrhundert hatte Mac Dougall die Meinungsbildung der Gruppe iiberschwenglich gepriesen: „Die Gruppenhandlungen werden im Gegenteil wirkliche Willensakte, die einen Grad von Intelligenz und Moral erreichen, der viel hoher liegt als der des durchschnittlichen Mitglieds der Gruppe. Das heifit, das Ganze erhebt sich liber die Stufe des Durchschnitts, und sogar, auf Grund der Steigerung, der Erregung und der organisierten Zusammenarbeit bei der Beratung, liber die Stufe der hochststehenden Mitglieder." 92 Diese Ausmalung der Vorziige kollektiver Urteilsbildung bezieht sich auf die politische Sphare; „wir werden kaum fehlgehen, wenn wir in dieser Schilderung eine Art Portrait des englischen Parlamentarismus erblicken", schreibt Reiwald 93 . Dafi sich die Beratungen moderner parlamentarischer Gremien nicht mit den Mafistaben messen lassen, die Le Bon aus den ziigellosen Exzessen der revolutionaren Masse oder den Uberschwenglichkeiten der ersten franzosischen Nationalversammlung abstrahiert hat, unterliegt jedenfalls keinem Zweifel; nichtsdestoweniger ist auf der anderen Seite jede kollektive Urteilsbildung von einer ihr eigentiimlichen Dynamik gepragt, auf die neben gewissen sozialpsychologischen auch institutionelle Einfliisse wirken. Diese Dynamik macht sich in Entscheidungen liber Geld- und Finanzfragen besonders eindringlich bemerkbar; nicht ohne Grund waren in der Weimarer Verf assung Finanz- und Steuervorlagen von der Beschlufifassung im Wege des Volksentscheids ausgeschlossen, um die auf diesen Gebieten besonders naheliegende Gefahr demagogischer Umtriebe und unsachlicher Entscheidungen nach Moglichkeit auszuschalten 94. In diesem breiten Spannungsfeld zwischen dem vernichtenden Urteil Le Bons iiber die Urteilslosigkeit der Massen und der enthusiastischen Lobpreisung der Gruppenentscheidungen bei Mac Dougall liegt die ganze Dynamik der parlamentarischen Meinungs- und Willensbildung als theoretisches und empirisches Untersuchungsgebiet der Finanzpsychologie. Die beiden traditionellen Grundannahmen des demokratischen Prinzips, der „ common man", nicht der Experte, wisse um die beste Losung der die Gemeinschaft beriihrenden Probleme, und die offentliche, frei gefiihrte Diskussion fiihre in einer Art „Balance der Meinungen" zu der einen „richtigen" Losung, sind 92 Mac Dougall, William: The Group-Mind, a sketch of the principles of collective psychology, with some attempt to apply them to the interpretation of national life and character, Cambridge 1920, S. 55. 93 Reiwald, P.: Vom Geist der Massen, in: Handbuch der Massenpsychologie, 3. Aufl., Zurich 1948, S. 178. 94 "Ober das Verhalten des Menschen zum Gelde vgl. Schmolders, G.: Psychologie des Geldes, Reinbek b. Hamburg 1966; ders.: (mit Scherhorn, G. und Schmidtchen, G.) Der Umgang mit Geld, a.a.O.
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vor dem Hintergrund der realen politischen Wirklichkeit zu durchleuchten. Dabei zeigt sich, dafi es flir die Eigendynamik der parlamentarischen Beschlufifassung in besonderem MaCe zunachst einmal auf die Grofie und Zusammensetzung des die Gesamtbevolkerung je nach dem geltenden Wahlsystem mehr oder minder reprasentierenden Parlaments ankommt. An der Wiege des modernen Parlamentarismus stand das Recht der Stande, der Krone die Erhebung von Steuern und Abgaben zu bewilligen; mit der Ausdehnung des Stimmrechts auf weite Kreise der Nichtbesitzenden verlor die Steuerbewilligung allmahlich jedoch mehr und mehr den Charakter eines eigenen Opfers der Bewilligenden. Die parlamentarischen Beschlusse iiber Staatsausgaben und Steuern spiegeln statt dessen seit der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts die Be- und Entlastungskampfe der im Parlament vertretenen Gruppen und Schichten wider; die Vertreter der Massenparteien folgen der Parole, die Lasten mehr und mehr dem „miifiigen Reichtum" aufzubiirden, die staatliche Fiirsorge dagegen in immer breiterem Rahmen den eigenen Anhangern zugute kommen zu lassen. Unvermerkt fuhrt dieser Prozefi, der mehr oder weniger ausgepragt in alien Landern zu beobachten ist, zu einer Umkehrung der Rollen; statt die Regierungen in ihrem finanziellen Ausdehnungsstreben zu ziigeln, erliegt das Parlament unter dem Einflufi seiner Mehrheitsparteien immer haufiger der Versuchung, grofiziigige Sozialmafinahmen und andere Ausgaben zu beschliefien, fur deren Deckung der Regierung die Sorge iiberlassen bleibt. Die Folge ist, dafi sich die gewahlte Administration, die doch im Grunde nur das ausfiihrende Organ der Legislative sein soil, um das von der Volksvertretung aufgestellte Programm durchzufiihren, gegen die Bewilligungs- und Ausgabefreudigkeit ihrer eigenen Auftraggeber zur Wehr setzt und versuchen mufi, diese Eigendynamik der parlamentarischen Beschlufifassung in Schranken zu halten; das Vetorecht der Bundesregierung gegen zusatzliche ausgabenerhohende oder einnahmenmindernde Beschlusse nach Art. 113 des Grundgesetzes ist das weithin sichtbare Zeichen dieses Rollentausches 95. In ahnlicher Weise helfen sich die Lander gegen die Ausgabefreudigkeit ihrer Parlamente 96. Die bayerische Verfassung sieht beispielsweise eine erneute Beratung solcher Beschlusse des Landtages, die die im Entwurf eingesetzten Ausgaben erhohen, auf Verlangen der Staatsregierung vor; iiber Angelegenheiten, die Ausgaben verursachen, flir die im Haushaltsplan kein entsprechender Betrag vorgesehen ist, kann der Landtag im iibrigen nur beschliefien, wenn er gleichzeitig fur die notwendige Deckung zu sorgen bereit ist. Auch in Hamburg besteht ein Einspruchsrecht des Senats gegen ausgabenerhohende Beschlusse der Burgerschaft, die gegebenenfalls wiederholt werden miissen und dann von einer qualifizierten Mehrheit abhangig sind; die Ver95 96
7*
Vgl. § 23. Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 123.
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fassung Berlins und die der meisten anderen Lander der Bundesrepublik enthalten ebenfalls derartige Sicherheitsvorkehrungen gegen die parlamentarische Bewilligungs- und Ausgabenfreudigkeit, die den erwahnten Rollentausch zwischen Exekutive und Legislative anschaulich zutage treten lassen. Uber diesen sich aus dem allgemeinen Wahlrecht sowie der Grofie und Zusammensetzung der Parlamente ergebenden „Rollentausch" hinaus haben sich Struktur und Dynamik der parlamentarischen Beschlufifassung heute unter dem quantitativen und qualitativen Zwang der Entscheidungen immer mehr nach zwei Richtungen verlagert: einmal breitet sich die „Herrschaft der Experten" 97 auch und gerade im Parlament aus, zum zweiten verlagert sich die parlamentarische Beschlufifassung zunehmend in die Ausschlisse und Fraktionen. Beide Tatsachen sind im Zuge der parlamentarischen Meinungsund Willensbildung vielfaltig sichtbar geworden; angesichts der Vielschichtigkeit der zur Entscheidung anstehenden Fragen ist es nicht mehr damit getan, die Regierung aus der Mehrheit des Parlaments zu bilden und in ihrem Sinne zu instruieren; die erhohte Handlungsfahigkeit des kleineren Gremiums ist unverkennbar. So bleibt zwar die Meinungsbildung im Parlament zunachst noch immer auch die personliche Sache eines jeden Abgeordneten; stellt ihn dabei jedoch die Vielfalt und Kompliziertheit der Fragen gerade in finanz- und steuerpolitischen Dingen oft vor unlosbare Probleme, so drangt ihn der Mangel an eigener Sachkunde in verstarktem Mafie in eine Situation, die die Psychologie als Grundlage eines allgemeinen Unsicherheitsgefiihls bezeichnet. Da „die Notwendigkeit, zu handeln, weiter reicht als die Moglichkeit, zu erkennen" (Kant) 9 8 , fiihlt sich der Mensch unserer heutigen Welt standig vomLeben iiberfragt: „Man sieht dies leicht ein, wenn man einmal schlicht iiberlegt, zu einem wie geringen Bruchteil der an ihn herantretenden Fragen der moderne Mensch denn iiberhaupt eine auf Erfahrung und eigenes Nachdenken fundierte Meinung haben kann. Heute will man von ihm wissen, ob die Einheitsschule besser sei als eine Aufsplitterung der Bildungswege; morgen, ob Planwirtschaft leistungsfahiger als das freie Unternehmertum; iibermorgen, ob alle Menschen gleichwertig seien. Ein anderes Mai hat er dariiber zu befinden, ob die Anlehnung der Politik seines Landes an den Nachbarn A oder B vorzuziehen sei, ob Butter oder Kanonen eine bessere Zukunft garantieren, ob der Gebrauch antikonzeptioneller Mittel zu beflirworten sei usw. usw." " Das bedriickende, aber ehrliche „Ich weifi nichtc< auf jede solcher Fragen wiirde die „Leicht-Fertigkeit" aller dennoch getroifenen Entscheidungen in eine hochst unpraktische „Nie-Fertigkeit" verwandeln; niemand kann sich 97 Kuhn, M.: Herrschaft der Experten, Gewerkschaftliche Monatshefte, Februar 1959,98 S. 65 ff. Vgl. auch Gehlen, A.: Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt, 7. AufL, Frankfurt/M-Bonn 1962, S. 303. 99 Hofstatter, Peter R.: Die Psychologie der offentlichen Meinung, Wien 1949, S. 4.
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im heutigen Leben ein Ausweichen in Lethargie und Entschlufilosigkeit leisten. Die Folge ist, dafi Entschlusse und Entscheidungen standig ohne hinreichende Gewifiheit von ihrer Richtigkeit und Zweckmafiigkeit getroffen werden miissen; der Preis dafur ist das weitverbreitete Unsicherheitsgefiihl gegenuber den Anforderungen des Lebens. Wenn diese „t)berforderung" sich schon im beruflichen und privaten Leben jedes einzelnen geltend macht, so in potenziertem Mafie im Parlament, dessen Mitglieder nicht nur die Notwendigkeit und sachliche Zweckmafiigkeit jeder Vorlage beurteilen, sondern auch fur ihre Koordinierung mit der Gesamtheit aller iibrigen politischen und wirtschaftlichen Mafinahmen sorgen sollen. Sachkunde und Uberblick des einzelnen Abgeordneten konnen dieser doppelten Aufgabe schlechterdings nicht gewachsen sein; infolgedessen ist es nur zu verstandlich, dafi der Abgeordnete geneigt ist, das sachkundige Urteil des Fachmannes als richtig anzuerkennen, selbst wenn es letztlich von dessen Interessen mitbestimmt ist oder einer anderen Betrachtungsweise entstammt, als sie dem Parlament ansteht. Diese hilflose Unselbstandigkeit der eigenen Meinungsbildung, die zu einem nauirlichen "Obergewicht der Meinungen von Sachverstandigen fuhrt, ist in unserer Kolner Forschungsstelle fiir empirische Sozialokonomik in Gemeinschaft mit dem Allensbacher Institut fiir Demoskopie durch eine Interviewbefragung eines reprasentativen Querschnitts aller Mitglieder des 3. Deutschen Bundestages und samtlicher Mitglieder des Finanzausschusses naher untersucht worden 10°. Im Mittelpunkt dieses Befragungsexperimentes stand die Problematik des sog. jjjuliusturmes" als Modellfall der volkswirtschaftlichen Interdependenzen zwischen Staatsausgaben, Steuerbelastung, Geldstillegung, Volkseinkommen, Beschaftigung, dem Exportiiberschufi und der gesamtwirtschaftlichen Liquiditat. Das Ergebnis zeigt — bei wohlwollender Eliminierung krasser Einzelerscheinungen — zwei grundsatzliche Bereiche, in denen sich das politische Denken der Abgeordneten je nach dem Grad ihres Fachwissens vollzieht. Im Bereich des „Sachdenkens" bildet sich die Meinung der wenigen Abgordneten, die durch Beruf oder langjahrige Tatigkeit in einem Ausschufi dem jeweiligen Fragenkomplex das notwendige Fachwissen entgegenbringen; hier kann der Abgeordnete die Zusammenhange nachvollziehen, die fiir die komplexen Tatbestande der Finanz- und Steuerpolitik kennzeichnend sind. Demgegeniiber ist im Bereich des „Formeldenkens" von einem eigenen, selbst erarbeiteten Urteil keine Rede; die meisten Abgeordneten orientieren sich an Schlagworten. In vorgedachten und vorgepragten Formeln und Beziigen denken zu konnen, ist freilich eine der bedeutsamsten Erleichterungen des Lebens, die der Mensch sich geschaffen hat 100 Schmolders, G.: Die Politiker und die Wahrung. Bericht iiber eine demoskopisdie Untersuchung der Meinungsbildung in Finanz- und Wahrungsfragen im Dritten Deutschen Bundestag, Sdiriftenreihe zur Geld- und Finanzpolitik, Bd. VI, Frankfurt (Main) 1959.
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(Gehlen: „Entlastungcc). Jeder Mensch steht taglich vor der Notwendigkeit, sich liber Probleme, die an ihn herantreten und von ihm entschieden werden miissen, eine Meinung zu bilden. Mufiten diese Meinungen jeweils neu entdeckt, durchdacht und gepriift werden, so blieben viele Probleme ohne Entscheidung; tatsachlich aber finden sich fiir die meisten bereits vorgebahnte Losungen. Sie konnen falsch, nicht anwendbar oder iiberholt sein; aber alle geistige Entwicklung vollzieht sich erfahrungsgemafi so, dafi lange Zeit hindurch kritiklos weitergereichte Meinungen eines Tages iiberpriift und durch andere ersetzt werden. In den Ergebnissen der erwahnten Untersuchung finden sich mehrere Beispiele fiir eine derartige Revision iiberholter Formeln; die Abgeordneten haben „aus der Vergangenheit gelernt" 101. Ausdruck dieser Entlastung durch vorgepragte Formeln ist eine deutliche Proportionality zwischen der Schwierigkeit der Materie und der Neigung zur Ubernahme derartiger Formeln, weiterhin aber auch die Verschiebung der Problematik auf die allgemeinere Ebene privater Lebenserfahrung; typisch hierfur war die Verlagerung der schwerverstandlichen geld- und wahrungspolitischen Problematik des Juliusturms auf eine mehr haushaltstechnisch-padagogische Ebene („der Staat soil nicht horten") oder gar auf die der privaten Erfahrung, die noch dazu witzig-eingangig formuliert war: „Kasse macht sinnlich." Diesem Denken in vorgepragten Formeln haftet solange keine unmittelbare Gefahr fiir den Bestand der demokratisch-parlamentarischen Ordnung an, als diese Formeln gewissermafien nur als „Orientierungshilfecc im Prozefi der politischen Meinungsbildung fungieren; problematisch wird jedoch die Herrschaft von Formel und Schlagwort, wenn sie als „Entscheidungshilfen<s iiber den Prozefi der Meinungsbildung hinaus bis in den Prozefi der Willensbildung eingreifen, dessen Schwergewicht sich gerade wegen des Fehlens des erforderlichen Sachverstandes immer mehr in die Ausschiisse verlagert, in denen die Fachleute zu Wort kommen. Diese Verlagerung der parlamentarischen Willensbildung in die Ausschiisse ist eine fiir alle modernen Parlamente symptomatische Erscheinung 102, die an vier aufierlich sichtbaren Tatbestanden abgelesen werden kann: an dem Anwachsen der Zahl der Ausschiisse, der Zunahme der standigen Fachausschusse, der steigenden Haufigkeit der Ausschufisitzungen und dem Ausbau eines eigenen biirokratischen Apparates fiir die Ausschiisse. Diese Entwicklung war schon im Weimarer Reichstag zu einem gewissen Abschlufi gekommen; in seinen 15, spater sogar 18 standigen Ausschiissen formte sich das System einer den gesamten Aufgabenbereich des Parlaments umschliefiende Willensbildung in Fachgremien, 101
Schmolders, G.: Die Politiker und die Wahrung, a.a.O., S. 135 f. Siehe hierzu insbesondere: Dechamps, B.: Macht und Arbeit der Ausschiisse, Der Wandel der parlamentarischen Willensbildung, Meisenheim am Glan 1954; Eschenburg, Th.: Staat und Gesellschaft in Deutschland, Stuttgart 1956, S. 547 ff.; Burneleit, H.: Feindschaft oder Vertrauen zwischen Staat und Wirtschaft?, Frankfurt (Main) 1961, S. 53 f. 102
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deren Erscheinung und Arbeitsweise Lambach treffend illustrierte: „Jeder Ausschufi ist so ein kleiner Reichstag fiir sich. Jeder hat seine Helden und Primadonnen. Jeder seinen besonderen Hausgeist, der ihn umwebt." 103 Vom Deutschen Bundestag wurde das Prinzip der standigen Ausschusse noch in weit grofierem Umfange aufgegriffen; in der ersten Legislaturperiode bestanden zeitweilig nicht weniger als 39 standige Ausschusse, deren Zahl in der fiinften Legislaturperiode immerhin noch 23 betrug 104. Ursachlich fiir diese grofie Zahl der Ausschusse ist neben der Einrichtung besonderer durch die Nachkriegsverhaltnisse bedingter Ausschusse (Gesamtdeutsche Fragen, Wiedergutmachung, Lastenausgleich usw.) die Griindung neuer Fachausschiisse besonders auf dem Gebiet der Wirtschafts-, Finanz- und Wahrungsfragen. In der Tat stehen aber neben wenigen iibergeordneten fachlichen Ausschiissen (z. B. Haushaltsausschufi) zahlreiche mehr oder minder „einfarbige" Ausschusse, in denen sich bestimmte Verbande und Interessengruppen konzentrieren und denen man mit Breitling die Bezeichnung „Verbandsinseln" beizulegen versucht ist 105 . Ein Beispiel hierfiir bildet der Ausschufi fiir Ernahrung, Landwirtschaft und Forsten, der zu mehr als drei Vierteln mit „Interessenten
(Aus: Lohmann, K.: Der Deutsche Bundestag, Frankfurt/M. und Bonn 1967, S. 74.) 105 Breitling, R.: Die Verbande in der Bundesrepublik, Meisenheim am Glan 1955, S. 128 ff. 106 YgL hierzu Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen fiir die Landwirtschaft, a.a.O., S. 93 f.
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Die zunehmende Verlagerung der parlamentarischen Willensbildung in die Ausschusse spiegelt sich in der Ausdehnung der Ausschufiarbeit und der Haufigkeit der Ausschufisitzungen. Auf Kollisionen mit Plenarsitzungen wird dabei kaum noch Riicksicht genommen; besonders die Beratungen des Haushaltsausschusses geniefien ein gewisses Vorrecht. Die Fraktionen sind verstandlicherweise daran interessiert, dafi ihre in die Ausschusse abgestellten Fachleute durch Plenarsitzungen nicht iiberfordert werden. Die Hauptarbeitslast der Ausschusse wiederum tragen ihre immer starker entwickelten biirokratischen Apparate und deren exponierte Vertreter, die Ausschufiassistenten 107. Aus diesem Strukturwandel der parlamentarischen Willensbildung ergibt sich zugleich der ihre Dynamik kennzeichnende Funktionswandel; die Ausschufiarbeit ist letztlich nur sinnvoll, wenn sie im Plenum nicht mehr wiederholt zu werden braucht. „Die Entwicklung zu einer immer grofieren, nicht nur institutionellen, sondern auch funktionellen Selbstandigkeit der Ausschiisse dem Plenum gegeniiber kam hauptsachlich in der immer deutlicheren Herausbildung der Ausschufiphase als einer eigenen Gesetzgebungsstufe neben den ublichen Lesungen im Plenum zum Ausdruck. Diese neue Phase im Gang der Gesetzgebung wurde im Zuge der Entwicklung bald die wichtigste und eigentlich entscheidende, wahrend die Lesungen im Plenum immer starker reglementiert, eingeengt und ausgetrocknet wurden. Vor allem die der Ausschufiphase folgenden Lesungen bufiten an verandernder Kraft erheblich ein und verloren ihren Debattencharakter zugunsten eines deklamatorischen." 108 Diese Entwicklung reizt dazu, die zur Entscheidung stehenden Vorlagen in die beiden Gruppen der eigentlich „politischen" und der mehr „technischen" Beschliisse zu teilen 109 . Ist es bei den letztgenannten schon zur Tradition geworden, sie sogleich in der ersten Lesung ohne Debatte dem entsprechenden Fachausschufi zu iiberweisen, um dem Plenum und der Offentlichkeit das ermudende Expertengesprach zu ersparen, so bieten vornehmlich die „politischen" Vorlagen Gelegenheit zu einer begriffs- und standpunktklarenden Grundsatzdebatte; freilich pflegt es zu einer solchen selten zu kommen, da sich die Sprecher der einzelnen Parteien meist nur recht vorsichtig und zunickhaltend aufiern, solange sie nicht in einer vorhergehenden Fraktions- oder Ausschufisitzung die Moglichkeit einer eigenen Meinungsbildung und Meinungsabstimmung hatten. Fragt man, in welche Kategorie die finanzpolitischen Vorlagen einzuordnen sind, so geblihrt ihnen zweifellos der Rang politischer Entscheidungen; der im Steuergesetz legalisierte staatliche Eingriff in das Privateigentum 107 108 109
Vgl. hierzu § 15. Dechamps, B.: Madit und Arbeit der Aussdnisse, a.a.O., S. 80. Ders.: ebenda, S. 80.
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ist stets ein Politikum ersten Ranges. Andererseits enthalten die Finanz- und Steuergesetze aber audi eine Fulle teils terminologischer, teils rein technischer Details, wie z. B. Begriffs- und Tatbestandsabgrenzungen, Tarife, Bemessungsgrundlagen usw., was sie gelegentlich der Gefahr aussetzt, unter dem Einflufi gewisser Interessengruppen mehr oder weniger zu rein technischen Gesetzen degradiert zu werden; mit diesem Pragestempel versehen, entschliipfen sie raoglicherweise der politischen Grundsatzdebatte iiber das „Ob", um in der Diskussion iiber das „Wie" dem blofien Expertengesprach anheimzufallen. Bei den besonders komplexen Tatbestanden der Finanzpolitik ist vielfach die gleichzeitige Oberweisung einer Vorlage an mehrere Ausschiisse unumganglich; ob die dadurch erforderlich werdende Koordinierung durch Beauftragung eines federfuhrenden Ausschusses oder durch die Einsetzung eines gemeinsamen Unterausschusses sachdienlich und zufriedenstellend gelost werden kann, erscheint durchaus problematisch. Nicht selten entwickelt sich bei dieser Art von Beschliissen iiber mehr technische Vorlagen die zweite Lesung zu einem reinen Expertengesprach; manchmal begniigt sich das Plenum sogar, nach einigen mitunter mehr propagandistischen als sachlichen Kommentaren der einzelnen Fraktionssprecher, mit der Abstimmung iiber den schriftlich vorliegenden Ausschufibericht, an die sich routinemafiig die Abstimmung in dritter Lesung anschliefit. Damit ist auch der zweite Abschnitt der parlamentarischen Beschlufifassung, die Phase der eigentlichen Willensbildung, praktisch abgeschlossen. In den spezifisch finanzpolitischen Beschliissen des Parlaments zeigt sich dabei nicht selten, dafi auch die ihrem Charakter nach finanzpolitischen" Gesetze auf dem Umweg iiber ihre „Technisierung" in immer starkerem Mafie in die mehr oder minder autonomen Expertengremien verlagert werden; liegt darin einerseits der grofie Vorteil groCerer Fachlichkeit von der Materie her, so wird dadurch doch wiederum jener Spezialisierung und Schematisierung der parlamentarischen Beschlufifassung Vorschub geleistet, wie sie die Zerlegung der Materie in einzelne, zur Beratung vorgelegte Punkte und die Eigenart der Abstimmung mit „jacc oder „nein" ohnehin nur zu leicht mit sich bringt. Dieser Vorgang ist bereits auf der untersten Stufe der politischen Willensbildung, bei den Wahlen zum Parlament, ebenso wie bei Volksabstimmungen anderer Art zu beobachten. Der Wahler kann sich nur entweder positiv oder negativ zu ganzen Parteien, Organisationen und sogar „Weltanschauungen" aufiern, ohne im einzelnen Abstriche oder Vorbehalte machen zu konnen n o . Vollends im Plenum wird zu dem vom Ausschufi vorbereiteten Entwurf, gegebenenfalls auch zu den eingehenden Anderungsantragen, letztlich nur mit „ja" oder „nein" abgestimmt. Dadurch kommt es 110
Den Endpunkt dieser Entwicklung bildet das Zweiparteiensystem, das die vielerlei politisdien Meinungsversdiiedenheiten der Wahler gewissermaEen auf eine einzige Alternative zusammenstreicht. Vgl. Maclver, R. M.: Regierung im Kraftefeld der Gesellschaft, Frankfurt 1947, S. 205.
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zwar stets zu einer mehr oder weniger schematischen, routinemafiigen „Erledigung" der einzelnen Vorlagen und Punkte; fur ihre Koordinierung zu einer systematischen Gesamtkonzeption, ja auch nur fiir ihre Ubereinstimmung mit der bisher verfolgten Linie der Politik ist aber keine Gewahr gegeben, ganz zu schweigen von einer konsequenten und gleichmafiigen Weiterbildung des Staats- und Wirtschaftsaufbaus im ganzen, zu dem haufig die eine oder andere Teilmafinahme in Widerspruch steht. Ein Beispiel ist die „punktuelle" Behandlung des Besteuerungsproblems nach Steuergesetzen an Stelle der Gesamtkonzeption eines in sich ausgewogenen Steuer,,systems"; liber einen Einkommensteuertarif abzustimmen, ohne gleichzeitig die Steuersatze und Befreiungsvorschriften der Umsatzsteuer und samtlicher Verbrauchssteuern zu fixieren, diirfte eigentlich, rational betrachtet, ebensowenig zulassig sein wie eine isolierte Beschlufifassung beispielsweise iiber steuerliche Vergiinstigungen fiir einzelne Gruppen von Wertpapieren, die im Ergebnis zu „Diskriminierungen" fiihren m . Neben die durch ihr spezifisches Expertentum gekennzeichneten Ausschiisse treten als Trager des primar politisch orientierten Willensbildungsprozesses die Fraktionen; der weitgehend institutionelle und funktionelle Zusammenhang zwischen diesen beiden tragenden Gremien der parlamentarischen Willensbildung darf jedoch nicht iibersehen werden: „die Fraktionen fassen die Ausschufimitglieder und diese sich selbst ausnahmslos als Fraktionsdelegierte aufcc 112. Immerhin befreit die Willensbildung in der parlamentarischen Gruppe, der er angehort, den einzelnen Abgeordneten von der Last der Verantwortung fiir manche Beschliisse, fiir die er sich nicht geniigend zustandig fiihlt oder denen er nicht aus ganzem Herzen zustimmen kann. Ganz von selbst bildet sich so eine gewisse Fraktionsdisziplin heraus, die eine Stimmabgabe entgegen der der eigenen Parteifreunde verbietet oder doch zur seltenen Ausnahme werden lafit; in Kampfabstimmungen kommt es dariiber hinaus zum „Fraktionszwang", der Verpflichtung der Fraktionsmitglieder, an der Abstimmung unter alien Umstanden teilzunehmen und im Sinne des Fraktionsbeschlusses zu stimmen 113. 111 Schmolders, G.: Ist die Aktie steuerlich diskriminiert? Ein Beitrag zum Konflikt zwisdien formaler und wirtschaftlicher Betraditungsweise im Steuerredit, in: Steuer und Wirtschaft, 31. Jg., Nr. 3, Marz 1954. 112 Dechamps, B.: Madit und Arbeit der Ausschiisse, a.a.O., S. 148. 113 „Man macht sich von der Einrichtung des Fraktionszwanges oft recht iibertriebene Vorstellungen. Es kommt nur selten vor, da£ eine Fraktion formlich Fraktionszwang beschlie£t. Wo Gewissensfragen angesprochen sind (Todesstrafe, Redit auf Verweigerung des Kriegsdienstes, Religionsfragen und ahnliches) ist Fraktionszwang meines Wissens noch nie beschlossen worden". (Schmid, Carlo: Der Deutsche Bundestag in der Verfassungswirklichkeit, in: Finanzwissenschaft und Finanzpolitik, Tubingen 1964, S. 277.) Im englischen Unterhaus sorgt ein besonderer Parteifunktionar, der sog. „Einpeitscher", fiir die piinktliche Teilnahme der Fraktionsmitglieder an alien wichtigen Abstimmungen und fiir ihre „richtige" Stimmabgabe. „Wenn ein neuer Abgeordneter ins Unterhaus einzieht, unterschreibt er dem ,Einpeitscherc seiner Partei ein Formular ohne Datum: ,Ich erklare, daft ich mein Mandat niederlege/ Dieses Formular liegt dann im Tressor und kann jederzeit
§14. Eigenart und Dynamik der parlamentarischen Beschluftfassung
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Da die Fraktion ihre Stimmen nicht selten in die Waagschale wirft, urn im Wege eines Kompromisses moglicherweise auf ganz anderem Gebiet liegende taktische oder politische Gegenleistungen zu erlangen, sieht sich der einzelne Abgeordnete gelegentlich unter den Befiirwortern einer Mafinahme, die ihm personlich keineswegs liegen mag; der herabsetzende Ausdruck „Kuhhandelcc fiir derartige interfraktionelle Abmachungen andert nichts daran, dafi es sich dabei im Grunde urn eine natiirliche Folgeerscheinung aus der Eigenart der parlamentarischen Willensbildung handelt. In flnanz- und steuerpolitischen Fragen wirkt andererseits ein solcher „Kuhhandel
Vgl. § 12.
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Die finanzpolitische Willensbildung
§ 15. Das Obergewicht der Exekutive Die Tatsache, da£ die Exekutive in den westlichen Demokratien und selbst in den supranationalen Behorden ein betrachtliches Obergewicht gegeniiber der Legislative erlangt hat, wird allenthalben mit gewisser Sorge betrachtet 1 1 6 . So hat bereits vor Jahren das englische Unterhaus mit ziemlichem Unbehagen festgestellt, dafi die Verwaltungsburokratie annahernd das Zehnfache an materiell-rechtlichen Gesetzesbestimmungen und Anordnungen herausgibt wie das Parlament; bezeichnend sei dabei, dafi die Sprache, in der diese Anordnungen ergehen, den meisten Parlamentsmitgliedern gar nicht mehr voll verstandlich sei, da diese „Manager c< ihren „eigenen P r i v a t - J a r gon" eingefiihrt hatten 117 . Der wachsende Einflufi der Verwaltung, der sicli iiberall in einer zunehmenden Verwischung der Gewaltenteilung aufiert, lafit die Exekutive in immer starkerem Mafie zu einer eigenen unter den „treibenden Kraften" der finanzpolitischen Willensbildung werden. „In einem modernen Staat liegt die wirkliche Herrschaft, welche sich ja weder in parlamentarischen Reden noch in Enunziationen von Monarchen, sondern in der H a n d h a b u n g der Verwaltung im Alltagsleben auswirkt, notwendig und unvermeidlich in den H a n d e n des Beamtenturns." 118 Der T a t bestand, der dieser Erfahrung zugrunde liegt, ist von der Soziologie als „ rational vergesellschaftetes Gemeinschaftshandeln eines Herrschaftsgebildes" erkannt und in seinem Typus als „Burokratie" umschrieben w o r d e n 1 1 9 . Erweckt das W o r t „Burokratie" beim Durchschnittsburger unvermeidlich die gedankliche Assoziation mit einer unentrinnbaren Tretmiihle umstandlicher und lastiger Behorden, komplizierter Paragraphen und sich haufender Aktenstapel, also jener Erscheinungen, denen der Begriff etymologisch seinen Ursprung v e r d a n k t 1 2 0 , so wird diese negativ generalisierende Einstellung der Vielschichtigkeit des Phanomens Biirokratie nicht gerecht; auch die Ein116
Vgl. § 12. Mendelssohn, Peter de: Unbehagen in Westminster, Der Monat, Maiheft 1953. 118 Weber, M.: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutsdiland, in: Gesammelte Politische Schriften, Miinchen 1921, S. 129; R. Glaeser spricht von einer eindeutigen „Praponderanz der Exekutive" (Finanzpolitische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland, Volkswirtschaftliche Schriften, Heft 82, Berlin 1964, S. 115). 119 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl., 2. Halbb., Tubingen 1956, S. 550. 120 Biiro von lat. burrus = feuer-, scharlachrot, franz. bure = grober Wollstoff. Die in den Amtsraumen aufgestellten Schreib- und Zahltische wurden mit einem solchen Wollstoff iiberzogen und daher bureau genannt. Das Wort Biirokratie = Schreibtischherrschaft soil in der Mitte des 18. Jahrhunderts als Schimpf- und Spottwort entstanden sein und wird dem Physiokraten V. de Gournay zugeschrieben, von dem audi der Satz des „Laissez faire . . . " stammen soil. Immerhin ist psychologisch interessant, da£ der Begriff Biirokratie seine etymologische Zusammensetzung einer negativen Attitude gegeniiber dem Lastigen und dem Abhangigsein verdankt; vgl. hierzu: Eschenburg, Th.: Staat und Gesellschaft in Deutschland, a.a.O., S. 715, und Emge, C. A.: Art. Biirokratisierung, in: Worterbuch der Soziologie, hrsg. von W. Bernsdorf und Fr. Biilow, Stuttgart 1955, S. 71; ferner: Art.: Biiro, in: Kleines Soziologisches Worterbuch, hrsg. von H. Sdioeck, Freiburg 1969, S. 71. 117
§15. Das Ubergewicht der Exekutive
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stellung des Biirgers zur Biirokratie pflegt sich meist in dem Augenblick zu andern, w o sie ihm leistend, helfend oder seine Rechte wahrend zur Seite tritt. Diese oft sprunghaft wechselnde Einstellung des Burgers zur Biirokratie entspringt nicht zuletzt einer simplen Gleichsetzung von Gesetz, Staat und Biirokratie; die Biirokratie, der er im Alltag mitunter ohnmachtig gegeniibersteht, verkorpert fiir ihn den Staat schlechthin. So ist es nicht verwunderlich, wenn sich in seinem Bewufitsein die Vorstellung von einer Allmacht der Biirokratie einschleicht und er sich so, unbelastet von jeder wissenschaftlichen Analyse des Burokratieproblems, gleichsam ganz von selbst eine elementare Meinung von dem bildet, was hier als Ubergewicht der Exekutive gekennzeichnet wird. Dieses Ubergewicht der Exekutive, wie es heute in alien zivilisierten Grofigesellschaften zu finden ist, geht auf verschiedene Ursachen zuriick. Eine dieser Ursachen ist in der soziologischen Struktur und der Mentalitat des Beamtentums als G r u p p e sui generis zu suchen; aufbauend auf den Forschungen M a x Webers hat hieruber vor allem die politische Soziologie und die Sozialpsychologie in neuerer Zeit wertvolle Erkenntnisse zutage g e f o r d e r t m . Die charakteristischen Eigenschaften und Wesensziige der Biirokratie, wie sie sich in der Gegenwart prasentieren, sind danach weitgehend aus dem historischen Werden und den soziologischen Strukturwandlungen des Beamtentums zu erklaren, besonders aus dem Ubergang v o m ehrenamtlichen zum Berufsbeamtentum 122 . „Die dem furstlichen Absolutismus abgerungene Idee 121 Eine eigenstandige Biirokratieforschung auf breitester Grundlage hat sich vor allem in den letzten Jahrzehnten in den USA entwickelt. Einen Uberblick iiber die politische und soziologische Problematik gibt Merton, R. K., u. a.: Reader in Bureaucracy, Glencoe, 111., 1952. In neuerer Zeit ist im deutschen Sprachbereich die Studie von L. Morstein Marx bekanntgeworden, die das Burokratieproblem aus der Sicht des Soziologen, Juristen und Verwaltungspraktikers hervorragend durchleuchtet (Morstein Marx, L.: The Administrative State, An Introduction to Bureaucracy, Chicago 1957, deutsch: Einfiihrung in die Biirokratie, Eine vergleichende Untersuchung iiber das Beamtentum, Neuwied 1959; Blau, P. M.: The Dynamics of Bureaucracy, 2. Aufl., Chicago 1963; Presthus, R.: Individuum und Organisation, Frankfurt 1966; Etzioni, A.: Soziologie der Organisationen, Miinchen 1967; Naschold, F.: Organisation und Demokratie, Stuttgart 1969; Crozier, M.: The Bureaucratic Phenomenon, Chicago 1964; Mayntz, R. (Hrsg.): Biirokratische Organisationen, Koln-Berlin 1968). — Dariiber hinaus versucht die amerikanische Biirokratieforschung in dem speziellen Zweig der „Administrative Science" eine umfassende Allgemeine Verwaltungslehre durch eine Synthese von Verwaltungswissenschaft und Sozialwissenschaften, vor allem der Betriebswirtschaftslehre, aufzubauen. Diesem Zweck dient besonders die von der Graduate School of Business and Public Administration an der Cornell University in Ithaca, N . Y., herausgegebene Zeitschrift „Administrative Science Quarterly", deren hervorragende Publikationen in Deutschland bisher mehr von der Soziologie und der politischen Wissenschaft, als von der Betriebswirtschaftslehre und der Verwaltungswissenschaft aufgegriffen wurden. Vgl. hierzu: Ott, D.: Der Beitrag der „Administrative Science" zur Entwicklung einer Allgemeinen Verwaltungslehre, unveroff. Diplomarbeit, Koln 1962. 122 Die Anfange biirokratischer Verwaltungsformen lassen sich bis in die Friihkulturen des alten Agypten (Sklavenbiirokratie) und China (Mandarine) zuriickverfolgen. Die romischen und byzantinischen Kaiser begriindeten mit ihrer Plilfe ge-
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der Amtspflicht w a r einer der ganz grofien moralischen Fortschritte . . . Die Amtspflicht hob das Sachgewissen aus dem stets perfiden Terrain des Subjektiven in den Bereich einer Institution empor." 123 Die hervorstechendsten positiven Eigenschaften dieser in Kontinentaleuropa und besonders in Preufien entwickelten Biirokratie sind vor allem Frazision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit, Verlafilichkeit, Geschultheit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Diskretion, straffe U n t e r o r d n u n g und technische Uberlegenheit 1 2 4 . Diese Eigenschaften machten, wie Schumpeter einmal gesagt hat, die preufiische Biirokratie „zur besten der Welt". H e u t e ist die Biirokratie jedoch „durch zwei verlorene Kriege, zwei Inflationen und praktisch drei Revolutionen in ihrem Standesbewufitsein stark erschiittert und v/esentlich anders zusammengesetzt. Sie w a r dern Terror des Dritten Reiches nicht starker ausgesetzt als andere Berufsgruppen, aber dafiir unaufhorlich. Ihre Moral w u r d e in dieser Zeit zermiirbt und damit ihre Autoritat zersetzt, was bis heute nachwirkt. Die Demiitigungen des Naziregimes und der Nachkriegszeit, die Degradierung ihres Ansehens in der Bevolkerung sind vielfach noch nicht iiberwunden, und dazu hat eine unzulangliche Besoldung durch viele Jahre hindurch, die erbitternd und zermiirbend gewirkt hat, beigetragen." 125 . Es ist in gewisser Weise verstandlich, dafi diese Entwicklung dazu gefiihrt hat, jene Schattenseiten immer starker in den Vordergrund treten zu lassen, die als negative Merkmale der Biirokratie angeprangert zu werden pflegen; sie reichen von Pedanterie und Schematismus, von der Schablone als Routine am falschen Platz iiber Perfektionismus und Technokratie bis zu Auswuchsen wie Amterpatronage und Korruption. Erschweren einerseits diese in einer Fortsetzung Fuftnote 122 waltige Reiche; besonders die romisdien Statthalterbiirokratien besaften nahezu autonome Macht mit weitreichenden finanzpolitisdien Kompetenzen. Danadi trat ein gewisser Bruch ein; besonders der Feudalismus war zutiefst unbiirokratisch (Max Weber). So standen denn audi die Eroberer der Neuen Welt staunend vor den Staats- und Wirtschaftsburokratien der Inkas und Azteken. Die eigentlidie Geburtsstatte der Biirokratie irn heutigen Sinne ist der moderne Staat, der sich vom Feudalismus befreit hatte und daher einen unpolitischen Beamtenapparat brauchte. Vielfach v/urde das Beamtentum Trager des wissenschaftlichen Fortschritts; so ist der Kameralismus gewissermaften eine „biirokratische Theorie der Wirtschaftspolitik", und auch die Steinschen Reformen entstammen nicht zuletzt der im Geiste des Liberalismus geschulten Biirokratie. Vgl. hierzu: Kern, E. A.: Art. Beamter, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, l.Bd., Stuttgart-Tiibingen-Gottingen 1956, S. 695 ff.; Konig, R.: Art. Biirokratisierung, in: Soziologie, Fischer Lexikon, Bd. 10, Frankfurt (Main) 1958; Brecht, A.: Art. Biirokratie, in: Staatslexikon, Bd. 2, 6. Aufl., Freiburg 1958, Sp. 327 ff.; ferner: Art. Biirokratie, in: Kleines Soziologisches Worterbuch, a.a.O., S. 71 f. 123 Gehlen, A.: Biirokratisierung, Vortrag gehalten auf dem X. Deutschen Soziologentag in Detmold, in: Kolner Zeitschrift fur Soziologie, NF. 3. Jg., 1950/51, Koln-Opladen 1950, S. 198. 124 Emge, C. A.: Art. Biirokratisierung, in: Worterbuch der Soziologie, a.a.O., S. 73. 125 Eschenburg, Th.: Last und Leid der Biirokratie, in: Der Volkswirt, 8. Jg., 1954, Nr. 29, S. 10.
§15. Das "Obergewicht der Exekutive
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„unklaren Vermengung von Kulturkritik, Zeitanalyse und politisch-padagogischer A k t i o n " 126 als Biirokratismus gekennzeichneten pathologisclien Erscheinungen eine unbefangene Analyse des Burokratieproblems sine ira et studio, so sind in ihnen andererseits „Symptome des Formalismus und der Verknocherung" zu erkennen (v. Wiese) 1 2 7 , die in ihrer Tendenz zum Formalen alles Personliche zu einem Aktenvermerk „versachiichen"; nicht ohne G r u n d hat M a x Weber darauf aufmerksam gemacht, dafi die Biirokratie als rationellstes Kind der „Disziplin" etwas Sachliches und daher stets „bereit ist, sich in unbeirrter Sachlichkeit jeder Macht zur Verfiigung zu stellen, welche auf ihren Dienst reflektiert und sie zu schaffen weifi" 128 . Die Gefahren, die in dieser unheimlichen Anonymitat und in der ihr wesenhaften Amoralitat jeder biirokratischen A p p a r a t u r fur die politische Entwicklung im allgemeinen wie fiir die Bewahrung der rechtsstaatlichen Idee im besonderen beschlossen liegen, sind in dem seelenlosen „Funktionieren" der Staatsmaschine im Diktaturstaat deutlich sichtbar und seitdem in der Literatur vielfach zum Gegenstand ausfuhrlicher Beschreibung und phantasievoller Ausmalung gemacht w o r d e n 1 2 9 . H i n t e r Sachlichkeit und Disziplin der Biirokratie verbirgt sich auf der anderen Seite ein unverkennbarer Zug zur personlichen Machtentfaltung und Expansion jeder biirokratischen Verwaltung, deren Ursachen ebenfalls zunachst in gesellschaftlichen Strukturwandlungen zu suchen sind. Wahrend das kommerzielle Arbeitsverhaltnis in der kapitalistischen und nachkapitalistischen Gesellschaft immer mehr eine isoliert-okonomische Form angenommen hat, vermochte sich das Beamtentum bis heute bestimmte, urspriinglich aus dem Ethos des Dienstes und des Gehorsams abgeleitete personenrechtliche Statusqualitaten zu bewahren 130 . Es k o m m t so zu jener „unterirdischen Legislative" der Biirokratie, die, versehen mit dem Privileg des Amtsgeheimnisses, mit ihrer besonderen Amtssprache und den Regeln des Amtsverkehrs („Amtshilfe"), ihre Kompetenzen zah zu verteidigen und zu erweitern sucht; in letzter Konsequenz fiihrt dies zu einer immer starkeren Autonomic der Verwaltung und
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Konig, R.: Art. Biirokratisierung, a.a.O. Zit. nach Emge, C. A.: Stichwort Biirokratisierung, a.a.O. 128 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O., S. 690. 129 Silone, Ignazio: Die Schule der Diktatoren, Zurich-New York 1938; Utley, Freda: The high cost of vengeance, Deutsche Ausgabe Hamburg 1950; Orwell, George: 1984, Zurich 1950; Gheorgiu, Constantin V.: 25 Uhr, Stuttgart 1950. Vgl. hierzu jedoch auch die interessante und mitunter gegensatzliche Thesen vertretende Studie von H. v. Borch (Obrigkeit und Widerstand, Tubingen 1954), in der dieser u. a. die „biirokratische Gehorsamsverweigerung" und die „unleugbare Bedeutung der zivilen und militarischen Biirokratie fiir den Widerstand gegen die totalitare Macht" vor dem Hintergrund des Kapp-Putsches und des Attentats vom 20. Juli 1944 kritisch beleuchtet. 130 Gehlen, A.: Biirokratisierung, a.a.O., S. 197f. Zu der Verschiedenartigkeit der beamtenrechtlichen Statusdefinitionen in einzelnen Landern vgl. Morstein Marx, L.: Einfiihrung in die Biirokratie, a.a.O., S. 67 ff. 127
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zu einer „Emanzipation von den Tragern der Souveranitat, dem Volk oder dem Parlament als seiner Representation" m . Eine zweite Ursache des wachsenden Obergewichts der Exekutive liegt einfach in ihrer quantitativen Ausweitung, deren Ausmafi hinter den soziologischen und psychologischen Erscheinungen der Burokratie mitunter iibersehen wird 132 . Dieser Expansionsprozefi der Verwaltung ist aufs engste mit der Entwicklung der industriellen Gesellschaft 1 3 3 und der zunehmenden Verwirklichung des Sozialstaatsgedankens verkniipft. W a r der Obrigkeit bis zur J a h r h u n d e r t w e n d e jeder Eingriff in die Sozial- und Wirtschaftsordnung weitgehend verwehrt, so bezieht der moderne Sozialstaat die Sorge um die Wohlfahrt seiner Burger in immer starkerem Mafie in seine Verwaltungstatigkeit ein; dazu kommt, dafi in der Nachkriegszeit die Oberwindung der Kriegsfolgen zwangslaufig vollig neue und aufwendige Verwaltungsapparate erforderlich machte. „Der Staat w i r d iiberall Fiirsorgestaat, er wird uberall wirtschaftender Staat, der einen zunehmend grofieren Anteil des Sozialprodukts selbst verwaltet." 134 Eine genauere sozialpsychologische A n a lyse des A. Wagnerschen „Gesetzes von der zunehmenden Ausdehnung der Staatstatigkeit" zeigt zwar, dafi von einer Zwangslaufigkeit dieser Entwicklung keine Rede sein k a n n ; es sind die Kriege und die Krisen, die Rustungen und Kriegsvorbereitungen sowie die Kriegs- und Krisenfolgen, die jeweils die grofien „Schiibe" in der Zunahme der Staatstatigkeit bedingen. Freilich zeichnet sich dabei zugleich die merkwiirdige „Einbahnigkeit" dieser Aufwartsbewegung ab, die schlechthin irreversibel zu sein scheint; in dieser Unfahigkeit des modernen Staates, eine einmal eingetretene Aufblahung seines Apparates, seiner Aufgaben und Haushaltsansatze wieder riickgangig zu machen, liegt der Wahrheitskern des Wagnerschen „Gesetzes", das letztlich kein okonomisches, sondern ein soziologisches und sozialpsychologisches Phanomen beschreibt 1 3 5 . Werden so immer neue Inhalte in den Verwaltungsmechanismus eingegliedert und damit seiner artbedingten organisatorischen Schwerfalligkeit iiberantwortet, so erweist sich doch andererseits die blirokratische Verwaltungsform in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft fur vielerlei Aufgaben als die einzig mogliche Arbeitsweise 136 ; Organisationen und Verbande, Ban131 Gehlen, A.: Burokratisierung, a.a.O., S. 198. 132 Schmolders, G.: Expansion der Staatswirtsdiaft, Europa-Archiv, 1948, II.Folge, B S. 1677 ff. # 183 Eine anschauliche Darstellung des Zusammenhangs zwisdien der Entwicklung der Industriegesellschaft und des groftbetrieblichen Staatsapparates gibt L. Morstein Marx in den beiden ersten Kapiteln seines Buches (Einfuhrung in die Burokratie, a.a.O.). 134 Gehlen, A.: Burokratisierung, a.a.O., S. 196. 135 Vgl. unten §§ 21—23. Siehe auch Hansmeyer, K. H.: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, Wandlungen der Staatstatigkeit im Spiegel der Finanzpolitik unseres Jahrhunderts, Frankfurt (Main) 1957. 136 Als Kriterien der biirokratischen Verwaltungsform gelten nach Max Weber: Feste Kompetenzabgrenzung, Amtshierarchie und Instanzenzug, Aktenkundigkeit, Fachschulung und Fachwissen, Anstellung, Gehalt, Pension, Avancement (Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O., S. 559 ff.).
§15. Das Obergewicht der Exekutive
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ken, Versicherungen und industrielle Grofiunternehmen bedienen sich in ihrer Verwaltung organisatorischer und aktentechnischer Verfahren, in denen die Weberschen Kriterien der Burokratie klar erkennbar sind 1 3 7 . Staat und Wirtschaft tragen gleichermafien dazu bei, dafi der V e r w a l t u n g s „ a p p a r a t " in Umfang und Kompetenzbereich weiter und weiter anschwillt; jede neue staatliche Dienststelle zieht die Entstehung privater oder verbandlicher Verwaltungsorganisationen nach sich, die dazu bestimmt sind, mit jenen zu verhandeln und auf sie einzuwirken. Die dritte und wohl entscheidende Ursache fur das unbestreitbare Ubergewicht der Exekutive liegt in der Oberlegenheit ihres sachkundigen Fachwissens. Auch in dieser Hinsicht hat sich allerdings in der staatlichen Biirokratie in den letzten Jahrzehnten eine entscheidende W a n d l u n g vollzogen, die mit der Entwicklung und Ausdehnung ihrer Verwaltungsaufgaben in ursachlichem Zusammenhang steht. W a r die preuKische Burokratie bis zum Ersten Weltkrieg eine ausgesprochene fachliche und gesellschaftliche Elite, so dank ihres relativ begrenzten Umfanges und der scharfen qualitativen Auslese, der sie unterlag. Die gewaltige Aufgabenerweiterung der staatlichen Verwaltung und die dadurch bedingte Ausweitung der Burokratie haben diesem Ausleseprinzip zwangslaufig ein Ende bereitet; infolge der Liicken, die zwei Weltkriege und zwei weltanschauliche „Sauberungen c< in die jungeren Generationen gerissen haben, in neuerer Zeit auch infolge der K o n k u r renz mit der freien Wirtschaft um jede Arbeitskraft, mufite das Qualitatsprinzip der Auslese mehr und mehr geopfert werden. So steht die Biirokratie — besonders in den unteren und mittleren Diensten — heute vor dem Dilemma, von ihrer Allgemeinbildung und ihrer fachlichen Ausbildung her keine Elite im alten Sinne mehr zu sein, wahrend sie auf der anderen Seite unvermindert dazu berufen ist, Elitefunktionen auszuiiben 138 . Die Vielfalt der modernen Verwaltungsaufgaben hat den in alien Sparten gleichmafiig ausgebildeten und sich durch eine hohe Allgemeinbildung auszeichnenden Verwaltungsfachmann langst zur Ausnahme werden lassen 139 ; der Idealtypus des universal geschulten Verwaltungsbeamten, wie ihn einst der preufiische L a n d r a t verkorperte, gehort wohl endgiiltig der Vergangenheit an. A n die Stelle dieses vielseitigen Verwaltungsbeamten tritt heute ein „Team" von Spezialisten; das „Parkinsonsche Gesetz", nach dem jeder Beamte die Zahl seiner Untergebenen zu vermehren wiinscht, gewinnt vor dem H i n t e r g r u n d 137
Eschenburg schatzt die Hohe des Aufwandes fur diese aufterstaatlichen Burokratien auf gut die Halfte des Aufwandes der staatlichen Burokratie (Last und Leid der Burokratie, a.a.O., S. 10). 138 Eschenburg, Th.: Last und Leid der Burokratie, a.a.O., S. 10. 139 Y g ^ hierzu: Haaser, Fr.: Bedeutung und Gestaltung von Auslese, Ausbildung und Fortbildung in der offentlichen V e r w a l t u n g im Vergleich zur P r i v a t w i r t schaft, i n : Welche Erfahrungen der Betriebswirtschaft konnen Staat und Kommunen fur die wirtschaftliche Gestaltung ihrer V e r w a l t u n g und ihrer Ausgaben iibernehmen? Gutachten erstattet im Auftrage des Bundesministers der Finanzen, Studien der Forschungsstelle fiir Staats- und Kommunalwirtschaft e. V., Bd. 2, Gottingen 1958, S. 86 ff. 8
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Die finanzpolitische Willensbildung
der sich standig komplizierenden Verwaltungsarbeit durchaus reale Bedeutung 140 . Die enge Fachdressur und die aus ihr folgende geistige Unselbstandigkeit des Spezialisten sind zunachst ein soziologisches Fhanomen; geistige Selbstandigkeit ist ohne innere, aber audi ohne eine gewisse materielle U n a b h a n gigkeit nicht zu denken. Beides ist letztlich eine Funktion der Rechtssicherheit und der politisdi-wirtschaftlichen Stabilitat; in diesem Klima w a r die hohe Tradition der preufiischen Beamtenschaft gewachsen. Erst diese U n a b hangigkeit schafft letztlich jene souverane Sachnahe und Objektivitat, wie sie auf der gehobenen Verwaltungsebene im Grunde unentbehrlich, mit blofiem Spezialistentum jedoch nicht ohne weiteres zu erreichen ist. Die geistige Unselbstandigkeit des Spezialisten ist dariiber hinaus aber auch ein padagogisches Problem; schnell erworbenes, nicht auf breitem Grundwissen fundiertes Spezialwissen fiihrt oft zu einer mehr oder weniger vorgefafiten Bindung an das einmal Erlernte und hindert die Entfaltung jener Oberschau, die erforderlich wird, wenn die enge Skala der erlernten Entscheidungsschemata mit der vielfaltigen Wirklichkeit konfrontiert wird 141 . H i e r liegt die Kehrseite des Expertentums; es ist eine Erfahrungstatsache, dafi selbst hervorragende Experten nicht selten das Denken in gro&en Zusammenhangen verlieren. Gerade der finanzpolitischen Willensbildung mit ihrer weit in die iibrigen Bereiche der Wirtschafts-, Wahrungs-, Aufienhandels- und Staatspolitik hineinreichenden Interdependenz droht hier eine nicht zu ubersehende Gefahr. Das aus den genannten Wurzeln resultierende Ubergewicht der Exekutive tritt ebenso im Bereich der finanzpolitischen Willensbildung wie auch im eigentlichen Verwaltungshandeln der Exekutive, besonders der Finanzburokratie, hervor. Verlagert sich, wie erwahnt, der Prozefi der parlamentarischen Willensbildung weitgehend in die Ausschusse, so ist in diesem Zusammenhang auf den zunehmenden Einflufi der Biirokratie auf die Arbeit der Ausschusse hinzuweisen, deutlich abzulesen an der Entwicklung einer spezifischen Ausschufibiirokratie; der bescheidene Assistentenstab des Frankfurter Wirtschaftsrates, der von einem Verwaltungsfachmann ins Leben gerufen worden war, vereinigte sich spater mit einem vom Parlamentarischen R a t gegriindeten Assistentenstab und w u r d e endlich, bereits zu einem ansehnlichen burokratisch organisierten A p p a r a t herangewachsen, vom Bundestag ubernommen. „Der Assistentendienst w u r d e so den Abgeordneten des Bundestages von Verwaltungsseite sozusagen untergeschoben und von ihnen gerne akzeptiert, weil er sie wesentlich entlastete und objektiven, wichtigen Bedurfnissen entsprach. Einmal vorhanden, veranderte er dann einige Aspekte der Aus-
140 Parkinson, C. N . : Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen iiber die
Verwaltung, Stutgart 1958. 141 Gehlen, A.: Burokratisierung, a.a.O., S. 201 ff.
§ 15. Das Ubergewicht der Exekutive
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schufiarbeit nicht unwesentlich, und deshalb kann seine Existenz nicht nur als ein wichtiges Symptom fur den Bedeutungszuwachs der Ausschufiarbeit gewertet werden, sondern audi als die Ursache einer weiteren Bedeutungsverlagerung gelten." 142 In der Tat obliegt heute, wie erwahnt, ein grofier Teil der Ausschufiarbeit ihrem biirokratischen Apparat und seinen exponierten Vertretern, den Ausschufiassistenten, deren Einflufi so weit geht, dafi sie in wochentlichen Sitzungen mit dem Bundestagsprasidenten erortern, welchen Ausschiissen die einzelnen eingebrachten Vorlagen zugewiesen werden sollen; dabei geben die Assistenten dem Prasidenten audi Hinweise auf die vermutlichen Hauptpunkte der Debatte, die wahrscheinlichen Anderungsantrage und sogar auf das zu erwartende Abstimmungsergebnis 143. Neben dieser „Ausschufiburokratie" wirkt auch die Ministerialburokratie heute in weitem Umfange an der parlamentarischen Willensbildung mit. Alle Gesetzesvorlagen und -entwiirfe, die ein Minister im Kabinett oder im Plenum einbringt, entstammen der fachkundigen Arbeit seines Ministeriums; nidit selten werden diese Gesetzesentwiirfe in der parlamentarischen Plenums- und Ausschufiarbeit aus partei- und wahltaktischen Griinden verstiimmelt und durch Formalkompromisse entstellt 144 . Es ist daher zu verstehen, dafi die Referenten und Abteilungsleiter „ihren" Entwurf zu vertreten und zu verteidigen bestrebt sind; in den Sitzungen der Ausschusse, vor allem audi in denen des Bundesrates, lassen sich die Minister meist durch sachverstandige Beamte ihres Ministeriums vertreten. Vollends im Bereich der eigentlichen Verwaltung ergibt sich das t)bergewicht der Exekutive ganz von selbst aus der zunehmenden Kompliziertheit der Finanz- und Steuergesetzgebung, die in immer weitgreifenderem Umfang der Auslegung, Erlauterung und Konkretisierung bedarf, um iiberhaupt anwendbar zu sein. An die Stelle der blofien Ausfiihrung des in den Gesetzen niedergelegten Willens der Legislative tritt der Erlafi von umfangreichen Ausfiihrungs- und Durchfuhrungsbestimmungen oft durchaus materiellrechtlichen Inhalts, von Verordnungen, Direktiven, Richtlinien und Bescheiden, die von der eigentlich dem Parlament vorbehaltenen Rechtschopfung weder sachlich abzugrenzen noch andererseits entbehrlich sind; ein gutes Anschauungsbeispiel bieten die jahrlichen Verwaltungsanordnungen der Finanzverwaltung zu den „Einkommensteuerrichtlinien", die ihrerseits die Durchfiihrungsverordnungen und Ausfiihrungsbestimmungen zu den eigentlichen Steuergesetzen interpretieren und erganzen, sowie die im Rahmen des der Exekutive vorbehaltenen Ermessensspielraums festgesetzten Pausch-, Richtund Durchschnittssatze, Mindest- und Hochstgrenzen, Nachweispflichten und sonstigen Voraussetzungen fur die Inanspruchnahme steuerlicher Erleichte142 143 144
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Dediamps, B.: Madit und Arbeit der Ausschusse, a.a.O., S. 69. Ders.: ebenda, S. 71. Eschenburg, Th.: Last und Leid der Burokratie, a.a.O., S. 9.
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Die flnanzpolitische Willensbildung
rungen und Vergiinstigungen 145 . Oft genug verblafit das Gesetz gegeniiber der konkreten und administrativen Steuertechnik zu einer A r t farblosem Hintergrund, vor dem sich die Praxis der Besteuerung im Rahmen der mehr oder weniger weitgespannten Ermessensvollmachten der Exekutive abspielt; die Einfuhrung der Buch- und Betriebspriifungen der Reichsfinanzverwaltung w u r d e von dem Staatssekretar Reinhardt ausdrucklich mit der Absicht motiviert, durch „scharferes Durchkammen" der Steuerpflichtigen zu einer „vollstandigen Erfassung der Steuertatbestande" (und dadurch zu einer Aufkommenssteigerung ohne Erhohung der Steuersatze) zu gelangen 1 4 6 . Vollends auf der Ausgabenseite der offentlichen Finanzwirtschaft verleiht erst die praktische H a n d h a b u n g des Budgetvollzuges den toten Zahlen des Haushaltsplanes Leben und W i r k u n g ; die Disposition iiber Gelder der offentlichen H a n d ist gleichbedeutend mit einem entsprechenden Machtbereich der Biirokratie. Dabei tritt ein besonderes Obergewicht des Finanzressorts gegeniiber den anderen Ministerien zutage. Die Gliederung der Verwaltung nach Zustandigkeiten und Amtsbereichen und ihr Funktionieren auf dem sog. Instanzenweg manifestiert sich im Ressortwesen, in dem jeder Beamte, entsprechend seiner Dienstpflicht, verantwortungsmafiig auf seinen Dienstbereich beschrankt ist; es liegt nur zu nahe, d a 6 er die Zusammenhange des Ganzen nicht iiberblickt und, w o nicht im personlichen, so doch in einem gewissen ressortpartikularen Egoismus gerade seine Aufgabe fur besonders wichtig halt und entsprechend reichliche Mittel zu ihrer Durchfuhrung anfordert 1 4 7 . „Solange es offentliche Verwaltungen gibt, wird es Mittel und Wege geben, einen Teil der offentlichen Einnahmen fur unwichtige und unnotige Zwecke auszugeben. Denn es liegt in der menschlichen N a t u r , bei der Verwaltung fremder Gelder nicht die gleiche Sorgfalt und Zuruckhaltung walten zu lassen, wie bei der Verwaltung des eigenen Geldes." 148
145 Ein gutes Beispiel dafiir bietet die sog. Investitionssteuer, d. h. die Nichtanrechnung von Vorsteuer auf Teile der Alt- und Lagerinvestitionen im Rahmen der Mehrwertsteuer, die durch einfache Auslegungsanweisung der Ministerialbiirokratie in Milliardenhohe „entscharft
§15. Das "Obergewicht der Exekutive
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Die Koordinierung der Haushaltsanforderungen, die versuclien muS, diesen Ressortegoismus und die Ausdehnungsbestrebungen der „Burokratie" in Schranken zu halten, obliegt dem Finanzminister oder der sonst dazu berufenen Instanz (Budgetamt); aber audi im spateren Verlauf der Haushaltsperiode, beim „Vollzug" des Budgets in Gestalt der laufenden Finanzgebarung, kommen die erwahnten Ressortegoismen erneut zum Zuge. Einmal bewilligte Haushaltsmittel werden, geht es auf das Ende des Haushaltsjahres zu, nicht selten ttbereilt und planlos verausgabt, um nicht durch Einsparungen im Istbudget kiinftige Kiirzungen der Ausgabenansatze herauszufordern 149 ; ist ein Posten gar im Haushaltsplan mit dem Vermerk „k.w." versehen („kiinftig wegfallend"), so besteht doppelter Anlafi, seine Unentbehrlichkeit zum mindesten noch fur die jeweils nachste Haushaltsperiode zu dokumentieren. Besonders in den neugeschaffenen Verwaltungszweigen und Behorden macht sich diese Abkehr von der einst so beriihmten altpreufiischen Sparsamkeit bemerkbar; „im Gegensatz zu friiheren Zeiten besteht weniger die Gefahr der Knickerei und Knauserei wie die einer Uppigkeit und Sorglosigkeit" 150. Eine Denkschrift der Spitzenverbande der deutschen Wirtschaft zur grofien Finanz- und Steuerreform von 1953 verzeichnete diese Beamtenmentalitat ausdriicklich als einen der „verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen Faktoren", die am meisten zur Ausdehnung des Finanzbedarfs beitragen 151; „das standige Bestreben nach Ausdehnung des Aufgabenbereiches ist jedem Kenner behordlicher Entwicklung bekannt", und „ein Apparat arbeitet nach dem Gesetz der Beharrung". Der Vorwurf dieses etwas sorglosen Umgangs mit offentlichen Mitteln trifft in der Regel weniger die Finanzverwaltung selbst, die zum mindesten in Deutschland von jeher den Ruhm fiir sich in Anspruch nehmen konnte, die sparsamste Verwaltung zu sein, als die iibrigen Ressorts; um so naher liegt es, gerade den Finanzminister mit besonderen Vollmachten gegeniiber seinen Kollegen im Parlament auszustatten, um ihm in seinem Kampf gegen MiCwirtschaft und Ressortpartikularismus eine starke Stellung zu sichern. Diese Sonderstellung des Finanzministers 152 gehort zur Tradition des preufiischen Staates, dessen Sparsamkeit sprichwortlich war; der Finanzminister besafi, wenn er sich im Kabinett nicht durchsetzen konnte, unmittelbaren 149 Ein Beispiel hierfiir war die „MilliardennachtfC von 1952, in der die Besatzungsbehorden den nachtlich zusammengerufenen Vertretern der Bauv/irtschaft iiberstiirzte Bauauftrage im Betrage von Hunderten von Millionen erteilten, um noch vor dem Ablauf der Verausgabungsperiode iiber die falligen Besatzungskosten zu disponieren; die Auftrage wurden ansdilieftend allerdings wieder zum groEen Teil annuliert. 150 Terhalle, F.: Die Finanzwirtschaft des Staates und der Gemeinden, a.a.O., S.47. 151 Grundlagen und Moglichkeiten einer organischen Finanz- und Steuerreform, Institut Finanzen und Steuern, Bonn 1954, S. 17 f. 152 Geschaftsordnung der Bundesregierung vom 11. 5. 1951, mit Anderungen gema£ Bek. v. 29. 3. 1967, GMBL S. 130 § 2 b.
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Zutritt beim Konig, und es ist kein Fall bekannt, in dem der Herrscher seinen Finanzminister, wenn er von diesem Recht des ,,Immediatvortrages" Gebrauch machte, nachtraglich desavouiert hatte. Diese starke Stellung des Finanzministers, die auch in seinem Vetorecht nach § 116 BHO verankert ist, wodurch er somit gewissermafien in seiner Eigenschaft als Sparkommissar auf tritt, kommt auch in der Geschaftsordnung der Bundesregierung zum Ausdruck; Beschliisse iiber Ausgaben und sonstige Fragen von finanzieller Bedeutung, z. B. Steuersenkungen, bedurfen bei Widerspruch des Finanzministers einer besonderen, qualifizierten Mehrheit, um wirksam zu werden. Wahrend Verfassung und Haushaltsrecht dem Finanzressort vielfach eine Sonderstellung einraumen und seinen Leiter mit gewissen Vetorechten ausstatten, findet sich Entsprechendes bei den Gemeinden nur in bescheidenem Mafie; der Kammerer untersteht dem Weisungsrecht seines Biirgermeisters bzw. Stadtdirektors, und die Finanzmafinahmen der Gemeinden sind aufierdem der staatlichen Gemeindeaufsicht unterworfen. Andererseits bleiben dem Kammerer noch Einwirkungsmoglichkeiten genug; er stellt den Entwurf der Haushaltssatzung auf (§86 GO NRW), koordiniert die Haushaltsplane aller Ressorts und hat dabei und auch beim Entwurf der Vorbemerkungen die Moglichkeit, die Entwicklung der gemeidlichen Finanzen in seinem Sinne zu beeinflussen und darzustellen. Dariiber hinaus geniefit er bei den Ausschufiberatungen des Haushaltsplans nach § 86 GO NRW das Recht, seine Meinung (abweichend von § 48 GO NRW) gegebenenfalls auch ungefragt zu aufiern, d. h. an den Sitzungen so teilzunehmen, wie es sonst nur Ratsmitglieder und der oberste Gemeindebeamte tun; gleichwohl hiefie es im allgemeinen den Einflufi des Kammerers iiberschatzen, wenn man ihm mehr als eine gewisse preventive oder „bremsendec< Wirkung gegeniiber den Ausgabewiinschen der Verwaltung zuschreiben wollte. Die Sonderstellung des Finanzministers 153 findet sich auch in den meisten auslandischen Verfassungen. Der britische Schatzkanzler steht an Einflufi auf die Politik der anderen Ressorts unmittelbar an zweiter Stelle neben dem Ministerprasidenten, zumal jedem Ministerium ein vom Schatzamt abgeordneter Vertrauensmann fur Personalfragen beigegeben ist 154 ; auch in Frankreich erhielt der Finanzminister auf vielen Gebieten der Gesetzgebung ein ausdruckliches Gegenzeichnungsrecht, „so dafi seine Machtposition starker erschien und erscheint als die des englischen Chancellor of the Exchequer" 155. Vollends in den Vereinigten Staaten geniefit das Budgetamt einen zwar nicht in der Verfassung verankerten, aber in der Praxis um so grofieren Einflufi auf die allgemeine Gesetzgebung; das Tagespensum an Gesetzesausfertigungen, das der Prasident zu erledigen hat, wird ihm von dem zustandigen 153 Ygj# j ) e r Finanzminister, Institut Finanzen und Steuern, a.a.O. 154 Greaves, H. R. G.: Die britische Verfassung, Frankfurt (Main) 1951, S. 123. 155 Heinig, K.: Das Budget, Bd. I, a.a.O., S. 244.
§16. Der vorparlamentarische Raum
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Referenten des Budgetamtes vorgelegt, der audi die Ubereinstimmung des Gesetzesentwurfs mit dem Wirtschaftsprogramm des Prasidenten vorpriift und entsprechende Vorschlage dazu ausarbeitet. Unter diesen Umstanden 1st es nur selbstverstandlich, da8 der Einflufi der Exekutive auf dem Gebiet der Finanzpolitik in der Regel noch weit kraftiger ausgepragt ist als in den ubrigen Zweigen der Staatstatigkeit. Die Machtvollkommenheit der Finanzbiirokratie gegeniiber den anderen Ressorts, die sie an ihrem empfindlichsten Nerv zu treffen vermag, ist kaum geringer als gegeniiber den einzelnen Staatsbiirgern, deren materielle Existenzbedingungen sie weitgehend beeinflufit156. Es ist wohl kein Zufall, dafi in manchen Landern dem Finanzminister der Zugang zur Position des Ministerprasidenten oder des Staatsoberhauptes eher offensteht, als jedem seiner Kollegen (Poincare in Frankreich, Einaudi in Italien, Salazar in Portugal). Verbindet sich mit der Machtfulle des Amtes personliche Autoritat, Sachkenntnis und politisches Geschick, so liegt, wie bisher fast regelmafiig in der Bundesrepublik, die finanzpolitische Willensbildung ganz uberwiegend in der Hand des Finanzministers und seiner Beamten; die Gewaltenteilung der Verfassung mufi in solchen Fallen der politischen Dynamik und dem „Sachzwang" der gegebenen Aufgabe weitgehend den Platz raumen.
§ 16. Der vorparlamentarische Raum Wie die im Verfassungsrecht vorgesehene Gewaltenteilung in der politischen Wirklichkeit der modernen Demokratie einem fuhlbaren Obergewicht der Exekutive Platz gemacht hat, so hat die Legislative auch nach der anderen Seite hin eine Machteinbufie erfahren, die vom Gesetzgeber keineswegs vorausgesehen war. „Die Abgeordneten sind an Auftrage und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" heifit es in Art. 38 des Bonner Grundgesetzes; aber neben dem Fraktionszwang und der „Fraktionsdisziplin", von der bereits die Rede war, spiegeln die Abstimmungen im Parlament unverkennbar alle jene Einflusse wider, die von den Parteien, den Berufs- und Standesvertretungen, den Verbanden und Gruppen, den Organisationen und den einzelnen Interessenten in einem ununterbrochenen Prozefi der offenen und geheimen Mitwirkung an der politischen Willensbildung auf sie ausgeiibt werden, ganz zu schweigen von den vielerlei Stim156
In der Haushaltsdebatte des Bundestags 1954 spradi der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der Abgeordnete Schottle, von der Entmachtung des Parlaments, das gerade beim Etat im Grunde nur noch „Jaa zu der Regierungsvorlage sagen konne. Der ehemalige Bundesjustizminister Dehler warnte vor der sich aus dieser Machtvollkommenheit ergebenden Gefahr einer Uberheblichkeit der Regierung: „Man braucht sich nur der Tatsache bewufk zu werden, dafi die ,Pressure Groups' nicht mehr in die ,Lobbyse des Parlaments gehen, sondern da£ sie die Klinken der Referententiiren in den Ministerien putzen, um zu wissen, welche Verschiebung der Machtfulle sich ergeben hat." (Weift das Parlament das Budgetrecht zu nutzen?, Die Zeit vom 1. 4.1954.)
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men in der eigenen Brust des Abgeordneten als Mitglied seiner Familie, seiner sozialen oder landsmannschaftlichen Gruppe, seiner Kirche oder docli wenigstens seiner Generation. Der Gesamtbereich dieser schwer zu beschreibenden, vielfach im geheimen wirkenden und nach Richtung und Starke mannigfach wechselnden Einfliisse auf die politischen Entscheidungen im Parlament wird mit einem anschaulichen Bild als „vorparlamentarischer R a u m " bezeichnet; zum Verstandnis der treibenden Krafte, die an dem Prozefi der finanzpolitischen Willensbildung aktiv mitwirken, ist ein Blick auf das geschaftige Treiben unerlafilich, das sich in diesem R a u m entfaltet. Eine Abgrenzung dieses „vorparlamentarischen c < vom „parlamentarischen" R a u m ist schwierig, will man ihn nicht lediglich formal vom staatlich organisierten Hoheitsbereich und vom privaten Bereich der prinzipiell von Einzelinteressen beherrschten Individuen abheben. In dem „intermediaren R a u m zwischen Individuum und staatlicher G e w a l t " 157 wirken alle jene Institutionen, die sich nach Zielen, Interessen und Funktionen auf den Staat beziehen und so ihren Sinn sehr oft erst durch den staatlich-parlamentarischen R a u m erhalten; ihnen alien gemeinsam ist die Funktion, individuelle oder Gruppeninteressen zu „biindeln" und sie auf diese Weise massiert und wirkungsvoll — und damit oft erst iiberhaupt verstandlich 1 5 8 — den Tragern der politischen Entscheidung nahezubringen. Auf diese Weise fiillen die „organisierten Interessen" (Kaiser) in mehr oder minder legitimer Form ein politisches V a k u u m aus, das in den modernen Reprasentationsdemokratien mangels eines unmittelbaren Plebiszits leicht flihlbar w i r d ; die politische Bedeutung dieser Gruppen ist dabei entsprechend der Verfassung, der Volksmentalitat und dem durch die Geschichte bestimmten Verhaltnis von Staat und Gesellschaft weitgehend verschieden 159 . Im Vordergrund des vorparlamentarischen Raumes agieren die politischen Parteien, die nach Art. 21 des Grundgesetzes „bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken". Die Organisation der offentlichen Meinung in Parteien gilt heute allgemein als notwendiger Bestandteil jeder grofi157
Kaiser, J. H.: Die Representation organisierter Interessen, Berlin 1956, S. 29. „Lobbyisten sind in vielen Fallen ausgesprodiene Fadileute und in der Lage, die kompliziertesten und schwierigsten Probleme klar und verstandlich zu machen. . . . Tiichtige Lobbyisten konnen die iiberzeugendsten Argumente fur ihre Position vorlegen. In der Tat, es gibt nichts Wirkungsvolleres, um die wichtigen Argumente und Tatsachen bei Kontroversen kennenzulernen, als opponierende Lobbyisten anzuhoren. Oft genug bringen sie Statistiken und Informationen, die man sonst nicht bekommen kann." (President J. F. Kennedy, damals noch Senator, in einem Artikel in der „New York Times", zit. nach Hirseland, G., Public Relations in Industrie und Politik, Industriekurier vom 2. 10. 1962, S. 5.) In seiner Okonomischen Theorie der Demokratie (Tubingen 1968) bezeichnete A. Downs die Lobbyisten als „nicht staatliche Vermittler" zwischen Volk und Abgeordneten, die aus der Tatsache, da£ die Volksvertreter sich zu den anstehenden Problemen keine Meinung aus eigener Kraft bilden konnen, fiir sich bzw. fur die hinter ihnen stehenden Organisationen Kapital zu schlagen versuchen. 159 Kaiser, J. H.: Die Representation organisierter Interessen, a.a.O., S. 28. 158
§16. Der vorparlamentarische Raum
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raumigen Demokratie, die sich nicht niehr auf die tagliche oder haufige Befragung ihrer einzelnen Staatsburger stikzen k a n n ; „das Prinzip der R e p r e sentation mufite durch den Konflikt der Parteien belebt werden. Wenn bedeutende Parteien entstanden sind, ist in der T a t aus einer vordemokratischen Form der reprasentativen Regierung eine wahrhaft demokratische geworden." 160 Mittels der Parteien formen sich die Staatsburger zu politischen G r u p pen, die in den Wahlen und Volksabstimmungen einem einheitlichen Willen Ausdruck verleihen; die Parteien nominieren die Kandidaten fur das Parlament und bestimmen nach Ablauf der Wahlperiode, ob der Abgeordnete erneut zur Wahl aufgestellt wird oder nicht. Infolgedessen besitzt die ,,Parteimaschine", wie man den A p p a r a t der Parteiorganisation mit ihrer eigenen Presse, ihren Ortsgruppen und Bezirksstellen, ihren Wahlfonds und Versammlungen haufig genannt hat, in den meisten alteren Demokratien betrachtlichen Einflufi auf die H a l t u n g der einzelnen Abgeordneten und ihrer Fraktion im Parlament; bekannt ist die machtige „ T a m m a n y H a l l " , die Parteimaschine der Demokraten in der Stadt N e w York, die jahrzehntelang hinter den Kulissen der Kommunalverwaltung die eigentiiche politische Macht in H a n d e n hielt 1 6 1 . Das Wesen der Parteien wird in der T a t eher in ihrem Kampf um die politische Macht als in ihren sachlichen Zielen oder gar in ihren proklamierten Programmen sichtbar; M a x Weber hat darauf aufmerksam gemacht, dafi „Zurucksetzungen in der Anteilnahme an den A m t e r n " von den Parteien regelmafiig schwerer empfunden werden als alle Zuwiderhandlungen gegen ihre sachlichen Ziele 162 . Die Partei ist stets ein um Herrschaft kampfendes Gebilde 1 6 3 ; es geht ihr nicht um die Sache, sondern um ihren Anteil an der Macht, „zum mindesten um politischen Einflufi auf die politische Willensbildung des Staates" 164 . Besonders sinnfallig kommt diese D y n a m i k der politischen Machtkampfe im Zweiparteiensystem der Vereinigten Staaten zum Ausdruck, w o urspriinglich der Sieg einer Partei sowohl in den Prasidentschaftswahlen wie in den zahlreichen Wahlen und Abstimmungen der Kommunalpolitik nach dem System „Dem Sieger die Beute" gleichbedeutend mit der Neubesetzung fast samtlicher Beamtenstellen bis herab zum letzten Brieftrager w a r ; noch heute bietet in der Kommunalsphare, w o das System der Stellenvergebung nach politischen Riicksichten noch weitgehend aufrecht160
Mac Iver, R. M.: Regierung im Kraftefeld der Gesellschaft, a.a.O., S. 200. Bryce, James: The American Commonwealth, Amerika als Staat und Gesellschaft, deutsch von J. Singer, Leipzig 1924. 162 Weber, Max: Politik als Beruf. Wiederabgedruckt in: Civitas Gentium, Sdhriften zur theoretischen Soziologie und Soziologie der Politik und Verfassung, Frankfurt (Main) 1947, S. 158. 163 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O., S. 639. 164 Kaufmann, E.: Grundtatsachen und Grundbegriffe der Demokratie, Schriftenreihe der Hochschule fur Politische Wissenschaften, Miinchen, H. 1, 1950, S. 17. 161
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erhalten geblieben ist, jeder Wahlsieg der jeweils erfolgreichen Partei die grofie Chance, zugunsten ihrer Anhanger iiber die lukrativen Pfriinden und Futterkrippen fast aller Ressorts der Stadtverwaltung zu verfiigen, da mangels eines Verhaltniswahlrechts auch ein Sieg mit geringer Mehrheit der unterliegenden Partei jeden Anspruch auf Mitwirkung an der Kommunalverwaltung nimmt. Ist auch dieses „Beutesystem" in der Staats- und Bundesverwaltung inzwischen weitgehend durch das Prinzip des Berufsbeamtentums abgelost worden, so ist doch damit der Einflufi der ,,Parteimaschine" noch keineswegs beseitigt; auch in dem klassischen Lande der parlamentarischen Demokratie, in Grofibritannien, gelten die Parteien als die eigentlichen Trager der politischen Macht 165 . Dafi es in Deutschland in den Intervallen seiner parlamentarischen Demokratie im Grunde niemals zu einer derartigen Praponderanz der politischen Parteien gekommen ist, beruht auf der Eigenart des Vielparteiensystems, wie es sich aus dem Verhaltniswahlrecht herausbilden mufite; die Parteien sind dadurch weit starker gezwungen, sich in Konkurrenz untereinander um die Gunst der Wahler zu bewerben, deren Uberzeugungen sie infolgedessen um so eifriger verfolgen und respektieren mussen. „Kaiser und Reich", „Thron und Altar", „Schutz der nationalen Arbeit", so und ahnlich lauteten dementsprechend im Kaiserreich die Wahlparolen der biirgerlichen Parteien; im Weimarer Staat organisierten sich die konservativ und liberal gesonnenen Gruppen ganz naturlich in Abwehr gegen die Sozialisierungsund Kollektivierungsbestrebungen der machtig angeschwollenen Linksparteien, letztlich also im Dienste an der Verteidigung des Privateigentums und der uberkommenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gegen die besitzund kapitalfeindlichen Stromungen der Novemberrevolution. Damit verlagerte sich das Schwergewicht der politischen Willensbildung noch mehr in die Berufs- und Standesorganisationen, die wirtschaftlichen Interessengruppen und die grofien Verbande; waren schon im Kaiserreich der „Bund der Landwirte", der spatere Reichslandbund, und der sog. „Langnamenverein" 166 neben den Gewerkschaften aller Schattierungen mafigeblich an der politischen Willensbildung in Parlament und Regierung beteiligt, so brachten in der Weimarer Republik sogar die Namen mancher neuer Parteien diese Zusammenhange unverhiillt zum Ausdruck 167; Parteipolitik und Interessenpolitik gingen vielfach ineinander iiber, zumal der politische Kampf in den 165 Weber, Max: Politik als Beruf, a.a.O., S. 162. Greaves, M. R. G.: Die britische Verfassung, a.a.O. 166 Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, gegriindet 1871. 167 Wirtschaftspartei, Landbund, Aufwertungspartei, Bayerischer Bauern-Bund u. a.; viel Aufsehen erregten Bestrebungen zur Griindung einer Partei der Inhaber von rotgestempelten Tausendmarkscheinen, denen man, da sie im besetzten Gebiet ausgegeben worden waren, auf volkerrechtlichem Wege zu einer Aufwertung verhelfen wollte.
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Jahren der Inflation, der Sozialisierungsexperimente und der besitz- und kapitalfeindlichen Steuerpolitik auf der einen, der aufienpolitischen Machtlosigkeit auf der anderen Seite mehr und mehr auf die Ebene des Ringens um materielle Vorteile, um Habenwollen und Behaltenwollen absank. Ganz von selbst tritt damit neben und hinter den politischen Parteien das Spiel der Interessengruppen und -verbande im vorparlamentarischen Raum in das Blickfeld der Betrachtung. Unterirdische Interesseneinfliisse auf die Entscheidungen gemeinschaftlicher Fragen gibt es von jeher; schon die romischen Senatoren hatten sich ihrer Klientel zu erwehren, die „panem et circenses" von der Obrigkeit forderte. Die politische Geltendmachung materieller Interessen, die an sich in der Demokratie keineswegs zu beanstanden ist, neigt dazu, sich undurchsichtiger Mittel und verborgener Beziehungen zu bedienen, anstatt offen an die Entscheidung der gesetzgebenden Instanzen zu appellieren; nur in seltenen Fallen greift sie zu offenkundigen Druckmitteln wie dem Generalstreik oder dem Bau von Barrikaden. Auch in der Bundesrepublik Deutschland haben wir die organisierte „Sternfahrt nach Bonn", den „Schweigemarsch durch die Strafien Bonns" und den Druckerstreik als politisches Druckmittel bereits kennengelernt; heute beginnt das Recht auf Demonstration in den Handen einer auf Umsturz gerichteten „radikalen Linken" die Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung anzugreifen. Die „unsichtbare Regierung" 168 der parlamentarischen Korridorgesprache, der niitzlichen Beziehungen und unterirdischen Einfliisse grofier und machtiger Interessengruppen auf Regierung und Parlament ist besonders in den Vereinigten Staaten als politisches und soziologisches Problem erkannt und erforscht worden; die gleiche Erscheinung macht sich jedoch von jeher in alien anderen parlamentarischen Demokratien bemerkbar. Kennzeichnend dafiir sind die in vielen Sprachen anzutreffenden Bezeichnungen fur diesen Winkel des vorparlamentarischen Raumes; die „Lobby
Root, E.: The invisible government, Annals Bd. 64, 1916; Munro, B. W. B.: The invisible government, New York 1928; Odegard, P.: Pressure Politics, New York 1928; Crawford, K. G.: The Pressure Boys, The Inside Story of Lobbying in America, New York 1939; Finer, S. E.: Anonymous Empire, A study of the Lobby in Great Britain, London 1958, deutsch: Die anonyme Macht, Koln-Opladen 1960; Meynaud, J.: Les Groupes de Pression en France, Cahiers de la Fondation Nationale des Sciences Politiques, Bd. 95, Paris 1958; Zur begrirTlichen Definition und Abgrenzung siehe: Breitling, R.: Die zentralen BegrifTe der Verbandsforschung, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 1, H. 1, 1960, S. 47 ff. 169 Nahere, reichhaltigere Lit. bei Heinig, K.: Das Budget, Bd. I, a.a.O., S. 273 ff.
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zeichnet 1 7 0 , so ist damit diese Einflufinahme der „Lobbies" auf Gesetzgebimg und Verwaltung gemeint, die sich in personlichen Fuhlungsnahmen, organisierten Brief- und Telegrammaktionen und auf tausend anderen Wegen bis zur mehr oder weniger ungenierten politischen Korruption v o l l z i e h t i 7 1 . Mag es audi stark iibertrieben sein, wenn gelegentlich gesagt wurde, das Parlament sei von den Ausschufisitzungen hinter versclilossenen Tiiren und den Konferenzen machtpolitisch wirksamer Interessentengruppen „in den H i n t e r g r u n d gedrangt und mehr oder weniger zum Akklamationsinstrument bereits vorher manipulierter Abstimmungsergebnisse geworden" 172 , so mufi es doch recht bedeutsam erscheinen, wenn selbst die grofie Denkschrift der Spitzenorganisationen zur Finanz- und Steuerreform davor warnt, die Einflufinahme der Interessenvertretungen dieser modernen Feudalmachte bis zu einem massiven Druck zu steigern, der sich in Drohungen oder offenen G e waltmafinahmen aufiert; „der Staatsbiirger sieht das Ringen der bestimmenden Machte, der politischen und verfassungsrechtlichen auf der einen, der f e u d a l m a c h t e ' auf der anderen Seite. E r sieht die Gefahr, die von der staatlichen Allmacht ausgeht, ihm bleiben aber auch die Gefahren nicht verborgen, die eine Herrschaft der Feudalmachte mit sich bringen wiirde. E r k a n n nur die Hoffnung hegen, dafi sich auch hier das System gegenseitiger Kontrolle u n d Beschrankung auswirkt, das der wirtschaftlichen u n d politischen Vernunft den Sieg sichert. Er k a n n zu diesem Sieg dadurch beitragen, dafi er der Bestimmung des offentlichen Finanzbedarfs das Interesse entgegenbringt, das dieses Problem verdient, u n d dafi er zur Bildung der offentlichen Meinung in einer bestimmten Richtung beitragt, der sich auf die Dauer beide Machtgruppen nicht entziehen konnen." 173 Zeichnen sich somit Parteien und Interessenverbande als die beiden tragenden Elemente des vorparlamentarischen Raumes ab, so wird ihre voile Bedeutung fur den Prozefi der fmanzpolitischen Willensbildung erst klar, wenn m a n ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede, ihre Funktionen und Wirkungsweisen sowie ihr Verhaltnis zueinander naher analysiert 1 7 4 . Inter170 Kossitsch, Mirko: Politische Soziologie, in: Soziologische Forschung in unserer Zeit, ein Sammelwerk, Leopold von Wiese zum 75. Geburtstag, hrsg. von K. G. Specht, Koln u. Opladen 1951. 171 Schmolders, G.: Die politische Korruption in den Vereinigten Staaten und ihre Bekampfung in der Nachkriegszeit, Archiv fur angewandte Soziologie, Bd. IV, 1932, H. 4. 172 Offentliche Meinungsbildung in Westdeutschland,Offene\Velt,H.29,1954, S.29. 173 Grundlagen und Moglichkeiten einer organischen Finanz- und Steuerreform, a.a.O., S. 19. 174 Yg\. hierzu u. a. Kaiser, J. H.: Die Representation organisierter Interessen, a.a.O., S. 131 ff.; Stammer, O.: Interessenverbande und Parteien, Kolner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie, 9. Jg., Koln-Opladen 1957, S. 587ff.; Burneleit, H.: Feindschaft oder Vertrauen zwischen Staat und Wirtsdiaft?, a.a.O., S. 23 ff.; Scheuner, U., und Weber, W., in: Der Staat und die Verbande, Gesprache veranstaltet vom Bundesverband der Deutschen Industrie in Koln am 27. Marz 1957, hrsg. von Beutler, W., Stein, G. und Wagner, H., Heidelberg 1957, S. 10 ff.
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essant sind dabei gewisse Parallelerscheinungen in der historischen Entwicklung beider Institutionen; war das 19. Jahrhundert „erfullt vom Kampf der Parlamente und Verfassungen gegen die Bildung von Parteien", da man in ihnen eine die Homogenitat von Gesamtvolk und Parlament zersetzende Kraft sah, so ist davon heme kaum noch die Rede; vielmehr sind die Parteien durch ihre verfassungsmafiige Anerkennung zu staatlich sanktionierten Institutionen geworden 175 . Ebenso haben die Interessenverbande, deren friiheste Erscheinungsform wohl die Arbeiter- und spatere Gewerkschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts war, langst das Odium destruktiver und verf assungskontrarer Machtgruppen verloren, das ihnen zur Zeit des Sozialistengesetzes anhaftete; iiberwiegend gilt heute die organisierte Verfolgung berechtigter Interessen als durchaus legitim, und ihre Institutionen sind weithin zu einem neben der geschriebenen Verfassung stehenden „parakonstitutionellen Kraftesystem mit offentlichem Geltungsanspruch
Burneleit, H.: Feindschaft oder Vertrauen . . . , a.a.O., S. 31. 176 Weber, w.: Der Staat und die Verbande, a.a.O., S. 21. 177 Stammer, O.: Interessenverbande und Parteien, a.a.O., S. 598. 178 Ders.: ebenda, S. 592. 179 Kaiser, J. H.: Die Representation organisierter Interessen, a.a.O., S. 242. 180 D u v e r g e r n i m m t diese wechselseitige Beeinflussung v o n Parteien u n d Verbanden zum Kriterium seiner Unterscheidung der Parteien in „partis directs" und
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manche Interessenverbande verdanken ihre Position sogar nicht zuletzt der Initiative der einen oder anderen Partei. „Einer eventuellen Klage der Parteien iiber den Druck der Interessengruppen ist daher entgegenzuhalten, dafi die Parteien selbst in den Gesetzen, die aus ihrer parlamentarischen Arbeit liervorgegangen sind, den Verbanden in all ihrer Vielfaltigkeit einen wesentlichen Teil ihrer Machtposition erst zugewiesen haben." 181 Die finanzpolitische Einflufinahme der Verbande vollzieht sich, wie erw a h n t , vornehmlich indirekt; dabei lassen sich grundsatzlich zwei Formen unterscheiden. Einmal haben die Verbande die Moglichkeit der einmaligen Veranderung der Entscheidungsstruktur zu ihren Gunsten dadurch, dafi sie ihre Vertreter in das Parlament und in die Burokratie einschleusen; geschieht dies auch fur die Uffentlichkeit weitgehend unmerklich, so ist es doch bei naherem Zusehen an der Berufszugehorigkeit der Parlaments-, besonders aber der Ausschufimitglieder sehr deutlich ablesbar 1 8 2 . Z u m anderen besteht die Moglichkeit einer laufenden Beeinflussung der Entscheidungsprozesse; das bedeutet, da sich die Verbande langst dem Dbergewicht der Exekutive im Prozefi der politischen Willensbildung angepafit haben, in erster Linie eine standige Fiihlungnahme mit der Burokratie 183 . Wie stark Interesseneinflusse auf Parlament, Regierung und Exekutive gerade in Steuer- und Finanzfragen zur Geltung kommen, hat sich in den ersten anderthalb Jahrzehnten des westdeutschen Parlamentarismus des ofteren erwiesen; als m a r k a n t e Beispiele seien hier die Entstehung des Investitionshilfegesetzes und des Landwirtschaftsgesetzes hervorgehoben. U m bestimmte Steuerplane der Regierung abzubiegen, ubernahm im J a h r e 1951 ein Gemeinschaftsausschufi der deutschen gewerblichen Wirtschaft, dem u. a. Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbande, der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, des Gesamtverbandes des Deutschen Grofi- und Einzelhandels und des Zentralverbandes des Deutschen H a n d w e r k s angehorten 184 , in eigener Regie die Ausarbeitung eines Fortsetzung Fuftnote 180 „partis indirects"; als Beispiel einer „parti direct" fiihrt er die nur in loser Verbindung mit den Gewerkschaften stehenden franzosischen Sozialisten an, wahrend die enge Verbindung der Labour Party zu den Gewerkschaften das Beispiel einer „parti indirect" darstellt. (Duverger, M.: Les Partis Politiques, 3. Aufl., Paris 1958, deutsch: Die Politischen Parteien, f iibingen 1959, S. 23 if.) 181 Burneleit, H.: Feindschaft oder Vertrauen . . . , a.a.O., S. 38. 182 Vgl. § 14. 183 Interessant ist in diesem Zusammenhang, daft beispielsweise der Bundesverband der Deutschen Industrie in den Jahren 1949—1958 im Durchschnitt jahrlich nicht weniger als 82% seiner Interpellationen an die Ministerien und Bundesamter, nur 7%> unmittelbar an Bundestag und Bundesrat richtete (nach Hennis, W.: Verfassungsordnung und Verbandseinfluft, in: Politische Vierteljahresschrift, 2. Jg., H. 1, 1961, S. 25). 184 Gast, Lademann, Meinhold: Gesetz iiber die Investitionshilfe, Schriftenreihe des Deutschen Industrie- und Handelstages, H. 16, April 1962.
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Gesetzentwurfs iiber die Investitionshilfe zugunsten der Grundstoffindustrie, der schliefilich trotz verschiedener interessengebundener Gegenstromungen nicht zuletzt audi aus den Reihen des Bundestages und des Bundesrates die Gesetzgebungshurde n a h m und fur viele Jahre seine angefeindete Existenz behauptete 185 . Vielleicht noch beispielhafter fur die finanzpolitische T a k t i k von Interessenvertretungen w a r die Durchsetzung des Landwirtschaftsgesetzes durch die Bauernverbande. Ausgehend vom Paritatsgedanken, der dem Agrarsektor einen hoheren oder zumindest gleichbleibenden Anteil am Sozialprodukt sichern sollte und der zum ersten Male in einer Denkschrift des Deutschen Bauernverbandes im J a h r e 1950 auftauchte, dann aber in der Prasidialentschliefiung des Deutschen Bauerntages 1951 konkret formuliert wurde, fuhrte der Weg alsbald unmittelbar zur Kontaktaufnahme mit der Regierung. Als sich die Regierung in der Folgezeit jedoch passiv verhielt, anderte der Bauernverband seine Taktik. Durch Einholung von Gutachten w u r d e die maximale Zielforderung des Paritatsgedankens in ihrer stark agitativen Form abgeschwacht, wissenschaftlich fundiert und in einer ZweckMittel-Argumentation konkretisiert; dieser Wandel in der Taktik, verbunden mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes und erleichert durch ein Meinungsclearing zwischen dem Deutschen Bauernverband und dem Bundesverband der Deutschen Industrie, brachte mit der Verabschiedung des L a n d wirtschaftsgesetzes den gewunschten Erfolg 186 . Diese Beispiele zeigen deutlich, dafi der vorparlamentarische R a u m seinen Eintritt in die Arena der politischen Gewalten vollzogen hat und dort seinen Einflufi anschaulich demonstriert 1 8 7 . Neben den Verbanden und Berufsorganisationen treten heute audi die grofien Unternehmungen und Konzerne als selbstandige Akteure hinter den Kulissen der politischen Buhne in Tatigkeit; eine eigene „Verbindungsstelle" in Bonn zu unterhalten, der die Pflege der Beziehungen des eigenen Hauses mit den Bundesbehorden und den 185 Siehe hierzu: Podzus, G.: Der „vorparlamentarische Raum" als treibende Kraft der Gesetzgebung, dargestellt am Beispiel der Entstehung des Investitionshilfegesetzes, unveroffentlichte Diplomarbeit, Koln 1955. 186 Hierzu besonders: Puvogel, C : Der Weg zum Landwirtschaftsgesetz, BonnMiinchen-Wien 1957; Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen fiir die Landwirtschaft, a.a.O., S. 60 flf.; Bethusy-Huc, Viola Grafin v.: Demokratie und Interessenpolitik, Wiesbaden 1962, S. 1 fF. 187 Um diese Enrwiddung im einzelnen naher zu untersuchen, hat die Gesellschaft fiir Wirtschafts- und Sozialwissensdiaften (Verein fiir Socialpolitik) eine umfassende Forschungsarbeit in die Wege geleitet, deren Ergebnisse inzwischen z. T. schon vorliegen; darunter „Das Selbstbild der Verbande" (Wissensdiaftliche Leitung: G. Schmolders) (NF. Bd. 38, Berlin 1965); Esenwein-Rothe, J.: Die Wirtschaftsverbande von 1933 bis 1945, ebenda, NF. Bd. 37, Berlin 1965; Verbande und Wirtschaftspolitik in Dsterreich (Wissensdiaftliche Leitung: Th. Piitz), ebenda, NF. Bd. 39, Berlin 1966; Buchholz, E.: Die Wirtschaftsverbande in der Wirtschaftsgesellschaft, Tubingen, 1969; vgl. auch Hondrich, K. O.: Die Ideologien von Interessenverbanden, Berlin 1963, und Petzold, G.: Der Wettbewerb der Verbande um die Mitwirkung an der Wirtschaftspolitik, Dissertation, Koln 1963.
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Die finanzpolitisclie Willensbildung
Parlamentariern obliegt, gehort beinahe schon zu den legitimen Organisationserfordernissen des modernen Grofiunternehmens 188 . Die gesetzliche Fundierung und Institutionalisierung des Einflusses der Verbande ist in den westlichen Demokratien sehr unterschiedlich. Es lassen sich dabei zwei Verfahren unterscheiden, einmal die mehr oder minder zwanglose Konsultation der Verbande durch den Staat, wie in der Schweiz und in Schweden, in Grofibritannien und in den USA, zum anderen das System der zentralen Wirtschafts- und Sozialrate wie in Osterreich und den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Luxemburg und Italien 189 . In der Bundesrepublik Deutschland ist die Form der offentlichen und auch nichtoffentlichen „Hearings" der Interessenvertreter und Sachverstandigen in den Geschaftsordnungen des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesministerien geregelt 1 9 0 . Von der Moglichkeit offentlicher Anhorung von Interessenvertretern durch die Ausschiisse des Bundestages ist bisher nur wenig Gebrauch gemacht worden m . Auch die Ausschiisse des Bundesrates lassen infolge der Kurzfristigkeit ihrer Gesetzesdurchgange den Stellungnahmen der Interessenvertretungen verhaltnismafiig wenig R a u m . Lediglich die durch § 23 der Gemeinsamen Geschaftsordnung der Bundesministerien legitimierte Stellungnahme von Interessenten bei der Ausarbeitung von Gesetzesentwiirfen spielt eine gewisse Rolle; bei der Ausarbeitung seiner Denkschrift zur Reform der Umsatzsteuer zog das Bundesfinanzministerium alle in Betracht kommenden Verbande und Gruppen zu Rate. Das Problem, Mifibrauche und Auswiichse der Einflufinahme der Interessenverbande auf die politische Willensbildung zu verhindern, ist bisher nur in den Vereinigten Staaten gesetzgeberisch aufgegriffen worden. In dem 188 Allein in Bonn, Beuel und Bad Godesberg wurden bereits Mitte 1952 Euros von mindestens 270 Organisationen gezahlt, die dort seit der Wahl Bonns zur Bundeshauptstadt wie Pilze aus dem Boden schossen und sich u. a. AusschuE, Bund, Gemeinschaft, Gesellschaft, Institut, Kammer, Kreis, Rat, Kuratorium, Ring, Tag, Verband nennen (Breitling, R.: „Pressure Groups" in Bonn?, in: Wort und Wahrheit, Januarheft 1954, und derselbe: Die Verbande in der Bundesrepublik, a.a.O., S.5).
189 Y g ^ hierzu d i e mit reichhaltiger Literatur versehene Studie von U t h m a n n , K. J.: Institutionelle Formen der Zusammenarbeit zwischen Staat u n d Wirtschaf tsverbanden im Ausland, in: D e r Staat und die Verbande, a.a.O., S. 56 ff.
190 § 73, 1 und 2 der Geschaftsordnung des Bundestages: Die Beratungen der Ausschiisse sind nichtoffentlich. Der nichtorTentlichen Sitzung konnen auf Beschluft des Ausschusses offentliche Informationssitzungen vorangehen. Zu diesen sind nach Bedarf Interessenvertreter, Auskunftspersonen und Sachverstandige, die Presse sowie sonstige Zuhorer zugelassen, soweit es die Raumverhaltnisse gestatten. § 40 III der Geschaftsordnung des Bundesrates: Die Ausschiisse konnen Sachverstandige anhoren. § 23 der Gemeinsamen Geschaftsordnung der Bundesministerien, besonderer Teil (gekiirzt): Zur Beschaffung von Unterlagen fiir die Vorbereitung von Gesetzen konnen die Vertretungen der beteiligten Fachkreise herangezogen w e r d e n . . . Verbande, deren Wirkungskreis sich nicht iiber das gesamte Bundesgebiet erstreckt, sind im allgemeinen nicht heranzuziehen. 191 Krumholz, W.: Wie ein Gesetz entsteht, Berlin-Miinchen 1961, S. 106.
§ 16. Der vorparlamentarische Raum
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Reformgesetz von 1946 192 ist ein besonderer Abschnitt als „Federal Regulation of Lobbying Act" enthalten (Section 301—311), in dem alle Personen, die sich aus irgendeinem G r u n d e oder in irgend jemandes Auftrage damit befassen, „to influence the passage or defeat of any legislation by the Congress of the United States", einer Anmeldepflicht unterworfen werden; unter Androhung hoher Strafen sind diese Personen gehalten, ihre Einnahmen aus derartigen Auftragen, soweit sie 500 $, und alle ihre Aufwendungen dafiir, soweit sie im Einzelfalle 10 $ iiberschreiten, laufend zu melden und ihre Auftraggeber genau zu bezeichnen, widrigenfalls ihnen unter anderem der „Ausschlufi von jeglicher Mitarbeit bei der Gesetzgebungsarbeit" angedroht wird. Die anscheinende N a i v i t a t dieser Bestimmungen wird nur verstandlich, wenn m a n sie im Zusammenhang mit den jahrzehntelangen Bestrebungen der englischen und amerikanischen Gesetzgebung sieht, der weitverbreiteten politischen Korruption H e r r zu werden; 1854 erging in England der erste „ C o r r u p t Practices Act", dem 1884 und mehrfach noch weitere Gesetze auf diesem Gebiete folgten, in den U S A beispielsweise 1925, 1940 und 1941. Zugrunde liegt diesen gesetzgeberischen Mafinahmen das Prinzip, denjenigen, der sich im politischen Kampf unlauterer Machenschaften bedient, dadurch ins Unrecht zu setzen, dafi er formale Anmeldepflichten u. dgl. aufier acht lafit; wegen einer solchen Ordnungswidrigkeit kann sodann Anklage erhoben oder ein parlamentarischer Untersuchungsausschufi eingesetzt werden, ohne dafi das schwere Geschutz der Korruptionsbeschuldigung, liber die sich im Verfahren ohnehin alsbald Naheres ergibt, gleich im Anfang aufgefahren werden mufi. Mit der Tatsache, dafi starke materielle Interessen an der finanz- und steuerpolitischen Willensbildung mitwirken, hat sich der amerikanische Staatsbiirger inzwischen wahrscheinlich weithin abgefunden 1 9 3 ; die sog. „Pork-Barrel-Legislation" („Speckverteilung") ist ein nie versagendes Thema der Kritik an Parlament und Regierung. Auf der anderen Seite zeigt die periodisch durch die immer wiederkehrenden Skandalaffaren aufgerlittelte offentliche Meinung die Grenzen an, die derartigen Machenschaften durch die gesunde Reaktion des staatsblirgerlichen Rechtsempfindens gezogen sind; die offentliche Meinung als letzte Instanz der an der finanzpolitischen Willensbildung mitwirkenden Krafte bedarf daher noch besonderer Erwahnung. 192
Legislative Reorganization Act 1946. "In all ages and countries, with amazingly few exceptions, the power of the well-to-do has strongly influenced the course of public affairs. It must inevitably be so and I am not sure that its being so is a matter for either regret or critizism . . . Democracy is the most expensive form of government known to man; its cost increases as the square of the degree of direct popular participation in i t . . . The money power is no myth in American political life; it is an active, relentless, and for the most part an invisible factor there. But a good deal of the popular antipathy to it rests upon a myth — on the illusion that its activities are invariably detrimental to the best interests of the people as a whole." (Munro, W. B.: The invisible Government, a.a.O., S. 113 ff.) 193
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Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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§ 17. Die offentliche Meinung Fur die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Grade audi die offentliche Meinung zu den treibenden Kraften der finanzpolitischen Willensbildung zu rechnen ist und welche spezifischen Einfliisse von ihr ausgehen, bedarf es zunachst einer anschaulichen Vorstellung vom Wesen und Wirken der offentlichen Meinung und ihrer besonderen Bedeutung in den Fragen des Finanz- und Steuerwesens, deren Sachinhalte der iiberwiegenden Mehrheit der Bevolkerung in der Regel fremd, wenn nicht gar einigermafien verdachtig oder geradezu verhafit zu sein pflegen. Dabei kann davon ausgegangen werden, daft die offentliche Meinung eines Landes sich zwar aus einem recht vielstimmigen Chor unterschiedlicher Einzel- und Gruppenmeinungen zusammensetzt, daft sich aber iiber diesen divergierenden Stimmen ein mehr oder weniger allgemeiner Einklang vernehmen lafit, der sich als besondere oder doch iiberwiegende offentliche Meinung kennzeichnen lafit; es handelt sich „ nicht um eine Addition von Einzelmeinungen, sondern um eine Gesamtmeinung, die sich im Gegenteil als Fluidum iiber die Einzelmeinungen legt" 194. J. H. Kaiser macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dafi es „die Offentlichkeit" als gewissermafien arithmetisch bestimmbare Grofie nicht gibt. Derjenige, der „etwas an die Offentlichkeit bringt", macht damit noch keine offentliche Meinung; es kann sich ja dabei um ganzlich belanglose Dinge handeln, von denen kaum jemand Kenntnis nimmt. „ Offentlichkeit in konkretem Sinn entsteht durch Kenntnisnahme; offentliche Meinung entsteht durch Interessennahme." 195 Die Erkenntnis, dafi die Bildung einer bestimmten offentlichen Meinung zumindest schon eine gewisse Informiertheit voraussetzt 196 , gibt der Forschung iiber Entstehung und Eigenart der offentlichen Meinung neue und vielseitige Impulse; offenbar gibt es Unterschiede zwischen der uninformierten und der informierten „Meinungf<. Alle Beobachtungen des Alltags und der 194
Grabowsky, A.: Die Politik, ihre Elemente und ihre Probleme, Zurich 1948,
S.228.
195
Kaiser, J. H.: Die Representation . . . , a.a.O., S. 221. „Niemand kann Meinungen ausbilden iiber Gegenstande, bevor diese Gegenstande ins Bewufttsein geriickt sind; das heifk, dafi zum Beispiel niemand sich eine Meinung bilden kann iiber aktuelle Vorgange, bevor die Nachrichten durch Zeitung, Rundfunk oder ein anderes Medium ubermittelt wurden. Nehmen wir es als Gegebenheit, da£ wir standig neue Erscheinungen in unser Bewufksein aufnehmen, und nehmen wir es als ein anthropologisches Datum, daft wir Meinungen ausbilden iiber die Gegenstande, die uns ins Bewufitsein gelangen, so folgt daraus, daft wir unablassig einem mehr oder weniger intensiv ablaufenden Prozeft der Meinungsbildung unterworfen sind. Die neu sich bildenden Meinungen treten in Relation zu den schon vorhandenen, verstarken oder verandern sie je nach Konstellation im Meinungssystem." (Baumert, G : Meinungsbildung und offentliche Meinung in der modernen Gesellschaft, in: Die politische Urteilsbildung in der Demokratie, Schriften der Friedrich-Ebert-Stiftung, Hannover 1960.) 196
§17. Die drfentliche Meinung
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experimentellen Psychologie haben immer wieder gezeigt, daft in Fragen, auf die der einzelne Staatsbiirger im Grand keine Antwort weifi oder wissen kann, die verschiedenen an sich moglichen Standpunkte keineswegs gleich haufig vertreten werden, sondern dafi es daflir „typische" Antworten gibt, gepragte Formeln, die weithin mehr oder weniger allgemeine Geltung gewinnen; in der bereitwilligen Aufnahme derartiger vorgepragter Formeln, Schlagworte und stereotyper Urteile sieht die moderne Psychologie den Ausdruck der jedem Menschen innewohnenden Scheu, vor sich selbst oder vor anderen sein Nichtwissen einzugestehen. Hofstatter spricht von der beklemmenden Unsicherheit des Gesamtwesens, einem Zustand der Ungewifiheit, der von dem der Angst kaum zu unterscheiden ist; wie die Flucht vor der Angst zu Kurzschlufihandlungen und zu durchaus abartigen Verhaltensweisen fiihren kann, so erklart sich auch die „Flucht vor der Ungewifiheit, der sich vorgepragte Formeln wie rettende Asyle anbieten" 197. Dabei erfolgt die Ubernahme dieser „ Formeln" keineswegs absichtlich oder auch nur bewufit; man wiegt sich vielmehr durchaus in dem Gefiihl, einen ganz personlichen Standpunkt zu beziehen. „Da die Ubernahme einer gepragten Formel dem Zwecke dient, uns das Erlebnis des spannungsvollen ,Ich weifi nichtc zu ersparen, ist es nur konsequent, wenn auch die Tatsache der Ubernahme so weitgehend als moglich aus dem Bewufitsein verbannt wird" 198. Diese Aneignung von stereotypen, vorgepragten Formeln oder fertigen Urteilen, deren Herkunft alsbald vergessen oder doch aus dem Bewufitsein verdrangt zu werden pflegt, gilt in der Psychologie nicht etwa als eine Art „Abschreiben" wie in der Schule, denn sie erfolgt nicht aus klarer t)berlegung oder gar mit betriigerischer Absicht. Dennoch haftet ihr, wie dem Verbal ten des beim Abschreiben ertappten Schiilers, „ein sonderbar gereizter Affekt an, so als ob der einer Behauptung verliehene Nachdruck deren Richtigkeit oder auch nur deren Eigenstandigkeit zu erweisen vermochte... In ihrer herausfordernden Selbstsicherheit spiegelt sich noch einmal die in unglucklicher Weise ratlose Ausgangssituation des zu Entscheidungen aufgerufenen Erdenbiirgers, die er aus eigenem Ermessen nicht treffen kann." 199 Dieses uninformierte „Nachplappern" vorgepragter Formeln und Schlagworte, so verbreitet es ist, stellt noch nicht die „6ffentliche Meinung" dar, ist aber sicherlich fur ihr Zustandekommen nicht ohne Bedeutung. Die erwahnte Intoleranz und Affektbetontheit der stereotypen Vorurteile und Schlagworte wird mehr oder minder unbewufit auch in die „informierte" Meinung der politisch „interessierten" Offentlichkeit iibernommen; darin liegt die psychologische Erklarung fiir die oft kritisierte Tatsache, dafi die „6rTentliche Meinung" unkritisch, aufierst unbestandig und zu vorschnellen, sub397 198
Hofstatter, P. R.: Die Psychologie der offentlichen Meinung, a.a.O., S. 3, 26. Ders.: ebenda, S. 7f.
199 D e r S . : ebenda. 9*
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jektiv gefarbten Werturteilen bereit ist. Nichtsdestoweniger oder vielleicht gerade darum ist die offentliche Meinung andererseits fiir die Willensbildung der politischen Instanzen von grofier Bedeutung; nicht nur unterliegt der einzelne Politiker, Abgeordnete oder Beamte selbst den gleichen Einfliissen wie jeder andere Staatsbiirger, der an dieser Meinungsbildung beteiligt ist, sondern ihre Beriicksichtigung drangt sich im demokratischen Staat schon im Hinblick auf die periodischen Wahlen und Abstimmungen auf, in denen jeweils die Billigung oder Mifibilligung des von den politischen Organen des Staates verfolgten Kurses zum Ausdruck kommt. Es ergibt sich somit eine Art Wechselwirkungsverhaltnis zwischen Politik und offentlicher Meinung oder dem, was die Politiker jeweils dafiir halten; in diesem Wechselwirkungsverhaltnis tritt der grofie Einflufi der schwankenden Stimmungen und Gefiihle, Werturteile und Wiinsche, Vorstellungen und Ideen zutage, aus denen sich letztlich die orTentliche Meinung zusammensetzt und die sich in Presse und Rundfunk, in Versammlungen und Kundgebungen, in Denkschriften und Eingaben aller Art Ausdruck und Einflufi zu verschaffen vermag. Fiir die Frage nach dem Beitrag dieser offentlichen Meinung zur politischen Willensbildung, insbesondere in den Fragen des Finanz- und Steuerwesens, kommt es im allgemeinen nicht so sehr auf die wechselnden Stellungnahmen zu bestimmten konkreten Tagesfragen als vielmehr auf die in der offentlichen Meinung wirksamen Grundtendenzen an, die ihre allgemeine Richtung bestimmen 200. Grabowsky spricht von einer „Grundmeinung
„Die modernen Parlamente sind in erster Linie Vertretungen der durch die Mittel der Bureaukratie Beherrschten. Ein gewisses Minimum von innerer Zustimmung mindestens der sozial gewichtigen Schichten der Beherrschten ist ja Vorbedingung der Dauer einer jeden, auch der bestorganisierten Herrschaft. Die Parlamente sind heute das Mittel, dies Minimum von Zustimmung aufierlich zu manifestieren. Fiir gewisse Akte der offentlichen Gewalten ist die Form der Vereinbarung durch Gesetz nach vorheriger Beratung mit dem Parlament obligatorisch, und zu diesem gehort vor allem der Haushaltsplan. Heute wie seit der Zeit der Entstehung der Standerechte ist die Verfugung iiber die Art der Geldbeschaffung des Staates, das Budgetrecht, das entscheidende parlamentarische Machtmittel. Solange freilich ein Parlament nur durch Verweigerung von Geldmitteln und Ablehnung der Zustimmung zu Gesetzvorschlagen oder durch unmafigebliche Antrage den Beschwerden der Bevolkerung gegeniiber der Verwaltung Nachdruck verleihen kann, ist es von positiver Anteilnahme an der politischen Leitung ausgeschlossen. Es kann und wird nur ,negativec Politik treiben." (Weber, Max: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, a.a.O., S. 229.) 201 Grabowsky, A.: Die Politik . . . , a.a.O., S. 293.
§17. Die offentliche Meinung
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uber die Premierminister in England, zu den bestimmenden Gestaltungskraften der britischen Demokratie, uber die freilich kein verfassungsrechtliches H a n d b u c h Auskunft erteilen k a n n ; dafi die offentliche Meinung auch hier hochst subjektiv und aufierst gefiihlsmafiig reagiert, ergibt sich schon daraus, dafi sie oft gar nicht so sehr die wirkliche als vielmehr die imaginare Personlichkeit des regierenden oder des zukiinftigen Premiers im Auge h a t 2 0 2 . Neben dieser mehr oder minder affektbetonten Stellungnahme der orTentlichen Meinung zu einzelnen politisch hervortretenden Personlichkeiten sind fur die Finanz- und Steuerpolitik bestimmte „Attituden", insbesondere die Einstellung der Staatsbiirger zum Staat und zur nationalen Gemeinschaft als solcher von Bedeutung. Als Attitude bezeichnet G. W. Allport „einen durch Erfahrung geformten geist-seelischen Bereitschaftszustand, der die Reaktionen des Individuums auf Objekte und Situationen, mit denen es konfrontiert wird, beherrschend oder dynamisch beeinflufit" 203 . Fur die Finanzpsychologie steht unter den politischen Attitiiden an erster Stelle das Staatsbewufitsein und die staatsburgerliche Gesinnung, die von Volk zu Volk, aber auch innerhalb desselben Staatsvolkes von Stamm zu Stamm und innerhalb eines langeren Abschnittes seiner politischen Geschichte von Zeitalter zu Zeitalter betrachtliche Unterschiede aufweisen k a n n ; die staatsburgerliche Gesinnung bildet gewissermafien einen der bleibenden Grundziige der rasch wechselnden orTentlichen Meinung. Gerade weil diese selbst zahlreichen aufieren Einfliissen unterliegt, nicht zuletzt denen der sie formenden und ihr schmeichelnden P r o p a g a n d a und der ganzen Wirkungsbreite der Publizistik in alien ihren Formen 204 , erscheint es wichtig, uber die Stimmen des Alltags hinaus bis zu den bleibenden Fundamenten der orTentlichen Meinung vorzudringen, urn ein geschlossenes Bild von den treibenden Kraften der flnanzpolitischen Willensbildung zu erhalten; Staatsbewufksein und staatsburgerliche Gesinnung gehoren zu den Grundkraften aller staatlichen O r d n u n g , mit denen die Finanz- und Steuerpolitik in besonderem Mafie rechnen mufi 205 .
202
Ders.: ebenda, S. 225 f. Allport, G. W.: Art. Attitudes, in: Handbook of Social Psychology, hrsg. von C. Murchison, Worcester 1935. 204 Proebsting, H.: Meinungsforschung und Statistik, Frankfurt 1953, S. 115 ff. 205 Bei einer Interview-Aktion, die das Kolner Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut zusammen mit der Forschungsstelle fiir empirische Sozialokonomik und dem EMNID-Institut in Bielefeld im Jahre 1958 bei einem reprasentativen Querschnitt der westdeutschen Bevolkerung durchfiihrte, wurde das Staatsbewu£tsein und das staatsburgerliche Interesse in der Bundesrepublik erstmals mit den Mitteln der sozialokonomischen Verhaltensforschung untersucht. Dabei zeigte sich bei einer auf der einen Seite iiberwiegend positiven Einstellung zum Staat schlechthin auf der anderen Seite eine deutlich spurbare Uninteressiertheit an eigener staatsbiirgerlicher Aktivitat, die in einer weitreichenden Unkenntnis iiber die Grundtatbestande unserer politischen Ordnung begriindet ist. — Zu den Ergebnissen im einzelnen siehe Schmolders, G.: Das Irrationale in der offentlichen Finanzwirtschaft, a.a.O., S. 38 ff. 203
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In der politischen Realitat ist es insbesondere die Bereitschaft der Staatsbiirger, sich einer iibergeordneten Gemeinschaft einzufugen und ihre Ziele als eigene Ziele anzuerkennen, an der Art und Mafi ihrer Staatsgesinnung abgelesen werden kann; im zwischenstaatlichen Vergleich treten in dieser Beziehung selir charakteristische Unterschiede zutage. Die Aufnahme eines in den modernen Demokratien nahezu gleichlautenden Katalogs von „Grundrechten" in die Verfassungen und Gesetze darf nicht dariiber hinwegtauschen, dafi die Volker ihrer Obrigkeit mit einem hochst unterschiedlichen Mafi an inneren Vorbehalten gegeniiberstehen; zwischen dem Individualismus der Franzosen und der Staatsdisziplin der Englander, ganz zu schweigen von den Preufien und Slawen, sind unverkennbare Unterschiede zu beobachten, die sich in Staatsform und Regierungssystem, in Verwaltung und Rechtsprechung, letztlich in dem ganzen politischen „Klima" ihrer Lander niederschlagen. Die Geschichte der Kriegswirtschaft, die in alien Landern zu ahnlichen Mafinahmen der Rationierung, Zuteilung und Bewirtschaftung knapper Rohstoffe und Lebensmittel zwang, hat diese Unterschiede sehr deutlich zutage treten lassen; die Autoritatsglaubigkeit der deutschen Bevolkerung, die erst mit dem beruchtigten „Speisekammergesetzc< 206 der Besatzungsmacht an ihre Grenzen stiefi, und die vielbewunderte Rationierungsdisziplin der Englander kontrastierten anschaulich mit der unbekummerten Freude der Italiener und Franzosen am Schwarzhandel und dem geschaftigen Treiben dunkler Elemente in den siideuropaischen Schieberzentralen. Behordliche Kontrollen, Reglementierungen und personliche Einschrankungen aller Art lassen sich die Volker erfahrungsgemafi in hochst ungleichem Grade gefalien; die Bewirtschaftungsdisziplin ist eine anschauliche Ausdrucksform der allgemeinen Staatsgesinnung. Der Priifstein dieses die offentliche Meinung weithin bestimmenden staatsbiirgerlichen Bewufitseins ist die sog. „Steuermentalitat", d. h. die allgemein herrschende Attitude oder Grundeinstellung des Staatsbiirgers zur Besteuerung schlechthin 207, die wiederum im Vergleich der einzelnen Volker und Staaten untereinander charakteristische Unterschiede aufweist. Die romanischen Volker, von den Italienern und Spaniern bis zu den Franzosen, Welschschweizern und wallonischen Belgiern bringen der Obrigkeit aller Stufen und Arten, insbesondere aber den Steuerbehorden und -beamten, ein gewissermafien angeborenes Mifitrauen und eine traditionelle Skepsis entgegen, die von der in einer Art „genossenschaftlicherc< Staatsidee wurzelnden Steuerdisziplin der Englander und Skandinavier ebenso deutlich absticht wie von der slawischen Unterwiirfigkeit. Die Worter „Impotc<, „Imposto w und
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Mit dieser Bezeidinung apostrophierte der Volksmtmd eine Verordnung der alliierten Besatzungsmacht, wonach die Lebensmittelvorrate privater Haushalte auf etwaige Schwarzmarktwaren hin kontrolliert werden konnten. 207 Ygi# hierzu im einzelnen § 34.
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„Impuesto" erwecken bei den Franzosen, Italienern und Spaniern die Vorstellung des Auferlegens einer lastigen Btirde, zumal diese Wortstamme auch aufierhalb der Finanzterminologie in dieser Bedeutung leben 208 ; das englische „Tax" und „Duty", das deutsche „Abgabe u und „Steuer
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Besteuerungsform, an die sich die Englander bereits vor mehr als 100 Jahren zu gewohnen vermochten, in Frankreich erst sehr spat und verhaltnismafiig unvollkommen durchsetzen konnen. Dies liegt daran, dafi sich die Bevolkerung der einzelnen Nationen in hochst unterschiedlichem Grade mit dem politischen System ihres Landes identifiziert. Empirische Untersuchungen 211 zu dieser Frage in Grofibritannien, Frankreich, der Schweiz, Italien, Spanien und der Bundesrepublik Deutschland sind zu dem Ergebnis gekommen, dafi sich diese Lander in zwei Gruppen unterscheiden; die Steuermentalitat der Schweizer und Englander fiigt sich in die politische Kultur gut ein, wahrend in den romanischen Landern und in Deutschland Steuerwiderstande nicht durch das politische System kompensiert werden. Wahrend in der Schweiz und England die „ durch eine lange Tradition abgesicherte Akzeptierung der Spielregeln des staatlichen Zusammenlebens zum reibungsarmen Funktionieren des Steuerwesens" 212 beitragt, bedarf es in Deutschland, um die Efflzienz des Steuersystems zu garantieren, einer intensiven, tief in die personlichen Verhaltnisse des Zensiten eindringenden Konfrontation des Steuerpflichtigen mit dem Fiskus. Die Einstellung zur Besteuerung und damit auch zum Staat in den romanischen Landern lafit dagegen mit wenigen Ausnahmen „nur eine aufierst primitive, letztlich an aufieren Merkmalen ausgerichtete und den fiskalischen Anforderungen des modernen Nationalstaates keineswegs angepafite Einkommensteuer" zu, die dariiber hinaus noch „teuer" ist, weil sie die Chance, zumindest dieses wenig anspruchsvolle System ohne Provozierung von Steuerwiderstanden auszunutzen, im wesentlichen vertut: „die krasse Diskrepanz zwischen Steuerrecht und Steuerwirklichkeit fiihrt zu Behordenwillkiir und Rechtsunsicherheit, die nicht nur die Einstellung zur Besteuerung vergiften, sondern auch das Verhaltnis zum Staat und Gemeinwesen komplizieren". 213 Ein anderes Barometer der offentlichen Meinung in ihrer Stellung zur Obrigkeit und zum Steueranspruch des Staates ist die Handhabung des sog. Bankgeheimnisses, das im Diktaturstaat nicht denkbar, in manchen alten Demokratien des europaischen Westens jedoch noch verhaltnismafiig gut erhalten geblieben ist; das Recht der Kreditinstitute, jede Auskunfterteilung an Dritte — einschliefilich und ganz besonders des Finanzamtes — iiber die Vermogensverhaltnisse ihrer Kunden zu verweigern, ist in seinen verschiedenen Abstufungen ein besonders guter Gradmesser fur die mehr oder weniger ausgepragten inneren Vorbehalte des Staatsbiirgers gegeniiber der Finanz-
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Beichelt, B., Biervert, B., Daviter, J., Schmolders, G., Striimpel, B.: Steuernorm und Steuerwirklichkeit, a.a.O.; Striimpel, B.: Steuersystem und wirtschaftlidie Entwicklung, a.a.O. 212 Striimpel, B.: Steuersystem und wirtschaftlidie Entwicklung, a.a.O., S. 103. 213 Ders.: ebenda, S. 106.
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und Steuerhoheit seiner Obrigkeit 214 . In der Bundesrepublik ist das Bankgeheimnis durch einen Erlafi der Verwaltung fiir Finanzen vom 29. 8. 1949 wiederhergestellt w o r d e n ; gegen das Finanzamt gilt es jedoch im Ernstfall nicht. In der Schweiz, in Frankreich und Belgien besteht das Bankgeheimnis noch weitgehend auch gegeniiber der Steuerbehorde; in Norwegen, wo den sozialistischen Regierungen der letzten 50 Jahre die Gefolgschaftstreue einer von jeher staatsbejahenden Bevolkerung zugute kommt, werden umgekehrt die Kreditinstitute zur Anzeige aller Vermogenswerte ihrer Einleger angehalten, wobei auf Anordnung des zentralen Steueramtes alljahrlich die Kunden mit bestimmten Anfangsbuchstaben an die Reihe kommen 215 . Es bedarf keiner grofien Phantasie, urn sich auszumalen, wie eine derartige Mafinahme, die in Norwegen seit langem hingenommen wird, beispielsweise in Frankreich wirken wiirde, w o die Kreditwirtschaft ohnehin unter dem ausgepragten Hortungsbediirfnis grofier Teile der Bevolkerung leidet; ein derartiger Vorrang der offentlichen Belange gegeniiber der W a h r u n g der privaten Sphare des einzelnen pafit schlechterdings nicht in das staatsburgerliche Bewufitsein der Romanen. Ein besonderes Sprachrohr hat sich die offentliche Meinung in Finanzund Steuerfragen in einer Reihe von Landern in Gestalt der Steuerzahlerorganisationen geschaffen, unpolitischer Vereinigungen von Staatsbiirgern gegen Mifiwirtschaft mit offentlichen Mitteln, deren Bestrebungen vielfach weithin Widerhall gefunden haben 216 . In den Vereinigten Staaten konnten die Forschungsstellen fiir rationelle Kommunalpolitik, wie sie in Gestalt der zahlreichen „ Taxpayer's Associations", „Bureaus of Municipal Research", „Civil Leagues" u. dgl. in den meisten Stadten bestehen, schon vor Jahren auf ein halbes J a h r h u n d e r t erfolgreicher Arbeit an der Formung und Vertretung der offentlichen Meinung in Finanz- und Steuerfragen zuriickblicken; seit rund 40 Jahren sind auch fiir die Durchleuchtung und Kritik der Bundesund Staatshaushaltsplane entsprechende Vereinigungen am Werke 217 . Besondere Bedeutung als beachtlicher Faktor der offentlichen Meinung hat die schwedische Steuerzahlerbewegung gewonnen, deren Arbeit in erster Linie
214 Siditermann, S.: Geschichte des Bankgeheimnisses, l.Teil, Frankfurt (Main) 1953; ders.: Bankgeheimnis und Bankauskunft, Frankfurt (Main) 1957; Schubert, W.: Das Bankgeheimnis, in: Blattei — Handbuch Rechts- und Wirtschaftspraxis (Forkel-Kartei), Stuttgart, Lieferung 226 vom 1. 6. 1954. 215 Stangeby: Legislative Measures against tax fraud in Norway, Bulletin for International Fiscal Documentation, Amsterdam 1954, S. 260. 216 Schmolders, G.: The Taxpayer's Movement in Europe, in: National Municipal Review 1930. 217 Schmolders, G.: Steuerzahlerbewegung und Verwaltungsreform in den Vereinigten Staaten, in: Reichsverwaltungsblatt, 1929, H. 47; ders.: Steuerzahlerbewegung und Budgetreform in den Vereinigten Staaten, in: Wirtschaftsdienst, 1929, H. 42; ders.: Mitarbeit der Steuerzahler an Kommunalaufgaben in USA, in: Zeitschrift fiir Kommunalwirtschaft, 1929, H. 22.
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auf die Gewinnung der offentlichen Meinung fur die Gedanken der Verwaltungsreform, der Sparsamkeit mit offentlichen Mitteln und des Steuerabbaus gerichtet ist 218 ; wenn Kritik und offentliche Diskussion zu den Wesenselementen der Demokratie gehoren, so kann die schwedische Steuerzahlerbewegung mit ihrer reichen publizistischen Wirksamkeit fur sich in Anspruch nehmen, die Stimme der „gesunden Vernunft" 219 in den Fragen der Finanzund Steuerpolitik im Chor der staatsbiirgerlichen Meinungen nachdriicklich zur Geltung gebracht zu haben. Seit zwei Jahrzehnten hat auch in der Bundesrepublik Deutschland der „Bund der Steuerzahler" 220 in ahnlichem Geist seine Arbeit aufgenommen und sich durch mafivolle Folemik und sachgemafie Kritik an der staatlichen und kommunalen Finanzpolitik Beachtung erworben; auch in vielen anderen demokratischen Landern hat sich die offentliche Meinung zur Finanz- und Steuerpolitik des Staates und der Gemeinde Ausdruck in derartigen Organisationen geschaffen 221. Die Aufgabe, die Offentlichkeit besser mit Wesen und Wirken der offentlichen Finanzen vertraut zu machen, hat die Finanzwissenschaft bereits seit der zweiten Halfte des vorigen Jahrhunderts mit dem Grundsatz der Budgetpublizitat dem Staat zugewiesen; «il n'y a pas de finances solides sans publicite; le pouvoir budgetaire des assemblies est la garantie de la discussion et de la publicite en matiere financiere; rien ne peut remplacer cette garantie», schrieb Gaston Jeze 222 . Mit dieser Begriindung des Budgetrechts aus der Garantiefunktion von "Offentlichkeit und Diskussion erscheint der Grundsatz der Budgetpublizitat von vornherein als Postulat nach „Finanzpublizitatcc im weitesten Sinne, wie sie in Frankreich der Finanzminister Necker als erster gefordert hatte. Sein «Compte rendu au roi» von 1781 war die erste Budgetveroffentlichung der Finanzgeschichte; in seinen Memoiren hebt er selbst hervor, dafi damit «une nouvelle ere dans les finances» begonnen habe und dafi in Zukunft die Grundlage aller guten Finanzverfassungen eine doppelte sein miisse, «l'etablissement des assemblies provinciales» und «publicite de l'etat des finances» 223. Folgerichtig enthielt die „Erklarung der Menschenrechte" von 1789 nicht nur «le droit de demander compte a tout agent public de son administration^ sondern auch «le droit de constater la necessite de la
218 Schmolders, G.: Die Steuerzahlerbewegung in Schweden, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, Koln 1950. 219 Titel der Zeitschrift der schwedischen Steuerzahlerbewegung. 220 Uber Ziele und Arbeit des Bundes der Steuerzahler siehe Breitling, R.: Die Verbande in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 139 f. 221 Brauer, K.: Art. Steuerzahlerbewegung, in: Handworterbudi der Sozialwissenschaften, Bd. 10, Stuttgart-Tubingen-Gottingen 1959, S. 191 f. 222 Jeze, G.: Cours de science des finances et de legislation financiere francaise, 6. AufL, Paris 1922, S. 5. 223 Necker, J.: Administration des Finances, Paris 1784, S. 75, vgl. Stein, L. v.: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 5. AufL, Leipzig 1885, S. 280.
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contribution publique, de la consentir librement, d'en suivre l'emploi et d'en determiner la quotite, 1'assiette, le recrement et la duree» 224. Wahrend die klassischen franzosischen Lehrbucher des Budgetwesens, insbesondere P. Leroy-Beaulieu 225 und R. Stourm 226, diese Gedanken weiter fortentwickelten, beschranken die meisten deutschen Autoren den Grundsatz der Offentlichkeit des Haushaltsplanes darauf, dafi Budgetpublizitat bereits verwirklicht sei, wenn das Budget in alien seinen Phasen „der Offentlichkeit zuganglich" 227 sei; hier wird also das Publizitatspostulat enger und formaler aufgefafit als selbst schon bei Necker. In der modernen Massendemokratie verlangt jedoch der Grundsatz der Publizitat nach einer weitaus breiteren und grundsatzlicheren Deutung; das Wesen der „Finanzpublizitat" liegt in der Einschaltung der offentlichen Meinung, die es zu gewinnen gilt, in die finanzpolitische Willensbildung, nicht nur in die Kontrolle der Verwendung offentlicher Mittel, wie sie der „Budgetpublizitatcc geniigt 228. Dafi die Forderung nach Offentlichkeit der „6ffentlichenc< Finanzen sich nicht auf den Haushaltsplan beschranken kann, sondern die Gesamtheit der finanzpolitischen Vorgange und Mafinahmen umfassen mufi, geht aus den bedenklichen Mifibrauchen hervor, die im Schatten der Geheimhaltung zu gedeihen pflegen. Mifiwirtschaft und Korruption treten regelmafiig Hand in Hand mit jener „Kabinettspolitikc< in Erscheinung, die sich auch in demokratisch organisierten Gemeinwesen je nach den gegebenen Vorbedingungen herausbilden kann; die Idee des „Government of the people, by the people, for the people" verwandelt sich in ihr diametrales Gegenteil, wenn die zwischen dem Staatsvolk und seiner gewahlten Regierung eingeschalteten Zwischenglieder wie Behorden, Parlamente, Parteien oder Verbande zum Selbstzweck werden und ihre eigene Hausmachtpolitik mit undurchsichtigen und haufig unlauteren Machenschaften betreiben. Unter „politischer Korruption" versteht Brooks 229 die vorsatzliche Vernachlassigung oder Verletzung amtlicher Pflichten oder miCbrauchliche Anwendung der Amtsgewalt zugunsten unmittelbarer oder mittelbarer eigener Vorteile der beteiligten Personen oder 224 Artikel XIV der Constitution Francaise vom 3. September 1791, verkiindet am 26. August und 3. November 1789 als „Declaration des droits de Phomme et du citoyen", vgl. Altmann, W.: Ausgewahlte Urkunden zur auEerdeutschen Verfassungsgeschichte seit 1776, 2. Aufl., Berlin 1913, S. 59. 225 Leroy-Beaulieu, P.: Traite de la science des finances, 2 ed., Paris 1879. 226 Stourm, R.: Le Budget, 7. ed. reveu et mise au courant, Paris 1912. 227 Vgl. Lotz, W.: Finanzwissenschaft, Tubingen 1929, S. 125; Meister, M.: Das deutsche und englische Budget, Munchen 1933, S. 64; Moll, B.: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, a.a.O.; ferner die von Heinig, K.: Das Budget, Bd. I, a.a.O., S. 3—4 angegebene Literatur, und Sundelson, J. Wilner: Budgetary Principles, in: Political Science Quarterly, Bd. 50, 1935, S. 260. 228 Schmolders, G.: Der Grundsatz der Budgetpublizitat, in: Finanzarchiv, NF., Bd. 18 (1958), S. 193 ff. 229 Brooks, Robert C.: Corruption in American Politics and Life, New York 1910, S.46fF.
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Gruppen. Im Gegensatz zu der geschaftlichen und privaten „Schmiergelderwirtschaft" in Industrie und Handel, im Verbandswesen und in der Presse ist die politische Korruption insofern von erheblicher allgemeiner Bedeutung, als sie in der Regel berechtigte Interessen der Gesamtheit der Staatsburger verletzt, mit offentlichen, oft aus Steuerleistungen stammenden Geldern Mifiwirtschaft treibt oder in anderer Weise offentliche Machtpositionen im Dienst eigenntitziger Zwecke auszumiinzen bestrebt ist. Von Erscheinungen dieser Art ist kaum ein Land ganzlich freigeblieben, wenn sich auch gerade in dieser Beziehung charakteristische Unterschiede beobachten lassen; es geniigt, das zaristische Rufiland oder die Balkanlander mit ihrem Bestechungsunwesen der vorbildlichen preufiischen Verwaltung der Vorkriegszeit gegeniiberzustellen, um einen deutlichen Eindruck von diesen Verschiedenheiten zu erhalten. Beispiele fur derartige „Finanzskandalecc aus den „Grunderjahren
Heinig, K.: Die Finanzskandale des Kaiserreichs, Berlin 1925. Lewinsohn (Morus), Richard: Das Geld in der Politik, Berlin 1930; Noll von 232 der Nahmer, R.: Bismarcks Reptilienfonds, Mainz 1968. Schmolders, G.: Die politische Korruption in den Vereinigten Staaten und ihre Bekampfung in der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 258.
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grotesken Ausmafien steigerte; in Chicago besafi der organisierte Bandenschmuggel, mit dem von dem romantischen Glanz einer sagenhaften Kriminalitat umwobenen Abenteurer Al Capone an der Spitze, ein Jahrzehnt hindurch mittels eines grofiziigigen Gewinnbeteiligungssystems mafigebenden Einflufi auf Polizei und Stadtverwaltung, und in anderen Grofistadten war es zeitweise nicht viel anders 233 . Audi hier war es das Treibhausklima der Geheimhaltung, in diesem Falle sogar der Illegalitat, in der Mifiwirtschaft und Korruption ihre buntesten Bliiten trieben; mit der Aufhebung des Alkoholverbotes, das in der offentlichen Meinung keine Stiitze mehr fand, war den argsten Mifistanden auf diesem Gebiet der Boden entzogen. Die Frage, wie die Anteilnahme der Off entlichkeit am politischen Leben im allgemeinen und an der Finanzpolitik im besonderen verstarkt und zu einem wirksamen Sicherungsfaktor gegen die Gefahren von Mifiwirtschaft und Korruption ausgestaltet werden konnte, hat die Befurworter des demokratischen Staatsgedankens von jeher beschaftigt. In kleinen Verhaltnissen, wo ein gewisses Nachbarschaftsgefuhl noch vorhanden oder doch leicht zu aktivieren ist, pflegt sich die staatsburgerliche Anteilnahme am offentlichen Leben am besten zu entwickeln und zu erhalten; nicht ohne tiefere Ursache geht in der Schweiz die sog. „Referendums-Demokratie" Hand in Hand mit dem beharrlichen Festhalten an einer weitgehenden Dezentralisation der politischen Willensbildung. Mit dem parlamentarischen Regierungssystem in der Massendemokratie ist das Referendum dagegen „wahrscheinlich unvereinbar"; es eignet sich fur einen Grofistaat iiberhaupt nicht 234 . Infolgedessen bedarf es hier fur die Verwirklichung einer echten inneren Anteilnahme der Offentlichkeit am politischen Geschehen anderer Organisationsformen. Mit Recht weist in diesem Zusammenhang H. Nawiasky auf die staatsburgerliche Funktion der politischen Parteien hin: „Durch das Rivalisieren der Parteien wird das Interesse der Menschen wachgerufen, auf die der Losung harrenden Fragen gelenkt, die Probleme werden ihnen nahergebracht. Der gegenseitige Wettkampf der verschiedenen Richtungen scharft den Blick, eroffnet die Einsicht in die Vielheit der moglichen Auffassungen, lafit Ansatze zu eigenem Urteilen aufkeimen und bringt diese Keime zur Entfaltung" 235. In diesem Zusammenhang hebt Nawiasky die positiven Seiten der vielverlasterten „Zerreifiung des Staatsvolkes in gegensatzliche, sich befehdende Gruppen" als „das wichtigste Mittel zur Forderung der politischen Einsicht" hervor; gegenliber dem Wirken der Interessenverbande, die „ihre Angelegenheiten durch Interventionen in den einzelnen Biiros — wenn moglich im Stillen — 233
S.204. 234
Sdimolders, G.: Die Prohibition in den Vereinigten Staaten, Leipzig 1930,
Huber, H.: Die schweizerische Referendums-Demokratie, Neue Ziirdier Zeitung vom 8. 12. 1953. 235 Nawiasky, H.: Staatsgesellschaftslehre (Allgemeine Staatslehre, II. Teil), Einsiedeln 1954.
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betreiben, so dafi die Aufienwelt davon wenig oder nichts erfahrt", spielt sich die Tatigkeit der politischen Parteien im allgemeinen in der Offentlichkeit ab, und ihre Wirksamkeit „ist daher in der Regel leichter zu verfolgen und zu kontrollieren, wiewohl der geheime Einflufi der Interessenverbande viel nachhaltiger und schwerwiegender sein kann" 236. Die in der modernen Demokratie vorhandenen Moglichkeiten und Wege, die Anteilnahme der Staatsbiirger am politischen Leben im allgemeinen und an der finanzpolitischen Willensbildung im besonderen nachhaltig zu aktivieren, sind zahlreich und verschiedenartig und konnen hier nicht im einzelnen verfolgt werden 237; neben den politischen Parteien, deren Fufifassen in der breiteren Offentlichkeit durch das Versagen der Parteien im Weimarer Staat und durch die Diffamierung des Begriffs „Partei" durch das HitlerRegime in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erschwert war, ist hier den zahlreichen unpolitischen und uberparteilichen Organisationen 238, den Kommuniktaionsmedien der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens und des Filmes eine bedeutende Aufgabe gestellt. Vor allem gilt es, dem Grundsatz der Budgetpublizitat in Wissenschaft und politischer Praxis neue Inhalte und Funktionen zu verschaffen; als blofies Kontrollmittel des Parlaments gehort die Offentlichkeit des Haushaltsplanes der Ideenwelt des Konstitutionalismus und damit dem 19. Jahrhundert an. In der modernen demokratischen Grofigesellschaft ist die Offentlichkeit, vielleicht zum erstenmal seit der antiken Polis, wieder „der Raum, in dem Staat und Gesellschaft sich begegnen, in dem ihr Gegensatz ertragen und dessen dialektische Spannung ausgetragen wird" 239; ohne Publizitat als Beziehung zwischen Reprasentierten und Reprasentanten „wiirde die Massendemokratie zu einer neofeudalen, oligarchischen Bonzenherrschaft entarten" 240. Die Publizitat ist daher heute ganz allgemein als eine Institution zu bezeichnen, die zu dem Prozefi der Integration dadurch beitragt, dafi sie die Bildung von Meinungen ermoglicht, anregt oder erleichtert; ihre „Integrationsfunktion<£ ist dann erfullt, wenn aus der Auseinandersetzung dieser Meinungen eine einheitliche Meinung und ein gemeinsamer Wille tatsachlich erwachst 241. Dabei geniigt es nicht mehr, das erforderliche Interesse als vorhanden vorauszusetzen; es ist das Kriterium einer modernen Offentlichkeitsarbeit, 236 Nawiasky, H.: ebenda. 237 Yg^ Schmolders, G.: Der Grundsatz der Budgetpublizitat, a.a.O. 238 Vgl. hierzu: Jahn, H. E.: Lebendige Demokratie, Die Praxis der politischen Meinungspflege in Deutschland, Frankfurt (Main) 1956. Jahn gibt hier einen anschaulichen Uberblick iiber die zahlreichen Vereinigungen, Gesellschaften usw., die sich zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik mit der staatsburgerlichen und politischen Jugend- und Erwachsenenbildung befassen. Ihre Zahl diirfte sich seit dem Erscheinen des Buches noch weiter vergro£ert haben. 239 Kaiser, J. H.: Die Reprasentation organisierter Interessen, a.a.O., S. 355. 240 Ders.: ebenda, S. 358. 241 Vgl. Smend, R.: Art. Integrationslehre, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 5, Stuttgart-Tubingen-Gottingen 1956, S. 299.
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nicht nur Informationen auszuteilen, sondern das Interesse dafiir aktiv zu wecken. Aktive Finanzpublizitat ist das intensive, zielbewuftte, unablassig wiederholte Bemiihen aller Organe der offentlichen H a n d , der breiten Offentlichkeit ein wahres, vollstandiges, eindrucksvolles und verstandliches, insbesondere aber ein auf eigene Anschauung gestiitztes Bild von den P r o blemen der offentlichen Finanzen zu vermitteln. Die Verwirklichung eines so verstandenen Grundsatzes der Offentlichkeit der Finanzpolitik erfordert allerdings die Oberwindung jener Publizitatsscheu, die die Verwaltungsbiirokratie in den meisten Landern heute noch beherrscht 242 . Die (rechtzeitige) Bekanntgabe und offentliche Erlauterung der Haushaltsplane in Bund, Landern und Gemeinden ist nur ein sehr bescheidener erster Schritt in dieser Richtung; selbst zu diesem Schritt lassen sich manche Staaten, Lander und Stadtverwaltungen bis heute nur zogernd bewegen 243 . Die Einberufung von (auf anderen Gebieten bereits bewahrten) offentlichen „Hearings" konnte ebenfalls dazu beitragen, die Finanzpublizitat zu erhohen und damit auch die Diskussion auf eine hohere, sachlichere Ebene zu heben. U m die vielfach iibertriebene Geheimhaltungssucht der Bundesbehorden in den U S A auf das sachlich gebotene Mafi zuriickzufiihren, hatte President Eisenhower eine Einschrankung der wahrend des Koreakrieges eingefiihrten Geheimhaltungsvorschriften angeordnet, die darin bestand, daft 29 weniger wichtigen Behorden das Recht zur Anbringung der iiblichen Geheimhaltungsvermerke auf ihren Schriftstiicken ganzlich genommen und in 17 weiteren Verwaltungen — darunter den Ministerien des Inneren, fur Landwirtschaft, Arbeit, Post- und Sozialfragen — auf den Ressortchef selbst beschrankt wurde. „Top secret" sind in Zukunft nur noch militarische Geheimdokumente oder gleichwertige Unterlagen, deren unbefugte Weitergabe „aufiergewohnlich schwere Nachteile fiir die Landesverteidigung" zur Folge haben wiirde; der Vermerk „secret" gilt fiir Material, dessen Bekanntwerden „ernste Schadigungen der N a t i o n " befurchten lafit, und als „confidential" sollen militarische oder sonstige Schriftstucke gelten, deren unbefugte Bekanntgabe „die Landesverteidigung beeintrachtigen k o n n t e " ; der Vermerk „restricted"
242
Lange, M. G.: Politisdie Soziologie, Berlin und Frankfurt (Main) 1961, spricht in diesem Zusammenhang von der „anti6rTentlidien Tendenz der Kommunikationsformen der Biirokratie. Wahrend das demokratische Prinzip der offentlichen Diskussion verlangt, daft alle Informationen alien zuganglich sind, hat sidi die Biirokratie ein besonderes Leitungsnetz fiir Informationen geschaffen, die nur fiir die zustandigen Stellen verfiigbar sind" (S. 169). Glaeser (Finanzpolitische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1964, S. 8) glaubt bei seinen Untersudiungen „eine Art Gesetzmaftigkeit in Form einer indirekten Proportionality von Aktualitat und Publizitatsneigung" festgestellt zu haben. 243 „Uberdies wurde und wird seit dem Ersten Weltkrieg . . . und nach dem Zweiten Weltkrieg die Budgetliige von manchen GroEstaaten wieder so eifrig gepflegt, daft man von einer neuen Bliitezeit sprechen kann; mandie kleineren Staaten haben mitunter traditionell sich mit der korrigierten Budgetwahrheit abgefunden." (Heinig, K.: Das Budget, Bd. II, a.a.O., S. 36.)
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wurde ganzlich aufgehoben. Die Presse hat diese Erleichterung der Nachrichtenbeschaffung lebhaft begriifit und als ersten Schritt zur Oberwindung der Geheimniskramerei bezeichnet, die auch in den USA in alien Zweigen off entlichen Verwaltung betrieben wird. In Schweden geht die Pressefreiheit auf Grund verfassungsrechtlicher Bestimmungen so weit, dafi mit Ausnahme militarischer Geheimakten und der Kabinettsprotokolle des Konigs in seiner Eigenschaft als oberster Kriegsherr jedes Schriftstiick jeder Behorde von jedermann eingesehen, abgeschrieben und veroffentlicht werden kann; der Aufklarungsarbeit der Presse iiber Staats- und Verwaltungsangelegenheiten sind damit einzigartig giinstige Vorbedingungen geschaff en worden 244. Der Grundsatz der Offentlichkeit konnte, so verstanden, zum ersten Ansatzpunkt einer staatspolitischen ^Meinungspflege" werden, wie sie die gewerbliche Wirtschaft inzwischen unter dem Namen „ Public Relations" von den Amerikanern ubernommen hat 2 4 5 . In den Vereinigten Staaten und England sind die allgemeinen Informationsaufgaben der Regierung bereits seit langem auf die Ebene einer offiziellen politischen Meinungspflege erhoben worden; in den Haushaltsplanen beider Lander sind dafur je etwa 190 Mill. DM fur derartige Aufgaben angesetzt 246. Demgegeniiber weist der Haushaltsplan der Bundesregierung fur 1969 (Kap. 6002, Tit. 53 101) lediglich 1,3 Mill. DM fur die Kosten der Drucklegung des Bundeshaushaltspfanes und der Bundeshaushaltsrechnung, einschliefilich sonstigen Materials aus, mit deren Hilfe „die Bevolkerung iiber die Einnahmen und Ausgaben des Bundes durch verbilligte oder unentgeltliche Abgabe von Haushaltsplanen und sonstigem Haushaltsmaterial, durch Rundfunksendungen, Film, Vortrage u. dgl. unterrichtet werden soil"; dazu kommen (in Kap. 0802, Titel 53 101) weitere 500 000 DM, die zur Offentlichkeitsarbeit im Sinne einer Aufklarung der Bevolkerung iiber Sinn und Zweck finanzpolitischer Mafinahmen und iiber die Aufgaben der Bundesfinanzverwaltung, insbesondere im Zuge der weiteren Entwicklung der Europaischen Gemeinschaften, dienen sollen. Setzt man diese bescheidenen Mittel fur die Finanzpublizitat zu den 5,5 Mill. DM in Beziehung, die das Verteidigungsministerium fur ,,'OfTentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen" ansetzt, ganz zu schweigen von den Summen, die die private Wirtschaft beispielsweise fur das Werbefernsehen verausgabt, so spiegelt sich in dieser Relation der Grofienordnungen der Tiefstand wider, auf dem die Finanzpublizitat des Bundes sich heute noch befindet; ahnliche 244
S. 13245f.
Naheres vgl. Schmolders, G.: Die Steuerzahlerbewegung in Schweden, a.a.O.,
Gross, H.: Moderne Meinungspflege, Dusseldorf 1951; vgl. auch Jahn, H. E.: Lebendige Demokratie, a.a.O., S. 64 £F.; Schmolders, G.: Dffentlichkeitsarbeit in der Finanzverwaltung, in: Wirtschafts- und Finanzpolitik im Zeichen der Sozialen Marktwirtschaft, Festgabe fiir F. Etzel, Stuttgart 1967, S. 335 ff. 246 Jahn, H. E.: Lebendige Demokratie, a.a.O., S. 67.
§18. Foderalistische und zentralistische Tendenzen im deutschen Finanzausgleich
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Verhaltnisse herrschen in Landern und Gemeinden, wobei allerdings nicht verkannt werden soil, dafi eine Anzahl von Gemeinden durch die Herausgabe volkstiimlicher Broschiiren iiber ihr Haushalts- und Finanzgebaren anerkennenswerte Arbeit leisten 247. Bei alledem kommt es nicht so sehr auf die Schaffung neuer und kostspieliger Organisationen und Amter an, als auf die Durchdringung der taglichen Arbeit mit dem Geiste der Verantwortung, die die Staatsverwaltung der breiten Offentlichkeit schuldet; "Public Relations is 9 0 % doing right and 10% talking about it."
§ 18. Foderalistische und zentralistische Tendenzen im deutschen Finanzausgleich Neben der Struktur 248 einer Finanzverfassung wird auch ihre Funktion, die laufende finanzpolitische Willensbildung, durch die Besonderheiten der bundesstaatlichen Organisationsform gepragt. Unter Finanzausgleich versteht J. Popitz „die Gesamtheit der Tatbestande und Regelungen, die die finanziellen Beziehungen unter den in einem Einheitsstaat oder in einer Staatenverbindung vorhandenen Gebietskorperschaften zum Inhalt haben" 249 ; diese „Beziehungenc< sind primar politischer Natur, wirken sich aber in starkstem Mafie finanzwirtschaftlich aus. Die politische Problematik des Finanzausgleichs liegt „in der ungeheuren Schwierigkeit, die finanziellen Bediirfnisse mehrerer Gebietskorperschaften, von denen eine die Gesamtheit einer nationalen Wirtschaft, die anderen Teile davon umfassen, so mit finanzwirtschaftlichen Mitteln zu befriedigen, dafi einerseits die Gebietskorperschaften samtlich ohne Verlust an Leistungsfahigkeit und Einflufi auf ihre Kosten kommen, und dafi andererseits die Einzelwirtschaften dabei nicht Schaden leiden; sei es, dafi sie unter der Vielheit der Zustandigkeiten oder gar durch negative Kompetenzkonflikte nicht die Leistungen der offentlichen Wirtschaft erhalten, auf die sie Anspruch erheben konnen, sei es, dafi sie als Steuerpflichtige durch den GesamtzugrirT von mehreren Steuerglaubigern iiberlastet werdenc< 250. Dynamik und Problematik dieser eminent finanz-„politischen<< Aufgabe werden besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die historische Entwicklung des deutschen Finanzausgleichs wirft 251. Die Probleme, die sich aus
247 Yg| Rexhausen, F.: Die Finanzpublizitat der Lander und Gemeinden, Finanzwissenschaftlidie Forschungsarbeiten, NF., H. 28, Berlin 1963; Adamietz, H.: Die 248 Ubersetzung des Haushaltsplanes, in: Der Stadtetag, 13. Jg., H. 4,1960, S. 160ff. S. o. §§ 5—7. 249 Popitz, J.: Finanzausgleich, in: Handbudi der Finanzwissenschaft, 1. Aufl., 2. Bd., Tiibingen 1927, S. 343. 250 P o p i t z , J . : Finanzausgleich, a.a.O., S. 345. 251
Naheres hierzu siehe Schmolders, G.: Finanzpolitik, 2. Aufl., Berlin-Heidelberg-New York 1965, S. 140 if. 10 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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den finanziellen Beziehungen zwischen verschiedenen Gebietskorperschaften ergeben, waren zunachst aufs engste mit den Machtkampfen der deutschen Kleinstaaten nach dem Ende der napoleonischen Ara verkniipft; ein Zeitraum von anderthalb Jahrhunderten hat jedoch keineswegs ausgereicht, um diese finanzpolitischen Gegensatze wenigstens in politisch ruhigen Perioden zu einem zufriedenstellenden und audi okonomisch rationalen Ausgleich zu bringen. An ihrem Anfang stand die Auseinandersetzung zwischen den finanz- und zollpolitischen Egoismen der Kleinstaaten und dem Weitblick echter Staatsmanner, welche die Sinnlosigkeit dieser das Staatsbewufitsein und die staatsburgerliche Moral zersetzenden partikularistischen Bestrebungen anprangerten und auf dem Gebiete der Finanz- und Zollpolitik fiir den Zusammenschlufi zu einem erweiterten Wirtschaftsraum eintraten, in dessen Bereich die den Handel erschwerenden Zollschranken endlich beseitigt werden sollten. Das einzige standige Organ des durch die Wiener Schlufiakte von 1820 geschaffenen Deutschen Bundes, einer losen volkerrechtlichen Verbindung einer Vielzahl von souveranen Kleinstaaten 252, war die Bundesversammlung in Frankfurt/M., der es oblag, „die Erhaltung der aufieren und inneren Sicherheit Deutschlands und die Unabhangigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten" zu wahren. Finanziert wurde diese Zentralbehorde durch sogenannte „Matrikularbeitrage", deren Hohe von der Einwohnerzahl der einzelnen Lander bestimmt wurde, welche jedoch angesichts der geringen Bedeutung der Bundesaufgaben sehr bescheiden war. Wahrend aber dieser Deutsche Bund in politischer Inaktivitat dahindammerte und nur dann in Szene trat, wenn es darum ging, das allenthalben erwachende und nach einer gesamtdeutschen Einigung drangende Nationalbewufitsein des Volkes zu ziigeln, strebte die wirtschaftliche Entwicklung besonders auf dem Zollund Finanzgebiet immer starker einer Vereinheitlichung zu. Nach vielen partikularegoistischen Querelen stand am Ende dieser Entwicklung die Griindung des Deutschen Zollvereins am 1. Januar 1834; innerpolitisch war dies zweifellos die grofite wirtschaftspolitische Leistung des 19. Jahrhunderts. Zwar liefi die Finanz- und Steuereinheit in dem so geschaffenen „gemeinsamen Markt" noch lange auf sich warten, doch kam es in den darauffolgenden Jahren zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung; die positiven Auswirkungen einer Integration vor Augen, versuchten die nationalen Krafte, den Deutschen Bund aus seinem politischen Dornroschenschlaf zu wecken. In der Bundesversammlung wurde immer starker auf die Bildung eines deutschen Reiches gedrangt; in dem von der Nationalversammlung eingesetz252 In der Bundesversammlung in Frankfurt/M. waren 39 souverane Staaten durch Abgeordnete vertreten. Ortbandt, E.: Deutsche Geschichte, Laupheim 1955, S. 659 f.
§18. Foderalistische und zentralistische Tendenzen im deutschen Finanzausgleich 147 ten standigen Verfassungsausschufi wurde neben anderen Verfassungsproblemen audi die finanzielle Organisationsform des zu griindenden Reichs beraten. Neben den Zolleinnahmen, die fiir die Finarizhoheit der Zentralgewalt pradestiniert erschienen, sollten dem Reich audi eigene „gemeinschaftliche Produktions- und Verbrauchsteuern" zugebilligt werden; etwaige Uberschiisse des ordentlichen Budgets sollten allerdings an die Mitgliedslander zuruckfliefien. Dieses miihsam und mit gutem Willen aufgebaute Verfassungswerk scheiterte am foderalistischen Veto; sein Wert als erster Verfassungsentwurf liegt darin, daS hier erstmalig Finanzausgleichsprobleme eines bundesstaatlich orientierten Staates offen zutage traten und Losungen versucht wurden. Nach dem Zusammenbruch von 1866 bedeutete die Griindung des Norddeutschen Bundes einen weiteren Markstein in der Entwicklung des Finanzausgleichs. War in der Paulskirche 1848 noch im wesentlichen die Verankerung der allgemeinen politischen Grundrechte debattiert und beraten worden, so riickte nunmehr die Ordnung des Finanzwesens in den Mittelpunkt der Uberlegungen. Der Norddeutsche Bund vollzog den Ubergang vom Staatenbund zum Bundesstaat; infolgedessen mufite er auf dem Gebiete des Finanzwesens eine Losung finden, die die Zentralgewalt mit den notwendigen Finanzmitteln ausstattete, ohne dabei die Finanzkraft der einzelnen Mitglieder zu beeintrachtigen oder zu uberfordern. In den Erorterungen um die bundesstaatliche Ordnung prallten erneut die foderalistischen und die unitarischen Auffassungen aufeinander; die Foderalisten sahen in dem Vorschlag, dem Bunde ein eigenes Steuererhebungsrecht zuzubilligen und die Matrikularbeitrage der Bundesstaaten in zentraler Verantwortung festzusetzen, eine gefahrliche Beeintrachtigung der Finanzkraft der Gliedstaaten, die Unitarier befurchteten umgekehrt von einer Abschaffung der Matrikularbeitrage eine Schmalerung der Einnahmemoglichkeiten der Zentralgewalt, obwohl aus den Beratungen eindeutig hervorging, dafi die nur einem Staatenbund adaquate Bedarfsdeckungsform der Matrikularbeitrage in einer bundesstaatlichen Verfassung im Grunde als Fremdkorper wirken mufite. Auf Initiative des Abgeordneten Miquel kam es schliefilich zu einem Kompromifi; in die Verfassung wurde die Vorschrift aufgenommen, Defizite des Haushalts solange durch Matrikularbeitrage zu decken, bis eigene Reichssteuern eingefuhrt waren. Diese „Clausula Miquel" fand dann auch Eingang in Art. 70 der Verfassung und wurde bei der Griindung des Deutschen Reiches 1871 in die Reichsverfassung ubernommen 253. 253 Art. 70 der alten Reichsverfassung (aRV) lautete: „Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunadist die etwaigen Uberschiisse der Vorjahre sowie die aus Zollen, den gemeinwirtschaftlichen Verbrauchssteuern und aus dem Post- und Telegraphenwesen fliefienden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, solange Reichssteuern nicht eingefuhrt sind, durch Beitrage der einzelnen Bundesstaaten nach MaEgabe ihrer Bevolkerung aufzubringen, welche bis zur Hohe des budgetma£igen Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden."
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Waren mit dieser Kompromifilosung 254 die heftigsten Gegensatze einstweilen iiberbriickt, so zeigte sich doch bald, dafi ein funktionierender Finanzausgleich auf die Dauer auf diesem Wege nicht herbeigefiihrt werden konnte. Es kam zu der auf den ersten Blick widersinnigen Koalition zwischen dem Reichskanzler Bismarck, dem es darum ging, ein reichseigenes Steuersystem aufzubauen, urn das Reich finanziell selbstandig zu machen, und den Bundesfiirsten, die auf die Abschaffung der standig steigenden Matrikularbeitrage drangten, gegen den Reichstag, der eigenwillig auf der Erhebung von Matrikularbeitragen als der einzig legalen Moglichkeit beharrte, das Reich an den Landereinnahmen partizipieren zu lassen. In dieser Situation fiihrte Bismarck 1879 das Schutzzollsystem ein, um es dem Reich mit Hilfe der Zolleinnahmen zu ermoglichen, auf die Matrikularbeitrage zu verzichten. Um dieses Ergebnis abzuwenden und das Reich in finanzieller Abhangigkeit von den Landern zu halten, zwang der Reichstag Bismarck eine Kompromifilosung auf; ein Antrag des Zentrumsabgeordneten Franckenstein wurde angenommen, nach dem der Ertrag der Zolle und der Tabaksteuer, soweit er die Summe von 130 Millionen Mark im Jahre iiberstieg, alljahrlich an die einzelnen Lander nach dem gleichen Mafistab (Bevolkerungszahl) zuruckiiberwiesen werden mufite, nach dem sie ihre Matrikularbeitrage zu leisten hatten. Diese „Franckensteinsche Klausel" 255, deren Verfassungsmafiigkeit vielfach angezweifelt wurde, iiberschuttete die Lander infolge der erheblich steigenden Zolleinnahmen bald mit einem wahren Segen an zusatzlichen Einnahmen; die von den Landern zu zahlenden Matrikularbeitrage wurden durch die Uberweisungen des Reiches bald voll gedeckt und spater sogar uberschritten. Die finanzielle Autonomic des Reiches war somit wiederum in weite Feme entnickt; dariiber hinaus trug diese Regelung auch unter psychologischen Gesichtspunkten einen verhangnisvollen Keim in sich. „Wahrend man im Reichstag mit den Matrikularbeitragen auch an dem Bismarckschen Gedanken festhielt, jedes Reichsdefizit konne auf die Gliedstaaten abgewalzt werden, griff in den Finanzministerien der Einzelstaaten die Meinung Platz, die Lander hatten zwar ein geradezu verfassungsmafiiges Recht auf Oberweisung von Reichseinnahmen, dagegen sollten gedeckte, geschweige denn ungedeckte Matrikularbeitrage in nennenswertem Umfange nicht erhoben werden. Beide Gewalten vernachlassigten den Ausbau ihres Steuersystems iiber Gebiihr, jede hoffte auf die Zahlungen des anderen. Jedes Jahr ist von
254
Hensel, A.: Der Finausausgleich im Bundesstaat in seiner staatsreditlidien Bedeutung, Berlin 1922, insbesondere S. 121. — Hensel gilt als der Schopfer des Begriffes „Finanzausgleidi". 255 Sie wurde gesetzlich niedergelegt in § 8 des Zolltarifgesetzes vom 15. 8. 1879.
§18. Foderalistische und zentralistische Tendenzen im deutsclien Finanzausgleich 149 neuem ein unerquicklicher Kampf zwischen Reichstag und Bundesrat um die Hohe der Matrikularbeitrage zu gewahren." 256 In diesem Kampf zwischen dem immer hohere Matrikularbeitrage fordernden Reich und den Bundesfiirsten, die auf eine feste Bindung dieser Beitrage pro Kopf ihrer Bevolkerung drangten, schien das Reich zunachst im Vorteil zu sein; 1904 wurde die „Clausula Miquel" endgiiltig aus der Verfassung gestrichen und damit die Institution der Matrikularbeitrage als dauernde Einrichtung sanktioniert. Dennoch behielten letztlich die foderalistischen Krafte das "Obergewicht. Es gelang ihnen nicht nur, die Pro-KopfBindung durchzusetzen, sondern auch eine Stundung der noch „ungedeckten
DiefinanzpolitischeWillensbildung
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vom 14. Februar 1924 den Finanzausgleich im Sinne eines Trennsystems unter weitgehendem Abbau der Oberweisungssteuern zu regeln; die Lander erhielten bestimmte Einnahmequellen und z. T. feste Anteile am Aufkommen bestimmter Steuern zugewiesen. Die Neuregelung brachte dem Reich erhebliche Oberschiisse, die hauptsachlich dazu dienten, die gewaltigen Reparationslasten zu finanzieren, die ihm durch den Dawes-Plan von 1924 und den Young-Plan von 1929 aufgebiirdet wurden. Die Jahre bis 1933 waren durch ein dauerndes Tauziehen zwischen Reich und Landern und die daraus resultierenden standigen Anderungen gekennzeichnet. Dennoch ware es verfehlt, die Schuld an diesem „Nichtfunktionierencc des Finanzausgleichs dem Ausgleichssystem als solchem anzulasten. Die Ursachen sind vielmehr im verlorenen Krieg und der sich anschliefienden Hyperinflation mit Staatsbankrott zu suchen. Versuchte das Weimarer Reich den verfassungsmafiigen foderalistischen Aufbau des Finanzausgleichs wenigstens in seinen Grundlagen zu erhalten, so wurde die Finanzverantwortung der Lander im Hitlerreich immer mehr ausgehohlt und endlich ganz abgeschafft; schliefilich waren die Lander mit ihren Gemeinden iiber ein breit angelegtes System von Oberweisungssteuern finanziell ganzlich vom Reich abhangig geworden. Mit der Hauszinssteuer fiel die letzte landereigene Steuer; alle Landerfinanzministerien, mit alleiniger Ausnahme des preufiischen unter Joh. Popitz, wurden ersatzlos aufgelost. Nach dem Zusammenbruch schlug das Pendel infolgedessen wieder nach der foderalistischen Seite aus; die Finanzautonomie der Lander wurde im Grundgesetz ausdriicklich verankert und gleichberechtigt neben die des Bundes gestellt, ohne einen der beiden Partner ausdriicklich zum Kostganger des anderen zu machen 258.
§ 19. Die „Anziehungskraft des zentralen Etats" Wahrend das Hin und Her zwischen Foderalismus und Zentralismus anderthalb Jahrhunderte hindurch den wechselvollen Finanzausgleich zwizen Zentralgewalt und Gliedstaaten bestimmte, trat neben dem finanziellen Interessenkonflikt der beteiligten Finanzgewalten fast unvermerkt eine neuartige Ausgangslage in der Wirtschaftsstruktur zutage. Der Prozefi der Industrialisierung und die in seinem Gefolge auftretende Entwicklung zum Industrie- und Sozialstaat fiihrt zu einer zunehmenden Allgegenwart des Staates im Wirtschaftsleben, die das Schwergewicht der Auseinandersetzung von der Einnahmen- in die Aufgabenverteilung 259 zwischen dem Zentralstaat und den lokalen Instanzen verlagerte. Diese Entwicklung ergab sich ganz von selbst zunachst aus der Zuordnung immer neuer Aufgaben an die zentrale Instanz der orTentlichen Hand. 258 259
Vgl. § 7.m Zur Bestimmung des Umfangs der offentlichen Aufgaben s. § 23.
§ 19. Die „ Anziehungskraft des zentralen Etats"
151
t)ber den steigenden Ausgabenbedarf fuhrte diese Entwicklung anschliefiend zwangslaufig audi zur Erschliefiung grofierer Einnahmen und damit zu einer Ausweitung des Budgets des Zentralstaates. J. Popitz sah diese Entwicklungstendenz denn audi schlechthin als unabdingbar an; in seinem „Gesetz von der Anziehungskraft des zentralen Etats" kleidete er einen in der historischen Entwicklung zu beobachtenden empirisclien Befund in eine Aussage, die die Vorstellung von einer unabdingbaren Zwangslaufigkeit der Entwicklung mit einem gewissen Anspruch auf prognostischen Gehalt verbindet 260. Diese Formulierung, die sicherlich in Analogie zum Gravitationsgesetz gepragt war 2 6 1 , verfiihrt zu der Vermutung, die „ Anziehungskraft" des zentralen Etats miisse gewissermafien naturgesetzlich immer und iiberall dort auftreten, wo die Bedingungen dafiir gegeben sind, und sie miisse sich dort zwangslaufig jeweils so kraftig durchsetzen, dafi die Wirklichkeit des Finanzausgleichs diese Verlagerung sichtbar widerspiegelt; dies ist jedoch keineswegs der Fall. Zweifellos zeigt die Entwicklung der letzten Jahrhunderte deutlich, wie stark der Finanzausgleich von den politischen Notwendigkeiten und Unberedienbarkeiten des Tages bedingt ist; die politische Situation verlangt oft schnelle Entscheidungen, wobei okonomische Erwagungen allzu leicht durch kurzfristige politische Zielsetzungen uberspielt werden. Diese Tatsache erschwert die nlichterne Besinnung auf viele der langfristigen Strukturwandlungen in Staat und Gesellschaft, zum mindesten wenn sie sich anheischig macht, „Gesetzmafiigkeiten
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Popitz, dem es nicht vergonnt war, das Ende des Zweiten Weltkrieges und den staatlichen Neuaufbau der Bundesrepublik Deutschland zu erleben, w a r Zentralist aus vollem H e r z e n 2 6 3 ; als Widerstandskampfer fiel er nach dem 20. Juli 1944 dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer. Seine zentralistische Staatskonzeption, die auch in seinem grofien Gutachten zum Finanzausgleich von 1932 264 ihren Niederschlag und im „Dritten Reich" sogar weitgehend ihre Verwirklichung gefunden hatte, w u r d e nunmehr von einem extremen Pendelschlag nach der anderen Seite abgelost; das G r u n d gesetz fur die Bundesrepublik Deutschland bestimmt in Art. 30 ausdriicklich: „Die Ausiibung der staatlichen Befugnisse und die Erfullung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Lander, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulafit." In dem gleichen foderalistischen Geiste w u r d e in Abschnitt X das Finanzwesen der Bundesrepublik neu geregelt. Unter diesem der Entwicklung von 1933 bis 1945 gerade entgegengesetzten Aspekt ist es besonders reizvoll, die „Anziehungskraft des zentralen E t a t s " in der finanzwirtschaftlichen Realitat und in der politischen Entwicklung zu studieren: der prognostische Gehalt des Popitzschen „Gesetzes c< lafit sich d a r a n ermessen, ob sich die Anziehungskraft der Zentrale hinsichtlich der Erfullung offentlicher Aufgaben und damit zugleich hinsichtlich der I n anspruchnahme offentlicher Mittel trotz der entgegengerichteten Struktur des Staats- und Finanzaufbaus wieder durchsetzt. Eine empirische Uberprlifung der These, dafi „eine Klimax der Wichtigkeit der Aufgaben und der Dringlichkeit ihrer Erfullung" 265 existiert, diese sich aber so verschiebt, dafi eine „Verstarkung der Zustandigkeit des Zentralstaates" 266 eintritt, ist nicht einfach; „es gibt keine Finanzstatistik, die eindeutig ausweist, welche Aufgaben seine Gebietskorperschaft autonom durchfiihrt, d. h., ohne den Einfliissen der finanzpolitischen Willensbildung anderer Ebenen oder iiberhaupt anderer Gremien ausgesetzt oder gar unterworfen zu sein" 267 . 263
In dem von Popitz fiir die Zeit nach der Beseitigung Hitlers aufgestellten „vorlaufigen Staatsgrundgesetz" heifk es in Art. 2 der letzten Fassung von 1943: „1. Im Reidisgebiet gibt es nur eine Staatsgewalt, die des Reiches. — 2. Die Ungleichheit der bisherigen Lander nach Umfang, Wirtschafts- und Finanzkraft sowie die Unvereinbarkeit des verwaltungsmaftigen Aufbaus in den verschiedenen Reichsgebieten macht eine Neugliederung des Reiches unerlaBlich. Preuften vollendet seine reichsbildende Mission, indem es auf den staatlichen Zusammenhang seiner Provinzen verziditet." Popitz beabsichtigte also eine Abschaffung der Lander, so daE sich Fragen der Aufgaben- und Einnahmenverteilung nur noch zwischen dem Reich (Bund) auf der einen und den Gemeinden auf der anderen Seite stellen wiirden. Naheres bei Hassel, J. V.: Vom anderen Deutschland, Zurich und Freiburg 1946, S. 376; Schmolders, G.: Johannes Popitz zum Gedenken, in: Steuer und Wirtschaft 1954, S. 705 if. 264 Der kiinftige Finanzausgleich zwischen Reich, Landern und Gemeinden, Berlin 1932. 265 popitz, J., Der Finanzausgleidi, a.a.O., S. 346. 266 Ebenda, S. 348. 267 Hansmeyer, K.-H., Das Popitzsche Gesetz . . . , a.a.O., S. 211.
§ 19. Die „ Anziehungskraft des zentralen Etats"
153
Fur Deutschland, w o „diese Anziehungskraft des grofiten Etats besonders deutlich" 268 sein soil, zeigt die Statistik das folgende Bild: Tabelle 1. Verteilung der Ausgaben auf Zentralregierung, Lander und Gemeinden nach Ausgabenarten 269 — in Mill. M/RM/DM Ausgabeart
Jahr
Zentralregierung (einschl. Sondervermogen) in Mill.
Lander
Gemeinden
in°/o in Mill.
in°/o
in Mill.
in°/o
Polizei und Rechtspflege
1913 1925 1967
. 3>4 13,1 400,0
0,6 1,0 7,2
465,5 1103,5 4428,0
83,2 86,5 85,2
90,6 158,5 778,0
16,2 12,4 13,6
Sozialleistungen a
1913 1925 1967
60,2 423,1 23600,0
8,7 17,2 74,5
110,6 414,2 2465,0
15,9 16,8 7,8
524,3 1626,5 5601,0
75,4 66,0 17,7
1913 1925 1967
4,1 25,5 1407,0
0,3 1,1 6,9
495,6 1218,9 13208,0
35,6 51,7 65,9
892,7 1115,4 5529,0
64,1 47,3 27,2
1913 1925 1967
3,4 21,1 405,0
10,8 2,0 5,4
8,1 332,0 5126,0
25,8 31,0 68,4
19,9 717,2 1978,0
63,4 67,0 26,2
1913 1925 1967
52,6 172,7 4773,0
6,1 14,8 38,3
250,1 237,2 2087,0
29,2 20,3 16,7
553,0 757,4 5584,0
64,6 64,9 45,0
Bildungswesen
Wohnungswesen
Verkehrswesen
a
Ohne Kriegsfolgelasten und Kriegsopferversorgung, einschliefilidi Sozialausgaben des Lastenausgleidisfonds. Eindeutig riicklaufig ist demnach nur der Anteil der Gemeinden an der Erfiillung offentlicher Aufgaben; in ihre Erbschaft teilen sich die Lander (Polizei, Rechtspflege, Bildungswesen) und die Zentrale (Sozialleistungen, Verkehrswesen). In diesem Sinne einer gewissen Anziehungskraft wenigstens des jeweils „zentraleren" Etats bestatigt die deutsche Nachkriegsentwicklung also die Popitzsche Voraussage; der Vorgang der Zentralisation bei der Erfiillung offentlicher Aufgaben ist jedoch, von den Verteidigungs- und aufSenpolitischen Aufgaben abgesehen, nicht zwangslaufig, sondern verfassungsgesetzlicher Gestaltung durchaus zuganglich geblieben. Dafi es, wie Popitz annahm, fur den Zentralstaat keine theoretisch begriindbare Grenze fur die Ausdehnung seines Aufgabenkreises auch iiber seine Selbstbehauptung hinaus
268 Popitz, J., Der Finanzausgleich, a.a.O., S. 348. Auszugsweise entnommen Alters, W.: Art. Finanzausgleich III, a.a.O., S. 557, sowie eigene Berechnungen nach dem Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1969, S. 390 f. 269
154
Die finanzpolitische Willensbildung
geben sollte 270, bestatigt sich nicht; auch das Argument, die relativ grofiere Starrheit der Einnahmen der Lander fiihre auf die Dauer zu einer Aufgabenverlagerung auf den Zentralstaat und zu grofierer Abhangigkeit der untergeordneten Gebietskorperschaften, wird durch die gegebene Finanzsituation der Lander eindeutig widerlegt. Wahrend die Lander im Weimarer Staat „Kostganger des Reiches" waren, an dessen Steuereinnahmen sie mit bestimmten Prozentsatzen partizipierten, ist in der heutigen Finanzverfassung der Bundesrepublik der Anteil der Lander an den progressiven Gewinnsteuern genau so grofi wie der des Bundes. Von der Einnahmeseite her konnen demzufolge, solange es bei der geltenden Regelung bleibt, Zentralisierungstendenzen, wie Popitz sie vermutete, nicht mehr auftreten. Eine detaillierte Analyse des erreichbaren Zahlenmaterials kommt im Gegenteil zu dem Ergebnis, dafi sich die Ansicht von Popitz sowohl auf mittlere Sicht als auch langfristig als falsch erwiesen hat 2 7 1 ; „es zeigt sich namlich langfristig ein deutlicher Trend zum zentralen Haushalt, allerdings nicht auf Kosten der Lander, wie Popitz angenommen hatte; mittelfristig ergibt sich eine beachtliche Konstanz der einmal erreichten Aufgabenstrukturen" 272. Wachst der Zentralstaat, ohne dafi es dabei zu einer Anderung der Aufgabenverteilung zwischen ihm und den nachgeordneten Gebietskorperschaften kommt, in seinem Volumen standig an, so wird dieser Tatbestand nicht mehr durch die Aussage Popitz gedeckt; die Ursache dafiir liegt weniger in finanzwirtschaftlichen oder technischen Gegebenheiten als vielmehr in den sich stetig wandelnden und wachsenden Anspriichen des Burgers an den Staat schlechthin. Wachsen beispielsweise die Anspriiche auf erhohte soziale Sicherheit, so steigt der zentralstaatliche Sozialaufwand, wahrend der der Lander und Gemeinden gleichbleibt oder zuruckgeht, ohne dafi sie ihre Funktion als Trager der staatlichen Fiirsorge eingebiifit zu haben brauchten; trotz der Umschichtung der Ausgaben sind vielmehr die Aufgabenstrukturen erhalten geblieben. Lander und Gemeinden sind nach wie vor fur die Fiirsorgeeinrichtungen zustandig, wahrend der Bund seit den Bismarckschen Reformen Trager des Sozialversicherungssystems ist, so dafi die „ Soziale Sicherung" — von den Fiirsorgeeinrichtungen abgesehen — bereits seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Aufgabe des Bundes war, die nur eine geraume Zeit hindurch finanziell quantitativ nicht virulent wurde. Tauchen neue Anforderungen nach offentlichen Leistungen auf, z. B. fur die Sparforderung, fur die es bisher noch keinen Trager gab, so wird damit ebenfalls finanziell in der Regel in erster Linie die Zentralinstanz belastet, da dort nicht zu Unrecht die ergiebigsten fmanziellen Ressourcen vermutet 270 271 272
Popitz, J.: Finanzausgleich a.a.O. Vgl. Hansmeyer, K.-H.: Das Popitzsche Gesetz, a.a.O., S. 210 ff. Ebenda, S. 216.
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
155
werden und da es audi, wie die Geschichte gezeigt hat, durchaus in der Mentalitat der Zentrale liegt, ihre Kompetenzen standig auszudehnen 273. Werden nun immer neue Forderungen erhoben, pflegt es audi zu einer immer weiteren Ausdehnung des Zentralhaushaltes zu kommen. Die „Anziehungskraft des zentralen Etats", m. a. W. die Tendenz zunehmender Obertragung des finanziellen Schwergewichts der Ausgaben und Einnahmen an die iibergeordnete Gebietskorperschaft, ist demnach selbst in einer stark foderalistisch orientierten Finanzverfassung unstreitig vorhanden und wirksam, wenn auch nicht gerade im Sinne der Popitzschen Argumentation. Ahnlidies gilt auch fur andere grofie Bundesstaaten, wie die Vereinigten Staaten 274, Australien und Kanada; ein Gegenbeispiel ist die Schweiz, deren starker und lebendiger Foderalismus der Zentralisierungstendenz, die auch hier vorhanden ist, immer noch betrachtliche Widerstande entgegensetzt. Mit der starkeren Hinwendung zum Prinzip der Staatsinterventionen, die mit einem individualistischen „Kant6nligeist" auf die Dauer nicht zu vereinbaren sind, scheint auch hier der Stern des echten Foderalismus im Sinken zu sein; vom Standpunkt einer qualitativen, nicht nur quantitativen Weiterentwicklung der Steuersysteme, der eine gewisse Konkurrenz unter den steuererhebenden Gebietskorperschaften erfahrungsgemafi sehr zugute kommt, ist dieser Tatbestand sicherlich zu bedauern.
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs Wahrend die Finanzverfassung durch Verteilung der Aufgabenkompetenzen und Abgrenzung der Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit den normativen Rahmen fur den Finanzausgleich setzt 275, bleibt es der Technik des Finanzausgleichs vorbehalten, die abstrakten Bestimmungen der Gesetze in ein bewegliches Zahlenwerk umzuformen, das die Finanzstrome durch die Kanale der verschiedenen offentlichen Kassen leitet. Dabei gibt es keinen grundsatzlichen, sondern nur einen graduellen Unterschied zwischen einem zentralistisch und einem foderalistisch aufgebauten Staat; der Einheitsstaat kennt den „vertikalen" Finanzausgleich lediglich zwischen Zentralstaat und Gemeinden, wahrend sich im foderalistischen Staat noch die Lander oder Kantone als Gliedstaaten zwischen Zentrale und Gemeinden schieben. Ein ahnlidies Bild ergibt sich beim „horizontalenc< Finanzausgleich zwi273 In diesem Zusammenhang kann auf die Rolle des Bundes im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung verwiesen werden; allerdings kann aus der Tatsache einer bundesgesetzlidien Regelung nodi keine Aufgabenversdiiebung an den Bund abgeleitet werden. 274 Schmolders, G.: Zentralismus und Foderalismus in der amerikanischen Finanzverfassung, Europa-Archiv 1949, Heft 13. 275 Vgl. § 7.
Die finanzpolitische Willensbildung
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schen den einzelnen Gebietskorperschaften der gleichen Ebene; im Einheitsstaat ist hier nur eine, im foderalistischen Staat sind jedoch mindestens zwei Ebenen zu beriicksichtigen, die je nach Grofie, Bevolkerung und Wirtschaftsstruktur mit unterschiedlicher Finanzkraft ausgestattet sind. Solange diese Unterschiede nicht irgendwie ausgeglichen werden, lafit sich die Entstehung von „Steueroasen" nicht vermeiden, denen andererseits die sog. „Steuersteppen" gegeniiberstehen; finanzstarke Lander oder Gemeinden brauchen die Steuerschraube nicht in gleichem Mafie anzuziehen, wie dies die finanziell ungeniigend ausgestatteten Gebietskorperschaften zur Deckung ihres unabdingbar erforderlichen Finanzbedarfs tun miissen, so dafi die vorhandenen natiirlichen Unterschiede die Tendenz in sich tragen, sich durch Abwanderungen und Zuwanderungen aus steuerlichen Motiven womoglich noch immer weiter zu vergrofiern. Die Moglichkeiten, diesem Obel in einem foderalistischen Staat mit Hilfe des vertikalen Finanzausgleichs zu begegnen, stofien auf okonomische und politische Grenzen. Unter okonomischem Aspekt steht einer Patentlosung der Steueraufteilung hier vor allem der Gesichtspunkt der Nettoergiebigkeit der Steuern im Wege; durch falsche Zuordnung einer Einnahmenquelle wird die Ergiebigkeit einer Steuer infolge iiberhohter Erhebungskosten u. U. stark eingeschrankt, zumal sie mitunter vermehrte Steuerwiderstande hervorruft 276. Politisch zwingt der Grundsatz der Gleichmafiigkeit der Besteuerung zumindest auf dem Gebiet der Personalsteuern zu einer sehr aufwendigen Erhebungstechnik, der auf der Ausgabenseite, wiederum nicht zuletzt wegen der Forderung nach Gleichmafiigkeit der Ausgaben, z. B. der Sozialleistungen, ein entsprechend kostspieliger Verteilungsapparat gegenlibersteht. Die praktische Ausgestaltung des vertikalen Finanzausgleichs erscheint auf den ersten Blick kaum problematisch: die Verfassung teilt den Gebietskorperschaften der verschiedenen Ebenen bestimmte Einnahmequellen zu, die restlichen, durch die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur entstehenden Bedarfsspitzen oder Oberschusse werden entweder durch ein System von Zuweisungen nach oben und unten oder durch die Einrichtung einer gemeinsamen Einnahmequelle ausgeglichen, deren Verteilung von Jahr zu Jahr neu ausgehandelt wird. Wie es jedoch mit der Ausgestaltung des vertikalen Finanzausgleichs in der praktischen Finanzpolitik eines foderativen Staates bestellt ist, haben die letzten Jahrzehnte nur allzu deutlich bewiesen; sowohl das System der Matrikularbeitrage im Kaiserreich als auch das System der Uberweisungssteuern im \Y/eimarer Reich wurden im Kampf zwischen den wechselnden Anspriichen des Zentralstaates und den partikularen Egoismen der Gliedstaaten zerrieben. Als nach diesen Erfahrungen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1949 den anderen Weg einschlug, die Einkommen- und Korperschaftsteuer zur gemeinsam von Bund und Landern 276
Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, 4. Aufl., Berlin 1965, S. 107 f.
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
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auszuschopfenden Einnahmequelle zu deklarieren, deren Aufteilung nach Bedarf erfolgen sollte, zeigte sich alsbald, dafi das jahrliche Aushandeln der Anteile zu unertraglichen Spannungen fiihrte; so kam es zu einer gesetzlidien Fixierung des Anteils von Bund und Landern, die fur einen elastischen Finanzausgleich keinerlei Bewegungsfreiheit liefi. Der Handel um die Anteile an der gemeinsamen Steuer, frtiher interne Verwaltungssache zwischen Bundes- und Landerfinanzministern, verlagert sich infolge der im Grundgesetz verankerten Revisionsklausel in die schwerfallige Maschinerie der parlamentarischen Willensbildung; welche politischen Schwierigkeiten sich hier fiir die sachgemafie Aufteilung der Finanzmasse ergeben, hat der langwierige „Steuerstreitw der letzten Jahre deutlich gezeigt. Ein ebenso eindrucksvolles Zeugnis der Frontstellung von Bund und Landern legen die Verhandlungen zur Finanzreform von 1969 ab, wo jede der Parteien einen moglichst hohen Anteil an der Einkommen- und Korperschaftsteuer haben wollte, da diese Steuern eine Aufkommenselastizitat in bezug auf das Volkseinkommen von erheblich mehr als 1 haben, wahrend die der Umsatzsteuer nur knapp 1 betragt 277. Neben dem vertikalen Finanzausgleich, der den Finanzbedarf der unteren mit dem der oberen Ebene der Hoheitsverwaltung abstimmen mufi 278, ergibt sich aus den regionalen und ortlichen Unterschieden der Finanzkraft die Notwendigkeit eines horizontalen Finanzausgleichs. Nach Art. 107 Abs. 2 GG ist sicherzustellen, „dafi die unterschiedliche Finanzkraft der Lander angemessen ausgeglichen wird." Das Grundgesetz vergifit somit auch in seiner neuen Fassung nicht, die Lehre aus dem Scheitern des horizontalen Finanzausgleichs auf freiwilliger Grundlage zu ziehen, einer Regelung, wie sie in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch versucht worden war. An die bundesstaatliche Solidaritat und den Altruismus der „reichen" Lander allzu grofie Anspriiche zu stellen, empfiehlt sich um so weniger, als sich bei den Empfangern selbst einmaliger Hilfen leicht eine Tendenz herausbildet, den freiwillig gewahrten Zuschuf? als Rechtsanspruch und Dauerzustand anzusehen, eine psychologische Erfahrung, die aus den einzelmenschlichen Beziehungen nur zu bekannt ist und auch gutwillige
277
Vgl. Hagemann, G.: Aufkornmenselastizitaten ausgewahlter Steuern in der Bundesrepublik Deutschland 1950—1963, Tubingen 1968, S. 102 ff. Wahrend bei einer Steigerung des Volkseinkommens um 226,2°/o das Aufkommen an Umsatzsteuer von 1958—1968 um 190,4°/o stieg, erhohten sidi die Einnahmen aus der Einkommen- und Korperschaftsteuer um 283,4%. Beredinet nach Angaben der Deutschen Bundesbank im Geschaftsbericht fiir das Jahr 1961, S. 60, und Monatsbericht fur September 1969, S. 52 f. und S. 59. 278 „Das Problem des Finanzausgleidis tritt in der Regel zunadist als vertikale Ordnung der Aufgaben- und Einnahmeverteilung zwischen einem iibergeordneten b'rTentlichen Verband und einer Reihe ihm untergeordneter Verbande auf." (Bickel, W.: Der Finanzausgleich, a.a.O., S. 733.)
158
Die finanzpolitische Willensbildung
Geber leicht von einer Hilfeleistung abhalt, selbst wenn sie an sich dazu bereit waren 279. Nicht zuletzt auf diese Erfahrungen sind die Bestrebungen zuruckzufuhren, durch staatliche Neugliederung die Landergrenzen im Sinne einer dauerhaften „Raumordnung" so zu andern, dafi dabei wenigstens hinsichtlich ihrer Finanzausstattung einigermafien gleichartige Gebilde zustande kommen 280 ; die Schaffung des Siidweststaates Baden-Wtirttemberg ist ein erstes Beispiel fur die Moglichkeit, freilich zugleich auch fiir die politischen und psychologischen Schwierigkeiten einer derartigen staatliehen Neugliederung. Der horizontale Finanzausgleich unter den Landern ist in zwei Stufen geregelt: 1. differenzierte Landeranteile an der Umsatzsteuer, 2. „Ausgleichsbeitrage" und „Ausgleichszuweisungen<£ auf Grund der Relation zwischen jjSteuerkraftmefizahl" und „Ausgleichsmefizahrc der einzelnen Lander. Formaljuristisch betrachtet, ist die erste Stufe, die Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens zwischen den Landern, kein eigentlicher Finanzausgleich, da es sich dabei ja um eigene Steuereinnahmen bzw. -anteile der einzelnen Lander handelt. Da aber die Berechnung der eigentlichen Finanzausgleichszahlungen auf der zweiten Stufe unmittelbar an die Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens ankniipft, ohne die sie gar nicht durchgefiihrt werden konnte, erscheint es gerechtfertigt, auch die Berechnung der Landeranteile an der Umsatzsteuer an dieser Stelle zu behandeln 281. Der 30°/oige Landeranteil der Umsatzsteuer wird unter den Landern nicht, wie ihr Anteil an der Einkommen- und Korperschaftssteuer, nach dem
279 Erfahrungen auf diesem Gebiete liegen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit in beschamend reidier Zahl vor. Den Hansestadten Hamburg und Bremen flo£ beispielsweise von 1946 bis 1949, d. h. vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, ein grower Teil der Zolleinnahmen und wichtiger Verbrauchsteuern (Tabaksteuer) zu, wahrend ihre Ausgaben beispielsweise fiir die Aufnahme von Fluchtlingen im Vergleich mit anderen Gebieten nur gering waren; nur unter grofken Schwierigkeiten gelang damals ein bescheidener „Lastenausgleich" zwisdien den finanzkraftigen Hansestadten und den sie umgebenden Notstandsgebieten. 280 Isenberg, G.: Regionale Wohlstandsunterschiede, Finanzausgleich und Raumordnung, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 17, 1957, S. 65 ff.; Finanzpolitik und Raumordnung, Finanzbericht 1964, S. 183 ff.; Storbeck, D.: Die wirtschaftliche Problematik der Raumordnung, Berlin 1959; Albers, W.: Finanzzuweisungen und Standortverteilung, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 32, Berlin 1964; Schnepper, F.: Raumbedeutsame Wirkungen des kommunalen Finanzausgleichs in Niedersachsen, Hannover 1968; Ehrlich, W.: Kommunaler Finanzausgleich und Raumordnung, Hannover 1967; Littmann, K.: Die Gestaltung des kommunalen Finanzsystems unter raumordnungspolitischen Gesichtspunkten, Hannover 1968. 281 Der Vorschlag des Bundestages auf die Initiative des Landes Niedersachsen hin, die Aufteilung der Landersteuern und der Anteile der Gemeinschaftssteuern nach dem ortlichen Aufkommen und damit auch den gesamten Finanzausgleich zugunsten eines gemeinsamen „Landersteuertopfes" fortfallen zu lassen, dessen Inhalt
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
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Aufkommen, sondern nach der Einwohnerzahl aufgeteilt (Art. 107 Abs. 1 S. 4 G G ) ; dieser Verteilungsmodus empfahl sich insbesondere wegen des im hochsten Mafie einseitig verteilten Aufkommens aus der Einfuhrumsatzsteuer. Ausgenommen von diesem auf die Einwohnerzahl bezogenen Verteilungsprinzip sind 2 5 % des Umsatzsteueraufkommens der Lander (Erganzungsanteil), w o von Teile vorab zur Auffullung der Finanzkraft der „armen" Lander abgezweigt werden (§ 2 Finanzausgleichsgesetz 1969). Fur das J a h r 1970 wiirde sich dieser vorab zu verteilende Betrag auf nicht weniger als 2542 Mill. D M belaufen; mufiten die „reichen" Lander diesen Betrag voll an die „armen" Lander abfuhren, ware damit z w a r deren Finanzkraft bis auf 9 8 % des Landerdurchschnitts aufgefullt 282 , w a h r e n d dadurch andererseits beispielsweise Nordrhein-Westfalen unter den Landerdurchschnitt sinken wiirde. D a m i t wiirde dieses Land nicht mehr ausgleichspflichtig, sondern ausgleichsberechtigt sein, was nun auch nicht beabsichtigt w a r . U m derartig unerwunschte Wirkungen zu verhindern, entschlofi sich der Gesetzgeber zu einem ziemlich komplizierten Verteilungsmodus. Die Lander, deren P r o - K o p f - E i n n a h m e n 2 8 3 unter dem Durchschnitt der Einnahmen je Einwohner aller am Ausgleich beteiligten Lander 284 liegen, erhalten aus der 25%igen Manovriermasse soviel, wie ihnen an 9 2 % des Landerdurchschnittes fehlt. Hierbei mufi aber garantiert sein, dafi ein steuerschwaches Land mindestens den Anteil erhalt, den es bei einer pro-Kopf-Verteilung des gesamten Landeranteils an der Umsatzsteuer erhalten hatte. Dieser Passus, eine Garantie fur Bayern, w u r d e deshalb aufgenommen, damit bei der Berech-
nach Bedarfsmaftstaben verteilt werden sollte, scheiterte am Einspruch der „reichentc Lander einschliefilich Bayerns. (Wick, H.: Die Regelung des Finanzausgleichs unter den Landern, in: Deutsche Rentenversicherung, Heft 4, 1969, S. 266; s. auch Straufi, F. J.: Die Finanzverfassung a.a.O., S. 136.) 282 y g | # w i d ^ H . : Die Regelung des Finanzausgleichs unter den Landern, a.a.O., S. 268. 283
§ 7 Abs. 1 und 2. Als Steuereinnahmen eines Landes gelten die ihm im Ausgleichsjahr zugeflossenen Einnahmen 1. aus seinem Anteil an der Einkommensteuer und der Korperschaftsteuer; 2. aus seinem Anteil an der Gewerbesteuerumlage nach § 6 des Gemeindefinanzreformgesetzes; 3. aus der Vermogensteuer, der Erbschaftsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer, der Biersteuer und der Rennwett- und Lotteriesteuer mit Ausnahme der Totalisatorsteuer. Als Steuereinnahmen eines Landes gelten ferner die nach § 2 fur das Ausgleichsjahr festgestellten Anteile an der Umsatzsteuer. — (2) Von den Einnahmen eines Landes aus der Vermogensteuer werden die Betrage abgesetzt, die das Land als Zuschuft nach § 6 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes in der Fassung des Achten Gesetzes zur Anderung des Lastenausgleichsgesetzes vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt I, S. 809) fur das Ausgleichsjahr an den Ausgleichsfonds zu leisten hat. Von den Einnahmen des Saarlandes aus der Vermogensteuer wird der Hundertsatz abgesetzt, um den die Vermogensteuereinnahmen der anderen Lander nach Satz 1 gekiirzt werden. 284 Im horizontalen Landerfinanzausgleich sind alle Lander mit Ausnahme Berlins beteiligt, fur das Sonderregelungen gelten.
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Die finanzpolitisclie Willensbildung
nung der Erganzungsanteile kein Land schlechter gestellt wird, als wenn das Gesamtaufkommen nach der Einwohnerzahl verteilt worden ware. Sind nun die Einnahmen der „armen" Lander auf die besagten 9 2 % (u. U. entsprechend der Einwohnerzahl mehr) angehoben worden, so steht noch ein Betrag zur Verfiigung, der auch an solche Lander verteilt werden kann, deren Steuereinnahmen iiber dem Durchschnitt liegen (§ 2 Abs. 3 Finanzausgleichsgesetz 1969). Deren Verteilung erfolgt wiederum nach der Einwohnerzahl, es sei denn, dafi nach einer derartigen Verteilung die Einnahmen eines Landes (bestehend aus den Landessteuern und dem Anteil an den Gemeinschaftssteuern) unter dem Landerdurchschnitt lagen. Fur diesen Fall ist die Verteilung zugunsten dieses Landes abzuandern. Diese Regelung ist wiederum als Garantie fiir Nordrhein-Westfalen gedacht, dessen Steuereinnahmen nur wenig iiber dem Durchschnitt liegen und durch die geplante Umsatzsteuerverteilung, wenn sie nicht in dieser Weise modifiziert wiirde, erheblich beschnitten wiirden 285. Der horizontale Effekt dieser Verteilung der 2 5 % des Landeranteils an der Umsatzsteuer belauft sich fiir das Jahr 1970 auf ca. 878,1 Mill. DM, so dafi, beriicksichtigt man die Verteilung der restlichen 7 5 % nach der Einwohnerzahl, sich die in zweiter Stufe anschliefienden echten Ausgleichszahlungen von 2863,1 Mill. DM auf 1216,6 Mill. DM reduzieren 286, ein Urnstand, der hinsichtlich des politischen Verhaltnisses zwischen den Landern nur positiv zu bewerten ist. Das Ziel der zweiten Stufe des Finanzausgleichs, die sich an die Umsatzsteuerverteilung anschliefit, ist es, die „Steuerkraftmefizahl" der finanziell schwachen Lander bis auf 9 5 % der „Ausgleichsmefizahl" anzuheben (§ 10 Abs. 3 Finanzausgleichsgesetz 1969). Als Steuerkraftmefizahl gilt die Summe der Steuereinnahmen eines Landes gem. § 7 Landerfinanzausgleichsgesetz 1969 und der auf gleiche Hebesatze umgerechneten Realsteuereinnahmen der Gemeinden 287 . Dieser Zahl wird die Ausgleichsmefizahl als Produkt aus den auszugleichenden Steuereinnahmen je Einwohner im Bundesdurchschnitt, multipliziert mit der Einwohnerzahl des Landes 288, gegeniibergestellt.
285
Wick, H., a.a.O., S. 270. Ders., a.a.O., S. 270 f. 287 Diese Summe wird nun noch zur Abgeltung der Seehafenbelastung bei den Landern Bremen um 25 Mio. DM, bei Hamburg um 55 Mio. DM und bei Niedersachsen um 6 Mio. DM gekiirzt. Ebenso werden zur Abgeltung iibermafiiger Belastungen von den Steuereinnahmen des Saarlandes 55 Mio. DM, Schleswig-Holsteins 30 Mio. DM und des Landes Rheinland-Pfalz 20 Mio. DM abgesetzt. Vgl. Landerflnanzausgleichsgesetz 1969 § 7 Abs. 3 und 4. 288 Ganz korrekt ausgedriickt ist die Ausgleichsmefizahl eines Landes die Summe aus den beiden TeilmeEzahlen, die zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Lander und zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Gemeinden getrennt festgestellt werden. Vgl. § 6 Abs. 2 Finanzausgleichsgesetz 1969. 286
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162
Die finanzpolitische Willensbildung
Modifiziert wird diese Ausgleichsmefizahl noch durch den Einbau sogenannter „veredelter Einwohnerzahlen" 289 . Ausgleichsberechtigt (ausgleichspflichtig) sind nur die Lander, deren Steuerkraftmefizahl im Rechnungsjahr die Ausgleichmefizahl nicht erreicht (iibersteigt) 290 . Fur das Jahr 1970 werden sich bei diesem neuen Verfahren die in der Tabelle 2 auf S. 161 ausgewiesenen Beitrage ergeben; das Ergebnis des Finanzausgleichs lafit sich aus dieser Obersicht einmal in den Steuereinnahmen pro Kopf und zum anderen in der letzten Spake, dem Ergebnis in Prozent des Landerdurchschnittes, ablesen. Obwohl die Einnahmen jedes ausgleichsberechtigten Landes auf 9 5 % der Ausgleichsmefizahl aufgefiillt werden, erreichen die Steuereinnahmen des ^armsten" Landes Rheinland-Pfalz nur 9 2 % des Landerdurchschnittes. Dies liegt daran, dafi einerseits 5223 Millionen DM gemeindliche Steuereinnahmen nicht berucksichtigt wurden und andererseits die erheblich bessere Finanzausstattung der Stadtstaaten den Landerdurchschnitt hebt und damit die relative Steuerausstattung der Flachenstaaten driickt. Tiefergehende Schliisse auf die Effizienz der Finanzausgleichsregelung lafit dieser quantitative pro-Kopf-Vergleich aber nicht zu, da er die Sonder289 j ) e r BegrifF der veredelten Einwohnerzahl geht davon aus, dafi die Gemeindeausgaben gemafi dem „Brechtschen Gesetz" mit steigender Gemeindegrofie uberproportional ansteigen; demzufolge werden bei der Ermittlung der Ausgleichsmefizahl die Einwohnerzahlen von Bremen und Hamburg mit je 135% angesetzt, wahrend die Einwohnerzahlen der iibrigen Lander mit 100% gewertet werden. Weiterhin werden bei der Entwicklung der Mefizahlen zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Gemeinden die Einwohnerzahlen der Gemeinden eines Landes mit folgenden Ansatzen je Einwohner gewertet: 5 000 Einwohner einer Gemeinde mit 100 v. H., die ersten die weiteren 15 000 Einwohner einer Gemeinde mit 110 v. H., die weiteren 80 000 Einwohner einer Gemeinde mit 115 v. H., die weiteren 400 000 Einwohner einer Gemeinde mit 125 v. H., die weiteren 500 000 Einwohner einer Gemeinde mit 125 v. H., die weiteren Einwohner einer Gemeinde mit 130 v. H . Fur Gemeinden mit mehr als 500 000 Einwohnern werden dem Land dariiber hinaus bei einer Dichte von 2000 bis 3000 Einwohnern je Quadratkilometer 4 vom Hundert der Einwohnerzahl, bei einer Dichte von 2000 bis 3000 Einwohnern je Quadratkilometer 4 vom Hundert der Einwohnerzahl hinzugerechnet. (Vgl. § 9 Abs. 3 Finanzausgleidigesetz 1969.) 290 Ausgeglichen werden 100% des Betrages, der an 92 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl eines Landes fehlt und 37,5% des Betrages, der von 92 bis 100 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl fehlt. Zur Berechnung der Ausgleichsbetrage der ausgleichspflichtigen Lander schreibt § 10 Abs. 2 Landerfinanzausgleichsgesetz 1969 vor: „Die Ausgleichsbetrage der ausgleichspflichtigen Lander werden mit einem einheitlichen Hundertsatz von den Betragen errechnet, um die ihre Steuerkraftmefizahl ihre Ausgleichsmefizahl iibersteigt. Hierbei bleibt die Steuerkraft, die zwischen 100 und 102 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl liegt, aufier Ansatz; die Steuerkraft, die zwischen 102 und 110 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl liegt, wird mit 70 vom Hundert, und die 110 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl iibersteigende Steuerkraft voll angesetzt. Der Hundertsatz von den ausgleichpflichtigen Betragen wird so bemessen, dafi die Summe der Ausgleichsbetrage mit der Summe der Ausgleichszuweisungen iibereinstimmt."
163
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
belastungen und Belastungsunterschiede nicht beriicksichtigt. Verstandlich wird an H a n d einer solchen quantitativen Betrachtungsweise aber die Kritik der steuerschwachsten Lander an der vorgesehenen Regelung. A u d i die Regelung des kommunalen Ebenen a b ; hier geht es um
Finanzausgleichs
spielt sich auf zwei
1. die nivellierende Wirkung des Austausches von ca. 4 0 % des Gewerbesteueraufkommens gegen die 14%ige Beteiligung an der Einkommensteuer 2 9 1 und 2. die Zuweisungen der Lander an die Gemeinden auf G r u n d Art. 106 Abs. 7 G G .
von
Nach § 1 des Gesetzes zur N e u o r d n u n g der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz) erhalten die Gemeinden „14 vom H u n d e r t des Aufkommens an Lohnsteuer und an veranlagter Einkommensteuer" ihres Landes 292» 293 . Mittels dieses Beteiligungsverhaltnisses nehmen die Gemeinden infolge der grofien Aufkommenselastizitat dieser Steuer in hohem Mafie am wirtschaftlichen Wachstum teil. Der Anteilssatz von 1 4 % bezieht sich auf das gesamte Aufkommen dieser Steuer im Lande; der Anteil einer Gemeinde hieran ergibt sich aus der Multiplikation dieses Betrages mit der Schliisselzahl dieser Gemeinde. Diese Schliisselzahl ist der in einer Dezimalzahl ausgedriickte Anteil dieser Gemeinde an dem proportional (zu 1 9 % ) zu versteuernden Einkommen bis 8000 D M p.a. fiir Ledige bzw. 16 000 D M p.a. fiir zusammen veranlagte Ehegatten 294 . Ab 1972 sollen sich diese Grenzen auf 80 000 bzw. 160 000 D M p.a. erhohen 2 9 5 ; damit werden dann 7S°/o des Einkommensteueraufkommens bei der Berechnung der Gemeindeanteile
291 Bei der Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer handelt es sich zwar um eine verfassungsmafiig verankerte Ertragshoheit dieser Korperschaften, somit nicht um eine eigentliche Frage des Finanzausgleichs; die Auswirkungen dieser Regelung (in Verbindung mit der Gewerbesteuerumlage der Gemeinden an Bund und Lander) auf die finanzielle Situation der Gemeinden im Verhaltnis zu den iibergeordneten Gebietskorperschaften und untereinander lassen es aber ratsam erscheinen, diese Zusammenhange an dieser Stelle zu erortern. 292 py r B e r li n u n c l Hamburg gelten besondere Vorschriften. 293 Da es eines der Hauptziele der Gemeindefinanzreform war, die erheblichen Steuerkraftunterschiede der Gemeinden auszugleichen, versuchte Schleswig-Holstein im Bundesrat zu erreichen, dafi der Einkommensteueranteil der Gemeinden nicht landermafiig, sondern bundesmaftig ermittelt wird. Dieser Antrag wurde aber abgelehnt, so da£ in Zukunft zwar die Steuerkraftunterschiede innerhalb eines Landes, nidit aber zwischen gleichartigen Gemeinden in einkommensteuerschwachen und einkommensteuerstarken Landern vermindert werden (Schmidt, W.: Das Gemeindefinanzreformgesetz im Bundestag, in: Kommunale Steuer-Zeitschrift, Nr. 3, Marz 1969, S. 46). 294 Die Korrektur moglicher Fehler in der Ermittlung der Schliisselzahl erlaubt § 4 Gemeindefinanzreformgesetz innerhalb von 6 Monaten nach der Festsetzung des Schlussels. 295 Ygj # § 3 Ab>s# 2 G e m e i n d e f i n a n z r e f o r m g e s e t z .
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164
Die finanzpolitische Willensbildung
beriicksichtigt, womit die unterschiedlichen Einkommensstrukturen der einzelnen O r t e sich erheblich starker bemerkbar machen diirf ten 296 . Das regionale Einkommensteuerauf kommen und die ihm zugrundeliegende Einkommensstruktur werden in einem Turnus von drei Jahren auf G r u n d des Gesetzes iiber Steuerstatistik 297 ermittelt. D a die Aufstellung eines derartigen Zahlenwerkes gut 2V2 J a h r e in Anspruch nimmt, datiert die bisher einzig verfiigbare Statistik aus dem J a h r e 1965. Dies bedeutet, dafi fur die erste Berechnung 298 der Gemeindeanteile im Jahre 1970 ein Schliissel herangezogen werden mufi, der auf 5 Jahre zuriickliegenden Verhaltnissen basiert. Nach Schatzungen von Mitte 1969 sollen den Gemeinden aus dieser Beteiligung an der Einkommensteuer ca. 6,8 M r d . D M 2 " zufliefien. Ein weiteres Element des Gemeindefinanzreformgesetzes ist die in § 6 verankerte Gewerbesteuerumlage von ca. 4 0 % des gesamten Ist-Aufkommens
296 j n we lchem Mafie weldie Gemeinden von einer stufenweisen Erhebung des Beteiligungssockels betroffen werden, zeigt StrauiS, F. J., Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 149. 297 Vgl. BGB1 I, S. 666 vom 6. 12. 1966. 298 Beispiel fur die Berechnung eines Gemeindeanteils an der Einkommensteuer (entnommen, Sdimidt, W.: Das Gemeindefinanzreformgesetz im Bundestag, a.a.O., S. 47). Die Steuerbetrage aus dem proportionalen Sockel der Einkommensteuer betragen fiir das Land A 5753 Mio. und fiir die Gemeinde B 157 000 DM. Die Schlusselzahl fiir B ist demnach bei Abrundung auf 7 Stellen hinter dem Komma mit 157 000 5 753 000 000 = 0,0000273
anzusetzen.
Wenn sich nun das Aufkommen aus dem den Gemeinden iiberlassenen Teil der Einkommensteuer (14°/o des Gesamtaufkommens) fiir 1970 im Monat X auf 516 716 370 DM belauft, erhalt die Gemeinde B fiir den Monat X 516 716 370 X 0,0000273 = 14 106,35 DM. Unterstellt man ferner, dafi das Jahresaufkommen der Einkommensteuer gerade das Zwolffache des Aufkommens im Monat X sei, erhalt B im Jahre 1970 14 106,35 X 12 = 169 276,20 DM. Aus diesem Beispiel und aus dem Wortlaut des Gemeindefinanzreformgesetzes geht hervor, daft der Vorschlag variabler Hebesatze, die die Gemeinden auf die urspriingliche ortliche Einkommensteuerschuld anwenden konnten (vgl. Gutachten iiber die Finanzreform in der BRD, a.a.O., Tz. S. 17 ff.), nicht akzeptiert wurde, obwohl diese Moglichkeit in Art. 106 Abs. 5 GG vorgesehen ist. Dies beruht im wesentlichen auf zwei Griinden: 1. Man traut den Gemeinden — zumindest fiir die nahe Zukunft — nicht zu, „eine sachgerechte Entscheidung iiber die Hohe der Hebesatze zu treffen...". — 2. Das Hebesatzrecht der Gemeinden wurde erhebliche steuerrechtliche und vor allem steuertechnische Probleme aufwerfen, da schon bei der Erhebung und Abfiihrung der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommensteuer jeder Steuerbetrag in einen Staats- und Gemeindeanteil, auf den sich das Hebesatzrecht bezogen hatte, hatte aufgeteilt werden miissen. In diesem Falle ware aber eine Berechnung des Gemeindeanteils auf Grund des mit Hilfe der Steuerstatistik ermittelten Schliissels in der oben skizzierten Weise nicht mehr moglich, so dafi das Steuerzuteilungsverfahren mit einem immensen Verwaltungsaufwand verbunden ware. (Heckt, W.: Die Gemeindefinanzreform, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 17 vom 8. 2.1969, S. 135.) 299 Vgl. Obert, G : Die Finanzreform 1969, Sonderdruck aus dem Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 65 vom 21. 5. 1969, S. 14.
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
165
der Gewerbesteuer, die zu gleichen Teilen an Bund und Lander abzufiihren ist. Diese Gewerbesteuerumlage macht die Gemeindefinanzen nicht nur konjunkturunempfindlicher, sondern iibt audi auf die gemeindliche Finanzausstattung eine nivellierende Wirkung aus. Die Gewerbesteuerumlage, die jede Gemeinde an das fur sie zustandige Finanzamt abzufiihren hat, berechnet sich wie folgt: Das Ist-Aufkommen der Gewerbeertrag- und Gewerbekapitalsteuer wird durch den von der Gemeinde festgelegten Hebesatz dividiert 800 . Der sich aus dieser Division ergebende Grundbetrag wird mit 120 multipliziert und ergibt die abzufiihrende Umlage 301> 302 . Der positive NettoefFekt der kommunalen Beteiligung an der Einkommensteuer nach Abschopfung der Gewerbesteuer betragt etwa 1,4 Mrd.
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301 Beispiele: (1) Die Gemeinde A hat ein Aufkommen an Gewerbeertrag- und Gewerbekapitalsteuer von 4,5 Mio. DM p. a. bei einem Hebesatz von 300%.
4 5 Mio . - = 1,5 Mio. Grundbetrag; 1,5 Mio. X 120% = 1,8 Mio. DM abzufiihrende -' Umlage. Die Umlage betragt in diesem Fall genau 40% des Aufkommens. (2) Die Gemeinde B hat das gleiche Aufkommen bei einem Hebesatz von 250%. 4 5 Mio 2 ^
= 1,8 Mio. X 120% = 2,16 Mio. DM.
Die abzufiihrende Umlage betragt hier ca. 4 8 % vom Aufkommen. (3) Die Gemeinde C hat wiederum ein Gewerbesteueraufkommen von 4,5 Mio., dies aber bei einem Hebesatz von 350%. 4,5 Mio. 350%
1,285 Mio.; 1,285 X 120 = 1,54 Mio.
In diesem Fall sind nur ca. 34,3% des Steueraufkommens als Umlage abzufiihren. Hatte eine Gemeinde dagegen einen eigenen Hebesatz von weniger als 120%, miifite sie mehr abfiihren als ihr zuflosse. Dies verhindert § 6 Abs. 3 Gemeindefinanzreformgesetz, der fur diesen (theoretischen) Fall vorsieht, dafi dieser Gemeinde der Differenzbetrag zwischen Umlage und Aufkommen durch das zustandige Finanzamt erstattet wird. Die Lohnsummensteuer wurde deshalb nicht, wie noch im ersten Gesetzentwurf vorgesehen, mit einem differenzierten Gesetzentwurf zur Umlage herangezogen, da sonst die Gemeinden, die Lohnsummensteuern erheben — und dies sind in der Regel die finanziell schwadieren — im Verhaltnis zu den „reichen" Gemeinden, die nur die Gewerbekapital- und Gewerbeertragsteuer erheben, relativ starker belastet worden waren. Vgl. hierzu audi StrauE, F. J.: Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 151. 302 § 7 des Gemeindefmanzreformgesetzes bestimmt als Sondervorschriften fur Berlin und Hamburg: „In Berlin und Hamburg steht der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer dem Land zu. Die Lander Berlin und Hamburg fiihren den Bundesanteil der (Gewerbesteuer-)Umlage nach § 6 an den Bund ab."
Die finanzpolitische Willensbildung
166
DM 303, um welchen Betrag die Gemeindefinanzmasse verstarkt wird; allerdings verhalt sich dieser Zuwachs etwa umgekehrt proportional zur Einwohnerzahl des Ortes 304. Im Zuge dieser finanziellen Neuordnung der kommunalen Finanzen wurde der bisherige horizontale Finanzausgleich in Form eines Gewerbesteuerausgleichs zwischen Wohn- und Betriebsgemeinden abgeschafft; der in Art. 106 Abs. 7 GG verankerte vertikale Finanzausgleich zwischen Landern und Gemeinden fugt sich infolgedessen nahtlos an die erste Stufe der Einnahmenumverteilung an, um die noch verbleibenden Finanzlucken der Gemeinden aufzufullen. Dieser „vertikale" Finanzausgleich zwischen Landern und Gemeinden 305 ist ein System variierender Zuweisungen, durch die ein angemessener horizontaler Ausgleich der Finanzkraftunterschiede der Gemeinden entsteht, und tragt deshalb in der Terminologie des Finanzausgleichs die Bezeichnung vertikaler Finanzausgleich mit horizontalem Effekt. Die Berechnung der im kommunalen Finanzausgleich anfallenden Zuweisungen erfolgt durch Verwendung von Normgrofien, den sogenannten Schliisseln; die Zuweisungen tragen deshalb die Bezeichnung „Schliisselzuweisungen". Die Schlussel haben die Aufgabe, einen Vergleich zwischen Bedarf und 303
Obert, G.: Die Finanzreform 1969:, a.a.O., S. 14.
Gemeindegroftenklasse (Gemeinden mit . . . bis unter . . . Einwohner)
Steueraufkommen in DM/Einwohner vor der nach der Reform Reform
Verstarkung der Gemeindefinanzmasse DM/Einw. in v. H.
unter 1 000 1 000— 3 000 3 000— 5 000 5 000— 10 000 10 000— 20 000 20 000— 50 000 50 000—100 000 100 000—200 000 200 000 und mehr ohne Hamburg, Berlin (West) Hamburg, Berlin (West) Gemeinden insgesamt
93 121 157 181 205 242 278 265
107 136 172 197 222 258 291 283
14 15 15 16 17 16 13 18
15,1 12,4 9,6 8,8 8,3 6,6 4,7 6,8
309 256 210
328 269 226
19 13 16
6,1 5,1 7,6
Die Staffelung der Steuereinnahmen nach der Gemeindegrofie verringert sidi dadurdi von 1:3,33 auf 1:3,06. 304
StraufS, F. J.: Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 158. Ein horizontaler interkommunaler Finanzausgleich nach dem Vorbild des Landerfinanzausgleichs scheiterte bislang schon an seiner technischen Undurchfiihrbarkeit; erst die Computer der jiingsten Generation sind in der Lage, eine dazu notwendige Matrix mit ca. 25 0002 Elementen — es gibt etwa 25 000 Gemeinden in der Bundesrepublik — simultan zu berechnen. 305
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
167
Steuerkraft einer Gemeinde zu ermoglichen. Dabei ist der Bedarf eine besonders schwer fafibare Grofie, da es kaum moglich ist, den individuellen Finanzbedarf einer Gemeinde im einzelnen objektiv zu analysieren und zu beriicksichtigen; vielmehr mufi dieses Merkmal „Bedarf" darauf beschrankt bleiben, einige allgemeine und regional vergleichbare Lasten zu erfassen. Eine vollige Nivellierung der Finanzkraftunterschiede aller Gemeinden ist, ebenso wie bei den Landern, schon aus okonomischen und politisch-soziologischen Griinden keineswegs wiinschenswert; ein gewisser Finanzkraftunterschied zwischen den Gemeinden wird sich ohnehin, solange die Gemeinden auch nur in geringem Umfang eigene Steuerquellen ausschopfen, niemals beseitigen lassen. Ziel der Bedarfsmessung kann es daher nur sein, einen den „durchschnittlichen Ausgabenbedarf" reprasentierenden „Normalbedarf" zu ermitteln, der in der Ausgangsmefizahl quantifiziert und der Steuerkraft, ausgedruckt durch die Steuerkraftmefizahl, gegeniibergestellt wird. Dabei kann und soil auch hier nur eine durchschnittliche Steuerkraft, gewissermafien eine „Normalsteuerkraft", ermittelt werden; dies geschieht dadurch, dafi die zur Ermittlung der Steuerkraft herangezogenen Realsteuern weitgehend mit fingierten Hebesatzen angesetzt werden, die die starke Unterschiedlichkeit der tatsachlichen Hebesatze in gewissem Grade nivellieren. Die DifFerenz zwischen Ausgangsmefizahl und Steuerkraftmefizahl bildet den Schltissel; iiberwiegt die Steuerkraftmefizahl, erhalt die Gemeinde keine Schliisselzuweisungen, iiberwiegt die Ausgangsmefizahl, so erhalt sie die Halfte der DifFerenz als Schliisselzuweisung aus der jahrlich neu im Landeshaushalt festgelegten Ausgleichs- oder Schliisselmasse vergutet. Wahrend die Berechnung der Steuerkraftmefizahl einer Gemeinde keine besonderen Schwierigkeiten verursacht, ist die Ermittlung der Ausgangsmefizahl ungleich schwieriger. Sie gliedert sich zunachst in einen Hauptansatz, der von der Einwohnerzahl der Gemeinde ausgeht, und verschiedene Erganzungsansatze (Bevolkerungsansatz nach der alters- und berufsmafiigen Zusammensetzung der Bevolkerung, Fliichtlingsansatz, Grenzlandansatz, Arbeitslosenansatz u. a. m.), die von Land zu Land in verschiedener Form beriicksichtigt werden. Hauptansatz und Erganzungsansatze ergeben zusammen den „Gesamtansatz
306
Die Gleichsetzung von Gesamtansatz und veredelter Einwohnerzahl erklart sidi daraus, dafi der Hauptansatz, ausgehend von der effektiven Einwohnerzahl, diese mit Hilfe einer sogenannten Gemeindegrofienstaffel auf eine veredelte Einwohnerzahl umrechnet und dafi samtliche Erganzungsansatze sich ebenfalls auf die Einwohnerzahl beziehen, so dafi der Gesamtansatz lediglich eine manipulierte, d. h. eine „veredelte
168
Die finanzpolitische Willensbildung
Diese veredelte Einwohnerzahl mufi nunmehr noch mit einem Betrag multipliziert werden, der den pro-Kopf-Bedarf der Gemeinde wiedergibt. Dieser sogenannte „Grundbetrag" ist aber, und darin beruht die eigentliche Kompliziertheit der Berechnung der Ausgangsmefizahl, keine fiktive Grofie, sondern richtet sich nach der Hohe der zur Verfiigung stehenden Schliisselmasse und der Steuerkraftmefizahl; denn die Schlusselmasse wird nicht jeweils nach dem Bedarf der Gemeinden festgelegt, sondern ist ein feststehender Betrag, der sich wiederum nach der jeweiligen Finanzlage des Landeshaushalts richtet. Die Berechnung der Ausgangsmefizahl einer Gemeinde kann also nur auf dem Umweg iiber die Summe der Ausgangsmefizahlen erfolgen 307 . Fortsetzung Fufinote 306 Der Ansatz betragt fur eine Gemeinde mit nicht mehr 5 000 Einwohnern 120% als mit 10 000 Einwohnern 125°/o mit 15 000 Einwohnern 128% mit 25 000 Einwohnern 129% mit 50 000 Einwohnern 130% mit 100 000 Einwohnern 139% mit 250 000 Einwohnern 150% mit 500 000 Einwohnern und mehr 155% der Einwohnerzahl. 307 Die Berechnung erfolgt im einzelnen nach folgendem Schema: Die Grundgleichung lautet zunachst: ,„ x _ .,.. , 2 Ausgangsmefizahlen ./. 2 Steuerkraftmefizahlen (1) Schlusselmasse = — Aus dieser Grundgleichung werden nunmehr die Ausgangsmefizahlen eliminiert: (2) 2 Ausgangsmefizahlen = 2 Steuerkraftmefizahlen + 2 X Schlusselmasse. Da die Summe der Steuerkraftmefizahlen wie auch die Schlusselmasse bekannt sind, ist in dieser Form der Gleichung auch die Summe der Ausgangsmefizahlen fixiert. Damit ist jedoch noch nichts iiber die Hohe der Ausgangsmefizahl der einzelnen Gemeinde gesagt. Zunachst ist hierzu nur festzustellen, dafi jede Gemeinde mit ihrer Ausgangsmefizahl in dem Verhaltnis an der Summe aller Ausgangsmefizahlen beteiligt ist, wie ihre veredelte Einwohnerzahl an der Summe aller veredelten Einwohnerzahlen. Diese Gleichung lautet: Ausgangsmefizahl _ veredelte Einwohnerzahl 2 veredelte Einwohnerzahlen 2 Ausgangsmefizahlen Daraus folgt fur die Ausgangsmefizahl der einzelnen Gemeinden: , t. . n ii veredelte Einwohnerzahl X 2 Ausgangsmefizahlen ^ j-:——. =(4) AusgangsmeiSzahl = u 2, veredelte Einwohnerzahlen Durch Kombination mit Gleichung (2) ergibt sich nunmehr: 11 ,_N A n (5) AusgangsmeiSzahl =
veredelte Einwohnerzahl X (2 Steuerkraftmefizahlen + 2 X Schlusselmasse) ^——-.-.. _. -. ^-. 2 veredelte Linwohnerzahlen
Da von Gemeinde zu Gemeinde in dieser Gleichung nur die veredelte Einwohnerzahl unterschiedlich ist, wird das Verhaltnis von 2 Steuerkraftmefizahlen + 2 X Schlusselmasse zu 2 veredelte Einwohnerzahlen durch einen festen Betrag, eben den Grundbetrag, ausgedriickt. Eine letzte Komplizierung erfahrt die ganze Berechnung noch dadurch, dafi bei der Ermittlung dieses Grundbetrages, der jahrlich neu durch das
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
169
Die Technik des kommunalen Finanzausgleichs erweist sich in dieser schematischen Form, die den Finanzbedarf letztlich nur von der Einwohnerzahl her betrachtet, als weitgehend erstarrt; die Faktoren, die den gemeindlichen Finanzbedarf bestimmen, sind jedoch mannigfaltiger A r t . In jungster Zeit bemiihen sich daher Finanzwissenschaft und Verwaltungspraxis, die typischen Elemente „finanzstarker c< und „finanzschwacher" Gemeinden in anderen, statistisch feststellbaren Strukturmerkmalen der wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen zu erkennen, die der Berechnung der Schliisselzuweisungen zugrundegelegt werden konnten; dazu gehoren z. B. das Tempo des wirtschaftlichen Wachstums, die Eigenart einer Gemeinde als W o h n - oder gewerbliche Gemeinde mit oder ohne Zentralortfunktionen sowie als Dienstleistungsgemeinde 308 . Wenn auch eine voile Nivellierung der Finanzkraftunterschiede nicht wiinschenswert erscheint, so bleibt doch in Einzelfallen ein besonderer Ausgleich spezieller und aufiergewohnlicher Bedarfsfalle sowie bestimmter gerade durch die Schematik des Systems der allgemeinen Schlusselzuweisungen bedingter Hartefalle unumganglich. Diesem Erfordernis tragt der Ausgleichsstock, auch Bedarfszuweisung genannt, in gewissem G r a d Rechnung 3 0 9 . D e r Ausgleichsstock bildet als Erganzung der allgemeinen Schliisselzuweisungen etatrechtlich ebenfalls einen dauernden Rechnungsposten im Landeshaushalt, der sich in der Grofienordnung von etwa 5 — 1 0 % der Schlusselmasse bewegt. Der Verteilungsmodus fur die Zuweisungen aus dem Ausgleichsstock ist entsprechend ihrem individuellen C h a r a k t e r an einen bestimmten Instanzenzug gebunden, der seinen Weg iiber Antrag, Bewilligung, Verteilung und Verwendungsnachweis nimmt; die Entscheidungen in diesen Verfahren treffen je nach den Bestimmungen der Landesgesetze der Finanzminister im Benehmen mit dem Innenminister oder auch die Regierungsprasidenten.
Statistische Landesamt ermittelt wird, in mehreren Arbeitsgangen die Ausgangsmeftzahlen und Steuerkraftmeftzahlen der Gemeinden eliminiert werden, die keine Zuweisungen erhalten, da ihre Steuerkraftmeftzahl die AusgleichsmeEzahl iiberwiegt. — Zu den technischen Einzelheiten des kommunalen Finanzausgleichs siehe u. a.: Hacker, H.: Finanzausgleich, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 3. Bd., a.a.O., S. 441 fF., und Hansmeyer, K. H.: Der Finanzausgleich zwischen Land und Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg, unveroffentlichte Diplomarbeit, Koln 1954. 308 Vgl. Schmolders, G.: „Finanzstarke" und „finanzschwache" Gemeinden. Zur Frage der Typisierung kommunaler Gebilde nach finanzwirtschaftlichen Strukturmerkmalen, in: Archiv fiir Kommunalwissenschaften, 4. Jg., 1965. 309 § 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des Finanz- und Lastenausgleichs mit den Gemeinden und Gemeindeverbanden fiir das Rechnungsjahr 1969, a.a.O., S. 496, lautet: Die Mittel des Ausgleichsstocks dienen zur Gewahrung von Bedarfszuweisungen an Gemeinden und Landkreise. Durch die Bedarfszuweisungen soil der au£ergewohnlichen Lage und den besonderen Aufgaben von Gemeinden und Landkreisen im Einzelfall Rechnung getragen werden. Insbesondere konnen sie auch zum Ausgleich von Harten gewahrt werden, die sich bei der Durchfuhrung des Finanzausgleichs ergeben.
DiefinanzpolitischeWillensbildung
170
Diese besondere Form des Bewilligungsverfahrens ist immer wieder Gegenstand der Kritik; einmal komme es hier zu einer unzulassigen Form der Zweckbindung, zum anderen liege in der Zuweisung von Geldmitteln nach dem Ermessen einer vorgesetzten Behorde eine Einschrankung des Selbstverwaltungsprinzips der Gemeinden. Ohne Zweifel liegt besonders in der politischen Nuance dieser Argumentation eine nicht zu libersehende Gefahr, zumal kein Rechtsanspruch auf Zuweisungen aus dem Ausgleichsstock besteht und damit nur zu leicht eine Moglichkeit gegeben ist, sie als politisches Druckmittel auf dieGemeinde auszunutzen; nichtsdestoweniger diirfte es aber gerade im Interesse der Gemeinden selbst liegen, in Fallen unverschuldeter Not und eines daraus entstehenden Haushaltsdefizits den Ausgleichsstock in Anspruch zu nehmen. Eine weitere Erscheinungsform des „vertikalen Finanzausgleichs mit horizontalem EfTekt" bilden die Kreisschlusselzuweisungen vom Land an die Landkreise, deren Berechnung auf dem Grundprinzip der Gemeindeschliisselzuweisungen beruht; jedoch ist hier die GemeindegrofienstarTel regressiv 310 gestaltet, ein Ausdruck dafiir, dafi die grofien und leistungsfahigeren Gemeinden besser in der Lage sind, ihre Aufgaben selbst zu erftillen, wahrend die kleineren Gemeinden der Hilfe des Landkreises bediirfen. Weniger in die Problematik des „vertikalen Finanzausgleichs mit horizontalem Effekt" als vielmehr in die Form der allgemeinen Zuweisungen im Rahmen der Finanzausgleichsproblematik schlechthin gehort schliefilich noch die Kreisumlage 311. Wahrend bei den bisher besprochenen Finanzausgleichsformen die Mittel entweder vertikal von der iibergeordneten zur untergeordneten Gebietskorperschaft oder horizontal zwischen gleichgeordneten Gebietskorperschaften fliefien, nimmt die Kreisumlage den Weg von „unten nach oben", vom Gemeindehaushalt in den Kreishaushalt; sie ist ein subsidiares Deckungsmittel der Landkreise. Die ursprunglich von den Gemeinden im Rahmen ihrer Selbstverwaltung durchgefiihrten Aufgaben werden aus technischen Gninden mehr und mehr von der iibergeordneten Korperschaft des Kreises ubernommen, und die dadurch herbeigefuhrte Ausgabenentlastung der Gemeinden findet in der Kreisumlage ihr Aquivalent. Die Berechnung der Kreisumlage 312 birgt die Gefahr in sich, die Einnahmen an den Ausgaben auszurichten und damit die Kreisumlage in ihrer Hohe zu iiberspannen oder in jahrlich stark wechselnder Hohe festzusetzen. Dies wird jedoch zunachst durch die eigenartige Form der Willensbildung in den Kreis310
Der Ansatz betragt fixr jede Gemeinde des Landkreises mit 1— 5 000 Einwohnern 110% mit 5 001—25 000 Einwohnern 100% iiber 25 000 Einwohner 90% der Bevolkerungszahl dieser Gemeinde. 311 Vgl. hierzu Fiirst, D.: Die Kreisumlage, Stuttgart, Berlin, Koln, Mainz 1969. 312 Gesamtausgaben ./. sonstige Einnahmen = durch die Kreisumlage zu deckender Betrag.
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
171
tagen verhindert; die meisten Kreistagsmitglieder sind gleichzeitig Ratsmitglieder ihrer Gemeinde, so dafi fur sie eine Erhohung der Kreisumlage automatisch eine Belastung ihres Gemeindehaushalts bedeutet. Hier liegt also der seltene Fall eines nicht zur BeWlligungsfreudigkeit neigenden Parlaments vor; alien Beteiligten tritt der unmitteioare Zusammenhang von Ausgabenerhohung und Einnahmensteigerung vor Augen, was fiir manches grofiere Parlament so wiinschenswert ware. Eine Ausgleichswirkung besitzen endlich auch die zweckgebundenen Zuweisungen und speziellen Bedarfszuweisungen der Lander an die Gemeinden und Landkreise, die spezifische regionale Bedarfsunterschiede auszugleichen haben und den verschiedenen kommunalen Haushalten als verwendungszweckgebundene Mittel zufliefien. Entsprechend der unterscliiedlichen Landerstruktur weisen deshalb die zweckgebundenen Zuweisungen in Form und Verteilungsmafistab von L ind zu Land starke Abweichungen auf; demzufolge sind sie auch nur in einem kleinen Teil in den Finanzausgleichsgesetzen der Lander, sondern vielmehr in einer Vielzahl von Einzel- und Spezialgesetzen geregelt. Neben diesen finanziellen Beziehungen zwischen den einzelnen Gebietskorperschaften (Bund, Landern, Gemeinden, Kreisen usw.) gewinnt auch der Finanzausgleich zwischen dem Staat und den verschiedenen „Parafisken" mehr und mehr an Bedeutung. Wahrend sich diese finanziellen Beziehungen, die regelmafiig durch staatliche Zuschusse an die Parafisken gekennzeichnet sind, bei dem Verhaltnis von Staatsfiskus zu Stande- und Kirchenfiskus noch in ertraglichen Grofienordnungen bewegen 313, schlagen die Milliardenbetrage fiir die Sozialfisken erheblich zu Buch: Tabelle 3. Staatliche Zuschusse an die wichtigsten Sozialfisken in den Jahren 1958, 1959, I960, 1968 314 — in Mill. DM — Jahr
KrankenverslLcherung
Unfallversidierung
Rentenversicherung der Arbeiter
Rentenversicherung der Angest.
Knappschaftlidie Rentenversicherung
1958 1959 1960 1968
88 90 109 233
24 21 18 464
3163 3307 3505 6077
805 898 946 834
981 1002 1219 3160
313 So hat beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen im Haushaltsjahr 1969 an die Evangelischen Landeskirchen und an die Erzdiozesen und Diozesen als „Dotationen" sowie als „Beihilfen zur Pfarrerbesoldung und zur Versorgung der Ruhestandspfarrer und der Pfarrerhinterbliebenen" zusammen 25 314 500 DM auf Grund grundgesetzlicher oder staatsrechtlicher Verpflichtungen in Ansatz gebracht. (Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen fiir das Rechnungsjahr 1969, Einzelplan 05, Kap. 81, Titel 600 und 602, Kap. 82, Titel 600 und 602.) 314 Quelle: Statistische Jahrbiicher fiir die Bundesrepublik Deutschland 1962, S. 421; 1969, S. 372.
Die finanzpolitische Willensbildung
172
Eine Ausnahme unter den Sozialfisken bildet die Bundesanstalt fiir Arbeit in Nurnberg; ihre infolge der Vollbeschaftigung von Jahr zu Jahr steigenden Einnahmen haben zu einer Vermogensakkumulation gefuhrt, deren zweckentfremdete Anlage in langfristigen Krediten so recht die finanzpolitische Problematik der „Fondswirtschaftcc vor Augen fuhrt 315. Neben den parafiskalischen Gebilden, die in mehr oder weniger iibersichtlicher Form die staatlichen Lasten und Finanzen zwischen staatlichen und ausgegliederten halbstaatlichen Fonds verschieben, erfahrt das System des Finanzausgleichs noch eine eigenartige „kalte Korrektur", die unter dem Begriff unsichtbarer Finanzausgleicb Eingang in die Literatur gefunden hat. Darunter sind alle jene Erscheinungen zu verstehen, die infolge von gesetzlichen Einzelbestimmungen, Sonderregelungen und Absprachen auf die finanziellen Beziehungen verschiedener Gebietskorperschaften in der Weise einwirken, dafi das in den grundlegenden Finanzausgleichsbestimmungen legalisierte Verhaltnis von Aufgabenlast und Finanzkraft — ungewollt oder bewufit verdeckt — zu Gunsten oder Ungunsten einer bestimmten Gebietskorperschaft verschoben wird 316. Sowohl auf der Einnahmenseite — durch ungedeckte Auftragsaufgaben — als auch auf der Ausgabenseite — durch Steuerausfalle — unterliegen die Gemeinden einer ^nsichtbaren" Finanzausgleichsbelastung, deren grofienmafiige Erfassung zwar gelegentlich und mit erheblichem Aufwand moglich ist, deren Existenz jedoch andererseits das die Finanzausgleichsproblematik umgebende Odium einer „Geheimwissenschaftcc deutlich hervortreten lafit. 315
Vgl. § 29. Das Kolner Finanzwissenschaftlidie Forschungsinstitut widmete diesem Phanomen des unsichtbaren Finanzausgleichs erstmals 1954 eine grundlegende Studie (Meyer, H. H.: Der unsichtbare Finanzausgleidi, Koln 1954, als Manuskript vervielfaltigt). In den Folgejahren wurde eine Untersuchung in 18 kreisfreien Stadten des Rheinlandes und des Ruhrgebietes durchgefiihrt, die damit fast 50% der kreisfreien Gemeinden Nordrhein-Westfalens erfa£te (Hessler, H. D.: Der unsichtbare Finanzausgleidi, in: Kommunale Finanzreform, Schriftenreihe der Forschungsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung, Sozialwissenschaftliche Schriften, Hannover 1962, S. 85 ff.). 316
„L'Etat: c'est la grande fiction, a travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre de tout le monde." (F. Bastiat)
IV, Die Ausgabenpolitik A. Das „Gesetz" der wachsenden Staatstatigkeit § 21. Der Tatbestand Adolph Wagners „Gesetz der wachsenden Ausdehnung der offentlichen, insbesondere der Staatstatigkeiten" und das daraus abgeleitete „Gesetz der wachsenden Ausdehnung des Finanzbedarfs" 1 wirkt angesichts der neueren Entwicklung der offentlichen Finanzwirtschaft wie eine Prophezeiung von verbliiffendem Wahrheitsgehalt; Ausmafi und Tempo des Wachstums der offentlichen Ausgaben haben sich seit Adolph Wagners Voraussage sogar noch erheblich verstarkt. Der jahrliche Finanzbedarf des Deutschen Reichs und seiner Bundesstaaten hat sich in den vier Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg ungefahr vervierfacht und zwischen den beiden Weltkriegen schon in der Halfte dieser Zeitspanne nochmals versechsfacht, ganz abgesehen von seiner hektischen Ausdehnung wahrend der eigentlichen Kriegsjahre. Diese Entwicklung tragt internationales Geprage; ohne viel Unterschied nach Staatsform und Politik weisen die Staatsausgaben in alien Landern kraftige Steigerungen auf, wie Tabelle 4 (S. 174) erkennen lafit. Nicht nur im totalitaren Sowjetstaat, dessen zentraler Finanz- und Staatswirtschaftsplan praktisch die ganze Volkswirtschaft umfafit, lafit sich das Anwachsen der absoluten Ausgaben feststellen; auch Grofibritannien, die Niederlande, die USA und selbst die vom Krieg verschonte neutrale Schweiz weisen die gleichen Tendenzen in der Entwicklung der offentlichen Ausgaben auf. Andererseits zeigt die Tabelle auch charakteristische Unterschiede zwischen den einzelnen Landern hinsichtlich der Zunahme ihres offentlichen Finanzbedarfs. Die Entwicklung der Gesamtausgaben gibt zwar einen „helpful and readily available index to the direct economic importance of government" 2 ; das in den einzelnen Landern unterschiedliche Tempo der Geldent1
Wagner, Adolph: Grundlegung der politischen Dkonomie, 3. Aufl., Teil 1, Grundlagen der Volkswirtschaft, Leipzig 1892, S. 892 ff.; ders.: Finanzwissenschaft, 3. Aufl., Teil 1, a.a.O., S. 76. 2 Buchanan, J. M.: The Public Finances, Homewood, 111., 1960, S. 30.
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Die Ausgabenpolitik
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§ 2 1 . Der Tatbestand
175
wertung macht jedoch die nominellen Ausgabenbetrage in sich und untereinander unvergleichbar. Audi bei Beriicksichtigung der Geldentwertung bieten die Zahlen der Gesamtausgaben des Staates allerdings keine Aussage liber das Verhaltnis des offentlichen zum privaten Sektor; gerade darin liegt aber die Bedeutung des Wagnerschen Gesetzes, das ja nicht nur die absolute Zunahme der Staatstatigkeit und damit der offentlichen Ausgaben feststellt, sondern zugleich audi voraussagt, dafi sich „die staatlidie Gesamtwirtschaft gegeniiber den anderen Wirtschaften ausdehnen wird" 4. Es geht also um das relative Wachstum der offentlichen Ausgaben, gemessen am Bruttosozialprodukt oder Volkseinkommen; noch deutlicher wird die Entwicklung, wenn man sie in Beziehung zum Bevolkerungswachstum setzt 5 . Die Zahlen der Tabelle 5 (S. 176) lassen deutlich erkennen, dafi die offentlichen Ausgaben im Deutschen Reich bzw. in der Bundesrepublik Deutschland im Verhaltnis zum Volkseinkommen und ebenso pro Kopf der Bevolkerung steil gestiegen sind 6 ; statistische Angaben fur die USA zeigen auch hier eine parallele Entwicklung 7. Fur Grofibritannien hat Ursula Hicks eine graphische Darstellung veroff entlicht 8, nach der die Staatsausgaben von 1900 bis 1910 rd. 1 5 % des Volkseinkommens ausmachten, wahrend des Ersten Weltkrieges fast 25°/o, in den 20er und 30er Jahren uber 30°/o, im Zweiten Weltkrieg zeitweise bis zu 80% stiegen und sich in den 50er Jahren auf etwa 4 0 % einpendelten; abgesehen von den starken Schwankungen infolge der Kriege lafit sich auch in den Friedensjahren ein deutlicher Trend nach oben feststellen. Bei der Beobachtung empirischer „Gesetzmafiigkeiten" in der Entwicklung der Staatsausgaben mufi allerdings berucksichtigt werden, dafi nur ein 4
Wagner, Adolph: Grundlegung . . . , a.a.O., S. 884. Die in den Vereinigten Staaten haufige Methode der Messung der Tatigkeit des Staates an seiner Beanspruchung der einzelnen Produktionsfaktoren (Kapitalausriistung, Beschaftigte oder Kaufe von Gutern und Diensten), also des „input" (vgl. Fabricant, S.: The Trend of Government Activity in the United States since 1900, Publications of the National Bureau of Economic Research, Inc., Nr. 56, New York 1952, S. 10 ff.; Due, J. F.: Government Finance, 3. Ed., Homewood, 111., 1963, S. 43 ff.; Buchanan, J. M.: The Public Finance, a.a.O., S. 30 ff.), kann wegen fehlender statistischer Unterlagen hier nicht angewandt werden. Die Verwendung des Sozialprodukts als Mafistab der Staatstatigkeit ist auch insofern problematisch, als diese Grofie bereits den iiber die Staatsausgaben gemessenen und bewerteten Beitrag des Staates zum gesamtwirtschaftlichen Ertrag mit umfafit. Vgl. Recktenwald, H. C. : Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben in der Bundesrepublik, in: Wandlungen der Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Heinz Konig, Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 26, Berlin 1962, S. 206; Buchanan, J. M.: The Public Finance, a.a.O., S. 33. 6 Vgl. hierzu Andic und Veverka: „The Growth of Government Expenditure in Germany since the Unification" in: Finanzarchiv NF. Bd. 23 (1963/64) S. 169 ff. 7 Vgl. hierzu Woytinsky: World Commerce and Governments, New York 1955, S. 688/689, zit. nach Piitz, Th.: Wirtschaftliche Entwicklung und zunehmende Staatstatigkeit, in: Zeitschrift fiir Nationalokonomie, Bd. 20, Wien 1960, S. 64. 8 Hicks, Ursula, K.: British Public Finances, Their Structure and Development 1880—1952, London 1954, S. 11. 5
Die Ausgabenpolitik
176
Tabelle 5. Anteil der Staatsausgaben am Vblkseinkommen und pro Kopf der Bevolkerung in Deutschland Jahr
Anteil der unmittelbaren Ausgaben am Volkseinkommen in °/o
Unmittelbare Ausgaben pro Kopf in M, RM und DM
1913 1 1925 1930 1935 1949 I 9 1953 1955 1957 1959 1961 1 0 1967 1 1
15,7 24,2 28,9 31,8
119,8 232,5 316,6 281,4 513,3 915,4 1006,4 1262,7 1473,5 1755,4 2772,0
38,1 40,1 36,1 38,5 39,5 40,9 45,5
Teil, wenn audi der grofiere Teil des Staatsbedarfs, statistisch zu erfassen ist, wahrend der sogenannte „versteckte offentliche Bedarf" keiner amtlichen Statistik zuganglich ist. „Zum versteckten Staatsbedarf gehort jene Inanspruchnahme der Einzelwirtschaft durch den Staatsbedarf, die nirgends als solche eine Benennung oder gar einen anderen Ausdruck findet" 12. Er umfafit alle Leistungen, die der Staatsbiirger auf Grund gesetzlicher Bestimmungen und Verwaltungsverordnungen oder als Folge der komplizierten Gesetzgebung fur die Zwecke der offentlichen Hand unentgeltlich zu erbringen hat, vom Militar- und Arbeitsdienst iiber die j^hrenamter" als Schoffe und Geschworener, als Amtsvormund oder Beisitzer bis zu seiner Mitwirkung an der Ermittlung und steuerlichen Veranlagung des eigenen Einkommens und Vermogens sowie des Einkommens seiner Arbeiter und Angestellten. Im Zuge der modernen Entwicklung der Steuertechnik wird ein immer grofierer Teil der durch die Veranlagung, Errechnung und Einziehung der Steuern entstehenden Verwaltungsarbeit den Steuerpflichtigen selbst aufgebiirdet; diese unsichtbare Belastung erfahrt audi durch die immer umfassender werdende soziale Gesetzgebung eine zusatzliche Erhohung. Ebenso wie die Lohnsteuer, die Kapitalertragsteuer und die Kirchensteuer miissen die Sozialversicherungsbeitrage fiir jeden Angestellten und Arbeiter errechnet, verbucht und abgefuhrt werden, ganz abgesehen von den erforderlichen Eintragungen 9
Nach: Recktenwald, H. C.: Die Entwicklung der offentlidien Ausgaben in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 208/209. 10 Statistisches Jahrbuch fiir die Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 21, S. 430, S. 538. 11 Statistisches Jahrbuch fiir die Bundesrepublik Deutschland 1969, S. 25, 394, 496 12 und Finanzbericht 1968, S. 34. Jessen, J.: Deutsche Finanzwirtschaft, 2. AufL, Hamburg 1944, S. 38.
§ 21. Der Tatbestand
177
auf den Lohnsteuer- und Versicherungskarten und der Abrechnung der einbehaltenen Betrage. Auch die Aufwendungen fur die durch die zunehmende Komplizierung der Steuergesetzgebung notwendig gewordene Inanspruchnahme der kostspieligen Dienste von Steuerberatern, Steueranwalten und Wirtschaftspriifern sowie fiir Steuerliteratur, Lohnsteuertabellen u. dgl. miissen dem versteckten offentlichen Bedarf hinzugerechnet werden; endlich belasten die verschiedenen statistischen Erhebungen die Betriebe mit betrachtlichen Kosten, die bei einer Untersuchung des offentlichen Finanzbedarfs nicht ubersehen werden durfen. Sorgfaltige Schatzungen iiber die Hohe dieses versteckten offentlichen Bedarfs lassen den Schlufi zu, dafi die Wagnersche Prophezeiung auch fiir diesen Teil des Finanzbedarfs gilt; die Zunahme des Finanzbedarfs ist daher in Wirklichkeit noch wesentlich kraftiger, als sie sich aus den vorliegenden Statistiken ablesen lafit 13 . Aus Tabelle 4 wird insofern eine gewisse Unterbrechung der geschilderten Entwicklung ersichtlich, als der Anteil der offentlichen Ausgaben am Nettosozialprodukt im Zeitraum von 1949—1959 erstmalig relativ konstant geblieben ist; auch in den Jahren 1955—1959 weist er eine nur geringfiigige Steigerung auf, um aber dann wieder verstarkt anzuwachsen. Aus einer gelegentlichen Abflachung der relativen Zuwachsrate lafit sich somit keineswegs der Schlufi ziehen, dafi „es sich in sakularer Sicht um einen historischen Bruch in der Entwicklung handelt" oder dafi etwa „das gesetzmafiige Wachstum . . . ein Maximum, einen Plafond erreicht (habe), der in Friedenszeiten nicht mehr uberschritten" werde 14. Einmal ist der Zeitraum, dem die Beobachtung gilt, viel zu kurz, um langfristige Entwicklungen daraus abzuleiten, zum anderen sind die genannten Jahre fiir eine grundlegende Analyse des Phanomens insofern ungeeignet, als sie von einem ganz uberdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum begleitet waren, das die Vergleichsbasis „Volkseinkommen" schlagartig erhohte. Dies wird durch eine Untersuchung K. Littmanns iiber die Entwicklung der staatlichen Aktivitat in der Bundesrepublik Deutschland von 1950—1970 bestatigt, in der die Staatsausgaben unter den alternativen Voraussetzungen eines um 2%, 3,4—4,4°/o und 6%> wachsenden Sozialprodukts prognostiziert wurden. Dabei ergab sich bis 1970 fiir die 13 Untersuchungen der Finanzwirtsdiaftlichen Abteilung des Instituts fiir Mittelstandsforschung in Koln lassen erkennen, dafi sdion fiir das Jahr 1957 die Milliardengrenze iiberschritten sein diirfte. VgL: „Der versteckte offentliche Bedarf", Institut fiir Mittelstandsforsdiung, Koln, Januar 1959, als Manuskript vervielfaltigt. Zu beaditen ist, dafi der versteckte offentliche Bedarf die internationale und zeitliche Vergleichbarkeit der Ausgabeziffern stark beeintrachtigt. Zum versteckten offentlichen Bedarf s. ferner Engelhardt, G. und Striimpel, B.: Steuerbelastung und Belastungswirkungen beim selbstandigen Mittelstand, vervielfaltiges Manuskript, Koln 1965; Striimpel, B.: Steuermoral und Steuerwiderstand der 14 deutschen Selbstandigen, a.a.O. S. 27 ff. Recktenwald, H. C : Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben . . . , a.a.O., S. 210 u. 211.
12 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
178
Die Ausgabenpolitik
ersten beiden Werte eine iiberproportionale Zunahme der offentlichen Ausgaben; erst bei einem jahrlichen Wachstum des Sozialprodukts urn 6%) bleibt der Staatsanteil relativ zuriick 15 . N i m m t m a n zu dem ausgewiesenen offentlichen Bedarf das — freilich statistisch k a u m exakt nachzuweisende — starke Anwachsen des versteckten offentlichen Bedarfs hinzu und beriicksichtigt man den gleichzeitigen Anstieg der von den Parafisken beanspruchten M i t t e l 1 6 , so lafit sich demnach durchaus die Annahme rechtfertigen, dafi das Wagnersche „Gesetz" auch heute noch Gultigkeit besitzt; der Finanzbedarf der offentlichen Korperschaften ist absolut und relativ nach wie vor im Steigen begriffen. Allerdings hat sich die Finanzwissenschaft immer dagegen gestraubt, die durch das Wagnersche Gesetz bezeichnete Entwicklung als unentrinnbare, gewissermafien naturgesetzliche Schicksalsfugung hinzunehmen oder gar eine zwangslaufige Entwicklung zum Kommunismus oder Kollektivismus darin zu e r k e n n e n 1 7 ; sie bemiiht sich im Gegenteil von jeher darum, im einzelnen festzustellen, ob und inwieweit sich die Staatsausgaben auf G r u n d innerer Zwangslaufigkeiten, notwendiger Zusammenhange oder wechselseitiger A b hangigkeiten entwickeln, die in den Haushaltsplanen und finanzpolitischen Beschlussen der Staatsorgane nur ihren letzten, aufieren Niederschlag finden, oder ob sie „in A r t und Umfang willkurlichen, d. h. nicht determinierbaren politischen Entscheidungen der fiskalischen Willenstrager" 18 gehorchen. Soweit dies zutrifft, miifite es moglich sein, der geschilderten Aufwartsentwicklung der offentlichen Ausgaben eines Tages doch noch Einhalt zu gebieten oder sie sogar gelegentlich einmal etwas zunickzuschrauben; die Finanzgeschichte kennt Beispiele fur derartige Perioden der „Austerity". Diese vertiefte Analyse k a n n ihre Ergebnisse jedoch nicht aus der Beobachtung der Gesamtsumme der offentlichen Ausgaben ableiten; die Globalgrofie Staatsausgaben mufi dazu vielmehr in ihre einzelnen Komponenten aufgegliedert werden, um den fur ihre Entwicklung verantwortlichen Ursachen im einzelnen nachgehen zu konnen.
15 Littmann, K.: Strukturen und Entwicklungen der staatlidien Aktivitat in der Bundesrepublik Deutschland 1950—1970, Vortrag, gehalten am 20. September 1962 auf der Tagung des Vereins fur Socialpolitik in Luzern, Sdiriften des Vereins fur Socialpolitik, NF. Bd. 30/11, Berlin 1964, S. 801 ff. 16 Die nicht aus offentlichen Haushalten gespeisten Einnahmen der Trager der offentlichen Sozialleistungen (Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung fiir Arbeiter und Angestellte, Knappschaftliche Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Familienausgleichskasse und Lastenausgleichsfonds) stiegen von 6,03 Mrd. DM 1949 auf 28,7 Mrd. DM 1960; in Prozent des Nettosozialprodukts zu Faktorkosten von 9,6% 1949 uber 10,6% 1953, 11,4% 1956 und 12,7% 1959 auf 12,9% 1960 und 12,8% 1967. (Errechnet nach Angaben der Statistischen Jahrbiicher der Bundesrepublik Deutschland.) 17 Lotz, W.: Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 198 ff.; Jessen, J.: Deutsche Finanzwirtschaft, a.a.O., S. 40. 18 Littmann, K.: Entwicklungen der staatlichen Aktivitat . . . , a.a.O., S. 16.
§ 21. Der Tatbestand
179
Eine erste Deutung des Tatbestandes, mit dem wir es bei der „wachsenden Ausdehnung der offentlichen, insbesondere der Staatstatigkeiten" zu tun haben, hat Adolph Wagner seinerzeit selbst gegeben: „Die Finanzwirtschaft hat dem Staate die sachlichen Hilfsmittel (Sachguter, Geld) zu beschaffen, welcher dieser zu seiner Funktion als Gesamtwirtschaft bedarf. Daraus folgt mit Notwendigkeit, dafi der aufiere Umfang der Finanzwirtschaft von dem Umfang und der Art der jeweiligen Aufgaben und Tatigkeiten des Staates bestimmt wird." 19 Sowohl der Umfang als auch die Art der offentlichen Aufgaben haben in der Tat durch ihre Ausdehnung zur Steigerung des Finanzbedarfes beigetragen; einmal entfalten sich die herkommlichen Ausgabekategorien des offentlichen Haushalts zu immer umfangreicherem Volumen, zum zweiten treten mehr und mehr neue Aufgaben der offentlichen Hand hinzu, deren Finanzbedarf insgesamt weit iiber die Aufwendungen fur die ursprunglichen Staatszwecke hinauswachst. Heinrich Rau, dessen Lehrbuch der Finanzwissenschaft Adolph Wagner bearbeitet und in immer neuen Auflagen schliefilich zum eigenen Lebenswerk ausgestaltet hat, teilte die offentlichen Ausgaben gemafi ihrer Zweckbestimmung in „Verfassungs"- und „Regierungs"-ausgaben ein; als Verfassungsausgaben galten ihm diejenigen fiir Regierung und Volksvertretung, als Regierungsausgaben dagegen die nach den einzelnen Staatsaufgaben gegliederten Aufwendungen. Bei Wagner wurde daraus die Einteilung der offentlichen Ausgaben in solche, die sich aus dem „Rechts- und Machtzweck", und solche, die sich aus dem „Kultur- und Wohlfahrtszweck" des Staates ergeben; was mit beiden Unterscheidungen gemeint war, wurde der heutige Sprachgebrauch der Betriebswirtschaftslehre vielleicht als „Verwaltungsgemeinkosten" und als „Einzelkosten" der verschiedenen „Betriebsabteilungen" eines wirtschaftlichen Unternehmens bezeichnen. Die Finanzstatistik hat es freilich bis zu einer zahlenmafiigen Aufgliederung dieser „Gemeinkosten" nicht gebracht. Sie unterteilt die Ausgaben von Bund, Landern, Gemeinden und parafiskalischen Gebilden iiblicherweise nach Ausgabenbereichen und Ausgabenarten, dazu die Bundes- und Landerhaushalte nach den Kriterien des Gruppierungs- und Funktionenplanes 20. Daneben unterscheidet die Statistik zwischen „verm6genswirksamen" und „vermogensunwirksamen" Ausgaben 21, was „eine wesentlich bessere Diagnose der Finanzlage" zulaf5t; „vermogenswirksam sind diejenigen Finanzvorfalle, die als Zu- oder Abgange in der Schuldenubersicht zu verbuchen sind, mithin ihren Niederschlag in der Finanzierungsiibersicht finden. Von den 19 20 21
Wagner, Adolph: Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 63 f. Vgl. § 10; Das Statistisdie Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland gliedert in „Verwaltungs- und Zweckausgaben" und „Ausgaben der Vermogensbewegung". 12*
Die Ausgabenpolitik
180
Ausgaben sind dies die Investitionen, die Tilgung von Schulden und die Zufiihrung an Rucklagen . . . Vermogensunwirksam sind . . . die laufenden personlichen und sachlichen Ausgaben" 22 . Diese Gliederung entspricht in vieler Hinsicht der seit langem im schwedischen Staatshaushalt gebrauchlichen Einteilung im Betriebsbudget und Kapitalbudget, einer Einteilung, die in gewisser Hinsicht bei dem deutschen Verwaltungs- und Finanzhaushalt Pate gestanden hat. Neben dieser aus Haushaltsrecht und Haushaltstechnik abgeleiteten Unterscheidung der Staatsausgaben hat sich auch die Volkswirtschaftslehre seit langem bemiiht, Einteilungskriterien mit Hilfe okonomischer Kategorien zu finden 23 . Eine solche Gliederung ist beispielsweise diejenige in „produktive" und „unproduktive" Ausgaben; „die P r o d u k t i v i t a t offentlicher Ausgaben ergibt sich aus einem Vergleich zwischen dem gesellschaftlichen Wert des aus der Staatstatigkeit hervorgehenden Gutes und dem gesellschaftlichen Wert der Guter und Dienste, die fiir jene Tatigkeit beansprucht w e r d e n " ; sie „bemifit sich nach ihrem Beitrag zur regelmafiigen und harmonischen Entwicklung des Sozialprodukts" 24 . Ein solcher Produktivitatsbegriff lafit sich freilich nicht recht quantitativ ausdriicken; er ist nicht viel mehr als der ehrwurdige Sammelbegriff fiir „Ausgaben, die eine Vermehrung des N a t i o n a l reichtums bedeuten" 25 . Eine im G r u n d e ebenso unergiebige Einteilung trennt zwischen „rentablen" und „unrentablen" Ausgaben (B. Moll) 2 6 ; fafit man die Forderung nach Rentabilitat im Sinne einer „Umwegsrentabilitat" auf, d. h. der Verwendung der orTentlichen Mittel in einer A r t und Weise, d a £ dabei auf dem Umweg iiber eine Steigerung der volkswirtschaftlichen Leistungskrafte letzten Endes auch Steuerkraft und Steuerleistung eine Zunahme erfahren 27 , so diirften andere als in diesem Sinne „rentable" Ausgaben im G r u n d e letztlich gar nicht zulassig sein, eine Folgerung, die analog ebenso fiir den Gesichtsp u n k t der „ P r o d u k t i v i t a t " der Staatsausgaben gilt. G. Colm 28 unterscheidet die offentlichen Ausgaben nach ihrer Beziehung zur Marktwirtschaft. 22
Herrmann, K. A., Art. Finanzstatistik, in: Handworterbuch der Sozialwissensdiaften, Bd. 3, a.a.O., S. 650. 23 Eine knappe, aber ausreichende Ubersicht iiber die bekanntesten Gliederungskriterien gibt Kullmer, L.: Kriterien der Abgrenzung offentlicher Ausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik NF. Bd. 47. Berlin 1967, S. 10 ff. 24 Masoin, M.: Die offentlichen Ausgaben, in: Handbuch der Finanzwissensdiaft, 2. Aufl., Bd. 2, a.a.O., S. 4. 25 Abgeleitet von dem Begriff des Sozialprodukts identifiziert Buchanan produktive Ausgaben mit den im folgenden besdiriebenen „Leistungsentgelten" (Kaufen), vgl. Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 31. 26 Moll, B.: Probleme der Finanzwissenschaft, Leipzig 1924, S. 45. 27 Dobretsberger, J.: Das Geld im Wandel der Wirtschaft, Bern 1946, S. 148 ff. 28 Colm, G.: Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben, Tubingen 1927, S.17ff.
§ 21. Der Tatbestand
181
Colm kommt zu folgenden vier Kategorien: 1. Ausgaben zur Erhaltung und Sicherung der staatlichen Existenz, die nach dem Inhalt ihrer Leistungen in keiner unmittelbaren Beziehung zur Marktwirtschaft stehen (Tatigkeit der Staatsorgane, Rechtspflege, innere Verwaltung). 2. Ausgaben, die als „Produktionsfaktoren hoherer Ordnung" Voraussetzung fiir die freie Entfaltung der Marktwirtschaft sind und die entweder generell alien Unternehmen zugute kommen oder als spezielle Leistungen bestimmten Gruppen Vorteile bringen. Zu den ersten zahlen Ausgaben fiir die Ordnung des Geldwesens, fiir die Sicherung des Eigentums u. a., zu den zweiten etwa das Aktienrecht, „das die Kreditfahigkeit bestimmter Unternehmungen, der Aktiengesellschaften, hebt". 3. Ausgaben, die in Konkurrenz mit dem marktwirtschaftlichen Organisationsprinzip stehen oder es erganzen, in erster Linie die Ausgaben fiir Staatsleistungen auf den Gebieten des Schulwesens, des Verkehrs, „der Public Utilities" u. a. m. 4. Ausgaben, die als Eingriffe in die Marktwirtschaft den marktwirtschaftlichen Prozefi verandern sollen, vor allem dann, wenn prinzipielle Unzulanglichkeiten des marktwirtschaftlichen Systems zu volkswirtschaftlich unerwiinschten Entwicklungen fiihren wiirden; hierbei handelt es sich vornehmlich urn Ausgaben zur Vermeidung von Raubbau, zur Forderung von Investitionen mit extrem langer Ausreifezeit, aber auch um die Staatstatigkeit auf dem Gebiet der Sozial- und Kulturpolitik usw. Auch bei dieser Einteilung ist es „allerdings sehr schwer, nun im einzelnen empirisch zu entscheiden, welche wirtschafts- und sozialpolitischen Mafinahmen im einzelnen der Eigenstruktur der Marktwirtschaft entsprechen, ihr also Kosten bzw. Unkosten ersparen, und welche Mafinahmen um politischer oder kultureller Ziele willen in die Marktwirtschaft eingreifen" 29. Die Entwicklung der herkommlichen Finanz„wirtschaft" zur modernen Finanz„politik", d. h. von der blofien Deckung des Finanzbedarfs zum Einsatz der Finanzmittel fiir die allgemeine Wirtschafts-, Sozial- und Konjunkturpolitik, ist zum Teil einfach dem Anwachsen der Grofienordnungen, zum anderen aber dem Aufkommen neuer Arten von offentlichen Ausgaben zuzuschreiben; einige summarische Zahlenangaben aus verschiedenen Landern geniigen, um diesen Vorgang anschaulich zu machen (vgl. Tabellen 5 u. 6). Wenn auch die Abgrenzung der Ausgabekategorien von Land zu Land durchaus unterschiedlich ist, so lafit sich doch feststellen, dafi die Ausgaben fiir die Verteidigung einerseits, fiir die sozialen Dienste andererseits durch-
Colm, G.: Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben, a.a.O., S. 32.
182
Die Ausgabenpolitik Tabelle 6. Die Staatsausgaben einiger Lander 1938 bzw. 1939 und 1967 30 1967
1938
Ausgaben 1967 31 in Prozenten v. 1938
1. Groftbritannien und Nordirland ( in Mill. £) 1 105,9 217,6 0,0 165,7 274,8
Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Soziale Dienste Verteidigung
12 736 1041 476 3 527 3 069
1 152 477
— 2 128 1 117
2. Niederlande (in Mill. Gulden) Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Verteidigung
97,0 14,0 0,0 29,0
22 253 1242 2 813 3 238
2 445 1044 2 038 2 280
3. Italien (in Mrd. Lire) Gesamtausgaben Schuldendienst Soziale Dienste Verteidigung
40,7 6,8 1,3 14,4
8 169,4 430,1 855,4 1 091,5
20 072 6 325 6 580 7 580
5 827,9 235,2
604 221
4, Schweiz (in Mill. Franken) Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Soziale Dienste Verteidigung
965,4 106,2 60,4 48,7 519,3
— 840,2 1 702,1
— 1728 328
5. USA (in Mill. %)32 Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Zuwendungen an Kriegsteilnehmer Soziale Dienste Verteidigung Auslandshilfe
30
8 966 941
— 559 3 559 1077 2
158 414 12 548 4 377 5 921 40 084 70 092 4 650
1761 1333
— 1059 7170 6 508 232 500
Berechnet nach dem Statistischen Jahrbuch fur die Bundesrepublik Deutschland, 1953, S. 102 if., und 1969, S. 69 ff. sowie nach Statistical Yearbook, United Nations 1967. 31 Anderungen des Geldwertes in der Vergleichszeit sind nicht ausgeschaltet, so daft die hohen Steigerungssatze, besonders fur Frankreich und Italien, neben der realen Steigerung der Ausgaben auch die Geldentwertung widerspiegeln. 32 1966.
§ 21. Der Tatbestand
183
Tabelle 6. Fortsetzung 1939
1967 33
Ausgaben 1967 in Prozent v. 1939
6. UdSSR (in Mill. Rubel) Gesamtausgaben Erziehung Gesundheit Sozialversicherung Verteidigung Kapitalzuwendungen an die Volkswirtschaft
153 100 20 300 8 200 9 836 39 200
110 200 19 700 7 400 15 800 14 500
720 970 902 1606 370
60 460
46 900
776
weg starker gestiegen sind als die Gesamtausgaben 34 . Wahrend die hohen Verteidigungsausgaben vor allem durch die zunehmende Technisierung der modernen Kriegfuhrung bedingt sind, aufiert sich in den Sozialausgaben die Wandlung der Staatsauffassung, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte durchsetzte und die dahin tendierte, immer groCere Aufgabengebiete vom einzelnen und von der Familie auf den Staat zu ubertragen 35 . Die in diesen Vergleichen erkennbare Verlagerung des Schwergewichts der Staatsausgaben auf zwei Hauptkategorien, die gesamte Eigenfinanzwirtschaft des Staates einschliefilich seiner Verteidigung und die Korrektur 33
Neue ( = schwere) Rubel, 1 neuer = 10 alte Rubel. Zu Einzelheiten dieser Entwicklung in den USA und England vgl.: Colm, G. und Helzner, M.: Rapport americain, in: L'importance et la structure des recettes et des depenses publiques, Institut International des Finances Publiques, Briissel 1960, S. 58 ff., und Peacock et Wiseman: Rapport anglais, ebenda, S. 224 ff. Fur Deutschland s. Andic und Veverka a.a.O. Besonders hervorzuheben ist die Untersuchung von A. T. Peacock und J. Wiseman (The Growth of Public Expenditure in the United Kingdom, Princeton 1961), aufgrund deren die beiden Autoren ihre „Displacement Effect"-(=Niveauverschiebungs-)Hypothese formulieren; zu ihrem Ergebnis, dafi sich nach Kriegen die realen Staatsausgaben pro Kopf der Bevolkerung nach oben verschieben, gelangen sie durch folgende Erkenntnis: 1. durch Kriege erhoht sich die steuerliche Belastbarkeit der Bevolkerung, was nach den Kriegen 2. eine Befriedigung neu entdeckter Kollektivbediirfnisse erlaubt, somit aber gleichzeitig ein Absinken der offentlichen Ausgaben auf den Vorkriegsstand verhindert. Diese Niveauverschiebungsthese wurde bei Aufspaltung der Gesamtausgaben (z. B. ohne Verteidigungsaufgaben und Wiederaufbaukosten) von S. P. Gupta (Public Expenditure and Economic Growth — A Time Series Analysis, in Public Finance/Finances Publiques Bd. 22 Nr. 4 (1967)) und J. M. Bonin, B. W. Fench und J. B. Waters (Alternative Tests of the displacement Effect" Hypothesis, ebenda, Bd. 24 Nr. 3 (1969)) getestet und im wesentlichen bestatigt. Zu den Problemen eines empirischen Tests des Wachstums der Staatsausgaben s. Hoffman, I. J.: On the Empirical Testing of "Wagner's Law": A Technical Note, in: Public Finance 1968, S. 359 ff. 35 Vgl. § 19. 34
Die Ausgabenpolitik
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§ 21. Der Tatbestand
185
des volkswirtschaftlichen Verteilungsprozesses mittels Sozialausgaben und Subventionen, findet ihren Niederschlag in der heute allgemein bevorzugten Zweiteilung der Staatsausgaben, die auf A. C. Pigou zuriickgeht 37 und in ahnlicher Form auch in Deutschland schon vor 30 Jahren von G. Colm 3 8 vorgeschlagen worden war. Pigou bezeichnet solche Ausgaben, die mit einer Inanspruchnahme von Produktionsfaktoren seitens des offentlichen Sektors verbunden sind, als „ exhaustive expenditures" 39, wobei er jedoch darauf hinweist, dafi der Ausdruck „exhaustive" keineswegs etwa so zu verstehen sei, als handele es sich dabei um unwirtschaftliche Aufwendungen oder um solche, die im Interesse des Gemeinwesens besser unterblieben waren 4 0 ; es sind einfach die Aufwendungen fur die vom offentlichen Sektor beanspruchten Arbeitskrafte, Sachguter und Dienstleistungen, die der privaten Wirtschaft durch staatliche „Kaufe" auf den verschiedenen Markten gegen Entgelt entzogen werden (Leistungsentgelte). Die zweite Gruppe von Staatsausgaben ist nach Pigou dadurch gekennzeichnet, dafi „ihre Zunahme direkt keine Umlenkung der Produktivkrafte von den Privaten auf die Staatswirtschaft, sondern nur eine Umverteilung der Einkommen innerhalb der privaten Sphare auslost" 41 . Diese sog. „Transferzahlungen" konnen formal definiert werden als „Einkommensteile in bar oder in geldwerten Sach- oder Dienstleistungen, die nicht Gegenleistungen fur irgendwelche Giiter, Dienste oder Werte derjenigen Personen oder Gruppen sind, denen sie zufliefien" 42. Empfanger solcher Einkommensiibertragungen sind sowohl private Haushalte, die Pensions-und Rentenleistungen, Kriegsopferversorgungs-, Wiedergutmachungs-, Kranken- und Arbeitslosenleistungen, allgemeine Fiirsorge, Kinder- oder Mutterschutzgelder oder Schuldendienstzahlungen der offentlichen Hand erhalten 43 , als auch Unternehmen, die finanziell durch Subventionen, Investitionszuschiisse oder Entschadigungen fur Kriegsverluste gefordert werden oder als offentliche Unternehmen Gewinne erzielen, die sie nicht an die offentlichen Kassen abfuhren 44. 37
Pigou, A. C : A Study in Public Finance, London 1928, S. 19 ff. Colm, C : Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben, a.a.O., S. 17 ff., und ders.: The Theory of Public Expenditures (1936), in: Essays in Public Finance and Fiscal Policy, New York 1955, S. 27 ff. 39 In spateren Auflagen „real expenditures" (2. Aufl. 1929) und „non transfer expenditures" (3. Aufl. 1947/60); es handelt sich dabei lediglich um terminologische Unterschiede. 40 Pigou, A. C : A Study in Public Finance, a.a.O., S. 19 f. 41 Littmann, K.: Zunehmende Staatstatigkeit und wirtschaftliche Entwicklung, Koln u. Opladen 1957, S. 99. 42 Rolph, E.: The Theory of Fiscal Economics, a.a.O., S. 58 (iibersetzt vom Verfasser). 43 Genau genommen sind Beamtenpensionen und Zinsen Leistungsentgelte fur die Vergangenheit, doch empfiehlt es sich der Einfachheit halber, sie zu den Transferzahlungen zu rechnen, da sie mit den „Staatsleistungen" der Gegenwartsperiode wenig zu tun haben. Vgl. Due, John F.: Government Finance, a.a.O., S. 67. 44 Vgl. Recktenwald, H. C.: Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben . . . , a.a.O., S. 226. 38
Die Ausgabenpolitik
186
Diese Einteilung der Staatsausgaben in Leistungsentgelte und Einkommensiibertragungen ohne Gegenleistung spiegelt zugleich die Hauptentwicklungsrichtung wider, die sich aus den Zahlen ablesen lafit; treten in Aufriistungs- oder Kriegszeiten die Leistungsentgelte in Gestalt von Aufwendungen fur Riistungsguter und Dienste in den Vordergrund, so verschiebt sich im Frieden das Schwergewicht auf die Transferausgaben insbesondere im Bereich der Sozialpolitik und der Subventionen. Auch der Verwaltungsaufwand der offentlichen Hand steigt mit dem Wachstum der Gesamtwirtschaft absolut und im Verhaltnis zur Bevolkerung standig weiter an 45. Der Anteil der Staatsbediensteten an der Bevolkerung im Ganzen und insbesondere an der Gesamtzahl der „Erwerbspersonen" entwickelte sich in Deutschland wie folgt: Tabelle 8. Bevolkerung und Verwaltungspersonal 1925—1968 Jahr
Erwerbsbevolkerung in 1000
Verwaltungspersonal
Verw,,-Personal in°/o der Erwerbsbevolk.
Verw.-Personal pro 1000 der jew. Bevolkerung
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32 329 32 622 21950 24 165 25 535 26 342
1 152 340 1 115 045 1 136 842 1 372 786 1 575 681 1 974 584
3,6 3,4 5,2 5,7 6,1 7,5
18 17 24 28 30 31
Quelle: Recktenwald, H. G.: Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben . . . , a.a.O., S. 230; erganzt nach Stat. Jahrbuch der BRD 1969, S. 15, 121, 409. Auf 1000 Einwohner entfielen demnach 1968 fast doppelt soviel im offentlichen Dienst Beschaftigte wie 1925, was zum Teil wohl durch den starker foderativen Aufbau der Bundesrepublik bedingt ist; in dieser Entwicklung kommt aber wohl auch die im Vergleich zur Produktionswirtschaft geringere Rationalisierungs- und Mechanisierungsmoglichkeit der Verwaltungstatigkeit zum Ausdruck, die dazu fiihrt, daft bei jeder Mehrbeanspruchung und Arbeitszeitverkurzung Neueinstellungen notwendig werden. Die finanzpolitische Bedeutung dieser Entwicklung liegt besonders in der fatalen Starrheit der Personalausgaben, die fast stetig nach oben, aber kaum nach unten beweglich sind und nicht nur den augenblicklichen Staatshaushalt belasten, sondern in den Pensionsverpflichtungen weit in die Zukunft hiniibergreifen. Inwieweit diese Entwicklung sachlichen Notwendigkeiten der modernen Staatsfiihrung entspricht oder inwieweit es sich dabei um eine „Eigen45 Vgl. hierzu auch Fabricant, S.: The Trend of Government Activity ..., a.a.O., S. 12 ff.
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung
187
dynamik" des Verwaltungsapparates handelt, die in ahnlicher Form audi in den Grofibetrieben der privaten Wirtschaft zu beobachten ist, lafit sich exakt nicht bestimmen; vermutlich wirken dabei auch solche Erscheinungen mit, wie sie C. N . Parkinson in seinem „Gesetz" mit dem ironischen Humor des Briten treffend gekennzeichnet hat 4 6 .
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung Die im vorstehenden wiedergegebenen Zahlenangaben iiber die Entwicklung der offentlichen Ausgaben lassen keinen Zweifel daran, dafi die Voraussage Adolph Wagners iiber die Tendenz einer wachsenden Ausdehnung der Staatstatigkeit und damit des Finanzbedarfs sich in verblufrendem Ausmafie bewahrheitet hat; ob dieser Ausdehnungsprozefi sich allerdings gewissermafien zwangslaufig vollzieht, ob also die offentlichen Ausgaben wie nach einem Naturgesetz unabanderlich auch in Zukunft immer weiter ansteigen, kann nur eine nahere Analyse der Ursachen ihrer bisherigen Entwicklung lehren. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dafi ein Teil der normalen Ausgabensteigerung sich einfach aus der sakularen Geldentwertung erklart; auch die internationalen Unterschiede im prozentualen Anwachsen der Haushaltssummen spiegeln zu einem Teil lediglich das ungleiche Tempo wider, in dem die Wahrungen an realer Kaufkraft verlieren. Andererseits bleibt auch dann, wenn die Zahlen auf Geld gleicher Kaufkraft umgerechnet, die Einfliisse der Geldentwertung also aus dem statistischen Gesamtbild ausgeschaltet werden, die Wachstumstendenz der offentlichen Ausgaben unverkennbar; dies gilt nicht nur fur die Gesamtausgaben, sondern auch fur die einzelnen Ausgabenarten. S. Fabricant kommt bei seiner sehr detaillierten Untersuchung der Ausgaben der Vereinigten Staaten zu dem Ergebnis, dafi selbst jene Ausgabenkategorien, die in den letzten 40 Jahren die geringste Zuwachsrate aufwiesen, sich nominell vervierfacht haben, also um mehr als die Preissteigerung gewachsen sind 47 ; der Hinweis auf die sakulare Geldentwertung enthebt die Forschung also keinesfalls der Aufgabe, sich naher mit den Ursachen dieser Entwicklung zu beschaftigen. A. Wagner selbst sah die Ursache der zunehmenden Staatstatigkeit in dem „Fortschritt von Cultur und Volkswirtschaft", d. h. in dem mit vermehrter Industrialisierung, wachsender Arbeitsteilung und steigendem realen 46 47
Vgl. audi § 15. Fabricant, S.: The Trend of Government Activity ..., a.a.O., S. 57 f. Fur Deutschland kommen Andic und Veverka zu dem Ergebnis, daft die Staatsausgaben von 1881 bis 1958, in Preisen von 1900 (!) gerechnet insgesamt um ca. 4500% und pro Kopf der Bevolkerung um etwa 1350°/o gestiegen sind. (S. Andic, S. und Veverka, J.: The Growth of Government Expenditure in Germany, a.a.O., S. 243).
Die Ausgabenpolitik
188
Volkseinkommen verbundenen wirtschaftlichen Wachstum 48 . Fiir den Staat ergeben sich daraus sowohl auf dem Gebiete der „Rechts- und Machtfunktion" 49 als auch auf dem Gebiete des „Cultur- und Wohlfahrtszweckes" 50 neue, mit wachsenden Ausgaben verbundene Aufgaben, die das Gesetz der wachsenden Ausdehnung der Staatstatigkeiten als einen „Erfahrungssatz, d. h. die Feststellung eines geschichtlichen Sachverhalts" 51 hinlanglich erklaren. Auch in manche bisher der privatwirtschaftlichen Tatigkeit vorbehaltene Bereiche bricht der Staat ein, da sich die Privatwirtschaft in vieler Hinsicht unfahig zeige, „die ungeheuren Kapitalien des modernen Produktionsprozesses richtig zu verwalten" 52 ; eine Voraussage, die „eher einem Pladoyer fiir die zunehmende Staatstatigkeit als einer niichternen und unvoreingenommenen Analyse gleicht" 53 und wohl nur aus der prinzipiellen Skepsis des Staats- und Kathedersozialisten Wagner gegeniiber dem marktwirtschaftlichen System zu erklaren ist 54 . H. Timm hat sich in seinem Aufsatz, der auch ausfiihrlich auf die Problematik der sogenannten „Gesetze" in der Nationalokonomie eingeht, um eine theoretisch zwingende Erklarung des historischen Prozesses in der Form einer „plausiblen nachtraglichen Voraussage" bemuht; er begriindet die relative Ausdehnung der nicht kriegsbedingten Staatsausgaben „mit der Existenz und der Uberwindung mehrerer zeitlicher Verzogerungen (,lagsc) sowie der mit diesen lags verbundenen Intensivierung und Akkumulation von Bediirfnissen" 55. Die jjSuperioren" Bedlirfnisse fiir eine bessere Erziehung und Ausbildung der Kinder, fiir eine vermehrte Gesundheitsforderung und -sicherung und fiir eine erhohte Vorsorge fiir Alter und Unglucksfalle wurden danach von dem einzelnen Staatsbiirger erst dann als drangend empfunden, nachdem das Realeinkommen pro Kopf eine bestimmte Hohe iiberschritten hatte, so dafi die Befriedigung der elementaren Bediirfnisse dem einzelnen einen gewissen finanziellen Spielraum liefi (sog. „natiirlicher lag"). Erst nachdem ein solches Bediirfnis fiir hohere Kollektivleistungen von einer geniigenden Zahl von Staatsbiirgern mit geniigender Intensitat empfunden wurde, d. h. nachdem die Einkommen allgemein gestiegen waren, ergab sich die Notwendigkeit seiner Befriedigung durch die offentliche Hand.
48 49 50 61 52 53
Wagner, A.: Grundlegung ..., a.a.O., S. 908. Ders.: ebenda, S. 896 ff. Ders.: ebenda, S. 888. Gerloff, W.: Grundlegung der Finanzwissensdiaft, a.a.O., S. 51. Wagner, A.: Grundlegung ..., a.a.O., S. 902. Timm, H.: Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, Finanzarchiv, NF. Bd. 54 21, 1961, S. 220. Schmolders, G : Gesdiichte der Volkswirtsdiaftslehre, Wiesbaden 1963, S. 5855ff. Timm, H.: Das Gesetz der wadisenden Staatsausgaben, a.a.O., S. 234.
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung
189
Das Anwachsen der Masseneinkommen erfolgte jedoch mit einer dem kapitalistischen System immanenten Verzogerung, da die hoheren Einkommen erst iiber die durch hohere Gewinnchancen induzierten Investitionen erzielt und verteilt zu werden pflegen( sog. „systembedingter lag"). Endlich nimmt auch bei fortgeschrittener Demokratisierung der politischen Willensbildung die Durchsetzung neuer Steuerbelastungen wegen des ,,zahflussigen Wandels der Auffassungen iiber die Einkommensverteilung und die Wahrung des ,sozialen Besitzstandesc einige Zeit in Anspruch" 56 ; die Bereitschaft zu einer Redistributionspolitik „hinkte sowohl hinter der Entwicklung zum Verfassungsstaat als auch hinter der Einkommensexpansion her" 57 (sog. „institutioneller lag"). Weitere Verzogerungen weist H. Timm bei den offentlichen Ausgaben fur Verkehrsinvestitionen, fur Investitionen zur Vermeidung „sozialer Verluste" und fiir die Anti-Monopol-Politik nach. Charakteristisch fiir das vorige Jahrhundert sei aufierdem ein sog. „ideologischer lag", verursacht durch die liberalen Auffassungen des „Finanzklassizismus" (F. K. Mann), der sich ganz allgemein gegen jede Ausdehnung der Staatstatigkeiten wehrte. Das wirtschaftliche Wachstum bewirkte nach dieser Deutung also nicht ein sofortiges proportionales Anwachsen der Staatsausgaben; in einer ersten Phase der Entwicklung blieb vielmehr der Finanzbedarf der offentlichen Hand hinter der Einkommensexpansion zuriick. Erst mit der Uberwindung der erwahnten „lags" beginnt die zweite Phase, in der der durchschnittliche Anteil der Staatsausgaben am Volkseinkommen grofier wird als in der vorangegangenen Phase 58. Mit dieser Erklarung findet das Gesetz der wachsenden Staatstatigkeit eine interessante sozialpsychologische Begriindung; freilich liegt in ihrer Beschrankung auf eine „nachtragliche Voraussage" sowie in der Tatsache, dafi, solange es an Verhaltenskonstanten mangelt, die nachgewiesenen Ursachen keinen kontinuierlichen Entwicklungstrend der Staatsausgaben im Verhaltnis zum Volkseinkommen ergeben, das erhebliche Handikap, dafi daraus kein Schlufi auf die zukiinftige Entwicklung gezogen und nichts dariiber ausgesagt werden kann, ob die geschilderte Entwicklung jemals zu verzogern oder aufzuhalten sein wird und an welchen Stellen gegebenenfalls ein bremsender Eingriff in den Prozefi der unaufhaltsamen Ausgabenvermehrung sinnvoll und erfolgversprechend vorgenommen werden konnte 59 . 56 58 59
57 Ders.: ebenda, S. 236. Ders.: ebenda. Ders.: ebenda, S. 238 f. H. Timm lehnt eine soldie Prognose ausdriicklidi ab, da „ihre Schwierigkeiten und Gefahren . . . so grofi (sind), dafi ich vor ihr haltmadie. Wer sich an sie heranwagt, lauft Gefahr, statt eines rational plausiblen Entwicklungsgesetzes uns nicht mehr als Hypothesen und Visionen zu bescheren, die von eigenen Wunschvorstellungen und Postulaten gebildet und durchsetzt sind" (a.a.O., S. 242). Allerdings registriert er einige Impulse, die eine weitere Ausdehnung der offentlichen Ausgaben immerhin als wahrscheinlich erscheinen lassen (a.a.O., S. 241).
Die Ausgabenpolitik
190
Eine A n t w o r t auf diese Frage setzt eine eingehende Auseinandersetzung mit den fiir das Wachstum der einzelnen Staatsausgaben verantwortlichen Faktoren voraus. Einer dieser Faktoren liegt in der bereits von Adolph Wagner herausgestellten technischen Entwicklung. Das atemberaubende Tempo, mit dem umwalzende Erfindungen die wirtschaftlichen und sozialen Verhaltnisse der Volkswirtschaft einschneidend verandern und die offentliche H a n d geradezu dazu zwingen, die Voraussetzungen fiir den wirtschaftlichen Einsatz dieser Erfindungen herzustellen und/oder die mit ihrer Durchsetzung verbundenen sozialen und okonomischen Spannungen zu lindern, bringt fiir die Staatsgewalt standig neue Aufgaben mit sich. Eisenbahn und Automobil erforderten die Anlage und den laufenden Ausbau sowie die Unterhaltung eines rasch wachsenden offentlichen Verkehrsnetzes. Der Anteil der Verkehrsausgaben am Volkseinkommen wuchs von 1,9% im Jahre 1913 iiber 2 , 1 % (1932) auf iiber 3 , 4 % im J a h r e 1967; in den Nachkriegsjahren wuchs ihr Anteil an den Gesamtausgaben kontinuierlich von 5 , 3 % (1949) auf 7 , 5 % (1967) 60 . Auch die Einfuhrung des Luftverkehrs und seine E n t wicklung bis zu den modernen Uberschall-Verkehrsmaschinen trug zu dieser Steigerung der Verkehrsausgaben bei; neben der Errichtung aufwendiger Bodenanlagen verlangte das nationale Prestige trotz offensichtlicher U n rentabilitat gebieterisch nach nationalen Luftflotten, deren jahrliches Defizit dann meist von der offentlichen H a n d ubernommen werden mufite. Die „neue E t a p p e der industriellen Revolution" (Salin), die mit ihren umwalzenden Neuerungen auf dem Gebiete der Rationalisierung und A u t o mation 61 die gegenwartige technische und wirtschaftliche Entwicklung charakterisiert, stellt die offentliche H a n d von verschiedenen Seiten her v o r neue Aufgaben. Durch den Einsatz arbeitssparender Maschinen konnen Arbeitskrafte freigesetzt werden, was so zumindest solange die offentlichen Ausgaben fiir Arbeitslosenunterstiitzung erhoht, bis sie in anderen Sektoren — etwa der Maschinenindustrie selbst oder dem tertiaren Sektor — eine neue Beschaftigung gefunden haben, wobei die hierzu notwendige U m schulung in der Regel aus offentlichen Mitteln finanziert werden mufi. Wie das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt 6 2 , sind dieser Umschulung noch 60
Vgl. Tabelle 6 (§ 22). Buchanan z. B. zahlt die Ausgaben fiir Highway-Bau neben den Sozialleistungen zu den wichtigsten Steigerungsgriinden der nichtmilitarischen offentlichen Ausgaben (Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 46). 61 Vgl. hierzu: Zimmermann, H. W. (Hrsg.): Aspekte der Automation, Gutachten und Protokolle der Frankfurter Tagung der List-Gesellschaft, Basel und Tubingen 1960. 62 Auffallend ist hier der hohe Anteil der erwerbslosen Jugendlichen, die wegen fehlender Ausbildung keine Arbeitsstellen finden. Allen Warnungen zum Trotz verlassen viele Jugendliche mit Erreichen der Altersgrenze von 16 Jahren die Schulen, so da£ allein in der Zeit von Januar bis Mai 1963, einem Zeitraum ohne Ferien und die dadurch bedingten Besonderheiten, die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen trotz aller behordlichen Plane fiir ihre Ausbildung und Schulung von 13,9% auf 17,8%> stieg. Vgl. Die Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten, Neue Zurcher Zeitung,, Fernausgabe Nr. 191, Blatt 11, 14. Juli 1963.
§ 22. Die Ursaclien der Entwicklung
191
dazu relativ enge Grenzen gesetzt; falls die Freisetzungstendenz nicht durch eine besonders starke Expansion der Gesamtwirtschaft kompensiert wird, ergibt sich die Gefahr einer strukturellen Arbeitslosigkeit mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Finanzen der Arbeitslosenunterstiitzung. In den letzten Jahren haben dariiber hinaus die Ausgaben fur Atomenergie und Weltraumtechnik in standig steigendem Ausmafie Mittel der offentlichen Hand beansprucht. Allein das Weltraumprogramm der Vereinigten Staaten kostete 1968 iiber 4,8 Mrd. Dollar, d. h. iiber 2,7% der gesamten Bundesausgaben 63. Stellt man diese Zahlen den entsprechenden Ausgaben im Haushalt 1955 gegeniiber, die mit 74 Mill. Dollar nur 0 , 1 % der Bundesausgaben ausmachten, so wird das sprunghafte Wachstum dieser Ausgabenkategorie deutlich. Vermischen sich hier bereits die Ausgaben fur den technischen Fortschritt mit solchen fur die Rustungs- und Kriegsfinanzierung, von denen spater die Rede sein soil, so stiefi die deutsche Finanzstatistik bereits nach dem Ersten Weltkrieg anlafilich der Auseinandersetzung iiber die Reparationsfrage auf eine andere Eigenart der Ausgabenentwicklung. Der internationale Vergleich der offentlichen Ausgaben, der damals in Erganzung der Steuerbelastungsvergleiche durchgefuhrt wurde, liefi die starke Abhangigkeit der Kosten fiir die allgemeine Verwaltung von der Bevolkerungsdichte erkennen; je Kopf der Bevolkerung wird der Verwaltungsaufwand progressiv hoher, je dichter besiedelt das Land ist. Industrielander sind je Kopf der Bevolkerung kostspieliger zu verwalten als Agrargebiete, Grofistadte arbeiten teurer als Mittel- und Kleinstadte, und eine Bevolkerungszunahme fuhrt infolgedessen auch im zeitlichen Verlauf zu einer progressiven Steigerung der offentlichen Ausgaben. Die Ursachen dieses Zusamenhanges sind offensichtlich; die starkere Bevolkerungskonzentration macht eine Fiille technischer Investitionen notwendig, die sich in erhohten Ausgaben niederschlagt. Schon ein oberflachlicher Vergleich der dorflichen Wege und Verkehrseinrichtungen, der mehr oder weniger privaten Strafienreinigung, der freiwilligen Feuerwehr, der einklassigen Gemeinschaftsschule und des Dorfpolizisten als Organ der offentlichen Sicherheit mit den entsprechenden Dienstleistungen einer Stadt oder gar Grofistadt erklart einleuchtend den Unterschied in dem notwendigen Aufwand 64 . Dariiber hinaus entstehen mit der fortschreitenden Zusam63
Statistical Abstracts of the United States 1967, a.a.O., S. 633. Nach Angaben des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden (Braunschweig 1969, S. 317 ff.) betrugen die Reinausgaben des ordentlichen Haushalts 1967 64
bei Gemeinden mit
je Einwohner in DM
mehr als 200 000 100 000—200 000 50 000—100 000 20 000— 50 000
852,4 742,8 730,4 595,0
Einwohnern Einwohnern Einwohnern Einwohnern
Die Ausgabenpolitik
192
menballung der Bevolkerung eine Reihe neuer Bediirfnisse auf sozialem und kulturellem Gebiet; Krankenhauser, hohere Schulen, Universitaten, Theater, Konzertsale, Museen, offentliche Griinanlagen u. a. werden mit wachsender Grofie eines Gemeinwesens zu notwendigen Einrichtungen. Umstritten bleibt freilich, wieweit in diesen Zusammenhangen eine zwingende Kausalitat besteht, wie sie A. Brecht 6 5 mit der Formulierung seines „Gesetzes" von der „parallelen Progression zwischen Staatsausgaben und Bevolkerungsmassierung" in Anspruch nahm. Ein Teil des Ausgabenzuwachses ist schon allein mit dem betriebswirtschaftlichen Begriff der „Sprungkosten" zu erklaren: „Das Wachstum der Bevolkerung iiber einen bestimmten kritischen P u n k t hinaus fuhrt in der Gemeinde zu ruckartigem, tiberproportionalem Ansteigen der offentlichen Ausgaben, etwa dadurch, dafi das alte Wassernetz in seinen Abmessungen zu eng geworden ist und nun durch ein neues mit entsprechender Kapazitatsreserve ersetzt werden mufi." 6 6 H i n z u k o m m t fernerhin, dafi einige Ausgabearten anstelle der von Brecht behaupteten parallelen Progression einen eher degressiven Verlauf zeigen; derartige Kostendegressionen lassen sich vor allem auf dem Gebiet des Schulwesens 6 7 und bei den Ausgaben fur Schutzpolizei und Feuerwehr feststellen 68 . Unbeschadet dieser Einwendungen haben die von A. Brecht formulierten „Gesetzmafiigkeiten" einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der U r sachen des standig steigenden staatlichen Ausgabebedarfs geleistet. Die quantitativen Aussagen iiber die Anderung der Bedarfsstrukturen im offentlichen Bereich bediirfen jedoch auch noch einer Erganzung in qualitativer Hinsicht; mit wachsendem Volkswohlstand steigt das Bediirfnis nach Kollektivleistungen nicht nur nach Zahl und Grofie, sondern auch die Vorstellungen iiber die qualitative Beschaffenheit dieser Leistungen unterliegen im Zuge des technischen Fortschritts einer Aufwartsentwicklung. Das „Bekanntwerden hoherer Bedarfsnormen bei besser gestellten Gemeinwesen (veranlafit) die schlechter situierten . . . diese zu ubernehmen, selbst wenn das mit der Gefahr verbunden sein sollte, iiber die eigenen Verhaltnisse — d. h. iiber die SteuerIn diesen Durdischnittszahlen verbergen sidi allerdings hochst untersdiiedlidie Entwicklungen. So betrugen z. B. die Reinausgaben pro Kopf in: Leverkusen Wanne-Eickel Sindelfingen Waltrop 65
(106167 (104 556 (37 860 (25 638
Einwohner) Einwohner) Einwohner) Einwohner)
1223,5 528,1 1403,8 334,2
DM DM DM DM
Brecht, A.: I n t e r n a t i o n a l Vergleich der offentlichen Ausgaben, in: Grundfragen der internationalen Politik, Vortrage des Carnegie-Lehrstuhls fur AufSenpolitik und Geschichte an der Deutschen Hochschule fiir Politik, H. 2, Leipzig u. Berlin 1932. 66 Hansmeyer, K. H.: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, a.a.O., S. 75. 67 So Stadtkammerer a. D. Dr. Kaiser, Herdecke, Referat gehalten am 15. November 1955 im Seminar fiir Finanzwissenschaft der Universitat Koln. 68 Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 50.
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung
193
kraft — zu leben" 69 . Diesen gewandelten Bedarfsnormen steht die offentliche H a n d ebenso auf dem Gebiet der Kollektiv- wie der Individualleistungen gegeniiber. Die Staats- und Sozialauffassung der modernen Demokratie westlicher Pragung raumt dem einzelnen in seinen N o t e n und Sorgen weit eher Rechts- und Geldanspriiche an die offentliche H a n d ein als vor 100 J a h ren 7 0 ; die Auflosung der allmahlich gewaclisenen religiosen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen durch Weltkriege und Wirtschaftskrisen sowie durch sonstige dem direkten Einfluft des einzelnen Burgers entzogene Ereignisse hat das gefestigte Selbstbewufitsein des liberalen Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts zerstort 71 . An die Stelle der eigenen Verantwortung und der Selbsthilfe tritt mehr und mehr die als selbstverstandlich erachtete Pflicht des Staates, „die wirtschaftliche Lage solcher Gruppen der Volkswirtschaft zu verbessern, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, sich selbst einen angemessenen Lebensstandard zu schaffen" 72 . Auch die Ziele der Sicherung der Vollbeschaftigung und des wirtschaftlichen Wachstums, die die heutige Wirtschaftspolitik sich gesetzt hat, lassen sich aus dieser gewandelten Staatsauffassung ableiten; in dieser neuen Attitude der staatsbiirgerlichen Grundeinstellung der demokratisch-parlamentarischen Gesellschaft liegt wohl iiberhaupt die letzte Ursache fiir die erwahnte Erweiterung der Staatsaufgaben um neue Ausgabenkategorien vor allem auf dem Gebiet der Sozialleistungen und der Subventionen. Nicht nur der einzelne Burger erwartet Hilfe in alien Fallen unverschuldeter N o t als selbstverstandliche Leistung des Staates, sondern auch die erwerbswirtschaftlichen Unternehmen haben sich daran gewohnt, der offentlichen H a n d die Dbernahme solcher Risiken zuzuschieben, die sie fiir unzumutbar ansehen oder deren Grofienordnung sie beunruhigt. Exportgeschafte, Investitionen fiir Entwicklung und Forschung, fiir Atomkraft und Luftschutz, Energie und Verkehr und viele andere Aufwendungen gelten als direkt oder indirekt beihilfewiirdig und subventionierungsberechtigt; drohende Konkurse und Betriebsstillegungen werden zu Lasten der Steuerzahler abgewendet oder aufgefangen, notleidende Unternehmungen mit Staatshilfe saniert usw. Voll69
Hansmeyer, K. H.: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, a.a.O., S. 81. So konnte nodi 1887 Prasident Cleveland in den Vereinigten Staaten eine Subvention von 25 000 $ fiir Saatgut an die durch eine Diirreperiode an den Rand des Ruins gebrachte Texasfarmer mit der Begriindung ablehnen, er konne in der Verfassung keine Begriindung fiir eine solche Zuwendung finden und er glaube auch nicht, daft es zu den Pflichten der Regierung gehore, in individuellen Notstanden, die nichts mit den offentlichen Diensten oder ihrem Nutzen zu tun haben, zu helfen; „jeder Neigung, diese Grenze der Aufgabenstellung der offentlichen Hand zu iiberschreiten, mufi mit Festigkeit entgegengetreten und der Grundsatz festgehalten werden, daft zwar das Volk die Regierung, aber keineswegs die Regierung das Volk zu unterstiitzen hat." (The Writings and Speeches of Grover Cleveland, Rede vom 16. Februar 1887, zitiert nach Fabricant, S.: The Trend of Government Activity . .., a.a.O., S. 7; Ubersetzung vom Verfasser.) 71 Hansmeyer, K. H.: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, a.a.O., S. 84. 72 Due, J. F.: Government Finance, a.a.O., S. 46. 70
13 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
Die Ausgabenpolitik
194
ends die Landwirtschaft ist zum erklarten Kostganger der Steuerzahler geworden und pocht auf ihr Recht, den stadtischen und industriellen Einkommens- und Lebensverhaltnissen durch staatliche Finanzhilfen gleichgestellt zu werden 73 . Die gestiegenen Sozialaufwendungen sind in besonderem Mafie Ausdruck der vielfaltigen strukturellen Wandlungen unseres Gesellschaftsaufbaus; schon allein der veranderte Altersaufbau mufite infolge der starken Zunahme der G r u p p e der alteren Menschen bei relativer Konstanz der Mittelgruppe zwangslaufig zu einer Zunahme der Transferausgaben fiihren. Neben der durch die technische Entwicklung und die Wandlungen der Bedarfsnormen bedingten Ausgabensteigerung haben insbesondere die wachsenden Anforderungen an die Kriegs- und Riistungstechnik zu einem standigen Ansteigen der Staatsausgaben gefiihrt. A. Wagner glaubte gerade diese Kategorie der Staatsausgaben vernachlassigen zu konnen, da nach seiner Meinung die Kriege seltener und ihre Dauer kiirzer werden w i i r d e n 7 4 ; in diesem P u n k t e hat er sich als falscher Prophet erwiesen. Schon die Entwicklung der Riistungsausgaben, von den Aufwendungen fur die eigentliche Kriegsfuhrung ganz abgesehen, unterliegt in starkstem G r a d e den W a n d l u n gen der Kriegstechnik; ein Jagdflugzeug des Ersten Weltkrieges kostete einen Bruchteil von den 200 000 R M , die im Zweiten Weltkrieg fur einen normalen Jagertyp aufgewendet werden mufiten, und heute fordert die amerikanische Luftwaffe fiir einen ihrer modernsten Diisenjager mehr als das Hundertfache dieses Betrages a n 7 5 . Neben die wesentlich hoheren Investitions- und Ausbildungskosten tritt der notwendige Ersatz des durch standige Neuerfindungen veraltenden Materials, ein Vorgang, der insbesondere das Steigen der Riistungsausgaben in Friedenszeiten e r k l a r t 7 6 . 73
Vgl. § 28. Wagner, A.: Grundlegung . . . , a.a.O., S. 899. 75 Allein die erste Rate fiir den Ausbau des U.S.-amerikanischen Raketenabwehrgiirtels betragt 759 Mio $; die Kosten des gesamten Projektes sollen sidi auf iiber 11 Mrd. $ belaufen (Die Zeit Nr. 33, v. 15. 8. 1969, S. 1). Das neue 88 Phantommasdiinen umfassende Luftwaffensystem der Bundeswehr kostet 2,052 Mrd. DM, d. h. der Systempreis eines Flugzeuges belauft sich auf 23,32 Mio DM (!). (S. Kahn, H. W.: Die Russen kommen nicht, Miinchen-Bern-Wien 1969, S. 146, Johannson, K.: Vom Starfighter zum Phantom, Frankfurt/M. 1969, S. 112.) 76 Es ware audi denkbar, dafi diese ausgabensteigernde Entwicklung einmal, wenn nicht beendet, so doch stark abgemildert werden konnte. „Seitdem es KleinstAtomwaffen gibt, mit deren Hilfe aufgelockert und selbstandig kampfende KleinKampftruppen ganze Divisionen und Armeen in Schach halten und kampfunfahig machen konnen, . . . (sind) grofte auf konventionelle Kampffiihrung strukturierte Truppenverbande in Europa Fehlinvestitionen geworden." (Iffmark, B. R.: Guerillas mit Atomwaffen, in: Neue Ziircher Zeitung, Fernausgabe Nr. 214, (1963), zitiert nach Schmidt, K.: Wachsende Staatsausgaben? Erfahrungen und Alternativen, in: Ordo Bd. 15/16 (1965), S. 177.) Daraus laik sich mit Iffmark folgern, da£ man mit einer Riickkehr zu primitiveren und damit billigeren Formen der Kriegsfuhrung rechnen kann, da diese Kleinst-Atomwaffen die Kombattanten dazu zwingen, auch regulare Kriege in Guerillamanier zu fiihren. 74
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung
195
Aufier den Kriegs- und Rustungsausgaben sind es die mit dem Krieg in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Kriegsfolgelasten, die weiterhin zu der beobachteten Expansion der offentlichen Ausgaben beitragen. Auch indirekt fuhren gerade die Kriege besonders stark zur nachhaltigen Vergrofierung der offentlichen Ausgaben; fast niemals gelingt es, die durch die Katastrophensituation eines Krieges bedingte libermafiige Beanspruchung des Volkseinkommens durch den Staat nach seiner Beendigung wieder auf den Vorkriegsstand zuriickzuschrauben. Diesem Beharrungsvermogen der Biirokratie kommt auch generell fur den zunehmenden Staatsbedarf ein nicht zu unterschatzendes Gewicht zu; da die Hohe der Ausgaben eines Ressorts gewissermafien zugleich ein Gradmesser seiner Bedeutung ist, fuhrt das Behordenprinzip fast unausweichlich zu periodischer Erhohung der Ausgaben. Diesem der Exekutive eigentiimlichen Beharrungsvermogen entspricht auf der Seite der Legislative die in der politischen Rucksicht auf den Wahler begriindete Ausgabefreudigkeit der Parlamente. Schon Aristoteles kam in seinem Werk iiber die Politik zu der Ansicht, in der Demokratie werde letztlich stets eine armere Mehrheit die begiiterte Minderheit expropriieren. Es sei ein Mangel, dafi diejenigen, die die Steuern im wesentlichen aufzubringen hatten, nicht auch bestimmen diirften, was damit geschehen solle; da die Demagogen, um die Gunst der Menge zu gewinnen, die Wohlhabenden schadigten, ihr Vermogen konfiszierten und ihre Einkiinfte durch offentliche Leistungen erschopften, trieben sie damit letztlich gerade die besseren Burger zu Biindnis und Aufstand 77. Diese uralte Staatsweisheit bestatigt sich in der modernen Massendemokratie, der en Entwicklung zum Gefalligkeitsstaat das Parlament „zu einer Borse von Gruppeninteressen auf Gegenseitigkeit" 78 zu machen droht. Manche Ausgabenbewilligungen erinnern an eine Art von Kaufpreis fur zukiinftige Wahlerstimmen 79 ; da weiterhin „einmal erworbene politische oder finanzielle Rechte oder Vorteile einzelner sozialer Gruppen direkt nur durch revolutionare Akte beseitigt werden konnen" 80, miissen zur Vermeidung politischer Spannungen den zunachst weniger begiinstigten Gruppen bald die
77 Aristoteles, Politik, "Obersetzung von Eugen Rolfes, Leipzig 1943, S. 173 f. u. 215 ff. 78 Hettlage, K. M.: "Ober Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, in: Mitteilungen der Kommunalen Gemeinsdiaftsstelle fiir Verwaltungsvereinfachung, Juli 1956. 79 Hierzu schrieb J. Schumpeter: „Aber um zu verstehen, wie die demokratische Politik dem sozialen Ziel dient (wie also Gesetze und VerwaltungsmafSnahmen entstehen), miissen wir vom Konkurrenzkampf um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden, dafi die soziale Funktion, so wie die Dinge nun einmal liegen, nur nebenbei erfiillt wird — im gleichen Sinne wie die Produktion eine Mebenerscheinung beim Erzielen von Profit ist." (Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2. Aufl., Bern 1950, S. 448.) Vgl. hierzu auch § 23. 80 Littmann, K.: Zunehmende Staatstatigkeit . . . , a.a.O., S. 101.
13*
Die Ausgabenpolitik
196
gleichen Vorteile eingeraumt werden, die sich die anderen Gruppen erkampft haben. Die Folge ist das geschilderte liberproportionale Anwachsen insbesondere der Sozialausgaben im weitesten Sinne. Die mannigfachen Versuche, institutionelle Vorkehrungen zu schaffen, mit deren Hilfe eine mehr auf Wahlrucksichten als auf sachliche Entscheidungen bedachte parlamentarische Willensbildung in Schranken gehalten werden konnte, sind im Grunde nur die Konsequenz aus der tiefgreifenden Wandlung der Vorstellungen ilber soziale Gerechtigkeit und liber die Rolle des Staates bei ihrer immer vollkommeneren Verwirklichung, die als selbstandige Ursache fiir die Erweiterung der Staatsausgaben auf sozialem Gebiet angesprochen werden mufi. In den hier aufgezahlten einzelnen Ursachen der wachsenden Ausdehnung der Staatstatigkeit und der Staatsausgaben tritt zugleich eine vielschichtige Verflechtung der Interessen und Bestrebungen und eine immanente Eigendynamik mancher Ausgabenkategorien zutage, die auf ihrer sachlichen und zeitlichen Verbindung mit anderen oder zusatzlichen Ausgaben beruht. Jede Forderung des Wohnungsbaus zieht wie ein Echoeffekt erhohte Ausgaben fiir StraGenbau und Schulen, jede Subventionierung einzelner Wirtschaftszweige Forderungen auf Ausgleichsmafinahmen fiir benachbarte Branchen, jede Erhohung der Beamtenzahl erhohten Raumbedarf und neue Sachausgaben nach sich; je grofier und starker gegliedert der Verwaltungsa p p a r a t ist, desto mehr Krafte sind allein zum reibungslosen Funktionieren der komplizierten Maschinerie notwendig, so dafi jede Erweiterung ihres Aufgabengebietes ihrerseits progressiv neuen Personalbedarf hervorruft. Auch von hier aus wird die Tendenz zur wachsenden „Ausdehnung der Staatstatigkeit" verstandlich. Die Aufgabe der Wissenschaft, die sich aus diesen Zusammenhangen ergibt, ist es, durch verstandliche und iiberzeugende, geduldig wiederholte Aufklarung iiber die okonomischen Zusammenhange der Finanzpolitik dem im Wagnerschen „Gesetz" ausgedriickten Entwicklungsprozefi seine oft geradezu aberglaubisch akzeptierte Zwangslaufigkeit zu nehmen und der offentlichen Meinung zu der Erkenntnis zu verhelfen, daE es sich hierbei nicht um einen quasi naturgesetzlichen Vorgang 81 handelt, sondern diese Entwicklung die Folge bewufiter politischer Entscheidungen ist und die mit Hilfe einer „economic education" gesteuert werden kann 82 .
81
Daft ein relatives Riickschrauben der Staatsausgaben moglidi ist, zeigt die Tatsache, da£ die U.S.-amerikanischen Bundesausgaben von 1955—1965 von 17% bis auf 15°/o des Bruttosozialprodukts gesunken sind. (Vgl. Heller, W. W.: Das Zeitalter des Ukonomen, a.a.O., S. 85.) 82 S. hierzu die ausgezeichneten Aufsatze von Schmidt, K.: „Wachsende Staatsausgaben? Erfahrungen und Alternativen", a.a.O., sowie „Entwicklungstendenzen der offentlichen Ausgaben im demokratischen Gruppenstaat", in: Finanzarchiv, NF. Bd. 25 (1966), S. 213 ff.
§ 23. Das „optimale" Budgetvolumen
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§ 23. Das „optimale" Budgetvolumen Wurden in den beiden vorangegangenen Abschnitten Tatbestand und Griinde des Staatsanteils am Sozialprodukt untersucht, so ist jetzt die Frage zu diskutieren, ob es ein Idealbudget im Sinne eines optimalen Verhaltnisses zwischen „6ffentlichen" (vom Staat i. w. S. produzierten) und „privaten" Giitern gibt 83 . Liefie sich ein derartiges Idealverhaltnis zwischen dem Volumen des offentlichen Gesamthaushaltes und dem Sozialprodukt ermitteln, so ware damit ein brauchbarer Mafistab fur die Beurteilung der Grenzen einer Expansion des offentlichen Haushalts geschaff en 84 . Zur Bestimmung eines derartigen Optimalverhaltnisses miissen wir in zwei Schritten vorgehen; erstens ist die Frage zu beantworten „Was sind offentliche Giiter"?. Zweitens ist nach diesem qualitativen Problem das quantitative „Wieviel" dieser Giiter im Verhaltnis zu den privaten zu bestimmen. Als charakteristisch fiir die offentliche (== kollektive) Bediirfnisbefriedigung, der die offentlichen Giiter zu dienen haben, wurden in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Kriterien 85 herausgearbeitet, die sich jedoch alle als nicht recht stichhaltig herausgestellt haben. Folgt man der weit verbreiteten Definition von Musgrave und Baumol 86 , dann sind offentliche Giiter
83
Dieses „Optimalbudget" ist vergleichbar mit dem Budget der Allokationsabteilung in Musgraves multipler Theorie des offentlichen Haushalts bei optimaler Hohe des Stabilisierungs- und Redistributionsbudgets (S. Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 3—33). Ob und inwieweit ein soldies Optimalbudget realisiert werden konnte, lafk sidi nicht sagen. Schenkt man beispielsweise der GalbraithThese vom armen Staat und der reichen Gesellschaft („Gesellschaft im Uberfluft", Miinchen-Ziirich 1959, insbes. S. 220 ff.) Glauben, wird man trotz des jetzt schon beachtlichen Staatsanteils mit einer erheblichen Ausdehnung der Staatstatigkeit zu rechnen haben. Auf das Problem des Verhaltnisses zwischen der Funktionsfahigkeit einer marktwirtschaftlichen Ordnung und dem Umfang und der Struktur der offentlichen Ausgaben wird hier nicht naher eingegangen; hierzu sei auf den fundierten Aufsatz von K. Schmidt (Zur ordnungspolitischen Problematik wachsender Staatsausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 47, Berlin 1967, S. 126 ff.) sowie auf den Beitrag von H. Geyer (Kritische Anmerkungen zur Frage nach den Grenzen der staatlichen Aktivitat in der Marktwirtschaft, ebenda S. 174 ff.) hingewiesen. 84 Diese Grenze ist in doppelter Hinsicht flexibel, da sie sich einmal im Laufe der Zeit und zum anderen mit der Hohe des Sozialproduktes verschieben wiirde. 85 Als derartige Kriterien wurden angefiihrt: die gemeinsamen Anstalten und Einrichtungen (v. Hermann), die Unausscheidbarkeit (Sax), die Anwendung des gemeinwirtschaftlichen Prinzips (Wagner), die ursprunglichen Kollektivbedurfnisse (De Viti), der Umstand, dafi alle daran partizipieren (Lindahl), die Notwendigkeit staatlicher Machtmittel (v. Wieser), die passive Konsumtion und die Unteilbarkeit (M. Cassel) und schlieftlich die gemeinsame Veranstaltung (Cohn), s. Schmidt, K.: Zur Geschichte der Lehre von den Kollektivbediirfnissen, in: Systeme und Methoden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Festschrift fiir E. v. Beckerath, Tubingen 1964, S. 335 ff. 86 Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 8 ff., Baumol, W. J.: Welfare Economics and the Theory of the State, 2. Aufl., London 1965, S. 20. Zum Begriff des offentlichen Gutes vgl. auch Head, J. G : Public Goods and Public Policy, in Public
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Die Ausgabenpolitik
dadurch gekennzeichnet, daS alle oder zumindest eine Vielzahl von Biirgern an ihnen partizipieren, ohne dafi der N u t z e n , den der einzelne aus dem Konsum dieser Giiter zieht, dadurch beeintrachtigt wird, dafi andere gleichzeitig in den Genufi dieser Leistungen kommen; d. h. das auf dem M a r k t geltende „Ausschlufiprinzip" (exclusion principle, Musgrave), demzufolge jeder „vom Genufi jeden Gutes oder jeder Dienstleistung ausgeschlossen (ist), sofern er nicht bereit ist, dem (Verkaufer) den festgesetzten Preis zu zahlen" 87 , gilt fiir offentliche Giiter nicht 88 , so dafi bei diesen Giitern und Bediirfnissen auch das fiir den M a r k t konstitutive Remunerationsprinzip (quid pro quo) versagen mufi. Dieses Musgrave-Baumolsche Auswahlkriterium — gleicher gemeinsamer Konsum ohne Beeintrachtigung des eigenen Konsums durch die Inanspruchnahme des gleichen Gutes durch einen anderen — zur Charakterisierung von offentlichen Giitern ist z w a r notwendig, aber noch nicht hinreichend, da diese Eigenschaft auch bei ,,Nicht-Kollektivgiitern", Fortsetzung Fufinote 86 Finance, Bd. 17 (1962); ders.: The Theory of Public Coods, in Revista dei Diritto Finanziario e Scienza delle Finanze", Juni 1968. Head, J. G., Shoup, C. S.: Public Goods, Private Goods and Ambigious Goods, in: The Economic Journal, Bd. LXX IX, Sept. 1968; Campa, G.: On the Pure Theory of Public Goods, in: Public Finance 1967, S. 401 ff.; ferner Buchanan, J. M.: The Demand and Supply of Public Goods, Chicago 1968; Wolfelsperger, A.: Les Biens Collectifs. Fondements theoriques de Peconomie publique, Paris 1969. Neben dem gemeinsamen Angebot sieht Head auch noch das Vorhandensein „externer Effekte" als charakteristisch fiir offentliche Giiter an. Dieser Ansicht ist aber schwerlich zu folgen, da auch private Giiter externe Effekte nach sich Ziehen konnen. Der Hauptzweck z. B. einer Schaufensterbeleuchtung liegt sicher darin, die Aufmerksamkeit auf die ausgestellten Waren zu ziehen; gleichzeitig dient aber dieselbe Schaufensterbeleuchtung zur Beleuchtung der Strafte vor dem Geschaft und hat somit einen externen Effekt. 87 Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 10. 88 Im folgenden sollen der Einfachheit halber nur die spezifisch offentlichen Bediirfnisse und Giiter (social wants-goods) den privaten Bediirfnissen und Giitern (privat wants-goods) gegeniibergestellt werden. Von der Diskussion der meritorischen Bedurfnisse (merit wants) und der korrespondierenden Giiter soil abgesehen werden, da sie in viel geringerem Mafie einer okonomischen Analyse zuganglich sind (vgl. Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 73 f.). Im Gegensatz zu Musgrave (Finanztheorie a.a.O., S. 73), der der Ansicht ist, da£ die merit wants schon umfangmaftig eine geringere Bedeutung hatten, sind wir der Ansicht, dafi, wiirde man z. B. eine Skala vom „Bediirfnis nach aufkrer Sicherheit" (als extremes offentliches Bedurfnis) auf der einen bis zum „Bediirfnis nach einen individuellen Haarschnitt" (als extremes privates Bedurfnis) auf der anderen Seite aufstellen, gerade die als meritorisch bezeichneten Bedurfnisse den meisten Platz einnehmen wiirden. Im Gegensatz zu den „social wants" ist bei den „merit wants" grundsatzlich eine individuelle Befriedigung durch den Markt moglich; die Produktion der „merit goods" (z. B. Miillabfuhr, Theater) ist nur deshalb in die offentliche Sphare verlagert worden, weil der Markt fiir diese Giiter durch verschiedene Faktoren gelahmt wird und vor allem von hinreichend machtigen Eliten ein hoheres als durch den Markt zu erreichendes Versorgungsniveau gefordert wird. Vgl. hierzu Musgrave, R. A., a.a.O., S. 14 ff.; ders. Fiscal Systems, New Haven, London 1969, S. 11 ff.; s. auch Head, J. G.: On Merit Goods, in Finanzarchiv NF., Bd. 25, 1966, S. Iff., ders.: Merit Goods Revisited, ebenda Bd. 28, S. 214 ff.; McLure, Ch. E.: Merit \Vants:A Normatively Empty Box, ebenda, Bd. 27, S. 474 ff.; Andel, M.: Zur Diskussion iiber Musgraves Begriff der „merit wants", ebenda Bd. 28, S. 209 ff.
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z. B. den Darbietungen eines Freiluftzirkus zu finden ist, die Samuelson allerdings als ein offentliches Verbrauchsgut bezeichnet 89. Um nun aber die offentlichen Guter bzw. Bedurfnisse auch hinreichend beschreiben zu konnen, ist es sinnvoll, auf deren Entstehung zuriickzublicken. Die Ansicht, offentliche oder Kollektivbediirfnisse seien spezifische Bedurfnisse der Gemeinschaft90, ist unhaltbar; Trager von Bediirfnissen ist stets „der einzelne Mensch, niemals eine soziale Gemeinschaft als Ganzes genommen, der ja im Gegensatz zur Einzelperson ein erlebendes Aktzentrum fehlt" 91. Vielmehr sind „offentliche" Bedurfnisse solche Individualbedlirfnisse, die — einmal in der Existenz des Kollektivs begriindet sein konnen, d. h. dann auftreten, wenn es Gemeinschaften gibt (z. B. innere und aufiere Sicherheit) und/oder — nur von der Gemeinschaft oder zumindest Teilen von ihr befriedigt werden konnen, ohne dafi fiir den Einzelnen eine zu starke Belastung 92 auftritt (z. B Wasserregulierung, Raumfahrt) bzw. — wegen ihres weiten zeitlichen Horizonts (z. B. Aufforstung, Landgewinnung) nicht vom kurzlebigen Einzelnen, sondern nur von der „unsterblichen" Gemeinschaft befriedigt werden konnen. Diese ihre Entstehungsgrunde sind zugleich hinreichende Kriterien zur Abgrenzung der offentlichen von den Privatbediirfnissen. Die hierdurch und durch das AusschluCprinzip beschriebene Grenze ist aber nicht starr. Bildungsforderung beispielsweise war vor 100 Jahren noch durchaus ein Individualgut, ist aber heute weitgehend zu einem Kollektivgut geworden; die Sorge fiir innere Sicherheit gilt dagegen seit langem als ein offentliches Gut. Dennoch hat es immer wieder Gruppen gegeben, die mit dem Umfang der vom Staat produzierten Schulbildung und inneren Sicherheit nicht zufrieden waren; die privaten Schuleinrichtungen und die „zivilen" Leibwachen der Medici, Capponi, Pazzi, Ritti, Rucellai, Valori, Socerini, Ricci, Rudolfi und Albizzi in den oberitalienischen Stadten zur Zeit der Rennaissance legen dafiir ein beredtes Zeugnis ab. Auch heute erscheint die staatliche Produktion des Kollektivgutes „ innere Sicherheit" vielen Biirgern der USA unzureichend; der Erwerb von Waff en und der Besuch von Selbstverteidigungskursen zeigen, dafi die Produktion dieses Gutes zum Teil wieder reprivatisiert wird, so dafi also Sicherheitsvorsorge wieder starker zu einem Individual89
Samuelson, A. P,: Diagrammatic Exposition of a Theory of Public Expenditure, in: The Review of Economics and Statistics; Bd. 37 (1955), S. 350. Es fragt sich,90ob hier nicht die Realitat in eine unzureichende Definition geprefk wurde. So z. B. v. Herrmann, F. B. W.: Staatswissenschaftliche Untersuchungen, 2. Aufl., Miinchen 1870; Menger, C : Grundsatze der Volkswirtschaftslehre, 2. AufL, Wien-Leipzig 1923. 91 Jecht, H.: Wesen und Formen der Finanzwirtschaft, Jena 1928, S. 62, ahnlich Ritschl, H.: Theorie der Staatswirtschaft und Besteuerung, Bonn und Leipzig 1925,92 S. 46. Wo diese Belastungsschwelle des Individuums liegt, hangt vom Stand der Technik und der jeweils herrschenden Mentalitat ab.
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gut geworden ist 93 . Was also als Kollektivgut zu bezeichnen ist, lafit sich nicht generell beantworten; technische und gesellschaftliche Veranderungen 94 verwischen die Obergange zwischen privaten und offentlichen Giitern und den verschiedenen Bediirfnissen, die sie befriedigen sollen. „Ehie allgemeine Definition verbietet sich schon deswegen, weil verschiedene Situationen verschiedene Arten offentlicher Bediirfnisse hervorrufen" 95 . Kennt man die Merkmale offentlicher Giiter, so besteht der nachste Schritt zur Bestimmung des Optimalbudgets darin, herauszufinden, welchen Umfang die Produktion offentlicher Giiter (z. B. wieviel Sicherheit) im Verhaltnis zu der von privaten annehmen soil. Hierzu ist es zweckmafiig, von den Zielen der Staatstatigkeit 9 6 auszugehen. Hauser unterscheidet dabei „normative Ziele, d. h. solche, die nach den Vorstellungen des jeweiligen Theoretikers sinnvollerweise v o m S t a a t e gefordert werden miissen", v o n p r a g matischen Zielen, d. h. „solchen, die vielleicht nicht immer als zweckmafiig und gut anerkannt, wohl aber als realistisch und wirklichkeitsnah bezeichnet und aus diesem Grunde als realitatsadaquat unterstellt werden konnen" 97 . Als normatives Ziel des Staates sehen die meisten Autoren in der westlichen Welt die Maximierung der Wohlfahrt oder des Nutzens der Gesellschaft an. Unter dieser Voraussetzung w a r e das Optimalbudget dann erreicht, wenn der Grenznutzen der Staatsleistungen gleich dem marginalen Nutzenentgang infolge der Aufbringung der hierzu erforderlichen Mittel ist. Diese utilitaristisch orientierten Grenznutzeniiberlegungen basieren letztlich auf der Vertragstheorie des Staates, derzufolge der Staat seine Existenz einem Vertrage der Individuen zur besseren Befriedigung ihrer Individualbedurfnisse v e r d a n k t ; davon ausgehend stellte Schaffle 1880 den Grundsatz der proportionalen Befriedigung offentlicher und privater Bediirfnisse auf 98 . 93 Aus diesem Aspekt heraus ist der Ansicht Pahlkes („Bestimmungsgrunde fur offentliche Leistungen", in: Schriften des Vereins fur Socialpolitik, NF. Bd. 47, Berlin 1967, S. 124) zuzustimmen, der die Auffassung vertritt, daft es „Giiter, die stets nur mit Hilfe staatlicher Aktivitat produziert werden konnen, sozusagen „absolute Kollektivgiiter", nicht gibt. 94 Vgl. die Bedeutung des „ideologischen lags" bei der Diskussion des Wagnerschen Gesetzes. (Timm, H.: Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, a.a.O., s. o. S. 188 f.) 95 Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 6; ahnlich schon v. Beckerath, E.: Formen moderner Finanztheorie, in: Beitrage zur Finanzwissenschaft, Festgabe fiir G. v. Schanz, Bd. 1, Tubingen 1928, S. 2. 96 Unter Staatstatigkeit soil hier Produktion offentlicher Giiter im Sinne von Staatsleistungen verstanden werden. 97 Hauser, K.: Uber Ansatze zur Theorie der Staatsausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 47, Berlin 1967, S. 45. Einen leicht verstandlichen Uberblick uber verschiedene Ansatze zur Bestimmung des Ausgabenvolumens gibt W. Remy (Probleme rationaler Bestimmung der offentlichen Ausgaben, Diss., Frankfurt 1965). 98 Schaffle, A.: Die Grundsatze der Steuerpolitik, Tubingen 1880, S. 17. Diesen Grundsatz formten spater Pigou (A Study in Public Finance, a.a.O., S. 31) und Dalton (Principles of Public Finance, 9. Aufl., London 1936, Kap. 2) zu folgenden beiden Budgetprinzipien urn:
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Verfeinert wurde dieser Ansatz durch die explizite Unterstellung einer „social welfare function", einer aggregierten Funktion der N u t z e n - oder Wohlfahrtspraferenzen aller Mitglieder der Gesellschaft. Bei Anwendung der Indiff erenzkurventechnik ware das Optimalbudget durch den Tangentialp u n k t (0) einer Isoquante (I 4) der „social welfare-function" mit der Transformationskurve zwischen offentlichen und privaten Giitern d e t e r m i n i e r t " . Wiirden alle Produktionsfaktoren zur Erstellung von Privat(Kollektiv-) giitern eingesetzt, konnte jeweils eine bestimmte Menge (B bzw. A) erstellt werden. Bis zu einem gewissen Punkte (K 1 0 °, von B ausgehend) konnen gleichzeitig mehr offentliche und private Giiter produziert werden, weil ein gewisses Mindestmafi an Infrastruktur „geradezu die Voraussetzung fur die Entwicklung der Privatwirtschaft bildet, mindestens aber deren Leistungsmoglichkeit zugute k o m m t " 101 . Aufierhalb dieses Bereichs ist dagegen nur eine Produktion der einen Guterkategorie auf Kosten der anderen moglich, wobei der Beruhrungspunkt (0) der Transformationskurve mit einer Isoquante der sozialen Wohlfahrtsfunktion (I 4 ) das Optimalverhaltnis beider Giiterarten gernafi der sozialen Wohlfahrtsfunktion reprasentiert. i
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Abb. 3 0
Privatguter
1. Die offentlichen Ausgaben diirfen nur bis zu dem Punkt ausgedehnt werden, an dem der durch die letzte Geldeinheit an Ausgaben gespendete Nutzen gleich ist dem Nutzenentgang der letzten durch die Steuer erfafken Einheit. 2. Die Verteilung der Mittel im offentlichen Sektor mufi so erfolgen, daft ihr Grenzertrag in jeder Ausgabenkategorie gleich ist. — Ahnlich auch Roepke, W.: Finanzwissenschaft, Berlin-Wien 1929, S. 30. Eine graphische Bestimmung des Optimalbudgets unter diesen Bedingungen finden sich bei Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 87. 99 Der Einfachheit halber wurde angenommen, es gabe nur eine Art offentliche und privater Giiter. Die Aufgabe dieser Restriktion wiirde am Gang der Argumentation nichts andern, sondern nur die formale Losung komplizieren. 100 Bei K lage das Optimalbudget aus der Sicht der Verfechter eines extremen Liberalismus. 101 Hauser, K.: Uber Ansatze . . . , a.a.O., S. 53. Bei dieser Darstellung ist allerdings darauf hinzuweisen, daft der entscheidende Bereich (BK) der Kurve aus Punkten einer Transformationskurvenschar gebildet ist. Dies ergibt sich daraus, daft in K die Transformationsrate 0 geworden ist, d. h. Punkte unterhalb von K konnen nur zu Transformationskurven mit geringerer Kapazitat gehoren. Im einzelnen hierzu s. Mackscheidt, K.: Die Theorie des optimalen Budgets, erscheint demnachst.
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Die Ausgabenpolitik
So klar und logisch geschlossen diese Ableitung aussieht, so hat sie doch den entscheidenden Mangel, dafi sie die Kenntnis einer Wohlfahrtsfunktion voraussetzt. Selbst die rein theoretische Aggregation einer derartigen Funktion ist aber, wie Kenneth A r r o w als erster 1951 in geschlossener Form nachwies, unter Umstanden an so starke restriktive Bedingungen gekniipft, daS ihre Bestimmung nicht immer moglich ist 1 0 2 . Eben dieser Schwierigkeit der Ermittlung der sozialen Wohlfahrtsfunktion versuchen Samuelson 103 und Musgrave 104 dadurch zu begegnen, dafi sie zunachst von den als bekannt unterstellten individuellen Praferenzfunktionen der Betroffenen — insbesondere bei offentlichen Gutern eine „heroische A n n a h m e " (Recktenwald) — ausgehen und so in einem ersten Schritt fur jedes einzelne Individuum eine K u r v e unendlich vieler pareto-optimaler Kombinationen zwischen offentlichen und privaten Gutern konstruieren. Beide Autoren scheitern aber letztlich auch an der Bestimmung des „ O p t i m u m O p t i m o r u m " , d. h. der O p t i m a l situation der gesamten Gesellschaft, da hierzu eben doch wieder die Kenntnis der sozialen Wohlfahrtsfunktion notwendig ist, die aber wegen der U n m o g lichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche nicht ermittelt werden k a n n 105 . Auch wenn Samuelson der Ansicht ist, dafi sich seine „Theorie . . . als H o h e p u n k t einer hundert Jahre alten Diskussion iiber Staatsausgaben erwiesen" 106 habe, mufi man bei realistischer Betrachtungsweise zugeben, d a 6 „alle Versuche, ein optimales Verhaltnis oder Gleichgewicht zwischen staatlichem und privatem Sektor der Volkswirtschaft anhand okonomischer Kriterien global 102 ygL Arrow, K.: Social Choice and Individual Values, New York 1951, 2. Aufl. 1963; H. C. Recktenwald, (Ukonomisches Denken in der Staatswirtschaft, in: Der Volkswirt Nr. 48 (1969) S. 30 schreibt hierzu: „Trotz groiker Anstrengung und scharfsinniger Analysen gelang es aber bisher nicht, eine erwiinschte Wohlfahrtsfunktion als Ausdruck individueller und kollektiver Praferenzen zu formulieren, die dem Politiker als Maftstab dienen konnte". S. auch Coleman, J. S.: The Possibility of a Social Welfare Function, in: American Economic Review (1966) S. 1105 ff.; Pank, R. E.; Miller, D. C : Comments zu: The Possibility of a Social Welfare Function, ebenda, (1967) S. 130 ff. 103 Samuelson, P. A.: The Pure Theory of Public Expenditure, in: Review of Economics and Statistics, Bd. 36 (1954); ders.: Diagrammatic Exposition of a Theory of Public Expenditure Theory, ebenda, Bd. 37 (1955); ders.: Aspects of Public Expenditure Theory, ebenda Bd. 40 (1958). 104 Musgrave, R. A.: The Voluntary Exchange Theory of Public Economy, in: Quarterly Journal of Economics, Bd. 41, Februar 1939. In diesem Aufsatz verweist Musgrave im iibrigen auch auf die auf diesem Gebiet entscheidenden Arbeiten von Sax, Wicksell, De Viti de Marco und Lindahl. Ders.: Finanztheorie, Kap. 3, insbes. S. 63 ff. Im Gegensatz zu Samuelson geht Musgrave von einer „bestehenden richtigen Verteilung der Einkommen" aus.(S. Musgrave, R. A., Finanztheorie,a.a.O., S. 64. 105 Zur Ermittlung der Individualpraferenzen untersucht Musgrave mogliche Wahlverfahren, kommt aber zu dem Ergebnis, dafl keines der bisher bekannten Verfahren in jedem Fall dazu in der Lage ist. Vgl. Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 90 ff. und auch Arrow, K.: a.a.O. 106 Samuelson, P. A.: „Pure Theory of Public Expenditure and Taxation", gekurzt abgedruckt unter dem deutschen Titel: Eine reine Theorie der Staatsausgaben und der Besteuerung, in: Finanztheorie (Hrsg. H. C. Recktenwald) Koln-Berlin 1969, S. 159.
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abzuleiten, . . . theoretisch unbefriedigend (bleiben) oder . . . empirisch leer (sind)" 107 . Aufbauend auf den Auffassungen De Viti de Marcos und Schumpeters uber das Wesen der Demokratie 108 formulierten P . Herder-Dorneich (unter dem Pseudonym Fred O . H a r d i n g ) 109 und A. Downs 110 im Jahre 1957 einen, wie Hauser es nennt, „pragmatischen A n s a t z " des Budgeting by Voting, also der Bestimmung des Idealbudgets durch Wahlen 11;1. U n t e r der A n nahme, das spezifische Berufsinteresse der Politiker bestehe in ihrem Streben nach Macht 1 1 2 , versuchen diese Theorien, „die finanzwirtschaftliche Entscheidung der Staatsorgane auf (eben dieses) Selbstinteresse . . . zuriickzufuhren" 113 , wobei das Budget „als Summe wirtschaftlicher Mittel im Kampf um die politische Macht" 114 betrachtet wird. D a jede Regierung 115 die ihr von den Wahlern gegebene politische Unterstiitzung zu maximieren sucht, wird sie sich bemuhen, alle jene (nach Moglichkeit deutlich wahrnehmbaren) Ausgaben zu leisten, die ihr (ihrer Ansicht nach) die meisten Stimmen einbringen, und z w a r mit Hilfe jener (nach Moglichkeit unmerklichen) Finanzierungsmafinahmen, die sie die wenigsten Stimmen kosten. „Mit anderen Worten, die Ausgaben werden solange gesteigert, bis der durch die letzte ausgegebene Geldeinheit erreichte Stimmgewinn dem Stimmenverlust gleich ist, der durch die letzte aus den staatlichen Finanzquellen 116 entnommene Geldeinheit verursacht w i r d . " 117 Fur den empirischen Gehalt dieses Ansatzes, mit dem versucht wird, „fiir das Wirtschaftssubjekt S t a a t . . . analog zur Privatwirtschaftslehre der Unternehmung oder des privaten Haushaltes eine eigene Wirtschaftstheorie fiir den Staat zu begriinden" 118 , spricht es beispielsweise, dafi in der Bundes107
Hedtkamp, G.: Bestimmungsriinde fiir Umfang und Struktur der offentlichen Ausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF., Bd. 47, Berlin 1967, S. 87; ders.: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Neuwied und Berlin 1968, S. 366 f.; vgl. auch Hauser, K.: "Ober Ansatze . . . , a.a.O., S. 57. 108 Ygi # j ) e ylt{
d e Marco, A . : Grundlagen der Finanzwirtschaft, a.a.O., Schum-
peter, J.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, a.a.O., Kap. 21 und insbesondere Kap. 22. 109 Harding, F. O.: Politisches Modell zur Wirtschaftstheorie, Freib. i. Br. 1959. 110 Downs, A.: An Economic Theory of Democracy, New York 1957, als deutsche Obersetzung erschienen unter dem Titel: Okonomische Theorie der Demokratie, Tubingen 1968; ders.: An Economic Theory of Political Action in a Democracy, in: The Journal of Political Economy, Bd. 65 (1957) S. 135 ff. in Ygi hierzu auch Budianan, J. M.: Public Finance in a Democratic Process, Chapel Hill 1967. 112 Harding, a.a.O., S. 55, s. auch Downs, A., a.a.O., S. 25 ff. 113 Harding, a.a.O., S. 38; s. auch Downs, A., a.a.O., S. 26 f. 114 Harding, a.a.O., S. 78; s. auch Downs, A., a.a.O., S. 50 f. 115 Fiir die Opposition gilt Analoges fiir deren Schattenbudget o. a. 116 Steuern, Gebiihren, Beitrage, Kredite. 117 Downs, A.: Okonomische Theorie der Demokratie, a.a.O., S. 50. 118 Hauser, K.: Uber Ansatze . . . a.a.O., S. 62. Interessante Ansatze einer Theorie des Staates in Analogie zur Theorie der Unternehmung sind zu finden bei Buchanan, J. M., Tullock, G.: The Calculus of Consent, Ann Arbor, 1962; Tullock, G : The Politics of Bureaucracy, Washington, D. C , 1965; William, A.: The
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republik sowohl eine gewisse Korrelation zwischen den Sozialausgaben und dem sich verschlechterndem Altersaufbau der Bevolkerung zu beobachten w a r 119 , als auch mit den heranriickenden Wahlterminen eine Kumulation in der Verabschiedung von Sozialgesetzen stattfand 120 , ebenso wie „einzelne (Steuer-) Freibetrage gerade um die Wahljahre 1953, 1957, 1961 und 1965 herum erhoht w u r d e n " m . Gegen diese pauschale Verhaltenshypothese der Politiker in ihrem Streben nach Stimmenmaximierung spricht jedoch, dafi auch in totalitaren Staaten — die Ausfiihrungen Herder-Dorneichs und Downs gelten nur fur D e m o kratien westlicher Pragung 122 — ein ahnliches Wachsen des Staatshaushaltes und seiner Komponenten zu beobachten ist 1 2 3 . Waren aber Umfang und Struktur des offentlichen Haushalts nur ein Instrument des um die Wahlergunst buhlenden Politikers, dann hatte der Haushalt in totalitaren Staaten diese Funktion nur in weit geringerem Mafie und miifite somit auch ein ganz anderes Aussehen haben; treten aber gleiche Erscheinungen bei unterschiedlichen Voraussetzungen auf, so k a n n diese Theorie allenfalls als ein monokausaler Versuch der Erklarung eines vielschichtigen Prozesses angesehen werden 124 . Eine weitere Schwache dieser oberflachlichen Theorien bildet die Vernachlassigung des pluralistischen Charakters der fmanzpolitischen Willensbildung; nirgends gibt es ein monolithisches Machtzentrum mit der unterstellten Zielfunktion, von Herder-Dorneich und Downs, die es gestatten wiirde, ihre „Gleichgewichtsl6sung" abzuleiten. Die ausgaben- und einnahmenwirksame Politik wird in unserer pluralistischen Demokratie nirgends zentral, sondern an vielen Stellen in Regierung und Parlament bei der Bundesbank, Gewerkschaften und anderen Verbanden von durchaus heterogenen Gruppen „gemacht". Die Tatsache, dafi Wahlentscheidungen keineswegs nur von der Gestaltung des Budgets abhangig sind (s. in der Ara Adenauer die wahlerwirksame Fortsetzung Fufinote 118 Optimal Provision of Public Goods in a System of Local Government, in: Journal of Political Economy, Bd. 74 (1966); McKean, R. N.: The Unseen Hand in Government, in: American Economic Review, Bd. 55 (1965); Olson, M.: The Logic of Collective Action, Cambridge/Mass. 1965 (als deutsche Ubersetzung, Logik des kollektiven Handelns, Tubingen 1968). 119 Am 31. 12. 1967 waren z. B. iiber 18% der Bevolkerung im wahlberechtigten Alter iiber 65 Jahre, wahrend dieser Prozentsatz 1955 bei nur etwa 10% lag. Berechnet nach Angaben des Statistischen Jahrbuches der Bundesrepublik Deutschland 1957 (S. 43) und 1969 (S. 35). 120 Ygi# Bank, H. P.: Sozialpolitik und Wahlpolitik, in: Berichte des Deutschen Industrieinstitutes zur Sozialpolitik Nr. 11/1968. 121 Knief, P.: Steuerfreibetrage als Instrumente der Finanzpolitik, Koln-Opladen 1968, S. 94. 122 Vgl. Downs, A.: Dkonomische Theorie, a.a.O., S. 21 ff. und Harding, F. O.: a.a.O., 2. Kapitel. 123 ygi # Statistical Yearbook of the United Nations, verschiedene Jahrgange. 124 Bei der vorliegenden Theorie diirfte es sich um einen ahnlichen Fall wie bei
§ 24. Die offentliche Hand als Arbeitgeber und Auftraggeber
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Kriegsgefangenenruckfuhrung), wird ebenso iibersehen, wie die Zeit zwischen den Wahlterminen; wenn diese Termine relativ weit auseinanderliegen, wird es dieser Theorie unmoglich, den jahrlichen Prozefi der Haushaltsaufstellung und -verabschiedung hinreichend zu erklaren. Dieser kiihne Ansatz zur Bestimmung des optimalen Budgetvolumens ist in der vorliegenden Form vielmehr eine kurzfristige „Theorie der Wahlgeschenke", der jede Bezugnahme auf die Probleme der budgetaren Eigendynamik, des administrativen Verhaltens und der weltanschaulich-normativen Bindungen des Politikers fehlt und die infolgedessen kaum mehr erklaren kann als einige krasse Sonderfalle politischer Entscheidungen in Wahljahren 125 . Die Frage nach A r t und Umfang der Staatstatigkeit ist vielmehr mit den Worten K. Schmidts „im wesentlichen ein politisches Problem, das mit Hilfe okonomischer Theoreme grundsatzlich nicht gelost v/erden k a n n ; nur flnanzsoziologische Uberlegungen konnen hier weiterfiihren". Eine solche Theorie darf allerdings nicht bei der Analyse formaler Faktoren stehenbleiben wie der Wahlsysteme, sondern mufi zu den treibenden Kraften der flnanzpolitischen Willensbildung vordringen, den Interessen und den Ideologien. „Diese Aufgaben mogen schwierig sein; haufig wird man sich dabei auf unsicherem G r u n d bewegen, und wahrscheinlich werden die Ergebnisse weniger genau sein, als wir es in der okonomischen Theorie gewohnt sind. Aber wenn wir etwas liber A r t und Umfang der Staatstatigkeit aussagen oder gar voraussagen wollen, bleibt uns kein anderer Weg." 126
B. Die offentlichen Ausgaben § 24. Die offentliche Hand als Arbeitgeber und Auftraggeber Mit den Wandlungen, die sich in der Art, der Grofienordnung und den Zwecken der offentlichen Ausgaben vollzogen haben, tritt das Problem der Mafistabe und Formen ihrer Verausgabung, erst recht aber ihrer Wirkungen auf Struktur, Konjunktur und Wachstum in den Vordergrund, deren Kenntnis die Voraussetzung dafiir ist, die Staatsausgaben als Instrumente der Struktur- und Konjunkturpolitik zum Einsatz zu bringen. Es handelt sich dabei um Probleme, die die Finanzwissenschaft des 19. Jahrhunderts weitgehend zu vernachlassigen pflegte; gait doch sogar lange Zeit hindurch die Ausgabenseite der offentlichen Haushalte uberhaupt nicht als zum legitimen Aufgabenbereich der Finanzwissenschaft gehorig, die den Staatsbedarf vielder Mehrzahl von Konjunkturtheorien handeln; jede von ihnen hat einen wahren Kern, beleuchtet gewissermaEen eine Facette der komplexen Erscheinung, ohne sie aber allein audi nur annahernd voll ausdeuten zu konnen. 125 Schmolders, G.: Besprechung von Harding, F. O. Politisches Modell zur Wirtschaftstheorie, in: Schmollers Jahrbuch 1961, Heft 5, S. 110. 126 Schmidt, K.: Zur Geschichte und Lehre von den Kollektivbediirfnissen, a.a.O., S. 362.
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mehr als gegebene Grofie hinnahm, urn sich ganz auf die Fragen der Mittelbeschaffung und Mittelbereitstellung zu beschranken 127. Einnahmen und Ausgaben der offentlichen Hand gehoren aber nicht nur kausal, organisatorisch und grofienmafiig untrennbar zusammen, sondern vor allem im Hinblick auf die Eingliederung des Staatshaushaltes in den volkswirtschaftlichen Gesamtprozefi; jede Aussage iiber die volkswirtschaftlichen Folgen etwa der Besteuerung oder der Staatsverschuldung ist davon abhangig, wann, wie und wo der Staat von seinen Einnahmen Gebraucb macht. Das beliebte Schlagwort, der Staat bringe das Geld der Steuerzahler ja stets wieder „unter die Leute", darf nicht dariiber hinwegtauschen, dafi es fiir die Existenz und das Gemeinwohl einer Volkswirtschaft entscheidend darauf ankommt, ob der Staat seine eingenommenen Gelder hortet oder sofort wieder verausgabt, ob er sie fiir Leistungsentgelte und damit als Nachfrage nach am Markte angebotenen Giitern und Dienstleistungen verwendet oder ob er sie als Einkommensiibertragungen ohne Gegenleistung verausgabt, die sich in das Gefuge der Marktwirschaft nicht immer reibungslos eingliedern bzw. zu ihrer Korrektur und Aufierkraftsetzung auf einzelnen Gebieten fiihren konnen oder sogar dienen sollen; stets miissen beide Seiten des Budgets in Erwagung gezogen werden, soil sich nicht ein einseitiges und verzerrtes Bild der offentlichen Wirtschaft ergeben 128. Bedeutet demnach jede isolierte Betrachtung der Ausgabenseite des offentlichen Haushalts eine bewufke Abstraktion von der Wirklichkeit, so erscheint es nichtsdestoweniger zur klaren Herausarbeitung der Verausgabungsmafistabe und der Wirkungen der offentlichen Ausgaben unerlafilich, im theoretischen Modell zunachst von der Einnahmenproblematik abzusehen, um so einer gewissermafien „reinen
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Die altere Finanzwissenschaft hat sich auf diesem Gebiet damit begniigt, einige allgemeine Grundsatze fiir die Ausgabengebarung der offentlichen Hand aufzustellen, um dem mit der Verantwortung fiir die Verwendung der Mittel belasteten Beamten wenigstens gewisse Richtlinien in die Hand zu geben, deren er sich bedienen kann, um Ausmafi und Richtung der von ihm zu vertretenden Ausgaben mit den allgemeinen Staatszwecken und dem Haushaltsplan in Ubereinstimmung zu halten. Die wichtigsten dieser allgemeinen Grundsatze sind die der Sparsamkeit, der Proportionality und des Gemeinnutzens der offentlichen Ausgaben: diese Forderungen richten sich sicherlich in erster Linie an die fiir die finanzpolitische Willensbildung mafigebenden Organe, sind jedoch auch fiir den Vollzug des Haushaltsplanes und fiir die spatere Priifung der Finanzgebarung auf Zweckmafiigkeit und Wirtschaftlichkeit von Bedeutung. An erster Stelle steht hier der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit129, dem angesichts der Ausgabenfreudigkeit der modernen Parlamente, des Ressortegoismus der Verwaltung sowie der Einfliisse von Interessengruppen gerade heute mehr denn je entscheidende Bedeutung zukommt. Allerdings bedeutet Sparsamkeit im offentlichen Haushalt keineswegs dasselbe wie etwa fiir den privaten Hausvater, der sich jeweils zu Anfang des neuen Jahres die Einschrankung gewisser kostspieliger Bediirfnisse vornimmt; die Ausgaben, um die es sich handelt, sollen nicht unterbleiben oder in ihrem absoluten Betrage, den der Haushaltsplan festgesetzt hat, nachtraglich gekiirzt werden, sondern der Sinn des Sparsamkeitsgebotes im offentlichen Finanzwesen liegt in der rationellen Verausgabung der Mittel zu moglichst restloser Erreichung ihrer Zwecke. Die Mafinahmen zur Gewahrleistung moglichster „ Sparsamkeit" umfassen nicht nur die Aufstellung des Haushaltsplanes und seine Kontrolle 130; auch in der laufenden Abwicklung der Finanzwirtschaft gibt es verschiedene Methoden, die „ Sparsamkeit" zu sichern. In den USA gelten alle bewilligten Ausgaben grundsatzlich als Hochstbetrage, so dafi der President auf Vorschlag des Budget-Direktors die Auszahlung der bewilligten Summen unterbinden kann, wenn sie ihm zur Erreichung des Zweckes nicht als notwendig erscheinen. Im Deutschen Reich kam es mehrfach zur Einsetzung eines Reichssparkommissars (in Personalunion mit dem Prasidenten des Rechnungshofes) zur Sperrung der letzten 10 v. H. aller Ausgabeposten und zu ahnlichen Sparmafinahmen, deren praktischer Wert meist durchaus zweifelhaft bleibt; auch die sog. Betriebsmittelzuweisung, die in Bund und Landern dem Finanzminister vorbehalten ist, kann in der gleichen Richtung angewandt werden. Durch die Haushaltsreform ist das Instrument der Cost-Benefit-Analyse m im Haushaltsrecht (§ 6 Abs. 2 HGrG; 7 BHO) „fiir geeignete Mafinahmen 129
130 Verankert in §§ 6 HGrG, 7 BHO. Vgl. auch § 42. Der Begriff geht zuriick auf den Aufsatz „La mesure de Putilite des travaux publiques" von Juvenal Dupuits aus dem Jahre 1844, in: Annales des Ponts et 131
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Die Ausgabenpolitik
von erheblicher finanzieller Bedeutung" verankert worden. Dieses neue Instrument, dessen Anwendung vielfach „immer noch mehr eine Kunst als eine Wissenschaft" 132 ist, stellt eine Wirtschaftlichkeitsrechnung dar, die zumeist in der Form finanzmathematischer Investitionsrechnungen angestellt wird und somit audi mit alien theoretischen und praktischen Schwachen behaftet ist, die diese Rechnungen aufweisen. Bei der Anwendung der Kapitalwertmethode 133 bildet die Differenz zwischen den auf den Investitionszeitpunkt diskontierten Ertragen (Benefits) und den abgezinsten Aufwendungen (Costs) das Entscheidungskriterium; vorteilhaft ist eine Investition dann, wenn ihr Kapitalwert grofier als N u l l und grofier oder jedenfalls gleich hoch ist wie der Kapitalwert der Alternativverwendungen der vorhandenen Mittel. Neben der altbekannten Problematik der Wahl des richtigen Zinsfufies, der Berucksichtigung der Opportunity-Costs und -Benefits, den Zurechnungsschwierigkeiten, der Kapitelmarktsituation und der generellen Unsicherheit der Zukunft kommt als Besonderheit in diesem Anwendungsbereich noch hinzu, dafi auch die direkten Costs und Benefits nur selten vom M a r k t bestimmte quantitative Grofie sind 134 ; vielmehr ist ihre Gewichtung erheblich von den sich wandelnden politischen Prioritaten abhangig 135 . Auch die O p e Fortsetzung Fufinote 131 Chaussees, Reihe 2, Bd. 8; Synonyma: cost effectiveness approach, goals analysis, system analysis, program appraisal, cost-utility analysis, Kosten-Nutzen Analyse. Naheres hierzu s. Friedlaender, A. F.: Kriterien fur offentliche Investitionen — Ein "Qbersichtsaufsatz — in: Finanztheorie (Hrsg. H. C. Recktenwald), Berlin-Koln 1969; McKean, R. N.: Efficiency in Government Through Systems Analysis, New York 1958; Dorfmann, R. (Hrsg.): Measuring Benefits of Government Investment, Washington D. C. 1965; Chase, S. B., jr. (Hrsg.): Problems in Public Expenditure Analysis, Washington 1968; Prest, A. R., Turvey, R.: Cost-Benefit Analysis, a Survey, in: The Economic Journal, Bd. 75 (1965), S. 683 fL; Goldmann, T. A. (Hrsg.): Cost-Effectiveness Analysis, New Approaches in Decision-Making, New York-Washington-London 1967. Eine Bibliographie zum Problemkreis der Cost-Benefit-Analysis ist vom Bundesministerium der Finanzen (unter dem Zeichen II A 5 — A 0 403 — 25/69) im Herbst 1969 herausgegeben worden. 132 Senf, P.: Die Reform der offentlichen Haushaltsgebarung zur Erhohung der Transparenz, a.a.O., S. 158; s. auch Fisher, G. H.: The Role of Cost-Utility Analysis in Program Budgeting, in: Program Budgeting, a.a.O., S. 70. 133 Als andere Methoden kommen die Interne Zinsfu£-, die Anuitaten- und die Zeitzentrummethode in Betracht. Vgl. hierzu Schneider, E.: Wirtschaftlichkeitsrechnung, 7. AufL, Tubingen-Zurich 1968. 134 yg| # h i e r z u d e n Versuch Recktenwalds, die Effizienz der Ausgaben fur innere Sicherheit zu messen. (Effizienz und innere Sicherheit, in: Kyklos, 1967, S. 607 ff.); die Betrachtung des Baues einer Elbbriicke unter Cost-Benefit-Gesichtspunkten ist zu finden in: Moglichkeiten wirtschaftlicher Schwerpunktbildung in Schleswig-Holstein. Hrsg. Gesellschaft fiir regionale Strukturentwicklung e.V. Bonn 1968, S. 31 Iff. 135 In Kriegs- und Krisenzeiten werden beispielsweise Investitionen, die einen weit in der Zukunft liegenden Kapazitatseffekt haben, mit Sicherheit weniger geschatzt als solche Ausgaben, deren Wirkungen kurzfristig sichtbar sind, wahrend man in ruhigen Zeiten vielfach dem langfristigen Aspekt mehr Bedeutung beimessen wird.
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rationalisierung und Erfassung der Benefits bereitet grofie Schwierigkeiten 136. Ansichts dieser schwer iiberwindbaren technischen und theoretischen Schwierigkeiten erscheint die Ansicht Halls, der glaubt, dafi sich dieses Konzept ahnlich revolutionar auswirken werde wie das Keynessche Werk in den dreifiiger Jahren 137 , wohl etwas euphorisch. Der Wert dieses Instrumentes liegt nicht so sehr in seinen of dubiosen Ergebnissen mit einem Maximum an Quantifizierung als vielmehr in der mit ihm verbundenen Notwendigkeit, Projekte nicht separat, sondern im Zusammenhang mit ihren Alternativen kritisch zu durchdenken und sich liber ihre Konsequenzen klar zu werden. Ein zweiter Grundsatz der Finanzwissenschaft ist der des Gemeinnutzens der offentlichen Ausgaben. Die Befriedigung der Kollektivbediirfnisse, deren Erfiillung die Ausgabe gilt, sollte danach stets dringlicher sein als die Befriedigung der individuellen Bedurfnisse, die infolge der Steuererhebung ausfallt. Die klassische Formulierung dieses Grundsatzes findet sich in der Verfassung Pennsylvanias vom Jahre 1766: „Steuern diirfen nur erhoben werden, soweit die davon geleistete Ausgabe dem Gemeinwesen mehr niitzt, als wenn das Geld in den Handen der Steuerzahler geblieben ware." Dieser vage Grundsatz lafit sich natiirlich nie exakt realisieren; fiir die einzelne Ausgabe lafit er sich wohl nur in der negativen Formulierung anwenden, dafi offentliche Ausgaben niemals einem Einzel- oder Gruppenegoismus entspringen, sondern echte offentliche Aufgaben verwirklichen helfen sollten. Ein dritter Grundsatz steht damit in Zusammenhang: der Grundsatz der Proportionalitat der Ausgaben, nach dem die einzelnen Ausgaben untereinander und im Hinblick auf das Volkseinkommen in einem angemessenen Verhaltnis stehen sollen. Beispielsweise ware danach der Lebenshaltungsstand der Beamten mit dem wirtschaftlich tatiger Personen gleicher sozialer Stufe, der Arbeitslosen mit dem der Arbeitenden in Vergleich zu setzen; theoretisch soil der „Grenznutzen
Ausgaben zum Ausbau des Kriminalpolizeiwesens (z. B. Ausrustung mit EDV-Anlagen) erhohen moglicherweise die Sicherheit. Wie ist diese Sicherheitserhohimg zu erfassen und in Geldgrofien auszudriicken? 137 Hall, P.: Labors' New Frontiers, London 1964, S. 173. 14 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
210
Die Ausgabenpolitik
unter Berufung auf dieses Hegelwort vielfach ein Vorrang vor den sonstigen Ausgabekategorien der offentlichen Finanzwirtschaft zugeschrieben; der Unterschied zwischen Staatswirtschaft und Privatwirtschaft wird gern geradezu darin gesehen, dafi der Privatmann seine Einnahmen, der Staat dagegen seine Ausgaben als die gegebene Grofie betrachte, so dafi sich im offentlichen Haushalt „die Einnahmen nach den Ausgaben richten" konnten. An dieser stark iibertreibenden Auffassung, die wohl in erster Linie aus der Technik der Aufstellung des Haushaltsplanes abgeleitet ist, diirfte nur soviel richtig sein, dafi es auch in der offentlichen Finanzwirtschaft eine Art ,,Existenzminimum" an Aufgaben gibt, die nicht ungestraft ausfalien konnen; die Ausgaben fur die Aufrechterhaltung der Staatshoheit, ihrer willensbildenden Organe und ihrer Funktionen in Legislative, Exekutive und Jurisdiktion sowie fiir die Sicherheit des Staatsvolkes im Inneren (Polizei) und nach aufien (Verteidigung) sind von der Staatsform und den wechselnden politischen Zielsetzungen bis zu einem gewissen Grade unabhangig. Eine eigentliche Rangfolge der offentlichen Ausgaben ist jedoch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu gewinnen, zumal die Auffassungen iiber das unbedingt erforderliche Mindestmafi an Staatsbetatigung stark wechseln; dariiber hinaus sind die Grenzen zwischen den Kategorien der offentlichen Ausgaben und damit auch zwischen den einzelnen Formen ihrer Verausgabung fliefiend. Als „Kaufer" von Dienstleistungen, d. h. in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber, stehen Staat und Gemeinden, die Sozialversicherungstrager und alle anderen Parafisken im Wettbewerb mit den Arbeitgebern der privaten Wirtschaft um die Deckung ihres Personalbedarfes, fiir die sich im Betrieb der offentlichen Hand das besondere Dienst- und Treueverhaltnis der Berufsbeamten herausgebildet hat. Die Beamtenbesoldung aus Steuermitteln scheint fiir die „produktive Wirtschaft" auf den ersten Blick eine doppelte EinbuiSe zu bedeuten; die Leistungskraft des im Staatsdienst beschaftigten Beamten wird ihr vorenthalten, und sein Gehalt geht zu ihren Lasten. Dafi eine derartige oberflachliche Betrachtungsweise den Kern der Sache verfehlt, wird sogleich klar, wenn man den Begriff der „Produktivitat", die der Beamtenarbeit so gern und so leichtfertig abgesprochen wird, naher untersucht; da es nicht die Aufgabe des Staates ist, Sachguter zu produzieren, verbietet sich der Mafistab der „technischen" Produktivitat von selbst, wahrend die „Produktion" von Rechtssicherheit, Ordnung und Kultur andererseits nicht nur eine Forderung der materiellen Giitererzeugung bedeutet, sondern geradezu zu ihren Voraussetzungen gehort; mit der Bezeichnung „Infrastruktur" wird dieser Tatbestand theoretisch sichtbar gemacht. Die aufierliche Eigenart, dafi die Leistung der Verwaltungsbeamten nicht ohne weiteres in Stiickzahlen oder Geldeinheiten gemessen und dafi die Rationalitat ihres Einsatzes an keinem Index der Rentabilitat oder des betrieblichen Erfolges abgelesen werden kann, teilt die Verwaltungsleistung des Staates im iibrigen mit der jedes Grofiunternehmens und Konzerns der „pro-
§ 24. Die offentliche Hand als Arbeitgeber und Auftraggeber
211
duktiven" Wirtschaft; Erscheinungen wie Biirokratismus und „Papierkrieg" sind langst auch im Bereich der Marktwirtschaft und der privaten Verbande an der Tagesordnung 138 . 1st demnach der Beamtenarbeit keineswegs ohne weiteres die Eigenschaft der „ P r o d u k t i v i t a t " abzusprechen, die in diesem Bereich vielleicht plausibler als eine A r t „Umwegsproduktivitat" im Sinne der Schaffung der O r d n u n g s und Leistungsbedingungen fur jegliche Produktion zu definieren ware, so mufi die Beamtenbesoldung, deren in friiheren Zeiten ubliche Methoden des Amterkaufes und der Pfriindenwirtschaft durch gesetzliche Besoldungsvorschriften abgelost worden sind, heute mehr denn je dem Wettbewerb mit privaten Arbeitgebern auf dem Arbeitsmarkt Rechnung tragen. Fur die Besoldungspolitik ergibt sich daraus, dafi die offentliche H a n d hinsichtlich der Deckung ihres Personalbedarfes, der Bezahlung und der Zahl ihrer Beamten, Angestellten und Arbeiter ebenso dem Z w a n g zu einer Anpassung an die „Preisbildung auf dem Arbeitsmarkt" unterliegt, wie die Beamtengehalter ihrerseits „Signalwirkungen" auf die Entlohnung ahnlicher Dienstleistungen im privaten Bereich ausiiben konnen; insbesondere was die Alters-, Witwenund Waisenversorgung, die Reisekostensatze, Urlaubsanspriiche u. dgl. angeht, ist der Einflufi der straffen staatlichen Regelungen im Zuge einer gewissen „Verbeamtung" zahlreicher abhangiger Berufe deutlich zu verspuren. Nichtsdestoweniger leugnet die juristische Theorie der Beamtenbesoldung die Analogie des Beamtengehaltes mit dem Arbeitsentgelt privater Berufsstellungen bis heute. Die sogenannte „Alimentationstheorie" 139 sieht die Besoldung als Unterhalt fur den Beamten an, der seine ganze Personlichkeit und Arbeitskraft dem Staate widmet; die Vorausbezahlung der Bezuge, die Nichtvergiitung von Oberstunden, die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle sowie die Versorgungsleistungen im Ruhestand u n d die Fursorge fiir Witwen und Hinterbliebene sind in den Augen der Anhanger dieser Theorie deutliche Zeichen dafiir, dafi hier kein Leistungsentgelt im wirtschaftlichen Sinne gezahlt wird 140 . Die „Leistungstheorie a sieht dagegen analog zur Privatwirtschaft in der Beamtenbesoldung ein Entgelt bzw. eine Entlohnung fiir dem Staat zur Verfiigung gestellte Arbeitsleistung; ihre Vertreter 141 erkennen z w a r an, dafi sich diese Lohnbildung im staatlichen Bereich von der im privatwirtschaftlichen Bereich in mannigfacher Hinsicht unterscheidet, "« Vgl. §15. 139 Vertreten beispielsweise durch Spitaler, A.: Besoldungswesen und Besoldungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland und in einigen anderen Landern, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 2. Bd., a.a.O., S. 83 ff. 140 Miiller, J. H.: Art. Dienst, offentlicher III, Besoldung im offentlichen Dienst, Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 2, Stuttgart-Tubingen-Gottingen 1959, S. 604. # 141 Beispielsweise J. L. Servais, der der Meinung ist, dafi sidi die „Definition Gehalt = Preis heute allgemein durchgesetzt" hat. (Die Besoldung in der offentlichen Fmanzwirtschaft, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 2. Bd., a.a.O., S. 49.) 14*
Die Ausgabenpolitik
212
wollen jedoch das Besoldungssystem von einer staatsrechtlichen in eine wirtschaftliche Kategorie iiberfiihren. In der Tat zeigt die neue Rechtsprechung auf dem Gebiete des Besoldungsrechts ein wachsendes Ineinandergreifen der beiden Besoldungsprinzipien, so dafi „die giiltige Form der Besoldung . . . in ihrer Art einen eigentiimlichen Kompromifi aus staatsrechtlichen und leistungsmafiigen Komponenten" darstellt 142 ; dies kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dafi das Besoldungsgesetz vom 1. 4. 1957 die Besoldung der Eingangsgruppe des „einfachen Dienstes" am Lohn des angelernten Industriearbeiters orientiert. Tabelle 9 zeigt, wie sehr sich innerhalb eines Zeitraumes von weniger als 20 Jahren die Beschaftigtenstruktur im offentlichen Dienst bereits verandert hat. Diese Verschiebungen in den Beschaftigungsverhaltnissen haben fur die Personal- und Besoldungspolitik der offentlichen Hand mannigfache Konsequenzen. Schon aus der steigenden Zahl der Angestellten und Arbeiter ergibt sich die Konsequenz, da6 sich die Besoldungspolitik bei dieser Kategorie von Beschaftigten den Gehalts- und Lohnzahlungsprinzipien der Privatwirtschaft anpassen mufi, um die offentliche Hand als Arbeitgeber am Arbeitsmarkt konkurrenzfahig zu erhalten; vor allem gilt es hier, den Vorsprung einzuholen, den die privatwirtschaftlichen Arbeitgeber mit der Moglichkeit iibertariflicher Bezahlung und anderer Vergiinstigungen (beispielsweise 13. Monatsgehalt und Gewinnbeteiligung, Investivlohn zwecks Vermogensbildung usw.) besitzen. Ein gewisser Anreiz fur das Angestelltenverhaltnis im offentlichen Dienst ist inzwischen wenigstens dadurch geschaffen worden, dafi Angestellte nach gleichen Grundsatzen wie die Beamten Orts- und Kinderzuschlage erhalten. Was die Entlohnung der Arbeiter im offentlichen Dienst angeht, die vor allem im letzten Jahrzehnt prozentual erheblich starker gestiegen ist als die Besoldung der Beamten und Angestellten, so durfte auch hier die ubertarifliche Bezahlung die Hauptwaffe der privaten Arbeitgeber am Arbeitsmarkt sein. Die im Verhaltnis zu den Beamten und Arbeitern uberproportional wachsende Zahl der Angestellten deutet auf die zunehmende Mechanisierung des Verwaltungsapparates hin; die fruher vom Beamten ausgefiihrten Routineschreibarbeiten werden mehr und mehr durch von Angestellten bediente Maschinen erledigt, wodurch besonders die seltener ins Beamtenverhaltnis ubernommenen jiingeren weiblichen Arbeitskrafte ein weites Betatigungsfeld gefunden haben. Andererseits bleibt die Pension mit alien ihren Vorteilen ein entscheidender Anreiz fiir die Beamtenlaufbahn; A. Spitaler hat mit Recht betont, dafi das „Prinzip des spaten Lohnes" gerade in der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Landern besonders radikal verwirklicht, wenn nicht gar iiberspannt ist: „Der Beamte, der sich doch immer wahrend der aktiven Dienstzeit die Pension erdient, ist in seiner fortlaufen142
Miiller, J. H.: Art. Dienst, offentlicher, III, a.a.O., S. 604 f.
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Die Ausgabenpolitik
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Tabelle 10. Personalaufwand von Bund, Landern und Gemeinden in den Jahren 1950 und 1965 — in Mill DM — 1950
Bund Lander a Hansestadte Gemeinden (GV)
Beamte
Angest. Arbeit. Versorg.aufwand
154,1 .1591,9 148,8 577,7
65,6 742,3 164,9 790,9
13,9 167,6 61,6 425,8
44,3 623,3 79,7 297,5
Summe
Prozentualer Anteil des Vers. a. d. Summe
277,9 3125,1 455,0 2091,9
15,9 19,9 17,5 14,2
1965
Bund Lander a Hansestadte Gemeinden (GV) il
Beamte
Angest. Arbeit. Versorg.aufwand
Summe
Prozentualer Anteil des Vers. a. d. Summe
4634,6 7975,5 659,6 1942,8
1131,3 2813,6 547,9 3592,4
7339,3 14077,6 1737,7 8920,4
9,04 20,16 16,94 10,82
909,5 450,0 235,8 2419,6
663,9 2838,5 294,4 965,6
ohne Berlin-West.
Quellen: Wirtschaft u. Statistik, Zahlenteil, 1952, S. 511; 1967, Zahlenteil S. 489. den Besoldung schlecht gestellt, um danach eine verhaltnismafiig reichliche Versorgung zu erhalten." 144 Gerade in Landern mit einem hochentwickelten Berufsbeamtentum, wie in Deutschland, besitzt andererseits neben der Besoldung und Altersversorgung von jeher die „Entlohnung durch Ehre" betrachtliche Bedeutung. Diese fiskalisch besonders reizvolle Art der Deckung des Bedarfs an Arbeitsleistungen tritt in zwei deutlich unterscheidbaren Formen auf; einmal wiegen die soziale Auszeichnung, die eine Amtsstellung gewahrt, die damit verbundene Machtvollkommenheit und gegebenenfalls audi aufiere Zeichen, wie Hofrange, Titel, Orden und anderes mehr, deren Bedeutung aber im Abnehmen begriffen ist, die traditionelle Bescheidenheit der pekuniaren Vergiitungen der Beamtenarbeit zum Teil auf, so dafi der jahrliche Besoldungsaufwand entsprechend niedriger gehalten werden kann; zum anderen gelingt es dem Staat und den Gemeinden, ihre Burger zu allerlei „ehrenamtlicher" MitSpitaler, A.: Besoldungswesen und Besoldungspolitik . . . , a.a.O., S. 115.
§ 24. Die offentliche Hand als Arbeitgeber und Auftraggeber
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wirkung an der Erfullung ihrer Aufgaben heranzuziehen, die die Einstellung besoldeter Krafte ersparen hilft. Diese Erscheinung ist so alt wie das menschliche Zusammenleben uberhaupt; sie findet sich bereits in den „leiturgischen Diensten" der fruhgriechischen Finanz- und Rustungswirtschaft, in den staatlichen und kommunalen Ehrenamtern, in der Mitwirkung von Schoffen und Geschworenen an der freiwilligen Gerichtsbarkeit und bei den Honorarkonsuln, und auch im modernen Arbeits- und Wehrdienst spiegelt sie sich teilweise in einer gewissen Abwandlung wider. „Entlohnung durch Ehre" ist somit im Grunde nichts anderes als ein Sonderfall des „versteckten offentlichen Bedarfs" 145. Ehrenamter finden sich heute noch besonders zahlreich in der Kommunalverwaltung, insbesondere in den kleineren Stadten und Landgemeinden; an den deutschen Hochschulen wird das Ehrenrecht, Vorlesungen und Ubungen abzuhalten, bewahrten Personlichkeiten als „Honorarprofessoren" tibertragen. So vorteilhaft die „Entlohnung durch Ehre" flir die Finanzen der offentlichen Korperschaften sein kann, die sich gern solcher kostenloser Mitarbeiter bedienen, so ist doch das Prinzip der Heranziehung unbesoldeter Ehrenbeamter zur Deckung des Personalbedarfs der Verwaltung nicht ohne Gefahren. Die offentlichen Korperschaften konnen auf diese Weise Verwaltungszweige aufrechterhalten oder ausbauen, deren Kosten, obgleich sie der Volkswirtschaft zur Last fallen, der parlamentarischen Beratung und Kontrolle ebenso entzogen bleiben wie dem detaillierten Nachweis im Haushaltsplan; andererseits neigen die Inhaber von Ehrenamtern gelegentlich dazu, sich fur ihre unbesoldete Mitarbeit in der einen oder anderen Weise eigenmachtig schadlos zu halten, so dafi die Gefahr einer mehr oder weniger amtlich geduldeten Korruption entsteht. Der unbestechliche, sparsam besoldete preufiische Beamte, dem Standesehre und soziale Rangstellung mehr gait als der schnode Mammon, bleibt fur immer das ruhmlichste Beispiel einer Entlohnung durch Ehre; in Landern, in denen Berufspolitiker und offentliche Funktionare wenig soziale Achtung geniefien, wie in Sudeuropa und den meisten amerikanischen Staaten, ergeben sich aus diesem System andererseits nicht geringe Gefahren fur die Sauberkeit und Ordnung des offentlichen Lebens, fiir die allgemeine Rechtssicherheit und die demokratische Willensbildung. Auch als Auftraggeber fiir die private Wirtschaft, deren Lieferungen und Leistungen Staat und Gemeinde auf vielen Gebieten in Anspruch nehmen, steht die offentliche Hand durchaus im Wettbewerb mit den Unternehmungen und Betrieben. Es handelt sich dabei nicht nur um Tinte, Federn und Papier, Buromaschinen, Schreibtische und Aktenschranke, sondern daneben und vor allem um Leistungen des Hoch- und Tiefbaus, um Eisenbahnbedarf, Kraftfahrzeuge, Uniformen und sonstige Riistungsguter aller Art bis zu 145
Vgl. § 21.
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Die Ausgabenpolitik
Flugzeugen und Kriegsschiffen, die die staatlichen Beschaffungsstellen bei privaten Unternehmen in Auftrag geben; in Krisenzeiten kommen unter Umstanden umfassende Arbeitsbeschaffungsprogramme, offentliche Arbeiten, Vorrats- und Preisstabilisierungskaufe hinzu, die die fehlende einzelwirtschaftliche Nachfrage anregen, erganzen oder gar ersetzen sollen. Soweit mit diesen Mafinahmen nicht besondere Ziele einer konjunkturpolitisch orientierten Kaufkraftumleitung oder sozialpolitischen Einkommensumschichtung verfolgt werden, entsteht dabei das Problem, wie diese offentlichen Auftrage, deren Grofienordnungen ihnen haufig entscheidende Bedeutung fur die in Anspruch genommenen Markte verleihen, moglichst wettbewerbsneutral auf die einzelnen Anbieter verteilt werden konnen; auf nicht wenigen Gebieten (Eisenbahnmaterial, Riistungsguter, Strafienbau) besitzt die offentliche Hand mehr oder weniger ein regelrechtes Nachfragemonopol, so dafi die Auftragsvergebung unter Umstanden iiber Sein oder Nichtsein ganzer Wirtschaftszweige, Unternehmen und Betriebe entscheidet. Die Aufgabe einer „gerechtenf< und dabei doch zweckmafiigen Vergebung dieser offentlichen Auftrage hat zu mannigfachen Versuchen gefiihrt, die Materie durch die Festlegung offentlich-rechtlicher Normen, Vertragsmuster und Vergaberichtlinien zu regeln, deren Notwendigkeit und Problematik sich insbesondere daraus ergibt, dafi das veranderte Verhaltnis von Staat und Gesellschaft gerade auf dem Gebiet des offentlichen Auftragswesens in besonderem Mafie zutage tritt. Neben dem sozialstaatlichen Trend zum Interventionismus sorgt schon allein die durch die moderne Technik hervorgerufene Anderung der Dimensionen dafiir, die Autonomie der Gesellschaft immer starker aufzulosen und Staat und Gesellschaft in ein Abhangigkeitsverhaltnis zueinander zu bringen; der hochentwickelte technische Stand der Motorisierung, des Nachrichten- und des Heilwesens, der Rustung und der Raumfahrt zwingt den Staat, sich der neuen technischen Errungenschaften in immer grofierem Umfang zu bedienen und damit als Kaufer und Nachfrager an den Markten der privaten Wirtschaft aufzutreten, also privatrechtlich in der Sphare der grundgesetzlich geschiitzten Privatautonomie tatig zu werden 146. Den ersten Versuch einer normativen Regelung des staatlichen Vergabewesens bilden die Verdingungsordnungen 147. Charakteristisch fiir die heute 146 E. Forsthoff (Der Staat als Auftraggeber, res publica, Bd. 12, Stuttgart 1963) zeigt, da£ der Schutz vor dem privatrechtlichen Handeln des Staates nicht, wie allgemein angenommen wird, durch eine verstarkte Anv/endung des offentlichen Rechts und besonders der Grundrechte erreicht werden kann, sondern daE das Zivilrecht die Rechtssicherung des Staatsbiirgers auch hier am besten gewahrleistet; notwendig ist allerdings eine Korrektur des iiberkommenen Fiskusbegriffes, in dem Staat und Fiskus zwar die gleiche Person sind, der Fiskus privatrechtlich handelnd jedoch in einem anderen Rechtsgewand auftritt. 147 Einen kurzen Abrift der Entwicklung bis heute gibt O. Gandenberger (Die Ausschreibung, Heidelberg 1961, S. 22 ff.)-
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noch giiltigen Verdingungsordnungen (VOB = Verdingungsordnung fiir Bauleistungen; V O L == Verdingungsordnung fiir Leistungen) ist, dafi sie nicht Gesetze sind, sondern in die Verwaltungszweige des Reiches bzw. des Bundes, der Lander und der Gemeinden in Form von Dienstanweisungen Eingang gefunden haben. „Soweit die Verdingungsordnungen allgemeine Bestimmungen fiir die Vergebung von Leistungen enthalten, konnen aus ihnen wegen ihrer N a t u r als interne Dienstanweisungen keine klagbaren Anspriiche hergeleitet werden; soweit sie allgemeine Bedingungen fiir die Ausfiihrung von Leistungen enthalten, werden diese in der Regel Vertragsbestandteil." 148 Gesetzeskraft haben dagegen die Preisbildungsvorschriften fiir offentliche Auftrage; die hier derzeit giiltigen Vorschriften sind die Verordnung P R N r . 30/53 des Bundesministers fiir Wirtschaft iiber die Preise bei offentlichen Auftragen vom 2 1 . 11. 1953 — V P 6 A 1 4 9 — und die Verordnung P R N r . 8/55 des Bundesministers fiir Wirtschaft iiber die Preise bei offentlichen Auftragen fiir Bauleistungen vom 19. 12. 1955 — B P V O (Baupreisverordn u n g ) 1 5 0 —. Die V P 6 A , die fiir alle offentlich-rechtlichen Korperschaften verbindlich ist, wird von drei Grundsatzen beherrscht, von denen wiederum der Vorrang des Marktpreises vor dem Selbstkostenpreis an erster Stelle stent. Dieser P r i m a t des Wettbewerbspreises gewahrleistet audi im offentlichen Auftragswesen unmifiverstandlich das marktwirtschaftliche P r i n z i p ; darin beruht die besondere Bedeutung der VP6A, deren Vorlaufer noch einer Zeit angehoren, als es praktisch kaum eine Marktwirtschaft gab. Die beiden anderen Grundsatze, namlich dafi die nach der V P o A zulassigen Hochstpreise nicht iiberschritten werden diirfen und dafi zwischen den Vertragspartnern feste Preise zu vereinbaren sind, ergeben sich aus dem Primat des 148 Holtz, W.: Art. Auftragsvergebung, offentliche, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 1, a.a.O., S. 434. 149 Die VP6A trat an die Stelle der bis dahin giiltigen Verordnung iiber die Preise bei offentlichen Auftragen vom 11. 8. 1943 (VPD), deren Vorlaufer die Richtlinien fiir die Preisbildung bei offentlichen Auftragen vom 15. 11. 1938 (RPD) waren. In der Anlage zu der VP6A befinden sich die Leitsatze fiir die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (LSP), die ihrerseits am 1.1. 1954 die Leitsatze fiir die Preisermittlung auf Grund der Selbstkosten bei Leistungen fiir offentliche Auftraggeber vom 15. 11. 1938 (LSD) ablosten. 150 Die BPVO bildet das vorlauflge Endglied einer Kette von Baupreisverordnungen, die mit den Bestimmungen der RPD (s. o.) ihren Anfang nahmen. Es folgten die VPD (s. o.) sowie die Verordnung iiber die Baupreisbildung vom 16. 6. 1939 (Baupreisverordnung 1939), die 1951 von der Verordnung PR Nr. 32/51 des Bundesministeriums fiir Wirtschaft iiber die Baupreisbildung fiir offentliche und mit offentlichen Mitteln finanzierte Auftrage vom 11. 5.1951 (Baupreisverordnung 1951) abgelost wurde. Daneben gelten auch fiir Baupreise besondere Vorschriften uber die Preisermittlung auf Selbstkostenbasis, die in den inzwischen mehrmals geanderten Leitsatzen fiir die Preisermittlung auf Grund der Selbstkosten bei Bauleistungen fiir offentliche Auftraggeber vom 25. 5. 1940 (LSBD) zusammengefaftt sind. — Zur Entwicklung der Preisverordnung vgl. Diederich, H.: Der Kostenpreis bei offentlichen Auftragen, Veroffentlichungen des Forschungsinstituts fiir Wirtschaftspolitik an der Universitat Mainz, Bd. 12, Heidelberg 1961, S. 14 ff.
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Marktpreises, der am freien Markte bei vollkommenem Wettbewerb gleichzeitig audi der hochsterzielbare und hochstzulassige Preis ist; die Vereinbarung und verbindliche Fixierung dieses Preises soil zugleich die dem Funktionieren des Wettbewerbs abtraglichen friktionellen Preisauftriebstendenzen vermeiden helfen 151. Die BPVO, die in ihrer Anwendungsbreite weiter reicht als die VPoA, da sie beispielsweise auch auf nichtoffentliche Auftraggeber anwendbar ist, sofern die Auftrage iiberwiegend mit offentlichen Mitteln finanziert werden, wird in Aufbau und Tenor von den gleichen Grundsatzen beherrscht; die BPVO bezeichnet ihren Marktpreis ausdriicklich als „Wettbewerbspreis", um so endgultig mit dem kostenorientierten Preis der fruheren Baupreisverordnungen aufzuraumen. Auch dieser Preis der BPVO gilt als Hochstpreis; die Vereinbarung von Festpreisen ist zwar nicht ausdriicklich angeordnet, ergibt sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang der Verordnung 152. Im Rahmen der Verdingungsordnungen und Preisbildungsvorschriften haben sich drei verschiedene Vergebungsverfahren herausgebildet, die offentliche Ausschreibung, die beschrankte Ausschreibung und die freihandige Vergebung. Die offentliche Ausschreibung besteht in einer „offentlichen Aufforderung einer unbeschrankten Zahl von Unternehmern zur Einreichung von Angeboten" 153; in der Presse, durch Anschlag oder auf andere Weise werden die allgemeinen Bedingungen und die Einzelheiten des Auftrags bekannt gemacht und etwaige Interessenten innerhalb einer bestimmten Frist zur Abgabe ihrer Angebote aufgefordert, unter denen die auftragvergebende Stelle dann die Auswahl trifft. Eine Abart dieser Form der Auftragsvergebung sind Preisausschreiben und besondere Wettbewerbe, bei denen beispielsweise Kiinstler, Architekten oder Erfinder zur Einreichung von Entwiirfen oder Vorschlagen aufgefordert werden, von denen die besten angekauft oder pramiiert werden. Mit einer beschrankten Ausschreibung in Gestalt der „Aufforderung einer beschrankten Zahl von Unternehmern zur Einreichung von Angeboten" 154 begniigt sich die offentliche Hand dann, „wenn Art und Umfang der Leistung besondere Zuverlassigkeit, Leistungsfahigkeit oder Fachkunde des Bewerbers erfordern und eine ausreichende Zahl leistungsfahiger Bewerber vorhanden ist" 155; beispielsweise ist der Bundesbahn der Kreis der Waggonund Lokomotivfabriken, der fur ihre Auftrage zur Auswahl steht, hinreichend bekannt, so dafi sich eine offentliche Ausschreibung eriibrigt. Dariiber hinaus kann eine beschrankte Ausschreibung dann angebracht sein, 151 Zu den Grundsatzen der VP6A siehe Altmann, C. H.: Das offentliche Auftragswesen, Stuttgart 1960, S. 15 ff. 152 Altmann, C. H.: Das offentliche Auftragswesen, a.a.O., S. 39 ff. 153 VOL Teil A, § 3 Ziff. 1 und VOB Teil A, § 3 Ziff. 1 a. 154 VOB Teil A, U Ziff. 1 b. 155 VOL Teil A, § 3 Ziff. 2.
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wenn beispielsweise die Erfordernisse der Geheimhaltung eine offentliche Ausschreibung verbieten. Beide Vergebungsmethoden, die offentliche wie die beschrankte Ausschreibung, gel ten als „ Verfahren organisierter Konkurrenz" 156; dabei erscheint es jedoch in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung nicht so bedeutsam, „ob das Verfahren offentlich oder nicht offentlich ist, als vielmehr, ob der Zugang zum Wettbewerb offen oder geschlossen ist. Bei der offentlichen Ausschreibung ist der Zugang zum Wettbewerb offen, bei der beschrankten Ausschreibung ist er geschlossen" 157. Diese Abgrenzung erscheint auch deshalb sinnvoller, weil es Ausschreibungsverfahren gibt, die zwar offen, aber nicht offentlich sind, wie beispielsweise das in den USA vielfach angewandte Verfahren der „offenen Liste"; alle potentiellen Lieferanten fur ein bestimmtes Gut konnen hier den Antrag stellen, in die fiir dieses Gut vorhandene Bieterliste eingetragen zu werden, wobei keinem leistungsfahigen Anbieter die Eintragung verweigert werden darf. Einmal eingetragen, hat der Anbieter die Gewahr, dafi ihm iiber jede Ausschreibung eine Mitteilung zugeht; innerhalb der in der Bieterliste aufgenommenen Anbieter ist also der Wettbewerb, okonomisch betrachtet, durchaus offen, obgleich die Ausschreibung nicht „6ffentlich<< ist 158 . In okonomischer Sicht ist auch das Verfahren der freih'dndigen Vergebung nicht, wie es nach dem Wortlaut der Verdingungsordnungen aussieht, eine „Obertragung einer Leistung nach freiem Ermessen des Auftraggebers ohne formliche Ausschreibung" 159; nur formal tritt hier ein „freies Ermessen" an die Stelle des organisierten Wettbewerbs. Die Gefahr der Bevorzugung einzelner Firmen scheint bei dieser Form der Vergebung auf den ersten Blick am grofiten; andererseits ist hier die Verantwortlichkeit des vergebenden Beamten aber auch am sichtbarsten, und es ist keineswegs erwiesen, dafi das Verfahren der Ausschreibung die Gefahr unlauterer Machenschaften besser auszuschalten vermag als die freihandige Vergebung. Sie erfolgt bei besonderer Dringlichkeit des Auftrages, bei kleineren Nachbestellungen, bei Kleinstauftragen, vor allem aber bei Auftragen, die der Geheimhaltung oder dem Patentschutz unterliegen. Insbesondere nimmt die offentliche Hand ihre Zuflucht zur freihandigen Vergebung, wenn sie Auftrage zu vergeben hat, deren besondere Eigenart die erforderliche genaue Leistungsbeschreibung nicht zulafit; dabei kann es sich einmal um iiberhaupt noch nicht entwickelte Gegenstande handeln oder um bereits vorhandene, deren Gebrauchszweek jedoch eine technische Weiterentwicklung verlangt. Eine Moglichkeit, die sich bietet, 156 157
Gandenberger, O.: Die Aussdireibung, a.a.O. Ders.: ebenda, S. 42.
158 Ygj # hierzu u n d z u d e m Verfahren d e r offenen Liste im einzelnen Diilz, S.: Staatliche Einkaufsmethoden in d e n Vereinigten Staaten v o n Amerika, als M a n u -
skript vervielfaltigt vom Forschungsinstitut fiir Wirtschaftspolitik an der Universitat159Mainz, 1958, S. 37 ff; Gandenberger, O.: Die Ausschreibung, a.a.O., S. 42 ff. VOL Teil A, § 3 Ziff. 3, und VOB Teil A, § 3 Ziff. 1 c.
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urn hier doch noch zu einer offentlichen Ausschreibung zu kommen, liegt in der Aufteilung solcher Auftrage in Entwicklungs- und Konstruktionsauftrage einerseits und Produktionsauftrage andererseits; dabei wird zunachst der Entwicklungs- und Konstruktionsauftrag vergeben, um alsdann die daraus hervorgegangenen Plane zur Grundlage einer genauen Leistungsbeschreibung fur die Ausschreibung des Produktionsauftrages zu machen 160. Charakteristisch fiir das Verfahren der freihandigen Vergebung ist naturlich in erster Linie die Freiheit der Preisbildung; der Markt ist ebenso wie bei der beschrankten Ausschreibung geschlossen 161, ein ofTener Wettbewerb findet also nicht statt. Daraus ergibt sich leicht die Gefahr der Unwirtschaftlichkeit, vor allem, wenn die Vergabe des Auftrags unter dem Zwang der Zeitnot und Dringlichkeit steht, so dafi auch ein uberhohter Preis in Kauf genommen wird. Als sich beispielsweise in den Jahren 1961 und 1962 herausstellte, dafi die Bundesrepublik sowohl bei der Aufstellung der Truppen als auch bei den NATO-Infrastrukturmafinahmen ihren Verpflichtungen nicht fristgerecht nachkommen konnte, wurde zur Beschleunigung des Programms fiir die NATO-Infrastrukturmafinahmen den Vergebungsbehorden gestattet, bei den Bauauftragen auf Wettbewerb zu verzichten und dabei Kostenerhohungen bis zu 20% in Kauf zu nehmen. Die Folge war, dafi der Anteil der freihandigen Vergebung an den Gesamtvergebungen erheblich anschwoll162. Im Zusammenhang mit dem Verfahren der freihandigen Vergebung hat jedoch E. Welter darauf aufmerksam gemacht, dafi es bei weitem zu oberflachlich ware, aus dem Fehlen eines organisierten Wettbewerbs auf ein monopolistisches Verhalten der Anbieter zu schliefien; bei einer Umdeutung des Begriffs Wettbewerb von einer Marktform in eine Verhaltensweise kann sich sogar unter Umstanden gerade das Gegenteil ergeben: „Beschrankte Ausschreibung und freihandige Vergabe sind keineswegs gleichzusetzen mit Beschrankung des Wettbewerbs im Sinne des wettbewerblichen Verhaltens. Bei der freihandigen Vergabe mit ihren Nachverhandlungen kann der Wett-
160 Zu den Einzelheiten einer derartigen getrennten Vergabe siehe: Gutowski, A.: Konstruktions- und Entwicklungsauftrage, VerofFentlichungen des Forschungsinstituts fiir Wirtschaftspolitik an der Universitat Mainz, Bd. 11, Heidelberg 1960. 161 Gandenberger (Die Ausschreibung, a.a.O., S. 45) erwahnt als eine Art „offene Vergabe", bei der zwar der Lieferantenkreis offen ist, die Preisbildung jedoch freihandig erfolgt, den Annoncenkauf. Diese in der Privatwirtschaft verbreitete Form des Kaufes durch Zeitungsannonce ist in den USA und in einigen Entwicklungslandern auch als Verfahren des offentlichen Einkaufs gebrauchlich. 162 Ygj^ hierzu: Unvorhergesehene Milliarden, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.7.1963; Der Verteidigungsbau wird wieder gebremst, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. 7. 1963; John, A.: Verteidigungsbau ist nicht tabu, Handelsblatt vom 18.7.1963; Ausschreibungen nicht unbillig beschnitten, Handelsblatt vom 22. 7. 1963.
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bewerb unter Umstanden — beiderseits — riicksichtsloser sein als im Fall der offentlichen Ausschreibung." 163 Widersprechen sich somit bei der Erorterung der verschiedenen Vergebungsverfahren juristische und wirtschaftsordnungspolitische Normen anscheinend hoffnungslos, so geht es hier in Wirklichkeit urn nicht mehr und nicht weniger als die Integration des staatlichen Auftragswesens in die marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung; es kann nicht wundernehmen, dafi dieser Prozefi angesichts der Schwerfalligkeit von Gesetzgebung und Verwaltung einerseits, der unvollkommenen Entwicklung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs andererseits seinen eigenen Gesetzen unterliegt. Die Neuregelung der Preisvorschriften hat bereits eine heilsame Wirkung erzielt, wenn sie das Denken der Vergabebehorden auf die Beachtung des Wettbewerbs als bestes Prinzip der Preisbildung hinlenkt, mag es sich dabei auch vielleicht zunachst nur um ein „Lippenbekenntnis zum Marktpreis" handeln 164 ; der wirtschaftlich unerfahrene Verwaltungsbeamte neigt an sich dazu, den „Kostenpreisw, am liebsten den „Selbstkostenpreiscc fiir den Preis zu halten, der den giinstigsten Einkauf gewahrleistet. In Wirklichkeit dienen „Kostenpreise... nur selten wirtschaftlichem Einkauf, in der Regel verhindern sie ihn. Der Auftragnehmer, dem als Entgelt die Kosten seiner Leistungserstellung erstattet werden, steht namlich nicht mehr unter dem Zwang, wirtschaftlich arbeiten zu miissen. Hohe Kosten und damit hohe Preise sind das Ergebnis." 165 Eine allzu stark vereinfachende Betrachtungsweise fiihrt auch bei der Frage, ob der Einkauf der offentlichen Hand zentral oder dezentral erfolgen soil, leicht zu voreiligen Entscheidungen der wirtschaftlich unerfahrenen Beamten; diese Frage ist nicht immer mit dem Schlagwort „im Grofien billiger" fiir den zentralen Einkauf zu entscheiden. Verwaltungsmehrkosten, lange Beschaffungswege und gegebenenfalls notwendige Zwischenlagerungen konnen beispielsweise den zentralen Einkauf durchaus unwirtschaftlicher gestalten als den dezentralen. Hier wird es „in der Praxis . . . wesentlich von der Urteilsfahigkeit und der Objektivitat der Beamten, die iiber Zustandigkeitsfragen des Einkaufs bei einer Verwaltung zu entscheiden haben, abhan-
163
Welter, E.: Der Staat als Kunde, Veroffentlichungen des Forschungsinstituts fiir Wirtschaftspolitik an der Universitat Mainz, Bd. 10, Heidelberg 1960, S. 188. 164 Welter, E.: Der Staat als Kunde, a.a.O., S. 245. 165 Diederich, H.: Der Kostenpreis bei offentlichen Auftragen, a.a.O., S. 213. Grundsatzlich hat der Auftraggeber das Recht, vom Auftragnehmer zu verlangen, das Zustandekommen des Preises von der fiir die Preisbildung und Preisiiberwachung zustandigen Behorden priifen zu lassen. (§ 9 VP6A und § 18 BPVO.) Tiber die Zulassigkeit sowie iiber das Ausmaft dieser Preispriifung herrscht jedoch in Rechtsprechung und Rechtsauffassung keine einhellige Meinung. Vgl. Altmann, C. H.: Das offentliche Auftragswesen, a.a.O., S. 53 ff., und ders.: Das Preispriifrecht (Feststellungsrecht) des offentlichen Auftraggebers, Meisenheim am Glan 1960.
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gen, ob die Organisation des Beschaffungswesens wirtschaftlich orientiert ist oder nicht" 166. Die Gefahr von Mifibrauchen bei der Vergebung offentlicher Auftrage besteht im iibrigen auch auf der Seite der Auftragnehmer. Die sog. „Verdingungskartelle" stellen der auftragvergebenden Stelle eine Einheitsfront der an diesen Auftragen interessierten Unternehmer gegenuber; die Unternehmer einigen sich untereinander, wem der Auftrag zufallen soil, und dieser bietet gunstig an, wahrend die anderen lediglich Scheinangebote einreichen, wofiir sie unter Umstanden betrachtliche Abstandssummen erhalten. Gegen diese Praxis wandte sich die „Verordnung liber Verdingungskartelle^ vom 9. 5. 1934, die an die friihere Verdingungsordnung fiir Bauleistungen ankniipfte und alle Absprachen der Auftragnehmer untereinander fiir einwilligungspflichtig, anderenfalls fiir nichtig erklarte; seit dem 27. 7. 1954 fallen Submissionskartelle unter die Verbotsgesetzgebung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrankungen (Kartellgesetz). Alle vergaberechtlichen Sicherungen und ordnungspolitischen Postulate werden freilich die Gefahr von Mifistanden im staatlichen Auftragswesen nicht ganzlich ausmerzen konnen. Schon im Zuge der Arbeitsbeschaffungsaktion 1933 mufiten beispielsweise besondere „Richtlinien fiir die Vergebung offentlicher Auftrage" erlassen werden, um den unsachlichen EinfluiS des „Kampfbundes fiir den gewerblichen Mittelstand" auf die Auftragspolitik der Gemeinden einzuschranken und die Uberspanntheiten „weitanschaulicher" Auftragsvergebung, wie den Boykott auslandischer Firmen, die Arierschniiffelei und die Kirchturmspolitik mancher Gemeinden nach Moglichkeit zu unterbinden. Heute gelten in der Bundesrepublik die „Richtlinien fiir die Beriicksichtigung bevorzugter Bewerber bei der Vergabe von offentlichen Auftragen" vom 31. 3. 1953 167, wonach zu den bevorzugten Bewerbern die Vertriebenen und diesen gleichgestellte sowie solche Unternehmen gehoren, an denen diese Personen mit mindestens der Halfte des Kapitals beteiligt sind; zu den bevorzugten Bewerbern gehoren dariiber hinaus Personen und Unternehmungen aus den Gebieten, die der Bundeswirtschaftsminister als notleidende Gebiete im Sinne der Verdingungsordnung fiir Leistungen anerkannt hat. Wird hier die Vergabe offentlicher Auftrage bereits zu einem Instrument der regionalen Strukturpolitik 168 , so zeigt die geschilderte Problematik doch recht anschaulich, wie sehr die Verausgabung von Leistungsentgelten fiir Giiter und Dienstleistungen unter ihren eigenen Gesetzen steht, die nicht ungestraft zugunsten anderer Gesichtspunkte aufier acht gelassen werden 166 Fricke, W.: Zentralisierung und Dezentralisierung des offentlichen Einkaufs^ Veroffentlidiungen des Forschungsinstituts fiir Wirtsdiaftspolitik an der Universitat Mainz, Bd. 13, Heidelberg 1961, S. 111. 167 Bundesanzeiger Nr. 68 vom 7. 4. 1954. 168 Vgl. § 28.
§ 25. „Gesdienkwirtschaft" und Marktwirtschaf t: Die Subventionen
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konnen. Stets mufi die Vergabe offentlicher Auftrage ein doppeltes Ziel im Auge behalten: einmal darf der gesunde Leistungswettbewerb der Anbieter untereinander nicht durch die Bevorzugung einiger weniger, meist besonders grofier oder bekannter Lieferanten gestort oder beeintrachtigt werden, zum anderen sollen fiir die Auftragsvergebung objektive kaufmannische, keinesfalls aber personliche oder gar unlautere Motive der fiir die Auftragserteilung zustandigen Beamten mafigebend sein. Wie sehr wir in der Verwirklichung dieser gewifi bescheidenen Mindestforderungen an die Ausgabenpolitik der offentlichen Hand noch am Anfang des Weges stehen, ergibt sich aus der Bemerkung Vialons, dafi schon viel gewonnen ware, wenn es gelange, erst einmal die Anreize zur Unwirtschaftlichkeit in der offentlichen Verwaltung in Wegf all zu bringen 169.
§ 25. „Geschenkwirtschaft" und Marktwirtschaft: Die Subventionen Mufi bei der Deckung des ,,staatsfinanzwirtschaftlichen Eigenbedarfs", d. h. bei den Ausgaben fiir den Personal- und Sachbedarf der orTentlichen Verwaltung, von dem Grundsatz moglichster Neutralitat der orTentlichen Ausgaben im Wettbewerbskampf der Marktwirtschaft ausgegangen werden, so kann davon bei der zweiten grofien Ausgabenkategorie, den Transferausgaberiy keine Rede mehr sein. Vielmehr liegt ihnen gerade die gegenteilige Absicht zugrunde; der marktwirtschaftliche Verteilungsprozefi, der die Hohe des dem einzelnen zufliefienden Einkommens bestimmt, wird in seinem Ergebnis von der politischen Willensbildung als unbefriedigend und korrekturbediirftig empfunden, und diese Korrektur wird denn auch alsbald in AngrifT genommen. Hierzu stehen der Staatsmacht grundsatzlich verschiedene Verfahren zu Gebote, unter denen der Einsatz der offentlichen Ausgaben durchaus nicht an erster Stelle steht; fast alle Sozial- und Wirtschaftspolitik und viele Mafinahmen der Handels- und Verkehrspolitik, der offentlichen Wohnungswirtschaft, der kommunalen Jugend- und Wohlfahrtspflege sind nichts anderes als Interventionen zur Korrektur der Einkommens- und Vermogensschichtung in der einen oder anderen Richtung. Wahrend aber gesetzliche und administrative Mafinahmen auf die Einkommensverteilung iiberwiegend nur indirekt von Einflufi sind, bieten die Transferzahlungen die Moglichkeit, die gewunschten Korrekturen am Einkommensaufbau in direktem Zugriff vorzunehmen. 169 Vialon, F. K.: Besteht in der offentlichen Ausgabenwirtsdiaft ein natiirliches Interesse an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit? Wie kann es gefordert werden?, in: Wekhe Erfahrungen der Betriebswirtschaft konnen Staat und Kommunen fiir die wirtschaftlidie Gestaltung ihrer Verwaltung und ihrer Ausgaben iibernehmen, a.a.O., S. 17 if.
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Auf die Indienststellimg der Besteuerung als Mittel einer Korrektur des Verteilungsprozesses wird in anderem Zusammenhang zuruckzukommen sein 170. An dieser Stelle sind zunachst die Transferzahlungen der offentlichen Hand zu behandeln, d. h. die Einkommensiibertragungen ohne Gegenleistung, ihre begriff liche und formale Abgrenzung sowie ihre Verausgabungsmafistabe; ihre verteilungspolitischen Wirkungen werden hier nur insoweit beriicksichtigt, als dies zur Kennzeichnung und Abgrenzung der verschiedenen Arten staatlicher Einkommensiibertragungen notwendig erscheint m . Auf dem Gebiete der Transferzahlungen verlafit der Staat das marktwirtschaftliche Prinzip von Leistung und Gegenleistung und wechselt statt dessen in die Sphare der „Geschenkwirtschaft" hiniiber, um durch unentgeltliche Beihilfen mannigfacher Art die okonomische Situation dieser oder jener Gruppe zu verbessern 172. Dabei sind die Grenzen zwischen den Leistungsentgelten und den Transferzahlungen unter Umstanden fliefiend; gewahrt beispielsweise die offentliche Hand einem Produzenten eine Beihilfe mit der Auflage, von diesem Geld eine bestimmte Produktionsstatte zu errichten, so hatte der gleiche Effekt dadurch erzielt werden konnen, dafi der Staat die Produktionsstatte mit Hilfe kauflich erworbener Guter und Dienstleistungen selbst errichtet und an den Begiinstigten verschenkt 173 ; ebenso wahlt die offentliche Hand, um einen bestimmten Wirtschaftszweig zu fordern, gern das Verfahren, seine Erzeugnisse in mehr oder weniger grofiem Umfang ohne Riicksicht darauf anzukaufen, ob ein Bedarf dafiir besteht oder nicht (Stiitzungskaufe). Die Natur aller unentgeltlichen Einkommensiibertragungen bringt es mit sich, dafi die Terminologie auf diesem Gebiete der offentlichen Ausgaben besonders undurchsichtig geworden ist; die Vielzahl der Bezeichnungen wie Ausgleichszahlungen, Beihilfen, Beitrage, Entschadigungen, Forderungen, Pramien, Subventionen, Unterstiitzungen, Vergiitungen, Zuschiisse, Zuwendungen usw. deutet darauf hin, da£ den Beteiligten daran liegt, die erhaltenen oder begehrten Geschenke nicht als solche, sondern als politisch oder okonomisch evident gerechtfertigte Ausgaben der offentlichen Hand erscheinen zu lassen 174. 170 ygL § 38. Ein Versudi, mit Hilfe des aus der Steueruberwalzungslehre bekannten Instrumentariums der Preistheorie mikrookonomisdie Subventionswirkungen zu analysieren, ist bei U. Berthold zu finden (Zur Theorie der Subventionen, Berlin-Zurich 1967, S. 43 ff.); s. audi Zeitel, G.: Ober einige Kriterien zur Beurteilung staatlicher Subventionen, in: Finanzarchiv NF., Bd. 27 (1968), S. 188 ff. 171 Zu den okonomischen Wirkungen der Transferzahlungen siehe §§ 27—29. 172 Laum, B.: Schenkende Wirtschaft, Nichtmarktma£iger Guterverkehr und seine soziale Funktion, Frankfurt am Main 1960. Auf die Tatsache, daft mit einem Hinuberwechsein von der Tausch- zur Geschenkwirtsdiaft Machtverlagerungen einhergehen, weist besonders hin: Kirsch, G.: Machtverteilung im Unternehmen, Koln 1967, S. 156 ff. 173 Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen fur die Landwirtschaft, a.a.O., S. 22 ff. 174 Eine ahnliche Erscheinung ist die „Wortblenderei" des Fiskus bei der Bezeichnung der Steuern, vgl. § 17.
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Eine erste grundsatzliche Einteilung der unentgeltlichen Einkommensubertragungen aus Haushaltsmitteln ergibt sich aus ihrer politischen Zwecksetzung, die einmal mehr sozialpolitischer, zum anderen mehr wirtschaftspolitischer N a t u r sein kann. Zu den erstgenannten Einkommensiibertragungen gehoren alle kommunalen und staatlichen Fiirsorge- und Sozialleistungen, die unittelbar den privaten Haushalten zufliefien; sie sind in Gestaltung und H o h e weithin sichtbarer Ausdruck des Systems der sozialen Sicherheit eines Landes und daher naturgemafi in den einzelnen Landern sehr verschieden 175 . In der Bundesrepublik Deutschland erreichten 968 die offentlichen Sozialleistungen folgende Betrage (in Mill. D M ) 1 7 6 : Sozialversicherung (insgesamt) 7A777 d a v o n : Krankenversicherung 21576 Unfallversicherung Arbeitslosenversicherung KnappschaftlicheRentenversicherung Rentenversicherung der Arbeiter Rentenversicherung der Angestellten Dazu: Sozialhilfe Offentliches Gesundheitswesen Kriegsopferversorgung Beamtenversorgung Familienhilfe Lastenausgleich
4 001 2 896 5 386 27 366 13 552 2 500 5 959 6 251 5 593 2 596 1 803
Diese in vielfaltiger Form der sozialen Sicherheit gewidmeten Zahlungsstrome stellen — im Gegensatz zu ihren volkswirtschaftlichen und vor allem verteilungspolitischen Wirkungen 177 — unter formalen Kriterien der Verausgabung insofern keine schwerwiegenden Probleme, als sie wenigstens in der Regel an mehr oder minder eindeutige Bedarfsmerkmale ankniipfen und ihre „Inzidenz" bei dem zum Empfanger bestimmten „Transferdestinatar" in der Regel gewahrleistet ist 1 7 8 . Anders verhalt es sich jedoch bei den wirtschaftspolitisch begriindeten Einkommensiibertragungen, den eigentlichen Subventionen. Ihre Begriffsbestimmung als „Geldbetrage, die der Staat oder ein anderes offentliches O r g a n Unternehmungen (offentlichen oder privaten) oder Unternehmensgruppen ohne marktwirtschaftliches Entgelt zuleitet" 179 , besagt zunachst nur 175
Weisser, G.: Art. Soziale Sicherheit, in: Handworterbudi der Sozialwissenschaften, Bd. 9, Stuttgart-Tiibingen-Gottingen 1956, S. 396 ff. 176 Quelle: Statistisches Jahrbuch fiir die Bundesrepublik Deutschland, 1969, S. 372, 382, 394, 397. 177 Vgl. hierzu §§ 27—29. 178 Vgl. § 27. 179 Wessels, Th.: Art. Subventionen, in: Handworterbudi der Betriebswirtschaft, 3. AufL, Bd. 3, Stuttgart 1960, Sp. 5321. 15 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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etwas iiber die zahlungstechnische Einsatzstelle; als Destinatar k a n n jedoch nach der Absicht des Gesetzgebers durchaus auch ein privater H a u s h a l t in Betracht kommen. D a m i t wird schon hier die Schwierigkeit deutlich, dem Begriff Subventionen in seiner Vielschichtigkeit definitorisch gerecht zu werden; die Definition von Gertrud Zachau-Mengers, wonach Subventionen „Sonderunterstutzungen" sind, „die iiber die allgemeine Unterstiitzung hinausgehen, die die Privatwirtschaft durch die Existenz des Staates uberhaupt und durch seine Gesamttatigkeit erfahrt" 180 , ist entschieden zu allgemein, wenn man sich vor Augen ftihrt, dafi praktisch jede Staatsmafinahme irgend jemanden in der Privatwirtschaft unterstiitzend begunstigt 1 8 1 . Auch die Klassifizierung der Subventionen nach Typen hilft fiir die Formulierung eines allgemeinen Subventionsbegriffes nicht weiter; im Gegenteil wird durch eine solche Typisierung in der Regel die eindeutige Begriff sbestimmung nur erschwert, zumal sich leicht Typen herausbilden, in denen formale Kriterien, politische Motive und Aussagen iiber die okonomische Wirkung der Subventionen untrennbar miteinander vermischt sind. Ein Beispiel hierfiir bildet die vielfach gebrauchliche Unterscheidung in direkte und indirekte Subventionen 1 8 2 . Ahnliche Schwachen besitzt die beliebte Unterscheidung zwischen offenen und versteckten Subventionen. Versteht m a n unter offenen Subventionen die im Haushaltsplan offen ausgewiesenen Subventionen, so ware dieses formale Unterscheidungsmerkmal nur dann sinnvoll, wenn sich der Leser des H a u s haltsplanes der Miihe unterziehen wiirde, die unter den verschiedensten Bezeichnungen (Forderung, Zuschufi, Unterstiitzung, Pramie usw.) im H a u s haltsplan tatsachlich enthaltenen Staatshilfen ausfindig zu machen und zu addieren. Will m a n jedoch gerade die getarnt im Haushaltsplan ausgewiesenen Subventionen im Gegensatz zu den offenen als versteckte Subventionen 180 Zachau-Mengers, G.: Subventionen als Mittel moderner Wirtschaftspolitik, Berlin 1930, S. 4. 181 Boehme, H.: Preissubventionen, Ein Beitrag zur Theorie der Ausgabeninzidenz, Finanzwissenschaftlidie Forschungsarbeiten, NF. H. 20, Berlin 1959, S. 19. 182 „1. Zahlungstechnisch-formal kann sie besagen, daft Zuwendungen entweder unmittelbar aus offentlidien Kassen oder unter Zwischensdialtung einer mit der Auszahlung beauftragten Anstalt getatigt werden. 2. In materieller Hinsidit konnen unter direkten Subventionen konkrete Geldhingaben und unter indirekten Subventionen gewisse Bevorzugungen und Realforderungen verstanden werden, die dem Empfanger einen finanziellen Vorteil zu Lasten der offentlidien Hand verschaffen (z. B. Kreditgarantien und Zinsubernahmen, Zollverzicht und Exporterleichterung, Steuernadilafi und -stundung, Tarifermafiigung und "Qberzahlung offentlicher Auftrage, staatlidie Beteiligung durch Aktieniibernahme, Belastung unerwiinschter Konkurrenz, staatliche Mafinahmen zur Preisstabilisierung, soweit sie eine Ausgabe fiir den Staat bedeuten). 3. Schlieftlich wird ein funktionales Kriterium benutzt, wenn direkten Subventionen mit absolut gesichertem oder realisiertem Produktivitatseffekt Zuwendungen ohne solche Absicht oder zwingende Folge (Renten, Unterstiitzungen, Erleichterungen, Ermaftigungen) als indirekte Subventionen gegeniibergestellt werden." (Meinhold, W.: Art. Subventionen, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 10, a.a.O., S. 239.)
§ 25. „Geschenkwirtschaft" und Marktwirtschaft: Die Subventionen
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ansehen, so verliert dieses Einteilungskriterium seinen Sinn, da dann a fortiori audi die nicht im H a u s h a l t ausgewiesenen Subventionen zu den versteckten Subventionen gehoren. Vor allem aber erscheint die Unterscheidung in ojfene und versteckte Subventionen angesichts des gem. § 12 Stab.Ges. alle zwei J a h r e zu erstellenden Subventionsberichtes, der durch seine G r o b gliederung in Finanzhilfen und Steuerbegiinstigungen jedwede A r t von Subventionen in offene verwandelt, unbrauchbar bzw. uberfliissig. Ein Beispiel dafiir, wie wirtschaftspolitische Absicht und hypothetisch erstrebte Wirkung zur Typenbildung verwendet werden 183 , ist die Unter184 . Die Erhaltungsscheidung in Erhaltungs- und Forderungssubventionen subventionen dienen einer Weiterfiihrung solcher Unternehmungen, die unter Konkurrenzbedingungen auf G r u n d ihrer Kosten- oder Ertragssituation aus dem Marktprozefi ausscheiden mlifiten; ihre Anwendung kann okonomisch durchaus gerechtfertigt sein, wenn auf diese Weise lebenswichtige Industriebetriebe iiber eine Krise hinweggerettet werden konnen. Problematisch werden die Erhaltungssubventionen jedoch dann, wenn sie ihren voriibergehenden C h a r a k t e r verlieren und zu Dauereinrichtungen werden, deren Rechtfertigung auf aufierokonomische Argumente zuriickgreift (z. B. auf Autarkiebestrebungen), die den Verzicht auf volkswirtschaftliche P r o duktivitat erleichtern oder verharmlosen sollen; gelegentlich lafit audi ein vielleicht durch einen Regierungswechsel bedingter Fortfall von Subventionen die bisher gezahlten Betrage nachtraglich zu einem echten volkswirtschaftlichen Verlust werden 185 . „F6rderungs < £ subventionen bezwecken eine nachhaltige Anderung bzw. Verbesserung der Kosten- und Ertragsbedingungen bestimmter Betriebe; ihre Befiirworter stutzen sich vorwiegend auf ahnliche Argumente, wie sie die Diskussion fur die Erziehungszolle Listscher Pragung beherrschten (Erziehungssubventionen). Bleibt die erwartete Rationalisierung und K o n k u r renzanpassung jedoch aus oder setzen gar Interessengruppen mittels des Erziehungsarguments eine dauernde Subventionierung nicht lebensfahiger Betriebe oder Wirtschaftsgruppen durch, so handelt es sich um getarnte Erhaltungssubventionen, die volkswirtschaftlich den gleichen Bedenken unterliegen wie diese 186 . Immer lafit sich erst nachtraglich feststellen, welche der beiden Arten von Subventionen gezahlt worden sind; schon dadurch wird dieses Unterscheidungsmerkmal problematisch. 183 Hansmeyer, K. H.: Subventionen als wirtsdiaftspolitisches Instrument, in: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von K. H. Hansmeyer, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, NF. H. 25, Berlin 1963, S. 11. 184 Freudenberg, H. E.: Die Subventionen als Kreislaufproblem in Marktwirtschaft und Staatswirtsdiaft, Tubingen 1934, S. 22 ff.; Masoin, M.: Die offentlichen Ausgaben, in: Handbudi der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 2. Bd., a.a.O., S. 26; Wessels, Th.: Art. Subventionen, a.a.O., Sp. 5324 ff. 185 Wessels, Th.: Art. Subventionen, a.a.O., Sp. 5325. 186 Wessels, Th.: Art. Subventionen, a.a.O., Sp. 5326.
15*
228
Die Ausgabenpolitik
Nichtsdestoweniger bedient sich audi das Stabilitatsgesetz einer ahnlichen Einteilung. Nach § 12 Stab.Ges. sind die Finanzhilfen und Steuererleichterungen in solche zu gliedern, die „ 1. der Erhaltung von Betrieben oder Wirtschaftszweigen, 2. der Anpassung von Betrieben oder Wirtschaf tszweigen an neue Bedingungen und 3. der Forderung des Produktivitatsfortschritts und des Wachstums von Betrieben oder Wirtschaftszweigen, insbesondere durch Entwicklung neuer Produktionsmethoden und -richtungen dienen" 187 . Ebenfalls aus dem Bereich der Wirkungsvoraussagen stammt die an die Ropkesche Einteilung in marktkonforme und marktinkonforme Mafinahund marktm e n 1 8 8 angelehnte Unterscheidung zwischen marktkonformen inkonformen Subventionen 189 . Ebenso schillernd wie dieses Begriffspaar je nach seiner Interpretation ist 1 9 0 , ebenso mehrdeutig ist seine Verwendung als Einteilungskriterium der Subventionen; diese Begriffe decken sich entweder mit Forderungs- und Erhaltungssubventionen 191 oder sie bezeichnen „den 187
Der Subventionsbericht 1966—1968 (Bundestagsdrucksache V/2423) macht folgende Angaben:
Bezeidinung
1966
1967 a
1968
Ist
Soil
Regierungsentwurf
in Millionen DM I. Finanzhilfen zur Erhaltung von Betrieben oder Wirtschaftszweigen II. Finanzhilfen zur Anpassung von Betrieben oder Wirtschaftszweigen an neue Bedingungen III. Finanzhilfen zur Forderung des Produktivitatsfortschritts und des Wachstums von Betrieben oder Wirtschaftszweigen IV. Sonstige Finanzhilfen, insbesondere Zahlungen an private Haushalte
1519,4
1659,6
2134,3
1913,3
2133,8
2740,1
166,7
286,0
320,4
3219,0
3108,4
3525,9
188 Ropke, W.: Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, Erlenbach und Zurich 1942, S. 252 ff.
189 Ygi # Vorbemerkungen zum Bundeshaushaltsplan 1959, S. 152 ff.
190
Kiing, E.: Art. Interventionismus, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 5, a.a.O., S. 326. K. C. Thalheim (Zum Problem der Einheitlichkeit der Wirtschaftspolitik, in: Beitrage zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung, Berlin 1965, S. 23 f.) schreibt: „Eine Unterscheidung in marktkonforme und marktinkonforme Mafinahmen ist im iibrigen nur dann sinnvoll, wenn auf alien Teilmarkten vollstandige Konkurrenz herrscht oder sie sich zumindest im Gleichgewicht befinden." 191 So die Vorbemerkungen zum Bundeshaushaltsplan 1959, S. 152.
§ 25. „Geschenkwirtschaft" und Marktwirtschaft: Die Subventionen
229
Unterschied vom direkt verhaltensanderndem Eingriff, der in der Regel als marktinkonform abgelehnt wird, und einer indirekten, die einzelwirtschaftlichen D a t e n verandernden Mafinahme, die die Entscheidungsfreiheit des einzelnen zunachst unberiihrt lafit. Das mit einer solchen Unterscheidung zwangslaufig verbundene Werturteil k a n n dariiber hinaus den Blick daftir triiben, dafi in vielen Fallen gerade die als jinkonform' gekennzeichneten Mafinahmen die wirksameren und audi finanzwirtschaftlich billigeren sind, da sie eine exaktere Steuerung erlauben." 192 Es zeigt sich somit, dafi alle Versuche einer generellen Definition wie auch einer Typologie der Subventionen, die an den Zahler, den Zweck der Zahlung oder an die Form ihrer Vergabe ankniipfen, der Gefahr von Oberschneidungen, insbesondere aber der einer Vermengung von formalen, techFortsetzung Fufinote 187 Finanzhilfen des Bundes in den Jahren 1966 bis 1968 nadi Aufgabenbereichen (einschliefilich Darlehen)
Bezeidinung
1966
1967
1968
1st
Soll a
Regierungsentwurf
in Millionen DM I. Epl. 10 (Geschaftsbereidi des Bundesministeriums fiir Ernahrung, Landwirtschaft und Forsten) II. Gewerblidie Wirtsdiaft III. Verkehr IV. Wohnungswesen (einschliefilich Wohnungspramien und Wohngeld) V. Besondere regionale und strukturelle F6rderungsma£nahmen c VI. Sparpramien Summe der Finanzhilfen I bis VI einsdil. Darlehen
2917,0 b
3137,3 b
3940,1 b
609,6
760,5
1354,9
110,2
105,7
88,4
1857,8
1883,0
2002,7
866,2
721,3
554,6
457,6
580,0
780,0
j 6818,4
7187,8
8720,7
Fortsetzung s. S. 230 a
ohne Berucksichtigung der zusatzlichen Finanzhilfen im Rahmen des I. und II. Konjunkturprogramms in Hohe von insgesamt 870 Millionen DM. b Ein Teil dieser Finanzhilfen mufi im Zusammenhang mit der EWG-Agrarpolitik gesehen werden (vgl. hierzu die dem Einzelplan 10 des Entwurfs des Bundeshaushaltsplans 1968 als Anhang beigefiigte „Ubersidit iiber die Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit der Agrarpolitik der Europaischen Gemeinschaften"). c Diese Mafinahmen konnen nicht einem Wirtschaftszweig allein zugeredinet werden. 192 Hansmeyer, K. H.: a.a.O., S. 12.
Subventionen
als wirtsdiaftspolitisdies
Instrument,
Die Ausgabenpolitik
230
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§ 25. „Geschenkwirtschaft" und Marktwirtschaft: Die Subventionen
231
nischen und funktionalen Kriterien ausgesetzt sind 193. Um so mehr erscheint es geboten, die Kriterien fur die Begriffsbestimmung der Subventionen auf der anderen Seite des Transferflusses, d. h. beim Empfanger zu suchen, auf dessen Verhalten durch die geleistete Zahlung eingewirkt werden soil; schon H. E. Freudenberg wies auf das Vorhandensein einer „geringen Gegenleistung" 194 des Subventionsempfangers hin, ohne allerdings diese Gegenleistungen naher zu erlautern. Ob man nun die Gegenleistung „in der Erfiillung bestimmter Aufgaben durch den Empfanger" 195 sieht, ob man sie juristisch aus dem Vorhandensein eines offentlichen Interesses ableitet 196 oder aber allgemein aus der fehlenden Legitimation des Staates, etwas zu „verschenken" 197, immer tritt an Stelle der marktwirtschaftlichen Gegenleistung eine bestimmte Verhaltensweise, die der Staat vom Empfanger erwartet oder fordert; er verbindet seine Finanzhilfen mit mehr oder minder konkreten „Auflagen" irgendwelcher Art. Das Mafi an derartigen „Auflagen", deren Erfiillung mit dem Erhalt einer Subvention verbunden ist, ergibt fur den Empfanger einen ihm verbleibenden „Freiheitsgradcc, der in Anlehnung an unsere auf die Steuerpflicht gemiinzte Gruppierung nach Freiheitsgraden 198 neuerdings von K. H. Hansmeyer zur Kennzeichnung der Subventionen verwendet worden ist 199 ; bei jeder Gruppe staatlicher Transferzahlungen an Unternehmungen oder Unternehmergruppen verbleibt dem Empfanger ein Freiheitsgrad, der sich von volliger Unterwerfung unter direkte Kontrollen seines Verhaltens bis zur ganzlichen Freiheit in der Verwendung der empfangenen Betrage erstrecken kann 200 . Dieser Ansatz ergibt eine Unterscheidung der den Subventionen beigegebenen Auflagen nach „ Empfangsauflagen" und „Verwendungsauflagen"; bei Subventionen, die lediglich mit Empfangsauflagen verbunden sind, behalt der Empfanger weitgehende Freiheit in der Verwendung der Mittel, solange er nur in der Lage ist, die Tatbestande nachzuweisen, an die der Anspruch auf Subvention geknupft ist, wahrend der Staat bei den mit „Verwendungsauflagen" versehenen Zweckzuwendungen 201 iiber den Nachweis dieser Tatbestande hinaus die Mittelverwendung mehr oder weniger bindend vorschreibt. 193 Zu den verschiedenen Definitionen und Typologien siehe audi: Meinhold, W.: Art. 194 Subventionen, a.a.O., sowie Boehme, H.: Preissubventionen, a.a.O., S. 18 ff. Freudenberg, H. E.: Die Subventionen als Kreislaufproblem in Marktwirtschaft und Staatswirtschaft, a.a.O., S. 32. 195 Schindler, D.: Die Bundessubventionen als Rechtsproblem, 1952, S. 219, zit, nach196Ipsen, H. P.: Offentliche Subventionierung Privater, Berlin-Koln 1956, S. 56. Ipsen, H. P.: Offentliche Subventionierung Privater, a.a.O., S. 56. 197 Meinhold, W.: Art. Subventionen, a.a.O., S. 238. 198 Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 103 ff.; vgl. auch § 37. 199 Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen fur die Landwirtschaft, a.a.O., S. 22 ff.; ders.: Subventionen als wirtschaftspolitisches Instrument, a.a.O., S. 9 ff. 200 Ders.: Subventionen als wirtschaftspolitisches Instrument, a.a.O., S. 14. 201 So Hansmeyer, a.a.O., der nur Transferzahlungen mit Empfangsauflagen als Subventionen, Transferzahlungen mit Verwendungsauflagen dagegen als „2weckzuwendungen" bezeichnet.
232
Die Ausgabenpolitik
Diese Typologie der Subventionen enthalt alle Merkmale, die zu einer umfassenden BegrirTsbestimmung der Subventionen notwendig erscheinen; einmal den Zuflufi der Mittel in den Unternehmensbereich, zweitens das Fehlen eines marktwirtschaftlichen Entgelts und schliefilich, als mafigebliches Kriterium, die verschiedenen Freiheitsgrade, die dem Empfanger hinsichtlich seines Verhaltens verbleiben. Subventionen sind demnach Geldzahlungen oder geldwerte Leistungen der offentlichen Hand an Unternehmer, von denen an Stelle einer marktwirtschaftlichen Gegenleistung in der Regel bestimmte Verhaltensweisen gejordert oder doch erwartet werden; diese Begriffsbestimmung erschliefit der finanzpolitischen Betrachtung die ganze Variationsbreite der spezifischen Formen der Subventionen von solchen, die lediglich mit einer losen Empfangsauflage verbunden sind, bis zu den strengster Verwendungskontrolle unterliegenden Zweckzuwendungen. Gelingt mit dieser Begriffsabgrenzung eine brauchbare Typisierung und Klassifizierung der Subventionen, so bedarf es fur die Beurteilung von Art und Ausmafi jeglicher Subventionierung bestimmter Mafistabe der Ausgabenpolitik. Wieder ist es zunachst die parlamentarische Willensbildung, dariiber hinaus die politische Absicht der Vollzugsorgane und die Handhabung der Finanzkontrolle, die den Mafistab fiir Art und Umfang der Subventionen zu setzen und zu kontrollieren haben; die „finanzrechtlich-institutionelle Theorie des Subventionswesens" kann an die im Verwaltungsrecht ausgebildeten Formen ankniipfen 202 . G. Strickrodt schlagt hierfiir die Obernahme des bisher vorwiegend in der verfassungsrechtlichen Problematik verwendeten „Mafinahme"-begriffes vor: „Die bisherige ausgesprochenermafien schlechte Praxis, Gesetzesakte in die Welt zu setzen und weder nach deren besonderer Natur und Geltungsbedeutung zu fragen, noch audi die weitere Entwicklung auf dem betreffenden Normierungsgebiet einer fortlaufenden Kontrolle zu unterwerfen, miifite im Interesse des Ansehens des Gesetzgebers und der staatlichen Ordnung selbst zumindest auf dem Mafinahmegebiet uberwunden werden. Damit konnte audi ein standiger Ausscheidungsprozefi fiir uberholte Regelungen in Gang gebracht werden. Ein nacli Beurteilungsmerkmalen hinsichtlich der Anlasse, Zwecke und Methoden gegliedertes Verzeichnis solcher Mafinahmen — und speziell der Subventionsregelungen — sollte von einem Sonderausschufi des Bundestages aufgestellt und unter dessen fortlaufende Kontrolle genommen werden. Historische Vorbilder fiir eine solche Spezialkommission lassen sich im Haushaltsrecht fast aller Lander finden." 203 Es liegt auf der Hand, dafi eine derart umfassende „Mafinahmec<-verwaltung einen aufwendigen Verwaltungs- und Kontrollapparat erfordert; diesen Aufwand will H. P. Ipsen jedoch in Kauf nehmen, da „eine kostspielige Verwaltung einer offenbarten und kontrollierten Subvention fiir 202 Strickrodt, G.: Das Subventionsthema in der Steuerpolitik unter besonderer Beriicksiditigung der Stellung der Landwirtschaft, Berlin 1960, S. 74. 203 Ders.: ebenda, S. 76.
§ 25. jjGeschenkwirtschaft" und Marktwirtschaft: Die Subventionen
233
die Allgemeinheit immer noch billiger und rechtsstaatlich vertretbarer ist als eine verschleierte, unkontrollierte, iiberfliissige oder gar korrumpierte Subventions verwaltung" 204. Auch eine solche an verfassungspolitischen Normen ausgerichtete Subventionsverwaltung wird freilich den gleichen Gefahren ausgesetzt sein wie jede andere biirokratische Verwaltung; bei aller Ausrichtung an Normen und Gesetzen bleibt die Subventionierung in aller Regel eine exekutive Verfugung iiber offentliche Mittel 205, bei der die „Interventionsfreudigkeit der Verwaltung ein eigenes Motiv fur die Vervielfachung der Mafinahmen" 206 abgibt oder doch die Einschrankung oder Beseitigung eingespielter Subventionen erschwert. Die „Reversibilitat" der Subventionsmafinahmen — wie iibrigens aller interventionistischer Mafinahmen — ist damit um so mehr in Frage gestellt, als mit einer Bereitschaft, auf eine einmal gewahrte Subvention zu verzichten, auf seiten des Empfangers in der Regel kaum zu rechnen ist; eine einmal begonnene Subvention wird daher oft weit iiber das Mafi hinaus fortgesetzt, das urspriinglich ins Auge gefafit war 207. Der besseren Kontrolle und Reversibilitat der Subventionen kommt es auch wenig zugute, wenn dafur die Form von Sondervermogen (z. B. Lastenausgleich, Wiederaufbaubank) und Umlagen gewahlt wird, um durch Zweckbindung bestimmter Einnahmen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Einnahmen und Ausgaben herzustellen; ein eindrucksvolles Beispiel fur eine solche „hilfsflskalische Verzweigung" der Subventionen war die amerikanische Reconstruction Finance Corporation", durch deren Hande im Laufe der Jahre offentliche Mittel zu Subventions-, Suitzungs- und Darlehenszwecken im Betrage von mehr als 66 Mrd. Dollar gegangen sind 208. Eine Moglichkeit, die Subventionen nach Umfang und Kontrolle administrativ besser in den Griff zu bekommen, konnte vielleicht der Ubergang vom Quotitats- zum Repartitionsprinzip bieten. Die bisherige Methode, die Subventionen einfach pro rata der jeweiligen Bemessungsgrundlage auszuschiitten, verlockt leicht zu entsprechenden Manipulationen auf seiten des Empfangers und fiihrt dadurch fast zwangslaufig zu einer immer weitergehenden Erhohung der Haushaltsansatze. Dieser Entwicklung wtirde mit dem Ubergang zum Repartitionssystem ein Riegel vorgeschoben werden konnen: „Die Ausgabensumme darf sich nicht aus der blofien Addition von Bemessungsgrundlagen ergeben, am Anfang steht vielmehr die BeschluSfassung iiber den flnanzpolitisch moglichen Umfang der Subvention. Die Subventionierung des einzelnen Objektes ergibt sich dann mittels Division der verfiigbaren Summe durch die Zahl der zu fordernden Objekte. Damit ist 204 205 206 207 208
Ipsen, H. P.: Offentliche Subventionierung Privater, a.a.O., S. 18. Ders.: ebenda, S. 17. Kiing, E.: Art. Interventionismus, a.a.O., S. 321 f. Vgl. das Beispiel in § 28. Jones, J.: 66 Billion Dollars, A Biography of the Reconstruction Finance Corporation, New York 1950.
234
Die Ausgabenpolitik
ein technischer Korrektionsmechanismus gefunden, der die Beherrschung der Subvention erleichtert. Zunachst ist die Initiative der Finanzpolitik wiederhergestellt; sie wirkt nicht mehr konstatierend, sondern trifft Entscheidungen. Aufierdem ist dieses Verfahren geeignet, die Reversibilitat einer Subvention zu erhohen." 209 Eine weitere Moglichkeit, auf lange Sicht wenigstens die Diskussion iiber die Subventionen wachzuhalten, liegt in einer verstarkten Offentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiete; eine derartige „Subventionspublizitat", wie sie durch den Subventionsbericht und die mittelfristige Finanzplanung institutionalisiert wurde, sollte sich nicht darin erschopfen, Umfang und Begriindung der Subventionen immer wieder der Offentlichkeit vor Augen zu fiihren. Vielmehr geht es dabei um die in den Kreisen der Empfanger mehr oder weniger ausgepragte „ Subventionsmentalitat" 210, d. h. jene eigenartige Einstellung, die in diametralem Gegensatz zu dem Prinzip der Marktwirtschaft danach strebt, alle Verluste und Risiken nach Moglichkeit zu „sozialisieren"; diese Mentalitat und ihre Konsequenz, dafi namlich die Sozialisierung dabei letztlich keineswegs vor den Gewinnen halt machen diirfte, ware im Sinne einer Art „Subventionspadagogik" zusammen mit den Motiven und Argumenten der subventionsheischenden Gruppen vor dem Forum der DrTentlichkeit zu diskutieren, wobei die Beweislast fur die Notwendigkeit einer Subvention dem Empfanger auferlegt werden sollte 2 U . Dafiir ware es notwendig, einerseits die Kenntnis, andererseits die Einstellung der verschiedenen Bevolkerungsgruppen in Sachen Subventionen genauer zu untersuchen. Eine erste Umfrage hat 1958 ergeben, dafi 50% der Bevolkerung es fiir grundsatzlich richtig halten, dafi der Staat einzelne Wirtschaftszweige mit Geld unterstiitzt; als unverkennbares Zeichen einer verbreiteten Subventionsmentalitat ergab sich zugleich, dafi dabei jeder Wirtschaftszweig solche Subventionen befiirwortet, aus denen er selber Nutzen zieht. Andererseits lafit die Kenntnis iiber Vorhandensein und Ausmafi der Subventionen erstaunlicherweise gerade in den am starksten subventionierten Wirtschaftszweigen noch viel zu wiinschen librig; die Landwirte beispielsweise zeichnen sich durch eine anderen Bevolkerungsgruppen gegeniiber auffallende Unkenntnis 209 Hansmeyer, K. H.: Subventionen als wirtsdiaftspolitisdies Instrument, a.a.O., S.29. 210 Schmolders, G.: Subventionsmentalitat und Marktwirtschaft, Vortrag vor der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft in Bad Godesberg am 25. Juni 1962, Tagungsprotokoll Nr. 18: Soil der Staat Geschenke verteilen?, Ludwigsburg 1962, S. 26 ff. 211 Ein Beispiel fiir diese Subventionsmentalitat war vor einigen Jahren in der Presse zu lesen: „Ein Grundstiickseigentumer aus der Umgebung von Rosenheim am Inn, dessen Besitz seit dem Bau einer neuen Innstaustufe nicht mehr durch Hochwasser gefahrdet ist, forderte von der Regierungsbehorde fiir Oberbayern eine ,angemessene Entschadigungc, weil er fortan nicht mehr mit staatlichem Hochwasserschaden-Ersatz rechnen konne" (Der Spiegel, 11. Jg., Nr. 44, 30. Oktober 1957, S. 66).
§ 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlichen Hand
235
iiber die ihnen zufliefienden staatlichen Leistungen aus, ganz zu schweigen von der audi psychologisch nicht unbedenklichen Vorzugsbehandlung, die sie auf dem Gebiete der Einkommensteuern geniefien 212. Hier gilt es, durch eine verstarkte Off entlichkeitsarbeit die Kenntnis aller Wahlerschichten iiber Ausmafi und Richtung der Subventionen zu verbreitern 213; erst wenn es geiingt, die Inanspruchnahme von Subventionen in der offentlichen Meinung zu einem negativen „ Status-Symbol" zu machen, kann man hoffen, die weitverbreitete Subventionsmentalitat auf ein wirtschaftspolitisch vertretbares Mafi zuriickzufuhren.
§ 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlichen Hand Der Begriff „Kredit" ist im Rahmen der offentlichen Finanzwirtschaft terminologisch keineswegs eindeutig; wir begegnen ihm sowohl auf der Seite der Einnahmen als audi auf der der Ausgaben der offentlichen Hand, wo seine Einordnung in das oben verwendete Schema der Leistungsentgelte einerseits und Einkommensubertragungen andererseits noch dazu gar nicht ohne weiteres geiingt. Obwohl der Staat in seiner Finanzwirtschaft ebensowohl Glaubiger wie Schuldner sein kann, wird in Finanzwissenschaft und Finanzpolitik der Begriff „6ffentlicher Kredit" oder „Staatskredit" noch iiberwiegend im Sinne der Staatsverschuldung verwendet, zumal die Geschichte des Kredits in der Staatswirtschaft iiberwiegend eine solche des Passivkredits, also der offentlichen Verschuldung gewesen ist 214 . In der deutschsprachigen Literatur wird die altmodische Ausdrucksweise vom „Schuldenwesen des Staates" oder von der „Staatsschuld" offenbar nach den bosen Erfahrungen der kontinentaleuropaischen Staatsbankerotte in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts mehr und mehr von dem modernen, aber mehrdeutigen Begriff „6ffentlicher Kedit" oder „Staatskredit
Sdimolders, G.: Finanz- und Steuerpsydiologie, a.a.O., S. 34 ff. u. S. 65 ff. Zu den praktischen Moglichkeiten siehe Hansmeyer, K. H.: Subventionen als wirtschaftspolitisdies Instrument, a.a.O., S. 24 if. 214 Willeke, F. U.: Art. Kredit, offentlicher I, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 6. Bd., Stuttgart-Tiibingen-Gottingen 1959, S. 324 ff.; Landmann, J.: Geschichte des offentlichen Kredits, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 3. Bd., a.a.O., S. 1 ff. 215 So Hansmeyer, K. H.: Der orfentliche Kredit, 1. AufL, Frankfurt 1965.
236
Die Ausgabenpolitik
Sondervermogen und Parafisken sowohl an der offentlichen Schuld (als Schuldner) wie auch am offentlichen Kredit (als Kreditgeber) beteiligt. Audi ist es durchaus moglich, dafi die offentliche Hand gleichzeitig sowohl als Glaubiger wie auch als Schuldner auftritt; beispielsweise gewahren sich einzelne Gebietskorperschaften gelegentlich gegenseitig Kredit, der Bund verschuldet sich bei einem seiner Sondervermogen oder gibt vielleicht umgekehrt der Bundespost oder der Bundesbahn ein Darlehen. International pflegt die Kreditgewahrung an andere Staaten besonders in Kriegszeiten 216 und neuerdings im Zusammenhang mit Zahlungsbilanzkrisen befreundeter Nationen grofiere Ausmafie anzunehmen 217. Im Rahmen der Lehre von den offentlichen Ausgaben ist demgegemiber in diesem Zusammenhang vor allem der offentliche Kredit an Private in all seinen Spielarten zu behandeln; dabei bietet, wie erwahnt, schon seine Eingliederung in die Arten der Staatsausgaben gewisse Schwierigkeiten. Betrachtet man die Kreditgewahrung gegen Zins als eine Art der wirtschaftlichen Betatigung der offentlichen Hand, so erhebt sich unmittelbar die Frage, ob sich der Staat mit Geldern, die er iiberwiegend aus Zwangsabgaben seiner Burger erhalten hat, auf deren Kosten iiberhaupt erwerbswirtschaftlich im Sinne einer bankgeschaftlichen Kreditvergabe betatigen soil; im Sinne unseres Wirtschaftssystems der Marktwirtschaft ist diese Frage eindeutig zu verneinen, soweit die Kreditvergabe unter marktublichen Bedingungen erfolgt. Anders liegt es, wenn die offentliche Hand Kredite unter Bedingungen gewahrt, die den Empfanger wirtschaftlich begiinstigen; in diesem Falle erhalt der offentliche Kredit den Charakter einer Subvention, zumal er vorzugsweise solchen Unternehmungen gewahrt wird, die mangels ausreichender Rentabilitat eine marktgerechte Verzinsung eines privaten Kredits nicht erwirtschaften konnten. Immerhin kann dies nicht das einzige Kriterium oder Motiv der Kreditgewahrung aus offentlichen Mitteln sein: „In einem grundsatzlich verkehrswirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystem geniigt die mangelnde (unterdurchschnittliche) Rentabilitat eines Unternehmens bzw. die mangelnde Rentabilitat bestimmter Verwendungszwecke der offentlichen Mittel noch nicht, die Gewahrung offentlicher Finanzierungshilfen sinnvoll erscheinen zu lassen. Es miissen vielmehr sog. ,gemeinwirtschaftliche' Motive der Gewahrung von Hilfeleistungen hinzutreten, um eine Unternehmung bzw. einen bestimmten Verwendungszweck innerhalb eines grundsatzlich verkehrswirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystems als ,forderungswurdigc zu bezeichnen. Der konkrete Inhalt dieser gemeinwirtschaft216 Zur Problematik von Kriegskrediten siehe Noll von der Nahmer, R.: Art. Kredit, offentlicher II, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 6. Bd. a.a.O., S.341. 217 Im Marz 1969 betrug das Guthaben der BRD aus derartigen Stiitzungskrediten rd. 7,5 Mrd. DM. Vgl. Geschaftsbericht der Deutschen Bundesbank, 1968, S.48.
§ 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlichen Hand
237
lichen Motive mufi durch die allgemeine Wirtschafts- und Sozialpolitik der offentlichen Hand bestimmt werden." 218 "Dber Art und Umfang der in derartigen gemeinwirtschaftlichen Motiven begriindeten Kreditgewahrung der offentlichen Hand besagt die gegenwartige Rechtsordnung materiell so gut wie nichts; die literarische Diskussion dariiber beschrankte sich bisher noch vorwiegend auf juristische Probleme 219 . Finanzpolitisch klarer geordnet ist die Kreditgewahrung der Sondervermogen des Bundes, insbesondere die Kredite aus dem ERP-Sondervermogen, aus dem Lastenausgleichsfond und aus dem Investitionshilfe-Sondervermogen; sie sind jedoch aus der Sicht der hier zur Diskussion stehenden staatlichen Kreditgewahrung insofern von untergeordneter Bedeutung, als sie ein von den offentlichen Haushalten rechnerisch und verwaltungsmafiig losgelostes Eigendasein fiihren. Hinzu kommt, dafi die von diesen Fonds gegebenen Kredite zweckgebunden sind und demgemafi dem jeweiligen Fonds auch stets wieder zufliefien, so dafi die Haushaltsgebarung der Sondervermogen klar iiberschaubar bleibt. Ahnlich verhalt es sich mit der Kreditgewahrung der Parafisken, speziell der Sozialfisken, deren Kreditgewahrung an offentlich-rechtliche Korperschaften standig zunimmt. Die in erster Linie dem Wohnungsbau zufliefienden Darlehen aus dem Vermogen der Arbeitslosenversicherung betrugen 1968 iiber 6,5 Mrd. DM, d. h. mehr als die langfristigen Ausleihungen aller iibrigen Sozialversicherungstrager zusammen; ob diese Darlehen mit der eigentlichen sozialpolitischen Aufgabe der Arbeitslosenversicherung vereinbar sind, erscheint recht zweifelhaft. Mindestens im Falle einer ausgedehnten Arbeitslosigkeit, die in der Regel mit erhohten Schwierigkeiten der Darlehensruckzahlung verbunden ist, diirften sich die Nachteile dieser Vermogensdispositionen bemerkbar machen; auch unter konjunkturellen Gesichtspunkten sind gegen eine solche sich vielfach gerauschlos und unbeachtet vollziehende Darlehensgewahrung im iiberbeanspruchten Bausektor Bedenken zu erheben, zumal sie dazu fiihren konnen, die Konjunkturpolitik von Staat und Notenbank womoglich bis zu einem gewissen Grade illusorisch zu machen 220. Gibt somit weder die gesetzliche Regelung des oifentlichen Kredits noch die tatsachliche Handhabung der Darlehensgewahrung ein geeignetes Kriterium fur seine Einordnung in das System der Staatsausgaben ab, so mufi abschliefiend wenigstens der Versuch gemacht werden, ein Kriterium aus den Formen der Kreditgewahrung abzuleiten. Eine umfassende Darstellung der
218 Wysocki, K. v . : Uflfentlidie Finanzierungshilfen, Forsdiungsberidite des L a n des Nordrhein-Westfalen, N r . 946, K o l n - O p l a d e n 1961, S. 2 2 1 . 219 220
So z. B. Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 240. Quellmalz, J.: Die Kreditgewahrung durdi parafiskalische Gebilde, dargestellt an den Krediten der Bundesanstalt fur Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversidierung, Dissertation Koln 1962; vgl. audi § 29.
Die Ausgabenpolitik
238
verschiedenen Formen, in denen Kredit seitens der offentlichen Hand gewahrt wird, ist an dieser Stelle nicht moglich 221 ; grundsatzlich lafit sich jedoch eine direkte und eine indirekte Kreditgewahrung unterscheiden. Direkt wird seitens der offentlichen Hand Kredit gewahrt, wenn das Darlehen dem privaten Kreditnehmer unmittelbar als Fremdkapital zufliefit222. Wird dabei eine marktgerechte Tilgung und Verzinsung vereinbart, so handelt es sich bei dem gewahrten Kredit urn eine Staatsausgabe sui generis, die weder einen Kauf noch eine Transferzahlung darstellt; es geht dabei lediglich urn einen „Aktivtausch£C oder eine Vermogensumschichtung, die grundsatzlich nicht zu den Staatsausgaben gehort. Wird der Darlehensnehmer dagegen hinsichtlich der Kreditkonditionen, z. B. des Zinssatzes 223, der Tilgung oder der Laufzeit irgendwie begiinstigt, so nahert sich der offentliche Kredit insoweit dem Charakter einer Subvention; das zeigt sich vollends, wenn der Schuldner weder Zins noch Tilgung tragen kann und die offentliche Hand ein Moratorium gewahrt oder gar einen volligen Verzicht ausspricht, durch den der urspriinglich gewahrte Kredit zu einem verlorenen Zuschufi wird. Von einer „indirekten" Kreditgewahrung der offentlichen Hand kann man bei den Aktivgeschaften der im Besitz des Bundes, der Lander und der Gemeinden befindlichen Kreditinstitute sprechen; diese Geschafte benihren zwar den Staatshaushalt nicht unmittelbar, beeinflussen aber letztlich doch den Gewinnsaldo, der an die offentlichen Kassen als Dividende oder Oberschufi abgefuhrt wird. Ahnliche Zwecke erfullen die Biirgschaften, Garantien oder sonstigen Sicherheitsleistungen offentlicher Stellen fiir privat gewahrte Kredite; auch sie sind in gewissem Sinne „indirekte" Kredite der offentlichen Hand, bei denen es sich zunachst zwar nicht um eine Zahlung oder Ausgabe zu Lasten der Steuerzahler, wohl aber um eine Verpflichtung handelt, auf die gegebenenfalls zuriickgegriffen werden wird. Kommt es zur Inanspruchnahme der gewahrleistenden Korperschaft aus einer solchen Sicherheitsleistung, so fuhrt das in der Regel zu einer Subventionierung des Kreditnehmers; zumindest tragen derartige Sicherheitsleistungen einen „latenten Subventionscharakter" 224, so dafi sie auf Grund ihres „geschenkahnlichen
Siehe hierzu Wysocki, K. v.: Offentliche Finanzierungshilfen, a.a.O., S. 17ff. Die Gewahrung von Eigenkapital in Form einer Beteiligung gehort zu den Investitionen der offentlichen Hand. 223 Hier handelt es sich nicht um „Zinssubventionen", in denen der Staat eine direkte Zahlung der Zinsen an einen Dritten, den Kreditgeber, vornimmt. Diese Zahlungen gehoren als echte Transferzahlungen unmittelbar in den Bereich der Subventionen. 224 Lichey, W.: Die Systeme der Exportrisikogarantie in Deutschland, Groftbritannien, Belgien, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und Schweden, Schriften des Hamburgischen Weltwirtschaftsarchivs, o. J., zit. nach Wysocki, K. v.: Offentliche Finanzierungshilfen, a.a.O., S. 141. 222
§ 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlichen Hand
239
(und spateren Einnahmen) der offentlichen Hand stets erst ex post moglich ist; die Falle von begiinstigenden Kreditgewahrungen an Unternehmungen, die einer solchen Hilfe keineswegs bedurfen, bei denen es sich also nicht urn die Vorstufe einer Subventionierung handelt, sind nachgewiesenermafien recht zahlreich 225 . Immerhin ist dem offentlichen Kredit, insbesondere in Fallen einer konjunkturell oder strukturell ungunstigen Wirtschaftslage, eine Legitimation nicht grundsatzlich abzusprechen; manche Aufbauleistungen nach dem Kriege waren ohne ihn nicht moglich gewesen. Dagegen sollte jedoch zumindest vor der Vergabe eines Darlehens stets zunachst gepriift werden, ob es nicht bei einer Biirgschaft oder Garantie sein Bewenden haben konnte, so dafi der Kreditnehmer sich die benotigten Mittel unter eigener Verantwortung im privaten Bankensektor beschaffen kann; „besonders die Biirgschaft kann wegen ihres Kasse und Haushalt schonenden, sachlich wie eine Zahlung wirkenden und den Impuls der Wirtschaft belebenden Effekts" durchaus als brauchbares Mittel staatlicher Kredithilfe gelten 226. Echte Kredite der offentlichen Korperschaften, also solche Darlehen, deren Verzinsung und Riickzahlung vereinbarungsgemafi verlauft, sind, okonomisch betrachtet, nicht eigentliche Ausgaben, sondern bilden einen Teil der Vermogensbildung der offentlichen Hand; im Rahmen der Ausgabengebarung ist jede Vermogensbildung zunachst das Ergebnis einer besonderen Kategorie von offentlichen Ausgaben, namlich der vermogenswirksamen Sachausgaben oder Investitionen. Die Vermogensrechnung der Haushaltsordnung und ebenso auch die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung beziehen den offentlichen Kredit unter der Bezeichnung „finanzielle Investitionen" oder „Darlehen<£ in die offentliche Vermogensrechnung ein 227; sofern die Darlehen entweder von vornherein geschenkahnlichen Charakter tragen oder spaterhin in verlorene Zuschusse umgewandelt werden, gelangen auf diese Weise echte Staatsausgaben (Transfers) in die Vermogensrechnung. Wichtiger als diese Abgrenzungsfrage ist die materielle Verflechtung zwischen dem oifentlichen Kredit und der Vermogensbildung der offentlichen Hand sowie die grundsatzliche Frage nach der Berechtigung einer Vermogensbildung des Staates im herrschenden Wirtschaftssystem. Solange sich die Vermogensbildung der offentlichen Hand auf die Widmung bestimmter Anteile des Steueraufkommens fur die Schaffung und Unterhaltung von Vermogen in Gestalt von Strafien, Briicken oder Verwaltungsgebauden be-
225
Wysocki, K. v.: Offentlidie Finanzierungshilfen, a.a.O., S. 271 ff. Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 681. Die Zuordnung der Investitionen ist in den Sozialproduktrechnungen, in den fiskalischen Haushaltsrechnungen und in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht immer einheitlich. Vgl.: Ausgaben von Bund, Landern und Gemeinden fiir Investitionen in den Jahren 1950—1963, in: Wirtschaft und Statistik, Textteil, Heft 8, 1963, S. 455. 226
227
240
Die Ausgabenpolitik
schrankt, die der Allgemeinheit zugute kommen, ergeben sich daraus keine besonderen Strukturprobleme; die „Umwegsrentabilitat", das Kennzeichen aller „marktkonformen" offentlichen Ausgaben, legitimiert gerade die Schaffung solcher dem Gemeingebrauch zur Verfiigung gestellten Anlagen weitgehend. Anders wird es, wenn staatliche Investitionen zur Vermogensbildung der offentlichen Hand in Bezirke fiihren, die in der Marktwirtschaft grundsatzlich dem Privateigentum vorbehalten bleiben sollten. Die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht, wie sie die Verfiigungsgewalt liber grofie Vermogensmassen nun einmal verleiht, vollzieht sich jetzt in der Hand des Staates, der Gemeinden und der Sozialversicherungstrager; neben Bund und Lander treten „Sondervermogen", Beteiligungsgesellschaften und Staatskonzerne, die die Hoheitsbefugnisse der Finanzgewalt durch entsprechend erweiterte wirtschaftliche Machtvollkommenheit erganzen und ausweiten. Dabei ist es das Kennzeichen dieser Besitzkonzentration der offentlichen Hand, dafi die so geschaffenen Vermogenswerte, obgleich sie letzten Endes auf Kosten der Steuerzahler erworben sind, in der Regel keineswegs wie Strafien und Briicken dem Gemeingebrauch, sondern entweder fiskalisch-erwerbswirtschaftlichen Zwecken im Wettbewerb mit den privaten Unternehmungen oder der Entfaltung einer das Marktgeschehen in bestimmter Richtung beeinflussenden oder „lenkenden" wirtschaftlichen Macht dienen, die sich womoglich noch den fiir die Einengung und Begrenzung der privaten Marktgebilde geschaffenen gesetzlichen Schranken unter Hinweis auf ihren „gemeinniitzigen" Charakter zu entziehen versucht; die sich mit dieser Entwicklung anbahnenden Strukturwandlungen der mit staatsinterventionistischen Marktgebilden durchsetzten Volkswirtschaft erfordern daher besondere Aufmerksamkeit. Die Finanzwissenschaft teilt das offentliche Vermogen in „Verwaltungsvermogen" und „Finanzvermogen" ein; das Verwaltungsvermogen umfafit alle den offentlich-rechtlichen Hoheits- und Verwaltungsaufgaben gewidmeten Gebaude und Einrichtungen und dem Gemeingebrauch dienenden Anlagen, das Finanzvermogen alle jene Vermogensteile, die mehr oder weniger erwerbswirtschaftlich genutzt und daher auch als „Erwerbsverm6gen" oder „Wirtschaftsverm6gen" bezeichnet werden. Im einzelnen gliedert die Haushaltsstatistik das Vermogen der offentlichen Hand nach folgendem Schema: Verwaltungsvermogen 1. Allgemeines Verwaltungsvermogen (Grundstiicke, Verwaltungsgebaude, militarische Anlagen usw.) 2. Anstalten und Einrichtungen (Theater, Badeanstalten, Versuchsguter usw.) 3. Sachen im Gemeingebrauch (Strafien, Autobahnen, Briicken, Schifffahrtswege usw.)
§ 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlichen Hand
241
Finanzvermogen 1. Betriebsvermogen (Wirtschaftsbetriebe, Kapitalbeteiligungen usw.) 2. Allgemeine Kapital- und Sachvermogen (alles, was nicht Verwaltungsvermogen und Betriebsvermogen ist, insbesondere Darlehen und Treuhandvermogen) 228. Zu diesen Vermogensarten treten noch die verschiedenen „Sondervermogen" sowie in zunehmendem Mafie auch Beteiligungen an internationalen und supranationalen Institutionen hinzu 229. Was die Grofienordnungen des offentlichen Vermogens anbelangt, hat in der Bundesrepublik Deutschland bisher nur der Bund seinen Vermogensbesitz nach diesem Schema nachgewiesen, wozu er nach Art. 110 Abs. 3 GG a.F. (Nachweis von Vermogen und Schulden) verfassungsrechtlich verpflichtet war 2 3 0 . Zum 31. Dezember 1966 betrug danach das Vermogen des Bundes in Mill. DM 2 3 1 : Allgemeines Verwaltungsvermogen 25 854 Vermogen der Bundesanstalten und -einrichtungen 178 Betriebsvermogen 3 950 davon Beteiligungen 3 476 Allgemeines Kapital- und Sachvermogen 47 506 davon Darlehen 31 944 Dazu treten als weitere Vermogensmassen der offentlichen Hand im Eigentum des Bundes: ERP-Sondervermogen 8 825 Lastenausgleichsfonds 10147 Bundespost (Eigenkapital einschl. Rucklagen) 3 165 Bundesbahn (Eigenkapital) 14 800 114 425 Im Bereich der Landerhaushalte fehlen derartige Publikationen bislang fast vollig; lediglich einzelne Bundeslander fiigen ihren Haushaltsplanen eine mehr oder minder vollstandige Vermogensiibersicht bei. Mit der vorstehenden Ubersicht iiber das Bundesvermogen lassen sich diese Aufstellungen jedoch infolge ihrer uneinheitlichen Gruppierung und Klassifizierung der einzelnen Vermogensbestandteile nur schwer vergleichen oder summieren; noch schwieriger ist die statistische Erfassung des Gemeindevermogens. Die letzten exakten Zahlenangaben iiber die laufende Vermogensbildung der drei Gebietskorperschaften Bund, Lander und Gemeinden sind mittler228 ygL hierzu Duhmer, W.: Das offentlidie Vermogen, Schriftenreihe des Instituts Finanzen und Steuern, Nr. 35, Bonn o. J., S. 11 ff. 229 Siehe hierzu: Finanzbericht 1964, S. 295 ff. 230 j)j e Verpfliditung zu einer Vermogensbuchfiihrung ist nunmehr in §§ 86 BHO, 35 HGrG verankert und gilt somit auch fur die Lander. 231 Bundeshaushaltsplan 1968, S. 317 ff. 16 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
Die Ausgabenpolitik
242
weile ca. 10 Jahre alt und somit nicht mehr sonderlich aussagekraftig. Einen Einblick in die Grofienordnung diirften aber schon die folgenden Angaben gewahren. Von dem von 1948 bis 1966 neugebildeten Sachvermogen in Hohe von 922 Mrd. DM entfielen auf die offentlichen Hande 310 Mrd. oder 33,5% 2 3 2 , wobei der jahrliche Betrag der Vermogensbildung von 1,5 Mrd. 1950 auf 18,0 Mrd. 1965 gestiegen ist 233 . Der Anteil des Staates am neugebildeten volkswirtschaftlichen Realvermogen stieg dadurch von 14,5% (1950) auf 33,6°/o (1966) 234 . Neben dem Wohnungsbau, gegenwartig der umfangreichsten Vermogensakkumulation der offentlichen Hand, ist ihr Anteil am Produktionsvermogen und damit an der Erzeugung wichtiger industrieller Produkte zum Teil recht erheblich; fiir das Jahr 1967 liegen hieruber fiir die grofien Bundesunternehmen folgende Prozentzahlen vor: "Qbersicht: Die groiRen Bundesunternehmen 1967 235 Unternehmen — Bei Beteiligungen Bundesanteil in Klammern —
Grundoder Eigenkapital
Bilanz- Summe summe der Ertrage
Gewinn oder Verlust
Anzahl
in Millionen DM Zum Vergleich: Bund Bundesbank Kreditanstalt fiir Wiederaufbau Bundesbahn Bundespost Lufthansa (80,2%) VIAG — Konzern — Salzgitter — Konzern — Saarbergwerke (74%) — Konzern — VEBA (ca. 40%) — Konzern — Volkswagenwerk (20%) — Konzern—
—
— 68 961
Personalbestand
290
53 979
(1 095)
— + 497
280 437 11906
1000 14 800 4 163 400 254
18 473 61 887 28 894 1524 1781
(70,4) 10 406 11372 1399 1355
+ 30,4 -1505 + 1128 + 40,6 + 31
423 414 080 435 253 17 970 21459
300
4 534
4 308
350
1938
1 310
-
32,5
35 523
825
6 864
4 604
-1-
86,9
74 091
750
4 270
7 154
+ 319
71 758
127 645
232 S. Gleitze, B.: Sozialkapital und Sozialfonds als Mittel der Vermogenspolitik. WWI-Studien Nr. 1, Koln 1968, S. 4. 233 Ebenda. 234 Ders.: Sozialkapital . . . a.a.O., S. 6 s. auch De la Chevallerie, O.: Die Verteilung des Vermogenszuwachses in der Bundesrepublik seit 1950, Sonderheft Nr. 80 des Deutschen Instituts fiir Wirtschaftsforschung, Berlin 1968, S. 27. 235 Piittner, G.: Die offentlichen Unternehmen, Bad Homburg-Berlin-Zurich 1969, S. 77.
§ 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlidien Hand
243
Wenn auch diese Zahlen nur einen Ausschnitt aus der gesamten offentlichen Vermogensakkumulation wiedergeben, so kommt es in einer volkswirtschaftlichen Betrachtung doch ganz besonders auf das hier erfafke „Wirtschaftsvermogen" der offentlichen Hand an, also auf den Umfang, in dem der Staat mit eigenen Kapitalinvestitionen „wirtschaftetc<. Dabei erweist sich die statistische Einteilung in „Betriebsverm6gen", in dem sich die erwerbswirtschaftlichen Investitionen niederschlagen, und „Allgemeines Kapitalund Sachvermogen", dessen Lowenanteil die Darlehen der offentlichen Hand ausmachen, von Nutzen. Wenn sich dabei der Posten Betriebsvermogen gegeniiber dem ubrigen Vermogen zunachst relativ bescheiden ausnimmt, so ist doch anzumerken, dafi die angegebenen Zahlen nur Nominalwerte darstellen; iiber den Substanz- oder Ertragswert (inneren Wert) des industriellen Bundesvermogens lassen sich nur Mutmafiungen anstellen. Wenn man die angegebenen Werte verdoppelt, gelangt man wahrscheinlich schon eher in die Nahe der Grofienordnungen, um die es sich dabei in Wirklichkeit handelt. Der reale Wert des offentlichen Wirtschaftsvermogens bei Bund, Landern und Gemeinden belief sich danach bereits in den Jahren 1958/59 auf annahernd 30 Mrd. DM. Geht man nun davon aus, dafi ungefahr zwei Drittel dieses Vermogens „gemeinwirtschaftlichen Zwecken" dient 236, d. h. sich auf solche Aufgabengebiete konzentriert, „die der freien Unternehmerinitiative nicht entsprechen oder ihr nicht iiberlassen bleiben konnen", da sie sich „aus den sozusagen ,klassischenc Staatsaufgaben ableiten" 237, so verbleiben immerhin noch etwa 8—10 Mrd. rein erwerbswirtschaftliches Industrievermogen im Besitz der offentlichen Hand. Diese Vermogenswerte sind es denn auch, um die es sich bei der nun schon seit vielen Jahren im Gang befindlichen Diskussion um die „Reprivatisierung" oder auch „Privatisierung" des offentlichen Vermogens handelt, wie sie in mehreren Fallen schon praktisch durchgefiihrt worden ist. Diese Diskussion geht in der Regel von der Erwagung aus, dafi ein "Obermafi an staatlicher Betatigung im Wirtschaftsleben unerwiinscht sei und auf lange Sicht den Tendenzen Vorschub leiste, die das Privateigentum durch Anspriiche an das Kollektiv, die freie unternehmerische Initiative durch behordliche Planung und Lenkung und die Entfaltung der Personlichkeit durch eine immer weitere Gebiete des Lebens durchdringende „Vermassungcc zu ersetzen bestrebt sind. Die privatwirtschaftliche Gesundheits- und Zukunftsvorsorge, die kulturelle Entfaltung der Einzelpersonlichkeit und der Wirkungsbereich der Familie werden im Zuge dieser Entwicklung zugunsten einer Ausdehnung der offentlichen Tatigkeit zuriickgedrangt, die Hand in Hand mit der Kapitalakkumulation der offentlichen Hand auch betrachtliche Vermogensumschichtungen in der privaten Wirtschaft bewirkt, von 236 237
16*
So Breidbach, H. J.: a.a.O., S. 111. Finanzberidit 1962, S. 99.
244
Die Ausgabenpolitik
denen nur der Lastenausgleich, das Abkommen iiber die deutschen Auslandsschulden und die Wiedergutmachung an Israel erwahnt werden sollen. Gleichzeitig fallt der offentlichen Hand damit, worauf in dieser Auseinandersetzung viel zu wenig hingewiesen zu werden pflegt, eine Verantwortung fiir das Wirtschaftsgeschehen zu, der sie auf die Dauer nur gerecht werden kann, wenn sie sich den Forderungen auf moglichst weite Verbreitung des privaten Eigentums nicht verschliefit, wie sie insbesondere in der Privatisierungsdiskussion erhoben werden. Es fehlt in der Diskussion um das offentliche Erwerbsvermogen freilich auch heute noch nicht an Stimmen, die eine erwerbswirtschaftliche Betatigung der offentlichen Hand generell zu rechtfertig suchen; dabei ist gelegentlich von der „Strahlungskraft" der offentlichen Unternehmungen oder gar von einer „avantgardistischen Aufgabe der offentlichen Hand in der erwerbswirtschaftlichen Betatigung" die Rede, ferner von den offentlichen Unternehmungen als „Kartellsprenger" und „Konjunkturstabilisatoren" 238. Als Beweggrlinde fiir eine erwerbswirtschaftliche Betatigung der offentlichen Hand zahlt Th. Keller nicht weniger als zwanzig verschiedene auf; ihre gemeinsame Grundlage ist die Absicht, „einen Beitrag zur Forderung der allgemeinen Wohlfahrt zu leisten, wie immer diese auch verstanden werden mag" 239. Abgesehen davon, dafi der Begriff des Allgemeinwohls recht verschwommen ist und vielerlei Interpretationen offenlafit, ergibt die Priifung der vielfaltigen Argumente fiir die offentliche Erwerbstatigkeit, „dafi mit offentlichen Unternehmungen weit iiberwiegend die unerwunschten Auswirkungen anderer wirtschaftspolitischer Mafinahmen oder die Folgen von Unterlassungen des Staates bekampft werden sollen. In alien diesen Fallen erscheint es unzweckmafiig, wenn der Staat, statt die Ursachen zu beseitigen, blofi die Folgeerscheinungen abzustellen versucht... Der Okonomie der Krafte auch auf diesem Gebiet entsprache es, wenn den nicht gewollten Wirkungen fruherer Mafinahmen des Staates durch Korrektur dieser Mafinahmen entgegengetreten wiirde." 240 238 Zur Diskussion um das Fiir und Wider offentlicher Unternehmungen vgl. u.a.: Keller, Th.: Die Eigenwirtsdiaft oifentlicher Gemeinwesen, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 2. Bd., a.a.O., S. 182 ff.; Hamm, W.: Kollektiveigentum, Veroffentlichungen des Forsdiungsinstituts fiir Wirtschaftspolitik an der Universitat Mainz, Bd. 9, Heidelberg 1961, S. 19 ff. u. S. 174 rr.; Duhmer, W.: Das offentliche Vermogen, a.a.O., S. 94 ff.; Breidbach, H. J.: Privatisierung, a.a.O., S. 49 ff. u. S. 56 ff.; Albers, W.: Art. Erwerbseinkiinfte, offentlidie, in: Handworterbuch der Sozialwissensdiaften, 3. Bd., a.a.O., S. 340 f.; Rolph, E. R. und Break, G. F.: Public Finance, a.a.O., S. 355 ff.; Hinterhuber, H.: Der Staat als Unternehmer, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 103 (1969) S. 58 ff. Das in diesem Zusammenhang interessierende Problem des Auseinanderfallens von juridischen Eigentumstitel und faktischer Verfiigungsmacht wird hier nicht eigens behandelt; s. hierzu: Kirsch, G.: Manager — Herrscher ohne Auftrag? Die Legitimationsgrundlagen der Managerherrschaft —, Koln 1969. 239 Keller, Th.: Die Eigenwirtsdiaft offentlicher Gemeinwesen a.a.O., S. 185. 240 Hamm, W.: Kollektiveigentum, a.a.O., S. 258.
§ 26. Kreditgewahrung und Vermogensbildung der offentlichen Hand
245
Freilich darf andererseits nicht verkannt werden, dafi die grofien Verkehrsunternehmungen wie Bundesbahn und Bundespost ebenso wie die Versorgungsbetriebe der Gemeinden und das gesamte Verwaltungsvermogen der offentlichen H a n d zu den traditionellen Gebieten offentlicher Vermogensbildung und -verwaltung gehoren; die Diskussion iiber die „Privatisierung" der offentlichen Unternehmungen bezieht sich deshalb nicht auf diese O b jekte. Dagegen gilt die Forderung, dafi iiber die Bewirtschaftung des offentlichen Vermogens seitens der Regierung in einem geordneten Verfahren dem Parlament Rechenschaft zu geben ist 2 4 1 , durchaus auch fur diese Vermogensmassen; vor allem erfordert das aus Subventionen und Interventionen entstandene neue Erwerbsvermogen griindliche und regelmafiige Rechenschaftslegung. Dafiir spricht insbesondere die Erfahrung, dafi der Staat auf G r u n d seiner institutionellen Organisationsform in den meisten Fallen ein schlechter Unternehmer und Vermogensverwalter ist; der auf Vorschriften und Rechtsnormen angewiesenen Biirokratie ist ein schnell entschlossenes, eigenverantwortliches H a n d e l n , wie es den guten Kaufmann kennzeichnet, wesensfremd. So k o m m t es in den Fallen, w o der Staat Unternehmungen in p r i v a t w i r t schaftlichen Krisen im Wege der „Sanierung" iibernimmt 2 4 2 , haufig zu einer Verewigung der Leistungsunfahigkeit und zu einer womoglich „lassig hingenommenen betriebswirtschaftlichen Niveausenkung" 243 . Andererseits ergeben sich auch bei einer Privatisierung, beispielsweise nach Erreichung oder beim Wegfall bestimmter interventionistischer Zielsetzungen, neue Probleme der praktischen Durchfuhrung 2 4 4 . Die Schwierigkeiten, Kaufer fur bisher dem H a n d e l entzogene Vermogensobjekte und Mafistabe fiir die Preisbildung zu finden, gehoren dazu ebenso wie die Aufgabe, die Veraufierung so vorzunehmen, dafi keine vermeidbaren Marktstorungen entstehen und dafi auch der Vorwurf der Verschleuderung von Gemeineigentum nicht erhoben werden kann. Schliefilich k o m m t auch den Kassendispositionen der offentlichen H a n d im Rahmen ihrer Vermogenswirtschaft eine nicht geringe Bedeutung zu; die monetare Situation der gesamten Volkswirtschaft wird durch sie entscheidend beeinflufit. Die durch die Stillegung der Gelder einerseits und durch die latente Moglichkeit ihres plotzlichen Abrufs andererseits bedingte U n sicherheit im gesamtwirtschaftlichen Liquiditatsstatus bedeutet bei den Grofienordnungen, um die es sich heute handelt, eine standige Gefahr fiir die finanzielle Stabilitat der Gesamtwirtschaft: 241 Strickrodt, G.: Die gewerblidien Staatsunternehmen in ihrer verfassungsrechtlichen und unternehmenswirtschaftlichen Bedeutung, Tubingen 1954, S. 21. 242 Die Griindung der „Kohleeinheitsgesellschaft" unter der Fiihrung des Bundes und die Stiitzung des Krupp-Konzerns im Jahre 1968 sind Beispiele hierfur. 243 Strickrodt, G.: a.a.O., S. 24. 244 Pougin, E.: Der Fiskus als Unternehmer, Reprivatisierung in den USA, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, Koln 1953, als Manuskript vervielfaltigt.
Die Ausgabenpolitik
246
Tabelle 11. Verdnderungen der Kasseneinlagen der offentlichen Hand (einschliefilich Sondervermogen und Sozialversicherungen) Zunahme + Abnahme — — in Mill. DM — Einlagen bei
1959
1960
1962
1967—1968
Bundesbank Kreditinstitute
-2797 + 1575
+ 1239 + 1253
38 + 1889
+ 1189 - 521
Quelle: Geschaftsbericht der Deutschen Bundesbank fur das Jahr 1962, S. 70, Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Oktober 1969, S. 8 ff. Wenn m a n bedenkt, dafi diese Jahressalden eine sehr intensive Bewegung der Kasseneinlagen der offentlichen H a n d widerspiegeln, die sich oft innerhalb weniger Monate um mehrere Milliarden verandern, so ist eine kraftige Riickwirkung dieser Vorgange auf die Gesamtliquiditat nicht zu bestreiten; vor allem an den grofien Steuerterminen kommt es erfahrungsgemafi zu erheblichen Liquiditatsanspannungen von Banken und Wirtschaft. Es ist Sache der offentlichen H a n d , hier Abhilfe zu schaffen, etwa durch die Vermeidung des zeitlichen Zusammenfallens von Vorauszahlungsterminen verschiedener Steuern oder durch einen systematischen Abbau der Kassenreserven in Form von grofieren Zahlungen an die Wirtschaft vor diesen Steuerterminen 245 . Zu dem Umfang der im vorstehenden dargestellten Vermogensakkumulationen, Kapitaltransaktionen und Gelddispositionen der offentlichen H a n d stehen Umfang und Inhalt des fur die Verwaltung des offentlichen Vermogens geltenden Haushalts- und Kassenrechts in einem krassen Mifiverhaltnis. Haushaltsgrundsatzegesetz und Bundeshaushaltsordnung (§§ 26 H G r G ; 44, 63—65 B H O ) enthalten uberwiegend nur recht formale Vorschriften iiber die Verwaltung des offentlichen Vermogens; im Gegensatz dazu gelten aber fiir die meisten Gemeinden ziemlich eingehende Vorschriften auch materieller A r t iiber Erwerb und Veraufierung, Verwaltung und „Bewirtschaftung w von Vermogensgegenstanden und Wirtschaftsunternehmen 246 . Errichtung und Erwerb von Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmungen diirfen nach den Vorschriften des Gemeinderechts im allgemeinen nur erfolgen, wenn der offentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt und dieser Zweck nicht besser oder wirtschaftlicher durch andere Trager erfiillt wird oder erfiillt werden k a n n ; aufierdem mufi das Unternehmen nach A r t und Umfang in einem angemessenen Verhaltnis zu der Leistungsfahigkeit der Gemeinde stehen, die es errichten oder eine Beteiligung d a r a n erwerben will. Die bayerische Gemeindeordnung hat diesen allgemeinen Vorschriften noch 245
Vgl. Schmolders, G.: Geldpolitik, a.a.O., S. 120 f. Vgl. Duhmer, W.: Das offentliche Vermogen, a.a.O., S. 39 ff.; Hamm, W.: Kollektiveigentum, a.a.O., S. 38 ff. 246
§ 27. Die Korrektur der Einkommensverteilung
247
einen besonderen Zusatz hinzugefiigt, wonach gemeindliche Wirtschaftsunternehmen „keine wesentliche Schadigung und keine Aufsaugung selbstandiger Betriebe in Landwirtschaft, Handel, Gewerbe oder Industrie bewirken" diirfen; derartige Bestimmungen fehlen fiir die Lander im allgemeinen vollig, und fiir den Bund beschrankt sich die Vorschrift des § 65 BHO, von bestimmten formalen Kriterien abgesehen, darauf, dafi „ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt und sich der vom Bund angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lafit" (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 BHO). Von einem Bewufitsein der offentlichen Hand dafiir, welche Verantwortung fiir Wirtschaftslage und Geldordnung der Gesamtwirtschaft sie mit dem Umfang ihrer Vermogensakkumulation und ihrer Gelddispositionen iibernommen hat, ist in diesen vagen Gesetzesnormen schlechterdings nichts zu spiiren.
C. Die offentlichen Ausgaben im Dienste der Wirtschaf tspolitik § 27. Die Korrektur der Einkommensverteilung Geht es darum, das vorstehend skizzierte Instrumentarium der offentlichen Ausgaben im Dienste einer Finanzpolitik zum Einsatz zu bringen, die sich nicht damit begmigen will, die Finanzierung des Staatsapparates und die Erfullung der primaren Aufgaben des Staates, wie Aufienpolitik, Verteidigung und Rechtspflege sicherzustellen, sondern der dariiber hinaus von den Organen der politischen Willensbildung soziale und wirtschaftspolitische Ziele und Aufgaben der verschiedensten Arten und Bedeutung iibertragen werden, so verandert sich damit der Gesichtspunkt, unter dem die finanzwissenschaftliche Betrachtung die volkswirtschaftlichen Zusammenhange des Staatshaushalts zu sehen hat. Was in der nickblickenden Analyse „Ursache" von „Wirkungen" war, verwandelt sich in der planenden Politik in „Mittel a fiir „Zwecke"; die Staatsfinanzen als solche sind nicht mehr Selbstzweck, wie der demokratische Staat nicht mehr Machtstaat um der Macht willen ist, sondern beide, Macht und Geld, werden anderen Zwecken dienstbar gemacht, an deren Erreichung oder Verfehlung Erfolg oder Mifierfolg der Politik gemessen werden kann 247. Ausgaben und Einnahmen, Finanzausgleich, Vermogensbildung und Schuldaufnahme der offentlichen Hand treten damit in den Dienst iibergeordneter Zielsetzungen, freilich ohne dabei von ihrer eigenen, immanenten Problematik befreit zu werden; Finanzpolitik ist mehr und schwieriger als blofie „angewandte Finanzwirtschaft", deren Probleme ihr nichtsdestoweniger gleichfalls aufgeburdet bleiben. Vgl. Abschnitt VI „Erfolgsma£stabe der Finanzpolitik", unten Abschnitt VI.
Die Ausgabenpolitik
248
Das gilt ganz besonders fur die offentliche Ausgaben- und Einnahmenpolitik, die bei den gewaltigen Summen, um deren Umschlag es im modernen Sozialstaat geht, eine diesen Grofienordnungen entsprechende volkswirtschaftliche Verantwortung zu tragen hat, selbst wenn sich ihre Trager dieser Verantwortung gelegentlich keineswegs geniigend bewufit sein mogen. Mit der fiskalisch „erfolgreichen", d. h. hinreichend ergiebigen Besteuerung allein sind die Ziele dieser Einnahmenpolitik noch keineswegs in befriedigendem Mafie erreicht; aber ebensowenig geniigt die ordnungsmafiige Verausgabung der im Haushaltsplan bereitgestellten Mittel, um den Anspriichen einer volkswirtschaftlich und sozial orientierten Ausgabenpolitik gerecht zu werden. Was im besonderen die Ausgabenseite der offentlichen Haushalte angeht, ist es sogar u. U. noch schwieriger, die „eigentlichen" von den zusatzlich zu verfolgenden Zielen zu unterscheiden als in der Einnahmenpolitik. Die so einleuchtende Einteilung in „fiskalische" und „nichtfiskalische" Zwecke der Besteuerung hat auf der Ausgabenseite bisher kein gleichwertiges Pendant gefunden. Am ehesten konnte man die Deckung des „staatsfinanzwirtschaftlichen Eigenbedarfs" (Terhalle) als das „eigentlicheK, jederzeit vorgegebene Ziel der Ausgabenpolitik ansehen; aber auch diese Zielsetzung ist nicht so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Verzichtet man auf eine pedantisch genaue Entsprechung, so lassen sich die einzelnen „nichtfiskalischen" Steuerzwecke248 auf der Einnahmenseite theoretisch auch in entsprechende Ausgabenzwecke transponieren. Unter ihnen gibt es, ebenso wie auf der Einnahmenseite des Haushalts, keine natiirliche oder auch nur allgemein anerkannte Rangordnung; nach ihrem Alter gebiihrt aber sicherlich der Aufgabe der Einkommensumverteilung (Redistribution), d. h. der Korrektur der im Marktprozefi zustandekommenden Einkommensverteilung mit finanzpolitischen Mitteln, der erste Platz. Unter Einkommensumverteilung kann man allerdings recht verschiedene Ziele verstehen. Die Aufgabe kann z. B. lauten, innerhalb eines bestimmten Wirtschaftsraumes alle Einkommen oder auch nur die bestimmter Schichten, Gruppen oder Teilgebiete nach Moglichkeit zu steigern; dabei mag es sich um bisher von der Entwicklung vernachlassigte Regionen oder vielleicht auch nur um einen politisch oder strategisch wichtigen Teil des Hoheitsgebietes handeln. Eine derartige „regionale Redistribution" gehort nach Ziel und Mafinahme in die Finanzausgleichsproblematik, von der oben bereits ausfuhrlich die Rede war 2 4 9 . Neben der regional wirkenden Einkommensverteilung mittels der offentlichen Ausgaben sind aber zwei andere Zielsetzungen zu unterscheiden, die sich auf das Einkommen einzelner Individuen oder ganzer Gruppen richten. Denkbar ware es zunachst, das Einkommen im Zeitablauf, gewissermafien im Einklang mit dem Lebens248 249
Vgl. § 38. Vgl. §§ 18—20.
§ 27. Die Korrektur der Einkommensverteilung
249
rhythmus der Betroffenen, umzuverteilen; den gleichen Prozefi, den ein Versicherter mittels seiner Pramienzahlungen in jiingeren Jahren zwecks Altersvorsorge freiwillig in Gang setzt, kann der Staat zwangsweise bewirken. Solange beispielsweise die Rentenversicherung nur die Betrage wieder auszahlt, die der Empfangsberechtigte friiher selbst eingezahlt hat, gibt sie ihm nur seine eigenen Ersparnisse zuriick, bewirkt aber damit einen zweckmafiigen Umverteilungseffekt iiber die Lebenszeit der Versicherten hin, den dieser selbst vorzunehmen (Vorsorgesparen) vielleicht zu schwach oder zu unkundig gewesen ware. Gerade am Beispiel der Sozialversicherung kann man sich audi die Form der Einkommensumverteilung am besten verdeutlichen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das Hauptanliegen der Sozialpolitik bildet und heute zu einer wichtigen Aufgabe der Finanzpolitik geworden ist. Sobald die Versicherungsleistungen namlich nach einem anderen Schllissel als dem der eingezahlten eigenen Beitrage auf die Begiinstigten aufgeteilt werden, wirkt die Einkommensumverteilung nicht mehr nur zeitlich, sondern interpersonal, verteilt der Staat die Mittel zwischen Individuen bzw. zwischen Gruppen „um". Diese „interpersonalec< Umverteilung orientiert sich in der Regel an der Einkommenshohe und verteilt zwischen den Einkommensgruppen 250 von oben nach unten; daneben gibt es aber gerade im Bereich der Sozialversicherung eine kraftige Einkommensumverteilung zwischen jung und alt, 250 Die Effizienz einer Redistributionspolitik kann aus der Differenz (D) der Geraden (gg), die eine vollig egalitare Einkommensverteilung widerspiegelt, und der Lorenzkurve (ee) vor und nach den jeweiligen Mafinahmen abgelesen werden. Die Werte fur 1950 nach Krelle, W.: Verteilungstheorie, Tubingen 1962, S. 276 f., die fiir 1960 Krupp, W.: Personelle und funktionelle Einkommensverteilung, in: Jahrbiicher fiir Nationalokonomie und Statistik, Bd. 180 (1967) S. 1 fF.; Breidenstein: Das Eigentum und seine Verteilung, Stuttgart-Berlin 1968, S. 114 ff.
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90 100
% der Einkommensbezieher (von der untersien Einkommensstufe.an gerechnet.)
Abb. 4
250
Die Ausgabenpolitik
zwischen Gesunden und Kranken und zwischen den Erwerbstatigen und den Arbeitslosen 251. Die herrschenden sozialen Normen 252 fordern heute in erster Linie eine Umverteilung zugunsten der unteren Einkommensschichten; gelegentlich kann auch der umgekehrte Prozefi zu wiinschen sein, wenn namlich zur Intensivierung des wirtschaftlichen Wachstums eine Erhohung der Investitionsrate in den Unternehmen angebracht erscheint, die am einfachsten durch eine Steigerung der Unternehmergewinne zu erreichen ist. Freilich verbietet sich dann mit Riicksicht auf die offentliche Meinung eine eindeutige Bezeichnung, die die gewollte negative Redistributionswirkung klar erkennen lafit; das Ziel „Investitionsforderung" lafit sich eher vertreten als das einer Erhohung der Unternehmereinkommen 253. Wenn also die Einkommensumverteilung, verstanden als Korrektur der marktwirtschaftlich zustande gekommenen primaren Einkommensverteilung zugunsten der niedrigen Einkommensschichten, ein erklartes Ziel der offentlichen Ausgabenpolitik ist, so erhebt sich die Frage, woher eine solche Zielsetzung stammt und wieweit sie sich begriinden lafit. Drei rationale Rechtfertigungsversuche bieten sich bisher an. Der erste stammt aus der sogenannten Wohlfahrtsokonomik, die immer wieder versucht hat, das Ziel der Einkommensumverteilung logisch-rational aus dem abnehmenden Grenznutzen der Einkommenseinheit abzuleiten 254; durch eine Beschneidung der hohen Einkommen zugunsten einer Starkung der niedrigeren erhoht sich danach die Gesamtwohlfahrt der Volkswirtschaft. Die Rationaltheorie hat fur diese Behauptung von der „abnehmenden Wertschatzung der Geldeinheit bei steigendem Einkommen" bisher keinen schlussigen Beweis liefern konnen; es 251 Hansmeyer, K. H.: Effekte der Einkommensumverteilung in der sozialen Krankenversicherung, in: Sdireiber, W. (Hrsg.): Gesetzliche Krankenversicherung in einer freiheitlichen Gesellschaft, Berlin 1963, S. 105 fT.
252 Moore, M.: N e u e Gedanken zur progressiven Besteuerung, in: Public Finance (1968) S. 276, begrundet das Recht der Gesellschaft, die Markteinkommen u m z u verteilen, wie folgt: „Das N a t u r r e c h t kennt keine Regel, nach der jemand Anspruch auf das Einkommen erheben konnte, das das Preissystem ihm zuteilt. Jedes Recht auf Eigentum und damit auch das Recht, Einkommen zu beziehen, ist von der G e sellschaft gescharTen worden. Folglich ist auch der einzige Anspruch auf Einkommen, der erhoben werden kann, derjenige, der von der Gesellschaft geschaffen worden ist. Das Preissystem und die freie Wirtschaft konnen keinen Anspruch vergeben; sie sind einfach Mittel zur O u t p u t - M a x i m i e r u n g bei gegebenem Input. D a m i t wird die Einkommensverteilung unweigerlich zu einem Problem der angewandten Ethik." 253 Die hohe vom Staat induzierte Selbstfinanzierungsrate in den 50er Jahren hatte sicherlich die Wirkung, wenn nicht sogar von Anfang an den Sinn, den Unternehmern eine hohere Quote ihres Gewinns als Einkommen zu belassen. Daft dies nichts anderes war als eine negative Redistribution, ist keineswegs den Gesetzesbegriindungen, sondern hochstens der spateren Wirkungsanalyse zu entnehmen. (Schmolders, G. und Rittershausen, H.: Moderne Investitionsfinanzierung, Essen 1959, S. 47.) 254 Wessels, Th.: Art. Wohlfahrtsokonomik, in: Staatslexikon, Bd. 8, Freiburg 1963, Sp. 886 ft.
§ 27. Die Korrektur der Einkommensverteilung
251
bleibt zu priifen, ob ein soldier Zusammenhang vielleicht mit empirischen Methoden nachgewiesen werden kann. Dariiber hinaus weist K. Schmidt in seiner Kritik an H . Haller auf die logische Anfechtbarkeit der Annahme eines sinkenden Grenznutzens des Einkommens hin 255 . Sieht man das Geld und damit auch das Geldeinkommen als eine Anweisung auf alle Giiter des Sozialproduktes an, k a n n es bei der imterstellten Unbegrenztheit der menschlichen Bediirfnisse keinen abnehmenden Grenznutzen des Geldes geben, da das 1. Gossensche Gesetz nicht fiir die unendliche Masse aller Giiter gilt, sondern jeweils nur fiir ein Gut. Die zweite theoretische Begriindung des volkswirtschaftlichen Nutzens einer Einkommensumverteilung stiitzt sich auf die These von J o h n M a y n a r d Keynes, nach der die sogenannte Sparrate mit steigendem Einkommen zunimmt; Keynes leitete daraus bekanntlich die Forderung ab, diese — von ihm langfristig als fiir die Volkswirtschaft nachteilig angesehene — Sparneigung durch eine Umverteilung der Einkommen zu korrigieren. Inzwischen sind starke Zweifel an Keynes' These von der generell negativen Wirkung einer hohen Sparrate wach geworden; bevor die volkswirtschaftlichen Wirkungen einer langfristigen Nivellierung der individuellen Einkommen nicht sehr viel genauer erforscht sind, empfiehlt es sich nicht, sich fiir die Begriindung des Redistributionspostulats auf diese eigenwillige Theorie zu stiitzen 2 5 6 . Drittens liefie sich als okonomisch orientierte Rechtfertigung fiir eine Einkommensumverteilung von „reich auf a r m " anfiihren, dafi ein zu geringes Einkommen seine Bezieher durch ihre mangelhafte Ausbildung und/oder ihre einkommensbedingte Immobilitat daran hindert, den G r a d an P r o d u k tivitat zu erreichen, den sie erreichen konnten, waren diese Hemmnisse nicht vorhanden. Die gesamtwirtschaftlichen Leistungskrafte werden somit nicht im moglichen Mafie ausgenutzt; durch Produktivitatsverluste treten Wachstumsverluste auf. Dies wiirde bedeuten, dafi eine effiziente Politik der Einkommensumverteilung 257 fiir die Volkswirtschaft als ganzes langerfristig nicht nur keine Belastung, sondern einen Produktivitats- und damit Wohlfahrtsgewinn darstellen wiirde 2 5 8 . 255 S. Schmidt, K.: Das Leistungsfahigkeitsprinzip und die Theorie vom proportionalen Opfer, in: Finanzarchiv, NF., Bd. 26 (1967) S. 385 ff. Entfallen wiirde dieses Argument aber in dem Augenblick, in dem sich eine reale Theorie des Geldes, eine Theorie, die Geld als ein Gut unter Giitern ansieht (z. B. Veit, O.: Reale Theorie des Geldes, Tubingen 1966; Patinkin, D.: Money, Interest and Prices, 2. AufL, New York 1965) als nicht falsifizierbar erweisen wiirde. 256 ygi # Johnson, H. G.: The Macro-Economics of Income Redistribution and Social Policy, hrsg. von A. T. Peacock, London 1954, S. 38 f. 257 In Anlehnung an das Paretokriterium leitet E. R. Rolph (Umstrittene negative Einkommensteuer, in: Finanzpolitik (Hrsg. H. C. Recktenwald) Koln-Berlin 1969, S. 399) folgende Umverteilungsregel ab: „Umverteilung ist solange zu bejahen, wie die Produktivitat bestimmter Bevolkerungsgruppen gesteigert werden kann, ohne dafi die Produktivitat anderer darunter leidet." 258 Dies hat bereits G. Colm erkannt, da seiner Ansieht nach „der Pauperismus eine Gefahrdung des marktwirtschaftlichen Ablaufs darstellt". (Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben, a.a.O., S. 41.)
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Die Ausgabenpolitik
So plausibel dieser Ansatz auf den ersten Blick erscheint, so wenig k a n n er angesichts seines hypothetischen Charakters, der keine empirische Uberpriifung zulafk, als sichere theoretische Basis einer derartigen Politik angesehen werden. D a es somit an einer „objektiven" Begriindung fur die redistributive Finanzpolitik bisher offenbar weitgehend noch fehlt, bleibt nur die Tatsache festzuhalten, dafi im politischen R a u m heute eindeutig die Forderung besteht, die gegebene Einkommensverteilung, soweit der M a r k t sie bewirkt hat, zugunsten der schwacheren Einkommensklassen zu verandern 259 . Die Finanzwissenschaft braucht zu dieser Zielsetzung selbst nicht ausdriicklich Stellung zu nehmen; sie k a n n aber die Mittel darstellen, mit deren Hilfe dieses Ziel gegebenenfalls erreicht werden kann, mufi dabei aber zugleich auf etwaige Zielkonflikte hinweisen, die sich bei dem Bemiihen um die Einkommensumverteilung gegeniiber anderen Zielen, etwa dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum oder der Erhaltung der selbstandigen U n t e r nehmen ergeben konnen. A u d i iiber das anzustrebende Mafi an dauernder Kaufkraftumleitung k a n n die Finanzwissenschaft als solche kein Urteil a b geben, es sei denn den Hinweis, dafi die Gefahr der Beeintrachtigung anderer Ziele durch die Einkommensredistribution um so grofier wird, je grofier und nachhaltiger sich diese Umverteilung vollzieht; wenn schon die Berechtigung einer redistributiven Politik dem Grunde nach nicht erwiesen, vielleicht sogar nicht beweisbar ist, so konnen begriindete Aussagen iiber das „Wieviel" einer solchen Umverteilung erst recht nicht gemacht werden 260 . Unter den Instrumenten der Finanzpolitik waren es in der Geschichte der Finanzwissenschaft zunachst die Steuern, mit deren Hilfe eine gleichmafiigere Streuung der Einkommen verwirklicht werden sollte; Adolph Wagners Bemiihungen um ein „soziales" Steuersystem sind hierfiir das beste Beispiel. Erst in neuerer Zeit besinnt man sich wieder darauf, d a 6 auch die offentlichen Ausgaben einen Einflufi auf die interpersonale Einkommensverteilung besitzen; in vielen alten Kulturen waren die Worte „Wirtschaft C£ und „Schenken" bedeutungsgleich, und die Grofie eines Fiirsten w u r d e an seiner Freigiebigkeit gemessen 261 . Diese „schenkende Wirtschaft" lebt in der heuti-
259 „Die Zurverfiigungstellung des Gutes ,Umverteilungc nehmen im allgemeinen Politiker fiir sich in Anspruch, wenn sie Gesetze zur Neuordnung der Kassen in ihre politischen Programme aufnehmen. Sie versprechen sich dabei einen Nettozuwachs an Stimmen, da die Zahl derjenigen, die sich durch die soziale Einrichtung der Umverteilung begiinstigt glauben, groEer ist als die Zahl derjenigen, die sich durch die Umverteilung benachteiligt fiihlen." (Herder-Dorneich, Ph.: Ansatzpunkte zu einer Sozialpolitiklehre der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Schreiber, W. (Hrsg.): Gesetzliche Krankenversicherung in einer freiheitlichen Gesellschaft, a.a.O., S. 146). 260 Einen etwas gekiinstelten Versuch der Quantifizierung des Maftes der Umverteilung unternimmt E. R. Rolph (Umstrittene negative Einkommensteuer, a.a.O., S. 340 ff.). 261 Laum, B.: Schenkende Wirtschaft, a.a.O., S. 23 rf.
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gen Sozialpolitik wieder auf; neben der Besteuerung soil gerade audi die Ausgabenpolitik der Redistribution dienstbar gemacht werden. Aus methodischen Griinden empfiehlt es sich allerdings, die beiden Seiten des Staatshaushalts, die beide zur Einkommensumverteilung beitragen, in der D a r stellung getrennt zu behandeln. N i m m t m a n namlich zu jeder Ausgabe, deren Umverteilungseffekt erortert werden soil, gleichzeitig die alternativen Moglichkeiten ihrer Finanzierung hinzu, so entsteht die Schwierigkeit, dafi „ . . . wir nicht wissen, welche Steuer wir uns ,wegdenken c sollten" 262 . Der unterschiedliche Einflufi der Besteuerung auf die Einkommensverteilung lafit sich theoretisch am besten dadurch eliminieren, daft alle verteilungspolitisch bedingten Anderungen auf der Ausgabenseite so behandelt werden, dafi sie sich ihrer H o h e nach kompensieren, so dafi der Gesamtumfang der Ausgaben unverandert bleibt; das gleiche Verfahren k o m m t auf der Einnahmenseite zur Anwendung 263 . Wenn die Ausgabenpolitik nach Instrumenten fur eine K o r r e k t u r der marktwirtschaftlichen Einkommensverteilung Ausschau halt, mufi sie sich zunachst iiber ihre langfristige Strategic klarwerden; gibt es doch stets, zumindest in der Theorie, die Moglichkeit, zwischen einer Politik der k u r z fristigen meist sowohl popularen als auch in gewissem Mafie unmittelbar erfolgswirksamen Mafinahmen einerseits, und einer langfristigen, an den U r sachen anpackenden Strategic andererseits zu wahlen, die vielleicht weniger augenfallig wirkt, aber dafiir dazu beitragen kann, die Mafinahmen auf lange Sicht hin womoglich wieder entbehrlich zu machen. I m Bereich der offentlichen Ausgaben konnte sich die Finanzpolitik beispielsweise das Ziel setzen, die Ursachen der ungleichen Einkommensverteilung dadurch wenn nicht zu beseitigen, so doch erheblich zu verringern, dafi sie auf dem Gebiet der Erziehung die allgemein-bildenden Schulen sowie 262 Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 163. Diese Vorgehensweise entspricht im ubrigen auch dem Musgraveschen Konzept der „differentialen Inzidenz", den Einkommensveranderungen aufgrund des Austausches einer Ausgaben-(Einnahmen-)kategorie durch eine andere bei Konstanz des Umfanges der Gesamtausgaben (-einnahmen) (s. Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 159 f.). Theoretisch exakter ware naturlich das ebenfalls von Musgrave (Finanztheorie, a.a.O., S. 162 f.) entwickelte Konzept der „balancedbudget-incidence", also der Verteilungswirkungen des gesamten ausgeglichenen Budgets, da nur auf die Weise der verteilungspolitische „Nettoeffekt" der staatlichen Aktivitat durch Saldierung der Verteilungswirkungen von Einnahmeerhebung und Mittelverwendung festgestellt werden kann. Aus didaktischen Griinden der Obersichtlichkeit halten wir uns aber an die oben beschriebene einfachere Vorgehensweise. Einen interessanten Versuch der Ermittlung der Budgetinzidenz fiir die USA unternimmt W. J. Gillespie (Effects of Public Expenditure on the Distribution of Income, in: Essays in Fiscal Federalism (Hrsg. R. A. Musgrave), The Brooking Institution, Washington D. C. 1965. Die deutsche Ubersetzung dieses Aufsatzes in: Finanzpolitik (Hrsg. H. C. Recktenwald) ist ubermaftig stark gekiirzt. S. auch CsikosNagy, B.: Das Budget und die interpersonelle Einkommensverteilung, in: Public Finance, 1968, S. 64 if.; Prest, A. R.: The Budget and Interpersonal Distribution, ebenda S. 80 if., sowie mehrere andere Beitrage ebenda. 263
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die Berufs- und Fachschulen so wirksam fordert, dafi spaterhin die Quote der wegen zu geringer Schulbildung immobilen, erwerbslosen oder unterbezahlten Arbeitskrafte entsprechend zuriickgeht; mit ahnlicher Absicht konnten die Ausgaben fiir das Gesundheitswesen, fiir den Unfallschutz im Strafienverkehr oder fiir die betriebliche Sicherheit im Hinblick darauf intensiviert werden, die durchschnittlichen Fahigkeit der Erwerbstatigen, an Giiter- und Leistungsmarkten ein angemessenes Einkommen zu erzielen, zu erhohen oder zeitlich zu verlangern, so dafi in entsprechendem Umfang staatliche Zuwendungen in Wegfall kommen oder doch herabgesetzt werden konnten. Zu einer derart vorausschauenden Redistributionspolitik wiirde allerdings eine finanzpolitische Willensbildung gehoren, die langfristig, ohne nach Wahlstimmen oder Volkstumlichkeit zu haschen, an einem einmal akzeptierten Ziel selbst auf die Gefahr hin festhalt, dafi der erstrebte Erfolg erst in spateren Legislaturperioden manifest wird; die heutige politische Praxis lafit eine so langfristige und wahltaktisch entsagungsvolle Planung kaum denkbar erscheinen. Vielmehr pflegt sich die Politik der Einkommensumverteilung darauf zu beschranken, die Lage der schwacheren Einkommensschichten fiir den Augenblick zu verbessern; auf der Ausgabenseite des Haushalts kommt es zu mehr oder weniger direkten Zahlungen an private Haushalte 264 . Dafi damit der Umverteilungsprozefi, sofern nicht gleichzeitige steuer- oder wettbewerbspolitische Mafinahmen eine grofiere Startgleichheit herbeifiihren, gewissermafien verewigt wird, nimmt die Tagespolitik im Interesse der sofortigen Resonanz ihrer Mafinahmen bei den Wahlern ohne grofie Skrupel in Kauf; es hiefie, die Augen vor der Wirklichkeit verschliefien, wollte man diese Schwachen der demokratischen Willensbildung iibersehen oder bagatellisieren. 1st das Ziel „grofiere Gleichheit der Einkommen" politisch akzeptiert und zu seiner Erleichterung grundsatzlich der Weg des kurzfristigen Einkommensausgleichs durch Transferzahlungen aus ofTentlichen Kassen gewahlt, so bleibt die Frage, welche Ausgabekategorien dazu am besten geeignet sind; dabei ware es falsch, nur die Ausgabearten in Betracht zu ziehen, die ausschliefilich diesem Ziel dienen. In diesem Falle konnte sich die Untersuchung namlich allein auf die Subventionen und die Einkommensubertragungen an private Haushalte beschranken. Fiir ein vollstandiges Bild miissen jedoch dariiber hinaus auch alle anderen Ausgabearten wie die Leistungsentgelte oder die unentgeltlich zur Verfiigung gestellten Staatsleistungen auf ihre redistributive Wirkung und die Moglichkeiten ihrer Intensivierung gepriift werden. 264
„Die Sozialpolitik 1st eine Politik der Einkommensverteilung geworden, ungeachtet mancher Ansatze und Bestrebungen, aus ihr eine Gesellschaftspolitik zu machen." (Liefmann-Keil, E.: Dkonomische Theorie der Sozialpolitik, Berlin-Gottingen-Heidelberg 1961, S. 1.)
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Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, die offentlichen Ausgaben hinsichtlich ihrer redistributiven Effekte zu klassifizieren. Die Zurechnung der offentlichen Leistungen zu bestimmten Einkommensklassen wirft ahnliche Probleme auf wie die Steuerinzidenz; nur in Ausnahmefalien lafk sich mit Sicherheit ausmachen, welcher Schicht in der Einkommenspyramide eine bestimmte offentliche Ausgabe tatsachlich zugute kommt. Im allgemeinen mufi die Feststellung geniigen, dafi eine Ausgabe tendenziell geeignet ist, redistributiv zu wirken, um sie zu einem brauchbaren Instrument der Einkommensumverteilung zu erklaren. Eine Einteilung der Ausgaben, die sich an solchen Wirkungszusammenhangen orientiert, vermag daher noch keineswegs eine Rangfolge zu ergeben, in der die einzelnen Ausgaben nach ihrem Beitrag zur Umverteilung bewertet werden; es mufi geniigen, wenn sich eine Einteilung nach aufierlichen Merkmalen gewinnen lafit, die auf eine mehr oder weniger redistributive Wirkung der Ausgaben hindeuten. Hierfiir bietet sich erneut die oben bereits verwendete Einteilung der offentlichen Ausgaben in Leistungsentgelte und unentgeltliche Einkommensiibertragungen (Transferzahlungen) an. Betrachtet man zunachst die Leistungsentgelte, bei denen die offentliche Hand marktgerechte Zahlungen fur empfangene Giiter und Dienste leistet, so sind hinsichtlich ihrer vermutlichen Wirkung auf die Einkommenslage der Empfanger zwei Problemkreise zu unterscheiden; einmal ist danach zu fragen, wem die Mittel zufliefien, die der Staat als Entgelt zahlt, also die Frage nach der Inzidenz dieser Zahlungen, zum anderen aber auch, wem bzw. welchen Einkommensschichten der Nutzen der gekauften Giiter und Dienste zufallt, also die Frage nach der „Inzidenz" der offentlichen Leistungen, die mit Hilfe der kauflich erworbenen Giiter und Dienste seitens der offentlichen Hand bewirkt werden 265. Die erste Frage steht immer dann im Mittelpunkt, wenn es sich um den konjunkturpolitischen Einsatz der offentlichen Ausgaben handelt; viele der sogenannten „Schubladen"-Programme oder „Eventualhaushaltec< zur Bekampfung einer Rezession oder Depression enthalten bedeutende Ausgabenpositionen, die auf den Einkommenseffekt dieser offentlichen Ausgaben und auf die stimulierende Wirkung der zu leistenden Zahlungen auf die Unternehmenssphare abzielen. Nur ausnahmsweise beschranken sich die Empfehlungen finanzpolitischer Mafinahmen fur den Fall eines konjunkturellen Riickschlages ausschliefilich auf die Einnahmeseite des Staatshaushalts, wie dies beispielsweise bei President Kennedys Wirtschaftsprogramm der Fall war; meist werden Kaufe von Giitern und Diensten (Arbeitsbeschaffung) sowie nicht selten auch Transferzahlungen aller Art (Subventionen, Erwerbslosenunterstiitzungen, Dotationen an nachgeordnete Gebietskorperschaften 265 Zimmermann, H.: Die Inzidenz der offentlichen Leistungen, Einfiihrungsvorlesung, Koln, Sommersemester 1969.
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u. a. m.) fiir diesen Zweck vorgeschlagen 266. Die allgemeinste Aussage, die sich iiber die primaren Wirkungen staatlicher Leistungsentgelte aller Art machen lafit, lautet dahin, dafi die Zahlungen in der Regel zunachst dem Unternehmensbereich zufliefien, also einer Schicht von Einkommensbeziehern (Einzelunternehmer bzw. Anteilseigner), die sicherlich, wenn es um die Einkommensumverteilung geht, nicht in erster Linie gefordert werden soil. Insbesondere in einer Zeit pessimistischer Unternehmererwartungen konnen staatliche Zahlungen fiir Giiter und Dienste zu einer blofien Liquiditatsstarkung der Unternehmen fiihren, die, statt sich durch alsbaldige Wiederverausgabung an Arbeitskrafte in kaufkraftige Nachfrage zu verwandeln, womoglich zur Riickzahlung von Schulden verwendet wird; der konjunkturpolitische Effekt ware gleich Null, ganz zu schweigen von einer redistributiven Wirkung 267. Ganz anders wirken offentliche Kaufe bei ausgeglichener Konjunktur 268. In diesem Falle verbleibt nur der Gewinnanteil im Unternehmen, wahrend der iibrige Teil der Erlose in Form von Lohnen und Anschaffungen zum mindesten in einer zweiten Phase nachfragewirksam in den Kreislauf eingeht. In dieser zweiten Phase wird allerdings die Zurechnung der von den offentlichen Kassen verausgabten Betrage zu bestimmten Einkommensgruppen undurchfiihrbar; begniigt man sich mit der einigermafien erkennbaren Wirkung der offentlichen Ausgaben bei ihrem ersten Empfanger, dem Staatslieferanten, so erscheinen diese staatlichen Zahlungen fiir Giiterkaufe im Hinblick auf das Ziel der Einkommensumverteilung einigermafien neutral, zumindest nicht ausgesprochen redistributiv. Mit den Personalausgaben, d. h. den Entgelten fiir Arbeitsleistungen, verhalt es sich nicht viel anders. Als Arbeitgeber unterliegt die offentliche Verwaltung den Gesetzen des Arbeitsmarktes 269, sofern sie nicht in den Ruf eines Ausbeuters (bei unterdurchschnittlicher Bezahlung) oder eines Abwerbers (bei iiberhohten Gehaltern) kommen will. Zwar stiinde es der Verwaltung frei, bei der Einstellung von Arbeitskraften die sozial bediirftigen Bewerber zu bevorzugen; in der Regel diirfte dieses Verfahren an den qualitativen Anforderungen scheitern, die die zu leistende Arbeit verlangt. In konjunkturell normalen Zeiten bieten sich also der offentlichen Hand nur geringe Moglichkeiten, mit Hilfe der Personalausgaben redistributive Ein266 267
Vgl. § 29.
Die Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik Deutsdiland in den Jahren 1968/69 legt diesen Zielkonflikt zwischen Redistributions- und Vollbeschaftigungspolitik offen zutage; wahrend die Gewinne um 30°/o stiegen, erhohten sich die Einkommen aus unselbstandiger Arbeit nur um 17°/o (s. Sadiverstandigengutachten zur Beurteilung der gesamtwirtsdiaftlidien Entwicklung 1969/70, Ziff. 80 ff.). 268 y o n e m e r ausgeglichenen Konjunktur kann man sprechen, wenn das vorhandene Giiter-, Dienstleistungs- und Arbeitskraftepotential die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu bestehenden Preisen zu befriedigen imstande ist. 269 Vgl. § 24.
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kommenspolitik zu betreiben. Sobald es jedoch erforderlich wird, konjunkturpolitisch dampfend oder anregend in den volkswirtschaftlichen Kreislauf einzugreifen, kann audi das Ziel der gleichmafiigeren Einkommensverteilung dabei mitberiicksichtigt werden; die Finanzpolitik mufite sich zu diesem Zweck allerdings entschliefien, die herkommlichen Grundsatze ihrer Personalpolitik vorubergehend hinter konjunkturellen Erwagungen zuriickzustellen. Einen grofieren Beitrag als die staatlichen Leistungsentgelte fur den kauflichen Erwerb von Gutern und Diensten konnen zur Einkommensumverteilung die verschiedenen Transferzahlungen leisten, deren Redistributionswirkungen freilich andere sind, je nachdem ob es sich um Subventionen oder um Sozialausgaben handelt. Die Subventionen dienen primar meist anderen Zwecken als denen einer interpersonalen Einkommensverteilung; sie sollen zwar z. T. auch einkommensverandernd wirken, aber meist nur in bezug auf einzelne Sektoren der Volkswirtschaft wie Landwirtschaft oder Bergbau und oft ohne Rucksicht darauf, ob die mutmafilichen NutznieCer dieser Staatsleistungen zu den unteren Einkommensklassen gehoren oder nicht. Eine Ausnahme bilden solche Subventionen, die aus Griinden der Mittelstandspolitik an Handwerks- und industrielle Kleinbetriebe und an den mittelstandischen Einzelhandel gezahlt werden; ein besonders warnendes Beispiel fur eine redistributiv gemeinte Subvention war etwa die anfangs der 50er Jahre eingefiihrte und 1953 in aller Stille wieder abgeschaffte Konsumbrotsubvention 270, die, statt in vollem Umfang an die Haushalte mit niedrigem Einkommen zu gelangen, zum Teil auf den einzelnen Produktionsund Handelsstufen versickerte, z. T. aber auch infolge der eigenwilligen Bedarfsstruktur der Arbeiter- und Angestelltenhaushalte vorwiegend in den Haushalten der besser Verdienenden landete, die das verbilligte Konsumbrot gern kauften, ohne sich von dem verbreiteten Vorurteil gegen das „Arme-Leute-Brot" irre machen zu lassen. An diesem Beispiel wird deutlich, dafi die Subventionen infolge ihrer engen Verkniipfung mit dem Unternehmensbereich nur recht ungenau arbeitende Instrumente der Umverteilungspolitik sein konnen; ebenso wie bei den Steuern gibt es bei den Subventionen mit dem Eintritt in die Unternehmenssphare eine regelrechte Oberwalzungsproblematik 271. Der Markt bestimmt mit seiner Eigendynamik je nach der Angebots-Nachfrage-Konstellation und der Konjunkturlage die „Unterbringung K der zusatzlich anfallenden Erlose ebenso wie der den Unternehmungen steuerlich auferlegten Kosten; je nach dem Mafi der den Subventionen beigegebenen Verwendungsauflagen und 270 Vgl. Pechtold, L.: Zum Wohle der Verbraudier, Die Konsumbrotsubventionierung, in: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 33 ff. 271 Einen Versuch, diese Problematik analog zur Steueruberwalzungslehre mit Hilfe des Instrumentariums der Preistheorie zu bewaltigen, macht Berthold, U.: Zur Theorie der Subventionen, a.a.O., insbes. S. 43 ff.
17 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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ihrer Kontrolle bleibt es oft ungewifi, ob die staatliche Hilfe demjenigen zugute kommt, fiir den sie gedacht war, oder ganz oder teilweise anderen Nutzniefiern, die iiber die starkere Marktposition verfiigen. Wenn aber schon nicht fiir die ganze Dauer des Subventionsprogrammes einwandfrei vorhergesagt werden kann, ob eine beispielsweise den Verbrauchern zugedachte Subvention diese audi effektiv erreicht oder nicht, so wird es gegebenenfalls doppelt schwierig, unter der Gesamtheit der Verbraucher auch noch bestimmte Einkommensschichten zu treffen, und zwar womoglich gerade die, deren Marktposition am schwachsten ist. Nimmt an hinzu, dafi die Umstande, die die jeweilige Marktstellung der Anbieter und Nachfrager bestimmen, im Laufe der Zeit starksten Schwankungen ausgesetzt sind, so ergibt sich die Erkenntnis, dafi die Subventionen insgesamt als ein recht fragwiirdiges Instrument zur Korrektur der individuellen Einkommen angesehen werden miissen. Zwar lafit sich ihre Zielgenauigkeit mit bestimmten Techniken (Ankniipfung an verbrauchsnahe Produktionsstufen, Verwendungsauflagen, Ausweis der Subvention auf der Rechnung usw.) je nach den Umstanden des Einzelfalls gelegentlich etwas verbessern; eine Gewifiheit, dafi die Subventionen an bestimmte Verbraucherschichten weitergegeben werden, ist jedoch in einer Marktwirtschaft mit grundsatzlich freier Preisbildung ex definitione nicht zu erreichen. Sind also weder die Leistungsentgelte noch die Subventionen besonders geeignet, als Instrumente der Einkommensumverteilung zu dienen, so fallt diese Aufgabe in erster Linie den direkten Zahlungen orTentlicher Kassen an private Haushalte zu, die meist als Sozialausgaben oder Unterstutzungen bezeichnet werden. Als Redistributionsinstrument haben sie gegeniiber den Subventionen den grofien Vorteil, den Umweg iiber die Unternehmen zu vermeiden, auf dem sich die staatlichen Zahlungen, die fiir den Haushalt der Verbraucher gedacht sind, anderenfalls allzu leicht niederzuschlagen pflegen. Die offentliche Hand kann also sicher sein, mit dem Empfanger der Mittel zugleich auch ihre endgiiltigen Nutzniefier zu treffen, m. a. W. der Ausgaben-„Destinatar" ist mit dem Empfanger identisch272. Dafi der Weg zum Destinatar bei den Sozialunterstiitzungen der privaten Haushalte leichter zu finden ist als beispielsweise bei den Steuern, liegt in der Natur der Sache; jede Steuer wirkt als unbequeme Belastung, der sich die Betroffenen alsbald und auf jede Weise zu entziehen suchen, wahrend die Sozialunterstiitzungen von ihren Empfangern lediglich als Vorteil empfunden werden, der keinerlei Abwehrreaktionen auslost. Zu einer „Uberwalzung" kommt es infolgedessen hier nur, wenn der Markt den Verbrauchern einen Teil ihres Mehreinkommens in der Form ad hoc erhohter 272 Zur Terminologie der Ausgabenwirkungslehre s. Schmolders, G.: Die Wirkungen offentlidier Ausgaben auf Struktur und Konjunktur der Volkswirtschaft, in: Travaux de l'Institut International de Finances Publiques, Jg. 1956.
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Preise wieder abfordert, ein Vorgang, der zwar bei Subventionen oft genug zu beobachten ist, bei den Sozialunterstiitzungen an private Haushalte mit der breiten Streuung ihrer Nachfrage aber kaum befiirchtet zu werden braucht. Mit dem Instrument der Sozialunterstiitzungen gelingt es also vermutlich am besten, bestimmte Einkommensschichten zu erreichen; es lohnt sich daher, im einzelnen zu untersuchen, in welcher Weise ein optimaler redistributiver Effekt mittels dieser Art der Staatsausgaben erzielt werden kann. Zu dieser Frage leistete eine Erfahrung aus der Steuerpolitik einen Beitrag, die in reziproker Anwendung auf die Sozialunterstiitzungen umgemiinzt werden kann; werden diese doch in letzter Zeit geradezu als „negative Steuern", insbesondere als „negative Einkommensteuern" 273 bezeichnet. 273 ygL Rolph, E. R.: The Theory of Fiscal Economics, a.a.O., S. 67 u. S. 142 ff.; ders.: Umstrittene negative Einkommensteuer, a.a.O., S. 335 ff. Bei dem Konzept der negativen Einkommensteuer wird versucht, den Tarif gema£ der fehlenden steuerlichen Leistungsfahigkeit in den nichtsteuerpflichtigen Einkommensbereich hinein zu verlangern, allerdings nicht um dort eine Steuerschuld, sondern um die Hohe einer Sozialleistung zu bestimmen. Mit G. Polany („Negative Income Tax", Diskussionsbeitrag auf der AviemoreKonferenz der Mont Pelerin Society, September 1968) lassen sich zwei Varianten dieses Konzeptes unterscheiden, die reinen „negative-tax rate" Plane und die „social dividend" Vorschlage. Bei dem Konzept der „reinen" negativen Einkommensteuer lafk sich dieser Zusammenhang wie folgt ausdriicken, wobei -j-St die Steuerschuld, — St den Zuschuft, E das personliche Einkommen, s den Steuersatz und K das garantierte Mindesteinkommen darstellen: +St = (E — K)-s. Zur Berechnung von +St wird die Differenz zwischen dem personlichen Einkommen und dem Mindesteinkommen mit dem Steuersatz multipliziert, der, will man eine Progression einbauen, eine entsprechende Variable von E ist. Betragt der Steuersatz beispielsweise 50°/o, so wiirde, wenn E < K ist, diese Liicke zwischen dem tatsachlichen Einkommen und dem „poverty-line-minimum" zur Halfte aufgefiillt. Etwas anders verhalt es sich mit den „social dividend"-Planen, bei denen der Staat an jeden Burger einen konstanten Zuschufi (Z) zahlt, der mit der Steuerschuld verrechnet wird. Die zu zahlende Steuer bzw. der ZuschuE eines Haushaltes mit n Mitgliedern berechnet sich dabei wie folgt: ±St = E'S — Z-n. Das Einkommen von K, bei dem sich Steuerschuld und Zuschuft aufheben, beZ-n stimmt sich dann aus obiger Formel (bei 5^ = 0) als K= . In bestimmten Fallen ist es bei den „social dividend"-Planen moglich, dafi das verfiigbare Familieneinkommen iiber das Existenzminimum hinaus steigt. Ein ahnliches Transferzahlungssystem, das jedem Haushalt ein Minimumeinkommen von 3000 US Dollar garantiert, wird derzeit in den USA diskutiert. Verwandte Ansatze finden sich aber auch bei der „negativen Lohnsteuer" im Rahmen der Berlin-Hilfe und bei der Sozialhilfe laut Bundessozialhilfegesetz in der Bundesrepublik Deutschland. — Zum Problem der negativen Einkommensteuer, das im iibrigen bereits Cournot im Jahre 1838 (s. Untersuchungen iiber die mathematischen Grundlagen der Theorie des Reichtums, Jena 1924, S. 59) kannte, s.: Green, C. (Hrsg.): Negative Taxes and the Poverty Problem, The Brooking Institution, Washington, D. C. 1968; Tobin, J., Pechman, J. A., Mieskowski, P. M.: Is a Negative Income Tax Practical?, in: The Brooking Institution, Washington, D. C. 1967; Friedman, M.: Capitalism and Freedom, Chicago 1962: Tobin, J.: Improving the 17*
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Die Ausgabenpolitik
In der Finanzwissenschaft ist unbestritten, dafi die Erhebung einer gleichmafiigen Kopfsteuer tendenziell dazu fiihrt, die vorhandenen Ungleichheiten der Einkommen noch zu verscharfen; die gleiche Steuer, die einen Armen schwer belastet, ist fur den Wohlhabenden u. U. so gut wie unmerklich. Eine derart eindeutige Erfahrung reizt zur Umkehrung; wiirde jedem Staatsbiirger der gleiche pro-Kopf-Betrag an Unterstutzung ausbezahlt, so miifite als Ergebnis eine Einkommensumverteilung eintreten, da die Reichen dadurch kaum reicher, die Armen aber u. U. erheblich gefordert wiirden. Ein Beispiel fiir die praktische Wirksamkeit dieser Regel bietet die Sozialhilfe, deren Leistungen nicht, wie die Arbeitslosenunterstiitzung, vom friiheren Einkommen ausgehen, sondern von einkommensunabhangigen Daten wie Alter, Kinderzahl u. dgl. Noch deutlicher zeigt das Krankenversicherungssystem diese Redistributionswirkung; obwohl sich hier die Beitrage, die der Versicherte seinerseits zu zahlen hat, an seinem Einkommen ausrichten, kann der Hoherverdienende keine hoheren Anspriiche auf Sachleistungen geltend machen als jeder andere. In der Krankenversicherung steckt also sicherlich eine starke Redistributionswirkung, die allerdings nur auf den Kreis der Versicherungspflichtigen beschrankt bleibt und gerade die leistungsstarken hohen Einkommen ganzlich verschont 274. Das gilt auch fiir den Paradefall der redistributiven Ausgabenpolitik, wie ihn das System der Arbeitslosenversicherung einschliefilich der anschliefienden Fursorgeuntersuitzung darstellt. Der Arbeitslose erzielt, sieht man von Fallen vorgetauschter oder zeitlich sehr begrenzter Arbeitslosigkeit ab, keinerlei Einkommen vom Markt, sondern erhalt seine Bezuge teils vom Staat (in Form der staatlichen Zuschiisse), teils von denen, die Arbeitseinkommen beziehen und davon Beitrage zur Arbeitslosenversicherung leisten miissen; einen Teil hat er vielleicht auch friiher selbst in Form seiner eigenen Versicherungsbeitrage erbracht. Dieser Redistributionseffekt der Erwerbslosenuntersttitzung liefie sich noch verstarken, wenn der Vorschlag einer zyklisch gestuften Versicherungsleistung (Cyclically Graduated Compensation) von Galbraith verwirklicht wiirde, nach dem die Satze der Arbeitslosenunterstiitzung je nach der Konjunkturlage variabel gestaltet werden sollen 275 . In Depressionszeiten, wenn beim besten Willen keine Arbeitsplatze zu finden sind, sollen die Unterstiitzungssatze danach besonders hoch Fortsetzung Fufinote 273 Economic Status of the Negros, in: Daedalus, Bd. 94 (1965), S. 878 ff., Diamond, A.: Negative Taxes and the Poverty Problem, A Review Article, in: National Tax Journal (Sept. 1968), S. 288—300; Hansmeyer, K. H.: Zur Problematik einer negativen Einkommensteuer, in: Die Aussprache, Heft 10, 1969, S. 325 ff.; Schmidt, K.: Steuerpolitik im Umbruch, in: Finanz- und Geldpolitik im Umbruch (Hrsg. H. Haller, H. C. Recktenwald) Mainz 1969, S. 177 ff. 274 Schreiber, W.: Die gesetzliche Krankenversicherung vor dem Rontgenschirm, in: Arbeit und Sozialpolitik 1961 und Hansmeyer, K.-H.: Effekte der Einkommensumverteilung in der sozialen Krankenversicherung, a.a.O., S. 105 ff. 275 Galbraith, K. E.: Gesellschaft im Uberfluft, Miinchen-Zurich 1959, S. 315 ff.
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sein, um den Nachfrageausfall auszugleichen, der aus der Unterbeschaftigung resultiert; dafiir soil die Arbeitslosenunterstiitzung in Zeiten guter Konjunktur bis auf die Fiirsorgesatze abgebaut werden, um den Anreiz, sich selbst nach einem Arbeitsplatz umzusehen, fiir den einzelnen Arbeitslosen recht fiihlbar zu machen, die Nachfragekaufkraft jedoch angesichts der vorhandenen Vollbeschaftigung nicht noch weiterhin zu verstarken. Dafi dieser zunachst konjunkturpolitisch gemeinte Vorschlag redistributiv wirkt, ergibt sich allein aus der Tatsache, dafi der langfristig Arbeitslose, der also keinerlei eigenes Einkommen bezieht, dadurch in vermehrtem Umfang offentliche Mittel erhalt. Kommt somit eine nennenswerte direkte Einkommensumverteilung mittels offentlicher Ausgaben lediglich im Kreis der Sozialversicherungspflichtigen und Sozialhilfeempfanger, d. h. auf der Stufe der niedrigeren Einkommen zustande, so gilt dies nicht in dem gleichen Mafie fiir die oben erwahnte indirekte Redistribution, wie sie von der Nutzenstiftung durch die von der orTentlichen Hand zur Verfiigung gestellten Leistungen ausgeht 276. Die unentgeltlichen Staatsleistungen, zu denen, um nur wenige Beispiele zu nennen, die Leistungen der orTentlichen Hand auf dem Gebiete der orTentlichen Sicherheit, der Rechtspflege und der Erziehung gehoren 277, werden jedem Staatsbiirger in gleichem Mafie zur Verfiigung gestellt. Je nachdem, in welcher Weise die in Anspruch genommenen Staatsleistungen auf diesen Gebieten den verschiedenen Einkommensschichten zugutekommen, ergibt sich hier eine u. U. betrachtliche umverteilende Wirkung; sie konnen, wenn sie jedem Burger in gleicher Hohe zufliefien 278, gewissermafien wie negative Kopfsteuern wirken. Insbesondere die Aufwendungen der orTentlichen Hand fiir das Grundschulwesen kommen heute grundsatzlich der Gesamtheit der Staatsbiirger zugute; der Stand der Kultur, die Technik und ihre Errungenschaften, Bildung, Kunst und Wissenschaft sind jedem in gleicher Weise zuganglich, der gewillt und in der Lage ist, davon Gebrauch zu machen, wenngleich es hierbei aber weniger auf die potentielle als vielmehr auf die tatsachliche Nutzung derartiger Einrichtungen ankommt; diese wird aber derzeit leider noch durch gewisse Faktoren behindert. Mit der Demokratisierung des orTentlichen Lebens sind die Standesunterschiede weitgehend verschwunden; die allgemeine Schulpflicht erfafit jedes Kind und jede Familie gleichermafien, ob sie sich anderenfalls einen Privatlehrer leisten konnte oder nicht. Bedeutet somit das alien gemeinsame Erziehungswesen bereits eine gewisse indirekte 276
H. Haller rechnet die orTentlichen Dienste, die jedermann kostenlos zur Verfiigung stehen, „nicht zu den eigentlichen Redistributionsleistungen, obwohl sie z. T. ausgesprodien redistributiv wirken". (Finanzpolitik, a.a.O., S. 231) 277 Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 157. 278 Kinderreiche mit niedrigem Einkommen partizipieren aber beispielsweise an orTentlichen Spielplatzen mehr als die iiberwiegend kinderarmeren Bezieher hoherer Einkommen, die die Anlagen vorwiegend finanziert haben.
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Redistribution, so ist doch dabei keineswegs bereits die Grenze des Moglichen erreicht; in manchen anderen Landern ist die Demokratisierung auf diesem Gebiete heute schon weiter fortgeschritten als bei uns. Das deutsche Schulsystem bietet nach Absolvierung der Volksschulpflicht jedem Staatsbiirger die freiwillige Moglichkeit des Besuches der hoheren Schule; wahrend dieser J a h r e braucht z w a r kein Schulgeld mehr gezahlt zu werden, die Schiller erhalten aber audi (noch) keine Unterhaltsstipendien 279 , die vielmehr erst mit dem sogenannten Honnefer Modell etc. nach dem Beginn des Hochschulstudiums einsetzen. Diese Zwischenzeit, w a h r e n d deren der Schiller auf das Einkommen verzichten mufi, das er als Arbeiter erzielen wiirde, ist heute noch fur viele Eltern ein Grund, die Kinder statt zur hoheren Schule gleich ins Erwerbsleben zu schicken. Wiirde diese Periode entweder durch Schulzwang (wie in Amerika und in der Sowjetunion) oder durch ausreichende Unterhaltsstipendien iiberbriickt, so wiirden die hohen Staatszuschiisse zum Hochschulwesen einer Studentengeneration zugutekommen, die sich vermutlich weit gleichmafiiger aus den verschiedenen Einkommensschichten rekrutieren wiirde, als dies heute der Fall ist 2 8 °. Eine verhaltnismafiig geringfiigige K o r r e k t u r auf der Zwischenstufe der hoheren Schule wiirde also einen betrachtlichen Posten der orTentlichen Ausgaben zu einem viel starker redistributiv wirkenden Faktor machen konnen; ahnlich lassen sich sicherlich auch manche andere Staatsleistungen dem Ziel der Einkommensumverteilung noch besser dienstbar machen, indem ihre redistributive Wirkung planmafiig ausgebaut und womoglich verstarkt wird. Die Moglichkeiten der Finanzpolitik, zu einer Korrektur der m a r k t w i r t schaftlichen Einkommensverteilung beizutragen, sind auf der Ausgabenseite der orTentlichen Haushalte nach alledem recht begrenzt. Sieht man von der „indirekten" Redistribution ab, die mit der kostenlosen Zurverfiigungstellung der orTentlichen Dienste an jedermann verbunden ist, so bleiben als wirksamste Instrumente der Ausgabenpolitik lediglich die Sozialunterstiitzungen iibrig; auch bei ihnen ist es bisher nicht gelungen, die redistributive Wirkung iiber einen engen Kreis hinaus auf die wirklich finanziell Leistungsfahigen auszudehnen. Das hangt mit einer technischen Besonderheit zusammen, die nicht zwangslaufig mit den Sozialausgaben verbunden ist, sondern sich aus ihrer historischen Entwicklung erklart; die Hauptmasse der Sozialleistungen ist haushaltstechnisch aus dem Staatshaushalt ausgegliedert 279 Von dem kurzen Intermezzo des „Pennaler-Gehaltes", das als Wahlgeschenk zur Bundestagswahl 1965 gewahrt, aber schon im Friihjahr 1966 durch das Haushaltsicherungsgesetz storniert wurde, soil abgesehen werden. 280 N u r k n a p p 6% der deutschen Studenten stammen aus Arbeiterhaushalten, obwohl 47,3% der Erwerbsbevolkerung Arbeiter sind (Stat. Bundesamt, Fachserie A, Reihe 10 5,Bildungswesen", 1968, S. 38; Stat. Jahrbuch der BRD 1969, S. 124). Ware ein derartiges Nutzungsverhaltnis fur alle orTentlichen Einrichtungen reprasentativ, so wurde die Progression des Steuersystems moglicherweise (iiber-) kompensiert.
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und besonderen parafiskalischen Finanztragern — den gesetzlichen Sozialversicherungen — iibertragen, die aus der Bismarckschen Sozialversicherung entstanden sind. 1st audi das eigentliche Versicherungsprinzip, das Anwartschaftsdeckungsverfahren, bei der gesamten Sozialversicherung heute verlassen und weitgehend durch das „Umlageverfahren" ersetzt, so wirkt das alte Prinzip, nach dem jeder Versicherte an den Leistungen der Versicherung nur nach Mafigabe der von ihm selbst eingezahlten Beitrage partizipiert, doch insoweit noch nach, als der iiberwiegende Teil der zur Verteilung gelangenden Summen nach wie vor aus Beitragen stammt; von ihnen konnen nur die Arbeitnehmerbeitrage in gewissem Umfang redistributiv im Sinne der Einkommensumverteilung, d. h. progressiv ausgestaltet werden, wahrend die Arbeitgeberbeitrage als Lohnnebenkosten in die Preisbildung an den Giiter- und Leistungsmarkten eingehen, d. h. vermutlich regressiv wirken. Die Staatszuschusse aus allgemeinen Haushaltsmitteln wirken ihrer Herkunft nach nicht starker redistributiv, als das Steuersystem als Ganzes. Diese engen Grenzen der sozialpolitischen Redistribution auf der Ausgabenseite des Staatshaushalts waren grundsatzlich nur dadurch weiter hinauszuschieben, dafi die Sozialleistungen von Beitragen der Versicherten ganz unabhangig gemacht und voll auf den Staatshaushalt ubernommen wiirden, wie dies im Ausland heute schon teilweise geschieht. Weder die Beitrage noch die Leistungen waren in diesem Falle auf den Kreis der Sozialversicherungspflichtigen begrenzt; in Schweden ist selbst derKonig berechtigt, die Leistungen der „Volkspension
§ 28. Offentliche Ausgaben im Dienste der Strukturpolitik Unter den strukturpolitischen Zielen, zu deren Verwirklichung die Finanzpolitik beitragen soil, ist die Umschichtung der Einkommen nur eines unter mehreren; in der Wirkung ebenso bedeutsam ist der Effekt, den die orTentlichen Einnahmen und Ausgaben auf die Struktur der Produktion ausiiben. Unter den offentlichen Einnahmen galten von jeher insbesondere die Zolle, von der Zollpolitik der Merkantilisten iiber Lists These von der anspornenden Wirkung eines Erziehungszolls bis zum heutigen Schutzzoll der Entwicklungslander und Industriestaaten, als Mittel, die heimische Produk281
Vgl. § 38.
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Die Ausgabenpolitik
tion zumindest zeitweilig vor dem Wettbewerb des Auslandes zu bewahren. Dagegen hat sich erst in neuerer Zeit gezeigt, dafi gerade auch die offentlichen Ausgaben dazu eingesetzt werden konnen, den Standort, die Wanderung und die Kombination der Produktionsfaktoren in bedeutsamer Weise zu beeinflussen; zog es der Merkantilismus noch vor, die Produktion von Staats wegen in die Hand zu nehmen, wahrend der Liberalismus eine strukturpolitisch orientierte Ausgabenpolitik ebenso verabscheute wie jede andere nichtfiskalische Zielsetzung der Finanzpolitik, so blieb es dem Zeitalter des Interventionismus vorbehalten, auch die offentlichen Ausgaben in ihrer Wirkung auf die Produktionsstruktur staatlichen Zielen dienstbar zu machen. Das allgemeine Ziel einer „Forderung der Produktionsstruktur" ist allerdings nicht so leicht zu bestimmen wie das der Korrektur der Einkommensverteilung. Der Strukturbegriff lebt zunachst von der Gegenuberstellung zum Begriff „Konjunktur" 282, der die Bewegung der gesamten Volkswirtschaft im Zeitablauf im Auge hat. Der Strukturbegriff dient demgegenuber „zur Bezeichnung eines inner en Gefiiges, wie es durch Form, Grofie und Eigenart der Elemente, durch deren Anordnung, Haufung und Trennung, kurz durch Verbindung und Beziehung zwischen den Teilen innerhalb eines Ganzen bedingt ist" 283; er bezieht sich auf nGro&enverhdltnisse, also auf den inneren Aufbau, nicht auf die Grofie an sich" 284. Einen Ubergang zwischen struktur- und konjunkturpolitischer Betrachtungsweise bilden die Strukturwandlungen, d. h. Anderungen der Grofienverhaltnisse im Zeitablauf, die sich von der Konjunkturschwankung nur noch dadurch unterscheiden, dafi sie auch ohne Anderung der Gesamtgrofien, z. B. Beschaftigung oder Sozialprodukt, denkbar sind; langfristig verschieben sich aber die Relationen nicht weniger als die Gesamtgrofien, so dafi die beiden Begriffe, vor allem bei schwacher werdendem Konjunkturzyklus, nur schwer zu trennen sind. Beschrankt man die Betrachtung ausschliefilich auf die Produktionsstruktur, so steht hier ein so klarer, wenn auch einseitiger ErfolgsmaCstab, wie ihn die Lorenz-Kurve fur die Einkommenspolitik bildet, nicht zur Verfiigung. Verbesserung der Produktionsstruktur heifit in der Regel, bestehende Engpasse erweitern oder Oberkapazitaten abbauen, nicht aber, einen Idealtypus ausgeglichener Produktionsstruktur verwirklichen. So lauft die Strukturpolitik beispielsweise in den Entwicklungslandern darauf hinaus, einzelne fur besonders wichtig gehaltene Sektoren oder Regionen zu fordern; fiir eine auf die gesamte Produktionsstruktur gerichtete Politik fehlen bisher alle objektiven Mafistabe, solange man nicht einmal nachweisen kann,
282 ygL Bombach, G.: Der Strukturbegriff in der Dkonomie, Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, Bd. 30 I, Berlin 1963. 283 So schon Harms, B.: Strukturwandlungen der deutsdien Volkswirtschaft, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 24. Bd., Jena 1926, S. 261. 284 Bombach, G.: Der Strukturbegriff in der Dkonomie, a.a.O., S. 4.
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ob Forderung der Kleinindustrie und des Mittelstandes oder Intensivierung der Schwerindustrie den grofieren Effekt auf das wirtschaftliche Wachstum ausiiben. Im allgemeinen ist dagegen stets davon auszugehen, dafi der Produktionsfaktor „Kapital", meist audi der „dritte Faktor", die Ausbildung und das „ Know-How" der Fachkrafte, noch nicht ausreichend vorhanden ist, so dafi hier die Politik einsetzen kann. Auch in der Bundesrepublik der ersten Nachkriegszeit konnte die Wirtschaftspolitik mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dafi das Haupthindernis fur das erforderliche starkere Wachstum der Betriebe in ihrem Kapitalmangel lag, so dafi die Strukturpolitik zunachst hier angesetzt werden mufite. Derartige Engpasse lassen sich in den erwahnten wirtschaftlichen Extremsituationen noch relativ leicht erkennen; in einer normal wachsenden Wirtschaft ohne ernsthafte Storungen sind jedoch die geeigneten Ansatzpunkte einer auf die Produktionsstruktur gerichteten Politik weit schwerer zu bestimmen. Sicherlich bleiben immer einzelne Wirtschaftszweige im Tempo ihrer Entwicklung hinter dem Durchschnitt zuriick; aber es ist sehr die Frage, ob damit bereits der Zeitpunkt eines Eingriffs fiir die sektorale Finanzpolitik gekommen ist: um wieviel armer mufi eine Branche oder ein Landstrich sein als die anderen, damit ihm geholfen werden sollte? Diese Entscheidung bleibt stets der politischen Willensbildung iiberlassen; die Wissenschaft mufi sich darauf beschranken, die Brauchbarkeit der Instrumente, d. h. also hier der Ausgabenpolitik, fur die Losung sektoraler und regionaler Strukturprobleme zu untersuchen. Die Leistungsentgelte, die die offentliche Hand fiir Guter und Dienstleistungen bezahlt, sind in ihren Wirkungen recht unterschiedlich, je nachdem, ob der Staat als Arbeitgeber oder Auftraggeber auftritt. Der Einflufi der Personalausgaben auf die Produktionsstruktur aufiert sich in erster Linie in dem Verhaltnis der Beamtenentlohnung zu den Lohnen und Gehaltern in den wirtschaftlichen Unternehmungen 285. Einerseits geht von den Beamtengehaltern, vor allem von der Art und Weise der Altersversorgung der Beamten und Staatsangestellten, eine deutlich erkennbare „Signalwirkung
285 Zum folgenden Sdimolders, G.: Die Wirkungen offentlidier Ausgaben auf Struktur und Konjunktur der Volkswirtschaft, a.a.O., S. 37 ff. 286 Vgl. § 24.
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ziemlich unbrauchbar, da sie nicht direkt bis in die Sphare der personlichen finanziellen Verhaltnisse des einzelnen Staatsbiirgers hineinreichen. Die Produktionsstruktur ist mit ihrer Hilfe dagegen sehr viel leichter zu treffen, da es sich dabei ja gerade urn solche Zahlungen handelt, die an Marktvorgange und damit an Produktion und Verteilung unmittelbar ankniipfen; die Sachausgaben der offentlichen Hand wirken unmittelbar auf den einzelnen Guter- und Leistungsmarkten als zusatzliche (oder einen entsprechenden Nachfrageausfall Privater kompensierende) Nachfrage mit alien ihren Kennzeichen. Von dem Ausnahmefall, dafi die Nachfrage der offentlichen Hand sich lediglich kompensatorisch genau auf die gleichen Guter und Leistungen in den gleichen Mengen und zu den gleichen Preisen richtet, wie die durch die gleichzeitige Besteuerung ausfallende Nachfrage Privater, kann als unrealistisch abgesehen werden; in jedem anderen Falle bewirkt die von der offentlichen Hand ausgetibte Nachfrage einen Einflufi auf die Produktionsstruktur, sei es, dafi andere Guter und Leistungen erstellt oder bestimmte Markte bevorzugt, andere dagegen benachteiligt werden, oder dafi die Preisbildung einen anderen Verlauf nimmt als im Falle eines Fehlens der von der offentlichen Hand ausgeiibten Nachfrage. Infolgedessen scheint es zunachst ganz einfach zu sein, durch Lenkung der Beschaffungsmittel in unterstutzungswiirdige Gebiete oder Branchen den ohnehin notwendigen Kaufen einen zusatzlichen strukturpolitischen Effekt zu verleihen. Einer solchen nichtfiskalischen Ausgabenpolitik steht jedoch das Prinzip der Sparsamkeit entgegen, das gleichwertige Pendant zum fiskalischen Steuerzweck der Einnahmenseite; wenn ein gegebener Zweck mit den geringsten Kosten zu erreichen ist, so ist es jeweils zunachst der Preis, der liber eine Beschaffung entscheidet. Dabei ist allerdings ein Unterschied zwischen kurz- und langerfristiger Betrachtung zu machen; der heute niedrigste Preis kann etwa dadurch zustande gekommen sein, dafi sich die Anbieter zu einem Submissionskartell zusammengeschlossen haben, nur um spater, wenn sie ein Angebotsmonopol besitzen, die Preise wieder zu erhohen. Eine ahnliche Lage ergibt sich auch da, wo die offentliche Hand ausschliefilich auf niedrige Preise bedacht ist, so dafi gegebenenfalls auch die letzten Klein- und Mittelbetriebe vom Markt verdrangt werden, auf dem sich schliefilich auf Grund der Kostendegression nur wenige Betriebe halten konnen; moglicherweise bleibt vielleicht nur noch ein Unternehmen iibrig, das damit ebenso zum Monopolisten wird wie ein Kartell. Infolgedessen ist eine mittelstandsfordernde Ausgabenpolitik auf langere Sicht gegebenenfalls durchaus mit dem Sparsamkeitsprinzip vereinbar. Zwar kann der einzelne Grofibetrieb vielleicht zunachst kostengunstiger produzieren; fur die offentliche Hand besteht jedoch die Gefahr, dafi dieser Vorteil ihr auf dem Wege von Preiserhohungen alsbald wieder verloren geht, ohne
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dafi es gelingt, durch Mafinahmen der Preispolitik oder auf dem Wege des Wettbewerbs die Gewinne der Staatslieferanten in Schranken zu halten 287. Die besondere Beriicksichtigung mittelstandischer Betriebe bei der Vergabe offentlicher Auftrage ist in der Bundesrepublik in den Vorschriften niedergelegt, die fiir die bevorzugte Behandlung von Angeboten aus dem Handwerk und anderen kleineren Betrieben gelten 288; in den USA sorgt ein besonderes Ann, die „ Small Business Administration", dafur, dafi der Kreis der mittelstandischen Betriebe bei der Beschaffung des offentlichen Bedarfs nicht leer ausgeht 289. Die Mehrkosten, die der Staat fiir seine Beschaffungen aufwendet, wenn er dabei seinen Bedarf zu hoheren Preisen deckt, kann man allerdings nicht nur nach der Differenz berechnen, die im Vergleich zum giinstigsten Angebot mehr bezahlt wird; hinzurechnen mufi man vielmehr auch alle Nebenkosten, die sich aus der zusatzlichen Verwaltung, aus den erhohten Priifungsanforderungen bei der Ware oder aus den Bonitatspriifungen der zugelassenen Unternehmen ergeben. In ahnlicher Weise geht die offentliche Hand vor, wenn sie Auftrage zur regionalen Wirtschaftsforderung einsetzt; auch hier gibt es bestimmte Gebiete, wie Berlin, die Zonenrandgebiete usw., deren Lieferungen bevorzugt werden, selbst wenn die Preise etwas hoher sind als die des giinstigsten Angebotes. Ein gutes Beispiel dafiir, dafi regionale Strukturpolitik und iiberregionale Gesichtspunkte gelegentlich sogar miteinander harmonieren konnen, bietet die Standortwahl der Militareinheiten. Kostengesichtspunkte, wie die Frage nach einem preiswerten Ubungsgelande, und strategische Uberlegungen, wie die Forderung nach Dezentralisierung der Standorte, stimmen miteinander iiberein, wenn die Einheiten dort stationiert werden, wo die Wirtschaftspolitik einen Expansionseffekt erreichen mochte; nicht nur der dezentral beschaffte Verteidigungsbedarf, sondern auch diejenigen Teile des Einkommens, die die Soldaten und Angestellten fiir ihre Lebenshaltung verausgaben 290 , kommen der betreffenden Region wirtschaftlich zugute, ein Einkommenszuwachs, der um so hoher zu bewerten ist, als er im Marktprozefi erwirtschaftet wird und dadurch in der Regel einen starkeren Wachstumsanreiz ausiibt als ein gleich hoher Betrag an zusatzlichen Sozialausgaben oder an erhohten offentlichen Leistungen fiir den Strafien- oder Schulbau. Ein niitzlicher Produktions- und Rationalisierungsanreiz kann bei den Sachausgaben der offentlichen Hand im iibrigen auch schon durch das Ver287
Schmolders, G.: Wirkungsmoglichkeiten und Grenzen offentlicher Preisregelung, in: Der gerechte Preis, Berlin 1940; ders.: Probleme der Preisbeherrschung, in: Deutsche Geldpolitik, Berlin 1941; Schmolders, G. und York von Wartenburg, P.: § 22, Die Preisbildung nach der Kriegswirtschaftsverordnung, Berlin 1942. 288 Welter, E.: Der Staat als Kunde, a.a.O., S. 260. 289 Schmolders, G : Kreditprobleme der Klein- und Mittelbetriebe in den USA, Institut fiir Mittelstandsforschung, Koln 1959. 290 S. hierzu z. B. Terner, J. D.: The economic impact of a military installation on the surrounding area: A case study of Fort Devens and Ayer, Massachusetts, Boston 1965.
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fahren der offentlichen Ausschreibung erzielt werden, bei dem die forderungsbediirftigen Branchen besonders bevorzugt werden, sei es, dafi der Wettbewerb auf einen nach Forderungsgesichtspunkten abgegrenzten Bereich beschrankt oder den bevorzugten Betrieben der Zuschlag audi dann gesichert wird, wenn ihr Angebot das der Konkurrenten bis zu einem gewissen Prozentsatz iibersteigt. „Mittelstandspolitik" oder „F6rderung von Motstandsgebieten" mufi jedenfalls nicht bedeuten, dafi die freihandige Vergebung an die Stelle der Ausschreibung tritt, wie dies in Deutschland und USA vielfach vorkommt, oder dafi bei der Bekampfung von Verdingungsabsprachen nachsichtiger verfahren wird 291. Andererseits setzt sich jede derartige Forderung bestimmter Branchen bzw. Regionen dem Vorwurf einer gewissen Einseitigkeit aus, da nur solche Unternehmen in den Genufi der offentlichen Auftrage gelangen, die nach Sortiment und Grofie in der Lage sind, den bestehenden Bedarf zu befriedigen; alle anderen gehen leer aus 292 . Zwar fordert die offentliche Hand damit generell den Mittelstand auf Kosten der Grofibetriebe bzw. die Notstandsgebiete auf Kosten der besser entwickelten Regionen; sie erkauft diesen Erfolg aber mit einem mehr oder weniger vollstandigen Verzicht auf freien Wettbewerb und mit einer Heranziehung nur weniger Betriebe, die sich dann in ihrer Geschaftsgebarung weitgehend auf den offentlichen Bedarf einstellen. Die Frage kann also nur sein, wieweit man das feststehende Auftragsvolumen der offentlichen Hand starker nach Mafigabe der erstrebten strukturpolitischen Ziele verteilen bzw. verlagern kann; mag die Durchschlagskraft dieser Auftrage auch begrenzt sein, so haben sie doch den Vorzug, unmittelbar an die Produktionssphare anzuknupfen und damit die marktwirtschaftlichen „Incentives" zu fordern. Dafi diese Moglichkeit bei uns bisher kaum genutzt wird, ja dafi die Verteidigungskaufe sogar die regionalen Ungleichgewichte verstarken, haben die Untersuchungen von H. Zimmermann und H. D. Klingemann gezeigt, die zu dem Ergebnis fiihrten, dafi „Verteidigungskaufe hauptsachlich in den industrialisierten Gebieten getatigt . . . werden", „dafi die ohnehin besser gestellten Gebiete ein wenig iiberproportional zu ihrem Anteil an der Bevolkerung und an der Produktionskapazitat begiinstigt werden und dafi die unterentwickelten Gebiete weit weniger als den ihnen bei einer ,neutralenc Verteilung zukommenden Anteil erhalten" 293. Die andere Gruppe der offentlichen Ausgaben, die Einkomrnensubertragungen ohne Gegenleistung (Transferzahlungen), besitzt diese unmittelbare marktmafiige Wirkung im allgemeinen nicht, zum mindesten soweit es 291 292 293
Welter, E.: Der Staat als Kunde, a.a.O., S. 282 ff.; vgl. auch § 24. Ders.: ebenda, S. 254. Zimmermann, H., Klingemann, H. D.: Der Einflu£ der Verteidigungskaufe auf die Regionalstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, in: Raumforschung und Raumordnung (1967), Heft 2, S. 57.
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sich urn Sozialausgaben handelt. Z u r Beeinflussung der Produktionsstruktur konnen die Sozialausgaben nur in beschranktem Mafie beitragen, etwa wenn es sich urn Altershilfe fiir Landwirte oder um den Zuschufi der offentlichen H a n d zur Knappschaftsversicherung handelt. Auch fiir solche Sozialausgaben, die neben ihrer sozialen auch eine regionale Wirkung zeitigen sollen, sind die Beispiele selten; hierzu zahlen die besonderen Heirats- und Kinderbeihilfen fiir die Berliner Bevolkerung. Eine Nebenwirkung der Arbeitslosen- und Rentenzahlungen ist es, dafi sie sich in ihrer H o h e p r o Kopf der Bevolkerung in den Notstandsgebieten gewissermafien kumulieren, da hier die Arbeitslosen und die bei der Landflucht zuriickgebliebenen Rentner meist iiberproportional zahlreich sind. D a m i t wird allerdings zunachst nur erreicht, dafi Kaufkraft und Umsatz dieser Gebiete sich entsprechend erhohen; wieweit dadurch auch die Produktionsstruktur entwickelt wird, bleibt dagegen offen. Im giinstigsten Falle folgt der Wiederverausgabung dieser Mittel im ortlichen Einzelhandel eine Steigerung der heimischen P r o d u k t i o n ; vielleicht sind allerdings oft die „Signalwirkungen" solcher Ausgaben wichtiger als ihre Kaufkraftwirkungen. Entschliefit sich z. B. ein Unternehmer, in einem Notstandsgebiet ein Zweigwerk zu griinden, weil das Kaufkraftpotential der ortlichen Wirtschaft durch regional gezielte Sozialausgaben oder Subventionen verbessert worden ist, so hat der Strom der Transferzahlungen, der vorher moglicherweise ohne regionale Wirkung blieb, z w a r nunmehr zu der gewiinschten Veranderung der Produktionsstruktur beigetragen; dieser Erfolg ist aber in diesem Falle nicht der Zahlung als solcher, sondern erst der von ihr ausgelosten Signalwirkung zuzuschreiben. Im ungiinstigsten Falle werden die ortlich verausgabten Unterstiitzungen womoglich zu erhohter Ersparnisbildung verwendet, so dafi sie iiber das Bankensystem wieder in die kapitalhungrigen Ballungsgebiete zuriickflieiSen. Wahrscheinlicher ist es, dafi zum mindesten ein Teil des Mehrbedarfs von der Industrie der Ballungsgebiete gedeckt wird, wahrend ein Teil der zusatzlichen Nachfrage die heimische Produktion anregt; jedenfalls ist der Effekt der Sozialausgaben auf die Regionalstruktur nur indirekter N a t u r , da er von der Wiederverausgabung der Mittel seitens der Empfanger abhangt, die kaum jemals im einzelnen vorausgesehen oder gar gelenkt werden kann. N u r wenn A r t und Umfang der Verausgabung bekannt sind, konnen mittels regionaler Multiplikatormodelle 294 konkrete Erkenntnisse iiber ihre 294 Als Beispiele fiir einen derartigen Ansatz seien angefiihrt: Isles, K. S., Cuthbert, N . : An Economic survey of Northern Ireland, Belfast 1956; Archibald, G. C : Regional multiplier effects in the United Kingdom, in: Oxford Economic Papers, Marz 1967; Brown, A. J., Lind, H., Bowens, J.: The Green Paper on the development areas, in: National Institut Economic Review, Mai 1967; Fouraker, L.: A Note on Regional Multipliers, in: Papers and Proceedings of the Regional Science Association, Bd. 1 (1955); Steele, D. B.: Regional Multipliers in Great Britain, in: Oxford Economic Papers, July 1969 und kritisch: Wilson, T.: The Regional Multiplier — A Critique, in: Oxford Economic Papers Nov. 1968.
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raumlichen Liquiditats- u n d Nachfrageeffekte sowie die moglicherweise daraus resultierenden Kapazitatswirkungen gewonnen werden. Demgegeniiber kniipfen die Subventionen, ahnlich wie die Leistungsentgelte, oft unmittelbar an Produktionsvorgange an, so dafi sie fiir die Beeinflussung der Produktionsstruktur auf den ersten Blick besser geeignet erscheinen. Die Vielzahl der Auflagen, mittels derer der Empfangerkreis a b gegrenzt und die Verwendung der Mittel gesteuert wird, ermoglicht es nicht selten, die Rationalisierung oder sogar die M a r k t f o r m einer Branche nach den Gesichtspunkten der Strukturpolitik zu beeinflussen. D e r a r t gesteuerte Subventionen riicken freilich schon in die N a h e der „direkten Kontrollen", mit denen der Staat die Kostenstruktur oder die Zahl der Anbieter in einer Branche zu manipulieren sucht; die Grenze ist hier gegebenenfalls nicht leicht zu ziehen. Beispiele fiir Subventionen an einzelne Wirtschaftsbereiche gibt es in grower Zahl 295 . An erster Stelle steht hier die Forderung der Landwirtschaf t, die in der offentlichen Meinung durch die jahrliche Diskussion um den Grlinen Plan besonders in das allgemeine Bewufitsein gehoben wird 296 . Sie ist mit zahlreichen produktionspolitischen Auflagen durchsetzt, um auf Betriebsgrofie und Kostenstruktur der landwirtschaftlichen Betriebe, auf die Qualitat des Bodens und der Erzeugnisse, die Flurbereinigung und zweckmafiige Umlegung Einflufi zu nehmen und zu verhindern, dafi die Agrarforderung sich lediglich in einer Erhohung der Einkommen auf dem landwirtschaftlichen Sektor erschopft; vielmehr bewirkt die Verkniipfung der Subventionen mit Auflagen, die Empfang und Verwendung auf strukturfordernde Tatbestande beschranken, eine A r t „Saugwirkung
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Ebenso wie bei der Forderung der Landwirtschaft sind die Zielvorstellungen audi in anderen Subventionsprogrammen meist recht verschwommen; es ist daher nicht einfach, die Technik der Subventionen im einzelnen darauf zu iiberpriifen, ob sie dem erstrebten Ziel wirksam zu dienen vermag. Ware die Agrarpolitik nur Einkommenspolitik oder nur Produktionspolitik, so konnte die Wissenschaft ein eindeutiges Urteil iiber die getroffenen Mafinahmen abgeben. Hatte die Unterstiitzung des Kohlenbergbaus nur den Sinn, den inzwischen erforderlich gewordenen Anpassungsprozefi sozialpolitisch zu erleichtern, so miifiten ganz andere Mittel zum Einsatz kommen, als wenn ihr Ziel die Rationalisierung oder die Erhaltung des Bergbaus aus Autarkiebestrebungen bzw. die Schliefiung einer etwa fiir die Zukunft erwarteten Energielucke ware. Auf eine ahnliche Problematik der auf den Steinkohlebergbau abzielenden sektoralen Strukturpolitik stofit man, wenn man sich nach dem Zweck der Ruhrkohle-Einheitsgesellschaft erkundigt, mit deren Griindung die unterschiedlichsten Ziele realisiert werden sollten. Im Ergebnis kann man die einzelnen Subventionsprogramme, die dieser Neuregelung zugrunde lagen, heute nicht mehr auf ihre Effizienz uberpriifen, soweit sie sich aus jeweils einem dieser spezifischen Ziele ergibt; sie alle fliefien in Zukunft in den einen grofien Fonds „Ruhrkohlen-Aktiengesellschaft" zusammen, dessen Zielfunktion so vielseitig und vieldeutig ist, dafi die Erfolgskontrolle der zur „Sanierung des Bergbaus" verausgabten Mittel dadurch sehr erschwert wird. Die sektorale ist mit der regionalen Strukturpolitik eng verquickt; immer wenn sich Unternehmen der als forderungswiirdig befundenen Branche vorzugsweise in bestimmten Gebieten beflnden, ist schwer zu entscheiden, ob sektorale oder regionale Gesichtspunkte den Vorrang besitzen. So kommt eine Forderung des Schiffbaus, wiewohl primar einem Wirtschaftszweig zugedacht, regional sicherlich zunachst ganz allgemein den Kiistenstadten zugute. Geht es aber darum, die Produktions- und Einkommensstruktur eines Gebietes von Grund auf zu planen oder zumindest ihre Entwicklung entscheidend zu beeinflussen, sind Subventionen letztlich doch nur ein Instrument unter mehreren, mit denen eine derartige Strukturpolitik betrieben werden kann. Ausgangspunkt der Regionalprogramme ist in der Regel die Erscheinung, dafi das Einkommen der Bevolkerung in bestimmten Gebieten, wie etwa der Eifel, in den Zonenrandgebieten oder dem Emsland als unzureichend gilt. Ziel der Regionalpolitik miifite es somit sein, den Staatsbiirgern in dieser Region ein im Verhaltnis zum Durchschnitt als ausreichend angesehenes Einkommen 299 und den Anschlufi an das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu 289
In diesem Fall ist es zweckmafiig, einen erweiterten Einkommensbegriff zugrundezulegen; „zum Geldeinkommen sind Infrastrukturleistungen und die schwer bewertbaren Wohn- und Freizeitwerte hinzuzuzahlen. Beides zusammen ergibt erst
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verschaffen — moglichst unter der Nebenbedingung, dafi das gesamtwirtschaftliche Wachstum 300 dadurch zumindest nicht etwa gehindert wird 301 . Dieses Ziel lafit sich grundsatzlich einmal dadurch erreichen, dafi Betriebe in den zu fordernden Regionen angesiedelt werden (aktive Sanierung), zum zweiten dadurch, dafi Einwohner des Gebietes veranlafit werden, in Industriegebiete abzuwandern, um so das Pro-Kopf-Sozialprodukt bzw. -einkommen der verbleibenden Restbevolkerung zu steigern (passive Sanierung) 302. Da nun aber im Raumordnungsgesetz eine — wenn auch verFortsetzung Fuftnote 299 die „vergleichbaren Lebensverhaltnisse" des Art. 72 GG" (Zimmermann, H.: Programmstudie Regionalpolitik — Vorschlage fur Grundsatzuntersudiungen, Hrsg. Gesellschaft fiir Regionale Strukturentwicklung, September 1969, S. 9). 300 ygi # Zimmermann, H.: Programmstudie, a.a.O., In dem Gutachten iiber die Moglichkeiten wirtschaftlicher Sdiwerpunktbildung in Schleswig-Holstein (Gesellschaft fiir regionale Strukturentwiddung, Bonn 1969, S. 38) lautet die okonomische Zielvorstellung „Wachstumsforderung durdi Umstrukturierung" (Zu dem Problem Wachstum durdi Strukturpolitik s. die theoretisdie Arbeit von H. Siebert (Zur Theorie des regionalen Wirtschaftswachstums, Tubingen 1967) und den Aufsatz von J. Starbatty („Die Beziehungen zwisdien Struktur-, Wachstums- und Konjunkturpolitik", Beridite des Deutsdien Industrieinstituts zur Wirtsdiaftspolitik Nr. 5, 1969). 301 Das Raumordnungsgesetz von 1965 formuliert den Zielkatalog der bundesstaatlidien Regionalpolitik in seinem § 1 wie folgt: (1) Das Bundesgebiet ist in seiner allgemeinen raumlichen Struktur einer Entwicklung zuzufuhren, die der freien Entfaltung der Personlichkeit in der Gemeinsdiaft am besten dient. Dabei sind die naturlichen Gegebenheiten sowie die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erfordernisse zu beaditen. (2) Das Ziel der Wiedervereinigung des gesamten Deutschlands ist zu berikksichtigen und seine Verwirklidiung zu fordern. Dabei ist der raumliche Zusammenhang der Gebiete zu beachten und zu verbessern. (3) Die Raumordnung im Bundesgebiet hat die raumlichen Voraussetzungen fiir die Zusammenarbeit im europaischen Raum zu schaffen und sie zu fordern. (4) Die Ordnung der Einzelraume soil sich in die Ordnung des Gesamtraumes einfiigen. Die Ordnung des Gesamtraumes soil die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Einzelraume beriicksichtigen. Diese Ziele sind klassische Beispiele fiir blofie Leerformeln; „sie stehen zu keiner raumlichen Struktur und zu keiner Regionalpolitik irgendeines Wirtschaftssystems in Widerspruch, ja nicht einmal in Beziehung". (Zimmermann, H.: „Zielvorstellungen in der Raumordnungspolitik des Bundes" in: Jahrbuch fiir Sozialwissenschaften (1966) S. 234; ders.: Uffentliche Ausgaben und regionale Wirtschaftsentwicklung, Basel-Tubingen 1970, S. 63.) Etwas konkreter kommen die bundesstaatlichen Raumordungsvorstellungen der Bundesregierung in den Raumordnungsberichten 1966 (BTDrucks. V/1155) und 1968 (BTDrucks. V/3958) sowie in der Schrift des Bundeswirtschaftsministeriums „Intensivierung und Koordinierung der regionalen Strukturpolitik", Bonn 1969, zum Ausdruck. 302 Naheres zum Problem der aktiven und passiven Sanierung ist zu finden bei Starbatty, J.: Regionale Strukturpolitik in der sozialen Marktwirtschaft, Diss. Koln 1967, S. 18 if.; Dietrichs, B.: Aktive oder passive Sanierung?, in: Mitteilungen des Deutschen Vorstandes fiir Wohnungswesen, Stadtbau und Raumplanung, H. 4, Koln 1965; Marx, D.: Raumordnungsprobleme bei wirtschaftlichem Wachstum, in: Zeitschrift fiir die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 121 (1965) ;Die Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland, Gutachten des Sachverstandigenausschusses fiir Raumordnung (SARO-Gutachten), Stuttgart 1961. Zu den weiteren Moglichkeiten und Grenzen der Regionalpolitik s. „Beitrage zur Regionalpolitik", in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. 41, Berlin 1968.
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steckte — Ablehnung der passiven Sanierung zu finden ist 303 , sollen im folgenden nur Mafinahmen der aktiven Sanierung diskutiert werden. Das Mittel dafiir ist nach allgemeiner Meinung eine Verbesserung der Produktionsstruktur, die ihrerseits u. a. wieder von der Infrastruktur abhangt; iiber ein System zentraler Orte soil die Effizienz der Infrastrukturmafinahmen erhoht werden; Zentrale Orte-Programme werden von alien Flachenstaaten durchgefiihrt und vom Bund audi durch das Programm der Bundesausbauorte finanziell unterstiitzt 304 . Um den Einsatz der Instrumente wirksamer zu gestalten, werden seit 1969 in Zusammenarbeit von Bund und Landern regionale Aktionsprogramme fiir grofiere Einheiten als bisher aufgestellt 305 , die neben einem Ausbau der Infrastruktur Unternehmen durch fiskalische Investitionsanreize in die Forderungsgebiete ziehen wollen, um der Abwanderung in die Ballungsgebiete Einhalt zu gebieten 306 . In der regionalpolitischen Diskussion fehlen z. Z. aber noch gesicherte Theorien dafiir, wie unterentwickelte Gebiete zu grofierem Wirtschaftswachstum gebracht werden konnen (Standorttheorie von Unternehmen und Haushalten; regionale Entwicklungstheorien wie export-base-Theorie, Theorie der Wachstumspole; allgemeine regionale Wachstumstheorien) 307 . Es fehlt die Kenntnis der sozialen Kosten oder besser Grenzkosten von Ballungsgebieten 308 und somit die Moglichkeit, das Vorhandensein und insbesondere die Zuwachse von
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Dies geht implizit aus den Aufterungen der Bundesregierung beispielsweise im 3. Raumordnungsberidit (1968/BTDrucks. V/3958), S. 47 ff. sowie aus der oben erwahnten Schrift des Bundeswirtsdiaftsministeriums hervor. Die gleiche Ansicht vertritt audi H . Zimmermann. Eine explizite Absage an die passive Sanierung erteilt der Jahreswirtschaftsbericht 1969, Tz. 73 ff. 304 S. hierzu verschiedene Artikel im Handworterbuch der Raumforschung und Raumordnung, Hannover 1966. 305 S. hierzu BMWI-Texte: Intensivierung und Koordinierung der regionalen Strukturpolitik. 306 Zum Problem der „unternehmensorientierten Infrastruktur", d. h. soldier Infrastrukturmafinahmen, die die Attraktivitat einer „Region" fiir Betriebe erhohen, s. Zimmermann, H.: Offentliche Ausgaben und regionale Wirtschaftsentwicklung, a.a.O., S. 237ff.; ferner Umlauf, J.: Offentlidie Vorleistungen als Instrument der Raumordnungspolitik, Hannover 1968; Stohler, J.: Probleme der Infrastruktur, in: Planung ohne Planwirtschaft (Veroffentlichung der List-Gesellschaft, Bd. 34), Tubingen 1964; Giersch, H.: Infrastruktur und Regionalpolitik, in: Planung ohne Planwirtschaft, Tubingen 1964; Jansen, P. G.: Infrastrukturinvestitionen als Mittel der Regionalpolitik, Giitersloh 1968. 307 Ansatze dazu sind in der Arbeit von Siebert, H., a.a.O., und bei Zimmermann, H.: Programmstudie, a.a.O., S. 25 ff. zu finden. 308 Zum Problem von Ballungskosten und Ballungsvorteilen s. die "Qbersidit iiber eine Veroffentlichungsserie des Ifo-Instituts Miinchen zum Problem der Agglomeration bei: Jurgensen, H.: Wirtsdiaftliche und soziale Probleme des Agglomerationsprozesses, in: Archiv fiir Kommunalwissensdiaften, Jg. 7 (1968), S. 335 ff.; Speziell dazu: Back, H . J.: Das Social Cost-Problem unter besonderer Beriicksichtigung ausgewahlter Agglomerationsraume in der BRD, Miinchen 1967; Miiller, A.: Regionale Agglomerationsraume, Ballungsoptimum und Moglichkeiten der Industriellen Dezentralisation, Diss., Miinchen 1968, sowie auch Miiller, J. H.: Wirtsdiaftliche Grundprobleme der Raumordnungspolitik, Berlin 1969, S. 19 ff. 18 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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derartigen Agglomerationszentren zu beurteilen, so daft ein grofier Teil der regionalpolitischen Mafinahmen theoretisch noch nicht geniigend abgesichert ist; lediglich ihr tendenziell richtiger (unter den angenommenen Zielen wirkungsvoller) Einsatz kann festgelegt werden, wahrend haufig unvorhersehbar bleibt, ob dabei womoglich andere Ziele verletzt werden (Nebenwirkungen). Ein Mittel, raumlich bedingte Einkommensunterschiede auszugleichen, waren regional differenzierte Sozialausgaben. Das freilich wegen seines politischen Charakters nicht ganz adaquate Beispiel Berlin mit seinen zahlreichen Sonderbeihilfen zeigt, dafi die offentliche Hand sich dieses Mittels von der Technik her durchaus zu bedienen weifi. Eine andere Frage ist die, ob durch diese Beihilfen nicht unerwiinschte Bevolkerungsstruktureffekte (z. B. Oberalterung) auftreten konnen. Subventionen mit und ohne besondere Verwendungsauflagen 309 tendieren dahin, sich in verhaltnismafiig leistungsfahigen Betrieben zu kumulieren; sie bewahren sich besonders da, wo das Ziel wirklich die Verbesserung der Produktionsstruktur, nicht eine blofie Einkommenserhohung ist. In der sektoralen Finanzpolitik und im Rahmen der Raumordnung werden die Subventionen daher sicherlich ihren Platz behalten; nur sollte die Offentlichkeit sich daran gewohnen, zwischen solchen Subventionen, die auf eine Anderung der Produktionsstruktur abzielen, und blofien Unterstiitzungszahlungen zu unterscheiden. In beiden Fallen kann es leicht dazu kommen, dafi der arbeitsplatzeschaffende (Kapazitatserweiterungs-)Effekt der Subventionen in einem anderen als dem begiinstigten Sektor oder in einer anderen als der zu fordernden Region zur Wirkung gelangt, so dafi diese Mittel gewissermafien von ihrer Einsatzstelle „fortgeschwemmta werden. Die sektoral- und regionalpolitisch motivierte Subventionierung der schleswigholsteinischen Werftindustrie hatte z. B. in diesen Gegenden nur einen kurzfristigen Liquiditatseffekt, wahrend ihr nachhaltigerer Einkommenseffekt im eisenschaflfenden Ruhrgebiet zutage trat 3 1 0 . Psychologisch stofit der Versuch einer Differenzierung der Subventionen in strukturverbessernde und strukturkonservierende ( = Unterstiitzungszahlungen) notwendigerweise auf starke Widerstande. Haufig wird selbst der begiinstigte Wirtschaftszweig oder die geforderte Region die ihnen zu309 Zu den versdiiedenen Formen regionalpolitischer Subventionen s. Marx, D.: Wachstumsorientierte Regionalpolitik, Gottingen 1966, S. lllfL; Ladisdi, K.: Die giitertarifpolitische Beeinflussung von Industriestandorten, Diss., Munchen 1958; Sherman, R., Willet, Th. D.: Regional Development, Externalities and Tax-Subsidy Combinations, in: National Tax Journal, Vol.22 (1969), H. 2, S. 291—294; Dieckmann, E.: Subventionen als Mittel einer regionalen Finanzpolitik, Kolner Diplomarbeit WS 1967/68; Moller, F.: Kommunale Wirtschaftsforderung, Stuttgart und Koln 1963.
310 Yg} # Biissgen, H . - R . : Wiederaufbau eines Wirtschaftszweiges: Indirekte Subventionen fiir d e n SchifTsbau, i n : Subventionen in d e r Bundesrepublik Deutschland
(Hrsg. K. H. Hansmeyer), Berlin 1963, S. 57 ff.
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gedachte Hilfe ablehnen, da sie sich als „f6rderungswiirdig", dagegen nicht als „untersuitzungsbedurftig" fiihlt. Schon die geringste produktionsbezogene Auflage, moglicherweise allein die Bezeichnung der Hilfe mag geniigen, urn den Eindruck eines „Aufbaukredits" oder einer „F6rderungssubvention" zu erwecken; Erhaltungssubventionen oder blofie Unterstutzungen sind dagegen mit einem Makel behaftet, der aus der Nahe zur Fiirsorge und zum Almosen herriihrt. Mag auch manches Subventions-, ja sogar Kreditprogramm im Endeffekt auf eine blofie Erhaltung an sich nicht mehr lebensfahiger Strukturen hinauslaufen, so wird sie doch in der Phase der Willensbildung zum mindesten anders bezeichnet werden miissen, selbst wenn den Eingeweihten die Aussichtslosigkeit des „Aufbaus" bewufit ist. Staatspolitisch kann diese Einstellung durchaus positiv zu beurteilen sein, zumal wenn sie dazu beitragt, die allgemeine Subventions- und Rentnermentalitat zu diskreditieren; aus der Sicht der Marktwirtschaft, in der die Selbstverantwortung gefordert werden soil, ist diese Mentalitat durchaus unerwiinscht. Stehen einem optimalen Einsatz der verschiedenen Ausgabearten politisch-institutionelle Grenzen und traditionell verfestigte Betrachtungsweisen entgegen, die zumindest eine vollkommen zweckrationale Politik verhindern, so ist es doch Aufgabe der Finanzwissenschaft, die sektoralen und regionalen Wirkungen der bestehenden Ausgabenstruktur zu untersuchen. Wahrend die Einflusse der offentlichen Ausgaben auf einzelne Zweige der Volkswirtschaft durch die verschiedenen Verbande oder deren Mitglieder stets bald aufgespiirt und der DfFentlichkeit mitgeteilt werden, steht die Erforschung der raumwirtschaftlichen Effekte noch am Anfang. Die meisten Ausgaben des Zentralstaates haben iiberregionalen Charakter; sie werden nach Mafistaben beschlossen, die zwar von den Landervertretungen, in der Bundesrepublik Deutschland vom Bundesrat 3 U mit beeinflufit werden, die aber in der Regel nicht auf die Bediirfnisse der unteren Gebietskorperschaften hin konzipiert sind. Ihre Inzidenz jedoch, d. h. die letztlich eintretende Begunstigung einzelner Personen oder Gruppen, erfolgt notwendigerweise, wenn man von Zahlungen an das Ausland einmal absieht 312, in den einzelnen Regionen des Staatsraumes. Die regionalen Effekte einer an sich iiberregionalen Ausgabenpolitik lassen sich wieder am besten an Hand der Verteidigungsausgaben verdeutlichen, die sicherlich von zentralstaatlichen, wenn nicht heute sogar von internationalen Entscheidungen bestimmt werden. Im internationalen Bereich hat sich die Rucksichtnahme auf die Zahlungsbilanzlage einzelner Lander durchaus 311
Welter, E.: Der Staat als Kunde, a.a.O., S. 383 ft. Auch hier kann die Inzidenz spater im eigenen Staatsgebiet eintreten, wie der sog. Bumerangeffekt der deutschen Entwicklungshilfe gezeigt hat, die letztlich zu erhohten Kaufen des Auslandes in der Bundesrepublik gefuhrt hat. Zur regionalen Ausgabeninzidenz s. Zimmermann, H.: Dffentliche Ausgaben . . . , a.a.O., S. 4 ff., 85 if. 312
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bewahrt, wie die deutschen Ru'stungskaufe in den USA, England und in der Tiirkei gezeigt haben; dieselbe Rucksicht darf man audi verlangen, wenn es um die Forderung einzelner Gebiete oder Wirtschaftszweige innerhalb eines Landes geht. Vorauszahlungen, Bevorzuguung einzelner Lander, audi wenn die Qualitat der gelieferten Waren nicht exakt die gleidie ist, spezielle Forderung der Infrastruktur, alle diese zwischen den Staaten der NATO ausgehandelten Vorteile fiir die wirtschaftliche Entwicklung von zu fordernden Landern konnen audi im Inland Anwendung finden. Der iibliche Einwand von der Starrheit des Ausgabepostens „Verteidigung" mufi im Lichte dieser Erfahrungen fragwurdig wirken; ein neuer Anlauf ist notwendig, um die nun einmal erforderlidien Ausgaben audi hierfur zu nutzen. Voraussetzung dafiir ist allerdings, dafi die Regionalpolitik ein klares Konzept besitzt, das Aussagen dariiber erlaubt, wie etwa eine Erhohung der staatlichen Beschaffungsausgaben in einem Notstandsgebiet wirkt; solange Vorgange wie der „Anti-Finanzausgleichseffekt" dieser Gelder nicht beriicksichtigt werden, solange man sich nicht iiber die Beurteilung der Ballungsgebiete einig ist und keine Vorstellungen dariiber bestehen, wie ein menschenarmes Notstandsgebiet entwickelt werden kann und ob es iiberhaupt gefordert werden soil, solange ist eine solche Raumordnungspolitik nicht als geschlossenes System von Zielen und Instrumenten denkbar 313.
§ 29. Der Kampf gegen Konjunktur- und Wachstumsschwankungen Unter den wirtschaftspolitischen Zielen, die der Industriestaat westlicher Pragung heute mit Hilfe der Finanzpolitik verfolgt, nimmt die Aufgabe einer Steuerung der wirtschaftlichen Schwankungen der Gesamtwirtschaft seit einigen Jahrzehnten einen besonderen Platz ein. Bezog sich die Forderung nach Umschichtung der Einkommen und Vermogen zunachst vorwiegend auf die Einnahmeseite des Haushalts, insbesondere auf eine nach sozialpolitischen Gesichtspunkten ausgerichtete Besteuerung, so benihrte schon das vorstehend erorterte zweite wirtschaftspolitische Ziel, die Veranderung der Produktionsstruktur, gleichermafien beide Seiten des Budgets; ebenso stehen, soweit es um das Problem geht, unerwunschte Schwankungen in der gesamtwirtschaftlichen Aktivitat zu verhindern, Ausgabenprogramme und steuerliche Mafinahmen gleichberechtigt nebeneinander 314. 313 Eine wichtige Frage, die in diesem Zusammenhang vielfach diskutiert wird, ist es, ob moglicherweise der Finanzausgleich ein geeignetes regionalpolitisches Instrument darstellt. Schnepper, Fr.: Raumbedeutsame Wirkungen des Kommunalen Finanzausgleichs in Niedersachsen, Hannover 1968; Isenberg, G.: Regionale Wohlstandsunterschiede, Finanzausgleidi und Raumordnung, in: Finanz-Ardiiv, NF. Bd. 17 (1956/57), S. 64 ff.; Albers, W.: Finanzzuweisungen und Standortverteilung, in: Kommunale Finanzen und Finanzausgleich, Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 32, Berlin 1964; Ehrlicher, W.: Kommunaler Finanzausgleich und Raumordnung, Hannover 1967. 314 Vgl. § 38.
§ 29. Der Kampf gegen Konjunktur- und Wadistumssdiwankungen
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Im Wettbewerb der genannten wirtschaftspolitischen Ziele der Ausgabenpolitik steht das konjunktur- und wachstumspolitische heute in der tagespolitischen Diskussion ebenso wie in der okonomischen Theorie durchaus an erster Stelle. Das erklart sich zwanglos aus dem starken Impuls, der von der Weltwirtschaftskrise auf Wirtschafts- und Finanzpolitik und -theorie ausgegangen war; aus dem Trauma der Weltwirtschaf tskrise ging die Keynessche Theorie von der Moglichkeit eines Gleichgewichts bei Unterbeschaftigung, die Stagnationsthese und die Idee der „Fiscal Policy" hervor, die wie hypnotisiert auf das einmalige Erlebnis dieser jahrelangen Massenarbeitslosigkeit starrte und von der Aufgabe fasziniert war, eine Wiederholung dieser Katastrophe zu vermeiden. Hinzu kam, dafi die Meisterung der morderischen Krise, die eine jahrelange Lahmung des Wirtschaftslebens in einem bis dahin unbekannten Ausmafi verursacht hatte, schliefilich iiberall durch den Einsatz offentlicher Haushaltsmittel gelungen war 315. Volkswirtschaftslehre und Finanztheorie zogen aus diesem einmaligen Ereignis weitreichende Konsequenzen. An die Stelle des Glaubens an die Selbstheilungskrafte der Wirtschaft trat die Furcht vor dem lahmenden „Gleichgewicht bei Unterbeschaftigung", dem entgegenzuwirken jedes Instrument der staatlichen Wirtschaf ts- und Finanzpolitik willkommen war; die wichtigste Rolle fiel dabei der Ausgabenpolitik zu. Die offentliche Nachfrage nach Giitern und Dienstleistungen und die Zuschwemmung von Kaufkraft liber erhohte Transferzahlungen sollte neben einem in der gleichen Richtung wirkenden Steuerverzicht die fehlende Nachfrage der Verbraucher und Unternehmer ersetzen. Die Einzelheiten einer derartigen konjunkturpolitischen Ausgabenpolitik — ihr Einsatzzeitpunkt, die Einschleusungsstelle, die Wahl der Ausgabeart und die Frage ihrer Reversibilitat — traten gegeniiber ihrer grundsatzlichen Rechtfertigung und ihrem quantitativen Ausmafi zunachst in den Hintergrund; unter den damaligen Umstanden war das durchaus verstandlich. In einer Katastrophe wie der Weltwirtschaftskrise 1930/32 kann iiber den Zeitpunkt, in dem gehandelt werden mufi, kein Zweifel bestehen; so schnell wie moglich mufi etwas unternommen werden. Audi die Einsatzstelle ist leicht zu finden; denn jede Einschleusung von zusatzlicher Kaufkraft, die dahin wirken kann, die unternehmerische Tatigkeit anzuregen, dient dem konjunkturpolitischen Ziel. Welche Rolle die Ausgabenpolitik jedoch in „normalen" Zeiten fiir die Dampfung gesamtwirtschaftlicher Schv/ankungen spielen kann, war mit dieser ihrer Bewahrungsprobe noch keineswegs ausgemacht; das zeigte sich in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in denen sich das Konjunkturphanomen allgemein in einer von der 315 Naheres s. hierzu Sdimolders, G.: Finanzpolitik, 2. AufL, a.a.O., S. 266 ff., wo die verschiedenen Ankurbelungsprogramme wie Papen-Programm, erster und zweiter Reinhardt-Plan und der New Deal dargestellt sind.
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alteren Konzeption stark abweichenden Form darstellte. An die Stelle mehr oder weniger regelmafiiger Zyklen, deren starksten Ausschlag nach unten die Weltwirtschaftskrise von 1930/32 gebracht hatte, trat eine Periode unregelmafiigen Wachstums ohne ernstliche Ruckschlage, in der Zeiten eines unerwiinscht zahfliissigen mit solchen zligigen Fortschritts abwechselten, ohne dabei einem deutlich spurbaren Rhythmus zu unterliegen, in dem sich die friiheren zyklischen Auf- und Abwartsbewegungen der Gesamtwirtschaft hatten wiedererkennen lassen. Infolgedessen wird anstelle der konjunkturellen Staibilisierung dem nachsthoheren Ziel, dem Wachstumsaspekt und der Stetigkeit dieses Wachstums, jetzt grofieres Gewicht beigelegt, wie dies schon aus der Formulierung des wirtschaftspolitischen Zielkatalogs in § 1 Stab.Ges. hervorgeht (hoher Beschaftigungsgrad, stabiles Preisniveau, aufienwirtschaftliches Gleichgewicht mit der Forderung nach „stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum
316
S. hierzu Neumark, F.: Fiskalpolitik und Wachstumsschwankungen, 2. Aufl., Wiesbaden 1969, S. 11. 317 Hatte A. H. Hansen mit seiner Stagnationsthese recht, so ware die depressive Stimmung der Wirtschaft langfristiger Art, so daft eine permanente Anwendung des Keynessdien Instrumentariums gerechtfertigt ware. Die Wirtschaftsentwicklung der vergangenen 20 Jahre diirfte diese Vorstellungen bislang widerlegt haben. Vgl. The Stagnation Thesis, in: Readings in Fiscal Policy, hrsg. von A. Smithies und J. K. Butters, London 1955, S. 540 fr.
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rungen zu verzeichnen waren 318. Ob es unter solchen Umstanden richtig ist, durch Globalmafinahmen Kaufkraft in die Wirtschaft zu pumpen, lafit sich aus blofien quantitativen Gleichgewichtsberechnungen nicht entnehmen; manchmal mag es beispielsweise genugen, mit gezielten Mafinahmen auf Einzelmarkten oder ermutigenden Verlautbarungen, die das allgemeine wirtschaftliche Klima verbessern helfen, einen Umschwung der Erwartungen in den beteiligten Sektoren herbeizufiihren 319. Liefi sich die Orientierung der Konjunkturpolitik an dem Phanomen der Gesamtnachfrage in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Furcht vor einer neuen grofien Wirtschaftskrise weit verbreitet war, vielleicht noch rechtfertigen, so lost sich das heutige Konjunkturgeschehen in eine Fiille von Einzelprozessen auf, die in einzelnen Sektoren der Wirtschaft auftreten, ohne notwendigerweise andere Sektoren in Mitleidenschaft zu ziehen; wenn eine Branche Oberhitzungserscheinungen zeigt, wahrend andere unter zu geringer Nachfrage leiden, so kann man den Saldo dieser Partialnachfragen nicht mehr zu einem fiir die Konjunkturpolitik sinnvollen Begriff der Gesamtnachfrage vereinigen. Das gilt besonders fiir die Bundesrepublik, in der zwar lange Jahre hindurch ein allgemeiner Nachholbedarf die Vorstellung von einer einheitlich aufsteigenden Konjunktur ausgelost hat, deren Wirtschaftsentwicklung nach dem Abschlufi dieser Periode aber in die der westlichen Weltwirtschaft eingemundet ist, ohne dafi deswegen befiirchtet werden miifite, dafi dem langjahrigen „Boom
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Oszillationen der Nachfrage urn den realwirtschaftlichen Wachstumstrend, die sich aus dem Verhalten des Verbrauchers und der Investoren und daraus resultierenden Einkommens- und Multiplikatorschwankungen ergeben. Sind somit zwar Konjunktur und Wachstum auf das engste verkniipft 821» 322 und ist ein hoher Beschaftigungsgrad immer noch die beste Voraussetzung fiir ein storungsfreies Wachstum 3235 so konnen sich doch, wie im folgenden noch zu zeigen sein wird, Konflikte zwischen der hauptsachlich auf die Gesamtnachfrage und damit auf die Steuerung der nachfrageinduzierten Investitionstatigkeit abzielenden antizyklischen Ausgabengebarung der offentlichen Hand und dem Ziel des stetigen und angemessenen Wachstums ergeben 324 , zumal 321 Werner, J.: Zum Verhaltnis von Wachstumspolitik und Konjunkturpolitik, in: Jahrbuch fiir Sozialwissenschaften, 1968, S. 66 fT. 322 So zeigt beispielsweise P. A. Samuelsen in seinem Interaktionsmodell zwischen Multiplikator (oc) und Akzelerator (/?), durch deren Zusammenwirken sich Konjunkturverlaufe endogen erklaren lassen, daft dieses System fiir den Fall, daft 4 1 <x= — und oc < — . bei ft > 1 dieses System in gleidibleibenden Amplituden um einen Gleichgewichtswert sdiwingt, d. h. die Moglichkeit von Konjunkturen ohne Wachstum modelltheoretisch besteht. (Interactions between the Multipler Analysis and the Principle of Acceleration, in: The Review of Economics and Statistics, Bd. 21 (1939). Zur modelltheoretischen Kombination von Konjunktur und Wachstum s. auch Eisner, K.: Wachstums- und Konjunkturtheorie, in: Kompendium der Volkswirtschaftslehre, Bd. 1 (Hrsg. W. Ehrlicher u. a.), Gottingen 1967, S. 269 ff. 323 Nach Bombach sprechen die folgenden vier Argumente fiir eine hohe Korrelation zwischen hohem Beschaftigungsgrad und Wachstum, namlich „nur eine hohe Beschaftigung 1. ist Voraussetzung fiir genugend Optimismus und das rechte Klima fiir Risikobereitschaft und Investitionsfreudigkeit; der in der Krise aus Griinden der Kosteneinsparung Rationalisierungsinvestitionen durchfuhrende Unternehmer ist ein Hirngespinst, 2. veranlafk die Gewerkschaften, gegen Rationalisierung und Automation nicht zu opponieren, 3. verringert den Widerstand gegen strukturelle Verschiebungen (Wanderungen der Arbeitskrafte); 4. zwingt den Unternehmer zur Rationalisierung; die blofie Nichtexistenz von Arbeitskraften hat sich als viel starkeres Motiv erwiesen — insbesondere im Bereich des Biiros — als der hohe Lohn an sich" (Taktik und Strategic in der Wirtschaftspolitik, in: Kyklos 1967, S. 109). 324 So haben beispielsweise Untersuchungen von E. Diirr ergeben, daE keine, wie man annehmen sollte, hohe positive Korrelation zwischen der Wachstumsrate und der Investitionsquote besteht; so betragt das Bestimmtheitsmafi (r2) fiir die 12 wichtigsten Industrienationen von 1950—1958 nur 0,08 (d. h. nur 8% der Wachstumsdifferenzen lassen sich auf unterschiedliche Investitionsquoten zuriickfiihren; fiir die 22 wichtigsten Lander betragt r2 von 1949—1959 sogar nur 0,04). Wesentlich enger sind dagegen die Beziehungen zwischen den Veranderungen des Kapitalkoeffizienten und der Wachstumsrate. Fiir die 12 Lander mit r 2 =0,08 zwischen Investitionsquote und Wachstumsrate betragt der quadrierte Korrelationskoeffizient r2 zwischen Wachstumsrate und marginalem Kapitalkoeffizienten 0,61. — Nicht Investitionsankurbelung, sondern Intensivierung des Wettbewerbs, wodurch sich die Effizienz der Wirtschaftsorganisation und der Infrastruktur erhohen wiirde und somit die Kapitalproduktivitat gesteigert bzw. der Kapitalkoeffizient gesenkt wurde, waren, wenn sich die Hyphothese weiter erharten liefie, die wachstumspolitischen Konsequenzen, zumal auch hierdurch ein moglicher Investitionsquotenriickgang durch die Kapitalkoeffizientensenkung uberkompensiert wiirde. S. hierzu Diirr, E.: Wachstumstheorie und Wachstumspolitik, in: Jahrbuch fiir Nationalokonomie und Statistik, Bd. 176 (1964), S. 385 ff. und 523 if.; ders.: Probleme der Konjunkturpolitik, Freiburg 1968, S. 96 ff.; und besonders ders.: Wachstumspolitisch relevante Ergebnisse der Wachstumstheorie, Referat
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dessen Ursachen und Bedingungen bis jetzt noch weitgehend unbekannt sind 325. Eines der Kriterien zur Beurteilung von Staatsausgaben im Dienste der Konjunktur- und Wachstumspolitik ist ihre politische Beherrschbarkeit, ihre Reversibilitat. Depressions- und Rezessionsprogramme wurden bislang vor allem um kurzfristiger Wirkungen willen in Gang gesetzt; haben sie ihr Ziel erreicht, so ist es meist sehr schwierig, die etwa noch vorgesehenen Stufen des Programms zuruckzustellen und die moglicherweise ad hoc geschaffenen Institutionen wieder aufzulosen. Eine konjunkturpolitisch orientierte Ausgabepolitik, die der Einhaltung eines gleichmafiigen „Wachstumspfades" dienen soil, bedarf dagegen keiner eigenen Institutionen; die Finanzpolitik des Staates kann die Schwerpunkte der einzelnen Ausgabearten je nach den konjunkturellen Erfordernissen variieren und zugleich fiir eine zeitliche Beweglichkeit moglichst grofier Ausgabenblocke sorgen, ohne hierfiir auf die Schaffung neuer zusatzlicher Organisationen angewiesen zu sein. Die Konjunkturpolitik neuen Stils, die demnach besser als Politik eines stetigen Wachstums zu bezeichnen ware 326, bedarf andererseits, wenn sie sich der offentlichen Ausgaben bedienen will, wesentlich verfeinerter Hypothesen uber die Wirkungen der verschiedenen Ausgabearten, als sie im Arsenal der Depressionspolitik unter deren grobschlachtigen Instrumental zu finden sind. Einzubeziehen sind hier insbesondere auch Hypothesen uber die Erwartungsstruktur der Wirtschaftssubjekte (Haushalte und Unternehmen), die sich kurzfristig wandeln kann und gegebenenfalls noch wahrend der Durchfiihrung eines Ausgabenprogramms Kursanderungen notwendig macht; infolgedessen bedarf es sorgfaltiger Beachtung nicht nur aller Signalwirkungen der offentlichen Ausgabenpolitik, sondern auch aller jener delikaten Fragen des Einsatzzeitpunktes und der richtigen Einsatzstelle, die meist so weitgehend von der Art der offentlichen Ausgaben abhangig sind, dafi sich ohne Kenntnis der speziflschen Ausgabewirkungen zutreffende Aussagen kaum machen lassen. Die eminente Bedeutung der Signalwirkungen zeigte sich in der Rezession von 1967. Zwei Indikatoren, die Aktienkurse, ein gutes allgemeines Stimmungsbarometer, und die Meinung der Unternehmer hinsichtlich der gegenwartigen und zukiinftigen Wirtschaftsentwicklung, die durch
vor dem Wirtschaftspolitischen Ausschuft des Vereins fiir Socialpolitik am 7.—8. Juni 1968 in Miinchen-Solln; vervielfaltigtes Manuskript. Xhnlich auch Wieners, K.: Geldpolitik und Wirtschaftswachstum, Freiburg/Br. 1969; Georgens, E.: Wettbewerb und Wirtschaftswachstum, Freiburg/Br. 1969; Hill, T. P.: Growth and Investment According to International Comparisons, in: The Economic Journal, Bd. 74 (1964), S. 287 ff. 325 D(i rr> E.: Wirkungsanalyse der monetaren Konjunkturpolitik. Frankfurt 1966, S. 351. 326 Ygj# hierzu: Finanz- und wahrungspolitische Bedingungen stetigen Wirtschaftswachstums, Verhandlungen auf der Tagung des Vereins fiir Socialpolitik in Baden-Baden 1958, Schriften des Vereins fur Socialpolitik, NF. Bd. 15, Berlin 1959.
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* -20 I /
Bekanntgabe 2. Invest. Hh.
•30 ' Bekanntgabe 1. Invest. Hh.
1966
Abb. 5
1967
Abb. 6 A M 1967
Reprasentativbefragungen des Ifo-Instituts 327 ermittelt wird, zeigten, dafi die positiven Signalwirkungen der beiden Eventualhaushalte nicht erst bei der Verausgabung, sondern schon bei der Bekanntgabe der Mafinahme eintraten. Priift man nun die wichtigsten Arten der offentlichen Ausgaben auf ihre Brauchbarkeit fur die Zwecke der Konjunktur- und Wachstumspolitik durch, so kommt es zunachst darauf an, ob etwa ein allgemeiner Konjunkturriickgang vorliegt oder ob nur die Wachstumsrate beschleunigt werden soil; das gilt insbesondere fur die Investitionen der offentlichen Hand. Liegen in einer Depression betrachtliche Teile der Produktion still, so mufi die offentliche Hand zwar bemuht sein, zusatzliche Einkommen zu scharTen, die die Nachfrage intensivieren und die brachliegenden Produktionsfaktoren beschaftigen helfen; sie darf jedoch nach Moglichkeit ihrerseits keine kurzfristig das Angebot vergrofiernden zusatzlichen Produktionskapazitaten schaffen helfen, die diese Nachfrage zum Teil wieder absorbieren. Gute Beispiele, die mit 327 S. Ifo-Schnelldienst Nr. 44 vom 4. 11. 1967, S. 7. Auch das vor kurzem von der Kolner „Forschungsstelle fiir empirische Sozialokonomik" entwickelte Prognoseinstrument aufgrund des Konsumklimas wird in absehbarer Zeit in der Lage sein, entsprediende Zeitreihen zu liefern. Vgl. hierzu Striimpel, B., Bievert, B.: Konjunkturprognosen aus Konsumentenstimmungen, in: Der Volkswirt, Nr. 34 (1969).
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ihrem spaten und langfristigen Kapazitatseffekt auch unter wachstumspolitischen Aspekten erfolgreich sein konnen, sind hierfiir Investitionen auf dem Gebiet des Strafien- und des Schulbaus; nicht zu empfehlen ware dagegen der Bau erwerbswirtschaftlicher Unternehmen, die ein eigenes zusatzliches Angebot auf den Markt bringen. Handelt es sich andererseits lediglich um eine Beschleunigung des Wachstums, so kann es zwar ebenfalls von Nutzen sein, die „Infrastrukturcc zu verbessern, die auf lange Sicht auch dem wirtschaftlichen Wachstum zugute kommt; jedoch kann in diesem Falle zugleich auch eine gezielte Forderung der industriellen Entwicklung sinnvoll sein, die Einkommens- und Kapazitatseffekt miteinander verbindet. Zu beachten ist dabei allerdings, dafi es sich bei Wachstumsstockungen in der Regel um Friktionen der Strukturanpassung handelt. WUrden die zur Verfiigung stehenden Mittel, wie es zum Teil 1967 bei uns praktiziert wurde, den am meisten notleidenden, strukturschwachen Branchen zugefiihrt, wiirde hierdurch zwar kurzfristig die Wirtschaft wieder auf voile Touren gebracht, zugleich aber die alte Produktionsstruktur, die die Wachstumskrise ja gerade verursacht hatte, konserviert und damit schon der Keim fur die nachste Rezession gelegt werden 328 . Sinnvoller ware es statt dessen, die Mobilitat der Arbeitskrafte zu fordern und Anpassungsbeihilfen zum Kapitaltransfer in entwicklungstrachtige Branchen zu gewahren, soweit sich iiberhaupt die Strukturentwicklung einigermafien prognostizieren lafit. Dadurch wiirde die volkswirtschaftliche Produktivitat erhoht und wenigstens das Wachstumspotential der Volkswirtschaft auf die Dauer vergrofiert. Umgekehrt mufi die offentliche Hand allerdings auch ernstlich darum bemiiht sein, ihr Investitionsvolumen einzuschranken, wenn sich die Konjunktur zu iiberhitzen droht. Der bislang bekannteste Versuch, der in der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet gemacht worden ist, war der „Baustopp" der Jahre 1962 und 1963; dieser gescheiterte Versuch329 zeigt die Grenzen einer derartigen Selbstbeschrankung der offentlichen Investitionen aus konjunkturpolitischen Griinden. Ziehen doch Investitionen der offentlichen Hand neben den Kaufkraftwirkungen auf Investition und Verbrauch der Privaten in aller Regel zusatzlich noch psychologische Folgewirkungen 330 auf die Gesamtwirtschaft nach sich, die in ihrem Einflufi auf die Konjunktur gelegentlich noch hoher einzuschatzen sind als die — in der Theorie zu Unrecht allein behandelten — Kaufkraftwirkungen 331 . Schon J. M. Keynes hatte in seine „Allgemeine Theorie" neben den quantitativen 328 S. hierzu Neumann, M.: Zur Problematik von Staatsausgaben als Mittel der Beschaftigungsstabilisierung, in: Finanzardiiv, NF. Bd. 27 (1968), S. 459 ff. 329 Naheres hierzu s. Schmolders, G.: Finanzpolitik 2. Aufl., a.a.O., S. 272 f. 330 S. hierzu Strixmpel, B.: Die subjektive Liquiditat als Zielvariable der „Neuen Wirtschaftspolitik". Zum Funktionswandel der modernen Geldpolitik, in: Geldtheorie und Geldpolitik, Festschrift fur G. Schmolders zum 65. Geburtstag (Hrsg.: C. A.331Andreae, K. H. Hansmeyer, G. Scherhorn), Berlin 1968. Schmolders, G.: Die Wirkungen offentlicher Ausgaben auf Struktur und Konjunktur der Volkswirtschaft, a.a.O., S. 51 ff.
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Globalgrofien audi eine Anzahl von „Erwartungs"gr6fien aufgenommen, die in die Zukunft wirken und bei alien zukunftsbezogenen Entscheidungen daher schon im voraus beriicksichtigt werden miissen; im V o r w o r t forderte er ausdriicklich, das Verhalten der Wirtschaftspartner in der Gegenwart „unter dem Einflufi ihrer wechselnden Anschauungen liber die Zukunft" zu analysieren, wie sie beispielsweise in seinem Begriff einer in die Zukunft gerichteten „Grenzleistungsfahigkeit des Kapitals" zutage t r a t e n 3 3 2 . Seine Nachfolger und Interpreten haben diese Ansatze zugunsten der lediglich quantitativen Aspekte des Wirtschaftslebens fast ganzlich vernachlassigt; dabei ist es mit Hilfe einer vorsichtigen Dosierung soldier „ Signalwirkungen" durchaus moglich, unmittelbar auf die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte einzuwirken, statt sie erst mittelbar iiber die Erhohung oder Einschrankung der effektiven Staatsausgaben oder -einnahmen zu beeinflussen, wie dies gerade audi die Wirkungen der beiden Eventualhaushalte 1967 gezeigt h a b e n 3 3 3 . So wie die N o t e n b a n k einen guten Teil ihrer Wirkung der Prazision und Unbedingtheit ihrer Mafinahmen und ihrer Entschlossenheit verdankt, im Falle ungeniigender Bachtung ihrer Warnungen entsprechende Sanktionen zu verhangen, konnte die offentliche H a n d sich manche zusatzlichen Mafinahmen konjunkturpolitischer A r t sparen, wenn sie die Eingriffe, zu denen sie sich einmal entsdilossen hat, ohne Abstridie und mit von Anfang an weithin sichtbar dokumentierter H a r t e durchfiihren wiirde. Die Signalwirkungen, die von einer solchen Entschlossenheit vom Zeitpunkt der parlamentarischen Erorterung an bis zur Ausfiihrung des Gesetzes in die Wirtschaft ausstrahlen, nicht zuletzt gefordert durch die entsprechenden Kommentare in den Massenmedien, in Verbandsveroffentlichungen usw., konnten zu einem ahnlich gewichtigen Instrument einer aktiven Konjunkturpolitik werden wie die „Moral Suasion" in der Geldpolitik. Voraussetzung dafiir ist allerdings eine in sich geschlossene Regierung mit starker parlamentarischer Mehrheit oder etwa, wie in England, mit dem Recht des Ministerprasidenten zur Auflosung des Parlaments; nur so bleibt die Gewahr, dafi auch unpopulare konjunkturpolitisch notwendige Programme mit der Festigkeit durchgefuhrt werden, wie sie fiir die Ausstrahlung positiver Signale nun einmal unerlafilich ist. Andere Mafistabe als fiir die offentlichen Investitionen gelten fiir die zweite Kategorie der Leistungsentgelte der offentlichen H a n d , die Personalausgaben. Nichts kennzeichnet die Hilflosigkeit der Reichsregierung in der Weltwirtschaftskrise besser als der wiederholte Versuch, ihrer eigenen Finanz-
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„Our method of analysing the economic behaviour of the present under the influence of changing ideas about the future", vgl. dazu: Schmolders, G., Schroder, R., Seidenfus, H. S.: John Maynard Keynes als „Psychologe", Berlin 1956, S. 8 ff. 333 S. Scheffler, E.: Konjunkturpolitische MaEnahmen wahrend der Rezession 1966/67 in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Beriicksichtigung des Ersten und Zweiten Investitionshaushaltes; Kolner Diplomarbeit, WS 1968/69, S. 54 f.
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not durch immer neue Gehaltskiirzungen fiir ihre Bediensteten abzuhelfen; konjunkturpolitisch ware eher das Gegenteil, eine Gehaltserhohung, die sich freilich mit den puritanischen Idealen des preufiisch-deutschen Beamtentums nicht recht vereinbaren liefi, am Platz gewesen. Als Instrument der Konjunkturpolitik riicken die Personalausgaben der offentlichen Hand in die Nahe der Transferzahlungen an private Haushalte, da sie vom Staat an Individuen gezahlt werden, die liber diese Betrage frei verfiigen, sie restlos ausgeben, sparen oder audi horten konnen; es kommt daher allein auf die Verhaltensweise der Empfanger an, wieweit die staatlich induzierten Geldstrome iiberhaupt zu einer Nachfrage auf den Konsumgutermarkten fuhren und welches Ausmafi diese Nachfrage, gegebenenfalls liber eine Multiplikatorwirkung positiven oder negativen Vorzeichens, annimmt. Uber diese Verhaltensweisen, die sich aus einem konjunkturpolitisch gezielten Programm staatlicher Ausgaben expansiver oder kontraktiver Art moglicherweise ergeben und die fiir den Erfolg der Konjunkturpolitik von ausschlaggebender Bedeutung sind, kann nur die empirische Forschung Auskunft geben. Sie mufi vor InangrirTnahme des Programms ermitteln, welche Empfangerschichten und in welchem Zeitraum sie voraussichtlich jenes Verhalten an den Tag legen werden, das die Konjunkturpolitik fiir ihre Zwecke erfordert. Wenn beispielsweise in einer Periode der Konjunkturabschwachung die Lohne, Gehalter und Sozialausgaben erhoht werden sollen, um die Nachfrage zu beleben, so ist es wichtig zu wissen, welche Empfanger am meisten und welche am wenigsten sparen, d. h. welche Empfanger die hochste und welche die geringste Konsumneigung zeigen 334. Eine auf Effizienz bedachte Konjunkturpolitik mu6 sich also zunachst Klarheit iiber die zu erwartenden Reaktionen der Wirtschaftssubjekte in 334 Bei einer Befragung im Friihjahr 1961 ergab sich z. B. auf die Frage, wie der Interviewte einen Lottogewinn zwischen 500 und 2000 DM verwenden wiirde, in den einzelnen Einkommensschichten und Berufsgruppen eine ganz unterschiedliche Konsumneigung. Aus dem Ergebnis dieser Umfrage konnte man den Schlufi Ziehen, da£ in der damaligen Konjunktursituation eine Einkommenserhohung die Nadifrage am wirksamsten stimuliert hatte, wenn man sie ganz iiberwiegend in die Berufsgruppe der Arbeiter hatte lenken konnen, und zwar insbesondere der Arbeiter mit niedrigen bis mittleren Einkommen; die Wirkung auf den Konsum ware am hochsten gewesen, wenn die Zahlung in kleineren Betragen erfolgt ware, da bei einem einmaligen hohen Einnahmesto£ die Sparneigung groEer ist als bei kleineren Einkommenserhohungen (Sparen, Wertpapiersparen, Horten, DIVO-Institut, Sommer 1961). Selbstverstandlich ware es unzulassig, die Ergebnisse dieser zu ganz anderen Zwecken veranstalteten und vor alien Dingen nicht von Veranderungen des laufenden Einkommens, sondern von einer einmaligen Zuwendung ausgehenden Untersuchung ohne weiteres fiir eine Prognose der Wirkung konjunkturpolitischer Ma£nahmen zu verwenden; vor allem sind die sozialpsychologischen Wirkungen der Ankundigung einer umfassend staatlichen Einkommenszuschwemmung andere als die addierten Wirkungen einzelner Lottogewinne, auf die diese Erhebung abstellte. Immerhin zeigt sie aber, welchen Weg eine auf Erfolg bedachte Konjunkturpolitik gehen mull, wenn sie sich nicht auf jene von der Wirklichkeit schon so oft desavouierten globalen Verhaltensannahmen stiitzen will, wie sie die herkommliche Modelltheorie liefert.
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den einzelnen Einkommensschichten und Berufsgruppen verschaffen, iiber die wahrscheinliche Verwendung der Mittel, iiber die Anderung der Zukunftserwartungen, die das erhohte Einkommen u. U. hervorruft, u. a. m. Mit der gleichen Sorgfalt hatte natiirlich eine empirische Erforschung der Verhaltensweisen vorzugehen, wenn im umgekehrten Fall einer Konjunkturiiberhitzung Einkommen gekiirzt oder unvermeidbare Einkommenserhohungen an den konjunkturell gefahrlichsten Stellen abgeschopft werden sollen. In einer solchen Periode ware es sicherlich nicht wiinschenswert, dafi ein grofierer Einkommenszuwachs bei den konsumfreudigen Arbeitern der unteren und mittleren Einkommensschicht anfallt; eine Erhohung der Unternehmereinkommen ware dagegen in dieser Situation theoretisch weit giinstiger zu beurteilen, soweit diese Einkommen in die Investition fliefien, so dafi sie iiber erhohte Kapazitaten letztlich dazu beitragen, das Angebot zu erhohen. Dieselbe Frage, ob und inwieweit die staatlichen Mittel voraussichtlich in den Konsum oder aber in die Investition fliefien werden, ist zu stellen, wenn etwa auch Subventionen nicht nur struktur-, sondern auch konjunkturpolitischen Zielen dienstbar gemacht werden sollen. Hier diirfte freilich eine breit gestreute Befragung weniger Aufschlufi geben als eine genaue Analyse der Produktions- und Absatzbedingungen in der zu subventionierenden Branche; es kommt darauf an, ob die gewahrte Subvention im Bereich der betreffenden Unternehmen verbleibt und infolgedessen das Unternehmereinkommen erhoht und ob sie von hier aus unmittelbar in die Investitionen fliefit, oder ob sie, beispielsweise infolge starken Wettbewerbdrucks, bis zum Endverbraucher weitergegeben werden mufi, fiir den sie eine reale Einkommenserhohung bedeutet, die womoglich seine Nachfrage nach Konsumgiitern verstarkt. Je nachdem, ob Konjunkturaufschwung oder -abschwachung vorherrscht, ist das Subventionsprogramm unter diesen Aspekten jeweils als erfolgversprechend oder als iiberfliissig zu beurteilen. Besonderes Interesse gewinnt das Instrument der Subventionen unter dem Aspekt der Wachstumspolitik. Stimmt die Hypothese, dafi Wachstumsschwankungen bzw. -stockungen meist nur die Folge von Strukturwandlungen sind, dann konnen die Subventionen als Anpassungshilfen das Instrument par excellence zur Beschleunigung des Strukturwandlungsprozesses darstellen; Voraussetzung ist allerdings, dafi es sich um Subventionen mit Verwendungsauflagen handelt, deren Erfiillung strikt kontrolliert werden kann. Diese Verwendungsauflagen miissen einen Riickzug der begiinstigten Unternehmen aus der falsch oder iiberdimensionierten Branche in junge zukunftstrachtige Wirtschaftszweige garantieren. Zinssubventionen bieten sich dabei als besonders praktikabel an, da sie mit geringen staatlichen Mitteln u. U. ein beachtliches Kreditvolumen mobilisieren konnen. Um die unternehmerische Initiative, selbstandig neue rentable Bereiche zu erschliefien, auf weitere Sicht nicht zu gefahrden, konnte man die Zinssubventionen als eine Art Darlehen gewahren, dessen Riickzahlungskurs natiirlich dem geltenden
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Marktzins angepafit werden miifite. Conditio sine qua non fiir eine solche wachstumsorientierte Subventionspolitik ist freilich die bislang leider noch nicht gesicherte Moglichkeit, Strukturkrisen bzw. -wandlungen hinreichend genau zu prognostizieren 335 . Die Frage der zeitlichen Einsatzpunkte aller dieser Mafinahmen ist nicht von der nach den institutionellen Vorbedingungen und Grenzen ihrer Verwirklichung, kurz nach ihrem Trager zu trennen. Eine Patentlosung schiene dadurch moglich, daft das Schwergewicht der konjunkturpolitisch orientierten Finanzpolitik auf solche Ausgaben und E i n n a h m e n 3 3 6 gelegt wiirde, die sich, einmal geplant und beschlossen, im Konjunkturablauf als eingebaute Stabilisatoren von selbst „antizyklisch" verhalten. Unter den Ausgaben gehort hierzu vor allem die Arbeitslosenunterstiitzung, die, sofern sie auf dem Versicherungsprinzip beruht, im Aufschwung aus den Einzahlungen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber gespeist wird und damit Kaufkraft abschopft, wahrend im Falle grofierer Arbeitslosigkeit nicht nur diese Beitrage zuriickgehen, sondern durch grofiere Auszahlungen von Unterstiitzungsleistungen ersetzt werden, aus denen den Betroffenen zusatzliche Kaufkraft zuflieftt 337 . Die Voraussetzung fiir eine derartige „antizyklische" Wirkung der Arbeitslosenversicherung ware es allerdings, daft die Beitrage in der Aufschwungphase dem Wirtschaftskreislauf entzogen bleiben, d. h. keinesfalls etwa wieder in den Kreislauf zuruckgeleitet werden. Flieften dagegen die aus Beitragen der Arbeitgeber und der Versicherten angesammelten Mittel der Bundesanstalt fiir Arbeit womoglich gerade in der Zeit des starksten Konjunkturanstiegs in die Wirtschaft zuriick, so ist diese Politik nicht nur nicht „antizyklisch", sondern auch aus anderen als konjunkturpolitischen Aspekten recht negativ zu beurteilen 3 3 8 . Einmal werden dabei Mittel aus Branchen mit normaler oder gar unterdurchschnittlicher Beschaftigung in voll- oder iiberbeschaftigte Sektoren geschleust; zum zweiten besteht die Gefahr, daft die von der Bundesanstalt im Wege der Kreditgewahrung angelegten Mittel ausgerechnet im Zeitpunkt eines Konjunkturriickganges wieder abgezogen werden miissen, da sie jetzt fiir die Auszahlung von Versicherungsleistungen benotigt werden. D a m i t wird die depressive Tendenz der Gesamtwirtschaft nicht gemildert, sondern womoglich noch v e r s t a r k t 3 3 9 . 335 S. hierzu Morgenstern, O.: Uber die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen, 2. Aufl., Wien-Wiirzburg 1965; Hanstein, H.-D.: Wirtschaftsprognose, Berlin 1969; Rothschild, K. W.: Wirtschaftsprognose, Berlin-Heidelberg-New York 1969 und besonders Gerfin, H.: Langfristige Wirtschaftsprognose, Tubingen-Zurich 1964. 336 Vgl. auch § 38. 337 Vgl. § 27. 338 ygL Quellmalz, J.: Die Kreditgewahrung durch parafiskalische Gebilde, a.a.O., S. 60 ff. 339 Auf diesen Widersinn ist schon wahrend der Weltwirtschaftskrise vielfach hingewiesen worden, so beispielsweise in einer Diskussion uber die Moglichkeiten eines Beitrages der Wirtschaftswissenschaften zur Beseitigung der Krise; vgl. hierzu Schmolders, G.: Wir brauchen Wirtschaftspolitik auf wissenschaftlicher Grundlage, in: Berliner Tageblatt, Beilage „Die Briicke" 1931, H. 46.
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Diesen Fehlern und Versaumnissen der Vergangenheit tragt nunmehr § 30 Abs. 2 Stab.Ges. Rechnung, in dem die Bundesregierung ermachtigt wird, „nach Anhorung der Bundesanstalt. . . durch Rechtsverordnung fur die Dauer eines Jahres zu bestimmen, dafi die Bundesanstalt ihre Riicklagen bis zu einem Drittel in Mobilisierungs- und Liquiditatspapieren 340 . . . anzulegen hat, wenn die Deutsche Bundesbank dies zur Wahrung der Wahrungsstabilitat vorschlagt". Ob die Wirkungsbreite derartiger „automatischer Stabilisatoren" ausreicht, bleibt bis auf weiteres eine offene Frage. Bei kleinen Schwankungen mag die „eingebaute Bremse" geniigen, bei grofien mufi man jedoch die Einnahmen und Ausgaben durch aktive Gestaltung in konjunkturpolitischer Absicht iiber die automatisch eintretende Veranderung hinaus variieren 341. Mit der Verabschiedung des Stabilitatsgesetzes wurden zunachst wenigstens die rechtlichen Voraussetzungen fur eine derartige antizyklische Finanzpolitik geschaffen; geht § 5 in Verbindung mit § 14 Stab.Ges. fiir Bund und Lander erstmalig explizit vom Prinzip der reinen Bedarfsdeckung ab 342, regelt § 6 das antizyklische Verhalten bei der Ausfiihrung des Haushaltsplanes 343. Die Phase der Hochkonjunktur wird im Gesetz als eine „die volkswirtschaftliche Leistungsfahigkeit iibersteigende Nachfrageausweitung" bezeichnet; bei einer depressiven bzw. rezessiven Konjunkturlage spricht der Ge~ setzgeber von „einer die Ziele des § 1 gefahrdenden Abschwachung der allgemeinen Wirtschaftstatigkeit". In beiden Fallen vermeidet das Gesetz freilich, selbst feste Kriterien zur Beurteilung der jeweiligen Situation anzugeben 344 ; hier soil das Urteil des Sachverstandigenrats in die Bresche treten. Im Falle einer Konjunkturiiberhitzung (§ 6 Abs. 1) kann die Bundesregierung den Finanzminister ermachtigen, „zur Erreichung der Ziele des § 1 die Verfiigung iiber bestimmte Ausgabemittel, den Beginn von Baumafinahmen und das Eingehen von Verpflichtungen zu Lasten kiinftiger Rechnungsjahre von dessen Einwilligung abhangig zu machen"; es ist dem Finanzminister somit moglich, bestimmte Ausgaben zeitlich zu verschieben, nicht dagegen zu streichen. Durch diese Ermachtigung sollte ein schneller Einsatz dieses restriktiven Mittels garantiert werden. Fiir den Fall der Rezession 340
S. §§ 42, 42 a Bundesbankgesetz. Haller, H.: Finanzpolitik, a.a.O., S. 165 f.; s. audi Lebrecht, R. G.: Automatische Konjunkturstabilisatoren oder bewufke Konjunkturpolitik, Ziirich-St. Gallen 1965. 342 Stern, K., Miindi, P.: Gesetz zur Forderung . . . a.a.O., S. 120 f. 343 S. hierzu Kodi, W.: Die finanzpolitischen Mittel des Stabilisierungsgesetzes, in: Fragen der wirtschaftlichen Stabilisierung (Hrsg. A. E. Ott), S. 38 ff. Anhand eines vierpoligen Kreislaufs Petersdier Art zeigt Koch hier die vom Gesetzgeber genutzten und ungenutzten Moglichkeiten einer finanzwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik aufgrund des Stabilitatsgesetzes. Kritisdier hierzu auEert sidi R. Stucken (Die Haushaltspolitik im Gesetz zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 27 (1968), S. 202 ff.). 344 S. Stern, K., Munch, P.: Gesetz . . . a.a.O., S. 123 f. 341
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(§ 6 Abs. 2) fehlt jedoch eine entsprechende Ermachtigung zu beschleunigter Verausgabung offentlicher Mittel; sie ist infolge der — in einer solchen Situation herrschenden — Interessenharmonie wohl audi iiberfliissig. Die konjunkturpolitisch bedingten Ausgabenerhohungen werden der Bundesregierung vielmehr nur vom Wirtschafts- bzw. Finanzminister vorgeschlagen und von ihr mit einer entsprechenden Begriindung dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt 3 4 5 . Die Mittel dafiir sind zunachst der in der Phase der Hochkonjunktur gebildeten Ausgleichsriicklage zu entnehmen; reichen diese nicht aus, wird der Finanzminister durch § 6 Abs. 3 ermachtigt, „Kredite iiber die im Haushaltsgesetz erteilten Kreditermachtigungen hinaus bis zur H o h e von 5 M r d . D M . . . aufzunehmen" 346 . Mit dem Hinweis auf §§ 9, 10 Stab.Ges. soil dabei sichergestellt werden, dafi zusatzlich nur solche Ausgaben getatigt werden, die bereits in der fiinfjahrigen Finanzplanung enthalten sind; es kann sich also nur um Investitionsausgaben handeln, von deren beschrankter konjunkturpolitischer W i r k samkeit oben schon die Rede war. Noch dazu erfordert eine derartige Finanzpolitik gleichzeitig, dafi sie auf alien Ebenen praktiziert w i r d 3 4 7 .
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Stern, K., Munch, P.: Gesetz . . . a.a.O., S. 131. Werden diese ad hoc aufgenommenen Kredite nachtraglich auf eine in einem Haushaltsgesetz ausgesprochene Kreditermachtigung angerechnet, konnen gem. § 6 Abs. 2 erneut 5 Mrd. DM aufgenommen werden (vgl. § 6, Abs. 3 Stab.Ges.). Zur technischen Abwicklung s. § 8 Stab.Ges. 347 Hierzu s. Oberhauser, A.: Die konjunkturpolitische Koordinierung der offentlichen Finanzwirtschaften und ihre finanz- und haushaltsrechtlichen Voraussetzungen, in: Schriften des Vereins fur Socialpolitik, NF. 52, Berlin 1969, S. I l l ff.; s. auch Albers, W.: Haushaltsrechtliche Grundlagen und elastische Durchfiihrung einer konjunkturgerechten Finanzpolitik, ebenda, S. 77 ff. S. hierzu auch §§ 18, 22 Stab.Ges. „Als beratendes Gremium fur die Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik von Bund und Landern und insbesondere zur Abstimmung der Haushaltswirtschaft der offentlichen Hande ist (dort) der ,Konjunkturrat fur die offentliche Hand' geschaffen worden. Mitglieder sind der Bundeswirtschaftsminister als Vorsitzender, der Bundesfinanzminister, je ein Vertreter eines jeden Landes sowie vier Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbande; die Deutsche Bundesbank ist (nur) teilnahmeberechtigt. Der Konjunkturrat tagt in regelmafiigen Abstanden. Er berat — so der Gesetzeswortlaut — ,alle zur Erreichung der Ziele dieses Gesetzes erforderlichen konjunkturpolitischen Maftnahmen* sowie ,die Moglichkeiten der Deckung des Kreditbedarfs der offentlichen Haushalte c . Soil durch Rechtsverordnung die Zufuhrung von Mitteln zur Konjunkturausgleichsnicklage oder eine Kreditbegrenzung fiir die offentlichen Haushalte angeordnet werden, so mufi der Konjunkturrat vorher gehort werden." (BMWI-Texte: Stabilitat und Wachstum, 3. Aufl., S. 27.) Die Beschlusse des Konjunkturrates sind nicht bindend. Die Zusammensetzung des Konjunkturrates gibt jedoch Anlafi zur Kritik. Der Privatwirtschaft als dem hauptbetroffenen Bereich steht an diesem Rat keine Beteiligung zu. Der Bundesbank wird an den Beratungen lediglich ein Mitspracherecht zugebilligt, sie ist also kein ordentliches Mitglied. Das neugeschaffene Organ besteht nur aus Vertretern offentlicher Interessen, die wiederum hauptsachlich von Lander- und Gemeindevertretern reprasentiert werden. Dadurch wird die Befurchtung gerechtfertigt, da£ es in der Realitat zu einer einseitigen Begiinstigungspolitik der einzelnen offentlichen Hande kommt, die den Erfolg der Mafinahmen des Stabilitatsgesetzes in Frage stellt. (Vgl. Roeper, H.: Nicht zuviel Konjunkturinstrumente, in: FAZ, Nr. 39 vom 15. 2.1967.) 346
19 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Die Ausgabenpolitik
Daher verpflichtet § 16 audi die Gemeinden, in ihrer Haushaltsfiihrung den Zielen des Gesetzes Rechnung zu tragen, und die Lander, die Gemeinden dementsprechend zu beaufsichtigen; an dieser Stelle liegt eine der Hauptschwachen des Stabilitatsgesetzes. „Einmal ist hervorzuheben, dafi bei uns die offentlichen Gesamtinvestitionen an der Summe der Ausgaben aller politischen Ebenen mit rd. einem Viertel gegenwartig ohnehin nicht sehr grofi ist." Zweitens, und dies ist gravierend, „ist zu beachten, dafi in der Bundesrepublik die Gemeinden und Gemeindeverbande Haupttrager d e r . . . (staatlichen) Investitionen sind, von denen in den letzten Jahren etwa zwei Drittel auf sie entfielen" 348. Dies bedeutet, dafi die Gemeinden zwar in der Uberhitzungsphase der Konjunktur bei analoger Anwendung des § 6 einen beachtlichen Stabilisierungsbeitrag leisten konnten, im Abschwung aber nicht in der Lage sind, ihr Ausgabenvolumen entsprechend zu erhohen, zumal die extrem konjunkturempjfindliche Gewerbeertragsteuer nach wie vor ihre Haupteinnahmequelle darstellt 349 , wahrend ihnen der Zugang zum Zentralbankkredit verwehrt ist. Daraus folgt, dafi die Gemeinden in einem Wirtschaftsabschwung zu einem hohen Mafi an prozyklischem Verhalten gezwungen bleiben; dies ist besonders auch aus wachstumspolitischen Uberlegungen bedenklich, da die Gemeinden die Hauptproduzenten der fur das wirtschaftliche Wachstum so wichtigen Infrastruktur 350 sind. Aus diesem Grunde erscheint F. Neumark eine Erganzung des Stabilitatsgesetzes notwendig, „aufgrund derer der Bund ermachtigt und verpflichtet ware, in Rezessionssituationen aus von ihm aufgenommenen Kreditmitteln den Kommunen zinslose, wenn auch nkkzahlbare Darlehen in einem Umfange zu gewahren, der ihnen (zumindest) die Aufrechterhaltung des mittelfristig geplanten Investitionsvolumens gestatten wiirde" 351. Zusammenfassend lafit sich sagen, dafi sich Variationen der offentlichen Investitionsausgaben zwar im wklassischen" Konjunkturzyklus, insbesondere in der Depression, als geeignetes Mittel der Arbeitsbeschaffung und Wirt348 Neumark, F.: Fiskalpolitik und Wachstumsschwankungen, a.a.O., S. 42. 349 p ^ Timm ist der Ansidit, dafi die verabschiedete Gemeindefinanzreform... unter stabilisierungspolitischen Gesichtspunkten weit hinter den Erfordernissen zuriickgeblieben ist. (Gemeindefinanzpolitik in den Wachstumszyklen, a.a.O., S. 446.) 350 p r e y ) R# R #: Infrastruktur und Wirtsdiaftswachstum, in: Konjunkturpolitik, 1969, Heft 2, S. 103 ff.; Junges, G.: Ein kritischer Vergleich der Wirksamkeit der restriktiven und expansiven Mafinahmen im „Gesetz zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft", Kolner Diplomarbeit WS 1968/69, S. 44 f. 351 Neumark, F.: Fiskalpolitik... a.a.O., S. 43; ders.: Steuer- und Ausgabenvariationen im Dienste der Stabilitatspolitik, in: Volkswirtschaftliche Korrespondenz der Adolf-Weber-Stiftung, Nr. 5 (1967), Abschnitt III. Erwahnenswert ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag G. Zeitels, durch Variationen der Gewahrung staatlidier Darlehen zur Dampfung konjunktureller Ausschlage beizutragen (Staatliche Darlehensgewahrung als Mittel der Finanz- und Wirtschaftspolitik, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 26 (1967) S. 193 ff.
§ 29. Der Kampf gegen Konjunktur- und Wachstumsschwankungen
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schaftsankurbelung bewahrt haben, dafi sie aber bei reinen Wachstumsschwankungen wegen ihrer den volkswirtschaftlichen Kapitalkoeffizienten erhohenden und moglicherweise auch strukturkonservierenden Wirkungen nicht unbedingt empfohlen werden konnen; interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse der Untersuchungen von L. C. Anderson und J. L. Jordan, die fiir die USA nachgewiesen haben, dafi in der Zeit von 1952 bis 1968 — einer Zeit ohne klassische Zyklen — von den Veranderungen der Geldmenge starke, von den fiskalpolitischen Variablen dagegen quantitativ nur erheblich geringere Einfliisse auf das Wachstum des Sozialprodukts ausgegangen sind 352. Ober den Umweg der subjektiven Liquiditat 353 der Wirtschaftssubjekte, d. h. der von ihnen subjektiv angenommenen oder geglaubten Moglichkeiten hinsichtlich ihrer finanziellen Bewegungsfreiheit, ihren Erwartungen und ihrem Vertrauen in die staatliche Wirtschaftspolitik — Faktoren, die ihrerseits die Geldmenge bestimmen — konnen dagegen auch die Ausgabenvariationen der offentlichen Hand zur Stabilisierung beitragen; dafi es moglich ist, die subjektive Liquiditat in der gewiinschten Richtung zu beeinflussen, beweist die Reaktion auf die Ankiindigung der Eventualhaushalte von 1967.
352
Anderson, L. C, Jordan, J. L.: Monetary and Fiscal Actions: A Test of Their Relative Importance in Economic Stabilization, in: Review of the Federal Reserve Bank of St. Louis, Bd. 50 (1968), Nr. 11. Auf die methodische Problematik derartiger Regressionsanalysen weist D. Beckerhoff hin. (Was Friedman verschweigt, in: Der Volkswirt, Nr.7, 1970, S. 41 ff.) 353 Stnimpel, B.: Die subjektive Liquiditat als Zielvariable ..., a.a.O. 19*
„Wann die Hiiner gar geschlacht werden, so legen sie nimmer Eyer" (Bornitz)
V. Die Einnahmenpolitik A. Die offentlichen Einnahmen § 30. Einnahmen aus offentlichen Erwerbsunternehmen Der Versuch, dem Wesen der heutigen offentlichen Einnahmen dadurch naher zu kommen, dafi man sie historisch aus den Einku'nften der fiirstlichen Hofhaltung ableitet, ist zum Scheitern verurteilt; mit dem Kammergut des Landesfiirsten hat die moderne Finanzwirtschaft, die sich in Einnahmen und Ausgaben nach einem in kollektiver Beschlufifassung zustande gekommenen Haushaltsplan richtet, nicht mehr viel gemeinsam, zumal ihre Grofienordnungen langst weit iiber die des mittelalterlichen „Zehnten" und der gelegentlichen Lehnsabgaben und Frondienste hinausgewachsen sind 1. Versagt somit die historische Ableitung, so bietet sich zunachst die in der Finanzwissenschaft gebrauchliche formale Einteilung in die drei Gruppen Erwerbseinkiinfte, Gebuhren und Beitrage sowie Steuern und Zolle an. Die angelsachsische Finanztheorie unterschied dementsprechend traditionell zwischen „Prices", „Feescc und „Taxes", eine Unterscheidung, die heute noch betrachtlich verfeinert wird; neben „Public Prices" und „Commercial Revenues" ist von „Rates
§ 30. Einnahmen aus offentlichen Erwerbsunternehmen
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nur fiir die Steuern, sondern beispielsweise auch fur die offentlichen Erwerbsunternehmen, die Umsatz- und Gewinnmoglichkeiten der Privatwirtschaft in Anspruch nehmen, oder fiir Anleiheeinnahmen, die am Kapitalmarkt mit privaten Emissionen in Wettbewerb treten. Ausnahmen gelten nur fiir die erfolgreiche Wirtschaftsankurbelung mittels staatlicher Geldschopfung und fiir solche Auslandsanleihen, die der offentlichen Finanzwirtschaft zu gunstigeren Bedingungen gewahrt werden, als sie die Privatwirtschaft erhalten wiirde; auch soweit Zolle, in der Regel wohl auch Schutzzolle, bei elastischer Inlandsnachfrage vom Ausland getragen werden, bleibt die Kaufkraft am Inlandsmarkt unberiihrt. Eine Klassifizierung der Staatseinnahmen, die das methodische Rustzeug fiir die Erforschung der Einnahmewirkungen schaffen will, mufi sich einer ahnlichen gesamtwirtschaftlichen Betrachtung bedienen, wie sie auf dem Gebiet der Staatsausgaben mit der Unterscheidung zwischen Leistungsentgelten (Kaufen) und unentgeltlichen Einkommensubertragungen (Transferzahlungen) bereits ublich geworden ist. Diese Betrachtungsweise haben F. Neumark 3 und spater E. R. Rolph 4 auch auf die Staatseinnahmen iibertragen; danach sind auf der einen Seite alle Einnahmen des Staates, die sich nicht nach dem tauschwirtschaftlichen Prinzip des „do ut des" vollziehen oder bei denen eine unmittelbare Zurechnung einer Gegenleistung des Staates nicht moglich ist, gewissermafien „negative Transferzahlungen" (z. B. die Steuern), denen auf der anderen Seite alle diejenigen Einnahmen gegenuberstehen, die der Staat in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft als Entgelt fiir Giiter und Dienste nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erhalt, auch wenn die Preise daflir in der Art der Monopolpreise festgesetzt werden. Die Riicksicht auf die Abnehmer und die Notwendigkeit einer gewissen Anpassung des Angebots an die Marktverhaltnisse, der ja auch jeder Monopolist unterliegt, kennzeichnet die Eigenart dieser Kategorie offentlicher Einnahmen, zu denen vor allem die Einkunfte aus offentlichen Erwerbsunternehmen zahlen. Diese Klassifizierung befreit sich von den rein formalen Kriterien und bringt das Verhaltnis von Staatswirtschaft und Marktwirtschaft auf seine einfachste, okonomisch plausibelste Formel; kennzeichnend fiir die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der staatlichen und 3 Neumark, F.: Das Wesen der Besteuerung, urspriinglidie Fassung, in: Revue de la Faculte des Sciences Economiques d'Instanbul, Bd. 1 (1940), spatere Fassung, in: Wirtschaftsund Finanzprobleme des Interventionsstaates, a.a.O., S. 335 ff. 4 "Taxes should, in our opinion, be viewed as transfers because they are a clear and definite case where income is obtained which is not in payment for services rendered. Government tax revenue or income arises from the exercise of the government's coercive power to force its members to make contributions to it. A tax is a transfer because of the nature of taxes, namely that they give rise to tax yields which are income to governments and are not paid as a condition of obtaining any particular commodity or service." (Rolph, E. R.: The Theory of Fiscal Economics, a.a.O., S. 66.)
294
Die Einnahmenpolitik
der privaten Sphare ist das Vorhandensein oder das Fehlen des tauschwirtschaftlichen Prinzips von Leistung und Gegenleistung. Auf diese Weise konnen letztlich alle zwischen Staat und Privaten fliefienden Zahlungsstrome auf die gleiche Klassifizierung in (empfangene und gezahlte) Leistungsentgelte und (negative und positive) Transferzahlungen zuriickgefuhrt werden 5. So bestechend logisch diese von F. Neumark und E. R. Rolph vorgeschlagene Klassifizierung der Staatseinnahmen vom Standpunkt der okonomischen Gesamtanalyse aus erscheint, so birgt sie doch in ihrer Anwendung auf die spezifischen Formen der Einnahmeerzielung mancherlei Schwierigkeiten. Zwar ist die Einordnung der Erwerbseinkiinfte und der Steuern in diese Kategorien ganz eindeutig; aber schon bei den Gebiihren 6 wird die Grenze zwischen „empfangenen Leistungsentgelten" und „negativen Transferzahlungen" unbestimmt. Wenn es sich um die preisahnlichen „Benutzungsgebiihren" handelt, sind sie zweifellos noch dem Sektor der Verkaufsentgelte zuzurechnen; bei den „Verwaltungsgebiihrenc< und vollends den „Beitragen" ist dagegen eine Aufrechnung von Leistung und Gegenleistung schon kaum mehr moglich, so dafi man sie dem Sektor der „negativen Transferzahlungen" zuordnen mufi, zumal sie in der Regel weitgehend Zwangscharakter tragen („ Compulsory Transfers"). Ohnehin birgt die so verlockend anschauliche spiegelbildliche Gegeniiberstellung von Ausgaben- und Einnahmentheorie die Gefahr in sich, daraus alsbald auch auf eine spiegelbildliche Ubereinstimmung hinsichtlich der Wirkungen von Staatsausgaben und Staatseinnahmen zu schliefien, eine durchaus unzulassige Schlufifolgerung, da Zwangsabgaben und Geschenke jeweils ganz andere Bereiche menschlichen Verhaltens beriihren 7 ; davon wird in anderem Zusammenhang noch die Rede sein. Einem einfachen Umkehrschlufi von den Wirkungen der Ausgaben auf die der Einnahmen der offentlichen Hind sind jedenfalls stets dort Grenzen gesetzt, wo die Verhaltensweisen der jeweils Begunstigten und Leistenden im privaten Bereich unterschiedlicher Art sind. Die altesten offentlichen Einnahmen sind die aus Erwerbsunternehmen der verschiedensten Art, von den land- und forstwirschaftlichen Domanen liber die Bergwerke, Muhlen und Manufakturen bis zu den Miinzstatten und Notenbanken, Pulver- und Waffenfabriken, Schiffswerften, Posten und Bahnen. Infolge der Notwendigkeit, das Angebot an Giitern und Dienst5 "Transfer payments may be preliminarily classified as contractual, voluntary, and compulsory. As applied to government, we include under contractual transfers all interest payments on government debt and all pensions receivable as matter of enforceable right. Under voluntary transfers we include all government payments in the form of relief, unemployment insurance, and social security payment, and all subsidies. Under compulsory transfers we include all taxes and fines." (Rolph, E. R.: The Theory of Fiscal Economics, a.a.O., S. 58.) 6 V L § § 3L 7 Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen fur die Landwirtschaft, a.a.O., S. 46.
§ 30. Einnahmen aus offentlichen Erwerbsunternehmen
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leistungen stets den wechselnden Marktverhaltnissen anzupassen, ahnelt die erwerbswirtschaftliche Betatigung der offentlichen H a n d mehr der „Geschaftspolitik" privater Unternehmungen als der sonstigen Finanz- und Steuerpolitik des Staates und der Gemeinden; zusammen mit der Schuldenpolitik erfordert dieser Zweig der Mittelbeschaffung am meisten „kaufmannisches" Verhalten der offentlichen H a n d im Gegensatz zur „behordlichen" Geltendmachung ihrer Zwangs- und Hoheitsrechte. Uber das grundsatzliche Fur und Wider der offentlichen Erwerbstatigkeit ist bereits im Zusammenhang mit dem offentlichen Erwerbsvermogen berichtet w o r d e n 8 . Einnahmen aus offentlichen Erwerbsunternehmen erzielt die offentliche H a n d in Deutschland von jeher in erster Linie aus Verkehrsbetrieben (Bahn und Post, kommunale Strafienbahn-, U-Bahn- und Omnibuslinien), ferner aus Energie- und Versorgungswerken (Gas, Wasser, Elektrizitat) und in gewissem Umfang auch aus Grundbesitz (Domanen, Staatsforsten). Die Formen der offentlichen Erwerbsunternehmen und dementsprechend auch ihre Einteilungskriterien sind mannigfaltig; so unterscheidet m a n beispielsweise nach ihrer Marktstellung Monopol- und Konkurrenzbetriebe, nach den Besitzverhaltnissen reine staats- und gemischtwirtschaftliche Unternehmen, schliefilich nach A r t und Anzahl ihrer Trager solche des Bundes, der Lander und der Gemeinden sowie kommunaler Zweckverbande. Die heute herrschende Einteilung orientiert sich an der rechtlichen Form und an wirtschaftlichen Merkmalen. Danach unterscheidet man 9 : 1. Organisatorisch, rechtlich und wirtschaftlich unselbstandige Unternehmungen; die wirtschaftliche Abhangigkeit dieser sogenannten reinen Regiebetriebe besteht darin, dafi ihre Einnahmen und Ausgaben Bestandteile des Haushaltes ihrer Gebietskorperschaft sind (Bruttobetriebe). 2. Organisatorisch selbstandige, rechtlich unselbstandige, wirtschaftlich indirekt abhangige Unternehmungen; ihre besondere wirtschaftliche Stellung besteht darin, dafi nur der Gewinn oder Verlust ihrer Wirtschaftsrechnung im H a u s h a l t erscheint (Nettobetriebe). Zu dieser Unternehmungsform gehoren die sogenannten Eigenbetriebe (nach der Eigenbetriebsverordnung vom 2 1 . 11. 1938), die Betriebe nach §§ 18 H G r G , 26 B H O und die autonomen Wirtschaftseinheiten Bundesbahn und Bundespost. 3. Organisatorisch, rechtlich und wirtschaftlich selbstandige Betriebe. H i e r z u gehoren die Unternehmungen in Form der juristischen Person des offentlichen oder privaten Rechts (Eigengesellschaften) sowie die gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen.
8
Vgl. § 26. Schnettler, A.: Offentliche Betriebe, a.a.O., S. 52 ff.; Albers, W.: Art. Erwerbseinkiinfte, offentliche, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 3. Bd., a.a.O., S. 341 f.; Domke, E.: Art. Offentliche Hand als Unternehmer, in: Handworterbuch der Betriebswirtschaft, 3. AufL, 2. Bd., a.a.O., Sp. 4181 ff. 9
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Die Einnahmenpolitik
Die mannigfachen Formen der offentlichen Erwerbswirtschaft, die sich im Laufe einer langen Entwicklung herausgebildet haben, sind nicht zuletzt ein Ausdruck des Bestrebens der offentlichen Korperschaften, auf diesem Wege Einflufi auf die Unternehmungsfiihrung der privaten Wirtschaft oder eine Beteiligung an ihrem finanziellen Ertrag zu gewinnen. Leider haben sich jedoch nicht wenige der industriellen Beteiligungen der offentlichen Hand, die in ihrem Ursprung oft auf Subventionen zuriickgehen, im grofien und ganzen als ebensowenig lukrativ erwiesen, wie die aus Stlitzungskaufen herriihrenden Bankbeteiligungen. Der „Dualismus von Gemeinwohl und Gewinnstreben", der sich meist binnen kurzem bei solchen Unternehmungen entwickelt, fiihrt haufig zu einer regelrechten Antinomie; Th. Keller hat mit Recht darauf hingewiesen, dafi letztlich kein objektives Kriterium, sondern lediglich die offentliche Meinung daniber entscheidet, ob sich neben einer als ausreichend empfundenen Wahrung des offentlichen Interesses auch noch ein Gewinn erzielen lafit oder nicht 10 . Infolgedessen werden auch solche Betriebe, die urspriinglich der Einnahmeerzielung dienen sollten, in der offentlichen Hand nur zu leicht unrentabel; kaufmannische Betatigung liegt ihr nun einmal im allgemeinen nicht. Die Deutsche Reichsbahn, eines der grofiten erwerbswirtschaf tlichen Unternehmen der Welt, war 1920 gegen eine Ablosung von 39 Mrd. RM von den Landern in den Besitz des Reiches iibergegangen. Ihre anfanglich noch recht ansehnlichen Oberschusse dienten zur Finanzierung der Reparationen; die Oberlastung der Reichsbahn mit sozialen Aufgaben und volkswirtschaftlichen Riicksichten hat, Hand in Hand mit dem sehr harten Wettbewerb der StraCenverkehrsmittel, diese Einnahmequelle nun schon seit vielen Jahren versiegen und zur Quelle regelmafiiger Defizite werden lassen. Dagegen liefert die Bundespost alljahrlich beachtliche Betrage ab, ebenso die Deutsche Bundesbank; die „Einnahmen aus der Miinzpragung" sanken nach der erstmaligen Deckung des Miinzbedarfs an DM zunachst ab, sind jedoch inzwischen durch die laufenden Neupragungen wieder erheblich gestiegen. Fur 1967, 1968 und 1969 belief en sich die Einnahmen aus wirtschaf tlichen Unternehmungen auf folgende Betrage (siehe Tabelle 12 auf Seite 297). Ablieferungen der Bundesbahn sind infolge der dauernden Defizite zunachst nicht eingeplant. Allerdings ist dabei auch nicht zu iibersehen, dafi die Bundesbahn nach dem Kriege keinerlei Entschadigungen fur die erlittenen Schaden erhielt; dafiir ubernahm der Bund im Jahre 1956 ihr bis dahin aufgelaufenes Defizit von fast 2 Mrd. DM auf seinen Haushalt. Nachdem dann dank umfangreicher Rationalisierungsmafinahmen die jahrlichen Verluste zu-
10 Keller, Th.: Gewinn und Gemeinwohl als Ziele der wirtsdiaftlichen Tatigkeit offentlicher Gemeinwesen, in: Individuum und Gemeinsdiaft, Festschrift zur Fiinfzigjahrfeier der Handelshochschule St. Gallen. 1949.
§ 30. Einnahmen aus offentlichen Erwerbsunternehmen Tabelle 12. Einnahmen aus wirtschaftlichen Untemehmungen 1968 und 1969 — in Millionen DM Einnahmeart
Bundesanteil am Reingewinn d. Deutschen Bundesbank n Gewinn aus Beteiligungen
Haushalt 1967 1st
297
des Buncles — 1967,
Haushalt 1968 Soil
Haushalt 1969 Soil
364,5
620,0
300,0
48,3
46,7
48,7
620,0
710,0
Ablieferungen der Bundespost
219,5
Erlose aus Veraufterungen von Anteilsrechten
28,9
52,6
0,2
165,0
3,1 80,0
661,4
1504,3
1141,8
Einnahmen aus dem Miinzwesen
Quelle: Bundeshaushaltsplan 1968 und 1969. nachst sanken, haben sie seit 1961 infolge standig steigender Personalkosten von J a h r zu J a h r wieder erheblich zugenommen 1 2 . Etwas anders sieht es mit dem H a u s h a l t der Bundespost aus. H i e r werden z w a r positive Jahresergebnisse erzielt (1967 441,2 Mio. D M 13 ) und es ist audi anzunehmen, dafi diese Entwicklung anhalt; dennoch darf die jahrlich geleistete Ablieferung an den Bundeshaushalt nicht als echter Betriebsuberschufi angesehen werden, da zu berucksichtigen ist, dafi dieses Ergebnis wegen der abweichenden Bilanzierungs- und Abschreibungspraxis nicht mit einem entsprechenden Gewinn in der gewerblichen Wirtschaft verglichen werden k a n n 14 . Das umfangreiche industrielle Bundesvermogen 15 wirft keine nennenswerten E n r a g e a b ; der Durchschnittsertrag der Bundesbeteiligungen bleibt J a h r fiir J a h r betrachtlich hinter der Durchschnittsdividende der borsennotierten Aktien zuriick. Gewifi spielt hierbei — worauf der Finanzbericht des Bundes jahrlich hinzuweisen pflegt — der gemeinniitzige Charakter vor allem der wohnungswirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Unternehmen eine Rolle; manche eklatanten Beispiele 16 zeigen jedoch, dafi von einer echten „Dividendenpflege" in den meisten Bereichen des industriellen Bundesbesitzes keine Rede sein kann. Beachtlicher sind die Erwerbseinnahmen der Lander, die zum Teil iiber umfangreiche Vermogenswerte (landwirtschaftliche Betriebe, Forsten und 11 Die Sollzahl fiir 1969 diirfte mit Sicherheit zu hoch sein, da der Aufwertungsverlust in Hohe von 4,1 Mrd. DM vom Herbst 1969 nicht nur durch die Auflosung von Riicklagen (420 Mio.) und Ruckstellungen (1,39 Mrd.), aus Wertberichtigungen (872 Mio.), sondern die restlichen 1,42 Mrd. audi aus dem Gewinn des Geschaftsjahres 1969 gedeckt werden. (Vgl. Handelsblatt Nr. 70., v. 13. 4. 1970.) 12 14 S. Finanzbericht 1969, S. 381. Ebenda. 13 15 Vgl. ebenda, S. 382. Vgl. § 26. 16 Vgl. Breidbach, H. J.: Privatisierung, a.a.O., S. 40 ff.
298
Die Einnahmenpolitik
andere) und iiber ergiebige Beteiligungen verfiigen. Bei den Gemeinden vollends leisten die Einkiinfte aus den Verkehrs- und Versorgungsbetrieben, Liegenschaften und Stadtgiitern, Sparkassen und sonstigen wirtschaftlichen Unternehmungen von jeher mit ca. 6% einen gewissen Beitrag zur Aufbringung ihres Haushaltsbedarfs. Eine besondere Problematik der offentlichen Erwerbseinnahmen liegt in dem Eindringen der offentlichen Hand ins wirtschaftliche Leben, das schon seit dem Ersten Weltkrieg gern als „kalte Sozialisierung" bezeichnet wird; im Vergleich zu den iibrigen Einnahmen der offentlichen Hand zeigen jedoch die Erwerbseinnahmen in neuerer Zeit eine standig riicklaufige Tendenz. Die Entwicklung zum mehr oder weniger ausgepragten „Steuerstaat" begann in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts mit dem Riickzug des Staates aus der Wirtschaft im Gefolge der Handels- und Gewerbefreiheit 17 . Dieser Riickzug ist in Deutschland nie so radikal durchgefuhrt worden wie in England und Frankreich; der gegenlaufige Ausschlag des Pendels, die Verstaatlichungswelle nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, hat dementsprechend bei uns ebenfalls nicht die Ausmafie angenommen wie im britischen Labourregime der Nachkriegsjahre und in den Nationalisierungsmafinahmen Frankreichs von 1944 bis 1946 (Kohlenbergbau, Bahnen, Energiewirtschaft, Banken, Versicherungen u. a. m.). Dazu hat sicherlich der warnende Anschauungsunterricht beigetragen, der, wie in alien Landern hinter dem Eisernen Vorhang, auch in Ost- und Mitteldeutschland mit der Enteignung und Verstaatlichung ganzer Wirtschafts- und Erwerbszweige dargeboten wurde; die riicksichtslose Mifiachtung der individuellen Freiheit und der sonstigen Personlichkeitsrechte, zu denen nicht zuletzt das Eigentumsrecht gehort, lahmt zugleich mit dem Erwerbsstreben die schopferische Initiative, auf der jeder technische und kulturelle Fortschritt der Volker letztlich beruht.
§ 31. Gebuhren, Beitrage und Steuern Als Gebuhren und Beitrage werden die von der offentlichen Hand festgesetzten Entgelte fur die Inanspruchnahme ihrer Leistungen oder fur das Erwachsen wirtschaftlicher Vorteile durch Mafinahmen der offentlichen Hand bezeichnet. Der Begriff Gebiihr ist das Schmerzenskind des Finanzrechts; nach Strutz sind Gebuhren offentliche Abgaben, die nach einem einseitig festgesetzten Tarif als Gegenleistung fur die Inanspruchnahme offentlicher Leistungen erhoben werden. Nach Amonn ist die Gebiihr eine Zwangsabgabe, „die seitens eines offentlichen Gemeinwesens von einem Wirtschaftssubjekt erhoben wird bei spezieller Inanspruchnahme oder auf Grund der Veranlassung einer speziellen Tatigkeit eines Gemeinwesens". Das Merkmal braucht nicht unbedingt Keller, Th.: Die Eigenwirtsdiaft offentlicher Gemeinwesen, a.a.O., S. 165.
§31. Gebiihren, Beitrage und Steuern
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in einem speziellen Interesse des Empfangers behordlicher Leistungen zu liegen; entscheidend ist die Inanspruchnahme einer bestimmten Staatstatigkeit iiberhaupt. Auf den besonderen politisch-instrumentellen Charakter dieser Abgabenkategorie weisen Hansmeyer und Fiirst hin, wenn sie die Gebuhr als eine Abgabe definieren, „die fiir individuell zurechenbare offentliche Leistungen zu entrichten ist, deren Hohe sich nach politischen Zielen unter Beriicksichtigung der Nachfragestruktur richtet" 18. Nach einer anderen Definition ist die Gebuhr ein Entgelt fiir besondere Inanspruchnahme der nichterwerbswirtschaftlichen Verwaltung eines Staates (Terhalle), wahrend der Beitrag eine Abgabe anlafilich der Errichtung offentlicher Werke darstellt. Sozusagen ist die Gebuhr eine Art Kostenersatz, die bei der Inanspruchnahme von Staatsleistungen aller Art von den Burgern moglichst nach Mafigabe eben dieser Beanspruchung erhoben wird, wahrend die Beitrage andererseits als Umlagen angesehen werden konnen, durch die vorher oder nachtraglich Investitionskosten fiir staatliche Einrichtungen auf diejenigen Personen verteilt werden, denen der Nutzen der Einrichtungen vorwiegend zugute kommt (z. B. Anlieger einer Strafie). Die Einteilung der Gebiihren ist nach verschiedenen Gesichtspunkten moglich. 1. Nach der offentlichen Leistung werden preisahnliche Benutzungsgebiihren (z. B. Wege- und Briickengelder, Marktstandgebuhren, Mullabfuhr, Schulgeld) und steuerahnliche Verwaltungsgebiihren (z. B. Gebiihren fiir Auskiinfte und Amtshandlungen, Gerichtsgebuhren, Grundbuchgebiihren) unterschieden. 2. Nach dem geforderten Entgelt kann man die Gebiihren in Pauschgebuhren (fiir eine Anzahl zusammenhangender Amtsakte oder dergleichen) und Einzelgebiihren einteilen, die wiederum als Rahmengebiihren (von . . . bis . . . ; nach Ermessen) oder als Gradationsgebiihren (je 1000 DM Streitwert oder wie bislang 2,50 DM je Wochenstunde im Semester) auftreten konnen. Neben den „Fiskusgebuhren" gibt es noch „Beamtengebuhren" (Sporteln), die heute allerdings fast nur noch bei den Notaren iiblich sind. Die Frage, welche der offentlichen Leistungen und Mafinahmen mittels Gebiihren finanziert und wie hoch diese bemessen werden sollen, ist Gegenstand der Gebuhrenpolitik; sie steht einerseits insofern der Steuerpolitik nahe, als es sich audi bei den Gebiihren urn einseitig festgesetzte „Zwangs18
Hansmeyer, K.-H. u. Fiirst, D.: Die Gebiihren, Berlin-Koln-Mainz 1968, S. 34. Diese Definition entspringt der Idee, diese Abgaben unter bestimmen Voraussetzungen (S. 146 ff.) zu einem preisahnlidien Instrument zur Steuerung von „meritorischen Giitern" zu entwickeln. Dies ist unter ordnungspolitischen Uberlegungen nidit unwichtig, besonders wenn man z. B. mit Galbraith der Ansicht ist, daft eine Ausdehnung der staatlichen Leistungen unvermeidlich ist, um ein „soziales Gleichgewidit" zwischen Staat und Gesellschaft herbeizufiihren (s. hierzu Galbraith, J. K.: Gesellschaft im Uberfluft, a.a.O., S. 220—236).
300
Die Einnahmenpolitik
abgaben" handelt, andererseits der Preis- und Tarifpolitik der offentlichen Unternehmen, da die Gebiihren ja als „Entgelt" fiir eine bestimmte oder doch ohne weiteres bestimmbare Leistung der offentlichen H a n d erhoben werden, wahrend die Steuern „Zwangsabgaben ohne Anspruch auf Gegenleistung" sind. D a Gewinnerzielung als Ziel der offentlichen Einrichtungen in der Regel abgelehnt wird, bleibt das Prinzip der Kostendeckung als Rechtfertigungsgrund und Bemessungsgrundlage, die freilich aus technischen Griinden oft durchbrochen w i r d ; die Gebiihr soil wenigstens ungefahr das kostenmafiige A q u i v a l e n t 1 9 der erbrachten Leistung darstellen. So erklart es sich, dafi die Gebiihren leicht nach der einen oder anderen Seite hin von ihrer Wesenseigenart abweichend ausgestaltet werden konnen, sei es als steuerahnliche Zwangsabgaben, bei denen die Gegenleistung des offentlichen Gemeinwesens zuriicktritt oder nur noch des aufieren Scheins halber vorgetauscht wird, wie z. B. bei bestimmten Stempel- und Registrierungsgebiihren in Frankreich, sei es als Post- oder Eisenbahn-„gebuhren < c , die in Wirklichkeit Preise fiir geldwerte Leistungen der offentlichen H a n d darstellen. Die klare Scheidung der Begriffe wird auf diesem Gebiet vollends dadurch verwischt, dafi der Staat sich zur Abschwachung der ihm entgegentretenden Steuerwiderstande fiir neu einzufiihrende Steuern gern moglichst harmlos klingender Bezeichnungen bedient und dabei mit Vorliebe gerade auf den Begriff Gebiihren zuriickgreift, um seinen Biirgern die neuen A b gaben schmackhaft zu machen 2 0 ; dafi die bei der Aus- und Einfuhr iiber die Landesgrenzen erhobene „Statistische Gebiihr" eine Steuer im Sinne der A b gabenordnung war, hatte schon der Reichsfinanzhof entschieden. Es hiefie jedoch das Kind mit dem Bade ausschiitten, wollte man um derartiger begrifflicher Schwierigkeiten willen auf den Gesichtspunkt der „Entgeltlichkeit" einer Leistung der offentlichen H a n d als Unterschiedsmerkmal zwischen Steuern und Gebiihren (Beitragen) ganzlich verzichten und ihn etwa durch die Idee eines Ausgleichs zwischen Sonderlasten und Sondervorteilen ersetzen 21 . Die Bemessung des „Entgelts c< k a n n dabei nach verschiedenen Prinzipien erfolgen 2 2 . In der Rechtsauffassung des Gebiihrenwesens steht dabei das „Aquivalenzprinzip" im Vordergrund, das sein gedankliches Fundament in der Abgabenordnung findet, nach der Gebiihren „fiir besondere Inanspruchnahme der V e r w a l t u n g " erhoben werden; nach W. Gerloff ist es der Ausgangspunkt der Gebiihrenpolitik, dafi es gerecht sei, die Kosten 19 Zu den verschiedenen Aquivalenzbegriffen und der Problematik der Realisierung eines wie audi immer definierten Aquivalenzprinzips s. Haller, H.: Die Steuern, a.a.O., S. 15 ft*. 20 Vgl. Scholten, H.: Die Steuermentalitat der Volker im Spiegel ihrer Sprache, a.a.O. 21 So Buchner, R.: Beitrage, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 2. Bd., a.a.O., S. 238. 22 Vgl. Zeitel, G.: Art. Gebiihren, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 4 (1963) S. 229.
§31. Gebiihren, Beitrage und Steuern
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der Aufwendungen fiir die staatliche Ordnungs-, Aufsichts-, Schutz-, Hilfsund Erganzungstatigkeit den Vorteilsempfangern selbst aufzuerlegen. Allerdings stofit die Realisierung dieses Prinzips auf erhebliche Schwierigkeiten. Bei den Verwaltungsgebiihren diirfte eine kostenorientierte Gebiihrenpolitik praktisch kaum durchfiihrbar sein, da sich beispielsweise die Kosten fiir eine mehrere Instanzenziige durchlaufende Amtshandlung nicht feststellen lassen; bei den Benutzungsgebiihren andererseits ist es zwar unter Umstanden moglich, mit Hilfe kaufmannischer Rechnungsmethoden kostendeckende Gebiihrensatze fiir offentliche Einrichtungen und Anstalten zu ermitteln 23, es fragt sich jedoch, inwieweit der diese Einrichtungen in Anspruch nehmende Burger finanziell iiberhaupt in der Lage ist, die so ermittelten Gebiihren mancher kostspieligen offentlichen Einrichtungen, deren Inanspruchnahme fiir ihn vielleicht lebensnotwendig ist, zu bezahlen; wenn der Staat seinen Biirgern den Gebrauch seiner Einrichtungen allzusehr verteuert, besteht die Gefahr, dafi er sich letzten Endes selbst iiberfliissig macht. Nicht minder problematisch ist jedoch die Gebiihrenbemessung nach dem „Nutzenprinzip". Der Gedanke, dem Nutzniefier einer staatlichen Einrichtung oder Amtshandlung ein Entgelt in Hohe des Nutzen abzufordern, den er aus der Inanspruchnahme zieht, erscheint zunachst einleuchtend, begegnet jedoch in seiner Verwirklichung mannigfachen Schwierigkeiten; unter sozialpolitischen Gesichtspunkten wiirde die Verwirklichung dieses Grundsatzes zweifellos zu Ungerechtigkeiten fiihren, da in vielen Fallen gerade fiir den weniger Leistungsfahigen der Nutzen staatlicher Einrichtungen besonders hoch sein wird. Ein weiteres Problem ist dabei die Frage der Quantiflzierung des Nutzens; auch wenn man zunachst einen jjAllgemeinnutzen" ermitteln und diesen auf seine potentiellen Nutzniefier verteilen wollte, wird die Quantiflzierung nicht einfacher 24. DerGrundsatz der „Entgeltlichkeit<< bleibt dennoch das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Gebiihren gegeniiber den Steuern; andererseits findet bei der Komplexitat der modernen Verwaltung auch die Gebiihrenerhebung ihre Rechtfertigung nicht mehr primar in einnahmepolitischen, sondern vielmehr in ordnungspolitischen Erwagungen 25. Das andert nichts daran, dafi die Gebiihrenbemessung immer Gebiihren„politik a bleiben wird, ein mehr gefiihlsmafiiges Abtasten der gegebenen Moglichkeiten; „die richtige Wahl der gebiihrenpflichtigen Akte und die Bestimmung des Mafies ihrer Gebiihrenfahigkeit in fiskalischer wie wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht sind ebenso wie die Durchfiihrung einer dem-
23 Hierzu: Fettel, J.: Die Finanzierung offentlicher Einrichtungen iiber Gebiihren, Finanzarchiv, NF. Bd. 20 (1960), S. 250 tff. 24 Due, J. F.: Government Finance, a.a.O., S. 395 f. 25 Zeitel, G.: Art. Gebiihren, a.a.O., S. 229; Hansmeyer, K.-H., und Fiirst, D.5 a.a.O.
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Die Einnahmenpolitik
entsprechenden Belastung eine Aufgabe hochster Verwaltungskunst" 26. Die Gebiihrenpolitik findet ihre Grenze in der Belastigung und Verargerung der Burger durch einen ,,Gebuhrenfiskalismus, der in kleinlicher Knauserei jede Postanweisung und Paketadresse, jedes Telegrammformular und jeden Gepackschein mit einer Gebiihr belegt" 27. Neben wirtschaftlichen und sozialen Erwagungen spielen fiir die Gebiihrenpolitik Gesichtspunkte der Erhebungstechnik eine besondere Rolle; mit der ZweckmaSigkeit und Billigkeit ihrer Durchfuhrung steht und fallt die Gebuhrenerhebung weit mehr noch als die Besteuerung, die die Unterhaltung selbst eines kostspieligen Erhebungs- und Veranlagungsapparates oft noch lohnend erscheinen lafit. Dagegen mufi die Gebiihrenpolitik weit mehr, als die Besteuerung es im allgemeinen vermag, auf die Vermeidung von Ausweich- und Prohibitivwirkungen Rucksicht nehmen; eine Veranstaltung der offentlichen Hand, die durch die Hohe ihrer Gebuhren die Staatsbiirger davon abschreckt, von ihr den ihnen zugedachten Gebrauch zu machen, gefahrdet den Sinn und Zweck ihrer eigenen Existenz. Der Begriff Beitrdge oder Vorzugslasten (§ 1 AO) ist im preufiischen Kommunalabgabengesetz von 1893 in seiner noch heute giiltigen Fassung niedergelegt (§ 9): „Die Gemeinden konnen behufs Deckung der Kosten fur Herstellung und Unterhaltung von Veranstaltungen, welche durch das offentliche Interesse erforderlich werden, von denjenigen Grundeigentiimern und Gewerbetreibenden, denen hierdurch besondere Vorteile erwachsen, Beitrage zu den Kosten der Veranstaltung erheben. Die Beitrage sind nach den Vorteilen zu bemessen." Wahrend demnach der Ausgangspunkt auch bei den Beitragen in den Kosten der „Veranstaltung" gelegen ist, wird fiir ihre Bemessung auf den Mafistab der dem Beitragspflichtigen erwachsenden Vorteile verwiesen. Es liegt zunachst nahe, hier eine Parallele zu dem Entgeltsprinzip der Gebuhren zu sehen; dies trifft jedoch insofern nicht in vollem Umfange zu, als „bei den Beitragen zwischen dem Erhebungsanlafi und dem Vorteil des Pflichtigen nur ein mittelbarer Interessenzusammenhang zu bestehen braucht", der sich unter Umstanden „bis zu einer blofien gesetzlichen Vermutung oder Fiktion des Vorteils verfliichtigen" 28 kann. Abgesehen davon, dafi sich der Staat ahnlich wie bei den Gebuhren diese „Fiktion" nicht selten zur Verharmlosung einer Steuererhebung zunutze macht, wie etwa im Falle des „Wehrbeitragescc von 1913, der nichts anderes als eine echte Vermogensteuer war, tritt bei dieser Art der „Entgeltsabgaben" der Zwangscharakter deutlicher hervor als bei den Gebuhren, denen der Burger sich notfalls durch Verzicht auf die In26 Gerloff, W.: Die Gebuhren, in: Handbuch der Finanzwissensdiaft, 2. AufL, 2. Bd., a.a.O., S. 209. 27 Ders.: ebenda. 28 Hettlage, K. M.: Art.: Beitrage, in: Handworterbuch der Sozialwissensdiaften, l.Bd., a.a.O., S. 728.
§31. Gebiihren, Beitrage und Steuern
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anspruchnahme der gebiihrenpflichtigen Amtshandlung entziehen kann; der Zahlung der Beitrage fur den Strafienbau kann sich der Eigentiimer eines Anliegergrundstiicks nicht dadurch entziehen, dafi er auf die Benutzung der Strafie verzichtet oder sein Grundstiick nach der Strafie hin abschliefit. Andererseits braucht fiir den Beitragspflichtigen ein unmittelbarer oder auch nur mittelbarer Vorteil iiberhaupt nicht vorzuliegen; so mogen manche Gewerbetreibende den mit einer Beitragspflicht verbundenen zwangsweisen Beitritt zu ihrem „Standefiskus" (Kammer) nicht unbedingt als Vorteil empfinden. Hier zeigt sich deutlich, daft fiir die Beitragserhebung nicht das subjektive Vorteilsempfinden des Zahlers ausschlaggebend ist; vielmehr kniipft hier die Beitragszahlung an ein objektives Tatbestandsmerkmal an, wie es die staatlichen Zwangsabgaben, vor allem aber die Steuer kennzeichnet. Infolgedessen sind viele Beitrage, vor allem regelmafiig wiederkehrende, im Grunde nichts anderes als veranlagte Steuern 29. Immerhin mag dabei wenigstens die Obergrenze durch das Ausmafi des dem Beitragspflichtigen erwachsenden Vorteils gesteckt sein; die Beitrage brauchen namlich, da die Veranstaltungen meist ohnehin im offentlichen Interesse liegen, keineswegs die gesamten Kosten zu decken. Die Form der Beitrage ist verschieden; sie konnen als einmalige Zahlungen (Anliegerbeitrage bei Strafienbau) oder als fortlaufende Zahlungen (Deichgelder, Beitrage zu offentlich-rechtlichen Verbanden) erhoben werden. Ublich sind in Deutschland im wesentlichen nur noch die allgemeinen Gemeindebeitrage, Strafienanliegerbeitrage, Fremdenverkehrsbeitrage (Kurtaxen) und die Beitrage zu Kammern, Innungen und Verbanden 30. Stellen sich somit die Gebiihren und Beitrage einerseits als „Zwangsabgaben", zum anderen aber auch noch als „Entgeltsabgabenc< dar, wobei allerdings das Kriterium des Entgelts bei den Beitragen bereits stark in den Hintergrund tritt, so entfallt bei den Steuern schliefilich das Merkmal der Gegenleistung vollig. In dem Zwangscharakter der Steuer einerseits und im Fehlen einer besonderen, dem Steuerpflichtigen selbst sichtbarlich zugute kommenden Gegenleistung des Steuerglaubigers andererseits liegt das innerste Wesen der Steuer begriindet; die Begriffsbestimmung der Abgabenordnung (§ 1) bringt diese Wesenseigenart der Steuer nur nebenbei und inmitten anderer, teilweise unzutreffender oder recht nebensachlicher Kennzeichen der modern en Steuern zum Ausdruck: „ Steuern sind einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung fiir eine besondere Leistung darstellen und von einem ofTentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkiinften alien auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht kniipft." So bereits Lotz, W.: Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 292. Vgl. zu den Formen s. Hettlage, K. M.: Art. Beitrage, a.a.O., S. 729 f.
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Diese steuerrechtliche Begrirfsbestimmung schrankt den Begriff „ Steuern" aus Griinden der Steuertechnik bewufit nicht unerheblich ein; finanzwissenschaftlich betrachtet ist sie in mehrfacher Hinsicht anfechtbar. Einmal sind neben „Geldleistungen" durchaus auch naturale Abgaben vorgekommen und moglich; die Formulierung „zur Erzielung von Einkiinften" bezeichnet ferner nur den fiskalischen Zweck, neben dem jedoch gerade heute die nichtfiskalischen Steuerzwecke einen breiten Raum einnehmen; endlich ist der Hinweis auf den steuerlichen „Tatbestand", der erfiillt sein mufi, um die Leistungspflicht entstehen zu lassen, zwar eine notwendige Konzession an die Steuertechnik, ladt aber den Steuerpflichtigen zu Steuerumgehungshandlungen, die seine Steuerlast durch erlaubte Mittel (Vermeidung steuerpflichtiger „Tatbestande") vermindern konnen, geradezu ein 31. Diesem gesetzestechnisch orientierten Steuerbegriff setzt die Finanzwissenschaft eine einfache Definition entgegen, die einmal an die Tatsache ankniipft, dafi die Entrichtung einer Steuer keinen Anspruch auf eine dem Steuerzahler wiederum zugute kommende Staatsleistung auslost, zum anderen als zweites wesentliches BegrifTsmerkmal der Steuern ihren Charakter als offentlicbe, durch hoheitlichen Akt einseitig festgesetzte Einnahme einbezieht 32 . Die Steuer ist also in finanzwissenschaftlicher Sicht eine „Zwangsabgabe ohne Anspruch auf Gegenleistung", deren Wesen letztlich im Staatszweck selbst liegt; zur Verwirklichung seiner Aufgaben bedarf der Staat finanzieller Mittel, die heute im wesentlichen durch Steuern aufgebracht werden miissen. Das Wesen der Steuern ist daher ein anderes in einem Rentnerstaat, wo die Steuern hauptsachlich der Aufbringung der Zinsbetrage fur die staatlichen Anleihen dienen miissen, ein anderes in einem Wohlfahrtsstaat, wo die Steuern unter Umstanden bewufit die Vermogens- und Einkommensverteilung modifizieren, und ein anderes in einem jjNachtwachterstaat", wo die Steuern gewissermafien nur die Generalunkosten der notwendigsten staatlichen Schutzeinrichtungen darstellen; in den Theorien iiber die Recht-
31 Die wTatbestandsmafiigkeit" der Besteuerung ist Ausdruck des Rechtsstaates; niemand braucht Steuern zu zahlen, bei dem der Tatbestand nicht zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht kniipft. Darin verrat sich die weitreichende Bedeutung, die bei der Besteuerung der Wahl und richtigen Formulierung dieser „Tatbestande" zukommt. 32 Vgl. hierzu Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 64. Da£ der "Obergang zwischen Steuer und Beitrag bzw. Gebiihr recht flie£end ist, zeigt sich an dem zur Finanzierung der Olympischen Spiele in Miinchen eingefiihrten „Olympiagroschen", im Rahmen der Olympialotterie, einer Abgabe die vom Geschaftsfuhrer der Saarland Sporttoto GmbH als „zwangsweise erhobene Abgabe mit Eventualanspruch" bezeichnet wurde. Verbrauchssteuerahnlich hieran ist, dafi er von jedem entrichtet werden mufi, der am staatlichen Lotto teilnehmen will; Beitrags- oder sogar Erwerbseinnahmencharakter gewinnt er dadurch, dafi mit der Entrichtung eine Gewinnchance (durchschnittlich 25°/o der Einkiinfte der Olympialotterie) verbunden ist. S. hierzu Klein, R. R.: Die Finanzierung der Olympischen Spiele in Miinchen 1972, Kolner Diplomarbeit SS 1970, S. 65 ff.
§ 32. „Au£erordentliche" Einnahmen der offentlichen Hand
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fertigung der Steuern spiegelt sich unbewufit die jeweils herrschende Staatsauffassung, wobei bis zum heutigen Tage zwei entgegengesetzte Staatsauffassungen nebeneinander in der Mentalitat der Menschen lebendig geblieben sind, die sophistische und die aristotelische Staatsauffassung. Die Sophisten der jiingeren Schule, ahnlich auch Cicero, sahen im Staat einen Zweckverband zu gemeinsamem Ziel; man konnte ihn mit einer Handelsgesellschaft vergleichen. Die sophistische Staatsauffassung liegt der Vertragstheorie Rousseaus und in der modernen Zeit auch der sog. „reinen Finanztheorie" zugrunde, die auf die „Steuerwertlehre" von Emil Sax 33 zuriickgeht; die reine Finanztheorie sieht die Steuer als einen Monopolpreis eigener Art an, namlich als den Preis der Staatsleistung 34. Die aristotelische Staatsauffassung sieht dagegen irn Staat ein iibergeordnetes Prinzip; die Aufgabe des Staates ist es, das Gute im Leben zu verwirklichen. Zur Erreichung des Staatszweckes muli jeder Burger nach seinen Kraften beitragen, so dafi sich aus dieser Auffassung vom Wesen des Staates eine Steuerlehre ableitet, die eine Besteuerung nach dem Mafistab der Leistungsfahigkeit rechtfertigt. Die „Opfertheorie", die damit an die Stelle der sog. „Assekuranz-" und „Aquivalenztheorie" der Besteuerung tritt, entspricht der Hegelschen Staatsauffassung, nach der der Staat eine „hohe Macht" ist, die man nicht mit der „burgerlichen Gesellschaft" verwechseln durfe. Eine Gefahr der Opfertheorie sieht Wicksell allerdings darin, dafi sie den Staat und den Staatsbedarf als etwas Gegebenes hinnimmt und darauf verzichtet, dem einzelnen Steuerzahler seine Steuerpflicht auch wirklich als gerechtfertigt erscheinen zu lassen; die Gefahr einer daraus erwachsenden „Staatsverdrossenheit" und die in ihrem Gefolge unweigerlich auftretenden „Steuerwiderstande" zu vermeiden, ist in hohem Mafie Aufgabe der Kunst der Besteuerung, von der noch ausfuhrlich die Rede sein wird.
§ 32. „Aufierordentliche" Einnahmen der offentlichen Hand Neben den Erwerbseinnahmen sowie den Gebuhren, Beitragen und Steuern kennt die offentliche Finanzwirtschaft weiterhin noch Einnahmen, die infolge ihres besonderen Charakters unter dem Sammelbegriff „aufierordentliche Einnahmen" zusammengefafit zu werden pflegen. Fiir diese Bezeichnung war nicht allein ausschlaggebend, da6 diese Einnahmen in aller Regel in den auCerordentlichen Haushalt eingestellt wurden bzw. eingestellt werden mufiten; vielmehr mufiten sie auch ihrer Natur nach aufierordentlich oder „nach ihrem Betrag und ihrem Entstehungsgrund aufiergewohnlich" sein (§ 3 RHO). 33 Sax, E.: Die Wertungstheorie der Steuer, in: Zeitschrift fiir Volkswirtsdiaft und 34Sozialpoljtik, NF. Bd. 4, 1924, S. 191 ff. De Viti de Marco, A.: Grundlehren der Finanzwissenschaft, a.a.O.
20
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
Die Einnahmenpolitik
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Die ,,Aufiergewohnlichkeit" einer Staatseinnahme ist vielfach nur vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung zu verstehen. Viele der Einnahmen, die die moderne Finanzwissenschaft und Haushaltspraxis prima facie als aufierordentlich oder gar als aufiergewohnlich einstufen mufi, trugen zu der Zeit, da sie als Geldquelle fur den offentlichen Finanzbedarf entdeckt und entwickelt wurden, durchaus den Charakter ordentlicher, d. h. regularer Einnahmen. In den Anfangen der offentlichen Finanzwirtschaft bildeten beispielsweise Geschenke an den Hauptling oder Stammesfursten die „6ffentliche Einnahme" schlechthin; in unserer Zeit, in der sich kaum grofiere Gegensatze denken lassen als „Schenken" und „Wirtschaften", mag diese historische Reminiszenz, auf die B. Laum hingewiesen hat 35, recht niitzlich erscheinen. Die Geschichte der Finanzwirtschaft kennt jedoch auch heute noch eine Reihe von staatlichen Einnahmen, die mehr oder weniger den Charakter von Geschenken tragen oder aber aus diesem ihrem ursprunglichen Wesen erst allmahlich zu einer dauernden, nunmehr im Gewohnheitsrecht verankerten Zwangsabgabe geworden sind. Jean Bodin zahlt in seinen „Six Livres de la Republique" die Spenden von befreundeten Staaten, die Subsidien der Bundesgenossen und die Tribute unterworf ener Volker unter den Einnahmen des Staates noch vor den Zollen und Steuern auf; im Altertum war es durchaus iiblich, nach einem siegreichen Feldzug Tribute von dem Unterlegenen zu fordern, eine Art von Staatseinnahme, die in die moderne Staatsfinanzwirtschaft in der Form der Kriegsentschadigungen (Reparationen) Eingang gefunden hat. Andere zwischenstaatlich geleistete „unentgeltliche" Zahlungen dienten von jeher dem Zweck, gefahrliche Nachbarn an den Grenzen des eigenen Landes ruhig zu halten oder ihre Eroberungsgeliiste auf die eigenen Feinde abzulenken; die Zahlung von „Subsidien" („Military Aid") oder Hilfs 1 geldern („Foreign Aid") ist in der Geschichte der Finanzwirtschaft nichts Neues. Das gilt auch fur die Finanzhilfen, die anderen Landern nicht zu militarischen Zwecken, sondern in friedlicher Absicht zu dem Zweck geleistet werden, den Empfanger zu einer gewunschten Verhaltensweise oder auch zu einer gewissen Gegenleistung zu veranlassen; das „Danegeld", die erste angelsachsische Steuer, diente seit 991 mehrfach dazu, den kriegslusternen Danen eine Abstandszahlung anzubieten, um sie wieder zum Abzug zu bewegen 36. In diese Kategorie der Subsidien gehoren auch die Zahlungen der papstlichen Kammer an die Angiovinen, die Leistungen Hollands und Englands an den Grofien Kurfiirsten sowie an Friedrich den Grofien, die Subsidien Frankreichs an Konig Gustav Adolf von Schweden und diejenigen Englands an seine kontinentalen Bundesgenossen im Kampf gegen das napo35 36
Laum, B.: Schenkende Wirtschaft, a.a.O. Ely, Ridiard von: Dialog iiber das Sdiatzamt, lateinisdi und deutsch, eingeleitet, ubersetzt und hrsg. von Marianne Siegrist, Ziiridi und Stuttgart 1963, S. 310.
§ 32. „Aufierordentliche" Einnahmen der offentlichen Hand
307
leonische Frankreich, an Karl III. von Spanien im Spanischen Erbfolgekrieg und viele andere. Alle diese Zahlungen bedeuteten fur den Empfanger eine hochst erwiinschte Einnahmequelle des Staatshaushaltes, die zwar von der Einhaltung der damit iibernommenen Pflichten abhing und gegebenenfalls wieder versiegte, niemals aber zuruckgezahlt zu werden brauchte 37. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat an die Stelle der erzwungenen Reparationen umgekehrt die von den Vereinigten Staaten gewahrte Marshallplanhilfe, die z. T. als verlorener Zuschufi gegeben wurde; die an Westdeutschland geflossenen Gelder sind heute im ERP-Sondervermogen des Bundes zusammengefafit. Ahnlichen Charakter tragen die z. T. als verlorene Zuschiisse, z. T. als Kredite in ^weichen" Wahrungen oder mit utopischen Riickzahlungsfristen gewahrten finanziellen Staatshilfen an dieEntwicklungslander 38 ; schon in der Zeit der Kolonialherrschaft waren den Kolonien haufig Staatszuschiisse fur ihre wirtschaftliche Entwicklung gewahrt worden, die sich in ihrer Form den Dotationen des Zentralstaates an seine Gliedstaaten oder den Finanzzuweisungen an Gemeinden und Gemeindeverbande nahern, wie sie heute im Rahmen des Finanzausgleichs als „Schlusselzuweisungen" vorkommen 39. Neben diesen Einnahmen, bei denen sich die Grenze zwischen Geschenk und Kredit nicht immer exakt Ziehen lafit, gibt es mancherlei Beispiele fiir aufierordentliche Staatseinnahmen, die sich aus geschickter Ausnutzung politischer und wirtschaftlicher Situationen oder menschlicher Leidenschaften ergeben. Kleinere Lander haben es von jeher verstanden, beispielsweise die Sammlerleidenschaft der Philatelisten durch die Ausgabe immer neuer Serien schoner Briefmarken in den Dienst ihres Staatshaushalts zu stellen 40 ; die Briefmarken von Andorra, Monaco und Liechtenstein sind in aller Welt beliebt und begehrt. Infolgedessen steht das Aufkommen aus dem Postwesen beispielsweise unter den Staatseinnahmen Liechtensteins neben Steuern und Zollen an dritter Stelle. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entdeckten viele deutsche Gemeinden und Lander, dafi sich der aus der herrschenden Kleingeldnot entstandene Bedarf an Notgeld aller Art finanziell in doppelter Hinsicht ausbeuten lie£; einmal fiihrte die Sammlerleidenschaft ihrer Burger dazu, dafi die ausgegebenen, entsprechend asthetisch oder originell ausgestatteten Geldzeichen nach ihrem Aufruf nicht wieder eingelost wurden, zum anderen sorgte die fortschreitende Geldentwertung dafiir, daE die Einlosung auch fiir die prasentierten Stiicke kaum zu Buche schlug. Infolge37
Liitge, F.: Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Berlin-GottingenHeidelberg 1960, S. 350; Landmann, J.: Geschichte des offentlichen Kredits, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 3. Bd., a.a.O., S. 5; Zimmermann, H.: Dffentliche Finanzhilfen an Entwicklungslander, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, NF., H. 29, Berlin 1963, S. 18 f. 38 Vgl. § 48. 39 Vgl. § 20. 40 Kruse, A.: Die Briefmarke als Wertobjekt, 2. Aufl., Miinchen 1949. 20*
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Die Einnahmenpolitik
dessen pragten und druckten manche Lander und Gemeinden ganze Serien oder „Satze" von Notgeld aller Art; neben dem geduldigen Papier wetteiferten die Textilstadte mit ihrem Notgeld aus Seide (Krefeld) und Leinwand (Bielefeld), Offenbach mit Ledergeld usw. Den Vogel schofi der Freistaat Sachsen mit seinem „echten" Meifiner Porzellangeld ab, das solchen Liebhaberwert erreichte, dafi die Reichsregierung sich schliefilich zu einem Verbot der Ausgabe von Porzellanmunzen veranlafit sah 41 ; mit der Weigerung der Reichsbank im Oktober 1923, weiterhin Notgeld einzulosen, um auch diese Inflationsquelle zu verstopfen, fand diese ergiebige Einnahmequelle der Gebietskorperschaften ein jahes Ende. Manche Lander haben sich schliefilich dadurch eine besondere Einnahmequelle geschaffen, dafi sie entweder die Gebiihren fiir die Inanspruchnahme ihres Schiffregisters im Vergleich zu anderen Landern besonders niedrig festsetzten oder den Schiffseignern andere, besonders steuerliche Vorteile bieten; viele Reeder lassen ihre Handelsschiffe infolgedessen heute unter den „billigen Flaggen" von Liberia, Panama, Costa Rica usw. fahren, woraus sich fiir diese Lander noch mancherlei zusatzliche Einnahmen an Hafen- und Lagergebuhren usw. ergeben. Neben derartigen besonderen Einnahmen, die sich Staaten und Gemeinden zu alien Zeiten entweder ad hoc geschaffen oder auch als dauernd fliefiende Einnahmequellen erschlossen haben, stehen unter den aufierordentlichen Einnahmen in der Regel diejenigen aus der Aufnahme von Darlehen am Geld- und Kapitalmarkt im Vordergrund; es handelt sich dabei um diejenige Einnahmeart, die am meisten Marktanpassung und kaufmannisches Verhalten der offentlichen Hand erfordert. Die Staatsschuld ist seit iiber hundert Jahren Gegenstand eines theoretischen Streitgesprachs der Finanzwissenschaft, das inzwischen keineswegs zum Abschlufi gekommen ist; die eine extreme Auffassung betrachtet die Aufnahme von „Schuldencc jeder Art auch fiir Staat und Gemeinde grundsatzlich als ein Obel, das nur in Ausnahmefallen und besonderen Notzeiten voriibergehend ohne ernstliche Bedenken hingenommen werden konne, die andere ebenso extreme erwartet vom Einsatz der offentlichen Schuld, insbesondere in der Form der „zusatzlichen" Geldschopfung, die Losung des Vollbeschaftigungs- und Konjunkturproblems und die Realisierung einer perfekten Integration von Staats- und Volkswirtschaft im Dienste erhohter gesamtwirtschaftlicher Produktivitat. Beide Auffassungen stehen sich in jiingster Zeit nicht mehr so unversohnlich gegenuber, wie die neuen Haushaltsgesetze zeigen, die mit Wegfall des auSerordentlichen Haushalts von der Schuldentheorie des braven Hausvaters ab- und in die Nahe der Monetary Fiscal Policy vorgeruckt sind, wie sie im Stabilitatsgesetz ihren Ausdruck gefunden hat. 41 Schramm, A.: Deutsches Notgeld 1914—1918, Leipzig 1918; LoddenhoffRoggenkamp, W.: Das deutsche Notgeld in der Kriegs- und Nachkriegszeit, Dissertation, Hamburg 1925.
§ 32. „Au£erordentliche" Einnahmen der offentlichen Hand Tabelle 13. Schuldenstand des Auslandes (in Mill. 1939
1949
309
Landeswahrung)
1959
1962
1967
47 600
257 200
248 817
298 645
427 000 4 2
Grofibritannien Inlandschuld Auslandschuld
7 899 —
23 672 1595
5 239 —
25 690 2 043
29 546 1795
Frankreich 43 Inlandschuld Auslandschuld
432 600 13 000
2 823 617 1182 104
65 890 13 830
72 000 13 000
80 047 4 790
USA
Quellen: Laufenburger, H.: Finances comparees, 2. Aufl., Paris 1950, S. 310; Statistisches Jahrbuch fur die Bundesrepublik Deutschland, 1960, S. 105*, und 1964, S. 107*, 1968, S. I l l * , 1969, S. 96*. Die Schuld des Deutschen Reiches, 1923 in der grofien Inflation fast vollstandig annulliert, wuchs zwischen den beiden Kriegen wieder von 9,3 M r d . 1929 auf 19,1 M r d . R M 1938 und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf 379,8 Mrd. R M . Die Verschuldung der offentlichen H a n d entwickelte sich in der Bundesrepublik in den letzten Jahren wie folgt: Tabelle 14. Gesamtbetrag der Inland schuld en von Bund, Ldndern und Gemeinden (in Mill DM) 31.3.1959
31.12. 1961
31. 12.1963
31. 12. 1968
Bund 45 Lander Stadtstaaten Gemeinden
16 540 12 205 2 872 8 979
28 723 11571 2 853 13 154
32 277 10 946 2 641 17 576
34 600
32 836
Zusammen
40 596
56 301
63 440
84 700
17 264
Quelle: Statistisches Jahrbuch fur die Bundesrepublik Deutschland, 1960, S. 433; 1961, S. 439; 1962, S. 453; 1963, S. 433; 1964, S. 439, 1969, S. 399. Die finanzwirtschaftliche Praxis beschaftigt sich infolgedessen weniger mit der theoretischen Frage der Erwunschtheit oder der Grenzen der offentlichen Verschuldung als mit der praktischen Aufgabe, im Bedarfsfalle offentliche Schuldtitel und Emissionen am Geld- und K a p i t a l m a r k t zu m a r k t gerechten Bedingungen unterzubringen; da der neuzeitliche Verfassungsstaat 42
1965/66. Ab 1959 in NF. 44 Bundesgebiet einschliefilich Berlin (West); 1959 und 1960 ohne Saarland. — Ohne die durch die Bundesvermogensrechnung nachgewiesenen „Anderen Schulden" des Bundes. 45 Einschlieftlich der Schulden des Lastenausgleichfonds. 43
310
Die Einnahmenpolitik
westlicher Pragung auf Zwangsanleihen und Vermogenskonfiskationen verzichtet — erst ein Scheitern seiner Finanzkunst fuhrt mit Staatsbankrott und Wahrungsreform zur vollen oder teihveisen Enteignung aller und damit audi der Staatsglaubiger —, bedarf es einer vorausschauenden, den Augenblicksmit dem Zukunftsbedarf behutsam abwagenden und die Chancen des Marktes geschickt wahrnehmenden „Pflege" des eigenen Kredits der offentlichen Hand am Geld- und Kapitalmarkt. Unter den MaCnahmen, die zur Organisation und Pflege dieses eigenen „Kredits" der offentlichen Korperschaften getroffen werden, steht die Einrichtung eines eigenen offentlichen Bankwesens an erster Stelle. Die friihere Preufiische Staatsbank (Seehandlung) ist ein Beispiel: im Jahre 1772 von Friedrich dem Grofien als merkantilistisches Staatsunternehmen zum eintraglichen Betrieb von Aufienhandel und Schiffahrt gegriindet, nahm sie im 19. Jahrhundert das Bankgeschaft auf und bewahrte sich 1870/71 bei der Finanzierung des deutsch-franzosischen Krieges. Ebenso wie ihre altere Schwester, die Braunschweigische Staatsbank, sowie die Staatsbanken von Bayern, Sachsen, Oldenburg und Lippe, die offentlich-rechtlichen Bodenkreditinstitute, Sparkassen und Girozentralen war sie gehalten, der Volkswirtschaft ihres Landes zu dienen und die anfallenden Oberschusse an ihren Gewahrstrager abzuliefern, zugleich aber dem Darlehensbedarf der offentlichen Hand die Wege zu ebnen. Dieser Dualismus zwischen einer gemeinwirtschaftlichen und einer staatswirtschaftlichen Aufgabe zeigt sich am anschaulichsten bei den Notenbanken, aber auch bei den verschiedenen offentlich-rechtlichen Kreditinstituten, die gewissermafien als „Hausbanken" der offentlichen Hand fungieren. Neben den eigenen Hausbanken der offentlichen Hand werden auch die privaten Kreditbanken zur Unterbringung offentlicher Emissionen am Geldund Kapitalmarkt herangezogen; meist sind es freilich nicht nur einzelne Kreditinstitute, sondern ganze Konsortien unter Fuhrung einer der offentlichen Banken, die es ubernehmen, Anleihen des Bundes oder der Lander im Publikum unterzubringen, sei es, dafi die Anleihe im ganzen oder in Teilen „fest" oder „in Kommission" ubernommen wird, wie dies insbesondere in den angelsachsischen Landern ublich ist. Auch bei kommissionsweiser Ubernahme gewahrt das Konsortium haufig eine Garantie fur die Unterbringung der Restbestande; daneben verpflichten sich die Banken, die ja auch bei Konsolidierungen und Konversionen mitwirken, in der Regel zu einer gewissen „Kurspflege" der offentlichen Anleihen. Zur Pflege des offentlichen „Kredits
§ 33. Die Steuertechnik
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senlasten durch „Konsolidierung" oder „Konversion" offentlicher Anleihen, d. h. durch ihren Umtausch in andere Titel, zu vermindern. Die Konsolidierung, d. h. die Zusammenlegung mehrerer Anleihearten in eine einheitliche Anleihe meist niedrigeren Zinsfufies („Konsols"), ist rechtlich erst nach Eintritt der Falligkeit moglich. Das gleiche gilt fur die Konversionen, die in der Regel lediglich eine Zinsreduktion in Anpassung an den gesunkenen Landeszinssatz oder den verbesserten „Kredit" des Staates darstellen; fehlt es an dem erforderlichen Einverstandnis der Glaubiger, so bedeutet eine dennoch vorgenommene Zwangskonversion nichts anderes als einen teilweisen Staatsbankrott. Die grofite Konversion in Deutschland war die Milliardenumschuldung von 1935, die allerdings unter starkem Druck auf die Glaubiger durchgefuhrt wurde (nicht eingereichte Stucke blieben nicht zur Kursnotiz zugelassen). Derartige Krisen der Staatsverschuldung zu verhindern und gleichzeitig das Optimierungsproblem hinsichtlich Mengen, Fristen und Preisen zu losen, ist die Aufgabe der staatlichen Schuldenverwaltung, einer Instanz, der mit zunehmender Verschuldung ein immer grofieres Gewicht zukommt. Aus diesem Grunde befassen sich Theorie und Praxis in letzter Zeit audi weniger mit dem „ob" als vielmehr mit dem „wie" der offentlichen Kreditaufnahme 46.
B. Die Kunst der Besteuerung § 33. Die Steuertechnik47 Gilt, wie oben erwahnt, in der Finanzwirtschaft schon die Gebiihrenpolitik als „Aufgabe hochster Verwaltungskunst" 48 , so darf die Steuerpolitik den Rang einer Aufgabe hochster Staatskunst fur sich in Anspruch nehmen; Revolutionen und Staatsgrlindungen sind aus Steueriiberspannungen und verfehlten Besteuerungsmethoden hervorgegangen, Staaten von Weltmachtrang sind infolge innerer Steuerkampfe zerfallen oder auf die Stufe politischer Bedeutungslosigkeit herabgesunken, und die Entwicklung des modernen Parlamentarismus ist ohne die Auseinandersetzungen der Stande mit der Krone um das Steuerbewilligungsrecht nicht zu denken. In der Geschichte des Abfalls der Niederlande vom spanischen Reich, in der Unabhangigkeitserklarung der Vereinigten Staaten und in der grofien Franzosischen Revolution spielten Steuern und Zolle, Beschwerden der Volker iiber ihre Bedriickung durch Steuerschikanen und Machtkampfe um die Finanz- und Steuerhoheit vielfach eine entscheidende Rolle; in der Entstehung des jjZollvereins" und des Norddeutschchen Bundes, in Bismarcks 46 47
S. u. § 40.
Das folgende zum Teil nach G. Sdimolders: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 75 ff. 48 Gerloff, W.: Die Gebuhren, a.a.O., S. 209.
Die Einnahmenpolitik
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unermiidlicher Sorge fur die materielle Sicherung des Reiches und in der bis heute noch nicht zur Ruhe gekommenen Auseinandersetzung zwischen foderalistischen und zentralistischen Stromungen in der inneren Politik 49 treten uns immer von neuem Finanzierungs- und Besteuerungsprobleme als Grundthemen der Staatskunst entgegen, deren Meisterung oder Verfehlung nicht selten das Urteil der Geschichte iiber die Manner und Machte einer Epoche bedeutet. Stent somit die „Kunst der Besteuerung" zweifellos im Mittelpunkt jeglicher Finanzpolitik, so bedarf hier zunachst ihr eigentliches technisches Instrumentarium einer besonderen Betrachtung. Begriff und Bezeichnung „ Steuertechnik" verraten dabei sinnfallig, dafi sie als „Kunst, einen Steuergedanken in die Tat umzusetzen" 50, im Rahmen der Besteuerung keine selbstandige, sondern lediglich eine dienende Rolle besitzt; sie umfafit die Gesamtheit der rechtlichen und organisatorischen Mafinahmen, die der Verwirklichung des Steueranspruchs, der Erhebung der Steuern, gegebenenfalls ihrer zwangsweisen Beitreibung und ihrer Kontrolle dienen. Insofern hat sie sich der vielberufenen „Absicht des Gesetzgebers" unterzuordnen und diese in die Tat umzusetzen; sie kann diese allerdings auch, wie sich bei naherem Zusehen zeigt, nicht nur mehr oder weniger vollkommen erflillen, sondern auch verfehlen und verandern, beispielsweise verstarken, abschwachen oder gar unvermerkt in ihr Gegenteil verkehren. Jede urspriingliche „Steueridee", mag ihr Inhalt in erster Linie fiskalisch als Methode der Mittelaufbringung durch bestimmte Belastungsabsichten bestimmt sein oder nichtfiskalischen Zielsetzungen 51 entstammen, wird durch die konkrete Fassung der Steuergesetze und ihre praktische Durchfiihrung mehr oder weniger modifiziert, zumindest aber in gewissem Mafie schematisiert und nach der einen oder anderen Richtung hin umgestaltet; der Einflufi der Steuertechnik manifestiert sich insbesondere in den effektiven Steuerwirkungen 52 aller Art, die von den beabsichtigten mehr oder weniger weit abweichen konnen. Die Steuertechnik beginnt nicht erst mit der Formulierung der steuerlichen Begriffe und Bestimmungen, sondern schon mit der Bezeichnung der Steuern; im Falle der Neueinfuhrung einer Steuer ist bereits die Wahl ihres Namens von grofier praktischer Bedeutung. Um die zu erwartenden Steuerwiderstande nach Moglichkeit abzuschwachen, bedient sich der Gesetzgeber bei neuen Abgaben und Lasten gern moglichst harmlos klingender Bezeichnungen; dabei wird, selbst wenn es sich um eine echte Steuer handelt, mit Vorliebe auf Begriffe wie Gebiihren und Beitrage, „Notopferc< oder „Hilfew zuriickgegriffen, um den Biirgern die neue Abgabe psychologisch schmackhafter zu machen. 49 50
Vgl. §§ 18-20. Meisel, F.: Steuertechnik, neubearbeitet von W. GerlofT, in: Handbudi der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 2. Bd., a.a.O., S. 358. 51 52 Vgl. § 38. Vgl. § 37.
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Von entscheidender Bedeutung fur die Wirkungsweise der Besteuerung ist ferner die Wahl des Zeitpunktes der Einfiihrung, Aufhebung, Erhohung oder Ermafiigung einer Steuer; da jede steuerliche Belastung Abwehrkrafte wachruft und das okonomische Verhalten in weitem Mafie von Erwartungen, Hoffnungen und Befiirchtungen gesteuert wird, beeinflufk die Besteuerung die wirtschaftliche Aktivitat in hohem Grade. Die Erwartung einer Steueranderung ist daher stets gleichzeitig ein bedeutsames „Datum" fiir die wirtschaftlichen Dispositionen der Steuerpflichtigen; von diesen „Signalwirkungen" der Steuer wird noch spater die Rede sein 53. Schon die blofie Ankiindigung einer Steueranderung kann weitreichende wirtschaftliche Folgen hervorrufen („Tax Announcement Effects"); auf die Ankiindigung einer „Grofien Steuerreform" reagierte beispielsweise die westdeutsche Wirtschaft mit einer solchen Intensivierung ihrer Aktivitat, dafi die schliefilich durchgefiihrte bescheidene Steuersenkung alle Prognosen liber die daraus zu erwartende finanzielle Einbufie Liigen strafte und im Gegenteil zu erheblichen Mehreinnahmen fiihrte. Die schwierigste Aufgabe der Steuerpolitik ist die konkrete Formuliemng der Steuergesetze. Dabei kommt es besonders auf die Abgrenzung derjenigen rechtlichen oder okonomischen Tatbestande an, an die das Gesetz den Eintritt der Steuerpflicht oder andere bedeutsame Rechtsfolgen kniipft. Die Wahl des Steuergegenstandes (z. B. Vermogen, Einkommen, Verbringen in den Verkehr, Lieferung oder Leistung usw.), die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, nach der die Steuer berechnet und die Abgrenzung des Personenkreises, der herangezogen werden soil, sind fiir den Erfolg der Besteuerung ebenso entscheidend, wie die Festsetzung der Steuersatze und die Ausgestaltung des Steuertarifs. Weiterhin ist es Aufgabe der Steuertechnik, Verfahren zu entwickeln, um die Steuerfalle, die Steuerpflichtigen und die Tatsache einer Verwirklichung des die Steuerpflicht auslosenden Tatbestandes zur Kenntnis der Steuerbehorden zu bringen; „die Niirnberger hangen keinen, sie hatten ihn denn". Bei den Ertragsteuern alteren Typs, insbesondere bei den Grund- und Gebaudesteuern, ist das Objekt weithin sichtbar, meist seit alten Zeiten registriert und an Hand des Katasters relativ leicht festzustellen. Die Bemessungsgrundlage der Grund- und Gebaudesteuern ist zwar theoretisch der Ertrag; in der Regel wird aber dabei schematisch von einem mutmafilichen Normalertrag ausgegangen, der an Hand objektiver Gegebenheiten wie Grofie, Lage, Anbauart und Bodengiite der einzelnen Parzelle, ihre Bebauung, Art und Grofie der Gebaude usw. festgestellt und schliefilich durch Beriicksichtigung individueller Verhaltnisse so weitgehend berichtigt wird, dafi die Steuern de facto von Ertrag- in Wertsteuern verwandelt werden. Ahnliches gilt fiir die Gewerbesteuer (in manchen Landern Erwerb53
Vgl. § 37.
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steuer genannt), die sich ebenfalls zunachst an aufierlich sichtbaren, objektiv feststellbaren Merkmalen wie Art des Gewerbes, Umfang des Betriebes u. a. m. orientierte; entsprechend der Einteilung in Gewerbeklassen wurde der Steuerbemessung zunachst meist ein Normalertrag ohne besondere Berucksichtigung der individuellen Verhaltnisse zugrundgelegt. Erst die mannigfachen Unzulanglichkeiten und Ungleichmafiigkeiten der Steuertechnik wiesen auch hier den Weg zur Gewerbeertrag-, Gewerbekapital- und Lohnsummensteuer einerseits und, iiber die Klassen- und klassifizierte Einkommensteuer, zur heutigen ,, Einkommensteuer" mit erganzender Vermogensteuer andererseits. Fiir alle an Vermogensobjekte ankniipfenden Steuern entwickelte die deutsche Steuerpolitik im Reichsbewertungsgesetz eine einheitliche Feststellung der Bemessungsgrundlage; die deutsche Einheitsbewertung gilt in vielen Landern als bewundertes Vorbild zweckmafiiger Steuertechnik. Fiir die Einkommensteuer sollte nach der ihr zugrundeliegenden Steueridee sowohl Steuergegenstand als auch Steuerbemessungsgrundlage das „Einkommen" sein, ein okonomischer Tatbestand, den das Gesetz konkret juristisch zu fixieren hatte. Anfangs half man sich bei der preufiischen Einkommensteuer von 1891 mit der sogenannten „Quellentheorie" 54 ; steuerpflichtig waren nur solche Einkunfte des Steuerpflichtigen, die ihm aus regelmafiig fliefienden, im Gesetz als solche benannten Quellen zuflossen. Die Finanzwissenschaft stellte demgegeniiber in der „Reinvermogenszugangstheorie" (v. Schanz) 55 einen vollstandigeren Einkommensbegriff zur Verfugung; „Einkommen
Fuisting, B.: Grundziige der Steuerlehre, Berlin 1902. Schanz, G. v.: Der Einkommensbegriff und die Einkommenssteuergesetze, in: Finanzarchiv, 1896, S. 1 ff. 56 Becker, E.: Die Grundlagen der Einkommensteuer, Munchen und Berlin 1940.
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den Gewerbetreibenden, eines Landwirtes oder eines Hausbesitzers mit der eines Lohnempfangers oder Arztes vergleicht, heute schon langst wieder zu einer A r t von Klassensteuer geworden, ein Ergebnis, das keineswegs der Absicht des Gesetzgebers, sondern letztlich der Steuertechnik zu verdanken 1st 57 . Die neueren Bestrebungen, den Einkommensbegriff im Rahmen einer „Organischen Steuerreform" oder anlaftlich der Erorterungen iiber eine A b losung der geltenden Gewinnsteuern durch eine „Betriebsteuer" bzw. „Teilhabersteuer" 58 neu zu fassen, sind Versuche, die Technik der Einkommensteuer ihrer ursprunglichen Besteuerungsidee einerseits und den Wandlungen des Wirtschaftslebens andererseits besser anzupassen 59 . Bei den Verbrauch- und Umsatzsteuern umfaftt die Bestimmung des die Steuerpflicht auslosenden Tatbestandes zunachst die Entscheidung dariiber, an welcher Stelle die Steuer auf dem Wege der Produktion von der H e r stellung iiber den Vertrieb bis zum Verbrauch erhoben werden soil. O b man sich bei den speziellen Verbrauchsteuern fur eine Rohstoff-, Halbfabrikat-, P r o d u k t - oder Geratesteuer entscheidet, richtet sich nicht nur nach den produktionstechnischen Gegebenheiten des betreffenden Gewerbes, sondern auch nach Gesichtspunkten der Steuerberechnung, -erhebung und -iiberwachung, also der Steuertechnik. Auch bei der allgemeinen Umsatzsteuer bedingt die Form der Erhebung, sei es als Ein-, Mehr- oder Allphasensteuer, als Brutto- oder Nettoumsatzsteuer, als Produktions-, Grofihandels- oder Einzelhandelssteuer ihren Erfolg und ihre Erhebungskosten; der betriebswirtschaftliche Begriff „Umsatz << mufite dabei dem juristisch exakt zu bestimmenden Konzept der Sume der „vereinnahmten w bzw. „vereinbarten Entgelte" weichen, um damit neben den „Lieferungen cc auch die „sonstigen Leistungen" der Steuerpflicht zu unterwerfen. Mit der Formulierung der steuerlich relevanten Tatbestande iibernimmt die Steuertechnik infolgedessen viel Verantwortung fiir Erfolg oder Mifierfolg, Umfang und Nebenwirkungen der gesamten Besteuerung. N i e m a n d braucht Steuern zu zahlen, bei dem nicht genau der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Steuerpflicht kniipft; um der Steuerpflicht in durchaus legitimer Weise auszuweichen, braucht der Steuerpflichtige praktisch nur die Tatbestande, die das Gesetz formuliert, erfolgreich zu umschifTen. Die Formulierung von Tatbestanden ist nun dem Juristen in der Regel am gelaufigsten vom Strafrecht her, dessen einzelne Straftatbestande Musterbeispiele genauer Abgrenzung sind; bei ihnen handelt es sich jedoch stets um solche 57 Vgl. Sdiimke, P.: Wandlungen der Einkommensteuer, Breslau 1940. Uber die Tatsache, daft sich unter der Bezeidinung „Emkommensteuer" ganzlich verschiedene Steuern verbergen, schon Brauer, K.: Ertragssteuern, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 1. Aufl., Bd. 2, Tubingen 1927, S. 1 ff. C. S. Shoup (Public Finance, London 1969, S. 302 ff.) ist der Ansicht, daft die Einkommensteuer in ihrer gegenwartigen Form zu den ungerechtesten Steuern zahlt. 58 Vgl. § 36. 59 Schmolders, G.,: Organische Steuerreform, Berlin und Frankfurt 1953; Engels, W. und Stiitzel, W.: Die Teilhabersteuer, 2. Aufl., Frankfurt 1968.
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Handlungen, deren Unterlassung dem Staatsbiirger moglichst nachdriicklich eingescharft werden soil. Bei den Steuertatbestanden k a n n der Gesetzgeber aber verniinftigerweise nicht wollen, dafi sie allgemein vermieden, sondern gerade, dafi sie moglichst umfassend, regelmafiig und vollstandig erfiillt werden, urn der Besteuerung einen lohnenden Zugriff zu ermoglichen; hier mufi also umgekehrt der Tatbestand so formuliert werden, dafi seine Vermeidung nahezu unmoglich gemacht wird, und es ist daher kein Wunder, dafi juristische Formulierungskunst sich hier nicht selten als hilflos erweist. Manche Moglichkeiten erfolgreicher Steuerersparnis ergeben sich infolgedessen einfach daraus, dafi ein Rechtsgeschaft je nach der Form, in der es abgeschlossen wird, den die Steuerpflicht auslosenden Tatbestand erfiillt oder nicht erfiillt; mit der Generalklausel vom „Mifibrauch der Gestaltungsmoglichkeiten des biirgerlichen R e c h t s " 6 0 ist diesem Erfindungsgeist der wirtschaftlichen Praxis kaum beizukommen. Diese Problematik tritt um so krasser zutage, je spezieller der Steuertatbestand umschrieben werden mufi; ein Beispiel ist die Luxussteuer im Vergleich mit einer allgemeinen Umsatzsteuer. Die Formulierung der Steuertatbestande setzt deshalb neben juristischer Erfahrung vor allem grofie Vertrautheit mit dem Wirtschaftsleben voraus, um zugleich mit der Abgrenzung der Steuerpflicht alle dabei moglicherweise eintretenden Auswirkungen der getroffenen Bestimmungen beriicksichtigen zu konnen; nicht wenige der sogenannten Folgesteuern 6 1 verdanken ihre Entstehung lediglich einer unzulanglichen Formulierung der Steuertatbestande, deren wirtschaftliche Auswirkung und deren Ausweichmoglichkeiten nicht geniigend beriicksichtigt worden sind. Ebenso wichtig, in der Regel jedoch weniger problematisch, ist die Bestimmung der subjektiven Steuerpflicht, bei der steuerpolitische und steuertechnische Uberlegungen in gleichem Mafie zu beriicksichtigen sind. Ist auch durch die Grundidee, vielleicht auch durch den N a m e n der Steuer bereits einigermafien festgelegt, wer „Steuerdestinatar
§ 6 Steueranpassungsgesetz (StAnpG) vom 16. Oktober 1934 (RGBl I, S. 925). Vgl. Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 222.
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dem Hinweis auf die Uberwalzung der Steuer begegnet werden kann. Audi ist hier der Kreis der Steuerpflichtigen kleiner und leichter kontrollierbar, da schon aus betrieblichen Grunden eine melir oder weniger vollstandige Buchfiihrung vorhanden zu sein pflegt. Bei den speziellen Verbrauchsteuern zieht die Steuertechnik es aus Grunden der leichteren Kontrolle und der geringeren Kosten sogar vor, die Steuer moglichst auf der friihesten Froduktionsstufe zu erheben, auf der die wesentlichen Eigenschaften des steuerlich zu belastenden Produkts bereits erkennbar werden; so wird die Branntweinsteuer vom Brenner, die Biersteuer vom Brauer, die Zucker- und die Tabaksteuer vom Fabrikanten, wenn nicht sogar vom Rohstoiflieferanten erhoben. Im Interesse einer billigen, sicheren und leichten Erhebung und Kontrolle nimmt es die Steuertechnik sogar in Kauf, dafi durch die Uberwalzung der Steuer im Preise und die immer wieder vom Einstandspreis berechneten Spannen der Anteil der Steuer am Verkaufspreis des Endprodukts u. U. hoher ist, als es der tatsachlichen Besteuerung entspricht, oder dafi im Verlauf der nachfolgenden Stufen die Uberwalzung nicht oder nicht vollstandig gelingt. Ist so der Kreis der Steuerpflichtigen im Grundsatz festgelegt, so bleibt noch die Aufgabe der genauen juristischen Abgrenzung der Steuerpflichtigen gegenuber den nicht Steuerpflichtigen sowie den personlich Steuerbefreiten. Der Begriff des Unternehmens ist beispielsweise in den verschiedenen Steuergesetzen ganz verschieden definiert; der Unternehmer des Umsatzsteuergesetzes ist ein anderer als der der Gewerbesteuer, und wiederum anders ist die Abgrenzung in der Einkommen- und Korperschaftsteuer getroffen. Auch bei der Einkommensteuer ist die Abgrenzung des Kreises der Steuerpflichtigen keineswegs einfach. Nicht nur aus sozialen oder steuerpolitischen Erwagungen, sondern auch weil es technisch zu schwierig und zu kostspielig ware, die Empfanger auch kleinster Einkommen heranzuziehen, beginnt die subjektive Steuerpflicht erst bei einer gewissen Einkommenshohe. Der Quellenabzug bei der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer hilft den Kreis der Steuerzahler beschranken und die Kontrolle erleichtern; Steuerschuldner bleibt zwar der Lohnempfanger und der Dividendenempfanger, mit dem Inkasso ist jedoch die Unternehmung oder die Bank quasi als Handlanger des Fiskus unter eigener Haftung beauftragt. Der Vorteil der einfacheren und sicheren Handhabung des Steuereinzugs wird allerdings mit einer Reihe von Nachteilen erkauft. Einmal entsteht den Unternehmungen durch den Quellenabzug eine zusatzliche Arbeitsbelastung, die als „versteckter offentlicher BedarP bezeichnet wird 6 2 ; zum anderen bedingt die mechanische Einbehaltung der Steuerbetrage haufig spatere Ruckvergutungen, die dem Fiskus ebenso wie dem Steuerpflichtigen u. U. betrachtlichen Arbeitsaufwand verursachen. Zur Behebung dieses Nachteils wurde deshalb in Eng62
Vgl. §21.
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land das sogenannte „Pay-as-you-earn-System" (PAYE-System) eingefuhrt, bei deixi der Besteuerung Verdienst und Vergunstigungen kumulativ seit Beginn des Steuerjahres, nicht gesondert flir jeden einzelnen Lohnzahlungsabschnitt zugrunde gelegt werden; eine Riickvergutung eriibrigt sich dadurcli in der Regel. Schon aus diesen wenigen Hinweisen ergibt sich, welche Bedeutung die Fassung der Steuergesetze flir ihren Erfolg und ihre Wirkung besitzt. Die „Absicht des Gesetzgebers" ist bei Steuergesetzen haufig nicht mit der gleichen Bestimmtheit zu erkennen wie bei der Auslegung zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Bestimmungen der allgemeinen Gesetzgebung; vollends die nichtfiskalischen Haupt- oder Nebenzwecke, die mit einer Steuer verfolgt werden sollen, rufen in der parlamentarischen Vorbereitung, Beratung und Beschlufifassung Interessen, Krafte und Parteibestrebungen auf den Plan, deren Gegenlaufigkeit in der Regel nur auf dem Wege des politischen Kompromisses bereinigt werden kann. Daraus erklart sich, dafi viele Steuergesetze die Eierschalen dieser ihrer Herkunft nur zu sichtbar an sich tragen; paart sich die Ungewifiheit iiber die „Absicht des Gesetzgebers" noch mit administrativer Willkiir oder einseitiger Auslegung der Gesetze, so konnen Parteipolitik und Burokratie gelegentlich selbst die hochste staatsmannische Besteuerungskunst zuschanden machen. Die erwahnten Einfliisse von Interessenten und parlamentarischen Machtgruppen auf die Gesetzgebung 63 lassen sich bei naherer Untersuchung nahezu in alien Steuergesetzen, ihren Ausnahme- und Vergiinstigungsvorschriften usw. feststellen. Das Schulbeispiel bilden hier naturgemafi die Zolle, insbesondere die Schutzzolle; aber auch bei den Finanzzollen und Verbrauchsteuern, bei der Ausgestaltung des Steuersystems im ganzen und der einzelnen Steuergesetze, ihrer Durchflihrungsvorschriften und Auslegungsregeln ist ein weiter Spielraum fiir Sonderwiinsche, Einzelinteressen und Gruppenegoismen aller Art vorhanden. Die Anschauung, dafi die Verbrauchsteuern von den breiten Massen getragen werden, wahrend die sogenannten Personalsteuern die Besitzenden treffen, hat ohne Riicksicht auf die Uberwalzungsforschung, die beide Tatbestande von Fall zu Fall als durchaus zweifelhaft erwiesen hat, den Kampf um die Gestaltung des Steuersystems im vergangenen Jahrhundert beherrscht. Je nach den parlamentarischen Machtverhaltnissen wechselten Zeiten starkerer Verbrauchsbelastung mit solchen erhohter Personal- und Besitzbesteuerung; fuhrt man die Entstehung der alten, weitausgreifenden Akzisenpolitik Englands von jeher auf das Bestreben der damals herrschenden Grundaristokratie zuriick, sich steuerlich auf Kosten der Massen zu entlasten, so ist die Ausbildung der progressiven Einkommensteuer von der allmahlichen Demokratisierung des Wahlrechts, die den minderbemittelten Klassen einen grofieren Einflufi auf die Steuergesetz63 vgl. §§ 1 4 - 1 7 .
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gebung verschaffte, nicht zu trennen. Die Geschichte der anfanglich so genannten „Besitzsteuer", d. h. der deutschen Vermogenszuwachssteuer, der „BranntweinliebesgabeK von 1887 und der Borsenumsatz- nebst Sektsteuer, die 1909 den Kaufpreis fur die Zustimmung des Reichstages zur Flottenvorlage abgeben mufite, bietet Beispiele fur die Planlosigkeit, mit der manche Steuergesetze unter wechselnden parlamentarischen Stromungen zustande kamen. Vollends die doktrinare Kapitalfeindlichkeit der Mehrheitsregierungen nach dem Ersten Weltkrieg fiihrte zu Doppel- und Dreifachbelastungen bestimmter Einkunfte und Vermogensformen (Tantiemesteuer, Kapitalertrag- und Einkommensteuer von denselben Beziigen), die haufig mehr leidenschaftlichen politischen Doktrinarismus als wirtschaftspolitische Konsequenz erkennen liefien. Nach der Feststellung der Steuerpflicht als soldier ist die Hohe der Steuerschuld zu ermitteln; diese ergibt sich aus dem Steuertarif, der die Steuerschuld des Pflichtigen in absoluten oder relativen Zahlen angibt. Die Ausarbeitung des Steuertarifs gehort in der Regel ebenso wie die nahere Bestimmung der Steuerpflicht zu den Aufgaben des Gesetzgebers. Von der Hohe der Steuer hangt dabei nicht nur ihr fiskalisches Ergebnis und das Ausmafi des ihr entgegengesetzten Steuerwiderstandes 64 ab, sondern auch die Chance der der Steueriiberwalzung und die Beeinflussung der wirtschaftlichen Dispositionen der Steuerpflichtigen durch Erwagungen, die von der Besteuerung und den Moglichkeiten der Steuerersparnis ausgelost werden. Mit Riicksicht auf die Bedeutung der Steuerbemessung fur die praktische Durchfiihrung der Besteuerung hat sich im Rahmen der deutschen Finanzwissenschaft seit langem eine eigene Steuertariflehre entwickelt, die der Steuertechnik Hinweise auf die verschiedenen Moglichkeiten der Tarifgestaltung und ihre voraussichtlichen Auswirkungen zu geben bemuht ist. Die Ausgestaltung des Tarifs kann dabei grundsatzlich zwei Wege einschlagen. Steht die Hohe der Gesamtsteuerschuld fest (Repartitionssteuer), so hat der Steuertarif nur die Aufgabe, als „Umlageschlussel
64
Vgl. § 34.
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einheiten (Steuerbetrag) oder in Prozentzahlen ausdriickt. Grundsatzlich konnen die Steuersatze in bezug auf die Summe der Besteuerungseinheiten fest oder variabel bestimmt werden. Im ersten Falle spricht man von einem proportionalen Tarif; bei zunehmender Grofie der Steuerbemessungsgrundlage, z. B. des Einkommens, bleibt der Steuersatz je Einheit der gleiche, so dafi die Steuerschuld prozentual im Gleichschritt mit der Steuerbemessungsgrundlage ansteigt. Variable Steuersatze kommen demgegeniiber in Gestalt der Progression, der Degression oder der Regression vor. Progression liegt dann vor, wenn mit zunehmender Grofie der Bemessungsgrundlage, z. B. des Einkommens, die Steuersatze prozentual ansteigen; je nach der Art dieser Steigerung der Steuersatze ergeben sich dabei verschiedene Formen des progressiven Tarifs. Die Degression ist ebenfalls eine Art der Progression; der Tarif geht von einem Hochststeuersatz aus, der sich mit abnehmender Grofie der Steuerbemessungsgrundlage, z. B. des Einkommens, prozentual ermafiigt. Die mit dieser Degression haufig verwechselte Regression besteht darin, dafi die Steuersatze mit der prozentual zunehmenden Grofie der Bemessungsgrundlage, z. B. des Einkommens, nicht steigen, sondern sinken; in offener Form kommt sie heute kaum mehr vor, wohl aber als Regressionswirkung einzelner Steuern (Verbrauchsteuern) oder eines Steuersystems als ganzem. Viel Miihe hat die Tariflehre dem Bestreben gewidmet, zu einem moglichst stufenlosen (glatten) Progressionsverlauf zu gelangen; sie unterscheidet dabei zwischen dem Stufentarif, dem Linientarif und dem Kurventarif. Beim Stufentarif wird jeder Tarifstufe ein bestimmter Steuersatz (Steuersatztarif) oder Steuerbetrag (Steuerbetragstarif) zugeordnet; innerhalb der Stufengrenzen ist daher hier die Progression unterbrochen. Die dadurch auftretenden Spriinge vermeidet der Linientarif insofern, als er die Stufen infinitesimal klein wahlt, d. h. praktisch zu einer geraden Linie einebnet; damit bietet er das klarste Bild der Progression. Der Grund, warum diese einfache Tarifform selten gewahlt wird, liegt in den fiskalischen und nichtfiskalischen Absichten der Steuerpolitik; eine zu steile Progressionskurve erreicht ihren Hochstsatz zu friih, d. h. die Progression verwandelt sich dadurch gerade fiir die hoheren und hochsten Einkommen zu bald in die Proportionality; eine zu flache Progressionskurve lafit andererseits die grofie Masse der mittleren Einkommen zu lange ungeschoren, so dafi die Steuer zu wenig einbringt. Als Losung bietet sich hier der vielfach in gebrochener Linie verlaufende Kurventarif an, bei dem der Progressionsverlauf mit Hilfe einer Gleichung zweiten Grades ermittelt wird. Mit Hilfe der analytischen Geometric gelingt es hier, den steuerpolitischen Absichten (z. B. Mittelstandsschutz) durch einen mehr oder weniger geglatteten Wechsel des Steigerungsgrades Reclaming zu tragen; von der mathematischen Vollkommenheit dieser Tarifform auf ihre steuerpolitische Vollkommenheit zu schliefien, erscheint jedoch nicht unbedenklich.
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Neben der Steuergesetzgebung und dem Steuertarif kommt es fiir die steuerliche Wirklichkeit entscheidend auf die administrative Handhabung der Steuererhebung und auf die Steuerkontrolle an, die die Besteuerung vielfach in unsichtbarer, aber haufig recht einschneidender Weise zu verandern vermag. Die Festsetzung der Steuerschuld kann dadurch weitgehend dem Ermessen der Verwaltung tiberlassen bleiben, mag diese ihrerseits durch mehr oder weniger ausfiihrliche Richtlinien oder Anordnungen gebunden sein; hierher gehoren alle Pauschalierungen, schematischen Richtsatze, Schatzungsnormen und Abgeltungen, die in der Steuerverwaltung vieler Lander gebrauchlich sind. Dafi dadurch die ursprungliche Steueridee weitgehend modifiziert werden kann, leuchtet ohne weiteres ein; ein Beispiel war die preufiische Gemeindegetrankesteuer der 30er Jahre, die nicht den Bierausschank, sondern die Abgabe von Kaffee, Mineralwasser und anderen alkoholfreien Getranken zum Verzehr an Ort und Stelle steuerlich erfassen sollte. Angesichts der Unmoglichkeit jeglicher Kontrolle wufiten sich einige Gemeinden keinen anderen Rat, als pauschal eine feste Relation zwischen dem Kaffee-, Mineralwasser- und Bierausschank anzunehmen und die Getrankesteuer einfach nach dem Bierumsatz zu berechnen, fiir den in der Biersteuerbuchfiihrung der Brauerei kontrollierbare Gegenbuchungen vorlagen; aus der Mineralwasser- und Kaffeesteuer wurde somit eine zusatzliche Biersteuer. An diesem Beispiel wird besonders deutlich sichtbar, wie erst die Kenntnis der administrativen Methoden, der Organisation der Finanzbehorden und des Steuererhebungsverfahrens einen vollstandigen Einblick in Wesen und Wirkungsweise der Steuern vermittelt 65 . Bedenkt man z. B., dafi wahrscheinlich fast die Halfte samtlicher Gewerbetreibenden, die zur deutschen Einkommensteuer herangezogen werden, keine den Anforderungen der Finanzamter geniigende Buchfuhrung besitzt und daher nach Richtsatzen besteuert wird, deren Vorhandensein wiederum auch manche buchfuhrende Gewerbetreibende veranlafit, sie zur Richtschnur ihrer Steuererklarung zu machen, so ergibt sich daraus ein Wesenswandel der Einkommensteuer in der Richtung auf eine Riickkehr zur „Klassensteuercc alterer Pragung oder sogar zu einer am aufieren Betriebsumfang orientierten „Handwerksteuer
21 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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ger kraftig abgewandelt wird. Die zeitweilige Stundung der inzwischen abgeschafften Beforderungssteuer fiir die Bundesbahn 67 fiihrte beispielsweise de facto dazu, dafi die Bahn auf Kosten ihrer Benutzer, da ja die Steuer in den Beforderungstarif en enthalten war, einen Konkurrenzvorsprung erhielt. Nicht selten bestimmt audi erst die hochstrichterliche Rechtsprechung in jahrzehntelanger Entwicklung die endgultige Auslegung der steuerrechtlichen Vorschriften und damit die wirkliche Eigenart der verschiedenen Steuern; dadurch ist wiederum ohne Anderung des Gesetzes eine gewisse Anpassung der Besteuerung an die sich wandelnden wirtschaftlichen Gegebenheiten moglich 68. Zur Sicherung des Steueraufkommens und zur Kontrolle der Besteuerungsunterlagen, soweit sie vom Steuerpflichtigen selbst beigebracht werden, hat die Steuertechnik im Laufe der Jahre in den verschiedenen Landern ein ganzes Arsenal von Mafinahmen in Anwendung gebracht. Wahrend das Vorhandensein der Steuerobjekte durch Amtshilfe der Behorden untereinander, Mitteilungen der Grundbuchamter an die Finanzamter oder Mitteilungen von Gerichten und Notaren ermittelt und kontrolliert wird, handelt es sich bei den grofien Personalsteuern (Einkommensteuer, Vermogensteuer, Erbschaftsteuer usw.) zunachst um die Ermittlung der Steuerpflichtigen, deren Verbleib durch ein polizeiliches Meldewesen, durch die jahrliche Personenstandsaufnahme und die Statuierung besonderer Anzeige- und Meldepflichten kontrolliert wird. Zur Kontrolle der Steuererklarungen ist in den verschiedenen Landern eine Anzahl von mehr oder weniger wirkungsvollen Mafinahmen entwickelt worden. Die Offenlegung der Steuerlisten (Schweiz, USA, Danemark) ist ein sehr zweifelhaftes Verfahren, da die Steuerpflichtigen sich meist eher untereinander und gegen den Fiskus als mit dem Staat gegen etwaige Steuersiinder solidarisch fiihlen. Der Ankauf der Steuerobjekte zum deklarierten Wert durch den Fiskus erscheint zwar auf den ersten Blick als sehr wirksames Mittel, die richtige Bewertung von Vermogensgegenstanden sicherzustellen, birgt aber grofie Gefahren in sich, da den Steuerbehorden die Marktkenntnis und kaufmannische Wendigkeit fehlt, die fiir die wirkungsvolle Handhabung dieser Kontrollmafinahmen unentbehrlich ist. Die vielfach gebrauchlichen eidesstattlichen Erklarungen zur Sicherstellung der Deklaration bedeuten andererseits eine bedenkliche Entwertung des Eides und eine Gewissensbelastung gerade der ethisch-religios empfindenden Menschen zugunsten der Skrupellosen. Steuerliche Buch- und Betriebsprufungen schliefilich sind zwar bei der Kompliziertheit der modernen Steuergesetze unerlafilich, fiihren jedoch zu einer Gefahrdung der Steuermoral, wenn sie allzusehr den Charakter von kriminalistischen Ermittlungen annehmen, die darauf ausgehen, den Steuerpflichtigen auf jeden Fall ins Unrecht zu setzen. 67 Vgl. Sdimolders, G.: Die Beforderungssteuer im Steuersystem, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 15 (1954/55), S. 299 ff. 68 Sdimolders, G.: Die ungesetzliche Zusatzsteuer, in: Steuer und Wirtschaft, Jg. 35 (1958), H. 6.
§ 34. Steuermoral und Steuerwiderstand
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Rechtzeitige vorherige Ankiindigung, mafivolle Inanspruchnahme der Zeit und der Hilfskrafte der Steuerpflichtigen, taktvolle und verniinftige Haltung der Prlifer sind Voraussetzungen fur den Erfolg der Priifungen und fur ihren gunstigen Einflufi auf die Steuermoral; in der psychologisch wohlvorbereiteten, die Mentalitat der Steuerpflichtigen beriicksichtigenden Methode der Steuerkontrolle verrat sich am deutlichsten, in welchem Grade ein Staat die schwierige Kunst der Besteuerung beherrscht. Angesichts der Schwierigkeiten und Widerstande, die sich jeder Besteuerung sowohl in sachlicher wie in psychologischer Hinsicht entgegenstellen, gewinnt die Steuertechnik nicht selten den Rang eines geradezu ausschlaggebenden Faktors erfolgreicher Finanzpolitik. Um so wichtiger ist es, bei der Steuertechnik als der Kunst des richtigen Weges zum Ziel das „Vernunftsprinzip" 69 zu beriicksichtigen, d. h. die auf Grund der bisherigen Erfahrungen und der jeweils gegebenen Tatbestande „kliigste Ratio" waken zu lassen. Dazu gehort auch, dafi die Steuertechnik moglichst wirtschaftlich ausgestaltet wird und das Steueraufkommen so wenig wie moglich beeintrachtigt; die Kosten der Steuererhebung und die von ihr unabweisbar ausgehenden Wirkungen miissen in einem angemessenen Verhaltnis zum beabsichtigten Erfolg der Besteuerung stehen. Eine so verstandene Steuertechnik ist aufier durch das Besteuerungsziel in doppelter Hinsicht gebunden; einmal sind dies die historisch bedingten rechtlichen und wirtschaftlichen Verhaltnisse, wie sie sich in der jeweils geltenden Staats- und Wirtschaftsordnung mit ihrer Verwaltungsorganisation, ihrer Gesetzgebung im allgemeinen und dem Wirtschafts- und Steuerrecht im besonderen widerspiegeln, zum andern aber auch die spezifische Steuermentalitat der einzelnen Volker, aus der sich zugleich ihre „ Steuermoral" ergibt. Diese Tatbestande psychologischer Natur, deren intensive Durchleuchtung erst in neuerer Zeit durch die empirische Verhaltensforschung moglich geworden ist, liegen in Wirklichkeit bereits seit vielen Jahrhunderten den jeweils geltenden Grundsatzen und Leitideen der Besteuerung zugrunde 70 ; von Epoche zu Epoche der Finanzgeschichte bis in die Gegenwart hinein haben die jeweiligen „steuerpolitischen Ideale" 71 ihren Ausdruck in der Diskussion um die Rechtfertigung und Gerechtigkeit der Besteuerung gefunden.
§ 34. Steuermoral und Steuerwiderstand In den jahrhundertelangen Auseinandersetzungen um die Besteuerung spiegelt sich in vielen Facetten die Erfahrung wider, dafi es sowohl fur die 69 70 71
Meisel, F.: Steuertedinik, a.a.O., S. 358. Vgl. Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 37 ff. Mann, F. K.: Steuerpolitische Ideale, Vergleichende Studien zur Geschichte der okonomischen und politischen Ideen und ihres Wirkens in der offentlidien Meinung 1600—1935, Jena 1937. 21*
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Besteuerung im allgemeinen als auch fur die Hohe jeder einzelnen Steuer eine ganz bestimmte obere Grenze in Gestalt ihrer psychologischen Zumutbarkeit gibt; das Rechtsbewufitsein der Steuerpflichtigen zeigt gegen konfiskatorische Steuersatze der einzelnen Steuern wie der Gesamtsteuerbelastung eine verstandliche Abneigung, die allerdings von Zeitalter zu Zeitalter und von Land zu Land verschieden ist. Die psychologische Schwelle, von der an eine weitere Erhohung der Steuersatze als unertraglich empfunden wurde, gait daher in der Regel stets als durchaus variabel. Im 19. Jahrhundert hielt man diese Grenze bei 10 v. H. entsprechend dem alten „Zehnten" fiir erreicht 72 ; urn die Jahrhundertwende bezeichnete P. Leroy-Beaulieu eine steuerliche Belastung von 12—15 v. H. des Einkommens als obere Grenze des Zumutbaren, J. Popitz glaubte an eine psychologische Hochstgrenze der Besteuerung bei einem Drittel des Einkommens und die heutige amerikanische Finanztheorie spricht von 50 und mehr Prozent als dem „Psychological Breaking Point", bei dem der Steuerpflichtige noch das Empfinden habe, fiir seinen eigenen Geldbeutel und noch nicht iiberwiegend fiir das Finanzamt zu arbeiten. Inzwischen hat allein die Einkommensteuer in England und den USA Spitzensteuersatze von 90 v. H. und mehr aufzuweisen; auch in der Bundesrepublik ging die Einkommensteuerprogression zeitweise bis nahe an 90 v. H., ohne dramatische Folgen auszulosen. Die Finanzwissenschaft hat sich mit diesem bemerkenswerten Tatbestand bisher noch wenig beschaftigt; in seinem 1728 erschienenen Pamphlet zeigte der englische Satiriker Jonathan Swift am Beispiel der Zolle auf Seide und Wein, „dafi zweimal zwei in Steuersachen manchmal nicht vier, sondern nur eins ergeben" (Swiftsches Steuereinmaleins)73. Er fiihrte diese schon im Altertum bekannte Erscheinung in erster Linie auf die Tatsache zuriick, dafi hohe Zolle zum Schmuggel ermutigen; spater ist die gleiche Erfahrung von David Hume und Adam Smith auf alle Falle des Verbrauchsriickgangs bei zu hoher Besteuerung ausgedehnt, dabei jedoch dem von W. Lotz so genannten „Defraudationsfallcc weniger Beachtung geschenkt worden als dem „Fall der erschopften Zahlungsfahigkeit". In der Gegenwart hat W. Gerloff auf das „Gesetz der wachsenden Steuerwiderstande" aufmerksam gemacht, freilich ohne den Ursachen dieser Erscheinung im einzelnen nachzugehen; „die Grenzen, die der Besteuerung gesetzt sind", so schliefit er, „sind nicht allein in den Dingen gegeben, sondern sie liegen mehr noch in der menschlichen Natur begriindet" 74.
72 73
So Behr, W. J.: Staatswirtschaftslehre, Leipzig 1822. Lotz, W.: Zur Lehre vom Steuereinmaleins, Festschrift fiir L. Brentano, Munchen u. Leipzig 1916, S. 351 ff. 74 Gerloff, W.: Steuerwirtschaftslehre, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 2. Bd., a.a.O., S. 325.
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Grundlage aller erfolgreichen Besteuerung ist, wie schon oben erwahnt 75 , ein Mindestmafi an Staatsbewufitsein und staatsbiirgerlicher Gesinnung der Steuerpflichtigen. Die allgemeine Einstellung zu seiner politischen Gemeinschaft und zu den Opfern und Gemeinlasten, die ihren Mitgliedern unvermeidlich erwachsen, findet der in das Gesellschafts- und Berufsleben eintretende junge Staatsburger in seiner Umwelt bereits fertig gepragt vor; das „geistige Klima", in dem sich die Begegnung des Burgers mit der Besteuerung vollzieht, hat E. Grossmann in Anlehnung an W. Sombarts Terminus „Wirtschaftsgesinnung" als „Finanzgesinnung
Vgl § 17. ^ Grossmann, E.: Die Finanzgesinnung des Schweizervolkes, in: Zeitschrift fiir schweizerische Statistik und Volkswirtschaft, 1930. 77 Vgl. § 17. 78 Grossmann, E.: Gedanken iiber Finanzpolitik in der reinen Demokratie, Bern791948, S. 18. Striimpel, B.: Sind die Schweizer steuerwilliger?, in: Blick durch die Wirtschaft vom 25. 3. 1964. Ders.: Der Schweizer als Steuerzahler, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 24 (1965), S. 244 ff.
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Die Einnahmenpolitik
Ausdruck „ etwas abgeben" den Vorzug gegeniiber dem eine Nuance von Aktivitat und Freiwilligkeit enthaltenden Wort „beitragen" oder gar der von dem Gefuhl einer Ungerechtigkeit beherrschten Vorstellung „sich etwas wegnehmen lassen" gibt. Bei aller Zuriickhaltung in der Beurteilung dieser Befragungsergebnisse geben sie doch gewisse Aufschliisse iiber die allgemeine Steuermentalitat; beonders deutlich wird dies bei einer Aufgliederung der Antworten nach Geschlecht, Alter, Ausbildung, Beruf und sozialer Schicht der Befragten. So neigen die jiingeren, bei verhaltnismafiig geringen Einkommen noch in der Griindung ihrer beruflichen Existenz begriffenen Gruppen am ehesten zu der Empfindung, dafi ihnen mit der Steuer „ etwas weggenommen" wird; die nach Alter, Ausbildung und sozialer Schicht Hoherstehenden verbinden mit dem Steuerzahlen schon eher den Gedanken eines „Beitragens", wahrend diese Assoziation bei den Selbstandigen sowie audi bei den Industrie- und Landarbeitern am wenigsten verbreitet ist 80. Bei der Auswertung dieser Umfrageergebnisse ist es natiirlich unerlafilich, sich stets vor Augen zu halten, dafi mit jeder dieser Fragen affektbetonte Aussagen gewonnen und zugleich auch Affekte ausgelost werden; sicher ist auch die Steuermentalitat, wie sie in den Umfrageergebnissen zum Ausdruck kommt, vintrennbar mit vielen anderen Einstellungen, Meinungen und Vorurteilen verknupft, mit denen sie sich im Laufe der Entwicklung auch wandelt. Im allgemeinen wird man jedoch sagen durfen, dafi derartige Grundeinstellungen verhaltnismafiig tief verankert sind und sich nur langsam andern; alles Neue wird in weiten Kreisen stets mit einem gewissen Mifitrauen betrachtet, wahrend die Gewohnung dazu beitragt, urspriinglich vorhandene Vorurteile abzuschleifen. Jedenfalls kommt auch in diesen Ergebnissen deutlich zum Ausdruck, dafi der steuerzahlende Staatsburger mit der Steuer in irgendeiner Form die Vorstellung von einer „Belastung" verbindet; die Finanzwissenschaft hat diesem Phanomen der „ Steuerbelastung" in alien seinen Spielarten schon seit langem besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Unter Steuerbelastung ist dabei zunachst und im allgemeinen die Differenz zwischen dem Einkommen, das dem Belasteten zur Verfugung stiinde, wenn er keinerlei Steuern zu zahlen brauchte, und dem tatsachlichen Verfugungseinkommen zu verstehen, das sowohl durch die direkt wahrnehmbare Besteuerung als auch durch die in den Preisen enthaltenen unmerklichen Steuern verkiirzt wird. Von dieser „objektiven", in der Regel leicht quantifizierbaren Steuerbelastung unterscheidet sich die „subjektive
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fahigkeit, seine mehr oder weniger genaue Kenntnis der zu entrichtenden Steuern, seine Informiertheit iiber Staat, Fiskus, Finanzbehorden und Steuern iiberhaupt, sein individuelles Temperament und seine personlichen Erfahrungen — alle diese Komponenten klingen schliefilich im Belastungsgefuhl zusammen. Dabei ist diese subjektive Einschatzung der Belastung durch den Steuerpflichtigen je nach der Art der Besteuerung durchaus verschieden; bei den unmittelbar wahrnehmbaren, insbesondere bei den veranlagten, dem einzelnen Steuerpflichtigen auf den Leib zugeschnittenen „Mafisteuern" tritt es naturgemafi starker hervor als bei den anonymen „Marktsteuern". Seit altersher besteht der besondere steuerpolitische Vorzug der Umsatzsteuer ebenso wie der meisten Verbrauch- und Aufwandsteuern in ihrer relativen „Unmerklichkeit
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freilich nach Durchfuhrung der Steuererhohung meist bald wieder abzuklingen pflegt. Je mehr es gelingt, die Besteuerung im institutionellen Ablaufmechanismus des modernen Wirtschaftslebens an einem gesicherten Platz zu etablieren, urn so mehr arbeitet die Zeit fur die „Einbiirgerung" der Steuer und gegen das anfanglich mit ihr verbundene Belastungsgefiihl; hier liegt einer der Griinde daf iir, die Verbrauchsteuern auf moglichst verbrauchsfernen Vorstufen des Handels und der Produktion zu erheben. Gewifi folgerichtig gelangt denn audi eine finanzpsychologische Untersuchung des Steuerbelastungsgefiihls in Frankreich, wo die Technik einer moglichst widerstandsvermeidenden indirekten Besteuerung von jeher besonders gepflegt worden ist, sogar zu einer Befiirwortung der Alleinsteuer auf Energie 82. Es fragt sich allerdings, wie weit die Anwendung derartiger Tarnungsmanover sich mit dem Prinzip der staatsburgerlichen Integration vertragt, das es erwiinscht erscheinen lafit, dem Zensiten deutlich vor Augen zu fuhren, dafi seinen vielfachen und gewichtigen Forderungen an den Staat auch entsprechende Leistungen gegeniiberstehen miissen; blofie fiskalische List mufi hier gegebenenfalls vor hoheren staatspolitischen Erwagungen zuriicktreten 83. Belastungsgefiihl und Kenntnis der tatsachlich vorhandenen Belastung wirken dariiber hinaus unmittelbar auf die Steuermoral der einzelnen Steuerpflichtigen; ihre Grundlage ist allerdings zunachst wiederum eine allgemeine „Einstellung", in diesem Falle die Einstellung des Steuerpflichtigen zur Erfiillung oder Nichterfiillung seiner steuerlichen Pflichten, also seine „Steuerdisziplin". Sie kommt am deutlichsten in der moralischen Bewertung der Steuerdelikte durch den Steuerpflichtigen selbst zum Ausdruck, wie man sie durch entsprechende Fragen ermitteln kann. Bei der „Steuermoral" in diesem operationalen Sinne wird der Begriff „Moral" also nicht mehr im Sinne Kants verstanden, der die „MoralitaYc als sittlich hohere Verpflichtung der blofien „Legalitat" gegeniiberstellte, sondern lediglich als eine ehrliche innere Bejahung der herrschenden Sitten- und Rechtsordnung, die der besseren Erfiillung der dem einzelnen durch seine Eingliederung in eine Gemeinschaft auferlegten Pflichten zugute kommt; in der Moralphilosophie und Psychologic des letzten Jahrhunderts ist dieser Moralbegriff inzwischen durch den der Sittlichkeit oder des Ethos ersetzt worden. Nichtsdestoweniger erweist sich der Begriff Moral zumindest fiir die Bezirke des menschlichen Verhaltens, um das es hier geht, als unentbehrlich und vor allem auch als anschaulich genug, das Phanomen der steuerlichen Disziplin oder ihres Gegenteils zu beschreiben. Die wissenschaftliche Behandlung der Steuermoral und der damit zusammenhangenden Fragen hat ihren Platz in der Staats- und Rechtsphilosophie und in der Finanzpsychologie; ausgehend von der christlichen Moral82 Schueller, E.: Refutations au rapport de la commission de reforme fiscale sur la taxation de l'energie, Paris 1952. Reynaud, P. L.: La Pression Fiscale Psychologique et le Dynamisme des Producteurs, a.a.O. 83 Schmolders, G.: Unmerkliche Steuern, a.a.O., S. 32 ff.
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philosophic des Mittelalters, fand sie mit dem Erwachen des sozialen Gewissens in der „Opfertheorie" der Besteuerung, die das Verhaltnis zwischen Burger und Staat hinsichtlich der Steuerpflicht beinahe ins Heroische erhob, ihren einstweiligen Hohepunkt. W. Vocke beispielsweise, der das Wesen der Steuer als Leistung des Staatsbiirgers in der sittlichen Natur des Staates begriindet sah, wollte den „Ehrentitelcc Steuer nur den nach der Leistungsfahigkeit bemessenen direkten Abgaben zuerkennen, die eine verantwortliche Mitwirkung des Besteuerten erfordern; „vom Standpunkt der Geschichte und der Sittlichkeit" miifiten Steuerhinterziehung und Steuerverkiirzung, als Verstofie gegen eine hohere sittlicher Verpflichtung als die allgemeine, nicht nur ebenso streng, sondern noch harter bestraft werden als jeder andere Betrug im Geschaftsleben 84. Dieser strenge Standpunkt hat sich nun allerdings keineswegs durchsetzen konnen. Vielmehr rangiert heute die „ Steuermoral" in der offentlichen Meinung weit hinter der allgemeinen Moral; Verstofie gegen die Steuergesetze sind langst ebenso „gesellschaftsfahig" geworden wie vor der Wahrungsreform die Teilnahme am Schwarzen Markt. Den besten Beweis fiir die Anerkennung dieser besonderen, gelockerten Steuermoral erblickt I. Jastrow in der Tatsache, dafi der Gesetzgeber es nicht wagen kann, die Steuertauschung dem allgemeinen Betrugsparagraphen des Strafgesetzbuches unterzuordnen, sondern dafi ein besonderes Steuerstrafrecht geschaffen werden mufite, das sehr viel mildere Strafen fiir Steuerbetrug als fiir privatwirtschaftliche Vergehen vergleichbarer Art vorsieht 85 ; noch heute bildet, trotz der inzwischen durchgefiihrten Verscharfung des Steuerstrafrechts, die Freiheitsstrafe bei der Ahndung von Steuerdelikten durchaus eine Ausnahme. Fiir das Vorhandensein dieser besonderen Steuermoral, mit dem sich die Steuerpolitik von jeher wohl oder libel abfinden mufite 86, gibt es mehrere Ursachen. Psychologisch wirkt der Zwangscharakter der Steuergesetze, die dem Burger einseitige Opfer ohne Gegenleistung auferlegen, in der gleichen Richtung wie die Anonymitat des Staates, die die Vorstellung aufkommen lafit, es sei durch eine Steuerverkiirzung ja eigentlich niemand geschadigt, da der Steuersiinder den Staat nicht fiir rachsiichtig halt und nicht befiirchtet, dafi dieser sich das nachste Mai ebenso unehrlich verhalten werde, wie er selbst; freilich haben die bosen Erfahrungen, die der deutsche Steuerzahler mit der Staatsmoral des Dritten Reiches machen mufite, auch ihrerseits zu einer weiteren Verschlechterung der Steuermoral beigetragen. Eine weitere Komponente liegt im Psychologischen begrundet. Die Einbufie, die dem 84
Vodke, W.: Die Abgaben, Auflagen und die Steuer vom Standpunkt der Geschichte und der Sittlichkeit, Stuttgart 1887, S. X. 85 Jastrow, I.: Gut und Blut furs Vaterland, Berlin 1917. 86 Popitz, J.: Der wirtschaftende Mensch als Steuerzahler, in: Vierteljahrsschrift fiir Finanz- u. Steuerrecht, IV, Berlin 1930; Veit, O.: Grundlagen der Steuermoral, Zeitschrift fiir die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 83, S. 317 if.; Schmolders, G.: Steuermoral und Steuerbelastung, Berlin 1932.
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Steuerpflichtigen durch die Zahlung der Steuern nicht nur am laufenden Einkommen, sondern unter Umstanden auch an der Substanz seines Vermogens erwachst, wird nicht, wie bei manchen anderen einseitigen Zahlungen, wenigstens durch einen entsprechenden Zuwachs an Ansehen, Popularitat oder gesellschaftlichem Prestige wettgemacht; seit der ersatzlosen Beseitigung des Dreiklassenwahlrechts besteht keine der Einsicht des Steuerpflichtigen unmittelbar zugangliche Verbindung zwischen seiner Steuerzahlung und seinem gesellschaftlichen Prestige sowie dem politischen Gewicht seine Stimme mehr. Die Steuermoral unterliegt ebenso wie die Steuermentalitat von Land zu Land und von Volk zu Volk vielfachen Abstufungen und Wandlungen 87 . Allenthalben zeigt sich jedoch eine mehr oder minder ausgepragte Parallele zwischen Steuermentalitat und Steuermoral; bei Volkern, deren Angehorige durch besondere Charakterziige zu einer negativen Steuermentalitat gleichsam pradestiniert sind wie etwa die Romanen durch ihren Individualismus oder die Asiaten durch ihre abwartend-skeptische Zuruckhaltung, k o m m t es regelmafiig auch zu einer laxen Steuermoral, die ihren Ausdruck meist in einer besonders nachsichtigen Einstellung zum Steuerdelikt findet. Nicht selten artet diese Erscheinung so weit aus, dafi der Steuerpflichtige in der Ubervorteilung der Steuerbehorde eine A r t sportlich-fairen Zweikampfes sieht, ausgehend von der nur aus seiner eigenen Mentalitat verstandlichen primitiven Auffassung, dafi ihn anderenfalls der Staat seinerseits iibervorteile. Diese „Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn"-Ideologic ist vor allem in den Landern anzutreffen, die lange Jahrhunderte hindurch unter Fremdherrschaft gelebt haben und fiir die die Abschuttelung des verhafiten fremden Steuerjochs iiber Generationen hinweg vom Nimbus eines nationalen 87
Vgl. zum folgenden Beichelt, B., Biervert, B., Daviter, J., Schmolders, G., Striimpel, B.: Steuernorm und Steuerwirklichkeit Bd. II, Steuermentalitat und Steuermoral in Groftbritannien, Frankreidi, Italien und Spanien, Koln und Opladen 1969; ferner im einzelnen Ortega, S. M. G. de: Die spanische Steuermentalitat, unveroflfentlichte Diplomarbeit, Koln 1963; Roeper, H.: Die Steuermoral — bei uns und den anderen, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 17.8.63; Rosenstiel, F. H.: Die Steuermoral in Amerika, FAZ vom 20. 8. 63; Singer, L.: Die Steuermoral in Brasilien, FAZ vom 26.8.63; Hudson, W. L.: Wie steuerehrlich sind die Englander? FAZ vom 3.9.63; Leszcynski, G. L.: Die Steuermoral in Indien, FAZ vom 10. 9. 63; Wiebel, M.: Die Steuermoral in Italien, FAZ vom 28. 9. 63; Konitzer, H.: Mit der Steuermoral in Usterreich zufrieden, FAZ vom 7. 10.63; Wyenbergh, W. van den: Die Steuermoral in der Sdrweiz, FAZ vom 2. 11.63; Bengt, P.: Die Steuermoral in Schweden, FAZ vom 15.10.63; Jetter, K.: Die Steuermoral in Frankreidi, FAZ vom 12. 11. 63; Bauer, L.: Die Steuermoral in Spanien, FAZ vom 19. 11. 63; Brachfeld, O.: Die Steuermoral in hispanisdien Landern, FAZ vom 7.12.63; Schmolders, G.: Die Steuermoral der Deutschen, FAZ vom 11.12.63; ders.: Wie steuerehrlich sind die Deutschen?, FAZ vom 25.1.64; Rivoli, J.: Vive Pimpot, Bourges 1965; Schmolders, G. und Striimpel, B.: Vergleichende Finanzpsychologie — Besteuerung und Steuermentalitat in einigen europaischen Landern, Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Nr. 4, 1968; Davies, A. G., Vink, P., Krings, E.: De Verhouding tussen Inspecteur en Contribuable, Alpfen am Rhein 1965; Schmolders, G.: Steuermentalitat, Institut fiir Finanzwissenschaft und Steuerrecht Nr. 50, Wien 1967.
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Heroismus verklart w a r ; dafi ihr eigener, nunmehr zur Selbstandigkeit gelangter Staat fur die Erfullung seiner Aufgaben ebenso wie die fruhere K o lonialmacht auf die Steuern der Einwohner angewiesen bleibt, ist eine Vorstellung, die sich nur in einem Generationen dauernden Erziehungs- und Wahrnehmungsprozefi durchsetzen kann. In manchen Landern resultiert die schlechte Steuermoral audi daraus, dafi diese Lander ihre seit langer Zeit ausgebauten Verbrauch- und Umsatzsteuersysteme erst kiirzlich durch neu eingefiihrte, meist sogleich mehr oder weniger komplizierte Personal- oder Besitzsteuern erganzt und vervollstandigt haben. Es leuchtet ein, dafi diese A r t der Besteuerung auf G r u n d ihrer hochgradigen Wahrnehmbarkeit vor allem dann betrachtliche negative Reaktionen hervorrufen mufi, wenn sie ohne jede Obergangsphase eingefiihrt w i r d ; oft ist es dabei vielleicht nur eine vordergrundige Bequemlichkeit, die den Steuerpflichtigen in Opposition gegen die plotzlich von ihm verlangten Pflichten (Buchfiihrung, Lohnabrechnung, Erklarung usw.) treten lafit. Auf der anderen Seite kann man allerdings von einer hohen Steuermoral, wie sie in einem Lande anzutreffen sein mag, nicht immer auf eine vollkommene innere Ergebenheit seiner Burger in den staatlichen Steuerzugriff schliefien; die vielzitierte hohe Steuermoral der Englander 88 , deren Schilderung besonders aus dem Blickwinkel der italienischen Verhaltnisse hochst lehrreich ist 89 , besitzt ihre Ursache nicht nur in einer gewissen wohlwollenden Milde der Steuerbehorden, sondern auch in den vielfachen Schlupfwinkeln, die die Steuergesetze dem geschickten Steuerpflichtigen offenhalten. Dem ehemaligen Schatzkanzler Winston Churchill wird in diesem Zusammenhang die Bemerkung zugeschrieben: „Es mufi ein N a r r sein, wer die Schlupflocher im englischen Steuergesetz nicht zu finden vermag" 9 0 ; ahnliche Chancen liegen fiir den osterreichischen Steuerzahler darin, „dafi sich in den osterreichischen Steuergesetzen die einander oft widersprechenden Wirtschaftsauffassungen der Koalitionsparteien Volkspartei und Sozialisten in Form unklarer K o m promifiregelungen niedergeschlagen haben, die verschiedene Interpretationen zulassen" 91 . Uber die Steuermoral der deutschen Staatsbiirger konnten in der bereits mehrfach zitierten Umfrage, die Emnid im Auftrag des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universitat Koln 1958 und 1963 durchgeflihrt hat, einige wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden 92 . Es zeigte 88 „En Angleterre le terme ,honorable obligation de payer Pimpot' n'est pas un slogan", Laufenburger, H.: Aspects psydiologiques des Finances publiques, in: Beitrage zur Geld- und Finanztheorie, Tubingen 1951, S. 53. 89 Cosciani, C.: La riforma tributaria, Florenz 1950. 90 Zit. nach Hudson, W. L.: Wie steuerehrlich sind die Englander?, a.a.O. 91 Konitzer, H.: Mit der Steuermoral in Osterreich zufrieden, a.a.O. 92 Vgl. zum folgenden Schmolders, G.: Finanz- und Steuerpsychologie, a.a.O., S. 53 ff., sowie Striimpel, B.: Steuersystem und wirtschaftliche Entwicklung, a.a.O.; ders.: Steuermoral und Steuerwiderstand der deutschen Selbstandigen, a.a.O.
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sich zunachst, dafi innerhalb der Bundesrepublik keine nennenswerten regionalen Unterschiede der Steuermoral bestehen, wohl aber starke Abweichungen zwischen den einzelnen Berufsgruppen; die Steuermoral lafit sich prima facie geradezu als nach Berufsgruppen unterschiedliche „Gruppenmoral" kennzeichnen, so deutlich heben sich die Unterschiede in den Auffassungen der einzelnen Berufe voneinander ab. Demgegeniiber lassen sich Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen, den Altersklassen und Konfessionen, der Bevolkerung der verschiedenen Ortsklassen, zwischen Fliichtlingen und Einheimischen und zwischen Mannern und Frauen entweder kaum feststellen oder eindeutig auf den Faktor „Berufcc zuriickfiihren. Die aufierordentliche Bedeutung, die der Beruf fiir die Einstellung zum Steuerdelikt hat, hangt auch damit zusammen, dafi die verschiedenen Berufsgruppen die Besteuerung in sehr unterschiedlicher Weise erleben; je nachdem, ob dem einzelnen Steuerpflichtigen die Moglichkeit gegeben ist, Aufwendungen seiner privaten Lebensfuhrung in mehr oder weniger geschickter Weise auf die Formel von Betriebsausgaben zu bringen, die bei der Ermittlung seines steuerpflichtigen Einkommens abgezogen werden konnen, wohnen die Betreffenden, steuerlich gesprochen, auf der Licht- oder auf der Schattenseite des modernen Wirtschaftslebens 93. Dieser in der Bevolkerung sehr wohl bekannte Tatbestand kommt ganz besonders darin zum Ausdruck, dafi mehr als zwei Drittel aller Befragten die Gruppe der „Geschaftsleute" als diejenigen ansieht, die dem Staat durch falsche Angaben Steuern vorenthalten konnen, wahrend die Arbeiter, Angestellten und Beamten nur von einem verschwindend geringen Teil der Befragten als potentielle Steuerslinder angesehen werden. Als grundsatzliches Merkmal der Einstellung zum Steuerdelikt lafit sich dariiber hinaus klar feststellen, dafi den Steuerdelikten eine um so grofiere Bedeutung beigemessen wird, je weniger man selbst Gelegenheit zu mehr oder minder illegalen „Steuereinsparungen" hat, wahrend derjenige, dem derartige Moglichkeiten zu Gebote stehen, meist dazu neigt, ihr Gewicht zu bagatellisieren und seine Berufsgruppe damit gewissermafien zu entschuldigen. Diese Haltung tritt auch in der Einstellung des steuerzahlenden Staatsbiirgers zur Person eines Steuersiinders sowie zu dessen Bestrafung sehr deutlich in Erscheinung. Es zeigt sich, dafi das Steuerdelikt in weiten Kreisen iiberhaupt nicht als kriminelles Verhalten empfunden wird, sondern eher als geschickter Trick eines cleveren Geschaftsmanns. Der Steuerslinder „schadigt ja eigentlich niemanden", wie das der Hochstapler, der Betruger, der Dieb oder der Landesverrater tut; man findet seine Handlungsweise vielleicht nicht besonders schon, aber man kann sie verstehen. Selbst die Finanzverwaltung raumt ein, dafi diese „merkwiirdige Einstellung" dazu fiihrt, „dafi die Einschatzung als gut angesehener Burger (Kavalier) nicht dadurch verSdimolders, G.: Organische Steuerreform, a.a.O., S. 21.
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lorengeht, dafi man Steuern hinterzieht. Man verliert weder die Wurdigkeit fiir Ehrungen noch die Eignung fiir representative und lukrative Ehrenamter" 94. Dementsprechend ist auch die Beurteilung des Strafmafies fiir den Steuersiinder im allgemeinen recht milde; mehr als ein Drittel aller Befragten findet fiir Steuervergehen eine Geldstrafe als Hochsstrafe ausreichend, nicht einrnal ein Siebtel pladiert fiir Zuchthaus, wobei die Beamten, Angestellte und Arbeiter sich in ihrer weit scharferen Einstellung zum Steuervergehen von den Selbstandigen und Landwirten deutlich abheben. In diesem Zusammenhang mufi jedoch betont werden, dafi zwar von einer laxen Steuermoral mit einem hohen Grade an Wahrscheinlichkeit auf ein entsprechend laxes Verhalten in Steuerdingen geschlossen werden kann, dafi aber eine in der allgemeinen Einstellung zum Ausdruck kommende straffe Steuermoral leider nicht unbedingt gewahrleistet, dafi im Entscheidungsfalle tatsachlich Steuerdisziplin geiibt werden wird. Dies gilt besonders fiir diejenigen, denen die Steuertechnik keine nennenswerten Moglichkeiten zur Steuerhinterziehung lafit; ob ihre anscheinend so strengen Normen den Versuchungen einer anderen Steuersituation standhalten wiirden, bleibt ungewifi. Andererseits erscheint allerdings auch die extreme Gegenthese nicht haltbar, dafi die Einstellung zum Steuerdelikt nur eine Frage der „Gelegenheit" sei; ebensowenig lafit sich die Folgerung ziehen, dafi das Belastungsgefiihl allein die Einstellung zum Steuerdelikt bestimme oder dafi es gar seinerseits einfach eine Funktion der Gelegenheit zur Steuerhinterziehung sei. Vielmehr handelt es sich hier ganz offenbar um Wechselwirkungen; so beeinflussen beispielsweise gute Erfahrungen, die der Steuerpflichtige mit der Steuer macht, seine Einstellung zum Staat und auf diesem Wege wiederum seine Steuermentalitat und Steuermoral in der Regel positiv, andererseits gehen ein gering entwickeltes Staatsburgerbewufitsein und eine negative Einstellung zur Besteuerung Hand in Hand mit einer laxen Steuermoral, zumal dann, wenn die Bevolkerung sich hoch und „ungerecht" belastet fiihlt. In diesem Falle kommt es leicht zu einem Verhalten, das die Finanzwissenschaft mit dem Begriff Steuerwiderstand zu umschreiben pflegt; seine Wurzel liegt in der Reaktion des Individuums gegen den Zwang begriindet, den jede Besteuerung mit sich bringt, und insbesondere in dem Ressentiment gegen das Opfer, das sie dem Besteuerten auferlegt. Das Steuerzahlen erscheint dem Psychologen, der sich mit dieser Erscheinung beschaftigt 95, als „ein psychologisch weitgehend unmotiviertes Zahlen", als das „motivations94 Reg.-Dir. Dr. Terstegen: Besonderheiten der Steuerstraftaten und des Steuerstrafredits, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Zusammenarbeit zwisdien Finanzverwaltung und Kriminalpolizei, in: Bekampfung der Wirtsdiaftsdelikte (einschliefilich der Korruption), Arbeitstagung im Bundeskriminalamt, Wiesbaden 1957, S. 222. 95 Graumann, C.-F. und Frohlich, W.: Ansatze zu einer psychologischen Analyse des sogenannten Steuerwiderstandes, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 17 (1956/57), S. 418 ff.
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psychologisch einseitige und seitene Bild, dafi im Feld des steuerlichen Verhaltens aufier der hemmenden bzw. negativen Kraft des Widerstandes und den negativen treibenden Kraften, die von der Strafandrohung ausgehen, kein motivisch wirksamer positiver Faktor ausweisbar ist". In der T a t haben psychologische Untersuchungen den Nachweis erbracht, dafi die Steuerpflicht mit der eigentlichen „moralischen" Instanz der Personlichkeit, die im Gewissen verkorpert ist, wenig oder gar nichts zu tun h a t ; der Appell des Staates, es mit der Steuerpflicht ernst zu nehmen, richtet sich fast ausschliefilich an das einsichtige Denken, an den in der Vernunft verankerten mehr oderweniger „guten Willen". Demgegeniiber ist der psychische Widerwille gegen das Steuerzahlen in alien seinen Formen in der vitalen Sphare des Menschen beheimatet, in seinen naturlichen Trieben und Strebungen, die der Erfullung seiner Steuerpflicht diametral und mit unvergleichlich viel grofierer Kraft entgegenwirken 9 6 ; gerade die Eigenart der Steuern als Zwangsabgaben ohne Anspruch auf Gegenleistung macht sie zu einem A n griff auf eine der machtigsten Strebungen im Menschen uberhaupt, sein Geltungs- oder Machtstreben, das dem Besitz- und Erwerbsstreben vorgeordnet ist. Sofern daher nicht primitive Angst vor Entdeckung oder z. B. eine religios verwurzelte Einstellung zugunsten eines allgemeinen Wohlverhaltens dem guten Willen zu Hilfe kommt, treten der Erfullung seiner steuerlichen Verpflichtungen schon in der eigenen Brust der Steuerpflichtigen die starksten Widerstande entgegen, gleichgultig, wie Ausgestaltung und H o h e der Steuern im einzelnen beschaffen sein mogen 97 . In seinen aufieren Erscheinungsformen manifestiert sich der Steuerwiderstand in der Gesamtheit der Gegenreaktionen, welche die Besteuerung bei den von ihr Betroffenen auslost; es handelt sich dabei um eine Vielzahl von Verhaltensweisen. Der Steuerpflichtige kann zunachst versuchen, den die Steuerpflicht auslosenden Tatbestand uberhaupt zu vermeiden, der Besteuerung also auf gesetzlich erlaubtem Wege auszuweichen, so dafi der Besteuerungstatbestand gar nicht erst verwirklicht wird. Bei diesem legalen oder „passiven c< Steuerwiderstand spricht die Finanzwissenschaft von „Signalwirkungen" der Besteuerung 9 8 ; die Steuer wirkt bei dem Piflichtigen als Signal, das es ihm angezeigt erscheinen lafit, sich so zu verhalten, dafi entweder eine 96 Holtgrewe, K. G.: Der Steuerwiderstand, Das Verhalten des Steuerpflichtigen im Lichte der modernen Psydiologie, Finanzwissensdiaftlidie Forsdiungsarbeiten, NF. H. 5, Berlin 1954. 97 „Der alteste Steuerjammer, der in Deutschland bekannt ist, ist der, den die Sachsen anstellten, als Carl der Grofie ihnen den Zehnten als eine allgemeine Grundsteuer auferlegte, und sie hatten damals hierzu wirklich audi einige Ursache, da sie bis dahin gar keine Steuern bezahlt hatten, und der Kaiser sie hiedurdi auf einmal in zehnthorige Leute verwandelte, die das Eigenthum an einem gro£en Theile ihres Erbes verloren." (Stidiwort „Steuerjammer" in der Allgemeinen deutsdien Realencyklopadie fiir die gebildeten Stande, Leipzig: Brockhaus 1820, S. 523.) 98 Vgl. § 3 7 ; Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 117ff.; ders.: Finanz- und Steuerpsychologie, a.a.O., S. 95 ff.
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Steuerpflicht iiberhaupt nicht entsteht oder aber diese von vornherein moglichst reduziert wird. Das einfachste Beispiel fiir eine derartige Ausweichreaktion ist einerseits der Hortungskauf von Genufimitteln, wenn eine Verbrauchsteuererhohung bevorsteht, andererseits der Verzicht auf den Verbrauch hochbesteuerter Waren; immer handelt es sich urn eine Anderung des Verhaltens, ob nun — um der Tiir- und Fenstersteuer zu entgehen — im Frankreich des 18. Jahrhunderts die Hauser mit weniger Turen und Fenstern nach der Strafie zu ausgestattet wurden, oder ob sich heute der Burger der Bundesrepublik zu einem langfristigen Sparvertrag entschliefit, um die dafur vorgesehene Steuervergiinstigung in Anspruch zu nehmen. Eine Zeitungsteuer, die nach der Seitenzahl bemessen war, fiihrte im 19. Jahrhundert in Frankreich zum Erscheinen von Zeitungen, die aus einer einzigen iiberdimensional grofien Seite bestanden; heute werden in Deutschland Unternehmungen von Personen- in Kapitalgesellschaften umgewandelt und wieder zuriick, je nachdem ob die Besteuerung nach dem Einkommen- oder nach dem Korperschaftsteuergesetz die grofieren Vorteile bietet. Der ungesetzliche oder „aktive" Steuerwiderstand, wie er Hand in Hand mit der immer weiter verscharften Besteuerung in jedem Jahrhundert in der einen oder anderen Form aufgetreten ist, hat von jeher die besondere Beachtung der Finanzgeschichte gefunden; zum Verfall der griechischen Stadtstaaten, zum spateren Niedergang des Romischen Reiches und zum Versagen der Kaisermacht im deutschen Mittelalter haben die durch verstarkte Anspannung und als ungerecht empfundene Ausgestaltung der Steuern ausgelosten Widerstandshandlungen nicht wenig beigetragen " . Der Abfall der Niederlande von der spanischen Herrschaft, die „Boston Tea Party" mit der ihr folgenden Unabhangigkeitserklarung der Vereinigten Staaten und die Franzosische Revolution sind hier zu erwahnen; in unseren Tagen hat die Steuerstreikbewegung der „Poujadisten", die in Frankreich eine beachtliche Anzahl von Parlamentssitzen erringen konnte, sich sowohl als Symptom wie audi als ein weiterer Faktor innerpolitischer Schwachung der Staatsstruktur erwiesen. Beispiele fiir partielle Steuerverweigerung und offene Auflehnung bieten in Deutschland der Winzersturm auf das Finanzamt in Bernkastel, der 1926 zur Aufhebung der Reichsweinsteuer fiihrte, und die pommersche Bauernbewegung von 1931 im Zeichen der schwarzen Fahne. Fiir die Finanzpolitik stellt sich der ungesetzliche Steuerwiderstand, den es bei der Einziehung von Steuern aller Art zu vermeiden, zu besanftigen oder letztlich zu brechen gilt, im wesentlichen in der Form der Steuerhinterziehung dar; als Schmuggel bezeichnet man den mit einer Zollhinterziehung verbundenen „Bannbruch". Wahrend Schmuggel und Zollhinterziehung in der Mentalitat der Bevolkerung, insbesondere im Grenzland, bis heute von 99 Mann, F. K.: Die Finanzkomponente der Revolution, in: Finanztheorie und Finanzsoziologie, Gottingen 1959, S. 143 ff.
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einem romantischen Schimmer umwoben sind, dem die Strafbarkeit der genannten Tatbestande wenig Abbruch tut, wird die Steuerhinterziehung im engeren Sinne als Vergehen, wenn auch vielfach als blofies Kavaliersvergehen betrachtet; das deutsche Steuerstrafrecht unterscheidet dabei zwischen Steuerhinterziehung, Steuerhehlerei und Steuergefahrdung. Einer Steuerhinterziehung macht sich schuldig, wer sich oder anderen „ nicht gerechtfertigte Steuervorteile erschleicht oder vorsatzlich bewirkt, dafi Steuereinnahmen verkiirzt werden"; liegt nicht Vorsatz, sondern nur Fahrlassigkeit vor, so spricht das Gesetz von leichtfertiger Steuerverkiirzung. Fur diese ist Geldstrafe bis zu 100 000 DM vorgesehen; fur Steuerhinterziehung sind Geldstrafen bis zu 5 Mill. DM, daneben in schweren Fallen Gefangnisstrafen angedroht. Versuch, Beihilfe und Begiinstigung werden wie die Hinterziehung selbst bestraft; das gilt auch dann, wenn jemand seines Vorteils wegen Gegenstande, von denen er weifi, dafi fiir sie Steuern hinterzogen sind, kauft oder sonst an sich bringt, verheimlicht, absetzt usw. (Steuerhehlerei). Wegen Steuergefahrung wird mit Geldstrafe bis zu 100 000 DM oder mit Gefangnis bis zu zwei Jahren bestraft, wer in der Absicht, eine Verkiirzung von Steuereinnahmen zu ermoglichen, unrichtige Belege ausstellt oder buchungspflichtige Belege unrichtig oder gar nicht verbucht. "Ober den Umfang der Steuerhinterziehung in der Bundesrepublik Deutschland sind wir naturgema'S auf Schatzungen angewiesen. Ein so erfahrener Fachmann und Praktiker wie der Regierungsdirektor Dr. Terstegen beantwortete diese Frage 1957 auf einer Tagung des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden wie folgt: ,,Wenn man jede schuldhaft unrichtige Steuererklarung zahlen wiirde, ware die Sache allerdings einfacher; man brauchte nur wenig unter der Zahl der abgegebenen Erklarungen zu bleiben. Fast jeder Pflichtige, der die Besteuerungsgrundlage selbst ermittelt, wird z. B. zwischen privatem und betrieblichem Aufwand mehr zu Gunsten des privaten abgrenzen als es nach dem Gesetz erlaubt i s t . . . Der in der Bundesrepublik zu beobachtende Aufwand wird zu einem nicht geringen Teil mit hinterzogenen Steuern bestritten . . . Laufenburger nimmt fiir Frankreich an, dafi 40°/o der Steuern nicht bezahlt wiirden. In Deutschland wird es erheblich weniger sein, aber auch nur 10°/o der Einkommen- und Korperschaftsteuer wiirden schon (knapp 5 Mrd. DM) jahrlich ausmachen. Alle diese Erwagungen erlauben die Ansicht, dafi auch schwerwiegende Steuerverkiirzungen nicht selten sind." 10° Auf der Grenze zwischen Recht und Unrecht, aber doch wohl unstreitig mehr den ungesetzlichen Aufierungsformen des Steuerwiderstandes zugeordnet, liegt schliefilich die erhebliche Zahl derjenigen Falle, bei denen der Steuerpflichtige von dem mehr oder weniger weitgefafiten „Gestaltungsprivileg" Gebrauch machen kann, das unser Steuerrecht dem bilanzierenden ioo Reg.-Dir. Dr. Terstegen: Besonderheiten der Steuerstraftaten und des Steuerstrafrechts ..., a.a.O., S. 217 ff.
§ 34. Steuermoral und Steuerwiderstand
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Kaufmann im Vergleich mit dem Lohnsteuerpflichtigen gewahrt; der Steuerwiderstand ist heute in vielen Fallen keineswegs auf so grobwirkende Mittel wie Steuertauschung und Betrug angewiesen, um das Ziel der Umgehung oder Minderung der Steuerlast zu erreichen. Je mehr das Finanzamt auf die eigene Mitwirkung des Steuerpflichtigen fur die sachgemafie Ermittlung seiner Steuerpflicht angewiesen ist, um so mehr Bedeutung gewinnen Grad und Richtung seines Steuerwiderstandes fur das Besteuerungsergebnis; dies gilt fiir alle Abgaben, die auch nur im geringsten auf eigenen Angaben, auf der Buchfuhrung oder einer sonstigen organisatorischen Mitwirkung des Steuerpflichtigen beruhen, im wesentlichen also fiir die veranlagte Einkommensteuer und die Korperschaftsteuer, die Umsatz- und Gewerbesteuer und, last not least, fiir die Zolle. So sehr es darauf ankommt, die Steuertechnik so auszugestalten, dafi Zahl und Bedeutung der Falle, in denen ein erfolgreicher Steuerwiderstand der einen oder anderen Form das Besteuerungsziel mehr oder weniger vereitelt, auf ein Mindestmafi herabgedruckt wird, so wenig kann darauf verzichtet werden, die Steuermoral der Burger im allgemeinen zu verbessern und zu starken. Diesem Bestreben stellen sich allerdings zahlreiche zum Teil in der Rechtsordnung und der rechtlichen Ausgestaltung der Besteuerung gelegene Schwierigkeiten entgegen. Dazu gehorte die von der Finanzverwaltung selbst sowie auch von den steuerberatenden Berufen vielfach beklagte, bis vor kurzem nach zulassige Zweigleisigkeit des Steuerstrafverfahrens; die strafrechtliche Verfolgung von Steuervergehen konnte sowohl im Verwaltungsstrafverfahren vor der Strafsachenstelle des Finanzamtes als auch im Strafverfahren vor den ordentlichen Gerichten betrieben werden, wobei die Ubergabe der strafrechtlichen Verfolgung an die ordentlichen Gerichte weitgehend im Ermessen des Finanzamtes stand. Die verbreitete Meinung, dafi der Steuersiinder im Verwaltungsstrafverfahren besser davonkam, ist in einer neueren empirischen Untersuchung zumindest fiir den Raum Koln einwandfrei bestatigt worden 101; durch die erfolgte Neuregelung des Steuerstrafverfahrens, derzufolge alle Steuerstrafsachen von einem ordentlichen Gericht behandelt werden miissen, wird diese Ungleichheit, die kaum mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen sein durfte, verschwinden. Zur Pflege einer „gesunden" Steuermoral bedarf es weiterhin positiver Mafinahmen zur besseren Anpassung der Besteuerung an die Empfindungen und Vorurteile des Steuerzahlers. Wie schwer es fiir den Staat sein kann, selbst solche Mafinahmen durchzusetzen, die dem Steuerpflichtigen einen Vorteil bringen, wenn sich einmal eine weitverbreitete Skepsis gegeniiber der Steuerpolitik eingeschlichen hat, zeigt ein Beispiel in Frankreich. Im Jahre 1953 kiindigte die Regierung eine sofortige 30°/oige Steuersenkung fiir natur101 Peres, W.: Die Steuerhinterziehung im Spiegel der Rechtsprechung, Die Entscheidungspraxis des Amts- und Landgerichts Koln 1950—1959, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, NF. H. 27, Berlin 1963.
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Die Einnahmenpolitik
liche Personen an unter der Bedingung, dafi einmal die Einkommensgrenze fur die dem Abzugsverfahren unterliegenden Steuern erhoht werden und dafi die Steuerzahlungstermine fur drei Jahre vorverlegt werden sollten, damit es nach der Steuersenkung nicht zu allzu hohen Steuerausfalien komme; von der Erhohung der Einkommensgrenze beim Abzugsverfahren und der Hebung der Steuermoral infolge der Steuersenkung erhoffte sich die Regierung im Endeffekt ein hoheres Steueraufkommen. Die Reaktion der offentlichen Meinung war jedoch trotz der in Aussicht gestellten Steuersenkung vollig negativ; sei es, dafi die Bevolkerung hinter der ganzen Aktion einen undurchsichtigen Trick der Regierung vermutete, sei es, dafi sie glaubte, nach drei Jahren werde die Steuersenkung ohnehin wieder rlickgangig gemacht werden, jedenfalls machte die weitverbreitete „allergie fiscale" dieses Projekt der Regierung zunichte. Versuche zur Hebung einer gesunkenen Steuermoral sind auch in anderen Landern haufig unternommen worden. In der Regel handelt es sich dabei um eine Verscharfung der Steuerkontrollen und -strafen, gelegentlich in Verbindung mit einer Amnestie fur zunickliegende Straftaten. Auch die „tatige Reue" durch die Selbstanzeige nach § 410 AO gehort hierher; wer, ohne der unmittelbaren Gefahr der Entdeckung ausgesetzt zu sein, begangene Verfehlungen einraumt und die Steuerschuld bezahlt, geht straflos aus. Die Bedenken, die gegen die allzu haufige oder allzu grofiziigige Anwendung dieser Heilmittel sprechen, liegen auf der Hand; der Steuerehrlichen bemachtigt sich jedesmal mehr das Gefiihl, abermals unter den Dummen gewesen zu sein, wahrend ihre schlaueren Konkurrenten mit dem „Kredit wider Willen" des Finanzamtes ihr Geschaft auf- und ausbauen konnten. Wenige klar und verstandlich abgefafite und wirksam durchgefiihrte Steuergesetze, Stabilitat der Steuer- und Wirtschaftsordnung, eine feste Hand des Steuern erhebenden und Verfehlungen bestrafenden Staates sind auf die Dauer die einzige wirksame Medizin gegen die Schwindsucht der Steuermoral; Ausnahmegesetze, drakonische Strafandrohungen oder wiirdeloses Liebeswerben um Steuerehrlichkeit mit Pramien, die doch stets hinter dem materiellen Vorteil aus der Steuerverkiirzung zuriickbleiben, pflegen die Seuche nur weiter zu verbreiten.
§ 35. Die Gerechtigkeit in der Besteuerung Die Steuermoral und der Steuerwiderstand, mit dem die Steuertechnik zu rechnen hat, hangen beide aufs engste mit dem Gerechtigkeitspostulat in der Besteuerung zusammen; jahrhundertelang hat sich die Finanzwissenschaft mit dem Problem beschaftigt, in der Gerechtigkeitsnorm ein objektives Kriterium, sei es fur die Rechtfertigung der Besteuerung (Thomas von
§ 35. Die Gerechtigkeit in der Besteuerung
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Aquino), sei es fur ihre Ausgestaltung im einzelnen (A. Wagner), zu finden 102. Dieses ethisch begriindete Gerechtigkeitspostulat schwebte auch den Vertretern der „romantischen" und spater der ,,historisch-ethischen" Richtung der Volkswirtschaftslehre vor, wenn sie von der hohen Warte ihrer Geschichts- und Sachkenntnis aus unbekummert zu politischen Tagesfragen Stellung nahmen und dabei ihren personlichen, oft genug emotional gefarbten oder einfach unreflektierten Standpunkt zur Geltung brachten; da sie sicli als Wissenschaftler fiihlten, zweifelten sie nicht daran, mit ihrer Stellungnahme einen wissenschaftlichen Beitrag zu dem oft genug in den Niederungen materieller Interessen oder blanker Unkenntnis der Probleme gefuhrten Streit zu leisten. Seit der Werturteilsdiskussion ist diese Unbefangenheit aus der Nationalokonomie verschwunden; „zwischen Wissenschaft und Wirken" wurde „eine Mauer der Selbstbeschrankung" aufgerichtet103. Die Finanzwissenschaft hat es aber in diesem Punkt nicht so leicht wie die Volkswirtschaftslehre, sich von der Berucksichtigung normativer Gesichtspunkte im Bereich ihrer wissenschaftlichen Forschung zu dispensieren; hat sie es doch nicht, wie jene, nur mit der „Tauschgerechtigkeit", der „justitia commutativa", sondern in erster Linie mit der obrigkeitlichen „justitia distributiva" zu tun, die sich nicht in die Automatik und Anonymitat des Marktes verweisen lafit 104 . Bei aller Vorsicht gegeniiber der Gefahr einer Vermischung ethischen und theoretischen Denkens mufite und mufi die Finanzwissenschaft auch nach der Verbannung des Werturteils aus der Volkswirtschaftslehre das Gerechtigkeitspostulat in der Besteuerung diskutieren; besagt doch „die Tatsache, dafi sich in dem Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses auch normative Strukturen finden, . . . keineswegs, dafi das wissenschaftliche Denken, das diese Strukturen zu seinem Gegenstande hat, selbst normativen oder wertsetzenden Charakter besitzen musse" 105. Versucht man, die Flille der an Raum und Zeit gebundenen Gerechtigkeitsvorstellungen, mit denen es die Finanzpolitik und damit auch die Finanzwissenschaft zu tun hat, zu ordnen, so ist es zunachst schwierig, den oft nur vorgeschobenen Appell an eine den eigenen Interessen dienliche „Gerechtigkeit" von dem echten steuerpolitischen Anliegen nach „mehr Gerechtigkeit" zu trennen 106. „Im Namen der Gerechtigkeit" pladieren die Bauernverbande 102 Schmolders, G.: Das Gerechtigkeitspostulat in der Besteuerung, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 23 (1964), S. 53 ff. (Festgabe f. F. K. Mann). 103 Mann, F. K.: Die Gereditigkeit in der Besteuerung, Beitrage zur Finanzwissenschaft (Festgabe fur Georg von Schanz), Bd. II, Tubingen 1928, S. 116. 104 So z. B. neuerdings wieder Hayek, F. A. v.: Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, Freiburger Universitatsreden, Freiburg 1963, S. 11. 105 Gutenberg, E.: Zur Frage des Normativen in den Sozialwissenschaften, in: Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung, Festschrift fur G. Weisser, Berlin 1963, S. 123. 106 Keller, Th.: Mehr Steuergerechtigkeit, in: Zukunftsaufgaben in Wirtschaft, Gesellschaft, Zurich u. St. Gallen 1963, S. 213 ff.
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fur steuerliche Schonung und staatliche Subventionierung der Landwirtschaft, der die angemessene „Paritat" mit den gewerblich Beschaftigten anderenfalls versagt bleibe; im Namen der gleichen Gerechtigkeit fordert der Mittelstand, fordern die Zonenrand- und Grenzgebiete, die Verbande der Kriegsopfer und Wahrungsgeschadigten und unzahlige andere Gruppen steuerliche Erleichterungen und einen bestimmten Verlauf der Tarifkurven und Steuersatze. Manche dieser Forderungen werden von dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden bejaht und getragen, andere werden als gruppenegoistische Interessentenwiinsche zuriickgewiesen; auch einen derartigen Mifibrauch des Gerechtigkeitsbegriffs im Dienst von Gruppeninteressen mufi die Finanzwissenschaft jedoch als Bestandteil der Realitat in ihre Untersuchungen miteinbeziehen 107. Noch mehr gilt dies fur jene Gerechtigkeit, die um ihrer selbst willen gewissermafien als ideales Anliegen erstrebt und gefordert wird. Den Egoismus, der sich als verletzte Gerechtigkeit aufspielt, kann man entlarven; handelt es sich aber um eine tief in der innersten Dberzeugung verwurzelte Gerechtigkeitsvorstellung, die idealistisch und avantgardistisch, unter Umstanden vielleicht sogar zum eigenen Nachteil geltend gemacht wird, so hat man es mit einem machtigen Faktor der offentlichen Meinung, vor allem aber der parlamentarischen Willensbildung zu tun, den eine Finanzwissenschaft, die auch die politisch-psychologischen Aspekte der Finanzpolitik beriicksichtigen will, nicht vernachlassigen darf 108. Befafit man sich mit diesen in Uberzeugungen wurzelnden, nicht nur heuchlerisch vorgeschobenen Gerechtigkeitsvorstellungen genauer, so zeigt sich bald, dafi sie auf zwei unterschiedlicben Ebenen und hier in ganz unterschiedlichen Formen beheimatet sind. Auf der einen, der jjhoheren" Ebene, handelt es sich um die Gerechtigkeit der Ratio, des Gewissens und des Wissens um die okonomischen Zusammenhange, d. h. um die Gerechtigkeitsvorstellungen sachverstandiger und verantwortungsbewufiter Kreise der gut informierten offentlichen Meinung. Dafi z. B. die kumulative Brutto-AllphasenUmsatzsteuer nicht wettbewerbsneutral, sondern konzentrationsfordernd, die einstuflgen Unternehmungen diskriminierend und nebenbei in betrachtlichem Grade ausfuhrhemmend wirkte, war zwar jahrelang nicht einmal den unmittelbar davon betroffenen Gruppen der mittelstandischen Wirtschaft klarzumachen; im Sinne einer hoheren rationalen „Gerechtigkeit" hat sich aber heute die Erkenntnis von der Notwendigkeit eines Systemwechsels zur Mehrwertsteuer durchgesetzt. Die besser informierten, sich ihrer Verantwortung fur das Ganze bewufiten und an der Ratio der Sachzusammenhange orientierten „Meinungsfuhrercc haben hier einmal das Obergewicht iiber die
107 108
Vgl. §§ 16 u. 17. Vgl. §§ 14—17.
§ 35. Die Gerechtigkeit in der Besteuerung
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vordergriindig argumentierenden, lediglich die O p t i k respektierenden Krafte der politischen Meinungsbildung gewonnen; dafi es sich dabei um eine verhaltnismafiig seltene Ausnahme von der Regel handelt, darf nicht zur Resignation verleiten. Audi die progressive Einkommensteuer hat Jahrzehnte gebraucht, um sich in der offentlichen Meinung durchzusetzen; heute ware wahrscheinlich umgekehrt die Riickkehr zu einem proportionalen Einkommensteuertarif politisch unmoglich. Auf dieser gehobenen Ebene bildet sich die eine A r t der — von F. K. M a n n 1 0 9 so genannten — „zeitlichen Gerechtigkeitskonventionen"; sie sind nicht pralogisch und primitiv emotional, wie die Gerechtigkeits,,empfindungen" der unstrukturierten Masse, sondern bis zu einem gewissen G r a d e der Logik verhaftet und insoweit „wohlerwogen c c , mag auch die Kenntnis und das Verstandnis fur die Zusammenhange durchaus liickenhaft und die Wertnorm, die diesen Gerechtigkeitsbegriffen zugrunde liegt, von Stereotypen und sprachlichen K r y p t o t y p e n beeinflufit sein 1 1 0 ' m . Sie sind auch keineswegs lediglich ein Niederschlag der finanzwissenschaftlichen Lehrmeinung der betreffenden Epoche, sondern zugleich stets Ausdruck des Zeitgeistes und Ergebnis der Diskussion im politischen R a u m ; das jeweils herrschende Ideal spiegelt infolgedessen weniger einen individuellen DenkprozefS als einen Kompromifi wider, in dem die Erkenntnisse der Wissenschaft mit dem Zeitgeist und den Meinungen der Politiker zusammenfliefien. Ihre Konkretisierung fanden diese Ideale in den sich vom Absolutismus liber die liberale Wirtschaftstheorie bis zu Sozialismus und Sozialreform wandelnden und abwechselnden „Grundsatzen der Besteuerung" 112 ; dienten sie anfanglich noch mehr der Rechtfertigung der Steuererhebung schlechthin, so forderten sie im Wandel der Staatsauffassungen unter dem gleichbleibenden Titel der „Gerechtigkeit" die Abschaffung der Steuerprivilegien, die „Xquivalenz" der steuerlichen Belastung mit dem dafiir erstrebten Schutz des Staates fur Leben und Eigentum, die Freilassung der Armen und die Bemessung der Steuern nach der wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit des Steuerpflichtigen. F. N e u m a r k gliedert daher das Gerechtigkeitspostulat angesichts
109
Mann, F. K.: Die Gerechtigkeit in der Besteuerung, a.a.O. Ein „Kryptotyp" ist nach Benjamin Lee Whorf „eine unter der Oberflache der Worte liegende, subtile, schwer fafiliche Bedeutung, die keinem wirklichen Wort korrespondiert und die doch durch die linguistische Analyse als funktionell wichtiges Element in der Grammatik aufgezeigt werden kann". (Sprache, Denken, Wirklichkeit, Hamburg 1963, S. 116.) 111 Mann, F. K.: Steuerpolitische Ideale, a.a.O. 112 Weston, H. F.: Principles of justice in taxation, New York 1903; Jones, R.: The nature and first principle of taxation, London 1914; Mann, F. K.: Grundsatze der Besteuerung, in: Schmollers Jahrbuch, Bd. 50, 1926; Neumark, F.: Grundsatze der Besteuerung in Vergangenheit und Gegenwart, Wiesbaden 1965. 110
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seines vielf altigen Inhalts in Forderungen nach Allgemeinheit 1133 Gleichmafiigkeit 1 1 4 und Verhaltnismafiigkeit 1 1 5 auf. Die heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen haben diese Grundsatze auf die erhohte Belastung des fundierten Einkommens (Vermogensteuer) 116 , auf die Bevorzugung der Besitz- und Einkommensbesteuerung gegeniiber den sog. indirekten Steuern und auf die Progression des Steuertarifs 117 erweitert. Die „Gerechtigkeit" oder „soziale Gerechtigkeit" des Steuersystems umfafit heute dariiber hinaus den Einsatz der Besteuerung zum Zweck der Einkommensund Vermogensumverteilung, zur Erreichung und Aufrechterhaltung der
113 „Negativ ist der Allgemeinheitsgrundsatz identisdi mit dem Verbot einer nach anderen als Leistungsfahigkeitsgesichtspunkten vorgenommenen Steuerdiskriminierung, wahrend er positiv besagt, daft alle Personen, soweit sie iiber steuerliche Leistungsfahigkeit verfugen und einer der gesetzlich fixierten Steuerverpflichtungsgrunde auf sie zutrifft, ohne Rucksicht auf aufierokonomische Merkmale wie (rechtliche) Staatsangehorigkeit, Stand, Klasse, Religion usw. zur Steuer heranzuziehen sind" (Neumark, F.: Grundsatze . . . , a.a.O., S. 44). 114 Gleichmafiigkeit bedeutet, „da£ Personen, die sidi in gleidien oder gleichartigen steuerlich relevanten Verhaltnissen befinden, in bezug auf jede einzelne Steuer einer bestimmten Gebietskorperschaft gleich zu behandeln sind" (Neumark, F.: ebenda, S. 45). 115 „Das . . . Verhaltnismaftigkeitsprinzip ist inhaltlich identisdi mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfahigkeit" (Neumark, F.: ebenda, S. 47). Mit anderen Worten, „die von den einzelnen zu entrichtenden Steuern sollen so bemessen sein, daft bei jedem die Bedurfnisbefriedigung im gleichen Grade eingeschrankt wird" (Haller, H.: Die Steuern, a.a.O., S. 39). Die maftgebende BestimmungsgroEe fiir den Umfang der Bedurfnisbefriedigungsmoglichkeit ist der Nutzen aus dem individuellen Einkommen, das aber hier nicht nur das Geldeinkommen, sondern auch Freizeit- und Vermogenswerte etc. umfafk. (Vgl. Haller, H.: Die Steuern, a.a.O., S. 42 fT.) Diese Forderung nach gleichem Opfer aller Zensiten kann wiederum auf drei Arten interpretiert werden: (1) Gleiches absolutes Opfer N (E)-N (E-St) / ^ - i -i. • i ^ r N(E)-N(E-St) (2) Gleiches proportionales Opter -— N(E) dN (E-St) (3) Gleiches Grenzopfer d(E-St) wobei E = Einkommen; St — Steuerbetrag, N (E) = aus dem Einkommen E erzielte Gesamtnutzen (bzw. Bedurfnisbefriedigung). (S. hierzu Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 78 f.) Seit geraumer Zeit beruft man sich im allgemeinen auf das zweite Konzept. Die hierbei verbreitete Ansicht, lediglich aus der Tatsache eines abnehmenden Grenznutzens des Einkommens auf die Notwendigkeit einer Progression des Steuertarifs zu schlieften, um damit zu einem gleichen relativen Opfer der Zensiten zu gelangen, ist aber verfehlt; A.J. Cohen-Stuart (Bijdrage tot de Theorie de progressive Inkamstenbelasting, DenHaag) hat bereits im Jahre 1889 nachgewiesen, dafi bei gewissen sinkenden Grenznutzenverlaufen nur ein Proportional- bzw. sogar Regressionstarif ein gleiches relatives Opfer garantiert. (Vgl. Haller, H.: Die Steuern, a.a.O., S. 78 ff.; ders.: Bemerkungen zur progressiven Besteuerung und zur steuerlichen Leistungsfahigkeit, in: Finanzarchiv NF. Bd. 20 [1959/60] S. 35 ff.). 116 S. hierzu Tiepelmann, K.: Die Problematik der Vermogensteuer, Berlin 1963. 117 Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 25 ff.
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Vollbeschaftigung sowie zur quantitativen und qualitativen Verbrauchslenkung 118; zeitweise stand eine „gerechte" Verteilung des Eigentums am Grund und Boden (Bodenreform), die Erziehung hartgesottener Junggesellen zur „Erfullung ihrer volksbiologischen Pflichten" (unter dem Motto: Recht ist, was dem deutschen Volke niitzt) und die konjunkturpolitische Regulierung der kaufkraftigen Nachfrage in den Handen der Verbraucher („ Functional Finance") im Rahmen des Steuer„rechts" und der steuerpolitischen „ Gerechtigkeit" zur Diskussion. Uber die heute geltenden Gerechtigkeitskonventionen dieser gehobenen Ebene sind bisher noch keine Spezialerhebungen durchgefuhrt worden; auf den Grad der Rationalitat, der bei den Abgeordneten als einer bedeutsamen Gruppe auf dieser Ebene herrscht, lassen sich jedoch Riickschlusse aus den allgemeinen Anschauungen und Einstellungen ziehen, die bei ihnen iiber den Staatshaushalt und die Grundsatze der ofTentlichen Finanzwirtschaft zu finden sind. Versucht man, die Antwort der Abgeordneten auf diese Frage auf einen kurzen Nenner zu bringen, so ergibt sich, dafi es sich bei der Einstellung der meisten Politiker zur Steuergerechtigkeit im wesentlichen um weitgehend unreflektierte, stereotype Formeln handelte, die unkritisch ein fur allemal akzeptiert und nachgesprochen werden 119. Unterhalb dieser gehobenen Ebene der Gerechtigkeitsvorstellungen und Steuerideale, wie sie sich bei den aktiven Politikern und in der informierten Offentlichkeit bilden, besteht in den Gefuhlen und Empfindungen der Wahler und Verbraucher, der Steuerzahler und der Funktionare ihrer Berufsgruppen iiber die steuerliche Gerechtigkeit eine zweite bedeutende Einflufigrofie fiir die Steuerpolitik. Das Wort von Thomas von Aquino, nach dem „ . . . die verteilende Gerechtigkeit auch zu den Untertanen, unter denen die Verteilung geschieht, eine Beziehung (hat), insoweit sie namlich mit einer gerechten Verteilung zufrieden sind" 120, gewinnt in der parlamentarischen Demokratie um so mehr an Gewicht, als hier der „Untertan" seiner Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit in verstarktem Mafie Ausdruck verleihen kann m . Vielleicht wird der Wirkungsgrad dieser Gerechtigkeitsvorstellungen am besten deutlich, wenn man sich einmal vorstellt, in Deutschland solle aus fiskalischen Zweckmafiigkeitserwagungen die Einkommensteuer durch eine Kopfsteuer ersetzt werden, oder man entschlosse sich dazu, die Erbschaftsteuer als Bagatellsteuer abzuscharTen; gewisse Steuern und steuerliche Tatbestande sind in der offentlichen Meinung und dem Empfinden des einzel118 119
Vgl. §§ 27—29, 38,# 47. Schmolders, G.: Die Politiker und die Wahrung, a.a.O., S. 42 f.; vgl. auch
120 Thomas von Aquino, in: Ausgewahlte Sdiriften zur Staats- und Wirtschaftslehre121des Thomas von Aquin (Die Herdflamme, Bd. 3), Jena 1932, S. 212. Hier sei an den Ausspruch von Abraham Lincoln erinnert: „Public consent is everything: without public consent nothing can succeed, with public consent nothing can fail.*
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nen so stark mit Gerechtigkeitsvorstellungen verkniipft, dafi es schon aus diesem Grunde kaum moglich sein diirfte, sie abzuschaffen, auch wenn begriindete Oberlegungen dahinterstiinden, wie etwa die, durch diese Anderung das Steuersystem im ganzen gerechter ausgestalten zu konnen. Die genannten Beispiele machen es verhaltnismafiig leicht, die Einstellung der Wahler, Verbraucher und Steuerzahler zu diesen Problemen auf Gerechtigkeitsvorstellungen zuruckzufuhren; unabhangig davon, wieweit der einzelne von diesen Steuern betroffen wird, diirften sich die meisten Befragten jederzeit zu der Meinung bekennen, dafi diese Steuern aufrechtzuerhalten seien. In anderen Fallen ist diese Diagnose weit schwieriger zu stellen. Wenn eine Steuererhohung starke Steuerwiderstande hervorruft, was besonders bei den einkommen- und gewinnabhangigen Steuern der Fall ist 122 , so kann man diese Reaktion nicht ohne weiteres auf ein verletztes Gerechtigkeitsempflnden zuruckfuhren. Hier stent der Eigennutz, das Bemuhen, die eigene Steuerlast so gering wie moglich zu halten, sicherlich an erster Stelle; der befragte Steuerzahler wird ganz unterschiedliche Antworten geben, je nachdem, ob er als Staatsburger oder als Steuerzahler angesprochen wird. Nur allzu leicht fuhlt sich der Staatsburger ungerecht behandelt; nicht weniger als 67 v. H. der 1958 befragten Burger der Bundesrepublik stimmten der vorsichtig formulierten Ansicht zu, die heutige Steuerlast sei „ungerecht verteilt". Dafi das, was der Staat mit den Steuergeldern leistet, auch den Steuerzahlern letzten Endes wieder voll zugute komme, vermochte umgekehrt nur ein Viertel der Befragten einzusehen 123. Dieses unklare Empfinden von einer ungerechten Verteilung der Steuern ist einerseits natiirlich bei den Selbstandigen, die ihre Einkommensteuer als eine Last empfinden 124, andererseits jedoch gerade bei solchen Berufsgruppen am starksten ausgepragt, die, ohne steuerlich besonders belastet zu sein, ausweislich anderer Befragungsergebnisse die geringste staatsburgerliche Bildung besitzen, insbesondere bei den Landwirten und den Arbeitern sowie in alien Berufsgruppen bei den unteren Einkommensschichten; es ist also, aufier bei den Selbstandigen, keineswegs auf eigener Erfahrung begriindet, sondern iiberwiegend unreflektiert und emotionalen Ursprungs. Diese negative Einstellung zur Steuergerechtigkeit ist um so auffallender, als sie sich vor dem Hintergrund einer allgemeinen Zustimmung zu Staat und Regierung abzeichnet. Uber die Halfte der Befragten reagierten ausgesprochen positiv zum „ Staat" bzw. zu ihrer Vorstellung von dem abstrakten Begriff des Staates; erst jeder Fiinfte gab eine mehr oder weniger starke Abneigung zu erkennen, wahrend ein weiteres Fiinftel der eindeutigen Ent122 123
Vgl. § 37.
Schmolders, G.: Finanz- und Steuerpsychologie, a.a.O., S. 53 ff. Sdimolders, G.: Wie steuerehrlich sind die Deutschen?, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 1. 1964. 124
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scheidung auswich oder gar keine Angaben machte. Vergleicht man diese Einstellung zum Staat mit den erwahnten unreflektierten Vorstellungen uber Steuergerechtigkeit, so zeigt sich deutlich, dafi die beiden Assoziationsbereiche in engem Zusammenhang stehen; die Mehrzahl derjenigen, die die Steuern fiir ungerecht verteilt halten, empfinden schon das Wort Steuer in dem Sinne eines „Wegnehmens", wie er von einem allgemeinen Mifitrauen gegen den Staat und die offentliche Finanzwirtschaft begleitet ist, und vollends ihre Steuermoral korrespondiert ausgesprochen mit der positiven oder negativen Einstellung zum Staat, mit der allgemeinen Steuermentalitat und dem steuerlichen Belastungsgefiihl 1 2 5 . Auf dieser unteren Ebene der offentlichen Meinung k a n n nach alledem weniger von einer rationalen, auf eigener Erfahrung und selbstandigem Urteil beruhenden Gerechtigkeitsvorstellung die Rede sein als von einem Gemisch oft unklar empfundener, manchmal sogar zueinander in Gegensatz stehender Gerechtigkeitsempfindungen. Diese Unausgewogenheit, ja Widerspriichlichkeit der herrschenen „Gerechtigkeitskonventionen w tut ihrer Wirksamkeit in der politischen Praxis jedoch keinen Abbruch. Z w a r konnen sie, da sie zu ungenau formuliert sind, fiir die Ausgestaltung einer Steuer im einzelnen kaum herangezogen werden 126 ; aber sie konnen dem Politiker die Richtung angeben, in die er wirken mufi, wenn er langfristig mit den Vorstellungen seiner Wahler ubereinstimmen will. Die geringe Rationalitat der auf dieser Ebene herrschenden Gerechtigkeitsempfindungen mag andererseits einer der Griinde dafiir gewesen sein, dafi dieser Bereich der offentlichen Meinung in der Finanzwissenschaft bisher stark unterbewertet geblieben ist. In der Zeit, in der die ethische Richtung der Finanzwissenschaft sich mit der Gerechtigkeit in der Besteuerung auseinandersetzte, t r a t diese untere Ebene der Meinungsbildung noch gar nicht in das Blickfeld der Betrachtung; undisziplinierte Gefiihle und unreflektierte Empfindungen iiber Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit konnten dem Geist, der die ideale Steuer und das gerechte Steuersystem suchte, nichts bieten. Als diese A r a mit dem Werturteilsstreit zu Ende ging, wurde es um die Gerechtigkeit in der Besteuerung sehr still; auch in der heute vorherrschenden modelltheoretischen Betrachtungsweise, die sich weniger mit der Konzipierung besserer als mit den moglichen Wirkungen der vorhandenen Steuern beschaftigt, werden diese Einflusse und Wirkungskrafte durchaus vernachlassigt. Die Finanzwissenschaft, die es nicht mit einem abstrakten Modell, sondern mit der finanzpolitischen und finanzwirtschaftlichen Wirklichkeit zu tun hat, kann jedoch diese politisch-institutionellen Aspekte und die Einflufigroi?en der politischen Willensbildung und administrativen Praxis nicht 125 126
Vgl. § 34. Haller, H.: Finanzpolitik, a.a.O., S. 218.
Die Einnahmenpolitik
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aufierhalb ihrer Betrachtung lassen; sie kann aufier den Gerechtigkeitsvorstellungen der „hoheren" Ebene der Politik und der offentlichen Meinung auch an den dumpfen Empfindungen und Ressentiments der Burger und Steuerzahler nicht vorbeisehen. Diese Einstellungen (Attitiiden) und Verhaltensweisen konnen mit den modernen Methoden der sozialokonomischen Verhaltensforschung erhoben und „gemessen" 127, aufierdem aber auch auf ihre Vereinbarkeit mit den bestehenden einzelnen Steuern wie auch mit dem gesamten Steuersystem sowie auf ihre Bedeutung fur das Belastungsgefiihl und den Steuerwiderstand untersucht werden. Die Gerechtigkeitsvorstellungen beider Ebenen unterscheiden sich nicht nur qualitativ nach dem Grade der Ratio und der Neutralitat und Selbstlosigkeit des Urteils, sondern auch quantitativ nach der Masse der verarbeiteten Informationen und der Zahl der Steuern, auf die sich die Meinungen iiber Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit beziehen. Dieser Unterschied gipfelt in der auf den beiden Ebenen ganz unterschiedlichen Einstellung zu der grofien Gruppe der „unmerklichen Steuern"; dazu gehoren nicht nur die Verbrauchsteuern einschliefilich der Umsatzsteuer, sondern auch grofie Teile der institutionell fest und endgiiltig verankerten Abzugsteuern wie die Lohnsteuer und die Sozialabziige. Den Politikern aller Parteien ebenso wie der informierten Offentlichkeit ist das Steuersystem als ganzes in seinen Grundziigen bekannt; der jahrzehntelange Kampf der Linksparteien gegen die „indirekten" Steuern hat seine Spuren in den Gerechtigkeitsvorstellungen zugunsten der die Leistungsfahigkeit angeblich „direkt" erfassenden Vermogen- und Einkommensteuern hinterlassen. Die Oberzeugung, dafi alle „indirekten<£ Steuern ungerecht und von regressiver Belastungswirkung seien, besteht jedoch nur in Kreisen, die iiber das Steuersystem als ganzes informiert sind und die Alternativen kennen, die eine in ihrem Sinne „gerechterec< Besteuerung herbeifiihren konnte; auf der Ebene der breiten Verbraucherschichten findet sich dagegen eine weitgehende Unkenntnis iiber Vorhandensein, Art und Hohe der unmerklichen Steuern, deren Anteil an den Haushaltsausgaben um so starker unterschatzt wird, je hoher das Einkommen ist 128 . Das Belastungsgefiihl auf der unteren Ebene entspricht bei diesen Steuern in auffalliger Weise jener „Cambridger Regel", nach der der Fiskus die Armen glauben machen soil, sie zahlten mehr, die Reichen aber, sie zahlten weniger, als sie beide tatsachlich zahlen, um die ersten arbeitsam und die zweiten sparsam zu halten 129; auch Steuerermafiigungen werden bei diesen Steuern in der Regel kaum zur Kenntnis genommen, um so mehr dagegen Erhohungen der Steuersatze, die die Unmerklichkeit einer Steuer gegebenenfalls zeitweilig geradezu aufheben konnen. 127 128 129
Vgl § 3. Schmolders, G.: Unmerkliche Steuern, a.a.O., S. 30 f. Vgl. § 37.
§ 35. Die Gerechtigkeit in der Besteuerung
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Je mehr unmerkliche Steuern, an die sich die Bevolkerung seit langem gewohnt hat, das Steuersystem eines Landes umfafit, um so mehr ist seine Steuerpolitik infolgedessen von der Rucksichtnahme auf die Gerechtigkeitsempfindungen der Wahler und Steuerzahler dispensiert; die „Unmerklichkeit" einer seit langer Zeit etablierten, in ihren Satzen unveranderten und in ihrer Erhebungstechnik gut eingespielten Steuer ist in der Finanzwissenschaft als „Canardsche Regel" bekannt. „Alte" Steuern sind danach, vom fiskalischen Standpunkt der Vermeidung von Steuerwiderstanden aus betrachtet, in der Regel besser als „neue" Steuern, selbst wenn sie im Urteil der besser Informierten weniger „gerecht" sind 130. Hier ist in nuce das Doppelantlitz der steuerlichen Gerechtigkeit enthalten; das Bestreben, zu einer besseren, d. h. gerechteren Besteuerung im Sinne der Gerechtigkeitsvorstellungen der informierten offentlichen Meinung zu gelangen, verstarkt womoglich das Belastungsgefuhl der breiten Masse der Besteuerten, statt es zu erleichtern. Umgekehrt provoziert eine noch so ungerecht konzipierte Steuer den Steuerwiderstand wenig oder gar nicht, wenn sie seit langem eingespielt und institutionell fest verankert ist; die Versuchung, die auf der hoheren Ebene entwickelten Gerechtigkeitskonventionen auf sich beruhen zu lassen, solange kein aktiver politischer Druck auf ihre Beriicksichtigung drangt, ist fur die Politiker ubermachtig. Die wichtigste Aufgabe der Finanzwissenschaft bleibt jedoch die nahere Erforschung der „unteren" Ebene der Gerechtigkeitsgefiihle und -vorstellungen bei der Masse der Verbraucher, Steuerzahler und Wahler. Auch darin liegt eine Aufgabe fur die empirische Forschung; dabei ist die schwierige Frage zu losen, wie man diese Einstellungen moglichst rein herauskristallisieren kann, d. h. gelautert von den Ressentiments, die die Betroffenen gegen die Steuern wegen ihrer personlichen Belastung natiirlicherweise hegen. Dabei kommt es darauf an, neben den bekannten globalen Gerechtigkeitsvorstellungen die spezifische Einstellung der Steuerzahler zu einzelnen Steuern zu erforschen, und zwar getrennt nach dem individuellen Belastungsgefuhl und der objektiven Einstellung zur Besteuerung als solcher, um damit zu erfahren, wie der Steuerzahler iiber eine bestimmte Steuer denkt und ob er sie, unabhangig von seinem personlichen Belastungsgefuhl, fiir an sich richtig halt oder nicht. Das Belastungsgefuhl kann, wie oben erwahnt, mit zunehmender Gewohnung an eine Steuer abnehmen; die Vorstellung des Steuerzahlers, ob eine solche Steuer an sich „richtig" ist oder nicht, bleibt davon jedoch moglicherweise ganz unbeeinflufit. Eine derartige Erforschung der „zeitlichen Gerechtigkeitskonventionen" auf beiden Ebenen fiir eine bestimmte Volkswirt-
130 -p Neumark (Grundsatze der Besteuerung ..., a.a.O., S. 39) pladiert aus Griinden „realer Demokratie" fiir die Merklichkeit der Besteuerung, da er mit W. E. Channing der Ansicht ist, „a free people ought to know what they pay for freedom".
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Die Einnahmenpolitik
schaft sowie eine Gegeniiberstellung des so verstandenen Gerechtigkeitspostulats mit der steuerlichen Wirklichkeit steht der Finanzwissenschaft zu, ohne dafi sie desv/egen in den Verdacht kame, selbst Werturteile zu fallen; die Entscheidung, welcher Gebrauch von ihren Ergebnissen zu machen ist, bleibt dabei jeweils durchaus der Politik iiberlassen.
C. Die Steuern als Instrument der Politik §36. Steuersystem und Wirtschaftssystem131 Besteht die Kunst der Besteuerung zunachst darin, den staatlichen Steueranspruch im Einklang mit den herrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen gegen die nur allzu natiirlichen Steuerwiderstande iiberhaupt durchzusetzen, so erhebt sich die Steuerpolitik mit der Aufstellung und planmafiigen Verfolgung bestimmter Ziele, die mittels der Besteuerung erreicht werden sollen, vollends auf die Ebene hochster Staatskunst. Es ist verstandlich, dafi unser interventionsfreudiges Zeitalter gerade von der Besteuerung die Verwirklichung zahlreicher wirtschafts- und sozialpolitischer Zielsetzungen erwartet, angefangen von der Bekampfung des Alkoholmifibrauchs iiber die Steigerung der Geburtenzahl bis zur Korrektur der Einkommens- und Vermogensverteilung, ja des geltenden Wirtschaftssystems schlechthin; im Zusammenhang mit der Entwicklung demokratischer und parlamentarischer Staats- und Regierungsformen, mit der Verbreiterung des Wahlrechts und dem Wirksamwerden der oben im einzelnen geschilderten treibenden Krafte der finanzpolitischen Willensbildung in und aufierhalb der Parlamente ist der Kampf um den Einsatz der Besteuerung als Instrument der Politik zum bevorzugten Tummelplatz der einander widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen und politischen Bestrebungen geworden. Dabei werden in Theorie und Praxis hauflg zwei entscheidende Vorfragen vergessen; einmal die Frage, ob und wie die einzelnen Steuern im Hinblick auf die Heranziehung der Burger nach dem Mafie ihrer wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit zusammenwirken, d. h. ob und wie sich als Ergebnis dieses Zusammenwirkens u. U. recht unerwiinschte Steuerausweichungen oder umgekehrt bedenkliche Steuerhaufungen herausbilden, zum anderen die weitere Frage, welche Wirkungen die Besteuerung in ihren einzelnen Formen 131 Sdimolders, G.: Steuersystem und Wettbewerbsordnung, in: ORDO, Bd. Ill, 1950, S. 135 ff.; ders.: Steuersystem und Steuersystematik, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 2. Bd., a.a.O., S. 326 ff.; ders.: Art. Steuersysteme, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 10, a.a.O., S. 158 flf.; ders.: Wirtsdiaftssystem und Steuersystem, Vortrag auf der ll.Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft am 12. und 13. Juni 1958 in Bad Godesberg, Tagungsprotokoll Nr. 11, Ludwigsburg 1958, S. 21 ff.; ders.: Rationalisierung und Steuersystem, Forschungsberidite des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen, Nr. 451, Koln-Opladen 1957.
§ 36. Steuersystem und Wirtschaftssystem
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und Spielarten hervorrufen und wie sich diese Wirkungen in das erstrebte steuerpolitische Ziel einfugen lassen, welche Aufgaben der Besteuerung also iiberhaupt zugemutet werden konnen 132. Die Gesamtheit der in einem Lande nebeneinander geltenden Steuern ist nicht ohne weiteres auch ein sinnvolles, harmonisch abgestimmtes Miteinander oder Steuer,,system". Vielmehr entstammen die einzelnen Steuern, mit deren Hilfe das Gesamtaufkommen zusammengebracht wird, in der Regel ganz verschiedenen Zeiten, Staats- und Rechtsordnungen und Wirtschaftssystemen; sie wirken infolgedessen nicht immer harmonisch zusammen, um der schwierigen Aufgabe der Mittelaufbringung bestmoglich gerecht zu werden, sondern beeintrachtigen und storen sich vielfach gegenseitig, iiberlagern einander teilweise zu lahmender Doppel- und Mehrfachbelastung oder heben sich in ihrer Wirkung in betrachtlichem Umfang gegenseitig auf. Dieses oft fast zufallige, jedenfalls aber keineswegs besonders sinnvolle Nebeneinander ahnelt nach Adolph Wagner in vielen Fallen eher einem „ Chaos" als einem geordneten System; schon die Bezeichnung Steuersystem erschien Wagner insoweit als „sehr unzutreffender Euphemismus". Zum Begriff eines brauchbaren Steuersystems gehort jedenfalls eine gewisse Abstimmung der einzelnen Steuern aufeinander, auf das herrschende Wirtschaftssystem und auf die insgesamt mit der Besteuerung verfolgten Zwecke fiskalischer oder nichtfiskalischer Art. Insbesondere die fur das volkswirtschaftliche Leistungspotential und damit fur das Ergebnis aller Besteuerung entscheidende Frage nach der Abstimmung von Steuersystem und Wirtschaftssystem stellt sich heute angesichts der Schaden zweier Weltkriege und Wahrungszusammenbruche mit verstarktem Nachdruck. Der systematische Aufbau unserer heutigen Besteuerung stammt aus einer Zeit, in der die wirtschaftlichen Verhaltnisse vollig andere waren als heute, in der die grofien ererbten Vermogen, die landwirtschaftlichen Latifundien und die hohen Einkommen privater Unternehmer die steuerpolitische Aktivitat der offentlichen Meinung herausgefordert hatten; dieses System gilt heute in einer veranderten wirtschaftlichen Umwelt fort, die der Besteuerung vielfach ganzlich andere Voraussetzungen stellt, wahrend sich demgegeniiber die Veranderungen der Steuergesetze im wesentlichen auf eine Vervielfachung der Steuersatze beschranken, ihrerseits wiederum durch eine Reihe „gezielter" Vergiinstigungen und verklausulierter Erleichterungen bei der Berechnung der Steuermessungsgrundlage korrigiert und gemildert. Fur das Vorhandensein eines Steuersystems im oben skizzierten Sinne ist es im Grunde nicht unbedingt erforderlich, dafi das Zusammenspiel der einzelnen Steuern bewufit herbeigefuhrt oder durch planmafiige Uberlegungen geschaffen worden ist; es kann auch im Laufe der Entwicklung von selbst 132
Vgl. §§ 37—38.
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Die Einnahmenpolitik
zum Durchbruch gelangt sein. Im ersten Fall spricht man von „rationalen" oder theoretischen, im zweiten Falle von „historischen<< Steuersystemen. Die historischen Steuersysteme zeichnen sich haufig durch ihre gute Anpassung an die bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung aus, enthalten jedoch in ihren Wirkungen und in den Beziehungen der Steuerformen untereinander nicht selten mancherlei historisch bedingte Widerspriiche, die sich vielleicht im Zuge langfristiger Anpassungsvorgange etwas abgeschliffen haben mogen, die fiskalische Ergiebigkeit und die volkswirtschaftliche Leistungsfahigkeit der Besteuerung aber u. U. nicht unerheblich beeintrachtigen konnen. Unter den historischen Steuersystemen haben sich auf deutschem Boden zwei Grundtypen in einer gewissen Geschlossenheit herausgebildet, die teils nach-, teils nebeneinander in Erscheinung getreten sind: das Ertragsteuersystem Frankreichs und der suddeutschen Staaten und das moderne Personalsteuersystem Sachsens und Preufiens, das sich heute in alien Kulturstaaten durchgesetzt hat und nach dem ersten Weltkrieg auch im Deutschen Reich eingefiihrt wurde. Das Ertragssteuersystem geht von den Objekten der Besteuerung aus, dem bebauten und unbebauten Grund und Boden, dem Vorhandensein eines Gewerbebetriebes und gegebenenfalls auch von mobilen Sachgesamtheiten wie Kapitalvermogen und Gesellschaftsrechten; es belastet moglichst alle diese Wohlstandsquellen ausnahmslos gleichmafiig und grundsatzlich ohne Riicksicht darauf, welcher Person ihre Ertrage zufliefien. Haupteinnahmequellen dieses Systems sind dementsprechend die Grundsteuer nebst Gebaudesteuer, die Gewerbesteuer und die Kapitalertragsteuer. Wird der Nachteil dieses Systems, das Fehlen einer entsprechend wirksamen Erfassung des Arbeitsverdienstes, noch durch eine zusatzliche Arbeitsertragsteuer ausgeglichen, so erscheint es zumindest theoretisch als vollstandiges Steuersystem ohne wesentliche Liicken, aber auch ohne Doppelbelastungen; der grofie Vorzug dieses Steuersystems liegt, neben seiner einfachen Handhabung, insbesondere in dem steuerpsychologisch ungemein bedeutsamen Verzicht auf ein tieferes Eindringen in die personliche Sphare des Steuerzahlers, da die Besteuerung sich fast ausschliefilich an aufierlich sichtbaren oder wenigstens erkennbaren „signes exterieurs" orientiert. Das Personalsteuersystem geht demgegeniiber umgekehrt nicht von den Wohlstandsquellen, sondern von den Personen aus, denen ihre Ertrage zufliefien, um diese moglichst genau nach ihrer steuerlichen Leistungsfahigkeit heranzuziehen. Die Einkommensteuer, die in seinem Mittelpunk steht, erfafit grundsatzlich alle dem Steuerpflichtigen zufliefienden Einkiinfte ohne Riicksicht auf ihre Herkunft; andererseits tragt sie seiner steuerlichen Leistungsfahigkeit durch eine erhohte Belastung des Besitzeinkommens (Vermogensteuer), durch eine abgestufte Progression und durch ein erganzendes System von Verbrauchsteuern Rechnung. In dieser ausgewogenen Form vermag das Personalsteuersystem sowohl Doppelbelastungen wie wesentliche Liicken, die die Ergiebigkeit des Gesamtaufkommens gefahrden konnten, zu
§36. Steuersystem und Wirtsdiaftssystem
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vermeiden; die Ankniipfung der Steuer an die personliche Leistungsfahigkeit der Steuerpflichtigen ist sein grofier Vorzug gegeniiber dem alteren Ertragsteuersystem. Allerdings bleibt es schon aus fiskalischen Griinden nie bei dieser einfachen Grundstruktur des Personalsteuersystems, das vielmehr durch das Hinzutreten zahlreicher Verkehr- und Besitzsteuern, durch das Bestehenbleiben von Teilen des alteren Ertragsteuersystems und vieler vorhandener Verbrauch- und Aufwandsteuern weiter kompliziert wird. Im Gegensatz zu den historischen Steuersystemen, die ihre mehr oder minder grofie Geschlossenheit langwierigen Anpassungsvorgangen verdanken, versuchen die rationalen Steuersysteme diese Geschlossenheit aus logischen und theoretischen Uberlegungen iiber die Interdependenz aller wirtschaftlichen Daten abzuleiten; sie orientieren sich an einer einheitlichen obersten Leitidee. Diese Leitidee kann vorwiegend fiskalischen Ursprungs sein; in diesem Falle handelt es sich um ein „fiskalischesc< Steuersystem, das auf ein maximales Aufkommen aus der gesamten Besteuerung abgestellt ist. Andere „rationale" Steuersysteme ergeben sich aus bestimmten politischen oder sozialen Leitideen, hinter denen der Gesichtspunkt des finanziellen Erfolges mehr oder weniger weit zuriicktritt. Mit dem Wandel der Staats- und Gesellschaftsauffassungen wandelt sich in diesem Falle jeweils auch das gesamte Steuersystem 133. Der erste grofiziigige Versuch eines rationalen Steuersystems war die Idee der „Alleinsteuer", die in revolutionaren Zeiten immer wieder von neuem aufzutauchen pflegt. Angefangen von der „Taille Egalee" Heinrichs III. bis zum „Impot Unique" der Physiokraten erwies sich die Hoffnung, den gesamten Staatsbedarf durch eine einzige Steuer decken zu konnen, bei naherem Zusehen als trugerisch. „Wenn iiberhaupt, so liefie sich . . . der Einsteuergedanke nur dort verwirklichen, wo der offentliche Steuerbedarf absolut wie relativ sehr klein ist; . . . indessen findet sich immer und iiberall ein Steuerpluralismus" 134. Auch die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung um die rationale Gestaltung des Steuersystems, die in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zwischen Adolph Wagner und Bismarck stattfand, liefi bereits erkennen, in welchem Mafie die Steuersysteme Ausdruck der jeweiligen Staatsauffassung und einer finanzpolitischen Willensbildung sind, die von anderen als sachlich rationalen Erwagungen ausgeht; je nach den Machtverhaltnissen im Parlament flihren die Steuerbelastungsund -entlastungskampfe zu Steuerformen, die haufig mehr guten Willen als vernunftige Erkenntnis der Steuerwirkungen verraten.
133 Haller, H.: Die Steuern, Tubingen 1964; Schmolders, G.: Steuerideale oder ideale Steuern?, Die Akzentverlagerung der Besteuerung, in: Studi in memoria di Benvenuto Griziotti, Mailand 1959. 134 Neumark, F.: Art. Steuer, I, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 10, a.a.O., S. 97.
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Die Einnahmenpolitik
A n einem anderen Vorschlag zur Begriindung eines idealen Steuersystems, der „reinen Theorie der Finanzreform" von A. Lampe 135 , der das Steuersystem logisch aus dem Begriff des Einkommens ableiten und dementsprechend die Einkommensteuer zum Mittelpunkt seines Systems ausbauen wollte, das nur noch durch einige Verbrauchsteuern erganzt werden sollte, entziindete sich ein lebhafter Meinungsaustausch iiber die Vorziige und Nachteile der Einkommensteuer in der steuerlichen Wirklichkeit; diese Diskussion wies gegeniiber der Lampeschen Konzeption von der „Zentralsonne c< Einkommensteuer in die entgegengesetzte Richtung. F. Terhalle 136 w a r n t e davor, mit den Personalsteuern mehr erreichen zu wollen als sie heute leisten konnen: „Je wichtiger die grofiere Wirtschaftlichkeit in der Besteuerung wird, mithin die Rucksichtnahme auf rein sachliche Ziele, um so weniger k a n n es bei der alle anderen Steuern iiberragenden Bedeutung der Personal-, insbesondere der Einkommensteuer bleiben." In neuerer Zeit nahm H . Haller die Diskussion iiber ein rationales Steuersystem, dessen Konstruktion er als „eine der faszinierendsten Fragen der Finanzwissenschaft" ansieht, wieder auf 1 3 7 . Z u r Beurteilung von Steuersystemen entwickelte er acht Kriterien 138 , an denen ihre Rationalitat zu messen sei: 1. Erhebungsbilligkeit, niedrig sein;
d. h. die Steuererhebungskosten sollen moglichst
2. Entrichtungsbilligkeit, sie soil dem Zensiten garantieren, dafi sein Aufw a n d bei Ermittlung und Entwicklung seiner Steuerschuld moglichst gering ist; 3. Lasterleichterung, d. h. die Besteuerung ist so auszugestalten, dafi sie vom Besteuerten so wenig wie moglich gespiirt wird 139 und somit auch seine wirtschaftliche Initiative nicht beeintrachtigt;
135
Lampe, A.: Reine Theorie der Finanzreform, in: Finanzardiiv, NF. Bd. 2, 1934, S. 222 ff. 136 Terhalle, F.: Steuerumbau als Aufgabe fiir morgen, in: Finanzardiiv, NF. Bd. 9, 1942, S. 191; Schmolders, G.: Steuerumbau als Aufgabe fiir heute, in: Finanzardiiv, NF. Bd. 9, 1942, S. 246; Terhalle, F.: Steuerumbau als Aufgabe fiir heute und morgen, ebenda, S. 604. 137 Haller, H.: Die Steuern, Tubingen 1964, S. 329 ff.; ders.: Zur Problematik eines rationalen Steuersystems, Kieler Vortrage, Kiel 1965. 138 j m gewissen Sinne stellen diese Anforderungen Weiterentwicklungen der Steuergrundsatze von A. Smith (Gleichmafiigkeit, Bestimmtheit, Bequemlichkeit, Billigkeit) und A. Wagner (Ausreichendheit, Beweglichkeit, Schonung des Vermogens und Kapitals, Allgemeinheit, Gleichmafiigkeit, Bestimmtheit, Bequemlidikeit, Streben nach moglichst geringen Erhebungskosten) dar. Nebenbedingungen der Hallerschen Kriterien sind die fiskalische Ausreichendheit, die Anerkennung der individuellen Freiheit, des Wohlstandszieles und der Gerechtigkeitszielsetzung. 139 Diese Forderung wird von F. Neumark (Grundsatze der Besteuerung, a.a.O., S. 11) aus Grunden realer Demokratie abgelehnt.
§ 36. Steuersystem und Wirtschaftssystem
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4. Neutralitdt; dieses Kriterium spaltet Haller in die Forderung nach „innerer Rationalitat", d. h. Realisierung der Minimalkostenkombination der Produktionsfaktoren, und „aufierer Rationalitat", d. h. der Abstimmung der Produktion nach den Kauferpraferenzen auf; 5. Konjunkturpolitische Effizienz will besagen, dafi es moglich sein soil, die Besteuerung wirkungsvoll in den Dienst der Konjunktur- und Beschaftigungspolitik zu stellen; 6. Verteilungspolitische Effizienz umschliefit das Postulat, dafi mit der Besteuerung eine Erhohung der Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen ist; 7. Achtung der privaten Sph'dre; d. h. das Steuersystem ist so auszugestalten, dafi sich bei der Ermittlung der steuerlichen Leistungsfahigkeit und mit der Umverteilung die Offenlegung der individuellen Verhaltnisse auf ein Minimum beschrankt bleibt; 8. Innere Geschlossenheit; nach diesem letzten Kriterium sollen Uberschneidungen und Liicken in der Besteuerung sowie mogliche Mittelkonflikte bei vorgegebenen steuerpolitischem Ziel vermieden werden. Oberpriift man anhand dieses Kriterienkatalogs die verschiedenen Steuersysteme, so wird man zunachst die Unzulanglichkeit einer Alleinsteuer konstatieren und einen gewissen Steuerpluralismus als notwendig anerkennen miissen. In dieser Erkenntnis konstruiert Haller ein aus Haupt- und Nebensteuern bestehendes Schema, das er als einen Rahmenplan verstanden wissen will, und das alien acht Forderungen Geniige tun soil. Als Hauptsteuern schlagt er eine progressive Einkommensteuer mit Vollsplitting bei Vermeidung der Doppelbesteuerung bei juristischen Personen und eine Netto-Umsatzsteuer ( = Mehrwertsteuer) mit einem einheitlichen Satz vor 140. Als Nebensteuern sind vorgesehen: — Eine Vermogenssteuer mit einem einheitlichen Satz fur das gesamte Erwerbsvermogen und u. U. fiir das wertvolle Gebrauchsvermogen; — eine mit der Schenkungssteuer gekoppelte Erbscbaftsteuer, deren Satze eine Funktion des beabsichtigten Mafies an Vermogensumverteilung sind, ohne dabei aber so hoch zu sein, dafi die Vermogensbildung beeintrachtigt wird; — die Mineralolsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer, deren Aufkommen die gesamten Aufwendungen fiir Strafienbau, Verkehrsuberwachung etc. decken soil 141 ; — Spirituosen- und Tabakwarensteuern zur Eindammung des Verbrauchs 142 . 140
Das Aufkommen der EST soil gleidi dem oder etwas grofier als das der UST
sein.141
Da die aus der Verbesserung des Strafienverkehrssystems resultierenden Produktivitatsfortschritte der gesamten Volkswirtschaft zugute kommen, erscheint diese einseitige Anwendung des Aquivalenz- bzw. Affektationsprinzips fragwiirdig. 142 Dafi Steuern zur Verbrauchslenkung konstitutive Teile eines „rationalen Steuersystems" in einer Marktwirtschaft sein sollen, mufi aber wohl stark angezweifelt werden.
23 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
Die Einnahmenpolitik
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Neben diesen Vorschlagen fur ein rationales Steuersystem, die aus der Finanzwissenschaft stammen, sind die „politischen" Steuersysteme zu nennen, „welche die beste Gestaltung des Steuerwesens mit Riicksicht auf bestimmte (wirtschafts-, sozialpolitische usw.) Programme erstreben" 143. Die Vorstellung von einer in diesem Sinne planvoll aufeinander abgestimmten Mehrzahl von Steuern hat die Steuerdiskussion im Grunde von jeher stark beeinflufit, mag es sich urn den sog. Akzisestreit oder um die „steuerpolitischen Ideale" handeln, wie sie jedes Zeitalter in den mit mehr oder weniger Nachdruck vertretenen Steuergrundsatzen zu verkiinden pflegte 144, oder um die modernen Bestrebungen, die Steuer in erster Linie zur Umgestaltung der iiberkommenen Einkommens- und Besitzverhaltnisse oder als Mittel zur Beeinflussung der Beschaftigung einzusetzen 145. Sicherlich konnen solche an sich aufierfinanzwirtschaftlichen oder sogar aufierwirtschaftlichen Vorstellungen bei der Gestaltung eines Steuersystems in gewissem Umfange berucksichtigt werden; sie zum Grundprinzip des gesamten Steuersystem erheben zu wollen, hiefie jedoch das Wesen der Steuer und die jeder Besteuerung gezogenen okonomischen und psychologischen Grenzen ganzlich verkennen. Im ganzen zeigt die Erorterung der historischen und rationalen Steuersysteme, dafi immer dann, wenn nicht ausschliefilich der Gesichtspunkt hochster fiskalischer Ergiebigkeit die Auswahl und Anordnung der einzelnen Steuern bestimmen soil, die Steuerdiskussion im modernen Wirtschafts- und Finanzsystem mit einer Vielfalt bestimmender Faktoren auf eine Problematik stofit, die im Wesen der einzelnen Steuer selbst gelegen ist. An welcher Stelle auch immer eine einzelne Steuer mit ihrem Zugriff auf das Sozialprodukt ankniipfen mag, bei der Einkommenserzielung oder -verwendung, bei der Erzeugung, dem Vertrieb oder dem Verbrauch der Waren, bei Dienstleistungen oder Verkehrsakten, iiberall wirkt sie in gewissem Sinne einseitig; ihre Last fuhrt zu Verlagerungen und Verschiebungen in Kostenstruktur und Preisgefuge, die um so schwerer wiegen, je grofier das Gewicht der einseitigen Belastung ist. Diese Einseitigkeit lafit sich vermeiden, wenn die einzelnen Steuern in ihrer Wirkungsweise so aufeinander abgestimmt werden, daiS sie sich entv/eder zur vollkommenen Erreichung des Steuerzwecks gegenseitig erganzen oder sich doch wenigstens nach Moglichkeit nicht beeintrachtigen, ihre Erhebung gegenseitig kontrollieren, den von einer Steuer bewirkten Ausweichund Umgehungsvorgangen zuvorkommen oder in anderer Weise den Wechselwirkungen Rechnung tragen, die zwischen Besteuerung und Volkswirtschaft, zwischen Steuertragern und Steuerzahlern sowie zwischen den einzelnen Steuerformen und -arten bestehen; die fur diese Abstimmung der Steuern 143
Gerloff, W.: Die offentliche Finanzwirtschaft, Bd. 2, a.a.O., S. 167 ff. ^145 Vgl. § 35. Hansen, A. H.: Economic Policy and Full Employment, New York, London 1947; Lerner, A. P.: Economics of Employment, New York 1951.
§ 36. Steuersystem und Wirtschaftssystem
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eines Systems erforderlichen Kategorien zu entwickeln, ist die Aufgabe der Steuersystematik, d. h. einer „Beziehungslehre der Steuerformen", der im Rahmen der allgemeinen Steuerlehre die notwendige Vorarbeit fiir eine vertiefte Erkenntnis der Zusammenhange von Steuersystemen und Wirtschaftssystem zufallt 146 . Ein Blick in die Praxis der Besteuerung, insbesondere in die Wechselbeziehungen zwischen Steuersystem und Wirtschaftssystem zeigt jedenfalls, dafi alle die vielfachen Bemiihungen um ein rationales Steuersystem es bisher nicht vermocht haben, alle Unstimmigkeiten und Ungereimtheiten des herrschenden Steuersystems zu beseitigen. Dieses Dilemma begann schon mit der preufiischen Steuerreform von 1891/93, die durch die Uberlagerung der beiden bis dahin historisch gewachsenen Steuersysteme, des Ertrag- und des Personalsteuersystems, die seitdem nebeneinander bestehen geblieben sind, den ersten Einbruch in den konsequenten Aufbau des Steuersystems vollzog; das Ertragsteuersystem, unvollstandig infolge des Fehlens einer Kapital- und Arbeitsertragsteuer, verblieb den Gemeinden, wahrend die Bundesstaaten und spater das Reich sich der Einkommensteuer bemachtigten, neben der das immer weiter ausgebaute Verbrauchsteuersystem seine Bedeutung als Einnahmequelle behielt. War schon diese Oberlagerung zweier auf deutschem Boden gewachsener Steuersysteme im Grunde eine Mehrfachbelastung mindestens der aus Grundvermogen und Gewerbe fliefienden Einkiinfte, so verschlug dieser Schonheitsfehler des Steuersystems angesichts der damaligen Steuersatze wenig; die preufiische Einkommensteuer von 1891 begniigte sich mit Steuersatzen, die zwischen 1 v. H. und 4 v. H. des Einkommens gestaffelt waren, so dafi von einer fiihlbaren Riickwirkung dieser Besteuerung auf das Wirtschaftsleben keine Rede sein konnte. Bedenklicher war die allmahliche, von der orTentlichen Meinung kaum bemerkte und doch so folgenschwere Preisgabe des Systemgedankens des Personalsteuersystems, die ganz unmerklich mit der Heranziehung juristischer Personen zur Einkommensteuer begonnen und mit der Gleichsetzung kaufmannischer und gewerblicher „Gewinne" mit dem personlichen „Einkommen" fortgesetzt wurde — eine Riickkehr zur Objektbesteuerung, die von den damaligen Steuergesetzgebern aus fiskalischen Motiven vorgenommen wurde, in ihrer Auswirkung jedoch heute angesichts der uberhohten Steuersatze der Einkommen- und Korperschaftsteuer als entscheidender Strukturfehler unseres Steuer,,systems" vor uns steht. Vollends seit der Verselbstandigung der Korperschaftsteuer, die urspriinglich in den meisten Landern auf die personliche Einkommensteuer der endgiiltigen Einkommensbezieher angerechnet werden konnte, heute aber als zusatzliche Belastung der Gesellschaftsgewinne neben ihr steht, ist der Systemgedanke des Personalsteuersystems praktisch preisgegeben worden; 146
23*
Vgl. Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 221 ff.
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Die Einnahmenpolitik
die Steuer begniigt sich nicht mehr damit, abzuwarten, was dem Steuerpflichtigen im Ergebnis seines Erwerbstrebens endgiiltig an Einkiinften zufliefit, sondern bemachtigt sich gerade der wichtigsten Gruppen von Einkiinften bereits bei oder vor ihrer Entstehung (Korperschaftsteuer, Vermogensteuer), erfafit den Rest nochmals als Einkommen (Einkommensteuer bzw. Kapitalertragsteuer oder Lohnsteuer) und besteuert dieses ein drittes Mai anlafilich seiner Verausgabung fiir irgendeinen, wenn auch noch so notwendigen Bedarf (Umsatzsteuer) oder fiir den Aufwand der personlichen Lebenshaltung (Verkehr- und Verbrauchsteuern). Die veranlagte Einkommensteuer ist heute iiberwiegend zu einer Ertragsteuer auf gewerbliche Betriebe geworden, deren Liquiditat und Rentabilitat durch die Anwendung der progressiven Satze der Einkommensteuer auf ihre Gewinne bedroht ist; mit der Lohnsteuer und den Verbrauchsteuern steht neben diesem wiederaufgelebten Objektsteuersystem und dem unvollstandigen Ertragsteuersystem der Gemeinden (Grund- und Gewerbesteuer) ein drittes, sich mit beiden anderen vielfach uberschneidendes Steuer,,system". Fiir die Leistungsfahigkeit der Gesamtwirtschaft kommt es bei der Hohe des Steueraufkommens, das Jahr fiir Jahr von der Volkswirtschaft aufgebracht werden mufi, entscheidend auf die Ubereinstimmung von Steuersystem und Wirtschaftssystem an; je besser beide aufeinander abgestimmt und untereinander im Einklang sind, desto wirksamef tragen sie zur Erreichung eines gesamtwirtschaftlichen Optimums bei, das umgekehrt um so ferner riickt, je mehr beide Halften des Volkseinkommens, die staatswirtschaftliche und die privatwirtschaftliche, verschiedenen oder gar einander entgegengesetzten Lenkungsprinzipien gehorchen. Dementsprechend ist die Art der Aufbringung der offentlichen Mittel heute nicht mehr nur eine Frage der politischen Zweckmafiigkeit oder der staatsrechtlichen Ordnung, sondern das zentrale Problem der Wirtschaftsverfassung geworden; wenn man bedenkt, dafi das Leistungspotential einer Volkswirtschaft von dem harmonischen Einsatz ihrer produktiven Krafte und dem moglichst reibungslosen Ablauf ihrer organisatorischen Funktionen abhangt, so erweist sich die Ubereinstimmung oder Nichtiibereinstimmung von Steuersystem und Wirtschaftssystem geradezu als die Schicksalsfrage der westlichen Kultur gegeniiber der zentralen Planwirtschaft des Ostens, die diese Einheit von Wirtschafts- und Steuersystemen mit eiserner Konsequenz ohne Riicksicht auf Traditionen und Institutionen der Vergangenheit tatsachlich hergestellt hat. Hier ergibt sich das paradoxe Bild, dafi die angeblich am weitesten auf dem Wege zum Sozialismus fortgeschrittene Staatsplanwirtschaft der UdSSR auf die Einkommensteuerprogression, die die kapitalistischen Lander des Westens unter dem Druck der Linksparteien gescharTen und heute teilweise bis zu konfiskatorischer Hohe entwickelt haben, weitgehend verzichtet. Allein diese Tatsache sollte geeignet sein, den unbefange-
§ 36. Steuersystem und Wirtsdiaftssystem
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nen Beobachter der steuerpolitischen Entwicklung hiiben und driiben zum mindesten stutzig zu machen. Im Gegensatz zu dem ostlichen Planwirtschaftssystem, bei dem der Befehl des auf Erweiterung des Riistungspotentials bedachten Staates die Richtung der Produktion bestimrnt (Primat der Schwerindustrie), wird im Wirtschaftssystem der Marktwirtschaft zumindest grundsatzlich Produktion, Kapitalbildung und Verbrauch von dem mehr oder weniger freien Spiel der Marktpreisbildung reguliert. Die aus der Teilnahme am Produktionsprozefi resultierenden Einkommen stehen ihren Beziehern grundsatzlich zu freier Verfiigung; die Entscheidung zwischen Verbrauch und Investition, Sparen und Horten trifft nicht die Lenkungsbehorde, sondern der Einkommensbezieher personlich. Entscheidet er sich fiir die Investition seiner eigenen oder der ihm kredit- oder beteiligungsweise zur Verfiigung gestellten Mittel, so steht ihm die Wahl zwischen alien Produktions- und Handelszweigen offen; der Lohn marktrichtiger Initiative ist ein nach oben grundsatzlich unbeschrankter Gewinn, die Strafe fiir Fehlinvestitionen, Unwirtschaftlichkeit und Marktunkenntnis der Verlust, der bis zur Einbufie der materiellen Existenz gehen kann. Das Versohnliche dieser im Einzelfall sicherlich manchmal mit brutaler Konsequenz funktionierenden Wirtschaftsverf assung liegt in der Anonymitat des Marktes; wahrend im Planwirtschaftssystem letztlich eine Behorde iiber Sein oder Nichtsein jedes einzelnen entscheidet, ist es hier das Walten klar erkennbarer, unpersonlicher Preis- und Marktgesetze, die iiber Gewinn und Verlust, Chance und Risiko, Bliite und Untergang des einzelnen Unternehmens befinden. Die Ordnungskrafte dieses Wirtschaftssystems haben sich in dem Aufbau der westlichen Zivilisation und Kultur, der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung und der sozialen Errungenschaften des Westens bewahrt; iiber alle Erschiitterungen durch Krisen und Konjunkturen, durch die beiden Weltkriege und die ihnen folgenden Wirtschafts- und Wahrungskatastrophen hinweg hat die Wirtschaftsordnung, angekrankelt von mancherlei monopolistischen Verhartungen und Erstarrungen, eingeengt durch marktfremde staatliche und kommunale Produktions- und Verbrauchsbeschrankungen aller Art, ihre grundlegenden Wesensmerkmale bis in die Gegenwart zu bewahren und ihre segensreichen Wirkungen trotz aller Hemmungen zu entfalten vermocht. Bei den heutigen Steuersatzen wird jedoch nur zu leicht das Steuerkonto zum wichtigsten Richtpunkt aller geschaftlichen Dispositionen; Einsparungen auf diesem Konto sind zusatzliches Einkommen und gleichzeitig steuerfrei, also in doppeltem Mafie verlockend. Es ist eine Utopie, zu glauben, der Unternehmer richte sein wirtschaftliches Handeln in einer mit Steuern in dieser Hohe belasteten Volkswirtschaft noch getreulich nach den vor 150 Jahren geltenden Spielregeln des individuellen Erwerbstrebens, ohne nach rechts oder links zu blicken, wo ihm die Gewinn- und Einkommenbesteuerung den Erlos seines Schaffens teils vorzuenthalten, teils zugunsten Dritter wieder ab-
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zunehmen bemiiht sind 147. Kennzeichnend dafiir ist keineswegs etwa die Zahl und Art der vorkommenden Steuerverkurzungen, -gefahrdungen und -hinterziehungen, sondern vielmehr die fur das Finanzamt meistens ganz unsichtbare Tendenz, der Steuer auszuweichen, also die „Tatbestande", an die das Gesetz die Steuerpflicht kniipft, nach Moglichkeit gar nicht erst entstehen zu lassen. Dieses Bestreben nimmt die mannigfaltigsten Formen an; Investitionen iiber Gewinn- und Verlustkonto, ubermafiige Abschreibungen, Delkredere-Ruckstellungen und anderes mehr sind langst zum standigen Streitobjekt zwischen den steuerpflichtigen Betrieben und den Finanzbehorden geworden. Besonders bedenklich wird dieses Bestreben, wenn es zum Anlafi materieller, steuerlich bedingter betrieblicher Dispositionen wird, die unter Umstanden zeitweise oder dauernd auf die volks- und betriebswirtschaftliche Leistungsfahigkeit von Einflufi sind; hierher gehoren Beteiligungen und Zusammenschliisse aller Art, Sanierungen und Neugriindungen ad hoc, kostspielige organisatorische Umstellungen usw., deren betrieblicher Wert von der scharfsten Buch- und Betriebspriifung nicht angemessen beurteilt werden kann, vor allem aber auch die Personal-, Lohn- und Gehaltspolitik der Betriebe, die einen breiten Spielraum fur verdeckte Gewinnausschiittungen bieten (Vorstandsbeziige, Aufsichtsratsposten, Einstellung von Familienmitgliedern, Dienstwohnungen, Reisespesen, Aufwandsentschadigungen usw., aber auch soziale Mafinahmen, wie Erlosbeteiligungen der Belegschaften, Fleifipramien und Gratifikationen). Daraus, dafi aus den Geschaftsberichten und Priifungsprotokollen iiber diese Vorgange wenig hervorzugehen pflegt, darf nicht auf seltenes Vorkommen oder geringe Bedeutung derartiger Transaktionen geschlossen werden; langst ist derjenige der gute Kaufmann geworden, der die stille Beteiligung des Finanzamtes durch kunstreiche Schaffung von „ Auf wand
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Diese Erfolgsbesteuerung bedeutet volkswirtschaftlich eine sehr bedenkliche Diskriminierung der erfolgreichen gegeniiber den erfolglosen Betrieben. Je mehr die gewerblichen Unternehmen das ihnen wesensgemafie Ziel, die Erwirtschaftung von Betriebsiiberschiissen und -gewinnen, im Laufe des Geschaftsjahres erreicht haben, um so schwerer trifft sie die steuerliche Belastung, d. h. um so hoher wird die Kostenposition Steuern, die entweder vom Betriebserfolg getragen oder in die den Abnehmern berechneten Preise einkalkuliert wird; umgekehrt ist im Wettbewerb der steuerschwachste Betrieb iiberlegen. Von dem Postulat der Wettbewerbsneutralitat ausgehend bemiiht sich die Wissenschaft, dieser Forderung, dem obersten Prinzip einer auf dem freien Unternehmertum basierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, moglichst adaquate Formen der betrieblichen Gewinnbesteuerung zu entwickeln. Im wesentlichen lassen sich hierbei drei Konzeptionen unterscheiden, die Betriebssteuer148, der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesfinanzministerium 149 und die Teilhabersteuer 150; die Diskussion um die Abstimmung zwischen Steuer- und Wirtschaftssystem ist mit diesen Vorschlagen sicherlich noch lange nicht abgeschlossen.
§ 37. Die Wirkungen der Besteuerung151 Mit der Ankniipfung der Abgabepflicht an Steuertatbestande wie Einkommen oder Vermogen, Grundbesitz oder Gewerbebetrieb, Fabrikation oder „In-Verkehr-Bringen" von Verbrauchsgutern und vollends mit der prazisen rechtlichen Umschreibung dieser Tatbestande glaubt der Finanzpolitiker nur zu leicht, ohne weiteres gerade diejenigen okonomischen Be- und Entlastungsvorgange herbeifuhren zu konnen, die in der Linie der von ihm vertretenen Wirtschafts- und Sozialpolitik liegen; der unerlafilichen Vorfrage nach den effektiven Wirkungen der damit geschaffenen oder modifizierten Steuern pflegt der Politiker meist keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei ist, wie schon erwahnt, ohne Beantwortung dieser Vorfrage eine rationale Steuerpolitik iiberhaupt nicht denkbar. Freilich ist die Moglichkeit, genaueres iiber die Wirkungen der Besteuerung zu ermitteln, auch in der 148 Betriebssteuerausschufi der Verwaltung fur Finanzen: Bericht und Gesetzentwiirfe zur Betriebsteuer, in: Steuern und Wirtschaft, Bd. 26, 1949, S. 931; Boettcher, C. und Sdimolders, G.: Art. Betriebsteuer, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 2, a.a.O., S. 92 ff.; Schulte, H.: Der Vorsdilag einer „Betriebsteuer" und das geltende deutsche Steuersystem, Berlin 1967. 149 „Gutachten zur Reform der direkten Steuern in der Bundesrepublik Deutschland", erstattet vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, 150 Bad Godesberg 1967. Stiitzel, W. und Engels, W.: Teilhabersteuer, Frankfurt 1968. 151 Ygj # 2 u m folgenden: Schmolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 115 bis 205.
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Finanzwissenschaft nicht selten bestritten oder doch stark bezweifelt worden; ganzliche Resignation wechselte mit globalen Aussagen iiber eine allgemeine „Steuer diffusion", und nicht selten mufite die Oberwalzungstheorie, anstatt der Erkenntnis der Wirklichkeit zu dienen, dazu herhalten, belastungspolitisch erwiinschte Besteuerungsformen „wissenschaftlich" zu rechtfertigen 152. Gegen diese Resignation der Finanzwissenschaft wandte sich der ganze Eifer der Staats- und Gesellschaftsreformer, alien voran Adolph Wagners Forderung nach Umschichtung der Einkommens- und Vermogensverteilung mittels sozialpolitisch orientierter Einkommen-, Erbschaft- und Vermogensteuern; irgendein Zweifel, dafi die Besteuerung diese Umschichtungen in der Tat erfolgreich bewirken konne, ist bei der Finanzwissenschaft dieser Generation kaum zu spiiren. Erst A. Lampe erkannte im Licht der inzwischen mit einer besitz- und kapitalfeindlich ausgerichteten Uberspannung der Einkommens- und Vermogensbesteuerung gewonnenen Erfahrungen den zweif elhaften Wert der „sozialen" Steuergestaltung, die „die Reichen zwar armer, die Armen aber nicht reicher" mache; „sie tragt alle Anzeichen schlechter Sozialpolitik an sich. Die Theorie Adolph Wagners und die Praxis der sozialen Steuerlastverteilung sind falsch. Naturlich ware auch eine ausschliefiliche oder ganz uberwiegende Verbrauchsbesteuerung nicht zu verteidigen. Die Argumente, die gegen sie und fiir eine ,angemessenec Besitzbesteuerung sprechen, sind indessen nicht wirtschaftlicher, sondern vornehmlich politischer Natur; ihre Wiirdigung miifke die Grenzen sozialokonomisch-theoretischer Kritik der nichtfiskalischen Besteuerung in unzulassiger Weise iiberschreiten." 153 Damit gewinnt die Diskussion iiber die Wirkungen der Besteuerung ihren langst falligen Anschlufi an die politiscke, insbesondere die innenpolitische Auseinandersetzung um die Macht im Staat und ihre Ausiibung; welche Steuern erhoben und wem sie auferlegt werden, ist eine eminent politische Entscheidung, fiir die die Frage nach den letztlich dadurch herbeigefiihrten okonomischen Wirkungen nur einen unter mehreren Gesichtspunkten darstellt. Dalton erwahnt die „geniale Formel" Cambridger Herkunft, nach der die Steuerpolitik versuchen miisse, die Reichen mehr zahlen zu lassen als sie vermeinen, die Armeren jedoch effektiv weniger heranzuziehen als sie ihre Steuerlast subjektiv verspiiren („the rich should pay more taxes than they think, while the poor should think they pay more than they do"). Diese Doppelillusion soil die Begiiterten beruhigen, die Arbeiter jedoch zum Arbeiten und zum Sparen anspornen; freilich zweifelt Dalton daran, ob es mog152 Yg^ Sdimolders, G.: Allgemeine Steuerlehre, a.a.O., S. 47 ff. 153 Lampe, A.: Die wirtschaftlidien Voraussetzungen der nichtfiskalisdien Steuergestaltung, insbesondere der Steuerbegiinstigung, in: Beitrage zur Finanzwissenschaft, Festgabe fiir G. v. Schanz, hrsg. von H. Teschemacher, Bd. 1, Tubingen 1928, S. 188.
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lich sei, ein solches „labiles Gleichgewicht der Irrtiimer" fur langere Zeit aufrechtzuerhalten 154 . Demgegeniiber hat die Erforschung der Steuerwirkungen und der Aufbau einer wenigstens terminologisch geschlossenen Steuerwirkungslehre 155 in den letzten Jahrzehnten betrachtliche Fortschritte gemacht; allerdings gilt fur die Erforschung der effektiven Steuerwirkungen auch heute noch die Mahnung von W. Lotz, dafi „wir mit Hilfsmitteln, die bisher vielleicht noch nicht verwertet worden sind, versuchen mtissen, mehr dariiber zu forschen, ehe wir mit wissenschaftlicher Verantwortung etwas aussprechen konnen, was liber die Moglichkeiten hinausgeht. Fur die Formulierung von Moglichkeiten ist sehr viel geleistet. Aber fur die Feststellung der Wirklichkeit wissen wir noch sehr wenig" 156 . Die hier erhobene Forderung nach empirischer Erforschung der Steuerwirkungen mufi gerade heute mit besonderem Nachdruck geltend gemacht werden, nachdem die Besteuerung ein Ausmafi erreicht hat, wie es der alteren Generation unvorstellbar w a r . Dabei k a n n sich die Forschung allerdings nicht mit der statistischen Analyse einzelner "Gberwalzungsvorgange begniigen, wie sie schon von A. Wagner abgelehnt worden ist, sondern sie mufi schlechthin alien Veranderungen nachgehen, denen die Verhaltensweisen der wirtschaftenden Menschen unter dem Einflufi der Besteuerung unterliegen. Diese steuerliche „ Verhaltensforschung" 157 empfiehlt sich insbesondere aus finanzpolitischen Griinden; die „Kunst der Besteuerung" mufi durch die Steuerwirkungslehre erganzt werden, soil sie nicht, w o v o r W. R o p k e schon 1929 gewarnt hat, zu einem finanz- und steuerpolitischen „Nihilismus
Dalton, H. F.: Principles of Public Finance, 7. AufL, London 1948, S. 49. Mann, F. K.: Art. Uberwalzung der Steuern, in: Handworterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Bd. 8, Jena 1928, S. 336 ff.; Lampe, A.: Steuerwirkungslehre, in: Worterbuch der Volkswirtschaft, 4. Aufl., Bd. 3, Jena 1933, S. 529 ft.; Recktenwald, H. C : Steuerinzidenzlehre, Grundlagen und Probleme, 2. Aufl., Berlin 1966. 156 Lotz, W. Diskussionsbeitrag zu: Mann, F. K. und Mayer, H.: Wesen und allgemeiner Verlauf der Steueriiberwalzung, in: Schriften des Vereins fur Sozialpolitik, 1926, S. 339. 157 Schmolders, G.: Dkonomische Verhaltensforschung, in: ORDO, Bd. 5, 1953; ders.: Dkonomische Verhaltensforschung, in: Arbeitsgemeinschaft fur Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; ders.: 10 Jahre sozialokonomische Verhaltensforschung in Koln, a.a.O.; Scherhorn, G.: Methodologische Grundlagen der sozialokonomischen Verhaltensforschung, a.a.O.; weitere Literatur s. o. S. 7. 158 Ropke, W.: Finanzwissenschaft, a.a.O. 159 Recktenwald, H. C : Bedeutung, Grenzen und neuere Entwicklung der Steueriiberwalzungslehre, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 16 (1955/56), S. 279. 155
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Zweifel am Nutzen und Erfolg einer Steuerwirkungslehre sind nicht zuletzt deswegen immer wieder laut geworden, weil eine einheitliche, in sicK geschlossene Theorie der Steuerwirkungen bis heute fehlt. Dies mag seinen Grund vor allem darin haben, dafi es die Forschung hier mit einem Untersuchungsobjekt zu tun hat, das sich als dynamisches Phanomen besonderer Art darstellt 160 ; unter dem Einflufi der Besteuerung verandern sich die Verhaltensweisen der Besteuerten mit dem Ziel, die Schadigung durch die Steuer „womoglich abzuwehren oder irgendwie gutzumachen. Wir haben hier also nicht das Streben nach moglichst grofiem Gewinn, nach moglichster Vergrofierung des Einkommens . . . , sondern das viel bescheidenere Streben, das bisherige Einkommen, den bisherigen Ertrag, wie er ohne die Steuer gegeben war, zu erhalten. Dieses Motiv . . . hat seine Griinde darin, dafi jede Entbehrung von Gewohntem, jede Verkiirzung des gewohnten Lebensstandards viel starker empfunden wird als der blofie Entgang eines erhofften und nichtrealisierten Gewinns oder Zuwachses" 161. Die Endlosigkeit dieses Steuerabwehrprozesses mit seiner ebenso endlosen Folge von Steuerwirkungen ist in der finanzwissenschaftlichen Literatur immer wieder hervorgehoben worden; gerade deshalb ist eine gewisse Begrenzung der Aufgabenstellung erforderlich, die zugleich die Richtung der Untersuchungen anzeigt. Ihr Gegenstand sind lediglich die von der Besteuerung ausgehenden Wirkungen; ausgeklammert bleiben die „Riickwirkungen der Steuerinzidenz auf den Steueranstofi" (Recktenwald), die unter dem Begriff der „Tax Erosion" 162 seit einiger Zeit Beachtung gefunden haben, und die letztlich nicht mehr zu den Steuerwirkungen, sondern zu den Faktoren der finanzpolitischen Willensbildung gehoren. In diesem Rahmen lassen sich die Steuerwirkungen am besten nach dem unterschiedlichen Freiheitsgrad gliedern, den die Besteuerung dem wirtschaftenden Menschen belafit; je weniger Freiheit ihm verbleibt, um so enger ist der Rahmen, in dem er seine Verhaltensweisen variieren, d. h. dem Zugriff der Besteuerung so oder so ausweichen kann, um so genauer ist damit andererseits die Belastungswirkung der Steuern zu erkennen, zu planen und vorauszusagen. Die dem Steuerpflichtigen moglichen Ausweichreaktionen lassen sich in drei Gruppen einteilen, denen jeweils drei verschiedene „Freiheitsgrade "entsprechen; diese Gruppen liegen im Modell zeitlich hintereinander, so dafi theoretisch ein gewisser Phasenablauf vorausgesetzt wird. In Wirklichkeit gehen die drei Phasen naturlich mehr oder weniger ineinander liber, da die Besteuerung ein kontinuierlicher Vorgang ist; aus didaktischen Griinden empfiehlt es sich jedoch, dieselben gedanklich scharf zu trennen. 160 Sultan, H.: Art und Maft der Prognose der Steuerwirkungen, Tubingen 1931,161S. 18. Mayer, H.: Wesen und allgemeiner Verlauf der Steueruberwalzung, in: Schriften des Vereins fiir Sozialpolitik 1926, S. 307 f. 162 p 00 le, K. E.: The Impact of Erosion of the Personal Income Tax on Economic Stability, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 18 (1957/58), S. 44 rr.
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In der ersten Phase, der Informations- oder Wahrnehmungsphase, wird der Burger zunachst einmal mit der Tatsache der Besteuerung bekanntgemacht, gewissermafien geistig mit der Steuer konfrontiert. Oberschreitet der dadurch bewirkte „Reiz" die Schwelle seines Bewufitseins (Reaktionsschwelle), so werden Ausweichreaktionen ausgelost, die das Verhalten des Besteuerten verandern, die sogenannten Signalwirkungen der Besteuerung: die Steuer wirkt beim Pflichtigen als Signal, das es ihm angezeigt erscheinen lafit, sein Verhalten so zu andern, dafi entweder eine Steuerpflicht iiberhaupt nicht entsteht oder aber die Hohe der steuerlichen Belastung von vornherein moglichst reduziert wird. Fiskalisch ist diese Gruppe von Steuerwirkungen von besonderer Bedeutung; wird doch der fiskalische Zweck der Steuer mehr oder weniger vereitelt, wenn es dem Steuerpflichtigen gelingt, der beabsichtigten Erfassung ganz oder teilweise auszuweichen. A. C. Pigou beschrankte den von ihm zuerst beschriebenen „Tax Announcement Effect" lediglich auf die Wirkungen, die durch die Ankiindigung einer neuen Steuer ausgelost werden: „The announcement of a tax as a rule causes people to modify their conduct with a view, in some measure, to avoiding the pressure of the tax." 163 Die Ubersetzung „Signalwirkung" stammt aus der Theorie der Diskontpolitik 164; sie erweitert allerdings den Begriff der „Ankundigungswirkung" nicht unerheblich. Nicht selten uberschreitet namlich der Wahrnehmungsreiz, der die Ausweichreaktion auslost, die Reaktionsschwelle erst nach Beginn des Besteuerungsvorganges, so dafi dem Besteuerten zunachst kaum noch Ausweichmoglichkeiten verbleiben; die Reaktion setzt hier also erst ein, wenn die zweite oder gar dritte Gruppe von Steuerwirkungen bereits fiihlbar geworden ist. Die steuerpolitische Bedeutung dieses Uberspringens der Informations- und Wahrnehmungsphase liegt auf der Hand; je unmerklicher die Steuer erhoben wird, mit um so geringeren Signalwirkungen braucht sie zu rechnen, desto weniger Steuerausweichungen sind also zu befurchten. Vielfach geniigt jedoch schon die blofie Ankiindigung einer neuen Steuer, um die Wirtschaftssubjekte zu einem Verhalten zu veranlassen, als ob die Steuer tatsachlich erhoben wiirde 165; Anderungen der Preise, der Ein- und Verkaufs- sowie der Produktionsdispositionen, ja sogar Vorkehrungen und Mafinahmen zur Steuerausweichung und -vermeidung treten bereits auf, ehe die Steuer oder Steuererhohung iiberhaupt durchgefuhrt ist. Umgekehrt kann sich bereits bei Ankiindigung einer Steuererleichterung die wirtschaftliche Tatigkeit so aktivieren, als sei die Erleichterung bereits wirklich ein163 Pigou, A. C : A Study in Public Finance, 3. ed., London 1952, S. 55. 164 Sdimolders, G.: Geld und Kredit, Leipzig 1938, S. 109. 165 Als pragnantes Beispiel konnen hierzu die bundesdeutsche Kuponsteuer und die US-amerikanisdie Interest Equalisation Tax angefiihrt werden, deren Ankiindigungen z. T. grofkre Wirkungen hervorriefen als die Einfiihrung der Steuern selbst. S. hierzu Schmolders, G : Die Steuern als Instrument der Wahrungspolitik, a.a.O.
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getreten 166; ebensogut ist es aber audi moglich, dafi gesdiaftliche Dispositionen hinausgeschoben werden oder zogernder erfolgen, urn den erwarteten Vorteil aus der Steuersenkung urn so griindlicher auszunutzen. Diese Signalwirkungen sind finanzpolitisch deswegen besonders bedeutsam, weil sie audi dann eintreten, wenn die angekiindigte Steuer oder Steuererhohung in Wirklidikeit ausbleibt oder wenn die Steuer zwar in Kraft tritt, aber uberhaupt kein Aufkommen erbringt; dieser Abschreckungswirkung der Steuern, die die Finanzwissensdiaft bis dahin fast nur an den Schutz- und Prohibitivzollen zu studieren pflegte, kommt in den modernen Steuersystemen eine nidit zu unterschatzende Bedeutung zu. Fiir diese Gruppe von Steuerwirkungen gibt es zahlreidie eindrudssvolle Beispiele, wie etwa die Fenster und Tiiren moglichst vermeidende Bauweise wahrend der Geltung der franzoischen Tiir- und Fenstersteuer, die Entwicklung der Kraftfahrzeugtedinik unter der Herrschaft der steuerlichen Hubraumformel und anderes mehr. Die allgemeine Folge einer Steuerankiindigung ist es, dafi die Nachfrage entweder ausfallt oder zwecks Steuervermeidung abgelenkt wird. Wird die Steuer so hoch angesetzt, dafi ihre Vermeidung okonomisdi reizvoller wird als der mogliche Erfolg der besteuerten Handlung, so wirkt die Steuer prohibitiv; diese Prohibitivwirkung tritt naturlidi um so friiher ein, je weniger reizvoll die besteuerte Handlung an und fiir sidi ist. Das erklart den geringen fiskalischen Erfolg beispielsweise der Mineralwassersteuer im Vergleich zur Biersteuer, der in Deutschland zur Wiederaufhebung der Mineralwassersteuer fuhrte 167; aber audi reizvollere Tatbestande als der Genufi von Mineralwasser werden unter Umstanden preisgegeben, wenn ihre Erfiillung zugleich eine fiihlbare steuerlidie Belastung mit sidi bringt. Grundsatzlich lassen sich Signalwirkungen im Bereich der Haushalte und im Bereich der Unternehmungen unterscheiden; die Ausweichmoglidikeiten des privaten Haushalts gegeniiber dem Steuerzugriff sind dabei hinsichtlich der Einkommensverwendung in der Regel zahlreicher und wirkungsvoller als hinsichtlidi der Einkommenserzielung. Im Rahmen der Einkommensverwendung kann die Steuer unter der Voraussetzung, dafi geeignete Substitutionsmoglichkeiten vorhanden sind, das Signal zu entsprechenden Konsumverschiebungen setzen, eine Ausweichreaktion, die mit dem Mafistab der 166
Staatssekretar A. Hartmann bemerkte in der Borsenzeitung Nr. 253 vom 31. 12. 1954: „Wenn sich die Wirtschaft heute in einer ausgesprochenen Investitionskonjunktur befindet, dann ist das zum gro£ten Teil auf eine Vorwegnahme der Wirtschaftsbelebung durdhi die steuerliche Entlastung zuriickzufiihren." 167 Schmolders, G.: Die Ertragsfahigkeit der Getrankesteuern, Vergleichende Obersicht iiber die Voraussetzungen der Alkoholbesteuerung im Deutschen Reich, in Groftbritannien, Frankreich, der Schweiz, Danemark und den Vereinigten Staaten, Jena 1932; ders.: Art. Biersteuer, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 2. Aufl., 2. Bd., a.a.O., S. 218 ff.; Hansmeyer, K. H.: Art. Mineralwassersteuer, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 7. Bd., a.a.O., S. 365 ff.
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Nachfrageelastizitat ziemlich exakt zu erfassen ist; neben dieser Form der sachlichen Substitution kann es weiterhin durch steuerliche Anreize zu Verlagerungen zwischen Konsum- und Sparrate kommen. Im Rahmen der Einkommenserzielung konnen steuerliche Bestimmungen die Steuerpflichtigen veranlassen, ihr Einkommen zeitlich (Pensions vertrage), der Quelle nach (Veraufierungserlose) oder in seiner Zusammensetzung (Ehegattenbesteuerung) zu verandern. Finanzpolitisch bedenklich werden derartige Signalwirkungen der Einkommensteuer dann, wenn progressive Steuersatze abschreckend auf die Bereitschaft zu Oberstunden und Mehrarbeit wirken oder von der "Obernahme von Risiken, beruflicher Selbstandigkeit oder gewinnbringender Nebentatigkeit abhalten. Die Signalwirkungen im Bereich der Unternehmungen sind sehr viel mannigfaltiger; die Besteuerung beeinflufit alle unternehmerischen Dispositionen, von der Standortwahl iiber die Substitution von Produktionsfaktoren bis zu den Konzentrationsbestrebungen und dem vielberufenen „Unkostenmachen", das Steuern sparen hilft. Aus diesem grofien Komplex von Signalwirkungen der Steuern auf die unternehmerischen Dispositionen heben sich diejenigen heraus, die eine Beeinflussung der zeitlichen Dispositionen der Unternehmungen bewirken. Die Probleme der Abschreibungsmanipulationen, der Vorratskaufe und der Gewinnverschiebungen, die hier zu behandeln sind, entstehen im Grunde nur, weil die Steuer ahnlich wie die Erfolgsrechnung mit Riicksicht auf die Jahrlichkeit des Haushaltsplanes in Perioden, d. h. praktisch in Steuerabschnitten rechnet; diese Periodenabgrenzung wirkt auf den Pflichtigen wie ein Signal, die Verwirklichung des steuerpflichtigen Tatbestandes, wenn er ihr schon nicht ausweichen kann, wenigstens in eine andere, meist zukiinftige Periode zu verlegen, das Finanzamt also gewissermafien an dem Risiko zu beteiligen, das die Zukunft fur jedes Unternehmen in sich birgt. Dabei ist jedoch zu berucksichtigen, dafi die durch die Abschreibung ermoglichte Minderung des steuerbaren Gewinns unter der Voraussetzung gleichbleibender Steuersatze im Normalfall lediglich eine Steuerstundung bis zu dem Zeitpunkt darstellt, wo nach Erschopfung aller vorhandenen Abschreibungsmoglichkeiten nunmehr der gesamte Gewinn der Steuer unterworfen wird; in der Ausnutzung uberhohter Abschreibungsmoglichkeiten liegt zugleich ein gewisser Zwang zur standigen Neuinvestition. Mag ein solcher Zwang volkswirtschaftlich im Sinne einer zumindest potentiellen Verstetigung des gesamtwirtschaftlichen Wachstumsprozesses seinen guten Sinn haben, so ist doch leicht einzusehen, dafi dadurch in vielen Fallen Fehlinvestitionen provoziert werden konnen; vollends in Zeiten eines Investitionsbooms kann sich eine derartige Nebenwirkung der steuerlichen Gewinnermittlung nach Zeitperioden verhangnisvoll auswirken 168. 168 ygi# Schmolders, G.: Volkswirtsdiaftliche Probleme der sogenannten Selbstfinanzierung, in: Moderne Investitionsfinanzierung, a.a.O., S. 17 ff.
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Die zweite Phase der Steuerwirkungen, die Zahlungsphase, beginnt mit dem Eintritt der Steuerpflicht. Der Besteuerte hat den steuerpflichtigen Tatbestand erfiillt, sei es, dafi er die ihm drohende Besteuerung nicht oder erst zu spat erkannte oder aber — und das ist die Regel — dafi er keine oder nur ungenugende Moglichkeiten der Substitution (Steuerausweichung) besafi. Der Freiheitsgrad seiner Dispositionsmoglichkeiten hat sich damit stark verringert; der Besteuerung selbst kann er nicht mehr ausweichen, er kann lediglich versuchen, ihre Folgen wieder wettzumachen. Dies geschieht zunachst dadurch, dafi er die ihm auferlegte „Belastung" durch entsprechendes Verhalten am Markt von sich abzuschieben versucht; eine Anderung des Marktverhaltens flihrt jedoch immer zu einer entsprechenden Anderung der Marktdaten (z. B. Mengen und Preise), so dafi die Steuerwirkungen dieser Gruppe als Markt- und Preiswirkungen 169 bezeichnet werden konnen. Die Preiswirkungen der Besteuerung standen bislang meist einseitig im Mittelpunkt der Steuerwirkungslehre. Unter „Oberwalzung" einer Steuer verstand man seit Seligman 170 einen Steuerabwehrprozefi, „ durch den — unter der Voraussetzung sonst gleichbleibender Wirtschaftsverhaltnisse — der Steuerzahler die ihn treffende Steuerlast derartig auf eine oder mehrere Personen verschiebt, dafi sein Einkommen und Vermogen ungekiirzt bleiben" m . Die finanzpolitische Uberwalzungslehre hat auf diesem Gebiet eine spezielle Terminologie entwickelt, die eine genauere Unterscheidung der einzelnen Phanomene des Oberwalzungsvorganges ermoglicht. Bei der Frage, wen die Steuer trifft, bezeichnet die Finanzwissenschaft als „Steuerzahler" den gesetzlich zur Bezahlung der Steuer Verpflichteten, der nicht in jedem Falle mit dem „Steuerschuldner" identisch zu sein braucht, d. h. mit demjenigen, der nach dem Wortlaut des Gesetzes die rechtliche Verpflichtung und vor allem die Haftung fiir die Steuerzahlung zu tragen hat; von dem juristischen Steuerschuldner ist der nach alien Uberwalzungsvorgangen die Steuerlast endgiiltig tragende „Steuertrager" zu unterscheiden, der wiederum nicht immer identisch ist mit dem „Steuerdestinatar", d. h. demjenigen, der nach der Absicht des Gesetzgebers Steuertrager sein oder werden soil 172 . Unter der Annahme eines vollkommenen Wettbewerbs auf alien Markten konnte die Lehre von der Steueriiberwalzung ein Inzidenzschema entwerfen, nach dem es der Finanzpolitik moglich schien, die steuerliche Lasten169 Yg^ Recktenwald, H. C : Entzugseffekte der Besteuerung, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 18 (1957/58), S. 29. ^ 170 Seligman, E. R. A.: Shifting and Incidence of Taxation, 4. Aufl., New York 1921, deutsch: Lehre von der Steueriiberwalzung, Jena 1927. 171 Mann, F. K.: Wesen und allgemeiner Verlauf der Steueriiberwalzung, in: Schriften des Vereins fiir Sozialpolitik, 1926, S. 29. 172 In Anlehnung an diese Unterscheidung werden audi verschiedene Formen der Inzidenz unterschieden: 1. die unmittelbare Inzidenz liegt bei dem, der die Steuer aufgrund des Steuergesetzes zunachst zu zahlen und somit audi zunachst wenigstens liquiditatsmafiig zu „tragen" hat (impact incidence, Musgrave); 2. die gewtinschte, erwartete oder vom Gesetzgeber beabsichtigte Inzidenz (formal incidence, U. K. Hicks); 3. die tatsachliche Inzidenz (erlektive incidence, U. K. Hicks, Musgrave).
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verteilung weitgehend zu bestimmen; die Unterscheidung zwischen den sog. direkten Steuern und den sog. indirekten Steuern beruht recht eigentlich darauf, dafi die Steuerpolitik davon iiberzeugt ist, die Oberwalzungsvorgange wenn nicht beherrschen, so doch weitgehend beeinflussen zu konnen. Bei den indirekten Steuern wurde „ceteris paribus" die Uberwalzung 173, bei den direkten die Nichtiiberwalzung als Regelfall angenommen und das Steuersystem daraufhin im Sinne eines „Ausgleichs der Massenbelastung" durch moglichst kraftige Progression der Einkommen- und Vermogensteuer aufgebaut, deren Uberwalzung zwar nicht grundsatzlich geleugnet, aber doch zum Ausnahmefall erklart wurde, da ja der Wettbewerb „von selbst" dafiir sorgen werde, dafi der von der Einkommen- oder Korperschaftsteuer getroffene Steuerzahler auf die Dauer nicht in der Lage sei, seine Verkaufspreise um den Betrag der Steuer zu erhohen, solange er mit der Unterbietung durch den (steuerbefreiten) Grenzproduzenten zu rechnen habe. Der Monopolist dagegen, der ex definitione seine Gewinnmaximierung nach Preis und Produktionsmenge bereits vollzogen habe, konne eine ihm zusatzlich auferlegte Steuer ebenfalls nicht mehr im Preise seiner Erzeugnisse iiberwalzen, da er die Kaufkraft seines Marktes bereits restlos ausschopfe; in beiden Fallen ergab sich die beruhigende Gewifiheit, dafi die einem Steuerpflichtigen einmal auferlegten „ direkten" Steuern okonomisch im wesentlichen, von besonderen Umstanden abgesehen, auf ihm liegen bleiben und sein Einkommen endgiiltig schmalern wiirden. Die grofie Enttauschung, der die Finanzwissenschaft sich mit dieser ihr von der neoklassischen Preistheorie und Marktformenlehre gelieferten Hypothese ausgesetzt sah, bestand darin, dafi von einer deratig axiomatischen Nichtuberwalzbarkeit der sogenannten „direkten" Steuern keine Rede sein kann 1 7 4 ; dies zeigt insbesondere die langjahrige Debatte um die Uber173
Zum Stande der Diskussion iiber die Uberwalzung der „Sales Taxes" in der amerikanisdien Literatur (Musgrave, Buchanan, Rolph, Break) vgl. Due, J. F.: Sales Taxation and the Consumer, in: The American Economic Review, Vol. 53, Dec. 1963, S. 1078 ff.; Morgan, D. C. jun.: Reappraisal of Sales Taxation: Some Recent Arguments, in: National Tax Journal (1963), S. 89 ff.; Davies, G. D.: A Further Reappraisal of Sales Taxation, ebenda (1963), S. 410 fT.; Morgan, D. C , jr.: A Comment on A Further Reappraisal of Sales Taxation, ebenda (1964), S. 418 fT.; Hamovitch, W.: Sales Taxation — An Analysis of the Effects of Rate increases in two contrasting cases, in: National Tax Journal (1966), S. 41 Iff.; Fryman, R. F.: Sales Taxation of Producers Goods in Illinois, in: National Tax Journal (1969), S. 273 ff. 174 M. Rose hat neuerdings audi modelltheoretisch nachgewiesen, da£ „die Hypothese der generellen Nichtuberwalzbarkeit von Gewinnsteuern, wie sie aufgrund der neoklassischen Preismodelle abgeleitet wurde, . . . unter Beriicksichtigung eines Wachstums der Unternehmen in der dargelegten Form nicht mehr (gilt)" (Wachsende Unternehmen unter dem Einfluft der Besteuerung — Ein Beitrag zur mikrookonomischen Steuerinzidenzlehre, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 28 (1969), S. 24). In die gleiche Richtung tendiert der Beitrag von G. Blumle (Verteilungstheorie und makrookonomische Steueruberwalzungslehre, in: Jahrbuch fur Sozialwissenschaften (1967), S. 175 ff.), der in theoretisch einwandfreier Form nachweist, daft zwischen „Umsatz- und Gewinnsteuern (— die Dberwalzbarkeit von Umsatzsteuern war nie bestritten —) in bezug auf ihre Uberwalzbarkeit keine Unterschiede bestehen . . . " (S. 213). Wie stark sich andererseits die im Wunschdenken der Politiker fest veran-
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walzung der Korperschaftsteuer, die Jahrzehnte hindurch einfadi als eine A r t Einkommensteuer der juristischen Personen gait, deren Nichtiiberwalzbarkeit so gut wie unbestritten w a r 175 . Wahrend diese Argumentation mit den Kategorien der Preistheorie, insbesondere der vollstandigen Konkurrenz operierte, bahnt sich in der amerikanischen Literatur eine andere Fragestellung an, die auf der Unterscheidung des k u r z - und langfristigen Verlaufs der Preisbildung unter der Wirkung der Korperschaftsteuer b e r u h t 1 7 6 . Z u nachst schien die Steuer auf die Gesellschaftsgewinne schon deswegen nicht abwalzbar, weil der Betrag, der an Steuer zu zahlen war, zur Zeit der K a l kulation und Preisstellung exakt ja noch gar nicht bekannt sein konnte 177 . Dafi diese Ungewifiheit iiber den Jahresgewinn kein Argument gegen eine Kalkulation ist, die den erwarteten Steueranteil in die Preisspanne einbezieht, ist inzwischen vielfach erkannt w o r d e n ; „in the long r u n " w i r d heute die Moglichkeit einer Uberwalzung der Korperschaftsteuer weitgehend anerkannt. W i r d namlich die Steuer tatsachlich von den Eignern der besteuerten Gesellschaft in Form einer verminderten Rendite getragen, so gehen die Gewinnerwartungen zuriick, damit auch die Investitionen und schliefilich das Angebot; soweit diesem eine gleichbleibende Nachfrage gegeniibersteht, haben die noch im M a r k t gebliebenen Anbieter die Moglichkeit, ihre Preise im Idealfall so weit zu erhohen, dafi die Steuer nunmehr iiberw a l z t wird 178 . Dieser Gedankengang halt noch durchaus an der A n n a h m e vollstandiger Konkurrenz fest; mit steigender Korperschaftsteuer mufSten danach zunachst eine A n z a h l von Gesellschaften aus dem Konkurrenzkampf ausgeschieden Fortsetzung Fufinote 174 kerte Vorstellung von der Nichtiiberwalzbarkeit „direkter" Steuern festgesetzt hat, kommt auch darin zum Ausdruck, da$ der derzeitige President des Bundesfinanzhofs, W. Mersmann, die Uberwalzung der Korperschaftsteuer auch heute noch ganzlich vernachlassigen zu konnen glaubt. (Zu den Korperschaftsteuersystemen in den Industriestaaten, Vortrag auf dem Steuerberater-Kongre£ in Koln am 11. 11. 1969.) 175 ygL Ratchford, B. U. und Han, P. B.: The Burden of the Corporate Income Tax, in: National Tax Journal, Vol. 10 (1957), S. 310 ff.; Wepner, G.: Die Uberwalzung der Einkommen- und Korperschaftsteuer, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Jg. 60 (1950), H. 5 u. 6; vgl. auch Diskussion im Finanzarchiv, ausgelost von C. Fohl (Kritik der progressiven Einkommensbesteuerung, NF. Bd. 14) mit weiteren Beitragen von G. Colm (Bd. 14), H. Neisser (Bd. 14), H. Peter (Bd. 14), R. Stucken und W. Ehrlicher (Bd. 14), W. Albers (Bd. 16), K. Hauser und R. Richter (Bd. 16), H. Haller (Bd. 16), W. Krelle (Bd. 16), H. C. Recktenwald (Bd. 16), C. Fohl (Bd. 17), W. Ehrlicher (Bd. 18), C. Cosciani (Bd. 19), K. Hauser (Bd. 20, Bd. 21), H. Arndt (Bd. 21, Bd. 22). 176 R. A. Musgrave raumt der „traditionellen Regel", daft eine Gewinnsteuer kurzfristig nicht im Preis iiberwalzt werden konne, nur noch den Rang eines guten Ausgangspunktes (good point of departure) ein (The Theory of Public Finance, a.a.O., S. 286); eine Ubersicht iiber die empirischen Untersuchungen findet sich bei Due, J. F.: Government Finance, a.a.O., S. 219 f., s. auch Recktenwald, H. C.: Steueriiberwalzungslehre, a.a.O., S. 112 ff., 157 ff. 177 Goode, R.: The Corporation Income Tax, New York 1951, S. 46 f. 178 Ratchford, B. U. und Han, P. B.: The Burden of the Corporate Income Tax, a.a.O., S. 317.
§37. Die Wirkungen der Besteuerung
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sein, bevor den iibrigen die oben beschriebene Uberwalzung der Steuer infolge ihrer starkeren Marktstellung gelange. Dies ist jedoch empirisch keinesfalls festzustellen; im Gegenteil k o m m t G. Colm 179 zu der Feststellung, dafi in den vergangenen J a h r e n der grofite Teil der Korperschaftsteuer iiberw a l z t worden sein miisse, da die Investitionen und die ausgeschiitteten Gewinne hoher gewesen seien als vorher. Noch weiter geht eine empirische Untersuchung von Lerner und Hendriksen iiber die Zusammenhange von Besteuerung und Investition in den Jahren 1927 bis 1952 180 ; wenn sich die Verfasser dieser Untersuchung auch noch strauben, die Moglichkeit einer auch kurzfristigen Uberwalzung der Korperschaftsteuer anzuerkennen, so geht doch aus ihrer eigenen Argumentation logisch hervor, dafi durch die Gewinnbesteuerung keinerlei Gewinneinbufien und daher auch keinerlei Investitionseinbufien stattgefunden haben, so dafi die Starkung der M a r k t position der verbleibenden Anbieter durch eine Verringerung der Zahl der Marktteilnehmer und damit die Voraussetzung einer „langfristigen" Uberwalzung ausscheidet. Ubrig bleibt nur die Konstanz der Renditen und damit die Anerkennung einer Uberwalzung der Korperschaftsteuer: „to us the evidence is conclusive, t h a t over the past 15 years a very large p a r t of the tax has been shifted" 181 . Zu einem im Prinzip ahnlichen Ergebnis k o m m t die bekannteste Untersuchung in den USA, die sich auf Material des U S Schatzamtes fur den Zeitraum von 1921—1958 stiitzt 1 8 2 ; sie stellt fest, dafi die dem erzielten Gewinn auferlegte Steuer in der iiberwiegenden Mehrzahl der Falle iiber den Preis wieder hereingebracht werden konnte und dafi die Kapitalrendite sogar eher noch eine steigende Tendenz aufwies. Zugegebenermafien lafit das Ergebnis — die Autoren stehen ihm selbst kritisch gegeniiber — eine alternative Interpretation zu, da die Kurzfristigkeit der Betrachtung eine Deutung des Ergebnisses aus langfristigen Ursachen wie etwa einer gestiegenen Kapitalproduktivitat nicht zulafit; da aber andere empirische Tests 183 inzwischen die zumindest anteilige Uberwalzung der Korper179
Colm, G.: The Corporation and the Corporate Income Tax in the American Economy, in: The American Economic Review, Vol. 34 (1954), S. 490 ft*. 180 Lerner, E. M. und Hendriksen, E. S.: Federal Taxes on Corporate Income and the Rate of Return on Investment in Manufacturing, 1927 to 1952, in: National Tax Journal, Vol. 8, 1956, S. 188 ff. 181 Ratchford, B. U. und Han, P. B.: The Burden of the Corporate Income Tax, a.a.O., S. 324. 182 Krzyzaniak, M. and Musgrave, R. A.: The Shifting of Corporation Income Tax, An Empirical Study of its Short-Run Effect upon the Rate of Return, Baltimore 1963. 183 So z. B. Roskamp, K. W.: The Distribution of Tax Burden in a Rapidly Growing Economy: West Germany in 1950, in: National Tax Journal (1963), S. 20 ff.; Goffman, J. J.: Incidence of Taxation in Canada, in: Public Finance (1964), S. 44 ff.; De Alessi, L.: The Incidence of the Corporate Income Tax — A Stock Price Approach, ebenda (1965), S. 263 ff.; Roskamp, K. w\: The Shifting of Taxes on Business Income — The case of the West Germany Corporation, in: National Tax Journal (1965), S. 247 ff.; Kilpatrik, R. W.: The Shortrun Forward 24
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Die Einnahmenpolitik
schaftsteuer in anderen Landern und mit anderen Methoden erneut bestatigt haben, kann die Annahme einer grundsatzlich audi kurzfristigen Oberwalzbarkeit der Korperschaftsteuer als gesichert angesehen werden. Die Beweislast fiir die Gegenthese liegt jetzt bei ihren Verfechtern, die urn diese Aufgabe nicht zu beneiden sind. Wenn es den Gewerkschaften in einem an Arbeitskampfen reichen Jahrhundert nicht gelungen ist, die Lohnquote entscheidend auf Kosten der Gewinnquote anzuheben, so miifite die Besteuerung uber geradezu magische Krafte verfiigen, urn das analoge Resultat ohne Streik oder Streikdrohung mit blofien Gesetzesvorschriften erreichen zu konnen. Friiher und konkreter als die amerikanische Wirtschaftstheorie hat sich die deutsche Finanzwissenschaft mit dem Problem der Uberwalzung der Korperschaftsteuer beschaftigt. Eine Kolner Untersuchung an Hand der Betriebsaufwandsrechnungen und Kalkulationsunterlagen von Grofibetrieben hat nachgewiesen, dafi Gewinnzuschlage in der Hohe des rechnerisch auf den Stlickgewinn zu erwartenden Korperschaftsteuerbetrages meist von vornherein einkalkuliert zu werden pflegen 184. Dies liegt, wie bereits Strutz richtig erkannt hat, schon deshalb nahe, weil die Steuer den gewerblichen Gewinn als solchen, d. h. vor seiner Ausschiittung oder Entnahme als Einkommen trifft; der Kaufmann mufi mit der Korperschaftsteuer in genau dem gleichen Sinne „rechnen", wie mit der Gewerbe- und Umsatzsteuer. Infolgedessen wird die Korperschaftsteuer betriebswirtschaftlich unter wechselnden Bezeichnungen 185 als Kosten- oder Aufwandelement angesehen, das bei der Preisstellung zu berucksichtigen ist; „das Streben des Unternehmens geht dahin, neben seinem Gewinn moglichst alle Aufwendungen, also auch samtliche Steuern, im Preis seiner Betriebsleistung zuruckzuerhalten" 186. Die Tatsache, dafi die deutsche Korperschaftsteuer ganz unbefangen bei der Preiskalkulation als Kostenfaktor berucksichtigt und damit im Preis iiberwalzt zu werden pflegt, fand sogar in die gesetzlichen Kalkulationsrichtlinien Eingang; die Leitsatze fiir die Preisbildung auf Grund der Selbstkosten bei offentlichen Auftragen, die fiir die gesamte Kriegs- und Riistungspreisbildung Fortsetzung Fufinote 183 Shifting of the Corporation Income Tax, in: Yale Economic Essays, Yale 1965, Nr. 5, S. 355 ff.; Laumas, G. S.: The Shifting of the Corporation Income Tax — A Study with Reference to Indian Corporations, in: Public Finance (1966), S. 473 ff.; Gordon, R. J.: The Incidence of the Corporation Income Tax in US Manufacturing 1925—1966, in: American Economic Review (1967), S. 731 ff.; Krzyzaniak, M. (Hrsg.): Effects of Corporation Income Tax, Detroit 1966. 184 Briick, J.: Die Korperschaftsteuer als Kostenfaktor, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, Koln 1950; so auch Ernst, H.: Steuern als kalkulatorische Kosten, Diss. Koln 1969. 185 Kosten der menschlichen Gesellschaft (Mellerowicz, K.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 2, Berlin 1948, S. 30), „Politische Kostenart" oder „kostenerhohende Zwangslast" (Briick, J.: a.a.O., S. 34). 186 Grossmann, H.: Die Steueriiberwalzung als Problem der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, in: Zeitschrift fiir Betriebswirtschaft, H. 1 1939, S. 7.
§ 37. Die Wirkungen der Besteuerung
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mafigebend waren (LSD), sahen die Beriicksichtigung der Korperschaftsteuer in der Kalkulation ausdriicklich vor, wahrend Personalunternehmen als Ausgleich dafur haufig einen hoheren Wagnissatz zugebilligt erhielten 187. Diese Auffassung einer Gewinnsteuer als Kalkulationsfaktor 188 ist betriebswirtschaftlich nur konsequent. „Die Korperschaftsteuer mufi . . . selbstverstandlich von dem Reinertrag abgesetzt werden, da ihr Aufwand eine echte Kapitalminderung fiir den Betrieb darstellt." 189 Gesetzliche Kalkulationsverbote konnen die Oberwalzung dieser Steuern infolgedessen in der Regel nicht verhindern, sondern fuhren im allgemeinen lediglich zu einer etwas versteckteren Beriicksichtigung des Steueraufwandes bei der Preisbildung 19 °, die Wirtschaft richtet ihre Kalkulation und Preispolitik nach der Nettorendite aus, d. h. nach dem Gewinn, der ihr nach Deckung aller Kosten und Steuern einschliefilich der gewinnabhangigen Steuern verbleibt. Hinzu kommt, dafi die ursprunglich aus der Einkommensteuer entwickelte Korperschaftsteuer heute in Wirklichkeit in vielen Fallen nicht mehr an die individuelle Leistungsfahigkeit der Betriebe ankniipft, sondern durch die Entwicklung des Bilanzsteuerrechts, durch Abschreibungs- und Bewertungsnormen aller Art, Pauschalierung und, wenigstens bis 1954, auch durch die Mindestbesteuerung weitgehend „objektiviert
Hess-Zeidler: Kommentar der RPO und LSD, 2. AufL, Hamburg 1943,
S. 105. 188 Ygi # hierzu: Klinger, K.: Sind Korperschaftsteuern Kosten?, i n : Die W i r t schaftspriifung, Jg. 7 (1954), S. 415 ff; Klosges, E.: Sind Korperschaftssteuern Kosten?, i n : Die Wirtschaftsprufung, Jg. 7 (1954), S. 535 ff. 189
Mellerowicz, K.: Zur Problematik der Bewertung des Unternehmungsganzen, in: Die Wirtschaftspriifung, Jg. 6, 1953; ahnlich Miinstermann, H.: Wert und Bewertung der Unternehmung, Wiesbaden 1966, S. 54. 190 „In nidit weniger haufigen Fallen wadien die Betriebe aus gleichem Bedenken gegeniiber dem Fiskus dariiber, dafi die Leistungs- und Aussagefahigkeit der Kostenredinung von vornherein so niedrig wie moglich gehalten wird. Geradezu organisatorische Bliiten aber treibt der steuerliche Alpdruck dort, wo der Unternehmer die Verantwortung fiir richtiges Kalkulieren dennoch nicht missen will: in diesem Dilemma findet er sich bereit, die dkonomische Grenze im Gebrauch des Rechenstifts zu iiberschreiten und insgeheim eine gut funktionierende Kostenredinung zusatzlich zu unterhalten neben der offlziellen, die zwar schlecht arbeitet, mit der sich jedoch das Finanzamt schon zufrieden gegeben hat." (Wolter, A.: Kalkulieren — aber wie?, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. 7. 1954.) Vgl. im einzelnen Briick, J.: Die Korperschaftsteuer als Kostenfaktor, a.a.O. 191 Schmolders, G.: Entwicklung und Wandlung der Korperschaftsteuer, in: Steuer und Wirtschaft, Jg. 25,1948, S. 904 ff.; ders.: Organische Steuerreform, a.a.O. 24*
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„zustehenden" Nettogewinn zu sichern, indem er die Steuer im Preis seiner Erzeugnisse wieder hereinholt. Zwar wird durch die progressive Ausgestaltung der Einkommensteuer ihre Oberwalzung, im Gegensatz zur proportionalen Korperschaftsteuer, zweifellos in gewissem Grade erschwert; andererseits verwandelt sich ihre Progression am oberen Ende der Skala durch das Wirksamwerden des Plafonds nahezu in eine Proportionalbesteuerung, fiir die ahnliche Erfahrungen gelten, wie fiir die proportionale Koperschaftsteuer. Die Inzidenzforschung hat auf diesem Gebiete sicherlich noch nicht ihr letztes Wort gesprochen; aber schon die Auflockerung des starren Dogmas von der Nichtiiberwalzbarkeit der „ direkten" Steuern, wie sie heute bereits in der finanzpolitischen Willensbildung zu beobachten ist 192 , scheint geeignet, eine vorurteilslosere Betrachtung der belastungspolitischen Wirklichkeit und damit das Verstandnis fiir die volkswirtschaftlichen Probleme der Steuerwirkungen zu fordern. Die dritte Gruppe von Steuerwirkungen bilden schliefilich die sogenannten Einkommenswirkungen, wie sie in der Inzidenzphase auftreten; die in dieser Phase noch moglichen Reaktionen des Steuertragers gehen von der durch die Steuerinzidenz bewirkten „endgultigen" Liquiditatsminderung aus. Hier ist der Punkt erreicht, an der die Steuer unausweichlich „getragen", d. h. „aufgebracht" oder „verkraftet" werden mufi 193. Der Freiheitsgrad des Steuertragers ist in dieser Phase am geringsten; fiir ihn besteht nur noch die Moglichkeit, sich entweder mit der Einkommensschmalerung abzufinden, d. h. seinen Konsum oder seine Ersparnisse einzuschranken oder sogar zu entsparen, oder „die Flucht nach vorn" anzutreten und die ihm auferlegte Steuer durch Produktionsverbesserung oder Mehrarbeit, in diesem Falle also zu Lasten seiner Freizeit, ganz oder teilweise wieder einzuholen 194. Diese „EntzugserTekte" 195 der Besteuerung treten im Bereich der Unternehmungen in vielfaltiger Form in Erscheinung196. Der Unternehmer, fiir den die nach keiner Seite hin mehr abwalzbare Steuer ex definitione zunachst 192 Ein gutes Beispiel dafur bot die Bundestagsdebatte vom 13. Marz 1958, in der verschiedendich betont wurde, daE die sog. direkten Steuern im Betrag des Sozialprodukts echte Kosten- und Preiselemente darstellen (Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, 17. Sitzung); zu einer ahnlichen Feststellung kam das Bundesministerium der Finanzen in seiner Denkschrift iiber die Anderung des Umsatzsteuergesetzes, 3. Wahlperiode, Bundestagsdrucksadie 1954, S. 7: „Zu beaditen ist in diesem Zusammenhang audi die seit langem erkannte Tatsache, daft auch die direkten Steuern im Preise iiberwalzt werden." 193 Die Steuer bleibt hier wenigstens zunachst liegen; ob sie in einer spateren Entwicklungsphase der Volkswirtschaft weitergewalzt werden kann, ist moglich und wahrscheinlidi, da Inzidenz mehr ein zeitlidier ProzeE als ein Zustand oder ein ein fiir allemal abgeschlossener Vorgang ist. 194 Abgesehen von dem unrealistischen Fall, dafi die aufgebraditen Betrage etwa gerade wieder den Steuertragern „zugeschwemmt" werden; dieser Fall gehort jedoch in die Phase der Markt- und Preiswirkungen. 195 Ob es sinnvoll ist, die Inzidenz, wie Musgrave (Finanztheorie, a.a.O., S. 177 ff.) als Realeinkommensveranderung zu definieren, ist sehr zweifelhaft, da der Begriff des Realeinkommens die dem Geldeinkommen korrespondierende Giiter-
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eine Verringerung der Liquiditat bedeutet, wird in der Regel bestrebt sein, den eingetretenen Liquidities- und Rentabilitatsverlust wieder wettzumachen, was in erster Linie durch Kostensenkung geschehen kann; fur diesen Vorgang, der zu Unrecht als eine Art der Oberwalzung angesehen wurde, hat die Finanzwissenschaft den Begriff „Steuereinholungc< (weniger plastisch auch „Abwalzung" im Gegensatz zu „ Oberwalzung") gepragt 197 . In Wirklichkeit handelt es sich dabei nicht urn die Vermeidung, sondern um eine Folge der Inzidenz; der Erlos der Kosteneinsparung, der ohne die Steuer dem Unternehmen verblieben ware, wird von ihm an das Finanzamt abgefiihrt. Die Starke des Anreizes, die durch die Besteuerung endgiiltig bewirkte Einkommensminderung wieder auszugleichen, ist von der Hohe der Steuer und von ihrem mehr oder weniger engen Zusammenhang mit der Kostenstruktur des Unternehmens abhangig; das in der Literatur meistzitierte Beispiel ist das der deutschen Zuckersteuer, die bis 1887 als Rohstoffsteuer erhoben wurde, wobei der Steuer ein Ausbeuteverhaltnis von 1 kg Zucker aus 17 kg Ruben zugrundegelegt war. Im Laufe der Zeit wurde das Produktionsverfahren, nicht zuletzt unter dem Druck der steuerlichen Belastung des Rohstoffs, so betrachtlich verbessert, dafi 1880 zur Herstellung von 1 kg Zucker nur noch 11 kg, 1890 nur noch 8 kg Ruben benotigt wurden, wodurch die Steuerlast mehr als „eingeholt
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Die Einnahmenpolitik
trachtliche Gewinnbesteuerung den Anreiz zur privaten Investition" behindert, so werden doch diese, „im Prinzip investitions- und risikoschadlichen Steuereff ekte . . . in der Wirklichkeit teilweise oder ganzlich aufgehoben" 199 oder zumindest iiberdeckt; die nichtsteuerlichen Antriebe zur Investition sind in der Regel starker, wobei insbesondere die Ertragserwartungen, aber audi „nonpecuniary considerations" 200 eine Rolle spielen, so dafi letztlich jede Aussage iiber die Wirkung der Besteuerung auf das Investitionsverhalten mit der Theorie der Investitionsentscheidung steht und fallt 201 . Die Entzugseffekte der Besteuerung im Bereich der privaten Haushalte haben schon seit vielen Jahrhunderten das Interesse der Finanzwissenscnaft gefunden; bereits bei den Merkantilisten wurde der Gedanke vertreten, die Besteuerung konne durch den Ansporn zu verstarkter Leistung eine Erhohung des Arbeitsangebots bewirken, ja man konne bestimmte Bevolkerungsschichten iiberhaupt nur durch die Steuer zur Arbeit anhalten. Wenn die Finanzwissenscnaft gegeniiber dieser primitiven Unterstellung einer positiven Anspornwirkung der Besteuerung auch heute weitaus zuriickhaltender ist, so ist doch andererseits nicht zu leugnen, dafi sie dem Phanomen der steuerlichen „Incentives" oder „Disincentives" bis dato im Grunde mehr oder minder unwissend gegenubersteht. Weder der erste theoretische Ansatz von A. C. Pigou, der einer Steuer zur Finanzierung von staatlichen Leistungsentgelten (Kaufen) eine positivere Wirkung auf das Arbeitsangebot zuschrieb als einer Steuer, die zu Einkommensubertragungen ohne Gegenleistung (Transferzahlungen) verwendet wird, bei der also dem Steuertrager das Gezahlte z. T. wieder zuflieCt 202, noch die Weiterfiihrung dieser theoretischen Analyse durch die angelsachsische Finanztheorie 203 vermag das Phanomen der „Work-Leisure-Choice" befriedigend zu erklaren, das vielmehr in erster Linie eine Aufgabe der empirischen Forschung bleibt 204. Die auf diesem Gebiet bisher geleistete Arbeit steckt jedoch zweifellos noch in den Anfangen. Insbesondere wird jede empirische Erhebung durch die vage Kenntnis der Besteuerten iiber ihre tatsachliche Steuerbelastung 205 199
Recktenwald, H. C : Entzugseffekte der Besteuerung, a.a.O., S. 41. Lintner, J., Butters, J. K.: Effects of Taxes on Concentration, in: Business Concentration and Price Policy, Princeton 1955, S. 243. 201 "Conclusions on the taxation effects of investment can be no better than the underlying theory of investment behavior, and this is far from satisfactory" (Musgrave, R. A.: The Theory of Public Finance, a.a.O., S. 328). S. hierzu auch die modelltheoretische Arbeit von Schneider, H.: Der Einflufi der Steuern auf unternehmerische Investitionsentscheidungen, Tubingen 1964, sowie die bei Neumark, F.: Fiskalpolitik . . . , a.a.O., S. 78 f. angegebene Literatur. 202 Vgl. § 22. 203 ygi u a# R 0 lph, £. R.: The Theory of Fiscal Economics, a.a.O., S. 227 ff.; Musgrave, R. A.: The Theory of Public Finance, a.a.O., S. 232 ff. 204 So auch Musgrave, R. A.: ebenda, S. 238; s. hierzu auch Andreae, C. A.: Okonomie der Freizeit, Reinbeck 1970. 205 Vgl. § 34. 200
§38. Die Steuer im Dienste der Wirtschaftspolitik
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erheblich erschwert; eine durch die „ Royal Commission on the Taxation of Profits and Income" durchgefuhrte Befragung, bei der nur 3 bis 5 v. H. der befragten Personen ihre Einkommensteuerschuld genau kannten, obwohl nicht weniger als 73 v. H. der Manner und 60 v. H. der Frauen von einef „lahmenden" Wirkung der Besteuerung auf ihre Arbeitsleistung sprachen 206, zeigt diese Tatsache besonders deutlich. Brauchbarere Ergebnisse zeitigte die methodisch besser angelegte Befragung von G. F. Break bei einer reprasentativen Auswahl von Rechtsanwalten und Wirtschaftsprufern, die allerdings auch nur die allgemeine Richtung des Verhaltens der Besteuerten erkennen liefi; setzt man die lahmenden und anspornenden Wirkungen der Besteuerung in Beziehung zu dem erzielten Einkommen, so hielt der empirischen Nachpriifung lediglich die theoretische Annahme stand, dafi die „Disincentives" mit steigendem Einkommen zunehmen, wahrend sich die „ Incentives" iiber die ganze Einkommensskala verteilten 207 . Allgemein kann bei aller gebotenen Vorsicht aus der Breakschen Untersuchung gefolgert werden, dafi sich die Reaktionen der Besteuerten, was ihre Leistungsbereitschaft und Arbeitslust angeht, in engen Grenzen halten; dieses Ergebnis wurde auch in einer von der Kolner Forschungsstelle fur empirische Sozialokonomik in Zusammenarbeit mit dem Emnid-Institut durchgefuhrten Befragung einer reprasentativen Auswahl des selbstandigen Mittelstandes auch fiir die deutschen Steuerzahler weitgehend bestatigt 208.
§ 38. Die Steuer im Dienste der Wirtschaftspolitik Ungeachtet der vorstehend geschilderten Probleme, die sich schon bei jeder rein fiskalisch orientierten Steuer ergeben, ist die Besteuerung von jeher auch zu „nichtfiskalischencc Zwecken eingesetzt worden. Nach den Kameralisten, die den Steuern und Zollen bereits mannigfache Aufgaben im Dienst der Bevolkerungs- und Wirtschaftspolitik zugewiesen hatten, war es insbesondere Adolph Wagner, der den „sozialpolitischen Zweck" der Einkommens- und Vermogensumschichtung gleichberechtigt neben den fiskalischen Zweck der Besteuerung stellte; seitdem ist kaum noch eine Steuer zu finden, zu deren Begriindung oder Rechtfertigung nicht auch aufierfiskalische Argumente der verschiedensten Art herangezogen wiirden, wobei es gelegentlich schwierig wird, die eigentliche „Absicht des Gesetzgebers" aus der 206 R 0 y a l Commission on the Taxation of Profits and Income: Second Report, London 1954, S. 116 ff. 207 Break, G. F.: Income Tax and Incentives to Work, a.a.O. Zum Problem der einkommensteuerbedingten Anspornwirkungen s. auch Fechner, H.: Einige Bemerkungen iiber „Incentive-Wirkungen" der Einkommensbesteuerung, in: Public Finance (1965), S. 76 ff.; Welinder, C : Einkommensteuer und Arbeitswilligkeit — Einige steuerpolitische Gesichtspunkte, in: Public Finance (1965), S. 233. 208 Striimpel, B.: Steuermoral und Steuerwiderstand . . . a.a.O.
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Die Einnahmenpolitik
Vorgeschichte, der amtlichen Begriindung oder dem Stimmenverhaltnis bei der Einfiihrung einer Steuer zu rekonstruieren. Die an mancherlei bitteren Erfahrungen geschulte Steuerpolitik pflegt sogar den vorwiegend fiskalischen Zweck einer neuen Steuer oder eine Erhohung bestehender Steuern mit Vorliebe durch breit ausgemalte Hinweise auf von der offentlichen Meinung gebilligte nichtfiskalische Aufgaben und Ziele zu tarnen. Unter diesem Aspekt erscheint es wenig sinnvoll, mit W. Gerloffs dualistischem Steuerbegriff zwischen „Finanzc<- und „Ordnungs"steuern zu unterscheiden; beide Elemente sind in der Steuer unlosbar miteinander verbunden. Jede Steuer wird unmittelbar zur Erfiillung von Staatszwecken eingesetzt, indem sie zur Deckung der erforderlichen Aufwendungen beitragt, vielfach jedoch audi mittelbar, indem sie dazu dient, das Verhalten der Besteuerten in eine Richtung zu lenken, die zur Erreichung staatlich gesetzter Ziele fiihrt. Die nichtfiskalischen Ziele der Steuergesetzgebung beschrankten sich bis vor wenigen Jahrzehnten entsprechend der Wirtschaftspolitik im wesentlichen auf punktuelle Eingriffe; einzelne Steuern dienten zu begrenzten wirtschaftspolitischen Interventionen. Bei dem zu diesem Zweck eingesetzten steuerlichen Instrumentarium handelte es sich einerseits um sogenannte „Verwendungszwecksteuern" (besser: Zweckzuwendung von Steuerertragen), andererseits um „Wirkungszweeksteuern", die ohne Riicksicht auf die Hohe des Aufkommens einen ganz bestimmten volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder sonstigen nichtfiskalischen Zweck verfolgten 209 ; sie sollten dem Steuerpflichtigen auf dem Umweg iiber eine entsprechende Signalwirkung (Prohibitiv- oder Abschreckungswirkung) ein bestimmtes Verhalten nahelegen, ohne ihn jedoch einem unmittelbaren Zwang zu unterwerfen. Diese staatliche Lenkung „mit leichter Hand" empfiehlt sich iiberall da, wo es der Zwangsmafinahmen entweder nicht bedarf oder wo solche von vornherein zum Scheitern verurteilt waren, weil der Adressat, an den sich die Anordnung richten miifite, dem Staat unbekannt oder seiner Gewalt nicht unterworfen ist. Diese Wirkungszwecksteuern sind die eigentlichen „Zwecksteuerncc im engeren Sinne; stets konkurriert ihr Ertragszweck in verschiedenem Grade mit dem nichtfiskalischen Zweck. Das Kriterium, an dem der „Wahrheitsgehalt" einer als nichtfiskalisch bezeichneten Besteuerungsmafinahme abgelesen werden kann, ist in den meisten Fallen der Grad, in dem der Wirkungszweck den Ertragszweck der Steuer beeintrachtigt, mit anderen Worten, in welchem Umfange die Besteuerung auf an sich mogliche Einnahmen zu verzichten bereit ist, um das angegebene Ziel zu erreichen. Dies gilt um so mehr, wenn der Ertragszweck primar ist, wahrend die Bezeichnung der 209 Brauer, K.: Finanzsteuern, Zwecksteuern und Zweckzuwendungen von Steuerertragen, in: Schriften des Vereins fur Sozialpolitik, Bd. 174, Teil 2, 1928.
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Steuer und ihre Begriindung den nichtfiskalischen Zweck mehr oder weniger nur vorzutauschen versuchen. Ein Beispiel ist der angebliche Einsatz der Besteuerung zu bevolkerungspolitischen Zwecken; die erhohte Besteuerung der Ledigen beiderlei Geschlechts im Hitlerstaat, seinerzeit motiviert mit der Absicht steuerlicher Forderung der Familiengrundung, tauschte im Grunde diesen nichtfiskalischen Zweck wohl nur vor, urn die Erhohung der steuerlichen Belastung der Bevolkerung zu tarnen. Anders verhalt es sich wahrscheinlich mit der franzosischen Junggesellensteuer und auch wohl mit der beliebten qualitativen Verbrauchslenkung mittels der Besteuerung; hierher gehort die amerikanische Margarinesteuer von 1886, eine indirekte Subvention fur die Milchwirtschaft, die sicherlich primar gesundheitspolitisch begriindete Rauchopiumsteuer und die Alkohol-, insbesondere Branntweinbesteuerung in den Landern, deren puritanische Tradition an den Trinksitten Anstofi nimmt. Fur Deutschland bezeichnete W. Lotz den moralisierenden Nebenzweck dieser Steuern allerdings als „innere Unwahrhaftigkeit"; er sei wohl „ein bequemes Argument fur Finanzpolitiker", aber nicht das berufene Mittel „zur Verwirklichung grofierer Moralitat" 210. Die Erfahrung hat im Gegenteil bewiesen, dafi prohibitiv wirkende Steuersatze bei den Genufimittelsteuern in aller Regel bald wieder auf eine „optimale" Hohe zuriickgeschraubt zu werden pflegen, um das Steueraufkommen nicht zu gefahrden 211. Ein echter nichtfiskalischer Zweck der Besteuerung war dagegen beispielsweise der Schutz der Wahrung vor iibermafiiger Ausweitung des Notenumlaufs, wie er im Deutschen Reich zur Zeit der Goldwahrung und auch nach der Stabilisierung von 1924 mittels einer „Banknotensteuer" angestrebt wurde; schon 1866 war in den USA eine indirekte Kontingentierung des Notenumlaufs durch eine solche Banknotensteuer eingefuhrt worden. In den Vereinigten Staaten mufi ohnehin die Steuerhoheit, die die Bundesregierung nach dem Wortlaut der Verfassung unbestritten besitzt, haufig an die Stelle der sonst den Einzelstaaten vorbehaltenen Gesetzgebungsbefugnis treten; statt nahrungsmittelpolizeilicher Verbote, fur die dem Bunde die Zustandigkeit fehlt, gab es schon 1898 eine „Steuer auf verfalschtes Mehl", und statt eines bundeseinheitlichen Sozialversicherungsgesetzes gelten bis heute besondere „Pay-Roil Taxes", von deren Zahlung sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Nachweis ihrer Mitgliedschaft bei einer den bundesgesetzlichen Normen entsprechenden Landessozialversicherung befreien konnen. Aber auch in jungster Zeit wurden Steuern wie die Selective Employment Tax in England, die Interest Equalisation Tax in den USA, die Kuponsteuer und die Ausfuhrsonderbelastung im Rahmen des Absicherungsgesetzes in Deutsch-
210 211
Lotz, W.: Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 274. Sdimolders, G.: Die Ertragsfahigkeit der Getrankesteuern, a.a.O.
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land 212 aus wahrungspolitischen und anderen nichtfiskalischen Griinden eingefiihrt. Sind es in diesen Fallen ganze Steuern und besondere Gesetze, die den staatlichen Lenkungseingriff bewirken, so treten nichtfiskalische Steuermafinahmen weit haufiger im Rahmen normaler fiskalischer Steuern auf, die zur Erreichung bestimmter wirtschafts- oder sozialpolitischer Zwecke nach der einen oder anderen Richtung umgestaltet werden, insbesondere hinsichtlich des Steuertarifs. Das klassische Beispiel ist der Zoll; solange die Zollsatze nicht bis zu prohibitiver Hohe gesteigert werden, erzielt die Zollverwaltung Einnahmen nicht nur aus den sogenannten Finanzzollen, verbrauchsteuerartigen Abgaben von aus dem Auslande eingefuhrten Genufimitteln und Rohstoffen, sondern auch aus den nichtfiskalischen „Schutzzollen
Schmolders, G.: Die Steuer als Instrument der Wahrungspolitik, a.a.O.
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In der Finanzwissenschaft ist von jeher die Auffassung vertreten worden, dafi es Steuern geben miisse, die nicht nur nicht hemmend auf Produktion und Kapitalbildung wirken, sondern umgekehrt zu einer hoheren Leistung anspornen sollten. Diese Idee einer „Anspornsteuer
1927.
Vgl. Andreae, W.: Bausteine zu einer universalistischen Steuerlehre, Jena
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Epigonen Karl Marx' diese Einsicht beim Studium seiner Werke wesentlich friihzeitiger hatten gewinnen konnen." 214 Jeder Versuch einer strengen Rangordnung oder Systematisierung der heute politisch zur Diskussion stehenden nichtfiskalischen Aufgaben der Steuerpolitik scheitert schon daran, dafi eine verbindliche Rangfolge der nichtfiskalischen Steuerzwecke hinsichtlich ihrer Dringlichkeit und Gewichtigkeit ebensowenig zu finden ist wie bei den Staatsausgaben; mag fur die eine oder andere politische Partei jeweils dieses oder jenes Ziel eindeutig im Vordergrund stehen, und mag auch eine bestimmte Extremsituation iiber alle Meinungsverschiedenheiten hinweg bestimmte ad hoc-Mafinahmen erfordern, so lafit sich doch eine an objektiven Mafistaben orientierte Dringlichkeitsoder Gewichtigkeitsskala jedenfalls wissenschaftlich nicht begriinden. Im Gegenteil fallt bei vielen politisch weithin akzeptierten steuerpolitischen Zielsetzungen der Wissenschaft gerade umgekehrt eher die Aufgabe zu, die Wirksamkeit dieses Instrumentariums im Hinblick auf das gesteckte Ziel kritisch zu analysieren und dabei u. U. mit erhobenem Finger auf die Punkte zu deuten, an denen sich die verschiedenen Mafinahmen in unerwunschter Weise kumulieren und potenzieren oder sich umgekehrt gegenseitig paralysieren. Das gilt besonders fur das Problem der Einkommensumschichtung (Redistribution) mittels der Besteuerung; lehrt uns doch „die historische Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dafi fundamentale Anderungen des Preisniveaus als Folge staatlicher Mafinahmen der Beschaftigungs-, Rustungs- und Kriegsfinanzierung im aufiersten Falle zur Deklassierung ganzer Einkommensschichten fiihren konnen. Aber auch die ,dosierte Inflation', wie sie fur die meisten Lander der westlichen Welt seit Kriegsende charakteristisch ist, bildet die Grundlage fur Emkommensumschichtungen, deren Gefahr trotz der Allmahlichkeit des Vorganges nicht unterschatzt werden solltec< 215. Die Einkommensumschichtung (Redistribution) gehort zu den politisch umstrittensten nichtfiskalischen Zielen der Steuerpolitik. Schon den Kameralisten war bekannt, dafi die Besteuerung einen Einflufi auf die Verteilung des Wohlstandes ausiibt; nach der Novemberrevolution von 1918 fand die besitz- und kapitalfeindliche Ausgestaltung des deutschen Steuersystems ihren Ausdruck in dem bekannten Wort ihres Schopfers M. Erzberger, ein guter Finanzminister sei „zugleich der beste Sozialisierungsminister". Mit 214
Markner, R.: Die Handwerksteuer in der Sowjetisdien Besatzungszone Deutschlands, a.a.O., S. 89. 215 Jecht, H.: Staatliche Wirtschaftspolitik und Einkommensverteilung, in: Einkommensbildung und Einkommensverteilung, Schriften des Vereins fur Sozialpolitik, NF, Bd. 13, Berlin 1957, S. 130; s. hierzu audi Fricke, D.: Geldentwertung bei konstantem Preisniveau und realem Einkommenswachstum, Das Problem der relativen Inflation, in: Geldtheorie und Geldpolitik, a.a.O., S. 47 ff.; Schmolders, G.: Der sanfte Tod des Rentners. Schidssale einer Prognose, Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Nr. 3, 1969.
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der von J. M. Keynes in seiner „ General Theory" vorgeschlagenen redistributiven Besteuerung, die ebenfalls eine Nivellierung der Einkommen zum Ziele hat, w u r d e das bis dahin vorwiegend sozial-ethisch motivierte P r o gramm der Einkommensumverteilung mit einer sozial-okonomischen Begriindung ausgestattet; die „Neigung zum Verbrauch" und damit die effektive Nachfrage sollte durch Einkommensniveilierung verstarkt werden, um zur Vermehrung der Beschaftigung beizutragen 216 . Abgesehen davon, dafi diese Gedankengange aus der besonderen Situation der Weltwirtschaftskrise stammen und dafi sie infolgedessen keine allgemeine oder dauernde Geltung beanspruchen konnen, und dafi insbesondere die von Keynes unterstellte Sparfunktion inzwischen bereits als falsifiziert gelten darf, lafit sich in der okonomischen Theorie letztlich kaum eine uberzeugende Begriindung fiir die Forderung nach Einkommensumverteilung finden 217 ; nichtsdestoweniger ist dieses Postulat inzwischen langst zum festen Bestandteil der im politischen R a u m geltenden okonomisch-sozialen Axiomatik geworden, hinter der geniigend starke politische Krafte stehen, um ihre wissenschaftliche Motivierung im einzelnen zu eriibrigen. Die Ansatzpunkte der Forderung nach steuerlicher Redistribution verteilen sich fast iiber die ganze Skala der geltenden Besteuerungsformen, angefangen von den Einkommen- und Gewinnsteuern iiber die allgemeinen M a r k t - (Umsatz-) bis zu den speziellen Verbrauchsteuern; ihre Diskussion geht meist von der Pramisse einer gleichbleibenden Gesamtsteuerlast aus, so dafi sie sich alle Uberlegungen iiber die Wirkungsweise der Verwendung der aufkommenden Steuermittel ersparen kann. Theoretisch sieht das so aus, dafi die steuerliche Entlastung der unteren Einkommen durch eine entsprechend verscharfte Belastung der hoheren und hochsten Einkommen finanziert w i r d ; in der Praxis zeigt sich jedoch bald, dafi selbst konfiskatorisch erhohte Steuersatze „oben
Vgl. § 29. Vgl. § 27. 218 Bei der Steuersenkung zum 1. Januar 1965 hatte ein Punkt Tariferhohung „oben" nur etwa 35 Mill. DM Mehraufkommen erbradit, wahrend allein die Ermafiigung von 20 auf 19% „unten" 820 Mill. DM erforderte, der Freibetrag fiir Arbeitnehmer ebensoviel. 217
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grenztem Umfange; fiir den Kreis der selbstandigen Berufe und vielleicht audi noch fiir manche hochverdienenden leitenden Angestellten mag sie noch zutreffen, im Unternehrnensbereich ist jedoch bei freier Preisbildung und einem einigermafien rationalen Kalkulationsverhalten der Betroffenen eine effektive Schmalerung der Gewinne durch eine hohe Einkommen- oder Gewinnbesteuerung kaum gewahrleistet. Hinzu kommt, dafi gerade die hohen Einkommen international beweglich genug sind, der heimischen Besteuerung durch Sitzverlagerung ins Ausland, Grundung auslandischer Basisgesellschaften und dgl. erfolgreich auszuweichen; der sogenannte Oasenbericht der Bundesregierung hat die Illusion, die Millionaire zur Redistribution heranziehen zu konnen, griindlich zerstort 219. Wie die Dinge heute liegen, lassen sich uber die Redistributionswirkungen des gesamten Einnahmen- und Ausgabensystems nur Mutmafiungen anstellen. G. Zeitel 220 kam auf Grund einer Analyse der formalen Inzidenz des bundesdeutschen Steuersystems zu dem Ergebnis, dafi damit eine gewisse Einkommensumschichtung mittels einer leichten Progression des gesamten Budgetvolumens herbeigefuhrt wird; H. Jecht hatte demgegeniiber schon in einer Untersuchung 1950 nachgewiesen, dafi das Schwergewicht der Redistribution innerhalb der breiten Schicht der unselbstandig Erwerbstatigen liegt, d. h., dafi innerhalb dieser Schicht gewissermafien horizontal durch Steuern und Versicherungsbeitrage die Mittel aufgebracht werden, die den Kranken, Invaliden und Alten der gleichen Schicht zufliefien 221. Spricht schon dieses Ergebnis der derzeit praktizierten personalen Redistributionspolitik kein besonders giinstiges Urteil, so aufierte sich spaterhin der Staatssekretar im Bundesministerium fiir Arbeit und Sozialordnung, Dr. W. Clausen, noch weit skeptischer: „Die Steuereinnahmen, die Voraussetzung aller Hilfsleistungen des Staates, werden heute nicht mehr allein, wie in friiheren Zeiten, ausschliefilich von den Besitzenden aufgebracht . . . Grob gesprochen, konnte man sagen, da6 der Staatsbiirger, der heute vom Staat Hilfe verlangt, mindestens 60 v. H., wenn nicht 80 v. H. von dem selbst aufbringen mufi, was ihm als vermeintlicher echter Einkommenzuwachs zufliefit. Wahrend also friiher uber die Steuern eine echte Umverteilung der primaren Einkommen stattgefunden hat und diese Umverteilung daher ein durchaus geeignetes Mittel der Sozialpolitik war, ist sie es heute nicht mehr . . . Viele Mafinahmen, die heute iiber Zuschiisse aus Staatsmitteln mit dem Pradikat ,sozialc finanziert werden, haben in wachsendem Mafie unsoziale Wir219
Bericht der Bundesregierung an den deutschen Bundestag iiber Wettbewerbsverfalschungen, die sich aus Sitzverlagerungen und aus dem zwischenstaatlichen Steuergefalle ergeben, Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/2412. 220 Zeitel, G.: Die Steuerlastverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, Tubingen 1959. 221 Jecht, H.: Staatliche Wirtschaftspolitik- und Einkommensverteilung, a.a.O., S. 142.
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kung." 222 Unser System der sozialen Sicherheit, dessen Ausbau in drei Generationen immer weiter vorangetrieben worden ist, gerat mehr und mehr in die Gefahr einer gewissen Oberstrapazierung, deren Auswirkungen iiber den eigentlichen sozialpolitischen Bereich hinaus auf den Verteilungsmechanismus des Marktes sorgfaltig im Auge behalten werden miissen 223. Etwas positiver ist vielleicht die Moglichkei einer steuerlichen Beeinflussung der Vermogensstruktur zu beurteilen, wie sie unter dem Schlagwort „ Vermogensbildung in Arbeitnehmerhand" zu den im politischen Raum anerkannten Zielen der Wirtschaftspolitik gehort. Von der Erkenntnis, daiS „die Ungleichheit der Vermogensverteilung auch in Gesellschaften mit durchschnittlich hohem Lebensstandard eine Quelle sozialer Spannungen" 224 darstellt, bis zur Durchfiihrung geeigneter Mafinahmen, sie zu beseitigen, ist allerdings ein weiter Weg. G. Weisser hat darauf aufmerksam gemacht, daS die vielfach vertretene Meinung, eine gute Vermogenspolitik sei mit einer guten Einkommenspolitik im Sinne einer „Verbesserung des personellen Anteils der Arbeitnehmer am Volkseinkommen" zu erreichen, noch mancherlei Zweifeln unterliege 225 . Untersuchungen unserer Kolner Forschungsstelle fiir empirische Sozialokonomik haben ergeben, dafi das Einkommen nur eines unter mehreren Elementen der sozialen und wirtschaftlichen Situation ist, die auf die Spartatigkeit von Einflufi sind; hinzu kommen andere Elemente wie Beruf, Familienstand u.a.m. 226 . Das bedeutet, dafi eine Einkommensanderung bei den Angehorigen eines bestimmten Familienstandes eine andere Wirkung haben kann als bei Angehorigen eines anderen Berufes oder eines anderen Familienstandes; Sparen und Vermogensbildung sind primar von sozialen Faktoren abhangig, die zum Teil erst ihrerseits das Einkommen bedingen 227 . Fur die Eigentums- und Vermogenspolitik ergibt sich daraus, dafi sie von globalen Einkommenssteigerungen ebensowenig einen durchschlagenden Erfolg erwarten kann wie von gruppenspezifisch gezielten Erleichterungen der Steuern; die Freiheit der Entscheidung iiber die Verwendung in Konsum und Sparen ist, wie Untersuchungen ergeben, nicht dazu angetan, die Sparwillig222 Clausen, W.: Grundziige einer zeitgemaften Sozialpolitik, in: Recht der Arbeit, Zeitschrift fiir Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts, 16. Jg., 1963,223S. 4. Vgl. Willgerodt, H.: Die Krisis der sozialen Sicherheit, in: ORDO, Bd. 7, 1955,224S. 145 ff. Molitor, B.: Art. Eigentum I, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 3, a.a.O., S. 37. 225 "Weisser, G.: Vermogen und Vermogenspolitik, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 11, a.a.O., S. 179. 226 Schmolders, G.: Zur Psychologie der Vermogensbildung in Arbeiterhand, in: KYKLOS, Vol. XV (1962), S. 165 ff.; ders.: Eigentum und Eigentumspolitik, in: Eigentum und Eigentumer in unserer Gesellschaftsordnung, a.a.O., S. 213 ff. 227 Schmolders, G.: Wie man die Menschen zum Sparen bringt, in: Die Zeit, 1957, Nr. 22; ders.: (mit Scherhorn, G., Schmidtchen, G.) Der Umgang mit Geld . . . , a.a.O.
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keit auch in den untersten Einkommensschichten zu fordern. A. Oberhauser 228 kommt zu dem Ergebnis, dafi die bisherigen finanzpolitischen Mafinahmen zur Sparforderung und Vermogensbildung — Sparpramiengesetz, Wohnungsbaupramiengesetz, Forderung der Ausgabe von Belegschaftsaktien, Privatisierung — im wesentlichen nicht zu einer Vermogensbildung in den Schichten angeregt hatten, die mit diesen Mafinahmen iiberwiegend angesprochen werden sollten. Bessere Aussichten in dieser Hinsicht hat das 1961 in Kraft getretene und z. Z. (1970) zur Novellierung anstehende „Gesetz zur Forderung der Vermogensbildung der Arbeitnehmer" 2295 das bei grundsatzlicher Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers durch seine besondere Ausgestaltung die vermogenswirksame Anlage bestimmter Betrage seitens des Arbeitgebers zugunsten des Arbeitnehmers lohnsteuerlich begiinstigt 230 ; ob damit angesichts des noch immer weitverbreiteten „Lohntutendenkensc< eine breitere Vermogensbildung bewirkt wird, bleibt auch dann abzuwarten, wenn die Zuwendungen im Tarifvertrag verbindlich ausbedungen werden. Auch wenn durch steuerliche Mafinahmen eine gewisse Redistributionswirkung im unteren und mittleren Bereich der Einkommens- und Vermogenspyramide zu erreichen ist, mufi man sich fragen, ob dieses Ziel nicht in einem Gegensatz zu anderen nichtfiskalischen Steuerzwecken, insbesondere zur Wachstums- und Stabilisierungspolitik geraten mufi. Da sich bei der Erklarung von Konjunktur- und Wachstumsschwankungen bisher die Uberinvestitionstheorien am besten bewahrt haben 231, ware fiir die Realisierung eines nicht maximalen, aber doch gleichmafiigen und ausgewogenen Wachstums im Prinzip sogar geradezu ein Verzicht auf allzuviel Redistribution zu empfehlen. Vollends unter dem Gesichtspunkt der kurzfristigen Beschaftigungsstabilisierung kommt es leicht zu einem diametralen Gegensatz zwischen den Zielen Stabilitat und Umverteilung, da man in der Regel davon ausgehen kann, dafi die Investitionslust der Unternehmen nicht zuletzt von ihrer Gewinnsituation abhangt. Eine allzu redistributionsorientierte Steuerpolitik gefahrdet damit u. U. nicht nur das Wachstums- und Stabilitatsziel, sondern auf dem Wege uber die damit provozierte Kapital- und Steuerflucht auch 228 Oberhauser, A.: FLianzpolitik und private Vermogensbildung, Wirtschaftsund Finanzwissenschaftliche Forschungen, Bd. 2, Koln und Opladen 1963, S. 162 ff. Vgl. auch Engelhardt, G.: Verhaltenslenkende Wirkungen der Einkommensteuer, a.a.O. 229 BGB1. 1960, S. 909 ff. 230 Spiegelhalter, F.: Vermogensforderung, Aufgaben und MaEnahmen des Gesetzgebers, Darmstadt 1961; Hohnen, W.: Die vermogenspolitisdien Gesetze und Mafinahmen in der Bundesrepublik Deutschland, Koln 1969; Border, W.: Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Vermogensbildungsplanen, 1969. 231 Diirr, E.: Probleme der Konjunkturpolitik, a.a.O., S. 26 ff. Auch F. Neumark geht bei seiner Analyse (Fiskalpolitik und Wachstumsschwankungen a.a.O.) implizit von dieser Annahme aus.
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die langfristige Wohlstandsentwicklung des Landes iiberhaupt; der kluge Finanzpolitiker wird daher zwar bemiiht sein, seiner Politik stets audi einen gewissen redistributiven Effekt zu geben, er wird es aber den Geschaftskundigen unter seinen Steuerzahlern grundsatzlich nicht verargen, wenn sie in den Maschen der Steuergesetze geniigend Schlupflocher finden232, urn im harten internationalen Wettbewerbskampf uberleben zu konnen. Ein Tummelplatz wirtschaftspolitischer Mafinahmen mit Hilfe der Besteuerung ist ferner die Einflufinahme auf Struktur und Konjunktur der Gesamtwirtschaft. Besonders nach Kriegs- und Krisenzeiten, nicht selten auch im Falle ungleichgewichtigen Wachstums der Gesamtwirtschaft treten gelegentlich Engpafisituationen in einzelnen Wirtschatfsbereichen auf, die das Augenmerk der Steuerpolitiker auf sich Ziehen; die Erfahrungen, die mit den verschiedenen Formen einer derartigen sektoralen Steuerpolitik gemacht worden sind, waren allerdings keineswegs immer sehr ermutigend. Die im Interesse des Facheinzelhandels 1901 in Preufien eingefiihrte Sondersteuer auf Warenhauser zog infolge ihrer Ruckwalzung auf die mittelstandische Industrie, von der die Warenhauser den grofiten Teil ihrer Waren bezogen, sozial- und wirtschaftspolitisch gleich unerwiinschte Nebenwirkungen nach sich, ohne ihren Zweck, eine Gewinn- und Expansionsbeschrankung der Warenhauser, erreichen zu konnen. Die steuerliche Begunstigung der franzosischen Handwerksbetriebe, die von der „Taxe a la production" befreit waren, hat zwar die Zahl der als Handwerksbetriebe deklarierten Unternehmungen in Frankreich in wenigen Jahren verdreifacht; das zeitweise Zuruckbleiben der franzosischen Produktionsleistung hinter dem technischen Fortschritt der Nachbarlander wird jedoch nicht zuletzt auf diese „Pramiierungc< technisch iiberholter Betriebsformen und -grofien zuruckgefiihrt 233 . Fiskalisch erscheint die steuerliche Strukturpolitik im Vergleich mit der sektoral orientierten Ausgabenpolitik zunachst lediglich als die andere Seite der gleichen Miinze; ob vereinnahmte Mittel jjgeziek" verausgabt oder ob der offene Ausweis dieser Subventionen durch entsprechende „Bereichsausnahmen" von der Besteuerung ersetzt wird, macht finanziell keinen Unterschied. Bei naherer Priifung ergibt sich jedoch, dafi bei beiden MaCnahmen vielfach vollig andersartige Signalwirkungen und Programmeffekte, Vorund Riickwalzungen, Fehl- und Nebenwirkungen auftreten; wirtschaftspolitisch begegnen wir hier wieder alien jenen Begriffen, Wirkungen und Problemen, wie sie das Instrumentarium der Subventionspolitik 234 im allgemeinen wie auch die sektorale Ausgabenpolitik 235 im besonderen kennzeichnen. 232 Das englische Steuerrecht mit seiner Vielzahl an „loop-holescc ist ein gutes Beispiel fur diese Politik. S. hierzu Shoup, C. S.: Tax Tension and the British Fiscal System, in: National Tax Journal, Bd. 14 (1961), S. 1 n\ 233 Laure, M.: La taxe sur la valeur ajoutee, Paris 1953. 234 Vgl. § 25. 235 Vgl. § 28.
25 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Das eigentliche Anwendungsgebiet der sektoral und regional gezielten steuerlichen Strukturpolitik ist die langfristige Beeinflussung der Produktionsstruktur. An Beispielen fiir steuerliche Mafinahmen auf diesem Gebiet fehlt es nicht; die Mafinahmen betreffen sowohl die Einkommen- und Gewinnsteuern als audi die Umsatz- und Verbrauchsteuern. An Dauer und Intensitat stehen dabei die Bereichsausnahmen fiir die Landwirtschaft an erster Stelle; neben der Umsatzsteuerbegunstigung der Landwirschaft ist hier vor allem die Regelung der Einkommensteuer fiir die nichtbuchfuhrenden Landund Forstwirte zu erwahnen, die nur nach Durchschnittssatzen und auf Grund ganzlich veralteter Bewertungsvorschriften erfafit und besteuert warden. Ein weniger bekanntes Beispiel steuerlicher Entlastung zum Zwecke struktureller Anpassung sind die Mafinahmen zugunsten der Tabakindustrie, deren Anpassungsbestrebungen der Staat seit nunmehr rd. 50 Jahren mit Hilfe von Steuererleichterungen und Riickvergiitungen unterstiitzt 236 . Nicht viel jiinger ist die als ttMineralolprivileg" bezeichnete friihere umsatzsteuerliche Befreiung der Herstellung von Kraft-, Schmier- und HeizstofTen usw. aus erworbenen GrundstofTen, die sich, zunachst durch den Nationalsozialismus autarkiepolitisch begriindet, nach 1945 unter dem Deckmantel der Deviseneinsparung bis in die jiingste Zeit gehalten hat 237. Diese bedenkliche Irreversibility, die alien steuerlichen Mafinahmen anhaftet, spricht bei der Abwagung zwischen ausgaben- und steuerpolitischen Interventionen durchaus gegen das Instrument der Besteuerung. Die „gezielte" Verausgabung offentlicher Mittel, die alljahrlich im Haushaltsplan bewilligt werden, zieht wenigstens in der Haushaltsdebatte das Augenmerk der interessierten Dffentlichkeit auf sich; steuerpolitische Ausnahmebestimmungen dagegen, die einmal in den Gesetzen verankert sind, klammern sich wie Kletten an die Besteuerung an, deren Bewegungsfreiheit sie behindern, und gehen in das Bewufitsein ihrer Nutzniefier alsbald als „wohlerworbene Rechte" ein, die ihnen nur mit starksten politischen Machtmitteln wieder abgejagt werden konnen. Auch eine noch so strenge zeitliche Begrenzung einzelner Vergiinstigungen, wie sie in der Steuerpolitik der Wiederaufbauperiode gelegentlich praktiziert wurde, lafit sich politisch meist nicht durchhalten; wird die unweigerlich beantragte Verlangerung standhaft abgelehnt, so meist nur gegen Einraumung von Konzessionen an anderer Stelle 238.
236 Ygj# Ell r ott, H.: Bereinigung eines Wirtschaftszweiges: Die Liquidationshilfe in der Tabakindustrie, in: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 103 ff. 237 Yg^ Witte, K.: Subventionen in der Mineralolwirtschaft, Dissertation Koln 1962; ders.: Deviseneinsparung durch Subventionen? Die Unterstiitzung der Mineralolverarbeitungsindustrie, in: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 125 ff.; im Jahre 1961 hatte der Bund durch das Mineralolprivileg einen geschatzten Steuerausfall von 270 Mill. DM (vgl. Finanzbericht 1962, S. 112). 238 Schmolders, G.: Subventionsmentalitat und Marktwirtschaft, a.a.O.
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Neben der Strukturpolitik wird in letzter Zeit in zunehmendem Mafie audi die Konjunktur- 239 und Wachstumspolitik 240 als Einsatzfeld steuerlicher Mafinahmen angesehen; denn ebenso wie die objektive und subjektive Liquiditat der Wirtschaftssubjekte durch zusatzliche Ausgaben oder Ausgabenkurzung je nach Konjunkturlage in der gewiinschten Richtung beeinflufit werden kann, ist dies grundsatzlich auch mit Hilfe von Veranderungen der Steuerbelastung moglich. Bei dem Einsatz der Steuern zur Konjunkturlenkung lassen sich zwei Varianten unterscheiden, die von Fall zu Fall vorzunehmenden Veranderungen der Steuerschuld und die automatischen Aufkommensanderungen 241 , die im Konjunkturablauf eintreten und durch die Struktur des Steuersystems bedingt sind. Diese automatisch eintretenden iiberproportionalen Steueraufkommensanderungen, die sogenannte „Built-in-Flexibility", stehen am Anfang jeder antizyklischen Fiskalpolitik; aus diesem Grunde gilt heute ein hohes Mafi dieser eingebauten oder passiven Flexibilitat des Steuersystems im Gegensatz zum friiheren Postulat der „Krisenfestigkeit" des Staatshaushalts als uberaus erwunscht 242 . 239 In den USA ist man mittlerweile teilweise sogar geneigt, in Steuervariationen ein geeigneteres Instrument als in Ausgabenvariationen beim Kampf gegen Konjunkturen anzusehen. So z. B. Pechman, J. A.: Federal Tax Policy, Washington (The Brooking Institution) 1966, S. 13 ff.; Heller, W. W., a.a.O., S. 29 ff., s. auch die Economic Reports der Jahre 1962 ff. 240 Neumark, F.: Fiskalpolitik . . . , a.a.O., S. 54 ff. 241 Eine Mittelstellung zwischen diesen beiden Alternativen nimmt die „ formula flexibility", schlecht iibersetzt „Formelflexibilitat" ein. Hierbei werden antizyklische Maftnahmen der Fiskalpolitik durch bestimmte Beschaftigungs-, Preis- und Produktionsindizes determiniert und somit dem Verantwortungsbereich des Politikers entzogen. Steigt der Lebenshaltungskostenindex z. B. um 3,5%>, so erhoht sich das Aufkommen aus Einkommen- und Korperschaftsteuer automatisch um 5%, wobei dieses zusatzliche Steueraufkommen dann bei der Notenbank stillgelegt wird. Da aber kein Konjunktur- und Wachstumszyklus mit einem vorhergehenden identisch ist, ist es schwer, wenn nicht unmoglich, fiir alle Zyklen gleich geeignete Indikatoren zu finden; gabe es derartige Indikatoren, ware das leidige Prognoseproblem gelost und bediirfte es dieses Instrumentes eigentlich nicht mehr. Daher wird „dieses . . . friiher von mancher Seite stark befiirwortete Verfahren . . . heute ganz uberwiegend abgelehnt" (Neumark, F.: Fiskalpolitik und Wachstumsschwankungen, a.a.O., S. 26 f.). Ein nicht allgemein uberzeugendes, da auf die US-amerikanischen Verhaltnisse zugeschnittenes Pladoyer fiir die formula flexibility liefert Pack, H.: Formula Flexibility, A Quantitative Appraisal, in: Studies in Economic Stabilization (Hrsg.: A. Ando, E. C. Brown, A. F. Friedlander), Brooking Institution, Washington 1968, S. 1 ff. 242 S. hierzu Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 465 ff.; Musgrave, R. A., Miller, M. H.: Built-in-flexibility, in: American Economic Review, Band 38 (1948), S. 122—128 wieder abgedruckt in: Readings in Fiscal Policy, a.a.O., S. 291—307; Brown, E. C : The Static Theory of Automatic Fiscal Stabilization, in: Journal of Political Economy, Bd. 63, Nr. 5, Oktober 1955, S. 427—440; Vickrey, W.: Some Limits to the Income Elasticity of Income Tax Yield, in: Review of Economics and Statistics, Band 31, Mai 1949, S. 140—145; Keiser, N . F.: The Development of the Concept of "Automate Stabilizers", in: The Journal of Finance, Dez. 1966, kritischer; Heller, W. W.: CED's Stabilizing Budget Policy after ten Years, in: American Economic Review Bd. 47 (1957) S. 634 ff.; ferner Neumark, F.:
25*
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Als automatischer Stabilisator der Konjunktur w i r k t eine Steuer immer dann, wenn ihre Aufkommenselastizitat in bezug auf das Volkseinkommen (Ty)243 grower als 1 ist. Das hochste Mafi an passiver Flexibilitat der bundesdeutschen Steuern hat die Lohnsteuer mit einer Aufkommenselastizit a t v o n 2,4; es folgen die veranlagte Einkommensteuer mit etwa 2 und die Vermogensteuer mit 1,8 244 . Fiir den Finanzpolitiker, der einzelne Steuern oder sogar das gesamte Steuersystem in diesem Sinne zur Konjunkturlenkung einsetzen will, ist die einfache Aufkommenselastizitat allerdings meist ein zu grober MaCstab; um einen finanzpolitischen Ansatzpunkt zu finden, ist es zweckmafiig, bei den Komponenten anzusetzen, die der Aufkommenselastizitat zugrundeliegen. Die Globalelastizitat lafit sich hierfiir in eine „Steuersatzelastizitat" (relative Veranderung des Steuersatzes zur sich andernden Bemessungsgrundlage) und in eine „Besteuerungsmengenelastizitat" (relative Veranderung der Besteuerungsmenge zur Veranderung des Volkseinkommens) aufspalten 245 . Dies ist fiir den Politiker insofern wichtig, als er die „Built-in-Flexibility" eines Steuersystems sowohl durch Veranderung des relativen Anteils der progressiven u n d der proportionalen Steuern am Gesamtaufkommen als Fortsetzung Fuftnote 242 Wo steht die „Fiscal Policy" heme?, in: Finanzarchiv NF. Bd. 19 (1958/59) S. 52 ff.; Albers, W.: Die automatisdie Stabilisierungswirkung der Steuern — Moglichkeiten und Problematik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch fiir Nationalokonomie und Statistik, Bd. 180 (1967) S. 99 ff. AT VIY
AY
T0
AY9
Y
°
wobei T0 das Aufkommen einer Steuer und Y0 das Volkseinkommen zu Beginn des Betrachtungszeitraums in Zeitraum t0 symbolisieren und AT und AY die Zuwachse zu den AusgangsgroiSen T 0 bzw. Y0 zwischen t0 und tt darstellen. 244 Hagemann, G.: Aufkommenselastizitaten ausgewahlter Steuern in der BRD 1950—1963, Kieler Studien Nr. 85, Tubingen 1968. 245 5 0 =Steuersatz im Zeitpunkt t0, As=Veranderung des Steuersatzes im Zeitraum t0 bis tt (As=s±—s0); # 0 =Besteuerungsmenge im Zeitpunkt t0; AB =Veranderung der Besteuerungsmenge in der betrachteten Periode (AB=B1—B0). As Die Steuersatzelastizitat in bezug auf die Besteuerungsmenge ist
rj SB =
A ;
T>
die Besteuerungsmengenelastizitat rj By lafit sich schreiben als rj By =
A!L
.
Mit Hilfe dieser Formeln lafit sich die Aufkommenselastizitat (s. Fufinote 243) uberfuhren in die Ausdriicke rj T y = I rj SB' -g 1 - + l ) -rjBy bzw. r\ Ty= (rj SB~\
L
) "V By,
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audi (lurch eine Schwergewichtsverteilung zwischen Steuern, deren Besteuerungsmenge sich unter- oder iiberproportional zum Sozialprodukt verandert, erhohen k a n n 246 . Ein noch so hohes Mafi an eingebauter Flexibilitat 247 niitzt allerdings wenig, wenn es nicht gelingt, dieses zusatzliche Steueraufkommen oder grofiere Teile davon dem Kreislauf zu entziehen, also bei der N o t e n b a n k stillzulegen. Gelingt dies nicht, so verwandelt sich der theoretische Vorteil der Built-in-Flexibility in einen Nachteil; waren die Gelder nicht dem Staat zugeflossen, sondern im Privatbereich geblieben, so hatte ihre dortige Verwendung wegen der hoheren Sparquote der Privaten im Vergleich zum Staat einen geringeren expansiven Effekt gehabt, als wenn der Staat diese Mittel verausgabt. Dieser „conditio sine qua n o n " der Effizienz des ins Steuersystem eingebauten Stabilisators ist vom deutschen Stabilitatsgesetz bei der Berechnung der Konjunkturausgleichsnicklagen (§ 15) leider nicht ausreichend Rechnung getragen w o r d e n ; selbst wenn gemafi § 15 Abs. 4 Stab.Ges. der hochstmogliche Betrag auf G r u n d der Steuererhohung nach § 26 Abs. 3 in die Konjunkturausgleichsriicklage eingestellt wird, k a n n damit nur der elfte Teil der zusatzlichen, built-in-flexibility bedingten Steuereinnahmen aus Einkommenund Korperschaftssteuer stillgelegt werden 2 4 8 . die besagen, da£ rj Ty sowohl von rj SB als audi von rj By abhangig ist. (Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 470 ff. und Pollak, H.: Steueraufkommenselastizitaten und ihre Komponenten, in: Finanzarchiv, NF. 28 (1969) S. 132 n\) 246 Albers, W.: Die automatisdie Stabilisierungswirkung der Steuern . . . , a.a.O., S. 113. 247 Unter dem Aspekt des Wadistums ist eine starke Built-in-Flexibility des Steuersystems abzulehnen, da die steuerlidie Belastung bei stetigem Wachstum des Bruttosozialproduktes und des Volkseinkommens zu schnell ansteigt, so dafi in kurzen Abstanden Steuerermaftigungen notwendig waren. 248 Dies ergibt sich aus der Formel fiir die Berechnung des einzustellenden Betrages:
ioo+^ 'El=K r=Prozentsatz, um den die Einkommen- und Korperschaftsteuer erhoht wurden £ 1 =Aufkommen an Einkommen- und Korperschaftsteuer nach Erhohung K=m die Konjunkturausgleichsriicklage abzufuhrender Betrag Beispiel I (ohne Built-in-Flexibility): £ 0 =Aufkommen an Einkommen- und Korperschaftsteuer vor Erhohung=100 r = 1 0 ° / o ; £ 1 = 110 10 K= -110 = 10, d. h. das gesamte zusatzliche Aufkommen wird stillgelegt. Beispiel II (mit Built-in-Flexibility): £ 0 = 100; 2^ = 120, d. h. aufgrund der vorhandenen Built-in-Flexibility flieiSen dem Staat iiberproportional mehr Mittel zu. K~
- 1 2 0 ^ 10,9; d. h. es wird nur ein geringer Teil, hier genau Vn, der aus der Built-in-Flexibility stammenden Steuermehreinnahmen stillgelegt. S. hierzu Geyer, H.: Linear Tax Variation in the Stabilization Law, in: Finanzarchiv NF, Bd.28 (1969) S.96fT., und besonders Neumark, F.: Zur Problematik
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Selbst wenn diese Schwierigkeiten behoben waren, wurde die Built-inFlexibility allenfalls in der Lage sein, geringe Wirtschaftsschwankungen zu kompensieren; grofie Ausschlage bediirfen, wenn man sich in diesem Falle iiberhaupt der Steuerpolitik bedienen will, besonderer ad hoc zu treffender Vorkehrungen. Als „flankierende Mafinahme" einer konjunkturorientierten Steuerpolitik wurde demgemafi in § 26 Nr. 1 und 2 Stab.Ges. eine Erganzung des Einkommensteuergesetzes dahingehend verankert, dafi eine Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen auch noch in dem dem eigentlichen Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahr vorgenommen werden kann 249; dies gilt gem. § 20 KSTG entsprechend auch fiir die Korperschaftsteuer. In gleicher Weise wurde durch § 28 Nr. 1 Stab.Ges. auch das Gewerbesteuergesetz in der Richtung geandert, dafi auch bei dieser Steuer eine nachtragliche Anpassung der Vorauszahlungen an die veranderte Gewinnsituation ermoglicht wird. Ob die Mafistabe 250 , nach denen derartige Anpassungen der Vorauszahlungen durch die Finanzamter vorgenommen werden sollen, bereits hinreichend exakt sind, um die bedenkliche Verminderung der Rechtssicherheit aufzuwiegen, die dadurch herbeigefuhrt wird, bleibt allerdings zweifelhaft. Eine sinnvollere Form der Anpassung der Steuervorauszahlungen ware die Selbstveranlagung, wie sie in den USA praktiziert wird. Danach ermittelt jeder Steuerpflichtige seine Steuerschuld und ebenso die AbschluCzahlung selbst, wobei aber eine bei einer spateren Kontrolle seitens der Finanzverwaltung festgestellte Restschuld mit 6% zu verzinsen ist 251. Dieses System der Selbstveranlagung bietet die eleganteste Moglichkeit, die zeitliche Diskrepanz zwischen dem Einkommenszuflufi und der Steuerzahlung zu ver248 (Fortsetzung) einer Steigerung der Effizienz fiskalpolitischer Instrumente des Stabilitatsgesetzes, ebenda S. 100 ff. 249 §26 Abs. 1 Stab.Ges.: Das Einkommensteuergesetz in der Fassung vom 10. Dezember 1965 (Bundesgesetzbl. I S. 1901) wird wie folgt geandert: 1. Dem §35 Abs. 2 werden die folgenden Satze angefiigt: „Eine Anpassung kann auch noch in dem auf diesen Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahr vorgenommen werden. In diesem Fall ist bei einer Erhohung der Vorauszahlungen der nachgeforderte Betrag innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Vorauszahlungsbescheids zu entrichten." . . . Dies war insofern notwendig, als bei der traditionellen Regelung der Vorauszahlungsfestsetzung eine Asymmetrie vorlag, da beim Abschwung umgehend Antrage auf Ermaftigung dieser Vorauszahlungen gestellt wurden, wahrend es zu einer quasi freiwilligen Erhohung dieser Zahlung im Boom nicht kam und somit die eigentlichen Steuerzahlungen prozyklisch wirkten. 250 S. hierzu Albers: Flexible Steuerpolitik — die notwendige Voraussetzung einer wirksamen Konjunkturstabilisierungspolitik, in: Konjunkturpolitik (1955/56), S. 121. 251 Kohler, D.: Das Steuerveranlagungsverfahren in den USA und Uberlegungen fiir die Reform unseres Veranlagungsverfahrens, vervielfaltigtes Manuskript S. 4. S. hierzu auch Gutachten zur Reform der direkten Steuern, . . . a.a.O., S. 44 f.
§ 38. Die Steuer im Dienste der Wirtschaftspolitik
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meiden; die vom Stabilitatsgesetz getroffene Regelung vermag diesen Effekt der Selbstveranlagung nicht zu erreichen 252. Daneben besitzt die Bundesregierung in Form einer vorubergehenden Aussetzung der degressiven Abschreibungen und von Sonderabschreibungen 253 eine weitere Moglichkeit zur steuerlichen Dampfung der privaten Investitionstatigkeit, „wenn eine Storung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingetreten ist oder sich abzeichnet, die erhebliche Preissteigerungen mit sich gebracht hat oder erwarten lafit, insbesondere wenn die Inlandsnachfrage nach Investitionsgutern oder Bauleistungen das Angebot wesentlich ubersteigt"; der Zeitraum, fiir den die Abschreibungsmoglichkeiten ausgeschlossen werden konnen, darf allerdings ein Jahr nicht iibersteigen254. Leider ist nirgendwo festgelegt, dafi die dem Staat dadurch zusatzlich zufliefienden Mittel kreislaufmafiig neutralisiert werden miissen; selbst wenn Bund und Lander untereinander vereinbaren wurden, diese Gelder stillzulegen, bleibt die Tatsache bestehen, dafi durch die Senkung der AfA-Satze auch das den Gemeinden zufliefiende Gewerbesteueraufkommen erhoht wird, fiir dessen Stillegung keine Handhabe zur Verfiigung steht. Auch fiir die Ankurbelung der Wirtschaft in Zeiten einer Rezession sind steuerliche Stimuli in Aussicht genommen. Zur Forderung der privaten Investitionstatigkeit ist in § 26 Nr. 3 a Stab.Ges. vorgesehen, dafi bei InangrirFnahme von Investitionen ein Abzug von der Einkommensteuer fiir den Veranlagungszeitraum der Anschaffung oder Herstellung bis zur Hohe von 7,5 vom Hundert der Anschaffungs- oder Herstellungskosten dieser Wirtschaftsgiiter vorgenommen werden kann. Diese Investitionspramie soil dann gewahrt werden, „wenn eine Storung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingetreten ist oder sich abzeichnet, die cine nachhaltige Verringerung der Umsatze oder der Beschaftigung zur Folge hatte oder erwarten lafit, insbesondere bei einem erheblichen Riickgang der Nachfrage nach Investitionsgutern oder Bauleistungen". Verteilungspolitisch ist diese Investitionspramie problematisch, da nur solche Unternehmer in ihren Genufi kommen, deren Gewinn hoch genug ist, eine Steuerpflicht in mindestens der Hohe der Pramie auszulosen; Unternehmen mit geringerem Gewinn oder gar mit Verlusten sind davon auto252 Arndt, K.-D.: Ein Gesetz zur Forderung der wirtsdiaftlichen Stabilitat, in: Konjunkturpolitik (1966), S. 165. 253 S. hierzu auch sdion Jahresgutachten des Sadiverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1965/66 Ziff. 199. 254 Diese Bestimmung gilt fiir bewegliche Wirtschaftsgiiter, die wahrend eines bestimmten Zeitraums angeschafft oder hergestellt werden, und fiir bewegliche Wirtschaftsgiiter und Gebaude, die in dieser Zeit bestellt werden oder mit deren Herstellung begonnen wird. Die Verordnung bezieht sich dagegen nicht auf jene beweglichen Wirtschaftsgiiter, „die vor Beginn dieses Zeitraums bestellt und angezahlt worden sind oder mit deren Herstellung vor Beginn dieses Zeitraumes angefangen worden ist". Die Durchfiihrung dieser Maftnahme bedarf der Zustimmung des Bundestages und Bundesrates [vgl. § 26 Nr. 3 b (2)].
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matisch ausgeschlossen. Hinzu kommt, dafi derartige Investitionspramien, die gewifi einen starken Investitionsanreiz auf die Unternehmer auszuiiben vermogen, im Gegensatz zu Abschreibungen, die nur von voriibergehender Wirkung sind, einen endgiiltigen Vorteil bedeuten; sie sind infolgedessen vom fiskalischen Standpunkt aus betrachtet, erheblich „teuer" als die Sonderabschreibungen 255. Die scharfste Waffe gegen stabilitatsgefahrdende Konjunkturausschlage, uber die die Steuerpolitik verfiigt, sind endlich veritable ad hoc-Veranderungen der Steuerbelastung. Nach § 26 Nr. 3 b (3) des Stabilitatsgesetzes besitzt die Bundesregierung die Ermachtigung, durch Rechtsverordnung eine Erhohung oder Herabsetzung der Einkommensteuer einschliefilich der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer sowie des Steuerabzuges bei beschrankt Steuerpflichtigen vorzunehmen 256 ; das gleiche gilt nach § 27 audi fur die Korperschaftsteuer. Die Erhohung bzw. Herabsetzung dieser Steuern darf bis zu ± 10% betragen; ihre Gultigkeit ist auf die Dauer eines Jahres beschrankt. Dieses Instrument soil bei einer eingetretenen oder zu erwartenden Storung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, die mit erheblichen Preissteigerungen verbunden ist, oder umgekehrt dann eingesetzt werden, wenn eine nachhaltige Verringerung der Umsatze oder der Beschaftigung eingetreten oder zu erwarten ist. Diese Steuermanipulationen „betreffen die veranlagte Steuerschuld, nicht die Steuersatze"; es handelt sich um Ab- und Zuschlage zu der nach dem EStG errechneten „normalen . . . Steuerschuld" 257. Von den daraus im Falle der Steuererhohung erzielten Steuermehreinnahmen sind Teile gemafi der Formel ( 1 0 0 r + r ) = £ 1 2 5 8 bei der Bundesbank als Konjunkturausgleichsriicklage stillzulegen. Die Problematik einer derartigen nichtfiskalischen Manipulation der Steuerschuld liegt neben verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen259 in den Steuerwiderstanden, die von 255 S. Vogel, H.: Die volkswirtschaftliche und finanzpolitische Bedeutung des Konjunkturgesetzes, in: Deutsdie Steuer-Zeitung (1967), S. 214. 256 Hiermit befindet sidi der Gesetzgeber im Einklang mit den meisten Finanztheoretikern, die Einkommen- und Korperschaftsteuervariationen Verbrauchsteueranderungen vorziehen. (Vgl. Neumark, F.: Fiskalpolitik, . . . a.a.O., S. 63.) Dennodi wird vereinzelt die Ansicht vertreten, audi Verbraudissteuern liefien sich in den Dienst der Stabilisierungspolitik stellen; s. z. B. Peacock, A. T., Williamson, J.: Consumption Taxes and Compensatory Finance, in: The Economic Journal, Bd. 77 (1967), S. 27 flf.; ferner Harburger, A. und Somers, H.: Hearings des Subcommittee on Fiscal Policy" des Joint Economic Committee uber „Tax changes for shortrun stabilization", S. 66 ff. und S. 100 ff. Durch das „Finance Akt" von 1961 wurde der englische Schatzkanzler bevollmachtigt, die Purchase Tax und andere Verbrauchsabgaben zur Erreichung konjunkturpolitischer Ziele bis zu 10% zu variieren. Vgl. hierzu Prest, A. R.: Sense and Nonsense in Budgetary Policy, in: The Economic Journal, Bd. 78 (1968), S. 10. 257 Stern, K., Munch, P.: a.a.O., S. 196. 258 S. o. S. 389, wo bereits auf die Problematik der nur teilweisen Stillegung des Steuermehraufkommens aus der Built-in-Flexibility eingegangen wurde. 259 S. hierzu Stern, K., Munch, P.: a.a.O., S. 197 if.
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jeder dem Steuerpflichtigen nicht unmittelbar verstandlichen Steuererhohung ausgehen miissen. Hinzu kommt die Stoning der unternehmerischen Kalkulation, die um so mehr an Bedeutung gewinnt, je langfristiger die Liefervertrage sind, bei deren Abschlufi derartige Steuermanipulationen vorhergesehen werden miifiten260. Mit den heute im Stabilitatsgesetz verankerten, steuerpolitischen Instrumenten erschopft sich die Phantasie der Finanzpolitiker keineswegs; weitere steuerliche Instrumente der Konjunkturpolitik waren z. B. die Steuergutscheine, die im Rahmen des Papen-Programms in der Weltwirtschaftskrise ausgegeben wurden, Veranderungen der verschiedenen Freibetrage 261 sowie steuerfreie Riicklagen zur Investitionssteuerung 262 , Mafinahmen, die audi in Schweden, Finnland und in der Schweiz mit Erfolg angewandt worden sind. Soil der Einsatz derartiger steuerpolitischer Hilfsmafinahmen der Konjunkturpolitik von Erfolg gekront sein, so kommt es dabei weniger auf ihre technische Perfektion als darauf an, ob sie in der Lage sind, die subjektive Liquiditat der Wirtschaftssubjekte in der gewunschten Richtung zu beeinflussen, so dafi Kauf- und Investitionsentscheidungen ausgelost werden bzw. unterbleiben; andernfalls ist die Besteuerung ein problematisches, auf jeden Fall aber ein besonders „teuresK Instrument der Stabilisierungspolitik.
D. Die Politik der offentlichen Schulden § 39. Arten und Formen der offentlichen Schuld Die Schuldaufnahme der offentlichen Hand gilt, wenn auch seit neuestem nicht mehr juristisch, so doch faktisch als „auGerordentliche Einnahme". Wie die Staatsausgaben und die Steuern lafit sich auch die offentliche Schuld als wirtschafts- und finanzpolitisches Instrument zum Einsatz bringen, insbesondere soweit es sich dabei um solche Schuldtransaktionen handelt, durch die sich die Schuldnerposition der offentlichen Hand der ubrigen Wirtschaft oder auch dem Ausland gegeniiber quantitativ und qualitativ verandert. Schuldtransaktionen zwischen den einzelnen Gebietskorperschaften (Bund, 260 Industrie- und Handelskammer zu Dusseldorf: Bemerkungen zu den vorgeschlagenen Anderungen und Erganzungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Forderung der Stabilitat und des Wadistums der Wirtschaft, 10. Februar 1967, S. 9. Als weniger wichtig, aber doch erwahnenswert lafk sich der steuerrechtliche Einwand anfiihren, da£ ein kurzfristiger Einsatz dieses Instrumentes innerhalb eines laufenden Geschaftsjahres faktisch dadurch erschwert wird, da£ zu dem Erhohungs- oder Senkungstermin Zwischenbilanzen aufgestellt werden miifken, da sonst eine ordnungsgemafie Belastung der periodenanteiligen Gewinne nicht moglich ist. 261 Knief, P.: Steuerfreibetrage als Instrumente der Finanzpolitik, a.a.C, S. 119ff. 262 S. hierzu Pfaffenberger, W.: Investitionssteuerung mit Hilfe steuerfreier Riicklagen, Berlin 1969 und die dort angegebene Literatur sowie die von F. Neumark (Fiskalpolitik..., a.a.O., S. 66) zitierten Arbeiten.
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Lander, Gemeinden) bleiben dagegen hier aufier Betracht, zumal sie streng genommen zur Politik des Finanzausgleichs gehoren 263. Sieht man zunachst von der Ausgabenseite, d. h. von der Verwendung der Schuldmittel, einmal ab, so bedeutet jede Schuldaufnahme der offentlichen Hand grundsatzlich eine Kaufkraftumleitung vom nichtstaatlichen in den staatlichen Bereich. Dies gilt audi dann, wenn die aufgenommenen Gelder nicht aus liquiden Mitteln der Privaten oder der Unternehmungen stammen, sondern aus einer Buchgeldschopfung der Geschaftsbanken; auch hier liegt insoweit eine Kaufkraftumleitung vor, als dadurch die Kreditversorgung der Privaten und der Unternehmungen eventuell geschmalert wird. Nimmt die offentliche Kreditnachfrage dagegen die „Notenpresse", d. h. eine Geldschopfung der Notenbank in Anspruch, so bedeutet dies keine Kaufkraftumleitung uno actu, wohl aber die Gefahr der Auslosung eines inflatorischen Frozesses, durch den nachtraglich auch wiederum eine Umleitung realer Kaufkraft aus dem privaten in den offentlichen Bereich herbeigefuhrt werden kann 264. Auch die Besteuerung bewirkt eine Kaukraftumleitung; der Unterschied zwischen Schuldaufnahme und Besteuerung liegt in der Freiwilligkeit der Zeichnung offentlicher Anleihen seitens der Geldgeber. Geht man von der herkommlichen Unterscheidung der offentlichen Einnahmen in erwerbswirtschaftliche und hoheitliche (Gebiihren, Beitrage, Steuern) aus, so riickt die „normale" Anleihe der offentlichen Hand in die Nahe der Erwerbseinkiinfte des Staatshaushalts. Erst wenn der Staat sich nicht damit begniigen will, als einer unter vielen Kreditnehmern an den Kapitalmarkt heranzutreten, sondern seine Hoheitsgewalt dazu ausnutzt, seine Marktchancen durch besondere Pramien oder steuerliche Begunstigungen seiner Glaubiger zu verbessern, liegt eine steuerahnliche Anleihe bzw. eine befristete Vermogensabgabe vor; das Verhalten des Staates am Kapitalmarkt ist es somit, das letztlich den Charakter der offentlichen Schuld und ihre verschiedenartigen Formen bestimmt, in denen sich im Laufe der Jahrhunderte eine bewunderswerte Erfindungsgabe der Finanzpolitiker auf dem Gebiete der Mittelbeschaffung beobachten lafit. Nach der Art ihrer Entstehung bzw. Veranlassung unterscheidet man Verwaltungsschulden und Finanzschulden. Die Verwaltungsschulden dienen in der Form der Betriebsmittelkredite oder Kassenkredite (bzw. Kassenverstarkungskredite § 13 Abs. I Ziff. 2 HGrG) zur Aufrechterhaltung der Zahlungsbereitschaft der offentlichen Hand iiber das Haushaltsjahr hin; in der Regel handelt es sich dabei um die Uberbriickung von blofien Kassendefiziten, die aus dem zeitlichen Auseinanderklaffen von Ausgaben und Einnahmen herruhren und sich daher mit Abschlufi des Rechnungsjahres aus263 Ygi Zimmermann, H . : Die Verschuldung zwischen offentlichen Korperschaften als Problem der Geld- u n d Finanzpolitik, i n : Geldtheorie u n d Geldpolitik, a.a.O., S. 241 ff.; vgl. auch § 20. 264 Vgl. § 40.
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gleichen. Ihre Deckung durch Schuldaufnahme erfolgt dementsprechend als blofie kurzfristige Zwischenfianzierung durch Buchkredite von der N o t e n bank oder am G e l d m a r k t ; haushaltsrechtlich handelt es sich nicht urn Einnahmen 265 . Die H o h e der Kassenkredite sagt lediglich etwas iiber den Stand der Kassenhaltung, nicht aber iiber die Haushaltslage als solche aus; anders verhalt es sich bei den Finanzschulden. Sie sind in der Regel durch echte Haushaltsdefizite bedingt und werden dementsprechend langfristig in Form von Anleihen liber den K a p i t a l m a r k t finanziert. Die Einteilung in Verwaltungs- u n d Finanzschulden deckt sich formal in vieler Hinsicht mit der in schwebende und fundierte Schulden. „Schwebende" Schulden werden allerdings oft mit „kurzfristigen" Schulden verwechselt; in der Laufzeit allein beruht jedoch ihre Eigenart keineswegs. Vielmehr stammt die Bezeichnung aus der Besonderheit der offentlichen Finanzwirtschaft als Planwirtschaft; da sich die endgiiltige Ubereinstimmung zwischen Ausgaben und Einnahmen erst am Ende der Haushaltsperiode herausstellt, werden zwischenzeitlich zur Oberbriickung des entstandenen Defizits aufgenommene Schulden zunachst als „schwebende" Schulden 266 angesehen, aus denen, wenn es nicht gelingt, sie noch innerhalb des Haushaltsjahres zuriickzuzahlen, durch „Fundierung", d. h. Emission einer Anleihe, gewissermafien erst endgiiltige Schulden werden. Von diesem Idealbild weicht die Wirklichkeit jedoch in aller Regel betrachtlich ab, da haufig langfristige Projekte zunachst mittels schwebender Schulden vorfinanziert werden und dariiber hinaus, solange es nicht gelingt, diese am K a p i t a l m a r k t zu „fundieren", von H a u s haltsjahr zu Haushaltsjahr als lastige Erbschaft mitgeschleppt und dementsprechend immer von neuem prolongiert werden, so dafi die Kurzfristigkeit dieser Verpflichtungen letztlich oft nur noch auf dem Papier stent. Neben dieser in erster Linie aus der spezifischen Eigenart der offentlichen Haushaltswirtschaft herriihrenden Einteilung entstammt die formale Einteilung in Briefschulden und Buchschulden den Kriterien des Wertpapierrechts 267 . Briefschulden sind Wertpapiere iiber Forderungen, bei denen der Anspruch an den Besitz des Papiers gebunden ist. Ihre Formen sind mannigfaltig; die einfachste Form bildet der Schatzwechsel („Treasury Bill"), ein kurzfristiger Solawechsel der Staatskasse, der bei der N o t e n b a n k diskontiert oder auch von Staatslieferanten in Zahlung genommen wird. Daneben sind Schatzanweisungen („Treasury Bonds") mit Laufzeiten von einem bis zu mehreren Jahren gebrauchlich, auf den Inhaber ausgestellte Schulditel, die am K a p i t a l m a r k t untergebracht werden konnen und insofern den „fundier265 Ygj# Weichmann, H.: Art. Kassenkredit, offentlicher, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 5. Bd., a.a.O., S. 562 ff. 266 Anschaulicher englisdi: „floatingf£ debt, d. h. schwimmende Schulden; Naheres hierzu s. Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, 2. Aufl., Frankfurt 1970, S. 14. 267 Zum folgenden vgl. besonders: Dieben, W. und Ebert, K.: Die Technik des offentlichen Kredits, Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 3. Bd., a.a.O., S. 38 ff. und Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., § 1.
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ten" Schulden ahnlich sind 268 ; in ihrer unverzinslichen Form („U-Schatze") haben sie starke Ahnlichkeit mit den Schatzwechseln, da audi bei ihnen die Verzinsung lediglich in der Form der Diskontierung, d. h. eines Abzuges bei der Auszahlung der Schuldsumme erfolgt. In ihrer verzinslichen Form dagegen, bei der die Zinszahlung durch beigegebene Zinsscheine verbrieft wird, ahneln sie den Schuldverschreibungen der offentlichen Hand, der dritten Form der Briefschuld. Diese Anleihen sind als die bekannteste Art der Staatsschuld in der Regel ebenfalls Inhaberpapiere, die in den verschiedenen Formen von Fall zu Fall den jeweiligen Kapitalmarktbedingungen angepafit emittiert werden. Nach den Grundsatzen der friiheren Reichsschuldenverwaltung gait der Begriff Schuldverschreibung nur fiir solche Anleihen, die einer kontinuierlichen Tilgung unterlagen, wahrend Anleihen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zuriickgezahlt wurden, als Schatzanweisungen bezeichnet werden sollten; allerdings ist diese terminologische Trennung nicht immer streng durchgefuhrt worden. In den letzten Jahren haben als besondere Art von Schuldverschreibungen im Rahmen der mittelfristigen Finanzierung die sogenannten Kassenobligationen an Bedeutung gewonnen. Durch ihre Ausstattung (Laufzeit 3 bis 4 Jahre; Stuckelung 50 000 DM und dariiber jeder durch 5000 teilbare Betrag) stellen sie einen Zwitter zwischen Geldmarkt- und Kapitalmarktpapier dar. Dem Geldmarkt stehen sie dadurch nahe, daiS sie wie Schatzanweisungen am Ende ihrer Laufzeit in einem Betrag fallig werden und dafi zeitweise die Bundesbank Kassenobligationen mit einer Restlaufzeit von weniger als 18 Monaten wie Offenmarktpapiere behandelte; Kapitalmarktcharakter erhalten sie durch ihre feste Verzinsung und ihre Borsenfahigkeit (Frei verkehr shandel). Eine letzte Form der Briefschuld schliefilich ist das Schuldscheindarlehen; im Gegensatz zu den sonst iiblichen rechtlichen Grundsatzen, nach denen die Schuld bereits durch die Darlehenshingabe entsteht, wahrend der Schuldschein lediglich eine Beweisurkunde darstellt, gilt hier die Besonderheit, dafi der Bund nur dann aus dem Darlehen verpflichtet ist, wenn von der Bundesschuldenverwaltung eine Schuldurkunde dariiber ausgestellt worden ist. In der Praxis haben sich bei den einzelnen Formen der Briefschuld mannigfache Mischtypen herausgebildet, nicht zuletzt darum, weil die Briefschuld auf Grund ihrer hochgradigen „Fungibilitatc< besonders vorteilhaft ist; ihre „Anonymitat
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Formen iiblich 269. Beim „System der reinen Schuldbuchforderung" ist allein die Eintragung ins Schuldbuch entscheidend, wahrend beim „ System des Inskriptionsauszuges" die Anfertigung eines Auszuges fiir die Zinserhebung, gegebenenfalls auch fiir eine Ubertragung des Schuldenanspruchs vorkommt; bei dem aus diesen beiden Typen hervorgegangenen „gemischten System" umfafit der ins Schuldbuch eingetragene Glaubigeranspruch entweder nur den Kapitalanspruch oder nur den Zinsanspruch, wahrend der andere Teil des Anspruchs als Schuldverschreibung oder Zinsschein verbrieft wird („Titres Mixtes" in Frankreich, „Registered Bonds
Schanz, G. v.: Art. Staatsschuldbuch, in: Handworterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., 7. Bd., Jena 1926, S. 807 f.
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Tilgung" dagegen behalt sich der Glaubiger, also der Staat, das Recht vor, Zeitpunkt imd Art der Tilgung beliebig zu bestimmen; diese Tilgungsform bietet dem Staat den Vorteil, die Tilgung seiner jeweiligen Haushaltslage anpassen zu konnen, verleitet aber allzu leicht zu einer sorglosen Handhabung und Hinauszogerung der Tilgung. Aus diesem Grund hat sich heute allgemein die Form der „Pflichttilgung mit verstarkter Tilgung" herausgebildet, die dem Glaubiger eine vereinbarungsgemafie Tilgung garantiert, dem Staate jedoch die Moglichkeit lafit, bei giinstiger Haushaltslage oder bei einem Sinken des Landeszinsfufies, der eine Konversion moglich macht, zusatzlich vorzeitige Tilgungen zu leisten. Die Tilgung kann grundsatzlich in Form der wGesamtriickzahlung" oder in „Teilruckzahlungen" erfolgen, wie Ratenschulden, Leibrenten, Serientilgungen, Annuitaten oder kumulative Tilgungen 270. Schon diese Vielfalt der Tilgungsformen zeigt deutlich, welche Bedeutung Laufzeit und Falligkeit der Anleihen fur die Verschuldungspolitik der offentlichen Hand besitzen; es ist kaum verwunderlich, dafi der Staat bei der Suche nach Anreizen zur Anleihezeichnung nicht selten gerade in bezug auf die Laufzeit Bedingungen anbietet, die den Spieltrieb der Bevolkerung ansprechen sollen, wie z. B. Auslosung der Ruckzahlungsquoten (Lotterieanleihen) oder die Gewahrung bestimmter Pramien bei langerfristiger Festlegung (Pramienanleihen). Derartige Anreize sind finanzpolitisch kaum weniger bedenklich als die beliebte Privilegierung der Staatsanleihen durch Gewahrung steuerlicher Vergiinstigungen, die nur zu leicht als Steuerumgehungsmoglichkeiten gerade fiir die hochsten Einkommen ausgenutzt werden und insofern dem Prinzip der gerechten Steuerlastenverteilung widersprechen 271; wenn sie zur Anwendung kommen, deutet dies in der Regel auf einen unterentwickelten Kapitalmarkt oder eine schwache Schuldnerposition des Staates hin, die an der schlechten Marktgangigkeit seiner Schuldtitel geradezu auf Prozente genau abgelesen werden kann. Die Marktgangigkeit der Staatsschuldtitel bietet sich damit ganz von selbst als weiteres Einteilungskriterium fiir die offentlichen Schulden an. Marktgangige Titel konnen grundsatzlich ohne weiteres am Kapitalmarkt angeboten werden; ob sie untergebracht werden konnen und wer sie erwirbt, hangt allein von den in ihnen verbrieften Rechten, von ihrer Ausstattung, Laufzeit und Verzinsung ab. Nicht marktgangige Titel sind demgegeniiber solche, denen ein besonderer Vertrag zwischen dem Staat und einem bestimmten Glaubiger oder einer Glaubigergruppe zugrundeliegt; da die Zeichner die ihnen in irgendeiner Form zugestandene Vergiinstigung nur fiir sich allein beanspruchen konnen, gelangen diese Titel nicht an den Kapitalmarkt. 270 Vgl. hierzu im einzelnen: Dieben, W. und Ebert, K.: Die Technik des offentlichen Kredits, a.a.O., S. 52 ff., sowie Timm, H.: Art. Anleihen, offentliche, inr Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 1. Bd., a.a.O., S. 203 f. 271 Timm, H.: Art. Anleihen, offentliche, a.a.O., S. 205.
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Die Unterbringung marktgangiger Titel erfolgt in der Regel auf der Basis der Freiwilligkeit. Ob sich die ausgebende Stelle flir die kostensparende, aber markttechnisch schwierigere Selbstemission entscheidet oder die kostspieligere, aber bequemere Fremdemission iiber die Kreditinstitute wahlt, hangt meist von Risikoerwagungen ab; gern wird die feste Obernahme durch ein Bankenkonsortium gewahlt, das die Schuldtitel en bloc kauft, urn sie anschliefiend seinen Kunden anzubieten. Die Unterbringung nicht marktgangiger Titel richtet sich nach dem besonderen Charakter der aufzunehmenden Schuld; oft bedient sich der Staat dabei auch seiner hoheitlichen Zwangsbefugnisse, angefangen von der Ausiibung eines gewissen Zeichnungszwanges bis zu der sogenannten Zwangsanleihe (Quasisteuern mit Anspruch auf Ruckzahlung), die im Grunde nichts anderes ist als eine Vermogensabgabe, die dem Abgabepflichtigen durch das oft recht zweifelhafte Versprechen spaterer Ruckzahlung schmackhaft gemacht wird. Zu diesem Typ gehorten beispielsweise im Hitlerstaat die sogenannten Li-Anleihen (Liquiditats-Anleihen), die im Zuge der sogenannten gerauschlosen Kriegsfinanzierung ausgegeben wurden; unter mehr oder weniger sanftem Druck wurden damit grofie Teile der Bank- und Sparkasseneinlagen im Wege der erzwungenen Zeichnung seitens der Geldinstitute „abgeschopft
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trolle wird von dem Bundesschuldenausschufi wahrgenommen, der sich aus Mitgliedern des Bundestages und der Exekutive zusammensetzt. In den USA obliegt die Verwaltung der Staatsschuld dem „Bureau of the Public Debt", einer Abteilung des Finanzministeriums („Treasury Department"); in Grofibritannien ist die Schuldenverwaltung ein Ressort der Bank von England. Fur die gemeindliche Schuldenpolitik gelten einige Besonderheiten, die sich aus der Eigenart der kommunalen Finanzwirtschaft ergeben. Wahrend Grofistadte oft mit eigenen Stadtanleihen an den Kapitalmarkt herantreten, ist fur kleinere Gemeinden das Schuldscheindarlehen das bevorzugte Mittel der Fremdkapitalbeschaffung; die Ausgabe von Schatzanweisungen ist dagegen bei den Gemeinden nicht ublich. Besondere Arten und Verwendungszwecke der kommunalen Schuld sind Investitionskredite, ferner die der Zwischen- oder Vorfinanzierung von Bauvorhaben dienenden Bauzwischenkredite und die zur Ablosung kurzfristiger Schulden dienenden Umschuldungskredite; neben den hauptsachlich von kommunalen Wirtschaftsunternehmen aufgenommenen Betriebskrediten sind schliefilich die Kassenkredite zu erwahnen, die als kurzfristige Liquiditatshilfe die gleiche Funktion erfullen wie der Betriebsmittelkredit der Bundesbank beim Bund 272.
§ 40. Die offentliche Schuld als Mittel der Wirtschaftspolitik Erscheint es somit nach alien Erfahrungen mit den offentlichen Schulden berechtigt, die Staatsschuld nicht als passiven Bestandteil der Vermogenswirtschaft, sondern als eine besondere Kategorie unter den Einnahmen der offentlichen Hand zu betrachten, so hebt sich die staatliche Schuldenpolitik damit uber eine blofie „Funktion der Kombination ausgabe- und steuerpolitischer Mafinahmen" 273, d. h. einer Art Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben in Defizitjahren hinaus; insbesondere unter dem Einflufi der „New Economics" und des Ubergangs vom „klassischen" zum „kompensatorischen" System der Finanzwirtschaft (R. Musgrave) wird sie vielmehr zu einem eigenen Mittel der Finanzpolitik, dessen Anwendung wirtschafts-, insbesondere bestimmten konjunkturpolitischen Zielen dienen soil. Die Schlagworte, die diesen iiberwiegend nichtfiskalischen Einsatz der staatlichen Schuldenpolitik im englisch-amerikanischen Sprachgebrauch bezeichnen, heifien „Deficit Spending" und „Debt Management"; beide Aus272 Vgl. hierzu u. a.: Giere, G.: Kommunales Schuldenwesen, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, a.a.O., S. 206rf»; Barocka, E.: Kommunalkredit und kommunale Finanzwirtschaft, Frankfurt (Main) 1958, S. 123 ff.; Hansmeyer, K. H.: Der offentlidie Kredit, a.a.O., § 4; Koch, K.: Maftstabe fiir die gemeindliche Schuldenpolitik, Diss. Koln 1967; Zeitel, G.: Eigentiimlichkeiten und Grenzen der Kommunalverschuldung, in: Gemeindewirtschaft und Unternehmerwirtschaft (Hrsg.: L. Mulhaupt und K. Oettle), Gottingen 1965, S. 65 ff.; Schmitz, J.: Kommunalverschuldung und Kapitalmarkt in der Bundesrepublik Deutschland, in: Archiv fiir Kommunalwissenschaften, Jg. 5 (1966) S. 303 ff. 273 Neumark, F.: Grundsatze und Arten der Haushaltfiihrung und Finanzbedarfsdeckung, a.a.O., S. 647.
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driicke sind schwer ins Deutsche zu iibersetzen. Wortlich bedeutet „Deficit Spending" soviel wie „Fehlbetrage ausgeben", also Staatsausgaben aus durch Schuldaufnahme zu finanzieren; im Bohemienjargon heifit es, man „lebe von seinen Schulden" (oder gar „von den Zinsen seiner Schulden"!). Gemeint ist damit, dafi die Ausgaben quantitativ uber die (laufenden) Einnahmen hinausgehen, so dafi ein Defizit entsteht, das durch Geldschopfung oder Schuldaufnahme uberbruckt wird; erst dies ermoglicht das „ Spending", die offentlichen Ausgaben mit ihren Wirkungen auf die konjunkturelle Situation. Unter „Debt Management" versteht man dagegen neben der quantitativen eine qualitative Manipulation der offentlichen Schuld nach Verzinsung, Fristigkeit und Marktgangigkeit; sie ahnelt der klassischen Verschuldungspolitik der offentlichen Hand, die von den fiskalischen Belangen ausgeht, unterscheidet sich von ihr aber dadurch, dafi sie, wenigstens in den USA, zusehends mehr und mehr Aufgaben der Geldpolitik iibernimmt. Beim „Deficit Spending" geht — um des heiteren Wortspiels willen — die konjunkturpolitisch orientierte Ausgabenpolitik haufig mit der Art ihrer „Deckung" (oder besser „Nichtdeckung") durcheinander; erst F. Neumark hat darauf aufmerksam gemacht, dafi es im Gegensatz zur Meinung einiger Anhanger der „Fiscal Policy" zwar schwierig, aber doch in gewissem Grade moglich sei, die Wirkungen der Schuldaufnahme als solcher von denjenigen Wirkungen zu trennen, die von der Verwendung der auf diesem Wege erworbenen Mittel ausgehen 274. Viele der oft diametralen Gegensatze in den Anschauungen liber die konjunkturellen und verteilungspolitischen Wirkungen der offentlichen Verschuldung beruhen darauf, dafi bei dem einen Autor die Verausgabung der erborgten Mittel in die Wirkungsanalyse mit einbezogen wird, bei dem anderen dagegen nicht. Eine weitere Unsicherheit in der Beurteilung der Wirkungen des „Deficit Spending" liegt vielfach auch darin, dafi manchmal nur das Defizit als solches, manchmal aber im gleichen Atemzug auch die Entlastung der Steuerzahler durch den Ruckgriff auf die schmerzlose Kreditfinanzierung gemeint ist; schliefilich kommt als weitere Quelle von Mifiverstandnissen hinzu, dafi okonomische Wirkungen nicht allein von der Schuldaufnahme sowie weiterhin auch von der Verausgabung der dadurch zusatzlich gewonnenen Mittel ausgehen, sondern auch von der Zinszahlung und der Tilgung der Schulden an die Anleihebesitzer. Die Sache selbst, der Ruckgriff auf die Geldschopfungs- und Kreditfinanzierung off entlicher Ausgaben in Krisenzeiten, ist keineswegs so neu, wie der bizarre neue Name vermuten lafit; auch haben die Regierungen nicht auf die „New Economics" gewartet, um sich dieses bequemen Finanzierungsmittels zu bedienen, auf dessen Gefahren die deutsche Finanzwissenschaft von jeher hingewiesen hat. Infolgedessen tragt diese Finanzierungsform in der deutsch274 Ders.: ebenda; auf beabsichtigte und unbeabsichtigte Nebenwirkungen beispielsweise einer gegenwartig (1970) diskutierten Stabilitatsanleihe weisen z. B. hin Dikertmann, D. und Henke, K.-D.: Steuervorauszahlung, Konjunktursparen oder Stabilitatsanleihe?, in: Blick durch die Wirtschaft Nr. 54, 1970, S. 5.
26 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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sprachigen Finanzwissenschaft meist auch einen auf diese Gefahren deutlich hinweisenden Namen; die „Finanzierung durdi die Notenpresse" oder, im Zeitalter der Goldwahrung, „die Ausgabe von uneinloslichem Papiergeld" oder eine andere Form der „schwebenden Schuld" gait beispielsweise A. Wagner als letztes und bedenkliches Hilfsmittel in Kriegs- und Krisenzeiten, das zwar eine „geraume Zeit lang gut gehe", dann aber regelmafiig zu „zerriittenden Folgen" fiihre 275 . Neu ist daran nur der konjunkturpolitische Aspekt, die Inanspruchnahme von Kredit und Geldschopfung sowie der Einsatz der so gewonnenen Finanzmittel zur Schliefiung einer „Nachfrageliicke
Wagner, A.: Finanzwissenschaft, 3. AufL, 1. Teil, Leipzig 1883, S. 179. Vgl. $ 29. Ein indirekter Einflufi auf die von der subjektiven und objektiven Liquiditat bestimmte Konsumquote kann allerdings dadurch ausgelost werden, da£ den Geschaftsbanken Primarliquiditat entzogen wird, die bei der Notenbank stillgelegt wird, so da£ das Kreditschopfungspotential der Banken um ihren Betrag multipliziert mit dem Geldschopfungsmultiplikator geschmalert wird. Dies kann die Banken zu einer vorsichtigeren, die objektive und subjektive Liquiditat und somit die Konsumquote einengenden Kreditvergabe veranlassen. 276 277
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Natur sein kann, wahrend der gleiche Vorgang, wenn er sich im Bereich der Unternehmungen oder gar der Geschaftsbanken abspielt, gegebenenfalls schon mit rationalen Erwagungen liquiditatspolitischer Art vermischt auftreten kann. Auf diesem Umwege kann eine Unterbringung der Anleihe beim breiten Publikum, dessen Liquiditatsmittel dadurch gebunden werden, iiber die Erwartungs- und Liquiditatsstruktur in der Tat einen Einbruch in die Konsumquote bedeuten; dabei ergibt sich womoglich, lafit man die Verausgabung der Anleiheerlose konsequent aus dem Spiel, eine Art negativer „Multiplikatoreffekt", der wiederum je nach der konjunkturellen Gesamtsituation ganz unterschiedlich zur Wirkung kommen kann. In einer Depression hat die Zeichnung einer Staatsanleihe aus vorhandenen Horten — die Zeichnung aus der Konsumquote ist in dieser Situation unrealistisch — keinerlei kontraktive Wirkung, so dafi sich hier der gewiinschte expansive Effekt der Verausgabung um so ungehinderter entfalten kann. Auch in der Hochkonjunktur ist jedoch eine kontraktive Wirkung durch die Auflegung einer offentlichen Anleihe als soldier nur dann zu erzielen, wenn der Erwerb von Anleihestiicken so verlockend gemacht wird, dafi sich die Sparquote erweitert, so dafi die Anleihe letztlich zu Lasten der Verbraucherausgaben gezeichnet wird. Jede derartige anleihepolitische Konjunkturtherapie hat nun allerdings auch mit unvorhersehbaren Erwartungen und Verhaltensweisen der privaten Haushalte zu rechnen. Hierzu gehort insbesondere die Tatsache, dafi Sparfahigkeit und Sparwilligkeit nicht, wie in der Theorie meist vereinfachend unterstellt wird, mehr oder weniger ausschliefilich eine „Funktion" des Einkommens sind, sondern von vielerlei anderen Faktoren abhangen 278 ; darunter z. B. auch von dem bereits vorhandenen Vermogen. Dieser „VermogensefFekt auf den Verbrauch", den R. A. Musgrave makrookonomisch untersucht hat 2 7 9 , beruht vor allem auf der Lernerschen These, dafi die Sparneigung, wenn man als Sparmotiv die Absicht einer Reservebildung unterstellt, um so geringer wird, je mehr Vermogen im Verhaltnis zum Einkommen vorhanden ist (sog. Lerner-Effekt). Schliefit man sich dieser These, die freilich empirisch bisher kaum ausreichend gesichert ist 280 , einmal an, so 278 Sdierhorn, G. und Fricke, D.: Hangt die Spartatigkeit vom Einkommen ab?, Blatter fiir Genossensdiaftswesen, Jg. 1961, S. 277 ft., Fricke, D.: Steigende Sparquote bei steigendem Einkommen?, ebenda Jg. 1968. S. 372 ff. 279 Musgrave, R. A.: Theorie der offentlidien Schuld, a.a.O., S. 97 ff.; vgl. auch Joint Committee on the Economic Report: Monetary Policy and the Management of the Public Debt, Their Role in Achieving Price Stability and High Level Employment, Replies to Questions and other Material for the Use of the Subcommittee on General Credit Control and Debt Management, Part I, Washington 1952 (sog. „Patman-Report"), Antwort des Chairman of the Board of Governors of the Federal-Reserve-System, S. 374. 280 Zu den empirischen Untersuchungen auf diesem Gebiet vgl. Ismar, H., Lange, G., Schweinitz, H. v.: Die Konsum- und Investitionsfunktion, Unter-
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wiirde sie im Gegensatz zu der erwahnten „Sparfunktion des Einkommens" bedeuten, dafi die Sparneigung mit zunehmendem Vermogen sinkt, d. h. dafi die Konsumneigung entsprechend zunimmt; der „Verm6genseffekt" wirkt dem „EinkommenserTekt" diametral entgegen. Die Wirkung einer Schuldaufnahme der offentlichen Hand auf die unternehmerischen Investitionen ergibt sich zunachst aus Sekundarwirkungen aus der Anleihezeichnung der privaten Haushalte. Gelingt im Aufschwung der erwahnte Einbruch in die Konsumquote, so beeinflufit der Nachfrageausfall irgendwann das Investitionsverhalten der Unternehmer ceteris paribus negativ. Derartige Einfliisse aus der Konsumsphare konnen auch mittelbar uber die Geschaftsbanken auf die unternehmerischen Dispositionen einwirken; zeichnen die privaten Haushalte Anleihen zu Lasten ihrer Bankguthaben, so wird dadurch die Liquiditat der Geschaftsbanken eingeengt, wovon ein dampfender Einflufi auf ihre Kreditgewahrung an die Unternehmungen ausgehen konnte. In der Phase des Abschwunges bedeutet andererseits ein durch die private Anleihezeichnung bewirkter Abzug von Guthaben aus dem Geschaftsbankensystem keine kontraktive Wirkung, da die Banken hier ohnehin liquide genug sind; zugleich gewinnt der Staat Finanzierungsmittel fur seine antizyklische Ausgabenpolitik, ohne die Investitionslust der Unternehmer durch kontraktiv wirkende Aufbringungsmethoden (Steuern) zu beeintrachtigen. Andere Wirkungen ergeben sich, wenn nicht Haushalte und Unternehmungen, sondern die Geschaftsbanken oder die Notenbank selbst die Staatsanleihe iibernehmen, die damit zum Anlafi einer Geldschopfung wird. Das neue Buchgeld oder das „uneinlosliche Staatspapiergeld" A. Wagners tritt zu der Summe der im Markt gebildeten Einkommen hinzu; mit seiner Hilfe iibt die offentliche Hand zusatzliche Nachfrage auf den Guter- und Leistungsmarkten aus, die bei Unterbeschaftigung konjunkturanregend, bei Vollbeschaftigung dagegen alsbald preissteigernd wirkt und damit die reale Konsumquote der Haushalte ebenso schmalert wie die Investitionen der Unternehmen. Das gilt auch, wenn nicht die Notenbank, sondern die Geschaftsbanken als Zeichner der Staatsanleihe auftreten; der Rahmen ihrer Liquiditatserfordernisse, der ihre sonstige Kreditgewahrung rigoros beschrankt, ist dem Staat gegeniiber weit elastischer, weil die orTentlichen Titel den Rang sekundarer Liquiditatsmittel besitzen und jederzeit bei der Notenbank, die fiir ihre Kurspflege verantwortlich ist, prasentiert werden konnen. Die Handhabung dieser Wechselbeziehungen zwischen Staat, Notenbank und Geschaftsbankensystem geht damit bereits in den Bereich des „Debt Management" uber, von dem unten noch kurz die Rede sein wird. 280 (Fortsetzung) suchung fiir die Bundesrepublik Deutschland. Untersuchung des Instituts fiir Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universitat Bonn, veroffentlidit in: Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, Nr. 1024, Koln-Opladen 1962.
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Nach ihrer Wirksamkeit als konjunkturpolitisches Instrument verdient angesichts der Ungewifiheit iiber die Reaktionen der privaten Zeichner das „Deficit Spending" mittels Inanspruchnahme der N o t e n b a n k sicherlich den V o r r a n g 2 8 1 . In der Weltwirtschaftskrise ist die Finanzierung der ArbeitsbeschafFung, des „ N e w D e a l " oder wie die Ankurbelungsprogramme sonst hiefien, teils unmittelbar iiber die Notenbanken, teils mittelbar unter Zwischenschaltung ad hoc geschaffener „Adressen" erfolgt (Mefo, Dffa u. a. m.); in den U S A hat allein die „Refico" 282 iiber 66 Mrd. $ Geldschopfungsmittel fiir die Regierung Roosevelt bereitgestellt. In der Bundesrepublik gibt es seit der Verabschiedung des Stabilitatsgesetzes und der Finanzreformgesetze, sieht man von dem auf 6 Mrd. D M fiir den Bund und etwa 2,6 M r d . 2 8 3 fiir die Lander begrenzten Plafond des § 20 Bundesbankgesetz fiir Kassenkredite ab, aufier der sehr „elastischen" Regelung des § 6 Abs. I l l Stab.Ges. keine auch nur formale Begrenzung der offentlichen Schuldaufnahme mehr. Die Darstellung der konjunkturpolitischen Moglichkeiten des „Deficit Spending" w a r e unvollstandig, wollte man nicht auch die Wirkungen der Tilgung der offentlichen Schulden mit einbeziehen 284 . Allerdings ist dieses Problem ungemein umstritten; die Meinungen iiber die Wirkungen der Schuldentilgung reichen von der A n n a h m e eines generell kontraktiven Effektes 285 iiber die Frage der Zweckmafiigkeit der Schuldentilgung iiberh a u p t 2 8 6 bis zu der Vermutung einer grundsatzlich expansiven Wirkung 287 . Diese Unterschiede ergeben sich meist aus dem Blickwinkel der Betrachtung. Einen expansiven Effekt wird die Schuldentilgung haben, gleich woher die Mittel kommen, wenn die Tilgungsraten privaten Haushalten zufliefien; stammen die Mittel aus dem Ausland oder von der N o t e n b a n k , diirfte eine 281 So Albers, W.: Staatsverschuldung und Geld- und Kreditpolitik, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 21 (1961), S. 42. 282 Schmolders, G.: Die Konjunkturpolitik der Vereinigten Staaten, Leipzig 1934. 283 § 20 Abs. 1, 2 ff. bestimmt: „Die Hochstgrenze der Kassenkredite einsdilieftlidi der Schatzwechsel, welche die Deutsche Bundesbank . . . ankauft oder deren Ankauf sie zugesagt hat, betragt bei . . . den Landern vierzig Deutsche Mark je Einwohner nach der letzten amtlichen Volkszahlung; bei dem Land Berlin und den Freien und Handestadten Bremen und Hamburg dient als Berechnungsgrundlage ein Betrag von achtzig Deutsche Mark je Einwohner." 284 Unter Tilgung wird hier nur die „aktive" Schuldentilgung im Sinne von Schuldenriickzahlung verstanden, nicht dagegen die „passive" Schuldentilgung durch Volkseinkommenszuwachs oder Geldentwertung. Vgl. hierzu Andel, N.: Probleme der Staatsschuldentilgung, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, NF. H. 30, Berlin 1964, S. 14. 285 Vgl. z. B. Andel, N . : Probleme der Staatsschuldentilgung, a.a.O., S. 29 ff. 286 z. B. Johr, W. A.: Das Problem der Schuldentilgung, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 11, 1949, S. 294 ff.; Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 353 f.; Richebacher, K.: Geldabschopfung durch Schuldentilgung, in: Der Volkswirt Nr. 36 (1969), S. 27 ff. 287 Rolph, E. R. und Break, G. F.: Public Finance, a.a.O., S. 530.
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Entschuldungsaktion bei den Geschaftsbanken auf dem Wege iiber das erhohte Kreditschopfungspotential ebenfalls expansiv wirken. Problematischer ist es, die Wirkung einer Entschuldungsaktion aus Steuermehreinnahmen bei der Notenbank ( « Bildung einer Konjunkturausgleichsriicklage gemafi Stab.Ges.) gegen eine Schuldentilgung mit den gleichen Mitteln beim Geschaftsbankensystem abzuwagen. Da in der Kegel alle den Staat betreffenden Zahlungsvorgange iiber das Geschaftsbankensystem laufen, wird in beiden Fallen (Schuldentilgung bei der Notenbank bzw. Konjunkturausgleichsriicklagenbildung versus Schuldentilgung bei Geschaftsbankensystem) den Geschaftsbanken Primarliquiditat in Hohe des Betrages der Konjunkturausgleichsriicklage bzw. Schuldentilgung bei der Notenbank oder den Geschaftsbanken entzogen. Um ihr Kreditvolumen aufrechterhalten zu konnen, versuchen die Banken im Falle der Bildung einer Konjunkturausgleichsriicklage oder der Tilgung von Notenbankschulden in ihrem Portefeuille befindliche Sekundarliquiditat (Schatzwechsel, unverzinsliche Schatzanweisungen, Vorratsstellenwechsel, Privatdiskonten) in Hohe des Primarliquiditatsabzuges in liquide Mittel 1. Ordnung umzuwandeln. Da es sich bei dieser Sekundarliquiditatsreserve vorwiegend um Offenmarktpapiere handelt, konnen die Geschaftsbanken diese Titel der Notenbank anbieten und an sie gegen Primarliquiditat verkaufen 288. Im Falle eines Riickkaufs von Schuldtiteln vom Geschaftsbankensystem wird diesem zunachst auch Primarliquiditat in Hohe des Riickzahlungsbetrages entzogen, diese Gelder fliefien aber dann automatisch beim Riickkauf der Schuldtitel wieder den Banken zu; d. h. die Kreditinstitute mussen sich nicht wie im Falle der Konjunkturausgleichsriicklagenbildung etc. darum bemiihen, ihren Bestand an Primarliquiditat aufrechtzuerhalten. Dies ist insofern ein wichtiger Unterschied, da es der Notenbank moglich ist, fur Offenmarktpapiere, die ihr vor Ablauf der Laufzeit angeboten werden, einen niedrigeren als den urspriinglich vereinbarten, d. h. einen fur die anbietende Bank verlustbringenden Riicknahmesatz zu berechnen. Diese nach Ermessen der Notenbank in gewissen Grenzen frei variierbaren Riickkaufsatze „stellen eine ziemlich wirksame Bremse gegen von der Zentralbank nicht gewiinschte Liquiditatsdispositionen . . . der Kreditinstitute dar" 289. Lediglich in diesem Umstand und in der Verschlechterung des Fristigkeitenfachers der Anlagen in Sekundarliquiditat bei den Geschaftsbanken 288 Daft die Banken versudien, ihren Bestand an sofort verfugbaren Zentralbankguthaben konstant zu halten, zeigt die Tatsadie, daft die Geschaftsbanken in der BRD bislang, sofern ihnen nicht vom Ausland die notwendigen Gelder zugeflossen sind, auf Mindestreserveerhohungen i. d. R. mit dem Verkauf von Offenmarktpapieren an die Bundesbank reagierten. (S. hierzu Diirr, E.: Wirkungsanalyse der monetaren Konjunkturpolitik, Frankfurt/M. 1966, S. 144 ff., 319.) 289 Rittershausen, H.: Die Zentralnotenbank, Frankfurt/M. 1962, S. 106; s. audi Hagenmuller, K. Fr.: Bankbetrieb, Bd. II, Wiesbaden 1964, S. 169.
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liegt der Unterschied zwischen einer Schuldenriickzahlung bei der Notenbank (bzw. Konjunkturausgleichsrucklagenbildung) und einer Schuldentilgimg im Bankensystem, so dafi beiden Mafinahmen im wesentlichen die gleiche Wirkung zukommt 290 ; es findet eine Bilanzverkiirzung bei den Geschaftsbanken statt, das Sekundarliquiditatspolster schrumpft bzw. wird abgebaut, urn das Kreditvolumen aufrechterhalten zu konnen. Weniger als Schuldaufnahme und Schuldentilgung wird im Rahmen des „Deficit Spending" die Zinszahlung auf die Staatsschuld diskutiert. Dies hangt damit zusammen, dafi das Problem des staatlichen Zinsendienstes einerseits mehr unter dem fiskalischen Gesichtspunkt der Belastung des Staatshaushalts oder als Problem der Hohe des Zinssatzes, also zugleich im Rahmen der Politik des „Debt Management", untersucht wird, zum anderen damit, dafi die Verzinsung der Staatsschuld in mancher Hinsicht ahnliche Probleme aufwirft, wie die Schuldentilgung; ergeben sich doch audi hier wieder die Fragen nach dem Kreis der Empfanger, fiir die die Zinsen im Grunde nichts anderes als Transferzahlungen (Rolph-Break: a contractual form of transfer income) darstellen, sowie nach der Art der Aufbringung des Zinsendienstes. Befinden sich die Staatsanleihen weitgehend in Handen privater Haushalte, so kann es hier z. B. zur Kompensation etwaiger kontraktiver Effekte der Aufbringung mit dem Liquidisierungseffekt der Zinszahlungen kommen. Andere Wirkungen ergeben sich aber gegebenenfalls, insoweit die Zinszahlungen den Geschaftsbanken zufliefien, wenn diese die Staatstitel in ihrem Portefeuille halten. Den Banken kann in diesem Falle zusatzliches Zentralbankgeld zufliefien, „das sie zur Kreditgewahrung verwenden konnen. Auf diese Weise wird die mogliche Deflationswirkung, die die Besteuerung fiir den Zinsendienst nach sich ziehen kann, uberkompensiert. Natiirlich hangen die Steuerwirkungen davon ab, wie die Zinssteuer . . . ausgestaltet ist. Trifft sie die Bezieher hoher Einkommen, so kann sie zu Einkommensminderung . . . und infolgedessen zu einer Beeintrachtigung der incentives' fiihren. Und da im allgemeinen die potentielle Krediterweiterung bei den Banken nicht automatisch zu einer tatsachlichen Kreditexpansion . . . fiihrt, ist ein deflationarer Prozefi denkbar" 291. Auch unter dem Aspekt der Einkommens- und Vermogensverteilung wird die Schuldenpolitik der offentlichen Hand diskutiert; neben den moglichen redistributiven Effekten der Schuldaufnahme 292 und Schulden290
Richebadier, K.: Geldabschopfung durdi Schuldentilgung, a.a.O. und die sich anschlieEende Diskussion (s. ebenda, Nr. 45, S. 32 ff.; Nr. 50, S. 30 ff.; Nr. 5 (1970), S. 24 ff.). 291
Hessler, H.-D.: Gegenwartsprobleme staatlicher Anleihepolitik, Untersuchung des finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universitat zu Koln, veroflfentlicht in: Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, Nr. 1373, Koln-Opladen 1964, S. 131. 292 Vgl. Haller, H.: Finanzpolitik, a.a.O, S. 186.
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tilgung 293 geht es hier vor allem urn die mit zunehmender Staatsverschuldung immer bedeutsamer werdenden Probleme der Einkommensumverteilung durch den Zinsendienst. Dabei wird meist unterstellt, dafi „die Gesamtsteuerlastverteilung, auf die man wegen des heute herrschenden Prinzips der Nonaff ektion bei solchen Oberlegungen zuriickgreift, regressiv oder jedenfalls nicht in dem Mafie progressiv ist, wie die Titel verteilung" 2 9 4 ; nur wenn Steuerzahler und Anleihebesitzer identisch waren und wenn der Entzugseffekt der Besteuerung quantitativ genau der H o h e des Zinszuflusses entsprache, konnte die Schuldenpolitik der offentlichen H a n d als neutral gegeniiber der Einkommensverteilung gelten. A n dieser von Gandenberger als „Transferansatz" 295 bezeichneten Ansicht, die von einer grofien Zahl von Finanzwissenschaftlern vertreten wird 296 , k a n n unter zwei Gesichtspunkten Kritik geubt werden. D e r E i n w a n d N . Andels richtet sich „gegen die Methode, aus dem Vergleich von Zinszahlungen u n d Steuerbelastungen einer Periode Ruckschliisse auf die Verteilungswirkungen einer in der Vergangenheit aufgenommenen Schuld zu ziehen bzw. ganz allgemein Vor- u n d Nachteile der Anleihefinanzierung im Vergleich zur Steuerfinanzierung abzuleiten" 297 . Richtig dagegen ist es, nach den differentiellen Verteilungswirkungen von offentlichen Anleihen im Vergleich zu Steuern zu fragen: „Wie ist die Verteilung der Traglast der Steuern, die an Stelle der Anleihen erhoben werden, im Vergleich zur Lastverteilung der Abgaben, die im Falle der Anleihefinanzierung auf den Zinsendienst zuruckzufuhren sind? Anders ausgedruckt: Wie ist die Verteilung der Traglast der Steuern, die die Gesamtheit der Steuerzahler durch die Anleihe vermeidet, im Vergleich zur Verteilung der fiskalischen „Vermeidungskosten a in Form der Steuer fiir den Zinsendienst wahrend des Schuldenstandes?" 298 „Unsozial c< w a r e die staatliche Schuld293 y g i # Andel, N . : Probleme der Staatssdiuldentilgung, a.a.O., S. 52 ff. u. S. 129 ff. 294
Andel, N.: Probleme der Staatssdiuldentilgung, a.a.O., S. 52. Gandenberger, O.: Dffentlicher Kredit und Einkommensverteilung, Antrittsvorlesung, gehalten am 3. Juli 1969 an der Universitat Mainz, abgedruckt in: Finanzarchiv NF. Bd. 29 (1970) S. 1 ff. 296 So z. B. Baumstark, E.: Staatswissenschaftliche Versudie iiber Staatskredit, Staatsschulden und Staatspapiere, Heidelberg 1833, S. 385; Mill, J. St.: Grundsatze der politischen Dkonomie mit einigen ihrer Anwendungen auf die Sozialphilosophie, Jena 1921, Bd. 2, S. 380 f.; Neumark, F.: Grundsatze und Arten der Haushaltsfiihrung und Finanzbedarfsdeckung, a.a.O., S. 652; Haller, H.: Finanzpolitik, a.a.O., S. 197 f.; Hedtkamp, G.: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Neuwied und Berlin 1968, S. 218; Hessler, H.-O.: Gegenwartsprobleme staatlicher Anleihepolitik, Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen (Nr. 1373), Koln-Opladen 1964, S. 97ff.; Herber, B. P.: Modern Public Finance, Homewood, 111. 1967, S. 445 f.; Laufenburger, H.: Theorie Economique et Psychologique des Finances Publiques, 5. AufL, Paris 1956, S. 232. 297 Andel, N . : Zur These von der unsozialen Verteilungswirkung offentlicher Schulden, in: Public Finance (1969), S. 72. 298 Ders., a.a.O., S. 73. 295
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aufnahme bei dieser Betrachtungsweise beispielsweise dann nicht, wenn durch die Kreditaufnahme eine Erhohung regressiv wirkender Steuern (z. B. Verbrauchsteuern) verhindert worden ware, oder aber wenn zur Finanzierung des Schuldendienstes eine die hoheren Einkommen progressiv belastende Steuer herangezogen wiirde. Fundamentaler als die Andelsche Kritik an dem Transferansatz sind die Einwande von O. Gandenberger 2 " . Ausgangspunkt seiner Dberlegungen ist die Tatsache, dafi die Zeichner einer offentlichen Anleihe nicht deshalb ein Zinseinkommen erhalten, weil die Steuerzahler zu Zinszahlungen herangezogen werden, sondern weil sie in der Ausgangsperiode oder in einer der vorangegangenen Perioden Geldvermogen gebildet haben, das sie nun aufier in privaten Schuldtiteln auch in Staatsanleihen anlegen; dies aber bedeutet, dafi sie eine Verzinsung der von ihnen gezeichneten Titel in jedem Fall erhalten, „und es ist demnach nicht gerechtfertigt, von einem Einkommenszuwachs bei der Gruppe der Anleihezeichner zu sprechen, der speziell durch die Anleihefinanzierung des Staates ausgelost wird" 300. Mit dieser Argumentation wird nicht die Moglichkeit eines Zusammentreffens von progressiver Anleiheverteilung und regressivem Steuersystem bestritten, wohl aber der vom Transferansatz behauptete Kausalzusammenhang. Die Analyse ware abgeschlossen fiir den Fall, dafi sich durch die Schuldaufnahme weder Kurs noch Zins am Kapitalmarkt andern wiirden. Lafit man diese unrealistische Annahme fallen und unterstellt statt dessen, dafi im Gegensatz zur Steuerfinanzierung eine staatliche Schuldaufnahme erfolgt, so bedeutet dies eine Erhohung der Kapitalmarktnachfrage, die bei der fiir die Bundesrepublik Deutschland zutreffenden Annahme, dafi der Staat ein Kapitalnachfrager wie alle anderen ist, bei gegebenem Kapitalangebot zu einer Zinssteigerung fiihrt. Um die hieraus resultierenden Verteilungswirkungen analysieren zu konnen, bedarf es nunmehr allerdings noch weiterer Oberlegungen. Im Falle der Kreditfinanzierung sind, da keine Steuern in entsprechender Hohe erhoben worden sind, die verfiigbaren Einkommen um den Anleihebetrag hoher als bei einer Steuerfinanzierung; das Kapitalangebot ( = zusatzliche Sparsumme) vergrofiert sich um den Anleihebetrag ( = Betrag an nicht erhobenen Steuern) multipliziert mit der marginalen Sparneigung. Das bedeutet, dafi im Falle einer Kreditfinanzierung sowohl das Kapitalangebot als auch die Kapitalnachfrage steigen, wobei dann unter Beriicksichtigung der Zinselastizitat der Kapitalnachfrage bei unterstellter Zinsunabhangigkeit des Sparens die Zinsentwicklung abgeschatzt werden kann. ^Normalerweise du'rfte mit einer Erhohung des Zinssatzes zu rechnen sein." 301 299
Gandenberger, O.: Dlfentlicher Kredit und Einkommensverteilung, a.a.O., s. zum folgenden auch Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., S. 108 ff. 300 Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., S. 108. 301 Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., S. 109.
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Steigt also der Zins, so bedeutet dies neben dem Ruckgang der privaten Investitionen, da Kurs und Zins in einem reziproken Verhaltnis stehen, eine tendenzielle Kurssenkung 302 bei alien fruher emittierten festverzinslichen Anleihen, seien sie offentlicher oder privater Herkunft. „Alle diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt ihre Kassenhaltung aufgeben, erzielen einen Spekulationsgewinn, aber — und dies ist der Unterschied zum ublichen Transferansatz — sie erzielen diesen Gewinn unabhangig davon, ob sie neue Staatsanleihen oder andere alte oder neue Schuldtitel kaufen. Damit ist die Gruppe der Zeichner von Staatsanleihen in keiner Weise hervorgehoben, obwohl der beschriebene Effekt durch eine staatliche Schuldaufnahme bewirkt wird." 303 Das Resultat eines derartigen Zinsanstieges ist aber nicht nur eine Veranderung der funktionalen Einkommensverteilung, sondern audi eine Veranderung der Bewertung (Wertminderung) der gegenwartigen Vermogensgegenstande, da die zukiinftigen Ertrage aus diesen Vermogen nunmehr mit dem hoheren Zins diskontiert werden miissen, was einer Verringerung der Barwerte dieser Realkapitalien gleichkommt. Diese Uberlegungen lassen erkennen, dafi es nicht, wie dies der „Transf eransatz" behauptet, je nach Wahl der Finanzierungsart sofort zu einer personellen Einkommensumverteilung kommt, sondern dafi lediglich die funktionale Einkommensverteilung durch die beschriebenen Zusammenhange beriihrt wird; erst auf diesem Umweg kann moglicherweise auch die personelle Einkommensverteilung im negativen Sinne beeinflufit werden. Mit Recht bemerkt F. Neumark, „dafi es fiir die okonomischen Fernwirkungen" der offentlichen Verschuldung „weitgehend auf deren Formen und Quellen ankommt. Eine Rolle in dieser Hinsicht spielen u. a. die Verzinslichkeit, die Dauer oder Laufzeit . . . sowie die Liquiditat jener Titel, d. h. die Moglichkeit, sie indirekt oder direkt in Geldzeichen oder Bankgeld zu verwandeln" 304. Die geschickte Handhabung dieses Instrumentariums ist zum Kernstuck der Politik des „Debt Management" geworden, die namentlich in den Vereinigten Staaten seit nahezu drei Jahrzehnten zu hoher Vollendung entwickelt worden ist 305 . 302 wie groft dieser Kursriickgang ist, hangt vom Gesamtvolumen aller am Kapitalmarkt gehandelten festverzinslichen Titel ab. 303 Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., S. 109. 304 Neumark, F.: Grundsatze und Arten der Haushaltfiihrung und Finanzbedarfsdeckung, a.a.O., S. 647. 305 Als widitigste Literatur sei hier angefiihrt Nevin, E.: Debt Management — a General Report, in: Publk Finance, Vol. XVI, 1961, S. 10; Rolph, E. R.: Debt Management: Some Theoretical Aspects, in: Public Finance, Vol. XVI, 1961, S. 105; Tobin, J.: An Essay on Principles of Debt Management Policies, in: Fiscal and Debt Management Policies, a Series of Research Studies Prepared for the Commission on Money and Credit, Englewood Cliffs, N . J. 1963, S. 143 ff.; Ullmann, K.: „Debt Management" und Schuldenpolitik des Bundes, in Zeitschrift fiir das gesamte Kreditwesen, Bd. 21 (1968) S. 1057 ff.; eine Ubersicht iiber „staatliches Debt Management im Ausland" ist im Finanzbericht 1969, S. 244 ff. zu finden.
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Dabei sind die Grenzen zwischen der Politik des „Debt Management" und der Offen-Markt-Politik der Notenbank fliefiend, und z war nicht nur in instrumenteller Hinsicht, sondern audi im Hinblick auf die Ziele beider Politiken. Das Ziel der Offen-Markt-Politik ist die Beeinflussung der Gesamtnachfrage und der Buchgeldschopfung durch das Bankensystem. Der Charakter des „Debt Management" gleicht dagegen einem Januskopf; fiskalisch ist das Ziel, die Zusammensetzung der vorhandenen und der benotigten Staatsschuld so zu manipulieren, dafi die Kosten fiir den Staat in Form der zu leistenden Zinsen und der bei einem etwaigen Ruckkauf aufzubringenden Betrage moglichst niedrig gehalten werden, die nicht fiskalische Zielsetzung bezieht sich auf die Lenkung der schuldenpolitisch bewirkten Liquiditatseffekte dergestalt, dafi diese gleich den gesamtwirtschaftlich gewiinschten Liquiditatswirkungen sind; die Schuldenpolitik wird so zum Instrument der Stabilisierungspolitik 306. Die Politik des „Debt Management", soweit sie sich um eine bewegliche Anpassung des Volumens und der Fristigkeitsstruktur der offentlichen Schuld an die Situation des Geld- und Kapitalmarktes bemuht, mufi zunachst dem Gesichtspunkt der Liquiditat der Anleihe Rechnung tragen; wenn man mit R. A. Musgrave jeden Anleiheverkauf als einen „Kauf von Illiquiditat" 307 betrachtet, mufi sie das Mafi dieser Illiquiditat moglichst niedrig zu halten suchen, zumindest aber den Verzicht auf Liquiditat angemessen „belohnen". Sind es doch gerade die unterschiedlichen Erwartungen und Einschatzungen der zukiinftigen Zinsentwicklung, die den Entschlufi zum Kauf von Anleihen positiv oder negativ beeinflussen. Den Ausgangspunkt aller Oberlegungen fiir den Anleger bildet einerseits die jeweilige Konjunkturlage und der jeweils herrschende Zinssatz am Geld- und Kapitalmarkt, andererseits die Einschatzung seines eigenen zukiinftigen Liquiditatsbedarfes. Wenngleich sich diese subjektive Vorstellung vom zukiinftigen Liquiditatsbedarf auch in gewissem Grade, je nach der Frist, nach der er anfallt, zeitlich staffeln lafit 308, so bleibt sie doch, in ihrer spezifischen Eigenart auch als „Liquiditatspraferenz" des Anlegers bezeichnet, zweifellos die subtilste, am starksten von subjektiven Momenten bestimmte Einflufigrofie fiir die Kaufentscheidung 309. 306
S. Hansmeyer, K. H.: Die optimale Schuldenstruktur bei gegebenem Schuldenstand, vervielfaltigtes Manuskript, Koln 1969, S. 1, sowie Hansmeyer, K. H., Macksdieidt, K.: Die fiskalische Komponente einer Politik des Debt Management, in: Kredit und Kapital (1970) Heft 3. Als weiteres, allerdings bislang noch unbedeutendes eigenstandiges nicht-fiskalisches Ziel kann nodi die Veranderung der Einkommens- und Vermogensverteilung durch die offentliche Schuldenpolitik hinzutreten. 307 Musgrave, R. A.: Theorie der offentlichen Schuld, a.a.O., S. 116. 308 Ygi # die Einteilung bei E. Schneider (Einfiihrung in die Wirtschaftstheorie I I I . Teil, 10. Aufl., Tubingen 1967, S. 79 ff.) in Liquiditatsbedarf fiir Transaktionszwecke, aus Vorsichtsgriinden u n d fiir Spekulationszwecke, die auf J. M. Keynes* M o t i v k a t a l o g der Liquiditatsvorliebe zuriickgeht. 309 „Such general liquidity preference is a matter of degree, and the extent to which it exists is not a matter of logic but of institutional arrangement, economic conditions and national temperament" (Culbertson, I. M.: The Term Structure of Interest Rates, in: The Quarterly Journal of Economics, Bd. 71 (1957), S. 493).
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Die Einnahmenpolitik
Die Politik des „Debt Management" mufi daher einmal die Liquiditatsvorstellungen der Wirtschaftssubjekte und der Geschaftsbanken, zum anderen die Tatsache in Rechnung stellen, dafi der Anleger fur eine langerfristige Anlage seiner Mittel, d. h. fiir die langere Dauer seines Verzichts auf Liquiditat, in der Regel einen hoheren Zins fordern wird. Von ihrer fiskalischen Zielsetzung her erscheint die Politik des „Debt Management" insofern zunachst recht einfach; unterstellt man, dafi der Anleger einen nur kurzfristigen Liquiditatsverzicht bevorzugt, so harmoniert das fiskalische Ziel der niedrigen Zinskosten offenbar mit diesem Wunsch nach einer niedrig verzinslichen kurzfristigen Anleihe. Unter gesamtwirtschaftlichem Aspekt erweist sich diese Oberlegung aber haufig als nicht ausreichend; das Ziel der Geldpolitik kann es gegebenenfalls sein, aus konjunktrellen Griinden den Zinssatz nicht gleichbleibend niedrig zu halten, sondern sowohl den kurzfristigen als audi den langfristigen Zinssatz gelegentlich fiihlbar anzuheben. Die Politik des „Debt Management" mufi sich daher darum bemiihen, ihre Ziele mit denen der Geldpolitik in der Weise zu koordinieren, dafi die Manipulation der offentlichen Schuld zu einem wirksamen Mittel der Geldpolitik und Stabilisierungspolitik wird, ohne dabei ihr fiskalisches Ziel ganz aus den Augen zu verlieren. Der Einsatz der Politik des „Debt Management" als Mittel zur Beeinflussung der Gesamtnachfrage vollzieht sich iiber die damit bewirkte Beeinflussung der Zinssatze am Geld- und Kapitalmarkt. Diese Beeinflussung ist ihr nur dann moglich, wenn sich die Zinsdifferenz zwischen kurzfristigen und langfristigen Anleihen durch eine Anderung in der Fristigkeitsstruktur der Staatsschuld verandern lafit; beispielsweise wird der langfristige Zinssatz tendenziell erhoht, wenn der Staat eine kurzfristige Anleihe zuriickzahlt und gleichzeitig eine langfristige Anleihe in gleicher Hohe emittiert, also die durchschnittliche Laufzeit seiner Schuld verlangert. Wenn in dieser Weise der Zinssatz durch eine Erhohung der durchschnittlichen Laufzeit der Anleihen angehoben wird, so kann damit gegebenenfalls eine Dampfung der Gesamtnachfrage bewirkt werden; umgekehrt kann eine Herabsetzung der durchschnittlichen Laufzeit offentlicher Anleihen zinssenkend und damit auf die Gesamtnachfrage stimulierend wirken. Ob beides gelingt, ist freilich umstritten, da das Verhalten der Wirtschaftssubjekte keineswegs allein von den Zinssatzen abhangt: „solange die pessimistischen Erwartungen der Unternehmer den stimulierenden ErTekt niedriger Zinssatze uberkompensieren, kann eine Politik des billigen Geldes keine Expansion der Bankkredite bewirken" 810. Um trotz dieser und anderer Schwierigkeiten der Politik des „Debt Management" sowohl in ihrem fiskalischen als auch in ihrem geld- und kon310 Lutz, F. A.: Grenzen der Geldpolitik, in: Geld und Wahrung, Tubingen 1962, S. 250.
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junkturpolitischen Ziele zum Erfolg zu verhelfen, haben Theorie und Praxis Mafinahmen ersonnen, in denen sich die oben bereits erwahnte Erfindungsgabe auf dem Gebiete der Verschuldungstechnik 3 U widerspiegelt. Hierzu gehort beispielsweise die sog. „Isolierung" ^ I n s u l a t i o n " ) des Marktes ( = M a r k t teilung) fiir Staatsanleihen, die dadurch bewirkt wird, dafi die Geschaf tsbanken zur Zeichnung einer Zwangsanleihe als „ Secondary Reserve Requirement" gezwungen werden, die sowohl nach Zinssatz und Kurs fixiert ist; eine derartige Mafinahme k a n n andererseits bewirken, dafi sich der Staat fiir spatere Zeiten einem mifitrauischen Zeichnerpublikum gegenubersieht u n d u. U. hohere Zinssatze gewahren mufi, um die Anleihezeichnung schmackhaft zu machen. Diese Erfahrung haben die Lander, die solche Mafinahmen ergriffen hatten, wenigstens in der Regel gemacht 312 . Eine weitere gern benutzte Moglichkeit des „Debt Management" ist die steuerliche Privilegierung offentlicher Anleihen dergestalt, dafi der Ersterwerb und/oder die Ertrage daraus steuerbefreit oder steuerlich beglinstigt werden; besonders in Frankreich ist diese steuerliche Privilegierung der Staatsanleihen ein klassisches Mittel der Verschuldungspolitik. Die Effektivverzinsung einer Anleihe richtet sich in diesen Fallen nach der Progression des Steuertarifs; die wohlhabenden Zeichner erhalten die hochste Verzinsung. Abgesehen von der darin zu vermutenden Ungerechtigkeit schadigt der Steuerverzicht den Fiskus u. U . auf die Dauer mehr als die Anleihe einb r i n g t 3 1 3 ; zugleich wird die Steuerprogression entscheidend geschwacht oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt 314 . Nichtsdestoweniger hat auch die Bundesrepublik bei ihrer Anleihe von 1953 recht kraftig von dem Anreiz steuerlicher Privilegierung Gebrauch gemacht; neben die erwahnten Nachteile trat damit noch zusatzlich eine Aufsplitterung des Rentenmarktes in steuerpflichtige und steuerbefreite Emissionen, die bis heute nachwirkt 315 .
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Vgl. § 39. „ . . . buyers may be apprehensive that the coercion of the banks is just a first step toward the coercion of all holders of Government securities — and may therefore be deterred from buying." (Schlesinger, J. R.: Insulation of the Government Securities Market: Objektives, Techniques and Implications, in: Fiscal and Debt Management Policies, a.a.O., S. 250.) 313 Smith, W. L.: Debt Management in the United States, a.a.O., S. 68 f.; das gleiche Argument fiihrt Smith fiir eine weitere Form an, die Anleihen attraktiver zu gestalten: die Gewahrung einer Kaufkraftgarantie, d. h. die Bindung des Riickkaufkurses an einen Preisindex. Ob der Staat dabei per Saldo gewinnt oder verliert, hangt davon ab, ob die durchschnittliche Preissteigerung hoher oder niedriger ist als die Differenz von Emissions- oder Riickkaufswert einer normalen Anleihe. Zu den Vor- und Nachteilen dieser Anleiheform vgl. ferner: Tobin, J.: An Essay on Principles of Debt Management Policies, a.a.O., S. 202 ff.; Joint Committee on the Economic Report: Monetary Policy and the Management of the Public Debt („Patman-Report"), a.a.O., Antwort des Secretary of the Treasury, S. 143 ff. 314 Grunau, J.: Art. Kapitallenkung, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 5, a.a.O., S. 519. 315 Schmolders, G.: Noch immer: Kapitalfeind Nr. 1, a.a.O. 312
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Die Einnahmenpolitik
In der Bundesrepublik Deutschland stofit die offentliche Schuldenpolitik nodi auf eine weitere Schwierigkeit, die in der theoretischen Erorterung des Problems meist vernachlassigt wird, namlich auf die Verschuldung der iibrigen Gebietskorperschaften und die Rolle der „halbstaatlichen" Kapitalsammelstellen. Die durch den vertikalen Finanzausgleich geschaffene Koordinierung der Einnahmenpolitik besitzt auf der Ausgabenseite und im Bereich der Verschuldung durch den Konjunkturrat bzw. zentralen Kapitalmarktausschufi nur ein schwaches Pendant; in Bundesstaaten bedeutet diese Tatsache ein institutionelles Handikap einer konjunkturtherapeutischen Schuldenpolitik. F. K. Mann zitiert hierfiir zwei eklatante Beispiele aus der alteren und neueren amerikanischen Finanzpolitik 316 . Ende der 20er Jahre wurde in Amerika die Bundesschuld weitgehend getilgt; da aber die Einzelstaaten und Gemeinden gleichzeitig ihre Verschuldung erheblich ausdehnten, war schliefilich Anfang der 30er Jahre die Gesamtschuld hoher als vorher. Unter der Regierung Kennedy haben schliefilich neuere Berechnungen ergeben, dafi seit Ende des Zweiten Weltkrieges die Bundesschuld um 8 v. H., die Schuld der Staaten und Gemeinden dagegen um 378 v. H. gestiegen ist. Auch die Bundesrepublik kampft mit dem Problem der mangelnden Koordinierung der Schuldenpolitik, wie sie vor allem durch die hohe Verschuldung der Gemeinden gekennzeichnet ist; abschliefiend sollen daher noch die Mafistabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung behandelt werden.
§41. Mafistabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung Wenn E. R. Rolph und G. F. Break ihr Kapitel iiber die offentliche Verschuldung mit der lakonischen Feststellung einleiten „Governments are typically in debt" 317, so wird damit das Schuldenmachen der offentlichen Hand gewissermafien als ihr natiirliches Attribut hingestellt. Die genannten Autoren verhehlen allerdings keineswegs, dafi dieses Phanomen lediglich historisch zu erklaren sei; insbesondere seien stets die Kriege Ursachen einer wachsenden Staatsverschuldung gewesen, wofiir iiberzeugende Beweise vorliegen 318. In der Tat zeigen die jahrhundertelangen Erfahrungen aller Staaten, dafi die Staatsschuld zu keiner Zeit so rasch und kraftig anzusteigen pflegt wie in den drangendenNoten desKrieges. JedochhatP.Leroy-Beaulieu schon vor iiber 60 Jahren darauf aufmerksam gemacht, dafi beispielsweise im Krimkrieg die beiden verbundeten Grofimachte zur Aufbringung der Kriegskosten ganzlich verschiedene Wege einschlugen; wahrend Grofibritannien fast die Halfte der 316 Mann, F. K.: Die konjunkturpolitische Lage der Vereinigten Staaten von Amerika, Sonderschriften des IFO-Instituts fiir Wirtsdiaftsforsdiung, Nr. 33, BerlinMundien 1963, S. 25 f. 317 Rolph, E. R. und Break, G. F.: Public Finance, a.a.O., S. 520. 318 Vgl. § 23.
§ 4 1 . Mafistabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung
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Kosten durch zusatzliche Steuern aufbrachte, finanzierte Frankreich den Krieg zu iiber 90 v. H. auf dem Wege der Aufnahme von Schulden 319. Die Hintergriinde dieses Unterschiedes hat W. Lotz naher untersucht: „Wirtschaftlich waren zur Zeit des Krimkrieges Frankreich und England gleich leistungsfahig, urn einen gleich grofien Teil der Kosten durch Besteuerung aufzubringen. Wahrend aber in England Gladstone als Leiter der Finanzen sich auf das Vertrauen und den opferfreudigen Patriotismus der gesamten Nation stiitzen konnte, war in Frankreich die Regierung Napoleons III. durch einen Staatsstreich emporgekommen und darauf angewiesen, dafi dem Steuerzahler der Gegenwart nicht durch erhohte Lasten die Politik des zweiten Kaiserreiches verhafk gemacht wurde. Die Finanzgeschichte ist auch sonst voll von Beispielen, dafi nur eine starke Regierung der Gegenwart Lasten zur Deckung des aufierordentlichen Bedarfs zumuten kann, wahrend im finanzpolitischen Sinne schwache Regierungen immer besonders zum Schuldenmachen in diesem Fall greifen mussen." 320 Ahnliche Unterschiede sind in der Finanzierung des Ersten und Zweiten Weltkrieges zu beobachten; wahrend Grofibritannien in beiden Fallen einen erheblichen Anteil der Kriegskosten mittels erhohter Besteuerung zu decken vermochte, bestritten die anderen kriegfiihrenden Lander den grofiten Teil ihrer Kriegskosten auf dem Anleihewege; der Verzehnfachung der deutschen Reichsschuld stand ein Anwachsen der offentlichen Verschuldung in den alliierten Siegerstaaten auf das Drei- bis Fiinffache gegeniiber, von dem selbst die neutrale Schweiz nicht verschont blieb. Hinter diesen Wachstumsziffern der offentlichen Verschuldung verbergen sich jedoch sehr verschiedene volkswirtschaftliche Vorgange, von der Inanspruchnahme der echten Sparkapitalbildung bis zu jener Durchdringung der gesamten Volkswirtschaft mit Schuldtiteln der offentlichen Korperschaften, die schliefilich den Charakter des Zahlungsverkehrs und des Geldumlaufs durch einen exorbitant aufgeblahten staatlichen Giralgeldsektor inflatorisch veranderte. Die Handhabung der offentlichen Verschuldung geht mit ihren wachsenden Grofienordnungen unvermerkt in eine Manipulation der Wahrung iiber, die oft erst nach Jahren, z. B. nach dem Fortfall der kriegsbedingten Isolierung oder der Durchbrechung der legitimen Schranken sichtbar wird, die den schwarzen Markt abzuriegeln versuchen, die dann aber meist mit einem mehr oder weniger schmerzhaften Schnitt bereinigt werden mufi, falls sie nicht in eine schleichende Desorganisierung aller Markte und Produktionszweige ausmiinden soil. Einen gewissen Hinweis auf den „echtentc oder „unechtenc< Kreditcharakter der offentlichen Schuld gibt schon die aufiere Form, in der die Schulden 319 Leroy-Beaulieu, P.: Traite de la science des finances, 7. AufL, Bd. II, Paris 1906, S. 272 u. 283. 320 Lotz, W.: Finanzwissensdiaft, a.a.O., S. 862.
Die Einnahmenpolitik
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kontrahiert wurden. Von den 389 Mrd. RM der deutschen Reichsschuld im Moment des Zusammenbruchs entfiel nur ein Drittel auf „fundierte" (wenn auch letztlich recht zweifelhaft fundierte!) Schulden, wahrend 245 Mrd. RM kurzfristig finanziert waren, schwebende Schulden, die iiberwiegend bis in die Geldumlaufsphare hineinreichten; umgekehrt entfiel von der Nachkriegsschuld der Vereinigten Staaten nur ein Viertel auf schwebende Schulden, gewifi ein Anhaltspunkt fiir die Beurteilung des wirklichen Charakters der offentlichen Schuld und seines Zusammenhangs mit dem Wahrungsgeschehen. In Deutschland ist dazu noch die Besonderheit zu beobachten, dafi die offene Auflegung von Kriegsanleihen zur Zeichnung seitens des breiten Publikums im Zweiten Weltkrieg der sogenannten „gerauschlosen Kriegsfinanzierung" Platz machen mufite, einer unter schonen Phrasen getarnten Beschlagnahme aller Bank- und Sparkassenguthaben, Riicklagen und Deckungskapitalien; ein Zeichen dafiir, dafi der Hitlerstaat nicht nur nicht in der Lage war, sich „auf das Vertrauen und den opferfreudigen Patriotismus der gesamten Nation zu stiitzen", sondern sich nicht einmal mehr auf eine hinreichende freiwillige Zeichnung von Kriegsanleihen wie die des Ersten Weltkrieges verlassen konnte. Ahnlich wie es im Zweiten Weltkrieg, wenn man von den freiwilligen Meldungen zur Fallschirmtruppe absieht, keine „Kriegsfreiwilligen" mehr gab, so gab es auch keine freiwillige Zeichnung von Kriegsanleihen mehr; ohne viel davon zu merken, trug jedermann zur Kriegsfinanzierung bei, und erst die Wahrungsreform von 1948 hat letztlich daruber entschieden, in welchem Mafie die einzelnen Staatsbiirger mit ihrem in Geld und Geldwerten bestehenden Vermogen zur Tragung der Kriegskosten herangezogen worden waren. Von dieser politischen Handhabung einer unmerklichen Verschuldung des Staates hebt sich die seit Jahrhunderten gefuhrte finanztheoretische Diskussion um die Frage „Steuer oder Anleihe?" in mancher Hinsicht ab. Diese Diskussion wird von jeher in zwei Ebenen gefiihrt; einmal handelt es sich gewissermafien um ein „ewigescc Problem der Finanzwissenschaft, d. h. um einen Aspekt der Diskussion, der uber viele Epochen hinweg in der Sache selbst unverandert geblieben ist, zum anderen um einen Aspekt der wissenschaftlichen Betrachtung, die grundsatzliche Wandlungen durchgemacht hat und sich deshalb am anschaulichsten im Verlauf ihrer Entwicklung betrachten lafit. Der erste Aspekt ist am besten mit dem klassischen Ausspruch Lorenz von Steins zu umreifien: „Ein Staat ohne Staatsschuld leistet entweder zu wenig fiir seine Zukunft, oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart." 321 In diesen Worten spiegelt sich die in der Finanzwissenschaft des 19. Jahrhunderts vielfach vertretene Anschauung wider, dafi es mit Hilfe der staat321
S. 347.
Stein, L. v.: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 4. Aufl., 2. Bd., Leipzig 1878,
§ 41. Mafistabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung
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liciien Verschuldung moglich sei, die Ausgabenlast des Staates, vor allem die Last seiner langfristigen Investitionen, iiber die Jahre hinweg auf jene Generationen zu verteilen, die spaterhin Nutzniefier dieser Investitionen sein werden; mit der Anschauung des Staates als produktives Gebilde, spatestens also im Kameralismus, schien diese These von der „Lastenverschiebung in die Zukunft" als Maxime der Staatsverschuldung allseitig akzeptiert 322 . Erst die vertiefte wirtschaftswissenschaftliche Analyse dieses Problems, wie sie in den letzten Jahrzehnten insbesondere unter dem Aspekt der Kriegsfinanzierung mit neuen Akzenten durchgefuhrt wurde, hat gezeigt, dafi man sich mit diesem vordergriindigen „zahlungstechnischen" Aspekt der Lastenverschiebung nicht begniigen kann 323. Keine Anleihetechnik und keine Kassenmanipulation der Welt vermochten die reale Last der Kriegskosten von den Schultern der Kriegsgeneration auf die ihrer Kinder undEnkel zu verlagern; wie die Stahl- und Kupfermengen, die zur Produktion von Granaten beno tigt werden, nicht „im Vorgriff" auf morgen oder ubermorgen beschafft werden konnen, so tragt auch nicht das Vermogen kiinftiger Generationen, sondern nur das bereits vorhandene zusammen mit einem mehr oder weniger freiwilligen Konsumverzicht der Kriegsgeneration zur Kriegsfinanzierung bei 324. DaS bei dieser Art der Kriegsfinanzierung allerdings auch eine Verschiebung der realen Last zwischen einzelnen Gruppen der gleichen Generation stattfindet, wird heute nicht mehr ernsthaft bestritten; welche Gruppen oder Personen es genau sind, deren Besitzstand und Lebenshaltung durch die Art der Finanzierung des Krieges real in Anspruch genommen werden, pflegt sich aber in der Regel erst hinterher herauszustellen. Werden die Kriegsanleihen auf Heller und Pfennig in gutem Geld zuriickgezahlt, so ist die Aufbringung dieses Schuldendienstes und damit die endgiiltige Verteilung der Last, sofern die Mittel aus Steuern fliefien, identisch mit der Steuerinzidenz; werden sie aus neuen Anleihen aufgebracht, so engt sich der Kreis ihrer Trager auf die Gruppe der neuen Anleihebesitzer ein. Im Falle einer Geldentwertung endlich bestimmen Art und Grad der endgliltigen Abwertung der Schuldtitel, Geldzeichen oder Geldanspriiche, in welchem Mafie neben den Steuerzahlern die Staatsglaubiger und moglicherweise alle Staatsburger herangezogen werden, um die Lasten der Kriegsjahre noch nachtraglich wiederum anders zu verteilen (Aufwertung, Lastenausgleich). 322 y g } # auc\i w # Lotz, a.a.O., m i t seiner oben zitierten Bemerkung. 323 Vgi # Burkheiser, K . : Grenzen des Staatskredits, Berlin 1937; Stucken, R.: Kredit als finanzwirtschaftliches Deckungsmittel, i n : Finanzardiiv, N F . Bd. 5, 1938, S. 535 ff.; N e u m a r k , F . : Z u r Problematik der Grenzen des Staatskredits, i n : N e u e Beitrage z u r Wirtschaftstheorie, Festschrift z u m 70. Geburtstag v o n H a n s Mayer, Wien 1949; Haller, H . : Z u r Problematik der Kreditfinanzierung orTentlicher A u s gaben, a.a.O.; Albers, W . : Staatsverschuldung u n d Geld- u n d Kreditpolitik, a.a.O.; Lerner, A . P . : T h e Burden of Debt, i n : Review of Economics a n d Statistics, Bd. 43 (1961), S. 139 ff.; Hansmeyer, K. H . : D e r ofrentliche Kredit, a.a.O., § 1 6 . 324 Schmolders, G.: Probleme der Kriegsfinanzierung, Finanzardiiv, NF. Bd. 8 (1941), S. 203 ff.
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Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Dieser giiterwirtschaftliche oder „reale" Aspekt des Problems der zeitlichen Lastenverschiebung, der von der These ausgeht, dafi jede Generation schliefilich immer nur das verbrauchen kann, was sie bereits besitzt oder in Form ihres eigenen Sozialproduktes selbst zu schaffen vermag, ist allerdings auch heute noch keineswegs als alleingiiltig akzeptiert; als goldene Briicke zwischen der zahlungstechnischen und der giiterwirtschaftlichen Betrachtung, die der unterschiedlichen Beurteilung der Frage nach der Zukunftsbelastung durch Staatsschulden zugrunde liegt 3 2 5 , dient in erster Linie der Hinweis auf die durch die Verschuldung bewirkten Veranderungen der Einkommens- und Vermogensstruktur im Generationenwechsel. Aus der guterwirtschaftlichen Betrachtung wird dabei das Argument iibernommen, dafi der Begriff „Last" nicht auf die erste Zeichnung der Anleihe als solcher und auf die Finanzierung ihrer Bedienung u n d Ruckzahlung beschrankt bleiben kann, sondern die gesamtwirtschaftlichen Verschiebungen des Einkommens und Vermogens umfassen muli, insbesondere die zwischen den Generationen vererbten Vermogensgegenstande; die zahlungstechnische Betrachtungsweise lebt in der sogenannten Ricardo-Pigou-These wieder auf, die davon ausgeht, dafi die A n leihe weitgehend aus Ersparnissen bestritten wird, so dafi es bei ihrer Auflegung zu einem privatwirtschaftlichen Investitionsdefizit kommt, das sich bei fortgesetzter Anleihefinanzierung in einem entsprechend dem Bevolkerungswachstum relativen oder gar absoluten Absinken der privatwirtschaftlichen Kapitalausstattung niederschlagt und insofern fiir die zukiinftige Generation eine regelrechte „Last" darstellt. O b u n d w a n n sie als solche empfunden wird, hangt allerdings ganz von den Bedarfsvorstellungen der folgenden Generationen a b ; im Falle einer Einschrankung der Konsumgiiterproduktion auf G r u n d fehlender Kapazitaten wird die Last jedoch stets der folgenden Generation prasentiert, wobei hier „Generation" im technischen Sinne zu verstehen ist, d. h. als mittlere Lebensdauer der sachlichen P r o d u k tionsmittel, die im Zuge des technischen Fortschritts keineswegs mit dem Generationenabstand der Bevolkerung identisch zu sein braucht 3 2 6 . Demgegenuber geht die v o n W. G. Bowen, R. G. Davis u n d D . H . Kopf 327 entwickelte Theorie der zeitlichen Lastenverschiebung gerade umgekehrt davon aus, dafi die Staatsanleihe zunachst aus der Konsumquote gezeichnet wird. I m Alter „entspart" diese Generation in der Form, dafi sie ihren Anleihebesitz an die zweite Generation verkauft; in den Erlosen daraus erhalt die erste Generation ihren friiheren Konsumverzicht wieder 325
Hessler, H.-D.: Gegenwartsprobleme staatlicher Anleihepolitik, a.a.O., S. 64. Hansmeyer, K. H.: La dette publique comme moyen de reporter des charges sur les generations futures, in: Revue de Science Financiere, 55. Jg., Paris 1963. S. 544 if., vgl. auch Shoup, C. S.: Debt Financing and Future Generations, in: The Economic Journal (1962), S. 887 if. 327 Bowen, W. G., Davis, R. G., Kopf, D. H.: The Public Debt: A Burden on Future Generations, in: The American Economic Review (Communications), Bd. 50 (1960), S. 701 if. 826
§ 41. Ma£stabe und Grenzen der orfentlichen Verschuldung
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zuriickerstattet, wahrend nunmehr die neue Generation der Steuerzahler ihren Konsum einschranken mufi, was jetzt fur sie eine „Last" bedeutet. Abgesehen davon, dafi diese Theorie davon ausgeht, dafi eine Staatsschuld nur einmal aufgenommen und dafi der Generationenabstand recht willkiirlich mit 44 Jahren angesetzt wird, stellt sie eine ausgesprochene Gruppentheorie dar; die Tatsache einer Lastenverschiebung unter verschiedenen Gruppen in der gleichen Periode, selbst wenn sie in die Zukunft hiniiberreicht, wird jedoch, wie bereits erwahnt, heute iiberhaupt nicht mehr bestritten 328. Einen vollig anderen Weg schliefilich geht J. M. Buchanan 329 in seiner mikrookonomischen, psychologisch orientierten Interpretation des Lastbegriffes; damit tritt er der guterwirtschaftlichen Argumentation am entschiedensten entgegen. Gleichgiiltig, ob die Anleihezeichnung zu Lasten der Konsum- oder der Sparquote erfolgt, geschieht sie jedenfalls freiwillig; sie ist deshalb fur die erste Generation keine Last im psychologischen Sinne. Erst jene spatere Generation, die die Anleihe aus zwangsweise erhobenen Steuergeldern zuriickzahlen mufi, wird psychisch um so viel starker „belastet", als die Schuldenruckzahlung ihre Steuerbelastung erhoht. Dem Aspekt der Freiwilligkeit der Anleihezeichnung kommt im Gegensatz zum Zwang der Steuerzahlung sicherlich in der Tat besondere Bedeutung zu 330 ; unter diesem Aspekt zeigen die Anleihen eine weitgehende Parallele mit den unmerklichen Steuern 331. Dies gilt zunachst fiir die Zeichnung der Anleihen, die, soweit sie freiwillig erfolgt, psychologisch ebensowenig eine Last darstellt, wie die vom Zensiten nicht empfundene Belastung durch unmerkliche Steuern. Aber audi bei der Anleihebedienung spielt das Moment der „Unmerklichkeit
gilt im iibrigen auch fiir die „au£ere Verschuldung", d. h. fiir die
Schuldaufnahme im Ausland sowie mit gewissen Einsclirankungen fiir die kommunale Verschuldung. 329 Buchanan, J. M.: Public Principles of Public Debt, Homev/ood, 111., 1958, S. 31 ff. 330 Hansmeyer, K. H.: La dette publique a.a.O., S. 556 ff. 331 Vgl. § 34. 332 Hansmeyer, K. H.: La dette publique . . . , a.a.O., S. 558. 27*
Die Einnahmenpolitik
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macht, dafi der Unterschied beider Formen der Deckung offentlichen Finanzbedarfs jedenfalls nicht allein in ihrer okonomischen Natur liegt, sondern audi in ihrer politisch-psychologischen Wirkung und der subjektiven Reaktion der in Anspruch genommenen Staatsbiirger; in ihrer quantitativ-okonomischen Wirkung unterscheidet sich beispielsweise eine Steuer, die in vollem Umfange liber die Preise auf die Verbraucher abgewalzt wird, gar nicht so sehr von einer von den gleichen Kreisen erworbenen oder an sie weiterveraufierten Staatsanleihe. Psychologisch sind die beiden jedoch Gegensatze wie Feuer und Wasser; der Zwangscharakter der Steuern, ihre womoglich als ungerecht empfundene Bemessung, zumindest aber die lastige Aufgabe, sie an die eigenen Abnehmer weitergeben zu miissen, fordert die ganze Skala der Steuerwiderstande heraus, wahrend das geschickt vorbereitete Angebot an die Staatsbiirger, einen Versuch mit staatsgarantierten, verlockend ausgestatteten Kapitaltiteln zu wagen, in den angesprochenen Kreisen positive Reaktionen zu wecken vermag, vom Spieltrieb uber das Geltungsstreben bis zu dem Bewufitsein, klug fur die Zukunft der eigenen Familie zu sorgen. Der Mafistab, nach dem sich die Alternative „ Steuer oder Anleihe?" entscheiden lafit, liegt demnach weniger im okonomischen als im politischpsychologischen Bereich; zu alien Zeiten bestand andererseits die Neigung, diese Entscheidung ein fiir allemal in Gesetzesnormen zu rixieren. Am einfachsten erscheint dies auf der untersten Ebene der offentlichen Verwaltung, bei den Gemeinden; hier suchte nach den bitteren Erfahrungen kommunaler Uberschuldung die Gemeindeordnung von 1935 der Kommunalaufsicht brauchbare Regeln fiir die Schuldaufnahme an die Hand zu geben. Diese Regelungen bezogen sich einmal materiell auf die Frage, wann und unter welchen Umstanden die Gemeinden iiberhaupt Schulden aufnehmen diirfen; zum andern verkniipften sie das Verfahren der Schuldaufnahme mit einer Reihe formeller Voraussetzungen, um auf diese Weise die kommunale Verschuldung durch die Kommunalaufsichtsbehorden unter Kontrolle zu halten. Diese Regelungen sind weitgehend unverandert auch in die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den einzelnen Bundeslandern geschaffenen Gemeindeordnungen ubernommen worden; wesentlich erscheint an diesen Regelungen, dafi sie die „Verwendungsorientiertheit" der Schuldaufnahme, von der im folgenden die Rede sein wird, fallengelassen haben, d. h. den Gemeinden ist es unter bestimmten Bedingungen moglich, sich fiir jeden Ausgabenzweck zu verschulden, wenn nur der Schuldendienst nachhaltig und auf die Dauer gesichert ist 333. Es liegt in der Natur der Sache, dafi eine ahnliche gesetzgeberische Losung des Problems auf der Ebene des autonomen Staates, der keiner deratigen „Aufsicht" unterliegt, nicht gefunden werden kann. Die vielfachen Versuche in Wissenschaft und Politik, auch fiir die Staatsverschuldung eine absolute 333
Giere, G.: Kommunales Schuldenwesen, a.a.O., S. 196 ff.
§ 41. Maftstabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung
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Grenze zu finden, haben bisher nicht zu brauchbaren Rezepten gefiihrt. § 20 des Bundesbankgesetzes begrenzt lediglich den Betriebsmittelkredit des Bundes bei der Notenbank, der einen zahlenmafiig bestimmten „Plafond" nicht ubersteigen darf; fur den langfristigen Kredit besteht dagegen keine feste Grenze. Im iibrigen hat sich in den USA gezeigt, wie schnell sich eine derartige gesetzlich fixierte Hochstgrenze von der Regierung unter dem Druck der Ausgaben fur die Verteidigung oder auch einfach im Hinblick auf ein schnelleres Wachstum der Volkswirtschaft erweitern lafit 334 . In der Tat ist schwer anzugeben, wo die „richtige" zahlenmafiige Grenze fur die zulassige Hohe der offentlichen Schuld anzusetzen sein sollte. Vielfach wird die Meinung vertreten, dafi ein weiteres Anwachsen der Staatsschuld so lange unbedenklich sei, als es nicht den jahrlichen Zuwachs an Volkseinkommen iibersteige335 oder als wenigstens die jahrlich zusatzlich aufzubringenden Zinslasten von diesem Zuwachs gedeckt seien 336. Dagegen ist einzuwenden, dafi kein Land der Welt, nicht einmal die Sowjetunion, es bisher fertiggebracht hat, den jahrlich anfallenden Sozialproduktzuwachs hundertprozentig in die offentlichen Kassen zu leiten; die erwahnte Hochstgrenze zusatzlicher Staatsverschuldung ist daher nicht mit dem Sozialproduktzuwachs als solchem, sondern nur mit dem Anteil identisch, mit dem die offentliche Finanzwirtschaft im Durchschnitt am gesamten Sozialprodukt beteiligt ist. Ob jedes Jahr ein Zuwachs am Sozialprodukt anfallen wird, ist ferner eine durchaus offene Frage; jedes Nachlassen der Hochkonjunktur bringt die Gefahr eines Absinkens, zum mindesten eine Stagnation des Sozialprodukts mit sich, so dafi die Aufbringung der fur den Schuldendienst erforderlichen Betrage in diesem Falle die konjunkturelle Abwartsentwicklung noch verstarken und beschleunigen mufite. Kann somit ein Mafistab fur die zulassige Hohe der offentlichen Verschuldung zahlenmafiig oder in einer festen Relation zum Sozialprodukt schwerlich gefunden werden, so liegt es nahe, eine Normierung hinsichtlich der Zwecke zu statuieren, fiir die die Aufnahme von Schulden zugelassen sein soil. Bei diesem zweiten Aspekt der Diskussion uber die Frage „Steuer oder Anleihe?" geht es um die von der Finanzwissenschaft entwickelten sogenannten Deckungsgrundsatze, d. h. um das Problem, welcher Verwendung die durch die Aufnahme offentlicher Schulden gewonnenen Finanzmittel zugefiihrt werden; an die Stelle der wfinanzierungspolitischen" tritt damit die j^erwendungsorientierte" Begriindung des Borgens 337. Dabei geht es darum, 334
Heins, A. J.: Constitutional Restrictions against State Debt, Madison 1963. So offenbar F. Neumark (Grundsatze und Arten der Haushaltfuhrung und Finanzbedarfsdeckung, a.a.O., S. 653). 336 So (nadi F. Neumark, ebenda, S. 653), Schumacher, Samuelson, Lerner, Kaldor und Fellner. 337 Terhalle, F.: Die Finanzwirtschaft des Staates und der Gemeinden, Berlin 1948, S. 227; zu den Deckungsgrundsatzen im einzelnen s. auch Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., S. 48 ff. 335
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Die Einnahmenpolitik
ob die durch die Aufnahme von Schulden aufgebrachten Mittel ausschliefilich zur Deckung bestimmter „rentablercc oder „ self-liquidating" Ausgaben verwendet werden oder ob sie als allgemeine Deckungsmittel zur Bestreitung beliebiger Ausgaben des offentlichen Haushalts dienen diirfen. Die Diskussion dieser Frage hebt sich von derjenigen iiber die zeitliche Lastenverschiebung insofern ab, als sie von jeher in grofierer Nahe zur politisclien Budgetpraxis gefiihrt worden ist; das schliefit jedoch nicht aus, dafi die Deckungsgrundsatze heute in einen krassen Gegensatz zu der allgemein geiibten haushaltstechnischen Verschuldungspraxis geraten sind. Erste, wenn audi bescheidene Ansatze einer volkswirtschaftlichen Deckungslehre sind bereits im Kameralismus zu finden; A. Smith machte sich iiber einen ungenannten Autor lustig (J. Steuart), der die offentliche Schuld eines Landes als zusatzliches Vermogen seiner Burger betrachtete, das dazu beitrage, Produktion und Handel auszudehnen, zumal auch die Verausgabung der durch die offentliche Verschuldung erworbenen Mittel in irgendeiner Form produktive Werte schaffe. Smith bemerkte dazu, das entliehene Kapital sei ja bereits vor der Schuldaufnahme vorhanden gewesen, so dafi seine Oberfiihrung in die offentliche Hand das produktive Kapital des Landes nicht habe vermehren konnen. Im Gegenteil sei die offentliche Schuld dadurch gekennzeichnet, dafi sie, sobald sie einmal ein gewisses Ausmafi erreicht habe, selten oder nie voll zuruckgezahlt werde 338 ; damit begann die lange Epoche einer „Angstpsychose" des Finanzklassizismus (F. K. Mann) gegeniiber der „unsoliden" Finanzierung offentlicher Ausgaben durch die Aufnahme von Schulden. Erst durch C. Dietzel, A. E. F. Schaffle, G. v. Schanz und schliefilich durch A. Wagner fand die Deckungslehre ihren systematischen und bis in die jiingste Zeit akzeptierten Ausbau; bei A. Wagner kniipft sie an die Einteilung der offentlichen Ausgaben in standig wiederkehrende „ordentliche" und nur sporadisch auftretende, iiber den Budgetzeitraum hinaus wirkende „auf?erordentlichecc Ausgaben an. Die letzteren sind nur fiir die Finanzierung von Investitionen zugelassen, die sich in „staatswirtschaftliche" und „privatwirtschaftliche" Kapitalanlagen gliedern; beide dienen der Schaffung von dauerhaften Einrichtungen, die die staats- oder volkswirtschaftliche Leistungsfahigkeit verbessern und deshalb in beschranktem Umfang durch Schulden finanziert werden diirfen. Die Frage nach der Berechenbarkeit dieser Produktivitat im Hinblick auf die mogliche Amortisation der Schuld schien allerdings schon Wagner selbst schwerlich zu beantworten. Eine Moglichkeit lage darin, die Anleihedauer auf die Berechnung der Nutzungsdauer abzustimmen; allein „dazu ware erforderlich, von jeder einzelnen Staatsausgabe, dem Bau einer Eisenbahnlinie, der Ausriistung einer neuen Division oder einer Justizreform den genauen Beitrag zum Sozialprodukt zu bestimmen. Ferner miifite zur Bestimmung 338 Smith, A.: An Inquiry into the nature and causes of the Wealth of Nations, Dublin 1776, Bd. Ill, S. 374; vgl. auch § 46.
§ 4 1 . Ma£stabe und Grenzen der offentlichen Versdiuldung
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der Anieihedauer der Zeitpunkt dieses Beitrages zu ermitteln sein. U m nun zu berechnen, wie hoch die Verzinsung der Anleihe sein darf, mufite audi das aus dem erhohten Sozialprodukt vermehrt fliefiende Steueraufkommen quantitativ auf die verursachenden Ausgabearten aufgegliedert werden. Beide Probleme, Aufteilung des Zuwachses und Aufteilung des Steueraufkommens, sind jedoch prinzipiell nicht losbar" 339 . Anders verhalt es sich auf den ersten Blick bei den „privatwirtschaftlichen" Kapitalanlagen, mit denen Wagner die unmittelbar rentablen I n vestitionen des Staates meint; ihre Finanzierung aus Schuldaufnahme ist bis heute in der wissenschaftlichen Diskussion und erst recht in der finanzpolitischen Praxis prinzipiell unbestritten. Erst in jiingerer Zeit hat audi dieser „letzte klassisdie Deckungsgrundsatz" Widerspruch gefunden, da die offentliche H a n d die jeweils erforderliche „Rentabilitat" in der Regel irgendwie manipulieren kann, sei es durch Schaffung von Praferenzen, sei es durch eine entsprechende Geblihrenpolitik; die Entscheidung uber die Frage der Anleihefinanzierung ist damit nicht mehr okonomisch orientiert, sondern mehr oder weniger ein reines Politikum geworden 340 . Die klassische Deckungslehre von der „objektbezogenen" Verschuldungspolitik des S t a a t e s 3 4 1 halt nach alledem einer genauen Priifung heute nicht mehr stand; selbst bei anscheinend „rentablen" Vorhaben der offentlichen H a n d ist zumindest eine gesunde Skepsis dariiber am Platze, ob es sich dabei wirklich um eine echte Rentabilitat in betriebswirtschaftlichem Sinne handelt. Diesen Uberlegungen konnte sich auch der Gesetzgeber bei der Neuf assung des Art. 115 G G im Rahmen der Finanz- u n d Haushaltsreform (1969) nicht entziehen. Der Begriff der „werbenden Zwecke", der zu mancherlei K r i t i k 3 4 2 Anlafi gegeben hatte, w u r d e ersatzlos gestrichen. I m neuen A r t . 115 Abs. 1 S. 2 G G heifit es stattdessen: „Die Einnahmen aus Krediten durfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben fiir Investitionen nicht uberschreiten . . . " Die damit geschaffene Bindung des Kreditvolumens an das Investitionsvolumen — wenn auch der Begriff Investition nirgendwo hinreichend definiert wird — lafit Ausnahmen zu, wenn dies „zur A b w e h r einer Storung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" erforderlich ist. An die Stelle der verwendungsorientierten oder objektbezogenen ist somit eine „situationsbezogene cc Verschuldungspolitik getreten. Neben der Liquiditatssituation der Volkswirtschaft und dem Stand der Zahlungsbilanz „liegt die 839
S. 49.
340
Zimmermann, H.: Dffentliche Finanzhilfen an Entwicklungslander, a.a.O.,
Zimmermann, H.: Der letzte „klassisdie<e Deckungsgrundsatz, in: Finanzardiiv, NF. Bd. 24 (1965), S. 70 ff. Siehe auch Wissenschaftlicher Beiratbim BWM, Kriterien und Konsequenzen der Staatsverschuldung, abgedrud^t in, Finanzpolitik (Hrsg. H. C. Recktenwald) a.a.O., S. 430. 341 Albers, W.: Staatsverschuldung und Geld- und Kreditpolitik, a.a.O., S. 27. 342 Sdimolders, G.: Finanzpolitik, 2.AufL, a.a.O., S. 413 f. Dafi aber auch die aufgrund der Kritik erfolgte Neuregelung nicht unproblematisch ist, zeigen die Ausfiihrungen des Instituts „Finanzen und Steuern" e.V.: Die Gesetzentwiirfe zur Haushaltsreform, Heft 92, Bonn 1969 sowie die „Stellungnahme zur Haushaltsreform" des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF, Schriftenreihe des BMF, Heft 11, Bonn 1969.
Die Einnahmenpolitik
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bedeutsamste Funktion einer Politik der offentlichen Verschuldung . . . heute im System der Konjunkturstabilisierung" 343. Diesem Ziel der Konjunktursteuerung mittels einer Steuerung der offentlichen Verschuldung hat der Gesetzgeber besonders in dem „Gesetz zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft" Rechnung getragen 344. Hier wird der Bundesminister der Finanzen im Falle einer Rezession ermachtigt, iiber die moglicherweise wahrend der Hochkonjunktur in einer Konjunkturausgleichsriicklage angesammelten Mittel hinaus gegebenenfalls sogar auf dem Geldmarkt Darlehen bis zu 5 Mrd. DM zusatzlich zu den im Haushaltsplangesetz veranschlagten Darlehensmitteln aufzunehmen 345. Umgekehrt kann die Bundesregierung zur Bekampfung eines inflationaren Booms nach §§ 19, 20 Stab.Ges. durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Schuldenaufnahme von Bund, Landern und Gemeinden bis auf 70% bzw. 80% des Betrages beschranken, den diese im Durchschnitt der letzten fiinf statistisch erfafken Haushaltsjahre vor Erlafi dieser Rechtsverordnung aufgenommen hatten; bei der Berechnung des Fiinfjahresdurchschnittes bleiben noch dazu sowohl die Kassen- und Betriebsmittelkredite als auch die Kredite, die die offentlichen Haushalte sich gegenseitig gewahren, und ebenso die Kredite, welche die Gemeinden fiir ihre Eigenbetriebe aufnehmen, unberiicksichtigt. Ob aber der Bundesrat jemals seine Zustimmung zu einer so weitgehend die finanzpolitische Handlungsfreiheit der Lander und Gemeinden einengenden Rechtsverordnung geben wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls vermeidet eine derart auf die Liquiditatssituation abgestimmte und antizyklisch ausgerichtete Schuldenpolitik den Fehler der „objektbezogenen" Deckungslehre, auf eine politisch-psychologische Frage eine okonomisch-theoretische Antwort zu geben; die Mafistabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung liegen nicht in einer Giitermenge oder einem Leistungsstrom beschlossen, der von der Volkswirtschaft alljahrlich unwandelbar geschaffen und auf die Muhlen der privaten und offentlichen Finanzen geleitet wird, sondern in den Zukunftserwartungen der Sparer, Verbraucher und Unternehmer sowie in der Bereitwilligkeit aller wirtschaftlich Tatigen, ihre Guter und Leistungen auf die Dauer im bisherigen Austauschverhaltnis gegen die ihnen angebotenen Zahlungsmittel herzugeben. Das Vertrauen in die Wahrung, die subjektive Uberzeugung von dem Wert des Geldes jetzt und in Zukunft, die ihren Niederschlag in der Spartatigkeit 343 344
Kriterien und Konsequenzen ..., a.a.O., S. 342. § 6 Abs. 3 Stab.Ges. Naheres s. Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., S. 102 ff. 345 „Soweit solche Kredite auf eine nachtraglich im Haushaltsgesetz ausgesprochene Kreditermachtigung angerechnet werden, kann das Recht zur Kreditaufnahme erneut in Ansprudi genommen werden" (§ 6 Abs. 3 S. 2 Stab.Ges.). Dies bedeutet, daft, sobald diese Gelder in eine Kreditermachtigung eines Nachtragshaushaltes aufgenommen wurden, die Vollmacht des Finanzministers zu einer erneuten Schuldaufnahme wieder auflebt.
§ 4 1 . Mafistabe und Grenzen der offentlichen Verschuldung
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sowie nicht zuletzt in der Preis- u n d Lohnentwicklung findet, zieht auch der Staatsverschuldung ihre Grenzen 346 . Es mag zugegeben sein, dafi aus dieser Erkenntnis keine unmittelbar praktisch brauchbaren Mafistabe gewonnen werden konnen, an denen sich die zulassige Verschuldung der offentlichen H a n d laufend ablesen lafit, wie der Druck eines Kessels am Manometer; Sache der Finanzpolitik ist es aber, H a n d in H a n d mit den fur die W a h r u n g verantwortlichen Organen jeweils die Moglichkeiten und Grenzen fiir die Verschuldung abzutasten und ihr H a n d e l n danach einzurichten. Fertige Rezepte dafiir k a n n sie von der Wissenschaft nicht erwarten 347 .
346
F. Neumark betont, „dafi weite Kreise von Unternehmern und Geldkapitalbesitzern hinsiditlich der jGefahrlichkeit* hoher bzw. wachsender Staatsschulden Auffassungen hegen, die, obwohl weitgehend unbereditigt und iibertrieben, doch ein nidit zu vernachlassigendes Faktum darstellen." (Grundsatze und Arten der Haushaltfiihrung und Finanzbedarfsdeckung, a.a.O., S. 655.) Vgl. Sachverstandigenrat zur Begutaditung der Entwicklung: Stabilitat im Wachstum, Jahresgutachten 1967/68, Tz. 520. 347 H. Grossmann beriditete in diesem Sinne iiber die Weltwirtschaftskrise: „Betraditliche Defizite stellten sich infolge dieses Sachverhalts in den Budgets ganz von selber ein, und es war nicht notwendig, daraus ein konjunkturpolitisches Postulat zu machen, wie das vielfach geschehen ist. Sinnvoll war es hochstens zu sagen, dafi man die Budgetdefizite in der Depression nicht zu tragisch nehmen solle und da£ es jedenfalls unzweckmaEig ware, nur um ein ausgeglichenes Budget vorlegen zu konnen, Steuererleichterungen, von denen diese Belebung der Wirtschaft zu erwarten ware, abzulehnen oder gar neue, den Gesundungsprozeft behindernde Steuern einzufuhren." (Grossmann, H.: Finanzen und Wahrung, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Bd. 1, a.a.O., S. 189.)
„Economics is the study of the economic behavior and ideas of human beings, including the ideas and behavior of politicians." (Per Jacobsson)
VI. Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik A. Ordnungsmafiigkeit der Finanzgebarung § 42. Die Finanzkontrolle Die Frage, an welchen Mafistaben Erfolg oder Mifierfolg finanzpolitischen Handelns abgelesen werden kann, ist in der Finanzwissenschaft bisher kaum gestellt, noch weniger iiberzeugend beantwortet worden. In dieser Zuruckhaltung steht die finanzpolitische Diskussion nicht allein; audi auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik, die in unserer pluralistischen Gesellschaft hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Erfolgskontrolle sicherlich einen „noch ungedeckten und vielleicht sogar ungeweckten BedarP x hat, ist von einer Erorterung der Kriterien und Mafistabe des Erfolges schlechterdings keine Rede 2 . Diese bemerkenswerte Abstinenz gegeniiber dem Erfolgsproblem konnte damit zusammenhangen, dafi ein „Erio\gc< in der Politik von dem Handelnden selbst meist recht subjektiv „gemessen" wird; ein Politiker hat Erfolg, wenn er gewahlt bzw. wiedergewahlt wird, eine Partei, wenn sie die Regierungsgewalt gewinnt oder behalt, ein Staat, wenn seine Machtposition in der Welt sich festigt. Dabei stellt sich allerdings zugleich die Frage nach den Fristen, in denen Erfolg oder Mifierfolg gemessen werden soil. Kurzfristig sind neue Divisionen und Raketen, territoriale Erweiterungen und die Unterjochung fremder Volker „Erfolge", die jedoch langfristig recht zweifelhaft sein konnen; ein Urteil ist hier lediglich dem Historiker im Ruckblick moglich. Ein anderer Grund mag in dem heute vielfach verbreiteten Wunsch liegen, den Erfolg jeder Art von Politik in der Tagesdiskussion in Form absoluter, womoglich quantitativ mefibarer und anschaulich klingender Zahlen 1
Giersch, H.: Allgemeine Wirtschaftspolitik — Grundlagen, Wiesbaden 1960, S. 344. 2 Schmolders, G.: ErfolgsmaEstabe neuzeitlicher Wirtschaftspolitik, in: Methoden und Probleme der Wirtschaftspolitik, Gedachtnisschrift fiir Hans-Jiirgen Seraphim, Berlin 1964, S. 87 ff.
§ 42. Die Finanzkontrolle
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und Daten, wie etwa des Zuwachses des Sozialproduktes, der Steigerung des Volkseinkommens oder der Spar- und Investitionsrate zu demonstrieren; die Faszination des quantitativen Denkens geht vielfach so weit, dafi ernsthaft versucht wird, allein aus derartigen Globalzahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf den „Erfolgc< oder „Mifierfolg" ganzer Wirtschaftsordnungen und wirtschaftspolitischer Systeme zu schliefien 3. Verzichtet man mit gutem Grund auf derartige Globalurteile, so ist eine weitere Ursache fur die Abstinenz gegenuber dem Erfolgsproblem darin zu sehen, dafi die Finanzpolitik insoweit, als sie Instrument im Dienste der Wirtschaftspolitik ist, keine ihr immanenten Ziele tragt, an deren mehr oder minder gelungener Verwirklichung der Erfolg gemessen werden kann; da ihr die Ziele aus anderen Bereichen der Politik vorgegeben sind, vermischen sich die Maximen ihres Handelns mit den Mafistaben ihres Erfolges. Erfiillt die Finanzpolitik die ihr gestellte Aufgabe, beispielsweise der Redistribution, der Darnpfung des Konjunkturverlaufs oder der Steigerung bzw. Verstetigung des Wachstums, so war sie erfolgreich; ob das ihr von aufien gestellte Ziel richtig oder falsch war, ist fur diesen Erfolgsbegriff gleichgiiltig. In ihrem eigenen Bereich der Finanzwirtschaft besitzt die Finanzpolitik jedoch eine Aufgabe, die zugleich einen echten Mafistab des Erfolges in sich birgt, namlich die Ordnungsmdftigkeit der Finanzgebamng, die im Rechtsstaat zu den Grundlagen der staatlichen Ordnung schlechthin gehort; vollends im demokratisch-parlamentarischen Staat ist der Besitz der Macht und ihre verfassungsmafiige Ausiibung von der Respektierung der Grundsatze abhangig, die fur Steuererhebung und Ausgabengebarung, fiir Aufstellung und Vollzug des Haushaltsplanes und fiir die privatrechtliche Betatigung der orlentlichen Hand am Geld- und Kapitalmarkt sowie an den Giiter- und Leistungsmarkten der Volkswirtschaft gelten. Ist demnach der Grad an Ordnungsmafiigkeit der Finanzgebarung als ein wichtiger Erfolgsmafistab jeglicher Finanzpolitik anzusehen, so riickt damit die Finanzkontrolle an die erste Stelle unter den Kriterien, an denen diese Ordnungsmafiigkeit abzulesen ist. In diesem Punkte besteht an sich kein grundlegender, sondern nur ein gradueller Unterschied zwischen der offentlichen und der privaten Wirtschaft; Sinn und Zweck der Finanzkontrolle sind jedoch in beiden Bereichen unterschiedlich. Im privatwirtschaftlichen Unternehmerbereich dient die Kontrolle des Finanzwesens in erster Linie dazu, den am Markte in Leistung und Gegenleistung erwirtschafteten Ertrag im Dienste des Unternehmens selbst und seiner Anteilseigner ordnungsgemafi zu verwalten und zu verteilen. Ganz anders im Bereich der Staatsfinanzwirtschaft; die Gelder, die hier zu verwalten sind, ent3 Flohr, H.: Probleme der Ermittlung volkswirtschaftlidier Erfolge, Dissertation, Koln 1963; Hansmeyer, K. H.: Ist die Effizienz offentlicher Ausgaben meEbar?, in: Finanzpolitik von morgen, Schriftenreihe des D I H T Nr. 114, Bonn 1969.
Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
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stammen keiner marktwirtschaftlichen Leistung, sondern sind dem Staate im wesentlichen aus Steuern, d. h. kraft seiner Finanzhoheit ohne direkten Anspruch auf Gegenleistung zugeflossen. Eine Insolvenz im privatwirtschaftlichen Bereich trifft dariiber hinaus nur den Bankerotteur selbst, seine Glaubiger und Kunden; das Prinzip der Marktwirtschaft sorgt dafur, dafi die Folgen von Unordnung und Mifiwirtschaft, Fehlspekulation und Grofimannssucht im geschaftlichen Bereich im wesentlichen auf den zuriickfalien, der die Grundsatze des Verhaltens als ordentlicher Kaufmann mifiachtet hat. Unordnung im Bereich der offentlichen Finanzen — die keineswegs erst mit dem Staatsbankerott beginnt — schlagt jedoch fast niemals auf den zuriick, der falsch gewirtschaftet hat, sondern trifft in ihren Folgen die Gesamtheit der Staatsbiirger und Steuerzahler, die zum Aufkommen der verwirtschafteten Mittel pflichtgemafi beigetragen haben, ohne iiber ihre Verwendung viel mitzubestimmen; die Finanzkontrolle ist dazu da, solche Mifiwirtschaft mit offentlichen Mitteln nicht nur nachtraglich aufzudecken, sondern durch ihr Vorhandensein praventiv zu verhindern. Die Finanzkontrolle ist weit alter als der Haushaltsplan; bereits F. K. Vialon hat mit Recht hervorgehoben, „dafi manche offentliche Finanzwirtschaft formell uberhaupt erst durch die Bediirfnisse der Kontrolle entstanden ist. Die griechischen, romischen, oberitalienischen, klosterlichen und fiirstlichen Beispiele machen dies geniigend anschaulich" 4. Dafi dariiber hinaus, historisch betrachtet, Finanzkontrolle und ordnungsmafiige Staatsverwaltung lange Zeit hindurch fast identisch waren, laEt der „Dialog iiber das Schatzamtc< aus der Feder Richards von Ely, des Schatzmeisters Heinrichs II. von England, deutlich erkennen 5. Der englische Konig, im 12. Jahrhundert der reichste aller weltlichen Herrscher, besafi eine der bestorganisierten Verwaltungen Europas; mit der Einfuhrung der halbjahrlichen Generalabrechnung, zu der sich die Landvogte und ortlichen Verwalter jeweils nach Ostern und Michaelis im Schatzamt einzufinden hatten, um die dem Konig zustehenden Einkiinfte abzurechnen und abzuliefern, war zugleich die dauernde Grundlage seiner ordnungsmafiigen Verwaltung geschaffen. Aus dem Schatzamt, das als Kombination von oberster Finanz- und Justizinstanz das Herz dieser Verwaltung war, entwickelte sich dariiber hinaus die Trennung zwischen der uberpersonlichen Institution Staat und der Person des Konigs; im Gegensatz zur „curia", deren Rechtsprechung noch lange auf die personliche Anwesenheit des obersten Gerichtsherrn angewiesen blieb, wurde das „scaccarium" nur ausnahmsweise vom Konig selbst geleitet. An seiner Stelle prasidierte am Abrechnungstisch der Schatzmeister mit der unpersonlichen, an ihn delegierten „auctoritas
Vialon, F. K.: Streitfragen der offentlichen Finanzkontrolle, a.a.O., S. 2. Richard von Ely: Dialog iiber das Schatzamt, a.a.O.
§ 42. Die Finanzkontrolle
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Obergang vom personlichen Regiment des Herrschers zum abstrakten „Staat" und zu einem System von Institutionen verkorpert; erst durch die Rechnungskontrolle kam es zu Rechtsbegriffen wie der unpersonlichen „corona" und „potestas publica", dem „scaccarium" selbst und dem „fiscus" als eigenstandiger Institution aufierhalb der Person des Konigs 6 . Stand die Finanzkontrolle somit historisch am Anfang des von der Person des Herrschers abstrahierten Staatswesens und aller staatlichen Verwaltung, so ist sie heute mehr und mehr zu einem wichtigen Erfolgsmafistab der Finanzpolitik geworden. Die Kontrolle der Haushaltsgebarung beginnt alsbald mit dem Vollzug des Budgets, die keine Nebenfunktion staatlicher Finanzverwaltung, sondern dem Staatshaushalt immanent, gewissermafien seine andere Seite ist; die „Kontrolle priift nicht nur geschehene Ausgaben und erfolgte Einnahmen zahlenmafiig und in den Biichern, sie vergewissert sich auch, dafi die beabsichtigten Ausgaben und die erwarteten Einnahmen ursachlich und zweckmafiig erflillt werden" 7. Die Haushaltskontrolle ist grundsatzlich entweder „Renchnungskontrolle" oder „Verwaltungskontrolle c '; Rechnungskontrolle ist die rechnerische (formelle) Priifung der Belege, Kassen- und Rechnungsbucher, die sich gewissermafien gegen die Buchhalter richtet, Verwaltungskontrolle die sachliche Priifung der „Planmafiigkeit", „Gesetzmafiigkeit
Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
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diger Rechnungsprufungsbehorden herausgebildet, die jedoch nicht uberall gleiche Unabhangigkeit besitzen 8. In der Schweiz z. B. untersteht die Rechnungspriifungsbehorde selbst, in Danemark der Leiter dieser Behorde der Exekutive; in Norwegen und Belgien sind die Rechnungspriifungsamter Organe des Parlaments und unterstehen der Legislative; in England handelt der „Exchequer" als Beauftragter des Parlaments und die Kontrollbehorde ist Organ des Parlaments, wahrend in Frankreich („Cour de Comptes") und in Deutschland die Rechnungsprufungsbehorden richterliche Unabhangigkeit besitzen. Im Weimarer Reich war die Kontrollbehorde der Rechnungshof in Potsdam, der aus der bertihmten preufiischen Oberrechenkammer hervorgegangen war, „eine der Reichsregierung gegenuber selbstandige, nur dem Gesetz unterworfene oberste Reichsbehorde", die im Dritten Reich formell aufrechterhalten, sachlich freilich auf ein Eingriffsrecht ge^en untere und mittlere Dienststellen beschrankt wurde. In der Bundesrepublik obliegt die Prufung dem Bundesrechnungshof9 in Frankfurt/Main, in den Landern den Landesrechnungsbehorden oder -rechnungskammern. Nach der Bundeshaushaltsordnung (§§88 ff.) erstreckt sich die Prufung durch den Bundesrechnungshof auf die gesamte Bundeshaushaltsfiihrung, auf die Ausfiihrung des Bundeshaushaltsplans einschliefilich der Bucher und Rechnungsunterlagen der privatrechtlichen Unternehmen, an denen der Bund unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, sowie auf die Rechnungen von Anstalten, Stiftungen und anderen Vermogen, die vom Bund oder durch Beamte allein verwaltet werden, sowie dann, wenn der Haushaltsplan die Prufung vorschreibt. Die Unternehmen des Bundes in der Form von juristischen Personen des orfentlichen Rechts miissen in ihren Satzungen eine Prufung durch den Rechnungshof vorsehen, so dafi auf Antrag dieser Unternehmen der Rechnungshof auch hier tatig wird. Regelmafiig sind die Rechnungsunterlagen durch die Verwaltung auf ihre rechnerische, formelle und sachliche Richtigkeit hin vorzupriifen, ehe die Unterlagen mit dem Bericht iiber das Ergebnis der Vorpriifung dem Rechnungshof eingereicht werden. Die Prufung des Rechnungshofes erstreckt sich nicht nur auf die rechnerische und sachliche Richtigkeit, sondern auch auf die Wirtschaftlichkeit, d. h. darauf, ob eine „Aufgabe mit geringerem Personaloder Sachaufwand oder auf andere Weise wirksamer erfiillt werden kann" 10. Die sich im Laufe der Prufung ergebenden Beanstandungen oder Unklarheiten werden als „Erinnerungen" der betreffenden Verwaltungsbehorde zur Beantwortung und Erledigung mitgeteilt. Der Bundesrechnungshof hat dabei gegenuber den Obersten Bundesbehorden ein Weisungsrecht, das sich allerdings nicht auf den Verwaltungsbereich von Bundesrat und Bundestag be8 9 10
Heinig, K.: Haushaltskontrolle, a.a.O., S. 691. Errichtet durch Gesetz vom 27. 11. 1950. BHO § 90 Ziff. 4.
§ 42. Die Finanzkontrolle
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zieht, sowie ein Strafrecht, urn H a n d l u n g e n oder Unterlassungen zu erzwingen. Der Rechnungshof fafit nach Abschlufi der Priifung das Ergebnis in Bemerkungen, einem Bericht und einer Denkschrift zusammen n , deren Inhalt vor allem die Obereinstimmung zwischen Haushalts- und Kassenrechnung, die Ordnimgsmafiigkeit der Belege und die Haushaltsabweichungen betrifft, insbesondere soweit sie von der Legislative noch nicht genehmigt sind. Die Denkschrift wird iiber den Bundesfinanzminister dem Bundestag und Bundesrat mit dem A n t r a g auf Entlastung vorgelegt; gleichzeitig wird von der Bundesregierung gegebenenfalls um Entlastung (Indemnitat) fur etwaige noch nicht genehmigte Haushaltsiiberschreitungen nachgesucht. „Wird die Entlastung verweigert, bleibt die staatsrechtliche Verantwortung der Bundesregierung fiir die zuriickliegende Zeit in der Schwebe" 12 . Dadurch wird die normale Durchfiihrung des laufenden Haushaltsplanes z w a r nicht beriihrt; doch k a n n die Versagung der Entlastung zum Sturz der Regierung fuhren. Die Rechnungsprlifung ist in den Landern nach den gleichen Grundsatzen geregelt (§§ 42 ff. H G r G ) ; die Rechnungslegung erfolgt entweder durch die Regierung oder durch den Finanzminister. Die Landesrechnungshofe oder -rechnungskammern besitzen richterliche Unabhangigkeit; nach der Priifung erfolgt die Entlastung durch die Legislative. Neuerdings greift die Finanzkontrolle mehr und mehr in die Finanzgebarung der laufenden Haushaltsperiode ein; sie befafit sich dabei auch grundlicher mit den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und Zweckmafiigkeit, d. h. mit dem materiellen „Erfolg c< der Finanzwirtschaft. „Die gewohnten Formen kameralistischer und juristisch-formaler Priifung sind verlassen worden. Die Arbeit ist nicht mehr vorwiegend nachherige Priifung an H a n d der abgeschlossenen Rechnung, obwohl der traditionelle Jahresabschlufibericht nicht zu entbehren ist, sondern sie ist zunehmend in das laufende Budget hineingewachsen. Zugleich hat sie sich innerlich gewandelt; der Wirtschaftlichkeit und Zweckmafiigkeit, Sparsamkeit und Effektivitat, also der Rationalitat des Budgets wird zunehmend Gewicht beigelegt." 13 Dieses Vordringen der Kontrolle in die „Rationalitat" des Budgets und der gesamten Verwaltung darf freilich nicht dazu fuhren, die formale rechnerische Priifung in den H i n t e r g r u n d zu drangen; jede Nonchalance in der Genauigkeit der Kontrolle wiirde ihre Leistungsfahigkeit als Erfolgsmafistab der Finanzpolitik in Frage stellen. Die Ausdehnung der Kontrolle auf die
11
„Die Bemerkungen sind die Feststellungen zu den Details der Priifung. Die Denkschrift enthalt die hauptsachlichsten Priifungsergebnisse, der Beridit deren Auswertung fiir die Verwaltung und Gesetzgebung." (Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 1028); s. auch § 97 BHO, § 46 HGrG. 12 Vialon, F. K.: Haushaltsrecht, a.a.O., S. 1025. 13 Heinig, K. und Vialon, F. K.: Art. Budget III, Budgetkontrolle, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 2. Bd., a.a.O., S. 444.
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Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
Rationalitat der Finanzwirtschaft bedeutet andererseits auch, dafi sich ihr Stil wesentlich gewandelt hat; das Prinzip ausschliefilich nachheriger Kontrolle der Haushaltsgebarung an Hand des „vollzogenen<e Budgets ist durch andere Formen der Kontrolle, insbesondere die erwahnte „mitschreitende" Kontrolle, erganzt worden. „Am plastischsten ist vielleicht die Feststellung, dafi die ausfuhrliche Beratung des Voranschlags fiir das kiinftige Rechnungsjahr die wirksamste Kontrolle der laufenden Haushalt- und Finanzgebarung ist. Hier kann sich der zustandige Parlamentsausschufi aus dem laufenden Rechnungsjahr alles vorlegen lassen, Obersichten, vergangene und zukiinftige Zahlungen, Empfanger, Schuldner oder was sonst von Bedeutung ist." 14 Gegen diese Form der „gegenwartsnahen Priifung" (Vialon) wird haufig eingewandt, sie store die Exekutive in ihrer Tatigkeit, mache sie unsicher und konne dazu fiihren, ihre Initiative zu lahmen. Dieser Einwand, der sich insbesondere gegen die Rechnungspriifungsbehorden richtet, geht jedoch von einer grundsatzlich falschen Vorstellung iiber deren Kompetenz aus; die Rechnungsprufung hat keinen Einflufi auf die politische oder sachliche Entscheidung dariiber, ob eine Ausgabe getatigt oder wie eine Einnahme beschafft wird, sondern ihre Priifungskompetenz erstreckt sich auch bei der „mitschreitenden<< Uberwachung stets nur auf einen abgeschlossenen Finanzvorgang an Hand seiner Unterlagen 15. Hinzu kommt, dafi eine derartige Kontrolle vielfach gerade auf besonderen Wunsch dieser oder jener Behorde eingerichtet wird, sei es, um eine unabhangige Begutachtung der wirtschaftlichsten Verwendung bestimmter Ausgabemittel zu erlangen, sei es, um etwaige Zweifel an der Richtigkeit und Ordnungsmafiigkeit eines Finanzvorganges unverziiglich auszuraumen. Auch an dieser Gutachtertatigkeit der Rechnungshofe ist vielfach Kritik geiibt worden; F. K. Vialon bemerkte dazu wohl mit Recht, dafi man, soweit es sich um verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gutachtertatigkeit des Bundesrechnungshofes handle, „nicht papstlicher sein sollte als der Papst" 16. Im demokratisch-parlamentarischen Staat ist es die wichtigste Aufgabe der Finanzkontrolle, die erforderlichen Beurteilungsgrundlagen fiir die Entlastung der Regierung wegen ihrer Haushalts- und Finanzgebarung in einer abgeschlossenen Haushaltsperiode bereitzustellen. Damit wird der parlamentarischen Willensbildung ein Mafistab fiir die Beurteilung der Finanzpolitik zur Verfiigung gestellt, dessen Handhabung auf den ersten Blick sehr einfach erscheint; festgestellte Verstofie gegen die Haushaltsordnung, etwa aufgedeckte Falle von Korruption und Mifiwirtschaft usw., miifiten dazu fiihren, dafi die Entlastung verweigert und der jeweils Verantwortliche fiir den entstandenen Schaden zur Rechenschaft gezogen wird. In Wirklichkeit ist eine derart lapidare Folgerung aus dem Abschlufibericht der Rechnungs14 15 16
Dies.: ebenda, S. 450. Vgl. Vialon, F. K.: Streitfragen ..., a.a.O., S. 12 ff. Vialon, F. K.: Streitfragen ..., a.a.O., S. 18.
§ 42. Die Finanzkontrolle
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priifungsbehorden kaum jemals gezogen worden; abgesehen davon, dafi die Ordnungsmafiigkeit der Finanzgebarung nur ein Erfolgsmafistab neben anderen fiir die Finanzpolitik ist, lafit sich die Schwelle, bei deren Uberschreitung ein radikales Verdikt gefallt werden mufi, niemals verbindlich bestimmen; was die parlamentarische Opposition schon als untragbare Mifiwirtschaft anprangert, mag der Regierungskoalition — und damit der Mehrheit des Hauses — haufig noch als lafiliche Sunde erscheinen. Audi sorgt die oben erwahnte preventive Wirkung der Finanzkontrolle einschliefilich ihrer „mitschreitenden" Formen im allgemeinen dafiir, dafi es zu einer en bloc-Verdammung der gesamten Finanzgebarung einer Regierung kaum jemals kommt; die sensationelle Offenlegung der hofischen Verschleuderungen staatlicher Mittel im Ancien Regime, die die franzosische Nationalversammlung 1789 erzwang, gehort in das Kapitel der Grofien Revolution 17 . Heute sind es meist Einzelposten und formale Verstofie, die in den gefiirchteten „Bemerkungen" im Abschlufibericht der Rechnungspriifungsbehorden niedergelegt werden; audi diese Beanstandungen wirken dadurch praventiv, dafi sie leicht das interessierte und kritische Ohr der Off entlichkeit finden. Wenn audi von krassen Verstofien gegen die Ordnungsmafiigkeit der Finanzgebarung heute meist nidit mehr die Rede ist, so ist dodi nicht zu verkennen, daiS die Finanzkontrolle in Zukunft noch einige grundsatzliche Probleme zu bewaltigen hat; dazu gehort beispielsweise die eingehende Kontrolle der Finanzgebarung der Parafisken, wie etwa der Bundesversicherungsanstalt fiir Angestellte, ebenso wie die in §§ 44 HGrG, 92 BHO vorgesehene Kontrolle der Erwerbsbetriebe des Bundes und der Lander. Bei diesen ist insbesondere die Besetzung von Aufsichtsratsposten durdi leitende Ministerialbeamte immer wieder Gegenstand der Kritik, die sich besonders auf die Tatsache richtet, dafi diese Aufsichtsratmitglieder in ihrer Entscheidungsfreiheit unter einem Dualismus zwischen Beamten- und Aktiengesetz zu leiden haben, der bis heute nicht befriedigend gelost ist 18 . Krasser sind die von der Finanzkontrolle aufgedeckten Mifistande in manchen anderen Landern. Der Bericht des franzosischen Rechnungshofes fiir 1961 und 1962 legte eine Fulle von Mifibrauchen und Fehlmanipulationen off en; er stellte fest, dafi 9 5 % aller Staatsauftrage ohne Ausschreibung vergeben worden waren, so dafi die Moglichkeit, Konkurrenzangebote nach Preis und Qualitat zu vergleichen, schlechterdings gar nicht genutzt werden konnte. Eine Zusammenrechnung der versaumten Ausgabenersparnisse und Mehreinnahmen schlofi mit der Summe von 8,5 Mrd. Francs ab; es klingt wie Ironie, dafi dieses Rechnungsprufungsergebnis gerade zu dem Zeitpunkt bekannt wurde, als die Regierung das Parlament um eine Steuer17
Naheres in der 1. Aufl., S. 105 f. Vgl. Miiller, R.: Die sich selbst beraten . . . Wie die Bundesbetriebe kontrolliert werden, Die Zeit vom 31. 1.1964, S. 23 f. 18
28
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
Erfolgsmaftstabe der Finanzpolitik
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erhohung zur Finanzierung von 2 Mrd. Francs zusatzlicher Ausgaben ersuchte 19. Diese Beispiele zeigen zugleich, wie weit sich eine wirksame Finanzkontrolle aus der frontalen Ebene herausheben mufi, urn jene Unebenheiten und Schlupfwinkel menschlicher Unzulanglichkeit im Dickicht der offentlichen Finanzgebarung aufzuspiiren, die ein Urteil iiber die Ordungsmafiigkeit der Finanzgebarung zu berucksichtigen hat. Mit der Anprangerung formaler Verstofie ist es dabei ebensowenig getan wie mit einer kriminalistischen Kleinarbeit an Einzelfallen, die fiir das Gesamtbild von untergeordneter Bedeutung sind. Die Finanzkontrolle ist andererseits mehr als ein Erfolgsmafistab der Finanzpolitik und ihrer Ordnungsmafiigkeit; richtig verstanden, wird sie letzlich zu einer padagogischen Aufgabe im Bereich der gesamten staatlichen Verwaltung. Vieles ware zu gewinnen, wenn die Ermittlungen und Veroff entlichungen der Rechnungshofe mehr als bisher einer planvollen Dffentlichkeitsarbeit auf dem Gebiet des staatlichen Finanzwesens dienstbar gemacht werden konnten, von der bereits an anderer Stelle die Rede war 2 0 .
§ 43. Der formale Haushaltsausgleich „Das Budget ist Ausdruck eines Willens, der auf rationale (planmafiige) Gestaltung der Haushaltsfiihrung eines politischen Verbandes gerichtet ist, und als ,Haushaltsplan c eines solchen Verbandes hat es die finanzpolitische Funktion, der Verwirklichung desjenigen Zieles zu dienen, das schlechthin jeder Haushalt als kontinuierliches Gefolge planmafiiger Wirtschaftshandlungen sich setzt: Herstellung und Sicherung dauernden Einklanges zwischen Bedarf und Deckung: Gleichgewicht." 21 In diesem Sinne gehort das Gleichgewicht zum Wesen jedes rationalen „Haushaltens a und somit auch aller planmafiigen Haushaltsfiihrung aller offentlichen Korperschaften. Als Erfolgsmafistab ihrer Finanzwirtschaft gilt in der offentlichen Meinung zuerst und vor allem, ob es gelingt, ihre Ausgaben im Rahmen ihrer Einnahmen zu halten; F. K. Mann hat darauf hingewiesen, dafi das Gleichgewicht in seiner Volkstiimlichkeit als haushaltstechnisches und finanzpolitisches Ideal in vieler Hinsicht mit der Freihandelsparole vergleichbar ist 22. „Der Erfolg der Maxime wurde noch dadurch verstarkt, dafi sie Wiinsche, Interessen und Vorurteile weiter Volkskreise oder zum mindesten der regierenden Oberschicht verdolmetschte. Diese Vorziige bewahrten sich am meisten in denjenigen Landern, deren Mehrheit am poli19 20 21 22
Der Rechnungshof und die V. Republik, Industriekurier vom 6. 6.1963. Vgl. § 17. Neumark, F.: Der Reichshaushaltsplan, a.a.O., S. 15 f. Mann, F. K.: Ideologic und Theorie des Haushaltsgleidigewidits, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 21, 1961, S. 7.
§ 43. Der formale Haushaltsausgleich
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tischen Ideal freien Wettbewerbs und an puritanischen Idealen festgehalten hat. So erklart sich auch die Verwurzelung der Maxime in der offentlichen Meinung der Vereinigten Staaten. Nicht einmal der Einbruch des Keynesianismus hat hier tieferen Wandel gebracht." 23 Nichtsdestoweniger gibt es heute kaum eine Norm der Finanzpolitik, die gerade im angelsachsischen Raum einem solchen massiven, mit vielfaltigen Argumenten begriindeten wissenschaftlichen „Beschufi" unterliegt wie das Dogma vom periodischen Haushaltsausgleich. Im Zeichen der „Okonomisierung" der Finanzwissenschaft, von der oben die Rede war, kann diese Entwicklung kaum uberraschen; die Besinnung auf die Rolle der Einnahmen und Ausgaben des Staates im volkswirtschaftlichen Gesamtprozefi, das Studium ihrer kiirzer- und langerfristigen Wirkungen und ihrer Verflechtung mit anderen finanzpolitischen (z. B. Schuldentilgung) oder weitergesteckten politischen Zielen legten es nahe, die Zahlungsstrome des offentlichen Haushalts als Instrumente im Dienste der gesamten Wirtschafts -und Sozialpolitik zum Einsatz zu bringen, wobei die Zwangsjacke des jahrlichen bzw. zweijahrlichen Haushaltsausgleichs als storend empfunden wurde. Die Frage nach der Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit des vollstandigen und regelmafiigen Haushaltsgleichgewichts wird infolgedessen heute kaum noch unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit eines plausiblen, leicht zu handhabenden und einfachen Erfolgsmafistabes der Finanzpolitik gestellt und beantwortet, sondern unter den „hoheren
28*
Ders.: ebenda, S. 7.
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gleichgesetzt wird. In Wirklichkeit besagt aber das Ausgleichsprinzip an sich noch gar nichts iiber die Finanzierungsart der geplanten Ausgaben; auch in einem schuldenfinanzierten Budget mufi die Summe der Ausgaben der der Einnahmen entsprechen. Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs, wie er im Grundgesetz in Obereinstimmung mit der klassischen Haushaltstradition verankert ist, bezieht sich m. a. W. nur auf die banale Forderung, dafi der Bund nicht mehr Ausgaben planen und beschliefien darf, als er an Einnahmen (einschliefilich Darlehen aller Art) erwartet; es handelt sich um einen „formalen", nicht um einen materiellen Ausgleich. Die Meinungsverschiedenheiten, die in der Diskussion um das Prinzip des Gleichgewichts im Staatshaushalt zutage treten, beruhen gelegentlich auch auf einem anderen Mifiverstandnis, namlich auf einer Verwechslung des formalen Ausgleichs mit dem der „Jahrlichkeitcc des Haushaltsplanes, d. h. der Vorausplanung und Vorausschatzung aller Ausgaben und Einnahmen fur jeweils ein Jahr. Eine jahrlich wiederkehrende bzw. iiberhaupt regelmafiige Planung und Abstimmung der offentlichen Haushaltsansatze ist jedoch als Voraussetzung eines geregelten „Budgetkreislaufescc schon aus verwaltungstechnischen und Kontrollgrunden unentbehrlich 24. Die Erkenntnis, dafi die Zeitdimension in der Frage der Budgetperiode eine untere Grenze hat, die sich wohl nicht nur wegen der Anlehnung an die privatwirtschaftliche Bilanzierungsperiode gerade auf ein Jahr belauft, ist heute jedoch Allgemeingut geworden 25 ; die erwahnten Zweifel an dem Prinzip der „Jahrlichkeit" des Haushaltsplanes beziehen sich denn auch keineswegs auf die Periodizitat als solche oder auf den Budgetkreislauf, sondern lediglich auf die Zweckmafiigkeit eines alljahrlich oder aber erst in Mehrjahresabstanden zu verwirklichenden materiellen Haushaltsausgleichs in der Hohe der laufenden Ausgaben und Einnahmen. Ihr Ausgangspunkt ist die Erfahrungstatsache, daj(5 ein alljahrlich in seiner Gesamtsumme (einschl. der Schuldaufnahmen und -riickzahlungen) „materiellcc ausgeglichener Haushalt den dem hochentwickelten industriellen Wirtschaftssystem innewohnenden konjunkturellen Storungsfaktoren in vielfacher Weise in die Hand arbeitet, insbesondere in der Phase einer Depression, die sich auf die Dauer auch im Staatshaushalt mit einem Absinken der Steuereinnahmen bemerkbar zu machen pflegt. Ein alljahrlich streng durchgefiihrtes materielles Gleichgewicht wiirde in diesem Falle Ausgabenkiirzungen oder gar Steuererhohungen mitten in der Depression verlangen; hat auch H. Haller jiingst nachgewiesen, dafi eine derartige „Parallelpolitik a konjunkturpolitisch nicht zwangslaufig immer schadlich sein mufi 26, so hat doch die Finanzwissenschaft das mate24 25 26
Vgl. § 13. Mann, F. K.: Ideologic ..., a.a.O., S. 10. Haller, H.: Bemerkungen zur sog. Parallelpolitik der offentlidien Finanzwirtschaft, in: Jahrbiicher fiir Nationalokonomie und Statistik, Bd. 180 (1967) S. 178, s. auch ders.: Somme comments on so-called Parallel Policy in Public Finance, in: German Economic Review, Vol. 6 (1968), S. 1 ff.
§ 43. Der formale Haushaltsausgleidi
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rielle jahrliche Gleichgewicht aller Einnahmen und Ausgaben nie zum Dogma erhoben. „Nicht blofi aufierordentliche Bedarfe, sondern auch Defizite ordentlicher Dienste bzw. grofie Krisen im ordentlichen Einnahme- und Ausgabedienst spotten vielfach der vollen Ausgleichung durch die eben in diesen Krisen oft selbst unmoglichen und immer nur in mafiigen Grofien zulassigen aufierordentlichen Deckungen" schrieb A. E. F. Schaffle schon 1884; er schlug vor, „das System ordentlicher Eigeneinkiinfte so zu entwickeln, daS es Deckungen und Reserven in mittleren und guten Jahren ergibt. Es ist das System der Oberschusse oder Aktivreste . . . " 27. Xhnliche Gedanken finden sich bei C. Dietzel und G. v. Schanz; mit dieser verniinftigen und elastischen Auslegung ist aber der Grundsatz des Gleichgewichts als soldier eher bestatigt als „entthront" 28. Die gegenteilige, auch den formalen jahrlichen Haushaltsausgleich rundweg ablehnende Auffassung verkennt die psychologisch-padagogische Funktion dieses Grundsatzes, der finanzpolitischen Meinungs- und Willensbildung als Mafistab und Entscheidungshilfe zu dienen. Die Bedeutung fester Regeln des finanzpolitischen Handelns fiir die Ordnungsmafiigkeit der offentlichen Finanzen kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden; dafiir legt die gesamte Geschichte des Budgets und der Budgetgrundsatze ein eindrucksvolles Zeugnis ab. Man ubertreibt kaum, wenn man diesen Grundsatz der Ordnungsmafiigkeit der Haushaltsfiihrung wesensmafiig dem der „Unabhangigkeit der Notenbank" an die Seite stellt; auch dies ist ein Grundsatz, der bei rein funktionaler Betrachtung kaum auf voile Anerkennung rechnen und leicht umgangen werden kann, in normalen Zeiten aber doch eine psychologisch-politisch ungemein wirksame Sperre gegen den Mifibrauch der fiskalischen Geldschopfung darstellt. Als Orientierungsmittel ist der formell ausgeglichene Haushaltsplan im Sinne einer Zusammenstellung der zur Bewaltigung der anstehenden Aufgaben notigen Einnahmen des Haushaltsjahres vielleicht ebenso wichtig wie die Indexziffern der Lebenshaltungskosten oder die Arbeitslosenzahl; in seiner Funktion als Entscheidungshilfe, Denkstiitze und Erfolgsmafistab liegt vielleicht iiberhaupt seine wichtigste Aufgabe, der man ihn nicht entfremden sollte. Schon in einem anderem Zusammenhang wurde dargelegt, wie sehr die Politiker derartige Mafistabe, Denkstiitzen und Entscheidungshilfen brauchen, um die komplizierten Zusammenhange der Finanz- und Wahrungsfragen zu durchschauen; es ware gefahrlich, die wenigen im Verfassungsrecht verankerten Markierungspunkte und Denkhilfen zu beseitigen,
27
Schaffle, A. E. F.: Zur Theorie der Deckung des Staatsbedarfs, in: Zeitschrift fiir die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 39 (1883) und Bd. 40 (1884). 28 So Neumark, F.: Grundsatze und Arten der Haushaltsfiihrung und Finanzbedarfsdeckung, a.a.O., S. 669.
Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
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ohne gleichzeitig andere, ebenso instruktive und einleuchtende an ihre Stelle zu setzen. Insofern behalt das Postulat des Haushaltsausgleichs, selbst wenn es sich nur auf das „formale" Gleichgewicht zwischen den Ausgaben und (alien) Einnahmen bezieht, nach wie vor ein beachtliches Mafi an wirtschaftspolitischer Bedeutung.
B. Finanzpolitik im Dienste der Wirtschaftspolitik § 44, Die Interdependenz der Erfolgsmafistabe Die Frage nach den Erfolgsmafistaben der Finanzpolitik kann sich, seit die offentlichen Finanzen in den Dienst der Wirtschaftspolitik getreten sind, nicht mehr auf die Ordnungsmafiigkeit der Finanzwirtschaft beschranken, sondern erfordert dariiber hinaus eine Betrachtung der Zusammenhange von Staatswirtschaft und Gesamtwirtschaft; angesichts der gewaltigen Kaufkraftstrome, die die moderne Finanzwirtschaft fiir ihre Zwecke von der privaten Wirtschaft abzweigt und dieser iiber ihre verschiedenen Kassen an anderen Stellen wieder zufliefien lafit, ist das Schicksal der offentlichen Finanzen und damit die Finanzpolitik heute aufs engste mit dem der Gesamtwirtschaft verflochten. Diese Zusammenhange lassen sich auf zweierlei Art sehen; einmal geht es um die Frage, auf welche Art und Weise sich die Integration von Staatswirtschaft und Gesamtwirtschaft vollzieht, also im Grunde um den Grad der Obereinstimmung oder Nichtubereinstimmung der offentlichen Finanzwirtschaft als Planwirtschaft mit dem System der Marktwirtschaft; hier handelt es sich um ein Problem, das im planwirtschaftlichen Wirtschaftssystem einer zentral gelenkten Volkswirtschaft ex definitione nicht auftritt. Zum anderen geht es um die nur dem marktwirtschaftlichen System eigene Frage, ob und inwieweit die offentlichen Finanzen, ohne grundsatzlich den marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprozefi aufier Kraft zu setzen, den Zielen der staatlichen Wirtschaftspolitik nach innen und aufien dienstbar gemacht werden konnen. DaC und inwieweit Einnahmen und Ausgaben des Staates als Instrument der Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne verwendbar sind, wurde bereits in anderem Zusammenhang untersucht 29 ; hier geht es darum, an welchen Mafistaben Erfolg oder Mifierfolg der finanzpolitischen Instrumente gemessen werden kann, wenn sie im Dienste der Wirtschaftspolitik eingesetzt werden. Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, dafi dieser Einsatz stets dann als erfolgreich zu bezeichnen ware, wenn die damit betriebene Wirtschaftspolitik die gewunschten Erfolge gezeitigt hat. Voraussetzung fiir eine derartige Erfolgsbestimmung ware es allerdings, dafi es zumindest im Bereich 29
Vgl. §§ 27—29, 36—38, 40.
§ 44. Die Interdependenz der Erfolgsmafistabe
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der Wirtschaftspolitik eindeutige Erfolgsmafistabe geben miifite; dies ist jedoch erstaunliclierweise kaum der Fall 3 0 . Hierhin gehort der vor allem im politisch-parlamentarischen Bereich verbreitete Irrtum, der „Erfolg" einer Wirtschaftspolitik miisse sich stets auch im Bereich der Wirtschaft niederschlagen, womoglich in statistisch erfafibaren Grofienordnungen der Giiterund Leistungswirtschaft des privaten Sektors; ein Erfolg der Wirtschaftspolitik kann aber in Wirklichkeit z. B. primar auf dem Gebiet der Aufienpolitik in Erscheinung treten, wahrend die „Wirtschaft" als solche diesem aufienpolitischen Ziel womoglich sogar gewisse Opfer zu bringen gezwungen sein mag. Beispiele sind die Montanunion ebenso wie die Romischen Vertrage, die Aufwertung oder Nichtaufwertung der DM und die Entwicklungshilfe; mit rein „okonomischen" Mafistaben gemessen, waren diese Aktionen, so notwendig, politisch richtig und zweckmafiig sie vom Standpunkt einer weiterblickenden Betrachtungsweise aus gewesen sein mogen, zumindest kurzfristig z. T. auf dem Passivkonto der wirtschaftspolitischen Erfolgsrechnung zu verbuchen gewesen. Hier taucht also schon das Problem der Fristen auf, auf die die Frage nach Erfolg oder Mifierfolg der Wirtschaftspolitik bezogen werden soil. Nach F. A. Lutz legen die „liberalen" Nationalokonomen ihren Betrachtungen haufig langerfristige Ziele zugrunde als ihre andersdenkenden Kollegen; diese Beobachtung bestatigt erneut, wie schwierig es ist, Erfolge der Wirtschaftspolitik allgemeingultig zu definieren oder gar zu messen. Fur W. Eucken z. B. war das wesentliche Kriterium jeder wirtschaftspolitischen Mafinahme ihr Beitrag zur „Herstellung eines funktionsfahigen Preissystems vollstandiger Konkurrenz"; Eucken warnte davor, beispielsweise „eine Konjunkturpolitik zu treiben, welche unter dem Eindruck eines momentanen Notstandes die Funktionsfahigkeit des Preissystems behindert oder stillegt . . . Ebensowenig darf eine Steuerpolitik z. B. durch die (friihere Brutto-)Umsatzsteuer oder die Gestaltung der Korperschaftsteuer den Konzentrationsprozefi fordern und damit das Vordringen der Monopole begiinstigen. Hier und in alien Zweigen der Wirtschaftspolitik sollte das wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundprinzip bei jeder Mafinahme gegenwartig sein. Von diesem Satz gibt es keine Ausnahme" 31. Diese Betrachtungsweise, die die Wirtschaftspolitik im wesentlichen nach ihrem Beitrag zur langfristigen „Ordnungc< des wirtschaftlichen Ablaufs beurteilte, stellte letztlich einen aufierokonomischen Wert — die Freiheit — als Ziel und Erfolgsmafistab jeglicher Wirtschaftspolitik heraus; Euckens Kritik am System der Zentralverwaltungswirtschaft gipfelte in der Anklage, dafi dieses System zwangslaufig zur Unfreiheit fiihre. Die Gegner der liberalen 30 31
Schmolders, G.: Erfolgsmafistabe neuzeitlidier Wirtschaftspolitik, a.a.O. Eucken, W.: Grundsatze der Wirtschaftspolitik, 3. Aufl., Tubingen und Zurich 1960, S, 254 f.
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Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
Wirtschaftsordnung messen demgegeniiber mit einer ganzlich anderen Elle; ihre Kritik an der Wirtschaftspolitik der Sozialen Marktwirtschaft bleibt weitgehend im Materiellen stecken: „Ganz allgemein kann man sagen: Alles das ist unterentwickelt geblieben, was sich nicht auf der Grundlage der privaten Einkommen und der von ihnen ausgehenden konsumtiven Nachfrage entwickeln liefi. Dazu gehort nicht nur unser Sozialhilfewesen (Altersheime, Obdachlosenasyle, Auffanglager usw.) und unser Gesundheitswesen (Krankenhauser, Vorbeugungsmafinahmen und Gesundheitserziehung). Dazu gehort mehr noch unser Schul- und Hochschulwesen, unsere wissenschaftliche Forschung, unser Wohnungswesen (auf Grund falscher Proportionen in der Bauwirtschaft), unser Strafienbau, unsere Wasserwirtschaft und viele andere offentliche Angelegenheiten mehr." 32 Hier wird der Erfolg der Wirtschaftspolitik an der Errichtung offentlicher Einrichtungen, verglichen mit den Ausgaben der Privathaushalte fiir Automobile, Ferienreisen u. dgl., gemessen — eine Vergleichsrechnung, die ihre Herkunft aus einer bestimmten Ideologic nur schwach bemanteln kann; absolute und allgemeingultige Mafistabe fiir Erfolg oder Mifierfolg vermag sie uns ebensowenig zu bieten wie der Hinweis auf das Sozialprodukt, auf die Freiheit oder auf andere hochste Werte, die in einer ganz anderen Ebene liegen als der, mit der es die Wirtschaftspolitik zu tun hat. Angesichts dieser Schwierigkeiten konnte es naheliegend erscheinen, auf den Begriff „Erfolg" bei jeglicher Beurteilung einer Wirtschaftspolitik iiberhaupt zu verzichten und sich mit blofier Beschreibung ihrer Wirkungen zu begniigen; seit der Werturteilsdiskussion neigt insbesondere die deutsche Volkswirtschaftslehre zu einer derartigen Abstinenzhaltung in politischen Fragen. Die Folge ware freilich, dafi sich andere, oft sehr viel weniger berufene Kritiker in diese Liicke drangen und mit scheinwissenschaftlichen Argumenten, deren Vokabular der Welfare-Theorie entlehnt sein konnte, den „objektiven" Erfolg oder Mifierfolg einer bestimmten Wirtschaftspolitik proklamieren wiirden; Schlagworte und Leerformeln verlocken den Demagogen formlich dazu, sie mit selbstgewirkten Auslegungen, Fakten und Zahlen ausgefiillt als Argumente zu prasentieren. Der zustandigen Fachwissenschaft bleibt daher gar nichts anderes ubrig, als mit Bekennermut Stellung zu nehmen und mit ihrem bewahrten Instrumentarium dem Erfolgsproblem methodisch zu Leibe zu rucken. Das bedeutet natiirlich nicht, dafi in die wirtschaftspolitische Diskussion unter dem Signum der Wissenschaft personliche Werturteile, Zensuren oder kryptonormative Argumente hineingetragen werden sollen; Erfolg oder Mifierfolg wirtschafts- und finanzpolitischer Mafinahmen oder Mafinahmenkombinationen konnen vielmehr nur an ihren eigenen proklamierten oder immanenten Zielen gemessen werden. Andererseits sind diese Mafinahmen Ortlieb, H. D.: Das Ende des Wirtschaftswunders, Wiesbaden 1962, S. 150.
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letzlich doch Menschenwerk, bewufite oder doch erkennbare Veranstaltungen und Unterlassungen ihrer Trager, die diese zu verantworten haben und deren Beurteilung hinsichtlich ihrer Zweckmafiigkeit, ihres Erfolges oder Mifierfolges jedem Staatsburger, vor allem aber den fachlich dazu berufenen Sachkennern erlaubt, ja geboten sein muE; keine Regierung, kein Interessenverband oder sonstiger „Trager von Wirtschaftspolitik" kann in einem demokratischen Gemeinwesen mit freier Meinungsaufierung auf eine derartige sachkundige Bewertung und gegebenenfalls Kritik ihrer Mafinahmen verzichten. Erfolgsmafistabe sind allerdings in kleinen, iiberschaubaren Bezirken der Wirtschafts- und Finanzpolitik leichter zu finden als im grofien Generalkonzept beispielsweise der „Sozialen Marktwirtschaft". Ob die Wohnungsbaupolitik die Zahl der programmierten Wohnungsneubauten erreicht oder nicht erreicht hat, ob der Aufienhandel den versprochenen wert- oder mengenmafiigen Zuwachs gewonnen hat oder nicht und wie stark die staatlichen Sparpramien im abgelaufenen Jahre in Anspruch genommen wurden, lafit sich mit wenigen statistischen Ziffern einwandfrei feststellen und ausdriicken; ob aber die Einkommens- und Vermogensschichtung gleichmafiiger oder ungleichmafiiger geworden, die Ausnutzung der volkswirtschaftlichen Produktivkrafte verbessert oder vernachlassigt und das Optimum an Ersparnis und Investition erzielt worden ist, lafit sich kaum in einer Zahl oder in einem lapidaren Satz zum Ausdruck bringen, ganz zu schweigen von der Bewertung des Erreichten, gemessen an den gesteckten Zielen. Die Schwierigkeit, die hier auftritt, steckt in einem Tatbestand, den die klassische Wirtschaftstheorie zu unserer Fragestellung beitragt; namlich in der „Interdependenz" aller okonomischen und, wie man hinzufiigen mufi, sozialen Vorgange und Zusammenhange. Ob die Wohnungsbaupolitik mit der imposanten Zahl der Neubauten, auf die sie hinweist, volkswirtschaftlich ein „Erfolg" war oder nicht, stellt sich nicht eher heraus, als bis die Gegenrechnung der volkswirtschaftlichen Kosten oder Opfer aufgemacht worden ist, die fur die Erreichung dieses Zieles in Kauf genommen werden mufiten; die Zensur fiir den Aufienhandel richtet sich u. U. nach wahrungspolitischen (Devisenliicke bzw. -uberschufi, internationale Preiszusammenhange), diejenige fiir die Sparpramienpolitik nach finanzpolitischen Mafistaben. Neben dieser Interdependenz der Sektoren spielt auch die Interdependenz der Interventionen selbst eine Rolle; wird die soziale Sicherung der Arbeiter immer weiter perfektioniert, so kann die Notlage der Rentner nicht unberiicksichtigt bleiben, erleichtert die Besteuerung den gewerblich Tatigen die Eigenkapitalbildung durch Selbstfinanzierung, so mufi Entsprechendes fiir die Ersparnisbildung der ubrigen Steuerpflichtigen, ja selbst fiir diejenigen geschehen, die aus der Einkommensteuerpflicht durch die immer weitergehende Heraufsetzung der Freigrenzen und Freibetrage bereits ausgeschieden sind (Sparpramien). Infolgedessen zieht fast jede wirtschafts-
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Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
oder finanzpolitische Intervention Folge- und Nebenwirkungen nach sich, die mitberechnet werden miissen, wenn man den Saldo von Ergebnis und Aufwand als „ Erfolg" bewerten will. Aus diesen Interdependenzen ergibt sich eine anschauliche Warnung davor, Erfolgszahlen in einem einzelnen Zweig der Wirtschafts- oder Finanzpolitik zu verabsolutieren. Diese Verabsolutierung materieller Erfolge auf Einzelgebieten gehort zu den Propagandamethoden der autoritaren Systeme; die erste Atombombe war fiir China ein spektakularer „Erfolg", mag ihre Konstruktion auch mit harten Opfern der Bevolkerung an Verbrauchsgiitern und Annehmlichkeiten des taglichen Lebens aller Art erkauft worden sein. „Erfolgsu-berichte ahnlicher Art werden dem Sowjet- und Sowjetzonenbiirger zum Uberdrufi in Planerfiillungs- und Obererfiillungs-Prozentsatzen vorgerechnet; sie nehmen sich um so stolzer aus, je hartnackiger alle Aufwendungen, die dafiir geleistet werden mufiten, und ebenso alle Mifierfolge verschwiegen werden. Sind die Lander der freien Welt von einem solchen ,,Erfolgsfetischismuscc ihrer Regierungen schon durch das Vorhandensein der Meinungs- und Pressefreiheit und die Kritik ihrer Oppositionsparteien gefeit, so haben sich bei ihnen doch ebenfalls gewisse Schwerpunkte herausgebildet, an denen Erfolg oder MiCerfolg ihrer Wirtschaftspolitik gemessen zu werden pflegt. Diese Schwerpunkte sind historisch aus den grofien sozialen und wirtschaftlichen Krisen hervorgegangen, die das Ordnungsgefuge von Gesellschaft und Wirtschaft jeweils bis in seine Grundfesten erschiittert haben: das Elend der Arbeiterklasse im Fruhkapitalismus, die Wirtschaftskrisen und Inflationen, endlich das Trauma der Massenarbeitslosigkeit und heute der Kalte Krieg im Zeichen des Ost-West-Konflikts. In der gleichen Reihenfolge entwickelten sich vier ausgesprochene „Testprobleme" fiir die westliche Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne, die sich grob in solche der Distribution von Einkommen und Vermogen, der inner en und aufieren Geldwertstabilitat, der Vollbeschaftigung und sozialen Sicherheit und schliefilich des wirtschaftlichen Wachsturns und der Entwicklungshilfe gliedern lassen. Jeder dieser vier Problemkreise erfordert heute in jedem der Lander eine Losung, wobei die Erfolgsbeurteilung in der Form eines „magischen Vierecks" in Erscheinung tritt. Alle vier Probleme miissen befriedigend gelost sein oder zum mindesten per Saldo ein Plus ergeben, ehe der Wirtschaftspolitik ein mehr oder minder grofier Erfolg bescheinigt werden kann; selbst dann ist das Urteil noch davon abhangig, ob dieser Erfolg im Rahmen der gesamten Innen- und der Aufienpolitik bejaht werden und auf welche Frist hin er Bestand behalten kann. Bei naherem Zusehen erweisen sich diese Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik weitgehend identisch mit jenen Aufgaben, zu deren Erfiillung heute die Finanzpolitik aufgefordert ist; darin zeigt sich nicht nur der instrumentelle Charakter der finanzpolitischen Mafinahmen, sondern gleichzeitig wird auch
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klar, wie sehr die Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik mit denen der Wirtschaftspolitik interdependent, wenn nicht identisch sind. Diese Zusammenhange werden klar, wenn man sich den Zielkatalog des § 1 des Stabilitatsgesetzes (1) Stabilitat des Preisniveaus, (2) hoher Beschaftigungsstand, (3) aufienwirtschaftliches Gleichgewicht unter der strengen Nebenbedingung „bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum" ansieht, dessen Ziele zugleich Ziele der Fiskalpolitik sind. Deutlich wird dies bei der ersten, nicht im Stabilitatsgesetz verankerten „Testkategorie", dem Distributionsproblem. 1st die Frage des Ob und Wie einer redistributiven Finanzpolitik im konkreten Falle gelost, so ergibt sich fiir den Politiker, insbesondere fiir den verantwortlichen Wirtschaftspolitiker, alsbald das Bestreben, den Erfolg seiner Mafinahmen zu erkennen und zu messen; nach einer Periode umverteilender Tatigkeit will er einen Anhaltspunkt dafiir haben, was sich nun am Aufbau der Einkommenspyramide geandert hat. Einer dieser MaCstabe fiir die Einkommensverteilung, die es erlaubt, durch Vergleich der Ergebnisse im Zeitablauf Ruckschlusse auf den Erfolg der Redistributionspolitik zu ziehen, ist die sog. jjLorenzkurve", die angibt, wieviel Prozent der Einkommensempfanger wieviel Prozent des Einkommens erhalten haben. Je weiter sich diese Kurve von der theoretischen Linie der Gleichverteilung entfernt, auf der jede Einkommensklasse den gleichen Anteil am Gesamteinkommen hatte, um so ungleichmafiiger ist die Verteilung, d. h. ein um so grofierer Teil des Einkommens konzentriert sich auf wenige Einkommensbezieher. W. Krelle 33 und insbesondere H. Jecht haben solche Kurven fur 1867, 1929, 1938, 1947 und 1950 ermittelt und festgestellt, dafi der Trend zur ungleichmafiigeren Einkommensverteilung, der mit Beginn des Industriezeitalters einsetzte, seit einigen Jahrzehnten die umgekehrte Richtung eingeschlagen hat; er „wird durch die Tendenz zu einer etwas grofieren Ausgeglichenheit der Einkommensverteilung abgelost" 34. Da diese „Tendenzf< zeitlich etwa mit den redistributiven Mafinahmen der in die Untersuchung einbezogenen Staaten zusammenfallt, liejSe sich dieses Ergebnis vielleicht als „Erfolgc< dieser Mafinahmen interpretieren — wenn es nur gelange, den Einflufi zahlreicher anderer Faktoren, wie z. B. den der gewerkschaftlichen Lohnpolitik, ebenfalls angemessen zu berucksichtigen! Derartige globale Mafistabe sagen naturgemafi nichts iiber den Anteil der einzelnen Mafinahmen an der insgesamt vielleicht feststellbaren „Tendenz" einer Um verteilung aus; gerade auf diesen Anteil kame es dem Politiker aber an. Wollte man versuchen, die anteilige redistributive Wirkung einzelner Mafinahmen bzw. ganzer Programme abzuschatzen, so konnte dies nur dann gelingen, wenn der Weg jeder einnahmen- oder ausgabenpolitischen 33 34
Krelle, W.: Verteilungstheorie, a.a.O., S. 276. Jecht, H.: Staatliche Wirtschaftspolitik und Einkommensverteilung in der modernen Wirtschaft, a.a.O., S. 143.
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Mafinahme im volkswirtschaftlichen Prozefi einwandfrei bis zu dem Punkt verfolgt werden konnte, an dem sie das frei verfiigbare Einkommen eines Individuums bzw. eines privaten Haushalts verringert oder erhoht. Die Exaktheit, mit der sich im konkreten Fall die redistributive Wirkung einer Maftnahme messen lafk, hangt also von der Zielgenauigkeit ab, mit der sie den gemeinten Nutzniefier trifft; nur wenn man ihren „Destinatar" und seine Einkommensklasse kennt, kann man etwas iiber die Riickwirkung der Mafinahme auf die Einkommensverteilung aussagen. Von einer derart exakten Bestimmung des „Destinatars" kann nun allerdings nach allem, was oben bereits iiber die Problematik der Ausgaben- und Steuerinzidenz dargelegt worden ist 35 , kaum die Rede sein. Hochstens lafit sich eine Skala der abnehmenden Inzidenzgewifiheit aufstellen, an deren oberem Ende die Arbeitslosenunterstutzungen stehen konnten, deren Empfanger zumindest im Zeitpunkt der Zahlung meist weitgehend ohne Einkommen und damit der untersten Einkommenstufe zuzuordnen sind. Das andere Ende dieser Inzidenzskala teilen sich die Marktsteuern, deren Belastungswirkung sich in der Regel kaum ermitteln lafit, mit einer Reihe orTentlicher Leistungen (Rechtspflege, Verteidigung), bei denen sich u. U. sogar die Frage aufdrangt, ob sie nicht vorwiegend von den Beziehern hoher Einkommen in Anspruch genommen werden; dazwischen liegen, mit mehr oder minder abnehmender Zielgenauigkeit, die Sozialausgaben, die Mafisteuern, die Subventionen und die Entgelte der offentlichen Hand fur Guter und Dienstleistungen. Solange iiber die Wirkung finanzpolitischer Mafinahmen auf die Einkommensverteilung nur derart vage „tendenzielle"Aussagen unter mancherlei Vorbehalten gemacht werden konnen, denen auf der anderen Seite die peinliche Vermutung gegeniibersteht, dafi die Finanzpolitik auf dem Gebiete der Vermogensverteilung in der Bundesrepublik entgegen ihrer politisch propagierten Zielsetzung vornehmlich konzentrationsfordernd gewirkt hat 3 6 , fiihren sich alle Versuche, die Erfolge einer redistributiven Finanzpolitik quantitativ zu messen, praktisch selbst ad absurdum. Als „Erfolgc< kann ohnehin, worauf noch zuriickzukommen ist, nicht ein lediglich statistisches Bild der Einkommens- und Vermogensgleichheit oder -ungleichheit, sondern nur das Spiegelbild der Distributionsvorgange im Bewufitsein der Dffentlichkeit gewertet werden; ob dieses Spiegelbild der statistischen Berechnung oder quantitativen Schatzung auch nur annahernd entspricht, bedarf durchaus noch der Priifung. Auch der Erfolg der wirtschafts- und finanzpolitischen Bemiihungen um Geldwertstabilitat kann nicht objektiv-statistisch an einer absoluten Skala ™ Vgl. §§ 27, 37. Vgl. Oberhauser, A.: Finanzpolitik und private Vermogensbildung, a.a.O., S. 192. 36
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abgelesen werden; ein in der Bezugsperiode unveranderter Lebenshaltungskostenindex gewahrleistet ja beispielsweise keineswegs, dafi den Verbrauchern die Ergebnisse des technischen Fortschritts, die an sich Preissenkungen hatten nach sich ziehen mlissen, in angemessenem Umfang zugute gekommen sind. Noch schwieriger ist es, den Anteil der Steuer- und Ausgabenpolitik an inflationaren Erscheinungen exakt zu bestimmen. Mag man sich auch daruber klar sein, dafi manche Konjunkturiiberhitzungserscheinungen der letzten Jahre vom Bausektor ausgegangen sind, so ist damit dennoch keineswegs etwas daruber gesagt, welche Auftrage und ob es gegebenenfalls gerade die Bauvorhaben der offentlichen Hand gewesen sind, die fiir diese Entwicklung verantwortlich gemacht werden mussen. Auch der Hinweis darauf, dafi bei Verwendung der Baumittel im privatwirtschaftlichen Bereich „produktivere" Investitionen zustande gekommen waren als im Bereich der offentlichen Bauten, zeugt lediglich von einer kurzfristigeren Betrachtungsweise; langfristig konnen sich die offentlichen Bauvorhaben durchaus als „Erfolgc< erweisen, wenn etwa durch Schul- und Bildungsinvestitionen oder andere Infrastrukturmafinahmen indirekt materielle und immaterielle Werte geschaffen werden, die zu einem spateren Zeitpunkt kostensparende Produktionsprozesse ermoglichen und vielleicht gerade dadurch die friiher moglicherweise ausgelosten inflationistischen Tendenzen kompensieren helfen. Dieser mehr passiven Verantwortlichkeit der Finanzpolitik steht auf der anderen Seite der Versuch eines bewufiten Einsatzes der Mittel der Finanzpolitik zur Bekampfung der Inflation gegeniiber, von dem an anderer Stelle bereits die Rede war 37. Voraussetzung fiir eine Erfolgsmessung des Einsatzes dieser Instrumente ist jedoch, dafi man sich zunachst einmal daruber klar ist, wo und wann sie iiberhaupt einzusetzen sind, d. h., wann ein pathologischer Fall von „Inflation" gegeben ist; hieruber besteht keineswegs eine einhellige Meinung 38. Selbst wenn im Bereich der Wissenschaft ein einheitliches diagnostisches und therapeutisches Rezept zu finden ware, so ist von hier der Weg bis in die politisch-parlamentarische Einsicht, die fiir den Erfolg der Finanzpolitik entscheidend ist, noch sehr weit; geht man beispielsweise davon aus, dafi die rechtzeitige Bildung oder Auflosung von Konjunkturausgleichsriicklagen ein geeignetes Mittel zur Inflationsbekampfung sein kann, so bedarf es zu ihrer Anwendung einer Einsicht in die volkswirtschaftlichen Zusammenhange von Staatsausgaben, Geldstillegung und gesamtwirtschaftlicher Liquiditat, von der bislang bei unseren Politikern wenig zu spiiren ist. Gegeniiber den oftmals recht vagen Vorstellungen dieser fiir die praktische Politik verantwortlichen Gruppen steht das quantitativ in keinerlei
*? Vgl.§§29, 38. 38 S. hierzu z. B. Timm, H.: Bemerkungen zum inflationaren Wachstum, in: Gestaltungsprobleme der Weltwirtschaft, Festschrift zum 70. Geburtstag von A. Predohl, hrsg. von H. Jiirgensen, Gottingen 1964, S. 529 f.
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Mafistabe zu fassende Geldv/ertbewufitsein der breiten Bevolkerung, dessen empirische Erforschung eine eigenartige Mischung von Zweifeln an der Stabilitat der Preise einerseits und einem berechtigten Stolz auf den „Wert" der DM andererseits ergeben hat 3 9 . Die Masse der Bevolkerung vertraut der Wahrung mehr als der Preisentwicklung; der Glaube an die Harte und Bestandigkeit der DM wird von den weitverbreiteten skeptischen Vermutungen iiber die kiinftige Entwicklung der Preise kaum beeintrachtigt. Was hier in Erscheinung tritt, ist in Reinkultur die sog. „Geldillusion" der Geldtheorie; es bedarf starker, kontinuierlicher und sensationeller Preissteigerungen, um den Glauben an das Geld zu erschiittern. Erst die Annaherung oder gar das Oberschreiten dieser kritischen Schwelle des Geldwertbewufitseins, die sich kaum jemals quantitativ exakt bestimmen lafit, entscheidet iiber Erfolg oder Mifierfolg der Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne und damit letztlich auch der Finanzpolitik. Nicht viel anders stent es mit der dritten Gretchenfrage nach Erfolg oder Mifierfolg der Wirtschafts- und Finanzpolitik, dem Vollbeschaftigungsproblem; auch hier zeugen imponierende „Erfolgszahlen" noch nicht unbedingt von einem wirklichen und dauerhaften Erfolg der staatlichen Mafinahmen. Vielfach mag das einfach damit zusammenhangen, dafi diese Mafinahmen, die womoglich sektoral oder branchenmafiig „gezielt" zum Einsatz kommen, sich unter dem Druck von Interessengruppen als gar nicht oder nur sehr schwer reversibel erweisen. Ob beispielsweise die Forderung des Schiffbaues durch die Sonderabschreibungen nach § 7 d des Einkommensteuergesetzes, die sicherlich zur Erreichung der Vollbeschaftigung beigetragen hat, letztlich ein „Erfolg" war, lafit sich nicht allein aus den Zahlen iiber die Baukapazitat der deutschen Werften oder iiber den Anteil der deutschen an der Welthandelstonnage ablesen; zumindest mufi mit diesen Erfolgszahlen der Verlust der Reedereien durch die Senkung der Frachtraten, vielleicht sogar der eine oder andere Bankerott in diesem Wirtschaftszweig saldiert werden 40. Auch iiber das allgemeine Beschaftigungsniveau sagen statistische Zahlen wenig aus. Die Auskunft der amerikanischen Arbeitslosenstatistik beispielsweise, nach der standig ein gewisser Prozentsatz der „Labor Force" als 39 Fast zwei Drittel der befragten Haushaltsvorstande waren 1959 der Meinung, da£ man sich in zehn Jahren fur einen 20-Mark-Schein, den man dummerweise irgendwo verlegt hatte, weniger kaufen konne als heute; aber 4 5 % eines reprasentativen Querschnitts der Bevolkerung vertraten nodi im April 1961 die Ansicht, der „Wert der DM" werde in den nachsten Jahren gleichbleiben (38%) oder sogar steigen (7%). DaE dagegen zugleich auch die Preise steigen wiirden, wurde in der gleichen Umfrage von 70% der Befragten bejaht. Vgl. hierzu Schmolders, G.: Wie denkt der Sparer iiber den Geldwert?, in: Zeitschrift fiir das gesamte Kreditwesen, Jg. 1961, S. 824 ff. 40 Biissgen, H.-R.: Wiederaufbau eines Wirtschaftszweiges: „Indirekte" Subventionen fiir den Schiffbau, in: Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland? a.a.O., S. 57 ff.
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arbeitslos gemeldet ist, setzt zwar automatisch die Rotationspressen und den Beraterstab des Prasidenten in Tatigkeit, besagt aber fiir den Erfolg oder Mifierfolg der amerikanischen „Beschaftigungspolitik
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politik mit den sozialen Spannungen und der Aufgabe der Umstellung von einer Investitions- und Exportkonjunktur auf eine „Massenverbrauchskonjunktur" fertig werden konnen, die neuerdings mehr und mehr auf sie zukommen 43 . Die Hilfe fiir Entwicklungslander endlich ist im Zeichen des Ost-West-Konfliktes und des kalten Krieges nicht nur ein aufienpolitisches, sondern zugleich auch ein wirtschaftspolitisches Problem 44 ; zwischen dem innerwirtschaftlichen Wachstum und den aufienpolitischen Verpflichtungen kann es ebenso zu Zielkonflikten kommen wie zwischen den Verteidigungsaufgaben, der Erfiillung der Biindnisverpflichtungen und den sonstigen finanz- und wirtschaftspolitischen Zielen. Diese Schwerpunkte, die dem Urteil iiber Erfolg oder Mifierfolg der Finanz- und Wirtschaftspolitik heutzutage vielfach zugrunde gelegt werden, sind nach alledem alles andere als eindeutige, quantitativ exakte Mafistabe. Selbst ausfiihrliche Expertenberichte, wie sie beispielsweise von den Notenbanken, wissenschaftlichen Kommissionen oder unabhangigen Gutachtern erstattet werden, gelangen in ihrem Urteil iiber Erfolg oder Mifierfolg kaum jemals zu einem unbestrittenen, allseits akzeptierten Votum. Die Quittung iiber Erfolg oder Mifierfolg, mit der der einzelne Politiker rechnen mufi, ist zwar letztlich das Urteil der Wahler; dieses Urteil wird jedoch nur alle vier Jahre eingeholt und bezieht sich zudem keineswegs nur oder in erster Linie auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik der amtierenden Regierung. Abschliefiend soil hier deshalb noch von einem Erfolgsmafistab die Rede sein, der in dem vieldiskutierten „magischen Viereck" noch nicht enthalten ist, gegebenenfalls jedoch erganzend heranzuziehen ware; es ist das „Image" der staatlichen Wirtschaftspolitik in den Augen der Staatsbiirger, damit aber zugleich der Grad an staatsbiirgerlicher Integration des Volkes als Folge und Ausdruck der Staats-, Finanz- und Wirtschaftspolitik im ganzen, ein Tatbestand, der mit den modernen Methoden der empirischen Sozialforschung mefibar geworden und in den erwahnten empirischen Untersuchungen der letzten Jahre erstmalig genauer ermittelt worden ist. Zur staatsbiirgerlichen Integration gehort der Grad an Zu- oder Abneigung gegeniiber dem „Staat
Reuss, F. G.: ebenda, S. 280. Vgl. hierzu § 49. * Vgl. §§ 17, 34.
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ihrer Sachkunde den ihnen zur Abstimmung vorgelegten Fragen keineswegs immer gewachsen sind und dafi auch die Anteilnahme am offentlichen Leben sehr zu wiinschen iibrig lafit, so liegt darin gewifi nicht zuletzt ein schlechtes Zeugnis auch fiir die Wirtschafts- und Finanzpolitik; es hat sich gezeigt, dafi gerade die Empfanger von Subventionen und Unterstiitzungen aus offentlichen Mitteln zu denjenigen gehoren, die am wenigsten vom Staat und der Gemeinschaft wissen wollen, wahrend die guten Staatsbiirger vielfach in den Kreisen zu finden sind, die an den „Wahlgeschenken" am wenigsten partizipieren. Damit bestatigt sich die Erkenntnis, die oben beziiglich der Erfolgsmafistabe fiir die Distributionspolitik bereits erwahnt worden ist; nicht die statistische Distributions- und Redistributionsquote, sondern der Eindruck, den die Empfanger von dem Wert ihrer Beziige haben, entscheidet iiber Erfolg oder Mifierfolg der Distributionspolitik. Aus derartigen subjektiven Einstellungen stammt das Geldwertbewufitsein ebenso wie das Bewufitsein, durch steigenden personlichen Wohlstand am wirtschaftlichen Aufschwung und an der Verbesserung der sozialen Sicherheit zu partizipieren; alle diese Empfindungen schlagen sich zusammengenommen in dem Grad der staatsbiirgerlichen Integration nieder. Eine Bevolkerung, die der Staatsautoritat fremd oder gar feindselig gegeniibersteht, kann die bestgemeinte Wirtschaftsund Finanzpolitik weitgehend vereiteln, ebenso wie ein freudiges, interessiertes „Mitziehen
Seraphim, H. J.: Theorie der allgemeinen Volkswirtschaftspolitik, Gottingen
1955, S. 312. 29 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Erfolgsmafotabe der Finanzpolitik
§ 45. Haushaltsplan, Finanzplan und Nationalbudget Die Beurteilung von Erfolg oder Mifierfolg der Finanzpolitik kann, wie oben erwahnt, vom Haushaltsplan als dem zahlenmafiig fixierten Mafistab des finanzpolitisch Gewollten ausgehen, dem das Erreichte in statistisch ermittelten gleichwertigen Zahlen gegeniibergestellt werden kann; mit dem Urteil uber die Planerfiillung, dariiber hinaus iiber die Ordnungsmafiigkeit der gesamten Finanzgebarung, gemessen an Haushaltsgesetz und Haushaltsordnung, befinden wir uns auf sicherem Boden. Tritt die Finanzpolitik jedoch in den Dienst der allgemeinen Wirtschaftspolitik oder einzelner Ziele, wie der Konjunktur- oder Strukturpolitik, der Vollbeschaftigung oder der Einkommens- und Vermogensumschichtung, so ist ihr „Erfolg" nicht mehr an ihren eigenen Mafistaben, den Sollzahlen des Haushaltsplanes, sondern nur an den mehr oder weniger vagen Kriterien zu messen, die im vorhergegangenen Abschnitt als „Schwerpunkte" oder wirtschaftspolitische Leitbilder gekennzeichnet worden sind; die Interdependenz dieser „Erfolgsmafistabe" untereinander und mit den wechselnden Zielen und Schwerpunkten der Wirtschaftspolitik bringt es mit sich, dafi auch die Aussagekraft dieser Erfolgsmafistabe mehr oder weniger relativiert wird. Als Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich die Planung an, die Anwendung des gleichen Prinzips, dem die Haushaltswirtschaft der offentlichen Hand unterliegt, auf die Gesamtwirtschaft, deren jahrliches oder mehrjahriges „Soll" im voraus zahlenmafiig festgelegt, deren Erfolg infolgedessen an den „Ist"zahlen laufend abgelesen werden kann; Erfolg oder Mifierfolg einer „Planwirtschaft" waren dann in der gleichen einfachen Weise zu messen wie die einer am Haushalts- und Finanzplan orientierten Staatswirtschaft. W. Eucken hat darauf aufmerksam gemacht, dafi sich „zu alien Zeiten und iiberall . . . das menschlichen Wirtschaften in Aufstellung und Durchfiihrung vonWirtschaftsplanen" 47 vollzieht; dieFrage ist nur „Wer plant?", der einzelne am Wirtschaftsprozefi beteiligte Haushalt oder Unternehmer oder eine behordliche Planungs- und Kontrollinstanz der Zentralverwaltungswirtschaft. Mit der Erkenntnis, „dafi es wirtschaftliches Planen ohne Planwirtschaft, ohne Zentralverwaltungswirtschaft gegeben hat, gibt und geben wird, und dafi die Marktwirtschaft zwar ohne Herrschaft, aber durchaus nicht ohne Ordnung, sondern als eine Form der Ordnung sich abspielt" 48 , schlagt E. Salin die Briicke zwischen Freunden und Gegnern der Planwirtschaft; seit 47 Eucken, W.: Grundlagen der Nationalokonomie, 8. Aufl., Berlin-HeidelbergNew48York 1965, S. 78. Salin, E.: Planung — der Begriff, seine Bedeutung, seine Geschichte, in: Planung ohne Planwirtschaft, Frankfurter Gesprach der List-Gesellschaft vom 7. bis 9. Juni 1963, Veroffentlichungen der List-Gesellschaft e. V., Bd. 34, Basel-Tubingen 1964, S. 8.
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langem dringen planwirtschaftliche Elemente aus der Welt der offentlichen Finanzen ebenso in die marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft ein, wie der Staat zum Marktteilnehmer geworden ist und sich vielfach marktwirtschaftlich verhalt. Die reinliche Scheidung zwischen den beiden Systemen wird weiter dadurch erschwert, dafi sich einerseits in das Marktverhalten der offentlichen Hand nur zu leicht Plan- und Machttendenzen einschleichen, wahrend seine Planungen umgekehrt mehr und mehr von den Ergebnissen regelrechter Marktanalysen abhangig werden, wie sie die private unternehmerische Wirtschaft ihren Dispositionen zugrundelegt; die in alien organisierten Gemeinwesen zutage tretende Tendenz zur Planung 49 ist nicht mehr und nicht weniger als ein Ausdruck der wachsenden Kompliziertheit der okonomischen Zusammenhange in den industrialisierten Grofigesellschaften. Die Finanzsoziologie beobachtet diese Vermischung der beiden Wirtschaftssysteme unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung fiir die Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur der Gegenwart und Zukunft: „Zugleich greift die Lebensnotwendigkeit der Planung in steigendem Mafie in das Leben jedes einzelnen ,Wirtschaftssubjektesc bzw. ,Staatsburgers' ein und setzt die entscheidenden ,exogenen' Daten, nach denen er sich in seinen ,endogenenc Planen richtet. Damit wird aber die Frage: Wer plant? zu der politisch und okonomisch lebenswichtigsten Frage fiir ,Finanzen, Wirtschafts-, Staats- und Gesellschaftsstrukturc der Gegenwart." 50 Diese Frage ist in der Wirtschaftspolitik identisch mit derjenigen nach den Tragern der Wirtschaftspolitik in der pluralistischen Gesellschaft, also alien an der Meinungs- und Willensbildung beteiligten Kraften; an ihren einander mannigfach widerstreitenden und durchkreuzenden Interessen ist Erfolg oder Mifierfolg der Finanzpolitik nicht abzulesen. An der Frage „Wer plant?" zeigt sich vielmehr am deutlichsten der Schnittpunkt zwischen Staatswirtschaft und Marktwirtschaft. Solange die offentlichen Haushaltsplane lediglich Kassenplane sind, die die Einnahmen und Ausgaben des kommenden Jahres veranschlagen und vorausschatzen, nimmt die Finanzwirtschaft die diesen Schatzungen zugrunde liegenden „Daten" als solche, d. h. als gegeben hin. Sparen und Investieren, Kaufen und Verkaufen, Berufswahl und Berufswechsel richten sich nach den individuellen Planen der Staatsbiirger, nach Angebot und Nachfrage an Markten und nach den Bediirfnissen der Verbraucher. Auch ein fiir mehrere Jahre im voraus aufgestellter Finanzplan, der beispielsweise alle fiir die nachsten Jahre beabsichtigten offentlichen Investitionen zusammenstellt, ware unvollstandig, wenn er nicht auch die einkommens- und beschaftigungsmafiigen Wirkungen dieser offentlichen 49
Myrdal, G.: Beyond the Welfare State, Economic Planning in the Welfare States and its International Implications, London 1960. 50 Sultan, H.: Finanzwissenschaft und Soziologie, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, Bd. 1, a.a.O., S. 83. 29*
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Investitionen mit beriicksichtigte, die in alien moglichen Formen, von der Ersparnis an Arbeitslosenunterstiitzung bis zum Mehraufkommen von U m satz-, Lohn- und Korperschaftsteuer, ihren konkreten finanzwirtschaftlichen Niederschlag finden; sogar der Bundeshaushaltsplan rechnet alljahrlich mit bestimmten Annahmen liber die Zunahme des Sozialprodukts, deren Wirkungen bei der Einnahmeschatzung der verschiedenen Steuern mit einkalkuliert w e r d e n 5 1 . Das gleiclie gilt fiir die Finanzplane, die im Rahmen der „internationalen Finanzpolitik" und fiir die mittelfristige Finanzplanung (Mifrifi) aufgestellt werden. Das Gesetz z u r Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 schreibt in den § § 9 und 14 die Aufstellung eines fiinfjahrigen Finanzplanes 5 2 fiir Bund und Lander vor. Die notwendige Abstimmung der mittelfristigen Plane von Bund und Landern soil in dem durch eine Verwaltungsvereinbarung institutionalisierten F i n a n z p l a n u n g s r a t 5 3 stattfinden 5 4 , dessen konstituierende Sitzung am 14. M a r z 1968 stattfand. Die mittelfristige Finanzplanung w u r d e bereits im Gutachten iiber die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland gefordert 5 5 ; ihre N o t w e n digkeit ergibt sich audi aus dem Beschlufi des EWG-Ministerrates vom 14. 4. 1964. D o r t wird als Ziel eine rationale europaische Wirtschaftspolitik 51 Vgl. hierzu den jeweiligen Abschnitt „Voriiberlegungen zur Steuerschatzung fiir das Jahr . . . " in den „Finanzberichten" des Bundesministeriums der Finanzen. 52 S. audi §§ 49—52 HGrG. 53 (1) Bei der Bundesregierung wird ein Finanzplanungsrat gebildet. Dem Finanzplanungsrat gehoren an: 1. die Bundesminister der Finanzen und fiir Wirtschaft, 2. die fiir die Finanzen zustandigen Minister der Lander, 3. vier Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbande, die vom Bundesrat auf Vorsdilag der kommunalen Spitzenverbande bestimmt werden. Die Deutsdie Bundesbank kann an den Beratungen des Finanzplanungsrates teilnehmen. (2) Der Finanzplanungsrat gibt Empfehlungen fiir eine Koordinierung der Finanzplanungen des Bundes, der Lander und der Gemeinden und Gemeindeverbande. Dabei sollen eine einheitlidie Systematik der Finanzplanungen aufgestellt sowie einheitlidie volks- und finanzwirtschaftliche Annahmen fiir die Finanzplanungen und Schwerpunkte fiir eine den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen entsprediende Erfiillung der offentlichen Ausgaben ermittelt werden. Die vom Konjunkturrat fiir die offentliche Hand zur Erreichung der Ziele des Gesetzes zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft fiir erforderlich gehaltenen Maftnahmen sollen beriicksichtigt werden. (3) Die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben der in § 52 genannten Einrichtungen sollen in die Beratungen und Empfehlungen einbezogen werden, soweit sie nicht schon in den Finanzplanungen des Bundes, der Lander und der Gemeinden und Gemeindeverbande enthalten sind. (4) Den Vorsitz im Finanzplanungsrat fiihrt der Bundesminister der Finanzen . . . (§ 51 HGrG). 54 Daft durch diese „Sollvorschrift" der gegenseitigen Abstimmung fiir die Realitat noch nicht viel gewonnen ist, zeigt die Tatsache, dafi einige der CDU-regierten Lander die angestrebte antizyklische Haushaltspolitik des Bundes fiir das Jahr 1970 konterkarieren versuchten. 55 Vgl. Gutachten iiber die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., Ziff. 477 ff.
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aus einem Gufi genannt, die „durch eine systematische, auf mehrjahrigen Zielvorstellungen beruhende Koordinierung der einzelnen P r o g r a m m e " erreicht werden soil 56 . Wahrend der Haushaltsplan gem. A r t . H O G G eine gesetzlich verbindliche Hochstgrenze beziiglich der Ausgaben und einen Plan beziiglich der Einnahmen darstellt, ist der Finanzplan eine auf langere Zeitraume bezogene, aber seinem Wesen nach rechtlich nicht verbindliche Schatzung grofier Einnahmen- und Ausgabengruppen mit dem Ziel der Abstimmung von Finanzquellen u n d Finanzbedarf 5 7 . Diese staatliche Einnahmen- und Ausgabenschatzung ist rechtlich unverbindlich; sie besitzt nur etwa die politische Verbindlichkeit einer Regierungserklarung 5 8 . F. N e u m a r k betont, dafi dieser Mangel an Vollzugsverbindlichkeit den Finanzplan von dem Plan einer zentralgeleiteten Wirtschaft unterscheidet, w a h r e n d er sich von einer iiblichen Projektion ( = Vorausschau) dadurch unterscheidet, „dafi er nicht blofi h y p o thetisch ermittelte Entwicklungen ohne Wertung darstellt, sondern aus verschiedenen moglichen Alternativen eine oder einige auswahlt, um sie als politisch wunschenswert zu bezeichnen — mit der Konsequenz, daf$ die auf den gewahlten Alternativen aufbauenden Schatzungen zu offiziell akzeptierten Orientierungspunkten fiir die Regierungspolitik . . . werden" 59 . Als eine der Aufgaben des Finanzplans ist zunachst hervorzuheben, dafi er dem Informationsbediirfnis der offentlichen Institutionen iiber die standig zunehmenden Staatsaufgaben dient u n d die Beschlufifassung des Parlaments erleichtert 6 0 . Die einjahrige Haushaltsgestaltung besitzt den Mangel, dafi selbst d a n n kurzfristige Gesichtspunkte und eine isolierte Betrachtungsweise im Vordergrund stehen, wenn sich dies im Sinne okonomisch-finanzieller Rationalitat als vollig falsch erweist 6 1 . Der mittelfristige Finanzplan stellt eine Orientierungshilfe fiir den Politiker dar, indem er „die Folgen der staatlichen Mafinahmen so explizit wie moglich ausdriickt" 62 . Er veranschaulicht die Beziehung zwischen den momentanen Ausgaben und dem zukiinftigen Ziel, das durch die getatigten Ausgaben angestrebt w i r d 6 3 . Ferner dient der mittelfristige Finanzplan dazu, die ganze Zeitspanne solcher offent-
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Ebenda, Ziff. 485. Vgl. Tretner, C. H.: Langfristige Planung von Staatsausgaben, in: Finanzwissensdiaftlidie Forschungsarbeiten, NF., Heft 32, Berlin 1965, S. 21. 58 Vgl.: Gutachten iiber die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., Ziff. 484. 59 Neumark, F.: Planung in der offentlichen Finanzwirtschaft, in: Rationale Wirtschaftspolitik und die Planung in der Wirtschaft von heute, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 45 (Berlin 1967), S. 185. 60 Vgl. Tretner, C. H.: Langfristige Planung von Staatsausgaben, a.a.O., S. 24. 61 Vgl. Neumark, F.: Planung in der offentlichen Finanzwirtschaft, a.a.O., S. 5 f. 62 Vgl. Tretner, C. H.: Langfristige Planung von Staatsausgaben, a.a.O., S. 25. 63 Ebenda, S. 25. 57
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licher Aufgaben unter Kontrolle zu halten, deren Erfiillung sich iiber mehrere Jahre erstreckt. Dies gilt vor allem fiir Investitionen im Infrastrukturbereich. Diese Aufgaben sind sehr komplex, sie bediirfen „bis zu ihrer Vollendung einer langen Vorbereitungs- und Ausreifungszeit, verursachen hohe Kosten und Ziehen weitere Verpflichtungen nach sich" 64. Der Finanzplan verfolgt also die offentlichen Investitionen von ihrer Vorbereitung bis zum Abschlufi ihrer Durchfuhrung. Aufierdem kann er u. U. dazu beitragen, Gruppeninteressen entgegenzuwirken und Wahlgeschenke einzudammen. Neben diesen aufgezeigten Eigenschaften dient der mehrjahrige Finanzplan auch als Informationsinstrument fiir die private Wirtschaft. Sie kann auf Grund der Signalwirkungen des Finanzplans auf Anderungen bezuglich Art und Hohe staatlicher Auftrage mit einer gleichzeitigen und rechtzeitigen Anpassung des Beschaftigungsgrades oder auch der Kapazitat reagieren 65 , und die Gefahr eines Engpasses oder einer Oberproduktion ware gemildert oder u. U. sogar ausgeschlossen. Neben diesem Sicherheitsfaktor, den die mehrjahrige Finanzplanung fiir den innerbetrieblichen Plan eines Industriebetriebes darstellt, ist auch noch ihr Einflufi auf die subjektive und objektive Liquiditat der privaten Industrien zu beachten. Ein mittelfristiger Plan, aus dem die Vorhaben des Staates zu entnehmen sind, wiirde bewirken, da6 die Banken den durch die Staatsauftrage begunstigten Unternehmen grofiere und giinstigere Kredite einraumen wiirden. Bei der Aufstellung des Finanzplans ist es unumganglich, das volkswirtschaftliche Wachstum zu beriicksichtigen. Als Mafistab hierzu dient das Bruttosozialprodukt; dessen Wachstum ist bestimmt durch die Entwicklung der Erwerbsbevolkerung und der Arbeitsproduktivitat, die als Grundlage fiir die Prognose des realen sowie — unter Einbeziehung einer Inflationsrate — auch des nominellen Bruttosozialproduktes dienen. Die Erfassung dieser Kaufkraftverschlechterung ist jedoch ebenso problematisch wie die exakte Schatzung der Steuereinnahmen des Planungszeitraumes. Unter Annahme eines unveranderten Steuersystems und unveranderter Steuersatze ermittelt man zunachst fiir die vergangenen Jahre oder auch Jahrzehnte die jahrliche prozentuale Zunahme sowohl der Steuern als auch des Bruttosozialproduktes. Die Wachstumsrate der Steuern wird zu der des Bruttosozialproduktes in Relation gesetzt. Dabei erhalt man die Elastizitat der Steuereinnahmen gegeniiber dem Bruttosozialprodukt. Mit Hilfe des resultierenden Wertes wird hierauf, auf Grund der prognostizierten Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes, diejenige der zu schatzenden Steuereinnahmen abgeleitet.
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Ebenda, S. 26. Ebenda, S. 31.
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Die Schatzung der zukiinftigen Steuereinnahmen ist demnach weitgehend vergangenheitsorientiert. Waren die vergangenen Jahre etwa von hoher Prosperitat gekennzeichnet, so extrapoliert die Steuerschatzung diese Konjunkturbewegung auch in die Zukunft. Das grofite Problem fiir die Schatzung der Steuereinnahmen stellt infolgedessen die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung dar 66. Aber auch bei der Ausgabenplanung tauchen Schwierigkeiten auf. Eine exakte Ausgabenberechnung fiir den Planungszeitraum ist bei der Bestimmung des Schuldendienstes und bei Verpflichtungen moglich, die auf vertraglicher Grundlage beruhen; ferner lassen sich Sozialausgaben mit Hilfe der Bevolkerungsstatistik relativ exakt veranschlagen. Die Schatzung der ubrigen Ausgaben erfolgt nun zunachst unter der Pramisse konstanter Preise und wird dann der inflatorischen Entwicklung angepafit. Als Grundlage fiir die Einbeziehung einer Inflationsrate kann jedoch nicht der Preisindex des Bruttosozialproduktes dienen, vielmehr mufi eine starkere prozentuale Steigerung veranschlagt werden; schon die Personalkosten, auf die ein Hauptanteil der laufenden Aufwendungen entfallt, pflegen ebenso wie die Investitionen starker zu steigen als der Preisindex des Bruttosozialproduktes. Diese hier isoliert dargestellte Ermittlung der fiskalischen Einnahmen und Ausgaben mufi simultan erfolgen, da sowohl einerseits die Einnahmen mit den Ausgaben als andererseits die Ausgaben mit den Einnahmen korrelieren. Als Unterlagen der mittelfristigen Finanzplanung bzw. speziell der Ausgabenplanung schreibt das Gesetz mehrjahrige, jahrlich der Entwicklung anzupassende Investitionsprogramme vor, die die Bundesminister fiir ihren Geschaftsbereich aufstellen und zusammen mit den sonstigen Bedarfsschatzungen dem Bundesfinanzminister zusenden sollen (§ 10 Stab.Ges.). Da nicht bei alien Bundesressorts der Umfang der Investitionsausgaben eine Aufstellung mehrjahriger Programme erfordert, bestimmt die Bundesregierung die Geschaftsbereiche, fiir die Investitionsprogramme zu erstellen sind. Diese Investitionsprogramme sollen auch Aufschlufi iiber die Finanzierungshilfen des Bundes fiir Investitionen Dritter geben, da auch an dieser Stelle die antizyklische Finanzpolitik ansetzen kann. Die Investitionsprogramme sollen nach Dringlichkeit und Jahresabschnitten gegliedert sein. Hierbei stellt sich die Frage, wonach sich die Feststellung der Dringlichkeit sowie uberhaupt das „optimale" Mafi staatlicher Tatigkeit richten konnen und sollen. Machen die Bundesminister ihre Leistungsvorhaben von machtpolitischen Uberlegungen abhangig, so richten sie sich hierbei u. U. nach der augenblicklich herrschenden offentlichen Meinung. Dies kann jedoch dazu 66 Wie die im Jahre 1966 beginnende Rezession zeigte, lafk sidi die eigengesetzliche politische und wirtschaftlidie Entwicklung selbst in einem einjahrigen Haushaltsplan nidit immer hinreichend exakt erforschen und prognostizieren.
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fiihren, dafi sie unbequemen Sachentscheidungen ausweichen. In diesem Falle wiirde die mittelfristige Finanzplanung keine wesentliche Verbesserung im Gegensatz z u r friiheren Situation mit sich bringen. Das Gutachten iiber die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland sah den Finanzplan als ein Informationsinstrument a n 6 7 , an dem sich der jahrliche Haushaltsplan zu orientieren hatte C8 ; der Haushaltsplan ist nach wie vor die alleinige Grundlage fiir die Bewilligung der Mittel, die zur Erfiillung der verschiedenen Staatsaufgaben notwendig sind. Somit ist auch eine Feststellung des Finanzplans durch das Parlament uberfliissig. Der gleichen Ansicht ist der Sachverstandigenrat 6 9 ; der Finanzplan k a n n schon darum keine Vollzugsverbindlichkeit besitzen, stellt demnach keine Planvorgabe dar, weil er an die jeweilige konjunkturelle Lage angepafit w i r d ; Planabweichungen sind also von vornherein vorgesehen. Dies aber bedeutet, dafi am Ende einer Planungsperiode keine Feststellung dariiber getroffen werden kann, ob die anfangs aufgestellten Ziele t a t sachlich erreicht worden sind. Aufierdem k a n n m a n bei laufenden A n d e r u n gen nicht mehr uneingeschrankt von dem F i n a n z p l a n 7 0 als von einem Orientierungsinstrument sprechen. 67 Vgl.: Gutachten iiber die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., Ziff. 489. 68 Ebenda, ZifT. 483. 69 Expansion und Stabilitat, Jahresgutachten 1966/67 des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Tz. 147. 70 Als weiterfiihrende Literatur zur mittelfristigen Finanzplanung sei genannt: Albers, W.: Einige Fragen zur mittelfristigen Finanzplanung, in: Geldtheorie und Geldpolitik, a.a.O., S. 201 ff.; ders.: Probleme der mittelfristigen Finanzplanung, Referat vor dem Wissensdiaftlichen Beirat beim BFM am 16. Marz 1967; Althammer, W.: Probleme mittelfristiger Finanzplanung, in: Gesellschaftspolitische Kommentare, 14. Jahrg., Nr. 9, Bonn l.Mai 1967; Bundeshaushalt und mittelfristige Finanzplanung, in: Bundeshaushalt 1968, Auftakt zu einer mittelfristigen Finanzpolitik? Schriftenreihe des Karl-Brauer-Instituts, Heft 11; Daum, J.: Die Problematik der langerfristigen Finanzpolitik, Vortrag, gehalten am 3. Nov. 1967 an der Universitat Innsbruck, als Manuskript vervielfaltigt; Dohnanyi, K. von: Finanzplanung als politische Strategic, in: Bulletin, Nr. 2, 7. Jan. 1970, S. 11 ff.; Dreiftig, W.: Bemerkungen zur mittelfristigen Finanzplanung, Sitzung des Wissensdiaftlichen Beirats beim BFM 16./17. Dez. 1966; Fahning, H.: Probleme der mittelfristigen Finanzplanung, in: Wirtschaftsdienst, Nr. 3, 47. Jg. (1967); Fischer-Menshausen, H.: Rationale Haushaltspolitik — wirtschaftspolitisch orientiert und langerfristig koordiniert, D I H T Schriftenreihe, Heft 100, Bonn 1967; Haller, H.: Probleme der mittelfristigen Finanzplanung, in: Konjunkturpolitik, Zeitschrift fiir angewandte Konjunkturforschung, 14. Jg. (1968); Herlyn, I.: Moglichkeiten einer Prognose staatlicher Aktivitaten. Dargestellt am Beispiel der Staatsausgaben der BRD, Diss. Berlin 1965; Hettlage, K. M.: Probleme einer mehrjahrigen Finanzplanung, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 27 (1968), S. 235 ff.; Institut Finanzen und Steuern, Brief 95: Die mittelfristige Finanzplanung — Voraussetzungen und Folgen — Bonn, August 1967; Kirsch, G.: Geplante Marktwirtschaft — eine Utopie? Beitrage des Deutschen Industrieinstituts, 4. Jg., Heft 12, Koln 1966; Klein-Zirbes, R.: Finanzplanung — Aufgabe, Theorie und Technik, in: DIHT-Schriftenreihe, H. 114, Bonn 1969; Kleps K.: Langfristige Wirtschaftspolitik in Westeuropa, Freiburg 1966; Korner, H.: Wirtschaftspolitische Aspekte der mittelfristigen Finanzpla-
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Noch dazu sind die Gemeinden als Haupttrager der staatlichen Xnvestitionstatigkeit zwar mit im Finanzplanungsrat vertreten, ihre Haushalte sind aber nicht in die „Mifrifi" integriert; eine Koordination der gesamten offentlichen Finanzwirtschaft findet also noch nicht statt. Es ware daher nur zu hoffen, dafi die Einsicht in die Notwendigkeit einer koordinierten Finanzpolitik auch die Gemeinden veranlafit, sich nach einem solchen Gesamtplan zu richten. Vom Finanzplan ist es nur noch ein Schritt zum Nationalbudget, einer „tabellarischen Ubersicht, die dazu bestimmt ist, die Erkenntnis der Auswirkungen der Staatsmafinahmen auf Einkommen und Ausgaben der Konsumenten und Unternehmer und auf die Verwendung der Wirtschaftsmittel zu erleichtern" (Colm); dieses Anliegen, die okonomischen Beziehungen in den vier Hauptsektoren der Volkswirtschaft, namlich den Verbraucherhaushalten, den Unternehmungen, der Aufienwirtschaft und dem offentlichen Haushalt darzustellen und einer okonomischen Analyse naherzubringen, teilt das Nationalbudget mit der „Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung" oder, wie diese auch genannte wird, der „Nationalen Buchhaltung" oder „Nationalen Buchfiihrung" 71. Beiden ist gemeinsam, dafi sie die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhange quantitativ und total zu erfassen suchen; dabei wird „das Wort ,nationalc im Terminus ,Nationale Buchfiihrung" und ,Nationalbudget' nicht im Sinne einer ubermafiigen Betonung und Abkapselung der inlandischen Wirtschaft gegeniiber okonomischen Erscheinungen des Auslandes aufgefafit, sondern vielmehr im Sinne einer moglichst vollstandigen Erfassung des gesamten Wirtschaftsprozesses" 72. Der Unterschied beider Rechnungen liegt lediglich in der Zeitbezogenheit und der Quelle ihrer Daten; die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung arbeitet als ex post-Rechnung mit den statistischen Daten vergangener Wirtschaftsablaufe, das Nationalbudget ist, wie der Haushaltsnung, in: Wirtschaftsdienst, H. X, Jg. 47 (1967), S. 305; Langfristige Entwicklungstendenzen der offentlichen Finanzwirtschaft, in: Wirtschaft und Statistik, Heft 9, 1965; Thiel, E.: Mittelfristige Finanzplanung des Bundes bis 1971 noch kein befriedigendes Konzept, in: Wirtschaftsdienst Nr. 9, 47. Jg. (1967); Thomsen, P.: Die Mittelfristige Finanzplanung in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Beriicksichtigung der Hamburger Verhaltnisse, Schriftenreihe zur Verwaltungslehre, Heft 7, Koln, Berlin, Bonn, Munchen 1969; Weichmann, H.: Finanzplanung als neue staatliche Aufgabe, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 27 (1968). 71 Zu Begriff, Formen und Aufgaben der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sowie ihrer Abgrenzung zum Nationalbudget vgl. u. a.: Kraus, W.: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Wiesbaden 1961; Schumacher, U.: Nationalbudget und offentlicher Haushalt, Stuttgart 1958; Kneschaurek, F.: Die nationale Buchhaltung, St. Galler Wirtschaftswissenschaftliche Forschungen, Bd. 14, Zurich und St. Gallen 1958; Hagen, H.-J.: Nationalbudget und Wirtschaftsordnung, Dissertation Koln 1961; Strickrodt, G.: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in der Verfassungsordnung, Heidelberg 1957; Colm, G : Haushaltsplanung, Staatsbudget, Finanzplan und Nationalbudget, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Au£L, Bd. 1, a.a.O., S. 519ff.; Stobbe, A.: Volkswirtschaftliehes Rechnungswesen, Berlin-Heidelberg 1966; Krelle, W.: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einschl. der input-output-Analyse mit Zahlen fur die BRD, 2. AufL, Berlin 1967. 72 Hagen, H.-J.: Nationalbudget und Wirtschaftsordnung, a.a.O., S. 40.
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plan der Staatswirtschaft, eine Zukunftsrechnung, die auf geschatzten ex ante-Grofien basiert. Schon die Form des Nationalbudgets als „Budget", d. h. als tabellarische Gegeniiberstellung der kiinftigen „ Einnahmen" und „ Ausgaben" des Bruttosozialprodukts, lafit deutlich werden, dafi der fiir jeden Haushaltsplan konstitutive Gleichgewichtsgedanke audi bei dem Nationalbudget eine Rolle spielt; ahnlich wie bei der Zahlungsbilanz, der Gegeniiberstellung der in einem abgelaufenen Jahre vermutlich insgesamt ins Ausland geflossenen bzw. vom Ausland hereingekommenen Zahlungen, dient dabei das definitionsgemafi angenommene Gleichgewicht beider Seiten als Kontrollmittel, um die Ansatze zu berichtigen, falls sich bei der Aufstellung der Bilanz zunachst ein Saldo ergibt. Die Ausgaben der Verbraucher sind ex definitione die Einnahmen der Unternehmen, die privaten Einkommen kehren in der Summe der privaten Ausgaben und Ersparnisse wieder und die offentlichen Ausgaben halten den Steuern und sonstigen Einnahmen der offentlichen Hand die Waage; was das Nationalbudget in tabellarischer Form wiedergibt, ist nichts anderes als ein System von Gleichungen 73, deren Auswertung ganz ahnlich wie bei der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung niitzliche Hinweise auf okonomische Zusammenhange ermoglicht. Wie diese, wenn sie geniigend weit untergegliedert ist, beispielsweise „bei partiellen wirtschaftlichen Storungen (zeigt), welche Auswirkungen auf andere Wirtschaftsgruppen zu erwarten sind, da die Zulieferungen in den ,Storungsbereichc ja unmittelbar abgelesen werden konnen" 74, so konnen beim Nationalbudget, da es sich um Vorausschatzungen handelt, aus den Gleichungen etwaige grobe Abweichungen von der (inzwischen durch Istzahlen erganzten) Vorjahrsaufstellung und auch Gleichgewichtsstorungen innerhalb des neuen Budgets aufgedeckt werden; diese Informationen konnen der Wirtschaftspolitik gute Dienste bei der Beurteilung der kiinftigen Wirtschaftslage und bei der Planung, Abstimmung und Koordinierung leisten 75. Solange das Nationalbudget lediglich als zahlenmafiige Veranschaulichung der volkswirtschaftlichen Vorgange und ihrer Wechselwirkungen mit den finanz- und wirtschaftspolitischen Mafinahmen gebraucht wird, liegt der Schnittpunkt zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft noch unverandert an der alten Stelle; die oifentliche Hand nimmt die volkswirtschaftlichen Vorgange, iiber deren Grofienordnungen sie sich moglichst rechtzeitig informiert, als gegeben hin und lafit sie sich lediglich als Grundlage der 73
J. Tinbergen und G. Stuvel sprechen von „Bilanzgleichungen" der Nationalokonomie, ferner von Nachfrage-, Angebots-, technisdien und institutionellen Relationen oder Gleidiungen, die sie aus den „6konomisdien Gesetzen" ableiten. (Tinbergen, J. und Stuvel, G.: Das Nationalbudget, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. AufL, 1. Bd., a.a.O., S. 551 f.) 74 Krelle, W.: Volkswirtschaftliche Gesamtredinung, a.a.O., S. 132. 75 Vgl. Tinbergen, J. und Stuvel, G.: Das Nationalbudget, a.a.O., S. 551 ff.
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eigenen Planungen dienen. Nur ein schmaler Spalt trennt aber an dieser Stelle die Marktwirtschaft noch von der einer anderen Welt angehorenden, in diametral entgegengesetzten Anschauungen wurzelnden Planwirtschaft; der Priifstein fur die Frage „Wer plant?" ist die Rolle, die das Nationalbudget fiir die Entscheidungen der Wirtschafts- und Finanzpolitik spielt. Nimmt sie die Ansatze der Tabelle zum Programm konkreter Mafinahmen, die ein etwa fehlendes Gleichgewicht durch Einsatz staatlicher Mittel ausgleichen sollen, so steuert sie bereits auf die zentrale Planwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft zu, in deren Mittelpunkt der koordinierte, zum Gesetz des Handelns fiir jeden einzelnen erhobene Staats- und Volkswirtschaftsplan steht. Die Ursache dafiir, dafi Marktwirtschaft und Planwirtschaft an dieser Stelle so gefahrlich dicht aneinanderstofien, liegt in dem haufig verkannten Wesensunterschied zwischen statistischen „ Ist"-Zahlen und blofien Planziffern, der ihre rechnerische und okonomische Vergleichbarkeit sehr problematisch erscheinen lafit. Nach J. Tinbergen und G. Stuvel soil das Nationalbudget „ein System von aufeinander abgestimmten, gegenseitig konsistenten und kompatiblen Zahlen sein; diese Eigenschaft haben sie mit ,ex post c -Zahlen gemein: man hat sie deshalb wohl auch als ,vorgesehene ex post-Zahlenf bezeichnet" 76. Diese paradoxe Bezeichnung der PlanzirTern als „vorhergesehene ex post-Zahlen" weist auf die Problematik der Gegeniiberstellung vorausgeschatzter volkswirtschaftlicher Globalgrofien mit statistischen Zahlen aus der Vergangenheit hin; ihre Darstellung in der Form von Geldbetragen „ex post" oder „ex ante" tauscht eine Vergleichbarkeit vor, die in Wirklichkeit kaum jemals in vollem Umfange vorhanden ist. Selbst wenn von der Bewegung des Geldwertes im Laufe der Planperiode ganz abgesehen wird, ist darauf hinzuweisen, dafi sowohl Umsatze wie Einkommen, Steuern wie Lohne, Investitionen wie Verbrauchsausgaben nicht originare Grofien der Volkswirtschaft, sondern hochst abhangige Variable und ihrerseits wiederum Produkte und Quotienten aus zahlreichen anderen Relationen sind, iiber die die Gleichungen „ex ante" wenig aussagen konnen, wahrend sie „ex post" in Gestalt der Jahreschronik der politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, Stromungen und Fakten zur Verfiigung stehen, um die Zahlen der Istrechnung zu erlautern. Die Zahl von 20 Mrd. an Arbeitseinkommen besagt „ex ante" nichts dariiber, ob 20 Mill. Arbeitnehmer je 1000 DM Lohn beziehen werden oder ob 25 Mill, sich mit je 800 DM begniigen miissen, ob Oberstunden oder Kurzarbeit geleistet werden und ob der Leistungseffekt je Mann und Schicht der gleiche bleiben oder ab- oder zunehmen wird; ebenso lafit die Zahl von 20 Mrd. an Verbrauchsausgaben „ex ante" nicht erkennen, ob die Kaufer bei gleichbleibenden Preisen gleiche oder bei veranderten Preisen grofiere oder geringere Mengen, bessere oder Tinbergen, J. und Stuvel, G.: Das Nationalbudget, a.a.O., S. 538.
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Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
schlechtere Qualitaten erhalten werden usw. Es ist ja gerade die grofie, durch keine Planung zu ersetzende Leistung der Markte, dafi sich im freien Spiel von Angebot und Nachfrage das „Gleichgewicht" mittels aller der genannten und zahlreicher weiterer (z. B. zeitlicher) Elastizitaten immer wieder einpendelt, ohne auf grobwirkende Mittel von au£en zu warten; die Anwendung oder auch nur Ankiindigung solcher Mittel wirkt jedoch dahin, diese Selbstregulierung zu paralysieren, Angebot und Nachfrage zu verharten und das Warten auf Staatshilfe immer mehr an die Stelle der eigenen Initiative und einer geschmeidigeren Anpassung an die gegebenen Verhaltnisse treten zu lassen. Ein Blick auf den Sektor der gebundenen Preise, wie sie beispielsweise in der Landwirtschaft noch vielfach anzutreffen sind, bestatigt diese okonomisch demoralisierende Wirkung der Planwirtschaft ebenso wie die Problematik aller „ex ante"-Zahlen sogar in diesem Bereich, der trotz aller „Paritats"-Zusagen „ex post" abhangig bleibt. Die Unvergleichbarkeit von statistischen Zahlen „ex post" und Planziifern „ex ante", die bei der Aufstellung und Auswertung des Nationalbudgets nur zu leicht zu Fehlschlussen fiihren kann, spielt fiir den Finanzminister bei einem einjahrigen Haushaltsplan eine weit geringere Rolle; die Vorausschatzungen der Steuereinnahmen und Ausgabenbetrage betreffen je fiir sich verhaltnismafiig homogene Grofien, die von Jahr zu Jahr nicht solchen Veranderungen, vor allem nicht solchen strukturellen Wandlungen ihrer Verursachung und ihrer okonomischen Bedeutung unterliegen wie die Zahlen des Nationalbudgets. Schon der langerfristige „Finanzplan" ist in diesem Punkte sehr viel anfalliger; die erwahnte Unvorhersehbarkeit der Konjunkturschwankungen im In- und Ausland, der fiskalischen Bewahrung oder Nichtbewahrung der vorhergesehenen Finanzierungsmethoden und der Lage des Kapitalmarktes, um nur einige Unsicherheitsfaktoren zu nennen, lafit es im allgemeinen geraten erscheinen, derartige langerfristige Plane, wie es in der Bundesrepublik auch der Fall ist, lediglich als unverbindliche Orientierungsmittel zu entwerfen, nicht aber als mit Gesetzeskraft ausgestattete, bindende Vollzugsanordnungen. Nur der autoritare Staat verkundet „Vierjahresplane" und „Funfjahresplane", deren Erfiillung er mit den ihm zu Gebote stehenden Machtmitteln mehr oder weniger erfolgreich zu erzwingen weifi; die Frage „Wer plant?" ist in dieser Staatsform eindeutig beantwortet. Ein Gegenbeispiel ist das ganzliche Fiasko des ersten „Longterm"Planes in den westdeutschen Besatzungszonen 77 ; im demokratischen Staat und im System der Marktwirtschaft gibt es keine Planung und Sollerfullung, sondern nur mehr oder weniger begriindete Vorausschatzungen, Marktanalysen und Prognosen.
77 Baade, F.: Der europaische Longterm-Plan und die amerikanisdie Politik, Kieler Studien, H. 1, Kiel 1949.
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Die Nutzbarmachung des Nationalbudgets und des Finanzplans als Hilfsmittel fiir die „Erfolgsc<messung der Wirtschaf ts- und Finanzpolitik hat durch die Kriegswirtschaft einen kraftigen Antrieb erhalten. Eine besondere Abteilung im amerikanischen Budgetamt, die „Fiscal Analysis Divison", bediente sich dieser Methode schon seit Anfang des Zweiten Weltkrieges fiir den internen Gebrauch; spater haben sich insbesondere der „ Wirtschaf tswissenschaftliche Beirat" („Council of Economic Advisors") und der parlamentarische Ausschufi fiir den Jahresbericht des Prasidenten („ Joint Committee on the Economic Report") sowie die Studiengesellschaft fiir Planungsfragen („National Planning Assoziation"), deren im Jahre 1945 veroffentlichte Vorausschatzung des Bruttosozialprodukts fiir 1950 und seiner Aufteilung zwischen der offentlichen Hand, den Verbrauchern und den Unternehmern fast bis auf die Dezimalstellen genau zutraf 78, grofie Verdienste um die Nationalbudgets erworben. Die letztgenannte Vereinigung sieht die Aufgabe ihres Nationalbudgets heute im wesentlichen darin, der Regierung und der Offentlichkeit ein Mittel in die Hand zu geben, um den Trend der wirtschaftlichen Entwicklung zu erkennen, die Einwirkung der eigenen Verhaltensweisen auf den zukiinftigen Wirtschaftsablauf zu beurteilen und diese Erkenntnisse bei der Aufstellung ihrer eigenen Plane zu berucksichtigen, keineswegs aber einen genauen Aktionsplan festzulegen, nach dem sich Regierung und Wirtschaft zu richten hatten; die Statuten erlautern diese Zielsetzung dahin, dafi eine erfolgreiche Ausrichtung der privaten Plane an konkreten Grofienvorstellungen und Entwicklungslinien sogar dazu beitragen kann, die amerikanische Wirtschaft vor der Entstehung einer staatlichen „Planwirtschaft" zu bewahren! Der Wert des Nationalbudgets als Instrument der Orientierung und Information (Informationsbudget) fiir die Wirtschaftspolitik ist unbestritten 79 ; allein von dieser Selbstbescheidung amerikanischer Pragung, sich des Nationalbudgets lediglich als einer Informationsquelle zu bedienen, ist in anderen Landern weit weniger zu bemerken. In ungleichem Grade dient hier die Aufstellung von Nationalbudgets vielmehr schon dazu, quantitative Planziele mittels der staatlichen Wirtschaf tspolitik anzusteuern: „Es lassen sich namlich die Steuersatze und gewisse andere wirtschaftspolitische Instrumente — der Wechselkurs, die Einfuhrzolle usw. — gerade als die Unbekannten des Problems der Wirtschaftspolitik betrachten, wobei bestimmte Wirtschaftsgrofien als gegeben angenommen werden. Letztere sind dann die ,Zielec der Wirtschaftspolitik. Man denke z. B. an einen bestimmten Beschaftigungsgrad, einen bestimmten Saldo der Zahlungsbilanz usw. Wenn 78 79
Colm, G.: The American Economy in 1960, Washington 1952. Vgl. Colm, G.: Art. Nationalbudget, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 7, a.a.O., S. 535; Hedtkamp, G.: Instrumente und Probleme westlicher und sowjetischer Wirtschaftslenkung — Nationalbudget und Nationalplan, Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen, R. I, Bd. 6, S. 43 ff.
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die Sache so gesehen wird, wird man von diesen Wirtschaftsmodellen sagen, dafi sie jEntschlufimodelle' (decision models) seien, auf G r u n d derer die Wirtschaftspolitik gestaltet wird." 80 Mit ihrer damit angedeuteten Verwendung riickt die Methode der N a tionalbudgetierung bereits in die Nachbarschaft der erwahnten Mehrjahresplane und der staatlichen Volkswirtschaftsplanung. Immerhin haben Lander wie Grofibritannien, Schweden und H o l l a n d , die unter dem Eindruck der zwangswirtschaftlichen Verhaltnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit oder unter dem Einflufi planwirtschaftsfreundlicher Regierungen das N a t i o n a l budget teilweise schon weitgehend zur Richtschnur ihrer Wirtschaftspolitik erkoren hatten, mit der Riickkehr zu einer gewissen Liberalisierung ihrer Handels-, Wahrungs- und Konjunkturpolitik bereits mehr und mehr auf die planerischen Elemente ihres Nationalbudgets zu verzichten b e g o n n e n 8 1 ; nicht zuletzt unter dem Eindruck der wissenschaftlichen Vorarbeiten der ^National Planning Association" mit ihrer exakten Unterscheidung zwischen „ Prognose", „Projektion" und „Planung" 82 ist deutlich geworden, dafi in der freiheitlichen Welt das Verhalten der Haushalte und Unternehmen p r i n zipiell nicht „geplant", sondern lediglich „prognostiziert" werden k a n n 83 . Gerade auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist die mit alien Mitteln einer verfeinerten Technik arbeitende Prognose unentbehrlich; sie k a n n um so erfolgreicher nutzbar gemacht werden, je klarer ihre Grenzen erkannt und die mannigfaltigen Probleme gesehen werden, die mit ihrer A n wendung verbunden sind. Menschliches Verhalten, wie es das Wirtschaftsleben nun einmal in weiten Bereichen bestimmend beherrscht, ist der P r o gnose z w a r keineswegs unzuganglich, wohl aber prinzipiell wenigstens „unberechenbar"; dafi dem so ist und so bleibt, liegt im Wesen unseres freiheitlichen Wirtschaftssystems begriindet 8 4 .
§ 46. Finanzpolitik oder „Fiscal Policy"? Die Bemiihungen, ein Urteil iiber Erfolg oder Mifierfolg einer in die allgemeine Wirtschaftspolitik integrierten Finanzpolitik zu gewinnen, be80
Tinbergen, J. und Stuvel, G.: Das Nationalbudget, a.a.O., S. 552. Vgl. Diederich, N.: Der „Centraal Economisch Plan" der Niederlande; Konrath, N.: Das schwedische Nationalbudget in der wirtschaftlichen Praxis; Stobbe, H.: Das Nationalbudget in Norwegen; Stobbe H.: Das Nationalbudget in Grofibritannien, alle in: Nationalbudget und Wirtschaftspolitik, Schriftenreihe der Forschungsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung, A. Sozialwissenschaftlidie Sdiriften, Hannover 1962. 82 Hierzu Colm, G.: Budgetary Projections in the Framework of Economic Projections and their Adaptions, in: Public Finance/Finances Publiques, Vol. XVII (1962), S. 6 ff. 83 Gerfin, H.: Langfristige Wirtschaftsprognose, Tubingen-Zurich 1964. 84 Schmolders, G.: Zum Problem der Prognose in der Wirtschaft, in: Universitas,, Zeitschrift fur Wissenschaft, Kunst und Literatur, 18. Jg., H. 3, 1963, S. 237. 81
§ 46. Finanzpolitik oder „Fiscal Policy"?
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schranken sich keineswegs auf diese Versuche statistischer Rechenschaftslegung iiber die Gesamtwirtschaft, von der der Staatshaushalt nur einen Teil darstellt; haufig wird auch der in seiner Konzeption weit anspruchsvollere Versuch unternommen, den Spiefi gewissermafien umzudrehen u n d die Verantwortung fiir das volkswirtschaftliche Geschehen weitgehend dem H a u s haltsplan der offentlichen H a n d aufzubiirden. Bei den Grofienordnungen, die die offentliche Finanzwirtschaft nun einmal erreicht hat, liegt nichts naher, als diese machtigen Kaufkraftstrome in den Dienst der Gestaltung und Lenkung der Volkswirtschaft zu stellen; die Ausgaben und Einnahmen, Zahlungs- u n d Kredittransaktionen, die iiber die offentlichen Kassen laufen, entfalten weitreichende volkswirtschaftliche Wirkungen, die zwanglos in die Konzeption der jeweils verfolgten wirtschaftspolitischen Zielsetzung eingefiigt werden konnen. Die unter diesem M o t t o insbesondere in den Vereinigten Staaten w a h rend des Z weit en Weltkrieges unter dem N a m e n „ Fiscal Policy" und „ Fiscal T h e o r y " 85 entwickelten Lehren 86 haben inzwischen im Meinungsstreit z w i schen begeisterter Anerkennung und herber Kritik manche ihrer Extreme abgeschliffen und in solcherart bereinigter Form Eingang in die deutsche Finanzwissenschaft gefunden 87 . Die Tatsache, da6 sich fiir den Begriff „Fiscal Policy" bisher keine brauchbare Ubersetzung hat finden lassen u n d dafi insbesondere ihre Gleichsetzung mit der traditionellen „Finanzpolitik" nie ernsthaft erwogen worden ist, legitimiert diese Gegenuberstellung schon vom Terminologischen her 88 ; es gilt, das Verhaltnis dieser Lehre zur traditionellen Finanzpolitik von neuem zu durchdenken 89 . Auf den ersten Blick stehen die beiden Begriffe anscheinend im Verhaltnis des Ganzen zu seinem Teil. Die geistige H e r k u n f t der „Fiscal Policy" aus 85 Die Bezeichnungen „Fiscal Policy" und auch „Fiscal Theory" haben vielfach zu MiEverstandnissen gefiihrt. Beide Theorien beschaftigen sich in erster Linie mit wirtschafts- und konjunkturpolitischen, also gerade mit „nichtfiskalischen" Zielsetzungen der Finanzpolitik; nicht so sehr die Steuerpolitik als vielmehr die Politik der offentlichen Ausgaben und der offentlichen Verschuldung steht im Mittelpunkt dieser Ideen. Es hat sich daher eingeburgert, die amerikanischen Bezeichnungen als uniibersetzbare Eigennnamen zu verwenden, wobei „Fiscal Policy" meist fiir das ganze Lehrsystem steht und auch die „Fiscal Theory" einschliefk. 86 Schmolders, G.: Jiingste Entwicklung und Stand der Finanzwissenschaft in den Vereinigten Staaten, in: Zeitschrift fiir die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 105 (1949), S. 751 ff. 87 Mann, F. K.: Geschichte der angelsachsischen Finanzwissenschaft, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., l.Bd., a.a.O., S. 484; Neumark, F.: Wo steht die „Fiscal Policy" heute?, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 19 (1958/59); Haller, H.: Finanzpolitik, a.a.O. 88 C. Brinkmanns Vorschlag „Funktionalfinanz" (Staatsfinanzierung, in: Finanzarchiv, NF. Bd. 11, 1949, S. 28) hat sich nicht durchgesetzt; W. Gerloff schlug den etwas farblosen Begriff „Ordnungsfinanz" vor (Grundlegung der Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 9 ff.). 89 Neumark, F.: Wo steht die „Fiscal Policy" heute?, a.a.O. S. 46 ff.; vgl. auch Beckerath, E. v.: Gedanken zu Schmolders „Finanzpolitik", in: Finanzarchiv, NF., Bd. 19 (1958/59), S. 292 ff.
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einer bestimmten wirtschaftspolitischen Situation und aus den Gedankengangen der Vollbeschaftigungstheorie lafit sie als Teilgebiet oder Spezialfall einer allgemeinen Finanzpolitik erscheinen, die es mit den Einnahmen und Ausgaben des Staates, seiner Haushalts- und Schuldenpolitik schlechthin zu tun hat. Aber man wiirde der neuen Lehre nicht gerecht, wollte man sie lediglich als Teilgebiet oder als Anwendungsfall einer „ allgemeinen" Finanzpolitik betrachten; gerade die konzentrische Blickrichtung auf eine ins Absolute erhobene Aufgabe zwingt sie vielmehr einerseits zu einer Art von Totalitatsanspruch in ihrer Zielsetzung, andererseits aber zu einer unverkennbaren Einseitigkeit im Einsatz ihrer Mittel, die sich in einer entsprechenden den mediodischen Beschrankung bei der Beurteilung der dadurch ausgelosten Wirkungen widerspiegelt. Das konjunkturpolitische Ziel schien urspriinglich durch die der Weltwirtschaftskrise vorgegeben; erst spater traten Modifizierungen, wie das Ziel des volkswirtschaftlichen Wachstums u. dgl., hinzu. Die „ Fiscal Policy" kann ihre Herkunft aus der „ Neuen Wirtschaftslehre" von J. M. Keynes 90 nicht verleugnen; diese ihre Herkunft zeigt sich schon darin, dafi sie die Wirkungen der offentlichen Ausgaben, Schulden und Staatseinnahmen auf das Volkseinkommen, die Beschaftigung, die Produktion und die Investitionen lediglich in der globalen Betrachtungsweise untersucht, die nur mit ganzen Aggregaten rechnet 91. Die Betrachtungsweise ist dabei von Anfang an nur eine kurzfristige; erst in neuerer Zeit sind, besonders in der Lehre von der offentlichen Verschuldung, gewisse Ansatze zu einer Dynamisierung zu beobachten 92. In den Vereinigten Staaten fand die Keynessche Theorie einen guten Nahrboden in der aufkommenden Vorstellung von der „Mature Economy", der ubersattigten, miide gewordenen Volkswirtschaft des Spatkapitalismus, deren Gesamtnachfrage nicht mehr geniige, die Gesamtheit der Produktionskrafte voll zu beschaftigen. Alvin H. Hansen 93 und viele andere wurden nicht miide, vor der Gefahr der strukturellen Unterbeschaftigung zu warnen, die aus der Tendenz zum „iibermaj($igen Sparen", d. h. einer die Kreditnachfrage und die Investitionsmoglichkeiten iibersteigenden Sparquote bzw. Hortungsneigung folgen musse. G. H. Hayes glaubte feststellen zu konnen, dafi heute jeder Volkswirtschaftler offensichtlich davon uberzeugt sei, dafi 90
Keynes, J. M.: Allgemeine Theorie der Beschaftigung, des Zinses und des Geldes, deutsche Ausgabe, Miinchen und Leipzig 1936. 91 "Fiscal theory in the narrow sense (is) concentrating on the effects of government fiscal policies on total effective demand in the short run" (Strayer, P.: An appraisal of Current Fiscal Theory, in: The American Economic Review, Bd. 42 (1952) S. 139). 92 Vgl. Musgrave, R. A.: Theorie der offentlichen Schuld, a.a.O., S. 68 ff.; ders.: The Theory of Public Finance, a.a.O., S. 556 ff. und die sich anschlieftende Diskussion. 93 Hansen, Alvin H.: Fiscal Policy and Business Cycles, a.a.O.
§ 46. Finanzpolitik oder „Fiscal Policy"?
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die Ersparnisse die Investitionsmoglichkeiten iibersteigen und infolgedessen ungeniitzt liegenzubleiben drohten; sein Buch sollte beweisen, dafi dies zwangslaufig eintrete, „sobald die Sparer ihre Ersparnisse zu vergrofiern versuchen" 94. Die gleiche These vertrat Hansen; er sah den einzig moglichen Ausweg in einem grofiziigigen Einsatz der offentlichen Finanzen als Ausgleichsmittel fiir die fehlende private Kreditnachfrage und Investition: „Wenn England nach den Napoleonischen Kriegen nicht eine so grofie Staatsschuld besessen hatte, durch die dem Kapitalmarkt sichere Anlagemoglichkeiten geboten wurden, so ware der finanzielle und industrielle Aufstieg nicht mit dem Grade an Stetigkeit und Sicherheit erfolgt, wie dies der Fall war." 95 Den Vogel schofi zweifellos A. P. Lerner mit seiner „Functional Finance" ab, nach der „der Zweck der Besteuerung niemals die Aufbringung von Geld, sondern nur der (ist), weniger Geld in den Handen der Steuerzahler zu lassen" 96 ; „der Staat kann sich alles Geld, das er braucht, einfach drucken lassen, wenn es ihm wirklich nur darum zu tun ist, seinen Finanzbedarf zu befriedigen. Dieses Verfahren ist fiir den privaten Burger unerlaubt und wird daher meist auch fiir die Regierung als irgendwie unangemessen betrachtet . . . (Aber) die Regierung kann sich Geld drucken lassen, ohne die Polizei furchten zu mussen." Art und Mafi der Besteuerung sollten nach Lerner ganz unabhangig vom Finanzbedarf der offentlichen Hand, und zwar ausschliefilich danach beurteilt werden, ob die dadurch bewirkte Einschrankung der privaten Ausgaben jeweils erwiinscht sei oder nicht: „Die Regierung kann einzelne Burger oder Gruppen von Biirgern besteuern, wenn sie es sozial wiinschenswert findet, dafi diese nicht soviel Geld haben oder soviel ausgeben. Sie kann einzelne Arten des Geldausgebens (z. B. fiir Branntwein) besteuern, um diese einzuschranken. Sie kann allgemeine Steuern erheben, um einer Ubernachfrage und Inflation zu begegnen; Besteuerung ist wichtig nicht als Mittel der Einnahmeerzielung, sondern um die privaten Geldausgaben zu beschneiden." Lerner selbst nannte diese seine These „shocking"; von anderen wurde sie teilweise eher als „komisch" (funny) bezeichnet97. Nichtsdestoweniger ist sie eine gute Illustration fiir die Irrwege, auf die die Verabsolutierung eines einzigen, namlich des beschaftigungspolitischen Zieles im Rahmen eines finanzpolitischen Mitteleinsatzes fiihren kann, eine Zielverabsolutierung, vor der kein Zeitalter im Ringen um eine optimale Gesellschafts- und Wirt94
Hayes, G. H.: Spending, Saving and Unemployment, New York 1945. Hansen, Alvin H.: Fiscal Policy and Business Cycles, a.a.O., S. 155 (Obersetzung vom Verfasser). 96 Lerner, Abba P.: The Economics of Control, a.a.O., S. 307 f. (Ubersetzung vom Verfasser). 97 So von Lutz, Harley F.: Guideposts to a free economy, New York 1945, S. 122. 95
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Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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schaftsordnung gefeit zu sein scheint 98. Inzwischen sind die Obertreibungen, die sich der Neokeynesianismus im ersten Oberschwang zuschulden kommen liefi, in einer rasch ins Massenhafte angeschwollenen Literatur zuriickgewiesen und die einzelnen Konzeptionen und Anregungen des gesamten Gebietes der „ Fiscal Policy" systematisch dargestellt und katalogisiert worden " . Dabei tritt eindeutig zutage, dafi der Unterschied der „Fiscal Policy" von ihren theoretischen Vorlaufern lediglich in ihrem Ausgangspunkt liegt; nicht das Gleichgewicht des offentlichen Haushalts, sondern das Ungleichgewicht der Gesamtwirtschaft steht im Zentrum ihrer Betrachtungen 10 °. Mit dieser Betrachtungsweise wird die als selbstverstandlich angenommene Voraussetzung verkniipft, dafi Beurteilungsmafistab fiir die Finanzpolitik nicht mehr die organisatorisch-politische Festigung des Staatsapparates oder die Ermoglichung seiner Leistungen, sondern die gesamtwirtschaftliche und konjunkturpolitische Wirkung des offentlichen Mitteleinsatzes sein miisse; bei aller Verschiedenheit im einzelnen sind sich die Vertreter der „Fiscal Policy" darin einig, „dafi deckungspolitische Mafistabe eines der wichtigsten Instrumente einer aktiven Konjunkturbeeinflussung darstellen und daher stets auch oder sogar in erster Linie im Hinblick auf ihre marktwirtschaftlichen Ruckwirkungen zu wiirdigen sind". Damit andert sich die Bedeutung des Budgetgleichgewichts im Sinne des jahrlichen (materiellen) Haushaltsausgleichs grundsatzlich; „wird doch die Realisierung dieses Gleichgewichts nunmehr aus einem Dogma zu einer Zweckmafiigkeitsfrage" 10j . Was diesen Verzicht auf das „Dogma" vom Haushaltsgleichgewicht betrifft, so mufi man allerdings F. K. Mann beipflichten, wenn er vor einer Uberschatzung der Originalitat des Gedankengutes der „Fiscal Policy" warnt; viele dieser Gedanken lagen bereits in der Luft, waren an anderer Stelle vorgedacht und harrten nur eines glinstigen wissenschaftlichen Klimas, urn sich ausbreiten und entfalten zu konnen. Das gilt in besonderem Mafie fiir die vorklassische Wirtschaftstheorie in England selbst; acht Jahre vor dem Erscheinen des „Wealth of Nations" hatte der englische Spatmerkantilist Sir James Steuart sein Buch „Principles of Political Economy" veroffentlicht, in dem er vorschlug, die britische Staatsschuld als eine Art Balanciergewicht fiir die englische Volkswirtschaft zu verwenden. Solange die Volkswirtschaft sich in voller „Zirkulation" befindet, empfiehlt Steuart, von der Aufnahme von Staatsschulden abzusehen, da eine solche lediglich den Zinsfufi erhohen und andere unerwiinschte Folgen fiir Handel und Wandel nach 98
Vgl. Giersch, H.: Allgemeine Wirtsdiaftspolitik — Grundlagen —, a.a.O., S. 5999 ff. Neumark, F.: Grundsatze und Arten der Haushaltfuhrung und Finanzbedarfsdeckung, a.a.O.; ders.: Wo steht die „Fiscal Policy" heute?, a.a.O. IOO ygL Laufenburger, H.: Traite d'Economie et de Legislation Financieres, 5. Aufl., Paris 1956, Bd. 1, S. 207 ff. 101 Neumark^ F.: Grundsatze und Arten ..., a.a.O., S. 635.
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sich Ziehen wiirde. Wenn aber die private Wirtschaft stockt, die Beschaftigung zuriickgeht u n d die privaten Ersparnisse ungenutzt liegen, soil der Staat diese aufnehmen und sie in neue Umlaufskanale leiten; auf diese Weise bleibt das Gleichgewicht zwischen der Produktion an Gutern und der kaufkraftigen Nachfrage aufrechterhalten und die offentliche Finanzwirtschaft tragt auf lange Sicht zur Erweiterung von Erzeugung und Verbrauch bei, statt beide zu beeintrachtigen 102 . Auch die deutsche Finanzwissenschaft des 19. Jahrhunderts h a t d a s H a u s haltsgleichgewicht niemals zu einem „ D o g m a " erhoben; A. E. F. Schaffle bejahte ein Abgehen vom Haushaltsgleichgewicht 1 0 3 sowohl in Notzeiten wie in besonders guten Jahren und nahm damit bereits die Lehre vom antizyklischen Haushaltsausgleich vorweg. Im gleichen Sinne sprachen sich C. Dietzel, auf dessen Verdienste fiir die heutige Finanztheorie F. N e u m a r k hingewiesen h a t 1 0 4 , u n d G. v. Schanz aus, der in „mageren J a h r e n " , wenn infolge von Krisen die Deckungsmittel hinschwinden, die Aufnahme von Staatsschulden sogar fiir den ordentlichen Bedarf als gerechtfertigt ansieht, zumal der Staat damit „auch zur Linderung der wirtschaftlichen Depression beitragt, die Steigerung der hochgehenden Konjunktur nicht auch noch seinerseits fordert" 105 . Die Idee einer antizyklischen Finanzpolitik ist also keineswegs so neu oder so originell, wie ihre Befurworter gerne behaupten; die finanzpolitischen Bedenken gegen eine allzu freigebige A n w e n d u n g dieser Prinzipien gehoren andererseits ebenfalls zum traditionellen Bestand der deutschen Finanzwissenschaft 1 0 6 . Zu einer gewissen Dampfung des Enthusiasmus, der die Anhanger der „Fiscal Policy" vor drei Jahrzehnten beseelte, haben inzwischen wohl auch die mehr und mehr zu Tage tretenden Zielkonflikte zwischen Finanzpolitik und Geldpolitik beigetragen, deren Grenzen sich in der praktischen Politik 102
"He ought at all times to maintain a just proportion between the produce of industry, and the quantity of circulating equivalent, in the hands of his subjects, for the purchase of it, that, by a steady and judicious administration, he may have it in his power at all times, either to check prodigality and hurtful luxury, or to extend the domestic consumption, according as the circumstances of his people shall require the one or other corrective, to be applied to the natural bent and spirit of the times" (Steuart, James: Principles of Political Economy, 1767, Vol. I, S. 366, zit. nach Stettner, W. F.: Sir James Steuart on the Public Debt, in: Quarterly Journal of Economics, Mai 1945). 103 Vgl. § 43. 104 Neumark, F.: Wo steht die „Fiscal Policiy" heute?, a.a.O., S. 46. 105 Schanz, G. v.: Art. Budget, a.a.O., S. 108. 106 „Mit einem weitgespannten langfristigen Ausgabenprogramm, das auf dem Prinzip des ,deficit spending' beruht, ist es leicht, eine populare Politik zu machen. Anders aber ist es, wenn es darum geht, das Deflzit zu decken. Das Vertrauen auf den Multiplikator, der das Einkommen entsprechend zum Zuwachs der Investitionen vervielfaltigt, ist ein Wechsel auf eine unsichere Zukunft . . . Am Ende steht immer der Staat als Steuerbiittel, wenn nicht gar als Bankerotteur." (Gerloff, W.: Grundlegung der Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 127.) 30*
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zu verwischen pflegen; in einer gegebenen Situation kann es durchaus zu einer Antinomie der Zielvorstellungen beider Zweige der Politik kommen 107. Ganz natiirlich ist deshalb in weiten Bereichen der Diskussion statt von „ Fiscal Policy" hier und „Monetary Policy" dort bereits von einer kombinierten „Monetary Fiscal Policy" die Rede; zumindest werden beide Bereiche, besonders wenn es um die Zusammenhange von Staatsschuld und Geldpolitik geht, gemeinsam diskutiert 108 . Gerade die Theorie des „Debt Management" ist vorwiegend in solchen Landern entwickelt worden, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwar ohne Staatsbankerott und Wahrungszerfall, aber mit einer ungeheuren Staatsschuldenlast dastanden, deren Verwaltung der Finanzpolitik eine weitreichende volkswirtschaftliche und monetare Verantwortung aufbiirdete und die zeitweise, wie in den USA, die Geldpolitik der Notenbank ganzlich aufier Kurs setzte. Die Staatsverschuldung erhalt damit eine ganz andere Stellung, als ihr die traditionelle Finanzwissenschaft einzuraumen bereit war; von einem notgedrungen geduldeten Aushilfsmittel der offentlichen Finanzgebarung wird die Staatsschuld zu einem machtigen Instrument des Konjunkturausgleichs. Mag auch heute kein ernstzunehmender Anhanger der „Fiscal Policy" mehr bis zu jenem Extrem gehen, bei dem die Regulierung der Gesamtnachfrage zum alleinigen Ziel der staatlichen Finanzgebarung wird, so bedeutet das doch nur einen Grad-, aber keinen Wesensunterschied; in der Einseitigkeit der wirtschaftspolitischen Zielsetzung und in der makrookonomischen Betrachtungsweise liegt das Unterscheidungsmerkmal zwischen „ Fiscal Policy" und jener Finanzpolitik beschlossen, wie wir sie in der finanzwirtschaftlichen Wirklichkeit vorfinden. Uberall ist diese Finanzpolitik in erster Linie „Politik"; sie unterliegt den Gesetzmafiigkeiten, die alles politische Handeln charakterisieren, und sie hat es mit den politisch-psychologischen Problemen zu tun, die jeder „Kunst des Moglichen" aufgegeben sind 109. Dariiber hinaus ist gerade die Finanzpolitik dadurch gekennzeichnet, dafi sie von alien Bereichen der Politik in steigendem Mafie zur Erfullung bestimmter Aufgaben herangezogen wird; je mehr die Geldpolitik durch das Vordringen des staatlichen Sektors entmachtet, die Aufienwirtschaft durch internationale multilaterale Vereinbarungen gebunden und die Sozialpolitik im Wohlfahrtsstaat zur Redistributions- und Einkommenspolitik zugunsten der sozial Schwacheren ausgestaltet wird, desto mehr wachst der Einsatzbereich der Finanzpolitik in die Breite. Mit diesen verstarkten vielseitigen Anforderungen mufi die Finanzpolitik fertig werden; sie kann dies aber 107 Vgl. §§ 1, 40. 108 Ygj z jg Hansen, A. R.: Monetary-Fiscal-Policy, a.a.O.; ferner Fiscal and Debt Management Policies, a Series of Research studies prepared for the Commission 109 on Money and Credit, a.a.O.; vgl. auch § 40. Vgl. § 1.
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nicht, wenn sie, wie es die Theorie der „ Fiscal Policy" von ihr fordert, nur ein einziges, namlich das beschaftigungspolitische Ziel ansteuern und diesem Ziel zuliebe ihre starkwirkenden Mittel konzentriert zum Einsatz bringen soil. Der Vorwurf einer allzu formalen, d. h. aber zugleich einseitigen Argumentation ist des ofteren, insbesondere von P. Strayer, gegen die „Fiscal Policy" erhoben worden; auch F. Neumark n o hebt die Notwendigkeit einer starkeren soziologischen Durchblutung der „Fiscal Policy" hervor, damit sie den Test der „Practical Application" besser bestehen kann; ist es in Deutschland auch bereits zum zweiten Male gelungen, eine konjunkturell daniederliegende Volkswirtschaft durch in „unkonventioneller" Weise finanzierte Ausgabenprogramme der offentlichen Hand erfolgreich „anzukurbeln", so steht doch die eigentliche Bewahrungsprobe des Stabilitatsgesetzes, eine iiberschaumende Hochkonjunktur rechtzeitig zu dampfen, bisher noch aus. Gerade der politisch-psychologische und institutionelle Rahmen jeder praktischen Politik gehort auch so unabdingbar zu alien finanzpolitischen Mafinahmen, dafi seine Vernachlassigung die Theorie nicht lediglich unvollstandig und erganzungsbediirftig macht, sondern einfach falsch; ist es doch dieses „political framework", das der Finanzpolitik ihre Eigengesetzlichkeit verleiht, und lebt doch alle Finanzpolitik gerade von der Antinomie zwischen dieser ihrer Eigengesetzlichkeit und der tendenziell schrankenlosen Beanspruchung ihrer Mittel durch alle Arten von Politik. Hier ist die eigentliche Scheidelinie, die die Finanzpolitik der Wirklichkeit von den Empfehlungen der „Fiscal Policy" trennt. Die Finanzpolitik weifi um die Machtigkeit und Zerbrechlichkeit zugleich, die ihren Instrumenten eigen ist; sie ist dadurch notwendigerweise skeptisch, ja defensiv gegen fremde Zielsetzungen, und ihr fehlt jener kiihne, oft aber auch leichtfertige Optimismus, mit dem die ,,Fiscal Policy" an die „Machbarkeit" (Freyer) aller sozialokonomischen und politischen Prozesse glaubt m . Infolgedessen ware es beispielsweise zum mindesten voreilig, aus theoretisch-dogmatischen Gesichtspunkten auf das Kontroll- und Orientierungsmittel etwa des Haushaltsgleichgewichts a priori und grundsatzlich zu verzichten; als finanzpadagogisches Anschauungsmaterial und als MaiSstab findie finanzpolitische Meinungs- und Willensbildung 112 ist der Grundsatz des Haushaltsausgleichs ungleich wertvoller und vor allem in vielen Jahrhunderten der Haushaltsgeschichte besser erprobt als die vagen, vor allem dem Politiker keineswegs einsichtigen Markierungspunkte, wie sie die umstrittene Konjunkturdiagnose und -prognose auch heute noch zu bieten in der Lage sind, ganz abgesehen davon, dafi inzwischen auch die auf quantitativ-mone110 111 112
Neumark, F.: Wo steht die „Fiscal Policy" heute?, a.a.O., S. 49. Vgl. §§ 29, 40. Vgl. § 43.
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tarer Globalbetrachtung beruhenden Arbeiten von M. Manoilesco 113 u n d T. H a a v e l m o 114 im makrookonomischen Bereich den Weg zu einer neuen Deutung des Begriffs vom ausgeglichenen H a u s h a l t geebnet haben. Besonders die Untersuchungen von T. H a a v e l m o brachten den Beweis, dafi auch ein materiell ausgeglichener Staatshaushalt okonomisch keineswegs neutral ist, dafi von ihm vielmehr je nach den multiplikativen Prozessen, wie sie die Steuererhebung und die Verausgabung offentlicher Mittel in Gang setzt, gegebenenfalls eine monetare Nettoexpansion ausgehen k a n n ; ist doch die „ Spar quote" der orTentlichen H a n d ex definitione geringer als die der einzelnen Steuerzahler und Anleiheglaubiger, von denen die Staatsfinanzwirtschaft diese Mittel abzieht. Allerdings ist dieses „Balanced-Budget-Theorem < c , das eine Reihe von mehr oder weniger realistischen Pramissen e n t h a l t 1 1 5 , liber eine rein theoretische Erorterung bisher nicht hinausgelangt; es w a r e jedoch durchaus denkbar, bei der Eingliederung des Staatshaushaltes in ein der Orientierung dienendes N a t i o n a l b u d g e t 1 1 6 seinen monetaren Nettoeffekt genauer herauszuarbeiten. Ein zweiter Problemkreis, in dem die Eigendynamik des finanzpolitischen Instrumentariums zum Ausdruck kommt, ergibt sich aus der Schwerfalligkeit bzw. dem geringen Bewegungsspielraum flnanzpolitischer Mafinahmen. Fur die Ausgabenpolitik der offentlichen H a n d besteht die praktische Schwierigkeit nicht nur darin, geeignete Projekte rechtzeitig zu erkennen und ihre Ausfiihrungsetappen richtig zu planen, sondern weiterhin auch darin, die Produktionsstruktur der privaten Wirtschaft kurzfristig in dem erforderlichen Ausmafi umzugestalten; diese Starrheit der Produktionsstruktur besteht z w a r in Zeiten der Depression in geringem Mafie, weil hier Produktionsfaktoren brachliegen, so dafi der Staat in frei gewordene K a p a zitaten hineinstofien kann, sein Bewegungsspielraum ist jedoch auch hier weit geringer, als eine lediglich quantitative Analyse der volkswirtschaftlichen ^Aggregate" verraten kann. Will die offentliche H a n d die notleidend gewordenen Firmen nicht in eigene Regie ubernehmen u n d auch keine I n vestitionen mit eigenem „KapazitatserTekt" herbeifuhren, so k a n n sie ihre Zuflucht nur zu Transferausgaben aller A r t nehmen, die jedoch einmal monetar nicht den gleichen expansiven Eifekt wie Investitionsausgaben (Kaufe) haben und zum anderen vielfach schlecht reversibel sind. Es bleiben Investitionen auf einem der ureigenen Betatigungsgebiete des Staates, etwa im Strafienbau, bei der Landgewinnung (Melioration) oder der Rustung usw. Gerade hier stofien die Mehrauftrage der orTentlichen H a n d jedoch 113
Manoilesco, M.: Le financement des travaux publics et leur eflfet comme stimulant economique dans les pays agricoles, in: Travaux du Congres International des Sciences ficonomiques, Paris 1937, Tome IV. 114 Haavelmo, T.: Multiplier effects of a balanced budget, in: Econometrica XIII, 1945, S. 311 ff. 115 Vgl. Musgrave, A.: The Theory of Public Finance, a.a.O., S. 429 ff., sowie die dort angegebene Literatur; Haller, H.: Finanzpolitik, a.a.O., S. 72 ff. 116 Vgl. § 45.
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meist bald an Kapazitatsgrenzen, die besonders durch den Kapitalbedarf der betreffenden Industriezweige gezogen sind; die gleiche Starrheit besteht auch nach der anderen Seite, wenn es in der Hochkonjunktur darauf ankommt, offentliche Investitionen plotzlich zu drosseln 117. Das Stabilitatsgesetz von 1967 sieht zur Konjunktursteuerung 118 eine Anzahl verschiedener Instrumente vor, die im Vorangehenden ausfuhrlich besprochen wurden; an dieser Stelle geniigt ein synoptischer Uberblick liber das Gesetz (s. S. 472 und 473). Das reichhaltige Instrumentarium, das in diesem Gesetz angeboten wird, darf nicht dariiber hinwegtauschen, dafi auch sein Einsatz nur unter Beriicksichtigung des politisch-institutionellen Rahmens moglich ist, der jeglicher Politik vorgegeben ist. „Einerseits erfordert die rasche, wirksame Bekampfung von Wirtschaftsstorungen, deren Ausbreitung gefahrlich fur die wirtschaftlichen Freiheiten werden kann, die Obertragung gewisser Vollmachten auf die Exekutive", was geschehen ist; „wahrend andererseits nicht zu leugnen ist, dafi auf diese Weise die Gefahr von MiCbrauchen begriindet wird, die, wie die Grundlagen der politischen Demokratie, so die der weitgehend auf ,free business' gegrundeten Marktwirtschaft zerstoren konnen" 119. Zudem erhebt sich die Frage, wann und nach Mafigabe welcher Merkmale, Indexziffern oder Statistiken die Mafinahmen des Stabilitatsgesetzes in Kraft treten sollen; hier miindet die „Fiscal Policy" in das Problem des geeigneten Mafistabes fiir den Zeitpunkt ihrer Anwendung, kurz in das Problem der Konjunkturdiagnose und -prognose ein 120. Bedenkt man, dafi „alle Wirtschaftsvorgange . . . von politischen, meteorologischen, soziologischen, psychologischen und andern nichtokonomischen Bedingungen . . . (abhangen), deren Eintritt der Nationalokonom niemals mit Sicherheit voraussagen kann" 121, so verurteilt diese Erkenntnis gerade die Finanzpolitik zur Bescheidenheit122; mag die Diagnose einer Depression weniger schwierig sein,
™ Vgl. §§28—29. 118 Wengleich dieses Gesetz auch „Gesetz zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft" hei£t, so ist von spezifisch wachstumspolitischen Instrumenten in ihm nichts zu finden; ebenso enthalt es keine Interventionsmoglichkeiten zur Erreichung des in § 1 als Ziel apostrophierten auftenwirtschaftlichen Gleichgewichtes und zielt mithin einseitig auf die binnenwirtschaftliche Nachfrage, insbesondere auf die Unternehmernachfrage ab. 119 Neumark, F.: Grundsatze und Arten . . . , a.a.O., S. 667. 120 Vgl. Hagen, E. E.: The Problem of Timing Fiscal Policy, in: The American Economic Review, Bd. 38 (1948), S. 417 ff. 121 Lutz, F. A.: Das Problem der Wirtschaftsprognosen, Tubingen 1955, S. 10. 122 F. Neumark (Wo steht die „Fiscal Policy" heute?) weist darauf hin, da£ A. Hansen wiederholt seiner Ansicht Ausdruck verliehen hat, "that we never shall be able to forecast with any high degree of accuracy", wenn auch gewisse Fortschritte in dieser Hinsicht erzielt worden und weiter moglich seien, und weiter (S. 58): „Das Dilemma, vor das sich jede Konjunkturpolitik gestellt sieht, besteht bekanntlich darin, da$ sowohl ein ,zu fruhc . . . als auch ein ,zu spat4 Gefahren einschliefk und dafi die Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Maft und ,timing' immer erst ex post festgestellt werden kann."
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Synoptischer Vberblick liber das Gesetz zur Forderung Zielfunktion
Koordinierungsinstitutionen
§1 (Das magische Viereck) (1) Stabiles Preisniveau (2) Hoher Beschaftigungsgrad (3) Aufienwirtschaftliches Gleichgewicht (4) Angemessenes Wachstum Betroffene Adressaten
Bund und Lander §13 ERP-Sondervermogen, Bundesbahn und Bundespost, alle bundesunmittelbaren Korperschaften, Anstalten und Stiftungen des offentlichen Rechts.
'§2 ] ahreswirtschaftsbericht mit Stellungnahme zu dem Jahresgutachten des Sachverstandigenrates sowie Jahresprojektion (Nationalbudget) und Darlegung der fur das laufende Jahr geplanten Wirtschafts- und Finanzpolitik. §3 Bereitstellung von Orientierungsdaten durch die Bundesregierung fur konzertierte Aktion der Gebietskorperschaften, Gewerkschaften und Unternehmerverbande. §5 Mittelfristige
Finanzplanung §10
§16 Gemeinden und Gemeindeverbande §30
Einbeziehung der Arbeiterrentenversicherung und der Bundesanstalt fur Arbeit in Offenmarktoperationen.
Aufstellung mehrjahriger Investitionsprogramme der offentlichen Hand (nach Dringlichkeit und Jahresabschnitten gegliedert). §12 Subventionen sollen den Zielen des § 1 nicht widersprechen; alle 2 Jahre Subventionsbericht. §§ 18 und 22 Ein Konjunkturrat fur die offentl. Hand berat alle erforderlichen konj.pol. Mafinahmen und die Moglichkeiten zur Deckung des Kreditbedarfs der offentl. Haushalte. Er stellt unter Berucksichtigung der Kapitalmarktlage einen Zeitplan fiir die Kredite der offentlichen Hand auf.
so wird in der Hochkonjunktur selbst eine richtige Diagnose, die zu kontraktiven Mafinahmen und zu Mahnungen zum Mafihalten fiihren miifite, allzu leicht von der allgemeinen Welle des Optimismus hinweggeschwemmt. Die Gutachten des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaft-
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der Stabilitdt und des Wachstums der Wirtschaft Kontraktive Maftnahmen §§ 5 und 15 Offentliche Mittel zur zusatzlichen 77/gung von Schulden bei der Bundesbank oder Zufuhrung an Konjunkturausgleichsrucklage (bei Bundesbank). § 6 Abs. 1 Streckung von off. Baumaftnahmen und Stillegung der frei werdenden Gelder.
§§ 19-25 Bescbrdnkungen der Kreditaufnahmemoglichkeit der off. Hand. §§26 Nr. 1,2; 27; 28 Nr. 1 Nachtragliche Anpassung der Steuervorauszahlungen nach oben (ESt, KSt, GSt). § 26 Nr. 3 Beschrankung der Abschreibungsmoglichkeiten (Wegfall — ganz oder teilweise — von Sonderabschreibungen, erhohten und degressiven AfA). § 26 Nr. 3 Heraufsetzung der EStjKSt um hochstens 10% (langstens fiir ein Jahr).
Expansive Maftnahmen
Entnahme zusatzlicher Mittel aus Konjunktu rausgleichsriicklage. § 6 Abs. 2 Zusatzliche Ausgaben der off. Hand (zunachst aus Konjunkturausgleichsriicklage), dariiberhinaus zusatzliche Kreditermachtigung bis 5 Mrd. DM (Geldmarktpapiere) fiir die off. Hand. §11 Beschleunigung der Planung und Vergabe geeigneter Investitionsvorhaben. §§26 Abs. 1, 2; 27, 28 Abs. 1 Nachtragliche Anpassung der Steuervorauszahlungen nach unten (ESt, KSt, GSt). § 26 Nr. 3 Investitionsbonus (Abzugsmoglichkeit von der ESt/KSt-Schuld bis zu 7,5°/o der Anschaffungs- oder Herstellungskosten). § 26 Nr. 3 Herabsetzung der ESt/KSt um bis zu 10% (langstens fiir 1 Jahr).
§29 Verdoppelung der Offenmarktmunition fiir die Bundesbank. Abwehr aufienwirtschaftlichen Storungen, § 4 Bei auftenwirtschaftl. Storungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, deren Abwehr durch binnenwirtschaftl. Maftnahmen nicht oder nur unter Beeintrachtigung der in § 1 genannten Ziele moglich ist, hat die Bundesregierung alle Moglichkeiten der internat. Koordination zu nutzen. Soweit dies nicht ausreicht, setzt sie die ihr zur Wahrung des auEenwirtsch. Gleichgewichtes zur Verfugung stehenden wi.pol. Mittel ein (z. B. § 23 Auftenwirtschaftsgesetz, der vor allem den Kauf von Wertpapieren durch Auslander und die Aufnahme von Darlehen bei auslandischen Glaubigern einer staatlichen Kontrolle unterwirft).
lichen Entwicklung haben bisher einerseits fast ausnahmslos schwere prognostische Schwachen erkennen lassen, andererseits in ihren konkreten Empfehlungen 123 wenig Beachtung gefunden, bis Sachverstand und Politik in dem 123 Dies, obwohl es in § 2 Satz 6 des Gesetzes iiber die Bildung eines Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (BGB1 I,
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Finanzpolitik als „grofie Politik"
Aufwertungsstreit vom Mai 1969 frontal zusammenprallten; diese Entwicklung war schon Jahre zuvor vorauszusehen 124. Nach alledem ware es sicherlich voreilig, die Frage „ Finanzpolitik oder ,Fiscal Policy'?" so oder so ein fiir allemal zu entscheiden; die wissenschaftliche Leistung der neuen Finanztheorie, die sich mit den Moglichkeiten einer finanzpolitischen Konjunktur- und Wachstumstheorie beschaftigt, verdient voile Anerkennung. Andererseits darf aber der Hinweis auf die politischpsychologische Eigengesetzlichkeit der Staatsfinanzen, die den praktischen Moglichkeiten der Finanzpolitik in ihrem Einsatz fiir konjunkturpolitische Ziele enge Grenzen setzt, nicht unterdriickt werden; mit der Ruckkehr zu einer „autonomen" Finanzpolitik, etwa im Sinne des klassischen Manchesterprinzips, hat dieser Hinweis nichts zu tun. Mag die Skepsis gegeniiber der „ Fiscal Policy" mit dem Finanzliberalismus vielleicht ein gewisses Mafi an Zuriickhaltung gegeniiber der Staatsintervention gemeinsam haben, so ist doch ihre geistige Wurzel grundverschieden. Dort war es das Vertrauen in das Walten der „ Invisible Hand" und das Mifitrauen gegeniiber dem entarteten und korrupten merkantilistischen Staat, das die Forderung nach Neutralitat und nach „Sound Finance" laut werden liefi; hier und heute ist es das Wissen um unsere noch immer geringen Kenntnisse von den Einsatzbedingungen und Wirkungen der starken Mittel, die der Finanzpolitik zu Gebote stehen, das zur Vorsicht mahnt. Dies gilt nicht zuletzt fiir eine Zeit, in der sich die Finanzpolitik anschickt, ihr Instrumentarium fiir die Ziele der „grofien Politik" zur Verfugung zu stellen; davon soil im folgenden noch die Rede sein.
C. Finanzpolitik als „grofie Politik" § 47. Finanzpolitik und Zahlungsbilanz Neben die Aufgabe, Sauberkeit und Ordnung der Finanzgebarung „im eigenen Hause" zu gewahrleisten, und neben die Bestrebungen, das Instrumentarium der Finanzpolitik bestimmten Zwecken der inneren Wirtschaftspolitik dienstbar zu machen, tritt heute als Mafistab finanzpolitischen Handelns eines Staates mehr denn je seine wirtschafts- und finanzpolitische Aktivitat im internationalen Raum. Die Aufgaben, die der Finanzpolitik hier gestellt werden und an denen sie sich bewahren mufi, kommen sowohl aus der nationalen Wirtschaftspolitik als auch aus der Aufienwirtschafts- und der Fortsetzung FuEnote 123 S. 683, 1963) heifk: „Der Sadiverstandigenrat soil Fehlentwicklungen und Moglichkeiten zu deren Vermeidung oder deren Beseitigung aufzeigen, jedoch keine Empfehlungen fiir bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maftnahmen aussprechen." 124 Schmolders, G.: Verwissenschaftlichung der Wirtschaftspolitik?, in: Blatter fiir freiheitliche Wirtschaftspolitik, 1962, S. 396.
§ 47. Finanzpolitik und Zahlungsbilanz
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staatlichen Aufienpolitik. Die Zusammenhange zwischen Finanzpolitik und Zahlungsbilanz bilden gewissermafien die Grenzscheide zwischen nationaler Wirtschaftspolitik und Aufienwirtschaftspolitik oder, noch grundsatzlicher betrachtet, zwischen Innenpolitik und Aufienpolitik eines Staates; sie fuhren geradewegs in den Bereich, den man in der politischen Arena mit dem Begriff „grofie Politik" zu umreifien pflegt. Wie sehr gerade die Zahlungsbilanz als Erfolgsmafistab finanzpolitischen Handelns anzusehen ist, offenbart allein schon die Tatsache, dafi sie als Ausdruck der inneren und aufieren finanziellen Stabilitat 125 im Nachkriegseuropa zeitweise zum wichtigsten Beurteilungsmerkmal der Finanzpolitik in den ERP-Landern zu werden schien; hiervon wird unter dem Aspekt der internationalen Finanzpolitik noch ausfuhrlich die Rede sein. Die Zusammenhange, um die es hier geht, sind doppelter Art; einmal handelt es sich um die Aufgabe, mit den Mitteln der Finanzpolitik das wirtschaftspolitische Ziel des Zahlungsbilanzgleichgewichtes zu erreichen, zum anderen aber auch darum, dieses wirtschaftspolitische Ziel mit anderen politischen Zielen der Staats- und Aufienpolitik nach Moglichkeit in Einklang zu bringen, beispielsweise im Rahmen der internationalen Finanzpolitik oder einer Harmonisierung der Steuersysteme iiber den nationalen Raum hinaus 126. Die Problematik dieser Abstimmungsaufgabe tritt in jedem Wirtschaftssystem auf; selbst die Zentralverwaltungswirtschaft, die ihre errechneten PlanzirTern zu einem die Staatsbiirger unmittelbar verpflichtenden Leistungssoll erklart, kann die damit gesteckten wirtschaftlichen Ziele nicht erreichen, wenn der geplante „Aufienbeitrag" ausbleibt oder ein Defizit in ihrem Zahlungsverkehr mit dem Ausland entsteht. An den nationalen Grenzen endet der Machtbereich des Planungsstaates, der gerade auch aus diesem Grunde immer wieder in Versuchung kommt, diese seine Grenzen mit Gewalt zu erweitern und seinen Einflufibereich imperialistisch auszudehnen; angefangen von dem Romischen Weltreich und Napoleons Kontinentalsperre bis zu Hitlers Grofideutschland und dem COMECON bietet die Geschichte dafiir zahlreiche Beispiele. Seit der Abkehr vom Goldautomatismus, nach dessen Beseitigung jedes Ansteigen oder Schrumpfen des Goldbestandes der Notenbank ein ausreichendes Alibi flir die Regierung war, durch entsprechende MaCnahmen der Geld- und Wahrungspolitik den Ausgleich der Zahlungsbilanz wiederherzustellen 127, besonders aber seit dem in alien Landern zu beobachtenden 125
a.a.O. 126
Andreae, C. A.: Finanzielle Stabilitat als Richtschnur der Finanzpolitik,
Vgl. § 48. Schmolders, G.: Vom Goldautomatismus zur freiwilligen Zusammenarbeit der Notenbanken, in: Inflation und Weltwahrungsordnung, Sozialwissenschaftliche Studien fur das Schweizerische Institut fur Auslandsforschung, hrsg. von A. Hunold, Erlenbach-Zurich und Stuttgart 1963, S. 114. 127
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ErfolgsmaBstabe der Finanzpolitik
Anwachsen des staatlichen Anteils am Sozialprodukt, erhalt jeder Staat die jahrliche Quittung uber den Erfolg seiner Finanzpolitik nicht zuletzt durch den Stand seiner Zahlungsbilanz. Mag es mit den Mitteln der „Moral Suasion" und des Appells an die Bereitschaft zu mafivollem oder opferbereitem Verhalten der Staatsbiirger 128 gelingen, auch im kritischen Stadium eines Konjunkturaufschwunges die Preis- und Lohndisziplin fiir einige Zeit aufrechtzuerhalten, so dafi inflatorische Wirkungen im Inland zunachst vermieden werden konnen, so sind doch die auswartigen Devisenmarkte mit diesen Mitteln nicht zu beeinflussen; die Verschlechterung des inneren Wertes der Wahrung kommt in ihrer Kursnotierung an den Auslandsborsen, gegebenenfalls (bei gebundenen Wechselkursen) in Schwarzmarktkursen zum Ausdruck, die in besonderem Mafie von den „unsichtbaren" Posten der Zahlungsbilanz beeinfluik werden 129. Die Verquickung von Finanzpolitik und Zahlungsbilanz oder besser von Staatsfinanzwirtschaft und Aufienwirtschaft tritt von jeher zunachst schon auf dem Gebiet der Zollpolitik in Erscheinung. Mit dem Erstarken der Nationalwirtschaften, in dessen Gefolge an die Stelle der reinen Finanzzolle mehr und mehr die Schutzzolle traten, offenbarten sich die engen Zusammenhange zwischen Staatshaushalt und Zahlungsbilanz; die Zolle wurden von einem Instrument der staatlichen Einnahmeerzielung zu einem Mittel der staatlichen Handelspolitik, ohne dabei ihre primare Funktion als Staatseinnahme einzubiifien. „Diese fiskalische Bedeutung der Zolle fuhrt die Regierung immer wieder in die Versuchung, die Zollfrage privatwirtschaftlichiSskalisch und nicht immer volkswirtschaftlich zu betrachten. Die Finanzminister freuen sich oft iiber eine Milliarde Zolleinnahme, ohne zu erkennen, dafi sie der Volkswirtschaft vielleicht einen Schaden in funffacher Hohe zugefiigt haben, so dafi sie selbst durch Verschiittung ihrer eigenen Steuerquellen: der gewerblichen Gewinne, leiden." 130 Als „Erfolgsmafistab
§ 47. Finanzpolitik und Zahlungsbilanz
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tragen wird, desto starker schwinden wiederum die Fiskaleinnahmen dahin . . . Der Fiskus seinerseits legt Wert darauf, die Steuerobjekte nicht vollstandig zu verlieren und die Belastung mafiiger anzusetzen. In dieses Tauziehen zwischen entgegengesetzt gerichteten Interessen mischen sich jedoch noch weitere Spieler ein. So weisen namentlich die inlandischen Konsumenten darauf hin, dafi sie um so mehr geschadigt werden, je hdher das Zollniveau ist. Die Exportwirtschaft wiinscht einerseits Verhandlungszolle, um von den auslandischen Partnern Konzessionen zu erlangen, wehrt sich aber andererseits gegen hohe Zollbelastungen, weil dadurch die Lebenshaltungskosten und Lohnsatze in Mitleidenschaft gezogen werden, und betont schliefSlich die Interdependenz zwischen der gesamten wertmafiigen Einfuhr und dem moglichen Ausfuhrvolumen, was wiederum niedrige eigene Zolle nahelegt. Das Endergebnis ist praktisch hier wie in anderen Fallen ein Kompromifi, dessen Gestalt die Starke der beteiligten Parteien widerspiegelt." 131 Diese von E. Kiing anschaulich geschilderte Konfliktsituation bei zollpolitischen Interventionen im Falle eines Zahlungsbilanzdefizites lafit sich mit umgekehrten Vorzeichen auf die Situation eines Zahlungsbilanziiberschusses zuriickprojizieren, wie sie in der Bundesrepublik seit Jahren gegeben ist; unter den zur Abhilfe vorgeschlagenen Mafinahmen kehrt der Gedanke an eine einseitige, vorab durchzufuhrende Senkung bestimmter Einfuhrzolle immer wieder. Die Auffassung, dafi grofie und hartnackige Zahlungsbilanzuberschiisse volkswirtschaftlich schlechterdings vom Ubel sind, hat in der Diskussion der letzten Jahre unter dem Gesichtspunkt der „importierten Inflation" neue Nahrung erhalten; nach der meist quantitatstheoretisch gefiihrten Argumentation ruft die von Devisenuberschussen ausgehende inlandische Geldmengenvermehrung um so starkere Preissteigerungen hervor, als die Gutermenge der Angebotsseite sich gleichzeitig um den Exportiiberschufi vermindert. Diese quantitatstheoretische Argumentation hat W. Stiitzel 132 uberzeugend widerlegt; fiir die Gefahr der „impor tier ten Inflation", die von der auslandischen Mehrnachfrage ausgeht, kommt es nicht auf die Form ihrer Bezahlung an. Ob Devisenuberschusse anschliefiend ihrerseits erneut auch zu einer Mehrnachfrage auf den Guter- und Leistungsmarkten der Binnenwirtschaft fiihren, hangt ausschliefilich von ihrer Verwendung, m. a. W. davon ab, ob von der erhohten Liquiditat der Exportwirtschaft zusatzliche Nachfrage, z. B. Investitionsimpulse im Inland, ausgehen oder nicht; werden 131
Kiing, E.: Zahhingsbilanzpolitik, Zurich-Tiibingen 1959, S. 334. Stiitzel, W.: Ist die schleidiende Inflation durch monetare MaEnahmen zu beeinflussen?, in: Beiheft zur „Konjunkturpolitik", Berlin 1960, Bericht iiber den wissenschaftlichen Teil der 23. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutsdier wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute in Bad Godesberg am 15. und 16. Juni 1960, S. 38. Der hier von Stiitzel zuerst entwickelten Theorie der importierten Inflation iiber den „internationalen Preiszusammenhang" hat sich audi spater der Sachverstandigenrat in eindrucksvoller Weise angeschlossen. (S. Jahresgutachten 1966/67, besonders Ziff. 206 ff., 253 if.) 132
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Erfolgsmaftstabe der Finanzpolitik
die Exporterlose zur Schuldenriickzahlung verwendet oder gehortet, vielleicht auch zur verstarkten Einfuhr von Rohstoffen u. dgl. aus dem Ausland eingesetzt, so tragt ihr blofies Vorhandensein nicht zu der inlandischen Preissteigerung bei. Schon diese Uberlegung zeigt, mit welchen Problemen sich der Einsatz gezielter zollpolitischer Mafinahmen zum Zwecke der Herstellung eines Zahlungsbilanzgleichgewichtes auseinanderzusetzen hatte. Nicht viel anders verhalt es sich mit der Steuerpolitik, deren Einsatz als Instrument der Struktur- und Konjunkturpolitik bereits oben behandelt wurde 133 ; da die Z a h lungsbilanzsituation heute in fast alien Industrielandern des Westens ein genaues Abbild der konjunkturellen Situation ist, trifft die Problematik des konjunkturpolitischen Einsatzes der Besteuerung auch fiir eine Steuerpolitik des Zahlungsbilanzausgleichs z u 1 3 4 . Ebenso wie dem Einsatz steuerlicher Mafinahmen zur Erreichung nichtfiskalischer Ziele mannigfache politischinstitutionelle, okonomische und psychologische Hindernisse im Wege stehen 135 , sind auch der Steuerpolitik zum Zwecke des Zahlungsbilanzausgleichs vielfach die H a n d e gebunden, nicht zuletzt z. B. durch internationale Vertrage. Ist auch die Bewegungsfreiheit der Zollpolitik durch die E W G primar starker eingeengt als die der Steuerpolitik, deren Rucksichtnahme auf das H a n d e l n der Partnerlander heute noch mehr eine Sache des guten Willens als eine Sache vertraglicher Bindungen ist, so offenbaren sich doch auch auf diesem Gebiete in zunehmendem Mafie konkrete Bestrebungen hinsichtlich einer „Harmonisierung der Steuersysteme" 136 . Mit den Mafinahmen der staatlichen Einnahmenpolitik erschopft sich das Wechselspiel zwischen Finanzpolitik und Zahlungsbilanz jedoch keineswegs; gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich vielmehr gezeigt, dafi die aus dem offentlichen H a u s h a l t ins Ausland fliefienden Gelder die Zahlungsbilanzsituation sowohl des zahlenden als auch des empfangenden Landes in erheblichem Mafie positiv oder negativ beeinflussen konnen. Unterscheiden sich diese Zahlungsstrome in ihrer Form oft kaum von den durch privaten H a n d e l oder private Dienstleistungen veranlafiten Zahlungen, so gehen sie doch auf ganz andere Motive zuriick; sie sind in der Regel primar politisch bedingt und entziehen sich daher oft jeder Manipulierung nach H o h e und Zeitpunkt im Hinblick auf die jeweilige Zahlungsbilanzsituation. Sicherlich gibt es hier Ausnahmen; so konnte die Bundesrepublik immerhin in den letzten Jahren durch Riistungskaufe im Ausland (Amerika, England, Tiirkei), durch vorzeitige Tilgung von Kriegsschulden u n d Wiedergutmachungs-
133
§ 38- . Vgl. die umfangreichen Erorterungen bei Kiing, E.: Zahlungsbilanzpolitik, a.a.O., S. 210—414 (Kiing rechnet im ubrigen die Zollpolitik als eine Manipulation „partieller Verbraudisteuern" zum Gebiet der Steuerpolitik). 135 Vgl. § 38. 134
136 Vgl. § 49.
§ 47. Finanzpolitik und Zahlungsbilanz
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leistungen (Israel) und durch Aufstockung der Anteile an internationalen Finanzkorporationen (IWF und Weltbank) einen Teil ihrer Deviseniiberschusse abbauen. Die vielfaltigen politischen und strategischen Verpflichtungen beispielsweise der USA, Grofibritanniens und Frankreichs bedeuten jedoch fiir diese Lander eine erhebliche haushaltsmafiige Belastung, die sich in einem tendenziellen Defizit der Zahlungsbilanz niederschlagen; vom jahrelangen Tauziehen um die Besatzungskosten bis zu der Parole des „Buy American" fiir die amerikanischen Truppen in aller Welt spiegeln sich vor dem Hintergrund der Zahlungsbilanz die vielfaltigen Probleme der i n t e r nationalen Finanzpolitik" 137 der Grofimachte wider. Neben dem sichtbaren Kapitalexport sind hier alle nur denkbaren Formen des unsichtbaren Kapitalexportes zu erwahnen, vom Exportgeschaft auf Kredit iiber steuerlich bedingte Manipulationen mit Exporterlosen bis zum illegalen Devisenschmuggel. Der Anlafi dieser unsichtbaren, haufig rafflniert getarnten Transaktionen ist meist das Bestreben, aus einer bedrohten in eine „bessere" Wahrung auszuweichen; neben den inlandischen Exporteuren beteiligt sich daran besonders auch die auslandische Devisenarbitrage, die ihren Gewinn in der spekulativen Ausnutzung derartiger Unterschiede des inneren Wertes der verschiedenen Wahrungen sucht. Zu einem Mafistab der Finanzpolitik wird diese Kapitalflucht, wenn ihr neben oder an Stelle geldund wahrungspolitischer spezielle steuerliche Motive, wie etwa der Widerstand gegen eine als zu hoch empfundene Steuerbelastung der Unternehmer zugrunde liegen; dafi diese Steuerflucht, mit der die Bundesrepublik in den ersten Jahren nach der Wahrungsreform angesichts der hohen Marginalsatze der Einkommen- und Korperschaftsteuer zu kampfen hatte, heute keineswegs iiberwunden ist, zeigt der „Oasenbericht" der Bundesregierung von 1964 138, der in erschreckender Weise offenbart, welche Moglichkeiten der Steuerflucht das Steuerrecht auch heute noch offen lafit 139 . Wohl das einzige Land der Welt, das die Wechselwirkung zwischen Finanzpolitik und Zahlungsbilanz nicht nur in langen und bitteren Erfahrungen klar zu erkennen, sondern auch konkrete Folgerungen fiir seine Wirtschaftspolitik daraus abzuleiten gelernt hat, sind die Vereinigten Staaten. Angefangen mit der „Goldinflation<e von 1921, in der sich der plotzliche Rollenwechsel der USA vom Schuldner- zum Weltglaubigerland eindrucksvoll manifestierte, iiber die Weltwirtschaftskrise von 1930/31, in der die internationalen Kreditabziige mit ihrem Deflationseffekt das okonomische Gleichgewicht aller Lander in seinen Grundfesten erschutterten, bis zum Pacht- und Leihsystem der amerikanischen Kriegslieferungen des Zweiten 137 138
Vgl. § 49. Vgl. § 38.
139 Joesten, J.: Steuern zahlen nur die Dummen, Frankfurt 1968; s. auch Hansmeyer, K. H.: Mit der Steuerflucht leben, in: Der Volkswirt Nr. 16 (1968), S. 26 ff.
Erfolgsmaftstabe der Finanzpolitik
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Weltkrieges und der seit seinem Abschlufi in immer neuen Formen entwickelten „internationalen Finanzpolitik" der USA stand und stent die Zahlungsbilanz als Mafistab des okonomischen Gleichgewichts im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Oberlegungen und Entschliisse der Vereinigten Staaten. Die Bedeutung der Zahlungsbilanz fiir die Finanzpolitik und umgekehrt lafit sich daher am anschaulichsten an der amerikanischen Entwicklung demonstrieren; zugleich macht diese Entwicklung den Entschlufi der Vereinigten Staaten verstandlich, mit und nach dem Zweiten Weltkrieg einen wesentlichen Teil der Verantwortung fiir die finanzielle Stabilitat und das Zahlungsbilanzgleichgewicht auch ihrer Partnerlander auf ihre eigenen Schultern zu nehmen 140. Wenn es fiir jede langfristig erfolgreiche Konjunkturpolitik in erster Linie darauf ankomrnt, den Uberschwang des konjunkturellen Booms rechtzeitig abzufangen und damit die Ausschlage der Konjunktur zu „ dampfen" 141, so ist die Voraussetzung fiir die zu diesem Zweck erforderliche Kontraktionspolitik natiirlich, dafi der inlandische Bank- und Notenbankkredit die hauptsachliche, wenn nicht die einzige Quelle normaler Finanzierung der volkswirtschaftlichen Ersparnisse darstellt 142 . Sobald nun neben dieser Kreditquelle Auslandskredite verfiigbar sind, die beim ersten Versuch ktinstlicher Verknappung des inlandischen Kredits einzustromen beginnen, um an der eintretenden Erhohung des Landeszinsfufies zu partizipieren, so wird dadurch die Kreditpolitik als Mittel der Konjunkturpolitik unbrauchbar, zum mindesten in ihrer Wirkung sehr abgeschwacht. Die Vereinigten Staaten hatten reiche Erfahrungen mit dieser von aufien kommenden Durchkreuzung ihrer heimischen Kredit- und Konjunkturpolitik hinter sich. Kriegslieferungen und -vorschiisse, deren Bezahlung und Riickzahlung den europaischen Empfangerlandern nur durch Auflosung der Deckungsbestande ihrer Notenbank moglich war, hatten in den Jahren 1914—1918 einen Strom von Gold in die amerikanische Wirtschaft geleitet, der seit dem Kriegseintritt der USA 1917 noch durch die forcierte Kreditverbilligung zur eigenen Kriegsfinanzierung in seinen Wirkungen verstarkt wurde; das Ergebnis war die gewaltsame Kredit- und Goldinflation mit dem nachfolgenden Zusammenbruch von 1920/21. Der Goldeinfuhriiberschufi der amerikanischen Zahlungsbilanzen von 1915—1918, dessen Auswirkungen auf Zahlungsmittelumlauf und Kreditvolumen das noch in den Anfangen seiner Entwicklung befindliche Bundesreservesystem machtlos mitansehen mufite, belief sich auf mehr als eine Milliarde Dollar; nach dem Kriegsende setzte alsbald ein weiterer Goldzustrom aus Kriegsschuldenriickzahlungen und 140 *41 142
Vgl. § 48. Vgl. §§ 29, 38. Schmolders, G.: Interventionen am Geldmarkt als Mittel staatlidier Konjunkturpolitik, Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 29 (1934).
§ 47. Finanzpolitik und Zahlungsbilanz
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Kriegstributen ein, dessen Ruckwirkungen auf die Geld- und Kapitalmarktlage der Vereinigten Staaten von nun an standig eines der schwierigsten Probleme fur die Wirtschafts- und Wahrungspolitik des Landes bilden soilten. Um ihren schwindenden Einflufi auf die Kreditwirtschaft des Landes 143 wiederherzustellen, bemiihte sich die amerikanische Wahrungs- und Kreditpolitik daher seit dem Ersten Weltkrieg unablassig, auf eine Fernhaltung weiterer Goldzufliisse und auf eine Forcierung des amerikanischen Kapitalexports hinzuwirken. Das Ungleichgewicht der amerikanischen Zahlungsbilanz, das zu dieser Entwicklung letztlich den Anstofi gegeben hatte, lag, wie erwahnt, in der Tatsache begriindet, dafi die Vereinigten Staaten durch den Ersten Weltkrieg weltwirtschaftlich von einer Schuldner- zu der grofiten Glaubigernation geworden waren, ohne die auCenhandelspolitischen Konsequenzen aus dieser Tatsache zu ziehen; hatte die Zoll- und Agrarpolitik den alljahrlichen Exportiiberschufi des Landes in dem gleichen Mafie in Importuberschusse verwandelt, in dem die Glaubigerposition der USA Nettozufliisse an Auslandszahlungen mit sich brachte, so ware es zu einem derartigen standigen Ungleichgewicht der Zahlungsbilanz nicht gekommen. In dieser Erkenntnis wurzelt die grundlegend veranderte Einstellung der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Frage der Finanzierung des Zweiten Weltkrieges und die seitdem eingeschlagene Linie der „internationalen Finanzpolitik" der USA, iiber die anschliefiend noch zu berichten ist; sie dient, in dieser Betrachtungsweise, der Korrektur des strukturellen Ungleichgewichts der amerikanischen Zahlungsbilanz und damit zugleich der Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Austauschverhaltnisse. Die Beziehungen zwischen Finanzpolitik und Zahlungsbilanz erschopfen sich nicht in diesen okonomischen Vorgangen; vielmehr sind auch hier, ahnlich den Signalwirkungen der Besteuerung, mancherlei einzel-, gruppen- und massenpsychologisch zu deutende Erscheinungen im Spiel, die bisher meist zu wenig beachtet wurden. Wie das allgemeine StaatsbewuCtsein und das Vertrauen zu den leitenden Personlichkeiten der Regierung an der Aufrechterhaltung des inneren Geldwertes mitwirkt, so wirkt das Prestige eines Staates im Kreis seiner Partnerlander auf den intervalutarischen Wechselkurs. ^chwache" Regierungen bringen nicht nur die Ordnung und Stabilitat des Finanzwesens im Innern des Landes in Gefahr; das psychologische Barometer der Wechselkursschwankungen erweist sich vielmehr fur den Erfolg oder Mifierfolg der Finanzpolitik vielfach als ein weit empfindlicherer Indikator als beispielsweise die Spareinlagenentwicklung oder andere wirtschaftliche Indices. 143 Der Anteil der Bundesreservebanken am gesamten Kreditvolumen des Landes betrug 1920 noch 12,5% und ging von da an Jahr fur Jahr zuriick (1921: 6,4°/o, 1922: 5,1%>, 1923: 4,5%). (Vgl. Schmolders, G.: Die Konjunkturpolitik der Vereinigten Staaten, a.a.O., S. 57.)
31
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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ErfolgsmaiSstabe der Finanzpolitik
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik Angesichts der weltpolitischen Auseinandersetzung der beiden grofien Machtblocke und ihrer Anstrengungen, die unterentwickelten Volker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in diesem Ringen auf ihre Seite zu Ziehen, gewinnt die Finanzpolitik iiber die Aufgabe der inneren und aufieren „finanziellen Stabilitat" hinaus Bedeutung fiir die Ermoglichung und Durchfuhrung der politischen und wirtschaftlichen Auslandshilfe bzw. der Entwicklungshilfe; die primar nationalwirtschaftlichen Motive einer an der eigenen Zahlungsbilanz orientierten Finanzpolitik treten in den beteiligten Landern hinter ganz neuen politischen und ideologischen Motiven aufienpolitischer Art in den Hintergrund. In dem Mafie, in dem nach dem Ende der Ara der Kolonialherrschaft die Sorge fiir die Entwicklungslander zum Prufstein der Aufienpolitik der freien Welt geworden ist, steht die Finanzpolitik vor ihrer Bewahrungsprobe als mitverantwortliche Instanz einer iiberstaatlich orientierten Weltwirtschaftspolitik, deren Reichweite sich audi daran ablesen lafit, dafi Theorie und Politik der Entwicklungshilfe nicht allein als Gegenstand der Finanztheorie und Finanzpolitik, sondern ebenso als Bestandteil der Aufienwirtschaftstheorie und -politik, der Theorie des wirtschaftlichen Wachstums und nicht zuletzt der politischen Wissenschaft schlechthin gelten miissen 144; Entwicklungshilfe und Entwicklungshilfepolitik sind heute von den Aufgaben und Problemen der „grofien Politik" nicht mehr zu trennen. Jede Erorterung der Probleme einer international ausgerichteten Finanzpolitik und ihrer vielfaltigen Beziehungen zur Wahrungs-, Weltwirtschaftsund Aufienpolitik mufi von der besonderen Rolle der Vereinigten Staaten und den neuartigen Methoden ihrer „internationalen Finanzpolitik" 145 ausgehen; aus dem Wiederaufbau der Wirtschafts- und Finanzpolitik der meisten Lander der westlichen Hemisphare sind die amerikanischen Hilfsaktionen, Geschenke, Kredite und Entwicklungsprojekte schlechterdings nicht fortzudenken. Dabei erscheint es mufiig, mit besonderem Eifer nach den Motiven zu forschen, die die amerikanische Regierung immer wieder dazu bewogen haben, die bereits wahrend des Krieges begonnene Unterstiitzung der freien Welt in einer Vielzahl von Hilfsprogrammen, Krediten und Subventionen in einem Umfang fortzusetzen, der die mit der Pacht-Leih-Hilfe zu Beginn des Krieges eingeleitete Mitwirkung an der Kriegsfinanzierung der amerikanischen Alliierten heute bereits um ein Vielfaches iiberschritten
144 Furth, J. H.: Theorie und Politik der wirtsdiaftlichen Auslandshilfe, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 4. Bd., a.a.O., S. 156 ff. 145 Der Ausdruck ist aus den jahrlichen Beriditen „Survey of United States International Finance" der International Finance Section der Princeton University (Prof. Gardner Patterson) ubernommen, auf denen audi die Darstellung im wesentlichen beruht.
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
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hat 1 4 6 . Einerseits spricht viel dafiir, dafi die gegeniiber der Finanzierung des Ersten Weltkrieges radikal urn 180 Grad umgeschwenkte Haltung der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzpolitik eine positive Antwort auf die haufig gestellte Frage darstellt, ob man aus der Geschichte lernen konne; wenn die Zerruttung der Weltwirtschaft durch die einseitige Belastung der europaischen Zahlungsbilanzen eine ihrer Wurzeln in den Reparations- und Kriegsschuldenforderungen Amerikas hatte, die kein anderer als J. M. Keynes seinerzeit vernichtend kritisierte 147 , so mufi auf der anderen Seite anerkannt werden, dafi die Vereinigten Staaten sich nach dem Zweiten Weltkrieg ihrer Verantwortung fiir die monetare Weltordnung vollkommen bewufit waren und kein Opfer scheuten, uni die Wiederholung der damals begangenen Fehler zu vermeiden. Nicht zuletzt mag dazu nach dem wesentlich durch die amerikanische Hilfestellung siegreich beendeten Krieg das allgemein verbreitete Gefuhl der Verantwortung fiir die Zukunft der freien Welt und die Hoffnung auf die Verwirklichung der „One World" beigetragen haben, an deren Stelle nach den enttauschenden Erfahrungen mit der sowjetrussischen Haltung das Ziel trat, dem weiteren Vordringen des Kommunismus durch wirtschaftliche und — seit Korea — militarische Stiitzung der jeweils am starksten bedrohten Lander Einhalt zu gebieten. Zum erstenmal kam der Gedanke, den gegen die Achsenmachte im Kriege stehenden Staaten durch solidarische Mafinahmen rinanziellen Ruckhalt zu gewahren, in den Planen zur Schaffung eines Weltwahrungsfonds zum Ausdruck, die seit 1942 in den Vereinigten Staaten diskutiert wurden. Die Verlangerung und Erweiterung der Pacht- und Leih-Ermachtigung fiir President Roosevelt brachte Anfang Marz 1943 einen weiteren kraftigen Anstofi fiir die Idee dieser internationalen finanziellen Solidaritat. Noch im gleichen Jahre wurde von 47 Nationen, darunter der Sowjetunion, das sog. UNRRA 148 -Programm unterzeichnet, durch das in der Hauptsache Lebensmittellieferungen fiir die Bevolkerung notleidender Gebiete organisiert werden sollten; schon hierbei erwies sich deutlich, dafi die USA in flnanzieller Beziehung stets die Hauptlast aller dieser gemeinschaftlichen Aktionen tragen mufiten149. 146 Die gesamte Auslandshilfe der USA (Schenkungen, Beihilfen, Kredite) betrug von 1941 bis 1962 brutto iiber 160 Mrd. Dollar im Vergleich zu 48,6 Mrd. Dollar Pacht- und Leihhilfe wahrend des Krieges (vgl. Logue, R.: Die amerikanische Auslandshilfe seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 4. Bd., a.a.O., S. 230, sowie Stat. Jahrb. der BRD 1966, S. 170; 1969, S. 146). 14 ^ „Wiedergutmachung war ihr Hauptinteresse auf wirtschaftlichem Gebiet, und sie behandelten sie als eine Frage der Theologie, der Politik, der Wahltaktik, kurz von jedem anderen Gesichtspunkt als dem der wirtschaftlichen Zukunft der Staaten^ deren Schicksal in ihrer Hand lag", warf Keynes dem Rat der Vier vor. (Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages, deutsche Auseabe, Miinchen 1920, S. 184.) 148 United Nations Relief and Rehabilitation Administration. 149 S. auch National Advisory Council on International Monetary and Financial Problems.
31*
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Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
Um diese Zeit, nach der Kapitulation Deutschlands und Japans, auf dem Hohepunkt der Siegerstimmung, schwebte den Befiirwortern der neuen internationalen Finanzpolitik der USA offenbar noch der Gedanke an eine Finanzsolidaritat der ganzen Welt mit Einschlufi der Sowjetunion vor; es bestand die Absicht, nach dem Auslaufen der Pacht-Leih-Hilfe und der iibrigen Programme kostenloser Hilfe („ Grants" und „ Gifts") zu normalen Methoden der Kreditgewahrung („Loans" und „Credits") zuriickzukehren, fur die die neuen Finanzinstitute Weltbank, Weltwahrungsfonds und Export-Import-Bank bereitstanden. Es zeigte sich jedoch bald, dafi von einer Wiederherstellung normaler Wirtschaftsbeziehungen mit den vom Kriege zerstorten Landern audi nach dem Ablauf der Ubergangszeit noch keine Rede sein konnte 150 ; zudem war zumindest die Sowjetunion keineswegs gewillt, an der Verwirklichung der „One World" positiv und ohne Hintergedanken mitzuwirken. Die iiber die UNRRA der Sowjetunion zufliefienden Mittel wurden nicht zur Hilfeleistung fur die notleidende Bevolkerung, sondern iiberwiegend fiir politische Zwecke verwendet; die „Gleichschaltung" der Tschechoslowakei und das Vordringen des Kommunismus im Nahen und Fernen Osten, nicht zuletzt auch der „kalte Krieg" und die Politik der DDR zeigten dariiber hinaus, dafi die Hoffnung auf eine solidarische Zusammenarbeit aller Lander der Welt zumindest verfriiht, wenn nicht eine ganzliche Fehleinschatzung der politischen Weltlage gewesen war. Unter der Wirkung dieser enttauschenden Erkenntnis kam es zwei Jahre nach dem Ende des Krieges zu einer radikalen Schwenkung in der internationalen Finanzpolitik der USA. An die Stelle des Gedankens einer Finanzsolidaritat der ganzen Welt auf Grund allseitig akzeptierter und ratifizierter Kollektivvertrage trat ein neuer finanzpolitischer Bilateralismus, der einerseits weitgehend zu dem Grundsatz kostenloser Hilfeleistungen zuriickkehrte, die Gewahrung dieser Hilfe aber von konkreten Beweisen der Kooperation abhangig machte. Gleichzeitig trat die Isolierung 151 des Kommunismus als beherrschendes Ziel der amerikanischen Aufienpolitik in den Vordergrund; die Hilfeleistungen sollten die von dem Eindringen kommunistischer Umsturzgedanken bedrohten Lander in die Lage versetzen, ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und den Lebensstandard ihrer Bevolkerung nachhaltig zu heben. Neben dem politisch vordringlichsten Hilfsprogramm fiir Griechenland und die Turkei, das militarische Hilfeleistungen und Lieferungen umfafite, ist hier insbesondere die Gewahrung wirtschaftlicher Hilfe an die Bevolkerung der deutschen Besatzungsgebiete zu erwahnen, die durch die Dienststellen der Besatzungs-
150 Die Grofibritannien 1946 gewahrte Wiederaufbauanleihe von 3,75 Mrd. Dollar war innerhalb eines Jahres fast ganz fiir Lebensmitteleinfuhren aufgebraucht worden. 151 „Containmentcc.
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
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truppen organisiert wurde (GARIOA) 1 5 2 ; von den 3,2 Mrd. $ ziviler Bedarfsgiiter, die von 1946 bis 1948 auf diesem Wege verteilt wurden, erhielt Westdeutschland mit 1,4 Mrd. $ den Hauptanteil 153 . Weithin sichtbar trat die neue Richtung der amerikanischen Finanzhilfe mit dem Marshallplan von 1947 in Erscheinung. Aufienminister Marshall forderte vom Kongrefi finanzielle Hilfe fiir diejenigen Lander insbesondere in Europa, die aus eigener Kraft ihrer Zahlungsbilanzschwierigkeiten nicht Herr werden konnten; diese Hilfeleistung sollte allerdings davon abhangig gemacht werden, dafi die europaischen Lander sich bereit fanden, ihrerseits wirtschaftlich zusammenzuarbeiten und ein Programm der Selbsthilfe und der gegenseitigen Hilfe in Angriff zu nehmen. Der europaische Wiederaufbau, sagte General Mashall am 5. Juni 1947 vor den Studenten der HarvardUniversitat, sei und bleibe grundsatzlich „the business of the Europeans"; doch seien die Vereinigten Staaten bereit, einen „gemeinsamen Plan" der europaischen Lander aufstellen zu helfen und seine Ausfiihrung zu unterstiitzen. Der iiberwiegende Teil der Marshallhilfe wurde an die Regierungen der Empfangerlander geschenkweise nur mit der Auflage gewahrt, dafi von dem in Landeswahrung aufzubringenden Gegenwert fiir die amerikanischen Lieferungen 5°/o den Vereinigten Staaten fiir ihre eigenen Zwecke zur Verfiigung stehen sollten; 9 5 % der Gegenwerte verblieben den Regierungen zu Investitionszwecken (sog. Gegenwertfonds), wobei sich die ECA-Missionen ein gewisses Mitspracherecht bei der Vergabe dieser Mittel vorbehielten. Als politische Gegenleistung, die 1949 nochmals ausdriicklich als Bedingung der Marshallhilfe aus der Praambel des urspriinglichen Gesetzes 154 iibernommen wurde, forderte der Kongrefi von den europaischen Empfangerlandern die Bereitschaft zu einer verstarkten europaischen Integration, zunachst im Sinne der Erweiterung und Liberalisierung des zwischenstaatlichen Handels und der Intensivierung des Wettbewerbs, aber mit dem Endziel, Europa zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zu machen und dadurch zugleich viele der bisherigen Zahlungsbilanzprobleme zu iiberwinden. Mafigebende Personlichkeiten sahen diesen ersten Programmpunkt als einen ersten Schritt der amerikanischen Aufienpolitik auf dem Wege einer auf lange Sicht geplanten Forderung der wirtschaftlichen, politischen und militarischen Vereinigung aller westeuropaischen Lander 155 ; dariiber hinaus spiegelte sich darin die Konzeption einer internationalen Norm finanzpolitischen Wohlverhaltens, die fiir alle Empfangerlander verbindlich sein sollte.
152 153 154
Government Aid and Relief in Occupied Areas. U. a. erhielt Japan 1 Mrd., Italien 244 Mill., Dsterreich 94 Mill. Dollar. "It is further declared to be the policy of the people of the United States to encourage the unification of Europe." 155 Y g ^ Survey of U S International Finance, a.a.O., 1949, S. 135.
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Erfolgsmaftstabe der Finanzpolitik
Welchen Widerhall diese internationale Finanzpolitik der USA im europaischen Raum fand, offenbarten die Halbjahresberichte des von der OEEC eingesetzten Sachverstandigenausschusses der sieben europaischen Lander 156 uber die Fortschritte, die in Europa jeweils seit Beginn der Marshallhilfe auf dem Wege zur Erzielung der internen finanziellen Stabilitat erreicht worden waren. Die einzelnen Lander erhielten in diesen Berichten regelrechte „Zensuren" fiir ihre Finanzpolitik; um dem Ziel des Zahlungsbilanzgleichgewichts naher zu kommen, empfahl die OEEC den beteiligten Landern regelmafiig, ihren innereuropaischen Warenhandels- und Dienstleistungsverkehr durch moglichst weitgehende Liberalisierung zu intensivieren. Um die dabei erreichten Erfolge nicht wieder zu gefahrden, sollten die einzelnen Lander jedoch zunachst „ihre Haushalte in Ordnung bringen". Zu diesem Zweck schlug die OEEC in erster Linie Einsparungen im offentlichen Haushalt und einen moglichst vollstandigen Ausgleich zwischen Ausgaben und Einnahmen vor; manche Lander konnten dies durch Erhohung der Steuern erreichen, aber selten fehlte der Hinweis, dafi eine Uberspannung der Steuersatze unter Umstanden den Erwerbssinn beeintrachtigen und zu unproduktiven Ausgaben verleiten konne. Deflatorische Mafinahmen seien allerdings ebenfalls bedenklich, weil sie zur Arbeitslosigkeit fiihren und damit indirekt das Autarkiedenken wieder beleben wiirden; die Finanzpolitik der 16 Marshallplanlander sollte unter diesen Gesichtspunkten laufend weiter beobachtet werden. Das wirksamste Mittel, diesen Empfehlungen Geltung zu verschaffen, waren in der Zeit des Marshallplanes die bereits erwahnten Gegenwertfonds; da die Lieferungen der Europahilfe nur zu 5 % an die USA bezahlt zu werden brauchten, sammelten sich bei den Regierungen Gegenwertmittel im Betrage von 9 5 % des Warenwertes der Hilfslieferungen an, die jeweils von der OEEC nur fiir solche Zwecke freigegeben wurden, die der Erfullung des erwahnten Programms finanzieller Stabilitat zugute kamen. Die OEEC hatte damit ein Instrument in der Hand, mit dessen Anwendung sie sich zwar mancher Kritik aussetzte, dessen Wirksamkeit aber nicht zu leugnen war; der mafigebende Einflufi, den indirekt auch hier die amerikanischen Ratgeber ausiibten, ging trotz mancher Inkonsequenzen im einzelnen doch in der allgemeinen Richtung einer Wiederherstellung der finanziellen Stabilitat, insbesondere einer wirksamen Bekampfung der Inflation. Die Problematik dieser Entwicklung liegt insbesondere in dem Ubergang von der Gewahrung verlorener Zuschiisse („Grants
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Vergabe verlorener Zuschlisse pladierten; zu diesem Zweck sollte eine eigene Institution im Rahmen der U N O geschaffen werden. Wenn es audi schliefilich zu dem Beschlufi kam, eine solche Institution zu griinden, so verhinderte doch die harte Haltung der amerikanischen Regierung, wahrscheinlich unter dem Eindruck ihrer finanziellen Belastung durch die Korea-Krise, dafi dieser Beschlufi ausgefiihrt wurde; ohnehin ware den Vereinigten Staaten wiederum der Lowenanteil an der Ausstattung dieses Fonds zugefallen 157 . Die einseitige Belastung der amerikanischen Zahlungsbilanz durch die Auslands- und Entwicklungshilfe in ihren verschiedenen Formen wurde in der finanz- und innenpolitischen Diskussion der USA von Jahr zu Jahr scharfer kritisiert; es lag nahe, die inzwischen wirtschaftlich erstarkten NATO-Partner, alien voran die Bundesrepublik Deutschland, zu einer Beteiligung an dieser Gemeinschaftsaufgabe der freien Welt zu veranlassen. Im Jahre 1960 erschien der stellvertretende amerikanische Aufienminister D. Dillon zusammen mit Finanzminister R. Anderson in Bonn, um dieser amerikanischen Forderung Nachdruck zu verleihen; vorangegangen war ein langerer Austausch diplomatischer Unterlagen, aus denen sich die Ansicht der amerikanischen Regierung dariiber erkennen liefi, wie der schwebenden Zahlungsbilanzkrise der USA durch Beteiligung der deutschen Finanzpolitik an den Aufgaben der Auslands- und Entwicklungshilfe beizukommen sei. P. N . Rosenstein-Rodan hatte in einem Gutachten 158 alle Lander der westlichen Welt nach der ungefahren Hohe ihres Pro-Kopf-Einkommens gruppiert und dabei die Auffassung vertreten, dafi alle Lander, in denen das bereinigte jahrliche Nettovolkseinkommen pro Kopf der Bevolkerung 600 US-Dollar uberstieg, zur Mitwirkung an der Auslands- und Entwicklungshilfe aufgefordert werden sollten, die denjenigen Landern zugute kommen sollte, deren Volkseinkommen betrachtlich unter dieser „Wohlstandsgrenze
S. 24 ff.
Zimmermann, H.: Uffentlidie Finanzhilfen an Entwiddungslander, a.a.O.,
158 Rosenstein-Rodan, P. N.: International Aid for Underdeveloped Countries, Working Paper D 60-17, o. O., August 1960 (als Manuskript vervielfaltigt).
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ErfolgsmaEstabe der Finanzpolitik
Tabelle 15. Entwicklungshilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland 1950—1968 — in Mill. DM —
Art Staatliche Transaktionen mit Entwicklungslandern Technische Hilfe und sonstige Zuschusse Wiedergutmachungsabkommen mit Israel und Griechenland Kredite mit einer Laufzeit von 1 bis unter 5 Jahren von 5 und mehr Jahren c Riickzahlungen Tilgungszahlungen an Entwicklungslander Konsolidierungskredite Konsolidierte Betrage Riickzahlungen Warenkredite
1950 bis 1961
1962
1963
1964
1965
1966
1967
1968l
9554
1365
1739
1691
1884
1944
2188
2215
312
223
330
371
403
451
540
639
2465
280
278
250
300
521 1967 427
180 979 180
69 1196 195
49 1398 317
137 1384 407
67 1698 339
165 1739 473
32 b 1450 b 332 h
170 258
18 96
3 53
0 9
52
57
61
88
1
9
105
163
6
-31
-10
14
48 1434 488 17
27
41
1 100
mit internationalen Fonds Zuschusse an die Vereinten Nationen
92
41
48
55
den Europaischen Entwicklungsfonds
508
308
2999
19
mit internationalen Entwicklungsbanken Kapitaleinzahlungen und Kredite (netto) an die Weltbank die Internationale Finanzkorporation
13
-60
15
43 Mrd. DM aufgebracht und den Entwicklungslandern zur Verfiigung gestellt worden (vgl. Tabelle 15). Wenn damit audi noch keineswegs die ins Auge gefafite Summe von l°/o des Bruttosozialprodukts erreicht worden ist, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, dafi der bisher einseitig mit diesen Leistungen belasteten Zahlungsbilanz der USA durch diese deutschen Beitrage eine nicht unbetrachtliche Entlastung zuteil geworden ist; auf der anderen Seite ist die deutsche Finanzpolitik seitdem unvermittelt mit der
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
489
Tabelle 15 (Fortsetzung) 1950 bis 1961
Art die Internationale Entwicklungsorganisation die Asiatische Entwicklungsbank Private Transaktionen mit Entwicklungslandern Garantierte Exportkredite Garantierter Teil (80%) Nicht garantierter Teil (20°/o) Konsolidierungskredite (Handelsschulden) Export- und Finanzkredite der Kreditanstalt fiir Wiederaufbau e Wiederanlage von Kapitalertragen (geschatzt) Andere Direktinvestitionen Andere langfristige Kapitalanlagen mit internationalen Finanzierungsinstituten Kaufe von Anleihen f
92
1968 a
1962
1963
1964
1965
1966
1967
41
41
41
97
96
97
159
14
14
14
8423
729
669
1137
1020
1006
2374
4324
4281
129
230
375
187
327
1162
817
1071
32
57
112
47
82
290
204
9
-28
-57
-47
—40
-44
-32
308 d
166 748
176
170
205
220
248
284
1750
385
195
273
313
413
703 1660
332
265
-2
45
229
302
-24
-21
1177
Insgesamt 17977
2594
2408
2828
2905
2950
4562
6539
a Vorlaufiges Ergebnis. — b Ohne Export- und Finanzkredite der Kreditanstalt fiir Wiederaufbau, die bei den privaten Transaktionen nachgewiesen werden. — c Oberwiegend Kredite mit einer Laufzeit von mehr als 10 Jahren. — d Einschl. eines Verlustes von 21 Mill. DM aus der DM-Aufwertung. — e Die Export- und Finanzkredite der Kreditanstalt fiir Wiederaufbau werden bis 1967 unter den staatlichen Transaktionen nachgewiesen (vgl. FuEnote b). — f Insbesondere Weltbankanleihen und Beteiligung deutscher Geschaftsbanken an Weltbankkrediten. (Entnommen Stat. Jahrb. d. BRD, 1969, S. 516.)
besonderen politisch-finanziellen Problematik derartiger Hilfsgeldzahlungen konfrontiert. Die oben erwahnte Wandlung in der Form der gewahrten Hilfe von den „verlorenen Zuschiissen" zu mehr oder weniger streng verbiirgten „Krediten", die sich audi bei der Erweiterung der Entwicklungshilfe durch andere Lander, nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland, beobachten lafit, geht letztlich auf die weitverbreitete „Glaubigermentalitatcc in den Geberlandern
Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
490
zuriick, die sich bei der Vergabe von Finanzhilfen gern an „objektiven" Kriterien orientieren mochten. Der Praktiker klammert sich dabei an die Spielregeln des Kreditgeschaftes, zu denen Verzinsung und Verpflichtung zur Riickzahlung gehoren; der Wirtschaftstheoretiker ubertragt auf das Entwicklungsland marktwirtschaftliche Prinzipien, nach denen nur der Zwang zur Verzinsung und Riickzahlung zur Schaffung einer rentablen Produktion in den Entwicklungslandern fiihre, und auch der Finanztheoretiker pflegt in Anwendung der klassischen Deckungsgrundsatze den Mafistab der Vergabe in Produktivitat und Rentabilitat der finanzierten Objekte zu suchen 159. In der Analogie zu der neueren finanztheoretischen Beantwortung der Frage „Steuer oder Anleihe?" kommt die Entwicklungstheorie heute in dieser Frage zu einem neuen, vom Objekt gelosten Kriterium; fiir die Form der Entwicklungshilfe kommt es auf die langfristige Aufbringungs- und Transferfahigkeit des Schuldnerlandes und seinen vermutlich zu erwartenden jahrlichen Zuwachs des Sozialprodukts an, also auf die „Schuldendienstfahigkeit" des Entwicklungslandes 160 . 1st es auch unbestreitbar, dafi der Beitrag mancher bedeutsamer Entwicklungsprojekte zum Sozialprodukt nicht zahlenmafiig mefibar ist, so pflegen doch gerade derartige Projekte beispielsweise der Infrastruktur (Strafien, Schulen, Krankenhauser) entscheidende Grundlagen fiir die Entwicklung eigener Industrien und eines wirtschaftlichen Wachstums in den Entwicklungslandern zu schaffen, allem voran diejenigen auf dem Gebiete des Erziehungs- und Bildungswesens. Die weitverbreitete Einsicht in die zwar quantitativ-vordergriindig nicht mefibare, tatsachlich aber unleugbar vorhandene Effizienz derartiger „Bildungsinvestitionen", deren sich seit einiger Zeit der neue Zweig der „Bildungsokonomik" annimmt 161 , bietet zusatzliche Anhaltspunkte fiir die Entscheidung iiber die zweckmafiigste Form der Entwicklungshilfe, fiir die es auf diesem Gebiet in Analogie zur nationalen Finanzwirtschaft eines mutigen Einsatzes „verlorener Zuschusse" bedarf; diese brauchen sich nicht einmal auf finanzielle Transaktionen zu beschranken, sondern versprechen u. U. noch bessere Erfolge, wenn sie mit organisatorischen Vorkehrungen, wie der Griindung des amerikanischen „Peace-Corps" und des deutschen „Entwicklungsdienstes" Hand in Hand gehen. Gegenstand der Entwicklungshilfe ist nicht nur die Ausstattung von vorhandenen, von kommerziellem Erwerbsstreben erfiillten und mit technischen Kenntnissen begabten Unternehmern mit fehlendem Kapital, sondern gerade auch die Sorge fiir das erforderliche „Know-How" und die Schaffung einer entsprechenden Wirtschaftsmentali159
Zimmermann, H.: Dffentliche Finanzhilfen . . . , a.a.O., S. 144 ff. Vgl. Zimmermann, H.: Dffentliche Finanzhilfen . . . , a.a.O., S. 51 ff. u. 90 ff., sowie die dort angegebene Literatur. 161 Bombach, G.: Bildungsokonomie, Bildungspolitik und wirtsdiaftliche Entwicklung, in: Bildungswesen und wirtschaftliche Entwicklung, VII. Gesprach zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, veranstaltet vom Bundesverband der Deutschen Industrie im Dezember 1963, Heidelberg 1964. 160
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
491
tat: „ Entwicklungshilfe im fr linen Stadium ist zu einem guten Teil Finanzierung noch nicht marktwirtschaftlicher Institutionen . . . Wenn man mit der Entwicklungshilfe warten will, bis geniigend dynamische Unternehmer mit Vorschlagen fiir rentable Projekte bereitstehen, so ist erstens zu iiberlegen, ob diese Vorstellung mit der Entwicklung der europaischen Volkswirtschaften aus dem Merkantilsystem iibereinstimmt, zweitens, ob die Entwicklungslander inzwischen nicht Losungen versuchen, die ihnen adaquater erscheinen, dem Westen aber sehr unangenehm sein durften, und drittens, ob derjenige, der eine solche Politik des Hartbleibens vertritt, sie bei einem Blick auf die Lage in den Entwicklungslandern mit seinen ethischen Normen vereinbaren kann." 162 Unter diesem Aspekt sind der internationalen Finanzpolitik, an der neben den Vereinigten Staaten heute audi die Bundesrepublik beteiligt ist, ihre Aufgaben vorgezeichnet; inwieweit sie die gestellten Forderungen unserer Zeit nach einer sachgerechten und erfolgreichen Entwicklungshilfe erfiillt, wird nicht zuletzt davon abhangen, ob sie unter dem Einflufi neuer und sachgerechter Mafistabe finanzieller Hilfen die richtige Entscheidung zwischen „Grants" und „Loans" trifft, die in ihrem Kern nicht nur eine finanztheoretische und finanzpolitische, sondern dariiber hinaus eine politische Frage ersten Ranges ist. Die Zukunft wird zeigen, ob auf diesem fiir die Existenz der gesamten freien Welt so entscheidenden Gebiet politische Einsicht und finanzpolitische Moglichkeiten harmonieren. Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, dafi diese Probleme mit den Kategorien der quantitativ-okonomischen und der bisherigen Finanztheorie allein nicht zu losen sind; es bedarf dazu einer naheren Analyse und Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung, die insbesondere in den Entwicklungslandern mit hochst unterschiedlichen Formen menschlichen Verhaltens und dem Einflufi zahlreicher irrationaler Faktoren, Beharrungstendenzen und Traditionen zu rechnen hat. Mit der genaueren Untersuchung des fiir die wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieser Lander bestimmenden Verhaltens ihrer Menschen erwachst insbesondere der sozialokonomischen Verhaltensforschung in Zukunft eine schwierige, aber ungemein wichtige Aufgabe; ihr Ziel mufi es sein, geeignete Methoden fiir eine wirksame und verantwortliche Beeinflussung der Motivationen und Einstellungen der verschiedenen Gruppen und einzelnen Wirtschaftssubjekte zu ermitteln, urn so die heute noch weitverbreiteten inneren und aufieren Widerstande gegen die fiir die Anwendung der neuen Verfahrensweisen nun einmal notwendigen Anderungen ihres wirtschaftlichen Verhaltens allmahlich abzubauen und die jungen Volker damit von der Fremdhilfe auf den Weg der Selbsthilfe zu fuhren 163. 162 Zimmermann, H.: Dffentlidie Finanzhilfen ..., a.a.O., S. 146. 163 Schmolders, G.: Der Beitrag der Verhaltensforschung zur Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, in: Systeme und Methoden in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Erwin von Beckerath zum 75. Geburtstag, Tubingen 1964, S. 363 ff.
Erfolgsmaftstabe der Finanzpolitik
492
Hat die Finanzpolitik schon mit der Finanzierung der Auslands- und Entwicklungshilfe den Bereich der „grofien Politik" betreten, so gewinnt sie im Zeitalter der grofien Blockbildungen in Ost und West mit ihrem Beitrag zur europaischen und dariiber hinaus zur atlantischen Gemeinschaft vollends den Rang eines integrierenden Bestandteils der Weltpolitik. Dieser Beitrag liegt nicht nur in den mehrfach erwahnten Beispielen einer zwischenstaatlichen Finanzsolidaritat, die von gewissen gemeinsamen Begriffen und Ordnungsvorstellungen auf dem Gebiet der inneren und aufieren finanziellen Stabilitat bis zu ersten Ansatzen einer „supranationalen" Finanzverfassung 164 reicht, sondern auch in dem vielfach fast unmerklichen Prozefi einer allmahlichen Angleichung der nationalen Finanz- und Steuersysteme, der mit dem Problem der zur Zeit vordringlich diskutierten Steuerharmonisierung im Bereich der EWG erhohte aufienpolitische Bedeutung gewonnen hat; der Mafistab ihres Erfolges liegt in dieser Beziehung auch fur die Finanzpolitik in Erfolg oder Mifierfolg der „grofien Politik" beschlossen. Der Prozefi der internationalen Angleichung der Finanz- und Steuersysteme ergab sich zunachst ohne viel Zutun internationaler Organisationen einfach aus dem allgemeinen Tatbestand des iiberall gewaltig angewachsenen Finanzbedarfs der offentlichen Haushalte. Die Aufgabe, diesem Finanzbedarf durch eine immer weiter vervollkommnete und gesteigerte Ausschopfung aller Steuerquellen in den einzelnen Landern Rechnung zu tragen, fuhrte iiberall zu ahnlichen Losungen, die sich aus der Ahnlichkeit ihrer Wirtschaftsstruktur, ihres Rechtssystems und ihrer Finanzgebarung mehr oder weniger zwangslauflg ergaben; sobald ein betrachtlicher Prozentsatz des Volkseinkommens fur Zwecke des Gemeinschaftsbedarfs abgezweigt werden mufite, fuhrte die immanente Logik des Staats- und Wirtschaftsaufbaus iiberall zu einer eng begrenzten Auswahl von Besteuerungsformen, die sich als hinreichend ergiebig und praktikabel erwiesen. In riickblickender Betrachtung sind es drei grofie Etappen, die durch drei Hauptsteuern gekennzeichnet sind, auf denen jeweils das Schwergewicht der Entwicklung und teilweise auch der Aufbringung lag; die Ertragsteueretappe der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts wurde in den letzten 100 Jahren von dem Siegeszug der progressiven Einkommensteuer abgelost, und heute schickt sich die Umsatzsteuer an, zusammen mit der Korperschaftsteuer die fiihrende Rolle im Ensemble der grofien Steuern zu iibernehmen. Die Kulminationspunkte dieser Entwicklung waren die beiden Weltkriege, deren Finanzbedarf es mit sich brachte, dafi von dem Instrument der Einkommensteuer in einem Mafie Gebrauch gemacht wurde, das die Ausschopfung dieser Steuer bis nahe an ihre Grenze heranfiihrte. Diese Ubersteigerung der Einkommensteuer machte sich nach zwei Seiten hin geltend: nach oben in Gestalt der immer weiter getriebenen Progression, die marginale Steuersatze 164
Vgl. § 8.
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
493
von annahernd 90 v. H. erreichte, nach unten in einer Einengung der Freigrenzen und Freibetrage, die angesichts des verringerten Geldwerts audi solche Bevolkerungsschichten zur Einkommensteuer heranzog, zu deren steuerlicher Entlastung sie urspriinglich eigentlich geschaffen worden war. Damit verlor das wesentlich sozialpolitische Anliegen der Einkommensteuer viel von seinem Sinn; mit der Besteuerung der eigenen Lebenshaltung, nicht mehr nur des iiber die zur Lebenshaltung erforderlichen Betrage hinausgehenden Oberschusses, verwandelte sich die Einkommensteuer in eine Massensteuer. Der Zeitpunkt, an dem diese Ubersteigerung der Einkommensteuer nach oben wie nach unten deutlicher sichtbar und fiihlbar wurde, war und ist fur die einzelnen Lander je nach ihrem Industrialisierungsgrad, nach ihrem Volkswohlstand und der Einkommensverteilung verschieden. Wie der Krieg und die ihm folgende Umschichtung der Einkommen und Vermogen, so ist audi der Verfall der Wahrungen und die Geldentwertung in einer Reihe zusammenhangender Wellen durch die europaischen Lander gegangen; die Verbreitung und Ausschopfung der Einkommensteuer mufite sich jeweils an die durch diese Entwicklung geschafTenen besonderen wirtschaftlichen Situationen anpassen. Einerseits versagte die Einkommensteuer in Zeiten der Geldentwertung weitgehend in ihrer fiskalischen Leistung, da die Veranlagung meist nach zuriickliegenden Zeitraumen erfolgte und infolgedessen keine nennenswerten Realertrage mehr erbrachte (nicht so bei Selbstveranlagung); andererseits zwang der Finanzbedarf gerade in Notzeiten zur Erschliefiung schnell greifbarer und laufend fliefiender Steuereinnahmen, die sich an anderen Mafistaben als an dem Einkommen eines zuriickliegenden Zeitabschnittes orientieren mufiten. So kam es in Deutschland schon in den Inflationsjahren 1922—1924 zu einem starken Vordringen der Umsatzsteuer, die damit vorlibergehend schon einmal in die Rolle der Hauptsteuer des Steuersystems hineinwuchs, die sie heute gewonnen hat. Der Stabilisierung der europaischen Wahrungen um die Mitte der 20er Jahre folgte zunachst ein Wiederaufleben der Einkommenbesteuerung in den meisten europaischen Landern. In den Landern, deren alter Wohlstand und reicher Uberseebesitz die Uberwindung der Kriegsfolgen ohne Wahrungsverschlechterungen dramatischen Ausmafies erlaubte, ging die Entwicklung der Einkommensteuer noch ein voiles Jahrzehnt ungestort weiter; in und nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Grofibritannien die Rekordanspannung der Einkommensteuer mit Satzen bis zu 97,5 v. H., und im gleichen Zeitraum sahen sich die Vereinigten Staaten genotigt, mit den Freigrenzen ihrer Bundeseinkommensteuer so weit herunterzugehen, dafi nunmehr mit iiber 40 Mill. Steuerpflichtigen die Einkommensteuer auch bei ihnen zu einer Massensteuer wurde. Fast unvermerkt bahnte sich jedoch in diesen Jahrzehnten eine international gleichgerichtete Entwicklung an, die zu einem zunachst ganz unmerklichen, spater erst deutlicher werdenden Verlagerungsprozefi in den
494
Erfolgsmafistabe der Finanzpolitik
Steuersystemen der Industrielander fuhrte. Die Notwendigkeit grofkmoglicher Kapitalakkumulation fiir die Durchfuhrtmg grofier industrieller Vorhaben fuhrte in diesen Landern immer mehr zu einer Entpersonlichung der Unternehmungen und zur Herausbildung anonymer Gesellschaftsformen; diese fmanzkraftigen Kapitalsammelbecken, Unternehmungen und Konzerne mufiten der Finanzpolitik als besonders verlockende Steuerobjekte erscheinen. Mit der Gewinnbesteuerung juristischer Personen, die in Preufien schon 1891 eingefiihrt wurde, gewann eine neue Besteuerungsform an Verbreitung, die in Deutschland 1920 den Namen „K6rperschaftsteuer
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
495
mehr gewinnt, der Siegeszug der Umsatzsteuer, sei es der wie bei uns bis 1967 als Verkehrsteuer ausgestalteten Kumulativsteuer vom Bruttoumsatz, sei es der modernen, nach dem Mafie des „ Value added", wie die Amerikaner, oder des „Valeur ajoutee", wie die Franzosen es nennen, erhobenen Nettoumsatzsteuer oder Mehrwertsteuer; der finanzielle Druck der beiden Weltkriege zwang die meisten Staaten, ihre Zuflucht wieder zu dieser Steuer zu nehmen, die schon in den vergangenen Jahrhunderten grofie Bedeutung besessen hatte. 1916 tauchte der Umsatzstempel in Deutschland auf, 1917 fafite die daraus entstandene Umsatzsteuer in Frankreich Fufi, 1919 folgten Italien und 1921 Belgien mit der Einfiihrung der allgemeinen Umsatzsteuer; audi in den Vereinigten Staaten sahen sich in der Wirtschaftskrise von 1929/30 viele Staaten gezwungen, eine Umsatzsteuer einzufiihren. Vollends im Zweiten Weltkrieg griff die Umsatzsteuer audi in den Landern um sich, in denen man sich bisher noch erfolgreich gegen sie gewehrt hatte, so 1940 in Grofibritannien und 1941 in der Schweiz und in Schweden, wo gegenwartig der Ubergang zur leistungsfahigeren Mehrwertsteuer diskutiert wird. So sind die Steuersysteme seit langem iiberall in Bewegung geraten; als Grundzug der Steuerreformen zeichnet sich immer deutlicher eine Entwicklung ab, die die bestehenden Verschiedenheiten der nationalen Steuersysteme durch eine allmahliche Angleichung abzulosen scheint167. Wenn man auf das Wesen der Steuern blickt, die unter den verschiedensten Namen in den einzelnen Landern heute erhoben werden, ist die internationale Koordinierung der Steuersysteme sogar bereits weiter fortgeschritten, als man von aufien erkennen kann. Unterscheidet man zwischen der Lohnsteuer und veranlagten Einkommensteuer der naturlichen Personen (Mafisteuern) auf der einen, der allgemeinen Umsatzsteuer, der Korperschaftsteuer und den traditionellen, insbesondere aber den neuartigen Verbrauchsteuern (Mineralolsteuer) — also den Marktsteuern — auf der anderen Seite, so scheint der Prozentsatz, in dem diese beiden Gruppen an den Steuersystemen beteiligt sind, gar nicht mehr so ungleich; audi ist in Wahrheit ein Teil derjenigen Steuern, die wir herkommlicherweise noch zu den auf die Einkommenserzielung gelegten Steuern zu rechnen pflegen, denen auf die Einkommensverwendung wesensmafiig schon sehr nahe geriickt. Das markanteste Ergebnis dieser Entwicklung ist es vielleicht, dafi die einzelnen Steuern sich dabei vielfach in ihrem Wesen weitgehend gewandelt haben, ohne dafi die amtliche Finanzpolitik und die offentliche Meinung von der Wesenswandlung irgendeine Kenntnis genommen hatte. Weder ist die Einkommensteuer, vielleicht mit Ausnahme der Lohnsteuer, die in den mittleren Einkommensschichten eine ziemliche Belastungsprogression herbeifiihrt, heute noch jene nach der effektiven finan167 Pfeil, G. H.: Steuerreform als Internationales Problem, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, NF. H. 9, Berlin 1955.
Erfolgsmaftstabe der Finanzpolitik
496
ziellen Leistungsfahigkeit des einzelnen Zensiten ausgerichtete Progressivbelastung der „Reichen", die ihr einst ihren hohen sozialen Rang verschafft hat, noch kann die Korperschaftsteuer, an deren uberwiegender Weitergabe in den Preisen der Erzeugnisse heute kaum noch ein ernsthafter Zweifel besteht 168, ihr hierin zu Hilfe kommen; auf der anderen Seite wirken die Verbrauchsteuern und insbesondere die allgemeine Umsatzsteuer kaum noch in dem Mafie regressiv und damit unsozial, wie man diesen Vorwurf friiher gegen sie vorzubringen pflegte. Vielmehr ist es in vielen Landern gelungen, durch Steuerbefreiung der Lebensmittel und anderer Massenbedarfsartikel auf der einen Seite sowie durch eine mehr oder weniger zweckmafiig durchgefuhrte Differenzierung der Verbrauch- und Umsatzsteuersatze fiir die Warengruppen des gehobenen Bedarfs auf der anderen Seite ein gewisses Element der Progression auch in die allgemeine Verbrauchs- und Umsatzbesteuerung hineinzutragen. Freilich bringt es die Riicksichtnahme auf eine gewisse „soziale Optik" in den politischen Entscheidungen mit sich, dafi die Lander der parlamentarischdemokratischen Staatsform diese Dinge in der Regel nicht offen beim Namen nennen und ihr Steuersystem nach reinen Zweckmafiigkeitsgesichtspunkten aufbauen konnen. Das rationale Kalkiil besitzt in einem Gebiet, das so stark von Leidenschaften und echter oder vermeintlicher Interessenwahrnehmung beherrscht wird wie die Steuergesetzgebung, bei weitem nicht geniigend Durchschlagskraft, um sich gegen die allgegenwartigen demagogischen oder doch politisch-taktischen Erwagungen der Politiker durchsetzen zu konnen. Rational betrachtet, ist die Regressionswirkung einer in den Preisen uberwalzten Korperschaft-, Gewerbe- und Einkommensteuer, die keiner Lenkung und keiner Differenzierung zuganglich ist wie die der Umsatzsteuer, in der Regel sozial um so bedenklicher, als diese Steuern zum mindesten in den Preisen der unbedingt lebensnotwendigen Massenguter mit einem hohen Grade an Wahrscheinlichkeit voll enthalten sind, wahrend ihre Oberwalzung in den Preisen der Giiter eines elastischen Bedarfs unter Umstanden weit weniger leicht gelingen mag. Aus diesem Grunde miifite die Fragestellung der Finanzpolitik heute nicht mehr wie vor 80 Jahren: „direkte oder indirekte Steuer?" 169 lauten, sondern eher „kontrollierbare oder nichtkontrollierbare Regression?". Kontrollierbar und lenkbar ist die unvermeidliche Regressionswirkung der heutigen hohen Steuerbelastung leichter in einem rational aufgebauten Umsatz- und Verbrauchsteuersystem als in dem System einer uberspannten Einkommen- und Korperschaftbesteuerung; die immanente Vernunft der vom Finanzbedarf diktierten Entwicklung fiihrt viel168 169
Vgl.B§ 37. S. hierzu auch Wittmann, W.: Direkte und indirekte Steuern — eine ungluckliche Zweiteilung, in: Neue Ziircher Zeitung, v. 10. 12. 1969, Fernausgabe Nr. 339, S. 49.
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
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leicht auf diesem Gebiet eher zu rationalen Losungen, als die von optischen Riicksichten behinderten Politiker und gesetzgebenden Organe in den einzelnen Landern sie vollziehen konnen 170 . Viele Probleme der „Harmonisierung" der Steuern im europaischen und dariiber hinaus im atlantischen Rahmen prasentieren sich im ubrigen gerade deshalb als schwer losbar, weil der Blick meist mehr auf die Angleichung einzelner Steuern gerichtet ist als auf das gesamte Steuersystem. Von der Aufgabe der Angleichung der Finanz- und Steuersysteme her konnen jedoch Einzellosungen auf dem Gebiete dieser oder jener Steuer nicht zum Ziele fiihren; insofern hat audi die in der Diskussion um die Steuerharmonisierung im Gemeinsamen M a r k t vielfach propagierte Alternative „t)bergangsregelung oder Endlosung", die auf das sog. „Tinbergen-Gutachten" 171 zuriickgeht, heute viel von ihrer damaligen Aktualitat verloren. Das Gutachten, das lediglich eine Losung des Problems der steuerlichen Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen M a r k t fiir Kohle und Stahl (Montanunion) erarbeiten sollte, befurwortete fiir die Umsatzsteuer und die speziellen Verbrauchsteuern die Beibehaltung des sog. „Bestimmungslandprinzips" 5 bei dem die auslandischen Waren im grenzuberschreitenden Verkehr einer Z u satzsteuer in H o h e der im Inland geltenden Steuerbelastung unterworfen werden, wahrend dem Ausfuhrlande das Recht verbleibt, seine Exportgiiter an der Grenze steuerlich voll zu entlasten oder die bereits gezahlten Steuern zuruckzuverguten 1 7 2 . Die Beibehaltung des Bestimmungslandprinzips w a r bis zur Harmonisierung der Umsatzsteuersysteme und bis zur K o r r e k t u r der damaligen Wechselkurse gedacht; mit der Erweiterung des Gemeinsamen Marktes auf alle Giiter und Leistungen, mit der Angleichung der Wechselkurse durch die F r a n c - A b - und DM-Aufwertungen und mit der Einfiihrung der Mehrwertsteuer in der Bundesrepublik sind die Bemiihungen, die steuerlichen Wettbewerbsverzerrungen im Warenaustausch mit Frankreich zu beseitigen, in ein neues Stadium getreten. Die stark vereinfachende U n t e r stellung des genannten Gutachtens, nach der die sogenannten „direkten" Steuern ex definitione nicht iiberwalzbar und infolgedessen preisneutral seien, ist ein weiterer Hinweis darauf, dafi die einseitige Ausrichtung auf die Harmonisierung bestimmter einzelner Steuern dem gesteckten Ziel moglichster Wettbewerbsneutralitat der Steuersysteme im ganzen durchaus abtraglich ist. Wettbewerbsverzerrungen steuerlichen Ursprungs ergeben sich beispielsweise 170 Naheres bei Schmolders, G.: Psydiologische Probleme der Steuerharmonisierung im Gemeinsamen Markt, Bericht auf der Tagung des Institut International des Finances Publiques 1963 in Luxemburg, als Manuskript vervielfaltigt, aber auch Neumark, F.: Moglichkeiten und Grenzen einer Steuerangleidiung im Gemeinsamen Markt, in: Steuer-Kongrefi-Report, 1963, S. 29 if. 171 Europaische Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl, Hohe Behorde: „Bericht iiber die durch die Umsatzsteuer aufgeworfenen Probleme auf dem Gemeinsamen Markt", verfaftt von dem gemafl Beschlufi der Hohen Behorde Nr. 1/53 vom 5. Marz 1953 gebildeten Sachverstandigenausschusses. 172 Schmolders, G.: Der Steuerstreit in der Montanunion, Archiv des offentlichen Rechts, 1953, H. 1.
32
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Erfolgsmaftstabe der Finanzpolitik
nicht zuletzt bei den Gewinnsteuern, sei es aus ihren unterschiedlichen Satzen oder z. B. aus unterschiedlichen Abschreibungspraktiken u. dgl. Wenn in einem Land gewerbliche Gewinne weniger hoch besteuert oder bestimmte Anlagen steuerlich schneller abgeschrieben oder ganz vom steuerpflichtigen Gewinn abgezogen werden konnen, so verbleibt der so begunstigten Industrie ein entsprechend grofierer Spielraum fur ihre Preispolitik; sollten daher die sogenannten „direkten" Steuern von der Harmonisierung ausgenommen bleiben, so hehalten die beteiligten Lander damit eine Reservat fiir wettbewerbsverzerrende Praktiken in der Hand, das dem Geist, wenn nicht auch dem Wortlaut der Romischen Vertrage durchaus widerspricht. Die Losung kann auf die Dauer nur in einer umfassenden Harmonisierung der gesamten Steuersysteme liegen, an deren Ende der Wegfall aller Steuergrenzen und die Besteuerung nach dem „Ursprungslandprinzip" steht 173 ; dies entspricht auch den Empfehlungen fiir die Harmonisierung der Steuern, wie sie der Steuerund Finanzausschufi so wie die Kommission der EWG bereits vor einiger Zeit gegeben haben 174. Dariiber hinaus mufi die Steuerharmonisierung auch die Unterschiede der Steuertechnik, der Steuerpraxis und -kontrolle sowie der Steuermentalitat und Steuermoral beriicksichtigen, die nicht leicht in den Griff zu bekommen sind 175. Tritt das Problem der Steuerharmonisierung gegenwartig als Bestandteil der aufienpolitischen Diskussion besonders in den Vordergrund, so darf man dariiber jedoch nicht die weniger eklatanten, in ihren Dauerwirkungen aber ebenso bedeutsamen Tatsachen des Zusammenwachsens der nationalen Finanzwirtschaften vergessen, die sich oft ganz nebenbei bei der konkreten Durchfiihrung gemeinsamer europaischer oder atlantischer Aufgaben (wie Entwicklungshilfe, NATO, Europaischer Sozialfonds, Weltwahrungsfonds) ergeben. Tragen internationale Finanzhilfen an Entwicklungslander, besonders wenn sie in Form verlorener Zuschusse beispielsweise zur Entwicklung der Infrastruktur od. dgl. gewahrt werden, bereits in gewissem Sinne zu einer 173 Sdimolders, G.: Steuerliche Wettbewerbsverzerrungen beim grenziiberschreitenden Warenverkehr im Gemeinsamen Markt, FlW-Schriftenreihe, Heft 1, KolnBerlin-Bonn-Miinchen 1962; ders.: Zur Frage der steuerlichen Wettbewerbsverzerrungen im grenziiberschreitenden Warenverkehr innerhalb der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft, Schriftenreihe der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie zur Wirtschafts- und Industriepolitik, Heft 2, Dusseldorf 1962. 174 Bericht des Wirtschafts- und Finanzausschusses der EWG-Kommission, Briissel 1962; EWG-Kommission: Richtlinien zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend die Umsatzsteuer, Briissel 1962; s. ferner Metze, J.: Steuerharmonisierung in einer Wirtschaftsgemeinschaft, Hamburg 1969. 175 Hierzu Forschungsbericht „Steuernorm und Steuerwirklichkeit" Nr. 2040 und 2041 des Landes Nordrhein-Westfalen. Bd I Steuertechnik und Steuerpraxis in Frankreich, Groflbritannien, Italien und Deutschland (J. Daviter, J. Konke, O. Graf Schwerin), Bd. II Steuermentalitat und Steuermoral in Groftbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland (B. Beichelt, B. Biervert, J. Daviter, G. Schmolders, B. Strumpel). Koln und Opladen 1969.
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik
499
Angleichung der unterschiedlichen Wirtschaftskraft im Sinne eines derartigen zwischenstaatlichen Finanzausgleichs bei, so tritt die Analogie zum innerstaatlichen Finanzausgleich eines Bundesstaates besonders deutlich in Erscheinung, wenn, wie bei den Einrichtungen der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft [z. B. Europaischer Ausrichtungs- und Garantiefonds fiir die Landwirtschaft (EAGFL), Europaische Investitionsbank, Europaischer Sozialfonds], die Anteilssatze der teilnehmenden Lander auf der Beitragsseite von denen auf der Empfangsseite diflferieren. In solchen und ahnlichen internationalen Entwicklungen und Vereinbarungen ist ein wenn audi nicht volkerrechtlich, so doch moralisch bindendes Bestreben erkennbar, iiber die blofie gemeinschaftliche Finanzierung gemeinschaftlicher Aufgaben hinaus zu einer Art inter- und womoglich supranationalen Finanzausgleichs zu gelangen, der fiir die Zukunft noch grofie Moglichkeiten in sich birgt. Wie sehr die politische Dynamik auf diesem Gebiet aus sich heraus zu Losungen drangt, die den volkerrechtlichen Abmachungen vorauseilen oder sie umgekehrt einfach desavouieren, zeigt die weltpolitische Tragikomodie der Beitragseinziehung fiir die Vereinten Nationen, die bei der Sowjetunion, z. T. auch bei Frankreich, auf politische Widerstande stofit, die sich schlechterdings nicht mit volkerrechtlichen Argumenten ausraumen lassen. Da es keinen supranationalen Gerichtsvollzieher gibt, der den Beitragsanspriichen gegen diese beiden Lander Nachdruck zu verschaffen vermochte, wahrend die anderen Mitglieder andererseits kaum gewillt sein diirften, ihre Weltorganisation an Finanzschwierigkeiten scheitern zu lassen, belastet das Deflzit die vertragstreuen Mitglieder entsprechend hoher, ohne dafi sie dagegen andere als papierene Proteste geltend machen konnen. Scheint hier wieder einmal Macht vor Recht zu gehen, so ist auf der anderen Seite die grofie moralische Kraft nicht zu iibersehen, die hinter der Meinung der Weltoffentlichkeit steht und jede Abweichung vom rechten Pfade des internationalen Wohlverhaltens brandmarkt; mag die eine oder andere Macht es sich zeitweise oder auf die Dauer leisten konnen, der Weltmeinung zu spotten, so zeigt doch ein Blick in die „grofie Politik" immer wieder, wie sehr die Lander sich darum bemiihen, aufienpolitisch ihr Gesicht zu wahren und die moralische Kraft der Weltoffentlichkeit auf ihrer Seite zu wissen.
32*
Namenverzeichnis Abelein, M. 49, 50 Adamitz, H. 145 Adenauer, K. 204 Ahrens, H. 93 Albers, W. 151,153,158, 244, 276, 295, 368, 388, 389, 380, 405, 417,423,456 Albert, H. 6, 9 De Alessi, L. 369 Allport, G. W. 133 Althammer, W. 456 Altmann, C. H. 218,221 Altmann, W. 139 Amonn, A. 61, 76, 298 Andel,N. 198,405,408 Anderson, L. G. 291 Andic,S. 175,183,187 Ando, A. 387 Andreae,C.A. 283,374, 379, 475 Anger, H. 10 Arndt, H. 368 Arndt, K. D. 391 Arrow, K. 202 Archibald, G. C. 269 Aristoteles 195 Baade, F. 460 Back, H. J. 273 Bahn, P. 7 Bank, H. P. 204 Barocka, E. 400 Bauer, L. 330 Baumert, G. 130 Baumol,W.J. 197 Baumstark, E. 408 Becker, E. 25,30,32,314 Beckerhoff, D. 291 Beckerath, v. E. 200, 463, 491 Behr, W. J. 324 Beichelt, B. 11,136,330, 498
Bengt, P. 330 Bergstrasser, L. 107 Bernsdorf,W. 108 Berthold,U. 224,257 Bethusy-Huc, V. 127 Beutler, W. 124 Bickel,W. 78,157 Biervert, B. 11, 136, 282, 330, 498 Bindschedler, R. L. 57,58 Bismarck, v. O. 311, 351 Blaschke, H. 45 Blau,P.M. 109 Blumle, G. 367 Blum, W. J. 26 Blumentrath, M. 50 Bodin, J. 306 Bohler, W. 384 Boehme, H. 226, 231 Boettcher, C. 359 Bombach, G. 264,280, 490 Le Bon, G. 96 Bonin,J. M. 183 Borch,v.H. I l l Bowen, W. 418 Bowens, J. 269 Brachfeld, O. 330 Brauer,K. 25,78,138, 315,376,456 Break, G. F. 10,89,244, 367, 375, 406, 414 Brecht, A. 110,192 Breidbach, H. J. 243, 244, 297 Breidenstein 249 Breitling, R. 103,123, 128,138 Brentano, L. 324 Brinkmann, G. 463 Brittain, H. 87 Brooks, R. C. 139 Brown, A. J. 269, 387 Briick, J. 370
Bryce, I. 121 Buchanan, J. M. 173, 175, 180, 190, 192, 198, 203, 261, 367, 405, 419 Buchner, R. 300 Biihler, O. 22,31,53 Biilow, Fr. 108 Biissgen, H.-R. 274,440 Burkhead, J. 68, 94 Burmeleit, H. 124,125, 126, 202 Butters, J. K. 278, 374 Campa, G. 198 Capone, A. 141 Cassel, M. 197 Channing, W. E. 347 Chase, S. B. 208 De la Chevallerie, O. 242 Churchill, W. 331 Cicero 305 Clausen, W. 382, 383 Cleveland, G. 193 Cohen-Stuart, A. J. 342 Cohn, G. 197 Coleman, J. S. 202 Colm,G. 180,181,183, 185,251,368,369, 373, 461, 462 Cosciani, C. 331, 368 Cournot, A. 259 Crawford, K. G. 123 Crozier, M. 109 Csikos-Nagy, B. 253 Culbertson, I. M. 411 Cuthbert, N . 269 Dabritz, W. 107 Dalton, H. F. 200, 360, 361 Damaschke, A. 378 Daum, J. 456 Davies, R. G. 300, 367, 418
Namenverzeichnis Daviter,J. 11,136,330, 498 Dechamps, B. 102, 104, 106, 115 Dehler,T. 119 De Viti de Marco, A. 17, 197, 202, 203, 305 Diamond, A. 260 Dickertmann, D. 401 Dieben, W. 395, 398 Diekmann, E. 274 Diederich, H. 217, 221 Diederich, N. 462 Dietrichs, B. 272 Dietzel, C. 437, 467 Dobretsberger, J. 180 Dodwell, D. 17 Dohnanyi, v. K. 456 Domke, E. 295 Dorfmann, R. 208 Dorn, D. 85 Downs, A. 7, 120, 203, 204 Dreifiig, W. 45,6 Duberge, J. 10 D u e , J . F . 175,193,206, 292,301,367,368 Durr,E. 280,281,384, 406 Duhmer,W. 241,244, 246 Dungern, v. F. 116 Dupuits, J. 207 Duverger, M. 125, 126
Ebert, K. 395, 398 Eckstein, O. 85 Ehrlich,W. 158 Ehrlicher, W. 276, 280, 368 Esenwein-Rothe, J. 127 Ellrott, H. 386 Eisner, K. 280 Ely, v. R. 306, 428 Emge,C.A. 108,110, 111 Engelhardt, G. 11, 177, 384 Engels,W. 315,359 Enthoven, A. C. 83 Erhard, L. 279 Ernst, H. 370
Erzberger, M. 380 Escarraz, R. 83 Etzel, F. 144 Etzioni, A. 109 Eucken, W. 439, 450 Eschenburg, Th. 81, 102, 108,110,113,115 Fabricant, S. 175, 186, 187, 193 Fanning, H. 456 Fechner, H. 375 Fellner, W. 421 Fench,B.W. 183 Fettel, I. 301 Finer, S. E. 123 Fischer-Menshausen, H. 456 Fisher, G. H. 208 Flohr, H. 427 Fohl, C. 368 Forsthoff, E. 216 Fossati, F. 13 Franckenstein 148 Freudenberg, H. E. 227, 231 Frey, R. R. 290 Freyer, O. V. 469 Friauf,K.H. 64 Fricke, D. 380, 403 Fricke, W. 222 Friedman, M. 259 Friedrich, C. J. 22, 23, 29,36 Friedrich d. Grofte 306 Friedlaender, A. F. 208, 387 Froboss, E. 33 Frohlich, W. 333 Fryman, R. F. 367 Fiirst,D. 170,299,301 Fuisting, B. 314 Furth, J. H. 482
Galbraith, J. K- 197, 260, 290 Gandenberger, O. 216, 219,220,408,409 Gast, G. 52, 126 Gehlen,A. 100,102, 110,111,112,114
501 Geiger, W. 22, 26 George, H. 378 Gerfln, H. 287, 462 Gerloff,W. 3,5,16,41, 51,76,188,206,302, 311,312,324,354, 376, 467 Geyer,H. 197,389 Gheorgiu, C. v. I l l Giere, G. 400, 420 Giersch,H. 273,426,466 Gillespie, W. J. 253 Glaeser, R. 108,142 Gleitze, B. 242 Goethe, J. W. v. 1 Gorg, H. 29 GofTman, J. J. 369 Goldmann, T. A. 208 Gordon, R. J. 370 Gorove, S. 58 De Gournay, V. 108 Graumann, C.-F. 333 Grabowsky, A. 130 Greaves, H. R. G. 118 Griziotti, B. 351 Gross, H. 144 Grofimann, E. 325 Grossmann, H. 370, 425 Groves, H. 10,89 Grunau, J. 413 Green, C. 259 Gupta, S. P. 183 Gustav Adolf 306 Gutenberg, E. 339 Gutowski, A. 220
Haaser, F. 113 Haavelmo, T. 470 Hacker, H. 169 Hagemann, G. 157 Hagemiiller, K. 406 Hagen, E. E. 471 Hagen, H.-J. 457 Hall, P. 209 Haller,H. 1,2,11,206, 251,261,288,300, 342, 352, 353, 368, 407,408,417,436, 45-6, 463, 470 Hamann, A. 30, 31 Hamm, W. 244, 246 Hamovitch, W. 367
502 Han, P. B. 369 Hansemann, A. v. 107 Hansemann, D. 107 Hansen, A. H. 1,278, 354, 464, 465, 468, 471 Hansmeyer, K. H. 34, 103,112,127,151, 152,154,169, 192, 193, 224, 227, 229, 231,234,235,250, 260, 270, 274, 283, 294,299,361,364, 395,409,410,411, 417,418,419,421, 424, 427, 479 Hanstein, H.-D. 287 Hanya-Ito 17 Harburger, A. 392 Harding, F. O. 203, 205 Harms, B. 264 Harris, L. C. 89 Hartmann, A. 32, 364 Hartung, F. 37 Hassell,J.V. 152 Hauser, K. 200, 201, 203, 368 Hayek, F. A. v. 339 Hayes, G. H. 464, 465 Head, J. G. 197,198 Heckt,W. 43,164 Hedtkamp,G. 203,408, 461 Hegel, G.W. 210,305 Heinig,K. 60,61,63,64, 68,77,92,94,118, 123, 139,140, 143, 429,430,431 Heinrich II 428 Heins, A. J. 421 Held, G. 93 Helfritz, H. 96 Heller, W. 196, 387 Helzner, M. 183 Hendriksen, E. S. 369 Henke, K.-D. 401 Hensel, A. 148, 149 Herber, B. P. 408 Herder-Dorneich, Ph. 204, 252 Herlyn, I. 456 Hermann, v. 197
Namenverzeichnis Herrmann, F.B.W. 199 Herrmann, K. A. 180 Herrmann, W. 39 Hessler,H.D. 172,407, 408, 418 Hess-Zeidler 371 Hettlage, K. M. 25, 26, 34,42,54,195,302, 303, 456 Hicks, U.K. 175,360 Hill, T h . P . 281 Hinterhuber, H. 244 HirschJ. 64,116 Hirseland, G. 120 Hitch, G. J. 83 Hitler, A. 152,475 Hoffmann, I. J. 183 Hofstatter, P. R. 97, 100, 131 Hohnen, W. 384 Holstein, F. v. 140 Holtgrewe, K. G. 334 Holtz,W. 217 Hondrich, O. 127 Houchon, G. 10 Huber, H. 141 Hudson, W. L. 330, 331 Hull, R. 84 Hume, D. 324 Hunold, A. 475 Iffmark, B.R. 194 Ipsen,H.P. 231,233 Isenberg, G. 158, 276 Isles, K. S. 269 Ismar, H. 403 Jacobsson, P. 426 Jahn, H. E. 142,144 Jansen, P. G. 273 Jastrow, I. 329 Jecht,H. 31,199,302, 380, 443 Jenness, A. 97 Jessen, J. 176,178 Jetter, K. 330 Jeze, G. 61,66,71,138 Johr, W. 405 Joesten, J. 479 Johannson, K. 194 John, A. 220 Johnson, H. G. 251 Johnson, L. B. 69
Jones, J. 233 Jones, R. 341 Jordan, J. L. 291 Jurgensen, H. 273, 445 Jung, G. G. 96 Junges, G. 290 Justi, J. H. G. v. 206 Kaemmel, E. 2 Kahn, S. 194 Kaiser, D. 192 Kaiser, J. H. 120, 124, 125, 141 Kaldor, N. 421 Kaltefleiter, W. 40 Kalven, H. jr. 26 Kamp, M. E. 45 Kant, I. 100, 328 Karl III 307 Karrenberg, F. 6 Kaufmann, E. 121 Keiser, N . F. 387 Keller, Th. 244, 296, 298, 339 Kennedy, J. F. 69,120, 255 Kern, E. A. 110 Keynes, J. M. 251, 277, 278,283,284,381, 411,464,473 Kilpatrick, R. W. 369 Kirsch, G. 85, 224, 456 Klein, L. 43 Klein, R. R. 304 Klein-Zirbes, R. 456 Klementa, J. 68 Kleps, F. K. 456 Klingemann, H. D. 268 Klinger, K. 371 Klock, K. 379 Kneschaurek, F. 457 Knief, P. 204, 393 Knower, F. H. 97 Koch, K. 400 Kolble 43 K6nig,H. 175 K6nig,P. 110,111 K6nke,J. 11,498 Korner, H. 456 Kottgen, A. 33, 40 Kohler, D. 390 Konitzer, H. 330,331 Konrath, N . 462
503
Namenverzeichnis K o p f , D . H . 418 Kossitsch, M. 124 Kraus, W. 457 Krelle,W. 249,368, 443, 457, 458 Krings, E. 330 Krumholz, W. 128 Krupp, W. 249 Kruse, A. 37, 307 Krzyzaniak, M. 369, 370 Kung, E. 228, 233, 477, 478 Kuhn, M. 100 Kullmer,L. 180 Lademann 126 Ladisch, K. 274 Lampe, A. 352, 360, 361,373 Landmann, J. 235, 307 Lange, G. 403 Lange, M. G. 143 Langenscheder, W. 6 Langheinrich, C. 45 Laufenburger, H. 2, 10, 331,408,466 Laum, B. 224, 252, 306 Laumas, G. S: 370 Laure,M. 10,385 Lebrecht, R. G. 287 Lerner, A. P. 1, 353, 369, 417, 421, 465 Leroy-Beaulieu, P. 139, 324,414,415 Leszcynski, G. L. 330 Leverkus, J. C. 7 Lewinsohn, R. 140 Lichey, W. 238 Lincoln, A. 42, 343 Lind, H. 269 Lindahl, E. 197, 202 Lintner, J. 374 Littmann, K. 158, 178, 185,195 Loddenhoff-Roggenkamp, W. 308 Logue, R. 483 Lohmann, K. 103 Lotz,W. 70,76,94,139, 178, 303, 324, 361, 377,415,417 Liitge, F. 307 Luhmann, N . 85
Lutz,F.A. 412,439,471 Lutz, H. F. 465 Maassen, K. 36 MacDougall, W. 98 Machlup, E. 12 M a d v e r , R . M . 105,121 Mackscheidt,K. 201,411 Malthus, R. 206 Mann,F.K. 2,7,68, 323, 335, 339, 341, 361,373,414,434, 435, 436, 463, 466 Manoilesco, M. 470 Markner, R. 321, 380 Marse, D. 272, 274 Marx, K. 380 Masoin, M. 180,227 Maunz, Th. 25 Mayntz, R. 109 Mayer, H. 361, 362, 417 McKean,R. 83,204,208 McLure, A. E. 198 McNamara, R. 83 Meier, H. 54 Meinhold, W. 126, 226, 231 Meisel, F. 312, 323 Meister, M. 139 Mellerowicz, K. 370,371 Mendelssohn, P. de 108 Menger, C. 199 Mersmann, W. 494 Merton, R. K. 109 Metze, J. 498 Meyer, H. H. 172 Meynaud, J. 123 Mieskowski, P. M, 259 Mill, J. St. 378, 408 Miller, D. C. 202 Miller, M. H. 387 Miquel, J. 147 Moller, A. 41, 81 Moller, F. 274 Molitor, B. 383 Moll,B. 76,139,180 Moore, M. 250 Morgan, D. C. 367 Morgenstern, O. 287 Morstein Marx, K. 109, 111, 112 Muhlhaupt, L. 400 Muller, A. 273
Miiller, G. 41 Muller, J. H. 211,212, 273 Muller, R. 433 Miiller-Armack, A. 279 Munch, P. 68, 289, 392 Munstermann, H. 371 Munro, W. B. 123,129 Murchison, C. 133 Musgrave, R. A. 1,95, 197, 198, 200, 201, 203, 206, 253, 342, 366, 367, 368, 369, 372, 374, 387, 389, 400,403,411,464,470 Myrdal, G. 451 Napoleon 475 Naschold, F. 109 Nowiasky, H. 141, 142 Necker, J. 138 Neisser, H. 368 Neumark, F. 12, 29, 63, 64, 65, 70, 71, 84, 92, 278, 279, 290, 293, 341, 342, 351, 352, 374, 384, 387, 390, 392, 393, 400, 401, 408,410,417,421, 425, 434, 437, 449, 453, 463, 466, 467, 471,497 Neumann, M. 283 Nevin, E. 410 Noll v. d. Nahmer, R. 140, 236 Novick, D. 83 Obert, G. 50, 164 Oberhauser, A. 384, 444 Odiorne, G. S. 83 Oettle, K. 400 Olson, M. 204 Orwell, G. I l l Ortbrandt, E. 146 Ortega, S. M. G. 330 Ortlieb, H. D. 440 Ott, A.E. 109,288 Pack, H. 387 Pagenkopf, H. 43 Pank, R. E. 202 Papen, F. v. 277 Parkinson, C. N. 114
Namenverzeichnis
504
Patinkin, D. 251 Patterson, G. 482 Peacock, A. T. 183,251, 392 Pechmann, J. A. 259, 387 Pechtold, L. 257 Peres, W. 337 Peter, H. 368 Peter, L. 84 Peters, H. 39, 40 Peters, M. 58 Petzold, G. 127 Pfaffenberger, W. 393 Pfeil, G. H. 495 Pick, F. 476 Pigou,A. C. 185,200, 363,418 Pitt, W. 87 Plato 1 Podzus, G. 127 Polany, G. 259 Pollack, H. 389 Poole, K. E. 362 Popitz, J. 145,149,151, 152,153,154,324,329 Pougin, E. 245 Predohl, A. 445 Prest,A.R. 208,253,392 Presthus, R. 109 Prigroda, A. 58 Proebsting, H. 133 Puttner, G. 242 Piitz, Th. 127 Puviani, A. 12 Puvogel, C. 127 Quellmalz, J.
237, 287
Ratchford, B. U. 368, 369 Rau, H. 179 Recktenwald, H. C. 7, 11,31,64,65,95, 175, 176, 177, 185, 202, 208, 251, 253, 361,362,366,368, 373, 374, 423 Regul, R. 58 Reinermann, H. 83, 84 Reiners, L. 28 Reinhardt, F. 277 Reiwald, P. 98
Remy, W. 200 Reuss, F. G. 447, 448 Rexhausen, F. 145 Reynaud, P. L. 10, 328 Ricardo, D. 418 Richebacher, K. 405,407 Richter, R. 368 Rithmacher, H. W. 30 Ritschl, H. 199 Rittershausen, H. 250, 406, 476 Rivoli, J. 330 Rolfers,E. 195 Rolph,E. R. 1,89,185, 244,251,252,259, 293, 294, 367, 374, 405,410,415 Roeper, H. 289 Roeper, M. 330 Roepke, W. 201, 228, 361 Roosevelt, F. 405, 483 Root, E. 123 Rose, M. 367 Rosenstein-Rodan, P. N . 487 Rosenstiehl, F. H. 330 Rosenkamp, K. W. 369 Rousseau, J. J. 305 Rothschild, K. W. 287 Rumpf, H. 25 Salazar, A. O. 1 Salin, E. 450 Sainz de Bujanda, F. 11 Samuelson, P. A. 69, 199, 202, 280, 421 Sattler, H. 31 Sax, E. 197, 202, 305 Schaffle, A. E. F. 200, 437, 467 Schanz, G. v. 314, 360, 392, 437, 467 Scheffler, E. 284 Scherhorn, G. 7, 9, 98, 283, 361, 383, 403 Scheuner, U. 40, 124 Schiefer, J. 33 Schiller, Fr. v. 96 Schimke,P. 315 Schindler, D. 231 Schlesinger, J. R. 412 Schmid, C. 106
I Schmidt, K. 42,194,196, 197, 205, 251, 260 Schmidt, W. 163 Schmidtchen, G. 7,98, 383 Schmitt, C. 40 Schneider, E. 208 Schneider, H. 374 Schneider, O. 14 Schnepper, F. 158, 276 Schnettler, A. 93,295 Schoeck,H. 12,108 Schottle,E. 119 Scholten,H. 135,300 Schramm, A. 308 Schreiber, W. 252,260 Schroder, G. 284 Schulte, H. 359 Schumacher, E. F. 421 Schumacher, U. 457 Schumpeter, J. 195, 203 Schweinitz, H. v. 403 Schwerin, O. 11 Seidenfus, H. St. 9,284 Seligman, E. R. A. 366 Senf,P. 84,116,208 Seraphim, H. J. 426, 449 Servais, J. L. 211 Sherif,M. 97 Sherman, R. 274 Shoup,C. 11,198,315, 385, 418 Sichtermann, S. 137 Siebert, H. 272, 273 Siegert, W. 279, 476 Silone, I. I l l Singer, L. 330 Smend, R. 142 Smith, A. 324 Smith, W. L. 413 Smithies, A. 68,278 Sodhi, K. 97 Sombart, W. 325 Somers, H. 392 Specht,K. G. 124 Spiegelhalter, F. 384 Spitaler, A. 211,214 Stamm, F . H . 45,89 Stammer, O. 124,125 Stangeby 137 Starbatty, J. 272 I Steele, D. B. 269
Namenverzeichnis Steffani, W. 40 Stein, G. 124 Stein, L.v. 17,110,138, 206, 416 Stern, K. 68, 289, 392 Sternberger, D. 40 Stettner, W. F. 467 Steuart, J. 466, 467 Stobbe, A. 457, 462 Stohler, J. 273 Stolber, W. B. 85, Storbeck, D. 158 Stourm, R. 139 Strauft, F. J. 44, 49, 68, 159, 165, 166 Strayer, P. 464, 469 Strickrodt, G. 24, 25, 27, 35, 36, 37, 245, 457 Striimpel, B. 7,11, 136, 177,282,283,291, 325,330,331,375, 498 Strutz, G. 298 Stucken, R. 31, 288, 368, 417 Stuckmann 7 Studenski, P. 46 Stiitzel,W. 315,359,477 Stuvel, G. 458, 459, 462 Sultan, H. 362,451 Sundelson, J. W. 139 Surrey, St. S. 321 Swift, J.- 324 Talheim, K. C. 228 Terhalle,F. 53,117,352, 421 Terner, J. D. 267 Teschemacher, H. 360 Terstegen 333, 336 Thiel, E. 457 Thomas v. Aquino 343 Thomson, P. 457 Tiepelmann, K. 342
Timm,H. 50,188,189, 200, 290, 398, 445 Tinbergen, J. 458, 459, 462 Tipke, K. 37 Tobin, J. 259,410,413 Tretner, G. H. 453, 454 Tullock, G. 203 Turvey, R. 208 Ullmann, K. 410 Ulsenheimer, K. 27 Umlauf, J. 273 Uthmann,K.J. 128 Utley, F. I l l Veit, O. 251, 329 Veverka, J. 175, 183, 187 Vialon, F. K. 38, 52, 53, 66, 74, 75, 90, 91, 99, 223, 237, 239, 428, 431, 432 Vickrey, W. 387 Vink, P. 330 Vocke, W. 329 Vogel, A. 36 Wacke, G. 23, 25, 30 Wagner, A. 124, 173, 175, 179, 188, 189, 194, 197, 351, 352, 360,361,402,404, 422, 423 Wawrczek, C. 62 Weber, A. 55 Weber, M. 108,110,111, 112,121, 122,124, 132 Weichmann, H. 62, 395, 457 Weidenbaum, M. L. 83, 84 Weisser, G. 6, 225, 339, 383
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Welinder, C. 375 Welter, E. 221,267,268, 275 Wepner, G. 368 Werner, J. 280 Wessels, Th. 225, 227, 250 Weston, H. F. 341 Whorf,B.L. 341 Wick, H. 159, 160 Wicksell, K. 202, 305 Wiebel, M. 330 Wieners, K. 281 Wieser, F. v. 197 Wildavsky, A. 84 Willeke, F. V. 235 Willet, Th. D. 274 Willgerodt, H. 383 William, A. 203 Wilson, T. 269 Winkelmann, H. 93 Wisemann, J. 183 Witte, K. 386 Wittmann, W. 496 Wolfelsperger, A. 198 Wolrad-Waitz, H. 18 Wolter, A. 371 Wyenbergh, W. 330 Wysocki, K. v. 237, 238, 239 York v. Wartenburg, P. 267 Young 150 Zachau-Mengers, G. 226 Zeidler, F. 371 Zeitel, G. 290, 300, 301, 382, 400 Zimmermann, H. 190, 255, 268, 272, 273, 275, 307, 394, 423, 487, 490, 491 Zimmermann, H. W. 190
Sachverzeichnis Abgaben, offentliche 4,14 ff., 20, 292 ff. Abschreckungswirkung 376 Abschreibung, degressive 391 Abwalzung (s. Steueruberwalzung) Abzugsverfahren 338 Achtung der privaten Sphare 353 Aquivalenzprinzip 300, 305, 335 Agglomeration 273,274 Akklamationsinstrument 124 Aktienkurse 281 Aktionsprogramme, regionale 273 Akzelerator 280 Alimentationstheorie 211 Alleinsteuer 351 Allergie fiscale 338 Allgemeinheit 342 Allphasensteuer 315 Alternative, okonomische 84 Alternativprogramm 83 Altershilfe fiir Landwirte 269 Amortisation 422 Angebotsmonopol 266 Ankiindigungswirkung 363 ff. Anleihe 394 Anleihedauer 423 Anleihetechnik 417 Anleihezeichnung 419 Anliegerbeitrag 303 Annuitatenmethode 208 Anpassungsfahigkeit 85 Anpassungshilfe 286 Anspornsteuer 379 Anspornwirkung 374 Anstalten, offentliche 65 ff. Anteilsystem 2 Anti-Abstrich-Solidaritat 116 Anti-Finanzausgleichseffekt 276 Anwartschaftsdeckungsverfahren 263 Anziehungskraft des zentralen Etats 150, 152 f., 155 Appropriation Committee 88 Appropriationsklausel 63 Arbeitgeberbeitrage 263 Arbeitnehmerbeitrage 263
Arbeitslosenversicherung 237, 260 f., 282, 444 Arbeitslosigkeit, strukturelle 191 Archetypen 96 Argentaria 18 Armensteuer 28 Assekuranztheorie 305 Attituden 133,448 Atomenergie und Weltraumtechnik 191 Aufbaukredit 275 Aufgabenverteilung 42 fT., 150, 154 Aufkommenselastizitat 157, 163, 388 Aufstellung des Haushaltsplanes 80 ff. Aufteilung des Steueraufkommens 48 ff., 423 Auftragswesen, offentliches 216 Aufwand- und Verbrauchsteuern, ortliche 30 f. Aufwertungsstreit 474 Aufwertungsverlust 297 Ausfuhrungsbestimmungen 115 Ausgabefreudigkeit 99, 195 Ausgabegebarung, antizyklische 280 ff. Ausgabengliederung 179 ff. Ausgaben, aufierordentliche 422 —, produktive 180 —, rentable 180 —, unproduktive 180 —, unrentable 180 Ausgabeninzidenz 261 f., 444 Ausgabenplanung 83 ff., 455 ff. Ausgabenpolitik, antizyklische 281 ff. Ausgabenreste 76 Ausgabenwirkungslehre 247 Ausgabenzweck 248 Ausgangsmeftzahl 158, 160, 162, 167 f. Ausgleichsbeitrage 158, 162 Ausgleichsmasse 167 Ausgleichsprinzip 436 Ausgleichsrucklage (s. Konjunkturausgleichsriicklage) Ausgleichsstock 169 f. Ausgleichszuweisungen 158 ff. Auslandshilfe 55
Sachverzeichnis Auslandskredite 480 Ausschreibung 216 ff., 433 —, beschrankte 218 —, offentliche 218,268 Ausschusse 102 ff., 114,124,126,128, 432 Ausschuftarbeit 115 Ausschu£beratung 82 Ausschluftprinzip 198 f. Automation 190,280 Autoritatsglaubigkeit 134 Auftenhandel 441 Aufienpolitik 439,442 Austerity 178 Balanced-Budget-Incidence 253 Balanced-Budget-Theorem 470 Ballungsgebiet 269, 273 Ballungskosten 273 Ballungsvorteil 273 Bandenschmuggel 141 B ankgeheimnis 13 6 f. Banknotensteuer 377 Bank of England 19 Bannbruch 335 Baupreisverordnung 217 Baustopp 283 Beamtenbesoldung 211 Beamtenmentalitat 117, 140 Bedarf, versteckter offentlicher 67, 176 f., 215, 317 Bedarfsnorm 192 f. Bedarfszuweisung 169, 171 Bediirfnisse, offentliche 197 ff. —, private 197 ff. —, meritorische 198 ff. Beharrungsvermogen 195 Beherrschbarkeit, politische 281 Behordenmentalitat 140 Beitrage 135, 292 ff., 302 f., 435 Belastungsgefiihl 326 Benutzungsgebiihr 299, 301 Bereichsausnahme 386 Berufsorganisation 127 Beschaftigungsstabilisierung 280 ff., 387 ff., 405 ff., 423 ff. Beschlufifassung, parlamentarische 94 ff. Besitzsteuer 319 Besoldungsprinzip 212 Bestechungsunwesen 140 Besteuerungserfolg 135 Besteuerungsmengenelastizitat 388 Besteuerungsziel 337
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Bestimmtheitsmaft 280 Bestimmungslandprinzip 497 Beteiligungsverhaltnis 163 Betriebe des Bundes 66 Betriebsausgaben 314 Betriebsbudget 180 Betriebsgemeinde 166 Betriebsmittelkredit 421 Betriebsmittelzuweisung 92, 207 Betriebssteuer 358 f., 494 Betriebsvermogen 241, 243 Bevolkerungsstruktureffekt 274 Beziehungslehre der Steuerformen 355 ff. Biersteuer 49, 317 Bilateralismus, finanzpolitischer 484 Bill of Rights 63 Bodenreform 378 Borsenumsatz 319 Bonitatspriifung 267 Boston Tea Party 335 Branntweinliebesgabe 319 Branntweinsteuer 317 Braunschweigische Staatsbank 310 Brechtsches Gesetz 162 Briefschuld 395 Bruttobetrieb 295 Bruttoprinzip 65 f. Bruttoumsatzsteuer 315 Buchgeld 303 Buchhaltung, nationale 457 Buchschuld 395 f. Budgetamt 93, 117 Budget bei Vollbeschaftigung 69 Budgetentwurf 80 ff. Budgetdirektor 90 Budgeting by Voting 203 ff. Budgetpublizitat 138 f., 142 Budgetvollzug 116 ff. Budgetvolumen, optimales 197 ff. Budgetvoranschlag 88 ff. Budgetverweigerung 86 Biindnisverpflichtung 448 Burgschaften 238 Biirokratie 108 ff., 132 Burokratieforschung 109 Biirokratie, preuftische 110 Built-in-Flexibility 287, 387 ff. Bumerangeffekt 275 Bundesanteil an der Einkommen- und Korperschaftsteuer 52 Bundesausbauort 273 Bundesbahn 296
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Sachverz*eichnis
Bundesfinanzhof 38 Bundesfinanzminister 81 ff., 424, 431 Bundesfinanzverwaltung 32, 144 Bundespost 297 Bundesrat 82, 149, 431 Bundesrechnungshof 38, 430, 432 Bundestag 94 if., 431 Bundestagsausschiisse 102 if. Bundesschatzbrief 397 Bundesunternehmen 242 ff. Bundesvermogen 241,297 Bundesversammlung 146 Bundesversicherungsanstalt fiir Angestellte 433 Bureau of Municipal Research 137 Buy American 479 Cambridger Regel 346 Canardsche Regel 347 CARE-Aktionen 55 Ceteris-Paribus-Hypothese 6 f. Chancellor of the Exchequer 118 Chefbesprechung 81 China 442 Civil Leagues 137 Clausula Miquel 147, 149 Committee of Supply 86, 107 Committee of Ways and Means 86, 107 Compulsory Transfers 294 Constitutio IS Corrupt Practices Act 129 Cost-Benefit-Analyse 84 f., 207 Couloir 123 Council of Economic Advisors 461 Cyclically Graduated Compensation 260 Danegeld 306 Darlehensgewahrung 290 Dawes-Plan 150 Debt Management 410 ff., 468 Deckungsfahigkeit, gegenseitige 73 Deckungsgrundsatze 421 ff. Deckungslehre, objektbezogene 424 —, situationsbezogene 424 f. Deckungsmittel, allgemeine 422 Deckungspraxis, volkswirtschaftliche 422 Decision models 462 Deficit Spending 68, 401 Defraudationsfall 324 Degression 320 Demokratisierung 261 f.
Denkschrifteri 132 Deutscher Bund 146 Deutsches Reich 147 Deutsche Reichsbahn 296 Devisenschmuggel 479 Dezentralisierung der Standorte 267 Dezimalsystem (off. Haushalt) 77 Diagnoseproblem 278 Dienst, leiturgischer 215 Dirigismus 447 Disincentives 374 Displacement Effect 183 Domane 295 Doppelbelastung 319, 349 Doppelbesteuerungsabkommen 494 Dreifachbelastung 319 Dreiklassenwahlrecht 28, 330 Dritter Faktor 265 Dritte Kammer 123 Durchf uhrungsverordnungen 115 Effekt, raumwirtschaftlicher 275 Effizienz in der offentlichen Wirtschaft 83 —, konjunkturpolitische 353 —, verteilungspolitische 353 Eigendynamik 22, 186 f., 205 Eigengesellschaft 295 Eigenkapitalbildung 441 Einfuhrumsatzsteuer 159 Eingaben 132 Einheit 71, 75 Einheitsbewertung 314 Einheitlichkeit der Lebensverhaltnisse 44 f., 48 Einkommensbegriff, erweiterter 271 Einkommenseffekt 283 Einnahmenpolitik 292 ff. Einkommenspyramide 443 Einkommensschichtung 441 Einkommensschwankungen 285 Einkommensteuer 135 f., 314, 371, 492, 493, 494, 495, 496 —, Ungerechtigkeit der 314 f. —, negative 259 Einkommensteuerrichtlinien 115 Einkommensteuervorauszahlung 390 Einkommenstruktur 418 Einkommensubertragung 293 — ohne Gegenleistung 186 Einkommensumverteilung 247 ff., 252 f., 261 f., 408, 443 f., 447 ff. —, interpersonale 248
Sachverzeichnis Einkommensumverteilung, zeitliche 248 Einkommensverteilung, gleichmaftige 257 Einkommenswirkung 372 Einnahme, aufierordentliche 305 Einnahmen, off entliche 292 ff. Einnahmevoranschlage 87 f. Einpeitscher 106 Einphasensteuer 315 Einrichtung, offentliche 295 f., 440 f. Einsatzzeitpunkt 277 Einschleusungsstelle 277 Einwohnerdichte 162 Einwohnerzahl, veredelte 162, 167 Einzelgebuhr 299 Einzelvereinbarung, konkrete 44 Eliten (und offentliche Giiter) 198 Empfangsauflage 231 Empfindung 449 Engpaft 264 Entgelt 444 Entgeltlichkeit 301 Entrichtungsbilligkeit 352 Entwicklungsdienst 490 Entwicklungshilfe 442, 482, 488 ff. Entzugseff ekt 372 ff. Erfolgsbesteuerung 359 Erfolgsfetischismus 442 Erfolgsmafistabe 426, 434, 438 ff. Erganzungsabgabe 52 Erganzungsansatze 167 Erganzungsanteil 159 f. Erganzungshaushaltsplan 72 Erhaltung des Bergbaus 271 Erhaltungssubvention 227 Erhebungsbilligkeit 352 Erinnerungen 430 Erklarung der Menschenrechte 138 Ermachtigung, generelle 67 Ermessensentscheidung 36 Ertragshoheit 48. Ertragssteuer 313 Ertragssteueretappe 492 Ertragssteuersystem 350 ff. Erwartungsgroften (s. audi Liquiditat, subjektive) 284 Erwerbsbetriebe 433 Erwerbseinktinf te 292 ff. Erwerbseinnahmen, offentliche 238 ff. Erwerbsteuer 314 Erwerbsunternehmen, offentliche 294 ff. Erziehungswesen 281 Erziehungszoll 263
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Etat, auEerordentlicher 70 —, ordentlicher 70 ERP-Sondervermogen 307 Europaische Gemeinschaften 58 ff., 144, 498 Europaischer Ausrichtungs- und Garantiefonds fiir die Landwirtschaft (EAGFL) 59,498 Europaische Donau-Kommission 58 Europaische Investitionsbank 498 Europaischer Sozialfonds 498 Europaisches Wahrungsabkommen (EWA) 56 Europaische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 59 ff., 144,498 Europaische Zahlungsunion (E2U) 56 Eventualhaushalt 72, 255, 282, 291 Eventualhaushalte, Signalwirkungen der 282 Exchequer Bills 19 Exekutivbudget 80 Exekutive, Obergewicht der 108 ff. Exhaustive Expenditures 185 Expansionseffekt 267 Expertentenbericht 448 Expertum 105 ff. Export-Base-Theorie 273 Export-Import-Bank 484 Fachausschiisse 82 Fenstersteuer 335 Feuerschutzsteuer 75 Feudalaristokratie 140 Finanzausgleich 45,59, 145 ff. —, Technik des 15 5 ff. —, horizontaler 155, 157 f., 166 —, kommunaler 163 —, supranationaler 59 f., 499 —, unsichtbarer 172 —, vertikaler 82, 155 ff., 166 —, vertikaler, mit horizontalem Effekt 166, 170 Finanzausgleichszahlungen 158 Finanzautonomie der Lander 150 Finanzbedarf einer Gemeinde 167 Finanzbedarf, Schatzung des offentlichen 80 ff., 168 f., 450 ff. ^ Finanzfunktion 23 f. Finanzgerichtsbarkeit 35 ff. Finanzgerichtsordnung 37 Finanzgesetze 29 Finanzgesinnung 325 Finanzgewalt 16 f.
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Sachverzeichnis
Finanzgewalten, intermediate 39 —, supranationale 57 Finanzhaushalt 71 ff. Finanzhilfe 227 f. —, internationale 487 ff. Finanzhoheit 57 Finanzierungshilfen 455 Finanzierungsiibersicht 66, 78 f. Finanzkontrolle 93, 426 ff., 432 ff. Finanzmanipulationen 65 Finanzminister, Stellung des 82 ff. Finanzordnung 24 f. Finanzplanung, mittelFristige 289, 452 fF. Finanzplanungsrat 442, 457 Finanzpolitik, internationale 481 fF. Finanzpsychologie 8 fF., 98, 133 Finanzpublizitat 138, 143 fF. Finanzrechtsprechung 37 FinanzreForm 31, 41 fF., 157, 423, 454 Finanzschulden 394 Finanzskandale 140 Finanzsolidaritat 492 Finanzsteuer 376 Finanzterminologie 135 Finanz- und Steuerhoheit 29 fF., 136 FinanzverFassung 16 fF., 21 fF., 35, 41 ff., 57, 145 —, supranationale 54, 56, 59, 493 Finanzvermogen 240 F. Fiscal Analysis Division 461 Fiscal Policy 277, 462 ff., 474 Fiscus Rapax 18 Flottenvorlage 319 Flurbereinigung 270 Forderung der Produktionsstruktur 264 ff. — von Notstandsgebieten 268 ff. Forderungssubvention 227, 275 FondswirtschaFt 75 F., 172 Formeldenken 101 Formel, vorgepragte 131 Formula Flexibility 387 Forschung, psychologische 7 Fraktionen 106 ff. Fraktionsdisziplin 106 Fraktionszwang 106 Franckensteinsche Klausel 148 Freiheitsgrad 231, 362, 366, 372 Fremdenverkehrsbeitrag 303 Fristen (LauFzeiten) 439 Fruhkapitalismus 442 Ftirsorgeunterstutzung 260
Full- oder High-Employment Budget Surplus 69 Functional Finance 5, 465 Funktionenplan 78 Funktioneniibersicht 78 Galbraith-These 197 Garantien 238 Garantie Fur Bayern 159 — Fur Nordrhein-WestFalen 160 GARIOA 55, 485 Gebiihren 135, 292, 298 ff., 435 Gebuhrenfiskalismus 302 Gebuhrenpolitik 299 ff. GeFalligkeitsstaat 195 GegenwertFonds 485 F. Gegenzeichnungsrecht 118 Gehaltskiirzung 285 GeheimFonds 140 Geheimhaltungssucht 143 Geldillusion 446 Geldmarkt 424 Geldmenge 291' Geldstillegung (s. auch Konjunkturausgleichsrucklage) 445 GeldverFassung 20 Geldwertbewufttsein 446 ff. Geldwertstabilitat 442, 444 Gemeindefinanzen 33 ff., 153, 290 GemeindefinanzreForm 163 ff., 290 GemeindegrojSenstaffel 167 Gemeindehaushaltsplan 70 GemeinschaFtsauFgaben 43 ff. GemeinschaFtssteuern 41 ff., 158 Genauigkeit 76 Gerechtigkeitskonvention 341,345 Gerechtigkeitspostulat 338 F. Gesamtrechnung, volkswirtschaFtliche 78, 457 F. Gesamtruckzahlung 398 Gesetz der waclisenden Staatstatigkeit 173 ff. — der wachsenden Steuerwiderstande 324 — von der AnziehungskraFt des zentralen Etats 151 Gesetzgebung, administrierende 33 —, ausschlie£liche 43 —, konkurrierende 29 Gesetzgebungshoheit 47 F. Geschlossenheit, innere 353 Gesundheitswesen 440 Gewaltenteilung 23, 39 F., 41, 119
Sachverzeichnis Gewerbesteuer 33, 49 f., 290,164 ff., 313 Gewerbesteuerumlage 49 f., 164 ff. Gewerkschaftsbewegung 125 Gleichgewicht, aufienwirtschaftliches 443 — bei Unterbeschaftigung 277 Gleichmaftigkeit 342 Gleichwertigkeit der Staatszwecke 74 Gliederung der Staatsausgaben 179 ff. Glossatoren 18 Goldautomatismus 475 Goldinflation 479 Goldwahrungsautomatik 20 Goldwahrungssystem 20 Gradationsgebiihr 299 Grants 484, 486, 491 Grenzen der off entlichen Verschuldung 414 ff. Grenzkosten, soziale 273 Grenzleistungsfahigkeit des Kapitals 284 Grenzopfer, gleiches 342 Grofigruppen 10 Griiner Bericht 34 Gruner Plan 34, 270 Grundmeinung 132 Grundrechte 134 Grundsatz der proportionalen Befriedigung off entlicher und privater Bediirfnisse 200 Grundsatze der Besteuerung 339 ff. Gruppenentscheidung 38 Gruppeninteresse 120 Gruppenmoral 332 Gruppensituation 97 Gruppenurteil 97 Gruppierungsplan 77 f. Gruppierungsiibersicht 78 Giiter, offentliche 197 ff. Giiter, private 197 ff. Gutachtertatigkeit 432 Haavelmo-Theorem 470 Hand- und Spanndienste 292 f. Handwerkssteuer 321 Hauptansatz 167 Hauptsteuern 353,492 Haushaltsabweichung 431 Haushaltsausgleich 68 ff., 435 f., 438, 466 f. HaushaltsausschuS 103 Haushaltsdebatte 86 Haushaltsgebarung 429,432
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Haushaltsgrundsatze 14, 64 ff. Haushaltskontrolle 35, 38, 431 ff. Haushaltskreislauf 94 Haushaltsordnung 64 ff., 432 Haushaltsperiode 73, 431 Haushaltsplan 60 ff. Haushaltsquerschnitt 78 Haushaltsreform 64 ff. Haushaltsrechnung 77, 431 Haushaltsreste 76 Haushaltssatzung 118 Haushaltssicherungsgesetz 262 Haushaltssystematik 77 ff. Haushaltstradition 436 Haushaltsiiberschreitung 73, 431 Haushaltsuberwachungsliste 91 ff. Haushaltsvoranschlag 86 ff. Hauszinssteuer 150 Hearings 143 Hebesatze 33, 164 f. Hermes-Kredite 67 Hilfsfiskus 39 Hochkonjunktur 288, 387 ff., 424, 471 f. Honnefer Modell 262 Hortungsneigung 464 Idealbudget 197,203 Ideale, steuerpolitische 323, 354 Illusion 12 Image 448 Immediatvortrag 118 Immobilitat, einkommensbedingte 251 Immunisierung gegen die Erfahrung 6 Impot Unique 351 Incentives 268,374 Incidence, formal 366 —, impact 366 Indemnitat 90,431 Induktion, empirische 8 Industrielohn, vergleichbarer 270 Inflation 123 ff., 445 ff., 455 —, importierte 477 Informationsbudget 461 Informations- oder Wahrnehmungsphase 363 Infrastruktur 273, 276, 283, 290, 445, 447 Infrastruktur, unternehmensorientierte 273 Inhaberschuldverschreibung 396 Inlandsschulden, offentliche 309 Innenpolitik 442 Integration 38 ff., 448 f.
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Sachverzeichnis
Interdependenzen 438 ff. Interesse, offentliches 296 Interessengruppen 122 ff, 446 Interessenharmonie 289 Interessenverbande 123, 125 f, 141 f, 441 Interessenvertretung 124, 127 f. Interne Zinsfuftmethode 208 Intervention 441 f. IRO 55 Institutionen der Finanzverfassung 27 ff. Intoleranz 131 Investitionsfinanzierung 447 Investitionsfreudigkeit 280 Investitionstatigkeit, nachfrageinduzierte 280 Investitionshilfe 127 Investitionshilfegesetz 126 Investitionspramien 391 f. Investitionsprogramme 455 Investitionsquote 280 Investitions- und Exportkonjunktur 448 Investitionsvolumen 283, 423 Invisible Hand 474 Inzidenz (s. audi Incidence) 225, 253, 255, 361 —, beabsichtigte 366 —, differentials 253 —, gewiinschte 366 —, tatsachliche 366 —, unmittelbare 366 Inzidenzgewiftheit 449 Inzidenzphase 372 f. Jahrlichkeit 436 Joint Committee on the Economic Report 403,413,461 Junggesellensteuer 377 Juliusturm 101 Jurisdiktion 27 Kalter Krieg 442, 448 Kameralismus 4,110, 375, 417 Kantonligeist 155 Kapazitatseffekt 274, 279, 283, 470 Kapitalanlage, staatswirtschaftliche und privatwirtschaftliche 422 f. Kapitalbudget 180 Kapitalkoeffizient 280, 291 Kapitalsammelstelle 414 Kapitaltiefe 447 Kapitalvermogen, allgemeines 241, 443 Kapitalwertmethode 208 Kapp-Putsch 111
Kartell 266 Kartellsprenger 244 Kassenbuch 93 Kassenbudget 73 Kassendefizit 394 Kasseneinheit 75 Kasseneinlage 246 Kassenobligation 396 Kassenrechnung 77,431 Kassenrest 77 Kassenverstarkungskredit 394 Kaufkraftumleitung 252 Kaufkraftwirkung 283 f., 387 ff , 405 f. Kipper und Wipper 18 Klarheit 77 Klassensteuer 315,321 Kleingruppenforschung 10 Know-How 265 Korperschaft, offentliche 236, 296 Korperschaftsteuer 368 ff., 439, 492 ff. —, Reform der 358 f. —, Uberwalzung der 367 ff. Kohlenbergbau 271 Kollektivbediirfnissev 199 ff. Kollektivguter 199 ff. Kollektivseele 96 Kolonialherrschaft 482 Kommunalaufsicht 420 Kommunalverschuldung 420 ff. Kommunikationsmedien 142 Konjunkturausgleichsriicklage 289, 389 ff., 406 f., 424 ff, 445 Konjunkturbeobachtung, kurzfristige und Haushaltsreform 80 Konjunkturdiagnose 469, 471 Konjunkturprognose 282, 469, 471 Konjunkturrat 289 Konjunkturstabilisator 244, 288, 424, 387 ff. Konjunkturstabilisatoren, offentliche Unternehmen als — 244 Konjunkturzyklus 264 Konjunkturzyklus neuerer Art 279 ff. Konkurrenzsystem 46 Konsolidierung 311 Konsols 311 Konstitutionalismus 142 Konsumbrotsubvention 257 Konsumentenstimmung 282 Konsumgutermarkt 285 Konsumneigung 285 Kontrolle 426 ff. —, direkte 270
Sachverz*eichnis Kontrolle, mitschreitende 429 —, nachtragliche 429 —, vorherige 429 Kontrollsystem 2 Konversion 311 Konzentratiori 439, 447 — der Gewalten 36 — der Wirtschaft 49 Kopfsteuer 343 —, negative 261 Koreakrieg 143 Korruption 129, 139 f., 141, 432 Kosten, soziale 273 —, volkswirtschaftliche 441 Kostendegression 192, 266 Kostenrechnung, betriebswirtschaftliche 370 f. Kostensteuer 371 Krankenversicherungssystem 260 Kreditermachtigung 289, 424 Kreditgewahrung, direkte 238 —, indirekte 238 Kreislauf Peterscher Art 288 Kreisschliisselzuweisung 170 Kreisumlage 170 Kriegsflnanzierung 417 Kriegsfolgelasten 195 Kriegsgeneration 317 Kriegstechnik 194 Kriegswirtschaft 134 Kuhhandel, politischer 107 Kumulativsteuer 495 Kunst der Besteuerung 311 ff. Kurspflege 310 Kurventarif 320 Labor Force 446 f. Landerflnanzausgleich 160 Landerfmanzverwaltung 32 Landersteuertopf 158 Lag, ideologischer 189 —, institutioneller 189 —, naturlicher 188 —, systembedingter 189 Landesrechnungshof 431 Landesrechnungskammer 431 Landessteuergesetz 149 Landflucht 269 Landwirtschaftsgesetz 126 f. Lastenverschiebung, intergenerative 417 fT. Lasterleichterung 352 Lebensverhaltnisse, vergleichbare 272 33
Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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Legislative 27 Legislativfunktion des Parlaments 29 Leistungsentgelt 186, 255 f. Leistungsfahigkeit, individuelle 342 Leistungsfahigkeitsprinzip 341 f. Leistungsfahigkeit, steuerliche 259 Leistungstheorie 211 Lerner-These 403 Liberalismus 4 Linientarif 320 Liquiditat, subjektive 283, 291, 393, 424 Liquiditatsanleihe 399 Liquiditatspapier 288 Liquiditatssituation 423 f. Liquidities- und NachfrageefTekt, raumlicher 270 Loans 484,491 Lobby 123 Lobby isten 120 Lohnpolitik 443 Lohnsteuer, negative 259 Lohnsummensteuer 49 Loopholes 385,494 Lorenz-Kurve 264, 443 Lotterieanleihe 398 Loyalitatspflicht der Gemeinden 31 Machtvollkommenheit 119 Makromodelle 13 Makrookonomik 12 f. Management by Objectives 82 f. Manchesterprinzip 474 Margarinesteuer 377 Marktsteuer 327,444 Markt- und Preiswirkung 366 A4arktwirtschaft 180 f., 357, 428, 438, 440, 459 Marshallplan 307, 485 f. Massenarbeitslosigkeit 442 Massendemokratie 141 Massenpsychologie 96 f. Massenverbrauchskonjunktur 448 Mal^steuer 327, 444 Matrikularbeitrage 146 ff., 156 Mature Economy 464 Mehrfachbelastung 349 Mehrwertsteuer 116,495 Meinung, offentliche 129 fT., 139 Meinungsfreiheit 442 Meinungspflege 144 Meinung der Unternehmer 281 Melioration 470 Merkantilist 374
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Sachveerzeichnis
Methode, ethnographische 16 Methodenfragen 5rr*., llff. Mikrookonomik 12 f. Mineralolprivileg 386 Mineralwassersteuer 364 Ministerialbiirokratie 115 Ministerialprinzip 78 Mischsystem 47 MiEwirtschaft 432 Mitbestimmungsrecht des Parlaments 63 Mittelaufteilung auf verschiedene Staatsaufgaben 85 Mittelstandspolitik 257, 268 Mobilisierungspapiere 288 Monetae 18 Monetary Fiscal Policy 308 Monopole 266,439 Montanumlage 59 Montanunion 58 f., 497 Moral Suasion 284, 476 Miinzbetrug 17 Munzerlose 79 Munzpragung 17 f., 296 Miinzregal 18 Multiplikator 280 Multiplikatormodell, regionales 269 Multiplikatorwirkung 285 Nachfragemonopol 216 Nachholbedarf 279 Nachtragshaushalt 72, 90 Nachtwachterstaat 21 Nationalbudget 457 f., 459 ff., 470 National Planning Association 461 f. Nationalversammlung 746 NATO 498 Naturrecht 250 Nebensteuern 353 Nebenwirkung 274 Negative-Tax-Rate 259 Nettobetrieb 295 Nettobudget 66 Nettoeffekt, verteilungspolitischer 253 Nettoergiebigkeit 156 Nettofinanzierungssaldo 79 Nettoumsatzsteuer 315, 495 Neutralist 353 New Economic 278, 435, 464 Niveau verschiebungs-Hypothese 183 Non-Affektation 14, 74 f. Norddeutscher Bund 147, 311 Normalbedarf 167 Notenbankautonomie 19
Notenbanken 310 Notgeld 308 Notopfer 135 Notstandsartikel 48 Notverordnung 149 Nutzenprinzip 301 Nutzen-Kosten-Analyse (s. Cost-BenefitAnalyse) Nutzenstiftung offentlicher Leistungen 261 Oasenbericht 479 Oberfinanzdirektionen 32 Oberste Bundesbehorden 430 Offentlichkeit 65, 80, 138 f., 141 f., 143 f. Offentlichkeitsarbeit 142,144, 235, 434 Ukonomie, politische 1 Opfer, gleiches absolutes 342 —, gleiches proportionales 342 Opfertheorie 305, 329 Opportunity-Costs und -Benefits 208 Oppositionspartei 442 Optimalbudget 199 ff. Optimismus 280 Optimum Optimorum 202 Ordnungsgefuge 442 Ordnungsmafiigkeit 426 f., 433 f., 437 Ordnungssteuer 376 Orientierungshilfe 102 Orientierungsinstrument 456,460 Osterbotschaft des Kaisers von 1917 28 Ost-West-Konflikt 442,448 Oszillationsmodell 280 PAYE-System 318 Pacht-Leih-Hilfe 483 f. Papen-Programm 393 Parafiskus 39, 171,178, 236 f., 433 Parallelpolitik 436 Pareto-Kriterium 251 Paritatsgedanke 127 Parkinsonsches Gesetz 113 Parlament 126 Parteien 120 ff., 139,141 f. Parteimaschine 121 Partialnachfrage 279 Partnerschaft, atlantische 54 Pauschgebiihr 299 Pauschsatz 314 Pay-as-you-earn-System 318 Paymaster 92 Pay-Roll-Taxes 377 Peace-Corps 490
eichnis Pennaler-Gehalt 262 Periodizitat 436 Personlichkeitsrechte 22 Personalausgaben 256 if., 265, 284 Personalsteuersystem 350, 355 Petition of Rights 63 Pflichttilgimg 397 Phoebus-Filmgesellschaft 140 Planerfiillung 442 Planning-Programming-BudgetingSystem (PPBS) 81 ff. Planung 462 ff. Planungsperiode 456 Planungsrat 44 Planwirtschaft 357, 438, 450, 458, 461 Pluralismus 40 Polis 142 Political Framework 469 Pork-Barrel-Legislation 129 Porzellangeld 308 Poujadist 335 Poverty-Line-Minimum 259 Pramienanleihe 398 Prasidentschaftsdemokratie 21 Preisbildungsvorschrift 217 Preismodelle, neoklassische 367 Preisregulierung, offentliche 267 Preissystem 439 Preiszusamrnenhang, internationaler 477 Presse 132,140,142, 144 Pressefreiheit 144,442 Preufiische Staatsbank 310 Prinzip, tauschwirtschaftliches 293 Privatlehrer 261 Produktionskapazitat 282 Produktionsstruktur 264 ff., 274 ff., 283, 386, 447, 470 Produktions- und Rationalisierungsanreiz 267 Produktionsvermogen 242 Prognose 460 Progression 320, 387 ff. —, parallele (s. Brechtsches Gesetz) Prohibition 140 Prohibitivwirkung 364,376 Propaganda 133 Proportionality 209 Psychological Breaking Point 324 Psychologie 8 Public Relations 144 Publizistik 133 Publizitat 142 Publizitatsscheu 143 33*
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Quellenabzug 317 Quellentheorie 314 Quotitatssteuer 319 Quotitatsprinzip 233 Rahmengebiihr 299 Raketenabwehrgurtel 194 Rationalisierung 190, 271, 280 Rationalitat 13, 65, 431 f. Raum, parlamentarischer 120 —, vorparlamentarischer 119 ff., 127 Raumordnung 158 Raumordnungsbericht 272 Raumordnungsgesetz 272 Realsteuer 33 Realsteuergarantie 51 Rechnungshof 430 f., 424 Rechnungsjahr 432 Rechnungskontrolle 429 Rechnungslegung 431 Rechnungspriifung 431 f. Rechnungspriifungsbehorden 430, 432 f. Rechtspflege 444 Rechts-und Machtfunktion 188 Reconstruction Finance Corporation 233 Redistribution (s. auch Einkommensumverteilung) 248 ff., 380, 382, 427 —, regionale 248 —, indirekte 262 —, steuerliche 380 ff. Redistributionswirkung 256 ff., 449 Referendumsdemokratie 141 Regalien 18 Regalienlehre 18 Regionalprogramm 271 Regionalstruktur 269 Regression 320,496 Reichsabgabenordnung 22 Reichsfinanzhof 38 Reichsfinanzreform von 1919/20 32 Reichsfinanzverwaltung 32 Reichskassenordnung 91 Reichssparkommissar 207 Reichstag 148 f. Reichsverfassung 147 Reinvermogenszugangstheorie 314 Remunerationsprinzip 198 Rentnermentalitat 275 Reparationen 149 f., 296 Repartitionsprinzip 34,233 Repartitionssteuer 92,319 Reprivatisierung 243
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Sachverzeichnis
Reversibilitat 233 f., 277, 281 ff. Revisionsklausel 51 ff., 157 Rezession 287 ff., 391 ff., 470 f. Ricardo-Pigou-These 418 Richtsatz 314 Rider 89 Risikobereitschaft 280 Romische Vertrage 498 Rohstoffsteuer 373 Rollenspiel, soziologisches 8 Rollentausch 100 Ronkalischer Reichstag 18 Rousseausche Vertragstheorie 17 Riistungskaufe 276, 478 Rustungstechnik 194 Ruhrkohlen-Aktiengesellschaf t 271 Rundfunk 132, 142, 144 Sachausgaben 265 f. Sachdenken 101 Sachvermogen 242 —, allgemeines 241, 243 Salle des pas perdus 123 Sanierung, aktive 272 —, passive 272 f. — des Bergbaus 271 SARO-Gutachten 272 Saugwirkung 270 Saving Bonds 399 Schatzanweisung 396 Schiffbau 446 Schlagwortdenken 131,440 Schliisselmasse 167 f. Schliisselzahl 163 Schliisselzuweisung 166 f., 169 Schmuggel 335 Schubladen-Programm 255 Schulbildung 254 Schuld, offentliche 393 ff. —, offentliche, Formen der 393 —, fundierte 395 —, schwebende 395 Schuldendienst 420,4551 Schuldendienstfahigkeit 420, 490 Schuldenpolitik 400 ff. —, aktive 405 —, antizyklische 405 ff. —, gemeindliche 400 —, passive 405 —, staatliche, redistributive Wirkungen der 407 ff. Schuldenruckzahlung 405, 419, 435 Schuldscheindarlehen 396
Schuldenstand des Auslandes 309 Schuldentilgung, Wirkung der 405 ff. Schuldtitel, Falligkeit der 396 —, Laufzeit der 397 —, Marktgangigkeit der 398 Schule, historische 8 —, psychologische 8 Schulgeld 262 Schulsystem 262 Schul- und Hochschulwesen 440 Schul- und Bildungsinvestitionen 445 Schutzzollsystem 148,263 Schwarze Kassen 65 Schwarzhandel 134 Sektsteuer 319 Selbstanzeige 338 Selbstfinanzierung 441 Selbstveranlagung 390 Selbstverwaltungsaufgaben 31 f. Sicherheit, soziale 441 f. Sicherheitsleistungen 238 Sicherungsklausel 51 ff. Signalwirkungen 6, 265, 269, 281 f., 284,313, 334, 363 f. Small Business Administration 267 Social Dividend 259 Social Welfare Function 201 f. Sollertragsbesteuerung 379 Sonderabschreibung 391,446 Sonderstellung des Finanzministers 117 Sondervermogen 65 f., 75, 236, 237 Sound Finance 474 Souveranitat 5i6 f. Sozialauffassung 193 Sozialausgaben 258, 269 ff., 444 Sozialforschung, empirische 8, 448 Sozialhilfe 259 ff., 440 Sozialisierung 123 Sozialistengesetz 125 Sozialleistungen, offentliche 225 Sozialpolitik 253 f. Sozialpsychiatrie 8 Sozialpsychologie 9 f. Sozialunterstiitzung 258 f., 262 Sozialversicherung 261 ff. Soziologie 8 f. Spannung, soziale 448 Sparneigung 285 Sparpramie 441 Sparsamkeit 207, 266 Spar- und Investitionsrate 427 Speisekammergesetz 134 Spezialistentum 144 ff.
Sachverzeichnis Spezialitat 72 —, qualitative 72 —, quantitative 73 —, temporare 73 Spielbankabgabe 49 Sporteln 299 Sprungkosten 192 Staatsanleihe 420 ff. Staatsauffassung 193 —, aristotelische 305 —, Hegelsche 305 —, sophistische 305 Staatsauftrage 206 ff. Staatsautoritat 449 Staatsbanken 310 Staatsbedienstete 210 ff. Staatsbewufksein 133 Staatsdisziplin 134 Staatsfinanzwirtschaft 3 Staatsfiskus 39 Staatsform 134 Staatsgesinnung 134 f. Staatsgewalt 17,22 Staatskredit 235 Staatspapiergeld 19 Staatsschuld 308 Staatsverfassung 21 ff., 26 Staatsverschuldung 420, 425 Staatswirtschaftsplan 459 Stabilitatsgesetz 68, 227, 288 ff., 389 ff., 423 ff., 453 ff., 469, 471 ff. Standefiskus 39 Stagnationsthese 278 Startgleichheit 254 Status-Symbol 235 Steuer, Definition der 303 f. —, Bezeichnung der 312 Steuern, direkte Uberwalzung der 367 ff. —, indirekte 346, 367 — mit ortlich bedingtem Wirkungskreis 30 —, negative 259 —, ortliche 30 —, unmerkliche 346, 419 —, Wahl des Einfiihrungszeitpunktes der 313 Steuerabbau 138 Steuerabwehrprozesse 362 Steueranderungsgesetze 29 Steueramt 137 Steueranspruch 26 f. Steueraufkommenselastizitat 157, 387 f. Steuerbegtinstigung 227
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Steuerbehorde 135 Steuerbelastung 326,416 —, objektive 326 —, subjektive 326 Steuerbetrag 320 Steuerbewilligungsrecht 28,63 Steuerdelikt 332 Steuerdestinatar 316, 366 Steuerdiffusion 360 Steuerdisziplin 333 Steuereinholung 373 Steuerelastizitat 387 ff. Steuererhebung 321 Steuererleichterung 228 Steuerersparnis 316 Steuerfindungsrecht der Gemeinden 30 Steuerflucht 479 Steuergefahrdung 336 Steuergegenstand 313 Steuergerechtigkeit 344 Steuergesetze, Formulierung der 313 Steuergestaltung, soziale 252, 360 Steuergrundgesetz 24 Steuerharmonisierung 475, 78, 492 ff., 497 f. Steuerhehlerei 336 Steuerhinterziehung 335 f. Steueridee 312 Steuerinzidenz (s. auch Inzidenz, Incidence) 255, 362, 444 Steuerjammer 334 Steuerkompetenz 53 Steuerkontrolle 321, 338 Steuerkraftmeftzahl 158, 160, 162, 168 Steuerlast 344 Steuerliste 322 Steuermentalitat 134 f., 136, 325 f., 330, 498 Steuermoral 323, 328 f., 330 f., 332 f., 337 f., 498 Steueroasen 156 Steuerobjekt 313 Steuerpfiicht 135, 313, 316 f. Steuerpolitik, antizyklische 387 ff. —, regionale 385 —, sektorale 385 Steuerrecht 136 Steuerrechtfertigungslehren 304 f. Steuerreform, organische 315 Steuersatz 313, 319 Steuersatzelastizitat 388 Steuerschuld 319 Steuerschuldner 366
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Sachverzeichnis
Steuersteppen 156 Steuerstrafe 338 Steuerstrafrecht 329 Steuerstrafverfahren 337 Steuersiinder 337 Steuersystem 135 f., 348 fF., 494 ff. —, historisches 350 f. —, ideales 352 —, politisches 354 —, rationales 350 f., 352 ff. — und Wirtschaftssystem 348 ff. Steuersystematik 355i Steuertarife 319 ff. Steuertauschung 329 Steuertechnik 135, 311 ff., 321, 327, 498 Steuertermin 246 Steuertrager 316, 360 Steuerverwaltungsbehorden 32 Steuerwertlehre 305 Steuerwesen 136 Steuerwiderstande 136, 323, 333, 335, 337, 420 Steuerwirklichkeit 136 Steuerwirkungslehre 361 ff., 359 ff. Steuerwirtschaft, verbundene 50 Steuerzahler 316, 366 Steuerzahlerbewegung 137 Steuerzweck, fiskalischer 303 ff. —, nichtfiskalischer 375 ff. Stimmenmaximierung 204 Storungsfaktor, konjunktureller 436 Strafrecht 431 Straftenanliegerbeitrag 303 Strafknbau 440 Strukturanpassung 283 Strukturbegriff 264 Strukturkrise 287 Strukturpolitik 263 ff. —, regionale 267, 271, 273 ff. Strukturprobleme, sektorale und regionale 265 ff. Strukturwandel der parlamentarischen Willensbildung 104 Strukturwandlung 264,286 Stufentarif 320 Submissionskartell 222, 266 Subsidiaritat 42 ff. Subventionen 135, 225 f., 257 f., 270, 274, 286, 444, 449 —, direkte 226 —, Erhaltungs- 275 —, Forderungs- 275 —, indirekte 226
Subventionen, marktinkonforme 228 —, marktkonforme 228 — mit Empfangsauflage 231 ff. — mit Verwendungsauflage 231 ff., 274 ff. —, off ene 226 —, strukturverbessernde 274 —, strukturkonservierende 274 —, versteckte 226 Subventionsbericht 227 Subventionsmentalitat 234,275 Subventionspolitik, wachstumsorientierte 287 Subventionsprogramm 258 f. Subventionspublizitat 234 Subventionssystematik 226 ff. Subventionsverwaltung 233 Subziele 84 Suggestibility 97 Supranationalitat 56 ff. Swiftsches Steuereinmaleins 324 System der vorlaufigen Zwolftel 67 Tabaksteuer 317 Taille Egalee 351 Tammany Hall 121 Tantiemesteuer 319 Tarifformen 319 f. Tax Announcement Effects 313, 363 Taxpayer's Association 137 Teapot-Dome-Skandal 140 Technisierung 105 Teilhabersteuer 359 Teilmeftzahlen 160 Teilriickzahlung 398 Theorie der Finanzpolitik 6 — der Wahlgeschenke 205 — der Wachstumspole 273 —, empirische 13 ff. Therapieproblem 278 Thesauri 18 Third House 123 Tilgung, freiwillige 397 Tinbergen-Gutachten 497 Tonnage Act 19 Transferansatz 408 ff. Transferausgaben 194,223 Transferdestinatar 225 Transferzahlung 185, 224, 255, 257, 268 f., 285, 293 —, negative 293 f. Transformationskurve 199 Treasury 92
Sachv Trennsystem 45, 51,150 Tiirsteuer 335 tJberorganisation 85 Oberschuldung, kommunale 420 Obersichtlichkeit 77 "Qbertragbarkeit 73 Oberwalzung 366 f., 369 f., 372 Oberwalzungsproblem der Subvention 257 "Oberweisungssteuer 41, 150, 156 Uberweisungssystem 47 Umlageverfahren 263 Umsatzsteuer 158, 315, 439, 492 ff. Umwegsrentabilitat 180 Unabhangigkeit der Landerhaushalte 31 — der Notenbank 437 Unmerklichkeit der Besteuerung 327, 347 UNRRA-Hilfe 55, 483 f. Unterhaltsstipendium 262 Unternehmen des Bundes, Einnahmen aus 296 ff. Unternehmerbereich 427 Unternehmererwartungen 282 Unternehmungen, offentliche 244 Ursprungslandprinzip 498 Urteil, stereotypes 131 U-Schatze 396 Vectigalia 18 Verbande 122, 125, 128, 139 f. Verbindlichkeit 61 Verbrauchsteuer 158, 315, 495 f. Verdingungsabsprachen 268 Verdingungskartell 222 Verdingungsordnung 216 Verfassung 22 ff. Verfassungsgarantie des Eigentums 26 Verfassungsnormen 23 Verfassungsstaat der Neuzeit 22 Vergebung, freihandige 218 f. Vergebungsverfahren 218 ff. Verhaltnismaftigkeit 342 Verhaltniswahlrecht 122 Verhalten, rationales 5 f. Verhaltensforschung, sozialokonomische 9,340 —, steuerliche 361 Verhalten der Steuerzahler 6 Verkehrsausgaben 190 Verkehrssteuer 49 Vermittlungsausschuft 88
eichnis
519
Vermogensbildung 239, 283, 447 Vermogenseffekt 403 Vermogensrechnung 239 Vermogensschichtung 441 Vermogensstruktur 418 Vermogensverteilung 444 Vernunftprinzip 323 Verpflichtungsermachtigung 73 f. Versailler Vertrag 20 Verschuldung, auftere 419 —, offentliche 417 ff. —, offentliche, Grenzen der 414 ff. —, offentliche, Maftstabe der 414 ff. —, unmerkliche 416 Verschuldungspolitik, objektbezogene 423 —, situationsbezogene 423 Verschuldungspraxis, haushaltstechnische 422 Versicherung 263 Verteidigung 421, 444 Verteidigungsausgaben 268, 275, 448 Verteidigungskaufe 268 Verteilungswirkungen, differentielle 408 Vertragstheorie 200, 305, Vertrauen in die Wahrung 424 Verwaltungsburokratie 140, 143 Verwaltungseinnahmen 91 Verwaltungsgebuhr 294, 299, 301 Verwaltungshaushalt 71 Verwaltungshoheit 50 Verwaltungskontrolle 429 Verwaltungsmentalitat 85 Verwaltungsreform 138 Verwaltungsschulden 394 Verwaltungsstrafverfahren 337 Verwaltungsvermogen 240 Verwendungszwecksteuer 376 Verzahnung der Bundes- und Landeshaushalte 31 Vielparteiensystem 122 Viereck, magisches 442 Virements 72 Visa-Kontrolle 429 Volksentscheid 97 Volkspension 263 Volkswirtschaftsplan 62 Volkswohlstandslehre 1 Vollstandigkeit 65;, 67 Vollzug des Budgets 89, 429 Voranmeldung 81 Voranschlag 432 Vorbesprechung 82
520
:ichnis
Vorherigkeit 67 Vorpriifung 430 Vorzugslasten s. Beitrage
Winzersturm 335 Wirkungszwecksteuer 376 Wirtschaftlichkeit 208, 431 Wirtschaftsfunktion 202 Wirtschaftsordnung 427 Wirtschaftsprognose 287 Wirtschafts- und Sozialrate 128 Wirtschaftssystem 348 ff. Wirtschaftstheorie 5 Wirtschaftsvermogen 243 Wohlfahrtsokonomik 250 Wohlfahrtsstaat 21 Wohlfahrtszweck 188 Wohngemeinde 166 Wohnbaupolitik 441 Wohnungswesen 440 Work-Leisure-Choice 374
Wachstumsaspekt 278 Wachstumskrise 283 Wachstumspfad 281 Wachstumspolitik 280 ff., 384 ff. Wachstumspotential 283 Wachstumsrate 280 Wachstumsschwankung 276, 280, 291 Wachstumsstockung 283 Wachstumstheorie 280 —, regionale 273 Wachstumstrend, realwirtschaftlicher 280 Wahrungshoheit 17 Wagnersches Gesetz 112, 178 ff. Wahlen 132 Wahlrecht 28 Wahlrechtsreform von 1832 28 Wahlgeschenke 205, 449 Wahl-, Wehr- und Leistungspfliclit 448 Wahrheit 80 Wahrnehmbarkeit 327 Wanderung und Kombination der Produktionsfaktoren 264 War Bonds 399 Wasserwirtschaft 440 Wechselkurs 481 Wehrbeitrag 302 Weimarer Reichsverfassung 122, 142, 149 Welfare-Theorie 199 ff., 440 Weltbank 484 Welthandelstonnage 446 Weltwahrungsfonds 483 f., 498 Weltwirtschaftskrise 20, 272 ff., 287, 482 Werbefernsehen 144 Werbekosten 314 Wertindustrie, holsteinische 274 Wertsteuer 313 Werturteil 132, 440 Wettbewerb 280, 425 Wettbewerbsdruck 286 Wiedergutmachungsleistungen 478 f. Wiener Schlufiakte 146 Willensbildung, demokratische 96 ff. —, finanzpolitische 60 ff., 89 ff., 130 ff. —, kollektive 95 f. —, politische 126 ff., 132 ff. Willensbildungsprozeft, parlamentarischer 83 ff. Wirtschaftsforderung, regionale 267
Young-Plan
150
Zahlungsbilanz 275, 423, 474, 487 Zahlungsphase 366 Zehnten 292 Zentrale-Orte-Programme 273 Zentralverwaltungswirtschaft 439 Ziele der Staatstatigkeit 84, 199 ff. Zielgenauigkeit 444 Zielkatalog, wirtschaftspolitischer 278 Zielkonflikte 467 Zinslast 421, Zinssubvention als Instrument der Wachstumspolitik 286 Zolle 292, 378 Zolleinnahmen 148, 158 Zollpolitik 476,478,481 Zolltarifgesetze 148 Zollverein 146, 311 Zonenrandgebiet 267 Zuckersteuer 317 Zukunftserwartung 288, 424 Zuschlags-System 47 Zuschiisse, verlorene 489 f. Zustandigkeitsbudget 73 Zuweisung 156, 160,171 Zuweisungssystem 46 Zweck, fiskalischer 248, 375 —, sozialpolitischer 375 Zwecke, werbende 423 Zweckbindung 14,74 Zwecksteuer 376 Zweckzuwendung 231 Zweiparteiensystem 105