Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G.F. Unger Band 1690
Fährten des Krieges Inmitte...
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Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G.F. Unger Band 1690
Fährten des Krieges Inmitten der Senke liegen die beiden umgekippten Bagagewagen der Armee. Bei den Wagen, hinter denen sie Deckung suchten, sind überall die Toten im niedergetrampelten Büffelgras zu erkennen. Jim Kehoe reitet langsam umher. Widowmaker, sein Wallach, schnaubt nervös. Die Toten schrecken ihn jedoch weniger, als man annehmen könnte. Er ist ein erfahrenes Kriegspferd, dem auch Blutgeruch nicht fremd ist. Dass er so unruhig schnaubt, muss einen anderen Grund haben. Aber sooft Jim Kehoe auch seinen scharfen Blick in die Runde schickt, er kann nichts von einer Gefahr erkennen. Er scheint mit dieser bis auf den letzten Mann niedergemachten Patrouille, die den Zahlmeister von Fort Reno nach Fort Phil Kearney begleiten sollte, allein zu sein. Das Gefühl der Gefahr verlässt Jim Kehoe nicht. Und dann, als er wieder einmal seinen grauen Wallach herumzieht, schnappt er den Colt heraus, ohne auch nur einen Sekundenbruchteil zu zögern. Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, in dem keine Spur von Freundlichkeit ist, nur Härte und Verwegenheit, Todesverachtung und lauernde Gefährlichkeit… Der vorliegende Roman erschien schon einmal in dieser Reihe als Band 1122 und im Unger-Western als Band 958.
Er sieht fünf indianische Reiter kommen. Ihre bunten, mit allerlei Zeug geschmückten Mustangs verursachen mit den unbeschlagenen Hufen kaum ein Geräusch im dichten Büffelgras. Aber es sind nicht nur die fünf Indianer, die auf seiner Fährte aus dem Tannenwald auftauchen. Andere Krieger reiten von rechts, von links und auch hinter ihm heran wie ein unaufhaltsames Schicksal, vor dem es keine Rettung gibt. Jim Kehoe will das graue, narbige Tier herumreißen, ihm die Absätze in die Weichen drücken und einen wilden Schrei ausstoßen, der den Wallach hätte losstürmen lassen. Aber als er überall in der Runde die Krieger auftauchen sieht, da weiß er, dass er weder verwegen fliehen noch sich den Weg freischießen kann. Ein Glück für ihn, dass er sich mit Sioux auskennt, ganz besonders mit Hunkpapas und Oglalas, die zu den sieben Sioux-Stämmen gehören. In einer so ausweglosen Situation kann man sich im besten Falle nur ihre Achtung erringen. Dann sind sie entweder stolz darauf, ihn rasch zur Hölle zu schicken, oder sie erweisen sich als ritterliche Gentlemen, um sich gewissermaßen selbst zu ehren. Jim Kehoe hält seine beiden Revolver fest in den Händen und blickt auf einen Roten, den Anführer der Kriegshorde. Er kennt ihn mehr als nur flüchtig. Als Knaben waren sie in Fort Laramie – als Laramie noch nicht der Armee gehörte, sondern ein Camp der Händler und Handelskompanien war – oft tagelang beisammen, immer dann, wenn die Oglalas kamen, um Tauschgeschäfte mit den Händlern zu machen. Der rote Riese auf dem hageren Rappen ist Red Bull. Er ist einer der prächtigsten Indianer, die Jim Kehoe jemals gesehen hat. Die Narben auf seiner nackten Brust und an seiner
linken Wange geben ihm das Aussehen eines besonders streitbaren, gefürchteten Kriegers. Lässig sitzt er auf seinem geschmückten Rappen. Die Feldjacke des toten Lieutenants hat er sich lose über die Schultern gehängt. Auch Lieutenant Ray Anderson ist ein stattlicher Mann gewesen. Jim Kehoe richtet beide Colts auf ihn und erkennt, dass sich Red Bulls harter Mund zu einem kaum merklichen Grinsen verzieht und dass es in seinen graugrünen Augen zu funkeln beginnt. Dann haben die Roten Jim Kehoe eingekreist. Mit ihren Kriegslanzen und Keulen könnten sie ihn von allen Seiten erwischen. Binnen einer einzigen Sekunde würde er tot vom Pferd fallen. Jim weiß es, doch er achtet nicht darauf. Wyoming Jim Kehoe blickt nur Red Bull an und hält die zurückgelegten Hämmer seiner beiden Colts mit den Daumen fest. Seine Waffen haben keine Abzüge. Er braucht nur die Daumen zu heben, dann hacken die Hämmer auf die Patronenböden und lösen die Schüsse. Red Bull weiß es, und dieses Spiel scheint ihm Spaß zu bereiten. Nach einer Pause sagt er kehlig: »Ich sehe dich, Schwarzwolf. Wir kennen uns gut, nicht wahr?« »Ja«, nickt Jim Kehoe. »Und weil wir uns so gut kennen, weißt du, dass ich dir noch zwei Kugeln in den Kopf schießen kann, bevor deine Krieger mich vom Gaul kriegen.« Red Bull nickt ernsthaft. Seine Augen funkeln noch mehr, denn dies ist ein Spiel, das jeder richtige Sioux liebt. »So ist es«, sagt er. »Aber ich hätte dich schon längst töten lassen können. Du kamst ahnungslos dahergeritten – bis du dort oben vom Wald aus in diese Senke sehen konntest. Aber da war es schon zu spät für dich. Ich könnte dich längst tot vor
meinen Füßen haben. Doch ich ließ dich leben, denn ich brauche dich als Boten.« Er macht eine Pause, und seine schrägen Augen werden schmal. »Lass hören«, sagt Kehoe pulvertrocken. »Lass hören, Vetter!« Red Bull richtet sich noch stolzer im Sattel auf. Er sitzt in einem erstklassigen Sattel. Später wird Kehoe erfahren, dass dieser Sattel für Colonel Henry B. Carrington in Fort Phil Kearney bestimmt war. »Ich bin ein kleiner Häuptling«, sagt Red Bull langsam. »Aber ich werde ein großer Häuptling sein. Ich sperre den Weg nach Fort Phil Kearney. Reite nach Fort Reno zurück und melde dort, dass kein Weißer mehr über Fort Reno und den Powder River hinaus nach Norden oder Westen kommt. Ich und meine Krieger töten sie alle, denn ich habe den Vertrag von Laramie nicht unterzeichnet. Ich war ein kleiner Häuptling und werde groß. Berichte den Soldatenhäuptlingen von mir. Sag ihnen, dass Red Cloud zwar mein Onkel ist, doch selbst wenn er den Vertrag unterzeichnet hätte, würde ich euch gegen seinen Willen bekämpfen. Steig von deinem Pferd! Ich will es haben!« Der plötzliche Wechsel des Themas überrascht Jim Kehoe nicht. Er kennt sich mit den Sioux zu gut aus. Außerdem hatte Red Bull während der letzten Minuten nur noch verlangend auf Kehoes grauen Wallach gestarrt. »Und wenn ich es dir nicht gebe?«, fragt Kehoe. »Ich finde auch einen anderen Boten, der die Kunde von meinem Sieg über diese Pferdesoldaten in eure Forts bringt«, erwidert Red Bull. »Es leben da und dort noch einige Weiße im Powder-River-Land und zwischen diesem Pulverfluss und dem kleinen Big Horn River im Norden, nicht wahr?«
»Du würdest sie nicht mehr finden – du nicht«, murmelt Jim Kehoe. »Du könntest nur noch eine Sekunde in die Sonne sehen.« »Ich will dein Pferd«, wiederholt Red Bull kehlig. Diesmal spricht er die Worte in Englisch. Er beherrscht die Sprache der Weißen gut, lebte er doch als Knabe viele Jahre in der Nähe der weißen Händler bei Fort Laramie. »Ich will dein Pferd!«, sagt Red Bull noch einmal. Jetzt nickt Jim Kehoe. Er steckt seine Revolver weg und erwidert: »Ich sehe es ein, Vetter. Ich bin in eurer Hand. Dich und zwei oder drei deiner Krieger könnte ich töten – aber dann…« Er verstummt und bewegt bezeichnend seine Handkante unter dem Kinn am Hals vorbei. Dann sitzt er ab. Als er neben seinem Pferd steht, fragt er bescheiden: »Soll ich nach Fort Reno laufen, um dort von dem großen Häuptling zu erzählen, der hier gesiegt hat und noch mehr Siege erringen will, der den Bozeman-Weg nach Fort Phil Kearney sperrt und wie ein großer, mächtiger Stern, dessen Glanz alle anderen Sterne überstrahlt, aufsteigen will? Soll ich das?« Er hat kaum ausgesprochen, als man ihm ein Pferd bringt, ein Armeepferd. Es ist das Tier Lieutenant Ray Andersons. Gewiss, es ist ein gutes, ein schönes Pferd, aber gegen Jim Kehoes Widowmaker – Witwenmacher – ist es wie ein harmloses Haushündchen neben einem narbigen Büffelwolf. Für einen Indianer ist Widowmaker zehnmal wertvoller als so ein Offizierspferd der US-Kavallerie. Jim Kehoe nimmt das Tier jedoch, ohne ein Wort zu sagen. Er wäre auch mit einem blinden Esel zufrieden gewesen. Kehoe schwingt sich in den Sattel und hebt seine Hand. »Woyuonihan«, sagt er. »Respekt, Häuptling und Vetter, Respekt! Ich reite also, um deinen Ruhm zu verkünden. Danke für das Pferd.«
Dann fügt er in Comanche, der Sprache seiner Großmutter, hinzu: »Tsei hou-dei kyh-gou-p gaux-kin!« Red Bull versteht das Sprichwort sofort. Es lautet: In einem Blizzard hat ein blindes Pferd mehr Verstand als ein kluger Mann. Während Red Bull darüber nachdenkt, was das Sprichwort bedeuten könnte, reitet Jim Kehoe aus dem sich öffnenden Kreis der Roten und legt eine Strecke von etwa vierzig Yards zurück. Dann aber kommt der große Zaubertrick, der erste, den Kehoe den Roten zeigt. Er stößt einen schrillen Pfiff aus. Es ist ein seltsam wilder, misstönender Pfiff. Die farbenprächtigen und mit allen Beutestücken ihres Sieges über die Soldaten geschmückten Oglalas, die eben noch ihren Häuptling bestaunten, der sich inzwischen auf Jim Kehoes Witwenmacher geschwungen hat, sehen eine ganz besondere Vorstellung. Red Bull verwandelt sich in einen Vogel. Er fliegt etwa sieben Yards weit und kracht dann zu Boden. Der wilde Schrei, den er ausstößt, während er aufspringt, macht die Pferde der Krieger verrückt. Witwenmacher geht über Red Bull hinweg, tritt ihn zweimal und wuchtet ihn nochmals auf den Boden. Als wäre Witwenmacher ein gepanzertes Nashorn, so prescht er in das Durcheinander. Er rammt sie zur Seite, die kleinen Mustangs. Manchmal beißt er im Vorbeidonnern böse zu oder keilt nach hinten aus. Als er Jim Kehoe einholt, hat dieser bereits eine Strecke von fünfhundert Yards zurückgelegt. Jim wirft sich von Lieutenant Ray Andersons galoppierendem Pferd auf Witwenmachers Rücken. Inzwischen haben sie einen kleinen Vorsprung vor der brüllenden Kriegshorde, die ihnen als dichte Traube folgt und aus der sich allmählich einige schnelle Reiter nach vorn schieben.
Doch auch diese schnellen Tiere lässt Widowmaker allmählich zurück. Das ledige Offizierspferd hält prächtig mit. Red Bull bleibt am Kampfort. Erst nach einer Weile kommt er auf die Beine. Er dreht sich wie ein Betrunkener und schwankt. Dann schwört er sich, dass er nicht ruhen wird, bis Jim Kehoes Skalp an seinem Gürtel hängt, denn noch nie wurde ein ehrgeiziger Häuptling vor all seinen Kriegern so von einem weißen Scout blamiert. Noch nie! * Eine Stunde später hat Jim Kehoe die rote Kriegshorde abgeschüttelt. Er lässt Witwenmacher aus dem Galopp in einen langen Trab fallen. Das andere Pferd, das etwas zurückgeblieben war, holt langsam auf und schließt sich an. Kehoes Gedanken arbeiten, denn er hat einige Probleme zu bewältigen. Er ist von Fort Phil Kearney gekommen, um nach der Patrouille mit dem Zahlmeister und den beiden Nachschubwagen zu sehen, die längst überfällig war. Er fand sie. Und nun soll er nach Fort Reno reiten. Soll er das wirklich tun? Muss er nicht viel dringender Fort Phil Kearney warnen und dort berichten, dass die Roten wieder einmal einen neuen Messias zu haben glauben? Oder muss er Fort Reno warnen und berichten, dass jeder neue Wagenzug und jede Patrouille in Gefahr sind, wenn sie auch nur ihre Nasenspitze über den Powder River schieben?
Jim Kehoe entscheidet sich für Fort Phil Kearney, denn von da hat man ihn ausgeschickt, um nach dem überfälligen Nachschub zu sehen. Die Jungs dort am Fuß der Big-HornBerge müssen wissen, dass sie vorerst nicht mit weiteren Waffen und Munition rechnen können. Da er in Richtung Fort Reno geflüchtet ist – also nach Süden zu –, muss er nun umkehren. Er lenkt sein Pferd in einen Creek. Nach etwa einer halben Meile verlässt er das Wasser, das den Pferden bis zu den Knien reicht, an einer Stelle, an der eine dunkle Felsbank in den Creek ragt, auf der die Hufe nur wenige Kratzer hinterlassen. Das Pferd des toten Lieutenants Ray Anderson folgt ihm geduldig und müht sich, auch dann den Anschluss zu behalten, als Jim Kehoe seinen Widowmaker in einen langen Trab fallen lässt, der ihn rasch vorwärts bringt. Jim weiß, dass er einen weiten Bogen nach Westen schlagen muss, wenn er ohne Kummer an der Bande Red Bulls vorbeikommen will. Gegen Mitternacht stößt er auf den Bozeman-Weg und reitet auf diesem weiter. Das Pferd des Lieutenants ist immer noch bei ihm. Doch obwohl es ohne Sattel und ohne jede Last läuft, ist es so erschöpft, dass es bald zurückbleiben wird. Jim Kehoe hat Mitleid mit dem Tier, denn er weiß, dass dieses Kavalleriepferd wahrscheinlich noch nie allein war, sondern sich stets in Gesellschaft von Artgenossen befand. Das Tier hat Angst davor, in diesem Land allein zu sein. Deshalb strengt es sich so sehr an. Hört es doch da und dort in weiter Ferne die Wölfe heulen, Büffelwölfe, die besonders groß sind. Als der Mond zu strahlen beginnt, hält sich Jim Kehoe im Schatten der Hügelkämme. Es ist etwa eine Stunde nach Mitternacht, als er das große Feuer in der Dunkelheit erkennt. Jim Kehoe weiß sofort, wessen Feuer das ist. Er hält Witwenmacher an und zögert. Während er überlegt, kommt
auch Lieutenant Andersons erschöpftes Pferd heran und bleibt mit gespreizten Vorderbeinen und gesenktem Kopf stehen. Der Atem des Tieres rasselt. Wahrscheinlich gibt das erschöpfte Pferd den endgültigen Ausschlag für Jim Kehoes Entscheidung. Er sagt heiser: »Nun, Red, dann komm noch ein kleines Stück mit uns. Komm mit zu French Charly Hotmillers Handelscamp.« Nach diesen Worten reitet er langsam an. * Dicht neben dem Wagenweg nach Montana stehen vier große Planwagen. Sie bilden einen Winkel, denn French Charly braucht in diesem Land keine Wagenburg. Es gibt zwei große Seilcorrals. In einem bewegen sich Pferde. In dem anderen sind die Zugmaultiere, acht Tiere für jeden der Wagen. Neben dem großen Feuer, an dem Charly Hotmillers Mannschaft hockt, befindet sich noch ein zweites, kleineres. Zwischen den Wagen ist eine große Zeltplane aufgespannt, und diese Plane ist gewissermaßen das Dach von Charly Hotmillers fahrendem Store. Die Mannschaft besteht aus zwei Indianern, einem riesigen Neger und zwei Halbblutmännern. Hotmillers Frau ist eine Arapahoe-Hauptlingstochter, und sie galt damals als die schönste Indianerin westlich des Missouri. Jim Kehoe reitet langsam auf das Camp zu. Erst als er die Grenze des Feuerscheins erreicht, hält er an. Das ledige Pferd schiebt sich neben ihn und schnaubt dankbar. Kehoe forscht scharfäugig, wer in diesem Handelscamp am großen Feuer versammelt ist. Er sieht lediglich Charly
Hotmillers Männer. Die meisten schlafen schon in ihren Decken. Das Feuer brennt nur deshalb noch so hell, um zu verkünden, dass hier French Charly Hotmiller Tag und Nacht auf Kundschaft wartet, dass man zu jeder Zeit willkommen ist, wenn man etwas kaufen oder tauschen will. Dieser fahrende Store im Land der Sioux und Cheyenne ist immer geöffnet. Und wo Hotmiller sein Camp aufschlägt, da ist für Freund und Feind neutraler Boden. Kehoe glaubt schon, dass Hotmiller mit seiner Mannschaft allein ist. Doch dann sieht er das gescheckte Pferd, das außerhalb des Seilcorrals hart an der Grenze des Feuerscheins unter den schattigen Zweigen einer Burreiche, die das Mondlicht nur wenig durchsickern lassen, angebunden ist. So ein verrückt geschecktes Pferd gibt es gewiss nur einmal auf dieser Welt. Jim weiß, wem es gehört. Vor etwa acht Stunden sah er den Mann. Es ist jener Mann, dem dieser Schecke beim Anblick von Kehoes Witwenmacher nicht mehr gut genug war und der dann so großen Wert auf Kehoes grauen Wallach legte. Red Bull muss in diesem Camp sein. Die Erkenntnis ist für Jim Kehoe, der am vergangenen Nachmittag mit knapper Not und einer Menge Glück seinen Skalp retten konnte, etwas beunruhigend und erschreckend. Einen Moment glaubt Jim Kehoe, dass Red Bull ihm abermals eine Falle gestellt hat und nun doch noch den prächtigen Witwenmacher bekommt. Er blickt sich blitzschnell um und wäre nicht überrascht gewesen, überall Red Bulls Krieger auftauchen zu sehen. Aber beim nächsten Gedanken ist dieses Erschrecken auch schon wieder fortgewischt. Denn hier ist neutraler Boden. Das ist in diesem Land so gut wie Gesetz. Auf Charly Hotmiller sind hier alle angewiesen. Er ist ein ehrlicher
Händler, den die Indianer nötiger brauchen als viele, viele andere Dinge. Hotmiller ist tabu. In seinem Camp ist sein Wille Gesetz. Das respektieren alle, selbst die größten Feinde. Denn was machten sie ohne ihn, der schon jahrelang ehrlich mit ihnen Handel treibt und mit einer Häuptlingstochter der stolzen Arapahoes verheiratet ist? Jim Kehoe blickt vom Sattel aus über das große Feuer hinweg in den Winkel der Wagen. Dort am kleineren Feuer erkennt er einige Gestalten. Plötzlich weiß er, dass Red Bull dort bei Charly am Feuer sitzt – allein und ohne jede Begleitung. Jim Kehoe grinst und lenkt seinen Wallach mit einem Schenkeldruck vorwärts. Er reitet durch den Feuerschein, und der einzige noch Wache haltende Mann von Hotmillers Mannschaft sieht ihn träge an. Als er dann absitzt und sich dem Feuer nähert, das im Winkel der Wagen brennt, sieht er dort vier Menschen. Einer davon ist Red Bull. Er springt bei Kehoes Anblick auf, zuckt dann jedoch zusammen und krümmt sich kaum merklich, etwa so wie ein Mann, der starke Schmerzen hat und dies nicht zeigen möchte. »Hokahey«, sagt Jim Kehoe trocken. »Ich sehe dich, Red Bull! Und ich sehe eine Flasche von Charlys Wundermedizin vor deinen Füßen am Boden. Hey, hat mein Widowmaker dich so schlimm abgeworfen, dass dir alles weh tut?« Red Bull lässt seine Hand, die wie schützend vor der Magenpartie lag, sinken und versucht, sich möglichst stolz aufzurichten. Er ist ein großer, unwahrscheinlich gut gewachsener und prächtig anzusehender Krieger. In seinen grauen Augen funkelt es heiß, aber dann werden sie schmal und wirken verschlagen. Er schluckt zweimal hart, als müsste er einen rauen Kloß hinunterwürgen.
Dann aber zeigt er sein Format, und er bemüht sich, ein möglichst präzises Schulenglisch zu sprechen. Er sagt: »Das war ein guter Trick, Wyoming Jim, ein sehr guter. Das macht ein Kriegspferd noch wertvoller. Ich denke, es steht jetzt unentschieden zwischen uns. Ich hatte dich in meiner Hand, doch ich ließ dir das Leben. Du durftest reiten. Und du revanchiertest dich für die erlittene Niederlage mit Hilfe deines Widowmakers. Ich werde mich dafür rächen. Ich bekomme auch deinen Skalp! Ich bekomme alles, was zu dir gehört. Du bist in die falsche Richtung geritten, Wyoming Jim! Du bist schon tot, obwohl du noch lebst.« Nach diesen Worten bückt er sich nach der Flasche mit Hotmillers Wundermedizin. Er nimmt sie auf und geht davon – nein, schreitet davon, Zoll für Zoll ein prächtig anzusehender, stolzer Häuptling. Nach vier Schritten hält er inne, wendet sich noch einmal und blickt zurück. Er sieht nicht Jim Kehoe an, auch nicht Charly Hotmiller, dessen Eltern noch Chaudmeunier hießen, was ebenfalls Heißmüller heißt. Er blickt auch nicht auf die immer noch schöne indianische Frau des Händlers. Seine Augen richten sich auf die zweite Frau am Feuer. Auch Jim sieht sie an. Sie ist noch ein Mädchen, und sie ist noch schöner, als es ihre Mutter, die indianische Prinzessin, in ihrer Jugend gewesen war. Red Bull blickt dieses Mädchen an, und es ist, als hätte er alle anderen am Feuer vergessen. Als er spricht, gebraucht er den Dialekt der stolzen Arapahoes. »Ich hatte eine erfolgreiche Jagd, denn ich fand das Mädchen, das gut genug ist, einmal die Squaw des größten Kriegshäuptlings alles Siouxstämme zu werden!«
Dann wendet er sich an Charly Hotmiller. »Gib sie keinem anderen Mann! Sie gehört mir! Und du kannst stolz darauf sein, dass sie meine Squaw wird. Sehr stolz!« Nach diesen Worten betrachtet er das Mädchen noch einmal mit einem zwinkernden, funkelnden, Besitz ergreifenden Blick. Dann geht er. Jim Kehoe sieht ihm nicht nach. Er kann seinen Blick nicht von dem Mädchen losreißen. Und als er sieht, dass sie Red Bull nachschaut, als hätte dieser sie in Trance versetzt, klatscht er plötzlich mit seinen harten Händen, dass es wie ein Revolverschuss klingt. »Wach auf, Susen-Bell«, sagt er. »Dieser Komiker wird dich nie in sein Zelt nehmen – nie! Das schwöre ich dir. SusenBell, du erinnerst dich doch noch an mich, ja?« Sein scharfes Händeklatschen erschreckte sie, aber es holte sie auch in die Wirklichkeit zurück. Sie zuckt zusammen und hört nun bewusst jedes Wort, das Jim langsam zu ihr spricht. Erleichtert atmet sie auf. Sie lächelt, ja, sie lacht sogar. Und dann ruft sie freudig: »Jim? Jim Kehoe! Wyoming Jim! Schwarzwolf! Bist du das?« Sie läuft um das Feuer herum und kommt geradewegs in seine Arme. Während er sie fest an sich drückt, erinnert er sich an seine Jugend bei Fort Laramie. Susen-Bell gehörte dazu. Sie war das kleine, zarte Halbblutmädchen, das er so gerne mochte. Über Susen-Bells Kopf hinweg blickt er auf Charly Hotmiller und Belle Arapahoe, seine Frau. »Er wird sie nicht bekommen«, sagt er zu ihnen. »Selbst wenn ihr sie ihm geben wolltet, würde er sie nicht bekommen. Darauf könnt ihr einen heiligen Eid schwören. Warum kam er
zu euch? Ihretwegen? Oder wegen einer Wundermedizin, Charly?« Charly Hotmiller ist ein großer, knorriger Bursche, rothaarig und grünäugig, ein furchtloser Mann, der immer noch wie in seiner besten Zeit kämpfen kann und an dem das ruhelose Händlerleben in einem wilden, gefährlichen Land fast spurlos vorübergegangen ist. Er grinst breit und sagt: »Jim, er wollte Medizin gegen seine Bauch- und Magenschmerzen haben. Er spuckte Blut. Er hat eine innere Verletzung und trank schon eine ganze Flasche von meiner Medizin. Hahaha, er kam her und wollte ›Hotmillers Wundergeist‹. Wenn’s vorne juckt und hinten beißt, dann nimm Hotmillers Wundergeist! Und Susen-Bell bekommt er ganz bestimmt nicht. Willkommen in meinem Camp, Jim!« Susen-Bell löst sich von Jim Kehoe. Aber sie tritt nur so weit zurück, dass Jim Charly Hotmiller und dessen Frau begrüßen kann. Jim Kehoe hat offensichtlich bei Mrs. Hotmiller einen großen Stein im Brett. Dann sieht er Susen-Bell an, geht langsam um sie herum und fragt schließlich: »Hey, bist du noch zu haben, Grünauge?« So hat er sie als junger Bursche stets genannt. »Willst du mit mir im Laramie Fork baden, Grünauge?«, hatte er gefragt. Sie war damals, als er fünfzehn war, zehn. Und sie war seine kleine Schwester und Freundin. Er kann sehen, wie sich ihr eben noch freudestrahlendes Gesicht verändert, wie es traurig wird. Sie versucht, sich zu beherrschen, und senkt den Kopf. »Ich weiß es nicht genau«, erwidert sie. »Es hängt von vielen Dingen ab, nicht wahr, Schwarzwolf?« So haben sie ihn alle gerufen, damals, als Weiße und Indianer noch friedlich bei Fort Laramie lebten. Später nannte man ihn Wyoming Jim.
Er betrachtet sie. Sie hat die grünen Augen und das dunkelrote Haar von ihrem Vater geerbt und die Schönheit von ihrer Mutter. Sie ist herrlich gewachsen und bewegt sich mit natürlicher Anmut. Aber in ihren Augen entdeckt Jim etwas. Es sagt ihm, dass sie verwundet wurde – nicht körperlich, nein, irgendwie im Herzen. Hat man ihr im Osten, wohin sie von Charly geschickt wurde, wehgetan? Sie war dort bei ihrer Tante und sollte eine richtige Lady werden. So wollte es Charly. Niemand, so glaubte er, könnte sie jemals für ein Halbblutmädchen halten. Das alles fällt Jim Kehoe wieder ein, während sie ihn ans Feuer bitten und die beiden Frauen ihm noch ein Mahl bereiten. Charly Hotmiller betrachtet Jim Kehoe ernst. »Ich weiß es schon«, sagt er. »Red Bull hat uns bereits von seinem Sieg über die Soldaten berichtet. Er hat dabei hundertzwanzig neue Gewehre erbeutet – und viel Munition. Das ist ein großer Sieg, Wyoming Jim. Er kann jeden seiner Krieger mit einem Gewehr und reichlich Munition ausrüsten. Gewiss wird er jedem Krieger, der zu ihm stößt, versprechen, dass er bald auch eines dieser neuen Gewehre bekommt. Es gelingt ihm ganz bestimmt, den Bozeman-Weg für eine Weile zu sperren.« »Das glaube ich auch«, nickt Jim Kehoe. »Da bin ich ganz deiner Meinung, Charly. Es wird einen großen Krieg geben. Die ganze Sache erinnert mich an etwas, das ich einmal in Kansas City beobachtete. Da waren ein paar größere Jungen, die immer wieder einige kleinere zu anderen Jungen schickten, damit sie diese verhöhnten und reizten. Wenn die kleinen Jungen dann von den Herausgeforderten verfolgt wurden, liefen sie dorthin, wo ihre größeren Freunde und Beschützer warteten. Die Verfolger der Kleinen liefen stets in eine Falle und bekamen eine höllische Abreibung. Das war ein böses
Spiel von jungen Rowdys. Und so ähnlich soll die Sache wohl auch hier laufen. Die großen Häuptlinge schicken Red Bull vor, und dieser hat den Ehrgeiz, ein großer Häuptling zu werden. Vielleicht schafft er es – vielleicht auch nicht. Wo aber wirst du stehen, Charly?« Der hebt die Hände und zeigt die Handflächen – das Zeichen für friedliche Absichten. »Ich bin Händler«, sagt er. »Schon mein Vater war Händler und half mit, Fort Laramie zu bauen. Damals lebten hier die Roten und die Weißen friedlich miteinander. Alles war gut. Von mir aus hätte es immer so bleiben können. Ich bin neutral. Meine Frau ist eine Arapahoe, und meine Tochter ist zur Hälfte eine Rote und zur anderen Hälfte eine Weiße. Ich bleibe ein friedlicher, neutraler Händler. Natürlich weiß ich, dass die Armee mir verbieten wird, zu Kriegszeiten im Indianerland herumzuziehen und mit den Roten Geschäfte zu machen. Man wird mir unterstellen, dass ich den Roten Waffen, Munition und Feuerwasser verkaufe. Ich muss mich daher wahrscheinlich in die Big Horns zurückziehen. Dort habe ich ein schönes, verborgenes Tal in Besitz genommen. Dort werde ich abwarten. Ich kann nicht nach Laramie oder in eines der Forts zu den Weißen. Ich will auch nicht in die Dörfer der Indianer am Powder River, am Belle Fourche oder South Cheyenne. Ich muss mit meiner Familie zwischen den Parteien bleiben. Was aber hast du vor, Wyoming Jim? Wirst du noch länger Scout für Fort Phil Kearney sein?« Jim zuckt bei dieser Frage leicht zusammen. »Ich bin weiß«, murmelt er. »Ich habe die toten Soldaten gesehen. Die alten Zeiten der Freundschaft und des friedlichen Zusammenlebens sind vorbei. Wahrscheinlich wurde den Indianern von uns Weißen immer wieder Unrecht angetan und niemals ein Vertrag eingehalten. Dass man Fort Phil Kearney und Fort Reno am Bozeman-Weg errichtete, war ebenfalls gegen den Vertrag. Ich weiß das alles. Doch der Indianer ist
zum Untergang verurteilt. Die Zeiten der Büffeljagd sind vorbei. Und ich bin Weißer.« Sie schweigen nach dieser Erklärung. Auch die beiden Frauen, die Jim Kehoe nun das Essen vorsetzen, sind schweigsam. »Ja, die guten Zeiten sind vorbei«, murmelt Charly Hotmiller nach einer Weile. »Bleibst du im Camp, Jim?« »Nein«, sagt Jim Kehoe. »Red Bulls Krieger bekämen sonst meinen Skalp. Ich denke, dass mir gerade noch Zeit bleibt, in aller Ruhe dieses gute Essen zu verzehren. Ich lasse euch Lieutenant Andersons Pferd hier. Es kann mit meinem Witwenmacher nicht länger Schritt halten und fürchtet sich allein.« »Es ist halt ein Soldatenpferd«, brummt Charly Hotmiller und erhebt sich, »Verzeih, wenn wir uns zurückziehen«, sagt er. »Es war ein langer Tag, und es sind nur noch wenige Stunden bis zum Morgengrauen. Wir fahren in die Big Horns in mein Tal. Dort wird es keinen Krieg geben. Ich schwöre es. Achte auf dich, Jim! Du weißt, dein Vater und ich, wir waren Freunde, und die einzige weiße Freundin, die meine Belle Arapahoe hatte, war deine Mutter. Pass auf dich auf, Junge!« Er nickt Jim zu, und Belle Arapahoe sagt: »Ja, man muss sich im Leben immer wieder für etwas entscheiden – so schwer es ist. Jim, auch du wärst an Charlys Stelle neutral. Ich weiß es. Viel Glück, Jim!« »Danke, Belle«, murmelt er. Sie ziehen sich in ihr Zelt zurück. Es ist kein Arapahoe-Tipi, sondern ein Offizierszelt der Armee – mit steilen Wänden. Das ist bezeichnend für Belle und Charly. Keiner von ihnen hängt an Überlieferungen. Sie entscheiden sich stets für das, was praktisch und nützlich ist. Wie immer ist Jim beeindruckt von jener natürlichen Würde und Anmut, die von Belle Arapahoe Hotmiller ausgehen. Sie ist eine Lady – und dabei kommt es nicht auf die Hautfarbe an.
Jim glaubt, dass sie glücklich ist. Er sieht sie im Zelt verschwinden und richtet seinen Blick auf Susen-Bell, die auf der anderen Seite des kleinen Feuers kniet. Sehr anmutig wirkt sie so. Ihre Hände liegen leicht auf ihren Oberschenkeln. Sie trägt einen weichen Rehlederrock und eine grüne Hemdbluse aus Flanell. Ihr Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Es leuchtet im Feuerschein wie poliertes Kupfer. Jim betrachtet sie lange, während er kaut, und er staunt darüber, was für eine Schönheit aus einem dünnbeinigen, kleinen Mädchen, in dessen Gesicht nur die großen grünen Augen auffielen, geworden ist. Sie erwidert seinen Blick ernst und sagt: »Red Bull wird mich holen, wenn er mich haben will. Und wenn er vorher meine Eltern töten müsste, er wird mich holen. Ich habe das deutlich gespürt. Und ich fürchte mich. Jim, durfte ich dir das sagen – wie in alten Zeiten, als ich noch klein war und du mich beschütztest?« »Ja«, erwidert er. »Du musstest es mir sagen. Und du brauchst dich nicht zu fürchten.« Er spießt mit der Gabel einen Bissen Fleisch vom Blechteller und hebt die Gabel in die Luft. »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, wiederholt er. »Red Bull gehört zu den Männern, die nicht sehr alt werden. Ich bekomme noch mit ihm zu tun, und da wird er bald eine Menge andere Sorgen haben und kaum noch an dich denken können.« Er macht eine kleine Pause und schiebt den Bissen in den Mund. Kauend betrachtet er Susen-Bell. »Warum bist du nicht bei deiner Tante im Osten geblieben?«, fragt er. »Was führte dich ins wilde Wyoming und in das Nomadenleben deines Vaters zurück?«
Als er erkennt, wie sie zögert und nach Worten sucht, fügt er sanft hinzu: »Halt, Susen-Bell! Erzähl es mir nur, wenn dir danach ist. Aber denk daran, dass ich früher dein großer Bruder war.« Sie senkt einen Moment die Augenlider und blickt in das jetzt nur noch dunkelrot glühende Feuer. Schließlich sagt sie: »Ich bin zweiundzwanzig Jahre. In meinem Alter haben die Frauen oft schon viele Kinder. Mögen es rote oder weiße Frauen sein, in diesem Land heiraten sie früh. Im Osten ist es etwas anders. Ich bekam erst eine gute Ausbildung. Meine Tante ist das, was man eine Lady nennt. Sie führt in Boston ein großes Haus mit viel Dienstpersonal. Sie gibt Gesellschaften und…« Sie unterbricht sich und winkt verächtlich ab. »Dieses elegante Leben hielt ich zuerst für schön, erstrebenswert und wunderbar. Aber als ich alt genug war, bekam ich schnell heraus, dass alles eine prächtige Fassade ist, hinter der sich Täuschung, Neid, Vergnügungssucht und ähnliche Dinge verbergen. Bald schon waren alle Männer hinter mir her. Meine Tante hat geheim gehalten, dass ich zur Hälfte Indianerin bin. Man sieht es mir ja auch nicht an. Eines Tages glaubte ich, dass ich mich verliebt hätte. Ja, ich glaubte, einen Mann mehr als mein Leben zu lieben. Ich nahm auch seinen Antrag an. Dabei sagte ich ihm, dass ich ein Halbblut bin. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte mit diesem Geständnis gewartet, bis wir von der dunklen Veranda ins Haus gegangen wären. Dann hätte ich ihm in die Augen sehen können. Das war mein Fehler. So aber glaubte ich, er wäre nur überrascht. Denn nachher küsste er mich noch zärtlicher als vorher. Er nannte mich seine schöne Prinzessin und sagte mir, dass er jetzt endlich wisse, warum ich so viel schöner und rassiger sei als all die anderen faden Puten. Jim, seine Worte machten mich sehr glücklich. Ich glaubte ihm. Am nächsten Tag holte er mich zu einer Spazierfahrt ab. Er sagte, dass er
mich seiner ehemaligen Amme und Kinderfrau vorstellen wollte, die ihm besonders während seiner ersten Lebensjahre die Mutter ersetzt habe. Ich fuhr mit ihm, denn wir galten als verlobt. Meine Tante ließ mich zum ersten Mal allein mit einem jungen Mann. Wir fuhren in ein einsames Haus. Als ich dort fragte, wo denn seine Amme sei, lachte er nur. Ich wollte fort, und ich kämpfte verzweifelt. Doch ich kam nicht gegen ihn an. Er sagte, er könne einem Halbblut zwar nicht seinen Namen geben, ich sei aber so begehrenswert, dass es ihm nicht möglich sei, einfach an mir vorbeizugehen. Ich tötete ihn in der dritten Nacht. Dann ergriff ich die Flucht. Ich wollte nicht mehr zurück in das Haus meiner Tante. Ich wollte nur fort von dieser verlogenen Gesellschaft. Ich wollte wieder dorthin, wo alles einfach und ehrlich ist – im Guten und im Bösen. Ich kam nach wochenlanger Reise endlich nach Laramie, wo ich mit einigem Glück meine Eltern fand. Unterwegs waren immer wieder alle Männer hinter mir her – alle jene Burschen, die nur darauf lauern, einem Mädchen, das allein reist, zu begegnen und ihm ihre Hilfe anzubieten. Jim, ich habe genug von dieser Welt im Osten. Ich weiß, dass ich schön und begehrenswert bin. Ich bin ja nicht blind. Nur ein einziger Blick in den Spiegel sagt es mir. Aber ich habe mir schon oft gewünscht, nur ein durchschnittliches Mädchen zu sein. Dann könnte ich hoffen, dass mich jemand mit dem Herzen lieben würde und nicht nur deshalb, weil mein Anblick seine Sinne verwirrt. Doch selbst hier in der Wildnis werde ich bedrängt. Red Bull gehört zu jenen Männern, die mich nur einmal anzusehen brauchen, um keine Ruhe mehr zu finden. Ich bin vom Regen in die Traufe geraten. Mein Vater glaubt, mich hier stets beschützen zu können. Doch ich spüre, dass Red Bull mich eines Tages holen wird – vielleicht schon bald. Red Bull ist wie jener Mann, der mich in ein einsames Haus entführte und den ich töten musste. Red Bull ist zwar ein Wilder, aber irgendwie sind sich die zivilisierten und die wilden Burschen gleich. Jetzt weißt du
alles, Jim Kehoe. Es war keine gute Geschichte, nicht wahr? Es ist die Geschichte eines schönen Halbbluts, das von keinem Mann mit dem Herzen geliebt werden kann.« »Ich könnte es«, sagt Jim langsam und ernst. Sie blickt ihn stumm an – und sie sieht einen großen, hageren und dabei geschmeidigen Mann von siebenundzwanzig Jahren. Er hat hellgraue Augen von der Farbe des Morgennebels. Er ist ein harter Mann, den dieses Land formte. Susen-Bell erinnert sich daran, dass er stets gut zu ihr war. »Du brauchst mir nichts zu sagen«, murmelt er. »Du sollst es nur zur Kenntnis nehmen. Bei allem, was mir heilig ist, ich schwöre dir, dass ich dich mit meinem Herzen lieben würde.« Er erhebt sich plötzlich. »Ich muss weiter«, sagt er. »Sonst haben Red Bulls Krieger dieses Camp umstellt, bevor ich wie ein Fuchs aus dem Bau entwischt bin. Das Essen war gut. Ich danke euch. Viel Glück in eurem Tal in den Big Horns Mountains. Ich werde es finden, denn ich will euch besuchen. Darf ich kommen?« Sie versteht seine Frage genau, und sie nickt. »Ja«, murmelt sie, »du bist Jim, du bist Schwarzwolf, Wyoming Jim! Du hast mich nie belogen. Deine Zunge war nie gespalten. Ja, Jim! An etwas muss ein Mädchen doch glauben können. Ich bringe dich zu deinem Pferd.« Sie erhebt sich mit einer geschmeidigen Bewegung und geht leicht und graziös neben ihm her um das große Feuer herum bis zu seinem Pferd. Hier, im Mondschatten der Burreiche und in Deckung des Pferdes, bleiben sie beide stehen. Es ist hell genug, dass sie sich in die Augen blicken können. Er hebt seine Hand und fährt mit dem Zeigefinger über ihre Augenbrauen und dann an der sanften Rundung ihrer Wange entlang bis zu ihrem Kinn.
»Ich kann warten, bis du mir glaubst«, flüstert er, und sie weiß, was er meint. Er will warten, bis sie glaubt, dass er sie mit dem Herzen liebt, nicht nur wegen ihrer Schönheit. Sie steht still da und wartet, bis er sich auf sein Pferd geschwungen hat. Dann sagt sie: »Es ist das Tal der Shoshone Springs, Jim. Du hast gewiss schon davon gehört, nicht wahr?« »Ich war schon mal dort«, sagt er. »Dein Vater hat sich ein schönes Tal ausgesucht. Dorthin findet man nicht so leicht. Ich aber kenne den Weg. Ich besuche dich, Grünauge.« Dann reitet er fort. Sie steht still da und lauscht auf die Zeichen ihres Herzens. »Ja, er ist anders als der Mann, den ich töten musste«, murmelt sie. »Es war gut, in dieses Land zurückzukommen. Trotz Red Bull! Denn hier ist alles ehrlich – das Gute und auch das Böse. Es war gut, Jim Kehoe zu sehen. Er könnte mir den Glauben an die Welt wiedergeben.« Sie hat das große Feuer erreicht, als Hufschlag herantrommelt – Hufschlag von unbeschlagenen Pferdehufen. Bald schon tauchen an die zwei Dutzend Reiter auf. Susen-Bell wendet sich schnell ab und gleitet tiefer in den Schatten der Wagen und des Zeltes. Ihr Vater tritt aus dem Zelt, geht zum Feuer und wartet dort. Eine kehlige Stimme ruft einige Worte im Oglaladialekt. Susen-Bell versteht noch genug von dieser zweiten Sprache ihrer Kindheit. Der Sprecher dort draußen in der Nacht fragt, ob sich Schwarzwolf noch im Camp befände. »Nein«, erwidert French Charly Hotmiller. »Und ihr holt ihn in dieser Nacht auch nicht mehr ein. Wollt ihr etwas kaufen, oder habt ihr etwas zu tauschen?« »Nein!«, tönt es zurück. »Wagh! Iho! Hopo!« Nach diesem »Nein! Niemals! Vorwärts!«, stoßen sie ihren Kriegsruf aus und lassen ihre scheckigen Mustangs anspringen. Sie wollen versuchen, Schwarzwolf doch noch einzuholen.
* Bis zum Mittag des kommenden Tages reitet Jim Kehoe noch an die fünfzig Meilen. Er erreicht auf seinem erschöpften Widowmaker das fast fertige Fort, als der Hornist zum Essenfassen bläst und die Arbeit eingestellt wird. Sergeant McNeely, der am Haupttor steht, durch das soeben zwei mit Holz beladene Wagen knarren, hebt die Hand. »He, wer bist du?«, fragt er, obwohl er Jim Kehoe ganz genau kennt. »Glaubst du, wir lassen jeden langen Sioux herein, der sich als Weißer verkleidet?« Bei seinen Worten grinst er. Dann sieht er das harte Funkeln in Jims Augen. »He, schlechte Nachrichten?«, fragt er. Nun grinst er nicht mehr. Jim Kehoe nickt. »Ja, euch wird hier der Hintern noch mächtig heiß«, sagt er. »Es gibt keine Löhnung, keine neuen Gewehre und keine Munition – keine Post und…« Er reitet weiter, aber er hat dem erfahrenen Sergeant auch so genug gesagt. Jim Kehoe erreicht die Kommandantur. Sie hat noch kein Dach. Neben der im Bau befindlichen Kommandantur steht ein großes Steilwandzelt. Colonel Henry B. Carrington sitzt hinter einem Tisch über irgendwelchen Plänen und Karten. Das aufgeklappte Vordach schützt ihn vor der Herbstsonne, die heute so heiß niederbrennt, als wollte der Sommer noch einmal zurückkommen. Es ist typisch für den Colonel, dass er von der Ankunft eines seiner wichtigsten Scouts erst dann Notiz nimmt, als ihm der Kommandantur-Sergeant Meldung gemacht macht. Dann darf Jim Kehoe zu ihm unter das große Zeltvordach.
Colonel Carrington, den die Armee hergeschickt hat, damit er am Fuß der Big-Horn-Berge dicht beim Piney Creek ein Fort errichtet, ist hager, schmal, eisgrau und zurückhaltend. Er gleicht mehr einem Gelehrten als einem Offizier im Indianerland. Vielleicht hat die Armee diesen Mann ganz und gar nicht seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt. Wahrscheinlich wäre er eher geeignet, Lehrbücher zu schreiben oder eine Kriegs- und Offiziersschule zu leiten. Jim Kehoe meldet ihm mit trockenen Worten: »Ich fand die Patrouille, Sir. Etwa siebzig Meilen von hier am BozemanWeg. Alle sind tot. Sie haben gut gekämpft. Der Häuptling war Red Bull – ein junger Indianer, von dem Sie sicherlich noch nichts gehört haben, Sir. Aber wenn er noch einige Male ähnliches Glück hat, werden ihn die Sioux für einen neuen Messias halten. Dann wird er bald berühmter sein als Red Cloud oder Crazy Horse. Der Anfang war gut für ihn. Er erbeutete hundertzwanzig neue Gewehre und reichlich Munition. Er verfügt jetzt über eine erstklassig bewaffnete Kriegshorde, die der Kern einer großen Kriegsmacht werden könnte. Zwischen Fort Reno und Fort Phil Kearney wird bald kein Weißer mehr am Leben sein. Das ist alles, Colonel.« Carrington starrt ins Leere, als müsste er die trockene Meldung erst mit wissenschaftlicher Genauigkeit zerlegen und auswerten. Aber das ist seine Art. Endlich nickt er. »Es ist gut, Mr Kehoe. Ich danke Ihnen. Sie haben Ihren Auftrag ausgezeichnet erfüllt. Danke!« Er grüßt korrekt. Doch Jim Kehoe, der damit entlassen ist, geht noch nicht. »Ist noch etwas?«, fragt der Colonel höflich. Aber es ist eine abweisende Höflichkeit, die Höflichkeit eines Mannes, dessen Rang so hoch ist, dass er sich keine Grobheiten leisten kann. »Ja«, sagt Kehoe, »da ist noch etwas. Ich bin zwar nur Scout auf Zeit, aber vielleicht lassen Sie mich doch wissen, was Sie
zu unternehmen gedenken. Vielleicht gestatten Sie mir, Ihnen einen Rat zu geben, einen Rat, der gewissermaßen aus der Sicht eines Mannes kommt, der die Roten genau kennt, Sir.« Der Colonel zögert. Er wirkt etwas verwirrt. Dann sagt er knapp: »Meine Aufgabe ist es, ein Fort zu errichten. Ich werde jedoch Nachricht nach Fort Reno geben und natürlich auch für die Bestattung der Gefallenen sorgen. Es ist nicht meine Aufgabe, einen Feldzug gegen die Indianer zu führen. Und nun zu Ihrem Rat, Mr Kehoe. Ich höre.« Jim Kehoe zögert. Der Colonel ließ schon zu deutlich erkennen, dass er sich nur an seinen Auftrag gebunden fühlt, hier ein Fort zu errichten. Jim weiß jetzt schon, dass sein Rat verworfen wird. Trotzdem sagt er: »Red Bull wird einige Tage krank sein. Mein Pferd trat ihn in den Magen und brach ihm wahrscheinlich ein paar Rippen. Er wird an einem festen Platz bleiben. Wenn Sie sechzig Reiter und zwei Dutzend von den Crow-Scouts einsetzen, könnte die Kriegshorde vielleicht zerschlagen werden, bevor sie zu groß wird. Denn auch sie hatte Verluste. Colonel, Sie müssen schnell handeln, bevor Red Bull noch einmal Glück hat und ihm die Krieger aller Stämme zulaufen. Sie müssen sofort und auf der Stelle handeln, Colonel. Ich bin bereit, die Abteilung zu führen. Schon in einer Stunde!« Aber schon während er spricht, begreift Jim Kehoe, dass der Colonel nur aus Höflichkeit zuhört. Seine Worte zeigen keinerlei Wirkung. Der Colonel begreift gar nicht, wie jemand solche Dinge überstürzen kann. Und er ist auch nicht bereit dazu. »Man wird sich von Fort Laramie aus über Fort Reno um Red Bull kümmern, Mr Kehoe«, sagt er. »Dort gibt es genügend Offiziere und wohl auch Einheiten für solche Aufgaben. Meine Aufgabe ist es, hier vor Anbruch des Winters
ein Fort zu errichten. Ich danke Ihnen, Mr Kehoe. Bitte halten Sie sich ab morgen wieder zur Verfügung.« »Nein«, erwidert Jim Kehoe. »Ich bin fertig hier. Ich kann nicht beim Bau eines Fort helfen, während auf zweihundert Meilen in der Runde die Hölle aufbricht. Es gibt in diesem Land da und dort Weiße. Sie leben in Camps und verborgenen Siedlungen. Sie suchen nach Gold jagen Pelztiere, treiben Handel oder…« »Dafür bin ich nicht zuständig«, unterbricht ihn Colonel Carrington. »Aber ich bin damit einverstanden, dass Sie diese Menschen warnen. Ich werde Anweisung geben, dass man Ihnen für einen Monat Scoutsold und Proviant aushändigt. Sie können selbst entscheiden, ob Sie wieder nach Fort Phil Kearney kommen, um mir Ihre Dienste zur Verfügung zu stellen, oder ob Sie Ihr Verhältnis zur Armee endgültig lösen.« Er macht eine kleine Pause, und sein Blick ist wieder ins Leere gerichtet. Schließlich murmelt er: »Ich verstehe Sie sehr gut, Mr Kehoe. Doch ich bin Soldat und habe meine Aufträge auszuführen. Wo kämen wir denn hin, wenn…« Er bricht ab und beißt sich auf die schmalen Lippen, als er feststellt, dass er einem Zivilisten fast zu viel gesagt hätte. Einem Zivil-Scout ist er keine Rechenschaft schuldig. Jim Kehoe gibt auf. Er geht davon und zieht seinen müden Wallach hinter sich her. Nachdem er ihn versorgt hat, legt er sich irgendwo ins Heu. Er könnte auch in einem der Sergeant-Quartiere unterkommen, wie es ihm als Scout zusteht, doch er legt keinen großen Wert darauf. Was er braucht, sind einige Stunden Schlaf. Bevor er einschläft, vertilgt er noch das Essen, das ihm einer der Soldaten holte. Er schläft ein, obwohl es rings um ihn sehr laut ist. Überall wird an der Fertigstellung des Forts gearbeitet. Man schafft mit
schweren Wagen Bauholz, Steine, Lehm und Schiefer herbei. Auf allen Wiesen wird Heu gemacht. Es werden Brunnen gebohrt, Palisaden eingerammt und hundert andere Dinge getan. * Als Jim Kehoe erwacht, ist es Nacht. Im Fort ist es ruhig, denn alle sind nach einem harten Tagewerk erschöpft. Nur die Posten auf dem Palisadenweg und über den Toren lassen alle Viertelstunde ihren Ruf ertönen. Jim Kehoe schlendert in den Corral, sattelt Widowmaker und geht zur Küche hinüber. Die Wirtschaftsgebäude des Forts sind bereits fertig. Er findet in der Küche einen verschlafenen Corporal, lässt sich von diesem Essen und Proviant geben und erfährt dabei, dass heute Nachmittag Sergeant McNeely mit zwei Dutzend Reitern ausgerückt ist, um die Gefallenen zu bestatten, und dass der Colonel ein Crow-Halbblut nach Fort Reno geschickt hat. Jim sagt nichts zu dieser Neuigkeit, sondern isst bedächtig und tritt wieder hinaus auf den dunklen Paradeplatz. Der Sergeant am Tor fragt bitter: »Kehoe, hat McNeely mit seinen Jungs eine Chance? Oder werden sie die Gefallenen gar nicht bestatten können, weil sie selbst bald tot sind?« »Sicher hat er eine Chance«, erwidert Jim Kehoe. »Auch ich hatte eine, obwohl ich mich völlig in Red Bulls Hand befand. Wer kann wissen, was im Kopf eines Indianers vorgeht? Überdies ist Red Bull noch ein Weilchen krank. Er gibt sich Mühe, es seine Krieger nicht merken zu lassen. Ganz allein war er bei Charly Hotmiller und holte sich von dessen Wundermedizin. Du weißt doch, Bucko: Wenn’s vorne juckt und hinten beißt, nimm Hotmillers Wundergeist! Damit kuriert er sich aus. Und deshalb wird es ihm nicht danach sein,
unseren McNeely zu erschlagen. Mach das Tor auf, Pferdesoldat!« Der Sergeant brummt etwas erleichtert. »Weißt du«, sagt er, »McNeely ist mir vom letzten Pokerspiel noch siebenundzwanzig Dollar schuldig. Das ist viel Geld für einen armen Sergeant. Und dann hat McNeely meinen Whiskyvorrat entdeckt und seine Wasserflasche damit gefüllt. Ich möchte, dass er zurückkommt, damit ich ihn verprügeln kann und mein sauer verdientes Geld nicht verliere.« Nach diesen Worten gibt Sergeant Bucko einem Soldaten Anweisung, das Tor zu öffnen. Jim Kehoe reitet hinaus in die Nacht. Er reitet in die Big Horns. Im Morgengrauen nähert er sich dem Camp der Skinners, die in einem kleinen Canyon nach Gold suchen. Er war schon zweimal hier. Mit Matt Skinner und dessen beiden jüngeren Brüdern Jeff und Terzel verbindet ihn eine alte Freundschaft. Und als Matt vor einigen Monaten in Laramie Golden Ann heiratete, war er Trauzeuge. Sobald Jim nahe genug ist, dass es gefährlich wird, ohne Erkennungsruf weiterzureiten, lässt er diesen Ruf tönen. Doch er bekommt keine Antwort, obwohl er seinen Ruf wiederholt. Nun schwingt er sich vom Pferd. Als das Tier sich dabei etwas dreht, bekommt es eine Witterung. Kehoe macht sich mit schussbereiten Colts auf den Weg. Sein Wallach folgt ihm in einigem Abstand wie ein Hund. Das Camp der Skinners besteht aus zwei Zweighütten unter hohen Bäumen dicht am Creek. Vor den beiden Hütten befindet sich die Koch- und Feuerstelle. Eine sinnvoll gebaute Waschanlage lässt sofort erkennen, dass hier im Creeksand nach Gold gesucht wird. Jim Kehoe findet die Skinners.
Matt liegt halb im Creek. Seine gebrochenen Augen sind zum Himmel gerichtet. Jeff und Terzel hat es dicht bei der Kochstelle erwischt. Auch sie sind tot. Und Golden Ann? Jim Kehoe durchsucht die Zweighütten und die nähere Umgebung des Camps. Er findet genügend Spuren, um sich ein Bild von den Ereignissen zu machen. Es war noch ein vierter Mann im Camp. Dieser Mann musste schon einige Tage bei den Skinners gelebt und gearbeitet haben. Sie sind dann von diesem Burschen ganz überraschend und unerwartet getötet worden. Und dann ist dieser vierte Mann mit Golden Ann fortgeritten. Sie ist nicht freiwillig mitgekommen. Es gibt einige Zeichen, dass sie sich gegen den Mörder kräftig zur Wehr setzte. Während Jim Kehoe für die drei toten Freunde ein Grab aushebt, denkt er über alles gründlich nach. Der Mörder ist kein Fremder, denn die Skinners nahmen ihn auf. Sie ließen ihn im Camp leben und mit ihnen arbeiten. Aber er war wahrscheinlich nur hinter dem Gold her – und hinter Golden Ann. Wohin mag er mit ihr geritten sein? Jim Kehoe hält sich nur so lange im Camp auf, bis er die Skinners beerdigt hat. Die Fährte des Mörders führt nach Südosten. Das kann nur bedeuten, dass der Bursche mit Golden Ann in die Zivilisation zurück will, die man von Laramie aus in Postkutschen erreichen kann. Aber muss der Kerl nicht befürchten, dass Golden Ann ihn des Mordes und Frauenraubes anklagt? Oder gibt es zwischen Ann und ihm ein Geheimnis? *
Jim Kehoe verliert die Fährte an diesem Tag nicht. Gewiss, es gibt hier in der Gegend noch einige Menschen und Gemeinschaften in verborgenen Camps oder Siedlungen, die er warnen müsste. Doch ihm erscheint es vorerst wichtiger, sich um Golden Ann zu kümmern und den Mörder zu stellen. Es ist schon Nachmittag, und Kehoes Widowmaker, der mit geringen Verschnaufpausen fast zwanzig Stunden trabt, wird müde, als die Fährte den Bozeman-Weg erreicht und sich auf diesem nach Süden zu zwischen all den vielen anderen Fährten verliert. Das kann ein Trick sein, denn auf dem Bozeman-Weg ist die Fährte dreier Pferde – sie führen ein Packtier mit – kaum zu verfolgen. Dieser Trail ist geprägt von Tausenden von Hufen und zerfurcht von Wagenrädern. Der Weg ist staubig, und der leichte Herbstwind weht diesen Staub auch über die frischen Fährten, sodass sie sich wenige Stunden später kaum von den alten unterscheiden. Es könnte also ein Trick sein, den der Mörder anwandte. Er könnte den Bozeman-Weg an irgendeiner günstigen Stelle verlassen haben. Aber nach welcher Seite? Kehoe kann nicht zugleich an beiden Rändern des Wagenweges reiten, und oft ist dieser Weg ins Goldland nach Montana ziemlich breit. Er führt über sanfte Hügel und durch Senken. Als Jim Kehoe über einen Hügelsattel kommt und die beiden Pferde und die Toten sieht, hält er mit einem Schenkeldruck seinen grauen Wallach an und schnappt zur Vorsicht erst mal seine Colts heraus. Er lauert nach rechts und links und wirft einen schnellen Blick über die Schulter. Aber es regt sich nichts – gar nichts. Er ist in keine Falle geritten. Nein, die beiden Toten dort unten sind allein. Sie liegen auf eine Art da, die Jim Kehoe deutlich sagt, dass sie beim Angriff von ihren Pferden stürzten.
Die beiden Pferde grasen am Rand des Wagenweges. Und die Toten sind Siouxkrieger, wahrscheinlich Oglalas. Jim Kehoe leckt sich über die trockenen Lippen, späht noch einmal wachsam in die Runde und steckt schließlich einen seiner beiden Revolver weg. Er reitet hinunter. Wenige Minuten später weiß er alles. Die beiden Oglalas hatten von jenem Hügel aus den Bozeman Trail unter Beobachtung gehalten. Wahrscheinlich sollten sie Red Bulls Kriegshorde vor jeder Überraschung aus Fort Phil Kearney bewahren. Vielleicht waren sie gestern noch zu dritt gewesen. Doch einer von ihnen hatte dann Red Bull die Annäherung von Sergeant McNeely und dessen Bestattungskommando melden müssen. Und als die beiden restlichen Späher den einzelnen Weißen mit der Frau daherkommen sahen, juckte es sie mächtig. Sie wagten einen raschen Angriff, wahrscheinlich kamen sie herangejagt, während sie auf der den Überfallenen abgewandten Seite ihrer Pferde hingen. Doch dann wurden sie von einem eiskalten Revolvermann mit blitzschnellen, aber dennoch unheimlich sicheren Schüssen erwischt. Sie waren in dem Moment tot, in dem sie sich in den Sätteln aufrichteten, um sich im Vorbeijagen auf den Mann zu werfen, ihn vom Pferd zu reißen und unter sich zu bekommen. Vielleicht wollten sie ihn auch mit ihren Kriegskeulen oder Beilen vom Pferd schlagen. Er erwischte sie blitzschnell und eiskalt. So ein Mann ist das. Jim Kehoe kommt es vor, als wollten sich in seinem Nacken die Haare sträuben und als liefe ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Er weiß, wie schwierig es ist, einen sich blitzschnell auf seinem Pferd bewegenden Sioux zu treffen.
Wenn er es noch nicht so genau wusste, als er die toten Skinners fand – jetzt weiß er es: Er sitzt einem Mann auf der Fährte, der ihm wahrscheinlich mit dem Revolver überlegen ist. Er reitet zu den beiden Pferden der toten Oglalas hinüber. Die Tiere scheuen leicht und weichen zurück. Doch als er im Oglaladialekt zu ihnen redet, werden sie schnell ruhig. Er nimmt vom Sattelhorn des einen Tieres – es trägt einen erbeuteten McClellan-Kavalleriesattel – eine blitzende Trompete der US-Kavallerie, auf der wahrscheinlich Lieutenant Ray Andersons Hornist Signale geblasen hat. Die Trompete wurde schließlich ein Beutestück des nun toten Oglala-Kriegers. Kehoe nimmt die Trompete an sich. Er findet es irgendwie nicht richtig, dass die Indianer solche Beutestücke in ihrem Besitz halten. Er hängt die Trompete an sein Sattelhorn und reitet weiter. Nun weiß er mit einiger Sicherheit, dass der ihm noch unbekannte Revolverheld mit Golden Ann Skinner auf dem Bozeman Trail reitet. Sie können gar nicht mehr so sehr weit vor ihm sein. * Als es Nacht geworden ist, hält Jim Kehoe plötzlich an, wittert gegen den leichten Wind und lenkt Witwenmacher nach links. Er folgt seiner Nase über ein paar leichte Bodenwellen, und verhält endlich am Rande einer Senke zwischen einigen Fichten. Unten in der Senke brennt ein kleines Feuer. So klein es auch ist und so wenig Rauch es verbreitet, Jim Kehoe konnte den Rauch wittern. Fast jeder Indianer hätte ihn ebenso wittern können.
Wüsste Kehoe nicht, wie gefährlich der Bursche dort unten ist, würde er ihn für einen Narren halten. Es ist fast Selbstmord, was dieser Mann dort unten in der Senke macht. Zehn Meilen weiter nördlich wurde er von zwei Indianern angegriffen, die er töten musste, und nun hockt er mit der geraubten Frau in der Senke an einem Feuer, kocht Kaffee, dessen Duft sich mit dem Rauch des Feuers vermischt. Ann Skinner kauert auf der anderen Seite des Feuers und brät Pfannkuchen mit Speck. Jim Kehoe beobachtet sie eine Weile. Sein Wallach verhält sich still. Er steht wie ein Denkmal. Doch Jim kann nicht mehr lange warten. Er muss sich entscheiden, und vor allen Dingen muss er sich deshalb beeilen, die Sache zu einem Ende zu bringen, weil in jeder Minute, die vergeht, weitere Oglala-Späher herumstreichen und den Rauch des Feuers, den Kaffee- und Speckduft in die Nasen bekommen könnten. Was soll ich machen? Diese Frage stellt sich Jim Kehoe immer wieder. Einen winzigen Moment lang ist er versucht, die Sache mit einem Gewehrschuss von hier oben zu erledigen. Doch schon in der nächsten Sekunde schämt er sich seines Gedankens. Er schwingt sich aus dem Sattel, zieht seinen linken Colt – denn links schießt er schneller und genauer als mit der Rechten – und macht sich auf den Weg. Jim Kehoe trägt weiche Stiefel. Er vermag sich darin nicht weniger leise zu bewegen als ein Indianer in Mokassins. Er schlägt oben auf dem Rand der Senke einen Viertelkreis und hält sich dabei in guter Deckung. Er macht sich dann an den Abstieg, und er weiß, dass die Frau ihn früher sehen kann, als der Mann ihn hört. Golden Ann kniet ihm zugewandt am Feuer. Wird sie ihn verraten?
Aufrecht geht er Schritt für Schritt den Hang hinunter, den Colt in der Linken. Die Geräusche des kleinen Feuers, der brutzelnden Pfannkuchen und des Specks in der Pfanne übertönen die wenigen Geräusche, die Jim verursacht. Er kann erkennen, dass Golden Ann ihn bemerkt. Aber sie stößt keinen Warnruf aus. Sie macht überhaupt keine Bewegung. Als Jim Kehoe stehen bleibt, befindet er sich nur noch fünf Schritte hinter dem Mann und hat seinen Colt auf diesen gerichtet. »Keinen Trick«, sagt er ruhig, »nur keinen Trick, mein Bester.« Dann wartet er lauernd und sieht, wie sich der Mann, der sich schon zu einem blitzschnellen Reflex spannte, wieder entspannt, wie er sich lockert und sein Erschrecken, dieses jähe, heiße Gefühl, gestellt worden zu sein, unter Kontrolle bekommt. »So ist es gut«, murmelt Jim. »Dir braucht man nicht erst zu sagen, Mister, was passiert, wenn du auch nur den kleinsten Fehler machst. Du weißt Bescheid. Jetzt langsam aufstehen, dabei die Hände hinter dem Nacken verschränken und brav sein! Los!« In seinem letzten Wort liegt kalte Härte. Sonst ist eine ruhige Selbstsicherheit und unerschütterliche Ruhe in seiner Stimme. Jim wirft einen kurzen, schnellen Blick auf Golden Ann. Sie kniet immer noch am Feuer, starr und stumm. Ihre Pfanne hält sie über die Glut. »Lass nichts ins Feuer fallen, Ann«, sagt Kehoe. »Nein, Jim«, erwidert sie plötzlich. »Nein, Jim Kehoe. Aber…« Sie will die Pfanne vom Feuer wegnehmen, doch dann sieht es so aus, als könnte sie die Pfanne nicht mehr halten. Sie lässt
den Inhalt ins Feuer kippen und sinkt wie unter einem jähen Schwächeanfall zur Seite. Aber das nimmt keiner der beiden Männer mehr wahr. Denn als Pfannkuchen, Speck und Bratfett in das Feuer zischen und eine Stichflamme hochzuckt, die sich dann in grauen Qualm verwandelt, wirbelt der Fremde herum und hat auch schon einen seiner beiden Colts in der Hand. Für einen Sekundenbruchteil sieht Kehoe das verzerrte Gesicht des großen Mannes, und er spürt, wie der Colt in seiner Faust vom Rückstoß zuckt. Zugleich sieht er in das Mündungsfeuer des Gegners, lässt sich blitzschnell zur Seite fallen und spürt, dass ihn etwas wie ein Huftritt trifft. Er schießt vom Boden aus weiter auf den Gegner, doch er sieht ihn nicht mehr richtig. Der Qualm nimmt ihm die Sicht. Als Jim um das Feuer herumgeschwankt ist, immer darauf gefasst, mit heißem Blei empfangen zu werden, hört er die Pferde angaloppieren. Er begreift schnell, dass er den Fremden so schlimm angeschossen hat, dass dieser nicht weiterkämpfen will oder es nicht mehr kann. Der Mann ist zu den Pferden gelaufen und hat mit ihnen die Flucht ergriffen. Es ist möglich, dass ich ihn zweimal getroffen habe, denkt Kehoe und fasst nach seiner Seite. Seine Hüfte schmerzt. Die Kugel hat ihm über dem Gürtel ein Stück Fleisch weggerissen. Er lauscht auf den verklingenden Hufschläg. Dann pfeift er nach seinem Wallach. Während dieser in die Senke getrabt kommt, tritt Jim zu Golden Ann und sagt: »Wir müssen fort – auf der Stelle und ohne jeden Aufenthalt. Die Schüsse wurden unter Garantie von Indianern gehört. Komm, Ann! Komm schnell!« Der graue Wallach ist jetzt bei ihm. Er schwingt sich hinauf und macht dann einen Steigbügel für Golden Ann frei. Sie schiebt ihren Fuß hinein und lässt sich von Jim auf das Pferd ziehen.
Als sie ihre Arme um seine Taille legt, um sich festzuhalten, fühlt sie das Blut, das sein Hemd feucht und klebrig macht. »Du bist verwundet, Jim!«, ruft sie. »Nicht schlimm«, antwortet er. »Den Burschen, der deinen Mann und deine beiden Schwager getötet hat, den hat es schlimmer erwischt als mich. Ich gehe jede Wette ein, dass er sonst nicht die Flucht ergriffen, sondern standgehalten hätte. Den muss es böse erwischt haben. Vielleicht traf ich seinen Revolverarm oder die Schulter. Wer war der Kerl, Ann, wer?« Sie traben durch die Nacht und erreichen bald darauf den Kamm eines Hügels. Zwischen zwei Felsen hält Jim seinen Wallach an und lässt ihn verschnaufen. Dann fragt er nochmals: »Wer war der Mann?« Sie überwindet endlich ihr Zögern. »Das war Todhunter Mannerhan«, erwidert sie. »Ich kannte ihn schon von Saint Louis her. Er war der größte Spieler und Revolvermann am Big Muddy zwischen Great Falls in Montana und Saint Louis. Ich glaube nicht, dass es einen Mann auf dieser Welt gibt, der ihn mit der Waffe schlagen könnte. Du hattest Glück, Jim Kehoe, großes Glück. Oh, ich weiß, wie schnell du mit den Schießeisen bist. Aber auch Matt, Jeff und Terzel waren sehr schnell. Dennoch hatten sie gegen Todhunter Mannerhan keine Chance. Jim, du hattest Glück.« »Ja, das hatte ich wohl«, pflichtet er ihr bei. »Und wenn du ein gutes Gebet wissen solltest, dann sprich es jetzt und bitte darum, dass mein Glück noch eine Weile anhält und auch auf dich übergeht.« Als er verstummt, will sie etwas sagen, doch er zischt scharf: »Still jetzt!« Zugleich beugt er sich vor und legt seinem Wallach die flache Hand zwischen die Ohren. Das ist offenbar ein Zeichen für das Tier, sich ruhig zu verhalten wie eine Statue. Widowmaker ist ein Trickpferd, ein Tier, das sorgfältig dressiert und geschult wurde.
Bald schon sieht Golden Ann Skinner, warum Jim ihr Schweigen gebot. Unten an der Basis des Hügels, auf dessen Kamm sie in Deckung der beiden Felsen verhalten, tauchen plötzlich Reiter auf – in langer Reihe. Sie kommen aus dem Schatten und müssen an einer Hügelkette vorbei, durch die das bleiche Mondlicht fällt. Unwillkürlich zählt Ann Skinner die Reiter. Es sind Indianer. Sie zählt sieben – und dann noch einen Nachzügler. Jetzt weiß sie, warum Jim Kehoe es so eilig hat und sogar darauf verzichtete, die herumliegenden Sachen einzusammeln und mitzunehmen. Sie beginnt zu zittern. Jim Kehoe murmelt: »Diese Roten hätten euch im Laufe der Nacht auch dann erwischt, wenn wir Ihnen durch die Schüsse nicht die ungefähre Lage des Camps verraten hätten. Mannerhan war ein Narr, hier ein Feuer anzuzünden. Für ihn wäre es der letzte Kaffee geworden, den er getrunken hätte. Und du, Ann, dürfest vielleicht einem Indianer in dessen Tipi erbeuteten Armeekaffee kochen.« »Ich hätte mich lieber umgebracht«, sagt sie heiser. »So schnell tut man das nicht«, erwidert er ernst. »Ich kenne mehr als ein Mädel und mehr als eine Frau, die als zweite, dritte oder vierte Squaw eines Indianers in seinem Tipi leben mussten und sich nicht das Leben nahmen. Ich glaube nicht, dass du es könntest, Ann. Du liebst das Leben zu sehr. Du würdest sogar auf dem tiefsten Grund der Hölle darauf hoffen, dass es wieder besser wird. Ann, wie kam es, dass dieser Todhunter Mannerhan wie ein guter Freund bei euch im Camp leben konnte? Für die Skinner-Brüder war er doch ein Fremder. Nur du kanntest ihn vom Missouri her. Genügte das für deinen Mann und deine Schwäger, ihn in eure Gemeinschaft aufzunehmen?«
Er kann spüren, wie sie sich hinter ihm anspannt, und sein Instinkt sagt ihm, dass es zwischen Ann Skinner und Todhunter Mannerhan ein Geheimnis gibt. Über Golden Anns Vergangenheit weiß er wenig. Sie ist von Saint Louis über Kansas City und Cheyenne nach Laramie gekommen. Überall hat sie in den nobelsten Saloons und Amüsierhallen gesungen oder an den Spieltischen die Bank gehalten. Sie ist eine Abenteurerin, eine Glücksjägerin. Daran gibt es keinen Zweifel. Doch das ist Matt Skinner gleich gewesen, denn er war ja selbst ein Abenteurer. Seiner Meinung nach passten er und Golden Ann vorzüglich zusammen. Und überdies ist sie schön. Sie wurde seine Frau. Es war ein tolles Fest, und Jim Kehoe hat damals gedacht, dass ein Wolf endlich seine Wölfin gefunden hätte, um mit ihr gemeinsam auf Jagd zu gehen. Jetzt ist Matt Skinner tot, und Ann ist mit Todhunter Mannerhan unterwegs gewesen. Sie hat auch wie unter einem Schwächeanfall den Inhalt der Pfanne ins Feuer kippen lassen, sodass Todhunter Mannerhan eine echte Chance bekam, als das Fett im Feuer mit einer Stichflamme explodierte. Das alles fällt Jim Kehoe wieder ein. Er überdenkt es sorgfältig, während er bewegungslos auf dem Pferd sitzt und noch abwartet, ob weitere Oglala-Krieger als Nachzügler angeritten kommen. Seine Wunde in der Seite schmerzt böse. Er spürt, dass er immer noch Blut verliert. Während er weiter nachdenkt und lauscht, reißt er sich das Halstuch ab und öffnet sein Hemd. Es gelingt ihm, das zusammengefaltete Tuch auf die Wunde zu drücken. Mit dem angewinkelten Ellbogen hält er es dort fest. Er weiß, dass die Blutung bald aufhören wird. Das Blut wird trocknen und Hemd und Halstuch festkleben.
Er wendet den Kopf und blickt über die Schulter hinweg auf Golden Ann. Er spürt ihre Nähe und erinnert sich wieder daran, dass er in Laramie den Wunsch gespürt hat, mit ihr mehr als nur gut bekannt zu werden. Doch Matt Skinner ist ihm zuvorgekommen. Er hat dann auch nicht mehr versucht, Matt Skinners Nebenbuhler zu werden. Ja, Golden Ann ist schön. Und dort, wo sie als Sängerin auftrat, war jeder Platz besetzt. Sie verdrehte allen Männern zwischen siebzehn und siebzig die Köpfe. Jim Kehoe vergisst seine Schmerzen und begreift, wie glücklich Ann Matt Skinner gemacht haben muss. Dass sie darüber hinaus noch eine gute Gefährtin war, bewies sie ja schon dadurch, dass sie mit Matt und dessen Brüdern in die Wildnis zog, um in primitiven Camps zu leben und mit den Männern nach Gold zu suchen. Aber dann ist Todhunter Mannerhan gekommen… Jim Kehoe fragt plötzlich leise: »Ann, willst du mir nicht alles sagen – ich meine, alles über dich und Mannerhan? Willst du mir nicht sagen, was aus deiner Vergangenheit dich eingeholt hat? Matt muss Mannerhan vertraut haben, er muss ihn für einen Freund gehalten haben – vielleicht sogar für deinen Bruder, Ann. Sonst hätte Mannerhan die drei Skinners nicht so glatt überrumpeln können. Sonst nicht! Selbst er hätte nicht alle drei geschafft. Sie waren keine Greenhorns, sondern harte, erfahrene Nummern. Warum vertrauten sie diesem Mannerhan? Gib Antwort, Ann!« »Es gibt keine Antwort«, sagt sie. »Nur die, dass ich ihn vom Missouri kannte und er mir einmal aus einer Klemme half, als ich einen guten Freund nötig hatte. Das sagte ich Matt. Mannerhan erklärte uns, er müsse ein paar Monate untertauchen, weil das Bundesgesetz hinter ihm her sei. Wir brauchten einen Mann mehr, denn Terzel wollte auf die Jagd gehen und uns als Späher vor Überraschungen schützen. Wir spürten irgendwie, dass es allmählich für uns gefährlich wurde,
noch länger nach Gold zu suchen. Außerdem gingen unsere Lebensmittel zur Neige. Wir waren schon Wochen in diesem Camp. Mannerhan hatte ein Packpferd mit Lebensmitteln. Er kam uns recht. Das ist alles.« Sie verstummt spröde. Und Jim Kehoe weiß, dass er im Moment nichts anderes aus ihr herausholen kann. Er will es jetzt auch wagen, den Weg fortzusetzen. Langsam reitet er an. Er bleibt in Deckung der Hügelkämme. Das ist zwar ein beschwerliches Reiten, doch er würde hier oben dicht unter den Hügelkämmen lieber zu Fuß gehen, als unten auf dem Bozeman Trail bequem reiten. Sie kommen in den nächsten zwei Stunden nur wenige Meilen vorwärts. Immer wieder hält Jim Kehoe an, um zu lauschen. Dann sagt er plötzlich: »Vor uns – nur noch wenige Meilen – muss sich der Platz befinden, an dem ein Bestattungskommando aus Fort Phil Kearney inzwischen eine bittere Arbeit verrichtet hat. Die Soldaten werden sich jetzt in ihrem Camp ausruhen und in der Morgendämmerung aufbrechen. Es könnte jedoch sein, dass sie von Sioux eingekreist wurden und im Morgengrauen überfallen werden. Wir wollen das hier abwarten. Wenn Sergeant McNeely mit seiner Abteilung nach Fort Phil Kearney zurückreitet, muss er dort unter uns auf dem Trail vorbeiziehen.« * Widowmaker, der ebenfalls erschöpft ist, legt sich zwischen Felsen und Büschen nieder. Auch Ann Skinner sinkt müde zu Boden. Jim Kehoe hockt sich neben sie. Er wagt nicht, auch nur für Sekunden ein Auge zuzumachen. Seine Gedanken kreisen fortwährend um Todhunter Mannerhan, um die Skinner-Brüder, um Golden Ann Skinner,
um die Indianer – und nicht zuletzt um Sergeant Joe McNeely und dessen zwei Dutzend Kavalleristen. Er glaubt, dass Ann Skinner eingeschlafen ist. Aber dann hört er sie still weinen. Er ahnt es mehr, als dass er es hört. Irgendwie spürt er, dass ihr Körper im Weinkrampf zittert und bebt. Nach einer Weile glaubt er, dass sie endlich eingeschlafen ist. Das ist verständlich, denn sie muss völlig erschöpft gewesen sein. Auch er kämpft immer wieder gegen die Müdigkeit an. Zweimal hört er das unverkennbare Geräusch von unbeschlagenen Pferdehufen – einmal im Galopp den Boden trommelnd, einmal im Trab. Er begreift, dass die Roten alarmiert sind, dass sie nach den Weißen suchen, deren Feuer gewissermaßen auseinander platzte und die sich offenbar beschossen haben. Widowmaker ist total erschöpft, und da das Tier auch noch Ann tragen müsste, könnte er diesmal Red Bulls Kriegshorde nicht entkommen. Sobald es Tag ist, werden sie seiner Fährte folgen. Es sind bittere Gedanken, denen Kehoe nachhängt. Denn es ist ja damit zu rechnen, dass Sergeant McNeely und dessen Reiter selbst angegriffen werden. Gewiss, es ist schon vorgekommen, dass die Roten Bestattungskommandos der Armee in Ruhe ließen, weil sie selbst die Toten ehren und respektieren, dass die »Blaubäuche« ihre Toten bestatten müssen. Aber Red Bull gehört wahrscheinlich zu jenen Burschen, die so eine ritterliche Ehre nicht besitzen und auch nicht kennen. Jim Kehoe macht sich in dieser langen Nacht eine ganze Menge Sorgen. Aber auch die längste Nacht geht einmal zu Ende. Als der Morgen graut, macht Kehoe seinen Wallach zum Abritt fertig. Dann geht er zu Ann und kniet bei ihr nieder.
Noch bevor er seine Hand an ihre Schulter legen kann, um sie zu wecken, öffnet sie die Augen. Es sind dunkelbraune Augen, die zu ihrem goldblonden Haar einen schönen Kontrast bilden. So zerzaust, mitgenommen und ungewaschen Ann Skinner im Moment auch ist, ihre etwas herbe und rassige Schönheit ist immer noch vorhanden. Aber ist sie auch gut? Sie betrachten sich lange, während sie auf dem Boden liegt und er neben ihr kniet. »Was hältst du von mir, Jim?«, fragt sie geradezu. »Matt Skinner ist mir zuvorgekommen«, murmelt Jim Kehoe. »Wäre er nicht von Kindheit an mein Freund gewesen, so hätte ich einiges angestellt, um dich ihm wegzunehmen. Weißt du, es reizt einen Burschen wie mich, gerade die Frau zu bekommen, nach der sich alle Männer zwischen Saint Louis und Laramie zerreißen.« Sie sieht ihn stumm an. Ihr Gesicht zeigt noch die Spuren von Staub, Tränen und dem Erdboden, auf dem sie schlief. Aber sonst verrät dieses Gesicht nichts – gar nichts. »Ich war mit Matt Skinner gar nicht verheiratet«, sagt sie plötzlich leise. Kehoe stutzt nur kurz. Dann schüttelt er heftig den Kopf. »Doch«, sagt er. »Ihr wart so richtig verheiratet, wie ein Paar das nur sein kann. Das weiß ich genau, denn ich war als Zeuge dabei. Nicht wahr?« Sie schließt einen Moment ihre Augen. Als sie sie wieder öffnet, erkennt Jim Kehoe zum ersten Mal in ihnen einen echten Ausdruck von Schmerz. »Wenn die erste Ehe noch besteht«, sagt sie, »gilt die zweite nicht. Ich war noch mit Todhunter Mannerhan verheiratet, als ich Matts Frau wurde. Ja, ich log euch alle an. Man hatte Todhunter Mannerhan in Saint Louis des Mordes angeklagt. Er wurde verurteilt und sollte hängen. Bevor die Vollstreckung
stattfand, ging ich fort von Saint Louis. Ich wollte nicht auf das Schreckliche warten. Ich kam nach Kansas City und von dort auf abenteuerlichen Wegen nach Cheyenne und Laramie. Ich sang in jedem einigermaßen respektablen Saloon, und ich blieb erst in Laramie länger als drei Wochen. Für mich war Todhunter Mannerhan tot. Aber ich vermied es, mich zu erkundigen, wann und wie er…« Die Stimme versagt ihr nun. Erst nach einer Weile spricht sie weiter. »Todhunter Mannerhan kam frei. Seine Unschuld wurde bewiesen, als er schon unter dem Galgen stand. Aber selbst ich hatte ihn für schuldig gehalten. Ein Augenzeuge, der ihn entlasten konnte, wollte nicht länger auf sein Gewissen nehmen, ihn ohne Hilfe zu lassen. Todhunter kam frei und folgte meiner Fährte. Das war nicht leicht für ihn, denn ich sang ja in vielen Saloons. Er fand eines Tages schließlich unser Camp, und ich sagte, er wäre mein Halbbruder. Wäre ich mit ihm gegangen, würden Matt und dessen Brüder noch leben. Aber ich wollte bei Matt bleiben. Als Mannerhan das klar wurde, tötete er die Skinners und nahm auch das Gold. Er hat fast zwanzig Pfund Gold bei sich. Jetzt weißt du alles, Jim Kehoe.« Jim schweigt. Er schüttelt nur leicht und bedauernd den Kopf. Dann fährt er mit seinen Fingerspitzen sacht über Anns Wange. Wortlos erhebt er sich nach dieser Geste des Mitleids. Als er Ann die Hand hinhält, damit sie sich daran auf die Beine ziehen kann, krachen die Gewehre. Es ist eine Salve, wie Soldaten sie auf Kommando abfeuern. Jetzt ist klar, dass Red Bulls Horde das Camp von Sergeant McNeely und dessen Männern angegriffen hat. Doch die Soldaten ließen sich nicht überrumpeln. Die Salve beweist es. Ann Skinner kommt rasch auf die Beine und steht dann bewegungslos neben Kehoe. Sie lauschen eine Weile.
»Was jetzt?«, fragt sie schließlich. In ihrer Stimme ist eine Gelassenheit, die schon fast einem Fatalismus gleichzukommen scheint. Jim Kehoe begreift, dass Ann auf ihren rauen und bitteren Wegen längst gelernt hat, den Dingen auf diese Art ins Auge zu sehen. »Wir haben jetzt eine Chance, davonzukommen«, sagt Jim Kehoe. »Die Roten sind mit der kleinen Soldatenabteilung vollauf beschäftigt. Sie werden sich eine Weile daran festbeißen wie ein Wolfsrudel an einem Elch, der verwundet im tiefen Schnee steckt und nicht mehr entkommen kann. Wir könnten in einem Bogen um den Kampfort reiten und dann wahrscheinlich ungehindert auf dem Bozeman Trail zurück bis Fort Reno gelangen. Das wäre möglich. Los, Ann!« Sie sind unwahrscheinlich schnell fertig und schwingen sich auf Widowmaker. Der narbige Wallach hat sich etwas erholt. Für eine Weile könnte er jedes andere Pferd in diesem Land schlagen. Aber Ann Skinner wiegt gewiss an die hundertzwanzig Pfund. Sie ist ja nicht spindeldürr, sondern eine prächtig gewachsene Frau. Während sie den Wallach unterhalb des langen Hügelkamms entlang traben lassen, hören sie fortwährend das Krachen von Schüssen. Nun sind es keine Gewehrsalven mehr. Jetzt krachen die Kavalleriecolts, ein Zeichen dafür, dass die Angreifer nahe an das Camp der Soldaten herangekommen sind. Wahrscheinlich ist keine Zeit mehr, die Walker-Colts zu laden, mit denen die Soldaten ausgerüstet sind. Wenn sie leer geschossen sind, wird der Kampf schnell zu Ende sein. Jim Kehoe spürt plötzlich, dass ihm der Schweiß ausbricht, und er weiß auch, warum er zu schwitzen beginnt. Auf der anderen Seite des Hügels, unter dessen Kamm er mit Ann reitet, kämpfen ein Sergeant und vierundzwanzig Soldaten verzweifelt um ihr Leben.
Er kann es sich ganz genau vorstellen, hört er doch das schon triumphierende »Hiiiyeeehaaa« der Oglalas durch das Krachen der Colts. Jim Kehoe flucht plötzlich. »Verzeih mir, Ann – bei Gott, verzeih mir, wenn du kannst!«, stößt er hervor, wendet sich nach ihr um und hebt sie vom Pferd. Er lässt sie ziemlich unsanft zu Boden gleiten, denn er hat es eilig. Er wirft sie fast vom Pferd und treibt den Wallach dann zum Kamm hinauf. Noch bevor er oben ist, hat er die Trompete, die er dem Indianer abgenommen hat, in der Hand und bläst damit wie ein geübter Hornist der US-Kavallerie. Er bläst das Angriffssignal der Armee. Wie könnte er sonst das Leben der Jungs dort auf der anderen Seite retten? Die Sioux kennen das Signal. Sie hörten es dann und wann, wenn die US-Kavallerie angriff, wenn die »Blaubäuche« mit ihren »Langen Messern« dahergedonnert kamen. Als Jim den Kamm der Hügelkette erreicht und nach der anderen Seite hangab wärts blicken kann, sieht er die Kriegshorde der Sioux schon in voller Flucht. Sie lässt von dem Camp der Soldaten ab wie ein Rudel Wölfe von einer fast sicheren Beute. Sie schwärmt drüben in die Hügel hinein. Jim Kehoe macht nun einen unverzeihlichen Fehler. Er zeigt sich lange genug auf dem Hügelkamm und schwingt dabei die blinkende Trompete, bis ihn Sergeant McNeely und dessen Soldaten erkennen können. Wahrscheinlich begreifen sie sofort, dass Jim Kehoe ihnen keine wirkliche Hilfe bringt, sondern ihnen mit diesem Trompetentrick nur eine Atempause verschaffte. Trotzdem ist diese Atempause wichtig für sie und bedeutet wahrscheinlich den Sieg, denn sie können ihre Waffen nachladen. Zum zweiten Mal werden es die Sioux nicht wagen, gegen diese Feuerkraft anzureiten.
Red Bulls Kriegshorde ist noch nicht groß genug. Sie hat beim Überfall auf den Zahlmeister und den Nachschub trotz ihres Sieges Haare lassen müssen und musste das auch jetzt wieder. Die erbeuteten Gewehre allein tun es nicht. Red Bull muss erst gute Schützen dafür haben. So schnell kann Red Bull seine Krieger jetzt nicht mehr zu einem Angriff überreden. Das könnte für McNeely die Chance sein, wenn er seine Jungs jetzt schnell in die Sättel bringt und wenn sie sich in einem Gewaltritt nach Fort Phil Kearney zu retten versuchen. Kehoe winkt ihnen noch einmal zu. Dann reißt er seinen Wallach herum, während sie ihm von unten brüllend zujubeln und bevor Sergeant McNeely ihnen seine Befehle gibt. Kehoe tat für sie, was er konnte. Sein Blick sucht Ann Skinner, die er so unsanft vom Pferd hob und allein zurückließ, um möglichst schnell den Hang hinauf zu kommen, denn es ging ja um Sekunden. Die heulende Kriegshorde musste das Hornsignal ganz nahe hören. Jim Kehoe sieht Ann Skinner. Aber sie ist nicht mehr allein. Sie bekam Gesellschaft. Todhunter Mannerhan ist aufgetaucht, und nun sieht Jim Kehoe ihn deutlich. Mannerhan hat die beiden anderen Pferde immer noch bei sich, und auf eines der Tiere – wahrscheinlich ist es ihres – hat sich Ann Skinner geschwungen. Todhunter Männerhan wirft ihr die Leine des dritten Pferdes zu, das sie damals im Camp als Packpferd bei sich hatten. Sie nimmt das Tier an die Leine und reitet damit den Hang hinab zum Bozeman-Weg. Es ist nun klar, dass sie zu Mannerhan gehört und diesem eine gute Partnerin sein will. Jim Kehoe reitet langsam auf ihn zu. Todhunter Mannerhan wartet im Sattel. Der Hang ist hier an dieser Stelle nicht sehr steil, sondern bildet eine sanfte Hügelwiese. Etwa sechs Schritte vor Mannerhan hält Kehoe an.
Er kann erkennen, warum Mannerhan in der Nacht geflüchtet ist. Kehoe hat ihn tatsächlich zweimal getroffen. Mannerhan hat sich Stücke seines Unterhemdes wie einen Turban um den Kopf gewickelt. Von einem Streifschuss über der Stirn muss ihm das Blut in die Augen gelaufen sein. Außerdem ist sein linker Ärmel durchlöchert und blutig. Diese beiden Treffer haben ihn in Panik versetzt. Aber er ist dann wohl doch in der Nähe geblieben und hat sich zumindest bemüht, in die gleiche Richtung zu reiten. Auch er musste schließlich das Gewehr- und Revolverfeuer der kämpfenden Soldaten gehört haben. So war er zu Ann gekommen. Das alles wird Jim Kehoe binnen weniger Sekunden klar, während er Mannerhan betrachtet. »Sie hielt also von Anfang an zu dir und nicht zu Matt Skinner«, sagt Kehoe heiser. Mannerhan nickt. »Sicher«, antwortet er. »Als ich mich damals in Saint Louis für verloren hielt, schickte ich sie fort. Sie war frei. Und sie hatte das Recht, ihren eigenen Weg zu gehen und sich einen neuen Mann zu suchen. Aber ich war dann doch nicht verloren. Ich bekam noch einmal eine Chance. Und da es auf dieser Welt keine zweite Frau wie Ann gibt – für mich jedenfalls –, suchte ich nach ihr und folgte ihrer Fährte. Als ich sie wiedersah, war alles gut zwischen uns. Nur Matt Skinner und dessen Brüder…« Er spricht nicht weiter. Seine Worte sollen nur Jim Kehoes Wachsamkeit einschläfern. Mannerhans Rechte schnappt den Colt heraus, und wenn diese Rechte vielleicht um winzige Sekundenbruchteile langsamer sein mag als seine verwundete Linke – sie ist immer noch sehr schnell. Sie ist so schnell wie Kehoes Linke.
Er kann Kehoe nicht überrumpeln. Ihre Revolver krachen zur gleichen Zeit, dass es wie ein einziger Schuss klingt. Die Kugel reißt Kehoe fast aus dem Sattel. Er muss sich mit aller Kraft am Sattelhorn festhalten und verliert seinen Colt. Schwankend und gegen eine Ohnmacht ankämpfend, sieht er, dass Todhunter Mannerhan aus dem Sattel fällt und schwer auf den Boden schlägt. Er ist tot. Daran gibt es keinen Zweifel. Der Schmerz bringt Jim Kehoe fast um. Er bekommt kaum Luft. Vor seinen Augen drehen sich feurige Kreise, die immer dunkler werden. Aber vielleicht ist es der bohrende Schmerz, der ihn bei Bewusstsein hält. Er kämpft sich verzweifelt wieder aus den dunklen Tiefen hoch, denn er will im Sattel bleiben. Er weiß, dass er endgültig verloren ist, wenn er von seinem Wallach fällt. Als sein Blick allmählich klarer wird, sucht er nach Ann. Er sieht sie in einiger Entfernung mit den beiden Pferden – erstarrt und erschreckt. Dann aber kommt sie zurückgeritten. Sie blickt ihn mit flackernden Augen an. Jim Kehoe sagt: »Ann, ich wollte dich retten, dich in Sicherheit bringen. Doch nun kann ich es nicht mehr. Reite den Bozeman-Weg entlang. Reite! Vielleicht schaffst du es bis Fort Reno. Reite und bete zum Himmel, damit er dir hilft, denn ich kann es nicht! Reite! Mannerhan ist tot. Dieser Narr hat sich selbst und wahrscheinlich auch uns umgebracht.« Nun ist Jims letzte Kraft verbraucht. Er sinkt nach vorn über das Sattelhorn und schlingt seine langen Arme um den Hals des Pferdes. Dann weiß er für eine ganze Weile nichts mehr. *
Ab und zu erwacht er aus seiner Bewusstlosigkeit. Dann begreift er stets dumpf und mühsam, was mit ihm ist und dass er immer noch auf dem Pferd sitzt. Er vermag nicht zu erkennen, wohin sein grauer, narbiger Wallach ihn trägt, sondern nimmt nur wahr, dass das Tier besonders sanft unter ihm trottet und sich offensichtlich Mühe gibt, ihn nicht abzuwerfen. Er denkt nicht mehr an Ann Skinner. Er denkt auch nicht mehr an Mannerhan, an die Indianer oder an sonst etwas. Sein nur noch schwach flackernder Wille ist allein darauf gerichtet, dass er sich im Sattel hält. Deshalb wird alles zeitlos für ihn. Es bleibt alles dem Zufall überlassen – oder der Fügung. Nachdem der Wallach eine Weile umhergetrottet ist, stößt er auf eine alte Fährte. Vielleicht sagt ihm sein Instinkt, dass er schon einmal unter seinem Herrn diesen Weg zu guten Freunden trottete. Jedenfalls folgt er seiner eigenen Fährte, die damals zum Handelscamp von French Charly Hotmiller führte. * Es ist am Abend nach einem blutroten Sonnenuntergang, als Widowmaker seinen Herrn in Charly Hotmillers Camp trägt. Erst am Feuer hält er inne. Hotmiller, seine Familie und auch seine Männer blicken stumm auf den Mann im Sattel. Dieser Mann liegt mit dem Oberkörper auf dem Pferdehals, hat die Arme um den Hals geschlungen und die Hände darunter ineinander gekrampft. Sie erkennen erst das Pferd, dann den Mann. Susen-Bell stößt einen erschreckten Ruf aus. »Das ist Jim – Jim Kehoe! Helft ihm doch! Helft ihm herunter!«
Sie bewegen sich immer noch nicht. Sie stehen noch staunend da und betrachten alles. Auf der Schulter des Pferdes ist getrocknetes Blut. Im Rücken des Mannes erkennen sie das Ausschussloch. Sie sehen es genau im Feuerschein. Einer von Hotmillers Halbbluts sagt kehlig: »Wenn der nicht tot ist…« Aber dann bewegen sie sich alle wie auf ein stillschweigendes Einverständnis. Sie müssen seine verkrampften Hände mit Gewalt lösen. Dann erst bekommen sie ihn vom Pferd, bringen ihn ans Feuer und betten ihn auf ein rasch bereitetes Lager. Als sie dann überlegen, was sie mit ihm machen wollen, trommeln unbeschlagene Hufe heran. Hotmiller tritt sofort vor das Feuer. Er bringt die Gruppe seiner Leute und den bewusstlosen Jim Kehoe damit hinter sich, schiebt sich zwischen die heranreitenden Indianer und die Menschen, die zu ihm gehören. Er ist furchtlos, dieser Händler französischer Abstammung, völlig furchtlos, und in den Augen der Indianer ist er ein Häuptling. Es ist etwa ein Dutzend Rote. Ihr Anführer löst sich aus der Traube, die sich an der Grenze des Feuerscheins zusammendrängt. Es ist Red Bull. Es geht ihm offenbar schon wieder etwas besser als vor vier Tagen. Er kommt langsam herangeritten und starrt vom Sattel aus auf den Bewusstlosen nieder. Dann blickt er auf Hotmiller und sagt kehlig: »Ich will ihn haben. Ich nehme ihn mit!« »Nein!«, ruft Susen-Bell, und man sieht ihr an und hört aus ihrer Stimme, dass sie sehr erregt und voller Angst ist. »Nein, Häuptling«, sagt auch French Charly Hotmiller. Red Bull bewegt sich drohend im Sattel und zeigt ihm die Faust.
»Wollt ihr alle mit ihm sterben?«, fragt er in englischer Sprache, und es ist eine böse Drohung. Aber damit kommt er bei French Charly nicht durch. »Häuptling«, sagt Charly Hotmiller, »in meinem Camp gibt es keine Feindschaft. Das war immer so, schon bei meinem Vater. Vielleicht wirst du eines Tages ein großer, mächtiger Häuptling sein, Red Bull – doch jetzt bist du es noch nicht. Dein Onkel Red Cloud wird dir persönlich die Haut abziehen, wenn du hier in diesem Handelscamp die alten Gesetze des Friedens brichst. Wir nehmen jeden Kranken oder Verwundeten auf. Wir helfen jedem Hilflosen, und diese Hilfe gewährten wir auch dir. Ist dein Magen nach meiner Wundermedizin wieder in Ordnung?« Die letzte Frage stellt French Charly mit versöhnlicher Stimme. Er blickt Red Bull an, der zähneknirschend auf seinem Pferd sitzt und einen Moment unentschlossen ist. Gewiss überdenkt er jetzt, welche Schwierigkeiten ihm die großen Häuptlinge und besonders sein Onkel Red Cloud bereiten werden, wenn er French Charly zu rau anfasst und gegen Charlys Willen den Campfrieden bricht. Doch Red Bull will Jim Kehoe. Er will ihn nicht nur deshalb, weil Kehoe ihn schon zweimal reinlegen konnte – einmal mit Hilfe des narbigen Wallachs und zum zweiten Mal mit Hilfe der Trompete. Er denkt außerdem fortwährend daran, wie das Mädchen, Charlys und Belle Arapahoes Tochter, so angstvoll rief, dass er Schwarzwolf, wie Kehoe bei den Sioux heißt, nicht bekommen könne. Das gefiel ihm gar nicht. Er ist entschlossen, Jim an Ort und Stelle zu töten. Deshalb schwingt er sich vom Pferd und tritt zu dem Lager des wie leblos daliegenden Kehoe. Er blickt auf ihn nieder und hört Charly Hotmiller knirschend sagen: »Halte den Campfrieden, Häuptling!«
Plötzlich erscheint Red Bull alles einfach. Seiner Meinung nach ist Kehoe fast tot. Er hockt sich bei ihm nieder, betrachtet ihn aus nächster Nähe und erkennt die Schwere der Verwundung. Er sieht auch die zweite Wunde an der Hüfte. Plötzlich erhebt er sich und schwingt sich wieder auf sein Pferd. »Schwarzwolf ist schon so gut wie tot«, sagt er. »Ich brauche ihn nicht zu töten. Der andere Weiße, dessen Frau ich einem meiner Krieger geben werde, hat ihn schon getötet. Schwarzwolf stirbt noch in dieser Nacht. Das genügt mir.« Er zieht sein Pferd herum. »Er ist schon tot«, sagt er zu seinen Kriegern. »Er stirbt! Ich, Red Bull, erschlage keinen Sterbenden, der nicht mehr kämpfen kann. Hopo, reiten wir!« Danach tönte wieder das Trommeln unbeschlagener Pferdehufe, entfernt sich und wird leiser und leiser. Susen-Bell ruft heiser: »Er darf nicht sterben! Er darf es nicht! Kämpft um sein Leben! Mutter! Vater! Wir müssen ihm helfen. Er darf nicht sterben!« French Charly und seine Frau Belle Arapahoe blicken sich kurz an. Sie können aus Susens Stimme hören, wie es um die Tochter steht. * Als French Charly Hotmiller zwei Tage später sein Camp abbricht, bleibt ein Grab zurück – ein richtiges, solides und sorgfältig mit großen Steinen bedecktes Grab, wie es die Weißen in diesem Land für ihre Angehörigen anlegen – oder für jene, die sie lieben und achten. Aber in diesem Grab liegen nur Jim Kehoes ausgestopfte Kleider.
Er selbst liegt im Wagen der Frauen, hat hohes Fieber und ist noch ohne Bewusstsein. Es ist gefährlich und ein großes Risiko, ihn in diesem Zustand zu transportieren. Doch sie mussten es wagen. Nur so können sie Red Bulls Späher täuschen. Sie haben Jim Kehoe weich gebettet. Außerdem fahren die Wagen langsam. Trotzdem ist es ein Wagnis. Kaum sind sie außer Sichtweite des verlassenen Camps, da kommt ein Oglala-Krieger aus den Hügeln geritten und betrachtet das Grab. Vielleicht überlegt er, ob er absitzen und es öffnen soll. Doch das wäre eine Menge Arbeit. Die Steine könnte er zwar noch ziemlich mühelos entfernen. Aber für die Erde müsste er schon eine Schaufel haben. Mit den Händen und seinem Messer wäre das zu mühsam. Er entschließt sich, die für einen Krieger unwürdige Arbeit erst gar nicht anzufangen. Als er sein Pferd wendet, um zu Red Bull zu reiten, ist er entschlossen, den Bericht so zu erstatten, als hätte er gesehen, wie sie Schwarzwolf in das Grab legten. Jim Kehoe, den die Sioux Schwarzwolf nennen, gilt nun für Red Bull und dessen in den nächsten Tagen und Wochen ständig größer und stärker werdende Kriegshorde als tot und begraben. Und das ist gut so. Red Bull vergisst ihn bald, denn er ist dabei, einen Erfolg an den anderen zu reihen. Das Kriegsglück bleibt ihm treu. Die Krieger der Stämme strömen ihm zu, zumal die großen Häuptlinge das nicht ungern sehen, da er für sie immer noch gewissermaßen die Stärke und die Geduld der US-Armee testet. Etwa drei Wochen nach Jim Kehoes vermeintlichem Tod verfügt der bis dahin unbekannte Oglala-Häuptling Red Bull über etwa dreihundert erstklassige Krieger.
* Jim Kehoe starb nicht an seiner schrecklichen Wunde, die Todhunter Mannerhan ihm zufügte. Irgendwo in seinem innersten Kern blieb ein Rest von Energie, von Lebenswillen. Es war wie das allerletzte Glühen eines schon fast erloschenen Feuers, aus dem man mit viel Mühe und Umsicht ein neues Feuer entfachen kann. Noch bevor sie in Hotmillers Tal gelangen – sie fahren je Tag kaum mehr als fünfzehn Meilen –, erwacht Jim Kehoe aus einem Zustand der Bewusstlosigkeit, des Wundfiebers und der Schwäche. Jims Verstand beginnt wieder zu arbeiten. Die Erinnerungen kommen. Jim erkennt Susen-Bell an seinem Lager, und er begreift, dass sie sich beide in einem Wagen befinden, dessen helle Segeltuchplane die Sonne abhält. Jim ist zu schwach, um zu Susen-Bell etwas zu sagen. Er kann sie nur ansehen – dankbar und staunend zugleich. Sie legt ihm die Hand auf die Stirn, beugt sich dann nieder und küsst ihn auf beide Augen. »Nun wirst du gesund«, sagt sie. »Das Fieber ist weg. Du wirst gesund werden.« Aus einer Kochkiste, in der man Speisen noch Stunden warm halten kann, nimmt sie einen Topf mit Fleischbrühe. Sie flößt Jim einige Löffel voll ein. Dann schläft er wieder. Doch es wird aufwärts gehen mit ihm. Es ist dann einige Tage später, als sie ihn aus einem Blockhaus auf ein Lager auf einer Veranda schaffen. Die Spätherbstsonne wärmt noch einmal für eine kurze Stunde um die Mittagszeit.
Susen-Bell setzt sich zu Jim Kehoe, und beide können über das ovale Tal blicken. Hotmillers Siedlung, zu der dieses Haus gehört, steht auf einer großen Bergterrasse, zu der man vom Tal herauf eine bequeme Zufahrt hat. Es gibt hier oben einen Wasserfall, einen kleinen See und Schutz vor den eisigen Nordwinden. Der Blick kann weit über das Tal schweifen, das an die fünfzehn Meilen lang und etwa sechs Meilen breit ist. Es ist von sanften Hügeln und Waldstücken durchzogen, eingeschlossen von einem Wall schützender Berge, aus deren Waldgürtel zackige Felsgrate ragen. Auf diesen Graten liegt der erste Schnee. Doch unten im Tal sind noch die bunten Farben des Herbstes. Jim Kehoe sieht Susen-Bell an. »Ich bin froh«, sagt er, »dass ich es dir schon vorher sagte.« »Was?«, fragt sie. »Dass ich dich mit dem Herzen liebe«, erwidert er. »Denn würde ich das erst jetzt behaupten, so könntest du glauben, ich sagte es aus Dankbarkeit, weil ich euch mein Leben verdanke. Susen, ich liebe dich. Und das war vorher schon so.« Sie sieht auf ihn nieder, dann kniet sie sich an den Rand seines Lagers und küsst ihn. Sie legt ihre Wange auf seine gesunde Schulter. Eine Weile verharren sie so. Sie brauchen nicht zu sprechen. Es ist alles gut und richtig zwischen ihnen. Erst nach einer Weile murmelt Susen-Bell: »Jetzt weiß ich, warum ich heimkommen musste. Ich musste zurückkommen, denn ich fand hier alles, was ich mir wünschte – die Geborgenheit bei meinen Eltern, das vertraute Land meiner Kindheit – und dann dich, Jim. Ich glaube, dass ich durch dich wieder meinen Glauben an das Gute auf dieser Welt zurückgewonnen habe. Mein Misstrauen ist fort. Ja, Jim, auch ich liebe dich sehr.«
»Und ich bin zu einem Viertel ein Comanche«, grinst er. »Wird sich das Comanchen-Viertel mit der Arapahoe-Hälfte vertragen?« Sie küsst ihn wieder. »Ich schwöre dir«, sagt er danach, »dass du es nie bereuen wirst, mir zu vertrauen und deine Liebe zu geben.« * Die Tage vergehen, und Jim Kehoes Genesung macht immer raschere Fortschritte. Seine Wunden beginnen zu vernarben. Auch der angeschossene Lungenflügel hielt wie durch ein Wunder. Jim nimmt allmählich an Gewicht zu. Seine hohlen Wangen werden etwas voller. Eines Tages beginnt er mit den ersten Gehversuchen. Er benutzt dabei das Verandageländer als Stütze wie ein Kind das Gitter seines Laufställchens. Susen-Bell und ihre Mutter sorgen mit Liebe für ihn, und am Abend sitzt er oft noch mit French Charly Hotmiller auf der Veranda am offenen Kamin. Dann sprechen sie über die Zukunft des Landes. French Charly Hotmiller hat etwa zwei Dutzend Hilfskräfte in seinem Tal. Außer seinen Leuten, die ihm auf seinen Handelsfährten gute und zuverlässige Helfer sind und mit den schweren Frachtwagen und den Maultier-Achtergespannen meisterhaft umzugehen wissen, leben noch einige Indianerfamilien hier. Das alles erfährt Jim Kehoe nach und nach. Er weiß nun auch, dass Hotmiller mehr als tausend Rinder, weit über hundert Pferde und an die zweihundert Maultiere im Tal hat. »Ich werde hier auf die Zivilisation warten«, sagt Charly Hotmiller einmal. »Ich kann es hier noch einige Jahre aushalten. Bis dahin habe ich mein Tal voller Rinder. Jim, ich möchte, dass du mein Vormann wirst, und das hat mit Susen-
Bell nichts zu tun. Ich möchte dich auch als Vormann haben, wenn Susen-Bell nichts von dir wissen wollte.« »Aber sie will es«, sagt Jim Kehoe. »Und wenn Pater de Smet mal wieder hier vorbeischauen sollte, dann kommt er nicht eher fort, als bis er uns getraut hat. Sobald ich kräftig genug bin, werde ich für Susen und mich ein Haus bauen.« »Das ist Belle Arapahoe und mir recht«, erwidert Charly Hotmiller ruhig. »Wir glauben, dass Susen-Bell bei dir findet, was sie sonst wohl nie finden wird – echte Liebe, die von Herzen kommt. Wir sind mit dir einverstanden. Und Red Bull soll der Teufel holen.« Jim Kehoe wird plötzlich hellhörig. Er hat das Gefühl, als erwähnte Charly Hotmiller den Indianer nicht von ungefähr. »Was ist mit Red Bull?«, fragt er geradezu. Hotmiller zögert. Dann murmelt er: »Ich bekam heute Nachrichten.« »Nachrichten über Red Bull?«, fragt Jim Kehoe scheinbar gelassen. Doch in seinen Augen ist ein Glitzern, das Hotmiller richtig zu deuten weiß. Er nickt. »Auch über Red Bull. Es ist völlig klar, was die Roten beabsichtigen. Red Bull sperrt nicht nur den Bozeman Trail, um die Stärke der Armee zu prüfen und den verantwortlichen Männern vor Augen zu führen, was ein wirklicher Indianerkrieg bedeuten würde. Vielleicht war das am Anfang so. Aber inzwischen hatte Red Bull eine ganze Reihe von Erfolgen. Seine Kriegsmacht soll auf fünfhundert Mann angewachsen sein, und alle sind vorzüglich bewaffnet und ausgerüstet. Er verstand es, einen ganzen Wagenzug zu erobern, der nach Bozeman ins Goldland unterwegs war, um den zehntausend Goldsuchern zwischen Bozeman und Last Chance City Ausrüstung, Vorräte und Waffen für den langen Winter zu bringen. Red Bull hat diesen Wagenzug, der sogar ein Feldgeschütz aus dem Krieg bei sich führte und von einer
starken Armee-Eskorte begleitet war, mit irgendeinem Trick geschnappt. Er gilt nun als der aufsteigende Stern am Himmel der großen, erfolgreichen Häuptlinge. Überall zieht er eine blutige Kriegsfährte. Es ist jetzt klar, dass er den Bozeman Trail völlig sperren wird. Zugleich beginnen die großen Häuptlinge – ich meine Red Cloud, Crazy Horse und American Horse – Fort Phil Kearney anzugreifen. Sie stören jetzt schon die Bauarbeiten. Rings um das Fort sammeln sich die Kriegslager der vereinigten Stämme. Und sie möchten nicht gestört werden. Dafür sorgt Red Bull. Das ist ein großer Auftrag. Die Sioux wollen Fort Phil Kearney vernichten. Es soll keine Hilfe mehr erhalten. Begreifst du nun, Jim, mein Junge, wie der Hase laufen soll?« Charly Hotmiller fragt es mit bitterem Sarkasmus. Jim Kehoe nickt. »Ja, es ist alles klar«, murmelt er. »Red Bull wurde von den großen Häuptlingen ausgewählt und mit einem wichtigen Auftrag betraut, nachdem sie ihn erst mal eine Probezeit absolvieren ließen. Ja, jetzt ist alles klar. Sie werden Fort Phil Kearney einschließen und im Winter, wenn der erste Blizzard den Schnee bis hinauf zu den Palisadenspitzen weht, in einer dunklen, heulenden Blizzardnacht mühelos ins Fort eindringen. So ist es geplant. Sie errichten ihre Kriegsdörfer rings um das Fort. Und weil sie wissen, dass es viele Wochen oder Monate dauern wird, bis sie das Fort geknackt haben, muss Red Bull den Bozeman-Weg sperren.« Jim Kehoe macht eine kleine Pause. Er wischt sich mit nervöser Hand über sein noch so mageres, hohlwangiges Gesicht. Dann murmelt er mehr zu sich selbst: »Red Bull muss den ganzen Winter am Bozeman Trail bleiben. Also wird er in der Nähe des Trails ein Winterdorf errichtet haben. Er muss seinen Kriegern eine Möglichkeit bieten, während der Eisblizzards in warmen Tipis unterkriechen zu können. Er muss Obdach für
die Verwundeten schaffen. Und seine älteren Krieger, die Familien haben, werden diesen nicht einen ganzen Winter lang fernbleiben wollen. Das alles bedeutet, dass es irgendwo nördlich des Powder River ein großes Winterdorf geben muss, das Red Bulls Kriegsmacht als Basis dient. In diesem Dorf muss auch Golden Ann Skinner-Mannerhan sein, wenn sie noch am Leben ist und die Squaw eines Indianers wurde.« Charly Hotmiller blickt Jim an und fragt: »Sie geht dir nicht aus dem Sinn, Jim? Du fühlst dich dafür verantwortlich, dass sie in die Hände der Indianer gefallen ist?« Jim nickt. »Ich sprach schon mit Susen darüber«, murmelt er. »Gewiss, Golden Ann ist wohl schlecht. Sie hielt zu Mannerhan, und ich, ich musste versuchen, Sergeant McNeely und dessen Jungs eine Chance zu verschaffen. Es gibt also genügend Entschuldigungen für mich. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, als müsste ich etwas für sie tun, weil es Christenpflicht ist. Verstehst du mich, Charly?« French Charly nickt. »Ja. Es ist ganz einfach zu erklären. Es geht um deine Selbstachtung. Ja, ich kann das verstehen. Aber vorerst bist du noch viel zu schwach. Ich will jedoch versuchen, über meine Freunde unter den Roten etwas über Golden Ann zu erfahren. Vielleicht kann ich sie dem Krieger oder Unterhäuptling, dem sie gehört, abhandeln. Wenn ich ihm genug biete und er mit ihr als Squaw nicht zufrieden ist, gibt es sicherlich eine Chance. Werde du in aller Ruhe gesund, Jim, mein Junge. Und lass dich möglichst wenig blicken, wenn wir fremde Indianer zu Besuch haben. Nicht alle Besucher sind meine Freunde. Und wenn Red Bull immer noch die Absicht hat, Susen-Bell zu seiner Squaw zu machen, dann wird er sich gewiss nach ihr erkundigen oder Boten schicken, die ihm Bericht erstatten.« »Zur Hölle mit ihm!«, sagt Jim Kehoe hart. Er kann nicht länger ruhig zuhören. »Ich werde Susen heiraten«, spricht er
weiter, »sobald Pater de Smet in dein Tal kommt, Charly. Und was Red Bull betrifft, so weiß ich, dass ich ihn töten muss. Jawohl! Ich sehe keinen anderen Weg, denn er wird sich immer mehr in einen großspurigen, überheblichen, tollwütigen Bluthund verwandeln.« * Einige Tage später ist Jim Kehoe so weit, dass er es wagen kann, ein Stück auszureiten. Von jenem Tag an macht seine Genesung so schnelle Fortschritte, dass er mit Susen schon bald zu einem Tagesritt aufbricht, um sich Hotmillers Tal anzusehen und nach einem Platz zu suchen, auf dem er für Susen und sich das Haus errichten will. Sie reden wenig. Es genügt ihnen, Steigbügel an Steigbügel zu reiten und gemeinsam diesen Tag zu erleben. Als sie am Mittag auf einer Wiese an einem kleinen See rasten und die mitgebrachten Vorräte auspacken, sagt sie: »Hier will ich das Haus haben, Jim. Hier wären wir im Schutz sanfter Hügel. Wir hätten freie Sicht über den See, den Sonnenaufgang zur Linken und die untergehende Sonne dort in dem Keil, den der Canyon in die Bergmauer schneidet. Hier wäre der Platz, den ich lieben könnte.« Als sie das gesagt hat, nimmt Jim sie in seine Arme. Die nächsten Tage bringen für Susen-Bell und Jim nur Glück. Zwei Tage nach der Rückkehr von ihrem Ausflug trifft Pater de Smet in Hotmillers Siedlung ein. Pierre Jean de Smet, der im Jahr 1840 nach Montana kam und dann seinen Bereich bis nach Laramie ausdehnte, gehört schon längst zu den ganz großen Männern in der Geschichte der Vereinigten Staaten und des Westens. Seine Herzensgüte, Redlichkeit und Unerschrockenheit werden selbst von den wildesten Indianern, die sonst jeden
Weißen totschlagen, anerkannt und respektiert. Von vielen Stämmen wird der flämische Jesuitenpater geliebt und verehrt. Er kommt in diesen Novembertagen zu Charly Hotmiller, um sich mit ihm zu beraten und ihn zu bitten, seinen ganzen Einfluss auf die großen Häuptlinge geltend zu machen, damit der Frieden bewahrt bleibt. Aber Charly Hotmiller muss ihn in diesen stundenlangen Gesprächen enttäuschen. Er muss ihm sagen, dass sein Einfluss ebenfalls nicht mehr ausreichte, dass er die Indianer überdies noch gut verstünde, nachdem die Armee in einem den Indianern vertraglich garantierten Land zwei Forts errichtet hätte. Am nächsten Tag – kurz vor seiner Reise zu den Kriegshäuptlingen bei Fort Phil Kearney, die er gerne in Begleitung von Charly Hotmiller gemacht hätte – traut Pater de Smet Jim und Susen. Er hält sich noch eine gute Stunde in Hotmillers Siedlung auf und macht sich dann mit seinen Begleitern auf den Weg. Hotmiller und Jim blicken ihnen nach. Pater de Smet hat noch zwei jüngere Missionare und ein halbes Dutzend Indianer bei sich, ältere Häuptlinge der Sioux und Cheyennes, die den Frieden lieben. Hotmiller sagt bitter: »Er muss es versuchen. Das ist seine Pflicht. Aber er wird kein Glück haben. Obwohl sie diesen ›Schwarzrock‹ achten und sogar lieben, werden sie nicht auf ihn hören. Er schafft es nicht.« Schon am nächsten Tag macht sich Jim Kehoe mit zwei Halbblutmännern auf den Weg zum See am anderen Ende des Tals, um dort mit dem Hausbau zu beginnen. Er nimmt Charly Hotmiller das Versprechen ab, ihm sofort Bescheid zu geben, wenn Nachrichten über Golden Ann kommen sollten und Hotmiller versuchen würde, sie freizukaufen.
Susen verspricht Jim, ihn und die beiden Helfer zu besuchen und bei ihnen zu bleiben, sobald sie die kleine Nothütte errichtet hätten. »Ich will dabei sein, wenn ihr unser Haus baut«, sagt sie. Jim, der neben dem schwer beladenen Wagen reitet, blickt noch mehrmals zu ihr zurück und winkt ihr zu. Er ist fest davon überzeugt, dass sie in wenigen Tagen mit einem zweiten Wagen und einem Helfer nachkommen wird, um das Blockhaus, das ihnen während der Bauzeit als Unterkunft dienen soll, einzurichten. Er weiß nicht, dass er sie so schnell nicht Wiedersehen wird. Am dritten Tag beginnt er sich Sorgen zu machen, zumal der erste Schnee fällt und es möglich wäre, dass der Wagen – wenn Susen damit schon unterwegs war – irgendwo stecken geblieben ist. Jim Kehoe macht sich am späten Nachmittag mit Widowmaker auf den Weg. Von seinem See, an dem die Ranch entstehen soll, bis zu Hotmillers Siedlung sind es etwa elf Meilen. Die Sicht ist schlecht. In dem Schneegestöber kann man kaum noch zehn Schritte weit sehen. Der auch bei gutem Wetter kaum erkennbare Pfad zum nördlichen Talende ist durch den Schnee fast verschwunden. Jim bemüht sich, auf diesem Weg zu bleiben. Er macht sich Sorgen, dass er im Schneetreiben vielleicht an Susen vorbeigeritten ist. Es dauert eine Ewigkeit – so scheint es ihm –, bis er die zehn oder elf Meilen zurückgelegt hat. Und als er dann die verkohlten Überreste von Hotmillers Siedlung sieht, weiß er sofort, dass Red Bull in Hotmillers Tal war, um sich Susen-Bell zu holen. Der »Kommandierende Kriegshäuptling« am Bozeman Trail hat sich für die Zeit, da die Blizzards sein Zelt umtoben und das Kriegsgeschäft für eine Weile stockt, Gesellschaft geholt.
Jim Kehoe hätte vom See aus die Rauchwolken der brennenden Siedlung sehen müssen, wenn der Schnee nicht so dicht gefallen wäre. Als er heranreitet, stößt er auf eine schweigende Versammlung. Es sind Hotmillers Leute – die Halbblutmänner mit ihren Frauen, die indianischen Christenfamilien. Sie haben ein großes Armeezelt aufgestellt und rings um die Zelte alle Waren und sonstigen Dinge aufgetürmt, die sie aus dem brennenden Magazin und den ebenfalls in Flammen aufgegangenen Häusern und Hütten retten konnten. Drinnen im Zelt sind Tote aufgebahrt. Hotmiller ist kaum zu erkennen, so schlimm ist er zugerichtet. Belle Arapahoe liegt friedlich da. Sie wirkt auch im Tod noch so schön wie zu Lebzeiten. Dann sind da noch drei tote Männer. Es waren Hotmillers zuverlässige Helfer, und sie kämpften auch für ihn. Jim Kehoe sieht die Menschen an. Einer der Indianer sagt in gutem Missionsenglisch: »Es war Red Bull. Er hatte etwa drei Dutzend Krieger bei sich. Wir glaubten alle, er wäre gekommen, um Handel zu treiben oder Medizin zu holen. Sie waren zuerst sehr friedlich. Aber dann wollte Red Bull Hotmillers Tochter sehen. Hotmiller lehnte das ab. Da sagte Red Bull, er solle gehorchen, sonst würde er sich sehr beleidigt fühlen und müsse ihn töten. Aber Mr Hotmiller ließ sich nicht einschüchtern. Er sagte Red Bull, dass er unter dem Schutze von Red Cloud stehe und dass Red Bull sich zum Teufel scheren möge. Susen-Bell habe inzwischen geheiratet und sei die Frau eines anderen Mannes, Red Bull könne sie also nicht mehr haben. Er hatte das kaum ausgesprochen, da hob Red Bull eine Schrotflinte, deren Läufe und Kolben abgesägt waren. Er brachte sie unter der roten Decke hervor, die er sich als Schutz gegen den Schnee umgehängt hatte. Er schoss beide Läufe auf Mr Hotmiller ab. Dann töteten sie Belle
Arapahoe, die sich den Revolver ihres Mannes aus dem Schnee griff, um auf Red Bull zu schießen. Sie töteten noch die anderen Männer, weil sie es wagten, für Mr Hotmiller zu kämpfen. Sie zündeten alles an und plünderten. Red Bull holte inzwischen Susen-Bell. Er nahm sie mit. Das ist alles, Mr Kehoe.« Jim hört alles wie aus weiter Ferne. Er glaubt, einen bösen Traum zu erleben. Einen kurzen Moment hofft er verzweifelt, aufzuwachen, um festzustellen, dass er alles nur träumte. Aber es gibt keinen Zweifel mehr an der schrecklichen Wirklichkeit, die sein kurzes Glück zerstörte. Er sieht die Menschen nacheinander an und fragt dann scharf: »Hat Red Bull erfahren, wessen Frau Susen-Bell ist? Weiß Red Bull, dass ich am Leben bin und mich nur am anderen Ende des Tales befand?« Sie schütteln die Köpfe. »Nein«, sagt ihr Sprecher, der das Englisch besser spricht als die primitiven Weißen dieses Landes. »Nein, Sir. Es ging alles sehr schnell. Red Bull hatte es wegen des jäh einsetzenden Schneefalls eilig. Er wollte nicht eingeschneit werden. Ich glaube nicht, dass er es weiß.« Jim Kehoe atmet auf. Denn nun weiß er, was zu tun ist. Er stellt noch einige Fragen. Das Schneegestöber lässt nach. Der Tag stirbt mit einem blutroten Sonnenuntergang. Dann kommt die Nacht. Es macht ihm nichts aus, dass er nicht nur gegen Red Bull, sondern zugleich gegen fünfhundert Rote zu Felde ziehen muss. Bevor er aufbricht, füllt er seine Satteltaschen mit wichtigen Dingen, die aus dem brennenden Magazin gerettet wurden. Er ist gut ausgerüstet. Und nie war er einem gefährlichen Schwarzwolf ähnlicher als jetzt.
Red Bulls Fährte ist zugeschneit. Sein Vorsprung ist groß. Jim Kehoe muss sich ganz auf seinen Verstand verlassen. Nur dieser kann ihm helfen, Red Bull zu finden. Sein Verstand sagt ihm, dass Red Bull irgendwo am Bozeman Trail sein Winterdorf haben muss. Natürlich wird es kein Winterdorf sein, wie es bei den Stämmen sonst um diese Jahreszeit üblich ist, sondern ein Kriegsdorf mit wenigen Frauen und keinen Kindern. Dieses Kriegsdorf gilt es zu finden, denn dort wird auch Susen-Bell sein. Als er an sie denkt, wird ihm heiß vor Angst. Er muss sich mit all seiner Kraft zwingen, einen kühlen Kopf zu behalten und der eiskalte, erfahrene Wolf zu bleiben. Heißer Zorn macht blind. Jim weiß das. Seine Gedanken arbeiten, während er Meile um Meile durch den Schnee reitet und seine Richtung beibehält, die ihn zum Bozeman Trail bringen muss. Er schätzt die Entfernung auf mehr als hundert Meilen, und er kann gut verstehen, warum es Red Bull so eilig hatte und sich nicht lange in Charly Hotmillers Tal aufhielt. Hundert Meilen her und hundert Meilen zurück, das sind zweihundert Meilen. Red Bull musste also den Bozeman Trail einige Tage verlassen. Und er weiß, dass er keinen Fehler machen darf. Deshalb strebt er wahrscheinlich in einem Gewaltritt zu seiner Kriegshorde zurück. Und Susen-Bell muss diesen Gewaltritt mitmachen. Red Bull wird sie gewiss halb tot in sein Dorf bringen. Und wenn Susen-Bell schlau ist, stellt sie sich eine Weile todkrank. Damit rechnet Jim Kehoe fest. Außerdem weiß er, dass Susen-Bell mit ganzer Kraft auf seine Hilfe hofft. Der Gedanke an ihn wird das Einzige sein, was sie davon abhält, sich vor Verzweiflung das Leben zu nehmen.
Er darf sie nicht dadurch im Stich lassen, dass er wie ein alter Hammel in eine Falle rennt und sich den Skalp abziehen lässt. Aber wie soll er an das Kriegsdorf herankommen, ohne bemerkt zu werden? So ein Camp ist wie ein Wespennest, um das die Wespen herumschwirren. Jim Kehoe denkt daran, dass er zu einem Viertel ein Comanche ist, mitten zwischen Sioux, Cheyennes und Arapahoes aufwuchs und ihre Sprache und Gebräuche kennt. Im Winter, wenn sie alle bekleidet sind, sodass man nur wenig von ihrer Haut sieht, könnte er sich durchaus in einen Sioux verwandeln. Er müsste nur die entsprechende Kleidung haben. Sein Haar trägt er ohnehin sehr lang unter seinem Hut. Unter einer Kriegshaube oder Fellmütze, wie die Roten sie im strengen Winter tragen, kann man nicht erkennen, dass sein Haar kürzer ist als das eines Sioux. Als Jim Kehoe mit seinen Gedanken so weit ist, weiß er, was er tun muss. Er überlegt, wo er so schnell den richtigen Sioux findet, der seine Größe hat. Es muss ein unbekannter Krieger sein, der von weither gekommen ist und im Kriegsdorf weder Freunde noch Bekannte hat. * Obwohl der stellenweise sehr tiefe Schnee das Vorwärtskommen erschwert, legt Jim Kehoe in der hellen Nacht eine weite Strecke zurück. Als es Tag wird, stößt er auf die ersten Fährten, die nach dem Schneefall entstanden sind. Es sind nicht die Spuren von Red Bull und dessen Horde – nein, es sind die Fährten einzelner Späher oder Jäger, die das Kriegsdorf umschwärmen
wie Wespen ihr Nest, die alles auskundschaften, Nahrung bringen und Augen, Ohren und Jäger des Kriegsdorfes sind. Obwohl dieses Jahr die Büffeljagd noch einmal gut war und die Roten große Vorräte besitzen, schätzen sie frisches Fleisch von Elchen und anderem Großwild. Jim Kehoe zieht sich mit seinem erschöpften Widowmaker auf einen Hügel zurück, von dem aus er eine weite Sicht in die Runde hat. Dass sein Pferd beschlagene Hufe hat und dass rote Späher auf seine Fährte stoßen könnten, beunruhigt ihn kaum. Viele Indianer reiten Beutepferde, deren Hufe Eisen tragen. Ein Mann wie Jim Kehoe versteht es auch, sich im Schnee warm zu halten und trotz der kalten Witterung im Freien Schlaf und Erholung zu finden. Er wagt es, einige Stunden zu schlafen, und verlässt sich dabei ganz auf seinen Wallach. Gegen Mittag schnaubt Witwenmacher leise. Kehoe ist sofort wach und entdeckt schon bald, was den Wallach zum warnenden Schnauben veranlasst hat. Es sind drei Indianer. Sie kommen aus der Richtung des Wagenweges herüber. Kehoe kann sich ausrechnen, wann sie auf seine Fährte stoßen. Dann werden sie dieser Spur vielleicht auf den Hügel folgen, weil sie hoffen, auf einen Stammesgenossen zu treffen, oder herausfinden wollen, wer diese Fährte hinterließ. Jim Kehoe handelt schnell. Er läuft dort den Hügel hinunter, wo Büsche und Sträucher seine Fußspur verbergen. Erst an der Basis des Hügels wendet er sich der Hufspur seines Wallachs zu. Er gebraucht also einen recht alten Trick, schlägt einen Bogen und kehrt zu seiner eigenen Fährte zurück. Dennoch sind die alten Tricks immer wieder die besten, zumal die drei roten Späher wahrscheinlich ohne besonderes Misstrauen kommen.
Jim Kehoe steht leicht geduckt hinter verschneiten Tannen. Die Hufspur von Widowmaker ist etwa sechs Schritte vor ihm im Schnee. Er muss nicht lange warten, bis sie kommen. Jim hatte es also richtig vorausgesehen. Sie waren auf seine Fährte gestoßen und folgen dieser nun auf den Hügel. Kehoe schnauft bitter. Er ist sich darüber klar, was geschehen muss. Er hat keine andere Wahl. Er knöpft seine Lammfellmütze auf und macht seine beiden Revolver frei. Es sind zwei erstklassige Waffen, ein Geschenk Charly Hotmillers. Dicht vor Kehoes Versteck halten die Indianer an. Es sind Oglalas. Jim kann ihre Sprache sprechen wie seine Muttersprache. Deshalb versteht er jedes Wort. Einen der Roten kennt er sogar. Es ist Gelbspecht, ein älterer, erfahrener Krieger, dessen helle Hirschlederkleidung sich nur wenig vom Schnee abhebt. So einen Anzug trägt nur ein Mann, der mehrere Frauen besitzt, sodass eine davon ihre ganze Zeit darauf verwenden kann, solches »Luxusleder« herzustellen und »Maßanzüge«, verziert mit wundervollen Stickereien und eingefärbten Mustern, anzufertigen. Gelbspecht starrt auf die Fährte und wartet, bis seine beiden Begleiter rechts und links aufgeschlossen haben. Dann spähen sie zum Hügel hinauf. »Es muss ein sehr großes Pferd sein«, sagt Gelbspecht. »Ich kenne nur ein einziges Pferd, das so große Schritte macht. Aber wahrscheinlich gibt es noch zwei oder drei ähnliche Tiere zwischen dem Platte River und dem oberen Missouri. Wir müssen nachsehen, wer auf diesem Gaul sitzt. Kommt!« Jim Kehoe tritt nun zwischen den Tannen hervor. Sie entdecken ihn zu gleicher Zeit, zucken zusammen und blicken erst einmal blitzschnell in die Runde. Dann richten sie ihre leicht schräg gestellten Augen auf ihn – glitzernd, lauernd, gefährlich.
»Bist du nicht Schwarzwolf?«, fragt Gelbspecht staunend. »Hast du nicht in French Charlys altem Handelscamp im Grab gelegen? Oder hat ein böser Geist dich wieder lebendig gemacht?« »Wenn er Schwarzwolf ist«, sagt einer der beiden anderen Krieger, »so wollte ihn Wakan Tanka nicht länger im Ewigen Schattenreich haben. Wir müssen ihn noch einmal töten. Aber diesmal wird ihn keiner in ein Grab legen. Yunke Lo wird seine Seele fressen, und so wird sie nicht vergebens in Wanagi Yata um Einlass bitten.« Nach diesen Worten treiben sie ihre hageren Mustangs an. Sie wollen Jim Kehoe niederreiten, und sie glauben, dass er sie, wenn sie sich so schnell bewegen, nicht treffen kann. Überdies schleudern sie ihre Kriegskeulen, die sie blitzschnell von den Sattelhörnern nahmen. Sie schaffen es nicht, doch sie hatten auch noch niemals mit einem Mann zu tun, der so schnell und sicher schießen kann. Gelbspecht stirbt zuerst. Er stirbt noch im Sattel seines Pferdes. Den zweiten Krieger erwischt es in dem Moment, da er sich vom Pferd werfen will, um von unten Jim Kehoes Beine zu packen. Als der dritte Krieger sein Gewehr hochreißt, trifft eine Kugel sein Herz. Und mit einer Unze heißem Blei im Herzen kann auch der wildeste Oglala-Krieger nicht mehr richtig zielen. Dann ist alles vorbei. Jim Kehoe arbeitet sich keuchend zum Hügel hinauf. Er wartet dort eine volle Stunde, bis er sicher sein kann, dass die Schüsse nicht gehört wurden und er nicht mit weiteren Besuchern rechnen muss. Dann geht er wieder hinunter, um sich als Indianer zu verkleiden.
Auf Gelbspechts noble Hirschlederkleidung verzichtet er, denn er kann sich ausrechnen, dass dieser Anzug unter den Roten bekannt ist. Jim begnügt sich mit den Wolfspelzen und den Wintermokassins der anderen Toten und einer hellen Decke aus der Wolle von Wildschafen. Viele Krieger sind im Winter so gekleidet. Er überlegt dann eine Weile, ob er vielleicht doch auf Widowmaker verzichten und einen der drei Mustangs nehmen soll. Doch er kann sich von Witwenmacher nicht trennen. Überdies ist der Wallach jetzt in seinem Winterfell sehr viel zottiger. Vielleicht erkennt man ihn deshalb nicht sofort. Es ist Nachmittag, als er auf der Fährte der drei Indianer in Richtung zum Bozeman Trail davonreitet. Er hat sich Kriegsfarben ins Gesicht gemalt. Dieses dunkelbraune, kühn geschnittene Gesicht ist unter den Farben kaum als das Gesicht eines Weißen erkennbar. Kehoes Augen sind leicht schräg gestellt, und für dieses Erbe seiner Comanchen-Großmutter ist er jetzt besonders dankbar. * Der kurze Wintertag geht schon dem Ende zu, als Kehoe endlich auf den Wagenweg nach Montana stößt. Er kann im letzten Dämmerlicht des sterbenden Tages noch eine Menge Fährten erkennen, und diese Fährten erzählen ihm viel. Er befindet sich noch weit nördlich der Gegend, in der er Red Bull und dessen Kriegshorde vermutet. Der Wind kommt von Norden, und als Kehoe seinen Wallach herumzieht, um diesem Wind den Rücken zu drehen und nach Süden zu reiten, bekommt seine Nase plötzlich eine feine Witterung.
Zuerst glaubt er, sich zu täuschen. Er nimmt an, dass es an der indianischen Kleidung liegt, die er trägt und aus der ihm allerlei Gerüche in die Nase steigen. Aber er will es genau wissen. Er dreht Witwenmacher gegen den Wind und reitet ein Stück nach Norden. Nachdem er etwa hundert Yards hinter sich gebracht hat, kommt er auf den Kamm einer kleinen Bodenwelle, hinter dem sich der Wagenweg in eine tiefe Senke mit einigen Felsengruppen schlängelt. Zwischen einer dieser Felsengruppen kann er sehen, was er bisher nur roch: ein Feuer! Dort unten zwischen den Felsen brennt ein Feuer. Es ist groß, fast so groß, dass man einen Büffel darüber braten könnte. So ein Feuer machen ahnungslose weiße Männer, denen es kalt ist und die nicht frieren möchten. Oder Indianer, die sich in ihren Jagdgründen sicher fühlen. Kehoe tippt auf Weiße. Das sagt ihm sein untrügliches Gefühl. Zum Teufel, denkt er, was sind das denn nur für Narren? Sind sie denn wahnsinnig, hier am Bozeman Trail, den die Indianer beherrschen, ein solches Festfeuer anzuzünden. Soll er sie warnen? Kann er das wagen? Jim zögert. Er hat Sorgen genug, und er will sich ganz und gar auf Susen-Bells Rettung konzentrieren. Und dennoch – je länger er nachdenkt, umso deutlicher erkennt er, dass er nicht einfach davonreiten kann. Es ist seine Christenpflicht, diese Narren dort am Feuer zu warnen – selbst dann, wenn das Camp schon eingekreist ist und die Roten nur noch darauf warten, dass sie die Dummköpfe im Schlaf überrumpeln können.
Sioux greifen nur bei Nacht an, wenn sie sehr sicher sind, ihr Leben nicht zu riskieren. Sie glauben nämlich, dass bei Nacht die Seelen der Gefallenen nicht den Weg zum Sammelplatz aller Seelen, Wanagi Yata genannt, finden und dann ewig umherirren müssen. Kehoe entschließt sich, zu dem Feuer zu reiten. Er denkt dabei an Susen-Bell, die er liebt und die er retten will. Wird er sich verzeihen können, wenn er hier seine Zeit verschwendet? * Er reitet einen Viertelkreis um die Felsengruppe herum, in der das Feuer brennt. Dann verhält er im Schutze von Tannen und beobachtet noch einige Minuten die Umgebung. Als er absitzt, ist es nur eine Laune, die ihn veranlasst, im Oglaladialekt zu seinem Wallach zu sprechen: »Warte hier, mein Bester. Ich will mir die Dummköpfe dort am Feuer ein wenig ansehen. So ein Feuer können nur dumme Wasicuns machen, denen Wakan Tanka den Verstand raubte, damit es seine roten Söhne leichter haben, ihnen die Schädel einzuschlagen.« Als er verstummt, ist ihm auch schon klar, dass er unwahrscheinliches Glück hat, denn aus dem Schatten der Tannen sagt eine kehlige Stimme: »Das war dein Glück, Bruder. Ich wollte dir gerade den Pfeil in den Rücken jagen. Warum gibst du nicht das Zeichen, dass du zu uns gehörst?« Kehoe ist einen Moment wie erstarrt. Doch er fängt sich schnell und sagt: »Ich gehöre nicht zu euch – noch nicht. Ich komme weit von Norden her vom Yellowstone. Dort hörte ich, dass Red Bull Krieger sammelt. Ich will zu ihm. Gehörst du zu seinen Kriegern?«
Die Worte kommen glatt über seine Lippen. Und seine Aussprache ist die eines echten Sioux. Trotzdem klopft sein Herz laut, und er denkt: Hey, was bin ich doch für ein Narr. Warum habe ich mich nur auf diese Sache eingelassen, statt mich um Susen zu kümmern? Sein Gesprächspartner, der ihn fast mit einem lautlosen Pfeil getötet hätte, lacht leise. »So, aus dem Yellowstone-Land kommst du? Das ist ein weiter Weg. Red Bulls Ruhm ist also bis zu den Dörfern am Yellowstone gedrungen. Das ist gut! Er wird der größte Häuptling aller Zeiten werden. Er verdient es, dass die Krieger aller Stämme zu ihm eilen, denn er wird sie einig machen, so einig wie ein Bündel Pfeile, die man einzeln brechen kann, doch nicht gebündelt. Komm her zu mir, Bruder. Wie ist dein Name?« »Ich bin Tokeya aus dem Dorf von Fleckschwanz«, erwidert Kehoe. Tokeya bedeutet Fuchshund, »Fleckschwanz will den Frieden noch erhalten«, fügt er hinzu. »Deshalb laufen ihm immer mehr Krieger fort.« Inzwischen hat er den anderen erreicht, drängt sein Pferd neben ihn und versucht, ihn zu erkennen. Doch zwischen den verschneiten Tannen ist es dunkel. Sie sind auch zu weit vom Feuer entfernt, aber Jim Kehoe kann trotzdem erkennen, dass sein Gegenüber ein großer, hagerer Bursche ist, ein richtiger Prärie-Sioux. »Wer bist du, Bruderherz?«, fragt Kehoe den Roten. »Furchteinflößer«, sagt dieser. »Ich bin Furchteinfloßer, und Red Bull ist mein Vetter. Ich bin Red Bulls verlässlichster Helfer. Halte dich nur an mich, Fuchshund. Du bist willkommen. Wir haben uns schon oft gefragt, warum ihr dort oben im Norden nicht Fort Buford angreift, das große Fort am Zufluss des Yellowstone in den Big Muddy, den die Weißen Missouri nennen.« »Fleckschwanz will keinen Krieg«, murmelt Kehoe und wagt es dann, endlich auf die ihn brennend interessierenden
Dinge zu sprechen zu kommen. Nach der von Red Bull geraubten Frau fragt er nicht, denn davon kann er als Fuchshund aus dem Norden nichts wissen. »Was ist mit diesen Wasicuns dort am großen Büffelfeuer?«, will er wissen. Furchteinflößer stößt einen schnalzenden Laut aus, der seine ganze Verachtung ausdrückt. Dann sagt er: »Das sind Dummköpfe aus dem Norden. Sie suchten dort nach dem gelben Zeug, das sie Gold nennen. Nun sind sie auf dem Heimweg nach Kansas. Dort wird ihre Gemeinschaft sich auflösen. Jeder von ihnen will seinen Heimweg allein fortsetzen. Sie sind eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft. Ich war ihnen vorhin ganz nahe und konnte ihre Unterhaltung hören. Ich verstehe die Sprache der Wasicuns gut.« »Ich auch«, sagt Kehoe. »Und wie soll es nun weitergehen?«, fragt er gelassen. Furchteinflößer stößt wieder jenen schnalzenden Laut aus, mit dem er wohl stets seine Verachtung ausdrückt. »Ich war mit Wolf-der-den-Mond-anbellt auf einem Spähritt«, erklärt er. »Als wir sie kommen und das Feuer anmachen sahen, belauschten wir sie und stellten fest, dass sie gut bewaffnet sind. Nun ist Wolf-der-den-Mond-anbellt zurück zu Red Bull, um hundert Krieger zu holen. Wenn im Morgengrauen die Nacht stirbt und es besonders kalt ist, fallen wir von allen Seiten über sie her wie die Wölfe über einen Elch.« Jim Kehoe weiß nun Bescheid. »Wie viele sind es?«, fragt er noch, doch er tut es nur, um Furchteinflößer abzulenken und zu beschäftigen. »Zweimal zehn und vier«, erwidert der Rote. Vierundzwanzig also. Zwei Dutzend denkt Jim Kehoe. Dann schlägt er Furchteinflößer den Gewehrlauf mitten auf den Kopf und fegt ihn mit einem zweiten Hieb vom Pferd.
Furchteinflößer verschwindet fast in dem tiefen Schnee. Er bewegt sich nicht mehr. Jim Kehoe fängt das Pferd, bevor es fortlaufen kann. Darin reitet er auf die Felsen zu, zwischen denen das Feuer brennt. »Hoiii, ihr da am Feuer!«, ruft er scharf. Sein Ruf wird sofort gehört. Die Goldsucher aus Montana mögen zwar leichtsinnig sein und so schrecklich frieren, dass sie dieses Feuer anzündeten, schwerhörig sind sie nicht. »Wir hören dich, Bruder in der Nacht«, erwidert eine harte Stimme. »Komm her und lass dich ansehen!« Jim Kehoe zögert nicht. Dann sagt er: »Lasst euch nicht durch mein Äußeres täuschen. Ich bin als Indianer verkleidet. Doch ich bin ein weißer Scout aus Fort Phil Kearney.« Nach diesen erklärenden Worten reitet er weiter. Als er in dem Feuerschein zwischen den Felsen auftaucht und sie ihn zu Gesicht bekommen, fluchen einige von ihnen, und fast alle schnappen nach den Waffen, falls sie diese nicht ohnehin schon in den Händen halten. Dann betrachten sie ihn und staunen. Ihrer Meinung nach sehen sie einen mit Kriegsfarben bemalten Vollblut-Sioux auf einem zottigen, narbigen Kriegspferd. Es ist still. Nur die Flammen des Feuers fressen knisternd am Holz. In die Stille sagt eine harte Stimme: »He, Freund, wenn du keine verdammte Rothaut bist, dann sag mir schnell, wer Jefferson Davis war. Das muss ein Weißer doch wohl wissen, nicht wahr?« Jim Kehoe grinst. Der Mann ist seiner Aussprache nach Südstaatler. Kehoe sagt lässig: »Die Staaten Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana, Texas, Virginia, Arkansas, Nord-Carolina und Tennessee traten im Laufe des Frühjahrs
achtzehnhunderteinundsechzig aus der Union aus und schlossen sich mit Süd-Carolina als ›Konföderierte Staaten von Amerika‹ zu einem unabhängigen, selbstständigen Staatenbund zusammen. Ihr Präsident war Jefferson Davis. Er residierte zunächst in der Hauptstadt Montgomery, dann in Richmond, Virginia. Zufrieden, Mister Tex?« Die Männer staunen. Dann brummt eine andere Stimme, die ebenfalls einem Texaner gehört: »Heiliger Rauch, es ist unglaublich, dass dieser Bursche da keine Rothaut sein soll. Aber was er uns eben sagte, kann nur ein Weißer wissen. Ich bin bereit, zu glauben, dass er wirklich ein verkleideter Scout aus Fort Phil Kearney ist.« »Vielleicht – vielleicht auch nicht. Vielleicht ist er nur ein verdammter Renegat, der helfen will, uns auszuplündern!«, ruft eine dritte Stimme warnend. Es ist eine Stimme, der man anhört, dass ihr Besitzer sehr leicht jähzornig und hitzköpfig reagiert. Jim Kehoe starrt über das Feuer hinweg auf den Sprecher. Dann tippt er mit dem Zeigefinger leicht gegen seine Stirn. »Als ich dieses Höllenfeuer brennen sah«, sagt er, »dachte ich mir schon, dass ein paar Nummern unter euch sein müssen, die hier drinnen einen Vogel herumflattern haben und überhaupt nicht merken, wenn an ihren Hosen keine Knöpfe mehr sind. Und dabei solltet ihr vorsichtiger sein als ein Eichhörnchen vor einem kalten Winter. Jungs, ich musste vor wenigen Minuten einen Indianer erschlagen. Und der Partner dieses Burschen ist unterwegs zu Red Bull. Dieser Gent sperrt mit mehr als fünfhundert Kriegern den Bozeman-Weg, damit Fort Phil Kearney keinen Nachschub mehr bekommt. Ich glaube nicht, dass er diesen Weg in Richtung Laramie für euch öffnet. Wenn ihr im Morgengrauen noch hier seid, dann fallen sie mit hundert Kriegern über euch her. Nur das wollte ich euch sagen. Und nun könnt ihr tun, was ihr wollt. Ich habe meine
eigenen Probleme. Bevor ich mich verabschiede – habt ihr noch irgendwelche Fragen?« Sie starren ihn immer noch an. Einige von ihnen grinsen, sie sind hartbeinige, haarige Burschen aus dem Goldland. Wahrscheinlich haben sie das letzte Dampfboot verpasst und können nicht mehr von Great Falls den Big Muddy abwärts. Und da sie vor Weihnachten zuhause sein wollen, machten sie sich auf den Weg über Land. Dass sie in so großer Zahl sind, hat einen einfachen Grund. Sie mussten stark sein, um sich gegen die Banditen des Goldlandes zu behaupten. Kleinere Goldgräbergemeinschaften, die mit ihrer Ausbeute das Goldland verlassen wollen, kommen kaum ungerupft davon. Die starke Mannschaft kam bis hierher, und nun sind die Männer gar nicht so sonderlich davon beeindruckt, dass hundert Sioux über sie herfallen wollen. Eine spröde Stimme sagt wild: »Dann sollen sie doch kommen, die roten Schufte. Wir können einen ganz netten Zauber veranstalten, Lederstrumpf.« Jim Kehoe sieht in die harten Gesichter und begreift, dass diese Mannschaft hier vielleicht gar nicht aus Dummheit ein großes Feuer anzündete. Das hier sind zumeist Südstaatler, vielleicht etwas zu großspurig und zu selbstsicher, doch ganz bestimmt gefährlich. Die vierundzwanzig Coltmänner sind gewiss besser bewaffnet als hundert Soldaten. Deshalb kam es ihnen nicht in den Sinn, dass sie sich hier am Bozeman-Weg vor etwas fürchten müssten. Kehoe grinst. Er hebt salutierend die Hand und sagt dann pulvertrocken und mit beißendem Sarkasmus: »Ich ehre die glorreiche Konföderiertenarmee, und ich bezweifle nicht, dass sie großartig war und ungeschlagen geblieben wäre, wenn es ihr zuletzt nicht an Munition und allen anderen notwendigen Dingen gemangelt hätte, wenn es die Blockade nicht gegeben
hätte und wenn sie zahlenmäßig nicht so unterlegen gewesen wäre. Hey, ich ehre euch, ihr stolzen Rebs! Aber ich sage euch trotzdem, dass Red Bulls haarige Jungs euch bald die Schädel einschlagen werden. Wenn es hundert nicht schaffen, dann bestimmt zweihundert oder dreihundert. Reitet nach Fort Phil Kearney zurück. Oder fahrt zur Hölle! Ich habe die Ehre, Gentlemen! Glaubt ihr, ich wäre euer Kindermädchen? « Er zieht sein Pferd herum, lässt das andere Tier einfach stehen und reitet davon. »Es ärgert dich wohl, Lederstrumpf, dass wir uns nicht in die Hosen gemacht haben?«, ruft eine grimmige Stimme hinter ihm her. Aber er gibt keine Antwort. Er reitet wortlos in die Nacht. Seine Pflicht hat er erfüllt. Er hat dieses Camp gewarnt. Nun muss er sich beeilen. * Er hält sich jetzt mitten auf dem Wagenweg, dessen Schneedecke nicht mehr ohne Spuren ist. Natürlich geht er ein Risiko ein. Aber er fühlt sich sicher. Furchteinflößer hatte ihn für einen echten Stammesgenossen aus dem Norden gehalten. Und die Weißen im Camp musste er erst mit seinen guten Geschichtskenntnissen überzeugen. Bei seinem Aussehen hätte er ihrer Meinung nach auch ein gut Englisch sprechender Roter sein können. Er vertraut also darauf, dass er in dieser Nacht auch noch alle anderen Roten täuschen kann. Nachdem er etwa drei Meilen südwärts geritten ist, kommt ihm die starke Kriegshorde entgegen. Es sind tatsächlich an die hundert Krieger. Die Nacht ist kalt, und so haben sie sich in Wolfsfelle oder Decken gehüllt
und ihre Fellmützen oder Kriegshauben tief in die Gesichter gezogen. Ihre Mustangs haben zottiges Winterfell und wirken fast alle gleich, so bunt und unterschiedlich sie auch sonst erscheinen. Als sie ihn mitten auf dem Weg erkennen, halten sie an. Er ist innerlich ganz ruhig und hat das sichere Gefühl, dass ihm alles gelingen muss, weil heute seine Glücksnacht ist. Er glaubt nicht, dass Red Bull diese Horde selbst führt. »Ich sprach schon mit Furchteinflößer«, sagt er. »Ihr braucht euch nicht zu beeilen. Die dummen Wasicuns sind noch an ihrem großen Feuer. Ich bin Tokeya vom Yellowstone. Ich will zu Red Bull. Ist er bei euch?« »Nein, Bruder«, sagt einer aus der Horde. Jim kennt ihn flüchtig. Es ist Büffelmesser, ein berühmter Krieger, den man oft zum Anführer für Kriegszüge wählt. Wahrscheinlich hat man ihn auch für den Angriff auf das Camp am Feuer zum Anführer gewählt. »Red Bull ist in unserem Kriegsdorf, sieben Meilen von hier östlich des Bozeman-Pfades«, sagt Büffelmesser und reitet wieder an. Jim Kehoe macht ihnen höflich Platz und ruft ihnen nach, dass es gewiss sehr leicht sei, den Wasicuns die Skalps zu nehmen, und dass er gerne dabei wäre, wenn er sich und seinem Pferd nach dem langen Weg vom Yellowstone nicht bald Ruhe gönnen müsste. Sie hören seine Worte, und einer der Krieger ruft tröstend: »Howgh, Vetter vom Yellowstone, du wirst schon noch genug Wasicuns töten können. Es gibt viele davon.« Jim Kehoe blickt ihnen nach. Ihre Pferde trampeln den Schnee zusammen. Er kann ihrer Fährte zum Kriegsdorf folgen. Widowmaker wird es etwas leichter haben. Jim glaubt nicht, dass die vierundzwanzig Goldgräber ihr Camp abgebrochen haben, und er denkt: Diese Texaner und ihre anderen Vettern aus dem Süden haben seit Alamo einen
Knall. Sie müssen überall durchhalten. Sie können nicht verwinden, dass sie den Krieg verloren haben, und das zwingt sie zu sturem Durchhalten. Oha, sie werden das Feuer brennen lassen und sich auf die Lauer legen. Die rote Horde wird schwere Verluste erleiden. Nach diesen Gedanken setzt er seinen Weg fort. Seinem Wallach hat die kurze Verschnaufpause gut getan. Da er jetzt auch nicht mehr durch den hohen Schnee muss, sondern der festgestampften Bahn folgen kann, wird er die sieben Meilen noch schaffen. Als Jim Kehoe das Kriegsdorf sieht, scheint der Mond. Allein die klaren Sterne verraten schon, wie bitterkalt die Nacht geworden ist und dass sie noch kälter werden wird. Das Kriegsdorf befindet sich zu beiden Seiten eines Creeks in einem schmalen Tal zwischen zwei fast bis zum Creek reichenden Tannenwäldern. Es ist ein gut vor den Unbilden des Winters geschützter Platz, zumal das Tal mehr als ein halbes Dutzend Zugänge zu haben scheint. Die kleinen Tipis ducken sich im Schutz der verschneiten Tannen. Und weil es ein Kriegsdorf ist, sind dicht neben jedem Tipi die Pferde der Bewohner angebunden, sodass diese binnen Sekunden aufsitzen können. Da und dort brennen große Feuer, an denen Krieger sitzen oder Frauen arbeiten, denn auch in einem Kriegsdorf gibt es genügend Frauen für die Arbeit. Und fast jeder große Krieger hat seine Lieblingsfrau bei sich. Ein paar Hunde springen dem späten Ankömmling entgegen. Sie bellen oder knurren böse, wollen Widowmaker an die Fesseln und Jim Kehoe an die aus den Steigbügeln ragenden Fersen. Aber er brüllt ihnen wie ein echter Oglala zu, dass er ihnen die Bäuche aufschneiden und sie über dem Feuer braten würde, wenn sie nicht sofort friedlich wären.
Diese Sprache verstehen sie, damit weist Jim sich aus. Überdies trägt er Kleidung, deren Witterung sie kennen. Sein lautes Schimpfen hat auch schon die beiden Wächter am Feuer überzeugt, dass er kein fremder Eindringling ist. Das Feuer brennt am Eingang des Dorfes. Jim hätte natürlich versuchen können, sich von der Seite her durch den Tannenwald zu nähern. Doch die Hunde stöbern mit Sicherheit jeden, der in die Nähe des Dorfes kommt, auf. Jim hätte auch in diesem Falle irgendwelchen Wächtern Rede und Antwort stehen müssen. Er hält beim Feuer an und wirkt auf die beiden Wächter wie ein grimmiger Winterriese aus dem Norden. Er und sein großer Wallach sind mit Eis und Schnee bedeckt. Der Wallach ist erschöpft. Man sieht ihm den weiten Weg an. »Ich bin Tokeya und komme vom Yellowstone«, sagt Kehoe kehlig. »Vorhin traf ich Furchteinflößer und Büffelmesser. Sie werden einen großen Sieg erringen. Aber jetzt sagt mir, wo ich mich von meinem weiten Weg ausruhen kann und wo mein Pferd und ich Nahrung finden. Es kommen noch viele von uns Yellowstone-Oglalas. Ich soll es euch schon ankündigen.« Als er verstummt, nicken die beiden Wächter zufrieden. Sie haben nicht den geringsten Zweifel daran, dass Jim ein riesenhafter Oglala aus dem Norden ist. Einer von ihnen wendet leicht den Kopf und ruft einen Namen. Darauf kommt ein Junge aus dem Tipi. Er mag etwa zwölf oder dreizehn Jahre zählen. In diesem Alter schließen sich die Jungen den Kriegern an, um möglichst viel zu lernen. »Das ist Im-Wald-Geborener«, sagt der Wächter. »Er steht dir zur Verfügung.« Kehoe nickt.
Dann folgt er dem Indianerjungen, dessen Name noch kein Kriegsname ist, sondern sein Erstname, den er bald ablegen wird – vielleicht schon im kommenden Sommer. Der Junge führt ihn durch das Dorf und schwenkt nach Süden ab. »Dies ist dein Tipi, Tokeya«, sagt der Junge. »Ich werde ein Feuer anmachen und dein Pferd versorgen. Es ist ein Pferd der Wasicuns. Hast du es im Kampf erbeutet oder gestohlen?« »Seit wann stellt ein Junge einem Krieger Fragen?«, grollt Kehoe drohend, denn er weiß, wie man sich benehmen muss, wenn man ein großer Krieger ist und mit einem Jungen redet, der noch keinen Kriegernamen hat. Der Junge zuckt zusammen. »Sobald du mein Pferd versorgt hast und das Feuer brennt, schaff mir Essen herbei!«, befiehlt Jim barsch. Dann geht er in das Tipi, in dem es bitterkalt ist. Es ist ein Tipi für vier Krieger, aber keiner der Schlafplätze ist belegt. Man hat ihm also ein leeres Tipi gegeben. Wahrscheinlich wird er in dieser Nacht keine Gesellschaft mehr bekommen. Er glaubt nicht, dass bei diesem Schnee noch weitere Krieger zu Red Bull stoßen. Jim Kehoe hockt sich nieder, wickelt sich in seine erbeutete Decke und wartet. Die Müdigkeit strömt durch seine Glieder, und der Hunger macht ihn schwach. Aber so groß seine körperliche Erschöpfung auch sein mag, seine Gedanken sind ruhelos. Dass er sich hier als Indianer mitten in die Kriegshorde geschlichen hat, ist ein geradezu einmaliges Meisterstück von einem Scout. Doch sein Aussehen, unterstützt durch die Kriegsbemalung und die Winterkleidung, macht ihn einem nördlichen Sioux sehr ähnlich. Er ist unter Sioux, Cheyennes und Arapahoes aufgewachsen und spricht deren Sprache und Dialekte wie seine eigene Muttersprache.
Und in diesem Kriegsdorf sind die Krieger vieler Stämme und Dörfer versammelt. Hier kennen sich viele untereinander nicht oder nur sehr flüchtig, und das ist für Jim ein großer Vorteil. Während er frierend und erschöpft darauf wartet, dass der Junge ins Tipi kommt, um das Feuer anzumachen, denkt er noch einmal über alles nach. Ihm kommt erst jetzt richtig zu Bewusstsein, was er gewagt hat. Er gleicht einem Mann, der den Kopf in den Rachen eines Ungeheuers gesteckt hat. Nun muss er es mächtig schlau anstellen, wenn er den Kopf wieder heil herausbekommen will – und nicht nur seinen Kopf, sondern auch seine Frau Susen-Bell. Eines wird ihm klar: So müde und erschöpft er auch ist, er muss es diese Nacht noch riskieren. Morgen würde er vielleicht von einem der Krieger erkannt werden. Es ist auch anzunehmen, dass Red Bull den Neuen sehen will, um ihn auszufragen. Nein, nach Tagesanbruch kann er in diesem Spiel keinen Stich mehr machen. Er blickt auf, als der Junge mit einem brennenden Span und einem Arm voll Holz hereinkommt und schnell Feuer entfacht, das bald schon seine Wärme von den Büffelfellwänden des Zeltes abprallen lässt. Der Junge blickt ihn neugierig an. Jim erwidert den forschenden Blick fest. Er weiß zu gut, dass dieses halbe Kind sich wünscht, einem großen und berühmten Krieger zu dienen. So ein Junge ist dann nicht weniger stolz als der Knappe eines Ritters. Dann verschwindet er und kommt schon bald mit einem guten Essen zurück. »Es ist Büffelhöcker«, sagt er. »Biberfrau hat ihn zubereitet. Sie ist meine Tante. Seit sie ihren Mann und beide Söhne verlor, sorgt sie für die frauenlosen Krieger. Sie kocht für vier Tipis. Was kann ich noch tun, Tokeya?«
Kehoe wartet einen Moment. Erst prüft er den Büffelhöcker. Dann murmelt er: »Setz dich nieder, und erzähl mir, was ich über dieses Kriegsdorf wissen muss. Wo ist Red Bull? Wo finde ich sein Tipi? Wer kommt in der Rangfolge nach ihm? Wie viele Squaws sind im Dorf? Erzähle!« Er beginnt Stücke vom Büffelhöcker abzuschneiden. Das Fleisch ist mit Kräutern und Gewürzen zubereitet worden. Es schmeckt köstlich. Während er isst, berichtet der Junge: »Red Bull ist unser Häuptling. Nach ihm kommt Büffelmesser, und nach diesem ist Furchteinflößer der wichtigste Krieger. Wir haben fünfzig Frauen im Dorf. Früher brachte ich auch Furchteinflößer Pferd und Kriegslanze. Aber seit einigen Wochen besitzt er eine weiße Squaw. Er hat viel Mühe gehabt, ihr beizubringen, was die Squaw eines Kriegers tun muss. Er hatte große Geduld mit ihr, und oft genug musste er sie prügeln. Aber jetzt ist sie eine gute Squaw. Ich war gerne Furchteinflößers Helfer. Er ist ein großer Krieger. Bist du auch so berühmt und geachtet? Deinen Namen hörte ich noch nie an den Feuern der Sioux, wenn Geschichten von den Großen erzählt wurden.« Kehoe unterdrückt ein bitteres Grinsen. Oh, er versteht den Jungen sehr gut. In diesem Lager gibt es sie gewiss zu Dutzenden, und jeder von ihnen möchte den berühmtesten Kriegern dienen, denn danach richtet sich auch sein eigenes Ansehen. »Ich kenne Furchteinflößer«, murmelt er. »Und ich möchte dir sagen, dass ich ihn schon einmal besiegt habe. Bist du nun zufrieden, Im-Wald-Geborener?« Der Junge reißt die Augen auf. Furchteinflößer ist wahrscheinlich ein Krieger, den so leicht kein anderer schlagen kann. Dass Furchteinflößer inzwischen tot ist und im tiefen Schnee steckt, kann Jim Kehoe natürlich nicht sagen. »Hat Red Bull auch eine Squaw in seinem Zelt?«, fragt er nun.
Der Junge nickt heftig. »Seit einigen Stunden. Er holte sie von sehr weit her. Sie fiel vor Erschöpfung vom Pferd. Sie ist zur Hälfte eine Weiße. French Charlys Tochter. Red Bull war fünf Tage im Sattel, um sie zu holen und ins Dorf zu bringen. Sie ist schön. Vielleicht wird sie morgen ausgeruht und wieder bei Besinnung sein, sodass wir alle sie anschauen können. Red Bull wird dich morgen sehen wollen. Er will jeden Neuen sehen. Vielleicht siehst du dann in seinem Zelt auch die neue Squaw. Die Tipis der großen Krieger und Häuptlinge stehen alle beieinander auf der Insel. Du kannst sie nicht verfehlen. Doch ich werde dich bei Red Bull anmelden. Durch mich erfährst du, wann du zu ihm kommen sollst.« Kehoe nickt. »Es ist gut«, sagt er kauend und schmatzend wie ein echter Krieger. »Du kannst noch etwas Holz bringen und dann in dein Tipi gehen. Ich brauche dich erst nach Tagesanbruch. Wo ist dein Tipi?« »Einen Steinwurf weit bachabwärts auf dieser Seite. Auf welches Zeichen soll ich kommen, wenn du mich brauchst?« »Ich werde dreimal kurz hintereinander wie ein jagender Nachtfalke pfeifen«, antwortet Kehoe knapp. »Doch ich bin endlose Meilen geritten. Der Weg vom Yellowstone her ist weit. Ich werde bis zum Tagesanbruch schlafen. Jetzt geh und hol noch Holz.« Der Junge gehorcht. Als er die Holzlast neben der Feuerstelle ablädt, ist Kehoe mit dem Essen fertig, und in dem Topf ist noch genügend Büffelhöcker für einen hungrigen Jungen, der keine Kriegerkost erhält. »Nimm es mit und iss in eurem Tipi«, sagt er. Der Junge senkt schnell den Blick, doch es war noch zu erkennen, dass er Tokeyas Großzügigkeit schätzt.
Kehoe legt sich zurück und starrt zur runden Zeltöffnung empor, durch die der Rauch entweicht. Manchmal sind ein paar Sterne über dieser Öffnung zu erkennen. Jim Kehoe entspannt sich. Er überlegt, wie viel Zeit ihm bleibt. Natürlich muss er auch damit rechnen, dass sie Furchteinflößer finden, den er getötet hat. Aber sie werden gewiss glauben, dass Furchteinflößer von einem der Männer überrumpelt wurde, die er beschrieb und belauschte. Kehoe denkt auch an Furchteinflößers weiße Frau. Es kann sich nur um Golden Ann handeln. Er hat sie geschlagen, denkt Kehoe. Sie musste lernen, was eine Squaw für ihren Gebieter zu tun hat. Und sie nahm sich nicht das Leben, sondern hielt durch. Nun habe ich sie zur Witwe gemacht. Ob sie sich darüber freuen wird? Bald denkt Jim aber nur noch an Susen-Bell, die vor Erschöpfung vom Pferd gefallen ist, als sie nach dem langen Ritt hier ankam. Das muss vor einigen Stunden gewesen sein, denn sehr viel Vorsprung hatte Red Bull zuletzt gewiss nicht mehr. Sie konnte inzwischen also einige Stunden ausruhen. Wenn er sie vor Schlimmem bewahren will, muss er sie noch in dieser Nacht fortholen. Doch wohin soll er mit ihr? Sie würde nach dieser kurzen Erholung keinen zweiten Gewaltritt durchhalten. Im Schnee sind alle Fährten deutlich. Er könnte gewiss nicht mit ihr entkommen. Aber da fallen ihm die hartbeinigen Goldsucher aus den Südstaaten ein. Er glaubt, dass sie Büffelmesser und dessen Horde eine vernichtende Niederlage beigebracht haben. Und wenn das erst hier im Dorf bekannt wird, muss Red Bull – so müde er auch sein mag – die Sache selbst in die Hand nehmen. Dann geht es den vierundzwanzig Johnny Rebs aus
dem Süden dreckig. Red Bull kann sich keine Niederlage leisten und wird deshalb mit zweihundert oder dreihundert Mann losziehen, um im ersten Ansturm zu gewinnen. Jim Kehoe erhebt sich plötzlich. Er weiß, was zu tun ist, und kann es sich nicht leisten, diese Nacht in einem warmen Kriegszelt zu verbringen, obwohl er müde und erschöpft ist. Er muss Susen-Bell herausholen und sie zu den Südstaatlern schaffen. Wenn diese sich dann seiner Führung anvertrauen, könnten sie vielleicht den Weg nach Fort Phil Kearney schaffen. Kehoe überprüft seine Waffen und bringt seine Kleidung in Ordnung. Er hängt sich die helle Wolldecke um und verlässt das Tipi. Zuerst sucht er Witwenmacher, der zwischen den Tipis im Schutz der schneebeladenen Tannen steht. Jim untersucht Widowmaker genau und knetet und massiert ihn geduldig eine Weile. Er glaubt, dass der Wallach, wenn er sich noch eine gute Stunde ausruhen kann, einen harten Ritt über wenige Meilen durchsteht. Widowmaker ist unter den Pferden ein Bursche wie Jim Kehoe unter den Männern. Sie erholen sich beide unwahrscheinlich schnell und können selbst jetzt noch Kraft aus ihrem Inneren schöpfen. Kehoe blickt nach den Sternen. Es muss etwa Mitternacht sein. Er versucht sich auszurechnen, wann Büffelmesser mit seinen hundert Mann das Camp der Exgoldsucher angreift, und er glaubt nicht, dass sie bis zur Morgendämmerung warten. Sie sind gewiss überzeugt, dass sie leichtes Spiel haben und dass es auf ihrer Seite keine Toten gibt, deren Seelen dann ruhelos umherirren müssen, weil sie in der Nacht den Weg zum Sammelplatz der Seelen nicht finden. Wahrscheinlich werden die Roten einen nächtlichen Überfall riskieren, und vielleicht
wird ihnen Büffelmesser sagen, dass die Nacht hell genug für umherirrende Seelen ist. Jim hat es schon oft erlebt, dass Indianer die Dinge nach ihrer jeweiligen Stimmung auslegten. Kehoe macht sich auf den Weg zu Susen-Bell, denn er weiß eines: Sollte Susen-Bell schon wieder wach und bei Verstand sein, so wird sie auf ihn warten. * Im Kriegsdorf ist es still. Nur bei den Zugängen brennen die Feuer, an denen Wächter hocken oder sich zwischen ihren Rundgängen wärmen. Auch die Hunde haben sich zur Ruhe gelegt – irgendwo im Schutz der Tipis, in der Nähe eines Feuers oder einfach im Schnee wie Schlittenhunde, die nicht frieren, solange sie mit ihren buschigen Schwänzen ihre Nasen wärmen können. Kehoe sattelt sein Pferd und führt es am Creek entlang bis zwischen zwei Tannen gegenüber der Insel. Hier lässt er Witwenmacher zurück, holt noch einmal tief Atem und geht allein weiter. Das Blut hämmert einige Sekunden lang in seinen Schläfen. Er spürt, wie sein Herz klopft. Aber das geht rasch vorüber. Oh, er weiß, dass Susen-Bell und er mächtiges Glück brauchen. Der liebe Gott muss ihnen jetzt einen ganz besonderen Schutzengel schicken. Er betritt das Eis des Creeks. Es ist schon so dick, dass es ein Pferd tragen würde – ein Zeichen dafür, wie kalt es während der vergangenen Nächte im »Monat der kahlen Bäume«, wie die Sioux den Dezember nennen, war. Die Insel ist etwa tausend Quadratyards groß. Auf ihr stehen keine Tannen, sondern Laubbäume, die jetzt kahl sind. Aber es gibt immergrüne Büsche, die vor den kalten Winden schützen. Auf einer Lichtung steht ein halbes Dutzend Tipis. In der Mitte auf dem freien Platz brennt ein Feuer.
Mehrere Krieger hocken hier und sehen zu, wie ein Medizinmann – den Kehoe unschwer an seiner Büffelhornhaube erkennen kann – irgendein Pulver ins Feuer wirft, worauf dann farbiger Rauch aufsteigt. Kehoe weiß, dass dieses Pulver aus bestimmten Kräutern, die man trocknet und fein zerreibt, aus Schießpulver und Steinstaub besteht. Das Schießpulver lässt das Zeug aus dem Feuer hochzischen. Es verbreitet sich dann so, dass man es einatmen kann. Und schon bald befindet man sich in einem Rausch, der einen Wunschträume erleben oder hellsichtig in die Zukunft sehen lässt. Unter den fünf Bewunderern des Medizinmannes befindet sich auch Red Bull. Ja, er ist es. Das ist unverkennbar. Jim Kehoe schiebt sich hinter den Tipis entlang durch den Schnee. Er hütet sich, die Büsche zu streifen. Immer wieder verhält er. Manchmal späht er zwischen den Tipis hindurch auf das Feuer. Er braucht keine Angst zu haben. Die Roten dort am Feuer würden ihn selbst dann nicht entdecken, wenn sie zu ihm herüberstarrten. Ihre Augen, die auf den bunten Rauch blicken, sind viel zu sehr geblendet. Mit der weißen Decke, die Kehoe um die Schultern trägt, hebt er sich kaum gegen den hellen Hintergrund der Büsche ab. Als er wieder einmal verhält, hört er den Medizinmann sprechen. Nun weiß er, worum es dort am Feuer geht. Der Medizinmann will Red Bull und dessen Unterführern vorgaukeln, was etwa zehn Meilen von hier passiert, wenn Büffelmesser und die hundert Krieger über das Camp der Weißen herfallen. Sie wollen sich in eine Art Trance versetzen und erleben, was zehn Meilen von ihnen entfernt geschieht.
Und der Medizinmann muss sich seiner Sache sehr sicher sein, sonst würde er sich auf dieses Risiko nicht einlassen. Kehoe grinst bei dem Gedanken, dass die sechsköpfige Bande am Feuer in ihren Wunschträumen diesmal gewiss nicht das sehen wird, was tatsächlich geschieht. Es ist ihm jedoch eine große Beruhigung, sie für eine Weile beschäftigt zu wissen. Wenn er jetzt kein großes Pech hat, müsste er zumindest eine halbe Stunde lang ungestört sein. Er versucht herauszufinden, welches Red Bulls Tipi ist. Das wäre bei einem normalen Wohntipi kein Problem, denn an einem solchen Tipi gibt es stets irgendwelche Zeichen, die auf den Namen oder Rang seines Besitzers schließen lassen. Hier aber sind Kriegstipis. Sie unterscheiden sich durch nichts. Auch die Pferde zwischen ihnen verraten nicht viel über ihre Besitzer. Es sind irgendwelche Tiere, dazu bestimmt, eine Nacht gesattelt neben dem Zelt in Bereitschaft zu stehen. Morgen werden sie abgelöst. Kehoe kann eigentlich nur danach gehen, dass Red Bull als Häuptling jenes Tipi bewohnt, dessen Eingang genau nach Osten gerichtet ist, weil im Osten die Sonne aufgeht und die Indianer ihrem Häuptling in einem Tipikreis stets diesen Platz überlassen. Kehoe wagt es, von hinten in ein Tipi einzudringen. Er schneidet die Büffelhaut einfach auf und schiebt seinen Oberkörper hinein. Ein kleines Feuer brennt. Neben diesem Feuer hat sich eine Frau mit dem Oberkörper aus ihrem Felldeckenlager aufgerichtet. Vielleicht hörte sie Kehoes Geräusch – oder vielleicht legte sie nur Holz nach und lauschte auf das Gemurmel der Männer am Feuer. Es ist eine blonde Frau. Jim Kehoe kennt sie. Es ist Golden Ann.
Er spürt Mitleid und zugleich auch ein Bedauern darüber, dass sie nicht Susen-Bell ist und dass er das falsche Tipi gewählt hat. Sie sieht ihn an und sagt mühsam in gebrochenem Oglala: »Was willst du stinkender Heide? Glaubst du vielleicht, dass ich an Furchteinflößer noch nicht genug habe und dass es sich lohnen könnte, mir während seiner Abwesenheit einen Besuch zu machen? Schleich dich, du Bastard!« Die Worte kommen ihr nicht so glatt von den Lippen. Sie muss sich sehr mühen, und sie unterstützt sie mit deutlichen Gesten. Jim Kehoe könnte es nun einfach haben. Er könnte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung zurückziehen, und er wäre von ihr nur für einen Burschen gehalten worden, der versuchen wollte, ihrem Gebieter Hörner aufzusetzen. Aber er bringt es nicht fertig, die unglückliche Frau in ihrer Not zu lassen. Er sagt in englischer Sprache: »Reg dich nicht auf, Golden Ann. Ich bin keine echte Rothaut – ich bin nur Kehoe, dein lieber Freund Jim Kehoe, den dein Mann, dieser Narr, fast umgebracht hätte. Und ich bin nicht deinetwegen hier, sondern wegen meiner Frau Susen-Bell. Aber wenn du Mut hast, dann kannst du mitkommen. Willst du, Golden Ann?« Er sprach ganz ruhig und ohne jede Erregung. Auch Golden Ann bleibt völlig ruhig – ein Zeichen, wie sehr sie sich schon mit allem abfinden musste und wie gleichgültig ihr einige Dinge auf dieser Welt wurden. Ja, so ist es wohl. Es scheint sogar so, als müsste sie überlegen und sich fragen, wozu das, was Kehoe ihr vorschlägt, noch Sinn hätte. »Jim Kehoe…«, spricht sie dann tonlos. »Du bist das, Jim Kehoe – oder Schwarzwolf, den sie für tot halten. Jim Kehoe, du kommst aus einer anderen Welt, ganz gleich, ob aus dem Jenseits oder aus der Welt der Lebenden unserer Rasse. Du kommst aus einer anderen Welt. Ich bin eine Squaw geworden.
Begreifst du? Ich wurde die Squaw eines Wilden. Ich habe die gleichen Flöhe und Läuse wie er. Ich habe schon viel lernen müssen, zum Beispiel, dass man Büffelhäute mit Pferdemist vergraben muss, um sie haarlos zu machen und zu gerben. Deshalb stinken diese Zelte auch so. Geh, Jim Kehoe, bevor sie dich töten! Ich bin verloren. Ich wurde eine Squaw. Ich bin Furchteinflößers Frau, und ich habe Glück, dass ich nicht seine zweite, dritte oder vierte Frau bin. Er hatte für einen Indianer viel Geduld mit mir. Es dauerte lange, bis ich begriff, dass ich mich entweder töten oder das Beste aus meiner Situation machen musste. Ich war zu feige, mich zu töten. Geh, Kehoe! Ich bin Furchteinflößers Squaw.« »Du bist seine Witwe«, erwidert Kehoe. »Ich schlug ihm vor etwa drei Stunden den Schädel ein. Willst du jetzt mit mir kommen? Willst du jetzt für dich kämpfen? Wir schaffen es bis Fort Phil Kearney. Also?« Sie starrt ihn an und sitzt immer noch in ihren Felldecken. Ihr Blick beginnt zu flackern. »Er ist tot? Ich bin seine Witwe? Ich bin frei?« Jim Kehoe beobachtet Golden Ann wie gebannt. Er begreift, was jetzt in ihr vorgeht. Sie war völlig in Furchteinflößers Gewalt gewesen. Er hat sie zerbrochen und nach seinen eigenen Wünschen geformt. Sie hat ihr Ich aufgegeben und war eine Squaw geworden. Er war ihr Herr, ihr Gebieter, dem sie sich ganz und gar unterworfen hatte, um wenigstens einigermaßen erträglich leben zu können. Aber sie hatte keine Hoffnung mehr. Und nun ist sie plötzlich frei. Es gibt keinen Furchteinflößer mehr – diesen harten, großen, Gehorsam verlangenden Krieger, der ihren Willen zerbrach und ihr seinen aufzwang. »Kämpfe, Ann!«, sagt Kehoe. »Ich helfe dir! Kämpfe, Golden Ann, wie du früher kämpfen konntest! Du bist frei. Er ist tot. Wenn er mit seinem Willen Macht über dich hatte, so ist
das vorbei. Er ist in der Hölle oder im Himmel der Roten – komm endlich!« Seine Worte sind für sie wie Peitschenhiebe. Denn hinter jedem Wort steht eine Erkenntnis, ein Begreifen. Frei! Er ist tot! Keine Macht mehr! Es ist vorbei! Diese Begriffe wirken wie ein Schock. Dann springt sie plötzlich auf – frei von fremdem Willen, von der absoluten Unterwerfung. Sie wird wieder Golden Ann, die Abenteurerin, die Spielerin und Glücksjägerin. Plötzlich kehrt ihr Selbsterhaltungstrieb zurück. »Was soll ich tun?«, fragt sie spröde. »Wo ist meine Frau Susen-Bell?«, will Kehoe wissen. »Im Nebenzelt«, erwidert Golden Ann und deutet auf die Zeltwand neben sich. »Ist sie allein dort drinnen?« »Gewiss – denn sie war ohnmächtig und völlig am Ende ihrer Kraft. Red Bull muss sie von weither geholt haben. Er war fünf Tage fort. Sie ist allein, weil Red Bull und die führenden Krieger sich am Kräuterrauch berauschen. Dieser Medizinmann muss das Rauschrauch-Geheimnis von den Yaquis in Mexiko erfahren haben. Ich hörte einmal unten im Süden, dass es dort bei den Yaquis und Apachen solche Rauschfeuer geben soll.« Golden Ann spricht ganz ruhig und sachlich. Sie hat sich plötzlich fest in der Hand. »Ich hole Susen-Bell«, sagt Jim Kehoe. »Kannst du für dich und sie je ein Pferd beschaffen?« »Das kann ich. Und ich kann mit ihr auch unbemerkt von der Insel herunter zu einem der Dorfausgänge. Aber dort brennen Feuer, und überall sitzen Wächter. Man kann zu Pferde sonst nirgendwo aus dem Dorf. Der Wald ist zu dicht.«
»Kommt zum Nordausgang«, sagt Jim. »Ich sorge dafür, dass kein Wächter Alarm geben kann. Warte mit den Pferden hinter den Tipis, bis ich Susen-Bell zu dir bringe.« Er nimmt das Messer und vergrößert den Schnitt in der Tipiwand, damit Ann besser hinausschlüpfen kann. Dann gleitet er zum Nebenzelt. Sein Herz klopft bei dem Gedanken, dass er binnen einer Minute bei Susen-Bell sein wird. Nachdem er die Büffelhaut aufgeschnitten hat, schiebt er sich mit dem Oberkörper in das Tipi. Auch hier brennt ein Feuer in der Mitte. Doch dieses Feuer ist schon fast niedergebrannt. Die rote Glut erhellt das Zelt nur schwach. Jim Kehoe ist froh darüber, denn er sieht in seiner Kriegsbemalung und seiner ganzen Tracht wie ein echter Sioux aus. Susen könnte vor ihm erschrecken und schreien. Das würde wahrscheinlich die Schufte dort am Feuer trotz ihres Rausches alarmieren. Jim Kehoe schiebt sich nach einer kurzen Pause endgültig in das Zelt, und er macht dabei kaum ein Geräusch. Susen-Bell liegt weit vom Feuer entfernt in einem dunklen Winkel zwischen irgendwelchen Packen und Stapeln. Er hört sie plötzlich fast lautlos vor sich hinweinen. Ja, sie ist wach und weint. Er möchte zu ihr springen, bei ihr auf die Knie fallen und sie tröstend in seine Arme nehmen. Doch er muss sich Zeit lassen. Sie könnte zu sehr erschrecken. Es wäre einfach gewesen, wenn er sie schlafend gefunden hätte. Er hätte ihr dann die Hand auf den Mund legen können, um einen Schrei zu verhindern. Sein Herz krampft sich bei ihrem Weinen zusammen. Zugleich spürt er jedoch außer dem Mitleid mit ihr einen heißen Hass auf Red Bull. Er schiebt sich näher an sie heran und merkt, dass sie den Atem anhält, dass ihr Weinen verstummt. Er begreift, dass sie
ihn gehört hat oder instinktiv fühlt, dass sie nicht mehr allein im Tipi ist. »Grünauge, erschrick nicht. Ich bin es, Jim«, flüstert er. Dass er zuerst das Wort »Grünauge« sagte, ist wahrscheinlich der Grund, warum sie sich beherrscht und nicht schreit. Denn nur er nannte sie Grünauge. Als sie sich aufrichtet, kniet er auch schon bei ihr und nimmt sie in seine Arme. Ein Dutzend Atemzüge halten sie sich umschlungen. Dann fragt er: »Bist du in Ordnung, Susen? Kannst du mit mir kommen?« »Ich – ich bin in Ordnung«, flüstert sie an seinem Ohr. »Oh, ich stellte mich krank und elend. Ich wusste, dass das meine einzige Waffe war. Und ich wusste, dass du kommen würdest. Oh, Jim, ich war so sicher, dass…« Er verschließt ihren Mund mit einem Kuss. Dann flüstert er ruhig: »Jetzt drängt die Zeit, Susen. Zieh dich so an, dass du es tagelang im Schnee aushalten könntest. Ich bringe dich zu Golden Ann. Du weißt, ich erzählte dir mal von ihr. Sie wohnt im Nebenzelt und wird mit uns fliehen. Sie wartet mit zwei Pferden auf dich und wird dich zum Dorfausgang bringen. Vorher muss ich dort den Wächter am Feuer unschädlich machen. Beeil dich, Susen-Bell!« Seine Worte strömten wie eine starke Kraft auf sie über. Sie weiß plötzlich, was zu tun ist, und sie ist ja schließlich ein Kind dieses Landes und lebte mit ihren Eltern mitten in der Wildnis in primitiven Camps. Sie ist in dieser Situation wahrscheinlich sehr viel selbstständiger und gefasster als Golden Ann. Es dauert nicht lange, dann ist sie für die Flucht durch Kälte und Schnee bereit. Er schiebt sie aus dem Tipi. Bevor er ihr folgt, nimmt er Red Bulls Kriegsbogen und den Köcher mit den Pfeilen von einer der Tipistangen.
Den Büffellederschild legt er auf die Feuerglut. Red Bulls Zeichen – ein roter Bulle –, das auf dem Schild eingeprägt und eingefärbt ist, wird im Feuer vernichtet werden. Aber das ist noch nicht alles. Jim nimmt Red Bulls helle Elchlederjacke, die ebenfalls an einer Tipistange hängt, und breitet sie so auf dem Boden aus, dass der Rücken mit seiner glatten Seite eine gute Unterlage für seine Nachricht bildet. Diese Nachricht malt er mit Holzkohle aus dem Feuer auf den Rücken der Jacke. Er braucht nur wenige Striche für die Zeichnung eines am Boden liegenden Büffelbullen, denn diese Darstellung ist für die Sioux symbolisch. Über diesen liegenden Bullen zeichnet er einen größeren Wolf, der sein Bein über dem Bullen hebt. Er hofft, dass Red Bull diese Beleidigung richtig zu deuten weiß. Als er zu Susen-Bell ins Freie gleitet, grinst er hart und böse, denn er denkt immer noch an Red Bull. Dann nimmt er Susen-Bell bei der Hand und führt sie durch die verschneiten Büsche, bis er die Pferde wittert, mit denen Golden Ann wartet. Nur noch einen kurzen Blick wirft er zwischen den Tipis hindurch auf die Kriegergruppe am Feuer zurück. Alle stehen vorgebeugt da und starren – berauscht von Kräuterrauch – in die Flammen. * Golden Ann wartet tatsächlich mit den Pferden. Sie hat in den Wochen bei den Indianern eine Menge lernen müssen, deshalb war es nicht so schwer für sie, diese Pferde zu beschaffen. Als Jim Kehoe Susen zu ihr bringt, sagt sie: »Jim, ich danke dir – wie es auch ausgehen mag! Ich war ziemlich gemein zu
dir. Ich tauge nicht viel, doch ich schwöre euch, dass ich bitter gebüßt habe. Deshalb danke ich dir, Jim, dass du mich mitnehmen willst. Ich bin wieder ich selbst geworden. Es ist, als hättest du mich aus einem Bann befreit. Ich bin keine Squaw mehr. Ich bin wieder eine Weiße.« »Schon gut«, murmelt er. »Nehmt die Pferde, und reitet möglichst ruhig von der Insel über das Eis auf die andere Seite. Nähert euch langsam dem Dorfausgang nach Norden. Lasst euch Zeit, denn ich muss erst den Wächter erledigen. Dann reiten wir zusammen. Hopo!« Er lässt sie allein und geht zurück zu Widowmaker, der geduldig wartet. Das Dorf ist völlig ruhig. Die Hunde schlafen. Weder Mensch noch Tier will in dieser kalten Nacht herumlaufen. Alles verkroch sich in den Tipis oder hockt an einem warmen Feuer. Jim Kehoe weiß, dass er sich jetzt beeilen muss. Der Rausch von Red Bull und dessen Vertrauten hält vielleicht nicht mehr lange an. Kehoe kann sich nicht vorstellen, dass es länger dauert als eine halbe Stunde. Und wenn Red Bull in sein Tipi tritt, Susen-Bell nicht mehr vorfindet und Kehoes Zeichen sieht, dann wird er kommen. Jim Kehoe lenkt seinen Wallach mit den Schenkeln. Er hat seine Revolver unter der Wolfsfelljacke und hält nur Red Bulls Kriegsbogen und zwei Pfeile in den Händen. Mehr als zwei Pfeile wird er nicht abschießen können. Es wäre zwecklos, mehr mitzunehmen oder in der Hand zu halten. Witwenmacher geht durch den tiefen Schnee hinter den Tipis entlang und verhält dann hinter dem letzten Tipi neben einer mächtigen Blautanne. Der Wächter am Feuer späht herüber. Wahrscheinlich hörte er die Geräusche im knisternden Schnee. Aber er kann Jim noch nicht sehen. Die mächtige Tanne wirft einen zu tiefen Schatten.
Als der Wächter sich erhebt und Jim anrufen will, lässt dieser den ersten Pfeil zischen. Er war schon als Knabe ein guter Bogenschütze. Auch später hat er viel damit geübt und gejagt. Als Trapper und Scout durfte er oft genug keinen Schuss mit einer Feuerwaffe abgeben, weil dieser viel zu weit gehört worden wäre. Sein Pfeil trifft deshalb genau. Er fährt dem Wächter mitten ins Herz und wirft ihn rücklings ins Feuer. Nun reitet Jim Kehoe aus der Deckung des Schattens heraus. Von drüben sieht er die beiden Frauen kommen. Sie haben sicherlich beobachtet, dass er den Wächter ausschalten konnte. Kurz vor dem Feuer treffen sie sich und reiten hintereinander an dem Toten vorbei. Jim Kehoe atmet auf. Bis jetzt ging alles gut. Aber wie weit werden sie kommen? Wie groß wird ihr Vorsprung sein? Darauf kommt es an – und auf Red Bull. Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Sioux müsste er allein kommen. Ein Krieger, der ihm sein Zeichen hinterließ, raubte ihm die Frau aus dem Tipi. Und wenn Red Bull ein wirklich großer Häuptling ist, dann jagt er dem Räuber die Beute wieder ab. So etwas ist hier eine Sache zwischen zwei Männern. So werden es Red Bulls Krieger sehen, weil es ein ungeschriebenes Gesetz ist. Wenn Red Bull nicht bereit ist, seine persönlichen Dinge mit dem Nebenbuhler oder Rivalen allein zu regeln, sondern sich der Hilfe von Freunden, Vertrauten oder gar einer Kriegshorde bedient, wird er in den Augen vieler Gefolgsleute sein Gesicht verlieren. Er muss allein kommen, und Jim Kehoe muss mit ihm kämpfen.
Dann wird Jim noch einmal viel Glück brauchen, um mit den beiden Frauen durch Büffelmessers Kriegshorde bis zu den Goldsuchern zu gelangen. Jim Kehoe starrt durch die Nacht nach Norden. Er denkt an die Dinge, die vor ihm liegen und die er nicht vorausberechnen kann. Aber er ist überzeugt, dass hinter Red Bull in nicht zu großem Abstand ein starker Kriegstrupp folgen wird. Wenn er Red Bull töten kann, hat er zwar den Kampf um die Frau gewonnen, doch der Kriegstrupp jagt ihn dann, weil er ein Weißer ist. Bis jetzt ist er hinter den Frauen geritten, um ihren Fluchtweg zu decken. Dann aber, als sie das Kriegsdorf eine halbe Meile hinter sich gelassen haben, reitet er an die Spitze. Widowmaker bestimmt nun das Tempo, und obwohl der verschneite Bozeman-Weg schon von vielen Hufen zertrampelt wurde, kann Widowmaker den beiden kleineren und leichteren Tieren dennoch den Weg ebnen. Nach etwa einer Meile hält Jim Kehoe seinen zottigen Wallach an. Auch die anderen Pferde verhalten. Im Mondlicht erkennt man ihren Atem, der wie grauer Rauch aus ihren Mäulern und Nüstern strömt und dann auf ihren Brüsten und Vorderschenkeln zu Reif gefriert. Einen Moment sind alle Tiere ruhig. Und dann hören Kehoe und die Frauen den Lärm im Dorf. Er klingt so laut, als wären sie nicht eine volle, sondern erst eine Viertelmeile entfernt. »Sie haben zumindest den toten Wächter am Nordausgang entdeckt«, sagt Kehoe ruhig. »Bald werden sie herausfinden, was wirklich los ist, dass ihrem Kriegshäuptling Red Bull die Frau aus dem Tipi gestohlen wurde. Hopo, reiten wir, Ladys!« Sie preschen los. Nach etwas mehr als drei Meilen – sie sind also insgesamt mehr als vier Meilen vom Dorf entfernt – hält Kehoe plötzlich an und sagt: »Reitet noch ein Stück weiter,
etwa hundert Yards. Dann haltet an und wartet. Wenn Red Bull ein wirklich gutes Pferd hat, muss er jetzt kommen. Tut er das nicht, dann kommt er ein wenig später an der Spitze einer Horde. Und dann ist es gut, wenn unsere Pferde noch einmal verschnaufen können. Dann können wir ihre Mustangs, die schonungslos gehetzt wurden, vielleicht schlagen.« Golden Ann will etwas sagen. Er erkennt es an ihrer Kopfbewegung. Doch Susen-Bell spricht schnell: »In Ordnung, Jim! Ich glaube, dass Red Bull allein kommt. Er ist sehr stolz. Hast du ihm ein Zeichen hinterlassen?« »Ja«, sagt Kehoe. »Es gibt keinen Zweifel für ihn, dass ihm Schwarzwolf die geraubte Frau wieder wegnahm.« Susen-Bell und Golden Ann reiten schweigend weiter. Jim Kehoe bleibt allein zurück und wartet auf der Fährte. Er lässt seine Revolver in den Holstern unter der Wolfsfelljacke und er lässt sein Gewehr im Sattelschuh. Aber er nimmt Red Bulls Bogen vom Sattelhorn und zieht den zweiten Pfeil aus dem Ärmel. Dann wartet er geduldig und zählt dabei langsam. Als er bei siebenundfünfzig angelangt ist, hört er Red Bull kommen. Der Häuptling reitet einen schwarzen Hengst. Er treibt ihn unbarmherzig durch den Schnee und wird selbst angetrieben von einer heißen, bösen Wut und von dem Verlangen, die Schmach zu rächen. Die Zeichnung, die Jim Kehoe hinterlassen hatte, und die Vernichtung des Wappens auf dem Büffellederschild waren zwei Herausforderungen, die ein Häuptling, der etwas auf sich hält, nicht auf sich sitzen lassen kann. Als Red Bull so weit herangekommen ist, dass er Kehoe mitten auf dem Weg sehen kann, reißt er seinen schwarzen Hengst so zurück, dass das Tier schnaubend auf der Hinterhand noch ein Stück durch den Schnee rutscht.
Dann vergeht fast eine volle Minute, ehe Red Bull kehlig fragt: »Dein Zeichen – bist du Schwarzwolf? Bist du Wyoming Jim? Bist du Kehoe?« Kehoe wartet einige Atemzüge. Dann erwidert er pulvertrocken: »Ich bin es! Und du hattest meine Frau gestohlen. Ein Glück für dich, dass du ihr noch nichts angetan hast, sonst würde ich dich stückweise töten, du tollwütiger Bastard. Ich werde es schnell machen. Komm endlich! Worauf wartest du?« Red Bull lässt sich nicht bitten. Er kommt – und er kommt schnell, duckt sich hinter den Pferdehals und hält sein Kriegsbeil bereit. Jim Kehoe schießt ihm den Pfeil entgegen. Aber obwohl der Pfeil genau zwischen den Ohren von Red Bulls Hengst durchflitzt, schlägt der Schaft nur harmlos auf Red Bulls Nacken. Dann ist der Häuptling heran. Er wirft das Kriegsbeil aus einer sehr kurzen Entfernung – und er verfehlt sein Ziel ebenfalls, obwohl die scharfe Schneide etwas vom Wolfspelz an Kehoes Schulter abrasiert. Kehoe hat noch den Bogen zur Hand – diesen Kriegsbogen ohne Pfeil. Er reißt Widowmaker zur Seite, sodass Red Bulls Hengst ins Leere rennt und den Häuptling an ihm vorbeiträgt. Red Bulls Hände greifen ebenfalls ins Leere. Aber Kehoe mit dem Kriegsbogen streckt sich vor. Er bekommt den Bogen über Red Bulls Kopf. Die Sehne spannt sich unter Red Bulls Kinn, während sein Pferd ihn vorbeiträgt und Kehoe sein Tier in die entgegengesetzte Richtung treibt. Als Kehoe den Bogen fahren lässt, ist Red Bull tot. Er lenkt seinen Wallach herum und folgt den beiden Frauen. »Er ist tot«, sagt er zu ihnen. »Jetzt müssen wir reiten. Vielleicht gewinnen wir noch ein oder zwei Meilen Vorsprung. Hopo!«
* Sie sind erst drei Minuten fort, als sich die Kriegshorde um den toten Häuptling sammelt. Sie untersuchen ihn, und dann spricht Bibertänzer, der Red Bull gegenüber schon immer etwas aufsässiger war als die anderen: »Er ist ihm in diesen Kriegsbogen geraten wie ein Kaninchen in die Schlinge. Ich denke, dass einem großen Häuptling eine solche Dummheit nicht passieren darf. Red Bull ist wie ein Kaninchen in einer Schlinge gestorben. Sollte es wirklich Schwarzwolf, den wir tot glaubten, gewesen sein? Hopo, reiten wir!« Sie folgen ihm. Nicht einer bleibt bei Red Bull zurück. So schnell dieser auch zu Kriegsruhm und Ansehen gekommen war, jetzt verlor er beides mit einem Schlag. Ein großer Krieger holte ihm die geraubte Frau aus dem Tipi, beleidigte ihn und tötete ihn dann auf eine entehrende Art. Deshalb bleibt keiner der Krieger bei ihm zurück. Sogar sein schwarzer Hengst verlässt ihn und folgt der davonjagenden Horde. Red Bull wird bald vergessen sein. Er war kein heller Stern am Himmel der großen Kriegshäuptlinge der Sioux, sondern nur ein kleiner Komet, der für einen kurzen Moment leuchtete. Man wird ihn vergessen. Niemals wird man an den Feuern von seinen Taten berichten. Die starke Kriegshorde aber – von Bibertänzer angeführt – erreicht nach etwa fünf Meilen den geschlagenen Haufen der Krieger, die mit Büffelmesser zu Furchteinflößer geritten waren, um mit diesem das Camp der Goldgräber zu überfallen. Sie fanden Furchteinflößer tot, und sie wagten dennoch einen Angriff auf das scheinbar schlafende Camp, dessen Feuer weithin in die Nacht leuchtete.
Und da bekamen sie es aus mehr als vierzig Revolvern und einigen Schrotflinten. Bibertänzer versucht, den niedergeschlagenen Büffelmesser wieder aufzurichten. Er sagt zu ihm: »Das war eine schlechte Nacht für uns. Zuerst starb Furchteinflößer, dann Little Elk, der am Nordausgang des Dorfes Wache hielt. Schließlich fing Red Bull sich wie ein Kaninchen in einer Schlinge – und auch ihr ranntet in den Tod. Aber nach einer solchen Unglücksnacht ist der Große Geist den Sioux wieder wohlgesonnen. Er wollte gewiss nur prüfen, ob wir auch im Unglück nicht an ihm zweifeln. Wir werden uns eine Kriegslist ausdenken. Sind wir denn nicht erfolgreiche Krieger? Haben wir nicht schon oft genug gegen die Wasicuns gekämpft und sie zu Dutzenden getötet? Lasst uns ein Feuer anzünden und den Großen Geist mit einem Tanz versöhnen. Zeigen wir Wakan Tanka unseren Kriegstanz. Dann wird er wissen, dass er nicht auf der Seite von Unwürdigen steht.« * Es ist nur ein Beweis für Jim Kehoes Erfahrung und Geschick, dass er mit den beiden Frauen das Camp der Goldgräber ohne besondere Schwierigkeiten erreicht. Er verlässt früh genug den Bozeman-Weg und biegt weit nach Westen aus, schlägt einen Drittelkreis und nähert sich dann dem Camp von Nordwesten her über eine kleine Ebene, auf der es kaum Schutz vor dem eisigen Nachtwind gibt. Zuvor noch – als sie etwa zwei Meilen vom Camp entfernt waren – hörten sie das Revolverfeuer und das Geheul der wutschäumenden, enttäuschten, sich geschlagen zurückziehenden Roten. Jim Kehoe weiß nun mit Sicherheit, dass sich die Roten entweder auf dem Bozeman-Weg südlich des Camps sammeln oder aber Schutz in einem östlich gelegenen Waldstück suchen.
Dort können sie Feuer anzünden, für ihre Verwundeten sorgen, Schleppschlitten herstellen oder auf Verstärkung aus ihrem Kriegsdorf warten. Seine Annahme erweist sich als richtig, denn niemand stellt sich ihm und den beiden Frauen in den Weg, als sie sich von Nordwesten her dem Camp nähern. Sie halten in einem respektvollen Abstand an. Jim Kehoe stellt sich in den Steigbügeln etwas auf und ruft hinüber: »Hoiii, ihr Johnny Rebs! Da bin ich wieder! Ihr erinnert euch gewiss an meinen Besuch vor gut vier Stunden. Darf ich mit den beiden Frauen kommen, ohne dass wir von euch abgeschossen werden?« Einige Atemzüge lang ist es still. Dann ruft eine trockene Stimme: »Komm nur, du nachgemachte Rothaut! Dir sind wir noch einen Drink schuldig. Aber das mit den beiden Frauen, das ist doch wohl nur ein Scherz? Wen hast du denn da bei dir, Bruder?« »Zwei Frauen – und eine davon ist meine eigene. Ich habe sie aus dem Kriegsdorf geholt.« Während Jim Kehoe spricht, reitet er vorwärts. Als sie zwischen die Felsen gelangen, werden sie von einigen Männern empfangen, die den beiden Frauen von den Pferden helfen und sie ans Feuer führen. »Es sind wirklich zwei Frauen – weiße Frauen, keine Squaws! Mann, Lederstrumpf, du hast ja wohl eine ganze Menge auf dem Kasten. He, wir haben die Roten eben mit blutigen Köpfen weggeschickt. Sie sind heulend davongelaufen, und viele von ihnen müssen jetzt ihre Wunden lecken. Ein Dutzend und mehr liegen draußen tot im Schnee. Kannst du uns sagen, Lederstrumpf, wie es ungefähr weitergehen wird?« Jim Kehoe sitzt ab, klopft seinem schnaubenden Wallach Schulter und Brust und stellt fest, dass Widowmaker nicht so sehr erschöpft ist, wie er es befürchtet hat.
Er wendet sich dem halben Dutzend Männer zu, das sich bei ihm und den beiden Frauen am Feuer eingefunden hat. Er begreift, dass diese Männer die Anführer dieser hartgesottenen Crew sind. »Ich kann euch genau sagen, wie es weitergehen wird«, antwortet er und nimmt aus der Hand eines der Männer Tee. Er sieht, dass Susen-Bell und Golden Ann, die am Feuer hocken, ebenfalls mit diesem Getränk versorgt wurden, das so stark ist, dass es einen Toten wieder zum Leben erwecken könnte. »Ja, ich kann es euch ganz genau sagen«, wiederholt er. »Die rote Bande ist mehr als fünfhundert Mann stark. Nur mit hundert dieser Jungs hattet ihr bisher zu tun. Wenn ihnen nicht etwas dazwischengekommen wäre, hätten sie euch bei Tagesanbruch gewiss mit drei- oder vierhundert Mann überrannt.« Er verstummt wieder, um den heißen Kaffee zu schlürfen. Dabei blickt er unter der gesenkten Stirn hinweg auf die bärtigen, hartgesichtigen Burschen. Im Feuerschein sieht er ihre Augen funkeln. »Und was ist ihnen dazwischengekommen?«, fragt einer der Texaner barsch. Seiner Stimme hört man an, dass er vom Brazos sein muss. »Ich habe ihren Kriegshäuptling zur Hölle geschickt«, erklärt Jim Kehoe. »Sie hatten eine Menge Pech. Ich konnte ihnen zwei geraubte Frauen entführen und außer ihrem Häuptling noch zwei Krieger töten – einen hier und einen am Dorfeingang. Das ist eine Menge böser Zauber für sie. Das müssen sie erst verkraften und verarbeiten. Sie müssen sich einen neuen Anführer wählen und ihren Gott um Kriegsglück bitten. Das tun sie, indem sie um ein großes Feuer tanzen. Sie wollen Wakan Tanka zeigen, was sie für prächtige Burschen sind und dass sie es verdienen, dass er ihnen das Kriegsglück schenkt und nicht euch. Und wenn sie dann genug getanzt haben, wollen sie ausprobieren, ob der Zauber etwas geholfen
hat. Dann werden sie kommen – aber diesmal wissen sie besser über euch Bescheid und sind auch doppelt oder dreimal so stark wie beim ersten Mal. Vielleicht solltet ihr euch deshalb meinen Vorschlag überlegen.« Ihre Augen funkeln stärker. Sie sind eine richtige Rebellenmannschaft, die sich vor nichts fürchtet und jede Herausforderung annimmt, aber sie sind keine Selbstmörder. Deshalb sagt einer von ihnen: »Na schön, Lederstrumpf, dann lass hören. Nur Dummköpfe lehnen von Anfang an jeden Vorschlag ab. Also?« »Losreiten!«, sagt Jim. »Jetzt auf der Stelle losreiten! Vielleicht kommen wir zwanzig oder dreißig Meilen weit, bevor sie uns eingeholt haben und angreifen. Wenn wir sie dann noch mal zurückschlagen können, werden sie wahrscheinlich noch einmal Mut sammeln müssen, ja, vielleicht erst einen neuen Anführer wählen. Das könnte uns dann Zeit geben, um wieder ein weites Stück zu reiten. Vielleicht schaffen wir es bis Fort Phil Kearney.« »Warum Fort Phil Kearney?«, fragt eine mürrische Stimme. »Warum nicht weiter nach Süden nach Fort Reno und von da aus nach Laramie? Warum zurück nach Fort Phil Kearney, das wahrscheinlich selbst schon von den Roten eingeschlossen ist?« Als der Frager verstummt, nicken die anderen Männer beifällig. Kehoe, der sich inzwischen seine Kriegsbemalung aus dem Gesicht gewischt hat, grinst bitter. Dann hebt er die Hand und zählt an seinen Fingern ab: »Das Kriegsdorf liegt am Bozeman-Weg. Aus diesem Dorf kamen etwa hundert Krieger zu euch. Zwei oder drei Dutzend werden mir und den beiden Frauen gefolgt sein. Vielleicht lässt man auch noch hundert Mann als Verstärkung rufen. Wir haben es also mit etwa zweihundertfünfzig dieser roten Jungs zu tun. Ich
finde das schon sehr reichlich. Aber wenn wir nach Süden reiten, müssen wir am Dorf vorbei. Es gibt im Winter keine andere Passage. Wir müssen in kürzester Entfernung daran vorbei. Und dann haben wir alle fünf- oder sechshundert Krieger auf dem Hals. Gibt es also noch Einwände gegen Fort Phil Kearney?« Sie denken einige Atemzüge lang nach. Dann schütteln sie die Köpfe, und einer sagt trocken: »Also werden wir diesen Winter wohl nicht heimkehren, denke ich. Zum Teufel, warum bin ich nicht in Last Chance City geblieben? Was ist Fort Phil Kearney gegen Last Chance City im Goldland, was ist es schon dagegen?« »Es ist immer noch schöner dort als ohne Skalp in der Hölle«, tröstet ihn ein anderer Mann. * Zehn Minuten später reiten sie los. Die Männer aus Texas, New Mexico, Louisiana, Mississippi und Alabama können unheimlich schnell sein. Sie verlieren kaum noch Worte. Kehoe übernimmt die Führung. Zwei Mann reiten mit ihm an der Spitze, und er glaubt, dass sie gefährliche Revolvermänner sind. Ihre Namen bekam er zu hören, als sie sich ihm vorstellten. »Ich bin Cheshire, Barton Cheshire.« »Und mich nennt man Lane, Alamo Lane. Haben Sie etwas dagegen, Lederstrumpf, wenn wir mit Ihnen an der Spitze reiten?«, fragt Alamo Lane mit der Höflichkeit eines Südstaatlers. »Ich bin Kehoe«, sagt Jim. »Jim Kehoe. Das ist meine Frau. Und dies ist Mrs. Mannerhan. Ihr Mann starb vor einigen Wochen nicht weit von hier. Die beiden Ladys reiten mit uns an der Spitze.«
»Das ist uns recht, Kehoe«, sagt Barton Cheshire. Und so formiert sich die Reiterschar. Kehoe hört etwas später nebenbei von Alamo Lane, dass vier besondere Männer die Nachhut bilden. Er hört auch die Namen. Es handelt sich um Hondo McIntire, Pecos, Laredo und Johnny Socorro. Schon die Namen verraten Jim Kehoe eine Menge – es sind Namen von Städten oder Flüssen des Südens, und wahrscheinlich sind es »Kriegsnamen« von Revolvermännern. Er führt sie nach Norden und bleibt dabei auf dem Bozeman-Weg. Es wäre dumm, wenn er auch nur den kleinsten Umweg machte oder sogar durch den tieferen Schnee ritte. Er folgt der Fährte der vierundzwanzig Südstaatler, die diese von Norden nach Süden zogen, nach Norden zurück. Mit Susen-Bell konnte er nur wenige Worte wechseln. Auch mit Golden Ann war es nicht anders. Doch er braucht sich um die beiden Frauen keine Sorgen zu machen. Sie werden durchhalten. Witwenmacher hat sich wieder etwas erholt. Jim Kehoe glaubt, dass der Wallach nicht früher schlappmacht als die anderen Pferde. Sie trotten stetig durch den Schnee des Bozeman-Weges, Meile um Meile. Zwar kamen sie unbehelligt aus ihrem Camp, aber es ist sicher, dass ihr Abzug nicht unbemerkt vonstatten ging. Die Roten hatten gewiss einige Späher um das Camp der Weißen postiert. Es ist kalt. Sie müssen gegen den eisigen Nordwind reiten, der sogar den härtesten Männern manchmal die Augen tränen lässt. Ab und zu überlässt Jim Kehoe Barton Cheshire oder Alamo Lane die Spitze. Dann bleibt er etwas zurück, bis Susen-Bell Steigbügel an Steigbügel neben ihm reiten kann. Sie sprechen nicht. Es ist zu kalt, und sie haben ihre Gesichter vermummt. Aber sie können sich dann und wann
ansehen und spüren ihre Gemeinsamkeit. Dass sie jetzt in Not und Gefahr beisammen sein können, lässt in ihnen trotz allen Kummers ein Glücksgefühl aufsteigen. Während sie Meile um Meile zurücklegen, stellt sich immer mehr heraus, dass Alamo gerne neben Golden Ann reitet. Er versucht natürlich nicht, irgendwelchen Kontakt mit ihr zu bekommen, denn es ist für ein Gespräch viel zu kalt. Überdies hat Golden Ann nicht die geringste Lust, sich mit einem Mann – ganz gleich welcher Hautfarbe – zu unterhalten. Sie hält ihren Blick meist starr nach Norden gerichtet, und es scheint, als könnte sie dort weit im Norden einen neuen Anfang erkennen. Deshalb möchte sie gewiss reiten – nur reiten, um sich mit jeder Meile weiter von der bitteren Vergangenheit zu entfernen, zu vergessen und den Dingen zu entkommen. * Als es Tag wird, fragt sich Jim Kehoe, wie weit sie wohl noch kommen. Ihm ist klar, dass sie bald eingeholt und gestellt werden müssen, wenn sie einfach so weiterreiten. Als sie den Wica Kanaska Creek erreichen, den Creek der Roten Beeren, deren Farbstoff die Sioux und Cheyennes verwenden, da weiß er, was zu tun ist. Das Creekbett ist tief und schmal, doch die wandernden Büffelherden trampelten seit Jahrhunderten über die Steilufer, sodass eine Mulde entstand, durch die auch die Frachtwagen der Weißen ans andere Ufer konnten. Kehoe hält an. »Steigt ab!«, ruft er. »Steigt ab – bis auf zwei Mann und die Frauen! Zwei Mann und die Frauen bringen die Pferde hinter den Hügelkamm jenseits des Creeks. Die Roten müssen jenseits des Creeks eine breite Fährte erkennen können, sonst reiten sie nicht in unsere Falle. In Ordnung?«
Ja, es ist in Ordnung. Sie verstehen ihn sofort. Er braucht es nicht gründlicher zu erklären. Was Jim ihnen vorschlägt, ist ihnen nur recht, denn sie sind eine verwegene Mannschaft, die sich vor nichts fürchtet. Barton Cheshire ist es, der sagt: »Also los, Jungs! Ihr habt es gehört! Absitzen! Ringo Starbuck und Rece Garlock, ihr nehmt die Pferde und beschützt die Frauen. Einer von euch soll seine Nase über den Hügelkamm schieben, damit wir nicht so lange auf unsere Gäule warten müssen, wenn wir sie dringend brauchen. Los, Jungs! Geben wir es ihnen!« Jim Kehoe nickt Susen-Bell zu und macht eine leichte Handbewegung. Sie erwidert sein Nicken. Ihre Augen kamen ihm noch nie so groß vor wie jetzt. Für einen Moment kommt die Dezembersonne durch die Wolkenschleier. Im Sonnenlicht erscheint Susen-Bell ihm noch schöner. Er wirft einen Blick auf Golden Ann. Diese betrachtet ihn auf eine merkwürdig gefasste, gelassene Art. Er glaubt, dass sie sich vollkommen gewandelt hat, und wünscht ihr, dass sie durchkommt. Sie wird bestimmt ein völlig anderes Leben beginnen. Für das, was war, hat sie schrecklich büßen müssen. Jim springt vom Pferd wie all die anderen Männer. Während zwei Reiter mit den beiden Frauen und den Pferden davonreiten und im Schnee eine deutliche Fährte hinterlassen, die aus einiger Entfernung so aussieht, als wäre die Mannschaft über den Hügel geritten, suchen alle hinter dem oberen Rand des südlichen Creekbettes gute Positionen. Es gibt hier verschneite Büsche, Bäume und Felsen. Sie haben jetzt eine mörderische Falle aufgestellt. *
Die Minuten verrinnen, und je mehr Minuten es werden, umso größer werden ihre Zweifel. Wenn die Indianer der Fährte nicht folgen, wenn sie eine Abkürzung wissen, um den Flüchtlingen den Weg zu verlegen? Wenn… Es gibt plötzlich sehr viele Fragen. Jim Kehoe spürt, wie die Männer rechts und links neben ihm langsam unruhig werden, wie in ihnen Zweifel aufsteigen und sich eine Unsicherheit breit machen will. Außerdem ist es kalt, erbärmlich kalt. Das Reiten hatte sie alle verhältnismäßig gewärmt. Jetzt kriecht ihnen die Kälte bis ins Mark. Sie werden allmählich steif und verkrampft. Irgendwo in der Reihe beginnt jemand bitter zu fluchen. Aber da sagt Jim Kehoe mit schneidender Härte: »Werdet nur nicht ungeduldig wie kleine Jungs vor dem Mauseloch! Da ist Siouxpoker, versteht ihr? Wenn ihr nicht warten könnt, bis ihr eure Trümpfe ausspielen dürft, dann pfeift nach euren Gäulen.« Sein Spott trifft sie, und deshalb zerbeißt mancher seine Flüche zwischen den Zähnen. Sie brauchen jedoch nicht mehr lange zu warten. Wenige Minuten später kommt die Kriegshorde. Oha, es ist schon ein imposantes Bild, diese rothäutigen Krieger auf ihren Mustangs anreiten zu sehen. Es sind mehr als hundertfünfzig, und deshalb kommen sie nicht im Gänsemarsch wie kleinere Trupps, sondern als große Traube, die den Bozeman-Weg fast ausfüllt und ständig ihre Form verändert. Sie wissen, dass der Vorsprung der Flüchtlinge nicht so groß ist. Das können sie unschwer an den Spuren erkennen. Deshalb sind sie bestrebt, den Vorsprung aufzuholen, bevor sie noch weitere zehn Meilen geritten sind. Sie trauen den Flüchtlingen nicht zu, dass sie ihnen einen Hinterhalt legen, und es trifft sie grausam, als ihre vorderste
Reihe nur noch zwanzig Yards vom Creek entfernt ist und sich die Hölle für sie öffnet. Fast vierzig Revolver krachen unaufhörlich, und der Kriegshorde ergeht es furchtbar. Schlagartig bricht eine Panik los. Endlich fluten die Roten, die übrig blieben, zurück. Die Weißen laden ihre Waffen neu. Keiner spricht ein Wort. Obwohl die meisten von ihnen im Krieg waren und an blutigen Schlachten teilnahmen, geht ihnen das bis unter die Haut. Viele Tote bleiben im Schnee liegen, und der Schnee färbt sich rot. Dann kommen schon die beiden Pferdewächter mit den Pferden über den Hügelsattel. Die Männer laufen ihnen entgegen. Jeder schwingt sich auf sein Tier und ist froh, diesem schrecklichen Ort den Rücken kehren zu können. Manche der Reiter wirken blass unter der gebräunten Haut. Es will kein Triumphgefühl aufkommen. Dann reiten sie Meile um Meile, und als ihre Pferde immer müder und erschöpfter werden, gehen sie auch mal eine halbe Meile zu Fuß, quälen sich durch den tiefen Schnee oder versuchen, in die Hufspuren der Pferde zu treten. Es wird kaum gesprochen. Doch fast alle bewegt unaufhörlich die Frage: Werden die Roten noch einmal kommen? * An diesem Tag geschieht nichts mehr. Sie schaffen viele Meilen und finden bei Anbruch der Nacht eine günstige Senke, in der sie alle Zuflucht finden.
In dieser Senke weht kein eisiger Wind. Es gibt Holz genug. Und sie können sich bei einem Angriff gut verteidigen, haben nach allen Seiten aus guter Deckung heraus freies Schussfeld. Jim Kehoe bereitet dicht am Feuer für die beiden Frauen ein weiches Lager aus Tannenzweigen. Er selbst übernimmt mit Laredo bis Mitternacht nach Süden zu die Wache. Sie stellen auch nach den drei anderen Himmelsrichtungen je zwei Wachen auf, sodass stets acht Mann von ihnen wach bleiben müssen. Jemand fragt einmal: »He, Lederstrumpf, wie weit ist es noch bis Fort Phil Kearney?« »Sechzig Meilen«, sagt Kehoe. »Das sind bei diesem Schnee und bei dem schlechten Zustand unserer Pferde zwei Tage.« »Oha, ich hätte nicht gedacht, dass ich mich einmal in einem Fort der Blaubäuche verkriechen würde«, sagt einer der Männer später. »Ich habe meine Satteltaschen voller Goldstaub – und dennoch bin ich auf den Hund gekommen, denke ich. Bei den Blaubäuchen müssen wir uns verkriechen. Zum Teufel!« * Jim Kehoe verbringt seine Wache ohne jeden Zwischenfall. Er geht dann mit Laredo hinunter in die Senke, nachdem sie ihrer Ablösung spöttisch eine schöne Nacht gewünscht haben. Sie frieren, und ihr ganzes Streben ist darauf gerichtet, dort unten am Feuer einen Schluck heißen Kaffee zu bekommen. Ja, sie fühlen sich sicher genug, in der Mitte der Mulde ein Feuer in Gang zu halten. Das müssen sie, um sich mit warmen Getränken zu versorgen, wegen der beiden Frauen und damit die Posten sich dann und wann wärmen können. Diese Nacht wird noch kälter als die vorhergegangene.
Jim Kehoe steht groß und hager am Feuer. Als er seinen Kopf weit zurücklegt, um auch den Rest aus dem Becher zu trinken, schlägt es patschend in seine Schulter. Er schwankt drei Schritte zurück, zieht dabei seinen Colt und schießt drei Kugeln aus dem Lauf, bevor er auf die Knie fällt und ihm schwarz vor den Augen wird. Laredo, der mit Jim am Feuer stand, wirbelt herum. Doch er braucht nicht mehr zu schießen. Jim Kehoe traf den Indianer, der ihm vom oberen Rand der Senke her mit einem Kriegsbogen den Pfeil durch die Schulter schoss. Das ganze Camp ist wach. Die schnellen Schüsse weckten auch die erschöpften Schläfer. Alle befürchteten einen Angriff. Sie sehen Jim Kehoe am Boden knien und den Pfeil aus seiner Schulter ragen. Susen-Bell kniet neben Jim, während die Männer überall zu den Rändern der Senke hinauf springen und sich in Verteidigungsstellung werfen. Aber es bleibt ruhig. Jim Kehoes Stimme klingt gepresst durch die Stille. »Das war nur ein einzelner Krieger. In seiner hellen Wolldecke, mit der er sich tarnte, kam er zwischen zwei Posten hindurch bis zum Rand der Senke. Er wollte mich erwischen, weil sie mich für die Niederlage verantwortlich machen. Er war allein. Kommt! Helft meiner Frau! Jemand muss die Pfeilspitze abschneiden und dann den Pfeil herausziehen. Kommt schon!« Sie helfen ihm, und Jim bleibt bei voller Besinnung, bis sie Schnaps in die Wunde gegossen und ihn verbunden haben. Dann erst schläft er am Feuer ein. Die Männer verdoppeln ihre Posten. Susen-Bell weicht nicht mehr von Kehoes Seite. Gegen Morgen stellt sie fest, dass bei ihm das Wundfieber einsetzt. Aber er steigt nach dem Frühstück in den Sattel, und er bleibt darin bis zum späten Mittag.
Dann halten sie an. Vor ihnen führt der Bozeman-Weg in die RattlesnakeSchlucht, und vor der breiten Schluchtmündung hält die Kriegshorde. »Sie haben uns irgendwie überholt und wollen uns den Weg sperren, bis die andere Hälfte der Horde hinter uns herangekommen ist«, sagt Jim Kehoe mit gepresster Stimme, und er fügt hinzu: »Wahrscheinlich ist noch ein zweiter Krieger an unser Camp geschlichen, der beobachtete, dass der Pfeil mich traf. Und nun glauben sie, dass ich keinen bösen Zauber mehr gegen sie ausüben kann. Sie wollen es noch einmal probieren. Nehmt die beiden Frauen in die Mitte. Und dann vorwärts! Wir dürfen keine Minute mehr verschwenden!« Sie gehorchen wortlos. Es gibt nichts mehr zu sagen. Sie formieren sich. Vorn reiten ihre besten Revolvermänner. Auch Jim Kehoe nimmt seinen Platz ein. Es ist, als hätte er keine Pfeilwunde in der Schulter. Er wird seinen Wallach mit den Schenkeln lenken und mit der Rechten schießen. Rechts und links neben ihm reiten Barton Cheshire, Alamo Lane, Hondo McIntire, Pecos, Laredo und Johnny Socorro. Sie bilden die Spitze. Die anderen schließen die Frauen ein. Und dann reiten sie an. Nur einmal wirft Jim Kehoe einen kurzen Blick über seine gesunde Schulter zurück auf Susen-Bell. Bald sind sie auch schon nahe genug heran und müssen sich den Weg freischießen. Ihrem Revolverfeuer können die Roten nicht standhalten. Ihre Front weicht auseinander. Sie wollen von den Seiten und von hinten noch einmal ihr Glück versuchen. Doch obwohl sie einige Erfolge verbuchen können, verlieren sie das Gefecht. Die Weißen brechen durch, erreichen
die Schlucht und machen hier Front gegen die nachstoßenden Indianer, halten diese auf und jagen sie mit Schüssen zurück. Das Geheul der roten Krieger schallt noch eine Weile zwischen den Schluchtwänden. Endlich wird es still. Nur die Verwundeten stöhnen. Jim Kehoe fällt vom Pferd. Er kann nicht mehr. Er wurde noch von einem zweiten Pfeil ins Bein getroffen, und eine Kugel riss ihm eine tiefe Furche quer über den Rücken. Vielen der Männer geht es nicht anders als ihm. Fast alle wurden sie mehr oder weniger verwundet. Und sieben Mann fehlen, sieben Mann haben sie bei dieser Sache verloren. Bevor Jim Kehoe das Bewusstsein verliert, erkennt er noch, wie Susen-Bell neben ihm im Schnee kniet. * Es ist zwei Tage später in einem Schneesturm, als der Posten am Haupttor von Fort Phil Kearney ruft, dass jemand hereingelassen werden will. Der Sergeant auf dem Palisadengang fragt von oben hinunter: »He, wer ist da? Wer will herein?« »Mach auf, du schlafmütziger Pferdesoldat!«, tönt es grollend zurück. Da werden sie eingelassen. Sie reiten auf schwankenden Pferden herein und haben sieben oder acht Schleppschlitten bei sich, in denen sie nach Indianerart ihre Verwundeten transportieren. Der Sergeant heißt Joe McNeely, und er erkennt Susen-Bell neben dem dritten Schleppschlitten. French Charlys Tochter ist ihm so gut bekannt wie Belle Arapahoe, Charly Hotmillers Frau. »Wer ist in diesem Schlitten?«, will er wissen. »Jim Kehoe, mein Mann«, antwortet Susen-Bell.
Jetzt läuft Sergeant McNeely besonders schnell, um beim Kommandanten Meldung zu machen und den Regimentsarzt und die Sanitäter zu alarmieren, denn Jim Kehoe ist er eine Menge schuldig. * Der Frühling ist über das Land gezogen, und die Sioux haben es aufgegeben, Fort Phil Kearney zu nehmen. Jim Kehoe kehrt mit seiner jungen Frau heim in das Tal, in dem Susens Eltern begraben liegen. Hinter Jim und Susen reiten zwei Dutzend Männer. Ihnen folgen sechs schwer beladene Frachtwagen. Jim Kehoe will der erste Rancher im Wyoming Territorium sein. Noch steht der große Indianerkrieg aus. Doch in jenem verborgenen Tal in den Big Horns wird man nicht viel davon merken. Von Golden Ann hat niemand wieder etwas gehört, nachdem sie in jenem Frühjahr von Fort Phil Kearney nach Laramie reiste. Die wilde Zeit, in der sich auch Jim Kehoe immer wieder neu behaupten musste, dauerte noch lange. Aber Jim und Susen-Bell hielten ihr Glück trotzdem fest. ENDE