Feuerdämonen Roman von David Burnett Vivian Cooper lag auf ihrem schmalen Futonbett. Es war kurz nach Mitternacht, und ...
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Feuerdämonen Roman von David Burnett Vivian Cooper lag auf ihrem schmalen Futonbett. Es war kurz nach Mitternacht, und ihr kleines, modern eingerichtetes Zimmer wurde nur von dem schwachen Schein einer Stehlampe spärlich erhellt. Sehnsüchtig dachte die Achtzehnjährige an den süßen Boy, den sie vorhin in ihrer Stammdisco kennen gelernt hatte. Er war der absolut coolste Typ, der ihr bisher über den Weg gelaufen war. Sie schloss die Augen, um sich ihn ganz genau vorzustellen, wie er eng umschlungen mit ihr getanzt hatte. Von ihr unbemerkt, strömte grünlich schimmernder Nebel durch den unteren Türschlitz. Das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein, ließ Vivian die Augen öffnen. Sie glaubte, zu träumen. Vor ihr stand plötzlich Zillai, ihr Traumtyp. 2
Verwirrt richtete sie sich auf. »Zillai, wie bist du... Woher kommst du denn?« Zillai setzte sich zu ihr auf die Bettkante. Aus irgendeinem Grund war er barfuß, trug nur Jeans und T-Shirt. Sein Blick nahm sie magisch gefangen. Plötzlich war ihr alles egal. Ihr einziger Wunsch, ihr aller Sinne beherrschender Gedanke war, sich ihm völlig hinzugeben ... Aber Zillai wollte nicht den Körper der hübschen schlanken Blondine, sondern ihr Blut, ihren Lebenssaft ...! Er öffnete den Mund. Ungewöhnlich lange, spitze Eckzähne blitzten im Dämmerlicht des Raumes. Bevor Vivian dies richtig wahrnahm, beugte sich Zillai vor, um seine Zähne in ihren Hals zu schlagen. Da wurde die Tür auf gestoßen! Zillai fuhr herum, sprang auf. Ein älterer, glatzköpfiger Mann stürmte ins Zimmer. »Was ist hier los?«, brüllte er. »Dad ...«, sagte Vivian erschrocken, wie aus einem Traum erwachend. »Bitte, Dad, es ist nicht so ...« »Halt den Mund, Viv! Ich bin doch nicht blöd. Ich seh doch, was hier los ist!« Wutentbrannt stürzte sich Leroy Cooper auf Zillai. Der war mindestens einen Kopf größer als Vivians schmerbäuchiger Vater und durchtrainiert wie ein Leistungssportler, aber das interessierte Cooper nicht. Heftig packte er Zillai am Kragen. »Was machst du verdammter Mistkerl mit meiner Tochter? Dir werde ich zeigen, was ...« Zillai stieß den Mann mühelos von sich. Im hohen Bogen flog Vivians Vater zurück und schlug mit dem Rücken gegen den Türrahmen, der unter dem Aufprall zersplitterte. Sofort war Zillai bei ihm, griff dem Mann brutal ins Genick. Ein-, zweimal schlug er dessen Kopf hart gegen die gemauerte Zimmerwand. Cooper sackte zusammen. Blitze explodierten auf seinen Netzhäuten, und der Schmerz begann ihn einzulullen. Der Vampir ließ ihn nicht erst wieder zu Atem kommen und ballte die Faust. Mit ungeheurer Kraft grub sie sich in Coopers Bauch. Bohrte sich tief in die schwabbelige Masse. Ungläubig sah der Mann an sich hinab. Der Unterarm des Unheimlichen steckte so weit im Leib, dass die Hand an seinem Rücken wieder austreten musste. Dieses grauenvolle Bild war das Letzte, was sein Verstand noch real verarbeitete. In Coopers verdrehten Augen war nur noch das Weiße zu sehen. Stoßweise drangen dunkles Blut und würgende, gurgelnde Laute aus seinem halb geöffneten Mund. Zillai zog ruhig seinen mit Blut und Schleim besudelten Arm aus der Leiche, richtete sich auf und drehte sich zu dem Mädchen um. Vivian konnte nicht fassen, was sie da sah. Bisher war sie so geschockt gewesen, dass sie nicht hatte reagieren können. Jetzt aber schrie sie gellend auf! »Dad!« Das Mädchen sprang auf, wollte zu seinem Vater laufen. Der Vampir hielt Vivian zurück. 3
»Du kannst ihm nicht mehr helfen.« Genauso zärtlich, wie er mit den langen, feingliedrigen Fingern über ihre Wange strich, hörte sich seine Stimme an. »Jetzt gehörst du mir. Mir ganz allein!« Mit ihren kleinen Fäusten hämmerte sie gegen seine starke Brust, doch die Schläge schienen ihm nichts auszumachen. »Was hast du getan? Was hast du mit meinem Vater gemacht, du Ungeheuer?« Ihre Stimme kippte in ein haltloses Schluchzen um. Aus Zillais zartem Streicheln wurde ein stahlharter Griff. Einer Eisenklammer gleich hielt er ihren Kopf in den Händen. Die Nackenwirbel knirschten hörbar, als Zillai ihn unerbittlich zur Seite drehte. Vivian nahm die Schmerzen kaum wahr. Alles, was sich hier abspielte, geschah für ihr Bewusstsein in einer fernen, schrecklichen Welt. »Wer bist du?« Ihre Stimme war nur noch ein mühevolles Krächzen. »Was bist du?« Zillai antwortete nicht. Stattdessen öffnete er wieder seinen Mund. Erneut blitzten seine langen Eckzähne im schwachen Licht der Lampe. Dann schlug er seine Zähne in Vivians Hals. Ihr Körper verkrampfte sich. Erst war da ein kurzer Schmerz, dann aber überschwemmten sie seltsame Gefühle, gleich einem Drogenrausch ... Schmatzende Laute drangen durch ihren vernebelten Verstand. Obwohl sie es nicht begreifen konnte, wusste sie doch instinktiv, dass Zillai ihr Blut trank.
Da sah Vivian, wie sich schräg hinter Zillai, beinahe lautlos, ein greller Feuerblitz entlud. Schwach versuchte sie zurückzuweichen. Aber Zillais harter Griff hatte sich nicht gelockert. Aus den Flammen materialisierte sich nach und nach eine schemenhafte Gestalt. Es war keine menschliche Gestalt. Überhaupt schien sie keine feste Form, keine Konturen zu besitzen, sondern nur aus heißem, fließendem Feuer zu bestehen... Die plötzliche Hitze in dem Raum schreckte den Vampir auf. Er wirbelte herum und ließ Vivian fallen. Kraftlos sackte das Mädchen zusammen. Zillais Gedanken rasten. Er hatte mit keiner weiteren Störung gerechnet. Doch wie es schien, kam er vorerst nicht dazu, seine Nahrungsaufnahme zu beenden. Sofort war ihm klar, dass er einem Wesen gegenüberstand, das ihm in jeder Hinsicht weit überlegen war. Mit menschlichen Maßstäben gemessen, besaß Zillai unvorstellbare Kräfte. Sogar die Fähigkeit, sich in Nebel zu verwandeln, hatte er. Aber er spürte, dass all das nichts - rein gar nichts - gegen die Kräfte dieses Dämons war. Die absolut böse Aura, die den aus dem Nichts erschienenen Gegner umgab, spürte der Vampir bis ins Innerste seines Körpers. Wie giftiger Nebel erfüllte sie den Raum. Der Dämon bäumte sich vor Zillai auf. Er streckte sich so weit, dass er die Zimmerdecke berührte und an der weißen Farbe eine schwarze Rußspur hinterließ. Der Vampir reagierte gedankenschnell, wich zurück. Es war sinnlos, dieses Wesen zu 4
bekämpfen. Das war ihm klar. Wie sollte man mit bloßen Händen gegen Feuer kämpfen? Seine einzige reelle Chance war, von hier zu verschwinden. Er gehörte nicht zu den Vampiren, deren Denken von einem oft selbstmörderischen Stolz beherrscht wurde. Stolz hatte er, ja, aber er wusste auch, wann es genug war, wann sich ein Kampf zu einem Himmelfahrtskommando entwickelte. Und das war so ein Kampf. Er musste sofort weg! Zum Fenster konnte er nicht hinaus. Der Dämon stand genau davor. Da kam er nicht vorbei. Also zur Tür. Zillai jagte los. Doch noch bevor er die Tür erreichte, verstellte ihm der Dämon auch diesen Fluchtweg. Mit der Schnelligkeit dieser Ausgeburt der Hölle konnte Zillai nicht mithalten. Verzweifelt versuchte er es noch einmal. Das Fenster! Wieder war er zu langsam, der Dämon zu schnell. Jetzt blieb ihm nur noch eine einzige Möglichkeit - die Nebelform... Er blickte zu Vivian hinüber, die verkrümmt am Boden lag. Kurz bedauerte er, dass er weg musste. Dass er nun keine Möglichkeit hatte, dieses hinreißende Geschöpf zu einem Vampir zu machen. Zu seiner Gefährtin der Nacht.. . Nicht mehr lange, dann starb sie. Er hatte zu viel von ihrem Blut getrunken. Aber er bedauerte es nicht wirklich, es war ihm eigentlich ziemlich egal. Denn jetzt galt es, seine eigene Haut zu retten. Der Vampir hatte nicht mehr die Gelegenheit, die Transformation einzuleiten . Das Wesen verformte sich, reckte etwas nach ihm, das einem abgesägten Ast nicht unähnlich war. Aus dem stumpfen Ende entwickelten sich langsam drei Spitzen heraus, flammenden Fingern gleich. Trotz der Gefahr, die Zillais ganzes Denken beherrschte, konnte er sich diesem Schauspiel nicht entziehen. Gebannt beobachtete er den Vorgang. Dann wurde er gepackt. Mühelos, als wiege der Vampir nicht mehr als ein Kind, hob das Wesen ihn in die Luft. Zillai schrie in plötzlichem, überwältigendem Schmerz auf. Rot glühende Flammenzungen leckten aus Augen, Nase und Mund des wild mit den Armen schlagen Vampirs. Aus seiner Brust brachen Feuerstöße hervor, und seine Arme und Beine flammten auf, als wären die Glieder mit Benzin getränkt. Seine Gesichtshaut verfärbte sich dunkel, wurde schließlich ganz schwarz und begann zu knittern wie brennendes Pergament. Sekundenbruchteile später zeugte nichts mehr von Zillais Existenz. Nicht einmal Asche ...
Lautlos stiegen die drei schwer bewaffneten Männer die morschen Stufen der 5
Kellertreppe eines leerstehenden, heruntergekommenen Gebäudes in Queens hinab. Josh Benson - groß und durchtrainiert, mit dunkelblondem, raspelkurz geschorenem Haar - ging festen Schrittes voran. In der Rechten trug er einen 5-Liter-Kanister, in der Linken eine starke Halogentaschenlampe, deren Lichtkegel die vor ihm liegende Finsternis durchschnitt. Kühl und feucht war es hier unten. Eigentlich eine Wohltat, denn draußen schwitzten die Menschen am heißesten Tag des Jahres in der New Yorker Mittagshitze. Viele hätten ihr letztes Hemd für einen kühlen, ruhigen Platz wie diesen gegeben ... Die Nerven der Männer waren zum Zerreißen angespannt. Jederzeit rechneten sie damit, in das finstere Antlitz des Todes zu blicken. Endlich hatten sie den Treppenabsatz erreicht. Auf der letzten Stufe stehend, sah sich Josh in alle Richtungen um. Die Luft war rein - er konnte nichts Auffälliges entdecken und gab seinen Mitstreitern ein kurzes Handzeichen, woraufhin sie ebenfalls weiter herunterkamen. Die Männer verstanden sich ohne Worte. Sie setzen ihren Weg fort und erreichten schließlich ein Gewölbe mit groben Steinmauern und nacktem Erdboden. Der unterirdische Raum war groß, bestimmt doppelt so groß wie das Gebäude darüber, und er war vollgestopft mit zerschlissenen Sofas, alten Matratzen und fleckigen Futons. Darauf ruhten sie - die Vampire. In diesem Unterschlupf warteten sie auf den Einbruch der Dunkelheit, um ihr Unwesen unter den Menschen zu treiben. Dort draußen, in New York und Tausenden von anderen Städten. Unerkannt. Unbemerkt. Fast unbemerkt! Denn immerhin gab es Menschen wie Josh und seine Männer. Eines Tages würden sie die Welt endgültig von diesem blutsaugendem Abschaum befreien ... McDermit, ein breitschultriger irischer Riese, sprach aus, was alle dachten. »Zeigen wir den Mistkerlen endlich, was eine Harke ist!« Und mit einem verschmitzten Grinsen: »Ich hab nämlich heute noch was anderes vor ...« Ein kurzes Nicken, und sie setzten sich wieder in Bewegung. Josh öffnete den Kanister und schüttete eine Flüssigkeit über die Polster und Matratzen - Kerosingestank erfüllte den Raum. Anschließend zogen sich die Männer zum Ausgang des Gewölbes zurück. Webb, der dritte Mitstreiter im Bunde, zog eine zerknitterte Schachtel Zigaretten aus seiner Westentasche, fingerte ein Stäbchen aus der Packung und schob es zwischen seine wulstigen Lippen. Er nahm ein Streichholz und riss es an der nackten Steinwand an. Mit einem leisen Zischen flammte das rote Schwefelköpfchen auf. Vorsichtig hob Webb es an seine Zigarette. Der Tabak entzündete sich, und der kahlköpfige Mann mit dem Stiernacken tat einen genießerischen Zug. Scheinbar achtlos warf er das Streichholz von sich. Ein grimmiges Lächeln legte sich dabei auf seine Lippen. Dann brach die Hölle los! Mit einem gewaltigen Tosen fing das Kerosin Feuer. Sofort brannte die gesamte Einrichtung des Gewölbes lichterloh. Schrille Schreie erklangen, als die Vampire aus ihrem Schlaf gerissen wurden und sich in einer ausweglosen Falle gefangen sahen. 6
Durch den sich rasend schnell ausbreitenden dichten Qualm sahen die Männer, die mittlerweile ABC-Schutzmasken aufgesetzt hatten, einen der Vampire auf sie zutaumeln. Feuer, Rauch und die Tatsache, dass es noch Tag war, ließen ihn nicht klar denken. Er stolperte unbeholfen durch den Gang. Doch McDermit hielt bereits kampfbereit seine Machete in der Rechten. Weit ausholend traf er mit einem mächtigen Schlag den Hals des Vampirs. Ein grässlicher, markdurchdringender Schrei erklang, an dessen jähem Ende der Blutsauger sein untotes Leben aushauchte. Der abgeschlagene Kopf rollte noch einige Meter und kam schließlich zu Webbs Füßen zum Liegen. Angewidert verzog Webb das Gesicht und kickte ihn mit dem Fuß ins Feuer. Die Männer warteten noch eine Weile. Sie wollten sicher gehen, dass keiner der Vampire dem Inferno entkam. Nachdem sie davon überzeugt waren, gingen sie zurück ins Erdgeschoss. Als sie aus dem Haus traten und gierig die frische Luft einatmeten, öffnete sich die Schiebetüre des vor der Tür geparkten schwarzen Vans. In der Ferne ertönten Sirenen, und Schaulustige eilten herbei. Mit einem Satz sprangen die drei ins Innere des Wagens, der gleich darauf mit quietschenden Reifen anfuhr. »Beim nächsten Einsatz überlasse ich euch aber nicht den ganzen Spaß, Jungs!« Durch den Innenspiegel sah die Fahrerin des Wagens die Männer an. »Euch ist doch hoffentlich klar, dass ich mich beim nächsten Mal nicht so leicht abspeisen lasse.« »Keine Angst, Schwesterchen!«, antwortete Josh. »Du bekommst auch noch deinen großen Auftritt...!«
Laut wummernde Bässe drangen aus den Pforten des Club Daemonique. Eine Traube ungeduldiger Gäste wartete vor dem Haupteingang auf Einlass. Größtenteils handelte es sich bei den Nachtschwärmern um Gothics. Ihr Aussehen stellte eine Mischung aus Lack, Leder und viktorianischer Eleganz dar. Die Haare waren schwarz - kurz und stachelig oder lang und wehend. Kreidiges Make up und breiter dunkler Lidstrich verliehen ihren Gesichtern ein ausgemergeltes, unirdisches Aussehen. Bruce mochte Gothics. Besonders die Frauen. Mit kurzen Samtröcken und zerrissenen Netzstrümpfen boten sie oft einen sehr appetitlichen Anblick. Er selbst kleidete sich nicht wie ein Gothic, sondern eher wie ein Rocker. Lederjacke, Lederhose, Stiefel und die nietenbeschlagenen Handschuhe, alles in Schwarz. Seine Lieblingsfarbe. Ein Berg von einem Mann, weit über zwei Meter groß und gut 150 Kilo schwer, bewachte den Eingang zum Club. Goliath, der Türsteher. Bruce nickte dem Riesen zu. Goliath grüßte knapp, und der Vampir betrat den Club. Die große, tiefer liegende Halle war mit Hunderten von Gästen vollgestopft. Ihre zuckenden 7
Leiber bewegten sich hektisch zum Rhythmus der düsteren Undergroundklänge, die aus gigantischen Lautsprecherboxen drangen. Von der Treppe herab überflog Bruces forschender Blick die dunkle Masse. Nach wenigen Augenblicken entdeckte er trotz des Gedränges die Person, nach der er Ausschau hielt. Alle anderen Anwesenden überragend, stand Pietro Gonzales an der Bar. Unter Zuhilfenahme der breiten Schultern und Ellbogen bahnte sich Bruce einen Weg zu Gonzales. »Bruce, mein Alter!«, schrie ihm der Vampir zur Begrüßung mit seinem gewaltigen Bass ins Ohr und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Wie laufen denn die Geschäfte?« »Hallo, Pietro. Na, ist dir schon was Schmackhaftes über den Weg gelaufen?« Verschwörerisch zwinkerte Bruce ihm zu. Genau wie er selbst war Gonzales aus einem ganz bestimmten Grund in den Club gekommen - Nahrungsaufnahme. Mit einem Nicken deutete Gonzales auf ein hübsches junges Ding. Abwechselnd warf die Kleine nun sowohl Gonzales als auch Bruce bewundernde Blicke zu. »Was hältst du von der Puppe da?« Das flackernde, zuckende Licht der Discobeleuchtung hob ihre lockenden, erotischen und geschmeidigen Tanzbewegungen noch deutlicher hervor. Anerkennend schürzte Bruce die Lippen. »Nicht schlecht!« Er setzte ein herausforderndes Grinsen auf. »Dann wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden sie bekommt.« »He, Alter! Sie ist meine Entdeckung!« Es war ein kleiner Wettstreit zwischen Pietro und Bruce. Ein Wettstreit, den mal der eine und mal der andere für sich entschied. Gespielt entrüstet wollte Gonzales ihn zurückhalten, doch mit einer halben Drehung entwand sich Bruce lachend dem Griff und ging ohne zu Zögern auf die Kleine zu. Mit der Zungenspitze fuhr sie sich verführerisch über die Lippen. Sie wusste, was sie wollte, und hatte keine Hemmungen, es deutlich zu machen. Das Mädchen war wirklich eine atemberaubende Schönheit. Schlank, mit Rundungen an den richtigen Stellen. Das Gesicht nur leicht geschminkt und die langen, glatt herunterhängenden Haare schwarz wie die Nacht. »Hi, ich bin Bruce.« Von Angesicht zu Angesicht erkannte er, dass die Schwarzhaarige nicht mehr ganz so jung war, wie er anfangs dachte. Etwa Mitte bis Ende zwanzig musste sie sein. Aber das tat seinem Verlangen keinen Abbruch. Was konnte es Besseres geben, als eine erfahrene, selbstbewusste Frau mit dem Körper einer Zwanzigjährigen, die genau wusste, was sie wollte? Einen Augenblick lang musterte sie ihn kritisch. Dann zeichnete sich auf ihren vollen Lippen ein Lächeln ab. »Nenn mich Moon, Süßer.« Amüsiert nickte er, verkniff sich aber einen Kommentar. Ihr geschmeidiger Körper schmiegte sich im Takt der Musik eng an ihn. Bruce spürte die festen Brüste unter der dünnen Bluse und die Hitze, die sie ausstrahlte. 8
Moon zwinkerte ihm zu, nahm seine Hand und zog ihn wortlos mit sich. »Schach matt, Gonzales, alter Junge!«, dachte Bruce schadenfroh, während er ihrem kleinen, festen Hintern durch den Tanzschuppen folgte. Die Schwarzhaarige führte ihn durch einen spärlich beleuchteten Notausgang. Sie traten ins Freie, und Bruce sah sich um. Sie befanden sich in einem heruntergekommenen Hinterhof. Der schwache Schein des Mondes fiel auf überquellende Mülleimer und allerlei herumstehendes Gerumpel. Es roch nach Abfall, Urin und Erbrochenem. Katzen und Ratten streunten herum. Die Klimaanlage der Disco brummte laut und blies die abgestandene Luft vom Inneren hier heraus. Der Vampir packte die Frau und drückte sie gegen die Häuserwand. Lustvoll stöhnte sie auf, als seine Hände an ihren netzbestrumpften straffen Schenkeln hochstrichen ... Den Blick gierig auf den schlanken Hals gerichtet, näherte sich sein Mund der Stelle, wo die Halsschlagader sichtbar unter der zarten Haut pochte. Bruce fuhr seine Eckzähne aus. Da riss sich Moon los. Zuerst glaubte er, sie hätte seine Eckzähne gesehen und sich erschreckt, aber dem war nicht so. Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn weiter. »Hier entlang!«, sagte sie. »Da hinten stört uns garantiert niemand.« Amüsiert folgte Bruce der Schwarzhaarigen zu dem im Schatten liegendem Teil des Hinterhofes. Ein ungestörtes Plätzchen konnte ihm für sein Vorhaben nur recht sein. Endlich war das Girl zufrieden. Hinter einer morschen Bretterbude lehnte sie sich an die Wand und räkelte sich lasziv. Ungeduldig drängte sich Bruce dicht an sie heran. Er strich über ihr weiches Haar, um im nächsten Augenblick hart zuzugreifen. »Ja ...« Sie stöhnte auf. »Ich steh echt voll auf die brutale Tour.« Der Vampir grinste. Warum konnte es nur nicht immer so einfach sein? Langsam, ganz langsam, näherte sich sein Mund ihrem Hals. Die perlweiß schimmernden Fänge bogen sich wie feine Nadeln über seine Lippen. Genießerisch ließ er sie über ihre warme Haut gleiten. Er öffnete den Mund. Ihre Halsschlagader trat mit jedem Pulsschlag deutlich hervor ... Ein leises Geräusch ließ ihn herumwirbeln. Und er erblickte drei schwer bewaffnete Kerle!
Langsam und drohend, wie schleichendes Gift, kamen die Typen näher. Was für eine Waffe der erste Kerl in der Hand hielt, konnte Bruce nicht genau erkennen. Aber es war ganz sicher kein Damenrevolver. Auch der Mittlere verbarg etwas unter seinem Mantel, dessen geschwungene Form ihn nichts Gutes ahnen ließen. 9
Der Typ links, ein muskelbepackter Klotz mit platinblonder Stoppelfrisur, hatte eine Ingram - Mac-10-Maschinenpistole im Anschlag. Bruce kannte die Waffe. Ein Treffer damit riss einen normalen Menschen in Stücke. Und ihm selbst würde sie zumindest so richtig wehtun. Feiges Gewürm! Gleichzeitig mit diesem Gedanken drang ein wütendes Knurren aus Bruces Kehle. Wie in Zeitlupentempo sah er, wie sich der Zeigefinger des Platinblonden am Abzug krümmte. Bruce warf sich zur Seite. Die Mac-10 begann zu hämmern. Mit einer geschmeidigen Rolle landete Bruce hinter dem Bretterverschlag und bot somit der nächsten Salve kein sichtbares Ziel mehr. Das war auch gut so, denn die beiden Treffer in seinem linken Oberarm schmerzten so heftig wie erwartet. Der Vampir hielt kurz inne, um die Heilung einzuleiten. Da spürte er einen harten Druck in seinem Rücken. Ein leises, hämisches Kichern erklang. Einer gespannten Feder gleich wirbelte Bruce herum. Moon! Das Mädchen gehörte natürlich dazu. War wohl zu schön, um wahr zu sein. »Ich sagte doch schon, dass ich auf die harte Tour abfahre, du elender Blutsauger!«, zischte die Schlampe. Dort die Typen, die sich mit der schussbereiten Maschinenpistole und was sonst noch langsam seiner Deckung näherten. Direkt vor ihm das Mädchen mit einer Druckluft-Pflockpistole in der Hand. Ein treuer Freund für jeden Vampir-Jäger, dachte Bruce zynisch. Er zögerte nicht länger. Heftig schlug er dem Girl die Waffe aus der Hand. Aber für einen Menschen war die Schwarzhaarige erstaunlich schnell. Bevor er sie packen konnte, griff sie ihn mit einer entschlossenen, kampferprobten Wildheit an, die Bruce vor Überraschung ins Schleudern brachte. Ein Hagel schneller Karatetritte begleitet von schrillen Kampfschreien ließ den Vampir rückwärts taumeln. Es war sein Glück, dass der Typ mit der Maschinenpistole Angst hatte, das Mädchen zu treffen. Mit bewundernden Blicken verfolgten die drei Männer ihre Aktionen. Für sie schien der Sieger dieses Fights schon festzustehen. Sie machten keinerlei Anstalten, einzugreifen oder sich in bessere Positionen zu bringen, wie Bruce aus den Augenwinkeln feststellte. Idioten! Moon setzte zu einem gesprungenen Roundkick gegen seinen Kopf an. »Nicht mit mir, Süße! «, dachte Bruce grimmig. Unter dem Tritt hindurchtauchend, riss er die Arme hoch und bekam das gestreckte Bein des Girls zu fassen. Voller Wut drehte er es herum. Die hässlichen Geräusche, als Bänder rissen und Knochen brachen, ließen Bruce zufrieden grinsen. 10
Aufheulend krachte sie aufs Pflaster. Der Vampir machte kurzen Prozess. Ihren Kopf zwischen seinen Händen haltend, drehte er ihn ruckartig zur Seite. Noch bevor ihr Genick mit einem hörbaren Knirschen brach, stoppte ihr Wehgeschrei abrupt. Im selben Moment, als ihr lebloser Körper zusammensackte, bellte die großkalibrige Waffe auf. »Du seelenloses Schwein! Du schwanzloser Hurensohn!« Ein gutes Dutzend Kugeln schlug hinter ihm in die Hauswand, als Bruce wieder in die trügerische Sicherheit des Bretterverschlags hechtete. Die Kugeln durchpusteten das morsche Holz wie gespuckte Kirschkerne Badeschaum und sprengten auch Splitter aus der gemauerten Wand dahinter. Drei gegen einen - eigentlich kein Problem. Aber die MP glich das Ganze ein wenig aus. Ein Bolzen durchschlug die Holzwand und sauste unter seiner Nase vorbei. Eine Armbrust! Bruce fühlte sich noch entschieden zu jung zum Sterben ...
Die Kerle hatten sich getrennt. Immer noch durchschlugen Kugeln den dünnen Bretterverschlag. Doch der Vampir vernahm leises Getrappel auf der anderen Seite. Sie versuchten, ihn einzukreisen, von drei Seiten gleichzeitig anzugreifen. Sie wollten ihn abschlachten wie ein wildes Tier in der Falle ... Bruce zog sein Hiebmesser unter der Jacke hervor. Die Beinmuskeln spannten sich und... Da öffnete sich die Hintertür der Disco, und eine große, breite Gestalt trat hinaus. Pietro! Für einen Sekundenbruchteil ließen sich die Kerle ablenken. Auf so eine Chance hatte Bruce gewartet und nutzte sie gnadenlos aus. Er warnte seinen Freund mit einem Ruf, sprang aus seiner Deckung hervor und zog dem ihm am nächsten stehenden Vampirjäger das Messer durch den Körper. Er bemerkte den Widerstand der Rippen kaum, als er sie durchtrennte. Mit einem Hieb spaltete er den Brustkasten horizontal, zerfetzte Lunge und Herz. Der Typ - es war der mit dem schweren Revolver - stieß einen gurgelnden Schrei aus und fiel kraftlos zu Boden. Pietro begriff schnell, was sich hier abspielte. Schon nahm er einen der beiden übrig gebliebenen Kerle in den Würgegriff. Doch der Typ erwies sich als außergewöhnlich zäh und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen sein Schicksal. Bruce nahm sich den letzten Mann vor. Gezielt trat er dem Mitzwanziger in den Magen. Der warf sich zurück und konnte fast noch ausweichen. Fast. 11
Der Kerl ging wimmernd in die Knie, obwohl ihn Bruces Tritt nur gestreift hatte, und kippte nach hinten weg. Der Vampir lächelte siegessicher. Doch sein Gegner rollte sich noch aus dem Rückwärtsfallen herum, schnellte wieder vor und hieb Bruce mehrmals hintereinander seine Faust ins Gesicht. Es waren harte Schläge, aber nicht hart genug für Bruce. Wütend packte er den Angreifer an der Jacke, hob ihn hoch und ließ ihn Saltos schlagend durch die Luft segeln. Hart krachte der Kerl zu Boden, und stöhnend versuchte er, sich wieder aufzurichten. Da ließ ein schriller Schrei Bruce herumfahren. Als er seinen Kumpel Pietro sah, rann ein eisiger Schauer seinen Rücken herab. Denn genau in Höhe des Herzens ragte der Bolzen einer Armbrust aus seiner Brust. Irgendwie war es Pietros Gegner im Kampfgerangel gelungen, die Waffe in Anschlag zu bringen und abzudrücken. Pietro starrte völlig entgeistert auf den Pflock in seiner Brust, war aber schon tot, begann zu verrotten. Als er nach hinten überkippte, löste er sich bereits zu Staub auf. Der Mann hatte bereits nachgeladen und zielte damit genau auf Bruces Brust! Geistesgegenwärtig warf sich der Vampir zu Boden, als der Angreifer abdrückte. Der Pflock traf. Die Wucht ließ den Vampir herum wirbeln, er verlor den Boden unter den Füßen. Da stürmten Leute aus dem Hinterausgang der Disco. Vermutlich befürchteten sie aufgrund des Sirenengeheuls, das aus weiter Ferne erklang, eine Razzia, oder sie hatten einfach etwas von dem, was hier draußen vorging, mitbekommen. Entsetzt starrten sie auf das Geschehen ...
»Verdammt, Josh, es hat keinen Sinn! Wir müssen weg!« McDermit stürmte zu seinem Mitstreiter und wollte ihn mit sich zerren. Doch Josh widersetzte sich seinem Partner. Irgendwo weiter vorn lag der Vampir, der Joshs Schwester getötet hatte. Sie hatten nicht viel Zeit. . . »Kommt nicht in Frage, dass wir uns einfach aus dem Staub machen!«, entgegnete er. »Wir müssen Linda rächen. Koste es, was es wolle! Ich will diesem Drecksvampir bei lebendigem Leib sein kaltes Herz herausreißen!« »Er ist tot, Josh!« McDermit schaute nervös zum Hinterausgang der Disco, wo er inmitten der ganzen Leute jeden Augenblick die Cops erwartete. »Und falls er noch nicht erledigt ist, dann holen wir es nach. Aber nicht jetzt, hörst du? Die Cops werden gleich hier sein und uns eine Menge unangenehmer Fragen stellen wollen, Josh. Wir haben Waffen bei uns, zwei Tote liegen hier. Was glaubst du, werden die sagen, wenn wir ihnen erzählen, was hier vorgefallen ist? Die werden uns auslachen und uns für die Mörder halten. Und wenn wir im Knast sitzen, können wir Linda nicht rächen.« Josh hob den Blick. »Du hast ja Recht«, murmelte er matt. »Gut. Dann komm jetzt!« 12
Sie stürmten los, rannten auf den Hintereingang des Gebäudes zu. Die davor stehenden Leute wichen ängstlich zur Seite, ließen sie ungehindert passieren. Doch ein anderer zögerte nicht, die Verfolgung der Vampirjäger aufzunehmen. Bruce!
Glauben diese Idioten tatsächlich, dass ich sie so einfach davonkommen lasse?, fragte sich Bruce. Schon hatte er sich wie ein Schatten erhoben. Er riss sich den Pflock aus der Schulter und heftete sich den fliehenden Vampir Jägern an die Fersen. Er würde nicht zulassen, dass sie sich aus dem Staub machten. Diese Drecksäcke stellten eine potentielle Gefahr für alle New Yorker Vampire dar. Bruce stürmte durch den Hinterausgang des Clubs. Unsanft schubste er eine junge Frau zur Seite, die sich der Tür zu weit genähert hatte. Sie begann hysterisch zu kreischen, doch das ignorierte er. Eilig lief Bruce an ihr vorbei und sah gerade noch, wie die beiden Vampirjäger in der Menge der tanzenden Leiber verschwanden. Er grinste. Wenn sie glaubten, ihn so einfach loswerden zu können, hatten sie sich schwer geschnitten. Bruce erreichte die vollgestopfte Tanzfläche. Rücksichtslos stieß er alle Menschen beiseite, die ihm im Weg standen. Dabei kam er wesentlich schneller voran, als die beiden Vampirjäger. Schnell näherte er sich den beiden Männern. Doch dann hatten sie das Ende der Tanzfläche erreicht und rannten sofort weiter, und so vergrößerte sich ihr Vorsprung wieder. Als Bruce nur wenige Sekunden später aus der Eingangstür des Clubs stürzte, hörte er noch die quietschenden Reifen des schwarzen Vans, hinter dessen Steuer der platinblonde Vampirjäger saß. Der kalte Lauf einer Waffe bohrte sich hart gegen Bruces Schläfe, gerade als er die Harley starten wollte. Aus den Augenwinkeln sah er einen Cop, der ihn mit festem Blick musterte. »Ganz ruhig, Mann!« Die Stimme des Gesetzeshüters klang entschlossen. »Wenn sich auch nur eine Wimper im Lufthauch bewegt, brenn ich dir ein Loch in deinen Schädel!« Mittlerweile war der schwarze Van über alle Berge. Bruce zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen. Langsam wurde er wirklich wütend. »Hören Sie, Officer, die beiden haben da hinten zwei Leute umgebracht, und ...« Für einen Augenblick war der Bulle abgelenkt und blickte dem Van hinterher. Das genügte! Bruce schleuderte ihn gegen die nächste Wand, warf die Harley an und brauste los. Und dann wurde er auch schon vom Dunkel der Nacht verschluckt.
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»Hallo Bruce, mein süßer, kleiner Primat!« Seufzend verdrehte Bruce Darkness die Augen. Er hatte gerade die Chefetage im 85. Stockwerk des Empire State Buildings betreten und gehofft, dieses Mal einer Begegnung mit Katrina Stein, seiner erklärten Lieblingsfeindin, aus dem Weg gehen zu können. Doch kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, da war hinter ihm auch schon ihre honigsüße Stimme erklungen. Bruce wandte sich mit einem schiefen Lächeln um. Wie immer bot die Vampirin einen atemberaubenden Anblick mit ihren dunklen Augen und dem langen schwarzen Haar. Sie hatte hellbraune Haut, blutrote Lippen und trug ein schwarzes Kostüm, das sich an ihren schlanken Leib schmiegte. »Katrina, meine Liebe! Wie sehr habe ich doch deinen Anblick vermisst. Hab ich dir auch gefehlt, Zuckerschnecke?« Auch Bruces Stimme klang honigsüß und liebenswürdig. »Natürlich hast du mich vermisst, Katie - dein ganzer Körper schreit ja geradezu danach, von mir beglückt zu werden.« »Du bist und bleibst ein Prolet, Bruce! Ich verstehe gar nicht, wie sich der Baron überhaupt mit einem wie dir abgeben kann!« »Tja, es kann nicht jeder so fantastisch aussehen wie du.« Spöttisch grinsend zuckte der Vampir mit den Schultern. »Manche müssen auch was drauf haben.« »Es mag sein, dass auch du ein paar positive Eigenschaften in dir verbirgst. Doch ich glaube nicht, dass der Rest meiner Existenzdauer ausreichen wird, auch nur eine davon zu entdecken.« Sie lächelte ihn an. Bruce schluckte, wandte sich um und stiefelte zur Tür, die zum Büro des Barons führte. Er war sonst ziemlich schlagfertig. Nur bei Katrina zog er immer den Kürzeren. Verdammt!
»Es ist gut, dass du so schnell gekommen bist, Bruce.« Boris Baron von Kradoc saß hinter seinem schweren, mit exquisiten Schnitzarbeiten versehenen Mahagonischreibtisch hervor, als sein junger Stellvertreter eintrat und die Tür hinter sich schloss. Man konnte sich keine zwei Personen vorstellen, die gegensätzlicher wären. Während Bruce, wie üblich, in schwarzes Leder gekleidet war, trug Kradoc einen hochgeschnittenen zweireihigen blutroten Gehrock mit hohem Stehkragen und spitzem Revers. An den Frackärmeln ragten Rüschenmanschetten hervor, und darunter trug er eine kürzere königsblaue Weste. Seine Beine steckten in schwarzen Satinhosen, die nur bis knapp über die Knie reichten, und in langen weißen Seidenstrümpfen. Er bot Bruce einen der wuchtigen, mit rotem Samt belegten Fauteuils an. »Es gibt Probleme«, begann der Baron ohne große Einleitung, wie es seine Art war. »Dir ist bekannt, dass innerhalb der letzten Woche drei meiner engeren Mitarbeiter verschwunden sind.« Bruce nickte. »Lucius Borges, Jean-Paul Batiste und Oliver Dasher. Es ist, als hätte sich die Erde aufgetan und sie verschluckt. Nicht die kleinste Spur von ihnen haben die 14
ausgesandten Späher gefunden.« Er zögerte kurz. »Sie wollten sich selbst darum kümmern.« Bruce erinnerte sich noch, dass er sich vor ein paar Tagen übergangen gefühlt hatte, weil ihn der Baron nicht mit der Suche nach den dreien beauftragt hatte. Der Baron lächelte schmal, wollte etwas erwidern, da erklang der schrille Dreiklang-Ton des ultramodernen Telefons auf seinem Schreibtisch. Bruce erhob sich, und wollte den Raum für die Dauer des Gesprächs verlassen, doch der Baron schüttelte den Kopf. »Du kannst bleiben, Bruce«, sagte er und nahm den Hörer ab. Es folgte ein kurzes Gespräch, dann legte er den Hörer wieder auf die Gabel zurück. »Es gibt einen weiteren Vermissten. Zillai Vanross wurde seit zwei Nächten nicht mehr gesehen und ist auch zu einer wichtigen Geschäftsverabredung nicht erschienen.« Kradoc erhob sich von seinem Lehnstuhl und wanderte mit langen Schritten durch den opulent eingerichteten Raum. »Haben Sie einen Verdacht, wer für das Verschwinden der drei verantwortlich sein könnte, Herr?« Der Baron nickte. »Ich glaube tatsächlich zu wissen, wer dahinter stecken könnte.« Er hielt kurz inne und fixierte Bruce mit seinen braunen Augen. »Marcus von Thule!« Es spuckte den Namen geradezu angewidert aus, doch dann entspannten sich seine Züge und ein hintergründiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Marcus von Thule«, sagte er. »Der selbst ernannte Herrscher von Philadelphia. Seine Machtversessenheit wird nur noch von seiner Dummheit übertroffen! Wenn er tatsächlich glaubt, dass ich diesen Affront stillschweigend hinnehmen werde ...« Bruce ahnte bereits, worauf der Baron hinauswollte. Marcus von Thule war der Herr aller Vampire in Philadelphia und damit der De-FactoHerrscher der ganzen Stadt. Zwischen ihm und Kradoc herrschte ein schwelender Konkurrenzkampf um die Vormacht ihrer Städte. Zudem wurde gemunkelt, Marcus plane, dem Baron die Herrschaft über New York streitig zu machen. Und auch Kradoc war der Idee nicht abgeneigt, Philadelphia zu übernehmen, und so schmiedeten beide Rivalen ihre Expansionspläne, die sie mit Intrigen und verdeckten Attacken umzusetzen versuchten. Erst vor kurzem hatte Bruce einen von Marcus ältesten Gefolgsleuten davon überzeugt, dass es besser - und vor allem gesünder - für ihn war, die Seiten zu wechseln. Albert, so war sein Name, hatte aber vor allem eingewilligt, weil er erfahren hatte, dass sein ehemaliger Boss ihn in ein geistloses Kampfmonster verwandeln wollte. Oder Marcus hatte nicht einmal gewusst, was er da vorgehabt hatte. So oder so, danach schien es bei Baron von Kradoc für Albert bessere Zukunftschancen zu geben. »Ich wüsste niemand besseren als dich, Bruce, um diesen arroganten Emporkömmling in die Schranken zu weisen. Finde heraus, was er plant, und wenn diese Pläne gegen uns gerichtet sind, dann mach sie zunichte. Der Jet ist startbereit. Ich verlasse mich auf dich!« Bruce stand auf und verabschiedete sich. An der Tür rief ihn der Baron noch einmal zurück. 15
»Ach, Bruce! Ich habe da noch eine sehr interessante Information. Mir wurde zugetragen, dass sich ein paar Vampirjäger in der Stadt aufhalten. Sollten sie dir über den Weg laufen, überlasse ich dir das Vergnügen, sie auszuschalten.« Ein wissendes Lächeln umspielte die Mundwinkel seines Stellvertreters ...
Nachdem sie ihren Unterschlupf erreicht hatten und der gewaltige Adrenalinstoß langsam versiegte, traf der Schock Josh Benson mit entsetzlicher Wucht. Er konnte einfach nicht begreifen, dass Linda, seine kleine Schwester, nicht mehr am Leben war. Unwillkürlich dachte er zurück. An die vielen Jahre, die sie gemeinsam verbracht hatten. An all das, was sie miteinander erlebt hatten. Sie war eine so kluge und zudem äußerst schöne Frau gewesen. Und viel zu jung, um zu sterben ... Josh fühlte sich leer und verbraucht. Er hatte den Menschen verloren, der ihm in seinem Leben am wichtigsten gewesen war. Nie hatte er sich vorstellen können, einmal ohne seine Schwester zu sein. Sie waren ein Herz und eine Seele gewesen, hatten immer geglaubt, nichts könne sie trennen. Jetzt hatte der Tod sie getrennt. .. Verzweifelt senkte er den Kopf. Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Auge, rollte über sein Gesicht bis zum Kinn, löste sich dort und fiel auf den schäbigen grauen Linoleumboden. Linda war ihrer aller Schützling gewesen. Nun war sie tot, und sie mussten sich den bitteren Vorwurf machen, versagt zu haben. Hätten sie doch bloß besser auf Linda aufgepasst und sie mehr im Hintergrund agieren lassen! Jeder aus der Gruppe hatte seinen ureigenen Grund, auf dieses Vampirpack Jagd zu machen. Linda und Josh hatten ihre Eltern durch einen der Blutsauger verloren. Bei McDermit war es die Tochter gewesen. Webb hatte niemals ein Wort über seine Motive verloren - er allein hatte den Grund für seinen Hass auf alle Vampire gekannt und sein Geheimnis mit in den Tod genommen. Gemeinsam hatten sie vielen Blutsaugern den endgültigen Tod beschert, dabei aber niemals solch verheerenden Verluste hinnehmen müssen. »Ich wünsche dieser herzlosen Bestie ebenso den Tod wie du, Josh!« McDermit legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter. Natürlich hatten sie den Blutsauger gesehen, wie er sie verfolgt hatte. Er war nicht tot. »Und wir werden diesen Drecksvampir erledigen für Linda und Webb. Wir sind es ihnen einfach schuldig!« Grenzenlose Wut machte sich in Josh breit. Ja, er würde das Monster erledigen, und sollte es seine Seele kosten!
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Das Flugzeug, eine Chartermaschine, deren Besitzer nichts mit dem Baron zu tun hatten, landete wenige Minuten nach Mitternacht auf dem Boden von Philadelphia. Eine schwarze Mercedes-Benz-Limousine wartete schon auf dem Rollfeld auf Bruce. Das gefiel dem Vampir ganz und gar nicht. Niemand hätte von seiner Ankunft wissen sollen, so war es von ihm zumindest geplant gewesen. Er hatte die Leute hier wohl unterschätzt. Man erwartete ihn bereits. Fragte sich nur, wer und warum. Geduldig wartete der Fahrer - eine Bohnenstange von einem Mann, groß und dünn - an der Fondtür der Limousine. Sein bartloses Gesicht hatte die ungesunde Farbe kalter Asche und war völlig ausdruckslos. Bruce zuckte die Achseln. Es war wahrscheinlich, dass er soeben mit offenen Armen in sein Verderben lief. Andererseits würde man ihn kaum wieder einfach so starten lassen. Also konnte er auch ruhig versuchen, ein paar Antworten zu erhalten und sich dann den Weg freimetzeln, sollte es nötig werden. »Guter Plan! «, dachte er grinsend. Dabei war er sich bewusst, dass das kaum so einfach werden würde. Er hofft, dass man ihn nicht gleich als Feind einstufte. Schließlich gab es ja auch keine offene Kriegserklärung. Es wurde so getan, als wenn Frieden herrschte. Der Chauffeur öffnete die Tür zur Fahrgastzelle des Benz. Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ sich Bruce auf die weichen Ledersitze gleiten. Nicht sonderlich überrascht stellte er fest, dass er sich nicht allein im hinteren Tel des Wagens befand. Ihm gegenüber saß, stocksteif wie ein Brett, ein kleiner Mann mit mahagonifarbener Haut und glattgestriegeltem schwarzem Haar. Sein Lächeln war etwas zu breit, um wirklich freundlich zu wirken. Die Limousine fuhr an. »Herzlich willkommen in unserer schönen Stadt, Mr. Darkness.« Der kleine Mann hatte eine hohe, nasale Stimme und sprach mit einem Hauch von Akzent. »Ich hoffe, Ihr Flug war angenehm?« Bruce lehnte sich in dem Ledersitz zurück, funkelte den Mann argwöhnisch an und schwieg. »Oh, wie schrecklich unhöflich von mir.« Sein Gegenüber lächelte wieder, doch das Lächeln erreichte immer noch nicht seine kalten Augen. »Ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Ismael, und ich freue mich sehr, Sie endlich einmal persönlich kennen zu lernen.« Er reichte Bruce die Hand, und für einen Augenblick war Bruce versucht, die Höflichkeitsgeste einfach zu ignorieren. Doch er wollte sich nicht allzu unkooperativ zeigen. Das würde seinen Nachforschungen nur im Wege stehen. »Meinen Namen kennen Sie ja bereits, Ismael«, sagte er und erwiderte den Händedruck widerwillig. »Woher eigentlich, wenn ich fragen darf?« »Natürlich dürfen Sie fragen, Mr. Darkness. Natürlich dürfen Sie!« »Das ist nun wirklich eine sehr aussagekräftige Antwort! «, dachte Bruce zynisch, nachdem Ismael keine Anstalten machte weiterzusprechen. »Also?« 17
Gequält verzog sein Gegenüber das Gesicht. »Selbstverständlich sind Sie uns kein Unbekannter, Mr. Darkness. Ich bedauere es außerordentlich, Ihnen keine weiteren Antworten geben zu können. Bitten warten Sie, bis wir unser Ziel erreicht haben.« Er schlug die Beine mit den makellosen Hosenbügelfalten übereinander und legte die gefalteten Hände in den Schoß. »Dort werden Sie alle Antworten erhalten, die Sie benötigen ...« Bruce hob erstaunt eine Augenbraue, sagte jedoch nichts. Es machte wohl keinen Sinn, diesen Clown weiterhin zu löchern - er wollte ihm offenbar nichts sagen, und damit musste Bruce wohl leben. Zumindest für den Moment...
Etwa dreißig Minuten später drosselte der Fahrer das Tempo des Wagens. Fragend sah Bruce zu seinem geheimnisvollen Begleiter hinüber, doch dieser hüllte sich weiterhin in Schweigen. Durch die abgedunkelten Seitenfenster konnte Bruce erkennen, dass sie in die Tiefgarage eines riesigen Wolkenkratzers einfuhren. Die Höhle des Löwen! Bruce konnte sich denken, wer der Eigentümer dieses Gebäudes war - wie auch der vieler anderer in Philadelphia. »Sie hätten mir sagen sollen, dass wir direkt zum großen Boss fahren, Ismael!«, frotzelte er mit vorwurfsvoller Stimme. »Nun habe ich gar kein Gastgeschenk für Marcus dabei.« Lächelnd schüttelte Ismael den Kopf. »Sie sind ein schlauer Mann, Mr. Darkness. Ihr Kommen wird meinem Herrn Geschenk genug sein.« Er machte eine theatralische Pause. »Glauben Sie mir.« Bruce verspürte plötzlich das Verlangen, dem schmierigen Kerl sein Lächeln aus dem Gesicht zu prügeln. Doch er riss sich zusammen. Das konnte warten. Vorerst! Die Limousine kam zum Stehen, und das leise Brummen des Motors erstarb. Die Tür wurde geöffnet, und Ismael stieg aus. Bruce folgte dem kleinen Mann aus der Tiefgarage zu einem Fahrstuhl. Ismael drückte den Rufknopf, und eine Sekunde später glitten die schweren Stahltüren des Privatliftes leise auseinander. »Kommen Sie, Mr. Darkness. Mein Herr erwartet Sie bereits ungeduldig.« Beinahe geräuschlos glitt die Kabine des Lifts durch das gewaltige Gebäude. Als der Aufzug schließlich zum Stehen kam und sich die Türen öffneten, ließ Ismael Bruce mit einer übertrieben höflichen Geste den Vortritt. Der New Yorker Vampir betrat einen nur gedämpft beleuchteten Korridor. Dicker, weinroter Teppich verschluckte seine Schritte. Links und rechts der Aufzugtüren war je eine bis an die Zähne bewaffnete Wache postiert. Beide Männer - es waren wohl Vampire - musterten Bruce mit starren Blicken. Auch Ismael trat aus dem Lift, und die Türen schlossen sich wieder. »Wenn Sie mir bitte folgen würden, Mr. Darkness.« 18
Bruces Antwort bestand lediglich aus einem kehligen Brummen, das Ismael jedoch als Zustimmung interpretierte. Zielstrebig setze sich der kleine Mann in Bewegung. Mit Bruce im Schlepptau durchquerte er das wie ein Irrgarten aufgebaute Stockwerk. Schließlich blieb er vor einer großen holzgetäfelten Tür stehen. Leise klopfte er, und mit einem Summen wurde der Entriegelungsmechanismus betätigt. Ismael öffnete die Tür, verharrte jedoch auf der Schwelle. »Ich werde Sie jetzt verlassen, Mr. Darkness. Es war mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Bruce ersparte es sich, etwas zu erwidern. Der Raum, in den er eintrat, war groß und modern eingerichtet. An den Wänden hingen Gemälde mit moderner Kunst, und obwohl er auf diesem Gebiet nicht sehr bewandert war, war Bruce ziemlich sicher, dass es sich um Originale handelte. Die Wände selbst waren in kühlen Blau- und Grauschattierungen gehalten, die dem Raum eine klinisch sterile Atmosphäre verliehen. Vor der breiten Fensterfront, die einen sagenhaften Ausblick über die Skyline Phildelphias bot, stand ein gigantischer Schreibtisch aus Glas und Chrom. Eine versenkbare Schaltanlage ließ auf allerlei technische Spielereien schließen, die auf Knopfdruck bedient werden konnten. Dahinter, in einem ledernen Bürosessel, saß ein kräftiger Mann in einem offensichtlich maßgeschneiderten dunklen Anzug. Der Mann hatte braune Haare und einen gepflegten Bart. Täuschend freundliche braune Augen blickten Bruce entgegen. »Mr. Darkness.« Die tiefe Stimme war volltönend, aber kalt und ausdruckslos wie Eis. »Wie Sie ja sehen, eilt Ihnen Ihr Ruf voraus. Der Stellvertreter von Kradoc schafft es nicht, meine Stadt unbemerkt zu betreten. Jedenfalls freue ich mich, Sie kennen zu lernen.« Er lächelte ein warmes Lächeln, dass so gar nicht zu seiner kalten Stimme passen wollte. »Wenn Sie erlauben«, erwiderte Bruce schnippisch, »werde ich nach unserem Gespräch darüber urteilen, ob unser Treffen auch für mich ein Vergnügen war!« Marcus' Lippen kräuselten sich zu einem feinen Lächeln. »Sie sind kein Dummkopf, Mr. Darkness. So etwas spüre ich sofort. Sie wissen genau, dass ich Sie nicht aus purer Höflichkeit habe zu mir bringen lassen.« Mit knapper Geste deutete er auf einen der ihm gegenüberstehenden Besuchersessel. »Aber so setzen Sie sich doch erst einmal. Im Sitzen plaudert es sich doch viel gemütlicher. Darf ich ihnen etwas anbieten? Einen Blutcocktail? Welche Blutgruppen bevorzugen Sie?« Bruce winkte ab, ließ sich mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht in den Sessel fallen und legte die Füße auf dem Rand des Schreibtischs. Marcus von Thule ließ sich von seinem flegelhaften Benehmen nicht provozieren. »Ich hoffe, Sie haben nun eine bequeme Haltung gefunden und wir können endlich zum Grund Ihres Besuches in meiner schönen Stadt kommen.« Bruce nickte knapp. »Ich höre ...« »Ich fürchte, Sie haben mich missverstanden, Mr. Darkness!« Seine Gesichtszüge wiesen eindeutige, wenn auch beherrschte Anzeichen gelinden Ärgers auf. »Wäre es nicht zunächst einmal an Ihnen, sich zu erklären?« 19
»Das hättest du wohl gern, Alter! «, dachte Bruce. Aber du bist nicht halb so gerissen, wie du denkst. . . Laut sagte er: »Wie sie bereits sagten - Philadelphia ist eine wirklich wunderbare Stadt, und ich wollte schon längst einen Kurzurlaub hier verbringen.« Mit einem lauten Krachen ließ Marcus seine schmale Faust auf den Glastisch donnern. Plötzlich hatte Bruce das Gefühl, er müsse vor diesem Gott gleichen Wesen in die Knie sinken. Ehrfurcht vor Marcus von Thule ergriff ihn. Er kämpfte dagegen an. Das war nur ein blöder alter Vampir. Katrina konnte das auch. Sein eigener Herr, Baron von Kradoc, sicherlich ebenso. Bruce spürte, dass er im Begriff war, vor seinem Sessel zu knien, doch er zwang sich dazu, sitzen zu bleiben. Langsam gewann er die Kontrolle über sich zurück. Er spürte, dass ihm blutiger Schweiß auf der Stirn stand. Konzentriert starrte er an Marcus vorbei, rührte sich nicht. Er wusste nicht, was er tun würde, wenn er sich bewegte. »Sie strapazieren meine Geduld, Darkness! Ich sage es Ihnen im Guten: Versuchen Sie nicht, mich zu provozieren! Ich bin schon einige Jahrhunderte älter als Sie.« Der Zwang verschwand so schnell, wie er sich Bruces bemächtigt hatte. »Ich denke, Sie wissen, warum ich hier bin.« Bruces Stimme war jetzt ruhig und kalt. Er saß jetzt aufrecht auf seinem Sessel. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, noch einmal seine Füße hochzulegen. »Glauben Sie wirklich, mich mit ihrer lächerlichen Scharade hinters Licht führen zu können?« Marcus' Blick schien sich direkt in Bruces Hirn zu bohren. »Ich weiß sehr wohl, dass Kradoc Sie hergeschickt hat, um das Ergebnis seiner Intrige auszukundschaften!« Nun war Bruce ehrlich verwirrt. »Intrige? Welche Intrige, Mann! Sprechen Sie endlich Klartext!« »Spielen Sie nicht den Unwissenden! Einige meiner Gefolgsleute sind verschwunden. Und Sie wollen mir erzählen, dass Ihr Baron nicht dahinter steckt?« »Was reden Sie denn da?« Thules Eröffnung wirbelten Bruces Gedanken durcheinander. Sollte etwa ...? »Ihre Leute sind spurlos verschwunden? Einfach so? Von einer Nacht auf die andere?« Zweifel und Wut mischten sich in Thules Blick. »Als ob Sie das nicht genau wüssten!« Beschwichtigend hob Bruce die Hände. »Keep cool! Nur keine Aufregung! Ich glaube, was ich Ihnen zu erzählen habe, wird Sie interessieren und einiges zurechtrücken.« Misstrauisch funkelte der Vampirherrscher ihn an, dann beugte er sich angespannt vor. »Ich höre. Aber ich warne Sie - es ist nicht leicht, mich zu belügen ...« Das glaubte Bruce ihm sogar. Seine einzige Chance sah er darin, völlig offen zu Marcus von Thule zu sein. Es schien, als hätten der Philadelphia-Herrscher und der Baron in New York einen gemeinsamen, mächtigen Feind. Informationsaustausch konnte da nicht schaden. »Auch einige Mitarbeiter meines Herrn sind verschwunden«, begann Bruce. »Ich hoffe sehr, dass Sie mir das glauben! Wenn wir nicht damit aufhören, uns gegenseitig zu zerfleischen, hat der lachende Dritte leichtes Spiel. ..« Marcus nickte. »Ich weiß, dass Sie nicht lügen, Mr. Darkness.« Bruce schluckte, fuhr dann jedoch fort. »Wenn es irgendjemand oder irgendetwas auf 20
Sie und Baron von Kradoc abgesehen hat, sollten wir zusammenarbeiten und alle Rivalitäten vorerst einstellen. So finden wir garantiert schneller heraus, um wen es sich handelt.« Bruce blickte sein Gegenüber schweigend an. Solange Marcus von Thule da war, hatte er keine Chance, sich hier herauszuprügeln, das war klar. Und wenn der mit seinem Vorschlag nicht einverstanden war und Bruce weiterhin als seinen Feind ansah, dann ... »In Ordnung, Mr. Darkness. « Uff!
Der Expresslift beförderte Bruce mit rasender Geschwindigkeit in das 85. Stockwerk des Empire State Buildings. Bruce war froh, wieder in New York zu sein. Nun würde er seinem Herrn Bericht erstatten. Die hydraulischen Türen glitten auseinander. Argwöhnisch nach Katrina Ausschau haltend, lugte Bruce in die Eingangshalle. Sollte ihm das Glück dieses eine Mal hold sein und verhindern, dass die Vampirin hinter irgendeiner Ecke auf ihn lauerte? Tatsächlich gelangte er unbehelligt an sie Tür zum Büro des Barons. Dezent klopfte er an. »Tritt ein, Bruce! « Bruce öffnete die Tür. Kradoc saß hinter seinem breiten Mahagonischreibtisch. »Es gibt Neuigkeiten?« Bruce nickte knapp. »Sogar sehr interessante, Herr!« Er begann mit seinem Bericht. Kein Detail seines Gesprächs mit Marcus ließ er aus. Nur zu erwähnen, dass er vor Marcus fast auf die Knie gerutscht wäre, ersparte er sich. Der Baron wurde immer nachdenklicher. »Ich denke, Marcus von Thule hat wirklich nichts mit dem mysteriösen Verschwinden unserer Mitarbeiter zu tun«, beendete Bruce seinen Bericht. »Er scheint sogar selbst betroffen.« Nachdenklich faltete der Baron die Hände. »Du bist also davon überzeugt, dass er die Wahrheit spricht?« Bruce zuckte die Schultern. »Warum hätte er mich sonst unbehelligt ziehen lassen sollen? Ich befand mich praktisch in seiner Hand. Er hätte mich vernichten können, doch er tat es nicht!« »Es fällt mir ehrlich gesagt schwer, diesem verlogenen Bastard zu trauen.« Der Baron schwieg einen Moment. »Allerdings geht es hier nicht um ewige Freundschaft, sondern darum, einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen.« Kradoc erhob sich. Mit weiten Schritten durchmaß der Baron den Raum. »Wenn Thule mit der Sache also nichts zu tun hat - wer steckt dann dahinter?« »Das werden wir herauszufinden, Herr. Aber es wird schwierig, denn wir haben nicht die geringste Spur.« Kradoc nickte. »Du hast vollkommen Recht. Wir müssen unsere Leute anhalten, auch die kleinsten 21
Beobachtungen zu melden und weiterzuleiten. Wir werden denjenigen, der hinter all dem steckt, zur Strecke bringen!«
Baku hatte ihre spitzen Fänge in den Hals des Mannes geschlagen und saugte mit schmatzenden Geräuschen den roten Lebenssaft aus seinem gut gebauten Körper. Sie spürte, wie sich seine unbändige Kraft in ihr ausbreitete, während der Leib des Opfers immer kraftloser wurde. Er würde nicht sterben. Das war nicht nötig. Außerdem musste sie dann nicht seine Leiche beseitigen. Er würde, sobald er aufwachte, glauben, dass sie eine fantastische Nacht miteinander verbracht hatten. Das war auch der Grund, warum sie nur das Blut von Männern trank. Sie war nicht besonders gut darin, zu kämpfen. Der köstliche Geschmack des Blutes löste ein alles überwältigendes Glücksgefühl in Baku aus. Genießerisch leckte sie sich die vollen, blutroten Lippen und ließ den ausgesaugten toten Körper des Barbesitzers achtlos auf den Boden gleiten. Sie sind ja so dumm, dachte Baku. Sie haben es nicht besser verdient! Plötzlich schien die Temperatur in dem ansonsten leeren Ladenlokal sprungartig anzusteigen. Argwöhnisch runzelte die Vampirin die hohe Stirn. Irgendetwas stimmte nicht! Sie spürte, dass sie nicht mehr alleine in der Bar war. Sie wirbelte herum - und sah sich der Ausgeburt ihrer schlimmsten Albträume gegenüber. Das unheimliche Wesen umgab, einer Korona gleich, ein roter Glanz. Ständig änderte es die Form, als ob es aus flüssigen Flammen bestünde. Sengende Hitze ging von der Gestalt aus. Baku machte einen Schritt zurück, doch das Wesen folgte ihr. Die Vampirin begriff, dass sie gegen dieses Flammenmonster keine Chance hatte. Wie sollte man Feuer verführen. Und da es keine Augen hatte, konnte sie das Monster auch nicht hypnotisieren. Geschickt dirigierte das Wesen sie in die Enge. Sie kam nicht an ihm vorbei, egal, was sie versuchte. Die Hitze im Raum wurde immer unerträglicher. Verzweifelt blickte sich Baku um. Doch es gab keinen Fluchtweg für sie - ihre einzige, wenn auch verschwindend geringe Chance bestand im Angriff. Mit einem wilden Fauchen stürzte sich die Vampirin auf die formlose Gestalt. Sie wollte dem Wesen einen harten Punch dorthin verpassen, wo bei Menschen der Solarplexus war. So hatte sie es im Kino gesehen. Im selben Moment durchdrang Baku ein Schmerz, wie sie ihn noch nie in ihrem Leben weder im ersten noch im zweiten - verspürt hatte. Ihr Arm, den sie in den flammenden Nebel gerammt hatte, schien zu verglühen. Schreiend versuchte die Vampirin, sich zu befreien, doch es war, als würde sie nicht nur 22
festgehalten, sondern sogar noch in das Ding hineingezogen werden. Das rote Glühen wanderte von ihrem Arm weiter bis zur Schulter. Und plötzlich ging ihr goldblondes Haar in Flammen auf. Ihre Augäpfel begannen zu kochen und die ehemals weiße Haut wurde rot und warf Blasen. Ein schrilles Kreischen drang aus ihrer Kehle. Dann schmolzen ihre Stimmbänder wie Eis in der Sonne, und sie verstummte. Das unheimliche Ding, der Dämon, stieß ein markerschütterndes Lachen aus und ließ dann von seinem Opfer ab. Noch bevor Bakus Körper den Boden berührte, löste er sich vollständig auf. Nicht einmal ein Häufchen Asche zeugte noch von der Existenz der Vampirin ...
»Wir suchen diesen Wichser nun schon seit zwei Nächten und haben nicht die geringste Spur!« McDermit gähnte. Er und Josh hatten nicht viel Schlaf seit dem Drama im Hinterhof der Disco bekommen. Verbissen suchten sie nach diesem verdammten schwarz gekleideten Blutsauger, der Linda und Webb auf dem Gewissen hatte. Doch ihre Nachforschungen verliefen nicht wie gewünscht. »Es scheint, als wäre er vom Erdboden verschluckt!«, brummelte McDermit. Ärgerlich funkelte Josh Benson ihn an. »Und was heißt das jetzt für dich? Willst du aufgeben und ihn einfach ziehen lassen?« »Natürlich nicht!« Auch McDermit wollte den Tod der Freunde um jeden Preis rächen. Doch sie kamen einfach nicht weiter, traten auf der Stelle. Ewig konnten sie so nicht weitermachen. »Aber. . .« Er verstummte, denn wütend schnappte sich Josh seine Lederjacke und stürmte aus dem Raum. Mit einem lauten Krachen fiel die Tür ins Schloss. McDermit ließ ihn ziehen. Er konnte sich vorstellen, was im Kopf des Freundes vorging. Damals, vor sechs Jahren, als dieser blutsaugende Mörder seine Tochter getötet hatte, war es ihm ganz ähnlich gegangen. Er war in dieses tiefe schwarze Loch gefallen, und nur ein einziger Gedanke beherrschte ihn seitdem: jeden einzelnen dieser elenden, gottverdammten Blutsauger auszurotten!
Ziellos lief Josh Benson durch die Straßen New Yorks. Bereits an der nächsten Ecke war sein Zorn auf McDermit schon wieder verraucht. Doch er wollte noch nicht umkehren, ging einfach weiter. Seine Gedanken wirbelten umher - vielleicht gelang es ihm durch einen kleinen Spaziergang, den Kopf wieder freizubekommen. 23
Warum hatte es unbedingt Linda treffen müssen? Stets war er bemüht gewesen, sie aus den gefährlichen Teilen ihrer Mission herauszuhalten. Nur dieses eine Mal hatte er sich von ihr breitschlagen lassen. Das erste Mal... Er hatte keine Ahnung, wohin ihn seine Schritte lenkten. Unbewusst hatte er den Weg zum Ort des grauenvollen Geschehens gewählt. In Gedanken versunken, betrat der platinblonde Mann den Club Daemonique erneut. Der Hass und die Wut, die in ihm aufstiegen, als er begriff, wo er sich befand, bereiteten ihm beinahe körperliche Schmerzen. Er schob sich durch die tanzenden Menschen und steuerte auf den Gang zum Hinterhof zu. Bis auf die Tatsache, dass der Hof dieses Mal verlassen dalag, wirkte alles unverändert. Der Vampirjäger entdeckte die mit Kreide auf den Boden gemalten Umrisse einer Person. Dort hatte Lindas Leiche gelegen. Lange Zeit stand Josh einfach da, mit dem Rücken an die kalte Steinwand gelehnt. Dann schlich sich ein diabolisches Grinsen auf seine Lippen. Plötzlich kam ihm eine Idee, wie er diesen elenden Blutsauger, der Linda auf dem Gewissen hatte, finden konnte ...
Bruce saß in einem bequemen Besuchersessel vor dem Schreibtisch von Quentin Pfeiferman. Der kleine, hagere Vampir sah ihn entsetzt an. Gerade hatte ihm Bruce von dem Verschwinden der drei Vampire berichtet, und schließlich hatte er auch eingestehen müssen, dass er leider keine Ahnung hatte, wer oder was dahinter steckte. Wie von der Tarantel gestochen, sprang Pfeiferman nun plötzlich auf. »Ich bleibe keine Sekunde länger in New York!«, schrie er hysterisch. »Was immer auch mit den Vermissten geschehen ist - das Gleiche kann uns auch widerfahren.« »Ganz ruhig. Der Baron verlässt sich jetzt auf Ihre Unterstützung und Kooperation.« »Das ist Wahnsinn! Da ist ein äußerst erfolgreicher Vampir Jäger in der Stadt, und Sie wissen nicht, was Sie tun sollen. Darkness, Sie sind völlig inkompetent!« Bruce sah ihn stumm an. Ganz ruhig, sagte er sich. Das ist jetzt kein guter Zeitpunkt, um den alten Kerl zu killen. Laut sagte er: »Wie auch immer, ich habe Sie unterrichtet, das war's für mich.« Er erhob sich. »Richten Sie dem Baron aus, dass es nett von ihm war, dass ich hier in seinem Gebiet wohnen durfte. Aber ich habe keine Lust, meine Existenz zu riskieren. Leben Sie wohl!« Mit diesen Worten stürmte Quentin Pfeiferman aus dem Raum. Bruce starrte kurz auf die Tür, die der kleinwüchsige Vampir hinter sich ins Schloss geworfen hatte. Dann folgte er ihm. Es ging nicht an, dass diese Kerle den Schutz des Barons genossen und dann die Fliege machten, sobald es ein bisschen brenzlig wurde. Doch bevor er Pfeiferman einholen konnte, war dieser schon im Lift verschwunden, der ihn nach unten brachte. 24
Bruce zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Der Typ war ein echtes Ärgernis. Wohl oder übel musste er warten, bis der Aufzug wieder hochkam. Doch bis dahin würde Pfeiferman bereits auf und davon sein ... Endlich öffneten sich die Aufzugstüren wieder, und Bruce trat in die Kabine. Vermutlich befand sich Pfeiferman nun in der Tiefgarage seines Wolkenkratzers. Bruce drückte den entsprechenden Knopf. Der Lift setzte sich in Bewegung. Sekunden später war das Ziel erreicht. Die Türhälften schoben sich auseinander, und Bruce verließ die Kabine. Um diese Zeit war hier unten kaum jemand anzutreffen, deshalb würde es nicht schwer sein, den Gesuchten hier zu finden. »Was, zur Hölle, ist denn das?« Es war Pfeifermans Stimme, die Bruce plötzlich hörte. Vorsichtig schlich Bruce näher, auf die Stimme zu - und stieß einen überraschten Laut aus. Er sah Pfeiferman. Und nicht nur ihn. Vor dem schmächtigen Vampir wallte ein rötlicher Nebel, der begann, menschenähnliche Gestalt anzunehmen ...
Der kleine Raum wurde nur durch den schwachen flackernden Schein einiger Kerzen spärlich erhellt. Die Wände waren schwarz. Mit blutroter Farbe hatte jemand kabbalistische Zeichen aufgemalt. Drei unheimlichen Gestalten knieten auf dem blanken Boden. Weite dunkle Umhänge hüllten die Körper ein, Kapuzen versteckten die Gesichter. Sie hielten sich an den Händen, verharrten bewegungslos in dieser Haltung. Nur der monotone Singsang, der unaufhörlich aus ihren Kehlen drang, zeugte davon, dass überhaupt Leben in ihnen steckte. Im Zentrum des Kreises, den sie bildeten, war ein Pentagramm in den kalten Lehmfußboden geritzt. Ihre Blicke waren auf den Drudenfuß gerichtet. Urplötzlich fing dieser an zu glühen, leuchteten die eingeritzten Linien rot auf. Die Laute, welche die Vermummten ausstießen, steigerten sich zu einem infernalischen Brüllen. Sie begannen am ganzen Leib zu zittern. Die Köpfe ruckten nun vor und zurück. Schlagartig stieg die Temperatur im Raum an. Das Pentagramm glühte immer stärker und stärker, bis schließlich der ganze Raum in ein rötliches Leuchten gehüllt war ...
Argwöhnisch kniff Bruce die Augen zusammen. Er beobachtete, wie sich die unheimliche Nebelgestalt immer mehr verdichtete. Nun 25
schien sie ihre endgültige Form angenommen zu haben. Nie zuvor hatte Bruce etwas Ähnliches zu Gesicht bekommen. Die Kreatur bestand ganz aus Flammen. Es war nicht irgend so eine Bestie, die da brannte, sondern die Flammen selbst schienen die Bestie zu sein. »Was bist du? Und was willst du von mir?« Pfeifermans Stimme klang schrill, als stünde er kurz vor einem hysterischen Anfall. Bruce sah, wie der schmächtige Vampir versuchte, mit unsicheren Schritten Abstand zwischen sich und dieser Feuerkreatur zu bringen. »Lass mich in Ruhe, du Bestie!«, schrie Pfeiferman, während dieses Ding ihm folgte und dabei immer näher kam. Quentin Pfeiferman war ein mächtiger Vampir, aber gegen dieses Ding ... Wie erwartet, scheiterte Pfeifermans Versuch, sich zu retten. Das unheimliche Wesen bewegte sich unaufhörlich auf ihn zu. Dabei schwebten die Füße des Wesens - oder zumindest das, was bei einem Menschen die Füße gewesen wären - mindestens zehn Zentimeter über dem Betonboden. Für einen winzigen Augenblick überlegte Bruce, ob er dem verängstigten Vampir zu Hilfe eilen sollte. Hatte es dieser feige Kerl verdient, dass Bruce für ihn sein eigenes Leben aufs Spiel setzte? Schließlich hatte der Kerl den Baron im Stich lassen wollen. Und war es nicht vielleicht besser, wenn Bruce das Geschehen einfach weiter aus seinem Versteck heraus beobachtete? So könnte er mit eigenen Augen sehen, was mit den Opfern dieses Wesens geschah. Und anschließend konnte er seinem Herrn Bericht erstatten ... Doch dann entschied sich Bruce anders. Nein, er konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie einer seiner eigenen Art vernichtet wurde! Scheiße! Pfeilschnell riss er eine Radkappe von einem Mercedes. Sie war massiv und schwer. Er glaubte nicht wirklich daran, dass er damit viel ausrichten würde, aber jetzt galt es erst einmal, dieses Wesen von Pfeiferman abzulenken. »Hey, du übergroßer Zigarettenanzünder! Hast du mal Feuer für mich?« Offenbar ging sein Plan auf, denn der Dämon konzentrierte sich nun nicht mehr auf den kleinwüchsigen Vampir, sondern kam nun auf Bruce zu. Der griff nun seinerseits an. Weit holte er aus und warf die Radkappe mit voller Kraft der Feuergestalt entgegen. Volltreffer! Doch es kam, wie Bruce es erwartet hatte - der Treffer zeigte keinerlei Wirkung. Weißglühend flammte das Metall auf, schmolz innerhalb von Sekunden, verdampfte regelrecht. Für den Feuerdämon war dieser Angriff nicht mehr als ein störendes Ärgernis gewesen nichts, was ihn ernsthaft bedrohen konnte. Doch für Pfeiferman hätte es eine Chance sein können. Er hätte die Beine in die Hand nehmen und Fersengeld geben können. Doch der kleinwüchsige Vampir rührte sich nicht, tat nichts weiter, als das Geschehen regungslos zu beobachten, und das brachte ihm das Ende. Die Feuergestalt raste nun wieder auf ihn zu und beugte sich zu ihm hinunter. Vor Angst schienen dem Unglücklichen die Augen aus dem Kopf springen zu wollen. 26
»Lass mich leben!« Pfeifermans Stimme war kaum mehr als ein kehliges Krächzen. »Ich will nicht sterben - nicht auf diese Weise...« Doch der Dämon zeigte kein Erbarmen mit dem flehenden Opfer. Er packte Quentin Pfeiferman und drückte ihn an seinen flammenden Leib. Dessen Schreie wurden immer schriller und verzweifelter. Sein Haar fing Feuer, das Gesicht begann, Blasen zu werfen wie kochender Teer. Wäre Bruce ein Mensch gewesen, hätte allein der widerliche Geruch nach verbranntem Fleisch ausgereicht, ihm den Magen umzudrehen. Das Wesen kannte keine Gnade, und die Kleidung des Vampirs begann zu schwelen. Dort, wo sein Körper mit der Flammengestalt in Kontakt kam, wurde seine Haut schwarz und runzelig. Mit schrillen, kreischenden Schreien ging Pfeiferman in Flammen auf und verbrannte innerhalb von Sekunden. Nicht einmal Asche blieb von ihm zurück. . . Bruce schluckte schwer. Und nun kam die Feuergestalt wieder auf ihn zu! Hilfesuchend sah sich Bruce um. Sein Blick fiel auf einen Feuerschlauch, wie sie in fast allen Tiefgaragen in New York zu finden sind. Das war vielleicht seine Chance! Feuer bekämpft man mit Wasser! Schon hechtete Bruce auf die Stelle der Wand zu, an der das rettende Gerät angebracht war. So schnell Bruce auch war - der Dämon war nicht viel langsamer als er. Als Bruce den Schlauch hervorzog, war sein Gegner schon fast bei ihm. »Jetzt gibt's 'ne kleine Erfrischung, du hässlicher Glutklumpen!« Bruce schlug den Hebel herum und ließ dann das Wasser spritzen. Doch gleich darauf zerplatzte seine Hoffnung wie eine Seifenblase. Denn sein verzweifelter Versuch, dieses Wesen zu bekämpfen, zeigte keinerlei Wirkung. Das Wasser machte ihm nichts aus, rein gar nichts. Es durchdrang einfach seinen flammenden Körper, ohne ihm etwas anhaben zu können. Wenn das Wasser keine Wirkung zeigte, gab es dann überhaupt etwas, das dem Dämon Schaden zufügen könnte? Bruce jedenfalls hatte genug. Gegen diesen Feind hatte er so nicht die geringste Chance. Und er wollte nicht ein ebenso schreckliches und grausames Ende finden wie Pfeiferman. Nichts wie weg hier! Er lief zurück zum Aufzug. Der war inzwischen wieder nach oben gefahren, und Bruce drückte den Rufknopf. Gehetzt blickte er sich um und fluchte. Das Wesen war ihm hinterher gekommen, näherte sich immer weiter. »Bleib bloß weg von mir, du blödes Feuerzeug!« Nervös drückte Bruce immer wieder auf die Ruftaste, doch der blöde Lift brauchte scheinbar eine halbe Ewigkeit, um nach unten zu gelangen. Die Treppe! Das Wesen streckte bereits seine Flammententakel nach ihm aus. Bruce stieß sich von der Wand ab, hechtete unter den Tentakeln hindurch, rollte sich ab und sprintete los, auf den Notausgang zu. 27
Er spürte, wie das Ding ihm folgte, doch er sah sich nicht um. Schneller konnte er sowieso nicht laufen. Schließlich erreichte er die Feuertür, drückte die Klinke runter - verschlossen! »Welcher Idiot schließt einen Notausgang ab? «, dachte er, während er die Tür aus den Angeln riss und seinem Verfolger entgegenschleuderte. Der Dämon schien das Wurfgeschoss zu fangen, denn die Metalltür blieb mitten in seinem Körper stecken und schwebte in den Flammen, schmolz. Der Vampir wartete nicht ab, bis das Monster die Tür »verdaut« hatte, sondern stürmte die Treppe hinauf. Oben angekommen, hielt er sich nicht damit auf, die Klinke zu versuchen, sondern rannte die schwere Tür sogleich ein. Dann verharrte er kurz. Das Gefühl der Bedrohung war verschwunden.
Das rote Glühen des Pentagramms erlosch von einem Augenblick auf den anderen. Schlagartig sank auch die Temperatur wieder auf ein erträgliches Maß. Mit einem erstickten Seufzen lösten sich die drei Vermummten von einander und sanken kraftlos in sich zusammen. Sie waren vollkommen erschöpft. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie sich wieder regen konnten. Dann rappelten sie sich auf. »Wir können es nicht lange genug aufrecht erhalten, um unser Endziel zu erreichen.« Die Stimme des Mannes klang belegt. Der Anführer der Gruppe wandte sich ihm zu. »Du musst Geduld haben, mein Freund.« Unter der Kapuze verzog sich sein Gesicht zu einem verschlagenen Grinsen. »Nicht mehr lange, und wir werden es völlig kontrollieren können! Und dann ...« Weiter sprach er nicht. Stattdessen drang ein irres Kichern unter der Kapuze hervor...
Bruce traf Kradoc wie immer in dessen Büro an. Der Baron saß am Schreibtisch und dachte angestrengt nach. Bruce deutete eine Verbeugung an. »Es gibt Neuigkeiten, Herr!« »Ja?« »Pfeiferman ist tot - ebenso wie Batiste, Borges, Vanross und Dasher und wahrscheinlich auch Baku! Und«, er legte eine kurze dramatische Pause ein, »ich habe ihren Mörder soeben mit eigenen Augen gesehen ...« Kradoc musterte ihn eindringlich. Sein Blick war starr und ausdruckslos. Nichts war in ihm zu lesen. »Wer ist es?« Ein gefährliches Vibrieren lag in seiner Stimme. »Wer wagt es, mich 28
derart herauszufordern?« Bruce zögerte kurz. Es fiel ihm schwer, das Gesehene in Worte zu fassen. »Ich folgte Pfeiferman in die Tiefgarage, doch er war nicht mehr allein. Ein rotschimmernder Nebel hatte sich gebildet, und jemand - etwas - tauchte darin auf ...« »Es könnte also ein Vampir sein, der mit der Verwandlung in Nebel vertraut ist«, mutmaßte Kradoc. »Das ist schließlich in unseren Kreisen keine Seltenheit!« Doch Bruce schüttelte energisch den Kopf. »Nein! Dieses Wesen war ganz sicherlich kein Vampir - und erst recht kein Mensch! Es hatte überhaupt keine feste Gestalt, sondern schien gänzlich aus Feuer zu bestehen!« »Feuer ...?« Feine Falten entstanden auf der Stirn des Barons. »Ich kenne keinen Vampir, der auch nur ähnliche Fähigkeiten besitzt«, murmelte er. »Für unsere Art bedeutet Feuer den Tod. Aber wenn es kein Vampir ist, was ist des dann?« Bruce wusste es ebenso wenig wie Kradoc. »Es besteht aus Flammen, und mit normalen Waffen kann man ihm nicht zu Leibe rücken.« Er stieß ein frustriertes Lachen aus. »Ich habe sogar versucht, es mit Wasser zu bekämpfen - erfolglos. Obwohl es für mich plausibel erschien, ein Wesen aus Feuer mit Wasser zu bekämpfen, bin ich kläglich gescheitert! Ich glaube nicht, dass dieses Wesen irgendetwas mit unseren Naturgesetzen zu schaffen hat. . .« Der Baron erkannte, worauf sein Stellvertreter hinauswollte. »Ein Dämon!« Bruce nickte langsam. »Ich kann es mir nicht anders erklären. Doch damit stellt sich eine weitere Frage.« »Und die wäre?« »Warum sollte sich ein Dämon, der so gewaltige Kräfte hat, mit so kleinen Lichtern wie Pfeiferman abgeben?« Einen Augenblick schwieg der Baron. Dann sagte er leise: »All das scheint mir eine Art Vorarbeit zu sein, Bruce. Es ist erst der Anfang, und wir haben noch einiges von diesem Dämon zu erwarten!« »Genau darauf wollte ich hinaus.« Bruce nickte. »Wer könnte ihn daran hindern, gleich hier in diesem Raum zu erscheinen und Euch zu vernichten, Herr? Wenn er es auf Macht abgesehen hätte, würde er doch sofort hier zuschlagen. So würde ich es zumindest machen.« Erneut verfiel der Baron in ein nachdenkliches Schweigen. »Dafür«, sagte er schließlich, »habe ich nur eine Erklärung - und die schmeckt mir ganz und gar nicht!« Fragend blickte Bruce ihn an. »Ihr wisst also, warum der Dämon so handelt?« »Was ich mich frage, ist, warum das Wesen erst jetzt in Erscheinung tritt. Es hätte schon lange auftauchen können, um die Macht an sich zu reißen. Zweifellos wäre es bei seinen Kräften ein Leichtes gewesen, uns zu vernichten!« Er ließ sich in seinem schweren Sessel sinken und faltete die Hände. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum es so lange gezögert hat. Es sei denn, es benötigte Hilfe, um in unsere Welt einzudringen! Vielleicht ist es kein selbstständig handelndes Wesen, sondern eher eine Waffe.« Ein freudloses Lächeln legte sich auf Kradocs Lippen. »Jemand hat den Dämon beschworen, um sich selbst an die Macht zu bringen! Jetzt ist 29
natürlich die Frage, wer so sehr an Macht interessiert ist, dass er ...« »Katrina!« »Was?« Bruce zuckte mit den Schultern. »War nur 'ne Idee.« »Katrina Stein ist über jeden Verdacht erhaben, Bruce.« »Ja, Herr«, kam die zerknirschte Antwort. Diese Reaktion war ja zu erwarten gewesen, aber er hatte sich den Spruch einfach nicht verkneifen können. »Hab Ihr denn einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte, Herr?«, wollte Bruce nun wissen. »Nicht direkt. Aber es sieht mir ganz danach aus, dass es jemand aus unseren Reihen ist. Einer von uns will auf meinem Stuhl sitzen. Ein Außenstehender wäre nicht in der Lage, so systematisch vorzugehen.« »Das heißt«, schlussfolgerte Bruce, »dass wir einen Vampir ausfindig machen müssen, der den Dämon kontrolliert. Wenn wir ihn vernichten, dann sind wir auch die Kreatur los!« Der Baron hüllte sich einen Moment in nachdenkliches Schweigen. Dann sagte er knapp: »Finde ihn!«
Frierend schob McDermit die rotgefrorenen Hände tiefer in die Hosentaschen. Es hatte sich in den letzten Stunden merklich abgekühlt - von der Hitze der vergangenen Tage war nichts mehr zu spüren -, und er war kleidungstechnisch nicht darauf eingerichtet. Zum wiederholten Male fragte er sich, was er hier draußen eigentlich wollte. Sie standen in einer kleinen Gasse, von der aus sie einen guten Blick zum Club Daemonique hatten. Pausenlos betraten und verließen Menschen die Diskothek, doch niemand hatte auch nur entfernt Ähnlichkeit mit dem Vampir, nach dem sie Ausschau hielten. McDermit ging zumindest davon aus, dass sie sich aus diesem Grund hier die Beine in den Bauch standen ... Josh war heute Morgen erst kurz nach Sonnenaufgang in ihren Unterschlupf zurückgekehrt. Er hatte behauptet, die ganze Nacht durch die Gegend gelaufen zu sein. Angeblich, um einen freien Kopf zu bekommen. Doch sein Kumpane hatte eine andere Vermutung. Er war davon überzeugt, dass sich Josh schon am vorherigen Abend an dieser Stelle auf die Lauer gelegt hatte. Was er sich aber davon versprochen hatte, konnte McDermit nicht so ganz nachvollziehen. »Glaubst du wirklich, dass er zurückkommen wird?« Langsam wandte sich Josh zu ihm um. McDermit lief ein eisiger Schauer über den Rücken, als er den grausamen Ausdruck im Gesicht seines Freundes sah. »Nein.« 30
»Aber was ...?« »Es wird ein anderer kommen.« Josh Bensons Stimme klang völlig ausdruckslos. So kannte McDermit ihn gar nicht. Er hatte fast das Gefühl, einen vollkommen Fremden vor sich zu haben. »Und was hast du davon? Du hast doch nur noch diesen einen Vampir im Kopf!« McDermit machte sich ernsthaft Sorgen um Josh. Er schien nur noch für die Rache zu leben. Doch das würde Linda, seine kleine Schwester, auch nicht mehr lebendig machen. Sicher, anfangs, nach dem Tod seiner Tochter damals, hatte auch McDermit nichts anderes als Rache gewollt. Aber mit der Zeit war viel mehr daraus geworden. Eine Aufgabe. Und die lautete, die Menschheit vor der Vampirbrut zu schützen. Und da mussten oft genug eigene Interessen in den Hintergrund rücken. Zwar wollte auch McDermit dieses kaltblütige Monster erledigen, das Linda so grausam umgebracht hatte, allerdings fürchtete er, dass Josh im entscheidenden Moment unvorsichtig werden würde. Linda hätte nicht gewollt, dass sich Josh für sie opferte ... Doch Josh Benson ließ sich von seinem Plan nicht abbringen. Und so hatte sich McDermit schweren Herzens entschlossen, ihn zu begleiten. Wenn sich der Freund schon in große Gefahr begab, wollte McDermit wenigstens in seiner Nähe sein, um ihn notfalls heraushauen zu können. Josh hatte eine ganze Weile geschwiegen. Jetzt ergriff er wieder das Wort. »Ich habe mir lange Zeit den Kopf zerbrochen, wie ich diesen Mörder aufspüren kann.« Plötzlich waren ihm der Kummer und die Wut wieder anzusehen. Es erleichterte McDermit fast, diese menschlichen Regungen an seinem Freund zu beobachten. »Dies hier ist meine einzige Chance. Ich werde mir einen anderen von diesen Blutsaugern schnappen - und hoffen, dass er mir verraten wird, wo ich diesen Dreckskerl finde!« Skeptisch schaute McDermit seinen Freund an. »Glaubst du wirklich, dass einer dieser Blutsauger ihn verraten wird? Ich kann mir das nicht vorstellen. Sie sind sehr zäh und lassen sich nicht so leicht einschüchtern!« Josh lachte bitter auf. »Als ob ich das nicht wüsste, du Genie!« Er wandte seinen Blick wieder dem Daemonique zu. »Aber nicht alle sind mit solchen Kräften ausgestattet wie der Mörder meiner Schwester!« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch McDermit hörte seine letzten Worte, bevor er wieder in eisiges Schweigen verfiel, trotzdem. »Ich werde ihn aufspüren, und wenn es das Letzte ist, das ich tue ...«
»Grabsch mich nicht an, du alter Flachwichser!« Mit einem wilden Gesichtsausdruck wirbelte die Rothaarige herum und hob die Hand. Bereit, ihrem Gegenüber eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Ängstlich wich Tobias Simmons einen Schritt zurück. Er verabscheute Gewalt - heute noch mehr, als in seinem früheren Leben. Und mindestens ebenso sehr verabscheute er seine Feigheit! 31
Die junge Frau lachte höhnisch auf. Dann drehte sie sich wieder zum Tresen um, als sei nichts geschehen! »Was denkt diese Schlampe eigentlich, wen sie vor sich hat! «, dachte Simmons. Ich bin doch nicht irgendein dahergelaufener Penner, der sie nur mal eben durchvögeln will! Wenn ich wollte, könnte ich ihr ohne Mühe den Hals umdrehen! Innerlich kochte er vor Wut, doch er hätte niemals den Mut gehabt, der Frau ins Gesicht zu schleudern, was für eine Schlampe sie war. Was war er doch für ein erbärmlicher Verlierer! In Momenten wie diesen verfluchte er den Tag, als er sich in das verwandelt hatte, was er heute war. Ein Vampir! Ein Blutsauger! Jeden Abend wachte er mit einem unbändigen Hunger auf, der sich nur dadurch stillen ließ, dass er Unschuldigen weh tat. Sein ganzes Dasein war eine einzige, nicht enden wollende Katastrophe! Außerdem hatte er immer Probleme, geeignete Opfer zu finden. Man sah ihm eben gleich an, dass er ein Looser war, und deshalb wichen ihm die Sterblichen aus. Das war wohl auch der Grund, weshalb er bei der scharfen Rothaarigen abgeblitzt war ... Frustriert zog der Vampir ab. Nun würde er wieder hungrig in seinen Unterschlupf zurückkehren müssen. Vielleicht würde er ja auf dem Rückweg noch irgendwo einen Obdachlosen auflesen. Er schüttelte sich angeekelt. Das Blut dieser, oft fast bis zur Bewusstlosigkeit besoffenen Kreaturen, schmeckte gallebitter. Und einmal war er sogar selbst davon betrunken geworden. Auch mit Blut von Tieren hatte er es schon versucht, doch er brauchte viel zu viele, um sich auch nur halbwegs gesättigt zu fühlen. Außerdem war es so schmackhaft, wie einen Monat altes Brot. Simmons verließ den Club und lief zielstrebig die Straße hinunter. Wenn er doch nur jemanden hätte, der ihn unter seine Fittiche nahm! Doch niemand interessierte sich für ihn. Für jeden anderen Vampir war er eine Last. Er war ein Küken. Einer, dessen neues Leben gerade erst begonnen hatte. Warum sollte sich jemand Mühe mit ihm machen? Entweder er fand sich von alleine zurecht, oder er erlag dem ewigen Tod. Er war eben ein Looser. Seine einsamen Schritte machten patschende Geräusche auf dem regennassen Asphalt. Er hatte die belebteren Straßen hinter sich gelassen und marschierte nun durch eine menschenverlassene Gegend. Bald würde er seinen Unterschlupf erreicht haben. Angewidert verzog er das Gesicht, als er an das heruntergekommene Abrisshaus dachte. Überall streunten Ratten herum, die in den alten Müllsäcken, die in den Höfen und am Straßenrand herumlagen, nach Nahrung suchten. Und dieser ekelhafte Gestank! Seit er ein Vampir geworden war, hatten sich einige seiner Sinne um ein Vielfaches verstärkt. Zu seinem Leidwesen zählte auch der Geruchssinn dazu. Deshalb machte ihn dieser Mief, in dem er schlafen musste, fast wahnsinnig. »Was ist das ewige Leben wert, wenn man es nur ein endloses Hinziehen der Qual 32
bedeutet? «, fragte er sich missmutig. Plötzlich vernahm er ein leises Weinen und blickte sich argwöhnisch um. Kein vernünftiger Mensch trieb sich nach Einbruch der Dunkelheit noch in dieser üblen Gegend herum. Verbrechen standen hier an der Tagesordnung. Und die, die dazu gezwungen waren, hier zu leben, blieben nach Sonnenuntergang in ihren miesen Wohnungen und verbarrikadierten die Türen. Doch die schluchzenden Laute waren noch immer da. Er hatte sie sich nicht eingebildet. Sie kamen aus einer schmalen Gasse, die links von der Hauptstraße abzweigte. Angestrengt spähte er in die Dunkelheit. Hinter einer aufgeplatzten Mülltüte erblickte er eine zusammengekauerte Gestalt. Ein Mädchen, nicht viel älter als Zwölf. Mit bebenden Schultern hockte es im Unrat und wiegte sich langsam vor und zurück. Wie gebannt beobachtete Tobias das Kind, konnte an nichts anderes mehr denken, als daran, seinen schier grenzenlosen Hunger zu stillen. Der Anblick des Mädchens lockte seine messerscharfen Fänge hervor. Er musste es einfach tun - konnte sich nicht dagegen wehren. »Das arme Kind! «, fuhr es ihm durch den Kopf. Er bewegte sich wie ein Schlafwandler, als er die enge Gasse betrat. Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen. Offenbar hatte es seine Anwesenheit bisher nicht bemerkt. Jetzt starrte die Kleine ihn aus ihren großen dunkelblauen Augen an. »Hab keine Angst, mein Kind.« Simmons Stimme war leise, aber freundlich. »Ich bin gekommen, um dich von deine Qualen zu erlösen ...« Sie stieß einen erstickten Schrei aus, als Simmons seine Hand nach ihr ausstreckte. Sanft strich er über ihr von der Nässe verklebtes Haar. Rasch beruhigte sie sich unter seiner Berührung. »Wer sind Sie, Mister?« Voller kindlicher Neugier sah sie ihn an. »Sind Sie ein Engel?« Simmons lachte leise auf. Es war kein fröhliches Lachen. Die Frage des Kindes versetzte ihm einen Stich. Niemand ist weiter davon entfernt, ein Engel zu sein, als ich es bin. Dann sah sie seine, im schwachen Licht der Straßenlaterne schimmernden Fänge, und ihre Neugier schlug in Entsetzen um. Doch bevor sie ihrer Furcht in einem Schrei Luft machen konnte, hatte Simmons bereits seine Hand auf ihren Mund gelegt. »Pschhh ...« Er legte den freien Arm um ihren Hals und drehte sie vorsichtig herum. »Fürchte dich nicht! Ich verspreche, es wird nicht wehtun.« Ihre unschuldigen Augen füllten sich mit Tränen. Simmons wusste, dass er den Ausdruck, den er darin sah, in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde. Dann beugte er sich zu ihr herunter und versenkte sanft seine Fänge in ihrem Hals. Er hasste sich dabei...
»Bitte Josh, ich friere mir gleich die Eier ab! Es hat doch keinen Sinn!« McDermit hatte 33
langsam aber sicher die Nase voll. Was immer sich Josh von ihrer kleinen Nachtwache vor dem Club versprach - er hatte sich offenbar getäuscht. »Bisher ist kein Vampir hier aufgetaucht, und es wird auch keiner mehr kommen! Siehst du das denn nicht?« Mit einer knappen Handbewegung brachte Josh den hoch gewachsenen Iren zum Schweigen. Dann deutete er zum Eingang des Daemonique, das gerade von einem kleinen, schmächtigen Mann betreten wurde. Da hol mich doch der Teufel! Er hat wirklich Recht! McDermit hätte nicht erklären können, warum er vom ersten Augenblick an wusste, dass es sich ausgerechnet bei diesem Mann um einen Vampir handelte. Es war wie Instinkt. Irgendwelche Kleinigkeiten, die er nicht bewusst wahrnahm, die aber doch da waren. Er nahm an, dass man nur genug Vampire gesehen haben musste, um das zu können. Ja, er hatte einen Riecher für diese Kreaturen! »Worauf warten wir? Lass uns hinterher!« Doch Josh verharrte wie festgewachsen auf seinem Beobachtungsposten. Verwirrt runzelte McDermit die Stirn. »Ich dachte, du willst dir einen von ihnen schnappen und ausquetschen?! Und jetzt wartest du auf besseres Wetter oder was?« »Wir warten.« Mehr sagte Josh nicht. Grummelnd zog sich McDermit wieder in seine Ecke zurück. So, wie sein Partner sich in letzter Zeit aufführte, wollte er sich nicht mit ihm anlegen ... Lindas Tod hatte auch den hellhäutigen Iren mitgenommen. Er hatte die Kleine wirklich gern gehabt. Doch manchmal schien es ihm, als hätte sie einen Teil von Josh mit sich genommen ... Es verging etwa eine halbe Stunde, in der nichts Nennenswertes tat. Gelangweilt zog McDermit ein letztes Mal an seiner Zigarette, die schon fast bis zum Filter heruntergebrannt war. Dann schnippte er sie mit einem leisen Seufzen auf den kleinen Kippenhaufen, der sich zu seinen Füßen angesammelt hatte. »Wenn nicht bald was geschieht, werde ich wahrscheinlich noch an Ort und Stelle vom Lungenkrebs dahingerafft«, grummelte er in sich hinein. Da stieß Josh Benson plötzlich einen leisen Pfiff aus. Sofort war McDermit wieder voll bei der Sache. »Was ist los, Kumpel?« »Da ist er wieder!« McDermit sah gerade noch, wie der ausgemergelt wirkende Vampir um die Ecke bog. Dann setzte sich Josh auch schon in Bewegung. »Hey, was ...?« Der Ire zerbiss einen Fluch. »Wo willst du denn hin?« Doch Josh hatte sich bereits auf die Fersen des Vampirs geheftet. Im Laufe der Jahre hatten sie einige Erfahrung im unauffälligen Verfolgen einer Zielperson gesammelt. Eng drückten sie sich an die Häuserwände und nutzten jede Deckung, die sich ihnen bot. Geräuschlos wie Schatten huschten sie durch die Nacht. Bald erreichten sie eins der mieseren Wohnviertel. Am Straßenrand stapelten sich aufgeplatzte Müllsäcke und es stank nach vergammelnden Lebensmittel und Rattenscheiße. McDermit rümpfte angewidert die Nase. Er war wahrlich kein Pedant, doch er fragte 34
sich, wie ein Mensch hier leben konnte. Er sah, wie der Vampir verharrte und dann in einer schmalen Gasse verschwand. »Glaubst du, er hat uns bemerkt?« Josh, der in den letzten Minuten kein Wort gesprochen hatte, schüttelte den Kopf. »Horch!«, raunte er dem bärenstarken Iren zu. Und tatsächlich - jetzt hörte auch McDermit etwas. Es klang wie das leise Weinen eines Kindes. »Was hat diese Mistkrücke vor?«, fragte er. »Da fragst du noch ...?« Langsam schlichen sich die beiden Vampirjäger näher an die Gasse heran, in der der Blutsauger verschwunden war. Sie hörten eine leise Stimme, konnten aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. »Lass uns dazwischengehen, Josh! Wir können doch nicht tatenlos abwarten, bis er die Kleine abmurkst!« Irritiert schaute Josh ihn an. »Natürlich nicht, Alter! Was denkst du bloß von mir?« Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck zog er die Ingram unter seinem weiten Mantel hervor. Auch McDermit war nicht unbewaffnet. Er holte eine 44er Magnum hervor, und in der Linken hielt er plötzlich einen spitzen Holzpflock. Lautlos schlichen sie in die enge Gasse. Hier war es dunkler als auf der Hauptstraße und es dauerte einen Augenblick, bis sich ihre Augen an das schummrige Dämmerlicht gewöhnt hatten. Dann sahen sie den Vampir. In seinen Armen hielt er ein kleines Mädchen. Tränen liefen über die blassen Wangen des Kindes. Egal, wie lange ich diesen Job mache - ich werde mich niemals an diesen Anblick gewöhnen können ... McDermit sah, wie der Vampir den Kopf herunterbeugte, um seine scharfen Fänge im Hals des kleinen Opfers zu versenken. Wenn sie das Mädchen retten wollten, mussten sie jetzt handeln! Er sah zu Josh herüber. Der nickte knapp. Entschlossen näherten sie sich dem ungleichen Paar. Der Vampir war offenbar vollkommen mit seinem potentiellen Opfer beschäftigt, denn er hatte sie noch immer nicht bemerkt. Erst als sich der kalte Lauf der Maschinenpistole hart gegen seine Schläfe presste, zuckte er erschrocken zusammen, wagte es jedoch nicht, sich zu rühren. »Wer seid ihr? Was wollt ihr von mir?« Seine Stimme flackerte wie eine Kerzenflamme im Wind. »Ich wollte diesem Kind doch nur helfen. Ich habe ihm nichts zu leide getan!« Josh lachte bitter auf. »Noch nicht, wolltest du wohl sagen, du schwanzloser Wichser!« Seine Worte klangen schneidend, wie eine scharfgeschliffene Klinge. Der Vampir begann jämmerlich zu winseln. Doch Josh kannte kein Mitleid. Dieser Mörder hatte es verdient, zu leiden. »Jetzt jammerst du, aber dieses Kind hättest du noch vor Minuten kaltblütig getötet!« McDermit zog das vollkommen verängstigte Mädchen unter dem Vampir hervor. Fest klammerte sich die Kleine an ihren Retter, und ihr kleiner Körper bebte vor Furcht. 35
»Jetzt bist du in Sicherheit, Kleines.« Er strich ihr die schweißverklebten Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Der böse Mann wird dir nichts mehr tun. ..«
»Rück jetzt endlich mit der Sprache heraus, du Scheiße fressender Hurenbock! Oder ich puste dir den Schädel vom Hals!« Um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, presste Josh Benson seine Ingram noch eine Spur fester an die Schläfe des Vampirs. »Ich hab doch schon gesagt, dass ich euch nicht helfen kann! Er wird mich killen, wenn er herausfindet, dass ich ihn verraten habe!« Die schrille Stimme des Vampirs überschlug sich vor Aufregung. »Überleg´s dir - ich mache dich jetzt kalt, oder er später!« Jetzt schaltete sich McDermit ein. »Du solltest ihm besser sagen, was er wissen will. Mein Kumpel ist im Moment nervlich etwas angespannt und ich würde nicht das Risiko eingehen, ihn zu reizen...« Die Tour, die McDermit und Benson gerade abzogen, nannte man im allgemeinen »Guter Cop - böser Cop«. Eigentlich war die Masche leicht zu durchschauen, doch der Vampir war entweder zu aufgeregt oder zu blöd, um es zu kapieren. »Bitte!« Flehend sah er zu McDermit auf. »Bitte, sorgen Sie dafür, dass er aufhört. . .« »Sorry.« Der Vampirjäger zuckte mit den Schultern und setzte einen hilflosen Gesichtsausdruck auf. »Aber wenn er so drauf ist, will ich mich lieber nicht mit ihm anlegen.« Ihr Plan schien aufzugehen. Langsam kochten sie den Blutsauger weich. »Ich geb dir noch genau eine Minute, dann ist meine Geduld endgültig am Ende!«, setzte ihm Josh ein Ultimatum. »Sag ihm lieber, wo er den Typen finden kann«, warf McDermit ein. »Vielleicht hast du Glück, und er lässt dich in Ruhe!« Die beiden konnten dem Vampir ansehen, dass er nicht wusste, vor wem er sich mehr fürchten sollte. Vor Josh Benson oder seinem Artgenossen, der Linda auf dem Gewissen hatte. Dann schien er sich entschieden zu haben. »Okay, Leute, beruhigt euch wieder. Ich sag´s ja! Aber bitte tut mir nichts!« »Also?«, fragte Josh mit scheinbar unbeteiligter Stimme. Doch in seinem Inneren war er völlig aufgewühlt, das wusste McDermit. Denn endlich schien es soweit zu sein. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er den Tod seiner Schwester würde rächen können! »Ich höre!« »Sein Name ist Darkness. Bruce Darkness! Er ist ein hohes Tier hier in New York! Ich kenne ihn nicht mal persönlich, aber es wird halt viel geredet, alles spricht sich schnell herum ...« Aufmunternd klopfte Josh ihm auf die schmalen Schultern. 36
»Jetzt hast du's endlich kapiert, Kumpel. Wurde aber auch langsam Zeit, dass du anfängst zu singen!« Er machte eine kleine Pause. »Jetzt interessiert mich nur noch eins: Wo finde ich diesen rattengesichtigen Wichser?« Verzweifelt schüttelte der Vampir den Kopf. »Ich weiß es nicht! Wirklich!« Und dann zögerlich: »Lasst ihr mich jetzt laufen ...?« »Wovon träumst du eigentlich tagsüber? «, schoss es McDermit durch den Kopf. Als ob ich dich jemals wieder auf die Menschheit loslassen würde! Josh aber sagte: »Nicht, bevor ich erfahre, wo sich der verfluchte Mistkerl rumtreibt! Also sag es uns, oder du bist erledigt!« Der Vampir blickte ihn an. Hass, aber vor allem Furcht war in seinen Augen. Und dann begann er tatsächlich auszupacken ...
Bruce verließ das Empire State Building und genoss den Nachtwind auf der Haut. Die frische Luft kühlte sein hitziges Gemüt ein wenig ab. Es nervte ihn, dass er zur Untätigkeit verdammt war. Aber was sollte er unternehmen? Sie hatten noch länger als eine Stunde über ihre möglichen Handlungsweisen diskutiert, waren jedoch zu keinem konkreten Ergebnis gekommen. Eines war klar - sie wussten definitiv zu wenig, um selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Der Baron selbst wollte mit irgendwelchen Ritualen versuchen, mehr über die Dämonenbeschwörer herauszufinden. Bruce war skeptisch. Wer so ein Monster heraufbeschwören konnte, konnte sich bestimmt auch irgendwie gegen so was abschirmen. Wie gerne hätte Bruce sich einen dieser Verräter geschnappt und ihm das verschrumpelte Herz aus dem Leib gerissen. Wenn er doch wenigstens einen winzigen Anhaltspunkt hätte. Es war zum Verzweifeln! Einfach dasitzen und abwarten, lag Bruce ganz und gar nicht. Diese verfluchten Bastarde müssen doch irgendwelche Spuren hinterlassen haben. Da kam ihm ein interessanter Gedanke. Eigentlich war es nicht mehr als ein Strohhalm, an den er sich klammerte, doch es war besser, als gar nichts. In New York gab es einige Orte, an denen Vampire sicher sein konnten, auf ihresgleichen zu treffen. Der Club Daemonique war ein solcher, ebenso wie die SzeneDiskothek Esquire. Dort trieben sich die eher gediegenen Zugehörigen der Vampirzunft herum - nicht ganz die Umgebung, die Bruce sonst bevorzugte, aber das spielte jetzt keine Rolle. Bruce lenkte nun seine Harley zum Esquire. Im Daemonique würde er nach dem Fight mit den Vampirjägern auffallen wie ein bunter Hund. Dort würde er vielleicht noch vorbeischauen, wenn seine Nachforschungen im Esquire erfolglos blieben. Außerdem wusste er, dass Lucius Borges - einer der ersten Mitarbeiter des Barons, die spurlos verschwanden - dort früher regelmäßig verkehrte. Wenn er Glück hatte, konnte ihm vielleicht jemand verraten, wo sich Borges zum Zeitpunkt seines Verschwindens aufgehalten hatte. 37
Bruce war sich sehr wohl im Klaren darüber, das seine Chancen nicht gerade gewaltig waren. Viele Vampire waren Einzelgänger, die nur selten etwas von sich preisgaben. Und wer ließ sich schon gern in irgendwelche Ermittlungen verwickeln. Als er mit seiner schweren Maschine vor der Diskothek vorfuhr, drehten sich alle Köpfe zu ihm herum. Typen wie er waren hier nicht gerade häufig zu sehen. Vor dem Eingang hatte sich eine beträchtliche Menschentraube angesammelt. Frierend standen sich irgendwelche Yuppies die Beine in den Bauch und warteten darauf, vom Türsteher auserwählt zu werden. Viele von ihnen würden an diesem Abend kein Glück mehr haben. Doch für Bruce stellte das komplizierte Auswahlverfahren des Esquires kein Hindernis dar. In Vampirkreisen galt er als hohes Tier, mit dem man es sich besser nicht verscherzen sollte. Und Max, der stets elegant gekleidete Türsteher der Diskothek, war der sterbliche Diener des Vampirs, dem das Esquire gehörte. Ohne mit der Wimper zu zucken, gewährte er Bruce Einlass. Das Esquire war mit dem Club Daemonique in keiner Weise zu vergleichen. Hier wurde Jazz gespielt und entsprechend gediegen war auch das Ambiente. Die Ladies, die hier ein und aus gingen, waren allesamt äußerst geschmackvoll gestylt. Sorgfältig wurde auf ein besonders dezentes Make-up und stilvolle Garderobe geachtet. Wer hier verkehrte, hatte stets modisch chic zu sein, wenn er nicht unangenehm auffallen wollte. Bruce scherte sich nicht um solche. Dinge. Er trug nur das, was ihm gefiel. Was irgendwelche Sterblichen von ihm hielten, war ihm egal. Hier jedenfalls kam es definitiv nicht gut an ... »Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht in der Tür geirrt haben, junger Mann?« Mit einem breiten Grinsen wandte sich der Vampir der älteren Frau zu, die diese Frage gestellt hatte. Ihr Gesicht wirkte unnatürlich starr und glatt, wie eine Maske, was sie wohl dem übersteigerten Eifer ihres Schönheitschirurgen zu verdanken hatte. »Da haben Sie wohl Recht, Lady! Wenn ich mich hier genauer umsehe habe ich das Gefühl, mitten in einem Altenheim gelandet zu sein!« Der Frau blieb sprichwörtlich die Spucke weg. Mit einem zufriedenen Lächeln registrierte Bruce, wie ihr Gesicht die verschiedensten Rotschattierungen annahm und sie sich dann empört wegdrehte. Ungerührt setzte der Vampir seinen Weg fort. Sollte die Alte sich doch aufregen, wenn es ihr Spaß machte! Das kümmerte ihn herzlich wenig. Dann hatte er die Person entdeckt, nach der er sich umgesehen hatte. Virginia Roth war ein Klasseweib. Schulterlanges rotblondes Haar umrahmte ihr feingeschnittenes Gesicht, das wie das Abbild einer ägyptischen Königin anmutete. Der dazugehörige Körper hatte Maße, die selbst ein von der Natur gesegnetes Model vor Neid erblassen ließ. Aus ihren großen grünen Augen blickte sie Bruce neugierig an. »Dich hier anzutreffen, hätte ich nicht erwartet, mein Lieber.« Ihre Stimme klang rauchig und sehr sexy. »Was treibt dich in diese Gefilde?« Ein süffisantes Lächeln umspielte Bruces Lippen. Dieser Frau konnte man nur schwer widerstehen. »Ich weiß, ich habe mich lange nicht mehr blicken lassen. Und auch dieses 38
Mal ist es nicht nur ein freundschaftlicher Besuch, der mich herführt ...« Sie lachte glockenhell. »Ich habe nichts anderes erwartet.« Ihr Gesicht nahm einen forschenden Ausdruck an. »Nun, Bruce, wie kann ich dir behilflich sein?« »Kannst du mir etwas über Lucius Borges erzählen?« »Er ist verschwunden!« Sie lächelte freudlos. »Aber das weißt du doch längst. Ihr habt doch alle von dieser geheimnisvollen Bedrohung unterrichtet.« Bruce schüttelte knapp den Kopf. »Ich fürchte, du bist nicht mehr so gut informiert wie früher. Es ist inzwischen davon auszugehen, dass Borges - tot ist - ermordet!« Sie neigte kurz den Kopf. »Bist du dir da sicher?« »Völlig sicher.« »Und du bist jetzt hier, um herauszufinden, wer sein Mörder ist?« »Genauso ist es.« Sie zögerte einen Augenblick. »Nein Bruce, das glaube ich nicht! Um was geht es wirklich?« »Teufel, du bist verdammt clever, Baby! «, dachte Bruce. Aus irgendeinem Grunde gelang es ihm niemals, Virginia etwas vorzumachen. Sie hatte eine Nase dafür, wenn ihr jemand etwas verschweigen wollte. Seufzend gab er nach - nur einige Kleinigkeiten behielt er für sich. Virginias Augen wurden immer größer, je länger Bruce berichtete. Als er endete, stieß sie einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. »Feuerdämonen! Wow! Ich kann gut verstehen, dass du das nicht an die große Glocke hängen willst. Aber ich weiß genau, wo sich Lucius am Abend seines Verschwindens aufgehalten hat. Vielleicht hilft dir das ja weiter ...«
McDermit zerdrückte seine abgebrannte Zigarette im überquellenden Aschenbecher des schwarzen Vans. »Wenn die Sache vorbei ist, höre ich mit der Qualmerei auf! «, dachte er. Das nahm er sich nicht zum ersten Mal vor. Aber so sehr er sich auch bemühte - er kam einfach nicht von diesem Laster los. Er saß auf dem Beifahrersitz des Fahrzeugs und genoss die Wärme, die aus den Lüftungsklappen des Armaturenbretts hereingeblasen wurde. Nach der Kühle der Nacht eine willkommene Abwechslung, auch wenn sich in seinem Magen bei dem Gedanken an die bevorstehende Konfrontation ein flaues Gefühl breit machte. Josh Benson steuerte den Van mit ausdruckslosem Gesicht. Sie hatten den Wagen in der Nähe des Empire State Buildings geparkt und warteten nun. Die Zeit verging nur schleppend. McDermit glaubte schon nicht mehr, dass noch etwas passierte, dann aber verließ er das Gebäude: Der Blutsauger, der Linda auf dem Gewissen hatte! Sowohl McDermit als auch sein Partner hätten ihn unter Tausenden wiedererkannt, und auch seine schwere Maschine, auf die der Vampir jetzt zuging. 39
Sie folgten ihm quer durch das nächtliche New York. Manchmal fragte sich McDermit, ob er sie bereits entdeckt hatte, denn der Mistkerl schien wahllos links und rechts abzubiegen und kein direktes Ziel anzusteuern. Dann endlich drosselte er die Geschwindigkeit seiner Harley. McDermit kannte die Gegend. Er ahnte, dass sich außer einem bekannten Jazzclub nichts in der näheren Umgebung befand, das den Vampir angelockt haben könnte. »Fahr rechts ran, Josh!« Sein Kumpel folgte seiner Anweisung und sah ihn fragend an. »Um die Ecke liegt das Esquire. Da will er hin - ich habs im Urin, glaub mir einfach!«, erklärte McDermit. Benson öffnete die Fahrertür des Vans und stieg aus. Dann glitt die große Seitentür des Fahrzeugs beiseite, und McDermit hörte, wie sein Freund im Laderaum herumwühlte. Er zuckte müde mit den Schultern und folgte ihm. Josh hatte sich bereits bewaffnet. Zusätzlich zu seiner Ingram Maschinenpistole war er mit einer handlichen Pflockpistole ausgerüstet, die einen Vampir mit einem gezielten Treffer ohne Probleme ins Jenseits befördern konnte. Der Ire griff nun seinerseits zu. Die Auswahl war groß. Als Vampirjäger waren sie stets gut ausgerüstet, denn körperlich waren ihnen die Blutsauger zumeist weit überlegen. Er griff nach der Armbrust und schob sie zusammen mit fünf zusätzlichen Bolzen unter seinen weiten Mantel. Man wusste ja nie, was geschah. Vielleicht hatten sie es mit mehr als nur einem Gegner zu tun. Es war immer besser, auf jede Eventualität vorbereitet zu sein. Was ihm viel größere Sorgen bereitete, war Josh. Er verhielt sich immer unberechenbarer. Inzwischen traute McDermit es ihm sogar zu, mitten im belebten Esquire einen Fight anzuzetteln! Er handelte ohne Rücksicht auf Verluste - für sich selbst und, so fürchtete der Ire, auch für andere. »Jetzt wird mir diese kindermordende Bestie nicht mehr entkommen ...!« Josh hatte wieder diesen grimmigen Ausdruck in den Augen, der McDermit Angst machte ... Trotzdem - und sei es nur um das Leben Unschuldiger zu schützen, die Josh versehentlich in die Quere kamen - folgte er seinem Freund. Als sie um die Straßenecke bogen, bestätigte sich McDermits Vermutung. Gleich neben dem Treppenaufgang der Diskothek stand die schwere Harley. Das konnte nur eines bedeuten – der Vampir befand sich bereits im Inneren des Esquire! Dem Iren war nicht wohl bei der ganzen Sache. Er wollte sich den Mistkerl in einer verlassenen Gegend krallen - irgendwo, wo kein großer Schaden angerichtet werden konnte. Hier standen jedoch bereits vor dem Eingang des Clubs gut zwei Dutzend Menschen. Wie mochte es erst drinnen aussehen? Doch Josh ließ sich davon nicht beirren. Zielstrebig steuerte er auf den Eingang des Esquire zu.
Max Holland musterte die beiden in weite Mäntel gehüllten Gestalten, die sich dem 40
Club näherten, argwöhnisch. Mit denen stimmte etwas nicht! Max hätte dieses Gefühl nicht näher erläutern können, er wusste es einfach! Schon die Art, wie der Platinblonde sich bewegte, machte ihn stutzig. Schlafwandlerisch, als hätte etwas Fremdes, das erst lernen musste sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, die Kontrolle über den muskulösen Körper übernommen. Der andere wirkte einfach nur müde und abgekämpft. Eigentlich ja nichts Ungewöhnliches, wenn auch nicht unbedingt die übliche Verfassung, wenn man es darauf abgesehen hat, sich zu amüsieren. Doch genau darauf waren sie wohl aus, denn sie wollten offensichtlich den Club betreten. »Vergesst es, Jungs! «, dachte Max. Da könnt ihr euch auf den Kopf stellen. An mir kommt ihr nicht vorbei! Entschlossen stellte er sich den beiden Männern in den Weg, die bereits den ersten Treppenabsatz erklommen hatten. »Wo wollt ihr denn so eilig hin, Freunde?« Seine Worte mochten kumpelhaft klingen, doch seine Stimme vermittelte den beiden Fremden ganz eindeutig, dass sie hier nicht erwünscht waren. Der Größere zögerte tatsächlich einen winzigen Augenblick. Da hatte der andere jedoch schon die Initiative ergriffen. Max erkannte, dass er den Fehler gemacht hatte, die beiden zu unterschätzen. Nun war es zu spät! Er sah noch das kurze silberne Aufblitze, als der Kerl ein Messer zog. Bevor Max nur den Ansatz einer Chance hatte, zu reagieren, spürte er auch schon einen stechenden Schmerz in der Brust. Eine Frau schrie hysterisch auf. Es war das Letzte, das er bewusst aufnahm. Dann wurde es dunkel um ihn herum ...
Wie ein Stein fiel der massige Türsteher zu Boden. Er hatte nicht einmal mehr die Gelegenheit einen Todesschrei auszustoßen. McDermit starrte seinen Freund fassungslos an. Dann stierte er auf die Leiche. Sie machte keine Anstalten, zu verrotten. Entsetzt starrte er seinen Partner an. »Josh, das ... Du hast ... Das war ein Mensch, Josh!« Es war einfach Wahnsinn! Unter den Wartenden brach sofort Panik aus - jetzt wurde keine Rücksicht mehr auf andere genommen. Sie verhielten sich wie wilde Tiere, denen es nur noch darum ging, die eigene Haut zu retten! Josh zeigte sich jedoch von dem ganzen Chaos, das er angerichtet hatte, gänzlich unbeeindruckt. Er stieg einfach über den toten Körper des Türstehers hinüber und wollte das Esquire betreten. 41
»Josh!« McDermits Ungläubigkeit verwandelte sich in Wut. Wut auf Josh, der das Leben Unschuldiger gefährdete und vor allem Wut auf sich selbst, das er es dazu hatte kommen lassen. »Das hier ist kein Spiel! Hast du denn alles vergessen, woran du jemals geglaubt hast?« Doch sein Freund ignorierte ihn völlig. Er schien Luft für ihn zu sein! Jetzt galt es nur noch, das Schlimmste zu verhindern. Der Ire würde es sich niemals im Leben verzeihen, wenn noch mehr Menschen hierbei zu Schaden kamen. Hastig stürmte er hinter Josh Benson her. Der hatte das Messer einfach fallen gelassen und holte seine Pflockpistole hervor. Die Waffe im Anschlag betrat er den Club. McDermit versuchte, seinen langjährigen Weggefährten beim Mantelkragen zu packen, um ihn zurückzuhalten. Doch der Stoff entglitt seinen schweißnassen Fingern. »Jetzt sei doch vernünftig, Alter!« Verzweifelt bemühte er sich, mit Josh Schritt zu halten, der unaufhaltsam über die Tanzfläche des Clubs ging. Benson ließ sich nicht mehr aufhalten, das wurde seinem Partner klar. Jetzt nicht mehr! Er hatte den, den er suchte, bereits entdeckt. Und jetzt würde er ihn endgültig kaltmachen! Dennoch versuchte McDermit es weiter, redete eindringlich auf ihn ein. Sein Bemühen zeigte keinerlei Wirkung. McDermit interessierte es nicht, was sein Freund ihm zu sagen hatte. Er war nur noch von einem einzigen Gedanken beseelt. Er wollte das Monster vernichten, sodass ihm niemals wieder ein unschuldiges Mädchen wie Linda zum Opfer fallen würde!
»Ich hab da so etwas läuten hören, dass er sich an dem Abend, an dem er auf so mysteriöse Weise verschwunden ist, mit zwei anderen Vampiren in der alten Fabrikhalle am Hafen treffen wollte.« Virginia zuckte die Achseln. »Ob er dort allerdings jemals angekommen ist, kann ich dir leider auch nicht verraten ...« Gerade als Bruce zu einer Entgegnung ansetzen wollte, bemerkte er, wie sich Virginias Gesichtsausdruck urplötzlich änderte. Misstrauisch wandte er sich um. Ihm fiel auf, dass alle Gäste des Esquire plötzlich in Richtung Eingang starrten. »Was ...?« Er kam nicht mehr dazu, seine Frage zu beenden, denn da sah er sie. »Das kann doch nicht wahr sein! Diese Typen sind aber wirklich anhänglich! «, durchfuhr es Bruce. Er hatte keine Ahnung, wie die Vampirjäger seinen Aufenthaltsort herausgefunden hatten - und es war ihm eigentlich auch ziemlich egal! Er würde dieser leidigen Angelegenheit jetzt ein für allemal ein Ende bereiten! In dem Moment stürmte der Platinblonde auch schon vor. Mit einem wütenden Zischen sprang Bruce auf und griff sich den Stuhl, auf dem er gerade noch gesessen hatte. Auch Virginia zögerte keine Sekunde. Mit ausgefahrenen Fängen stand sie kampfbereit hinter ihm und warf ihren Gegnern vernichtende Blicke zu. 42
Der Blonde hatte sich bis auf zwei Meter angenähert und verharrte nun. Mit einem irren Flackern in den Augen fixierte er Bruce. »Jetzt wirst du sterben ...« Verständnislos sah der Vampir sein Gegenüber an. »Ich bin doch schon tot ...«, meinte er grinsend. Wut verzerrte das Gesicht des Angreifers. »Mörder!« Bruce lachte belustigt auf. »Mörder nennst du mich?« Dann wurde sein Blick kalt wie Eis. »Du hast meine Schwester auf dem Gewissen, du Bastard!« Mit einem wilden Kampfschrei hob der Vampirjäger die Pflockpistole und drückte ab. »Zielen gehört wohl nicht zu deinen Stärken, was Freundchen? «, dachte Bruce, als der Plock an ihm vorbeischoss. Dann hörte er ein ersticktes Gurgeln, direkt hinter seinem Rücken. Virginia! Einer gespannten Feder gleich wirbelte der Vampir herum. Der Pflock war ihr in die Kehle gedrungen. Die Vampirin, die keine Kämpferin war, konnte damit ihre hypnotischen Fähigkeiten nicht mehr einsetzen. Sie musste dazu den Befehl aussprechen. Bis diese Verletzung ausgeheilt wäre, würde auch der Kampf vorbei sein. Aus weit aufgerissenen Augen starrte Virginia ihren Artgenossen an. Ihr ungläubiger Blick sagte deutlich, dass sie nicht begreifen konnte, was mit ihr geschehen war. Immer noch röchelnd brach sie zusammen, zerrte sie an dem Holzgeschoss. Ein wildes Fauchen löste sich aus Bruces Kehle, als er sich wieder den Angreifern zuwandte. Er bewegte sich geschmeidig wie ein Raubtier. Bevor der Blonde, der noch immer gebannt auf die am Boden liegende Virginia starrte, die Gelegenheit bekam, erneut abzudrücken, hatte Bruce ihn bereits erreicht. Er griff zu, umschloss die Pistole und die Rechte des Vampir Jägers mit beiden Händen und drückte zu. Der Blonde schrie auf, als erst seine Fingerknochen und dann der Plastikgriff der Pistole zersplitterten. Der Vampir drückte so lange und so fest zu, dass die ehemals große, kräftige Faust des Menschen zu einem mit Splittern durchsetzten Brei wurde. Der Vampirjäger schrie noch immer, als Bruces Finger sich von der zerquetschten Hand lösten und sich wie Stahlklammern um die Kehle des Blonden schlossen. Da verstummte sein Gekreische zu einem Röcheln. Dann hob der Vampir den Mann, der gut und gerne 240 Pfund auf die Waage brachte, mit einer spielerisch leichten Bewegung in die Luft, als wäre er leicht wie eine Feder. »Ist es das, was du wolltest, Arschloch?« Bruces Stimme klang rauh und kehlig, als hätte er seine Stimmbänder nicht mehr richtig unter Kontrolle. »Davon kannst du so viel bekommen, wie du willst!« Der Vampirjäger ruderte in dem verzweifelten Versuch, sich zu befreien, mit den Beinen. Sein Gesicht begann vor Anstrengung und Atemnot purpurrot anzulaufen. Bruce begann, den Mann heftig hin und her zu schütteln wie einen unartigen Hund. »Ich hab die Schnauze voll von euch!«, brüllte er, dann schleuderte er ihn von sich. Hart schlug der Blonde gegen die Betonwand auf der Rückseite des Clubs und blieb, aus 43
unzähligen Wunden blutend, liegen. Gerade wollte Bruce nachsetzen, da hörte er das Brüllen. Und eine Sekunde später breitete sich ein stechender Schmerz in seinem Rücken aus.
Fassungslos beobachtete McDermit den Fight zwischen Josh und dem Vampir. Er war wie erstarrt, konnte sich von diesem Anblick einfach nicht lösen. Wie hatte Josh nur so dumm sein können, diesen Darkness frontal anzugreifen? Immer, wirklich immer, hatte er gepredigt, dass sie selbst gegen einen Vampir mit roher Kraft nichts ausrichten konnten. Und nun hatte er genau das versucht - mit einem ernüchternden Ergebnis! Josh war dem Vampir hoffnungslos unterlegen, und nachdem er, mehr durch Zufall, die Frau - wohl auch eine Untote, denn sie lebte immer noch - ausgeschaltet hatte, war dieser Mistkerl völlig ausgerastet. Nichts schien ihn mehr aufhalten zu können. Er tobte durch das Esquire wie eine wildgewordene Dampfwalze. Bereit, alles und jeden niederzumachen, der sich ihm in den Weg stellte. Und McDermit war aus irgendeinem unerfindlichen Grunde nicht in der Lage, etwas zu unternehmen, um seinen Freund zu retten. Verdammt, der Typ macht ihn fertig! Ich muss jetzt dazwischen gehen, sonst ist es zu spät! Der Vampir schleuderte Josh gerade wuchtig gegen die Wand, und das war es, das McDermit aus seiner Starre löste. Er wollte nicht tatenlos zusehen, wie sein Freund gnadenlos zu Tode geprügelt wurde. Er riss die Armbrust unter seinem pechschwarzen Mantel hervor und legte an. Dann stieß er einen wilden Kampfschrei aus, drückte ab - und traf! Es war wie beim Club Daemonique. Der getroffene Vampir wurde herumgewirbelt, verlor den Boden unter den Füßen und krachte zu Boden. McDermit hörte ihn aufkeuchen, der plötzliche Angriff hatte ihn offenbar völlig überrascht. Dann rappelte sich das Monster wieder auf und tastete nach dem Pflock, der in seiner Schulter steckte. Der Ire erkannte, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte! In seiner Aufregung hatte er nicht vernünftig gezielt, und jetzt wandte sich der Mistkerl mit einem wilden Ausdruck in den Augen zu ihm um. Scheiße! Hastig versuchte McDermit, seine Armbrust nachzuladen. Schritt für Schritt näherte sich ihm das Verderben in Form des Vampirs. Verzweifelt mühte sich McDermit mit seiner Waffe ab. Als er wieder aufblickte, sah er sich den Augen des Vampirs direkt gegenüber. Dieser Darkness starrte ihn an. Ungefähr diese Art von Blick hatte McDermit tollwütigen Hunden reserviert. »Verrecke!«, drang es knurrend aus der Kehle des 44
Vampirs. Er holte aus... Der Vampirjäger ließ den Bolzen fliegen. Natürlich hatte er keine Gelegenheit gehabt, auf das Herz zu zielen, doch ein langes Stück Holz im Magen verkraftete auch ein Vampir nicht so einfach. Bruces Augen wurden groß, quollen aus ihren Höhlen. Er krümmte sich zusammen. McDermit holte seine Machete hervor, visierte den Hals an - und zog durch. Doch der Vampir hatte sich nach vorne geworfen. Die Klinge traf auf seinen Rücken, der Hieb wurde von der Lederjacke gebremst, doch trotzdem hätte er jedem Menschen die Wirbelsäule zerschmettern müssen. Bruce Darkness brach zu Boden. Aber sofort rollte er sich herum, offenbar war die Wirbelsäule völlig intakt. Der Blutsauger riss mit schmerzverzerrtem Gesicht den Bolzen aus seinem Bauch und trat gleichzeitig mit beiden Füßen zu. Er traf ... McDermit klappte einfach zusammen, als der Vampir ihm mit der Wucht eines Dampfhammers vor die Knie trat. Er spürte, wie die Gelenke an beiden Beinen splitterten. Das ganze ging so schnell, dass er bewusstlos war, bevor er auf den Boden prallte. Sein letzter Anblick, bevor er das Bewusstsein verlor, war das siegesgewisse Funkeln in den Augen des Vampirs. Es war der letzte Anblick in seinem Leben ...
Josh Benson beobachtete das grausame Schauspiel mit morbider Faszination. Erst schien es, als würde sein Freund den Kampf für sich entscheiden, doch dann hatte sich das Schicksal gewendet. Gerade stand der Vampir auf und zerschmetterte dem bewusstlosen McDermit mit dem Stiefel das Genick. Josh Benson blieben nur noch Sekunden. Denn eines stand fest - der Vampir würde auch ihn töten. Aber dazu wollte er es nicht kommen lassen. Seine Gelenke protestierten vehement, als er sie in eine kniende Position zwang. Der Aufprall gegen die Betonwand war schrecklich gewesen. Wogen aus Schmerz waren über seinen Körper eingeschlagen, seine Hand war nur noch Matsch, doch um solche Wehwehchen durfte er sich jetzt nicht kümmern. Nicht, wenn er eine Chance haben wollte, zu überleben. Für McDermit konnte er nichts mehr tun, der war verloren. Langsam, um nicht die Aufmerksamkeit des Vampirs auf sich zu ziehen, kroch er an der Wand entlang und gelangte endlich zu einem kleinen Korridor, der von dem Hauptraum des Clubs abzweigte. Josh betete eindringlich, dass er ihn nicht in eine Sackgasse führen würde ... Er hatte Glück. Am Ende des Ganges befand sich eine Stahltür. Vorsichtig brachte er sich in eine aufrechte Position. Zwar schienen in seinen Gliedern kleine Elmsfeuer des Schmerzes zu lodern, doch das schlimmste war eindeutig seine Hand. Solange er sich nicht bewegte, war es gerade noch auszuhalten, doch er musste weiter. 45
Also biss er die Zähne zusammen. Josh Benson schloss gequält die Augen. Wie gern hätte er McDermit geholfen, doch das war nicht möglich, dazu war er nicht mehr in der Lage. »Tut mir leid, alter Junge! Das habe ich nicht gewollt ...«, dachte er. Aber ich werde auch deinen Tod rächen, wenn ich diesem eiskalten Monster das nächste Mal gegenüberstehe - und es wird ein nächstes Mal geben! Joshs linke Hand legte sich auf die Türklinke, und die Kühle des Metalls wirkte seltsam beruhigend auf ihn. Er kam gar nicht auf den Gedanken, dass die Tür verschlossen sein könnte. Und tatsächlich war das Glück ihm abermals hold, und er trat hinaus in die Dunkelheit der Nacht ...
Bruce sah sich suchend um, doch er konnte den Blonden nirgendwo entdecken. Offenbar hatte er seinen Freund einfach seinem Schicksal überlassen. Feige Ratte! Plötzlich erwachten auch die Besucher des Esquire aus ihrer Starre. Alle schienen gleichzeitig zu schreien und auf den Ausgang zuzulaufen. Einige wurden angerempelt und stürzten zu Boden. Doch in der allgemeinen Hysterie kümmerte man sich nicht um sie. Gnadenlos wurden sie niedergetrampelt und zurückgelassen. Bruce befand, dass es nun auch für ihn an der Zeit war, sich auf den Weg zu machen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Cops auftauchten, und er spürte keinen Drang, ihnen schon wieder über den Weg zu laufen. Er beugte sich zu Virginia hinunter. »Komm, Schönheit, wir müssen weg.« Sie nickte. Sprechen konnte sie noch nicht wieder. Als die Vampire den Club verließen, drängten sich bereits Horden von Schaulustigen vor der Eingangstür. »Jemand muss einen Arzt rufen!«, schrie eine ältere Frau mit Lockenwicklern in den Haaren aus dem Fenster eines der gegenüberliegenden Häuser. Ein junger Mann schüttelte seine hysterisch lachende Freundin, die daraufhin begann, hemmungslos zu schluchzen. Bruce fluchte leise. »Geh du hier raus!«, murmelte er der Vampirin zu und zog sich schnell in den schwach beleuchteten Eingangsbereich des Clubs zurück. Hier konnte er nicht einfach herausspazieren. Er würde sofort auffallen. Und es wäre ziemlich egal, dass ja er es war, der angegriffen worden war. In der Ferne hörte er bereits die Sirenen eines Polizeiwagens, der sich schnell näherte. Sein Herr würde sicher auch nicht gerade erfreut sein, wenn er von diesem Vorfall hörte. Der Baron mochte es gar nicht, wenn Bruce zu großes Aufsehen erregte. Da aber zählte es, dass er es war, der angegriffen worden war. Hoffte er. Es blieb dem Vampir nichts anderes übrig, als seine Harley zurückzulassen. Die würde er schon wiederbekommen. Er kehrte zurück in den Club und entdeckte einen schmalen Korridor der zu einer Tür 46
führte, die sperrangelweit aufstand. Kühler Nachtwind drang in den Gang. Ein wissendes Lächeln spielte um Bruces Lippen. Welche Ironie des Schicksals. Er würde auf dem selben Weg abhauen, den zuvor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sein Feind eingeschlagen hatte. Der Hinterhof hatte Ähnlichkeit mit dem des Daemonique, wie sich wohl die Hinterhöfe aller Clubs der Welt ähnelten. Er spähte in die Dunkelheit und entdeckte eine verrostete Feuerleiter, die auf das Dach des nebenstehenden Gebäudes führte. Schnell wie ein Schatten kletterte er daran empor. Dann lief er davon und schon bald hatte ihn die Dunkelheit der Nacht verschluckt.
Josh Benson hatte bereits vorausgesehen, dass Darkness den Club nicht auf dem normalen Wege verlassen würde. Und soviel er wusste, war der Hinterausgang, den er selbst benutzt hatte, die einzig andere Möglichkeit. Er setzte darauf, dass der Vampir so handeln würde, wie er glaubte. Deshalb hatte er sich zum Van durchgeschlagen. Dort hatte er sich schnell einen Cocktail gemixt. Einen Cocktail aus extrastarkem Schmerzmittel, Aufputschmittel und Speed. Es war notwendig. Wenn er diesen verdammten Vampir nicht jetzt zu fassen bekam, würde er ihn nie bekommen. Und in seiner jetzigen Verfassung hätte er ohne die Drogen keine Chance. Noch etwas, wofür er den Vampir umbringen würde. Erst jetzt begriff er langsam, dass McDermit tot war. Nie wieder würden sie Seite an Seite auf Vampirjagd gehen. »Verdammt! «, dachte er und schluckte schwer. Wenn ich ihm nur hätte helfen können ... Josh fuhr den Van an die Hinterseite des Clubs, wo er über ein Dach auf die Straße geflohen war. Es war gar nicht einfach, mit nur einer Hand zu fahren. Er vermutete nur, dass der Vampir denselben Weg nehmen würde, sollte er das Gebäude wirklich durch den Hinterausgang verlassen. Doch irgendwie ging er stark davon aus. Und er hatte ein drittes Mal Glück. Denn genau in dem Moment, als er um die Ecke bog, tauchte - ein schwarzer Schatten an der Dachkante des Hauses auf, das Josh beobachtete. Geschmeidig wie ein Raubtier huschte der Schatten die altersschwache Feuertreppe hinunter und sprang mit einem Satz auf die Straße. Es war der Vampir, der sich nun argwöhnisch umschaute. Josh duckte sich tief hinter die Armaturen des Vans. Er wollte auf keinen Fall, das dieses verdammte blutsaugende Monster ihn vor der Zeit entdeckte. Aber dazu kam es nicht. Als sich Josh für einen kurzen Spähblick aufrichtete, sah er, wie sich der Vampir an einem der hier parkenden Autos zu schaffen machte. Er hatte einfach die Tür gepackt und aufgerissen. Das Schloss hatte keine Chance. Dann hörte Josh, wie der Motor mit einem wiehernden Geräusch angelassen wurde. Er setzte sich wieder aufrecht hin und drehte seinerseits den Zündschlüssel des schwarzen Vans um. 47
Das Auto, das der Vampir aufgebrochen hatte, bog bereits im Schritttempo um die nächste Straßenecke. Auch Josh ließ den Wagen langsam anrollen, ohne jedoch die Scheinwerfer einzuschalten. Er hielt großen Abstand zu dem vorfahrenden Fahrzeug, denn die Straßen waren wie ausgestorben. Dann bogen sie in eine etwas belebtere Hauptstraße ein, und Josh konnte es wagen, die Beleuchtung des Vans anzuschalten. Der Vampir schien kreuz und quer durch die Gegend zu fahren, allerdings erkannte Josh, der sich in der Stadt gut auskannte, dass sie sich einem Gewerbegebiet näherten. Benson hatte keine blassen Schimmer, was der Vampir zu dieser Zeit dort wollte. Ob sich sein Unterschlupf in dieser Gegend befand? Hier gab es zahlreiche leerstehende Hallen und Fabrikgebäude, die als Versteck geradezu ideal waren, wenn man auf Komfort und Luxus nicht allzu viel wert legte. Der Wagen des Vampirs bog an der nächsten Abzweigung rechts ab und Josh folgte in etwa zweihundert Metern Abstand. Dann bremste er abrupt ab - die Straße lag verlassen da! Der Wagen war verschwunden, schien sich einfach in Luft aufgelöst zu haben ... »Shit!«, fluchte Josh und hieb mit der Linken mit voller Wucht auf das Lenkrad des Vans. »Das kann doch alles nicht wahr sein!«
Katrina Stein saß an ihrem Schreibtisch in einem ihrer Penthäuser auf Long Island und klopfte nervös mit den langen Fingernägeln auf die Glasplatte. Ein Feuerdämon! Schon seit Stunden kreisten ihre Gedanken nur um dieses eine Thema - ohne Erfolg. Ihr fiel beim besten Willen nicht ein, wie sie diesen gefährlichen Gegner ausschalten konnte. Natürlich wäre es gut, wenn es nicht Bruce, sondern ihr selbst gelänge, die Bedrohung aus dem Wege zu räumen. Es würde ihr sicher viele Pluspunkte im Ansehen des Barons verschaffen. Das würde Bruce ganz schön wurmen - so viel stand fest! Falsche Bescheidenheit gehörte nicht zu ihrem Naturell - sie würde ihm sein Versagen Nacht für Nacht, Stunde für Stunde unter die Nase reiben. Was für ein Spaß! Doch leider fehlte ihr noch etwas ganz Entscheidendes, um ihre kühnsten Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Denn sie hatte nach wie vor keine Spur von den Hintermännern des Feuerdämons.
Bruce steuerte den Wagen durch das Gewerbegebiet. Sein Ziel war das verlassene Fabrikgebäude, von dem ihm Virginia berichtet hatte. Tagsüber mochte es in der Gegend hektisch zugehen, aber des Nachts wirkte es wie eine 48
Geisterstadt. Zwar wurde natürlich in einigen Betrieben auch um diese Zeit gearbeitet, aber das war doch eher die Minderheit. Bei den meisten ging es erst Punkt sechs Uhr morgens wieder los. Schon hatte der Vampir sein Ziel erreicht. Vor dem verfallenen Backsteingebäude der vor einigen Jahren in Konkurs gegangenen Computerfirma MagiSoft stellte er den gestohlenen Wagen ab. Das riesige Gebäude schien verlassen zu sein. Kein Laut deutete darauf hin, dass sich hier jemand aufhielt. Aber Bruce war auf der Hut. Er hatte früh in seinem Leben festgestellt, das es oft nicht so war, wie es zunächst den Anschein machte. Vorsichtig betrat der Vampir die Eingangshalle durch eine eingeschlagene Glastür. Er war ein wenig verwundert, denn nirgendwo konnte er Anzeichen erkennen, dass ein Obdachloser hier sein Quartier aufgeschlagen hatte. Dabei stellte eine offene Eingangstür doch geradezu eine Einladung für diese Menschen dar. Er erreichte den leeren Fahrstuhlschacht, in dem ehemals ein Lift Personen in die oberen Stockwerke befördert hatte. Heute gähnte hier ein Abgrund, an dessen Boden, wie Bruce mit einem kurzen Blick feststellte, die vom allgegenwärtigen Verfall gekennzeichnete Kabine lag. Die Trägerkabel waren durchtrennt worden ... Hm, wahrscheinlich nur ein paar Kids auf der Suche nach Spaß. Er konnte genauso gut im Keller des Gebäudes beginnen. Also stieß sich ab und landete mit einem Satz auf dem Dach der Fahrstuhlkabine. Mit einer lässigen Bewegung hebelte er die Dachluke auf und sprang in das Innere des Lifts. Die Metalltüren der Kabine standen sperrangelweit offen, sodass Bruce direkt in den düsteren Gang des Kellergewölbes blicken konnte. Der Korridor führte geradeaus und gabelte sich wenige Meter weiter in zwei weitere Gänge. Es war der nach links führende Weg, der Bruce sofort ins Auge sprang. Argwöhnisch zog der Vampir die Stirn kraus. Flackernder Lichtschein tanzte über die kahlen, stockfleckigen Wände des Ganges. »Es sind wohl doch nicht alle ausgeflogen! «, dachte er. Wollen wir doch mal sehen, wen wir hier finden ...
Der schwarze Van fuhr langsam durch die verwinkelten Straßen des Hafenviertels. Josh hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie hatte ihm das nur passieren können? Dieser elende Blutsauger hätte ihm einfach nicht entkommen dürfen! Aber er würde nicht aufgeben - niemals! Das hatte er sich geschworen. Der Wille, sein Vorhaben auszuführen, war ungebrochen. Er musste den Wagen, den der Mistkerl vor dem Esquire aufgebrochen hatte, finden! Wenn er ihn hatte, fand er auch Darkness. Was dann kam, lag allein in der Hand Gottes ... Und auch dieses Mal half ihm das Schicksal. Josh konnte sein Glück kaum fassen, als er 49
die alte, rostige Schrottlaube, die der Vampir geknackt hatte, in einer kleinen Nebenstraße vor einem verfallenen Fabrikgebäude erblickte. In diesem Gebäude würde es zum großen Showdown kommen, das spürte Josh. Er suchte seine Waffen zusammen und setzte sich einen zweiten Schuss seines Drogencocktails. Er spürte kaum eine Veränderung. Noch wirkte die erste Dosis, aber er hatte ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie es ihm gehen würde, wenn die Wirkung nachließ. Er hoffte, dass sein Gehirn das überleben würde, aber sein Leben war ruiniert. Josh Benson seufzte und stieg aus. »Es kann nur einen geben! «, dachte der Vampirjäger grimmig.
Katrina Stein stieß ein frustriertes Seufzen aus.
Wie eine Ölgötze saß sie hier herum und wartete, während der Dämon sich vielleicht
schon in diesem Augenblick ein weiteres Opfer suchte. Es muss doch einen Weg geben ... Alarmiert hielt die Vampirin in ihren Gedanken inne. Sie spürte instinktiv, dass etwas nicht in Ordnung war. Etwas hatte sich verändert - von einer Sekunden auf die andere. Sie konnte nicht genau beschreiben, um was es sich handelte, doch es war da. Dann spürte Katrina etwas Merkwürdiges. Es schien plötzlich wärmer in dem Büroraum zu werden. »Was ist hier los?«, murmelte sie. In diesem Moment begann die Luft in einem Winkel des Zimmers zu flackern. Überrascht riss Katrina die Augen auf. Dann begriff sie, und dieses Begreifen ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. »Nein!« Die Vampirin stürzte zur Tür. Gerade als sie die Hand auf den metallenen Türknopf legen wollte, glühte dieser rot auf. Hastig zog sie ihre Hand zurück und fluchte. Jetzt war ihr der Ausweg abgeschnitten. Die wabernde Wolke nahm langsam die Form einer menschlichen Gestalt an. »Ruhe bewahren!«, sagte sie sich.
Geräuschlos glitt Bruce durch den in schwachen, flackernden Kerzenschein gehüllten Korridor. Noch war seine Anwesenheit nicht bemerkt worden. Zumindest ließ sich niemand blicken, um ihn aufzuhalten. Der Vampir hatte nicht die geringste Ahnung, wem er am Ende dieses Ganges gegenüberstehen würde. Vielleicht waren es ja tatsächlich nur ein paar Obdachlose, die hier Unterschlupf gesucht hatten. Doch tief in seinem Innern sagte ihm ein Gefühl, dass es 50
sich nicht so verhalten würde. Er war auf einer ganz heißen Spur! Zwar hatte er sich hierher in dieses verfallene Fabrikgebäude begeben, um den Hintermännern des mörderischen Feuerdämons auf die Schliche zu kommen, doch hatte er sich keine großen Chancen ausgerechnet, tatsächlich irgendwelche Spuren zu finden. Kurz vor dem Ende des Korridors presste sich der Vampir eng an die kalte Steinwand. Es konnte unter Umständen von Vorteil sein, sich einen gewissen Überraschungsmoment zu erhalten. Vorsichtig spähte er um die Ecke in einen winzigen, quadratischen Raum hinein. Bereits auf den ersten Blick stand fest, dass es keinesfalls Obdachlose waren, die sich hier aufhielten. Blutrote Zeichen waren an allen Wänden und auch an der Decke aufgemalt worden. Zwar kannte Bruce ihre Bedeutung nicht, doch er hatte die starke Vermutung, dass es sich um irgendwelche magischen Motive handelte. In der Mitte des Gewölbes erblickte Bruce drei zusammengekauerte Gestalten. Sie hatten sich in weite Kapuzenumhänge gehüllt, sodass er ihre Gesichter nicht erkennen konnte. Sich an den Händen haltend wiegten sie sich wie in Trance hin und her. Ein konstantes Summen ging von ihnen aus, das so fremdartig klang, als könne es nicht von menschlichen Stimmbändern erzeugt werden. Sie sind es! Das sind die Verräter! Bruce zog sein Hiebmesser unter der Jacke hervor. Mit einem gewaltigen Satz katapultierte er sich direkt hinter eine der vermummten Gestalten, packte sie an ihrem Umhang und riss sie mit einem kraftvollen Ruck aus dem magischen Kreis. Im selben Augenblick, in dem sich die Hände der Gestalten voneinander lösten, begann das merkwürdige Leuchten, das von den aufgemalten Zeichen ausging, zu flackern. »Sie haben ihn wieder herbeigerufen! «, schoss es Bruce durch den Kopf. Irgendwo in New York ringt ein weiterer Vampir um sein Leben!
Das rotglühende Wesen stieß ein wildes Brüllen aus, das nichts Menschliches an sich hatte. Katrina zuckte zusammen. Es war sehr lange her, dass sie solche Furcht verspürt hatte, wie in diesem Moment. Ruhig bleiben! Mit all ihrer Macht rief sie: »Weiche!« Jeder Mensch und die meisten Vampire hätten blindlings gehorcht, doch dieses Wesen ... Unaufhaltsam bewegte sich die Feuergestalt auf sie zu. Seine Höllenfratze hatte sich zu etwas verzerrt, das einem menschlichen Grinsen nachempfunden war. Doch dann wurde die Kreatur langsamer ... 51
Die feurigen Klauen des Feuerdämons griff gierig nach der in der Ecke zusammengekauerten Vampirin. Katrina Stein stieß einen schrillen Schrei aus, als einer der verlängerten Auswüchse, die menschlichen Fingern ähnelten, sie an der Wange berührten. Zischend verbrannte die Haut an dieser Stelle und hinterließ eine stark gerötete Wunde. Dann geschah es. Mit einem finalen Aufflackern erstarb das Glühen, das den Dämon umgab. Im selben Moment löste sich die unheimliche Gestalt in Luft auf. »Er ist fort ...« Ihre Stimme klang ausdruckslos, und im nächsten Augenblick sank sie mit einem erleichterten Seufzen zu Boden. Wer auch immer dieses Monster aufgehalten hatte - Katrina war ihm zu ewigem Dank verpflichtet. Außer ... Außer wenn es sich hierbei um Bruce handeln sollte! Die Blöße, vor ihrem Intimfeind zu Felde zu kriechen, würde sie sich nicht geben. Niemals!
Mit einem wilden Kampfschrei entriss Bruce dem Vermummten seine Kapuze. Dann stieß er ein überraschtes Keuchen aus. Wer hier mit wutverzerrtem Gesicht vor ihm stand, den durfte es eigentlich gar nicht mehr geben! Es handelte sich um niemand anderes, als ... »Lucius Borges!« Bruce spie den Namen aus wie etwas Verdorbenes und Widerwärtiges. »Darauf hätte ich auch eher kommen können, du elender Verräter!« Nun schlugen auch die beiden anderen ihre Kapuzen zurück und enthüllten, was Bruce bereits geahnt hatte: Jean-Paul Batiste und Oliver Dasher! »Sei gegrüßt in unserer ärmlichen Behausung, Darkness!« Borges war es, der nun zu ihm sprach. Die beiden anderen hatten sich schweigend hinter ihren Anführer gestellt und musterten Bruce mit abfälligen Blicken. »Warum der Verrat, Borges?« Bruce blinzelte leicht irritiert über seine eigenen Worte. »Wen interessiert das?« Er schlug zu. Borges war durch diese plötzliche Attacke völlig überrascht worden. Er verlor den Boden unter den Füßen und wurde mit rudernden Armen gegen seine beiden Kumpane geschleudert. In einem Knäuel aus verrenkten Armen und Beinen fielen sie zu Boden. Gerade als Bruce mit einem harten Fußkick nachsetzen wollte, ertönte hinter ihm eine ruhige Männerstimme. »So sieht man sich also wieder ...!« Langsam drehte sich Bruce um die eigene Achse und sah sich dem unerwarteten Gegner Auge in Auge gegenüber. »Du!«, rief er überrascht. 52
Josh Benson grinste den Vampir höhnisch an. Sein rechter Arm mit der zerquetschten Hand hing schlaff an seiner Seite, sein Gesicht war ein einziger blauer Fleck. Er nuschelte ein wenig, doch sonst schien er durch seine Verletzungen kaum beeinträchtigt. »Ja ich! Du hast wohl nicht erwartet, mir so bald wieder über den Weg zu laufen, was? Und jetzt sind hier auch gleich noch mehr von deiner Sippe, die ich vernichten kann!« Gerade als Bruce etwas erwidern wollte, überschlugen sich die Ereignisse. Die drei verräterischen Vampire hatten sich wieder aufgerappelt und nun sah sich Bruce mit vier Gegnern konfrontiert. Da zog Josh Benson plötzlich seine Ingramm Mac-10 unter seinem schwarzen Stoffmantel hervor. Blitzschnell legte er an und drückte ab! Doch Bruce war schon zur Seite gehechtet. Die drei anderen Vampire hatten nicht soviel Glück. Da Bruce ihnen die Sicht verstellt hatte, bemerkten sie die Gefahr zu spät. Das Hämmern der MP mischte sich mit ihren Schmerzensschreien, als die Kugeln in sie einschlugen und sie zurücktaumeln ließen. Die Maschinenpistole in der Linken des Vampirjägers verstummte. Einer der Gründe, warum Bruce so ein Ding nicht mit sich herumschleppte. Die waren immer so schnell leer. Der Vampir sprang vor. Das Hiebmesser sauste nach unten. Die MP klapperte zu Boden - mitsamt Hand und Unterarm. Blut spritzte aus dem Stumpf hervor. Doch den Vampirjäger schien das gar nicht zu stören. Er wirbelte um seine eigene Achse und trat noch aus der Drehung nach seinem Gegner. Bruce blockte mit dem rechten Arm ab und schlug mit Links zu. Der Kiefer zerschmetternde Kinnhaken schleuderte Josh Benson nach hinten, wo er lang auf den Rücken fiel. Noch immer wollte er nicht aufgeben. Doch ohne Hände konnte er in seinem Zustand nicht mehr aufstehen - und irgendwann siegte die Ohnmacht. »Verdammt! Ich dachte schon, ich bin bei den Rittern der Kokos-nuss«, fluchte Bruce und wirbelte herum. Die drei Vampire hatten sich inzwischen aufgerappelt und starrten Bruce an. Nicht einer von ihnen hatte ihn bereits zuvor in Aktion gesehen. Der Anblick war beängstigend. Borges fasste sich als Erster. »Los! Zu dritt packen wir ihn locker!« Seine Hände verwandelten sich in Klauen mit langen gefährlichen Krallen. Auch die beiden anderen - Jean-Paul Batiste und Oliver Dasher - lösten sich aus ihrer Erstarrung und ließen sich Klauen wachsen. »Ich muss lernen, wie man das macht! «, dachte Bruce. »Kommt her, ihr Pfeifen!«, schrie er und stürzte sich auf sie. Er hielt nichts von defensiven Taktiken. Als Erstes erreichte er Batiste. Bruces Messer zischte herab. Batiste steppte zur Seite, wich aus. Dasher zerfetzte Bruces Lederjacke am Rücken, verfehlte ihn jedoch sonst. Eine Klaue raste auf Bruce zu, der zuckte zurück, und sie zerschnitt nur Luft. Bruce wandte sich nun voll Batiste zu. Einen nach dem anderen! Der duckte sich unter dem sensenden Hieb des Messers ab - und bewegte sich genau in 53
Bruces hochschnellendes Knie. Die Nase wurde zertrümmert, Nackenwirbel krachten und brachen, als der Kopf zurückgeschleudert wurde. Der ganze Vampir wurde zurückgeschleudert, machte einen halben Salto, fiel mit Kopf und Brust zuerst auf den Boden und blieb röchelnd liegen. Nicht tot, aber das reicht fürs ... Bruce schrie auf. Zwei Klauen hatten sich in seinen Rücken gebohrt, genau zwischen die Schulterblätter. Und jetzt riss Dasher sie auseinander ... Das heißt, er versuchte es. Es war schwerer, als er erwartet hatte. Oliver Dasher war alles andere als ein Schwächling, doch hier versagte er. Bruce bäumte sich auf und warf sich dann ruckartig nach vorn. Die Klauen rissen ganze Fleischbrocken aus seinem Rücken. Trotzdem gelang es ihm, sich ungeschickt abzurollen und gleich wieder auf die Beine zu kommen. Er wirbelte herum. Seinen linken Arm konnte er nicht richtig bewegen und sein Hiebmesser lag noch bei Dasher, wo er es eben fallen gelassen hatte. »Scheiße! «, durchfuhr es Bruce. »Na, Oliver! Das ist ja wohl nicht so toll gelaufen, oder?«, rief er, um Zeit für die Heilung zu gewinnen. »Gib auf! Ich bin sicher, dass der Baron gnädig sein wird, wenn du ihm zeigst, wie man diesen Dämon beschwören kann.« Der schien wirklich darüber nachzudenken. Bruce rollte probeweise mit den Schultern. Alles klar. Er stürmte auf seinen Gegner zu. Dasher war nicht wirklich überrascht, doch mit der Geschwindigkeit, die Bruce vorlegte, hatte er dann doch nicht gerechnet. Der Vize des Barons hatte ihm die Hände auf die Brust gelegt und schob ihn zurück in Richtung Wand. Dashers Klauen zuckten vor. Da prallte er mit voller Wucht gegen die Steine. Schmerzerfüllt stöhnte Dasher auf. Bruce hatte ihm den Brustkorb eingedrückt. Die rechte Hand des Herrschers von New York starrte ihrem Opfer in die Augen. »Du bist ein Verräter!«, flüsterte sie. Dann umfasste Bruce den Kopf Dashers mit beiden Händen und ruckte und zerrte so lange daran herum, bis er abriss. Fast augenblicklich zerfiel Oliver Dasher zu Staub. Bruce ging zu seinem Messer und hob es auf. Dann verharrte er. »Borges!«, entfuhr es ihm. Verdammt, wie hatte er den vergessen können!
Lucius Borges rannte die Treppe hinauf. Er wusste nicht, wie lange die beiden anderen Darkness aufhalten könnten. Aber er zweifelte nicht daran, dass sie verlieren würden. Noch nie hatte er jemanden so mit seinem Gegner umspringen sehen. Verdammt, war der stark! Und schnell! 54
Borges erreichte das Ende der Treppe und stürmte durch den Hinterausgang in die kühle Nachtluft. »Guten Abend, Mr. Borges.« Der Vampir wirbelte herum. Aus dem Schatten trat eine schlanke Gestalt in einem weißen Anzug und mit einem weißen Hut. Die engelgleichen Gesichtszüge wurden nur von den pechschwarzen Augen gestört. »Babriel!«, keuchte Borges. »Was ...?« »Oh, Mr. Borges«, unterbrach ihn der Dämon mit sanfter Stimme. »Ich sorge mich um Sie. Ist alles in Ordnung? Sie wirken ein wenig gehetzt.« »Mir geht es gut, sobald ich von hier verschwunden bin. Machen Sie Platz, Babriel.« »Aber Mr. Borges, wir haben eine Abmachung. Ich zeige ihnen, wie man den Feuergeist beschwört. Und Sie vernichten den Baron. Boris von Kradoc. Sie erinnern sich?« »Na und? Diesmal ist es fehlgeschlagen. Nächstes Mal klappt es besser«, fauchte Borges zurück. »Ich fürchte, es wird kein nächstes Mal geben, Mr. Borges. Es tut mit aufrichtig Leid.« Er blickte an dem Vampir vorbei. »Tyria.« Aus dem Nichts materialisierte sich die zweieinhalb Meter große, Kraft strotzende Dämonin hinter Borges, ließ ihre Unsichtbarkeit fallen. Ihre Fledermausschwingen waren weit ausgebreitet. Bevor der Vampir reagieren konnte, hatte sie ihn an beiden Handgelenken gepackt, hob ihn hoch und zog sie auseinander. Borges schrie auf, als er dahing wie gekreuzigt. Babriel blickte zu ihm auf. »Leben sie wohl, Mr. Borges.« Dann spuckte er in seine Hand und ballte diese kurz zur Faust. Als er sie wieder öffnete, schwebte ein kleiner Feuerball wenige Zentimeter über der Handfläche. »Nein!«, kreischte Borges. Babriel lächelte dem Vampir freundlich zu, als er den Feuerball lässig zu ihm hinüberwarf. Borges ging sofort in Flammen auf. Seine Schreie verstummten recht schnell. »So«, murmelte der Dämon zufrieden. »Damit wären dann wohl alle Spuren zu mir beseitigt.« Dann etwas lauter. »Kommst du, Tyria?«
Bruce beendete seinen Bericht. »Es tut mir Leid, dass Lucius Borges entkommen konnte, Herr.« »Wir werden ihn schon aufspüren, Bruce«, antwortete der Baron. »Dann kannst du ihn haben.« Sie saßen allein in Kradocs Büro. Bruce hatte sich heftige Vorwürfe gemacht, dass er Borges hatte entkommen lassen, doch der Baron schien das nicht so schlimm zu finden. »Dass du Batiste nicht vernichtet hast«, fuhr der Baron fort, »war sehr klug von dir. 55
Sobald er mir erklärt hat, wie das Ritual ausgeführt wird, wird er selbstverständlich sterben, aber bis dahin ... Mich würde nur noch interessieren, woher Borges das Ritual zur Beschwörung eines so mächtigen Wesens kannte. Batiste kennt es von Borges. Er weiß nicht, woher dieser die entsprechenden Kenntnisse hat.« »Es tut mir Leid, Herr.«
ENDE
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