Scan by Schlaflos
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Scan by Schlaflos
Buch Einer der beiden Schöpfer der erfolgreichen Sten-Chroniken kehrt mit einer neuen atemberaubenden SF-Serie zurück! Es sind unruhige Zeiten für das Imperium der Konföderation: Von den meisten Menschen vergessen, patrouilliert ein Teil der Streitkräfte an den fernen Ausläufern der Zivilisation. Und als die brüchige Konföderation plötzlich in sich zusammenfällt, gibt es für die Menschheit nur noch eine Hoffnung: die mutigen Männer und Frauen der verlorenen Legion... Abgeschnitten vom Rest der Konföderation verteidigt die Legion das abgelegene Sonnensystem Cumbre gegen den tyrannischen Herrscher Alena Redruth. Doch dieser Kampf wird nicht nur in offenen Schlachten ausgefochten: Njangu Yoshitaro, ein Nachrichtendienstoffizier der Legion, schleicht sich als Spion in die höchsten Kreise von Redruths Regierung ein. In dieser intriganten Welt, in der die Kämpfe um mehr Macht und Einfluss stets bis aufs Blut ausgefochten werden, bleibt Njango nur eine Chance: Er muss sich die stetig wechselnden Bündnisse zu Nutze machen. Doch schließlich entdeckt der misstrauische Diktator seine wahre Identität... Autor Chris Bunch verfasste gemeinsam mit Allan Cole die erfolgreichen Sten-Chroniken sowie die Fantasy-Saga um die Fernen Königreiche, die zu internationalen Bestsellern wurden. Chris Bunch starb am 4. Juli 2005 in Ilwaco, Washington. Bereits erschienen: DIE DRACHENKRIEGER: 1. Herrscher der Lüfte. Roman (24197), 2. Dunkle Schwingen. Roman (24198) DIE VERLORENE LEGION: 1. Die Rekruten. Roman (24331), 2. Feuersturm. Roman (24332), 3. Feindesland. Roman (24333) Weitere Bände sind in Vorbereitung.
Chris Bunch
Feindesland Die verlorene Legion 3 Roman Aus dem Englischen von Bernhard Kempen blanvalet Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Storni Force. Book Three of the Last Legion« bei ROC, Penguin Putnam Inc., New York. Umwelthinweis: Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. 1. Auflage Deutsche Erstausgabe August 2006 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München. Copyright © der Originalausgabe 2000 by Chris Bunch c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, U.S.A Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagillustration: Luserke/Slava Fedorov Redaktion: Gerd Rottenecker UH • Herstellung: Heidrun Nawrot Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN-10: 3-442-24333-5 ISBN-13: 978-3-442-24333-4 www.blanvalet-verlag. De Für die Langnes: Stacy, Glenn, Michaela, Annalee
1 Cumbre / D-Cumbre Die Angestellte blickte über den Rand ihrer modisch antiken Brille hinweg auf das recht merkwürdige Paar, das vor ihr stand. Es war selbst für jemanden, der auf einem Raumhafen arbeitete, ein ungewöhnlicher Anblick. Der eine Teil des Paars war ein Mensch, aber ein zweieinhalb Meter großer, mit der Statur eines Gewichthebers, schütterem Haar und einem Pilotenanzug, der von den Rangabzeichen eines Cent der Konföderationsarmee und einem Namensschild mit dem Schriftzug DILL geziert wurde. Sein Begleiter war sogar noch größer. Er war ein Alien aus dem Volk der Musth, die vor einem halben E-Jahr während des brutalen Krieges besiegt worden waren, und besaß ein hell- und dunkelbraun gestreiftes Fell mit schwarzen Spitzen an den Füßen und am Schweif. Sein Hals war lang, der Kopf war schmal, und die Ohren waren rund. Erstaunlicherweise trug er eine Waffenrüstung in den blauweißen Farben der Konföderation. Der Gesichtsausdruck der Frau verhärtete sich. »Sie wünschen?« »Cent Ben Dill«, sagte der große Mann und reichte ihr einen Abholschein. »Ich bin hier, um das Navigationsmaterial abzuholen, das von der Armee benötigt wird. Die Auftragsnummer lautet YAG neun drei X.« 7 »Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, wo das Zeug ist«, sagte die Angestellte. »Außerdem hat mein Vorgesetzter heute frei. Vielleicht kommen Sie später noch einmal wieder, wenn ich mehr Zeit zum Suchen habe. Morgen müsste es klappen.« »Morgen werde ich schon längst auf und davon sein«, sagte Dill. »Und es handelt sich um das Ding da drüben. Den Sicherheitskoffer.« Die Angestellte schniefte, stellte den Koffer auf den Tresen und schob den Abholschein zu Dill zurück, wobei sie versuchte, ihn zu Boden gleiten zu lassen. Sowohl der Musth als auch Dill griffen danach. Dills Hand lag auf dem Zettel, die Tatze des Musth mit den zwei Daumen auf seiner Hand. »Ich bin immer noch schneller als du, Alikhan«, sagte Dill triumphierend. Er zog einen Stift aus einer Tasche, unterschrieb und nahm den Koffer an sich. »Eine nette Weiterexistenz noch«, sagte er, dann gingen die beiden. Die Angestellte beobachtete, wie sie zu einem Gleiter liefen. Sie nahm ein kleines Gerät aus ihrer Tasche und wählte eine Komnummer. Am anderen Ende der Leitung klickte es. »Mar Elf«, sagte sie. »Verschlüsselung.« Sie drückte einen Knopf auf dem kleinen Gerät. Die Stimme, die ihr antwortete, war synthetisch und eigenschaftslos. »Verschlüsselung bestätigt. Berichten Sie.« Im Gleiter blickte sich Alikhan zum Bürogebäude um. »Dieses Wesen mochte mich nicht.« Der Sohn des verstorbenen Musth-Kriegsführers Wlencing war kurz nach Beginn des Krieges in Gefangenschaft geraten und maßgeblich am Friedensschluss beteiligt gewesen. 8 Nachdem die Streitmacht der Konföderation, die von ihren Mitgliedern auch als Legion bezeichnet wurde, die überlegenen Kampfjäger der Musth in Dienst gestellt hatte, war Alikhan der Posten eines Piloten angeboten worden. Er und ein paar weitere Veteranen der Musth, die nicht genau wussten, wie sie der Langeweile des Friedens entgehen sollten, waren daraufhin zu Söldnern der Konföderation geworden. »Es scheint so«, sagte Ben Dill. »Viele Leute mögen keine Uniformen.« »Das war nicht der Grund.« »Also gut«, sagte Dill. »Wenn du unbedingt willst, nimm es persönlich. Sie mag keine Musth. Vielleicht haben deine Leute ihren Freund zum Frühstück verspeist oder so.« »Wir würden niemals einen Angehörigen einer fremden Spezies verspeisen - erst recht nicht, wenn er vermutlich genauso ranzig schmeckt wie du.« »Ich könnte mir kein Urteil über deine geheimen Vorlieben erlauben«, sagte Dill. »Zwar sind wir vor einiger Zeit zusammen um einen halben Planeten gewandert, aber es könnte durchaus sein, dass du deine anthropophagitomischen Neigungen oder wie das heißt einfach unterdrückt hast. Schau dir nur das vergammelte Fleisch an, das du geladen hast.« »Wird dein Volk uns auf ewig hassen?« »Wahrscheinlich«, sagte Dill, während er den Gleiter startete und auf die Bucht hinausflog, in Richtung des Armeestützpunktes auf Chance Island. »Zumindest so lange, bis ihr Pelzviecher genauso gut ausseht wie ich. Oder bis wir etwas Neues gefunden haben, das wir hassen können.« »Menschen sind seltsam.« »Wohingegen ihr Musth selbstredend das leuchtende ihr niemals aus unlauteren Motiven sauer auf irgendwen seid!« Alikhan fletschte die Zähne und stieß ein tiefes Zischen aus. Auf diese Weise zeigten die Musth ihre Belustigung. Chance Island, der Hauptstützpunkt der Legion, lag mitten im Golf vor der Insel Dharma. Camp Mahan war während des Musth-Krieges völlig zerstört worden, und immer noch wurden Trümmer mit Gravgleitern
abtransportiert und ins Meer gekippt. Regelmäßig fand man die Leichen verschütteter Soldaten und Soldatinnen, die bei den Kämpfen umgekommen waren, worauf die Arbeiten für eine Bestattungszeremonie unterbrochen wurden. Die Armee, die langsam wieder zu ihrer Sollstärke von zehntausend Mann aufgebaut wurde, war nun über ganz D-Cumbre verstreut. Nur das Hauptquartier und das Vierte Regiment waren in Camp Mahan in provisorischen Baracken untergebracht. Die Truppen waren vor neun Jahren ins Cumbre-System verlegt worden, um den Bestrebungen der gleichermaßen expansionistischen Musth einen Riegel vorzuschieben. Hier am äußersten Rand des Imperiums der Konföderation hatte die Legion außerdem für Frieden in der cumbrianischen Zwei-Klassen-Gesellschaft sorgen sollen. Wie gewöhnlich war alles ganz anders gekommen, als man erwartet hatte, und vier Jahre nach der Stationierung der Armee - die zu jener Zeit noch hochtrabend als »Streitmacht Schnelle Lanze« bezeichnet worden war - hatte sich die Konföderation aufgelöst. Auf Cumbre wusste niemand so genau, was eigentlich geschehen war, da man mehr als genug eigene Probleme hatte, zuerst mit dem Aufstand der 'Rauhm, der »Unterklasse« von Cumbre, und dann mit den Musth. 10 Dieser Krieg war vorbei, aber es würde bestimmt schon bald neuen Ärger geben, höchstwahrscheinlich durch »Protektor« Alena Redruth, den Diktator von Larix und Kura, der die üblichen Navigationsrouten zwischen Cumbre und dem Imperium blockierte. Er hatte Cumbre seine »Protektion« bereits angeboten, und nur der Angriff der Musth hatte ihn davon abgehalten, das System zu übernehmen. Der Krieg gegen Larix/Kura war unvermeidlich. Der neue Befehlshaber der Legion, Caud Grig Angara, hatte die Planetare Regierung mit großem Geschick dazu veranlasst, eine Sondersteuer zu erheben, während alle Bürger noch liebevolle Gefühle für das Militär hegten. Ein Teil dieser Steuer wurde für den Bau von Raumschiffen verwendet, um der Armee interplanetare und interstellare Kapazitäten zu verschaffen. Das Problem war nur, dass die Werften im Cumbre-System kaum Erfahrung mit der Konstruktion oder dem Bau und erst recht nicht mit der Massenproduktion von Kriegsschiffen hatten. Daher gingen die Arbeiten nur langsam voran. Also war die Legion gezwungen gewesen, Raumschiffe von ihrem ehemaligen Feind zu erwerben. Zwischen den Ruinen des großen Landefeldes der Streitmacht stand ein Velv, ein Musth-Schiff aus der Zerstörer-Klasse. Die Hülle wurde von Kuppeln mit Waffensystemen und fremdartigen Leitwerken geziert. Es war in diesem Monat von einer Musth-Werft geliefert worden, nachdem man es an menschliche Standards angepasst hatte. Weitere Musth-Schiffe trafen ständig im System ein, so schnell die Werften der Aliens sie produzieren konnten. Die hybriden Modifikationen wirkten noch ungewöhnlicher durch die zwei Aksai, die sichelförmigen Kampfjäger der Musth, die mit Magnetkupplungen auf der Oberseite des Velv verankert waren. 11 Arbeiter huschten um das Schiff herum und verluden den Rest der benötigten Ausrüstung. Dill landete mit dem Gleiter und brachte den Koffer mit den Navigationsdaten für die mutmaßlich feindlichen Systeme Larix und Kura zum Velv, während Alikhan wie ein neugieriger Welpe neben ihm her tapste. Ab Yohns wurde klar, dass er sich nie daran gewöhnen würde, einer Maschine Bericht zu erstatten. »Unser Agent meldete außerdem, der Offizier der Konföderation hätte gesagt, er würde dieses System innerhalb der nächsten zwei Tage verlassen. Besitze keine Informationen über das Missionsziel oder sonstige Einzelheiten. Ende.« Die Sendung wurde verschlüsselt und gerafft, durch den Weltraum zu einer Zwischenstation auf K-Cumbre gespuckt, dem letzten Planeten des Systems mit regulärem Orbit, und von dort in den Hyperraum geschickt. Sie wurde noch zweimal weitergeleitet, bevor sie ihr Ziel auf Larix erreichte. Als ein Piepton verkündete, dass das Signal empfangen worden war, schaltete Yohns den Sender ab. Dann stieg er die Kellertreppe hinauf, kam auf der Rückseite eines kleinen Wandschranks heraus, schloss die Geheimtür hinter sich und schob sich an Mänteln und anderer Kleidung vorbei in das Schlafzimmer seiner Villa. Er fügte seinem Konto auf Larix eine unbekannte Summe Credits hinzu und fragte sich, wie viele Millionen an dem Tag, da ihm die Hunde zu nah kamen oder er die Nerven verlor und das Signal gab, dass man ihn herausholen sollte, wohl dort auf ihn warten würden. Er entschied, sich mit einem Drink zu belohnen, und zwar mit einer kräftigen Mischung. Dann trat er auf die Veranda hinaus, von der aus er über das kleine Bergdorf Tungi blicken konnte. 12 Yohns' Haut war tief gebräunt, und er sah jünger aus als es seinen mehr als vierzig Lebensjahren entsprach. Er spielte die Rolle eines unabhängigen, wohlhabenden, zurückgezogen lebenden Fremden. Auf keinen Fall entsprach er der allgemeinen Vorstellung, wie ein vertraglich gebundener Spion aussah. Weit entfernt in der Bucht war Chance Island zu sehen. Yohns beschloss, einen Bewegungsmelder und eine Kamera zu installieren, um den Start des Schiffs der Legion aufzuzeichnen, und wenn der Zeitpunkt erheblich von den Angaben in seinem Bericht abwich, würde er einen Nachtrag senden, auch wenn der Funkspruch vermutlich nicht schneller im Larix-System eintraf als das Schiff.
Genauso wie sein Meister Alena Redruth hatte er damit gerechnet, dass die Legion etwas unternehmen würde. »Ich will kein Scheißheldentum«, sagte Aut Jon Hedley, der schlaksige Erste Offizier der Armee, leise. »Das würde mir auch nicht gefallen«, sagte Ann Heiser. Sie - eine Physikerin - und Danfin Froude, der Mathematiker, waren zwei von insgesamt drei Zivilisten, die im Schein der Flutlichter rund um den Velv standen. Sie bildeten die vor kurzem gegründete Abteilung Wissenschaftliche Analyse, von deren Notwendigkeit Froude den Kommandanten der Streitmacht hatte überzeugen können. »Ich habe mir nie eingebildet, Horatia auf der Brücke zu sein«, fügte Heiser hinzu. »Ich habe mich weniger auf Sie, sondern vielmehr auf Ihren geschätzten Kollegen bezogen, der dafür bekannt ist, dass er bei seinen Unternehmungen gewisse selbstmörderische Tendenzen an den Tag legt«, sagte Hedley. »Aber auch Sie dürfen mir zuhören. Ich traue Zivilisten jederzeit zu, durch eigene Dummheit zu Tode zu kommen.« 13 »Ich bin ziemlich empfindlich, was die Unversehrtheit meiner Haut betrifft«, sagte Danfin Froude. Hedley schnaufte nur. Caud Angara, der oberste Befehlshaber der Legion, ein kleiner, energischer Mann Anfang fünfzig, lächelte. »Lassen Sie ihn reden. Er ist nur sauer, weil ich ihn nicht mitfliegen lasse.« Hedley wollte etwas erwidern, verzichtete aber darauf, als Mil Garvin Jaansma, der Leiter des Geheimdienstes der Legion, und Cent Njangu Yoshitaro, der Befehlshaber der Aufklärungskompanie, sich näherten und salutierten. Garvin war blond, kräftig gebaut, robust, Mitte zwanzig, und sein Gesicht wäre das ideale Konterfei für ein Rekrutierungsposter gewesen. Njangu war schlank, dunkelhäutig und zwei Jahre jünger als Jaansma. In Kisuaheli, einer antiken Sprache von der Erde, bedeutete sein Name so viel wie »böse« oder »gefährlich«. Niemand würde bestreiten, dass er zu Njangu passte. »Bis auf die Leute ist alles an Bord«, meldete Jaansma. »Keine Probleme?«, fragte Hedley. »Nur eins«, sagte Jaansma. Njangu sah ihn leicht überrascht an. »Wir nehmen außer diesen beiden noch einen Zivilisten mit«, sagte Jaansma. »Und wen?«, fragte Yoshitaro. »Dich.« »Ach, Seh... hör doch endlich mit den blöden Witzen auf!« »Das ist kein Witz«, sagte Jaansma. »Nach deinen Personalunterlagen ist deine Dienstzeit abgelaufen. Du warst vier Jahre lang Soldat, und jetzt ist die Zeit gekommen, dich auszuzahlen, damit du in die weite Welt hinauszie14 hen und dir einen Job suchen kannst, der deiner Talente würdig ist. Du wärst bestens zum Scheißeschaufeln geeignet.« Yoshitaro sah ihn entsetzt an, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt. »Boss«, sagte er zu Hedley, »erklären Sie ihm bitte, dass wir keine Zeit für diesen Quatsch haben.« »Da muss ich Ihnen widersprechen«, sagte Angara, der ein Grinsen unterdrücken musste. »Diese Art von Aufmerksamkeit für die Details ist genau das, was aus einem guten Soldaten einen besseren Soldaten macht. Es sieht also danach aus, dass wir Sie entlassen müssen.« Njangu stand stumm da. Hedley sah ihn an. »Was ist los?« Zuerst sagte Yoshitaro nichts. Ihm wurde klar, dass er jetzt offiziell ein Zivilist war. Er konnte ihnen sagen, dass sie sich diesen Auftrag sonst wohin stecken konnten, wie er es ihnen etwa 3,99 E-Jahre lang angedroht hatte seit er von einem übel meinenden Gericht dazu gezwungen worden war, eine Uniform anzulegen. Also konnte er sich jetzt ins zivile Leben davonmachen. Und was dann? »Verdammt«, sagte er. »Wollt ihr, dass ich mein Patschehändchen hebe und mich noch einmal vereidigen lasse?« »Nein - außer du willst es so«, sagte Garvin. »Ich glaube, wir würden dich schon sehr vermissen und so.« Hedley sah auf seine Fingeruhr. »Wir liegen immer noch gut im Zeitplan«, gab er bekannt. »Also hätten wir noch ein paar Minuten, um rumzualbern, nett zueinander zu sein und etwas für die Scheißmoral zu tun.« »Betrachte mich als vereidigt«, sagte Njangu zu Garvin, seinem offiziellen Vorgesetzten. »Sir. Und jetzt geh und verabschiede dich von deinem Schätzchen.« »Mit Ihrer Erlaubnis, Sir?« 15 »Gehen Sie«, sagte Hedley. Garvin trennte sich von der Gruppe und ging dorthin, wo die einzige weitere Zivilistin wartete. Es war Jasith Mellusin, die Besitzerin der Mellusin-Bergwerke, eine Milliardärin, die die Legion jederzeit mit ihren Mitteln unterstützte, wenn es nötig wurde. Jasith war ein paar Jahre jünger als Garvin, schlank wie ein Model und trug ihr dunkles Haar immer noch lang.
Sie und Garvin hatten eine Zeit lang eine Affäre gehabt, doch nach dem Tod ihres Vaters hatte sie die Beziehung beendet, aus Gründen, die keiner von beiden richtig verstanden hatte. Sie hatte einen Mann aus der reichen Oberschicht der Zinser geheiratet. Die kurze Ehe war während des Musth-Krieges gescheitert, worauf sie zu Garvin zurückgekehrt war, auch wenn keiner von beiden genau wusste, in welche Richtung sich ihre Beziehung entwickeln würde. »Nun...«, sagte Garvin unbeholfen. »Ich schätze«, fiel ihm Jasith ins Wort, »ich sollte dankbar sein, dass du ständig losziehst, um gefährliche Dinge zu tun, statt drogenabhängig zu werden oder mir auf die Nerven zu gehen.« »Diese Mission ist nicht gefährlich«, sagte Garvin. »Wir fliegen nur ein bisschen rum und schauen uns ein paar Sachen an.« »Du bist ein mieser Lügner. Jetzt küss mich, damit ich endlich von hier verschwinden kann und mich vor all den Leuten nicht mehr wie ein verliebtes Schulmädchen aufführen muss.« Garvin gehorchte, und sie hielten sich noch eine Weile in den Armen. »Und du kommst auch ganz bestimmt zurück?« Garvin nickte, sagte aber nichts. Jasith küsste ihn wieder, löste sich aus seiner Umar16 mung und eilte zu ihrem Luxusgleiter. Sie stieg ein und flog wenige Sekunden später davon. Garvin beobachtete, wie ihre Rücklichter über dem Wasser verblassten, während sie zu ihrem privaten Inselanwesen unterwegs war. Yoshitaro sah ihm aus ein paar Metern Entfernung zu. Neben ihm stand Erster Tweg Monique Lir von der Aufklärungstruppe. »Siehst du, was passiert«, sagte er, »wenn man sich auf so was einlässt? Jedes Mal wird es schwieriger, sich zu verabschieden.« Zwei Monate zuvor hatten sich Yoshitaro und seine Geliebte, die Politikerin Jo Poynton, zum zweiten und anscheinend letzten Mal getrennt, als sie aus dem Planetaren Regierungsrat ausgeschieden war, um sich auf eine Insel zurückzuziehen und sich als Bildhauerin zu versuchen. Lir ging nicht darauf ein. »Ich bin immer noch stinkig«, sagte sie. »Hedley lässt euch beide ziehen. Was soll aus den Aufklärern werden, wenn ihr nicht zurückkommt?« »Dann wirst du wohl die Dienstverpflichtung annehmen müssen, die dir jeder aufzudrängen versucht, und dich zum richtigen Offizier ernennen lassen.« Monique Lir knurrte wie ein humorloses Raubtier, das sie in gewisser Weise sogar war. »Komm jetzt, Njangu«, sagte Garvin. »Wir sind die Letzten, die noch nicht eingestiegen sind.« Er salutierte Angara, dann marschierten sie zusammen mit den zwei Wissenschaftlern die Rampe des Velv hinauf. An Bord befanden sich vier Piloten: Ben Dill, der seit kurzem eine offizielle Lizenz für das Musth-Schiff besaß, Alikhan, Tvem, ein weiterer Musth und Aksai-Pilot, sowie Jacqueline Boursier als zweite Aksai-Pilotin. Weitere zehn Legionäre einschließlich zweier weiterer Musth, fast ausschließlich Techniker, stellten die Besatzung des Velv. 17 »Ein starkes Team«, sagte Angara. »Ich hoffe, stark genug, um wieder zurückzukommen und uns zu bringen, was wir brauchen«, murmelte Hedley. Minuten später erwachte der Velv heulend zum Leben, hob vom Asphalt ab und stieg ohne weiteres Brimborium oder eine spezielle Starterlaubnis in den Weltraum auf. 2 N-Raum »Ich glaube«, sagte Dr. Danfin Froude, »ich hätte da vielleicht eine Theorie, warum die Konföderation uns vergessen haben könnte.« »Sie gehen also nicht davon aus, dass das verdammte Ding einfach zerfallen ist? Das wäre sehr beruhigend für jemanden wie mich, der auf der Gehaltsliste der Konföderation steht«, sagte Yoshitaro. Er, Alikhan, Froude und Heiser hielten sich in einem Raum an Bord des Velv auf, der zur Offiziersmesse umfunktioniert worden war. Dill und Jaansma hatten die Wache übernommen. »Ist das wahr«, fragte Alikhan, »oder sprechen Sie metaphorisch? Ich frage, weil ich zu jemandem geworden bin, der gegen Bezahlung kämpft. Sollte ich mich um die Sicherheit meines Soldes sorgen?« »Er will sich nur interessant machen«, sagte Ann Heiser. »Dann stellt sich die Frage«, fuhr Alikhan fort, »warum es unsere Pflicht sein sollte, uns um das Schicksal der Konföderation zu sorgen.« 18 »Wäre es dir völlig egal«, fragte Njangu, »wenn deine Liebesbriefe in die Heimat plötzlich nicht mehr beantwortet werden?« »Du meinst, wenn es den Anschein hätte, als wären alle Welten der Musth schlagartig verschwunden?« Alikhan schwieg einen Moment lang. »Anfangs wäre ich wahrscheinlich nicht allzu beunruhigt, da du offensichtlich nur von der Regierung und nicht von den Bewohnern der Welten sprichst. Wie ihr wisst, rühmen wir Musth uns unserer Unabhängigkeit, unserer individuellen Denkweise. Aber das ist - zumindest bis zu einem gewissen Grad — eine Selbsttäuschung. Das heißt, wenn ich nichts mehr von meinen Welten hören würde, wäre ich
selbstverständlich interessiert zu erfahren, was geschehen ist.« Froude wollte etwas sagen, als Alikhan eine Tatze hob. »Gedulden Sie sich noch einen Moment«, sagte er, »denn mein Gedankengang ist noch nicht abgeschlossen. Es wäre viel mehr als nur Neugier. Zu glauben, dass ich oder irgendein anderes Mitglied meines Volkes abstreiten würde, dass uns etwas an den vielen Generationen liegt, die uns dorthin gebracht haben, wo wir sind, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind... das wären die Gedanken eines Wilden.« Froude nickte ernst. »Wir wissen, dass es immer noch eine Ordnung, eine zivilisierte Kultur gibt. Daher fällt uns die Verantwortung zu, den Ursachen der Katastrophe auf den Grund zu gehen und die Situation, wenn möglich, zu verbessern. Obwohl die Vorstellung, dass wir die Einzigen *n der Galaxis sind, die sich Gedanken darüber machen, cht egozentrisch klingt. Vielleicht benutze ich auch das falsche Wort und sollte stattdessen davon sprechen, dass wir uns damit dem Solipsismus annähern.« »Worte«, sagte Yoshitaro. »Kommen wir lieber auf Ihre 19 großartige Theorie zurück, Doktor. Damit können wir uns die Zeit bis zum nächsten Sprung vertreiben, und ich vergesse vielleicht, wie mein Magen herumhüpft.« »Das Problem ist nicht nur«, erklärte Froude, »dass keins der Schiffe, die von Cumbre in die Konföderation aufgebrochen sind, zu uns zurückgekehrt ist, sondern dass auch keine Schiffe von Centrum oder anderen Welten der Konföderation mehr eintreffen und totale Funkstille auf allen Hyperraumkommunikationskanälen herrscht. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen. Es gibt verschiedene Navigationspunkte, die üblicherweise auf dem Weg zum Cumbre-System angeflogen werden. Die meisten davon liegen innerhalb oder in unmittelbarer Nähe des Doppelsternsystems Larix und Kura. Nun ist es allgemein bekannt, dass Protektor Redruth das Cumbre-System gern in sein Herrschaftsgebiet eingliedern möchte.« »Ich glaube, Sie konstatieren lediglich altbekannte Tatsachen«, sagte Heiser. »Sie peitschen ein totes Pferd aus, wie man bei uns sagen würde«, warf Yoshitaro ein. »Lassen Sie uns zu den Kernpunkten unserer Probleme kommen«, fuhr Froude unbeirrt fort. »Erstens: Komsendungen von den Heimatwelten. Sie sind leicht abzufangen, da sämtliche Transmissionen über Larix/Kura geleitet werden. Diesen Punkt habe ich genau recherchiert. Erstes Problem gelöst. Schiffe, die in die Konföderation unterwegs sind, werden im Larix/Kura-Doppelsystem abgefangen. Das ist bereits bekannt. Darüber haben wir Aufzeichnungen.« »Womit nur noch eine weitere Frage übrig wäre, und zwar, wer die Ziege fickt«, sagte Heiser. »Sehr vulgär ausgedrückt, Doktor«, sagte Froude. »Aber sie lässt sich leicht beantworten. Gehen wir einfach davon 20 aus, dass die Konföderation mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat.« »Auch das ist offensichtlich«, sagte Yoshitaro. »Garvin und ich haben es gesehen, als wir frisch gebackene Rekruten waren und kurz auf Centrum Station gemacht haben.« »Gehen wir weiter davon aus, dass unser lieber Freund Redruth der Konföderation mitgeteilt hat, dass zu seiner großen Bestürzung im Cumbre-System Chaos und Anarchie zu herrschen scheinen. Würde die Konföderation sich die Mühe machen, jemanden zu schicken, um sich Gewissheit zu verschaffen?« »Vielleicht ein- oder zweimal«, sagte Yoshitaro. »Vielleicht auch gar nicht.« »Und diese Schiffe könnte Redruth mühelos vernichten«, sagte Alikhan, »da die Konföderation ihn weiterhin als ihren Verbündeten betrachtet.« »Genau«, sagte Froude. »Wäre das nicht eine hinreichende Erklärung für unsere Isolation?« »Das würde bedeuten«, sagte Njangu, »wir müssen zuerst Redruth aus dem Weg schubsen, wenn wir wissen wollen, was mit der Konföderation los ist. Was uns schon seit einiger Zeit klar ist.« »Trotzdem«, sagte Froude, »ist es ganz nett, wenn wir ein paar gute Theorien zur Verfügung haben.« »Das mag sein«, sagte der Musth. »Doch wie ich die Angelegenheit sehe, ergibt sich daraus ein ziemlich schrecklicher Gedanke, zumindest aus menschlicher Sicht. Wenn wir davon ausgehen, dass Ihre Konföderation tatsächlich so groß und mächtig ist, wie wir Musth immer geglaubt haben, würde das nicht bedeuten, dass die Schwierigkeiten, mit denen die Konföderation konfrontiert ist, noch viel größer sein müssen, als wir uns vorstellen können? Und wenn wir es schaffen sollten, mit Redruth fertig zu werden und 21 uns anschließend weiter zur Konföderation vorzukämpfen, würde das nicht bedeuten, dass wir einen viel größeren Happen abbeißen, als wir schlucken können? Denn Probleme, die ein Imperium nicht lösen kann, müssen für ein einfaches Planetensystem schier unüberwindlich sein.« Die drei Menschen sahen sich gegenseitig mit gerunzelter Stirn an. »Ich glaube«, sagte Froude, »Alikhans Logik ist unanfechtbar.« »Ich danke dem barbrüstigen Buddha-Baby«, sagte Yoshitaro, »dass ein kleiner Offizier wie ich immer nur mit einer Katastrophe auf einmal zu tun hat.« Der Interkom piepte. »Bereitmachen für den zweiten Sprung.«
»Also«, sagte Garvin, nachdem er auf der Brücke von Alikhan abgelöst worden war. »Warum bist du nicht ausgestiegen? Du kannst doch unmöglich so zerstreut gewesen sein, dass du gar nicht mehr an das Ende deiner Dienstzeit gedacht hast.« »Habe ich aber«, sagte Njangu. »Und ich fand es auch nicht besonders nett, wie du es mir ins Gedächtnis gerufen hast.« »Tut mir Leid«, sagte Garvin. »Ich habe versucht, einen kleinen Scherz zu machen.« »Und dafür gibt's einen kleinen Lacher. Ha.« »Nein, ich meine, es tut mir wirklich Leid.« »Vergiss es«, sagte Njangu. »Gut. Also hast du noch einmal den Shilling geschluckt oder wie die Redensart lautet und was auch immer ein Shilling sein mag. Und ich dachte, du wärst derjenige, der die kleine blaue Maschine, die früher einmal zur großen blauen Maschine gehört hat, am meisten hasst.« 22 »Nun ja, wie es scheint, ist es immer noch die einzige vernünftige Alternative, zumindest im Augenblick«, sagte Njangu unbehaglich. »Ich wüsste nicht, was sich geändert aben sollte, seit wir das letzte Mal darüber gesprochen aben, uns heimlich von der Bühne zu schleichen. - Wobei mir etwas anderes einfällt. Deine Dienstzeit läuft doch auch bald ab - war es nicht zwei E-Monate später als bei mir? Was willst du danach machen?« Garvin sah seinen Freund an. »Jetzt verstehe ich, warum du damals stinkig auf mich warst. Eine ziemlich unangenehme Frage, nicht wahr?« »Warum?«, sagte Njangu. »Du hast ein tolles Mädchen und Zillionen Credits, die nur darauf warten, von dir ausgegeben zu werden. Scheiße, wenn du Lust auf ein gefährliches Abenteuer hast, kannst du jederzeit unter Tage gehen und dir den Kopf in einem ihrer Stollen zerquetschen lasen. Tschuldigung, das sollte nicht doppeldeutig klingen. Oder du gehst auf einem der Eisriesen auf Mineraliensuche.« »Es ist trotzdem eine unangenehme Frage.« »Das heißt, dass du dich weiter verpflichten willst?« »Wahrscheinlich.« »Warum?« »Erwartest du von einem gottverdammten Soldaten etwa so was wie Logik?« Erneut tönte der Interkom: »Bereitmachen für den dritten Sprung.« »Hier der Lagebericht«, sagte Ben Dill knapp. Eine Projektion des Systems drehte sich träge in der Luft zwischen ihm, den anderen Piloten, Jaansma, Yoshitaro und den zwei Wissenschaftlern. »Es gibt vier mögliche Eintrittspunkte ins Larix-System. Der hier wäre der sinnvollste für eine 23 Landung auf Larix Primus, dem fünften Planeten, hier ist der entsprechende Ausweichpunkt, der hier liegt schön weit draußen in den unendlichen Weiten, und der hier schön versteckt knapp - Zitat über Zitat Ende - Nummer Fünf. Ich schlage vor, dass wir genau den nehmen, uns dann gemütlich anschleichen, vielleicht einen sehr weiten polaren Orbit einschlagen und unsere Schnüffler auf den Weg schicken.« »Das hatten wir bereits auf Cumbre so geplant«, sagte Jaansma. »Und bisher gibt es nichts, was dagegen sprechen würde, nicht wahr?« Er blickte sich um. »Okay. Dann auf zum letzten Sprung.« »Austritt aus dem Hyperraum«, meldete die synthetische Stimme. »Und da wären wir auch schon!«, gab Dill bekannt. »Mrs. Dills Lieblingssohn liefert euch jetzt einen exzellenten Ausblick auf Larix und... verdammte Scheißel« Er ließ die Hand auf ein paar Sensoren krachen, und im nächsten Moment sahen sie wieder die Schlieren des Hyperraums. Garvin hatte ebenfalls den kurz aufleuchtenden Punkt auf einem Monitor gesehen. Ein Bildschirmfenster hatte gleichzeitig ein vertrautes Schiff in Großaufnahme gezeigt, während auf dem großen Bildschirm plötzlich zwei Punkte zu sehen gewesen waren - und im Fensterausschnitt eine startende Rakete. »Jetzt geht's rund«, sagte Dill. »Alikhan, gib mir zwei Zufallssprünge.« Garvin schaltete sein Kehlkopfmikro ein. Die Besatzung hatte bereits alle Alarmstationen besetzt. »Achtung, an alle! Ein Patrouillenschiff von Larix hat uns erwartet, als wir aus dem N-Raum kamen.« »Ich habe eine vorläufige Identifikation des Scheiß24 kerls«, sagte Yoshitaro, der an einem Waffenleitstand saß. »Ich glaube, es war eins von den blitznagelblankneuen Nana-Schiffen, die Redruth stibitzt hat, als er uns gekapert hat.« »Vermutung bestätigt«, meldete ein Techniker. »Es ist die Nana-Klasse.« Ein lautes Alarmsignal ertönte. »Und der Dreckskerl hat schnell genug reagiert, um uns einen Tracker anzuhängen und den Sprung mitzumachen«, sagte Dill. »Okay. Haltet euren Bauchnabel fest.« Er wandte sich an Alikhan. »Gib mir einen Punkt vor... nein, lieber hinter einem der verdammten Monde von Larix Fünf. Da gehen wir in Deckung und überlegen, was wir dann machen.« »Wir kommen raus... JAU!« »Rakete wurde abgefeuert«, sagte eine Technikerin monoton, wie sie es in der Ausbildung gelernt hatte. »Ziel erfasst. Einschlag eins-null. Abwehrrakete bereit... bereit... abgefeuert. Aufspaltung in drei Raketen... nähern
sich... nähern sich... Treffer! Rakete zerstört.« »Sprung!«, rief Dill, und der Velv wurde durchgeschüttelt, als er in den Hyperraum sprang und ihn sofort wieder verließ. Dann stand wieder Larix auf dem Bildschirm, teilweise von einem Mond verdeckt. »Okay. AksaiPiloten, auf die Stationen!« Im Kom knisterte es. »Sind schon bereit«, meldete Boursier ruhig. »Angeschnallt und startbereit.« Dann wurde eine zweite Stimme hörbar, die einen schweren Akzent sprach. »Tvem meldet sssich bereit - ssstartund kampfbereit.« »Und hier kommen schon die nächsten verdammten Biester«, sagte Dill. »Diesmal zwei. Aksai-Piloten, Start!« Seine Finger huschten über die Kontrollen. Magnetklam25 mern lösten sich von den Aksai, die davon schossen und auf die zwei larixanischen Patrouillenschiffe zuhielten. Ein Nana-Schiff feuerte eine Rakete ab, deren Lenksystem von einem Techniker an Bord des Velv gestört wurde. »Es ist richtig nett«, sagte Yoshitaro, »mal gegen jemanden zu kämpfen, der mit Frequenzen arbeitet, die man kennt.« Dill wich mit dem Velv aus und dann noch einmal, als die zwei Aksai sich auf das Patrouillenschiff stürzten. Einer feuerte frontal, der andere von schräg oben. Der Nana startete eine einzelne Abwehrrakete, die weit danebenging, während beide Raketen der Cumbrianer ins Schiff einschlugen, das sich in eine Wolke aus leuchtendem Gas verwandelte. Das zweite Schiff wollte in den Hyperraum flüchten, aber unmittelbar vor dem Sprung explodierte eine andere Rakete knapp hinter dem Heck des Nana. »Ich bin mir nicht sssicher, ob ich dasss Schiff getroffen habe«, sagte Tvem. »Wenn nicht«, sagte Boursier, »hast du ihm auf jeden Fall verdammte Schwierigkeiten gemacht.« »Alikhan«, befahl Dill, »programmiere einen Sprung, zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Ein Sprung, dann ein blinder Sprung, dann wieder auf Kurs.« »In Ordnung.« »Ich habe zwei weitere Schiffe auf dem Schirm«, sagte ein Techniker. »Waffenstationen«, sagte Dill. »Bereithalten.« »Alles bereit, Sir.« »Aksai, bewegt eure Ärsche wieder an Bord.« »Aber Boss...« »Das ist ein verdammter Befehl!«, knurrte Dill. »Ich will nicht, dass diese verdammten Goddards einen Fehler 26 machen und euch in tausend Stücke zerblasen. Los, macht schon, sonst lasse ich euch als Fressen für die Geier zurück! « Gehorsam drehten die zwei Aksai bei und näherten sich dem Velv. Ein dumpfes Klacken ertönte, als sie ankoppelten. »Waffenstationen, habt ihr die Mistkäfer im Visier?« »Bestätigt.« »Ziel erfasst, Ben.« »Erste Rakete abfeuern... zweite Rakete abfeuern...« Die Goddards waren sechs Meter lange Torpedos zur Schiffsabwehr, mit denen normalerweise die Zhukovs der Streitmacht bestückt waren, obwohl sie ursprünglich für den Weltraumkampf entwickelt worden waren. Nach der Lieferung des Velv hatten die Techniker der Legion zunächst die Startröhren eingebaut und dann die Zielerfassungssysteme für die größere Reichweite modifiziert. »Goddard nähert sich... nähert sich... nähert sich... Ziel verfehlt!« »Zum Sprung bereitmachen«, sagte Dill. »Eine Sekunde noch«, sagte der zweite Goddard-Techniker. »Ich habe ihn fast...« »Springen!«, befahl Dill, und Larix, seine Monde, die Raketen und die Patrouillenschiffe verschwanden. »Mensch, Ben!«, beklagte sich der Techniker. »Ich hätte mir fast einen goldenen Stern für meine Konsole verdient!« »Countdown für den zweiten Sprung in vierundsiebzig Sekunden.« »Du übernimmst«, sagte Dill zu Alikhan und drehte sich von der Kontrollkonsole zu Garvins Leitstand herum. »Das wäre beinahe voll in die Hose gegangen.« »Um's mal vorsichtig auszudrücken...«, sagte Garvin. 27 »Weißt du, was ich glaube?« »Weißt du, was ich weiß?«, fragte Garvin zurück. »Diese Drecksäcke haben uns aufgelauert.« »Dreiundsechzig Sekunden bis zum Sprung.« »Njangu«, sagte Garvin, »irgendwo sickert was durch, wie durch ein dickes fettes Kanalisationsrohr. Irgendwo auf D-Cumbre.« »Aber hallo, Boss«, sagte Yoshitaro. »Lass uns nach Hause fliegen, damit ich ein paar Leuten die Zehennägel
ziehen kann, um herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist.« 3 Cumbre Eine Sprungphase vor dem Cumbre-System schickte Yoshitaro eine kodierte Botschaft mit dem Vermerk STRENG VERTRAULICH an Jon Hedley. Darin forderte er eine Überwachung sämtlicher Komsendungen, die ins System gingen. Er hoffte, dass sie Glück hatten. Ein hereinkommendes Signal wurde aufgefangen. Der Empfänger leitete es auf einer anderen Frequenz weiter, aber dann verlor sich die Spur. Die Kryptologen der Armee waren nicht in der Lage, den Kode zu knacken. Immerhin hatten sie den ersten Empfänger lokalisiert, der sich auf einem Mond von J-Cumbre befand. »Ich bin kein großer Experte für Elektronische Abwehr«, beklagte sich Yoshitaro. »Es ist schwer, sich von hinten an einen Computer anzuschleichen, und außerdem klingt das noch nicht mal besonders spannend.« »Wir haben mehr als genug Leute, die sich damit aus28 kennen«, tröstete Hedley ihn. »Deine Spezialität ist der heimtückische Mord, und Leute mit dieser Fähigkeit sind viel seltener.« »Danke für das Kompliment... falls es eins war. Dann sollte ich mir wohl ein paar Techniker und Soldaten von den Aufklärern schnappen und mich mit ihnen auf den Weg nach J-Cumbre machen.« »Außerdem nimmst du Rumpel mit«, sagte Hedley. »Rumpel? Was ist das denn für ein beschissener Name?« »Auch nicht schlimmer als Njangu Yoshitaro.« »Sie sind ein rassistisches Arschloch, Sir!« Rumpel schob ein Auge über die Felsen und musterte die Umgebung. Nichts bewegte sich. Er rückte weiter vor und ging hinter einem Hügel aus gefrorenem Sauerstoff in Deckung. »Da ist es, Sir«, sagte die Frau, die Rumpel bediente. »Sehen Sie hier, der kleine Punkt in der Infrarotortung. Wahrscheinlich von der Solarzelle oder einer Batterie.« Die Technikerin hieß Tanya Felder, hatte den Rang eines Finf und sah eher wie eine Balletttänzerin als eine Roboterexpertin aus. Genau wie die anderen Soldaten trug sie einen Anzug, um sich vor der nicht atembaren und leicht ätzenden Atmosphäre des Mondes zu schützen. Felders Kopf und ihr Oberkörper wurden von Rumpels Operationszentrum verdeckt, das eine beunruhigende Ähnlichkeit mit der vorderen Hälfte eines Sarges hatte, aber Felder davor bewahrte, den wirklichen und künstlichen Dateninput miteinander zu verwechseln. Innerhalb des Kastens gab es Bildschirme, Sensoren und Kontrollen, die allesamt mit dem Roboter verbunden waren, der sich in ein paar hundert Metern Entfernung aufhielt. 29 Rumpel war erst vor kurzem in den Dienst der Streitmacht gestellt worden. Er war einen halben Meter hoch und breit und etwa einen Meter lang und verfügte über variable Doppellinsen auf der Vorder- und Rückseite und außerdem über Sensoren für jeden Ortungsbereich, den seine Erbauer in Betracht gezogen hatten. Er bewegte sich lautlos auf gepolsterten Raupenketten. Ausfahrbare Greifer, die über zweihundert Kilo heben oder ziehen konnten, lagen wie die Scheren eines Krebses zusammengefaltet vor seinem Bug. »Er« hatte eine Reichweite von drei Kilometern und war mit einem kurzläufigen Blaster unter dem vorderen Augenpaar bewaffnet. Der Roboter ließ sich mit verschiedensten Extras ausrüsten, je nachdem, was die Mission erforderte. »Willst du, dass wir von hier aus aktiv werden, Boss?«, fragte Monique Lir. Sie und die anderen fünf Aufklärer lagen mit schussbereiten Waffen neben Felder am Boden. »Nö«, sagte Yoshitaro. »Ich liebe euch alle viel zu sehr, um euch in eine Falle zu schicken. Haltet euch bereit. Tanya, könntest du Rumpel etwas näher ranbringen? Wir befinden uns immer noch im Erkundungsstadium der Mission.« »Ja, Sir.« Felder hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass es bei den Aufklärern üblich war, die Vorgesetzten zu duzen oder sie einfach nur mit »Boss« anzureden. Rumpel kam aus der Deckung und bewegte sich einen niedrigen Grat entlang. »Da«, sagte Felder. »Jetzt habe ich bessere Sicht. Ich übermittle Ihnen das Bild. Der Sender befindet sich etwa fünfundzwanzig Meter von Rumpel entfernt.« Der kleine Bildschirm am unteren Rand von Njangus Visier zeigte Rauschen und dann einen unscheinbaren Ausschnitt der gefrorenen Welt. Das Bild wurde nachei30 nander um zwei Stufen vergrößert, dann sah Njangu einen grauen Halbzylinder, der fast völlig von Felsen verdeckt war. »Keine Anzeichen von Bedienungspersonal«, sagte Felder. Yoshitaro dachte nach. »Lässt sich erkennen, wo bei diesem Sender vorne ist?« »Nein, Sir.« »Okay. Dann ist es jetzt sowieso egal. Näher rangehen, aber langsam. Und alles aufzeichnen.« »Das tue ich bereits, Sir.« »Tschuldigung.« Auf Yoshitaros Bildschirm wurde der Zylinder größer. »Irgendwelche Sendeaktivitäten? Ich gehe mal davon aus, dass die Station vollautomatisch arbeitet.« »Nichts, Sir.«
»Rumpel soll in etwa drei Metern Entfernung anhalten, damit wir uns überlegen können, wie wir das Ding greifen können.« »Entfernung vier Meter, mache mich bereit...« Yoshitaros Bildschirm erlosch, und Felders Beine zuckten. Ein roter Feuerball stieg vor den Soldaten auf, dann kam die Schockwelle, und wenige Sekunden später zitterte der Boden. »Ganz schön gerissen, diese Scheißkerle!«, sagte Yoshitaro. »Felder, hat es den Roboter erwischt?« »Äh... ja. Ich empfange kein Lebenszeichen mehr.« »Also gut, Leute.« Yoshitaro richtete sich auf. »Ich glaube kaum, dass es noch etwas gibt, das sich anzuschauen lohnt, aber wir rücken trotzdem vor und riskieren einen Blick. Geht nirgendwo zu nahe ran. Manche Fallen gehen mehr als nur einmal in die Luft.« Felder befreite sich aus dem Operationszentrum. Njangu 31 reichte ihr eine Hand und half ihr beim Aufstehen, dann zog er das Komkabel aus dem Stecker an ihrem Bein. »Tut mir Leid wegen Rumpel.« Felder schniefte. Leicht überrascht warf Yoshitaro einen Blick durch ihr Visier und sah Tränenspuren in ihrem Gesicht. Er sagte nichts, als sie sich auf den Weg zum zerstörten Sender machten. »Also wissen wir, dass eine Sendung von Larix hereinkam«, sagte Jaansma zu Angara, »während es sonst niemanden im ganzen Universum gibt, der uns etwas schickt, nicht mal einen popeligen Geburtstagsgruß. Dieser Kasten auf J-Cumbre hat die Sendung aufgefangen und irgendwohin weitergeleitet. Als das Ding hochging, blieb außer einer Hand voll Trümmer nichts übrig, was wir hätten bergen können. Ich lasse das Zeug analysieren, und ich wette, wir erfahren nur, dass der Sender aus Rohstoffen hergestellt wurde, die im Cumbre-System nicht vorkommen.« »Und was tun wir als Nächstes?«, fragte Angara. »Von jetzt an wird die Sache ziemlich heikel«, sagte Hedley. . Garvin und Njangu nickten bedrückt. »Ich vermute, wir haben es mit einem Hauptagenten und einem Schwärm kleinerer Fische zu tun, die vielleicht gar nicht genau wissen, für wen sie wirklich arbeiten«, sagte Garvin. »Und ich würde wetten, dass in der Sendung, die wir abgefangen haben, der Agent darüber informiert wurde, was vor Larix passiert ist und dass ihnen die Eindringlinge leider entwischt sind. Aber trotzdem danke für den Tipp und halte uns weiter auf dem Laufenden.« »Wenn ich der Spion wäre, der einen Namen haben sollte, also schlage ich vor, ihn Snoopy zu nennen«, sagte Njangu, »dann würde ich meinen Arsch in einem sicheren 32 Loch verstecken und den Kopf einziehen, bis sich der Rauch verzogen hat. Jon hat Experten abgestellt, die die Frequenz überwachen, auf der das ursprüngliche Signal hereinkam, aber bisher mit null Ergebnis, und ich wette, dass noch eine ganze Zeit lang dicke, fette Nullen kommen. « »Irgendwelche Ideen?«, fragte Angara. »Eine«, sagte Garvin. »Aber keine besonders gute. Das Problem ist, dass wir keine Ahnung haben, wo die undichte Stelle ist. Wir waren viel zu nachlässig, als wir die Larix-Aktion vorbereitet haben; es haben viel zu viele Leute darüber Bescheid gewusst.« »Verdammt nachlässig«, stimmte Hedley ihm zu. »Wir hätten Snoopy schon vor langer Zeit dingfest machen sollen. Ich glaube, wir können getrost davon ausgehen, dass wir es hier mit nur einem Snoopy und nicht mit einem Dutzend oder so zu tun haben. Meine Annahme basiert auf der Mutmaßung, dass wir blöd genug sind, einen Superspion zu übersehen, aber ich verwahre mich gegen die Vorstellung, dass es sich um eine ganze Horde handeln könnte. Also spekulieren wir einfach mal, dass er schon etwas mit den Waffen zu tun hatte, die während des 'Rauhm-Aufstands von Larix/Kura geliefert wurden. Damals haben wir ihn nicht erwischt und hatten großes Glück, dass wir die Schießprügel überhaupt konfiszieren konnten. Als Nächstes möchte ich die Frage in den Raum stellen, wie wahrscheinlich es ist, dass Snoopy etwas mit der Explosion zu tun hatte, bei der Aesc getötet wurde und die den Krieg gegen die Musth ausgelöst hat.« »Ziemlich«, sagte Angara. »Vor allem, da sich kein einziger fanatischer Freiheitskämpfer zum Attentat auf den Musth bekannt hat. Zwei große Aktionen, von denen eine perfekt ablief und die andere nur zufällig vereitelt wurde 33 wir müssen wohl davon ausgehen, dass er Redruth schon seit längerer Zeit alles steckt, was wir so treiben. Das heißt, wir müssen ihn schnappen, bevor wir eine größere Aktion gegen Larix/Kura in die Wege leiten können. Aber Sie sagten, Sie hätten eine Idee, Jaansma.« »Wir bereiten einen neuen Start vor, diesmal in Richtung Kura. Alles sollte verdammt echt aussehen, bis die Schiffe abfliegen. Aber in Wirklichkeit schauen wir uns während der Vorbereitungen ganz genau um, in der Hoffnung, dem Burschen auf die Schliche zu kommen. Das Problem ist natürlich, dass die Leute auf Kura eine Weile in höchster Alarmbereitschaft sein werden, was uns in nächster Zeit jeden Versuch, sie wirklich anzugreifen, vermasseln wird. Und wenn wir Snoopy nicht erwischen, habe ich keine Ahnung, was wir danach anstellen sollen.« »Seit gestern Nacht höre ich diese Idee jetzt zum dritten Mal«, sagte Njangu. »Mir gefällt sie genauso wenig wie
dir und genauso wenig wie beim ersten Mal. Aber vielleicht können wir den Plan etwas widerlicher gestalten, damit unser Freund ihn nicht sofort durchschaut. Das einzige Problem dabei ist, dass wir jemandem auf längere Sicht das Leben vermiesen werden, und es wird immer Leute geben, die nichts davon mitkriegen, wenn die Sache später richtig gestellt wird. Wir greifen uns einen Unschuldigen, posaunen laut hinaus, dass wir Snoopy geschnappt haben, und hoffen, dass sich der wahre Agent beruhigt zurücklehnt und nachlässig wird.« Hedley dachte nach, dann rieb er sich die Nase. »Das ist wirklich ziemlich gemein, Njangu. Ich glaube, wir sollten es versuchen. Aber wir wollen nicht nur einem Kerl das Scheißleben vermasseln. Nehmen wir lieber gleich ein halbes Dutzend.« 34 Aus dem Matin: Spionagering aufgedeckt Skandal erschüttert die Ränge der Legion Von Ron Prest'n Leggett City - Sechs Offiziere der Armee der Konföderation wurden am heutigen Vormittag vom internen Militärischen Abwehrdienst verhaftet und wegen Spionage und Hochverrat angeklagt. Den sechs Personen, die Ränge vom Aut bis zum Tak bekleiden, wird vorgeworfen, einem geheimen Spionagering anzugehören und für eine nicht genannte extrastellare Regierung zu arbeiten. Mit gewohntem journalistischem Geschick konnte der Matin jedoch aus vertraulichen Quellen in Erfahrung bringen, dass es sich bei dieser Regierung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die von Larix und Kura handelt, die einst als engster Verbündeter von Cum-bre galt, seit einiger Zeit jedoch im Verdacht steht, imperialistische Ambitionen gegenüber unserem System zu hegen. Mil Jon Headley, der Leiter des Geheimdienstes der Streitmacht, teilte Loy Kouro, dem Herausgeber des Matin, mit, dass dieser Spionagering schon seit einiger Zeit aktiv war. »Wir vermuten, dass diese Agenten mindestens seit den Schwierigkeiten mit den 'Rauhm gegen uns arbeiten und wahrscheinlich auch für das Attentat auf den Musth-Kommandanten Aesc verantwortlich sind, wodurch die jüngsten Missverständnisse mit dieser Zivilisation ausgelöst wurden. Wir hatten schon seit längerer Zeit den Verdacht, dass ein solches Netzwerk existiert«, erklärte Headley weiter, »aber wir haben die Ermittlungen fortgesetzt, bis wir davon überzeugt waren, sämtliche Agenten ausfin35 dig gemacht zu haben. Erst dann haben wir die Verdächtigen verhaftet und an einem sicheren Ort in Gewahrsam genommen, wo sie ausführlich verhört werden können.« Man kann davon ausgehen, dass es Geständnisse geben wird, und der Prozess wird öffentlich stattfinden, wahrscheinlich schon innerhalb der nächsten drei Monate, sobald die Militärjustiz die Vorbereitungen für die Anklage abgeschlossen hat... »Dieser Dreckskerl kann nicht mal meinen Namen richtig schreiben!«, schimpfte Hedley. »Es hätte schlimmer kommen können, Boss«, sagte Garvin. »Er hätte nach Fotos von den armen Schweinen fragen können, die wir in der Pampa verstecken, bis sich der Sturm der Entrüstung gelegt hat.« »Warum haben wir nicht einfach Kouro verhaftet?«, fragte Njangu. »Aus meiner Sicht würde er einen hervorragenden feindlichen Agenten abgeben.« Loy Kouro war Jasith Mellusins Exmann, seit er gegen sie handgreiflich geworden war, und ein langjähriger Erzfeind von Garvin. Außerdem war er während des Musth-Krieges einer der aktivsten Kollaborateure gewesen und nach dem Sieg über die Aliens im Gefängnis gelandet. Strafrechtlich hatte man ihm bisher nichts anhaben können, aber es waren noch mehrere Zivilklagen in Megacredithöhe anhängig. »Das mag ich so sehr an dir«, sagte Garvin. »Von Zeit zu Zeit setzt du dich wirklich für deine Freunde ein.« »Lässt sich nicht vermeiden. Dazu schuldest du mir zu viel Geld.« »Also gut, ihr beiden«, unterbrach Hedley sie. »Phase eins ist im Gange. Jetzt wollen wir... ach du Scheiße. Habe ich völlig vergessen, euch zu sagen. Ihr beide sollt um 36 Punkt sechzehn Uhr auf dem Exerzierplatz auflaufen. In voller Galauniform.« »Wozu?« »Für die zeremonielle Verlängerung eurer Verpflichtung. Ihr werdet ein herausragendes Vorbild für das frische Blut abgeben.« Garvin und Njangu sahen sich entsetzt an. »Können wir uns irgendwie davor drücken?« »Keine Chance«, sagte Hedley entschieden. »Es war die Idee vom Alten.« »Verdammte Scheiße! Können wir uns anschließend wenigstens besaufen?«, stöhnte Njangu. »Ich erteile euch die Erlaubnis, heute Abend einen zu bechern, auf Rechnung der Legion«, sagte Hedley. »Hauptsache, ihr seid morgen früh wieder fit. Oder zumindest einigermaßen fit.« »Seht ihr«, sagte Garvin. »Die Armee gibt einem stets mit der einen Hand zurück, was sie einem mit der anderen nimmt. Ich rufe Jasith an, damit sie uns chauffieren kann.« »Ich dachte, ihr Jungs würdet ständig herummarschieren und jedem Fahnenmast und jedem Schoßhündchen salutieren«, sagte Jasith Mellusin, während sie im letzten Moment einem startenden Shuttle auswich. Sie achtete
nicht auf das laute Hupen und landete ihren Gleiter ordentlich auf dem Parkplatz des Shelbourne. Garvin wollte bereits etwas erwidern, doch dann sah er, dass Jasith amüsiert die Lippen zusammengekniffen hatte. »Warum hast du uns dann keine Zeit zum Umziehen gelassen?«, beklagte sich Njangu. »Glaubst du, mir gefällt es, in diesem Kostüm um die Häuser zu ziehen? Damit ist man viel zu auffällig, wenn man unauffällig einen Abgang machen möchte.« 37 »Aber ihr seid doch mit mir zusammen«, sagte Jasith. »Und das bedeutet, dass ihr nicht nur toll aussehen, sondern euch außerdem auch gut benehmen müsst.« Sie stieg aus der Führerkabine des Gleiters und reichte dem Hotelangestellten automatisch eine Banknote - mit jener beiläufigen Arroganz, die nur die sehr Reichen draufhatten. »Gut aussehen und gut benehmen? Wie langweilig!«, sagte Njangu. »Ich hätte mir ein Shuttle rufen sollen. Dann wäre mir das Theater erspart geblieben.« »Aber dann könntest du den Abend nicht in Gesellschaft eines so netten Menschen wie mir verbringen«, sagte Jasith. »Außerdem ist vielleicht eine Freundin von mir hier, die sich einsam fühlt.« »Jasith Mellusin«, sagte Garvin, »die Kupplerin für die wahren Patrioten!« Sie versetzte ihm einen gezielten Tritt gegen das Schienbein und schrie im nächsten Moment auf. »Das ist der Grund, warum Soldaten Stiefel tragen«, sagte Garvin grinsend. »Stabile Stiefel.« »Kommt jetzt, ihr beiden«, sagte Njangu. »Der Alkohol ruft.« Das Shelbourne war das exklusivste Hotel auf D-Cumbre und ein häufig genutzter Treffpunkt für Politiker und Zinser. Seltsamerweise hieß die Geschäftsführung auch Angehörige der Aufklärungskompanie der Legion willkommen. Wobei man willkommen heißen auch dahingehend hätte interpretieren können, dass bislang noch niemand von den Aufklärern Hausverbot erhalten hatte. Hauptsache, sie hatten genügend klimpernde Credits in den Taschen. Der Haupteingang lag an einer weiten halbkreisförmigen Auffahrt. Eine kurze Treppe führte in den Rezeptionsbereich hinauf, dessen Wände mit kleinen antiken Glasscheiben verkleidet waren. 38 Als Garvin, Jasith und Njangu hinaufgingen, glitt die Tür auf, und Loy Kouro kam heraus. Er bewegte sich mit der extremen Präzision eines Betrunkenen. Flankiert wurde er von zwei sehr großen Männern. Alle trugen Abendgarderobe. Die folgenden Ereignisse spielten sich sehr schnell ab: Kouro sah Jasith und Garvin, und sein Gesicht rötete sich. Jasith und Garvin taten, als würde Kouro gar nicht existieren. Als die zwei Gruppen aneinander vorbeikamen, beugte Kouro sich zur Seite und sagte mit gedämpfter Stimme etwas zu Jasith. Sie riss die Augen auf, wurde blass und hob die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Kouro stieß sie zurück, und sie ging mit einem Knie zu Boden. Daraufhin packte Garvin Kouros Arm und drehte ihn herum. Der Knochen knackte hörbar, und Kouro heulte vor Schmerz auf. Einer der großen Männer ging in Angriffsstellung und führte einen Messerhieb in Jaansmas Richtung. Doch Garvin war gar nicht mehr da, sondern hatte sich längst dem zweiten Mann zugewandt. Dieser hob schützend die Hände, als Garvin heranstürmte, ihm den Schädel ins Gesicht rammte und ihm beide Fäuste in den Unterleib hämmerte. Als der Mann zu Boden ging und sich erbrach, war Garvin schon wieder zurückgesprungen. Der erste Mann versuchte Garvin einen Tritt zu versetzen, verfehlte ihn jedoch. Yoshitaro packte das Bein des Mannes mit beiden Händen, riss es noch weiter hoch und versetzte ihm seinerseits einen Fußtritt in die Weichteile. 39 Der erste Mann schrie auf, taumelte rückwärts und stürzte gegen Kouro, der sich ganz auf seinen gebrochenen Arm konzentrierte. Nun heulte er wieder vor Schmerz auf, wankte zurück und prallte gegen die Glaswand. Kouro sah Yoshitaro, dessen Gesicht zu einer Grimasse verzerrt war, einen Meter über ihm in der Luft, die Beine angewinkelt. Njangu verpasste ihm einen kräftigen Tritt und katapultierte Kouro durch die Glaswand. Er landete auf den Händen, rollte sich ab und war im nächsten Moment wieder auf den Beinen. Glas klirrte, und Hotelangestellte eilten herbei. »Dieser Drecksack!«, sagte Garvin. »Was hat er überhaupt zu dir gesagt?« »Das tut nichts zur Sache«, antwortete Jasith. »Wahrscheinlich nicht«, stimmte Njangu ihr zu. »Jedenfalls jetzt nicht mehr.« Er begutachtete den Schaden. »Ich schätze, das Verhältnis zwischen Presse und Militär ist soeben auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Wer zum Henker waren überhaupt diese beiden Schläger?« »Keine Ahnung«, sagte Garvin. »Vielleicht angeheuerte Raufbolde. Oder Sportjournalisten.« Er stieß etwas Glas mit dem Fuß zur Seite. »Gut, dass die Legion unsere Rechnung bezahlt. Ich wette, dieser Spaß wird verdammt teuer.«
»Auf jeden Fall lassen sich Anspannung und Sorgen so viel besser abreagieren als durch ein gutes altes Besäufnis«, sagte Njangu verträumt. »Schade, dass der Drecksack immer noch zu atmen scheint.« »Eine Schlägerei in der Öffentlichkeit!«, grollte Caud Angara. »Und obendrein in Ausgehuniform! Ein wilder, völlig grundloser Angriff auf den Eigentümer des größten Holos auf Cumbre, der ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Und zwei seiner Assistenten dazu.« 40 »Ja, Sir«, sagte Jaansma. Er und Yoshitaro standen in strammer Haltung vor dem Schreibtisch des Caud. »Haben Sie dafür irgendeine Erklärung?« »Nein, Sir«, sagte Yoshitaro. Angara sah sie nachdenklich an, dann nahm er einen Zettel von seinem Schreibtisch. »Mister Kouro hat darauf verzichtet, Sie anzuzeigen. In seinem Schreiben heißt es, er würde es vorziehen, dass die Militärjustiz sich mit den zwei Schurken auseinander setzt, da er von dieser Seite eine wesentlich härtere Bestrafung erwartet.« Angara brummte. »Ich mag keine Zivilisten, die erwarten, dass wir ihre Aufgaben übernehmen.« Er seufzte. »Da ich Mister Kouro und... wie soll ich es sagen?... die Schrullen seiner Persönlichkeit kenne, und da ich auch einige... Aspekte Ihrer Persönlichkeit kenne, Mil Jaansma, kann ich mir ungefähr denken, wie sich die Sache wirklich abgespielt haben dürfte.« Er zerriss das Papier und warf es in den Abfallbehälter. »Ich werde in dieser Angelegenheit keine offiziellen Maßnahmen ergreifen, weder eine Bestrafung noch einen Vermerk in Ihrer Akte. Sie werden allerdings die Reparaturkosten ans Shelbourne überweisen, was ich für durchaus gerechtfertigt halte. Außerdem stehen Sie beide jetzt auf meiner inoffiziellen Raufboldliste. Ich erwarte, dass Sie mir keine weiteren Schwierigkeiten machen, es sei denn, ich ermächtige Sie dazu, sich als Raufbolde aufzuführen. Verstanden?« »Ja, Sir«, riefen die beiden im Chor. »Außerdem schlage ich vor, dass Sie sich wieder mit mir gutstellen, indem Sie den Spion möglichst schnell fassen. Das wäre alles. Sie können gehen.« Garvin salutierte, dann drehten sich beide wie aufgezogene Puppen um und marschierten zur Tür. 41 »Jaansma!« Garvin blieb stehen. »Ja, Sir?« »Sind Sie nach der Rauferei dazu gekommen, einen auf die Verlängerung Ihrer Dienstzeit zu heben?« »Nein, Sir. Wir dachten, es wäre kein guter Abend zum Saufen.« Angara nickte, und die beiden verließen den Raum. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf, grinste und wandte sich anderen Dingen zu. Yoshitaro blickte auf die Bildschirme. »Also gut, hier ist meine Theorie über unseren Agenten. Da sich Redruth nicht sehr lange im System aufgehalten hat, muss er ihn außerhalb von Cumbre angeheuert haben. Ich vermute, dass Snoopy entweder von Larix/Kura stammt oder ein Cumbrianer ist, der sich längere Zeit dort aufgehalten hat -lange genug, um sich kaufen oder umdrehen zu lassen.« »Klingt logisch«, sagte Hedley, der es sich auf einer Couch gemütlich gemacht hatte. »Es wäre bedeutend einfacher, wenn jeder auf Cumbre eine ID-Card hätte«, sagte Yoshitaro. »Wir müssten nur nachsehen, wer auf Larix oder Kura war, die betreffenden Leute einkassieren und ihnen die Daumenschrauben anlegen. « »Ich hätte nie gedacht, dass du mal so etwas sagen würdest«, bemerkte Garvin, »wenn man deinen Hintergrund berücksichtigt.« Hedley blickte neugierig auf. Yoshitaro kam zu dem Schluss, dass jetzt eher nicht der richtige Zeitpunkt war, seinem Chef von seiner Vergangenheit als professioneller Dieb, Einbrecher, Fälscher, Brandstifter, Schläger und Arbeitsscheuer zu erzählen. »Ihr hättet ein großes Problem«, sagte Hedley, »wenn ihr 42 wirklich jeden verhören könntet, der irgendetwas über Larix/Kura weiß. Früher - als ihr beide noch nicht hier wart — haben die Zinser dort mit Vorliebe eingekauft und Urlaub gemacht. Wenn wir alle reichen Schweine ausfragen würden, gäbe es bald eine Menge Tratsch, von dem sicherlich auch Snoopy etwas mitbekommen würde.« »Also machen wir kein Fass auf, solange wir ihn nicht gefunden haben«, sagte Garvin. »Dann wollen wir mal den Köder auswerfen, Cent Yoshitaro.« »Gut«, sagte Njangu. »Hoffentlich konnten wir Snoopy mit der Verhaftung unserer falschen Spione in Sicherheit wiegen. Ich denke, dass wir jetzt die Aktion gegen Kura starten können.« Hedley überflog den Ausdruck. »Können wir uns sicher sein - zumindest einigermaßen sicher -, dass das alle Personen sind, die in irgendeiner Form etwas über unseren Vorstoß gegen Larix wussten?« »Wir haben geschlampt, Boss«, sagte Njangu erschöpft. »Aber wir haben nicht völlig versagt. Wir haben versucht, den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich zu halten.«
»Und du hast genug Vertrauen in die Armee, um davon auszugehen, dass ein Zivilist für die undichte Stelle verantwortlich war, durch die Snoopy davon erfahren hat?« »Ich nicht«, erwiderte Yoshitaro. »Ich misstraue grundsätzlich jedem. Aber Garvin sagte, dass wir uns nicht verzetteln dürfen.« »Gut«, sagte Hedley. »Jetzt beweg deinen Arsch und rede noch einmal mit allen Eingeweihten, bis du überzeugt bist, dass sie nicht zufällig irgendwas vergessen haben.« »Sklaventreiber.« Aber Yoshitaro sagte das Wort mit widerwilligem Respekt. 43 »Njangu«, sagte Ben Dill. »Ich muss dir ein kleines Geständnis machen.« »Erzähl mir nicht, dass du der Schurke bist, nach dem wir suchen!« Da Dill beim verpatzten Vorstoß nach Larix dabei gewesen war, hatte sich niemand die Mühe gemacht, ihn über die vorgetäuschte Kura-Mission zu informieren. »Ja«, sagte Dill und bleckte die Zähne. »Sie haben mich gekauft, mit zwei Mädels und einem gerösteten Feimet unter Glas.« »Ich hätte ahnen müssen, warum dein Atem so riecht, wie er riecht. Was willst du mir gestehen?« Dill sagte es ihm. Anschließend breitete er die Arme aus. »Tut mir wirklich Leid. Aber wir waren sehr in Eile.« »Und das ist dir erst jetzt wieder eingefallen?« »Nein«, gab Dill kleinlaut zu. »Alikhan hat mich daran erinnert.« »Na gut«, sagte Njangu. »Aber versprich mir, dass du mir beim nächsten Mal sofort Bescheid sagst, wenn dir etwas einfällt. Falls du zum Beispiel eine ältere Tante hast, die zufällig die Leiterin von Redruths Geheimdienst ist.« »Heißt das, ich habe sie noch gar nicht erwähnt?« »Cent Ben Dill«, sagte Dill. »Ich soll hier ein paar Karten abholen. Auftragsnummer YAB eins neun acht.« Der Musth an seiner Seite sagte nichts, bewegte aber den Kopf vor und zurück. Die Angestellte nahm ihre Brille ab und musterte den Alien misstrauisch. Dann zog sie einen Sicherheitskoffer unter dem Tresen hervor und stellte ihn übertrieben nachlässig ab. »Danke schön«, sagte Dill. Nachdem er seine Unterschrift auf ein Formular gekritzelt hatte, ging das ungleiche Paar wieder. 44 Die Angestellte blickte sich im Raumhafenbüro um. Ihre Vorgesetzte und ein anderer Angestellter waren noch bei der Arbeit. »Könnten Sie bitte für ein paar Minuten den Tresen für mich übernehmen, Madam?« Ihre Vorgesetzte nickte und trug ihre Akten zum Tresen. Die Angestellte nahm ihre Gürteltasche und machte sich auf den Weg zu den Toiletten. »Volltreffer«, sagte die Technikerin. »Wir haben die Sendung sofort geortet. Wir konnten >Elf< und >Kodierung< empfangen. Der Rest der Sendung ist verschlüsselt.« »Ist das genug?«, fragte ihr Tweg. »Mehr als genug«, erwiderte Yoshitaro und wandte sich an die vier Militärpolizisten, die hinten im Grierson saßen, der einige Meter vom Verwaltungsgebäude des Raumhafens entfernt parkte. »Nehmen Sie sie fest. Passen Sie auf, dass sie keine L-Pille schluckt, und stellen Sie alles sicher, was sie dabeihat. Gehen Sie schnell vor. Sie hat keine Rechte. Sie darf mit niemandem reden, auch nicht mit einem Anwalt. Sie darf überhaupt nichts.« »Wir haben eine Agentin«, sagte Hedley. »Unsere Experten suchen nach weiteren Personen. Aber bisher konnten wir nur diese Pon Wrathers dingfest machen.« »Schlagen Sie zu«, sagte Angara. »Die Zeit läuft.« Der Raum war sehr groß und schien sich unter der Erde zu befinden. Irgendwo lief eine Klimaanlage, gerade laut genug, um einem auf die Nerven zu gehen. Pon Wrathers stand in einem Lichtkegel vor einem Schreibtisch. Dahinter saß im Schatten verborgen ein Mann. Auf dem Tisch lag ein kleines Gerät. 45 »Ich möchte einen Anwalt.« Schweigen. »Wer sind Sie?« »Mein Name ist Njangu Yoshitaro.« »Was sind Sie? Eine Art Polizist?« Wieder Schweigen. »Warum wurde ich festgenommen?« »Für wen spionieren Sie?«, fragte Njangu. »Ich spioniere nicht!« »Warum haben Sie dann eine kodierte Sendung abgeschickt, nachdem Sie Offizieren der Legion geheime Navigationsunterlagen ausgehändigt haben?« »Ich habe keine Sendung abgeschickt! Der Kodierer wurde mir von einem der Schläger in die Tasche gesteckt, die mich verhaftet haben.« »Sie sind entweder von Natur aus schlagfertig oder gut ausgebildet«, sagte Njangu. »War Ihnen bewusst, dass Sie für den Agenten einer extrastellaren Regierung gearbeitet haben?«
Wrathers zuckte kaum merklich zusammen. »So etwas habe ich nicht getan! Ich will einen Anwalt!« »Ich möchte Sie über etwas in Kenntnis setzen, Wrathers. Sie wissen nicht, für wen ich arbeite, für welche Regierungsbehörde. Vielleicht arbeite ich ja auch gar nicht für die Regierung. Wissen Sie noch, dass die Zinser früher ihre eigene Polizei und ihre eigenen Todesschwadronen hatten?« Wrathers blinzelte. »In diesem Fall wäre Ihre Forderung nach einem Anwalt ein Witz«, fuhr Njangu fort. »Sie sollten sich viel größere Sorgen darum machen, was hier mit Ihnen geschehen könnte, wo Sie ganz allein sind, an einem unbekannten Ort. In der Außenwelt weiß niemand, wo Sie sich befinden.« 46 »Wer sind Sie? Was haben Sie mit mir vor?« Njangu wartete schweigend ein paar Augenblicke. Es war interessant, auch einmal von der aktiven Seite mit den Techniken umzugehen, die er als Jugendlicher auf Waughtals Planet kennen gelernt hatte. »Ich habe gar nichts mit Ihnen vor«, sagte er ruhig. »Noch nicht. Ich möchte nur, dass Sie meine Fragen beantworten. Warum haben Sie kodierte Daten übermittelt?« »Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich nichts übermittelt habe!« »Wer ist Elf?« »Ich weiß nichts von einem Mar Elf.« Wrathers erkannte, dass sie sich verplappert hatte, aber Yoshitaro schien es nicht bemerkt zu haben. »Sie haben keinen Kodierer benutzt?« »Zum dreiunddreißigsten Mal, ich habe nichts kodiert! Hören Sie, ich bin eine Bürgerin von Cumbre, und Sie, wer immer Sie sind, ob von der Armee oder der Geheimpolizei, können mich nicht einfach so festnehmen und mich irgendwo hinbringen, ohne Anklage und alles, und mich stundenlang in einer dunklen Zelle warten lassen und mir immer wieder die gleichen dummen Fragen stellen!« An dem Gerät leuchtete ein rotes Lämpchen auf. »Wir haben genug.« »Gut«, sagte Njangu. »Lasst es noch eine Weile laufen, nur für alle Fälle. Und schickt jemanden herein, der sie rausbringt.« Yoshitaro stand auf. »Was machen Sie jetzt mit mir? Sie sollten lieber darauf verzichten, mich zu foltern oder so, weil ich Sie verklagen werde, wenn ich wieder frei bin.« Wrathers erkannte, dass sie hysterisch wurde, schien sich aber nicht mehr in der Gewalt zu haben. 47 »Was jetzt passiert?«, sagte Yoshitaro. »Wir behalten Sie noch etwa einen Tag oder so hier, wenn alles gut läuft. Dann werden wir Sie freilassen und keine Anklage erheben. Sie können Ihr Leben genauso fortsetzen, wie Sie es bisher getan haben, obwohl ich den Verdacht hege, dass Sie Ihren Job bei der Luftfahrtverwaltung in Kürze verlieren werden. Nicht einmal Bürokraten sind gut auf Spione zu sprechen.« »Sie haben mich einfach mitgenommen und hierher gebracht... und... was wollen Sie eigentlich von mir? Ich habe keine Ihrer Fragen beantwortet!« »Das mussten Sie auch gar nicht«, sagte Njangu. »Jetzt legen Sie schon los, Yoshitaro«, sagte Caud Angara. »Sie haben die Arbeit gemacht, also steht Ihnen auch der Ruhm zu.« Njangu holte tief Luft. Dies war die größte Aktion, für die er jemals die Verantwortung getragen hatte, und es half auch nicht gerade, dass es nur eine einzige Chance auf Erfolg gab. Am Nachthimmel über Chance Island wimmelte es von Griersons und offenbar zivilen Gleitern, die bewaffnete Soldaten transportierten und alle auf einer Frequenz Kontakt hielten. Im Weltraum horchten Satelliten, genau wie jeder andere passive Sensor, zu dem die Legion Zugang hatte. Ein Techniker tippte Zahlen in einen Kom. Das Gerät summte zweimal, dann folgte ein Klicken. Ein zweiter Techniker bediente einen Sensor. Pon Wrathers Stimme, die im Verhörraum aufgezeichnet und neu abgemischt worden war, sagte: »Mar Elf. Kodierung.« Der erste Techniker drückte einen anderen Sensor. Zer48 hackte Worte, die aber eindeutig von Wrathers gesprochen wurden, drangen aus den Lautsprechern, dann hörte die Sendung auf. Andere Techniker arbeiteten hektisch an einer Kontrollkonsole. Einer grinste und zeigte den hochgereckten Daumen. Ein Moment der Stille, dann: »Keine Übersetzung. Neue Übertragung.« Wieder wurde gesendet. Es gab keinen Fehler in der Kodierung, es handelte sich lediglich um wahllos zusammengestellte Sprachfetzen. Njangu, der nicht wusste, wie Wrathers' Kodierer eingestellt sein sollte, hatte sich nicht getraut, die Sendung auf kompliziertere Weise zu verfremden. Plötzlich verstummte der Empfänger. »Hab ihn«, sagte ein Techniker. »Die Sendung ging irgendwo in die Nähe von Lanbay Island und wurde von da
zur Hauptinsel zurückgeschickt. Die Antwort kam von genau... hier.« Er tippte mit dem Finger auf eine detaillierte Karte. »Tungi. Und ich habe eine exakte Adresse.« Seine Worte wurden an alle Einheiten der Armee übertragen. Er berührte einen Bildschirm und rief eine vergrößerte Fotoprojektion des Dorfes auf. »Genau hier. Aus diesem Haus.« Njangu schaltete seinen eigenen Kom ein. »Garvin, du hast es gehört. Schnappt ihn euch. Ich kümmere mich um die Rückendeckung rund um Tungi.« Ein Mikro klickte zweimal, und Griersons ohne Positionslichter stürzten sich auf das Bergdorf. Ab Yohns starrte verständnislos seinen Empfänger an. Die Härchen in seinem Nacken und auf seinen Handgelenken sträubten sich. Er zögerte kurz, beugte sich dann vor und 49 drehte einen Schlüssel herum. Anschließend ging er zur Treppe, wo sich ein großer Schalter unter einer Plastikversiegelung befand. Yohns riss die Abdeckung ab, drückte den Knopf und lief dann eilig die Treppe hinauf. Hinter ihm wurde der Geruch nach verschmorten Isolierungen und durchgebrannten Schaltkreisen immer stärker. Yohns verließ die Villa. Hoch über dem Meer konnte er schwarze Punkte erkennen, die sich Tungi näherten. Dann hörte er auch die lauter werdenden Triebwerke. Yohns grinste. Ihr kommt ein bisschen zu spät, Kameraden. Dann lief er in den Dschungel, wo er seinen kleinen Gleiter versteckt hatte. »Ich empfange eine Sendung aus Tungi«, meldete der Techniker. »Dranbleiben!«, befahl Njangu. Der erste Grierson landete in ein paar Metern Entfernung von der weitläufigen Villa oberhalb des Dorfes. Andere Fahrzeuge der Aufklärer gingen in der Nähe nieder und blockierten alle Fluchtwege aus Tungi. Garvin und ein Trupp Soldaten stürmten die Rampe des Grierson hinunter und rückten mit schussbereiten Blastem gegen die Villa vor. Sie stießen auf keinerlei Gegenwehr. »Sir!«, rief ein Soldat. »Ich rieche Rauch. Hier brennt etwas!« Garvin schnupperte. »Stimmt.« Er schaltete seinen Kom ein. »Holt die Feuerwehr. Snoopy hat die Selbstzerstörung aktiviert.« Njangu schnallte sich in dem Hochgeschwindigkeitsgleiter an, der einmal ein ziviles Gefährt gewesen war, und 50 lauschte mit einem Gürtelempfänger auf den Funkverkehr. Er war mit zwei Pistolen bewaffnet. »Prophet Basis, habt ihr eine Lokalisierung für die Sendung aus Tungi?«, fragte er. Während er auf eine Antwort wartete, wandte er sich an den Piloten. »Bring uns in die Luft, Rennender Bär. Wie in alten Zeiten.« Der Antrieb des Gleiters heulte auf, dann löste er sich vom Boden, während es im Kom knisterte und Njangus Frage beantwortet wurde. »Prophet Basis«, sagte Garvin, »hier ist Janus Sechs. Das ganze verdammte Haus geht in Flammen auf, und die Feuerwehr ist immer noch nicht da. Wir verlieren alles. Ende.« »Hier Prophet Basis. Der Löschtrupp ist noch eins-null entfernt. Tut, was ihr könnt. Ende.« Dann kam eine Sendung mit höherer Priorität herein. »Janus Sechs, hier ist Prophet Sechs. Vergesst das Haus und geht wieder in die Luft.« Njangu gab Koordinaten durch. »Und beeilt euch. Das Spiel ist in vollem Gange.« Ab Yohns steuerte seinen Gleiter auf die Lichtung, drängte ihn ins Unterholz und ließ ihn aufsetzen. Es war etwa zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Er stieg aus, zog einen kleinen Sender aus der Tasche und drückte erneut auf den Knopf. Der Waldboden geriet in Bewegung, als sich ein quadratischer Ausschnitt ein Stück anhob und zur Seite glitt. In der nun sichtbaren Höhle befand sich eine dreißig Meter lange Jacht, deren Triebwerke bereits warmliefen. Der Kurs war auf einen Asteroiden in der Nähe von G-Cumbre programmiert. All diese Anweisungen hatte das Schiff durch 51 Yohns' erste Sendung unmittelbar nach der Flucht aus Tungi erhalten. Auf dem Asteroiden würde er das Signal geben und dann warten, bis Redruth ihn abholte. Yohns gönnte sich einen kurzen Moment, um seine Gerissenheit zu bewundern. Vor Jahren hatte er Arbeiter aus Leggett City einen Weinkeller für seine Villa ausschachten lassen. Die Feinarbeiten hatte er persönlich übernommen und vor allem die Elektronik selbst eingebaut. Auf ähnliche Weise hatte er sich vom städtischen Arbeitsmarkt für Gelegenheitsjobs eine zweite Gruppe von Arbeitern besorgt, die hier auf Mullion Island ein unterirdisches Depot für ein Jagdlager angelegt hatten. Das Kribbeln, das ihn zur Flucht veranlasst hatte, war verschwunden. In einer halben Stunde würde er den Einflussbereich der Konföderation verlassen haben, und schon bald würde er in Alena Redruths Imperium ein Leben als sehr reicher Mann führen. Hinter ihm schob sich Njangu Yoshitaro aus der Deckung und zielte mit einer langläufigen Pistole. Er drückte den Abzug, der Pfeil schoss quer über die Lichtung und bohrte sich in Yohns' Nacken. Yohns blieb noch die Zeit, mit der Hand nach dem mutmaßlichen Insekt zu schlagen, dann brach er zusammen. Njangu steckte die
Pfeilpistole zurück ins Holster und zog seinen Blaster. »Jetzt sammeln wir ihn ein, Rennender Bär.« Der große Indianer stand auf und reckte sich. »Ich bin verdammt froh, dass ich nicht zu euch Aufklärern gehöre. Ich glaube, eine Schnecke hat mir die Eier angefressen, während wir hier gewartet haben.« Sie traten auf die Lichtung und näherten sich dem am Boden liegenden Yohns. »Wir ziehen ihm alles aus und checken ihn gründlich 52 durch - ob er vielleicht eine tödliche Pille im Mund hat oder so«, sagte Njangu und nahm Plastikhandschellen aus einer Tasche. »Dann wickeln wir ihn ein, als wollten wir ihn über einem Lagerfeuer rösten - was wir dann auch tun werden.« 4 Die zwei Wachen führten Ab Yohns herein, gingen wieder und schlössen die Tür. Der Raum war mit allem ausgestattet, was man benötigte, und machte fast den Eindruck eines Wohnzimmers, nur dass es weder Fenster noch Komeinrichtungen gab. Njangu Yoshitaro und Jon Hedley saßen völlig entspannt da. »Setzen Sie sich«, sagte Hedley. »Da drüben gibt es Drinks. Aber nichts Alkoholisches.« »Ich lehne dankend ab.« »Wie Sie möchten«, sagte Njangu. »Ich werde mir irgendwas zu trinken holen. Wir haben nichts hineingemischt.« Yohns lächelte und setzte sich. »Ich vermute, dass die Nachwirkungen des Betäubungsschusses inzwischen abgeklungen sind«, sagte Hedley. »Der Arzt hat uns versichert, dass Sie sich seit ein paar Stunden wieder völlig normal fühlen müssten.« »Ich fühle mich völlig normal«, sagte Yohns. »Und ich werde sehr zivilisiert behandelt.« »Warum auch nicht?«, sagte Hedley. »Wir sind Profis, und Sie sind vermutlich ebenfalls einer. Mein Name ist Hancock, und das ist Dexter. Er hat übrigens den Plan entwickelt, mit dem wir Sie in die Falle gelockt haben.« 53 »Aha?« Yohns neigte den Kopf. »Gute Arbeit.« Njangu nickte. Hedley stand auf. »Ich wollte mich nur vorstellen und Ihnen versichern, dass Sie sich im Gewahrsam der Konföderation befinden und im juristisch vorgegebenen Rahmen behandelt werden, zumindest so weit, wie es die Umstände erlauben.« »Vielen Dank, Mil Hedley«, sagte Yohns. »Ich kenne Sie aus den Holos.« »Ach, wie weit mein Ruhm mir vorauseilt...«, murmelte Hedley. »Von jetzt an machen Sie weiter, Dexter.« Er lächelte und ging. »Ich glaube nicht, dass ich Ihr Gesicht bereits kenne«, sagte Yohns. »Wie der Boss sagte, lautet mein Name Dexter.« »Nun gut... Dexter.« »In Tungi waren Sie als Ab Yohns bekannt«, sagte Njangu. »Wie lautet Ihr richtiger Name?« »Offen gesagt bin ich mir nicht sicher, ob ich mich überhaupt noch an meinen richtigen Namen erinnern kann. Die Personen in meinem Betätigungsfeld benutzen sehr häufig Pseudonyme. Belassen wir es der Einfachheit halber bei Yohns, da ich mich im Laufe vieler Jahre an diesen Namen gewöhnt habe. Was habe ich von Ihnen zu erwarten, sofern mir diese Frage gestattet ist?« »Wie der Boss sagte, wird man sich um Sie kümmern, wenn Sie uns geben, was wir haben wollen. Wobei ich vermute, dass Sie schon von selbst darauf gekommen sind.« »Und was wäre das?« »Alles, was Sie über Larix, Kura, Protektor Alena Redruth und seine Truppen wissen.« »Ich fürchte, Sie werden sich mit einer Enttäuschung abfinden müssen.« 54 »Wieso das?« »Sind Sie Redruth jemals persönlich begegnet?« »Ich hatte sogar schon die Gelegenheit, einen Schuss auf ihn abzufeuern«, sagte Njangu. »Leider habe ich ihn verfehlt.« »Dann sind Sie mir in dieser Hinsicht weit voraus. Ich bezweifle, dass Sie es mir glauben werden, aber ich bin diesem Mann noch nie begegnet.« »Die Sache mit dem glauben und dem zweifeln haben Sie sehr nett ausgedrückt«, sagte Njangu. »Aber es ist die Wahrheit. Ich wurde vor sehr langer Zeit auf Centrum angeworben, durch einen Mittelsmann aus der dritten oder vierten Reihe. Ich habe gute Arbeit für den Protektor geleistet und wurde gut dafür bezahlt. Als sich die Lage auf unangenehme Weise zuspitzte, beschloss ich, die Konföderation zu verlassen und mich auf eine der Randwelten zurückzuziehen, bis sich alles beruhigt hat. Daher habe ich mich in der Umgebung meines Arbeitgebers umgeschaut. Ich war mir nicht sicher, ob ich auf Larix oder Kura leben wollte, weil Könige ihre Meisterspione fürchten, wie Ihnen zweifellos bekannt ist. Ich dachte, es wäre besser, wenn ich mich etwas außerhalb seiner Aufmerksamkeitssphäre aufhielte. Es war sogar Redruths Vorschlag, nach Cumbre zu
emigrieren, wo ich weiterhin für ihn arbeiten konnte, da er den starken Drang verspürt, dieses System seinem Herrschaftsbereich einzugliedern. Vielleicht möchte ich jetzt doch ein Glas Wasser probieren.« Njangu goss ihm ein, nahm einen kleinen Schluck und reichte das Glas an Yohns weiter. »Ich habe kaum mehr als eine Erdstunde auf Larix verbracht, bevor ich nach Cumbre kam. Ich könnte Ihnen vielleicht meine Eindrücke vom Raumhafen schildern, aber nicht viel mehr. Alles, was ich sonst über seine Welten 55 weiß, habe ich aus Holos und Reiseführern. Über sein Militär wissen Sie mit Sicherheit viel mehr als ich. Meine Planung sah vor, irgendwann nach Larix zu fliehen. Dort ist das Geld deponiert, das er mir gezahlt hat. Also werde ich mir dort kaum Sorgen um meinen Lebensunterhalt machen müssen. Er hätte einen Zufluchtsort für mich gefunden und wenn es nur aus dem Grund wäre, mich vor Schwierigkeiten zu bewahren.« »Es gibt Drogen, mit denen sich Ihre Worte überprüfen lassen«, sagte Njangu, der immer noch skeptisch war. Yohns' Mundwinkel zuckten. »Die gibt es in der Tat«, sagte er mit leicht belegter Stimme. »Aber sie würden lediglich bestätigen, was ich Ihnen soeben erzählt habe. Ich fürchte, als Informant wäre ich nicht sehr ergiebig. Aber das heißt nicht, dass ich zu den Ratten in einen Kerker geworfen werden oder mich psychischen oder physischen Folterungen aussetzen möchte. Ich verabscheue Schmerzen. Wie Ihr Vorgesetzter gesagt hat, bin ich in der Tat ein Profi. Ich kann damit leben, wenn Sie mich in irgendein gemütliches Gefängnis auf einer abgelegenen Insel stecken, worauf ich Ihnen so gut wie möglich bei Ihrem Kampf gegen Redruth helfen würde. Damit dürfte ich mir eine Weiterexistenz unter einigermaßen angenehmen Lebensbedingungen sichern.« Plötzlich nahm seine Stimme einen unsicheren Tonfall an. »Glauben Sie, dass ein derartiges Arrangement möglich wäre?« Njangu achtete darauf, eine ausdruckslose Miene zu wahren, und stand auf. »Das werde ich mit meinen Vorgesetzten diskutieren. Ich fürchte, dass Sie nicht in diesem Raum bleiben können. Er ist nicht sicher genug. Jemand wird Sie in ein paar Minuten in Ihren vorherigen Aufenthaltsraum zurückbringen. 56 Morgen setzen wir unser Gespräch fort, und in der Zwischenzeit können Sie darüber nachdenken, ob Sie sich im Hinblick auf Larix und Kura vielleicht doch noch an ein paar Details mehr erinnern.« Yohns hatte sich erhoben und streckte Njangu eine Hand hin. »Ich bin überzeugt, dass wir gut zusammenarbeiten werden.« Yoshitaro wollte ihm nicht die Hand schütteln, aber er tat es doch. Dann ging er zu den wartenden Wachmännern hinaus. »Bringen Sie ihn in den Bau zurück. Ach ja, und überwachen Sie ihn rund um die Uhr, um einen Selbstmord auszuschließen.« »Ja, Sir, Cent.« Als er das Hämmern an seiner Tür hörte, war Njangu sofort auf den Beinen und hatte die Pistole in der Hand, die ständig unter seinem Kopfkissen lag. »Ja?« »Cent Yoshitaro!« Es war der wachhabende Quartiermeister für die Offiziersunterkünfte. »Ein Notfall!« Njangu benötigte nur eine Sekunde, um die Tür zu entriegeln und zu öffnen. »Sir«, sagte der Quartiermeister. »Sektion zwei meldet, dass Sie sich sofort zur Unterkunft des Gefangenen begeben sollen.« »Das ist eine verdammt harte Methode«, sagte Mil Hedley, während er die blutige Leiche betrachtete. »Ich weiß nicht, ob ich den Mumm aufbringen würde, mir die Zunge zu zerbeißen und langsam zu verbluten.« »Ich verstehe nicht, warum er Selbstmord begangen hat«, sagte Njangu. 57 »Wer weiß?«, sagte Hedley. »Spione gehören nicht gerade zu den ausgeglichensten Persönlichkeiten. Vielleicht hat er uns nicht geglaubt, als wir ihm erklärten, dass wir ihn nicht zum Spaß in eine eiserne Jungfrau stecken würden. Aber ich vermute eher, dass er darüber nachgedacht hat, wie ein ach so intelligenter Agent von einem Haufen Infanteristen mit Dreck unter den Fingernägeln geschnappt werden konnte, worauf sein Ego ihm gesagt hat, dass es damit nicht klarkommt.« »Ich habe angeordnet, ihn zu beobachten«, sagte Njangu, der seine Wut im Zaum halten musste. »Er hat nach etwas Wasser gefragt, und beide Wachen haben die Zelle verlassen. Ich kenne zwei Soldaten, die demnächst gegenseitig als Selbstmordwache aufeinander aufpassen werden, auf der kleinsten beschissenen Insel auf diesem beschissenen Planeten.« Nachdem er das Versprechen abgegeben hatte, vergaß er die beiden für einen Moment und sah sich noch einmal Yohns an. »Die ganze verdammte Arbeit«, brummte er. »Und am Ende stehen wir da und...« »...haben nichts in der Hand«, sagte Hedley. »Außer dass er uns jetzt nicht mehr über die Schulter sieht. Aber er hätte noch so viel für uns tun können.« Yoshitaro erinnerte sich daran, wie viel oder wie wenig Yohns angeblich wusste. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Dann kam ihm eine Idee. »Aber vielleicht können wir doch noch etwas aus ihm herausbekommen.«
»Und wie soll das gehen?« Njangu wandte Hedley sein Profil zu. »Würde ich nicht einen richtig netten Ab Yohns abgeben?« 58 5 Asteroid Glyph-Hander Die Jacht, die dem verstorbenen Ab Yohns gehört hatte, passte ihren Kurs dem hantelförmigen Asteroiden an und landete. Ein Velv bezog etwa drei Kilometer von dem Steinbrocken entfernt Position. »Ich bin jetzt mit den Triebwerken und dem ganzen Navigationskram fertig«, sagte Ben Dill. Njangu Yoshitaro stand vom Sitz des Kopiloten auf. »Verdammt. Ich war überzeugt, du würdest auf diesem Steinklumpen eine Bruchlandung bauen.« »Erkennst du, wo dein Problem liegt?«, fragte Ben. »Du befindest dich in der Obhut des tollsten Piloten, den die Menschheit seit Orville und Lilienthal hervorgebracht hat, und du schaffst es einfach nicht, ihm den gebührenden Respekt entgegenzubringen. Ha! Dein größtes Problem ist es, dass du niemals fliegen gelernt hast, Yoshitaro, sodass du nicht in der Lage bist, einen natürlichen Flugkünstler wie mich einzuschätzen.« Dill riss sich zusammen. »Mann, bin ich ein Trottel!« »Ach!« »Nein, ich meine, ich habe mich freiwillig gemeldet, dich zu deinem Rendezvous mit dem Schicksal zu fliegen, und mir ist niemals in den Sinn gekommen, dass du die Rolle von Ab Yohns spielst. Der ein Spion war. Und ein Pilot. Sonst hätte er nicht diese Jacht sein Eigen genannt.« »Erinnere mich nicht ständig an die Löcher in meiner Tarnung.« »Was passiert, wenn jemand dich auffordert, noch eine Weile im engen Orbit um Larix hängen zu bleiben?« 59 »Dann werde ich den schlimmsten Fall von Raumkrankheit entwickeln, den du jemals gesehen hast.« Yoshitaro ging zum Passagierabteil und öffnete die Luke. »Also gut, meine Damen und Herren. Sie können jetzt hereinschwirren.« Vier Techniker in sterilen Anzügen machten sich daran, die Pilotenkanzel zu bearbeiten, genauso wie sie es bereits mit dem Rest des Schiffes gemacht hatten. Jede Oberfläche wurde zweifach von Fingerabdrücken gesäubert. Danach wurden die verwischten Abdrücke von drei oder vier Händen strategisch verteilt, und schließlich wurden überall Yoshitaros Abdrücke angebracht. Auch Dills Spuren wurden von den Kontrollen entfernt, worauf Njangu auf seine Anweisung verschiedene Flächen berühren musste. Dill verabschiedete sich, stieg in einen Raumanzug und flog von der Jacht zum wartenden Schiff hinüber. Die Techniker vergewisserten sich, dass sich keine ausgefallenen Haare, Speichelreste oder sonstigen Ausscheidungen im Recyclingsystem der Jacht befanden, dann folgten sie ihm nach draußen. Nun war Yoshitaro allein, einen halben Systemdurchmesser vom nächsten bewohnten Planeten entfernt. »Die Bühne ist bereit«, murmelte er. »Die Musiker haben ihre Instrumente gestimmt, und alle Scheinwerfer sind auf das verdammte Podium gerichtet.« Er ging in die Nasszelle und betrachtete sein neues Gesicht - nicht zum ersten Mal und auch nicht zum fünfzehnten Mal, seit die Ärzte mit ihm fertig geworden waren. Sein Haar war nun an den Schläfen ergraut, und seine Haut war künstlich gealtert. Yohns war angeblich Ende vierzig gewesen. Yoshitaro fand, dass er für Mitte dreißig durchging, vielleicht ein wenig älter, aber er ging davon aus, dass Redruth die Geburtsurkunde von Yohns nicht zur Hand 60 hatte. Außerdem hoffte er, dass die Mediziner nach seiner Heimkehr wie versprochen ihr Werk rückgängig machen konnten. »Der Maestro tritt ins Licht, klopft mit dem Taktstock auf den Notenständer, und es wird still im Saal.« Yoshitaro drückte einen Sensor, und Yohns' Hilferuf wurde an Larix gesendet. »Der Maestro hebt den Taktstock und purzelt Hals über Kopf in den Orchestergraben, als der erste Ton eines Kazoos zu hören ist. Scheiße, ich brauche einen Drink! Ich hoffe, dass mir schmeckt, was Yohns getrunken hat. Und wo wir gerade dabei sind, Njangu, alter Kumpel, du solltest dir allmählich Sorgen machen - jetzt fängst du schon an Selbstgespräche zu führen, wo du noch nicht einmal eine Stunde allein bist.« Dill hätte nicht ausdrücklich auf die Probleme hinweisen müssen, die sich daraus ergaben, dass Yoshitaro die Rolle von Yohns spielen wollte. Auch wenn sich der Agent und Redruth niemals begegnet waren, bestand natürlich die Möglichkeit, dass es irgendwo in den Datenspeichern von Larix ein Foto von Yohns gab, das Njangu ins Verderben stürzen konnte. Außerdem wusste Yoshitaro fast nichts über den Spion, also konnten biografische Daten, die es auf Larix gab, genauso tödliche Folgen für ihn haben. Selbst wenn er mit seinem Täuschungsmanöver durchkam, war er nicht gerade der bestausgestattete Spion der Geschichte. So stand er beispielsweise vor dem Problem, wie er mit seiner Heimatbasis Kontakt aufnehmen sollte, wenn er sein Einsatzgebiet erst einmal erreicht hatte. Der einzige Grund, warum Angara der Mission zugestimmt hatte, basierte auf der Vermutung, dass Larix/Kura wahrscheinlich genauso wie Cumbre mit Koms der Kon61 föderation ausgestattet war. Also musste Njangu sich theoretisch nur Zugang zu einem Anschluss verschaffen und ihn mit einem der vier Chips, die er sorgfältig versteckt mit sich führte, entsprechend modifizieren.
Theoretisch. Aber durch Grübeln würde er genauso wenig erreichen wie durch Trinken. Yoshitaro suchte nach etwas, womit er sich die Zeit vertreiben konnte, und entdeckte mehrere Holos, hauptsächlich grundlegende Schriften verschiedener religiöser Sekten. Er fragte sich, wie Yohns dies mit seiner Arbeit in Einklang gebracht hatte, da die meisten der Schriften recht deutlich gegen Unehrlichkeit und Verrat Stellung bezogen. Vielleicht war der Spion nur neugierig gewesen, wie die andere Seite dachte. Oder er hatte an irgendeine jenseitige Welt geglaubt und versucht, sich irgendwie mit ihr zu versöhnen. Auf jeden Fall waren die Holos nicht nach Yoshitaros Geschmack, obwohl er sie gründlich durchlas. Mit der Zeit begann es ihm sogar Spaß zu machen, die zahllosen Widersprüche aufzuspüren. Er trieb schweißtreibenden Sport und versuchte sich an jede Kata zu erinnern, die er gelernt hatte, bis er sogar verschiedene eigene Sequenzen entwickelte. Warum kämpfst du, Dummkopf?, dachte er. Wie wäre es stattdessen mit Zen-Jogging? Njangu verzichtete darauf, in einen Anzug zu steigen und den Asteroiden zu erkunden, weil er befürchtete, er könnte ein Signal seiner Retter verpassen - falls er es nicht sogar schaffte, sich selbst auszusperren. Insgeheim war er sich gar nicht sicher, ob er sich nicht vielleicht wünschte, dass Redruth ihn dem »Feind« überließ. Dann hätte er nach Hause gehen und sich etwas ausdenken können, das nicht so gefährlich war. 62 Viel Zeit verging. Schließlich piepte der Kom. Yoshitaro drückte einen Sensor und antwortete im gleichen Kode, den er auch für die Anforderung des Abholkommandos benutzt hatte. »Halten Sie sich bereit«, hörte er aus dem Kom, der die Sendung automatisch dekodierte. »Sie wurden lokalisiert. Abholung in dreiundzwanzig E-Stunden.« Dann verstummte der Kom. Höchstens eine Viertelstunde vor der angegebenen Zeit näherte sich ein Kriegsschiff dem Asteroiden. Njangus Janes identifizierte es als die Corfe, einen Zerstörer der Konföderation, den Redruth bei seinem Versuch, Cumbre zu erobern, als Flaggschiff benutzt hatte. Es wurde durch zwei Nana-Schiffe gedeckt. Die Raketenabschussröhren und Automatikgeschütze waren aktiviert und einsatzbereit. Ein Hangartor öffnete sich, und ein kleines Schiff schoss heraus. Nachdem es auf dem Asteroiden gelandet war, stiegen fünf Personen in Raumanzügen aus. Zwei hielten in der Nähe der Jacht Wache, die anderen drei näherten sich mit gezogenen Blastern der Schleuse des Schiffes. Das äußere Schott öffnete sich summend, schloss sich wieder, und Luft wurde in den Schleusenraum gepumpt. Yoshitaro drückte einen Sensor für den Interkom. »Kommen Sie herein.« »Treten Sie von der Tür zurück«, antwortete ihm eine metallische Stimme. »Bewegen Sie sich nicht, wenn wir hereinkommen.« Yoshitaro drehte sich in seinem Sessel vor den Kontrollen herum und achtete darauf, dass seine Hände gut zu sehen waren, als sich die Schleusentür öffnete. Ein Mann trat schnell in die Kabine, blickte sich überall um und sprach in sein Anzugmikro. Dann folgte der zweite Mann. Der erste durchsuchte die anderen Räume der Jacht, kehrte 63 zurück, und nun trat auch der dritte Mann ein. Die ersten beiden hielten ihre Waffen auf Njangu gerichtet. Als der dritte Mann das Visier hochklappte, erkannte Yoshitaro ihn sofort. »Ab Yohns, wie ich annehmen darf«, sagte der Mann. »Mein Name ist Celidon. Ich befehlige die Truppen von Larix und Kura.« Celidon war ein Offizier, der für seine Effizienz und Brutalität berüchtigt war. Nachdem die Konföderation ihn unehrenhaft entlassen hatte, war er Söldner für Redruth geworden. Er war groß und hatte eine Narbe auf der Stirn, und sein Gesichtsausdruck war gleichermaßen kühl und amüsiert. »Ich freue mich außerordentlich, Sie zu sehen«, sagte Njangu. »Ich würde Ihnen gerne die Hand schütteln, aber ich möchte nicht aus Versehen von Ihren Begleitern erschossen werden.« »Der gute Wille genügt mir als Willkommensgruß«, sagte Celidon. »Holen Sie Ihre Sachen und folgen Sie mir. Ich möchte noch an diesem E-Tag das Cumbre-System wieder verlassen.« »Ich habe nicht viel dabei«, sagte Yoshitaro. »Die Tasche da drüben, mehr nicht. Mein Aufbruch war etwas überstürzt.« »Dann legen Sie einen Anzug an«, ordnete Celidon an. »Frequenz sechsunddreißig. Meine Leute werden Ihre Sachen tragen.« Yoshitaro gehorchte und bemerkte, dass einer von Celidons Männern seinen Raumanzug gründlich filzte, bevor er ihn anziehen durfte. Der Mann führte Njangu in die Schleuse und brachte ihn nach draußen. Wenig später folgte der zweite Mann und nach einer Weile auch Celidon. Er verriegelte die Schleusentür. 64 »Werden Sie mein Schiff zerstören?«, fragte Yoshitaro. »Nein«, antwortete Celidon. »Die Explosion könnte Aufmerksamkeit erregen, und Sie haben schon für genug Wirbel gesorgt. Aber ich habe eine kleine Überraschung zurückgelassen, falls jemand das Gefährt entdeckt und die Schleuse zu öffnen versucht.«
Njangu hoffte, dass in absehbarer Zeit niemand auf die Idee kam, die Jacht zu bergen - zumindest niemand, den er kannte. Sie flogen zur Corfe, und Njangu erhielt die Anweisung, den Anzug abzulegen. Anschließend wurde er in einen karg ausgestatteten Raum geführt, wo er von einem Besatzungsmitglied gründlich durchsucht wurde. Danach ließ man ihn allein. Der Antrieb der Corfe wurde aktiviert, und kurz darauf machte das Schiff den ersten Sprung durch den N-Raum. Da Njangu nichts Besseres zu tun hatte, legte er sich hin und versuchte zu schlafen. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als zwei Bewaffnete kamen und ihn in eine große, spartanisch eingerichtete Kabine führten. Celidon saß hinter einem Schreibtisch und gab Yoshitaro ein Zeichen, dass er sich setzen sollte. Auf dem Tisch stand Yoshitaros Tasche, und daneben lag ein schwerer, etwas altertümlich wirkender Blaster. »Ist das die einzige Waffe, die Sie mitgebracht haben?«, fragte Celidon. »Nein«, sagte Yoshitaro. »Darf ich?« Celidon nickte. Njangu schob eine Hand hinter den Gürtel, bis unter die Hoden, und zog eine kleine, flache Pistole hervor - eine Projektilwaffe, die Explosivgeschosse abfeuerte. »Die haben meine Männer offensichtlich nicht gefunden.« 65 »Offensichtlich.« »Protektor Redruth nimmt es sehr genau, wem er das Tragen von Waffen erlaubt und wem nicht«, sagte Celidon. »Aber da Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Einladung unserer Regierung erhalten werden, dürfte es kein Problem darstellen. Vielen Dank für Ihre Aufrichtigkeit.« Yoshitaro hob beide Hände. »Ich habe nicht vergessen, für wen ich arbeite.« »Gut«, sagte Celidon. »Ich lasse die Schlafmützen, die diese Waffe übersehen haben, bestrafen. Dann möchte ich Sie noch auf eins hinweisen. Tragen Sie keine Waffen, nicht einmal ein Messer, wenn Sie sich in der Nähe des Protektors aufhalten. Er wird dann sehr... nervös.« »Danke für die Warnung.« Celidon ging zu einem Schrank und öffnete eine Tür. »Möchten Sie etwas trinken?« »Was immer Sie anzubieten haben.« »Das ist Dreikräutertee«, sagte Celidon und schenkte aus einem Metallkessel zwei Gläser ein. »Ich finde, er steigert mein Denkvermögen.« Er reichte Yoshitaro ein Glas. »Sie haben dem Protektor - und den Welten, über die er herrscht - in den vergangenen Jahren zweifellos gute Dienste geleistet.« »Wofür ich angemessen belohnt wurde«, sagte Yoshitaro. »Ihre Bezahlung wartet auf Larix auf Sie, in unserem sichersten Depot«, sagte Celidon. Er nahm einen Schluck Tee und sah Njangu neugierig an. »Sie müssen Ihre... Berufstätigkeit bereits sehr früh aufgenommen haben. Ich habe nicht mit jemandem gerechnet, der so jung aussieht wie Sie.« »Bedauerlicherweise bin ich etwas älter, als ich erscheine«, erwiderte Yoshitaro. 66 Celidon wartete auf weitere Einzelheiten, bis ihm klar wurde, dass sich seine Erwartungen nicht erfüllen würden. »Ich habe entschieden, mich dem Abholkommando anzuschließen«, sagte er, »weil ich mir dachte, dass Sie und ich die Gelegenheit zu einem Gespräch nutzen sollten, bevor Protektor Redruth Sie begrüßt.« Njangu setzte einen interessierten Gesichtsaus druck auf, sagte aber weiter nichts. »Ihnen ist zweifellos bewusst, dass Autokraten gegenüber ihren Geheimagenten aus gutem Grund sehr misstrauisch sind, vor allem gegenüber solchen mit eigener Entscheidungsgewalt.« »Natürlich.« »Es könnte für Sie von Interesse sein, dass ich nicht nur den Posten des Oberbefehlshabers der Streitkräfte innehabe, sondern seit nunmehr einem halben Jahr außerdem der Leiter des Geheimdienstapparats des Protektors bin. Wobei ich letztere Position verabscheue und sie nur notgedrungen bekleide. Mein Vorgänger hat sich für einen Experten im Machiavellianismus gehalten. Mir ist jedoch aufgefallen, dass jene, die sich am lautesten ihrer Fähigkeiten als Intriganten brüsten, in der Regel mit einem verdutzten Gesichtsausdruck und mehreren Zentimetern Stahl zwischen der sechsten und siebten Rippe enden. Aber das nur nebenbei. Dieser Wicht war auf die Idee gekommen, mit Protektor Redruth ein politisches Intrigenspiel gegen mich zu inszenieren. Warum, ist mir unbegreiflich, da ich mit meinen regulären Pflichten völlig ausgelastet und zufrieden war und keinerlei Ressentiments gegen ihn oder seinen Posten hegte. Auf jeden Fall entwickelte er sich zu einer Bedrohung, sodass sich für mich die Notwendigkeit ergab... auf diese Bedrohung zu reagieren. Die Geschichte 67 endete damit, dass ich seine Pflichten übernehmen musste und er nur noch Asche im Wind ist. Ich erkläre Ihnen jetzt, was all das mit Ihnen zu tun hat. Ich vermute, dass Protektor Redruth Ihnen eine Anstellung in der Regierung anbieten wird, wahrscheinlich im Rang eines Präfekten. Er dürfte Sie zu seinem persönlichen Berater in cumbrianischen Angelegenheiten ernennen. Und wenn Sie gute Arbeit leisten, werden
Sie sogar befördert. Insofern ist es nicht unvorstellbar, dass Sie schließlich zum Leiter sämtlicher Geheimdienste werden und mich ersetzen. Gegenwärtig würde ich Sie für diese Stellung weder empfehlen noch ablehnen wollen. Aber wenn es dazu kommt, rate ich Ihnen, nicht zu vergessen, was mit dem anderen Mann geschehen ist, der sich für verschlagen gehalten hat, und auf sämtliche Ambitionen verzichten, die über diesen Posten hinausgehen.« Celidon lächelte kalt. »Wir werden nach zwei weiteren Sprüngen vor Larix eintreffen. Jemand von meinen Leuten wird Sie in ein etwas komfortableres Quartier führen, und von nun an dürfen Sie sich frei im Schiff bewegen. Willkommen in Larix und Kura, Ab Yohns.« Yoshitaro stand auf, verbeugte sich und folgte einer weiblichen Wache zu seiner Kabine. Dieses blöde Arschloch, dachte er. Erzählt mir erst, dass Leute, die mit ihrer Verschlagenheit prahlen, daran scheitern werden - und dann tut er genau das. Als hätte ich nicht oft genug mit Idioten und ihren Banden zu tun gehabt, mit denen ich fertig werden musste, wenn sie mir oder meinen Leuten ans Leder wollten. Trotzdem sollte ich lieber vorsichtig sein. 68 6 Larix / Larix Primus Ein Gleiter mit militärischen Insignien holte Njangu und Celidon am Raumhafen ab und stieg nach vielem Salutieren in den Himmel auf. Yoshitaro sah, dass sie von zwei Kampfschiffen eskortiert wurden, die große Ähnlichkeit mit Zhukovs hatten, und erkundigte sich nach dem Grund für die Sicherheitsmaßnahmen. »Es droht keine Gefahr«, sagte Celidon. »Der Protektor ist nur der Ansicht, dass jeder öffentliche Auftritt eines Regierungsmitglieds von einer Demonstration der Stärke begleitet sein sollte. Dadurch haben die Arbeiter nicht nur etwas, das sie bewundern können, sondern erkennen außerdem, was sie erwartet, falls sie auf dumme Ideen kommen sollten.« Agur war eine monolithische Stadt mit hohen, klobigen Gebäuden, die sich häufig über einen ganzen Block erstreckten. Sie schienen in einem Stück gegossen worden zu sein. Der nackte Beton war meist braun oder hellbraun und trug keinen anderen Schmuck als die Logos der Firmen, die darin residierten und die mit grellbunten Schriftzügen für sich warben. Der Gleiter flog mit heulenden Sirenen etwa zehn Meter über der Straße entlang. Njangu sah Menschen, die zu Fuß oder in kleinen Fahrzeugen von einheitlicher Konstruktion unterwegs waren. Es gab nur wenig Luftverkehr. »Der Protektor zieht es vor, wenn sich sein Volk am Boden bewegt oder die äußerst effektiven Untergrundbahnen benutzt«, erklärte Celidon, der wie ein Pressesprecher der Regierung klang. »Gleiter sind für gewöhnlich offiziellen 69 Zwecken vorbehalten oder dienen in größerer Ausführung zum Transport der Bürger zu den Stadien oder Freizeitparks auf dem Land.« Die Menschen trugen helle Kleidung, die häufig in Farben gestreift war, die sich bissen und einen starken Kontrast zu den matten Gebäuden bildeten. Njangu konnte nicht erkennen, ob sie glücklich, traurig, wütend oder auch nur niedergeschlagen aussahen. »Nur aus Neugier gefragt«, sagte Njangu. »Wie gehen Sie mit Kriminellen und Oppositionellen um? Werden sie konditioniert?« Celidon bedachte ihn mit einem eisigen Lächeln. »So etwas ist hier kaum nötig. Und wir ziehen es vor, von sozial Unangepassten zu sprechen. Der Protektor sieht nicht ein, warum sie weiterhin von der Gemeinschaft durchgefüttert werden sollen, während sie untätig in Gefängnissen herumsitzen und nur neue Pläne schmieden, wie sie sich nach der Entlassung illegal bereichern können. Stattdessen geben wir ihnen Arbeit, schwere körperliche Arbeit in gefährlichen Bereichen. In Unterwasserbergwerken, auf unseren Mondstationen und ähnlichen Einrichtungen. Diejenigen, die leichtere Strafen erhalten und sie überleben, stellen in der Regel anschließend keine Bedrohung mehr für die Gemeinschaft dar. Und was die Oppositionellen betrifft... die letzten echten gab es vor ein paar Jahrzehnten. Und die anderen... nun, Sie werden sehen.« Njangu, der früher einmal selbst eine Bedrohung für die Gemeinschaft gewesen und nun zweifellos nach hiesigen Begriffen ein Oppositioneller war, dachte gründlich über Celidons Worte nach. Ein paar Minuten später stieß der Mann ihn an. »Da ist der Palast des Protektors.« Das Grundstück lag mitten in der Stadt und hatte einen 70 Durchmesser von drei oder vier Kilometern. Das große Gebäude genau in der Mitte war in seiner Grandiosität und Überladenheit eines Diktators würdig, ein Traum aus Zinnen, farbigen Kuppeln und seltsam gestalteten Türmen. Yoshitaro beschloss, dass er eines Tages — sollte er die Gelegenheit und genügend Sprengstoff haben - allen Architekten dieses Universums einen großen Gefallen erweisen wollte. »Haben Sie eine Ahnung, wodurch Ihre Tarnung aufgedeckt wurde?«, fragte Protektor Alena Redruth. In dem riesigen Büro hielten sich nur zwei Personen auf- zumindest konnte Yoshitaro nicht mehr sehen. Er ging davon aus, dass Redruth nicht so dumm war, ohne Rückendeckung eine Audienz abzuhalten, und fragte sich, wie viele Scharfschützen hinter den Wänden verborgen sein mochten.
Redruth war etwas kleiner als der Durchschnitt, Anfang vierzig und hatte zurückweichendes Haar. Er machte einen ungefährlichen Eindruck, wenn man von seinen Augen absah, in denen ein seltsamer, starrer Schimmer stand. »Die habe ich in der Tat, Sir«, sagte Njangu. »Einer meiner Agenten, der offensichtlich überwacht wurde, nahm Kontakt mit mir auf, um zu melden, dass die Konföderationstruppen einen neuen Vorstoß planen. Für solche Sendungen hatte ich Relaisstationen eingerichtet, aber es gelang ihnen trotzdem, das Signal bis zu meinem Stützpunkt zurückzuverfolgen. Mir blieb gerade noch genügend Zeit, um die Selbstvernichtung des Gebäudes zu aktivieren und zu fliehen. Ich konnte kaum mehr als die Kleidung mitnehmen, die ich am Körper trug.« Redruth beugte sich vor. »Welche Pläne verfolgen die Cumbrianer, Yohns? Hatte Ihr Agent genügend Zeit, um es Ihnen mitzuteilen?« 71 »Es reichte nur für einen kurzen Bericht«, log Njangu. »Die Navigationskarten, die sie anforderten, bezogen sich auf den alternativen Sprungpunkt vor dem Larix-System, da sie mit ihrem ersten Versuch gescheitert waren. Der Agent sagte nichts dazu, wann der neue Vorstoß gestartet werden sollte.« »Was hat die Streitmacht vor?« »Der Agent sagte, einer der Männer hätte gegenüber seinen Kameraden so etwas wie >Einschleusung einer Abbruchkolonne< erwähnt. Ich vermute, dass es dabei um eine Art Sabotagetrupp geht.« In Redruths Gesicht arbeitete es. »Wir werden bereit sein«, sagte er entschlossen. »Wir werden sie im Weltraum abfangen, wie wir es schon das letzte Mal getan haben. Und diesmal werden wir ihr Schiff oder ihre Schiffe vernichten.« »Gut«, sagte Njangu. »Nach meiner Theorie lässt sich meine Aufdeckung darauf zurückführen, dass es Ihnen beim letzten Mal nicht gelungen ist, den cumbrianischen Stoßtrupp zu eliminieren.« »Für diese Nachlässigkeit wurden meine Verteidigungstruppen bereits bestraft«, sagte Redruth. »Vergessen Sie, was geschehen ist.« »Ja, Sir.« »In den letzten Jahren haben Sie außerordentlich gute Arbeit für mich geleistet«, sagte Redruth. »Sie wurden für Ihre Erfolge belohnt und für Ihre Fehler nicht bestraft. Erwarten Sie nun eine weitere... Belohnung?« Er blickte Yoshitaro starr an, musterte ihn aufmerksam. Njangu hatte den Eindruck, dass er keine Wahl hatte. »Natürlich, Sir. Ich gehe davon aus, dass ich genauso wie in der Vergangenheit entlohnt werde.« »So wird es sein. Ihre erste Belohnung besteht in Ihrer 72 unverzüglichen Beförderung in den Rang eines Präfekten. Ich möchte, dass Sie mir dabei helfen, die Pläne von Cumbre im Hinblick auf Larix und Kura zu bewerten. Und mich innerhalb des nächsten E-Jahres bei Geheimdienstaktionen gegen Cumbre unterstützen, als Vorbereitung für die unausweichliche Invasion.« Njangu nickte. »Wenn ich angreife, werden Sie meinem Stab angehören, und nach dem Sieg werde ich Ihnen eine hohe Stellung in der cumbrianischen Marionettenregierung verschaffen. Dann werden Sie ausreichend Gelegenheit haben, das zu ersetzen, was Sie bei Ihrem überstürzten Aufbruch verloren haben. Und zwar sowohl hinsichtlich der Demütigung als auch des materiellen Verlustes.« Njangu gestattete sich ein boshaftes Lächeln. »Zusätzlich können Sie mir hier und jetzt helfen, da Sie wie ein Cumbrianer denken.« Yoshitaro hörte die Alarmglocken läuten. »Ich will wissen, wo sich meine Schwachstellen befinden. Wie können cumbrianische Spione, Attentäter oder Saboteure Larix infiltrieren? Ich möchte, dass Sie sich die Welten von Larix und später auch von Kura ansehen und mit Ihren unbefangenen Augen nach genau diesen Schwachstellen Ausschau halten. Verhalten Sie sich dabei so unauffällig wie möglich. Wenn Sie etwas finden, werden Sie mir sofort Bericht erstatten. Ich werde die Nachlässigen und Unvorsichtigen bestrafen und die Misstrauischen und Starken belohnen.« »Ja, Sir«, sagte Njangu. »Was ist mit Celidon? Er sagte mir, er sei der Leiter des Geheimdienstes. Ich möchte unbedingt vermeiden, dass es zu Missverständnissen kommt.« »Wenn es welche gibt«, sagte Redruth entschlossen, »werde ich mich um das Problem kümmern. Ich werde 73 Celidon über alles informieren, was er wissen muss. Noch bin ich der Herrscher von Larix und Kura.« Er stand auf. Yoshitaro erkannte, dass die Audienz vorbei war, erhob sich ebenfalls und versuchte unbeholfen zu salutieren, wie es ein Zivilist getan hätte. »In Zukunft«, sagte Redruth, »wird es noch viel größere Belohnungen geben, vor allem, wenn ich mein Imperium erst einmal erweitert haben werde, zuerst um Cumbre und dann um andere Welten, die einst der Konföderation angehörten. Auf Millionen Welten herrscht Anarchie, und es ist die Pflicht von Larix und Kura, sie davon zu befreien. -Viel größere Belohnungen... und für jene, die versagen oder ihre eigenen Ziele verfolgen, noch viel härtere Bestrafungen!« Redruths Majordomus eskortierte Yoshitaro zu einem anderen Ausgang, wo ein weiterer Militärgleiter wartete. »Der Fahrer weiß, wohin er Sie bringen soll«, sagte er und salutierte.
Yoshitaro stieg in den Gleiter. Drinnen wartete Celidon auf ihn. »Und, Präfekt? War Ihre Unterredung mit dem Protektor... interessant?« »Oh ja, das war sie.« »Wenn Sie sich an das erinnern, was ich an Bord des Schiffes zu Ihnen gesagt habe... gibt es dann etwas, das Sie mir mitteilen möchten, zum Beispiel, wie Ihre künftigen Aufgaben aussehen?« Yoshitaro grinste. »Wie viele Räume im Palast des Protektors lassen Sie abhören?« Celidon wirkte leicht überrascht, dann lachte er laut auf. »Gut, Yohns, sehr gut. Sie besitzen hervorragende analytische Fähigkeiten. Ich glaube, dass unser Arbeitsver74 hältnis von erheblichem gegenseitigem Nutzen sein wird, solange keiner von uns zu nachlässig oder zu überheblich wird.« Njangus Wohnung bestand aus den drei oberen Stockwerken eines der monolithischen Gebäude. Er versuchte, die Zimmer zu zählen, und kam auf drei verschiedene Werte, je nachdem, welchen Aufzug er benutzte. Schließlich gab er es auf. Ihm stand ein vierundzwanzigköpfiges Personal zur Verfügung. Er erkundigte sich, ob die Leute eigens für ihn eingestellt worden waren, und erhielt von Kerman, seinem Hauswart, einem ruhigen Mann mit verstohlenen Augen, die Auskunft, dass das Apartment bereits zuvor bewohnt gewesen war, von jemandem... »dessen Namen ich Ihnen nicht nennen kann, Sir. Er war ein Mitglied des cumbrianischen Spionagenetzwerks, das durch unseren großen Protektor enttarnt wurde.« Cumbrianiscbes Spionagenetzwerk? Natürlich erstattete Kerman - und Yoshitaros Vermutung zufolge auch jeder andere in seinem Haushalt - Celidon und Redruth regelmäßig Bericht. Aber das spielte keine Rolle. Er redete nicht im Schlaf, und mit Ausnahme der vier Chips, die er immer noch versteckt mit sich herumtrug, hatte er auch nichts bei sich, das ihn verraten konnte. Er war gerade damit beschäftigt, den Küchen- und Barbereich zu erkunden, als Kerman erneut zu ihm kam. »Präfekt Yohns, ein paar mögliche Kandidaten für Ihre Privatzimmer sind eingetroffen und möchten wissen, ob Sie an einem Bewerbungsgespräch interessiert wären.« »Für meine Privatzimmer?« »Ja, Sir.« »Inwiefern unterscheiden sich diese Personen von Ihnen, 75 den Haushälterinnen, den Köchen, Bäckern und Wäschern, die ich bereits habe?« »Wenn Sie mir bitte folgen würden, Sir.« Es handelte sich um ein halbes Dutzend Frauen, zwei Blondinen, zwei Brünette und zwei Rothaarige. Alle waren überaus attraktiv, schienen intelligent und sehr an ihm interessiert zu sein. Yoshitaro nahm Kerman beiseite. »Ich glaube, ich habe verstanden. Bewerben sich diese Frauen tatsächlich um den Job als meine Partnerin fürs Bett?« »Aber natürlich, Sir. Obwohl wir den Begriff Gefährtin vorziehen. Es gibt auch Männer, die für diese Aufgabe zur Verfügung stehen, falls Sie es möchten.« Yoshitaro sagte, er wäre diese Woche nicht an Jungen interessiert. Dann rief er eine Frau herein, eine Brünette mit glutvollen Augen namens Brythe. »Du möchtest meine... Gefährtin werden?« »Natürlich.« »Warum?« Brythe blinzelte. »Weil ich dazu ausgebildet wurde.« »Womit hat man dich unter Druck gesetzt, Verzeihung, ermutigt, das zu werden, was du geworden bist?« »Druck? Ich habe während meiner Ausbildung hart gearbeitet, um als potenzielle Gefährtin für einen Mann von hoher Stellung ausgewählt zu werden, genauso wie die anderen Frauen.« Sie lächelte. »Ich muss Ihnen sagen, Sir, dass ich besondere Fähigkeiten besitze, die die anderen höchstwahrscheinlich nicht vorweisen können.« »Was passiert, wenn ich mich für dich entscheide?« »Was immer Sie wünschen. Wann immer Sie es sich wünschen.« »Nein, ich meinte, was hast du davon?« »Es wäre mir erlaubt, hier zu wohnen, wenn Sie es wün76 schen. Hier ist es viel schöner als in meiner eigenen Unterkunft, die sehr klein ist. Aber ich könnte auch nur dann kommen, wenn Sie meine Dienste benötigen. Natürlich wird mein Unterhalts- und Kleidergeld erhöht, ich kann in Spezialgeschäften einkaufen, zu denen nur hochrangige Mitglieder der Regierung und ihr direktes Personal Zugang haben, und wenn ich in ein Stadion gehe, habe ich Anspruch auf einen besseren Platz. Meine Eltern würden ebenfalls einen besseren Status erlangen.« »Hm.« Yoshitaro hatte eine Idee. »Brythe, was würde geschehen, wenn ich mehr als nur eine von euch auswähle?« »Du wärst einfach nur ein ganz normaler Mann. Und wenn ich offen sein darf...« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Etwas von dem... Druck, wie du es genannt hast, würde von mir genommen werden.«
Yoshitaro unterdrückte jede Reaktion. In Redruths Regime wurden die Bürger auf vielschichtige Weise programmiert. »Also gut. Dann folge mir.« Er kehrte in den Raum zurück und zeigte auf die zwei Blondinen und eine Rothaarige. »Ihr drei und du, Brythe, könnt bleiben, wenn ihr möchtet. Und den anderen danke ich, dass ich euch kennen lernen durfte.« Die restlichen zwei Frauen wirkten nicht enttäuscht, sondern sprachen aufgeregt davon, wie edel und kultiviert der Präfekt war und dass sie sich vielleicht ein andermal wieder sehen würden. Dann gingen sie. »Gibt es noch weitere Personen, um die mein Gefolge erweitert wird?«, wollte Yoshitaro von Kerman wissen. »Nur Ihre persönlichen Leibwächter, Sir.« »Gut. Ich überlasse es Ihnen, sie auszusuchen. Nehmen 77 Sie große, kräftige Kerle. Ruhige Männer. Sie sollten militärische Erfahrung haben, und es kann nicht schaden, wenn ihnen ein Ohr oder ein Stück vom Skalp fehlt.« »Sir?« Kerman klang schockiert. »Ich möchte, dass jeder sozial Unangepasste, der meint, mir etwas antun zu wollen, sehen kann, dass ich gut bewacht werde«, sagte Yoshitaro. »Typen mit Narben sind eine gute Reklame.« »Ja, Sir. Ich habe verstanden, Sir.« Yoshitaro gähnte demonstrativ. »Ich glaube, ich würde jetzt gerne meine... Privatgemächer erkunden. Ich vermute, die vier Frauen bekommen ihre eigenen Schlafzimmer. « »Richtig, Sir, obwohl ich zuvor noch zwei der Haushälterinnen umquartieren muss. Die Präfekten, denen ich bislang gedient habe, benötigten nur eine, höchstens zwei Gefährtinnen.« »Zeigen Sie ihnen die Zimmer, und dann bitten Sie Brythe und... wie hieß noch gleich die Rothaarige?« »Pyder, Sir.« »Bitten Sie sie, in mein Zimmer zu kommen, wenn sie möchten.« »Wie Sie wünschen, Sir.« Wenn er die Rolle des sexbesessenen Narren spielte, würde er von Celidon und Redruth vielleicht nicht so ernst genommen werden. Njangu hoffte, dass er wirklich ein gerissener Teufel und nicht nur ein sabbernder Lüstling war, der sich Letzteres schönzureden versuchte. Am nächsten Morgen fühlte er sich ungewöhnlich erfrischt und musterte seine beiden Leibwächter, die genauso groß, wortkarg und gemein waren, wie er sie sich gewünscht hatte - und hoffentlich auch genauso dumm. Er fragte sie 78 nach ihrer Ausbildung und erfuhr, dass sie nicht mehr als Schläger waren. Zumindest behaupteten sie das. Einer sagte, dass er jederzeit bereit wäre, Njangu zu helfen, seine Sicherheit zu verbessern. Yoshitaro erwiderte, dass er glaubte, sich bereits darum gekümmert zu haben. »Die meisten Präfekten«, sagte der Mann, »halten es für wichtig, dass sich andere Männer und Frauen - für gewöhnlich aus den Reihen des Militärs - um die kleinen Dinge kümmern, für die wir keine Zeit haben. Und weil sie eine Uniform tragen, geben sie außerdem ein besseres Bild in der Öffentlichkeit ab.« »Was für kleine Dinge?«, fragte Njangu. »Triebwerke auf Bomben untersuchen, Ihnen bei gesellschaftlichen Anlässen den Weg freimachen, generell dafür sorgen, dass den Menschen, denen Sie begegnen, Ihre Bedeutung bewusst wird.« »Ich werde noch etwas warten, bis ich überzeugt bin, das richtige Personal gefunden zu haben«, log Njangu. Für ihn war es schon schwer genug, sich auf dieser fremden Welt als Spion zu betätigen, sodass er sich nicht auch noch mit einem umfangreichen Gefolge abgeben wollte. Er würde mit dem zurechtkommen, was ihm zur Verfügung stand. Nachdem seine persönlichen Bedürfnisse befriedigt waren, wurde es Zeit, sich an die Arbeit zu machen, sowohl für Redruth als auch in seinem eigenen Interesse. »Welchen Job haben Sie?«, fragte Njangu. »Ich bewache diese Tür, Sir.« »Tut mir Leid wegen der dummen Frage, aber die Firmen in diesem Gebäude scheinen eigentlich keine besondere Bewachung nötig zu haben. Hier geht es offenbar nirgendwo um Regierungsangelegenheiten.« »Das ist richtig, Sir. Aber ich soll nach sozial Unange79 passten Ausschau halten, genau verfolgen, wie viele Leute das Gebäude betreten und wieder verlassen, und alles melden, was mir verdächtig vorkommt.« »Mögen Sie Ihren Job?« Der gedrungene Mann blickte sich um und wurde durch Yoshitaros Lächeln beruhigt. »Er ist in Ordnung, Sir.« »Sie scheinen einen leichten Akzent zu haben.« »Ja, Sir. Ich meine, es scheint so, Sir. Ich stamme von Kura. Wenn Sie mir die Offenheit erlauben, Sir, mein Akzent ist nicht schlimmer als Ihrer.«
Yoshitaros Leibwächter runzelten die Stirn, doch dann wurden ihre Mienen wieder ausdruckslos, als sie Njangus Grinsen sahen. »Kura, soso. Ich war noch nie dort, aber ich habe gehört, dass es sehr ländlich sein soll. Farmen und Dschungel.« »Ja, Sir.« »Muss eine völlig neue Erfahrung gewesen sein, einen Planeten wie Larix zu erleben, auf dem es so viele Städte gibt.« »Ja, Sir, das war es.« »Möchten Sie irgendwann zurückgehen?« Der Mann sah ihn entsetzt an. »Nach Kura? Bei den Göttern, nein, Sir! Verzeihung.« »Warum? Ist das Leben dort so hart?« »Nein, Sir. Es ist ganz anders als auf Larix. Kleine Dörfer und kaum größere Städte. Große Familien, jeder kennt jeden, und man versucht sich gegenseitig zu helfen, wenn es Probleme gibt, aber...« »Sprechen Sie«, sagte Yoshitaro. »Wie soll ich sagen...? Auf Kura spukt es.« »Wie bitte?« »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der Mann. »Das wollte 80 ich eigentlich gar nicht sagen, auch wenn es... auch wenn die meisten Leute fest davon überzeugt sind. Ich weiß, dass es im Grunde nicht wahr ist. Die Wombel gibt es schon lange nicht mehr, und wahrscheinlich hat es sie auch nie gegeben.« Yoshitaro hätte am liebsten gefragt, was zum Henker ein Wombel war, aber er beschloss, dass es vermutlich besser wäre, es selbst herauszufinden. »Der Hauptgrund, warum ich nicht zurückgehen möchte, Sir«, fuhr der Mahn fort, »ist der, dass es auf Larix alles gibt. Und wenn man es hier schafft, vor allem hier in Agur, dann weiß man, dass man der Beste ist, Sir.« »Sie sind Blockwart?« »Ja, Sir«, sagte die Frau, die sich offenkundig geschmeichelt fühlte, dass sie von einem hochrangigen Präfekten angesprochen wurde. »Schon seit sechs, nein, sieben Jahren. « »Was ist aus Ihrem Vorgänger geworden?« »Keine Ahnung, Sir. Ich habe gehört, er hätte nicht genug darauf Acht gegeben, was die Leute reden.« »Aber Sie tun es.« »Sicher, Sir. Ich möchte nicht prahlen, Sir, aber ich glaube, es sind Menschen wie ich, die dafür verantwortlich sind, dass sich Protektor Redruth, sein Name möge gesegnet sein, keine Sorgen um seine Sicherheit machen muss. Vor allem, was cumbrianische Infiltrationsversuche betrifft.« »Daran besteht kein Zweifel«, sagte Njangu. »Diese Berichte gelangen also von den Blockwarten zu Ihnen?«, fragte Njangu. »Ja, Sir«, sagte der magere Mann. Er blickte sich in sei81 ner ordentlichen Kabine um. »Beachten Sie bitte, dass es hier drinnen keinen unerledigten Papierkram gibt. Ich lese die Berichte und leite die Auswertung an die nächsthöhere Stelle weiter, gewöhnlich noch am selben Tag. Wenn mein Vorgesetzter mir dann sagt, dass ich mit jemandem reden muss — oder was immer sonst nötig ist -, suche ich die betreffende Person mit den Wachen auf und helfe bei der Mitnahme, falls die Anweisungen entsprechend lauten. Ich sorge dafür, dass jeder im Block erfährt, was geschieht, und gebe dem Blockwart, der mich als Erster über einen Unangepassten informiert hat, eine Belohnung.« »Alle Berichte aus den Bezirken werden zusammengetragen«, sagte der Mann energisch, »dann werden Zusammenfassungen erstellt, die direkt an...« Er brach abrupt ab. »Sie dürfen das Wort ruhig benutzen«, sagte Njangu. »Sie gehen direkt an den Geheimdienst des Protektors, wo man über eventuell notwendige Maßnahmen entscheidet. « »Nehmen wir einmal an, der überwiegende Anteil der Beschwerden bezieht sich auf soziales Missverhalten, wie Sie es nennen. Entschuldigen Sie, aber ich bin noch dabei, mich mit Ihrer Terminologie vertraut zu machen. Was geschieht dann?« »Dann wird der gesamte Bezirk bestraft, indem die Zusatzrationen gestrichen werden oder gar die Berechtigung zum Sommerurlaub in den Freizeitzentren verweigert wird. Manchmal reduzieren wir auch das Privileg, aktiv oder als Zuschauer an Sportveranstaltungen teilnehmen zu dürfen. Dies ist ein besonders wichtiger Bezirk, wie Ihnen sicherlich bewusst ist, denn hier laufen unsere Werften mit voller Produktionskraft. Und daher behalten wir die Entwicklungen in der Bevölkerung sehr genau im Auge.« 82 »Gut«, sagte Yoshitaro. »Und wenn wir nun annehmen, dass aus einem Bezirk weniger Beschwerden als gewohnt kommen?« »Dann werden möglicherweise kleine Verbesserungen implementiert«, sagte der Bürokrat. »Oder es wird eine Glückwunschbotschaft von Protektor Redruth über die Vids ausgestrahlt. Wir besitzen Aufzeichnungen von Ansprachen zu den verschiedensten Anlässen.«
Drecksack, dachte Yoshitaro. Diese Hurensöhne scheinen sich alle gegenseitig zu triezen, und jeder spielt auf seinem Level das tyrannische Arschloch. Es ist wie eine Epidemie, und jeder Einzelne von ihnen hat sich mit diesem Fieber angesteckt. »Mehrere der Personen, mit denen ich mich unterhalten habe, haben cumbrianische Infiltrationsversuche erwähnt«, sagte Njangu zu Celidon. Sie hielten sich in Celidons Apartment auf, das genauso spartanisch eingerichtet war wie die Kabine an Bord seines Schiffes. Celidon lächelte. »Und?« »Meines Wissens haben die Cumbrianer erst vor kurzem damit begonnen, Larix zu infiltrieren«, sagte Yoshitaro. »Woher kommen diese Spione, von denen ich nie zuvor gehört habe?« »Protektor Redruth besitzt die geradezu unheimliche Fähigkeit, Maulwürfe aus fremden Systemen zu wittern«, sagte Celidon. »Seit etwa zwei oder drei Jahren hat er immer neue cumbrianische Spionageringe ausgehoben. Davor hatten wir große Probleme mit Anarchisten von Konföderationswelten, die ihr Gift verbreiten wollten. Zum Glück konnte der Protektor alle enttarnen und auslöschen.« »Ich glaube, ich habe verstanden«, sagte Yoshitaro. »Verräter scheinen immer dann auf den Plan zu treten, 83 wenn Protektor Redruth ein Interesse für ein bestimmtes Gebiet entwickelt. Also ist es nur natürlich, dass die mutmaßlichen Feinde kontraproduktive Aktionen unternehmen, um zu beweisen, dass die Sorgen des Protektors gerechtfertigt sind.« »Und es ist offensichtlich«, sagte Njangu, »dass Sie sich ziemlich sicher sind, dass der Protektor diese Räume nicht abhören lässt.« »Ich betrachte nichts als selbstverständlich«, sagte Celidon. »Als ergebener Diener des Protektors habe ich nichts zu befürchten.« »Ach, du meine Güte«, flüsterte die Blondine. »Schon wieder?« »Möchtest du, dass ich aufhöre, Enide?« »Nein, natürlich nicht. Ich habe nur das Gefühl, dass ich... nicht recht mit dir mithalten kann. Ich bin noch keine zwanzig, und du bist... schon fast dreißig?« »Etwas älter, Schätzchen.« »Du scheinst nie müde zu werden.« »Das liegt an meiner gesunden Lebensweise.« Enide kicherte. »Mein Fuß scheint sich gelockert zu haben. Würdest du ihn bitte wieder festbinden?« Yoshitaro hoffte, dass Enide wirklich so dumm war, wie sie tat, und nicht versuchte, ihm eine unbedachte, verräterische Äußerung zu entlocken. Er konnte damit umgehen, wenn seine eigenen Agenten dumm waren, aber es wurde problematisch, wenn die Leute, die gegen ihn arbeiteten, dumm waren. Er wollte auf jeden Fall vermeiden, dass ihm nur wegen eines Missverständnisses die Fingernägel gezogen wurden. »Soll ich wieder den Gürtel benutzen?« »Ja, bitte.« 84 »Natürlich liebe ich Sport«, log Njangu einen seiner Schläger an, dem er insgeheim den Namen Raufbold Alpha verpasst hatte. »Welche Sportarten treiben Sie hier auf Larix?« »Jetzt, wo es Herbst ist«, sagte der große Mann, »spielen wir Offensive. Das ist ein ziemlich altes Kriegsspiel mit stumpfen Speeren und Pfeil und Bogen und Fechten und solchen Sachen.« »Ich mag Offensive sehr«, sagte Raufbold Beta. »Als ich noch ein junger Bursche war, war ich beim Faustkampf richtig gut.« »Wenn du kämpfen willst, geh zur Armee«, sagte der erste Leibwächter. »Das ist nicht meine Sportart. Auf Kura ist das Spiel noch viel beliebter. Da rennen die Idioten nur noch um die Hügel und jagen sich mit Knüppeln. Nach Offensive kommt auf jeden Fall Polball.« Das war ein Mannschaftsspiel, das in den Stadien mit langen Schleudern und einem Ball mit variablem Schwerkraftzentrum gespielt wurde. »Nicht schlecht«, sagte Raufbold Beta. »Vor allem im Winter. Aber im Frühling kommt Hetzjagd. Das gefällt mir.« »Es ist ziemlich gut«, räumte der erste Leibwächter ein. »Ein Spieler rennt los, und alle anderen verfolgen ihn. Wenn sie ihn fangen... ist er verdammt übel dran.« Bei Hetzjagd traten zunächst die Bezirke gegeneinander an, dann die Städte, bis schließlich ein Sieger überlebte. »Das Beste von allen ist Mobball, wenn's Sommer wird«, sagte Alpha, worauf Beta eifrig nickte. »Darin war ich ziemlich gut. Ich wäre fast ein Profi geworden. Wenn die Endspiele stattfinden, steht sonst alles still.« Es dauerte mehrere Stunden, bis sie Njangu die Regeln beziehungsweise das Nichtvorhandensein von Regeln er85 klärt hatten. Das Spiel wurde im Freien mit einem Ball gespielt. Auf Bezirksebene trafen sich die Spieler in einem Park, wo sie zwei Tore aufstellten. Die Anzahl der Personen in jeder Mannschaft konnte abgesprochen werden, aber meistens richtete sie sich danach, wie viele Spieler sich zusammenfanden. Das Ziel bestand darin, einen Ball hinter die Ziellinie zu bringen und zwar mit allen denkbaren Mitteln außer Messern oder Atomwaffen,
wie Njangu erfuhr. Auf der etwas organisierteren Ebene traten Profimannschaften aus Städten, Provinzen und schließlich von ganzen Welten gegeneinander an. Es kam immer wieder zu Aufständen, wenn beliebte Teams verloren oder Schiedsrichter »schlechte« Entscheidungen trafen, und manchmal musste die Armee anrücken, um für Ruhe zu sorgen. Njangu machte sich eine weitere mentale Notiz: Wenn die Menschen in der Politik nichts zu sagen haben und sie mit dem Stiefel im Nacken zu Boden gedrückt werden, dürfen sie sich beim Sport abreagieren. Am besten sind gewalttätige Sportarten, weil sie gleichzeitig ein gutes Erprobungsfeld für potenzielle Soldaten abgeben. Allmählich fing er an, Redruths Geschick zu bewundern. Oder das seiner ihm unbekannten Vorgänger. Njangu versuchte mehr über die Geschichte des Systems herauszufinden. Doch zu diesem Thema gab es kaum Informationen, außer dass die ursprünglichen Siedler der zwei Systeme vor irgendetwas oder irgendjemandem geflohen waren, als sie vor ein paar hundert Jahren eingetroffen waren. Wie sie Larix so schnell aufgebaut hatten, war nicht dokumentiert. Und über die vier oder fünf -darin waren sich die Quellen nicht ganz einig Männer oder Frauen, die vor Redruth geherrscht hatten, waren genauso wenig Daten verfügbar. In einer Datei der Planetaren Enzyklopädie fand er etwas: 86 Wombel: Bezeichnung der ursprünglichen Bewohner des Kura-Systems, die Menschen gegenüber instinktiv feindselig eingestellt waren und gegen die notwendige Besiedlung ihres ungenutzten Landes opponierten. Über sie ist nur wenig bekannt, da sie durch die kluge Führung des Ersten Protektors ausgelöscht wurden. Die Beschreibungen der Wombel weichen so stark voneinander ab, dass eine nähere akademische Beschäftigung mit ihnen kaum sinnvoll erscheint. Ihnen werden zahlreiche mysteriöse Eigenschaften zugeschrieben: Unsichtbarkeit, die Fähigkeit, die Anwesenheit von Menschen und sogar deren Absichten zu spüren, und die Neigung, auf äußerst grausame und schreckliche Weise Vergeltung zu üben. Volkskundlern auf Kura sind Geschichten bekannt, nach denen die Wombel nicht vollständig ausgestorben sind, sondern sich in abgelegene Regionen zurückgezogen haben, die ihnen heilig sind und die sie gnadenlos gegen menschliche Eindringlinge verteidigen. Derartiger Unsinn sollte jedoch nicht zitiert werden, und jeder gewissenhafte Bürger, der solche Geschichten hört, sollte Personen, die diese Unwahrheiten verbreiten, unverzüglich den Behörden melden. »Na, bist du nicht selbst ein kleines Tratschmaul?«, murmelte Njangu und stellte noch ein paar Nachforschungen zu anderen Themen an, jedoch ohne allzu viel Erfolg. Am nächsten Tag erhielt er einen Anruf von Celidons Adjutanten, der ihm mitteilte, Celidon würde ihm anraten, »andere Forschungsgebiete zu wählen, die ergiebiger sind«. Also war Geschichte tabu, selbst für einen Präfekten. Das Sirenengeheul weckte Njangu aus einem angenehmen Traum über einen Besuch im Tresorraum seiner Bank. Er war sofort bei vollem Bewusstsein, hatte sich aber schon 87 vor Jahren angewöhnt, trotzdem den Anschein zu erwecken, dass er nur mühsam wach wurde. Karig, die vierte seiner Gefährtinnen, war bereits auf den Beinen und zog sich gerade ein Kleid an. »Komm, schnell! Wir müssen den Bunker aufsuchen!« »Weswegen?« »Vielleicht ist es nur eine Übung, aber es könnte sein, dass die Cumbrianer angreifen! Na, komm schon! Die Blockwarte notieren sich ganz genau, wie solche Evakuierungen ablaufen.« Njangu schlüpfte in eine Hose, ein Hemd und seine Badelatschen. Ein Angriff der Cumbrianer? Schön wär's! Tatsächlich stand ein diensteifriger Mann im Erdgeschoss des Gebäudes und hakte Namen auf einer Liste ab. Yoshitaro setzte sich im Kreis seiner Gefährtinnen, Leibwächter und Haushaltsangestellten in eine Ecke. Gerade als die Leute anfingen, sich allmählich zu entspannen, war das schwache Dröhnen von startenden Raketen zu hören, kurz darauf gefolgt von einer Explosion. Pyder wimmerte: »Sie sind wirklich gekommen!« Nach einer zweiten Explosion herrschte drei Stunden lang Stille. Schließlich gaben die Sirenen Entwarnung, und sie durften den Bunker wieder verlassen. Njangu, der überhaupt nicht müde war, trat auf seinen Dachgarten und sah überall Suchscheinwerfer, die die Nacht durchkämmten. Er fragte sich, was wirklich geschehen war, und hoffte, dass die Aktion von der Legion geplant war. Er überlegte, ob er eine andere Gefährtin wecken sollte, entschied dann jedoch, dass es wichtiger war, Papierkram zu erledigen. Eine Stunde später kam Kerman in sein Büro. »Sir, der Protektor bittet um Ihr sofortiges Erscheinen.« 88 Das ist nicht gut. Yoshitaro zog sich an. Er hätte es vorgezogen, eine Waffe mitzunehmen, aber er erinnerte sich lebhaft an Celidons Warnung. Als er im Palast eintraf, war noch nicht einmal eine Stunde vergangen. Redruth und Celidon erwarteten ihn bereits. Celidon zeigte seinen gewohnten, kühl distanzierten Gesichtsausdruck, während Redruths Lippen fest zusammengepresst waren. »Ich bin mit Ihnen unzufrieden, Yohns«, sagte der Protektor ohne weitere Vorrede.
»Das tut mir Leid, Sir«, sagte Njangu. »Dürfte ich den Grund erfahren?« »Sie haben mir gesagt, dass auf Cumbre ein Vorstoß gegen uns vorbereitet würde.« »Dadurch wurde der Alarm ausgelöst?« »Ja«, bestätigte Redruth. »Aber Sie sagten, es würde nur einen einzigen Angriff geben.« »Es waren mindestens zwei Schiffe«, sagte Celidon. »Eins kam an der Stelle, auf die Sie uns hingewiesen haben und die wir seitdem beobachten, aus dem N-Raum, aber das zweite benutzte den gleichen Navigationspunkt wie beim ersten Angriff. Wir sind dankbar, dass der Protektor in seiner Weisheit angeordnet hat, alle Standardnavigationspunkte im System überwachen zu lassen.« Njangu wahrte eine ausdruckslose Miene. Ihre Sensoren waren besser, als die Streitmacht vermutet hatte, und sie waren viel paranoider als gedacht. »Was ist passiert?«, fragte er. »Ich habe gehört, wie Raketen gestartet sind.« »Pah!«, sagte Celidon. »Eine reine Panikreaktion. Der Leiter der Verteidigung der Hauptstadt hat durchgedreht und auf Phantome geschossen. Er wurde bereits für seine Dummheit diszipliniert. In Wirklichkeit wurde der erste 89 Angreifer - der einzige, vor dem Sie uns gewarnt haben -weit draußen im Weltraum zerstört.« Genau das, was wir uns erhofft haben, als wir diese Aktion auf Cumbre geplant haben, dachte Njangu. Außerdem bemerkte er die Betonung auf »einzige«. »Das zweite Schiff konnte sich uns eine Zeit lang entziehen«, warf Redruth ein, »und hat sich Larix Primus genähert, ähnlich wie das letzte Schiff der Cumbrianer. Ich wusste nicht, ob das erste Schiff nur ein Lockvogel sein sollte und sich das Sabotageteam, vor dem Sie uns gewarnt haben, im zweiten Schiff befand, aber genau das ist meine Vermutung. Wir haben angegriffen, den Kontakt verloren und ihn wiederhergestellt, kurz bevor das Schiff in den Hyperraum ging. Wir waren nicht in der Lage, dem Angreifer einen Tracker anzuhängen, aber wir gehen davon aus, dass das Schiff nach Cumbre zurückgekehrt ist.« Njangu entspannte sich ein wenig. »Das ist schon das zweite Mal, dass die Cumbrianer mich belästigt haben«, sagte Redruth. » Sie können sich darauf gefasst machen, dass es beim nächsten Mal eine Reaktion geben wird, die ihnen ganz und gar nicht gefällt. Ich muss gar nicht Ihr Fachwissen über das System bemühen, um mir dieser Tatsache gewiss zu sein. Doch nun zu dem Grund, aus dem ich Sie gerufen habe: Ich möchte, dass Ihnen bewusst ist, dass ich keine Fehler meiner Mitarbeiter dulde. Sie haben uns vor einem Angriff, aber nicht vor dem zweiten gewarnt. Eine nur teilweise erfüllte Aufgabe ist genauso wie eine, die gar nicht erledigt wurde. Denken Sie in Zukunft daran, Yohns. Im Augenblick bin ich sehr unzufrieden mit Ihnen. Also betrachten Sie dies als Lektion und lernen Sie, sich auf Ihre Aufgabe zu konzentrieren, statt Ihren privaten Vergnügungen nachzugehen, und machen Sie einen solchen Fehler kein zweites Mal.« 90 Njangu verbeugte sich, machte kehrt und ging. Er war höchst zufrieden. Wenn etwas schief geht, ganz gleich, wessen Fehler es ist oder ob überhaupt jemand dafür verantwortlich ist, muss es einen Sündenbock geben, und das kann niemals der Protektor sein. Gut. Das hält seine Untergebenen nicht nur davon ab, ihr Versagen zu melden, sondern ganz generell auf Probleme aufmerksam zu machen. Und die Zeit, die ich mit meinen Gefährtinnen verbracht habe, war keineswegs vergeudet. Redruth glaubt nun, dass ich ein sexsüchtiger Trottel bin, und es ist nie verkehrt, wenn man vom Feind für dumm gehalten wird. Aber der Hauptgrund für seine Freude war der offensichtliche Erfolg der Infiltration. Beim ersten Schiff, das weit entfernt von Larix Primus im System eingetroffen war, hatte es sich um eine unbemannte Einheit gehandelt, die aufgespürt und vernichtet werden sollte. Die einzige Funktion dieser Drohne war die Deckung des zweiten Schiffes gewesen, das eigentlich gar nicht hätte bemerkt werden sollen. Es war entdeckt worden, was nicht gut war, aber wie es schien, hatten die Larixaner es genau im kritischen Moment aus den Augen verloren. Dieses Schiff hatte einen Relaissatelliten an Bord gehabt, der sich nun hoffentlich wie geplant auf einem der Monde von Larix Fünf befand. Jetzt musste er nur noch eine Methode finden, wie er mit dem Satelliten Kontakt aufnehmen konnte, sofern die Absetzung erfolgreich gewesen war. Njangu hatte gehofft, dass Ab Yohns berechtigt war, einen Sender-Empfänger zu besitzen, der sich für seine Zwecke modifizieren ließ. Der nächste wahrscheinliche Schritt wäre für ihn, sich 91 einfach einen netten, leistungsfähigen Kom zu kaufen, einen der Chips einzusetzen, die er mitgebracht hatte, so dass das Gerät auf einer ganz anderen Frequenz sendete, seine Botschaft zu kodieren, mehrere Rekorder zu benutzen, um die Sendung zu raffen, und sie schließlich abzuschicken. Dabei würde er die ganze Zeit nach Lokalisatoren Ausschau halten. Allerdings war Njangu mittlerweile klar geworden, dass er genau überwacht wurde und der Kauf eines entsprechenden Geräts mit gerunzelter Stirn registriert werden würde. Und daher hatte er sich vorgenommen, die Fähigkeiten seines früheren Zivilistenlebens zu reaktivieren und einen solchen Sender zu stehlen.
Protektor Redruth hatte die Dinge jedoch fest im Griff. Es gab keine Sender-Empfänger, die sich im Besitz von Zivilisten befanden. Sämtliche Korns wurden von den Sicherheitsdiensten kontrolliert, ihre Gehäuse waren versiegelt, und sie waren fest auf die staatlichen Frequenzen eingestellt. Yoshitaro hatte den Verdacht, wenn er ein solches Gerät erwerben konnte und versuchte, es zu öffnen, würde er entweder feststellen, dass er nicht die nötigen Fähigkeiten besaß, um die Modifikationen vorzunehmen, oder das Gerät würde sich in seinen Händen selbst vernichten, während es vermutlich auf irgendeiner Frequenz hinausschrie, dass ein sozial Unangepasster sich an ihm zu schaffen gemacht hatte. Selbst die Sender in Fluggefährten waren versiegelt und auf die benötigten Frequenzen eingestellt. Und Geschäfte, die elektronische Bauteile verkauften, schienen nicht zu existieren. Allerdings hätte Njangu sowieso nicht die leiseste Ahnung gehabt, was er kaufen und wie er es zusammensetzen musste. Er dachte an die allgegenwärtigen Vids und fragte sich, 92 ob sie vielleicht mehr als nur Kästen waren, mit denen sich Sport, Nachrichten oder Regierungsansprachen verfolgen ließen. Es wäre sehr einfach, jedes Gerät mit einer kleinen Beobachtungskamera auszustatten, um Redruths Herrschaft über Larix zusätzlich zu festigen. Eines Nachts tat Yoshitaro, als würde er sich betrinken, offenkundig, weil Redruths Tadel ihn zutiefst deprimiert hatte. Er saß als traurige und einsame Gestalt mit einer Flasche in der Hand da und sah sich irgendeine Sportsendung an. Der Empfang war anscheinend sehr schlecht, weil er immer wieder gegen das Gerät schlug, jedoch ohne damit die Qualität zu verbessern. Nachdem schließlich der Inhalt von anderthalb Flaschen verschwunden war - aber nicht in seiner Kehle, sondern unauffällig in anderen Behältnissen - konnte Yoshitaro es nicht mehr ertragen. Er stand wankend auf, nahm das Gerät, hob es an und ließ es krachend zu Boden stürzen, wo es in einem Funkenregen explodierte. Damit würde er sich den Ruf der Übellaunigkeit erwerben. Er ging davon aus, dass sich noch mehr künstliche Augen im Raum befanden, die weiterhin alles aufzeichneten. Und nachdem er die Trümmer ein paar Minuten lang untersucht hatte, stellte er fest, dass sein mutmaßlicher Ruf wohlbegründet war. Das Gerät enthielt tatsächlich eine primitive Linse und einen Sender. Yoshitaro hatte gehofft, er könnte den Hauptchip durch einen von denen ersetzen, die er dabei hatte, worauf er die Energieversorgung flicken und das Ganze als Sender benutzen würde, um den Satelliten und schließlich Cumbre zu erreichen. Die Beobachtungskamera war ein aus einem Stück gegossener Block, genauso wie die übrigen Eingeweide des Fernsehers. Sicherlich hätte ein erfahrener Techniker eine 93 6304 Möglichkeit gefunden, sie zu modifizieren, aber Njangu Yoshitaro war ein Schläger und kein Elektronikingenieur. Er versetzte den Einzelteilen des Geräts wütende Fußtritte, weckte Pyder auf, sagte ihr, dass sie bestimmte Gerätschaften besorgen und mit ihm in Brythes Zimmer kommen sollte. Am nächsten Morgen war der Fernseher ersetzt worden, und niemand ließ eine Bemerkung über Yoshitaros Wutanfall fallen. Trotzdem hatte er immer noch keine Möglichkeit, mit dem Satelliten zu kommunizieren. Was bedeutete, dass all seine clevere Planung bislang völlig sinnlos gewesen war. Und im Hinterkopf fragte er sich ständig, welche Form Redruths Vergeltung gegen Cumbre annehmen würde und wie er eine Warnung nach Hause schicken konnte. 7 Cumbre / D-Cumbre »Immer noch nichts von Yoshitaro, Jon?«, fragte Garvin, wobei er sich bemühte, nicht allzu besorgt zu klingen. »Nicht der leiseste Furz«, sagte Hedley. »Schon ein ganzer E-Monat und immer noch null und nichts.« »Wahrscheinlich hat er Probleme, ein Münztelefon zu finden, das cumbrianisches Geld annimmt.« »Wahrscheinlich«, sagte Hedley. »Und? Gibt es noch einen anderen Grund, warum du mich behelligst, außer dich zu überzeugen, wie gut ich dir vorspielen kann, dass ich mir keine Sorgen mache?« 94 »Den gibt es tatsächlich«, sagte Garvin. »Ich habe mich gefragt, warum wir Larix und Kura nicht noch mehr auf die Nerven gehen, als wir es derzeit tun. Larix ist nach unserem letzten Debakel vermutlich immer noch in Alarmbereitschaft. Also könnten wir ein kleines, nettes Team nach Kura schicken und unsere verschlafenen ländlichen Freunde ein wenig aufrütteln.« »Natürlich mit dir in vorderster Front.« »Warum nicht?«, fragte Garvin. »Ich übergebe Sektion zwei an Penwyth, der in letzter Zeit nicht mehr getan hat, als dafür zu sorgen, dass Angara eine angemessene Zahl von Zinsern empfängt, und dann ziehe ich mit Njangus Raufbolden los.« »Gut«, sagte Hedley. »Ich höre. Die Absetzung sollte kein allzu großes Problem darstellen, und ich hätte nichts dagegen, ein wenig am Schwanz des Tigers zu ziehen. Wie soll die Abholung ablaufen?« »Wenn wir uns nur am Boden mit ihnen raufen«, sagte Jaansma zuversichtlich, »dürften sie nicht in den Weltraum schauen. Setzt einen Relaissatelliten ab, wie wir es vor kurzem für Njangu getan haben, und wenn ich
rufe, kommt ihr mit drei oder vier Velv und ein paar von den neuen Zerstörern angebraust. Dann verschwinden wir, ohne dass wir Opfer zu beklagen haben - im Gegensatz zu den Kobolden.« Hedley kaute auf seiner Unterlippe herum. »Könnte klappen. Aber ich werde mit dem Alten darüber reden.« »Es ist zu gefährlich«, sagte Hedley. »Angara hält die Sache für viel zu riskant, solange wir keine genaueren Daten über Kura haben. Tut mir Leid.« »Verdammte Scheiße, Boss! Wir können Redruth nur ärgern, wenn wir ihm immer wieder schmerzhafte Stiche 95 versetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass ihm ständig der Wind ins Gesicht weht.« »Was heißt hier Wind«, sagte Hedley. »Versuch es mal mit einem richtigen Sturm. Gelobt sei der Buddha ohne Bauchnabel, dass die alten Zeiten vorbei sind, als du zu uns an Bord gekommen bist und noch irgendwer amtliche Verfügungen herausgegeben hat, in denen wir >Sturmtruppen< geheißen haben oder unter irgendeinem anderen genauso durchgeknallten blödsinnigen Namen geführt wurden. Weißt du noch, dass wir mal >Schnelle Lanze< oder so hießen?« »Du wechselst das Thema, weil du mich aufzumuntern versuchst«, beklagte sich Garvin. »Richtig.« »Was soll ich also tun? Weiter abwarten, bis Njangu sich endlich meldet?« »Genau das.« Drei Tage später kam Protektor Redruths Reaktion auf die zwei Nadelstiche. Ein Patrouillenschiff in der Nähe von D-Cumbre meldete drei fremde Schiffe, einen Zerstörer unbekannten Typs und zwei Patrouillenschiffe der Nana-Klasse, die von den Wachposten auf den äußeren Planeten nicht registriert worden waren. Der Bericht war kaum eingegangen, und die Alarmsirenen heulten noch, da berichtete das Patrouillenschiff, dass das größere Schiff eine Rakete abgefeuert hatte. Alle drei Eindringlinge flüchteten und benutzten den nächstgelegenen Navigationspunkt, um in den N-Raum zurückzuspringen. Die Rakete zielte auf D-Cumbre, und die Projektion des Kurses deutete stark darauf hin, dass sie auf Dharma einschlagen würde. 96 Vom Patrouillenschiff wurden Abwehrraketen gestartet, denen die feindliche Rakete auswich. Eine zweite Abwehrsalve ging ebenfalls daneben. Die Flugbahn der Rakete wurde gründlicher analysiert, dann stand fest, dass Leggett City, die Hauptstadt von DCumbre, das Ziel war. Drei Aksai, von denen zwei mit Musth bemannt waren, rasten in den Weltraum. Knapp außerhalb der Atmosphäre waren sie in Reichweite des Flugkörpers und starteten ihre Abwehrraketen. Zwei trafen ins Ziel. Das nukleare Feuer am Himmel von D-Cumbre tauchte den Planeten in eine vorzeitige Morgendämmerung. »Eine Änderung in den Plänen«, sagte Hedley. »Angara hat deinen Vorstoß nach Kura genehmigt. Aufgrund der Ereignisse von heute früh ist die Regierung völlig hysterisch. Niemand will im Dunkeln leuchten, und Atomwaffen sind sowieso nur etwas für Barbaren.« »Ja, Sir. Vielen Dank, Sir.« »Wofür? Dass du Gelegenheit erhältst, dich abknallen zu lassen?« Doch diese Worte murmelte Hedley nur leise vor sich hin. »Geh und stell deine verdammten Freiwilligen zusammen.« »Ich werde dabei sein«, sagte Monique Lir. »Außerdem Nectan, Irthing, Heckmyer, Jil Mahim als Ärztin, Montagna als Scharfschütze, al Sharif und noch ein paar Leute mit elektronischen Kenntnissen.« »Hauptsächlich Unteroffiziere«, sagte Jaansma. »Du glaubst doch wohl nicht, dass wir den Dreckfurzern aus den unteren Rängen den ganzen Spaß überlassen werden!« 97 »Dürfte ich fragen, was ihr beiden wollt?«, fragte Garvin und rieb sich die Augen. »Es ist spät, ich bin müde und ich bin nur halb fertig mit... mit dem, was ich gerade gemacht habe, und ich habe keine Zeit, die ich mit Spielchen vergeuden könnte.« Ben Dill ließ sich auf den Stuhl vor Garvins Schreibtisch sinken, während Dr. Danfin Froude stehen blieb. »Wir haben gehört, dass du losziehen willst, um dich in Schwierigkeiten zu bringen«, sagte Dill. »Und dass Sie ein paar Freiwillige brauchen könnten«, fügte Froude hinzu. »Gibt es in dieser beschissenen Legion denn gar keine Sicherheitskräfte mehr?« »Keine, die gegen Ben Dill ankommen.« »Meine Antwort ist ein schnelles, unqualifiziertes >Verpisst euch<. Ich habe genug Helden.« »Keine Chance«, sagte Dill gelassen. »Du bist Pilot«, sagte Garvin. »Wir werden zu Fuß unterwegs sein. Du jammerst sowieso nur rum, wenn du deine Pfunde mit dem Primärantrieb von der Stelle bewegen musst.« »Es ist allgemein bekannt, dass ich schon durch ein oder zwei Dschungel spaziert bin«, sagte Dill. »Wobei ich sogar ein paar Aufklärertypen mit mir rumgeschleppt habe, die schlapp gemacht haben.« »Und ich habe auch nicht gerade schlapp gemacht, als wir auf diesem Musth-Planeten gestrandet waren«, fügte Froude hinzu. »Außerdem brauchen Sie jemanden, der Analysen erstellen kann, wenn Sie auf Kura unterwegs
sind.« »Hört auf zu nerven!«, sagte Garvin. »Sie könnte ich vielleicht gebrauchen, Doktor. Aber du hast mich noch nicht überzeugt, Ben. Willst du nicht lieber hier bleiben 98 und dich feiern lassen? Denk an all die Orden und den Ruhm und die schönen, sauberen Uniformen. Ganz zu schweigen von deinem Fanclub. Dschungelschlampen sind nun wirklich nichts für strahlende Helden wie dich.« »Es gibt nicht allzu viele Orden zu holen, wenn nichts los ist«, sagte Dill, »und schon gar nicht, wenn jemand anderer den ganzen Ruhm einheimst, weil er Redruth einen kräftigen Tritt in den Arsch verpasst. Sieh es mal so, Garvin. Ich bin größer als du, ich bin schneller als du, ich war mal dein Vorgesetzter, und ich werde dir den verdammten Arm brechen, wenn du deine Meinung nicht änderst. Was zur Folge hätte, dass dann niemand mehr im Dschungel spielen kann.« Garvin gab sich mit einem wortlosen Knurren geschlagen. »Dann geh los und weck Lir, damit du die Ausrüstung anlegen kannst, die sie dir geben wird.« »Wie lange wirst du fort sein?«, fragte Jasith. »Keine Ahnung«, sagte Garvin. »Einen Monat. Vielleicht auch länger.« »War die ganze Aktion deine Idee?« Garvin rutschte unruhig auf der weichen Couch hin und her und ließ den Blick über die Oberstadt und dann weiter über den Golf nach Camp Mahan schweifen. »Äh... ja.« »Du scheinst verzweifelt nach einer Gelegenheit zu suchen, dich abknallen zu lassen.« »Ich glaube nicht«, sagte Garvin ehrlich, »dass irgendwer gemein genug ist, um mich zu töten.« Jasith stand auf, ging zum Schrank und wollte sich einen neuen Drink eingießen. Doch dann überlegte sie es sich anders. »Ich weiß, wie du bist«, sagte sie nachdenklich. »Und ich weiß wahrscheinlich auch, wie du immer sein wirst. 99 Also hat es überhaupt keinen Zweck, wenn ich etwas dazu sage. Aber ich werde es trotzdem tun, du elender Dreckskerl. Du nimmst dir einen Tag und eine Nacht frei, bevor du aufbrichst. Ich werde dafür sorgen, dass du nur deine Lieblingsgerichte isst, damit du dich an etwas Nettes erinnerst, wenn du da draußen auf irgendeinem schrecklichen Planeten herumkriechst und Fledermausscheiße essen musst. Und ich werde dafür sorgen, dass ich nicht mehr gerade laufen kann, wenn du losfliegst, damit auch ich später etwas habe, woran ich mich erinnern kann.« Das erste Schiff, das von Camp Mahan startete, war ein vor kurzem in Dienst gestellter leichter Zerstörer mit Garvins Team an Bord. Zwei Velvs folgten, an denen die Aksai wie Putzerfische hingen. Über D-Cumbre verschwanden sie im Hyperraum und würden nach insgesamt sechs Sprüngen das so gut wie unbekannte Kura-System erreichen. 8 Larix / Larix Primus Njangu Yoshitaro machte weiter und schaute sich ausgiebig auf Larix um. Er deckte Probleme und Bereiche auf, wo das System verletzlich war. Wenn sie geringfügig waren, gab er die Information wie angeordnet an Redruth weiter, und wenn sie möglicherweise größere Bedeutung hatten, wollte er sie erst erwähnen, nachdem er eine zuverlässige interstellare Kommunikationsmöglichkeit gefunden hatte. Er gewöhnte sich an, in der gleichen regierungseigenen 100 Sporthalle wie Celidon zu trainieren. Wenn sie gegeneinander antraten, was gelegentlich geschah, achtete Njangu darauf, sich langsamer und ungeschickter als sein Sparringspartner zu bewegen. Manchmal verabredeten sie sich zum Essen in einem der Restaurants, die von Regierungskreisen bevorzugt wurden. Celidon war alles andere als ein Gourmet und bestellte sich meistens halb gares Fleisch und rohes Gemüse. Njangu musste feststellen, dass dies kein Zeichen für Asketentum war, denn die Gerichte der larixanischen Küche wurden entweder nur leicht gekocht oder in einer extrem scharfen Soße ertränkt. Ihre Gespräche bestanden im Wesentlichen aus taktischem Geplänkel, was Njangu durchaus Spaß machte. Keiner der beiden war bereit, konkret über seine Vorstellungen, sein bisheriges Leben oder seine Ambitionen zu reden. Yoshitaro erfuhr jedoch mindestens eine interessante Sache: Redruth hatte es genauso gemacht, wie Danfin Froude vermutet hatte. Als es zu den ersten »Schwierigkeiten« in der Konföderation gekommen war, hatte Redruth sofort reagiert, um zu verhindern, dass sein Herrschaftsbereich mit der »Seuche der Anarchie« infiziert wurde. Als sich die Lage innerhalb des Imperiums verschlimmert hatte, war fast jeder interstellare Verkehr mit der Konföderation unterbunden worden. Die wenigen Schiffe, die das System verlassen durften, meldeten bei ihrer Rückkehr, dass sich immer mehr Planetensysteme aus der Konföderation lösten und das Chaos nutzten, um benachbarte Welten zu erobern. »Der Protektor hatte den Eindruck«, erklärte Celidon, »dass sich der Bürgerkrieg - falls es in einem Bürgerkrieg 101 ein Dutzend verschiedene Parteien geben kann — immer weiter ausbreitete. Als schließlich Centrum um Hilfe schrie, verweigerte Redruth seine Unterstützung und sagte, dass der Krieg auch auf seinen Welten tobte und er keine Truppen entbehren konnte. In seiner Weisheit erkannte er, dass er nichts gewinnen würde, wenn er seine
besten Soldaten in fernen Systemen verlor oder - was viel schlimmer wäre - wenn sie heimkehrten und die Saat der Ideen einschleppten, die schon die Stabilität der Konföderation zerstört hatten. Später schickte Redruth von Störungen überlagerte Funksprüche ab, die den Eindruck erwecken sollten, dass sich die Situation weiter verschlimmert hatte.« »Könnte es in einer davon geheißen haben, dass der Kontakt zu Cumbre abgebrochen ist?« »Etwas in der Art«, sagte Celidon und spülte seinen letzten Bissen Fleisch mit Eiswasser hinunter. »Schiffe, die aus der Konföderation oder von Ihren... Entschuldigung... den Welten kamen, auf denen Sie im Einsatz waren, wurden abgefangen.« Njangu erinnerte sich, dass die Malvern, mit der er und Garvin als frisch gebackene Rekruten in diesen Raumsektor gekommen waren, von Celidons Truppen gekapert worden war. »Aber das haben Sie doch längst gewusst«, sagte Celidon. »Waren Sie nicht der kluge Kopf, der den hohen Beamten auf Centrum dazu angestiftet hat, uns Bescheid zu geben, sobald irgendwelche interessanten Materiallieferungen in unserer Nähe erwartet wurden?« Njangu überspielte seine Überraschung und lächelte unverbindlich. »Ich vermute«, fuhr Celidon fort, »dass die Konföderation schließlich davon ausging, dass es auf Larix, Kura und 102 Cumbre genauso schlimm wie überall aussah. Also stellten sie die Kommunikation ein und hörten auf, Schiffe zu schicken. Natürlich ist das alles nicht nur ein harmloses Spielchen des Protektors. In fünf oder sechs Jahren, wenn sich die Lage weiter verschlimmert hat, will Redruth sich an die Konföderationswelten in der Nähe heranmachen. Zuvor will er Cumbre übernehmen, damit er sich keine Sorgen um seine Rückendeckung machen muss. Außerdem ist das System eine ergiebige Quelle für Menschen und Mineralien. Insofern ist es gut, dass Sie sich im richtigen Moment von Cumbre abgesetzt haben, Yohns. Aber in diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen. Wenn wir in ein oder zwei Jahren gegen Cumbre vorrücken, werden Sie selbstverständlich darauf drängen, den Protektor zu begleiten. Nach der Eroberung wird er Sie belohnen und Sie vielleicht zum Chef seiner dortigen Regierung machen. Das ist völlig in Ordnung, wenn Ihr Ehrgeiz nicht überhand nimmt. Falls mir dieser Posten angeboten werden sollte, werde ich mir einen überzeugenden Grund ausdenken, warum ich ihn nicht annehmen kann. Das größte Stück vom Kuchen wird das sein, was der Protektor sich aus der Konföderation einverleiben kann. Vielleicht ist es nur wenig... vielleicht eine ganze Menge. Vielleicht gehört sogar Centrum dazu. Wenn wir Centrum einnehmen und besetzen - wie viele Systeme werden sich dann freiwillig unserem Schutz unterstellen wollen?« Celidon lächelte. »Dort liegt die Quelle der wahren Macht... einer Macht, deren Ausmaß unsere Vorstellung weit übersteigt. Und es kann keinen Zweifel daran geben, dass der Protektor mit seinem Plan erfolgreich sein wird. Schließlich entstammt er einer äußerst langlebigen Linie.« 103 Njangus Landhaus lag am Ufer eines künstlich angelegten Sees, der etwa zwei Flugstunden von Agur entfernt war. Es war ein beachtliches Anwesen mit gepflegten Gärten, Teichen und Ställen. Hier gab es alles, was sich ein reicher Gutsherr wünschen konnte. Njangu hasste es. Er war mit Leib und Seele Städter und musste sich immer wieder zusammenreißen, um nicht nach seiner Waffe zu greifen, wenn überraschend der Ruf eines Nachtvogels ertönte, obwohl er bei den Aufklärern ausgedehnte Streifzüge durch den Dschungel unternommen hatte. Trotzdem suchte er sein Landhaus so oft wie möglich auf und ging spazieren, während er in sein Diktafon sprach, sich Notizen machte und seine Berichte für den Protektor vorbereitete. Er ließ seine Unterlagen überall herumliegen, damit die Diener, die von Redruth bezahlt wurden - was höchstwahrscheinlich für alle galt -, sie lesen und seine Loyalität bezeugen konnten. Allmählich entwickelte Njangu die für Agenten typische Paranoia, da jeder in seiner Umgebung gegen ihn arbeitete und es niemanden gab, in dessen Nähe er sich entspannen konnte. Er war sich seiner Macke bewusst und dachte, dass er verweichlicht war, seit er der Legion beigetreten war. Denn es war das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass er Freunde gehabt hatte, zu denen er wirklich völlig ehrlich sein konnte. Zum Ausgleich spielte er Hetzjagd mit Alpha und Beta, immer in der Rolle des Opfers, was nicht nur dafür sorgte, dass er körperlich in Form blieb, sondern auch seine Gerissenheit trainierte. Und während eines solchen Spiels fand er plötzlich eine Lösung für sein größtes Problem. Njangu hatte einen Vorsprung von zehn Minuten, bis 104 seine Leibwächter die Jagd auf ihn eröffneten, und versuchte es mit einer neuen Fluchtroute. Er lief zu einem Bach und setzte seinen Weg im Wasser fort, wobei er versuchte, auf den Felsen zu bleiben, bis das Gewässer in den See mündete. Er watete hinaus und schwamm parallel zum Ufer weiter, von seinem Landhaus fort und zur Grenze seines Anwesens. Schließlich stieg er wieder aus dem Wasser, überquerte den Kieselstrand und wollte in einem weiten Bogen zum Haus zurückkehren. Wenn er es schaffte, ohne geschnappt zu werden, hätte er gewonnen. In den bisherigen drei Spielrunden war er einmal erfolgreich gewesen.
Er bewegte sich langsam durch das Gebüsch, als er das Klicken hörte, mit dem jemand seine Waffe entsicherte. Njangu erstarrte und sah einen Mann im Tarnanzug, der mit erhobenem Blaster hinter einem Strauch hervorkam. »Keine Bewegung!« Njangu gehorchte. Zwei weitere Männer tauchten links und rechts von ihm auf, und hinter ihm waren drei weitere. »Identifizieren Sie sich!« »Präfekt Ab Yohns«, sagte Njangu. »Und was machen Sie auf meinem Grundstück?« »Sie befinden sich nicht auf Ihrem Grundstück, falls Sie Präfekt Yohns sind, sondern auf dem des Präfekten Appledore«, sagte der Mann, der ihn gestellt hatte. »Zeigen Sie Ihre ID-Card.« »Ich habe keine dabei.« Njangu trug nur einen grauen einteiligen Overall mit einem kleinen Wasserbehälter auf dem Rücken. Er spürte, wie Hände seinen Rücken und Bauch abtasteten und zwischen seine Beine griffen. Er musste seine Instinkte unterdrücken, um den Mann nicht auf der Stelle zu töten oder ihn gegen den anderen zu werfen, der die Waffe hatte. 105 »Nichts«, sagte der Mann, der ihn gefilzt hatte. Der erste Mann runzelte die Stirn. »Keine Bewegung!«, brüllte jemand. Als sich der erste Mann umdrehen wollte, schlug unmittelbar neben ihm eine Kugel in den Boden. In diesem Moment bewies er, dass er ein Profi war. Er öffnete die Finger und ließ die Waffe fallen. Njangu hörte, wie weitere Waffen auf dem Boden landeten. Der Lauf einer Waffe schob sich hinter einem Baum hervor, und Njangu erkannte ein Stück von Alphas Gesicht. »Identifikation!«, knurrte Alpha. »Sicherheitstrupp von Präfekt Appledore«, sagte der Mann. »Sie - wer immer Sie sind - befinden sich auf seinem Grundstück.« Beta kam mit der Waffe in der Hand aus dem Gebüsch hervor. Njangu hätte beinahe laut gelacht, als Beta zum ersten Mann ging, ihn durchsuchte und ihm eine ID-Card aus der Tasche zog. »Es stimmt, was Sie sagen«, verkündete er. Alpha kam aus der Deckung und steckte seine Pistole ein. »Kann ich davon ausgehen, dass dies wirklich Präfekt Yohns ist?«, fragte der erste Mann. »Das können Sie«, sagte Beta. »Ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte der Mann kleinlaut. Das konnte nur bedeuten, dass Yohns in der Hierarchie einen höheren Rang als Appledore bekleidete. »Aber Sie haben unser Alarmsystem ausgelöst, und wir haben wie angeordnet reagiert.« Njangu erkannte kaum unterdrückte Angst in den Gesichtern von Appledores Männern. Wahrscheinlich hätte er dafür sorgen können, dass sie in die Unterwasserbergwerke oder ein noch viel schlimmeres Höllenloch geschickt wurden. 106 »Sie müssen sich nicht dafür entschuldigen, dass Sie ren Job machen«, sagte er. »Nehmen Sie Ihre Waffen wieder an sich.« »Vielen Dank, Sir.« Die anderen wiederholten die Worte ihres Anführers. »Ich hätte da allerdings eine Frage. Sie erwähnten etwas on einem Alarmsystem, aber ich habe nichts gesehen.« Alle Männer, einschließlich Alpha und Beta, reagierten amüsiert. »Hier, Sir.« Appledores Sicherheitschef führte Njangu zu etwas, das auf den ersten Blick wie ein Felsblock aussah. Erst als Njangu ihn genauer untersuchte, erkannte er, dass er nicht echt war. »Aha«, sagte er. »Danke. Richten Sie Präfekt Appledore bitte von mir aus, dass er sich auf seine Männer verlassen kann. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass es von dieser Seite meines Grundstücks zu Übergriffen von sozial Unangepassten kommt.« Die Männer dankten ihm erneut und entfernten sich dann hastig. »Haben wir auch so etwas?«, fragte Njangu. »Natürlich, Sir.« »Zeigen Sie es mir.« Alpha machte Yoshitaro auf andere Felsen, tote Baumstämme und ähnliche Dinge aufmerksam. »Interessant«, sagte er. »Gehe ich recht in der Annahme, dass sie über eine eigene Energieversorgung verfügen und ihre Daten per Funk senden? Sie reagieren auf Bewegung und Wärme?« »Genau, Sir.« »Aktiv oder passiv?« »In der Grundeinstellung völlig passiv, Sir. Sie könnten mit einem Sensor vorbeilaufen und würden nur dann etwas 107 orten, wenn die Einheit ihren Bericht sendet. Sie können nur visuell ausfindig gemacht werden, obwohl sie möglicherweise genügend Energie abgeben, um sie aus unmittelbarer Nähe im Infrarotbereich zu bemerken. Außerdem lassen sie sich per Fernsteuerung totschalten, wenn irgendwelche Sensoren in der Nähe sind. Genauso können sie darauf eingestellt werden, nur auf zwei Menschen zu reagieren und einen oder drei zu ignorieren.«
»Raffinierte kleine Miststücke«, sagte Njangu. »Sind es Standardanfertigungen? Ich meine, gibt es pro Grundstück eine bestimmte Anzahl von Felsen, Stämmen oder Baumstümpfen?« »Wir haben verschiedene Gehäuse auf Lager, in die wir die Wacheinheiten einbauen können. Die Geräte selbst sind Standardausführungen, aber ein Techniker kann sie auf die Werte einstellen, die für die Sicherheitskräfte von Interesse sind, dann wird das Tarngehäuse den gegebenen Bedingungen angepasst. Wir haben immer etwa ein Dutzend in Reserve, weil sie recht wetterempfindlich sind.« »Das ist wirklich interessant.« Die modifizierbaren Wacheinheiten ließen sich ohne Schwierigkeiten untersuchen. Njangu benötigte lediglich zwei Stunden, um sich einen Überblick über die Innereien des Geräts zu verschaffen, das er sich aus einem Lagerraum besorgt hatte, und eine Umbauskizze zu erstellen. Die Komponenten waren mit einfachen Universalsteckern verbunden, sodass er in kürzester Zeit den Sendechip entfernt und durch eine seiner Spezialanfertigungen ersetzt hatte. Die Chips waren von Technikern auf D-Cumbre entwickelt worden, die sorgfältig die elektronischen Aufzeichnungen über den ersten Vorstoß nach Larix ausgewertet 108 und alle benutzten Frequenzen untersucht hatten. Sie hatten die Chips so eingestellt, dass sie auf Wellenlängen sendeten, die nahe, aber nicht zu nahe an den handelsüblichen Frequenzen lagen. Die Chips ließen sich über ein winziges Kabel mit jedem Standardrekorder verbinden und mit Input versorgen. Njangu hatte mehrere Rekorder zur Verfügung, die er dazu benutzte, um seine Notizen zu diktieren. Der schwierigste Teil der Arbeit bestand darin, den Energiekonverter aus dem Vid, das Yoshitaro zertrümmert hatte, als Verstärker zwischen die Schaltkreise zu klemmen. Nachdem er fertig war, sehnte er sich nach einem Drink. Er hoffte, dass er alles richtig gemacht hatte und es ihm gelungen war, einen schönen kleinen Sender zu basteln. Am nächsten Tag unternahm er einen Spaziergang und sagte seinen Leibwächtern, dass er allein sein wollte. Er wollte so viele Alarmeinheiten wie möglich finden, um zu sehen, ob es im Ring irgendwelche Löcher gab. Durch sorgfältige Suche und logische Überlegung lokalisierte er ein halbes Dutzend, und eine siebte Einheit entdeckte er an einer abgelegenen Stelle. Er brauchte nur wenige Augenblicke, um den Sensor durch seinen modifizierten Stein zu ersetzen und ihn in das Netz einzuklinken. Da das System passiv arbeitete, würde es niemandem auffallen, wenn sein Gerät nichts meldete, obwohl möglicherweise gerade ein Dinosaurier vorbeistapfte. Der einzige Moment, in dem der Sender bemerkt werden konnte, war beim Aufspannen der Antenne. Und dann würde Yoshitaro mit schussbereiter Waffe in der Nähe sein. Njangu verbrachte den Rest des Tages damit, eine Botschaft zu verfassen, die die wichtigsten Daten enthielt, einschließlich der Bestätigung von Froudes Theorie über die Konföderation. Die Kryptoanalytiker der Sektion II hatten 109 sich für einen archaischen Buchkode entschieden. Sie hatten ihm vier davon mitgegeben, die alle auf religiösen Werken basierten, die auf allen Welten der Menschheit verbreitet waren. Njangu hatte in der Bibliothek, in der er auch seine Recherchen gemacht hatte, ein Exemplar des Koran in der Standardübersetzung gefunden. Der vereinbarte Kode bezog sich auf die VI. Sure. Als die Botschaft fertig war, überspielte er sie ein paar Mal von einem Rekorder auf den anderen, jedes Mal in höherer Geschwindigkeit, bis sie nur noch fünf Sekunden lang war. Am nächsten Tag ging er mit seiner Aufzeichnung zur Wacheinheit und spannte so, wie man es ihm beigebracht hatte, schnell einen Draht zwischen den Bäumen, bis das Ganze eine exotische Antenne bildete. Dann schloss er den Rekorder an und schickte seine Nachricht in den Weltraum hinaus. Ab Yohns alias Njangu Yoshitaro, Doppelagent und Superspion, war wieder im Geschäft. Als Nächstes musste er nur noch eine Möglichkeit finden, um Botschaften zu empfangen. Aber nachdem er nun neue Zuversicht gewonnen hatte, dachte er sich, dass die Lösung dieses Problems nur eine Frage der Zeit war. In dieser Nacht belohnte er sich damit, dass er seinen vier Gefährtinnen Champagner spendierte und die Party zu einem widerlich sinnlichen, aber extrem interessanten Marathon ausarten ließ, der erst weit nach Sonnenaufgang endete. Yoshitaro achtete in den nächsten drei Tagen darauf, ob irgendwelche Alarmsysteme oder Ortungsfahrzeuge auf seine Kommunikation reagierten. Doch es geschah nichts. Oder zumindest bekam er nichts Derartiges mit. 110 Er kehrte nach Agur und zu seinen Pflichten zurück und begann wieder damit, auf Larix herumzureisen, um so viel wie möglich zu Gesicht zu bekommen und abschätzen zu können. Seine zweite Station war die Garde des Protektors, die den Palast bewachte. Er gab vor, am persönlichen Hintergrund und der Motivation der Leute interessiert zu sein, um zu überprüfen, ob sie sich möglicherweise von den berüchtigten sozial Unangepassten beeinflussen ließen. Im Großen und Ganzen gehörten sie zwei unterschiedlichen Kategorien an - zum einen die loyalen Fanatiker, für die es das Höchste war, wenn sie eines Tages von einem Blasterschuss niedergestreckt werden würden, der für Redruth bestimmt war, und zum anderen jene, die den Fanatismus nur vortäuschten und mit klarem Blick nach
der großen Gelegenheit Ausschau hielten, während sie alles daransetzten, in der Nähe der Machtzentrale zu bleiben. Für diese Gruppe, die die Minderheit bildete, interessierte er sich aus nahe liegenden Gründen am meisten. Er überlegte sich, wie er sie für sich gewinnen konnte, ohne dass Celidon Verdacht schöpfte. Schließlich wollte er vermeiden, dass seine Geschichte in der Anklageschrift beim Hochverratsprozess vorgetragen wurde. Njangu befand sich auf dem Rückweg zu seinen Gleitern, wo seine Leibwächter auf ihn warteten, als eine sehr hübsche rothaarige Frau mit den Abzeichen der Kommandantin einer Hundertschaft auf ihn zukam. »Präfekt Yohns?«, sagte sie mit einem wissenden Lächeln. »Ja?« Njangu lächelte höflich zurück, während er sie ausgiebig bewunderte und rätselte, warum die Alarmglocken in seinem Kopf einen solchen Lärm veranstalteten. »Erinnerst du dich an mich?« 111 »Nein, ich...« Njangu verstummte. Plötzlich erinnerte er sich doch. »Ich bin Maev«, sagte die Rothaarige. »Du bist mir irgendwie bekannt vorgekommen, als du heute früh die Garde inspiziert hast. Wir beide waren Rekruten und haben ein paar Mal miteinander gevögelt - an Bord eines Raumschiffs, das nach Cumbre unterwegs war und dann von Celidon gekapert wurde. Damals war dein Name Njangu Yoshidingsbums oder so, nicht wahr? Was um alles in der Welt hat dich hierher verschlagen?« 9 Kura / Kura Vier In der Flanke des cumbrianischen Zerstörers der Kelly-Klasse öffnete sich ein Schott, und heraus schoss ein kleiner Pfeil - nicht wesentlich größer als ein Mensch - und raste auf Kura Vier »hinunter«. »Die Mission ist ganz miserabel vorbereitet«, sagte Dill, der hinter Mil Liskeard, dem Kommandanten der Parnell, stand. »Ja«, stimmte Alikhan ihm zu. »Uns sollten Daten von Spionen und viele Satellitenfotos zur Verfügung stehen.« »Ganz zu schweigen von einer Hand voll Agenten, die die Lage am Boden auskundschaften, bevor das Einsatzteam abgesetzt wird«, fügte Garvin hinzu. »Würden Sie drei Schwachköpfe bitte sofort meine Brücke verlassen!«, schimpfte Liskeard. »Das ist ja noch viel schlimmer als auf dem Weg hierher, als Sie ständig meine navigatorischen Fähigkeiten in Frage gestellt haben.« 112 »Ich auf gar keinen Fall!«, sagte Garvin. »Ich kenne meine Schwachpunkte.« »Interessanter Gedanke«, sagte Dill. »Sag mir Bescheid, falls du bei mir irgendwelche entdeckst.« »Wir sollten unseren Befehlen gehorchen«, sagte Alikhan. »Und Sie können eine Datei mit unseren Fehlern anlegen, die ich Ihnen liebend gerne diktieren werde. Es dürfte eine sehr große Datei werden.« »Gute Idee«, brummte der Waffentechniker an der Kontrollstation hinter Liskeard. »Und jetzt würde ich gerne diesen verdammten Vogel fliegen, ohne dass mir der Hintern weggeschossen wird, meine Herren.« Die Parnell war einer der ersten Zerstörer, die auf Cumbre gebaut worden waren, und so etwas wie ein gestaltgewordener Kompromiss - zwischen dem, was die Legion brauchte, dem, was sie haben wollte, und dem, was in der Eile machbar war. Im Wesentlichen baute die Kelly-Klasse auf der vorgegebenen Konfiguration eines planetaren Patrouillenschiffs auf, nur dass man sie in jeder Hinsicht vergrößert hatte. Und so hatte die Parnell eine zwanzigköpfige Besatzung und war mit vier Goddard-Abwehrraketen unter ihrem »Kinn« sowie zwei MGGeschütztürmen und vier Shadow-Raketenabwehrbatterien ausgestattet. Jede der Werften auf Cumbre, die nach dem Musth-Krieg modernisiert und ausgebaut worden waren, konnte pro Monat einen solchen Zerstörer vom Band rollen lassen, und für den Einbau des Innenlebens wurde ein weiterer Monat benötigt. Größere Schiffe waren zurzeit nicht möglich, denn jede Erweiterung der Kapazitäten führte unweigerlich zu einer exponentiellen Steigerung der Kosten, der Komplexität und des Materialbedarfs. 113 Niemand wusste, wie schnell Larix/Kura Schiffe bauen konnte oder wie groß sie waren, aber alle gingen vom schlimmsten denkbaren Fall aus, was in einem Krieg stets die größte Sicherheit versprach. »Wie kann ich dir behilflich sein?«, erkundigte sich Dill höflich bei dem Musth. »Indem du mir die Frage beantwortest, warum du einen solchen Schwachsinn verzapfst.« »Das ist meine übliche Vorgehensweise.« »Du bist Pilot«, sagte Alikhan. »Trotzdem hast du dich freiwillig für einen Bodeneinsatz gemeldet. Das ergibt keinen Sinn.« »Wie ich Garvin schon auf Cumbre klar gemacht habe«, sagte Dill, »liegt das nur daran, dass es mich langweilt, so lange zu warten, bis der Ärger zu mir kommt.« »Ich verstehe«, sagte Alikhan. »Das ist in der Tat ziemlich schwachsinnig. Aber andererseits auch nicht viel schwachsinniger als meine Entscheidung, der Streitmacht beizutreten. Warum hast du mich nicht gefragt, ob ich dümmer sein möchte, als ich bereits bin?« »Um wirklich ehrlich zu sein...«, erwiderte Ben nachdenklich, »ich habe eigentlich gar nicht darüber nachgedacht. Aber selbst wenn ich es getan hätte, glaube ich nicht, dass ich dich mitgenommen hätte. Was würde wohl passieren, wenn wir auf Kura von jemandem gesichtet werden? Meinst du nicht, dass bei denen da unten die Affenscheiße am Dampfen wäre, wenn sie sehen, wie ein großes braunes pelziges Monstrum durch
ihren Dschungel stapft?« »Mit dem Begriff >Affenscheiße< bin ich nicht vertraut«, sagte Alikhan. »Aber ich kann die ungefähre Bedeutung ableiten. Trotzdem sehe ich nicht ein, warum meine Er114 scheinung eine größere Überraschung sein soll als zehn bewaffnete Menschen, die seltsam gekleidet sind und nach Dingen suchen, die sie zerstören können.« »Hmm«, machte Dill. »Gutes Argument, über das ich nicht weiter nachdenken will. Es tut mir Leid, Alikhan, dass ich dir keine Gelegenheit gegeben habe, dich erschießen zu lassen. Aber sieh es doch mal so. Du bist der Pilot, der uns mit dem Velv absetzt. Da du gar kein schlechter Pilot bist - immerhin fast so gut wie ich -, haben wir immer jemanden in der Nähe, der seine Scheiße fest im Griff hat und uns rausholen kann, wenn wir um Hilfe schreien.« »Die menschliche Faszination für Exkremente wird mir ewig unverständlich bleiben«, sagte Alikhan. »Ich nehme deine Entschuldigung an. Und ich werde da sein, um dich und die anderen wieder herauszuholen. Ganz gleich, wann, wo oder wie.« Zwei Wachschichten später, während sich das Team der Aufklärer einzureden versuchte, dass es sich auf dem Schoß der Besatzung der Parnell wunderbar gemütlich lebte und es für Leute ohne Nerven - wie sie es waren keinerlei Grund gab, sich wegen der geplanten Mission ins Blaue irgendwelche Sorgen zu machen, kam die Drohnentechnikerin mit stolz geschwellter Brust in den kleinen Frachtraum geschritten, den der Trupp mit Beschlag belegt hatte. »Mil Jaansma... liebe Leute«, sagte sie. »Verneigt euch in Ehrfurcht vor imposanten Leistungen!« »Die Drohne ist zurückgekehrt?« »Nicht nur das, sondern niemand hat was gemerkt«, sagte sie. »Verneigt euch in Ehrfurcht!« »Okay, Leute«, sagte Garvin. »Werft das Holo an, damit wir uns überlegen können, wo wir sie kitzeln wollen.« 115 Kura Vier war ausgesucht worden, weil die Geheimdienstinformationen aus der Vorkriegszeit darauf hindeuteten, dass es die am dichtesten bevölkerte Welt des Systems war. Nicht, dass sich irgendeiner der insgesamt vier bewohnbaren Planeten in den nächsten tausend Jahren Sorgen wegen drohender Überbevölkerung hätte machen müssen. Die Drohne hatte anfangs acht Vorbeiflüge unternommen, auf einer Bahn, die außerhalb der Atmosphäre über die Pole führte. Die Erkundung wurde in der Nacht fortgesetzt, wobei Infrarotsensoren sowie Restlichtverstärker zum Einsatz kamen. Die Truppe betrachtete die Projektion von Kura Vier, ein Hologramm von etwa einem Meter Durchmesser, das vor ihnen rotierte. »Elf größere Städte«, sagte Monique Lir. »Zwölf«, stellte Froude richtig. »Unten am Südpol gibt es noch einen weiteren Lichtklecks.« »Bringen Sie jeden dieser Bereiche nacheinander etwas näher heran«, sagte Garvin. »Verstanden«, sagte die Technikerin, und das Holo wurde ausschnittsweise vergrößert. »Die da ist gar nicht gut«, sagte Dill. »Sieht aus, als wäre sie auf der einzigen größeren freien Fläche des Planeten erbaut worden.« »Die da können wir auch vergessen«, sagte Lir. »Am Ende der Halbinsel. Kein Platz zum Wegrennen, wenn Dinge in die Luft fliegen.« »Wie wär's mit der hier?« »Könnte gehen.« Drei weitere wurden als mögliche Kandidaten eingestuft und genauer studiert. »Die hier«, entschied Garvin und blinzelte mit den mü116 den Augen. »Es dürfte die größte Stadt des Planeten sein. Schätzungsweise eine Million Einwohner?« »Vielleicht etwas mehr«, sagte Froude. »Wahrscheinlich sogar. Ich habe alle in Frage kommenden Ziele näher untersucht. Diese Stadt verfügt über mehrere Landefelder, Zonen mit Lagerhäusern und offensichtlich militärischen Depots, sodass man die Schätzung der Bevölkerung vermutlich auf etwas mehr als eine Million ansetzen kann.« »Sie liegt genau an der Stelle, wo diese zwei Flüsse zusammenfließen«, sagte Jaansma. »Danach weitet sich das Tal, und das Meer ist vielleicht... fünfzig Kilometer entfernt? Und hinter der Stadt gibt es Berge, in denen wir gute Verstecke finden werden.« »Wie sieht die Planung aus, Boss?«, fragte Lir. »Ich denke«, sagte Garvin langsam, »wenn wir hier hinten in der Deckung dieses Grats hereinkommen, dann hier rüberhüpfen... stoßen wir auf diesen Damm. Wir jagen ihn in die Luft und hoffen, dass die Flutwelle heftig genug ist, um auch diesen größeren Damm ein Stück weiter flussabwärts mitzunehmen. Mit etwas Glück lassen wir eine hübsche Welle durch das Haupttal rauschen, vielleicht fünfzig Meter hoch und mitten durch diese Stadt, sodass alle Bewohner ins Meer gespült werden.« Die Ärztin Jil Mahim biss sich auf die Unterlippe, sagte aber nichts. Garvin sah ihren Gesichtsausdruck. »Wenn Sie Probleme damit haben, dass wahrscheinlich Frauen und Kinder ertrinken werden...«, begann er.
»Nein, Boss«, sagte Mahim. »Nur einen kurzen Moment.« »Gut«, sagte Garvin und tat, als würde er ihre Verlegenheit nicht bemerken. »Das ist unser erstes Ziel. Wie es im Einsatzbefehl heißt, greifen wir das erste Ziel an, ziehen uns zurück, und je nachdem, wie angeschlagen wir sind, begeben wir uns in eine andere Region des Planeten und 117 machen dort einen zweiten Vorstoß. Damit dürfte Protektor Redruths Protektion einen herben Knacks bekommen. Jetzt werden wir eine weitere Drohne losschicken und diese Berge etwas genauer unter die Lupe nehmen, damit wir wissen, wo sich das Militär verschanzt hat, wie groß die Wachgarnison am Damm ist, wo die Dörfer liegen und so weiter.« »Zweites Ziel«, sagte Lir. »Wenn der erste Dammbruch den größeren nicht mitnimmt, übernehmen wir das selbst.« »Danach dürfte es in dieser Gegend ziemlich ungemütlich geworden sein«, sagte Tweg Nectan. Lir zuckte mit den Schultern. »Wenn du ein angenehmes Leben führen wolltest, hättest du auf gewisse Dummheiten verzichten sollen - zum Beispiel, dich freiwillig zu melden.« Die Runde lachte. »Wenn es uns wirklich ernst damit wäre, einen erbitterten Krieg gegen diese Menschen zu führen«, sagte Froude, »täten wir besser daran, diese Mission abzubrechen, nach Cumbre zurückzukehren und mit dem besten Entlaubungsmittel, das die Wissenschaft zusammenbrauen kann, wieder hierher zu kommen. Unter der sehr wahrscheinlichen Voraussetzung, dass dieser und die drei anderen Planeten dieses Systems Redruths Reisschüssel darstellen, wie unsere geheim dienstlichen Erkenntnisse nahe legen.« »Oder«, sagte Mahim, »wir verteilen hier und dort etwas radioaktiven Staub.« »Das würde ebenfalls funktionieren«, sagte Froude ungerührt. »Sofern wir keine Pläne verfolgen, diese Welt nach dem Krieg zu besetzen.« »Zurück zur aktuellen Mission«, sagte Garvin. »Zur Abholung ziehen wir uns in die Berge zurück und rufen laut um Hilfe. Ich schätze die Missionsdauer auf... sagen wir 118 fünf bis sieben E-Tage. Aber es könnte auch doppelt so lang werden, also werdet nicht gleich nervös.« Garvin bemerkte, dass Alikhan ihn ansah, und hob fragend eine Augenbraue. »Ein Wort unter vier Augen, Garvin?« Garvin wollte schon erwidern, dass es bei einer Aktion wie dieser keine Geheimnisse gab, doch er sagte nichts und verließ zusammen mit dem Musth den Raum. »Ich bin immer noch nicht ganz mit euren Kampfregeln vertraut«, sagte Alikhan. »Gibt es einen Grund, warum du nichts von diesen - ich kenne den Begriff dafür nicht - Wesenheiten erwähnt hast, die von Zeit zu Zeit auf den Bildern zu sehen sind?« »Wesenheiten?« »Für mich sehen sie wie kleine, dünne Wolken aus, aber sie bewegen sich in unterschiedliche Richtungen. Also können es keine Wolken sein - es sei denn, der Wind über diesen Bergen verhält sich äußerst seltsam.« »Ich denke«, sagte Garvin, »wir gehen wieder hinein und teilen der Truppe mit, was du gesehen zu haben glaubst.« Alikhan folgte ihm nach drinnen. Die Soldaten studierten die Projektion, murmelten etwas von »ziemlich steil, wenn man drauf herumklettern muss«, »maximale Reisegeschwindigkeit nicht mehr als drei Kilometer pro Tag«, »ich frage mich, ob es wohl Dörfer im Dschungel gibt, die uns Schwierigkeiten machen können?« und Ähnliches. »Leute, hört mal zu«, sagte Garvin. »Möglicherweise gibt es da ein Problem. Können wir noch einmal die Bilder aus dem Flusstal sehen?« Die Technikerin rief die Daten ab. Alikhan zeigte auf verschiedene Stellen, während sich sein Kopf schnell vor und zurück bewegte. »Da ist eine. Und hier. Und da sind zwei.« 119 Die Menschen reagierten verdutzt. »Hat irgendwer gesehen, worauf Alikhan gezeigt hat?« Ein Chor aus »Nein«, »Nee« und »Da war nichts« antwortete ihm. »Sehr interessant«, sagte Dr. Froude. »Wir scheinen bisher völlig übersehen zu haben, dass die Sinne der Musth offenbar nicht das gleiche Spektrum wie die unseren abdecken.« »Niemand hat das gesehen, was ich gesehen habe?«, erkundigte sich Alikhan erstaunt. Die Antwort war ein längeres Schweigen. »Technikerin«, fragte Garvin, »enthält die Aufzeichnung irgendwelche Daten oder arbeitet sie mit Frequenzen, die außerhalb der menschlichen Wahrnehmung liegen?« Die Technikerin drückte ein paar Knöpfe auf der Bedienungseinheit des Holos, studierte den Bildschirm, runzelte die Stirn und drückte weitere Knöpfe. »Nein, Sir. Jedenfalls nichts, was dem entsprechen könnte, was der Musth sieht... und es ist undenkbar, dass jemand etwas sieht, das von den Instrumenten gar nicht aufgezeichnet wurde.«
Alikhan musterte die Frau mit gespitzten Ohren und zornig geröteten Augen. Aber er sagte nichts. »Es gefällt mir nicht, wenn die Sache unheimlich wird«, sagte Deb Irthing. »Mir auch nicht«, sagte Garvin. »Wenn wir die Drohne noch einmal runterschicken, schauen wir, ob Alikhan wieder etwas sieht. Vielleicht«, fügte er voller Hoffnung, aber ohne große Überzeugung hinzu, »haben auch nur die Sensoren eine Macke.« Ein weiterer, tieferer Flug über das Gelände förderte mehr Details zutage wie hier und da kleine Dörfer. Knapp unter120 halb des ersten, kleineren Damms befand sich ein Lager, das irgendwie militärisch aussah, und auf beiden Seiten der Dammbrüstung standen Gebäude. Außerdem sah Alikhan wieder ein halbes Dutzend »Wolken«. »Das gefällt mir nicht, Garvin«, sagte er. »Wenn sie von der Drohne aufgenommen werden, weichen sie schnell zur Seite aus, als wollten sie nicht gesehen werden.« »Also haben wir es jetzt zu allem Überfluss auch noch mit unsichtbaren Schlossgespenstern zu tun, die Drohnen wahrnehmen können. Warum zum Teufel hat der verdammte Yoshitaro keine Fakten gemeldet, die das alles erklären?« »Wie geht's jetzt weiter, Boss?«, fragte Lir. »Scheiß drauf«, sagte Garvin. »Wir gehen runter.« »Gesegnet seien Ahriman und sein Wachsdildo«, sagte Lir inbrünstig. »Ich hatte schon befürchtet, dass diese ganze Aktion im Sand verlaufen würde.« Die Parnell unternahm einen schnellen Vorstoß und setzte einen Relaissatelliten in einem geostationären Orbit über dem Zielgebiet ab, der alle Sendungen des Aufklärerteams zu den Schiffen weiterleiten würde, die am Rand des Systems warteten. Der von Alikhan gesteuerte Velv stieß fast senkrecht im Sturzflug nach unten. Dill musterte die leicht grünlichen Gesichter der Aufklärer, die sich im Hintergrund des Kontrollraums hastig auf den gepolsterten Beschleunigungssitzen anschnallten, und gluckste. »Freut mich, dass die Jungs und Mädels mit den Arschlöchern aus Stahl doch nicht in allem perfekt sind. Seid froh, dass ein sanfter Flegel wie Alikhan statt einer Kory121 phäe wie mir an den Kontrollen sitzt, denn dann würdet ihr euch wirklich die Seele aus dem Leib kotzen. Apropos, möchte sich jemand einer netten, erfrischenden Runde Erbrechen hingeben, bevor wir in den Dschungel eindringen?« Lir war die Einzige, die es schaffte, darauf etwas Obszönes zu erwidern. Dill lachte noch lauter. »He, Alikhan!«, rief er. »Brauchst du da oben Hilfe bei diesem kontrollierten Absturz?« »Negativ«, antwortete Alikhan. »Den Kurs könnte ich auch mit meinem Schwanz fliegen.« »Genauso fühlt es sich an.« Etwa fünfhundert Meter über dem bewaldeten Hang feuerte kurz das Triebwerk des Velv, dann hing er fast bewegungslos über der Lichtung, die Garvin ausgesucht hatte. Alikhan warf die Antigravs an und ließ das Schiff nach unten sinken. »Rampe ausfahren«, befahl er, und zwei menschliche Besatzungsmitglieder gehorchten. Der Velv schwebte zwei Meter über dem Gestrüpp. »Raus, alle raus!«, brüllte Lir. Die Soldaten lösten die Gurte und sprangen durch die Tür. Sie ließen sich ins Gebüsch fallen und erlebten eine unangenehme Überraschung, da sie sich immer noch drei Meter über dem Boden befanden. Der Schreck wurde durch die angenehme Überraschung wettgemacht, dass sie platschend in schlammigem Untergrund landeten. Die Soldaten rappelten sich auf, wankten mit all ihrer Ausrüstung auf dem Buckel ein paar Schritte weiter und warfen sich schließlich mit feuerbereiten Waffen bäuchlings auf den Boden. Nachdem der letzte Soldat das Schiff verlassen hatte, blickte Garvin zu einem behelmten Gesicht hinauf, das aus der Luke des Velv schaute, zeigte ihm den hochgereckten 122 Daumen und deutete in den Himmel. Der Antrieb des Velv heulte auf, und das Schiff kehrte in den Weltraum zurück. Niemand bewegte sich in der Stille des Dschungels. Alle warteten ab. Keine Schüsse, keine Alarmrufe. Garvin richtete sich vorsichtig auf, dann winkte er dem Team, ihm zu folgen. Er selbst übernahm die Spitze, dicht gefolgt von Tweg Wy Nectan. An dritter Stelle kam Dec Val Heckmyer, dann Dec Darod Montagna als Scharfschütze. Danach Ben Dill, der größte und am schwersten beladene Teilnehmer. Garvin hatte ihn - boshaft, wie er war - zum ersten Komträger ernannt, während Finf Baku al Sharif für den Ersatzkom zuständig war. Ihnen folgten Jil Mahim, die Ärztin, und Dr. Danfin Froude. Die zwei letzten in der primären Marschordnung waren Tweg Deb Irthing und Erster Tweg Monique Lir als Rückendeckung. Sie waren ziemlich schwer bewaffnet. Grundausrüstung war ein Blaster, der als armlanger Karabiner konfiguriert war, wie es bei den Aufklärern üblich war. Montagnas Blaster war mit einem variablen Visier und einem schweren Lauf ausgestattet. Die Grundmunition bestand aus einer hundertschüssigen Trommel mit hülsenlosen Patronen. Garvin, Heckmyer, Dill und Lir trugen minimierte MGs mit fünfzehn Trommeln
Munition. Jeder hatte zusätzlich eine Pistole und den standardmäßigen doppelschneidigen Dolch der Streitmacht dabei. Dill schleppte außerdem einen Raketenwerfer mit vier Geschossen. Von jetzt an bis zu ihrer Abholung würden sie nur mit den Flüstermikros und Knochenlautsprechern kommunizieren, die jedes Mitglied des Teams bei sich trug. Aber sie würden sie so wenig wie möglich einsetzen, auch wenn sie auf einer unbenutzten Frequenz arbeiteten, die bei einer oberflächlichen Überprüfung eigentlich nicht auffallen sollte. Trotz allem waren Handsignale sicherer. 123 Jeder Soldat trug fast einhundert Kilo Gepäck, hinzu kamen die Waffen sowie die mit überlebensnotwendigen Utensilien voll gestopfte Kampfweste. Diese Menge an Ausrüstung war nur zu bewältigen, weil die Rucksäcke mit umgebauten Fallbremsern ausgestattet waren, kleinen Antigraveinheiten, die das Gewicht auf nicht mehr als vier Kilo reduzierten, obwohl die Last dadurch nichts an Sperrigkeit verlor. Das Problem mit den Antigravs war, dass sie eine gewisse Menge an Energie abgaben, die sich orten ließ. Garvin hatte die Hoffnung, dass die Dschungelgebiete des Planeten nicht so gründlich überwacht wurden. Der größte Teil des Gepäcks bestand aus Sprengsätzen, Telex in Ein-Kilo-Stücken, sowie Zündschnüren und Zeitzündern unterschiedlichster Bauart und Gemeinheit. Aber die Last würde im Laufe der Zeit geringer werden, wenn sie geeignete Ziele fanden, beschossen wurden und aßen. Garvin war etwa hundert Meter weit gegangen, als er Lirs flüsternde Stimme im Ohr hörte. »Boss. Lir hier. Wirf mal einen Blick zurück. Zur Lichtung.« Garvin tat es. »Das Schiff hätte den Antrieb erst in viel größerer Höhe anwerfen dürfen«, sagte sie. »Siehst du den Brandfleck?« Garvin entdeckte den rasch braun werdenden Streifen im Dschungel. »Wir sollten lieber möglichst schnell von hier verschwinden«, sagte er, »und hoffen, dass sich niemand fragt, was da passiert ist, und womöglich nachsieht.« Monique ließ als Zeichen der Zustimmung zweimal ihr Mikro klicken. Garvin legte einen Zahn zu und dachte: Natürlich gehen wir auf volles Tempo, wenn die Sache brenzlig wird. 124 Garvin suchte nach einer Art Trampelpfad - allerdings nicht nach einem von Menschen geschaffenen Pfad, denn er wusste, wie gefährlich so etwas sein konnte - und stieß auf einen Wildwechsel, der offenbar auf den messerscharfen Grat zuführte. So war es auch, aber der Weg nahm zahlreiche Windungen; möglicherweise, weil die Tiere, die ihn gebahnt hatten, nach schmackhaften Kräutern gesucht hatten - oder nach geeigneten Plätzchen, um ihren Darm zu entleeren. Garvin erinnerte sich an die zwei härtesten Seiten der Aufklärer. Die erste war offensichtlich - niemals schlappzumachen und weiterzumarschieren, selbst wenn man auf dem Zahnfleisch ging, und nie zu vergessen, dass der Körper ein verdammter Lügner war, wenn er herumjammerte, dass er angeblich seine letzten Reserven verbraucht hatte. Wer sich auf diese Stimme verließ, schaffte es nie, die Ausbildung zum Aufklärer abzuschließen. Die zweite war die schlimmere - nicht nur gnadenlos weiterzumachen, sondern ständig im Alarmbereitschaft zu bleiben, ganz gleich, wie erschöpft man sich fühlte. Man durfte niemals in den quälenden Trott verfallen und den Blick auf den Boden geheftet - nur noch einen Fuß vor den anderen setzen, ohne zu bemerken, was sich rund um einen herum tat. Wer die erste Lektion nicht lernte, wurde nie offiziell in die Aufklärungskompanie aufgenommen. Wer die zweite nicht lernte, überlebte es nicht, wenn er in eine Falle oder einen Hinterhalt stolperte. Garvin trieb sich weiter und lernte noch einmal die grausame Lektion, das Gejammer des Körpers nicht zu beachten, nie den Blick ruhen zu lassen, ständig die Waffe bereitzuhalten und auf alles zu achten, was den inneren Alarm auslösen konnte. 125 Selbst plötzliche Stille konnte größte Gefahr bedeuten. Hier auf dieser fremden Welt prägten sich seine Ohren und sein Gehirn allmählich die Geräusche ein, die in diesem Dschungel normal zu sein schienen, um sie von denen unterscheiden zu können, die ein Zeichen für möglicherweise tödliche Überraschungen waren. Gleichzeitig versuchte er genauso wie die anderen, so leise wie möglich zu keuchen und auf dem fast senkrechten Hang nicht den Halt zu verlieren. Sie hielten knapp unterhalb des Grats an, warteten, bis ihre schmerzenden Lungen sich wieder einigermaßen normal anfühlten, und schauten sich nach Anzeichen für Gefahren um. Sie entdeckten keine, obwohl potenziell alles gefährlich werden konnte. Sie bewegten sich weiter, überstiegen den Grat, sahen weitere, noch höhere Grate, überall Dschungel und nirgendwo den See. Scheiße, dachte Garvin. Ich dachte, gleich dahinter würde der Damm liegen. Falsch gedacht. Er winkte Heckmyer, die Führung zu übernehmen. Montagna rückte an die zweite Stelle, und er ließ sie weitermarschieren. Niemand konnte für längere Zeit an der Spitze gehen, ohne nachlässig zu werden. Garvin ließ sich bis zu Dill zurückfallen, der zwar wie ein Salzbergwerk schwitzte, aber keine Probleme mit der Klettertour zu haben schien.
Sie stiegen auf der anderen Seite des Grats hinunter, rutschten immer wieder aus, fingen sich an Baumstämmen oder Kameraden, und erreichten schließlich den Grund, eine Felsschlucht mit einem sprudelnden Bach. Es wäre leicht gewesen, die Disziplin zu verlieren und in einen der Teiche zu springen und von dem reichhaltig vorhandenen, wunderbar kühlen Wasser zu trinken. Doch stattdessen testete Mahim zunächst das Wasser, er126 klärte mit einem Nicken seine Unbedenklichkeit. Zwei Soldaten überquerten den Bach und hielten flussaufwärts und flussabwärts Wache. Zwei blieben auf dieser Seite, und sechs tauchten vollständig unter, während sie auf die andere Seite wechselten. Dann waren die Wachen an der Reihe. Jetzt waren sie nass aber erfrischt, und sie füllten auch die Wasserflaschen an den Rucksäcken nach, bevor sie weiterzogen. Plötzlich war die Sonne verschwunden, und es war später Nachmittag. Garvin erkannte, dass sie es vor Anbruch der Dunkelheit kaum bis zum nächsten Grat schaffen würden. Also würden sie dort kampieren müssen, wo sie sich gerade befanden. Wunderbar, dachte er. Jetzt brauchen wir nur noch einen heftigen Regenschauer. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann erwies Kura Vier sich als höchst kooperativ und machte sie richtig nass. Eine Stunde später entschieden sie sich, an der besten von mehreren schlechten Stellen ihr Lager aufzuschlagen immerhin mäßigte sich hier die Steigung des Hangs auf zehn Metern Breite auf nur noch vierzig Grad. Sie marschierten noch hundert Meter weiter und gingen in Lauerstellung, für den Fall eines Hinterhalts. Doch in der Nähe rührte sich nichts. Dann kehrten sie zum auserwählten Lagerplatz zurück. Paarweise aßen sie von ihren Rationen, dann warfen sie den Abfall in Spezialbehälter, die auch sämtliche Körperausscheidungen aufnahmen. Kurz vor Anbruch der Nacht wurden die Behälter eingesammelt und die Auslöser gedrückt. Sie schmolzen in sich zusammen, ohne Rauch oder Gestank abzugeben. Zumindest nichts, was Menschen bemerken würden. 127 Garvin schickte eine Botschaft aus vier Symbolen zum Satelliten: Lagern. Alles okay. Nähern uns Ziel. Dann legten sie sich in Sternformation schlafen, sodass sich die Füße der Soldaten berührten. Nicht so erfahrene Soldaten wären hellwach geblieben, und leichtfertige hätten sich in Vierergruppen mit der Wache abgewechselt. So würden sie es machen, wenn sie weiter von der Landestelle entfernt waren. Die Hälfte der Aufklärer blieb wach. Aber nichts geschah, außer dass al Sharif im Schlaf einen gewaltigen Furz ließ, der nicht nur drei Soldaten in seiner Nähe weckte, sondern sie obendrein zwang, sich ein Stück zu entfernen, bis sich der Geruch verzogen hatte. Leise wurden Racheschwüre gemurmelt. Ihre Armbandchronometer waren bereits auf den siebenundzwanzig E-Stunden langen Tag von Kura Vier eingestellt. Garvin, der immer die erste und die letzte Wache übernahm, weckte seine Leute eine Stunde vor der Dämmerung. Wieder aßen sie, spritzten sich Wasser ins Gesicht - ein Luxus, den sie sich nach der Durchquerung des Baches erlauben konnten -, verrichteten ihr morgendliches Geschäft und marschierten weiter. Wieder ging es aufwärts. Doch dieses Mal hatten sie Glück, denn das Land öffnete sich zu einem weiten Tal. Im Zentrum lag ein See und am Ende der Damm, der ihn geschaffen hatte. Nectan sah Garvin grinsend an und signalisierte mit den Fingern: hangabwärts laufen, Sprengsätze anbringen, den Zünder aktivieren und dann Wellen, die über alles hinwegbrausten. Schließlich legte er die Hände zum Zeichen des Sieges zusammen. Garvin zeigte ihm gedrückte Daumen. Dann machte sich das Team auf den Weg nach unten zu seinem Ziel. 128 Der Wachoffizier weckte Liskeard in seiner kleinen Kabine an Bord der Parnell. »Geraffte Sendung von Cumbre, Sir. Streng vertraulich, im R-Kode. Der Komoffizier hat sie dechiffriert.« Der R-Kode war der am sorgfältigsten gehütete Kode der Streitmacht. Er wurde nur für diplomatische und militärische Zwecke benutzt, und nur Befehlshaber und ihre Kommunikationsoffiziere hatten persönlichen Zugang dazu. Liskeard brummte, nahm den Ausdruck entgegen und entließ den Offizier. Dann setzte er sich auf und öffnete die Versiegelung mit seinem Daumenabdruck. »Ein ziemlich dickes Paket«, murmelte er und wurde plötzlich hellwach, als er die ersten Zeilen las. Bei der Einsatzbesprechung hatte man ihm gesagt, dass es irgendwo im Larix/Kura-System eine »Quelle« gab, die jedoch bislang noch keinen Bericht hatte abliefern können. Nun war Njangus erste Botschaft eingetroffen. Liskeard überflog sie und suchte nach Erwähnungen von Kura, fand aber keine. Trotzdem fühlte er sich ermutigt. Die Legion tappte nicht mehr völlig im Dunkeln. Garvins Team war noch keine Stunde unterwegs, als Lir, die die Führung übernommen hatte, stehen blieb und eine Hand hob, die Innenfläche nach hinten gerichtet. Halt! Dann drückte sie die Hand nach unten. Runter und still verhalten!
Das Signal wurde durch die Kolonne weitergegeben, und die zehn Männer und Frauen gingen in die Hocke. Mit schussbereiten Waffen suchten sie ihren Abschnitt der Umgebung ab und hielten nach Bewegungen Ausschau. Nichts. 129 Lir benutzte ihren Feldstecher, um die Region unmittelbar unter ihnen abzusuchen, das Tal, den See, den Himmel. Garvin hielt sich mitten in der Kolonne auf und wartete. Lir drehte sich um und tippte sich mit zwei Fingern auf die Schultern. Kommandant nach vorn. Garvin fragte sich, warum sie nicht ihren Kom benutzte und was sie gesehen haben mochte. Er schob sich vorsichtig vorwärts und schrieb ein Fragezeichen in die Luft. Lir flüsterte ihm ins Ohr: »Ich habe das Gefühl, dass wir beobachtet werden. Keine weiteren Anzeichen.« Garvin dachte kurz nach. Er glaubte nicht an Esoterik, aber es war möglich, dass die geschärften Sinne eines Kundschafters etwas wahrnahmen, das sich nicht direkt identifizieren ließ — einen kurzen Augenblick der Stille im Dschungel, eine aufblitzende Metallfläche oder etwas in der Art. Er sah sich die Umgebung durch seinen Feldstecher an. Nichts. Er bewegte einen Finger im Bogen hinauf und hinunter und im Kreis, fügte dann ein Fragezeichen hinzu. Wo spürst du etwas? Lir starrte ihn stirnrunzelnd an, dann zeigte sie geradeaus, auf einen unbestimmten Punkt über dem See. Garvin konnte dort nichts erkennen, aber er erinnerte sich an Alikhans unsichtbare Wesen. Er legte seine Lippen an Moniques Ohr. »Denk daran, was unser haariger Alien gesehen hat. Gib ein Zeichen, wenn es verschwunden ist.« Lir nickte. Wenige Augenblicke später stand sie auf und legte ihre Hand an die Hüfte. Weitermarschieren. 130 Das Team setzte sich wieder in Bewegung. Garvin kehrte auf seine Position zurück, während sie sich weiter dem See näherten. Der Boden wurde ebener, und wieder ließ Lir die Gruppe anhalten. Vor ihnen standen ordentliche Reihen sorgsam gepflegter kleiner Bäume, die rot-grüne Früchte trugen. Dahinter befand sich ein kleines Dorf aus einem Dutzend langer, rechteckiger Holzhäuser, deren Dächer mit einem matten Metall isoliert waren. Ohne weiteren Befehl ging das Team in Deckung und rührte sich nicht mehr. Lir schaltete ihr Mikro ein. »Boss?« »Hab's gesehen«, antwortete Garvin leise. Er sah auf seinen Kompass. »Wir machen einen Bogen um das Dorf. Richtung Süden. Versuch in Sichtkontakt mit dem See zu bleiben.« Lir klickte zweimal, winkte, und das Team folgte ihr mehrere Meter zurück in den Dschungel, dann ging es am Rand der Pflanzung weiter. Sie hatte erst ein paar Schritte gemacht, als sie ein Geräusch hörte und wieder zur Statue erstarrte. Das Geräusch wurde lauter - und dann tauchte ein junges Mädchen mit weiter Hose und buntem Top hinter einem Baum auf. Sie war völlig darin vertieft, Dschungelranken mit einer offenbar sehr scharfen Hacke zu stutzen. Wieder signalisierte Lir - die Hand ausgestreckt, Daumen nach unten. Feind. Sie wartete und hoffte, dass das Mädchen sich einfach an ihr vorbeibewegte. Doch plötzlich zog das Kind den Kopf 131 ein und schaute unabsichtlich in Lirs Richtung, arbeitete danach aber sofort weiter. Lir aktivierte ihr Mikro und machte Meldung. Bevor Garvin reagieren konnte, berührte Irthing, die hinter Lir ging, ihre Hand. Lir blickte nach unten und sah eine Metallröhre mit einem primitiven Abzug. Es war eine altertümliche Waffe, die solide Patronen mit Unterschallgeschwindigkeit abfeuerte. Trotz der Einfachheit war es immer noch das leiseste Tötungswerkzeug gleich nach einem Messer. Das Mädchen bewegte sich langsam rückwärts; sie versuchte, nicht aufzublicken und einen unschuldigen Eindruck zu erwecken. Lir hob die Waffe, dann riss sie sich zusammen. Nein. Wir töten keine Kinder. Sie gab Irthing die Waffe zurück, im gleichen Moment, als Garvins Stimme in ihr Ohr hauchte: »Warte, bis sie außer Sicht ist, dann ziehen wir weiter. Töte sie nicht.« Das Mädchen wirbelte plötzlich herum und rannte los. Lir sprang auf und bewegte die geballte Faust auf und ab. Schneller Rückzug.
Das Team machte sich wieder auf den Weg, und bald hatten sie das Dorf hinter sich gelassen. Lir erstattete Bericht, und Garvin antwortete: »Hoffen wir, dass es im Dorf keinen Kom gibt, mit dem die Bewohner melden können, dass sie Fremde gesichtet haben.« Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn Monique das Mädchen erschossen hätte. Aber sie töteten keine Kinder, zumindest nicht von Angesicht zu Angesicht. Zumindest nicht, solange es noch andere Möglichkeiten gab. 132 Nun erleichterte das Gelände ihnen das Vorwärtskommen. Der Boden wurde noch ebener, und sie stießen immer wieder auf Bäche, die zum See hinunterflössen. Der dichte Dschungel war durch Brandrodung ausgedünnt worden, sodass sie sich nur durch nachgewachsenes Gestrüpp schieben mussten, und außerdem wehte eine erfrischende Brise. Trotzdem bewegten sie sich langsamer als zuvor. Alle paar Kilometer gab es Dörfer und Felder. Sie sahen weitere Einheimische, aber nur ein einziger Mann war bewaffnet, und der schien so etwas wie der Dorfpolizist zu sein. Es gab keine Anzeichen für Alarm, weder am Boden noch in der Luft, und Garvin hoffte bereits, dass niemand dem kleinen Mädchen geglaubt und ihre Geschichte von grün- und schwarzgesichtigen, mit Waffen behängten Ungeheuern, die den Dschungel unsicher machten, ernst genommen hatte. Immer wieder erreichten sie freie Flächen, die ihnen einen Blick auf die aufragende Mauer des Staudamms gewährten. Sie stießen auf ein größeres Dorf, und Garvin ordnete an, dass sich alle in den Dschungel zurückziehen und in Verteidigungsstellung gehen sollten. Dann schoben er, Lir und Froude sich durch das Unterholz bis zu einer Felsformation, von der aus sie ihr Ziel in Augenschein nehmen konnten. Nach einer Weile kehrten sie zurück und versammelten das Team zu einer Einsatzbesprechung. »Ich habe folgende Idee, Leute«, flüsterte er. »Ich weiß nicht, ob wir gemeldet wurden, aber ich werde davon ausgehen, dass es geschehen ist. Das bedeutet, dass wir heute Nacht zuschlagen werden, bevor sie Zeit haben, eine Suchaktion auf die Beine zu stellen.« Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten. 133 »Trotzdem ist es noch ein gutes Stück bis zur Basis des Damms«, warf Lir ein. »Wir sollten die Sache lieber abblasen und wieder aufsatteln.« »Die erste gute Neuigkeit«, sagte Garvin. »Wir können eine Weile unsere Füße schonen. Wir stechen in See.« »Zum Schwimmen ist es ziemlich weit, Boss«, sagte Mahim. »Wir werden nicht selber schwimmen«, sagte Garvin. »Seht ihr die Fischerboote, die da drüben festgemacht sind? Oder ist hier jeder außer mir blind?« »Ich habe sie gesehen«, sagte Dill. »Ich auch«, sagte Froude. »Und ich habe mich bereits gefragt, ob wir sie nicht für unsere Zwecke nutzen können. Anders als bei euch Fanatikern ist Wandern nicht gerade meine Lieblingsfreizeitbeschäftigung.« »Also werden wir jetzt die Sprengsätze scharfmachen«, sagte Garvin. »Stellt sie auf Fernzündung. Dann können wir sie situationsabhängig einsetzen. Wenn es völlig dunkel geworden ist, gehen wir runter und schnappen uns zwei Boote, die mit je drei Mann besetzt werden. Zwei bleiben hier zurück, um das Gepäck zu bewachen. Da ein Mond am Himmel stehen wird, rudern wir am Ufer entlang bis zur gegenüberliegenden Seite des Damms. Dort legen wir nahe beieinander zwei Zwanzig-Kilo-Pakete an der Flutschleuse ab. Zwei Glückliche dürfen dann durch das Rohr klettern und drinnen zwei weitere Ladungen deponieren, so nahe wie möglich an dem Kasten, in dem sich der Kontrollraum für die Hydroenergie befinden dürfte. Sobald die Sprengsätze angebracht sind, werden alle außer, äh, Monique, mir und...« »Und mir«, sagte Dill. »Und dir, Ben. Du kannst mich tragen, wenn ich müde werde. Der Rest der Rudertruppe kehrt hierher zurück, 134 nachdem die Sprengsätze angebracht sind, und wartet, bis wir nachkommen. Wir sammeln uns, und mit etwas Glück schaffen wir es bis in die Hügel, wo wir ausharren werden, bis sich der Rauch verzogen hat. Der Treffpunkt ist dort, wo wir letzte Nacht geschlafen haben. Ganz einfach und klar, rein und wieder raus.« »Nein, noch ist nicht alles klar«, sagte Nectan. »Zwei von uns hast du noch keine Anweisungen erteilt.« »Richtig«, sagte Garvin. »Monique und ich werden jetzt gleich rüberhuschen und uns die Sache aus der Nähe ansehen. Wir werden Zeichen geben, wenn dort irgendwelche bösen Überraschungen lauern, zum Beispiel Wachen, Sensoren, Fluggefährte, Alarmeinrichtungen oder so was, und uns je nach Sachlage darum kümmern. Wenn es richtig große Schwierigkeiten gibt, melden wir uns über Kom, brechen die Aktion ab und denken noch einmal gründlich über alles nach.« »Noch etwas«, sagte Irthing. »Schieß los, Deb.« »Wollen wir mit bloßen Händen paddeln? Oder hat irgendwer nachgesehen, ob diese Katamarane mit Rudern ausgerüstet sind?« »Bäh!«, knurrte Garvin. »Bin ich blöd!« »Da sind Ruder«, sagten zwei Stimmen fast im Chor, und Lir und Froude sahen sich grinsend an.
»Zu diesem Zweck«, sagte Garvin zerknirscht, »haben wir Erste Twegs dabei. Und Wissenschaftler.« »Eine andere Frage«, sagte Dill. »Wer begleitet mich bei der Klettertour mit der dicken Bombe?« »Als Neuling in der Runde melde ich mich freiwillig«, sagte al Sharif. »Einverstanden«, sagte Garvin. »Monique und ich werden oben auf dem Damm auf euch warten. AI Sharif, nach135 dem die Zünder scharf sind, bewegst du deinen Arsch wieder runter zum Boot. Dill, du bleibst bei uns, wie ich schon sagte. Tja, so problemlos kann eine Einsatzbesprechung ablaufen«, fasste Garvin strahlend zusammen, »wenn man keine guten Landkarten und keine Ahnung von der Stärke des Feindes hat oder von seinen Plänen oder was es sonst noch alles gibt.« Er blickte in die Runde. »Gut. Nectan, du übernimmst die Leitung der Aktion. Glaubst du, dass es schwierig werden könnte, die Boote zu stehlen?« »Wenn, dann stehe ich ihm mit Rat und Tat zur Seite«, sagte Montagna. »Ich war in meiner Jugend Schwimmlehrerin. « Sie grinste Garvin an, der zurückgrinste. Vor einiger Zeit, als er die Patrouille angeführt hatte, die als Abschlussprüfung für die Auszubildenden bei den Aufklärern gedacht gewesen war und in einem blutigen Albtraum geendet hatte, der zum Auslöser des Krieges gegen die Musth geworden war, hatte Garvin beiläufig ihre Sportlichkeit und Schnelligkeit bewundert. Sie hatte ihn entfernt an ein Mädchen aus seiner Schulzeit erinnert, dem die anderen Schüler mit Ehrfurcht begegnet waren - weil sie ein bisschen zu hübsch, ein bisschen zu intelligent und viel zu reif für die anderen gewesen war. Aber natürlich hatte er Montagna gegenüber nichts davon erwähnt, da sie eine Rekrutin und er ein Offizier gewesen war. Außerdem hatte er damals um den vermeintlichen Verlust von Jasith getrauert, und seine Gedanken über die Auszubildende waren in erster Linie akademisch gewesen. »Holt uns, wenn ihr so weit seid, Wy.« Garvin stand auf. »Jeder, der keine sinnvolle Arbeit finden kann, legt sich aufs Ohr.« Leises Lachen war zu hören. Niemand würde Zeit zum 136 Schlafen finden, selbst wenn jemand die Neigung dazu verspüren sollte, nachdem die Sprengsätze vorbereitet, die Waffen gereinigt, die Magazine überprüft, die Messer geschärft und alle anderen Tötungsinstrumente gecheckt waren. »Komm, Lir«, sagte Garvin. »Wir haben noch viele Kilometer vor uns, bevor wir wieder schlafen werden.« »Ich habe schon bessere Formationen gesehen«, sagte Monique Lir, als sie ihren Feldstecher sinken ließ. »Zum Beispiel bei Fliegen, die einen Eimer mit Scheiße belagern.« »Also nicht allzu militärisch«, pflichtete Garvin ihr bei. »Dem heiligen Johannes der Arschpokacklymphe sei Dank.« Für den Damm schienen etwa hundert Wachleute zuständig zu sein. Sie waren in einem kleinen Gebäude knapp einen halben Kilometer entfernt einquartiert. »Hast du auch gesehen, wie lahm sie angetreten sind?«, fragte Lir. »Die Hälfte schleppte sich noch aus der Messe, als der Typ die Namen aufgerufen hat.« »Sie gefallen mir so, wie sie sind«, sagte Garvin. »Und hast du gesehen, dass sie unterhalb des Damms hausen? Mit etwas Glück spült unser großer Knall sie weg, sodass wir uns keine Sorgen machen müssen, womöglich verfolgt zu werden.« »Mit etwas Glück«, stimmte Lir ihm zu und nahm den Feldstecher wieder auf. »Ich zähle zwei Sensoren auf dieser Seite der Mauer, die problemlos lahmzulegen sein müssten.« »Da unter dem Tor im Zaun scheint ein dritter zu sein«, sagte Garvin. »Vielleicht ist es auch nur ein Drucksensor.« »Hab ihn.« Sie beobachteten weiter, während die Sonne hinter einem Berg versank und der Damm in Dunkelheit getaucht 137 wurde. Menschen verließen ein Gebäude und stellten sich in einer Reihe auf. »Ich schätze, das ist die Wachablösung«, sagte Garvin. »Sechzehn Mann und ein Unteroffizier. Ja. Sie marschieren los. Acht auf dieser Seite, acht auf der anderen, zwei davon in Bewegung.« »Ich vermute, das unsichtbare Ding, das Alikhan und mich beunruhigt hat, hat nicht planmäßig Bericht erstattet«, sagte Lir. »Sag das lieber nicht zu laut.« »Was? Warten wir noch ein paar Stunden und gehen dann runter?« »Sei nicht so ehrgeizig. Wir ziehen los, wenn Nectan sagt, dass er eine Amphibie ist. Bis dahin süße Träume.« Garvin drehte sich auf seinem Rucksack herum, schloss die Augen und erweckte den Anschein, als wäre er sofort eingeschlafen. Monique warf ihm einen skeptischen Blick zu und tat dasselbe. Nach zwei Minuten begann sie sehr leise zu schnarchen, fast wie eine schnurrende Katze. Darod Montagna schwamm lautlos zu einem Fischerboot. Sie bewegte die Arme und Beine unter Wasser, wie
sie es als kleines Mädchen gelernt hatte. Nur einer der Monde von Kura Vier war aufgegangen. Montagna wartete, bis er von einer Wolke verdeckt wurde, zog sich in ein Boot, löste die Leine zur Ankerboje und legte die Riemen ein. Mit langsamen und vorsichtigen Ruderzügen bewegte sie das etwa sechs Meter lange Boot vom Dorf weg und auf den fernen dunklen Umriss des Damms zu. Wenige Sekunden später folgte ihr ein zweites Boot. Sie war kräftig ins Schwitzen geraten, als sie den Treff138 punkt erreichte und das Gefährt ans Ufer steuerte. Sechs Männer und Frauen kamen aus dem Gebüsch, wateten ins flache Wasser, legten ihr Gepäck in die Boote und stiegen ein. »Sind unterwegs«, murmelte Nectan in sein Kehlmikro. Garvin antwortete ihm mit einem doppelten Klicken. Garvin und Monique schoben sich im Gebüsch verborgen an der Wachbaracke vorbei und durch ein bisschen Stacheldraht und stiegen dann zur Brüstung des Damms hinauf. Die zwei Standardsensoren befanden sich genau dort, wo eine Straße die Auffahrt zur Dammkrone kreuzte. Garvin huschte zu dem Pfahl auf der anderen Seite, schloss ein kleines Gerät mit gummiertem Gehäuse an die Energieversorgung an und schaltete es ein. Klammern bohrten sich tief in das Kabel. Lir kümmerte sich um den anderen Sensor. Das gesendete Signal wurde aufgezeichnet, und von nun an würde jede Veränderung oder Unterbrechung blockiert werden, worauf der interne Sender des Gerätes das normale Signal ausstrahlte. Der Drucksensor - vorausgesetzt, es war tatsächlich einer - war ohne besonderes Geschick installiert worden, sodass es leicht war, sich auf Zehenspitzen an ihm vorbeizuschleichen. Lir deponierte ein kleines Paket an der Innenseite der Brüstung. Dann bewegten sie sich geduckt über die Dammkrone, eine etwa vierhundert Meter lange und fünfzehn Meter breite geschwungene Linie aus Beton mit einer niedrigen Mauer auf der gegenüberliegenden Seite. Kurz vor dem Ende befand sich der quaderförmige Kontrollraum. Irgendwo davor mussten die hin und her marschierenden Wachen sein. 139 Baku al Sharif blickte die Staumauer hinauf, die düster über ihm aufragte, und erschauerte. Nectan, der neben ihm im Bug des Bootes saß, spürte die Bewegung und legte ihm zur Beruhigung eine Hand auf den Arm. Das andere Boot befand sich etwa zwei Meter neben ihnen. Der Wachmann blickte hinunter auf das Wasser, das tief unten aus dem Kraftwerk in die felsige Schlucht und weiter ins Tal strömte. Er rechnete sich aus, wie oft er sich diese Provinzlandschaft noch ansehen musste, bis seine Dienstzeit vorüber war. Er überlegte, ob er etwas zu seinem Kameraden sagen sollte, aber dann würde der sich nur darüber lustig machen, wie viel Zeit er noch vor sich hatte, während sein Freund sich schon darauf freute, dass er in etwas mehr als einem Monat auf einen anderen Posten versetzt werden würde. Etwas schoss aus der Dunkelheit auf ihn zu. Der Wachmann hatte nicht mehr die Zeit, seinen Blaster von der Schulter zu nehmen, als sich ein Messer in seine Eingeweide bohrte und ihm die Luft aus den Lungen trieb. Er rang eine Weile verzweifelt nach Atem, dann kippte sein Kopf nach hinten, und er starb. Garvin zog das Messer aus der Leiche und steckte es wieder ein, während Lirs Opfer seinen letzten Atemzug durch die aufgeschnittene Kehle ausröchelte. »Kommt jetzt. Die Luft ist rein«, sprach er in sein Mikro. Montagna und Irthing im einen Boot und Mahim und Dill im anderen aktivierten die Zünder ihrer Sprengladungen und ließen sie an der Rückseite des Damms ins Wasser gleiten. Die Ladungen versanken schnell im tiefen, schlammigen Grund unmittelbar neben dem Beton. Nicht weit von den mit Rippen versehenen Rohren der 140 Flutschleuse entfernt, die über einen Meter Durchmesser hatten, stießen die Boote gegen den Damm. AI Sharif hielt sich an einer Röhre fest und stieg aus dem Boot, während Dill seine Ausrüstung auf eine andere warf und sich den Damm hinaufzog, wobei er an den Rippen Halt fand. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor, und al Sharif sah, wie Dill mit dem Kinn nach oben zeigte. Sie schulterten ihre Rucksäcke und begannen mit dem Aufstieg. Die Steigung betrug etwa 80 Prozent, aber die Rippen, die sich im Halbmeterabstand an den Röhren befanden, erleichterten ihnen das Hochklettern. Unten gab Nectan dem zweiten Boot ein Zeichen, sich von der Staumauer zurückzuziehen. Er hätte sofort zum Ufer zurückkehren sollen, aber er wartete noch einen Moment, falls einer der Kletterer abstürzte. AI Sharif stieg ohne große Schwierigkeiten immer höher hinauf. Dill machte eine Pause, als seine Arme von der Anstrengung schmerzten, rückte seine Gepäckgurte zurecht und ließ den Finf an sich vorbeiziehen. Bald waren sie vierzig Meter über dem Wasser. Genau über ihnen war die Brüstung und rechts das Kontrollhaus. AI Sharif erreichte die Dammkrone, schlüpfte aus seinen Gurten und ließ den schweren Rucksack über die Brüstung kippen. Grinsend griff er nach unten und reichte Dill eine Hand, die Letzterer eigentlich gar nicht nötig hätte. Im selben Augenblick kam ein Mann aus dem Kontrollraum und hob einen Blaster. AI Sharif hörte das Scharren von Stiefeln, drehte sich um, sah die Waffe und hob eine Hand, um die Kugel abzuwehren, als der Wachmann ihm ins Gesicht schoss. AI Sharif war sofort tot und stürzte über das Geländer nach unten.
Ben Dill hatte ihn am Kragen aufgefangen, während er 141 sich nur noch mit den Knien an der Mauer festhielt. Seine andere Hand suchte nach der monströsen Handwaffe, die er stets bei sich trug. Es krachte dumpf, als er sie abfeuerte, während der Blaster über ihm in seine Richtung schwang. Der Mann wurde herumgerissen und stürzte zu Boden. Dill spürte, dass er seinen Schwerpunkt zu weit verlagert hatte und aus dem Gleichgewicht geriet, sodass er jeden Augenblick abstürzen konnte. Noch während er die Knie entspannte und die Balance wieder fand, steckte er die Pistole unters Hemd, tastete nach einem Halt und spürte, wie der Beton ihm die Hand aufriss. Dann bekam er einen Vorsprung zu fassen und zog sich mit al Sharifs Leiche das Rohr hinauf und über die Brüstung. Oben kamen zwei dunkle Gestalten auf ihn zu, und er griff nach der Pistole. »Prophet«, sagte eine von ihnen, und er erkannte Garvins Stimme. Dill warf einen Blick auf al Sharifs Kopf, von dem der größte Teil fehlte, und ließ den Toten zu Boden gleiten. »Nein«, sagte Garvin. »Wir werfen ihn über die andere Seite. Niemand soll wissen, dass wir Verluste erlitten haben. « Dill schleppte al Sharifs Leiche zur anderen Brüstung und ließ ihn ins felsige Flusstal fallen. Sie hörten Rufe und sahen hinter dem Kontrollhaus Lichter, die sich ihnen über die Dammkrone näherten. »Ben«, sagte Garvin, »du übernimmst die Sprengsätze. Wir kümmern uns um diese Leute.« Dill schnappte sich al Sharifs Rucksack und machte sich auf den Weg - ein unförmiger gebeugter Schatten in der Nacht, der sich wenig später durch die offene Tür in den Kontrollraum schob. 142 Garvin und Lir warfen sich zu Boden, entsicherten ihre MGs und eröffneten das Feuer. Patronen prallten vom Beton ab, schlugen in Körper; Schreie ertönten. »Hinter uns«, sagte Monique, als sie sich umdrehte und die übrigen Wachen sah, die auf sie zuliefen. Idiotischerweise beleuchteten sie sich selbst mit tragbaren Lampen. Garvin aktivierte eine Granate, warf sie auf die ersten acht Leute beim Kontrollhaus und ließ eine zweite folgen. Nach der zweifachen Explosion konnten seine klingelnden Ohren nichts mehr wahrnehmen, was auf lebendige Wesen hingedeutet hätte. Dann schickte Monique den größten Teil des Inhalts eines Magazins quer über die Brücke zum zweiten Wachtrupp. Dill kam aus dem Kontrollraum. »Meinetwegen können wir jederzeit abzischen.« Auf der anderen Seite des Damms ging die Beleuchtung der Wachgebäude an. »Gut«, sagte Garvin, während er ein neues Magazin einlegte. »Ich denke, wir schlagen uns erst mal hier drüben durch und überlegen uns später, wie wir wieder auf die andere Seite kommen.« Er aktivierte sein Mikro. »Hier ist Garvin. Einer im Kampf gefallen. Wo seid ihr?« »Schau nach unten«, antwortete ihm Nectans Stimme, die über Garvins Brustbein übertragen wurde. Er tat es und sah die zwei wartenden Boote. »Verdammte widersetzliche Scheißkerle«, knurrte er glücklich, zog ein Seil aus seinem Gepäck und schlang es um eine Zinne der Mauerkrone. »Monique, du zuerst.« »Leck mich.« »Das war ein Befehl!« Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu, doch dann ließ 143 sie sich schnell am Seil hinunter. Ein Boot kam auf sie zu. Dill folgte als Nächster. Garvin feuerte etwa hundert Schuss über den Damm, während Monique Lir im Boot gleichzeitig die kleine Ladung zündete, die sie auf der anderen Seite am Drucksensor hinterlassen hatte. Jaansma schulterte sein MG und seilte sich an der Staumauer ab. Er war viel zu schnell, wodurch er sich die Hände verbrannte und bis zu den Knien ins Wasser rutschte. Doch sofort griffen Hände nach ihm und zerrten ihn in ein Boot. »Rudert endlich, verdammt noch mal!«, sagte er. »Ich will diese Sache hinter mich bringen.« Man mochte den Soldaten von Kura Nachlässigkeit vorwerfen, aber niemand konnte ihnen Tapferkeit absprechen. Nachdem alle Offiziere bei den kurzen Feuergefechten gefallen waren, kroch der ranghöchste Unteroffizier vorwärts, gefolgt von ein paar seiner Männer. Niemand schoss auf ihn, und er sah auch keine Bewegung. Er drückte den Zünder einer Leuchtgranate und warf sie. Als sie losging, sah er nur überall auf der Dammkrone herumliegende Leichen. Die zwei Boote hatten das Ufer auf der Seite erreicht, die dem Kontrollraum gegenüberlag und auf der sich die Baracke der Wachleute befand, als Garvin die Leuchtgranate aufflammen sah. »Dill? Nectan?« Dill drückte mit grimmiger Miene die zwei Zündknöpfe, während Nectan dasselbe tat. Die vier Ladungen gingen gleichzeitig hoch. Dill hatte 144
seine vor der Flutschleuse platziert. Die Explosion schleuderte die Tore in die Luft und zerfetzte den Kontrollraum. Die anderen beiden, die tief unter Wasser am Fuß der Betonmauer lagen, erzeugten eine aufkochende silberne Blase. Vielleicht war der Damm unsachgemäß konstruiert worden, vielleicht hatten die Baufirmen auch an der Betonmischung gespart, oder vielleicht war der Damm im Laufe der Jahre auf natürliche Weise mürbe geworden. Die Explosionen hätten die Staumauer nur so weit beschädigen sollen, dass sie langsam durch den Wasserdruck aufgerissen wurde. Stattdessen kippte ein gutes Drittel des Damms weg und stürzte ins Tal, gefolgt von einer Sturzflut, die den Kontrollraum, die Turbinen und das gesamte Kraftwerk mit sich riss. Den Soldaten auf der Mauer blieb keine Zeit zur Flucht mehr. Sie wurden von der Strömung fortgespült. Eine gewaltige Wasserwand von fünfundsiebzig Metern Höhe schob sich in die Felsschlucht und vernichtete das Wachgebäude. Ein Stück dahinter klammerten sich kleine Dörfer an die steilen Hänge, und das Wasser riss auch sie mit, als wären sie niemals da gewesen. Fünf Kilometer flussabwärts weitete sich die Schlucht zu einem Tal. Das Wasser schoss hindurch, tötete ganze Herden grasender Tiere, schlafende Dorfbewohner, sogar einen Trupp von Redruths Soldaten, und toste weiter. Nach weiteren zwölf Kilometern wogte das Wasser in ein zweites, größeres Reservoir, und eine neue Welle baute sich auf, warf den See gegen den noch größeren Damm. Ein Kraftwerk wurde zerstört, und von einem zweiten wurde das Kontrollzentrum zertrümmert. Aber der Damm hielt, und die Stadt dahinter wurde nicht vernichtet. 145 »Gut«, sagte Garvin, als das donnernde Echo der Welle an den Talwänden verklang. »Wir kehren jetzt zum Abholpunkt zurück. Morgen werden wir ein Stück flussabwärts gehen und uns anschauen, welchen Schaden wir angerichtet haben. Dann entscheiden wir, ob wir auch den zweiten Damm sprengen müssen.« Er wandte sich an Dill. »Bist du bereit?« »Ich überlege die ganze Zeit«, sagte der große Mann langsam, »ob ich, wenn ich als Erster hochgeklettert wäre, Zeit gehabt hätte, den Dreckskerl zu erledigen.« »Hör auf damit, Ben. Die Vergangenheit ist vergangen, und die Toten sind tot.« »Ja, klar. Aber jetzt werde ich nie die Gelegenheit erhalten, mich wegen seines verdammten Furzes an ihm zu rächen. « Die sieben Soldaten nahmen ihre Waffen und ihre Ausrüstung und verschwanden in der Dunkelheit. Nachdem sie einen halben Tag später den zerstörten Damm und den ausgelaufenen See passiert hatten, dessen einst blaues Wasser nun schlammig war, und an den Dörfern vorbei waren, die die Flutwelle verschont hatte, erreichten sie eine Hügelkuppe, von der aus sie den zweiten Damm und das Reservoir sehen konnten. »Okay, Leute«, sagte Garvin. »Schlechte Neuigkeiten. Wir haben den zweiten Damm nicht erwischt. Wir werden eine Zugabe abliefern, aber diesmal deutlich lauter und spaßiger.« Doch zwei E-Stunden später hörten sie hinter sich einen Schuss, gefolgt von zwei weiteren. Man war ihnen auf der Spur. 146 10 Larix / Larix Primus »Ist dir aufgefallen«, fuhr Maev fort, »dass wir uns in einem netten, abgelegenen Korridor befinden, wo es weder große noch kleine Ohren gibt? Ich habe ihn genau überprüft, bevor ich dich in diesen Hinterhalt gelockt habe.« »Junge Frau«, sagte Njangu, der abwehrend die Hände hob und sich bemühte, wie ein älterer Mann zu sprechen, der unmöglich zur gleichen Zeit wie diese Person Rekrut gewesen sein konnte. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie reden.« »Ich bin nicht verwanzt.« »Nur die Tatsache, dass ich Protektor Redruth und seiner Palastgarde den höchsten Respekt entgegenbringe, hält mich davon ab, nach der Wache zu rufen und Sie abführen und einer mentalen Inspektion unterziehen zu lassen. Vielleicht haben Sie in letzter Zeit zu viel gearbeitet.« Maevs Lächeln entgleiste ein wenig, kehrte jedoch zurück, als Njangu einen Notizblock aus der Tasche zog und eine Adresse auf die eine Seite und eine Botschaft auf die andere schrieb: Führen Sie die Überbringerin in mein Quartier. Ab Yohns Er zeigte ihr zehn Finger und dann noch einmal neun Finger. »Sehr vorsichtig, Njangu«, sagte Maev. »Nichts, was dich belasten könnte. Und vergiss nicht, dass ich auch nicht weiß, ob du überwacht wirst. Aber ich werde das Risiko 147 eingehen. Ich suche verzweifelt nach einer Möglichkeit, aus dieser verdammten Falle zu entkommen, und wenn du einen Weg herein gefunden hast, gibt es zweifellos auch einen Weg hinaus.« Sie salutierte, machte auf dem Absatz kehrt und eilte davon. Njangu blickte ihr nach und hoffte, dass man
seinem Gesicht nicht ansehen konnte, wie besorgt er war. Gegen Abend hatte Njangu sich einigermaßen erholt und sogar einen Plan geschmiedet, der von der Voraussetzung ausging, dass Maev keine Agentin von Redruth, Celidon oder einem anderen unbekannten Feind war. Zumindest war es eine Art Plan, der eine Sache berücksichtigte, die einer seiner Leibwächter ihm am Tag seiner Einstellung gesagt hatte. Yoshitaro suchte sein Büro gründlich ab, einmal nur so und dann noch einmal mit Instrumenten, dann sagte er seinen Leibwächtern und seinem übrigen Personal, dass er am Abend eine wichtige Besprechung hatte und unter gar keinen Umständen gestört werden wollte. Die einzige Reaktion kam von seiner Gefährtin Brythe: »Du meine Güte! Jetzt soll auch noch eine fünfte dazukommen? Haben wir schon angefangen, Vitaminpillen zu nehmen?« »Könnte es nicht auch ein geheimes Treffen mit Protektor Redruth sein? Oder mit Flottenkommandant Celidon?« »Wenn es um so jemanden gehen würde, hättest du nicht diesen schuldbewussten Gesichtsausdruck.« Yoshitaro brummte unverbindlich und fragte sich, ob er wirklich das Zeug zum Spion hatte. Maev traf auf die Minute pünktlich ein, wie es sich für einen Armeeoffizier gehörte. Ihr Outfit entsprach allerdings eher dem einer Prostituierten. Sie trug eine schwarze Netzhose und ein dazu passendes Hemd, das kurz unter 148 ihren Brüsten aufhörte. Ihr schwarzes Haar war genauso kurz geschnitten wie Njangus. Njangu blinzelte überrascht, sagte aber nichts, bis sie sich in seinem Büro befanden. »Wolltest du auf einen Bodycheck vorbereitet sein? Andererseits ... wenn du so etwas trägst, erübrigt sich dieses Problem.« »Hör auf mit dem Scheiß«, sagte Maev. »Meinst du etwa, ich werde nicht überwacht?« Njangu schüttelte den Kopf und tat, als würde er nichts verstehen. »Ich vermute, dass jemand gesehen hat, wie wir beide heute miteinander geredet haben«, fuhr Maev fort. »Er könnte sich fragen, welche Verbindung es zwischen einer Kommandantin und einem hochrangigen Präfekten gibt. Ich habe ihm die offensichtliche Antwort geliefert. Sämtliche arschgesichtigen Männer, die Larix/Kura beherrschen, glauben, dass jede Frau ihr Erstgeborenes aufgeben würde, um mit ihnen ins Bett steigen zu können.« »Oh. Entschuldigung. Möchtest du etwas trinken? Oder etwas essen? Mein Küchenpersonal hat noch Dienst.« »Ich habe in der Offiziersmesse gegessen«, sagte Maev. »Was das andere betrifft, ich trinke nicht viel, und schon gar nicht, wenn ich im Dienst bin.« »Dann verzeih mir bitte, dass ich Alkoholiker bin«, sagte Njangu und ging zur Bar. Doch er begnügte sich mit einem Bier. »Die Lage sieht folgendermaßen aus«, sagte Maev forsch und setzte sich in einen Polstersessel, jedoch ohne sich zu entspannen. »Wenn du wirklich Ab Yohns bist — der Mann, der für den Protektor gegen Cumbre spioniert hat -, bin ich geliefert. Schließlich könntest du ein Dutzend Wanzen in diesem Raum verteilt haben. Aber ich glaube nicht, dass 149 du es bist. Und dass du mich hierher eingeladen hast, macht mich noch sicherer.« »Ich könnte versuchen, dich in Sicherheit zu wiegen«, sagte Njangu, »um mehr über deine cumbrianischen Komplizen herauszufinden.« »Eine solche Idee würde zum Protektor passen«, stimmte Maev ihm zu. »Dann würde man mich wahrscheinlich mit Plauderdrogen vollpumpen, was bedeutet, dass bei einem Verhör herauskäme, dass ich dich für Njangu Yoshitaro halte - ich habe mich vor etwa einer Stunde an deinen richtigen Nachnamen erinnert. Und das wäre deiner Karriere eher abträglich. Stimmt's?« »Stimmt«, sagte Njangu. »Okay, keine Spiele mehr. Ich bin... der, für den du mich hältst.« Er fragte sich, warum es ihm widerstrebte, seinen Namen auszusprechen. »Und ich glaube, an Bord der Malvern habe ich irgendwie nie die Zeit gefunden, mir dein Namensschild genauer anzusehen.« »Maev Stiofan.« Jetzt entspannte sie sich ein wenig. »Ja... wir sind nicht viel zum Reden gekommen, was?« Auf ihrem Gesicht erschien ein winziges Lächeln. »Dann kannst du mir jetzt erzählen, was mit dir passiert ist«, sagte Njangu, »nachdem Celidon das Schiff gekapert hat und ich den Abgang gemacht habe.« Maev fasste sich sehr kurz. Die Rekruten waren nach Larix gebracht worden, wo man sie auf die unterschiedlichsten Truppenverbände aufgeteilt und Redruths harter Grundausbildung unterzogen hatte. »Ich habe mich von der Armee der Konföderation einziehen lassen, weil ich eine Kommunikationsausbildung machen wollte. Ich hatte gedacht, so etwas könnte ich überall einsetzen, sobald ich aus dem Dienst entlassen werde, da ich nicht sonderlich von der Vorstellung begeistert war, den Rest meines Lebens 150 auf der Farm zu verbringen, auf der ich aufgewachsen bin. Dann erkannte ich — leider etwas zu spät, nämlich kurz nachdem ich den Vertrag unterschrieben hatte -, dass ich nicht den Rest meines Lebens mit einem Kom im Ohr verbringen wollte. Und es hat mich auch nicht sonderlich interessiert, die ganze Zeit durch den Matsch zu stapfen. Als ich dann zu Redruths Personalbüro versetzt wurde, habe ich mich für die Ausbildung in
Langstreckenkommunikation mit einem Zhukov-Geschwader beworben... das war zumindest die Bezeichnung in der Konföderation. Hier heißt dieser Typ Ayesha. Das sind...« »Ich kenne mich damit aus«, sagte Njangu. »Wir benutzen sie auf Cumbre ebenfalls.« Redruth verlangte von allen diensttauglichen Männern und Frauen, dass sie drei Jahre beim Militär dienten - ein Jahr Grundausbildung, ein Jahr Spezialausbildung und ein Jahr aktiver Dienst. »Ein überraschend großer Teil der Soldaten, die es zu etwas bringen wollen, landet in der Flotte«, sagte sie. »Redruth scheint Raumschiffe für seinen besten Schutz zu halten. Die Armee ist trotz ihrer Größe hauptsächlich eine Superpolizei. Nicht dass es irgendwelchen Widerstand geben würde. Er und sein Vater und sein Großvater haben jede Opposition so gründlich niedergemacht, dass niemand auch nur an die Möglichkeit einer Veränderung denkt.« »So habe ich es auch erlebt«, pflichtete Njangu ihr bei. »So ein Regime ist verdammt schwer zu stürzen.« »Und genau das dürfte der Grund deines Besuchs auf Larix Primus sein, schätze ich«, sagte Maev. »Seit meiner Zeit als einfacher Soldat tönt Redruth herum, dass er einen rechtmäßigen Anspruch auf Cumbre hat.« Sie blickte verzweifelt auf. »Njangu, hat Cumbre noch Kontakt mit der Konföderation? Was zum Henker ist da 151 draußen überhaupt los? Wir hören hier gar nichts, und ich bin nicht so dumm, an die Verkündigungen von Redruths Propagandamaschinerie zu glauben.« Njangu erzählte ihr, was sie über den offenkundigen Zusammenbruch der Konföderation wussten. »Also haben unsere Medien doch nicht gelogen. Weiß wirklich niemand, was passiert ist?« »Wir wissen nur das, was ich dir gerade erklärt habe. Vielleicht sieht es da draußen gar nicht so schlimm aus, wie es den Anschein hat. Vielleicht ist gar nicht alles zusammengebrochen. Ich hoffe es wenigstens. Aber du warst noch nicht mit deiner Geschichte fertig.« Maev hatte die recht brutalen Baracken überlebt, indem sie sich geschickt zu wehren wusste, sei es mit einem Tritt in die Weichteile oder einer Rolle Münzen in der Faust -oder einer Intrige. »Redruth hat eine wirklich nette Armee. Es scheint die Leute einen Scheißdreck zu interessieren, wenn es sich ein Offizier in den Kopf setzt, Untergebene in sein - oder ihr - Bett zu lotsen. Jeder ist bereit, eine Mahlzeit abzutreten, Stiefel zu putzen oder zu einem beschissenen Diener zu werden. Ein-Streifen wird von Zwei-Streifen gefickt, und Zwei-Streifen... du weißt, worauf ich hinauswill. Außerdem sind Duelle zwischen Offizieren und Unteroffizieren legal. Man kann aber nur einen Gleichrangigen oder Untergebenen herausfordern. Allerdings kann ein Höherrangiger einen unliebsamen Zeitgenossen einfach von der Bildfläche verschwinden lassen, indem er dafür sorgt, dass er auf irgendeinen Asteroiden versetzt wird. Trotzdem gibt es eine Menge Leute, die >zufällig< den Posten ihres Vorgesetzten übernommen haben, nachdem dieser die Dummheit besessen hatte, sie zum Duell herauszufordern. 152 Es erstaunt mich, dass die Armee überhaupt noch existiert. Aber ich muss zugeben, dass dieses System eine gewisse Effizienz besitzt, auch wenn es anscheinend genauso vielen eigenen Leuten wie Feinden den Tod bringt.« »Und warum bist du dabei geblieben? Inzwischen sind fast fünf Jahre vergangen, und die Dienstzeit beträgt drei, wie du gesagt hast.« »Die Armee ist ein Scheißladen, aber sie ist immer noch besser, als sein Leben ganz unten als Bauer zu verbringen«, sagte Maev. »Wenn man ein bisschen Intelligenz besitzt, nicht arbeitsscheu ist und sich ab und zu freiwillig meldet, hebt man sich automatisch von drei Vierteln der armen Schweine ab, die schreiend dagegen protestiert haben, in eine Uniform gesteckt zu werden. Wenn man positiv auffällt, wird man sehr schnell befördert. Doch nach einer Weile habe ich erkannt, dass die Ayeshas nicht die Antwort sind. Also bin ich zu ein paar Leuten gegangen und habe mit ihnen das getan, was nötig war; daraufhin haben sie ihre Schulden eingelöst und mich für die Offizierslaufbahn empfohlen. Diese Ausbildung ist sogar ein noch viel tieferes Scheißloch als die normale Ausbildung. Dann habe ich dafür gesorgt, dass ich der Garde des Protektors zugewiesen wurde. Ich dachte, dass ich in Redruths Nähe, hier im Palast, hier in Agur, vielleicht eine Möglichkeit finden würde, um von hier wegzukommen. Aber bislang Fehlanzeige - bis ich dein freundlich lächelndes Gesicht gesehen habe. Aber nun erzähl mir, was dir widerfahren ist und was du hier machst.« Njangu gab ihr eine Zusammenfassung seiner Reisen und wie er dazu gekommen war, die Rolle des verstorbenen Ab Yohns zu übernehmen. »Dann bist du so was wie ein Maulwurf, ja?«, sagte Maev 153 nachdenklich. »Du wurdest eingeschleust, du erstattest Bericht... darf ich fragen, wie du Kontakt aufnimmst?« »Nein. Tut mir Leid.« »Ich würde es auch niemandem sagen. Du lieferst also deine Berichte ab, und wenn du dein Ziel erreicht hast, wirst du rausgeholt. Ich vermute, wenn du eine Hintertür hast, müsste sie auch groß genug für zwei Personen sein -und deswegen bin ich hier.« »Offen gesagt, es gibt keine Hintertür.« Maev blinzelte. »Bist du selbstmörderisch veranlagt?« »Nein, nur blöd. Der Plan sieht vor, dass ich ausharre und tue, was ich kann, bis der Krieg losgeht. Dann reden
wir darüber, wie man mich herausholen könnte.« »Das wird nicht mehr lange dauern«, sagte Maev. »Ich habe Gerüchte gehört, dass schon ein Kommandounternehmen nach Cumbre geschickt wurde.« »Mit Nuklearwaffen«, sagte Njangu. »Alles ist streng geheim, aber Celidon behauptet, dass schwere Schäden auf D-Cumbre angerichtet wurden. Das ist unsere Hauptwelt. Ich weiß allerdings nicht, ob es stimmt.« »Wird Cumbre Redruth den Krieg erklären?« »Es überrascht mich ein wenig, dass das nicht längst geschehen ist.« Maev musterte ihn aufmerksam. »Wieso habe ich das Gefühl, dass du keinen intensiven Kontakt zu deinen Vorgesetzten hast? Oder bist du einfach nur extrem vorsichtig?« »Du bist ein kluges Kind.« Njangu entschied, das Risiko einzugehen, ihr einen Teil der Wahrheit zu erzählen. »Ich habe eine Möglichkeit, Informationen zu senden, aber ich kann keine empfangen. Diejenigen, die hier das Sagen haben, gewähren niemandem - noch nicht einmal einem Präfekten - Zugang zu einem interstellaren Kom, und diese Hürde habe ich noch nicht überwunden.« 154 »Aber ich«, sagte Maev selbstgefällig. »Könnte es sein, dass du eine Frequenz kennst, auf der du theoretisch Informationen empfangen könntest?« »Ja.« »In Anbetracht der Dumpfbacken, für die ich verantwortlich bin, und der ganzen Komausrüstungen, die hier herumliegen, könnte ich ein Dutzend Empfänger auf allen möglichen verdammten Frequenzen horchen lassen. Das würde ich in die Verhandlungen einbringen.« »Darauf werde ich bestimmt zurückkommen«, sagte Njangu. »Allerdings hätte ich noch einen viel besseren Vorschlag... beziehungsweise einen, der dich interessieren dürfte. Wenn du ein bisschen wie ich bist, kannst du bestimmt problemlos auf ein paar Leute zurückgreifen, die dir nützlich sein könnten.« »Aber hallo!«, sagte Maev. »Ich hatte drei Präfekten, die fanden, dass ich bestens geeignet wäre, ihre Matratze zu bewachen.« »Ab jetzt sind es vier. Warte einen Moment, bevor du mich zu Brei schlägst«, sagte Njangu. »Als ich die Garde des Protektors inspiziert habe, ist mir aufgefallen, dass eine gewisse Anzahl deiner Wachsoldaten vielleicht einen Tick zu übereifrig ist, was ihr Pflichtbewusstsein angeht.« »Ja«, sagte Maev. »Wir nennen sie die Tod-oder-Ruhm-Jungs. Aber nicht sehr laut. Jeder von diesen Idioten würde uns bereitwillig als Verräter verpetzen, wenn er dafür eine Autogrammkarte von Redruth bekommen würde.« »Sind diese Leute dumm genug, um... sagen wir mal ein Raumschiff zu besetzen, wenn man ihnen sagt, dass es ein Teil einer Übung ist?« »Sie würden es sich in den Arsch schieben, wenn ich es ihnen befehle«, sagte Maev aufgeregt. »So willst du also von hier abhauen!« 155 »Vielleicht. Es könnte auch sein, dass ich mir nur verschiedene Türen offen halten will. Ich bin noch nicht bereit, mich schon jetzt aus dem Staub zu machen.« »Gut«, sagte Maev. »Ich werde dir das Bett wärmen, und du bekommst noch eine Privatarmee von ein paar Dutzend T-o-R-Idioten dazu.« »So was in der Art hatte ich mir vorgestellt.« »Also werde ich diese Nacht mit einem unglaublich maskulinen Präfekten verbringen und morgen früh mit verschleiertem Blick und völlig erschlagen von deiner Potenz und Leidenschaft hinauswanken.« »Du bekommst das Bett«, sagte Njangu. »Ich werde es mir mit ein paar Kissen auf dem Fußboden bequem machen.« Maev blickte ihn erstaunt an. »Red keinen Schwachsinn. Oder glaubst du, dass die Leute, die für dich putzen und waschen, nicht alles registrieren und später darüber reden, zum Beispiel über die Spuren, die eine leidenschaftliche Nacht auf deinen Bettlaken hinterlassen hat? Außerdem musste ich immer wieder daran denken, was wir damals in der Malvern gemacht haben, zumal ich dich angebaggert habe und nicht umgekehrt. Die Erinnerung daran hat mich ein paar Mal davor bewahrt, mich zu übergeben, wenn ich mit anderen Typen zusammen war, mit denen ich nicht annähernd so viel Spaß hatte.« Am nächsten Tag - nachdem Njangu sich etwas erholt und nebenbei versucht hatte, eine überraschende Kombotschaft von Redruth zu analysieren - wurden Alpha und Beta der Kommandantin Stiofan vorgestellt und erfuhren dabei auch gleich von der geplanten Verstärkung der Sicherheitstruppe. Sie schienen sich nicht daran zu stören, dass es nun andere Personen gab, die sich um den Kleinkram 156 kümmerten, der in der Sicherheitsabteilung anfiel, sodass sie sich ganz darauf konzentrieren konnten, bei öffentlichen Auftritten möglichst gemein auszusehen. Njangu wies Kerman an, alles für die Unterbringung von Maev und ihren Leuten zu veranlassen. »Gehe ich recht in der Annahme, Sir, dass das Schlafzimmer der Kommandantin neben den vier anderen liegen soll?« »Ah... zumindest vorläufig.«
Seltsamerweise empfand Njangu bei dem Gedanken an seine Gefährtinnen ein leichtes Unbehagen. Er schob das Gefühl beiseite. »Ich werde einige Zeit weg sein, denn ich begleite den Protektor auf einer Inspektionstour.« Kerman wirkte beeindruckt. »Den Protektor höchstpersönlich, Sir? Welche Ehre, Sir! Und wie lange, Sir?« »Ich habe keine Ahnung. Ich wurde eben eingeladen. Ich weiß nicht einmal, was ich eigentlich inspizieren soll.« Protektor Redruth blickte voller Stolz nach unten. Sein Gesicht schimmerte rot im Widerschein der Glut. Unter dem Laufsteg beförderten Roboter die Hülle eines Raumschiffs in beachtlichem Tempo eine Montagestraße entlang. »Dieses Werk«, brüllte Redruth Yoshitaro ins Ohr, »kann in sechs Wochen einen Zerstörer produzieren, der fast so groß wie meine Corfe ist. Hier auf Primus gibt es noch drei andere, und zwei weitere werden gerade auf Secundus gebaut. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass ich erst vor etwas mehr als zwei Jahren die entsprechenden Befehle erteilt habe — zu einer Zeit, als sich die Musth-Krise zugespitzt hat und ich in weiser Voraussicht erkannt habe, dass Larix und Kura mehr Schutz benötigen. Dies ist der An157 fang meiner Kriegsflotte, die eines Tages sogar jenen Ort erreichen könnte, der einst das Herz der Konföderation war!« Yoshitaro fragte sich, warum Redruth ihm all das zeigte. Doch schon bald erhielt er die Antwort. »Wenn wir statt der Nadelstiche, die wir bislang so erfolgreich durchgeführt haben, den richtigen Angriff gegen Cumbre starten, werden Schiffe wie dieses in Scharen über das System herfallen. Schiffe wie dieses... und viele andere. Also ist jeder Zweifel an unserem totalen Sieg unbegründet.« Redruth lächelte geheimnisvoll. »Sobald dieses Schiff fertig gestellt ist, wird die Fabrik abgeschaltet und für größere Aufgaben umgerüstet.« Er führte diesen Punkt nicht weiter aus, sondern wandte sich an Celidon und seine Begleiter und klopfte dem schwitzenden dicken Verwalter des Werks auf die Schulter. »Dieser Mann hat gute Arbeit geleistet. Ausgezeichnete Arbeit. Er soll in den Rang eines Präfekten erhoben werden und eine hohe Belohnung erhalten, damit sich seine Kollegen davon inspirieren lassen.« Njangu hatte den Eindruck, dass der dicke Mann Redruth am liebsten geküsst hätte. Auf dem Rückflug nach Agur klärte Celidon Yoshitaro auf. »Der Protektor hat große Ideen«, sagte er, und seiner Stimme war keine Spur von Anerkennung anzuhören. »Dessen bin ich mir bewusst.« »Bei der heutigen Besichtigung waren Sie das aber nicht.« Njangu bemühte sich, Interesse zu zeigen. »Der Protektor hat Ihnen gegenüber erwähnt, dass in diesem Werk mit der Produktion eines neuen Schiffstyps be158 gönnen werden soll. Kennen Sie sich mit den Schlachtschiffen der Konföderation aus?« Natürlich kannte Yoshitaro sich nicht mit ihnen aus, abgesehen von Actionholos, die er als Kind gesehen hatte. Doch Ab Yohns, der lange Zeit auf Centrum gelebt hatte, würde zweifellos einiges darüber wissen. »Ein bisschen«, sagte Yoshitaro vorsichtig. »Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Naarohn-Klasse.« »Im Augenblick nicht. Es tut mir Leid, ich war in erster Linie daran interessiert, spezielle Wirtschaftsdaten für den Protektor ausfindig zu machen, während ich mich in der Konföderation aufgehalten habe.« »Hm. Dann sollten Sie sich vielleicht über die Naarohns sachkundig machen, wenn Sie wieder in Ihrem Büro sind. Protektor Redruth will, dass die neuen Schiffe mindestens fünfzig Meter länger und viel schwerer bewaffnet sein sollen als dieser Typ. Und weitere, noch viel größere Konstruktionen warten darauf, von ihm genehmigt zu werden.« Yoshitaro setzte eine zufriedene Miene auf, dann nahm sein Gesicht einen fragenden Ausdruck an. »Sie scheinen das nicht zu befürworten, Flottenkommandant. Das verstehe ich nicht ganz.« »Weil«, sagte Celidon im gleichen Tonfall, in dem er einem Kind etwas erklären würde, »die Konföderation ein großes Imperium ist... war. Und so ein Imperium braucht man auch, um eine solche Flotte zu unterhalten. Und eine Flotte ist viel mehr als ein paar Kopien eines bereits veralteten Modells wie der Corfe und ein paar weiteren Schlachtkreuzern. Große Schiffe benötigen eine große Anzahl von Versorgungseinheiten und Begleitschiffen. Aber ich gehe davon aus, dass ich mich irre.« Yoshitaro war sofort klar, dass diese Worte an mögliche Überwachungsanlagen ge159 richtet waren. »Protektor Redruth weiß, wie man eine so große Flotte führt, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, ihn dabei zu unterstützen. Ich bin sogar davon überzeugt, dass es keine Probleme geben wird.« Doch Celidons Gesicht deutete eher auf das Gegenteil hin. Njangu las den Text auf dem Bildschirm mit geschürzten Lippen. Die Naarohns verfügten über zahllose Geschütztürme, und ihre Abschussröhren waren mit Schiff-Schiff-Raketen und solchen zur Oberflächenbombardierung bestückt, die doppelt so groß wie Goddards waren. Die Naarohns waren gigantisch,
fast zwei Kilometer lang. Überall Raketenabwehrbatterien. Keine Maschinengewehre, aber wer hatte so etwas bei einer derartigen Feuerkraft noch nötig? Dann las er die Anmerkung ganz unten: Produktion wegen schlechter Manövrierbarkeit beim Einsatz in der Atmosphäre und hohem Personalbedarf eingestellt. Dennoch war Njangu klar, dass ein einziges Schiff dieser Klasse gewaltigen Schaden im Cumbre-System anrichten konnte, wenn es einfach nur über D-Cumbre in Stellung ging und Raketen auf die Oberfläche abfeuerte. Es klopfte an der Tür. »Herein«, sagte er in der hochmütigen Art eines Präfekten. Maev trat ein. Sie trug ihren Pyjama. »Und wie ist dein Tag mit Seiner niemals genug gepriesenen Majestät verlaufen?« »Sehr interessant. Und deiner?« »Nett. Ich bin jetzt offiziell deinem Befehl unterstellt und 160 als Bewohnerin dieses Gebäudes registriert und habe Anspruch auf separate Verpflegung und - du wirst es nicht glauben - angemessene Kleidung, die mein neuer Kommandant - das bist in diesem Fall du - bestimmen soll. Im Laufe des Tages werden vierundzwanzig der loyalsten, fanatischsten und geiferndsten Exemplare aus der Garde des Protektors hier eintreffen. Und ich habe sogar die Zeit gefunden, die Bekanntschaft deiner Gefährtinnen zu machen.« Njangu hoffte, dass er nicht errötete, und fragte sich im nächsten Moment, warum er so reagieren sollte. »Präfekt Yohns, ich muss Ihnen bescheinigen, dass Sie ein Perversling sind, Sir.« Jetzt wusste Njangu definitiv, dass er errötete. »Die Instrumente und Praktiken, die Sie anwenden, Sir, sind schändlich«, fuhr Maev fort. »Wenn ich das gewusst hätte, bevor ich Ihr... Angebot angenommen habe... tja, also, Shiva mit der Steinschleuder weiß, wie meine Antwort dann ausgefallen wäre.« Njangu blieb nur ein kurzer Moment, um zu bemerken, dass sie lächelte, bevor sein Kom Alarmtöne von sich gab und die Meldung NOTFALL aufblinkte. Er berührte eine Taste, und ein gehetzt wirkender Offizier erschien auf dem Bildschirm. »Präfekt Yohns, Sir. Hier ist das Hauptquartier von Protektor Redruth. Diese Nachricht kommt direkt vom Protektor. Er rät Ihnen an, sich bereitzumachen, ihn zu begleiten, wenn er in Kürze an Bord seines Schiffs geht.« »Selbstverständlich«, sagte Njangu und spürte eine leichte Unruhe in sich aufsteigen. »Ich werde in zehn Minuten bereit sein. Darf ich fragen, welches Problem es gibt?« »Der Protektor hat uns informiert, dass cumbrianische Unruhestifter auf Kura Vier gelandet sind und unvorstell161 bare Grausamkeiten begangen haben. Sie wurden jedoch lokalisiert und werden eingekreist. Der Protektor will ihre Gefangennahme oder Tötung überwachen und benötigt dazu Ihre unverzügliche Anwesenheit und Unterstützung.« 11 Kura / Kura Vier Das Team reagierte so schnell, wie es die Männer und Frauen immer wieder trainiert hatten. Die Hälfte marschierte weiter, der Rest verschwand im Unterholz, verteilte sich und wartete. Etwa eine Stunde später näherten sich drei uniformierte Männer. Garvin harrte aus, bis sie fast ihren Standort erreicht hatten, dann jagte er ihnen eine Salve aus seinem MG entgegen. Einem blieb noch die Zeit für einen Schrei, dann stürzte er genau wie die anderen zu Boden. Jaansma verschwendete ein paar Sekunden darauf, die Leichen zu durchsuchen, dann brachen er und seine Leute auf. Eine halbe Stunde später hatten sie die anderen wieder eingeholt. Garvin wartete, bis sie auf einen Bach stießen, und zeigte hangabwärts. Er wollte sich nur im Notfall über Kom verständigen, denn möglicherweise hatten ihre Verfolger zufällig ihre Frequenz gefunden und ihren Aufenthaltsort angepeilt. Das Team schlitterte den felsigen und schlammigen Hang etwa dreihundert Meter weit hinunter. Garvin schnippte mit den Fingern, zeigte auf Irthing und Heckmyer, gab ihnen zu verstehen, dass sie weitergehen 162 sollten, und zwar - ein erhobener Finger, dann eine zweifache Berührung von Daumen und Zeigefinger einhundert Meter. Sie nickten. Der Rest kroch die Böschung hinauf, ging in Deckung und wartete. Eine knappe Stunde später hörten sie Geräusche von oben. Ein Stein kullerte an Lirs Kopf vorbei, und durch die Sträucher sahen sie, wie zwei Männer dem Bach hangabwärts folgten. Garvin zeigte auf Lir und Montagna und zog zweimal den Daumen über seine Kehle. Tötet sie. Er legte einen Finger auf die Lippen.
Lautlos. Die zwei Frauen legten ihre Blaster zur Seite und zogen ihre Kampfmesser. Garvin gab Dill ein Zeichen, sich als Rückendeckung bereitzuhalten. Sie warteten, bis die Männer an ihnen vorbei waren, dann sprangen sie aus der Deckung. Der zweite Mann stöhnte, als Montagna ihm ihr Messer in die Nieren stieß, und Lirs Opfer sackte lautlos in sich zusammen, nachdem ihre Klinge ihm den Hals aufgeschlitzt hatte. Sie rollten die Leichen aus dem Bach, damit sich das Wasser nicht blutig färbte. Garvin zeigte auf Mahim und dann auf den Bach. Er bewegte die Finger wie gehende Beine, die auf ihn zukamen. Mahim machte sich so leise, wie sie konnte, auf den Weg und holte Irthing und Heckmyer zurück. Garvin gab den anderen zu verstehen, dass sie am Hang entlang weitergehen sollten. Es würde alles andere als ein Spaziergang werden, aber wenn sie zurück nach oben gingen - oder auch nach unten, wobei sie noch nicht einmal 163 wussten, was sie dort erwartete -, war die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung größer. Er malte zwei Buchstaben in die Luft - ein M und ein F. Mission fortsetzen. Ihr Ziel war weiterhin der große Staudamm. Nach Anbruch der Dunkelheit kehrten sie zum Lagerplatz zurück, den Garvin eine Stunde zuvor ausgewählt hatte. Sie aßen, dann hielt die eine Hälfte Wache, während die andere tat, als würde sie schlafen. Die Nacht verging sehr langsam. Zweimal bewegte sich nicht weit entfernt etwas im Gebüsch. Granaten wurden bereitgelegt, dann setzte das Etwas seinen Weg fort und gab tierische Geräusche von sich. Noch vor Sonnenaufgang packten sie ihre Sachen zusammen. Beim ersten Tageslicht brachen sie auf und hatten kaum ein paar Meter zurückgelegt, als Lir an der Spitze das Zeichen zum Anhalten gab. Sie tippte sich auf die Schulter, und Garvin ging zu ihr. »Ich habe schon wieder dieses Gefühl«, flüsterte sie. Garvin verzog das Gesicht und wartete. »Jetzt ist es weg«, sagte sie nach einer Weile. »Tschuldigung, Boss. Vielleicht war es auch nur ein Frösteln.« »Du sagst uns weiterhin Bescheid, wenn du erschauderst«, befahl er ihr. Lir nickte widerstrebend. Sie krochen den Rest des Vormittags weiter und machten mittags kurz Rast. Garvin ging zu Froude und unterhielt sich flüsternd mit ihm. »Ihre Meinung, Doktor? Ich halte Monique für viel zu gut, um ihr Erschaudern nicht ernst zu nehmen. Worauf reagiert sie?« »In der Wissenschaft existiert kein Hui-Buh«, sagte Froude. »Und ich glaube nicht an Dinge, die nur eine Per164 son auf einem Bildschirm sieht - wie Alikhan behauptet hat -, während die Daten etwas ganz anderes sagen.« »Sollte ich sie also ignorieren?« »Ich bin nicht der Boss«, sagte Froude. »Aber wenn ich das Kommando hätte, würde ich es auf keinen Fall tun.« »Das ist mir eine gewaltige Hilfe.« Garvin stellte die Reste seiner Mittagsration zu den anderen auf den Boden und löste die Selbstvernichtung aus. Eine kleine Flamme schoss empor und erlosch. Er rümpfte die Nase, als er Scheiße roch. Jemand hatte die leere Verpackung seiner Mahlzeit benutzt, um darin sein Geschäft zu machen. Der Geruch hatte sich nach wenigen Sekunden verflüchtigt. Garvin wechselte die Marschordnung und gab das Zeichen zum Weitergehen. Nach etwa einem Kilometer hörten sie das Heulen eines Fluggefährts, das ihren Aufenthaltsort umkreiste. Kurz darauf ertönte hinter ihnen wieder ein Schuss. Garvin wog ihre Möglichkeiten ab und hob einen Finger, zum Zeichen, dass sich die Gruppe versammeln sollte. »So wird es nicht funktionieren«, gab er bekannt. Niemand musste etwas dazu sagen. Die Angst in ihren Gesichtern sprach Bände. »Wir brechen den Vorstoß zum zweiten Damm ab und ziehen uns nach oben in die Hügel zurück. Dann fordern wir das Abholkommando an. Dill, gib mir den Kom.« Ben reichte ihm das Mikro. »Du kannst jederzeit loslegen, Boss.« Garvin blickte auf die Karte, schätzte ihren Standort, suchte eine mutmaßlich sichere Stelle aus und drückte den Aufnahmeknopf. »Prophet Sechs«, sagte er, während der Rekorder die Nachricht automatisch verschlüsselte. »Erstes Ziel zerstört. 165 Werden verfolgt, aber noch nicht beschossen. Brechen Mission ab. Bewegen uns nach NNW zum Abholpunkt CK. Geschätzte Ankunftszeit in zwei Tagen. Werden versuchen, Verfolger abzuschütteln, dann unverzügliche Abholung erforderlich. Ende.« Der Kom raffte die Sendung und schickte sie zum geostationären Satelliten. Garvin wartete. Er wollte gerade den Knopf drücken, um die Nachricht noch einmal zu senden, da nickte Dill mit schmerzhaft verzogenem Gesicht, als ein doppeltes Kreischen in seinen Kopfhörern ertönte. »Okay, Leute. Sie haben uns gehört. Abmarsch.«
Im Schutz der Bäume stiegen sie wieder den Hang hinauf, mit schmerzenden Muskeln und keuchend nach Atem ringend. Kurz vor dem Gipfel stießen sie auf eine Lichtung. Garvin hörte ein Summen, wagte einen Blick durch den Feldstecher und sah zwei vorbeifliegende Schiffe, die an Zhukovs erinnerten. Nach einer Weile kamen noch zwei in Sicht. Das Team hielt sich am Rand der Lichtung und überquerte den Grat. Dann hörten sie erneut einen Schuss, der von einer Stelle genau unter ihnen kam. Von links und rechts kamen weitere Schüsse, als würden sich weitere Verfolger von beiden Seiten den Hang herauf nähern. Ist das eine Verfolgungs- oder eine Treibjagd?, fragte sich Garvin. Nicht dass es eine große Rolle gespielt hätte. Er wies Nectan und Montagna an, eine Falle vorzubereiten, während er den Hang hinunterblickte. Als er eine Bewegung in der Nähe der Lichtung sah, richtete er den Feldstecher auf diesen Punkt. Garvin sah Männer in Uniform, denen zwei Personen in der hier üblichen Kleidung vorausgingen. Zivilisten als Führer. Wie es scheint, haben die Einhei166 mischen keine großen Probleme mit Redruths Herrschaft. Oder sie sind sauer auf uns, weil wir ihnen in den Fischteich gepinkelt haben. Wenn meine Leute es gleich krachen lassen, werden sie noch viel saurer sein. Er steckte den Feldstecher wieder in die Tasche, zog sich zum Team zurück, nickte, zeigte mit dem Daumen nach unten und dann hangabwärts. Sie sind da. Sie warteten, bis der Luftraum wieder frei war, und stiegen dann rasch den Hang auf der anderen Seite hinab. Lir fand einen Pfad und zeichnete ein Fragezeichen. Garvin nickte. Nimm ihn. Wir brauchen Vorsprung. Der Pfad wand sich immer weiter nach unten und führte durch ein verlassenes Dorf. Sie hatten fast den Fuß des Berges erreicht, als die Falle zuschnappte und hoch über ihnen eine dumpfe Explosion ertönte. Leise Schreie drangen durch den Dschungel. Ich hoffe, wir haben die Führer erwischt. Mit zwei Aksai als Eskorte raste Alikhans Velv auf Kura Vier zu. Er hatte vorgehabt, in einen polaren Orbit zu gehen und zum Bodenteam hinunterzustoßen, sobald das Signal kam. Im Kontrollraum war es still, abgesehen von den nötigen Befehlen. Der Komoffizier hatte die Frequenz von Garvins Kom auf die Hauptlautsprecher gelegt, und alle horchten und hofften auf einen neuen Funkspruch. Eine Alarmsirene ertönte. Alikhans Erster Offizier blickte auf einen Monitor. »Da sind zwei große Schiffe, zwei kleinere Schiffe und vier Einheiten als Eskorte. Sie haben einen engen Orbit um Kura Vier eingeschlagen. Sie haben uns entdeckt. Ich übertrage die Daten an unsere Eskorte.« 167 »Können wir ausweichen?« »Negativ, Sir. Sie haben uns mit drei... vier Taststrahlen erfasst.« Alikhan schlug vor, auf die andere Seite von Kura Vier zu springen und es von dort noch einmal zu probieren. »Sie können es versuchen, Sir«, sagte der menschliche Offizier. »Aber ich glaube nicht, dass der Abstand reichen wird, um eine erneute Ortung auszuschließen.« Alikhan dachte nach. »Ich habe es versprochen«, sagte er. »Wie bitte, Sir?« »Nichts. Wir werden...« »Ich registriere Raketen... zwei Stück. Sie wurden von den kleinsten Schiffen gestartet. Beide haben uns im Visier«, meldete der Waffenoffizier. Alikhans Augen röteten sich, und er spitzte die Ohren. »Bringen Sie uns von hier weg.« »Ja, Sir. An alle Einheiten der Konföderation... zum Sprung bereitmachen... Jetzt!« Der Velv und die Aksai verschwanden im N-Raum, wenige Sekunden, bevor die zwei Raketen genau den Punkt erreichten, wo sie sich kurz zuvor noch befunden hatten. Garvin betrachtete die Gipfel in der Umgebung. Nirgendwo erkannte er Anzeichen von Siedlungen oder Straßen, nur Dschungel. Er winkte dem Team, dass sie weiter vorrücken sollten. Sie sprangen über den Grat, und gingen erschöpft ein paar Meter tiefer hinter einigen Sträuchern in Deckung. Garvin hörte das Heulen von Turbinen und fluchte, dass sie sich so viel auf offenem Gelände bewegen mussten. Wenn die Suchschiffe Infrarot einsetzten, wäre das Team genauso deutlich sichtbar, als würde es Fackeln tragen. 168 Der Lärm wurde lauter - lauter als bei einem gewöhnlichen Kampfgefährt. Ein halbes Dutzend Frachter Raumschiffe, vermutlich Truppentransporter - flogen über die Hügel hinweg, von Patrouillenschiffen eskortiert. Ein Transporter landete auf einer Kuppe in der Nähe. Durch seinen Feldstecher sah Garvin, wie die Rampe ausgefahren wurde und Soldaten ins Freie strömten. Ein zweites Schiff landete auf einem anderen Hügel und setzte ebenfalls einen Trupp ab.
»Wir müssen ganz schnell von hier weg«, sagte er laut. Das Team machte sich an den Abstieg, in der Hoffnung, sich im dichteren Dschungel verstecken zu können. Sie stießen auf eine Lichtung, auf der sich die Überreste eines Dorfes befanden. Nur noch ein paar verkohlte Pfähle waren übrig, die ehemaligen Anbauflächen fast schon wieder vollständig vom Dschungel überwuchert. Garvin hob eine Hand, und die Truppe machte Halt. Die Leute hockten sich hin oder lehnten sich irgendwo an. Am liebsten hätten sie sich lang ausgestreckt, aber sie wussten, dass das Aufstehen dann besonders schwer fiel. »Gut«, sagte er mit normaler Stimme und zuckte unwillkürlich zusammen, als er sich in dieser Lautstärke sprechen hörte. »Wir lassen die Antigraveinheiten hier zurück. Vielleicht können sie die Emissionen orten. Ich weiß nicht, ob das möglich ist, aber die Dinger geben definitiv Energie ab. Legt sie ordentlich auf einen Haufen, als hätten wir sie hier nur vorübergehend deponiert, um sie später wieder abzuholen. Monique, stell die Sprengsätze auf eine Verzögerung von... zwei Stunden ein.« »Ich hätte da eine bessere Idee, Boss«, sagte sie. »Wie wäre es mit Bewegungszündern und, falls sie extrem vorsichtig sind, einem Zeitzünder, der, sagen wir... morgen früh bei Sonnenaufgang hochgeht?« 169 »Du hast Recht, das ist besser«, sagte Garvin. »Wir nehmen nur die Patrouillenausrüstung mit: eiserne Rationen, so viel Munition und Granaten, wie ihr tragen könnt, und Wasser. Lasst alles bis auf eure Waffen hier. Behaltet die Korns, aber schaltet sie aus; möglicherweise können sie sie anpeilen. Wir ziehen uns tiefer in die Hügel zurück und hoffen, dass wir uns so lange verstecken können, bis sie die Suche aufgeben, und dann rufen wir das Abholkommando. Deb, du hilfst Monique mit den Sprengsätzen. Ich gebe euch fünf Minuten. Wir werden diese Scheißkerle in den Boden rammen und dann auf ihnen herumtrampeln, während sie nach Luft schnappen. Ach ja, und ihr solltet eure Notsender bereithalten.« Damit zerstörte er den letzten Rest seines geheuchelten Optimismus. Nicht, dass es eine große Rolle gespielt hätte -schließlich hatte sowieso niemand, Garvin eingeschlossen, daran geglaubt. Fünf Minuten später waren sie abmarschbereit. Garvin sah, dass Ben Dill immer noch den Raketenwerfer auf den Schultern trug, und wollte schon etwas sagen, als er Dills entschlossene Miene bemerkte. Also sparte er sich die Mühe. Eine Hügelkette später zeigte Froude nach hinten. »Garvin... da kommen sie.« Jaansma konnte eine lange Marschkolonne aus Soldaten erkennen; es war nicht schwierig, sie auszumachen, denn genau über dem Trupp schwebte ein Transporter. »Wahrscheinlich haben sie ihre kleinen zarten Weicheier an Bord, damit sie nicht zu sehr leiden müssen«, sagte Nectan. »Es ist unhöflich, seinen Neid so offen durchblicken zu lassen«, sagte Montagna. Nectan grinste und marschierte weiter. 170 Wenn sie blöd genug sind, ihre Anwesenheit so unmiss-verständlich herauszuposaunen, verhalten sie sich vielleicht genauso blöd, wenn sie ins Tal kommen, dachte Garvin. Dann fiel ihm etwas ein, das ihn sehr beunruhigte: Aber vielleicht sind sie gar nicht blöd. Vielleicht sind sie so viele, dass sie einen Rattenscheiß darauf geben, ob sie gesehen werden oder nicht. Eine Stunde später zitterte der Boden, dann rauschte die Druckwelle einer Explosion über die Baumwipfel hinweg. »Seht mal!« Heckmyer zeigte zum Himmel. Einer der Transporter geriet ins Trudeln, und Flammen schössen aus beiden Enden wie bei einer Spielzeugrakete. »Er muss wohl genau drüber gewesen sein, als das ganze Telex hochging. Ob sie sich dadurch entmutigen lassen, Boss?« »Keine Chance, Val«, sagte Garvin. »Ich glaube eher, dass sie jetzt noch stinkiger auf uns sind.« Kurz bevor sie einen geeigneten Lagerplatz fanden, spürte Lir wieder einen Schauder und gleich danach noch einen. Niemand wollte den Marsch fortsetzen, aber sie zwangen sich trotzdem, noch einen Kilometer weiterzugehen. Sie hatten gerade ihre Rucksäcke abgelegt, als der Dschungel von Explosionen erschüttert wurde. Garvin schickte Dill mit einem Feldstecher auf einen Baum. »Sieht aus, als würde jemand mit Artillerie oder Mörsern auf die Stelle schießen, wo wir uns vorhin aufgehalten haben«, sagte er, als er wieder heruntergestiegen war. Garvin und ein paar andere bedachten Monique Lir mit nachdenklichen Blicken. Etwa gegen Mitternacht zupfte Montagna an Garvins Bein. Er war so überrascht, dass er schlagartig wach war und nach seiner Waffe griff. Montagna zeigte nach oben auf das dichte Blätterdach. 171 Lichter zogen langsam in großer Höhe vorbei. Ein Raumschiff. Ein sehr großes Raumschiff. Kurz darauf folgten zwei kleinere, die mehr Abstand voneinander hielten, und schließlich ein weiteres großes Schiff. Ich schätze, dachte Garvin, das Abholkommando können wir vorläufig abhaken. Nicht einmal Alikhan kann sich da durchmogeln. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als die Scheißkerle abzuschütteln, ein paar Wochen lang Blätter zu fressen und es dann noch einmal zu versuchen. Und zu hoffen, dass unsere Leute bis dahin nicht aus dem System gejagt wurden.
Er dachte wehmütig an Jasith und fragte sich, ob er sie jemals wieder sehen würde. Er kam zu dem Schluss, dass das sehr unwahrscheinlich war, legte den Kopf zurück und war sofort eingeschlafen. Die nächsten zwei Tage blieben sie pausenlos in Bewegung. Sie vermieden es, sich anzusehen, weil sie nicht daran erinnert werden wollten, wie ausgezehrt, erschöpft, verdreckt und ängstlich sie waren. Wenigstens gab es genug Wasser in den zahlreichen Teichen und Bächen, auf die sie unterwegs stießen. Zweimal entdeckten sie Fische, riskierten es, etwas Gift aus ihren Überlebensrationen ins Wasser zu schütten, und nahmen ihre Beute mit, um sie später roh zu essen. Sie machten nur nachts Rast. Ständig kreisten LKGs, Raumschiffe und andere Gefährte am Himmel. Wenn sie eine Anhöhe bestiegen, konnten sie gelegentlich Marschkolonnen erkennen, die ihnen auf den Fersen waren. Garvin schätzte, dass es vier Soldatentrupps waren, Lir plädierte für fünf. Moniques seltsame Gefühle kehrten in regelmäßigen Abständen wieder. Da es den Anschein hatte, dass es tat172 sächlich unsichtbare Wesen gab, die ihren Verfolgern halfen, fragte sich Froude, wie Redruths Leute es geschafft haben mochten, sie zur Kooperation zu bewegen. »Das könnte eine interessante Forschungsaufgabe für ein Anthropologenteam sein«, sagte er. Garvin fasste es nicht, dass dieser Mann, der etwa doppelt so alt wie er sein musste, immer noch so einen Enthusiasmus aufbringen konnte, während er sich nichts anderes wünschte, als sich in einem weichen Bett aus Blättern zusammenzurollen und eine Woche am Stück zu schlafen. »Mutter Maria mit 'nem Brummschädel«, sagte Dill und starrte auf die Ruinen, die sich vor ihnen ausbreiteten. »Was für eine Höllenstadt ist das?«, fragte Darod Montagna ehrfürchtig im Flüsterton. »Eine, die nicht von Menschen erbaut wurde«, sagte Dill. Man brauchte keinen sonderlich ausgeprägten logischen Verstand, um diese Schlussfolgerung zu ziehen. Die Gebäude, die teilweise noch irgendwie standen oder halb umgekippt und von Bäumen über- und durchwuchert waren, mussten einst drei oder mehr Stockwerke hoch gewesen sein. Die einzigen Eingänge, die sich erkennen ließen, lagen etwa zehn Meter über dem Boden. »Vielleicht haben sie Leitern benutzt«, flüsterte Nectan. Aus irgendeinem Grund, der nichts mit den menschlichen Verfolgern hinter ihnen zu tun hatte, fühlte es sich richtiger an, sich nur flüsternd zu unterhalten. »Vielleicht finden wir hier ein gutes Versteck«, sagte Garvin voller Hoffnung. »Ich übernehme die Spitze. Monique geht hinter mir.« Mit schussbereiten Waffen rückten sie über eine einstmals sehr breite Straße langsam vor. 173 Dill fragte sich, wie alt die Ruinen wohl waren, und schätzte, dass sie alt sein mussten - verdammt alt -, da der Dschungel die Stadt bereits vollständig zurückerobert hatte. Hinter ihm suchte Froude nach Hinweisen, wie die Erbauer dieser Stadt beschaffen gewesen waren und welchem Zweck die verschiedenen Gebäude - von denen einige noch ganz waren, während andere in Trümmern lagen -gedient haben mochten. Manche Wände waren mit Reliefs geschmückt, aber sie verrieten nichts über die Unbekannten, da sie für das menschliche Auge völlig abstrakt wirkten. Vielleicht haben diese unsichtbaren Biester das alles gebaut, dachte Garvin. Vielleicht waren sie damals noch nicht so unsichtbar, vor sehr, sehr langer Zeit, oder vielleicht konnten sie noch nicht fliegen, und als sie es gelernt hatten, verließen sie ihre Städte. Hör auf, wild herumzuspekulieren, Soldat! Halt die Augen offen und pass auf, wenn es Ärger gibt! »Seht mal«, sagte Monique und deutete in eine Querstraße. In etwa einem Kilometer Entfernung erkannte Garvin das Glitzern von Wasser. Er ließ das Team abbiegen. Je näher sie kamen, desto größer wurde der Fluss. Er hatte eine Breite von schätzungsweise fünfundsiebzig Metern, und die Kronen der Bäume am Ufer berührten sich fast über der Mitte des Gewässers. Wir könnten ein Boot oder eine Art Floß bauen, dachte Garvin, und dann sah er das gelandete LKG, während im gleichen Moment ein Maschinengewehr losratterte, das eine Steinsäule zerfetzte und das Gebäude, das sie stützte, in sich zusammenfallen ließ. Fast wären sie in den Hinterhalt spaziert. Im letzten Moment konnten sie in Deckung gehen und schössen zurück. Nectan sah mehrere Köpfe rund um einen Mörser, blieb 174 stehen und jagte ein halbes Magazin zu ihnen hinüber. Dann wollte er sich zur Seite rollen, aber er war nicht schnell genug. Als die Kanone ihn erwischte, wurde er förmlich zerfetzt. Lir lag flach auf dem Boden und hatte den Geschützturm des Zhukov im Visier. Sie feuerte auf die offene Schleuse. Die Kugeln prallten gegen Metall und verloren sich als Querschläger im Innern des Schiffs. Sie hörten eine gedämpfte Explosion, Schreie, und dann kroch eine brennende Frau mit wedelnden Armen aus der Schleuse. Montagna erledigte die Frau mit einem Herzschuss und wäre beinahe selber erschossen worden, bevor sie sich in eine bessere Deckung flüchten konnte. Garvin feuerte, tötete den Mann, der auf sie geschossen hatte, und die drei Soldaten hinter ihm. Jetzt hatte sich das Team in der Deckung verschanzt. Einen Moment lang schwiegen die Waffen. Die Kuraner fassten neuen Mut und rückten wieder vor - und jeder, der sich ins Freie wagte, starb.
Ein Lautsprecher ertönte: »Cumbrianische Soldaten! Sie sitzen in der Falle! Ergeben Sie sich, dann lässt der Protektor Sie am Leben! Ergeben Sie sich - oder Sie sterben!« Das Team hielt ein Ende des größeren Platzes, die Kuraner die gegenüberliegende, zum Fluss hin gelegene Seite. Garvin sah, wie sich ein weiterer Zhukov vorschob, an den brennenden Trümmern des ersten Fahrzeugs vorbei. Er beschoss es und musste mit ansehen, wie seine Kugeln von der Panzerung abprallten. In den Kampflärm mischte sich ein lautes Dröhnen. Garvin blickte auf und sah einen der Transporter heranschweben. »Leckt mich doch!«, schrie Ben Dill, stand auf und zielte mit seinem Raketenwerfer. Er ließ das Geschoss in den Him175 mel rasen. Ein Kuraner glaubte, ihn im Visier zu haben, doch Danfin Froude verpasste Dill einen Tritt in die Kniekehlen, sodass er zu Boden stürzte, während rings um ihn die Kugeln einschlugen. Der Raubwürger konnte ein so großes und so nahes Ziel unmöglich verfehlen. Der Transporter schüttelte sich, als die Rakete direkt hinter der Pilotenkanzel einschlug. Eine Weile tat sich weiter nichts, doch dann kippte der Transporter zur Seite weg, und Flammen schlugen aus dem Mittelteil. Das Schiff explodierte, und Feuer und Metallteile regneten auf die Ruinen und den Fluss herab. Garvin hoffte einen Augenblick lang, dass der Transporter ihnen die Gelegenheit zur Flucht verschaffen würde, doch dann tauchten zwei Zhukovs auf der linken und rechten Seite des Platzes auf, und ein Patrouillenschiff kam mit glühenden Raketenabschussröhren im Sturzflug heruntergeschossen. Überall kochte der Boden, und Garvin hörte jemanden schreien. »Rückzug!«, hörte er sich rufen. »In Zweiergruppen. Weg hier!« Andere Stimmen gaben den Befehl weiter, während Garvins Eingeweide sich verkrampften und er erkannte, dass er diese Schlacht verloren hatte - und vielleicht auch sein Leben. Er packte Montagna am Rückenteil ihres Kampfanzugs. »Los! Wir verschwinden!« Montagna warf noch eine Granate, bevor sie sich aufrappelte. »Nach dir.« Die beiden huschten im Zickzack durch die Ruinen davon. Die Kuraner feuerten noch eine Zeit lang weiter, bis sie erkannten, dass es keine Gegenwehr mehr gab. 176 Jetzt würden sie ihre Beute einzeln - oder besser gesagt paarweise - jagen müssen. Monique Lir und Jil Mahim bewegten sich vorsichtig durch einen schmalen Durchgang. Sie duckten sich unter halb umgekippten Säulen hindurch, die ihnen das Vorankommen erschwerten. Lir rannte über einen Streifen offenes Gelände, dann drehte sie sich um und gab der Ärztin Deckung. Mahim folgte ihr, doch plötzlich verfing sich ein Riemen ihres Rucksacks an einem Trümmerstück. Sie zerrte daran, als aus dem Nichts eine Granate kam und explodierte. Mahim brach zusammen. Lir sah den Mann, der sie geworfen hatte, und erschoss ihn, noch während gleichzeitig zwei weitere Granaten explodierten. Im letzten Moment erkannte sie, dass es Schock- und keine Splittergranaten waren, dann schleuderte die zweifache Detonation sie zu Boden und in einen Wirbel aus Dunkelheit. Eine Soldatenkolonne rückte langsam auf der Straße vor. Über dem Trupp hing ein Patrouillenschiff. Val Heckmyer legte Deb Irthing einen Verband an, die von einem Granatsplitter in die Seite getroffen worden war. Irthing war kaum bei Bewusstsein. Sie biss sich auf die Lippen und bemühte sich, nicht laut zu stöhnen. Jemand rief etwas, und Heckmyer ließ das Verbandszeug fallen, um nach seinem MG zu greifen. Die feindliche Kolonne - schätzungsweise vierzig Soldaten - hatte ihn gesehen und kam in seine Richtung marschiert, während sie das Feuer eröffnete. Du kannst nur alle töten, wenn du mit einem anfängst, rief Heckmyer sich ins Gedächtnis und bestrich die Ko177 lonne von links nach rechts mit Dauerfeuer. Soldaten schrien, gingen lautlos zu Boden, rissen die Arme hoch oder wankten. Etwas brannte sich durch Heckmyers Brust, und er sah Blut. Dann traf ihn eine zweite Kugel, dieses Mal etwas tiefer, und nun spürte er reißende Schmerzen. Er ließ die Waffe fallen, legte die Hände auf die Wunde, dann schlugen drei weitere Kugeln in seinen Körper. Deb Irthing schnappte sich Heckmyers MG, hob es hoch -und dann schlugen zwei Kugeln in ihren Kopf. Sie wurde nach hinten geschleudert, verkrampfte sich und starb. »Weiter«, sagte Garvin. »Wir gehen zum Fluss, schwimmen ein Stück und gehen irgendwo wieder an Land.« »Klingt gut, Boss«, sagte Montagna und versuchte zu lächeln. Sie gab sich alle Mühe, so tapfer zu erscheinen, wie Jaansma auf sie wirkte. Sie erreichten das Ende der Straße, bogen in ein Seitengässchen ab und sahen ein Stück voraus Wasser. »Gut«, sagte Garvin und bemühte sich, ruhig zu klingen. Er wünschte sich, er wäre so unbesorgt wie Montagna, und plötzlich schoss ihm der seltsame Gedanke durch den Kopf, dass er noch nie eine schönere Frau als sie gesehen hatte. »Ich hoffe, du schwimmst gerne.« »Ich bin ein Aal, Boss.« Sie schulterten ihre Waffen und wagten sich ins Freie. Die fremdartigen Bauten am Ufer waren vielleicht einmal
ein Hafen gewesen. Garvin betrachtete das schnell fließende Wasser. Es war dunkel und wirkte sehr tief. Er holte ein paar Mal tief Luft und sättigte seine Lungen mit Sauerstoff. Der Zhukov hob sich aus dem Gebüsch links von ihnen. Das Schott zur Kommandokuppel stand offen, und zwei MGs waren genau auf Jaansma und Montagna gerichtet. 178 Ein Lautsprecher erwachte knisternd zum Leben. »Keine Bewegung! Wagen Sie nicht mal zu atmen, wenn Sie nicht auf der Stelle sterben wollen!« 12 Kura / Vor Kura Vier Das Lächeln des Protektors war grausam. »Wir haben die Verbrecher. Alle. Sie sind entweder tot oder gefangen. Aber die, die noch leben, werden nicht mehr lange leben. Am heutigen Tag erteilen wir Cumbre eine bittere Lektion.« »Für welche Form der Exekution haben Sie sich entschieden?«, fragte Celidon so ruhig, als würden sie über das Wetter auf dem Planeten unter ihnen diskutieren. »Ich weiß es noch nicht genau«, sagte Redruth. Er blickte sich nachdenklich auf der Brücke des Schiffs um. Dann wandte er sich an Njangu. »Ich vermute, es missfällt Ihnen, dass Sie nicht an der Jagd teilnehmen konnten, Yohns. Es wäre eine nette Rache für Ihre überstürzte Flucht gewesen.« »Ich bin kein Soldat«, sagte Njangu. »Es bereitet mir genauso viel Freude, wenn ich sehe, wie andere eine dringend notwendige Aufgabe erfüllen.« Celidon schürzte die Lippen. »Wer hat noch gleich gesagt, dass ein Spion nichts weiter als ein Bürokrat mit besonderem Ehrgeiz ist?« »Zweifellos irgendein Bürokrat. Oder ein Admiral«, sagte Njangu. »Hören Sie auf damit, alle beide«, sagte Redruth. »Ich ' 179 habe zwei Fragen an Sie, Yohns. Was ist die schlimmste Hinrichtungsmethode auf Cumbre?« »Es gibt nur eine... nein, zwei«, sagte Njangu. »Öffentliches Erhängen für Zivilisten - und für Soldaten ein Erschießungskommando.« »Keine von beiden ist besonders spektakulär«, erwiderte Redruth nachdenklich. »Es sei denn, die Schüsse treffen nicht richtig, oder ein betrunkener Henker verschätzt sich, sodass dem Opfer entweder der Kopf abgerissen oder es langsam erwürgt wird. Das ist für meinen Geschmack zu wenig. Hat irgendjemand von Ihnen... oder auch jemand vom sonstigen Personal... eine gute Idee?« Njangu fragte sich, ob Garvin wohl zum Angriffstrupp gehörte, und wenn ja, ob er noch am Leben war. Dann überlegte er, wie er einen Vorschlag anbringen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Celidon rettete ihn. »Ich weiß nicht, wie wir sie töten sollten, und es interessiert mich auch nicht besonders«, sagte er. »Ich bin mir sicher, dass irgendwer eine Idee haben wird, die Ihren Wünschen entspricht, Protektor. Aber ich glaube, die Banditen einfach nur zu exekutieren würde bedeuten, ihr Potenzial zu vergeuden.« »Fahren Sie fort, Präfekt«, sagte Redruth, der anscheinend über die Andeutung, er sei ein Sadist, leicht verärgert war. »Ich denke, ein Schauprozess wäre von großem Interesse für unsere Bürger«, erklärte Celidon. »So hätten wir die Gelegenheit, die Niederträchtigkeit der Cumbrianer in allen Einzelheiten zu offenbaren und zu beweisen, was unsere Propagandaexperten ihnen schon seit langer Zeit vorwerfen.« »Außerdem könnten wir die Gelegenheit nutzen«, warf 180 Redruth ein, »alles über ihre Verbündeten zu erfahren, sowohl hier auf Kura Vier als auch auf den anderen Welten des Systems.« Mit zunehmender Begeisterung fuhr er fort: »Und wir könnten die Verbündeten ausfindig machen, die sie ins Larix-System eingeschleust haben müssen. Denn kein vernünftig denkendes Wesen kann bezweifeln, dass ihre Komplizen auf den Hauptwelten auf die Gelegenheit warten, ihre eigenen terroristischen Kampagnen zu lancieren.« »Das erscheint mir äußerst logisch«, sagte ein Adjutant. »Wieder einmal haben Sie den Kern des Problems erkannt, Protektor.« Niemand schenkte dem Claqueur die leiseste Beachtung. »Ja«, sagte Redruth. »Ein nettes Verhör, und sie werden zweifellos umfassende Geständnisse ablegen, die meine schlimmsten Befürchtungen bestätigen, was die Existenz von Verrätern in unserer Mitte betrifft.« »Ganz zu schweigen von der Tatsache«, sagte Celidon trocken, »dass wir auf diese Weise einen triftigen Grund geliefert bekommen, Cumbre den Krieg zu erklären, falls wir uns jemals in der Situation befinden sollten, uns vor... Außenstehenden rechtfertigen zu müssen.« »Sie meinen, falls die Konföderation sich irgendwann zurückmeldet?«, stichelte Redruth. »Ich bezweifle, dass das zu Ihren Lebzeiten oder denen Ihrer Nachkommen geschehen wird. Aber es kann nie schaden, noch einen Pfeil im Köcher zu haben, nicht wahr? - Yohns, ich werde Sie von den Ihnen zugewiesenen Pflichten entbinden und dem Verhörteam zuteilen. Sie sind in der Lage, diese Terroristen mit den richtigen Worten anzusprechen,
ihre Lügen zu durchschauen und dafür zu sorgen, dass der Wortlaut ihrer Geständnisse angemessen ist, sowohl für unsere Bürger als auch für die Übermittlung nach Cumbre.« 181 »Sie erweisen mir eine große Ehre, Protektor«, sagte Njangu und deutete eine Verbeugung an. Der Raum stank. Er war nicht mehr als ein fensterloser Betonwürfel mit einer vergitterten Doppeltür, einem Luftschacht und zwei Überwachungssensoren an der Decke und vier Matratzen auf dem Fußboden. Die vier Gefangenen waren entkleidet und gründlich durchsucht worden, und man hatte ihnen sämtliche versteckten Geräte abgenommen. Danach hatten sie graue Overalls mit einem schwarzen Kreuz auf dem Rücken erhalten, das verdächtig nach einer Zielscheibe aussah. Zweimal am Tag öffnete sich die Tür, und die Wachen warfen mit ausdruckslosen Mienen Verpflegungspakete und Wasser herein. Und gelegentlich erhielten sie auch etwas steriles Verbandsmaterial für die Verwundeten. Sonst gab es keine weitere medizinische Hilfe, und die Forderung nach einem Arzt und einer angemessenen Behandlung für Lir und Mahim wurde ignoriert. Mahim warf sich im Fieber hin und her und war nur selten bei Bewusstsein. Monique schenkte ihren eigenen oberflächlichen Verletzungen keine Beachtung und nahm Mahim vorsichtig die Bandage ab. Garvin kniete sich neben sie und betrachtete das stark angeschwollene Bein. Lir rümpfte die Nase, und auch Garvin nahm den süßlichen Geruch wahr. Es war zur Gangränbildung gekommen. Entweder erhielt Jil Mahim schnell eine Behandlung, oder sie würde ihr Bein verlieren. Oder sterben. Mahim öffnete die Augen. »Heiß«, stieß sie mit Mühe hervor. »Hier scheint es keine Möglichkeit zu geben, die Temperatur zu regulieren«, sagte Garvin. »Wie geht es mir?« 182 »Den Umständen entsprechend ganz gut«, sagte Lir. »Die Genesung macht Fortschritte.« »Giptelscheiße«, sagte Mahim. »Vergiss nicht, dass ich hier die Medizinerin bin.« Sie zuckte zusammen, als ihre Schmerzen stärker wurden. »Und ich verfüge immer noch über meine Nase.« »Wir bemühen uns, einen Arzt zu bekommen«, sagte Garvin. Montagna stand auf, ging zur Zellentür und rief nach draußen. Eine gedämpfte Stimme hinter der Tür antwortete ihr, dass sie die Klappe halten sollte. »Nette Leute«, sagte Mahim. »Wenn wir sie in unseren Klauen hätten, würden wir sie wenigstens gesund sterben lassen, nicht wahr?« Garvin bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln, stellte jedoch fest, dass es ihm misslang. »Weg von den Türen!«, rief jemand von draußen. Gehorsam trat Montagna zurück. Jaansma stand auf und fragte sich, ob endlich jemand kam, der ihnen sagte, was los war. Seit sie gefangen genommen worden waren, hatten sie von ihren Wärtern nur zu hören bekommen, dass sie von der Tür zurücktreten und still sein sollten. Die äußere Tür wurde geräuschvoll aufgerissen, und ein Schlüssel klirrte in der zweiten. Sie ging auf, und Njangu Yoshitaro trat ein. Garvin und Lir erholten sich am schnellsten von der Überraschung. Sie wussten, wohin Njangu verschwunden war. Aber es hatte kein Grund bestanden, die anderen Soldaten ebenfalls zu informieren, also hatten sie auch nichts erfahren. Montagna riss die Augen auf, und Mahim stemmte den Oberkörper hoch. »Boss«, konnte sie noch sagen, bevor Lir gegen ihr ge183 schwollenes Bein stieß. Sie schrie vor Schmerz und fiel zurück, während sie im gleichen Moment erkannte, dass Yoshitaro eine dunkelbraune Uniform trug, die nichts mit der Konföderation zu tun hatte. Hinter ihm standen drei bewaffnete Wachen — darunter eine sehr hübsche Frau und ein kleiner Mann mit Halbglatze, der eher wie ein Universitätsdozent aussah. »Ich bin Ab Yohns«, sagte Njangu. »Präfekt Ab Yohns. Protektor Redruth hat mich beauftragt, Ihre Verhöre und die Vorbereitungen für Ihr Kriegsverbrechertribunal zu überwachen.« »Wir haben kein Verbrechen begangen«, sagte Garvin. »Und wir haben anständige Uniformen getragen, bevor Ihre Schläger uns ausgezogen und gefilzt haben.« »Ach, Sie haben kein Verbrechen begangen?«, fragte der kleine Mann erstaunt. »Mord, Massenmord, versuchter Mord, Zerstörung von Staatseigentum, Angriff auf Personen der Staatsgewalt, revolutionäre Umtriebe, Verschwörung gegen eine rechtmäßige Regierung, Diebstahl, Besitz illegaler Geräte... die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Vergessen Sie nicht, dass Cumbre und Larix/Kura sich nicht miteinander im Krieg befinden. Sie sind nichts weiter als gewöhnliche Verbrecher. Man wird Sie verhören, bis Sie begreifen werden, dass es klüger ist, die Namen Ihrer Komplizen im Kura-System sowie die Ihrer Mitverschwörer im Larix-System zu nennen. Dann werden Sie und die anderen vor Gericht gestellt und verurteilt. Der Prozess wird überall auf Larix und Kura ausgestrahlt werden, damit auch jenen, die noch nicht vollständig von der Gefährlichkeit der Cumbrianer überzeugt sind, endlich die Augen aufgehen. Wahrscheinlich wird die Sendung auch zu Ihren Heimatwelten übertragen werden, um Ihre Landsleute von weiteren Terroraktionen abzuhalten.« 184
»Dieser Herr«, sagte Yoshitaro, »Dr. Petteu Miuss, wird Ihre Verhöre leiten. Er besitzt akademische Abschlüsse in Medizin, Chirurgie, Pharmakologie und Psychologie. Es ist wohl kaum nötig darauf hinzuweisen, dass Sie auf alle Fälle gestehen werden. Wir sind bereit, alle - wirklich alle - notwendigen Mittel einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen. Meine Rolle ist sehr einfach: Ich habe viele Jahre auf D-Cumbre gelebt, und ich bin bestens mit Ihrer Gesellschaft und Ihrem Militär vertraut. Also sollten Sie sich gar nicht erst die Mühe machen, mich, Dr. Miuss oder seine Untergebenen zu belügen. Diese Art von antisozialem Verhalten werden wir schwer bestrafen.« »Wie sind Sie zum Verräter geworden, Yohns?«, fragte Garvin und versuchte, seine Stimme hasserfüllt klingen zu lassen. »Ich bin keineswegs ein Verräter«, sagte Njangu. »Im Cumbre-System war ich noch immer ein Bürger der Konföderation, dann habe ich diese Staatsbürgerschaft aufgegeben und die von Larix/Kura erhalten. Ich schlage vor, dass Sie Ihre Zeit nicht damit vergeuden, mich anzuklagen. Denken Sie stattdessen lieber über Ihre eigenen Verbrechen nach. Je besser Sie kooperieren, desto zuvorkommender wird man Sie behandeln.« »Zum Beispiel so?« Garvin zeigte auf den kargen Raum. »Dies ist lediglich eine Arrestzelle«, sagte Njangu. »Sie werden unverzüglich in Protektor Redruths Flaggschiff transferiert. Dort werden Sie gründlich untersucht und gegebenenfalls medizinisch behandelt. Und Sie werden die üblichen militärischen Rationen erhalten - sofern Ihr Verhalten uns nicht dazu zwingt, andere Maßnahmen zu ergreifen. « Njangu sah die vier düster an. »Wir wollen doch bei unseren Bürgern nicht den Ein185 druck erwecken, dass Sie wegen Ihres körperlichen Zustands Mitleid verdienen, wenn es zur Gerichtsverhandlung kommt. Mehr habe ich nicht zu sagen. Dr. Miuss?« Der Gelehrte sah sich jeden Soldaten genau an. Er beugte sich über Mahim, betrachtete ihr Bein und schnalzte in scheinbarem Mitgefühl mit der Zunge. Mahim sah ihn mit eiskaltem Blick an. »Uns stehen interessante Zeiten bevor«, sagte er. »Vier geistig Verwirrte, die am gleichen anomalen Verbrechen beteiligt waren. Meine Untersuchung wird interessante Ergebnisse zutage fördern. Ich freue mich aufrichtig darauf, jeden von Ihnen besser kennen zu lernen.« Er lächelte zufrieden und zog sich wieder an Njangus Seite zurück. Njangu wandte sich an die Frau. »Kommandantin Stiofan, könnten Sie die normalen Wachen durch eine Abordnung Ihrer Sicherheitskräfte verstärken?« »Sicher, Präfekt.« »Sie beide«, sagte Njangu zu Alpha und Beta, »sorgen dafür, dass der Transfer reibungslos abläuft.« »Ja, Sir«, sagte einer. Njangu musterte die Gefangenen. »Schurken«, sagte er leise. »Eindeutig Schurken, Perverslinge und Psychopathen, alle miteinander.« Garvin hätte fast gelacht und sah, dass Njangu schnell den Blick abwenden musste. Njangu hörte auf, Maev den Rücken zu waschen, und ließ sich reglos von der Dusche berieseln. »Warum hast du aufgehört?« »Weil ich mit dir reden muss — und dies ist der sicherste Ort an Bord dieses verdammten Schiffs. Ich sehe keine Wanzen, und das Rauschen des Wassers dürfte alles verschlucken, was das Ding in der Lampe auffangen könnte.« 186 »Und das, nachdem ich mir schon Hoffnungen gemacht hatte!« »Ich habe nicht gesagt, dass ich gar nicht mehr weitermachen werde. Mein Plan sieht folgendermaßen aus.« »Nj... ich meine, Ab... halte mich bitte nicht für eine Vollidiotin«, unterbrach ihn Maev. »Ich habe mitbekommen, was der bedauernswerten Frau mit dem verfaulten Bein fast rausgerutscht wäre. Nicht dass ich glaube, Miuss, dieser blutleere Kadaver, hätte sich einen Reim darauf machen können, falls er es überhaupt bemerkt hat. Schließlich kenne ich dein Geheimnis und er nicht. Du bist sauer, weil du deine sorgfältig konstruierte Tarnexistenz aufgeben und eine heldenhafte Rettungsaktion für deine Freunde in die Wege leiten musst. Andererseits bin ich glücklich wie ein Irrer mit einer neuen Axt, weil ich endlich mit dem Eiertanz aufhören und diesen Albtraum verlassen kann. Merkst du, wie sehr ich von deinen Fähigkeiten überzeugt bin?« »Du bist mir viel zu schlau«, gab Njangu zu. »Natürlich«, sagte Maev gelassen. »Wirst du mir jetzt erklären, wie wir den großen Gefängnisausbruch im Herzen von Larix Primus durchziehen werden?« »Äh... ich habe noch nicht alle Einzelheiten ausgearbeitet«, gestand Njangu. »Aber ich denke, es wird nicht ohne viele Explosionen und Leichen abgehen. So viele wie möglich, um genau zu sein.« »Aber keine Einzelheiten.« »Noch nicht.« »Ich würde nie im Leben andeuten wollen, dass du vielleicht nur eine vage Idee hast und dich beim eigentlichen Plan auf dein Improvisationstalent verlassen willst.« »Ich bin froh darüber, wie viel Respekt du meinen angeborenen Fähigkeiten entgegenbringst«, sagte Njangu. 187
»Zu denen zweifellos das Rückenwaschen gehört. Du kannst jederzeit damit weitermachen.« Am nächsten Morgen weckte er Maev, indem er mit seiner Zunge an und in ihrem Ohr spielte. Sie gähnte und streckte die Arme nach ihm aus. »Letzte Nacht hast du mich sehr inspiriert«, flüsterte er. »Das hoffe ich doch«, sagte Maev, die sich der Wanze bewusst war, die Njangu in einem besonders grässlichen Beispiel militärischer Kunst gefunden hatte, das über dem Bett hing. Mit den Lippen formulierte er lautlos den Satz: Ich habe einen Plan. »Hmm. Das klingt gut«, sagte sie. »Zärtlich, erregend und orgiastisch?« Er näherte sich ihrem Ohr und flüsterte: »Nein, idiotisch, offensichtlich und blutig. Aber ich glaube, es wird funktionieren. Und das Erste, was wir brauchen, ist ein gutes Gerücht.« 13 Kura / Kura Vier Der Aksai drang sehr schnell über dem Südpol in die Atmosphäre ein. Er raste einem der Ozeane von Kura Vier entgegen, als wollte er sich im Kamikazeflug hineinstürzen, doch in weniger als tausend Metern Höhe über dem Wasser wurde die Maschine abgefangen. Mit Vollschub flog sie auf die nächste Landmasse zu, wich in einer Schleife einigen Küstendörfern aus und ver188 schwand über dem Dschungel. Als ein kleiner, von einer braunen Schlammfläche umgebener See auftauchte, verzögerte der Aksai. Im Cockpit musterte Alikhan eine Zeitanzeige, die plötzlich an der Kanzel aufblinkte. Das Holo der gebirgigen Umgebung erschien auf einer Seite seiner Kontrollen, und mitten darin leuchtete ein roter Punkt. Er bewegte eine Tatze, und ein Mikrofon senkte sich herab. »Geschätzte Ankunftszeit in zwei Komma drei Minuten. Bereithalten.« Die Antwort bestand aus einem doppelten Klicken in seinen Kopfhörern. Alikhan war der einzige Insasse des Aksai, der mit drei weiteren Kampfkapseln konfiguriert war. Unter ihm erhob sich ein Felsturm mit einem winzigen Plateau fast senkrecht aus dem Dschungel. Alikhan fragte sich, wie sie es geschafft hatten, ihn zu besteigen, dann steuerte er direkt auf das Plateau zu, während er mit Vollschub bremste. Der Aksai schüttelte sich, als er zehn Meter über der Hochfläche zum Stillstand kam. Alikhan schaltete den Antrieb aus und ging auf Antigrav. Die Flügel des Aksai vibrierten, als er den Antigrav zurückfuhr und das Schiff mit einem harten Ruck aufsetzte. Der Musth klappte die Kanzel auf, griff nach seinem Blaster und sprang hinaus. Hinter einem Strauch ging er in Deckung und wartete. Ein paar Sekunden später taumelten zwei Männer aus dem Unterholz. Ihre Kleidung war zerrissen, sie waren schmutzig und zerkratzt, und Alikhan konnte sie aus drei Metern Entfernung riechen. Beide Männer - ein älterer und ein hünenhafter jüngerer - hielten ihre Waffen bereit, und sie musterten wachsam die Umgebung. 189 »Du hast gesagt, dass du kommen würdest«, stieß Ben Dill mühsam hervor. »Du hast dein Wort gehalten.« »Es tut mir Leid, dass ich nicht früher eintreffen konnte«, erwiderte Alikhan. »Aber es waren zu viele Schiffe in der Nähe des Planeten. Also sind wir nach Cumbre zurückgeflogen. Doch dann hat der Satellit das Signal eines Notsenders aufgefangen, und wir sind wieder hergekommen. Der Velv, zu dem dieser Aksai gehört, wird alle zwei Stunden in den Normalraum gehen, um uns die Möglichkeit zum Einschleusen zu geben.« »Ich bin verdammt froh, dich zu sehen«, brachte Danfin Froude heraus. »Es war eine lange, hungrige Woche... ich glaube jedenfalls, dass es eine ganze Woche war.« »Steigt ein«, sagte Alikhan. »Ich glaube nicht, dass ich von irgendwelchen Sensoren bemerkt wurde, aber ich würde gerne so schnell wie möglich wieder abfliegen.« Er lief zur Hauptkanzel zurück und bediente die Kontrollen, worauf sich zwei weitere Kuppeln öffneten. »Ich hoffe nur, dass ich meinen Geruch ertragen kann, bis wir in die Zivilisation zurückgekehrt sind«, sagte Froude. »Dann werde ich eine Woche lang baden, nur die besten Steaks essen und mich für den Rest meines Lebens von pflanzlicher Kost und rohem Fisch fern halten. Sechs Steaks auf einmal wären für den Anfang genau das Richtige. Und dann werde ich ein oder zwei Monate lang durchschlafen.« Er kletterte in die Kanzel des Aksai. Ben Dill musterte Alikhan. »Du bist zurückgekommen«, sagte er noch einmal. »Ich habe einen Eid geleistet«, sagte Alikhan. »Du hast mir einmal das Leben gerettet, also war ich jetzt an der Reihe, dasselbe für dich zu tun.« Ben Dill wollte etwas sagen, doch dann schüttelte er den Kopf. 190 »Ist jemand von den anderen entkommen? Habt ihr andere Notrufsignale empfangen?« »Nein«, sagte Alikhan. »Wir wissen immer noch nicht, was mit ihnen geschehen ist. Aber die Legion wird weiterhin den Satelliten überwachen.« 14 Cumbre / D-Cumbre Dem Redakteur Ted Vollmer gefiel der Gesichtsausdruck seines Chefs ganz und gar nicht. »Wir werden verdammt viel Lärm veranstalten«, prahlte Loy Kouro. »Und wenn die Zeit der Abrechnung
gekommen ist, werden wir bereitstehen!« »Hat Prest'n etwas herausgefunden?« »Ein ganz großes Ding«, sagte Kouro. »Wir werden die Legion nicht einfach nur mit Eiern bewerfen, oh nein, wir werden sie im größten Omelett der Welt versinken lassen. Das ist eine ganz, ganz große Sache, Vollmer. Es geht um nicht weniger als die Sicherheit von Cumbre!« »Wollen Sie mir mehr darüber erzählen, Sir?«, sagte Vollmer. »Ich weiß nur, dass Prest'n von jemandem angerufen wurde, der mit irgendeinem Soldaten verwandt ist, damit zu Ihnen gegangen und anschließend in der Gegend rumgesaust ist. Es wäre nett, wenn ich über die Story Bescheid wüsste, damit ich mir überlegen kann, wie wir damit umgehen. Schließlich bin ich ja.nur Prest'ns Chef.« »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, sagte Kouro. »Wenn sämtliche Nägel festgeklopft sind, werden Sie alles erfahren. Im Augenblick ist es meiner Ansicht nach besser, 191 die Sache noch unter Verschluss zu halten. Außerdem kann ich mich immer noch daran erinnern, wie es ist, als Reporter zu arbeiten.« Kouro lächelte und machte sich auf den Rückweg zu seinem Büro. Unterwegs wurde aus seinem Lächeln lautes Gelächter. »Ein Reporter?«, fragte Vollmers Assistent. »Seit wann ist ein Verleger...?« »Vergessen Sie's«, sagte Vollmer erschöpft. »Solange er mir mein Gehalt überweist, kann er von mir aus behaupten, er sei ein rosaroter Pirat.« »Das könnte eine sehr teure Rettungsaktion werden«, sagte Caud Angara, als er den Ausdruck las. »Immerhin haben wir die Bestätigung, dass es Überlebende aus Jaansmas Trupp gibt. Ich vermute, die nächsten Angehörigen wurden bereits benachrichtigt.« »Ja, Sir«, sagte Erik Penwyth, der stellvertretende Leiter der Sektion II. »Ich dachte, ich nehme die Sache am besten selbst in die Hand und teile den Angehörigen persönlich mit, dass die Betreffenden Kriegsgefangene sind, statt den üblichen Dienstweg zu beschreiten oder sie als im Einsatz vermisst zu führen. Auf diese Weise können wir die Angelegenheit noch einigermaßen geheim halten.« Er verzog das Gesicht. »Gibt es ein Problem?«, fragte Hedley. »In der Tat«, sagte Penwyth, »aber eines, mit dem wir nicht rechnen konnten. Von den vieren, die als Kriegsgefangene gemeldet sind, wissen wir nur von zweien, nämlich Tweg Mahim und Dec Montagna, dass sie Verwandte haben. Aber das ist nicht das Problem. Ich habe auch die Angehörigen der weiterhin Vermissten Tweg Irthing und Dec Heckmyer - benachrichtigt und ihnen gesagt, dass die Betreffenden nach wie vor als >im Einsatz vermisst< gelten, 192 auch wenn ihr Status in >vermutlich gefallen< geändert wurde. Tweg Irthings Schwester erkundigte sich daraufhin, wie schnell die Versicherung der Armee ausgezahlt würde und ob Irthings Status nicht in >im Einsatz getötet< geändert werden könnte, um die Auszahlung zu beschleunigen, da sie ja offensichtlich dort gestorben ist, wohin auch immer wir sie geschickt haben.« »Autsch«, sagte Hedley leise. »Man sollte nie vergessen, dass manche Menschen -eigentlich sogar recht viele - sich rekrutieren lassen, um ihrer Familie zu entfliehen«, sagte Angara. »Das ist noch nicht alles, Sir«, sagte Penwyth. »Sie meinte, wenn wir weiter herumplänkeln und die Dinge nicht in die Hand nehmen, wie wir es tun sollten, würde sie sich an die Holos wenden.« »Ein doppeltes Autsch.« »Es kommt noch schlimmer«, sagte Penwyth. »Ich glaube, sie hat es bereits getan, denn einer von Kouros Reportern hat herumgeschnüffelt. Er hat versucht, den kommandierenden Offizier der Aufklärungskompanie zu erreichen, und wurde informiert, dass Yoshitaro im Einsatz ist; dann hat er sich nach dem Kommandanten der Sektion II erkundigt und erfahren, dass Jaansma derzeit nicht erreichbar ist, worauf er mich als vorübergehenden Obermotz wegen eventueller Geheimaktionen gelöchert hat, die die Legion gegen Larix und Kura in die Wege geleitet haben könnte. Ich schätze, der Dreckskerl kann irgendwann eins und eins zusammenzählen und einen Glückstreffer landen.« »Wir sollten vom schlimmstmöglichen Fall ausgehen«, sagte Angara. »Der Matin bringt eine Story heraus, in der es heißt, dass wir einen geheimen Einsatz gegen Larix und Kura geführt haben, bei dem es mindestens ein Todesopfer gegeben hat. Wäre das wirklich so schlimm?« 193 »Es wäre nicht gerade gut«, sagte Hedley. »Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass der verstorbene Ab Yohns Redruths einziger Agent in unserem System war, obwohl ich nicht glaube, dass es noch andere gibt. Was passiert, wenn der Matin Bilder veröffentlicht? Wir werden natürlich nicht kooperieren, aber ich denke, sie haben zumindest Archivaufnahmen von Jaansma und Yoshitaro. Ein nettes Holo mit Yoshitaro in Uniform, das auch auf Larix ausgestrahlt wird, dürfte nicht unbedingt zur Sicherheit unseres Agenten beitragen.« »Vielleicht sollten wir den Verleger des Matin, diesen Loy Kouro, bitten, die Geschichte nicht zu bringen, bis wir ihm das Okay geben, auch wenn er alles andere als ein guter Freund der Legion ist.« »Ich glaube kaum, dass er sich daran halten würde, Sir«, sagte Penwyth. »Vielleicht haben Sie vergessen, dass Garvin... Entschuldigung, Mil Jaansma eine Affäre mit Jasith Mellusin hat - und die ist zufällig Kouros Exfrau.«
»Mohammeds Kamel im rosaroten Schlafanzug! Was zum Henker ist hier eigentlich los?«, regte sich Angara auf. »Ist das hier eine Armee oder eine gottverdammte Partnerschaftsvermittlung! « Weder Hedley noch Penwyth sagten etwas dazu. Angara stöhnte gequält und fuhr sich mit einer Hand über die grauen Stoppeln, die er als seine Frisur bezeichnete. »Und es könnte noch schlimmer kommen. Wenn Kouro diese Geschichte verbreitet, wird natürlich auch der Rat Fragen stellen. Im Augenblick haben wir die Genehmigung, so ziemlich alles Mögliche zu unternehmen, sofern es Larix und Kura betrifft, abgesehen von einem offenen Krieg. Aber es gibt auch die Unentschlossenen. In gewisser Weise ist es schade, dass Redruths Atomschlag nicht die Planetenoberfläche getroffen hat. Dann würden 194 die Politiker wahrscheinlich noch etwas länger Ruhe geben.« »Ja, Sir«, sagte Hedley. »Was bedeutet, dass wir lieber über Njangus Nachricht reden sollten und wie wir unsere Leute aus Redruths Klauen heraushauen.« »Sie haben Recht, Jon«, sagte Angara, der sich die Botschaft zum dritten Mal durchlas. »Schön, dass Yoshitaro nun in der Lage ist, regelmäßig Berichte zu senden. Penwyth, ich stelle fest, dass jemand in der Sektion II bemerkt hat, dass die Empfangsfrequenz, die er jetzt benutzt, knapp neben einer militärischen Frequenz liegt, die auf Larix verwendet wird. Ich frage mich, wie er das bewerkstelligt hat. Geben Sie sich keine Mühe, mir darauf zu antworten. Ich versuche nachzudenken und rede dabei vor mich hin. Also zurück zu dieser teuren Rettungsaktion. Als Erstes müssen wir eine explosive Ladung absetzen, ohne selbst in die Luft gejagt zu werden.« »Das ist keineswegs unmöglich, Sir«, sagte Hedley. »Wir werden einen Velv als Mutterschiff und zwei Aksai benutzen. Wir klemmen Kapseln unter die Aksai, sodass sie nur über der entsprechenden Stelle schweben müssen, um die Ladung fallen zu lassen, und sofort wieder verschwinden können.« »Gut, Phase eins ist also machbar«, sagte Angara. »Davon war ich bereits ausgegangen. Was mir Sorgen macht, ist Phase zwei. Yoshitaro möchte einen schweren Angriff auf Agur, die Hauptstadt von Primus, den ein Einsatzkommando ausführen soll - zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, den er uns nennen wird, nachdem die Schiffe im System eingetroffen sind. Zudem soll ein paar Kilometer entfernt ein zweites Team in den Einsatz gehen. Also noch zwei Velv — obwohl er mit unseren neuen Zerstörern besser beraten wäre — plus zwei schnelle Transporter. Und all 195 der Aufwand, um vier... Verzeihung, fünf Personen zu retten!« »Sechs, Sir«, sagte Penwyth. »Njangu hat noch eine Frau von Larix auf die Liste gesetzt. Ich weiß allerdings nicht, wer sie ist. Und der zusätzliche Transporter dient der Redundanz, falls wir einen verlieren.« »Sechs Leute«, sagte Angara. »Und ich könnte sieben Schiffe verlieren, ganz zu schweigen von den — wie viel dürften es sein? - dreihundert Besatzungsmitgliedern, allein in dieser Phase! Im Gegenzug habe ich anschließend keinen Agenten in Redruths Umfeld mehr, ich verliere meine einzige, kostbare Informationsquelle auf Larix. Dafür gewinne ich, wenn alles gut geht — abgesehen von drei guten Soldaten -, zwei Nachwuchsoffiziere, die für ihre Eigenwilligkeit bekannt sind, um es so höflich wie möglich auszudrücken, und eine larixanische Verräterin. Lohnt sich der Aufwand?« »Möchten Sie darauf eine Antwort hören, Sir?«, fragte Hedley. »Natürlich nicht«, sagte Angara. »Selbstverständlich weiß ich, was wir zu tun haben. Und wir sind uns einig, dass wir es schnell tun müssen, bevor dieser verdammte Kouro uns einen Knüppel zwischen die Beine wirft.« Er seufzte. »Ich wünschte, wir könnten wirklich die Raufbolde sein, als die uns Kouro ständig beschimpft - wenn er gerade nichts von uns will, wenn wir nicht für seine Freiheit kämpfen -, und einen kleinen praktischen Unfall inszenieren.« »Eine Bombe in Kouros Hose wäre der Himmel«, sagte Hedley verträumt. »Wir hätten mehr als genug Raufbolde auf unserer Gehaltsliste, um es hinzukriegen. Wenn wir doch nur nicht diesen beschissenen Eid geleistet hätten!« »Unsere Ehre nicht zu vergessen«, sagte Angara. 196 »Wie bitte, Sir?«, fragte Hedley. »Schon gut«, sagte Angara. »Sir«, sagte Penwyth, »vielleicht könnte uns die Tatsache behilflich sein, dass ich der gleichen Gesellschaftsschicht angehöre wie er.« »Sie wollen mit ihm reden?« »Um Himmels willen, nein!«, sagte Penwyth. »Ich bin genauso wenig mit ihm befreundet wie Garvin. Aber ich kenne Jasith Mellusin recht gut. Vielleicht fällt ihr etwas ein, wie wir ihn mundtot machen könnten.« »Seien Sie äußerst vorsichtig«, sagte Hedley. »Wir wollen die Sache nicht noch schlimmer machen, als sie bereits ist.« »Vertrauen Sie mir, Sir«, sagte Penwyth nonchalant. »Habe ich jemals versagt?« Jasith traf sich mit Erik am Tor von Hillcrest, dem Anwesen ihrer Familie in der Oberstadt von Leggett. Sie war blass.
»Du hast gesagt, wir könnten am Kom nicht darüber reden. Ist er...?« »Was Garvins Status angeht, gibt es keine Veränderung«, beeilte sich Erik zu erklären. »Er ist immer noch ein Gefangener Redruths und immer noch am Leben, soweit uns bekannt ist. Entschuldigung. Das hätte ich erwähnen sollen, als ich dich angerufen habe.« »Komm rein. Bitte. Möchtest du etwas trinken?« »Liebend gerne, aber leider ruft die Pflicht und so weiter. Jasith, die Legion möchte dich um einen Gefallen bitten. « »Jederzeit. Das weißt du doch.« Erik erklärte ihr das Problem mit Loy Kouro und dem Matin. 197 Jasith ging zur Bar, goss automatisch zwei Gläser Brandy ein und reichte eines an Penwyth weiter. »Oh, tut mir Leid, ich habe gar nicht mehr...« »Schon gut«, sagte Erik und nahm einen kleinen Schluck. »Bevor ich mich schlagen lasse.« »Ich sagte, ich würde alles tun, was in meiner Macht steht. Aber es gibt Dinge, da kann ich einfach nichts machen. Loy Kouro ist so eine Sache. Ich bin zwar mit dem Schwein verheiratet gewesen, aber das bedeutet nicht, dass ich ihn kenne oder verstehe. Denn ich hätte ihn niemals geheiratet, wenn ich ihn oder mich selbst verstanden hätte«, sagte Jasith verbittert. »Stattdessen bin ich einfach losgezogen und...« Sie verstummte und nahm einen Schluck Brandy. »Wenn ich Loy anrufen würde«, fuhr sie fort, »würde das die Situation nur verschlimmern. Ich glaube, inzwischen hasst er mich noch viel mehr als Garvin. Und wenn er eine Chance sieht, es uns beiden heimzuzahlen, würde er keine Sekunde zögern, sie zu nutzen.« »Hmm«, machte Erik. »Das war mir alles schon klar. Was ich eigentlich von dir erwarte, ist ein Ansatz, mit dem wir Loy unter Druck setzen können.« »Du meinst so etwas wie eine Erpressung?« »Genau. Irgendein unangenehmes kleines Geheimnis, das du mir anvertraust oder auch nur andeutest, damit wir ein paar Nachforschungen im Sumpf anstellen können...« Jasith dachte nach und schüttelte schließlich den Kopf. »Mir fällt absolut nichts ein. Er lebt jetzt als Junggeselle, also ist es allein seine Sache, mit wem er ins Bett geht. Nicht dass irgendein Zinser jemals einen Ehebrecher geschnitten hätte — es sei denn, es ist seine eigene Frau, die gevögelt wird —, aber meistens noch nicht mal dann. Soweit ich weiß, trinken alle. Drogen... glaube ich nicht.« 198 »Wir sind wirklich ganz schön dekadente Arsche, nicht wahr?«, sagte Penwyth und leerte sein Brandyglas. »Ich muss jetzt weiter, also ein fröhliches Lebewohl und das Übliche. Wenn dir etwas einfällt, ruf mich an. Ach ja, noch etwas. Was machst du so in letzter Zeit, gesellschaftlich, meine ich?« Jasith lächelte wehmütig. »Verdammt wenig. Ich arbeite so viel wie möglich, damit ich nicht zum Nachdenken komme. Aber die meiste Zeit sitze ich herum und mache mir Sorgen um Garvin. Ich versuche, früh zu Bett zu gehen. Und wahrscheinlich esse ich nicht vernünftig.« »Wie wär's, wenn ich Karo anrufe? Ihr beiden könntet zusammen ausgehen, könntet irgendwo was trinken oder auch zum Tanzen. Aber glaube nicht, dass ich ein Altruist bin. Mit dir als Anstandsdame würde Karo nicht gleich mit dem erstbesten gut ausgestatteten Kerl losziehen, der sie zum Tanzen auffordert, während ich auf der Insel festsitze und Soldatenjunge spiele.« Jasith brachte ein Lächeln zustande. Die rothaarige Karo Lonrod hatte zum festen Inventar der Partyszene der Zinser gezählt, bis sie an Penwyth geraten war, zunächst als unverbindliche Bettgespielin, dann als gelegentliches Alibi während der Musth-Besatzung, und seitdem hatte sich etwas anderes zwischen ihnen entwickelt, worüber keiner der beiden reden wollte. Zur allgemeinen Überraschung schien Karo ihre frühere Unstetigkeit vollständig aufgegeben zu haben. »Das könnte ein großer Spaß werden«, sagte Jasith. »Und ich verspreche dir, dass ich mich melde, wenn mir etwas Gemeines einfällt.« Sie beobachtete, wie sein Gleiter davonflog, ging wieder ins Haus, goss sich einen neuen Brandy ein und setzte sich auf eine Couch, um auf Leggett City hinunterzustarren. 199 Eine Stunde später war der Drink immer noch unberührt. Plötzlich riss Jasith die Augen auf. Sie ging zum Kom und berührte ein paar Tasten. Doch dann hielt sie inne, dachte kurz nach und wählte schließlich eine andere Nummer. »Verschlüsselung«, sagte sie, als sie eine Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, und las den Kode von ihrem Display ab. »R drei sechs sieben.« Die Stimme wurde verzerrt, doch im nächsten Moment war sie wieder deutlich zu verstehen, als ihr Gesprächspartner den Verschlüsselungskode eingegeben hatte. »Verschlüsselung auf Kode R drei sechs sieben. Was gibt es für ein Problem, Jasith?« Der Mann am anderen Ende der Leitung war Hon Felps, der Personalchef der Mellusin-Bergwerke und frühere Assistent ihres verstorbenen Vaters. »Ich brauche Zugang zum Team GT neun-sieben-drei«, sagte Jasith. Ein längeres Schweigen. Der Kode, den Jasith nach dem Tod ihres Vaters erhalten hatte, war einige Jahre zuvor
von ihrem Vater eingeführt worden. Jeder leitende Angestellte der Mellusin-Bergwerke wusste, dass bei Nennung des Kodes GT 973 durch irgendein Mitglied der Familie Mellusin oder einen ihrer Vertreter jeder Wunsch - wirklich jeder -ohne Nachfragen, Kommentare oder Aufzeichnungen ausgeführt werden musste. Außerdem hatte Jasith von Felps erfahren, dass es gewisse Personen auf der Gehaltsliste der Firma gab, die unauffällige Positionen besetzten, aber über eine ungewöhnliche Ausbildung verfügten und ihr in jeder - wirklich jeder - Form zu Diensten sein würden. Jasith hatte den Kode während des Musth-Krieges an Garvin weitergegeben, aber er hatte ihn noch nie in Anspruch genommen. Doch nun... 200 »Sind Sie sich ganz sicher, dass... Entschuldigung. Halten Sie sich bereit. Man wird in Kürze über diesen Anschluss Kontakt mit Ihnen aufnehmen.« Die Verbindung wurde unterbrochen. Jasith wartete und dachte über ihre Idee nach. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Aber es war kein besonders freundliches Lächeln. Dann verzog sich ihr Mund immer mehr, bis sie laut auflachte, im selben Moment, als der Kom summte. »Jasith Mellusin«, meldete sie sich. »T eins zwei eins«, war eine völlig neutrale Stimme zu hören, die höchstwahrscheinlich künstlich war. Jasith tippte den Kode ein und erklärte dann ihr Vorhaben. Die angenehme Tonfolge des Weckers ertönte zweimal. Loy Kouro drehte sich um und streckte die Hand nach dem Ausschalter aus, doch dann spürte er Papier statt Plastik. Er öffnete ein Auge und sah, dass ein Umschlag vor dem Wecker stand. Kouro setzte sich auf, und der blonde Kopf, der seinen Arm als Kissen benutzt hatte, stieß schläfrig einen überraschten Schnarcher aus. Wie zum Henker ist das hierher gekommen? Ich habe nichts getrunken, bevor ich zu Bett gegangen bin. Will Bet mich überraschen oder so? Er riss den Umschlag auf und zog eine Karte heraus, die wie handgeschrieben aussah. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass es eine spezielle Schrifttype war: Ich wünsche Dir wundervolle Tage -jetzt und hoffentlich für immer! 201 Die Nachricht war nicht unterschrieben. Ziemlich plötzlich ging die Karte in Flammen auf. Kouro schrie überrascht auf und ließ sie auf den Teppich fallen, wo sie zu Asche verglühte. Bet setzte sich auf. »Was ist los, mein Honigbrötchen?« »Nichts. Schlaf weiter.« Ihm war noch nie zuvor aufgefallen, wie sehr ihm ihre näselnde Stimme auf den Geist ging. Kouro griff nach dem Korn, dann dachte er, dass er sich zumindest das Gesicht waschen sollte, bevor er seine Sicherheitsleute in der Luft zerriss. Mit zunehmender Wut ging er ins Bad, griff nach dem Wasserhahn und sah dort ebenfalls schwarze Asche. Eine weitere Botschaft. Aber es hätte auch eine Bombe sein können. Genauso wie die erste. Und jeder, der hier einbrechen kann, könnte auch mit einem Messer oder einer Pistole statt eines Briefumschlags kommen. Er öffnete den Medizinschrank, und fand weitere Asche in einer Packung mit Kopfschmerztabletten. Die Arznei hätte durch Gift ersetzt werden können, ohne dass ich je etwas davon geahnt hätte. Kouro bemerkte, dass seine Hand zitterte. Er drückte sie fest auf den Rand des Waschbeckens, bis sie sich beruhigte. Dann nahm er seinen Morgenmantel vom Haken, zog ihn an und hörte ein Knistern. Er griff in die Tasche und fand auch dort Asche. Ein giftiges Reptil. Er war fast blind vor Wut, als er sich den Kom schnappte und die Nottaste drückte. Alarm ertönte. Eine Stimme wurde hörbar. »Ein Reaktionsteam ist unterwegs, Sir. Beschreiben Sie bitte das Problem, sofern Sie sprechen können.« »Jemand... jemand ist eingebrochen«, würgte Kouro her202 vor, dann flog auch schon die Tür auf. Zwei Männer in Kampfanzügen stürmten mit erhobenen Waffen herein und drückten sich links und rechts vom Eingang an die Wand. Einer seiner Sicherheitsoffiziere steckte vorsichtig den Kopf durch die Türöffnung. »Was ist passiert, Sir?« »Hier war ein Einbrecher, verdammt! Und er ist einfach so an Ihnen vorbeispaziert!« »Stehen Sie auf und gehen Sie aus dem Weg!« »Er ist schon weg, Sie verdammter Idiot!« Der Chef der Wache erhob sich, schob sich an Kouro vorbei und sah nichts außer der jungen Frau mit den weit aufgerissenen Augen im Bett. »Was ist passiert, Sir? Woher wissen Sie, dass es einen Einbruch gab?« Kouro schnappte nach Luft, stieß stammelnd ein paar Silben aus; doch er war viel zu aufgeregt, um einen zusammenhängenden Satz herauszubringen.
Diese verdammten, beschissenen Soldaten! Es muss jemand von der Legion gewesen sein. Kein anderer meiner Feinde verfügt über derartige Fähigkeiten. Die Dreckskerle haben sich an den besten Wachen, die ich einstellen konnte, vorbei geschlichen, und sie wären jederzeit in der Lage, es wieder zu tun, und ich kann nichts dagegen machen. Ich könnte ermordet werden. Und ich kann niemanden wegen ein paar Häufchen Asche und einer wirren Geschichte anzeigen, die mir niemand, nicht einmal Bet, glauben wird. Diese gottverdammten Drecksäcke! Prest'n schaltete den Kom ein. »Matin, hier Prest'n.« »Hier Loy Kouro.« 203 »Ja, Sir?« »Wir kippen die Larix/Kura-Geschichte.« » Was?« Die einzige Antwort, die er erhielt, war das Klicken, mit dem Kouro die Verbindung trennte. 15 »Ich bin sehr unzufrieden«, bellte Celidon. »Genauso wie der Protektor.« »Ich hoffe, nicht meinetwegen«, sagte Njangu. Das Zittern in seiner Stimme war nicht gespielt. »Nein, Yohns. Sie sind einer der wenigen Menschen, von denen der Protektor und ich im Augenblick eine gute Meinung haben. Kennen Sie die Geschichten über die Grauen Rächer?« »Über wen?« »Auch der Leiter der staatlichen Sicherheit sowie der Kommandant der Garde des Protektors haben noch nie davon gehört«, sagte Celidon. »Wie es scheint, gibt es innerhalb der Garde eine Reihe von Soldaten - es ist noch unklar, wie viele es sind und aufweichen Posten sie eingesetzt sind -, die glauben, dass die Gerechtigkeit des Protektors nicht hart genug für die Banditen ist, die wir auf Kura Vier gefangen genommen haben.« »Das ist absurd«, sagte Njangu. »Dr. Miuss ist bereit, in Kürze mit der Behandlung zu beginnen, nachdem die Gefangenen jetzt gesund genug sind, um nicht an den Nebenwirkungen der Drogen zu sterben, die er einsetzen wird. Der anschließende Prozess wird schnell, eindeutig und tödlich verlaufen.« 204 »Ich weiß das, und der Protektor weiß es auch, aber diese Schwachköpfe scheinen die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen zu wollen«, knurrte Celidon. Njangu sah ihn mit angemessenem Entsetzen an. »Die Absicht der Grauen Rächer«, erklärte Celidon, »besteht den Berichten zufolge darin, die Gefangenen nach dem Beginn des Prozesses zu entführen und sie formlos zu erschießen, vor den Augen aller Holo-Zuschauer. Damit wollen die Rächer angeblich ihre Loyalität gegenüber dem Protektor beweisen. Natürlich ist es eine Riesendummheit, so etwas zu glauben. Die Folgen einer solchen Aktion könnten völlig anders als erwartet aussehen. Sollte es Probleme oder Rückschläge im bevorstehenden Krieg gegen Cumbre geben, könnte es sehr leicht geschehen, dass die Bevölkerung mit entsprechender Propaganda zur Überzeugung gelangt, die Grauen Rächer würden den wahren Kampfgeist unserer Welten repräsentieren. Und falls sie über die entsprechenden Ambitionen verfügen, könnten sie sogar einen Staatsstreich in Erwägung ziehen - natürlich im Namen des Protektors -, mit dem Ziel, alle nachlässigen und feigen Elemente auszuschalten, die ihn nicht mit aller Inbrunst unterstützen. Zweifellos würden verschiedene Personen, darunter auch Protektor Redruth und ich, während eines solchen Aufstands bedauerlicherweise das Leben verlieren, was bedeuten würde, dass die Clique der Grauen Rächer gezwungen wäre, die Macht zu übernehmen, bis die Notsituation vorbei ist. Das ist eine interessante Art, eine Revolution anzuzetteln. Nicht von außen, sondern von innen, nur im Interesse der Sicherheit des Volkes und seines größten Helden.« »Besonders schlau können sie nicht sein«, sagte Njangu, »wenn Sie bereits von dieser Intrige erfahren haben.« »Bisher sind es nur Gerüchte«, sagte Celidon. »Aber 205 meine Agenten sind unablässig im Einsatz, hauptsächlich im Palast selbst. Da die Banditen ihre Schandtaten auf Kura Vier begangen haben, befragen wir sämtliche Mitarbeiter des Palasts und der Garde, die aus diesem System stammen.« »Warum vertrauen Sie mir diese Informationen an?« »Weil Sie Ihr Sicherheitspersonal vielleicht noch gründlicher als zuvor überprüfen sollten, da Sie mehr oder weniger für die Banditen verantwortlich sind.« Njangu ging zum Fenster und blickte auf die graue Monotonie von Larix Primus hinab, während er nachzudenken schien. »Eigentlich«, sagte er und drehte sich um, »würde ich diesen Verschwörern lieber zuvorkommen, als nur ein Leck im Deich zu flicken.« Yoshitaro dachte mit einer Spur von Stolz, dass seine schräge Metapher es durchaus mit denen des Protektors aufnehmen konnte. »Was schlagen Sie vor?« »Die Banditen sind derzeit im Palastgefängnis untergebracht.« »Das ist der sicherste Ort auf diesem Planeten.« »Aber nicht, wenn es innerhalb des Palasts Verschwörer gibt, wie die Gerüchte andeuten.« »Richtig. Sie wollen sie also verlegen. Wohin?« »Dr. Miuss' Sanatorium ist gut bewacht und gilt als sehr sicher«, sagte Njangu. »Nicht zuletzt, da zahlreiche
Feinde des Protektors seiner Obhut anvertraut wurden, um sie zu verhören und zu behandeln.« »Und das Sanatorium liegt nicht weit vom Justizpalast entfernt«, dachte Celidon laut nach. »Aber der Weg zwischen Dr. Miuss' Enklave und dem Gerichtsgebäude würde sich gut für einen Angriff eignen.« »Nicht zwangsläufig. Wenn wir die Gefangenen ins Sanatorium bringen«, erklärte Njangu, »beauftragen wir die 206 Garde des Protektors damit, für die Sicherheit während des Transports zu sorgen. Nachdem sie sich um alle notwendigen Maßnahmen gekümmert und wir den Widerstand der Banditen gebrochen haben, lassen wir sie von konventionellen Truppen zur Verhandlung bringen und schicken die Garde zurück in ihre Kasernen. Falls die Grauen Rächer tatsächlich existieren, werden sie zweifellos die Gelegenheit für einen Anschlag nutzen, doch auf diese Weise werden wir ihre Pläne vereiteln.« »Hmm«, sagte Celidon nachdenklich. »Nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht. Ich vermute, der Protektor wird sich sehr für Ihren Vorschlag interessieren.« »Das hoffe ich doch, Sir.« »Wie es scheint, war es eine gute Entscheidung, Sie von Cumbre zu uns zu holen, Yohns.« »Vielen Dank, Sir.« Njangu salutierte unbeholfen und verließ Celidons Büro. Sehr gut, dachte er. Sogar verdammt gut. Der Tratsch, den Maev verbreitet hat, scheint von jedem Idioten mit einem Trommelfell aufgeschnappt worden zu sein, und alle haben die Geschichte von den ach so patriotischen und supergeheimen Verschwörern weitergeplappert. Genauso, wie Njangu gehofft hatte. Und wenn wir die Gefangenen erst einmal aus der verdammten uneinnehmbaren Festung herausgeschafft haben, wird es wesentlich einfacher sein, sie in Sicherheit zu bringen, »Präfekt Celidon sagt, Sie hätten ein paar interessante Ideen, über die wir unbedingt diskutieren sollten«, begann Protektor Redruth das Gespräch. »Ich hatte gehofft, dass sie Ihr Interesse wecken würden, Sir«, sagte Njangu. 207 »So ist es, und ich kann Ihnen sogar mitteilen, dass Ihre Vorschläge umgesetzt werden. Außerdem hat sich mein derzeitiger Sicherheitschef als inkompetent erwiesen, da er keine Ahnung von dieser Angelegenheit hatte, und muss nun ersetzt werden. Ich möchte Sie auf diesem Posten sehen.« »Oh... nun... vielen Dank, Sir«, brachte Njangu hervor. »Aber dürfte ich Sie in diesem Zusammenhang um einen Gefallen bitten?« Redruth runzelte die Stirn. »Könnten Sie mit meiner Beförderung warten, bis wir den Oppositionellen das Handwerk gelegt haben? Ich glaube, ich habe die Situation recht gut unter Kontrolle, und Dr. Miuss und ich arbeiten ausgezeichnet zusammen. Es würde einige Zeit dauern, einen neuen Einsatzleiter damit vertraut zu machen, wie Sie die Erledigung der Angelegenheit wünschen.« Redruth dachte nach, dann nickte er. »Eine gute Idee, Yohns. Bring zuerst eine Aufgabe zu Ende, bevor du mit der nächsten beginnst, wie ich immer sage. Wenn Sie die Aktion leiten, werden wir an den Banditen schon bald das öffentliche Exempel statuieren können, das ich versprochen habe.« »Du bist schon fast gerissener, als gut für dich ist«, stichelte Maev, schaltete das Spürgerät aus und verstaute es in der Nachttischschublade. Sie und Njangu waren inzwischen sehr geschickt darin, ständig mit wechselnden Methoden nach Wanzen zu suchen und niemals offen zu sprechen, wenn sie sich in einem Raum mit elektronischen Abhöreinrichtungen befanden. Und falls sie über wichtige Angelegenheiten sprechen mussten, wurden die Wanzen in ihrem Schlafzimmer mit harmloser Konversation, Sexszenen oder Schnarchgeräuschen gefüttert. 208 »Du sagst es«, stimmte Njangu ihr zu und ließ sich aufs Bett fallen. »Bring mir bei, so effizient zu sein und fast versetzt zu werden. Diese komplizierten Intrigen können einen ziemlich fertig machen. Ich wäre für eine kurze Dusche, eine noch kürzere Mahlzeit und dann sofortige Bewusstlosigkeit.« »Damit musst du noch etwas warten«, sagte Maev. »Es gibt da nämlich ein weiteres Problem, mit dem du dich auseinander setzen musst.« »Nicht heute Abend. Und lieber nicht mit dir. Ich bin zu müde, um auch nur ein Lächeln zustande zu bringen.« »Nicht mit mir, größter Hengst des Universums. Es geht um deine Gefährtinnen.« »Uh«, sagte Njangu. »Brythe kam heute zu mir und wollte leicht geknickt wissen, welche besonderen sexuellen Fähigkeiten ich habe.« Njangu stöhnte und drehte sich auf den Bauch. Aus irgendeinem Grund, den er nicht genauer analysieren wollte, hatte er ein seltsames Gefühl, seit Maev zu ihm gezogen war. Es war kein Schuldgefühl, da es dazu wahrlich keinen Anlass gab. Eher schon ein gewisser Widerwille - ja, das war genau das richtige Wort -, seine anderen Gefährtinnen zu besuchen, und das hing mit der Komplexität des Ganzen zusammen. »Du elender Abweichler solltest in deinem Verhalten nicht zu sehr von der gewohnten Praxis abweichen«, sagte Maev. »Das ist eine der wichtigsten Regeln, an die sich jeder gute Doppelagent halten sollte.« »Gott möge mir die nötige Kraft geben«, schnaufte Njangu erstickt ins Kopfkissen.
»Vielleicht tut sie das sogar«, sagte Maev. »Ich gehe davon aus, dass du die Angelegenheit wieder ins Lot bringst, du wilder Hengst, und heute Nacht von einem Bett ins 209 nächste hüpfst. Ich habe abenteuerliche Geschichten über deine Potenz gehört. Vielleicht lässt du den Kom eingeschaltet, damit ich alles verfolgen kann.« Njangu setzte sich auf. »Das würde dir gefallen?« »Tu nicht so schockiert, mein kleiner Wüstling«, sagte sie. »Aber die Antwort lautet: Nein, es würde mir nicht gefallen.« Njangu fragte sich, warum er plötzlich Erleichterung empfand - und warum er diesen Irrsinn schon so lange mitgemacht hatte. »Sag ihnen... sag ihnen, dass ich mir auf Kura eine ansteckende Krankheit eingefangen habe und dass wir beide es im Moment auch nicht miteinander treiben. Aber du weißt von dieser ekligen Sache, also lasse ich dich in meinem Zimmer schlafen, um üble Gerüchte zu vermeiden.« Maev näherte sich seinem Bett und blickte auf ihn herab. »Du meinst, du willst meine Aufforderung nicht annehmen, deine kleinen Häschen durchzuvögeln?« Njangu schüttelte den Kopf. »Warum nicht?« »Darüber möchte ich nicht reden«, sagte er. »Du bist eindeutig der romantischste unter allen unromantischen Männern«, sagte Maev und beugte sich über ihn. »Küss mich, du Schuft!« »Okay«, sagte Njangu. »Aber mehr als einen Kuss gibt es nicht. Wie ich schon sagte, ich bin völlig ausgelaugt, und das ist die reine Wahrheit.« »Das werden wir ja sehen.« Der Mann mit dem roten Gesicht und dem schwarzen Anzug beugte sich über Garvin. Er versuchte, freundlich zu 210 lächeln, doch Garvin nahm nur seine gelblichen Zähne und den stinkenden Atem wahr. »Jetzt hör mir zu, Junge. Du weißt, dass deine Eltern wollen, dass du die Wahrheit über all die Maschinen hinter dem Zirkus erzählst.« Garvins Magen rebellierte, und er kämpfte gegen die Tränen an, die ihm in die Augen stiegen. Er schaute die lange Bank entlang zu seinen Eltern und erwartete, dass sie ihm mit einem aufmunternden Lächeln zu verstehen gaben, dass er den Mund halten sollte. Ein Jaansma plauderte niemals vor einem Provinztrottel und schon gar nicht vor einem verdammten Bullen. Aber zu seiner Überraschung nickte sein Vater und sagte mit dröhnender Stimme: »Ja, erzähl dem netten Polizisten, was er wissen will.« Garvin spannte die Lippen an, und dann sprach er, während er sich gleichzeitig fragte, was seine Worte bedeuteten. »Mil Garvin Jaansma, Dienstnummer J-sechs-neun-drei-sieben-null-vier-A-sieben-zwei-fünf« Der Polizist verpasste ihm eine Ohrfeige, doch der Schmerz jagte durch seinen ganzen Körper. Garvin verkrampfte sich. »Komm schon, Junge«, sagte der Polizist. »Stell dich nicht so an. Wie lautet der Name des Schiffes, mit dem du gelandet bist? Wie lauten deine Befehle? Gegen welche Ziele solltet ihr auf Kura Vier vorgehen?« »Mil Garvin Jaansma, Dienstnummer...« Plötzlich war er nicht mehr im Polizeirevier, sondern in einer Welt aus Flammen. Überall um ihn herum zerriss Leinwand, und brennende Tiere schrien. Seine Eltern tanzten vor ihm im Feuer, verkohlten und starben. Der gespenstische Schädel seiner Mutter tauchte vor ihm auf: 211 »Wie lautet der Name des Schiffes? Wie viele Einsatzkämpfer wurden abgesetzt? Wie lauten deine Befehle? Gegen welche Ziele solltet ihr auf Kura Vier vorgehen?« »Mil Garvin Jaansma, Dienstnummer...« Die Provinztrottel hatten ihn in einer Gasse in die Enge getrieben, und keiner von den Zirkusleuten war in Hörweite. Steine und Ziegel prasselten auf ihn herab, ein Schläger zertrümmerte mit einem Knüppel die Finger, und die Schmerzen schössen durch seinen ganzen Körper. Die Bürger riefen ihm Fragen zu: »Wie lautet der Name deines Schiffes? Wie viele Soldaten wurden abgesetzt? Wie lauten deine Befehle? Gegen welche...?« »Mein Name ist Garvin Janus Sechs«, sagte Garvin. »Das Schiff, mit dem ich auf Kura gelandet bin, hat keinen Namen, aber...« Plötzlich wachte Garvin auf, und ihm wurde übel. Er schaffte es kaum, sich rechtzeitig von der Pritsche zu wälzen und zum Waschbecken zu kommen, bevor er sich erbrach. Keiner der drei Anwesenden - Njangu Yoshitaro, ein breitschultriger Wachmann, der sich als Krankenpfleger ausgab, und Dr. Petteu Miuss - rührte einen Finger, um ihm zu helfen. Garvin drehte den Hahn auf, hielt seinen
Kopf unter den Wasserstrahl und spülte sich den Mund aus, bevor der Pfleger ihn wieder gegen die Zellenwand stieß. »Siehst du, Garvin«, krähte Miuss. »Du wirst uns früher oder später sowieso alles erzählen, und zwar genau so, wie wir es hören wollen. Dies ist erst deine zweite Behandlung, und du hast uns bereits dein Rufzeichen verraten. Bald wirst du uns alles über deine Leute sagen, über deine Mission und wie du nach Kura Vier gelangt bist.« 212 Garvin wollte etwas sagen, doch stattdessen übergab er sich erneut. »Die Drogen, die ich dir gegeben habe, sind sehr stark«, sagte Miuss mitfühlend. »Und sie haben ausgeprägte Nebenwirkungen, sowohl kurzfristig — wie du es in diesem Moment erlebst - als auch langfristig. Und ich kann dir versichern, dass diese Folgen stärker werden, je länger die Dosis verabreicht wird. Du könntest es dir leichter machen und kooperieren. Und vergiss nicht, dass die anderen Mitglieder deines Teams ebenfalls einer Behandlung unterzogen werden, sobald ihre Gesundheit wiederhergestellt ist. Du könntest ihnen all diese Unannehmlichkeiten ersparen. « »Leck mich«, stieß Garvin hervor. Der Pfleger knurrte und trat vor. Garvin duckte sich unter seinen Armen hinweg, die nach ihm greifen wollten, und zog ein Knie hoch, das zwischen den Beinen des Wachmanns auf sanften Widerstand traf. Der Mann heulte auf. Miuss riss ängstlich die Augen auf und drückte einen Alarmsender in seiner Tasche. Aber Njangu war schneller. Er stieß den Wachmann zur Seite, rammte ihm dabei einen Ellbogen in die Rippen und hörte es knacken. Dann versetzte er Garvin einen Schlag gegen den Kopf, worauf dieser zur Seite kippte. Njangu wollte ihm gerade einen Hieb in den Nacken verpassen, als Miuss aufschrie. »Nein! Nein! Wir dürfen ihn nicht verletzen! Hören Sie auf, Präfekt Yohns!« Njangu gehorchte, und Garvin fiel kraftlos auf die Knie. Nach einer Minute rappelte er sich wieder auf, erinnerte seinen Körper daran, wo er schreckliche Schmerzen von Njangus fingierten Schlägen empfinden sollte, während er immer noch den übermächtigen Drang verspürte, sich zu erbrechen. 213 Die Zellentür flog auf, und mehrere Männer in weißen Klinikkitteln stürmten herein. »Wir haben alles unter Kontrolle«, sagte Njangu. »Beim nächsten Mal werden wir mindestens zwei Wachen zum Verhör mitnehmen. Beziehungsweise jemanden, der etwas fähiger ist als dieser Idiot. Sie können ihn übrigens hinausbringen. Sagen Sie seinem Vorgesetzten, dass ich ihn hier nie wieder sehen will.« »Ja, Sir. Entschuldigung, Sir.« Der Wachmann, der immer noch nach Luft schnappte, wurde hinausgeführt. »Haben Sie jetzt eingesehen, dass Sie sich nur selbst schaden, wenn Sie Gewalt anwenden, Jaansma?«, sagte Njangu. »Jetzt setzen Sie sich wieder auf die Pritsche und hören sich an, welches Angebot Protektor Redruth Ihnen machen möchte.« Auf Miuss' Gesicht zeichnete sich einen Moment lang Überraschung ab, dann wurde seine Miene ausdruckslos. »Doktor... wenn ich Sie bitten dürfte, den Raum vorübergehend zu verlassen?« »Natürlich. Natürlich. Aber ich sollte über alles informiert sein, was Sie mit dem Patienten besprechen.« »Sobald ich eine Antwort von ihm erhalten haben, werden Sie es als Erster erfahren.« Er zwinkerte Miuss zu, der die Botschaft verstand, hinausging und die Tür hinter sich verriegelte. Er würde sofort in den Nebenraum eilen, wo die Techniker an den Monitoren saßen und alles verfolgten, was in Jaansmas Zelle geschah, genauso wie auch die anderen Gefangenen ständig überwacht wurden. Njangus Hände bewegten sich schnell - ein Daumen zeigte auf die Tür, den anderen bewegte er quer über die Kehle. Ich werde diesen Drecksack töten. 214 Garvins Kopf ruckte einmal zur Seite, dann klopfte er mit gekrümmten Fingern auf seinen Brustkorb. Nur wenn ich dir nicht zuvorkomme. »Ihre Lage sieht folgendermaßen aus, Mil Jaansma«, sagte Njangu. »Wie Dr. Miuss angedeutet hat, werden die Behandlungen immer intensiver, bis wir die Informationen erhalten haben, die wir für den Prozess benötigen. Und ihre Untergebenen werden die gleichen Drogen erhalten.« »Verfluchte Folterknechte!«, stieß Garvin hervor und hoffte, dass er nicht zu melodramatisch klang. »Mit dieser Einschätzung könnten Sie Recht haben«, sagte Njangu. »Wohingegen Sie ein psychopathischer Massenmörder sind. Nachdem wir jetzt nette Komplimente ausgetauscht haben, möchte ich Ihnen mitteilen, was der Protektor Ihnen in seiner unendlichen Gnade anbietet. Wenn Sie kooperieren und wenn Sie ihrem gesamten Team befehlen, dasselbe zu tun — was auf ein umfassendes Geständnis Ihrer Sünden hinausläuft, einschließlich des Bekenntnisses, dass Sie dank der Erziehungsmaßnahmen des Protektors das Böse Ihres Tuns eingesehen haben —, wird es keine Folter mehr geben. Keine Drogen, keine Daumenschrauben.« »Warum sollte ich Ihnen glauben?«, brummte Garvin. »Warum nicht?«, konterte Njangu. »Wenn Sie uns gegeben haben, was wir wollen - und bedenken Sie, dass Sie im Grunde keinen Ihrer Kameraden auf Cumbre in Gefahr bringen —, warum sollten wir uns dann die Mühe machen, diese Tortur fortzusetzen? Wir sind schließlich keine Sadisten. « Garvin schnaufte. »Ach ja«, sagte Njangu. »Wir sind natürlich auch an Informationen über die Verräter hier auf Larix und auf Kura
interessiert, die ihnen geholfen haben.« 215 »Es gibt keine, verdammt noch mal!« »Kommen Sie, Jaansma. Niemand kann so blöd sein, auf einer völlig fremden Welt eine Aktion wie die Ihre ohne geheimdienstliche Informationen zu planen.« Ein nicht gespielter Ausdruck der Belustigung huschte über Njangus Gesicht. Garvin gab sich das Versprechen, sich für diese Spitze zu rächen, falls sie überlebten. »Sollte Ihre Erinnerung hinsichtlich der Verräter etwas getrübt sein«, sagte Njangu, »werden unsere fähigen Abwehrteams Ihnen auf dem Weg zum Geständnis gerne behilflich sein. Denken Sie daran, die größte Belohnung, die Ihnen die vollständige und freiwillige Kooperation einbringen wird, ist Ihr Leben. Statt einer äußerst unangenehmen und langwierigen Exekution wird man Sie und die anderen Mitglieder Ihres Teams zu Gefängnisstrafen verurteilen. Natürlich werden es sehr lange Gefängnisstrafen sein, und Sie werden völlig von der Außenwelt abgeschnitten sein, sodass nicht einmal der rechtschaffene Zorn unserer Kriminellen von Larix Sie erreichen kann. Aber so ist das Leben, nicht wahr?« »Sie haben ihm was versprochen?«, fauchte Protektor Redruth. »Ich habe ihm ein verlockendes Angebot in Aussicht gestellt«, sagte Njangu. »Jaansma schien sehr daran interessiert zu sein, vor allem, da er auf diese Weise vermeiden kann, dass seine Kameraden Schmerzen erleiden.« Redruths Gesicht war vor Wut rot angelaufen. »Natürlich«, fuhr Njangu fort, »wird es nach dem Prozess, nach dem Schuldspruch keinerlei Aufzeichnungen über solch ein unsinniges Angebot geben, das einer Ihrer Untergebenen angeblich gemacht hat. Und wir alle wissen doch, dass Mörder immer wieder lügen, um ihren wertlosen Hals zu retten, Sir.« Redruths Gesicht nahm wieder eine normale Farbe an. »Sehr gut, Yohns. Wirklich sehr gut. Sie besitzen die seltene Fähigkeit zu verstehen, was es bedeutet zu herrschen. « »Das nun wirklich nicht, Sir. Ich habe mir nur überlegt, was Sie in einer solchen Situation tun würden.« Redruth brach tatsächlich in schallendes Gelächter aus. »Ich muss sagen«, sinnierte Dr. Miuss, »dass es mich zutiefst enttäuscht, wie sich die Ereignisse entwickeln. Ich hätte ein völlig neues Forschungsfeld eröffnen und ausgiebige Untersuchungen anstellen können, ob Menschen, die von einem anderen Gesellschaftssysten konditioniert wurden, anders auf Schmerzen reagieren als Bürger von Larix und Kura. Ich hatte gehofft, dass Garvin Jaansma unvernünftiger reagieren und Protektor Redruths großzügiges Angebot ablehnen würde.« »Jeder noch so schöne Tag kann einen Regenschauer bringen«, sagte Njangu. »Außerdem bleibt für uns noch mehr als genug Arbeit. Wir müssen dafür sorgen, dass die Geständnisse angemessen formuliert sind und die Banditen keine Überraschungen im Ärmel haben, wenn sie vor Gericht auftreten. Vergessen Sie nicht, dass der Prozess auf alle Welten des Protektors übertragen wird. Also muss der Auftritt der Banditen genauso gekonnt und überzeugend sein, als wären sie Schauspieler.« »Oh, nein, das vergesse ich nicht«, sagte Miuss hastig. »Und natürlich möchte ich keineswegs den Eindruck erwecken, dass ich die Entscheidungen des Protektors in irgendeiner Weise kritisiere. Ja, sicher, Sie haben selbstverständlich Recht. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.« 216 217 Nicht zu vergessen, dass auch ich hart daran arbeiten muss, dachte Njangu, dich zwischen einen schönen, tiefen Abgrund und meinen Fuß zu bugsieren. »Es geschah in genau dem Augenblick, als ich den Tod dieser unschuldigen Kinder miterlebte, die noch Sekunden zuvor den Aufstieg des Protektors nachgespielt hatten — da wurde mir plötzlich meine ganze Verderbtheit bewusst... und darüber hinaus auch all die Schlechtigkeit des Regimes von Cumbre.« Lir blätterte die Seite um. »Ach du fette Scheiße... wie viel von diesem Müll soll ich denn noch wie ein Papagei nachplappern?« »Immer mit der Ruhe«, sagte Darod Montagna. »Denk daran, was wir gelernt haben und wie viel schöner unsere Unterkunft ist, seit wir uns zur Kooperation entschlossen haben.« »Ja, ganz toll!«, sagte Lir schnaufend. »Wir haben sogar Metallpritschen und statt eines Eimers ein Loch, in das wir kacken können. Verdammt, aber dieser Protektor ist einfach das Salz der Erde.« »Unsere Ziele wurden uns von Mitgliedern der Kuranischen Befreiungsfront genannt«, sagte Garvin. »Ich erinnere mich, dass ich bei der Einsatzbesprechung die Namen einiger der Verräter gehört habe, die mit Cumbre kommunizieren konnten und ihre Unterstützung angeboten haben, Protektor Redruth zu stürzen und in der folgenden Anarchie selbst die Macht zu ergreifen. Diese Verräter hießen... ähh...« Der Techniker reichte ihm ein Blatt Papier. »Hafel Wyet, Man Sefgin, Twy Morn, Ede Aganat...« 218 Im Orbit um Larix Primus wimmelte es von Überwachungssatelliten, die nach innen und außen orteten. Die zwei
Aksai sendeten elektronische Abwehrsignale, um eine Übertragung zu blockieren, benutzten die Satelliten als Deckung, um sich dem Planeten zu nähern, und wichen im Zickzackkurs aus, als ihre Sensoren meldeten, dass ein anderer Satellit ihre Anwesenheit registriert hatte. Offenbar setzten die Techniker von Larix kein großes Vertrauen in ihre Elektronik, denn kein einziges Patrouillenschiff stieg auf, um die Aksai abzufangen. Anscheinend reagierten sie erst, wenn der Alarm ein zweites Mal ausgelöst wurde. Ben Dill, der immer noch von den Strapazen seines Aufenthalts im Dschungel gezeichnet war, flog den zweiten Aksai. Er hatte Alikhan, den Piloten der ersten Maschine, gebeten, an der Aktion teilnehmen zu dürfen, und der Musth hatte darauf verzichtet, aus der Schwäche seines Freundes ein großes Thema zu machen. Alikhan ließ seinen Aksai in die Atmosphäre eintauchen und steuerte auf eine gebirgige Region hinter Agur zu, in deren Radarschatten er sich dann dicht über dem Boden dem Funkfeuer näherte. Das Funkfeuer sendete auf einer ansonsten nicht benutzten Frequenz, und in dem Moment, als der Aksai anflog und von dem eingebauten Bewegungsmelder erfasst wurde, schaltete es sich ab, um die Gefahr zu reduzieren, dass eine Überwachungseinrichtung auf Larix doch noch auf das Geschehen aufmerksam wurde. Unter den Flügeln des Aksai waren Kapseln angebracht worden, die nun von der Hydraulik heruntergelassen wurden. Kurz über dem Boden wurden sie vorsichtig geöffnet und zur Seite hin ausgekippt. Kleine Blöcke mit der 219 Aufschrift LANDWIRTSCHAFTLICHE ABFÄLLE sammelten sich zu mehreren Haufen. Insgesamt handelte es sich um eine Kilotonne, und in Wirklichkeit waren es Pakete mit Telex-Sprengstoff. Die Kapseln wurden gedreht und wieder eingefahren, dann stieg der Aksai langsam auf und verschwand. Einer von Präfekt Appledores Wachleuten glaubte, über dem Nachbargrundstück etwas gesehen zu haben, aber es wurde kein Alarm gegeben, und auch keiner der anderen Wachleute meldete etwas. Also entschied er, dass er wahrscheinlich nur übermüdet war, und sagte nichts. Am nächsten Tag, als die Arbeiter auf Njangus Anwesen die Haufen sahen, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht waren, war es ähnlich. Auch sie interessierten sich nicht weiter dafür, da sie vermuteten, dass irgendjemand anderer die Behälter dort abgeladen hatte. In einem autoritären Regime lernte man sehr schnell, nur das zu sehen, was man sehen sollte - und manchmal gar nichts zu sehen. »Das ist sehr wichtig, Soldaten, also möchte ich Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit«, sagte Kommandantin Stiofan. »Unsere Aufgabe ist es, die Straße zu bewachen, auf der die Gefangenen jeden Tag zum Justizpalast gebracht werden; aus diesem Grund werden wir an ihr entlang Gruben für unsere Geschützstellungen ausheben. Wir müssen verhindern, dass irgendwelche sozial Unangepassten die Situation in irgendeiner Weise ausnutzen. Zum Glück haben wir diese Blöcke mit landwirtschaftlichen Abfällen, die es uns ersparen, Sandsäcke zu füllen, sodass wir einen oder höchstens zwei Tage brauchen werden, um uns zu verschanzen. Also los, Männer! Der Protektor hat auch noch andere Arbeit für uns!« Die Männer jubelten. Das Telex wurde schnell in die 220 Gleiter verladen und war wenige Stunden später vor drei Geschützstellungen gestapelt, die sich an einer Kreuzung nicht weit vom Sanatorium befanden. »Sir, ich glaube, die Banditen sind jetzt ausreichend auf den Prozess vorbereitet«, sagte Njangu zu Redruth. »Gut. Ausgezeichnet! Wir werden ihn... äh... für den Fünften Tag in zwei Wochen ankündigen. Sie können sich mit Präfekt Vishinsk absprechen, den ich inzwischen zum Ankläger ernannt habe. Meinen Glückwunsch, Yohns - an Sie und Ihren Stab. Und natürlich auch an Dr. Miuss.« »Der Doktor war ein wenig unzufrieden, dass er sein Experiment nicht zu Ende führen durfte, Sir«, sagte Njangu. »Vielleicht wäre es interessant, wenn er es nach dem Schuldspruch fortsetzen könnte.« »Hmmm... Nein, ich möchte nicht, dass irgendetwas über seine Fähigkeiten in der Öffentlichkeit bekannt wird. Ich will, dass meine Feinde bei der bloßen Erwähnung seines Namens zusammenzucken, und sie sollen erst dann eine Ahnung von dem bekommen, was er tun kann, wenn sie verhaftet und seiner Obhut unterstellt werden.« »Sehr gut, Sir. Ich werde ihn über Ihre Entscheidung informieren. Apropos Feinde...«, fügte Njangu hinzu. »Wie sieht es mit den mutmaßlichen Verschwörern innerhalb der Armee aus - hat es schon Verhaftungen von Grauen Rächern gegeben?« »Nein«, sagte Redruth, dessen Laune sich schlagartig verschlechterte. »Als hätte ich nicht schon genug Sorgen, war bislang keiner meiner Ermittler erfolgreich. Ich muss sagen, dass mir das ganz und gar nicht gefällt.« »Mir auch nicht, Sir«, erwiderte Njangu. »Auch ich habe jedes Mal die Augen und Ohren offen gehalten, wenn ich mit Angehörigen der Garde des Protektors zu tun hatte. 221 Zum Glück sind alle vierundzwanzig Männer, die von der Einheit zu mir abgestellt wurden, Ihnen bedingungslos ergeben, Sir.« »Sind Sie sich da ganz sicher?« »Aber ja. Trotzdem habe ich meine Agenten in der Gruppe, die mir sofort das leiseste Anzeichen von Aufsässigkeit melden würden.« »Gut. Falls es während des Prozesses zu irgendwelchen Sicherheitsproblemen kommen sollte, werde ich mich
auf Ihre Leibwächter verlassen, und anschließend wird eine Säuberung in der Garde durchgeführt werden. Auf ihrer Weste darf es nicht den winzigsten Fleck geben.« »Dem stimme ich voll und ganz zu, Sir«, sagte Njangu eifrig. Der lange Funkspruch verließ den Planeten, wurde empfangen und weitergeleitet. Wenn es keine Schwierigkeiten gab, würde dies Njangus vorletzte Botschaft sein. Er wartete am Empfänger, den Maev in einem Komraum des Palasts für ihn eingerichtet hatte, auf die Antwort. Ein einziges Kodesymbol kam herein. Es bedeutete: BEREIT. Noch sechzehn Tage, bis die Aktion startete. »Mil Jaansma«, sagte der befehlshabende Offizier der Wachmannschaft, »dies ist Ihr Verteidiger - Ihrer und der der anderen Banditen.« Der Mann war hager, schlecht rasiert und hatte Mundgeruch, und er wackelte die ganze Zeit mit dem Kopf. »Judikar Blayer - so lauten mein Name und mein Titel, und ich möchte ganz eindeutig klarstellen, dass ich beauftragt wurde, Ihren Fall zu übernehmen. Aus eigenem Antrieb hätte ich es selbstverständlich nie getan.« 222 »Selbstverständlich«, sagte Garvin. »Also vermute ich, dass Sie normalerweise in einer Seilerei arbeiten.« »Nein. Ich bin Judikar, wie ich bereits erwähnt habe«, sagte Blayer leicht entrüstet. »Wie kommen Sie darauf, dass ich irgendetwas mit Seilen zu tun haben könnte?« »Es hat überhaupt nichts mit Ihnen zu tun, Judikar«, erwiderte Garvin trocken. »Ich musste nur gerade an einen ganz anderen Henker denken. Jetzt möchte ich Ihnen meine Räuberkumpane vorstellen.« Noch zwölf Tage. Die Garde des Protektors war auf strategisch günstig gelegene Positionen entlang der Strecke vom Sanatorium zum Justizpalast verteilt worden. Die Männer hatten mehrere Tage lang geübt, die Luftkampfgefährte zu verlassen und die Kampfstellungen zu besetzen, die sie entlang der Straße aufgebaut hatten, um alle Zugänge zum Justizpalast zu sichern. Deshalb war es ein Schock für ihre Offiziere, als die Einheit plötzlich abgezogen wurde und in ihre Kaserne zurückkehren sollte. Es gab keine Erklärung, und weder Protektor Redruth noch Präfekt Celidon waren bereit, mit irgendeinem Offizier der Einheit darüber zu sprechen. Die einzige Ausnahme waren die paar Soldaten, die in fernen Städten Wachaufgaben übernommen hatten, und die vierundzwanzig Männer, die im Dienst von Präfekt Yohns standen. Noch sechs Tage. »Sie dürfen sich rühren«, rief Maev. »RÜH-REN!«, brüllte der Unteroffizier, und dreiundzwanzig Stiefelpaare krachten auf den Beton vor der hastig errichteten Baracke auf Yoshitaros Anwesen. 223 »Sie haben einen Spezialauftrag erhalten«, rief Maev. »Er kommt vom Protektor persönlich und wurde von Präfekt Yohns übermittelt.« Trotz ihrer Disziplin ging ein ehrfürchtiges Raunen durch die Reihen. »Ruhe!«, brüllte der Unteroffizier, und sofort wurde es still. »Ihre Aufgabe ist von großer Bedeutung, und sie ist gleichzeitig ein Test im Hinblick auf die Sicherheit des Justizpalastes, während die Gesetzlosen von Cumbre vor Gericht stehen. Wir haben vor Beginn dieser Aktion keine Gelegenheit für eine ausführliche Generalprobe und müssen uns mit Computersimulationen und Planspielen am Kartentisch behelfen. Also dürfen Sie während der Vorbereitung nicht an Kommentaren und Kritik sparen. Sie werden niemandem von diesem Auftrag erzählen und auch nicht in Ihrer Einheit darüber diskutieren, wenn kein vorgesetzter Offizier anwesend ist. Wer dieser Anweisung zuwiderhandelt, hat schwerste Strafen zu erwarten.« Noch fünf Tage. »Ich liebe Telex, wirklich! Und meine ganze verdammte Familie liebt es auch«, säuselte Njangu, während er den Zünder in den plastischen Sprengstoff steckte, den ganzen Block dann flach drückte und in einen gepolsterten Briefumschlag mit der Aufschrift VORSICHT - CHEMISCHE PROBEN schob. »Jetzt fügen wir noch einen kleinen Detonationshemmer dazu, falls der gute Doktor auf die Idee kommen sollte, seine Post vorzeitig durchzusehen - und fettich! Der Tanz kann losgehen!« »Das dürfte genügen, um ein ganzes Büro zu atomisieren«, sagte Maev. 224 »Möglicherweise hat er den Brief vielleicht nicht gerade auf dem Schoß, wenn ich am Schalter herumspiele, und ich möchte keinen Fehler begehen und dafür verantwortlich sein, dass der Kotzbrocken überlebt«, sagte Njangu. »Bist du dir sicher, dass er lange genug stillhalten wird, um diesen Briefumschlag in seine Aktentasche zu packen?« »Absolut. Das Ganze wird während der morgendlichen Standardsicherheitsüberprüfung passieren. Ich werde vor ihm herumtänzeln und ihm strahlend von den neuen Triumphen erzählen, die sich der Protektor erträumt, und dass er bis zu den Schulterblättern in Blut waten wird. Das sadistische Arschloch wird keinen Moment lang auf meine Hände schauen.«
Noch vier Tage. Njangu landete mit dem Gleiter, betrat das kleine Postamt und kehrte wenige Augenblicke später zurück. »Und was war das?«, fragte Maev. »Ein Brief an Protektor Redruth, unterschrieben von meinen vier patriotischen Gefährtinnen Brythe, Pyder, Enida und Karig. Darin heißt es, dass sie den Verdacht hegen, ich könnte mich mit sozial unangepassten Elementen verschworen haben, und dass sie hoffen, sich zu täuschen, aber dass sie es als ihre patriotische Pflicht betrachten, die Angelegenheit zu melden. Und weil sie vermuten, dass auch Kerman an der Intrige beteiligt ist, wollten sie sich damit logischerweise nicht an ihn wenden. Vielleicht bricht das dieser Schweinebacke von Hausmeister endlich das Genick. Ständig schleicht er mit gespitzten Ohren herum. Ich konnte Schnüffler noch nie ausstehen.« »Und auf diese Weise werden deine Freundinnen... Entschuldigung, deine ehemaligen Freundinnen, vielleicht doch nicht vor einem Erschießungskommando oder als 225 Versuchskaninchen für Dr. Miuss enden, wenn sich der Rauch verzogen hat und wir beide uns als Verräter aus dem Staub gemacht haben.« Njangus Lächeln verschwand. »Ja. Das ist mein Hintergedanke. Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen... Komm jetzt. Wir müssen Alpha und Beta abholen. Sie machen sich Sorgen, wenn ich länger als anderthalb Minuten ohne bewaffneten Leibwächter herumlaufe.« »Wo wir gerade dabei sind... welche Pläne hast du für die beiden?« »Wenn ich mir nicht ständig ins Gedächtnis rufen würde, dass sie mich unverzüglich zu kuranischem Eintopf verarbeiten würden, wenn sie wüssten, wer ich wirklich bin, könnte ich tatsächlich gewisse Sympathien für diese Ochsen entwickeln. Aber die Sache wird sich von selbst regeln. Belassen wir es einfach dabei.« Noch drei Tage. Dafür, dass gerade mal drei Frauen und ein Mann bewacht wurden, war der Geleitschutz ziemlich beeindruckend. Eine halbe Kompanie Soldaten - nicht mehr die Garde des Protektors, sondern konventionelle Truppen - säumte die Stufen vor dem Sanatorium. Garvin, Lir, Montagna und Mahim, die immer noch leicht humpelte, stiegen die Treppe hinunter zum fensterlosen Truppentransporter, einem unbewaffneten Gleiter, der den Griersons der Legion ähnelte. Zwei Ayeshas, die hiesige Variante der Zhukovs, befanden sich vor und hinter dem Transporter. Obendrüber schwebte ein Patrouillenschiff der Nana-Klasse. Die kleine Flottille startete, wendete um 180 Grad und folgte dem Verlauf der kurvenreichen Straße, um nicht auf möglicherweise vermintes Gelände zu geraten. Weiter ging es durch die Vororte zum Justizpalast. 226 Njangu hatte' dafür gesorgt, dass alle Besatzungen ihre eindeutigen Befehle hatten. Wenn sie angegriffen wurden, sollte die Eskorte die Angreifer sofort ausschalten. In diesem Fall sollte der Gefangenentransporter landen, dichtmachen und warten, bis weitere Schutzeinheiten eingetroffen waren. Noch zwei Tage. »Das Volk von Larix und Kura verlangt nach Gerechtigkeit«, knurrte Judikar und Präfekt Vishinsk, »und dieser Ruf muss und wird erhört werden. Diese Subjekte - ich kann mich nicht dazu überwinden, sie als Männer und Frauen zu bezeichnen -, die hier vor Gericht stehen, demonstrieren ihre schreckliche Schuld bereits durch ihr Auftreten, durch ihre verstohlenen Blicke, und ich bezweifle, dass das Hohe Gericht länger als ein paar Augenblicke benötigen wird, um festzustellen, dass sie in allen Anklagepunkten schuldig sind. Die vier Angeklagten sind Garvin Jaansma...« Garvin bemühte sich, nicht verstohlen dreinzublicken, während Vishinsk weitergeiferte. Der Gerichtssaal war riesig und mit Platten aus rostfreiem Stahl getäfelt. Es gab nur wenig Zuschauer, aber dafür viele Kameras, die das Geschehen aus jedem denkbaren Winkel verfolgten. Wächter mit präsentierten Blastem standen in Zweiergruppen vor den beiden Haupteingängen und der Tür zum Richterzimmer. Vishinsk saß auf einem erhöhten Podium vor zwei Flaggen - Garvin vermutete, dass es die von Larix und Kura waren - und einem überlebensgroßen Holo von Protektor Redruth, der das gleiche rot-schwarze Gewand trug wie der Richter. Garvin fiel auf, dass in Redruths System der Richter 227 und der Staatsanwalt von ein und demselben Mann verkörpert wurden, was die Angelegenheit zweifellos vereinfachte. Es gab auch keine Geschworenen, sodass die Vermutung nahe lag, Vishinsk würde die Anklage vortragen, sich anhören, was die Verteidigung zu sagen hatte, und dann zu einem gerechten Urteil gelangen. Garvin war froh darüber, dass er kein Bürger von Larix oder Kura war, vor allem kein schuldiger Bürger von Larix und Kura. Beziehungsweise ein unschuldiger. Wenn er an das Wenige dachte, was Njangu ihm über seine Vergangenheit erzählt hatte, konnte er sich vorstellen, dass sein Freund mit dieser Art von »Gerechtigkeit« durchaus vertraut war. Er hatte sich notgedrungen darauf eingestellt, alles über sich ergehen zu lassen und einfach abzuwarten, was Njangu zu seiner Rettung geplant hatte. Keiner der Gefangenen wusste, was Sache war. Garvin hatte sich gefragt, warum, doch dann war ihm klar geworden, dass Yoshitaro wahrscheinlich befürchtete, Miuss könnte
insgeheim ein neues Drogenexperiment starten. So gesehen war Njangus Entscheidung sehr vernünftig und sogar die übliche Vorgehensweise, wenn es nicht unbedingt notwendig war, dass andere Beteiligte über alles informiert waren. Dennoch hätte Garvin Jaansma gerne etwas mehr gewusst. »Ich bin sehr von Ihrer Leistung beeindruckt«, sagte Maev zu den versammelten Unteroffizieren ihrer Spezialeinheit. »Ich glaube, wenn die praktischen Übungen genauso glatt verlaufen wie die Planspiele, wird es nicht nur Auszeichnungen, sondern sogar Beförderungen geben. Ich dürfte 228 durchaus in der Lage sein, diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, da ich von Protektor Redruth auserwählt wurde, Sie von seinem privaten Hauptquartier aus zu überwachen. Natürlich bin ich zutiefst enttäuscht, dass ich Sie nicht persönlich anführen kann. Aber ich setze großes Vertrauen in Ihre Fähigkeit, den Tag der Exekution zu einem Ereignis zu machen, das keiner der Anwesenden jemals vergessen wird.« Weder ihr noch Njangu sowie hoffentlich ein großer Haufen seiner Freunde, dachte sie. Der erste Tag des Prozesses verging damit, die lange Liste der Anklagepunkte zu verlesen, die von Judikar Blayer jeweils mit »unschuldig« oder »nicht beweisbar« kommentiert wurden. Am zweiten Tag stellte Vishinsk die Zeugen vor, die er präsentieren wollte, und verkündete, wie er das Volk Schritt für Schritt mit den ruchlosen Taten vertraut machen wollte, die die Banditen begangen hatten, bevor sie zur Strecke gebracht worden waren. Njangus letzte Botschaft bestand aus einem einzigen kodierten Wort: »Los!« Er schaltete den Sender ab und besprühte die Innenseiten des falschen Felsens mit einem Lösungsmittel, das die Komponenten zu einem netten, nicht mehr analysierbaren Klumpen zerschmelzen lassen würde. Judikar und Präfekt Vishinsk hatte soeben das erste Holo von Kura Vier vorgestellt, das in einer geschickten Animation zeigte, wie zwei Velv aus dem Hyperraum fielen und den Trupp absetzten. Dem Nana-Schiff, das den Naviga229 tionspunkt bewachte, blieb nicht genügend Zeit, Alarm zu geben, ehe es von Raketen zerfetzt wurde. Wenige Sekunden später kamen zwei Transporter, vier Zerstörer der Kelly-Klasse und sieben weitere Velv mit angekoppelten Aksai aus dem N-Raum und rasten auf Larix zu. Nach einer weiteren Zeugenaussage wurde der Prozess endlich vertagt. Die vier Cumbrianer wurden zum LKG zurückgebracht, hineingeschubst und drinnen an den Füßen angekettet. Ein Wachmann knurrte eine Drohung und handelte sich eine Ohrfeige durch seinen Vorgesetzten ein, weil er seine Kompetenzen überschritten hatte. Das LKG hob ab und machte sich zusammen mit der Eskorte auf den Rückweg zum Sanatorium. Njangu landete den Gleiter auf einem Hügel, von dem aus er freie Sicht auf das Sanatorium hatte, das einen knappen Kilometer entfernt war. »Was ist los, Sir?«, fragte Raufbold Alpha misstrauisch und zog seine Waffe, während er die Umgebung musterte. »Nichts«, sagte Njangu. »Ich möchte nur von hier aus beobachten, wie die Gefangenen zurückgebracht werden, um mich zu vergewissern, dass es keine Lücken in unserer Sicherheit gibt.« Er öffnete das Dach des Gleiters, stieg aus und streckte sich. Seine Leibwächter folgten ihm, gingen voraus und suchten im Gebüsch nach möglichen Gefahrenquellen. Plötzlich hielt Njangu eine Waffe in der Hand, zielte sorgfältig und schoss Alpha in den Rücken. Als er zu Boden ging, fuhr Beta mit verdutzter Miene herum. Yoshitaro jagte ihm eine Kugel in den Hals, zielte noch einmal und feuerte ihm in die Brust, während der Mann zu Boden 230 stürzte. Dann ging er hinüber und überzeugte sich, dass beide tot waren. »Übernehmen und den simulierten Angriff ausführen«, befahl Maev. Der Unteroffizier salutierte und eilte zu den wartenden Männern der Garde des Protektors. »Waffen bereitmachen... gut. Und jetzt werden wir wie befohlen so tun, als würden wir den Justizpalast stürmen. Los, Marsch, Marsch! Bewegt euch!« Die vierundzwanzig Männer stapften in offener Formation durch eine schmale Straße auf den Justizpalast zu. Maev sprang wieder in den Gleiter und raste mit Vollgas zum Sanatorium. Auf dem Gelände des Justizpalasts schrillte der Alarm, als die heranstürmenden bewaffneten Männer gesichtet wurden. Ein Infanterieoffizier, der mit seiner Einheit die Straße zwischen dem Justizpalast und dem Sanatorium bewachte, hörte den Signalton seines Korns und schaltete den Empfänger ein. »Einheit sechzig, Nair.« »Der Justizpalast wird angegriffen!«, krächzte es aus dem Kom. Der Sprecher hatte sich nicht identifiziert, aber Nair erkannte die Stimme seines Vorgesetzten. »Ziehen Sie sich zu Ihren Transportern zurück und begeben Sie sich unverzüglich zum Palast, wo Sie weitere Anweisungen erhalten werden.« »Was ist mit der Bewachung der Straße?«
»Vergessen Sie die verdammte Straße! Protektor Redruth könnte in Gefahr schweben!« Nair brüllte bereits seine Befehle, während er den Kom abschaltete. Verwirrte Männer verließen die Geschützstel231 lungen und liefen zu ihren LKGs, während genauso verblüffte Piloten die Triebwerke hochfuhren. Nach der ersten Schrecksekunde reagierten die Sicherheitsoffiziere ebenso kompetent wie entschlossen. Es gab also doch eine Verschwörung, und die verfluchten Grauen Rächer existierten wirklich, und sie hatten es auf die Cumbrianer abgesehen. Dank Redruth hielten sich die Kriminellen nicht mehr im Gerichtssaal auf. Während die Offiziere ihre Leute alarmierten und sie anwiesen, bei Gefahr sofort das Feuer zu eröffnen, fragten sie sich, was mit der Zeitplanung der Verschwörer schief gelaufen war. Im nächsten Moment meldeten Patrouillenschiffe, dass unbekannte Flugobjekte in die Atmosphäre eingedrungen waren. Die Cumbrianer schlugen unerbittlich zu und stießen durch die unvorbereitete Verteidigung. Unter ihnen lag ihr Ziel, der Justizpalast von Larix. An Bord des vordersten Zerstörers beobachtete Mil Liskeard, wie der Boden näher kam, und wünschte sich, der verfluchte Redruth wäre das Ziel ihres Angriffs. Wenigstens hätte ihr Agent, der ihnen die Ziele genannt hatte und der über genauere Informationen verfügen musste, ihnen sagen können, wo der Protektor sich verkrochen hatte. Verdammt, vielleicht hielt sich Redruth ja genau im Zentrum des Zielgebiets auf. Liskeard hoffte es. »Ziel... erfasst«, sagte sein Waffenoffizier. »Eine Dreiersalve abfeuern«, befahl Liskeard, und drei Goddards rasten auf den Justizpalast zu. Die drei LKGs des Gefangenenkonvois kamen in Sicht. Njangu beobachtete, wie der Ayesha, der die Führung übernommen hatte, sich der Kreuzung näherte, die nun von drei unbesetzten Geschützstellungen bewacht wurde. 232 »Drei, zwei, eins, jetzt!«, sagte er und drückte den Knopf des Zünders. Die drei in den Sandsäcken versteckten Ladungen gingen gleichzeitig hoch und erwischten den Ayesha, als er darüber hinwegflog. Das LKG geriet ins Trudeln, kippte zur Seite weg, drehte sich auf den Rücken, krachte auf die Straße und explodierte. Der hintere Ayesha drehte ab, und die Bordschützen suchten nach einem Ziel. Der Gefangenentransporter ging zu Boden, setzte mit einem heftigen Ruck auf der Straße auf und rutschte in die Deckung eines Gebäudes, das unmittelbar hinter der Kreuzung stand. Der Ayesha feuerte eine Rakete in die Rauchwolke, die von der Explosion übrig geblieben war, ohne damit etwas zu bewirken. Im gleichen Moment näherten sich zwei Aksai aus der untergehenden Sonne. Beide Schiffe feuerten je eine Rakete ab, und einen Augenblick später bildete sich ein Feuerball an der Stelle, wo sich kurz zuvor noch der Ayesha befunden hatte. Dr. Miuss war gerade mit der Untersuchung eines Holos beschäftigt, das einen enthäuteten menschlichen Körper zeigte. Er stimulierte bestimmte Nerven, um in Zeitlupe verfolgen zu können, welche Nervenzentren den Schmerzimpuls zuerst empfingen. In diesem Moment detonierte die Aktentasche, die nicht weit entfernt auf seinem Schreibtisch lag. Die Explosion schleuderte ihn rückwärts auf einen Tisch voller Glasbehälter und dann in eine Vitrine. Fast unmittelbar daraufkam das Pflegepersonal ins Labor gestürmt. Die Männer und Frauen glaubten, dass sie sich inzwischen an Schreckensszenarien gewöhnt hatten, aber 233 beim Anblick, der sie hier erwartete, drehte sich ihnen der Magen um - beim Anblick des Mannes, der kopfüber von einer Scherbe aus angeblich explosionssicherem Glas aufgespießt worden war und aus tausend Schnittwunden blutete. Als sie endlich eine Methode gefunden hatten, Miuss aus seiner Lage zu befreien, war er längst verblutet. Die Goddards schlugen mitten in den Justizpalast ein. Die Judikare Vishinsk und Blayer hatten sich in Vishinsks Büro zurückgezogen, um die Zeugenaussagen des folgenden Tages zu besprechen, als die erste Rakete explodierte. Ihnen blieb ein kurzer Moment, um entsetzt aufzublicken, ehe eine weitere Explosion das Dach wegriss und die beiden Männer in ein rot-grau-weißes Mosaik an einer Stahlwand verwandelte. »Keiner von euch Arschgesichtern rührt auch nur einen Finger«, sagte der Wachmann, der sich in seinem Sitz umgedreht hatte und die vier Cumbrianer mit seiner Waffe in Schach hielt. »Wenn irgendwer versuchen sollte, die Situation auszunutzen, muss ich...« »Keine Panik«, sagte der Pilot. »Da drüben ist dieser Präfekt... wie war noch gleich sein Name?... Yohns. Er winkt uns zu.« Automatisch nahm seine Stimme einen sachlichen Tonfall an. »Achtung, Rampe wird ausgefahren.« Beide Rampen öffneten sich, und Njangu sprang geduckt ins Gefährt. »Es gab einen Angriff durch sozial unangepasste Elemente«, sagte er. »Halten Sie sich startbereit.« »Ja, Sir«, sagte der Pilot. »Aber...« »Ich widerrufe meine bisherigen Befehle. Na los, Mann, bewegen Sie sich! Ich passe auf diese Scheißkerle auf.« 234 Der Wachmann drehte sich nach vorn, und Njangu schoss ihm von hinten in den Helm. Blut, Plastik und eine graue Masse spritzten auf die Kontrollen, und Yoshitaro war einen kurzen Moment taub vom Knall des Blasters.
Dann erschoss er den Piloten, der über seinen Instrumenten zusammensackte. Die vier, sogar Garvin, starrten fassungslos auf das Geschehen. Njangu zog einen kompakten Bolzenschneider aus einer Tasche und durchtrennte schnell die Beinfesseln der Gefangenen. »Wenn ihr zu Ende gestaunt habt«, sagte er, »können wir jetzt nach Hause gehen.« Die Gefangenen waren sofort auf den Beinen und schoben sich zur Rampe. Garvin griff nach Njangus Arm. »Danke, dass du an uns gedacht hast«, sagte er. »Siehst du jetzt, was passiert, wenn du eine Soloaktion durchzuziehen versuchst?«, erwiderte Njangu. »Ich hoffe, es war dir eine Lehre.« Garvin hatte noch genügend Kraft, um zu knurren, dann trat er an ihm vorbei ins Sonnenlicht. Im gleichen Moment landete vor ihnen ein Gleiter, aus dem Maev Stiofan sprang, eine Pistole in der Hand. Die Gefangenen zuckten zusammen, doch dann wurde ihnen klar, dass die Frau auf ihrer Seite stehen musste, da sie nicht daran dachte, auf sie zu schießen. »In diesem Gleiter wollen wir nach Hause fliegen?«, stieß Lir hervor, doch dann hingen die zwei Kellys über ihnen, gefolgt von den zwei bewaffneten Transportern. Sie gingen runter, ebneten dabei die zwei Gebäude ein, die links und rechts der Straße standen, und öffneten die Luken. Die Gefangenen warteten nicht auf eine gesonderte Aufforderung, sondern liefen steif und unbeholfen zu den Transportern. 235 »Komm, Maev«, sagte Njangu. »Ich möchte dir ein paar Freunde von mir vorstellen.« Aksai, Velv und Kellys flogen über die Regierungsgebäude hinweg und schössen mit Raketen auf alles, das größer als ein Mensch war, während die MGs alles anvisierten, das auf zwei Beinen lief. Irgendwann wurden in dem wirbelnden Chaos die letzten Fanatiker aus Maevs Einheit getötet, entweder von den Cumbrianern oder den Sicherheitstruppen von Larix. Eine von oben kommende Rakete verfehlte einen Aksai um wenige Meter, explodierte an einem Turm, worauf dieser ein Stück abhob, als wollte er selbst zu einer Rakete werden, und dann einstürzte. »Erwischt, erwischt, erwischt«, sagte Ben Dill, während er eine Schleife flog und das Nana-Schiff ins Visier nahm, das den anderen Aksai abzuschießen versucht hatte. Es verging in einem Feuerball. Eine Stimme ertönte in seinem Kopfhörer: »Alle Rettungseinheiten zurückziehen! Ich wiederhole, Kampfhandlungen einstellen und zurückziehen!« »Ach, Mensch!«, jammerte Dill. »Dabei hatte Ben gerade so großen Spaß!« Caud Angara stand auf dem Landefeld von Camp Mahan und beobachtete, wie die Schiffe zur Landung ansetzten. »Was sagten Sie, wie lange sie für die Aktion gebraucht haben?« »Weniger als zehn E-Minuten«, sagte Hedley. »Rein, runter, rauf und weg. Ganz einfach.« »Ich habe den Bericht überflogen«, sagte Angara. »Und ich weiß, dass sämtliche taktischen Handbücher vom Vorteil des Überraschungsmoments sprechen. Aber ich kann 236 immer noch nicht glauben, dass es keinen einzigen verdammten Verlust gegeben hat!« »Leider hat es doch einen Verletzten gegeben. Irgendein Besatzungsmitglied eines Zerstörers hat sich bei der Arbeit an der Raketenabschussvorrichtung das Bein gebrochen. Aber ansonsten gab es wirklich keine Verluste. Wahrscheinlich ist das gar nicht so gut, Sir. Es könnte die Leute etwas zu übermütig machen.« Angara wollte schon etwas Geharnischtes erwidern, doch dann sah er, wie Hedley grinste. »Ach ja«, fuhr Hedley fort. »Ich muss mich hinsichtlich der Liste der Verletzten revidieren. Ein gewisser Cent Ben Dill hat sich einen Niednagel gerissen, als er aus seinem Aksai gestiegen ist, und stellt Antrag auf ein weiteres Verwundetenabzeichen.« Larix / Larix Primus »Larix und Kura haben sich genug von den cumbrianischen Banditen gefallen lassen«, tobte Protektor Redruth über den öffentlichen Kom. »Die letzte Dreistigkeit hat das Fass zum Überlaufen gebracht! Cumbre hat sich wiederholt geweigert, unsere Differenzen friedlich beizulegen. Der rücksichtslose Einsatz von Gewalt beweist, dass Cumbre nicht beabsichtigt, unsere Welten zu respektieren, und sogar das Ziel verfolgt, sie unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht genug damit, dass wir von diesen Barbaren angegriffen wurden! Nein, denn außerdem hat es gewisse Verräter gegeben, die sich an die Cumbrianer verkauft haben. 237 Der Tag ist gekommen, um unsere Feinde, sowohl die äußeren als auch die inneren, auszulöschen! Mit tiefstem Bedauern, aber im Bewusstsein meiner Pflicht gegenüber den Bürgern von Larix und Kura muss ich bekannt geben, dass nunmehr der Kriegszustand zwischen Cumbre und Larix/Kura herrscht. Von diesem Augenblick an wird Gewalt mit Gewalt beantwortet, bis unsere Soldaten den vollständigen Sieg erringen und Cumbre uns gehört!« 17 Cumbre / D-Cumbre Garvin Jaansma wurde mit dem Verdienstorden ausgezeichnet, dem dritthöchsten Ehrenzeichen der Legion. Anfangs wollte er ihn gar nicht annehmen, da die Aktion ein Fehlschlag gewesen war. Doch Njangu riet ihm, keinen Aufstand zu machen - schließlich wollte er selbst sich unbedingt den Tapferkeitsstern abholen, die
zweithöchste Auszeichnung, und ihn an seinem verdammten Käppi tragen oder ihn sich vielleicht sogar an die Nase kleben, und Garvin wäre gut beraten, ihm nicht die Verleihungszeremonie zu verderben. Garvin trat den taktischen Rückzug an, akzeptierte nach kurzer Überlegung den Orden und bedankte sich demütigst bei Caud Angara. Die anderen Überlebenden erhielten Silberne Kreuze und die Gefallenen posthum Bronzene Kreuze. Die einfachen Soldaten wurden außerdem um einen Dienstgrad befördert. Monique Lir war nun Prem - der höchste Unteroffiziersrang, den es in der Armee gab, obwohl für ihre 238 Funktion ein so hoher Dienstgrad gar nicht erforderlich war. Grig Angara, Jon Hedley und Angaras Stab hatten in einem privaten Speisesaal des Shelbourne eine stille Mahlzeit zu sich genommen. Der Raum war auf Wanzen überprüft worden, und draußen lungerten unauffällig drei Sicherheitstechniker herum, die elektronische Angriffe abwehren sollten. »Dürfte ich eine dienstliche Frage stellen, Sir?«, sagte Mil Ken Fong, der Leiter der Sektion III, des Einsatzkommandos. »Als hätten wir die Muße gehabt, über etwas anderes zu reden«, erwiderte Angara. »Nur zu.« »Ganz elementar - wie werden wir gegen Larix/Kura kämpfen? Haben Sie schon eine Strategie entwickelt?« Angara nahm einen Schluck Tee und überlegte. »Im Idealfall hätten wir den Klassiker der alten Konföderation anwenden können. Wir schicken eine Flotte hin, werfen ein paar Raketen ab, um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen, und sagen ihnen dann, dass sie sich von nun an wieder anständig benehmen sollen. Und falls darauf auch nur der leiseste Einwand käme, würden wir zur Invasion übergehen.« »Dummerweise ist das Einzige, was uns dazu fehlt, eine Flotte«, sagte Hedley. »Diverse Metallbauteile, die erst noch in der Werft zusammengeschweißt werden müssen, eignen sich normalerweise nicht sonderlich gut zum Kämpfen.« »Ganz zu schweigen von der Tatsache«, fügte der Personaloffizier hinzu, »dass die Armee für einen größeren Feldzug hoffnungslos unterbesetzt ist. Unter der Voraussetzung, dass immer noch die alte Regel gilt, dass man mindestens 239 im Verhältnis zehn zu eins überlegen sein muss, um eine Invasion gegen zu erwartenden Widerstand erfolgreich durchzuführen.« »Aber unsere Moral ist hoch, und unsere Herzen sind rein, was uns einen mächtigen Vorteil verschafft«, sagte Erik Penwyth zynisch, womit er allgemeine Belustigung auslöste. »Da ist tatsächlich etwas Wahres dran«, sagte Hedley. »Yoshitaros Berichte deuten auf eine gewisse Verdrossenheit in Redruths Armee hin. Was nicht heißen muss, dass sie sich unter gewissen Umständen nicht doch für den Heldentod entscheiden oder dass es keine kampfwilligen Elemente in den Truppen gibt. Trotzdem.« »Warum sind unsere noblen Helden eigentlich nicht anwesend?«, wollte jemand wissen. »Das hier ist erst mal nur eins meiner inoffiziellen Geschäftsessen zur Ideenfindung«, sagte Angara. »Ich hole meine Leute ungern aus dem wohlverdienten Urlaub, sofern es sich nicht um einen Notfall handelt.« »Ich würde meinen, dass unser Gegner zuerst ein wenig mürbe gemacht werden müsste, bevor wir an eine Invasion denken können«, sagte Hedley. »Da ich nicht zu den Ahnungslosen gehöre, die glauben, ein strategischer Luftschlag wäre nur dazu gut, ein paar große Löcher im Boden zu hinterlassen«, sagte Fong, »vermute ich, dass es wohl nichts bringt, ihnen eine Tracht Prügel zu verpassen, um dann die Sache auf sich beruhen zu lassen.« »Ich glaube kaum«, sagte Angara, »dass Protektor Redruth eine Tracht Prügel einfach so einstecken und sich anschließend wieder um seine Angelegenheiten kümmern würde. Er scheint eher zur Klasse jener Seeungeheuer zu gehören, die immer weiter schwimmen müssen - oder in 240 seinem Fall ständig nach neuen Feinden Ausschau halten müssen -, um nicht zu ertrinken.« »Das sehe ich genauso«, sagte Hedley. »Stellen wir uns den Tatsachen. Früher oder später — sofern sie nicht plötzlich wieder mit Freundschaftsgeschenken auf der Bildfläche erscheinen und sich entschuldigen, weil sie vorübergehend unsere Komnummer verlegt hatten - müssen wir irgendwie in Erfahrung bringen, was mit der Konföderation passiert ist. Was bedeutet, dass wir es irgendwann auch mit ihren Feinden zu tun bekommen. Und wenn das passiert, wäre es äußerst ungünstig, wenn wir gerade Ärger mit einer offenen Wunde wie Larix hätten.« Maev müsste Njangu ins Ohr brüllen, um die lautstarke Musik zu übertönen. »Ich liebe es!« »Was?« »Das alles hier.« Sie deutete mit einer ausholenden Armbewegung auf den überfüllten, schwach beleuchteten Club. »Ich kann mich sinnlos besaufen, und es gibt niemanden, der aufpasst, dass ich nichts Staatsfeindliches denke. Es gibt keine Arschlöcher, die sich überlegen, wie sie mir in den Rücken schießen können, um anschließend zu behaupten, es wäre ein Duell gewesen. Und niemand will mit irgendwem ins Bett hüpfen, weil es seiner oder ihrer Karriere dienlich wäre.« Sie seufzte glücklich.
Njangu nippte an seinem Glas Wein und streckte sich wie eine zufriedene Katze. Lärm, Menschen, Musik, guter Wein... warum verdammt noch mal bestand er dann immer wieder darauf, sich an Orte zu begeben, wo es all diese Dinge nicht gab - vor allem, wenn dort Menschen lebten, die versuchten, ihn zu töten? Als er die Flasche aus dem Kühler nahm, kam ein sehr 241 großer und sehr betrunkener Mann an den Tisch gestolpert. »He, Süße... willsu mimmir... tansen? Ups!« Er drehte sich um 180 Grad und stürzte der Länge nach auf den Tisch, der seinem Körpergewicht nicht gewachsen war und zusammenbrach. Der Kühler und die Stühle gingen ebenfalls zu Bruch. Maev hatte ihr Glas in der Hand behalten, und Njangu kippte geschickt den restlichen Inhalt der Flasche in sein Glas, bevor er sie auf den schnarchenden Trunkenbold fallen ließ und nach einem Aufräumkommando und einer neuen Flasche rief. »Siehst du?«, sagte er. »Du kannst dich darauf verlassen, dass ich dich in die nettesten Läden schleppe. Willst du noch tanzen?« »Ich habe dieses Minisymposium nicht nur deshalb einberufen«, sagte Dr. Ann Heiser, »damit unser geschätzter Kollege von seinen blutigen Abenteuern erzählen kann, sondern auch, um eine sehr ernste Frage zu stellen: Hat irgendjemand von uns irgendwelche Vorschläge, die wir der Armee unterbreiten können, wie dieser Krieg geführt werden sollte?« Im Raum hielten sich zwei Dutzend Männer und Frauen auf, bis auf Tak Ho Kang allesamt Zivilisten. Sie war vor kurzem aufgrund ihrer wissenschaftlichen Forschungen während des Musth-Krieges freigestellt und als Analytikerin zur Sektion II versetzt worden. Bislang tat sie sich mit ihrem neuen Dienstgrad und der damit einhergehenden Gehaltserhöhung allerdings noch genauso schwer wie mit der Tatsache, dass sie nicht mehr mit einem Grierson durch die Landschaft düste. »Ich möchte etwas genauer formulieren, vor welchem 242 Problem wir stehen«, sagte Froude. Er hatte seinen Dschungelaufenthalt immer noch nicht ganz verdaut; zwar waren die Blässe und die Spuren der Auszehrung größtenteils verschwunden, aber sein altes Gewicht hatte er noch längst nicht wieder erreicht. »Ann und ich haben bereits darüber diskutiert, bevor Sie so freundlich waren, hier aufzutauchen und sich meine Kriegserlebnisse anzuhören. Lassen Sie mich mit einem Sachverhalt beginnen, der für Sie möglicherweise recht erstaunlich klingt. Niemand weiß genau, was es mit dem Hyperraum auf sich hat, wie er im Grunde seines Wesens beschaffen ist. Den Sternenantrieb gibt es schon seit Jahrhunderten, aber niemand scheint intensivere Forschungen angestellt zu haben, was das eigentlich ist, wodurch wir uns bewegen. Wir wissen, beziehungsweise wir können ableiten, dass der N-Raum -Zitat Anfang real Zitat Ende - ist, weil er elegant in unsere Gleichungen passt, ganz zu schweigen von der empirischen Tatsache, dass wir ihn tatsächlich zur Fortbewegung nutzen können. Im Normalfall verwenden wir vorher festgelegte Navigationspunkte, wenn wir von einem Ort zum anderen reisen, aber das geschieht eigentlich nur aus Gründen der Bequemlichkeit. Wir besitzen die nötige Technik, die es uns erlaubt, zwischen verschiedenen Punkten zu navigieren. Und wenn wir einen blinden Sprung durchführen, also eine Transition von einem bekannten zu einem unbekannten Punkt oder von einem unbekannten zu einem anderen unbekannten Punkt -, kann die Technik uns sagen, wo wir im Normalraum herausgekommen sind. Zumindest grundsätzlich. Wenn unsere Raumschiffe im Krieg einen Feind im Normalraum registrieren und der Abstand nicht zu groß ist, können wir dem Feind in den N-Raum folgen, eine Rakete 243 abfeuern und das Schiff zerstören oder es Sprung für Sprung verfolgen. Wenn wir schnell genug sind, können wir sogar eine spezielle Rakete vom Normalraum in den Hyperraum schicken, um den Feind zu vernichten. Zumindest liegt diese Schlussfolgerung nahe, weil es genug derartige Fälle gegeben hat, bei denen der Feind nicht wieder aufgetaucht ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auf den interessanten Umstand hinweisen, dass meines Wissens nur sehr selten ein Schiff, das nach dem Eintritt in den Hyperraum getroffen wurde, mit Beschädigungen zurückgekehrt ist. Das könnte bedeuten, dass der Hyperraum ähnlich wie Wasser Schockwellen verstärkt. Oder dass die Legierungen, die für den Bau von Schiffen verwendet werden, während des Aufenthalts im Hyperraum an Stabilität verlieren, wodurch sie sehr anfällig für Gewalteinwirkungen sind. All diese Unklarheiten sind sehr grundlegende Fragen, und ich war bislang nicht in der Lage, darauf eine Antwort zu finden. Auch in der Literatur bin ich nirgendwo fündig geworden. Es scheint nicht nennenswert geforscht worden zu sein, noch nicht einmal, was diese zwei sehr speziellen Fragen angeht. Es besteht ein großer Mangel an handfesten Fakten. Wir wissen, dass der Hyperraum von seinem Wesen her endlich ist, aber...« »Entschuldigen Sie, Doktor«, sagte Ho Kang. »Und verzeihen Sie meine Unwissenheit. Aber woher wissen wir das?« »Dafür gibt es mindestens zwei Indizien«, sagte Froude. »Erstens können wir uns immer wieder mit der gleichen Energiemenge und den gleichen Navigationsdaten zwischen zwei bestimmten Punkten bewegen. Zweitens beansprucht eine solche Transition jedes Mal den gleichen
244 subjektiven wie objektiven Zeitraum. Aber damit verhalten wir uns meiner Ansicht nach genauso wie ein Blinder, der gelernt hat, sich in seinem Haus zu bewegen, weil er sich die Lage der Wände und Möbel eingeprägt hat. Wenn man einen Stuhl verschiebt, wird der Blinde sehr leicht die Orientierung verlieren und sich das Knie stoßen. Es würde mich interessieren, ob die Konföderation niemals gründlichere Forschungen in Auftrag gegeben hat, weil die bisherigen Kriege zumeist über große Distanzen geführt wurden, also weil die Schiffe weite Sprünge zurücklegten, bevor es zur Schlacht kam. Die Kommandeure der antiken Marine haben sich schließlich auch nicht allzu viele Gedanken über die Ozeane gemacht, die sie überquert haben, außer dass sie den in ihren Karten verzeichneten Untiefen ausweichen mussten.« Eine Frau stand auf. »Auch wenn ich mich kaum für Physik interessiere, muss ich Ihnen zustimmen, dass wir nur wenig, sogar verdammt wenig über diese praktisch nutzbare Dimension wissen, die wir als N-Raum bezeichnen. Aber ich verstehe nicht, welche Relevanz das für Ihre Ausgangsfrage nach der Strategie im Konflikt mit Larix/ Kura haben soll. Einmal abgesehen von der historischen Tatsache, dass handfeste Kriege schon immer die Grundlagenforschung gefördert haben.« Gelächter kam auf, während die Frau sich wieder setzte. »Ich bin mir auch nicht sicher«, sagte Froude. »Ich weiß nur, wie es läuft, wenn zwei Parteien gegeneinander in den Kampf ziehen. Die Seite, die am besten über die Rahmenbedingungen des Konflikts informiert ist — die etwa eine Karte des potenziellen Schlachtfelds findet oder es sogar vorher besichtigen kann -, hat einen unschätzbaren Vorteil bei der Auseinandersetzung. Ich werde einfach mal 245 versuchen - und hoffen, dass es mir gelingt -, mit dieser Illustration zu erklären, was ich meine.« Froude ging zu der altertümlichen Tafel und nahm sich einen Markierungsstift. Dann malte er ein großes K auf eine Seite und einen halben Meter entfernt ein großes L. »Hier haben wir Kura und da drüben Larix. Kura ist die Weizenkammer des Imperiums von Protektor Redruth. Larix ist die Industriewelt. Wenn Kura eliminiert wird, verhungern die Leute auf Larix. Wenn Larix eliminiert wird, müssen die Kuraner wieder mit Handwerkzeugen Ackerbau betreiben.« Froude zeichnete Kreise um beide Buchstaben und verband sie durch eine Röhre. Das Ganze sah aus wie die Hantel eines Gewichthebers. Dann zeichnete er ein X über die Röhre. »Hier könnte die angreifbare Zone liegen. Wenn wir hier zuschlagen, im Hyperraum zwischen den beiden Systemen... oder an den Navigationspunkten, an denen die Schiffe aus dem Hyperraum kommen, um ihre Navigationssysteme zu rekalibrieren, bevor sie zum nächsten Sprung ansetzen, dürfte das Resultat überwältigend sein.« »Ich glaube«, sagte Ben Dill und bemühte sich um eine sorgfältige Aussprache, während er den Bierkrug hob und direkt daraus trank, »in der nächsten Phase sollten wir losziehen und den gottverdammten Larries und Kurries eins überbraten.« »Aha«, sagte Alikhan. »Aber wo genau soll das geschehen?« Sein Zustand unterschied sich nicht allzu sehr von dem seines Freundes, nachdem er einen ganzen Behälter mit dem verdorbenen, gewürzten Fleisch gegessen hatte, das die Musth als Rauschmittel benutzten. Etwa zwanzig Soldaten hielten sich in einer Ecke der ge246 mütlichen, altmodisch eingerichteten Unteroffiziersmesse auf. Fast alle gehörten zu den Aufklärern. Alikhan und Dill waren die einzigen Offiziere, die zu dem Treffen eingeladen worden waren. Man wollte der drei Soldaten der Aufklärungstruppe gedenken, die auf Kura gefallen waren. Ansonsten war nur noch die Ärztin Jil Mahim anwesend, die ebenfalls an dem Unternehmen teilgenommen hatte. Sie behauptete, der beste Urlaub überhaupt bestand darin, im Bett zu liegen, auf die gebrüllten Befehle, Lautsprecherdurchsagen und altertümlichen Hornsignale zu horchen, sich dann umzudrehen und weiterzuschlafen, weil nichts davon für sie bestimmt war. Dill hatte ihr bereits den Vorwurf »abwegiger Gedanken« gemacht, wofür er prompt bestraft worden war, und zwar mit dem Inhalt eines Krugs, der ihm über die Hose gegossen worden war. »Blöde Frage«, sagte Tweg Lav Huran, der Anführer des Oct-Teams aus der Zweiten Truppe der Aufklärungskompanie. »Natürlich da, wo sie sind.« »Wer zum Henker hat diesen Mann zum Unteroffizier befördert?«, fragte jemand. »Er verfügt über das geniale Talent, sofort das Offensichtliche zu erkennen.« »Das«, sagte Alikhan, »wird sich im Verlauf der Ereignisse zeigen, wie ich vermute. Aber ich habe eine viel bessere Frage: Was habt ihr Menschen mit diesen Leuten vor, nachdem ihr den Krieg gewonnen habt?« »Versteht ihr jetzt, warum ich diesen Kerl mag?«, tönte Dill. »Er geht immer davon aus, dass sich das Leben von seiner angenehmsten Seite zeigt.« »Ich würde vorschlagen«, sagte Tweg Rad Dref, der einen Grierson kommandierte, »dass wir diesen Redruth und den Rest seiner Offiziere und Kriegsverbrecher an den Eiern aufhängen und alle anderen wie gehabt weitermachen lassen.« 247
»Wir könnten sie auch zusammentreiben«, sagte eine Frau im Rang eines Unteroffiziers, »und nach Cumbre schaffen, damit sie hier für uns die Drecksarbeit erledigen.« Nach kurzer Überlegung fügte sie hinzu: »Vor allem die schnuckligen Kerle... deren Eier wir intakt lassen sollten.« »Ich habe die Frage gestellt«, fuhr Alikhan fort, »weil ich mir Gedanken über das gemacht habe, was ich über diese Leute gehört habe. Sofern ihr alle nicht maßlos übertrieben habt, besitzen die Bürger von Larix und Kura nur sehr wenig Sinn für Freiheit oder Unabhängigkeit.« »Sagt der Geheimdienst«, warf Senior-Tweg Als Severine ein, eine Analytikerin der Sektion II. »Wir haben viele Zinser und andere Leute befragt, die früher häufig zum Einkaufen nach Larix rübergejettet sind - oder um sich in Schwierigkeiten zu bringen, die sie hier nicht haben wollten. In der Zeit, bevor sich die Konföderation in Luft aufgelöst hat. Alle haben davon gesprochen, wie schnell sich die Larixaner von jemandem einschüchtern lassen, der mehr Mumm als sie hat. Und wenn sie so jemandem nicht aus dem Weg gehen können, machen sie sich lieber zu seinem Sklaven.« »Ich würde nichts glauben, was ein Zinser sagt«, entgegnete Mahim. »Aber haben die Larixaner nicht diesen bösen schiefen Blick, wenn sie am Boden liegen, der besagt, dass sie dich erledigen werden, wenn du ihnen den Rücken zukehrst und sie zufällig ein großes langes Messer zur Hand haben?« »Ob du es glaubst oder nicht, Jil, ich weiß genau, was du meinst«, sagte Severine. »Aber diese Frage haben wir nicht gestellt. Und niemand hat erzählt, etwas in dieser Art bemerkt zu haben.« »Hmm«, machte Mahim skeptisch. »Schwer zu glau248 ben, dass die unterdrückte Klasse keine Rachegelüste entwickelt.« »Wir haben auch ältere Holos von Larix oder Kura ausgewertet«, sagte Severine, »um das Profil des sagenumwobenen Durchschnittslarixaners zu erstellen. Wir wussten natürlich ganz genau, dass es in diesen Holos nicht um die Wahrheit, sondern nur um eitel Sonnenschein geht. Trotzdem haben wir nach Geschichten über... ein Kindermädchen, das ihren Schützlingen Schreckliches antut, gesucht, oder über einen Schauff... einen Schöff... - Tschuldigung, hab schon etwas zu viel getrunken - einen Piloten, der die Maschine abstürzen lässt, während seine Arbeitgeber an Bord sind. Aber wir haben nichts gefunden.« »Damit steht meine Frage weiterhin im Raum«, sagte Alikhan. »Wenn diese Menschen schon in der dritten Generation durch einen Protektor unterdrückt werden, was geschieht dann mit ihnen, wenn der Krieg vorbei ist?« »Wie wär's damit?«, fragte Dill, kippte das restliche Bier aus dem Krug in sein Glas und warf ihn dann hinter sich, wo er irgendwo auf dem Boden landete. »Wir schießen sie einfach vom Himmel und ziehen dann weiter.« »Das wird nicht funktionieren«, sagte Alikhan. »Sie werden sich eine Weile still verhalten, bis sie den Schock überwunden haben, und sich dann einen neuen Diktator suchen — und es noch einmal probieren.« »Das bedeutet also«, sagte Huran, »dass wir ihnen zuerst den Hintern versohlen müssen, um dann die Waffen wegzulegen und eine Generation lang Kindergärtner zu spielen? Scheiße, das gefällt mir überhaupt nicht!« »Wer weiß?«, meinte Mahim. »Aber am meisten tun mir die armen Schweine an diesem Tisch Leid, die zu den Landetruppen gehören und den Hintern versohlt bekommen - mit einer tödlichen Tracht Prügel.« 249 »Genau dafür werden wir doch so schlecht bezahlt«, sagte Dref. »Haltet die Klappe, alle zusammen!«, sagte Dill und stand auf. Von irgendwo holte er einen neuen vollen Krug. Er stieg auf den Tisch und stimmte ein uraltes Lied an: Glaubst du, wenn du einen Leichenwagen siehst, dass als Nächster du ins Jenseits ziehst? Dann wechselte er das Tempo: Würmer kriechen rein Würmer kriechen raus Würmer tanzen Tango bei deinem Leichenschmaus. »Und nun eine Hymne auf alle, die als Nächste gen Süden zieh'n«, sagte er. »Hymne, Hymne... hin zum Hymen...« Weder einer der anderen Trinker im geräumigen Club, noch einer der Barkeeper dachte daran, sich einzumischen. Die Aufklärer hatten ihre eigene Art, um ihre Toten zu trauern, und würden mit üblen Vergeltungsmaßnahmen auf jede Form der Störung reagieren. Als der Gesang losging, legte Jil Mahim den Kopf auf den Tisch und begann leise zu schnarchen. Ein umsichtiger Unteroffizier zog ihren Kopf aus der Bierpfütze aufs Trockene. Kurz bevor es dämmerte, stieg Monique Lir die letzten Meter bis zur Spitze der Meeresklippe hinauf. Mehr als tausend Meter unter ihr schlugen die Wellen störrisch gegen die Felswand und wirbelten das kleine Boot herum, das sie gemietet hatte. Um Mitternacht hatte Lir Haken in die Felswand ge250 schlagen und an ihnen eine Hängematte befestigt. Sie war leicht wütend auf sich selbst gewesen, weil sie einen dritten Tag benötigt hatte, um den Aufstieg hinter sich zu bringen. Der Gipfel des Berges war etwa dreißig Meter breit. Hier hatte sich genügend Erde angesammelt, dass ein paar kleine, knorrige Bäume Wurzeln geschlagen hatten. Lir streifte ihren Rucksack und das Klettergeschirr ab, streckte sich und genehmigte sich zwei kleine Schlucke Wasser als Belohnung für diese Erstbesteigung.
Als die Sonne langsam aufging, hockte sie im Schneidersitz auf dem Fels und leerte ihren Geist. So weit sie sehen konnte, gab es in jeder Richtung nur Wasser. Keine Boote, keine Menschen, keine Luftfahrzeuge, keine Lautsprecher, keine Offiziere, keine Unteroffiziere, keine Stoppelhopser. Der perfekte Urlaub. Lir wusste, dass wüste Geschichten darüber kursierten, wie sie angeblich ihre Freizeit verbrachte; das reichte von der Leitung eines Bordells, das sich auf Sadomasochismus spezialisiert hatte, bis zur Existenz als einzelgängerische Millionärin auf einer abgelegenen Insel, wo niemand ihren richtigen Namen kannte. Sie machte sich nicht die Mühe, diese Geschichten zu dementieren. Das Einzige, was zählte, war die Stille, die friedliche Ruhe auf einem Berggipfel, am besten auf einem, der noch nie zuvor bestiegen worden war, oder noch besser, der völlig unbekannt war oder als unbesteigbar galt. Sie würde etwas essen, bis Mittag schlafen, sich zu ihrem Boot abseilen und sich dann auf den Weg zum zweiten Gipfel machen, der nicht allzu weit entfernt aus dem Meer ragte und auf den offenbar ebenfalls noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hatte. Monique Lir genoss einen wunderbaren Urlaub. 251 18 »Und ich dachte, du hättest deine Lektion gelernt und kapiert, dass du keine Alleingänge ohne meine väterliche Unterstützung unternehmen sollst«, sagte Njangu Yoshitaro brüsk und drehte sich mit seinem Stuhl zu Garvin um. »Aber du hast nicht auf mich gehört. Worauf du prompt in einem finsteren Kerker gelandet bist, wo dir die Zehennägel abgefault sind. Danach hätte dir klar werden müssen, dass du der perfekte Anführer bist, der geschniegelt in einer tadellosen weißen Uniform herumsteht und den Säbel schwingt, während ich der Typ bin, der dir sagt, wann du wo einen Angriff befehlen sollst.« Yoshitaro schüttelte den Kopf. »Und jetzt wollen wir über diesen Blödsinn mit der Flugschule reden. Du willst dem verdammten Penwyth die Verantwortung für mich und die Aufklärer überlassen, während du... wie lange rumfurzt? Sechs Monate?« »Was ist das Problem mit Erik?«, fragte Garvin. »Eigentlich gibt es gar keins«, räumte Njangu ein. »Es ist nur so, dass reiche Menschen mich nervös machen. Ach, was, vergiss ihn. Zurück zu deinen sechs Monaten an der Bruchpilotenschule.« »Es ist viel weniger«, sagte Garvin. »Sie werden eine Menge per Hypnokonditionierung machen, ähnlich wie in unserer Grundausbildung.« »Ich dachte, mit Hypnose lernt man nur Sachen, die man unbewusst machen kann, wie >rechts herum<, vorwärts marsch< und ähnlichen Mist.« »Sie gehen davon aus, dass wir viel mehr lernen können, wenn wir es oft genug wiederholen.« »Wir? Wer ist wir?« 252 »Der Alte meint, wir "brauchen jede Menge Piloten. Jeder, der irgendwann mal fliegen wollte, soll eine Chance bekommen. Keine Verarsche, kein Drill, nur intensive praktische Ausbildung«, sagte Garvin. »Hypnose kann einem die Verhaltensmaßregeln einimpfen, um schnell zu reagieren, wenn man zum Beispiel ins Trudeln gerät. Man kann zumindest die Standardmaßnahmen anwenden, genauso wie man lernt, ruckzuck seine Waffe zu überprüfen.« Er grinste verlegen. »Hey, das hört sich ja glatt so an, als wüsste ich, wovon ich rede. Wir werden in einer Woche oder so herausgefunden haben, ob es funktioniert oder nicht.« Njangu sah Garvin sehr lange schweigend an. »Noch einmal«, sagte er schließlich. »Wer ist wir?« »Ach so, das... Ich habe dich ebenfalls als Freiwilligen angemeldet.« »Du scheinst nicht lange zu fackeln, was?« »Das können wir uns nicht leisten«, sagte Garvin schroff. »Wir müssen einen Krieg gewinnen. Das erste Überfallkommando bricht morgen früh nach Kura auf. Und hast du mir nicht erst gerade eben einen Vortrag gehalten, dass ich gefälligst nichts tun soll, ohne dass du zwei Schritte hinter mir stehst, um mir jederzeit in den Arsch treten zu können, wenn ich etwas falsch mache?« Njangu dachte nach. »Mein verfluchtes Schandmaul... Ich glaube, ich habe mich mit meinen Argumenten selbst ins Abseits manövriert, wie jemand Gebildeter es ausdrücken würde. Also werde ich wohl lernen müssen, wie man sich in die Lüfte erhebt und abstürzt. Vielleicht verdiene ich ein paar Credits mehr im Monat, wenn ich imstande bin, am Himmel rumzugurken.« Njangu runzelte die Stirn und wurde ernst. »Andererseits bringt mich das auf eine interessante Idee...« »Was? Die Sache mit dem Abstürzen?« 253 »Nein. Hör zu. Wir werden Larix und Kura in die Knie zwingen, nicht wahr?« »Kein Wunder, dass ich immer wieder von dir fasziniert bin. Du gelangst ständig zu irgendwelchen erstaunlichen Schlussfolgerungen, während wir Normalsterblichen dafür unbedingt handfeste Beweise benötigen.« »Das hast du völlig richtig erkannt«, sagte Njangu. »In der Anfangsphase geht es darum, im Weltraum rumzudüsen, oder? Das bedeutet, dass es nicht allzu viel für die Aufklärer zu tun gibt, stimmt's? In der zweiten Phase dürfte eine Invasion mit Bodentruppen anstehen. Also treiben wir uns wie immer an vorderster Front herum und
lassen uns abknallen.« »Das klingt nach einem typischen Einsatz für Idioten und Fußsoldaten«, sagte Garvin. »Richtig. Und wenn wir Redruth massakriert haben, was dann? Dann ziehen wir los und versuchen herauszufinden, was mit der Konföderation passiert ist, stimmt's? Wobei wahrscheinlich verschiedene Leute aus der Abteilung Böse Absichten zum Einsatz kommen. Auch dann wird es - zumindest in der Anfangsphase hauptsächlich darum gehen, im Weltraum zu kämpfen beziehungsweise Erkundungsflüge zu unternehmen.« »Hmm«, machte Garvin. »Ich glaube, so langsam kann ich dir folgen.« »Gut«, sagte Njangu. »Es sieht also nicht danach aus, dass die Aufklärer Gelegenheit erhalten werden, jede Menge Orden einzusacken, was mit mehr Kohle und Beute verbunden wäre. Stimmt's oder habe ich Recht?« »Du meinst, es wäre an der Zeit, eine neue Karriere einzuschlagen?« »Auf gar keinen Fall«, sagte Njangu. »Oder willst du einem Regiment beitreten und dich auf glänzende Stiefel, 254 Raumschiffkorridore und Im-Chor-Ja-Sir-Rufen spezialisieren? Das wäre eine absolut beschissene Idee. Ich denke, wir sollten lieber darüber nachdenken, wie wir die Aufklärungstruppe in toto zukunftsfähig machen.« »Ich höre.« »Ich bin noch nicht so weit, alles von Phase Alpha bis Omega vor dir auszubreiten«, sagte Njangu. »Aber ich gebe dir schon mal einen Tipp. Wenn wir in Richtung Konföderation losziehen, brauchen wir eine größere Armee.« »Du glaubst nicht, dass die zehntausend Mann in der Legion mit ihren sauberen Gedanken und gesunden Lebern ausreichen, das Universum zu erobern?«, sagte Garvin. »Tschuldigung, ich wollte nicht albern werden. Du hast natürlich Recht.« »Das will ich meinen. Wenn die Streitmacht größer wird, muss auch die Aufklärungskompanie größer werden.« »Etwa wie ein Erkundungsregiment, wenn die Legion die Stärke einer Division erreicht? Damit wärst du dann ein Caud und ich... was eigentlich?... ein Super-Caud?« »Denk in größeren Maßstäben, Bwana«, flüsterte Njangu. »Stell dir richtig große Armeen vor. Denk an all die Larries und Kurries, die wir rekrutieren werden, wenn dieser Krieg vorbei ist. Denk an den sagenhaften Rang eines Sternenadmirals, von dem du angeblich deine Herkunft ableitest. Eigentlich glaube ich dir ja sowieso kein Wort, aber existiert dieser Rang wirklich?« »Wenn ich das wüsste!«, sagte Garvin. »Mein Vater kann meiner Mutter ja auch irgendwelchen Blödsinn erzählt haben. Ich bin nur ein einfacher Junge vom Zirkus.« Er blickte aus dem Fenster des Büros, an dem ein Trupp neuer Auszubildender vorbeimarschierte. »Richtig große Armeen...?« »Wir sollten wirklich ein paar ernsthafte Pläne schmie255 den. Und zusehen, ob wir insgeheim mit Raumschiffswerften ins Geschäft kommen können.« Die sechs kuranischen Schiffe hoben von verwüsteten Landefeldern ab. Alle waren schwer mit weiterverarbeiteten oder frischen Lebensmitteln beladen, die für Larix bestimmt waren. Sie trafen sich außerhalb der Atmosphäre. Die kleine Flotte wurde von einem Patrouillenschiff älteren Baujahrs angeführt, was jedoch mehr eine Formsache als alles andere war. Sie wollten gerade in den Hyperraum gehen, als die Par-nell, die vor kurzem getaufte Nectan, ein drittes Schiff der Kelly-Klasse und zwei Velv hinter einem von Kuras Monden hervorschossen. Der Kommandant des Patrouillenschiffs sendete die Aufforderung zur Identifikation und erkannte, dass es sich um feindliche Einheiten handelte, als sie Raketen abfeuerten. Im nächsten Moment hingen vier brennende Gasbälle im Weltraum. Die fünfte Rakete der Cumbrianer detonierte zu früh, und das Frachtschiff, das dem Angriff entgangen war, hatte gerade noch genügend Zeit, einen Notruf abzusetzen, bevor es von einer zweiten Rakete zerfetzt wurde. Das sechste Schiff nahm wieder Kurs auf Kura und hatte bereits die Ionosphäre erreicht, als es von einer Rakete erwischt wurde, die ein Velv abgefeuert hatte. Der Nachthimmel über Kura verwandelte sich in den Schauplatz eines Feuerwerks. Das Patrouillenschiff wollte in den Hyperraum flüchten, doch ein Velv hatte es im Visier und feuerte eine modifizierte Goddard-Rakete ab, die kurz nach dem Patrouillenschiff in den N-Raum ging. Beide wurden nie mehr gesehen. Die cumbrianischen Schiffe sprangen zurück in die Unsichtbarkeit. Der Krieg hatte begonnen. 256 »Dies«, sprach Ben Dill ins Mikrofon, »wird die verrückteste Flugschule sein, die irgendeiner von uns je besucht hat. Seht euch um!« Die sechzig Auszubildenden, unter denen vom Rekruten bis zum Offizier alles vertreten war, darunter auch Garvin und Njangu, gehorchten seiner Aufforderung. Sie musterten auch die Reihe der Offiziere und Eingezogenen, darunter zwei Aliens, die auf der Bühne standen und ihre künftigen Lehrer waren. »Normalerweise«, fuhr Dill fort, »müsstet ihr jetzt Auf Wiedersehen zu der Person zu eurer Rechten und der zweiten Person zu eurer Linken sagen... oder wie hoch auch immer die übliche Ausfallquote sein mag. Aber das ist Blödsinn. Wir - die Legion - wollen, dass ihr alle die Ausbildung schafft. Jeder von euch soll sich ein
Fliegerabzeichen ans Revers stecken. Also helft der Frau oder dem Mann an eurer Seite, wenn ihr könnt. Wir werden den Klassenbesten auszeichnen, aber sonst niemanden, also braucht ihr wegen ein paar Punkten mehr oder weniger nicht aufeinander rumzuhacken. Für alle anderen geht es nur um Bestehen oder Durchfallen. Wir befinden uns im Krieg, und wir haben keine Zeit für die übliche Scheiße. Das heißt, wir Ausbilder werden uns nicht darum kümmern, ob eure Stiefel glänzen oder ob ihr überhaupt Stiefel angezogen habt. Diejenigen von euch, die frisch rekrutiert wurden, werden all das hypnotisch eingetrichtert bekommen, was die Erfahreneren bereits erlebt haben. Wir wollen, dass ihr lernt. Jeder von euch hat gesagt, er oder sie würde sich fürs Fliegen interessieren, und ihr alle habt den nötigen Grips dazu. Ich habe mir eure Testergebnisse angesehen. Ihr seid also durchaus in der Lage, es zu schaffen. Vielleicht stellen wir irgendwann fest, dass ihr 257 in Wirklichkeit gar nicht fliegen wollt, dass ihr den Weltraum nicht ausstehen könnt, dass ihr in Mathematik oder Geometrie nicht schnell genug seid oder dass ihr einfach so vernünftig seid, den sicheren Boden nicht verlassen zu wollen. Ihr habt es versucht, und ihr könnt jederzeit ohne Reue zu eurer alten Einheit zurückkehren. Niemand wird euch anbrüllen oder euch durch die Wildnis scheuchen oder zu Liegestützen zwingen oder sonstigen Blödsinn veranstalten. Der Befehlshaber der Schule ist Caud Angara. Wir anderen arbeiten für ihn, völlig unabhängig vom Rang. Das bedeutet, dass ich euch unterrichten werde, genauso wie Alikhan und der kleine Scheißkerl namens Gorecki hier neben mir euch unterrichten werden. Wir wollen euch nicht wehtun, sondern euch helfen. Manchmal werdet ihr von der einen Person, manchmal von einer anderen ausgebildet. Macht euch keine Gedanken, wenn eure Lehrer wechseln. Wie ich schon gesagt habe, befinden wir uns im Krieg, also könnte euer gewohnter Ausbilder vielleicht ein paar Tage irgendwo da draußen sein, um Larries fertigzumachen. Diese ganze Sache wird ein Catch-as-catch-can sein. Und noch etwas. Habt keine Angst, Fragen zu stellen, auch wenn sie euch ziemlich dämlich vorkommen. Wenn sie zu dämlich sind und ihr nicht daran sterbt, aber ich fast daran sterbe, seid ihr draußen. Andernfalls bekommt ihr eine neue Chance mit einem anderen Ausbilder. Die ganze Sache wird hart, schnell und schmutzig ablaufen. Sorgt dafür, dass ich auf euch stolz sein kann - dass die Legion stolz auf euch sein kann. Und jetzt an die Arbeit!« 258 »Tut mir Leid, dass ich dich von deinen Ausflügen in schwindelnde Höhen herunterholen muss, Njangu«, sagte Hedley. »Aber du bist derzeit unser wichtigster Experte im Hinblick auf Redruth und seine Nummer zwei, diesen Celidon, vor allem, wenn es darum geht, was sie denken. Du hast den Bericht über den ersten Angriff erhalten, der ein totaler Erfolg war. Was meinst du, wie Larix/Kura darauf reagieren wird?« »Das kann ich nicht präzise vorhersagen«, erwiderte Njangu. »Aber ich glaube, als Erstes wird Redruth die Patrouillen rund um Kura verstärken. Celidon könnte zu der Überzeugung gelangen, dass wir hin und her springen werden, um sie zu verwirren, also dürfte er vorschlagen, auch Larix von schwer bewaffneten Patrouillen bewachen zu lassen. Er wird sich ausrechnen, dass das Hauptsystem unser nächstes Ziel sein dürfte.« »Hmm«, machte Angara. »Genau das hatten wir für unseren nächsten Überfall geplant.« »Dann würde ich vorschlagen, so kräftig wie möglich zuzuschlagen. Celidon rechnet wahrscheinlich mit einem weiteren leichten Angriff... und hat vielleicht keine allzu starken Verteidigungskräfte in Position. Aber nur vielleicht.« »Das ist gar keine schlechte Idee«, sagte Hedley. »Wenn wir davon ausgehen, dass wir irgendwann eine Invasion starten werden, wäre es ratsam, schon jetzt so viele von ihren Kriegsschiffen wie möglich auszuschalten. Gott sei Dank sind die Musth nett zu uns und verkaufen das Metall, das sie auf der einen Hälfte von C-Cumbre fördern, in Form von Aksai und Velv an uns. Also könnten wir tatsächlich in der Lage sein, mehr Schiffe zu bauen, als Redruth abschießen kann. Da wäre noch eine andere Sache, Njangu. Ich habe dei259 nen Bericht über diese Naarohn-Kreuzer gelesen, die Redruth angeblich bauen will. Bisher haben wir noch kein Schiff dieser Klasse in Aktion oder am Boden gesehen. Allerdings muss ich zugeben, dass wir nur ein paar extrem vergrößerte Aufnahmen des Geheimdiensts haben, die bei einem Vorbeiflug an Larix Primus und Secundus geschossen wurden. Du hast gesagt, Celidon wäre dagegen, die Kreuzer zu bauen. Besteht die Möglichkeit, dass er Redruth überzeugen konnte und wir uns keine Sorgen mehr machen müssen, dass sie diese Dinger irgendwann aus dem Hut zaubern?« »Nein«, sagte Njangu kategorisch. »Wenn Redruth aus eigenem Antrieb seine Meinung ändert, dann gibt es keine Naarohns. Aber nach meinen Beobachtungen hat kaum jemand die Chance, Redruth von irgendetwas abzubringen, sobald er es sich in den Kopf gesetzt hat.« »Genau wie bei den meisten anderen Diktatoren«, sagte Angara. Njangu sah, wie Penwyth zur Decke hochstarrte, und er konnte mühelos seine Gedanken lesen: Darin unterscheidet ersieh nicht von befehlshabenden Offizieren. Er unterdrückte ein Grinsen. »Dürfte ich einen Vorschlag machen?«, fragte er.
»Bitte.« »Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht warten, bis diese Kreuzer auf der Bildfläche erscheinen, sondern versuchen, schneller als der Feind zu sein und sie bereits in den Werften ausschalten.« »Für so einen Angriff sind unsere Schiffe eigentlich nicht geeignet«, sagte Angara. »Oder vielleicht doch. Aber ich muss davon ausgehen, dass wir bei einem präzisen Schlag gegen die Werften hohe Verluste erleiden werden. Davon abgesehen, dass wir sie erst einmal ausfindig ma260 chen müssten. Sie haben uns nur drei oder vier Standorte genannt.« »Deshalb würde ich für Nuklearschläge plädieren«, sagte Njangu. »Schließlich hat Redruth diese Option bereits ins Spiel gebracht. Wenn ihre verdammten Schiffswerften im Dunkeln leuchten, dürfte es einige Zeit dauern, bis sie neue gebaut haben.« »Nein«, sagte Angara entschieden. »Die Direktive der Konföderation lautet, Nuklearwaffen nur gegen rein militärische Ziele einzusetzen, und selbst dann nur als letztes Mittel.« Sein Tonfall ließ keine weitere Diskussion über diesen Punkt zu. Njangu fing Penwyths Blick auf, und er nickte knapp. »Verstanden, Sir«, sagte er nur. »Ich schätze, das wäre vorläufig alles«, sagte Angara. »Jon, haben Sie noch etwas auf dem Herzen?« »Nein.« Njangu stand auf, salutierte und verließ den Raum. Penwyth folgte ihm. »Da siehst du es, du scheußliche Untaten verübende radioaktive Schlange, wie wir, die Bewahrer von Wahrheit und Gerechtigkeit, denken!«, tönte der schlanke Mann. »Ja. Ich bin verdammt erleichtert, dass wir einen so moralisch einwandfreien Krieg führen! Und ich glaube, ich kann den Rest des heutigen Trainings schwänzen, da es sowieso nur noch eine Stunde gehen würde. Und du, mein wahrer und gerechter Freund, darfst die erste Runde ausgeben.« Der nächste Überfall dauerte länger und fiel wesentlich blutiger aus. Für beide Seiten. Zwei Kellys der Cumbrianer mit Caud Angara auf der 261 Brücke des führenden Schiffs fielen aus dem Hyperraum und griffen das nächste Patrouillenschiff an. Eigentlich hätte es auffallen müssen, dass sie ihm die Gelegenheit gaben, einen Funkspruch abzusetzen, bevor sie es in Stücke schössen. Dann warteten sie. Die Reaktion erfolgte prompt - in Gestalt von einem halben Dutzend der neuen larixanischen Zerstörer. Doch kaum hatten sie die zwei Kellys in der Ortung, da tauchten weitere cumbrianische Einheiten auf - noch zwei Kellys und zehn Velv mit der entsprechenden Aksai-Eskorte. Die Larixaner forderten mehr Unterstützung an und gingen trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit zum Angriff über. Niemand hatte den Larries je vorwerfen können, dass es ihnen an Mut mangelte. Eine weitere Formation aus Zerstörern, die von Patrouillenschiffen begleitet wurde, startete von Larix Primus. Auf der Brücke des Kommandoschiffs befand sich Celidon höchstpersönlich. Die Cumbrianer blieben weiterhin im Larix-System, und als weitere Schiffe der Kelly-Klasse erschienen, entbrannte der Kampf in voller Heftigkeit. Die Schiffe rasten hin und her, sprangen in den N-Raum und wieder heraus, wurden getroffen, und manche starben. Es war weniger eine Schlacht als ein chaotisches Scharmützel, und angefangen bei den beiden Kommandeuren hatte niemand eine Ahnung, was außerhalb der unmittelbaren Umgebung vor sich ging. Caud Angara hatte bewusst auf diese Verwirrung gesetzt. In jedem Schiff der Cumbrianer lief ein synchronisierter Countdown. Zum vorgegebenen Zeitpunkt zogen sich die cumbrianischen Einheiten aus dem Kampf zurück und sprangen in einen vereinbarten »leeren« Raumsektor. Der einzige larixanische Zerstörer, der ihnen zusammen mit 262 zwei Patrouillenschiffen folgen konnte, flog nach dem Austritt aus dem N-Raum in einen Hagel aus Raketen und explodierte. Die Verluste am Ende dieses »Tages« waren zwei vernichtete Kellys - die Überlebenden der einen Besatzung waren trotz gegenteiliger Anweisungen geborgen worden —, zwei zerstörte Velv und ein verlorener Aksai; außerdem waren drei Kellys beschädigt worden. Die Larixaner hatten fünf Zerstörer und sieben Patrouillenschiffe verloren, und eine unbekannte Anzahl von Schiffen hatte Schäden erlitten. Die Cumbrianer hatten gesiegt, aber Angara fand, dass dieser Sieg viel zu teuer erkauft worden war. Die anderen Offiziere der Streitmacht zogen das gleiche Fazit, nicht jedoch seine Soldaten oder die überschwänglichen Holos. Jon Hedley stellte mit zynischer Belustigung fest, dass Loy Kouros Matin nun die lautesten Lobgesänge auf die heldenhaften Männer und Frauen der Legion erklingen ließ. Hedley hielt die detaillierte Auswertung des Kampfes unter Verschluss, obwohl sich keine Überraschungen ergeben hatten. In Sachen Manövrierfähigkeit und elektronischem Equipment waren die kleineren Kellys den larixanischen Zerstörern überlegen. Letztere bezeichnete der Geheimdienst vorläufig als »Lan-Klasse«, solange
die offizielle Kennung unbekannt war, und sie hatte einen schnelleren sekundären Antrieb, war schwerer bewaffnet und hatte eine größere Besatzung. Die Velv waren schneller und wendiger als die Lan-Klasse und die Nana-Patrouillenschiffe und konnten mehr und schwerere Waffen mit sich führen als jede Patrouilleneinheit. Aber sie waren wesentlich empfindlicher als alle larixanischen Schiffstypen - was natürlich genauso für die Aksai galt. 263 Der größte Vorteil der Legion war, dass die cumbrianischen Piloten über mehr Kampferfahrung verfügten. Aber Hedley und allen anderen war klar, dass sich das im Laufe des Krieges schnell ändern würde. Außerdem galt es noch drei weitere Faktoren zu berücksichtigen: Welche Seite konnte schneller neue Schiffe bauen, wer konnte schneller Piloten ausbilden - und wer kämpfte mit dem besseren strategischen und taktischen Geschick? Für Garvin, Njangu und die anderen Schüler war diese erste Schlacht des Krieges kaum mehr als ein Randereignis. Sie waren viel zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Auch wenn Dill bei der Vorstellung des Lehrplans ehrlich gewesen war, hieß das keineswegs, dass die Ausbilder ihre Zöglinge im Unterrichtsraum und im Feld nicht bis auf die Knochen triezten. Die Aksai-Kapsel war mit zwei Kanzeln ausgestattet. In einer lag Alikhan, in der anderen Garvin. »Bist du mit deiner Situation zufrieden?«, fragte Alikhan. Garvin wollte mit Nein antworten. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er jemals in der Lage sein würde, auch nur einen Grierson außerhalb der Atmosphäre in diese oder jene Richtung zu bewegen, ganz zu schweigen von den ziemlich eigenwilligen Kampfschiffen der Musth. »Ja, Sir«, sagte er stattdessen. Er hörte ein Zischen, blickte zur anderen Kanzel hinüber und sah, dass Alikhan den Mund aufgerissen hatte und die Fangzähne zeigte. Er schien sich prächtig zu amüsieren, da er offenbar Garvins wahre Gedanken erraten hatte. Der Aksai hing einen Planetendurchmesser über D-Cum264 bre, und hinter ihm befand sich ein einziges Verfolgerschiff. »Dir dürfte nicht entgangen sein, dass es hier nur das Vakuum gibt«, sagte Alikhan. »Wenn du also die Kontrolle verlierst, existiert weit und breit nichts, was du rammen könntest. Außer dem anderen Aksai - und dessen Pilot ist sehr geschickt darin, Kampfschiffen auszuweichen, die von unerfahrenen Auszubildenden geflogen werden. Du hast in der Hypnose und am Computer gelernt, wie die Kontrollen funktionieren und wie dieses Schiff reagiert. Also dürfte dir nicht völlig unvertraut sein, was geschehen wird. Bist du bereit, Garvin?« Garvin atmete tief durch. »Nur noch eine Frage, Alikhan.« »Bitte.« »Wie viele Stunden hast du in einem Aksai verbracht, bis man dir erlaubt hat, ihn selbst zu fliegen?« »Das ist schwierig zu berechnen... lass mich nachdenken ... vielleicht zweihundert eurer Stunden in den unterschiedlichsten Fluggefährten.« Garvin, der etwas mehr als fünfzig auf dem Konto hatte, übernahm die Kontrollen. »Als erste Übung«, befahl Alikhan, »werden wir mit halber Antriebskraft beschleunigen, den Mond Fowey einmal vollständig umkreisen, wobei wir ausreichend Abstand zur Oberfläche halten, und dann so genau wie möglich an unseren Ausgangspunkt zurückkehren.« Garvin erhöhte die Energiezufuhr und spürte das lauter werdende Summen. Der Aksai raste los. Fowey wurde sichtlich größer. Mann, geht das verdammte Ding ab!, dachte er. »Sehr gut, Garvin«, sagte Alikhan nach einer Weile. »Ich stelle fest, dass du das Verhalten dieses Schiffes vorherge265 sehen hast. Das ist die einzige Methode, um es erfolgreich zu navigieren. Du musst dem Aksai ein Stück voraus sein, sonst...« »Sonst bringt er mich um«, sagte Garvin verbissen. Sie hatten bereits zwei Schüler verloren. Die Realität des Krieges hatte sie so schnell eingeholt, dass mehr um den Verlust der Schiffe getrauert wurde als um den Tod der Auszubildenden. Außerdem mussten die Unfälle Fehler der Piloten gewesen sein, wie jeder in der Klasse genau wusste, da es nie einen Flieger gegeben hatte, der an Dinge wie Glück, Schicksal oder Maschinen, die sich nicht in den Griff bekommen ließen, glaubte. »Das ist wahr«, sagte Alikhan. »Mach dich auf den Wechsel in den Orbit gefasst, wenn du dich dem Satelliten näherst. Und vergiss nicht die Positionsbestimmung, damit du den Rückweg zum Ausgangspunkt findest.« Als hätte ich nicht schon genug um die Ohren! »Eine sehr entspannte Übung«, sagte Alikhan. »Nachdem wir zwei oder drei dieser einfachen Manöver durchgeführt haben, wirst du lernen, wie man schnell reagiert und ausweicht. Anfänglich werden wir diese Aktionen aus nahe liegenden Gründen nicht gegen einen anderen Piloten ausführen. Stattdessen wirst du die Asteroiden hinter G-Cumbre ansteuern. Für einen Anfänger bieten sie perfekte Angriffsziele.« Garvin, der sich tatsächlich ein wenig beruhigt hatte, spürte, wie er sich wieder anspannte, als wäre sein Cockpit
plötzlich zu eng geworden. »Boss«, sagte Prem Monique Lir zu Erik Penwyth, »auch wenn du nur stellvertretender Obermotz der Sektion II bist, würde ich dich gerne um einen Gefallen bitten.« »Einen großen oder einen kleinen, Monique?« Erik, der 266 ursprünglich für die Aufklärer rekrutiert worden war, hatte sich immer noch nicht an die Frau gewöhnt, die ihn ausgebildet und damals sein gesamtes Universum beherrscht hatte. »Eher einen großen.« »Dann solltest du lieber damit warten, bis Garvin und Njangu die Prüfung bestanden haben oder durchgefallen sind und die übliche Befehlskette wiederhergestellt ist.« »Ich habe schon mit den beiden geredet, und das, worum ich dich bitten möchte, war im Grunde fast so etwas wie ihre Idee. Auch wenn sich die anderen Unteroffiziere und ich einig sind.« Monique machte sich nicht die Mühe, Penwyth in allen Einzelheiten auseinanderzusetzen, dass Garvin und Njangu fast eine ganze Nacht gebraucht hatten, die sie eigentlich dringend für ihre Hausaufgaben und zum Schlafen benötigt hätten, um die traditionell denkenden Unteroffiziere der Aufklärer dazu zu bringen, über den Tellerrand namens Gegenwart hinauszublicken. »Wenn die beiden die Sache abgenickt haben und möchten, dass du sie durchziehst, könnte es problematisch werden«, sagte Erik. »Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, dass ich meinen Arsch in die Scheiße reite.« »Das wird nicht passieren, Boss. Der Alte wird dir wahrscheinlich einen Orden für besondere kreative Leistungen verleihen.« Lir fragte sich, wie sie auf diese raffinierte Überzeugungstaktik gekommen war. Vermutlich lag es daran, dass sie sich zu oft in Yoshitaros Nähe aufhielt. »Die Aufklärer haben jetzt wieder ihre Sollstärke erreicht«, fuhr sie fort. »Ich habe sogar fünf Leute außerhalb des Dienstplans versteckt. Und wir machen zurzeit nichts anderes, als Hügel rauf- und runterzurennen und uns zu 267 bemühen, nicht der Pinselbrigade für das Hauptquartier zugeteilt zu werden.« »Ich habe mir alle Mühe gegeben, sie euch vom Hals zu halten«, entschuldigte sich Penwyth. »Aber manchmal sind die Jungs schlauer als ich, und dann dürft ihr den Rasen der Verdammnis schnippeln.« »Mach dir deswegen keine Sorgen, Boss. Wir arbeiten sowieso gerade daran, die Aufklärer zu zweiköpfigen Kampfeinheiten umzustrukturieren. Und dann wollen wir lernen, wie man an Bord eines Schiffes kämpft.« »Es ist ausgeschlossen, dass Angara die Auflösung der Aufklärungstruppe genehmigt«, sagte Penwyth. »Und ich bin gelinde gesagt schockiert, dass ihr an so etwas überhaupt denkt.« »Nicht als etwas Dauerhaftes«, sagte Lir. »Nur als zusätzliches Training, in der Hoffnung, dass wir mit den Angriffskommandos losziehen dürfen. Aber je nachdem, wie sich der Krieg entwickelt, könnte die Legion bestimmt ein paar weitere Besatzungsmitglieder gebrauchen, die sich um die Raketen und Geschütze kümmern. Wer gelernt hat, wie man an Bord eines Schiffes kämpft, kann sich diese Fähigkeit in die Personalakte schreiben lassen.« Penwyth trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum und erkannte, dass er kein tadelloser Zinser mehr war, da er dringend eine Maniküre benötigte. »Interessant«, sagte er. »Und gar keine so schlechte Idee. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Armee größer werden wird - weil sie größer werden muss —, tja, und dann werden die Aufklärer mit Sonderqualifikation zur sofortigen Beförderung bereitstehen.« »Etwas mehr Geld kann nie schaden«, sagte Lir. »Es gibt da allerdings noch ein Problem, Monique«, erwiderte Erik. »Wenn die Sache zu hektisch wird, wendet 268 sich jeder, der einen Schützen sucht, an die Aufklärer, um seine Leute aus unserem Pool zu ersetzen. Auf diese Weise könntest du deine besten Soldaten verlieren.« »Keine Sorge«, sagte Monique mit einer Zuversicht, die sie selbst gar nicht empfand. »Ich werde es schaffen, die wirklich guten Leute zu behalten, während der Rest hinausziehen kann, um Ruhm und Ehre zu erringen.« »Ich werde mit dem Alten reden«, sagte Penwyth. »Und ich sehe keinen Grund, warum er den Aufklärern nicht erlauben sollte, als Rechtfertigung für die Vorräte, die ihr täglich verbraucht, hin und wieder anderweitige Verpflichtungen zu übernehmen. Also leg los, gib deine Befehle und stell die Zweiergruppen zusammen.« »Ist alles schon in Arbeit, Boss. Heute früh habe ich angefangen, Computertasten zu drücken.« »Hmm. Dein Optimismus ist bewundernswert, Prem Lir.« Redruth versuchte es mit einem weiteren Überraschungsangriff und schickte ein halbes Dutzend Zerstörer ins Cumbre-System. Er benutzte einen Navigationspunkt, der »unterhalb« der Ekliptik lag, um einen gezielten Schlag gegen D-Cumbre zu führen. Aber die Wachsysteme reagierten, und Patrouillenschiffe rasten der kleinen Flotte entgegen. Die Larixaner wurden weit entfernt von D-Cumbre erledigt. Allerdings wurden auch zwei cumbrianische Schiffe vernichtet und drei beschädigt. Der Krieg eskalierte. 269 19 Eine überraschend große Anzahl von Schülern schaffte die Flugschule - insgesamt siebenundvierzig. Wie versprochen hatte der Kader alles getan, um ihnen zu helfen. Auch die Sektion I - die Personalabteilung - hatte sich große Mühe gegeben, eckige Schrauben in eckige Muttern zu drehen.
Von den siebenundvierzig wurde nur eine Hand voll für die Spezialausbildung an den Aksai ausgewählt. Dazu waren die besten Qualifikationen nötig - und ein ziemlich fantasieloser Charakter, da Kampfschiffe in der Regel keine lukrativen Versicherungsobjekte waren. Weder Garvin noch Njangu schnitten gut genug ab, vor allem, da sie bereits wichtige Positionen innehatten. Zudem waren sie auch nicht gerade wild darauf, Aksai-Piloten zu werden, obwohl dieser Job unter den Fliegern äußerst prestigeträchtig war. Weitere Schüler wurden als Kopiloten für die Velv oder Zerstörer ausgewählt, wo sie sich bewähren konnten und im Erfolgsfall schnell befördert werden würden. Das untere Drittel der Klasse wurde entweder den Grier-sons oder den Zhukovs zugeteilt. Angara hatte entschieden, dass die Streitmacht das Risiko eingehen konnte, einen nicht so guten Piloten an die Kontrollen eines LKGs zu setzen, aber nicht an die eines Raumschiffs. Hochqualifizierte Fahrzeugkommandanten waren trotz ihrer energischen Proteste für den nächsten Fliegerkurs angemeldet worden, der in Kürze beginnen sollte. Angara hatte eine Ansprache gehalten, Dill hatte den Absolventen unbeholfen und mit Tränen in den Augen gratuliert, und Freunde oder Verwandte hatten ihnen die Flie270 gerabzeichen angesteckt. Danach standen die Männer und Frauen auf dem Exerzierplatz und fragten sich, was sie als Nächstes tun sollten. Jemand sagte, sie sollten eine neue Tradition begründen und ihre Käppis in die Luft werfen. Doch sofort wurde Einspruch gegen diese Idee erhoben, als jemand erwähnte, wie viel ein neues Käppi kostete. »Man könnte sich immer noch schlicht und ergreifend besaufen«, sagte Garvin. »In manchen Kreisen gilt das als sehr ehrenwerte Tradition.« »Damit könnte ich leben«, sagte Jasith, die einen Arm um ihn gelegt hatte. »Wenn ihr die nötige Energie aufbringt«, sagte Njangu, »könnt ihr ein Glas für mich mittrinken. Maev und ich werden zum Shelbourne rüberdüsen, wo sie mir dabei zusehen kann, wie ich vierundzwanzig Stunden am Stück schlafen werde. Die restlichen zwei Urlaubstage, die uns die Legion in ihrer Großzügigkeit gewährt hat, werden wir damit verbringen, die lauteste und härteste Bar in Leggett City zu finden, in der es eine gute Band gibt.« »Ach, komm schon«, sagte Maev. »Wir können doch auch was trinken, bevor du vor mir kneifst. So alt bist du noch gar nicht.« »Du hast Recht«, sagte Njangu. »Zumindest hoffe ich es. Garvin, schnapp dir doch einfach irgendeinen Unteroffizier, der alle in ihren Club einladen soll. Uns Elite-Ozzifieren ist es ja nicht gestattet, niedere Dienstränge in unseren Club einzuladen, weil die Normalsterblichen dann merken würden, wie langweilig wir als Gastgeber in Wirklichkeit sind.« »Wir sind in der Tat ein ziemlich lahmarschiger Haufen«, sagte Garvin. »He, Tweg Renolds! Kommen Sie doch mal kurz rüber! Wir würden uns Ihnen gerne in Erinnerung rufen!« 271 Es war keine rauschende Party. Die Auszubildenden waren immer noch völlig fertig vom Training, und die meisten schlichen bald gähnend davon, zu den Transportern nach Leggett City und weiter oder zu ihren Kasernen. Garvin bestellte eine letzte Runde für die restlichen Leute an seinem Tisch, verspürte den Ruf der Natur und begab sich zur Toilette. Als er Darod Montagna allein mit ihrem Bier an einem Tisch sitzen sah, blieb er stehen. »He, Darod«, sagte er und fragte sich gleichzeitig, warum er sich so unbehaglich fühlte. »Nochmals herzlichen Glückwunsch zur Beförderung.« »Danke, Boss«, sagte sie. »Schmollst du, oder bist du einfach nur schüchtern?« »Weder noch«, sagte Montagna. »Ich warte auf einen Freund. Wenn er kommt, dürfen wir uns gemeinsam dem himmlischen Vergnügen widmen, die Ausrüstung unserer Vierten Klasse zu überprüfen.« »Ein Unteroffizier hat niemals Feierabend«, sagte Garvin im salbungsvollsten Tonfall, zu dem er imstande war. »Äh... wir sehen uns später.« Er blieb an der Bar kurz stehen, legte eine Banknote auf den Tresen und sagte dem Barkeeper, dass er den Schein Montagnas Rechnung gutschreiben sollte, ging zur Toilette und kehrte anschließend an seinen Tisch zurück. »Wer ist das?«, fragte Jasith neugierig. »Sie war mit mir auf Kura.« »Warum hast du sie nicht aufgefordert, sich zu uns zu setzen?« »Keine Ahnung«, sagte Garvin. »Wir sind doch sowieso bei der letzten Runde. Ich habe gar nicht weiter darüber nachgedacht.« »Hmm«, machte Jasith. »Sie ist ziemlich hübsch, nicht wahr?« 272 »Habe ich noch gar nicht bemerkt.« »Es ist ihm nicht gestattet, so etwas zu bemerken«, erklärte Njangu. »Ein Soldat führt ein trauriges, unglückliches Leben. Wir dürfen niemanden begehren, der einen höheren oder niedrigeren Rang hat als wir selbst, und die Chancen stehen hoch, dass jeder mit dem gleichen Rang hässlicher ist als der Tod an einem Urlaubstag.«
»Aha«, sagte Jasith und warf Garvin einen seltsamen Blick zu. Mehr sagte sie nicht. Die zwei Aksai lösten sich von dem Velv und rasten den fünf Punkten auf dem Bildschirm mit Höchstbeschleunigung entgegen. Sie waren etwa drei Astronomische Einheiten von Larix entfernt. »Hier Eins«, sagte Alikhan. »Ich schlage vor, wir teilen uns auf und greifen zuerst die äußeren Schiffe an.« »Zwei«, sagte Dill. »Ein guter Plan. Bin schon unterwegs.« Sekunden später entfernten sich die beiden Schiffe voneinander und näherten sich den larixanischen Einheiten »unter« ihnen. Dill machte seine Raketen scharf, peilte mit dem Visier einen Punkt an und drückte den Abschusssensor. »Annäherung... Annäherung... elender Dreckskerl!« Ein Alarmsignal blökte in seinem Ohr, und ein roter Punkt erschien auf seinem Kanzeldach. Jemand hatte ihn ins Visier genommen. Er aktivierte die Abwehrsysteme, änderte den Kurs, und kurz darauf war der rote Punkt wieder da. »Dieser Drecksack ist kein harmloser Handelsvertreter«, murmelte er und schaltete seinen Kom ein. »Eins, der Feind ist ein wahrer Feind!« »Verstanden«, hörte er Alikhans Stimme. »Ich befinde 273 mich ebenfalls in der Zielerfassung eines feindlichen Schiffes und habe eine Abwehrrakete abgefeuert.« Daten wanderten über Dills Kanzel. »Es ist einer von ihren Zerstörern«, meldete er. »Und noch einer ist hinter mir her.« »Gequirlte Scheiße«, beklagte sich Dill und drückte die Startknöpfe. »Ich habe drei Zerstörer auf dem Schirm... die zwei armselige Handelsschiffe bewachen!« »Ich rate zu einem Doppelschlag mit selbsttätiger Zielerfassung, bevor wir die Flucht ergreifen.« »Einverstanden«, sagte Dill. »Wir sind in jeder Hinsicht in der Unterzahl.« Er feuerte zwei Goddards in die Richtung, wo sich die Larixaner befanden, setzte drei Shadow-AntiraketenRaketen ab, um seinen Rücken zu decken, und machte sich genauso schnell auf den Rückweg, wie er gekommen war. »Hier ist Zwei«, meldete er dem Velv. »Die Schweinebacken haben das Konvoi-System durchschaut. Wir müssen uns was Neues ausdenken.« Am nächsten Zusammenstoß waren vier Aksai in Begleitung eines einzelnen Velv und eine Gruppe von zehn Schiffen der Larixaner beteiligt. Es war ein Desaster. Sechs der zehn feindlichen Einheiten waren Zerstörer. Drei Aksai wurden vernichtet; der letzte humpelte zum Velv zurück, der nur mit knapper Not in den Hyperraum entkommen konnte, als die Zerstörer angriffen. Das larixanische Konvoi-System wurde immer effizienter. Im Kommandozentrum auf Chance Island hielten sich fünf Personen auf: Dr. Danfin Froude, Tak Ho Kang, Garvin, Njangu und Erik Penwyth. Alle bis auf Penwyth, der den 274 Eindruck machte, als würde er dösen, arbeiteten konzentriert an ihren Computern. Njangu murmelte vor sich hin, als er die Daten auf seinem Bildschirm überflog. »Verdammte Scheiße, aber das hier ist völlig veraltet! In manchen dieser Berichte geht es um Schlachten, die auf dem Wasser ausgetragen wurden!« »Hast du schon irgendwas Interessantes gefunden, das sich die Pfeil-und-Bogen-Krieger damals ausgedacht haben?«, sagte Penwyth träge. »Äh... noch nicht«, sagte Njangu. »Ich habe hier was«, sagte Garvin. »Ach nein... doch nicht.« »Garvin«, sagte Froude freundlich, »warum erzählen Sie uns nicht einfach, was Sie gefunden haben. Dann können wir gemeinsam entscheiden, ob etwas Brauchbares dabei ist.« »Gut. Aber das hier lässt sich einfach nicht umsetzen. Es geht darum, dass man einen Konvoi mit Schlachtschiffen auseinander nimmt - Schiffen wie diesen Kreuzern, die wir nicht haben und von denen wir hoffen, dass Redruth sie nicht bauen wird.« »Wie wäre es, wenn wir einen etwas anders gearteten Hammer benutzen«, sagte Ho Kang. »Wenn wir die Eskorte des Konvois durch große Übermacht ausschalten.« »Dafür fehlen uns die nötigen Kapazitäten«, sagte Froude. »Wir können es uns nicht leisten, in der Hoffnung, dass wir vielleicht irgendwann einmal auf einen Konvoi stoßen, an jeder Straßenecke ein Dutzend Zerstörer oder sogar ein paar Velv in Stellung zu bringen.« »Sie haben Recht«, sagte Kang. »Das war keine gute Idee.« »Warum hören Sie, Cent Penwyth, nicht mal damit auf, nur aristokratisch dreinzublicken, und fangen an, uns zu 275 helfen?«, fragte Garvin. »Angara braucht die Lösung für das Konvoi-Problem bis gestern. Und ich werde irgendwann gestern nach draußen gehen und dafür sorgen müssen, dass sich C-Cumbre und die Musth glücklich und sicher fühlen - ebenfalls auf Anweisung unseres furchtlosen Anführers.« »Ja, Sir, Mil Jaansma, Sir«, sagte Penwyth. »Ich hätte da sogar einen Vorschlag. Wenn Sie schon dabei sind,
unseren pelzigen Freunden das Fell zu kraulen, könnten Sie ihnen doch den Vorschlag machen, uns nur so zum Spaß eine bis sechs Kriegsflotten zur Verfügung zu stellen. Um die Schieflage ein wenig auszugleichen und ihnen Gelegenheit zu geben, ein paar Menschen abzuschlachten und so weiter und so fort.« »Das hat Alikhan schon einmal versucht«, sagte Froude. »Man hat ihm geantwortet, dass man über die Sache beraten würde. Ich habe den Verdacht, dass es den Musth große Freude bereitet zuzusehen, wie sich Menschen gegenseitig töten, sodass sie gar keinen Grund haben, ihre eigenen Körperflüssigkeiten zu vergießen. Wenn Redruth oder sein Admiral auch nur einen Funken strategischen Verstand hätten - was ich bezweifle -, würden sie versuchen, die Bergwerke auf C-Cumbre in die Luft zu jagen, und wenn dabei sehr viele Musth zu Tode kommen, könnten die Aliens auf die Idee kommen, den Kontakt zu uns abzubrechen.« Garvin reagierte mit einem theatralischen Erschaudern. »So etwas sollten Sie nicht einmal denken, Doktor! Erinnern Sie sich noch daran, dass die 'Rauhm genau das getan haben - und urplötzlich hatten wir einen neuen Krieg am Hals.« »Moment«, sagte Njangu. »Ich glaube, ich habe hier vielleicht eine Lösung. Ich überspiele euch die Daten.« 276 Im Raum wurde es sehr still, als alle über Njangus Entdeckung nachdachten. »Hmm«, machte Froude nachdenklich. »Natürlich. Das einzige Problem ist nur, dass wir die Schiffe modifizieren und die Mannschaften trainieren müssten, was einige Zeit beanspruchen dürfte.« »Falls niemandem etwas Besseres einfällt«, sagte Garvin, »werde ich damit zum Alten gehen und vorschlagen, dass wir es einfach probieren.« Angara gab sein Einverständnis und ordnete an, dass drei Kellys, die gerade im Bau waren, entsprechend modifiziert werden sollten. Die Hälfte ihrer Ausstattung sollte durch umfangreiche elektronische Anlagen ersetzt werden. Dann begann die Suche nach den Leuten, die die Geräte bedienen würden. »Was ziemlich einfach sein dürfte«, sagte Penwyth. »Wir brauchen nur jemanden, der in der Lage ist, mit vier scharfkantigen Gegenständen gleichzeitig zu jonglieren, während er sich unter den Messern duckt, die man nach ihm wirft.« »Weißt du was?«, sagte Maev Stiofan. »Ich bin volljährig, ich bin frei - was ich dir zu verdanken habe - und in einem Jahr darf ich wählen, denn dann werde ich die cumbrianische Staatsbürgerschaft erlangt haben, falls ich mich nicht dafür entscheiden sollte, die der Konföderation zu behalten. Aber ich habe nicht den leisesten Schimmer, was zum Henker ich als Nächstes tun möchte. Und ich habe noch ein kleines Problem«, fügte sie hinzu. »Ich bin pleite.« Sie lagen auf dem Strand hinter dem Shelbourne. Njangu hatte es geschafft, sich ein paar Stunden freizunehmen, weil Caud Angara ein Arbeitsessen im Hotel ab277 hielt und ihn nicht benötigte. Er sollte nur in der Nähe bleiben. Also hatten sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich in eine Umgebung geflüchtet, die nichts Militärisches an sich hatte. Njangu war dankbar, dass Maev das Thema angesprochen hatte. Es war in der Tat ein Problem. Er hatte genug angespart, um unter ihrem Namen ein kleines Apartment in Leggett City mieten zu können, aber selbst mit den Zulagen für Kampfeinsätze, Flugeinsätze und besondere Leistungen kam er am Ende einer Zahlperiode kaum hin. Vermutlich wäre es kein Problem, Garvin anzuzapfen, da er Zugang zu den Mellusin-Milliarden hatte, aber das wollte er nicht. Damit würde er sich von Jaansma abhängig machen... oder von Jasith. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Maev gegenwärtig von ihm abhängig war. Auf Larix Primus hatte er keine Zeit gefunden, darüber nachzudenken, was geschehen würde, wenn Maev und er mit heiler Haut davonkamen, da dieser Fall zu jenem Zeitpunkt ohnehin sehr unwahrscheinlich gewesen war. »Du könntest immer noch an die Schule zurückgehen«, schlug er vor. »Das könnte ich«, stimmte Maev ihm zu. »Sobald ich mich entschieden habe, welches Studienfach sich für mich lohnen würde.« Sie grub mit den Zehen im Sand. »Verdammte Falle!«, sagte sie. »Ich werde auf einer blöden Welt voller hydroponischer Plantagen geboren und langweile mich zu Tode, bis ich erwachsen bin. Also melde ich mich freiwillig. Ich werde entführt und lande in der Armee irgendeines Verrückten, wo ich fast fünf Jahre lang entweder vor Schiss fast sterbe oder stinksauer bin. Dann... bin ich plötzlich frei wie ein blöder Vogel. Zumindest haben Vögel eine vage Vorstellung von dem, was sie 278 als Nächstes tun werden. Wie es aussieht«, fügte sie missmutig hinzu, »bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich von der gottverdammten Legion rekrutieren zu lassen.« »Das könntest du tun«, sagte Njangu. »Bewirb dich für die Offizierslaufbahn, damit wir weiterhin vögeln können. Vorausgesetzt, dir liegt noch etwas daran.« »Warum sollte mir nichts mehr daran liegen?« »Keine Ahnung«, sagte Njangu unbehaglich. »Es ist nur so, dass du in dieser Hinsicht ja kaum eine andere Wahl hattest, als ich den Präfekten gespielt habe.«
»Njangu, wenn ich keine Lust gehabt hätte, bei dir zu bleiben«, sagte Maev, »hättest du nur noch eine Staubwolke gesehen, wenn du in meine Richtung geschaut hättest. Vielleicht«, setzte sie nachdenklich hinzu, »lautet die eigentliche Frage, ob du mich immer noch sehen willst, wenn du morgens aufwachst?« »Nun... ich...« Njangu verstummte. Dann kam die Erkenntnis. »Ja. Verdammt, ja! Ich will es!« »Gut«, sagte Maev und versuchte, ihre Erleichterung nicht zu offensichtlich werden zu lassen. »Damit hätten wir zumindest eine Unklarheit aus der Welt geschafft.« »Lass uns noch einmal darüber reden, ob du dich rekrutieren lassen willst«, sagte Njangu. »Es würde mir ganz und gar nicht gefallen, wenn dir etwas zustößt.« »Ach - und wenn ich Zivilistin bleibe, bin ich vor allen Gefahren geschützt, ja?«, gab Maev schnaufend zurück. »Redruth ist immer noch aktiv, und ich habe nicht den Eindruck, dass er sonderlich große Unterschiede zwischen Soldaten und Zivilisten macht. Vor allem nach diesem versuchten Nuklearschlag. Und lass uns nicht vergessen, dass ich mir genauso Sorgen um dich mache. Die Sache wird heißer, und ich möchte hier nicht untätig rumsitzen 279 und mich vor Gram zerfleischen, wenn du in den Kampf ziehst.« Njangu dachte nach. »Wenn wir dir einen netten sicheren Job außerhalb der Gefahrenzone - und nicht unter meinem Befehl - verschaffen könnten, wo du am Geschehen teilnehmen kannst... hmm.« »Einen sicheren Job?«, fragte Maev zurück. »Ich dachte, du hättest gesagt, es sei eine der Tugenden der Legion, dass dort jeder kämpft.« »Nun ja«, sagte Njangu. »Aber es gibt Abstufungen, was das Risiko des Erschossenwerdens betrifft.« Sie schnaufte. »Na gut. Dann will ich zusammenfassen. Worin bin ich gut? Im Herumkommandieren von Leuten. Außerdem kann ich Schuhe putzen, was bei der Armee zum Glück kein Problem ist. Ich kann schnell eine Waffe zusammenbauen. Bin ganz gut mit dem Messer. Und im Nahkampf. Kenne mich mit taktischen Einsätzen im Feld aus. Kann kleine Einheiten führen. - Mann, das wäre doch eine Idee! Ich könnte zu den Aufklärern gehen!« »Den Teufel wirst du tun!«, sagte Njangu wütend. »Das ist so ziemlich die idiotischste und beschissenste Idee, die...« Er verstummte, als er sah, dass Maev ihn auslachte. »Wir sollten vielleicht mal darüber nachdenken«, murmelte er. »Meinen Glückwunsch, Sir«, sagte Hedley. »Der Antrag flatterte wie ein Vogel durch das planetare Parlament und wurde bei der zweiten Abstimmung angenommen. Ich schwöre, dass weder Penwyth noch ich irgendwen ernsthaft erpresst haben. Eine Steuer von zwei Prozent als Notopfer - ein paar Ratsmitglieder haben laut über diese Be280 Zeichnung gelacht -, um die Verstärkung der Legion zu finanzieren. Einfach so durchgewinkt. Genauso wie Ihr zweiter Antrag. Das Wehrpflichtgesetz wird so schnell wie möglich ratifiziert, auch wenn wir weiterhin Freiwillige bevorzugen, und Sie haben jetzt die Verantwortung für zwanzigtausend verdammte Möchtegern-Soldaten. Zwei Brigaden statt nur einer. Ach ja... wie heißt eigentlich der Kommandant eines Regiments?« »Ich fasse es nicht«, sagte Caud Angara langsam. »Ich hätte nie gedacht, dass die Politiker die Sache absegnen würden, bevor Redruth persönlich den Planeten erobert und ihre nächsten Verwandten vergewaltigt und verstümmelt hat. Vielleicht sind diese Ärsche doch nicht so egozentrisch, wie ich gedacht habe.« »Sir«, sagte Hedley, »bitte werden Sie jetzt nicht sentimental! Sonst muss ich mir wirklich Sorgen um Sie machen. Diese Politiker haben einfach nur Schiss. In ein paar Wochen werden sie wie Turbinen heulen und sich fragen, mit welcher Hypnosetechnik wir sie reingelegt haben.« »Zwanzigtausend verdammte Soldaten«, wiederholte Angara. »Wenn ich jetzt irgendeine Möglichkeit finde, ihnen noch einmal die doppelte Anzahl aus den Rippen zu leiern...« »Genau das mag ich so an Ihnen, Sir«, sagte Hedley. »Sie geben sich nie mit einem simplen Ja als Antwort zufrieden. « »Unterlassen Sie diese Insubordination!«, sagte Angara. »Und sollten Sie nicht allmählich einen Kader für die Zweite Brigade zusammenstellen?« »Ganz einfach. Ich werde Caud, und ich hätte gerne Fitzgerald oder Rees an meiner Seite. Sie könnten Ken Fong zu Ihrem neuen Ersten Offizier machen. Ich würde allerdings Jaansma vorschlagen, da er schneller von Begriff als 281 Fong ist, sich aber noch etwas die Hörner abstoßen muss. Hier habe ich eine kleine Liste mit ein paar anderen Namen.« »Da haben Sie aber auf dem Weg hierher ziemlich schnell eine komplette Planung hingekriegt.« »Sir«, sagte Hedley. »Ich habe schon damals auf Centrum - als ich die Offizierslaufbahn eingeschlagen habe —, damit angefangen, meine eigene Brigade zusammenzustellen. « »Das hätte ich ahnen müssen. Nehmt euch in Acht vor den hageren Typen, denn sie haben diesen hungrigen Blick, oder wie auch immer der Spruch geht.«
»Nochmals herzlichen Glückwunsch, Sir«, sagte Hedley und wurde wieder ernst. »Es ist zumindest ein Anfang«, sagte Angara. »Garvin«, sagte Njangu, »ich muss dich mal was fragen.« »Schieß los«, sagte er. »Du bist doch nicht etwa schwanger, oder?« »Ha, selten so gelacht!«, sagte Njangu. Erst jetzt bemerkte Garvin die leicht besorgte Miene seines Freundes. »Tschuldigung. Ich bin ganz Ohr.« »Woran erkennt man, ob es Liebe ist?« »Auweia«, sagte Garvin. »Ein doppeltes Auweia, um genau zu sein.« »Ich meine, ich war Frauen gegenüber nie besonders schüchtern und so«, sagte Njangu. »Meine Gang hatte kein Keuschheitsgelübde abgelegt, und es gab immer mal wieder Mädchen, mit denen ich nicht nur gerne ins Bett gegangen bin. Und ich schätze, dass ich mich auch mit Jo Poynton recht gut verstanden habe. Aber es war kein Problem, als sich unsere Wege getrennt haben, beide Male, 282 außer dass ich mich eine Zeit lang vielleicht ein bisschen einsam gefühlt habe. Nicht dass ich Probleme mit der Einsamkeit hätte«, betonte er. Dann fügte er leiser und nachdenklicher hinzu: »Vielleicht habe ich mich mein ganzes verdammtes Leben lang einsam gefühlt und es gar nicht gewusst.« Garvin fühlte sich etwas unbehaglich. Ihre Freundschaft gründete sich fest darauf, dass sie niemals ernsthaft über die wirklich wichtigen Dinge sprachen. »Tut mir Leid«, sagte Njangu, als er Garvins Gesichtsausdruck sah. »Du glaubst also, dass du Maev liebst?« »Scheiße, ich habe keine Ahnung, was ich für sie empfinde!«, sagte Njangu. »Ich treffe mich gern mit ihr, bin gern mit ihr zusammen, und sie kommt immer auf gute Ideen. Aber Liebe? Mir ist klar geworden, dass ich gar nicht weiß, was Liebe ist. Deshalb dachte ich mir, dass ich dich danach frage.« »Natürlich bin ich der führende Experte auf diesem Gebiet«, sagte Garvin. »Und damit du nicht auf die Idee kommst, irgendetwas ernst zu nehmen, was ich sage, verrate ich dir, dass ich dir genau dieselbe Frage stellen wollte.« Njangu starrte Garvin an. »Auweia«, sagte er. »Genau dasselbe habe ich vor einigen Sekunden gesagt.« »Und was ist mit dir und Jasith los?« »Ich... habe keine Ahnung«, sagte Garvin. »Vielleicht gar nichts.« »Und warum wolltest du danach fragen?« »Ich weiß nicht... die ganze Sache mit mir und Jasith ist so verdammt seltsam abgelaufen. Ich sehe sie auf einer 283 Party und Wumm!- plötzlich gehen die Leuchtraketen los, und wir rennen ein bisschen planlos durch die Gegend und hüpfen bei jeder sich bietenden Gelegenheit miteinander ins Bett. Dann eskaliert die 'Rauhm-Krise, und ziemlich viele Menschen werden getötet, und danach will Jasith mich nicht mehr sehen. Ich hänge eine Weile wie ein geprügelter Giptel herum, dann heiratet sie Kouro, obwohl sie keine Ahnung hatte, warum sie das getan hat, wie sie heute sagt. Ich habe es genauso wenig verstanden. Die beiden sind also verheiratet, und ich torkele wieder durch die Gegend, fühle mich wie ein Stück Scheiße, und dann fallen die Musth mit Gebrüll über uns her. Jetzt erweist sich Kouro auf einmal als Oberarschloch, der es sich mit jedem verdirbt, weil er den Musth unter den Schwanz kriecht. Dann kommt Jasith zurück, wir treiben es wieder miteinander, dann ist der Krieg vorbei und Kouro nur noch Geschichte.« »Das war ein ziemlich knapp gefasster Lagebericht, Mil Jaansma«, sagte Njangu. »Und wo liegt jetzt das Problem? Kommst du nicht damit klar, das Spielzeug einer Frau zu sein, die möglicherweise die reichste - und zweifellos die hübscheste - Vertreterin der Zinser im ganzen verdammten System ist?« »Ich weiß nicht, wo das Problem liegt«, sagte Garvin. »Ist Jasith irgendwie unzufrieden mit der Situation?« »Nein«, sagte Garvin. »Was immer das Problem sein mag... wenn es überhaupt ein Problem gibt... dann liegt es bei mir.« »Na gut, dann versuchen wir es mit ganz einfachen Fragen«, sagte Njangu. »Hast du in letzter Zeit mit anderen Personen die Knochen wackeln lassen?« »Nein.« 284 »Denkst du manchmal daran, es zu tun?« »Ich weiß es nicht.« »Dürfte ich fragen, mit wem... nein, vergiss es. Das geht mich nichts an, und es hat auch nichts mit der eigentlichen Frage zu tun. Bleiben wir also bei Jasith. Da ich praktisch null Ahnung von Liebe habe, wie wir festgestellt haben, möchte ich die Frage stellen: Was stimmt nicht? Haben sich die Schmetterlinge im Bauch zur Ruhe gesetzt?«
»Ich glaube ja.« »Was meinst du damit? Oder um es etwas vulgärer zu formulieren: Rammelt ihr immer noch wie die Kaninchen?« »Aber ja.« »Also gut«, sagte Njangu entschieden. »Damit können wir die Angelegenheit als geklärt betrachten. Du wirst immer noch hart, und sie wird immer noch weich, also gibt es an der Stelle kein Problem. Und was alles andere betrifft, würde ich sagen, wenn irgendwer von uns an irgendeinen Gott glauben würde, dass ihr mit dem Pfarrer reden solltet... Dabei fällt mir übrigens ein, dass die Legion diese Stelle nie neu besetzt hat, seit der alte Kaplan den Krieg nicht überlebt hat... Aber darum geht es jetzt nicht. Ihr beide liebt euch immer noch, ihr erlebt nur einen vorübergehenden Moment des Selbstzweifels. Was sich kein Mil leisten kann, wenn er in erster Reihe steht und ein strahlendes Vorbild für seine Leute sein soll. Stimmt's oder habe ich Recht?« Garvin wagte ein vorsichtiges Lächeln, das sich kurz darauf zu einem vollständigen Grinsen entwickelte. »Du hast Recht. Tut mir Leid. Vielleicht bin ich nur übermüdet. Oder es liegt am Wetter.« »Wahrscheinlich«, stimmte Njangu ihm zu. Doch als Gar285 vin zu seinem Kartentisch zurückging, beobachtete Yoshitaro ihn sehr genau und mit einem leicht besorgten Gesichtsausdruck. Ho Kang, vier weitere Offiziere und zwei Dutzend Auszubildende starrten am Schiff hoch. Es schien sich um einen nagelneuen Zerstörer der Kelly-Klasse zu handeln, aber es war fünfzig Meter länger und trug die Bezeichnung Aktionskoordinator der Kane-Klasse. Kang fragte sich, was sie hier eigentlich machte, nachdem sie doch einen netten sicheren Posten als Kopfarbeiterin gefunden hatte. Aber sie hatte festgestellt, dass sie doch mehr Soldatin war, als sie gedacht hatte, und es nicht ertragen konnte, dass sich ihre Freunde in der Legion ohne sie in Gefahr begaben. Außerdem hatte sie einen gesunden Hang zur Blutrünstigkeit, sodass sie sich freiwillig für diese neue Abteilung gemeldet hatte. Die Aufgabe, für die sie ausgebildet werden sollte, war fast genauso altehrwürdig wie das Konvoi-System, das die Larixaner übernommen hatten. Sie sollte Organisation mit Organisation bekämpfen. Das System, das im Ganz Dunklen Zeitalter als Wolfsrudeltaktik bezeichnet worden war, hatte damals sehr gut funktioniert, vor allem, wenn der Kommandant einer Angriffsstaffel in der Lage war, sich ein Stück vom Schlachtfeld zu entfernen, um den Angriff zu koordinieren, aber nicht zu weit, sodass er noch schnell genug auf jede Änderung im taktischen Verhalten des Feindes reagieren konnte. Kang hatte die Tests bestanden, die die Ärzte der Legion in aller Eile entwickelt hatten. Sie hatte sogar sehr gut abgeschnitten, was sie nicht sonderlich überrascht hatte, da sie sich bereits als Pilotin qualifiziert hatte, sehr gut in instinktiver Zielerfassung war und eine Vorliebe für Wahr286 scheinlichkeitsanalysen hatte. So war sie plötzlich wieder in der Schule gelandet. Es war nicht einfach. Ho hatte gar nicht gewusst, wie viel Rost ihre höhere Mathematik angesetzt hatte, wie hoch der Anteil von Erfahrung und Instinkt bei ihren Wahrscheinlichkeitsanalysen war und wie selten sie tatsächlich Neumann-Haller-Gleichungen anwendete. Ganz zu schweigen von den anderen Fachgebieten, die sie lernen musste, zum Beispiel logistische Fragen, wie viel Munition die Schiffe geladen hatten, die sie koordinieren würde, wann die Besatzungen Urlaub hatten und welche Versorgungskapazitäten die verschiedenen Stützpunkte der Legion hatten. Und erst recht zu schweigen von strategischen Gesichtspunkten, wenn sie entscheiden musste, was Redruth und Konsorten bei ihrer nächsten Aktion im Schilde führen mochten. Sehr hilfreich waren ihre bisherigen Erfahrungen als Kämpferin. Sie war in guter körperlicher Verfassung, und wenn die Auszubildenden stundenlang mit Unterrichtsfragen gequält wurden, gehörte sie zu den wenigen, die immer noch in der Lage waren, eine Lösung auszuarbeiten. Ein ausgemergelt wirkender Techniker, der sich durch einen hängenden Schnurrbart auszeichnete, von dem er hoffte, dass er ihm ein etwas militärischeres Aussehen verlieh, stand vor der Klasse. »So etwas passiert in den Abenteuerholos nie«, sagte der Mann, der den irgendwie passenden, fantasielosen Namen Spelvin trug. »Ein Krieger hat stets sein Schwert oder seinen Helm zur Hand, um sich rüsten und sofort losschlagen zu können. Der Kane dagegen hätte schon vor zwei Wochen fertig sein sollen. Doch eine der Lieferfirmen hat beschlossen, die Gehälter zu kürzen, und nun streiken 287 die Elektroniker. Die Regierung hat bereits eingegriffen, aber es dürfte noch eine Woche oder so dauern, bis dieses Problem behoben ist. Wir haben Sie hierher gebracht, damit Sie zu der beruhigenden Gewissheit gelangen, dass Ihre Ausbildung nicht umsonst ist, dass es tatsächlich mindestens ein Raumfahrzeug gibt, das zum Aktionskoordinator umgebaut wird und in dem Sie eine Heimat finden werden. Wir sind uns nur noch nicht sicher, wann es so weit sein wird.« Prem Monique Lir und Tweg Darod Montagna saßen in der Offiziersmesse des Handelsschiffs Brns und vertrieben sich die langweilige Wache mit Geplauder. Vor ihnen standen Becher, in denen sich eine trübe Flüssigkeit befand, die die fantasievolle Bezeichnung Kaff trug. Sie spürten das allgegenwärtige Summen des sekundären Antriebs bis in die Knochen. Die Brns befand sich auf einem schnellen Flug von D-Cumbre zur Forschungs- und Wachstation auf K-Cumbre und wurde von einem
kleinen Patrouillenschiff begleitet. Die zwei Soldatinnen aus der Aufklärungskompanie waren an Bord des Transporters, weil Caud Angara verfügt hatte, dass alle Schiffe, die sich außerhalb der Umlaufbahn von GCumbre bewegten, nicht nur von einer Eskorte begleitet, sondern auch bewaffnet werden sollten. In aller Eile waren Geschützkuppeln aus Hartkunststoff gefertigt und auf die Hüllen der Handelsraumschiffe montiert worden. Sie enthielten zwei Goddards zur Abwehr von Schiffen und zwei Shadow-AntiraketenRaketen. Irgendwo an Bord wurde eine Kontrollstation eingerichtet -nach Möglichkeit an einer Stelle, wo sie der Besatzung nicht allzu sehr im Wege war -, und vier Soldaten der Legion taten dort als Schützen Dienst. Sie waren ganz offi288 ziell dem Kommandanten des Schiffes unterstellt, es sei denn, klar definierte Bedingungen traten ein, worauf sie allgemeinen Befehlen folgen würden, die von der Streitmacht ausgegeben worden waren. Zwei der Soldaten in der Brns waren dem Frachter dauerhaft zugeteilt worden - ein Veteran, der allmählich etwas zu alt geworden war, um Hügel rauf- und runterzurennen, und ein frisch eingezogener Rekrut. Die anderen beiden, Lir und Montagna, waren Springer, die abwechselnd normalen Dienst taten oder Flüge wie diesen mitmachten. An Bord trugen die Aufklärer weder Rangabzeichen noch Uniformen, sondern zivile Kleidung oder Raumfahreroveralls. Mit anderen Worten: Sie versuchten sich, so gut es ging, in die zivile Umgebung einzufügen. Andere cumbrianische Schiffe waren ebenfalls mit Waffensystemen und Schützen ausgestattet worden. Zuerst hatte es einige Schwierigkeiten gegeben. Die Soldaten waren neidisch auf die wesentlich höhere Bezahlung der zivilen Besatzung und ihre bessere Unterbringung in Kriegszeiten, während die Zivilisten nur Verachtung für die Soldaten übrig hatten, weil sie nicht mehr als bewaffnete Befehlsempfänger waren. Drei Dinge beendeten den potenziellen Konflikt - erstens Caud Angaras Anweisung, dass die Schützen genauso hart wie jedes andere Besatzungsmitglied arbeiten und jede ihnen vom Schiffskommandanten zugewiesene Aufgabe übernehmen sollten, ganz gleich, ob sie etwas mit ihren Raketen zu tun hatte oder nicht; zweitens die allmählich ins Bewusstsein der Raumfahrer sickernde Erkenntnis, dass diese vier Männer und Frauen ihre einzige Überlebenschance darstellen würden, falls larixanische Überfallkommandos ins Cumbre-System eindringen sollten; und drittens die Bereitschaft, sich mit Angaras still289 schweigender Erlaubnis an jeder Bordschlägerei beteiligen zu dürfen, die alle Mitglieder der Legion mitbrachten. Anfangs hatten viele Soldaten geflucht, dass sie keine Minute Schlaf finden konnten und das Summen des Triebwerks sie zu lallenden Idioten gemacht haben würde, wenn das Schiff sein Ziel erreichte. Doch nach zwei Tagen im Weltraum ignorierten sie den Lärm genauso wie alle anderen Besatzungsmitglieder. »Und ich habe gedacht, wenn wir auf diesen Transportern Wache schieben, würde das Leben etwas interessanter werden, als wenn wir nur in der Kaserne rumhängen und Blaster polieren«, sagte Montagna seufzend. »Vorsicht, junge Tweg«, warnte Lir. »Jeder Krieg, an dem ich bisher teilgenommen habe, hat ganz langsam angefangen. Alle haben sich beklagt, dass nichts passiert und sie bestimmt niemals dazu kommen, auch nur eine Kugel abzufeuern. Ein Jahr später sind dieselben Leute mit leerem Blick und schwer traumatisiert in der Gegend rumgewankt und haben sich gefragt, wie sie jemals so blöd sein konnten, sich freiwillig in das Geballer und Gebrüll - in die ganze Scheiße eben - zu stürzen. Also pass auf, was du sagst, Darod.« »Hmm«, machte Montagna. »Und ich verrate dir noch etwas über den Krieg«, fuhr Lir fort. »Wie's aussieht hat man die besten Erinnerungen immer an den Anfang. Wenn die Sache erst mal ernst geworden ist, verschwimmt alles zu einem irgendwie dumpfen, blutigen Durcheinander. Und die Leute, die ganz zu Anfang eines Krieges sterben, bleiben einem immer in bester Erinnerung. Wenn du also möchtest, dass eine Kaserne oder ein Landefeld nach dir benannt wird, wäre jetzt der beste Zeitpunkt für einen Heldentod.« »Ich werde darüber nachdenken«, sagte Montagna. »Und 290 ich hätte eine Frage. An wie vielen Kriegen hast du schon teilgenommen? « Wenn sie unter sich waren, gingen die Soldaten der Aufklärungstruppe selbst im Kampf sehr zwanglos miteinander um, aber niemals in Gegenwart Außenstehender. Im Wachdienst verhielten sie sich besonders förmlich und versuchten außerdem, einen tadellosen Eindruck zu machen, sogar in den meistens ziemlich schmutzigen Räumen und Korridoren eines Handelsschiffs. Gleichzeitig machte unter ihnen die Parole »Jeder kann dreckig genug sein, um Raumfahrer zu werden« die Runde. Monique dachte nach. »Die 'Rauhm... dann die Musth... dann diese Sache... und davor zwei kleine Gefechte, bevor die Streitmacht nach Cumbre verlegt wurde. Das war damals, als wir noch Schnelle Lanze hießen, zuerst unter Caud Melk und dann unter Caud Williams, der beim Aufstand der 'Rauhm getötet wurde. Und auf Cumbre habe ich in den Hügeln ein paar Mal Jagd auf Banditen gemacht, was mir jedoch nie ein Kampfabzeichen eingebracht hat.« Sie hielt inne und rechnete nach. »Ich schätze, das ist mehr als genug.« Darod verzichtete wohlweislich auf die Bemerkung, dass Lir offensichtlich etwas älter war, als sie aussah. Dann fiel ihr eine neue Frage ein. »Wie war es damals, als es noch die Konföderation gab?« »So ziemlich genauso wie jetzt, um ehrlich zu sein. Unabhängige Armeen wie unsere wurden ständig in die Pampa verlegt. Ich hatte nie die Chance, mit einer vollständigen Streitmacht der Konföderation zu operieren, und
einen richtigen Krieg habe ich auch noch nie erlebt.« Dieser Punkt schien Lir zu enttäuschen. »Aber natürlich hat es auch Unterschiede gegeben. Die Versorgung war besser, es ging vor allem viel schneller. Aber wenn ich zurück291 denke, als wir auf - wie hieß der Planet noch gleich? — Qwet VII waren, gegen Ende, kurz bevor wir nach Cumbre verfrachtet wurden, also da sah die Versorgungslage schon nicht mehr so gut aus. Und es hat wesentlich länger gedauert, bis man befördert wurde, da es ständig Prüfungen gegeben hat, und wenn man seinen vorläufigen Rang verliehen bekam, musste die Beförderung noch einmal vom Armeehauptquartier auf Centrum bestätigt werden.« »Was glaubst du, was mit der Konföderation geschehen ist?«, fragte Montagna. »Woher soll ich das wissen?«, antwortete Lir. »Höchstwahrscheinlich wurden die Leute weich und träge, haben anderen das Denken und Kämpfen überlassen. Aber ich schätze, dasselbe hat jeder Soldat über jedes Imperium gesagt, schon damals auf Rom oder wie das hieß, was vor ziemlich langer Zeit war.« »Also gut, alte Soldatin«, sagte Montagna. »Was kommt als Nächstes?« »Für wen?« »Für uns.« »Als Erstes werden wir diese Larixaner zusammenstauchen und ihnen beibringen, dass sie sich gefälligst nicht mit Respektspersonen anlegen sollten. Dann kommt der Wiederaufbau - und anschließend gehen wir höchstwahrscheinlich auf die Suche nach dem nächsten Schweinehund. « »Und wer wäre das?« »Woher soll ich das wissen?«, wiederholte Lir. »Ich bin kein Politiker und kein Bürokrat. Ich gehe, wohin man mich schickt, bringe Leute um und mache Sachen kaputt, bis man mir sagt, dass ich damit aufhören soll.« »Hast du jemals daran gedacht, etwas anderes zu machen, als Soldatin zu sein?« 292 Lir schwieg eine Weile. »Als Kind wollte ich mal Jocker oder so was werden... das ist eine Art Berufssportler.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber ich war nicht auf den richtigen Schulen, meine Eltern hatten nicht das Geld für eine Spezialausbildung, und die Mannschaften, in denen ich gespielt habe, waren nicht besonders gut. Teams mit nur einem Star gewinnen meistens keine Wettbewerbe und fallen auch sonst nicht auf, weil sich alle gegenseitig unterstützen müssen, um zu gewinnen. Ich war wirklich noch sehr jung, und da war das Beste, was ich tun konnte, an eine Oper zu gehen.« »Was ist das?« »Man führt Geschichten live auf einer Bühne auf, statt im Holo. Und alle singen, statt zu sprechen. Ich bin keine besonders gute Sängerin, aber ich konnte ganz ordentlich tanzen. Und ich war Akrobatin. Was bedeutete, dass ich die Kampfsequenzen machen durfte. Es hat da ein paar ältere Tänzer gegeben, die eine ganze Menge über Kampfsportarten wussten, und ich habe die Zeit zwischen den Engagements zum Lernen genutzt. Wir waren gut genug, um eine Tournee durch mehrere Sonnensysteme zu machen. Dann gerieten wir mitten in einen Krieg, bei dem jegliche staatliche Ordnung zusammenbrach. Die beste Möglichkeit, am Leben zu bleiben, war, zu lernen, wie man mit einem Blaster umgeht. Das habe ich getan und... verdammt, es war genau meine Sache. Als der Krieg vorbei war, wollte ich nicht wieder auf die Straße gehen und mir Sorgen um meine nächste Mahlzeit und eine Bleibe machen müssen. Also hab ich mich von der Konföderation rekrutieren lassen. Eine ganz einfache Geschichte. Wie bist du zum Militär gekommen?« »Ich stamme aus der Nähe von Launceston«, sagte Montagna. »Meine Alten hatten ein bisschen Geld, also konnte 293 ich jede Sportart machen, zu der ich Lust hatte. Ich bin hauptsächlich geschwommen. Ich dachte, ich hätte alles richtig gut geplant, doch dann passierte die Sache mit den 'Rauhm. Mit den Geschäften meines Vaters war es vorbei, und uns ging es längst nicht mehr so gut wie früher. Und dann gab es ein großes Turnier. Eigentlich sagt man so etwas ja nicht, weil man den Eindruck machen könnte, ein miserabler Verlierer zu sein, aber bei dem Turnier wurde gemauschelt, und jemand anderer - zwei andere - haben die Medaillen eingesackt und sind weitergekommen. Außerdem war da noch ein Junge, und das lief überhaupt nicht - und urplötzlich wollte ich ganz, ganz dringend woanders sein.« »In der Armee«, sagte Lir. »Ja«, stimmte Montagna zu. »Warum auch nicht?« »Bei uns landen viele Leute mit ähnlichen Geschichten«, sagte Monique. »Hast du vor, bei der Truppe zu bleiben?« Montagna schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.« Sie stand auf. »Noch 'nen Kaff?« Darod füllte beide Becher nach. Während sie an der Maschine stand, fragte sie in betont beiläufigem Tonfall, ohne sich umzudrehen: »Dürfte ich dir eine Frage stellen, die mich nichts angeht? Nichts Persönliches.« »Fragen darfst du immer«, sagte Lir. »Es geht um Mil Jaansma. Ist er verheiratet?« »Nein. Noch nicht.«
»Wer ist diese Frau, mit der er ständig zusammen ist? Sie ist sehr reich, nicht wahr?« Monique beschrieb Jasith in groben Zügen. »Was hältst du von ihr?« Darod kehrte an den Tisch zurück und setzte sich. 294 »Das ist wirklich nur meine ganz private Meinung«, sagte Monique. »Und ich kenne die Dame zu wenig, um mir sicher sein zu können. Aber ich kann nicht allzu viel mit ihr anfangen.« »Warum nicht?« »Erstens hat sie Mil Jaansma nach dem 'Rauhm-Aufstand fallen gelassen, anscheinend ohne Angabe von Gründen. Und als die Lage wieder ernster wurde, zuerst mit den Musth und dann mit ihrem Ehemann, der zum Verräter wurde - und das ist er, auch wenn er sich beim Kriegsverbrecherprozess von aller Schuld freikaufen konnte -, tja also, jedenfalls hat sie sich da plötzlich wieder Garvin an den Hals geworfen. Ich bin kein großer Fan von Leuten, die nicht zu ihren Entscheidungen stehen. Also frage ich mich, ob sie immer noch da sein wird, wenn die nächsten Schwierigkeiten auftauchen. Andererseits gehöre ich zu den Leuten, die sich nicht sicher sind, ob sich ein Soldat überhaupt irgendwie binden sollte. Mehr als Freunde braucht man nicht, und wenn es juckt, geht man zu jemandem, mit dem man sich kratzen kann und den man nicht zwangsläufig wieder sehen muss. Dann muss man sich auch keine Gedanken machen, was für ein Mensch dieser Jemand wirklich ist.« »Ein ziemlich einsames Leben«, sagte Darod Montagna. Lir zuckte mit den Schultern. »Findest du? Man kommt ganz allein in diese Welt, und man verlässt sie ganz allein wieder.« Sie musterte Darod. »Jaansma sieht ganz gut aus, und er ist einigermaßen intelligent, aber wenn du mich fragst, hat er nur einmal etwas wirklich Intelligentes getan - als er beschlossen hat, dem Boss das Denken zu überlassen.« Darod erschauerte. »Cent Yoshitaro ist ein guter Offizier. Aber er ist kalt. Er schaut einen mit diesen harten Augen 295 an, und man kommt sich vor, als wäre man nichts weiter als eine Zahl in einer Gleichung.« »Ach ja?«, sagte Lir mit einer Spur von Verachtung in der Stimme. »Wenn du Menschlichkeit und Rücksichtnahme willst, kannst du Garvin haben. Nein, das ist nicht ganz richtig formuliert. Du kannst ihn nicht haben. Zumindest nicht jetzt. Und du könntest dich irgendwann wie ein Stobor in einer Tretmühle fühlen, wenn du versuchst, etwas daran zu ändern und ihn näher kennen zu lernen. Ich habe da eine Regel, mit der ich sowohl beim Militär als auch im Leben da draußen verdammt gut gefahren bin: Strebe nicht nach Dingen, die dir nicht zustehen. Wenn du es doch tust...« Plötzlich heulte der Alarm, und eine künstliche Stimme ertönte: »Alle Mann auf ihre Stationen! Alarmstufe Rot! Soldaten, bitten besetzen Sie unverzüglich Ihre Waffenstationen!« Die beiden Frauen schnappten sich ihre Westen, die sie stets zur Hand hatten, liefen einen Korridor entlang und stiegen über eine Leiter zur Brücke hinauf. Der Kommandant erwartete sie bereits. »Wir haben eine Meldung von der Systemkontrolle, dass unidentifizierte Schiffe entdeckt wurden.« »Wo?« »Zum Glück für uns sind sie im inneren Bereich des Systems aufgetaucht. Sie wurden von einer Station auf einem der Monde von F-Cumbre gemeldet, und es gab einen Notruf von einem Transporter, der von E-Cumbre gestartet war. Ich vermute, dass ihr Ziel D-Cumbre ist, obwohl die Sonne genau zwischen ihnen und D steht. Die nächste besiedelte Welt ist C-Cumbre. Solange die Situation sich nicht ändert, habe ich vor, unseren gegenwärtigen Kurs auf K-Cumbre beizubehalten. Wenn die Schiffe 296 von Larix stammen und sie den Kurs ändern, kehren wir um und verstecken uns zwischen den Asteroiden.« »Verstanden, Sir«, sagte Lir. »Unsere Station wird bis auf weiteres ständig besetzt und feuerbereit sein.« »Lässt sich ein Krieg nicht auf angenehmere Weise führen?«, fragte Jasith Mellusin. »Wahrscheinlich schon«, räumte Garvin ein. »Aber ich habe diese fixe Idee, dass ich eigentlich auf einer harten Pritsche liegen sollte - und nicht da, wo ich gerade bin.« »Wo steht eigentlich geschrieben, dass Soldaten unter erbärmlichsten Bedingungen leben müssen?« »Keine Ahnung«, sagte Jaansma. »Aber irgendwie muss es wohl so sein. Nicht umsonst heißt es immer, dass wir ein dreckiger Haufen sind.« »Pfui!«, sagte Jasith. Sie räkelte sich auf einem Bett, das nur eine Spur zu klein war, um darauf mit einem Aksai zu landen. Es befand sich in ihrer Privatkabine an Bord ihrer Jacht, der Godrevy. Wenn nicht die leichten Vibrationen gewesen wären, die durch den Teppich drangen, sowie die zwei Bildschirme, die ihre Position innerhalb des Systems und in Bezug auf den Konvoi anzeigten, hätte man meinen können, sie würden sich in einer Luxussuite auf einem Planeten aufhalten. Falls Garvin fand, dass die Kabine etwas zu überbordend ausgestattet war - so gab es zum Beispiel neben der Eingangstür einen Wasserfall mit Antigravkontrolle - und Babyblau als vorherrschende Farbe nicht ganz seinem Geschmack entsprach, so machte er keine diesbezügliche Bemerkung. Schließlich war es Jasiths Jacht. »Warum willst du unbedingt in einen dieser Velv umsteigen?«, fuhr sie fort. »Das ist doch gar nicht deine Aufgabe. Es gibt halbwegs gut ausgebildete Piloten und an-
297 satzweise ausgebildete Leute auf den Kopilotensitzen, die gerade lernen, wie man im All herumdüst, oder?« »Richtig.« »Und du bist der erhabene Chef der Aufklärungseinheit, der von Caud Angara persönlich geschickt wurde, um dafür zu sorgen, dass die Musth sich rundum wohl fühlen, ja?« »Auch richtig«, gab Garvin widerstrebend zu. »Also solltest du jetzt an einer netten Wohlfühlrede arbeiten. Oder dafür sorgen, dass ich mich rundum wohl fühle, da mir immerhin die Mellusin-Bergwerke gehören und ich viel wichtiger bin als ein Haufen ein bisschen zu groß geratener Pelzträger.« »Das habe ich gerade getan.« »Dann arbeite an deiner Rede. Aber zieh dir zuerst was an.« Sie schwang sich geschmeidig aus dem Bett, ging an ihren Schreibtisch und zog sich einen Morgenmantel an. »Ich habe nichts davon gesagt, dass du dich anziehen musst«, sagte Garvin. »Halt die Klappe und konzentrier dich.« Die Godrevy war eins von sechs Schiffen, die sich auf dem Weg von D-Cumbre zur Bergbauwelt C-Cumbre befanden. Zwei neue Velv flogen dem Konvoi voraus, dann folgte ein Handelsschiff mit Bergbauausrüstung, dann die Godrevy, ein zweites Schiff mit Ausrüstung und ein dritter Velv als Nachhut. Plötzlich ertönte der Alarm; der Konvoi hatte Meldung erhalten, dass feindliche Schiffe ins System eingedrungen waren. Garvin teilte der Brücke mit, dass er auf dem Weg war, und zog seine Stiefel und seinen Overall an. »Und was soll ich jetzt tun?«, fragte Jasith. 298 »Nichts. Nein". Zieh deine feuerfesten Sachen an — nur zur Sicherheit. Diese Schiffe, die wahrscheinlich von Larix kommen, sind möglicherweise nur ein paar Lichtsekunden von uns entfernt. Ach ja, wenn du alles miterleben willst, solltest du jetzt mit auf die Brücke kommen. Wahrscheinlich wird der Kommandant das Schiff versiegeln. Außerdem gibt es bessere Stellen als das Bett, um sich anzuschnallen, falls wir durchgeschüttelt werden sollten.« »Durchgeschüttelt?« Jasith ließ die Augenbrauen anzüglich nach oben wandern, doch dann ging sie zu einem Wandschrank und trat hinein. Sie kam mit einem Paket wieder heraus, öffnete es und legte einen Overall an, der dem von Garvin glich, während dieser durch die Luke nach draußen eilte. Alle drei Wachoffiziere hatten sich auf der kleinen Brücke der Godrevy versammelt. Zwei machten einen sehr besorgten Eindruck, doch der Kommandant, Lar Porcen, ein rauer, aber herzlicher Kerl, der sich auf dem Deck eines Schiffs auf dem Meer genauso wohl gefühlt hätte, wirkte verhältnismäßig ruhig. »Mil Jaansma«, sagte er. »Sie sind Soldat, und Sie haben die Durchsage gehört. Irgendwelche Vorschläge?« Garvin hatte schon mehrere Male versucht, Porcen dazu zu bringen, ihn mit dem Vornamen anzusprechen, hatte damit jedoch genauso wenig Erfolg gehabt wie bei dem Personal von Jasiths Haushalt. »Da es eigentlich sehr unwahrscheinlich ist, dass irgendwas passieren wird«, sagte Garvin, »glaube ich...« In diesem Moment tauchten zwei Punkte und Zahlenkolonnen auf dem Bildschirm auf- zwei Schiffe waren aus dem Hyperraum gefallen. »Unbekannte Schiffe nähern sich dem Konvoi, vermut299 lieh feindlich. Ortungsdaten werden übertragen. Alle Schiffe für eventuelle Maßnahmen bereithalten.« Jasith kam leicht aufgeregt auf die Brücke. »Was ist passiert?« »Ich glaube«, sagte Garvin, »ich bin ein miserabler Prophet. Wahrscheinlich wird man doch auf uns schießen.« Porcen aktivierte ein Mikro. »Maschinenraum, für Ausweichmanöver bereithalten. Und Sie sollten da unten lieber die Anzüge schließen.« Er schaltete ab. »Das gilt auch für jeden hier oben.« In einer nahe gelegenen Notluftschleuse hingen leichte Raumanzüge. Die beiden Offiziere halfen sich gegenseitig beim Anlegen, und Jasith, die mehr Weltraumerfahrung als Garvin hatte, ging ihm zur Hand. Dann schlüpfte sie selbst in einen Anzug, der eine Nummer zu groß für ihre zierliche Figur war. Garvin schnallte Jasith auf einem Beschleunigungssitz fest, bevor er Porcen über die Schulter blickte und die Daten auf dem Bildschirm ablas. »Larixaner«, stellte er fest. »Das sind ihre neuen Zerstörer. Die Lan-Klasse, wie wir sie nennen.« Die Larixaner hielten genau auf die Mitte des Konvois zu. Befehle drangen aus dem Kom, und die drei Schiffe der Eskorte gingen auf Abfangkurs. Am Bug des führenden Velv blitzte es auf - die simulierte Darstellung eines Raketenstarts. »Ein Schuss über ziemlich große Distanz«, sagte Garvin und demonstrierte damit, was er vor kurzem gelernt hatte. An den zwei larixanischen Schiffen erschienen Lichtpunkte, und dann gab es einen weiteren Blitz im leeren Raum. »Abwehrraketen... die unsere getroffen haben«, sagte
300 Garvin, dem gar nicht bewusst war, dass er seine Gedanken laut aussprach. »Jetzt greifen sie den Konvoi an.« »Ihre Befehle, Sir?« Porcens normalerweise ruhige Stimme war zu einem angestrengten Krächzen geworden. Garvin blinzelte, dann schlüpfte er mühelos in eine vertraute Rolle. »Da wir unbewaffnet sind«, sagte er, »sollten wir auf die Befehle des Kommandanten der Eskorte warten.« Dort, wo sich der erste Velv mit dem Kommandanten an Bord befand, erschien plötzlich ein Blitz, und das Schiff existierte nicht mehr. »Dreckskerl!«, murmelte Garvin. »Captain, ich glaube, wir sollten darüber nachdenken, von hier zu verschwinden.« Eine ruhige Stimme gab über den Kom die gleiche Empfehlung: »An alle Schiffe, hier spricht Holburt Zwei. Entfernen Sie sich auf unabhängigem Kurs vom Schauplatz. Wir kümmern uns um den Feind.« Das war der zweite Velv. Obwohl sie den zwei larixanischen Zerstörern unterlegen waren, blieben die cumbrianischen Kampfschiffe auf Abfangkurs. Alle vier Schiffe feuerten Raketen ab. Alarmsirenen jaulten durch die Jacht. »Kollisionsgefahr«, rief ein Offizier, während sich die Schotte schlössen. »Eine Rakete hat uns im Visier.« »Captain, gehen Sie in den N-Raum«, sagte Garvin. »Auf welchem Kurs, Sir?« »Irgendeiner, irgendwohin«, sagte Garvin, wobei er sich bemühte, ruhig und beherrscht zu klingen. »Ein blinder Sprung.« Ein Offizier stand vor den Hypersprungkontrollen. »Aktiviert, Sir. Wir springen in vier, drei...« Plötzlich explodierte eines der Versorgungsschiffe auf 301 dem Bildschirm, und wenige Sekunden später ging ein Velv auf einen wilden Trudelkurs, den kein Mensch hätte programmieren können. Es gab eine Explosion, und die Jacht geriet ins Torkeln. In der nächsten Sekunde wurde alles schwarz, und Garvin drehte es den Magen um, als die künstliche Schwerkraft ausfiel. Die Godrevy sprang für einen winzigen Moment in den N-Raum und kehrte gleich darauf in den Normalraum zurück. »Wir sind getroffen!«, rief jemand. Garvin schwebte irgendwo zwischen dem Boden und der Decke. Sein Visier schloss sich, und er erkannte, dass zumindest das Brückendeck ein Leck hatte. Die Kontrollen für den sekundären Antrieb waren verwaist. Er sah Porcen, der über einem Beschleunigungssitz hing, den Hals in einem unmöglichen Winkel verdreht. Falls er noch am Leben war, würde er es nicht mehr lange sein, und jetzt hatte niemand Zeit, sich um ihn zu kümmern. Garvin ließ sich auf dem Sitz vor der Hauptkonsole nieder und dankte wem auch immer, dass er recht viel Zeit auf der Brücke verbracht hatte und ihm die Kontrollen nicht völlig unvertraut waren. »Der Hyperantrieb dürfte nicht mehr funktionieren«, sprach eine tonlose Stimme in sein Ohr. Garvin sah einen Offizier an den entsprechenden Kontrollen, während der andere auf den Bildschirm starrte. Der Hyperraumsprung war nur kurz gewesen. Die noch immer tobende Schlacht war nicht allzu weit von der Mitte des Bildschirms entfernt, die der Position der Godrevy entsprach. Am zweiten Versorgungsschiff blitzte es zweimal auf, dann war auch dort nur noch leerer Weltraum. Ein larixanisches Schiff steckte mehrere Treffer ein. 302 »Wir haben eins erwischt!«, jubelte der Offizier an den Kontrollen des Hyperantriebs. Doch dann verschwand ein weiterer Velv. »Jetzt werden sie auch das letzte Schiff der Eskorte vernichten, und dann greifen sie uns an«, stöhnte der Erste Offizier. »Seien Sie still!«, fuhr Garvin ihn an. »Wie sieht es im Maschinenraum aus?« »Entschuldigung, Sir.« Der Offizier riss sich zusammen und drückte einen Sensor. »Maschinenraum«, war eine recht mitgenommene Stimme zu hören. »Wie ist Ihr Status?« »Der verdammte Sternenantrieb ist hin... aber der sekundäre Antrieb dürfte in bester Verfassung sein.« »Sie haben da unten kein Leck?« »Nein«, kam es aus dem Maschinenraum. »Gut«, sagte der Offizier. »Wir müssen hier oben Vakuum atmen.« »Lassen Sie das Geplauder«, sagte Garvin. »Gehen Sie auf einen schönen, irregulären Kurs, Hauptsache weg von hier, in die allgemeine Richtung von C-Cumbre.« »Und zwar schnell«, fügte Jasith hinzu, die noch immer auf ihrem Beschleunigungssitz saß. »Ja, Miss Mellusin«, sagte der Mann. Garvin sah auf den Bildschirm und stellte überrascht fest, dass nur noch ein Punkt vorhanden war. Er wurde als der letzte überlebende Velv identifiziert. »Küsst mein Geld scheißendes Arschloch!«, sagte er. »Die Larixaner haben beschlossen, uns in Ruhe zu lassen.
Oder hat irgendwer sie aus dem All gepustet?« »Ich würde erst jubeln«, hörte er Jasiths Stimme im Ohr, »wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen haben. 303 Ich bin nicht mehr so begeistert von Raumschiffen, wie ich es früher einmal war.« Doch sie machte einen völlig gelassenen Eindruck. Darod Montagna gähnte herzhaft und bemühte sich um einen klaren Blick, während sie auf den Bildschirm starrte. Die Ansicht wechselte von Systemdarstellung auf Naherfassung. Sie näherten sich K-Cumbre und waren vielleicht noch zwei oder drei Schiffstage entfernt. Lir hatte angeordnet, dass drei Leute Dienst taten und einer frei hatte, was bedeutete, dass ihnen nicht viel Zeit für Schlaf blieb, nachdem sie für ihre körperlichen Bedürfnisse gesorgt hatten. Montagna hatte noch zwei Schichten vor sich, und sie glaubte nicht, dass sie es schaffen würde. Für einen kurzen Moment tauchte etwas auf dem Bildschirm auf und verschwand wieder. Instinktiv löste sie Alarm aus, dann erschien das Objekt erneut. Verdammt, es hängt mir praktisch vor der Nase! Sie löste den Identifikationssensor aus, der zweimal blinkte und dann UNBEKANNTES SCHIFF meldete. Sie verfluchte das Janes des Frachters, das alles andere als auf dem neuesten Stand war, und entschied, dass das unbekannte Schiff larixanischer Herkunft sein musste. Eins von denen, die sie bei den inneren Planeten geortet hatten. Aber was zum Henker hatte es vor? Wieder hörte das Schiff auf zu existieren und kehrte zurück, bis Montagna erkannte, dass es aus irgendeinem Grund ständig zwischen Hyper- und Normalraum hin und her wechselte. Plötzlich war die Brücke hinter ihr voller Menschen. Die Komverbindung zum Patröuillenschiff war aktiv. 304 »Wir haben Kontakt... Schiff eindeutig als larixanisch identifiziert... Lan-Klasse.« Zumindest waren die Datenbanken der Kriegsschiffe auf dem neuesten Stand. Wieder kam eine Nachricht über den Kom. »Brns, nehmen Sie mit Vollschub Kurs auf Ihr Ziel.« Eine Pause. »Ich beziehe hinter Ihrem Heck Position.« Montagna vermutete, dass es nicht besonders logisch war, zu erwarten, dass das Patrouillenschiff, das etwa ein Viertel der Größe des Larixaners hatte, etwas so Dummes wie einen Angriff plante, auch wenn der Kommandant des Schiffes möglicherweise entsprechende Anweisungen hatte. »Wir sollten einfach springen«, sagte jemand hinter ihr. Dann war Lir an ihrer Seite und musterte den Bildschirm. »Dieser erbärmliche Drecksack in seinem Spucknapf«, sagte sie. »Er wird an uns vorbeiziehen, uns abhängen, und dann hat der Scheißlarixaner uns beide im Visier.« »Wie wär's«, sagte Montagna, »wenn wir ihm eine God-dard rüberschicken?« »Dazu ist der verdammte Kasten viel zu weit entfernt. Was soll der Blödsinn? Warum springt er ständig hin und her?« »Vielleicht hat irgendwer ihn irgendwie getroffen«, spekulierte Montagna. »Ja«, sagte Lir. »Ja, natürlich. Ich bin noch nicht ganz wach. Er wurde getroffen und versucht, nach Hause zu humpeln. Er springt so weit und so schnell er kann.« »Wenn wir jetzt eine Goddard abfeuern«, kam Montagna noch einmal auf ihren Vorschlag zurück, »und dazu noch... sagen wir eine Shadow, könnten die beiden auf der Lauer liegen, bis die Goddard feststellt, dass das Schiff in Reichweite ist...« 305 »Ich bin nicht nur verschlafen«, sagte Lir angewidert, »ich scheine schon halb hirntot zu sein. Klar, Darod. Schick sie los. Und wenn dieser verdammte Zerstörer einen großen Satz macht und unser System verlässt, ist das auch in Ordnung.« Die Rakete wurde mit Minimalschub gestartet. Wie vorhergesagt zog das Patrouillenschiff schnell an der Brns vorbei und machte keine Anstalten, den Schub umzukehren. »Wenn uns dieser beschissene Larixaner nicht fertig macht«, sagte Lir, »lasse ich die gesamte Besatzung des Flitzers an den Eiern aufhängen, die sie nicht haben.« Ein Licht blinkte auf Montagnas Konsole. »Der Larixaner ist in Reichweite«, meldete sie. »Antrieb bereit... Ziel erfasst... Vollschub...« Der andere Soldat an den Kontrollen nickte. »Shadow auf Kurs gegangen...« Die zwei Raketen rasten auf den Larixaner zu. »Jetzt spring mir bloß nicht aus dem Visier, Baby«, flüsterte Montagna. »Komm schon, komm schon...« Das larixanische Schiff verschwand in einem hellen Lichtblitz. »Treffer!«, rief Montagna. »Ich habe das Schwein erwischt!« »Und wie«, sagte Lir. »Meinen Glückwunsch und so weiter. Jetzt noch vier Abschüsse, und du bist ein Ass.« » Aber was mache ich j etzt mit der Shadow da draußen? «, fragte der andere Soldat. »Sie ist zu weit weg, um sie zurückzuholen, und diese Dinger sind verdammt teuer.«
»Ich unterschreibe das Abschreibungsformular«, knurrte Lir. »Sprengt das Ding! Und wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, gibst du eine Runde aus, weil du so ein Geizkragen bist.« 306 Montagna hörte nicht mehr zu, sondern lächelte zufrieden den Bildschirm an, auf dem jetzt nichts mehr von einem larixanischen Schiff zu sehen war. Das, dachte sie, war viel besser als sie alle nacheinander mit einem Blaster abzuknallen. Die Godrevy trudelte dem Landefeld entgegen, unterstützt von den Anweisungen eines Fluglotsen. » Godrevy... das macht ihr prima... die Nase etwas hochziehen... ihr seid etwas zu langsam, könntet ihr... gut, aber auch nicht zu viel Tempo...« »Wie ich schon gesagt habe, reagiert das Triebwerk etwas träge«, verkündete der Pilot. »Schon gut, alles im grünen Bereich«, beruhigte ihn der Lotse. »Jetzt die Kufen ausfahren, falls ihr noch alle drei zur Verfügung habt... ja, ich sehe sie, alles scheint in Ordnung zu sein... so, jetzt habt ihr den Zaun überflogen, und vor euch liegt ein schönes weites Nichts, auf dem ihr aufsetzen könnt... hier gibt es nichts Wertvolles, das ihr rammen könntet... Nase hoch, Nase hoch... das Notfallteam ist schon unterwegs... jetzt könnt ihr irgendwo aufsetzen ... wo immer ihr wollt...« Die Godrevy schlug mit der Bugkufe auf, die dabei zertrümmert wurde, sprang zurück in die Luft, und krachte dann auf den Boden. Sie schlitterte weiter, drehte sich und hätte sich fast überschlagen. Das Kreischen von Metall, das über Beton schrammte, war sogar im fernen Tower deutlich zu hören. Staub wurde aufgewirbelt, und die Gleiter der Feuerwehr und der Ambulanz rasten auf das Raumschiff zu. Die Godrevy drehte sich noch zweimal, schaukelte eine Weile hin und her und kann dann allmählich zur Ruhe. 307 Eine Luftschleuse öffnete sich, und Menschen in Raumanzügen sprangen heraus, entfernten sich wankend vom Schiff und blieben schließlich stehen. Einer ging in die Knie und küsste den Beton des Landefeldes. »Ich habe nicht geglaubt, dass sie es schaffen«, sagte der Lotse, der vergessen hatte, dass die Komverbindung immer noch offen war. »Wir auch nicht«, antwortete ihm Garvins erschöpfte Stimme. »Wir auch nicht.« 20 N-Raum Es war ein großer larixanischer Konvoi: zwanzig Handelsschiffe, die von zehn Patrouillenschiffen und acht Zerstörern eskortiert wurden. Sie hatten den ersten Sprung von Kura nach Larix hinter sich und befanden sich wieder im Normalraum, als die Cumbrianer angriffen. Hoch »über« dem Konvoi kamen zwei Velv aus dem Hyperraum, dann zwei der Kane-Aktionskoordinatoren, gefolgt von fünf weiteren Velv und einem halben Dutzend Kellys. Fünf Larixaner lösten sich von dem Konvoi und gingen auf Abfangkurs. Sie rechneten mit dem üblichen frontalen Angriff. Ho Kang, die sich an Bord des ersten Kane - der al Maouna - befand, erteilte ihre Befehle über einen verschlüsselten Kanal. »Vann Vier, Vann Fünf, hier ist Vann-Kontrolle Eins. N-Raum, eins Komma fünf Sekunden, R fünf sieben acht 308 sechs Schrägstrich N drei fünf drei drei, auf Kommando Sprung und sofortiger Angriff... jetzt!« Die zwei vorderen Velv kehrten in den Hyperraum zurück und sprangen zwischen die fünf Zerstörer und den larixanischen Konvoi. »Vann Eins... Zerstörer anvisieren... Vann Zwei... versuchen Sie die Nachhut des Konvois zu erwischen.« Von den Velv lösten sich jeweils drei Aksai. Nana-Patrouillenschiffe entfernten sich vom Konvoi, um die zweite Angriffswelle abzufangen, während das Heck eines larixanischen Zerstörers von einer Rakete getroffen wurde und explodierte. »Vann Sechs und Sieben«, sagte Tweg Jenks Farrel vom zweiten Kane. »Hier ist Vann-Kontrolle Zwei. Angriff N-Raum null Komma neun, R fünf sieben acht null Schrägstrich N drei fünf drei zwei, frontale Attacke gegen die Handelsschiffe. Los!« Zwei Kellys verschwanden, tauchten direkt vor dem Konvoi wieder auf und feuerten ihre Raketen ab. Der Kommandant des Konvois schrie Befehle, aber sein Kom war von Interferenzen gestört. Auch die Meldungen des Kommandanten der Eskorte waren unverständlich. Im ausgebauten Mittelteil jedes Kane, das aus einer einzigen großen Zelle bestand, herrschte hektische Betriebsamkeit, während Techniker Meldung machten, Simulationsdaten abriefen und Informationen in die Computer des Schiffs eingaben. Kangs Platz war ein beweglicher Sitz über dem Geschehen, von wo aus sie den Hauptbildschirm, der die gegenwärtigen Schiffspositionen zeigte, und den sekundären Monitor mit den projizierten Kursdaten im Blick hatte. Sie zwang sich, das Treiben unter ihr zu ignorieren, und schwenkte nur dann zu einer be309 stimmten Station, wenn sie sich einer Sache nicht ganz sicher war. Wenn ein cumbrianisches Schiff einen Larixaner angriff, wurde ihm schon Sekunden später - ohne abzuwarten, ob es einen Treffer erzielt hatte - ein neues Ziel mitgeteilt, das häufig auf der anderen »Seite« des Konvois lag. Dann wurden ihm präzise Navigationsdaten übermittelt, die in der Regel mit einem kurzen Sprung durch den
Hyperraum verbunden waren. Die Larixaner lieferten ihnen einen harten Kampf, aber sie waren verwirrt und wussten nicht, wie sie den Konvoi schützen sollten, wenn die Angreifer mitten zwischen ihnen auftauchten, Handelsschiffe abschössen und wieder verschwanden. Der dunkle Weltraum wurde zu einem Gewebe aus Licht, als würden zahllose Sterne geboren, wenn Raketen ins Ziel trafen oder sich am Ende ihrer Flugbahn automatisch selbst vernichteten. Nach einer halben E-Stunde waren die Schiffe der larixanischen Eskorte entweder zerstört oder schwer beschädigt. »An alle Vann-Elemente«, ordnete Ho an. »Hier spricht Vann-Kontrolle Eins. In Kampfformation um die Koordinationsschiffe sammeln.« Die Velv und die Zerstörer gehorchten, und die acht überlebenden larixanischen Händler durften sich einen Moment der Hoffnung erlauben. »An alle Vann-Elemente«, sendete Kang. »Ziele nach eigenem Ermessen anvisieren... und angreifen!« Erneut blühten winzige Sonnen auf, als sich die Angreifer auf die Handelsflotte stürzten. Schließlich war nichts mehr übrig, worauf sie hätten schießen können. »An alle Vann-Elemente«, befahl Ho. »Sammeln und zum Rückflug zur Basis bereitmachen.« 310 Der larixanische Konvoi war mitsamt seiner Eskorte vollständig ausgelöscht worden. Verluste der Cumbrianer: zwei Aksai und ein Velv vernichtet, ein Kelly beschädigt. Cumbre / D-Cumbre »Maev Stiofan, legen Sie Ihre Hände auf die Fahne«, befahl Caud Angara. Maev berührte die Standarte der Legion. »Wiederholen Sie, was ich sage, und fügen Sie Ihren Namen ein. Ich, Caud Grig Angara, schwöre bei allem, was mir heilig ist, ob bei Gott oder den Göttern oder meiner eigenen Ehre, dass ich den rechtmäßigen Befehlen gehorchen werde, die meine Vorgesetzten mir erteilen. Weiterhin schwöre ich, dass ich die Konföderation und die ihr angehörenden Lebensformen verteidigen werde, bis zum Tod oder bis ich aus diesem Eid entlassen werde. Ebenso schwöre ich, mich so zu verhalten, wie es einem Offizier der Konföderation angemessen ist. Ich werde keine Befehle erteilen, die den Gesetzen und Prinzipien der Konföderation und den Geboten der Menschlichkeit widersprechen.« Maev wiederholte die Formel und stellte überrascht fest, dass ihre Stimme ein wenig heiser klang. »Hiermit erhebe ich Sie, Maev Stiofan, in den Rang eines Aspiranten der Bewaffneten Streitkräfte der Konföderation.« Stiofan trug genau wie Angara, Yoshitaro, Jaansma und Hedley die dunkelblaue Galauniform der Legion. Angara überreichte ihr ein Lederetui, in dem sich die Embleme 311 der Armee, ihr Rangabzeichen in Form einer silbernen Krone und ein sehr tödliches Kampfmesser befanden. Stiofan salutierte, und Angara erwiderte den Gruß. »Wenn wir noch eine Militärkapelle hätten«, fügte er nicht ganz so förmlich hinzu, »würde sie jetzt spielen. Und eigentlich sollte diese Zeremonie auf dem Paradeplatz vor den Augen der gesamten Legion stattfinden. Aber wir leben in unruhigen Zeiten. Vielleicht holen wir es später nach...« »Vielen Dank, Sir«, sagte Maev. Angara musterte sie aufmerksam, dann nickte er. »Sie sind entlassen.« Er und Hedley vollführten eine Kehrtwendung und verließen das Besprechungszimmer. »Sie dürfen die Aspirantin jetzt küssen«, sagte Jaansma. Njangu führte den Befehl aus. Nach etwa einer Minute ging Maev wieder ein wenig auf Abstand. »Ich verletze doch hoffentlich keine Etikette oder Vorschrift, wenn ich mit diesem Offizier knutsche! Ich meine, niemand hat mir gesagt, was ich tun werde, wo mein Platz innerhalb des Dienstplans ist, und ich bin mir nicht einmal sicher...« »Du hast dich bislang völlig korrekt verhalten«, sagte Njangu grinsend. »Und ich werde dir jetzt sagen, welche Aufgabe du übernehmen wirst. Von nun an gehörst du zu Caud Angaras persönlichen Leibwächtern.« »Bei Allahs Krallen!«, sagte Maev erstaunt. »Kein Wunder, dass er mich so komisch angesehen hat. Immerhin habe ich der Garde des Protektors angehört. Woher weiß er, dass ich nicht irgendeine Tiefenkonditionierung erhalten habe und ihm bei der ersten sich bietenden Gelegenheit an die Gurgel gehen werde?« 312 »Er weiß es«, sagte Garvin. »Was glaubst du, was am letzten Zweittag passiert ist?« Maev dachte nach, blinzelte verwirrt und erkannte, dass in ihrem Gedächtnis ein Tag fehlte. »Du warst kälter als ein schockgefrosteter Fisch«, erklärte Garvin. »Sämtliche Sicherheitsexperten der Sektion II haben in deiner Seele wie in einem offenen Buch gelesen, um sich zu vergewissern, dass du wirklich die bist, die du zu sein behauptest.«
»Oh«, sagte Stiofan leise. »Ich weiß nicht so recht, ob mir das gefällt.« »Mir hat es auch nicht gefallen«, sagte Njangu. »Zum Beispiel, als... ach nein, vergiss es.« »Auf jeden Fall wirst du es kein zweites Mal erleben«, sagte Garvin. »Außerdem haben die Techniker alles gelöscht, was sie gefunden haben. Nachdem sie es gründlich analysiert hatten.« »Hast du es dir angesehen?«, wollte Maev von Njangu wissen. »Nur die schmutzigen Sachen.« »Ich hoffe für dich, dass du gerade gelogen hast?«, sagte sie ganz leicht verärgert. »Denn sonst riskierst du, dass es für dich keine schmutzigen Sachen mehr geben wird. Nie mehr.« Njangu sah Garvin an. »Verstehst du jetzt, warum ich sie liebe?« Maev reagierte sehr überrascht, genauso wie Garvin. Er war der Einzige, der das winzige Zögern bemerkt hatte, bevor Yoshitaro das Wort »liebe« über die Lippen gekommen war. Die Wolfsrudel zogen immer wieder los und fielen über die Konvois von Kura her. Doch die Beute wurde geringer, 313 als die Konvois sich im Orbit des Planeten sammelten und dann zu neuen, unbekannten Navigationspunkten sprangen. Manchmal - allerdings nicht sehr oft - konnten die Rudel ihnen folgen und sie angreifen. Und wieder wurden die Larixaner aus Schaden klug. Jetzt stellte sich die Frage, welche Seite zuerst eine neue Taktik entwickeln würde. »Das Problem, Doktor«, sagte Ho Kang ernst, »sind nicht die Wolfsrudel. Das System scheint sehr gut und mit jeder Mission sogar besser zu funktionieren. Es geht darum, die Konvois zu finden, nachdem sie den ersten Sprung gemacht haben. Wir können sie nach dem Start nicht mit einem zu großen Raumschiff verfolgen. Wenn sie uns entdecken, würden sie sofort nach Kura zurückkehren. Und wenn wir ein kleineres Schiff einsetzen, zum Beispiel einen Aksai, wird es recht häufig in einen Hinterhalt gelockt. « »Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, sagte Danfin Froude selbstgefällig. »Und zwar Phase Zwei der WolfsrudelKonvoi-Situation. Damit lässt sich dieses Problem lösen, dessen ich mir bereits seit einiger Zeit bewusst bin. Aus diesem Grund hatte ich Sie um dieses Gespräch gebeten.« Er ließ die Tür aufgleiten. Im ansonsten leeren Konferenzraum waren zwei identische, etwa zwei Meter durchmessende Sphären auf Sockeln aufgebaut worden. »Nennen wir die eine... äh... Unz und die andere Zwunz«, sagte er. »So hießen übrigens die zwei Stofftiere, die ich als Kind hatte. Wobei ich zugeben muss, dass es keine besonders fantasievollen Namen sind. Sowohl Unz als auch Zwunz verfügen über ein kleines Hypertriebwerk. Im Prinzip sind sie ziemlich leistungsfähige automatische 314 Tracker. Sie können im Normal- und im Hyperraum eingesetzt werden. Anfänglich werden wir uns höchstwahrscheinlich auf Einsätze im Normalraum beschränken. Wenn ein unbekannter - das heißt, ein kuranischer - Konvoi registriert wird, aktivieren sich die Triebwerke der beiden Roboter. Wenn die Kuraner in den Hyperraum eintreten, folgt Unz ihnen. Nach einer Weile tut Zwunz dasselbe. Die erste Sphäre verlässt den Hyperraum zusammen mit dem Konvoi und sendet der zweiten ein Signal. Auf diese Weise ermitteln wir den zweiten Navigationspunkt der Kuraner. Wenn wir Glück haben, benutzen sie nicht mehr als zwei oder drei, denn die Energie der beiden Kugeln reicht nur aus, dieses kleine Manöver zweimal durchzuführen. Und wenn die Kuraner so richtig schlau sind und mehrere Sprünge machen, dürfte es nicht allzu schwierig sein, ein weiteres Pärchen dieser... nennen wir sie einfach Spionsphären... im Normalraum am zweiten Navigationspunkt in Position zu bringen. Dann werden diese beiden ihnen zum dritten folgen und so weiter. Natürlich lassen sie sich darauf programmieren, einander und an die Basis Daten zu übermitteln.« »Eine raffinierte Idee«, sagte Ho Kang. »Das habe ich mir auch gedacht«, sagte Froude. »Die Produktion ist angelaufen, und in den nächsten Wochen müssten die ersten Exemplare einsatzfähig sein. Und wir sind dabei, noch mehr Gemeinheiten auszuhecken.« »Also hätten wir einen guten Grund zum Feiern«, sagte Ho. »Zumindest im Moment.« »Äh...« Der Wissenschaftler schien plötzlich etwas nervös zu werden. »Ja, den hätten wir. Äh... wären Sie vielleicht daran interessiert, unsere raffinierte Planung mit mir bei einem Abendessen zu feiern?« 315 Kang nahm ihre altmodische Brille ab, sah Froude überrascht an und lächelte dann. »Nun... ja. Ich glaube, das wäre ich.« Kura / Nahe Kura Drei Der Konvoi bestand nur aus fünf Handelsschiffen, die von drei Zerstörern begleitet wurden. Das Wolfsrudel hatte im Normalraum gewartet, der Koordinationsoffizier hatte die Lage studiert und erkannt, dass die Larixaner für jeden dritten Konvoi die alten Navigationspunkte benutzten. Das Rudel bestand aus einem Kane, vier Velv und zwei Kellys. »Charner Eins, Zwei, Sechs, gehen Sie auf null Komma drei, Y zwei drei vier acht neun acht. Charner Drei, Vier, Fünf, bleiben Sie im Normalraum und greifen Sie die Innenflanke an.« Die Schiffe starteten die Attacke, und die Koordinatorin beobachtete, wie zuerst der eine und dann ein zweiter larixanischer Zerstörer vernichtet wurden. Sie wollte bereits den Befehl geben, sich auf die Handelsschiffe zu
stürzen, als ein Techniker unter ihr einen Notsensor drückte und die Koordinatorin einen neuen Punkt auf dem Bildschirm aufleuchten sah. Sie schaltete sich in die Technikerfrequenz ein. »Unbekanntes Schiff, keine weiteren Angaben im Janes, ist vor drei Komma neun neun Sekunden in den Normalraum eingetreten«, meldete der Techniker. »Ich übermittle die geschätzte Geschwindigkeit und die Maße. Zwei Eskortschiffe begleiten die unbekannte Einheit.« 316 Die Koordinatorin riss die Augen auf, als sie sah, wie groß das Schiff war, das sich dem Schauplatz des Kampfes näherte. Es war gewaltig, doppelt so groß wie jedes andere larixanische Schiff, das im Janes verzeichnet war. Es hatte fast die Ausmaße der alten Schlachtschiffe der Konföderation, von denen sie gelesen hatte. »Das unbekannte Schiff hat fünf Raketen abgefeuert«, sagte ein Ortungsoffizier. »Alle haben uns als Ziel erfasst. Fünf Störsonden wurden gestartet, aber ohne Wirkung. Leiten Abwehrmaßnahmen ein.« Die Abwehrraketen des Kane visierten die sich nähernden Raketen an und vernichteten vier. Die fünfte explodierte in nächster Nähe, woraufhin die Beleuchtung im Planungsraum flackerte und erlosch. Unmittelbar darauf sprangen die Notsysteme an. »An alle Charner-Einheiten«, sagte die Koordinatorin und erkannte im nächsten Moment, dass die Schlacht verloren war. Dann überlagerte ein Puls alle Frequenzen, und sie verlor den Kontakt zu ihren Schiffen. Durch die Elektronische Abwehr wurden jedoch die anderen cumbrianischen Angreifer alarmiert, die sich daraufhin von den Larixanern lösten und in den Hyperraum flohen, während ringsum Raketen explodierten, die das große Schiff abgefeuert hatte. Die zwei Kellys und ein Velv blieben trotz anders lautender Befehle im Normalraum und gingen zum Gegenangriff über. Ihr erster Schlag wurde abgewehrt, doch die leichteren Schiffe attackierten den riesigen Larixaner ein zweites Mal. Eine Rakete detonierte ziemlich nah bei der technischen Monstrosität, worauf es mitsamt seiner Eskorte urplötzlich verschwand. »Dieser verdammte Drecksack«, schimpfte der Komman317 dant eines Kelly in den Kom, als ihm bewusst wurde, dass er noch am Leben war. »Er ist uns entwischt.« »Muss ein Fehler gewesen sein, Charner Fünf«, sagte der Kommandant des Velv. »Seiner, nicht unserer. Könnten Sie mir jetzt mit diesen Frachtern und dem zweiten Zerstörer helfen? Er ist schon schwer angeschlagen.« »Ich gebe Ihnen Rückendeckung, Zwei. Ich schätze, wir haben es überstanden.« Die drei cumbrianischen Schiffe stürzten sich auf die restlichen Larixaner. Mit dem ersten der kilometerlangen Schlachtkreuzer der Naarohn-Klasse war Redruths Traum Wirklichkeit geworden. Aber niemand in der Legion verstand, warum sich der Kreuzer zurückgezogen hatte, obwohl der Sieg zum Greifen nahe gewesen war. Cumbre / D-Cumbre »Vielen Dank für das Abendessen«, sagte Ho Kang. Sie und Danfin Froude saßen vor ihrem Quartier, einem kleinen Apartment, das zu einem Offizierswohnblock gehörte. »Mir war es auf jeden Fall ein großes Vergnügen«, sagte Froude. »Es war nett, sich einmal nicht nur über wissenschaftliche Themen zu unterhalten, was normalerweise geschieht, wenn ich mit Kollegen zu Abend esse. Ein alter Witwer wie ich verliert sehr leicht seine gesellschaftlichen Umgangsformen.« »Sie hätten ruhig mehr erzählen können«, sagte Ho. »Das ist um Längen besser als das übliche Kasernengequatsche. Mir ist soeben bewusst geworden, dass ich keinen einzigen 318 obszönen Ausdruck benutzt habe, seit wir uns getroffen haben.« »Ja...«, sagte Danfin Froude und blickte sich verlegen um. »Es ist eine sehr schöne Nacht, nicht wahr?« »Ja.« »Wenn ich nicht dreimal so alt wäre wie Sie«, sagte er wehmütig, »würde ich Sie gerne küssen.« »Sie sind nur zwei Komma sieben vier Mal so alt wie ich«, stellte Ho richtig. »Und ich hätte absolut nichts dagegen.« Sie steckte ihre Brille in eine Tasche ihrer Uniform und beugte sich vor. Nach seiner Weile legte sie die Arme um ihn, und der Kuss wurde intensiver. Als sie sich lösten, stellte Kang fest, dass ihr Atem schwerer ging. »Würdest du«, fragte sie mit etwas heiserer Stimme, »gerne hereinkommen?« Danfin Froude lächelte. »Aber gewiss, Ho. Sogar sehr gerne.« Als die Cumbrianer einen weiteren Konvoi angriffen, tauchte der riesige Kreuzer erneut auf. Dieses Mal setzte er sich energischer zur Wehr und vertrieb die Angreifer, die einen Kelly und einen Velv verloren. Eine Woche später wurde ein weiterer Angriff vereitelt, als zwei der Riesenschiffe in den Kampf eingriffen. Vielleicht lag etwas in der Luft. Aut Jon Hedley saß mit einem Drink in der Hauptlounge des Shelbourne und sah den Tanzenden zu, während er
eine nicht unangenehme Melancholie empfand und mit einem Fuß den Rhythmus der Band mitklopfte. Eine Frau näherte sich ihm. Voller Bewunderung be319 trachtete er ihre elegante Erscheinung. Sie trug ein enges, einfaches Kleid, das in unregelmäßigen Intervallen von Rot zu Schwarz irisierte, während gelegentlich hier und da ein Stern aufblitzte. Die Frau eines Zinsers... nein, dazu ist sie nicht alt und verhärmt genug. Eher schon eine reiche Tochter. Oder die Geliebte eines Zinsers. Warum kann ich nicht einmal das Glück auf meiner Seite haben und... Die Frau blieb vor seinem Tisch stehen, und als er sie erkannte, stand er hastig auf. »Dr. Heiser!« »Aut Hedley«, sagte die Physikerin und stellvertretende Leiterin der Abteilung Wissenschaftliche Analyse. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« »Natürlich... natürlich! Was möchten Sie trinken?« »Nichts«, sagte sie. »Ich bin zum Tanzen hergekommen.« »Oh«, sagte Hedley. »Und aus diesem Grund bin ich zu Ihnen gekommen. Wenn man so groß ist wie ich, ist es schwierig, einen Partner zu finden, mit dem man nicht ins Stolpern gerät.« »In meinem Fall«, sagte Hedley, »hat die Tatsache, dass ich schon in jungen Jahren recht groß war, dazu geführt... dass ich nie Tanzen gelernt habe. Mein Koordinationsvermögen brauchte ein paar Jahre, um sich an meinen Körper zu gewöhnen.« »Sie können überhaupt nicht tanzen... Jon?« Hedley schüttelte den Kopf. »Dann«, sagte Heiser mit Entschiedenheit, »wird es Zeit, dass du es lernst.« Hedley blinzelte verwirrt, dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er stand auf und reichte ihr eine Hand. »Vielleicht hast du Recht, Ann.« 320 »Als ich noch ein winziger Knirps war«, sagte Njangu nachdenklich, »hat meine Mutter mir einmal ein Geschenk gemacht. Das passierte nicht sehr oft. Eigentlich nie. Es war sehr teuer, und jetzt will ich gar nicht darüber nachdenken, woher sie die Credits hatte, um es kaufen zu können.« Garvin hörte aufmerksam zu. Es geschah selten, dass Yoshitaro seine Familie erwähnte. »Es war ein kleines Raumschiff, und wenn man einen Sensor berührte, summten die Triebwerke, die Landelichter gingen an, und eine Stimme sagte >Bereit zum Start< oder zur Landung oder etwas in der Art. Es hat mir sehr viel bedeutet, deshalb hatte ich Angst, es mit nach draußen zu nehmen, wo die anderen Kinder damit hätten spielen können. Ich wollte es ihnen nicht einmal zeigen, weil ich nicht wollte, dass es mir jemand wegnimmt, der größer ist als ich.« Er blickte aus dem Fenster über den Exerzierplatz von Chance Island zu Leggett City hinüber. »Und?« »Protektor Redruth hat sich selbst ein sehr wertvolles Spielzeug zum Geschenk gemacht«, sagte Yoshitaro. »Aha. Deshalb geht er so verdammt vorsichtig mit diesen Kreuzern um. Er traut sich kaum, sie zu benutzen, aus Angst, sie könnten kaputtgehen.« »Vielleicht.« »Daraus müsste sich doch was machen lassen... womit wir die Befürchtungen unseres Kumpels Redruth bestätigen würden.« »Vielleicht.« »Hm. Was ist eigentlich aus deinem Spielzeugraumschiff geworden?«, fragte Garvin. »Als mein Vater betrunken nach Hause kam, ist er drauf321 getreten.« Njangus Stimme klang ausdruckslos, als wäre es ihm völlig gleichgültig. Larix / Nahe Larix Primus Das ist mal eine echte Fernsteuerung, dachte Ben Dill. Sein Aksai war eloxiert und mit speziellen Abwehrvorrichtungen versehen worden, sodass die Maschine praktisch nichts reflektierte - weder normales Licht, noch Radarwellen oder andere Ortungsstrahlen; zumindest glaubten das die Wissenschaftler der Legion. Er stand etwa eine Astronomische Einheit vor Larix Primus. Der Velv, der als sein Koordinator diente, war noch weiter vom Planeten entfernt und würde hoffentlich ebenfalls nicht von larixanischen Detektoren registriert werden. Die Marionettenfäden führen von Cumhre zum Velv, von dort zu mir und von mir zu... Dills normaler Pilotenhelm lag neben ihm in einer Nische. Er trug ein größeres, klobigeres Exemplar, das seine Augen vollständig bedeckte. In der Hand hielt er einen kleinen Kasten mit einem einzigen Kontrollstick, der mit einem Rädchen ausgestattet war. Er sah nichts von dem Weltraum, der ihn umgab, sondern nur die Oberfläche von Larix Primus, die auf ihn zuraste. Tief unter ihm stieß über einem der kleinen Meere eine winzige Erkundungssonde in die Atmosphäre des Planeten vor.
Dill steuerte die Drohne mittels des Kästchens und sah, was sie mit einer in ihrem Bug angebrachten Echtzeitkamera sah. 322 Alarmlichter blinkten am Rand seines Gesichtsfelds, als die Drohne Land anflog. Dill murmelte ständig vor sich hin. »Nein, ihr seht mich nicht, genau, such nur, du Blödmann am Frühwarnsystem, wahrscheinlich denkst du gerade an jemanden, den du flachlegen kannst, genau, vielleicht ist da oben weit über dem nächsten Kontinent etwas am Himmel, ja, such nur danach und achte nicht auf mich... schön, jetzt kommen wir der Sache näher, nun geh in die Waagerechte, mein Püppchen, na komm schon, fang jetzt nicht an zu trudeln, ja, so ist's gut, jetzt runter, runter, aber knall mir nicht gegen einen Baum, Dill, denn das wäre gar nicht gut... und jetzt über den Strand...« Die Drohne erreichte den Luftraum über dem Binnenland, während sie ihrem halbautomatischen Kurs folgte. Voraus lag ein großer militärischer Komplex, der den Beobachtern der Legion interessante Dinge verraten konnte. Sofern es der Drohne gelang, irgendwelche Daten zu übermitteln, was die fünf anderen in verschiedenen Regionen von Larix Primus nicht geschafft hatten. Der Streitmacht mangelte es immer noch an geheimdienstlichen Informationen über Larix Primus, aber die Flugabwehr des Planeten war einfach zu gut und wachsam. Dill hatte immer wieder behauptet, das Problem mit den Drohnen seien die Techniker, die es an Bord eines Velv warm und bequem hatten. Stattdessen sollte man einem echten Piloten die Chance geben, so nahe wie möglich ans Ziel heranzufliegen und sie von dort aus zu steuern, um das richtige Gefühl zu bekommen. Er hatte diese Chance erhalten, genauso wie Alikhan und Jacqueline Boursier. Die drei Piloten versuchten einen simultanen Vorstoß, der von der Theorie ausging, dass bei 323 einer Entdeckung die resultierende Aufregung den anderen beiden das Leben leichter machen würde. Oder, dachte Dill zynisch, erheblich schwerer, wenn all die verdammten Himmelsgucker aus ihren Tagträumen aufwachen und sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Er ließ die Drohne verzögern, bis sie sich kaum noch in der Luft halten konnte, sah, wie unter ihm Baumwipfel vorbeizogen, erkannte eine Wohnanlage und drehte ab, um ihr auszuweichen. In diesem Moment blinkten andere Warnleuchten auf. »So weit, so gut... und Mamas Lieblingsbenjamin hängt tief unter ihrem Überwachungsschirm... und jetzt nähern wir uns dem Ding, von dem wir hoffen, dass es ein Stützpunkt ist, noch ein paar Meter, damit wir gute Aufnahmen kriegen, und jetzt starten wir die Aufzeichnungsgeräte und machen Papi glücklich...« Die Drohne ging auf volle Energie, und Bilder huschten vorbei... offenes Land... ein Zaun... eine vollkommen kahle Todeszone... noch ein Zaun... ein Wachturm... reihenweise Baracken... daneben ein Landefeld... vielleicht ein Exerzierplatz... gottverdammte Baumaschinen, hätte fast den Kran gerammt!... gestapelte Stahlplatten... eine Fabrik... ein Walzwerk?... wenn ich das nur wüsste... hohe Hangars mit geschlossenen Toren. »Jetzt haben wir's, jetzt haben wir's... schaut euch das an, das Hangartor weit offen, und da ist die gottverdammte mobile Startrampe mit einem Scheißkreuzer obendrauf, verdammt viele beschissene Gleise... das größte verdammte Ding, was ich je am Boden gesehen habe... ups, verdammter Hangar, das wär's beinahe gewesen... noch zwei, nein, vier Montagestraßen, aber ohne Schiffe, Tarnabdeckungen, aber problemlos von hier unten zu sehen, und... heilige Scheiße!« 324 Rauch quoll dicht neben der Drohne hoch, und Dill drehte bei und ging sogar noch tiefer. »Schießt ruhig auf mich, ihr Blödmänner, ich wette, eure verdammten Kanonen können gar nicht so tief zielen, und hier nähern wir uns einer weiteren Raumschiffswerft oder Montagehalle und...« Und dann wurde der Bildschirm schlagartig schwarz. In der letzten Millisekunde hatte Ben etwas sehr Großes aufragen gesehen, dann war die Drohne gegen irgendetwas gekracht... einen Kran, ein Schiff, weiß der Henker, ich hoffe, es war etwas Teures. »Verdammte Scheiße«, knurrte Dill. »Jetzt werden sie mir alle die Eier abreißen, weil Ben irgendwas gerammt hat, statt aufzupassen, wie es seine Aufgabe gewesen wäre.« Aber niemand tat es. Alikhans Drohne war noch außerhalb der Atmosphäre abgeschossen worden. Boursiers war unbeschadet zurückgekehrt, aber in der Industrieanlage, die sie ausgekundschaftet hatte, gab es nichts von Interesse. »Meint ihr, wir könnten so etwas noch mal durchziehen?«, fragte Dill. »Warum nicht?«, fragte Boursier, eine sehr magere, sehr ernste Brünette, die - soweit bekannt war - kein Leben außerhalb des Cockpits führte. »Wir sollten es unbedingt noch einmal versuchen«, stimmte Alikhan zu. »Im Frachtraum dieses Velv liegen noch sechs weitere Drohnen.« Der Wachoffizier kam mit einem Kom-Ausdruck herein. »Die Helden dürfen sich jetzt aufs Ohr hauen. Wir wurden zurückbeordert.« »Warum?« Der Offizier zuckte mit den Schultern. »Ihr werdet für 325
irgendeine Spezialmission gebraucht. Ihr wisst doch, dass man uns normalsterblichen Fliegern nichts sagt.« Cumbre / D-Cumbre Garvin beendete die Einsatzbesprechung mit den Aufklärern, die sich freiwillig gemeldet hatten, um die Besatzungen der Zerstörer zu verstärken, die in seinem Plan das Frontelement bildeten. Es hatte einige Diskussionen gegeben, wie viel die Leute unterhalb der Kommandoebene wissen sollten. Hedley hatte dafür plädiert, dass jeder über alles informiert sein sollte und »wie toll wir alles geplant haben, wenn sie sich in vakuumverpackte Leichen verwandeln«. Garvin wünschte sich, er hätte ihnen etwas Inspirierendes sagen können, wenn sie in den Kampf zogen, dann übergab er die Verantwortung an Njangu, der sie mit der Anweisung entließ, sich in ihren Schiffen zu melden. Als sich die Soldaten entfernten, sah Jaansma, dass Darod Montagna im grellen mitternächtlichen Licht der Flutlampen des Docks stand. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte. Dann war sie verschwunden. Er stieg in seinen Gleiter und sagte dem Piloten, dass er ihn zu seinem Schiff bringen sollte. Garvin hätte gerne gewusst, welchem Zerstörer sie zugeteilt worden war, aber er hatte sich die Frage verkniffen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er sie nicht gesehen hätte, denn im Rahmen des Plans stellten die sechs Schiffe in erster Linie Köder dar. »Sei bloß vorsichtig«, sagte Froude zu Ho Kang. Sie grinste. »Ich bin immer vorsichtig, Danfin. Meistens sind es die anderen, die sich unvorsichtig verhalten.« 326 »Ich möchte nur, dass du zurückkommst«, sagte er. »Ich komme auf jeden Fall zurück«, versprach Kang. ann erklärte sie ihm in ungewöhnlicher Deutlichkeit, ras sie nach ihrer Rückkehr mit ihm tun würde. Er hauchte ihr einen Kuss zu und unterbrach die Verbindung. Als er sich umdrehte, sah er, dass Ann Heiser ihn beobachtete. »Privatgespräche während der Dienstzeit, Doktor?« Froudes Gesicht verfärbte sich, dann erkannte er, dass Heiser grinste. Der Kom summte, und ein Techniker von der Vermittlung sagte: »Dr. Heiser... Aut Hedley vom Hauptquartier möchte sich von Ihnen verabschieden.« Jetzt war es Heiser, die errötete. Froude war zwar ein Gentleman, aber nicht so sehr, dass er es sich verkniffen hätte, eine Augenbraue hochzuziehen, bevor er an seinen Zeichentisch zurückkehrte. Kura / Nahe Kura Vier Drohnen wurden bis zum Rand der Atmosphäre geschickt, und die kuranischen Patrouillen entdeckten zwei von ihnen. Einen E-Tag später starteten sieben Raumschiffe, die auf den ersten Blick wie Frachter aussahen, aber auch bewaffnete Hilfseinheiten der larixanischen Flotte hätten sein können, und formierten sich über dem Planeten zu einem Konvoi. Fünf Zerstörer bildeten ihre Eskorte. Der Konvoi wurde recht unbeholfen von zwei kleinen cumbrianischen Patrouillenschiffen beschattet, bis er am üblichen Navigationspunkt in den Hyperraum ging. 327 Die zwei Patrouillenschiffe sprangen ihnen mit voller Energie hinterher und kamen am Navigationspunkt heraus, an dem sie den langsameren Konvoi erwarteten. Wenige Sekunden später erschien der Konvoi an dieser Stelle, als wäre alles völlig normal und hätte man die Beschatter nicht bemerkt. Die sechs wartenden cumbrianischen Zerstörer gingen zum Angriff über. Die Larixaner nahmen ihre übliche Verteidigungsformation ein. Sie konzentrierten sich ganz auf die Angreifer und achteten nicht auf das KaneKoordina-tionsschiff in der Ferne, an dessen Gegenwart sie sich gewöhnt hatten. Im Planungsraum dieses Schiffes sahen Hedley und Garvin zu, wie sich Ho in ihrem schwenkbaren Sitz hin und her bewegte und mit ruhiger Stimme Anweisungen erteilte. Hedley bemerkte Garvins Gesichtsausdruck und grinste. »Ist es nicht ziemlich beschissen, hier zu sitzen und anderen Leuten zu befehlen, sich die Eier durch die Mangel drehen zu lassen?« »Verdammt unangenehm, Sir.« »Gewöhnen Sie sich daran«, riet Hedley ihr. »Ich muss-te es auch, je weiter ich mich davon entfernt habe, selbst bis zum Bauchnabel durch Schlamm und Blut zu waten. « Kangs Sitz senkte sich zu einem Techniker hinab, der einen Bildschirm studierte. Plötzlich drang ihre Stimme aus Lautsprechern neben den beiden Offizieren. »Die Falle ist zugeschnappt. Zwei der Naarohns sind mitsamt Eskorte aufgetaucht.« Garvin betrachtete den großen Bildschirm und erkannte die zwei Punkte, die winzige holografische Simulationen der larixanischen Schlachtkreuzer darstellten. 328 Kang gab weitere Befehle, dann wurden noch kleinere Hologramme sichtbar, nicht allzu weit von den zwei Kreuzern und den vier Begleitschiffen entfernt. »An erstes Vann-Element, hier ist Vann-Kontrolle«, sagte Ho. »Die großen Pötte sind aufgetaucht... Sie können
sie noch nicht sehen... lassen Sie sie näher herankommen... gut. Jetzt haben Sie sie entdeckt... und geraten in Panik, wie wir es geübt haben.« Die sechs Zerstörer, die sich gerade auf die Eskorte des larixanischen Konvois stürzen wollten, änderten abrupt den Kurs. Sie deckten ihre Flucht mit zwei abgefeuerten Gegenraketen. »Sehr gut«, sagte Kang. »Sie springen noch nicht in den Hyperraum... Sie glauben, dass Sie den Larixanern an Geschwindigkeit überlegen sind... und sie glauben, dass Sie vielleicht noch eine zweite Chance bekommen, den Konvoi anzugreifen...« Sie schaltete auf einen anderen Kanal. »Hier ist Vann-Kontrolle. Sie wurden nicht entdeckt. Nach eigenem Ermessen Verfolgung aufnehmen.« Eine halbe Lichtsekunde entfernt lagen sieben Aksai auf der Lauer. Sie waren von einem Velv-Mutterschiff abgesetzt worden, das unmittelbar darauf wieder in den N-Raum gegangen war. »Ich will ihn, ich will ihn, ich will ihn«, murmelte Ben Dill, während seine Finger über die Sensoren tanzten. Sein Sichtfeld war voller Schiffe — links der Konvoi, rechts davon die Eskorte, darunter die »fliehenden« cumbrianischen Zerstörer, und ganz weit rechts oben der Kane. Direkt voraus befanden sich die zwei Kreuzer mit ihrer Eskorte. »Proktologisch gesprochen«, sagte Ben, »wird Dr. Dill 329 jetzt für eine Überraschung sorgen. Feuer frei für Rakete eins... und für zwei... und für drei.« Weitere Raketen schössen aus den Aufhängungen unter den Flügeln der anderen Kampfschiffe. Kang berührte einen Sensor. »An erstes Vann-Element, hier ist Vann-Kontrolle... bei null springen Sie in den Hyperraum... fünf... vier... nein, springen Sie jetzt!« Sie hatte es an einem der Kreuzer aufblitzen gesehen und erkannt, dass die Aksai oder ihre Raketen entdeckt worden waren und der Larixaner zurückfeuerte. Hastig wurden Gegenraketen vom Larixaner gestartet, allerdings mit sehr unterschiedlicher Wirkung. Eine Rakete, um deren Herkunft später heftig gestritten wurde, näherte sich dem hinteren Kreuzer und explodierte. Eine weitere ging unmittelbar hinter dem Schiff hoch, und für einen kurzen Moment schössen von sauerstoffreicher Luft gespeiste Flammen aus dem Kreuzer. Eine sekundäre Explosion erschütterte den Kreuzer, der sich vornüber neigte und seine Flugbahn trudelnd weiterverfolgte. Eine Rakete hätte fast einen der Aksai erwischt und detonierte in unmittelbarer Nähe. Dills Kanzeldach zeigte einen roten Punkt. Jemand hatte ihn in der Zielerfassung. »Oh nein, mich kriegt ihr nicht«, sagte er und aktivierte die Sensoren für die Elektronische Abwehr. Die Rakete, die der Kreuzer abgefeuert hatte und die fast genauso groß wie Dills Kampfjäger war, eierte verwirrt umher, bis sie ihrer Grundprogrammierung gehorchte und sich selbst sprengte, ohne Schaden anzurichten. »An alle Vann-Elemente«, befahl Ho. »Kampf einstellen und zurückziehen.« 330 »Ach Mensch!«, brummte Dill. »Nur noch ein Schuss und der Kreuzer wäre zu Ben Dills Brotaufstrich geworden, verdammt!« Aber er hielt sich an die Anweisung. Alikhan feuerte seine ihm noch verbliebenen Raketen in mehreren Wellen ab, während er sich auf einem zufallsgenerierten Zickzackkurs dem Velv näherte, der aus dem Hyperraum zurückgekehrt war, um seine Schützlinge abzuholen. Er glaubte, dass er kurz darauf eine Explosion sah, was bedeutete, dass er etwas getroffen hatte, und überlegte, ob er Meldung machen sollte, doch dann sagte er sich, dass er schon zu menschlich dachte. Ruhm sollte aus eigener Kraft erstrahlen und nicht selbst verkündet werden. Die larixanischen Zerstörer folgten den Aksai, wurden dann jedoch zurückgerufen, um den angeschlagenen Kreuzer und sein Schwesterschiff zu schützen. »Wenn wir Glück haben«, sagte Hedley, »wird Redruth in nächster Zeit noch vorsichtiger sein, nachdem er in unsere kleine Mausefalle getappt ist.« Cumbre / D-Cumbre »Sehr gut«, sagte Angara zu den versammelten Offizieren. »Sehr subtil. Vor allem von Ihnen, Jaansma. Was Sie geleistet haben, steht in der besten Tradition unserer Streitmacht.« »Vielen Dank, Sir.« »Ich glaube, Ihre Dankbarkeit wird nicht mehr ganz so groß sein, wenn Ihnen bewusst wird, dass Sie als Nächstes einen großen Zirkus zu erwarten haben.« Garvins Miene hellte sich auf, doch dann schien er zu verstehen, was Angara meinte. 331 »Aut Hedley«, fuhr Angara fort. »Hier ist die Liste mit unseren Tanzbären und den Orden, die sie erhalten. Ich glaube, dies ist eine gute Gelegenheit, um den Kader der neuen Brigade bekannt zu machen. Vorläufig werden wir Sie als befehlshabenden Offizier der Zweiten Brigade bezeichnen. Was bedeutet, dass Sie soeben in den Rang eines Caud befördert wurden. Diese Brigade wird Mil Fitzgerald übernehmen - natürlich mit dem gleichen Rang. Außerdem wird es noch weitere personelle Veränderungen geben. Nur um mögliche Missverständnisse zu vermeiden, nehme ich selbst nominell den Rang eines Dant an. So lange, bis der Kontakt zur Konföderation wiederhergestellt ist und diese Entscheidung durch eine höhere Instanz
bestätigt oder widerrufen wird. Das wäre alles.« Es war in der Tat ein Zirkus. Ein Medienzirkus ohnegleichen, der Garvin als wahnsinnig gut aussehenden Helden darstellte, außerdem Jon Hedley als vorbildlichen jungen Brigadekommandanten der Armee - auch wenn er etwas zu mager war -, Ho Kang als gebildete Kämpferin, die Aksai-Piloten als tollkühne Helden des Alls, Alikhan als Beweis für die Festigkeit der Allianz zwischen Musth und Menschen und Ben Dill als... Ben Dill eben. Überall regnete es Orden und Auszeichnungen, und nachdem der Rummel vorbei, erhielten alle Urlaub. »Lässt du mich mal rüber, du lahmer Trottel?«, beklagte sich Jasith. »Du bist schon wieder im Holo. Ich will dich sehen.« Garvin drehte sich auf den Rücken. Jasith betrachtete die Projektion. »Ich muss mal lauter 332 stellen... Oh, das ist eine Szene, die ich noch gar nicht gesehen habe. Ich wette, Loy knirscht mit den Zähnen, bis sie zerbröckeln, wenn er dich immer wieder auf den Kanälen des Matin sieht. - Garvin, interessiert es dich denn überhaupt nicht?« »Ich weiß, wie ich aussehe«, sagte er. »Was mich viel mehr interessieren würde...« »Oh! Da bitte nicht beißen. Mmmh. Das fühlt sich gut an. Wenn du mir in den Nacken beißt, läuft mir ein Schauder durch den ganzen Körper. Garvin! Willst du denn gar nichts anderes mehr tun?« Sie verstummte und stöhnte wonnevoll. »Hör nicht auf... hör nie wieder auf...« Garvin wunderte sich über sich selbst. Seine Bedürfnisse beschränkten sich darauf, zu essen, zu schlafen und mit Jasith allein zu sein, am liebsten nackt. Es war ein zeitweiliger, dringend notwendiger Vorhang zwischen ihm und der Hässlichkeit des Krieges. Zwei Monate vergingen. Mehrere Angriffe wurden gegen Kura geflogen, und sie streiften sogar die Randzonen von Larix. Ihr Hauptziel waren jetzt nicht mehr die Begleitschiffe, sondern die Handelsschiffe selbst. Die Kreuzer tauchten nur vorsichtig und pro forma auf, wenn feststand, dass sie nicht in einen Hinterhalt gelockt werden sollten. Der Einsatz der Spionsphären machte es leichter, die Konvois zu lokalisieren, aber die Kommandanten der larixanischen Begleitschiffe hatten dazugelernt, sodass die Verluste auf beiden Seiten höher wurden. Die Legion hatte etwa 20 Prozent mehr Schiffe eliminiert als die Larixaner und ungefähr den gleichen Anteil an larixanischen Soldaten. Doch in Anbetracht der Bevöl333 kerung von Larix und Kura und der Produktionsquoten des Doppelsystems, die Njangu in Erfahrung gebracht hatte, ließ sich ausrechnen, dass Cumbre diesen Krieg langsam, aber unausweichlich verlor. Die ersten Meldungen trafen von den äußeren Wachstationen ein. Das Signal von M-Cumbre erstarb kurz darauf. Wenig später verstummten die automatischen Stationen auf dem Planetoiden L-Cumbre, dann riss auch der Kontakt zu K-Cumbre ab. Die Larixaner griffen an und schalteten systematisch jede bemannte oder unbemannte Wacheinrichtung, die sie finden konnten, mit Raketen aus. Einen halben E-Tag später meldete ein Forschungsschiff im Orbit des Eisriesen I-Cumbre die Sichtung von vielen larixanischen Raumschiffen, dann brach auch diese Kommunikation ab. Patrouillenschiffe starteten von den Stützpunkten auf G-Cumbre. Ein paar überlebende Einheiten meldeten, dass eine große larixanische Flotte ins Cumbre-System eingedrungen war. Vier der riesigen Naarohns, mehr als vierzig Zerstörer und ein Schwärm aus leichteren Schiffen sowie Patrouillen- und Versorgungseinheiten. Die Legion reagierte unverzüglich. Kellys, Velv, Aksai und sogar ein paar Wynt, die nur bedingt weltraumtauglichen bewaffneten Musth-Transporter, sowie mehrere Zhukovs stiegen von C-, D- und E-Cumbre sowie von den Monden und Überwachungsstationen auf den Asteroiden auf. Alle sechs Koordinatoren der KaneKlasse folgten den bunt zusammen gewürfelten Formationen. Dant Angara hielt sich im Planungsraum des Kommandoschiffs, der al Maouna, auf. Ho hatte sich mit ihrem Sitz auf seine Augenhöhe begeben. 334 »Jetzt rächt es sich, dass ich nie die Zeit gefunden habe, zu lernen, wie man von hier aus eine Schlacht führt«, sagte Angara missmutig zu Hedley. »Das wird kein Problem sein«, erwiderte Kang. »Sie sagen mir einfach, was Sie brauchen und wo Sie es brauchen. Wir haben Ihnen hier einen kleinen Bildschirm eingerichtet, auf dem Sie eine statische Darstellung des Systems sehen - genauer gesagt der inneren Planeten, um die Sache zu vereinfachen. Unsere Schiffe sind weiß, die Larixaner rot. Die kleinen grünen Pfeile sind projizierte Flugbahnen.« »Gut«, sagte Angara. »Dann wollen wir diese Dreckschweine dorthin zurückschicken, wo sie herkommen.« Die Larixaner näherten sich D-Cumbre, überquerten die Umlaufbahn, näherten sich fast der von C-Cumbre und wandten sich dann wieder der Hauptwelt des Systems zu. Sie bildeten zwei umgekehrte V-Formationen mit den Versorgungsschiffen im hinteren Bereich. Drei Naarohns
bewegten sich an der Spitze des führenden V, der vierte an der des zweiten Flügels. Zu dieser Einheit gehörten außerdem mehr als zehn Zerstörer. »Wir konzentrieren uns auf die großen Pötte«, sagte Angara, und der Befehl wurde weitergegeben. Der Weltraum innerhalb der Umlaufbahn von D-Cumbre wurde zu einem Wirbel aus kämpfenden Schiffen, die sich auf die Kreuzer stürzten. Doch der Kordon der abschirmenden Zerstörer ließ sich nicht ohne weiteres durchbrechen. Die Kreuzer griffen aus großer Distanz an, da ihre Raketen eine größere Reichweite hatten und schwerer waren. Ein Velv kam etwas näher heran, traf einen Kreuzer, aber nicht schwer genug, um ihn außer Gefecht zu setzen, und 335 wurde zerstört. Das erste V öffnete sich, um die cumbrianischen Schiffe zu umschließen. Angara ordnete den Rückzug an und ließ die Schiffe sich neu formieren; sie sollten von der Seite gegen einen Flügel des V vorrücken und ihn in Einzelgefechten zertrümmern. Die Schiffe kämpften, töteten und starben, dann kam der Notruf. Das zweite V hatte sich von der Hauptformation gelöst. Es sollte offenbar nicht als Reserve eingesetzt werden, sondern nahm Kurs auf DCumbre. Angaras Reserve war nicht in Position, aber er schickte sie dennoch ins Gefecht. Lieber zu spät als nie. Dann brach er den Angriff ab und folgte dem zweiten V, während er hilflos fluchte, weil er wusste, dass die Larixaner den Planeten mit ihren verfluchten Atomwaffen eindecken würden. Doch dann tauchte eine Formation aus sieben Kellys hinter Bodwin auf, einem der Monde von D-Cumbre, wo sie eigentlich nicht hätten sein sollen. Sie stürzten sich auf die Larixaner, und die Aktion brachte dem Kommandanten einen Orden statt einer Disziplinarstrafe ein. Der Kreuzer an der Spitze bekam innerhalb von drei Sekunden drei Raketen ab. Der Bug des Schiffes wurde abgesprengt, und es trudelte in Richtung der Sonne davon. Einige Larixaner wandten sich den Kellys zu, während andere Cumbrianer die V-Formation attackierten. Doch vier blieben auf Kurs, und es stand nichts mehr zwischen ihnen und D-Cumbre. Die Menschen in den Städten von D-Cumbre wunderten sich über das ungewohnte Heulen der Sirenen, erkannten, was das Signal zu bedeuten hatte, und eilten in die hastig eingerichteten Schutzräume - hauptsächlich die 336 Keller oder auch nur die Erdgeschosse von größeren Gebäuden. Die Larixaner tauchten in die Atmosphäre ein, und der Überschalldonner rollte über das Meer und die Inseln. Die Angreifer näherten sich von Süden in enger Formation dem Inselkontinent Dharma. Kurz vor der Stadt öffneten sie die Luken. In schwarzen Reihen fielen die Bomben vom Himmel, und Feuer regnete auf den Berg Najim und das Hochland herab. Die reichen Zinser starben, als ihre Landhäuser in Schutt und Asche gelegt wurden. Die letzte Bombe landete genau an der Küste vor Leggett City und ließ im Shelbourne die Glasscheiben bersten. Doch die Bomben enthielten nur konventionellen Sprengstoff. Redruth hatte es sich anders überlegt und erkannt, dass es sich nicht lohnte, radioaktiv verseuchtes Land zu erobern. Die Zerstörer drehten ab und setzten zu einem neuen Angriff an. Aksai rasten ihnen entgegen, und Raketen füllten den Himmel mit Rauch und Feuer. Zwei Schiffe explodierten, das dritte wollte in den Weltraum flüchten und kam dem vierten in die Quere. Und plötzlich gab es nichts mehr, worauf die Verteidiger hätten schießen können. Angara blieb nur ein kurzer Moment, um Erleichterung zu empfinden, bevor er die Legion anwies, sich zu sammeln und die restlichen Larixaner zu bekämpfen. Doch diese waren bereits auf dem Rückzug, und sobald sie sich weit genug von den Planeten entfernt hatten, verschwand ein Schiff nach dem anderen im N-Raum, mit Kurs auf Larix/Kura. »Diese Schlacht scheinen wir gewonnen zu haben«, sagte Hedley und zuckte zusammen, als ein Bildschirm die Liste der Verluste anzeigte. »Aber zu einem verdammt hohen Preis.« 337 »Nächstes Mal wird er noch höher ausfallen«, prophezeite Angara. »Denn nächstes Mal wird es eine Invasionsflotte sein.« 21 Die Verluste der Legion waren in der Tat erschütternd — über eintausend Tote, fast genauso viele Verletzte, sechzehn vernichtete Schiffe und zwanzig, die so schwer beschädigt waren, dass sie nur noch Schrottwert besaßen. Die zivilen Verluste waren noch weitaus schlimmer, obwohl — oder weil — sie sich auf Leggett City beschränkten. Eintausendachthundert Tote, dreimal so viele Verletzte und Sachschäden in Höhe von mehreren Milliarden Credits. Darüber hinaus gab es einen Aspekt dieses Krieges, der ihn zu einem einzigartigen Fall innerhalb der bekannten menschlichen Geschichte machte: Die meisten der Todesopfer waren Reiche. Abgesehen davon, dass es natürlich eine Tragödie war, hatte die Bombardierung durch die Larixaner drei positive Auswirkungen:
Erstens lag Eckmuhl, das halb zerstörte ehemalige Ghetto der 'Rauhm, das nach dem Aufstand nie ernsthaft wiederaufgebaut worden war, nun praktisch vollständig in Trümmern. Die Architekten rieben sich insgeheim die Hände, weil sie - sobald dieser Wahnsinn namens Krieg vorbei war - endlich die Gelegenheit erhalten würden, von Grund auf ein völlig neues Stadtzentrum zu entwerfen. Zweitens erteilte der Planetare Rat der Legion einen Freibrief für die Beschaffung jeglichen militärischen Bedarfs. Drittens - und das war der wichtigste Punkt - schoss, 338 noch während die Medien stundenlang Bilder von der Bombardierung und den menschlichen Opfern sendeten, die Zahl derjenigen in die Höhe, die sich freiwillig zur Legion meldeten. Das bereits verabschiedete Wehrpflichtgesetz, das eben erst mühsam die bürokratische Maschinerie durchlaufen hatte, trat nun unverzüglich in Kraft, und schlagartig erkannten alle körperlich Tauglichen, die nicht besonders patriotisch oder kriegerisch veranlagt waren, dass man sie mit hoher Wahrscheinlichkeit einziehen würde. Das führte zu weiteren freiwilligen Verpflichtungen, da die Legion keinen Zweifel daran ließ, dass die Freiwilligen die besten Jobs bekommen würden. Wer regulär eingezogen wurde, musste schon sehr hoch qualifiziert sein, um nicht Raumschiffdecks zu schrubben oder als gewöhnlicher Soldat zu enden. Aber so groß war die Bevölkerung von Cumbre gar nicht. Angara dachte neidisch an die Horden, die auf Kura und Larix lebten, und er fragte sich, ob nach dem Krieg ein Genie wie Froude einen Weg finden würde, den Larixanern eine Loyalität beizubringen, die über das hinausging, was vor langer Zeit als Kadavergehorsam bezeichnet worden war. Zuerst musste nur noch das kleine Problem namens Redruth aus der Welt geschafft werden... Angara war nicht besonders pessimistisch gewesen, als er eine Invasion vorausgesagt hatte. Sie musste einfach kommen, weil Redruth gar nichts anderes übrig blieb. Seine Familie hatte die Macht errungen und behalten, indem sie das Volk ständig daran erinnerte, wer die Feinde waren, einschließlich der Wombel, die inzwischen nicht mehr nur mythologische Gestalten waren. Nun war Cumbre der neue Schrecken, der vernichtet werden musste, damit das Volk nicht eines Tages erkannte, wie sehr es unter339 drückt wurde, und sich gegen den Diktator erhob. Ob das die einzige Möglichkeit war, konnte Angara nicht sagen. Aber er wusste sehr wohl, dass Redruth wie die meisten Autokraten einfach glauben musste, dass es keine Alternative zur Gewalt gab. Also sorgte Angara mit Vernunftgründen, Druck und Befehlen dafür, dass mehr Schiffe gebaut und mehr Soldaten ausgebildet wurden. Er ließ endlose Computersimulationen und Manöver veranstalten und probierte jede Möglichkeit aus, die sein Stab sich ausdachte. Die Hauptwelt würde nicht das einzige Ziel sein. Auch C-, Dund E-Cumbre wurden auf Landetruppen vorbereitet. Redruth würde zuerst einen der äußeren Planeten erobern und zum Brückenkopf machen, bevor er weiter ins System vorstieß. Und so weiter und so fort. Um die Sache noch komplizierter zu machen, bereitete sich Angara außerdem auf einen Fall vor, mit dem weder sein Stab noch Redruth rechneten. Caud Ceil Fitzgerald trug ihr angegrautes Haar kurz geschoren, passend zu ihrer professionellen Erscheinung und der Figur einer ehemaligen Sportlerin. Garvin und Njangu standen vor der Frau stramm. »Ich werde es kurz machen«, sagte sie. »Es gab mehrere Vorschläge für die Stelle des Ersten Offiziers. Auch Ihr Name gehörte dazu, Mil Jaansma. Obwohl Sie der jüngste von allen sind, die Dant Angara vorgeschlagen hat, entscheide ich mich für Sie. Es gefällt mir, wie Sie immer wieder unorthodoxe Ideen entwickeln, auch wenn sich nicht jedes Mal das erwartete Ergebnis eingestellt hat. Ich glaube, ich werde kein Problem damit haben, Ihren... nennen wir es mal jugendlichen Überschwang... unter Kontrolle zu halten.« 340 »Ah... vielen Dank, Sir«, brachte Garvin mühsam heraus. »Selbstverständlich werden Sie gleichzeitig zum Aut befördert.« Dann wandte sie sich Njangu zu. »Was Sie betrifft, Yoshitaro, habe ich sehr gemischte Gefühle.« Njangus Miene blieb völlig ausdruckslos, während er überlegte, welche seiner Missetaten Fitzgerald ihm vorwarf. Wie die meisten Menschen, die unter Paranoia litten, verstand er nicht, wie ihre Bemerkung gemeint war. »Einerseits finde ich, dass Ihre unkonventionelle Denkweise genau das Richtige ist, um die Infanterie und die Aufklärungskompanie zu führen. Andererseits können wir es uns nicht leisten, dass unsere besten Leute es sich auf Posten bequem machen, wo sie sich nicht entfalten können. Und für listenreiche Denker gibt es andere Einsatzfelder. Mit sofortiger Wirkung werden Sie zum Mil befördert und ersetzen Jaansma als Leiter der Sektion IL Mir ist bekannt, dass Sie, Dant Angara, Caud Hedley und Jaansma eine irreguläre Verbindung bilden, in der Sie Pläne schmieden können, ohne sich an eine Befehlskette halten zu müssen. Ich möchte, dass Sie diese Verbindung weiterpflegen. Wir leiden unter extremem Personalmangel, und es fehlt uns an Mitteln, und wir alle haben uns nie richtig von den letzten Jahren unablässigen Kampfes erholt. Das ist ein bedauerlicher Umstand, aber wir werden erst dann Ruhe finden, wenn Redruth besiegt ist und - wie es aussieht - seine Welten gewaltsam
erobert wurden. Wir müssen ihn weiter unter Druck setzen, bis er zerbricht. Nur der letzte Kämpfer kann seine Erschöpfung und seine Schmerzen ignorieren, wenn er ihm mit letzter Kraft den tödlichen Hieb versetzt. Ich habe die Gelegenheit ge341 nutzt, ihre Berichte über Larix zu lesen, Yoshitaro, und ich habe ein paar Gespräche mit Aspirant Stiofan geführt. Ich wünsche weder mir noch meinen Kindern, unter einem Tyrannen wie Redruth leben zu müssen. Also dürfen wir jetzt nicht in unseren Bemühungen nachlassen. Das wäre vorläufig alles. Sie beide können den neuen Befehlshaber der Aufklärer aus den Reihen der Kompanie auswählen. Ich möchte, dass der Offizier den Rang eines Cent innehat. Ich habe die Genehmigung von Dant Angara erhalten, nötigenfalls einen Dienstgrad zu überspringen. Ich vertraue Ihrem Urteil. Sie dürfen gehen.« Beide Männer salutierten und machten kehrt. »Ach, noch was«, sagte Fitzgerald. »Das hätte ich fast vergessen. Ich scheine den Ruf eines strengen Meisters zu haben. Ich bilde mir ein, dass ich meine Arbeit lediglich etwas konzentrierter als manche andere erledige. Sie beide können sich für den Rest des Nachmittages freinehmen, um Ihre Beförderung zu feiern. Allerdings wird morgen früh eine Stabsbesprechung stattfinden, eine Stunde nach dem allgemeinen Weckruf. Ich erwarte, dass Sie beide anwesend und mit wachen Sinnen bei der Sache sind. Vielen Dank.« Draußen warfen sich die beiden einen verschmitzten Blick zu. »Wie es scheint, wird dies ein Krieg der jungen Menschen«, sagte Garvin. »In den Lehrbüchern steht, dass man es mit vierzig oder fünfzig zum Mil schafft - wenn man sich nichts hat zuschulden kommen lassen —, und dass Aut ein guter Dienstgrad ist, um sich nach zwanzig weiteren Jahren zur Ruhe zu setzen. Meinen Glückwunsch!« »Ebenso«, sagte Njangu. »Du bist auf dem besten Weg zum Sternenhäuptling.« »Ja«, sagte Garvin. »So bin ich eben. Der jüngste Flot342 tenchef in der Geschichte des Universums. Ob ich mich allmählich nach einem Schneider für meine Uniformen umsehen sollte? Oder lieber nach einer Flotte, die ich durchs All scheuchen kann?« Njangu lachte. »Nein«, sagte er, »die alte Fitz ist keine Sklaventreiberin. Auf gar keinen Fall! Wir haben... wie lange?... drei Stunden Ausgang bekommen. Ich bin zu Tränen gerührt!« »Ich schätze, wir werden uns wohl nicht betrinken, was?« »Schätze ich auch«, sagte Njangu. »Wir sollten die Damen anrufen und ihnen von der Neuigkeit berichten; mal sehen, ob ihnen was einfällt, wie wir auf nette, geruhsame Weise unseren Erfolg feiern können. Vielleicht mit einem erfrischenden Spaziergang. Oder einer Tasse Kräutertee.« Garvin grinste, dann wurde er schlagartig ernst. »Ach du Scheiße! Jasith ist auf C-Cumbre, wo sie sich einen neuen Typ Erztransporter ansehen will, den die Musth entwickelt haben. Ich schätze, mich erwartet wirklich ein ruhiger Abend.« »Wenn du willst, kannst du dich Maev und mir anschließen. Vielleicht essen oder trinken wir etwas im Shelbourne und fahren beizeiten nach Hause, damit wir für die morgige Laberrunde fit sind.« »Ein guter Plan«, sagte Garvin. »Nicht, dass ich besonders wild darauf bin, zuzusehen, wie ihr euch gegenseitig die Zunge in den Hals steckt, während ich in meiner Einsamkeit schmore. Aber es ist wesentlich besser, als jedem verdammten Tak in der Legion einen ausgeben zu müssen, nur weil wir befördert wurden. Ruf deine Liebste an und sag ihr, dass sie sich hübsch machen soll.« »Nachdem wir das Vergnügen genossen haben, mit dem 343 neuen Befehlshaber der Aufklärer zu reden«, sagte Njangu. »Hähä!« Die Reaktion war zu erwarten gewesen. Monique Lirs Kopf pendelte wie eine gereizte Giftschlange zwischen Yoshitaro und Jaansma hin und her. »Ihr Scheißkerle!«, zischte sie. »Macht mir nichts vor. Ich sehe doch, wie euch gerade einer abgeht!« »Das ist aber nicht die Art, wie man mit seinen Vorgesetzten reden sollte, Monique!« »Verdammte Scheiße, ihr beiden wisst genau, dass ich nie Offizier werden wollte. Nie im Leben!« »Prem Lir«, sagte Njangu, der sich das Lachen verkneifen musste, »wie Caud Fitzgerald uns mitgeteilt hat und auch Ihnen bekannt sein dürfte, gibt es kein Leben ohne Scheiße.« »Sieh es doch mal so, Monique«, versuchte es Garvin auf die vernünftige Tour. »Du bist kein Aspirant, nicht einmal ein Tak. Du hast in einer Traumkarriere die höchsten Höhen der nicht ganz so offiziersmäßigen Ränge erklommen.« »Denk an das Geld«, sagte Njangu. »Klar«, brummte Lir. »Etwa hundert Credits pro Monat weniger als ich als Prem verdiene. Juhu.« »Ich glaube, ich weiß, wo das Problem liegt«, sagte Njangu. »Du machst dir Sorgen, dass du nicht über die richtigen Umgangsformen verfügst, um dich im Club der Ozzifiere zu bewegen, stimmt's?« »Leckt mich!«, sagte Monique. »Ihr wisst ganz genau, worum es geht. Unteroffiziere sorgen dafür, dass die Legion funktioniert. So ist es in jeder Armee. So war es schon immer, und so wird es immer sein. Jetzt bin ich eine von euch Schnöseln, und jetzt muss ich mir Gedanken darüber 344 machen, was meine Unteroffiziere anstellen werden, um mich zu hintergehen! Das ist ungerecht!« Es klang, als
würde sie jeden Augenblick losheulen. »Na na na«, sagte Garvin. »Was mir gerade einfällt, Mil Yoshitaro, ist es nicht Usus, einen beförderten Offizier der Aufklärer in einen Teich oder so was zu werfen? Ich glaube, die Musth haben uns keine Tümpel mehr übrig gelassen, also sollten wir Cent Lir in der Bucht taufen.« »Äh...«, begann Njangu vorsichtig. »Versucht es nur!«, knurrte Lir. »Bitte! Einer von euch soll es versuchen!« »Ich glaube«, sagte Garvin hastig, »wir müssen nicht alle einheimischen Gebräuche mitmachen, oder? Herzlichen Glückwunsch, Cent! Ich bin überzeugt, dass Sie der Streitmacht im besten Sinne dienen werden.« »Ach, und noch etwas«, fügte Njangu hinzu. »Damit du nicht denkst, wir wären strenge Meister oder so was. Du kannst dir den Rest des Nachmittags freinehmen, um deine Beförderung zu feiern. Aber morgen früh bei Sonnenaufgang soll die Truppe ein bisschen durch die Gegend rennen. Zum Beispiel zum Tiger-Manövergebiet und zurück. Wir müssen schließlich dafür sorgen, dass die Kinder nicht träge werden, stimmt's? Das wäre alles, Cent. Sie sind entlassen.« Erneut bedachte Lir sie mit einem vernichtenden starren Blick. »Irgendwann ... ich weiß noch nicht, wann genau ... werde ich irgendwo ... ich weiß auch noch nicht, wo genau ... die Gelegenheit erhalten, mich zu rächen.« Sie salutierte wie eine Figur aus einem militärischen Unterrichtsholo. Ein Unz hatte sich im Orbit über Kura neben einem uralten Stück Weltraumschrott versteckt und zählte mit debi345 ler Hartnäckigkeit die Schiffe, die die Atmosphäre verließen. Es waren zu viele, und sie bewegten sich viel zu schnell. Der Roboter kodierte die Daten und sendete sie gerafft an seinen Kollegen im Hyperraum, der die Informationen programmgemäß weiterleitete. »Verhumpft und zugeschissen!«, sagte Njangu, nachdem er die Verbindung getrennt hatte. »Rate mal, wer als Leibwache für den Dant in Taman City unterwegs ist. Blendende Aussichten, um eine Beförderung zu feiern!« »Sieht ganz danach aus«, sagte Garvin. »Aber ich habe schon weitergedacht. Das Shelbourne ist nach wie vor eine gute Idee. Aber sollten wir uns nicht vorher mindestens einen unzivilisierten Drink genehmigen?« »Was? Du willst den Unteroffizieren auf den Geist gehen, wie wir es normalerweise tun?« »Warum nicht? Im Moment reißt sich jeder den Arsch auf, also dürfte es nicht allzu wild zugehen. Nur ein Glas, dann düsen wir zum Shelbourne rüber, bestellen uns den besten Braten von der Karte und eine Flasche Wein, und anschließend kriechen wir wie brave Kinder in unsere Bettchen.« Njangu hatte entweder nicht daran gedacht oder wollte nicht daran denken, dass der Club der Unteroffiziere bis zur ewigen Verdammnis auf Monique Lir trinken würde, um sie aus ihrer Runde zu verabschieden. Es schien, als wären sämtliche Barrieren zwischen den Rängen gefallen. Garvin und Njangu waren nicht die einzigen Offiziere im Getümmel, und Yoshitaro glaubte, er hätte in den weitläufigen Räumen so ziemlich jeden Angehörigen der Aufklärer gesehen - außer den Unglücklichen, die Dienst hatten oder sich im All aufhielten. 346 Und es blieb keineswegs bei nur einem Drink. Erst mussten sie einander jeweils einen Drink spendieren, dann wurden sie von jemandem entdeckt, der von ihrer Beförderung gehört hatte. Er gab eine Runde aus - und dann noch eine. Und weitere Gratulanten kamen mit einem oder zwei Drinks vorbei, um mit ihnen zu reden. »Wieviele warndas?«, fragte Garvin nach einer Weile. »Elfunachzig für mich, viernsessich für euch Urpsköpfe«, sagte Njangu. »An diesem Tisch sitzt nur ein einzelnder Urpskopf.« Njangu stierte ihn an. »Sieht aber nach mehr aus.« »Vielleicht sollte ich mal die Essensreversierungen... nee, Reservierungen absagen...« »Vielleicht«, pflichtete Njangu ihm bei. »Und bestell noch eine Runde, falls jemand an der Bar Zeit hat, mit dir zu reden. Hab Durst.« »Okay«, sagte Garvin und stand vorsichtig auf. Er visierte die Bar an und legte den Kurs fest, bemerkte dabei erfreut, dass er überhaupt nicht schwankte; trotzdem achtete er genau darauf, wohin er seine Füße setzte. Dann stutzte er, als er sah, wie Prem... nein, Cent Monique Lir auf einem Tisch tanzte. Sie wirkte verhältnismäßig nüchtern. Garvin fragte sich, wo sie den Typen aufgegabelt hatte, mit dem sie tanzte, und setzte seinen Weg fort. Er fand einen Kom, kramte in seiner Hosentasche, sah sich jede Karte genau an, bis er die Richtige gefunden hatte, die er dann durch den Schlitz zog. Als das Shelbourne antwortete, bemühte er sich um eine möglichst sorgfältige Aussprache, nannte seinen Namen und teilte mit, dass er und sein Offizierskollege leider nicht in der Lage waren, die Reservierungen in Anspruch zu nehmen... unverhoffte dienstliche Pflichten, Sie wissen schon. 347 Er war ziemlich stolz darauf, dass er so deutlich gesprochen hatte, verdarb den Eindruck jedoch durch einen schweren Rülpser, murmelte eine Entschuldigung und unterbrach die Verbindung. Und was jetzt? Ach ja. Einen Drink für Njangu bestellen. Am besten nehme ich mir auch einen mit, damit sich der Kerl nicht so einsam fühlt. Noch besser - ich hole gleich zwei für jeden, weil an der Bar ziemlich viel los zu sein scheint. Es geht nichts über effizientes Handeln! Aus dem Korridor zum Kom und zu den Toiletten kam Darod Montagna. Sie schien in einer kaum besseren
Verfassung als er zu sein, zumal sie sich mit einer Hand an der Wand entlangtastete, um nicht vom Kurs abzukommen. »Hallo«, sagte Garvin. Darod blickte auf und erkannte ihn. »Aut Jaansma! Meinen Glückwunsch zu Ihrer Beförderung! Wir alle freuen uns sehr darüber.« Garvin nickte, dachte über eine schlagfertige Entgegnung nach, fand aber keine. Darod machte einen Schritt vorwärts, stolperte leicht und wurde von Garvin aufgefangen. Sie blickte zu ihm auf und lächelte glücklich. Er dachte, dass es eine gute Idee wäre, sie zu küssen, also tat er es. Sie drückte sich an ihn, schlang ihm beide Arme um den Hals - wobei ihm auffiel, dass sie nicht sehr viel kleiner als er war - und erwiderte den Kuss, indem sie ihre Zunge tief in seinen Mund schob. Automatisch wanderten Garvins Hände höher und legten sich auf ihre Brüste, worauf sie sich noch enger an ihn drückte. Als jemand hustete, kehrte Garvin in die militärische Wirklichkeit zurück und löste sich von ihr. »Ah, Tweg Montagna hatte etwas im Auge«, setzte er zu einer Erklärung an. Dann sah er, dass es Njangu war. 348 »Tut mir Leid, Sir«, sagte Montagna. »Ich, äh, habe nur...« »Ich habe nichts Ungewöhnliches gesehen«, sagte Yoshitaro. »Ich wollte Aut Jaansma nur daran erinnern, dass es schon recht spät ist. Wenn Sie uns also entschuldigen würden, Tweg Montagna...« Sein Gesicht zeigte ein starres Lächeln, als er nach Garvins Ellbogen griff und ihn zurück in die Bar führte. »Ich glaube, es ist tatsächlich an der Zeit, dass wir gehen«, zischte er. »Willst du mich verarschen?«, erwiderte Garvin brüskiert. »Wir hätten schon längst zu Hause sein sollen, bevor ich das Hotel angerufen habe. Danke, vielen Dank, verbindlichsten Dank.« »Du scheinst fest entschlossen zu sein, dich in Schwierigkeiten zu bringen, was? Ich schätze mal, das war die Person, von der du neulich andeutungsweise gesprochen hast. Du kannst mir auf Knien danken, dass ich in der Nähe war, um dich zu retten.« Am nächsten Morgen beobachtete Njangu voller Schadenfreude, wie Garvin, der die Höllenqualen der Verdammnis litt, sich damit abquälte, Caud Fitzgeralds Fragen nach den Absichten der Larixaner zu beantworten. Vor dem Stabstreffen hatte Garvin in der Offiziersmesse Kaff geschlürft und Tabletten gegen Sodbrennen gekaut und ihn in klagendem Tonfall nach anderen Mitteln gegen einen Kater ausgefragt. Njangu hatte überlegt, ob er rohe Gipteleier in scharfer Soße oder ähnlich widerliche einheimische Rezepte vorschlagen sollte, doch dann empfahl er viel eiskaltes Wasser und eine leichte Kopfschmerztablette. Das war das Einzige, das wirklich half. Außer sich für den Rest des Tages wieder ins Bett zu legen. 349 Njangu kannte natürlich eine ganze Reihe von äußerst wirksamen Katermitteln. Aber sie waren fast nur auf dem illegalen Drogenmarkt erhältlich, und er hatte keine Ahnung, wo so etwas in Zeiten wie diesen angeboten wurde. Mit einem Seufzer gedachte er seiner verlorenen Jugend und konzentrierte sich auf Garvins Leiden. Das hielt ihn davon ab, daran zu denken, dass es ihm selbst eigentlich nicht viel besser ging. Ihr Zustand hatte sich noch nicht wesentlich gebessert, als eine Stunde nach dem Ende der Stabskonferenz die Sirenen heulten. Die Larixaner waren im Anmarsch. Dant Angara hatte nicht die Absicht, am Grund einer Schwerkraftsenke erwischt zu werden. Sobald die Satelliten gemeldet hatten, dass Schiffe von Larix gestartet waren, ging die Legion unverzüglich auf Kampfposition. Die cumbrianischen Schiffe waren bewaffnet und betankt, und die Hälfte der militärischen Besatzung hielt sich ständig an Bord auf. Die übrigen Soldaten schnappten ihre Ausrüstung und eilten im Dauerlauf auf ihre Posten. Die Landefelder auf den von Menschen besetzten Planeten und Monden des Cumbre-Systems erzitterten, und Staubwolken wurden aufgewirbelt, als die Schiffe in den Weltraum starteten. Als Erste hoben die Kanes ab, von denen es inzwischen neun Stück gab. Sie gingen in den Orbit um die ihnen zugewiesenen Planeten, und die Koordinatoren an Bord spulten einen unablässigen Strom von Befehlen ab, während sich die übrige Flotte sammelte. Sie bestand nicht nur aus den Kellys und den Velv mit 350 den angekoppelten Aksai. Seit dem letzten larixanischen Angriff war jedes Schiff der Flotte ein Kriegsschiff, vom kleinsten Patrouillenboot bis zu den Handelsschiffen und Versorgungseinheiten. Gegen die Regeln der Kriegsführung, die sich Redruth ohnehin nicht sehr genau eingeprägt hatte, wie Angara fand, waren auch zivile Einheiten bewaffnet und die Männer und Frauen, die ihre Besatzung bildeten, rasch unterwiesen worden. Die schweren Frachtschiffe der Mellusin-Bergwerke waren für diese Modifikationen besonders gut geeignet. Für den Weltraum aufgerüstete Zhukovs und sogar Griersons hingen im All. Ihre Aufgabe war die Nahverteidigung der Heimatwelten. Hier und dort gab es sogar einzelne Jachten. Irgendwie hatte unter den Zinsern auf D-Cumbre die Idee die Runde
gemacht, es »wäre doch was, wenn du in deinem Leben tatsächlich einmal Stellung beziehen würdest, alter Knabe. Es wäre doch eine Wucht, mal zu schauen, wie sich dein Flitzer im Kampf macht, zum Beispiel gegen einen von diesen gottverfluchten Larixanern! Und wenn es nur ein Nadelstich ist!« Es hieß, Erik Penwyth sei derjenige gewesen, der diese Idee aufgebracht hatte, doch er beteuerte wortreich seine Unschuld. Ein weiterer, viel persönlicherer Grund, warum viele der Playboys mit ihren kostspieligen Jachten neben schmucklosen Handelsschiffen und einem gelegentlichen Wynt im Orbit kreuzten, war der, dass fast jeder in der eng miteinander verwobenen Gesellschaft der Zinser jemanden bei der Bombardierung verloren hatte oder jemanden kannte, der jemanden verloren hatte. Eine dieser Jachten war die reparierte Godrevy, wovon Garvin allerdings nichts wusste. 351 Angaras Stab war sich über die vier Navigationspunkte einig, die die Larixaner theoretisch benutzen konnten. Einen hatte Angara ausgeschlossen, weil er zu weit von den bewohnten Welten des Cumbre-Systems entfernt lag, einen weiteren, weil er sich in der Nähe der Asteroiden befand und für die vor kurzem erweiterte larixanische Flotte mit den nicht so erfahrenen Offizieren ein navigatorisches Risiko darstellen konnte. Von den beiden noch übrigen Punkten lag einer zwischen C- und D-Cumbre, der zweite knapp innerhalb der Umlaufbahn von H-Cumbre. Angara mochte nicht so recht daran glauben, dass die Larixaner den ersten benutzen würden. Redruth beziehungsweise Celidon, der zweifellos der eigentliche Befehlshaber der Invasionsflotte war, würde einige Zeit und genügend Raum benötigen, um seine Kräfte zu sammeln, bevor er zum Angriff überging. Trotzdem hatte Angara ganze zwölf Zerstörer an diesen Punkt beordert. Den größten Teil der Flotte hatte er zur Umlaufbahn des Eisriesen H-Cumbre geschickt. Dort warteten die Schiffe fast zwei E-Tage lang. Von einem Aksai kam die erste Meldung, dass die larixanische Flotte am vorausgesagten Navigationspunkt aus dem Hyperraum fiel. Sie wurden in einer mehrfach gestaffelten Bogenformation existent. Die Spitzen eines jeden Bogens wurden von Patrouillenschiffen und Zerstörern gesichert. Die Kreuzer hielten sich hauptsächlich im vorderen Bereich auf, zwei waren weiter hinten postiert. Im Zentrum der Reihen befanden sich die Truppentransporter, darunter ein paar echte Kampfschiffe, im Wesentlichen jedoch hastig umgebaute Handelsraumer, die mit ebenso hastig ausgebildeten Soldaten voll gestopft waren. 352 Offenbar waren alle ihre Ortungssysteme auf die bewohnten Welten gerichtet, denn mehrere Minuten verstrichen, ohne dass erkennbar war, ob die Angreifer die Cumbrianer bemerkt hatten, die »hinter« und »unter« ihnen warteten. Dieser Zeitraum genügte Ho Kang und den anderen Koordinatoren, den exakten Kurs der Larixaner zu extrapolieren, der genau auf D-Cumbre zielte, und Befehle an die cumbrianischen Schiffe zu senden. Kellys und Velv gingen für einen kurzen Moment in den Hyperraum und kamen unmittelbar neben der larixanischen Flotte wieder heraus. Andere tauchten vor den Larixanern auf und boten ihnen Paroli. Ohne dass es ihm bewusst wurde, gab Alikhan ein tiefes Summen von sich, als sein Blick über den Bug des larixa-nischen Zerstörers und dann wieder nach oben strich, wo sich die Brücke befand. Seine Tatze berührte den Abschusssensor. Eine seiner drei Goddards raste aus der Röhre, erfasste den Zerstörer und jagte ihm entgegen. Wie befohlen kehrte Alikhan in den N-Raum zurück und sprang zu seinem zweiten Ziel. Er sah nicht mehr, wie die Goddard den Bug des Larixaners zerfetzte und damit den Rest der Besatzung hinter den sich automatisch schließenden Druckschotten zum Tode in einem langsam rotierenden Sarg verurteilte. Mil Liskeard hatte Glück gehabt. Zumindest war er anfangs dieser Meinung. Seine Sprungkoordinaten hatten ihn mitten zwischen die larixanischen Transporter gebracht. Sein Kollisionsalarm blökte, und sein Hyperantrieb katapultierte ihn durch den N-Raum, wodurch er knapp einem Zu353 sammenstoß entkam. Er war den feindlichen Schiffen viel zu nahe. Sein Bildschirm zeigte ihm die Nachhut einer dichten Welle aus Raumschiffen, die als Truppentransporter identifiziert wurden. Er befahl seinen Waffenoffizieren, nach eigenem Ermessen das Feuer zu eröffnen, und dem Navigator, dass er sie hinter die Formation bringen sollte. Die Parnell flog an der Phalanx entlang und spuckte Raketen. Ein Patrouillenschiff versuchte sie abzufangen und wurde vernichtet. Liskeard war den Larixanern nahe genug, um das Geschehen über die Sichtschirme verfolgen zu können, während die Transporter durchgeschüttelt wurden und explodierten. Eins der brennenden Schiffe ließ sich sogar durch die Bullaugen beobachten, und Liskeard legte eine Zoomaufnahme auf einen Bildschirm. Im nächsten Moment hätte er sich fast auf seine Konsole erbrochen. Das Bild zeigte, wie der Frachter langsam auseinanderbrach und winzige weiße Objekte in den Weltraum geschleudert wurden. Diese Objekte waren Menschen - Soldaten, die nicht lange genug überleben würden, um einen Planeten mit lebensfreundlicher Umwelt erreichen zu können. Liskeard ignorierte das Grummeln in seinen Eingeweiden und ordnete an, dass sein Kelly den Rückzug antrat, während alle verfügbaren Hände den Waffentechnikern halfen, die Abschussröhren nachzuladen. Wieder schlug
die Parnell zu. Liskeard rief seinen Koordinator, der drei weitere Zerstörer und ein Dutzend Velv an seine Position schickte. Sie griffen die Transporter an, und Menschen ergossen sich wie die Eingeweide von dekomprimierten Tiefseefischen aus den zerstörten Schiffen. Schließlich wurden die Notrufe der Larixaner erhört, und zwei Zerstörer tauchten aus dem Nichts auf. Ein Velv 354 wurde getroffen, doch die anderen Cumbrianer flohen in den N-Raum und forderten von ihren Koordinatoren neue Ziele an. Mit Ausnahme der zwei Aksai von Ben Dill und Boursier, die sich mitten ins dickste Getümmel gestürzt hatten. Die Kreuzer und ihre Eskorten suchten nach großen Schiffen, um Rache zu nehmen, nicht nach winzigen EinMann-Einheiten. Dill und seine Partnerin nutzten die Deckung herumwirbelnder Trümmerteile und setzten auf etwas Glück und ihre schnellen Reflexe, als sie sich durch das Gemetzel bewegten. Ein Zerstörer ragte direkt vor ihnen auf - weniger als eintausend Meter entfernt - und Boursier erledigte ihn mit einer Rakete. »Ben Dill ist auf viel, viel fettere Beute aus«, knurrte Dill. »Und diesmal wird er kein verdammtes vermutlich beschädigt zulassen... und da bist du ja schon, genau voraus, du dicke fette Sau.« Er feuerte zwei Goddards ab, wechselte das Ziel und ließ seine letzte Rakete auf das Heck des Kreuzers zurasen. Alle drei schlugen fast gleichzeitig ein, und der Kreuzer löste sich in eine Trümmerwolke auf. »Ho ho!«, rief Dill in sein offenes Mikro. »Ben Dill will einen weiteren Orden und eine Gehaltserhöhung!« »Wenn du noch etwasss übrig hassst«, tönte es aus dem Kom, »wäre Unterssstützung für mich erwünscht.« Das war Tvem, einer der Musth-Söldner, wie unschwer zu erkennen war. Dill bediente die Kontrollen, sah zwei larixa-nische Zerstörer, die es auf Tvems Aksai abgesehen hatten, und ging auf Vollschub. Boursier, die keine gesonderte Aufforderung benötigte, flog keine tausend Meter entfernt an seiner Seite. Ein dritter Aksai tauchte aus dem Nirgendwo auf, und Alikhans Stimme drang aus dem Kom: »Wir sind unterwegs.« 355 Tvem entkam nur knapp einem zweifachen Angriff und schoss seinerseits eine Rakete auf einen Zerstörer ab. Sie wurde durch eine Antirakete vernichtet - und dann waren die drei Aksai in Reichweite. Dill war der Erste. Er feuerte eine seiner letzten vier Shadow-Antiraketen auf den führenden Zerstörer und beobachtete erstaunt, wie sie ins Ziel traf. Zwei Goddards schlugen unmittelbar danach ein, dann war das Kriegsschiff nur noch ein Trümmerhaufen. Im nächsten Moment kam eine Rakete vom anderen Zerstörer und verwandelte Tvems Aksai in einen Feuerball, als hätte er niemals existiert. Dill hörte ein wütendes Zischen von Alikhan, dann explodierte der Zerstörer. Alikhans Aksai drehte kurz vor den Trümmern des Schiffes ab, kehrte zurück und feuerte ein weiteres Mal. Dann war nichts mehr vorhanden, woran er sich hätte rächen können. »Lassst unsss zurückkehren, um neue Raketen zu holen«, sagte Alikhan, der vor Wut wieder zu zischen begann. »Ich habe den Wunsch, noch ein paar Larisssaner mehr zu töten.« Die Kampftruppen der Ersten Brigade hielten sich entweder an den Laderampen bereit oder befanden sich in Griersons oder Zhukovs in der Stratosphäre. Garvin saß im hinteren Abteil eines Kommando-Griersons, hörte sich den Kampfan, der im Weltraum tobte, und knirschte mit den Zähnen. Er blickte auf einen anderen Bildschirm, der die Innenkabine von Fitzgeralds Grierson zeigte. Sie schien genauso unglücklich zu sein wie er, nicht an der Aktion teilnehmen zu können. Außerdem war sie unglücklich, weil sich Angara ihre besten Leute ausgeborgt hatte, bis er sich einen 356 eigenen Stab aufgebaut hatte. Deshalb waren Njangu und die anderen Sektionsleiter mit Angara unterwegs, während Garvin untätig in der Atmosphäre von D-Cumbre herumfurzen musste. Er war sich nicht absolut sicher, ob es ihm gefiel, kein Frontoffizier mehr zu sein, auch wenn er auf diese Weise vermutlich länger am Leben bleiben würde. Trotz schwerer Verluste ließen die Larixaner nicht locker und setzten den Vorstoß gegen D-Cumbre fort. Zwei weitere Kreuzer wurden getroffen und vernichtet. An Bord der al Maouna eilte ein Elektronikoffizier zu Dant Angara. »Sir, wir haben eine Nachricht abgefangen. Hier ist eine vorläufige Dechiffrierung. Sie stammt von jemandem, der sich Weißer Führer nennt... die Analyse ergibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass damit Celidon, ihr Admiral, gemeint ist.« Die Nachricht lautete: An alle Angriffsschiffe der Flotte. Setzen Sie Ihre (Mission?) fort... Greifen Sie die vorgegebenen Ziele auf dem Planeten an. Heute ist der größte Tag in der larixanischen Geschichte! »Und was soll das an unserem Erkenntnisstand ändern?«, murmelte Angara vor sich hin. Njangu betrachtete einen der Hauptbildschirme. Er glaubte, etwas gesehen zu haben, griff nach einem Mikro und schaltete sich zu Ho Kang durch, um ihr eine Frage zu stellen. Sie wechselte den Kanal und sprach mit einem Kontrolltechniker. Plötzlich blinkten auf dem großen Schirm verstreute rote Punkte auf. »An alle Stationen«, kam Kangs Durchsage über Laut357 Sprecher. »Wir scheinen es hier mit einer interessanten Entwicklung zu tun zu haben. Beobachten Sie die rot markierten Schiffe. Es handelt sich um einen Teil der larixanischen Schlachtkreuzer, die wir als größte
Bedrohung eingestuft haben, und zwar um etwa die Hälfte des bekannten Kontingents.« Grüne Pfeile wurden in die Darstellung eingeblendet, und Njangu hörte, wie ein anderer Stabsoffizier nach Luft schnappte. »Wie Sie sehen«, sprach Ho ruhig weiter, »haben alle beobachteten größeren Schiffe den Kurs geändert und scheinen sich zurückzuziehen. Ich wiederhole: Sie scheinen sich aus dem System zurückzuziehen.« »Verdammter Dreckskerl«, sagte jemand. Dann wurde Njangu bewusst, dass es seine eigene Stimme gewesen war. »Redruth lässt seine Soldaten zurück, um den Rückzug der großen Einheiten zu decken«, sagte Angara verbittert. »Ich verwette jeden Credit darauf, dass er sich nicht in einem der Transporter aufhält. Jetzt wird es ziemlich blutig werden. Stellen Sie mich zu unseren Bodentruppen durch.« Nicht nur die Kreuzer, sondern auch die Zerstörer zogen sich zurück. Sie rasten mit Vollschub dem Navigationspunkt entgegen, an dem sie eingetroffen waren. Aut Johnny Chaka, früher der knallharte Kommandant einer Zhukov-Staffel und nun der ebenso knallharte Kommandeur eines aus vier Schiffen bestehenden Velv-Geschwaders, fiel ihnen in den Rücken. »Eine Rakete pro Schiff«, sagte er zu seinen Waffenoffizieren. »Wir müssen sie nur manövrierunfähig schießen, dann können wir später zurückkommen, um ihnen den Rest zugeben.« 358 Eins seiner Schiffe steckte einen Treffer ein, löste sich aus der Formation, meldete reparable Beschädigungen, stand aber für den Kampf nicht mehr zur Verfügung. Chaka schürzte einen kurzen Moment lang die Lippen, ließ sich aber sonst keine Gefühlsregung anmerken, während er weiter die Nachzügler jagte. Er hoffte, dass er genug erledigte, um die Chance zu erhalten, einen Kreuzer zu erwischen. Die Transporter schoben sich in Bogenformation an D-Cumbres größtem Mond Fowey vorbei. Ein paar Zerstörer hatten Redruths Befehl missachtet, die Transporter im Stich zu lassen, und verteidigten ihre Schützlinge unter schweren Verlusten. Cumbrianische Flotteneinheiten stürzten sich auf die Formation, und die larixanischen Offiziere konzentrierten sich auf ihre einzige Überlebenschance - D-Cumbre. Lichter erglühten am Himmel über dem Planeten. Die Larixaner, die auf den Boden zurasten, erzeugten den spektakulärsten Meteoritenschauer der Geschichte. Die Griersons und Zhukovs der Legion kamen ihnen entgegen. Sie waren zu klein, um von den Waffenstationen der Transporter erfasst zu werden, aber durchaus groß genug, um ein Raumschiff zu vernichten. Die larixanischen Soldaten, von denen viele nur unzureichend ausgebildet und raumkrank von den abrupten Kursänderungen waren, die die Antigravsysteme nicht kompensieren konnten, spürten das Zittern der Schiffe, als sie in die Atmosphäre eindrangen. Manche hörten sogar das dumpfe Kreischen, als die Transporter der Oberfläche entgegenstürzten und mit glühender Schiffshülle das Tempo reduzierten. Für viele war es das Letzte, was sie hörten oder spürten, bevor die Goddards einschlugen. 359 »An alle Elemente der Ersten Brigade«, sagte Fitzgerald ruhig. »Suchen Sie sich ein Ziel aus, und wenn Sie es nicht in der Luft zerstören können, melden Sie seine Position an ihren Kommandanten, nachdem es den Boden erreicht hat. Wenn es Truppen absetzt, landen Sie und nehmen Sie die Verfolgung auf. Lassen Sie sie kapitulieren, wenn sie sich dazu entscheiden, aber gehen Sie kein Risiko ein.« »Und?«, fragte Jasith Mellusin. Ihre Jacht klebte fast am Heck eines larixanischen Truppentransporters, der bereits tief in die Atmosphäre eingetaucht war. Halfin, ihr neuer Captain, war ein Zinser wie sie, wenn auch ein recht bankrotter Vertreter seiner Zunft, aber früher war er einer der besten Piloten bei der Geländejagd gewesen, einer Sportveranstaltung, die sich bei den Reichen großer Beliebtheit erfreute. Jetzt wurde derselbe Wettkampf mit Raumschiffen ausgetragen. Aber er hatte noch nie zuvor einen Menschen getötet, ganz zu schweigen von Tausenden auf einmal. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zögerte. Der Transporter war auf einem neuen Bildschirm zu sehen, der neben seinem Platz angebracht worden und mit der Zielerfassung für die Batterie ungelenkter Fury-Raketen gekoppelt war, die unterhalb des Bugs die anmutigen Umrisse der Godrevy verunstalteten. »Schießen Sie ihn ab, verdammt!«, befahl Jasith, und der Mann drückte wie in einem plötzlichen Krampf auf den Feuersensor. Raketen schössen davon, schlugen in die Triebwerksdüsen des Transporters und explodierten. Das larixanische Schiff neigte sich zur Seite, während Rauch aus einem Loch in der Flanke quoll, dann geriet es völlig außer Kontrolle. 360 Das Schiff stürzte zweitausend Meter in die Tiefe, traf die Wasseroberfläche, die bei dieser Geschwindigkeit hart wie Stahl war, und wurde auseinander gerissen. Jasith blickte auf das aufkochende Wasser, und als sie daran dachte, wie ihr Vater von den 'Rauhm ermordet worden war, begann sich etwas in ihr zu regen. Sie dachte auch an ihre Freunde, die sie durch die Musth verloren hatte, und an jene, die bei der Bombardierung ums Leben gekommen waren... und ein grausames Lächeln
erschien auf ihrem Gesicht. Halfin sah sie an und wandte den Blick sofort wieder ab. »Und nun«, sagte Jasith, »schnappen wir uns den nächsten Schweinehund.« Sie glaubte allmählich zu verstehen, warum Garvin Soldat war. »Gehen Sie runter, neben den Griersons«, befahl Garvin und schloss seine Kampfrüstung. »Sir«, sagte sein Pilot und ließ das Kommando-LKG zu Boden sinken. Sie hatten es mit zwei klobigen larixanischen Handelsschiffen zu tun, die versucht hatten, am Strand von Mullion Island zu landen. Das erste war im flachen Wasser aufgekommen und hatte eine Schneise in den Dschungel gerissen, der unmittelbar hinter dem schwarzen Sand begann. Das zweite hatte parallel zum Strand heruntergehen wollen, war jedoch gegen einen Felsvorsprung geprallt und in zwei Hälften zerbrochen. Ein halbes Dutzend Griersons von der Aufklärungskompanie waren in der Nähe gelandet, und zwei Zhukovs kreisten am Himmel. Garvin sah jubelnde Soldaten, die larixanische Gefan361 1 gene in eine hastig errichtete Umzäunung trieben, während andere in kleinen Patrouillen den Dschungel durchkämmten. Er hoffte, dass sich alle Larixaner ergaben; schließlich hatte er Ben Dills Geschichten über die Ungeheuer gehört, die in diesen Urwäldern hausten - und vor allem über jene, die sich unter der Wasseroberfläche verbargen. Sein Grierson landete, und die Rampe wurde ausgefahren. Garvin setzte seinen Kampfhelm auf, überprüfte seinen Blaster und lief auf den Sand hinaus. Hinter ihm fluchten zwei Soldaten, die als seine Leibwache abgestellt waren, und folgten ihm. Jaansma wusste, dass er am Boden mit einer Waffe in der Hand genauso wenig verloren hatte, als würde er nackt durch die Meerenge bis Dharma schwimmen. Aber er scherte sich nicht darum. Es war schon viel zu lange her, dass er etwas anderes getan hatte, als Karten zu studieren. Außerdem wollte er sich für das rächen, was mit ihm und den anderen Aufklärern auf Kura Vier geschehen war. Garvin hörte Blasterschüsse aus dem Dschungel, verzog das Gesicht zu einem harten Grinsen und suchte nach einer Patrouille, der er sich anschließen konnte. »Sir!« Er blieb stehen, drehte sich um und sah Lir. »Darf ich fragen, was Sie hier machen, Sir?« »Ich dachte, ich könnte mich nützlich machen.« Lirs Lächeln war die pure Boshaftigkeit. »Es tut mir wirklich sehr Leid, Aut Jaansma, aber ich darf einfach nicht zulassen, dass ein so bedeutender Stabsoffizier wie Sie sein Leben bei einer simplen Aufräumaktion in Gefahr bringt.« »Verdammt noch mal, Monique, ich meine es ernst!« »Ich ebenfalls, Sir. Und ich muss Sie auffordern, zu 362 Ihrem LKG zurückzukehren, um zu vermeiden, dass Ihnen etwas zustößt, Sir.« Garvin wollte etwas zurückknurren, erkannte aber, dass es ihm nichts nützen würde, zumal sie nun einen Schritt näher kam und ihm zuflüsterte: »Ich habe doch gesagt, dass ich meine Gelegenheit zur Rache bekomme.« Hinter ihr standen zwei grinsende Soldaten der Aufklärer, und für Garvin bestand kein Zweifel, dass sie ihm liebend gerne den Blaster abnehmen und ihn mit Gewalt in seinen Grierson zurückschaffen würden, wenn Lir es ihnen befahl. » Vielen Dank, Cent Lir«, sagte Jaansma zähneknirschend. »Ich werde nie vergessen, dass Sie stets nur mein Wohlergehen im Sinn haben.« Hinter ihm ertönte eine Blastersalve, und er duckte sich instinktiv, bevor er sich zusammenreißen konnte. Ihm wurde bewusst, dass sich keiner der drei Aufklärer gerührt hatte. Vielleicht war er ja tatsächlich schon leicht eingerostet. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, Sir«, sagte Lir. »Wir müssen noch ein paar Larixaner zusammentreiben.« Garvin ging zu seinem Grierson zurück, war kurz darauf wieder in der Luft und konnte sich nicht recht entscheiden, ob er wütend werden oder lachen sollte. Die Invasion durch die Truppen von Larix/Kura endete in einem langgezogenen Winseln. Noch zwei E-Jahre später wurden zerlumpte und halb verhungerte larixanische Soldaten aus dem Dschungel aufgescheucht. Nur noch ein Schritt, dachte Dant Angara. Ein schneller Schritt. Und dann sind wir an der Reihe. 363 22 N-Raum Den Besatzungen der unbeschädigten cumbrianischen Kriegsschiffe blieb nur wenig Zeit, sich auszuruhen und zu erholen. Angara hatte bestimmte Fabriken aus der primären Kriegsproduktion ausgekoppelt, damit dort sehr
geheime, recht kleine Apparaturen gebaut werden konnten. Nun kehrten die Raumschiffe der Legion ins All zurück und näherten sich Larix und Kura durch den N-Raum, wobei sie die Apparaturen an jedem bekannten Navigationspunkt aussetzten. Das Risiko war nicht besonders hoch, da die Larixaner immer noch unter dem Schock ihrer unerwarteten und schweren Niederlage standen. Sie waren nicht darauf erpicht, sich erneut dem Feind zu stellen, bevor sie sich gesammelt und ihre Verluste ausgeglichen hatten. Also wurden mit jedem Flug neue Apparaturen ausgesetzt. Dann verschwanden die cumbrianischen Schiffe, und die larixanischen Erkunder meldeten, dass die Flugrouten wieder frei waren. Ein Unz aus der Zweiten Generation hing irgendwo im N-Raum, in der »Nähe« eines Navigationspunktes bei Kura Vier. Seine Aufzeichnungsvorrichtungen registrierten, wie die Zeit verging, obwohl das im Grunde keine Bedeutung besaß. Dann meldete ein Sensor eine Ortung, und der Unz erwachte zum Leben. Seine Schaltkreise entdeckten eine Störung im Hyperraum, und der Unz II, der nun aus einem 364 Zylinder mit aufgesetzter Kugel bestand, aktivierte seinen Hyperantrieb. Er steuerte genau auf die Störung zu. Dann nahm ein Annäherungsdetektor die Arbeit auf. Der Unz näherte sich der Störung — einem Schiff, das landwirtschaftliche Produkte geladen hatte, die nach Larix Primus geliefert werden sollten. Er gehorchte penibel seinen Anweisungen und sendete ein Signal an einen Zwunz, der sich irgendwo in der »Nähe« im Hyperraum bereithielt, dass seine Aufgabe nun von einem anderen Unz übernommen werden musste. Eine Sekunde später - sofern man im Hyperraum von Realzeit sprechen konnte - explodierte der Unz programmgemäß, als er nahe genug war, um die Störung zu beseitigen. Einige Zeit später deponierte ein Velv einen neuen Unz am Standort des ersten, damit er dort auf das nächste kura-nische Schiff warten konnte. Die Besatzung sprach davon, dass die Situation recht unheimlich war, da ihre Detektoren die Annäherung eines Unz meldeten, der sich jedoch wieder zurückzog, als er »erkannte«, dass es kein feindliches Schiff war. »Die Biester schnüffeln einen aus wie ein verdammter Giptel«, sagte ein Techniker erschaudernd. Andere Unze waren vor Larix stationiert worden und verfolgten von Kura startende Schiffe, die andere Navigationspunkte benutzten, um das Hauptsystem zu erreichen, oder sich mühsam von einem projizierten Punkt zum nächsten vorarbeiteten und neue Navigationskoordinaten etablierten - und anschließend gnadenlos von den Unzen vernichtet wurden. Die Zerstörung eines Handelsschiffes beunruhigte Protektor Redruth überhaupt nicht und Celidon nur geringfügig. Aber dann waren es zehn, dreißig und schließlich sechsundachtzig kuranische Transporter, die nie eingetrof365 fen waren, ohne dass es einen Notruf oder eine Erklärung gegeben hatte. Celidon war der Erste, dem auffiel, dass Schiffe, die von Larix nach Kura flogen, unbehelligt blieben. Die Versicherungsgesellschaften auf Larix weigerten sich, Policen für Schiffe auszustellen, die von Kura zum Hauptsystem unterwegs waren. Zu diesem Zeitpunkt war es zunächst für Celidon und wenig später auch für den Protektor offensichtlich, was vor sich ging: Cumbre wollte Larix mit Hilfe einer völlig unbekannten Waffe aushungern. Dann verschwanden auch Schiffe, die von Larix nach Kura flogen, als weitere Unze in der »Nähe« der Navigationspunkte vor Larix deponiert wurden. Damit waren die zwei Planetensysteme voneinander abgeschnitten. Celidon hatte keine Idee, was dagegen unternommen werden konnte, auch nachdem larixanische Wissenschaftler feststellten, dass keine Überfallkommandos, sondern unrühmliche, unbemannte, aber sehr tödliche Minen für die Zerstörung verantwortlich waren. Die Larixaner erfuhren nie, welche Namen Dr. Danfin Froude den Minen aus einer Laune heraus gegeben hatte, und in der kurzen Zeit, bevor der Krieg weiter eskalierte, kamen sie auch nicht mehr dazu, Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Die Unze und Zwunze hatten überhaupt nichts Glamouröses, und sie wurden auch nicht von schneidigen jungen Offizieren gelenkt. Trotzdem waren sie wesentlich effektiver als die besten Aksai-Piloten. Ben Dill beschwerte sich wutschnaubend, dass der Krieg auf diese Weise jegliche Romantik verlor. 366 Cumbre / D-Cumbre Zwei E-Monate waren seit der Vernichtung der larixanischen Flotte vergangen. In dieser Zeit waren Angaras Leute sehr fleißig gewesen. Dant Angara rief seine Kommandanten in Camp Mahan zusammen. »In einem E-Monat«, verkündete er ohne Vorrede, »wird die Legion auf Larix Primus landen und den Planeten erobern. Es wird Zeit, diesen Krieg zu beenden.« 23 Cumbre / D-Cumbre
»Ich glaube«, sagte Jasith Mellusin zu Dant Angara, »ich würde gerne eine Party schmeißen.« »Eine Siegesfeier wäre eine ausgezeichnete Idee«, sagte Angara. »Und vielen Dank für das Vertrauen, das Sie in die Legion setzen.« »Nein, Dant«, sagte Jasith. »Hinterher wird jeder feiern. Ich möchte, dass meine Party jetzt stattfindet... beziehungsweise sobald ich alles vorbereitet habe - vorausgesetzt, Sie stimmen zu.« »Da Sie offenbar der Meinung sind, mich um Erlaubnis bitten zu müssen«, erwiderte Angara, »möchte ich Ihnen in Anbetracht der Tatsache, dass jeder Angehörige der Armee in Kürze unabkömmlich sein wird, die Frage stellen, wer Ihre Gäste sein werden.« »Ich möchte die gesamte Legion einladen«, sagte Mellusin. 367 Angara blinzelte überrascht. »Die gesamte Legion? Alle? Das sind... nun, unsere genaue Truppenstärke ist geheim, aber sagen wir einfach, dass es einschließlich der neuen Rekruten gut und gerne mehr als fünfzehntausend Männer und Frauen sein könnten.« »Das ist ungefähr das, was auch meine Mitarbeiter geschätzt haben.« »Großer Gott im Gartenhaus, Miss Mellusin! Das dürfte die größte Party in der gesamten cumbrianischen Geschichte werden.« »Nicht ganz«, sagte Jasith. »Als mein Vater volljährig wurde, hat er alle seine Angestellten und jeden anderen Bewohner des Systems zu einer zweitägigen Feier eingeladen. Die anderen Zinser waren zutiefst schockiert, weil er auch die 'Rauhm willkommen geheißen hat. Aber das war in grauer Vorzeit. Und nennen Sie mich doch bitte Jasith.« »Eine unglaubliche Vorstellung«, sagte Angara. Dann kam ihm eine Idee. »Wenn unsere Propagandaleute dafür sorgen könnten, dass diese Party auch auf Larix und Kura bekannt wird, wäre das bestimmt ein großer Schock für Redruth. Wenn ihm klar wird, dass wir uns einen solchen Luxus erlauben können. Interessant... Vielleicht ist es tatsächlich eine gute Idee, auch wenn sie eigentlich unmöglich ist. Lassen Sie mich darüber nachdenken. Ich werde mich so schnell wie möglich wieder bei Ihnen melden. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden... die Pflicht ruft.« Er lächelte, und der Bildschirm erlosch. Jasith drehte sich zu Garvin um, der Caud Fitzgerald ein paar Stunden Ausgang abgerungen hatte. »Wir machen eine Party!« »Wie kannst du dir so sicher sein? Angara hat noch nicht Ja gesagt.« 368 »Ich weiß es einfach. Frauen spüren so etwas.« »Warum willst du es vor dem Kampf um Larix tun?«, fragte Garvin. »Manchmal«, sagte Jasith, und ihre Stimme nahm dabei einen etwas schärferen Tonfall an, »stellst du dich ziemlich begriffsstutzig an, Garvin Jaansma. Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, dass einige Leute in den Kampf ziehen werden, ohne die Gelegenheit zu erhalten, an irgendeiner Siegesfeier teilzunehmen?« Garvin zuckte zusammen, dann nickte er langsam. »Und vielleicht würden die Leute sich gerne an etwas Angenehmes erinnern, wenn sie da draußen in einem Graben kauern und auf sie geschossen wird«, sagte Jasith. »Ich werde alle Frauen - und alle Männer - mit lockeren Moralvorstellungen einladen, außerdem ein paar Leute, bei denen ich mir nicht ganz sicher bin... Aber wenn ich genauer darüber nachdenke, trifft das eigentlich auf alle zu, die ich kenne. Auf jeden Fall werde ich keinen Zweifel daran lassen, wie unglücklich es mich machen würde, wenn irgendwer allein nach Hause gehen sollte. Wie viel würdest du darauf setzen, dass Dant Angara sich denken kann, was ich in Wirklichkeit beabsichtige?« Garvin schüttelte den Kopf. »Jasith Mellusin, du bist ein Phänomen!« »Auch das war mir bereits bewusst.« »Hier«, brummte Monique Lir und warf ein kleines Kästchen über ihren Schreibtisch. Darod Montagna fing es auf, öffnete es und bekam riesengroße Augen. »Äh...« Es waren die Rangabzeichen eines Tak. »Womit habe ich mir das verdient?« »Das ist nur, damit ich jemanden habe, mit dem ich einen 369 saufen kann«, knurrte Lir. »Cents dürfen sich nicht jede Nacht im Unteroffiziersclub herumtreiben.« »Aber ich bin noch nicht mal...« »Zwanzig?«, sagte Lir. »Ach, scheiß drauf! Kriege werden von jungen Frauen ausgefochten, falls Ihnen das bisher entgangen ist - oder Sie die ganzen Idioten nicht gesehen haben, die sich in letzter Zeit gegenseitig befördert haben. Von Rechts wegen sollten Sie die Aufklärer verlassen, um sich nicht mit dem gemeinen Fußvolk zu vermischen. Aber es ist ja niemand mehr aus den alten Tagen übrig, mit dem man sich vermischen könnte.« »Vielen Dank, Boss.« »Sparen Sie sich die Dankesreden. Ich werde dafür sorgen, dass Sie sich den Arsch abarbeiten - bis auf die
Knochen -, bevor wir in die Transporter steigen. Und die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass Sie bei der Invasion weggepustet werden.« Die Armee veränderte sich in rasantem Tempo. Soldaten, die aus dem Lazarett oder von einem Urlaub zurückkehrten, erkannten häufig ihre alte Einheit nicht wieder. Einige Änderungen waren auf Verluste zurückzuführen, aber die meisten auf die Tatsache, dass sich die Stärke der Legion verdoppelte. Erfahrene Offiziere und Unteroffiziere wurden befördert und versetzt, und manche waren erst auf direkten Befehl von Dant Angara bereit, mürrisch ihre Sachen zu packen und in eine neue Baracke umzuziehen, wo sie die Führung neuer Einheiten übernehmen sollten. Lir hatte getobt, aber es hatte nichts genützt: Selbst die Aufklärer waren ausgeschlachtet worden. Ton Milot und Stef Bassas wurden zu Senior-Twegs befördert und kommandierten nun neue Einheiten in der Zweiten Brigade. Die Ärztin Jil Mahim ging im Rang eines Tak zu den Sanitätern der Ersten Brigade - und mit dem Versprechen, nach 370 dem Krieg an eine zivile medizinische Hochschule zu kommen. Rad Dref war kein simpler Grierson-Pilot mehr, sondern als Tak für eine Zhukov-Staffel verantwortlich. Einige Leute waren bei den Aufklärern geblieben: Lav Huran, Senior-Tweg und nun Erster Tweg, was bedeutete, dass alle drei Kommandoposten der Aufklärer von Frauen besetzt waren; Calafo, ein Tweg und dienstältester Unteroffizier der Zweiten Truppe; Felder, nunmehr ein Tweg, die die Verantwortung über eine komplette Abteilung ihrer geliebten »Rumpel«-Erkundungsroboter übernommen hatte - ebenfalls eine Änderung in der Ausrüstung der Aufklärer; und schließlich Gefreiter Fleam, der sich standhaft gegen jede Beförderung gewehrt hatte - als ihm die Streifen mit Gewalt aufgedrängt worden waren, hatte er bis zum nächsten Morgen dafür gesorgt, dass er sie durch ungebührliches Benehmen sofort wieder verlor. Infolgedessen hatte in der Aufklärungskompanie niemand mehr Zeit für so etwas wie ein Privatleben. Lir weigerte sich, die Standards zu lockern, was bedeutete, dass die alte Kerntruppe zwei Drittel ihrer Zeit damit verbrachte, sich auf die Invasion vorzubereiten - und den Rest mit der Ausbildung oder Prüfung der neuen Freiwilligen. Montagna sagte zu Lir, dass sie sich auf die Invasion freute, weil sie dann Gelegenheit erhalten würde, sich ein wenig auszuruhen. »Haben Sie noch nicht durchschaut, wie die Armee funktioniert?«, fragte Lir. »Wir machen diese Scheiße absichtlich und scheuern allen die Eier blank, damit sie den Kampf als Erleichterung empfinden. Und was fällt Ihnen eigentlich ein, meine junge Tak, Ihre Zeit damit zu vergeuden, sich bei mir auszuheulen? Los, Darod! Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns!« Andere Abteilungen wurden auf ähnliche Weise zerris371 sen, als neue Rekruten hinzukamen und die Legion allmählich ihre erst vor kurzem genehmigte Truppenstärke von zwanzigtausend Mann erreichte. Erik Penwyth salutierte schneidig. »Sie haben mich rufen lassen, Sir?« »So ist es«, sagte Angara. »Ich möchte Sie mit einer sehr speziellen Mission beauftragen.« »Vielen Dank, Sir. Darf ich fragen, worum es sich handelt?« »Sie werden bei der Vorbereitung einer Party mithelfen.« Njangu Yoshitaro war gerade auf dem Weg zu Angaras Büro, eine Akte mit den letzten geheimdienstlichen Einschätzungen der Positionierung von Redruths Schiffen unter dem Arm, als Ushant, eine von Angaras Adjutanten, ihn aufhielt. »Innerhalb der nächsten Stunde oder so solltest du lieber nicht reingehen, N'jang. Der Alte sucht nach jemandem, den er in der Luft zerreißen kann, und ich glaube, es ist ihm ziemlich egal, wer das Opfer ist.« »Warum?«, fragte Njangu die Frau. »Was ist passiert?« »Mil Liskeard war gerade bei ihm, hat seine Abzeichen auf Angaras Schreibtisch geworfen und gesagt, dass er den Dienst quittiert. Der Alte kann mit ihm machen, was er will, ihn seinetwegen auch vor ein Kriegsgericht stellen, solange er nicht mehr gezwungen ist, jemanden zu töten.« Njangu blinzelte. »Liskeard? Scheiße, er ist unser bissigster Tiger.« »Er war unser bissigster Tiger«, sagte Ushant. »Dant Angara hat eine Stunde lang auf ihn eingeredet und versucht, ihn dazu zu bringen, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken - und dann ist ihm schließlich der Kragen ge372 platzt, und er hat zu Liskeard gesagt, dass er aus seinem Blickfeld verschwinden und seinen Arsch bis auf weiteres in die Wartungsabteilung bewegen sollte. Er würde nach der Invasion entscheiden, ob er Liskeard vor Gericht stellen wird, weil er jetzt wichtigere Dinge zu tun hat.« »Ich frage mich, was mit ihm passiert ist«, sagte Njangu. »Ich konnte mich... nur unzureichend über den Verlauf des Gesprächs informieren... weil ich zwischendurch zum Kom musste... aber als ich zurückgekommen bin, sagte Liskeard etwas von >Leichen, überall Leichen<. Keine Ahnung. Ich denke, es war einfach zu viel für ihn. Das Interessante daran ist«, fügte Ushant nachdenklich hinzu,
»dass Angara ihn nie als Feigling oder etwas in der Art bezeichnet hat.« »Ja«, sagte Njangu. »Das ist interessant. Dann hole ich mir jetzt mein Mittagessen und versuche es später noch mal.« Er ging durch den Korridor zurück und überlegte, woran Liskeard wohl zerbrochen war und ob jeder Mensch einen Punkt hatte, an dem er zerbrach. Er dachte an die Soldaten, die er nach einem Feuergefecht gesehen hatte Soldaten, die gezittert, geweint oder einfach nur mit leerem Blick vor sich hingestarrt hatten. Einige hatten schreckliche Dinge erlebt, hatten Kameraden neben sich sterben gesehen oder waren beinahe selbst gestorben, manchen anderen hingegen war gar nichts Besonderes passiert. Zumindest nichts, was nachvollziehbar gewesen wäre. Manche waren nach ein paar Minuten wieder in Ordnung, andere, nachdem sie eine gewisse Zeit in einer Anstalt verbracht hatten, und wieder andere kehrten nie in die Armee zurück. Njangu hoffte, dass ihm so etwas nie zustoßen würde. Er wäre lieber tot. Zumindest glaubte er, dass er es lieber wäre. 373 »Sie alle sind Mitglieder von Tvems Clan?«, fragte Jon Hedley. Im Raum befanden sich achtzehn Musth, alle trugen Kampfrüstungen, und sie hatten die umgekehrte V-Formation eingenommen, die bei den Musth-Soldaten üblich war. Der Alien in der Mitte hatte Jaansma gesagt, dass sein Name Riet war, und er war der beste Pilot. Sein Akzent war einfach grauenhaft, aber er behauptete, dass er besseres Terranisch sprach als die anderen. »Die meisssten von unsss gehören zu Tvemsss Clan«, sagte er. »Andere von unsss haben von Tvemsss Tod gehört und beschlosssen, dasss wir unsss gemeinsssam rächen wollen. Oder haben Sssie noch ein anderesss Wort für eine Aktion, bei der dasss Blut schneller fliessst und allesss viel lebendiger wird?« »Spaß«, sagte Hedley. »Genau. Sssolche Ereignissse geschehen nur ssselten in diesssem Sssektor. Aissso wollen wir unsss freiwillig melden. « »Und Sie alle sind an Aksai ausgebildet?« »Sssicher. Wir sssind für alle Pilotenposssitionen qualifiziert. « »Ich könnte jeden Einzelnen von Ihnen küssen«, sagte er, und beinahe hätte er den s-Laut im letzten Wort etwas stärker als üblich gezischt. »Warten Sie einen Moment. Ich möchte jemanden namens Alikhan holen. Er hat sich in letzter Zeit recht einsam gefühlt. Und willkommen in der Legion. Wir werden Sie vereidigen, sobald ich den Alten von seinen Pflichten loseisen kann.« »Vereidigen?« »Das ist so Sitte bei uns. Schließlich sollten wir bei der Besetzung unserer Aksai nicht allzu promiskuitiv vorgehen.« 374 »Hauptquartier der Legion«, sagte Garvin knapp, nachdem er den Anruf angenommen hatte. »Aut Jaansma am Apparat.« Dann erkannte er Darod Montagna. »Guten Morgen, Sir«, sagte sie. »Dies ist so etwas wie ein irregulärer Anruf, Sir.« »Äh, in Ordnung, Tak. Übrigens meinen Glückwunsch zu Ihrer Beförderung. Ich habe die Meldung gelesen und bin nie dazu gekommen, Sie anzurufen. Entschuldigung, aber hier herrscht ein ziemliches Chaos. Ich schulde Ihnen noch eine Runde in der O-Bar, wann immer Sie möchten, da ich mich in diesen Tagen sowieso nicht freimachen kann.« Garvin wurde sich bewusst, dass er Unsinn redete. »Aber wie kann ich Ihnen helfen?« »Deswegen rufe ich an, Sir. Sie haben mir bereits geholfen. Seit wir auf Kura waren, hat sich sehr viel für mich verändert, und ich glaube... dass es gute Dinge sind. Ich wollte mich nur dafür bedanken, dass Sie mir die Chance gegeben haben.« »Ich habe doch gar nichts gemacht«, sagte Garvin. »Außer dass Sie mich vielleicht vor dem Tod bewahrt haben«, sagte sie. »Es könnte aber auch sein, dass Sie mich vor diesem Schicksal bewahrt haben«, sagte Garvin grinsend. »Bei Teamwork ist das nämlich eine wechselseitige Sache.« Darod lächelte zurück. »Wissen Sie, es kommt mir schon etwas komisch vor, >Sir< statt Garvin oder Boss zu sagen, da Sie jetzt doch nicht mehr zu den Aufklärern gehören.« Garvin hätte ihr am liebsten gesagt, sie könnte ihn nennen, wie sie wollte, riss sich aber zum Glück im letzten Moment zusammen. »Nicht nur für Sie hat sich einiges verändert«, sagte er. 375 »Tja, so ist das wohl. Jetzt und vielleicht auch in Zukunft. Entschuldigung, dass ich so viel von Ihrer Zeit beansprucht habe, Sir. Aber nochmals danke für das, was Sie für mich getan haben.« »Keine Ursache... Darod.« Wieder lächelte sie. »Noch etwas... Garvin. In Wirklichkeit war ich gar nicht so betrunken.« Damit erlosch der Bildschirm. Das war tatsächlich höchst irregulär, dachte Garvin. Vielleicht sollte ich Lir dazu bringen, dass sie ihr diesen Streifen wieder abreißt. Aber das würde mein Leben wahrscheinlich nur komplizierter machen. Also... warum
mache ich mir überhaupt Gedanken darüber? »Jasiths Party« ging in die Annalen von Cumbre und der Legion ein. Sie sprach nie darüber, wie viel sie die Veranstaltung gekostet hatte. Die Schätzungen bewegten sich zwischen einer und drei Millionen Credits. »Nur« etwa viertausendsiebenhundert Mitglieder der Armee ließen sich blicken. Die anderen waren im Weltraum, auf anderen Planeten des Cumbre-Systems oder gehörten dem Viertel der Streitkräfte an, das auf Angaras Anweisung ständig in Bereitschaft sein sollte. Manche waren auch nur menschenscheu oder hatten andere Vorstellungen von einer angemessenen Freizeitgestaltung. Doch als die Jahre vergingen und die Geschichten immer fantastischer wurden, gab es fast keinen Armeeangehörigen mehr, der zugegeben hätte, dass er nicht dabei gewesen war. Jasith ließ ein quadratkilometergroßes Landefeld der Mellusin-Bergwerke freiräumen. An den vier Ecken stand ein Zerstörer der Kelly-Klasse auf seinen Heckflossen. Zwischen den Nasen der Schiffe hing - von kleinen Antigraveinheiten gehalten - etwas, das nach einem einzigen Stück 376 dünner Leinwand aussah. In Wirklichkeit waren es Filterbögen aus den Bergwerken. Die abgerollten Streifen waren mit Klammern aneinander befestigt. In der Mitte des Feldes standen ein Aksai, ein Velv, ein Wynt, ein Grierson und ein Zhukov. Soldaten boten den Zivilisten mit einem freundlichen Lächeln an, ihnen die Schiffe zu zeigen. Einige Kameraden beneideten sie um die Arbeit, bis eine Gefreite eine Liste schwenkte. »Stellt euch in einer Schlange an meinem linken Nippel auf!«, gluckste sie. »Ich habe hier genug Nummern von Männern, um mich bis zur Jahrtausendwende rannehmen zu lassen.« Das angesehene Symphonieorchester aus Seya spielte; die Musik wurde an die monströsen Lautsprecher rund um den Platz übertragen. Transporter brachten Soldaten von Camp Mahan und anderen Posten auf den Planeten und zurück, und alle strömten in ihren Ausgehuniformen auf das Landefeld. Eingeladene Zivilisten - es schien, dass Jasith genau wie ihr Vater ganz D-Cumbre eingeladen hatte -parkten ihre Gleiter, zeigten sich in eleganter Abendgarderobe oder einfach dem Besten, was sie anzuziehen hatten, und mischten sich unter die Menge. Sogar Loy Kouro hatte eine Einladung erhalten. Er hatte daran gedacht, sie zu ignorieren, doch dann wurde ihm klar, dass er sich damit nur noch mehr zum Idioten machen würde. Also ließ er sich zähneknirschend eine halbe Stunde lang blicken, bevor er sich wieder entfernte. Der Matin berichtete über das Ereignis... aber nicht auf der Hauptseite. Auf den Tischen konnte sich jeder an einer vielfältigen Auswahl von Speisen bedienen, und leichte Getränke wurden verteilt. Niemand blieb hungrig oder völlig nüchtern. 377 Njangu Yoshitaro half Maev Stiofan beim Aussteigen, während Jon Hedley den Antrieb des Gleiters abschaltete und sich beeilte, für Ann Heiser die Tür zu öffnen. Die vier standen einen Moment lang da und betrachteten den Baldachin. »In Belgiens Hauptstadt sammeln sich bei Nacht / Zum Klang der Festlichkeit von nah und fern / Im Glanz der Schönheit ritterlicher Pracht /Die Schar der edlen Frau'n und tapfren Herrn.« Die anderen drei sahen Njangu überrascht an. »Ich wusste gar nicht, dass du Byron magst«, sagte Hedley. »Verdammt, ich wusste noch nicht einmal, dass auf D-Cumbre überhaupt schon jemand von ihm gehört hat!« »Das habe ich mal als Kind gelesen, in einer Nacht vor einem großen Kampf«, sagte Njangu leicht verlegen. »Dein Charakter ist tiefgründiger als es auf den ersten Blick scheint«, sagte Maev beeindruckt. »So bin ich eben«, erwiderte Njangu fröhlich. »Ich stecke bis zum Arsch in tiefgründigen Sachen.« Dant Angara tanzte ruhig mit seiner Gattin, einer kleinen, sehr freundlichen und sehr fröhlichen Frau. Ein paar Leute versuchten sich ihm zu nähern, wurden jedoch von einem Adjutanten abgewiesen, der ihnen höflich, aber entschieden erklärte, dass der Dant an diesem Abend außer Dienst war und seine Zeit mit dem Menschen verbringen wollte, mit dem er ansonsten die wenigste Zeit verbrachte. Maev Stiofan und Njangu tanzten nicht weit von Angara entfernt. »Bist du nicht ein wenig zu pflichtbewusst?«, beklagte sich Njangu. »Ich bezweifle, dass irgendein larixanischer Attentäter zu dieser Party eingeladen wurde.« 378 »Das ist mein Job«, sagte Maev. »Hast du vergessen, dass du eine Soldatin vögelst?« Njangu brummte unwillig, dann lachte er, und sie sah ihn grinsend an. »Außerdem werde ich von T'laan vertreten«, sagte sie. »Also können wir uns jederzeit etwas zu essen oder zu trinken holen.« »Vielleicht später«, sagte Njangu. »Ich fühle mich hier ziemlich wohl.« »Dann halt die Klappe und tanz.« »Zu Befehl«, sagte Njangu. Maev lehnte den Kopf an seine Schulter. Nach einer Weile fragte Njangu: »Geht es dir gut?« »Klar«, sagte Maev. »Weißt du, was ich mir gedacht habe, Njangu? Für die Zeit nach dem Krieg?« Njangu zuckte leicht zusammen. »In solchen Angelegenheiten bin ich etwas abergläubisch.« »Dazu besteht kein Grund«, sagte Maev. »Du bist ein viel zu gemeiner Hund, um während einer rechtmäßigen
Aktion wie einem Krieg mit Uniformen und solchen Sachen getötet zu werden.« »Danke. Also gut. Was hast du dir für... für diese Zeit gedacht?« »Mir war nie so richtig klar, wie ich eigentlich ticke«, sagte sie. »Ganz zu schweigen von anderen Menschen.« »Willkommen im Club.« »Ich hatte gedacht, dass ich vielleicht, wenn... Entschuldigung, dass ich anschließend wieder an eine Hochschule gehen könnte. Um Psychologie oder vielleicht Soziologie zu studieren.« »Ich weiß nicht, ob mir das gefallen würde«, sagte Njangu. »Wenn du dich weiterbildest, könntest du es schaffen, mir immer einen Schritt voraus zu sein.« 379 Maev lachte. Es hörte sich wunderbar an. »Schatz, du bist einfach zu langsam. Ich war dir schon immer einen Schritt voraus.« »Was hältst du von Kindern?«, wollte Hedley von Ann Heiser wissen, als sie sich mit ihren gefüllten Tellern an einen Tisch setzten. Ein weiß uniformierter Kellner fragte sie, was sie trinken wollten, und entfernte sich mit ihrer Bestellung. »Drück dich bitte etwas genauer aus, Jon«, sagte Heiser. »Als Schüler, als Sättigungsbeilage, als Gesprächspartner, als Physiker?« »Ich meinte eher davon... Kinder zu haben.« »Ach. Das ist mal eine originelle Frage! Gibt es einen bestimmten Grund, warum du dich danach erkundigst?« »Nun, ich... eigentlich nicht. Ich bin nur, verdammt, irgendwie neugierig«, strampelte sich Hedley ab. »Diese Vorstellung scheint mir nicht völlig undenkbar«, sagte Ann. »Aha.« Heiser lächelte ein wenig herablassend. »Da du Schwierigkeiten zu haben scheinst, dich zu artikulieren, möchte ich die Frage weiter eingrenzen. Hast du davon gesprochen, eigene Kinder zu haben?« »Nun, in gewisser Weise... ja.« »In gewisser Weise? Soll das heißen, dass du die Möglichkeit einer unbefleckten Empfängnis in Betracht ziehst?« »Ann, würdest du bitte damit aufhören! Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals eine solche Frage stellen würde, aber... wie soll ich sagen...?« »Ja, Jon Hedley«, sagte Ann Heiser ohne eine Spur von Ironie. »Ich habe schon darauf gewartet, dass du diese Frage stellst. Und die Antwort darauf lautet Ja.« 380 »Und was bedeutet das?«, fragte Jasith, als sie den Armreif mit Anhänger betrachtete. »Das soll die Nachbildung eines larixanischen Raumschiffs sein«, sagte Garvin. »Leider hat der Juwelier es nicht besser hingekriegt. Ein Schiff, wie du es abgeschossen hast. Wie du siehst, ist noch Platz für weitere Anhänger. « »Hmm«, sagte Jasith. »Jasith Mellusin, Fliegerass der Legion. Klingt wie ein Holo voller Abenteuer und Liebe.« »Genau«, sagte Garvin. »Warum?« »Weil ich dir damit zeigen möchte, wie sehr ich beeindruckt bin von dem, was du getan hast... und auch von dir im Allgemeinen.« »Du darfst mich küssen, Garvin Jaansma. Ich bin auch von dir sehr beeindruckt.« Garvin kam ihrer Aufforderung nach. Nach einiger Zeit lösten sie sich voneinander, und Garvin sah noch, wie Darod Montagna an ihnen vorbeitanzte, mit einem recht großen und attraktiven Cent, der ihm entfernt bekannt war. Er wandte den Blick ab und küsste Jasith erneut. »Und du bist so leidenschaftlich«, murmelte sie. »Das will ich hoffen.« »Vielleicht möchtest du ein bisschen mit mir tanzen, wenigstens so lange, bis sich die Beule in deiner Hose zurückgebildet hat«, sagte Jasith kichernd. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passiert, wenn ich daran denke, wie du tanzt.« »Dann sollten wir uns lieber eine dunkle Ecke suchen.« »Ich bin beeindruckt«, sagte Danfin Froude, nachdem er Heiser und Hedley gratuliert hatte. »Du .musst nicht mal die Monogramme auf deiner Wäsche ändern lassen, Ann.« 381 Die Physikerin lachte. »Männer können so unglaublich romantisch sein, nicht wahr, Ho?« »Manchmal«, sagte Ho Kang, »sind sie es wirklich. Aber was ist so falsch daran, praktisch zu denken?« »Danfin«, sagte Heiser, »du solltest ihr lieber auf der Stelle einen Antrag machen. Ich glaube nicht, dass du jemanden finden wirst, der besser zu dir passt.« Kang errötete leicht. »Um ehrlich zu sein«, sagte Froude, »etwas in dieser Art ist mir sogar schon durch den Kopf gegangen. Aber ich habe mir nie vorgestellt, dass ich es in Anwesenheit von Zeugen tun würde.« »Dann sollten wir uns ganz schnell aus dem Staub machen«, sagte Hedley. »Diese Sache scheint extrem ansteckend zu sein. Außerdem drängt es mich, mit meinem frisch erworbenen Talent als Tanzbeinschwinger
anzugeben.« Er griff nach Heisers Hand und zog sie zur Tanzfläche. »War das ernst gemeint?«, fragte Ho Kang. »Es war mir nie ernster«, sagte Froude. Er zog eine kleine Schachtel aus der Tasche, öffnete sie und ließ einen recht großen Diamanten in den schwebenden Flutlichtern funkeln. »Oh«, sagte Ho. »Du hast es wirklich ernst gemeint.« Sie berührte ihr strähniges schwarzes Haar und blickte an ihrer schmalen Figur herab. »Ich hätte nicht gedacht, dass irgendwer jemals...« »Sei still«, sagte Danfin Froude und nahm sie in die Arme, um sie zu küssen. »Ich schätze«, sagte Ho einige Zeit später, »dass mir nicht allzu viele Auswahlmöglichkeiten bleiben. Nicht dass ich mit dieser unzufrieden wäre...« 382 Andere Partygäste gingen nicht so förmliche und nicht so dauerhafte Verbindungen ein und verließen die Feier mit ihren neuen Partnern. Angara sah, wie sie davonzogen, und dachte sich, dass im Hinblick auf die Anzahl der Soldaten, die auf ihrem Posten erschienen waren, die Meldung morgen früh wahrscheinlich die am wenigsten wahrheitsgemäße in der Geschichte der Legion sein würde. Und falls sie doch wahrheitsgemäß sein sollte, würde er zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Reihen der Kompanien sehr ausgedünnt waren. »Was willst du diesbezüglich unternehmen, Liebling?«, fragte seine Frau. Angara überlegte, ob er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte, doch dann wurde ihm bewusst, dass er es nicht getan hatte. »Es ist erschreckend, dass man gar nichts mehr sagen muss, wenn man so lange mit jemandem zusammen ist«, erwiderte er. »Ich schätze, die Legion wird morgen die saubersten Toiletten aller Zeiten haben.« »Du kannst so etwas nicht einfach ignorieren?« »Natürlich nicht«, sagte Angara. »Natürlich nicht«, wiederholte seine Frau. Darod Montagna tanzte bis zum letzten Stück mit verschiedenen Leuten, fühlte sich aber nicht unglücklich, als sie schließlich allein in ihr Quartier zurückkehrte. Eine Woche nach Jasiths Party stießen die ersten Elemente der Armee in den Weltraum vor. Der Entscheidungskampf um Larix/Kura hatte begonnen. 383 24 Larix Die erste Angriffswelle galt den larixanischen Schiffen im Weltraum. Die Cumhrianer gingen kein Risiko ein und ließen sich nicht zu Heldentaten hinreißen. Jeder larixanische Zerstörer wurde von drei kleineren cumbrianischen Einheiten attackiert, die von den Kanes genauere Anweisungen erhielten. Die Velv stürzten sich auf die Patrouillenschiffe, die ihnen zugewiesene Beute, und die Aksai wurden wie immer in Staffeln aus vier oder mehr Jägern eingesetzt, um Versorgungs- oder Handelsschiffe zu erledigen. Das sorgte zwar bei einsamen Wölfen wie Dill und Alikhan für böses Blut, aber die Verluste hielten sich in Grenzen. Die larixanischen Schiffe wurden zu ihren Heimatplaneten zurückgetrieben, die nun genauso voneinander isoliert waren wie das Larix-System von Kura. Andere Schiffe näherten sich nun den Planeten - die Transporter und ihre Eskorten. An Bord befanden sich Infanteristen, die ihre Waffen reinigten, ihre Messer wetzten und wie immer die Gerüchteküche anheizten: Die Larixaner standen kurz vor der Kapitulation, und eine Invasion wäre gar nicht notwendig. Die Larixaner hatten eine Geheimwaffe und sich nur aus diesem Grund auf ihre Heimatwelten zurückgezogen. Die Flotte würde jeden Augenblick eine böse Überraschung erleben. Es würde eine Invasion geben, aber sie würde eine sehr blutige Angelegenheit werden, weil zahllose larixanische 384 Schiffe aus ihren Verstecken kommen und die Cumbrianer vernichten würden, bevor sie den Boden erreichen konnten. Die beliebteste Variante war die, dass die Invasion ein Kinderspiel sein würde. Dafür sprach zumindest, dass die larixanischen Soldaten beim Überfall auf Cumbre nicht gerade wie die Löwen gekämpft hatten. Viele Offiziere waren sich einig, dass es ein schneller Krieg mit einer Menge Beförderungen werden würde und sie alle schon bald wieder zu Hause wären. Garvin, Njangu und Maev erklärten kategorisch, dass das absoluter Unsinn war. Die Larixaner hatten sich auf DCumbre nicht besonders gut geschlagen, weil es für sie ein fremder Planet war und sie nicht verstanden, warum sie gegen jemanden kämpfen sollten, den sie gar nicht als ihren Feind betrachteten. Wenn sie auf ihren eigenen Welten um ihre Heimat kämpften, würde es etwas ganz anderes sein. Doch die meisten hörten ihnen gar nicht ernsthaft zu. Es spielte keine Rolle, dass die drei zu den wenigen Cumbrianern gehörten, die direkt mit Larixanern zu tun gehabt hatten. Gut informierte Quellen wussten es wie immer besser, vor allem, da keine genaueren Angaben über diese Quellen gemacht werden mussten. Garvin stellte bestürzt fest, dass Caud Fitzgerald sich der allgemeinen Ansicht angeschlossen hatte. »Wir haben
erlebt, wie schlecht die Ausbildung und die Führung der Larixaner ist«, sagte sie. »Wir müssen ihnen nur ein paar harte Schläge versetzen, dann werden sich die ersten weißen Fahnen zeigen.« Bei Angaras und Hedleys Beratungen war die Einschätzung wesentlich skeptischer. Dann begann Phase drei. Kleine Schwadronen stießen 385 in die Atmosphäre der drei unwichtigeren Larix-Planeten vor und schalteten alles aus, was ihnen in der Luft und am Boden Widerstand leistete. Aber die Hauptoffensive hatte Larix Primus zum Ziel. Kriegsschiffe rasten im Formationsflug über das Land. Alle startenden oder sich noch am Boden befindlichen Schiffe wurden zerstört - und mit ihnen Landefelder, Kontrolltürme, Wartungseinrichtungen und Schiffswerften. Die Verluste der Cumbrianer erhöhten sich. Die Luftabwehreinheiten von Larix Primus waren gut ausgebildet und erstklassig ausgestattet: mit Raketen, die den Furies ähnelten -nur dass sie lenkbar waren -, 100-mm-Automatikkanonen mit Radar-Zielerfassung und MGs, die synchronisiert gegen bodennahe Angreifer eingesetzt werden konnten. Als die Zahl der flugfähigen Ziele abnahm, wandten sich die Schiffe den larixanischen Regierungsgebäuden und militärischen Einrichtungen, dem öffentlichen Verkehr, Wasserschiffen und dem Energienetz zu. Recht häufig gingen die Luftschläge etwas daneben, und zivile Gebäude wurden getroffen, wodurch noch mehr Larixaner starben. Ein Pilot prahlte, dass es für die Truppen nach der Landung wie ein Picknickausflug sein würde. Es gäbe nichts mehr, worauf sie schießen könnten, und sie müssten nur noch die völlig demoralisierten Soldaten einsammeln. Dill, Boursier und Alikhan erinnerten sich daran, wie wenig die Musth mit ihren taktischen Luftangriffen gegen die verstreuten cumbrianischen Truppen ausgerichtet hatten, doch sie sagten nichts dazu. Außerdem fiel ihnen auf, wie geschickt die Larixaner ihre noch vorhandenen Schiffe verteilten. In einem Lagerhaus, einem Park oder einem Gebäude, das deutlich als Krankenhaus markiert war, konnte sich eins von Redruths 386 Kriegsschiffen verbergen. Und die nicht zerstörten Kreuzer waren spurlos verschwunden. Larix Primus sah aus wie eine mit Kratern übersäte Mondlandschaft, das Straßennetz war zerrissen, und in den Städten klafften große Wunden, doch auf der Oberfläche war es keineswegs ruhig geworden. Die Piloten schafften es nicht, die Flugabwehrstellungen vollständig auszuschalten, sodass immer mehr Cumbrianer starben. Die Griersons und Zhukovs kämpften unablässig und griffen erbarmungslos an. Aber die Larixaner schössen immer noch zurück. Der Kommandostab studierte die Zahlen, holografischen Luftaufnahmen und geheimdienstlichen Daten. Angara verlegte sein Kommandozentrum in die Bastogne, einen modifizierten Angriffstransporter. Er wusste, dass sein Platz eigentlich im Weltraum war, wo er den besten Überblick über die Schlacht hatte. Aber er war ein alter Infanterist und wollte nicht den Eindruck erwecken, er würde seine Soldaten an einen Ort schicken, von dem er selbst sich lieber fern hielt. Am nächsten Tag verkündete er über den Flottenkom, wann genau die erste Invasionswelle auf Larix Primus landen sollte. 25 Larix / Larix Primus Celidon wurde durch mehrere Wachstationen geführt und gelangte immer tiefer in die Kommandozentrale des Protektors. Redruth hatte die Klugheit besessen, sie nicht 387 direkt unter dem eigentlichen Palast, sondern etwa einen halben Kilometer entfernt anzulegen. Klug, aber nicht übermäßig klug, dachte Celidon missmutig. Einerseits schützte er sich auf diese Weise vor Atomwaffen, andererseits erleichterte es nicht gerade die unverzügliche Ausführung seiner Befehle. Celidon war in diesen Tagen mit einem LKG vom Typ Ayesha und einer Eskorte von vier weiteren Tarn- und Versorgungsfahrzeugen unterwegs - aber nur, wenn es unbedingt notwendig war. Sie waren nur knapp zwei Velv auf Patrouillenflug entkommen, nachdem sie Celidons Bunker in der Nähe des größten Raumhafens verlassen hatten, und dann hatte ein Aksai sein LKG beschossen, als es vor dem Palast gelandet war, während der Präfekt durch einen Tunnel zur Kommandozentrale eilte, immer tiefer hinunter, an Computerräumen, Büros und sogar Schlafsälen und Kantinen vorbei. Zwei bewaffnete Adjutanten aus der Garde des Protektors führten Celidon in Redruths Büro, verließen den Raum aber nicht. Sie erstarrten in Hab-Acht-Stellung, die Hände an die Pistolenhalfter gelegt. Der Raum war riesig und verfügte über stählerne Wände und einen Fußboden aus Holz, und es wimmelte von großen Bildschirmen und Karten. Über einem Planungstisch bildeten sich Hologramme und verschwanden wieder. Im Raum war es recht dunkel, da er nur von wenigen Leuchtkörpern und den Bildschirmen erhellt wurde. Zufällig bemerkte Celidon neben dem Adjutanten einen dunklen Fleck auf dem Boden. Redruth saß an einem Schreibtisch vor einem Monitor. Celidon ging zu ihm und salutierte. Der weißhaarige Söldner war sehr stolz auf sein beherrschtes Gesicht, das stets völlig ausdruckslos blieb, ganz gleich, was um ihn herum geschah. 388 Nun war er dankbar dafür, denn Redruth sah furchtbar aus. Sein Gesicht war faltig und sichtlich gealtert, obwohl
erst ein E-Monat vergangen war, seit Celidon dem Diktator zuletzt persönlich gegenübergestanden hatte. Dann sah er flüchtig sein Spiegelbild auf einem Bildschirm und erkannte, dass er selbst keineswegs viel besser aussah. »Willkommen, Präfekt«, sagte Redruth, ohne den militärischen Gruß zu erwidern. »Ich habe Sie gerufen, weil ich endlich einen Geniestreich ausgearbeitet habe, mit dem wir die Cumbrianer so sehr schockieren können, dass sie aus ihrem Wahnsinn erwachen und zurück in ihr Heimatsystem flüchten werden.« Sein Augenlid zuckte zweimal. »Hier«, fuhr Redruth fort. »Der Plan ist auf diesem Monitor dargestellt. Sehen Sie ihn sich sorgfältig an, denn ich möchte, dass Sie meine unerschrockenen Soldaten in den Kampf führen.« Celidon bemerkte, dass der Protektor zum ersten Mal, seit er ihm diente, eine Handfeuerwaffe trug - hier, am sichersten Ort innerhalb seines Königreichs... oder was davon noch übrig war. Der Söldner blickte auf den Bildschirm und war erneut dankbar für seine steinerne Miene. »Nun?« Celidon versuchte, ein wenig Zeit zu gewinnen. »In den jüngsten Geheimdienstberichten heißt es, dass sowohl die Heifet als auch die Qaa/durch Bomben beschädigt wurden und flugunfähig sind. Also dürften sie sich nicht für Ihren Plan einsetzen lassen.« Er verzichtete auf die Bemerkung, dass der Schwärm aus Zerstörern, der in den Einsatzbefehlen genannt wurde, schlicht und ergreifend nicht mehr existierte. 389 Redruth tat, als hätte er Celidons Einwand gar nicht gehört. »Nun?«, wiederholte er in schärferem Tonfall. Celidon blickte Redruth in die Augen und sah die erweiterten Pupillen und den starren Blick. »Möchten Sie, dass ich offen meine Meinung sage, Sir?« »Ich habe Ihnen nie einen anders lautenden Befehl erteilt!« »Das ist...« Celidon kam ein bestimmtes Wort in den Sinn, und rasch suchte er nach einer geschickteren Formulierung. »Ich halte eine solche Aktion nicht für die klügste Vorgehensweise. Unseren Kreuzern fehlen die Versorgungsschiffe, die für einen derart kühnen Schlag nötig wären... Nichtsdestotrotz möchte ich Ihnen meine Bewunderung für diesen Plan aussprechen. Es gehört ein außerordentlicher Scharfsinn dazu, ihn zu entwickeln. Aber ich bezweifle, dass er in diesem Stadium des Krieges etwas anderes wäre, als ein - verzeihen Sie mir, Protektor - Selbstmordkommando. Ich denke...« »Genug!« Redruths Stimme war beinahe ein Kreischen. »Sie sind genauso wie die anderen. Ihnen mangelt es an Visionen und an bedingungslosem Mut, den Eigenschaften, die große Männer von ihren Untergebenen unterscheiden. Sie können nichts anderes als immer nur denken, denken, denken! Ich habe an diesem Plan gearbeitet, seit die Cumbrianer in unserem System eingetroffen sind. Und ich will keinen Widerspruch hören. Das steht Ihnen nicht zu und gehört auch nicht zu Ihren Pflichten, Celidon! Ihre Pflicht ist es, Befehle zu befolgen, meine Befehle, mehr nicht, und sie so effizient und präzise auszuführen, wie ich es von Ihnen verlange! Ich hatte mir mehr von Ihnen versprochen, Celidon. Sie waren immer der Erste, der mich unterstützt hat, der meine 390 Genialität anerkannt hat. Doch nun zaudern Sie, kommen mir mit kleinlichen Einwänden, genauso wie alle anderen. Aber gut. Vielleicht habe ich einfach nur zu viel von Ihnen erwartet. Also erteile ich Ihnen folgenden Befehl: Sie werden diesen Plan, dem ich die Bezeichnung >Leitstern< gegeben habe, unverzüglich in die Tat umsetzen, denn das, was er bewirkt, wird für meine Armee und mein Volk wie ein Leuchtfeuer sein. Ein einziger, gut gezielter Schlag - von genialen Männern mit der notwendigen Hellsichtigkeit ausgeführt - hat schon häufig über den Ausgang einer Schlacht oder eines Krieges entschieden. Operation Leitstern wird ein solcher Schlag sein!« Wieder wurde Redruths Stimme eine Stufe lauter. »Hiermit befehle ich Ihnen, die Verantwortung für die Operation Leitstern zu übernehmen. Führen Sie uns zum totalen Sieg! Haben Sie mich verstanden, Präfekt Celidon?« »Selbstverständlich, Protektor«, sagte Celidon und ließ seine Stimme ruhig, sicher und selbstbewusst klingen. »Gut«, sagte Redruth. »Sehr gut. Einen Augenblick lang hatte ich befürchtet, dass auch Sie mich im Stich lassen würden, genauso wie... einige andere. Mein Plan ist bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet. Gehen Sie und setzen Sie ihn in die Tat um. Und melden Sie sich zurück, wenn Sie die Cumbrianer besiegt haben!« Celidon nahm den Datenträger mit dem Plan entgegen, salutierte so schneidig wie nie zuvor, machte kehrt und marschierte zur Tür. Die Wachen salutierten und rissen für ihn die Tür auf. Celidon warf einen Blick nach unten, als er ging. Jetzt wusste er, was der Fleck auf dem Boden zu bedeuten hatte. 391 Das Wort, das ihm bei der Beurteilung von Redruths Plan als Erstes in den Sinn gekommen war, lautete übrigens »Irrsinn«. 26 Acht riesige larixanische Schlachtkreuzer kamen aus ihren Verstecken. Seit die Legion im System eingetroffen
war, hatten die Analytiker nach ihnen gesucht. Doch Redruth und seine Tarnungsspezialisten hatten sich etwas besonders Hinterhältiges ausgedacht. Die Schiffe waren in Schächten unter Denkmälern, Schulen und Stätten religiöser Verehrung verborgen, und einige tauchten aus Seen oder natürlichen Höhlen auf. Als die Analytiker nicht fündig geworden waren, hatten sie nach den Quartieren für die Besatzung und Wartungsgebäuden Ausschau gehalten. Doch Redruth hatte die Besatzung in Wohnhäusern in der Umgebung oder unter Zeltplanen im Freien untergebracht. Die Schiffe waren gründlich gewartet und dann versteckt worden, danach waren nur noch kleinere Reparaturen durchgeführt worden. Die Kreuzer erhoben sich wie urzeitliche Ungeheuer aus dem Boden, und die Alarmsirenen schrillten. Zwei schafften es nicht, die Atmosphäre zu verlassen. Einer wurde von unten durch zwei Zerstörer beschossen und ausgeschaltet. Der zweite fiel dem Musth-Piloten eines Aksai zum Opfer, der es für seine Pflicht hielt, mit voller Geschwindigkeit knapp unterhalb der Brücke in den Kreuzer zu rasen. Eine gut ausgebildete Besatzung hätte das Schiff retten können, aber die Männer und Frauen an Bord dieses Kreuzers waren nur kurz ausgebildet worden, und 392 so gut wie niemand besaß Kampferfahrung. Der Kreuzer geriet außer Kontrolle, stürzte in die Slums einer Stadt und explodierte. Sechs schafften es in den Weltraum. Protektor Redruth hatte ihnen befohlen, die Transporter der Invasoren zu vernichten und sich nicht um die cumbrianischen Kampfschiffe zu kümmern, bis die größte Gefahr, die Invasionsarmee, ausgeschaltet war. Die Truppentransporter hatten sich in vertikaler Angriffsformation im geostationären Orbit über ihren Zielen in Stellung gebracht. Da die Larixaner die Kontrolle über den Luft- und Weltraum verloren hatten, bewegten sich die cumbrianischen Kampfschiffe entweder innerhalb oder knapp außerhalb der Atmosphäre, wo sie auf den Befehl zur Unterstützung der Landetruppen warteten. Manche hatten sich auch zu den äußeren Planeten zurückgezogen, um sich von den Versorgungsschiffen der Flotte Nachschub zu holen. Daher befanden sich nur wenige Zerstörer zwischen den Kreuzern und den Transportern. Die meisten wussten, was zu tun war, und griffen an. Ein weiterer Kreuzer wurde manövrierunfähig geschossen, ein anderer beschädigt. Die Zerstörer wurden aus dem Weg geschleudert, und die fünf noch übrigen Kreuzer näherten sich unaufhaltsam den Truppentransportern. Nun gab es nur noch sieben cumbrianische Zerstörer, die die Transporter verteidigten. Und ein Koordinationsschiff. Tak Ho Kang starrte auf den großen Bildschirm, der die heranrasenden larixanischen Kriegsschiffe zeigte. Sie hatte die weiter entfernten Kampfelemente kontaktiert und zur Antwort erhalten, dass sie unterwegs waren. Sonst war keine weitere Hilfe in der Nähe. Mit einer Ausnahme. 393 Sie hob ihr Mikro und drückte auf den Sensor. Als sie sprechen wollte, stellte sie fest, dass ihre Kehle wie zugeschnürt war, und schluckte krampfhaft. »An alle Wachhund-Schiffe«, sagte sie - zufrieden, dass ihre Stimme völlig normal klang. »Hier ist VannKontrolle. Sie haben feindliche Schiffe auf dem Schirm. Greifen Sie an. Ich wiederhole: Greifen Sie an!« Ohne auf eine Bestätigung zu warten, nahm sie Kontakt mit der Brücke der al Maouna auf. »Nehmen Sie Kurs auf die larixanischen Schiffe. Vollschub.« Der Wachoffizier zögerte und blickte sich zum Kommandanten des Schiffs um, der mit starrer Miene nickte. Der Offizier gab den Befehl weiter. Acht kleine Schiffe, angeführt von der al Maouna, griffen die fünf schweren Schlachtkreuzer an. »An alle Wachhund-Einheiten«, sagte Ho. »Eröffnen Sie das Feuer, sobald Sie in Reichweite sind. Halten Sie die Position.« Wieder wechselte sie den Kanal und sprach nun mit der Brücke ihres eigenen Schiffs. »Geben Sie mir den Kommandanten... Sir, hier ist Ho Kang. Meines Erachtens haben wir die besten Chancen mit folgendem Kurs... Yad drei vier fünf, gegen Melm vier vier eins.« »Damit wären wir genau über den Kreuzern!« »Bestätigt«, sagte Ho. »Wir könnten ihnen entkommen, wenn wir gewissermaßen einen Satz über sie hinweg machen. Ich schlage vor, dass Sie zum frühest möglichen Zeitpunkt das Feuer eröffnen... im Salventakt... Tun Sie alles, was sie verwirren könnte.« Der Kommandant lächelte schief. »Zumindest werden wir ihnen ein bisschen Angst machen, was?« Kang lächelte zurück, antwortete aber nicht, sondern unterbrach die Verbindung. Sie blickte auf ihren großen 394 Bildschirm und sah, dass Formationen aus Zerstörern sich dem Standort der Transporter näherten. Sie sind noch zu weit weg, dachte Ho. Sie werden zu spät kommen. Auf der Brücke des führenden Kreuzers blickte der Präfekt auf seinen Bildschirm. Diese Winzlinge wollen sich uns entgegenstellen? Das ist absurd! Tapfere Idioten. Dann ertönte der Alarm. Aber vielleicht steckt da auch noch etwas anderes dahinter. Vielleicht gibt es etwas, das wir nicht orten können, wie diese verdammten Hyperraumwaffen, die sie eingesetzt haben.
»Wir sind in Schussweite, Sir«, meldete sein Waffenkommandant. Der Präfekt zögerte mehrere Sekunden lang. Ho Kang sah es am Bug der zwei führenden Zerstörer aufblitzen, dann feuerten auch die anderen auf die Kreuzer. »Man hat das Feuer auf uns eröffnet«, sagte ein Offizier auf der Brücke des larixanischen Kreuzers. »Leiten Sie Gegenmaßnahmen ein«, befahl der Wachoffizier, und Antiraketen nahmen Kurs auf die sich nähernden Goddards. »Sir?«, fragte der Waffenkommandant. »Feuern«, sagte der Präfekt. Drei der Kreuzer hatten Raketen gestartet. »Vier... nein, fünf Raketen kommen auf uns zu«, meldete ein Techniker an Bord der al Maouna. »Abwehrraketen abgefeuert... Annäherung... Annäherung...« Eine Million Jahre vergingen. »Zwei... nein, drei feindliche Raketen wurden zerstört«, 395 sagte der Techniker. »Zweite Staffel Abwehrraketen gestartet ... Annäherung...« Ho warf einen Blick auf den Bildschirm. Es war nicht nötig, die Zahlen abzulesen, die den Kurs der larixanischen Raketen angaben. Einen Augenblick lang empfand sie unendliches Bedauern - für eine Ehe, die nie geschlossen werden würde, für Kinder, die nie auf die Welt kommen, wissenschaftliche Fragen, die nie erforscht werden würden, und für ein Leben, das nie zu Ende gelebt werden würde. Dann schlugen zwei Raketen gleichzeitig in die al Maouna ein, und der nur leicht gepanzerte Kane existierte nicht mehr. Ein weiteres cumbrianisches Schiff wurde getroffen und zerstört. Aber die anderen fünf setzten den Angriff fort. Hier ist irgendwas verdammt faul, dachte der Präfekt an Bord des ersten Kreuzers. So blöd kann niemand sein. Angenommen hinter diesem Unsinn verbirgt sich irgendeine tödliche Falle, dann erwarten sie zweifellos von uns, dass wir den Angriff wie gehabt fortsetzen und in den Hinterhalt rasen. »Captain«, ordnete er an, »ich möchte den Schlachtplan ändern.« »Ja, Sir«, sagte der Offizier, dem ebenfalls Zweifel gekommen waren. »Gehen Sie auf einen Kurs, der uns >über< diese Transporter bringt«, sagte der Präfekt. »Dann stehen sie zwischen uns und Larix Primus wie zwischen Hammer und Amboss. Geben Sie den Befehl an die anderen Schiffe weiter, damit sie uns folgen.« »Ja, Sir«, sagte der Captain, und der Navigator programmierte den Computer mit flinken Fingern. Ein anderer 396 Offizier sprach über Kom in klarem, aber dringlichem Tonfall mit den anderen larixanischen Schiffen. Die Kreuzer hatten gerade noch Zeit, auf Angriffsposition zu gehen, dann stürzte sich eine Formation cumbrianischer Zerstörer von »oben« und von »links« auf sie. Abwehrraketen wurden gestartet, und die Larixaner schienen die fünf Wachhunde zu vergessen. Zwei von ihnen attackierten die Flanke der Kreuzer. Eine Goddard durchdrang den Raketenschirm und traf einen Kreuzer in der Triebwerkssektion. Der Kreuzer wich in einen höheren Orbit aus, geriet in einen Schwärm von anderen Zerstörern und wurde vernichtet. Die Abwehr eines anderen wurde von der Anzahl der sich nähernden Raketen überwältigt und das Schiff außer Gefecht gesetzt. Die Besatzung hatte Glück. Es war noch genügend Zeit, sich von Patrouillenschiffen retten zu lassen, bevor ihr die Luft ausging. Als die cumbrianischen Einheiten aus dem Nichts auftauchten, erkannten die vier übrigen Kreuzer, dass sie keine Chance mehr hatten, an die Transporter heranzukommen. Sie fürchteten sich vor Redruths Zorn, der jedoch nur eine ferne Möglichkeit war, während die cumbrianischen Raketen sehr real waren. Ein Kreuzer wurde in der Ionosphäre von Larix Primus von vier Raketen erwischt. Er stürzte trudelnd und brennend wie eine rauchende Fackel ab und zerschellte schließlich an einem Berghang. Ein weiterer Kreuzer explodierte plötzlich; merkwürdigerweise erhob niemals jemand Anspruch auf die Lorbeeren, ihn mit einer Rakete getroffen zu haben. Ein dritter musste ebenfalls einen Treffer eingesteckt haben, da er in einer verlassenen Bergbauregion eine Bruch397 landung hinlegte. Aksai folgten ihm, um sich zu überzeugen, dass das Schiff nicht mehr gefechtsfähig war. Sie sahen, wie Larixaner das Wrack in panischer Flucht verließen, bevor sie eine Salve Raketen hineinfeuerten. Der letzte Kreuzer schaffte eine harte Landung auf dem Hauptlandefeld von Agur und wurde schnell getarnt. Die Besatzung wurde verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Die Offiziere wurden wegen Feigheit erschossen und etliche weitere Besatzungsmitglieder bestraft. Noch bevor der letzte Mann verblutet war, entdeckten Aksai den Kreuzer unter dem Tarnnetz und bombardierten ihn, bis nur noch ein brennendes Wrack übrig war. Protektor Alena Redruth beobachtete die Exekutionen, während sein Auge unkontrolliert zuckte. Celidon ging in der Kommandozentrale seines eigenen Bunkers auf und ab. Sein Stab beobachtete ihn stumm und wagte es nicht, ihn zu fragen, was geschehen war, welches Problem es bei der Besprechung mit Protektor
Redruth gegeben hatte. Celidon wog seine Möglichkeiten ab und stellte fest, dass ihm nicht mehr viele blieben, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass er so intelligent gewesen war, nicht wie befohlen den führenden Kreuzer zu besteigen. An diesem Punkt schien es für ihn nur noch eine Möglichkeit zu geben. Sie gefiel ihm nicht sonderlich. Aber zumindest war sie logisch, und sie bot ihm eine hohe Überlebenschance. Er würde überleben, dachte er zufrieden, und sich vielleicht sogar einen großen Vorteil verschaffen. 398 27 Die Zweite Brigade, die immer noch nicht ihre vorgesehene Stärke erreicht hatte, sollte die Aufgabe übernehmen, die kleineren Städte von Larix Primus anzugreifen. Jon Hedley war davon ganz und gar nicht begeistert, aber er musste einsehen, dass der Befehl durchaus sinnvoll war. Schließlich wurden die anderen Welten des Larix-Systems vorläufig völlig ignoriert. Wenn Primus erobert war, blieb immer noch genügend Zeit, sich um kleinere Probleme Sorgen zu machen - sofern sie sich nicht von selbst durch eine Kapitulation lösten. Die Erste Brigade hatte den Befehl erhalten, Agur einzunehmen. Dant Angara hoffte, dass im Zuge der Eroberung der Hauptstadt die meisten von Redruths Führern dingfest gemacht oder getötet werden würden idealerweise auch der Protektor höchstpersönlich - und die letzten hochrangigen Präfekten von Larix/Kura sich für einen Waffenstillstand entscheiden würden. Die Transporter setzten zur Landung an. Es gab acht Hauptverkehrsadern, die in die Hauptstadt führten und deren wichtigste Knotenpunkte besetzt wurden. Einige Schiffe wurden beim Anflug beschossen, aber die Verluste waren überraschend niedrig. Die Legion hatte sich nicht die offensichtlichen Landestellen wie Sportstadien, Freiflächen, Raumhäfen oder Parks ausgesucht, sondern sich auf breiten Straßen niedergelassen, Lagerhäuser dem Erdboden gleichgemacht oder war in Verwaltungskomplexen gelandet, die genügend Platz für zwei oder drei Schiffe boten. Deshalb konnten die Truppen relativ unbehelligt aussteigen und sich in Kampfformationen sammeln. Als die Kolonnen sich Richtung Stadt in Marsch setz399 ten, waren noch mehr Soldaten davon überzeugt, dass der Feldzug ein Kinderspiel sein würde. Sie kamen höchstens einen Kilometer weit, bis sie vom Gegenteil überzeugt wurden. Larixaner tauchten aus dem Nichts auf und schlugen rücksichtslos zu. Cumbrianer starben, andere gingen in Deckung und erwiderten das Feuer. In einigen Fällen ließen die Larixaner nicht locker, in anderen ergaben sie sich. Manchmal zogen sie sich in ihre Stellungen zurück und kämpften bis zum Tod. Manchmal irrten sie umher, bis sie getötet wurden oder kapitulierten. Die Legion kam in dieser Nacht nur ein paar hundert Meter weit. In der Dunkelheit wurde weiter geschossen. Manchmal waren es echte Kämpfe, doch meistens feuerten nervöse Soldaten auf Schatten. Die Unteroffiziere tobten vor Wut, und ein paar Mal wurden sie sogar handgreiflich. Aber die panische Stimmung hielt fast bis zur Morgendämmerung an. Rationen wurden an alle Einheiten verteilt, mit Ausnahme jener in vorderster Front, dann rückte die Legion weiter gegen die Stadt vor. Eine Infanteriekompanie stieß auf eine larixanische Patrouille, die sich auflöste und die Flucht ergriff. Die Kompanie folgte den Soldaten, bis sie einen größeren Platz erreichte. Von drei Seiten schlug den Cumbrianern Feuer entgegen, und als sie sich zurückzuziehen versuchten, waren sie plötzlich in den Gebäuden auf einer Seite des Platzes gefangen. Sie riefen um Hilfe, und wenige Sekunden später rasten drei Zhukovs im Tiefflug über sie hinweg. Ihre 150-mm400 Automatikkanonen zerrieben die Häuser zu Trümmerbrocken, und die MGs zerfetzten kleinere, bewegliche Ziele. Eine Rakete schoss aus dem wirbelnden Staub, schlug in den Bug des führenden Zhukov und explodierte im Cockpit. Das LKG zog hoch, erhielt einen weiteren Raketentreffer in die Unterseite, überschlug sich am Boden und kam schließlich aufrecht zum Stehen, während Flammen aus dem Loch im Bug schlugen. Die hintere Rampe klappte auf, und ein Cumbrianer taumelte heraus, der sofort niedergemäht wurde. Ein Dutzend jubelnde Larixaner liefen auf das LKG zu, Granaten in den Händen. Die Kommandokuppel öffnete sich knirschend, dann spuckte das MG Feuer und zerfetzte Männer und Frauen. Im nächsten Moment tauchten die Cumbrianer aus dem Dunst auf und griffen an, trieben die Larixaner zurück. Eine Frau näherte sich dem rauchenden Zhukov und warf einen Blick in die Besatzungskabine. »Bei allen Höllenlöchern!«, rief sie. »Da drinnen lebt noch jemand!« Ein Dutzend Larixaner verließ einen Geschützbunker. Die Soldaten hielten Stöcke, an die sie mehr oder weniger weiße Tücher gebunden hatten. Ein Tak und zwei Männer traten vor, um die Kapitulation anzunehmen. Die Larixaner ließen sich plötzlich zu Boden fallen, und hinter ihnen eröffneten Blaster das Feuer. Die Offizierin und ihre zwei Begleiter gingen getroffen zu Boden. Die Soldaten ihrer Einheit schössen empört zurück, umzingelten den Bunker und deckten ihn mit Feuer ein. Bald wurde die Gegenwehr schwächer, und schließlich gab es ehrlich gemeinte Versuche, sich zu ergeben.
Die Cumbrianer erschossen jeden, der nach draußen 401 wankte, und von nun an weigerte sich diese Einheit bis zum Ende der Schlacht, Gefangene zu machen. Monique Lir rückte mit einem kleinen Erkundungstrupp vor und sah einen Aksai, der in die Wand eines Gebäudes gerast war. Sie ließ sich von ihren Leuten Deckung geben und näherte sich im Zickzack dem Aksai. Die Kanzel war aufgeklappt, und die Leiche eines Musth hing in den Gurten. Er war nicht beim Absturz ums Leben gekommen. Sein Körper war von Blasterfeuer aus nächster Nähe und Messerstichen zerfetzt worden. Lir blickte sich zu den anderen Aufklärern um, sagte aber nichts. Es wäre auch völlig überflüssig gewesen. Jil Mahim war bis zu den Ellbogen mit Blut beschmiert, und ihr Operationskittel sah aus, als hätte sie buchstäblich ein Blutbad genommen. »Nichts mehr zu machen«, sagte sie und zog eine Decke über das Gesicht ihres Patienten. »Exitus.« Die Rollbahre wurde eilig fortgeschoben. Mahim hatte einen Moment Zeit, um sich zu strecken. Sie hätte sich gerne einen kräftigen Schluck genehmigt und wünschte sich, sie wäre nur ein einfacher Soldat in der Aufklärungstruppe und könnte sich in Ruhe den Verwundeten widmen. Doch schon kam die nächste Rollbahre. Männlich, irgendein Pilot, der Feuerschutzanzug war bereits aufgeschnitten worden. Sieht böse aus, dachte sie. Eine Wunde im Brustkorb... jemand hat sie mit einer Kompresse abgedeckt, gut. Innere Verletzungen. Schwere Blutungen. Der wird es wahrscheinlich nicht schaffen. Mit unpersönlichem Blick betrachtete sie das Gesicht 402 des Opfers und erkannte den Mann, als er die Augen öffnete. »Jil«, sagte Tak Rad Dref, ehemaliger Grierson-Pilot bei den Aufklärern. »Oder bin ich tot?« »Nein, du bist nicht tot«, sagte Mahim. »Gut. Ich habe gesehen, wie die Larries kamen... wollte nicht, dass sie mich kriegen... hab die Geschützkuppel erreicht... schätze, jemand hat mich rausgezogen... keine schlechte Methode, um schnell aus dem Dreck rauszukommen. Keine großen Schmerzen. Eigentlich gar keine, außer wenn ich atme.« Dref lächelte glückselig. »Hab 'nen Brief in der Tasche... den sollen meine Leute kriegen, okay?« Mahim beugte sich über ihn. »Verdammt noch mal, du feige Sau! Du wirst jetzt nicht sterben!« Dref lächelte weiter. »Atme, du Scheißkerl!«, knurrte Mahim. »Jeder Schwachkopf kann einfach aufgeben und sterben! Atme gefälligst, sonst drücke ich dir einen Daumen in die Gedärme!« Drefs Lächeln verschwand. Er schnappte nach Luft und verzog das Gesicht. »Das tut weh!« »Das will ich hoffen!«, sagte Mahim. »Und das bedeutet, dass du immer noch am Leben bist! Atme noch mal!« Dref gehorchte. »Respirator!«, rief Mahim nach hinten. »Schnell, verdammt! Hierher! Und du atmest gefälligst weiter, du armseliges Stück Dreck!« Wieder sog er unter Schmerzen Luft ein und stieß sie aus. Als das Gerät zur künstlichen Beatmung bereitstand, bewegten sich Mahims Finger schnell über Drefs Körper, schlössen Sensoren und Pumpen an und schoben eine röhrenförmige Sonde durch seinen Brustkorb in die Lunge. 403 »Atme weiter!«, befahl sie. »Dieser Kasten wird dir nur ein wenig dabei helfen. Atme, oder ich verspreche dir, und der Lebensgeist sei mein verdammter Zeuge, dass ich deinen beschissenen, jammerlappigen Brief an deine Mama zerreißen werde und nie jemand erfährt, wie du gestorben bist!« Wieder bewegte sich Drefs Brust, dann noch einmal. »Komm schon, du Arschloch! Du kannst es doch! Atme!« Rad Dref überlebte und flog noch nicht einmal ein Jahr später wieder einen Zhukov. Ein Soldat hörte etwas, stieß die Tür mit einem Fußtritt auf und warf eine Granate in die Hütte. Es gab einen Knall, und der Soldat hörte das Schreien eines Babys und das Weinen eines anderen Kindes. Er musste sich dazu zwingen, einen Blick ins Innere der Hütte zu werfen. Er übergab sich, dann rief er nach einem Arzt. »Du weißt, dass der verdammte Palast von Redruth der reinste Houmbau ist«, sagte Maev Stiofan. Njangu wusste nicht genau, was ein Houm war, verstand aber, was sie damit sagen wollte. »Ich habe nicht mehr als die Hälfte davon gesehen«, fuhr sie fort. »Selbst der Garde des Protektors hat man nicht völlig vertraut. Aber eins weiß ich: Redruths letztes Versteck ist nicht dort, wo man es vermuten würde, irgendwo in den Kellern. Es gibt da diesen Tunnel, den wir einmal bewacht haben. Keine Ahnung, wo er hinführt. Niemand, der nicht von höchster Stelle für unbedenklich erklärt worden war, durfte durch die Tür treten. Nur seine persönlichen Adjutanten, ein paar Präfekten, ein paar hohe Kommandeure; auf gar keinen Fall jemand wie ich.« 404 »Erinnerst du dich, wo dieser Tunnel anfängt?« »Natürlich«, sagte Maev. »Lass dich nicht erschießen, wenn wir weiter gegen den Palast vorrücken«, sagte Njangu. »Was du da weißt,
könnte sich als interessant erweisen, wenn sich die Dinge so entwickeln, wie sie sich zu entwickeln scheinen.« »Ich mag keine freien Flächen«, sagte Monique Lir flüsternd zu Darod Montagna, als sie aus der Deckung eines Bombenkraters zu dem großen, reich verzierten Gebäude hinüberschaute, das sich hinter dem verwüsteten Gelände erhob, das einmal ein Rasen gewesen war. »Gib mir eine nette verwinkelte Gasse, und alles ist wunderbar.« »Gut«, sagte Darod. »Dann übernehme ich diesmal die Führung.« »Den Teufel wirst du tun«, sagte Lir. »Ich mache mit der Zweiten Truppe einen dicken, fetten Vorstoß. Du gibst mir Feuerschutz, wenn sie uns an den Kragen wollen.« »Alles klar. Dann los!« Monique ging in die Hocke. »An die Zweite Truppe! Hoch mit euren lahmen Ärschen und auf die abgestorbenen Füße! Es geht los!« Die vierzig überlebenden Mitglieder der Zweiten Truppe brachten sich in Stellung, sahen sich um und rückten bis zur nächsten verfügbaren Deckung vor. Darod überprüfte ihren modifizierten Scharfschützenblaster und holte einmal tief Luft. »Erste Truppe! Vorstoß!« Der Rest der Aufklärer kam aus den Löchern und schloss zur Zweiten auf. Darod warf sich schwer keuchend neben Lir, die hinter einem umgestürzten Baum lag. »Warum zum Henker«, sagte sie, »müssen wir eigentlich immer im schlimmsten Dreck kämpfen?« 405 »Weil sie zu wenig Leute mit Todessehnsucht haben«, erklärte Lir. »Dieses Schicksal erleiden die Aufklärer in jedem Krieg. Wir fangen als Elitetruppe an, dann wird entschieden, dass wir gut genug sind, um anderswo die Reihen aufzufüllen, und dann werden wir völlig platt gemacht. « »Danke für die Geschichtsstunde«, sagte Montagna. »Aber das hier ist viel zu einfach. Ich glaube, dass...« Plötzlich ging das Sperrfeuer der Artillerie los, und rund um sie herum schlugen unablässig die Kugeln ein. Montagna hatte ihren Helm in die Erde gebohrt und wäre am liebsten hineingekrochen, als sie das Überschallheulen des Geschosses hörte, das für sie gedacht war. Es schlug in zehn Metern Entfernung in den Baumstamm ein, und die beiden Offiziere wurden durch die Luft geschleudert. Mit einiger Überraschung wurde Montagna klar, dass sie noch am Leben war. Sie hob den Kopf und öffnete ein Auge. Ihr Sichtfeld war verschwommen, und sie wischte sich mit einer Hand über das Gesicht, um das Blut zu entfernen. Dann sah sie Monique Lir, die völlig reglos ein paar Meter entfernt lag. »Verdammte Scheiße!«, stieß sie hervor. Sie hatte immer gedacht, Lir wäre unsterblich. Darod erkannte, dass sie gar nicht besonders schwer verletzt war, und blickte an sich herab. Ihre Tarnuniform war bis zur Hüfte völlig verdreckt. Sie hob die Hände und legte sie auf die Brüste. Sie waren noch da. Vorsichtig betastete sie ihr Gesicht. Es schmerzte, aber sie stieß auf keine Löcher, die vorher nicht da gewesen waren. Ein paar Fleischwunden, aber das war auch schon alles. Sofern sie nicht woanders ein Loch hatte, das nicht wehtat. Erster Tweg Huran lag flach neben ihr auf dem Boden. 406 »Die Kompanie gehört jetzt Ihnen«, brachte sie mühsam heraus. »Wie schwer wurden wir getroffen?« »Nicht allzu schwer. Drei rühren sich nicht mehr, einschließlich Lir. Vielleicht vier Verletzte.« »Übernehmen Sie für mich das Angriffsziel«, sagte Montagna. »Jeder, der noch mit dem Finger wackeln kann, soll Feuerschutz geben.« »Aber Sie sind...« »Die Sanitäter werden hier sein, wenn sie hier sind«, erwiderte Montagna. »Sie kennen die Befehle. Jetzt machen Sie endlich!« »Ja, Sir.« Montagna spürte die ersten Anzeichen eines Schocks, drängte sie zurück. Sie kramte einen Injektor aus ihrer Tasche, spritzte sich die Hälfte des Inhalts in den Oberschenkel und drehte sich auf den Bauch, während Huran Befehle brüllte. Nicht weit entfernt lag ihr Blaster. Sie zog ihn am Riemen heran und stellte fest, dass er offenbar nicht beschädigt war. Montagna ließ sich in einen flachen Graben rollen, zuckte vor Schmerz zusammen und stierte dann durch das Zielfernrohr der Waffe auf den Monolithen, der sich vor ihnen erhob. Nichts... nichts ...da drüben rührt sich nichts... ach, da sind sie ja, flach am Boden. Nein, das ist kein guter Ansitz... höher... verdammte Steinstatuen... was das wohl für ein Gebäude war?... schwer zu sagen, ob sie aus Stein bestehen oder echte Menschen sind... ha, jetzt hab ich dich, du elender kleiner Drecksack. Sie hatte an einem Turmfenster einen Lichtreflex gesehen, der sich bewegt hatte. Da ist ja mein Artilleriebeobachter! »Huran!«, rief sie. »Sir?« 407 »Runter! Ich glaube, ich habe den Burschen im Visier, der uns so viel Ärger macht.« Schauen wir mal... Entfernung höchstens 270 Meter, den Kolben fixieren, Finger am Abzug... Autsch! Wusste gar nicht, das sich da auch eine Verletzung habe. Geh weg, Schmerz, komm später wieder... nun auf den Reflex
ausrichten, sagen wir mal, dass es ein Fernglas oder so was ist, vielleicht einen halben Meter lang... also zielen wir auf einen Punkt knapp dahinter, wo sich ein hübscher runder Koboldkopf befinden müsste, den ich nicht sehen kann... Finger am Abzug, ziehen, ziehen... Der Blaster verrutschte. Darod richtete das Visier wieder auf das Ziel aus, schaltete auf Automatik und jagte sechs Patronen in den Raum. Der Lichtreflex war verschwunden. »Der Weg ist frei«, konnte sie noch rufen, dann sackte sie über ihrem Blaster zusammen und hörte die Rufe, als die Aufklärer angriffen. Ich werde hier noch eine Weile liegen bleiben und vor mich hin bluten, dann stehe ich auf und kämpfe weiter, kam es von irgendwo. Den Teufel werde ich tun! Dann wurde sie von Schmerzen überwältigt. Sie hörte ein Stöhnen, drehte den Kopf ein wenig und sah, wie sich Monique vorsichtig bewegte. Vor ihnen ratterten Blaster, und die Aufklärer stürmten das Gebäude. Eine Turbine heulte auf, und Montagna sah, wie hinter ihr ein Grierson landete. Die Rampe wurde ausgefahren, und Männer und Frauen rannten nach draußen. Sanitäter, nach ihrer Ausrüstung zu urteilen. Weder das LKG noch die Leute trugen erkennbare Abzeichen, da die Larixaner sie als bevorzugte Zielscheiben betrachteten. Eine Sanitäterin ging neben Darod in die Knie. 408 »Sie sehen furchtbar aus«, sagte die Frau gut gelaunt. »Danke. Was ist mit Ihrem therapeutischen Einfühlungsvermögen passiert?« »Hat nicht mehr in meinen Erste-Hilfe-Koffer gepasst«, sagte die Sanitäterin und öffnete die Tasche. »Ich kann noch etwas warten. Alles nur oberflächlich, und ich habe mir schon einen Schuss Schmerzmittel verpasst«, sagte Montagna. »Kümmern Sie sich lieber um meine Mutter da drüben. Alter geht vor Schönheit, Sie wissen schon.« »Lass dich von dem Stobor ficken, auf dem du geritten bist!«, krächzte Monique Lir. In diesem Moment wusste Darod Montagna, dass alles gut ausgehen würde. Angara blickte mit verbissener Miene auf den Bildschirm. Die Legion war kaum in die Vororte von Agur vorgedrungen, und sie hatten bereits knapp 25 Prozent Verluste erlitten. »Das gefällt mir nicht, das gefällt mir ganz und gar nicht«, murmelte er. »Wie bitte, Sir?«, fragte Erik Penwyth höflich. »Ich will eine Direktverbindung zu Caud Hedley.« » Sir.« Penwyth nickte einem der allgegenwärtigen Komtechniker zu, der in ein Mikro sprach, eine Weile wartete und dann einen Kopfhörer mit Mikro an Angara weiterreichte. »Sir, Hancock Sechs.« Angara übernahm das Mikro. »Jon, ich möchte, dass Sie mir Ihre Reserve schicken. Dann ziehen Sie die Zweite Brigade so leise wie möglich aus dem Kampfgebiet zurück. Um Ihre Ziele werden wir uns später kümmern müssen. Wir brauchen Sie jetzt hier, um die Sache zu Ende zu bringen.« 409 28 »Sind Sie der Mann, der sich früher Ab Yohns genannt hat?« Njangu schaltete das Mikro ein. »Der bin ich.« »Eine Testfrage.« Njangu hörte die amüsierte Überheblichkeit in Celidons Stimme. »Welche Art von Mahlzeiten bevorzuge ich?« »Das Fleisch halb gar und das Gemüse roh«, antwortete Njangu. »Und was trinke ich meistens?« »Eiswasser.« »Sie könnten tatsächlich der sein, der Sie zu sein behaupten. Wie lautet ihr wahrer Name?« »Oh nein«, sagte Njangu. »Nicht über Kom. Und Ihnen werde ich mein kleines Geheimnis wahrscheinlich niemals anvertrauen.« Ein eiskaltes Lachen. »Sie sind zweifellos der Doppelagent, der uns zum Narren gehalten hat. Also werde ich Sie weiterhin mit dem Namen ansprechen, unter dem ich Sie kennen gelernt habe. Wir müssen uns kurz fassen, Yohns. Ich glaube, Protektor Redruth ist dem Wahnsinn verfallen. Er will uns alle mit in den Untergang reißen. Ich bin Söldner und hege nicht den Wunsch, an seiner Seite auf dem Scheiterhaufen zu sterben.« »Also möchten Sie kapitulieren?« »Ja«, sagte Celidon. »Ich bin arrogant genug, um zu glauben, dass Sie Ihre Mission leichter erfüllen werden, wenn ich nicht mehr Ihr Gegner bin.« Njangu nickte. Celidon war zweifelsohne der beste Taktiker, den Larix und Kura besaßen, auch wenn er offenbar nicht den Weitblick eines wahren Strategen hatte. 410 »Ich würde Ihrer Behauptung vorsichtig zustimmen«, sagte Njangu. »Wenn ich mich stelle und Ihnen und Ihren Vorgesetzten meine volle Unterstützung anbiete, einschließlich genauer Angaben über die Aufstellung unserer noch vorhandenen Einheiten und den Zugang zu Protektor Redruths Hauptquartier, möchte ich eine Garantie, dass ich nach dem Ende des Krieges nicht mit
Unannehmlichkeiten zu rechnen habe.« »Sie meinen so etwas wie einen Kriegsverbrecherprozess?« »Zum Beispiel. Weiterhin erwarte ich, dass ich nach Ablauf einer gewissen Zeit eine Belohnung für meine Dienste erhalte. Vielleicht einen Teil des Grundbesitzes und der Wertgegenstände, die ich hier auf Larix und auf Kura erworben habe. Vermutlich wäre es das Beste, wenn ich nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit stehe. Aber ich möchte auch nicht in einer Mansarde verhungern.« Njangu blickte sich zu Angara um. Der Dant kaute auf seiner Unterlippe und nickte schließlich widerstrebend. »Einverstanden«, sagte Njangu und hielt seine Stimme frei von der Abscheu, die er empfand. »Sehr gut. Die Einzelheiten können wir später aushandeln, wenn ich in Sicherheit bin. Schließlich haben wir alle schon einmal auf der gleichen Seite gekämpft«, sagte Celidon. »Und nach einiger Zeit möchten Sie vielleicht sogar, dass ich meine Fähigkeiten in Ihre Dienste stelle. Aber wir wollen jetzt nicht über die ferne Zukunft reden. Hören Sie mir bitte genau zu. Ich schlage vor, dass ich die Front heute um siebzehn Uhr dreißig bei den Koordinaten fünf sechs acht acht Schrägstrich neun acht eins eins überquere. Ich werde in einem Ayesha kommen, und sobald ich die larixanischen Stellungen überflogen habe, werde 411 ich meine Landelichter abwechselnd gelb und blau blinken lassen.« »Warten Sie«, sagte Njangu und wandte sich an seinen befehlshabenden Offizier. »Wir werden ihn mit zwei Velv und zwei Aksai abholen«, sagte Angara. »Sie alle werden sein Signal wiederholen. Alle unsere Schiffe werden feuer- und startbereit sein. Wenn es von seiner Seite irgendwelche Probleme gibt, irgendwelche Anzeichen für Tricks, werden wir unverzüglich reagieren. Verdammt! Wie ich manche Dinge an diesem Scheißjob hasse!« Njangu wiederholte Angaras Anweisungen und setzte hinzu: »Man wird nicht auf Sie feuern. Ich werde mich im ersten Schiff der Staffel aufhalten und Sie am Boden in Empfang nehmen.« »Gut«, sagte Celidon. »Ich sehe einer sehr erfolgreichen Partnerschaft entgegen. Ende.« Die Komverbindung wurde getrennt. »Ich schätze«, sagte Njangu ein wenig bedauernd, »dass Sie Ihre Zusicherungen nicht rückgängig machen werden, wenn die Schießerei vorbei ist, oder? Schließlich können hier draußen in dieser Situation jederzeit Unfälle passieren. Außerdem glaubt dieser Arsch, dass er der bessere Kriegskünstler von uns beiden ist, was ich gerne bei einer ruhigen netten Begegnung hinter verschlossenen Türen testen würde. Was meinen Sie, Sir?« »Sie führen mich in Versuchung, Yoshitaro«, sagte Angara seufzend. »Es klingt wirklich sehr verlockend. Trotzdem nein. Wir machen es wie abgesprochen. Aber sorgen Sie dafür, dass eine Schwadron Zerstörer Ihnen den Rücken deckt. Wie ich gehört habe, soll es immer einfacher werden, die Seiten zu wechseln, je häufiger man es tut.« 412 Celidon verließ seinen Kommandobunker durch einen Geheimtunnel, der zu einem versteckten kleinen Hangar führte, und eilte zu seinem persönlichen Ayesha. Er spürte, wie sein Blut raste, fühlte sich lebendig wie selten zuvor. Es war nicht seine Art, lange genug in der Nähe zu bleiben, um auch den letzten Teil einer Katastrophe mitzuerleben. Er sah keinen Grund, warum er seine Gewohnheiten ausgerechnet jetzt ändern sollte. Er hatte noch nie auf der Verliererseite eines Krieges gestanden, zumindest nicht für längere Zeit. Sein Pilot G'langer, der ihm fünf Jahre lang gute Dienste geleistet hatte, ohne Fragen zu stellen, wartete in seinem LKG. »Sir!« Er salutierte, und Celidon erwiderte den Gruß. »Wir werden uns jetzt auf eine sehr spezielle Mission begeben«, erklärte Celidon. »Ich habe vom Protektor die Anweisung erhalten, die Front zu überqueren und mit Verhandlungen zu beginnen. Die Invasoren wünschen einen Waffenstillstand, und ich soll die günstigsten Bedingungen für uns herausschlagen. Damit es keine Probleme mit der allgemeinen Moral gibt, sind Sie und ich - und natürlich der Protektor - die Einzigen, die von diesen Gesprächen wissen.« In G'langers Augen flackerte es kurz auf, dann lächelte er. »Das ist eine große Ehre für Sie, Sir.« »Das hoffe ich«, sagte Celidon mit gespielter Bescheidenheit. »Dann wird diese schreckliche Zeit zu Ende gehen, und wir können mit dem Wiederaufbau beginnen.« »Ja, Sir.« G'langer trat zur Seite und ließ Celidon vorbei, damit er seinen üblichen Platz unter dem Kanzeldach einnehmen konnte. »Sir?«, sagte er. 413 Celidon bemerkte eine Veränderung im Tonfall des Piloten, drehte sich um und sah, dass der Mann mit einer Pistole auf ihn zielte. »Ich gehöre zur Garde des Protektors«, sagte G'langer selbstgefällig. Er schoss Celidon viermal in die Brust. Der Präfekt schaffte es nicht mehr, nach seiner eigenen Pistole zu greifen. »Das ist das Los eines Verräters«, sagte der Mann, den Celidon als G'langer gekannt hatte, und trat an den Kom,
um seine Vorgesetzten zu informieren. Nachdem der Zeitpunkt, den Celidon angegeben hatte, verstrichen war, wartete Njangu noch eine Stunde im Velv. Dann erstattete er Angara Bericht, und die Aktion wurde abgeblasen. Was wohl passiert ist?, fragte er sich, als sein Velv zur Basis an der Front zurückflog. Hat der Schweinehund es sich anders überlegt, oder ist er vielleicht eine Treppe runtergefallen? Ich hoffe es, ich hoffe es sehr! 29 Darod Montagna hörte Lirs Wutschreie aus dem benachbarten Krankenhauszimmer und fragte sich, was für Idioten es gewagt hatten, die Würde der Herrin der Aufklärer anzutasten. Allmählich wurde Moniques Stimme leiser, dann trat Stille ein. Schließlich klopfte es an der Tür. »Herein«, sagte Darod. Sie war froh, Gesellschaft zu bekommen, ganz gleich, um wen es sich handelte - und wenn es eine Krankenschwester mit der nächsten Injektion war. 414 Garvin Jaansma trat ein. Er trug Uniform und Kampfausrüstung und hatte sich einen schmalen schwarzen Lederkoffer unter den Arm geklemmt. »Guten Tag, Sir«, sagte Darod. »Darod. Wie kommt es, das Sie immer noch flach liegen? Ich dachte, dass Sie nur ein paar Splitter in Gesicht und Oberkörper hatten.« »So ist es«, sagte Darod. »Aber die Ärzte wollen mich hier und da noch ein wenig rekonstruieren.« »Warum? Sie sehen genauso wie immer aus.« »Im Großen und Ganzen. Aber hier... hier... und hier habe ich Transplantationen bekommen.« Sie verzog das Gesicht. »Es fühlt sich irgendwie unheimlich an, mit Teilen herumzulaufen, die nicht zu einem selbst gehören. Die Ärzte sagen, dass ich in einem Monat oder so keinen Unterschied mehr spüren werde. Ich wäre glücklicher, wenn ich ihnen glauben könnte, wenn es sich nicht anfühlen würde, als hätte ich lauter Plastikteile im Gesicht. Außerdem ist das doch wirklich eine reizende Vorstellung, nicht wahr?« »Sie haben natürlich Recht«, sagte Garvin. »Wann sollen Sie entlassen werden? Die Aufklärer brauchen einen Befehlshaber, und es wird noch einen Monat dauern, bis Moniques Bein wieder in Ordnung ist. Und danach muss sie noch einen Monat lang Physiotherapie machen.« »Ich schaffe es vielleicht, mich in drei oder vier Tagen hier wegzuschleichen«, sagte Darod. »Apropos, was hatte das Geschrei vorhin zu bedeuten?« Garvin zog eine Grimasse. »Ich wurde beauftragt, in dieser Woche die Lahmen, die Krummen und die Simulanten zu besuchen. Und ein paar Orden zu verteilen. Monique hat ein Silbernes Kreuz und ein weiteres Verwundetenabzeichen bekommen. Sie hat mir die wüstesten Schimpf415 Wörter an den Kopf geworfen und gesagt, dass sie keinen beschissenen Orden verdient hat. Sie hat schließlich nur den Kopf in den Dreck gesteckt, und wer so dumm ist, sich in die Schusslinie zu wagen, sollte degradiert und nicht ausgezeichnet werden. Außerdem hat sie gesagt, es würde ein zerschossener Larixaner in diesem Lazarett liegen, und irgendein Offizier der Zweiten Brigade mit dem gleichen Botenjob wie ich ist vorbeigekommen und hat dem Kerl einen Verdienstorden gegeben. Was ich ihr allerdings nicht glaube.« »Ich auch nicht«, sagte Darod. »Aber es sieht Monique ähnlich, so eine Geschichte zu erzählen.« »Ja«, stimmte Garvin ihr zu. »Sie kennen Lir recht gut, nicht wahr?« »Ich kenne sie«, sagte Darod. »Und danke schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um Hallo zu sagen, Boss.« »Wir hatten uns beim letzten Mal doch schon auf Garvin geeinigt.« »Ja«, sagte Montagna. »Aber vielleicht war ich da etwas zu... stürmisch.« »Sie können es trotzdem bei Garvin belassen.« »Okay... setzen Sie sich doch!«, sagte Darod und zeigte auf einen Stuhl. »Und was halten Sie von diesem Lazarett?« »Etwas steril«, sagte Garvin. »Was jetzt kein blöder Witz sein sollte.« »Es war früher die Akademie für die Offiziere der Palastgarde, hat mir jemand erzählt. Es tut mir kein bisschen Leid, dass wir es uns gekrallt haben. Die Aufklärer sind zweimal mit diesen Typen aneinander geraten, bevor ich verletzt wurde. Mordlustige Schweinehunde. Aber wenigstens sind sie zu blöd, um irgendetwas anderes zu tun, als einfach weiterzuschießen.« 416 »Das habe ich auch gehört«, sagte Garvin. »Wir schätzen, dass wir die Hälfte von ihnen ausgelöscht haben.« »Ich glaube, ich werde noch so lange hier bleiben, bis auch die andere Hälfte erledigt ist«, sagte Darod. »Eine Frau kann leicht eine Kugel in den Kopf bekommen, wenn sie sich mit diesen Idioten anlegt. Und warum kommen Sie meiner Aufforderung nicht nach, sich zu setzen?« »Wie ich schon sagte«, erwiderte Garvin und öffnete den Koffer, »mache ich gerade meine Ordens verteilungsrunde. Und so etwas sollte man nicht tun, während man sich den Arsch platt sitzt. Natürlich wird es eine etwas offiziellere Zeremonie geben, wenn wir wieder in Camp Mahan sind.« Er holte eine kleine Schachtel und ein Blatt Papier aus dem Koffer und las vor: »Tak Darod Montagna, Erster
Offizier der Infanterie- und Aufklärungskompanie, Erste Brigade, Angara-Armee, wird hiermit der Tapferkeitsstern verliehen...« Montagna schnaufte leise. »Keine Unterbrechung!«, sagte Garvin. »Und zwar für Leistungen an irgendeinem Datum, die weit über die Pflichten eines Soldaten hinausgehen, für eine Reihe von äußerst tapferen Aktionen gegen den larixanischen Feind, einschließlich der Zerstörung zweier MG-Stellungen im Alleingang, für die Tötung von dreizehn und die Gefangennahme von siebenundzwanzig Feinden. Auch nach Ihrer Verwundung haben Sie noch für die moralische Führung der Soldaten gesorgt, als Sie eine verschanzte Einheit des Feindes angriffen, nachdem der befehlshabende Offizier ebenfalls verwundet war. Zudem haben Sie während dieses Angriffs das feindliche Gegenfeuer ausgeschaltet, indem Sie im Alleingang einen Artilleriebeobachter getötet haben, der Ihre Kompanie im Visier hatte. Diese bei417 spielhafte Tapferkeit wird vom Unterzeichnenden belobigt. Im Namen der Konföderation, Dant Grig Angara. Hören Sie auf zu flennen, Frau!« »Ich... ich gebe mir Mühe«, sagte Montagna und tupfte sich die Augen mit dem Bettlaken ab. Garvin überreichte ihr die Schachtel und setzte sich. »Jetzt bin ich nur noch ein normaler Besucher. Es freut mich, dich zu sehen, Darod.« »Schön, dass man mich noch sehen und besuchen kann«, sagte Darod und betrachtete den Orden in der Schatulle. »Vielen Dank... Garvin. Es ist ein sehr hübscher Orden.« »Bedank dich nicht bei mir«, sagte Jaansma. »Du warst die Verrückte, die es gewagt hat, diesen Artillerietypen im Alleingang zu erledigen.« »Das war ziemlich verrückt«, stimmte Montagna zu. Aus irgendeinem Grund griff Garvin nach ihrer Hand. Und dann saßen sie eine ganze Zeit einfach nur in freundschaftlichem Schweigen da, weil keiner der beiden das Bedürfnis verspürte, irgendetwas zu sagen. Die larixanische Stellung war als uneinnehmbare Festung konstruiert worden. Drei Waffentürme unter einer dicken Panzerung, die den Eindruck solider Felsblöcke erweckte, waren so angeordnet worden, dass sie sich gegenseitig Feuerschutz gaben. Wenn einer bestürmt wurde, eröffneten die anderen beiden sofort das Feuer auf die Angreifer. Noch immer lag ein halbes Dutzend Leichen herum und kündete von zwei gescheiterten Versuchen. Die Legion war nicht in der Lage gewesen, sie zu bergen, nicht einmal in der Nacht. Die Waffenstellungen waren durch Tunnel mit unterirdischen Unterkünften für die Besatzung, einer kleinen Kommandozentrale, Munitionslagern und einer Küche verbun418 den. Ein weiterer Tunnel führte zurück zum Palast, aber dieser war versiegelt worden, und die Schützen hatten den Befehl erhalten, sich weder zurückzuziehen noch zu kapitulieren. Etwas bewegte sich von der Front der Cumbrianer auf die Türme zu, gefolgt von drei weiteren gleichartigen Objekten, alle kleiner als ein Mensch. Sie krochen vorwärts, ohne dass die larixanischen Sensoren sie bemerkten, bis sie nur noch fünfzig Meter von den Kanonen entfernt waren. »Okay«, sagte Tanya Felder, die als Tweg für zehn Kampfroboter verantwortlich war. »Schiebt euch weiter am Boden entlang, Soldaten. Bis ihr genau unter ihrer Nase seid.« Sie und die anderen drei Operatoren steckten in ihren sargähnlichen Lenkstationen in einem Vorposten, der ein paar hundert Meter entfernt war. Ein halbes Dutzend Aufklärer hielt Wache, falls die Larixaner etwas witterten und die hilflosen Betreuer der Roboter angriffen. Felder steuerte Rumpel IV Der Krieg hatte den Robotern genauso schwere Verluste wie den Menschen zugefügt. Vorsichtig ließ sie ihn weiter vorrücken, bis der Turm nur noch ein paar Meter entfernt war. Plötzlich ertönte ein Piepsignal. »Sie haben uns entdeckt«, hörte sie über Kom von einem anderen Operator. Eine Kanone drehte sich und feuerte. »Daneben«, gluckste ein Operator. Erneut feuerte der Waffenturm. »Scheiße!«, fluchte der Operator. »Ich bin tot.« Die Frau glitt aus ihrem Sarg und blinzelte. Im verwüsteten Gelände vor der larixanischen Stellung lag ihr Roboter, die Raupenketten in die Luft gestreckt. Rauch stieg von ihm auf. 419 Felder beachtete ihn nicht weiter und lenkte Rumpel zu dem Turm, den sie sich als Ziel ausgesucht hatte. Sie schob sich daran vorbei und suchte in einem Bombenkrater Deckung. Jemand musste den Roboter gesehen haben, denn nun schwenkte der Geschützturm hin und her und suchte nach einem Ziel. Aber Rumpel befand sich außerhalb des Erfassungsbereichs der Sensoren. Der Roboter streckte eine seiner Krebsscheren aus, die modifiziert und mit einem Hochgeschwindigkeitsbohrer ausgestattet worden war. Sie berührte die Wandung des Turms unter dem drehbaren Ring, summte ein paar Sekunden lang und zog sich wieder zurück. »Ich bin drin«, sagte Felder.
»Ich bin in Reichweite«, sagte der Operator eines anderen Roboters. »Ups. Sie haben mich entdeckt. Ich verstecke mich.« »Ich habe mein Ziel erreicht«, sagte der dritte. Es klang ein kleines bisschen selbstgefällig. »Ich bohre mich hinein. « Rumpel streckte die andere Klaue aus und schob vorsichtig einen dünnen Schlauch in das Bohrloch. Felder berührte Sensoren, und ein geruchloses Gas strömte in den Turm. Sie wartete und rutschte ungeduldig hin und her, während sich der Gastank leerte, den Rumpel mit sich führte. Schließlich fuhr sie eine dritte Klaue aus, die ein kleines Röhrchen hielt, einen Detonator. »Ich bin durch«, drang es aus ihrem Kopfhörer. Und ein paar Sekunden später: »Ich pumpe.« Auf Felders Sichtschirm blinkte das Wort LEER. »Mein Tank ist leer«, meldete auch der andere Operator. »Und jetzt«, flüsterte Felder, obwohl dazu gar kein Grund bestand, »nichts wie weg.« 420 Sie schaltete ein Mikro ein. »Assegai Arty Drei, hier ist Prophet Rossum Sechs. Sie können jederzeit das Ablenkungsfeuer eröffnen.« Zhukovs, die hinter der Front gelandet waren, feuerten Salven von jeweils zwanzig Geschossen knapp hinter die Geschützstellung. Rumpel verschränkte artig die Krebsscheren vor dem Bug, kroch durch einen tiefen Krater auf die Front der Cum-brianer zu und schaffte es, bevor die Larixaner zurückschießen konnten. »Ich bin raus«, meldete der andere Operator. »Ich zünde«, meldete Felder und berührte einen Sensor, der ein Signal an beide Detonatoren schickte. Sie explodierten und setzten das sehr leicht entzündliche Gas in Brand. Flammen schössen durch die Türme und hinunter in die Schlafquartiere. Männer schrien, rannten brennend umher. Dann fing das Munitionslager Feuer, und alle drei Türme flogen in die Luft. Sie rissen das Land wie riesige Schaufeln auf. »Gut«, sagte der Tweg, der die wartende Kampftruppe befehligte. »Die Giptel-Ficker sind hin. Gehen wir rüber und schauen mal nach, worauf noch geschossen werden muss.« Die Armee griff an. Ein Infanterist, der dicht an Rumpel vorbeikam, blieb kurz stehen, um sich herabzubeugen und den Roboter liebevoll zu tätscheln. Vier Raketen schlugen ein und erwischten Njangu Yoshitaro und seine zwei Komtechniker. Sie kehrten gerade zu Fuß zum Hauptquartier der Ersten Brigade zurück, nachdem Njangu darauf bestanden hatte, sich persönlich die Stellungen anzusehen, die die Legion am nächsten Tag angreifen wollte. 421 Die Explosion schleuderte ihn in ein bereits zerstörtes Schaufenster, und er landete auf staubbedeckten Stoffrollen. Er hatte ein unerträgliches Kreischen in den Ohren und war überzeugt, dass er das Gehör verloren hatte. Er schaffte es, wieder auf die Beine zu kommen, sah seinen ramponierten Blaster im Eingang, taumelte auf die Straße hinaus und hatte das Gefühl, sich an Bord eines Schiffes in stürmischer See zu befinden. Auf der anderen Straßenseite stand eine Soldatin, die ihn entsetzt anstarrte. Yoshitaro war mit Hirn, Eingeweiden und Blut besudelt, die von einem seiner Komtechniker stammten, der sich genau zwischen der Explosion und ihm aufgehalten haben musste. Er blickte sich um und suchte ohne Eile nach dem anderen. Schließlich entdeckte er den Kopf und den Oberkörper, dem Arme sowie Beine fehlten, aufgespießt vom Stumpf eines Laternenpfahls. Njangu spürte, dass er unkontrolliert zitterte. Etwas stieg in ihm auf, verlangte von ihm, dass er schrie, dass er wegrannte, fort von diesem Wahnsinn. Er machte ein paar Schritte, zuerst langsam, dann schneller. Er hatte das Gefühl, als würde sich vor ihm ein schwarzer Abgrund öffnen, in den er sich stürzen wollte, immer tiefer hinein, um alles zu vergessen, nicht mehr an Blut, Tod und die erbärmlichen Forderungen denken zu müssen, mit denen die Männer und Frauen um ihn herum ihn belästigten, ihn, den kleinsten und ängstlichsten von allen. Ein Abgrund... nein, kein Abgrund. Ein Monstrum, ein schwarzes, hässliches Monstrum. Es wollte ihn packen, und er musste davor weglaufen, musste fliehen... Njangu zwang seine Beine dazu, unter ihm einzukni422 cken, statt dem Drang zur Flucht zu folgen. Er stürzte und schlug hart auf, spürte das raue Pflaster an der Wange, und wieder hörte er das verächtliche Urteil über Mil Liskeard. »Er war unser bissigster Tiger...« Er war, er war, er war, intonierte sein Bewusstsein. Njangu Yoshitaro war einmal und ist nicht mehr, war einmal und ist nicht mehr. Jemand drehte ihn um, nahm ihn in die Arme, und Njangu wollte wieder schreien, für immer nur schreien, seine ganze Lebenskraft in diesen Schrei legen. Sein Mund öffnete sich, und urplötzlich war da kein Abgrund, kein Monster mehr, sondern nur eine Soldatin, die sagte: »Sir? Sir? Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Sir?«
Njangus Mund öffnete und schloss sich, wie ein Fisch, der an der Luft erstickte. Er stemmte die Hände auf das Pflaster, und die raue Fläche gab ihm Sicherheit. Er schaffte es, den Oberkörper aufzurichten. »Sir? Sind Sie verletzt? Ich kann keine Wunden sehen, Sir.« Njangu atmete zweimal tief durch, drehte sich, bis er seine Beine unter den Körper gebracht hatte, und stand auf. Er wäre fast wieder gestürzt, doch die Frau hielt ihn fest, dann wären sie beinahe gemeinsam wieder zu Boden gegangen. »Alles in Ordnung«, murmelte er. »Das war verdammt knapp, Sir«, sagte die Gefreite. »Sie scheinen einen leichten Schock erlitten zu haben. Vielleicht sollten Sie sich lieber wieder hinlegen. Ich werde die Sanitäter rufen.« Njangu schüttelte den Kopf. Er wusste genau, wenn er jetzt nachgab, wenn er sich jetzt hinlegte, würde sich wieder der Abgrund öffnen. 423 Glück gehabt, dachte er. Ich habe einfach nur Glück gehabt, dass ich wieder auf die Beine gekommen bin. Wenn niemand in der Nähe gewesen wäre, wenn ich nicht von Liskeard gehört hätte... Er erschauderte und wusste, dass er von nun an nur noch tiefstes Mitleid für jeden empfinden würde, der im Kampf einknickte. Mir kann es passieren, dir kann es passieren, uns allen kann es passieren. Vielleicht können wir nur bis zu einer bestimmten Grenze belastet werden, und dann brechen wir wie ein verdammter Zweig. Vielleicht... »Mir geht es gut«, sagte er. »Aber vielleicht könnten Sie mich auf dem Rückweg zum Hauptquartier begleiten. Ich glaube, ich kenne jemanden, der eine Flasche hat, und ich möchte Ihnen gerne einen extrem illegalen Drink spendieren.« Die Truppenteile der Legion vereinigten sich. Nun waren das Stadtzentrum, das Hauptquartier der Larixaner und Redruths Palast umzingelt. Doch von den Larixanern kamen keinerlei Anzeichen, dass sie zur Kapitulation bereit waren. Angara übermittelte den Soldaten Botschaften, die von Experten für psychologische Kriegführung verfasst worden waren, aber nur einige wenige ergaben sich. Und es geschah immer wieder, dass sie von der Garde des Protektors erschossen wurden, wenn sie die Front überquerten. Redruth setzte seine Elite wie ein stählernes Korsett ein, um seine Armee zusammenzuhalten. Andere Spezialisten versuchten, mit Redruth selbst Kontakt aufzunehmen, um über die Bedingungen eines Waffenstillstands zu verhandeln. Aber sie erhielten keine Antwort. 424 »Dieser elende Dreckskerl!«, sagte Jon Hedley, was vermutlich eine korrekte Einschätzung war. »Wahrscheinlich glaubt er, dass jeder, der reden will, ein Schwächling ist und ihm nicht lange standhalten wird. Also müssen wir einfach weitermachen, bis wir ihm den Stiefel in den Arsch rammen können, sodass er oben wieder rauskommt. « Njangu erzählte Garvin nie davon, dass er beinahe zusammengebrochen wäre, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund vertraute er Maev sein Geheimnis an, als sie einmal gleichzeitig eine Stunde dienstfrei hatten. Er beobachtete sie genau, suchte nach dem leisesten Anzeichen für Verachtung. Aber da war nichts. »Weißt du«, sagte sie, als er zu Ende erzählt hatte, »ich glaube, etwas in der Art ist auch mit meinem Vater passiert. Seine Leute haben Chemikalien verladen, und dann gab es eine Explosion in einer der hydroponischen Anlagen. Ich kann mir vorstellen, dass es eine verdammt grausige Szene war, und nur drei oder vier Leute überlebten. Meine Mutter kam ins Krankenhaus und wurde nach ihrer Rückkehr sehr still. Sie sagte, Vater hätte keine Verbrennungen erlitten, hätte sich nichts gebrochen. Die Firma schickte ihn - und uns - in... ich glaube, es war ein Sanatorium. Etwa einen Monat später entließen sie ihn als geheilt und gaben ihm einen Job in einem anderen Werk, wo er etwas ganz anderes machte. Er hat nie über diesen Tag gesprochen, aber anschließend war er... anders. Stiller. Ich hatte sogar den Eindruck, dass er kleiner geworden war.« Klar war er anders, dachte Njangu. Das verdammte schwarze Monster hat ein Stück von ihm mitgenommen, und er hat es nie wiederbekommen. Er erschauerte. 425 »Ich bin nicht so blöd, dass ich jetzt sagen würde, du solltest einfach vergessen, was geschehen ist«, sagte Maev sanft. »Aber wenn einige Zeit vergangen ist... Außerdem sieht dieser Krieg danach aus, dass wir alle irgendwann draufgehen werden. Also müssen wir uns sowieso keine Sorgen machen, ob wir anschließend seelische Krüppel sind oder nicht. Komm jetzt. Wir beide könnten eine Dusche vertragen, und zufällig kenne ich eine Chemiewaffenfirma, die eine hat, auch wenn sie das Ding als Dekontaminationszelle bezeichnen. Und ich kenne ein verlassenes Hotel, in dem es ein echtes Bett gibt, das noch nicht voller Einschusslöcher ist. Ich habe das Zimmer persönlich mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert.« Der larixanische Ayesha war schon vor längerer Zeit abgeschossen worden und in ein Bürogebäude gestürzt. Vor einem Monat? Vor einer Woche? Der Mann konnte es nicht sagen. Er lag in seinem eigenen Gestank da und roch, wie sein Bein langsam verfaulte.
Es gab nichts zu essen, aber er hatte sowieso keinen Appetit. Es hatte ein- oder zweimal geregnet, und er hatte das Wasser aufgeleckt, das durch ein Einschussloch in den Ayesha getropft war. Er vermutete, dass das LKG zwischen den Fronten gelandet war, da er seit dem ersten Tag keinen von seinen Leuten mehr gesehen hatte. Er hatte versucht, sie zu rufen, aber er war zu schwach gewesen. Dann war eine ganze Zeit lang niemand mehr da gewesen. Er wurde in kurzen Abständen immer wieder bewusstlos, was ein angenehmer Zustand war. Aber er wollte es nicht. Er versuchte, wach zu bleiben. 426 Dann hörte er Stimmen und sah Soldaten. Feindliche Soldaten. Von ihnen wollte er nichts, also wartete er weiter ab. Ein Tag und eine Nacht vergingen. Er lugte durch das gesprungene Glas der Kanzel und sah, dass eine Gruppe von Feinden über die Straße auf ihn zukam. Er konnte nur verschwommen etwas erkennen, sodass er ständig blinzeln musste. Es waren acht oder zehn. Nicht genug. Aber dann sah er die Männer mit den Korns auf dem Rücken, die sich um einen Mann scharten, der sich wie ein hoher Befehlshaber benahm. Er hielt etwas in der Hand, das nach einem Kartenprojektor aussah. Vielleicht genügte es doch. Er drehte an der Steuerung des Geschützturms, und langsam bewegte sich die Kuppel, bis die Automatikkanone genau auf den Offizier zielte. Er konnte ihn nicht verfehlen. Er wollte nach dem manuellen Feuerknopf greifen, doch seine Hand fiel schlaff und kraftlos herunter. Erneut streckte er sich, seine Lippen bewegten sich im stummen Gebet, im Fluch. Einen Zentimeter... zwei... dann fünf. Drück den Knopf. Du hast genug Kraft dazu. Dann kannst du sterben. Aber vorher drückst du den Knopf! »Also gut«, sagte Aut Pol Trygve entschieden und zeigte auf den Kartenprojektor. »Wir haben den Palast fast erreicht. Sobald es dunkel wird, werden wir hier neue Stellungen beziehen und uns auf morgen vorbereiten. Die Raketeneinheit soll sich da drüben positionieren, wo sie genügend Deckung haben dürfte und gut versorgt werden kann. Zwei Angriffstruppen werden sich hier und hier...« Das Automatikgeschütz des LKG-Wracks spuckte ein 427 halbes Dutzend Geschosse aus, die sich in der Gruppe verteilten. Zwei 20-mm-Patronen trafen Trygve und töteten ihn auf der Stelle. Andere mähten einen Komtechniker und den Kommandanten der Sektion III des Zweiten Regiments nieder. Garvin Jaansma war gerade dabei, ein paar Ersatzoffiziere zu Trygve zu bringen, als das LKG das Feuer eröffnete. Er sah, wie sich der Körper des Aut verkrampfte, als ihn die Patronen beinahe in zwei Hälften rissen. Sofort ging er zu Boden und suchte mit dem Blaster nach einem Ziel, erkannte fast im gleichen Moment, woher die Schüsse kamen. Andere Soldaten feuerten und rückten auf das Wrack vor. Es hagelte Granaten, dann kam ein Raketenwerfer der Infanterie zum Einsatz, dessen Geschoss im Ayesha explodierte. Soldaten liefen zum Wrack, ohne das Feuer einzustellen. Jemand entdeckte ein Loch in der Hülle des Gefährts und warf Granaten hinein. Danach war Stille. Garvin war wieder aufgesprungen. Er griff sich ein Mikro von einem der Komträger, der mitten im Blutbad wie eine Statue stehen geblieben war. »Verbinden Sie mich mit dem Hauptquartier der Ersten Brigade«, zischte er. »Hä?« »Na los, Mann! Machen Sie schon!« »Oh. Ja. Ich meine, ja, Sir.« Der Mann drückte ein paar Knöpfe. »Jetzt sind Sie auf dem richtigen Kanal.« »Lanze, hier ist Lanze Sieben«, sagte Garvin. »Lanze Sieben, hier ist Lanze. Sprechen Sie.« »Lanze, hier ist Lanze Sieben. Ah...« »Der gegenwärtige Kode ist Vier Aleg Eins«, sagte der Komtechniker, der nun wieder ganz bei der Sache war. 428 »...Vier Aleg Eins. Pilum Sechs ist im Kampf gefallen. Erwarte Befehle, Ende.« Vom anderen Ende kam ein überraschter Laut, danach herrschte eine Weile Stille; dann: »Lanze Sieben, hier ist Lanze Sechs.« Caud Fitzgerald. »Botschaft verstanden, Sieben. Sind Sie über Pilums Mission und Befehle informiert?« Garvin überlegte angestrengt und spürte plötzlich, wie das Feuer der Zuversicht heiß in ihm brannte. »Bestätigt«, sagte er. »Ich war bei Ihrer Einsatzbesprechung dabei.« »Dann setzen Sie die Mission fort. Ihr Rufzeichen ist jetzt Pilum Sechs, bis Sie anders lautende Anweisungen erhalten. Lanze Sechs Ende.« Garvin war nun der befehlshabende Offizier des Zweiten Regiments, das fast eintausend Mann stark war. Er warf dem Komträger das Mikro zu.
»Also gut. Sie... heißen Jenks, nicht wahr? Weichen Sie nicht von meiner Seite. Sie sind jetzt meine Stimme. Rufen Sie die Kommandanten meiner Angriffskompanien, und dann werden wir uns bereitmachen, ein bisschen Land zu erobern.« »Weißt du noch, was du zu mir gesagt hast... vor einigen Tagen oder Jahrhunderten?«, sagte Njangu zu Maev. »Über diesen langen Tunnel, der zu Redruths Rattenhöhle führt?« »Klar.« »Also, ich bin losgezogen und habe die Genehmigung für ein paar Aufklärungsflüge erhalten, die in geringer Höhe und mit hoher Geschwindigkeit über dem Palast durchgeführt wurden. Zum Glück ist dabei niemand zu Tode gekommen. Und schau mal, was ich hier habe!« 429 Maev studierte das unheimlich wirkende Hologramm. »Hier ist unsere Front, da ist ihre«, sagte Njangu. »Hier ist der Palast...« »Halt die Klappe«, sagte Maev. »Ich bin ebenfalls ein ausgebildeter Offizier, und ich kann diese Projektion genauso gut lesen wie du. Vielleicht sogar noch besser.« Sie legte den Finger auf eine Stelle, die nicht weit vom Palast entfernt lag. »Unbebautes Gelände - und auf den ersten Blick sieht es so aus - dürfte eigentlich keine Wärmesignaturen aufweisen«, sagte sie. »Hier ist das jedoch der Fall. Das deutet darauf hin, dass es an dieser Stelle unterirdische Anlagen mit Lüftungsschächten gibt. Es könnte zum Beispiel ein Bunker sein. Und zwar ein verdammt großer Bunker. Eine Kommandozentrale. Oder vielleicht nur eine riesige Ansammlung von Waffenstellungen.« »Nein«, sagte Njangu selbstgefällig. »Solche Ratespiele sind überflüssig. Schau dir das hier an. Das ist eine andere Infrarotaufnahme, die von einem Grierson aus großer Höhe geschossen wurde. Deshalb ist sie nicht so detailliert. Dafür haben wir hier eine nette Abfolge von Bildern, eins alle zehn Minuten oder so, über einen halben Tag. Siehst du, wie die Emissionen von den Stellen, auf die du hingewiesen hast, kommen und gehen? Wenn es Waffenstellungen wären, würde das bedeuten, dass alle Bedienungsmannschaften zur gleichen Zeit ihr Essen kochen, zur gleichen Zeit ihre Zehen wärmen und so weiter. Oder es wäre eine einzige große Stellung mit einem einzigen System aus Lüftungsschächten. « »Ich glaube, du hast Recht«, sagte Maev. »Und ich finde, wenn wir die nötige Unterstützung und Genehmigung erhalten, wäre es an der Zeit für ein paar genauere Erkundungen.« 430 »Irgendwie habe ich mir gedacht, dass du so etwas sagen würdest. Aber von der Sache mit dem >wir< bin ich gar nicht begeistert. Ich meine, das könnte ziemlich gefährlich werden und so.« Maev warf ihm einen bösen Blick zu. »Wirst du gehen?«, fragte sie. »Natürlich!« »Na also!« Njangu wollte etwas sagen, doch dann überlegte er es sich anders. »Okay. Dann will ich ein paar Hebel in Gang setzen.« Garvin führte zwei Angriffe als Kommandant und musste dabei leichte Verluste hinnehmen. Jedes Mal machte das Zweite Regiment ein paar hundert Meter Boden gut. Beim ersten Mal hatte er schreckliche Angst, doch schon beim zweiten Mal war er wesentlich zuversichtlicher. Niemand kam, um ihn abzulösen, also ging er davon aus, dass er alles richtig machte. Andere Regimenter kämpften an ihren Fronten, und die Schlinge um Redruth zog sich immer enger zusammen. Gebäude um Gebäude, Block um Block ging der brutale Straßenkampf weiter. Vor ihnen ragten die zertrümmerten Türme von Redruths Palast auf. Aus jedem Turm, jedem versteckten Bunker, jedem harmlos wirkenden Gebäude schlug ihnen der Tod entgegen. In aller Eile ausgebildete Ersatztruppen trafen von D-Cumbre ein, wurden auf die Kampfeinheiten verteilt, und in vielen Fällen starben die neuen Soldaten, bevor sie richtig verstanden hatten, wie es in einem echten Krieg zuging431 »Klopf-klopf«, sagte Njangu und lugte in die Betonröhre, die halb von Trümmern verschüttet war und Garvins Privatquartier darstellte. Ein paar Meter weiter im Abwasserkanal befand sich sein Hauptquartier. Garvin blickte vom Grundriss des Palasts auf, den er studiert hatte, sah Yoshitaro und Stiofan und kroch nach draußen. »Ich würde euch ja gerne auf einen Drink hereinbitten«, sagte er, »aber leider herrscht bei mir etwas Unordnung. « »Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung«, sagte Njangu. »Ja, es ist ein ganz netter Job«, erklärte Garvin und bemühte sich, nichts von seinem Stolz durchschimmern zu lassen. Er legte die Hände an den Mund und rief etwas. Ein ziemlich verdreckter Tak schaute aus dem Abwassertunnel. »Was brauchen Sie, Boss?« »Valento, jemand soll irgendwelchen Scheißkaff für meine Gäste besorgen, sonst komme ich rüber und reiße euch die Arsche auf!« »Alles klar, Boss«, sagte der Offizier. »Tschuldigung. Ich hätte von selbst darauf kommen müssen, dass Sie Besuch haben.«
»Was für ein verdammter respektloser Drecksack!«, murmelte Garvin. »Wenn er nicht so gut im Leuteumbringen wäre, würde ich mal so richtig meine Wut an ihm auslassen.« Njangu betrachtete Garvins erschöpftes und übermüdetes Gesicht und beschloss, nichts dazu zu sagen. »Apropos«, sagte Jaansma, »wann bewegst du deinen Arsch wieder in den Stab, wo du hingehörst? Wir Feldozzifiere brauchen jede Unterstützung.« »Angara scheint absolut versessen darauf zu sein, mich 432 für immer zu behalten«, sagte Njangu. »Ich flehe ihn die ganze Zeit an, mich wieder auf einen Posten zu versetzen, wo ein Mann aufstehen und getötet werden kann, aber ohne Erfolg. Und Fitzgerald ist auch nicht glücklicher als du es bist.« »Scheiße«, sagte Garvin. »Morgenbei Sonnenaufgang ist der nächste Angriff fällig, und ich habe nicht den leisesten Schimmer, was ich machen soll; ich kann nur meine Leute wieder losschicken und abschlachten lassen.« »Genau das«, sagte Njangu, »ist der Grund für unser Hier sein. Du hast neue Befehle erhalten.« »Und Fitzgerald hat es nicht für nötig gehalten, mir etwas zu sagen? Geht es um irgendein Supergeheimnis, sodass du die Neuigkeiten persönlich überbringen musst? Oder steckt wieder irgendeiner deiner berüchtigten Pläne dahinter, Njangu?« »Du hast es erfasst«, sagte Yoshitaro. »Obwohl es hauptsächlich Maevs Plan ist. Angara hat ihn persönlich genehmigt, und Fitzgerald sagte, wir sollen die Aktion in deinem Frontabschnitt durchführen. Setz dich hin, gib mir deine blöde Karte, und ich werde dir zeigen, wie wir dir ermöglichen, diesen Krieg zu gewinnen.« Sobald es völlig dunkel geworden war, schob Garvin vier Angriffstrupps so weit vor, wie er es wagte. Nun war der Palast sehr, sehr nahe. Dies ist ein guter Ort, um sich töten zu lassen, dachte er. Aber für Njangu und Co. stehen die Chancen für einen Haupttreffer in der Leichenlotterie wesentlich besser. Sie waren zu viert: Njangu, Maev, Tweg Calafo und Gefreiter Fleam. Njangu hatte an andere Namen gedacht, an andere Soldaten, die er lieber dabei gehabt hätte. Aber die 433 waren entweder tot, verwundet oder in einer anderen Einheit. Von der Aufklärungskompanie, die er einmal geführt hatte, war nicht mehr viel übrig. Aber das ließ sich wohl nicht ändern. Die vier trugen lichtabsorbierende Kleidung, die sie auch für Bodenradar und Infrarot unsichtbar machen sollte, und sie hatten sich die Gesichter geschwärzt. Jeder hatte nur ein paar Energieriegel und eine einzige Wasserflasche dabei. Sie waren mit Pistolen, Kampfmessern und den antiken einschüssigen Projektilwaffen ausgerüstet, Fleam außerdem mit einer kurzen, mit Nägeln gespickten Keule, von der er behauptete, für eine nächtliche Patrouille wäre es die beste Waffe überhaupt. Zwei Stunden vor Beginn der Dämmerung krochen sie in einem Bereich, in dem es seit einigen Tagen keine Kämpfe mehr gegeben hatte, aus den Stellungen der Legion. Lautlos bewegten sie sich auf die larixanischen Vorposten zu. Die feindlichen Truppen waren auf der Hut, aber genauso erschöpft wie ihre Gegner. Also wurden die vier Eindringlinge nicht bemerkt und mussten auch niemanden töten. Sie rückten weiter vor, an eingegrabenen Geschützen, Bunkern mit Kanonen und ausfahrbaren Gefechtsstellungen vorbei. Niemand hielt sich an der Oberfläche auf. Gesehen zu werden war - selbst bei Nacht eine Aufforderung, beschossen zu werden. Eine Kampfpatrouille oder ein nächtlicher Angriffstrupp wäre entdeckt und ausgelöscht worden. Aber niemand rechnete mit vier Mann, die sich geschickt und lautlos bewegten. Das hatten die Aufklärer bei verschiedenen Erkundungsmissionen immer wieder festgestellt. 434 Um sie herum waren die Ruinen des Palasts, seltsame, zackige Gebilde, die einmal logisch durchdachte menschliche Konstruktionen gewesen waren. Njangu blickte nach oben und erinnerte sich an das Versprechen, das er den Architekten des Universums gegeben hatte, als er diesen Rokoko-Albtraum das erste Mal erblickt hatte. Allerdings hatte er damals nicht daran gedacht, dass er die Arbeit irgendwann persönlich übernehmen würde. Ein Wachposten hinter einer beschädigten Statue sah etwas und legte auf sie an. Im nächsten Moment steckte Yoshitaros Messer in seiner Kehle, und er brach tot zusammen. Sie zerrten die Leiche hinter einen Trümmerhaufen und gingen weiter. Wenn sie Erfolg hatten, würden sie nicht auf diesem Weg zurückkehren. Und wenn sie versagten... spielte es sowieso keine Rolle. Sie betraten den riesigen Haupteingang des Palasts. Die großen Türen waren bei Luftangriffen aufgesprengt worden, die Wandteppiche waren rußgeschwärzt, die Kunstwerke zerfetzt und zerbrochen. Maev führte sie durch einen langen Korridor. Nach einiger Zeit hörten sie Stimmen. Eine Tür stand einen Spalt weit offen. Licht und Gesprächsfetzen drangen heraus. Sie winkte ihnen, sich zu ducken, und sie krochen lautlos an dem Raum vorbei.
Kleinere Korridore öffneten sich. Manche wurden noch benutzt, andere lagen völlig in Trümmern. Maev drang immer tiefer in den Palast vor, ohne dass sie gesehen wurden. Zweimal blieb sie stehen, als sie erkannte, dass sie die Orientierung verloren hatte. Dann gingen sie zurück und nahmen einen anderen Weg. Wieder schimmerte voraus ein Licht. Maev griff nach Njangus Arm und zeigte nach vorn. Es 435 war die Stelle, an der der Tunnel begann. Sie zog ihre Pistole, und die anderen taten es ihr nach. Sie hatte gesagt, dass wahrscheinlich nur zwei Wachposten vor der Tür standen. Njangu hob einen Finger... dann einen weiteren... einen dritten... und beim vierten stürmten sie mit erhobenen Waffen um die Ecke. Sechs Männer aus der Garde des Protektors rissen überrascht die Augen auf, dann hoben sie ihre Blaster. Es klickte viermal, und vier Larixaner gingen zu Boden; jeder von ihnen hatte knapp unter dem Helmansatz ein kleines Einschussloch in der Stirn. Njangu stürmte weiter und stieß den fünften Blaster mit einem Fußtritt beiseite, während sein Messer die Kehle des Mannes aufschlitzte. Er riss ihn herum, brach ihm das Genick und ließ ihn zu Boden sinken, während Fleams Keule den Schädel des letzten Wachmannes zertrümmerte. Sie kümmerten sich nicht weiter um die Leichen. Wenn jemand vorbeikam und die Toten entdeckte, würde es lautes Geschrei geben. Wenn der Wachposten einfach nur unbesetzt war, würde man vielleicht still und leise nach den Vermissten suchen und die Eindringlinge überraschen. Njangu sah auf seine Fingeruhr. Es wurde allmählich Zeit. Sie mussten nur weiter kriechen, sich jemanden schnappen und ihm die Zehennägel herausziehen, bis er ihnen verriet, wo sich Redruth aufhielt. Wenn Garvins Angriff begann, würde der Lärm ihnen zusätzlich Deckung verschaffen. Dann konnten sie ihre Mission zu Ende bringen und versuchen, Redruth entweder zu kidnappen oder -was wahrscheinlicher war - zu töten. Aber es kam nicht ganz so, wie sie geplant hatten. 436 30 Garvins Angriff ging ein heftiges Sperrfeuer der Artillerie voraus, das den ganzen Bereich von der Front bis zum Palast und wieder zurück bestrich. Velv, Aksai und Zhukovs feuerten im Tiefflug Raketen auf jedes Ziel ab, das sich auf irgendeinem Schirm zeigte. Das Palastgelände wurde so gründlich wie ein Acker umgepflügt, und das weder zum ersten noch zum zehnten Mal. Die Larixaner hielten ihre Stellungen, da sie wussten, dass es Selbstmord wäre, zu fliehen oder sich auch nur ins Freie zu wagen, solange draußen die Hölle tobte. Stattdessen warteten sie, dass die feindliche Infanterie angriff, dass sich dunkle Gestalten durch Feuer und Rauch langsam auf sie zubewegten. Garvins Angriffskompanien kamen aus ihren Stellungen und rückten vor, während die Artillerie noch ein letztes Mal auf den Palast einhämmerte und die Lufteinheiten zu einer letzten Angriffswelle ansetzten. Niemand wusste, wer die Rakete abgefeuert hatte, aber alle sahen die Folgen. Sie traf etwas Empfindliches, und eine gewaltige Explosion erschütterte den Boden. Eine Rauchwolke quoll in die Höhe, stieg höher als der höchste Turm des Palasts. Einen Augenblick lang glaubte Garvin, jemand hätte eine taktische Atomwaffe gezündet. Aber das war es nicht. Es war etwas Konventionelleres, vielleicht ein kleines Munitionslager, das getroffen worden war. Der Boden war aufgerissen und offenbarte zerfetzten Beton, der von mehreren Metern Erde bedeckt gewesen war. Der erste Cumbrianer, der den rauchenden Krater er437 reichte, blickte hinunter, sah die Überreste bewohnter Räume und eine offene Tür. »Hier ist ein Eingang!«, rief er. Dann kam der Sturmbefehl, und die Infanteristen seiner Einheit strömten in das Loch. Nun waren sie in Protektor Redruths Kommandozentrale. Njangu und die anderen drei hörten, wie die Schlacht begann, öffneten die Tür zum Tunnel und liefen hinein. Der Lärm des Artilleriefeuers und der Bombardierungen wurde immer lauter, je weiter sie vordrangen. Dann wurde der Tunnel von einer gewaltigen Explosion erschüttert, die sie zu Boden warf. Staub wirbelte auf, und Njangu glaubte einen Moment lang, dass der Gang eingestürzt wäre. Langsam rappelten sie sich wieder auf und zogen ihre Pistolen. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, leise zu sein, zumal sie ohnehin halb taub waren. Sie eilten weiter. Sie hörten Rufe und sahen zwei ziemlich übergewichtige Männer - wahrscheinlich Techniker -, die in ihre Richtung rannten. Die Männer bemerkten die Eindringlinge nicht, sondern schauten sich nur um, als würden sie verfolgt. Dann entdeckten sie die vier Cumbrianer. Einer schrie in panischer Angst, der andere versuchte eine winzige Pistole zu ziehen, und beide wurden erschossen. Im undurchdringlichen Dunst hinter ihnen feuerte jemand, und Njangu und die anderen gingen in einer Nische in Deckung und schössen zurück. Protektor Redruth hörte die Rufe, die Einschläge explodierender Blastergeschosse und detonierender Granaten. »Sie«, sagte er zu seinem ersten Adjutanten. »Nehmen 438
Sie den Rest meiner Garde und vertreiben Sie die Cumbrianer! Nehmen Sie jedes Mitglied meines Personals mit, dessen Sie habhaft werden können.« »Ja, Sir.« Der Offizier rief nach seinen Männern und eilte die Treppe hinauf. Seine Stiefel knallten laut auf den stählernen Stufen. Redruth dachte nach. Vielleicht würden seine Soldaten nun ihre wahre Stärke zeigen und die Invasoren vernichten. Vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall hatte er nicht die Absicht, sich gefangen nehmen zu lassen, um wie ein wildes Tier im Zirkus ausgestellt zu werden. Andererseits hatte er auch nicht vor, wie eine dumme Ratte in diesem Loch zu sterben. Sein Schicksal und das von Larix und Kura waren untrennbar miteinander verknüpft. Wenn er starb, würde auch sein Imperium untergehen. Er musste fliehen und weiterkämpfen. Redruth ging zu einer Wand und drückte einen verborgenen Knopf. Die Wand schob sich zur Seite, und eine kleine Aufzugkabine wurde sichtbar. Er trat hinein und berührte den obersten Sensor. Die Tür schloss sich, und der Aufzug bewegte sich aufwärts, an den Unterkünften der Garde des Protektors vorbei, an Messen, Konferenzräumen, den verschiedenen Rechenzentren und all den anderen Einrichtungen, die eine moderne Armee benötigte. Dann hielt die Kabine an, und als die Tür aufglitt, war ein nackter Betontunnel zu sehen. Von hier waren es nur noch ein paar Minuten bis zum Zentrum des Palasts. Seine Leute hielten die Anlage für fast völlig zerstört, aber es gab noch andere Tunnel, die zum Stadtrand führten, zu verborgenen Hangars mit Glei439 tern, die ihm zur Flucht und zu einem Neuanfang verhelfen würden. Das ist erst der Anfang, dachte Redruth. Dann hörte er Blasterschüsse - sie kamen von vorn, waren zwischen ihm und dem Palast, zwischen ihm und seinem Fluchtweg. Er war gefangen. Redruth hatte sich stets damit gebrüstet, ein Pragmatiker zu sein. Wenn es keinen anderen Ausweg gab... Er entdeckte eine tiefe Nische und trat hinein, zog seine Pistole und lud sie durch. Er betrachtete die Waffe neugierig, bemerkte zum ersten Mal die feinen, verschnörkelten Gravuren am Griff. Die Waffe war erst ein einziges Mal abgefeuert worden, auf einem Schießplatz, nachdem er sie geschenkt bekommen hatte. Von wem? Ach ja! Von Celidon, verflucht sei seine schwarze Seele! Nein, zweimal. Gestern, als dieser andere Narr ihm den Gehorsam verweigert hatte. Redruth entsicherte die Pistole. Njangu hörte den Schuss, duckte sich und wartete, ob weitere folgten. Nichts. Tiefer im Tunnel wurden die Kampfgeräusche lauter. »Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir uns ins Getümmel stürzen können«, sagte er. Die Gruppe rückte weiter vor. Fleam sah die Hand, die aus der Nische ragte, und wies die anderen darauf hin; erneut gingen sie in Deckung. Die Hand rührte sich nicht. Maev stand auf und schob sich in die Nische. Protektor Alena Redruth lag in einer Lache aus seinem eigenen Blut. Entweder war seine Hand abgerutscht, oder 440 er hatte es sich im letzten Moment überlegt, denn er war noch am Leben, obwohl der untere Teil seines Gesichts nur noch eine blutige Masse war. Er bewegte sich schwach. Seine Augen waren offen, erzählten von Höllenqualen. Er blickte zu Maev hoch und schien sie wieder zu erkennen. Sie hob ihre Pistole. »Du kannst auch wohl gar nichts richtig machen, du armseliger Idiot!« Sie drückte einmal den Abzug und stanzte ein faustgroßes Loch in Redruths Brustkorb. Maev drehte sich zu den anderen um. »Du hast ein ausgesprochenes Talent, das Leben zu vereinfachen«, war alles, was Njangu Yoshitaro mit einem Schulterzucken und ohne einen Hauch des Vorwurfs sagte. 31 »Um ehrlich zu sein«, sagte Garvin. »Ich hatte nicht geglaubt, dass wir diese Sache lebend überstehen würden.« Njangu wollte mit einem dummen Spruch antworten, entschied sich dann aber dagegen. »Es ist ziemlich böse ausgegangen«, stimmte er zu. Er betrachtete das versammelte Zweite Regiment, das auf die Landung der Truppentransporter wartete. »Die Legion hat verdammt schwere Verluste erlitten.« Garvin nickte. Er hatte gehört, dass von den etwas über fünfzehntausend Mann der zwei Brigaden etwa siebentausend getötet oder verwundet worden waren. Von den Aufklärern waren weniger als sechzig Leute
einsatzbereit. 441 »Es dürfte eine Weile dauern, alles wieder aufzubauen«, sagte er. »Bist du dir sicher, dass >wir< das wirklich wollen? Ich meine, du und ich, nicht das auktoriale oder kollektive >wir<.« »Welche Möglichkeiten hätten wir denn sonst?«, fragte Garvin. »Ich glaube, wir haben genügend Credits auf der hohen Kante, um uns freikaufen zu können, wenn wir wollen«, sagte Njangu. »Es sei denn, es gefällt dir, der jüngste Caud in der Geschichte von was weiß ich zu sein.« »So übel ist das gar nicht«, sagte Garvin vorsichtig. Jaansma war von Caud Fitzgerald mit Angaras Einverständnis als befehlshabender Offizier des Zweiten Regiments bestätigt worden. Sie und Dant Angara hatten widerstrebend eingewilligt, dass Njangu den Stab der Brigade verließ und zu Garvins Erstem Offizier wurde. Alle anderen Regimentskommandanten waren ebenfalls zum Caud befördert worden, dem Rang, den Angara schon immer als dieser Verantwortung angemessen betrachtet hatte. »Was wir sonst für Möglichkeiten hätten?«, nahm Njangu den Faden wieder auf. »Verdammt, in Anbetracht von Jasiths Vermögen könntest du den reichen Müßiggänger spielen. Oder du könntest dir Arbeit suchen. Ex-Cauds bringen vermutlich die besten Voraussetzungen mit, sich als Galionsfiguren großer Firmen einstellen zu lassen.« Garvin dachte darüber nach, ob er Garvin Mellusin sein wollte. Dann dachte er an Darod Montagna und fragte sich, was zum Henker in dieser Richtung geschehen würde, falls überhaupt etwas geschehen konnte, falls er überhaupt wollte, dass etwas geschah. 442 »Das klingt nicht danach, als würde es Spaß machen«, sagte er. »Ich hatte mich schon gefragt, ob du noch weißt, was Spaß ist«, murrte Njangu. »Gut. Versuchen wir es mit einer anderen Möglichkeit. Wir holen unsere Entlassungsurkunden ab, kehren hierher zurück und helfen beim Aufbau einer neuen Regierung. Wir versuchen, diesen Robotern beizubringen, sich wie menschliche Wesen zu verhalten. Hier müsste es für uns jede Menge zu holen geben. Celidon sagte etwas von einem beträchtlichen Vermögen, das er auf Kura gebunkert hat. Wir könnten danach suchen. Froude hat bereits angekündigt, dass er eine Expedition nach Kura Vier unternehmen will, um endlich herauszufinden, was es mit diesen gottverdammten Wombeln auf sich hat.« »Der arme Kerl«, sagte Garvin. »Zu schade, dass er und Ho Kang...« Er sprach nicht weiter. »Ja«, sagte Njangu. »Leider gibt es viele Dinge, um die es schade ist... aber kommen wir noch einmal auf das Thema zurück, wie wir uns unrechtmäßig auf Kosten dieser unterdrückten Idioten bereichern können. Das klingt gar nicht so schlecht. Generalgouverneur Jaansma. Und seine Graue Eminenz Yoshitaro.« Dann dachte Njangu an Brythe, Pyder, Enida und Karig, die irgendwo da draußen waren... und an Maev. Bevor Garvin etwas sagen konnte, fuhr Njangu fort: »Nein. Auch das klingt nicht so, als würde es Spaß machen.« Garvin nickte. Er sah sich auf dem Raumhafen um. »Also, ich hätte nicht das geringste Problem damit, Larix oder Kura nie mehr wieder zu sehen«, sagte er entschieden. »Vielleicht sollten wir einfach ein paar Atombomben abwerfen, damit diese verdammten Drecksäcke uns nie wieder Ärger machen können.« »Na, na!«, sagte Njangu. »Wir wollen doch nicht den 443 Eindruck des blutrünstigen Barbaren in Uniform erwecken, der du in Wirklichkeit natürlich bist. Also gut. Merkst du, dass die Spannbreite unserer Möglichkeiten immer schmaler wird?« »Njangu«, sagte Garvin, »bist du überhaupt nicht neugierig, endlich herauszufinden, was mit der gottverdammten Konföderation passiert ist?« Bevor Yoshitaro antworten konnte, brachen mehrere Transporter gleichzeitig durch die Wolkendecke und gingen auf dem Landefeld nieder. »Prem!«, rief Garvin. Der Adjutant des Regiments kam herbeigelaufen und nahm Haltung an. »Sir?« »Das Regiment soll antreten, damit die Offiziere das Kommando übernehmen können. Dann sollen sie sich bereitmachen, an Bord zu gehen.« Ähnliche Befehle wurden auch an die anderen Regimenter ausgegeben, die auf den Landefeldern rund um Agur warteten. »Sir!« Laute Rufe hallten über die Betonfläche, und der Boden erzitterte, als die Transporter landeten. »Nun?«, fragte Garvin. »Was hältst du von der Sache mit der verdammten Konföderation?« »Je länger ich darüber nachdenke«, sagte Njangu, »desto interessanter wird diese Vorstellung.« Er schlug seinem Freund auf die Schulter. »Komm. Lass uns von diesem Misthaufen verschwinden, nach Hause fliegen und mal schauen, ob irgendein Blödmann uns einen ausgibt. Und dann sehen wir nach, was mit der verdammten Konföderation passiert ist.«