Erwin Beck (Hrsg.)
Faszination Lebenswissenschaften
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Erwin Beck (Hrsg.)
Faszination Lebenswissenschaften
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Erwin Beck (Hrsg.) Faszination Lebenswissenschaften
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Erwin Beck (Hrsg.)
Faszination Lebenswissenschaften
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Prof: Dr. Erwin Beck (Universttat Bayreuth) fur die UDBio U tiion Drutscher Biologiccher Gesellschafteri e.V. Berlin
1
D3s vorliegeride Werk wurde .:orgfaltig erarbeitet. Dennoch ubernehmen Hrrausgeber und Verlag fiir die Richtigkeit van Angaben, Hinwctscn nnd Ratschlhgen sowie fur eventuelle Druckfchler kettle Haftung. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatcnsatz hir diese Publikation ist bei Der Deutschen Biltliothek erhaltltch.
0 Wilcy-VCH Verlag GmbH, Weinhctm, 2002 Gedruckt auf saurefretem Papier Alle Rechtr, insbesondere die d r r Ubrrset7ung in andere Spracheti, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Gcnehmtgung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in cine von Maschtnen. insbesondere voii Datenverarbriturigsmaschitien, verwendbare Sprache ulwrtragrn oder ubersetzt wrrdrn. Dir Wiedergabe von W.irenbezeichriurigrri, I landrlsnamen oder sonstigen Kennzricheri i n diesern Buch herechtigt nicht z u der Anriatime. ddss diese von jedrrrnann frei benutzt werden durfen. Viclmehr kann es sich aurh darin urn eingetragcne Warenzeichen oder sonstige gesrt7lich geschutzte Kennzetchen handeln, wenn ste nicht cigens als solche tnarkiert stnd. All rights resewed (including those of translation into other languages). No part of this book rndy be reproduced in any form by photoprinting. intcro~ film. or any other means nor transmitted or translated into a machine language without written permission from thr publishers. Registered names, trademarks. etc. used i n this hook, even when not specifically marked a.: .:;uch, are not to be considered unprotected by law. ~
~
~
Printed in the Federal Republic of Germany Satz Kuhn & Weyh, Satz und Medten. Freiburg Druck und Bindung Dmckhaus Darmstadt, GmbH Umschlaggestaltung Grafik-Design Schiilz. FuBgonheini ISBN
3-527-30583-1
I"
Inhaltsverzeichnis Zum Celeit
XI
E. Beck Bilanz: Die Situation der Biowissenschaften in Schule, Universitat und Cesellschafl XV H. Mehlhorn Teil 1
Pnanzenwissenschaften 1
1
Der Lotus-Effek Selbstreinigende technische Oberflichen nach dern Vorbild der Natur 3 W. Barthlott, Z. Cerman und C. Neinhuis Das Vorbild: Biologische Oberflachen 3 Eigenschaften strukturierter Grenzflachen 6
1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.4 1.5 2
2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1
Benetzung von Oberflachen G Adhasion und Selbstreinigung ultrafein strukturierter Oberflachen Bedeutung des Lotus-Effektes 8 Technische selbstreinigende Oberflachen 9 Uberfliissige Grundlagenforschung? I 1 Literatur 12 Klonierung pflanzlicher Embryonen Die somatische Embryogenese erschlieRt Nadelbaume fur die Biotechnologie 13
K. Zoglauer Klonale Vermehrung ist bei Pflanzen ein natiirlicher Vorgang 13 Die klonale Vermehrung wirtschaftlich wichtiger Nadelbaumarten ist noch immer schwierig 14 Somatische Embryogenese - die asexuelle Entwicklung von Embryonen in uitro 15 Somatische Embryogenese als Schliissel zur Entwicklung biotechnologischer Verfahren bei Nadelbaumen 16 Wie entstehen somatische Embryonen? 17
7
VI
I
lnhaltsverzeichnis 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.6
3
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Embryonale Zellen sind totipotent: aus isolierten Einzelzellen entstehen spontan neue Embryonen 20 Klonale Vermehrung und Reifung sornatischer Embryonen 21 Embryogene Zellkulturen - das ideale Zielgewebe fur einen Gentransfer 25 Perspektiven der Anwendung 26 Literatur 27 Aus der Werkstatt des Molekulargenetikers: Funktionelle Genomuntersuchungen in Pnanzen 5. Schulz Kleines ,,Mauer"blumchen ganz grog! 31
Der Werkzeugkasten 33 Antisense und Co-Supression 35 Insertionsmutagenese und Reverse Genetik Ausblick 39 Weiterfuhrende Literatur 40
31
36
4
Mit gesunden Pflanzen die Basis fur die Zukunfi schaffen H.-W. Dehne, F. Klingauf, R. Petzold, H . Stubler, F. Thuwachter, V. Zinkernagel
4.1 4.2 4.3
Entwicklungen auf dem Agromarkt 46 Gro&e Chancen mit innovativen Produkten envartet man mit Hilfe neuer Technologien 48 Gesetzliche und politische Dimensionen des Pflanzenschutzes 50
Teil 2
Cenetik, Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie 53
5
Lie@ unser Schicksal in den Cenen? Das Human-Cenom-Projekt und seine Bedeutung fur Wissenschaft und Cesellschaft 55 R. Knippers
5.1
Ruckblicke 55 Gentechnik und Medizin 57 Hintergrunde 58 Fortschritt und Hektik 59 Die Gene des Menschen 60 Genom-Vergleiche 61 Unterschiede 63 Stichwort: DNA-Chips 65 Verhalten 65 Liegt also unser Schicksal in den Genen? 67 Nachwort 68 Anmerkungen und Anregungen zur weiteren Lekture
5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.4 5.5 5.6
41
68
6
Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie 71 W. A. Miiller
6.1
Vom befruchteten Ei zum komplexen Organismus: Wunder des Lebens 71 Monsterfliegen und Nobelpreise fur Medizin 73 Von der Fliege zum Menschen 76 AuBergenomische und rein miitterliche Informationsquellen 78 Der Organisator der Kopfbildung bei Wirbeltieren 79 Selbstorganisation und Musterbildung 81 Innere Oszillatoren als Organisatoren periodischer Strukturen 82 Differenzierung und Zellgedachtnis 82 Neuronale Vernetzung 83 Programmierter Zelltod, Stammzellen und Krebs 85 Gezielte Steuerung entwicklungsrelevanter Gene 86 Gentechnisch manipulierte Tiere als Modelle fur menschliche Krankheiten 86 Stammzellen-Ersatzgewebe, therapeutisches Klonen? 88 Reproduktionsbiologie: Klonen von Saugetieren und Wahl des Geschlechts 90 Wann beginnt und endet menschliches Leben? 92 Konnten wir unsterblich sein? 93 Ausblick 93 Weiterfuhrende Literatur 94
6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10 6.11 6.12 6.13 (5.14
6.15 6.16 6.17 6.18 7
Modelle zur Entwicklungsgenetik des Auges: Mausmutanten mit angeborenen Augenerkrankungen 95 J. Craw
7.6 7.7
Einleitung 95 Aphakia: Stop der Linsenentwicklung auf der Stufe des Linsenstils 99 Cat3: Ursache von Missbildungen im vorderen Augenabschnitt 100 Mutationen in den y-Kristallin-Genen storen die Differenzierung der Linsenfaserzellen 103 Mutationen in den fi-Kristallin-Genen fuhren zu progressiven Katarakten 105 Ausblick: Lernen von Fischen und Fliegen 107 Literatur I08
Teil 3
Verhaltensbiologie
8
Psychoneuroimmunologie - wie Verhalten die Gesundheit beeinflusst 113 D. von Holst Literatur 122
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
8.1
III
Vlll
I
lnhaltsverzeichnis
Teil 4
Zoologie und Parasitologie
9
Klein aber oho! Einzeller sind Uberlebenskunstler in vielen Lebenslagen
9.1
123
1. Taxonomie, Systematik und Ontogenese der Einzeller (Protozoa)
125
W. Foissner, Salzburg
9.1.1 9.2
Literatur 128 Die protozoologische Feinstrukturforschung
129
K. Hausmann
9.2.1 9.3
Literatur 133 Genetik, Molekularbiologie und Evolution von Protisten
133
J. Hackstein, M. Schlegel und H.J. Schmidt
9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5 9.4
Mit molekularen Merkmalen lassen sich Hypothesen zur Phylogenie der Protisten erarbeiten 134 Hydrogenosomen - gedrosselte Kraftwerke der Zelle 137 Ciliaten - Spezialisten in Sachen Molekulargenetik 140 Danksagung 143 Literatur 143 Protozoen: Modellsysterne fur die Zellbiologie I45 H. Plattner und H. Machemer
9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5 9.4.6 9.4.7
Die amoboide Bewegung 145 Chemokinese und Phagocytose 146 Cikenbewegung 146 Mechanorezeption und Schwerkraftbeantwortung Sekretion 147 Ausblick 147 Literatur 148
10
Entomologie: Die Welt der lnsekten ist noch unermesslich
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9 10.10
146
149
K. Dettner Die Eingeschnittenen 149 Wo steht die Entomologie innerhalb der Biologie ? 149 Warurn wahlen so viele Biologen Insekten als Untersuchungsobjekte und als Modellsysteme? 150 Entomologische Besonderheiten 151 Insekten als Bausteine in terrestrischen Okosystemen 154 Insekten als Nutzlinge 155 lnsekten als Schadlinge 157 Entomologische Berufsfelder 160 Ausblick 162 Literatur I62
11
Weichtierkunde gestern - heute - rnorgen j . H. jungbluth
11.1 11.2
Prolog 165 Weichtiere: Der zweitgrogte Stamm des Tierreiches, eine ,,Summe der Mannigfaltigkeit" 166 Stachelweichtiere 168 Schildfusser 170 Furchenfusser 170 Kaferschnecken 170 Schalenweichtiere 170 Urmutzenschnecken 171 Schnecken, Bauchfusser 171 Kopffusser, Tintenschnecken 172 Kahnfusser 172 Muscheln 172 Zur Geschichte der Malakozoologie im deutschsprachigen Raum 173 Die Casseler Gruppe - friihes Zentrum der Weichtierforschung 175 Die erste deutsche, weichtierkundliche Zeitschrift und die Grundung der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft 175 Aktivitaten und Ziele der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft 177 Aktuelle Forschungs-Projekte 179 Die Deutsche Malakozoologische Gesellschaft - Ausblick 182 Literatur 182
11.3 11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.4 11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.4.4 11.5 11.6 11.6.1 11.6.2 11.7 11.8 11.9 11.10
165
12
Parasitologie 185 K. Lingelbach, B. Frank, T. Rornig, A. Ruppel
12.1 12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4
Die Parasitologie im 21. Jahrhundert 185 Malaria 188 Der Lebenszyklus der Malariaerreger 188 Verbesserung der Chemotherapie I92 Immunitat und Immunisierung 194 Mechanismen der Krankheitsentstehung und der Umgehung der menschlichen Imrnunantwort durch den Parasiten 195 Der Kleine Fuchsbandwurm (Echinococcus rnultilocularis) 198 Bilharziose 202 Das Krankheitsbild der Bilharziose 203 Immunologie der Bilharziose 204 Resistenz gegen Infektionen mit Schistosomen 205 Die Biologie des Parchenegels 206 Kontrolle 207 Weiterfuhrende Literatur 208
12.3 12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.5 12.6 12.7
I
IX
X
I
lnhaltsverzeichnis
13
Kleines Parasitenbrevier: Parasiten als Uberlebenskiinstler oder Die Weltrekorde der Schrnarotzer 209
13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7 13.8 13.9 13.10 13.11 13.12 13.13 13.14
H.Mehlhorn Ja - wie leben Sie denn 209 Giardia, ein doppeltes Lottchen? 210 Trypanosomen, die Erfinder der Tarnkappe 212 Hauslebauer bei Einzellern 213 Lebenslange Treue beim Parchenegel 215 Langenwunder Bandwiirmer 216 Zahn u m Zahn - Hakenwurmer 218 Schildzecken: GefraBige Hungerkunstler 219 Flohe sind echte Springwunder 221 Laufwunder mit Ausdauer - Wanzen 223 Lause im Pelz 224 Lause in der Antarktis 226 Meister der Brutpflege - Tsetsefliegen 226 Augen haben und nicht sehen (mussen) - Miicken in der Attacke
Teil 5
Mikrobiologie
14
Mikrobielle Strukturen H.Engelhardt
14.1 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6
Prokaryonten sind anders 233 Zellgestalt und Taxonomie 234 Untersuchung intrazellularer Strukturen 236 Die Zellwand der Bakterien und Archaeen 238 Besondere Strukturen pathogener Bakterien 241 Mikrobielle Proteine als Prototypen 243
15
Biofilrne - die bevorzugte Lebensforrn der Mikroorganisrnen H.-C. Nemrning und J. Wingender
15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7 15.8 15.9 15.10
Was sind Biofilme? 247 Charakteristika von Biofilmen 249 Bedeutung von Biofilmen 250 Biofilme und Gesundheit 252 Die Entwicklung von Biofilmen 254 Was Biofilme im Innersten zusammenhalt Diffusion im Biofilm 261 Kommunikation im Biofilm 262 Ausblick 264 Weiterfiihrende Literatur 265
231 233
259
Anhang 1 Das Studium der Biologie 267 Anhang 2 Die Union Deutscher Biologischer Cesellschaften (UDBio) Anhang 3 Autorenverzeichnis 275 Register
279
247
271
229
I
Zum Celeit Das Jahr 2001 wurde von der Bundesministerin fur Bildung und Forschung zum Jahr der Lebenswissenschaften, zum Jahr der Biologie proklamiert. In vielen Aktionen machen Biologen in eigenen Veranstaltungen oder uber die Medien auf die enorme Bedeutung der Biowissenschaften fur unser Leben und fur unsere Gesellschaft aufmerksam. Dass diese Aktivitaten augerst notig sind und keineswegs zu frtih kommen, zeigt die Entwicklung der humanbiologischen Forschung durch die in diesen Wochen die Schlagzeilen beherrschenden Themen ,,Gentechnik an Stammzellen" (der Keimbahn), ,,Das Klonen von Menschen" und ,,biologische Waffen". Keine Frage, damit ist die Biologie in eine Sphare vorgestogen, in der nicht nur die Biologen als Fachleute betroffen sind, sondern auch die Gesellschaftswissenschaftler und die Politiker; bei denen sich Bewunderung mit Grauen und Angsten paart. Wer aber in unserer Bevolkerung kann sich ein zutreffendes Bild davon machen, was da vor sich gehen sol1 und welche Folgen die nun ,,quasi vor der Tiir stehenden" Experimente mit dem Menschen und seinem Genom haben konnen und werden. Wer von den Entscheidungstragern besitzt die notigen grundlegenden Kenntnisse, um tragfahige wissenschaftspolitische Entscheidungen zu treffen?, wer von den Multiplikatoren vor allem in den Schulen bringt das notige Grundwissen mit, um die Problematik kompetent an die heranwachsende Generation vermitteln zu konnen? In der ,,Bilanz" von H. Mehlhorn, dem Prasidenten der Union Deutscher Biologischer Fachgesellschaften wird dazu Stellung genommen. Uber den ethischen Problemen, welche die biologische Forschung unserer Tage aufwirft, wird leicht iibersehen, dass diese Probleme nur durch einen noch vor wenigen Jahren unvorstellbaren Fortschritt der Biowissenschaften entstehen konnten, einen von der Grundlagenforschung ausgehenden Erkenntniszuwachs ungeheuren Ausmages. Von der Jahrhundertwissenschaft Biologie sprach man noch vor wenigen Jahren, zu einer Zeit, als die Aufldarung des menschlichen Genoms noch in weiter Ferne schien. Zwar ist dieses Genom auch heute noch keineswegs vollig entschlusselt, aber wenigstens doch zum grogten Teil sequenziert. Ob das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Biologie oder der Informatik wiirde, hat man diskutiert; aber nicht zuletzt mit Hilfe der Informatik haben die Lebenswissenschaften den ,,Quantensprung" geschafft, welcher einige der Humangenetiker zum Bibelspruch ,,LaBt Uns den Menschen machen, nach Unserem Bild und Gleichnis"(ver)fuhrte. Gerade wenn sich die ,,Krone der Schopfung" anschickt, sich selbst zu
klonen, mochte dieses Buch iiber die Lebenswissenschaften zu Beginn des 21. Jahrhunderts nachdriicklich darauf hinweisen, dass eben dieser Mensch nur eine von unzahligen Arten von Lebewesen auf unserer Erde ist und dass unser Erkenntniszuwachs iiber die anderen Lebewesen mindestens ebenso faszinierend ist, wie der iiber die Biologie des Menschen. Staunen ist angesagt angesichts dessen, was die verschiedenen Disziplinen oder Facher der Biologie uns an ,,Highlights" aus ihrem jeweiligen Bereich in diesem Buch vor Augen fiihren, und wir diirfen uns ohne Beklemmung der Bewunderung hingeben, schlieBlich fuhren uns die Entdeckungen ja zunachst ,,nur" in einen Bereich, der nicht Menschenwerk ist. Der groBte Teil des Erkenntniszuwachses des ausgehenden Zwanzigsten Jahrhunderts kam mit dem Einzug der Molekularbiologie, oder besser mit der Etablierung molekularbiologischer Techniken in den einzelnen Fachern der Biologie. Fragestellungen konnten in Angriff genommen werden, die vor Jahren noch ins Reich des Wunschdenkens gehorten, etwa die Bedeutung einzelner Gene oder Genprodukte fur einen Organismus, der Nachweis und die teilweise Charakterisierung von Organismen, die sich jedem Kulturversuch widersetzen und das Verstandnis der Morphogenese, der Gestaltwerdung im engsten Sinn. Hinzu kommen erheblich verbesserte oder neue Techniken in der Ultrastrukturforschung, z. B. die Mikro-Computertomographie und raffinierte Software und Bildgebungsverfahren, mit denen sich die Strukturforschung nicht nur im molekularen Bereich etabliert hat, sondern auch die elektronenoptischen Abbildungen farbig und anschaulich dargestellt werden konnen ( s . z. B. den Beitrag ,,Kleines Parasitenbrevier"). Mit den Techniken der Molekularbiologie und der molekularen Genetik sind aber nicht nur neue Entdeckungsziele Realitat geworden. Zur Aufklarung von Genfunktionen werden bereits transgene Organismen ,,hergestellt" ( s . die Beitrage ,,Aus der Werkstatt des Molekulargenetikers", ,,Entwicklungs und Reproduktionsbiologie"), werden Gene ubertragen und mit abrufbaren Promotoren versehen, oder werden andere Gene ,,ausgeknockt". Von da aus ist der Schritt zur Ausstattung von Organismen mit bestimmten Eigenschaften nicht mehr weit und in dem einen oder anderen Beitrag dieses Buchs wird dies auch im Detail dargestellt (s. z. B. ,,Liegt unser Schicksal in den Genen?" und ,,Modelk zur Entwicklungsgenetik der Augen"). Derartige Genkonstrukte bergen ein hohes Potential zum Nutzen der Menschheit, aber das Erfahrungswissen uber den Umgang z. B. mit Lebensmitteln oder Medikamenten aus transgenen Organismen ist noch gering. Entsprechend hoch ist dann auch die Skepsis, mit der die Offentlichkeit solchen Errungenschaften begegnet. Trotz aller Skepsis: es handelt sich um Errungenschaften der Wissenschaft, und die Tatsache an sich, dass man heute gezielt transgene Organismen herstellen kann, ist ein ungeheurer Fortschritt der biologischen Wissenschaften. Im Kleinen wie im Grogen haben sich die Dimensionen der biologischen Forschung enveitert. Wir beginnen, den Mechanismus von Enzymproteinen als molekulare Maschinen zu verstehen und wir dringen in Lebensgemeinschaften und Okosysteme vor, in Systeme von ungeheurer Vielfalt und Komplexitat. Und noch eines wird bei der Lekture dieses Buches deutlich: Die Biowissenschaften haben langst die Tiiren des Elfenbeinturms der Grundlagenforschung aufgestogen und nehmen sich verstarkt den Problemen unserer Zeit an. Dadurch
konnten die angewandten Biowissenschaften ihren Marktwert in den vergangenen Jahrzehnten enorm steigern, und die Frage, ob ein Forschungsvorhaben praktische Relevanz haben konnte, wird kunftig fast schon so wichtig sein wie die wissenschaftliche Fragestellung selbst. Der Begriff der ,,Begfindung einer Forschung" macht zunehmend dem englischen Begriff der ,,justification" im Sinne von ,,Rechtfertigung" des Projekts Platz. Da Pendelausschlage anfanglich extrem weit sind, muss man heute eher befurchten, dass die reine Grundlagenforschung auf der Strecke bleibt oder nur mehr den Wert eines ,,Apercu'' zugemessen bekommt, wenn es sich um die Bewilligung von Forschungsgeldern handelt. Das Buch, das Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in Handen halten, ist auch eine ,,Denkschrift", die I hnen hauptsachlich Wissenswertes aus den Lebenswissenschaften am Beginn des 21. Jahrhunderts nahebringen will (aber auch die Situation der Biowissenschaften in unserem Lande beleuchtet und anhand eines Studienplans aufzeigt, wie ein modernes Biologiestudium aussieht). Man venvendet heute gerne den Begriff der ,,Meilensteine", um bedeutende Entdeckungen und Fortschritte in der Wissenschaft zu charakterisieren. Von solchen Meilensteinen aus den verschiedensten Fachern der Biowissenschaften berichten die Autoren in diesem Buch. Sie haben sich alle bemuht, ihr ,,Fachchinesisch" in eine Sprache zu ubertragen, die auch der Nichtfachmann verstehen kann. Urn dieses Ziel auch wirklich zu erreichen, wurden alle Beitrage einer kritischen Durchsicht seitens des Herausgebers unterzogen, wo notig, uberarbeitet und unvermeidliche Fachausdriicke erlautert. So sollte es Ihnen moglich sein, die Meilensteine, von denen hier die Rede ist, zu verstehen und sich dadurch selbst ein Bild vom Stand der Biowissenschaften im Jahr der Lebenswissenschaften zu machen, auch wenn Sie nicht ,,gelernter Biologe" sind. Natiirlich wiirde es den Umfang eines einzigen Buches vollstandig sprengen, wollte man alle Facher und Disziplinen der Biowissenschaften in gleicher Weise zu Wort kommen lassen. Mit anderen Worten, die Kapitel konnen keinen Anspruch auf Vollstandigkeit in puncto Meilensteine erheben. Die Auswahl mag ein bisschen willkurlich erscheinen und Wesentliches mag sogar tatsachlich fehlen. Vielleicht liegt aber auch in der Beurteilung, was wesentlich ist, eine gewisse Subjektivitat. Als solche mogen Sie es, liebe Leser, hinnehmen, wenn Ihnen Fehlstellen in diesem Buch auffallen, wahrend anderes beschrieben wird, was Sie selbst nicht so wichtig finden wurden. Betrachten Sie die einzelnen Kapitel bitte auch als exemplarisch: So ware es z. B. nicht moglich gewesen, alle Anstrengungen um die Erfassung der einzelnen Organismengruppen (die sog. Inventur) allein in unserem Lande in dieses Buch aufzunehmen - stellvertretend mag dafur das Kapitel uber die Weichtiere stehen. Um dem Buch den Rang einer Denkschrift geben zu konnen, hat die Union der deutschen biologischen Gesellschaften ( U DBio) die einzelnen biologischen Fachgesellschaften in Deutschland angeschrieben und um Beitrage gebeten. Mehr als die Halfte der Gesellschaften haben Beitrage geliefert und dadurch die Wichtigkeit des Unternehmens bekraftigt. Allen Autoren sei an dieser Stelle fur ihre Bereitschaft und ihre Muhe und ihre Kooperativitat herzlich gedankt. Dank gebuhrt aber auch dem Wiley-VCH-Verlag fur die Bereitschaft, dieses Buch herauszubringen. um den Stand der Biowissenschaften im Jahr der Lebenswissenschaften als ,,Hardcopy" dauerhaft fur jedermann zu dokumentieren. Verlag und Autoren wollen damit den
XIV
I
urn Celeit durchschnittlich leider recht bescheidenen Kenntnisstand von biologischen Sachverhalten in unserer Bevolkerung etwas befordern und den Burgern und Burgerinnen d a m verhelfen, ein eigenes Bild und eine eigene Meinung iiber diese Sachverhalte zu bekommen. Letzteres gilt in ganz besonderem MaBe fur die Unterrichtenden und fur die Entscheidungstrager, weshalb sich diese Schrift nicht zuletzt auch an diese Kreise richtet. Ebenso will dieses Buch den potentiellen Biologen-Nachwuchs, die Schuler und die Studenten ansprechen und sie fur die Biologie als eine lebendige Wissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes begeistern. Verlag, Herausgeber und Autoren hoffen auf eine gute Aufnahme durch eine interessierte Leserschaft. Bayreuth irn September 2001
Prof. Dr. Erwin Beck
Ixv
Bilanz: Die Situation der Biowissenschafien in der Schule,
Universitat und Cesellschafi Heinz Mehlhorn
Das Ansehen der Biologie als Wissenschaft in unserer mittlerweile globalisierten Gesellschaft ist gut und sie gilt als zukunftstrachtig - da besteht Ubereinstimmung in allen Bevolkerungskreisen. Dies liegt vor allem daran, dass nahezu taglich von hervorragenden wissenschaftlichen Erfolgen berichtet werden kann, die auch massiven Einfluss auf unser Leben genommen haben: einige Beitrage in diesem Buch belegen dies eindrucksvoll. Im Vergleich mit den Nachbanvissenschaften enveitern die Biowissenschaften heute ihr Forschungspektrum am intensivsten, und sie dringen methodisch tief in andere Fachrichtungen wie Medizin, Physik, Chemie, Pharmazie, Agrikultur, Psychologie, Philosophie, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften vor. Dies gilt auch fur Deutschland. Die in der Bundesrepublik erzielten biowissenschaftlichen Ergebnisse brauchen sich im internationalen Vergleich nach wie vor nicht zu verstecken. Wen wundert es daher, dass die Vorsilbe ,,Bio" - positiv belegt ist, vielfach als Synonym von ,,gesund" gilt und deshalb in diesem Sinne auch intensivst vermarktet wird, obwohl jedem klar ist, dass beileibe nicht iiberall, wo ,,Bio" draufsteht, auch ,,Bio" drin ist, oder gar eine gesundheitsfordernde Wirkung davon ausgeht schlieBlich sind z. B. alle von Pflanzen produzierten Gifte (etwa der Tollkirsche, des Fliegenpilzes etc.) auch ,,reine Bio-Produkte". Diese im Grundsatz breite Akzeptanz der Biowissenschaften in der Gesellschaft - allerdings wegen des schnellen Fortschritts ohne wirklich breite Kenntnisse - nutzen nun leider viele selbsternannte ,,Experten", ideologische Gurus, Heilsbringer und Weltretter um ihr Schafchen ins Trockene zu bringen. Angste werden geschiirt, von den Medien aufgegriffen und in Horrorszenarien zum Ausdruck gebracht. Die Geschichte unserer Tage lehrt, dass Horrorszenarien Wirklichkeit werden konnen, sie lehrt aber auch, dass dies die Uninformiertheit der Betroffenen voraussetzt. Das (stillschweigende) Eingestandnis der Uninformiertheit ruft zwangslaufig die Bedenkentrager auf den Plan und schlieBlich wurden und werden immer mehr Gesetze und Ausfiihrungsbestimmungen wider den Rat der echten Fachleute erlassen, Vorschriften, welche die Forschung behindern und Deutschland als Wissenschaftsstandort benachteiligten. Im harten Ringen gelingt es gelegentlich, derartige Beschneidungen des wissenschaftlichen Arbeitens zu mildern oder sogar nachtraglich zu lockern, wie es bei der Gengesetzgebung hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens geschehen ist. Noch zaher, weil naturlich mit starken Emotionen verbunden, gestaltet sich die Aus-
*"I
I
Bi'anz
einandersetzung zwischen Tierschutz und Tierversuchen. Erfreulichenveise gibt es fur viele Experimente, die fruher mit Tieren durchgefiihrt werden mussten, heute Ersatzsysteme, wie z. B. Zell- oder Organkulturen. Aber nach wie vor gibt es notwendige Experimente, die man nur am Menschen oder ersatzweise am Tier durchfuhren kann und hier ware eine Verankerung des absoluten Tierschutzes im Grundgesetz zur Grundlage fur jedwelche einstweilige Verfugung auf Einstellung des Experiments und damit fur die Verhinderung von notwendiger Forschung geworden. Derzeit ringen wir um die Stammzellforschung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die hochste Institution der deutschen Forschung, die mit ihren Gremien das ,,geballte aktuelle Wissen" reprasentiert, hat kiirzlich ein in vieler Hinsicht ausgewogenes und international anerkanntes positives Votum fur die Forschung an Stammzellen innerhalb bestimmter Grenzen abgegeben, aber die Politik will dies erst durch sog. Ethikrate prufen lassen, Gremien, die in der Regel nach anderen Gesichtspunkten urteilen, als dies die Wissenschaftler tun. Leitlinien fur die Forschung, der auch die Offentlichkeit zustimmen kann, sind offensichtlich notig, aber sie sollten mit und nicht gegen die Wissenschaftler gemacht werden. Als zustandige Vereinigung muss die Union Deutscher biologischer Fachgesellschaften (UDBio) deshalb fordern, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bei der Festlegung von Leitlinien auf Ihrem Primat bestehen muss, das in ihr vereinigte Fachwissen als absolute Leitschnur anzuerkennen, dass die Forschungsinhalte, die von den uber 20 000 in biowissenschaftlichen Fachgesellschaften organisierten deutschen Wissenschaftlern erarbeitet werden, von diesen selbst auch in die Gesellschaft hineingetragen werden konnen, und das Feld nicht den fachfremden Interessensgruppen uberlassen wird. Hierzu bedarf es der Vertretung durch einen schlagkraftigen Dachverband - in der Medizin existieren deren gleich mehrere - der in der Offentlichkeit das Verstandnis als Voraussetzung fur die ideelle und materielle Unterstiitzung einer zukunftstrachtigen biowissenschaftlichen Forschung enveckt. Zwar gelten die Biowissenschaften heute zurecht als besonders zukunftstrachtiges Hightec-fahiges lnnovationspotenzial, aber kann die biowissenschaftliche Forschung ihren gegenwartigen Standard halten, ihn gar ausbauen? Dazu bedarf es nicht nur der oben eingeforderten Rahmenbedingungen und der Bereitstellung von Mitteln, sondern vor allem auch der adaquaten Ausbildung von kenntnisreichen Lehrern und Nachwuchswissenschaftlern. Ausbildung beginnt in der Schule, und in faktisch allen Bundeslandern steht es trotz des anerkennenswerten Engagements vieler Lehrerinnen und Lehrer leider schlecht um das Schulfach Biologie und um die anderen natunvissenschaftlichen Facher. Gibt es in der Mittelstufe noch parallele, wenn auch geringe Stundenzahlen fur Physik, Chemie und Biologie, so hat die Oberstufenreform dazu gefuhrt, dass selbst interessierte Schuler diese 3 Facher nur mehr alternativ belegen konnen, weil der Unterricht oft zur glei-
Bi'anz
chen Zeit stattfindet. Dies, die meist vollig unzureichende oder zumindest veraltete Gerateausstattung an den Schulen, ein extremer Mange1 an Geldmitteln sowie die fachlichen Einschnitte und Kiirzungen in der Lehrerbildung bewirken, dass die Studienanfanger in den Naturwissenschaften de facto nur mangelhaft auf das Studium vorbereitet sind und die universitare Lehre fast wieder bei Null anfangen muss. Hier erhebt die standische Vertretung der Natunvissenschaften an den Universitaten, der Mathematisch Naturwissenschaftliche Fakuletentag die dringende Forderung nach einer schnellen und durchgreifenden Behebung der aufgezeigten Mangel. Fur den GroBteil unserer Bevolkerung bringt der Schulunterricht die einzige in sich abgestimmte Befassung mit einem Fach. Nach der Schule ist es dann dem einzelnen uberlassen, welche Quellen der Weiterbildung er benutzt und ob er uberhaupt eine solche betreibt. Keine Frage: Biologie betrifft unser aller Leben an allen Ecken und Enden, aber die Schule entlasst ihre Klientel in einem heute nicht mehr zureichenden Mag an biologischem Grundlagenwissen in ihr Leben, in die Selbststandigkeit. Durfen wir uns wundern, wenn die Biowissenschaften auf breiter Front von Scheinwissenschaften, von Esotherik, ja von bewusster Desinformation in die Ecke gedrangt werden? Die Schulmisere der Bio- und aller anderen Naturwissenschaften setzt sich bedauerlichenveise an den Universitaten fort, die imrnerhin die einzigen Ausbildungsstatten fur den wissenschaftlichen Nachwuchs und immer noch bedeutende Trager der Forschung sind. So herrschen im Numerus-Clausus-FachBiologie seit Jahren schwierigste Verhaltnisse. Da ist zum einen die auch heute noch an vielen Universitaten bestehende Uberburdung durch zu gro&e Studentenzahlen. So hat man vor Jahren die Verdopplung der Studienanfangerzahlen zum Normalfall erklart, dabei aber Personal und Budgetmittel standig gekiirzt bzw. die Minderungen durch die Inflation nicht ausgeglichen. Dies hat dazu gefuhrt, dass heute die apparative Ausstattung vieler Arbeitsgruppen, die z. B. fur die Einwerbung von sog. Drittrnitteln und fur eine zeitgemage Lehre Voraussetzung ist, vielfach veraltet oder schlicht nicht ausreichend ist. Eine Reinvestitionsrate von lediglich 1-2% des Geratebestands fuhrt die deutschen Studenten schon aus apparativen Grtinden schnell ins Niemandsland. Auch hier fordert der Mathematisch Naturwissenschaftliche Fakultatentag dringend schnelle Abhilfe, denn es kann nicht angehen, dass man bereits die Grundausstattung an der Hochschule uber Projektmittel einbringen muss. Neben den strukturellen Mangeln ist auch die Studienreform, deren Notwendigkeit niemand, schon gar nicht die Hochschulen bezweifeln, stark problembeladen. Tatsache ist, dass das Wissen in atemberaubender Geschwindigkeit zunimmt und dass daher standig neue Lehrinhalte dazu kommen mussen. Dieses neue Wissen haben die Lehrenden kontinuierlich in ihre Veranstaltungen eingebaut. Wissenszuwachs heiBt aber nicht automatisch, dass das bisherige Wissen als minder wichtig venvorfen werden kann, dass es nur der standigen ,,Durchforstung" der Studieninhalte bedarf, um die Studienzeiten kurz zu halten oder sogar zu verkurzen. Mehr Wissen in kurzerer Zeit in die Kopfe der Studierenden bringen, mit Sandkastenoder sagen wir lieber Glasperlenspielen mit Lehrveranstaltungsstunden wird dies
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wohl kaum gelingen. Eher gezwungenermagen als freiwillig entschliegt man sich deshalb auch im Biologiestudium zu einer starkeren Spezialisierung, die naturlich die spatere Berufswahl einschrankt. Ein Biologe, der sich im Studium auf die organismische Biologie mit Artenkenntnis und Okologie fokussiert hat, wird sich schwer tun, einen Job in der Molekularbiologie zu erhalten und vice versa. Trotzdem, und auch im Hinblick auf die in der Wissenschaft unabdingbare und langst selbstverstandliche Globalisierung fiihren die meisten Hochschulen im Bundesgebiet derzeit neben den Diplom- und Lehramtsstudiengangen auch Bachelor- und Masterstudiengange in Biologie ein. Wir sollten sie als Chance verstehen und das neue System nutzen, um der durch Stundenzahldiktate eingeschrankten Freude am Studieren, am eigenen Erarbeiten einer interessanten und spannenden und nicht zuletzt schonen Materie wieder eine Tur zu offnen. DaB dies alles langfristig auch in Deutschland nicht zum Nulltarif zu haben ist, liegt auf der Hand. Auch wenn es in den meisten Bundeslandern politisch kein Thema ist, fordert der MNFT hier ebenfalls Einsicht und schnelle Abhilfe. Studiengebiihren - selbstverstandlich abgefedert durch leistungsbezogene personliche Fordermittel bei Bediirftigkeit, diirfen auf Dauer kein Tabu sein. Zum Nulltarif studieren lassen hie8e letztlich den Anschluss verlieren an die fur unsere Gesellschaft und den Wissenschaftsstandort Deutschland so wichtige Spitzenforschung. Nur guter Schul- und Universitatsunterricht in den Natunvissenschaften, d a m eine solide Finanzierung der Forschung sowie eine standhafte und riickhaltlose Vertretung der Forschungsergebnisse in der Offentlichkeit durch die Forscher selbst werden den Biowissenschaften den wichtigen Raum in der zukunftigen Gesellschaft sichern, den sie zum Nutzen von uns allen benotigen.
Teil 1 Ptlanzenwissenschaften
Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) des tlkotyps Columbia zum Zeitpunkt der Blute. Die ausgewachsene Pflanze erreicht eine Hohe von ca. 30 cm.
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Der Lotus-Effekt: Selbstreinigende technische Oberflachen nach dem Vorbild der Natur W. Barthlott, Z. Cerrnan und C. Neinhuis
Fur Biologen ist es beinahe selbstverstandlich: Oberflachen von Blattern, Bliitenstaub oder Insekten zeigen unter dem Mikroskop eine erstaunliche Vieifalt a n Feinstrukturen. Dies ist kein Zufall - a n den optimierten Grenzfachen spielen sich beinahe alle Reaktionen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt ab. Einige dieser Oberflachen haben extrem abstoJende Eigenschaften: Wasser, j a sogar hochviskose Fliissigkeiten perlen ab, Schmutz wird restlos durch den Regen abgespiilt. Nach dem Vorbild der Natur wurde z. B. die Feinstruktur der Heiligen Lotusblume - seit Jahrtausenden ein Symbol der Reinheit - technisch umgesetzt. Biologische Strukturen nachahmende ultraabstoJ3ende Werkstofie rnit erstaunlichen selbstreinigenden Eigenschaften sind das technische Ergebnis unserer botanischen Grundlagenforschung.
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Das Vorbild: Biologische Oberflachen
Eine wahre Wundenvelt eroffnet sich dem Mikroskopiker beim Betrachten biologischer Oberflachen - seien es Blatter oder Libellenflugel. Durch winzige Harchen, Warzchen, Papillen und Falten sind sie in lichtmikroskopischer Dimension skulpturiert. Bei starkerer Vergrogerung mit dem Elektronenmikroskop erkennt man eine noch dariiber gelagerte Ultrastruktur. Diese besteht haufig aus Wachskristallen, die beinahe im Bereich von Millionstel Millimetern liegen (Abb. 1-2). Die Moglichkeit der Abbildung und genauen Analyse dieser Feinstrukturen ist eng mit der Entwicklung der Raster-Elektronenmikroskopie verknupft. Seit 1971, also mit der Einfuhrung der ersten handelsublichen Raster-Elektronenmikroskope (REM) in die Forschung, haben wir uns als Botaniker mit der Feinstruktur der Oberflachen von Blattern, aber auch einer Vielzahl weiterer biologischer Objekte, beschaftigt. Etwa 300 000 REM-Aufnahmen liegen heute in unseren Archiven. Allein rund 20 000 Pflanzenarten wurden untersucht (Ubersichten bei Barthlott 1990, Barthlott & Ehler 1977, Barthlott et al. 1998). Pflanzliche primare Oberflachen sind mit Ausnahme der Wurzeln wie folgt aufgebaut. Die AuBenwand der augersten Zellschicht (Epidermis) schlieBt mit einer augerst stabilen diinnen Schicht eines chemischen Polymers, der Cuticula, ab. In dieses Polymergrundgeriist sind Gemische unterschiedlichster Lipide eingelagert,
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7 Der Lotus-Efekt: Selbstreinigende technische Oberflachen
Abb. 1-1 Die Heilige Lotusblurne (Nelurnbonucfera) rnit ihren groi3en schtldforrnigen Blattern. Seit jahrtausenden ein Symbol der Reinheit
die allgemein vereinfacht als ,,Wachse" bezeichnet werden (Barthlott 1990). Diese Wachse impragnieren die Cuticula und sind zumindest mitverantwortlich fur die Einschrankung der unkontrollierten Wasserdampfabgabe an die Luft, die sog. cuticulare Transpiration (Riederer & Schreiber 1995). Auf der AuRenflache der Cuticula finden sich haufig feinste Wachsstrukturen, die deren optische Eigenschaften verandern und somit schon mit blogem Auge an Weintrauben oder Kohlblattern als weiBlicher abwischbarer Belag erkennbar sind. Sie treten in einer uberraschend komplizierten Formenmannigfaltigkeit und chemischen Vielfalt auf (Ubersicht bei Barthlott et al. 1998). Seit Mitte der siebziger Jahre weiR man, dass es sich um Kristalle aus von der Zelle produziertem Material handelt. Unverstanden blieb die Ausscheidung der Wachse durch die Zellwand und die Cuticula: hindurch, es gab eine endlose Suche nach feinsten Transportkanalen, Transfer-Proteinen oder anderen Transportmoglichkeiten. Die Losung des Ratsels gelang erst kurzlich (Neinhuis
I . I Das Vorbild: Biologische Oberfliichen 15
Abb. 1-2
Die Blattoberflache der Lotusblurne (Nelumbo nucifera) rnit stark aufgerauhter papitloser Epidermis, die von winzigen Wachskristallen ijberzogen ist. (Raster-Elektronenrnikroskopische Aufnahme)
et al. 2001): die Wachsbausteine diffundieren zusammen mit Wasser (in einem sog. Co-Transport) durch die Cuticula und kristallisieren nach Verdunstung des Wassers auf der Oberflache aus. Dieser einfache Mechanismus einer Selbstorganisation erklart schlagartig viele Phanomene. So zum Beispiel die Tatsache, dass man die Wachse von der ja selbst nicht lebenden Cuticula abwischen kann, worauf sich die Wachsschicht zumindest teilweise schon innerhalb eines Tages wieder regeneriert (erhohter Wassertransport nach Entfernen der Transportbarriere). Die Cuticula ist die Grenzflache, iiber die beinahe jede Wechselwirkung zwischen der lebenden Pflanze (Festkorper) und seiner gasformigen oder flussigen Umwelt ablauft. Mit die interessantesten Dinge in der belebten und unbelebten Natur spielen sich an solchen ultrafein strukturierten Grenzflachen ab. Wichtigste Systemeigenschaften sind neben der Funktion als Transportbarriere fur Wasser die mechanische Stabilitat und vermutlich die Warmeregulation bei Sonneneinstrahlung. Eine zentrale Funktion wurde dabei immer ubersehen: der mit einer extremen Unbenetzbarkeit verbundene Kontaminationsschutz. Mit dieser Unbenetzbarkeit wollen wir uns im Folgenden naher beschaftigen. Okologisch spielt dabei weniger die Verschmutzung die Hauptrolle, sondern die Abwehr gegen Krankheitskeime. Eine Berechnung und Modellierung der komplexen Systemeigenschaften dieser ultrafein strukturierten Grenzflachen ist zur Zeit kaum moglich. In Jahrmillionen der Evolution, in Versuch und Irrtum von Mutation und Selektion, haben Pflanzen und andere Lebewesen ohne Computereinsatz optimierte Systeme geschaffen. Das Vorbild Natur stellt dem Verfahrenstechniker kostenlos Jahrmillionen von ,,Entwicklungsarbeit intelligenter Oberflachen" zur Verfiigung.
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I Der Lotus-Eflekt: Selbstreinigende technische Oberfldchen
1.2 Eigenschaften strukturierter Grenzflachen 1.2.1 Benetzung von Obetflachen
Chemie und Stntktur der Blattoberflachen bestimmen, wie stark sich die Pflanzen durch Wasser benetzen lassen. Das extreme Abperlen von Wasser bei manchen Blattern ist ein sehr auffalliges und in allen Kulturen lange bekanntes Phanomen. Der Lotus, Nelumbo nucijera, (Abb. 1-1)wird schon in alten Sanskrit-Texten fur seine Reinheit geriihmt, weil er sich makellos sauber aus Schlamm und Schmutz entfaltet. Und von dem Frauenhaarfarn Adiantum capillus-veneris schreibt schon Theophrast (371 - 285 v. Chr.), dass seine Blatter nicht nass werden und deswegen a-dianton genannt werden. Uber die Benetzbarkeit von Oberflachen mit Wasser gibt es bereits physikalische Theorien (z. B. Bico et al. 1999, de Gennes 1985). Danach kann der Grad der Benetzung mit Hilfe des sog. Kontaktwinkels erfasst werden, dem Winkel zwischen der Festkorperoberflache und dem ruhenden Wassertropfen an der Grenze Wasser/Festkorper/Luft. Dabei bedeutet ein Winkel von 0" vollstandige Benetzung der Oberflache. Auf einer solchen Oberflache zerlauft des Wasser zu einem diinnen, monomolekularen Film. Ein Kontaktwinkel von 180" bedeutet dagegen vollkommene Unbenetzbarkeit. Dabei bildet der Wassertopfen eine Kugel und beruhrt die Oberflache nur in einem einzigen Punkt. Diese beiden Extremwerte werden aber in der Natur nicht erreicht. Das Phanomen der Benetzung hat natiirlich auch mit den Oberflachenspannungen der beteiligten Phasen zu tun. In unserem Falle handelt es sich um die Grenzflachenspannungen Wasser/Luft, Festkorper/Wasser und FestkiirperlLuft; der Zusammenhang zwischen diesen Oberflachenspannungen und dem Kontaktwinkel wird durch die Young'sche Gleichung beschrieben (Abb. 1-3).
Abb. 1-3 Schematische Darstellung eines Wassertropfens aufeiner Oberflache und der an der Crenzlinie des Tropfens wirkenden Grenzflachenspannungen ( o ) .Die angelegte Tangente
an die Tropfenoberflache schliei3t den Kontaktwinkel ( 1 ein, der sich auch aus dem Verhaltnis der Crenrflachenspannungen nach der Young'schen-Gleichung ergibt.
1.2 Eigenschaften strukturierter Crenzfldchen
Das bedeutet in der Praxis: Je kleiner die Grenzflachenspannung zwischen Festkorper/Luft, desto unbenetzbarer ist eine Oberflache. Beispiele fur niedrige Grenzflachenspannungen sind Teflon@oder viele Komponenten der Pflanzenwachse. Das Verhalten von Wasser auf rauhen Oberflachen muss differenziert betrachtet werden. 1st das Material hydrophil (wasserliebend), so verbessert Rauhigkeit die Benetzung, das Wasser wird kapillar zwischen die Strukturen hineingesogen. Im Falle einer hydrophoben (wasserabstogenden) Oberflache bewirkt Rauhigkeit eine Erhohung des Kontaktwinkels und damit eine verringerte Benetzbarkeit. Eine derartige Wasserabstogung wird beim Lotusblatt beobachtet. Die Wassertropfen kugeln sich ab und rollen scheinbar ohne Reibung, wie ein Tropfen von einer heisen Herdplatte, uber das Blatt hinweg. Solche superhydrophoben Oberflachen haben Luft zwischen ihren Fein- und Feinststrukturen eingeschlossen, so dass Tropfen nur auf den augersten Spitzen dieser Strukturen aufliegen. Durch die extrem verminderte Kontaktflache zwischen Wasser und Oberflache werden die Haftungskrafte (Adhasion) auf ein Minimum reduziert. Auf diese Weise kann der Kontaktwinkel auf superhydrophoben Blattoberflachen Werte von iiber 160" erreichen. 1.2.2 Adhasion und Selbstreinigung ultrafein strukturierter Oberflachen
Lange Zeit unentdeckt blieb eine weitere Eigenschaft von superhydrophoben Oberflachen. Die antiadhasiven Eigenschaften der Oberflachen beschranken sich nicht nur auf Wasser, sondem gelten auch fur Schmutzpartikel. Pflanzenoberflachen sind von Natur aus der Verschmutzung ausgesetzt. Meistens handelt es sich um anorganischen Schmutz (verschiedene Staube, Rug), aber auch biologisches Material kann die O k r flachen belasten (Pilz-und Bakteriensporen, Honigtau von Blattlausen). Der Schmutz liegt im Falle der superhydrophoben Blatter wie ein Fakir auf seinem Nagelbett nur auf den Spitzen der Strukturen auf. Wie beim Wassertropfen ist
Abb. 1-4 Schematische Darstellung der Kontaktflache in Abhangigkeit von der Struktur der Oberflache: die Doppelstruktur (unten) minimiert die Adhasion.
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I Der Lotus-Eflekt: Selbstreinigende technische Oberfliichen
somit auch bei den Schmutzpartikeln die Kontaktflache zum Blatt minimiert und damit auch die Haftung an der Oberflache (Abb. 1-4). Rollt ein Wassertropfen iiber ein solches Schmutzkornchen, wird dieses benetzt und bleibt am Wassertropfen haften, da die Haftkrafte zwischen Wasser und Partikel gro13er sind als zwischen Oberflache und Partikel. Die fest an den Tropfen gebundenen Partikel werden bei seinem Abrollen vom Blatt entfernt. Dieses Phanomen wird als ,,Lotus-Effekt" bezeichnet. In der Natur reicht bestimmten Pflanzen ein kurzer Regenschauer, um ihre Blatter rein zu waschen (Neinhuis Sr Barthlott 1997, Nachtigall 1998). 1.2.3 Bedeutungdes Lotus-Effektes
Es stellt sich die Frage, welchen Nutzen die Pflanzen aus einer reinen (B1att)Oberflache ziehen. Handelt es sich um einen Nebeneffekt oder ist die Selbstreinigung von der Pflanze ,,gewollt"? Neben den anorganischen Schmutzpartikeln, die verschiedene negative Auswirkungen auf das Pflanzengewebe haben (z. B. Verringerung der Belichtung durch RUB an Autostragen, starkere Erhitzung unter Sonneneinstrahlung, Saurewirkung, Verkleben von Spaltoffnungen) spielen die organischen in Form von pathogenen Bakterien und Pilzsporen oder von dichtem epiphyllischen Algenaufwuchs fur die Pflanze eine vie1 bedeutendere Rolle. Es gibt mehrere Moglichkeiten, wie sich Pflanzen gegen den Befall mit Pathogenen schutZen konnen. Zum einen konnen sie strukturelle oder chemische Barrieren entwickeln, die verhindern, dass ein Pathogen in das Gewebe eindringt. Zum anderen bietet der Lotus-Effekt eine sehr elegante Moglichkeit, den Befall mit Mikroorganismen zu verhindern (Abb. 1-5): denn die Organismen konnen sich auf solchen Oberflachen gar nicht erst festsetzen. Es fehlt ihnen das notwendige Wasser zu Keimung und Wachstum, da diese Oberflachen stets trocken sind. Und wenn es einmal regnet, werden die Pathogene einfach von den Oberflachen abgewaschen.
Abb. 1-5 Laufspur eines Wassertropfens auf einern rnit Lehrnstaub verschrnutzten Lotusblatt. Der Tropfen nirnrnt alle in seiner Bahn liegenden Partikel auf und hinterlasst eine gereinigte Flache.
7.3 Jechnische selbstreinigende Oberfliichen 19
1.3
Technische selbstreinigendeOberflachen
Unsere Arbeiten zeigten, dass in ganz bestimmten Dimensionen fein- und feinststrukturierte Oberflachen extrem abstoBende Eigenschaften aufweisen. Die Biologen wussten schon immer, dass die Oberflachen von Blattern, lnsekten (Wagner et al. 1996) und anderen Schmutz und Regen ausgesetzten Lebewesen selten ganz glatt sind. Jeder Werkstomvissenschaftler dagegen optimierte seine technischen Oberflachen fur Autos, von Plastikfolien oder Glasdachern auf maximale Glatte. Vor rund 25 Jahren hatten wir den Lotus-Effekterstmals kurz beschrieben (Barthlott & Ehler, 1977) und in mehreren Folgepublikationen weitere Daten dazu veroffentlicht. An eine technische Umsetzung wurde zwar gedacht, die Gedanken zur technischen Anwendung aber nicht weiter verfolgt: wir gingen davon aus, dass dieses Phanomen den Technikern bekannt sein miisse. Dass dies nicht der Fall war zeigt die bis 1995 durchgehaltene Devise der Industrie: Je glatter desto sauberer. Der Versuch, das Phanomen Lotus-Effekt in einer eigenen Publikation umfassend darzustellen, wurde viermal von den Gutachtern renommierter Zeitschriften abgelehnt: Immer mit der gleichen Begriindung: es widersprache dem Lehrbuchwissen und der umfangreichen Grenzflachen-Literatur. Aber auch Lehrbucher konnen irren! Erst vor wenigen Jahren gelang es, die Arbeit zu publizieren (Barthlott & Neinhuis, 1997). Mit der Publikation und der etwa gleichzeitig erfolgten Erteilung eines Europaischen Patentes anderte sich die Situation schlagartig und ein Paradigmenwechsel in der Oberflachentechnologie setzte ein. Dutzende abhangiger Patente zum Lotus-Effekt sind inzwischen angemeldet oder erteilt, eine wahre Lotus-Manie hat Hersteller schmutzabweisender Oberflachen erfasst. Leider werden dabei die Begriffe ,,selbstreinigend", ,,Lotus-Effekt" oder ,,nach dem Vorbild der Natur" inzwischen irrefuhrend fur viele Produkte verwendet, die nichts mit dem hier behandelten physikalischen Effekt zu tun haben. Das Zauberwort ,,easytoclean" wurde fur glatte Oberflachen geschaffen, die leicht zu reinigen sind. Die ultraphoben Oberflachen mit Lotus-Effekt dagegen sind ,,self-cleaning", also selbstreinigend. Dies ist ein grundsatzlicher Unterschied. Seit 1995 wird mit inzwischen uber einem Dutzend Kooperationspartnern aus den unterschiedlichsten Bereichen der Industrie an der technischen Umsetzung der selbstreinigenden Oberflachen gearbeitet. Da der Lotus-Effekt uberall dort Anwendung finden kann, wo verschmutzende Oberflachen mit bewegtem Wasser in Kontakt kommen, zielt man vor allem auf AuBenflachen von Gebauden (Dacher und Fassaden) und von Fahrzeugen (Lacke). Inzwischen wird aber auch intensiv im Bereich von Polymerfolien, Textilien und sogar Papieren an der Umsetzung des Lotus-Effektes gearbeitet. Fassadenfarben mit Lotus-Effekt sind sehr erfolgreich auf dem Markt und vom Hotel Kempinski in Moskau bis zu Hochhausern in den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden bis heute bereits uber 80 000 Gebaude mit solchen Oberflachen beschichtet. Die ersten Dachziegel mit Lotus-Effekt sind kurz vor der Markteinfuhrung. Lacke und weitere Produkte werden wahrscheinlich noch in diesem Jahr folgen.
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7 Der Lotus-Effkt: Selbstreinigende technische Oberfldchen
Abb. 1-6
Selbst augerst zahe wasserige Flussigkeiten wie Honig laufen von der ultraphoben Oberflache eines Loffels ruckstandsfrei ab.
Mechanisch extrem beanspruchte Oberflachen (z. B. FuEboden) sind dagegen kein Einsatzbereich. Ebensowenig dauernd untergetauchte Oberflachen: denn der Lotus-Effekt beruht auf einer Dreiphasen-Wechselwirkung zwischen Fcstkorper, Flussigkeit und Gas und kann deshalb fur Schiffsanstriche, Herzkatheder und Kanalrohr-Auskleidungen nicht eingesetzt werden. Und selbstverstindlich auch nicht dort, wo nicht problemlos mit Wasser abgespiilt werden kann (Innenraume, Tapeten, Mobel). Jedoch sind i m Innenbereich die unterschiedlichsten Spezialanwendungen rcalisierbar: z u m Beispiel Duschkabinen oder geruchshernmende Toiletten mit minimiertem Wasserverbrauch. Dabei ist die technische Venvendung derartiger Oberflachen nicht auf die Wechselwirkung mit reinem Wasser beschrankt. Wie die Abbildung 1-6 zeigt, rollen auch hochviskose wasserige Flussigkeiten wie Honig riickstandsfrei von ihnen ab. Daruber hinaus kann man sogar ,,ultraphobe" Oberflachen schaffen, die weder von Wasser noch von bestimmten Olen benetzt werden (Abb. 1-7). Die biologischen Oberflachen wurden im Laufe der Evolution der Lebewesen auf die WasserabstoRung hin optimiert. Mit zunehmender Strukturierung wurden dabei die antiadhasiven Eigenschaften und die mechanische Stabilitat der Oberflichen verbessert. Solche biologischen Oberflichen werden dann als superhydrophob und im Falle von z. B. Lotus als superphob bezeichnet. Technische Oberflachen kijnnen zusatzlich zur WasserabstoBung auch olabweisende, sog. oleophobe Eigenschaften besitzen. Entsprechend bezeichnen wir diese Oberflachen je nach ihrem Strukturgrad als oleohydrophob, superoleohydrophob und ultraphob. Als Materialien fur derartige
I . 4 Uberfliissige Crundlagenforschung?
Abb. 1-7
Oberflachen-Typen und ihre antiadhasiven Eigenschaften
neue Beschichtungen stehen neben fluorierten Kohlenwasserstoffen (z. B. Teflon@) vor allem neuartige chemische Substanzen aus der Nanotechnologie wie Ormocere oder Polyelektrolyt-Tensidkomplexezur Verfiigung.
1.4
Uberflussige Crundlagenforschung?
Es bleibt abschliegend festzuhalten, dass die Entdeckung des Lotus-Effekts aus der sog. Grundlagenforschung kommt, aus der die meisten innovativen und oft vollig unvorhersehbaren Erkenntnisse stammen. Urspriinglich galt das Interesse der Frage eines Glasperlenspielers im Elfenbeinturm der Wissenschaft, namlich der Stellung der Lotusblume im System der Pflanzen. Stimmt es, wie in den Lehrbiichern seit Carl von LinnP zu lesen ist, dass sic eine tropische Venvandte der Seerose ist? Beides ist falsch. Eine geographisch-historische Analyse zeigte, dass die Lotusblume in den Tropen als religioses Symbol und als Zierpflanze wohl nur eingeschleppt wurde. Ihre wahre Heimat sind das winterkalte Asien und Nordamerika. Diese Erkenntnis hatte bereits praktische Konsequenzen: Wahrend die Lotusblume heute noch in Botanischen Garten in geheizten Warmhausern kultiviert wird, zeigten die Freilandauspflanzungen im Botanischen Garten Bonn in den letzten neun Jahren (darunter auch extrem kalte Winter), dass sie vollig winterhart ist. Daher ist zu envarten, dass die Lotusblume in Zukunft eine attraktive Bereicherung auch unserer Garten und Parkanlagen sein wird. Eine Analyse ihrer Stellung im System der Pflanzen ergab, dass sie keineswegs eine Seerosenvenvandte ist, sondern eher in die Venvandtschaft der Mohngewachse gehort (Barthlott et al. 1996). Dieses fur viele Wissenschaftler zunachst befremdliche Ergebnis hat inzwischen eine deutliche Bestatigung erhalten: entsprechend ihrer ,,neuen" systematischen Stellung enthalt sie Stoffe aus der Gruppe der Mohnalkaloide. Diese finden sich auch in den Oberflachenwachsen der Blatter, die bei dieser Gelegenheit erstmals mittels hochauflosender Raster-Elektronenmikroskopie
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1 Der Lotus-Eflekt: Selbstreinigende technische Oberfldchen
analysiert wurden. Ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt dieser Untersuchungen war die Entdeckung des Lotus-Effektes, die also keineswegs einer zielgerichteten Suche entsprang. 30 Jahre Grundlagenforschung und ein vollkommen unerwartetes und relativ einfaches Ergebnis: Zu fragen ist, ob die nicht anwendungsorientierte Grundlagenforschung wirklich so uninteressant oder ein kostspieliger Luxus ist, wie uns manche Politiker und Medien gerne glauben machen wollen. Man konnte es kaum besser formulieren als der amerikanische Physiker H.C. von Baeyer, der im Januarheft 2000 der New York Academy of Sciences schrieb: ,,The Lotus-Effect. The secret of the self-cleaning leaves of the lotus plant, like the subtlest application of high technology, is simplicity itself."
1.5 Literatur Barthlott, W. (1990): Scanning electron microscopy of the epidermal surface in plants. In: D. Claugher (Ed.),Scanning electron microscopy in taxonomy andfunctional morphology. Clarendon Press, Oxford, pp. 69-94. Barthlott, W.; Ehler, N. (1977): Raster-Elektronenmikroskopie der Epidermisoberflachen von Spermatophyten. Tropische und Subtropische Pfanzenwelt 19, 367-467. Barthlott, W.; Neinhuis, C. (1997): Purity of the sacred lotus or escape from contamination in biological surfaces. Planta 202, 1-7. Barthlott, W.; Neinhuis, C.; Cutler, D.; Dirsch, F.; Meusel, 1.; Theisen, I.; Wilhelmi, H. (1998): Classification and terminology of plant epicuticular waxes. Botanical Journal ofthe Linnean Society 126, 137-260. Barthlott, W.; Neinhuis, C.; Jetter, R.; Bourauel, T.; Riederer, M. (1996):Waterlily, poppy, or sycamore: on the systematic position of Nelumbo. Flora 191, 169-174. Baeyer, H. C. v. (2000):The Lotus Effect. The Sciences; New York Academy ofscience Januar/ Februar 2000: 12-15. Bico, J.; Marzolin. C.; Quere, D. (1999): Pearl drops. Europhysics Letters 47, 22&226. de Gennes, P.G. (1985):Wetting: statics and dynamics. Reviews ofModern Physics 57, 827-863. Nachtigall, W. (1998):Selbstreinigende pflanzliche Oberflachen - Schrnutzabweisende Beschichtungen; In: Bionik - Grundlagen und Beispielefur Ingenieure und Naturwissenschajler. Springer 94-99. Neinhuis, C.; Barthlott, W. (1997):Characterization and distribution of water-repellent. self-cleaning plant surfaces. Annals ofBotany 79, 667477. Neinhuis, C.; Koch, K.; Barthlott, W. (2001): Movement and regeneration of waxes through plant cuticles. Planta, published online: DO1 10.1007/~004250100530 Riederer, M.; Schreiber, L. (1995):Waxes - the transport barriers of plant cuticles. In: R. J . Hamilton (Ed.), Waxes: chemistry, molecular biology andfunction. The Oily Press, Dundee, Scotland, pp. 131-156. Wagner, T.; Neinhuis, C.; Barthlott, W. (1996):Wettability and contarninability of insect wings as a function of their surface sculpture. Acta Zoologica 77, 213-225.
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Klonierung pflanzlicher Embryonen Die somatische Embryogenese erschliegt Nadelbaume fur die Biotechnologie K. Zoglauer
2.1
Klonale Vermehrung ist bei Ptlanzen ein natiirlicher Vorgang
Hohere Pflanzen konnen sich unter natiirlichen Bedingungen nicht nur generativ, sondern auch vegetativ, d. h. klonal vermehren. In unserem gemagigten Klimabereich kommt dies bei etwa 70% aller Arten von Hoheren Pflanzen vor (van Groenendael, de Kroon 1990). Durch klonale Vermehrung werden vollkommen erbgleiche Nachkommen erzeugt. Dadurch kann ein an einen bestimmten Standort gut angepasstes Individuum diesen schnell und oft grogflachig mit ,,Seinesgleichen" besetzen. Auffallige Beispiele sind Populationen von Brennnesseln, Maiglockchen oder Walderdbeeren. Die generative, d. h. sexuelle Fortpflanzung sorgt durch intra- und interchromosomalen Rekombination der Gene bei der Bildung der Keimzellen durch die Reifeteilung (die ,,Meiose") und durch die Vermischung des vaterlichen und mutterlichen Erbgutes bei der Befruchtung dafur, dass das Erbgut einer Art immer wieder durchmischt und neu kombiniert wird. Die aus sexueller Fortpflanzung hervorgehenden Nachkommen weisen daher eine unendliche genetische Vielfalt auf und kein Individuum gleicht in seinen Merkmalskombinationen einem anderen. Diese Vielfalt wird uns schnell klar, wenn wir uns innerhalb unserer eigenen Art Mensch (Homo sapiens) umsehen. Diese genetische und damit phanotypische Vielfalt schafft zugleich die Voraussetzung, dass sich die Individuen einer Art an unterschiedliche und sich verandernde Lebensraume anpassen konnen und so das Weiter- und Uberleben der Art sicherstellen. Die in der Natur auftretenden Formen der ungeschlechtlichen, der klonalen Vermehrung sind Brutknospen (Bulbillen), z. B. bei den Brutblattarten (Kalanchoi spp.), beim Scharbockskraut (Ranunculusficaria)und vielen Lilienarten (z. B. Lilium bulbqerum), sowie die Fragmentierung (Zerteilung oder Dividuenbildung), wobei der Pflanzenkorper in zwei oder mehrere Teile zerfallt, die nun als eigenstandige Pflanzen weiter wachsen. Typische Formen sind der Zerfall verzweigter Rhizome, z. B. bei Schwertlilie (Iris pseudacorus), Buschwindroschen (Anernone nernorosa) und Maiglockchen (Conuallaria majalis), und die Bildung von Sprossauslaufern, z. B. bei der Erdbeere (Fragaria spp.) und von Wurzelauslaufern, z. B. beim Kleinen Sauerampfer (Rurnex acetosella). Als dritte Moglichkeit finden wir schlieBlich die asexuelle
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2 K/onierung pflanzlicher Ernbryonen
Bildung von Samen, die als Apomixis bezeichnet wird, z.B. beim Lowenzahn (Taxacum officinale) (s. Sharma und Thorpe 1995). Die klonale Vermehrung und der Anbau von Klon-, also erbgleichen Pflanzen spielen im Pflanzenbau traditionell eine groBe Rolle. Es ist damit moglich, Einzelpflanzen mit auRergewohnlichen Merkmalskombinationen, die man nicht uber Samen vermehren kann, in groBer Anzahl zu erzeugen und damit wirtschaftlich nutzbar zu machen. Solche wirtschaftlich genutzten Klone sind z. B. alle unsere Obst- und Kartoffelsorten, viele Zierpflanzen und streng genommen sogar die dihaploiden, selbstbefruchtenden Getreidesorten z. B. der Gerste. Wo es moglich ist, wird die naturliche Fahigkeit der Pflanzen zur klonalen Vermehrung genutzt, so die Auslaufer bei den Erdbeeren, die Knollen der Kartoffeln oder die apomiktischen Samen (s.0 . ) bei manchen Sorten des Wiesenrispengrases (Poa pratensis). Schon vor Jahrtausenden wurden spezielle gartnerische Techniken zur klonalen Vermehrung wichtiger Kulturpflanzen entwickelt, man denke nur an die Weinreben in der Antike. Aus botanischer Sicht handelt es sich dabei meist um kunstliche Fragmentierung: Vermehrung durch Teilung, Stecklinge oder Veredlung. In den vergangenen drei Jahrzehnten gewannen zudem biotechnologische Verfahren rasch an Bedeutung, die sich unter dern Begriff Mikrovermehrung zusammenfassen lassen. Auch diese Verfahren basieren auf Prozessen, die der naturlichen vegetativen Vermehrung zu Grunde liegen: die Neubildung von Sprossknospen (,,Adventivknospen"), die Erzeugung sog. Mikrostecklinge nach stimulierter axillarer Verzweigung und die asexuelle Bildung von Embryonen, die so genannte somatische Embryogenese. Durch Miniaturisierung und Ubertragung des Vermehrungsprozesses ins Labor wurden die Verfahren nicht nur effizienter und schneller, sondern es konnten auch Verfahren fur weitere wichtige Pflanzenarten entwickelt werden, die herkornmlich nur schwer klonierbar waren, darunter viele Orchideenarten und -hybriden.
2.2
Die klonale Vermehrung wirtschaftlich wichtiger Nadelbaumarten ist noch immer schwierig
Fur eine Gruppe wirtschaftlich sehr wichtiger Pflanzenarten bestehen jedoch noch immer groRe Probleme, die klonale Vermehrung nutzbar zu machen, namlich fur die Nadelbaume. Viele dieser Arten spielen eine tragende Rolle in der Forstwirtschaft. Der Bedarf an Rohholz fur die Bau- und Mobelindustrie sowie fur die Papierherstellung wachst rasant. Damit erhoht sich auch weltweit der Druck zur Nutzung der verbliebenen Primarwalder. Im Zuge der allgemeinen Steigerung des Holzverbrauches wachst besonders die Nachfrage nach Rohholz definierter Qualitat an. Um diesem Bedarf zu entsprechen wird in einer Reihe von Landern intensiv an bio- und gentechnisch gestutzten Zuchtungsmethoden gearbeitet. Auf Grund der extrem langen Generationszyklen der Nadelbaumarten ist aber die Zuchtung samenvermehrbarer Sorten in einem
2.3 Sornotische Ernbryogenese -die osexuelle Entwicklung von Ernbryonen in vitro
uberschaubaren Zeitraurnen kaum moglich und der genetische Gewinn ware auch relativ gering. Efiziente Methoden der klonalen Vermehrung hingegen wiirden erlauben, Individuen mit auBergewohnlichen Leistungs-, Qualitats- und Resistenzeigenschaften als Klon- bzw. Mehrklonsorten nutzbar zu machen und damit unmittelbar einen erheblichen genetischen Gewinn zu erzielen (Walter et al. 1998). Nadelgeholze spielen auch als Zierpflanzen eine bedeutende Rolle. Ein Teil der gartnerisch genutzten Arten wird traditionell rneist uber Stecklinge vermehrt, so z. B. Eibensorten (Taxus baccata) und verschiedene Arten aus den Familien der Zypressen und Sumpfiypressen(Cupressaceen und Taxodiaceen). Von groBer wirtschaftlicher Bedeutung sind in diesem Zusammenhang aber gerade Arten, die bislang nicht klonal verrnehrbar sind - die als Weihnachtsbaume interessanten Tannenarten. Wichtigste Art ist die Nordmannstanne, Abies nordrnanniana, von der allein in der Bundesrepublik Deutschland jahrlich fast 10 Mio. Stiick als Einwegartikel vermarktet werden. Heute bietet ein biotechnologischer Ansatz die grogten Chancen fur die weltweit wirtschaftlich bedeutendsten Arten, also fur Kiefer, Fichte, Tanne und l r c h e .
2.3
Somatische Embryogenese- die asexuelle Entwicklung von Embryonen in vitro
Unter sornatischer Ernbryogenese versteht man bei Pflanzen einen Prozess, bei dem in vitro (,,irn Reagenzglas") aus vegetativen Zellen (somatischen Zellen) des Pflanzenkorpers Embryonen entstehen, also auf asexuellem Weg. Im Prinzip sind alle intakten Zellen einer Pflanze totipotent, d. h. sie besitzen die genetischen Voraussetzungen, urn wieder eine vollstandige Pflanze zu regenerieren, aber diese potentielle Fahigkeit wird irn Regelfall nicht ausgepragt. Wie in jedem anderen vielzelligen Organisrnus sind auch bei der Pflanze die einzelnen Korperzellen in einem Beziehungsnetzwerk mit den anderen Zellen und Organen verbunden, haben spezifische Funktionen zu erfullen und sind zugleich von den Leistungen anderer Zellen abhangig. Urn Korperzellen zu veranlassen, ihren bisherigen Weg in die Spezialisierung aufzugeben und sich emeut zu teilen, scheint es erforderlich zu sein, das Beziehungsnetzwerk des Zellverbandes und damit die bestehenden gegenseitigen Kontrollmechanismen zu zerstoren. Das kann durch mechanische Isolation, Stresseinwirkung oder hohe Dosen zellteilungsfordernder Hormone (Auxine und Cytokinine), bzw. durch eine Kornbination dieser Faktoren erreicht werden. Aus der riesigen Anzahl von Zellen eines Gewebeteils sind es aber stets nur sehr wenige, die dann Ausgangspunkt fur die asexuelle Bildung eines Embryos sind. Eine weitere wichtige Bedingung fur die folgende autonome Entwicklung eines solchen somatischen Embryos ist seine Ernahrung, denn er ist ja von der ersten Zellteilung an nun ein neuer Organisrnus, der losgelost vom urspriinglichen Zellverband wachst. Analog zurn normalen Embryo in der Samenanlage muss auch der somatische Embryo vollstandig heterotroph ernahrt werden. Das geschieht durch die organischen Komponenten des Nahrmediums in der In-uitro-Kultur, insbesondere Zucker und Aminosauren.
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2 Klonierung pflanzlicher Ernbryonen
Abb. 2-1
Reife sornatische Embryonen eines Klons der Nordrnannstanne in vitro.
Fruhe Entwicklungsstadien somatischer Embryonen konnen durch Nahrstoffe und hormonelle Faktoren so beeinflusst werden, dass einzelne Embryozellen wiederurn autonom werden und neue Embryonen bilden. Dadurch lassen sie sich nahezu unbegrenzt vermehren. Durch eine weitere Veranderung der Kulturbedingungen kann das ,,Vermehrungsprogramm" gestoppt und die Fortsetzung der Individualentwicklung der unzahligen jungen Embryonen eingeleitet werden. Dazu ist es erforderlich, die Konzentrationsverhaltnisse des Nahrmediums zu verandern und die zellteilungsfordernden Hormone durch das Pflanzenhormons Abszisinsaure zu ersetzen, das die synchrone Entwicklung der Embryonen begunstigt und die Akkumulation von Reservestoffen im Embryo fordert. Im Verlaufe einiger Wochen wachsen die jungen Embryonen zu voll entwickelten, ,,reifen" Embryonen heran, die nun irn Idealfall anatomisch-morphologisch und funktionell den Embryonen in reifen Samen entsprechen - nur: die somatischen Embryonen sind alle erbgleich und die daraus heranwachsenden ,,vollig normalen" Jungpflanzen sind ein Klon.
2.4
Somatische Ernbryogenese als Schliissel zur Entwicklung biotechnologischerVerfahren bei Nadelbaumen
Ebenso wie bei allen wichtigen Kulturpflanzen wurde auch bei Nadelholzern seit Ende der 6Oer Jahre an Zell- und spater auch an gentechnischen Methoden gearbeitet, um die Zuchtung zu effektivieren und die klonale Vermehrung zu ermoglichen.
2.4 Somatische Embryogenese als Schlussel zur Entwicklung biotechnologischer Verfahren
Zwar konnten bei vielen Arten die grundlegenden In-vitro-Kulturtechniken demonstriert werden, aber alle Vermehrungsverfahren auf der Grundlage der Regeneration von Adventivsprossen oder der Axillarsprossvermehrung waren nicht annahernd so effizient wie bei den gut vermehrbaren Bedecktsamern (Angiospermen), sodass heute keine dieser Methoden kommerziell genutzt wird (vgl. Walter et al. 1998). Als weiteres Problem zeigte sich, dass bei vielen Arten der Altersstatus des Ausgangsmaterials stark fuiert war. Meist waren schon nur wenige Jahre alte Baume physiologisch alt, d. h. nur noch schlecht in vitro kultivierbar. Mit dem experimentellen Nachweis der somatischen Embryogenese, die bei Nadelbaumen erstmals 1985 gelang, eroffneten sich vollig neue Perspektiven, da zu envarten war, dass mit der Bildung somatischer Embryonen eine vollstandige Verjiingung eintreten und damit alle altersbedingten Phanomene uberwunden wiirden. Diese Vorstellung ist zwar theoretisch richtig, nur gibt es bis heute keine glaubhaften Berichte zur Auslosung der somatischen Embryogenese in Geweben erwachsener Baume! Dennoch waren von diesem Zeitpunkt an rasante Fortschritte bei der Entwicklung biotechnologischer Methoden zu verzeichnen. Alle ernst zu nehmenden Ansatze zur klonalen Massenvermehrung basieren heute auf der somatische Embryogenese, und embryogene Kulturen erwiesen sich auch als das ideale Zielgewebe fur den Transfer von Genen. Die folgenden Abschnitte sollen Prinzipien und Entwicklungsablaufe deutlich machen, die den biotechnologischen Ansatzen bei Nadelgeholzen zu Grunde liegen und sollen die Perspektiven dieser Forschungsrichtung aufzeigen. 2.4.1
Wie entstehen sornatische Ernbryonen?
Bei Nadelholzern kann somatische Embryogenese bislang nur in embryonalen oder Geweben von Jungpflanzen ausgelost werden, d. h. in unreifen oder reifen natiirlichen (,,zygotischen", d. h. durch Befruchtung entstandenen) Embryonen (Bsp. s. Abb. 2-2) und in seltenen Fallen in Geweben von Keimlingen. Die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs nimmt mit dem ontogenetischen Alter (,,Ontogenese" = Individualentwicklung) des Materials ab. In den Abbildungen 2-3 und 2-4 wird als Beispiel die Induktion der somatische Embryogenese rnit zygotischen Embryonen aus reifen Samen der WeiBtanne (Abies a h ) gezeigt. Die Bildung somatischer Embryonen geht bei dieser Art stets von Einzelzellen des Hypokotyls (das ist das Sprossstiick zwischen der Keimwurzel und den Keimblattern) aus, in der Regel von epiderm a l h (Epidermis = AuBenhaut) oder subepidermalen Zellen. Der Beginn des Entwicklungsprozesses wird durch erneute Zellteilungen eingeleitet, wobei zunachst kompakte, kugelige Kolonien aus kleinen, cytoplasmareichen Zellen heranwachsen, die sich nun autonom, d. h. ohne jegliche Zell-Zell-Verbindung zum Ausgangsgewebe weiterentwickeln. Spater werden von dieser globularen Zellkolonie, die ein friihes Embryonalstadium darstellt und offensichtlich bereits polar determiniert ist, im basalen Bereich sog. Suspensorzellen differenziert, die den sekundaren Suspensorzellen in der zygotischen Embryoentwicklung entsprechen (Zoglauer und Reu-
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2 Klonierung pflanzlicher Embryonen
Abb. 2-2
Beispiele fur Entwicklungsstadien zygotischer Ernbryonen. a: Frijhes Entwicklungsstadiurn eines jungen zygotischen Embryos, der aus einem unreifen Same n d e r DougIasi e (Pseudotsuga menziesii) prapariert wurde. M a n beachte den charakteristischen sekundaren Suspensor (vgl. Abb. 2-3). b Vergrogerung aus (a). c: Unreifer zygotischer
Embryo der Douglasie i n seiner naturlichen Position i m Endosperm (Megagarnetophyt), etwa drei Wochen alter als (a). Die Schale des Samens wurde entfernt und das Endosperm halbiert. d: Langsschnitt durch einen reifen Sarnen der Europaischen Larche (MaKstab = 1 mrn; von auBen nach innen: Samenschale, Endosperm, Embryo).
ther 1996). Die Suspensorzellen strecken sich sehr stark und schieben den somatischen Embryo vom Ursprungsgewebe weg in das umgebende Nahrmedium. Makroskopisch werden die somatischen Embryonen als weisliche, fadenformige Gebilde sichtbar. Die weige embryogene Zellmasse kann nun auf frisches Nahrmedium ubertragen werden. Durch weitere Zellteilungen entstehen standig neue Embryonen. Solche embryogenen Zellkulturen sind nun durch einfaches Zerteilen mit der Pinzette und Ubertragen auf frisches Nahrmedium unbegrenzt vermehrbar. Letztlich effizienter ist jedoch die Vermehrung als Suspensionskultur in Nahrlosung (Abb. 2-5).
2.4 Somatkche Embyogenese als Schliissel zur Entwicklung biotechnologischer Verfahren 119
Abb. 2-3 Aspekte der lnduktion sornatischer Embryonen. a: Sornatische Embryonen der Nordrnannstanne, entstanden aus Zellen des Hypokotyls eines zygotischen Embryos. Der zygotische Embryo wurde aus einern reifen Sarnen prapariert und 6 Wochen auf einern Nahrrnediurn rnit hoher Cytokininkonzentration kultiviert
(20 p M BAP). Diese ernbryogenen Zellrnassen konnen nun weiter verrnehrt werden (vgl. Abb. 2 - 5 ) . b Einzelner sornatischer Embryo entstanden am Hypokotyl eines zygotischen Embryos der WeiFltanne. Man beachte den ca. 2 crn langen Suspensor, der dern sekundaren Suspensor zygotischer Ernbryonen entspricht (vgl. Abb. 2 - 2 ) .
Abb. 2-4 Entwicklungsrnuster sornaticher Ernbryonen bei der Weigtanne. Als Explantetewurden reife zygotische Ernbryonen aus Sarnen verwendet, die auf Narhrrnedien ohne (Kontrolle) oder rnit hohen Konzentrationen an Cytokininen kultiviert wurden. a: Kontrollvariante; isolierter zygotischer Embryo nach 3 Wo. Kultur auf horrnonfreiern Nahrmedium. Es erfolgt die typische Keirnung. Die Hypokotylzellen haben sich bereits deutlich gestreckt. b Schnitt durch das Hypokotyl einer Variante zur lnduktion der sornatische Ernbryogenese. Nach 3 Wo. sind Zellteilungen in der Epidermis des Hypokotyls feststellbar. Die Teilungsebene der Zellen hat sich verandert.
Die Ernbryonalentwicklung beginnt rnit einer periklinen Zellteilung. c: Frijhe Stadien sornatischer Ernbryonen irn Hypokotylbereich des Explantates nach 5 Wo. Kultur auf Induktionsrnediurn. Sie sind kornpakt, globular, in der Anfangsphase noch ohne Suspensor und deutlich gegen das Ursprungsgewebe abgegrenzt. d Schnitt durch ein spateres Stadium eines sornatischen Embryos bei dern die polare Entwicklung des Suspensors eingesetzt hat. Die Suspensorzellen strecken sich spater sehr stark und schieben den Suspensor vorn Ursprungsgewebe weg (vgl. Abb. 2-2 und 2-3).
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Abb. 2.5 Verrnehrung sornatischer Embryonen. a: Ernbryogene Vermehrungskultur der Weii3tanne auf festern Nahrrnediurn. Die weii3lichen Zellmassen bestehen ausschlieRlich aus proliferierenden fruhen Embryonalstadien (vgl. d und e). b: Ernbryogene Vermehrungskultur i n Suspension, Bsp. Europaische Larche. c: Typisches frijhes Entwicklungsstadium eines somatischen Embryos von Koniferen, Bsp. aus einer Suspensionskultur der WeiRtanne. d: Proliferierender
sornatischer Embryo der WeiRtanne aus der Vermehrungskultur (Suspension). Die globularen Strukturen sind die neu entstehenden somatischen Embryonen. die sich spater ablosen. e: Uberblicksaufnahrne einer ernbryogenen Suspensionskultur der Larche. Sie besteht ausschlieRlich aus proliferierenden fruhen Ernbryonalstadien, die Suspensoren tragen.
2.4.2
Embtyonale Zellen sind totipotent: aus isolierten Einzelzellen entstehen spontan neue Embtyonen
Die Embryozellen der friihen Entwicklungsstadien sind totipotent. Sie alle besitzen die Fahigkeit erneut Embryonen zu bilden. Diese embryogene Kompetenz ist nicht nur Grundlage der Embryovermehrung, sie ist auch entscheidend dafiir, dass
2.4 Somatische Embryogenese als Schliissel zur Entwicklung biotechnologischer Vefahren
embryogene Kulturen das ideale Zielgewebe fur einen Gentransfer darstellen (s. 2.4.4). Die Totipotenz dieser Zellen wird deutlich, wenn man die Embryonen in Einzelzellen zerlegt (Abb. 2-5). Durch Behandlung mit Zellwand-auflosenden Enzymen zerfallen die Embryonen in Einzelzellen. Diese nun ,,nackten", d. h. zellwandlosen Zellen (die sog. Protoplasten) mussen in einer Nahrlosung kultiviert werden, die eine relativ hohe Konzentration an Osmotika enthalt, z. B. Glucose, damit sie nicht platzen In dieser Nahrlosung, die neben dem Osmotikum alle wichtigen Nahrstoffe enthalt, regenerieren die Zellen innerhalb weniger Stunden eine neue Zellwand. Nach ca. 2 Tagen beginnen die ersten Zellen sich zu teilen, bilden zunachst den typischen kugeligen Zellhaufen. Nach einer Kulturzeit von ca. 20 Tagen bilden diese Zellkolonien wieder die charakteristischen Suspensorzellen und der Kreis der Embryonenvermehrung schlieBt sich. 2.4.3 Klonale Verrnehrung und Reifung somatkcher Ernbryonen
Die Verrnehrung somatischer Embryonen wird primar nicht dadurch erreicht, dass man sie enzymatisch oder mechanisch in Einzelzellen oder Teile zerlegt, sondern indem man durch hohe Konzentrationen von Hormonen der Auxin- und Cytiokiningruppe einzelne Embryozellen veranlasst, sich zunachst unkontrolliert zu teilen. Dadurch ,,brechen" diese aus der organisierten Struktur des Embryos aus, werden selbst autonom und bilden spontan einen Embryo der mit der Ausgangsstruktur mehr oder weniger verbunden sein kann (Abb. 2-5). Der Entwicklungsablauf entspricht aber weitgehend dem fur die Kultur uber Protoplasten beschriebenen (s. 2.4.2). Diese hormone11 stimulierte ,,Embryovermehrung" lasst sich scheinbar unbegrenzt durchfiihren, ohne dass nennenswerte Storungen auftreten. In unserem Labor werden beispielsweise embryogene Kulturen der Europaischen Larche seit mehr als 10 Jahren vermehrt, ohne dass anatomisch-morphologische oder genetische Veranderungen in Erscheinung getreten waren. Die embryogenen Vermehrungskulturen, die ausschlieglich aus proliferierenden friihen Embryonalstadien bestehen, konnen als Oberflachenkultur auf festem Nahrboden oder als Suspension in einer Nahrlosung kultiviert werden. Letzteres ist der effizientere Weg. In Folge der geringen GroBe der friihen Embryonalstadien - bei der Europaischen Larche haben sie einen Durchmesser von 50-200 pm - und der raschen Vermehrung, kann man in einem 500 ml Anzuchtkolben mit 100 ml Nahrlosung Tausende von Embryonen erhalten. Die Vermehrung in einer solchen diskontinuierlichen Kultur ist so efizient, dass man auf auhendige Bioreaktortechnik verzichten kann. Allerdings besteht dafiir noch ein weiterer Grund: Fur die Reifung der somatischen Embryonen muss das Medium Nahrlosung ohnehin verlassen werden. Die Reifung gelingt bislang bei allen Nadelbaumarten nur in Oberflachenkultur auf festem Nahrboden. Hinter dem Begriff Embryoreifung verbirgt sich, dass die embryogenen Vermehrungskulturen in Bedingungen iiberfuhrt werden, unter denen die friihen Embryo-
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2.4 Somotische Embryogenese als Schliissel zur Entwicklung biotechnologischer Verfahren
nalstadien die erzwungene Zellteilung einstellen und die einzelnen Embryonen nun in ihre Individualentwicklungubergehen (Abb. 2-6). Die Zellhaufen aus der Vermehrungskultur werden zunachst mit sterilem Wasser gewaschen und danach in Wasser resuspendiert (im Verhaltnis 1 Gewichtsteil zu 10 Volumenteilen). Die Suspension wird gleichmagig auf Filterpapierscheiben ausgebracht (z. B. 100 mg Zellmasse auf einen Rundfilter mit 42 mm 0)und diese auf das Reifungsmedium gelegt, das keine Hormone aber je nach Pflanzenart verschieden Zucker und Aminosauren enthalt. Eine Besonderheit bei allen Nadelbaumarten ist, dass die Zugabe von Polyethylenglycol zum Reifungsmedium die Anzahl reifender Embryonen um Grogenordnungen erhoht. Durch die Zugabe hoher Konzentrationen des Hormons Abszisinsaure (bei l r chen, Fichten und Tannen ca. 40 pM,bei Kiefern mehrfach hoher) wird gewahrleistet, dass die reifenden Embryonen nicht vorzeitig auskeimen und so weitgehend gleichzeitig das Endstadium der Embryonalentwicklung erreichen. Abszisinsaure ist aber auch sehr wichtig fur die Akkumulation von Reservestoffen im Embryo. Aus 1 g Frischmasse der Vermehrungskultur erhalt man bei der Europaischen Urche bis zu 2000, bei WeiB- und Nordmannstanne bis uber 500 reife Embryonen. Dieses Ergebnis ist allerdings stark klonabhangig und kann auch weit darunter liegen. Vermehrung und Reifung erfordern kein Licht. Bedingt durch den hohen Gehalt an Abszisinsaure verbleiben die reifen Embryonen in einer erzwungenen Ruhe, solange Dunkelheit herrscht. In diesem Zustand sind sie auch monatelang im Kiihlschrank ohne Vitalitatsverlust lagerfahig. Fur die Keimung und Keimlingsentwicklung mussen die Embryonen pikiert und unter Langtagbedingungen (16 h Licht pro Tag) gebracht werden. Auch in der Keimungsphase muss das Nahrmedium noch etwas Zucker (z. B. 2 % Saccharose) enthalten. Der Embryo ist zwar mit Reservestoffen - Eiweige und Fette - angefullt, aber er hat im Vergleich zum natiirlichen Embryo im Samen kein ihn umgebendes Nahrgewebe (Endosperm). Die in diesem enthaltenen Reservestoffe gewahrleisten eine schnelle Anfangsentwicklung bis zum Erreichen der Photoautotrophie (Misra 1994, Dodeman et al. 1997). Der somatische Embryo aber ist ,,nackt" und seine Reservestoffe reichen fur eine Keimung in Erde nicht aus. Daher muss ihm der Start in die Autotrophie durch ein zuckerhaltigen Keimungsmedium erleichtert
Abb. 2-6 Reifung sornatischer Ernbryonen, Bsp. Europaische Larche. Ubersichtsaufnahrnen und korrespondierende Entwicklungsstadien der sornatischen Ernbryonen (untere Bildreihe) a, e: Die Reifung sornatischer Ernbryonen bei Nadelbaurnen gelingt nur in der Oberflachenkultur. Dazu werden in diesern Beispiel 100 rng Frischrnasse aus einer Suspension auf eine Filterpapierscheibe aufgetragen und auf das Reifungsrnediurn gelegt. b, f. Die sornatischen Ernbryonen proliferieren in der Anfangsphase, zeigen aber gleichzeitig Groi3enwachsturn
(nach ca. 1 Wo.). c, g: Nach 3 Wo. werden auf der Obertlache zahlreiche Ernbryonen erkennbar. d, i: Nach ca. 6 Wo. i s t die Ernbryonalentwicklung (,,Reifung") abgeschlossen. Die Ernbryonen befinden sich nun in einer erzwungenen Ruhe, solange sie auf diesern Nahrrnediurn in Dunkelheit verbleiben. h: Schnitt durch einen noch unreifen Embryo des Stadiums (g); Keirnblatter, Ernbryoachse, Spross- und Wurzelrneristern sind bereits angelegt.
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Abb. 2-7 Direkte somatische Embryogenese aus Einzelzellen (Protoplasten), Bsp. Europaische Larche. a: Schnitt durch einen proliferierenden sornatischen Embryo aus der Suspensionskultur, die zur Cewinnung der Protoplasten eingesetzt wurde. b Population frisch isolierter Protoplasten, bestehend aus kleinen Embryoprotoplasten (0ca. 20 prn) und grogen. stark vakuo[osierten Protoplasten aus Suspensorzellen (3080 Iirn). c: Protoplastenburtige Zelle nach zwei
Tagen Kultur. d: Erste Zellteilung nach 4 Tagen. e: Kornpakte Zellkolonie nach zwei Mochen Kultur. Die Kolonie stellt ein fruhes Ernbryonalstadium dar (vgl. Abb. 2-4). f: Spateres Entwicklungsstadium einer typischen proernbryonalen Kolonie kurz vor der Suspensorbildung. Sie hat sich i n zwei Ernbryo,,kopfe" gegliedert. g: Beginn der Suspensorbildung in einer proernbryonalen Kolonie.
2.4 Somatische Embryogenese als Schlussel zur Entwicklung biotechnologischer Vefahren
werden. Sind nach etwa 6-8 Wochen Keimblatter und -wurzel gut entwickelt konnen die Keimlinge in Erdkultur iiberfiihrt und gartnerisch weitergezogen werden. 2.4.4
Embryogene Zellkulturen - das ideale Zielgewebe fur einen Centransfer
Seit etwa 10 Jahren wird weltweit an der genetischen Transformation von Nadelbaumarten gearbeitet. Dabei stehen naturlich die forstlich wichtigen Arten im Vordergrund, deren Widerstandsfahigkeit gegen biotische und abiotische Schadfaktoren erhoht und die Qualitat des Holzes verbessert werden soll. Als besonders wichtig werden Insekten-und Pilzresistenz angesehen, aber auch Herbizidtoleranz spielt noch eine gewisse Rolle. Hinsichtlich der Holzqualitat steht die Verringerung des Ligningehaltes (des spezifischen ,,Holzstoffes") bei Holz fur die Papierindustrie an erster Stelle. Mit einem ligninarmen Holz konnte der AusstoB an toxischen Chemikalien, z. B. Sulfate, Sulfite, organische Schwefelverbindungen, deutlich verringert werden. Mitte des vergangenen Jahrzehnts gelang bei einer Reihe von Arten der Gattungen Kiefer, Fichte und Larche sowohl der direkte Gentransfer durch Partikelbeschuss als auch der stabilere, durch Agrobacteriurn turnefaciens vermittelten Transfer (siehe Kapitel 3). Wir nutzen die Geniibertragung in der Grundlagen- und Sicherheitsforschung, um die Kenntnisse zur Regulation der Embryonalentwicklung zu vertiefen und um die Wirkungsweise fremder Gene in Nadelbaumen besser zu verstehen, da das eine Voraussetzung ist, um eine etwaige Gefahrdung der Umwelt durch gentechnisch veranderte Baume bewerten zu konnen. Auf Grund ihrer Totipotenz sind embryonale Zellen ein ideales Ziel fur den Gentransfer, der, auf welche Weise auch immer, in Einzelzellen geschieht. Meist sind es zufallsbestimmt nur sehr wenige Zellen, die transformiert werden. Die wenigen transgenen Zellen mussen nun von der Vielzahl nichttransformierter Zellen getrennt und zu Pflanzen regeneriert werden. Das geschieht heute meist dadurch, dass neben dem eigentlich interessierenden Gen noch ein weiteres ubertragen wird, das Resistenz gegen ein toxisches Antibiotikum oder Herbizid vermittelt z. B. in unserem Fall das Gen hpt, welches das Enzym Hygromycin-Phosphotransferase codiert, die das Antibiotikum Hygromycin entgiften kann (siehe Beitrag von B. Schulz). Werden die Zellkulturen oder Gewebe einige Tage nach der Transformation fur langere Zeit auf einem Nahrmedium mit einer kritischen Konzentration des Antibiotikums kultiviert, so werden die nichttransformierten Zellen vergiftet und sterben ab. Die transgenen Zellen iiberleben. Genau genommen aber nur jene, in denen das Resistenzgen tatsachlich funktioniert und das Enzym gebildet wird. Die Abbildung 8 zeigt Beispiele aus einem solchen Versuchsansatz, in dem embryogene Kulturen der Larche mittels Agrobacteriurn turnefaciens transformiert wurden. Als Resistenzgen wurde hpt venvendet. Das eigentlich interessierende Gen war gus, das Gen fur das Enzym [%D-Glucuronidase. Gus ist ein sog. Reportergen, das selbst anzeigt, dass es exprimiert wird (Jefferson et al. 1987). Das geschieht dadurch, dass man die vermutlich transgenen Zellen, Gewebe oder Pflanzen mit der chemischen
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Abb. 2-8
Centransfer i n ernbryogene Zellkulturen der Europaischen Larche. a: Transforrnierte embryogene Zellkultur nach 4 Wo. Kultivierung auf einem Selektionsrnediurn rnit 5 rng/l des Antibiotikurns Hygrornycin. Die nichttransforrnierten Zellen sind abgestorben (braunlich). Aus verrnutlich nur einer
transgenen Zelle ist die neue genetisch veranderte ernbryogene Kultur entstanden (weiB). b,c: Reife, transgene Ernbryonen rnit dern Reportergen gus unter Kontrolle des 35 S-Prornotors. Die Cenexpression, erkennbar an der blauen Farbung, erfolgt gewebsspezifisch an der Basis der Ernbryonen.
Verbindung x-GlcUA (5-Bromo-4-chloro-3-indolyl-~-~-glucurons~ure) inkubiert. Die Substanz dringt in die Zellen ein, und wenn das Enzym GUS vorhanden ist, wird der Glucuronsaureanteil abgespalten. Der Rest des Molekuls wandelt sich iiber weitere Reaktionen in einen blauen lndigofarbstoff um, der wasserunloslich ist und am Ort der Reaktion verhleibt. Er farht schlieBlich die betroffene Zelle blau.
2.5 Perspektiven der Anwendung
Die sornatische Embryogenese ist bei vielen wichtigen Nadelbaumarten der einzige realistische Ansatz, u m praktikable und wirtschaftliche Klonierungsverfahren zu entwickeln. Zugleich bieten embryogene Kulturen die Moglichkeit des Gentransfers und auf Grund der Totipotenz der embryonalen Zellen auch eine hohe Wahrscheinlichkeit der Regeneration stabiler transgener Pflanzen. In einer Reihe von l n d e r n mit einer starken privaten Forst- und Holzindustrie, z. B. Kanada, USA und Neuseeland, werden diese Arbeiten zielstrebig und anwendungsorientiert vorangetrieben (Walter et al. 1998, Grossnickle 1999). Schon heute stehen Millionen von Pflanzen
2 5 Penpektiven der Anwendung
ausgewahlter Klone von Fichten- und Kiefernarten und der Douglasie in Feldversuchen. In den genannten l n d e r n ist die Klonierung von Embryonen bei Nadelbaumen an der Schwelle zur Kommerzialisierung. In der Bundesrepublik Deutschland wird dieser Entwicklung in der Forstwirtschaft z.Z. noch wenig Beachtung geschenkt. Aber auch auBerhalb des forstlichen Bereiches eroffnen sich interessante Anwendungsgebiete. Ein bemerkenswertes Beispiel sind Weihnachtsbaume. Allein in Deutschland werden jahrlich 23 Mio. Weihnachtsbaume vermarktet, wobei auf die begehrte Nordmannstanne fast 10 Mio. Exemplare entfallen. Gelange es, bei dieser Art Klonsorten zu entwickeln, lieBen sich eine Reihe von Problemen bei der Produktion dieses Baumes auf einfache Weise losen. Die Weihnachtsbaumproduzenten waren dann unabhangig von importiertem und in der Qualitat oft
Abb. 2-9 Keimung reifer somatischer Embryonen und Jungpflanzenentwicklung, Bsp. Europaische Larche, Klon 4/93. a: Somatischer Embryo nach 10 Tagen Kultur auf Keimungsmedium. b: 8 Wo. alte Keimpflanzen,
fertig entwickelt zur Uberfuhrung in Erde. c: Jungpflanze nach 4 Mo. Kultur im Cewachshaus. d Pflanzen am Ende der 2. Vegetationsperiode im Freiland. Der Stab (rechts) hat eine Lange von 50 cm.
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I heterogenem Saatgut. Zugleich wiirden die natiirlichen Bestande dieser Tanne im 2 Klonierung pflanzlicher Embryonen
Kaukasus geschont. Auf Grund definierter Anbaueigenschaften und ausgeglichener und guter Baumqualitat der Klone durfte sich auch die Erfolgsquote der Produzenten, die gegenwartig nur etwa bei 60 % liegt, erheblich steigern lassen. Nennenswerte okologische Probleme sind durch den Klonanbau nicht zu envarten, da die Umtriebszeiten der Plantagen bei nur 8-12 Jahren liegen, und zumeist ein intensives Management erfolgt. Klonsorten sind also mehrfach interessant: wirtschaftlich fur den Produzenten, in der Qualitat fur den Kaufer und auch in okologischer Hinsicht, zumindest fur die Nordmannstanne in ihrem natiirlichen Herkunftsgebiet. Trotz groBer methodischer Fortschritte ist der Weg zu Klonsorten langwierig. Einer der Griinde liegt darin, dass es bisher noch nicht gelingt, an alteren Baumen, die hinsichtlich ihrer Qualitats-, Leistungs- und Resistenzeigenschaften charakterisiert und bewahrt sind, somatische Embryogenese auszulosen. Urn solche Elitebaume einmal klonieren zu konnen, muss noch ein langer Weg beschritten werden (Abb. 2-10). Als Ausgangsmaterial konnen nur Embryonen aus Samen genutzt werden. Sexuelle Nachkommen sind aber bekanntlich sehr heterogen. Das gilt in besonderem MaBe fur Waldbaume, die zuchterisch meist wenig bearbeitet wurden. Das Ausgangsmaterial gibt also noch wenig Auskunft uber die wunschenswerten Eigenschaften. Man muss also zwangslaufig eine groRe Anzahl embryogener Klone anlegen, in der Hoffnung, dass ein Teil davon spater die Erwartungen erfullt. Von all diesen Klonen wird eine Probe in einer Genbank deponiert, d. h. in fliissigem Stickstoff konserviert, um fur Jahre oder Jahrzehnte genetisch unveranderte und
Abb. 2-10 Schema z u r klonalen Vermehrung von Nadelbaum arten durch somatische Embryogenese.
2.6 Literatur I 2 9
vermehrungsfahige embryogene Kulturen zu erhalten. Dann werden von allen Klonen Pflanzen erzeugt und Feldversuche angelegt, die z. B. bei Weihnachtsbaumen nach 5-10 Jahren bewertet werden konnen. Bei Forstbaumen kann der Versuchszeitraum auch Jahrzehnte betragen. Erst dann kann die Entscheidung getroffen werden, ob und welche der Klone fur einen bestimmten Verwendungszweck produziert werden sollen. Die vermehrungsfahigen embryogenen Kulturen stiinden dafiir iiber die Genbank jederzeit zur Verfugung.
2.6 Literatur
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I 3 Aus der Werkstatt des Molekulargenetikers:
Funktionelle Cenomuntersuchungen in Pflanzen Burkhard Schulz
3.1
Kleines &lauer"bliimchen ganz grog!
Am 14. Dezember 2000 machte ein unscheinbares ,,Unkraut" namens Arabidopsis thaliana Furore. Unter dem deutschen Namen Ackerschmalwand bekannt und unscheinbar am Wegesrand zu finden, war dieses Pflanzchen auf einmal ,,in aller Munde" (Abb. 1).Nach Bakterien, Backerhefe, Fadenwurm und Fruchtfliege wurde die komplette Basensequenz des Genoms dieser Pflanze prasentiert. Zeitgleiche internationale Pressekonferenzen in Washington, London und Brussel sowie ein Sonderheft der renommierten Fachzeitschrift Nature sorgten dafur, dass das Interesse der Weltoffentlichkeit auf dieses ,,Mauerbliimchen" gerichtet wurde. Die Aufregung gipfelte in der Schlagzeile ,,Besiegt dieses Kraut den Hunger in der Welt?" der auflagenstarksten Tageszeitung Deutschlands. Warum all diese Aufregung uber ein wissenschaftliches Resultat mit einer Pflanzenart, die gewiss nie auch nur in die Nahe des Ranges einer Nutzpflanze kommen wird, dafur ware der Geschmack der Arabidopsis-Blatter schon abschreckend genug. Aber diese Rapsverwandte ist mittlerweile fur Pflanzenforscher aller Couleur das ergiebigste Untersuchungsobjekt geworden. Nicht nur ermoglichen es die geringe Groge der Pflanze und ihr kurzer Lebenszyklus jedes Jahr mehrere Generationen dieser Pflanze im Gewachshaus oder auf kunstlichen Nahrmedien in der Petrischale anzuziehen, auch die einfache genetische Ausstattung, (das Arabidopsis-Genom gilt als das kleinste Genom aller Hoheren Pflanzen) macht Untersuchungen zur molekularen Genetik hier einfacher als in allen anderen Arten. Die Produktion einer riesigen Zahl an Samen nach Selbstbefruchtung erlaubt es augerdem auch grog angelegte genetische Experimente durchzufuhren. Hinzu kommt, dass es sich bei Arabidopsis wissenschaftlich um eine alte Bekannte in der Deutschen Pflanzenforschung handelt. Bereits im Jahre 1873 wurde von Alexander Braun eine Bliitenmutation von Arabidopsis beschrieben, deren molekulare Grundlage nun uber hundert Jahre spater (1990) geklart werden konnte. Es handelte sich dabei um das AGAMOUS-Gen, eines der ersten isolierten homeotischen Bliitengene, welche die koordinierte Bildung der Blutenorgane - eines der hervorstechendsten spezifischen Merkmale von Bliitenpflanzen - erklaren halfen. Von Berlin nach Bonn: Hier hatte Friedrich Laibach im fnstitut von Strasburger im Jahr 1907 Untersuchungen uber Pflanzenchromoso-
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3 Aus der Werkstatt des Molekulargenetikers
men durchgefuhrt und die Zahl der Chromosomen in Arabidopsis korrekt bestimmt. Schon die damaligen Resultate zeigten, dass das Genom von Arabidopsis nicht sehr grog sein konnte, da die Groge der einzelnen Chromosomen als zu klein fur weitere sinnvolle zytogenetische Arbeiten erachtet wurde. Laibach jedoch blieb der Ackerschmalwand treu. Nicht nur hat er die klassischen genetischen Methoden wie Kreuzungen, Nachkommenanalyse und Mutagenese entwickelt und beschrieben, sondern Arabidopsis auch als genetischen Modellorganismus ,,als eine botanische Drosophila" - in Anlehnung an die bahnbrechenden genetischen Forschungen mit der Fruchtfliege - propagiert. Als 1947 Erna Reinholz, eine Schulerin von Laibach, in ihrer Dissertation die Induktion von Mutationen durch Rontgenstrahlbehandlung von Arabidopsis beschrieb, war klar, dass die wichtigsten Werkzeuge fur die Bearbeitung eines genetischen Modellsystems vorhanden waren. Auch hatte Laibach bereits seit den dreigiger Jahren eine umfangreiche Kollektion von Arabidopsispflanzen mit veranderter Wachstumsauspragung gesammelt. Diese naturlichen Mutanten zeigten ein groges Spektrum verschiedenster Phanotypen, die von Veran-
Abb. 3-1 Ackerschmalwand (Arabidopsisthaliana) des dkotyps Columbia zum Zeitpunkt der Blute. Die ausgewachsene Pflanze erreicht eine Hohe von ca. 30 crn.
3.2 Der Werkzeugkasten
derungen der Farbe der Blatter und Bluten bis hin zu Formveranderungen nahezu aller Organe der Pflanze reichten. Laibach’s Sammlung genetisch veranderter Isolate der Modellpflanze Arabidopsis wurde in den folgenden Jahrzehnten systematisch von Albert Kranz an der Universitat Frankfurt fortgefuhrt und ausgeweitet, wobei unter seiner Leitung besonders Isolate von Arabidopsis von ganz verschiedenen Standorten aus der ganzen Welt hinzu kamen. Diese bilden den Grundstock der heute noch sehr vie1 genutzten Sammlung von Okotypen oder Landrassen dieser Pflanze. Obwohl die Vorteile von Arubidopsis als Forschungsobjekt offensichtlich waren, war die Forschergemeinde, die sich mehr oder weniger exklusiv mit dieser Pflanze befassten, bis in die 80er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts noch relativ klein. Bereits 1964 wurde unter der Federfuhrung von Georg Robbelen der Arubidopsis Information Service - ein Publikationsorgan, das sich nur mit Arabidopsis befasst - gegriindet und nur ein Jahr spater der erste Ambidopsis-Fachkongressin Gottingen abgehalten. Mittlenveile hat sich die Teilnehmerzahl der nun jahrlichen Arabidopsis-Kongesse von ca. 30 im Jahr 1965 auf nahezu 1000 vergrogert, was die hohe Akzeptanz von Arabidopsis als Forschungsobjekt aufzeigt. Doch erst in den 80er Jahren traten Pflanzenwissenschaftler aller Disziplinen auf den Plan, die Arabidopsis als Modellsystem adoptierten und somit zum grogen Durchbruch verhalfen. Eingeleitet wurde diese Entwicklung unter anderem von George Redei, der in einem vielbeachteten Ubersichtsartikel im Fachorgan Annual Reviews of Genetics die Vorzuge von Arabidopsis als genetischem Modellsystem zusammenfasste. Ohne Zweifel waren auch Chris Somerville, der die genetische und molekulare Analyse von Photosynthesemutanten (1982) studierte und Elliot Meyerowitz, der eine erste eingehende Analyse des Genoms von Arabidopsis prasentierte (1984) von den Vorteilen von Arabidopsis als Model1 fur die hoheren Pflanzen fasziniert. Durch diese Arbeiten war uber hundert Jahre nach der Beschreibung der ersten Arabidopsismutante durch Alexander Braun die Ebene der Erforschung der DNA und damit der primaren genetischen Information dieser Pflanze erreicht.
3.2
Der Werkzeugkasten
Die moderne Pflanzenforschung hat ein Stadium erreicht, in dem die Isolierung von Genen immer mehr zur Routine wird. Genstiicke und DNA-Sequenzen konnen aus Pflanzen mit einer ganzen Reihe verschiedenster Methoden isoliert werden. Beispielsweise lassen sich Gensequenzen durch Hybridisierungen mit entsprechenden Nukleinsauresonden aus anderen Organismen (sog. heterologen Sonden), oder mit entsprechend der Aminosauresequenz isolierter Proteine hergestellten DNASonden isolieren, ebenso wie durch Interaktionsklonierung (Isolierung von Genen aus einer Genbibliothek uber den Proteininteraktionstest in Hefe, dem sog. Hefe 2Hybridsystem), Subtraktionsklonierung (Genisolierung durch Komplettvergleich der Genome einer Deletionsmutante des entsprechenden Wildtyps mit Hilfe der DNA-DNA-Hybridisierung. Hierbei kommt es zur Anreicherung von Sequenzen des deletierten Allels der Mutante) oder schlieglich durch die funktionelle Expres-
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sion in und Komplernentation von entsprechenden Mangelmutanten von Bakterien, Hefen und tierischen Zellen. In diesem experimentellen Ansatz wird die funktionelle Verwandtschaft von exprimierten Proteinen in heterologen Wirten (d. h. Fremdorganismen) ausgenutzt. Ansatze zur ungerichteten Isolierung von pflanzlichen Gensequenzen fuhrten zu Genomprojekten in verschiedenen anderen Pflanzenarten. Aus diesen Projekten wurden uber ungerichtete Sequenzierung von sog. ESTs (Exprimierten Sequenz Tags) und systematische Genomsequenzierung eine sehr groBe Zahl von Gensequenzen identifiziert. Ein drangendes Problem bleibt jedoch: welche Funktion haben all diese Gensequenzen und wie lassen sich diese Funktionen nachweisen? Bisher wurde die Funktion von Genen indirekt untersucht. Zunachst wurde eine erste Annahme iiber die Funktion cines Gens durch den Vergleich der Gensequenz des betreffenden Gens mit anderen bekannten Gensequenzen aus den Datenbanken fur Gensequenzen unterschiedlichster Organismen gemacht. In einem nachsten Schritt wurde die Expression des Gens und die Lokalisierung des Genprodukts sowohl in den einzelnen Organen der Pflanze als auch auf zellularer Ebene untersucht. Hierzu kann die Hybridisierung markierter spezifischer Gensonden mit auf Filtern immobilisierter RNA der so genannte Northernblot - oder ein PCR-gestiitzter Nachweis der genspezifischen messenger RNA in der RT-PCR (,,Reverse Transkriptions-PCR") venvendet werden. Der Nachweis auf Organ- und Zellebene wird iiber in situ Hybridisierungsnachweise mit RNA-Sonden oder spezifischen Antikorpern - im Falle des Genprodukts - erbracht. Des weiteren kann die Beobachtung von phanotypischen Effekten bei der Uberexpression oder der Hemmung der Genexpression in transgenen Pflanzen Hinweise auf die Funktion eines Gens geben. Ein sehr aussagekraftiges Werkzeug ist die Analyse von mutanten Phanotypen. Findet man nach einem Mutationsexperiment eine Gendefektmutante (,,lossof function"), so erleichtert dies die Suche nach der Funktion eines spezifischen Gens in der intakten Pflanze erheblich. Zahlreiche Experimente haben jedoch gezeigt, dass gerade bei Pflanzen das Ausschalten eines Gens oft keine erkennbare Wirkung hat, da der pflanzliche Metabolismus ein bestimmtes Ziel in der Regel auf mehreren Wegen erreichen kann. Durch Untersuchungen von Mehrfachmutanten in der genetischen Analyse kann abcr dieses Problem der funktionellen Redundanz von Stoffwechselwegen oder von multiplen Elementen in Stoffwechselwegen angegangen werden. Die Verwendung von Mehrfachmutanten bietet sich auch beim Vorliegen groBerer Genfamilien an, oder wenn verschiedene Gene bzw. Genprodukte miteinander wechselwirken. Und schlieBlich erlaubt die Expression von heterologen Genen oder Reportergenen in der transformierten Pflanze Ruckschlusse auf die Wichtigkeit des untersuchten Gens z. B. beim Studium bestimmter Entwicklungsschritte. Daher ist eine wichtige Grundvoraussetzung der Funktionsanalyse von Genen, diese gezielt abschalten zu konnen, was zum Phanotyp einer Defektmutante fuhren sollte. Es gibt drei hauptsachlich begangene Wege, um die Funktion eines Gens in der Pflanze zu (zer)stijren: ~
auf der DNA-Ebene lassen sich Genrnutationen entweder durch Gen-Replacement oder Gen-Zerstorung erzeugen. 2. auf der RNA-Ebene durch die Expression von Antisense-RNA oder dsRNAi. 1.
3.3 Antisense und Co-Supression
3.
Auf der Genprodukt (Protein)-Ebene durch die in planta-Expression von Antikorpern, die gegen das Genprodukt gerichtet sind.
Bisher ist fur Hohere Pflanzen trotz groner Anstrengungen im Gegensatz zu anderen Modellorganismen wie Bakterien, Hefe und Maus kein System fur eine effektive homologe Rekombination (Austausch von weitgehend sequenzidentischen DNA-Bereichen zwischen chromosomaler DNA und transgenen Vektorkonstrukten) erarbeitet worden. Ein solches Austauschsystem ware aber fur gezielte Gen-Replacement-Experimente notig. Auch hat sich die Inaktivierung von Genprodukten durch Expression von spezifischen Antikorpern (sog. Phytoantikorpern) in der Pflanze bisher nicht in grogem Magstab durchsetzen konnen. Daher sol1 hier in der Hauptsache auf die Erzeugung von Mutanten, die zum Funktionsverlust eines Gens fuhren, uber die Methoden der Insertionsmutagenese und Reversen Genetik, sowie der Unterdriickung von Genexpression durch Antisense, eingegangen werden.
3.3
Antisense und Co-Supression
Transkriptionelle und post-transkriptionelle Unterdriickung (Silencing) der Aktivitat von Pflanzengenen wird oft beobachtet, wenn versucht wird, ein homologes Transgen (sequenzidentisch mit dem endogenen Gen) in der richtigen Leserichtung, der sense-Orientierung, zu exprimieren. Diese Uberexpression kann zur Co-Suppression d. h. zum Ausschaltung des Gens fuhren. Die Expression eines homologen Transgens entgegen seiner Leserichtung (antisense) fuhrt zu einem Transkript, das dem des endogenen Gens komplementar ist, und damit auch zur Ausschaltung der Genfunktion. Beide Strategien konnen also zum gleichen Ergebnis fuhren: einem mutierten Phanotyp, der spezifisch fur das untersuchte Gen ist. Diese Technologie ist seit langem in Bakterien, niederen Eukaryonten und Tieren erforscht worden. Erst 1990 wurde das erste Pflanzengen sowohl durch Co-Suppression in Leserichtung (sense) als auch durch Expression in Antisense-Richtung ausgeschaltet und dadurch ein mutierter Phanotyp erzeugt. Eingehendere Untersuchungen zeigten, dass die Unterdriickung der Genaktivitat eine gewisse Sequenzidentitat zwischen dem Transgen und dem endogenen Gen voraussetzt. Erklarungsrnodelle fur die transkriptionelle Inaktivierung und das post-transkriptionale Gen-Silencing wurden aufgestellt. Da in vielen Fallen ein Anstieg der DNA-Methylierung mit dern Silencing-Effekt einherging, wurde Neumethylierung von Genbereichen nach Paarung homologer DNA oder RNA-DNA-Bereichen vermutet. Post-transkriptionales Silencing geht aber auch oft mit dem Auftreten kleiner, 21-23 Nukleotide-langer, doppelstrangiger RNA-Molekule einher. Diese Molekule dienen als Hinweis auf sequenzspezifische Nukleasen (RNA abbauende Enzyme), die zur Zerstorung der exprimierten messenger RNAs der betreffenden Gene fuhren. Die hohe EfEzienz dieser beiden Mechanismen fur die Unterdriickung der Genexpression in Pflanzen lasst sich vielleicht auch daraus erklaren, dass die Forscher hier der Natur abgeschaut haben, wie es gemacht wird. Die Regulation der Produktion und Stabilitat von
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mRNA durch Antisensemolekule ist fur viele Organismen beschrieben und auch in Pflanzen konnten in einigen Fallen solche eigenen genspezifischen RNA-Antisensemolekule nachgewiesen werden. Die lnduktion des Abbaus von rnRNA durch Interferenz mit kleinen doppelstrangigen RNAs (sog. dsRNAi) scheint eine der wichtigsten Strategien der Pflanzen zur Abwehr von Viren zu sein. Man konnte hier auch von einem pflanzlichen Immunsystem sprechen. Durch die Konstruktion von Expressionsvektoren, die Teile von Pflanzengenen so exprimieren, dass von vorneherein doppelstrangige mRNA-Molekule entstehen (dsRNA) konnte die Genexpression von Genen gezielt und mit hoher Effizienz unterdriickt werden. Die Herstellung von transgenen Pflanzen, die Antisense-RNAs exprimieren, um auf diese Weise mutierte Phanotypen zu erzeugen, ist zur Zeit irnmer noch der erfolgreichste Weg, um an Mutanten zu kommen. Pflanzen, die Antisense-RNAs exprimieren, werden dabei nicht nur in der Grundlagenforschung eingesetzt, sondern haben bereits ihren Weg zur Verbesserung von Nutzpflanzen gefunden und fuhrten zu marktfahigen Produkten. Das bekannteste Beispiel sind wohl die ,,Flavr Savr" Tomaten, die bereits 1994 unter dem Markennamen McGregor-Tomate als Frischware oder in Form von Puree Beriihmtheit erlangt haben. Diese ,,Antimatsch"Tomate enthalt reduzierte Mengen an Polygalacturonidase - ein Zellwand aufweichendes Enzym - durch die Antisense-Repression des entsprechenden Gens. Das entscheidende Merkmal ist ein verlangsamtes Weichwerden der reifenden Tomatenfrucht, die dadurch langer an der Staude bleiben und so mehr Aroma akkumulieren kann. Bis zum heutigen Tage hat die offentlich geauRerte Besorgnis uber die Verwendung von genetisch veranderten Organismen (GVO) dazu gefuhrt, dass sich diese bzw. ihre Produkte am Markt noch nicht durchgesetzt haben.
3.4 lnsertionsrnutageneseund Reverse Cenetik
Eine vollig andere Strategie, funktionsdefekte Mutanten zu erzeugen ist die Insertionsrnutagenese. Durch den Einbau eines DNA-Fragments wird die Gensequenz an der lntegrationsstelle unterbrochen, und der Ausfall der Genfunktion ist das Resultat. Die am weitesten verbreiteten Insertionselemente sind mobile genetische Elemente (sog. Transposons, springende Gene) und die T-DNA des Ti-Plasmids (Tumor-induzierenden Plasmids) des Wurzelhalsgallen-Erregers Agrobacterium tumefaciens. In einem Genmarkierungs-Experiment (dem sog. Gen-tagging) kann nach der Isolierung der phanotypisch veranderten Mutante die betroffene Gensequenz aufgespiirt und isoliert werden, da das Insertionselernent mit seiner bekannten DNA-Sequenz als molekularer Marker der Insertionsstelle dient. Die DNA-Sequenzen, die diesen rnolekularen Marker auf beiden Seiten (,,upstream" und ,,downstream") umgeben, mussen dann zum zerstorten Gen gehoren. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass keine vorherigen Kenntnisse uber den rnolekularen AuftJau des zu zerstorenden Gens benotigt werden. Mittlenveile sind Methoden entwickelt worden, lnsertionsstellen von Transposons und T-DNAs im Genom von transgenen Pflanzen systernatisch uber Sequenzierung zu identifizieren und
3.4 lnsertionsmutageneseund Reverse Cenetik
dadurch die DNA-Sequenz der zerstorten Gene zu identifizieren, ohne vorher Kenntnisse uber einen eventuellen Phanotyp haben zu mussen. Da fur Arabidopsis bereits mehrere 100000 solcher Insertionslinien erhaltlich sind, ist abzusehen, wann etwa fur jedes identifizierte Gen eine Insertionsmutante fur die genetische und physiologische Analyse zur Verfugung stehen wird. Die gro&e Hurde stellt dabei weniger die Verfahrenstechnik, sondern die gro&e Zahl von ca. 25 000 Genen im Arabidopsis-Genom dar. Da die eingehende Analyse eines einzelnen Gens mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann, ist nicht zu befurchten, dass selbst nach der Isolierung von Mutanten fur alle Arabidopsis-Gene den Wissenschaftlern die Forschungsziele bzw. -0bjekte ausgehen werden. Doch nicht nur durch die ungerichtete systematische Identifizierung durch Sequenzierung lassen sich Insertionsmutanten finden. Die Insertionsmutation lasst sich in modifizierter Form auch gezielt venvenden. Dieser Ansatz wird als ,,Reverse Genetik" bezeichnet, da hierbei ausgehend von der bekannten Sequenz eines bestimmten Gens - beispielsweise aus einem Genomprojekt - mit Hilfe der PCR (Polymerase Kettenreaktion, Polymerase Chain Reaction) Insertionsstellen identifiziert werden konnen (Abb. 3-2). Fur die PCR werden hierbei Kombinationen von PCR-Primern (kurzen DNA-Stiicken rnit bekannter Basen-Sequenz, die als Startpunkte der DNA-Polymerase dienen) venvendet, die spezifisch fur das interesReverse Genetik in fflanzen
Abb. 3-2 Reverse Genetik in Pflanzen: Dargestellt i s t das Schema der lnsertionsmutagenese mittels T-DNA von Agrobacten'um tumefaciens und PCR-gestutzte Reverse Cenetik zum Nachweis und lsolierung von Mutationen in Cenen. Ein Pflanzengen von lnteresse (rot) wird durch eine inserierende T-DNA (blau) wahrend der Transformation getroffen und unterbrochen, was zum Ausschalten des Gens ftuhrt. Durch PCR
mit Kombinationen von Gen-spezifischen PCR-Primern S (in sense-Orientierung) bzw. A (in antisense-Orientierung) mit PCR-Primern fur die randlichen Begrenzungssequenzen (Bordersequenzen) der T-DNA - [LB (linke Border) und RB (rechte Border)] kommt es zu einer Bildung von nachweisbarem PCR-Produkt. Dieses Produkt tritt jedoch nur im Fall der Insertion der T-DNA im gesuchten Cen auf.
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sierende Gen und das venvendete Insertionselement sind. Als Matrize fur die PCR dient genomische DNA, die aus Kollektionen vieler tausender Insertionslinicn isoliert wurde. Sollte sich unter all diesen Linien eine Pflanze befunden haben, bci der das gesuchte Gen mit einem Insertionselement zerstort wurde, zeigt sich dies bei der PCR. Durch mehrdimensionale Anordnung der DNA der venvendeten Linien lasst sich nun die gesuchte Pflanze identifizieren (Abb. 3-3) und nach Aussaat der vorher abgeernteten Samen die gesuchte Mutante zur weiteren Analyse aufziehen. Dieser gerichtete, aber aufwendige Ansatz wird fur das Aufspuren von Mutationen in besonders interessanten Genen venvendet, die vielversprechende und wichtige Eigenschaften vermitteln sollten. So lassen sich Mutanten fur relevante Signaliibermittlungswege, Resistenzen gegen Pathogene, Umweltchemikalien oder Salzbelastung isolieren. Von der Analyse dieser Mutanten lassen sich haufig auch Ruckschlusse auf die Funktionalitat der entsprechenden Gene in Nutzpflanzen ziehen. Es hat sich namlich gezeigt hat, dass nicht nur eine uberraschend hohe Ubereinstimmung in der Genabfolge bei den verschiedenen Pflanzen zu finden ist, sondern auch die Funktion vergleichbarer Gensequenzen in verschiedenen Pflanzenarten
Schernatische Darstellung eines PCR-Screens auf DNAs in rnehrdirnensionaler Anordnung I
Abb. 3-3 PCR-Screen (PCR-Suche) auf 9600 DNAs in mehrdimensionaler Anordnung. Dargestellt ist das Schema eines PCR-Screens der Reversen Cenetik auf DNAs groger Zahlen von Insertionslinien. Die DNAs sind im Mikrotiterplattenformat (96-Probengefage) angeordnet, wobei jede der abgebildeten Arabidopsispflanzen einen Pool von 100 unabhangigen Insertionslinien darstellt. Die DNAs werden in Reihen und Spalten zusammengefasst. Jededer Reihen und
Spalten werden m i t PCR getestet Hierdurch reduziert sich die Zahl der durchzufuhrenden PCRs von 96 auf insgesamt 20 (12 Reihen und 8 Spalten) Im vorliegenden Fall 1st eine Insertionsmutante in der Reihe N o 3 und der Spalte E nachgewiesen Durch weiteres Austesten entsprechender Subpools lasst sich die Insertionsmutante im Endeffekt einer T DNA Linie zuordnen
3.5 Ausblick I 3 9
ubereinstimmt. So lassen sich die Struktur und Funktionsbeziehungen von Gensequenzen der Modellpflanze Arabidopsis meist auch auf Nutzpflanzen ubertragen.
3.5
Ausblick
Die Pflanzenmolekularbiologie schreitet mit einer ganz anderen Geschwindigkeit voran, als noch vor ein paar Jahren. Das Klonieren von Pflanzengenen uber ihre Ahnlichkeit (Homologie) mit heterologen Hybridisierungssonden, von isolierter mRNA oder Proteinen abgeleiteten Gensequenzen, die funktionale Expression in anderen Organismen oder die Deletionsklonierung uber subtraktive Hybridisierung gehoren mittlenveile zu den Routinemethoden der Labors in der ganzen Welt. Berge an molekularen Daten wurden in den international koordinierten Sequenzierprojekten fur Arabidopsis, Reis, Mais und Gerste erarbeitet - um nur die wichtigsten zu nennen. Zur Zeit gibt es allein fur Arabidopsis uber lGO000 EST-Eintrage in der Datenbank, wodurch klar wird, dass mit jeder Megabase (1 Mio. Basenpaare) Sequenzinformation, die offentlich zuganglich wird, die Frage nach den Genfunktionen drangender wird. Es reicht einfach nicht mehr aus, Gensequenzen nur auf der primaren DNA-Ebene zu analysieren ohne die Funktion der genomischen Information anzusprechen, die von dem entsprechenden Gen codiert wird. Die gezielte Mutagenese von Pflanzengenen wird mehr und mehr Anwendung sowohl in der Grundlagenforschung, als auch in der angewandten Forschung von Pflanzen finden. Sequenzierungprojekte mit hoher Durchsatzgeschwindigkeit werden genomweite Informationen fur viele Pflanzen liefern und globale Genexpressionsstudien uber DNA- oder auch Proteinchips konnen komplette Bilder der Genaktivitat aller Gene einer Pflanze unter verschiedenen Umweltbedingungen zeigen, wobei sich die Kandidatengene herausschalen werden, die zur Beantwortung spezifischer Fragen dienen konnen. Das Prinzip der beispielsweise durch bestimmte Umweltbedingungen ausgelosten Genexpression lasst sich natiirlich auch auf die Mutanten ubertragen, d. h. dass bestimmte Mutationen nur unter bestimmten (Umwe1t)Bedingungen zum Tragen kommen und dadurch im Phanotyp erkennbar werden. Solche Fragen konnen mit dem koordinierten Einsatz aller zur Verfugung stehenden Techniken dann wirklich beantwortet werden. Durch das systematische Austesten aller Gene unter verschiedensten Bedingungen und durch gezielte Isolierung von Mutanten werden wohl auch neue Beziehungen von Genen untereinander offenbar werden, und neue Richtungen und Ansatze zur Beantwortung klassischer Probleme der Pflanzenforschung konnen sich ergeben. Biochemische, morphologische und physiologische Informationen, die von diesen Mutanten gewonnen werden, konnen dann wiederum mit dem Ziel, Wachstum und Entwicklung von Pflanzen zu verstehen, in einen groseren funktionellen Kontext gebracht werden. Der zwangslaufig nachste Schritt ist dann die Ubertragung der gewonnen Informationen auf und in die okonomisch relevanten Nutzpflanzen. Dieses Szenario fur das Gebiet der Funktionsanalyse von Genen zeigt, dass die hier breiter geschilderte Technologie des Ausschaltens (,,Ausknocken") von Pflanzengenen nur ein Teil im Werkzeugkasten
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I fur
3 Aus der Werkstatt des Molekulargenetikers
eine weltweit anzuwendende, effektive Auflclarung von genomischen Funktionen ist.
3.6 Weiterfuhrende Literatur
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Mit gesunden Pflanzen die Basis fur die Zukunfi schaffen H.-W. Dehne, F. Klingauf;
R. Petzold, H. Stiibler, F.
Thiiwachter, V. Zinkernagel
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Krankheiten und Schadlingen hat das Ziel, die jeweiligen Schaderreger zu erkennen, sie zu untersuchen, ihr Auftreten zu verhindern bnv. sie zu bekampfen und den befallenen Organismus zu heilen - dies bezeichnen wir als Medizin. Folgt man der traditionellen Einteilung der hoheren Organismen in Mensch, Tier und Pflanze, so ergeben sich hieraus auch die Begriffe ,,Humanmedizin", ,,Veterinarmedizin"und ,,Phytomedizin". Die Bezeichnung ,,Phytomedizin" steht daher fur die Wissenschaft von den kranken und beschadigten Pflanzen und der Fertigkeit,diese zu heilen und gesund zu erhalten. Phytomedizin und Pflanzenschutz sind heute wesentliche Disziplinen der modernen Agranvissenschaften - sie haben in der Pflanzenproduktion eine elementar integrierende Funktion. So nutzt die Phytomedizin nicht nur das vielfaltige Instrumentarium zur Verhinderung des Auftretens von Schaderregern, sondern bezieht dariiber hinaus auch allgemeine pflanzenbauliche MaBnahmen in die Erhaltung der Pflanzengesundheit ein - von der Anbautechnik iiber die Pflanzenzuchtung bis hin zur Nahrstoffversorgung. Die Phytomedizin ist eine vielseitige, stark anwendungsorientierte Wissenschaft, denn der moderne Pflanzenschutz beinhaltet auch Diagnostik, Prognose, Populationsiibenvachung, Resistenzpriifung und -iibenvachung, Applikationstechnik, Gewasserschutz, Ruckstandsverhalten u. a.m. Die Integration innovativer Disziplinen und Arbeitstechniken, vor allem aus den Lebenswissenschaften hat ihr einen enormen Aufschwung gebracht. Im besonderen MaRe trifft dies fur die Molekularbiologie zu, die vor allem in der Diagnostik von Schaderregern neue Moglichkeiten eroffnet hat und dadurch zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ziel aller phytomedizinischen MaBnahmen ist die Kultivierung gesunder Pflanzen, um vor allem aus diesen wiederum hochwertige Lebensmittel gewinnen zu konnen. Kein agranvissenschaftlicher Bereich ist durch gesetzliche Regelungen so intensiv erfasst wie der Pflanzenschutz. Das erste deutsche Gesetz zum Schutz der PflanZen wurde bereits im Jahr 1937 erlassen, seine aktuelle Novellierung im Jahr 1998 tragt vor allem der Internationalisierung Rechnung. Phytomediziner finden ihre Aufgaben daher in den verschiedensten Institutionen, den Hochschulen, in Forschungseinrichtungen des Bundes und der Lander, in der staatlichen und privaten Fachberatung, vor allem in der Pflanzenschutzindustrie. Die Tatigkeitsfelder reichen von der Forschung bis zur Umsetzung der
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I Forschungsergebnisse in die Praxis durch Information und Beratung, genauso aber 4 Mit gesunden Pflanzen die Basis f u r die Zukunft schafen
auch von der Zulassung von Pflanzenschutzwirkstoffen bis zur fachlichen Aufsicht iiber die Einhaltung von gesetzlichen Auflagen und Regelungen. Im Gegensatz zur Human- und Veterinarmedizin gibt es fur die Phytomedizin keine einheitliche, gesetzlich geregelte Ausbildung und Verpflichtung auf das Gemeinwohl. Die Ausbildung der Phytomediziner obliegt iibenviegend den agrarwissenschaftlichen Fakultaten im Rahmen von Diplom- und Master-Studiengangen, meist verbunden mit Prornotionsmoglichkeiten. Insbesondere in der Agrarforschung sind nicht nur Landwirte und Gartenbauer mit akademischer Ausbildung tatig, sondern auch Biologen, Cherniker und Angehorige einer Vielzahl weiterer Berufssparten. Ein Grundwissen in den Pflanzenbauwissenschaften ist daher eine wesentliche Voraussetzung. Fachiibergreifend befassen sich viele Disziplinen - vom Pflanzenbau uber die Agrikulturchemie und Bodenkunde bis hin zur Okonomie - verstarkt mit phytomedizinischen Fragestellungen. Der Phytomedizin kommt in der Pflanzenproduktion eine integrierende Funktion zu - es gilt, durch vielfaltige Kooperationen alle verfiigbaren Moglichkeiten zur Gesunderhaltung von Pflanzen zusarnmenzufiihren. Aufkommende Gefahrdungspotentiale miissen rechtzeitig erkannt und entsprechende GegenrnaBnahmen erarbeitet werden, um schlief3lich mogliche Losungen in die Praxis zu iibertragen. Nutzung neuer Technologien: Noch immer komrnt der Taxonomie und Systematik von Schadorganismen in der Phytomedizin grof3e Bedeutung zu. Dies ist auch bei der Nutzung molekularbiologischer Methoden zur Identifizierung von Schaderregern nicht anders geworden, denn die Molekularbiologie hat die klassischen Methoden zwar erganzt, aber nicht entwertet (Abb. 4-1).
Abb. 4-1 Konidientrager des Echten Mehltaus auf Curkenblattern - direkte Darstellung rnittels ESEM-Technik (Environmental Scanning Electron Microscopy; Sphaerotheca fuliginea an Cucurnis sativus; U. Steiner, A. Ulbrich, lnstitut fur Pflanzenkrankheiten, Universitat Bonn)
4 Mit gesunden Pfranzen die Basisfur die Zukunfi schafen
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Abb. 4-2 Topographische Darstellung einer lnfektionsstelle des Erregers der Kraut- und Braunfaule i n einern Tornatenblatt - Darstellung der Erregerentwicklung in Epidermis und Mesophyll mittels Laser-Technik (Confocal
Laser-Scanning Microscopy; Phytophthora infestans an Lycopersicum esculentum; R. Stierl,
U. Steiner, lnstitut fur Pflanzenkrankheiten, Universitat Bonn)
Mittlenveile bieten sie aber ein standig wachsendes, methodisches Instrumentarium nicht nur fur die phytomedizinische Diagnostik, sondern auch fur die wirkorientierte Forschung (Abb. 4-2) und insbesondere fur das Gebiet der Resistenzzuchtung. Uber die durch Gentechnik eroffneten Moglichkeiten darf nicht vergessen werden, dass Anwendung und praktische Nutzbarkeit im Fokus der phytomedizinischen Arbeit stehen mussen. Daher sollte phytomedizinische Forschung nicht nur von modernen Methoden abhangig sein oder gemacht werden. Relevante Fragestellungen ergeben sich auch aus Anderungen von Anbausystemen, okonomischen Voraussetzungen oder Veranderungen des verfugbaren Instrumentariums. Weiterentwicklung von Nachweisverfahren: Die Analytik enviinschter, aber auch unenviinschter Inhaltsstoffe von Pflanzen und Lebensmitteln hat sich in den letzten Jahrzehnten neue Dimensionen erschlossen. Heute konnen Stoffe in Pflanzen und Lebensmitteln in kleinsten Spuren nachgewiesen werden, die weit unterhalb moglicher toxischer Relevanz liegen. Zugleich ermoglicht die hochempfindliche Analytik auch die Identifizierung von Komponenten, die fur die Widerstandsfahigkeit von Pflanzen gegenuber Schaderregem von Bedeutung sind. Neue optische Techniken - sowohl mikroskopische als auch innovative optische Nachweisverfahren - fuhren zu einem besseren Verstandnis von Wirt-Pathogen-Interaktionen oder von der Wirkungsweise von Pflanzenschutzwirkstoffen (Abb. 4-3).
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Abb. 4-3 Periodische Ethylenernissionen einer rostbefallenen Weizenpflanze irn Vergleich zu einer unbefallenen, gernessen rnit dern Photoakustischen Ethylensensor. (F. Kuhnemann, lnstitut fur Angewandte Physik, Universitat Bonn, R. Cabler INVIVO C m b H ) .
Erarbeitung von Befalls-Verlust-Relationen:Die enorm leistungsfahigen Analyseverfahren und Datenverarbeitungssysteme bieten eine entscheidende Hilfe. Erkenntnisse uber die ursachlichen Zusammenhange zwischen Befall, Schadwirkung und tatsachlichem Schaden werden genutzt, um effiziente PflanzenschutzStrategien zu entwickeln und Eingriffe auf das unerlassliche Ma& zu begrenzen. Fur eine sachgerechte Durchfuhrung von Pflanzenschutzmassnahmen ist die Entwicklung guter Prognose- und Beratungssysteme (Abb. 4-4)unerlasslich; d a m miissen detaillierte, bestandesspezifische Parameter erfasst und mit Hilfe der modernen Datentechnologie in entsprechende Expertensysteme umgesetzt werden. Die Entwicklung neuartiger Verfahren beinhaltet Verfahren der Prazisionslandwirtschaft (precision farming) und insbesondere des Prazisionspflanzenschutzes, ebenso wie die Nutzung moderner Sensorik im Pflanzenschutz. Heute stehen zunehmend interessante Biosensoren als Indikatoren fur Wirksamkeit und zur Identifizierung umweltrelevanter Einfliisse von Pflanzenschutzmassnahmen zur Verfugung. Dabei gilt es haufig, erhebliche Datenmengen (Abb. 4-5) sinnvoll zu bearbeiten; dies verbindet die Phytomedizin mit der Bioinformatik. Die Vertretung des Faches Phytomedizin durch Universitaten und Hochschulen in Forschung und Lehre unterstreicht auch die Ausbildungsverpflichtung fur dieses Tatigkeitsfeld, verbunden mit der Chance, junge Menschen fur dieses Fach und damit fur eine wenig bekannte, aber augerordentlich vielfaltige und interessante Ausbildung zu gewinnen. Mit Sorge registrieren wir jedoch den Trend, praxisrele-
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Abb. 4-4 Modell fur den integrierten Pflanzenschutz: Von der Probenahme uber die Diagnose bis hin zur Witterung flielZen alle Daten in ein Entscheidungsmodell ein. Das Ergebnis ist eine fundierte Warnmeldung an die Landwirte (Inst. fur Phytopathologie. Universitat Kiel)
Abb. 4-5 lSlP steht fur lnformationssystem lntegrierte Pflanzenproduktion und ist das neue Portal fur alle Fragen der pflanzlichen Produktion. Wichtige lnformationen werden gebundelt und benutzerfreundlich angeboten.
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aus dem Mittelpunkt der Landbauwissenschaften zuruckzudrangen und sich vornehmlich der molekularbiologischen und molekulargenetischen Forschung zuzuwrnden.
4.1 Entwicklungen auf dern Agrornarkt
Die Teilnehmer an den Mirkten der landwirtschaftlichen Wertschopfungskette stehen heute unter starkem Konsolidierungsdruck. Die Markte fur chemische Pflanzenschutzmittel hatten in den 70er und 8Oer Jahren bedeutende Zuwachse erreicht, die jedoch in den 90er Jahren auf ein Wachstum von 2-3%/Jahr zuriickgingen. Durch Fusionen und Akquisitionen sind seit 1993 aus ursprunglich zwolf Agrofirmen vier entstanden (Abb. 4-6). Wahrend im Jahrc 1980 rund 62% des Pflanzenschutzmittelmarktes von den zehn gro&ten Unternehmen abgedeckt wurden, waren es im Jahr 1999 die 8 groRten Agrarchemieunternehmen, die rund 90 % der Agrochemikalien produzierten und vertrieben. Mittlenveile haben sieben Firmen einen Weltmarktanteil von rund 85%. Ahnliches vollzieht sich auch in der kommcrziellen Saatguterzeugung. Viele groEere Saatgutunternehmen haben sich mit Agrarchemieunternehmen assoziiert oder sind in sie integriert. Anforderungen an die Pflanzenproduktion der Zukunft: Bis zum Jahre 2025 muss die Nahrungs- und Futtermittelproduktion wegen des prognostizierten Bevolkerungswachstums und des zunehmenden Verbrauches von qualitativ hochwerti-
Abb. 4-6 Zusammenschlusse und Ubernahmen in der Sparte Pflanzenschutz seit 1993, Quelle: Aventis, 2001
4.7 Entwicklungen aufdern Agrornarkt
gen Nahrungsmitteln noch deutlich gesteigert werden. Da aber die landwirtschaftliche Nutzflache begrenzt ist, sind Mafinahmen zu Ertragssteigerungen unverzichtbar. Um den Bedarf'von Nahrungs- und Futtermitteln, Fasern sowie nachwachsenden Rohstoffen zu sichern, ist ein durchschnittliches Produktionswachstum von ca. 2% pro Jahr notwendig. Dazu miissen in allen Bereichen der Produktion, wie Diingung, Beregnung, klassische Ziichtung, Agrarbiotechnologie sowie Ertragssicherung, Fortschritte erzielt werden. Fur den Pflanzenschutz ergeben sich durch die Entwicklung und Markteinfiihrung innovativer spezifischerer Wirkstoffe, die bei einem Dosierungsbereich von nur wenigen Gramm Wirkstoff pro Hektar eine deutliche Verbesserung der Effkienz sowie der Umwelt- und Verbrauchersicherheit envarten lassen, neue Chancen. Im nachsten Schritt wird die Ausstattung der Kulturpflanzen mit neuen Eigenschaften (input traits) mittel- bis langfristig zu verbesserter Krankheits- und Insektenresistenz fiihren - dies aber immer in Erganzung zum chemischen Pflanzenschutz. Leistungsfhigere Wirkstoffe mit neuen Methoden: Die angestrebten Veranderungen in der Agroforschung von morgen werden durch neue Technologien ermoglicht; Automatisierung, Miniaturisierung, der Einsatz von Robotics ermoglichen neue Methoden der Synthese. Kombinatorische Chemie und Parallelsynthese fiihren zur Zeit geradezu zu einer Explosion des Angebotes an neuartigen Molekiilen in sehr hoher Quantitat. Als Reaktion auf das grofie MoleMangebot werden automatisierte Hochdurchsatz-Screeningsysteme(Abb. 4-7)eingesetzt,die in der Lage sind, die Wirksamkeitvon Millionen von Verbindungen in uitro und in uivo zu priifen. Neue chemische Leitstrukturen werden identifiziert, besonders wirksame chemische Verbindungen (so genannte ,,Hits") weiter optimiert, und um diese wirksamen
Abb. 4-7
Roboter unterstutzen die Cherniker bei der Herstellung neuer Wirkstoffe und ubernehrnen Routinearbeiten. Die Zahl der Prufsubstanzen kann dadurch deutlich erhoht werden. Quelle: Bayer, Pflanzenschutzzentrurn Monheirn 2000
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Strukturen herum werden neue mogliche Wirkstoffe gesucht und gepruft. Um derartige Moglichkeiten maximal auszuschopfen und fur die aussichtsreichen Kombinationen neiier Leitstrukturen bedient man sich so genannter chemischer Bibliotheken. Auch die Fortschritte in der funktionalen Genomforschung bieten Moglichkeiten, um das Spektrum an neuen potentiellen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen (targets) zu enveitern. Wahrend heute die Suche nach neuen Verbindungen und Strukturen noch extrem zeitraubend ist und gemessen am Erfolg erhebliche Ressourcen verzehrt, wird z. B. eine 3 D-Simulation von Proteinstrukturen einen exponentiellen Fortschritt bei Simulationstechnologien erlauben. Auf diese Weise konnen neue Wirkmechanismen, d. h. auch neue Zielsubstanzen, vie1 schneller identifiziert werden. Virtuelle Substanzbanken werden hinsichtlich ihrer Wirkstoffeignung uber neue Algorithmen und Verrechnungskapazitaten angelegt.
4.2
G o & Chancen mit innovativen Produkten erwartet man mit Hilfe neuer Technologien
Die Produktportfolios der Pflanzenschutzindustrie werden sich gravierend umstrukturieren, d. h.: neue Wirkmechanismen mit Vorteilen bei Wirkung und Selektivitat werden zu hochwirksamen und dabei spezifisch wirkenden Herbiziden, lnsektiziden und Fungiziden fuhren. Ein besonderes Gewicht erhalt dabei das Umweltverhalten sowie die Verbrauchersicherheit. Die Industrie ist bestrebt, hochwertige Produkte bei hoher Selektivitat zu niedrigen Kosten anzubieten. Dabei mussen die Profitabilitat ausreichend und die Entwicklungskosten niedrig sein. Die Zulassungsbehorden sind in erster Linie am Umweltverhalten sowie Verbraucherund Anwenderschutz interessiert. Der Landwirt dagegen mochte exzellente Losungen zu giinstigen Preisen ohne Anwendungsbeschrankungen. Neben intelligenten Wirkstoffen muss es auch moderne und innovative Anwendungs- und Ausbringungssysteme (sog. Formulierungen) geben, z. B. in Form von Feuchtigkeits- oder temperaturgesteuerter Freisetzung der Molekule aus verkapselten Formulierungen. Ein neues Arbeitsgebiet, dem sich durchschlagende Marktchancen eroffnen konnen, befasst sich mit Genschaltern bzw. Chemical Switches. Mit dieser Technologie ist man in der Lage, mit Applikationen von chemischen Molekiilen enviinschte Reaktionen in der Pflanze ein- bzw. abzuschalten. So werden bereits heute besonders wirksame Herbizide, die jeweils nur eine Teilselektivitat besitzen, gemeinsam mit chemischen Schaltern fur den selektiven Einsatz, zum Beispiel fur Getreide oder Mais, entwickelt. Angesichts neuer Technologien in der Pflanzenzuchtung konnte die Gentechnik zukunftig genutzt werden, um die Produktion von speziellen Inhaltsstoffen (Proteinen) auf dem Feld zu induzieren. Gewunscht wird z. B., dass sich die Pflanze mit Hilfe eines verbesserten Resistenzmanagements selbst gegen bestimmte Schaderreger zur Wehr setzt kann. Dazu wird ein transgen in die Kulturpflanze eingebauter Kontrollmechanismus benotigt, der sich je nach Auftreten solcher Schaderreger ein- aber auch ausschaltet. Wenn diese Technologie erfolgreich weiter entwickelt
4.2 Groje Chancen mit innouatiuen Produkten envartet man rnit Hi@neuer Jechnofogien
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wird, kann sie einen Schlussel fur eine neue bedeutende Wertschatzung der Chemie in der Landwirtschaft der Zukunft darstellen. Die Pflanzenschutzforschung der Industrie sol1 neue Problemlosungen entwickeln und in den Markt einfuhren. Dabei sind die Wirkstomtosten und die Wirkstoffleistung die Grundlagen fur den wirtschaftlichen Erfolg. Umweltfreundlichkeit und Produktsicherheit werden zusatzliche SteuerungsgroBen fur den Markterfolg eines Produktes sein. Der Pflanzenschutz der Zukunft wird sich den Veranderungen der Markte anpassen. Je nach Erfordernis werden neue Praparate als Problemlosungen im Gesamtkonzeptl-Paket zum Beispiel zusammen mit Saatgut angeboten werden. Internet-Vertrieb (e-Business) und Pflanzenschutzberatung per Mausklick greifen auch in die Vertriebsstrukturen ein und fuhren dort mittelfristig zu Veranderungen. Bereits jetzt steht fest, dass der Verbraucher am Ende der Wertschopfungskette im Agribusiness zukunftig erheblich spezifiziertere Anforderungen an Qualitat und Identitat der erzeugten Produkte, zum Beispiel Nahrungsmittel, haben wird. Pflanzengesundheit bzw. Pflanzenschutz (Abb. 4-8) werden auch zukunftig ein essenzielles Element bei der Veranderung dieser Wertschopfungsketten sein.
Abb. 4-8 Der Markt erweitert sich vom reinen Pflanzenschutz uber die Pflanzenproduktion bis hin zur Pflanze als Bioreaktor. Bei diesem Prozess steht der Verbraucher i m Mittelpunkt. (Quelle: Aventis 2001)
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4.3 Cesetzliche und politische Dimensionen des Wlanzenschutzes
Die Rahmenbedingungen fur den Pflanzenschutz haben sich im letzten Jahrzehnt entscheidend verandert und die Auswirkungen dieser Veranderungen sind erst zum Teil spiirbar. Treibende Krafte fur diese Veranderungen waren: die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes der EU, die Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992, die Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen (Generel Agreement on Tarifs and Trade) mit der Griindung der WTO (World Trade Organisation) und der Schaffung des SPS-Abkommens (sanitare und phytosanitare Ubereinkommen), die Globalisierung der Markte, insbesondere die Zusammenschliisse der im Agrobereich forschenden Industrie die Diskussion um die Sicherheit unserer Lebensmittel, die AGENDA 2000 sowie die rasante Entwicklung auf dem EDV-Sektor. Der Pflanzenschutz ist durch die Schaffung des Gemeinsamen Binnenmarktes wesentlich betroffen. Die Verhinderung der Verschleppung von Schadorganismen innerhalb der Mitgliedstaaten beruht nunmehr auf der Kontrolle im produzierenden Betrieb. Bislang waren lediglich Exportbetriebe diesen Bestimmungen unterworfen. Das jetzige Konzept sichert den einwandfreien Beginn einer pflanzlichen Produktion weitaus besser und tragt somit starker d a m bei, dass PflanzenschutzmaBnahmen zum spateren Zeitpunkt weitgehend vermieden werden. Zurzeit nimmt die Bundesrepublik Deutschland an ihrer Ostgrenze noch den Schutz der EU vor der Einschleppung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse wahr, soweit der Transport auf dern Landweg erfolgt. Mit der Erweiterung der EU werden die Lander Polen und Tschechien diese Schutzfunktion iibernehmen miissen, so dass sich Deutschland dann auf die Kontrollen der Einfuhren via See- und Luftweg beschranken kann. Der ungehinderte Warenverkehr in der EU bedingt, dass ein Inspektor, der z. B. in Deutschland Zitrusfriichte zum Verzehr abfertigt, dafiir Sorge tragen muss, dass ein Transport dieser Friichte in ein Zitrusanbaugebiet der EU durch Einschleppung von ihm nicht erkannten Schadorganismen dort keinen Schaden anrichten kann. Man braucht also erfahrene, breit ausgebildete Diagnostiker und verbesserte Diagnosemoglichkeiten. Diese Notwendigkeiten sind zwar erkannt, eine Losung steht jedoch noch aus. Der Gemeinsame Binnenmarkt hat eine Harmonisierung bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gebracht, ohne das Ideal einer EU-Zulassung der Mittel zu verwirklichen. Zwar gibt es eine EU-weite Beurteilung der Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln, die Zulassung der Pflanzenschutzmittel erfolgt nach wie vor durch die Mitgliedstaaten. Die ca. 800 vor 1993 in Pflanzenschutzmitteln enthaltenen Wirkstoffe (Altwirkstoffe) werden in einem Arbeitsprogramm iiberpriift, ob sie grundsatzlich gemaB der aktuellen Sicherheitsvorschriften noch in Pflanzenschutz-
4.3 Cesetzliche und politkche Dimensionen des Pflanzenschutzes
mitteln venvendet werden konnen. Es wird damit gerechnet, dass weniger als die Halfte der in der EU in Pflanzenschutzmitteln befindlichen Altwirkstoffen diese Priifung uberstehen. Die Bewertung toxikologischer Daten ist zwischen Nordamerika, Lateinamerika, Europa und Japan harmonisiert und transparent. Im Gegensatz dazu gehen die Bewertung okotoxikologischer und umweltrelevanter Daten noch weit auseinander. Die unter der Schirmherrschaft der EU-Kommission laufenden Verhandlungen werden zwischen der Biologischen Bundesanstalt (B BA) und der amerikanischen Zulassungsbehorde (US-EPA)uber unterschiedliche Bewertungsmethoden gefuhrt. Die Anforderungen der Priifung sollten weltweit nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf Sinnhaftigkeit und Relevanz iiberpriift werden. In den USA wird auf Untersuchungen uber Nichtzielorganismen verzichtet, wahrend sie in Europa in einigen Landern einen extrem hohen Stellenwert haben, der weiterhin von Land zu Land verschieden ist. Neue Wirkstoffe werden auch zukunftig entwickelt, jedoch sind die Kosten hoch und der Vorlauf bis zur Marktreife ist extrem lang (ca. 15 Jahre). Ein ,,Umbau" in der Wirkstoffpalette vollzieht sich somit uber einen langeren Zeitraum. Der Wegfall nicht mehr zugelassener Wirkstoffe wird die Moglichkeit zur chemischen Bekampfung bestimmter Schadorganismen einengen; er wird manche nicht-chemische Losung erzwingen und sich somit innovativ auswirken. Aber es wird nicht fur jedes Bekampfungsproblem eine befriedigende Problemlosung geben. Produktionsstandards garantieren sichere Lebensmittel. Derzeit werden Qualitatsstandards vergeben, wenn z. B. Riickstandsmengen an Pflanzenschutzmitteln unterhalb der geduldeten Hochstmenge liegen. Zukiinftig werden Produktionsstandards (Prozessstandards) an diese Stelle treten. Ein derartiger Standard ist z. B. bereits mit den ,,Grundsatzen zur Durchfuhrung der guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz" gegeben. Die EU beabsichtigt, solche Standards auf Gemeinschaftsebene verbindlich vorzuschreiben. Somit ist von mehr Transparenz und Kontrolle der Produktionsweisen auszugehen. Um Pflanzen gesund zu erhalten, brauchen wir Pflanzenschutzmahahmen, die biologische Ablaufe positiv unterstiitzen. Dafur mussen geeignete Verfahren eingesetzt werden, die weder eine Krankheitsund Schadlingsentwicklung zulassen, noch gegen bestehende Bestimmungen verstof3en. Mit der AGENDA 2000 und den Nachfolgebestimmungen hat der Pflanzenschutz eine Enveiterung erfahren. Durch Inanspruchnahme von Beihilfen konnten umweltvertraglichere Produktionsweisen installiert werden, als dies unter rein okonomischen Rahmenbedingungen ohne Beihilfe der Fall gewesen ware. Die enorme Steigerung der Nahrungsproduktion in den letzten 100 Jahren beruht im Wesentlichen auf Fortschritten in Technik, Dungung, Pflanzenschutz und Ziichtung. Die Fortschritte in der Agrartechnik und Dungung sind weitgehend ausgereizt. Der Motor der zukunftigen Entwicklung wird von den beiden anderen Schwerpunkten getrieben: Phytomedizin und Ziichtung. Der moderne Pflanzenschutz ist rund 100 Jahre alt, aber erst in den letzten 50 Jahren hat die Entwicklung chemischer Pflanzenschutzmittel grof3e Fortschritte gemacht und zunehmend Produkte angeboten, die nicht nur die Arbeit der Landwirte, Gartner und Winzer
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I erleichtern, sondern auch die Urnwelt schonen. In zehn Jahren konnten rnit neu 4 Mit gesunden Fylanzen die Basisfur die Zukunft schaflen
entwickelten Wirkstoffen die Auswirkungen auf die Umwelt durchschnittlich um 80 bis 90 % verringert werden und diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Die Phytomedizin ist nicht nur heute, sondern auch zukunftig eine der wesentlichsten Disziplinen der rnodernen Agrarproduktion. Ohne die Gesunderhaltung der Pflanzen durch ein gezieltes Verhindern aller rnoglichen Schaderreger und Schadlinge werden keine hochwertigen Nahrungsmittel erzeugt werden konnen.
Teil 2
Cenetik, Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie
Gene und Chrornosornen. In den Zellkernen von Pflanzen und Tieren liegt die DNA als dicht gepacktes Knauel, das aus rnehreren Einzelfaden besteht. Vor einer Zellteilung entstehen daraus die extrern verdichteten Chrornosornen, gleichsarn handliche Pakete, m i t denen die zuvor replizierten DNA-Strange auf NachfolgeZellen weitergegeben werden. Das rnenschliche Cenorn besitzt etwa 3,2 Milliarden Basenpaaren, was insgesarnt einern DNA-Faden von etwa einern Meter entspricht. Allerdings besteht der Faden aus 23 Stucken verschiedener Langen. In den Kernen der Korperzellen kornrnt jedes Stuck
zweimal vor, so dass sich 46 Chrornosornen entwickeln konnen, die fur diese Abbildung rnit einern fluoreszierenden DNA-spezifischen Farbstoff sichtbar gernacht werden. Wo liegen die Gene? Voraussetzung zur Beantwortung der Frage sind gentechnisch isolierte Gene, die rnit einern besonderen Fluoreszenz-Farbstoff (rot) rnarkiert werden. Unter geeigneten Bedingungen lagert sich das isolierte und rnarkierte L e n an die entsprechende Stelle eines Chrornosorns (aus einer Zusarnrnenarbeit rnit H. Harneister, Ulrn).
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Lie@ unser Schicksal in den Cenen? Das Human-Cenom-Projekt und seine Bedeutung fur Wissenschafi und Cesellschaft Rolf Knippers
A m 26. Juni 2000 ging ein Jahrhundert in der Geschichte der Biologie filminant zu Ende: die Kapitane zweier rivalisierender Teams traten vor die Medien der Welt und verkiindeten den Abschluss des Rennens um die Aufklarung des menschlichen Erbguts. Die Medien hatten ihr Fest: ,,wichtigste menschliche Errungenschaft seit Erfindung des Rades", jedenfalls: ,,wichtiger als die Landung auf dem Mond" lauteten die Schlagzeilen - und der ,,Spiegel" brachte ein Heft unter dem Titel ,,Die zweiten Schopfing" heraus. Dabei war das Ereignis imJuni 2000 nur eine Ankiindigung. Denn diegehobenenSch&ze wurden erst am 15. Februur 2001 vor den Augen der Offentlichkeit ausgebreitet. Diesmal traten die beiden Teams getrennt auf: Ein Team, namlich das durch offentliche Mittel ggorderte internationale Human-Genom-Projekt,publizierte seine Ergebnisse in einer Sonderausgabe der hoch angesehenen Zeitschrijl Nature; das andere Team, eine Privatjkna mit dem Namen Cekra Genomics, in der eben so hoch geschlitzten Zeitschrift Science. Die beiden vielseitigen Berichte unterscheiden sich in zahlreichen Details,f i r die sich Fachkute interessieren, aber dariiber hinaus ist die Essenz der Botschuft beider Teams ein Meilenstein in der biologischen Forschung mit erheblichen Konsequenzenfir die menschliche Gesellschuft. Was war geschehen?
5.1
Riickblicke
Der Verlauf der Dinge bis zum Februar 2001 ist nun bereits Wissenschaftsgeschichte geworden, die in einigen dicken Buchern nachgezeichnet wurde (s. Anm. 1). Hier mussen wenige Satze geniigen. Die Geschichte beginnt im Jahre 1953, als Francis Crick und James Watson in einem fitihen Geniestreich einen Aufsatz von nur wenigen Seiten veroffentlichten, wohl formuliert, Wort fur Wort gewogen, einen Aufsatz, der eine Revolution in der Biologie einleitete. Die beiden Forscher beschrieben den Trager der Erb-Information, ein faden-formiges Molekul aus zwei umeinander gewundenen Strangen mit der Bezeichnung Deoxyribonukleinsaure, kurz DNA, ein Makromolekul, die beriihmte Doppelhelix, die Ikone der modernen Biologie.
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Abb. 5-1 D N A und die Weitergabe der genetischen Information. Aus der DNA-Struktur lasst sich nicht nur ableiten, wie genetische Information gespeichert wird. sondern auch wie sie von Generation zu Generation weitergegeben werden kann, jedenfalls i m Prinzip. Zuerst trennen sich die beiden DNA-Strange des DNA-Molekijls, dann dient jeder Strang als Matrize zur Synthese eines neuen Stranges - und zwar streng nach den Regeln der Basen-Paarung: A gegenuber von T: C gegenuber von C. Dadurch
entstehen zwei Nachkommen-DNA-Molekijle als genaue Kopien der elterlichen (,,parentalen") DNA. In der Wirklichkeit der lebenden Zelle ist die Replikation des Genoms ein hochst komplizierter und genau regulierter Vorgang. Eine Abbildung dieser Art erschien zuerst i n der seinerzeit einflussreichen Monographie von G. S . Stent The Molecular Biology of Bacterial Viruses (1963) (aus: R. Knippers: Molekulare Cenetik, 8. Aufl., 2001).
Diese Struktur hat nicht - oder jedenfalls nicht nur - wegen ihres aesthetischen Reizes die wissenschaftliche Welt in ihren Bann gezogen, sondern wegcn ihrer enormen Erklarungskraft. Es wurde namlich schlagartig klar, wie genetische Information gespeichert wird, namlich als lange Folgen - oder, wie man in der Genetik sagt: Sequenzen - von vier Einzelbausteinen: A (Adenin), G (Guanin), C (Cytosin) und T (Thymin), die sich in den beiden Strangen der DNA jeweils als Basenpaare gegeniiberstehen (s. Abb. 5-1). Das Jahrzehnt nach dieser Entdeckung war eine aufregende Zeit in der Geschichte der Wissenschaften. Denn in bemerkenswert kurzer Zeit wurde klar, dass die Sequenzen der Basenpaare in der DNA eine verschliisselte Botschaft enthalten, namlich den genetischen Code mit Informationen, welche die Zelle zur Her-
5.2 Centechnik und Medizin
stellung von Proteinen benutzt. Proteine sind die Bausteine und Funktionstrager alles Lebendigen: einerseits, Bestandteile von Strukturen in Zellen, Geweben und Organismen; andererseits, Enzyme oder Maschinen, die den Stoffivechsel ermoglichen, auch Bewegungen, Aufnahme und Verarbeitung von Sinneseindriicken, Sehen, Horen, Denken usw. Quasi nebenher hatte das viel gebrauchte Wort Gen - vorher nicht viel mehr als ein Symbol - einen konkreten Inhalt bekommen: Gen ist der Abschnitt auf der DNA, der die Information zur Herstellung eines Proteins tragt (s. Anm. 2). Und man gewohnte sich daran, als Genom die Gesamtheit der Gene eines Organismus zu beschreiben. Der enorme Fortschritt in der kurzen Zeit bis etwa 1965 gelang, weil sich die internationale Forschergemeinde zunachst nur auf die genaue Erforschung der genetischen Verhaltnisse bei den einfachsten Lebewesen, den Bakterien, konzentrierte. Die Verhaltnisse bei Pflanzen, Tieren, Menschen sind unverhaltnismassig viel komplizierter. Erst seit 1975 stehen Methoden zur Verfiigung, die entscheidend fur die weitere Entwicklung wurden. Das Arsenal dieser Methoden, zusammengefasst als Gentechnik bezeichnet, hat die Biologie mit allen ihren anwendungsorientierten Zweigen in der Medizin, Landwirtschaft, Okologie, Kriminalistik usw. nachhaltig verandert. Denn Gentechnik ermoglicht im Prinzip die Isolierung jeden Gens, das man sich vorstellen kann, von jedem Organismus, von Bakterien, PflanZen, Tieren und eben auch vom Menchen.
5.2
Gentechnik und Medizin
Gentechnik hatte und hat immer noch erhebliche Konsequenzen fur die Medizin. Dies sol1 an einigen Beispielen gezeigt werden. Erstens wurden die Genome der bakteriellen Erreger von Tuberkulose, von Cholera, Typhus, Syphilis und von anderen schweren Krankheiten aufgeklart, eine Voraussetzung fur die Entwicklung neuer Medikamente im Kampf gegen diese Krankheitserreger. Zweitens konnen korpereigene Stoffe auf gentechnischem Wege in industriellen Verfahren als Medikamente produziert werden. Vor allem handelt es sich dabei urn Verbindungen, die im Korper selbst nur in kleinsten Mengen gebildet werden, aber in hohen Dosen eingesetzt werden mussen, um therapeutisch wirksam zu sein. Bereits heute gehoren zu den marktfuhrenden Medikamenten immerhin drei, die gentechnisch hergestellt werden: Insulin gegen Diabetes; Erythropoetin gegen alle Formen von Blutarmut, Interferone bei chronischen Entzundungen, multipler Sklerose u. a. Dazu kommen noch zahlreiche andere gentechnisch hergestellte Medikamente, die ausserst nutzlich sind, auch wenn sie nicht zu wirtschaftlichen Riesenerfolgen geworden sind. Drittens gelang mit gentechnischen Verfahren die Isolierung und Untersuchung mehrerer tausend Gene, die fur die Physiologie oder Pathologie des Menschen von Bedeutung sind. Dazu gehoren die genetischen Grundlagen des Immunsystems
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und Gene, deren Veranderung den klassischen Erbkrankheiten zugrunde liegen. Beispiele sind die Bluterkrankheit durch Mutationen in den Genen fur Gerinnungsfaktoren; Mucoviscidose, eine der haufigsten Erbkrankheiten in unseren Breiten, gekennzeichnet unter anderem durch dick verschleimte Atemwege und den damit einhergehenden vielfaltigen Komplikationen: Muskeldystrophien, neurodegenerative Krankheiten und mehr als Tausend weitere vererbbare Krankheiten. 5.2.1
Hintergrunde
Der Wert dieser Arbeiten fur die Medizin kann nicht hoch genug eingeschatzt werden. Aber Erbkrankheiten, die auf den Ausfall oder die Veranderung eines einzelnen Gens zuriickgefiihrt werden konnen, sind eher selten. Deswegen ist die Erforschung von haufig vorkommenden Krankheiten dringlich, Krankheiten wie Bluthochdruck, Arteriosklerose, Rheumatismus, Fettleibigkeit, die grogen Psychosen und andere, bei denen lange klinische Erfahrung zeigt, dass zwar eine genetische Grundlage besteht, die aber nicht in einfachen Erbgangen zum Ausdruck kommt. Uberdies werden Ausbruch und Verlauf dieser Krankheiten durch die Umwelt Ernahrung, Hygiene, soziale Beziehungen - beeinflusst, was oft auch bedeutet, dass diese Krankheiten erst im Leben des Erwachsenen auftreten. Die Verhaltnisse lassen sich aber nicht mit dem bislang bewahrten Vorgehen der modernen medizinischen Genetik, auch nicht mit den eindrucksvollen Methoden der Gentechnik klaren. Das liegt daran, dass sich mit einfachen gentechnischen Verfahren eben nur Gene isolieren lassen, die ,,man sich vorstellen kann", oder deren Weitergabe von Eltern auf Nachkommen einfachen Regeln gehorchen. Doch die genannten haufigen Krankheiten werden durch ein Netzwerk von sich gegenseitig beeinflussenden Genen bestimmt. Die Erbgange sind hier uniiberschaubar kompliziert. AuBerdem sind Gene beteiligt, die man sich so ohne weiteres Wissen eben noch nicht vorstellen kann. Vor diesem Hintergrund wurde Anfang bis Mitte der achtziger Jahre erstmals die Idee offentlich diskutiert, die Gesamtheit der Gene des Menschen aufzuklaren, also das gesamte menschliche Genom, vom ersten bis zum letzten aller 3 Milliarden Basenpaare der menschlichen DNA, die im Kern einer jeden der Zellen unseres Organismus als ein zwei Meter langer Faden vorkommt (s. Anm. 2). Von vorneherein war klar, dass dies ein Unternehmen gewaltigen Umfangs sein wurde, zumal bei den technischen Moglichkeiten, die Mitte der achtziger Jahre zur Verfugung standen, als selbst die Entzifferung eines vergleichsweise winzigen Bakterien-Genoms noch mindestens ein Jahr dauerte. Uberdies wusste man, dass nicht nur die schiere Grosse des menschlichen Genoms die Sache so schwierig macht, sondern dass weitere Komplikationen hinzukommen: nur wenige Prozent der menschlichen DNA tragen wirkliche Gene, und zwischen einzelnen Genen liegen ode Wusten informationsleerer Strecken mit sich standig wiederholenden kurzen Abschnitten. Weiter sind fast alle Gene zerstuckelt: kurze Abschnitte mit Information (die Exons) werden unterbrochen durch lange Abschnitte ohne Information (den Introns).
5.2 Centechnik und Medizin
Wie sol1 man hier zurecht kommen? Viele teure Gerate sind notwendig, eine ausgefeilte Logistik, komplizierte molekularbiologische Verfahren, hochentwickelte Informatik mit komplizierten Computer-Programmen, die Ordnung in das Gewirr von Genen und Zwischen-Gen-Bereichen bringen, bedient von einer grogen Zahl bestens trainierter und hochmotivierter Wissenschaftler. Man konnte leicht ausrechnen, dass das alles enorme Summen verschlingen wiirde, Forschungsmittel, die womoglich an anderen Stellen fehlen wiirden. Deswegen waren in den achtziger Jahren die Stimmen der Skeptiker zunachst in der Uberzahl. Aber dann setzte sich Optimimus durch. Das internationale HumanGenom-Projekt nahm seinen Gang, hauptsachlich getragen durch Forschungsstatten in den USA und in England, aber auch in Japan, Frankreich und Deutschland. In der fruhen und kritischen Phase wurde James Watson der Sprecher des HumanGenom-Projektes, eine gluckliche Wahl, denn Watson genie& seit der Aufklarung der DNA-Struktur auch augerhalb der Wissenschaftsgemeinde ein fast mystisches Prestige, gefordert durch eine starke Personlichkeit mit grofiem Selbstbewusstsein und der Begabung, zur richtigen Zeit das richtige Wort zu finden, auch wenn es einmal nicht in die gerade giiltige Version politischer Korrektheit passt. 5.2.2 Fortschritt und Hektik
So ging die Arbeit am Human-Genom-Projektwie geplant voran:
Nahziele und Meilensteine wurden formuliert und erreicht. Juristen, Theologen, Philosophen und Mediziner diskutierten die ethischen Implikationen des Vorhabens unter dem Schlagwort ELSI (ethical, legal, social issues) Jedes Stiick entzifferter DNA-Sequenz kam tagtaglich in die Daten-Banken, und jeder Interessierte konnte sich uber den Fortschritt des Projektes orientieren. Das Ende des Vorhabens war fur die Jahre 2003/2004 vorgesehen - bis dann im Jahre 1998 ein Storenfried die Buhne betrat, Craig Venter, der mit Fanfarentonen verkundete, dass er jetzt auch das menschliche Genom entziffern wird, und zwar mit grofierer Geschwindigkeit und Genauigkeit, aber bei geringeren Kosten. Das wurde von den offentlich geforderten Laboratorien sofort als Herausforderung begriffen, denn Venter war nicht irgend jemand, sondern eine Entrepreneur- und Forscherpersonlichkeit besonderer Art. Er hatte zuvor unter Beweis gestellt, was er zu leisten im Stande war, und zwar bei der Aufklarung der Genome der medizinisch wichtigsten Bakterien - Arbeiten, die er mit seinem Team in Rekordzeiten bewaltigte. Dabei standen ihm Hunderte der allerneuesten und unubertrefflich leistungsfahigen Sequenziermaschinen zur Verfugung. Zu deren Einsatz griindete Venter eigens eine Firma mit dem bezeichnenden Namen Celera Genomics (von celer, lat., schnell), und diese Firma betreibt die kostspieligen Maschinen im Drei-SchichtenBetrieb, Tag und Nacht. Der Clou: die erhaltenen Daten sollten nicht sofort veroffentlicht werden, sondern ausschlieBlich den Geldgebern zur Verfugung stehen.
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Warum die Hektik und Geheimniskramerei? Weil viel Geld auf dem Spiel steht. Denn man envartet, dass das Wissen von der Gesamtheit der Gene des Menschen Einblicke in die Grundlagen nahezu aller menschlichen Krankheiten geben wird. Pharmazeutische Firmen werden neue Angriffspunkte fur Medikamente entdecken, und aufgrund der Genstrukturen zu wichtigen Ideen fur die Entwicklung neuer Medikamente kommen. Auf diesem hochkompetitiven Markt mit seinen enormen Gewinnmoglichkeiten sind Vorspriinge von einem Jahr, ja von Monaten, sehr viel Geld wert. Die Vertreter des offentlich geforderten Human-Genom-Projektes waren alles andere als begeistert von der plotzlichen Konkurrenz, verstandlich, denn die Firma Celera konnte ja so gut wie jeder andere ohne weiteres die taglich veroffentlichten Forschungsergebnisse des Human-Genom-Projektes fur ihre Zwecke ausnutzen. Wie auch immer, die Nachricht von Celeras Eintritt ins Rennen wirkte elektrisierend - mit dem Ergebnis, dass die Gesamt-Sequenz deutlich fruher als geplant vorgelegt wurde, namlich im Februar 2001, allerdings in einer noch groben Durchsicht. Denn die langen Sequenzreihen enthalten noch viele Ungenauigkeiten und Lucken, teils weil fehlende Stellen methodisch nicht zuganglich sind, teils weil manche Bereiche erst einmal bewusst ausgelassen wurden. AuBerdem konnen langst nicht alle Information, die in den Daten verborgen liegen, an den Tag gefordert werden, weil die bioinformatorischen Werkzeuge noch nicht entsprechend ausgereift sind. Trotzdem mussen wir die gewaltige technische und organisatorische Leistung anerkennen, welche die Crews von einigen hundert Mitarbeitern geleistet haben Molekularbiologen, Techniker, Ingenieure, Computer-Spezialisten, diese vor allem, denn das Ergebnis ist zunachst einmal nicht mehr als eine unendlich erscheinende Kette von As und Gs und Cs und Ts. Ausgedmckt wurden es 1000 Bucher mit je 1000 Seiten ergeben. Aber niemand wird diese Bucher jemals drucken wollen, die Daten stehen im Internet und sind auf CD-ROM zu erhalten.
5.3 Die Gene des Menschen
Obwohl es noch lange dauern wird, bis ihre genaue Zahl feststeht, haben wir einen ersten Eindruck von der Art und der Zahl der menschlichen Gene. Die jetzt vorliegenden Daten sprechen fur die uberraschend niedrige Zahl von 30000 bis 40000 Genen - ganz im Gegensatz zu friiheren Schatzungen, die meist auf etwa 100 000 Gene herausliefen, wie es denn auch in allen Lehrbuchern steht. Womoglich werden im Laufe der Zeit noch einige tausend Gene entdeckt. Aber Biologen mussen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass Menschen nur etwa doppelt soviel Gene haben, wie der einfache, gerade einmal einen Millimeter lange Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Es wird viel Zeit, Nachdenken und experimentelle lntelligenz erfordern, um zu verstehen, wie es beispielsweise moglich ist, dass auf der Basis von hochstens 40 000 Genen etwas so ungeheuer Komplexes wie das menschliche Gehirn mit sei-
5.3 Die Gene des Menschen
nen 1000 Milliarden vielfach verschalteten Zellen entstehen kann, wenn der Fadenwurm mit immerhin fast 20000 Genen den Aufbau eines Nervensystems aus nur schlichten 302 Zellen zustande bringt. Dies ist geheimnisvoll und faszinierend zugleich. Es werden sich neue Forschungsrichtungen auftun, geleitet von neuen Forschungsparadigmen. Bisher wird das Denken vieler Biologen von einfachen Kausalketten bestimmt: auf der einen Seite die Information im Gen, auf der anderen die Struktur und Funktion des kodierten Proteins. Der Zukunft gehort dagegen die Erforschung gegenseitiger Einflusse, Netzwerke von Beziehungen in einer Vielfalt, die man bisher meist nur ahnen kann. Das Stichwort ist Komplexitat. Dazu passt die Aussage eines prominenten Astrophysikers: ,,was ein System atemberaubend macht, ist nicht die schiere GroBe: ein Stern ist viel einfacher als ein simples Insekt" - und: ,,die Biologen haben eine viel schwierigere Aufgabe ... als die Astrophysiker ..., wenn sie versuchen, einen Baum, einen Schmetterling oder das Gehirn zu verstehen", so M. Rees im Scient$c American vom Dezember 1999. Solche Perspektiven mogen Biologen interessieren, aber was haben die NichtFachleute vom Human-Genom-Projekt? 5.3.1 Genom-Vergleiche
Eine der Antworten ist ein neuer Beitrag zur alten Frage der Philosophie nach der Herkunft des Menschen. Vergleiche des Human-Genoms mit dem von einfachen Tieren, von Pflanzen, ja selbst mit den Genomen von Bakterien, zeigen, dass die Grundausstattung mit genetischer Information fur einfache Lebensprozesse uberall sehr ahnlich ist, ein eindriickliches Zeichen fur die Evolution allen Lebens auf der Erde aus einem gemeinsamen Stamm. Nebenher gesagt, hat die Ahnlichkeit menschlicher Gene mit denen einfacher Organismen auch praktische Konsequenzen. Zum Beispiel konnen Forscher bei der Drosophila-Fliege durch Storungen der Funktion definierter Gene so etwas wie die menschliche Parkinson-Krankheit hervorrufen. Ein anderes Beispiel: der simple Fadenwurm Caenorhabditis besitzt Gene, deren Ausfall beim Menschen die Alzheimer-Krankheit verursacht, und selbst die Backer-Hefe besitzt Gene, deren menschliche Versionen man aus der Krebsforschung kennt. Damit stehen Modell-Systeme zur Verfugung, welche die Erforschung menschlicher Krankheiten voranbringen. Mit Verbluffung registrieren wir die groBen Ahnlichkeiten der Gene von Mensch und Maus. Kein Wunder, dass Mause zu den wichtigsten Objekten auch der Human-Genetiker gehoren, denn bei der Maus lassen sich Gene gezielt ausschalten, so dass die Bedeutung eines Gens fur das Funktionieren des Organismus oft in groBer Klarheit studiert werden kann. Auch dies tragt in erheblichem Masse zum Verstandnis menschlicher Erkrankungen bei. Unterschiede zwischen den Genen des Menschen und denen unseres nachsten Venvandten im Tierreich, des Schimpansen, muss man mit der Lupe - also mit einem ordentlich ausgeriisteten Computer suchen. Die Unterschiede machen ein
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einziges bescheidenes Prozent aus. Und eine der spannendsten Fragen betrifft die genetische Grundlage fur das spezifisch Menschliche mit aufrechtem Gang, groBerem Gehirn-Volumen, Sprache, Kultur und dem gesamten Rest. Das kann kaum mit der Form und der Zahl der Gene zusammenhangen, sondern mit der Art und Weise, wie Gene zusammenwirken und sich zu komplexen Wirkungsgeflechten ftnden. Wir lernen schon jetzt Wichtiges uber die Herkunft des modernen Menschen. Dabei helfen Vergleiche von Y-Chromosomen, die immer in direkter Linie von den Vatern auf die Sohne weitergegeben werden. Vergleiche der Y-Chromosomen von Menschen unterschiedlicher ethnischer Gruppen lassen vermuten, dass alle Mit-
Gene u n d Chrornosomen. In den Zellkernen von Pflanzen und Tieren liegt die D N A als dicht gepacktes Knauel, das aus rnehreren Einzelfaden besteht. Vor einer Zellteilung entstehen daraus die extrern verdichteten Chrornosomen, gleichsarn handliche Pakete, rnit denen die zuvor replizierten DNA-Strange auf NachfolgeZellen weitergegeben werden. Das rnenschliche Cenorn besitzt etwa 3,2 Milliarden Basenpaaren, was insgesarnt einern DNA-Faden von etwa einern Meter entspricht. Allerdings besteht der Faden aus 23 Stucken verschiedener Langen. In den Kernen der Korperzellen kornrnt jedes Stuck
Abb. 5-2
zweirnal vor, so dass sich 46 Chrornosornen entwickeln konnen, die fur diese Abbildung rnit einern fluoreszierenden DNA-spezifischen Farbstoff sichtbar gernacht werden. Wo liegen die Gene? Voraussetzung zur Beantwortung der Frage sind gentechnisch isolierte Gene, die m i t einern besonderen Fluoreszenz-Farbstoff (rot) rnarkiert werden. Unter geeigneten Bedingungen lagert sich das isolierte und rnarkierte Cen an die entsprechende Stelle eines Chrornosoms (aus einer Zusarnrnenarbeit rnit H . Harneister, Ulrn).
5.3 Die Gene des Menschen
glieder unserer Spezies Homo sapiens Nachkommen einer relativ kleinen Gruppe von Individuen sind, die erst vor vielleicht 200 000 Jahren aus Afrika ausgewandert sind, deren Nachkommen dann alle Vorlaufer, Homo erectus, Neandertaler usw. verdrangt und die Erde zu besiedeln begonnen haben. Die erdgeschichtlich uberraschend kurze Zeit von 200 000 Jahren erklart auch, warum die genetischen Unterschiede zwischen den heute lebenden ethnischen Gruppen so gering sind, gerade einmal ,,haut-tief" reichen, wie man sagt. Bei diesen Forschungen uber die Entwicklung der Menschheit gehen Genetiker eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Archaologen und Sprachforschern ein, ubrigens ein glucklicher, wenn auch noch bescheidener Ansatz zur Uberwindung der alten Kluft zwischen den geisteswissenschaftlichen und den naturwissenschaftlichen Kulturen (s. Anm. 3 ) . 5.3.2 Unterschiede
Auf dem Boden des Human-Genom-Projektes entwickelt sich eine neue Richtung human-genetischer Forschung, die der Frage nach den Unterschieden zwischen einzelnen Menschen nachgeht. Das Stichwort ist SNP, single nucleotide polymorphism, womit man die einfache Tatsache beschreibt, dass sich einzelne Menschen an etwa jeder 1000. Stelle in der Sequenz der Basenpaare unterscheiden (Abb. 5 - 3 ) . Das ist ein wichtiger Grund, warum Menschen verschiedene SchuhgroBen, Gesichtsformen, Haar-, Augen- und Hautfarben haben, aber auch warum wir in unterschiedlichem Masse fur Infektionen durch Bakterien und Viren empfanglich sind, oder warum der eine in seinen mittleren Lebensjahren an einer schweren rheumatischen Krankheit leidet, ein anderer an Bluthochdruck, wahrend wieder andere selbst bei gleicher Lebensfiihrung bis ins hohe Alter gesund bleiben. Hier und da haben wir schon Antworten. Ein Beispiel sind Menschen, die trotz jahrelangen Aufenthaltes in entsprechenden Milieus nie an AIDS erkranken. Diese Menschen besitzen winzige Veranderungen in Proteinen auf der Oberflache von Immunzellen und sind deswegen resistent gegen Infektionen mit HIV, dem Virus, das AIDS auslost. Unterschiede zwischen Menschen auBern sich auch in der Empfindlichkeit gegeniiber Arzneimitteln. Eine Person mag wunderbar auf ein Medikament ansprechen, bei einer anderen ist das gleiche Medikament wirkungslos, bei einer dritten sogar schadlich. Kein "under, dass die groBen pharmazeutischen Firmen sehr an der SNP-Forschung interessiert sind und erhebliche Summen investieren. Denn in nicht allzu ferner Zukunft wird man an Hand eines SNP-Musters Voraussagen iiber die Reaktion eines Menschen auf Arzneimittel machen konnen. Damit wiirden die enorm aufwendigen klinischen Untersuchungen neuer, aber auch die Uberpriifung alteingefuhrter Medikamente erleichtert und deutlich kostengiinstiger durchgefiihrt werden konnen (Abb. 5 - 3 ) . SNPs sind auch der Schlussel fur die weitere Entwicklung in der medizinischen Forschung. Wie envahnt kann man davon ausgehen, dass an der Auspragung der haufigsten und wichtigsten Krankheiten nicht etwa nur ein, sondern viele Gene
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Abb. 5-3 SNPs (,,snips") oder Single-Nucleotide- sind Reihungen alter gefundenen NucleotidPolymorphisms. Als Polymorphismus bezeichnet Variationen in einem Genom-Abschnitt. m a n genetische Variationen i n einer Population. Bei SNPs geht es um die Vielfalt der NucleotidSequenzen (Nucleotid = DNA-Baustein; also A, C, Coder T). Die Nucleotid-Sequenzen der Genome einzelner Menschen unterscheiden sich an etwa ieder 1000. Position. SNP-Karten
Human-Cenetiker erwarten, dass eine Analyse von SNP-Karten wesentltche lnforrnationen uber die genetischen Crundlagen der Unterschiede zwischen Menschen liefern wird. Unser Beispiel ist die individuelle Wirksamkeit von Arzneimitteln.
beteiligt sind, oft solche, die sich nur geringfugig vom Muster-Gen unterscheiden, und um Gene, die untereinander in komplexer Wechselbeziehung stehen und durch Einwirkungen aus der Umwelt gesteuert werden. Bis heute haben wir in nur wenigen Fallen einen Einblick in das Netzwerk solcher Gen-Beziehungen. Vielleicht das am besten untersuchte Beispiel ist Fettleibigkeit, die nicht nur ein lastiges kosmetisches Problem ist, sondern eine Grundlage, auf der sich schwere Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes und anderes entwickeln konnen. Vor allem durch Untersuchungen an Mausen kennt man heute mehr als ein Dutzend Gene, die fur die Auspragung der Fettsucht verantwortlich sind. Und man kann davon ausgehen, dass dies auch fur den Menschen zutrifft, wobei bei dem einen Patienten dieses, bei anderen jenes Gen betroffen sein mag, was man im Einzelfall in wenigen Jahren durch genaueste und sorgfaltigste molekulargenetische Analyse herausfinden wird. Uberdies zeigt das Beispiel anschaulich, wie die Umwelt in die Entwicklung eines Merkmal eingreifen kann, denn wenn sich jemand freiwillig oder durch die Zeitlaufe gezwungen fettarm ernahrt, bleibt er oder sie schlank, egal wie die Gene aussehen.
5.3 Die Gene des Menschen
Aber Verhaltnisse dieser Art machen die Erforschung polygener Krankheiten zu einem schwierigen Unternehmen. Die internationale Forscher-Gemeinde steht in den meisten Fallen noch am Anfang, freilich an einem viel versprechenden Anfang. 5.3.3 Stichwort: DNA-Chips
Methoden werden entwickelt, mit denen auf der Flache einer Briefmarke Tausende von Muster-Gen-Stiicken angeordnet werden konnen. Zur Zeit ist die Methode noch weitgehend im Experimentierstadium, aber bald wird sie zuverlassig und preisgunstig im Routinebetrieb eingesetzt werden konnen. Dann lasst sich bei jedem einzelnen Patienten uberprtifen, welche Gene in dem Netzwerk von Gen-Beziehungen fur die Beschwerden verantwortlich sind. Die Absicht oder jedenfalls die Hoffnung ist, dass parallel zu diesem diagnostischen Verfahren neue Medikamente entwickelt werden, Medikamente, die den jeweiligen Gen-Schaden ausgleichen oder umgehen. Dann wird einer individuellen Diagnose eine personenorientierte Therapie folgen. Die medizinische Behandlung wird sicherer und effektiver. Bei diesen Entwicklungen uberrascht es nicht, dass die Genetik langst nicht mehr nur ein wichtiges Teilgebiet der Biologie ist, sondern sich zum Big Business entwickelt hat, zu einem Gebiet, auf dem sich alle groaen pharmazeutischen Firmen einrichten. Ja, Wirtschaftswissenschaftler gehen davon aus, dass das weite Gebiet des Gesundheitswesens eine der wichtigsten Triebkrafte der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Jahrhunderts sein wird, ahnlich wie es die Informationstechnologie zur Zeit ist, und es die Automobil-, Elektroindustrie und anderes in frtiheren Jahrzehnten war. 5.3.4 Verhalten
Wenn sich mit der DNA-Chip-Technik so viel uber die Gene eines einzelnen Menschen in Erfahrung bringen lasst, wird dann nicht auch etwas preisgegeben, was unsere Personlichkeit im geheimsten pragt, was man aber gern vor anderen verborgen halt, Vorlieben, geheime Wunsche, Schwachen. Das ist eine wichtige Frage, denn wir lesen und horen beinahe tiglich von Genen fur Gewalttatigkeit, fur Homosexualitat, fur Alkoholismus und Drogensucht, fur verschlossenes oder offenes soziales Verhalten, aber auch fur so exotische Eigenschaften wie das absolute Gehor oder etwa fur so Wichtiges wie die Intelligenz. Molekularbiologen stehen ein wenig ratlos vor solchen Aussagen, denn ein Gen ist, wie gesagt, nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Abschnitt auf der DNA mit der Information fur die Herstellung eines Proteins. Wir fragen, ob es denn Gene gibt, die das Verhalten bestimmen konnen? Eindeutig ja. Versuche mit Fliegen und Mausen zeigen, dass auch hochst komplexe Verhaltensweisen durch den Ausfall einzelner Gene bestimmt werden. Ein drastisches Beispiel ist ein Maus-Gen mit der Bezeichnung fosB. Bei Mausen verursacht ein Ausfall dieses Gens auf den ersten Blick keine besonders auffallige Veranderungen,
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aber ein zweiter Blick zeigt, dass Muttertiere ohne fosB ihre Jungen vernachlassigen - ein Gen fur Mutterliebe? Und beim Menschen? Dies ist ein weites Feld mit unzahligen wissenschaftlichen Aufsatzen und Buchern. Wir konnen hier nur einige illustrative Beispiele bringen. Ein Beispiel betrifft den Ausfall eines einzelnen Gens mit Aufgaben im Stoffwechsel mancher Gehirnzellen. Eine Mutation verursacht die sehr seltene LeschNyhan-Krankheit, gekennzeichnet durch eine drastische Veranderung kindlicher Verhaltensformen, namlich die Neigung zu schweren Selbstverstiimmelungen. Ein zweites Beispiel ist das Merkmal Mentale Retardation, eine schwere und krankhafte Reduktion der Intelligenzleistungen. Ein Blick in die virtuelle Bibliothek des Internet, Pubmed, gibt unter dem Stichwort Mental Retardation einige tausend Antworten. Darunter auch Hinweise auf einige Familien, bei denen das Merkmal uber Generationen verfolgt werden kann, und die mit den Methoden der molekularen Genetik genau untersucht wurden. Das Ergebnis ist, dass bei diesen Menschen Veranderungen in Genen gefunden werden, die in unterschiedlichster Weise und an verschiedenen Stellen die Signalvermittlung zwischen den Gehirnzellen beeinflussen. Tragt Forschung dieser Art zum Verstandnis des Verhaltens gesunder Menschen bei? Das lasst sich zur Zeit nicht eindeutig beantworten. Wir konnen davon ausgehen, dass sehr viele Gene fur die Auspragung mentaler Fahigkeiten verantwortlich sind. Erste Untersuchungen an Menschen mit ungewohnlich hohen oder ungewohnlich niedrigen IQ-Werten geben Hinweise auf einige hundert ,,KandidatenGene". Wir konnen mit Recht vermuten, dass Gene dieser Art den Bau von Proteinen fur die allgemeine Struktur von Gehirnzellen, fur Ionen-Kanale, fur Neurotransmitter-Systeme usw. bestimmen. Aber die Information in den Genen allein kann nicht ausreichen. Wir hatten ja gesehen, dass Menschen gerade nur zweimal soviel Gene wie Fadenwiirmer besitzen, aber viele Milliarden komplex verschalteter Gehirnzellen ausbilden konnen, gegenuber nur wenigen hundert Nervenzellen beim Fadenwurm. Und Forschungen an Saugetieren, aber auch zunehmend und mit immer feineren Methoden an Menschen, zeigen, dass Verbindungen zwischen Gehirnzellen nicht von vornherein fest verdrahtet sind, sondern sich vor oder nach der Geburt in grogem Umfang verandern. Unter dem Einfluss von augeren Signalen konnen sich Verbindungen stabilisieren, offnen, neu formieren. Das muss erhebliche Einfliisse auf die Entwicklung kognitiver Fahigkeiten haben. Allerdings liegen zur Zeit die Beziehungen zwischen den Funktionen von Gehirnzellen und den Formen menschlichen Verhaltens noch weitgehend im Dunkeln (s. Anm. 4). Mangels molekularbiologischer Informationen denken wir uns ein sehr einfaches, fast schon vorwissenschaftliches Szenario, das die Verhaltnisse aber gut beleuchtet. Eineiige Zwillinge haben exakt die gleichen Gene von ihren Eltern erhalten. Solche Zwillinge erzielen in Intelligenz-Testen meist sehr ahnliche Werte, ahnlicher jedenfalls als die Werte, die zweieiige Zwillinge erreichen, die genetisch nicht mehr ubereinstimmen als andere Geschwister in der gleichen Familie. Die ahnlichen IQWerte sind ein starkes Argument fur einen Einfluss von Genen auf diese spezielle Form menschlicher Fahigkeiten. Aber wie hoch ist der Einfluss der Gene? Manche
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Forscher schatzen 80%, andere nur 40%. Vermutlich ist 50% ein guter Mittelwert. Genau gesagt, bedeutet dies, dass die Halfte der Unterschiede in den IQ-Leistungen einer gegebenen Bevolkerungsgruppe durch die Ausstattung mit Genen zustande kommt - aber auch, dass eine gute zweite Halfie der Unterschiede auf Umwelteinfliisse zuriickzufuhren ist. Wie konnen wir das erklaren? Wahrend der Entwicklung im Uterus konnte ein Zwilling enger und besser mit dem mutterlichen Kreislauf verbunden sein als der andere. So kommt eines der beiden Kinder um ein weniges aufgeweckter zur Welt als das andere. Dieses zieht nach der Geburt die Aufmerksamkeit der Mutter vermehrt auf sich, vielleicht nur in geringem Masse, aber genug, damit sich besondere Verbindungen zwischen Nervenzellen ausbilden. Das verstarkt den Effekt, denn man kann sich leicht ausmalen, dass dieser Zwilling den Vorteil gegenuber seinem Bruder oder ihrer Schwester weiter entwickeln wird. Der Punkt ist hier: Gene bilden die Grundlage fur die Entwicklung, aber was daraus wird, bestimmen maRgeblich die Einflusse aus der Umwelt, soziale Kontakte aller Art, Ernahrung und Hygiene. Das erfahren wir an allen Ecken und Enden der menschlichen Genetik Die Forscher, die vor nicht langer Zeit die genetischen Grundlagen fur das absolute Gehor entdeckt und beschrieben haben, zeigten mit aller Deutlichkeit, dass sich diese Fahigkeit nur dann entwickeln kann, wenn friih im Leben eine musikalische Ausbildung geboten wird. Falls eine genetische Grundlage fur die Neigung zum Alkoholismus besteht, was viele Human-Genetiker fur bewiesen halten, wird sie nie zur Auspragung kommen, wenn jemand etwa in einer orthodox muslimischen Umgebung alkoholfrei lebt. Oder: die Fahigkeit zu sprechen mag eng mit unserer Ausstattung an Genen zusammenhangen, aber Gene bestimmen nicht, welche Sprache erlernt und gesprochen wird. SchlieBlich, u m von den hoch komplexen und noch wenig molekularbiologisch analysierten hoheren Funktionen des menschlichen Gehirns wieder auf besser gesichertes Terrain zuriickzukehren, denken wir uns ein korperliches Merkmal, etwa Hochwuchs. Kein Zweifel, dass dieses Merkmal durch ein Netzwerk verschiedener Gene bestimmt wird, aber wenn jemand seine Jugend unter kummerlichen Bedingungen verlebt, bei schlechter Hygiene und Ernahrung, werden alle guten Gene nicht vie1 nutzen.
5.4
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Wie oft in der Wissenschaft, ist die Antwort kein einfaches Ja oder Nein. Einerseits, wenn Gene Teile eines komplexen Netzwerkes von Gen-Beziehungen sind, sind ihre Auspragungen in Gesundheit und Krankheit alles andere als eindeutig festgelegt, hauptsachlich, weil die Effekte dieser Gene durch die Umwelt beeinflusst werden.
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Andererseits, der Ausfall von Genen fur wichtige Zell-Strukturen oder fur grundlegende Stoffwechselfunktionen wird den Tod des sich entwickelnden Embryos bewirken oder gnadenlos und meist frtih im Leben schwere Erbkrankheiten verursachen. Aber selbst in diesem Fall nimmt das Schicksal nicht notwendigenveise seinen Lauf, denn, erstens, lernen die Arzte, immer besser die Symptome schwerer Erbkrankheiten zu bekampfen; zweitens, kommen wirkungsvolle Heilmittel in den Handel, wie zum Beispiel gentechnisch hergestellte Gerinnungsfaktoren zur Behandlung der Bluterkrankheit; und drittens, arbeiten viele hervorragende Forscher weltweit mit groBem Engagement am Projekt der somatischen Gentherapie, das den Ersatz des kranken durch ein gesundes Gen zum Ziel hat. Das ist noch Zukunftsmusik, und niemand kann sagen, wann eine somatische Gentherapie zum Wohl der Patienten eingesetzt werden kann, aber wenige zweifeln, dass es in naherer oder fernerer Zukunft einmal der Fall sein wird.
5.5 Nachwort
Um die Human-Genom-Forschungherum entwickelt sich eine bliihende Industrie, die womoglich erheblich zum wirtschaftlichen und gesundheitlichen Wohlergehen in vielen Landern der Welt beitragen kann. Davon war in diesem Aufsatz nur am Rande die Rede. Stattdessen wurde gezeigt, dass Human-Genom-Forschung unser Wissen von der Welt, in der wir leben, bereichert. Wir lernen, dass Gene das Leben eines Menschen pragen - aber auch und vor allem, dass die Wirkung der Gene in entscheidendem Mace durch die natiirliche, soziale und kulturelle Umwelt bestimmt wird. So kommt ein bisher unuberschaubar kompliziertes Wirkungsgeflecht sich gegenseitig beeinflussender Gene zustande. Aber nicht nur in der Medizin, sondern wo immer es in der Biologie interessant wird, trifft man auf komplexe Geflechte von Beziehungen der Gene untereinander und wechselseitig zwischen Genen und Einflussen aus der Umwelt. Um ein Verstandnis dieser Beziehungen in ihrer bewundernswerten Komplexitat wird es bei der genetischen Forschung in den kommenden Jahrzehnten gehen.
5.6 Anmerkungen und Anregungen zur weiteren Lekture
1. Literatur zum Human-Genom-Projekt Die Ergebnisse der beiden parallel laufenden Unternehmungen zur Entzifferung des menschlichen Genoms wurden in zwei monumentalen Publikationen vorgestellt.
International Human Genome Sequencing Consortium (2001): Initial sequencing and analysis of the human genome. In: Nature, 409, S. 860-921. J. C. Venter et al. (2001): The sequence of the human genome. In: Science, 291, S. 1304-1351.
5.6 Anmerkungen und Anregungen zur weiteren Lekture
Der Weg, den das Human-Genom-Projekt genommen hat, ist schon jetzt der Stoff fur eine ganze Reihe von Buchern geworden. Eine Auswahl der in deutscher Sprache erschienenen Bucher: Davies, K. (2001): Die Sequenz. Der Wettlaufum das menschliche Genom. Hanser, 2001, Munchen, 416 s., ISBN 3-446-20073-8. Ridley, M. (2000): Alphabet des Lebens. Die Geschichte des menschlichen Genoms. Classen, Munchen, 2000, 423 S., ISBN 3-546-00226-1. Shreeve, J. (2001): Die Goldfomel. Craig Venter und die Entschliisselung des menschlichen Genoms. Verlag A. Fest, Berlin, 2001, 400 S., ISBN 3-82860133-2. Wade, N. (2001): Das Genomprojekt und die Neue Medizin. Siedler, Berlin, 2001, 222 S., ISBN 3-88680-737-1. Diese vier Bucher sind fur nicht-wissenschaftliche Leser gedacht, manchmal etwas flott geschrieben, aber im Allgemeinen korrekt, informativ - und meist unterhaltend. Von einem anderen Kaliber ist das Buch Gen-Medizin. Eine Bestandsaufitahme (Springer, Heidelberg - Berlin, 2000, 805 S., ISBN 3-54067393-8),herausgegeben von A. M. Raem, R. W. Braun, H. Fenger, W. Michaelis, S. Nikol und S. F. Winter. Das Buch enthalt eine Sammlung von Aufsatzen unterschiedlicher l n g e , auch unterschiedlicher Qualitat, die aber insgesamt die gesamte Human-Genom-Forschung - von den molekularen Grundlagen, uber Diagnostik, Therapie, Em3hrung bis zu rechtlichen, ethischen und sozialen Aspekten - verstandlich und informativ darstellen. 2. Historisches Der klassische und umfassendste Bericht uber die heroische Phase in der Geschichte der molekularen Genetik - von der Aufklarung der DNA-Struktur bis zur Entschlusselung des genetischen Codes - stammt von H. F. Judson: The Eighth Day of Creation: Makers in the Revolution of Biology (zweite und enveiterte Auflage, 1996; Cold Spring Harbor Laboratory Press, New York). Der Begriff Gen hat im Laufe seiner hundeqahrigen Geschichte einen Bedeutungswandel durchlaufen. Anfangs war das Wort nicht vie1 mehr als ein Symbol fur ein vererbbares Kennzeichen eines Organismus. Spater, namlich seit Mitte der fun6 ziger Jahre, wurde das Gen als ein DNA-Abschnitt mit der Information zur Herstellung eines Proteins definiert. Mit dieser grifEgen Definition gerat man heute in Schwierigkeiten, wenn man das inzwischen angesammelte genetische Wissen beriicksichtigen will. Trotzdem benutzen praktizierende Molekularbiologen ungeniert das Wort Gen und meinen damit einen Abschnitt im Genom, der Information fur den Aufbau eines Zellbestandteils enthalt und als Einheit transkribiert wird. Die Historikerin E. Fox Keller hat einen Bericht uber die Veranderung des GenBegriffs geschrieben: The Century of the Gene (2000) (Harvard University Press, Cambridge, Mass.). Der Wortschatz der heutigen Genetik wird durch Informationsmetaphorik gepragt. L. E. Kay untersuchte die historischen Hintergriinde: Who wrote the book of lifi? A history ofthe genetic code. (2000, Stanford University Press, Stanford, Calif.).
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5 Lie@ unser Schicksal in den Cenen? 3 . Genetik und Menschheitsgeschichte
Cavalli-Sforza, Luigi L. (2001): Gene, Volker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation, Miinchen, Lizenz des Hanser Verlag, Munchen - Wien. 4. Genetik und Verhalten
Zum Thema sind in den vergangenen zwei oder drei Jahren mehrere Bucher erschienen. Von Interesse fur Nichtfachleute: Bateson, P.; Martin, P. (2000): Designfor a Lqe. How Behaviour Develops. London, Jonathan Cape. Clark, W.R.; Grunstein, W.R. (2000):Are W e Hardwired? The Roles ofGenes in Human Behaviour. Oxford University Press, New York, NY, USA.
Genauere lnformationen iiber genetische Einfliisse auf die Funktionen des Gehirns bei gesunden und kranken Menschen finden sich in dem Buch Pfaff, D. W.; Berettini, W. H.; Joh, T. H. (Ed.) (1999): Genetic InJuences on Neural and Behavioral Functions. CRC Press, Boca Raton, Fla.
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Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie Werner A. Muller
6.1
Vom befiuchteten Ei zum komplexen Organismus: Wunder des Lebens
Immer schon hat es die Menschen in Erstaunen versetzt, dass aus einem kleinen Samenkorn ein machtiger, vielfaltig verzweigter Baum envachst, aus einem augenscheinlich wenig strukturierten Ei ein Vogel schlupft, und aus unbekannter Substanz im Leib der Mutter ein Mensch wird, der Eigenschaften seiner Eltern und Vorfahren in sich vereinigt. Seit Aristoteles die Entwicklung des Huhnchens beschrieb und auch sonst so allerlei zum Thema Entwicklung und Fortpflanzung verfasste, hat sich auch die gelehrte Welt mit diesem wunderbaren Geschehen der Fortpflanzung und Entwicklung befasst. Konnte man lange nur gottliches Wirken als Ursache solchen Geschehens annehmen, so meint der heutige Mensch zu wissen, dass alles, was aus Lebewesen entsteht und sich entfaltet, in den Genen programmiert sein musse. Das Genom, die Summe der Gene, enthalte einen ,,Bauplan" - und doch, welcher Molekularbiologe konnte aufgrund physikalischer Gesetze und logischer Regeln (und nicht bloB im Nachhinein aufgrund von Erfahrungswerten) aus den entschliisselten Basensequenzen ableiten, dass dieses Genom einen Gummibaum, jenes einen Schmetterling, ein drittes eine Hyane hervorbringt? Mehr noch: Lebewesen treten nicht nur in einer einzigen Lebensform auf. Der Schmetterling zeigt sich als Raupe und Falter, aber auch als befruchtetes Ei, als Embryo und als Puppe, gegebenenfalls als Friihjahrfalter und, von diesem verschieden, als Sommerfalter. Kein Computerprogramm kann aus der Abfolge der vier Buchstaben des Genoms (ATGC) errechnen, zu welchem Zeitpunkt ein Organismus wie aussieht. In einer einzigen Zelle steuern Hunderte von Genen Hunderte biochemischer Reaktioneri. Umgekehrt werden Gene von unzahligen regulatorischen Molekulen gesteuert. Gene sind also Informations-liefernd und -empfangend, und sie werden in vielfach wechselnden Kombinationen dafiir genutzt. Wie viele Musikstiicke lassen sich fur die 88 Tasten des Klaviers komponieren, wie viele Kompositionen lieBen sich fur die 40 000 Tasten/Gene des menschlichen Genoms ersinnen oder errechnen? Welche Tonfolgen (Abfolge von Genaktivitaten) ergeben die Musik (Steuerprogramme fur Energiegewinnung und chemische Syn-
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6 Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie
Abb. 6-1
Embryo eines Huhns. Die Streifen kennzeichnen Zellgruppen (Teile der Somiten), in denen das Meistergen myoD ein Programm zur Muskelbildung eingeschaltet hat. Bild von Verena Dathe, Anatomisches lnstitut Freiburg i.Brg.
Abb. 6-2 Ernbryonen v a n Drosophiia. Oben: Normaler Embryo. Die blauen Streifen kennzeichnen Zellgruppen entlang kunftiger Segmentgrenzen, in denen das Cen engrailed eingeschaltet ist; i n den braunen Zellgruppen ist das Cen twist aktiv. Beide G e n e codieren Proteine, die als so genannte Transkriptionsfaktoren andere Gene unter Kontrolle halten. Mittleres und unteres Bild: zwei Mutanten. Bilder van der Arbeitsgruppe H.-Arno I. Muller, lnstitut fur Cenetik, Dusseldorf
G.2 Monsterfliegen und Nobelpreisefiir Medizin
thesen), die erklingen soll? Und Lebewesen bestehen am Ende ihrer Embryonalentwicklung nicht aus einer, sondern aus Tausenden, Millionen, Milliarden von Zellen. Wahrend der Embryonalentwicklung wird in der einen Region dieses Musikstiick gespielt, in einer anderen Region jenes; es werden Hunderte verschiedener Musikstiicke gleichzeitig aufgefiihrt. Niemand kennt die Partituren, niemand das gesamte Konzertprogramm. Die Lebenswissenschaften sind dabei, die ersten Notenblatter zu entziffern, und sie entwickeln Verfahren, die es moglich machen, zuzuhoren bzw. zuzuschauen (s. Abb. 6-1 und Abb. 6-2), und die raum-zeitlichen Muster der Genaktivitaten immer praziser aufzulosen.
6.2
Monsterfliegen und Nobelpreise fur Medizin
Mancher Zeitgenosse fragt sich erstaunt, wie kann jemand einen Nobelpreis fur Medizin erhalten fur sein jahrzehntelanges Bemuhen, kleine Fliegen namens Drosophila zu ziichten und bis in kleinste Details in Augenschein zu nehmen (1933: Thomas Hunt Morgan; 1995: E.B. Lewis, C. Nusslein-Volhard, E. Wieschaus)? Mit derartiger Verwunderung verbindet sich die Erwartung, offentlich geforderte Forschung sollte doch eher dem Menschen zugute kommen. Es hat selbst die professionellen Genetiker und Entwicklungsbiologen verblufft, wie viele der Gene, welche die Entwicklung einer Fliege steuern, in ahnlicher (homologer) Form auch im Menschen vorkommen und mit ahnlicher Funktion wirksam sind. Zunachst aber hort man mit Schaudem von seltsamen Monstem: Larven ohne Kopf oder mit einem zweiten Hinterleib anstelle des fehlenden Kopfes, spiegelbildlich zum normalen Hinterleib angeordnet (Abb.6-3, Labor von Christiane Niisslein-Volhardund Eric Wieschaus, damals EMBL Heidelberg), oder man liest in der Presse von genetisch manipulierten Fliegen mit bis zu 14 zusatzlichen Augen an Antennen, Fliigeln und Beinen (Abb.6 4 , Labor von Walter Gehring, Biozentrum Basel). In der Erzeugung solcher genetisch manipulierter Fliegen steckt unglaublich vie1 Arbeit. Allein um Gene zu identifizieren, die eine spezifische Funktion bei der Steuerung der Entwicklung erfullen, und u m sie materiel1 in Form eines DNAStranges in den Griff zu bekommen, waren Jahrzehnte der Forschung in vielen Laboratorien notig. Zu Beginn der Forschung wurde damals mannlichen Fliegen Futter verabreicht, in das eine Substanz eingeriihrt war, welche Mutationen im Erbgut auslost. (Heute werden stattdessen in Eizellen Transposons eingefuhrt, fragmentarische Uberbleibsel aus Virus-Genomen, die in andere Gene ,,hineinspringen" und diese dadurch zerstoren konnen.) Die mutagenisierten Mannchen wurden mit unbehandelten, normalen Weibchen gekreuzt. In diesem oder jenem der, wie wir jetzt wissen, 13 GO1 Gene der mannlichen Fliege war bisweilen eine Mutation aufgetreten, ohne freilich schon erkennbar zu sein; denn die Nachkommenschaft erhalt ja auger dem mutierten Gen vom Vater auch noch die Normalausgabe des Gens von der Mutter, und das geniigt meistens, um die Mutation nicht zur Geltung kommen zu lassen. Erst nach Inzuchtkreuzung kommt in der iibernachsten Gene-
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6 Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie
Abb. 6-3 Die in eine Drosophila-Eizelle deponierten messenger-RNAs der Gene bicoid und oskar bestimmen, wo der Kopf und wo der Hinterleib gernacht wird. Der Beweis wird dadurch erbracht, dass durch lnjektion dieser mRNAs die Entwicklung eines zweiten Kopfes
oder Hinterleibs a m falschen Ort ausgelost werden kann. Die Wirkung wird verrnittelt durch die Proteine, deren Struktur von den mRNAs bestimmt wird. Nach Abbildungen aus einem Artikel von Christiane Nusslein-Volhard gezeichnet
ration (F2) in einem Teil der Fliegen der Defekt zum Vorschein, wenn beide AUSgaben des Gens (Allele genannt) in der mutierten Form vorliegen (Homozygotie der Allele). Dazu miissen Hunderttausende von Fliegen geziichtet und peinlich genau untersucht werden: Ergebnis solcher Arbeiten sind zunachst nur Hypothesen iiber mutierte Gene, die den veranderten Phanotypen (Erscheinungsbildern) zugrunde licgen. Anschliegend geht die Suche nach den materiellen Genen 10s. Eine solche Suche ist miihsam. Molekularbiologische Lehrbiicher geben Auskunft iiber die
6 2 Monsterfiegen und Nobelpreisefur Medizin
Abb. 6 4 Drosophila rnit Extraaugen, die von der Arbeitsgruppe von Walter Cehring, Biozentrurn Basel, durch genetische Manipulation hervorgerufen wurden. Aus: Miller, W.A,; Hassel, M. (1999): Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen. Berlin, Heidelberg, Springer-Verlag, 2. Aufl.
Methoden der Gensuche, iiber Stichworte wie ,,Kartierung auf den Chromosomen mittels Restriktionsenzymen", ,,genomische und cDNA-Banken" ,,positionelles Klonieren eines Kandidatengens", ,,iiberlappendes Klonieren", ,,Transposons oder PElement-Transformation", und ,,Expressionsvektoren". Gentechnik ist heutzutage hohe Ingenieurskunst (siehe dazu auch Kap. 3). Zahlreiche Gene werden von jeder Zelle gebraucht, um sie mit den notigen Enzymen fur den Energiestofhechsel auszustatten. Solche Gene sind es indes nicht, denen das Interesse des Entwicklungsbiologen gilt. Er sucht Gene, die spezifisch zur Steuerung der Entwicklung eingesetzt werden. Als ,,entwicklungssteuernd" ist ein Gen identifiziert, wenn mit der Botenkopie (mRNA) seines Normalallels oder mit dem von ihm codierten Protein eine normgerechte Entwicklung jener Struktur ausgelost werden kann, die in der Mutante defekt ist, oder wenn vom Experimentator gezielt eine solche Struktur an einem beliebigen fremden Ort hervorgerufen werden kann (Abb. 6-3). Was sind nun entwicklungssteuernde Gene? Es sind (a) Meistergene (Selektorgene),welche iiber die von ihnen codierten Proteine, Transkriptionsfaktoren genannt, die Aktivitat ganzer Batterien nachgeschalteter Gene steuern (Abb. 6-1 und Abb. 6-5);oder es sind (b) Gene, die eine Bedeutung bei der Signaliibermittlung zwischen den Zellen haben. In Drosophila wurden ca. 100 Gene identifiziert, deren Funktion den Gmndbauplan und die Gestalt des Lebewesens maBgeblich bestimmen: 9
Gene, die fur die Etablierung der Korperachsen (Vorn-hinten-Achse;RuckenBauch-Achse) von grundlegender Bedeutung sind; es sind dies Gene, die nicht im werdenden Kind, sondern zuvor schon im mutterlichen Organismus bei der Herstellung und molekularen Ausstattung des Eies ihre Funk-
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G Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie
EntwicklungssteuemdwSelektorgen (2.6. ein hornootisches Gen) Abb. 6-5 Funktionsweise eines Selektor- bzw. Meistergens. Es steuert andere Gene, und halt (in diesem Fall) auch durch posi. tive Ruckkoppelung seine eigene Aktivitat aufrecht
tion erfullen. Man bezeichnet sie auch als Maternaleffektgene; ihre Sonderrolle wird im Kapitel4 erlautert. Gene, welche die Aufgliederung des Korpers in zunachst einformige Abschnitte (Segmente) envirken (Abb. 6-2); Gene, die als so genannte homootische Gene die besondere Identitat einer Korperregion bestimmen (z. B. Kopf versus Brust). Sind solche Gene defekt, kann eine normal gestaltete Struktur am falschen Ort entstehen, beispielsweise am Kopf der Fliege ein Beinpaar statt eines Antennenpaares (Mutante Antennapedia).
6.3
Von der Fliege zum Menschen
Auch wenn beim Menschen genetische Experimente und Manipulationen nicht moglich, nicht erlaubt oder ethisch nicht verantwortbar sind, ist eine Analyse des menschlichen Genoms moglich. Schon bevor das Genom des Menschen ,,sequenziert" war, bevor also viele Sequenzierautomaten die Reihenfolge der 6 Milliarden
6.3 Von der Fliege zum Menschen
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Buchstaben der genetischen Schrift ermittelt hatten, erlaubte es die Technik der ,,reversen Genetik" nach Genen zu suchen, die in der Fliege, im Fadenwurm, in der Maus oder im Menschen in gleicher oder ahnlicher Ausgabe vorkommen (s. Beitrag B. Schulz). Man macht es sich zu Nutze, dass unter geeigneten experimentellen Bedingungen ein positiver DNA-Strang und sein Gegenstrang von selbst zueinander finden und sich wie die zwei Halften eines ReiRverschlusses zu Doppelstrangen zusammenfugen (Komplementaritatsprinzip). Solche Doppelstrange sind umso stabiler, je besser die komplementare ubereinstimmung der beiden Einzelstrange ist. Ein ausgesuchtes, mit einem Farbstoff oder einem radioaktiven Element markiertes Fragment eines Drosophiki-Genswird als Sonde eingesetzt, um menschliche ,,Genbibliotheken" (in Bakterien-Viren, sog. Phagen, verpackte menschliche DNAFragmente) nach ubereinstimmenden Sequenzen abzusuchen. Zur Verbluffung aller beteiligten Forscher fand man nicht nur viele ahnliche Gene mit ahnlicher Funktion, auch ihre physikalische Anordnung im Genom kann ubereinstimmen, und es konnen die Orte im Korper ubereinstimmen, wo diese Gene eingeschaltet werden. Dies trifft beispielsweise fur die Gruppe der homooti-
Kennzeichnung von K6rpwregionen durch die Expression homijotischer Gene Abb. 6-6 Hornootische Gene in der Fliege und der Maus. Die Farben in der Fliege und irn Mausernbryo kennzeichnen die Orte, in denen diese Gene aktiv sind. Aus: Miiller, W.A,; Hassel, M. (1 999): Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen. Berlin, Heidelberg, Springer-Verlag, 2. Aufl.; stark vereinfacht.
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6 Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie
schen Gene zu, welche die besondere Identitat ganzer Korperregionen bestimmen: Ubereinstimmende Gene sind auf den Chromosomen der Fliege und der Maus in gleicher Reihenfolge angeordnet und Gene, die im Vorderkorper der Fliege zum Zuge kommen, tun dies auch im Vorderkorper der Maus (Abb. 6-6). Ein Meistergen (Pax 6 ) , das in der Maus die Entwicklung eines Auges in die Wege leitet (s. 6.7), kann dies auch in der Fliege, obgleich die Augen von Maus und Fliegen ganz verschieden gebaut sind. Insgesamt hat der Mensch nach gegenwartiger Einschatzung gerade ma1 doppelt so viele Gene wie eine Fliege oder ein Fadenwurm.
6.4 Auf3ergenomische und rein rniitterliche lnformationsquellen
Die folgende Aussage verbliifft nicht nur Laien und scheint dem oben Gesagten zu widersprechen: Eine so grundlegende Entscheidung wie die, wo der Kopf gemacht werden soll, ist nicht im Genom des werdenden Kindes verankert. Die einzelnen Zellen des Embryos haben kein internes Wissen, wo im Embryo sie sich befinden; es muss ihnen mitgeteilt werden. Solche Positionsinformation kann von a d e n kommen: Beim Frosch und Fadenwurm (Caenorhabditis elegans) wird der Ort, an dem das Spermium in die Eizelle eindringt, zum Kopfpol. Vielfach ist auch die Richtung der Schwerkraft maggebend fur die Ausrichtung der Kopf-SchwanzAchse, beispielsweise im Vogelei. Bei der Taufliege Drosophila hingegen wird die Entscheidung, wo vorne und wo hinten, wo Riickenseite und wo Bauchseite sein soll, sekundar von Gen-gesteuerten Komponenten der Eizelle getroffen, aber es sind nicht die Gene des werdenden Kindes, sondern der Mutter, die diese Entscheidung herbeifiihren. Im mutterlichen Ovar wird das Ei hergestellt und dabei mit mutterlicher (maternaler) Information bestuckt, die dem Embryo die Entscheidung abnimmt, wo der Kopf und wo der Hinterleib entstehen soll. Diese maternale Information besteht aus mRNA (messenger-oder Boten-RNA), die als Kopien bestimmter Gene von Nicht-Keimzellen des Ovars hergestellt, zielgerichtet ins Ei transportiert und schlieglich an seinem Vorderpol, am Hinterpol oder an anderen Orten deponiert und verankert wird. Am Vorderpol beispielsweise wird die mRNA des Gens bicoid (Abb. 6-3) deponiert, das Kopfiildung in die Wege leitet. Das sogleich nach der Eiablage mittels der bicoid mRNA hergestellte BICOI D-Protein gelangt in der vorderen Region des Embryos in die Zellkerne, besetzt die Steuerregion bestimmter embryoeigener Kontrollgene und schaltet jene Genkaskaden ein, die schlussendlich zur Kopfiildung fuhren. Man envartet, dass so fundamentale Gene wie bicoid in der Evolution hoch konserviert weitergereicht wurden, wenn doch zahlreiche Gene vermeintlich niedrigeren Ranges allenthalben im ganzen Tierreich, nicht wenige auch im Pflanzenreich, wiedergefunden werden. Doch die Natur kann auch mit gegenteiligen Uberraschungen aufwarten. Das Gen bicoid steht nicht universe11 zur Verfugung, sondern ist nur in bestimmten Fliegen zugegen. Es ist in der jiingsten Evolutionsgeschichte durch Verdoppelung und Mutation eines anderen Gens entstanden und hat seine artspezifische Aufgabe gefunden.
6.5 Der Organisator der Kopfoildung bei Wirbeltieren
Die experimentelle Entwicklungsbiologiehat seit ihrem Beginn vor 1900 immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Eizellen auBergenomische Information enthalten. Mehr und mehr werden die entsprechenden Informationstrager identifiziert. Manche sind konserviert und in mehreren verschiedenen Tierstammen nachzuweisen, andere sind artspezifisch. Diese Erkenntnis hat zwei beachtenswerte Konsequenzen: Mutter sind bestimmender als Vater; schlieglich hat die Eizelle nicht nur die genannte Boten-RNAs als entwicklungssteuernde Determinanten; sie ist es auch, welche allein mitochondriale Gene als Mitgift zum Genom des Kindes beisteuert. Die Mitochondrien des Spermiums hingegen gehen zugrunde. 2. Bei Klonierungsversuchen wird man moglicherweise keine artfremden Eizellen als Empfanger von Spenderkernen verwenden konnen. So wie nur die Eizelle von Drosophila melanogaster das artspezifische BICOID-Protein mitbringt, konnte auch bei anderen Organismen eine artspezifische Mitgift vonnoten sein. Die - abenteuerliche - Idee, Saurier-DNA (woher intakte DNA gewinnen?) in Krokodileier einzuschleusen, oder die ernsthaft diskutierte Idee, vom Aussterben bedrohte Tierarten mithilfe artfremder Eizellen zu klonieren, konnte sich als unerfullbare Illusion herausstellen. 1.
6.5
Der Organisator der Kopfbildung bei Wirbeltieren
Teratome, missgebildete Embryonen mit chaotisch zusammengewiirfelten Zelltypen und Strukturen belegen, dass ortsgerechte Entwicklung nicht ohne ubergeordnete Systeme der Steuerung und Kommunikation moglich ist. Die zellinternen Gene sind eine unerlassliche, doch keine ausreichende Quelle steuernder Information. Zellen senden koordinierende Signale aus, empfangen von ihren Nachbarn Signale und beantworten sie mit ortsgerechter Reaktion. Eines der aufregendsten und das am meisten zitierte Experiment der Biologie schlug Hans Spemann (Freiburg i. Brsg., um 1920) seiner Doktorandin Hilde Mangold vor: Eine Urmundlippe des Amphibienkeims an einen fremden Ort transplantiert, lost dort die Bildung eines zweiten, ,,siamesischen" Zwillings aus (Abb. 6-7). Der auch in anderen Wirbeltierembryonen tatige Signalsender wird heute Spemann-Organisator genannt. Es werden im Verlauf der Entwicklung immer mehr und neue Signalsender eingerichtet und in Betrieb genommen, viele mit spezifisch lokalen Sendeprogrammen. Beispielsweise induziert der Augapfel die Entwicklung der Augenlinse, diese wiederum sorgt dafur, dass iiber ihr die AuBenhaut zur durchsichtigen Hornhaut wird (vgl. Beitrag Graw). Jahrzehntelange Bemuhungen, die in nur winzigen Spuren ausgesandten Signalmolekiile zu identifizieren, sind erst mit der Efindung zahlreicher molekularbiologischer Methoden erfolgreich geworden. Der Spemann-Organisator sendet ein ganzes Bundel von Signalmolekiilen aus. Diese Molekide sind Proteine, leiten sich also von Genen ab, und induziercn in synergistischer Weise die Enwcklung des Zentralnervensystems sowie der angrenzenden Organe. Manche der von der Urmundlippe (und ihrem Derivat, der Chorda) in die Nachbarschaft ausgesandten Signalproteine organi-
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6 Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie
Abb. 6-7 Auslosung der Entwicklung eines zusatzlichen Kopfes, Rumpfes oder eines vollstandigen zweiten Embryos nach klassischen Verfahren (Spemann-Mangold Experiment) und
neuen, molekularbiologischen Verfahren. Aus: Muller, W.A,; Hassel, M. (1999): Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen. Berlin, Heidelberg, Springer-Verlag. 3. Aufl. 2002.
sieren die Entwicklung des Kopfes mit Gehirn und Schadel (Proteine mit Namen Cerberus urid Dickkopf), aridere Signalrnolekule (Chordin, Noggin) die Entwicklurig des Rumpfes mit Ruckenmark und Wirbelsaule (Abb. 6-7 und 6-8). Wie aber wird der Ort festgelegt, an dem der Signalsender eingerichtet wird? Im Ei ist unter anderem eine maternale Determinante (Beta-Catenin) deponiert, welche den Zellcn, denen sie zugeteilt wird, die Fahigkeit verleiht, zum Spemann-Organisator zu werden. Der Ort im Ei, wo die Determinante zu liegen kommt, ist seinerseits von der Stelle abhangig, wo das Spermium in das Ei eindringt. Es gibt also Kaskaden von Ereignissen, die lawinenartig Strome immer neuer Information freisetzen oder generieren.
6 6 Selbstorganisation und Musterbildung
Abb. 6-8 lnduzterter Zwettkopf an der Kaulquappe des Krallenfrosches Xenopus. I n einen fruhen Embryo wurde mRNA des Gens dickkopf injiziert, wie in Abb. 6-7 gezeigt. Experiment und Btld von Christof Niehrs, Krebsforschungszentrum Heidelberg
6.6 Selbstorganisation und Musterbildung
Es ist nun keineswegs so, dass die internen Informationsquellen, das heiBt die im Kern der befruchteten Eizelle gespeicherte genetische Information und die in der Eizelle deponierten maternalen Informationstrager (Mitochondrien, entwicklungssteuernde mRNAs und Proteine), schon definitiv das weitere Schicksal der Abertausenden von Zellen bestimmen wiirden, in die sich die Eizelle nach und nach selbst zerlegt. Eine wesentliche, Staunen verdienende Fahigkeit lebender Zellen ist es, durch wechselseitige Interaktion sich selbsttatig zu iiberzellularen Mustern und Gestalten zu organisieren. Man kann Siiswasserpolypen (Hydren) in einzelne Zellen zerlegen. Die Zellen kriechen zusammen, formen einen Klumpen (Aggregat) und aus diesem gestalten sie sich wieder zum Polypen - dies alles ohne Hilfe maternaler Informationsquellen. Im Aggregat herrscht anfanglich Chaos. Nach und nach entsteht Ordnung: Es heben sich Orte hervor, die zu Signalsendern werden und dadurch zu Organisatoren der Entwicklung; diese Orte sind es auch, die schlieRlich zu Kopfen heranwachsen. Selbstorganisation findet auch im Wirbeltierembryo bei der Entwicklung aller Organsysteme statt. Zellen interagieren mittels freigesetzter Signalsubstanzen oder iiber molekulare Strukturen, die auf der Zelloberflache exponiert werden, eine wechselseitige Erkennung der Zellen ermoglichen, und zugleich jenen Klebstoff darstellen, der die Zellen im Gewebe zusammenhalt.
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G Entwrcklungs- und Reproduktionsbiologie
Biophysiker und Biomathematiker (z. B. in den Max-Planck-Instituten von Tubingen und Leipzig) versuchen, mathematisch formulierte Modelle molekularer Wechselwirkungen zu entwerfen, Modelle, die es erlauben, am Computer das Entstehen von Ordnung und Mustern aus chaotischen oder homogenen Ausgangszustanden zu simulieren. So verschieden solche Modelle auch sind, sie arbeiten mit gleichen oder ahnlichen Grundprinzipien: Prozesse, die sich durch positive Ruckkoppelung (Autokatalyse) selbst verstarken, werden mit negativen Ruckkoppelungsprozessen verknupft. Ein vielbenutztes Prinzip ist die ,,laterale Inhibition": Eine irn Entstehen begriffene Struktur hernmt in ihrer Umgebung das Entstehen einer gleichartigen Struktur. Der Biologe kann zahlreiche Entwicklungsprozesse in Tieren und PflanZen nennen, in denen solche Prinzipien venvirklicht sind.
6.7 lnnere Oszillatoren als Organisatoren periodischer Strukturen
Eine aufregende neue Erkenntnis ist, dass auch innere Uhren (Oszillatoren) an der Steuerung von Entwicklungsprozessen beteiligt sind, beispielsweise, wenn beidseitig vom kunftigen Ruckenmark die zwei Reihen von Somiten angelegt werden. Diese Somiten sind die Vorlaufer der Wirbelkorper und der Korpermuskulatur. Von einem Organisationszentrum im hinteren Bereich des Embryos gehen periodisch Wellen einer (noch unbekannten) Signalsubstanz aus, die sich nach vorne fortbewegen und Wellen der Genexpression (Expression = Gen-gesteuerte Proteinsynthese) auslosen. 1st eine Welle an einem schon angelegten Somiten angekommen, macht sie halt und kennzeichnet den Ort, an dem sich eine weitere Zellgruppe bereit rnacht, den nachsten Somiten zu formen.
6.8 Differenzierung und Zellgedachtnis
Im Zuge der Entwicklung mussen die einzelnen Zellen schlieBlich definitiv auf ihr Schicksal festgelegt werden. Anfanglich herrscht genetische Aquivalenz: Alle Zellen sind mit der gleichen und vollstandigen genetischen Information ausgestattet. Nach und nach wird uber die Aktivitat von Selektorgenen entschieden, welche der vielen Gene kunftig aktivierbar bleiben und welche auf Dauer gesperrt werden. Wenn Zelleri auf uriterschiedliche Eritwicklurigsliriieri prograrriniiert (determiniert) werden und ihre Wege furderhin auseinandergehen, nennt man dies Differenzierung. In einer kunftigen Nervenzelle werden andere zelltypspezifischen Gensatze eingeschaltet als in einer Muskelzelle. Eine Nervenzelle stellt Neurotransmitter her, die als Signaltrager Nachbarzellen zugespielt werden; eine Muskelzelle stattet sich selbst mit den Linearmotoren des kontraktilen Apparates aus. Herauszufinden, welche molekularen Mechanismen der zelltypspezifischen Zellprogrammierung zugrunde liegen, ist eine Herausforderung an die gegenwartige und kunftige Zell- und Entwicklungsbiologie. Das Programm ist in einem Zellge-
6.9 Neuronale Vernetzung
dachtnis niedergelegt, das bei der Zellteilung kopiert und den Abkommlingen weitergegeben werden kann. So ist es moglich, dass der Korper durch Zellvermehrung wachst, ohne dass sich seine zellulare Differenzierung und damit auch seine zellulare Zusammensetzung wesentlich andert. Programm und Gedachtnis des Differenzierungsprogramms sind in besonderen Proteinen deponiert, die mit der DNA assoziiert sind und von einem ihrer Entdecker (Renato Paro, Heidelberg) als ,,cell memory modules" (Zellgedachtnismodule) bezeichnet worden sind. Auch chemische Modifikationen der DNA selbst und der rnit ihr assoziierten Proteine (Acetylierung, Methylierung) spielen eine Rolle. In Krebszellen geht das Gedachtnis ganz oder teilweise verloren, und sie kehren zu einem friihembryonalen Status zuruck (s. Abschnitt 6.10).
6.9
Neuronale Vernetzung
Das Gehirn des Menschen ist das komplexeste System in unserem Erfahrungsbereich. Es ist ja auch schier unglaublich, was bei der Entwicklung eines Gehirns vonstatten geht. Man schatzt die Zahl der Nervenzellen im menschlichen Gehirn auf bis zu 1000 Milliarden. Jede einzelne Nervenzelle ist iiber ihre - elektrische Signale leitenden - Fasern mit 100 bis 10000 anderen Nervenzellen verknupft. Wie wird diese Vernetzung gesteuert? Forscher, die solche Fragen beantworten wollen, mussen auf tierische Modellsysteme ausweichen, deren Gehirn weniger komplex ist und die experimentell zuganglich sind. Sie befassen sich mit dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans, dessen Nervensystem aus genau 302 Nervenzellen besteht; sie befassen sich mit der Taufliege Drosophila und dem Zebrafisch Danio, bei denen viele das Nervensystem betreffende Mutanten erzeugt worden sind, und sie befassen sich mit den Embryonen des Huhnchens, um experimentieren zu konnen. Und wenn es denn ein Sauger sein muss, werden mit Genehmigung der zustandigen Behorden Embryonen der Maus untersucht, gegebenenfalls auch Embryonen, die aus genetisch manipulierten Keimzellen hervorgehen. Ein besonders gern und erfolgreich untersuchter Prozess ist die Verkabelung des Auges mit dem Sehzentrum im Gehirn. Bei den Embryonen der Fische, Amphibien und Vogel ist das Auge direkt, und nicht wie beim Sauger iiber eine Zwischenschaltstation, an das (primare) Sehzentrum angeschlossen (Abb. 6-9). Die Netzhaut des Auges ist entwicklungsgeschichtlich ein Teil des Gehirns und entwickelt Millionen von Nervenzellen. Diese senden Fasern aus, die zum Sehnerv gebundelt zum Sehzentrum hinwachsen. Wie finden diese Nervemfasern ihren Weg und ihr Ziel? Jede Faser tragt an ihrer Spitze einen ,,Wachstumskegel",ein Organell, das als Sensor Information der Umgebung aufnimmt, zugleich beweglich ist, vorankriecht und als Pfadfinder fungiert. Der Wachstumskegel (Abb. 6-9) erspurt mit molekularen Rezeptoren die Anwesenheit von Wegweisermolekiilen in seiner Umgebung. Dabei ,,weif3" jeder Kegel, welche Kombination von Wegweisermolekirlen (z. B. Proteine der Ephrinklasse) seinen Soll-Wegund sein individuelles Soll-Zielgebiet auszeichnet.
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6 Entwicklungs- und Reproduktionsbrologie
Abb. 6-9 A: Nervenfaser-Verbindungen vom Auge zurn Sehzentrum des Gehirns, beispielsweise irn Embryo eines Huhns. Der Wachstumskegel an der Spitze der Fasern hat Pfadfinderfunktion. Nach Muller, W.A,; Hassel, M. (1 999): Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen. Berlin, Heidelberg, Springer-Verlag, 2 . Aufl. 6: Wachsturnskegel einer Nervenzelle aus der Netzhaut eines Huhnerernbryos. Aufnahmen aus der Arbeitsgruppe von Frau Prof. Elisabeth Pollerberg, lnstitut fur Zoologie der Universitat Heidelberg.
Neuron
Wachstumskegel 1
Wachstumskegel 2
6.70 Programmierter Zelltod, Stammzellen und Krebs 6.10
Programmierter Zelltod, Stammzellen und Krebs
Trotz aller Rafinesse, mit der sich Nervenzellen mit anderen Zellen selbst verschalten, passieren viele Fehler. Abermillionen falsche, oder embryonal im Ukrfluss hergestellte, Verbindungen werden dadurch korrigiert, dass sich fehlerhaft verkniipfte und iiberflussige Zellen einem Selbstmordprogramm (Apoptose)unterwerfen. Sie zerlegen sich selbst in kleine Happchen, die von speziellen Fresszellen (Mahophagen)verspeist und so beseitigt werden. Wie getestet wird, ob eine Verknupfung korrekt ist oder nicht, ist noch ratselhaft. Gewiss ist nur, dass die Zielorgane, wie beispielsweise Muskelfasern, ihren vorgeschalteten Nervenzellen Uberlebenssubstanzen anbieten. Wenn eine Nervenfaser das Ziel verfehlt, kann sie keine Uberlebenssubstanz aufnehmen und tritt automatisch in das programmierte Absterbeprogramm ein. Die Mehrzahl aller Zellen des tierischen Organismus und des Menschen verliert, wenn das Wachstum zum Ende kommt, die Fahigkeit, sich durch fortgesetzte Teilung zu vermehren. Dies gilt insbesondere fur Nervenzellen. Damit beginnt aber auch unweigerlich der Prozess des Alterns; denn Schaden an der DNA, deren Information zur unablassigen Erneuerung verbrauchter Proteine benotigt wird, werden von den Reparatursystemen der Zelle nur erkannt und ausgebessert, wenn als Vorbereitung zur Zellteilung die DNA verdoppelt wird. Die Lebenspanne so rnancher ausgereifter Zellen ist sehr kurz. Rote Blutkorperchen l e k n bloB 120 Tage. Bei der grogen Menge an Blutzellen bedeutet dies, dass im Menschen pro Sekunde G Millionen gealterte rote Blutzellen das Suizidprogramm einschalten und sterben. Bald waren wir blutleer, wiirde nicht fur Nachschub gesorgt. Nachschub von Blutzellen kommt aus Starnmzellen, die sich im Knochenmark niedergelassen haben und zeitlebens Teilungsfahigkeit behalten. Die Halfte ihrer Abkommlinge behalt Stammzellcharakter, die andere Halfte wird dazu bestimmt, sich zu Blutzellen weiter zu entwickeln. Das als Dopingmittel ins Gerede gekommene EPO (Erythropoietin) ist ein Hormon, das bei Blutmangel von der Niere ausgesandt wird und im Knochenmark eine vermehrte Bildung von roten Blutkorperchen anregt. Nichts in der lebenden Natur ist ganzlich fehlerfrei. Alle Regelungsprozesse konnen gestort werden. Viren beispielsweise versuchen, ihre Wirtszellen so umzusteuem, dass sich die Zellen unablassig vermehren, langer leben und neue Kopien des viralen Genoms herstellen. Viren konnen so die Entwicklung eines Tumors auslosen. Krebsentstehung und Tumorbildung sind, leider, auch ein Thema der Entwicklungsbiologie. Krebs entsteht iibenviegend in Zellen, die sich von stets teilungsbereiten Stammzellen ableiten und deren Aufgabe es ist, verbrauchte und beschadigte Zellen zu ersetzen. Wenn die individuelle Entwicklung solcher Zellen nicht zu ihrem normalen Ende kommt, entsteht Krebs. Es gibt zwei grundsatzliche Moglichkeiten, wie Tumore entstehen konnen: (a) Zellen horen entgegen ihrem normalen Entwicklungsprogramm nicht auf, sich zu teilen, oder sie teilen sich zu rasch; (b) Zellen weigern sich, Selbstmord zu begehen, eine Weigerung, die ihnen von Viren aufgezwungen werden kann.
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G Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie
Tumore senden daruber hinaus oft Signalsubstanzen (angiogene Faktoren) aus, welche die Bildung neuer Blutgefage anregen und vonvachsende Blutkapillaren zum Tumor lenken. So verbessert ein Tumor seine Blutversorgung, und diese fordert wiederum sein Wachstum. Eine derzeit in der klinischen Erprobung befindliche Methode, Tumonvachstum zu unterbinden, setzt auf die Wirkung von antiangiogenen Faktoren. Wenn die Blutgefage im Umfeld cines Tumors verkummern, wird er ausgehungert.
6.1 1 Gezielte Steuerung entwicklungsrelevanter Gene
Molekularbiologisch orientierte Forscher in aller Welt versuchen mit wachsendem Erfolg, in tierischen Modellorganismen oder in Pflanzen Gene einzufuhren, die der Experimentator selbst nach Belieben einschalten oder ausschalten kann, um seine Funktion studieren zu konnen. Beispielsweise hat die Arbeitsgruppe um Hermann Bujard, (Zentrum fur Molekularbiologie der Universitat Heidelberg) mit Genfragmenten, die teils von Bakterien, teils von hoheren Organismen (Eukaryoten) stammen, ein DNA-Konstrukt ( Promotor) entwickelt, das dem gewunschten Zielgen als Steuerelement vorgeschaltet wird und es erlaubt, durch Verabreichen des Antibiotikums Tetrazyklin dieses Zielgen auszuschalten. Eine andere Variante dieses Tet(razyk1in)-Systemserlaubt es, Gene zur gewunschten Zeit und am gewunschten Ort einzuschalten. Der Erfindungsreichtum der Molekularbiologen kennt keine Grenzen. Elemente der DNA der Hefe und von Viren werden zu einem Werkzeug (Cre/Lox-System) zusammengestellt, mittels dessen Gene in ausgewahlten Orten des Korpers ausgeschnitten werden konnen. Beispielsweise werden im Krebsforschungszentrum Heidelberg Mause hergestellt, deren Rezeptoren fur das Hormon Cortisol in diesem oder jenem Organ entfernt werden konnen, indem im gewunschten Organ, und nur dort, die Gene fur die Rezeptoren ausgeschnitten werden (Arbeitsgruppe Gunther Schutz).
6.12 Gentechnisch manipulierte Tiere als Modelle fur menschliche Krankheiten
Zwei technisch augerst schwierige Methoden erlauben es, in Mausen in allen Organen ausgewahlte Gcne gezielt auszuschalten (,,k.o. Mause"), normale Gene gegen manipulierte Gene auszutauschen, oder gar artfremde Gene, beispielsweise des Menschen, in das Genom der Maus einzuschleusen. Die eine, simpel erscheinende Methode injiziert das Genkonstrukt in den Kern der Eizelle. In Eizellen injizierte Konstrukte werden allerdings im Regelfall nicht in das Genom integriert. (Deshalb wird das Konstrukt in den folgenden Zellteilungen nicht getreulich kopiert und nicht an alle Tochterzellen weitergegeben.) Die andere Methode fuhrt das Konstrukt erst in embryonale Stammzellen (ES-Zellen)ein (Abb. 6-10). Das Konstrukt kann eine mutierte Ausgabe des normalen Allels sein oder ein ,,Transgent', das heigt ein
6.12 tentechnisch manipulierte Tiere als Modellefur menschliche Krankheiten
venvandtes aber artfremdes Gen (Anfang und Ende der Sequenz miissen mit dem normalen Mausgen iibereinstimmen). Vereinzelt wird in diesen Stammzellen iiber ein noch weitgehend unbekanntes und sehr komplexes Geschehen das im Labor passend zurechtgemachte Genkonstrukt automatisch gegen das natiirliche Gen ausgetauscht (homologe Rekombination). Das Genkonstrukt enthalt einen Baustein, der eine bestimmte Antibiotikum-Resistenz vermittelt und es erlaubt, ES-Zellen mit
Abb. 6-10
Verfahren zur genetischen Manipulation der Maus. ES-Zellen = embryonale Stammzellen. Der manipulierte Embryo wird von einer Ammenmutter ausgetragen. Aus den genetisch veranderten ES-Zellen konnen Keimzellen heworgehen, die Ursprung
genetisch veranderter Nachkommenschaft sein konnen. Aus: Muller, W.A,; Hassel, M. (1999): Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen. Berlin, Heidelberg, Springer-Verlag, 2. Aufl., vereinfacht.
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gelungener Rekombiriation auszuwahlen. Nur rekombinante ES-Zellen, also Zellen mit eingebautem Konstrukt uberlrben eine Antibiotikumbehandlung. Rekombinante ES-Zellen werden in eine Blastocyste (fruhes Embryonalstadium, Abb. 6-10) injiziert. Sie nehmen an der Entwicklung der Maus teil und konnen in ihr gar Keimzellen hervorbringen, die dann das kopierfahige Konstrukt enthalten. Uber die Keimzellen kann das mutierte Gen, oder das Transgen, in Mausstamme eingekreuzt werden. Inzuchtkreuzung wird in der zweiten (F2-) oder dritten (F3-) Generation in einem Teil der Nachkommenschaft d a m fuhren, dass beide Allele eines Gens nicht mehr die Normalausfuhrung, sondern Kopien des Konstruktes sind. In solch reinerbigen (homozygoten) Mausen wird sich dann herausstellen, was das Konstrukt bewirkt. Uber diese Methode sind schon zahlreiche Mausstamme gezuchtet worden, die beispielsweise an Fettleibigkeit, an Diabetes, an Immunschwache, an Gedachtnisschwund oder an Parkinson-ahnlichen Symptomen leiden. Obzwar es viele Menschen ablehnen, dass Tiere gewollt mit Erbkrankheiten behaftet werden, halt die Medizin solche Mause fur unabdingbar. Sie sollen helfen, n e w Medikamente und Therapieverfahren zu entwickeln.
6.1 3
Stammzellen-Ersatzgewebe,therapeutisches Klonen?
Die Entwicklungsbiologie geht mehr und mehr daran, der Medizin zu Hilfe zu kommen. Vorbereitend fur die Entwicklung von Ersatzteilen ist derzeit vom Bundesministerium fur Bildung und Forschung ein Forschungsprogramm ausgeschrieben, das unter anderem vorsieht: ,,Entwicklung grundlegender Verfahren fur die in-vitro Zuchtung komplexer Gewebe und Organe unter Venvendung neuester Techniken beispielsweise der Bioreaktortechnologie, der Mikro- und Nanotechnologie sowie der Bioinformatik Manipulation von Zellen mit dem Ziel der komplexen, multiplen Produktion von Regenerationsregulatoren In vitro Manipulation von Zellen fur den Einsatz als intrakorporalc Uberbruckungs- bzw. Organunterstiitzungssysteme" Die hier zum Ausdruck gebrachte Hoffnung, man konne im Labor Ersatzteile fur bcschadigtc oder verlorene Gewebe und Organe heranziichten, grundet auf Erfahrungen, die man mit bestimmten Stammzellen seit Jahrzehnten schon sammeln konnte. Es gibt schon seit larigem die Moglichkeit, aus dem Knochenmark - auch envachsener - Personen multipotente Blut-Stammzellen zu gewinnen, aus denen die verschiedenen Zellen des Blutes hervorgehen konnen. Solche Blut-Stammzellt=n werden klinisch zur Therapie von Leukamien eingesetzt. Die Verfahren zur Isolierung sind allerdirigs iuBerst schwierig; denn echte multipotentc Blut-Stammzellen sind nur eine winzige Teilpopulation der Knochenmarkszellen, und sie sind bloB durch eine ,,negatives Merkmal" gekennzeichnet: Multipotente Stammzellen zeigcn
6.73 Stammzeflen-Ersatzgewebe, therapeutisches Kfonen?
dem lmmunsystem keine zellspezifischen Oberflachenmolekule und reagieren deshalb nicht mit Antikorpern, die mit reifen Blutzellen reagieren. Auch Starnmzellen der Haut, dem jeweiligen Patienten entnommen, werden in der Gewebekultur vermehrt und eingesetzt, um grogflachige Hautverbrennungen zu heilen. Aus Stammzellen des Knorpelgewebes werden im Labor Ersatzknorpel fur Kniegelenksscheiben und Zwischenwirbelscheiben hergestellt. Neuerdings werden Versuche unternommen, auch andere Zellsorten als Blutzellen aus Stammzellen des Knochenmarks abzuleiten, und erste Erfolge deuten sich an. Sollte dies gelingen, gabe es keine stichhaltigen Grunde mehr, mit ernbryonalen Starnmzellen zu arbeiten. Embryonale Stammzellen. Wie man aus zahlreichen Versuchen mit Mausernbryonen we&, enthalt das als Blastocyste bezeichnete friihe Embryonalstadium nicht nur multipotente, sondern sogar totipotente Zellen, aus denen alle 205 Zellsorten der Maus entstehen konnen, einschlieBlich neuer Keimzellen. GroBe Hoffnungen werden deshalb auf embryonale Stammzellen, kurz ES-Zellen genannt, gesetzt. Sollte es gelingen, industriell beispielsweise Hautregenerate, Knorpelscheiben, Knochengewebe oder Lebergewebe herzustellen, konnte vielen Unfallopfern geholfen werden und liege sich manche Beschwernis des Alterns lindern, vorausgesetzt, dass auch das schwenviegende Problem der Gewebevertraglichkeit gelost wird: Zellen tragen auf ihrer Oberflache namlich einen individualspezifischen Ausweis, der dem Immunsystern anzeigt, dass solches Spendergewebe von einem fremden Individuum starnmt. Wurde es geniigen, in die Spenderzellen jene Gene (MHC-Gene, beim Menschen HLA genannt) einzuschleusen, welche den Zelloberflachen den individuellen Ausweis des jeweiligen Patienten verleihen? Es gibt nun aber leider Tausende von moglichen Varianten dieser MHC-Gene, und sie konnen noch nicht gezielt synthetisch hergestellt oder aus den Kernen von Zellen des Patienten isoliert werden. Daher wird der Vorschlag diskutiert, Eizellen einer zur Spende bereiten Frau heranzuziehen, den Kern der Eizelle zu entfernen und durch den Kern einer totipotenten Zelle des jeweiligen Patienten zu ersetzen. So beginnt ein Verfahren zum Klonieren von Saugern (s. unten Abschnitt 6.14). Nach dern Starten der Embryonalentwicklung durch einen elektrischen StromstoB, der das Eindringen eines Sperrniums simuliert, liege man das Ei sich in der Kulturschale zur Blastocyste entwickeln. Aus ihre wurden sich ernbryonale Stammzellen und aus diesen schlieBlich die gewiinschten Gewebe gewinnen lassen. Deren Genom entsprache dem des Patienten und deren Oberflachenausweis triige dessen individuellen Kennzeichen; es kame also nicht zur AbstoBung des implantierten Materials durch das Immunsystem. Solche Versuche durfen nach dem Embryonenschutzgesetz gegenwartig in Deutschland nicht durchgefiihrt werden. Es gibt indes Wissenschaftler, die fur die Aukebung des Verbots unter bestimmten Auflagen eintreten, eine Forderung, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstiitzt wird. Meldungen der Medien lassen allerdings auch erkennen, dass so manche verfriihte Hoffnung und manche Illusion in Urnlauf gesetzt worden ist. So sol1 nicht blog bei ParkinsonMausen, sondern auch bei menschlichen Patienten nach Injektion von Stamrnzellen eine Linderung des Parkinson-Syndroms eingetreten sein. Allerdings wird auch
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von einem Fall mit unenvarteten und schlimmen Nebenwirkungen berichtet (Spiegel 11/12.03.01). Versuchen mit Jarkinson-Mausen" lastet an, dass die Vergleichbarkeit mit dem Parkinsonsyndroni des Menschen in Frage gestellt werden muss. Versuche, die natunvissenschaftlichen Kriterien standhalten, sind mit Menschen naturlich aus ethischen und anderen Grunden nicht machbar Gefahr der Tumorbildung. In der Diskussion um die moglicheri Segnungen einer Stammzellentherapie wird nicht ausreichend auf eine besonders schwenviegende Gefahr hingewiesen: Die Mehrzahl aller Turnoren geht auf Zellen zuruck, die aus Stammzellen hervorgehen, wie sie in der Haut, der Darmwand, im Knochenmark, in den Lymphknoten, in der Brust der Frau und in manch anderen Geweben und Organen gefunden werden. Solche Stammzellen liefern immerzu Nachschub fur die laufende Regeneration dieser Gewebe und Organe (s. oben). In den Hoden und Eierstocken liefern Stammzellen neue Keimzellen. Ein besonders groges Potenzial, Tumore hervorzubringen, haben embryonale Zellen. Embryonen, die sich nicht in der Gebarmutter, sondern an falschen Orten wie Eileiter oder Bauchhohle einnisten, werden zu Teratomen, chaotisch disorganisierten Ansammlungen von Zellen, aus denen nicht seltcn Teratocarcinome entstehen. Diese haben die Eigenschaften eines Tumors und konnen sogar Metastasen bilden. Die Forschung hat noch unerhort viele Probleme zu losen, bis ,,therapeutisches Klonen" das Methodenspektrum der Humanmedizin enveitern konnte.
6.14 Reproduktionsbiologie:Klonen von Saugetieren und Wahl des Ceschlechts
Transgene Tiere (Tiere mit gezielt veranderter genetischer Ausstattung) werden hergestellt, um an ihnen, stellvertretend fur menschliche Patienten, neue Therapiemethoden ausprobieren zu konnen. Andere transgene Tiere sollen in ihrer Milch menschliche Proteine, beispielsweise Wachstumshormon oder Insulin, erzeugen. Solche wertvollen Tiere sollten dann aber auch in grogerer Zahl zu jeder Zeit zur Verfugung stehen. Transgene hohere Organismen mit genau definierten Eigenschaften herzustellen, ist aber langwierig, gelingt keineswrgs routinernaisig, und ein gewonnenes Ergebnis ist in der Regel nicht exakt reproduzierbar. Das ist der Grund, weshalb weltweit in mehreren Laboratorien Verfahren entwickelt werden, Saugetiere zu klonieren das heist Nachkommen zu erzeugen, die mit einer exakten Kopie eines ausgesuchten Erbgutes ausgestattet sind. Naturliches Klonen ist in der lebendigen Natur seit alters als asexuelle oder vegetative Fortpflanzung oder Vermehrung bekannt, und kornmt uberall bei Pflanzen vor: Uber Auslaufer vermehrtc Erdbeeren, Himbeeren und Brombeeren, uber Knollen vermehrte Kartoffeln und Zwiebeln, uber Pfropfreise kunstlich vermchrte Obstsorten und Rosen belegen, was der Zuchter vom Klonen oder Klonieren (Klonen = naturliche Fortpflanzung; Klonieren = kiinstliches Verfahren) envarten darf: Im Gegensatz zur sexuellen Fortpflanzung weis man, was herauskommt. Sexuelle Reproduktion hat in der Evolution der meisten Organismen, besonders aber der Tiere, die Oberhand gewonnen, weil sie genetische Vielfalt erzeugt. Es ~
6.14 Reproduktionsbiologie: Klonen
y o n Sliugetieren und
Wahl des Ceschlechts
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kommen zwei Eltern zum Zuge, die Teile ihres Erbgutes fur die gemeinsame Nachkommenschaft beisteuern durfen. Bei der Neukombination des mutterlichen und vaterlichen Erbgutes kommen jedoch Zufallsmomente ins Spiel: deshalb ist das Ergebnis von Fall zu Fall verschieden und im Detail unvorhersagbar. Naturliches Klonen gibt es auch im Tierreich: SuRwasserpolypen beispielsweise klonen sich selbst durch Knospen. Bei Saugern indes gibt es naturliche Klone nur in Ausnahmefallen als eineiige Zwillinge oder Vierlinge. Verfahren zum Klonieren von Wirbeltieren sind vor Jahrzehnten bei Froschen entwickelt worden. Kerne von Eizellen werden gegen totipotente Kerne aus Korperzelleri des zu klonenden Spenderfrosches ausgetauscht. Bei Siugern waren die Bemuhungen jahrzehntelang erfolglos. Umso groBer war die Sensation, als mit Dolly das erste klonierte Schaf vorgestellt wurde (s. Abb. 6-11). Zu bewaltigende Probleme waren u. a. das Auffinden totipotenter Kerne, das Gewinnen von Eizellen in ausreichender Zahl und Qualitat, die Simulation der Aktivierung des Eis durch das Spermium - heute durch wohldosierte elektrische StromstiiBe imitiert -, die Zubereitung geeigneter Nahrlosungen fur die Eizellen und die hormonelle Vorbereitung von Ammenmuttern, welche die Keime austragen miissen. Klonieren wiirde auch bedeuten, dass das Geschlecht des Nachkommen wahlbar ist: Theoretisch ware gar eine rein weibliche Bevolkerung moglich, wenn nicht nur die Eizellen, sondern auch die Spenderkerne ausschlieBlich von Frauen stammten. Indes ist bci Sitigern die Erfolgsquote noch so gering (1:600 bis 1:300),dass das vie1 diskutierte Klonieren von Menschen derzeit noch praxisferner Wunsch- oder Albtraum ist: Wie viele Hundert Frauen mussten bereit seiri, einen fremden Embryo auszutragen, damit wenigstens ein gesundes Kind zur Welt kame? Was geschlhe mit den missgluckten Ernbryonen und Neugeborenen? Was wiirden Ammenmiitter empfinden, wenn sic das Kind, das 9 Monatc lang in ihnen hcranwuchs, abliefern mussten? Die ethischen Probleme wiren gegenwartig nicht tragbar. Wenn es nur darum geht, das Geschlecht des Kindes zu bestimmen, konnten indes bald andere Verfahren z u m Zuge kommen. Bei Saugern ist es ausschlieBlich das Spermium, welches das Geschlecht des Kindes bestimmt. 50% der Spermien enthalten ein Y-Chromosom, das ein Mann-bestimmendes Gen (SRY-Gen) tragt. Die anderen 50% der Spermien enthalten wie die Eizelle ein X-Chromosom und ermoglichen cinc Entwicklung hin zur Frau. In der Tierzucht werden Verfahren entwickelt, Spermien danach zu sortieren, ob sie ein X-Chromosom oder ein YChromosom enthalten. Die Verfahren zur Sortierung der Spermien sind noch nicht so ausgereift, dass sie der Reproduktionsmediziner heute schon iibernehmen konnte, um Wiinsche von Eltern nach einem Sohn oder einer Tochter zu erfullen.
6.1 5
Wann beginnt und endet menschliches Leben?
Im Zusammenhang mit ethischen Erwagungen bei der gesetzlichen Regelung von Abtreibungen und der klinischen Betreuung Todkrankcr wird vie1 diskutiert, wann
1.17 Ausblick
menschliches Leben beginnt und wann es endet. 1st der fruhe Embryo nichts weiter als ein winziges Haufchen von Zellen? Fur den Biologen ist die Antwort eindeutig: Spermium und Eizelle sind fur sich allein nicht uberlebensfahig; mit ihrer Fusion, der Befruchtung, wird das genetische Programm des Individuurns vervollstandigt und sein Leben ermoglicht. Das individuelle Leben beginnt mit der Befruchtung. Jedes Stadium seiner Entwicklung gehort zur biologischen Art Homo sapiens. Wenn andere Kriterien, wie die Fahigkeit zum bewussten Empfinden und zum Denken, als Kriterium herangezogen werden, urn Menschsein zu definieren, darf man sich nicht auf die Wissenschaft Biologie berufen. Das gleiche gilt fur die Interpretation des Lebensendes, wenn im Koma oder bei Altersdemenz die Fahigkeit zur bewussten Empfindung und zum Denken verloren geht.
6.1 6 Konnten wir unsterblich sein?
Stammzellen und krebsartig transformierte Zellen sind unsterblich, wenn sie richtig ernahrt und ihre Stoffwechselendprodukte entfernt werden, und wenn sich die Zellen unaufhorlich teilen durfen. Zellteilung bedeutet Verjiingung; denn es werden bei der Verdopplung der DNA angehaufte Schaden repariert (wenn auch nicht immer alle). Daraus wird bisweilen der Schluss gezogen, der Mensch als ganzes Lebewesen konnte unsterblich sein, wenn Krankheiten vermieden wiirden und Alterungsprozessen Einhalt geboten wiirde. Die vielen Indizien, die daraufhinweisen. dass bei fast allen rnehrzelligen Lebewesen, so auch beim Menschen, der Tod genetisch programmiert ist, sollen hier nicht aufgelistet werden. Noch kann der biologische Sinn des Todes diskutiert werden. Es sei an dieser Stelle nur ein Argument zum Nachdenken aufgefuhrt: Das einzige jederzeit und allerorten akzeptierte Kriterium, das ein Naturgesetz auszeichnet, ist seine Gultigkeit in jedem Versuch. Gibt es ein Naturgesetz, das ofter uberpruft worden ware, als die Sterblichkeit des Menschen? Wir haben es zu akzeptieren, dass wir sterblich sind und das Feld fur nachfolgende Generationen mit neu kombinierter genetisches Austattung raumen mussen.
6.1 7 Ausblick
Der Stellenwert der Entwicklungs- und Fortpflanzungsbiologie wird zunehmen, nicht nur wegen der (noch umstrittenen) Zucht von Stammzellen, Ersatzgeweben und Ersatzorganen und der immerhin schon Konturen annehmenden neuen Verfahren der Reproduktionsrnedizin. Viele Gene erfullen ihre besondere Funktion in der Steuerung der Entwicklung. Will man nicht bloR von Sequenzierautomaten sinnleere Sequenzen von Milliarden von Basenpaaren ausdrucken lassen, sondem verstehen, welche Botschaften in ihnen verschlusselt sind und wie sie im Gesamtsystem des Lebens ausgewertet werden, muss Entwicklung auf allen Stufen der Komplexitat studiert werden, bei ,,niederen" Lebewesen nicht minder als beim Menschen.
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6 Entwicklungs- und Reproduktionsbiologie 6.18 Weiterfuhrende Literatur
Antoniou, M. (2001):The Case against Embryonic Stern Cell Research, Naturr Medicine Vol. 7/4. pp. 397-399. Miiller, W.A; 1 Iassel, M. (1999): Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen. Berlin, Heidelberg, Springer-Verlag. 2. Aufl. Ndsslein-Vollhard, C. (1994):Die Neubildung von Gestalten bei der Embryogenese von Drosophila. Biologie in unserer Zeit 24, S. 114-119. Sinowatz, F. et al. (1998):Embryologie des Menschen. Kurzlehrbuch. Koln, Deutschcr Arzte-Verlag Winston, R. (2001):The Case for Embryonic Stem Cell Research, Nature Medicine Vol7/4. pp. 396-399.
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Modelle zur Entwicklungsgenetik des Auges: Mausmutanten mit angeborenen Augenerkrankungen Jochen Craw
Die Bildung der Linse spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Auges. Mutanten der Maus mit Storungen in der Linsenentwicklung sind heworragende Modelle zur Untersuchung molekularer Mechanismen sowie entsprechender Krankheiten des Menschen, wie z. B. der angeborenen Linsentriibung (,,grauer Star"). In diesem Aufsatz werden Maus-Mutanten beschrieben, bei denen unterschiedliche Stadien der Augenentwicklung betroffen sind: die linsenlose Mutante aphakia (ak): die vakuolisierten Linsen der Cat3-Mutanten sowie die groj3e Gruppe der Cryb/CrygMutanten mit spezijschen Stiirungen im Differenzierungsprozess der Augenlinse.
7.1
Einleitung
Katarakte, auch als Grauer Star oder Triibung der Augenlinse bezeichnet, sind haufige Erkrankungen beim Menschen, die auch oft bei Tieren (z. B. Hunden) beobachtet werden. Besonders Alterskatarakte sind haufig. Die Anfalligkeit fur Katarakte steigt deutlich ab 45 Jahren; mindestens 18% aller 65-75-Jahrigen haben aufgrund von Linsentrubungen ein beeintrachtigtes Sehvermogen. In der Altersgruppe der 75-85-Jahrigen ist sogar etwa die Halfte der Menschen betroffen. Zusatzlich beschleunigen andere Krankheiten (z. B. Diabetes), Umweltfaktoren (z. B. UV-Strahlung) oder Ernahmngsprobleme die Kataraktbildung oder losen sie sogar aus (Kmrnpanszky und KlauB, 1996). Angehrene Katarakte treten beim Menschen mit einer Haufigkeit von 1-2 Fallen pro 10000 Geburten auf; in etwa einem Drittel der Falle wird eine erbliche Komponente beobachtet. Weil die betroffenen Familien haufig fur genetische Kopplungsanalysen zu klein sind, muss man nach entsprechenden Tiermodellen suchen, um Gene zu identifizieren, die fur eine Kataraktbildung verantwortlich sein konnten. AuBerdem konnen nur im Tiermodell die Mechanismen analysiert werden, die zur Linsentriibung fuhren. Die Maus ist eines der auch molekularbiologisch am besten charakterisierten Modellsysteme unter den Saugetieren, und die beobachteten pathologischen Veranderungen bei der Bildung der Augenlinse stimmen mit den ophthalmologischen Befunden an menschlichen Patienten sehr gut uberein. Eine erste systematische Sammlung von Kataraktmutanen der Maus wurde vor uber 20 Jahren von Kratochvilova und Ehling (1979) angelegt, als sie mannliche
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Maus-Keimzellen mit Rontgenstrahlen behandelten und die Nachkommen auf induzierte, erbliche Katarakte untersuchten. Die Methode wurde spater auf die Induktion von Katarakten durch das chemische Mutagen Ethylnitrosoharnstoff ( E N U ) ausgeweitet (Ehling et al., 1985). In letzter Zeit konnte im Rahmen des vom Deutschen Humangenom-Projektes geforderten ENU-Mutagenese Projekts die Analyse der durch Mutationen betroffenen genetischen Endpunkte wesentlich erweitert werden (Hrab6 de Angelis et al., 2000). Aus den gesamten Experimenten der letzten 20 Jahre sind etwa 200 unabhangige Linien erblich dominanter Kataraktmutanten der Maus hervorgegangen, die in der Sammlung des Instituts fur Saugetiergenetik im G SF-Forschungszentrum Neuherberg gehalten werden (Favor und Neuhauser-Klaus, 2000). Um die molekularen Ursachen erblicher Fehlentwicklungen am Auge genauer zu verstehen, muss zunachst das Chromosom bestimmt werden, auf dem die Mutation liegt. Derzeit sind uber 100 Gene bekannt, welche die Augenentwicklung beein flussen; sie sind ganz zufallig uber alle Chromosomen (ohne das Y-Chromosom)verteilt. Zur Kartierung wird eine neue Mutante mit einer Wildtyp-Maus eines anderen Stammes gekreuzt; die heterozygoten Mutanten (F,) werden mit einem der beiden Elterntiere zuriickgekreuzt und anschlieBend die Aufspaltung der Merkmale in der zweiten Nachkommensgeneration (,,F,-Generation")untersucht. Dabei wird nicht nur das Auftreten der Katarakte verfolgt, sondern auch die Verteilung genetischer Marker. Diese Marker sind kurze DNA-Abschnitte (,,Mikrosatelliten"),die schnell und prazise analysiert werden konnen. Die Lage dieser Mikrosatelliten-Markerauf dem Chromosom ist bekannt, und aus der Haufigkeit von Neukombinationen (,,Rekombinationsereignissen") von Genen zwischen zwei Markern lasst sich deren genetischer Abstand (in cM = centi Morgan) berechnen; je groBer der Abstand ist, desto haufiger treten Rekombinationsereignisse auf. Fur eine chromosomale Lokalisation einer neuen Mutation und zur Abschatzung der Abstande zu den verwendeten Markern reicht die Untersuchung von 50 Tragern der Mutation in der F2-Generation mit ca. 5 S G O Markern aus; fur prazise Bestimmungen mit Genauigkeiten unter 1 cM sind aber oft uber 1000 F2-Tierenotig ( 1 cM entspricht beim Menschen etwa 1 Mio. Basenpaare; der Abstand zweier Gene betragt ca. 50 000 Basenpaare). Eine moglichst prazise Kartierung der Mutation auf einem Chromosom ist also die Voraussetzung dafur, das gesuchte Gen moglichst schnell zu identifizieren und um umgekehrt moglichst viele andere Gene als Ursache fur dieses Krankheitsbild auszuschlieBen. Der Aufsatz wird entsprechend zeigen, dass das klinische Bild ,,Katarakt" unter genetischen Gesichtspunkten aber auBerst vielschichtig ist. Die Augenentwicklung. Die paarige Linsenplakode als Verdickung des Oberflachenektoderms beriihrt das darunter liegende Neuroektoderm des Zwischenhirns. Dadurch wird die Einstiilpung der Linsenplakode induziert. Bei der Maus geschieht dies am Tag 9,s der Embryonalentwicklung (E9,5). Die gebildete Linsengrube schlieBt sich zu einem Linsenblaschen ( E l 1,s) und schnurt sich vom Oberflachenektoderm ab. Das neugebildete Oberflachenektoderm entwickelt sich weiter zur Hornhaut (Cornea),wahrend das doppelwandige Neuroektoderm zur Netzhaut (Retina) wird: der aufkre Teil bildet das Pigmentepithel und der innere Teil die Neuroretina. An der Spitze des doppelwandigen Augenbechers entwickeln sich Iris und Ciliarkorper, wahrend die Verbin-
dung des Augenkchers zurn Zwischenhirn (der Augenbecherstil)den Platz vorhalt, in dem der Sehnerv riickschreitend zum Gehirn hin wachs (Abb. 7-1). Die Linse entwickelt sich aus dern Linsenblaschen, indem von hinten (posterior) zunachst die primaren Linsenfasern (Faserzellen) in das Lumen des Linsenblaschens einwachsen und es ausfullen. In einern zweiten Schritt lagern sich die
Abb. 7-1 Uberblick uber die Augen-Entwicklung und die Linsen-Differenzierung. Die Linse der Wirbeltiere entwickelt sich aus der Linsenplakode durch eine Einstulpung des Oberflachenektoderms (a). Aus dern darunter liegenden Neuroektoderm bildet sich zunachst der Augenbecher, der die Linsengrube (b) und spater das Linsenblaschen (c) umschlief3t. Von hinten (posterior) auswachsende Linsenfaserzellen, die den Linsenkern bilden, fullen das Linsenblaschen (d). Am vorderen (anterioren) Teil bleiben die Epithelzellen erhalten (e). Die juvenile und adulte Linse ist von der
umgebenden Flussigkeit (anterior: Kammerwasser; posterior: Claskorper) durch die Linsenkapsel abgetrennt. Die Zellen des anterioren Epithels der Linse teilen sich in der gerrninativen Zone. Irn Bereich des Linsenaquators (Linsenbogen) beginnen die Zellen sich zu differenzieren; die sekundaren Faserzellen erscheinen in der Linsenrinde (e). Die Lime ist charakterisiert durch den kontinuierlichen Abbau der Zellorganelle (Zellkern und Mitochondrien) der Faserzellen in der tieferen Linsenrinde.
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sekundaren Linsenfaserzellen auf die primiren Faserzellen auf. Dieser Prozess der Bildung sekundarer Faserzellen aus der Wachstumszone des vorderen (anterioren) Linsenepithels halt ein Leben lang an; da aber umgekehrt keine Zellen in der Linse absterben, enthalt der zentrale Linsenkern Zellen, die so alt sind wie der Organism u s selbst. U m beim Lichteinfall durch die Linse keine storenden Streulichteffekte hervorzurufen, werden bei der Faserzellausdifferenzierung im Zentrum der Linse alle Zellorganellen (Zellkerne und Mitochondrien) abgebaut; die inneren Zellen werden uber plasmatische Zell-Zellverbindungen (gapjunctions) mit Stoffwechselprodukten aus den vorderen Epithelzellen versorgt. Beim Menschen verlauft die Augenentwicklung im Prinzip ahnlich. Der Augenbecher bildet sich in der 4.Schwangerschaftswoche, und 1 Woche spater das Linsenblaschen. Am Ende der 5. Woche ist die Linse mit den primaren Linsenfasern gefullt und der Differenzierungsprozess beginnt (Barishak, 2001). All diese Prozesse sind in ihrer Abfolge durch Gene gesteuert, wobei fur die friihe Phase der Augenentwicklung noch nicht klar ist, ob sie hierarchisch oder in einem Netzwerk organisert sind, in welchem immer nur gemeinsame Aktionen zur richtigen zeitlich-raumlichen Entwicklung des Auges fuhren. Fur die paarige Ausbildung der Augenanlagen ist das Gen sonic hedgehog verantwortlich (shh);sein Ausfall in einer entsprechenden knock-out Mutante der Maus fiihrt zur Ausbildung einer zentralen Augenanlage, die sich aber nicht weiter entwickelt. Die Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns und des gesamten Kopfiereichs sind jedoch so massiv, dass diese Mausmutante nicht lebensfahig ist (Chiang et al., 1996). Eine vergleichbare Erbkrankheit des Menschen ist die Holoprosencephalie. Das Gen Pax6 wird oft als muster control gcne der Augenentwicklung bezeichnet, da die Storung seiner Funktion z u m Verlust der Augenentwicklung fiihrt. Hinsichtlich dieses Gens heterozygote Mutanten der Maus zeichnen sich durch kleine Augen aus, homozygote Mutanten haben keine Augen und sind oft wegen weiterer Missbildungen nicht lebensfahig (Lyon et al., 2000; Hill et al., 1991). Heterozygote Merkmalstrager des Menschen leiden an Aniridie, Katarakten oder Peter’s Anomalie (Prosser und van Heyningen, 1998). Dieses Gen Pax6 ist homolog zum Gen eyeless der Taufliege (Drosophha). Ektopische Expression des Maus-PaxG-Gens in Drosophila setzt die Kaskade der Augenentwicklung in Gang: in einem bahnbrechenden Experiment konnten Walter Gehring und seine Mitarbeiter zeigen, dass durch die Expression des Pax6 Gens der Maus an Fuhlern (Antennen) oder GliedmaRen von Drosophih elektrophysiologisch aktive Insekten-Augen gebildet werden (Halder et a]., 1995, s. Beitrag Muller). Damit hat sich die Hypothese der getrennten Evolution der Insektenaugen (Ommatiden-Augen) und Linsenaugen als falsch herausgestellt (Fernald, 2000). Das Gen Pax2 ist fur die Entwicklung des hinteren Augenabschnitts und fur die Entwicklung des Sehnervs verantwortlich. Heterozygote PaxZ-Mutanten der Maus zeichnen sich durch eine Spaltbildung i m Sehnerven aus (Favor et al., 1996); entsprechende Erbkrankheiten des Menschen sind ebenso beschrieben (Sanyanusin et al., 1995). Sowohl bei der Maus als auch beim Menschen treten zusatzlich zu den Storungen der Augenentwicklung auch Nieren- und Gehirnschaden auf.
7.2 Aphakia: Stop der Linsenentwicklung auf der Stufe des Linsenstils
Die kurze Darstellung der shh, Pax6 und Pax2 Mutanten sol1 die Komplexitat der genetischen Steuerung der friihen Augenentwicklung nur andeuten; ausfiihrliche Darstellungen finden sich in mehreren neueren Ubersichtsartikeln (Lupo et al., 2000; Ogino und Yasuda, 2000; Graw, 1999; Jean et al., 1998; Cvekl und Piatigorsky, 1996).
7.2 Aphakia: Stop der Linsenentwicklung auf der Stufe des Linsenstils
Die reinerbige Mutante aphakia (ak) wurde als beidseitig aphak (,,ohne Linse") beschrieben; auch eine Pupille wird nicht gebildet. Die anomale Augenentwicklung reinerbiger ak Mause wird zuerst im Stadium des Linsenblaschens beobachtet (Varnum und Stevens, 1968) und fiihrt zu einem Stillstand der Linsenentwicklung auf der Stufe des Linsenstils (Abb. 7-2). Dieses Stadium stellt iiblichenveise nur ein Zwischenschritt bei der Abschnurung des Linsenblaschens dar. Die spateren Veranderungen betreffen die Entwicklung des gesamten Auges und fiihren schlieglich zu einem vollstandigen Zusammenbruch der Augenstrukturen. Das Gen fur das ak Merkmal wurde schon friih auf dem Chrornosom 19 der Maus lokalisiert. In aufwendigen Arbeiten wurde der Chrornosomenbereich, innerhalb dessen das ak-Gen liegt, weiter eingegrenzt (auf etwa 0,s f 0,s cM); mit zwei Markern wurde unter 416 F2-Nachkommen keine einzige Rekornbinante gefunden. Auf diese Weise konnten bereits eine Reihe von potenziell verantwortlichen ,,Kandidatengenen" ausgeschlossen werden ( z . B. Pax2; Grirnm et al., 1998). Ein weiteres Kandidatengen war Pitx3. Es enthalt eine sog. Homoobox und codiert einen Transkriptionsfaktor, der wahrend der Linsenentwicklung exprirniert
Abb. 7-2 Histologie der homozygoten ak-Mutante. a) Am Tag 10,5 der Embryonalentwicklung i s t die Verbindung des Linsenblaschens (LV) mit dem Oberflachenektoderm noch imrner vorhanden (Linsenstil; LS); der Augenbecher (OV) umschliegt das Linsenblaschen. b) Eine Woche nach der Ceburt ist der Augapfel fast vollstandig
mit Netzhautgewebe (R) angefullt; die Linse. die vordere Augenkammer und der Claskorper fehlen. Pigmentierte Zellen haben den vorderen Bereich unterhalb der Hornhaut (C) vollstandig uberwachsen. Die Hornhaut ist vorhanden, allerdings wachsen von der Seite her Zellen des Pigrnentepithels ein.
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wird. Mutationen dieses Gens zeigen beim Menschen in mehreren Familien Fehlentwicklungen des vorderen Augenabschnitts, die mit Katarakten verbunden sind (Semina et al., 1998). Aufgrund unterschiedlicher Sequenzen im nicht-codierenden Bereich konnten wir eine Feinkartierung des Pitx3-Gens der Maus vornehmen und fanden ebenfalls keine Rekombination zwischen Pitx3 und der ak Mutation, so dass Pitx3 ein hervorragender Kandidat fur diese Mutation war. Allerdings zeigte die DNA-Analyse im codierenden Bereich keinerlei Unterschiede zwischen den homozygoten ak-Mutanten und den Wildtyp-Tieren. Erst die Untersuchung des Promotors brachte die Losung: zwei Deletionen (652 bp und 1423 bp) im Promotor und im Bereich des Transkriptionsstarts des Pitx3-Gens sind fur die fast vollstandige Abschaltung des Pitx3-Gens verantwortlich. In-situ Hybridisierungen haben gezeigt, dass das Pitx3Gen in den homozygoten uk Mutanten durch diese Mutationen fast vollstandig abgeschaltet bleibt, wodurch ein wichtiges Element in der Signalkette der Augenentwicklung ausfallt (Rieger et al., 2001; Semina et al., 2000).
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Cat3: Ursache von Missbildungen im vorderen Augenabschnitt
Die dominant vererbten Katarakte Cut3"' und C~zt3"~" wurderi unabhangig voneinander durch ionisierende Strahlung erzeugt und befinden sich in der Neuherberger Kataraktsammlung. Sie sind als allelische Mutationen charakterisiert, wobei der genetische Abstand weniger als 0,s cM betragt. Auch wenn im Endstadium die Cat3"' Mutanten schwerere Missbildungen am Auge zeigen als die Cat"'"-Tiere, haben beide doch eine sehr ahnliche Krankheitsentwicklung: das erste sichtbare Merkmal ist nach dem Einwachsen der primaren Faserzellen in das Linsenblaschen eine zusatzliche Zellschicht zwischen dem vorderen Linsenepithel und den Linsenfaserzellen, die moglichenveise aus fehlgeleiteten sekundaren Faserzellen gebildet wurde (Abb. 7-3). Am Ende der Embryonalentwicklung entstehen im vorderen Bereich der Linse Vakuolen. Nach der Geburt reiBt die Linsenkapsel im Bereich der vorderen Augenkammer, und daraus entstehen Venvachsungen zwischen Linse, Hornhaut und Iris. Wenn die Mutanten die Augen etwa 2 Wochen nach der Geburt offnen, sind die durch grogen Vakuolen getrubten Linsen in den verkleinerten Augen deutlich sichtbar. Das AusmaB der Schadigungen bleibt im weiteren Verlauf konstant. Die biochemische Analyse dieser Katarakt-Linsen zeigte Anzeichen von oxidativem und osmotischem Stress: allerdings erlaubten die Untersuchungen keine Hinweise auf den primaren Mechanismus der Kataraktgenese. Daher war es notwendig, die Mutation mit Hilfe der genetischen Kartierung zu analysieren. Tests mit sichtbaren Markern ergab eine Kopplung der Cut3-Gene mit dem Gen Steel auf dem Chromosom 10 der Maus; die Venvendung von Mikrosatelliten-Markern erlaubte dann eine prazise Kartierung 0,3 cM distal von DIOMit230; mit den Markern DIOMit41 und D IOMit95 konnten keine Rekombinationen beobachtet werden. Auf der Basis dieser Kartierung kann Allelie mit den Kataraktmutanten CatFr und Cut-
7.3 Cat3: Ursache von Missbildungen i m vorderen Augenabschnitt
Abb. 7-3 Cat3: Zusatzliche Zellschicht zwischen d e m anterioren Epithel und den primaren Linsenfasern. Ein Schnitt durch das Auge einer homozygoten Cat3" Mutante am Tag E12.5 zeigt, dass das Linsenblaschen normal gebildet wurde; die primaren Faserzellen haben bereits
das Lumen ausgefullt. A m Linsenaquator, wo sich normalenwise die sekundaren Faserzellen ausbilden, scheinen sich bei der Cat3 Mutante die ersten sekundaren Faserzellen in den Spalt zwischen anteriorem Epithel (E) und primaren Faserzellen (PF) zu schieben (R = Retina).
Lop ausgeschlossen werden: diese Allelgruppe liegt ca. 25 cM distal von Cat3 und ist durch Mutationen im Gen M I P 2 6 charaktersiert ( M I P 2 6 codiert ein linsenspezifisches Membranprotein). Weiterhin konnten eine Reihe weiterer Kandidatengene ausgeschlossen werden, da weder ihr Expressionsmuster noch die cDNA Sequenz eine Veranderung gegenuber dem Wildtyp wahrscheinlich machten (Loster et al., 1997). Ein weiteres Gen sorgte allerdings fur eine Uberraschung: es codiert das Glykoprotein Keratokan (Gensymbol: Kera), das eine zentrale Rolle wahrend der Entwicklung der Hornhaut spielt und fur die Aufrechterhaltung ihrer Transparenz verantwortlich ist. In den Cat3-Mutanten akkumuliert dieses Glykoprotein jedoch auch im Vorderbereich der Linse. Diese Fehlexpression konnte mit der Ausbildung der Entwicklungsstorung in diesem Bereich zusammenhangen. Aufgrund eines Polymorphismus des 2. Introns konnten wir die Lage des Kera-Gens genau bestimmen: Da unter uber 400 F2-Nachkommen keine Rekombination auftrat, ist davon auszugehen, dass Cat3 und Kera sehr eng gekoppelt sind (0,2 k 0,2 cM); die genetische Karte der Cat3-Region ist in Abb. 7-4 dargestellt. Wie bei ak konnte auch im KeraGen der Cat3 Mutanten kein Unterschied zum Wildtyp festgestellt werden; auch die Suche nach einer Mutation im Promotorbereich blieb bisher erfolglos (Zentz, Loster und Craw, unveroffentlicht). Der homologe Bereich zu diesem Abschnitt des Chromosoms 10 der Maus befindet sich beim Menschen auf dem Chromosom 12q21-24. In dieser Region ist eine menschliche Augenkrankheit lokalisiert, cornea plana congenita. Die klinischen Merkmale beinhalten die Triibung und Verdickung der Hornhaut und Venvachsungen zwischen Iris und Hornhaut. Die molekularen Ursachen dafur sind Mutationen im KERA-Gen, wobei schon ein Adenin 4 Guanin Austausch im Codon 247
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7 Modelk zur Entwicklungsgenetik des Auges
Die Region des Cat3-Genortes auf dem Chromosom 10 der Maus
Abb. 7-4
Die Region des Cat3-Genorts auf dem Chromosom 10 der Maus. Die relativen genetischen Abstande (in cM) von Cat3 zu den verschiedenen Markern sind i n der Mitte dargestellt (b). Links (a) befindet sich zum Vergleich die entsprechende graphische Darstellung der Angaben des Chromosom-10
Komitees (Angaben i n c M vom Zentromer; http://www.informatics.jax.org/ccr/index/cgi). Rechts (c) 1st die Region des menschlichen Chromosoms 12 angegeben, soweit es eine konservierte Syntenie m i t der Cat3-Region der Maus aufweist.
7.4 Mutationen in den y-Kristallin-Cenen storen die Dgerenzierung der Linsenfaserzellen
(N247S) als ,,Griindermutation" fur die Krankheit in 46 finnischen Familien verantwortlich ist (Pellegate et al., 2000).
7.4
Mutationen in den y-Kristallin-Genen storen die Differenrierung der Linsenfaserzellen
lnnerhalb der Neuherberger Sammlung von Augen-Mutanten der Maus nimmt eine Gruppe den grogten Platz ein: die zunachst als Cat2 bezeichnete Gruppe von Mutanten umfasst uber 30 voneinander unabhangige Mutationen aus unserem Institut. Der Genort wurde auf dem Chromosom 1 der Maus lokalisiert. Spatere Feinkartierung grenzte den Bereich auf ein Interval1 von 0,6 cM zwischen den Genen fur das Enzym Isocitrat-Dehydrogenase und fur das linsenspezifische Strukturprotein YE-Kristallin ein. Da wir zeigen konnten, dass in den Cat2-Mutanten die Expression der y-Kristallin Gene (Cryg) vermindert ist, lag es nahe, die Mutationen innerhalb dieses Clusters von 6 Genen (Cryga 4 C r y 4 zu suchen. Diese nahe verwandten Gene codieren jeweils ein Protein mit einem Molekulargewicht von 20 kDa. Die Cryg-Gene werden bei Saugetieren spezifisch in der Linse exprimiert. Biophysikalisch werden sie durch 4 sog. Griechische Schlussel-(,,Maander"-) Motive charakterisiert. Da alle 6 Cryg-Gene der Maus beschrieben sind, konnten wir die Hypothese, dass Mutationen in den Cryg-Genen fur die Kataraktentwicklung in den Cat2 Mutanten verantwortlich sind testen und bereits fur mehrere Falle bestatigen (Klopp et al., 2001; Graw et al., 2001; Klopp et al., 1998); zwei weitere derartige Falle sind in der Literatur beschrieben (Smith et al., 2000; Cartier et al., 1992). Alle diese Mutationen bewirken ausschlieBlich Veranderungen der Linsenfaserzellen und betreffen kein anderes Augengewebe;allerdings sind die Katarakt-Augeninsgesamt immer kleiner als die Augen des Wildtyps. Als Beispiel sol1 die Mutation Cat2"OP (Crygb""P) diskutiert werden, die bisher am intensivsten untersucht wurde. Die Mutation ist charakterisiert durch den Verlust von 11 Basenpaaren bei einer gleichzeitigen Insertion von 4 neuen Basen im Exon 3 des y-B-Kristallin Gens (Crygb; Abb. 7-5);die Mutation wird daher jetzt als CrygbnoPbezeichnet. Die Mutation fiihrt zu einer Verschiebung des Leserasters, zum Einbau von 7 neuen Aminosauren und zum vorzeitigen Abbruch der Peptidkette. Daher kann die 4. ,,Griechische-Schlussel-Struktur" (s. oben) nicht gebildet werden. Die Anwesenheit und Stabilitat des veranderten Proteins konnte im Westem-Blot nachgewiesen werden (Klopp et al., 1998). Durch mRNA-Studien konnten wir zeigen, dass wahrend der Embryonalentwicklung die Veranderung der Cryg-Expression (ab dem Tag E13,S) den morphologischen Veranderungen vorausgeht. Dem Schwellen der Linsenfaserzellen (E15,5)folgt eine fortschreitende Degeneration des knsenkerns. die zunachst zu einer cataractu immatura fuhrt. Die histologische Analyse der Linse 3 Wochen nach der Geburt (Abb. 7-6) weist auf eine Kerntrubung hin, a k r auch Poltriibungen mit Vakuolenbildung der Linse sind wahrscheinlich. Zusatzlich behalten alle Faserzellen der Katarakt-Linsen mindestens Rudimente von Zellkernen. Da diese normalerweise wahrend des Differenzierungsprozesses abgebaut werden, bedeutet dies, dass durch die Mutation im Crygb-Gen die Differenzierung der Linsenfaserzellen massiv beeintrachtigt wird. Erganzt wird dieser morphologische
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Molekulare Charakterisierung der CafZ"oPMutation
Abb. 7-5 Molekulare Charakterisierung der Cat2""P Mutation. Vergleich der mutierten Sequenz des yB-Kristallin Gens (Crygb) rnit der Wildtyp-Sequenz (WT). Die Deletion/lnsertion (roter Bereich) fijhrt zum
Verlust einer Alul-Schnittstelle (grun), zu einer veranderten Arninosaure-Sequenz (rot) und zu einem vorzeitigen Stop-Codon im 3. Exon. Der Pfeil syrnbolisiert den Transkriptionsstart; bei nt 565 beginnt das Poly-A-Signal.
Befund durch die biochemische Beobachtung, dass in den Linsen von drei bisher untersuchten Crygb-Mutanteneine Mg2'-abhangige Desoxynuclease gehemmt ist. Das Ausmag der Hemmung dieses Enzyms koinzidiert rnit dem Schweregrad der Kataraktentwicklung. Diese Beobachtung ist der erste experimentelle Hinweis auf eine Unterbrechung der Faserzell-Differenzierung wahrend der Kataraktentwicklung (Graw 1999). Auch beim Menschen sind Mutationen in den CRYG-Genen als Ursache fur angeborene Katarakte beschrieben. Der Genort fur die erbliche Coppock-uhnliche
Abb. 7-6 CatZ/Cryg: Kerntrubung und Stop des Zellkernabbaus. a) Die Linse einer neugeborenen CrygbnoP Mutante zeigt deutliche Schwellungen der vorderen und hinteren Linsenrinde rnit Vakuolen und Spalten. Der Linsenbogen (LB) ist irregular angeordnet, und sklerotische Faserzellen sind
irn Linsenkern (LK) sichtbar. Die Zellkerne bleiben in der ganzen Linse sichtbar (*). Die Hornhaut (C) und das Linsenepithel (E) sind nicht betroffen. b) z u m Vergleich ein Schnitt durch das Auge einer Wildtyp-Maus. Die Zellkerne sind nur im Linsenbogen (LB) vorhanden.
7.5 Mutationen in den p-Kristallin-Cenenfuhren zu progressiven Katarakten
Katarakt ist eng mit dem Cluster der 6 CRYG-Gene gekoppelt, welcher in der Region 2q33-35 kartiert wurde. Die Mutation der Coppock-ahnlichen-Katarakt wurde im CRYGC-Gen gefunden, wahrend Mutationen im CRYGD-Gen als Ursache fur 3 weitere Katarakte nachgewiesen wurden (Kmoch et al., 2000; Stephan et al., 2000; Heon et al., 1999).
7.5 Mutationen in den P-Kristallin-Cenenfuhren LU progressiven Katarakten
Ahnlich wie die y-Kristalline weisen die p-Kristalline eine charakteristische Struktur von 4 Griechischen-Schliissel-Motiven in der Aminosauresequenz auf, weshalb beide Proteinfamilien zu einer By-Kristallin Superfamilie zusamrnengefasst werden. Im Unterschied zu den monomeren y-Kristallinen kommen die B-Kristalline als Oligomere vor; die genomische Struktur unterscheidet sich dadurch, dass bei den Cryb-Genen jedes Griechische-Schliissel-Motiv durch ein eigenes Exon repra-
Die ply-Kristallin Superfamilie
Abb. 7-7 Die [3/y-Kristallin Superfamilie. Die p- und y-Kristalline zeichnen sich durch 4 antiparallele P-Faltblattstrukturen aus. die als ..griechische Schlijssel Motive" bezeichnet werden. Die jeweilige Zuordnung zu den Exons und chromosomalen Bereichen ist angegeben.
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7 Modelle zur Entwicklungsgenetik des Auges
sentiert ist, wahrend bei den Cryg-Genen jeweils 2 derartige Motive von einem Exon codiert werden. Nur ein Teil der Cryb-Gene ist in einem Cluster angeordnet (Cryba4, Crybl-3 auf dem Chromosom 5 der Maus); die Gene Cryhal und Cryba2 liegen isoliert auf den Chromosomen 11 bzw. 1 (Abb. 7-7). Kiirzlich konnten wir im Rahmen eines Ethylnitrosoharnstoff-Screens zwei progressive Katarakte bei heterozygoten Mutanten beobachten, Aey2 und Aey3. Als Beispiel ist hier zunachst die Mutante Aey3 gezeigt, die i m homozygoten Zustand die Katarakt schon kurz nach der Geburt vollstandig auspragt (Fig. 7-8). Die Kartierung von Aey3 ergab eine enge Kopplung mit dem CrybaI-Gen auf dem Chromosom 11 der Maus; die molekulare Analyse zeigte eine Punktmutation am Beginn des 6. Exons (Austausch Thymin + Adenin d. h. Tryptophan gegen Arginin) und damit wahrscheinlich ebenfalls zu einem Verlust der Faltungsstruktur des 4. Griechischen Schlussels. Zusatzlich bewirkt diese Mutation ein verandertes SpleiRen der pramRNA, wodurch an derselben Stelle ein Codons verloren geht (Graw et al., 1999). Die Aey2 Mutanten zeigen dagegen zunachst nur Triibungen der vorderen Linsennaht und erreichen erst im Alter von etwa 8 Wochen ihren vollstandig entwickelten Phanotyp als Totaltrubung. Die Sequenzanalyse der Gene, die (iA4-, (3BlPB3-Kristallin codieren (Cryba4, CrybbI, Crybb2, Crybb3), zeigte nur im Crybb2 Gen eine Veranderung im 6. Exon, namlich einen Austausch von Thymin nach Adenin (Valin + Glutaminsaure an der Aminosaure-Position 187, Graw et al., 2001). Ein ahnlicher Phanotyp mit einer Mutation in demselben Gen ist die sog. PhillyMaus; sie ist durch eine 12-Basenpaar Deletion im 3’-Ende des Crybb2 Gens charakterisiert. Die Mutation bewirkt eine Veranderung in der C-terminalen Domane des Proteins (Chambers und Russell, 1991) Der Phanotyp der Philly-Maus wurde ebenfalls als progressive Katarakt beschrieben, die sich nach der 1 . Lebenswoche entwickelt. Ahnlich wie bei den Cryg-Mutanten ist auch bei der Philly-Maus der Abbau der Zellkerne in der Linse gestort. Im weiteren Verlauf entsteht zunachst eine Triibung der Linsennahte, spater des Linsenkerns und schlieRlich eine Totaltriibung.
Abb. 7-8 CrybaI: Sernidorninante, progressive Katarakt. Eine klare Linse des Wildtyps (links) irn Vergleich rnit der Linse einer heterozygoten (rechts) und einer hornozygoten Cryba I Mutante (Mitte). DieTiere waren 5 Wochen alt.
7.6 Ausblick: Lernen von Fischen und Fliegen
Auch fur diese Mutationen der Maus gibt es entsprechende, erbliche Augenerkrankungen beim Menschen. Ein Guanin + Adenin Austausch im humanen CRYBBZ Gen auf dem Chromosom 22 fuhrt zu einer Kataraktform, die als ,,himmelblaue Katarakt" beschrieben wurde. Die Mutation fuhrt zur Bildung eines StopCodons und damit zu einem um 51 Aminosauren verkurzten Protein (Litt et al., 1997). Es ist wahrscheinlich, dass dadurch die Oligomerisierung der Proteine beeintrachtigt und so die Entstehung der Katarakt verursacht wird. Eine zonulare Katarakt mit Nahttriibungen wird durch eine SpleiB-Mutation im humanen CRYBAI-Gen verursacht. Nachdem die Mutation zunachst auf dem Chromosom 17qll-12 kartiert wurde, konnte spater gezeigt werden, dass die Kataraktbildung mit einer Mutation an der stromaufwarts liegenden SpleiBstelle des 3. Introns des CRYBAI-Gens zusammenhangt. Diese Mutation fuhrt zu einem Verlust der Exons 3 und 4; das entsprechende Protein besteht im Wesentlichen nur noch aus den C-terminalen globularen Domanen (Kannabiran et al., 1998).
7.6
Ausblick: Lernen von Fischen und Fliegen
Die dargestellten Beispiele zeigen, dass die Maus ein hervorragendes genetisches Modell fur menschliche Augenerkrankungen ist. Allerdings lassen sich viele Gene der fruhen Augenentwicklung nur schwer identifizieren, weil Mutationen in diesem Stadium oft zu komplexen und manchmal auch letalen Phanotypen fuhren. Daher werden zunehmend weitere Modellorganismen hinzugenommen, um von diesen auf die Maus und auf den Menschen schlieBen zu konnen: Drosophila ist ein wichtiges Modell fur die Augenentwicklung der Wirbeltiere, seit die Gemeinsamkeiten der genetischen Signalkette bekannt sind. Als weiteres entwicklungsgenetisches Modell wurde in den letzten Jahren der Zebrafisch etabliert. Wegen der Transparenz der Fischembryonen konnen besonders Veranderungen der friihen Augenentwicklung leicht erkannt werden. Mit diesem Ansatz konnten eine groBe Zahl von Mutanten mit veranderter Augenentwicklung charakterisiert werden; allerdings steht ihre genetische und molekulare Charakterisierung noch am Anfang. Es ist zu envarten, dass in der nahen Zukunft die Kombination der drei Modellsysteme Drosophila, Zebrafisch und Maus zusammen mit modernen Konzepten der Entwicklungsbiologie zu einem enormen Fortschritt im Verstandnis der einzigartigen Eigenschaften des Auges fuhren werden.
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7 Modelle zur Entwicklungsgenetik des Auges 7.7 Literatur
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Teil 3
Verhaltensbiologie
Tupajas beirn Kussen
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8 Psychoneuroirnrnunologie- wie Verhalten die Gesundheit beeinflusst Dietrich v. Holst
Obwohl die Verhaltensforschung als eigenstandiges Fach noch relativ jung ist, hat keine biologische Disziplin ein vergleichbar breites Forschungsspektrum. Neben den Mechanismen, d. h. den augeren Reizen und inneren (physiologischen)Prozessen, die zu einem definierten Verhalten in einer bestimmten Situation fiihren, untersucht die Verhaltensforschung ebenso auch seine Funktion: Sie versucht hierbei zu klaren, warum sich eine spezifische Verhaltensweise gegeniiber anderen durchgesetzt hat und weiter, ob eine derartige adaptive Verhaltensweise im Laufe der Evolution selektiert und im Genom fLviert oder von dem jeweiligen Tier im Verlauf seiner Individualentwicklungenvorben wurde. Letztlich sind auch die Auswirkungen des Verhaltens auf den physiologischen Zustand des Individuums - und damit auch auf seine Vitalitat und Fruchtbarkeit - Untersuchungsgegenstand der Verhaltensforschung. Aktuelle Themen der Verhaltensforschung reichen von den genetischen Grundlagen des Verhaltens bis hin zur Biodiversitatsforschung, zum Natur- und Artenschutz. In den letzten Jahren gewinnen auch anwendungsorientierte Themen zunehmend an Bedeutung, wie beispielsweise die artgemage Tierhaltung oder die Entwicklung anspruchsvoller Tiermodelle fur die biomedizinische Forschung. Je nach Fragestellung kommen hierbei neben der computergesttitzten Analyse des Verhaltens modernste molekulargenetische, neurophysiologische, endokrine, immunologische und mathematische Verfahren zum Einsatz. In ihren aktuellen Auspragungen hat die Verhaltensforschung einerseits einen engen Bezug zur Okologie, Evolutionsforschung und Naturschutz, andererseits aber auch zur Psychologie, Psychiatrie und Medizin. Das neueste dieser zwischen Medizin, Psychologie und Verhaltensforschung angesiedelten Forschungsgebiete ist die Psychoneuroimmunologie; sie untersucht die vielfaltigen Wechselwirkungen zwischen dem Verhalten von Tier (und Mensch) und ihren Immunsystemen. Beziehungen zwischen schweren physischen oder psychischen Belastungen und dem Eintritt von Erkrankungen wurden seit der Antike vermutet, und die Ergebnisse moderner epidemiologischer Untersuchungen stiitzten diese Annahme. Zunachst wurden diese Beziehungen auf die bei Stressreaktionen allgemein vorhandene Aktivierung des Nebennierenrindensystems zuriickgefuhrt: die Entdeckung der engen Verknupfung des Immunsystems mit der Tatigkeit des Zentralnervensystems hat jedoch diese Sicht wesentlich enveitert: Nicht nur
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8 Psychoneuroimmunologie
- wie
Verhalten die Gesundheit beeinflusst
sind alle lymphatischen Organe von Nerven des vegetativen Systems innerviert und so direkt modifizierbar, sondern auch alle lmmunzellen besitzen Rezeptoren fur die verschiedensten Hormone, die damit ebenfalls immunmodulatorisch wirken konnen. Umgekehrt wirkt sich aber auch die Aktivitat des Immunsystems auf das endokrine System und auf das Verhalten aus: So bildet das Immunsystem die verschiedensten Substanzen (Zytokine, Lymphokine), die einerseits der Koordination der immunologischen Abwehrleistungen dienen, andererseits aber auch die Abgabe bestimrnter Hormone steuern (zum Beispiel von ACTH) sowie direkt auf das Zentralnervensystern einwirken und dort Verhaltensveranderungen hervorrufen, wie beispielsweise die typische Krankeitssymptome Mudigkeit, Appetitlosigkeit und Antriebsschwache. Irn Folgenden sol1 exernplarisch anhand einiger Befunde von Tupajas (Tupaia belangeri) gezeigt werden, wie sich Kontakte mit Artgenossen sowie dadurch ausgeloste zentralnervose Verarbeitungsprozesse auf das Immunsystern auswirken konnen. Tupajas sind etwa 200g schwere Saugetiere, die in ganz Sudostasien weit verbreitet sind. Obwohl sie in ihrem Aussehen eher Eichornchen ahneln, gehoren sie nicht zu den Nagetieren, sondern stellen eine eigene Ordnung - die Scandentia - dar, und durften Nachfahren der Urform aller modernen Saugetiere (Plazentalier) sein. In der Natur leben Tupajas paanveise in Territorien, welche die Mannchen heftig gegen andere Artgenossen verteidigen. Auch im Labor kann man Tupajas langfristig nur paarweise zusammenhalten. Setzt man zu einem solchen Paar ein fremdes Mannchen, so fuhrt das zu Kampfen zwischen den Mannchen und meist innerhalb weniger Minuten zur Untenverfung des Eindringlings. Sobald die Dominanzbeziehungen geklart sind, lasst der Sieger von weiteren Attacken ab und beachtet den Verlierer kaurn noch. Auch in den folgenden Tagen sind Kampfe zwischen den Rivalen selten oder uberhaupt nicht vorhanden, dennoch verliert das unterlegene Individuum drastisch an Gewicht, wird apathisch und stirbt innerhalb weniger Tage, wenn es nicht rechtzeitig aus dem Gehege entfernt wird. Der Tod des unterlegenen Tieres ist hierbei nicht eine Folge von Verwundungen, da sich die Tiere - wenn uberhaupt - nur oberflachliche Verletzungen beibringen, sondern er beruht auf der standigen Anwesenheit des Siegers. Trennt man namlich beide Tiere nach dem Kampf durch eine undurchsichtige Trennwand voneinander, so erholt sich der Verlierer ebenso schnell vom Kampf wie der Sieger und stirbt nicht vorzeitig. Trennt man hingegen beide Tiere nach der Untenverfung durch eine Gittenvand voneinander, so dass der Verlierer zwar nicht mehr attackiert werden kann, den ,,bedrohlichen" Sieger jedoch standig sieht, so zeigt er u. a. einen dramatischen Anstieg seiner Serumkonzentrationen von Cortisol sowie eine nahezu vollstandige Hemmung aller Immunfunktionen und stirbt nach 1-2 Wochen. Fur den Tod sind also psychische Prozesse verantwortlich: Der Unterlegene stirbt an der andauernden Angst (Ubersicht: v. Holst 1998). Wie stark sich psychische Prozesse selbst ohne irgendwelche aggressiven Auseinandersetzungen auf den Gesundheitszustand der Tiere auswirken konnen, zeigt eindrucksvoll ein anderer Befund. Tupajas konnen die Uber- oder Unterlegenheit eines unbekannten Rivalen an seinem Geruch erkennen. Wir untersuchten daher die Auswirkungen der Anwesenheit eines unbekannten Rivalen auf Verhalten und
8 Psychoneuroimmunologie
Abb. 8-1 Verhalten dorninanter und unterlegener rnannlicher Tupajas wahrend der drei lorninutigen Konfrontationen des ersten und des zweiten Versuches. Erlauterungen: Verhaltensweisen sind irn gesarnten Text stets als
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Verhalten die Gesundheit beeinflusst
Mediane und physiologische Daten als Mittelwerte rnit ihren rnittleren Fehlern angegeben. Signifikante Unterschiede sind gekennzeichnet: * = p
physiologische Parameter von 40 mannlichen Tupajas. Hierzu uberfiihrten wir im Anschluss an eine Blutentnahme jeweils 2 Mannchen in einen durch eine undurchsichtige Trennwand in zwei spiegelbildliche Halften unterteilten Versuchskafig; die beiden Tiere einer jeden Paarung konnten sich also nur horen und riechen. Das Verhalten der Mannchen wurde regelmagig beobachtet und ausgewertet, und am 10. und 20. Tag nach dem Umsetzen wurden ihnen weitere Blutproben entnommen Vom 21.-23. Tag wurden die Tiere schlieBlich taglich jeweils 10 Minuten lang durch Entfernung der Zwischenwand miteinander konfrontiert; in der iibrigen Zeit verblieben sie in ihren Kafighalften. Nach der letzten Konfrontation wurden sie wieder in ihre Heimatkafige zuriickgesetzt. Die Konfrontationen fiihrten stets zu eindeutigen Dominanzbeziehungen zwischen den beiden Tieren (Abb. 8-1:Versuch 1). Anhand des Ausganges der Konfrontationen wurden sodann alle Tiere in potenzielle ,,Dominante" und ,,Unterlegene" eingeteilt und ihr Verhalten und ihre physiologischen Messwerte wahrend der 20 Tage vor den Konfrontationen miteinander
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verglichen. In ihrem Verhalten unterschieden sich die spater dominanten und unterlegenen Mannchen insgesamt nur wenig voneinander: Im Gegensatz hierzu fanden sich bei den von uns erfassten physiologischen Messwerten deutliche Veranderungen, die sich bei den spateren Dominanten und Unterlegenen in ihrem Ausmag und in ihrer Richtung unterschieden (Abb. 8-2): Wahrend sich die Konzentration des typischen Stresshormons Cortisol im Blut bei den ,,Dominanten" nicht veranderte, stieg sie bei den ,,Unterlegenen" auf mehr als das Doppelte an. Noch ausgepragter waren die Effekte auf die von uns erfassten Immunwerte: Wahrend die Leistungsfahigkeit des Immunsystems bei den spateren Dominanten unverandert blieb oder sich sogar verbesserte, war bei den Individuen, die sich in den spateren Kampfen als die Unterlegenen herausstellten, das Gegenteil der Fall (Abb. 8-2).
Werte am 10. und 20. Versuchstag Abb. 8-2
Veranderung verschiedener physiologischer Parameter prospektiver dorninanter und unterlegener Tupajas ohne physischen Kontakt. Die Phagozytosekapazitat ist ein M a g fur die Fahigkeit der FreRzellen des lrnmunsystems, eingedrungene Erreger zu zerstoren. Die Lyrnphozyten-Proliferation gibt die Fahigkeit
der Lyrnphzellen an, sich bei Anwesenheit von Erregern zu verrnehren, urn diese dann zu vernichten. Interferon-Gamma ist eine von den Zellen des lrnrnunsystems gebildete Substanz, die u. a. an der Zerstorung von Turnorzellen und der Abwehr von Krankheitserregern beteiligt ist.
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Nach einiger Zeit wurde der Versuch mit 20 Tieren in einer neuen Kombination wiederholt - und zwar wurden 5 Paarungen aus ehemals dominanten sowie 5 Paarungen aus ehemals unterlegenen Mannchen gebildet. Auch hier fuhrten die Kampfe wiederum zu klaren Dominanzbeziehungen (Abb. 8-1: Versuch 2) und auch hier entsprachen die Veranderungen der physiologischen Parameter bei Dominanten und Unterlegenen denen des ersten Versuches: Die Veranderungen sind somit ausschlieBlich Ausdruck der nach Einschatzung der Tiere zwischen ihnen herrschenden jeweiligen Dominanzbeziehungen und damit einhergehender emotionaler Prozesse. Hervorzuheben ist insbesondere die Bidirektionalitat der immunologischen Veranderungen: Bei spateren Unterlegenen vermindern sich alle gemessenen immunologischen Parameter, was auf eine verminderte Leistungsfahigkeit des Immunsystems hinweist. Dieser Befund steht damit im Einklang mit den Ergebnissen vieler Untersuchungen auch an anderen Tierarten einschlieBlich des Menschen (Ubersichten z. B.: Ader, Felten und Cohen 1991; Schedlowski und Tewes 1999). Uberraschend ist jedoch, dass sich Situationen auch positiv auf immunologische Funktionen auswirken konnen, wie z. B. das ,,Wissen" einer Dominanz bei den spater dominanten Tupajs. Der Immunzustand eines Individuums - und damit auch seine Krankheitsanfalligkeit - kann sich somit je Situation bzw. den damit einhergehenden emotionalen Prozessen verbessern oder verschlechtern (Ubersicht: v. Holst 1998).
Die Auswirkungen aggressiver Auseinandersetzungen und daraus resultierender Dominanzbeziehungen auf das Immunsystem sind besonders auffallig und bereits von vielen Saugetierarten beschrieben worden, jedoch konnen auch andersartige Sozialbeziehungen den Gesundheitszustand von Individuen beeinflussen, wie anhand von Untersuchungen zur Paarbindung bei Tupajas gezeigt werden soll.
Abb. 8-3 Herzraten von zwei Tieren am Tag vor sowie am ersten Tag nach Beginn einer unharmonischen Verpaarung. Die Herzraten wurden telemetrisch rnit Miniatursendern erfasst. Die 1Zstijndigen Aktivitatsperioden der Tiere sind hell gehalten.
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Abb. 8 4 Herzraten der Partner eines harmonischen Paares; gleichsinninge Veranderungen der Herzraten beider Individuen a m Tag oder in der der Nacht sind durch griine bzw. blaue Verbindungsbalken hervorgehoben.
Wie envahnt, leben Tupajas in der Natur paanveise und auch im Labor kann man envachsene Tupajas nur paanveise zusammenhalten. Das Zusammensetzen eines Mannchens mit einem Weibchen fuhrt jedoch in der Regel nicht zu einer Paarbildung, vielmehr kommt es in etwa 80% aller Falle zu Streitigkeiten. Diese fuhren allerdings meist nicht zu ernsteren Kampfen, da sich beide Tiere dieser ,,unharmonischen Verpaarung" moglichst aus dem Wege zu gehen versuchen. Sie stehen hierdurch unter einer standigen Anspannung, die sich u. a. auch in deutlich erhohten Herzraten auBert (Abb. 8-3). Nur in 20% aller Falle fiihrt das Zusammensetzen eines Mannchens mit einem Weibchen von Beginn an zu einer ,,harmonischen" Paarbeziehung, die lebenslang (bis zu 10 Jahre) bestehen kann. Fur den menschlichen Betrachter macht hierbei der Kontakt zwischen den Tieren den Eindruck einer ,,Liebe auf den ersten Blick": Von Beginn an markieren sich beide Tiere immer wieder, tagsuber fressen und ruhen sie gemeinsam und nachts schlafen sie stets zusammen in ein und demselben Schlafkasten. Aufgrund dieses synchronisierten Verhaltens sind auch die Herzraten harmonischer Paare synchronisiert (Abb. 8-4). Besonders charakteristisch ist fur harmonische Paare das Begriihngslecken oder ,,Kussen", das die Tiere immer wieder bei Begegnungen zeigen konnen. Hierbei stost ein Tier seinem Partner mit der Schnauze leicht in den Mundwinkel und leckt dann den in groBen Tropfen abgegebenen Speichel von dessen Schnauze ab (Abb. 8-5). Unharmonisch verpaarte Individuen zeigen keine dieser fur harmonische Partner typischen Verhaltensweisen, dennoch konnen sie - zum Teil sogar ohne Anzei-
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Abb. 8-5 Tupajas beim Kussen.
chen von Aggression - uber langere Zeit zusammen leben. Im Gegensatz zu harmonisch verpaarten Individuen haben sie jedoch eine deutlich verminderte Gonadenfunktion und bekommen nur sehr selten Junge, die sie zudem - im Gegensatz zu harmonisch verpaarten Individuen - niemals aufziehen. Erstaunlicherweise beruht die Qualit2t einer Paarbeziehung ausschlieBlich auf individuellen Sympathien oder Antipathien zwischen den Tieren. So kann zum Beispiel ein Mannchen, das von dem einen Weibchen heftig attackiert und abgelehnt wurde, von einem anderen sofort als Partner akzeptiert werden. Die Eignung eines Mannchens als Partner wird hierbei von den Weibchen anhand seines Geruchs erkannt, wie folgender Befund zeigt. Setzt man ein Weibchen fur eine definierte Zeit in einen kleineren Kafig, der zuvor 10 Minuten lang von einem Mannchen besetzt und rnit seinem Duftmarken versehen worden war, so markiert das Weibchen diesen Kafig immer wieder mit ihren Korperdriisen. Die Haufigkeit dieser Markiervorgange variiert von Weibchen zu Weibchen (Beispiele: Abb. 8-6);zudem wirkt der Duft verschiedener Mannchen individuell unterschiedlich auf die Weibchen: Manche Mannchen losen viele Markierreaktionen aus (rote Balken),andere hingegen wenige (blaue Balken) oder iiberhaupt keine: Wahrend z. B. Weibchen 424 das Mannchen 483 bevorzugte, reagierte Weibchen 527 iiberhaupt nicht auf dieses, sondern fast ausschlieBlich auf das Mannchen 491. Verpaart man anschliegend ein Weibchen mit einem Mannchen, auf dessen Duft es mit haufigem Markieren reagiert hatte, so fuhrt dies stets zu einer harmonischen Paarbeziehung. Eine Verpaarung mit Mannchen, deren Duft das Markierverhalten der Weibchen nicht stimuliert hatte, ergibt hingegen unharmonische Paarbeziehungen.
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Versuchskafig mit Duftmarken des MInnchens Abb. 8-6 Markierreaktionen von drei Weibchen aufden Ceruch 8 fremder Mannchen.
Die Qualitat einer Paarbeziehung beeinflusst nicht nur das Verhalten und die Herzraten der Individuen, sondern hat insgesamt dramatische Auswirkungen auf ihren Gesundheitszustand - eine unharmonische Paarbeziehung fiihrt zur Verschlechterung und eine harmonische zur Verbessenmg. Besonders eindrucksvoll zeigt sich die Abhangigkeit des Zustandes der Tiere von der Qualitat ihrer Paarbeziehungen in Untersuchungen, in denen Mannchen einmal mit Weibchen zusammengesetzt wurden, die sie ablehnten, und einmal mit solchen, die sie als Partner akzeptierten (Abb. 8-7): Eine unharmonische Paarbeziehung fuhrte bei beiden Geschlechtern (Weibchen hier nicht dargestellt) zu einem Anstieg der Stress-Hormone Cortisol und Adrenalin, einem Abfall der Sexualhormone und einer Verschlechterung der verschiedensten Immunparameter; das Gegenteil war bei harmonischen Paaren der Fall: Ihre Gesundheit und Fruchtbarkeit verbesserte sich deutlich (Abb. 8-7 und 8-8). Eine Trennung verpaarter Individuen fiihrt nicht nur zu einer Wiederherstellung des urspriinglichen Zustandes beider Individuen, sondern vielfach sogar voriiberge-
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Abb. 8-7 Veranderungen verschiedener physiologischer Parameter von 11 rnannlichen Tupajas nach einer jeweils 1Otagigen harrnonischen und unharmonischen Verpaarung. Testosteron, Cortisol, Adrenalin sowie lmrnunglobulin (C) sind Serurnwerte; LTTgibt die in vitro Lyrnphozytenproliferation an.
hend zu Veranderungen, die sich gegenuber den Werten der Verpaarung spiegelbildlich verhalten: Bei harmonisch verpaarten Individuen verschlechtert sich der Zustand gegeniiber den Ausgangsbedingungen, bei unharmonisch verpaarten Individuen verbessert er sich hingegen (Abb. 8-8). Zusammengefasst zeigen diese Ergebnisse: Immunfunktionen von Tieren konnen je nach sozialer Situation verbessert oder verschlechtert werden. Die Immunmodulation wird hierbei primar durch emotionale Prozesse ausgelost. die auf der Bewertung der Situation durch die Individuen beruhen. Wie diese und andere Untersuchungen unseres Lehrstuhls (u. a. auch an Ratten und Wildkaninchen) sowie vielfaltige Befunde anderer Arbeitsgruppen zeigen, konnen diese immunologischen Veranderungen nicht nur den Ausbruch der vielfaltigsten Erkrankungen einschlieglich der Entstehung von Tumoren bei Tier und Mensch begunstigen, sie beeinflussen auch ganz entscheidend den Verlauf von Erkrankungen und konnen im Extremfall so gar zum Tod der Tiere fuhren. Ein besseres Verstandnis des Verhaltens der Tiere einschlieglich der zentralnervosen Verarbeitungsprozesseund der dadurch ausgelosten psychischen und physiologischen Prozesse ist daher ohne Zweifel eine der wichtigsten Herausforderungen der zukiinftigen Forschung. Eine derartige Forschung setzt eine verstarkte Zusammenarbeit zwischen Medizin, Psychologie und Zoologie voraus, wobei Erkenntnisse der Verhaltensforschung, Neurobiologie, Endokrinologie und Immunologie miteinander verkniipft werden miissen.
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Abb. 8-8 Veranderungen zweier irnrnunologischer Messwerte von jeweils 10 rnannlichen und weiblichen Tupajas zwei Wochen nach Beginn einer harmonischen (rote Balken) bzw. unharrnonischen (blaue Balken) Verpaarung sowie 3 Tage nach ihrer Trennung. Dargestellt sind Lyrnphozyten-Verrnehrung und Aktivitat des
Kornplernentsysterns.das u. a. von Viren infizierte Korperzellen zerstort. Die Werte aus Verpaarung und Trennung unterscheiden sich stets hoch signifikant (p
8.1
Literatur Ader, R.; Felten, D.L.; Cohen, N. (1991):Psychoneuroimmunology.San Diego. Academic Press. Holst, D. v. (1998):The Concept of Stress and its Relevance for Animal Behavior. Advances in the
Study ofBehauior 27, 1 - 1 31. Schedlowski, M.; Tewes, U . (1999):Psychoneuroimmunology. An Interdisciplinary Introduction. New York, Kluwer Academic/Plenum Publishers.
Teil4
Zoologie und Parasitologie
Mit bizarren Korperauswuchsenversehene Larve des Marienkafers Epilachna varivestis frisst an einem Pflanzenstengel. Diese auch als Mexikanischer Bohnenkafer bezeichnete herbivore Art ist ein wichtiger BohnengroBschadling in Nordarnerika (Dettner 1999; Photo: Dr. M. und C.Schwinger, Rheinfelden).
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in vielen Lebenslagen 9.1
Taxonomie, Systematik und Ontogenese der Einzeller (Protozoa) Wilhelm Foissner, Salzburg
Mitglieder der Deutschen Gesellschaft fur Protozoologie sind die weltweit fuhrenden Alpha-Taxonomen (,,Artbeschreiber") fur freilebende Ciliaten (Foissner, Salzburg; Wilbert, Bonn), beschalte Amoben (Meisterfeld, Aachen) und Ciliaten-Ontogenetiker (Bardele, Tubingen; Foissner, Salzburg). Einige wesentliche Leistungen dieser Arbeitsgruppen sollen kurz vorgestellt werden. Die Salzburger Arbeitsgruppe, vor 20 Jahren von Wilhelm Foissner gegriindet, hat als Forschungsschwerpunkte die Alpha-Taxonomie und die Individualentwicklung (Ontogenese) der Ciliaten (Wimpertierchen), und, anwendungsorientiert, die Bioindikation mit Protozoen. Aber auch zur Morphologie der Flagellaten, Schalenamoben (Testaceen) und Sporozoen entstanden wichtige Arbeiten. Die Gruppe hat bisher etwa 150 neue Gattungen und 400 neue Arten beschrieben, besonders aus dem noch weitgehend unerforschten Lebensraum Boden, wo ganz neue Organisationstypen entdeckt wurden, z. B. die obligat pilzfressenden Ciliaten und ein ganz sonderbarer Flagellat, der vermutlich an der Basis der Euglenophyten einzuordnen ist und fur den sogar ein eigener Stamm, die Hernirnustigophoru,eingerichtet wurde (Abb. 9-1). Die entsprechenden Monographien (Foissner 1993, Foissner et al. 2001, Berger 1999) und Bestimmungswerke (Foissner et al. 1991-1995,1999,2001; Berger et al. 1997) sind so verfasst, dass sie nicht nur dem Spezialisten zuganglich sind. Foissners Gruppe arbeitet mit N. Wilbert (Bonn) zusammen, der ahnliche Forschungsschwerpunkte hat. Der ,,Bonner Schule" enstammt ebenfalls ein heute fuhrender Ciliaten-Spezialist, W. Song aus China. Zusammen mit W. Petz von der Salzburger Gruppe veroffentlichten Wilbert und Song eine grundlegende Monographie uber die Ciliaten des Antarktischen Meereises, ein exotischer Lebensraum, dessen reiche Ciliatenfauna fast unbekannt war (Petz et al. 1995). Viele neue Arten wurden entdeckt (Abb. 9-2). Die Ontogenese-Forschung der Arbeitsgruppen von Ch. Bardele (Tubingen) und W. Foissner (Salzburg) fiihrte zur Aufklamng vieler Verwandtschaftsbeziehungen auf der Gattungs- und Familien-Ebene. Bardeles Gruppe konnte mit der elektronenmikroskopischen Analyse einiger Ontogenesen auch grogere systematische Zusammenhange
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Abb. 9-1 Hemimastix amphikineta, ein nur etwa werden musste, die Hemimastigophora. 20 prn grolSer Einzeller, hat zwei Langsreihen Bisher wurde es nur in Boden des von Flagellen (F) und schaut daher wie ein Ciliat gondwanischen Urkontinents gefunden. aus. Die Feinstruktur und Ontogenese zeigen Hemimastix amphikineta konnte daher ein jedoch, dass es ein CeilSeltierchen (Flagellat) ,,lebendes Fossil" sein. N = Nucleus ist, allerdings ein so sonderbar organisiertes. (Zellkern).Teilstrich des Magbalkens: 5 him dass dafijr ein neuer (Tier)-Stamm errichtet
Abb. 9-2 Holosticha spindleri, ein etwa 100 pm langes hypotriches Ciliat, das Petz, Song und Wilbert (1995) irn antarktischen Meereis entdeckten. Das wichtigste Artrnerkmal ist die starke Verlangerung der letzten adoralen Mernbranelle (Pfeilkopf).
9.1 Taxonomic, Systernatik und Ontogenese der Einzeller (Protozoa)
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Abb. 9-3 Das Eisler'sche Urciliat hatte urspriinglich nur einen M u n d (Sternchen) und eine undulierende Mernbran (UM) aus zwei Wirnpernreihen rechts des Mundes. Die irn Bild linke Wirnpernreihe der undulierenden Mernbran vervielvaltigte sich. wodurch die sornatischen Wirnpernreihen (Pfeil) und spater auch die typischen adoralen Mernbranellen (1, 2 , 3) auf der linken Seite des Mundes entstanden. Die Kreise symboltsieren Wirnpern, die an den Kreisen ansetzenden Linien sind Fibrtllenbiindel (aus Schlegel und Eisler 1996).
erkennen (siehe Foissner 1996). hider erfreut sich diese so erfolgreiche, a k r sehr arbeitsintensive Forschungsrichtung im Zeitalter der Molekularbiologie nicht mehr der hochsten Forderungsprioritat, weshalb das Programm bisher nicht zum Abschluss gebracht werden konnte. K. Eisler, ein Schuler Bardeles, hat mit den klassischen Methoden aber sogar ein ,,Urciliat" rekonstruieren konnen (Abb. 9-3). In Tubingen entwickelte Martin Schlegel parallel zur klassisch-morphologisch arbeitenden Gruppe von Bardele eine molekulare Phylogenie, die nun in seinem Lehrstuhl in Leipzig weitergefuhrt wird. Mit dieser wichtigen methodischen Enveiterung konnten viele der morphologischen Hypothesen uberpriift und neue Vorstellungen kreiert werden. Neueste Erkenntnisse weisen auf zwei groBe Entwicklungslinien bei den Ciliaten hin, die in ahnlicher Weise schon friiher von den Morphologen postuliert wurden (Hammerschmidt et al. 1996). Mittlenveile hat sich eine effektive molekular/morphologische Kooperation der Deutschen und Osterreichischen Ciliatenforscher etabliert. R. Meisterfeld, ein Schuler von T. Grospietsch (Plan),ist mittlenveile der weltweit letzte Spezialist fur beschalte Amoben (Testaceen), obwohl auch andere Arbeitsgruppen (Foissner, Schonborn) an den Artdiagnosen und Verbreitungsdaten arbeiten. Meisterfeld (2001) hat die Testaceen im neuen ,,Illustrated Guide to the Protozoa" grundlegend neu bearbeitet, die Details dazu sind leider noch unveroffentlicht. Obwohl man heute weiJ3, dass die Schalenamoben zumindest biphyletisch sind, ist die Evolution innerhalb der Gruppe wegen der Merkmalsarmut noch weitgehend spekulativ. Hier wird die Untersuchung der Gensequenzen wichtige neue Erkenntnisse bringen. Als neues Arbeitsgebiet hat sich die Mikropalaontologie etabliert, betrieben von Schonborn in Jena und Foissner in Salzburg. In 200 Millionen Jahre altem Bernstein aus Bayern wurde eine komplette Biozonose von Mikroorganismen entdeckt (Schonborn et al. 1999),und im 15 Millionen Jahre alten Sediment eines Kratersees
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Diese Schalenamobe (Testacea) wurde in 15 Millionen Jahre altem Seesediment gefunden. Die sehr gut erhaltenen Kieselschuppen gleichen ganz denen einer rezenten Art, namlich Scutiglypha scutigera, die man auch heute noch in Seen findet. Magbalken: 10pm. (aus Foissner und Schiller 2001).
Abb. 9-4
bei Giessen fanden sich hervorragend fossilisierte Schalenamoben (Foissner und Schiller 2001). Die fossilen Arten sind meist rezenten sehr ahnlich (Abb. 9-4). Eine Erklarung fur diese ,,Morphostasis", die uber Millionen von Generationen aufrecht erhalten wird, noch d a m fast asexuell, fehlt bisher. 9.1.1 Literatur
Aescht, E. (2001):Catalogue of the generic names of ciliates (Protozoa, Ciliophora). Denisia 1. Aescht, E. (Hrsg.) (1994):Die Urtiere. Eine verborgene Welt. Kataloge des 0.0.Landesrnuseums (N.F.) 71. Berger, 11. (1999): Monograph ofthe Oxytrichidae (Ciliophora, Hypotrichia). Dordrecht, Kluwer. Berger, H.; Foissner, W.; Kohmann, F. (1997): Bestimmung und Okologie der Mikrosaprobien nach DIN 38410. Stuttgart, Gustav Fischer Verlag. Foissner, W. (1993): Colpodea. Stuttgart, Gustav Fischer Verlag.
9.2 Die protozoologische Feinstrukturforschung
Foissner. W. (1996):Ontogenesis of ciliated Protozoa, with emphasis on stomatogenesis. In: Hausmann, K.; Bradbury, P.C. (Eds.)Ciliates - Cells as Organisms, Stuttgart, Gustav Fischer Verlag, 95-177. Foissner, W.; Schiller W. (2001): Stable for 15 million years: scanning electron microscope investigation of miocene euglyphid thecamoebians from Germany, with description of the new genus Scutoglypha. Europ. J. Protistol. 37, 167-180. Foissner, W.; Agatha, S.; Berger, H. (2002): Soil ciliates (Protozoa, Ciliophora) from Namibia (Southwest Africa), with emphasis on two contrasting environments, the Etosha region and the Namib Desert. Denisia 4 (im Druck). Foissner, W.; Berger, H.; Schaumburg, J. (1999): Identification and ecology of limnetic plankton ciliates. Infomationsberichte des Bayer. Landesamtesfir Wasserwirtschaj, Heft 3/99. Foissner, W.; Berger, H.; Blatterer, H.; Kohmann, F. (1991-1995): Taxonomische und okologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems. 4 Bande mit zusammen iiber 2000 Seiten. Informationsberichte des Bayer. Landesamtesfirr Wasserwirtschaj 1991-1995. Hammerschmidt, B.; Schlegel, M.; Lynn, D.H.; Leipe, D.D.; Sogin, M.L.; Raikov, I.B. (1996): Insights into the evolution of nuclear dualism in the ciliates revealed by phylogenetic analysis of rRNA sequences.J. Euk. Microbiol. 43,225-230. Meisterfeld, R. (2001):Arcellinida and Testate amoebae with Filopodia. In: Lee, J.J. et al. (Eds.), Illustrated Guide to the Protozoa. 2nd. ed, 827-860 and 1054-1084. Kansas, Society of Protozoologists. Petz, W.; Song, W.; Wilhrt, N. (1995):Taxonomy and ecology of the ciliate fauna (Protozoa, Ciliophora) in the endopagial and pelagial of the Weddel Sea, Antarctica. Stapfra 40. Schlegel, M.; Eider, K. (1996): Evolution of ciliates. In: Hausmann, K.; Bradbury, P.C. (Eds.),Ciliates - Cells as Organisms, Stuttgart, Gustav Fischer Verlag, 73-94. Schonborn, W.: Dorfelt. H.; Foissner, W.; Krienitz, L.; Schafer U. (1999):A fossilized microcenosis in triassic amber. J . Euk. Microbiol. 46, 571-584.
9.2
Die protozoologische Feinstrukturforschung Klaus Hausrnann
Zur Zeit der Griindung der Deutschen Gesellschaft fur Protozoologie im Jahr 1981 galt die Elektronenmikroskopie, die damals so genannte Feinstrukturforschung, noch als eigenstandige Disziplin, die bundesweit mit protozoologischem Schwerpunkt an einer Reihe von Universitaten vertreten war (Bochum, Bonn, Heidelberg, Konstanz, Munster, Tubingen). So wurde seinerzeit beispielsweise die ultrastrukturelle Organisation von verschiedensten Einzellern dargestellt. Im Zusammenhang damit wandte man sich cytologischen und funktionsmorphologischen Fragestellungen zu, indem man, um nur einige Beispiele zu nennen, die Grundlagen der amoboiden Bewegung, die funktionelle Rolle von Mikrotubuli (Abb. 9-5), die Organisation von Zellkernen oder die Bedeutung des damals so genannten Grundzytoplasmas zu erforschen suchte. Was man seinerzeit erarbeitete, findet sich heutzutage unter anderem in Monographien (Aescht 1994, Gortz 1988, Hausmann & Bradbury 199G) und hat auch in die Lehrbiicher der Protozoologie (Hausmann 1985, Hausmann & Hulsmann 1996, Mehlhorn & Ruthmann 1992, Rottger 1995, 2001) und der Zellbiologie (z. B. Plattner 1997) Eingang gefunden.Welch bedeutenden Beitrag die protozoologische Feinstrukturforschung in Deutschland zum Erkenntniszuwachs in der Zellbiologie geliefert hat, wird erst bei sorgfaltigem Literaturstudium
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Abb. 9-5 Querschnitt durch ein Axopodium eines Sonnentieres (Actinophrys sol) m i t typischer Mikrotubulidoppelspirale (Foto: K. Hausmann, Berlin)
Abb. 9-6 Querschnitt durch einen aus zahlreichen Cilien zusammengesetzten Cirrus, der be1 Wimpertieren beispielsweise der Cattung Euplotes in Vielzahl auftritt und diesen Einzellern eine Art Laufen ermoglicht (Foto: K Hausmann, Berlin).
9.2 Die protozoologische Feinstrukturforschung
deutlich (z. B. Plattner 1993, Stockem & Klopocka 1988, Wohlfarth-Bottermann 1987). Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat sich nun aber die elektronenoptische Feinstrukturforschung mehr und mehr zu einer Begleitmethodik anderer protozoologischer Forschungsrichtungen entwickelt, allerdings nach wie vor zu einer ganz essentiellen Komponente. Dies trifft z. B. sowohl fur taxonomisch orientierte Fragestellungen an beschalten Amoben (RTH Aachen) als auch fur funktionsmorphologische Studien an Phagocytosevorgangen bei Einzellern zu (Abb. 9-7; Freie Universitat Berlin), ebenso wie fur die Analyse von intrazellularen Motilitatsphanomenen (Abb. 9-6; Universitat Bochum) oder fur die Aufldarung genereller zellbiologischer Fragestellungen zum Exocytosemechanismus mit Hilfe protozoologischer Modellorganismen (Universitat Konstanz). Ohne die Feinstrukturforschung gabe es keine detaillierte Entschlusselung morphogenetischer Ablaufe wahrend der Zweiteilung von Einzellern (beispielsweise fur die Stomatogenese bei Ciliaten; Abb. 9-8) und deren Bedeutung fur die Taxonomie der Protozoen (Abb. 9-9; Universitaten Koln, Salzburg und Tubingen). Dies steht auger Frage bei der Aufklarung der Lebens-
Abb. 9-7 Amoben aus der Gruppe der Vampyrelliden phagocytieren den Zellinhalt von fadigen Grunalgen. nachdem sie vorweg in die Zellwand dieser Algen enzymatisch kreisrunde Penetrationsoffnungen geschaffen haben (Fotos: N. Hulsmann, Berlin).
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Der Fressapparat bestimmter Wimpertiere besteht aus Tausenden von Mikrotubuli, die zu einer hochkomplizierten, dreidirnensionalen Struktur zusamrnengefugt sind, welche eine augerst effektive Nahrungsaufnahrne errnoglichen (Foto: K. Hausrnann, Berlin).
Abb. 9-8
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Die Komplexitatder Strukturen, die an den Basalkorpern derciliaten (Wirnpertiere) ansetzen, ist irn Detail nur rnit dern Elektronenrnikroskop erkennbar. Sie gelten als zentrale Differenzierungen bei der Aufdeckung von Verwandtschafisbeziehungen dieser Einzeller untereinander (Foto: K. Hausrnann, Berlin).
9.3 Cenetik, Molekularbiologie und Evolution uon Protisten
zyklen von einzelligen Parasiten (Universitaten Bochum, Dresden, Dusseldorf und Stuttgart) und gleichermagen bei der Entschliisselung von Einzeller-Einzellersowie Einzeller-Vielzeller-Symbiosen (Universitaten Berlin und Stuttgart). Zunehmende Bedeutung gewinnt die Ultrastrukturforschung im Rahmen okologisch orientierter Forschungsschwerpunkte. Hat sich unterdessen doch die Erkenntnis gefestigt, dass ein exaktes Artwissen bei der Evaluation von Okosystemen unabdingbar ist (Universitaten Berlin und Koln). Insbesondere trifft dies auf die sehr kleinen Einzeller, zum Beispiel die Nanoflagellaten zu, welche bei einer ausschlieglich lichtmikroskopischen Analyse aufgrund ihrer wenigen Strukturmerkmale nur eine sehr grobe systematische Zuordnungen zulassen. In diesem Bereich wird fur die Feinstrukturforschung eine Renaissance prognostiziert. Das instrumentelle und personelle Potenzial fur die Beantwortung der anstehenden Fragen ist zur Zeit noch an deutschen Universitaten gegeben. Es bleibt zu hoffen, dass die vorhandenen Ressourcen gepflegt und nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. 9.2.1 Literatur
Aescht, E. (Hrsg.) (1994): Die Urtiere. Eine verborgene Welt. Kataloge des 0.0.Landesmuseums ( N . F . ) 71. Gortz, H.-D. (Ed.) (1988):Paramecium. Heidelberg, Springer-Verlag. Hausmann, K. (1985):Protozoologie. Stuttgart, Georg Thieme Verlag. Hausmann, K.; Bradbury, P.C. (Eds.) (1996):Ciliates - Cells as organisms. Stuttgart, Gustav Fischer Verlag. Hausmann, K.; Hiilsmann, N. (1996):Protozoology. Stuttgart, Georg Thieme Verlag. Mehlhorn, H.; Ruthmann, A. (1992):Allgemeine Protozoologie. Jena, Gustav Fischer Verlag. Plattner, H. (Ed.) (1993):Membrane traflic in protozoa, Vol. 2 A+B. In: Tartakoff, A.M. (Ed.): Advances in cell and molecular biology ofmembranes. Greenwich, JAI Press. Plattner, H.; Hentschel, J. (1997): Taschenlehrbuch Zellbiologie. Stuttgart, Georg Thieme Verlag. Rottger, R. (Hrsg.) (1995): Praktikum der Protozoologie. Stuttgart, Gustav Fischer Verlag. Rottger, R. (2001):Worterbuch der Protozoologie. In: Foissner, W. (Ed.): Protozoological Monographs, Vol. 2. Aachen, Shaker Verlag. Stockem, W.; Ktopocka,W. (1988):Ameboid movement and related phenomena. Int. Rev. Cytol. 112,137-183. Wohlfarth-Bottermann, K.E. (Ed.) (1987):Nature and function of cytoskeletal proteins in motility and transport. In: Lindauer, M. (Ed.):Fortschritte der Zoologie. Band 34.
9.3 Cenetik, Molekularbiologie und Evolution von Protisten
Johannes Hackstein, Martin Schlegel und HelrnutJ. Schmidt
Einzeller besitzen unglaubliche Eigenschaften: sie produzieren Wasserstoffgas, haben das Klonieren erfunden und es zumindest prinzipiell geschafft, unsterblich zu werden. Einzellige Eukaryoten (Protisten) werden seit mehr als 300 Jahren mit Begeisterung studiert. Insbesondere Ernst Haeckel hat ihre Formenvielfalt untersucht und beschrieben (Haeckel 1899-1904). Neben ihrer hohen morphologischen, physiologi-
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schen und biochemischen Diversitat weisen sie eine vor allem mit dem Elektronenmikroskop aufgedeckte enorme strukturelle Komplexitat auf. Der fur heterotrophe Protisten gebrauchliche Begriff ,,Protozoen" (,,Urtierchen") ist daher eher unangebracht. Er impliziert, dass diese Einzeller in ihrer Struktur und ihren Leistungen primitiver seien als mehrzellige Tiere. Dies trifft zumindest auf zellularer Ebene keineswegs zu. Obwohl sie sie stammesgeschichtlich vie1 alter als Vielzeller sind, haben sie sich dennoch bis heute als sehr erfolgreiche Organismen behauptet. Fossilien von Einzellern findet man nur selten und solche Funde sind augerst schwierig zu interpretieren (Knoll & Carrol 1999, Schopf 2000). Daher wissen wir relativ wenig uber das erdgeschichtliche Alter von Einzellern an Hand von Fossilien. Die bedeutenden Fortschritte in der Analyse ,,molekularer Fossilien", d. h. organischer Verbindungen, die auch noch in sehr alten Gesteinen nachweisbar sind, machten es aber moglich, das erste Auftreten von Eukaryoten, also echten Einzellern mit Zellkern und Zellorganellen, auf etwa 2,7 Milliarden Jahre vor unserer Zeit anzusetzen (Brocks et al. 1999, House et al. 2000). 9.3.1 Mit rnolekularen Merkmalen lassen sich Hypothesen zur Phylogenie der Protisten erarbeiten
Die genaue Ultrastruktur der Protisten zeigte auch, dass viele der klassischen taxonomischen Gruppen, vor allem die Rhizopoden und die Flagellaten kunstliche Gruppen waren (Leipe Sr Hausmann 1993). Ansatze zur Rekonstruktion der tatsachlichen Verwandtschaftsbeziehungen gelangen jedoch mit Hilfe molekularer Merkmale. Allen voran ist hier die RNA der kleinen Ribosomenuntereinheit zu nennen (die ,,small subunit ribosomal RNA" als ssu-rRNA abgekurzt [Schlegel 1994, Sogin et al. 1986, Van de Peer et al. 19961). Ein sensationelles Beispiel hierfur ist die mit Hilfe des Sequenzvergleichs der ssu-rRNA aufgedeckte nahe Verwandtschaft einer Teilgruppe der Flagellaten, namlich der Dinoflagellaten (die bisher zu den Algen gestellt wurden) mit den parasitischen Apikomplexa. Zu diesen Apikomplexa, die weitgehend den ehemaligen Sporentierchen (Sporozoa) entsprechen, gehoren auch die Malariaerreger. Da es sich herausstellte, dass der Malariaerreger (Plasmodium) tatsachlich einen - wenn auch farblosen - Chloroplasten besitzt (s. den Beitrag Lingelbach et al.), hat diese Entdeckung weitreichende Folgen fur die Malariabekampfung. Mit den Apikomplexa nahe verwandt sind die Ciliaten (Gajadhar et al. 1991), bei denen ein ,,griiner" Ursprung ebenfalls nicht unwahrscheinlich ist. Diese drei Taxa sind in ihrer Ultrastruktur und ihren okologischen Anspruchen derart verschieden, dass ihre nahe Venvandtschaft zwar vor Jahren aufgrund gewisser ultrastruktureller Gemeinsamkeiten Taylor (1976) diskutiert, aber nicht ernst genommen wurde. Neben der ssu-rRNA wurden mitochondriale Hitzeschock Gene im Kern mitochondrienloser, an sauerstoffarme Lebensraume angepasster Flagellaten und Amoben zur Rekonstruktion verwandtschaftlicher Beziehungen herangezogen. Dies sind sehr starke Hinweise, dass diese Organismen nicht, wie man fruher angenommen hatte, primar keine Mitochondrien besitzen, sondern diese im Laufe der
Bleph .und . 4 Bleph.und. 1 Bleph.und. 2 Bleph.spec. Styl.lemnae Oxytr. nova Eu.euryst. 1 Eu-euryst. 4 Eu-minuta Eu .vannus Tetr.therm. Obertrumia 5 Obertrumia 6 Protocruzia
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Abb. 9-10 Vergleich der Histon H4 Arninosauresequenz irn arninoterrninalen Bereich verschiedener Ciliatenarten. Arninosaurepositionen. die als abgeleitete Merkrnale interpretiert werden konnen, sind eingerahrnt. Die Nurnrnerierung der Arninosauren entspricht der bei Wirbeltieren. Bleph. und.: Blepharisma undulans, Styl. rnyt.: Stylochychia myths, Eu. euryst.: Euplotes eurystornus, Tetr. therrn.: Tetrahymeno thermophila (rnit freundlicher Genehrnigung von Dr. Detlef Bernhard, Leipzig).
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60 70 80 * * K R - H R R V I R E N I Q G I T K P A I R R L A R R G G V K R L S G L V Y D E T .................................................... G ................... . . - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D .................................
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Stammesgeschichte als Folge der Anpassung an sauerstofffreie Lebensraume reduziert oder ,,umgebaut" haben (Roger et al. 1996). Diese Erkenntnis hat erhebliche Konsequenzen fur die Hypothesen zur Evolution der Eukaryoten, aber auch fur die Einordnung der ,,anaeroben" Einzeller. Wir werden auf diesen Punkt noch einmal zuruckkommen. Eine besondere Uberraschung boten Sequenzvergleiche der Histon-Gene. Im Gegensatz zu den vielzelligen Organismen, bei denen diese Gene sehr stark konserviert sind, zeigen sie bei einigen Protistengruppen, z. B. den Ciliaten (Bernhard & Schlegel 1998), den Trichomonaden (Marinets et al. 1996) und den Trypanosomen (Bender et al. 1992) eine starke Varianz Im H4-Gen der Ciliaten treten in der 5'-Region gehauft gruppenspezifische Austausche auf, die zur Rekonstruktion von Venvandtschaftsbeziehungen geeignet sind (umrahmte Aminosaure-Positionen in Abb. 9-10). Ein auf den Sequenzvergleichen von nur 56 Aminosauren basierender Gen-Stammbaum (Abb. 9-11) deckt sich nahezu vollstandig mit Ergebnissen der ssu-rRNA Analysen (z. B. Hammerschmidt et al. 1996). Beim Vergleich der H3-Gene ist sogar eine noch hohere Variabilitat feststellbar (Bernhard 1999).
Abb. 9-11 Ciliaten Starnrnbaurn basierend auf dern Vergleich der H4-Arninosauresequenzen. Die Zahlen an den Verzweigungen geben die Haufigkeit in % an, m i t der diese bei einern Test aufdie Robustheit der Aufzweigung (,,boots trap". Verfahren) auftraten. NJ:neighbour joining-
Baurnrekonstruktionverfahren, PARS: maximum parsimony-Baurnrekonstruktionsverfahren, m i t jeweils verschiedenen Referenzsequenzen: Bleph: Blepharisma, Stylo: Stylonychia. Tetra: Tetrahyrnena (verandert nach Bernhard und Schlegel 1998).
9.3 Cenetik, Molekubrbiologie und Evolution von Protisten
Unterschiede in den Histon Genen der Ciliaten im Vergleich zu anderen Eukaryonten sind nicht unbedingt auf das hohe phylogenetische Alter zuriickzufiihren. Nach den rRNA Sequenzvergleichen zweigen die Ciliaten relativ spat in der Eukaryontenphylogenie ab in einer Radiation, aus der u.a. auch die griinen Pflanzen (Griinalgen, Moose und Gefagpflanzen), die hoheren Pilze (Fungi)und die Metazoa hervorgegangen sind. Die Gruppen, die friiher abzweigten, zeigen dagegen ein heterogenes Bild. Der Einsatz molekularer Merkmale zur Rekonstruktion von Phylogenien hat jedoch auch seine Grenzen (Philippe & Adoutte 1996, Schlegel 1998). Unterschiede in der durchschnittlichen Basenzusammensetzung konnen zu irrefiihrenden Resultaten fuhren. Das phylogenetische Signal in Form von unterschiedlichen Basen in derselben Position kann im Sequenzvergleich durch multiple Substitutionen ,,verrauscht" sein. Protein-Phylogenien konnen zu anderen Ergebnissen fiihren als die Analyse der ssu-rRNA. Gen-Duplikationen, ein nicht auszuschliegender lateraler Gen-Transfer oder unterschiedliche Kompartimentierung sind nur einige der moglichen Ursachen, die bei Proteinvergleichen zu Fehlschliissen fuhren konnen. Auch Berechnungen des Alters von Einzellern mit Hilfe einer ,,molekularen Uhr" haben ihre Tiicken. Um im Bild zu bleiben: die Uhr tickt unterschiedlich schnell in verschiedenen Taxa und nicht einmal immer gleichmagig innerhalb des gleichen Taxons. Sorgfalt bei der Sequenzanalyse und Vorsicht bei der Interpretation ist also geboten. Dennoch ermoglicht es die molekulare Analyse von ssu-rRNA Genen und proteincodierenden Genen, neben der Rekonstruktion von Verwandtschaftsbeziehungen eine Biodiversitat zu entdecken, die anders nicht wahrzunehmen ware. So sehen z. B. die Ciliaten, die im Darm vieler Schaben vorkommen, alle recht ahnlich aus. Die Sequenzanalyse ihrer ribosomalen Gene macht jedoch deutlich, dass sie unterschiedlichen Arten angehoren und beinahe jede Schabenpopulation ihre ,,eigenen" Ciliaten besitzt, die wiederum ihre ureigenen, methanogenen Endosybionten beherbergen (Hackstein 1997, van Hoek et al., 2000b). Diese Genanalysen erlauben es sogar, Protozoen und einzellige Algen zu identifizieren, die noch niemand zu Gesicht bekommen hat. Die Analyse von DNA aus Wasserproben des Pazifischen Ozeans enthiillt z. B. eine ganz unerwartete Artenvielfalt und gibt dariiber hinaus Hinweise auf die Existenz bisher unbekannter Organismen (Moon-van der Staay et al. 2001). 9.3.2
Hydrogenosomen- gedrosselte Krafiwerke der Zelle
Zu den anaeroben Protisten zahlen viele Parasiten (z. B. Trichomonas vaginalis, Entamoeba histolytica oder Giardia lamblia),aber auch viele Symbionten und Kommensalen wie die Ciliaten im Pansen der Wiederkauer. Im Pansen einer einzigen Kuh leben mehr als SO Milliarden Ciliaten! Einige dieser anaeroben Protozoen besitzen keine Energie produzierenden Zellorganellen, d. h. sie besitzen weder Mitochondrien noch Hydrogenosomen. Bis vor kurzem nahm man daher an, dass es sich hierbei um ,,Archaezoen", um ultimative ,,Urtiere" handeln wiirde. Ein Vertreter der
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Archaezoen - so die landlaufige Meinung - hatte ein symbiotisches u-Proteobakterium als Symbionten aufgenommen, das sich zum Mitochondrium entwickelte und so die Evolution der ersten (echten) Eukaryotenzelle ermoglichte. Molekulare Analysen zeigten jedoch, dass alle bisher untersuchten Protisten ,,mitochondriale" Gene besitzen, auch wenn sie weder Mitochondrien noch Hydrogenosomen haben. Heute nimmt man daher an, dass diese Protisten ursprunglich Mitochondrien besagen, diese jedoch im Laufe ihrer evolutionaren Adaptation an sauerstoffarme oder -freie Lebenraume verloren haben. Damit waren die heute lebenden ,,Archaezoen" nicht mehr die primitivsten Protisten, und es erhebt sich die Frage, ob es jemals so etwas wie ein Archaezoon gab. Diese Erkenntnis erforderte eine Anpassung der klassischen Endosymbionten-Hypothese (Martin & Muller 1998, LopezGarcia & Moreira 1999). Heutzutage geht man davon aus, dass die erste Eukaryontenzelle aus einer Verschmelzung von zwei (oder mehr) verschiedenen Prokaryoten entstanden ist. Hierbei wird zudem berucksichtigt, dass eine ganze Reihe von anaeroben Protisten Hydrogenosomen besitzt (Abb. 9-12), Energie und Wasserstoff produzierende Zellorganelle (Muller 1993, Hackstein et al. 1999, Rotte et al. 2000). Diese Zellorganelle sind nicht nur fur das Verstandnis der Eukaryontenevolution interessant. Einige Parasiten, wie z. B. Trichomonas vaginalis besitzen ebenfalls Hydrogenosomen, die ein geeigneter Angriffspunkt fur Medikamente sein konnten. AuBerdem tragen Protisten mit Hydrogenosomen zum Treibhauseffekt bei: im Schlamm, im Darm oder im Pansen produzieren sie erhebliche Mengen an Wasserstoff, der von Methanbakterien, die sich immer in der Nahe von Wasserstoffquellen aufhalten, zu Methan umgesetzt wird. Methan ist eines der bedeutendsten Treibhausgase, und die Methanproduktion von Kuhen, Schafen und Ziegen, aber auch
Abb. 9-12 Elektronenmikroskopische Aufnahme von Nyctotherus (median geschnitten). Mi: Mikronukleus. Ma: Makronukleus. V: Vakuole, H: Hydrogenosomen, mf: Mundfeld (Aus: Akhmanova et al. 1998a, verandert).
9.3 Cenetik, Molekularbiologie und Evolution y o n Protisten
von Tausendfugern, Termiten, Schaben und Kaferlarven ist als Beitrag zum Treibhauseffekt keineswegs zu unterschatzen (Hackstein & Stumm 1994). Welchen konkreten Beitrag leistet die Forschung an Protisten zum Verstandnis der Evolution der Eukaryontenzelle? Wie bereits erwahnt, haben molekulare Studien an Protozoen gezeigt, dass das Konzept der ,,Archaezoen" nicht zu halten ist, und dass eine Einbeziehung der Hydrogenosomen essentiell fur jede ernstzunehmende Hypothese zum Ursprung der Eukaryontenzelle ist. Hydrogenosomen finden sich in einer ganzen Reihe sehr unterschiedlicher anaerober Protisten - aber niemals in mehrzelligen Organismen. Hydrogenosomen miissen in der Evolution mehrfach entstanden sein - aber wie, wann, und aus welchem Symbionten oder Zellorganell, ist nur schwer festzustellen. Alle verfugbaren Daten deuten darauf hin, dass sie aus Mitochondrien entstanden sind. Dies ist ein augerst ungewohnliches Ergebnis, da Mitochondrien geradezu Prototypen einer efizienten Energiegewinnung mit Sauerstoff als Elektronenendakzeptor sind. Hydrogenosomen hingegen verlieren ihre Funktion in Anwesenheit von Sauerstoff. Sie produzieren Wasserstoff mit Hilfe des Enzyms Hydrogenase. Nur unter strikt anaeroben Bedingungen ist dieses Enzym in der Lage, Protonen zu Wasserstoff zu reduzieren und als Gas in die Atmosphare entweichen zu lassen. Durch den Protonenverbrauch produzieren Hydrogenosomen einen pH-Gradienten zwischen ihrer Matrix und dem Cytoplasma, der zur Energiegewinnung in Form von ATP genutzt wird. AuBerdem gibt es noch eine Reihe von Proteinen, die auf eine Art der Energiegewinnung schlieBen lassen, die auch von Mitochondrien bekannt ist, namlich das ,,Pumpen" von Protonen aus dem Inneren des Organells in das Cytoplasma. Der kontrollierte Ruckstrom der Protonen wird wahrscheinlich, wie in den Mitochondrien hoherer Organismen, zur ATP-Synthese genutzt. Wir gehen heute davon aus, dass Mitochondrien und Hydrogenosomen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, der wahrscheinlich sowohl unter aeroben als auch anaeroben Bedingungen funktionierte. Das konnte bedeuten, dass Mitochondrien (bzw. ihre Vorfahren) tatsachlich zur Grundausstattung der Eukaryontenzelle gehorten, obwohl bei deren Entstehung vor 2,s Milliarden Jahren die Sauerstofllonzentration in der Erdatmosphare bedeutend niedriger war als heute (Schopf und Klein 1992). Wie lasst sich nun eine solche Hypothese beweisen? Bei den Mitochodrien ist es gelungen, durch Sequenzierung einer ganzen Reihe mitochondrialer Genome einzelliger und vielzelliger Organismen eindeutig nachzuweisen, dass Mitochondrien homolog sind (d. h. von einem Endosymbioseereignis herruhren). Viele ihrer Gene lassen sich von einem a-proteobakteriellen Stammvater herleiten (Gray et al. 1999). Die meisten Hydrogenosomen besitzen, im Gegensatz zu Mitochondrien, jedoch keine ,,eigene" DNA. Eine Ausnahme stellen die Hydrogenosomen des anaeroben Ciliaten Nyctotherus ovalis dar, der im Darm von Schaben lebt. Sie sind bisher die einzigen Hydrogenosomen, bei denen ein Genom nachgewiesen wurde, das die gemeinsame Vergangenheit von Hydrogenosomen und Mitochondrien enthullen konnte (Akhmanova et al. 1998, van Hoek et al. 2000a). Bei den Hydrogenosomen von Trichomonaden, anaeroben Amoeboflagellaten, und von anaeroben, einzelligen Pilzen (Chytridiomyceten) hingegen gibt es bisher keinerlei Hinweise auf ein Genom. Bei diesen Einzellern befinden sich alle ,,hydro-
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genosomalen" Gene im Zellkern, sie sind nur auf Grund ihrer DNA Sequenz als solche zu erkennen. Alle Proteine, die ein solches Hydrogenosom braucht, mussen im Cytoplasma der Zelle synthetisiert und in das Hydrogenosom importiert werden. Eine Analyse dieser ,,import" und ,,targeting" Systeme und ihr Vergleich mit den homologen mitochondrialen Proteinen konnte dazu beitragen, mehr uber die Herkunft dieser DNA-freien Organelle zu erfahren, aber auch neue Erkenntnisse uber die Evolution der Mitochondrien zu gewinnen. Im Augenblick konnen wir festhalten, dass Hydrogenosomen ganz offensichtlich mehrmals aus Mitochondrien entstanden sind, als sich aerobe Flagellaten, Amoeboflagellaten, Ciliaten und Chytridien an ein Leben ohne Sauerstoff adaptierten. Allein bei den Ciliaten scheint diese Adaptation mehrfach aufgetreten zu sein: in sieben von 22 Ordnungen findet man anaerobe Vertreter mit Hydrogenosomen. Der endgultige Beweis fur die mehrfache Adaptation ist jedoch wegen des Alters der Ciliaten und wegen ihrer auch mit den bislang venvendeten molekularen Merkmalen nicht vollstandig aufgeklarten Phylogenie nicht mehr so einfach zu fuhren. 9.3.3
Ciliaten - Spezialisten in Sachen Molekulargenetik
Ein besonderes Kennzeichen der Ciliaten ist ihr Kerndualismus: Nahezu alle Ciliaten besitzen zwei unterschiedliche Zellkerne, namlich einen Mikronucleus und einen Makronucleus (Abb. 9.12, 9-13). Bei einigen Arten konnen auch mehrere Mikronuclei und Makronuclei vorhanden sein. Die Mikronuclei sind meistens diploid und fast wahrend des gesamten Lebenszyklus des Ciliaten inaktiv. Lediglich bei der geschlechtlichen Fortpflanzung werden sie aktiv und synthetisieren mRNAs. Dabei durchlaufen sie auch eine Meiose, wahrend sie sich bei der vegetativen Vermehrung mitotisch teilen, wie die Zellkerne vielzelliger Organismen. Mikronuclei sind daher so etwas wie die ,,Keimbahn" vielzelliger Tiere. Im Gegensatz hierzu sind die Makronuclei wahrend des gesamten Lebens der Ciliatenzelle transkriptionsaktiv. Sie kontrollieren vor allem den zellularen Stoffwechsel und sind daher dem ,,Soma" vielzelliger Tiere vergleichbar. Makronuclei konnen sich nicht mitotisch teilen: nach einer nicht besonders strukturierten Durchschnurung werden sie auf die Tochterzellen verteilt. Dieser Mechanismus ist noch immer weitgehend unverstanden. Der in die Makronuclei ubernommene Teil des Genoms ist auBerdem meistens hoch polyploid und ihre Chromosomen besitzen keine Centromere. Wahrend der sexuellen Fortpflanzung zerfallen die ,,alten" Makronuclei. Neue Makronuclei entstehen in einem spektakularen Reorganisationsprozess nach der sexuellen Fortpflanzung aus einem Verschmelzungsprodukt postmeiotischer Mikronuclei (Ammermann et al. 1974, s. auch weiter unten). Wie die DNA in den Kernen der somatischen Zellen vielzelliger Organismen tragt die DNA der Makronuclei also nicht zur Vererbung bei. Makronuclei haben rein ,,somatische" Funktionen. Der am weitesten verbreitete sexuelle Prozess bei Ciliaten ist die Konjugation. Sie findet ausschlieBlich zwischen Ciliaten derselben Art statt, aber nur wenn die Zellen ein gewisses Alter erreicht,d. h. eine Reihe von vegetativen Teilungen durch-
9.3 Cenetik. Molekularbiologie und Evolution von Protisten
Abb. 9-13
Schernatische Zusarnrnenfassung der Hauptereignisse der Oberflachenantigenexpression in Ciliaten. Zwei Typen von Cenen sind dargestellt, bezeichnet als C und D, als Beispiele fur Gene, die irn Mikro- und
Makronucleus vorkornrnen. SAC. Oberflachenantigen; IES, elirninierte DNASequenzen; CPI, Clycosylphosphatidyl-inositol (aus: Kusch und Schmidt 2001).
laufen haben und unterschiedlichen Paarungstypen angehoren (Ammermann 1982).Man kennt sowohl bipolare als auch multipolare Paarungstypsysteme (die im Extremfall mehr als hundert ,,Geschlechter" reprasentieren konnen). Hierbei spielen Paarungstypsubstanzen eine wichtige Rolle (Heckmann 1992). Im Verlauf der Konjugation findet ein Austausch der sog. Wanderkerne statt, die mit ihren jeweiligen Partnern, den Stationarkernen zum Jynkaryon" verschmelzen und so den Beginn eines neuen Lebenszyklus markieren. Aus dem Synkaryon bilden sich neue Mikronuclei und ein oder mehrere neue Makronuclei. Bei der Entwicklung der Makronuclei findet eine umfangreiche Reorganisation des Genoms statt (Schmidt 1996, Steinbriick 1986). Die wichtigsten Schritte sind dabei die Fragmentierung der Mikronucleus-Chromosomen, die Eliminierung eines grogen Teils der mikronuclearen DNA und die Umlagerung von grogeren und kleineren DNA-Sequenzenunterschiedlichster Art (Abb. 9-13). Auf diese tiefgreifenden Veranderungen der Genomorganisation folgt eine etwa 1000-fache Vermehrung (Amplifizierung) der DNA Fragmente und die ,,Anhefhmg" von Telomeren, den essentiellen ,,Endkappen" eines jeden Chromosoms, Man konnte also
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sagen, dass die Ciliaten bereits das ,,Klonieren" und die ,,Biotechnologie" erfunden haben - vielleicht schon vor mehr als einer Milliarde Jahren. Bei hypotrichen und (anaeroben) heterotrichen Ciliaten sind die so entstandenen Makronucleus-Chromosomen gerade so grof3, dass sie jeweils ein einziges Gen tragen konnen (,,Genesized molecules"). Aus der Notwendigkeit, Abertausende von Chromosomenstuckchen mit Telomeren zu versehen, ergibt sich ein besonders hoher Bedarf an dem Enzym Telomerase, das fur die Anheftung von Telomersequenzen an die ,,genesized'' DNA-Stiicke verantwortlich ist. Telomerasen wurden deshalb nicht zufallig vor etwa 15 Jahren bei Ciliaten entdeckt. Andere Organismen brauchen Telomerasen zwar genauso notwendig wie die Ciliaten, aber wegen der vergleichsweise geringen Anzahl von Chromosomen in vie1 geringeren Mengen bzw. Aktivitaten. Ohne sie ware eine Verdopplung der Chromosomen (und somit eine Zellteilung) nicht moglich. Da die Telomeraseforschung heute noch viele Fragen unbeantwortet laat, konnte die Forschung an Ciliaten helfen, die Wirkungsweise der Telomerase besser zu verstehen, und damit vielleicht zum besseren Verstandnis und zur Bekampfung von Tumorerkrankungen beitragen. Ein molekularbiologischer Forschungsschwerpunkt bei Paramecium sind die variablen Oberflachenproteine dieser Ciliaten, die auch lmmobilisierungsantigene genannt werden (Abb. 9-13). Das Antigen-System von Paramecium hat zahlreiche Ahnlichkeiten mit dem System der variablen Oberflachenantigene der parasitisch lebenden Trypanosomen. Aufgrund ihrer nicht-parasitischen Lebensweise mussen Paramecien ihr Antigensystem aber ganz anders nutzen Es gelang, die zugehorigen Strukturgene fur mehrere Immobilisierungsantigene von Paramecien zu klonieren und zu charaktersieren. Dabei wurde eine Entdeckung von allgemein biologischer Bedeutung gemacht, die Abweichungen vom universellen genetischen Code betraf. In diesen Genen fur Oberflachenantigene wird namlich etwa alle 120 Basenpaare ein UAA oder UAG-Codon verwendet und zwar nicht wie iiblich als Stop-Codon, sondern als Codon fur Glutamin. Als einziges der drei universellen Stop-Codons fungiert UGA als StopCodon in diesen Genen. Auch in den Genen anderer Ciliaten konnten spater weitere Abweichungen von der Verwendung des universellen genetischen Codes festgestellt werden. Besonders interessant war dabei die Entdeckung, dass das Codon UAA, welches in Paramecium, Tetrahymena und Stylonychia als GlutaminCodon benutzt wird, in Euplotes und in Blepharisma Genen als Stop-Codon venvendet wird. UGA, das einzige Stop-Codon z. B. bei Paramecium, codiert beispielsweise in Pheromon-Genen von Euplotes octocarinatusdie Aminosaure Cystein. Werden bestimmte Euplotes-Arten mit Raubern, z. B. Lembadion bullinum cokultiviert, dann zeigen sich rauberinduzierte morphologische Veranderungen bei Euplotes (Kuhlmann 1999, Abb. 9-14) die nachweislich einen effektiven Schutzmechanismus der Beute darstellen, weil Lembadion als Rauber die veranderten Euplotes Zellen nicht mehr verschlingen kann. Die Substanz, die diese Veranderungen auslost, wird von Lembadion ins Medium abgegeben. Sie wurde isoliert und chemisch charakterisiert. Dabei stellte sich heraus, dass dieser ,,Lembadionfaktor" eine groae strukturelle Ahnlichkeit und Sequenziibereinstimmung mit den oben genannten Immobilisierungsantigenen von Paramecium besitzt. ~
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9.3 Cenetik, Molekularbiologie und Evolution von Protisten
20 Frn Abb. 9-14 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahrnen des Ciliaten Euplotes octocarinatus in typischer Form (links) und in
Anwesenheit seines Raubers (rechts). Die vergroferten Zellen passen nicht mehr in die riesige Mundoffnung des Raubers Lernbadion bullinurn (mitte) (aus: Kuhlrnann 1999).
Auch diese Entdeckung ist von besonderer allgemeinbiologischer Bedeutung, weil sie auf mogliche Funktionen der Oberflachenproteine im Paramecium-System hinweist, namlich auf deren mutmagliche okologische Relevanz fur Rauber-BeuteBeziehungen. 9.3.4 Danksagung
Wir danken Frau Diplombiologin Claudia Wylezich fur die kritische Durchsicht des Manuskripts. 9.3.5 Literatur Akhmanova, A,; Voncken, F.; van Alen. T.; van Hoek, A,; Boxma, B.; Vogels, G.; Veenhuis, M.; Hackstein, J.H.P(1998):A hydrogenosome with a genome. Nature 396,527-528. Ammermann, D. (1982):Mating types in Stylonychia rnytilus. Arch Protistenk. 126, 373-381 Ammermann, D.; Steinbriick, G.; v. Berger, L.; Hennig, W. (1974):The development of the macronucleus in the ciliated protozoan Stylonychia rnytilus. Chrornosoma (Berl)45, 401-429. Bender, K.; Betschart, B.; Schaller, J.; Kampfer, U.; Hecker, H. (1992):Sequence differences between histones of procyclic Trypanosoma brucei brucei and higher eukaryotes. Parasitology 105,97-104. Bernhard, D. (1999): Several highly divergent histone H3 genes are present in the hypotrichous ciliate Stylonychia lernnae. FEMS Microbiology letters 175, 45-50.
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9.4 Protozoen: Modellsystemefir die Zellbiologie
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9.4
Protozoen: Modellsysteme fur die Zellbiologie Helmut Plattner und Hans Machemer
Aus der enormen Formenfulle der Protozoen sind einige wenige zu Modellsystemen fur grundlegende zellbiologische Fragestellungen geworden. Dies sei im Folgenden an funf Beispielen kurz aufgezeigt. 9.4.1
Die amaboide Bewegung
Amoboide Bewegung wird das wenig differenziert wirkende, langsame Kriechen von Zellen genannt, weil es zunachst an Amoben beobachtet wurde; amoboide Bewegung findet sich aber auch bei menschlichen Einzelzellen, z. B. bei Leukocyten oder Makrophagen, den sog. weigen Blutkorperchen. Uber Jahrzehnte waren Schleimpilze die Modellsysteme fur das Studium der amoboiden Kriechbewegung. An ihnen wurden, basierend auf filamentarem Aktin, im Komplex mit Myosin kausal-mechanistische Vorstellungen zur Steuerung der amoboiden Bewegung gewonnen, wobei die Zahl weiterer Aktin-Bindeproteinen und regulatorisch wirksamer Proteine stetig zunahm. Mag die genaue systematische Einordnung der Schleimpilze auch noch nicht vollig geklart sein, die Zuganglichkeit dieser Organismen fur Mutagenesestudien hat uns in Zusammenhang mit der amoboiden Bewegung auch die Erkenntnis der ,,Netzwerkregulation" beschert - die vielfache Absicherung eines komplexen Funktionsablaufes durch Verteilung wichtiger Funktionen auf zahlreiche Effektormolekule (Proteine).
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9 Klein aber oho! Einzeller sind Uberlebenskunstlerin uielen Lebenslagen
9.4.2 Chemokinese und Phagocytose
Auch uber die Chemokinese, oft falschlich als Chemotaxis bezeichnet ergaben sich richtungweisende Vorstellungen aus dem Bereich der Amoben, die dem chemischen Gradienten eines Lockstoffs folgen, der z. B. von Bakterien ausgeht, um diese dann uber Phagocytose aufzunehmen und intrazellular zu verdauen. Der komplexe Zyklus der intrazellularen Verdauung wurde besonders eingehend an Ciliaten untersucht. Manche Ciliaten bieten den Vorteil guter Synchronisierbarkeit und sind damit gunstige Objekte fur die Analyse verschiedenster zellbiologischer Einzelaspekte. 9.4.3 Cilienbewegung
Neben dem Studium von GeiBeln einzelliger Algen, wie z. B. Chlamydomonas waren fur das Verstandnis der Schlagbewegung entscheidend die Untersuchungen an Ciliaten, die sich mittels des synchron-koordinierten Schlages Hunderter bis Tausender von Cilien pro Zelle mit der beachtlichen Geschwindigkeit von einigen mm/sec fortbewegen konnen. Die Geschwindigkeit des Cilienschlags kann erhoht oder vermindert werden und die Schlagrichtung kann graduell verstellt werden, was unter anderem auch ein Fluchtverhalten nach riickwarts ermoglicht. Arbeiten mit Paramecium, Euplotes und Stylonychia haben gezeigt, dass der Koordination des Geiselschlags distinkte elektrophysiologische Prozesse zu Grunde liegen: Hyper- b m . Depolarisation. In letzterem Falle werden (ausschlieBlich in Cilien lokalisierte) Calcium-Kanale geoffnet und einstromendes Calcium bewirkt eine Umkehr der Cilien-Schlagrichtung. Dasselbe Calcium inaktiviert aber auch dieselben Kanale von innen her, sodass die Fluchtreaktion nach einer gewissen Zeitspanne beendet wird. Nicht nur wurde dieser Calcium-Kanaltyp zuerst an Ciliaten entdeckt, auch der Deaktivierungsmechanismus wurde zunachst an den GeiBeln und erst vie1 spater an bestimmten Neuronen des Gehims von Wirbellosen bis zu Saugetieren gefunden, wo das Prinzip der Selbsthemmung fur andere, neuronale Funktionen im Einsatz ist. 9.4.4 Mechanorezeption und Schwerkratlbeantwortung
Die Wahrnehmung der Schwerkraft konnte an Ciliaten weitgehend kausal analysiert werden. Zugrunde liegt die Ungleichverteilung mechanisch empfindlicher Ionenkanale in der Langsachse der Zelloberflache. Je nach Orientierung der Zelle zum Schwerefeld der Erde werden diese Ionenkanale praferenziell aktiviert, wodurch wiederum der Cilienschlag und damit das Schwimm-Verhalten der Zellen gesteuert wird (Gravikinese). Eine physikalische Voraussetzung zur Orientierung nach oben ist die ,,Schwanzlastigkeit" der Zellen sowie ihre Form. An keiner anderen Zelle, etwa von Saugern, konnten vergleichbare, prazise Modellvorstellungen zur Sensibilitat gegenuber der Schwerkraft entwickelt werden.
9.4 Protozoen: Modellsystemefir die Zellbiologie
9.4.5
Sekretion
Die Ciliaten Tetrahymena und besonders Paramecium haben zu grundlegenden Erkenntnissen im Bereich der ,,Exocytose" gefuhrt. Darunter versteht man die Abgabe des Inhaltes von Vesikeln (oft Tausende pro Zelle) an der Zellmembran. Bei dieser Exocytose verschmilzt die Vesikelmembran mit der Zellmembran, sodass sich kurzfristig eine Offnung bildet, der Vesikelinhalt abgegeben und die leere Vesikelmembran wieder abgeschnurt werden kann. Arbeiten an Paramecium hatten erstmals gezeigt, dass dieser Prozess durch bestimmte Proteine gesteuert wird, die z.T. in den beteiligten Membranen verankert und z.T. diesen aufgelagert sind. Daran sind auch Calcium-sensitive Proteine beteiligt und Calcium dient wiederum als intrazellularer Botenstoff fur die Auslosung der Exocytose. Erst nach und nach hat sich das an den Protozoen erarbeitete Konzept der sehr schnellen Proteingesteuerten ,,fokalen Membranfusion" (die Offnung ist zunachst ein Millionstel m m grog) auch fur Sauger-Zellen durchgesetzt, z. B. fur die Ausschuttung von Verdauungssekreten, Hormonen, Neurotransmittern etc. Die Inhaltstoffe (Sekrete) sind Proteine, wie der Inhalt der ,,Extrusomen" (Muco- und Trichocysten) der Ciliaten, die sich im Elektronenmikroskop als ,,dense core"-Inhalt prasentieren (eingeschlossen in der Membran eines jeden Sekretvesikels). Ein Vergleich zeigt, dass die der Feindabwehr dienenden Trichocysten von Paramecium zehnmal schneller frei gesetzt werden als solche von synchronisierten Saugerzellen. Die zahlenmagig uberhohte, regelmagige Anordnung von Sekretionsorten uber die gesamte Zelloberflache hat viele Analysen erleichtert bzw. erst moglich gemacht. Zwar wurden am Saugersystem wesentliche Erkenntnisse uber Proteine gewonnen, welche die Wechselwirkung der fusionierenden Membranen steuern (Andocken und Fusion), und solche Proteine finden sich zunehmend auch bei Protozoen, jedoch wird die Liste von dock-/fusionsrelevanten Proteinen durch Arbeiten mit Paramecium stetig verlangert. Dies hat seine Ursache in der leichten Zuganglichkeit des Pantoffeltierchens fur molekulargenetische Arbeiten, wodurch gezielte Mutationen und die Komplementierung von Mutanten mit genetischen Storungen der Sekretionssteuerung durch Injektion intakter Gene moglich werden. Auf diese Weise kann man die Codierungsprodukte (Proteine) dieser Gene identifizieren. Eine vergleichbare Identifizierung steht bei Saugerzellen dagegen noch aus. 9.4.6 Ausblick
Zellbiologische Forschung beinhaltet heute in zunehmendem MaBe molekularbiologische Techniken. In diesem Sinne laufen Bestrebungen (bereits mit ersten Teilergebnissen), Genomprojekte z. B. fur Paramecium zu etablieren. Bei der zunehmenden Aktualitit der Identitits- und Funktionsbestimmung der vielfdtigen Genprodukte (Proteomics) werden Protozoen zellbiologisch auch weiterhin bedeutsam sein, z. B. wegen der Verfigbarkeit zahlreicher Mutanten und wegen des redundanten bzw. regularen Baues, der die Erforschung von Struktur-Funktions-Beziehungen wesentlich erleichtert.
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9 Klein aber oho! Einzeller sind Uberlebenskunstler in vielen Lebenslagen 9.4.7 Literatur
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10 Entomologie: Die Welt der lnsekten ist noch unermesslich Konrad Dettner
10.1
Die Eingeschnittenen
Die Entomologie ist die Lehre von den Insekten. Der Begriff leitet sich von ,,entomos: eingeschnitten gekerbt" und ,,-logos:die Lehre" ab. Der bereits auf Aristoteles (384-322 v. Chr.) zuriickgehende Terminus Insektenkunde enthalt das lateinische Wortelement ,,insectus" = eingeschnitten, gekerbt (,,secare": schneiden, zerschneiden), d. h. es wird auf Tiere (= Kerbtiere) hingewiesen, die Einschnitte zwischen den Segmenten aufweisen.
10.2 Wo steht die Entomologie innerhalb der Biologie ?
Die Entomologische Forschung, die in die zwei gro%enArbeitsgebiete allgemeine und angewandte Entomologie unterteilt werden kann, betrifft alle wichtigen biologischen Disziplinen: von der Evolution, Systematik, Taxonomie, Okologie, Verhaltenslehre, Morphologie, Anatomie, Physiologie, Biochemie bis zur Genetik und Mikrobiologie. Die Klammer bildet immer das Studienobjekt Insekt, d. h. die Vertreter einer hochentwickelten, vielseitig spezialisierten Tierklasse, die hinsichtlich ihrer Organisationshohe und ihrer Leistungen nur mit den Wirbeltieren vergleichbar sind. Doch deckt die Entomologie nicht nur unterschiedlichste Disziplinen ab, sie reprasentiert heute ein Gebiet, welches die verschiedenen Bereiche der Biologie augerordentlich bereichert hat. Beispielsweise haben angewandte Forschungsrichtungen wie die Veterinarmedizin, Medizin, Forstwissenschaft, oder Landwirtschaft teilweise in erheblichem MaBe von den Erkenntnissen der Entomologie profitiert. Neue Methoden und die Kombination von Arbeitsgebieten haben auch in der Entomologie enorme Fortschritte gebracht.
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70 Entornologie: Die Welt der lnsekten ist noch unerrnesslich 10.3
Warurn wiihlen so viele Biologen lnsekten als Untersuchungsobjekte und als Modellsysterne?
Insekten sind meist einfach und billig im Labor zu halten, sie vermehren sich rasch auf kleinstem Raum, haben oft kurze Generationszeiten und wachsen meist schnell heran. Folglich sind bei Insekten in kurzer Zeit viele Individuen verfugbar. Auch Korperteile oder Organe von Insekten konnen oft ohne groBen Aufwand isoliert und im Labor iiber mehrere Tage am Leben gehalten werden. SchlieBlich bereitet es uns geringere ethische Probleme, mit Insekten zu experimentieren als mit Saugern oder gar mit Primaten. Aus diesen Griinden dienen viele Insekten als wichtige Modellsysteme fur zahlreiche biologische Forschungsdisziplinen. Dies gilt auch insbesondere fur jene Arbeitsrichtungen, die derzeit in der offentlichen Diskussion das Bild der Biologie bestimmen. Die Taufliege Drosophila mehogaster, das am besten untersuchte Versuchstier der klassischen Genetik, dient auch heute Molekulargenetikern und Entwicklungsbiologen als Modellorganismus, um genetische und zellbiologische Fragen zu verstehen. Die Genomanalyse der Taufliege wurde im Friihjahr 2000 abgeschlossen und ergab einige iiberraschende Ergebnisse. Es zeigte sich, dass rund die Halfte der etwa 14 000 Fliegenproteine, erschlossen aus ihren Genen, Ahnlichkeiten mit Saugerproteinen aufwies. Noch iiberraschender war die Tatsache, dass von den im Jahr 2000 bekannten 289 Genen, die beim Menschen Krankheiten verursachen, etwa GO % ein Pendant im Taufliegengenom auhiesen. Dies bedeutet, dass man in der Taufliege die Funktion eines bestimmten menschlichen Gens studieren kann, wobei Wirkstoffe identifiziert und optimiert werden konnen (siehe Kap. G und Kap. 7). Bei allen existierenden Unterschieden zwischen uns und den Insekten wird fur den Biochemiker immer klarer, dass die Insekten und Sauger sich in ihrer grundlegenden Biochemie und Physiologie sehr ahnlich sind. Ein nicht nur fur Mikrobiologen interessanter Befund ist die Tatsache, dass die meisten Insekten in ihrem Korper Bakterien und Pilze beherbergen oder diese extern sogar ziichten. Diese zum Teil noch unbeschriebenen, ,,exotischen" Mikroorganismen aus Darmen oder aus anderen Geweben und Organen von Insekten weisen oft interessante Eigenschaften auf. Falls das gegenseitige Uberleben von Wirtsinsekten und Mikroorganismen vom gemeinsamen Vorkommen beider Partner abhangt, spricht man von Endosymbiose. In der Regel werden die Symbionten vom Wirtsinsekt iiber die Eier auf die Nachkommen ubertragen. Lange Zeit waren solche Mikroorganismen fur experimentelle Analysen nahezu unzuganglich. Durch neue molekulargenetische und biochemische Methoden wurden nun faszinierende Wechselbeziehungen zwischen den Insektenwirten und den von ihnen beherbergten Mikroorganismen aufgedeckt. Auch konnen diese ,,exotischen" Mikroorganismen neue Wirkstoffe fur die Pharmaforschung oder den Pflanzenschutz liefern (Abb. 10-1).
70.4 Entomologische Besonderheiten
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Abb. 10-1 Kurzflugelkafer der Gattung Paederus besitzen in ihrer Hamolyrnphe das kompliziert gebaute Amid Pederin (siehe Formel), ein Harnolymphgift. Dieses Gift ist schon lange bekannt, weil es aufder menschlichen Haut einerseits Blasenbildung hervorruft, andererseits aber in der Lage ist, das Wachstum von Tumoren drastisch zu hemmen. Der Giftstoff wird nur vom Paederus-Weibchensynthetisiert und wahrend der Fortpflanzungszeit auf die Eier ubertragen. Die Kaferlarven speichern Pederin und sind dadurch chernisch geschutzt. Neue Untersuchungen von KELLNER zeigen, dass bestirnrnte
gram-negative Bakterien in den weiblichen Kafern diesen ungewohnlichen Wirkstoff synthetisieren. Ahnliche Naturstoffe komrnen in rnarinen Schwammen vor. Es wird vermutet, dass auch hier Bakterien fur die Produktion dieser Naturstoffe verantwortlich sind. In der Abbildung (rechts oben) ist eine Agarplatte zu sehen, auf welcher aus dem Darm von Paederus-Kafernisolierte gelbliche und weiQliche Bakterienkolonien wachsen (Dettner 1999; Photos: Dr. M. und G. Schwinger, Basel; Dr. R. Kellner, Bayreuth).
10.4
Entomologische Besonderheiten
U k r einige weitere Besonderheiten aus dem Bereich der Entomologie soll nachfolgend berichtet werden. Wer sich entomologisch betatigt, der wird zuerst mit der unglaublichen Artenvielfalt bei den Insekten konfrontiert. Astronomen haben bislang eine Vielzahl von Sternen und galaktischen Objekten beschrieben und benannt. Unsere Erfolge halten sich allerdings in Grenzen, wenn einmal festgestellt werden soll, wieviele Insektenarten eigentlich unseren Planeten bevolkern. Wir sollten uns vor Augen fuhren, dass 75-80 % aller Tierarten auf unserer Erde zu den Insekten gehoren, d. h. etwa vier von fiinf Arten haben irgendwann in ihrer Entwicklung einmal sechs Beine (Abb. 10-2). Rund 800 000 Insektenarten sind der Wissenschaft zur Zeit bekannt.
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70 Entornologier Die Welt der lnsekten ist noch unerrnesslich
Abb. 10-2 Als Kreissektoren dargestellte Artenzahlen der zur Zeit bekannten Hauptgruppen der Organismen. Allein die Artenzahl bei den Kafern (Coleoptera) durfte zur Zeit bei etwa 370000 liegen (Dettner 1999, verandert nach Wilson 1996).
EinschlieRlich der unbekannten Insektenarten ist, Modellrechnungen folgend, mit etwa 10 Millionen bis sogar 100 Millionen Insektenarten auf der Erde zu rechnen, wenn man die Kronenfauna tropischer Baumriesen und die Bodenfauna mit einbezieht. Allein eine einzige Kaferfamilie, die Curculionidae (Russelkafer) umfasst mehr Arten, als weltweit alle Wirbeltiere. Enorme Artenzahlen an Insekten finden sich nicht nur in den Tropen, sondern auch in unseren Breiten, denn allein in Deutschland wurden bisher rund 32 000 Arten beschrieben. Die Erforschung des tatsachlichen lnsekteninventars unserer Erde und der Venvandtschaftsbeziehungen zwischen diesen Taxa stellt fur Entornologen eine Herausforderung erster Ordnung dar. Jedoch nicht nur die Artenzahl, sondern auch die Individuenzahlen je Art sind zum Teil erstaunlich hoch. So umfassen starke Bienenvolker 50000 und mehr Tiere, ein Heuschreckenschwarm bringt es auf bis zu eine Million Individuen. Auch pflanzensaugende Insekten konnen in betrachtlichen Mengen auftreten. Beispielsweise fand man an einer Tornatenpflanze 25 000 Blattlause. Betrachtet man Verbreitung und Vorkommen der Insekten, so lasst sich feststellen, dass sie nahezu in allen Lebensraumen vertreten sind. Einige kalteliebende Arten finden sich auf dem Schnee der Polkappen, wahrend hitzeliebende Spezies in fast siedenden Quellen im Yellowstone-Nationalpark vorkomrnen. Andere Extremlebensraume fur Insekten reprasentieren beispielsweise die Darme von Pferden
10.4 Entomologische Besonderheiten
Abb. 10-3 Arnazonas-Riesenbockkafer (Titanus giganteus), massigster Kafer der Erde und zugleich mit maximal 21 c m Korperlange eines der langsten und schwersten lnsekten uberhaupt (Dettner 1999: aus Brancucci 1986).
Abb. 10-4 €in winziger einheimischerr unter Baurnrinde lebender Zwergkafer (a. Federflugler; Lange 0.6 mm; Ptinella aptera) irn CroCenvergleich zum einzelligen Pantoffeltierchen (b. Paramecium caudatum) (Dettner 1999: aus Brancucci 1986; Storch & Welsch 1993).
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I oder das auf Olfeldern austretende Petroleum. Weiterhin finden sich Insekten auf 70 Entornologie: Die Welt der lnsekten ist noch unermesslich
Berggipfeln, in Hohlen, in trockenen Wusten oder in feuchten, tropischen Regenwaldern. Lediglich in marinen Okosystemen findet man keine Insekten, wenn man einmal von auf der Wasseroberflache des Meeres lebenden Wasserlaufern ,,Ocean skaters" (Wanzen) oder bestimmten Tierlausen absieht, die in den Nasenhohlen von Seelowen leben, wo es relativ trocken ist. Auch hinsichtlich ihrer Korpergroge sind Insekten augerordentlich variabel, obgleich die meisten Arten eher klein und unscheinbar sind. Wenn wir bei der zahlenmagig grogten Insektenordnung, den Kafern bleiben, so wird der Amazonasriesenbock (Titanus giganteus) immerhin 21 cm lang und wiegt rund 100 g (Abb. 10-3). Seine 25 cm lange Lane lebt im Holz von Urwaldbaumen. Manche Zwergkafer (Federflugler) oder parasitische Hautfliigler sind mit 0,25 m m Korperlange hingegen winzig (Gewicht 0,4 mg) und sind kleiner als das einzellige Pantoffeltierchen (Abb. 10-4). Solche Kleinstinsekten bestehen aber im Vergleich zum Einzeller aus Tausenden von Zellen. Sie gehoren zum Luftplankton und werden deshalb leicht verfrachtet. Mancher Crofkomputer wurde bereits durch eingedrungene Insekten, insbesondere durch winzige Ameisen lahmgelegt.
10.5 lnsekten als Bausteine in terrestrischen Okosysternen
Wie bereits erwahnt dominieren lnsekten hinsichtlich Biomasse und Artenreichturn in Nahrungsketten und Nahrungsnetzen, auch bilden sie selbst die Nahrung fur viele andere Tiere z. B. Vogel oder Fische. Dies gilt unabhangig von deren
Abb. 10-5 M i t bizarren Korperauswuchsen versehene Larve des Marienkafers Epilachna varivestis frisst an einem Pflanzenstengel. Diese auch als Mexikanischer Bohnenkafer bezeichnete
herbivore Art ist ein wichtiger BohnengroBschadling in Nordamerika (Dettner 1999; Photo: Dr. M. und C. Schwinger, Basel).
10.6 lnsekten a/s Niitzlinge
Lebensweise, die solitar, gregar, subsozial oder sozial sein kann. Diese Bedeutung der lnsekten kann gut an ihrer unglaublichen nahrungsokologischen Spezialisierung demonstriert werden. Ob Holz, Aas, Dung, Blut, Pilze, pflanzliche oder tierische Zerfallsprodukte, kaum ein Nahrungssubstrat wird von Insekten verschmaht. Oft leitet die Fragtatigkeit von Insekten ein Nahrstoff-Recycling ein, z. B. bei Holz, Aas oder Dung. Selbstverstandlich durfen hierbei die vielen phytophagen (Pflanzenfresser; Abb. 10-5) und rauberischen bzw. parasitischen Insekten nicht vergessen werden. Natiirlich mochten Entomologen mehr iiber die Funktion von Insekten im Naturhaushalt wissen. Welche Insekten reprasentieren beispielsweise ,,Schlusselarten" im Okosystem, deren Wegfall zu massiven Storungen fuhrt? Weiterhin sind Kenntnisse uber jene Arten vonnoten, die als Bioindikatoren geeignet sind. Solche Spezies reagieren beispielsweise hochsensibel auf Schadstoffbelastungen oder Klimaveranderungen ihrer Lebensraume, was gegebenenfalls zu deren Ruckgang oder volligen Verschwinden fuhrt. Auch der naturschutzbezogenen Insektenforschung kommt eine gro&e Bedeutung zu. So sind tierokologische und vor allem entornofaunistische Aspekte bei Flachenbewertungen, neben vegetationskundlichen Aspekten von immer grogerer Bedeutung.
10.6 lnsekten als Nijtzlinge
Schlagt man das Kapitel ,,nutzliche Insekten" auf, so denkt man wohl zunachst an uberall bekannte nutzliche Insektenprodukte, wie Honig oder die von Seidenspinnern produzierte Seide. Weitere nutzliche Erzeugnisse, die aus Arthropoden gewonnen oder synthetisiert werden, sind das Polysaccharid Chitin (z. B. Venvendung als Antikoagulans oder zur Verstarkung der Wundheilung) oder diverse, aus Schildlausen gewonnene Farbstoffe fur Kosmetika und Lebensmittel. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass rund ein Drittel unserer Nahrung (bei Vegetariern ist es noch mehr) das direkte Ergebnis der Besaubung durch Insekten darstellt, wobei zusatzlich auch der Sarnenverbreitung durch Insekten eine gewisse Bedeutung zukommt. Auch die Entfemung von Wirbeltierexkrernenten, das heiBt das Sauberhalten der Erdoberflache durch kotfressende Insekten ist in manchen Regionen der Erde (z. B. Neuseeland) bemerkenswert. In verschiedenen Kulturen werden Insekten als protein- und fettreiche Nahrung genutzt. Sie sind relativ leicht verdaulich und in der Regel zu 80-90 % ausnutzbar. Mittlenveile existieren auch spezielle Kochbucher fur Insektengerichte. Eine groBe Zahl nutzlicher Insekten kommt bei der Biologischen Schadlingsbekampfung zum Einsatz. Hierzu gehoren zum Beispiel rauberische Kafer, Wanzen oder parasitische Hautflugler (Abb. 10-6). Solche natiirlichen Feinde von Schadinsekten reduzieren deren Populationsdichte und driicken sie unter eine wirtschaftlich vertretbare Schadensschwelle. Heutzutage erarbeiten zahlreiche Entornologen optimale Strategien zur Schonung und Forderung derartiger Niitzlinge. Beispielsweise werden fur Gewachshauskulturen in Deutschland etwa 70 Arten von Nutzinsekten kommerziell angeboten. Hauptziel dieser Aktivitaten ist immer, den Einsatz
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10 Entomologie: Die Welt der lnsekten ist noch unermesslich
Abb. 10-6 Vertreter der Hautfluglergattung Jrichograrnrna (siehe Abbildung) sind winzige. in der Regel unter 1 m m groRe gelbe oder braune Erzwespen. die zu ihrer Entwicklung einen Wirt benotigen. Die Weibchen suchen nach geeigneten lnsekteneiern (vor allem holornetabole, terrestrische Insekten, speziell Schrnetterlingseier) und legen in diese ein oder rnehrere Eier. Die Larven der Erzwespen entwickeln sich in den Wirtseiern, zehren deren lnneres auf und verpuppen sich, um danach als flugfahige Vollinsekten die schutzende H u l k des Wirtseis zu verlassen. Vertreter der Cattung Trichograrnrna eignen sich aufgrund ihrer Lebensweise sehr gut zur biologischen Schadlingsbekampfung. da dieser Nutzling bereits die Eier der Schadinsekten rerstort und keine Larven schlupfen, die Fragschaden an den Kulturpflanzen hervorrufen wurden. Der Einsatr von Jrichograrnrna ist zwar teurer als der von Insektiziden, doch hat dieses biologische Verfahren den Vorteil, absolut urnweltfreundlich zu sein. Ein Hektar einer Maisflache kann beispielsweise von einer Person in etwa 15 Minuten behandelt werden. Der Einsatz teurer Gerate entfallt und nutzliche Insekten werden geschont. Selbstverstandlich konnen
die Wespen bzw. von Wespen parasitierte Motteneier auch von Flugzeugen aus freigelassen werden. Die Tiere konnen sich i n der Kultur verrnehren. so lange sie dort geeignete Wirte finden. Es gibt keine Wartezeiten nach einer Behandlung, es rnussen keine Wasserschutzverordnungen beachtet werden und schlieglich besteht keine Cefahr von Resistenzbildungen gegenuber Insektiziden. Vertreter der Cattung Jrichograrnrna werden rnittlenveile i m Grogmagstab gezuchtet und uber den Fachhandel oder staatliche Pflanzenschutzstellen vertrieben. In Mitteleuropa werden Erzwespen vor allem gegen den Maiszunsler eingesetzt und hierzu auf Eiern von Mehl- oder Cetreidernotten gezuchtet. In Osteuropa werden auch Kohleulen, Apfel- und Pflaurnenwickler sowie andere schadliche Schrnetterlinge durch Jrichograrnrna bekampft Mittlenveile werden Massenzuchten von 17 verschiedenen Trichograrnma-Arten durchgefuhrt und es werden flachenmasig 18 Millionen Hektar von Kulturflachen in 16 verschiedenen Landern behandelt (siehe Hassan 1998). (Photo Dr. S . Hassan, Biologische Bundesanstalt Darmstadt).
10.7 lnsekten als Schadlinge
von Pestiziden zu verringern und durch biologische Bekampfungsmethoden zu ersetzen. Ein derzeit auch im Rahmen der biologischen Schadlingsbekampfung hochaktuelles Thema ist die induzierte Abwehr bei Pflanzen. Viele Pflanzen geben Duftstoffe ab, wenn sie von einem Insekt befallen werden. Diese je nach Pflanzenart und Herbivorenspezies unterschiedlichen Duftbuketts locken eine Armada von Parasitoiden oder Raubern an, die an der verletzten Pflanze fressende oder saugende Herbivore gezielt dezimieren. Im Freiland konnen sich daher vor allem solche Pflanzensorten behaupten, die nach Verletzung durch pflanzenfressende Insekten besonders stark duften und dadurch die nattirlichen Gegenspieler der Herbivoren in besonderem MaRe anlocken. Im Zusammenhang mit den nutzlichen Insekten sollte hier auch uber etwas unappetitliche, aber trotzdem faszinierende Aspekte der Entomologie berichtet werden: Es handelt sich einerseits um die Forderung der Wundheilung durch die Callipboratherapie. Hierzu werden weniger aggressive, im Labor keimfrei gehaltene Fleischfliegenmaden (Schmeigfliegen Calliphoridae: z.B. Lucilia seriata) in schwer heilende Wunden gesetzt. Diese Fliegenmaden fressen rasch das tote Gewebe aus der Wunde und fordern gleichzeitig den Heilungsprozess durch die Abgabe diverser Wirkstoffe. Es ist zukunftig mit einer weltweiten Renaissance dieser einfachen, augerst wirksamen und bewahrten Therapie zu rechnen. Andererseits darf auch die forensische Entomologie (lat. forensis: auf dem Markt; ubertragen: gerichtlich, da die Gerichtsverhandlungen auf dem Markt stattfanden), d. h. der Einsatz entomologischer Methoden in der Gerichtsmedizin nicht unerwahnt bleiben. Zum Beispiel kann der Todeszeitpunkt einer Leiche rasch anhand von an ihr gefundenen Insekten ermittelt werden. Hierzu sind wiederum Fliegenmaden geeignet, weshalb Dipterologen (Fliegenkundler) bei derartigen Untersuchungen besonders gefragt sind.
10.7 lnsekten als Schadlinge
Im Allgemeinen sind Insekten nicht besonders beliebt. Die Mehrzahl der Nichtentomologen versucht, wenn irgendwie moglich, mit der Insektenwelt nicht in Beriihrung zu kommen. Jedoch gelingt dies meist nicht, denn schadliche Insekten, wie z. B. Schaben, Bettwanzen, Lause, Flohe, Mucken, oder Fliegen sind praktisch uberall vorhanden. Uber solche Schadlinge informiert allein schon unsere Sprache, das zuverlassigste Kulturarchiv, wenn es heist ,,der Floh im Ohr", ,,die FEiege in der Suppe" oder ,,die Laus irn Pelz". Oft wirken Insekten schicksalhaft auf Teile der Menschheit ein, was besonders in Entwicklungslandern fatale Konsequenzen haben kann, denn viele Arten sind Parasiten oder Nahrungskonkurrenten des Menschen. Als Nahrungskonkurrenten konnen Insekten pflanzliche Kulturen zerstoren, die fur unsere Ernahrung wichtig sind (siehe auch Kap. 1-4). Beispielsweise friBt eine Wanderheuschrecke pro Tag etwa so viel, wie sie wiegt, d. h. die verursachten Schaden sind enorm, wenn man von bis zu 1 Million Individuen pro Schwarm ausgeht. Auch konnen Insekten als Parasiten
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10 Entomologie: Die Welt der lnsekten ist noch unermesslich
Haustiere schadigen oder als Vorratsschadlinge gelagerte Lebensmittel zerstoren. Als Parasiten des Menschen tritt eine Vielzahl von Insekten wie z. B. Stechmiicken oder Wanzen in Erscheinung, die Krankheiten des Menschen und seiner Nutztiere (Malaria, Schlafkrankheit, Naganaseuche etc.) iibertragen konnen. Allerdings ist vielfach auch eine Ubertragung von Pflanzenkrankheiten moglich. Solche Seuchen konnen in den Tropen und Subtropen ganze Landstriche entvolkern oder qualvolles Siechtum fur Tausende bedeuten (siehe auch Kap. 12 und Kap. 13). Man hat berechnet, dass alle 10 sec ein Mensch wegen eines Insekts oder einer zu den Spinnentieren gehorenden Zecke stirbt. Zahlreiche stechende Insekten, wie Bienen, Wespen, Hornissen oder Stechmiicken verursachen krankhafte Veranderungen infolge Einfiihrung von Giftstoffen in den menschlichen Organismus. Meist sind hierbei nur lokale Veranderungen zu bemerken, zu Komplikationen kann es jedoch kommen, wenn bei den Patienten Schocksymptome und Insektengiftallergien hinzukommen. Wenn ein Entomologe schadliche Insekten bekampfen mochte, so muss er die Tiere kennen, d. h. taxonomisch exakt einordnen konnen. Die Diagnose von Insektenkrankheiten stellt eine wichtige Aufgabe eines Insektenkundlers dar. AuBerdem muss er mit der Biologie und Okologie der Schadorganismen vertraut sein. In Monokulturen, insbesondere in den Tropen und Subtropen wird man heute auf eine chemische Bekampfung schadlicher Insekten mit Insektiziden, d. h. meist synthetisch hergestellten Insektenbekampfungsmitteln nicht verzichten konnen. So werden weltweit pro Jahr zwischen 4 und 6 Milliarden US-Dollar fur Chemikalien zur Bekampfung des Insektenbefalls an landwirtschaftlich genutzten Pflanzen wie z. B. Baumwolle, Reis oder Mais aufgewandt. Allerdings sind zu der herkommlichen, auf Screening und Suche nach dem Zufallsprinzip basierenden Entwicklung neuer insektizider Wirkstoffe andere Methoden hinzugekommen. So werden beispielsweise neu entwickelte Wirkstoffe solange auf Schadinsekten ,,losgelassen", bis sich Resistenzen zeigen. Das Genom der resistenten Form wird nun mit dem der Wildform verglichen und man hat das gesuchte Target, d. h. das Zielmolekiil fur den Wirkstoff. AnschlieBend erfolgt die Optimierung des Wirkstoffs am resistenten Insekt. Selbstverstandlich mussen die Nebenwirkungen synthetischer Pflanzenschutzmittel beispielsweise auf natiirliche Gegenspieler von Schadinsekten iiberpriift werden. In vielen Bereichen werden chemische Verfahren der Insektenbekampfung durch biologische und biotechnische Methoden, z. B. durch Pheromone, FraBhemmstoffe, insektenpathogene Bakterien, Pilze oder Viren ersetzt oder zumindest erganzt (Abb. 10-7). Das Hauptziel wird immer sein, selektive, umweltschonende und intelligente Bekampfungsmethoden zu entwickeln. In der Zukunft werden wahrscheinlich vermehrt gentechnisch veranderte, insektenresistente Pflanzen zum Einsatz kommen, denn hierdurch ist eine Einsparung von Pflanzenschutzmitteln und eine geringere Umweltbelastung zu envarten (Abb. 10-8).Gleichzeitig miissen begleitende Risikoabschatzungenvorgenommen werden und es muss geklart werden, wie ein Resistenzmanagement aufzubauen ist. AuBerdem muss untersucht werden, wie sich die in der ganzen transgenen Pflanze anreichernden ,,natiirlichen" Insektizide auf naturliche Gegenspieler (Rauber, Parasitoide), d. h. auf Nichtzielorganismen auswirken.
10.7 lnsekten als Schadlinge
Abb. 10-7 Der Hausbockkafer (Hylotrupes baju\us) bzw. dessen Larven reprasentieren die wirtschaftlich bedeutendsten Holzzerstorer vor allern in verbautern Holz. Die Art ist als Kulturfolger in ganz Europa, Kleinasien und selbst in den USA verbreitet und befallt sarntliche Nadelholzer i n Dachstuhlen, Scheunen, Holzkonstruktionen, Masten oder Dielen. Die grauen, stark behaarten, 1-3 crn langen Kafer (A) leben nur etwa 2 4 Wochen irn Dachstuhlbereich. Nach der Kopula legt das Weibchen ca. 200 Eier i n Holzspalten ( 8 ) .Die Larven leben je nach Holzqualitat 3-10 Jahre, bohren sich tief ins Holz und sind fur die gravierenden Schaden verantwortlich (C). Ein Nachweis des Hausbockbefalls ist durch Abbeilen der Holzkanten, das Auftreten von ,,Bohrmehl", Fraflgerausche und vor allern durch das Fraflbild rnit den ovalen Cangen rnoglich. Eine effektive Bekarnpfung dieses rneldepflichtigen Holzschadlings ist bislang nur durch toxikologisch bedenkliche Holzschutzrnittel oder durch das Erhitzen des Holzes rnoglich, wodurch die Kaferlarven abgetotet werden. Der Nachweis von Drusen im Halsschild der rnannlichen Kafer (links oben) und die chernische ldentifizierung der Lockstoffe, wie 3Hydroxy-2-hexanon, 2,3-Hexandiol (links unten) und 1-Butanol eroffnete neue Bekampfungsmoglichkeiten fur diesen Schadling. Die identifizierten Substanzen erwiesen sich i m Laborbiotest als augerst aktiv auf unverpaarte Weibchen, die dadurch angelockt werden und anschlieflend sofort rnit den Mannchen kopulierten. Da die
schadlichen Stadien uber die Weibchen nun direkt bekarnpft werden konnen, erfolgte eine Patentierung des Verfahrens rnit dem Ziel, weibliche Hausbockkafer mit Hilfe von Fallen selektiv anzulocken. zu arretieren und anschliegend abzutoten. Da die Fallen bei 5G60 "C irn Sornrner irn Dachstuhl plaziert werden rnussen und die fluchtigen Pheromone uber langere Zeitraurne ohne Zersetzung verdarnpfen rnussen, ergab sich das Problem, die rnit Lockstoffen versehenen Koder zu stabilisieren. AufSerdern waren die rnit Pherornonen versehenen Kaferfallen rnit Kieselgur versetzt worden, welches den Darrntrakt der Kafer zerstort und rasch zurn Tod der Tiere fuhrt. SchlieRlich erwies es sich als gunstig, die aus Pappe gefertigten Fallenkonstruktion nicht am Balken aufzuhangen. sondern flachig auf der Holzunterlage zu plazieren, da die Weibchen kaurn fliegen und sich rneist laufend fortbewegen. Die gesamte, derzeit noch nicht rnarktreife Methode errnoglicht ein Wegfangen der Imagines, eine Bekarnpfung schon lebender Larven ist hierbei allerdings nicht rnoglich. (A: Imago; 8: Eigelege; C: Larve, schadliches Stadium; D: Puppe; Tage: T; Wochen: W Jahre: I). Links oben: M i t Lauge behandeltes Stuck des rnannlichen Pronoturns rnit Porengruben und Drusenzellen; links unten: 2,3-Hexandiol aus dern Pheromongernisch rnannlicher Kafer (Dettner 2000 verandert nach Fettkother et al. 1995; Pallaske 1989).
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70.7 lnsekten als Schadlinge
Abb. 10-8 Lebenszyklus des Bodenbakteriurns Bacillus thuringiensis und Bildung des inaktiven. kristallinen Endotoxins (links oben). Aktivierung des Endotoxins irn lnsektendarrn (Mitte). Wirkung des aktivierten Bt-Toxinsirn alkalischen Darrn einer Schrnetterlingsraupe (Spodoptera) und Lysierung der Zellrnembran der Epithelzellen durch Bildung von Endotoxinporen; dabei bindet das Toxin an einen Mernbranrezeptor und induziert die Porenbildung (rechts oben). Blatt einer insektenresistenten transgenen Bt-Pflanze (links unten) rnit bereits aktiviertern Endotoxin (Dettner 2000: verandert nach Tanada & Kaya 1993; Boucias & Pendland 1998). Durch die Gentechnik ist es rnoglich, Nutzpflanzen gegen den Befall durch Schadinsekten resistent zu rnachen. Haufig wird dabei aufdas genetische Material eines gram-positiven Bodenbakteri urns (,,Bacillus thuringiensis"; kurz: Bt) zuruckgegriffen, dessen Gene die ,,Bauanleitung" fur insektizid wirkende Ciftstoffe (Proteine) enthalten. Diese Proteine werden bei der Verrnehrung des Bakteriurns in dessen Zellinneren als Kristalle angereichert. Je nach zu bekarnpfendern lnsekt und zu schutzender Nutzpflanze konnen ganz unterschiedliche BtGene zur Expression kornrnen. Mittlerweile sind rund 100 Bt-Toxinebekannt geworden, rnit denen ganz bestirnrnte lnsektengruppen wie Schrnetterlingsraupen, Stechrnuckenlarvenoder Kafer bekarnpft werden konnen. Wahrend BtMikroorganisrnen als rnikrobiologische Praparate bereits seit Jahrzehnten in der Schadlingsbekarnpfung, z. B. irn Biolandbau zurn Einsatz kornrnen, werden erst seit einigen Jahrentransgene Kulturpflanzen angeboten, die Bt-Endotoxine produzieren. Gelangen diese vorerst ungiftigen Proteinkristalle aus dern Bodenbakterium Bacillus thuringiensis in den Insektendarrn, so erfolgt unter den dort basischen Bedingungen eine Hydrolyse dieser Endotoxine und es resultieren Proteine irn Massenbereich zwischen 27 bis 140 kDa. Diese Proteine binden an Rezeptoren in den Mernbranen der Epithelzellen der
Darrnwandung des jeweiligen Zielinsektes, es bilden sich Poren, was schlielllich zur Lyse des Epithels fuhrt. lnsekten besitzen in ihrer Darrnwand verschiedene Toxinrezeptoren in unterschiedlicher Anzahl. Letztlich konnen die Tiere das gefressene Material nicht weiter aufschliellen und die lnsektenlarven sterben kurze Zeit nach oraler Aufnahrne des Bt-Endotoxins Teilweise sind die Bt-Gene in den transgenen Pflanzen verkurzt worden, urn die Wirksarnkeit des Toxins zu erhohen, auRerdern rnussen die Peptide irn lnsektendarrn nicht erst gespalten werden. Solche insektenresistenten transgenen Bt-Pflanzen, die keine anderen Gene des Bakteriurns irn Pflanzengenornenthalten, rangieren neben herbizidresistenten Pflanzen bei Freilandversuchen in den USA rnit 30 % aller Freisetzungen an erster Stelle. Dort wurden bis 1997 alleine 81 1 Freisetzungenvon Bt-Toxin produzierenden transgenen Pflanzen genehrnigt. Als rnogliche Vorteile insektenresistenter transgener Pflanzen gelten die Einsparung von Wanzenschutzrnitteln und die darnit verbundene geringere Urnweltbelastung. Von Vorteil gegenuber synthetischen Pestiziden ist weiterhin die relative Spezifitat der Bt-Toxine. Auch die Stabilitat der ernpfindlichen Bt-Toxinein der transgenen Wanze und deren Prasenz irn Manzengewebe sind von grogern Vorteil. Andererseits sind Nachteile des grollflachigen Einsatzes insektenresistenter transgener Pflanzen nicht vollig auszuschlieRen. Die Kritik an insektenresistenten transgenen Pflanzen lasst sich vor allern aufdie beiden Bereiche Resistenzentwicklung der Schadinsekten gegen die BtToxine (a) und die Wirkung solcher Pflanzen auf Nichtzielorganisrnen, wie z. B. den Menschen und vor allern die Vielzahl der vorhandenen Nutzlinge (b) einengen. So hat die Europaische Gerneinschaft irn Sornrner 1999 beschlossen, bis auf weiteres keine Neuzulassung fur transgene Tiere oder Pflanzen irn Bereich der EU rnehr zu genehrnigen, bis weitere Studien zur Risikoabschatzung vorliegen.
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10 Entornologie: Die Welt der lnsekten ist noch unerrnesslich
10.8 Entornologische Berufsfelder
Entornologie kann haupt- und nebenberuflich betrieben werden. Von den hauptamtlichen Entomologen sind viele an Forschungsanstalten des Bundes und der Lander, an Max-Planck-Instituten, an Universitaten oder an Zoologischen Museen vor allem im Bereich der entomologischen Grundlagenforschung tatig. Anwendungsorientierte entomologische Untersuchungen werden haufig in den Bereichen Forst, Landwirtschaft, Vorrats- und Materialschutz sowie Bienenkunde durchgefuhrt oder betreffen die medizinische und veterinarmedizinische Entomologie. Anwendungsorientierte Forschungen stehen auch in der chemischen und pharmazeutischen Industrie irn Vordergrund, wenn neue insektizide Wirkstoffe entwickelt und getestet werden oder wenn es darum geht, transgene Organismen herzustellen. SchlieBlich sind einige Entomologen freiberuflich tatig und fuhren beispielsweise okotoxikologische Untersuchungen an Insekten durch oder fertigen Naturschutzgutachten an. Einige Entomologen betreiben ihr Fachgebiet hobbymagig und beschaftigen sich vor allem mit dem Sarnmeln, Beobachten, Zuchten und Bestimmen von Insekten, denn eines darf nicht vergessen werden: Insekten faszinieren nicht nur durch ihre Vielfalt, sie bestechen auch durch ihre Form- und Farbenpracht.
10.9 Ausblick
Insekten sind geeignete Studienobjekte, um allgemein bedeutsarne Lebensprozesse vom Niveau des Individuurns bis zum Niveau der Zelle zu erforschen. Die Entomologie bietet zudern ein weites Betatigungsfeld fur Taxonomen und Okologen, wenn es darum geht, die globale Biodiversitat der Insekten zu erfassen und deren Wechselbeziehungen mit der Umwelt zu beschreiben. Zudem rnussen weltweit gerade in der angewandten Entomologie eine groBe Zahl von praxisnahen Problemen auf ,,intelligente" Weise gelost werden. Hierzu ist es in allen Bereichen der Insektenkunde unabdingbar, interdisziplinar zu arbeiten und Anregungen aus anderen Disziplinen aufzugreifen.
10.10
Literatur Berenbaurn, M.R. (1997): Blutsauger, Staatsgriinder, Seidenjabrikanten. Heidelberg, Spektrum Akademischer Verlag. Boucias, D.G.; Pendland, J.C. (1998): Principles offnsect Pathology Boston, Kluwer. Brancucci, M . (1986):Vielfalt der Insekten. Verb8 Naturhist. Mus. Basel 18, Basel. Dettner, K. (1999):Kafer - eine der erfolgreichsten Tiergruppen der Erde. In Dettner, K.; Endruweit, A,; Kalkmann, H.-W. (Hrsg.) Vom Skarabaus zum new beetle. Kunstverein, Bad Salzdetfurth, S. 20-39.
10.10 Literatur Dettner, K. (2000): Chemische Okologie - Anwendungen in der Schadlingsbekampfung. Biologen heute 447, 1-5. Dettner, K.; Peters, W. (Hrsg.) (1999): Lehrbuch der Entomologie. Stuttgart, Gustav Fischer. Fettkother, R; Dettner, K.; Schroder, F.; Meyer, H.; Francke, W.; Nold, U. (1995):The male pheromone of the old house borer Hylotrupes bajulus (L.) (Coleoptera: Cerambycidae): identification and female response. Experientia 51, 27C277. Hassan, S. (1998): Die Anwendung von Eiparasiten der Gattug Trichogramma im biologischen Pflanzenschutz in Deutschland - Geschichte, Erfolge und Aussichten fur die Zukunft. Mitteilungen RUS der Biologischen Bundesanstalt 1998, 1-25. Gullan, P.J.:Cranston, P.S. (2000): 71te Znsects - An Outline ofEntomologp Oxford, Blackwell, 2. Aufl. Pallaske, H. (1989): Der Hausbock ist Kulturnachfolger. Prakt. Schiidlingsbekiimpfer 41, 16-17. Storch, V.; Welsch, U. (1993): Kiikenthals Leitfadenfur das zoologische Praktikum. Stuttgart, Gustav Fischer Verlag. h n a d a , Y.; Kaya, K.K. (1993): Znsect Pathology. New York, Academic Press. Wilson, E.O. (1996): Der Wert der Vielfalt. Munchen, R. Piper Gmbh & Co. KG.
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Weichtierkunde Cestern - heute - morgen J. H. Jungbluth
11.1
Prolog
Die Weichtierkunde beschaftigt sich mit der Erforschung der heute und fiiiher lebenden Weichtiere, ihren Beziehungen zueinander, zu ihrer unbelebten und belebten Umwelt und zum Menschen. In ihren Anfangen - die bis auf Plinius d.A. (29-79 n. Chr.) und weiter bis in die Steinzeit zuriickreichen - standen die Hartstrukturen der Weichtiere, also die Schalen, Gehause, nattirlich auch die Perlen im Vordergrund. Zunachst ging es um die Erforschung des Aufbaus und der Struktur dieser Hartteile, die ja auch als Fossilien uberliefert waren, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Dokumentation der Mannigfaltigkeit in den einzelnen Weichtiergruppen. Dieser Aspekt, der die Weichtierkunde bis in das friihe 19. Jh. hinein beherrschte, wird als Conchyliologie bezeichnet. Er ist die Phase der Erforschung und insbesondere der Katalogisierung der Gehause der Schnecken und der Schalen der Muscheln sowie weiterer Hartstrukturen, wie es z. B. die Deckel sind, mit denen manche Arten ihre Gehause verschlieBen, ebenso wie Kiefer und Reibezungen aus organischer (Conchyolin, ein gegerbtes EiweiB) und anorganischer Substanz. Schon um die Wende vom 18. zum 19. Jh. traten dann Untersuchungen am Weichkorper (zur Anatomie) hinzu, iiickten allmahlich gegenuber der Conchyliologie mehr und mehr in den Vordergrund und wurden schlieBlich, seit der 2. Halfte des 19. Jahrhunderts durch biologische Untersuchungen im weitesten Sinne erganzt. Aus dieser Zeit finden sich auch erste umfangreichere Studien zur Okologie - die Weichtierkunde hatte sich damit zu einer eigenen Wissenschaft, der Malakozoologie weiterentwickelt, die eine holistische Betrachtung ihrer Objekte betreibt. Parallel entstanden in Mitteleuropa die fur eine erfolgreiche Forschung notwendigen Strukturen und Organisationen, deren Aktivitaten uber die damals ublichen deutlich hinausgingen. So wurde nicht nur eine Spezialgesellschaft mit eigener Fachzeitschrift gegriindet sondem auch bereits kurz nach der Mitte des 19. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Preisaufgabe ausgeschrieben, eine Gesamtbibliographie publiziert und der Aufbau einer ,,Normalsammlung" energisch betrieben. Fur das zuletzt genannte Projekt wurde ein eigener Tauschverein gegriindet.
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7 7 Weichtierkunde
Herausragende Projekte waren Tafelwerke wie das ,,Conchylien-Cabinet" von Martini & Chemnitz und die ,,Iconographic" von Rossmassler (spater von W. Kobelt fortgefiihrt), welche die Abbildung und Beschreibung aller bekanntm Weichtiere zum Ziel hatten.
11.2
Weichtiere: Der zweitgroflte Stamm des Tierreiches, eine ,,Summe der Mannigfaltigkeit"
Weichtiere haben, insbesondere wegen der Formenvielfalt, Strukturen und Farbung ihrer Gehause und Schalen schon sehr friih den Menschen fasziniert: Muschelschalen dienten schon in der Steinzeit als ,,Werkzeuge", z.B. beim Abschaben und Saubern von Fellen, aber auch als Schmuck, spater als Geld (Cauri-Schnecken) und von der heimischen Malermuschel (wissenschaftlicher Name Unio pictorurn) wissen wir, dass sie den Malern als ,,Napfchen" zum Anriihren von Farben diente. Auch die Tatsache, dass manche Muscheln (vereinzelt auch andere Weichtiere) Schmuckperlen unterschiedlichen Lusters bilden konnen, war bereits fruh bekannt und fiihrte spater zur wirtschaftlichen Nutzung der Perlmuscheln im Meer und in den SiiBgewassern. Die Geschichte der Perlfischerei lasst sich in Mitteleuropa weit zuriick verfolgen - ein eigenes, hochst interessantes Kapitel der Weichtierkunde, auf das hier aber lediglich aufmerksam gemacht werden kann (s. z. B. Godan 1996). Daneben ist hervorzuheben, dass Weichtiere (beispielsweise die Austern) in manchen Gegenden der Welt auch als Nahrungsmittel eine herausragende Rolle spielen. Weichtiere (Mollusken, wissenschaftlich Mollusca) - der zweitgrogte Stamm im Tierreich - treten in der Erdgeschichte bereits im altesten Cambrium (vor ca. 600550 Millionen Jahren) auf. Sie haben einen weichen Korper, der zumeist in Kopf, FuB (bauchwarts), Eingeweidesack und Mantel[ falte] (beide riickenwarts) gegliedert ist (Abb. 11-1).Die schleimabsondernde Haut ist bei vielen Gruppen teilweise oder auch ganz von einer Kalkschale (bzw. mehreren Teilen) bedeckt, bei anderen aber
Abb. 11-1
Schernatischer Querschnitt a m Schalen- und Mantelrand einer Muschel. P = Schalenhaut, Pr = Prisrnenschicht, Prn = Perlrnutter(-schicht); Ri = Mantelfalte
oder -rinne zur Bildung der Schalenhaut. (Aus: Kaestner, A.: Lehrbuch der Speziellen Zoologie. I. Teil. 3 . erw. Aufl. Stuttgart 1969.)
17.2 Weichtiere: Der zweitgrbjte Stamm des Tierreiches, eine ,,Summe der Mannidaltigkeit"
nackt. Ein Teil der Arten besitzt mit der Reibezunge (Radula) - unter dem Kiefer liegend - ein spezielles Organ fur die Nahrungsaufnahme (Abb. 11-2).
Abb. 11-2 Schernatischer Langsschnitt durch den Kopf einer Weinbergschnecke mit Raspelzunge/Radula und Kiefer (links) sowie FraRspur (rechts). M = Mund, K = Kiefer, R = Radula,
Rp = Radulapolster, Rt = Radulatasche. (Aus: Kaestner, A,: Lehrbuch der Speziellen Zoologic. I. Teil. 3. erw. Aufl. Stuttgart 1969.)
Abb. 11-3 Phylogentisch-systematischer Starnrnbaum der Weichtiere. (V. Wiese, Haus der Natur Cismar.)
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1 I Weichtierkunde
Weichtiere besitzen sehr unterschiedlich hoch entwickelte Nervensysteme und Sinnesorgane, mit letzteren erreichen sie durchaus Leistungen hoherer Tiere, auch von Wirbeltieren! Zur Fortpflanzung werden einzelne Eier, Eiballen oder Laichschniire abgelegt, aus denen im Wasser bewegliche oder auf dem Boden kriechende Larven schliipfen. Daneben gibt es indirekte Entwicklungen mit parasitischen Phasen und Entwicklungen mit lebend geborenen Larven oder Jungtieren. Der Stamm der Weichtiere (Abb. 11-3) ist okologisch augerordentlich erfolgreich. Seine Vertreter haben nahezu alle Lebensraume erobert: Vom FuBe der Geysirquellen der Tiefsee (= ,,Smoker") iiber das Brack- und SuBwasser bis in die hochsten Hohen der Gebirge, wobei lediglich die ewig vereisten und schneebedeckten Gipfel ausgenommen sind, und es finden sich auch unterirdisch und parasitisch lebende Arten. Ernahrungsbiologisch haben sie zahlreiche Typen hervorgebracht: von Strudlern iiber Weideganger und Mulmfresser bis zu Raubern und Parasiten. Weichtiere spielen in den Nahrungsketten wichtige Rollen als Beutetiere, als Ubertrager von Parasiten sowie als Moderfresser (Destruenten). Am bekanntesten sind Kopffiisser, Schnecken und Muscheln - nicht zuletzt, weil einige von Ihnen als Delikatesse gelten und andere als ,,Schadlinge". Die urtiimlichen Weichtiere - die Stachelweichtiere - sind dagegen kaum bekannt, ebenso wie die Mehrzahl der 333 einheimischen Arten (Stand: 1995;davon sind 33 = 10 % Neozoen/Einwanderer), von denen viele nur wenige Millimeter groB sind und unter Laubstreu und im Boden verborgen leben. Von ihnen gelten heute ca. GO % als bedroht. Wenig bekannt sind auch die Weichtierarten, die echte Perlen und Perlmutt bilden konnen: Aus Perlen und Perlmutt gefertigter Schmuck sowie Gebrauchsgegenstande sind bekannt, die ,,perlmutt-erzeugenden" Weichtiere zumeist nicht. Eine Ubersicht uber die verschiedenen Weichtiergruppen mit jeweils typischen Vertretern zeigt die Tabelle 1'). Wegen der allgemein geringen Kenntnis iiber die Weichtiere werden im Folgenden die einzelnen GroBgruppen kurz beschrieben und in der Tabelle 11-1 dargestellt .
11.3
Stachelweichtiere ( A d i f e r a : 1 150 marine Arten)
Zu den urtiimlichen Stachelweichtieren gehoren die Wurmmollusken und die Kaferschnecken. Es handelt sich um Weichtiere mit ausgepragter Langsachse, denen eine Schale entweder vollig fehlt oder deren Riickenseite 8 Schalenplatten tragt. Kopfaugen, Fiihler, Gleichgewichtsorgan und ein Kristallstiel (der im Magen die Verdauungsfermente vorhalt) fehlen. Als Wurmmollusken (Aplacophora: 250 marine Arten) werden die Schildfusser und Furchenfiisser zusammengefasst. 1) Fur die Artenzahl der Tiere - auch der Weich-
tiere - findet sich in nahezu jedem Nachschlagwerk, Hand- oder Lehrbuch eine andere
Angabe. Eine allgemein akzeptierte Quelle nennt ca. 127 500 Arten.
11.3 Stachelweichtiere
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7 7 Weichtierkunde
11.3.1 Schildfiisser (Caudofoveata:65 marine Arten)
Meist unter 3 cm lange Tiere deren Korper wenig gegliedert und von einem Mantel umhullt ist. In die Haut sind Kalknadeln (Spiculae) eingelagert. Die Tiere graben sich mit dem Kopf schrag nach unten in das Substrat ein und nehmen mit der Raspelzunge organisches Feinmaterial, Kieselalgen und Foraminiferen auf. Die Kiemen ragen am hinteren Korperende aus dem Boden. Die Fortbewegung erfolgt wie bei Wurmern mit Hilfe eines Hautmuskelschlauches. Die Fortpflanzungsbiologie ist noch wenig erforscht. 11.3.2 Furchenfiisser (Solenogastres: 185 marine Arten)
Langsam auf ihrer Schleimspur dahingleitende oder sich durch die oberen Schichten des Meeresbodens grabende, wenige Millimeter bis 30 cm lange wurmformige Arten. Viele leben auf Blumentieren und Polypen. Ihre Verbreitung ist nur wenig bekannt. Furchenfusser sind Zwitter. Bei der Copulation kommen haufig Stilette, vergleichbar dem Liebespfeil der Weinbergschnecken, zum Einsatz. Der Embryo entwickelt sich zu einer ,,Hullglockenlarve". 11.3.3 Kaferschnecken (folyplacophora, Loricata: 900 marine Arten)
Kaferschnecken sind freilebende Arten, die vom Flachwasser der Kusten bis in uber 4000 m Tiefe auftreten. Die Tiere sind zwischen 0,45 und 43 cm lang, oval bis gestreckt und tragen auf dem Rucken bis zu acht, meist dachziegelartig angeordnete Schalenplatten, die auBen vom Gurtel ( = Perinotum) eingefasst werden. Kaferschnecken kriechen auf einer Schleimspur. Ihre Raspelzunge ist sehr lang ( = 1/3 der Korperlange) und weist teilweise eingelagerte Metallverbindungen zur Hartung der Zahne auf. Aus dem befruchteten Ei entwickelt sich eine Schwimmlarve.
11.4 Schalenweichtiere (Conchifera: 126 000 Arten)
Die zweite, zahlenmagig bei weitem dominierende Gruppe sind die Schalenweichtiere (Conchqerera)mit mehr als 126 000 derzeit bekannten, im Meer, Brack- und SUBwasser sowie auf dem Land lebenden Arten. Alle Arten besitzen eine einheitlich angelegte Schale, die bei den Muscheln zu zwei Klappen abgeknickt ist. Die Schalenl Gehause dienen hauptsachlich als Weichkorperschutz, als Ansatzpunkte fur die SchlieBmuskel, bei einigen Arten als Bohrwerkzeug und bei vielen Tintenschnecken als hydrostatisches Organ - also zur Tauchregulation. Irn Laufe des Wachstums werden stadienspezifisch mehrere Schalen angelegt. Wahrend Flachen- und primares Dickenwachstum vom Mantel ausge-
17.4 Schalenweichtiere
Abb. 11-4 Hinterkiemerschnecke (Berthelinia lirnax) mit ihren beiden Schalenklappen einer Muschel ahnlich sehend. SchalenIange: 7 mm. (Aus: Kaestner, A.: Lehrbuch der Speziellen Zoologie. I. Ted. 3. erw. Aufl. Stuttgart 1969.)
hen, erfolgt der GroBenzuwachs in der Mantelfalte am Rand meist periodisch (,,]ahreszuwachsstreifen") (Abb. 11-1,11-4). Als urspriinglich gilt ein dreischichtiger Schalenaufbau mit innerer Perlmutt[er]schicht (= Hypostracum), ZuBerer Prismenschicht (= Kalkprismenschicht oder Ostracum), und ganz auBen, Schale/Gehause uberziehend, die Schalenhaut (= Periostracum). Die beiden zuerst genannten Schichten bestehen aus Calciumcarbonat und werden in zwei unterschiedlichen Konfigurationen auskristallisiert (= Biokristalle): der Kalkprismenschicht (= Ostracum) aus Calcit und der Perlmutterschicht (= Hypostracum) aus Aragonit (oder Perlmutt[er]). In diesem Schalen-/Weichkorperbereich konnen auch Perlen gebildet werden. 11.4.1 Urmutzenschnecken, Napfschaler (Monoplacophora: 20 marine Arten)
Urmutzenschnecken besitzen eine napfformige 0,9 bis 40 m m lange Schale und einen breiten KriechfuB. Aufgrund ihrer Anatomie wurde die systematische Stellung dieser Gruppe sehr kontrovers diskutiert. Zunachst hielt man sie aufgrund ihres Weichkorperbaus fur Ubergangs-/Verbindungsformen zwischen den Wurmern und den Weichtieren. Auf Weich- und Hartboden von 170 bis in G 500 m Tiefe nachgewiesen. 11.4.2 Schnecken, Bauchfusser (Castropoda: 105 000 im Meer, Brack- und SuRwasser sowie auf dem Land lebende Arten)
Der FuB der Schnecke ist gewohnlich als breite Kriechsohle ausgebildet. Der Eingeweidesack ist, samt dem Gehause, zumeist spiralig aufgewunden. Einige Arten besitzen auf dem hinteren FuBende einen "homigen" oder kalkigen Deckel, mit dem sie das Gehause verschlieBen konnen. In den Mantelhohlen befinden sich die Kiemen oder ein lungenartiges Atemepithel. Im Schlund dienen ein horniger Kiefer und eine mit wenigen bis zahlreichen Zahnchen und Reihen besetzte Raspelzunge
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(= Radula) der Nahrungsaufnahme. Der Kopf besitzt zwei Paar Fuhler (= Tentakel), Augen, ein Riech-(= Osphradium) und ein Gleichgewichtsorgan (= Statocyste). Marine Schnecken leben auch in der freien Welle, schwimmen an der Oberflache, kommen aber auch bis in Tiefen unterhalb von 7 000 m vor. 11.4.3 Kopffisser, Tintenschnecken (Cephalopoda: 730 marine Arten)21
Der Eingeweidesack ist hoch aufgewolbt und von einem muskulosen Mantel mit groBer Atemhohle umschlossen. Um die Mundoffnung, mit der Radula und einem papageienschnabelformigen Kiefer, sind die langen, saugnapfbesetzen Fangarme als Umbildungen des vorderen, mit dem Kopf verschmolzenen FuRabschnitts angeordnet. Der hintere FuRabschnitt bildet am Ausgang der Mantelhohle einen Trichter. Eine Ausnahme bilden lediglich Vertreter der Gattung Nautilus - auch als Perlboot oder Schiffsboot bezeichnet - deren Korper noch - wie bei den fossilen Ammoniten - von einer spiraligen Schale umhiillt wird. Bei den anderen Tintenschnecken ist die Schale mehr oder weniger stark zuriickgebildet, in das Korperinnere verlagert oder ganz verschwunden. Die Sinnesorgane, insbesondere das Linsenauge und das Nervensystem sind augerordentlich hoch entwickelt. Mit einer Ausnahme (Lolliguncula brevis lebt in den Flussmundungen Floridas mit geringerem Salzgehalt) handelt es sich um auf dem Meeresboden bis in 5 500 m lebende oder schwimmende, rauberische Tiere. Die groBte Art - zugleich das groRte wirbellose Tier iiberhaupt ist eine Art der Gattung Architheutis mit einer Gesamtlange von 22 m und einem geschatzten Gewicht von 40 to. 11.4.4 Kahnfijsser (Scaphopoda: 350 marine Arten)
Kahnfiisser sind im Boden eingegraben lebende Tiere mit vorne und hinten offenem Mantel und ebenso offener, konisch gebogener Schale in der Form eines Elephantenzahnes. Der Kopf ist zuriickgebildet und liegt innerhalb der Schale. Die Entwicklung verlauft iiber eine frei schwimmende ( = zum Plankton zahlende) Larve. Die grogten Arten sind ca. 12cm lang. Sie wurden bis in Tiefen von ca. 7 000 m nachgewiesen.
11.5 Muscheln (Bivalvia: 20000 im Meer, Black- und SLii3wasser lebende Arten)
Der Korper der Muscheln ist zumeist symmetrisch aufgebaut und von einer zweiklappigen Schale umhullt. lhre Kiemen sind groBe, gitterartige Blatter zwischen
2) Hinweis: Der Trivialname Tintenfische ist
unzutreffend, da es sich bei dieser Tiergruppe
urn Weichtiere handelt. Die korrektc Bczeichnung ist Tintenschnecken oder Kopffusser.
1 l . G Zur Ceschichte der Malakozoologie im deutschsprachigen Raum
dem Mantel und dem Korper. An der Kiemenoffnung werden Nahrungspartikel abfiltriert, die zur Mundoffnung transportiert werden. Der Kopf ist stark zuriickgebildet (friihere Bezeichnung der Gruppe: Acephala = Kopflose) und der Eingeweidesack wird vom FuB umhullt. Das BlutgefaBsystem ist, wie bei allen Weichtieren, offen. Die Fortpflanzungsweise reicht von lebendgebarend uber eine frei bis parasitisch lebende Larve (an bestimmten Fischen). Emahrungsbiologisch betrachtet sind Muscheln Strudler. Bei der Besetzung der okologischen Nischen haben die Muscheln entsprechende Lebensformen gebildet: von frei beweglich uber eingegraben und noch zum Ortswechsel befahigt bis hin zu sessilen Arten, die sich an hartem Untergrund festkitten oder mit Faden (Byssus) anheften. Marine Arten wurden bis in iiber 10000 m Tiefe gefunden.
11.6 Zur Ceschichte der Malakozoologie im deutschsprachigen Raum
Eine spezielle Geschichte der Weichtierkunde wurde bislang noch nicht vorgelegt. In der Reihe ,,Zur Geschichte der Deutschen Malakozoologie" (begonnen von Zilch 1967) wurden bis heute 2 1 Beitrage von verschiedenen Autoren veroffentlicht (zuletzt von Bossneck 1993): sie konkretisiert sich heute zunehmend im Projekt der Molluskenkartierung Deutschland. Die Anfange der Zoologie als einer Wissenschaft in Deutschland sind untrennbar mit dem Namen von Konrad Gessner (1516-1565) verbunden, der eine erste umfassende Encyclopadie der Tierkunde in funf Folianten vorlegte. Das Interesse an Tieren geht nattirlich weiter zuriick, jedoch werden diese zumeist aus der Sicht der Bibel und unter dem Aspekt ihrer symbolischen Bedeutung in der christlichen Heilslehre gesehen (Jahn 1998). Wahrend die bislang erwahnten Darstellungen die Tierwelt oder Tierklassen unter bestimmten Aspekten (von moralisierend-unterhaltsam bis belehrend) abhandeln, legt Conrad Gessner ein sorgfaltig geplantes Werk mit zahlreichen Angaben in monographischen Kapiteln uber einzelne Tiere oder kleine Tiergruppen vor eine Darstellung des Wissens seiner Zeit uber ca. 800 Tierformen (Jahn 1998). Darunter finden sich zahlreiche wirbellose Tiere, auch Weichtiere. Im Band V widmet Gessner den Mollusken ein eigenes Kapitel, in dem er Muscheln aus dem Meer und dem SuBwasser und dann Meeres-Schnecken, SuBwasser und Landschnecken beschreibt und abbildet. Neben die Enzyklopadisten der Renaissance treten nun die Studien einzelner Autoren, die Teilgebiete in umfangreicheren Monographien darstellen und so die Spezialisierung der Zoologie einleiten. Nach regionalfaunistischen Forschungen und Aufsammlungen zur Tierwelt Eng lands legt der englische Arzt Martin Lister (1639-1712) seine mehrbandige Naturgeschichte ,Historia conchyliorum" (1685-1692) vor. Nach Lebendbeobachtungen und anatomischen Untersuchungen beschreibt er die Sexualorgane von Schnecken, den Hermaphrodismus bei der Weinbergschnecke und die Embryonen der Teichmuschel.
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Aus dern 18. Jahrhundert ist als grundlegendes Werk fur die Zoologie insgesamt und damit auch fur die Weichtierkunde das Werk ,,Systems naturae" von Carl von Linn6 aus dem Jahr 1735 hervorzuheben. Die 10. Auflage aus dem lahr 1758 gilt
Tafel11-1 Carl )onas Pfeiffer - Naturgeschichte deutscher Landund Sujwasser-Mollusken Theil /-///. Weirnar 1821-1 828.
7 7.G Zur Ceschichte der Molokozoologie im deutschsprachigen Raum
heute als die Bezugsgrundlage fur die Nomenklatur in der Zoologie. Das damit fuderte Benennungssystem wurde spater in den Jnternationalen Regeln fiir die Zoologische Nomenklatur" (5. Auflage: 2000) fortgeschrieben. Im 18. Jahrhundert folgen erste weichtierkundliche Gesamtabhandlungen. Die Weichtierkunde beginnt sich damit zu konturieren. Die Ergebnisse weichtierkundlicher Forschung erscheinen als Teilbeitrage in geographischen und auch ersten faunistischen Lokal- und Regionalabhandlungen oder in den Zeitschriften der vor allem seit der Wende zum 19. Jahrhundert neu gegriindeten naturkundlichen Vereine und natunvissenschaftlichen Gesellschaften. Spater erscheinen Lokalfaunen und eigenstandige weichtierkundliche Veroffentlichungen @.a. Jungbluth 1995) und erste Tafelwerke sind zu envahnen (Martini & Chemnitz 1765-1795, Rossmassler 1835-1920 s. u.). Die Malakozoologie beginnt sich zu organisieren und gemeinsame Arbeitsplattformen zu schaffen (Tafel 11-1). In der Weichtierkunde konnen nachfolgende Phasen unterschieden werden: 11.6.1 Die Casseler Cruppe - friihes Zentrurn der Weichtierforschung
Der Bankier und Naturforscher Carl Jonas Pfeiffer (1779-1836) verkorpert den klassischen Malakozoologen: ein ehrenamtlich, nebenberuflich tatiger Wissenschaftler. Als erfolgreicher Banker wirtschaftlich unabhangig, verfasste er die erste ,,Naturgeschichte deutscher Land- und SiiBwasser-Mollusken" in drei Abteilungen mit jeweils 8 Kupfertafeln (1821-1828, Tafel 11-1). Dies war der Beginn eines augerst fmchtbaren Zeitabschnittes deutscher Weichtierforschung von Cassel (und Bad Pyrmont) aus. Aus dem gleichen Hause folgte Carl Georg Louis Pfeiffer (18061877): Naturforscher und Privatgelehrter, ein Experte fur die Landschneckengruppe der Helicacea. Heute gilt er allgemein als der bedeutendste Conchyologe des 19. Jahrhunderts. Zu dem ,,Casseler Kreis" gesellten sich weitere Molluskenforscher, so der Badeund Brunnenarzt Karl Theodor Menke aus Bad Pyrmont, und Stephan Clessin aus Dinkelscherben, der Verfasser der ersten "Deutschen Excursions-Mollusken-Fauna" (1876-1877, s. Jungbluth 1986). 11.6.2
Die erste deutsche, weichtierkundliche Zeitschrift und die CrUndung der Deutschen Malakozoologischen Cesellschaft
Im Jahr 1844 hatte Karl Theodor Menke mit der Jeitschrift fur Malakozoologie" die erste weichtierkundliche Fachzeitschrift ins Leben gerufen (Band 1). Ab dem Band 3 (1846) verlegte er die Herausgabe von Hannover nach Cassel und Louis Pfeiffer wurde Mitherausgeber. Menke hat in seiner Zeitschrift zwei fur die damalige Zeit augerordentlich bedeutsame Beitrage veroffentlicht (1844, 1848). Neben der Rechtfertigung einer eigenen weichtierkundlichen Fachzeitschrift (1844) legte er eine erste, flachendeckende Fachbibliographie mit Erlauterungen vor, heute gilt diese als Fakten-Dokumentation (Menke 1848). Ab dem elften Jahrgang erschien die Zeit-
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schrift unter den Bezeichnungen ,,Malakozoologische Blatter" (1/1854-25/1878) und ,,Malakozoologische Blatter/Neue Folge" (1/1880-11/1891). Herausgeber waren weiter Stephan Clessin und Wilhelm Kobelt. Die ,,Casseler Gruppe" hat mit ihren prominenten Mitgliedern ein erstes und bedeutsames Kapitel in der deutschen Weichtierkunde geschrieben und der Grundung der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft im Jahre 1868 den Weg bereitet. Damit war aber auch die Verlagerung des Schwerpunktes der Weichtierforschung von Cassel nach Frankfurt a.M. (,,Frankfurter Gruppe") vorgezeichnet (rungbluth 1995). Die Griindung der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft stellte vornehmlich drei Satzungsziele in den Vordergrund: die Einrichtung der ,,Normalsammlung"und die Aufstellung der Handbibliothek in der Molluskensektion des Senckenbergmuseums die Herausgabe einer fachwissenschaftlichen Zeitschrift. Die ,,Normalsammlung" der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft und die ,,Handbibliothek" stehen heute interessierten Wissenschaftlern in der Molluskensektion des Senckenbergmuseums zur Verfugung. Die Zeitschrift, das ,,Nachrichtsblatt der deutschen malakozologischen Gesellschaft", zu der zwischenzeitlich verschiedene Nebenreihen getreten waren, ab Band 70 in ,,Archiv fur Molluskenkunde" umbenannt, ist heute die am langsten erscheinende weichtierkundliche Zeitschrift uberhaupt. Die Gesellschaft hat sich stets als eine zoologische Spezialgesellschaft im deutschsprachigen Raum gesehen, dies zeigt sich bis heute in dem augerordentlich hohen Anteil von Mitgliedern aus den benachbarten Landern und auch aus Ubersee. Die vordringlichen Satzungsziele sind heute weitgehend als erreicht anzusehen, die ,,Forderung der Weichtierkunde" ist jedoch eine weiter bestehende Daueraufgabe. In den Jahren nach der Griindung der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft haben fuhrende Mitglieder immer wieder richtungsweisende Vorhaben konzipiert, angestogen und realisiert. Da sind einmal ausgeschriebene Forschungs-Themen (Preisaufgaben) zu envahnen und zurn anderen die Fortsetzung der Sammlung der malakozoologischen Literatur nach dem Beispiel von Menke (1853). In den Jahren 1871-1872 hat E. von Martens eine Kompilation der Literatur der Mollusken von Deutschland in vier Teilen vorgelegt. Spater hat W. Kobelt mehrfach Gesamtregister fur die erschienenen Bande des ,,Nachrichts-Blattes" veroffentlicht und H. Buschmeyer hat anlasslich des Erscheinens des 70. Jahrganges des ,,Archivsfur Molluskenkunde" ein Register aller vom Senckenbergmuseum herausgegeben malakozoologischen Zeitschriften veroffentlicht. Daneben hat es immer wieder Bemuhungen gegeben, der Hauptzeitschrift der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft Nebenreihen, auch fur umfangreichere Abhandlungen, an die Seite zu stellen: von den ,,Jahrbuchern" (1/1874-14/1887) uber die ,,Beitrage zur Kenntnis der mitteleuropaischen Najadeen" (1/1908-4/1910) bis zu den .Abhandlungen des Archivs fur Mollusken-
11.7 Aktivitijten und Ziele der Deutschen Malakozoologischen Gese/lschaft
kunde" (1/1922-2/1929). Hier sind auch die ,,Mitteilungen der Berliner Malakologen" zu envahnen (1/1953-19/1967) und, nach der Reaktivierung der DMG die ,,Mitteilungen der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft" (1(1]/1962ff.). Das Spektrum malakozoologischer Zeitschriften wird heute durch die ,,Malakologischen Abhandlungen des Staatlichen Museums fur Tierkunde Dresden" (1/1964 ff.), die Heldia 1/1984 ff.) und die ,,Schriften zur Malakozoologie aus dem Haus der Natur Cismar" (1/1989 ff.) erganzt. Ohne Bestimmungswerke konnen Faunenwerke nicht entstehen. In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts werden die ersten Faunen/Exkursionfaunen veroffentlicht: Die Bestimmungswerke setzen mit dem Erstling von S. Clessin ein, wurden teilweise regionalisiert und spater von D. Geyer neu bearbeitet. Auf die MolluskenFaunen fur Mitteleuropa von P. Ehrmann (mit Erganzungen von A. Zilch und S.G.A. Jaeckel 1962) und spater fur Deutschland von S.H. Jaeckel folgten die SUBwassermolluskenfaunen von P. Gloer, C. Meier-Brook & 0. Ostermann (1978 ff.) sowie die deutsche Bearbeitung von M.P. Kemey & R.A.D. Cameron (1983).Die marinen Weichtiere wurden in umfangreichen Faunenwerken wie z. B. ,,Die Tienvelt der Nord- und Ostsee" zu Beginn des 20. Jahrhunderts (verschiedene Bearbeiter) und spater von E. Ziegelmeier (1957 ff.) fur die Nordsee und von B. Jagnow und F. Gosselck fur die Ostsee abgehandelt (Ubersicht bei Jungbluth 1986).
11.7
Aktivitsten und Ziele der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft
Die Deutsche Malakozoologische Gesellschaft hat seit ihrer Griindung ihren Sitz in der Molluskensektion des Senckenbergmuseums in Frankfurt a.M. und ihre Geschafte (incl. Schriftleitung und Herausgabe der Zeitschriften) oblagen den Molluskensektionaren, die zuerst ihre Vorsitzenden waren. Um in der Zeit des Nationalsozialismus die Eigenstandigkeit des ,,Archivs fur Molluskenkunde" zu sichem, wurde die Zeitschrift - nach wie vor als Organ der Gesellschaft - nun vom Senckenbergmuseum herausgegeben, wie sich schnell zeigte, zu beiderseitigem Vorteil. Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches und seine Aufteilung in die beiden deutschen Teil-Staaten betraf auch die Mitglieder der DMG. Auf energisches Betreiben des Rechtsanwaltes Richard Schlickum fand am 3. Marz 1962 in Oberelfringhausen zur Reaktivierung der DMG eine ,,...grundlegende Vorbesprechung statt ...". Am 07./08. April 1962 fand dann in Riedenburg (Altmuhl) die Wiederbegriindung und zugleich erste Mitgliederversammlung der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft nach dem 11. Weltkrieg statt. Im Zeitraum 1961-1969 trafen sich DMG-Mitglieder in der DDR innerhalb der zoologischen Fachgruppe des Kulturbundes der DDR und spater als ,,Arbeitskreis Malakologie" (1983-1989). Seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten ist die DMG wieder das einigende ,,Dach" der deutschen Malakozoologen. Der AK Malakologie fuhrt seine Forschungen seit 1991 als Regionalarbeitskreis Ost innerhalb der DMG fort.
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Flussperlmuschel MargaritVera margaritVera (LINNAEUS,I 758) Synonyme: Morgnrikmn mnrgariliSfra ( L I N F ~ A I ~ LI 7I S5 8 ) Verbreitungstyp: holoarktisch (circumpolar) Ileute gibt es nur wenige Vorkomineri: r?inc NietlerungsVorkommen: bachpopulation. zwei linksrheinische Vorkonimcm und j ’ (>in Bestarid in Vogelsberg und Hhon sowic Populationm irn 1:ichtelgcbirge. im Bayerischttn Wald und drm Sachsischen Vogtland. Die Bestandc sind in der Ikgel deutlich iiberaltert und stark riicklaufig (,JiJNGI31.t7Til f!t 31. 1 9 8 5 . .~iJNGRI.IJTH 1988). Biotop (Habitat): Sio kommt in rasch tlie0enden. kalkariiien Nit!dtmingsund Mittelgebirgsbaclien ntit guter Wasserqualitit und selten in (Stau-)Seen oder I:liiss-Staustrecketi vor. Rote Liste Ikutschland: vom Ausstcrbcn bedroht (1). Rote Liste Rheinland-l’falz: vom Aussterben bedroht ( 1 ) Bemerkungen:
In Hhrinland-Pfalz urid in eineni dc.utsch-liixenibiirgischen (;renzgrwksser existieren zwei ringt:richt?tr Artt.nsch~itz-Projekte( ( ; R o i l 1 y ) S ) .
Die Flussperlmuschelin Rheinland-Pfalz. Croh, K.; Jungbluth, J.H. (2000): Muscheln. In: Ministerium fijr Urnwelt und Forsten Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Fische und Fischereiin Rheinland-Pfalz: Bestandsaufnahme,fischereiliche Nutzung, Fischartenschutz. Mainz, 1. Auflage, Bearbeitungsstand:Juli2ooO.
Tafel 11-2
11.8 Aktuelle Forschungs-Projekte
11.8
Aktuelle Forschungs-Projekte
Aus der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts ist die Beteiligung prominenter Mitglieder der DMG an der Griindung der internationalen weichtierkundlichen Vereinigung (Unitas Malacologica Europaea, heute Unitas Malacologica) hervorzuheben sowie der 1989 in Tubingen durchgefuhrte 10. Internationale Kongress der Unitas Malacologica. Schon unmittelbar nach der Reaktivierung des Gesellschafislebens der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft entstanden Kontakte zum internationalen Programm des European Invertebrate Survey (E.I.S.) und Ant (1963), der eine vie1 beachtete Arbeit zur Tiergeographie und Okologie der Landschnecken in Nordwestdeutschland vorgelegt hatte, mahnte hierzu einen deutschen Beitrag an. Schmid (1966) rief zur Mitarbeit an einem ,,Prodromus" der Mollusken von Baden-Wurttemberg auf. Etwas spater setzten die Uberlegungen von J.H. Jungbluth ein, die Regionalfauna von Carl Jonas Pfeiffer fur Hessen zu revidieren. Mit den zeitgemaBen Methoden der Datenverabeitung wurde mit der sich bildenden Projektgruppe Molluskenkartierung (Neckarsteinach, ab 1995 Schlierbach) nach dem E.1.S.-Symposium 1974 in Saarbriicken ein Konzept fur die Molluskenkartierung, zunachst fur die Bundesrepublik Deutschland (1974 ff.) erarbeitet, das bis heute verfolgt wird (Tafel 11-2). Wenn wir die nahezu abgeschlossene ,,Stufe I: Die Chorologische Beweissicherung" betrachten, so waren hier als erster Schritt alle zuganglichen Daten zu erfassen, zu verifizieren, zu lokalisieren und zu digitalisieren. Der Pool der zuganglichen Daten umfasste private und museale Sammlungsmaterialien, Publikationen jedweder Art, inklusive der ,,Grauen Literatur". Die Auswertung der Letzteren erfordert einen hohen Zeitaufivand und umfassende Kenntnisse, da sie entweder nur in ,,Insider-Kreisen" bekannt ist oder nur zufallsweise bekannt wird. Es handelt sich um Examensarbeiten und Gutachten jedweder Provenienz, Feldprotokolle, Beprobungen unterschiedlichster Art u. v. a.m. Die Ergebnisse sollen wissenschaftlichen Fragstellungen dienen, insbesondere aber auch fur MaBnahmen des Arten- und Biotopschutzes zur Verfugung stehen. Diesen Zielsetzungen wird durch drei Publikationsformen Rechnung getragen: Die malakozoologische Bibliographie des jeweiligen Bundeslandes wird in der fur Molluskenforschung traditionsreichsten Regionalreihe publiziert und dariiber hinaus durch Sonderdrucke verbreitet. 11. Die ,,Vorlaufige Rote Liste" der bestandsbedrohten Weichtiere sol1 vom jeweiligen Ressortministerium oder dessen nachgeordneter Fachbehorde veroffentlicht werden. Zusatzlich erfolgten unabhangige eigene Veroffentlichungen. 111. Der ,,Prodromus zu einem Atlas der Molluskenfauna" des jeweiligen Bundeslandes wird in der Reihe ,Fundortkataster der Bundesrepublik Deutschland - Erfassung der westpalaearktischen Tiergruppen" (Saarbriicken Sr Heidelberg) veroffentlicht. I.
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Nach rund zehnjahriger Laufzeit dieses GroBprojektes der klassischen Zoologie (Jungbluth,Burk SL Berger 1982) zeichnet sich die Notwendigkeit ab, die Bedeutung und den Bedarf der rnodernen Inventarforschung sowohl in Fachkreisen als auch in der Offentlichkeit starker bekannt zu machen. In der Projektgruppe Molluskenkartierung wurde jetzt das Instrument der ,,Okologischen Standortuberpriifung" konzipiert und fur die Flussperlmuschel erstmals flachendeckend realisiert (Abb. 11-5 bis 11-7). Die beachtlichen Ergebnisse zogen zahlreiche Najaden-Projekte in Hessen, Baden-Wurttemberg, Bayern und anderen Regionen nach, auf denen wiederum Artenschutzprojekte aufbauen. Auch die mitteldeutschen Bundeslander haben sich diesem Vorgehen angeschlossen.Die Molluskenkartierung in Deutschland nahert sich mit der Veroffentlichung der Bausteine der ,,Chorologischen Beweissicherung" auf Landerschiene einem ersten Abschluss. In einem flankierenden IUD-Projekte (Informations- und Dokumentations-Programm des BMFT/BMJFG, Bonn) wurde - an die Tradition der malakozoologischen Bibliographien anknupfend - eine umfassende Auswertung der malakozoologischen Zeitschriften des deutschsprachigen Raurnes fur die Zeit von 1844-1 984 (Burk & Jungbluth 1985) publiziert. Zusamrnen rnit den bereits veroffentlichten und den noch folgenden malakozoologischen Landesbibliographien (von Jungbluth 1976 fur Hessen bis Schniebs 1999 fur Sachsen) bildet diese das Kernstiick fur eine urnfassende Dokumentation und Datenbank der rnalakozoologischen Literatur fur Deutschland. Die Roten Listen uber die Gefahrdungen der Weichtiere liegen rnittlerweile fur alle Bundeslander und Stadtstaaten (bis zur 3 . Fassung) sowie auf Bundesebene (bis zur 5. Fassung 1995) vor. Damit konturiert sich ein seit Beginn der deutschen Weichtierforschung angestrebtes Werk: die Fauna Germanica Molluscorum [ Das Werk der Arten ] nimrnt konkrete Formen an. Die Vorarbeiten dam, d. h. die Chorologische Beweissicherung, sind heute nahezu abgeschlossen. Die Folgestufe, die Okologische Beweissicherung, wurde mit den Initiativen irn Arten- und Biotopschutz durch die Projektgruppe Molluskenkartierung bereits begonnen. Die Zukunft der einheimischen Weichtierforschung nirnmt mit der Regionalisierung der bislang zentral geleiteten ,,Molluskenkartierung Deutschland" eine neue Gestalt an. Hierzu haben sich in verschiedenen Bundeslandern bereits Arbeitsgruppen gegriindet. lhre Aufgabe ist es, die Artspektren durch Freilanderhebungen zu bestatigen, zu erganzen und laufend zu aktualisieren. Dem Phanomen der Neozoen ist dabei besonderes Augenmerk zu widmen.
7 7.8 Aktuelle Forschungs-Projekte
Abb. 11-5 - 11-7
Mitarbeiter der Projektgruppe Errnittlung der Populationssituation durch Verrnessung der Tiere (Flussperlrnuscheln links, Molluskenkartierung (Neckarsteinachl Bachrnuscheln rechts) und Elektrobefischung Schlierbach) bei Freilandarbeiten irn Rahrnen der Betreuung eines der Artenschutzprojekte irn zur Statuserhebung bei den Wirtsfischen Rheingebiet. (Bachforellen).
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11.9
Die Deutsche Malakozoologische Cesellschaft - Ausblick
Der Vorstand der DMG hatte in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts zukunftsfahige Strukturen und Grundlagen fur die Gesellschaft entwicklelt. Damit wurden die Weichen fur eine erfolgreiche Weiterarbeit gestellt. Zu Beginn der achtziger Jahre wurde eine Bestandsaufnahme der Tatigkeitsfelder der Mitglieder durchgefuhrt und publiziert (Jungbluth 1979). Im Anschluss daran wurde die Reihe wissenschaftlicher Workshops begonnen. Der erste diente einer Bestandaufnahme malakozoologischer Forschung in der Bundesrepublik Deutschland (Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft [Hrsg.] 1982), der zweite fasste die aktuellen Ergebnisse zur Evolution der Mollusken zusammen (Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft [Hrsg.] 1984), der dritte bereitete 1992 die Veroffentlichung einer aktuellen Nomenklatur und Systematik der Binnenmollusken von Nord- und Mitteleuropa vor und der vierte diente der Revison zur 5. Fassung der Roten Liste der bedrohten Weichtiere Deutschlands (erstmals eine gesamtdeutsche Rote Liste, Jungbluth & von Knorre 1995). Mit ihren Strukturen und Aktivitaten hat sich die Deutsche Malakozoologische Gesellschaft - eine der altesten natunvissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland - als moderne, den Anforderungen der Zeit gewachsene Fachgesellschaft neu profiliert und in der Wissenschaftsszene positioniert (Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft [Hrsg.] 1993). Sie ist durch ihre Mitglieder tatig, die malakozoologische Forschung - auch heute noch - ganz ubenviegend ehrenamtlich und nebenberuflich betreiben. Dies spiegelt sich auch im Spektrum der weichtierkundlichen Forschung wieder, die im Augenblick an den Universitaten weder durch einen Lehrstuhl noch ein eigenes Institut vertreten ist. Aber sie ist wie in den letzten Jahrhunderten auch heute durch sehr aktive Forschungsgruppen und Einzelforscher prasent.
11.10
Literatur Ant, H. (1963):Die zukiinftige malakofaunistische Erforschung Deutschlands. Mitteilungen der
deutschen malakozoologischen Gesellschaft 1,43-44. Bossneck, U. (1993): Zur Geschichte der deutschen Malakozoologie,XXI: Der Regionalkreis Ost der DMG (ab 1990). Mitteilungen der deutschen mafakozoologischen Geselfschaft 52, 25-27. (Hinweis: von hier aus lassen sich die friiheren Beitrage in dieser Reihe zuruckverfolgen!) Burk, R.; Jungbluth, J.H. (1985): 140 Jahre Molluskenkunde im deutschsprachigen Raum 18441984. Ungarisches Natunvissenschaftliches Museum Budapest (Lizenznummer: 56728/1985). Gartner, G . (1812):Versuch einer systematischen Beschreibung der in der Wetterau bisher entdeckten Konchylien. Annalen der wetterauischen Gesellschaftfur die gesamte Naturkunde zu Hanuu 3 (1).281-320. Gessner, C. (1670): Gessneri Redivivi, aucti & emendati Tamus IV et ultimus oder vollkommenes FisckBuch. Frankfurt am Mayn. (Nachdruck 1981 Hannover.) Godan, D. (1996): Mollusken. - Ihre Bedeuiung fur Wissenschaft, Medizin, Handel und Kultur. Berlin, Parey Buchverlag Berlin.
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Parasitologie Klaus Lingelbach, Brigitte Frank, Thomas Romig, Andreas Ruppel
12.1
Die Parasitologie irn 21. Jahrhundert
Als Parasitismus bezeichnet man die einseitige Abhangigkeit eines (kleinen) Gastes, des Parasiten, von einem grogeren und hoher entwickelten Wirt, bei der im Regelfall der Wirt geschadigt oder zumindest in seiner Lebensqualitat beeintrachtigt wird. Andere Formen des Zusammenlebens sind der Kommensalismus, bei dem dem Wirt keinerlei Nachteile entstehen, und die Symbiose, bei der beide Partner von einander nutzniegen und deshalb aufeinander angewiesen sind. Die Parasitologie ist eine Wissenschaft, die sich mit tierischen Parasiten befasst, welche auf anderen Tieren leben. Viren, Bakterien, Pilze und Hefen, die durchaus eine parasitare Lebensweise haben konnen, aber auch tierische Schadlinge von Pflanzen fallen in eigene wissenschaftliche Disziplinen, wie die Virologie oder die Medizinischen Mikrobiologie. Es ist wichtig zu wissen, dass der Mensch und jedes freilebende Tier in einer standigen Auseinandersetzung mit einer Vielzahl ihm eigener Parasiten lebt. Wiirden Parasiten ihren Wirten grundsatzlich schwere Schaden zufiigen, waren beide langst ausgestorben; der Wirt, weil er der permanenten Schwachung erlegen ware und der Parasit, weil er seine Nahrungsgrundlage ubernutzt und dadurch zugrunde gerichtet hatte. Grundsatzlich haben sich Wirt und Parasit in einem langen evolutionaren Prozess aneinander angepasst, etwa nach dem Prinzip ,,leben und leben lassen". Dies bedeutet jedoch nicht, dass Parasiten nicht den Tod ihrer Wirte herbeifuhren konnten. So sterben, wie unten naher ausgefiihrt wird, jahrlich etwa 2-3 Millionen Kinder an Malaria, einer durch Blutparasiten hervorgerufenen Infektionskrankheit. Ein anderer Parasit, der zu einer hohen Todesrate unter seinen Wirten fiihrt, ist der Fuchsbandwurm, der hier ebenfalls ausfiihrlicher vorgestellt wird. Andere Parasiten begiinstigen den Ausbruch sekundarer Krankheiten, wie z.B. des Blasenkrebses durch eine Art der am Ende des Beitrags beschriebenen Parchenegel. Viele Umweltbedingungen, wie hohe Populationsdichten des Wirtes, etwa bei der Nutztierhaltung, oder eine durch Mangelernahrung bedingte Schwachung der Immunabwehr, konnen die Ausbreitung und die Vermehrung von Parasiten so stark begiinstigen, dass das empfindliche Gleichgewicht der Wirt-Parasitenbeziehung gestort wird und viele Individuen der Wirtspopulation den Parasiten zum
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Opfer fallen. Aus diesen Griinden stellen Parasiten, obwohl Parasitismus als biologisches Phanomen ein ,,Normalzustand" ist, eine standige potenzielle Bedrohung dar. Die Zoologie ordnet die Parasiten unterschiedlichen Tierstammen zu, beginnend mit den Einzellern (Protozoen) bis hin zu den Gliederfuf3lern (Arthropoden), zu denen sowohl Insekten als auch die spinnenartigen Zecken und Milben gehoren. Im Zusammenleben von Parasiten mit ihren Wirten gibt es viele Spielarten. Eine davon betrifft die Korperpartien, die von den Parasiten bewohnt werden. Bei den Ektoparasiten, die auBen auf ihrem Wirt leben, unterscheidet man zwischen stationaren Ektoparasiten, wie Lausen, die standig auf ihren Wirten leben, und tempor% ren Ektoparasiten, die sich nur zeitweilig auf dem Wirt aufhalten. Zu letzteren gehoren Flohe, Zecken, Mucken oder Fliegen, die ihre Wirte nur zum Blutsaugen oder zur Eiablage aufsuchen. Viele Ektoparasiten sind wichtige Ubertrager anderer Krankheitserreger. So werden Gelbfieber verursachende Viren, aber auch eine Vielzahl von Bakterien, Einzellern und Wiirmern durch Stechmucken ubertragen. Die Ubertrager der Pest oder des Fleckfiebers sind Flohe bzw. die Kleiderlaus. Endoparasiten leben im Innern des Wirtes, wobei sie in der Regel jeweils spezifische Organe bewohnen. Kein Organ ist vor einem Befall durch Parasiten sicher. Unter den Endoparasiten findet man vorwiegend Einzeller und parasitische Wurmer. Parasiten haben von jeher die Menschen fasziniert. Der Gedanke, dass im eigenen Korper bis zu 30 cm lange und mehrere Millimeter dicke Spulwurmer oder mehrere Meter lange Bandwiirmer leben, ruft nicht nur ein Gefuhl des Ekels hervor, sondern wirft auch die Frage nach den biologischen Grundlagen auf, die es den Parasiten ermoglichen, in ihren Wirten zu uberleben. Die Ubertragungswege der meisten Parasiten sind extrem kompliziert. Die genaue Kenntnis davon ist jedoch essenziell, um Schutzmassnahmen vor Irifektionen ergreifen zu konnen. Im Rahmen dieses kurzen Beitrages ist es unmoglich, auf alle Facetten der Lebens- und Ubertragungswege von Parasiten einzugehen. Dennoch gibt es generelle Prinzipien, die der Erorterung von drei Beispielen vorangestellt werden sollen. Grundsatzlich unterscheidet man zwischen einer direkten und einer indirekten Entwicklung eines Parasiten. Bei der direkten Entwicklung bleibt ein Parasit auf eine Wirtsart beschrankt. Im einfachsten Fall vermehren sich die Parasiten auf einem Individuum und werden durch direkten Korperkontakt auf ein anderes Individuum ubertragen. Dies gilt u.a. fur Lause und fur Trichomonaden, das sind Einzeller des Darms und des Genitalbereiches. Andere Parasiten mussen eine mehr oder weniger lange Phase augerhalb des Wirtes durchlaufen, bevor sie den nachsten Wirt infizieren konnen. Dies gilt fur eine Reihe den Darm bewohnender Wiirmer, u. a. fur den Spulwurm oder fur die bei Kindern haufig vorkommenden Madenwurmer. Die Eier des Spulwurms werden mit dem Kot ausgeschieden. Im Freien entwickeln sich daraus infektiose Larven, die durch ungenugende hygienische MaBnahmen wieder in die Nahrungskette gelangen. Nach einer komplizierten Korpenvanderung dringt der erwachsene Wurm wieder in den Darm ein. Bei Madenwiirmern ist die Venveildauer auf3erhalb des Korpers wesentlich kiirzer; die erwachsenen Weibchen der Wurmer legen nachts ihre Eier im Bereich des Afters ab. Dies verursacht einen erheblichen Juckreiz, die infizierten Kinder kratzen sich und konnen unbewusst die
12.1 Die Parasitologie im 2l.jahrhunded
infektiosen Stadien wieder oral aufnehmen. Solche direkten Entwicklungen sind bei tierischen Parasiten jedoch verhaltnismaf3ig selten. Vie1 haufiger sind indirekte Entwicklungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Parasiten verschiedene Wirtsarten befallen, ja sogar auf einen regelmagigen Wirtswechsel angewiesen sind. Viele Einzeller (Protozoen), aber auch Wurmer, werden von blutsaugenden Insekten oder Zecken aufgenommen. Nach einer Entwicklungsphase in diesen sog. Zwischenwirten werden sie im Zuge einer weiteren Blutmahlzeit wieder auf andere Individuen ubertragen. Das bekannteste Beispiel fur einen derartigen obligaten Wirtswechsel ist der Malariaerreger, der durch Stechmucken verbreitet wird. Solche Parasiten sind in der Regel innerhalb einer Art nicht von einem Individuum auf das andere ubertragbar, es sei denn auf biologisch nicht normalen Wegen, wie z. B. Bluttransfusionen oder durch den Gebrauch kontaminierter Injektionsnadeln. Viele Parasiten, die eine indirekte Entwicklung durchlaufen, bilden Dauerstadien, Eier oder Larven, die mit den Exkrementen ausgeschieden werden. Daraus gelangen sie in eine zweite Wirtsart, in der die weitere Entwicklung des Parasiten erfolgt. Die Aufnahme in die zweite Wirtsart (den sog. Zwischenwirt) kann, wie unten exemplarisch fur Bandwiirmer und Parchenegel beschrieben, auf vielfaltige Weise erfolgen. Nach Abschluss der Entwicklung im Zwischenwirt konnen die Parasiten wieder direkt auf die erste Wirtsspezies ubertragen werden. Sie konnen aber auch fur eine weitere Entwicklungsphase eine weitere Zwischenwirtart benotigen, was allerdings sehr selten ist. Diese Beispiele zeigen die sehr komplexe Entwicklung vieler Parasiten, die auf eine lange Evolution der WirtParasit Beziehungen zuriickzufuhren ist. Haufig sind Parasiten auf bestimmte Umweltbedingungen oder Verhaltensweisen ihrer Wirte angewiesen, durch deren Veranderung die Ubertragung unterbrochen und damit der Parasit ausgerottet werden kann. In Italien wurde Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Malaria durch die Trockenlegung der Sumpfe, in denen die Ubertragermucken briiteten, ausgerottet. Ein Beispiel, das eindrucksvoll die Abhangigkeit von Parasiten von menschlichen Verhaltensweisen belegt und damit efiziente Bekampfungsmahahmen ermoglichte, ist auch der Medinawurm. Dieser in Afrika und Asien vorkommende Parasit lebt unter der Haut der Arme oder Beine. Wenn der infizierte Mensch in Kontakt mit SuBwasser kommt, bohrt sich das geschlechtsreife, 50-100 cm lange Weibchen durch die Haut und entlasst seine Larven. Diese werden von winzigen Ruderfugkrebsen aufgenommen, in denen sie sich zu den fur den Menschen infektiosen Stadien entwickeln. Der Parasit gelangt wieder in den Menschen wenn dieser infizierte RuderfuBkrebse mit dem Trinkwasser zu sich nimmt. Diese Infektion kann entsprechend durch Filtrieren des Trinkwassers verhindert werden, wobei Baumwollgewebe als Filter vollkommen ausreichend sind. Seit den Bewohnern der betroffenen Gebiete dieser Zusammenhang in Aufldarungskampagnen vermittelt wurde, gingen die Infektionen erheblich zuriick, und die Weltgesundheitsorganisation rechnet mit einer vollstandigen Ausrottung innerhalb der nachsten Jahre. Solche MaBnahmen sind allerdings nur dann praktikabel, wenn eines der Entwicklungsstadien ausschlieRlich auf den Menschen angewiesen ist, d. h. wenn es keine weiteren Reservoire, etwa in Haus- oder Wildtieren gibt.
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12 Parasitdogie
In den vergangenen Jahren haben die Immunologie und die Molekularbiologie wesentlich zu einem Verstandnis der komplizierten Beziehungen zwischen Wirt und Parasit beigetragen. Eine Kenntnis dieser Interaktionen ist die Voraussetzung fur die Entwicklung neuer chemotherapeutischer Ansatze und von Impfstoffen. Das Immunsystem der Saugetiere, zu denen auch der Mensch zahlt, stellt einen sehr effizienten Schutz vor Parasiten und anderen Krankheitserregern dar. Ein faszinierendes Phanomen in der Parasitologie ist die Tatsache, dass Parasiten Strategien entwickelt haben, sich diesem Immunsystem zu entziehen. So besiedeln zahlreiche Parasiten Korperteile, in denen eine Immunabwehr nur eingeschrankt moglich ist. Andere Parasiten wiederum verandern standig die Eigenschaften ihrer Oberflachen, um sich dem Zugriff des Immunsystems zu entziehen. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre belegen sehr eindrucksvoll, dass im Verlauf der Evolution das Verhaltnis zwischen Wirten und Parasiten sehr fein ausbalanciert wurde. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass viele Parasitenarten sogar auf ein intaktes Immunsystem ihrer Wirte angewiesen sind, damit sie sich nicht in einem MaRe vermehren, das zum Tod ihrer Wirte fiihrt. Die Wissenschaft beginnt gerade, die komplizierten Wechselbeziehungen zu verstehen, welche die Koexistenz von Wirt und Parasit ermoglichen. Nachfolgend werden an drei Beispielen aus der aktuellen parasitologischen Forschung die oben beschriebenen Zusammenhange verdeutlicht.
12.2
Malaria
Unter den durch Parasiten hervorgerufenen Erkrankungen des Menschen ist die Malaria diejenige, die weltweit die meisten Todesfalle fordert. Etwa zwei Drittel der Weltbevolkerung lebt in Gegenden, in denen diese Krankheit verbreitet ist. Wahrend wir in Deutschland die Malaria vorwiegend als Infektion kennen, vor der man sich als Tourist schutzen muss, wird haufig vergessen, dass in Afrika, Asien sowie in Mittel- und Siidamerika die Leidtragenden der Malaria in erster Linie Kinder im Alter zwischen 1 und 5 Jahren sind, von denen jahrlich 2-3 Millionen aufgrund einer haufig nicht finanzierbaren Gesundheitsversorgung sterben. Jugendliche und Erwachsene, die iiber viele Jahre einen Kontakt mit dem Krankheitserreger hatten, entwickeln eine gewisse Immunitat. Diese schiitzt zwar nicht vor einer Infektion, doch ist der Verlauf der Krankheit in diesem Personenkreis weniger dramatisch und in der Regel nicht todlich. Allerdings tragen die immunisierten Personen wiederum zur Verbreitung der Malaria bei, da sie weiterhin Trager des Parasiten sind. 12.2.1
Der Lebenszyklus der Malariaerreger
Erreger der Malaria sind Einzeller der Gattung Plasmodium. Man unterscheidet vier humanpathogene Arten: Plasmodium ovale, Plasmodium vivax, Plasmodium malariae und Plasmodium falciparum. Infektionen mit P. falciparum fuhren bei Kindern und
12.2 Malaria I 1 8 9
nicht-immunen Erwachsenen haufig zum Tode, wahrend der Krankheitsverlauf bei Infektionen mit den anderen drei Arten vergleichsweise harmlos ist. Bis in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es auch in Mittel- und Nordeuropa vereinzelte Vorkommen der Malaria. Hierbei handelte es sich jedoch vonviegend um Infektionen mit P. vivax, sodass die Malaria in unseren Breiten keine nennenswerte Bedeutung als todliche Krankheit hatte. In Italien kamen dagegen noch in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts Infektionen mit P. falciparurn vor. Die unterschiedliche geographische Verbreitung der Erregerarten ist darauf zuriickzufiihren, dass P.falciparurn fur die Entwicklung in der Ubertragermiicke uber einen langeren Zeitraum auf hohere AuBentemperaturen angewiesen ist als die anderen Arten. Alle humanpathogenen Plasmodien werden durch Stechmucken der Gattung Anopheles iibertragen, wo nur die weiblichen Miicken Blut saugen und daher als Ubertrager in Frage kommen. Der komplizierte Lebenszyklus der Plasmodien ist in Abb. 12-1 dargestellt. Mit dem Stich der Miicke werden sog. Sporozoiten in die Blutbahn gebracht, die zunachst Leberzellen befallen, sich dort vermehren und anschlieBend als Merozoiten in die Blutbahn entlassen werden. Merozoiten befallen rote Blutkorperchen (Erythrozyten), in denen sich der Erreger je nach Art in 48 bzw. 72 Stunden vermehrt. Die einzelnen Entwicklungsstadien innerhalb der roten Blutkorperchen bezeichnet man je nach ihrer Gestalt als Ringe, Trophozoiten und Schizonten (Abb. 12-2). Die Schizonten enthalten bereits wieder Merozoiten, die nach dem Zerfall der roten Blutkorperchen freigesetzt werden, um erneut Erythrozyten zu infizieren. Aus einigen dieser asexuellen Vermehrungsstadien entstehen im Verlauf der Infektion auf bisher noch nicht geklarte Weise die Geschlechtszellen des Parasiten, sog. Mikro- und Makrogametozyten. Wenn diese von einer stechenden Anopheles-Mucke aufgenommen werden, findet in der Miicke die Verschmelzung der beiden Gametozyten zu einer Zygote statt. Nach einer Reifeteilung und weiteren ungeschlechtlichen Vermehrungsschritten entstehen nun wieder die infektiosen Sporozoiten, die in die Speicheldriise der Miicke einwandern und mit dem nachsten Stich iibertragen werden. Die asexuellen Vermehrungsstadien in den roetn Blutkorperchen sind fur den Verlauf der Malariaerkrankung verantwortlich. Die ersten Symptome treten bei Infektionen mit P.falciparum meist 5-7 Tage nach dem infektiosen Muckenstich auf. Allerdings kann dieser Zeitraum auch langer sein, insbesondere dann, wenn auf Reisen eine medikamentose Prophylaxe erfolgte, die aber aus verschiedensten Griinden keinen vollstandigen Schutz entwickelt hat. Infektionen mit P. falciparurn sind heimtiickisch, da die Symptome nicht eindeutig sind. Die Friihphase des Ausbruchs zeigt Symptome eines grippalen Infektes. In dieser Zeit vermehren sich die Erreger aber derart schnell (s. Abb. 12-3), dass es bereits 4-5 Tage nach Auftreten der ersten Symptome zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen kann. Diese ist durch das Versagen innerer Organe, wie der Milz, der Leber, der Lunge und, im letzten Stadium, des Gehirns gekennzeichnet. Aufgrund des raschen und dramatischen Verlaufs, den die Malaria nehmen kann, werden in Deutschland Patienten grundsatzlich stationar behandelt. Bei Friiherkennung ist die Malaria mit den derzeit verfiigbaren Medikamenten gut zu behandeln. Es ist jedoch von essenzieller Bedeutung, dass Patienten, die einem Infektionsrisiko ausgesetzt waren, etwa durch eine Tropenreise, dies ihrem behandelnden Arzt mittei-
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12 Parasitologie
Abb. 12-1 Entwicklungszyklus von Plasmodium falciparum (aus: Mehlhorn und Piekarski, Crundriss der Parasitenkunde, 5. Auflage, Custav Fi sc her Verlag) . Wei blic he Anopheles- M uc ken injizieren Sporozoiten (1) in die Blutbahn des Menschen. die innerhalb kurzer Zeit Leberzellen befallen, i n denen sich der Parasit verrnehrt ( 2 ) . Nach einer Vielteilung werden Merozoiten in die Blutbahn entlassen (3), die dann Erythrozyten befallen (4). Nach einer weiteren asexuellen Vermehrung ( 5 ) verlassen Merozoiten den infizierten Erythrozyten (6) und konnen nun entweder in eine weitere Verrnehrungsphase eintreten oder zu mannlichen und weiblichen Vorlauferzellen (7a,b) differenzieren. Nach Aufnahme der
Ceschlechtszellen durch die Mucke (8) findet irn Muckendarm die endgultige Differenzierung zu Cameten statt (9), die zu einer Zygote fusionieren. welche sich i m Darmepithel der Mucke ansiedelt (10-12). Hier findet eine rneiotische Reifeteilung und anschlieRend eine Vielteilung der Zellkerne statt (13-1 5). A m Ende dieser Entwicklung stehen Sporozoiten, die in die Speicheldruse der Mucke auswandern (16) und bei einern nachsten Stich wieder in einen Menschen gelangen. E = Erythrozyt, H = Haut, Epidermis, N = Nukleus, Zellkern, NH = Nukleus der Wirtszelle, PV = parasitophore Vakuole, R = Reste des Erythrozyten. Siehe auch Beitrag Mehlhorn Abb. 4a,b.
Abb. 12-2 Asexuelle Entwicklungsstadien von Plasrnodiurnfalciparurn i n infizierten menschlichen Erythrozyten. Nach Befall der roten Blutkorperchen entwickeln sich die Parasiten von Ringstadien uber sog. Trophozoiten zu Schizonten. I n den Schizonten findet eine
Vielteilung des Parasiten statt, und die infektiosen Stadien, die Merozoiten, sind deutlich erkennbar. Diese intraerythrozytaren Forrnen sind fur die Krankheitssymptome rnaggeblich verantwortlich.
Abb. 12-3 Parasitenverrnehrung und Krankheitsverlauf i n einem nichtimrnunen Erwachsenen (nach: Malaria-Obstacles and Opportunities. Stanley C. Oaks Jr., Violaine 5. Mitchell, Greg W. Pearson and Charles C.J. Carpenter eds. National Academy Press, 1991).
Abweichungen von diesern Krankheitsverlauf konnen sich besonders dann ergeben, wenn chemotherapeutische oder prophylaktische Magnahrnen ergriffen wurden, die fur einen Schutz vor der Parasitenvermehrung nicht ausreichend waren.
len. Dies gilt auch d a m , wenn auf diesen Reisen prophylaktische MaBnahmen ergriffen wurden, da mittlenveile in vielen Gegenden bestimmte Stamme des Parasiten gegen einige herkommliche Prophylaxepraparate resistent sind. Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gibt es weltweit groBe Anstrengungen, die Malaria auszurotten oder zumindest ihre Verbreitung einzudammen. Hierbei werden zwei grundsatzlich verschiedene Strategien verfolgt: Die Bekampfung
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des Ubertragers und die Bekampfung des Parasiten. In den 6Oer Jahren sorgte der Einsatz von Insektiziden, insbesondere von DDT, fur einen erheblichen Riickgang der Ubertrager und damit der Malaria. Allerdings stellte sich sehr bald heraus, dass die Mucken gegen die eingesetzten Insektizide resistent wurden und dass diese sich sowohl in der Umwelt als auch in der Nahrungskette anreicherten, sodass die Anwendung von DTT und venvandten Stoffen untersagt wurde. Deshalb gilt heute die Strategie des individuellen Schutzes vor dem Muckenstich, z.B. durch Verwendung von Moskitonetzen. Epidemiologische Analysen bestatigen, dass diese Vorkehrungen eine Verminderung der Infektionsrate bewirken. Allerdings sind sie aufwendig und fur eine vollstandige Ausrottung der Malaria nicht geeignet. Ansatze zur Bekampfung des Erregers verfolgen wiederum zwei Linien: die Verbesserung chemotherapeutischer MafSnahmen und die Entwicklung eines Impfstoffes. Ein weiterer Gegenstand heutiger Forschung ist das Verstandnis der Vorgange, die dem Krankheitsverlauf zugrunde liegen. Eine entscheidende Voraussetzung fur diese Arbeiten brachte 1976 die Entwicklung einer Methode, die es ermoglicht, P.falciparum in isolierten menschlichen Erythrozyten zu kultivieren. 12.2.2
Verbesserung der Chemotherapie
Die Entstehung und weltweite Ausbreitung von Plasmodien, die gegen haufig verwendete Medikamente resistent sind, stellt ein grofSes medizinisches und epidemiologisches Problem dar. Diese Entwicklung ist insofern dramatisch, als v. a. kostengunstige Medikamente davon betroffen sind, wie z.B. das Chloroquin. Damit besteht die Gefahr, dass in armen Gndern, die besonders stark von der Malaria betroffen sind, die Moglichkeiten einer finanzierbaren Chemotherapie immer geringer werden. Die wissenschaftlichen Aktivitaten konzentrieren sich daher auf die Aufklarung der Wirkungsweisen vorhandener Medikamente, und der Mechanismen der Resistenzentstehung, um Angriffspunkte fur neue Medikamente zu suchen. Obwohl Chloroquin eines der altesten und am haufigsten bei Malaria eingesetzten Mittel ist, ist seine Wirkungsweise noch nicht vollstandig verstanden. Plasmodien nehmen etwa zwei Drittel des Hamoglobins (des roten Blutfarbstoffs) ihrer Wirtszelle auf und bauen es in einer sog. Nahrungsvakuole ab, wodurch die bei der Verdauung freigesetzten Aminosauren dem Stoffwechsel des Parasiten dienen. Beim Abbau des Hamoglobins werden jedoch nicht nur Aminosauren, sondern auch das im Hamoglobin gebundene, schwer abbaubare rote Pigment, das Ham freigesetzt. Da freies Ham fur Zellen toxisch ist, mussen die Plasmodien dieses Ham entgiften, indem sie es uber einen im molekular noch nicht verstandenen Mechanismus polymerisieren. Das als Hamozoin bezeichnete unlosliche Polymerisat wird in der 0.g. Nahrungsvakuole abgelagert (Abb. 12-4) und am Ende der Entwicklung im Blutkorperchen freigesetzt. Nach neuesten Erkenntnissen verhindert das Chloroquin die Polymerisation des Hams und damit dessen Entgiftung durch den Parasiten. Uber die Vorgange, die zur Resistenz gegen Chloroquin fuhren, gibt es bisher jedoch nur kontrovers diskutierte Modelle. Ein Verstandnis der Resistenz
12.2 Malaria I193
1. Phagozytose einer photosynthetisch aktiven Zelle durch
einen freilebenden Vorfahren des Parasiten
Abb. 12-4 Modell zur Entstehung einer rudirnentaren Plastide in Plasrnodien (aus: Lingelbach und Maier: The cell biology o f Plasmodiumfalciparum in infected human erythrocytes - an overview. Nova Ada Leopoldina NF 80, 313,49-60,2000). Irn Verlaufder Evolution wurde von einern freilebenden Vorlaufer des Parasiten (rot) eine photosynthetisch
aktive Zelle (grau) aufgenornrnen. Wahrend der weiteren Entwicklung wurden die Gene aus dern Zellkern des Endosyrnbionten (blau) in den Kern der Wirtszelle (K) verlagert. Mit dern Ubergang zurn Endoparasitisrnus entfiel die Notwendigkeit der Photosynthese, und daher wurden die entsprechenden Funktionen in der Plastide reduziert.
wiirde es jedoch ermoglichen, durch geeignete Abwandlung des Praparats dieses Problem zu umgehen. Einige in der Chemotherapie eingesetzte Praparate hernmen ein fur den Stoffwechsel des Parasiten essenzielles Enzym, die Dihydrofolatreduktase. Auch gegen diese Medikamente treten mittlerweile vermehrt Resistenzen auf. Molekularbiologische Untersuchungen haben inzwischen sehr gut belegt, dass diese Resistenzen mit Punktmutationen in dem dieses Enzym kodierenden Gen korrelieren. Diese Mutationen bedingen eine Resistenz gegen die gebrauchlichen Medikamente, ohne jedoch die enzymatische Funktion nennenswert einzuschranken.
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12 Parasitologie
Abb. 12-5 Elektronenrnikroskopische Darstellung eines infizierten roten Blutkorperchens (RBC). Der Parasit liegt im Zytoplasma des Erythrozyten innerhalb einer so genannten parasitophoren Vakuole (PV). lnnerhalb des infizierten Erythrozyten entstehen nach der lnfektion Membranstrukturen (MC), deren biologische Bedeutung noch offen 1st. An der
Oberflache des Erythrozyten werden elektronendichte Veranderungen ausgebildet, die m a n als ,,Knopfe", englisch knobs bezeichnet (K). Durch die Einlagerung von Parasitenproteinen in die knobs k o m m t es zur Anheftung infizierter Erythrozyten an die Wande der Blutkapillaren. N, Kern des Parasiten.
GroBe Hoffnungen fur die Entwicklung neuer chemotherapeutischer Ansatze ruhen auf der erst kurzlich gemachten Beobachtung, dass Plasmodien eine rudimentare Plastide besitzen. Plastiden sind typisch pflanzliche Zellorganellen, in denen komplexe Stoffwechselwege, wie z. B. die Photosynthese lokalisiert sind. Da alle Parasiten im Verlauf ihrer Evolution freilebende Vorfahren gehabt haben mussen, vermutet man, dass ein Vorfahre der heutigen Plasmodien eine photosynthetisch aktive Zelle als Endosymbionten aufgenommen hat. Eine solche, als sekundare Endosymbiose bezeichnete Beziehung findet man auch jetzt noch bei vielen Algen (Abb. 12-5). Spatestens beim Ubergang zum Endoparasitismus war naturlich die Photosynthese obsolet und die dafiir notige Enzymausstattung ging verloren. Allerdings beherbergt die rudimentare Plastide noch andere pflanzliche Stoffwechselwege, die fur den Parasiten essenziell zu sein scheinen. Da diese typisch pflanzlichen Reaktionen im Menschen nicht vorkornmen, sind sie aussichtsreiche Ziele fur Medikamente, da Nebenwirkungen auf die Stoffwechselleistungen des Menschen nicht zu befurchten sind. In der Tat haben sich in ersten experimentellen Untersuchungen gute Hinweise darauf ergeben, dass bestimmte pflanzliche Wachstumsregulatoren auch die Entwicklung von Plasmodien hemmen. Daher erwartet man in absehbarer Zeit eine klinische Anwendung solcher Mittel in der Malariatherapie. 12.2.3
lrnrnunitat und lmrnunisierung
Seit mehr als 20 Jahren arbeitet man intensiv an der Entwicklung eines Impfstoffes. Uberlegungen, dass eine Immunisierung gegen den Parasiten moglich sein konnte,
12.2 Malaria I 1 9 5
resultierten aus zwei Beobachtungen: Menschen, die in endemischen Gebieten standig Neuinfektionen ausgesetzt sind, entwickeln eine Immunitat, die sie vor den schweren Krankheitssymptomen schutzt. Voraussetzung fur diese Immunitat ist jedoch eine standige Auseinandersetzung mit dem Parasiten; Menschen, die sich fur langere Zeit in Malaria-freien Gegenden aufhalten, verlieren ihre Immunitat. Bereits vor 40 Jahren gelang es, nichtimmune Menschen durch die Ubertragung von Antikorpern aus immunen Menschen passiv zu immunisieren. Obwohl diese Beobachtungen die Entwicklung eines Impfstoffes nahelegen, gibt es noch eine Reihe experimenteller Hindernisse. Ein groBes Problem ist das Auffinden von immunogenen Molekulen des Parasiten. In den vergangenen Jahren wurde das Genom von P. falciparum vollstandig sequenziert und die Voraussetzung geschaffen, um moglicher Angriffspunkte neuer Chemotherapeutika schnell aus den Gensequenzen abzuleiten und die jeweiligen Proteine gentechnisch in grog,ren Mengen herzustellen. Auger dem Menschen konnen aber nur noch einige Affen mit P. falciparum infiziert werden, wenn man diesen Tieren zuvor die Milz entfernt. Daher ist die Moglichkeit, die Wirksamkeit potenzieller Impfstoffe an Tiermodellen zu testen, stark eingeschrankt, und man ist letztlich fur wissenschaftlich aussagekraftige Untersuchungen doch auf Versuche am Menschen angewiesen. Dies bedeutet, dass die Evaluierung eines potenziellen Imfpstoffes kostenintensiv, logistisch schwierig und zeitaufivendig ist. Diese Problematik lasst sich am besten an einer Studie dokumentieren, die sehr vie1 offentliches Interesse gefunden hatte. Im Jahr 1987 berichtete die Arbeitsgruppe des Kolumbianers Manuel Patarroyo, dass eine Impfung mit einem synthetisch hergestelltes Wirkstoff bestehend aus definierten Abschnitten verschiedener Parasitenproteine in Affen eine Immunitat gegen eine experimentelle Infektion mit P. falciparum hervorrufen kann. Bereits ein Jahr spater konnte an einer ersten klinischen Studie an freiwilligen Probanden gezeigt werden, dass man mit diesem Molekul auch eine Teilimmunitat im Menschen erreichen kann. Mit sehr groBem Auhand wurden in der Zeit von 1993 bis 1996 Feldstudien in Sudamerika, Afrika und Asien durchgefuhrt, wobei sich herausstellte, dass die in Einzelexperimenten beobachtete Immunitat unter natiirlichen Infektionsbedingungen nicht reproduzierbar war. Dies verdeutlicht, dass Ansatze in der Impfstoffentwicklung gegen die Malaria langfristige und kostenintensive Bemuhungen voraussetzen, deren Erfolg jedoch nicht zu garantieren ist. 12.2.4
Mechanismen der Krankheitsentstehung und der Umgehung der menschlichen lmmunantwort durch den Parasiten
Die wissenschaftlichen Aktivitaten auf dem Gebiet der Impfstoff- und Medikamentenentwicklung haben zu einem besseren Verstandnis der Infektionsbiologie von Plasmodien und der fur den Krankheitsverlauf ausschlaggebenden Faktoren gefuhrt. Bereits friihe elektronenmikroskopische Untersuchungen an infizierten roten Blutkorperchen zeigten erkennbare Veranderungen im Zytoplasma und an der Plasmamembran der Erythrozyten (Abb. 12-6). Hierbei handelt es sich einerseits urn ein Netzwerk von rohrenformigen Membranen im Zytoplasma der Wirtszelle,
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Parasitenproteine auf der Oberflache infizierter Erythrozyten Abb. 12-6 Prinzip der genetischen Varianz. Das Genorn der Plasrnodien besitzt zahlreiche unterschiedliche Gene (a'-a"). die eine Farnilie von Parasitenproteinen (A'-A") rnit gleichen Funktionen kodieren. Diese Proteine werden in die Zellrnembran des Erythrozyten eingebaut u n d verrnitteln deren Anheftung an die Wande der Kapillargefage. Diese Eigenschaft unterstutzt zunachst die Verrnehrung von Parasiten,
die ein bestirnrntes Protein (A') ausbilden. Nach einer gewissen Zeit erkennt das lrnrnunsystern des Menschen jedoch dieses Protein und bekarnpft die Parasiten. Wahrend ihre Dichte irn Blut abnirnrnt, hat sich jedoch bereits eine weitere Population etabliert, die ein anderes, funktionell ahnliches Protein (A") bildet und sich irn Blut verrnehrt. Dieses Spiel kann sich beliebig oft wiederholen.
andererseits um Verdichtungen in der Plasmamembran der roten Blutkorperchen, die man als knobs (Knopfe) bezeichnet. Diese Strukturen sind insofern interessant, als der menschliche Erythrozyt nicht zur eigenstandigen Synthese von Lipiden und Proteinen in der Lage ist. Die morphologischen Veranderungen miissen also von Lipiden und Proteinen herriihren, die vom Parasiten gebildet und in die Wirtszelle transportiert werden. Wahrend die Funktion des Netzwerkes noch weitgehend unbekannt ist, sind Zusammensetzung und Funktion der knobs gut untersucht. Diese entstehen durch die Einlagerung spezifischer Parasitenproteine in ein Geriist
72.2 Malaria I197
von erythrozytaren Proteinen, das unterhalb der Plasmamembran der roten Blutkorperchen liegt und die Zelle stabilisiert. Einige der in die knobs eingelagerten Parasitenproteine sind auf der AuBenseite der Membran exponiert. Sie bewirken, dass sich infizierte rote Blutkorperchen an die Wande der Blutkapillaren anlagern. AuBerdem fuhrt die veranderte Oberflache auch zur Aggregation infizierter Erythrozyten. Diese Klebrigkeit infizierter Blutkorperchen ist in mehrfacher Hinsicht an der Entstehung der Krankheit beteiligt. Einerseits kommt es bei einer hohen Parasitenbelastung zu einer Verstopfung kleiner BlutgefaBe, die, wenn sie das Gehirn versorgen, zu neurologischen Ausfallerscheinungen fuhren (zerebrale Malaria). Die infizierten Blutkorperchen binden an spezifische Rezeptoren auf der Oberflache der die BlutgefaBe auskleidenden Endothelzellen. Diese Bindung aktiviert eine sehr komplizierte Signalkette, deren eigentliche Funktion darin besteht, Krankheitserreger zu eliminieren. Viele Befunde sprechen dafur, dass der massive Befall von roten Blutkorperchen eine ungewollte Stimulierung dieser Rezeptoren und damit die Fehlregulation eines wichtigen biologischen Abwehrmechanismus auslost. Die Folge davon ist die Schadigung innerer Organe, mitverursacht zudem durch einen Flussigkeitsaustritt aus der Blutbahn in das umliegende Gewebe. Die Erkenntnis, dass EiweiBmolekiile des Parasiten auf der Oberflache des Erythrozyten exponiert sind, hat urspriinglich Hoffnungen geweckt, diese Molekule konnten Angriffspunkte protektiver Antikorper und daher Kandidaten fur einen Impfstoff sein. In der Tat konnen Antikorper gegen bestimmte auf der Oberflache der Erythrozyten prasentierte Parasitenproteine die Anlagerung an Endothelzellen verhindern. Allerdings stellte sich bald heraus, dass P.falciparum uber ca. 50 verschiedene Gene verfugt, die funktionell ahnliche, aber strukturell verschiedene Oberflachenproteine kodieren. Durch diese Vielfalt kann sich der Parasit der Immunantwort des Wirtes durch einen als Antigenvarianz bezeichneten Mechanismus zu entziehen. Sollten im Verlauf einer Infektion Antikorper gegen ein bestimmtes Oberflachenprotein gebildet werden, nimmt diejenige Population des Parasiten ab, die das entsprechende Gen exprimiert. Da aber mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit zwischen den einzelnen Vermehrungszyklen des Parasiten verschiedene Gene fur Oberflachenproteine angeschaltet werden, etabliert sich dann eine Population von Erregern, die ein etwas anderes, aber in gleicher Weise wirksames Protein in die Oberflachenmembran ihrer Wirtszellen einbaut. Dieses Protein wird aber wegen seiner leicht unterschiedlichen Struktur von den Antikorpern nicht mehr erkannt. In der Zeit, die vergeht, bis sich Antikorper gegen das neue Protein gebildet haben, kann sich diese Population vermehren. Der Wechsel der Genexpression ermoglicht dem Parasit einen Daueraufenthalt in seinem Wirt (Abb. 12-7). Die biochemischen, molekular- und zellbiologischen Erkenntnisse uber die Biologie von Plasmodien haben wesentlich zu einem Verstandnis einiger Mechanismen beigetragen, die fur die Symptome der Malaria verantwortlich sind und mit denen sich der Parasit dem Immunsystem des Menschen entzieht. Schwierigkeiten bei der Impfstoff- und der Medikamentenentwicklung werden erklarbar und Ansatzpunkte fur die Entwicklung neuer Strategien zur Bekampfung dieser so gefahrlichen Infektionskrankheit werden erkennbar.
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72 Parasitologie
12.3
Der Kleine Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis)
Der Kleine Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis) ist eine der vier Arten der Gattung Echinococcus. Alle sind Erreger ernsthafter und schwer zu behandelnder Erkrankungen, auch des Menschen. Wahrend E. granulosus, der ,,Hundebandwurm", weltweit verbreitet ist und wegen der weitgehenden Bindung seines Lebenszyklus an Haushunde und domestizierte Wiederkauer vor allem in Cebieten mit extensiver Viehzucht von medizinischer und wirtschaftlicher Bedeutung ist, sind die beiden Arten E. oligarthrus und E. uogeli auf Siidamerika beschrankte Wildtierparasiten, die eher selten und nur unter besonderen Umstanden den Menschen befallen. Auch der Kleine Fuchsbandwurm (E. multilocularis) ist vor allem ein Parasit wildlebender Saugetiere, kommt aber in seinem Verbreitungsgebiet in den kalten und gemaBigten Breiten der nordlichen Hemisphare durch Haushunde oder die Einwanderung wildlebender Fuchse in Siedlungsgebiete zunehmend in Kontakt mit dem Menschen. E. multilocularis ist nur eine von mehreren Bandwurmarten, die im Diinndarm von Fuchsen, Hunden und Katzen vorkommen. Wahrend die meisten anderen Fuchsbandwurmer mit bis zu ca. 50 cm relativ lang sind und die fur Bandwurmer typische groRe Zahl von Cliedern (Proglottiden) aufweisen, wird E. multilocularis
Abb. 12-7 Ubertragungszyklus des Kleinen Fuchsbandwurmes. Die fur den Zyklus wichtigen Wildttiere sind dunkelrot. seltene oder Fehlwirte sind gelb dargestellt.
J2.3 Der Kleine Fuchsbandwurm (Echinococcus rnultilocularis)
nur ca. 5 m m lang und besitzt lediglich fiinf Glieder. Wie alle Bandwiirmer benotigt E. multilocularis einen Zwischenwirt, d.h. eine Tierart, in deren Leber sich das Larvenstadium des Parasiten entwickelt. Diese Larve kann sich nur dann zum erwachsenen Bandwurm entwickeln, wenn sie zusammen mit ihrem Wirtstier vom Endwirt gefressen wird. Deshalb ist das Larvenstadium meist besonders gut an die wichtigen Beutetierarten des Endwirts angepasst. Weltweit gesehen sind die wichtigsten Zwischenwirte unter den wiihlmausartigen Nagern zu finden, lokal konnen aber auch andere Sauger diese Stelle einnehmen (z. B. Pfeifhasen in Zentralasien). In Europa sind die Feld- und die Schermause, gelegentlich auch Bisame als haufige Fuchsbeute von zentraler Bedeutung. Der Entwicklungsgang des Fuchsbandwurms ist in Abb. 12-7 dargestellt. In Mitteleuropa ist vor allem der Wildtierzyklus zwischen Rotfuchs und freilebenden Nagetieren von Bedeutung, wobei Haustiere (Hunde und Katzen als Endwirte, Huftiere, Hund u.a. als Zwischen- bzw. Fehlwirte) sich zwar zufallig ebenfalls infizieren konnen, was aber quantitativ nur eine untergeordnete Rolle spielt. Anders verhalt es sich z. B. in Regionen Chinas oder Alaskas, wo aufgrund lokaler Rauber-Beute-Strukturen der Haushund ein wichtiger Endwirt sein kann. Neben der geringen KorpergroBe weist E. rnultilocularis weitere Besonderheiten auf. Zum einen kommt es in den Zwischenwirten zur ungeschlechtlichen Vermehrung, sodass im Gegensatz zu den meisten ,,grogen'' Bandwiirmern aus einem Ei nicht nur eine Larve, sondern Hunderttausende von Larven gebildet werden konnen. Daher finden sich im Fuchsdarm Individuen von Tausenden von E. rnultiloculark-Klonen (was vom Wirt jedoch symptomlos toleriert wird). Zum anderen - und darin liegt die eigentliche Bedeutung dieses Parasiten - konnen die vom Fuchs ausgeschiedenen Bandwurmeier nicht nur Nagetiere, sondern auch andere Saugetiere einschlieglich des Menschen infizieren. Dabei handelt es sich um einen ,,biologischen Irrtum", denn die im Menschen wachsenden Parasitenlarven werden ihr Ziel, den Fuchsdarm, natiirlich nie erreichen. Das langsame, aber stetige Wachstum des tumorahnlichen Larvengewebes kann nach einigen Jahren die menschliche Leber vollig zerstoren, sodass der Tod eintritt. Zwar sterben heutzutage nur noch wenige Patienten unmittelbar an der als alveolure Echinokokkose bezeichneten Fuchsbandwurm-Erkrankung, da es Medikamente gibt, die das Wachstum des Parasiten hemmen oder unterbinden. Eine vollstandige Heilung ist bisher aber nur auf chirurgischem Wege im schwer erkennbaren Friihstadium moglich, sodass in der Mehrzahl der Falle eine lebenslange medikamentose Behandlung notwendig ist. Abgesehen von der korperlichen und seelischen Beeintrachtigung der Patienten ist eine solche Dauertherapie sehr teuer; allein die Kosten fur Medikamente werden auf bis zu 20 000 Euro pro Jahr und Patient geschatzt. Glucklichenveise ist die alveolare Echinokokkose - zumindest bisher - in Europa eine seltene Krankheit: Schatzungen gehen von einigen Hundert Patienten in Deutschland aus, die sich hauptsachlich im Suden des Landes konzentrieren. Untersuchungen auf der Schwabischen Alb zeigen jedoch, dass die Erkrankungsrate in Risikogebieten bei 40 pro 100000 Einwohner oder hoher liegen kann; fur die als Risikogruppe geltende landwirtschaftlich tatige Bevolkerung wurde in Ostfrankreich sogar eine Befallsrate von 152 pro 100000 ermittelt. Mehrere Entwicklungen
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geben zudem Anlass zur Sorge. So wurden befallene Fuchse in jiingster Vergangenheit in Gebieten gefunden, die noch vor 10 Jahren als Fuchsbandwurm-frei galten (Abb. 12-8). In den meisten dieser ,,neuen" Gebiete tritt der Parasit allerdings in sehr geringen Befallsraten auf (2. B. in den Niederlanden, Nordostdeutschland und Polen), sodass sein Vorkommen dort friiher einfach iibersehen worden war. In anderen Regionen wie Niedersachsen, Siid-Belgien und der Tschechischen Republik sind dagegen lokal bis iiber 50% der Fiichse befallen. Es ist schwer vorstellbar, dass der Parasit bei so haufigem Auftreten friiher unbemerkt geblieben ware, sodass in diesen Regionen in den letzten 10 Jahren ein deutlicher Anstieg der B e f a h a t e und damit ein erhohtes Risiko fur den Menschen angenommen werden muss. Ein solcher Anstieg ist in den seit langern untersuchten Verbreitungsgebieten Sudwestdeutschlands, z. B. der Schwabischen Alb offensichtlich, wo die Befahate der Fuchse seit den 70er Jahren von ca. 20% auf uber 70% anwuchs. Zudem stieg - wie iiberall in West- und Mitteleuropa - die Fuchspopulation deutlich an, sodass die Menge ausgeschiedener, infektioser Bandwurmeier heute in diesen Gebieten ein
Abb. 12-8 Das Vorkornrnen des Kleinen Fuchsbandwurmes in Europa nach dern Kenntnisstand der Jahre 1990 und 2000 (nach zahlreichen Autoren kornbiniert).
12.3 Der Kleine Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis)
Vielfaches des Wertes von vor einem Jahrzehnt betragt. Dass sich diese zunehmende Kontamination der Umwelt mit E. multilocularis-Eiem auch in einer Zunahme der Infektionshaufigkeit bei den Zwischenwirten niederschlagt, zeigen langjahrige parasitologische Untersuchungen an Bisamen in Baden-Wiirttemberg: die Befallsrate durch E. multilocularis stieg zwischen den Jahren 1980-1989 und 1995-2000 von 1,7% auf 26,0%! Eine weitere Entwicklung, die erst seit wenigen Jahren zu beobachten ist, ist der Einzug von Fiichsen in Siedlungen. Obwohl dieses Phanomen erst ansatzweise untersucht ist, zeichnet sich ab, dass mancherorts hohere Fuchsdichten auftreten als im rein landlichen Raum, und dass es sich um stabile, sich stetig fortpflanzende Populationen handelt, die nicht auf Einwanderung aus dem Umland angewiesen sind. Untersuchungen in der Schweiz und in Siiddeutschland zeigen, dass auch diese ,,Stadtfiichse" hochgradig mit dem Kleinen Fuchsbandwurm befallen sein konnen. Gerade in Siedlungsraumen gefahrdet ein solcher Befall die Bevolkerung in erheblich starkerem MaBe als in der freien Landschaft. Auch Hunde und Katzen konnen sich durch das Fressen befallener Nagetiere mit E. multilocularis infizieren und dann fur den Menschen infektiose Eier ausscheiden. Die allgemeine Befallsrate von Hunden ist auch in stark betroffenen Regionen sehr gering, allerdings konnen einzelne ,,Risikohunde"(Mausefressermit haufigem Freilauf) eine erhebliche Gefahrenquelle darstellen. Die Rolle ,,mausender" Katzen wird unterschiedlich beurteilt. Es gibt zahlreiche Nachweise befallener Tiere, die haufig aber nur wenige Wiirmer aufweisen. Wie grog die Bedeutung von Katzen als Endwirte bei der Ubertragung von Larven auf den Menschen tatsachlich ist, konnte noch nicht eindeutig geklart werden. Die Zunahme von Fuchspopulationen und Befallsraten der Fiichse mit E. multilocularis wurde durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht. Dazu gehort sicherlich das Verschwinden der Tollwut als nennenswerter Mortalitatsfaktor, aber auch die zunehmende Toleranz der Bevolkerung gegeniiber Fiichsen z. B. im Siedlungsbereich, vermehrtes Nahrungsangebot im Umfeld des Menschen und ein verandertes Jagdverhalten.Versuche, die Infektion durch verstarkten Jagddruck einzudammen, erscheinen hochstens auf lokaler Ebene praktikabel. Auch die gelegentlich geauBerte Forderung, durch eine Einstellung der Tollwutbekampfung die Fiichse und damit den Fuchsbandwurm zu reduzieren, sind aufgrund der seuchenpolitischen Situation vollig unrealistisch. Gerade die ,Stadtfichse" wiirden bei einer Neuausbreitung der Tollwut zu einer unbeherrschbaren Infektionsquelle, da sie zum einen kaum durch Impfkoder zu erreichen sind, und zum anderen das Tollwutvirus in die unmittelbare Nahe der Menschen tragen wiirden. Eine flachendeckende Impfung der Bevolkerung und der Haustiere gegen Tollwut ist aber weder zu organisieren noch zu finanzieren. Ein Impfstoff fur den Menschen gegen alveolare Echinokokkose ist gegenwartig nicht in Sicht. Wie die Entwicklung praxisreifer Immunisierungen gegen E. granulosus in Wiederkauern zeigt, ist dies weniger durch grundsatzliche wissenschaftliche Hindernisse sondern eher durch wirtschafiliche Erwagungen begriindet. Um ein Instrument zur Verminderung des Infektionsdruckes auf den Menschen zu entwickeln, werden daher seit Jahren Kampagnen zur ,Entwurmung" von Fiichsen durch
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FraRkoder (z.T. in Kombination mit der Tollwutimpfung) durchgefiihrt. Dabei werden mit Hilfe von Kleinflugzeugen Fresskoder mit dem Wirkstoff Praziquantel ausgebracht, der eine sichere Abtotung aller Bandwiirmer bewirkt. Eine Gefahrdung von Menschen, Haus- und Wildtieren ist dabei nicht zu besorgen, da auch extreme Uberdosierungen vom Sauger symptomlos toleriert werden und der Wirkstoff im Organismus innerhalb weniger Stunden abgebaut wird. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Impfung, d. h. die behandelten Tiere konnen sich jederzeit neu infizieren. Deshalb miissen Koderauslagen so lange wiederholt werden, bis die Befallsrate nicht nur bei Fiichsen, sondern auch bei den Beutetieren gesunken ist. In der stark betroffenen Region Schwabische Alb konnte durch diese MaRnahmen die Zahl befallener Fiichse urn ca. 75% reduziert werden. Eine vollige regionale Ausrottung des Parasiten durfte allerdings nach den gegenwartigen Erkenntnissen zumindest mit erheblichem Aufwand verbunden sein. So stellen beispielsweise die bereits erwahnten ,,Stadtfiichse" ein besonderes Problem dar. Diese Teilpopulationen konnen in erheblichem Umfang mit E. multilocularis infiziert sein, und da sie durch die bisher angewandten Koderauslage-Strategiennicht zu erreichen sind, tragen sie erheblich zur regionalen Persistenz der Parasitose bei. Mehrere Arbeitsgruppen von Parasitologen und Wildbiologen arbeiten gegenwartig an neuen Strategien, um das von diesen Tieren ausgehende lnfektionsrisiko zu minimieren. Schon heute aber ist klar, dass erhebliche Anstrengungen notwendig sein werden, um das Risiko des Zusammenlebens von Mensch und Fuchs im Siedlungsraum zu minimieren.
12.4
Bilharziose
Die Bilharziose kennt man in Deutschland als Risiko fur Touristen und sonst, wenn iiberhaupt, meist nur in Verbindung mit Agypten und mit Wasser. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Wiirmer, die diese Krankheit hervorrufen, erstmals von Theodor Bilharz aus Agypten beschrieben. Daher stammt der Name Bilharziose, obwohl inzwischen die Bezeichnung Schistosomiasis synonym verwendet wird. Die Erreger sind die Parchenegel (lat. Schistosoma), 1-2 cm lange Wiirmer, die in bestimmten BlutgefaRen des Menschen leben. Eier dieser Wiirmer fand man auch in Mumien aus der Zeit der Pharaonen. Dies zeigt, dass die Bilharziose die Menschheit schon zur Zeit der friihen Hochkulturen begleitete. Auch heute noch gehort die Bilharziose zu den Lebensbedingungen mehrerer hundert Millionen Menschen, vor allem in der armen, landlichen Bevolkerung vieler (sub)tropischer Lander. In Europa kommt die Bilharziose nicht vor, weil die Parasiten durch tropische Wasserschnecken als Zwischenwirt iibertragen werden, die in unseren gemagigten Zonen nicht leben. Diese Schnecken gehoren in Afrika den Gattungen Biomphalaria und Bulinus an, in Asien sind es Vertreter der Gattung Oncomelania. In den Schnecken wachsen die infektiosen Larven (Zerkarien) heran, die dann ins Wasser entlassen werden und den Menschen infizieren konnen. Daher ist die Ubertragung der Bilharziose streng an Wasser gebunden.
12.4 Bilharziose I 2 0 3
Im Lebenszyklus der Schistosomen ist der Mensch der Endwirt, in dem die geschlechtsreifen Wurmer leben und ihre Eier legen, wahrend in den Wasserschnecken eine asexuelle Vermehrung der Larven stattfindet. Die Eier werden mit den Fakalien (Darm- bzw. Blasenbilharziose, s. u.) ausgeschieden und entlassen im Wasser eine Lame (Mirazidium),welche die Schnecken infiziert. Aus einem Mirazidium entwickeln sich im Laufe von einigen Wochen mehrere Tausend Larven zweiter Ordnung, die Zerkarien, welche den Menschen infizieren, wodurch sich der Kreislauf schliegt. Die Bilharziose ist nach der Malaria die wohl wichtigste parasitare Erkrankung, wenn man die Anzahl der infizierten Menschen und die gesundheitlichen Folgen beriicksichtigt. Sie ist eine chronische Erkrankung innerer Organe, die zu lang anhaltendem Siechtum, jedoch normalenveise nicht zurn Tode des Patienten fiihrt. Insofern sind Schistosomen ,,angepasste" Parasiten des Menschen. Sie sind jedoch in noch viel eindrucksvollerer Weise ,,angepasst", wenn man bedenkt, dass diese Wurmer ausschlieglich in BlutgefaBen leben, also in direktem Kontakt mit dem Imrnunsystem. Offenbar werden sie von diesem jedoch nicht angegriffen und konnen viele Jahre (Rekord: 42!) alt werden. Dieses immunologische Paradoxon ist inzwischen recht gut aufgeklart. 12.4.1
Das Krankheitsbild der Bilharziose
Ursache der Erkrankung an Bilharziose ist nicht etwa der Blutverlust weil Schistosomen Blut fressen (Mannchen: 40 000 Erythrozyten pro Stunde; Weibchen 300 000), sondern es sind die Eier, von denen jedes Weibchen alle 5 Minuten eines legt. Da die Parchenegel entweder in den Venen zwischen Darm und Leber leben (Darmbilharziose: S. mansoni, S.japonicum, S. intercalatum) oder in den Venen um die Harnblase (Blasenbilharziose: S. haematobium), gelangen die Eier von dort hauptsachlich entweder in die Leber und Darmwand oder in die Harnblase. Die Eier sind mit ca. 0,1 bis 0,2 m m Durchmesser viel groger als die Blutkapillaren und bleiben daher in diesen stecken. In jedem Ei entwickelt sich ein Mirazidium. Dessen Stoffwechselprodukte sowie die Eihulle selbst wirken als Antigene und rufen eine lokale Immunreaktion hervor, die als ,,Granulom" bezeichnet wird und an der eine Vielzahl von Blut-Zellen (besonders Makrophagen, Granulozyten, Lymphozyten) beteiligt sind. Jedes einzelne Granulom ist eine lokale Entziindung, die solange fortbesteht, bis die Ursache beseitigt ist. Nun sind die Eier aber gegen die Irnmunattacke geschutzt (durch spezielle tryptophanhaltige Ei-Schalen-Proteine), sodass sie eine reelle Chance haben, lebend ausgeschieden zu werden: die ,,Halbwertszeit" eines Schistosomen-Eis im Gewebe betragt etwa 3 Wochen. Die indirekten Folgen der Granulombildung sind vielfaltig: Bei der Darmbilharziose (S. mansoni und S. japonicum) wird die Leber stark vergrosert (Hepatomegalie), es bilden sich Bereiche mit fibrotischem Gewebe, das Blut der Pfortader wird zuriickgestaut und sucht sich einen neuen Weg zum Herzen durch Neubildung von GefaBen, welche die Leber umgehen und im spaten Stadium der Krankheit schwere Blutungen in den Verdauungstrakt auslosen konnen. Der Riickstau des Blutes kann
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auBerdem zu Bauchwassersucht und zur VergroBerung der Milz fuhren. Bei der Blasenbilharziose (S. haematobium) ist das sichtbarste Zeichen der blutige Urin als Folge der durch die Blasenwand in das Lumen durchtretenden Eier. Die Granulome um die Eier bilden Knotchen in der Blasenwand und fuhren, wenn die Eier dort absterben und nicht mit dem Urin ausgeschieden werden, langfristig zu Kalkeinlagerungen in der Blasenwand. Dadurch wiederum kann der Hamfluss behindert werden, und pathologische Veranderungen der Harnleiter sind die Folge. AuBerdem konnen Eier von S. haematobiurn auch in anderen Becken-Organen abgelagert werden, was zur urogenitalen Schistosomiasis fihrt. Als Spatfolge der Blasenbilharziose kann sich sogar ein Blasen-Karzinom entwickeln, welches in Hochendemiegebieten einen wesentlichen Prozentsatz aller Krebserkrankungen ausmachen kann. Im Gegensatz dazu ist die Darmbilharziose weder mit Leber- noch Darmkrebs assoziiert. 12.4.2
lrnrnunologie der Bilharziose
Generell ist die Bilharziose ubenviegend eine chronische Krankheit, welche erst durch die Immunantwort des Menschen auf den Parasiten bzw. auf seine Eier entsteht. Die Tatsache, dass die Immunreaktion des Wirtes auf den Parasiten die eigentliche Ursache fur die Krankheit ist, widerspricht der gangigen Auffassung, dass es die Aufgabe des Immunsystems ist, fremde Organismen effizient und ohne grogere Komplikationen zu eliminieren (die Flussblindheit, die durch Fadenwiirmer Onchocerca volvulus hervorgerufen wird, ist eine weitere parasitare Erkrankung die durch die Immunantwort erst entsteht). Schistosomen haben uns gelehrt, dass zwischen Parasiten und der Irnmunanwort des Wirtes ein Wechselspiel besteht, bei dem beide Partner Siege erringen und Niederlagen erleiden. Nur dieses Wechselspiel ermoglicht es sowohl dem Parasiten als auch dem Wirt, zu uberleben. Dies sol1 im Folgenden genauer dargestellt werden. Dass Schistosomen uber viele Jahre hinweg im Blut des Wirtes leben konnen ist ein irnmunologisches Ratsel. Anders als die im Darm lebenden Spulwiirmer besitZen Schistosomen keine harte Kutikula, die einen Immunangriff aushalten konnte, sondern nur eine Zellmembran wie alle tierischen Zellen auch. Die infizierten Menschen haben auch keine Immundefekte, sondern bilden sogar Antikorper, die eine sichere Diagnose der Krankheit errnoglichen. Wie kann der Parasit in einem zellbiologisch feindlichen Milieu uberleben? Die Losung ist einzigartig im ganzen Tierreich: Schistosomen bilden eine doppelte Zellmembran aus, d. h. eine doppelte Lipid-Doppelschicht. Damit sind Immunmechanismen wirkungslos, die - wie das Komplementsystem - in einer norrnalen Zellmembran Poren bilden und so zur Zelllyse fuhren konnen. Aber zusatzlich ist diese Doppelmembran noch ,,verkleidet": Schistosornen lagern Molekiile ihres Wirtes (Blutgruppensubstanzen) auf ihrer Zellmembran ab, welche die eigenen Parasiten-Antigene verdecken. So ist ein lebender Wurm immunologisch nicht mehr erkennbar und tatsachlich binden auch keine Antikorper an die Oberflache der lebenden Wurmer. Wenn Schistosomen fur das Imrnunsystem iiberhaupt nicht erkennbar und somit nicht angreifbar waren, so musste sich die Wurmlast eines Menschen im
72.4 Bilharziose
Laufe des Lebens immer weiter erhohen. Dies ist nicht der Fall - zum Gliick fur die infizierten Menschen und zum Erstaunen der Immunologen. Tatsachlich sind die Parasiten unmittelbar nach Eindringen der Zerkarien in die Haut immunologisch noch angreifbar. In vitro ist dieses als Schistosomulum bezeichnete Stadium sensibe1 gegeniiber Komplement- sowie Antikorper-vermittelterZytotoxizitat von Makrophagen und verschiedenen Granulozyten. Die Doppel-Membran wird erst nach etwa 3 Stunden ausgebildet, und sie ist anfanglich auch noch nicht durch Wirtsmolekule maskiert. Trotzdem sterben Schistosomula in der Haut nicht oder nur in ganz geringen Mengen, auch nicht h i Versuchstieren, welche gegen eine Infektion partiell resistent sind (eine vollstandige Resistenz gegeniiber einer Infektion, wie man sie bei vielen viralen oder bakteriellen Infektionen kennt, gibt es bei WurmParasiten nicht). In resistenten Tieren sterben die Wurmer erst Tage spater ab, wenn sie bereits die doppelte Membran und die Antigenmaskierung besitzen 12.4.3
Resistenz gegen lnfektionen mit Schistosomen
Das immunologische Paradoxon findet- zumindest teilweise - seine Losung in ganz anderen Zusammenhangen: Nach der Infektion, die durch eine Fettsaure der Haut (Tetradecensaure)ausgelost wird, wandem Schistosomula mithilfe ihrer spezifischen lytischen Enzyme (z. B. Elastase) durch das Hautgewebe in ein Blutgefag. Sie leben fortan ausschlieglich innerhalb von BlutgefaRen. Der Blutstrom tragt sie zunachst zu den Lungen, deren Kapillaren zu eng sind, um einen rundlichen Organismus aus 200 Zellen passieren zu lassen. Die Schistostomula machen daher eine Metamorphose zu einem langgestreckten Tier durch, welches sich durch die Lungenkapillaren zwangt. Es ist bereits mit Wirtsmolekulen maskiert und unangreifbar fur Immunattacken. Mit dem Blutstrom wird das Schistosomulum weiter getragen zur rechten Herzkammer, zuriick zur Lunge, dann in die linke Herzkammer und iiber die Aorta in den Korper des Wirtes. Mit geniigend Gliick wird der Parasit nicht in fur ihn falsche Korperregionen geschwemmt, sondern errreicht iiber DarmKapillaren und Mesenterialvenen die Leber. Bislang unbekannte Signale veranlassen ihn hier, die Leber-Kapillaren nicht mehr zu passieren, sondern im Mesenterialsystem zu bleiben, wo die Parasiten sich dann weiter entwickeln und zu einer gedrungenen Form metamorphisieren. Wenn nun aber die Leber durch eine bestehende Schistosomen-Infektion bereits mit Granulomen ,,verstopft" ist und sich eine kollaterale Blutzirkulation, welche die Leber umgeht, ausgebildet hat, so werden die kleinen Wurmchen an der Leber vorbeigeschwemmt und mussen ihre Wanderung durch Herz-Lunge-Korpererneut beginnen. Da sie aber in gedrungener Gestalt keine Kapillaren mehr passieren konnen, sterben sie ab. So fuhrt die Pathologie einer bestehenden Darmbilharziose dazu, dass nachfolgende Schistosomula ihren Bestimmungsort im Wirt vie1 schlechter erreichen und dass der Wirt dadurch offenbar resistent gegen eine neue Infektion wird. Lange Zeit wurde dieses Phanomen als ,,concomitant immunity" bezeichnet. Tatsachlich hat es aber wenig mit einer Immunreaktion zu tun.
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12 Parasitdogie
Einen Impfstoff gegen Schistosomen gibt es noch nicht. Die bereits erorterten immunologischen Komplikationen konnen die Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines Inipfstoffes nur teilweise erklaren. Schistosomen besitzen eine vie1 groBere Komplexitat als einzellige Parasiten oder gar Bakterien oder Viren. Die meisten Antigene von Schistosomen rufen zwar eine Immunatwort hervor, diese vermittelt jedoch in fast allen untersuchten Fallen keinen Schutz vor einer Infektion. Im Gegenteil, die Immunantwort ist nicht nur verantwortlich fur die Pathologie (s. o.), sondern es gibt auch ,,blockierende Antikorper", z. B. gegen bestimmte Oberflachenantigene von Schistosomula, welche verhindern,dass die zellulare Abwehr angreifen kann. Noch uberraschender ist es, dass Schistosomen das aktive Immunsystem ihrer Wirte offenbar fur eine normale Entwicklung benotigen. So konnen sich diese Parasiten in immundefekten Mausen erheblich schlechter zu erwachsenen Wurmern entwickeln oder sind weniger fruchtbar als in gesunden Wirten. Tatsachlich ist sogar die Ausscheidung der Schistosomen-Eier im Stuhl, d. h. deren Eindringen in den Darm, offensichtlich abhangig von einem intakten Immunsystem: an A1 DS erkrankte Bilharziose-Patienten scheiden bei gleicher Wurmlast weniger Eier aus als nicht an AIDS Erkrankte. Das Immunsystem unterstutzt also den Lebenszyklus der Parasiten!
12.5
Die Biologie des Parchenegels
Schistosomen haben naturlich auch Besonderheiten als Piirchenegel. Die Wurmer leben permament als Paare, wobei das Weibchen in der Bauchfalte des Mannchens liegt, aus der nur sein Vorderende herausragt (Abb. 12-9). Das Mannchen hat die groBeren Saugnapfe und ist fur das Festhalten an der GefaBwand gegen den Blut-
Abb. 12-9
Parchenegel von 5. rnansoni: Das Mannchen tragt das Weibchen in seiner Bauchfalte, in der es bis auf das Vorderende versteckt ist. M i t den Saugnapfen halten sich
diese 1-2 c m langen Wurmer an der Innenwand der Adern zwischen Darm und Leber fest und konnen auch gegen den Blutstrom wandern. Siehe auch Abb. 13-5.
12.6 Kontrolle I207
strom verantwortlich. Es bestimmt auch die Wanderung der Wurmer im GefaBsystem. Dies bedeutet z. B. fur das Mannchen von S. haernatobiurn die nicht triviale Aufgabe, den Weg zu finden aus dem Pfortadersystem uber die einzige Gefaf3-Verbindung (Vena rectalis superior, Plexus venosus rectalis) in den Venenplexus der Harnblase! Das S. haematobiurn-Mannchen nimmt bei Mischinfektionen rnit S. rnansoni bei Gelegenheit auch ein Weibchen dieser Art mit, wodurch deutlich ist dass die Weibchen keinen Einfluss auf die Wanderung haben. Junge Weibchen erreichen zudem die volle Geschlechtsreife nur, wenn sie verpaart sind. Angesichts dieser starken Paarbindung war lange offen, ob Parchenegel ihre Partner uberhaupt wechseln. Sie tun dies tatsachlich nur unter ungewohnlichen, experimentell manipulierbaren Umstanden. So kann ein Mannchen von S. haernatobiurn einem S. intercalaturn-Mannchen das Weibchen ,,rauben", allerdings nicht umgekehrt. Epidemiologisch ist dies eine mogliche Erklarung dafur, dass Infektionen mit S. intermlaturn manchen Gegenden Afrikas dort zuriickgehen wo S. haematobiurn stark vertreten ist.
12.6
Kontrolle
Das gegenwartig wichtigste Kontrollinstrument ist die Chemotherapie infizierter Menschen: Praziquantel ist wirksam gegen alle Arten von Schistosomen und ist einfach in Tablettenform zu verabreichen. Eine Behandlung totet fast alle Wurmer ab und der Gesundheitszustand der Menschen verbessert sich erheblich. Der Wirkstoff lahmt die Muskulatur der Wurmer, sodass sie sich nicht mehr an der GefaBwand festsaugen konnen, in die Leber geschwemmt werden und dort absterben; auBerdem wirkt Praziquantel synergistisch mit der Immunantwort, indem es die Oberflachenmembran der Schistosomen schadigt und damit Parasiten-Antigene fur eine Immunattacke zuganglich macht. Obwohl Praziquantel seit etwa 20 Jahren eingesetzt wird, wurde bisher keine oder nur marginale Resistenzentwicklung beobachtet. Trotz dieses hervorragenden Medikaments bleibt die Zahl der Infizierten weltweit mehr oder weniger konstant. Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass produktive Landwirtschaft unter afrikanischen Bedingungen vielfach Bewasserung erfordert. Damit werden aber optimale Lebensbedingungen fur die Vektorschnecken geschaffen und die Ubertragung der Bilharziose stark gefordert. Hygiene-MaBnahmen, die den Zyklus unterbrechen konnten, scheitern an lokalen Gegebenheiten: Dass menschliche Fakalien und damit die Eier der Schistosomen in die Gewasser mit den Obertragerschnecken gelangen, ist haufig wegen unzureichender hygienischer Voraussetzungen unvermeidbar, und die Trinkwasserversorgung aus stehenden oder nur langsam flief3enden Gewassern fordert natiirlich die Infektion mit Zerkarien. Die Situation der Bilharziose in China unterscheidet sich wesentlich von der in Afrika oder Lateinamerika, weil landwirtschaftliche Entwicklung dort auch Entwasserung von nassem oder periodisch uberschwemmtem Land bedeutet und dies im Prinzip zur Reduktion der Schneckenpopulation fuhrt. Das Beispiel China lehrt auch, dass die Bilharziose-Kontrolle ein politisch verankertes Ziel fur die betroffenen Endemiegebiete sein muss, um vorhandene Moglichkeiten (z. B. regelmagige
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12 Parasitologre
Untersuchungen auf Neu-Infektionen und Chemotherapic, lokale SchneckenBekampfung mit chemischen Mitteln, Verbesserung des Hygiene-Verhaltens) auch umzusetzen und dass eine erfolgreiche Bilharziose-Kontrolle eng verbunden ist mit einer vcrbesserten Grundversorgung der Bevolkerung. Diese aber ist - wie auch bei anderen Parasitosen nicht mehr nur eine Frage der Parasitologie, sondern auch besonders der gesellschaftlichen Prioritaten und deren politischer Umsetzung. ~
12.7 Weiterfiihrende Literatur Lucius, R.; Loos-Frank, B. (1'977): Parasitologie, Grundlagenfur Biologen, Mediziner und Veterinurmediziner. Heidelberg, Spektrum Akademischer Verlag. Mehlhorn, 11.; Piekarski, G . (1998):Grundrg der Parasitenkunde. I Ieidelberg, Spektrum Akademischer Verlag. von Zimmer, C. (2001):Parasitus Rex. Frankfurt, Verlag Umschau-Braus.
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Kleines Parasitenbrevier: Parasiten als 0berlebenskiinstler oder Die Weltrekorde der Schmarotzer Heinz Mehlhorn
Es gibt zwei Sorten Ratten, die hungrigen und die satten. Die satten bleiben vergniigt z u Haus, die hungrigen aber wandern aus. Der Herr der Ratten und der Mause, der Fliegen, Frosche, Wanzen, Lause, befiehlt Dir, dich hervorzuwagen und diese Schwelle zu benagen Mephisto in Faust (Goethe) 13.1 Ja - wie leben Sie denn
Parasiten (von griech. parasitos = Vorkoster beim Mahl der Herrschenden, spater: alimentierte Beamte) werden umgangssprachlich auch als Schmarotzer bezeichnet. Sie gehoren in das Reich des Bosen und gelten als hinterhaltige, hassliche und vorallem als faule Gesellen. die auf Kosten ihrer bedauernswerte Wirte in Saus und
Abb. 13-1 Rasterelektronenrnikroskopische (REM) - Aufnahrne des Kopfes einer Pharao-Arneise (1,s rnrn)
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13 Kleines Parasitenbrevier
Braus leben und es sich an nichts fehlen lassen. Als Paradigmen fur die Leichtigkeit des Seins liegen sie sozusagen im Mainstream der modernen Gesellschaft, obwohl deren iibersteigerte Hygienevorstellungen oft zu Ekelreaktionen oder massiven Phobien nicht nur in ,,Musterhaushalten" fiihren. DaJ3 sich Parasiten ihr scheinbar so leichtes Leben aber mit rekordverdachtigen Spitzenleistungen erarbeiten, wobei, wie bei den Sperrnien, nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz erfolgreich ist, wird meist ubersehen. Vielfach wird dies allerdings auch erst bei naherer Betrachtung sichtbar. Daher sollen zu ihrer Ehrenrettung hier einige jener Leistungsrekorde oder jener nahezu unglaublich komplizierten Anpassungen vorgestellt werden, die ihnen helfen, den taglichen Uberlebenskampf rnit ihren naturgernaB recht unfreundlichen Wirten (Menschen inklusive) zu bestehen. DaB Parasiten bei starker VergroBerung und entsprechender Bearbeitung zudern noch eine gewisse Asthetik ausstrahlen konnen und nicht anders als ihre nicht parasitaren Artgenossen (Abb. 13-1) aussehen, wird der unvoreingenomrnene Leser selbst erkennen.
Ach wie ist's moglich denn, dass ich dich nicht lassen kann (Volkslied) 13.2
Ciardia, ein doppeltes Lottchen?
Nach Aussagen der griechischen Mythologie gab es in der Urzeit gliickliche Zwittenvesen, die alle Eigenschaften in einem Organismus vereinten. So sol1 auch der Mensch urspriinglich in dieser totipotenten Lebensform aufgetreten sein und wurde erst spater - zur Strafe fur Ungehorsam - von den Gottern in die beiden Geschlechter Mann und Frau ,,aufgeteilt", die sich seitdern mit stetem Drang suchen. Die totipotente Lebensform ist die hervorragende Eigenschaft der Ein- und Wenigzeller- jede Zelle ist zu allen Lebensfunktionen befahigt. Echte Doppelwesen sind aber selten. Giardia larnblia - benannt nach den zwei Wissenschaftlern Giardi und Lamb1 - neuerdings auch als G. duodenalis bezeichnet - gehort zu den Ausnahrnen. Die irn Querschnitt uhrglasformigen und in der Auf- bzw. in der Ansicht tropfenformigen Giardien (= Trophozoitenstadien) besitzen namlich eine identische linke und rechte Halfte, in der sich jeweils im gleichen raumlichen Arrangement 4 GeiBeln (= Flagellen) und ein ovoider Kern (Nukleus) befinden (Abb. 13-2 a, b), die zwar fur sich voll funktionsfahig sind, aber dennoch alle Aktionen gemeinsam durchfiihren. Der Erfolg der Giardien als Parasiten beruht auf der Entwicklung eines fur ihre GroBe gigantischen ventralen Halteapparats (Abb. 13-2 a, c), mit dem sie sich auf Epithelzellen irn wahrsten Sinne einschneidend festhalten (Abb. 13-2 b), sowie auf der Fahigkeit vor Verlassen des Darms eine Art Riistung anzulegen (= eine im Freien schiitzende Zystenwand auszubilden). Dass sie sich zudem stark vermehren, demzufolge in Millionenanzahl auftreten konnen und auch in der Wahl ihrer Wirte groBziigig sind, wobei sie neben dem Menschen auch Hunde, Katzen
13.2 Ciardia, ein doppeltes Lottchen?
Ciardia larnblia. a, b) REM-Aufnahrnen, c) Transrnissionselektronenrnikroskopische Aufnahrne (TEM). Ciardien rnessen etwa 15-20 prn.
Abb. 13-2
a) Ventralseite des Trophozoiten
b) Trophozoiten und Haftabdrucke an der Darrnwand
c) Querschnitt auf Hohe der beiden Kerne.
und viele andere Tiere befallen konnen, erhoht ihre Uberlebenschancen und die de fucto vollstandige Verbreitung auf der Erde. Diesen Erfolg genieBen sie immer noch, auch wenn der Mensch ihnen und den von ihnen ausgelosten Krankheitssymptomen (Diarrhoe) mit Medikamenten (z. B. Metronidazol) kraftig zu Leibe riickt.
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Blut ist dicker als Wasser (Kaiser W h e l m 11) 13.3
Trypanosomen, die Erfinder der Tarnkappe
Als der Sagenheld Siegfried dern Zwergen Alberich die legendare Tarnkappe entriss, begannen seine Probleme. Fur seinen Konig Gunther musste er namlich ungesehen die kraftige und widerborstige Heldin Brtinhild als Gemahlin gewinnen und zahmen, was schlieBlich zu seinem und aller Nibelungen Tod fuhrte. Fur Parasiten im Wirtsblut hat sich aber die Erfindung und standige Perfektionierung einer biochemischen Tarnkappe, die ein unerkanntes Venveilen im Korper ermoglicht, als uberaus segensreich erwiesen. Insbesondere afrikanische Trypanosomen (griech. trypanon = Bohrer), die als Erreger der todlichen Schlafirankheit bei Mensch und
Abb. 13-3 REM-Aufnahrnen eines trypornastigoten Stadiums a) von Jrypanosoma brucei gambiense und b) eines promastigoten
Stadiums von Leishmania major (Erreger der Leishrnaniose) in Teilung. Die Trypanosomen rnessen hier 20 Iim, die Leishrnanien 4 Iim.
13.4 Hduslebauer be; Einzellern
Tier ganze Landstriche in Afrika entvolkert haben, sind hier besonders effektiv (Abb. 13-3 a). Sie haben nicht nur einen sie vollig umhullenden Schild (engl. surface coat) aus Muko-Polysacchariden entwickelt, sondern variieren ihn auch noch standig. Sie besitzen dazu etwa 1000 Gene, von denen jeweils andere bei aufeinanderfolgenden Zweiteilungen (Abb. 13-3 b) aktiv werden. So hinkt das abwehrende Immunsystem immer hinterher. Zwar erwischt und totet es mit seinem Antikorperbombardement jeweils die meisten der von Tsetsefliegen (s. Kap. 13.13) iibertragenen Trypanosomen, aber eine kleine Anzahl der Erreger mit einem bereits anders gestalteten ,,Coat" uberlebt. So wird die Mehrzahl der Einzelparasiten zwar geopfert, aber die Art als solche lebt weiter. My home i s my castle - and a wall is a must. (Ansicht alter Rittersleut) 13.4 Hsuslebauer bei Einzellern
Einzeller mit ihrer diinnen Zellwand sind eigentlich recht empfindliche Gesellen, die den Attacken ihrer Wirte oder bei gewollten oder ungewollten Aufenthalten im Freien der feindlichen Umwelt schutzlos ausgeliefert waren, konnten sie sich nicht durch den Bau von Wanden schutzen. So entziehen sich die sog. Coccidien dem Immunsystem des Wirts durch die Penetration und Inaktivierung von Zellen. Dabei befallt der ubiquitare Erreger Toxoplasma gondii sogar die ihn direkt attackierenden Makrophagen, dellt sie ein und lebt in der so geschaffenen vakuolaren Nische. Malaria-Erreger tun desgleichen bei roten Blutkorperchen (Abb. 13-4 a, b). Wahrend der Vermehrungsphase sind die Parasiten auf diese Weise geschiitzt. Zur Freisetzung mussen sie lediglich das Platzen ihrer Wirtszelle herbeifuhren. 1st ein langerer, geschiitzter Aufenthalt im Wirt von Noten - etwa zur Sicherstellung der Ubertragung auf einen anderen Wirt -, ziehen sich einige der sog. Gewebezystenbildenden Coccidien in regelrechte Schutzraume innerhalb ihrer Wirtszellen zuriick. So stimulieren Sarcocystis-Arten (von griech. sarx = Fleisch) und auch die oben erwahnte Toxoplasma gondii ihre Wirtszellen dahingehend, dass diese um die Parasiten im Inneren von Muskel- oder Nervenzellen regelrechte Zystenwande ausbilden. Diese Wande haben eine artspezifische Gestalt (Abb. 13-4 c) und schutzen die Wartestadien oft jahrelang vor negativen Einfliissen ihrer Wirte. Fur solche Stadien, die uber den Kot ihrer Wirtstiere zur weiteren Ubertragung ins Freie gelangen mussen, haben die Sporozoen (= Sporentierchen) gleich zwei Schutzwalle - also gleichsam den Burgfried in der Burg - entwickelt. So liegen die dunnwandigen, aber beweglichen und letztlich infektiosen Stadien (= die sog. Sporozoiten) in wandbewehrten Sporozysten, die ihrerseits in derben Oozysten eingeschlossen sind (Abb. 13-4 d). Diese beiden Wandsysteme halten die Sporozoiten auf Jahre hin infektios. Sie sind dabei so stabil und inert, dass sie problemlos im Labor jahrelang in 3%iger schwefliger Saure oder in Kaliumbichromat aufbewahrt werden konnen.
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Abb. 13-4 Coccidien. a, c) TEM-Aufnahrnen, b) REM-Aufnahrne, d) lichtrnikroskopische Aufnahrne a,b) Zwei Schizonten von Plasmodiumfalciparum jeweils in einern roten Elutkorperchen c) Eine Cewebezyste rnit vielen Einzelparasiten
von Sarcocystis in einer Muskelfaser d) Drei Oozysten des Huhnercoccids Eimeria tenella, die jeweils 4 Sporozysten rnit je 2 Sporozoiten enthalten. Die Erythrozyten haben 7 prn Durchrnesser, die Cewebezyste rnisst 60 prn irn Durchrnesser, die Oozysten erreichen etwa 23 prn
73.5 Lebenslange Jreue beim Piirchenegel
Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehort schon zum Establishment.
(1968iger Kommunardenweisheit) 13.5
Lebenslange Treue beim Piirchenegel
Schistosomen (griech. gespaltene Korper) erhielten ihren deutschen Namen Parchenegel auf Grund ihres einzigartigen Verhaltens, wobei sich das kraftigere, flache
Abb. 13-5 Schistosornen/Parchenegel a) REM-Aufnahrne eines adulten Parchens von l c r n Lange b) REM-Aufsicht auf Oberflachendorne des Mannchens
c) TEM-Aufnahme eines Schnittes durch die Oberflache eines Mannchens, bei dern ein Dorn und der schwarz erscheinende Surface coat hervortreten.
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Mannchen zu einer Rohre rollt und in der dadurch entstehenden Bauchfalte seine im Querschnitt drehrunde Partnerin ein Leben lang tragt - was immerhin bis zu 25 Jahren (!) dauern kann (Abb. 13-5 a). Nach der Partnerfindung im Stadium der kleinen Wurmlarven und der erst dann gemeinsam erlangten Geschlechtsreife gibt es keinen Partnerwechsel mehr. Die etwa 1-2 cm langen Parchen leben - je nach Art beim Menschen im Venensystem des Darms (z. B. Schistosoma mansoni) oder des Blasen- bzw. Geschlechtssystems (z. B. S. haematobium). Durch Schragstellen in den Venen, Ansaugen mit Hilfe zweier groBer Saugnapfe an den Venenwanden und durch standige Kontraktionsbewegungen halt das Mannchen das Parchen in jenen Venenbereichen fest, wo die vom Weibchen abgesetzten zahlreichen Eier (20300 taglich) ausreichende Gelegenheit haben, durch die GefaBwande in das Lumen des Darms oder der Blase zu penetrieren. Damit dem Mannchen die ,,tragenden Hande" (sprich Bauchfalten) nicht lahm werden, haben die Schistosomen einige Millionen Jahre vor den Ingenieuren den Klettverschluss erfunden. Das Aufeinanderdrucken von aufgerauhten Flachen (mit kleinen Noppen und Dornen, Abb. 13-5b) erlaubt namlich einen Zusammenhalt der Bauchfalte ohne Krafteverzehr. Nun hat das Immunsystem des Menschen etwas gegen diese ,,treuen" Mitbewohner, denn die stete Eiproduktion fuhrt nicht nur zu Schaden in der Darmbzw. Blasenwand, sondern auch zu Lasionen in der Leber. Daher muss sich das Wurmparchen gegen die Attacken des Immunsystems schiitzen und hat - wie viele andere innere Parasiten - eine Tarnkappe erfunden (Abb. 13-5 c). Diese besteht aus einer zweiten auReren Membranhulle, in die wirtseigene Molekule eingebaut werden. So wird dem Immunsystem vorgegaukelt, dass hier eine korpereigene Struktur vorliegt und also keine Gefahr besteht. Bei uber 400 Millionen Menschen sind die verschiedenen Arten der Parchenegel leider sehr erfolgreich und fuhren zu einer nach Theodor Bilharz, dem Entdecker dieser Egel, bezeichneten Krankheit (Bilharziose, heute auch Schistosomiasis genannt). Erst der Einsatz der chemischen Keule - die Wirksubstanz Praziquantel im Produkt BiltricideO - beendet dann gleichzeitig das Leben der treuen Partner im Nahrstoff Blut.
Appitit vient en mungeant - Der Appetit kommt beim Essen
(Francois Rabelais)
13.6 Lhgenwunder Bandwurmer
Bandwurmer - sie gehoren mit bis zu 30 Meter Lange (Fischbandwurm Diphyllobothrium latum) zu den Iangsten Tieren auf der Erde. Aber nur wenige Menschen haben sie in voller Lange gesehen, leben sie doch verborgen (mehrfach aufgefaltet) im Dunkel des Darmes ihrer Wirte, so auch beim Menschen. Diese zwittrigen Tiere setzen auf totale Vermehrung und haben ihre Geschlechtssysteme tausendfach in hintereinandergelegenen einzelnen Abschnitten, den Proglottiden, vermehrt und entlassen dann - je nach Art - die Eier oder die eihaltigen Endproglottiden mit dem Wirtskot ins Freie. Damit die adulten Bandwiirmer nicht durch die Darmperistaltik
13.6 Langenwunder Bandwurmer
abgetrieben werden und dann im Freien vertrocknen haben sie am Kopf (= Skolex) Saugnapfe und evtl. (wie beim sog. Schweinebandwurm Taenia soliurn des Menschen) auch noch Hakenkranze (Abb. 13-6 a) ausgebildet, die ihnen einen gefahrlosen Halt im Wirtsdarm ermoglichen. Ihre einzigartige GrofSe erkaufen sie allerdings durch (in der Evolution) institutionalisierten Brudermord. Der Gerichtsarzt und Parasitologe Gottlob Friedrich Heinrich Kuchenmeister konnte namlich im 18. Jahrhundert bei Experimenten an zum Tode verurteilten Straftatern zeigen, dass selbst die Verabreichung von zahlreichen Infektionsstadien (sog. Zystizerken oder dt. Finnen) in rohem Fleisch von Zwischenwirten (je nach Art: Fische, Schweine,
Abb. 13-6 Taenia-Arten-Bandwurrner a) REM-Aufnahrne des Kopfchens (etwa 1 rnrn lang) rnit Hakenkranz und drei der vier Saug. napfe
b) REM-Vergrogerung der Oberflache: zeigt die Spitzen der Mikrotrichen c) TEM-Aufnahrne: zeigt die Mikrotrichen der Obertlache irn Langsschnitt.
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Rinder etc.) meist nur einen einzigen grogen, starken Wurm uberleben lasst. Dieser eliminiert offenbar auf noch unbekannte Weise die Mitkonkurrenten. Da nun Bandwiirmer bereits im Darm ihrer Wirte leben und nur noch aufnehmen mussen, was schon vorverdaut ist, haben sie auf einen eigenen Darm verzichtet und benutzen ihre Oberflache sozusagen als Darm. Sie werden dabei von einem nichtzellularen Tegument iiberzogen, das tauschend dem Darmepithel des Wirts ahnelt. Beide - Darm und Wurm - bilden Verwolbungen aus, die die Oberflache stark vergrosern und als Mikrovilli (Wirt) bzw. Mikrotrichen (Parasit Abb. 13-6 c) bezeichnet werden. Beiden, den Mikrovilli des Wirts und der Oberflache des Wurms droht die Gefahr der Verdauung (= Lyse) durch die Darmenzyme, welche die Nahrung zu resorbierbaren (trinkbaren)Tropfchen aufbereiten miissen. So ist es nicht vemnderlich, dass beide Oberflachen faktisch die gleiche Schutzmaanahme erfunden haben - die Ausbringung eines ,,surface coats" = Oberflachenschicht. Diese Schicht schiitzt - sofern sie regelmaaig erganzt und erneuert wird vor Lyse. Ein toter Wurm wird dagegen sofort verdaut. Bandwiirmer leben in der Fulle der vom Wirt aufbereiteten Nahrung und konnen, bzw. miissen es sich daher leisten, verschwenderisch Nachwuchs zu produzieren . So enthalten die taglich abgesetzten Proglottiden oft mehrere 10 000 Eier, die extrem kalteresistent (mehr als minus 60°C werden ertragen), sowie auch gegen Hitze und Austrocknung gut geschiitzt sind. Trotzdem erreichen nur sehr wenige Eier einen Zwischenwirt. Also gilt hier das Prinzip der Massenproduktion in der Hoffnung, einer werde schon durchkommen. Trotz seiner schiitzenden Oberflachenschicht, die den Bandwurm auch gegen viele altere Wurmmitteln unempfindlich machte, hat er heute gegen die Wirksubstanz Praziquantel (Cesol@)faktisch keine Chance, weil diese ihn lahmt und ihn so mit Hilfe der Darmperistaltik ins todliche Freiland austreibt. In S U C U et ~ sanguinem - In Fleisch und Blut (Cicero) 13.7
Zahn urn Zahn - Hakenwurmer
Zwar sind die sog. Tunnel- bzw. Hakcnwiirmer (Fadenwurmer der Gattungen A n q lostoma = griech. gekriimmter Mund) nur etwa 1 cm lang, aber ihre Blutsaugleistung ist umso groser. Mit Hilfe von Zahnen (A. duodenale besitzt zwei Schneiden mit je zwei Zahnen, A. caninum hat dort je 3 Zahne, Abb. 13-7) verankern sie sich in der Darmwand ihrer Wirte, zerschneiden dabei Blutgefage und saugen das Blut mit ihrem muskulosen Schlund auf. Sie prassen dabei regelrecht und lassen groce Mengen Blut einfach durch ihren Darm laufen, ohne es als Nahrung zu nutzen. So konnen 100 adulte Wiirmer ihrem Wirt bis zu 5 ml Blut pro Tag entziehen. Da Wurmlasten von 500-1000 Wiirmer bei den weltweit 900 Millionen befallenen Menschen haufig auftreten, sind Eisenmangel-Anamie und bei Kindern auch der Tod die haufige Folge. Die Hakenwiirmer konnen ein Alter von 2-3 Jahren erreichen
13.8 Schildzecken: Gefrijj3ige Hungerkunstler
Abb. 13-7 REM-Aufnahme des bezahnten Vorderendes des Hundehakenwurms Ancylostorna caninurn, der als Larva rnigrans durch die Haut des Menschen wandert.
und dabei Myriaden von Nachkommen produzieren, setzen die Weibchen doch taglich - je nach Art - 10 000-30 000 Eier ab. Aus diesen schliipft im Freien eine Larve, die nach zwei Hautungen infektionsfahig wird und aktiv in die Haut der Wirte eindringt. Pflanzenextrakte aus Knoblauch 0. A. helfen weder gegen Vampire, noch gegen Hakenwiirmer. Gegen diese gibt es allerdings heute exzellent wirksame Substanzen, wie z. B. die Bendazole und Avermectine, die allerdings nicht vor Neuinfektion schutzen, sodass der Prophylaxe (Tragen festen Schuhwerks) entscheidende Bedeutung zu kommt. ,,Kaum erschien das letzte Ei, kam auch gleich der Tod herbei." Frei nach Wilhelm Busch 13.8 Schildzecken: Cefragige Hungerkunstler
Um Zecken ranken sich eine Reihe von gern erzahlten und in den Medien fleiBig kolportierten Anekdoten. So sollen sie von den Baumen fallen, weshalb man sich im Walde durch das Tragen von Hiiten vor ihnen schiitzen konne. Faktum ist, dass sie meist auf der Spitze von Grashalmen lauern (Abb. 13-8 a) und sich dann mit den Klauen ihrer Fuse am Haar bzw. an der Kleidung vorbeistreifender Wirte festhaken. So niitzt die ebenfalls gerne kolportierte Schutzmethode, sich einfach die Hosenbeine zuzubinden, herzlich wenig. Vor der Blutmahlzeit sind die Zecken namlich so flach, dass es schwerfallt, sie zu zerdriicken. Sie krabbeln daher problemlos unter jedem Gummistrupp hindurch. Andere echte Spitzenleistungen der
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I Zecken bleiben dagegen haufig unenvahnt, obwohl sie es sind, die den verhaltnis13 Kleines Parasitenbrevier
magig langsamen und flugunfahigen Zecken das Uberleben uberhaupt erst ermoglichen. So werden bei der Blutaufnahme und im Hungern regelmagig Rekorde gebrochen, die im Tierreich einmalig sind. Insbesondere Schildzecken - wie der in Deutschland weit verbreitete ,,gemeine" Holzbock Ixodes ricinus (griech. ixodes = klebrig) - sind keine Kostverachter und akzeptieren ein weites Spektrum von Wirten. So saugen sie gleichermagen an Reptilien, Vogeln und Saugetieren, wobei sie auch den Menschen nicht aussparen. Alle drei Entwicklungsstadien - Larven, Nymphen sowie adultc Mannchen und Weib-
Abb. 13-8 lxodes ricinus - Holzbock a) Adultes Weibchen in Lauerstellung etwa 4 rnrn grog
b) REM-Aufnahrne des bezahnten Vorderendes c) Zwei gesogene Weibchen bei der Elablage
(etwa 1.2 crn grof?)
13.9 Flohe sind echte Springwunder
chen - saugen zwar jeweils nur einmal in ihrem Leben, dann aber kraftig Blut. Wahrend der mehrere Tage dauernden Blutmahlzeit, wobei das hakenbewehrte Vorderende (Abb. 13-8 b) in die Haut hineingestochen wird und dann das Gewebe mit Hilfe scherenartiger Mundwerkzeuge (= Cheliceren) zerschnitten und so ein Blutsee erzeugt wird, nehmen alle Stadien jeweils das Mehrfache ihres Gewichtes an Blut auf. Ein Mensch musste, um Vergleichbares zu leisten, nicht weniger als 3-4 Zentner Speise oder Getrank zu sich nehmen. Adulte Holzbockweibchen schwellen bei derartigen Mahlzeiten von 4 m m auf 12-15 m m Lange und entsprechende Dicke an. Die Larven, die Nymphen und die ungesogenen Weibchen konnen aber mit der im Vorstadium aufgenommenen Nahrung extrem lange hungern. Mehrere Monate Wartezeit auf einen weiteren Wirt sind fast die Regel, weil die verschiedenen Stadien von Ixodes nach jedem Saugakt den Wirt verlassen. Haufig werden auch Hungerperioden von mehreren Jahren problemlos uberdauert. Der Rekord (im Labor) sol1 bei 10 Jahren liegen. Diese Zahigkeit, sich bis zur Paarung am Leben zu halten, dient letztlich der Erhaltung der eigenen Art. Das gleiche Ziel verfolgt naturlich auch das Weibchen, wobei es die groBe aufgenommene Blutmenge in die Produktion von etwa 3000 Eiern umsetzt. Der Vorgang der Eiablage (Abb. 13-8c) dauert etwa 1 Monat und erschopft das Weibchen derartig, dass es bald darauf stirbt.
,,Und auch der Gotthilfmuss verspuren, ganz besonders in der Nacht, dass es hier - und da - und dort immer kribbelkrabbel macht" ( W h e l m Busch)
13.9 Fl6he sind echte Springwunder
Wenn sich hochtrainierte Leichtathleten uber Hohen von 2,30 m oder 6 m mit Hilfe von Staben schrauben oder beim Weitsprung uber 8 m ,,fliegen", bricht jedesmal tosender Beifall im Stadionntnd aus. Dabei bleiben die erheblich grogeren Leistungen der kleinen, nur 2-3 m m grogen Flohe, die gerade von Zuschauer zu Zuschauer springen, unbemerkt. Wissenschaftler haben namlich gemessen, dass Flohe bis 35 cm weit und dazu gleichzeitig durchaus ,,leichtfuBig"noch 10 cm hoch springen. Um nur eine annahernd gleiche Leistung wie seine Hosenbewohner zu vollbringen, musste der Stadionbesucher ma1 eben aus dem Stand (!) 200 m weit und 60 m hoch springen. Natiirlich sind die muskulosen Hinterbeine der Flohe am haufigsten (= 70%) findet sich in Deutschland der Katzenfloh (Ctenocephalides felis) - absolut beeindruckend (Abb. 13-9 a-c), aber mindestens so uberzeugend ist seine Saugleistung. So nimmt ein Floh wahrend seines 20-150 minutigen Blutsaugens mit 0,s mm3 (0,s pl) Blut ein Mehrfaches seines Gewichts auf. Dies ist aber nicht alles fur ihn selbst gedacht, sondern nahrt vor allem seinen Nachwuchs. Der Floh entlasst namlich pro Stunde bis zu 20 ma1 verhaltnismaBig groBe Mengen von bluthaltigem Kot fur die Ernahrung der Flohlarven (Abb. 13-9 d). Also herrscht
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beim Blutsaugakt die Devise: ,,Hier trinkt einer fur alle". Dies alles geschieht fur die Arterhaltung. Unbegattete Flohweibchen konnen bis zu 5 Jahren ausharren, wahrend die begatteten sich beim Eierlegen erschopfen und bereits nach einem halben Jahr sterben. Die Legeleistung ist allerdings auch enorm. So bringt es ein Weibchen in drei Monaten auf 450 der mit 112 mrn recht grogen Eier, was zum Massenbefall von Mensch und Tier fuhren kann. Wirklich gefahrlich werden Flohe allerdings durch eine Unart beim Saugen. Sie sind so gierig, dass der Saugvorgang reflektorisch unterbrochen und der Mageninhalt z. T. wieder in die Stichwunde erbrochen wird. Sie machen gleichsam ein ,,Bauerchen" und konnen dabei friiher aufgenommene Erreger (z.B. die der Pest) verbreiten. Auch ohne Erregeriibertragung bleiben Flohe recht unangenehme Zeitgenossen. Die heutzutage gangigen Insektizide packen die Flohe bei dem, was diese am besten konnen: so lahmen Advantage@, Frontline@ oder Stronghold@ ihre Sprungkraft, und neemhaltige Shampoos zerstoren die uberaus fruchtbaren Uteri.
Abb. 13-9 REM-Aufnahmen von Entwicklungsstadien des Katzenflohs (etwa 3 rnm lang). a-c) Adulte, d) Larve
73.70 Laufwunder mit Ausdauer Wanzen ~
Es war einmal ein Konig,
der hatt' einen gro&en Ffoh, den liebte er gar nicht wenig, als wie seinen eigenen Sohn. Da riefer seinen Schneider, der Schneider kam herein: da miJ dem Junker Kleider und miJ ihm Hosen an. In Sammet und in Seide war er nun angetan, hatte Bdnder aufdem Kleide, hat auch ein Kreuz daran, und war sogleich Minister, und hatt' einen gro&en Stern. Da wurden seine Geschwister bei Hofauch gro&e H e m . Und H e m und Fraun am Hofe, die waren sehr geplagt, die Konigin und die Zofe gestochen und genagt, und durjien sie nicht knicken, und weg siejucken nicht. Wir knicken und ersticken doch gleich, wenn einer sticht. Goethe, Faust 1 Auerbachs Keller
Rennen, bis Blut kommt
(Rekrutenweisheit) 13.10
Lauhunder rnit Ausdauer - Wanzen
Die maximal etwa 8 m m langen Bettwanzen (Abb. 13-10 a, b) (Cirnex lectulanus = lat. lectulus = kleines Bett) sind Begleiter des Menschen, seitdem er seBhaft geworden ist. Wanzen durften vor allem von Vogeln in die Behausungen eingeschleppt worden sein. Sie fiihren ein nachtaktives Leben: Wahrend sie den Tag in Verstecken verschlafen, macht sich die blutgierige Armada des nachtens an die schlafenden Wirte heran. Dabei kann die adulte Wanze pro Saugakt binnen IS Minuten bis 7 mg Blut aufnehmen bis ihr Korper maximal gespannt ist. Artgenossen scheuen sich dabei nicht, bereits vollgesogene Kommilitonen um etwas Blut zu erleichtern. Etwa 180 Wanzen konnen im ubrigen eine Maus vollig aussaugen. Auf dem Wege zu ihrem Opfer, das sie meist mehrfach anstechen, enveisen sich Wanzen als ausgesprochen behende Tiere, erreichen sie doch eine Dauergeschwindigkeit von 1,25 rn pro Minute. Dies ist zwar nichts Besonderes mit Blick auf andere schnelllaufende Insekten, aber hier zahlt die Stetigkeit und Zahigkeit der Wanzen, aus evtl. fernen Verstecken zum Wirt vorzudringen. Dabei sind Wanzen recht gesellige Tiere, die durch die Absonderung von speziellen Driisen - der Mensch nennt sie Stinkdriisen
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ihre Venvandten zusammenhalten. So sticht immer gleich die ganze Armada, und ein verwanztes Zimmer bedeutet fur die darin Schlafenden jeweils viele Stiche und Gestank. Das aufgenommene Blut wird nutzbringend angelegt. So setzt jedes Wanzenweibchen taglich bis zu 12 Eier ab und bringt es so auf etwa 500 Nachkommen, die ihrerseits binnen 22 Tagen wieder ins ,,Vermehrungsgeschaft" einsteigen. -
Bettwanzen-Aufnahrnen von dorsal a) REM-Aufnahrne - Larve, b) Weibchen (etwa 6 mrn lang) m i t Eiern
Abb. 13-10
Selbst die willenssttirkste Laus htilt's nicht aufeinem Glatzkopfaus (Faktum)
13.11
Lause irn Pelz
Die Sauglause des Menschen Pediculus humanus capitis (Kopflaus, Pediculus: lat. Fiigchen), PedicuEus humanus corporis (Kleiderlaus) (Abb. 13-11 a), Phthirus pubis (Filz- oder Schamlaus) sind hervorragende Klammerer. Sie haben an allen Beinen jeweils eine so starke muskulose Klaue ausgebildet (Abb. 13-11 c), dass sie sich an Haaren bzw. Kleider-
13.7 1 Lduse irn Pel2
fasern nahezu unlosbar festklammern konnen. Ein Abstreichen mit einem Kamm oder einer Biirste ist deshalb nicht moglich. Sie bleiben ihrem Wirt stets treu und verlassen ihn nur, wenn er Fieber bekommt oder wenn sie auf Haare oder Kleidung anderer Personen wechseln, etwa beim wie auch immer gearteten Korperkontakt. Die Filzlaus heiRt daher in Frankreich auch ,,papillon d'amour" = Liebesschmetterling. Uberhaupt - Lausereichtum auf Kopf und Korper galt noch zu Goethes Zeiten als Ausdruck sexueller Potenz, glaubte man doch mehr oder weniger fest, dass Lause die schlechten Korpersafte absogen und dann eben nur die wertvollen iibrig bleiben. Alle Lausstadien - (Larven und Adulte) - saugen Blut und miissen dies alle 5 Stunden tun. Ein Weibchen kann dabei bis zu 1.1 mg Blut aufnehmen, Mannchen sind bescheidener und kommen mit einem Drittel davon aus. Hungern konnen sie aber alle nicht so recht. Bei 37°C iiberleben die E u s e nur etwa 1 Tag, bei Kiihle dagegen bis zu 10 Tagen - echte Kalte vertragen sie aber ohne Wirt kaum. Da sie
Abb. 13-11 Menschen-Lause a) REM-Aufnahme der Kleiderlaus (etwa 4,5 mm) mit Eiern b) Nomarski-Aufnahme der starken Klauen-Muskulatur c) REM-Aufnahme von zwei Nissen (etwa 0,srnm grog) am Haar
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ihre Anzahl in 20 Tagen verzehnfachen - ein Weibchen legt 5 bis 14 der etwa 0,8mm lange Eier (Abb. 13-11 c), kann schnell Massenbefall entstehen. Bei einigen menschlichen Rekordtragern wurden bis zu 20 000 Exemplare gezahlt. Auch bei Massenbefall wollen Lause ihre Wirte nicht verlassen. Mehr noch: Sie sorgen sogar fur den Verbleib ihrer Nachkommen auf dem Wirt, indem sie die Eier mit einer wasserunloslichen Substanz an die Haare kleben - gewohnliches Shampoo lost sie jedenfalls nicht. Die Eihiille - auch als Nisse bezeichnet (Abb. 13-1lc) - schutzt im ubrigen auch vor widrigen Einflussen (etwa vor Insektiziden). Daher muss bei Lausebefall der Kopf mehrfach im Abstand von 9-10 Tagen mit speziellem Lausesham-
Abb. 13-12
Robbenlause a) REM-Aufnahrne (ca. 2.0 mm lang) b) REM-Aufnahme von Details der Thorax-Ruckseite
c) REM-Aufnahme einer Nisse (ca. 0,3 mrn) d) Lichtmikroskopische Aufnahme von dorsal einer Laus an einern Haar.
13.13 Meister der Brutpflege
- Tsetseflliegen
poo gewaschen werden. Vorsicht ist bei Kleiderlausbefall auf alle Falle geboten. Die z.Zt. aus dem Osten wieder vordringenden Blutsauger konnen namlich die Erreger (Rickettsien) verschiedener sehr schwerer Fieber ubertragen.
O h wie eiskalt ist Dein Hiindchen Frei nach La Bohi.rne von Puccini 13.12
Lause in der Antarktis
Wer glaubt, alle Lause lieben es mollig warm, wird von Robbenlausen der Gattung Antarctophthirus eines Besseren belehrt. Die Weddell-Robben und andere ,,Seals" halten sich bei der Futtersuche lange im durchweg -1,7"C kalten Wasser auf, so dass ihr Pelz, an dem sich die Lausestadien festhalten (Abb. 13-12 a, d) bis zum Grund ,,durchgefroren" sein durfte. Bei Verlassen des Wassers wird es im Freien sicher noch kalter, denn im Wind der Antarktis werden auf dem Eise schnell ma1 -40 "C erreicht. Kaum vorstellbar eigentlich, dass die Robbenlause dies uberleben. Sie tun es aber und finden sich oft in relativ groger Zahl auf ihren Wirten. Moglichenveise schutzt sie das Korperfett/Talg aus der Haut der Robben. Man findet diese Lause namlich stets vollig von Fett ,,zugekleistert". Offenbar halten die zahlreichen Haare und Vonvolbungen der Kutikula der Lause das Fett fest (Abb. 13-12 b). Auch hier werden die Eier, die einen charakteristischen Deckel aufweisen, wasserunloslich an die Haare der Robbe geklebt. Wie lange allerdings die Entwicklung der Lauslawen in der antarktischen Kalte dauert, ist unbekannt.
Miitterlein, magst gar d i g sein (Volkslied) 13.1 3
Meister der Brutpflege - Tsetsefliegen
Tsetsefliegen, die afrikanischen Venvandten unserer einheimischen Stechfliegen (u. a. Stomoxys calcitrans = Wadenstecher) werden auch Zungenfliegen (Gattung Glossina, lat. die Zunge) genannt, weil sie ihre Stechwerkzeuge wie eine Zunge vor sich hertragen (Abb. 13-13 a, b). Beide Geschlechter saugen Blut, wobei sie besonders gerne tagsuber bewegte Ziele attackieren und dabei auch bis zu 750 m weit anfliegen. Die bei einer Mahlzeit (Abb. 13-13 b) aufgenommenen Blutmengen variieren je nach Art. So saugt Glossina palpalis in schneller Folge 30 mg Blut, G. morsitans (= lat. die beigende) bis 90 mg und G. brevipalpis gar bis zu 260 mg, womit haufig das 3-4 Fache des eigenen Gewichts erreicht wird - eine enorme physiologische Leistung, die der Mensch nur durch Verzehr von etwa 150 kg Nahrung bei einer Mahlzeit erreichen konnte. Eine solche Mahlzeit reicht den Glossinen fur etwa 3-6 Tage.
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Da die Tsetsefliegen als Solisten angreifen, stellen die von ihnen entnommenen Blutmengen fur den jeweiligen Wirt kein Problem dar. Das Einzelgangerdasein hat sich fur diese Stechfliegen als groBer Vorteil enviesen, als der Mensch mit der flachendeckenden lnsektenbekampfung begann. Sie sind daher im Gegensatz zu unseren einheimischen, auf Stalle fixierten Arten kaum zu fassen. Ein Weiteres fur blutsaugende Insekten einzigartiges Verhaltensmuster bietet den Tsetsefliegen im Zusammenwirken mit ihrem Einzelgangertum zusatzliche Vorteile im Uberlebenskampf: Ihre spezielle Brutpflege. Die Weibchen legen namlich keine Eier ab, sondern bewahren sie in einem inneren Brutraum auf. Die erste geschlupfte Larve unterdriickt die weiteren, nutzt die Reserven der anderen Eier und wird zudem von
Abb. 13-13 Tsetsefliegen. a) REM-Aufnahme des Kopfes rnit Saugrussel, b) vollgesogenes Exemplar (ca. 1 crn tang)
13.14 Augen haben und nicht sehen [mussen) - Mucken in der Attacke
der ,,Uteruswand" mit Hilfe sog. ,,Milchdriisen" ernahrt. Erst die verpuppungsreife Larve wird im lockeren Sandboden nach einer Entwicklungszeit von 8-14 Tagen abgesetzt. So produziert ein Weibchen in seiner 3-7 monatigen Lebenszeit zwar nur 10-20 Nachkommen, diese haben aber wegen der besonderen Brutpflege und des Einzelgangertums der Mutter beste Oberlebenschancen. Da sie die Erreger der Schlafirankheit bei Mensch und Tier iibertragen (s. Kap. 13.3), sind Tsetsefliegen nach wie vor gefiirchtet, zumal die therapeutischen Mittel gegen Trypanosomiasis vollig unzureichend sind.
Von dem Sumpfe kommen wir, wo wir erst erstanden ...
Fliegenschnauz und Miickennas, ihr seid doch Musikanten Faust (Goethe) 13.14
Augen haben und nicht sehen (mussen) - MLjcken in der Attacke
Wem hatte nicht schon der sirrende Anflug (Abb. 13-14a) von Stechmiicken (engl. mosquitos) die Nachtruhe geraubt. Zwar ist der Stich der Mucken nicht besonders schmerzhaft, aber seine Folgen sind unangenehm. So fuhren Stiche zu lange juckenden Papeln, und zudem konnen Miicken gefiirchtete Krankheits-Erreger (z. B. Malaria- Erreger, Abb. 13-4a,b) iibertragen. Bei allen echten Stechmucken saugen nur die Weibchen Blut, indem sie BlutgefaBe mit ihren feinen Stechborsten anstechen, also im Gegensatz zu Bremsen und Zecken als ,,vessel-feeder" agieren. Die Weibchen nehmen im Allgemeinen alle drei Tage Blut auf, um bald nach der spektakularen Begattung ihre Eier in Gewasser abzusetzen. Bei sehr vielen Muckenarten vereinigen sich die Mannchen zu Schwarmen. In diese, von fern als rauchige Schwaden erscheinenden Wolken von Mannchen fliegen einzelne Weibchen hinein, werden gepackt und dabei meist gleich in der Luft begattet. Mucken verdanken ihre grog, Verbreitung und extrem starke Individuendichte, die viele Gebiete fur Mensch und Tier unbewohnbar macht, einigen physiologischen Glanzleistungen. So akzeptieren sie als Brutgebiete vielerlei Gewasser, ja sogar das Meer (z. B. Aedes marine), entwickeln sich bei warmen Temperaturen extrem schnell (binnen 14 Tagen) und sind augerordentlich fruchtbar. Die einheimische Fiebermucke Anopheles maculipennis setzt in 10 Gelegen etwa 2500 (!) Eier ab. In unseren Breiten haben die Miicken zudem das Ubenvintern und das dadurch bedingte monatelange Hungern erlernt. So iibenvintern hier die befruchteten Weibchen von Culex pipiens (Hausmiicke) und Anopheles maculipennis in Hohlen - oft zu vielen nebeneinander. Bei anderen Arten iibenvintern Eier (Aedes cantans) oder Larven (Mansonia richardii, Aedes nemorosis) - stets in nicht durchfrierenden Bereichen von Gewassem. Besonders auffallig am Korper der Miicken sind neben den langen ,,StelZenbeis nen (Abb. 13-14a) die beiden grogen Facettenaugen (Abb. 13-14a). Man miisste nun meinen, dass die Miicken diese auch intentiv nutzen. Das scheint aber eher
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weniger der Fall zu sein - zumindest bei den vielen nachtaktiven Arten. Mucken werden zwar von Ferne durch Licht angelockt, aber sie finden ihre meist schlafenden Wirte im volligen Dunkel allein durch ihre Chemosensillen. Es ist namlich das Gemisch aus SchweiB, abgegebenem Kohlendioxid und anderen Hautausdunstungen, das die Mucken anzieht und sie zum Anflug reizt. Deckt man diesen fur sie ,,leckeren Geruch" durch Repellents (z. B. Autan@)ab, verlieren sie das Interesse an ihren Wirten nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tage, wo sie doch mit ihren aus vielen Einzelfacetten zusammengesetzten Augen das Objekt ihrer Begierde eigentlich deutlich erkennen miissten. Bei den Kriebelmucken scheint dies anders zu sein: Mit grogen und kleinen Facetten in ihren Augen haben die Mannchen offenbar die ,,Lesebrille"erfunden (Abb. 13-14 c, d).
Abb. 13-14 REM-Aufnahmen von Mucken a, b) Anopheles (8 m m ) c, d) Simulium (3 mrn); beim Mannchen d) treten zwei Typen von Facettenaugen auf.
Teil 5
Mikrobiologie
Beispiele fur die Vielgestaltigkeit von Bakterien. (A) Cyanobakteriurn Chroococcus turgidus, (B) Cyanobakteriurn Spirulina subsalsa, (C) unidentifizierter therrnophiler Mikroorganisrnus, therrnophiles Bakteriurn rnit langen ..Stielen" zur Nahrstoffftlterung.
(A,B) lichtrnikroskopische Aufnahrnen (Egbert Hoiczyk, MPI fur Biochemie Martinsried), Balken 5 prn, (C,D) elektronenrnikroskopische Aufnahrnen (James Chalcroft. MPI fur Biochernie, Martinsried), Balken 0,sprn.
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Mikrobielle Strukturen Harald Engelhardt
14.1
Prokaryonten sind anders
Mikrobiologie und Mikroskopie sind seit Anbeginn ihrer Entwicklung eng miteinander verbunden; Zellen und Mikroorganismen gerieten buchstablich erst mit der Entwicklung des Mikroskops durch Antony van Leeuwenhoek (1632-1723) und ihrer optischen Entdeckung in das Blickfeld der Naturforscher. Wenn wir heute iiber die kiirzlich entdeckten ,,Riesenbakterien" staunen, die bis zu 0.75 m m grog werden und mit bloBem Auge erkennbar sind (Thiomargarita namibiensis), so tat sich mit den wegweisenden Forschungen Robert Kochs (1843-1910) und Louis Pasteurs (1822-1895) im 19. Jahrhundert unter dem Mikroskop eine neue Welt von kleinsten Organismen auf, die meist nur etwa 1 bis 5 pm (tausendstel Millimeter) messen und die noch immer ihre Faszination auf uns ausiiben. Vermutlich kennen wir auch heute nicht einmal 1%aller Arten der Bakterien und Archaeen. Archaea sind wie die Bacteria Prokaryonten, also Einzeller ohne definierten Zellkern, die man erst vor rund funfundzwanzig Jahren voneinander zu unterscheiden lernte. Sie stellen neben den Eukarya jeweils eigene Organismenreiche mit einer eigenen Evolution dar (Abb. 14-1). Archaeen ahneln auf den ersten Blick Bakterienzellen, sind aber haufig an besonders unwirtliche (,,archaische") Lebensraume angepasst. Sie gedeihen in extrem heigen (bis zu 113 "C), sauren (bis zu pH 0), schwefelhaltigen ( H2S), sauerstofffreien oder salzreichen (25% NaCl) Standorten und werden deshalb sehr treffend als ,,Extremophile" bezeichnet. Archaeen erweisen sich zu Pflanzen- und Tierzellen in mancherlei Hinsicht naher verwandt als zu Bakterien. Tatsachlich kann man durch Gen- und Proteinvergleich eukaryotische Zellen auf einen mit Archaeen gemeinsamen Ursprung zuriickfiihren, wenigstens bei solchen Komponenten, die mit der Genverdopplung, der Transkription und der Translation, also der Proteinsynthese zu tun haben (Abb. 14-1). Der groBte Teil der Stoffwechselenzyme ahnelt dagegen denen der Bakterien. Die Aufklarung kompletter Genome zeigte, dass es einen Genaustausch zwischen und innerhalb der Archaeen und Bakterien gegeben haben muss und dass eine Anzahl von Genen der Archaeen uns noch vollig unbekannte Proteine codieren. Hitzeresistente Enzyme und solche mit neuen katalytischen Eigenschaften sind fur die biotechnologische Forschung und Anwendung von hohem Interesse.
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Abb. 14-1 Stammbaurn der Organismenreiche Bacteria, Archaea und Eukarya Die Abzweigungen wurden anhand der Ahnlichkeit von ribosomaler RNA (1 65 RNA) berechnet, die Position der Abzweigung zur Urzelle (Progenot) durch Vergleiche von verschiedenen Proteinen
14.2
Zellgestalt und Taxonornie
Prokaryonten begegnen uns in Lehrbuchern ublichenveise als Kokken (kugelformige Zellen), Stabchen (wie etwa der Modellorganismus der Molekularbiologie, das Darmbakterium Escherichia coli) und Spirillen (korkenzieherartig gewundene Zellen). Darin erschopft sich ihre morphologische Variabilitat aber keineswegs. So kommen z.B. die photoautotrophen Cyanobakterien in vielzelligen Faden vor, mit funktionell und strukturell differenzierten Zellen, die sich an festen Oberflachen festsetzen oder gleitend auf ihnen fortbewegen konnen. Es gibt sternformige und gestielte Bakterien und solche mit langen, hohlen Hyphen (,,Schlauchen"),um auch die letzten Nahrungsmolekule aus nahrstoffarmen Gewassern heraus filtern zu konnen (Abb. 14-2). Vielzellige Myxobakterien-Ansammlungenbilden in einem komplexen Entwicklungszyklus asthetisch ansprechende Fruchtkorper aus, und Forscher der Universitat Regensburg haben eine thermophile Archaeen-Art entdeckt, die ein dichtes Netzwerk aus hohlen Proteinfaden bildet, in dem sich die Zellen verankern und dem Strom heisen Wassers aus vulkanischen Tiefseequellen trotzen (Abb. 14-3). Obwohl Prokaryonten also weitaus formenreicher sind als gemeinhin angenommen, kann man die derzeit etwa SO00 bekannten Arten nicht allein anhand morphologischer Merkmale unterscheiden. Mikrobiologen untersuchen deshalb auch die Zusarnmensetzung von Lipiden, Zellwandkomponenten und anderen typischen
74.2 Zellgestalt und Taxonornie
Abb. 14-2 Beispiele fur die Vielgestaltigkeit von Bakterien. (A) Cyanobakterium Croococcus turgidus, (6) Cyanobakterium Spirulina subsalso, (C) unidentifizierter thermophiler Mikroorganismus, thermophiles Bakterium m i t langen ,.Stielen" zur Nahrstofffrlterung. (A,B) lichtmikroskopi-
sche Aufnahmen (Egbert Hoiczyk, MPI fur Biochemie Martinsried), Balken 5 p m , (C,D) elektronenmikroskopische Aufnahmen (James Chalcroft, MPI fur Biochemie, Martinsried). Balken 0,spm.
Molekulen, um Aufschluss uber Venvandtschaftsverhaltnisse zu erlangen. Taxonomische und phylogenetische Einordnungen werden in der Regel durch den Vergleich der Basensequenzen von Nucleinsauren (besonders geeignet sind die Nucleinsauren der Ribosomen) oder der Aminosauresequenz ausgesuchter Proteine vorgenommen. Gensonden - d. h. kurze, mit Fluoreszensfarbstoffen markierte Nucleinsauremolekiile, die konservativen Basenabfolgen der ribosomaler RNA entsprechen und durch Basenpaarung spezifisch gebunden werden - ermoglichen die Zuordnung sogar einzelner Zellen zu Bakterien- oder Archaeen-Gruppen. Werden die Gensonden von passenden Basensequenzen gebunden, leuchten die Zellen nach Anregung mit kurzwelligem Licht im Mikroskop auf. Die Zusammensetzung und die okologischen Zusammenhange von mikrobiellen Lebensgemeinschaften in Gewassern, im Boden oder in Biofilmen (Belage auf Oberflachen) lassen sich so untersuchen, ohne darauf angewiesen zu sein, die Mikroorganismen auch isolieren und kultivieren zu konnen.
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74 Mikrobielle Strukturen
Abb. 14-3
Koloniebildung und Struktur des therrnophilen Archaeon F'yrodictium abyss; (Reinhard Rachel, Universitat Regensburg). (A) Flockenbildung in Flussigkultur, ( 5 ) Netzwerk aus hohlen Proteinfaden (Cannulae) m i t darin verankerten Zellen, (C) elektronenrnikros-
kopische Aufnahrne der regelrnaf3ig strukturierten Cannulae, (D)Ultradunnschnitt einer typischen Pyrodictium-Zelle; die Zellwand ist aus zweidirnensional kristallin angeordeneten Protelnrnolekulen aufgebaut (S-Layer).
14.3
Untersuchung intrazellularer Stru kturen
Bakterien werden den komplexeren tierischen und pflanzlichen Zellen oft als prirnitive ,,Urlebensformen" gegcniibergestellt. Tatsachlich weisen Eukaryonten eine starkere intrazellulare Differenzierung, d. h. membranbegrenzte Zellraume (Kompartimente oder Organellen) auf, die bei Bakterien nicht angetroffen werden. Dazu zahlen Mitochondrien, Chloroplasten und Vakuolen in Pflanzenzellen, die Zellkernhiille, das endoplasmatische Retikulum und andere. Trotzdem sind auch Bakterien-
14.3 UntersuchungintrazellularerStrukturen
zellen funktionell uberaus differenziert (Abb. 14-4) und weisen intrazellulare Strukturen auf, die in Eukaryonten nicht vorkommen oder bis vor kurzem noch nicht bekannt waren. Die Ergebnisse der Strukturforschung hangen immer eng mit dem Stand der praparativen und mikroskopischen Kunst zusammen. Zu einer vie1 versprechenden neuen Methode zahlt die zellulare Elektronentomographie, eine Technik der Elektronenmikroskopie, mit der native Zellen dreidimensional dargestellt werden (Abb. 14-5). Die besondere Starke der Elektronenmikroskopie ist, dass sie im Gegensatz zu anderen Methoden der Strukturforschung (Rontgenkristallographie oder Kernspinresonanz) auch individuelle Makromolekule abbilden kann. Bei einer moderaten Auflosung von 2 bis 3 millionstel Millimetern sind Proteinkomplexe bereits gut genug erkennbar, um sie mit bekannten Strukturen vergleichen und identifizieren zu konnen. Dies eroffnet die faszinierende Moglichkeit, die raumliche Anordnung von Proteinkomplexen in der ,,lebenden" Zelle zu untersuchen. Konventionell furierte und in Kunststoffe eingebettete Ultradunnschnittpraparate, wie sie schon seit langem in der zellbiologischen Forschung eingesetzt werden, eignen sich dafur allerdings nicht. Heute werden lebende Zellen in wassrigem Milieu schockgefroren und bei tiefer Temperatur (-180 "C) mikroskopiert. Speziell ausgerustete Elektronenmikroskope liefern ausreichend kontrastreiche Bilder auch dicker Praparate wie ganzer Zellen von Bakterien oder Archaeen, die so fur die dreidimensionale Rekonstruktion zuganglich werden (Abb. 14-5). Grogere, auch eukaryotische Zellen konnen durch Elektronentomographie untersucht werden, wenn sie in gefrorenem Zustand bis zu einer Dicke von ca. 0,s pm geschnitten und diese Schnitte dann dreidimensional rekonstruiert werden.
Abb. 14-4 Beispiele fur die intrazellulare Strukturierung (Kornpartirnentierung) von Prokaryontenzellen (MPI fur Biochernie, Martinsried). (A) Ultradunnschnitt einer Zelle des Archaeons Therrnoplasrna acidophilurn, das auger einer Lipidrnernbran keine weitere
Zellwandhullen rnehr besitzt. Die Zelle ist rnit Proteinen dicht gefullt. (B) Ultradunnschnitt durch das photosynthetisch aktive Bakteriurn Thiocapsa pfennigii. Die Zelle enthalt dicht gepackte Photosynthesernernbranen und Schwefelkuglen (weig).
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14 Mikrobielle Strukturen
Abb. 14-5 Dreidirnensionale (3D) Rekonstruktion einer nativen Zelle von Pyrodictium abyss; durch Elektronentornographie (Jochen Bohrn und Wolfgangn Baurneister, MPI fur Biochemie, Martinsried). (A) Serie von ausgewahlten, gerechneten Bildschnitten durch das dreidirnensional rekonstruierte Volumen einer lebenden, schockgefrorenen Zelle; (6) elektronenrnikro-
skopische Originalaufnahrne der Zelle. Die Serie zeigt ein Liptdvesikel in verschiedenen Bildschichten, das durch die Zellrnernbran und den S-Layer trttt. (C) 3D-Oberflachendarstellung des hier offen dargestellten Vesikels, die regelmagige Struktur der Zellwand (des S-Layer) ist zu erkennen.
14.4 Die Zellwand der Bakterien und Archaeen
Alle Zellen sind von einer Biomembran, der (Zyto)Plasmamembran umgeben, in der Transportproteine fur den Stoffaustausch mit der extrazellularen Umgebung und bei Prokaryoten auch Enzyme des Energiestoffwechsels eingebettet sind. Zellen, die sich gegen osmotische oder andere bedrohliche Einflusse schutzen mussen, umgeben sich zusatzlich mit einer rigiden Zellwand: Pflanzenzellen rnit Zellulose-
14.4 Die Zellwand der Bakterien und Archaeen
Abb. 14-6 Beispiele fur die Struktur zweidirnensional kristalliner Proteinschichten (S-Layer) i n der Zellhulle von Archaeen und Bakterien (Harald Engelhardt, MPI fur Biochernie, Martinsried). (A) Wechselwirkung der S-Layer rnit anderen Kornponenten der Zellhulle. OM: Pugere Mernbran, OMP: Protein in der augeren Mernbran, LPS: Lipopolysaccharid. das typische Lipid der augeren Mernbran, PC: Peptidoglycan, ZM: Zytoplasrnarnernbran. SLH: S-Layer-Hornologie-Dornane der S-Layer von Cram-positiven Bakterien, sie bindet an Peptidoglycan.
(B) S-Layer-Protein (,,Tetrabrachion") des Archaeons Staphylothermus marinus. (C) elektronenrnikroskopische Aufnahrne des S-Layers eines Cram-positiven Bakteriurns (Sporosarcina ureae) rnit 3D-rekonstruiertern Ausschnitt (CroTSe 26 nrn; links AuRenseite, rechts Innenseite). (D) Aufsicht aufdie 3D-Rekonstruktion des S-Layers eines Cram-negativen Bakteriurns (De,ftia acidouorans). BildgroRe 21 nrn. oben AuRenseite, unten lnnenseite des S-Layers.
schichten, Pilze mit verschiedenen Zuckerpolymeren, darunter Chitin, Bakterien mit Peptidoglycan - einem widerstandsfahigen Netz aus polymeren Zuckerketten, die durch kurze Peptidbriicken quer vernetzt sind. Bakterienzellwande sind nicht einheitlich und dienen deshalb auch als taxonomisches Merkmal. Als weitere Zellhullschichten kennen wir die auBere Membran bei vielen Bakterien, Proteinschichten aus regelmagig angeordneten, zweidimensional kristallinen Proteineinheiten (Surface-Layer oder S-Layer' und Schleimkapseln. Die ubenviegende Zahl der
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I Archaea verfiigen nur iiber einen S-Layer als einzige Zellwandschicht (Abb. 14 Mikrobielle Struktunn
14-3,
erst vor kurzem entdeckte man das erste Archaeon mit einer zweiten Membran). S-Layerproteine sind oft glycosyliert, augergewohnlich hitzeresistent, verhaltnismagig stabil gegen proteolytischen Angriff und chemische Agenzien und als zweidimensionale Kristalle strukturell sehr variabel (Abb. 14-6).Sie werden deshalb auch von Materialwissenschaftlern als mogliche Strukturierungsvorlagen (,,Template") im Nanometerbereich geschatzt (Nanotechnologie). Ein nahezu ausschlieBlich bakterielles Charakteristikum der Zellwand ist die BuRere Membran der so genannten Gram-negativen Mikroorganismen (diese besitzten ein diinnes Peptidoglycan und verhalten sich im Farbetest nach Gram negativ). Die Lipiddoppelschicht der augeren Biomembran enthalt zur Zelle hin orientiert Phospholipide, wie sie auch in der Zytoplasmamembran vorkommen, nach auBen hin die sehr hydrophilen, komplex aufgebauten Lipopolysaccharide, die bei manchen pathogenen Bakterien toxische Eigenschaften aufweisen. Lipopolysaccharide stellen eine wirkungsvolle Barriere gegeniiber hydrophoben (lipophilen) Stoffen dar, welche die strukturelle Integritat der Zytoplasmamembran gefahrden konnten. Eine zweite Biomembran macht aber zusatzliche Membranproteine, z.B.
Abb. 14-7 Typische Strukturen von Proteinen der augeren Membran von Bakterien i n Seitenansicht (Harald Engelhardt, MPI fur Biochernie, Martinsried. Die Strukturdaten wurden der PDB-Proteindatenbank entnommen). Der graue Balken deutet den hydrophoben Bereich der augeren Membran an.
Celb: 0-Faltblattstrukturen der Proteine der augeren Membran. Rot: ti-Helixstrukturen irn periplasrnatischen Raum (TolC) und des tn der Zytoplasrnamernbran gelegenen Kaliurn-Kanals. TolC und das Porenproteln OmpF sind zusatzlich in Aufsicht dargestellt.
74.5 Besondere Strukturen pathogener Bakterien
Diffusions- bzw. Transportkanale erforderlich, die der Zelle die Aufnahme von Nahrstoffen und die Abgabe von Stohechselprodukten erlauben. Die Porenproteine (Porine) der augeren Membran zeichnen sich durch eine grundsatzlich andere Struktur im Vergleich zu den Proteinen der Zytoplasmamembran aller Organismen aus. Der im hydrophoben Bereich der Lipide liegende Teil von Transportproteinen und Proteinen der Elektronentransportkette besteht aus mehreren a-Helices, wahrend die Kanale der Porine grundsatzlich durch in sich geschlossene, zylinderformige P-Faltblattstrukturen (p-barrels)gebildet werden (Abb. 14-7). Dieses Bauprinzip ist vermutlich sehr friih in der Evolution der Mikroorganismen entstanden, und es hat sich bis hin zu den Porinen rnenschlicher Mitochondrien und von Chloroplasten Hoherer Pflanzen erhalten. Eine strukturell elegante Losung des Problems, fur den Export bestimmte Proteine uber den periplasmatischen (zwischen den beiden Membranen auftretenden) Spalt und durch die auBere Membran zu schleusen, hat die Natur mit dem Tunnelund Kanalprotein namens TolC gefunden. Zwolf a-Helices uberbriicken den periplasmatischen Raum in Form einer Rohre und gehen in ein zylindrisches p-Faltblatt uber, das einen Kana1 durch die Membran bildet (Abb. 14-7). Der a-helicale Teil dockt an einem Proteinkomplex in der Zytoplasmamembran an, der die zu exportierenden Proteine aktiv aus dem Zellinneren in den TolC-Tunnel transportiert. Diese Form des Proteinexports ist aber nicht die einzige Losung, die Prokaryonten im Laufe ihrer Evolution entwickelt haben. Manche extrazellularen Enzyme tragen ihre eigene Pore buchstablich mit sich. Denn das gesamte Protein enthalt auch die zur Bildung eines p-Faltblatt-Zylinders notwendigen Aminosauren. Dieser Zylinder inseriert in die auBere Membran und eroffnet den Weg fur das Protein (,,Autotransporter-Protein"), das die Pore passiert und anschliegend von dem Porenprotein abgespalten wird. Das Porenprotein steckt nur locker in der Membran und geht vermutlich bald verloren.
14.5
Besondere Strukturen pathogener Bakterien
Eine raffinierte Methode haben pathogene Bakterien entwickelt, Proteine aus- und in andere Zellen einzuschleusen. Sie hat ihren Ursprung wahrscheinlich in dem besonderen Mechanismus, mit dern Mikroorganismen sich fortbewegen. Prokaryonten konnen sich schwimmend mit Geigeln oder auf Unterlagen gleitend fortbewegen. Die strukturellen Grundlagen der Bewegungsmechanisrnen sind jeweils sehr typisch fur die Mikroorganismen, wir treffen sie im Organismenreich sonst nicht mehr an. Die GeiBeln (Flagellen) der Bakterien und Archaeen fiihren keine Schlagbewegungen aus, wie etwa die der Spermien oder Protozoen (eukaryotische Einzeller), sondern sie drehen sich um ihre Langsachse und ,,schrauben" die Zellen buchstablich durch das Wasser, das sich fur Organismen im MikrometermaBstab als ein sehr zahfliissiges Medium enveist. Der GeiBelmotor ist in der Zytoplasmamembran verankert und wird in der Regel durch Wasserstoffionen (H+) angetrieben
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14 Mikrobielle Strukturen
Abb. 14-8 Flagellenapparat von Bakterien. Stabilisierung und Verankerung der CeiRel in (A) Polare Ceigel von Wolinella succinogenes m i t der Zellwand. Sie wird aus einern spiralig gut sichtbarer Scheibe i m Bereich der augeren angeordneten Clykoprotein gebildet. Durchmesser 170 n m (Stephan Schuster und Membran und dern zyplasmatischen MotorSchalt-Kornplex (Stephan Schuster, MPI fur Harald Engelhardt, MPI fur Biochemie, Biochemie, Martinsried). (8) entsprechender Martinsried). (D) Ein Pathogenitatsfaktor von Bereich des zellularen Endes der Flagelle mit Salmonella typhirnurium, der Proteindem in den Membranen lokalisierten Ringen Translokations- und -1njektionskomplex ahnelt in GroRe und Architektur dern des Basalkorpers. Oben: elektronenmikroskopische Aufnahme i m Original, unten: Schnitt Flagellenapparat (Catherine Rappl und durch eine 3D-Rekonstruktion rnit zytoplasmati- Michael Hensel Pettenkofer-lnstitut, Munchen; Harald Engelhardt, MPI fur Biochernie. schem Schalt-Komplex. (C) Scheibe des Flagellenapparats von W succinogenes rnit FlagellenMartinsried). ende in Aufsicht. Die Scheibe dient der
(Abb. 14-8).So faszinierend diese Vorstellung bereits anmutet, der Motor ist augerdem so konstruiert, dass er in seine Achse - die hohle Geil3el- auch noch Proteine hinein zu transportieren vermag. Denn die Flagellen wachsen an ihrer Spitze indem sie neue Proteineinheiten (Flagellin) anfiigen, die zuvor durch den Flagellenkana1 dort hin gelangt sind. Offenbar haben pathogene Bakterien einen Teil dieser Proteinexportmaschinerie im Laufe ihrer Entwicklung d a m genutzt und so abgewandelt, dass sie Proteine -
74.G Mikrobielle Proteine als Prototypen
Abb. 14-9 Zelle von Salmonella typhimurium mit Fimbrien, die zur Adhasion an andere Zellen und zum Stofftransfer dienen. Diese Strukturen sind bei vielen pathogenen Bakterien zu finden.
so genannte Pathogenitatsfaktoren - aus der Zelle heraus transportieren und in Wirtszellen injizieren konnen. Der entsprechende Proteinkomplex ahnelt in GroBe, Aufbau und Architektur dem Flagellenapparat auffallend (Abb. 14-8D).Weitere Faktoren fur die Ausbildung pathogener Eigenschaften konnen diinne Proteinrohren (Pili, Fimbrien) sein, die wie Stacheln aus der Oberflache der Bakterien ragen und andere Zellen binden (Abb. 14-9). Die Aufklarung von Pathogenitatsfaktoren, deren genetische Struktur in so genannten ,,Pathogenitatsinseln" im Genom der Bakterien niedergelegt ist, beschaftigt derzeit viele Arbeitsgruppen. Sind die Zusammenhange der krankheitserregenden Mechanismen erst besser verstanden, so konnen neue und eventuell gezielter wirkende Medikamente gegen pathogene Bakterien entwickelt werden, die inzwischen eine hohe Resistenz gegenuber bekannten Antibiotika ausgebildet haben. Es ist iibrigens bemerkenswert, dass bis heute keine pathogenen Vertreter von Archaeen gefunden wurden, sie aber als Darmbakterien auch bei Menschen anzutreffen sind (Methanobakterien).
14.6
Mikrobielle Proteine als Prototypen
Warum untersuchen wir in Zeiten des Humangenom-Projekts noch Proteine mikrobieller Systeme? Im Falle pathogener Arten und biotechnologisch interessierender Enzyme liegt die Antwort nahe, ganz abgesehen davon, dass Organismen unterschiedlichen, also auch einfacheren Komplexitatsgrads unverzichtbar fur die Erforschung und das Verstandnis lebender Systeme sind. Dariiber hinaus hat sich gezeigt, dass prokaryotische Proteine oftmals einfachere Formen von hochmolekularen Proteinkomplexen eukaryotischer Organismen reprasentieren. Mikrobielle
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14 Mikrobielle Strukturen
Abb. 14-10 Proteasomen aus Vertretern der Archaea, Bacteria und Eucarya. Sie veranschaulichen die zunehrnende strukturelle Variabilitat und Komplexitat von prokaryotischen zu eukaryotischen Systemen. Proteasomen sind Protein-abbauende Enzyme, die aus zwei Crundtypen von Untereinheiten bestehen (a und 6). Sie liegen jeweils in verschiedenen Varianten vor
(Farben). Bei lnsekten (Drosophila) und Tieren allgernein ist das Proteasorn zentraler Bestandteil eines noch groi3eren Kornplexes, der zusatzlich weitere Proteine fur die Bindung und Entfaltung von abzubauenden Proteinen enthalt. Lange des Proteasoms 15 n m (Wolfgang Baurneister, MPI fur Biochernie. Martinsried).
Proteine lassen sich aber leichter untersuchen und liefern gleichzeitig Modelle fur die schwerer zuganglichen oder komplexeren Varianten aus tierischen und pflanzlichen Organismen. Ein Beispiel dafur liefert das Proteasom, eine Protease, die eine Komponente des kontrollierten, intrazellularen Proteinabbaus darstellt. Dieses zylinderformige, hohle Enzym besteht aus 28 Untereinheiten, von denen bei der Archaea-typischen Variante jeweils 14 identisch sind (Abb. 14-10),also zwei verschiedene, als u und p bezeichnete Proteineinheiten auftreten. Bakterielle Proteasomen sind aus vier unterscheidbaren Proteinen zusammengesetzt (al,a2, 81, 82). Eukaryotische Proteasomen enthalten dagegen jeweils sieben verschiedene Varianten der a- und p-Crundformen. In tierischen Organismen sind die Proteasomen zentrale Bestandteile von noch groseren Proteinstrukturen, die zwei weitere, aus jeweils 18 verschiedenen Proteinen bestehende funktionelle Komplexe aufweisen. Sie katalysieren wesentliche Schritte in der Ubiquitin-kontrollierten Proteolyse und haben dabei auch eine zentrale Aufgabe in der immunologischen Abwehr zu erfullen, indem sie Fremdproteine entfalten und in kleine Stiicke spalten, um diese dann fur die Antikorperbildung bereit zu stellen. Die erfolgreiche Untersuchung des zusammengesetzten Proteasomenkomplexes ware ohne die vorherige Losung der Struktur des prokaryotischen Prototyps kaum vorstellbar.
14.6 Mikrobielle Proteine als Prototypen
Abb. 14-11 Capsid der Tricorn-Protease aus dern Archaeon ihermoplasma acidophilum. Die in den Zellen so vorkornrnende suprarnolekulare Struktur des Enzyrns besteht aus 20 hexarneren Molekiilen. die einen freien lnnenraurn
aufweisen, in dern das katalytische Zentrurn liegt (Schnittbilder). Das Capsid hat eine Grof3e von 50 nrn (Wolfgang Baurneister, MPI fur Biochernie, Martinsried).
Eine eindrucksvolle Struktur bildet eine weitere Protease aus dem thermophilen und im sauren Milieu lebenden Archaeon Themoplasrna acidophilurn. Dieses Enzym birgt, wie die Proteaseomen und viele andere kontrollierten Proteasen, das katalytische Zentrum im Inneren des Molekiils (Prinzip der ,,Selbstkompartimentierung"). Diese sog. Tricorn-Protease bildet augerdem noch ein supramolekulares Capsid aus 20 Molekulen, die ihrerseits aus jeweils sechs Untereinheiten zusammen gesetzt sind (Abb. 14-11). Die Existenz solcher ,,Enzymkugeln" in lebenden Zellen wurde mit Hilfe der Elektronentomographie nachgewiesen. Weitere Beispiele sind die Enzyme der Atmungskette, die bei Aktivitat rotierende F-ATP-Synthase und die Photosystemkomplexe. Die atomaren Strukturen dieser im Engergiestofiechsel jeweils Schliisselstellungen einnehmenden Membranproteine wurden zuerst bei mikrobiellen Systemen gelost. Gleiches gilt fur die Aufklarung der Struktur des RNA-Polymerasekomplexes und des Ribosoms, den entscheidenden Komponenten der Transkription und Translation genetischer Information.
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14 Mikrobielle Strukturen
Prokaryonten erscheinen uns deutlich ,,primitiver" als eukaryotische Zellen, ihre strukturellen und funktionellen Komponenten sind aber in den wesentlichen Grundzugen eng miteinander verwandt. Wenn wir die Funktion fur den Stoffwechsel grundlegender Makromolekule verstehen lernen wollen, so lohnt der Blick in die unscheinbaren Nachkommen jener Mikroorganismen, die zur Entstehung und Evolution der Eukaryonten ihr genetisches Material beigesteuert haben.
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15 Biofilme - die bevorzugte Lebensform der Mikroorganismen') Hans-Curt Nernrning undJost Wingender
,,Biofilm" ist der Ausdruckfur mikrobielle Aggregate wie Flocken, Belage und Schlamme; die meisten Mikroorganismen a u f der Erde leben i n solchen Agregaten. Ihnen gemeinsam ist, dass die Organismen i n eine Matrix von extrazellularen polymeren Substanzen ( E P S ) eingebettet sind und darin synergistische Gemeinschaften (Mikrokonsortien) bilden konnen. Dort sind sie weitgehend gegen Biozide geschiitzt, ausserdem wirkt die EPS-Matrix als Nahrstof-Sorbens, halt Exoenzyme zuriick und lusst sich als ,,Recycling-System" f r Zellbestandteile sowie f u r Nahrstofe betrachten. Biofilme sind ubiquitur und kommen auch a n extremen Standorten vor. Sie bestehen haufig aus Bakterien undloder Algen, konnen aber auch hohere trophische Ebenen enthalten indem sie Protozoen und Metazoen als Nahrungsgrundlage dienen. Biofilrne sind von einer grossen rdumlichen Heterogenitiit gepragt und unterliegen einer zeitlichen Dynamik. In ihnen kommt es zu einem regen Austausch von Signalen und Genen. Deshalb tragen Biofilme Kennzeichen multizellularer Organismen.
15.1
Was sind Biofilme?
Der weit ubenviegende Teil der Mikroorganismen auf der Erde lebt in Aggregaten: in Flocken, Filmen und Schlammen. Diese Lebensform, ,,Biofilm" genannt, gibt ihnen die Moglichkeit, synergistische Lebensgemeinschaften zu bilden, Nahrstoffe zu akkumulieren und wiederzuvenvenden, Schutz zu finden sowie leicht Signale und Gene austauschen zu konnen - Biofilme lassen sich als enter Schritt der Evolution zu vielzelligen Organismen verstehen. Der Begriff ,,Biofilm" ist eine etwas unscharfe Bezeichnung fur die verschiedenen, 0.g. mikrobiellen Aggregate. Ihnen allen ist gemeinsam, dass die Mikroorganismen in eine Matrix aus extrazellularen polymeren Substanzen (EPS) eingebettet sind, die sie zusammenhalt und ggf. an Oberflachen bindet. Die EPS spielen eine zentrale Rolle fur diese besondere Form des mikrobiellen Lebens. 1)
Die Erstveroffentlichung des hier erweiterten Beitrags unter: Flernming, H.X.; Wingender, J. (2001): Biofilrne - die bevorzugte Lebensform der Mikroorganisrnen Biologie in unserer Zeit 31, 2-13.
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75 Biofilme -die bevorzugte Lebensform der Mikroorganismen
Abb. 15-1 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Biofilms auf einer Umkehrosmose-Membran i n einer Wasseraufbereitungsanlage (Aufnahme: C.Schaule und ti. Schoppmann)
Biofilme konnen sich nicht nur an Grenzflachen zwischen Wasser und festen Medien entwickeln, sondern auch zwischen Wasser und Luft sowie zwischen Feststoff und Atmosphare, namlich auf natiirlichem Gestein oder an Mauern. Die Voraussetzungen fur die Entstehung von Biofilmen sind denkbar einfach: Es miissen Grenzflachen vorhanden sein, geniigend Wasser, mikrobiell verwertbare Nahrstoffe und natiirlich die Mikroorganismen selbst. Diese sind aber praktisch ubiquitar, weshalb Biofilme ebenfalls weit verbreitet sind, in der Natur, in technischen Systemen und im medizinischen Bereich (Costerton et al. 1987). Weil es Mikroorganismen gibt, die an extreme Umgebungen adaptiert sind, konnen auch scheinbar lebensfeindliche natiirliche Biotope bewohnt werden wie die Umgebung von schwefelhaltigen heisen Quellen, hypersaline und saure Seen, arktische und heiBe Wiisten (Costerton et al. 1994) oder technische Bereiche wie Heigwassersysteme, Elektroden, Kiihlkreislaufe in Kraftwerken. Sie wurden sogar in hochbestrahlten Bereichen von Kernkraftwerken sowie auf Quarzschutzmanteln von UV-Lampen gefunden, um nur einige besonders eindrucksvolle Beispiele zu nennen. Biofilme konnen hier zu groBen Schwierigkeiten fiihren, die als ,,Biofouling" (unenviinschte Biofilmbildung) und ,,mikrobiell beeinflusste Korrosion" bekannt sind. Abbildung 15-1 zeigt die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Biofilms, der eine Umkehrosmose-Membran irreversibel verblockt und Hunderte von Reinigungs- und Desinfektionsprozessen iiberlebt hat.
15.2 Charakteristika von Biofilmen
15.2
Charakteristika von Biofilmen
Allen Arten mikrobieller Aggregate ist gemeinsam, dass sie in der EPS-Matrix mehr oder weniger immobilisiert sind. Hier befinden sich die einzelnen Organismen fur relativ lange Zeit in unmittelbarer Nahe zueinander wodurch sie zahlreiche Wechselwirkungen aufiauen konnen. Dadurch ist die Entwicklung von synergistischen Gemeinschaften (,,Mikrokonsortien")moglich, welche maBgeblich an biologischen Selbstreinigungsprozessen in Gewassern, Sedimenten und Boden beteiligt sind. In der gelartigen Matrix von Biofilmen kommt es zur Nahrstoffanreicherung, was besonders in nahrstoffarmer Umgebung von Vorteil fur die Organismen ist; unter Nahrstofflimitierung konnen Biofilm-Bewohner immer noch wachsen, wenn singulare Bakterien dazu schon nicht mehr in der Lage sind. Durch die EPS-Matrix wird der stromungsvermittelte Stofftransport gegenuber dem diffusiven wesentlich eingeschrankt und es entstehen Gradienten innerhalb der Biofilme. Dies hat besonders im Falle des Sauerstoffs okologische Konsequenzen, weil er von aeroben Organismen schneller verbraucht wird als er nachdiffundieren kann und auf diese Weise in direkter Nachbarschaft anaerobe Zonen entstehen (Abb. 15-2). In aeroben Systemen schaffen also die Aerobier im Biofilm Habitate fur die Anaerobier.
Abb. 15-2
Profil der Sauerstoflonzentration in einem Biofilm. Daten aus Messungen mit Mikroelektroden (nach DeBear et al. 1994)
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15 Biofilrne
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die bevorzugte Lebensforrn der Mikroorganisrnen
Die Anheftung an eine Oberflache und die Entstehung verschiedener Habitate und Populationen nebeneinander auf kleinstem Raum erleichtert Umsetzungen von anorganischen und organischen Verbindungen, die in Suspension nicht oder vie1 langsamer stattfinden wiirden. So haben Biofilme eine deutlich hohere Nitrifikations-Aktivitat als suspendierte Einzelzellen. Ein sequenzieller Abbau von Xenobiotika findet ebenfalls im Biofilm leichter statt, weil die Nutzung auch schwer abbaubarer Substrate durch Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten im Biofilm moglich ist. Der Biofilm bietet den Mikroorganismen die Moglichkeit, auch unter ungiinstigen Umgebungsbedingungen zu iiberleben. Er bietet Schutz vor pH-Extremen, Salzbelastungen, hydraulischer Belastung, toxischen Metallionen (durch deren Bindung an die EPS), Bioziden und Antibiotika, sowie vor Immunabwehrmechanismen des Wirtsorganismus bei Infektionen; und die Wasserspeicherung in der EPS schiitzt in gewissem Umfang vor Austrocknung des Biofilms. Die fur Biofilme typische hohe Zelldichte erlaubt einen Informationsaustausch durch GenTransfer oder mittels niedermolekularer Signalmolekule, was in Populationen planktischer Einzelzellern nicht moglich ware.
15.3
Bedeutung von Biofilmen
Die fruhesten Beobachtungen von Biofilmen gehen auf die mikroskopischen Arbeiten von Antonie van Leeuwenhoek (1632-1723) zuriick: Er veroffentlichte 1683 erstmalig Zeichnungen von Bakterien aus menschlichen Zahnbelagen. Da in der klassischen Mikrobiologie meist mit Bakteriensuspensionen in Reinkultur gearbeitet wird, werden Biofilme in den Schiittelkulturen als storendes ,,Wandwachstum" betrachtet und in der Regel nicht eingehender erforscht. Daher wurde lange Zeit ubersehen, dass mikrobielle Lebensgemeinschaften in Biofilmen und Flocken die universelle Lebensform von Mikroorganismen darstellen. Durch die Weiterentwicklung mikroskopischer Techniken, spezifischer Fluoreszenzfarbstoffe, von Mikroelektroden sowie durch die Anwendung molekulargenetischer Methoden wird seit einigen Jahren deutlich, dass es sich bei Biofilmen um komplexe, aber strukturierte Lebensgemeinschaften verschiedener Arten von Mikroorganismen handelt, die als Reaktion auf die jeweiligen Umweltbedingungen spezifische Zusammensetzungen und Aktivitaten aufweisen. Die Bildung von Biofilmen scheint ein fundamentaler Mechanismus und eine erfolgreiche Strategie von Mikroorganismen fur die Besiedlung unterschiedlichster Lebensraume und fur das Uberleben in diesen zu sein. So stellen Biofilme die alteste bislang bekannte Form von Lebensgemeinschaften dar. Versteinerte Bakterien in mineralisierten fossilen Biofilmen, ,,Stromatolithe" genannt, datieren iiber 3,s Milliarden Jahre zuruck (Abb. 15-3). In als Mikrobenmatten (,,microbial mats") beschriebenen Biozonosen sind im Verlauf der Evolution Mikroorganismen entstanden, die zur Photosynthese fahig waren. Sie haben den Sauerstoff in die urspriinglich anaerobe Erdatmosphare gebracht und dadurch die bis dahin vorherrschenden anaeroben Mikroorganismen
75.3 Bedeutung uon Biofilrnen
Abb. 15-3 3,5 Milliarden Jahre alte Mikrofossilien aus petrographischen Dijnnschnitten von prakarnbrischen Strornatolithen aus Warranoona (Australien), die aus Mikrobenmatten entstanden sind (nach Ehrlich 1996).
in ihre heutigen okologischen Nischen verdrangt. Auch zur Entstehung fossiler Brennstoffe haben Biofilme entscheidend beigetragen. Mikrobenmatten sind ferner an der Bildung von Lagerstatten solcher Elemente wie Eisen, Kupfer, Blei, Uran, Phosphor und Schwefel beteiligt. Vergleichbare Mikrobenmatten sind heute besonders in extremen Lebensraumen (z. B. in stark salzhaltigen Gewassern oder intertidalen Zonen, wie im Farbstreifen-Sandwatt) anzutreffen. Hier stellen sie komplexe, vertikal geschichtete mikrobielle Lebensgemeinschaften dar, in denen gewohnlich verschiedene Gruppen photosynthetischer Mikroorganismen und heterotropher Bakterien vorkommen. Auf unserer Erde gibt es praktisch keine Grenzflachen, die nicht von Mikroorganismen besiedelt sind oder zumindest besiedelt werden konnen. Es sind bislang auch keine Werkstoffe bekannt, die auf Dauer einer mikrobiellen Besiedlung widerstehen. Die meisten Biofilme bilden sich an der Grenzflache von einer festen Oberflache und Wasser, aber, wie die Tabelle 15-1zeigt, werden auch andersartige Grenzflachentypen besiedelt. Dem Grenzflachentyp entsprechend variiert der Wassergehalt in Biofilmen; in wasseriger Umgebung kann er bis zu 98 5% betragen, wahrend er an luftexponierten Felsen oder in trockener Umgebung wesentlich geringer sein kann - hier sind Biofilme haufig Bestandteil von ,,Schmutzschichten", die auch hohe Gehalte abiotischer Stoffe aufweisen. Die EPS-haltige Biofilm-Matrix hat dabei prinzipiell die
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75 Biofilme -die beuorzugte Lebensform der Mikroorganismen
Funktion eines Wasser-Speichersystems, das es den Biofilm-Organismen erlaubt, auch unter extremen Trockenbedingungen jahrzehntelang zu uberleben. Biofilme besiedeln Gestein und konnen dessen Venvitterung beschleunigen, indem sie Sauren und komplexbildende Substanzen ausscheiden. Durch ihren direkten Kontakt mit der Gesteinsoberflache, konnen auch schon verhaltnismafiig geringe Mengen an Stoffwechselprodukten starke Venvitterungsprozesse hervorrufen. Damit tragen Biofilme zur Bioverfugbarkeit essentieller Metallionen wie Fe, Mn, Co und anderen bei (Ehrlich 1996). Die Abbildungen 15-4 M zeigen Biofilme auf Poren in Sandstein, wobei die Organismen starken Temperatur- und Feuchteschwankungen ausgesetzt sind, die sie aber aufgrund des Schutzes durch die EPS-Matrix gut iiberstehen. Tab. 1
Biofilme an Grenzflachen
CrenIfliiche
Beispielefir dos Vorkornrnen von Biofilrnen
Feste Oberflache/Fliissigkeit
auf untergetauchten Felsen und Steinen (epilithische Biofilme). in Gewassersedimenten, auf Innenwandungen von Wasserleitungen und Wasserbehaltern, auf Schiffsrumpfen, auf medizinischen Prothesen, Kathetern, auf lebenden Geweben (Wasserpflanzen, Epithelgewebe von Mensch und Tier), auf Zahnen biologischer Rasen in Tropfkorperanlagen. in Boden, Bakterienkolonien auf Agarnahrbiiden, Flechten
feste Oberflache/Luft (oft zeitweise in Kontakt mit Fliissigkeiten) Fliissigkeit/Luft Fliissigkeit/Fliissigkeit
Schwimmschichten (Neuston) an der Oberflache von Gewassern, von Wasser in Speicherbehaltern, usw. Kohlenwasserstoffabbauende Biofilme an OI/WasserGrenzflachen
15.4
Biofilme und Gesundheit
Im Darm, in Schleimhauten und auf der Haut sind funktionierende Biofilme entscheidend fur die rnenschliche Gesundheit: wenn diese Biofilrne aus dem Gleichgewicht geraten, konnen schwere Krankheiten entstehen. Biofilme konnen allerdings auch andenveitig im Gesundheitswesen groge Probleme hervorrufen. Sehr gefurchtet sind sie in medizinischen Geraten und auf Implantaten, da sie die Ursache fur lebensbedrohende Infektionskrankheiten sein konnen. Fur Trager von Kontaktlinsen ist der Kampf gegen mikrobielle Besiedlung und die daraus entstehenden Biofilme eine alltagliche Pflichtubung, die sich bei Misserfolg sehr schmerzlich auswirken kann. Auch Zahnbelag stellt einen medizinisch wichtigen Biofilm dar, der zur Zerstorung des Zahnschmelzes und in der Folge zur Ausbildung von Zahnkaries fuhren kann. Bei der industriellen Herstellung von Medikamenten konnen Biofilme verheerend in Erscheinung treten. So wurde beispielsweise eine unter Asthmati-
75.4 Biofilme und Gesundheit
Abb. 15-4 a) Sandsteinfelsen an der Kuste vor Sydney, starken Ternperatur- und Feuchtigkeitsunterschieden ausgesetzt; b)-d) rasterelektronenrnikroskopische Aufnahrnen einer besiedelten Pore; in d) gut erkennbar: stabchenforrnige Bakterien, in EPS-Schicht eingebettet
kern in den USA 1993/1994 aufgetretende Erkrankung mit 100 Todesfallen auf die Verunreinigung eines Albuterol-Inhalationsmittels mit Biofilmbakterien zuriickgefiihrt; sie hatten sich im Herstellenverk an den Wanden des Fermenters angesiedelt und wurden mit den venvendeten chemischen Desinfektionsmitteln nicht abgetotet. Aus hygienischer Sicht sind Biofilme als Infektionsquellen von Bedeutung, da sie einen geschutzen Lebensraum fur Krankheitserreger darstellen, die sich dort ansiedeln und sogar vermehren konnen. Das Leben im Biofilm kann eine erhohte Unempfindlichkeit dieser Pathogene gegenuber Antibiotika, Desinfektionsmitteln (siehe Abb. 15-5) oder der Immunabwehr des Wirtes bewirken. Die chronische Lungenentzundung von Patienten mit der Erbkrankheit der Mukoviszidose beruht darauf, dass stark schleimbildende Bakterien der Art Pseudornonas aeruginosa das Epithelgewebe in Form von Biofilmen besiedeln, jedoch in dieser Form durch die humoralen sowie zellularen Immunabwehrmechanismen nicht entfernt werden konnen. In Biofilmen von Hausinstallationen konnen sich typische Wasserbakterien mit pathogenem Potential (opportunistische Krankheitserreger)
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die bevorzugte Lebensforrn der Mikroorganisrnen
Abb. 15-5 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Biofilms in einer Kupferrohrleitung einer rentralen Desinfektionsmitteldosieranlage (Aufnahrne: C.-J.Tuschewitzki)
ansiedeln wie zum Beispiel Legionellen, atypische Mykobakterien oder P. aeruginosa, welche durch die ubliche Trinkwasserchlorung nicht abzutoten sind.
15.5
Die Entwicklung von Biofilmen
Biofilme sind heterogene Systeme. Drei Phasen sind an ihrer Entstehung Iwteiligt: Das Medium (flussige Phase), beeinflusst durch Temperatur, pH-Wert, geIoste organische und anorganische Stoffe, Oberflachenspannung, Viskositit, hydrodynamische Parameter (Scherkrafte, Turbulenz, Druck) Das Substratum (feste Phase), beeinflusst von chemischer Zusammensetzung, Hydrophobizitat, Oberflachenspannung, Oberflachenladung, ,,biologische Affinitat", d. h. Besiedelbarkeit, Rauhigkeit, Porositat Die Mikroorganismen (zunachst partikulare, dann gelformige Phase), beeinflusst von Spezies, Zellzahl, Ernahrungszustand, Hydrophobizitat und Ladung der Zelloberflache, EPS, Wachstumsphase.
Die Komplexitat dieses Geflechts von Wechselwirkungen lasst erkennen, dass man kaum einen einheitlichen Adhasionsrnechanismus fur alle Systerne erwarten kann. Man weiK auch, dass ein und derselbe Organismus fur hydrophile und hydrophobe Oberflachen verschiedene Mechanismen benutzen kann. Erst in den letzten Jahren hat man begonnen, detaillierte Einsicht in die molekulare und genetische Basis der Biofilm-Entwicklung zu gewinnen. Allerdings sind bisher Biofilme nur einiger weniger Bakterienarten eingehender betrachtet worden, a m intensivsten das Gram-negative Bakterium Pseudornonas aeruginosa. Dieser Organismus bietet den Vorteil, dass er physiologisch, biochemisch und molekulargenetisch bereits eingehend charakterisiert ist. In der Biofilm-Forschung werden haufig mucoide Stamme
15.5 Die Entwicklung
Abb. 15-6 Entwicklung und Ausbreitung eines Biofilms in einem Wassersystem. a) ,,conditioning film". b) reversible und irreversible Adhasion, c) EPS-Produktion und Bildung von Mikrokolonien, d) reifer, konfluenter Biofilm,
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Biofilrnen
e) Ablosung einzelner Bestandteile (1) Biofilm-
Fetzen, ,,sloughing", (2) aktive Ablosung von Einzelorganismen (,,Schwarmerzellen") durch Abbau von Matrixpolymeren, f) weitere Ausbreitung
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I von P. aeruginosa verwendet, die eine verstarkte Produktion des extrazellularen Poly15 Biofilrne -die bevorzugte Lebensforrn der Mikroorganisrnen
saccharids Alginat aufweisen, was makroskopisch an einer charakteristischen Schleimbildung auf Oberflachen von Agar-Nahrmedien zu erkennen ist. Im Folgenden werden daher wichtige Befunde der Biofilm-Forschung am Beispiel dieser Bakterienart aufgezeigt. Trotz aller Vielfalt lassen sich in der Entwicklung eines Biofilmes generell verschiedene Stadien erkennen (Abb. 15-6). Dabei sind folgende Parameter wichtig: (1) die Induktionszeit, bis zum Beginn des logarithmischen Biofilm-Wachstums (2) die Wachstumsrate, die bestimmt, wie schnell das Plateau erreicht wird (3) das Ausma& des Wachstums, das die Dicke und die Auswirkungen von Biofilmen bestimmt.
Die Entstehung von Biofilmen beginnt mit der Anheftung (Adhasion) von Mikroorganismen an eine Aufwuchsoberflache (das Substratum) und ihrer Vermehrung zu Mikrokolonien. Diese wachsen im weiteren Verlauf zu differenzierten Biofilmen zusammen. Vor allem durch die Analyse von definierten Mutanten liegen sich in den letzten Jahren die Anheftung und die Biofilmbildung einiger Bakterienarten in eine Abfolge definierter Einzelschritte auflosen, die in Abbildung 15-6 schematisch dargestellt ist. Der Transport von Bakterienzellen zu einer Oberflache erfolgt iibenviegend durch Konvektion bis zu einer laminaren Grenzschicht, die sich in durchflossenen Systemen in der Wandnahe iiber festen Oberflachen auch unter turbulenten Stromungsbedingungen ausbildet. In dieser Grenzschicht nimmt die Fliefigeschwindigkeit bis zur Oberflache vollstandig ab. Die Dicke der Grenzschichten ist deutlich grofier ist als die Dimensionen von Bakterienzellen. Daher mussen die Bakterien diese Grenzschicht durchdringen, bevor sie mit der Oberflache Kontakt aufnehmen. Allerdings begegnen die Zellen in der Regel nicht direkt der Oberflache des Substratums, sondern einem so genannten ,,conditioning film", der durch die irreversible Adsorption organischer Makromolekule (Proteine, Polysaccharide, Huminstoffe usw.) innerhalb von Sekunden in fast allen Umgebungen an der Oberflache entsteht. Anfanglich ist der Kontakt zwischen Zelle und Trageroberflache noch reversibel; bei manchen Organismen wird die Adhasion nach einigen Minuten irreversibel aufgrund der zunehmenden Wechselwirkungen von Bestandteilen der Zelloberflache mit dem Substratum. Bei Gram-negativen Bakterien wie E. coli, P. aeruginosa und Vibrio cholerae hat sich gezeigt, dass Strukturen wie Flagellen, Pili und andere Zelloberflachenproteine eine wichtige Rolle in dieser anfanglichen Phase der Biofilmbildung darstellen konnen. Bei P. aeruginosa dient beispielsweise die Beweglichkeit der Flagellen dazu, dass die planktischen Zellen an die Oberflache gelangen. Mit Hilfe fadiger Proteinstrukturen, so genannter Typ IV-Pili, bewegen sie sich dann entlang der Oberflache. Diese Form der oberflachenassoziierten Beweglichkeit, welche wahrscheinlich auf abwechselnder Verlangerung und Verkurzung der Pili beruht, wird als ,,twitching motility" bezeichnet. Wenn aufgrund dieser Mobilitat Zellen aufeinander treffen, konnen sie sich zu Mikrokolonien zusammenlagern. Flagellen und/oder Pili erzeugen also die Krafte, welche den Bakterien die Durch-
15.5 Die Entwicklung von Biofilrnen
dringung der Grenzschicht und den engen Kontakt zur Trageroberflache ermoglichen. Diese Organellen fordern zwar die Anheftung, sie sind jedoch nicht unbedingt deren Voraussetzung. Im Allgemeinen entscheiden mehrere Faktoren uber die Anheftung wie z. B. die Hydrophobizitat der Zelloberflachen, die Anwesenheit von Bewegungsorganellen, die Rauhigkeit und Benetzbarkeit der A u h c h s o b e r flachen sowie die Zusammensetzung des umgebenden Mediums (pH-Wert, Salzgehalt usw.). An die Primarbesiedler konnen sekundar Bakterien anderer Arten anheften (Coadhasion), die dann indirekt uber die Primarbesiedler an der Oberflache fuiert werden; dies ist fur den Beginn der Entwicklung von Multispezies-Biofilmen in der Mundhohle, aber auch in Trinkwasserrohren beschrieben worden. Nach der festen Verankerung der Zellen erfolgt die Phase der mikrobiellen Akkumulation, die zum einen durch die Vermehrung der Bakterien bestimmt wird, zum anderen von neu hinzukommenden Mikroorganismen begleitet wird. Hierdurch kommt es zunachst zur Bildung von Mikrokolonien. Charakteristisch fur die Akkumulationsphase ist die Auslosung oder Forderung der EPS-Produktion. Es ist noch unbekannt, uber welche Signale Bakterien wahrnehmen, dass sie sich in Kontakt mit einer Oberflache bzw. in einem immobiliserten Zustand befinden. Es hat sich aber gezeigt, dass Bakterien auf die Anheftung schnell mit einer Veranderung ihrer Genaktivitaten reagieren, was zu Veranderungen der Zellstruktur und der Stoffwechselaktivitaten fiihrt. Fur Escherichia coli wurde eine Veranderung der Expression von 38 % der Gene dieser Bakterien nach der Anheftung nachgewiesen. Ein friihes Ereignis in der Biofilmentwicklung ist die Auslosung der Biosynthese und die Sekretion von Polysacchariden. Bei P. aeruginosa wird durch den Kontakt mit der Oberflache die Bildung von Alginat induziert. Auch beim Gram-negativen Bakterium V. cholerae sowie bei den Gram-positiven Bakterien Staphylococcus aureus und Staphylococcus epiderrnidis envies sich die Bildung von extrazellularen Polysacchariden als notwendig fur die Ausbildung der dreidimensionalen Architektur von Biofilmen; Mutanten mit Defekten in der Polysaccharidbildung bilden lediglich einlagige Zellschichten. Es wird angenommen, dass der friihe Beginn der Bildung extrazellularer Polysaccharide d a m dient, die Bakterien im Zellverband der Mikrokolonien zu fixieren und fur die stabile Aufrechterhaltung der Biofilme im Verlauf ihrer Alterung zu sorgen. Wahrscheinlich bewirken Veranderungen der Gen-Regulation vielfaltige Effekte, sodass die Entwicklung von bakteriellen Biofilmen mit physiologischen Veranderungen einhergeht. Der Ubergang von der planktischen zur sessilen Lebensweise wird heute als ein komplexer und hoch regulierter Prozess angesehen; die Bakterien nehmen einen biofilmspezifischen Phanotyp an und weisen dann schon nach kurzer Venveildauer an der Grenzflache im Vergleich zu planktischen Zellen deutlich veranderte Eigenschaften auf. Biofilme erreichen keine unbegrenzte Dicke, sondern es spielt sich ein Gleichgewicht zwischen Neubildung und Ablosung des Biofilms ein (Plateau-Phase). Biofilmorganismen werden passiv durch die Wirkung von Scherkraften kontinuierlich als einzelne Zellen abgelost (,,Erosion") oder es werden ganze Biofilmfetzen entfernt (,,Sloughing") (Abb. 15-6 e). Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Bakterien aktiv den Verband des Biofilms als so genannte Schwarmerzellen verlassen konnen, um an anderer Stelle erneut mit der Besiedlung von Oberflachen zu beginnen. Ein
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die bevorzugte Lebensform der Mikroorganisrnen
Mechanismus der Loslosung der Schwarmerzellen besteht darin, dass Bakterien Enzyme ausscheiden, welche die Strukturpolysaccharide im Nahbereich der Zelle abbauen, die den Zellen die Freisetzung aus dem Biofilm erlauben. Durch die geschilderten Vorgange konnen Bakterien einen regelrechten Lebenszyklus durchlaufen, der aus einer planktischen Phase in der wassrigen Umgebung und einer sessilen Phase im Biofilm besteht. Allerdings werden die Biofilm-Organismen so unregelmaaig an die umgebende Phase abgegeben, dass ihre Bestimmung keinen Hinweis auf Ort und Ausmass der Biofilm-Bildung zulasst. Es existiert kein generelles Model1 der Architektur von Biofilmen, denn dazu sind sie zu unterschiedlich. Ein komplexes Geflecht der Einflusse der Populationszusammensetzung, der Aufwuchsoberflache und des Milieus fuhrt zu einer groBen Variation der Biofilm-Bildung. Die meisten Biofilme in aquatischen Systemen weisen einen mehr oder weniger heterogenen Aufbau auf. In Abbildung 15-7 ist dazu ein Modell aus dem Center for Biofilm Engineering (Bozeman, Montana, USA) dargestellt. Mikrokolonien von Bakterien sind iibereinandergestapelt, werden durch die EPS zusammengehalten und bilden pilzahnliche Strukturen, die von der Aufwuchsoberflache in die umgebende Wasserphase reichen. Der Biofilm ist von Kanalen und Poren durchzogen, welche den konvektiven Stofftransport im Biofilm errnoglichen. Auf diese Weise werden auch diejenigen Organismen, die in der Tiefe von Biofilmen leben, mit Nahrstoffen versorgt. Charakteristisch fur Biofilme ist die relativ hohe Zelldichte im Vergleich zur Umgebung. Biofilme an aquatischen Standorten konnen bis zu 10’’ Zellen pro Milliliter Biofilmvolumen enthalten; dies sind Konzentrationen, die um den Faktor
Abb. 15-7 Schernatische Darstellung einer Biofilrn-Struktuc Die Pfeile syrnbolisieren mogliche Wege des konvektiven Stofftransports.
75.G Was Biofifrne im lnnersten zusarnrnenhdft
lo3 bis lo4 hoher liegen als in einer freien wasserigen Phase bzw. in einer LaborFlussigkultur. Die Unterschiede konnen noch erheblich groBer sein, wenn man z. B. an Biofilme auf Steinen in oligotrophen Bergbachen denkt. Obwohl in diesem Uberblick der Fokus auf den Bakterien liegt, bestehen Biofilme in der Regel aus Mischpopulationen unterschiedlicher MikroorganismenArten. Meist dominieren die Bakterien; es konnen je nach Standort aber auch betrachtliche Anteile an Algen (bei Lichtzutritt), Pilzen und Protozoen vorhanden sein. Zusatzlich konnen sich in weiteren trophische Ebenen mehrzellige Organismen wie Fadenwurmer (Nematoden), Radertierchen (Rotatorien), Wenigborster (Oligochaten), Milben oder Insektenlarven ansiedeln, die sich von den Mikroorganismen ernahren, sodass es zur Ausbildung von Nahrungsketten innerhalb von Biofilmen kommen kann. Dies beeinflusst die Zusammensetzung und die Dynamik des Systems nachhaltig.
15.6 Was Biofilme im lnnersten zusammenhalt
Von wesentlicher Bedeutung fur die Zusammensetzung, Struktur und Funktion von Biofilmen sind die Eigenschaften der EPS, welche die Schlusselmolekule fur die Organisationsform des Biofilms darstellen. Daher ist die Erforschung der EPS die Basis fur das Verstandnis der Bedeutung mikrobieller Biofilme an naturlichen Standorten, in technischen Systemen, aber auch im medizinischen Bereich. Die Kenntnis der Rolle von EPS ist auch eine Grundlage fur die gezielte biotechnische Nutzung von Biofilmen sowie fur die Erarbeitung von MaBnahmen zur Kontrolle und Bekampfung unerwunschter Biofilme. Allen Arten von Biofilmen ist gemeinsam, dass sie von den EPS zusammengehalten werden. Sie verleihen ihnen ihre Form und ihre physikalischen Eigenschaften. Sie vermitteln auch die Haftung der Biofilme an Oberflachen. EPS bilden meist eine hoch hydratisierte chemisch heterogene Schleim-Matrix, die vermutlich als schwammahnliches Gel aufgebaut ist und die Mikroorganismen in ihrer dreidimensionalen Anordnung zusammenhalt. EPS bestehen ubenviegend aus geladenen (meist anionischen) oder neutralen Polysacchariden und Proteinen, sie konnen aber auch deutliche Anteile an Nucleinsauren, Lipiden und anderen Makromolekulen enthalten. Geladene Gruppen der Polymere (z. B. Carboxylgruppen von Uronsauren) sowie Substituenten (z. B. Acetylgruppen in Polysacchariden) beeinflussen ihre physikalisch-chemischen Eigenschaften (Festigkeit, Viskositat, Wasserbindungskapazitat, Bindung von anorganischen Ionen). Aufgrund der Identifizierung von Polysacchariden als haufige EPS-Komponenten wurde der Begriff ,,Glycocalyx" fur polysaccharidhaltige Strukturen wie Kapseln oder Schleime eingefuhrt. Am Beispiel des gut untersuchten P. aeruginosa lasst sich eine hypothetische Struktur der Biofilm-Matrix aus dem Polysaccharid Alginat und Proteinen ableiten (Abb. 15-8). Aufgrund der ,,klebrigen" Oberflache der Biofilme sammeln sich auch Partikel aus der umgebenden Wasserphase in ihm an, beispielsweise Detritus, Huminstoff-,
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15 Biofilme -die bevorzugte Lebensform der Mikroorganismen
Abb. 15-8 Croi3enverhaltnisse von Alginat und Proteinen in einern Volumenelernent m i t der Crundflache von 1 pm2 und einer Dicke von 10 nm; es enthalt 10 Molekule Alginat (2 M i o Da) und 300 Protein-Molekule (rote Punkte, durchschnittliche Molrnase: 30 kDa)
Ton- und Gipspartikel. Haufig spielen di- und trivalente Kationen (z. B. Ca", Fe'+) eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Gele, weil sie die Carboxylgruppen der Zuckersauren in den Polysacchariden verbriicken konnen; das Mg"-Ion ist dagegen offensichtlich zu klein um als Briickenbildner zu wirken. Der mengenmagige Anteil der EPS in Biofilmen kann stark schwanken; er liegt zwischen 50 und 90 % der gesamten organischen Substanz im Biofilrn. DefinitionsgemaB sind die EPS augerhalb der Zellen lokalisiert. Mogliche Mechanismen dort hinzugelangen sind die aktive Sekretion, die Ablosung von Bestandteilen der augeren Membran Gram-negativer Zellen bzw. der Zellwand Gram-positiver Zellen, die Auflosung von Zellen oder die Sorption aus der wassrigen Umgebung. Gram-negative Bakterien wie P. aeruginosa weisen einen weiteren Mechanismus der Freisetzung von zellularem Material auf, das so genannte ,,blebbing". Wahrend des normalen Wachstums werden Membranvesikel nach augen abgegeben. Sie konnen als ,,rauberische Vesikel" auftreten, wenn sie Enzyme (Peptidoglykan-Hydrolasen) enthalten, mit denen benachbarte Zellen im Biofilm abge-
15.7 Diffusion im Biofilm
totet und lysiert werden. Das so freigesetzte Material wird in der Biofilm-Matrix zuriickgehalten und kann durch die verbleibenden Biofilm-Populationen im Sinne von Recycling wieder venvertet werden. Vom Standpunkt der mikrobiellen Okologie aus hat die Bildung von EPS die wichtige Funktion, eine gelformige Matrix zu bieten, in der die Mikroorganismen uber langere Zeitraume hinweg immobilisiert sind, sodass sich synergistische Gemeinschaften entwickeln konnen. Dies sol1 mit minimalem Aufwand an Energie und Material geschehen; die Tatsache, dass nur 1-2 % EPS erforderlich sind, um 98 % bis 99 % Wasser festzuhalten, zeigt, wie erfolgreich diese Strategie ist. Die Struktur der EPS, zusammengesetzt aus sehr verschiedenen Makromolekulen, erscheint auf den ersten Blick rein zufallig und ohne erkennbare Ordnung. Grundlage fur ein Strukturmodell sind die Krafte, welche die Biofilm-Matrixzusammenhalten. Diese beruhen nicht auf kovalenten Bindungen, sondern auf so genannten schwachen Wechselwirkungen. Im Prinzip kommen dafur die drei Typen Dispersions-Wechselwirkungen(,,hydrophobe Wechselwirkungen", Bindungsenergie: 2,s kJ/mol), elektrostatische Wechselwirkungen (Bindungsenergie: 12-29 kJ/ mol) und Wasserstofiriickenbindungen (Bindungsenergie: 10-30 kJ/mol) in Frage. Obwohl die Bindungsenergie einer einzelnen schwachen Wechselwirkung sehr gering ist, multiplizieren sich die Bindungsenergien in einem Makromolekul, was zu Brutto-Bindungsenergien bis weit in den Bereich kovalenter Bindungen fuhrt. Die resultierenden Krafte wirken nicht nur zwischen den EPS-Molekulen, sondern sie erstrecken sich auch wie ein Klebstoff auf Fremdpartikel. Wenn der Wassergehalt abnimmt, treten mehr Gruppen in Wechselwirkung. Bei Austrocknung konnen so filamentose Strukturen entstehen, wie sie haufig auf rasterelektronenmikroskopischen Bildern zu sehen sind (auch auf Abb. 15-1). Hierbei handelt es sich jedoch um Trocknungs-Artefakte; im nativen Zustand sind die EPS nur selten filamentos. Durch die schwachen Wechselwirkungen entwickelt sich ein Netzwerk fluktuierender Haftpunkte, die sich standig losen und wieder verbinden. Je nach den Scherkraften, die auf das Netzwerk einwirken, finden sich die gleichen Haftpunkte wieder - dann verhalt sich der Biofilm als Gel - oder es sind verschiedene Haftpunkte, und dann verhalt sich der Biofilm als hochviskose Flussigkeit.
15.7 Diffusion irn Biofilrn
Die Diffusion geloster Stoffe in der Gel-Matrix des Biofilms kann gegenuber der im freien Wasser behindert sein, ist es aber in weitaus geringerem Masse als haufig angenommen (Tab. 15-2). Man sieht, dass der Diffusionskoeffizient im Biofilm besonders bei kleineren Molekulen kaum unter jenem in freiem Wasser liegt. Dennoch sind Mikroorganismen signifikant besser gegen Biozide geschutzt, wenn sie im Biofilm leben als wenn sie in freier Suspension auftreten. Dies wurde lange Zeit damit erklart, dass die Biozid-Molekule die Biofilm-Matrix nur schlecht durchdringen konnen, weil hier ein bedeutend groBerer Diffusionswiderstand herrscht. Die Daten in Tabelle 15-2 zeigen jedoch, dass dies als Erklarung nicht ausreicht.
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75 Biofilme - die bevorzugte Lebensform der Mikroorganismen
Verhaltnis der Diffusionskoefizienten schiedlicher Crosse (nach Flemming 1994)
Tab. 2
MolekUl 0 2
Fluorescein Dextran Dextran Dextran Rinderserumalbumin Katalase DNA
im
Biofilm und i m freien Wasser fur Molekule unter-
Molare Masse (g/mol)
DBiofilrn/DWorrer
32 332 4.000 38.000 580.000 68.000
0,98
225.000
3,2 x 10"
0,91
0,76 035 0,26 0,86
0,67 0,63
Entgegen friiheren Annahmen gibt es auch einen gewissen konvektiven Anteil am Stofftransport. Dies wurde mit fluoreszierenden, mikroskopisch kleinen Kugelchen in einem Biofilm nachgewiesen (Lewandowski et al. 1994). Obwohl die FlieBgeschwindigkeit, mit der sich die Partikel im Biofilm verbreiten, etwa um den Faktor 1000 unterhalb der im freien Wasser liegt, ist sie in Betrachtungen zum Stofftransport in Biofilmen nicht zu vernachlassigen.
15.8
Kommunikation im Biofilm
In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass Bakterien iiber mehrere Moglichkeiten der Zell-Zell-Kommunikation verfugen. Bei vielen Gram-negativen Bakterien erfolgt diese Kommunikation uber niedermolekulare organische Signalmolekiile (so genannte Autoinduktoren), bei denen es sich chemisch um verschiedene N-Acyl-Homoserinlactone (AHLs) handelt (Abb. 15-9). Die Signalmolekiile werden in der Bakterienzelle gebildet, ausgeschieden und von anderen Zellen aufgenommen. In einer Bakterienpopulation befinden sich Signalmolekule in etwa gleicher Konzentration innerhalb der Zellen und im umgebenden Medium. Bei hohen Zelldichten wird eine bestimmte Schwellenkonzentration der Signalmolekule iiberschritten, wodurch spezifische Gene in allen Zellen zum gleichen Zeitpunkt angeschaltet werden. Die Folge ist, dass die gesamte Bakterienpopulation innerhalb kurzer Zeit veranderte Eigenschaften aufweist. Mit Hilfe der Signalmolekule erhalten alle Zellen zu jedem Zeitpunkt Informationen uber die Zelldichte was als ,,Quorum sensing" bezeichnet wird. Daraus ergibt sich ein koordiniertes Gruppenverhalten, das Ahnlichkeiten zu vielzelligen Organismen aufweist. Das Quorum sensing als Kontrolle der Genexpression als Reaktion auf die Zelldichte einer Population wird nicht nur von Gram-negativen, sondern auch von vielen Gram-positiven Bakterien genutzt; diese venvenden jedoch peptidische Signalmolekule. Daruberhinaus gibt es neu entdeckte Signalmolekule (LuxS-Familie von Autoinduktoren), welche universe11 bei beiden Gruppen von Bakterien vorkommen. Es wird vermutet, dass die Zell-Zell-Kommunikation mittels spezifischer
15.8 Kornrnunikation R
Chemischer Name
CH3 CHI(CH~> CHI(CH& CHdCH& CH&H&CHCH(CH&
HH
irn Biofilrn
N-Bulanoyl-L-Homoserinlacton N-Hexanoyl-L-Homoserinladon N-Odanoyl-L-Homoserinlacton N-Decanoyl-L-HomOSerinlacton 7.Eus-N-(Tetradecenoyl)-l-Homoserinla~on
ky-(3-Oxonexanoy)---nomosennlacIon N-(3-0xooctanoy )---nomoserinIaaun N-(3-Oxodecanoyl)-~-homoserln aclon N- 3-Oxodooecanoy)---hornoser n acton
REN@
H H
0
piNQ H H
CH3 CH@i+CHCH(CH2)3
N-(3-Hydroxybutanoyl)-L-Homoserinlacton 7.8-~1s-N-(3-Hydroxytetradecenoyl)-L-Homoserinlacton
0
Abb. 15-9 Beispiele fur N-Acyl-L-Homoserin-
die Signalspezifitat beruht. Die Acylseitenkette ladone als Signalmolekule vieler Cram-negativer kann gesattigt oder ungesattigt vorliegen oder Bakterienarten. Die Acylgruppe stellt den mit Hydroxyl- bzw. Carbonylgruppen am dritten C-Atom substituiert sein. variablen Molekulbestandteil dar. aufwelchem
Signalmolekule (AHLs, Peptide) innerhalb einer Art erfolgt und parallel dazu iiber unspezifische Signalmolekule auch zwischen unterschiedlichen Bakterienarten moglich ist (,,bakteriellesEsperanto"). Die Bakterien hatten damit die Moglichkeit, Zellen ihrer Population von artfremden Organismen zu unterscheiden. Die Bildung vieler extrazellularer Produkte von Bakterien (Antibiotika, Enzyme, Polysaccharide), darunter vieler Pathogenitatsfaktoren, wird durch Signalmolekule gesteuert. Da Biofilme die natiirliche Lebensform der Bakterien mit einer typischerweise hohen Zelldichte darstellen, ist es nicht venvunderlich, dass in den letzten Jahren tatsachlich vermehrt Hinweise auf das Vorkommen und die immense Bedeutung von Signalmolekulen bei der Entstehung von Biofilmen gefunden wurden. So wurden Signalmolekule in Biofilmen naturlicher Gewasser, aber auch im klinischen Bereich in Biofilmen auf aus Patienten entnommenen Kathetern nachgewiesen. In Laboruntersuchungen an Reinkulturen wurde festgestellt, dass Signalmolekule an der Entwicklung der dreidimensionalen Struktur von Biofilmen sowie an der Aufrechterhaltung der Integritat von Biofilmen beteiligt sind. Vieles deutet darauf hin, dass die Quorum-sensing-Systeme in komplexe Netzwerke weiterer Regulationssysteme eingebunden sind. So wird die Bildung von Alginat bei P. aeruginosa durch Nahrstoffmangel und durch hohe Ionenstarke gefordert, ein Prozess, der iiber ein Zweikomponenten-Signaltranduktionssystemgesteuert wird. Das kurzlich beschriebene Crc-Protein von P. aeruginosa spielt eine Rolle bei der Wahrnehmung der Verfugbarkeit verschiedener Kohlenstoffquellen; mit Hilfe dieses Proteins entscheidet die Zelle, ob sie im planktischen Zustand verbleibt oder ob es vorteilhafter ist, in die Lebensform des Biofilms uberzugehen.
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75 Biofilrne -die bevorzugte Lebensforrn der Mikroorganisrnen
15.9
Ausblick
Biofilme konnen von verschiedensten Organismen gebildet werden, was ihre Vielfalt erklart. Uber die Betrachtung der Biologie der Organismen hinausgehend stellt die EPS-Matrix eines der interessantesten Elemente von Biofilmen dar - diese Matrix bildet als architektonische Grundstntktur sozusagen das ,,Haus" fur die Biofilm-Organismen in der ,,Stadt der Mikroben", wie Biofilme schon genannt wurden (Watnick & Kolter 2000). Die Vermutung liegt nahe, dass die EPS-Struktur okologische Funktionen erfullt und keine rein zufallige Matrix darstellt. EPS werden iiberwiegend von den Biofilm-Organismen selbst gebildet, und sie formen und beeinflussen den Raum, in dem sich mikrobielle Interaktionen abspielen. Diese Wechselwirkungen betreffen den Austausch von Informationen uber Signalmolekiile, den Gen-Tranfer, die Stabilisierung und moglicherweise auch die Aktivierung von extrazellularen Enzymen und vielleicht sogar auch die Schutzwirkung, die Biofilme ihren Bewohnern gegeniiber toxischen Stoffen bieten. Deutlich wird, dass den Mikroorganismen durch eine derartige Matrix die Moglichkeit geboten wird, sich in bestimmten Bereichen wie multizellulare Organismen zu verhalten (Costerton et al. 1994). Die Mikrokonsortien konnen sich, je nach Nahrstoff-Angebot und -Zusammensetzung, synergistisch neu ordnen, weil die Organismen nicht irreversibel in der Matrix verankert sind, sondern sich - wenn auch langsam - darin bewegen konnen. Eine groBe Rolle durften in diesem Zusammenhang auch die Wechselwirkungen der verschiedenen trophischen Ebenen spielen, beispielsweise das Grasen durch Protozoen oder auch vielzellige Organismen, die Bereitstellung von Nahrstoffen durch Algen oder auch die Interaktionen mit Pilzen. Ein wichtiger Aspekt der Funktionsweise von Biofilmen ist der Abbau von Feststoffen durch extrazellulare Enzyme, wobei die EPS-Matrix einerseits den Verlust dieser Enzyme an das Medium verhindert, andererseits die Proteine auch stabilisiert. Aus heutiger Sicht stellen Biofime einen foderativen, zeitweisen Zusammenschluss von Einzellern zu einer komplexen Gemeinschaft dar. Multispezies-Biofilme wurden, wie oben erwahnt mit einer Stadt verglichen, in welcher sich die Bakterien gezielt niederlassen, die Ansiedlung neuer Bakterien fordern oder verhindern, ihre Energie in Form von Polysacchariden speichern, Informationen austauschen und auch die Moglichkeit haben, diesen Ort wieder zu verlassen, urn sich an anderer Stelle niederzulassen (Watnick & Kolter 2000). Bakterien sind die altesten, haufigsten und evolutionsbiologisch gesehen erfolgreichsten Organismen auf der Erde. Sie haben mehr Lebensraume besetzt und besitzen ein vielseitigeres biochemisches Potential als alle anderen bekannten Organismengruppen. Es ist davon auszugehen, dass die Fahigkeit von Bakterien zur Lebensweise in mikrobiellen Aggregaten eine wesentliche Grundlage fur ihre hohe Anpassungsfahigkeit, ihre weite Verbreitung und ihre Existenz seit dem Beginn des Lebens auf der Erde darstellt.
75.10 Literatur
15.1 0 Literatur
Bassler, B.L. (1999):How bacteria talk to each other: regulation of gene expression by quorum sensing, Curr. Opin. Microbiol. 2, 582-587. Costerton, J.W.; Cheng, K.-J.; Geesey, G.G.; Ladd, T.I.; Nickel, J.C.; Dasgupta, M.; Marrie, T.J. (1987):Bacterial biofilms in nature and disease. Ann. Rev. Microbiol. 41,435-464. Costerton, J.W.; Stewart, J.S.; Greenberg. E.P. (1999):Bacterial biofilms: a common cause of persistent infections. Science 284, 131S1322. DeBeer, D.; Stoodley, P.; Lewandowski, 2. (1994):Liquid flow in heterogeneous biofilms, Biotech. Bioeng. 44,636-641. Doyle, R. (Ed) (1999):Biofilms. In: Abelson, J.N.; Simon, M.I. (Eds):Methods in enzymology. Vol. 310, San Diego, Academic Press. Ehrlich, H.L. (1996):Geomicrobiology. New York, Basel, Marcel Dekker, 2nd Edition. Flemming, H.-C. (1994): Biofilme, Biofouling und mikrobielle Materialschiidigung. Stuttgarter Siedlungswassenvirtschaftliche Berichte Band 129. Miinchen, Oldenbourg Verlag. Flemming, H.-C.; Szewzyk, U.; Griebe, T. (Eds) (2000): Biofilms. Investigative methods and applications. Lancaster, PA, Technomic Publishing Company. Flemming, H.-C.; Wingender, 1.; Mayer, C.; Korstgens, V.; Borchard, W. (2000):Cohesiveness in biofilm matrix polymers. In: Allison, D.G.; Gilbert, P.;Lappin-Scott. H.M.; Wilson, M. (Eds): Community structure and co-operation in biofilms. SGM symposium 59. Cambridge University Press, 87-105. Kmmbein, W.E.; Villbrandt, M. (1993):Biofilme und Mikrobenmatten extremer Lebensr;iume. In: Hausmann, K.; Kremer, B.P. (Hrsg.): Extremophile. Mikroorganismen in ausgefallenen Lebensrliumen. Weinheim, VCH Verlagsgesellschaft,113-140. Lewandowski, Z., Stoodley, P., Altobelli, S.; Fukushima, E. (1994):Hydrodynamics and kinetics in biofilm systems - recent advances and new problems. Wat. Sci. Technol. 29, 223-229. O’Toole, G.; Kaplan, H.B.; Kolter, R. (2000):Biofilm formation as microbial development, Ann. Rev. Microbiol. 54, 49-79. Pesci, E.C.; Iglewski, B.H. (1999):Quorum sensing in Pseudomonas aeruginosa. In: Dunny, G.M.; Winans, S . C. (Eds): Cell-ceU signaling in bacteria. American Society for Microbiology, Washing ton. D.C., 147-155. Potera, C. (1996): Biofilms invade microbiology, Science 273,1795-1797. Schopf. J.W.; Hayes, J.M.; Walter, M.R. (1983):Evolution on earths earliest ecosystems: recent progress and unsolved problems. In: Schopf J.W. (Hrsg.) Earth’s earliest biosphere. New Jersey, Princeton University Press, 361-384. Watnick, P.; Kolter, R. (2000):Biofilm, city of microbes. /. Bacteriol. 182, 2675-2679. Wingender, J.; Neu, T.R.; Flemming, H.C. (Eds) (1999):Microbial extracellular polymeric substances. Berlin. Heidelberg, New York, Springer-Verlag.
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Anhang 1 Das Studium der Biologie Biologie kann in folgenden Studiengangen studiert werden: Diplom Biologie Lehrarnt (Grund-, Haupt-, Realschule; Gymnasium) Bachelor of Science (BSc) Master of Science (MSc)
Muster eines Diplom-Studiengangs fur das Fach Biologie
Derzeit sind die Studiengange im Fach Biologie an den einzelnen Deutschen Hochschulen im Umbruch, da die Einfihrung der Leistungspunkte (Credit Points) ansteht. Die Regelstudienzeiten sind 9 oder 10 Semester. Insofern kann der im Folgenden abgedruckte Studienplan der Universitat Bayreuth nur ein ungefahres Bild vom Verlauf eines Diplom-Studiengangs geben. An vielen Hochschulen ist das Studium traditionell in das Grund- und Hauptstudium gegliedert; die Aufteilung des letzteren in ein Hauptund ein Vertiefungsstudium wurde irn Hinblick auf die moglichen Studienrichtungen Organismische Biologie oder Zellbiologie vorgenommen. Legende: SWS = Semestenvochenstunde, V = Vorlesung, P = Praktikum, = ubung, S = Seminar, E = Exkursion
u
a) Grundstudium (1.4. Semester)
sws
Leistungspunkte
Natunvissenschaftliche Grundlagen Allgemeine Chernie Anorganische Chemie und Chemisches Rechnen Organische Chemie Physikalische Grundlagen biologisch relevanter Methoden Mathematik fur Biologen Biochernie I
V2,P2 V2, V1, P 4 V2,P4
5 7
V2,P2 v2,u2 v 3, P 2,
5 5 7
s1
G
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I
Anhang I
sws
Leistungspunkte
Biologische Grundlagen Allgemeine Botanik Systematik und spezielle Morphologie der Pflanzen Kenntnis der einheimischen Flora Allgemeine Zoologie Systematik und spezielle Morphologie der Tiere Kenntnis der einheimischen Fauna Biologie Niederer Eukaryonten Pflanzenphysiologie Tierphysiologie Evolutionsbiologie und Populationsgenetik Okologie der Pflanzen Okologie der Tiere Mikrobielle Okologie Mikrobiologie Genetik Zellbiologie
v4, 0 3, s 1 V2 V 1, U 3, E 1 v 4 V 2, S 1, U 3 V 1, U 3, E 1 v2,P2 V2,P3 V3,P3 v 2 V2,P2 V2,P2 V2,P2 V2,P 2,s 1 V 2 , P 2,s 1 v 2
9 3
5 6 6 5 5 6
7 3
5 5 5 6 6 3
Summe der geforderten Veranstaltungen und Leistungspunkte im Grundstudium: 102 sws 1 2 0 Leistungspunkte
b) Hauptstudium (5. und 6. Semester) Das Hauptstudium besteht aus funf verschiedenen Fachmodulen zu je 9 SWS (davon mindestens 5 SWS Praktikum) und 11 Leistungspunkten und einem Erganzungsmodul zu 10 SWS und 1 1 Leistungspunkten: sws Leistungspunkte fur Spezialisierung in Molekular- und Zellbiologie: 3 Module aus Molekular- und Zellbiologie,') (V+P+S) 27 33 2 Module zur freien Wahl aus Okologische und Organismische Biologic') oder einem anderen Fach der Fakultat BiologielChemiejGeowissenschaften,oder Umwelt- und Bioingenieurwissenschaften,oder Umweltmanagement und Umweltrecht, (V+P+S) 18 22 1 Erganzungsmodul bestehend aus V3,Sl 6 Biochemie I1 Cytologische Methoden S 1, P 4 4 Betriebsexkursion E l 1 1 ) Module fiir Molekular- und Zellbiologie diirfen aus folgenden Fachern grwahlt werden: Biochemie, Botanik, Genetik, Mikrobiologie, Zoologie. 2) Module fiir Okologische und Orgunismische Biologiediirfen aus folgenden Fkhern gewahlt werden: Biogeographie mit Agrariikologie, Botantk, Genetik, Mikrobiologie, Zoologie.
fur Spezialisierung in Okologische und Organismische Biologie: 3 Module aus Okologische und Organisrnische Biologie3), (V+P+S) 27
Anhang
’I
33
2 Module aus Molekular- und Zellbiologie4), oder einem anderen Fach der Fakultat
Biologie/Chemie/Geowissenschaften,oder Umwelt- und Bioingenieurwissenschaften, oder Umweltmanagement und Umweltrecht. (V+P+S)18 22 1 Erganzungsmodul bestehend aus Exkursionen S2,E8 11
Summe der Stundenzahlen und Leistungspunkte i m Hauptstudiurn 55 sws
66 Leistungspunkte
c) Vertiefungsstudium
(7. und 8.Semester) Zwei verschiedene Fachmodule aus Fachern des Hauptstudiums (mindestens einer davon muss aus den Fachern der Molekular- und Zellbiologie bzw. Okologische und Organismische Biologie sein) zu je 9 SWS (davon mindestens 5 SWS Praktikum) und 11 Leistungspunkten sws Leistungspunkte (V+P+S) 18 22
Verarbeitung biologischer Daten
ti2
3
Praktikum zum Erwerb einer Umgangsqualifikation (z. B. Gentechnik, Versuchstierkunde und tierexperimentelles Arbeiten, Umgang mit infektiosen Mikroorganismen, Praxis der Pflanzenkultur, Erfassung und Bewertung im Naturschutz) s 1,P 2 4 1 Projektpraktikum im Fach, in dem die Diplomarbeit angefertigt werden sol1
P 30
25
Summe Stundenzahl und Leistungspunkte im Vertiefungsstudium 53 sws 54 Leistungspunkte d) Diplomarbeit Diplomarbeit in einem molekular- und zellbiologischen bzw. okologische und orga9 Monate nismisch biologischen Fach des Vertiefungsstudiums 3 ) Module fur Okolcgischeund Organisrnische Biologie diirfen aus folgenden Fachern gewahlt werden: Riogeographie mit Agrariikologie, Botanik, Genetik, Mikrobiologie, Zoologie. 4) Module fur Molekuhr und Zellbiologiedurfenaus folgenden Fachern gewahlt werden: Biochemie, Botanik, Genetik, Mikrobiologie, Zoologie.
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Anhang 2 Die Union Deutscher Biologischer Cesellschaften (UDBio) vertritt die wissenschaftlichen Interessen der in den deutschen Fachgesellschaften zusammengeschlossenen Wissenschaftler, begleitet und berat die Biogesetzgebung (Gentechnikgesetz, Tierschutzgesetz, Naturschutzgesetze und Verordnungen etc.), sorgt somit fur fachgerechte, biologische Informationen bei Politikern und gesellschaftlichen Institutionen, wirbt um Verstandnis in der Offentlichkeit fur Probleme der biologischen Forschung und deren Anwendung, greift in Pressemitteilungen und Forumsveranstaltungen aktuelle biologische Probleme des offentlichen Lebens auf und ist damit Sprachrohr der deutschen biologischen Wissenschaften, bemuht sich um angemessene und handhabbare Forderung der biologischen Forschung (DFG, EU, deutsche Ministenen), sorgt fur Informationsaustausch innerhalb der deutschen biowissenschaftlichen Landschaft und zwischen Biowissenschaftlern und den Medien, arbeitet eng mit der Konferenz Biologischer Fachbereiche des Math.-Nat. Fakultatentages zusammen, stellt das deutsche Nationalkomitee der International Union of Biological Sciences (IUBS)dar und pflegt als deren Ordinary Member die internationalen Beziehungen, und ist dabei an der Auflage von international geforderten Forschungsprogrammen beteiligt, hilft bei der juristischen Abklarung wissenschaftlicher Verbandsfragen. In der UDBio sind folgende Gesellschaften vertreten: 1. Deutsche Botanische Gesellschaft 2. Deutsche Gesellschaft fur Allgemeine und Angewandte Entomologie 3. Deutsche Gesellschaft fur Biophysik 4. Deutsche Gesellschaft fur Parasitologie 5. Deutsche Gesellschaft fur Protozoologie 6. Deutsche Malakozoologische Gesellschaft 7. Deutsche Phytomedizinische Gesellschaft 8. Gesellschaft fur Anthropologie
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Anhang 2
9. 10. 11. 12. 13.
Gesellschaft fur Biochemie und Molekularbiologie Gesellschaft fur Entwicklungsbiologie Gesellschaft fur Genetik Gesellschaft fur Primatologie Vereinigung fur Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie
Generalsekretar der Deutschen Botanischen Gesellschaft Prof. Dr. E. Ehwald Humboldt-Universitat Berlin Inst. F. Biologie u. Zellbiologie Invalidenstr. 43 10115 Berlin Deutsche Gesellschaft fur Angewandte und Allgemeine Entomologie Geschaftsstelle Schicklerstr. 05 16225 Eberswalde Sekretar der Deutschen Gesellschaft fur Biophysik Prof. Dr. A. X. Trautwein Medizinische Universitat zu Lubeck Institut f. Physik Ratzeburger Allee 160 2 3 5 38 Lubeck Sekretariat der Deutschen Gesellschaft fur Parasitologie Prof. Dr. B. Frank Universitat Hohenheim FG Parasitologie 70599 Stuttgart Geschaftsfuhrerin der Deutschen Gesellschaft fur Protozoologie Ulrike G . Berninger Institut fur Meereskunde Abteilung Meeresbotanik Dusternbrooker Weg 20 24105 Kiel Schriftfiihrer der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft Dr. Ronald Janssen Forschungsinstitut u. Naturmuseum Senckenberg Senckenberganlage 25 60325 Frankfurt
Anhang2
Geschaftsstelle der Deutschen Phytomedizinischen Gesellschaft TU Munchen Lehrstuhl fur Phytopathologie Am Hochanger 2 85350 Freising Geschaftsfuhrer der Gesellschaft fur Biochemie und Molekularbiologie Dr. J. Maxton-Kuchenmeister Kennedyallee 70 GO596 Frankfurt Schriftfiihrer der Gesellschaft fur Entwicklungsbiologie Prof. Dr. H. Reimer Rodewald Universitat Ulm Abt. Immunologie Albert-Einstein Allee 7 89081 Ulm Schriftfiihrer der Gesellschaft fur Genetik Prof. Dr. J. Graw GSF Institut fur Saugetiergenetik Ingolstadter Str. 1 85758 Oberschleisheim Schriftfuhrerin der Gesellschaft fiir Primatologie Dr. S. Preuschoft Emory University Living Links Center 954 North Gateway Rd. Atlanta, GA 30329 U.S.A.
VAAM Sekretariat Ringstr. 2 06120 Lieskau Monika Moller Geschaftsfuhrerin der UDBio Heinrich-Heine-Universitat Institut fur Zoomorphologie, Zellbiologie und Parasitologie Universitatsstr. 1,40225 Dusseldorf, Deutschland
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Anhang 3 Autorenverzeichnis Prof. Dr. Wilhelm Barthlott Dr. Z. Cerman PD Dr. C. Neinhuis Botanisches Institut und Botanischer Garten Rheinische Friedrich-Wilhelms-UniversitatBonn Abt. Systematik und Biodiversitaet Meckenheimer Allee 170 D-53115 Bonn Prof. H.-W. Dehne Institut f. Pflanzenkrankheiten Nussallee 9 53115 Bonn Prof. Dr. Konrad Dettner Lehrstuhl Tierokologie I1 Universitat Bayreuth Postfach 10 12 51 95440 Bayreuth Dr. Harald Engelhardt Max-Planck-lnstitutfur Biochemie 82152 Martinsried Prof. Dr. H.C. Flemming Jost Wingender Lehrstuhl fbr Aquatische Mikrobiologie Universitat Duisburg Geibelstrage 41 47057 Duisburg
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Anhang3
Prof. Dr. Univ. Wilhelm Foissner Universitat Salzburg lnstitut fur Zoologie Hellbrunnerstrage 34 A-5020 Salzburg Brigitte Frank FG Parasitologie U niversitat Hohenheim 70599 Stuttgart Prof. Dr. J . Graw GSF lnstitut fur Saugetiergenetik Ingolstadter Str. 1 85758 Oberschleigheim Prof. Dr. Johannes H.P. Hackstein University of Nijmegen Dept. Microbiology and Evolutionary Biology Toernooiveld NL-6525 Ed Nijmegen Prof. Dr. Klaus Hausmann Institut fur Zoologie Freie Universitat Berlin Konigin-Luke-Strage 1-3 14195 Berlin Dr. Dr. Jurgen-H. Jungbluth In der Aue 30e 69118 Schlierbach Prof. F. Klingauf, BBA, Braunschweig Dr. R. Petzold, BMVEL, Bonn Dr. H. Stubler und Dr. F. Thurwachter, Aventis Crop Science, Frankfurt Prof. Dr. Rolf Knippers Universitat Konstanz Fakultat fur Biologie UniversitatsstraBe 10 78434 Konstanz
Anhang3
Klaus Lingelbach FB Biologie Philipps-Universitat Marburg 35032 Marburg Prof. Dr. Hans Machemer Ruhr-Universitat Bochum Lehrstuhl fur Allgemeine Zoologie und Neurobiologie AG Zellulare Erregungsphysiologie 44780 Bochum Heinz Mehlhorn Monika Moller Institut fur Zoologie und Parasitologie der Heinrich Heine Universitat Universitatsstr. 1 40225 Dusseldorf Prof. Dr. Werner A. Muller Universitat Heidelberg Zoologisches Institut - Physiologie Im Neuenheimer Feld 230 69120 Heidelberg
Prof. Dr. Helmut Plattner Universitat Konstanz Fakultat fur Biologie Postfach 5560 78434 Konstanz Thomas Romig FG Parasitologie Universitat Hohenheim 70599 Stuttgart Andreas Ruppel Institut fur Tropenhygiene Universitat Heidelberg 69120 Heidelberg Prof. Dr. Martin Schlegel Universitat Leipzig Institut fur Zoologie Talstr. 33 04103 Leipzig
I”’
278
I
Anhang 3
Prof. Dr. Helmut J. Schmidt Universitat Kaiserslautern FB BiologieJAbt. Okologie Postfach 3049 67653 Kaiserslautern PD Dr. Burkhard Schulz Eberhard-Karls-Universitat Tubingen Zentmm fur Molekularbiologie der Pflanzen Pflanzenphysiologie Auf der Morgenstelle 5 72076 Tubingen Prof. Dr. H. v. Holst Universitat Bayreuth Lehrstuhl fur Tierphysiologie Universitatsstr. 30 95440 Bayreuth Prof. Dr. Volker Zinkernagel Lehrstuhl fur Phytopathologie Technische Universitat Munchen Am Hochanger 2 85350 Freising PD Dr. Kurt Zoglauer Humboldt-Universitat Berlin Institut fur Biologie Angewandte Botanik Invalidenstrage 43 10115 Berlin
I
279
Register U
Abies nordmanniana 15 Abszisinsaure 23 Ackerschmalwand 31 Aculqera 168 N-Acyl-L-Homoserin-lacton 263 Adiantum capillus-ueneris 6 Agrobacterium tumefaciens 36 Agromarkt 46 AIDS 63 Aktivierung, des Nebennierenrindensystems 113 Alginat 256, 257 Allele 74 Allgemeine Entomologie 149 Alterskatarakte 95 Altwirkstoffe 50 Alveoliire Echinokokkose 199 Alzheimer-Krankheit 61 Amazonas-Riesenbockkafer 153 Amoboide Bewegung 145 Ancylostoma 218, 219 Angeborene Linsentxiibung 95 Angewandte Entomologie 149 Angiogene Faktoren 86 Angst 114 Anomale Augenenhvicklung 99 Anopheles 189 Anopheles maculipennis 229 Antarctophthirus 226 Antigenvarianz 198 Antisense-Richtung 35 Antisense-RNA 34 Antriebsschwache 114 AnwendungsorientierteWissenschaft 41 Apomixis 14 Apoptose 85 Appetitlosigkeit 114 Arabidopsis-Cenom 31
Arabidopsis Information Service 33 Arabidopsis thaliana 31 Archaea 233 Archiv fur Molluskenkunde 176 Artenvielfalt 151 Arzneimittel, Empfindlichkeit 63 Asexuelle oder vegetative Fortpflanzung 90 Augenbecher 97 Augenbecherstil 97 Augenenhvicklung 96 aphakia-Mutante 100 Deletionen im Promotor von Ditx3 100 Mutanten 98 Tiermcdelle, Maus, Drosophila, Zebrafisch 107 Augenkrankheit. cornea pfana congenita 100 Ausknocken, von Pflanzengenen 39 Augergenomische Information 79 Autan 230
b
Bacillus thuringiensis 161 Bacteria 233 Bandwiirmer 216 Basen-Paarung 56 Befalls-Verlust-Relation 44 Benetzbarkeit, von Oberflachen 6 Bernsteinbiozonose 127 Beschalte Amoben (Testaceen) 127 Beschichtungen 11 Bestaubung 155 Bettwanzen 223 fl/y-Kristallin Superfamilie 105 bicoid 78 Bilharziose 202, 216 Chemotherapie 207 Immunologie 204
280
I
Register
Kontrollc 207 Krankheitsllild 203 Resistenz gegrn Sekundarinfektion 205 Zwischenwirte 202 Biochemiker 150 Biofilme 247 Adhasion 256 Akkumulation 257 als Nahrungsketten 259 Aufbau 258 Ausbreitung 258 biologische Bedeutung 250 conditioning film 256 Entstehung 254 Genexpression 257 Grrnzflachen 248 Hornoostase 257 iriterner Transport 261 Kornmunikation 250, 262 rnedizinische Aspekte 252 Morphogenese 257 Nahrungsketten 264 Quorum sensing 262 Schntzwirkung 250 Signalrnolekule 262 Vorkornmen 248 Wechselwirkungen 249 Biofilm Matrix 247 Biofouling 248 Bioindikatoren 155 Biologische Schadlingsbekampfung 155, 156 Biologischc Strukturen 3 Biomedizinische Forschung 113 Bioreaktor (Pflanze) 49 Biosensoren 44 Biotcchnische Methoden 158 Bivalviu 172 Blasenbilharziose 203 Blastocyste 88 Bluterkrankhcit 58 Blut-Starnmzellen X8 Bodenbakterium 161 Brutknospen 1 3 Bt-Toxin 161 Buschmeyer, H. 176
C
Cuenorhabditis elegans 60, 78.83 Calfiphora-Therapie 157 Cat2-Mutanten 103 Cuudofoveuta 170
Celera Genomics 59 crll memory modules 83 Cephalopoda 172 Chemische 1.eitstrukturen 47 Chemokinesc 146 Chernotaxis 146 Chitin 155 Chloroplasten 134 Chloroquin 192 Ciliarkdrper 97 Ciliaten Kerndualismus 140 Konjugation 140 Oberflichenantigene 141 Paarung 141 sexuelle Fortpflanzung 140 Ciliaten Starnmbaurn 136 Ciliaten (Wimpertiere) 132 Cilienschlag 146 Cimex lectularius 223 Clessin, S. 175 cM = centi Morgan 96 Coccidien 21 3 Conchfera 170 Conchyliologie 165 Cornea 96 Cortisol 114, 116 Co-Suppression 35 Craig, V. 59 Crc-Protein 263 Cre/Lox-System 86 Crick, F. 55 Ctenocephafideshlis 221 Cufex pipienc 229 Curculionidae (Kdsselkafer) 152 Cuticula 3
d Darmbilharziosc 203 Deoxyribonukleinsiure 55 Deutsche Malakozoologische Gesrllschaft 176 Aktivititen 177 Neueste Geschichte 177 Diagnose, von Insektenkrankheiteri 158 Differenzierung 82 Dinoflagellaten 134 DNA 55 DNA-Chips 65 DNA-Methylierung 35 Dominanzbeziehungen 114 Doppclhelix 55 Douglasie 27
Register
Drosophila 61, 73, 150 dsRNA-Interference 34, 36
e
Echinococcus multilocularis 198 Echter Mehltau 42 Einzeller Alphataxonomie 125 als Bioindikatoren 125 Evolution 133 Genetik 133 Lebensraume 125 Molekularbiologie 133 molekulare Merkmale 134 Ontogenese 125 Phylogenie 134 Venvandtschaftsbeziehungen I34 Einzeller (Protozoa) 125 Ektoparasiten 186 Elektronenmikroskopie 129 Elektronentomographie 237 Embryogene Zellkulturen 18 Gentransfer 25 Embryonale Stammzellen 86 Embryoreifung 21 Endoparasiten 186 Endosymbionten-Hypothese 138 Endosymbiose 150 Endotoxin 161 Entomologie, allgemeine, angewandte, 149 Entwicklung, des Kopfes 80 Entwicklungsbiologen 150 Entwicklungsgenetik, des Auges 95 Epilachna uarivestis 154 EPS - Chemische Zusammensetzung, Eigenschaften 259 Entstehung 259 EPS-Matrix 247 Erbkrankheit 58 Erzwespen 156 EST 34 ES-Zellen 86, 89 Ethylnitrosoharnstoff 96 Eukarya 233 Euplotes 130 Europaische Larche 23 Exocytose 131, 147 Exon 58
f
Farbstoffe 155 Fauna Germanica Molluscorum 180 Federflugler 153
Fettleibigkeit 64 Fichte 25 Fimbrien 243 Flavr Savr Tomate 36 Flohe 221 Flussperlmuschel 178 Forensische Entomologie 157 Formulierung. Ausbringungssystem 48 Forstwissenschaft 149 Fraghemmstoffe 158 Fuchsbandwurm Ausbreitung 200 Bekampfung 201 Endwirte 199 Erkrankung 199 Infektionshaufigkeit 201 Stadtfiichse 201 Tollwutbekampfung 201 Zwischenwirte 199 Fungizide 48 Funktionelle Redundanz 34 Funktionsanalyse, von Genen 34, 39 Furchenfusser Solenogastres 170
g
Gastropoda 171 Genbibliothek 77 Gendefektmutante 34 Gene 5 7 ,6 2 ,6 9 ,7 1 Gene Silencing 35 Genetik und Verhalten 70 Genetischer Code 56, 142 Genetische Transformation, v-on Nadelbaumarten 25 Genexpression und Umwelteinflusse 67 Genfunktion 39 Genom 5 7 ,7 1 Genome, der bakteriellen Erreger 57 Genomsequenzierung 34 Genom-Vergleiche 61 Gensonde 34 Gen-tagging 36 Gentechnik 57 Gentechnisch hergestellte Medikamente 57 Gentechnisch veranderte Pflanzen 158 Gessner, K. 173 Gewebevertraglichkeit 89 Giardia Diarrhoe 211 Ultrastruktur 210 Giardia duodenalis 210 Giardia lamblia 210
I
282
I
Register
y-Kristallin-Gen 103 griechische Schlussel-Motive 103 Glossina brevipalpis 227 Glossina morsitans 227 Glossina palpalir 227 Glycocalyx 259 Gram-negative Mikroorganismen 240 Grauer Star 95 Allelische Mutationen 100 Altersabhangigkeit 95 Chromosomale Lokalisation 96 Genetische Analyse 96 lnduktion durch Mutagenese 96 Mechanismen der Linsentriibung 95 Tiermodelle 95 Grenzflachenspannungen 6 Griechische-Schlussel-Struktur 103
h
Haeckel, E. 133 Hamolymphgift 151 Hamozoin 192 Hakenwiirmer 218 Harmomsche Verpaarung 118 Hartstrukturen, der Weichtiere 165 Hausbockkafer 159 Hefe 2-Hybridsystem 33 Ffemimastigophora 125 Herbizide 48 Herzraten 117 Heterologe Sonde 33 Histon H4 134. 135 Hochempfindliche Analytik 43 Holoprosencephalie 98 Holzbock 220 Homootische Gene 76, 77 Homo erectus 63 Fiomologe Rekombination 87 Homo sapiens 63 Honig 155 Hornhaut (Cornea) 96 Human Genom, Gesamtsequenz 60 Human-Genom-Projekt 55 Hybridisierung 33 Hydrogenosomen 137 f fydrogenosomen-DNA 139 flylotrupes bajulus 159 I
lmmobilisierungsantigene 142 Immunologie, emotionaler Prozesse 117 lmmunsystem 113
lndividuenzahlrn 152 Induzierte Abwehr 157 Induzierte morphogenetische Veranderung 142 Innere Oszillatoren 82 Insekten 149 Verbreitung 152 Vorkommen 152 Insektendarm 161 Insektenpathogene Bakterien 158 Insektenresistente Pflanzen 158 Insektizide 48, 156, 158 Insertionsmutagenese 36 Intron 58 In-vitro-Kulturtechniken 17 IQ-Werte 66 Iris 97 ISIP 45 Ixodes ricinus 220
k Kaferschnecken Polyplacophoru, Loricata 170 Kahnfiisser (Scaphopoda) 172 Katarakt 95 Cat2-Mutanten 103 Linsen, biochemische Analyse 100 Mutanten, Kandidatengene 101 Katzenfloh 221 KERA-Cen 103 Keratokan 101 Kerbtiere 149 Kiefer 25 Kleiner Fuchsbandwurm (Echinococcus multiloculuris) 198 Entwicklungsgang 197 lnfektionszyklus 197 Klonale Vermehrung 13 Klonen 79, 90 von Pflanzengenen 39 von Saugern 89 Klonsorten, von Nadelhaumen 28 Kobelt, W. 176 KorpergrofSe 154 k.0. Mause 86 Kommensalismus 185 Komplementaritatsprinzip 77 Komplementation, von Mangelmutanten 34 Komplementsystem 122 Konfrontationsexperimente 115 Konservierte Systenie 102 Kontaminationsschutz 5
Register Kopffusser, Tintenschnecken (Cephalopoda) 172 Korrosion 248 Krebs 85 Kriebelmucken 230 Kiissen (Tupajas) 118
I
Lause 224 Landwirtschaft 149 Leishmania 212 Lesch-Nyhan-Krankheit 66 Linne, C. von 174 Linsenblaschen 96 Linsen-Differenzierung 97 Linsenentwicklung 95 Linsenfasern 98 LinsenpIakode 96 Lipopolysaccharide 240 Lotusblume 3 Lotus-Effekt 3 Lymphozyten-Proliferation 116
m Madenwiirmer 186 Malakozoologie 165, 173 Historie 173 Malaria 187, 188,213 Bekampfung 191 Biologie des Erregers 188 Chemotherapie 192 Erkrankungen 188 Imrnunitat 195 Impfung 194 Krankheitsverlauf 189 Lebenszyklus 190 Resistenzen 192 Malariaerreger 134 Malermuschel 166 Marienkafer 154 Markiervorgange 119 Marten, E. von 176 master controlgene 78,98 Maternale Determinante 80 Maternaleffektgene 76 Maternale Information 78 Maternale Informationstrager 81 Maus - Mensch-Model1 64 Medinawurm 187 Meistergene (Selektorgene) 75 Menke, K. T. 175 Menschliche Gene 60 Mentale Retardation 66
Methanbakterien 138 MHC-Gene 89 Mikrobielle Aggregate 247 Mikrobiologie 233 Mikrokonsortium 247 Mikronucleus 140 Mikroorganismen 150 Mikropalaontologie 127 Mikrostecklinge 14 Moderne Agrarwissenschaften 41 Molekulare Fossilien 134 Molekulare Genetik 31 Molekulargenetiker 150 Mollusca 166 Molluskenkartierung 179 Monitoring, von Pathogenen 45 Monoplacophora 171 Mudigkeit 114 Mukoviszidose 58,253 Multispezies-Biofilm 257 Muscheln (Bivalvia) 172 Musterbildung 81
n Nahrungskonkurrenten 157 Nahrungsokologische Spezialisierung 155 Naturschutzbezogene Insektenforschung 155 Neandertaler 63 Nelumbo nucqera 6 Netzhaut (Retina) 96 Netzwerkregulation 145 Neuronale Vernetzung 83 Nichtzielorganismen 161 Nordmannstanne 15 Niisslein-Volhard,C. 73 0
oleohydrophob 10 Ommatiden-Augen 98 Ontogenese 17 Oszillatoren 82
P
Paarbindung 117 Paedems 151 Parchenegel (Schistosoma) 202, 215 Paramecium 142, 146, 147 Parasiten 157, 209 als Krankheitsiibertrager 186 direkte, indirekte Entwicklung 186 Strategien der Immunabwehr 188
I
283
284
I
Register Wirtswechscl 1x7 Parasitische lnsekten 155 Parasitismus 185 Parasitologie 185 Parkinson-Syndrom 89 Pathogene Bakterien 241 Pathogenitatsfaktoren 242 PCR-Screen 38
Pcdcrin 151 Pediculus humanus capitiy 224 Pediculus humanus corporiy 224 Peptidoglycan 239 Pfeiffer. C. G . L. 175 Pfeiffer, C. J. 175 Pflanzenproduktion 42 Pflanzenschnt7 41, 150 Phagocytose 116, 146 Pharmaforschung 150 Pheromone 158 Philly-Maus 106 Phthiruc pubis 224 Ph ytoan ti korper 3 S Phytomedizin 41 Phytomedizinische Diagnostik 43 Phytophagen 155 Phytophthoru injistans 43 Pilze 158 Plasmodium 134 Antigenvarianz 198 Plastide 193 Utngehung der Irnmutiarihvort 195 Plasmodiumfalciparum 188, 214 Plasmodium mulariae 188 Plusmodium ouale 1x8 Plasmodium viuux 188 Polymerase Kettenreaktion (PCR) 37 Polyplacophora, Loricata 170 Porenproteine (Porine) 241 Positiorisinformation 78 pra-m RNA, verandertes S p l e i k n 106 Prazisionslandwirtschaft, precision farming 44 Prazisionspflanzenschutz 44 Praziquantel 202, 207, 216, 218 Proglottiden 216 Programmierter Zelltod 85 Prokaryonten 233 Flagcllcn 241 Forrnenreichtum 234 intrazellulare Strukturen 236 Taxonomie 235 Zellwand 238 Proteasom 243
Proteinabbau 243 Protein-targeting 140 Protoplast 21 Protozoen, als zellbiologische Modelle 145
I’rotozoologischc Feinstrukturforschung 129
Pseudomonas aeri~gitto~a253, 254 Psychorieuroimmunologie 113 Ptinella apteru 153 Pyrodirtium abussi 236. 238
4
Qualitatsstandards 5 1
r Rauberische Insekten 155 Repellents 230 Reportergen 25 ReproduktionsbiologIr 90 Resistenzbildungen 156, 161 Resistenzgen 25
Retina 96 Reverse Genetik 37, 77 Reverse Transkriptions-PCR Rhizome 13 Risikoabschatziingcn 15X Rhsselkif@r 152
34
s
Saimonellu typhimirrrum 243 Samenverbreitung 155 Surcocystis 213, 214 Schaderreger 43 Schalenweichtiere Conih$ra 170 Schildfusser Caudofoueata 170 Schildzecken 219 Schistosoma 202 Biologie 206 immrmologische Maskirrung 204 SLhistosoma haematobiurn 216 Schistosoma munsoni 216 Schistosomiasis 202, 216 Schistosomulutn 205 Schlafkrankheit 212,229 Schleimpilzr 145 Schliisselarten 155 Schnecken, Bauchfusser (Gubtropoda) 171 Schwerkraft, Wahrnehinung 146 Sehncrv 97 Seide 155 Sekretion 147 Selbstbefruchtung 31
Selbstorganisation 81 Selbstreinigende Oberflachen 3, 8 Selektivitat 48 Sexualhormone 120 Sexuelle Reproduktion 90 Signalmolekiile 263 Signaliibermittlung 75 Simulationstechnologien 48 single nucleotide polymorphism (SNP) 63 S-Layer 239 Sloughing 257 SNP-Karten 64 Solenogastres 170 Somatische Embryogenese 13 Somatische Gentherapie 68 Somatischer Embryo 18 Sonnentierchen 130 Spemann, H. 79 Spemann-Organisator 79 Spodoptera 161 Sporozoa 213 Springende Gene 36 Spulwurm 186 SRY-Gen 92 Stachelweichtiere (Acul@ra) 168 Stadtfiichse 201 Stammbaum, des Organismenreiches 2 34 Stammzellen 85 Stammzellen-Ersatzgewerbe 88 Stechende Insekten 158 Stechmiicken 229 Stecklinge 14 Stomoxys calcitrans 227 Stromatolithen 250, 251 Subtraktionsklonierung 33 Superhydrophobe Oberflachen 7 superoleohydrophob 10 Surface-Layer 239 Symbiose 133, 185
Tiermodelle 95 Titanusgiganteus 153. 154 TolC-Tunnel 241 Totipotente Kerne 92 Totipotenz 15 Toxinrezeptoren 161 Toxoplasma gondii 213 Transgen 86 Transgene Tiere 90 Transkriptionsfaktoren 75 Transposon 36 Treibhauseffek 139 Trichogramma 156 Tricorn-Protease 244. 245 Trypanosomen 212 Tsetsefliegen 213, 226 Tumorbildung 85.90 Tupaia belangeri 114 Tupaja, Verhaltensbiologie 114 U
Ultraphobe Oberflachen 10 Unbenetzbarkeit 5 Unharmonische Verpaarung 117 Unitas Malacologica 179 Urciliat 127 Urmutzenschnecken, Napfschaler Monoplacophora 171 Y
Vakuolisierung. der Linse 100 Verbessertes Resistenzmanagement 48 Veredlung 14 Verhalten, bestimmende Gene 65 Verhaltensforschung 113 Verschleppung, von Schadorganismen 50 Veterinarmedizin 149 Viren 158 Virtuelle Substanzbanken 48 W
t Taenia solium 217 Technische selbstreinigende Oberflachen 9 Telomerase 142 Teratocarcinome 90 Teratome 79, 90 Testaceen 127 Tet(razyk1in)-System 86 Therapeutisches Klonen 88 Rermoplasma acidophilurn 237, 244, 245 Thiocapsa pfnnigii 237
Register
Wachse 4 Wachstumskegel 83 Wanzen 223 WasserabstoRung 7 Wasserschutzverordnungen Watson, J. 55 Weichtiere 165 Bauplane 166 Fortpflanzung 168 Hartstrukturen 165 Rote Liste 179 Stammbaum 167
156
I
286
I
Register
Systematik 168 Weichtierkunde 165 Historie 165 Weihnachtsbaume 15 Widerstandsfahigkeit. von Pflanzen 43 Wimpertiere 132 Wirkstoffe 150 Wolinella succinogenes 242 Wundheilung 157
Y
Y-Chromosomen 62 Young'sche Gleichung 6
Z
Zebrafisch Dank 83, 107 Zellgedachtnis 82 Zellgedachtnismodule 83 Zentralnervensystem 113 Zonularer Katarakt 107 Zwergkafer 154 Zwillingsforschung 66 Zygotische Embryoentwicklung
17