OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
DIE GROSSE EMPÖR...
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OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
DIE GROSSE EMPÖRUNG Unter diesem Titel ist soeben der Doppeiband 27/28 der neuen Weltgeschichte erschienen. Der Doppelband behandelt das 16, Jahrh. n. Chr. DieEinheit des Abendlandes und derChiistenheit zerbricht. Der Riß verästelt sich über Europa und setzt sich bis in das kleinste Dorf, bis in die Familien fort. Die Gedanken der Gewissensfreiheit, der evangelischen Gleichheit der Menschen, die Loslösung derWissenschaften von der Theologie, die Abwendung der meisten Fürsten von kirchlichen Einflüssen und die wachsende Rebellion der Massen gegen die bisherige, schwer erschütterte Ordnung bestimmen das Bild der Übergangszeit. Die „gläserne Kuppel" des Mittelalters ist niedergestürzt.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.} Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU'MÜNCHEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
HANS
K U L T U R K U N D L I C H E
WILHELM
HEFTE
SMOLIK
Vom Schwarzspecht und seinen Gevattern
VERLAG SEBASTIAN LUX * MURNAU / MÜNCHEN
s.
e ltsam, sehr seltsam ist es dem rotbeschopften Sonderling und Einsiedler des Hochwaldes, dem Schwarzspecht, wieder einmal gegangen. Wie ein außer Rand und Band geratener Jazzer hatte er im März seine Werbetrommel, sein Xylophon, den dürren Astzacken, bearbeitet. Wie ein Teufel hatte er sich auf die Nebenbuhler geworfen und das herbeigerufene Weibchen nicht einen Augenblick aus dem Auge gelassen. Heiß hatte er sich die Eheliebste erkämpft. Dann aber war es doch wie immer gekommen. Das trauliche Beisammensein verwandelte sich im Handumdrehen in einen regelrechten Ehekrieg. Von Eintracht und Frieden konnte keine Rede mehr sein. Bei jeder Gelegenheit fauchten und blitzten und schrien sie sich an. Es war, als ob sie sich nie begehrt und geliebt hätten. Das Weibchen hatte an jeder der von ihm vorbereiteten Schlaf- und Nisthöhlen etwas auszusetzen. Meißelte er an dem Astloch im Ahorn, so arbeitete die Spechtin an der alten Fichte. Gesellte er sich versöhnlich zu der Eigensinnigen, so wendete 6ie sich der vorjährigen Nisthöhle in der Eiche zu und busselte dort herum. Zuletzt legte sie ihre vier weißen Eier dann doch nicht in die Eiche, sondern in eine Schlafhöhle in der Esche, obwohl das Nest kaum zwanzig Zentimeter tief und noch sehr, sehr ena war. Gutmütig folgte er ihr.
Aber Frau Spechtin erwies sieb auch in diesem Jahre "wieder als eine durchaus flüchtige und unzuverlässige Brüterin. Mehr als einmal hielt sie die vorgeschriebene Ablösungszeit nicht ein und zigeunerte umher; mit knurrendem Magen saß er dann mißmutig auf den Eiern. Der Löwenanteil des Brutgeschäfts fiel ihm wie von selbst zu. Das war schon eine mehr als merkwürdige Familie, die Familie Specht! Ja, und nun, da die vier Jungen glücklich ausgekommen waren und fast nackt, grundhäßlich, unförmig und unaufhörlich gierend auf den Sitzwarzen ihrer Fersen im Grunde der Höhle bockten, blieb das Weibchen tagelang ganz weg. Nun konnte er sehen, wie er die wimmernden und zirpenden Sperrhälse stopfte. Die ganze Last der Aufzucht lag allein auf seinen rabenschwarzen Schultern. Dabei war der Spechtin nicht etwa ein Unglück zugestoßen. Weder Marder noch Habicht hatte sie erwischt. 0 nein, sie trieb sich müßig im Revier herum, schlug sich den Leib voll fette Larven, lachte sich eins, lachte geradezu aufreizend, und hatte ganz und gar auf ihre Pflichten vergessen. Wenn er sie traf, sträubte sie bös die Federn, spreizte zänkisch die Flügel, blitzte ihn aus ihren glashellen Augen an und wäre am liebsten auf ihn losgefahren. Wie um ihn zu ärgern, folgte sie ihm bis zur Nisthöhle und steckte wohl auch einmal den Kopf hinein, so, als wollte sie sich von dem Wohlergehen der Jungen überzeugen. Ans Füttern jedoch dachte sie nicht. Und selbst die Nestlinge gebärdeten sich bei ihrem Anblick, als wenn ein Feind in die Kinderstube schaute. Es besteht kein Zweifel mehr, die Ehe, die zwei typische Einzelgänger unter dem Zwang des Naturtriebs eingegangen sind, ist unheilbar zerrüttet und zerfallen! Er aber darf nun allmorgendlich die Kinderstube säubern, den Nestjungen die Kotbällchen wegnehmen und dann pausenlos auf die Futtersuche fliegen. Zu jeder Stunde erscheint er mit vollem Schnabel am Flugloch. Er tut, was getan sein muß, mit der Genauigkeit einer Uhr. Tausende und Zehntausende von Ameisenpuppen und Holzwürmern stopft er im Laufe der nächsten vier Wochen in die Rachen der mit wahrhaft unheimlicher Schnelligkeit schluckenden, verdauenden und — Gott sei Dank! — auch wachsenden Brut. Wie ein Tollwütiger zerhämmert er die Stubben, die Baumstumpen und die befallenen Stämme. Weit hallt das Trommeln und Rasseln des geschäftigen Schnabels durch das wilde Höllbachgespreng, 3
dieses Restchen eines Urwaldes am Großen Falkenstein. In handgroßen Fetzen fliegt die mürbe Rinde durch die Luft. Fingerlange Späne und Splitter reißt er los. So schnell folgen sich die kraftvollen Schläge, daß sein roter Kopf wie ein Stück glühende Kohle auffunkelt. Dreimal in der Sekunde stößt der vierkantige, der ganz besonders konstruierte und außerordentlich widerstandsfähige Schnabel zu. Schon vom Zusehen kann man Kopfschmerzen bekommen. Und gleich einer blitzenden, zischenden Schlange schießt die zylindrische Schleuderzunge weit aus dem Schnabel, leimt, spießt und umschlingt die freigelegten Larven und zieht sie aus ihren Schlupfwinkeln. Fs gibt praktisch keine Ritze, keinen Rindenspalt, kein Bohrloch, in die diese weit vorschnellende, sich wie ein Wurm windende, klebrige und widerhakige Spechtszunge,diese wundervolle und fühlsame Insektenangel nicht dringen kann. Sie wittert gleichsam die Larvenbrut, mögen die Larven auch noch so tief im Kernholz und in vielfach gewundenen Gängen stecken. Die Muskeln und das knöcherne Bein dieser Zunge durchwachsen, ja, überwuchern schier den ganzen Kopf. Geleitet wird der Specht bei seiner Sucharbeit von einem unwahrscheinlich feinen Tastgefühl, einem holzfachmännischen Blick und Gehör, um das jeder Forstmann ihn beneiden könnte. Ausgerüstet mit diesem Werkzeug und beseelt von der allen Spechten eigenen Ruhelosigkeit, hat es der Schwarzspecht in dieser Zeit noch leicht, seine Brut aufzupäppeln. Die Jungen verlieren (bald ihre spärlichen, schwärzlichen Dunen. Fast zusehends sprossen die rahenschwarzen, harten und festen Federn, wachsen die langen scharfen Nägel ihrer Zehen, treten Kopf und Leib in ein harmonisches Verhältnis. Anfang Mai hocken sie schon nicht mehr auf den Fersen und Spänen, sondern hängen, wie es sich für Spechte gehört, an den Wänden der Nisthöhle, hacken futterneidisch aufeinander los und sind so unverträglich, wie es eben nur Spechte sein können. Nicht selten bringen sich ja die Jungspechte in der Nisthöhle gegenseitig um oder verletzen sich schwer. Und nun 'dauert es nicht mehr lange, und sie halten bereits Ausschau nach dem braven Nährvater. Ihre Scheitel tragen zwar noch nicht das rote Spechtalhzeichen, aber am Hinterkopf färbt sich ein Keil schön karminrot und leuchtet in der Sonne, wenn sie aus dem Schlupfloch lugen. Ihrer Mutter sehen sie jetzt schon zum Verwechseln ähnlich. Es ist eine Freude, sie also wachsen und gedeihen zu sehen. Unserem Schwarzspecht jedoch wächst ihr unstillbarer Hunger 1
Die Spechtzunge ist ein Meisterwerkzeug. Sie liegt, von kräftigen Muskeln gehalten, tief im Innern des Kopfes (1). Beim Vorschnellen greift sie auf doppelte Schnabellänge aus (3). Die Zungenspitze (2) ist spitz und hornig und mit Widerhaken besetzt. Durch den Speichel wird sie klebrig gemacht, damit dieBeute haftet. jetzt aber doch über iden Kopf. Eette Bockkäferlarven, feiste Spinnen und Raupen, knusprige Borken- und Rüsselkäfer, gemästete Holzwürmer schleppt er in Massen herbei. Von seiner Suche und Arbeit zeugen die vielen rotaufleuchitenden Male an den Stämmen der Fichten, Kiefern und Eichen. Die Brut der Holzwespen, der Weidenbohrer und der iRoßameisen wird fürchterlich gezehntet. Selbst in den stillen Mittagsstunden schallt sein Hämmern durch den schweigenden Wald. Wie aufgezogen schnurrt er hin und her, wie der leibhaftige Insektenteufel selbst rutscht er die Stämme hinauf und hinunter. Und hat dabei ganz und gar auf seinen ein wenig klagenden Ruf, sein schebberndes Lachen, sein lustiges klirrendes Schnurren vergessen. Es ist, als ob er sich vorgenommen 'hätte, die vier Jungspechte iso schnell wie nur möglich vom Halse zu bekommen. »Nie alber verfällt er in diesen sauren Wochen in die räuberischen Gewohnheiten (manches großen Buntspechts, 'der die von Meisen besetzten, alten und mürben Nisthöhlen anschlägt, sich die Nestküken herausangelt und an seine Jungen verfüttert. «Solche Künste und Kniffe -sind ihm fremd. Doch stellt er sich hin und wieder bei den tiefen Löchern ein, die der Grünspecht in die mächtigen Nadel5
häufen der Waldameisen gerissen hat und zieht Nutzen von dessen Wühlarbeit; im allgemeinen aber hält er sich an die Brut der großen holzzerstörenden Roßameisen. Und er findet auch noch Zeit dafür, die treulose Spechtsfrau nun endgültig aus dem Revier zu jagen. Er gibt es ihr tüchtig, setzt ihr hartnäckig zu, wo er sie nur trifft, und hat bald die Genugtuung, ihr nicht länger mehr begegnen zu müssen. Nun heißt es nur noch, die bereits flüggen Jungen in die Geheimnisse der Zhnmerertechnik und der Futtersuche einzuweihen, dann ist es aus mit dem Familienleben, dann ist der notorische Junggeselle wieder frei. Frei und allein! Und es gibt nichts, was ein Schwarzspecht höher einzuschätzen wüßte. E i n e harte G e d u l d s p r o b e Der Mai vergeht. Der Juni wirft das Licht und die Wärme verschwenderisch über die grünen Hügel und Berge. Das ganze Land zwischen dem doppelgipfligen Osser und dem sagenumwobenen Dreisesselstein liegt unter einer Glocke von gesponnenem Sonnenglast. In den dunkelsten Tobein und Schluchten blüht und grünt die Pflanzenwelt. Die sonst so düsteren Bergseen leuchten wie beseelte Sonnenaugen und schmücken ihre Ufer mit goldenen Trollblumen. Üppig wuchern die Farne und spreiten ihre feingegliederten Wedel. Die frischbelaubten Eschen und Eichen prunken mit funkelnden Wipfeln. In allen heimlichen Schlupfwinkeln des Waldes wuselt es von Jungtieren. Schön aufgereiht sitzen die flüggen Jungvögel auf den Zweigen und äugen mit sehiefgehaltenen Köpfen nach den lokkenden Alten. Und auch unsere vier Jungspechte haben die Nisthöhle verlassen, lernen jetzt das Klettern und Fliegen, hängen aber doch noch wie Pech und Schwefel an dem Altspecht. An und für sich sind die ersten Flugübungen kinderleicht. Im Gleitflug geht es flatternd von der beachtlichen Höhe der Nisthöhle bis zum dritten oder vierten Baum in der Runde, allwo sie sich dann knapp über den Wurzeln an den Stamm hängen. Dieses Anhängen klappt selbst im Anfang fast immer, denn die Füße sind ja sehr kurz, einwärtsgebogen, und die beiden leicht zusammengewachsenen Vorderzehen mit ihren scharfen und gekrümmten Nägeln stellen die schönsten Kletterhaken dar. Das Abrutschen verhindern nicht nur die Hinterzehen — .zur eigentlichen kleinen Hinterzehe gesellt sich bei den Spechten die äußere große Vorderzehe —, sondern vor allem der stabile und doch sehr 6
biegsame Schwanz, der sich so prächtig und fest anstemmen läßt. Dann aber geht es in kleinen, zierlichen Sprüngen am Stamm empor; es vereinfacht das Steigen, sich leicht spiralig, und zwar immer rechts herum, hinaufzuarbeiten. Na, und ist man schließlich und endlich in WipfeLhöhe angelangt, geht es schnurrend wieder zum nächsten Stamm. Mehr von der Flugkunst braucht ein Jungspecht im Juni noch nicht zu verstehen. Den Start von der Erde weg lernt er später. Der Schwarzspecht ist ein echter Baumvogel und kommt nur selten zum Waldboden hinunter. Sein Laufen ist darum auch nur ein ungeschicktes und beidfüßiges Hüpfen. Und bis zum Schwirrflug über die Wipfel oder zum brausenden Sturzflug ins Tal hat es noch eine gute Weile. Wichtiger ist es, hinter die Schliche und Gewohnheiten der heimlichen Rindenbewohner zu kommen und zu erkennen, wo es sich zu meißeln lohnt, wie man die Stämme abhorcht und im bloßgelegten Stubben die Spuren liest. Freilich hat der Schnabel der Jungspechte noch nicht die Kraft, um eine feste und harte Rinde aufsplittern zu können. Doch für die morschen und mürben Baumstümpfe reicht er schon aus. Und es macht Spaß, im roten Mulm und Moder herumzuhacken und die fetten Käferlarven aufzuspießen! Nach knapp drei Wochen haben die Jungspechte auch schon einen Begriff von der höheren Klopfkunst. Die ersten starken Schläge gelten sozusagen der Erkundung, was es mit diesem Stamm überhaupt auf sich hat, was er birgt und dem Magen verspricht. Dann heißt es, bedachtsamer, vorsichtiger und leiser zu hämmern, damit das heimliche Larvenvolk und auch die Käfer nicht rechtzeitig flüchten oder sich tiefer verkriechen. Oft ist es angebracht, schnell um den Ast zu rutschen und auf der gegenüberliegenden Seite der flüchtenden Beute aufzulauern. Bequemer ist es natürlich, sich am Stamm dicht neben eine Ameisenstraße zu hängen und die eilig aufund niederkrabbelnden Blattlausmelker abzulesen. So lernen die Jungspechte das weite Revier des Altspechts und seine zahlreichen Schlafhöhlen kennen. Denn kein Schwarzspecht wird widerstehen, wenn er einen eingefaulten Aststumpf erblickt. Er muß ans Werk und schnell, ganz schnell einmal versuchen, was sich hier machen und gestalten läßt; denn jeder Specht legt Wert darauf, viele bergende Schlupf- und Schlaflöcher in seinem Revier zu besitzen. Und er weiß genau, was sein Eigentum ist. Rücksichtslos wirft er die anderen kleinen Höhlenbrüter, die in der Zwischenzeit die Nistgelegenheit wahrgenommen und die Höhle bezogen 7
haben, samt Eiern und Jungen hinaus. Selbst den eingetragenen Niststoff feuert er den ausquartierten Blaumeisen, Baumläufern, Rotschwänzchen und Fliegenschnäppern wütend nach. Mit Erfolg verteidigen sich gegen dieses bartherzige Wesen nur die Käuze, die Stare und Dohlen, die gern von seiner Zimmermannskunst profitieren und isich in seine Höhlen setzen. Die Kleiber aber kämmen diesem Hinauswurf zuvor; rechtzeitig wird das Flugloch so weit vermauert und verzementiert, daß kein anderer mehr in die Höhle hineinschlüpfen kann. iSie schützen sich damit zugleich vor dem Zugriff der Marder und Wiesel. Nicht selten haben sich in diesen Höhlen aber auch Hummeln, Wespen und Hornissen festgesetzt. Denen rückt der Sdiwar-zspecht natürlich erst recht -zu Leibe und vertilgt sie samt ihrer Brut. Die Stiche der sich wütend Wehrenden fürchtet er nicht, sie prallen wirkungslos an seinem harten Gefieder ab. Ehe die Jungen in diesen Schlafhöhlen des Altspechts zur Ruhe kommen, gibt es regelmäßig eine erbitterte Balgerei um den schönsten Platz. Mit tückischen Schnabelhieben und -Stößen wird nicht gespart. Mag der Zanksucht selbst ein Auge .zum Opfer fallen, es rgeht nicht anders. Immer wieder muß man sich erst mühselig daran gewöhnen, daß man nicht allein auf der Welt ist. Oft aber wird es dem Altspecht
schon -so (behende, so fix und (gewitzt, daß sie sogar dem jagenden Habicht ein Schnippchen zu schlagen wissen uind ihren glatten Balg in 'die (Höhle retten. Nun aber hat der Altspecht genug. Wild aufschreiend stürzt er sich auf die Jungspechte, verdrischt sie regelrecht und nach Noten und jagt sie den ganzen Tag wütend umher. Die Frist ist um! Mögen die Kerle zuseihen, iwiie sie sich künftig durchs Leben finden! Und die Jungen begreifen, machein sich auf und davon, purren schreiend ins Tal hinunter und lassen sich im Höllbachgespreng nicht mehr sehen. Der Bayrisch-Böhmische Wald ist weit und wird ihnen schon irgendwo Heimstatt bieten. Noch aber ziehen sie unstet umher. Die große Wanderschule des I,ebens beginnt. F r e i ist der Z i m m e r m a n n ! Unser iSchwarzspecht will es noch gar nicht glaiuben, daß der garaze iSommerspuk nun wirklich und unwiderruflich vorüber ist. Unrastiig schweift er umher, wie auf der Flucht vor seinem Gefolge. Mißtrauisch bearbeitet er die Astizacken, läßt dias Trommeln so aufreizend und rasend wie im Frühjahr erschallen und lauscht dann in das Sausen und Brausen der Wipfel und Wilidwiasser. Aber es kommt keine Antwort. Es schwirrt und purrt kein anderer Specht herbei. Nicht eine Schwanzfeder ist vom vertriebenen Weibchen und den verdroschenen Jungspechten mehr zu erspähen. Wenn es irgendwo im Gehölz rasselt oder gar trommelt und er stürmisch hinzu fliegt, so sind es nur die großen Buntspechte, die Mittel- und rvleinspechte, die auf ihren Streifzügen durch die Flur auch einmal ins Höllbachigespreng einschwenken. Oder es sind die Vettern Grünspecht und Graulspecht, die hell wiehernd und sanft klagend Bucbensamen sammeln und genüßlich aufschlagen. Diese Verwandtschaft alber geht ihn nichts an. Er schenkt ihr keine Beachtung, besonders in diesen ersten goldenen Herbsttagen nicht, da er endlich wieder der freie Herr des hohen Bergiwaldes ist. Und an einem der nächsten Morgen packt es den Einsamen. Er muß das lange Schweigen brechen, muß sich den Alptraum der letzten Monate von der Seele schreien. ^Kliäh-ikliöhjkliöh-kliöh!" Wie der Klang einer gesprungenen Bromzeglocke tönt des Schwarzspechts Ruf durchs Gespreng. Zweimal, dreimal, viermal hintereinander schlägt sie an. Und plötzlich
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steigert sich der Ruf zu einem tollen Gelächter. „Glühglüh-wiekwick!" gellt es durch den Wald. Und hinterher läßt er ein klirrendes Schnurren vernehmen und schüttelt sich vor Behagen, stellt die Holle, spreizt sich in der Sonne und fliegt ausgelassen bis zur Holzmühle hinunteer. Wie lange ist das nun her, seit er sich zum letzten Male so recht nach Herzenlust getummelt und nmhergetrieben bat, seit er sich sorglos und kraftvoll über die Täler und Auen schwang, über die Wipfel schoß und durch die Schluchten purrte?! „Der Schwarzspecht!" ruft unten an der Holzmühle der Förster und weist den vespernden Holzknechten den an einer Fichte klebenden Vogel. „Die Holzkrähe!" nickt einer der Männer zwischen dem Kauen. „Der Berg- und Krähenspecht, die Holl- und Lochkrähe, der Holzgüggele und Tannenroller!" fügt ein Dritter hinzu. Und der Förster kann es nicht lassen, ganz schnell einen kleinen Vortrag darüber zu halten, welch gutes Beobachtungsvermögen sich in diesen Namen wiederspiegelt, die der Volksmund dem Schwarzunecht gegeben bat. Der Stolz, daß dieser Vogel nun schon seit Jahr und Tag seinen regelmäßigen Einstand in seinem Forst nimmt, leuchtet ihm aus den Augen. Denn der Wald, der dem Schwarzspecht gefällt, das ist bestimmt kein trübseliger, düsterer und dünnleibiger Stangenacker, das ist ein Wald, der diesen Namen noch verdient. In diesem Wald muß es Bäume geben, die nicht der Mensch in Reih und Glied gepflanzt, sondern die der Wind gesät und der Eichelhäher gesteckt hat. Dicke, alte und mächtige Bäume verlangt der Schwarzspecht, Wetterbäume, die die Schrunden und Male des Lebenskampfes tragen. Und je unwegsamer, je größer, dichter und urtümlicher dieser Wald ist, um so sicherer ist mit dem Schwarzspecht als Standvogel zu rechnen. Von uns Zweibeinigen und unserem lauten Treiben hält er nicht viel. Zwar hat er sich auch an die durchforsteten Reviere gewöhnt, aber er ist doch der scheue Waldvogel geblieben und lebt am liebsten als Märchenvogel im heimlichen Hochwald. Wo aber der Schwarzspecht bleibt, dort stellt sich auch gern ein, was nirgends sonst in unseren Gauen heimisch wird, die farbenprächtigen Blauraken, die wunderlichen Wendehälse, die haubengesclvmückten bunten Wiedehopfe und die Hohltauben, die auf den schwarzen Zimmermann als Nisthöhlenfabrikanten geradezu angewiesen sind. Der Förster erzählt den Holzknechten auch die Geschichte mit der Wünschelrute, in die der Schwarzspecht die blühende Staude 10
Oft ist es allein die Freude am Zimmern und Handwerken, die den Specht zur Arbeit treibt. Tagelang fliegen die Späne und Splitter. Da der „Zimmermann des Waldes" meist morsche und kranke Bäume anschlägt, zeigt er dem Forstmann an, was im Forst zum Absterben verurteilt ist. Er ist die Axt der Natur, die an die todgeweihten Bäume gelegt wird, die er kennzeichnet und im Sterben verkürzt.
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des Salomonssiegels verwandeln könne. „Freilich", fügt er hinzu, „müßt ihr vorher das Flugloch der Schwiarzispechthöhle mit einem slarken Holzkeil verschließen. Dann nämlich holt sich der Rotbeschopfte das Salomonssiegel, holt es aus geheimnisvollen Gründen, um damit den Verschluß der Nisthöhle zu sprengen. Ja, unid nun braucht ihr den Specht nur noch zu erschrecken, idaß er den Wunderstengel fallen laßt, unid schon seid ihr im (Besitz 'der Wünschelrute, «die jeden vergrabenen Schatiz anzeigt." Die Holizknechte schmunzeln. Aber der Sägewerkisbesitzer nuacht vorsorglich darauf aufmerksam, daß das Salomonssiegel, das der Specht fallen lasse, unbedingt -mit einem roten iScharfrichterimantel aufgefangen werden .müsse und nicht die Erde berühren dürfe. Einer der Holzknechte fragt, oh eis wahr sei, daß der Schwarzspecht auch ein großer Wetterprophet sei. Schon sein Vater habe immer gesagt, Wienn die iHolzkrähe schnurre, [gelbe es Regen! Aber ider Förster will sich darauf nicht festlagen. Er meint, daß es noch an sicheren Beobachtungen fehle. So läßt er die Frage offen — wenigstens für die nächsten zwei Tage; denn gerade jetzt läßt der Schwarzspecht wieder sein schnurrendes Regenlied vernehmen. Es werde sich also bald herausstellen, was man von seiner Wetterkenntnis zu halten habe, sagt der Forstmann. Der Förster und die Holzknechte wünschen sich einen guten Tag, unid auch unser schwarzer Freund (hebt sich wieder auf und purrt davon. Im Gegensatz zu den anderen Spechten verläuft sein Fluig nicht in den typischen tiefen iSpechtwelllen, sondern (ziemlich geradlinig. Das heißt, er schwingt sich nicht empor, um dann mit angelegten Flügeln in den Gleitflug überzugeben und dabei an Höhe zu verlieren. Nein, er rudert kräftig imit weitausgebreiteten Flügeln, deren Spitzen sich zu biegen scheinen. Aus der Entfernung könnte mam ihn darum gut und gerne für einen vorwärtsschießenden Eichelhäher halten. Rings um die Grenzen seines 'weiten Reviers fliegt der Schwarzspecht und dann noch hoch in den Falikenstein hinein. Laut läßt er seinen lachenden Ruf bei jedem Abflug erschallen. An die zweihundert bis dreihundert Bäume gebt er an diesem Tage an, oft nur so kurz, als wolle er lediglich einen alten guten Bekannten begrüßen und habe es eilig, noch bei allen anderen Freunden herumzukommen. Es ist ja überhaupt nicht Spechtsart, einen Baum (gründlich und systematisch abzusuchen. Dazu ist der Specht viel zu rastlos; nur nicht zu lange an einem Fleck verharren! So fliegt er wieder ab, 12
ehe er die Futterquelle nur andeutungsweise ausgebeutet hat, ja er liest nicht einmal die bloßgelegten Fraßgänge richtig durch. Genau so wenig kümmert er sich darum, ob 'hinter den losgerissenen und achtlos zur Seite -geschleuderten Rindenstücken noch Spinnen, Asseln, Käfer oder Tausendfüßler kleben. Keiner unserer Spechte führt eine zielgerichtete Schädlingsbekämpfung durch. Sie alle zusammen, die schwarzen, die grünen, die igrauen und die schwairzweißgestreiiften Zimmerleute des Waldes sind echte Näscher und Sonntagsjäger. Niemals brächten sie es fertig, einer Schädlingsinvasion Einbalt zu gebieten, selbst wenn sie dem bedrohten Wald auch gleich in Scharen iziu Hilfe kämen. Nein, der Hauptnutzen, den der Mensch aus dem Leben des Spechtes zieht, liegt in dem unfehlbaren Instinkt, den der Specht für alle kranken und befallenen Bäume mitbekam. Todsicher zeigt er dem Förster die verdächtigen Kandidaten au, und wenn sie auch noch so gesund und kernig aussehen. Und weiterhin dient er dem Wald durch seine große Lust am Zimmern und Meißeln, wodurch er vielen anderen Höhlenbrütern und gefiederten Schädlinigsvertilgern Wohnraum und Nisthöhlen verschafft und sie an den Forst fesselt, in dem er selbst lebt. Zum Dank dafür läßt darum auch der einsichtige und weitblickende Forstmann einige dieser alten und kranken Spechtbäume stehen. Dentn außer unserem Schwarzspecht nehmen die anderen Spechte künstliche Nistkästen wohl hin und wieder als iSchlafhöhlen an, sind aber nicht zu verführen, in diesen Kästen auch zu brüten. Goldene Herbsttage Der Ahorn schimmert im schönsten Birneugold, und korallenrote iBeerenbündel leuchten aus den Wipfeln der Ebereschen. Rings im Walde sind die Spechtsschmieden in vollem Betrieb. Gevatter Buntspecht, Mittelspecht und Grünspecht klaolben Bucheln auf, brechen Haselnüsse und klemmen sie geschickt in Rindenspalten oder Zweiggabeln. Kunstgerecht meißeln sie die Früchte an der Naht auf und angeln sich die süßen und würzigen Kerne. Finden sie keine natürliche Schmiede, dann wird ein Rindenspalt so erweitert, daß er sich dazu eignet. Das Hämmern der Spechtschnäbel ist das Lied der herbstlichen Wälder und wird von den hohen, scharfen und lachenden Rufen der rotbemützten Nußknacker untermalt. IS
Der Große Buntspecht hat es jetzt besonders auf die Fichten-, Kiefern- und Tannenzapfen abgesehen. Wie der Kreuzschnabel turnt er an ihnen herum. Oft bricht er sie kurzerhand ab, um sie gemütlich auf einem Ast oder in einer Art Spundloch, das er sich vorher schlug, ausplündern zu können. Man kann nur staunen, wie kunstfertig und temperamentvoll er mit dem Schnabel die harten Schuppen auseinandertreibt. Unter seinem Arbeitsplatz liegen die Zapfen dicht an dicht. Und natürlich hat er sie nach alter Spechtsitte nur «ehr oberflächlich entkernt und sich dann schnell einen anderen Leckerbissen geholt. Auch hinter den Beeren sind die anderen Spechte jetzt tüchtig her oder hüpfen mit dem Grünspecht und dem Grauspecht über die gemähten Waldwiesen und abgeernteten Haferfelder, um Grillen, Heuschrecken und Regeniwürmer aufzulesen. Von allen diesen Genüssen und Herbstfreuden läßt sich unser Schwarzspecht nur wenig begeistern. Wohl kostet auch er hin und wieder einmal von den aromatischen und säuerlichen Ebereschenbeeren, aber im großen und ganzen bleibt er auch jetzt der unermüdliche Meißler und Zimmerer. Er kann sich nichts Wohlschmeckenderes vorstellen, als solch leckere fette HoLzwespenlarve oder solch feisten Holzkäferwurm, und über alle Maßen gern frißt er die Larven der großen braunen Rüsselkäfer. Keinen Kiefernstubben läßt er aus. Und hier bringt er sogar eine gewisse Ausdauer auf und durchsucht die Stümpfe ziemlich genau. Die Fichtenstubben dagegen liefern ihm wieder die Larven der Zangenböcke, der Schnellkäfer und der bronzenen Laufkäfer in rauhen Mengen. So kommt er sehr wenig mit den anderen Spechten zusammen, die sich auch stärker an die lichten Randhölzer als an den tiefen und dunklen, den schweigenden und heimlichen Forst halten und wenig Neigung zeigen, hoch in den Bergwald zu fliegen. Wenn er sein Reich nicht verläßt, trifft er die ganze Verwandtschaft tagelang nicht. Trotzdem ist er nicht allein im Revier, besonders jetzt im Herbste nicht. Denn Kleiber und Meisen, Baumläufer und Goldhähnchen wissen wohl, welch flüchtiger Sudier und Jäger er ist und daß dort, "wo er gemeißelt hat, noch gut zehn kleine Kerle sattwerden können. Ihre schwachen Schnäbel vermögen es ja nicht, die Rinden der Eichen, Eschen, Birken und Buchen zu bezwingen oder gar die Holzburgen der Roßameisen aufzuschlagen und zu den üppigen Puppen zu gelangen. F ü r den Schwarzspechtschnabel ist kein Holz zu hart. Er ist der Schnabel aller Spechtschnäbel, ein Mordswerkzeug! 14
Und so kobolzt und huscht, sehwirrt und flattert es heimlich und leise hinter ihm her und nährt sich von den Brosamen, die so reichlich von des großen, dunklen Herrn Tische fallen. Aber niemals fällt ihm das kleine Volk irgendwie lästig, niemals wagt es sich an ihn so weit wie an den Großen Buntspecht oder den Mittelspecht heran. Und so läßt er das hungrige und scheue Völklein gewähren. Vielleicht würde ihm sodie anhänglichen Gefolgsmänner wieder tagelang vergeblich auf die so viel versnrechenden Signale seines hämmernden und rasselnden Sehnabels. Wie vom Wald verschluckt scheint er dann zu sein. Denn besonders in (diesen herbstlichen Tagen verspürt -der schwarze Herr des Berges immer wieder einmal den Drang, sich auch ein bißchen in der weiten und großen Waldwelt da draußen umzusehen. Es ist, als ob er auskundschaften wolle, wo es sich sonst noch leiben läßt, wenn der Winter den Berg beizwingt, wenn hier oben nur noch die wilden Wetter regieren. Bis zum Gipfel, bis zur Schutzhütte, fliegt er hinauf und begegnet hier einem, der wie er dem Hochwald verschworen ist. Es ist der lebhaft schwarzweißgestreifte Dreizehenspecht mit dem zitronengelben Scheitel. Ein Kerl, so groß wie der Große Buntspecht, aber unverträglich wie unser schwarzer Freund. Nur hier im bayrisch-böhmischen Wald und in den Alpen fühlt er sich so richtig wohl. Der breite helle Streifen, der ihm über den Rücken läuft, ist sein unverkennbares Merkmal. Böse stürzt er sich auf unseren vor Lebenslust lachenden Schwarzspecht, der ihm ausweicht und sich spornstreichs ins jenseitige Tal hinunterwirft. Weit fliegt er durch die Auen. Herb und kraftvoll läßt er sein „Krühkrübkrühkrüh!" an Orten erschallen, wo kein Mensch weiß, wer da ruft. Mit solchem Schwung und Braus schießt er dahin, daß die kreisenden Dohlen erschrecken und ihm schimpfend nachsetzen. Musik steckt in diesen harten Spechtschwingen, eine Musik, die im Walde, wenn er von Stamm zu Stamm huscht, gar nicht zu ahnen und zu hören ist. Und wenn er so durchs Land 15
schweift, (dann zeigt er sieh a>uch ein wenig geselliger, wenn er anf einen seiner Art stößt. Da versteigen sich diese Sonderlinge manchmal sogar zu einem 'kleinen neckischen Hasche- und Versteckspiel, gebärden sich wie Kobolde, huschen wie die Eichkater um die Stämme und lassen laut ihr Gelächter erschallen. Aber vielleicht kommt das auch nur daher, weil sich im Herbst die Grenzen der Vogelreviere sowieso verwischen. Die meisten Standvögel werden dann zu umherstreifenden Zigeunern, und Zigeuner untereinander fechten wohl nur selten Grenzstreitigkeiten aus. A u f L e b e n und T o d Die Buchen lassen es rote Taler regnen, die Birken sind schon kahl und das bunte Volk der Pilze und Schwammerl schlüpft wieder unter idie Streu des Waldes. Die letzten Farbenbrände des pflanzlichen Lebens säumt der Reif allnächtlich mit kristallner Funkelpracht. Der Schwarzspecht ist wieder in seinem Revier und jetzt so still wie der Wald selbst geworden. Nur der rasselnde Schnabel verrät seine Anwesenheit. In einer mächtigen Bergkiefer, die knapp am Abgrund steht und sich mit gewaltigen Wurzeladern in das Gestein krallt, arbeitet er an einer neuen Sehlafhöhle. Die ersten drei, vier Schläge führt er immer wie .mit einem Hammer, wuchtig und zerschmetternd. Dann schiebt er den Schnabel gleich einem Brecheisen in das angesplitterte Holz, reißt es in Spänen heraus und wirft es mit einem heftigen Ruck hinter sich. Im Umkreis von einem Meter häufen sich am Fuße des Baumes die Splitter oder wehen schwebend ins Tal hinab. Aus und ein schlüpft der schwarze Zimmermann, dessen .Schläge jetzt dumpf und hohl aus dem Baum klingen. Aufmerksam lauscht er in den kurzen Pausen in die Runde, immer wachsam, immer auf der Hut. iSeltsa.ni starr und gläsern blitzen die bl.aßgelben Augen im fahlen Licht, gerade so, als seien sie bereift oder als sei ein Geist in den Vogel gebannt, der nichts mit seinem Wesen [gemein hat. .Schwarzspeeht ist heute nicht mit der rechten Lust und Liebe bei der Sache. Er muß halt nur schaffen, weil der immer auf Hochtouren laufende Motor in ihm es so will. Es stört ihn, daß der angeschlagene Baum so stark blutet. Immerhin sitzt er nun schon so tief im Stamm, daß gerade noch der wippende Schwanz aus dem Flugloch schaut. 16
Unid dieser auf und nieder wippende Schwanz ist es, der dem goldkehligen Baummarder allizu verlockend in die dunklen Seher sticht. Er verharrt auf der benachbarten Fichte, duckt sich flach auf einen Astziniken und kann den Blick nicht von dem .großen, schwarzen, rotbeschopftein Vogel wenden. Der Marder weiß: gut Kirschen essen ist mit dem kraftigen Schwarzspecht da drüben nicht. Der Schnabel kann recht schmerzhafte Hiebe austeilen und blitzschnell zustoßen. Es ist auch nicht leicht, ihn richtig zu packen, Pfote wie Geibiß rutschen von diesen harten Spechtsfedern wie von einem Natternhemd ab. Selbst ein auf den Rücken geworfener Specht wehrt sich noch mit Dolchstößen und Krallenrissen. Der Marder 'hat so seine Erfahrungen gesammelt. Schon imanches Mal hat er sich junge Spechte aus der Nisthöhle geangelt oder auch einen Altspecht bei der Arbeit übertölpelt. Wie gelähmt war ihm einmal die Vorderpfote von einem einzigen Schnabelhieb des brütenden Altvogels, und ein anderes Mal hätte der Schnabelblitz, der aus dem Dunkel d e r Höhle zuckte, ihn fast das Auge gekostet. Viel leichter war da den zischenden Wendehälsen oder den weichschnäbligen Wiedehopfen beizulkommen. Der wippende Schwanz da drüben aber und die für einen überraschenden Angriff so ganz besonders geeignete Haltung des arbeitenden Spechtes lassen ihn weiter lauern. Es muß doch ein Leichtes sein, den Vogel .mit jähem Ansprung so in den Hohlraum zu pressen, daß er weder Schnahel noch 'Kralle gebrauchen kann. Der Marder dehnt und streckt sich gleich einer lüsternen Katze. Schliangenglatt windet er sich durch den Fichtenwipfel, rutscht iam Stamm herunter und kuschelt sich gleich darauf zwischen die Wurzeladern der Kiefer. Auf der abgewandten Seite erklimmt er den Baum so behutsam, daß nicht ein einziges Blättchen der schilfrigen Rinde zur Erde taumelt. Jetzt befindet er sich in gleicher Höhe mit unserem schwarzen Freund und verharrt regungslos. Er wartet, bis es wieder dumpf im Baume schallt, und arbeitet sich höher hinauf. Dann aber scheint er es sich wieder anders überlegt zu haben und hangelt sich leise wieder hinalb. Es mag ihm erfolgversprechender sein, von unten her anzugreifen. Und nun ist er endlich so weit! Blitzschnell gleitet er um den mächtigen Stamm, springt zu — — und fängt einen Schnabelhieb quer über den Schädel, daß er die Funken sprühen sieht. Denn genau so fix, wie der M.arder zusprang, hat sich der durch die leise rasselnden Marderkrallen gewarnte Specht gewendet und ist in die Höhle geschlüpft. Ehe der Marder die erste Enttäuschung 17
überwunden bat, saust auch schon ein zweiter Schnahelhie-b auf ihn nieder und trifft das hellumrandete Ohr. Nur ein wenig zuckt der goldkehlige Räuberhauptmann zurück, dann aber wagt er sofort den entscheidenden Sprung und Schnapp nach dem Vogelkopf. Dumpf grollend prallt er vor, aufs äußerste gereizt, und greift ins Leere. Unser Schiwarzspecht ist tief in die Höhle gerutscht, hat sich regelrecht auf den Boden gekauert und reckt den Schnabel wie eine helle Lanze aus dem Dunkel. Die erste Runde hat er gewonnen. Der Marder wird sich hüten, den Kopf oder die Pfote in das Flugloch zu stecken. So lauert er darauf, daß sich der Specht eine Blöße gibt und irgend etwas Dummes unternimmt. Der Marder spannt jeden Muskel. Die helle Nasenspitze bebt und zittert. Er ist eine hartgespannte Feder und so fest in sich zusammengezogen, daß er wie ein Pfeil vom Bogen fliegen wird. Er weiß, lange hält es der Rotibemützte da drinnen nicht aus. Dazu ist er viel zu unrastig. Er wird, er muß versuchen, das Weite zu gewinnen. Immer ist das so gewesen. Und wahrhaftig handelt unser Schwarzspecht, wie er gemäß seiner Art und seinem Temperament einfach handeln muß. Vorsichtig hebt er den Kopf, blickt aus der Höhle und überzeugt sich, wo der Marder draußen lauert. Der helle Schnabel schiebt sich weiter vor, die rote Scheitelplatte leuchtet auf — der Marder schnellt sich ab, schnappt zu — und knirschend rutschen die nadelscharfen Zähne vom zurückzuckenden Schnabel. Zwei zu Null steht es jetzt für den Schwarzspecht. Aber noch immer ist er nicht gescheit. Nach wenigen Sekunden äugt er schon wieder aus dem Loch. Der Marder beherrscht sich. Er ist seiner Sache nun sieber. er schmeckt schon das süße Blut des Vogels, spürt den zuckenden Körper unter seinen Krallen. Stärker krümmt er den sehnigen Leib, und seine Seher glühen auf. Der Specht schiebt sich noch weiter ans Flugloch heran. Jäger und Gejagter schauen sich in die funkelnden und glitzernden Augen. Der Marder wartet auf den Ruck, mit dem sich der Vogel aus dem Flugloch werfen wird. Mit diesem Ruck muß sein Sprung zusammenfallen. Dann wird er den Specht so packen können, daß es kein Entrinnen mebr gibt. Alber unser schwarzer Zimmermann ist nun doch vorsichtiger geworden. Er ahnt die Gefahr, die Schnellkraft, die in diesem zusammengeduckten Marderkörper liegt, er zögert und zaudert. Den Marder hält es kaum noch an seinem Platze. Noch ein ganz kleines 18
Stückchen weiter rutscht der Vogelkopf aus dem Flugloch. Noch tiefer duckt sich der Marder, und zuckt plötzlich jäh zusammen. Ein ganzes Bündel gleißender Sonnenstrahlen bricht aus dem verhangenen Himmel, läßt den Kiefernstamm hell aufleuchten, die Vogelaugen unheimlich glitzern und verwischt den Ruck, mit dem sich der Specht emporschnellt. Um den Bruchteil einer .Sekunde springt der Marder zu spät. Der Specht kreischt auf und taumelt. Eine Schwanzfeder flattert davon. Der Marder hat das Spiel verloren. Beschämt und verdattert hängt er unbeweglich am Flugloch. Fast hätte ihn der Specht mit sich gerissen. Unser Schwarzspecht zieht laut rufend und warnend über die Wipfel. Er beruhigt sich schnell. Fünf Minuten später schält er einen abgestorbenen Buchenstamm und schluckt die fetten Atlasspinnen, die sich hinter der losen Rinde zur Winterruhe begeben haben und hier auch ihre Eierbeutel bargen. Gut, daß er noch lebt; denn wo hätte sonst der Zaunkönig dieses Abendbrot herbekommen und wovon wäre der kleine mausgraue Baumläufer satt geworden, die beide nach ihm den Buchenstamm besuchen?! Im verschneiten W^alo Mit dem Schnee, der tagelang fiel, ist der Bergwald noch stiller und heimlicher geworden. Aber es ist nicht mehr die raunende und flüsternde, die glucksende und seufzende Stille der Sommermonate, in der noch die hunderttausend Lichter verborgenen Lehens schimmerten. Es ist eine Stille ohne Hauch und Weben der Luft. Statt der goldenen Lichtfunken und Sonnenkringel, die durch die rauschenden Wipfel brachen und über .Stämme, Gebüsch und Moospolster tanzten, liegt ein Schleier bläulicher Schatten über den Dingen. Der Sang der Wildwasser wird von den dicken Schneewächten erstickt. Lautlos stiehen die weißen Lasten von den überbogenen Ästen der Fichten und Tannen. Die kleinen Wintervögel, die bunten Meisen, die Kleiber, die Baumläufer, die Zaunkönige, die Goldhähnchen, sind mit den Buntspechten in die Täler gezogen. Die Bilche und Dachse schlafen längst. Die Hasen und das Rotwild haben sich dicht an die menschlichen Ansiediungen herangeschoben. Keine Spur, kein Wechsel zieht sich durch das glitzernde Weiß, das Felsen wie Stubben dick überpolstert. Sogar die Eulen und Käuze haben den Berg verlassen. Denn hier oben regt sich kein Leben mehr. 19
Nur der Scbwiarzspecht /geistert noch über die einsamen Höhen, huscht von Baum zu Baum und ist 'geschäftig und (munter wie immer. Prächtig hebt sich sein tiefschwarzes Wams von den schneebepuderten Stämmen ab. Seine Scheitelplatte leuchtet wie die letzte rote Flamme des Lebens. lUnd wenn er lacht, so klingt es wie das Kichern eines Sonderlings, der sich endlich allein weiß. Ihm macht es nichts aus, wenn die Rinden und Sümpfe vereisen. Sein Schnabel bricht auch die durchgefrorenen und steinharten Borken. Und wenn es gar zu toll kommt, gebt er eben an idie weichen Weiden und Erlen und backt nach iden /Raupen der Weid<enbohrer und Hornissenschwärmer. Oder er vertritt den farbenprächtigen Grünspecht und arbeitet sich tief in die Burgen der Wald- und Ras.enameisen. So manche Hummel- und Wespenkönigin .zieht er aus den Bohrlöchern d e r Hirschkäfer, in denen sie von ihren künftigen Reichen träumten. Und dort, wo der Schnee vom Winde wegfegt wurde, klaubt er wie die Amsel die Käfer- und Scbmetterlingspuppen aus der Streu. Auch die an die (Rinden gepappten Kokons der Schwamm- und Hermelinspinner entgehen seinen scharfen Augen nicht, und mögen sie noch so gut getarnt und dick versponnen sein. Nein, Mangel leidet der Schwarzspecht nicht. Der Wald nährt ihn .auch in der Winterszeit. Und weder Wiesel noch Marder noch Habicht sind jetzt um seine Wege. Die murksenden Eichkater lassen sich auch kaum noch sehen. Der Winterwald »gehört ihm wirklich ganz allein, ist sein unbestrittenes Reich. Eine Krone ist die Zier seines Scheitels, die Krone eines einsamen und in sich selbst vergnügten Königs, der über hundert heimliche Gemächer verfügt. Der aber auch dafür sorgt, daß sich eben dieser Wald immer wieder aus sich selbst heraus verjüngt, der die morschen und kranken Glieder unbarmherzig anschlägt und den zerstörerischen Einflüssen der Wetter, der Pilze und Bakterien freien Zutritt zu ihren Leibern verschafft. Viele Spechtlöcher sind von den großen Baums chwämmen mächtig überdacht. Denn das ist wohl die Hauptaufgabe, die dein Specht zufällt: den Reigen der Stoffe und Kräfte zu beschleunigen, den Zersetzungsprozeß zu fördern. Er ist die Axt der Natur, die an die totgeweihten Bäume gelegt wird, die sie nicht nur kennzeichnet, sondern zugleich auch ihr Sterben verkürzt. Daß er dabei satt wird, ist nur ein zusätzlicher Trick der Natur. Wir Menschen aber Zu nebenstehenden Bildern: Schwarzspecht beim Einschlupf in die Bruthöhle 20
neigen dazu, eben nur diesen nahrhaften Lohn des schwarzen Zimmermanns zu sehen und zu bewerten und ihn als Schädiingsvertilger zu preisen. Es fällt uns eben noch immer nichts schwerer, als die Einsicht, daß die große Ordnung des Leben« wenig nach unseren Vorteilen und Belangen fragt. Und weil dem wahrscheinlich so ist, weil .der Specht diese Aufgabe zu erfüllen hat, darum wurde ihm wohl auch die Unrast, die Betriebsamkeit, die unversiegbare Meißellust, die Vitalität mitgegeben. Darum sind sein Schnabel und seine Zunge wahre technische Wunderwerke. Und darum darf er auch im Winter nicht rasten, jedenfalls solange nicht, wie sich überhaupt ein lebendes Wesen im tiefverschneiten Wald zu halten vermag. Unser Schwarzspecht hält den ganzen November, Dezember und Januar durch. Er ist so emsig am Werk, als müsse er sich warm arbeiten oder das gleiche Pensum in den wenigen Stunden des Wintertages schaffen. Erst Anfang Februar, als die Wetter den Berg umtosen und der Aufruhr der Stürraie den Wald durchheult, als der große Reinemachebesen mit Wucht und Gewalt über die Erde braust und alles Gezeichnete bricht und zerknickt, entwurzelt und zusammenschmeißt, denkt er daran, talwärts zu weichen. Das Schneegestöber ist zu dicht und der Wind zu stark. Es ist ihm wirklich nicht mehr möglich, sich stundenlang zu tummeln. Der Schnee hat in wenigen Tagen die Burgen der Ameisen und die Stubben so hoch verweht, daß er sich kaum noch zu orientieren, geschweige denn zu ihnen durchzuarbeiten vermag. Weit schweift der Schwarzspecht umher, berührt die Einöden, Glashütten, Weiler und Dörfer in den windgeschützten Tälern, hängt an den Chausseebäumen und schnappt sich in den Obstgärten die Frostspanner. Hier trifft er auch die iganze rotbemützte Verwandtschaft wieder, die sich zu kleinen Trupps zusammengetan hat und mit scharfem „Klick" und „Tick" umherzieht. Recht und schlecht schlagen sich die Bunt- und Erdspechte durch diese harte Zeit. Oft sind sie heilfroh, wenn sie an einem Vogelhäuschen einen Sonnenblumenkern, an einer Wildfutterstelle einige Buchein und Eicheln, an einem Busch paar Hagebutten, Schneebeeren, Schlehen oder Mehlfäßchen ergattern können. Sie streiten sich viel mit den zugewanderten nordischen .Seidenschwänzen, Dompfaffen, Wein- und Wacholderdrosseln und haben außerdem noch die Schwärme der Meisen, Flinken und Ammern am Schwanz. Besonders die Erdspechte, also der Grün- und der Grauspecht, als ausgesprochene Ameisenfresser und Insektenjäger, sind jetzt übel 22
dran. Mit dem großen Buntspecht gehen sie in ihrer Not manchmal seihst an die Bienenstöcke der Bauern, meißeln -die Wände auf und fressen sich an den Immen wie an der Brut satt. Auch unterseits der Strohdächer, an dem Gebälk der Heuhütten und den Lehmwänden 'der Scheunen hängen sie und hacken nach winterschlafenden Schmetterlingen, Käfern, Schnaken, Mücken, nach allerlei Larven und kleinem Gewürm. Das Lachen und Wiechern haben sie längst verlernt, und die Bauern ärgern sieh mächtig über die Rotbemützten, Weitbin streift unser Schwarzspecht, durchkämmt so manchen armseligen und verwahrlosten Wald, wo die dünnen Stämme von Splint- und Borkenkäfern wimmeln und er sich den Bauch richtig vollschlagen kann. Selbst Brüche und Moore besucht er in diesen Tagen und hämmert an den verkrüppelten Moorbirken und Kiefern. Und wie ein Magnet zieht er hinter sich her das pickende, läutende, wispernde Volk der hungernden Kleinvögel, das seinen Besuch sofort spitz bekommt und ihm in respektvoller Entfernung folgt. Denn noch immer fallen genügend nahrhafte Bröckchen ab, wo sein starker Schnabel hämmert. Reißt er doch oft mit einem einzigen Hieb. Stock und Ruck handtellergroße Stücke aus den morschen Rinden 'der alten Weiden, Ebereschen und Obstbäume und fetzt drauflos, daß sich ein wahrer Himmel von Spinnen, Insekten. Vielfüßlern und Asseln vor den nachlesenden Vögeln auftut. Wenn er erst mal so richtig dabei ist, macht es ihm gar keine Beschwer, solche alten Stämme regelrecht zu schälen. Schlimm sind nur die Nächte, in denen er keine Schlafhöhle findet und der Frost ihm mächtig zusetzt. Unter diesem Mangel leiden noch viel mehr die sperlingsgroßen und schwarzweißroten Kleinspechte. Wenn es ihnen nicht gelingt, noch einen der künstliehen Nistkästen zu finden, liegt am nächsten Morgen so mancher steif und starr im Schnee, vor allem dann, wenn sie am vorhergehenden Tag nicht richtig sattgeworden sind. D e r Z i g e u n e r kehrt k e i m ! Fnde Februar, Anfang März ist im Wald die Kraft des Winters und die Herrschaft des Frostes gebrochen. Unter dem warmen Wehen des Föhns geht es wie ein Aufrichten durch die Bäume, schütteln sie ihre weißen Lasten von den Zweigen. Es schneit zwar noch viel, doch das sind nun keine peitschenden Eiskristalle 23
mehr, sondern große, weiche und wiegende Flocken. Die Wildwasser erheben wieder ihre Stimmen und »die jaulende, heulende, kichernde und ächzende Jagd der ihochzeitenden Käuze und Eulen laßt den einsamen nächtlichen Wanderer erschauern. Weit traben die Füchse durchs verschneite Land, bellen den Mond an und hetzen die heißen Beizen. Der nahende Lenz schlägt auch den Wildsauen, den Fischottern und Mardern ins Blut, die Kolkraben schreien, und die Feldhasen vollfülhren ihre Ringeltänze. Unser schweifender Schwarzspecht begegnet den ersten Schwärmen heimkehrender Stare, Lerchen und Bachstelzen. Über die Brüche und Moore wuchtein bereits die Kielbitze. -Buchfinken ziehen gegen Norden, und auch unser schwarzer Freund strebt wieder den heimatlichen Bergen, dem großen Falkenstein, zu. Über dem Rachel kreisen schon wieder die Falken. Über dem Lusen spielen die Bussarde. Und als unser Freund an einer alten Chausseepappel hei Spiegelau hämmert, trifft ihn plötzlich rauschender >SchwingenschIag, stößt ein Habicht nach ihm. Mit knapper Mühe und Not kann er den Fängen entwischen, rutscht blitzschnell um den Stamm und birgt sich im dichten Gewirr der Aste. Viele Male umkreist der flabicbt noch den Baum, -eine er es aufgibt und abstreicht. Die Greife sind wieder da, und der Schwarzspecht gehört in seinen Wald! Im Höllbachigesprenig herrscht noch das igroße Schweigen. Aber höiher am Berg schmettert der Zaunkönig seine Weisen, huschen die iSchwanzmeisen wie Geister durchs Gelhölz und streiten sich die Dohlen um die Nisthöhlen. Die Fiehtenkreuzschnäibel »bauen, brüten und füttern. Und da erwacht auch in unserem schwarzen Freund die Baulust wieder. Zuerst ist es die
Schwarzspecht auf Nahrungssuche an einer Eiche gefallen scheint und der ihn ununterbrochen stört. Als der schwarzbraune Gesell schließlich noch mit seiner Eheliebsten auftaucht, weicht der Schwarizspecht und wendet sich nun einem anderen Projekt zu. Er hat einen leicht eimgefaulten Aststumpf an einer vom Sturm zersplissenen Tanne entdeckt. Das müßte doch eine vorzügliche Nisthöhle abgeben. Also allsogleich ans Werk! Tagelang fliegen die Späne und Splitter, schafft er wie ein Tagelöhner, und er hätte diese Höhle zweifellos auch vollendet, wenn — ja, wenn nicht etwas geschehen wäre, das ihm idas Blut stocken ließ. In allernächster Nähe erklang ein wilder, ein toller, ein maßlos aufreizender Trommelwirbel! Unserem SchwTarz-specht sträubte sich 'die Holle. So trommelte kein Buntspecht, und so lockte kein Grünspecht. Das mußte einer seiner Art sein! Dieser Berg aber gehörte ihm, ihm ganz allein! Er schlüpfte aus der Hoble und lauschte. Und da, wie um jeden Zweifel zu beheben, rief es laut und deutlich, laniggezogen und durchdringend, herrisch und herb: „iKrüibkrühkrühkrüh!*' 25
Ein zweiter Schwarzspecht hatte am Falkenstein seinen Einstand genommen! Und da ist er auch schon! Ein schöner krähengroßer Kerl! Mit Kraft und Kunst bearbeitet er den dürren Fichtenzacken und schlägt das Spechtxylophon als ein wahrer Meister. Wie eine Flamme zuckt sein Kopf vor und zurück. Der Ahnungslose! Mit jähem Schwung und Stoß fegt ihn unser erboster Freund vom Stamm und versetzt dem Niedertaumelnden noch einen sausenden Schnabelhieb. Sang- und klanglos und ohne an Widerstand zu denken, streicht der also überraschte und zurechtgewiesene Eindringling ab. Er ist fort, wie weggepustet. Aber am nächsten Morgen ist er wieder da! Und diesmal setzt er sich zur Wehr. Wie zwei kleine Kampfhähne prallen die aufeinander losfahrenden Vögel in der Luft zusammen. Schreiend wirbeln sie durch die Wipfel und jagen sich wechselseitig durch den Wald. An Kraft und Schneid sind sie sich durchaus ebenbürtig, und auch an Ausdauer und Bosheit. Die langen Krallen gebrauchen sie wie Sporen und versetzen sich manchen blutigen Kratzer. Drei Tage lang währt der Kampf, wogt hin und her; wenn sie voneinander lassen, meiden sie sich oft stundenlang. Aber dann braucht nur der eine zu trommeln oder zu rufen, und schon wieder müssen sie ihre Kräfte messen. Zuletzt weichen beide vom Gipfel zurück, der ja sowieso das Revier des Dreizehenspechtes ist, und halten jeder eine Flanke des Berges besetzt. Doch echt ist 'der Frieden noch nicht. Das. wilde Trommelgerassel erklingt immer wieder. Sobald der eine damit anfängt, antwortet ihm der andere. Aber die Begegnungen werden doch seltener. Der zweite Schwarzspecht hat sich sein Revier erobert und tastet nur noch dessen Grenzen ab. Inzwischen ist es Mitte März geworden. Unten, an der Holzmühle, schiebt die Pestwurz schon ihre eiförmigen und fleischfarbenen Blütenkolben aus dem schwarzen Moder der Bachränder. An den Südhängen leuchten kleine blaue Inseln von blühenden Leberblümchen auf, und die Weiden stehen in silbernen Brautkleidern. Und dann ist plötzlich noch ein dritter Schwarzspecht am Falkenstein, und wenige Tage später meldet sich ein vierter! Es scheint sich herumgesprochen zu haiben unter den schwarzen Gesellen des Zu nebenstehendem Bild: Grünspecht am Eingang zur Nisthöhle 26
Landes, daß hier der letzte unberührte Wald steht. Unser schwarzer Freund kommt nicht mehr zur Ruhe. Er kämpft jetzt um sein eigentliches Brutgelbiet, das Höllbachgespreng, um die Bäume, die fast alle seine Zeichen tragen, die er markiert hat. Und da die zuletzt zugeflogenen Schwarzspechte noch junge Kerle sind, kommen sie alle zwei -nicht gegen ihn auf, vermögen sie sich trotz großer Zähigkeit nicht durchzusetzen und zu behaupten. Immer wieder müssen sie Prügel einstecken und ihr Heil in der Flucht suchen. Der eine fliegt schließlich zum na'hen Plöckenstein hinüber und wird dort heimisch. Der andere aber bescheidet sich mit einem kleinen Revier am Kleinen Falkenstein, das zwischen den Reichen der beiden iahen Kampfhäline liegt. Der dritte Schiwarzspecht hat sich damit sein Heimatsrecht am Falkenstein ertrotzt. Und der Förster strahlt, wenn nun rund um den Berg das Lachen, Klagen, Pfeifen und Trommeln der schwarzen Gesellen erklingt. Jedem der 'drei wünscht er jetzt auch noch eine Frau, dann soll es ihm um den Gefiederten nicht mehr bange sein. Seinen Kollegen aber erzählt er, daß der Schwarzspecht nicht an schwingenden toten Asten, sondern an festen Astziacken trommele. Der Trommelwirbel ikomme ialso nicht, wie es Tiervater Brehm noch meinte, durch den zitternden und zurückschwingenden Ast, sondern einzig und allein durch die rasende Aufeinanderfolge der kraftvollen Schläge zxistande. Der trommelnde Specht befinde sich selbst in einem Zustand der Riaserei, eines gelinden Wahnsinns, in dem Eifersucht, Futterneid und Fortpflanzungstrieb um die Vorherrschaft kämpften. I m B a n n der XrieDe Wo drei Schiwarzspechte rufen und trommeln, kann es nicht ausbleiben, daß sich jetzt, im März, auch etliche Weibchen zum Berge finden und mit lockendem Gelächter umherstreifen. Und nun wird der Wald erst so richtig lebendig. Denn jetzt überbieten sich die Männchen mit ihren verschieden gestimmten Zackeninstrumenten und werden von einer Ruhelosigkeit beherrscht, die ihre sonstige Unrast noch weit in den Schatten stellt. An allen Ecken und Enden zugleich scheinen sie zu sein und immer auf der Lauer, ob nicht der lästige Nebenbuhler etwa die unsichtbaren Reviergrenzen mißachtet. Die Weibchen zeigen sich außerordentlich spröde, launisch und sehr wählerisch. Sie können und können sich nicht entscheiden 28
und flüchten regelmäßig, sobald sich einer der rotbeschopften Werber mit Geschrei auf sie stürzt. Sie flüchten von einem Revier ins andere, ziehen -die Männchen nach sich, und es setzt wieder die schönsten Keilereien. Der »Lärm, den die verliebten und eifernden (Spechte machen, übertönt in diesem Monat alle anderen Liebeslieider. Auch unser alter Freund ist trotz seiner üblen vorjährigen Erfahrungen nicht weiniger hitzköpfig als die anderen Spechte. Auf keinen Fall kann er die Weibchen den anderen Schwarzen lassen. Wie aufgezogen schnurrt er umher, stürzt sich auf jeden anderen Trommler, auch wenn er ein schwarzweißrotes oder grünes oder graues Federkleid trägt, läßt sein Gelächter hinter jedem Verjagten erschallen und bearbeitet seinen Trommelast, was Schnabel und Ast nur hergeben. Manche herbe Zurechtweisung muß er einstecken. Zum Meißeln findet er in diesen Wochen natürlich keine Zeit, kaum noch zum Fressen. Er beschränkt sich darauf, sämtliche Schlaf'höihlen seines Reviers zu kontrollieren und eifersüchtig m\\ überwachen, gerade so, als wolle er den Reichtum an Höhlen, den er dem Weibchen zu bieten hat, noch einmal überschlagen. Zugleich macht sich bei ihm eine gesteigerte Vorliebe für frisches Safthier bemerkbar. Er bohrt dicht nebeneinander liegende, tiefe Löcher in die Rinde junger Bäumchen, in denen der Lebenssaft wieder zu kreisen beginnt und zapft sie durch dieses „Ringeln" gleichsam an. Ganz aus dem Häuschen aber gerät er, als sich eines der Weibchen endlich doch für seine Trommel entschieden zu haben scheint und immer wieder seine Nähe sucht. Das wilde Spiel des hitzig Werbenden und der immer noch Flüchtigen geht quer durch das ganze Gespremg, durch die Wipfelwelt wie dtirchs Gestrüpp und Gesträuch. Und als sie sich endlich ergeben hat, könnte man wahrhaftig glauben, daß er dieses Mal eine bessere Wahl als eh und je traf. Denn die (beiden schönen schwarzen Vögel hängen tatsächlich inniglich einander an und sind die nächsten Tage ein Herz und eine Seele. Er zeigt ihr, was er an Nist- und Schlafhöhlen sein eigen nennt. Ab und zu meißeln sie auch gemeinschaftlich an einer ganz neuen Kindierwiege in einer sehr glattschäftigen Buche. Aber noch haftet ihrem ganzen Treiben 'etwas durchaus Spielerisches an. Urplötzlich wird laus der Arbeit wieder ein fröhliches Liebesspiel. Und es kommen noch drei sehr aufregende Tage, in denen der unbeweibt gebliebene Specht vom Plöckenstein ins Revier bricht und das Weibchen zu gewinnen sucht. Die beiden Männchen geraten so hart aneinander, daß die Federn nur so fliegen und sie 29
gemeinsam vom Baum stürzen und sieh im Moos weiterbalgen. Aucb das Weibchen bekommt hin und wieder von diesem oder jenem eins versetzt, je nachdem, wie es gerade zwischen die Streitenden gerät. Am dritten Tage gibt der Schwarzspecht vom P-löckenstein seine dunklen Absichten auf. Um ein Haar hätte ihn an diesem Abend der Fuchs gerissen, als er auf einem Stubben sein zerzaustes Gefieder glättete und nach Luft schnappte. Der beiße Schreck fährt ihm derartig in die Glieder, daß er endgültig entweicht und sich im Höllbachgespreng nicht mehr blicken läßt. Für unser Spechtpaar aber steht nun fest, daß nur die glattsehäftige Buche als Niststätte in Frage kommt. Denn auch für das kleine bepelzte Raubgesindel ist das Gespreng ein Paradies und eine Höhle voll Spechtjunge ein begehrenswerter Fraß. Gemeinschaftlich höhlen die beiden Ehegatten den birnenförmigen Brutraum. Das Weibchen hilft fleißig, wenigstens in den Vormittagsstunden, während das Männchen pausenlos schafft. Nach vierzehn Taigen ist das Werk vollbracht. Über einen halben Meter tief und fast einen viertel Meter breit ist die Höhle. Das Flugloch steigt ein wenig an und zeigt die typische spitzbogenförmige Gestalt. Die am Fuße des Baumes liegenden Splitter und Späne legen Zeugnis von der erstaunlichen Leistung der Schnäbel ab. Auf dem Boden der Kinderwiege wartet eine Spreu feinster Späne, die aber vielleicht ganz absichtslos da liegen blieben, auf das Gelege. Ende April hat das Weibchen seine drei verhältnismäßig kleinen, recht länglichen, auffällig gebauchten, sehr glattschaligen und emailleweißen Eier gelegt. Es läßt sich mit leisem Jubelschrei auf seinem Schatz nieder und brütet im Gegensatz zu seiner Vorgängerin sehr ausdauernd und beharrend. Es sitzt so fest, daß man es glatt mit den Händen greifen kann, vorausgesetzt, daß man bereit ist, einige herzhafte Schna'beilhiebe in Kauf zu nehmen. Eine schmale Hand kann sich gerade noch durch das Flugloch zwängen. Unser Schwarzspecht löst das Weibchen regelmäßig und gewissenhaft ab, meistens gegen Mittag, und darf gewiß sein, daß er nicht länger als drei bis vier Stunden warten muß. Er braucht wirklich nur zu lallen, und schon ist das Weibchen in der Nähe und beantwortet willig seinen Ablösungsruf. Er scheint also wahrhaftig das große Los gezogen zu haben, als er sich dieses zweifellos das erste Mal brütende Weibchen erkürte. Aber auch sonst geht alles gut. Der Mai zeigt sich freundlich, die Brütenden erleiden keinen die Brut hinausschiebenden Wärmever30
lust. Die Buche erweist sich als unersteigbar für das Wiesel und den Marder. Dem Habicht ist das Gespreng zu eng. Die Menschenwege aber geben weit am Baum vorbei. Um die gleiche Zeit brüten übrigens auch die anderen Spechte im Lande. Sie kehren ebenfalls im Februar und März in ihre alten Brutgebiete zurück und paaren sich genau so stürmisch wie die Schwarzspechte. Ihr Schreien und Lachen, Wiehern und Trommeln läßt den ganzen Wald widerhallen und gibt den Auftakt zum großen Frühlingskonzert. Der verliebte Mittelspecht stößt in dieser Zeit einen wahrhaft furchterregenden Schrei aus, der täuschend an das Röcheln eines Erstickenden oder Gurgeln eines Ertrinkenden erinnert und einem die Gänsehaut über den Rücken jagen kann. Der werbende Kleinspecht, ein sperlingsgroßer Spechtzwerg, aber trommelt in diesen Wochen gern auf Nistkästen, Blechdächern und Dachrinnen. Während das Gelege der Schwarzspechte nur vier bis fünf, selten sechs Eier umfaßt, ist die Zahl Sechs bei den kleineren Arten die Regel. Alle Spechte brüten gemeinsam und zwar durchschnittlich nur zwölf bis achtzehn Tage. Den Männchen fällt dabei meist der Hauptanteil zu, und auch die Aufzucht der Jungen liegt zum großen Teil auf ihren Schultern. Diesem Schicksal entgeht unser Schwarzspecht natürlich auch heuer nicht. Das Weibchen verläßt ihn fast unmittelbar nach dem Ausschlüpfen der Jungen, und er darf wiederum das Kindermädchen spielen. Wenn wir wollen, können wir darum jetzt die erste Seite des Heftchens aufschlagen und dort weiterlesen. Unserem schwarzen Freund aber wollen wir wünschen, daß er die drei Jungen recht schnell groß bekommt, daß sie sich nicht gegenseitig umbringen, daß sie dem Marder, dem Wiesel, dem Habicht und Sperber entwischen und dazu beitragen, daß unser rotbeschopfter Märchenvogel sich immer weiter und stärker verbreitet und unseren Wäldern erhalten bleibt!
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