John Rhys Expedition Schwarzer Stern Zukunftsroman
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John Rhys Expedition Schwarzer Stern Zukunftsroman
UTOPIA-Zukunftsromane Band 101 „Expedition Schwarzer Stern“ Copyright 1957, Erich Pabel Verlag
Erstausgabe
Erhältlich überall im Zeitschriftenhandel und in allen Bahnhofsbuchhandlungen
Das Titelbild zeichnete H. J. Bruck UTOPIA-Zukunftsroman erscheint vierzehntäglich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. (Mitglied des Remagener Kreises e. V.) Einzelpreis! 0,50 DM. Anzeigenpreise laut Preisliste Nr., 5. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel. Rastatt (Bad.). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewahr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 06/2011
1. Kapitel „Es ist ein ekelhaftes Gefühl“, schimpfte John Rey. „Da sitzt man nun in der modernsten Rakete, die je von Menschen erbaut wurde, und ist doch so hilflos wie ein Kind.“ Ted Killing steckte sich eine Zigarette an. „Durch dein Temperament kannst du es auch nicht ändern. Wir müssen eben abwarten, wo wir landen.“ „Abwarten, abwarten“, äffte ihn John Rey nach. „Schließlich sind wir sechs ausgeruhte Personen, die von der Weltraumfahrt einiges verstehen. Ich kann es einfach nicht glauben, daß wir aus diesem verdammten Sog nicht herauskommen sollen.“ „Willst du noch mehr Energie opfern?“ versuchte ihn Ted Killing zu beruhigen. „Wir haben schon zweimal umsonst versucht, unsere Flugrichtung zu ändern.“ „Es muß doch aber eine Erklärung für dieses Phänomen geben.“ John Rey wurde regelrecht zornig, und wer sein Temperament kannte, der versuchte, es schon beizeiten einzudämmen. „Es gibt eine Erklärung dafür“, sagte Professor Wintrup bedächtig. „Die Sache ist sogar ziemlich logisch.“ John Rey lachte höhnisch. „Sehr einfach, Professor. Wir wollten zum Jupiter fliegen, und jetzt sind wir schon über die Saturnbahn hinaus. Es wird nicht mehr lange dauern, dann erreichen wir die Uranusbahn, das sind rund 2100 Millionen Kilometer mehr. Dann kommen nur noch Neptun und Pluto, und dann sind wir aus unserem Sonnensystem heraus. Die paar Millionen Kilometer fallen da wirklich nicht mehr ins Gewicht.“ Professor Wintrup ließ sich durch John Reys Ausbruch nicht beirren. „Ich erinnere nur an die letzte Expedition zum Mars. Auch hier wurde plötzlich eine starke Abweichung in der Flugbahn 5
festgestellt, und zwar nach rechts. Man konnte aber dieser Kraft entgegenwirken. Das Erstaunliche ist nun, daß wir nach der entgegengesetzten Richtung gestartet sind und durch eine enorm starke Linksabweichung aus der Flugbahn gedrängt wurden. Die Folgerung daraus ist die, daß sich irgendwo ein großer Himmelskörper befinden muß, der eine starke Anziehungskraft besitzt.“ „Sie drücken sich sehr vorsichtig aus, Professor“, sagte Madleine Breed, die einzige weibliche Expeditionsteilnehmerin. „Können Sie mir erklären, weshalb man von dem Vorhandensein dieses Himmelskörpers bis jetzt noch nichts bemerkt hat? Schließlich sind unsere technischen Hilfsmittel so vollkommen, daß wir sogar Dunkelsterne im Abstand von mehreren tausend Lichtjahren einwandfrei feststellen können. Ein Himmelskörper von solch einer Anziehungskraft muß doch sehr groß und verhältnismäßig nahe sein.“ „Vielleicht liegt es an der Materie?“ meinte Professor Wintrup. „Ich bin trotzdem nicht scharf darauf, zu den Entdeckern dieses Novums zu gehören!“ rief John Rey und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. „Bei den anderen Planeten weiß man wenigstens, was einem erwartet, wenn es einmal mit der Navigation nicht klappt; aber einen schwarzen Stern ansteuern, der allen physikalischen Gesetzen trotzt, dafür bedanke ich mich.“ „Du wirst wohl nichts daran ändern können“, bemerkte Ted Killing ruhig. „Mich wundert nur eines, Professor, wieso besitzt dieser Himmelskörper unserer kleinen Rakete gegenüber eine solche Anziehungskraft und beeinflußt die Bahnen der anderen Planeten überhaupt nicht? Neptun, zum Beispiel, wurde auf Grund von Berechnungen der Bahnstörungen des Uranus gefunden. Ein Körper, der ein unser ganzes Sonnensystem durchdringendes elektromagnetisches Feld, wie ich es einmal vorsichtig nennen möchte, ausstrahlen kann, gegen das sogar unser 6
Atomtriebwerk nicht ankommt, muß doch auch auf die viel größeren Planeten störend wirken.“ „Ich weiß es nicht“, erwiderte Professor Wintrup. „Vielleicht ist es auch eine Störung aus dem All, die gar nicht ihren Ursprung in einem Himmelskörper hat und nur periodisch auftritt Wir hatten vielleicht gerade das Pech, in solch ein Anziehungsfeld zu geraten.“ „Die Wissenschaft kapituliert“, stellte Ted Killing fest. Ihn schien die Tatsache, daß man ins Ungewisse flog, nicht sonderlich zu erregen. John Rey verzog das Gesicht. „Wir haben für zehn Jahre Lebensmittel an Bord. Das ist ein schwacher Trost.“ Er blickte auf die Uhr und erhob sich. „Ich gehe in die Zentrale, Percy Miller ablösen.“ Im selben Augenblick knackte es im Bordlautsprecher. „Achtung, hier spricht Percy. Im Bildschirm erscheint eine schwarze Kugel. Wir nähern uns mit zwanzig absolut.“ Professor Wintrup sprang auf. „Donnerwetter, wir sind schneller geworden. Bisher hatten wir nur fünfzehn absolut.“ Er stürzte erregt nach vorn in die Zentrale, von der aus ein Mann allein die Rakete lenken konnte. Die anderen rannten hinter ihm her. Percy Miller saß im Kommandostuhl vor seinem großen Schaltpult. Über dem Pult befand sich ein Bildschirm von etwa zwei Quadratmeter Größe, auf dem der Weltraum, wie er vor der Rakete lag, abgebildet war. Deutlich konnte man einen ungefähr kinderkopfgroßen, schwarzen Punkt erkennen. „Wie lange sehen Sie diesen Punkt schon?“ fragte Professor Wintrup. „Seit genau fünf Minuten“, antwortete Percy Miller. „War der Punkt schon von Anfang an so groß?“ „Er erschien in dieser Größe auf dem Bildschirm und hat sich bisher nicht verändert.“ 7
„Wie weit sind wir noch entfernt?“ Percy Miller blickte auf eine Skala seines Schaltpults. „Achthunderttausend Kilometer.“ Professor Wintrup trat an die elektronische Rechenmaschine und stellte einige Hebel ein. Die Maschine begann zu arbeiten. Nach acht Sekunden warf sie das Resultat aus. Professor Wintrup las vor. „Der vor uns liegende Körper hat einen Durchmesser von rund dreizehntausend Kilometer.“ „Ist also etwas größer als unsere Erde“, sagte Madleine Breed. „Wieso sagen Sie Körper? Diese erscheinen doch als helle Punkte auf dem Schirm.“ „Beweisen Sie mir das Gegenteil!“ Professor Wintrup wandte sich an Percy Miller. „Was ergeben die Messungen? Sind Ultrastrahlungen im Anziehungsbereich festgestellt?“ Percy schüttelte den Kopf. „Alles normal, bis auf das verwünschte Kraftfeld, das uns festhält.“ „Geben Sie Gegendruck“, ordnete Professor Wintrup an, „wenn wir schon nicht ausweichen können, dann wollen wir wenigstens versuchen, die Anziehung abzubremsen. Vielleicht erwischen wir einen Hohlraum in der Strahlung. Melden Sie bitte alle fünf Minuten unsere Geschwindigkeit.“ „Okay“, knurrte Percy Miller. „Ich werde zuerst zwei Düsen einschalten.“ „Die anderen Herrschaften bitte ich, ihre Raumkombinationen anzuziehen. Wir treffen uns wieder hier. Sie, John, lösen dann Percy ab.“ Sie fügten sich den Anordnungen des Expeditionsleiters und suchten ihre Kabinen auf, wo sie sich in aller Eile umzogen. Das ging nicht so schnell bei den schweren Anzügen, und es dauerte eine Viertelstunde, ehe sie sich wieder im Kommandoraum versammelten. Sie nahmen schweigend ihre Plätze ein. 8
John Rey löste Percy Miller ab, der sofort nach hinten ging, um ebenfalls seine Raumkombination anzulegen. Die Geschwindigkeit hatte sich bereits auf fünfundzwanzig absolut erhöht. Die beiden Bremsdüsen arbeiteten ohne jede Wirkung. In der Zentrale lag eine unheimliche Spannung. „Wißt ihr, daß wir einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt haben?“ meldete sich Will Borsh. „Von der Erde sind wir mit sechs absolut losgezittert. Die höchste bisher erreichte Geschwindigkeit liegt bei siebzehn absolut.“ „Das war Wanderfield auf dem ersten Flug zum Mars“, ergänzte ihn Ted Killing bissig. „Er konnte seine Rakete nicht mehr abfangen und zerschellte.“ „Wenn wir aufbumsen, bleibt es sich gleich, ob wir das mit siebzehn oder fünfundzwanzig tun. Man findet so und so nichts mehr von uns.“ Es klang mehr wie Galgenhumor, als Madleine Breed dies sagte. Minutenlang herrschte Schweigen. „Abstand noch rund vierhunderttausend Kilometer“, verkündete John Rey. „Geschwindigkeit siebenundzwanzig absolut.“ Professor Wintrup knetete aufgeregt seine Finger. „Es wird kritisch, Leute. Das ist ungefähr noch die Entfernung von der Erde zum Mond. Wenn wir nicht sofort bremsen können, hilft alles nichts mehr. Geben Sie Druck auf alle Bremsdüsen, John.“ „Ich schlage vor, wir drehen das Schiff, dann haben wir sechs große Düsen.“ Percy Miller schob sich nach vorn. „Sie sind der Techniker“, sagte Professor Wintrup. „Wenn Sie es für richtig halten, bitte. Aber beeilen Sie sich! Sind Sie auch nicht zu müde? Sie haben Ihren Dienst schon hinter sich.“ Miller tauschte mit Rey den Platz. Er winkte ab. „Denken Sie, ich könnte jetzt schlafen?“ Er hantierte an den Schaltern herum. Im Raum merkte man nichts von einer Bewegung, doch das Bild auf dem Leucht9
schirm begann abzuwandern. Dann schaltete Miller auf die im Heck angebrachte Anlage um. Langsam kam der dunkle Punkt wieder ins Bild. Er füllte bereits die Hälfte des Fernsehschirms aus. Das Manöver dauerte ungefähr zehn Minuten. Alle atmeten auf, als es gelungen war. Dann schaltete Percy Miller die sechs Aggregate auf volle Arbeitsleistung. Ein Zittern ging durch den Stahlkörper der Rakete. Alle Blicke hingen gebannt am Bildschirm. „Sechsundzwanzig – fünfundzwanzig – vierundzwanzig absolut!“ verkündete Percy Miller. „Nicht so stark abbremsen“, keuchte Professor Wintrup. „Das geht zu schnell. Unsere inneren Organe halten das vielleicht nicht aus.“ Im Raum herrschte eine drückende Schwüle. Die Männer saßen schweratmend auf ihren Sitzen. Die Minuten rasten vorbei wie Sekunden, und doch schien es allen wie eine Ewigkeit. „Einundzwanzig absolut!“ rief Miller. Er stellte den Druck etwas zurück. „Zweihunderttausend Kilometer.“ Der Bildschirm war von dem dunklen Punkt fast ausgefüllt. Den Weltraumfahrern kam es vor, als flögen sie in ein schwarzes Loch hinein. „Das halte ich nicht mehr aus!“ stöhnte Madleine Breed. „Beißt die Zähne zusammen“, knirschte John Rey, „besser das, als dort unten ein Häufchen Atome.“ „Siebzehn absolut, einhundertfünfzigtausend Kilometer.“ Percy Miller fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. Er wußte, von ihm hing es ab, ob die Landung glückte. Wenn er versagte, waren sie alle verloren. „Zwölf absolut, einhunderttausend Kilometer.“ Dann gab es einen Ruck. Mit einem blitzschnellen Griff stellte Miller die Düsen ab. Sekundenlang hing ein Aufschrei im Raum. 10
Erst nach Minuten war der erste fähig, wieder zu sprechen. „Was war das?“ fragte Rey. „Die Anziehung hat aufgehört, unsere Düsen haben voll gewirkt.“ Professor Wintrup preßte die Worte hervor. „Nur Percys Geistesgegenwart hat uns gerettet.“ Auch Miller hatte sich wieder gefunden. „Wir befinden uns noch in Bewegung. Acht absolut, fünfzigtausend.“ Er ließ die Düsen mit halber Kraft laufen. Auf dem Bildschirm war überhaupt nichts mehr zu sehen. Nach einer weiteren Viertelstunde schüttelte er den Kopf. „Das verstehe ich nicht. Wir haben sechs absolut und sind wieder zweihunderttausend Kilometer entfernt. Das kann doch nicht stimmen.“ „Sofort abbremsen!“ schrie Professor Wintrup. Miller folgte sofort dieser Anweisung. „Wir stehen“, meldete er nach einigen Minuten. Er drehte sich zu Professor Wintrup um. „Was soll das bedeuten?“ „Wir orten unser Bild mit Elektronen“, erklärte Wintrup und machte eine fahrige Handbewegung. „Das Dunkle vor uns auf dem Bildschirm muß eine Masse sein, die auf unsere Elektronenstrahlung nicht anspricht. Wenn das der Fall ist, kann auch die Entfernungsmessung, die nach dem gleichen Prinzip arbeitet, nicht stimmen. Wir haben also nie die richtige Entfernung gehabt. Nehmen Sie das Echolot.“ „Aber weshalb können wir jetzt plötzlich unsere Rakete beherrschen, was vorher nicht der Fall war?“ „Das muß mit gewissen Strahlungsperioden zusammenhängen. Leider habe ich kein Gerät, das auf diese Strahlungen anspricht. Ich kann sie also auch nicht messen.“ Miller schaltete das Echolot ein. Entsetzt starrte er auf die Skala des Gerätes. „Wir befinden uns vierhundert Meter über fester Masse.“ Die Raumfahrer schauten sich betroffen an. Percy Miller drückte auf einen Knopf. Eine Stahlplatte schob sich zurück 11
und gab ein Fenster frei. Wie gebannt starrten die Menschen nach draußen. Ein milchiggrauer Schimmer leuchtete ihnen entgegen. Die durch das helle Licht in der Rakete geblendeten Augen mußten sich erst an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen. Der Lichtschimmer reichte knapp bis zur Rakete, ließ aber nichts von der Oberfläche des Planeten erkennen. Miller ließ das Raumschiff langsam sinken. Er schaltete die Außenscheinwerfer ein. Jetzt tauchten sie in den milchigen Nebel. „Außentemperatur?“ fragte Professor Wintrup. „Vierundzwanzig Grad Celsius“, meldete Miller. „John, dirigiere mich nach den Scheinwerfern.“ John Rey trat ans Fenster. „Ich sehe nichts. Die Strahlen der Scheinwerfer werden vollkommen absorbiert.“ „Da haben wir es“, rief Professor Wintrup, „deshalb konnte dieser Körper auch noch nicht erkannt werden. Auch das Sonnenlicht ist wirkungslos. Das ist einmalig und noch nicht zu erfassen. Meine Herren, ich bitte Sie, mir jede Veränderung in Ihrem Wohlbefinden sofort zu melden. Wir gehen ein sehr großes Risiko ein. Wir stehen etwas Ungewöhnlichem gegenüber, einer Sache, von der man in der Wissenschaft bisher noch keine Ahnung hatte. Ich weiß nicht, wie unsere Körper reagieren werden.“ „Langsamer!“ rief John Rey. „Ich sehe so etwas wie Boden.“ Percy Miller ließ nur noch eine Düse arbeiten. Dann gab es einen leichten Ruck; die Rakete schnellte wieder empor, setzte auf, tanzte einige Male auf und ab und blieb dann stehen. Miller schaltete die Aggregate auf Vorwärmung. „Ich will die Düsen nicht ganz abschalten“, erklärte er, „vielleicht müssen wir schnell starten.“ Professor Wintrup nickte ihm zu und stand auf. 12
Alle drängten sich zu dem schmalen Fenster und starrten nach draußen. Es war zu unwahrscheinlich, was sie sahen. Kaum, daß man feste Konturen wahrnehmen konnte. Aber über allem lagerte dieser leichte, bläulich schimmernde Nebel. „Wir wollen zuerst für unsere Sicherheit sorgen“, ermahnte Professor Wintrup. „Bitte, gehen Sie an Ihre Instrumente. Sie, Miß Breed, untersuchen die Atmosphäre; Sie, Borsh, untersuchen die Strahlungen.“ Er wandte sich an Miller. „Wie ist die Temperatur?“ „Konstant vierundzwanzig Grad Celsius.“ „Die Instrumente zeigen keine schädlichen Strahlungen an“, sagte Will Borsh. „Ich kann einen Prozentsatz von 0,3 Promille radioaktiver Substanz feststellen, das ist aber nicht kritisch. Ultrastrahlungen sind nicht vorhanden.“ „Danke“, erwiderte Professor Wintrup, „das ist sehr wichtig.“ Er blickte zum Fenster hinaus. „Ich kann so etwas Ähnliches wie Pflanzen erkennen. Es müßte also Sauerstoff vorhanden sein.“ „Die atmosphärische Zusammensetzung ist ähnlich wie die der Erde“, verkündete Madleine Breed. „Allerdings ist der Druck etwas geringer.“ „Die Massenanziehung entspricht der unserer Erde“, rief Ted Killing, „ich glaube, wir können unbesorgt die Luke öffnen.“ „Dazu würde ich ohne weiteres meine Einwilligung geben“, sagte Professor Wintrup, „wenn nicht dieses seltsame Leuchten wäre.“ John Rey trat vor. „Ich melde mich freiwillig.“ Ted Killing stellte sich neben ihn. „Ich gehe mit!“ „Zwei Mann gleich?“ überlegte Professor Wintrup. „Das möchte ich nicht riskieren. Wir werden es so machen: Sie, John, gehen hinaus, bleiben eine Viertelstunde in der Nähe des Schif13
fes, und wenn dann noch alles in Ordnung ist, wird Ihnen Ted folgen. Sie unternehmen dann einen kleinen Streifzug um unsere Rakete, entfernen sich aber nie so weit, daß Sie unser Schiff nicht mehr sehen können. Dann kommen Sie zurück, und ich werde Sie untersuchen.“ Dieser Vorschlag wurde von den Wissenschaftlern gebilligt. John Rey kletterte aus seiner schweren Raumkombination. Als er die Schleuse betrat, trug er nur noch einen leichten Lederanzug. Als Bewaffnung hatte er ein Strahlengewehr bei sich. Als sich die Tür der Druckkammer hinter ihm, schloß, und er die Außenluke öffnete, beschlich ihn doch ein eigenartiges Gefühl. Er klappte die Leiter aus und verließ das Raumschiff. Die erste Überraschung erlebte er, als er den Boden betrat. Die Oberfläche des Himmelskörpers war eine glatte, feste Masse, die aber unter seinem Gewicht nachgab. John Rey lief wie auf einem Schaumgummipolster. Mit seinem Messer versuchte er die Oberfläche aufzuritzen, was ihm aber nicht gelang. Es war ein eigenartiges, federndes und völlig ungewohntes Gehen. John Rey war festen Boden gewöhnt und fühlte sich etwas unbehaglich. Neugierig verfolgten seine Kameraden durch das Fenster jede seiner Bewegungen. John Rey schaltete das kleine Sprechgerät ein, das er mitgenommen hatte. „Hallo!“ rief er. „Könnt ihr mich verstehen?“ „Wir verstehen Sie sehr gut“, antwortete Professor Wintrup. „Wie ist es draußen?“ „Gar nicht übel. Man läuft wie auf Schaumgummi. Die Oberfläche des Bodens ist aber trotzdem sehr fest. Man kann gut atmen, die Luft riecht nach Vanille oder so etwas Ähnlichem. Die Sicht ist sehr schlecht.“ „Wissen Sie, woher das Leuchten kommt?“ „Das ist schwer zu sagen. Ich kann einige eigenartige, breitblättrige, pflanzenähnliche Gewächse erkennen. An den Blättern 14
befinden sich stark phosphoreszierende Lichtpunkte. Die Luft selbst ist wie Nebel, von dem das Licht reflektiert wird. Es ist nicht möglich, weiter als zwanzig bis dreißig Meter zu sehen.“ „Wie fühlen Sie sich?“ „Gut, ich kann nicht klagen.“ „Versuchen Sie, so eine Pflanze mitzubringen!“ „Die Pflanzen sind sehr groß. Ich werde ein Blatt mitbringen.“ John Rey ging auf eine Pflanze zu, die sich etwa einen halben Meter über dem Boden erhob und eine Fläche von gut fünf Quadratmetern einnahm. Er ergriff eines der langen, auf dem Boden ausgebreiteten Blätter. „Das Blatt ist sehr geschmeidig“, meldete er. „Die Oberfläche ist vollkommen glatt, wie poliert. Die Farbe ist graubraun, wie der Boden. Ich berühre jetzt einen Lichtpunkt.“ „Seien Sie vorsichtig!“ rief Professor Wintrup. „Der Leuchtpunkt strahlt eine gewisse Wärme aus. Er ist wie eine Linse, die von innen erleuchtet wird.“ „Betrachten Sie Ihren Finger! Zeigen sich Verbrennungen oder andere Reaktionen?“ „Nein, nichts. Ich glaube, der Leuchtpunkt hat eine Temperatur von vierundzwanzig Grad. Das Blatt selbst fühlt sich kühler an.“ John Rey versuchte, mit seinem Messer das Blatt in der Mitte durchzuschneiden. Es gelang nicht, so sehr er sich auch anstrengte. „Ich komme mit dem Messer nicht durch!“ rief er. „Das Blatt ist ungewöhnlich hart, obwohl es sehr geschmeidig ist. Ted soll ein Beil mitbringen.“ „In Ordnung“, antwortete Professor Wintrup. „Ted wird jetzt kommen.“ Ted Killing machte sich fertig. Er trug dieselbe Kombination wie John Hey. John erwartete ihn am Ausstieg. 15
„Hallo, John!“ rief Ted. „Das ist eine komische Lauferei. Wie in einem Moor, nur daß man nicht einsinkt.“ „Du brauchst nicht so zu schreien“, schimpfte John, „ich kann dich auch so verstehen.“ „Ich rede ganz normal – du brüllst!“ protestierte Ted. Die beiden Freunde schauten sich betroffen an. Dann flüsterte John: „Ein neues Phänomen. Unsere Laute werden verstärkt.“ „Jetzt sprichst du normal“, flüsterte Ted zurück. Er gab John eine Axt. „Hier, probier’ mal!“ John Rey ließ die Axt auf den Boden niedersausen. Sie federte zurück. Am Boden zeigte sich keine Veränderung. Wieder versuchte er es, diesmal stärker. Die Oberfläche zeigte lediglich ganz leichte Kratzer. Ted Killing kniete nieder, zog seine Taschenlampe hervor und leuchtete die Stelle ab, auf der die Axt gefallen war. Er schaute hoch. „Sieh mal, ich halte jetzt die Taschenlampe zwanzig Zentimeter über den Boden. Es ist kein Auftreffen des Lichts zu sehen.“ „Leuchten Sie einmal John an!“ schaltete sich Professor Wintrup in das Gespräch ein. Er hatte über sein Sprechgerät die Unterhaltung der beiden Männer mitverfolgt. „Bei John kommt das Licht an“, meldete Killing. Er ging auf die Pflanze zu. „Die Pflanze absorbiert das Licht auch.“ „Eigenartig“, meinte Professor Wintrup, „ein fester Stoff, der sich wie ein Gas verhält.“ Unterdessen versuchten die beiden Männer ein Blatt der Pflanze abzutrennen. „Es geht sehr schwer“, berichtete John Rey. „Es liegt plötzlich ein eigentümliches Zischen in der Luft.“ „Es scheint von der Pflanze zu kommen“, ergänzte Ted Killing. 16
Dann sprangen die Männer entsetzt zurück. Es war ihnen gelungen, ein Loch in das Blatt zu hacken. Eine dicke, rote Flüssigkeit spritzte heraus, lief über das Beil und die Hand Johns. Das Blatt richtete sich steil in die Höhe und fiel dann zusammen. Die Lichtpunkte auf der ganzen Pflanze verschwanden. Nach einigem Zögern trennten die Männer das Blatt ganz ab. „Wir kommen zurück!“ rief John Rey. „Ich glaube, es genügt vorläufig.“ Sie gingen zur Rakete zurück und zogen das Blatt, das sehr schwer war, hinter sich her. John Rey trug die Axt. Dann waren sie wieder im Inneren des Raumschiffes. Professor Wintrup brachte sie sofort auf die Isolierstation. Hier mußten sich beide vollständig entkleiden. „Was ist mit Ihrer rechten Hand geschehen?“ rief plötzlich Professor Wintrup erschrocken. John Rey starrte seine rechte Hand an. Sie war zur Hälfte verschwunden. Ted Killing taumelte gegen die Wand zurück. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Wo hast du die Axt, John?“ John sah sich erstaunt um. „Die Axt habe ich dort in die Ecke gestellt“, murmelte er. „Und meine Finger kann ich auch bewegen. Ich spüre doch, daß ich meine Finger noch habe. Trotzdem kann man sie nicht sehen.“ „Das Blatt ist auch nicht mehr da“, stellte Professor Wintrup fest. „Sind Sie mit irgendeiner Materie in Berührung gekommen?“ „Der rote Saft“, stammelte John Rey. Er ging zu einem Waschbecken und wusch sich die Hände. Ein dunkler, schwarzer Rauch quoll empor und füllte schnell das Zimmer aus. Seine rechte Hand wurde wieder sichtbar. Dann reinigte er die Axt. Sie wurde ebenfalls unter starker Rauchentwicklung sichtbar. „Der Saft aus der Pflanze …“ Professor Wintrup überlegte. „Was hat aber die Rauchentwicklung zu bedeuten?“ 17
„Das ist unheimlich“, keuchte John Rey. „Man wird für unser normales Licht unsichtbar. Verstehen Sie, was das bedeutet, Professor?“ Professor Wintrup nickte. „In der Hand der Wissenschaft eine ungeahnte Möglichkeit, in der Hand eines Verbrechers eine Katastrophe.“ Ted Killing hatte inzwischen auch das Blatt wiedergefunden. Er zog es an eine Luke, die er öffnete. In dem von draußen hereinfallenden Licht wurde das Blatt sichtbar. Professor Wintrup betrachtete es aufmerksam. „Es sieht aus wie das Glied eines Körpers. Binden Sie etwas daran, daß wir es wiederfinden und schließen Sie die Luke wieder. Jetzt muß ich Sie zuerst untersuchen.“ Er arbeitete sehr gründlich, und es dauerte über eine Stunde, ehe er fertig war. „Sie können sich wieder anziehen, meine Herren. Ich habe keine Schädigungen feststellen können. Das heißt aber nicht, daß nicht doch noch zu einem späteren Zeitpunkt Störungen auftreten können.“ „Damit müssen wir schließlich rechnen“, knurrte John Rey. „Wir sind keine Kinder, wir sind eine Weltraumexpedition und wissen, daß jede Fahrt ein Risiko ist.“ „Bravo“, sagte Professor Wintrup. „Wir wollen aber nicht zu ängstlich sein. Wir können uns nach Möglichkeit schützen, und das wollen wir auch, aber uns verkriechen – damit erzielen wir keine Erfolge. Ich gehe in die Zentrale. Kommen Sie bitte mit.“ 2. Kapitel Die gesamte Mannschaft der Weltraumrakete war im Kommandoraum versammelt. Professor Wintrup erhob sich. Erwartungsvoll schauten ihn die Expeditionsteilnehmer an. 18
„Liebe Freunde“, begann er, „wir haben das seltene Glück, auf einem Himmelskörper gelandet zu sein, von dessen Vorhandensein die Menschheit bisher noch keine Ahnung hatte. Dieser Himmelskörper besitzt Eigenschaften, die ich fast utopisch nennen möchte. Um so wertvoller wird unsere Forschung sein. Wir werden jetzt eine Ruhepause von acht Stunden einlegen, dann breche ich mit drei Männern auf, um in unserer näheren Umgebung eine erste Erkundung durchzuführen. Wer von Ihnen meldet sich freiwillig?“ Alle meldeten sich. „Ich werde schon gar nicht gefragt“, schmollte Madleine Breed. „Als Botanikerin hätte ich das erste Anrecht, an der Erkundung teilzunehmen.“ Professor Wintrup lächelte. „Ich möchte Sie mit Absicht zurücklassen. Wir finden hier eine so eigenartige Vegetation vor, daß Sie Ihre Untersuchungen am besten hier ausüben. Sie können erst einmal bei den Dingen anfangen, die ganz in unserer Nähe sind. Bei einem späteren Ausflug dürfen Sie natürlich mitkommen. Wir wollen ja auch erst die Umgebung kennenlernen. Percy, wollen Sie auch dableiben?“ Percy Miller verzog das Gesicht. „Paßt mir nicht ganz, Professor.“ Professor Wintrup wiegte bedenklich den Kopf hin und her. „Ich werde wohl schwer jemanden finden, der freiwillig zurückbleibt, oder?“ Er schaute seine Leute an. Zu aller Erstaunen meldete sich John Rey. „Ich bleibe hier.“ Percy Miller schaute ihn an, als ob er an seinem Verstand zweifle. „Das wundert mich, John. Du bist doch sonst immer der erste, wenn es irgend etwas zu erforschen gibt.“ „Ich mache es auch dir zuliebe“, gestand Rey. „Sprechen wir 19
nicht mehr darüber.“ Percy Miller schüttelte ihm herzlich die Hand. „Werde mich revanchieren, John.“ „Dann wollen wir jetzt schlafen gehen“, entschied Professor Wintrup. „Miß Breed und John übernehmen die Wache. Wie Sie es sich einteilen, überlasse ich Ihnen.“ Die vier Männer verließen den Raum. Madleine und John blieben zurück. „Wollen Sie die erste oder die zweite Wache?“ fragte John Rey. „Das ist mir egal“, antwortete Madleine. „Ich kann jetzt sowieso nicht schlafen.“ Sie setzten sich zusammen an das Fenster und schauten in den flimmernden Nebel hinaus. „Ein unheimlicher Himmelskörper“, begann John Rey wie im Selbstgespräch. „Nachgebender Boden und doch eine Oberfläche, die so hart ist, daß man sie nicht verletzen kann. Pflanzen, die auf diesem Boden gedeihen und mehr den Eindruck eines Tieres erwecken. Unser Erdenlicht ist wirkungslos, und doch kann man eine feste Masse erkennen.“ „Ob es hier auch Berge hat?“ fragte Madleine dazwischen. John Rey zuckte die Schultern. „Vielleicht befinden wir uns auf einem besonderen Teil dieses Körpers. Wenn aber alles so ist, wird es wohl kaum Erhebungen geben.“ „Dieser Stern erhält von außen keine Wärme. Die Sonne bestrahlt ihn nicht, und auch der Boden hat keine Temperatur. Und trotzdem hat die Luft vierundzwanzig Grad.“ „Ganz erstaunlich finde ich dieses Eigenleuchten.“ John Rey gab Madleine Breed eine Zigarette und steckte sich selbst eine an. „Die Punkte auf den Pflanzen scheinen die Wärmespender zu sein.“ „Und das mit dem Pflanzensaft?“ „Ja, es ist wie Blut. Als wir das Blatt abhackten, war ein eigenartiges Zischen in der Luft. Es schien von der Pflanze zu 20
kommen. Und dann das Aufbäumen des Blattes, als wir es verwundet hatten! Vielleicht ist es doch ein Tier, denn Pflanzen können keine Töne von sich geben.“ John Rey rauchte nachdenklich. „Es müßte eigentlich auch richtige Tiere hier geben“, meinte Madleine nach einiger Zeit. „Anzunehmen. Ich glaube aber, die Formen sind für uns unvorstellbar. Schon die Flora, die ich bis jetzt erkennen konnte, hat kein Beispiel auf der Erde. Wenn es tatsächlich Tiere geben sollte, werden wir bestimmt eine Überraschung erleben.“ Sie schwiegen. Madleine lehnte sich bequem in ihren Sessel zurück. Sie fühlte plötzlich eine bleierne Müdigkeit in den Gliedern. Sie wollte nur für fünf Minuten die Augen schließen und ein wenig ruhen. Einige Augenblicke darauf war sie eingeschlafen. John Rey hatte es bemerkt. Er weckte sie nicht. Gedankenverloren starrte er nach draußen. Eigenartige Ideen durchzogen sein Gehirn. Die Möglichkeiten, die hier gegeben waren, auf die Erde übertragen, nein, das konnte man nicht zu Ende denken. Es mochten ungefähr drei Stunden vergangen sein, da geschah plötzlich draußen vor dem Fenster etwas Merkwürdiges. An einer Stelle, etwa dreißig Meter von der Rakete entfernt, verdichtete sich die Lichtstrahlung. John Rey beugte sich etwas in seinem Sessel vor, um besser sehen zu können. Er rieb sich die Augen. Träumte er? Nein, er war hellwach, und was er dort draußen sah, war Wirklichkeit. Ein dichter Klumpen der breitblättrigen Pflanzen bewegte sich langsam auf das Raumschiff zu. Sie hatten ihre Blätter steil nach oben gereckt. Eine intensive Helligkeit strahlte von ihnen aus. John Ray stockte der Atem. Er war nicht fähig, sich zu rühren. Pflanzen, die sich bewegen konnten! Das war für ihn un21
vorstellbar. Für Sekunden schloß er die Augen und öffnete sie wieder. Das Bild hatte sich nicht verändert. Immer näher kamen die Pflanzen, immer näher. Zehn Meter nur noch, acht, sieben. John Rey griff nach seinem Strahlengewehr und ließ das Feinster hochfahren. Ein durchdringendes Zischen fuhr ihm entgegen. Er legte an und zielte mitten in den Haufen hinein. Die Pflanzen knickten zusammen, Ihre Leuchtpunkte erstarben. Mit einem Schlag war es totenstill. Auf John Reys Stirn bildeten sich Schweißperlen, sein Atem ging keuchend. Mit verständnislosen Blicken schaute er nach draußen. Er war kein Feigling, bestimmt nicht, aber dieses Bild zerrte an seinen Nerven. Mit einem Aufstöhnen ließ er das Fenster wieder herunter und sank in seinen Sessel zurück. Als Madleine Breed nach Stunden aufwachte, schlief John Rey neben ihr fest. Er hielt sein Gewehr umklammert. Nur mit Mühe konnte sie es ihm abnehmen. Erschrocken schaute sie auf die Uhr. Es war Zeit, die anderen Expeditionsteilnehmer zu wecken. * Professor Wintrup verließ mit seinen drei Begleitern das Raumschiff. Sie trugen die bequeme Lederkombination. In einem Beutel hatte jeder für mehrere Tage Verpflegung und zu trinken. Ihre Bewaffnung bestand aus Strahlengewehren. Man hatte vereinbart, alle fünf Minuten ein Funkzeichen mit der Rakete zu wechseln. Das mitgenommene Peilgerät sollte es ermöglichen, daß die Expedition wieder zurückfand. „Ich finde, es ist etwas dunkler, als bei unserer Landung“, meinte Ted Killing, als er den Boden betrat. „Es kommt mir auch so vor“, bestätigte Professor Wintrup. „Sehen Sie, dort drüben liegen Pflanzen, die nicht leuchten.“ 22
Interessiert traten sie näher. „Die waren beim erstenmal noch nicht hier“, wunderte sich Ted Killing. „Die Pflanzen sind tot. Was soll das bedeuten?“ Er schaute sich suchend um. „Auch die Pflanze, von der wir ein Blatt abgehackt haben, ist nicht mehr auf ihrem alten Platz.“ „Wissen Sie das genau?“ fragte Professor Wintrup. „Kann es nicht sein, daß Sie gestern etwas erregt waren und die Umgebung nicht so genau beachteten?“ „Ich täusche mich nicht“, widersprach Ted Killing. „Es ist alles so verändert.“ Die Männer schritten weiter. In ungefähr hundert Meter Entfernung trafen sie wieder auf niedrige, flach auf dem Boden ausgebreitete Pflanzen mit den breiten, langen Blättern. „Sehen Sie sich das an“, versuchte Will Borsh einen Scherz, „die sehen wie Wachtposten aus. Die Pflanzen stehen im Kreis um unsere Rakete.“ „Nur die uns zugewandten Blätter tragen Lichtpunkte“, stellte Professor Wintrup fest. „Die anderen Blätter sind dunkel.“ Die Pflanzen standen in etwa fünf Meter Abstand auseinander. Die Männer konnten bequem zwischen ihnen hindurchgehen, doch wer beschreibt ihr Erstaunen, als sie nach fünfzig Metern ebenfalls einen Kreis von Pflanzen fanden und nach weiteren fünfzig Metern wieder einen? „Das muß doch etwas bedeuten“, meinte Ted Killing. „Wir sind doch nicht durch Zufall gerade inmitten eines Kreises dieser Gewächse gelandet.“ „Wenn es keine Pflanzen wären, könnte ich Ihnen eine Antwort geben“, sagte Professor Wintrup mit belegter Stimme. Die Expedition bewegte sich immer geradeaus in einer Richtung. Der Boden war flach und ohne Anzeichen einer Erhebung. Überall verstreut standen die seltsamen Pflanzen. Es schien hier nur diese eine Art zu geben. Ihre Größen waren unterschiedlich, auch konnte man feststellen, daß bei den einen 23
Pflanzen die Blätter gerade Ränder hatten, während sie bei anderen leicht gewellt waren. „Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen“, brummte Percy Miller, „daß die Pflanzen bei unserer Annäherung dunkel werden und erst wieder leuchten, wenn wir vorbei sind?“ „Haben Sie es auch bemerkt?“ fragte Professor Wintrup. „Das muß etwas zu bedeuten haben. Wir werden das aber später noch untersuchen.“ Schweigend schritten sie weiter. Jedesmal, wenn fünf Minuten vorbei waren, nahmen sie Verbindung mit dem Raumschiff auf. Sie waren schon gut drei Stunden unterwegs. Immer noch hatte sich das Landschaftsbild nicht verändert. Da blieb Professor Wintrup, der die Spitze des Zuges einnahm, stehen. „Ich finde, der Boden wird fester.“ „Es federt nicht mehr so“, bestätigte Will Borsh. „Wir wollen eine kurze Rast einlegen.“ Schweigend setzten sich die Männer auf den Boden und zündeten sich eine Zigarette an. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. 3. Kapitel John Rey schreckte plötzlich aus seinem Schlaf hoch. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Sie sind ein altes Faultier“, lachte Madleine Breed. „Verschlafen Ihre Wache und vergessen, auch mich zu wecken.“ John Rey sprang auf. „Um Gottes willen – ist Professor Wintrup schon weg?“ „Schon seit vier Stunden.“ John Rey starrte sie mit großen Augen an. „Das ist ja furchtbar!“ Madleine Breed schüttelte den Kopf. Sie verstand John Rey nicht ganz. 24
„Was soll da furchtbar sein?“ Er gab keine Erklärung. „Haben Sie Funkverbindung?“ „Ja, wir haben erst alle fünf Minuten die Verbindung aufgenommen und jetzt alle fünfzehn Minuten. Es ist bald wieder so weit Professor Wintrup hat gemeldet, daß der Boden fester wird.“ „Versuchen Sie sofort, Verbindung zu bekommen. Bitte, versuchen Sie es sofort!“ Madleine Breed zuckte die Schultern. Hatte der Mann den Verstand verloren? Trotzdem setzte sie sich an den Kurzwellensender. „Wollen Sie mir nicht sagen, was passiert ist?“ fragte sie. John Rey marschierte mit langen Schritten in der Zentrale auf und ab. „Die Pflanzen sind Tiere“, stieß er endlich hervor, „sie können sich bewegen.“ Madleine Breed schaute überrascht auf. „John, Ihre Nerven werden etwas überreizt sein. Wollen Sie nicht ein Beruhigungsmittel nehmen?“ Rey lachte bitter auf. „Sie halten mich für verrückt. Es sieht auch ganz so aus.“ Er deutete nach draußen. „Dort können Sie die Pflanzen liegen sehen, die ich abgeschossen habe. Sie sind auf unsere Rakete losmarschiert. Zwar langsam, doch man konnte die Bewegung deutlich erkennen.“ Madeline Breed schaute ihn ungläubig an. „Wenn das stimmt, dann ist ja die Expedition in großer Gefahr.“ „Das ist sie. Haben Sie endlich Verbindung?“ „Sie müßten sich schon gemeldet haben. Ich höre aber nichts.“ John Rey steckte sich nervös eine Zigarette an. „Ein Teufelsstern“, murmelte er, „ein Fangnetz im Weltraum.“
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* Die Expedition unter Professor Wintrup befand sich schon wieder seit einer halben Stunde auf dem Marsch. Sie hatten jetzt festen Boden unter den Füßen. Die Oberfläche war aber immer noch glatt und undurchdringlich. Pflanzen waren sie nicht mehr begegnet. Sie hatten bereits festgestellt, daß das Sendegerät nicht mehr funktionierte. Daraufhin wollte Professor Wintrup die Erkundung abbrechen, war aber von den anderen Männern überstimmt worden. „Wenn nur dieses verdammte Licht nicht wäre!“ schimpfte Percy Miller. „Man sieht zwar in der Nähe gut, doch was weiter kommt, ist nicht zu erkennen.“ Plötzlich blieb Professor Wintrup stehen. „Ist Ihnen schon aufgefallen, meine Herren, daß wir von ungefähr kirschgroßen Lichtpunkten begleitet werden, die sich frei in der Luft bewegen?“ „Ich habe schon versucht, so ein Ding zu fangen“, brummte Borsh, „es ist mir aber nicht gelungen.“ „Ein Teufelsstern!“ zischte Ted Killing. Er wiederholte unbewußt die Worte, die John Rey im Raumschiff ausgesprochen hatte. „Ich glaube, es ist doch besser, wenn wir umkehren“, schlug Professor Wintrup vor. Diesmal waren seine Begleiter einverstanden, doch als sie sich umwandten, erhob sich dicht hinter ihnen eine Wand aus lauter Lichtpunkten. Percy Miller ging auf die Wand zu. Sie wich nicht vor ihm zurück. Er hob sein Strahlengewehr und schoß. Die Leuchtpunkte fuhren auseinander. Ein tiefer Summton war zu hören. Sofort lief Percy Miller auf die Stelle zu, wo er getroffen hatte. 26
Er fand mehrere Kugeln am Boden, die aber nicht mehr leuchteten. Er hob eine davon auf. Sie war sehr leicht, aber von großer Festigkeit. Seine Kameraden waren ihm gefolgt und drängten sich um ihn zusammen. Ein großer Kreis der Lichtpunkte umgab sie in dreißig Meter Abstand. „Das ist beinahe wie bei den Pflanzen!“ rief Ted Killing. Miller gab Professor Wintrup die Kugel. Dieser betrachtete sie aufmerksam. „Das muß ein Lebewesen sein. Es kann denken und sich bewegen. Ganz erstaunlich. Wir wollen noch einige mitnehmen.“ Sie sammelten noch einige der Kugeln auf und verpackten sie in eine Konservenbüchse. Dann setzten die Männer ihren Rückweg fort. Der Kreis der Lichtkugeln wanderte mit ihnen. „Ich werde mir so ein paar Dinger einfangen und abrichten, daß sie mir zu Hause leuchten“, sagte Percy Miller mit grimmigem Humor. „Das hilft Strom sparen.“ Nach einer Viertelstunde blieb Professor Wintrup plötzlich stehen. „Wir müßten doch den weichen Boden bereits erreicht haben.“ Er schaute seine Leute ernst an. „Ich glaube, wir haben die Richtung verloren.“ Niemand antwortete ihm. „Der Untergrund ist leicht gewellt und ziemlich uneben“, fuhr er fort. „Die Lichtpunkte bleiben auch langsam zurück“, stellte Will Borsh fest. „Wir müssen uns einer dritten Zone nähern.“ „Sie sprechen aus, was ich schon lange denke. Mit der Bodenformation scheinen auch die Lebewesen zu wechseln. Diese Erkenntnis nützt uns aber im Augenblick nicht viel. Wir müssen unser Raumschiff finden. Percy, versuchen Sie doch noch einmal, Verbindung zu bekommen.“ 27
Percy Miller nahm den Kurzwellensender in die Hand. Er drückte die Ruftaste. Keine Antwort. „Der Apparat funktioniert“, murmelte er, „es muß etwas anderes sein. Es ist aussichtslos.“ „Machen wir Pause“, ordnete Professor Wintrup an. „Aufregung hat auch keinen Sinn.“ Sie setzten sich nieder. „Unheimlich“, flüsterte Killing, „wir sind jetzt sechs Stunden unterwegs, und was hat sich uns schon alles gezeigt!“ Will Borsh nickte. „Dieser Stern ist bewohnt, doch von welchen Lebewesen? Ob es ganz hochentwickelte Organismen sind? Man kann Größenunterschiede feststellen, also müssen sie wachsen. Das setzt eine Vermehrung voraus.“ Ted Killing nahm seine Feldflasche vom Gürtel und schraubte den Verschluß ab. Dann schüttete er etwas Wasser auf sein Taschentuch, um sich die Stirn abzureiben. Dabei fielen einige Tropfen auf den Boden. Sofort begann es zu brodeln. Blasen stiegen auf, und ein schwarzer Nebel verbreitete sich in dünnen Schwaden. Die Männer sprangen auf. Mit Entsetzen sahen sie auf das Schauspiel. „Was ist das nur wieder?“ flüsterte Will Borsh. „Derselbe Rauch, wie er beim Händewaschen bei John entstanden ist“, stellte Professor Wintrup fest. „Die Tropfen dringen in den Boden ein!“ rief Miller. „Seht, sie haben schon Löcher hineingebrannt.“ „Unser Wasser wirkt hier wie eine Säure. Das ist phantastisch.“ Professor Wintrup war jetzt ganz Wissenschaftler. Er schüttete aus seiner Feldflasche Wasser auf die Stelle. Der Boden begann zu brodeln. Schwarze Rauchschwaden quollen auf, und dann zuckte es wie Feuerschein aus den Löchern hervor. 28
„Feuer mit Wasser!“ lachte Miller. „Ich glaube, ich bin verrückt.“ Einer plötzlichen Eingebung folgend, hielt Miller eine der abgeschossenen Kugeln in den Qualm. Sie löste sich vollkommen auf. „Ich verliere noch den Verstand!“ stöhnte er. „Das ist unfaßbar.“ Borsh war praktischer veranlagt. „Wir können auf diese Weise unseren Weg markieren. Der Rauch ist gut sichtbar. Wenn wir alle zwanzig Meter einen Tropfen fallen lassen, wissen wir immer, wo wir waren.“ „Diese Erkenntnis kommt zwar etwas spät, sie kann uns aber vielleicht noch retten.“ Professor Wintrup hatte inzwischen den Rauch untersucht. „Er ist für uns nicht gefährlich“, stellte er fest. „Erstaunlich ist die Tatsache, daß man mit einer Axt den Boden nicht verletzen kann, wohl aber mit einem Tropfen Wasser. Ich stehe vor einem Rätsel. Wir wollen weitergehen.“ Mit neuem Mut brachen die Männer auf. 4. Kapitel John Rey lief in der Zentrale des Weltraumschiffes wie ein gereizter Stier hin und her. „Acht Stunden sind sie nun schon weg“, murmelte er, „und noch immer keine Verbindung. Wenn ich in einer Stunde keine Klarheit habe, mache ich mich auf den Weg.“ In diesem Moment kam Madleine Breed hereingestürzt. Sie hatte die Rakete verlassen, um sich draußen etwas umzusehen. „Kommen Sie schnell, John! Ich habe eine außerordentliche Entdeckung gemacht.“ Sie winkte ihm aufgeregt zu. John Rey kletterte hinter ihr her die Leiter hinunter. Madleine 29
führte ihn einige Meter vom Schiff weg. Dort brodelte es aus einem kleinen Loch schwarz hervor. Eine dünne Rauchfahne stieg fast senkrecht in die Höhe. „Was denken Sie, was das ist?“ fragte Madleine. Rey schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Auf jeden Fall eine Überraschung.“ „Eine wichtige Entdeckung! Das ist Wasser.“ „Jetzt sind Sie verrückt geworden.“ „Nein, bestimmt nicht“, widersprach sie. „Ich wollte hier einige Messungen machen und habe deswegen auch einige Reagenzgläser mitgenommen. In einem Glas befanden sich noch einige Tropfen Wasser von der Reinigung. Ich schüttete sie aus, und hier haben Sie den Erfolg.“ John Rey blickte gedankenvoll auf die Stelle, wo aus dem Loch kleine, blaue Flammen aufzuckten. „Können Sie den Rauch analysieren, ob er für uns schädlich ist?“ „Ich werde es sofort tun.“ Sie eilte in das Raumschiff zurück und holte einige Instrumente. Nach kurzer Zeit hatte sie das Ergebnis. „Der Rauch ist für uns nicht schädlich. Ich kann geringe Mengen Phosphor und Ammoniak feststellen, außerdem Methan. Winzige Mengen von Nitriten und Nitraten sind auch vorhanden und ein Gas, das ich nicht analysieren kann. Es muß aber unschädlich sein.“ John Rey wurde plötzlich munter. „Das ist die Lösung, Madleine!“ Sie schaute ihn erstaunt an. „Welche Lösung?“ „Ich werde eine Wasserspur legen. Immer im Kreisbogen um unser Raumschiff herum und einige gerade Linien, die direkt hierherführen. Wenn unsere Leute nicht zu weit vom Weg ab sind, müssen sie auf die Markierungen stoßen. Sollte die 30
Rauchbildung aufhören, so bleiben immer noch die Löcher im Boden.“ „Sie wollen mich allein zurücklassen?“ Madleine hatte keine Angst, doch der Gedanke war ihr unangenehm. „Sie können mitgehen. Wir machen das Schiff dicht.“ Sie eilten zurück. John Rey schnallte sich einen Wasserbehälter auf den Rücken und nahm einen zweiten in die Hand. Madleine gab er ein Strahlengewehr. „Ich werde auch einen Wasserbehälter tragen“, meinte sie. „Das ist zu schwer“, widersprach Rey. „Nein, das ist nicht zu schwer“, entschied sie eigenwillig und schnallte sich ebenfalls einen Wasserbehälter um. Dann verließen sie das Raumschiff. An der Leiter befestigten sie einen Zettel, falls die Expedition vor ihnen zurückkommen sollte. Sie schlugen die Richtung ein, in die auch Professor Wintrup mit seinen Männern aufgebrochen war. Alle zehn Meter spritzte John Rey etwas Wasser auf den Boden. Sofort brodelte es auf, und eine dünne, schwarze Rauchsäule stieg senkrecht in die Luft. Nach etwa fünfzig Meter stießen sie auf den ersten Pflanzenring. „Sehen Sie!“ rief Madleine. „Die Pflanzen bewegen sich. Sie haben recht.“ John Rey hatte seinen Schock überwunden. Er wußte, daß das Strahlengewehr ein sicherer Schutz war. „Wir brauchen keine Angst zu haben“, beruhigte er Madleine. „Sie können sich nicht schnell bewegen.“ Er spritzte wieder etwas Wasser auf den Boden. Die nächste Pflanze war etwa drei Meter von ihnen entfernt. Als nun der schwarze Qualm aufstieg, reckte die Pflanze ihre Blätter plötzlich steil in die Höhe und entfernte sich mit erstaunlicher Schnelligkeit. 31
Madleine hatte die Situation sofort erkannt. „Entweder flüchten sie vor dem Wasser oder vor dem Rauch.“ John Rey eilte hinter der Pflanze her, spritzte eine Handvoll Wasser nach ihr. Sie blieb plötzlich stehen. Ihre hoch emporgereckten Blätter zitterten leicht. Die um sie herum verspritzten Tropfen brannten sich in den Boden, schwarzer Qualm hüllte die Pflanze ein. Überall, wo er mit ihr in Berührung kam, löste sie sich auf. „Unheimlich“, flüsterte Madleine, „der Rauch wirkt wie Todesstrahlen.“ John Rey nickte nur. Dann gingen sie weiter, zogen Kreis um Kreis und legten Verbindungslinien nach innen. Sämtliche Pflanzen hatten die Gegend verlassen. Endlich waren die Wasserbehälter leer. Müde kehrten die beiden Menschen zu ihrem Raumschiff zurück. „Finden Sie nicht auch, daß es dunkler geworden ist?“ fragte Madleine Breed. John Rey nickte. „Die Lichtspender sind verschwunden. Trotzdem ist die Streuung noch sehr stark. Man kann auch weiter sehen.“ Das erste Loch bei der Rakete brodelte immer noch. Rey holte einen Stab und stieß ihn hinein. „Zwei Meter tief“, stellte er fest. „Bin gespannt, was dabei herauskommt.“ Sie stiegen wieder in das Innere der Rakete. Die Expedition war noch nicht zurückgekehrt. Rey setzte sich an das Sendegerät. Er hatte es vor ihrem Weggang auf Selbstempfang eingestellt. Ein Blick auf die Kontrollinstrumente zeigte ihm, daß noch kein Anruf gekommen war. Er wandte sich an Madleine. „Wir werden jetzt abwechselnd schlafen. Wenn wir ausgeruht haben, gehen wir noch einmal auf Wanderschaft. Wir legen dann noch eine ganz große Markierung.“ 32
Madleine Breed nickte müde. Sie setzte sich in ihren Sessel und klappte die Lehne nach hinten. Kurz darauf war sie eingeschlafen. John Rey saß wieder am Fenster und starrte hinaus. Seltsame Gedanken arbeiteten in ihm. * Professor Wintrup hatte inzwischen mit seinen Männern eine Schlafpause eingelegt und war dann weitermarschiert. Sie waren in eine eigenartige Gegend gekommen. Das Gelände verlief ziemlich steil abwärts und endete plötzlich an einem Strom. Der Ausdruck Strom war eigentlich nicht richtig, es fand sich aber kein treffenderer Vergleich. Es war kein Wasser, das dort ruhig vor den Männern lag, es war mehr ein dickflüssiger, roter Brei. „Wie das Blut der Pflanze“, stellte Ted Killing fest. „Es muß irgendwie damit zusammenhängen“, meinte Professor Wintrup nachdenklich. „Wir wollen eine Probe davon mitnehmen.“ Er füllte vorsichtig etwas von der sirupartigen Flüssigkeit in eine Flasche. Percy Miller spritzte etwas Wasser in den Fluß. Die Wirkung war enorm. Ein blauer Feuerstrahl schoß empor, und ein schwarzer Rauchpilz, wie bei einer Atombombenexplosion, blähte sich auf. „Percy, was machen Sie?“ rief Professor Wintrup erschrocken. „Haben Sie vielleicht geahnt, daß das Wasser solch eine Wirkung haben würde?“ fragte Miller gereizt zurück. „Nein, aber Sie wissen doch, daß wir uns in einer völlig unbekannten Umgebung befinden. Wir müssen äußerst vorsichtig sein. Wenn wir eine Katastrophe auslösen, schaden wir uns nur selbst.“ „Das Erstaunliche bei den Vorgängen ist, daß sie vollkom33
men geräuschlos sind und keinerlei Luftwirbel hervorrufen“, lenkte Will Borsh ab. „Stellen Sie sich auf der Erde eine solche Explosion vor.“ „Vielleicht zeigt sich in unserer Atmosphäre mehr Wirkung“, meinte Professor Wintrup. „Ich kann mir vorstellen, wenn wir es umgekehrt machen und von dieser Masse einiges ins Wasser werfen, daß es dann ganz schön knallen wird.“ Ted Killing steckte einen Finger in den Brei und zog ihn wieder heraus. Der Finger war dunkelrot gefärbt. Dann holte er seine Taschenlampe hervor. Gespannt beobachteten ihn die anderen Männer. Als das Licht der Taschenlampe auf den Finger fiel, wurde er unsichtbar. „Dieselbe Substanz wie in den Pflanzen.“ Killing blickte seine Kameraden an. „Das gibt zu denken. Ist es nicht möglich, daß dieser Brei lebt?“ Die Männer hatten schon zuviel Überraschendes gesehen, um diesen Gedanken absurd zu finden. „Ich glaube alles“, sagte Professor Wintrup. „Die Wissenschaft kapituliert. Sie können von mir aus behaupten, dieser ganze Stern sei ein Lebewesen. Die Oberfläche ist die Haut. Sie ist durch Wasser so verletzbar wie unsere Haut durch Säure. Das können Sie alles behaupten. Ich werde Sie nicht auslachen, ich werde Ihnen höchstens recht geben. Sie können auch die These aufstellen, dieser Strom hier sei ein Nervenzentrum. Ich könnte Ihnen noch nicht einmal widersprechen. Was wir bis jetzt erlebt haben, ist so überwältigend, so unfaßbar, daß ich alles für möglich halte.“ Der Strom hatte sich immer noch nicht beruhigt. An der Stelle, wo das Wasser hingespritzt war, brodelte und kochte es. Schwarze Rauchfahnen stiegen auf. „Wie wollen Sie aber erklären, daß ein Teil des Sterns weich und ein anderer hart ist?“ fragte Will Borsh. 34
„Wir haben in unserem Körper auch Stellen, an denen die Knochen dicht unter der Haut sitzen, und diese dadurch nicht nachgibt. Denken Sie an die Kniescheibe, an das Schienbein und vor allem an den Kopf.“ Borsh schüttelte sich. „Bei allem, was wir schon erlebt haben, Professor, scheint mir die Annahme, daß der ganze Stern ein Lebewesen sein soll, doch etwas gewagt.“ „Können Sie mir das Gegenteil beweisen?“ Borsh schaute ihn lange an. „Nein. Das ist es gerade.“ Nach einiger Überlegung sagte er: „Es wäre interessant, festzustellen, ob der Stern, auf dem wir uns befinden, eine Kugel ist.“ Die Männer schwiegen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, doch für jeden waren diese Erkenntnisse einfach unfaßbar. Sie waren die Verhältnisse der Erde gewöhnt. Andere Planeten, wie Mars und Venus, paßten sich diesen Vorstellungen an. Man wußte von den übrigen Satelliten der Sonne, daß die physikalischen Gesetze der Erde auch auf ihnen Gültigkeit hatten. Doch hier? Hier war alles auf den Kopf gestellt. Grundgesetze galten einfach nichts mehr. Mit denken, erklären oder beweisen kam man einfach nicht durch. Es war aussichtslos, diese Ereignisse auf einen bestimmten Nenner zu bringen. Ted Killing brach als erster das Schweigen. „Ich denke, wir gehen weiter. Unser Raumschiff muß nach rechts zu liegen.“ „Da bin ich anderer Meinung“, widersprach Percy Miller. „Wir müssen uns links halten.“ „Das ist doch ganz abwegig“, erregte sich Killing. „Wenn du nur ein bißchen Orientierungsvermögen hast, wirst du wissen, daß wir nach rechts müssen.“ Miller lachte auf. „Ich will mit dir nicht streiten, aber wir müssen links.“ 35
Alle blickten Professor Wintrup an. „Links oder rechts?“ fragte Will Borsh. Professor Wintrup zuckte die Schultern. „Ich weiß es auch nicht. Hier reagiert ja kein Kompaß. Wir werden das Schicksal sprechen lassen.“ Er griff in die Tasche und holte eine Münze hervor. „Wenn die Zahl oben liegt, gehen wir links, wenn das Wappen oben liegt, rechts. Einverstanden?“ Alle nickten. Professor Wintrup warf die Münze hoch.. Sie überschlug sich mehrmals und fiel zu Boden. „Zahl, also links“, meldete Professor Wintrup. Er steckte die Münze wieder ein. Will Borsh setzte die Filmkamera, mit der er die Szene aufgenommen hatte, ab. „Das wird gut, Professor. Eine neue Methode, nach Hause zu finden.“ Professor Wintrup lächelte. „Sie haben schon viel aufgenommen. Hoffentlich ist auf den Filmen auch etwas drauf.“ „Wenn alles klappt, drehe ich den sensationellsten Film aller Zeiten.“ Will Borsh hing den Apparat wieder über die Schulter. Dann setzte sich der Trupp in Bewegung. * John Rey fand keine Ruhe. Eine eigenartige Unruhe trieb ihn hin und her. Dann wieder blieb er stehen und starrte nach draußen. Schließlich hielt er es nicht länger aus und verließ die Rakete. Er ging zu der Stelle, wo Madleine Breed die Entdeckung mit dem Wasser gemacht hatte. Sechs Meter tief war das Loch schon und hatte sich um das Dreifache verbreitet. Immer noch kam der schwarze Qualm aus der Öffnung, und die blauen Flammen reichten bis an den Rand des Loches. 36
John Rey maß die Temperatur. Es waren genau vierundzwanzig Grad. „Hallo, John, finden Sie keine Ruhe?“ Madleine stand auf der obersten Sprosse der Leiter und schaute zu ihm hinunter. John Rey teilte ihr seine Messungen mit. „Es ist eigenartig, daß sich die Kraft des Wassers nicht erschöpft“, meinte sie erstaunt. Er ging langsam zu ihr hin. „Diese Mittel auf der Erde – wissen Sie, was das bedeutet?“ Sie sah ihn fragend an. „Wie meinen Sie das?“ „Überlegen Sie doch einmal: Diese Materie hier in Erdverhältnissen. Das ist genau dieselbe Wirkung, nur mit anderen Vorzeichen. Ich werfe von dem Boden etwas ins Wasser. Können Sie sich die Wirkung vorstellen? Ich bringe mit einer genügend großen Menge die Weltmeere zum Kochen.“ „Hören Sie auf – welche Gedanken!“ rief Madleine. „Oder ich bestreiche meinen Körper mit dem Blut der Pflanzen, dann bin ich auf unserer Erde unsichtbar.“ Er schaute sie starr an. Madleine Breed kniff die Augen zusammen. „Sie denken zuerst an solche Sachen. Ich halte andere Gesichtspunkte für wichtiger. Die Wissenschaft wird einen ungeheuren Schritt vorwärtskommen.“ John Rey winkte mit der Hand ah. „Die Wissenschaft kommt schon nicht zu kurz. Keine Angst.“ Er verfiel wieder in Nachdenken. Schließlich schaute er auf. „Ich gehe auf die Suche nach den anderen. Kommen Sie mit?“ Madleine Breed schüttelte den Kopf. „Ich glaube, es ist besser, wenn jemand hierbleibt. Ich habe ja jetzt eine wirksame Abwehrwaffe, wenn etwas vorkommen sollte. Hoffentlich haben Sie Glück. Ich mache mir auch schon Sorgen.“ 37
„Ich werde immer geradeaus laufen. Wenn unsere Expedition auf meine Spur stößt, muß sie ihr schon wegen der Regelmäßigkeit auffallen.“ Er kletterte in das Raumschiff und schnallte sich einen Verpflegungsbeutel um. Dann füllte er zwei Wasserbehälter. Den einen hing er über die Schulter, den anderen nahm er in die Arme. Ein Strahlengewehr vervollständigte die Ausrüstung. Madleine schaute ihn kopfschüttelnd an. „Sie schleppen sich ja zu Tode, John.“ Er lachte sie an. „Das Wasser wird mit der Zeit weniger. Die Behälter wiegen so gut wie gar nichts. Ich werde mich schon nicht überanstrengen. Habe schließlich lange genug ausruhen können.“ John Rey ging nicht in der Richtung, in der die Expedition aufgebrochen war. Er hielt sich mehr nach rechts. Bald hatte er den äußersten Kreis der von ihnen gelegten Wasserspur erreicht. Rey lief immer weiter. Alle fünfundzwanzig Meter ließ er einen Wassertropfen zu Boden fallen. So schritt er gut zwei Stunden dahin, bis er merkte, daß der Boden fester wurde. Da machte er Rast. Das Gewicht der Wasserbehälter machte sich bemerkbar. In aller Ruhe rauchte Rey seine Zigarette. Es kam ihm etwas eigenartig vor, daß er keiner einzigen Pflanze begegnet war. Schließlich brach John Rew wieder auf. Als sich der Boden plötzlich ziemlich steil nach unten senkte, war der eine Wasserbehälter schon halb leer. Der Untergrund war jetzt ganz hart und mit unregelmäßigen Erhebungen bedeckt. Wie Runzeln, dachte Rey bei sich. Dann stand er vor dem Strom. Er war fast im rechten Winkel auf ihn gestoßen. John Rey erkannte sofort, daß die Flüssigkeit genauso aussah, wie das Blut in der Pflanze. Probeweise spritzte er einen Tropfen Wasser in den Brei. 38
Als die Stichflamme hochschoß, sprang er erschrocken zurück. Dabei stieß er gegen den halbleeren Wasserbehälter, den er zu Boden gestellt hatte. Der Kanister kippte um, das Wasser floß in den Strom. John Rey schloß in Vorahnung dessen, was kam, die Augen und warf sich zu Boden. Ein riesiger Feuerstrahl schoß nach oben, ein leichtes Zittern lief durch den Boden, dann war die ganze Umgebung in schwarzen Rauch gehüllt. John Rey lag auf dem Boden. Er hielt den Kopf zwischen den Händen verborgen. Keuchend ging sein Atem. Der Rauch raubte ihm den Atem. Er fühlte, wie ihm langsam die Sinne schwanden. Noch einmal bäumte er sich auf, dann wurde er ohnmächtig. 5. Kapitel Die kleine Expedition war inzwischen dem Strom nach links hin gefolgt Mehrere Stunden lang liefen sie an dem Ufer entlang, ohne daß sich die Gegend veränderte. Sie begegneten keinem Lebewesen. Trotzdem war die Helligkeit in der Luft immer noch unvermindert. Endlich machten die Männer wieder Rast. „Mich würde interessieren, wie breit der Strom ist“, sagte Ted Killing. „Mich würde noch viel mehr interessieren, wo wir hier hinkommen“, antwortete ihm Percy Miller bissig. „Es ist kein Grund zur Aufregung vorhanden“, beschwichtigte Professor Wintrup. „Wir haben genug Konzentrattabletten dabei. Verhungern können wir nicht. Auch unser Wasser können wir für den Notfall sparen. Solange wir an dem Strom entlangmarschieren, brauchen wir keine Markierungen. Einmal finden wir unsere Rakete schon wieder.“ „Wenn sie noch da ist“, brummte Ted Killing. „Genauso, wie 39
uns dieser seltsame Stern angezogen hat, kann er auch auf die Idee kommen, uns wieder abzustoßen.“ „Sie haben eine rege Phantasie“, tadelte ihn Professor Wintrup. „Wenn Sie sich alles hier betrachten, ist das Unwahrscheinlichste ganz normal.“ „Das stimmt, trotzdem wollen wir nicht gleich das Schlimmste annehmen. Das mit dem Wasser hätten wir früher merken müssen, dann hätten wir es einfacher gehabt.“ „John ist ein findiger Kopf,“ beschwichtigte Miller. „Vielleicht hat er die Sache auch schon entdeckt und legt jetzt Fährten, damit wir zum Raumschiff zurückfinden.“ „Ein schwacher Trost“, knurrte Killing, „darauf möchte ich mich nicht verlassen.“ Will Borsh kam herbeigestürzt. Er war, als die anderen rasteten, noch etwas weiter den Strom entlang gegangen. „Ich habe etwas entdeckt!“ rief er schon von weitem. „Kommt schnell.“ Die Männer sprangen auf. „Was gibt es?“ fragte Professor Wintrup. „Hundert Meter von hier ist eine hohe Wand. Der Strom verschwindet in einer Höhle.“ „Da müssen wir sofort hin.“ Professor Wintrup gab seinen Leuten einen Wink. Sie eilten hinter Borsh her. Dann standen sie vor der Wand. In einem hohen Bogen wölbte sich die Öffnung, in der der Strom verschwand. Was dahinter kam, war nicht zu erkennen. „Gehen wir hinein?“ fragte Borsh. „Natürlich!“ rief Professor Wintrup. „Hier an der Seite können wir gehen.“ Der wissenschaftliche Eifer hatte ihn ergriffen. Der Weg, der neben dem Strom in das Innere der Höhle führte, war gut einen Meter breit Langsam schritt Professor Wintrup 40
voran. Seine Begleiter folgten ihm, einer hinter dem anderen. Das Licht war hier viel heller und intensiver, und trotzdem konnte man nicht weiter als zwanzig Meter sehen. Nachdem die Männer ungefähr eine Viertelstunde vorwärtsgedrungen waren, wurde die Höhle plötzlich viel breiter. Auf beiden Seiten stiegen Terrassen an, die ebenfalls mit dem roten Brei gefüllt waren. Auf den Begrenzungen konnte man gehen. Professor Wintrup blieb stehen. „Unheimlich“, flüsterte er. „Diese Stille, und doch fühlt man irgendwie, daß hier alles lebt.“ „Sie haben recht“, pflichtete ihm Borsh bei. „Das Ganze kommt mir wie ein Gehirn vor, in dem neues Leben erzeugt wird.“ Da der Strom jetzt direkt an die unterste Terrasse angrenzte, erkletterten die Männer mehrere der nur zwei Meter breiten Stufen und gingen auf der schmalen Abgrenzung weiter. „Wie eine richtige Bewässerungsanlage“, flüsterte Killing. Der Schall seiner Worte wurde in mehrfachem Echo überlaut zurückgeworfen. Nach einer weiteren Viertelstunde erreichten sie einen Damm, der quer über den Fluß führen mußte. Er erhob sich nur wenige Zentimeter über der Oberfläche des Breies, war aber gut fünf Meter breit. „Das muß doch von Lebewesen angelegt worden sein“, sagte Professor Wintrup. „Diese regelmäßigen Formen in ihrer Vielfalt und Zweckmäßigkeit kann die Natur nicht erzeugen.“ „Kann man hier überhaupt von einer Natur sprechen?“ fragte Borsh zurück. „Es kommt darauf an, mit welchen Maßstäben wir messen.“ „Mit unseren Maßstäben kommen wir auf keinen Fall weiter. Gehen wir über den Damm?“ Professor Wintrup zögerte. „Ich weiß nicht recht.“ „Warum auch nacht“, schaltete sich Ted Killing ein. „Ich 41
nehme an, daß wir das Zentrum erreicht haben. Vielleicht finden wir drüben neue Dinge.“ „Gut, gehen wir“, entschied Professor Wintrup. „Wir müssen aber äußerst vorsichtig sein.“ * Madleine Breed bekam es doch mit der Angst zu tun, als sie allein zurückgeblieben war. Sie setzte sich an das Fenster und starrte über das Gebiet. Minute um Minute verging, Viertelstunde um Viertelstunde. Schließlich stand sie auf und ging ins Labor, wo das abgetrennte Pflanzenblatt hingebracht worden war. Sie öffnete das Fenster und stellte einen Spiegel auf. Das reflektierte Licht fiel auf den Tisch, wo das Blatt lag. Es wurde sichtbar. Das Blatt war drei Meter lang und flach zusammengefallen. Als es Madleine aufheben wollte, stellte sie fest, daß es vollkommen steif war. Sie versuchte es mit einem Skalpell aufzutrennen. Es gelang ihr nicht. Wasser wollte sie nicht nehmen, um nicht das ganze Blatt zu zerstören. Erst mit der Säge gelang es ihr, das Blatt zu teilen. Madleine konnte kein Zellengewebe finden. Das Blatt bestand lediglich aus einem Hohlraum, der vorher mit der roten Masse angefüllt gewesen sein mußte, und einer zwei Zentimeter dicken, nur schwer verletzbaren Haut. Dieser rote Brei, von dem ihr John Rey erzählt hatte, mußte, wenn es sich um Lebewesen handelte, die Funktionen des Knochenbaues, des Nervensystems und der Muskeln ausüben. Es war auf jeden Fall wichtig, etwas von dieser Substanz zu erhalten. Madleine Breed überlegte nicht lange, sie nahm die Säge und verließ das Raumschiff. Draußen lagen noch die getöteten Pflanzen. Vielleicht hatte sie hier Glück. 42
Vorsichtig ging sie an die Pflanzen heran, die in einem wirren Knäuel auf dem Boden lagen. Sie zerrte an den steifgewordenen Blättern herum. Es war eine mühevolle Arbeit, Ordnung in diesem Durcheinander zu schaffen. Doch ihre Ausdauer wurde belohnt. Inmitten der Pflanzen fand sie ein ganz kleines, noch lebendes Gewächs. Das mußte ein Junges sein. Es war nur zwanzig Zentimeter groß. Madleine eilte in das Raumschiff zurück, holte einen Glasbehälter und eine Zange. Als sie wieder vor das Schiff kam, hatte sich die kleine Pflanze, nun nicht mehr durch die Toten behindert, schon einige Meter entfernt. Madleine stellte das Glas mit der offenen Seite vor sie hin. Sofort hielt die Pflanze an, die Leuchtpunkte auf den Blättern verschwanden. Madleine nahm das kleine Geschöpf und schob es vorsichtig in den Behälter. Dann kippte sie ihn um. Die kleine Pflanze war auf den Rücken gefallen, und nun konnte Madleine auch erkennen, wie sich das Wesen bewegte. Die graubraunen Blätter endeten in einer Kugel, und unter dieser Kugel befanden sich winzige Auswüchse, die wie Wurzeln aussahen. Diese Wurzeln bewegten sich sehr schnell hin und her. Wenn Madleine Breed ihr Ohr an das Glas hielt, konnte sie ein leises, helles Zischen hören. Schnell trug sie ihre Beute zur Rakete zurück, verschloß sorgfältig die Einstiegluke und brachte das Glas ins Labor. Sie stellte es in das von außen einfallende Licht und drehte das Gewächs wieder auf die Beine. Sofort richtete das unheimliche Lebewesen seine Blätter, es waren genau zwölf, steil in die Höhe. Alle Lichtpunkte erglühten. Madleine Breed beobachtete genau, was sich abspielte. Die Pflanze versuchte aus dem Glas zu entkommen. Es gelang ihr natürlich nicht. Die Wände waren zu glatt und hoch. Schließlich legte sie die Blätter flach auf den Boden und blieb regungslos 43
liegen. Nur die Lichtpunkte glühten noch. Das Zischen verstummte. Madleine berührte das Geschöpf mit einem Stock. Es bewegte sich nicht mehr. Ist das nun eine Pflanze oder ein Tier? überlegte Madleine. Sie versuchte, sich darauf Antwort zu geben. Es muß ein Tier sein, obwohl es wie eine Pflanze aussieht. Eine Pflanze kann sich nicht bewegen, sie kann keine Töne von sich geben, und sie kann nicht denken. Das Wesen vor ihr konnte offensichtlich denken, wenn auch primitiv. Es reagierte auf Gefahr. Von was ernährte es sich wohl? Madleine steckte sich eine Zigarette an. Nachdenklich schaute sie in das Glas. Ihre Gedanken arbeiteten weiter. Wenn es ein Tier wäre, müßte es bei dieser Stufe ein Skelett haben. Wie vermehrten sich diese Tiere, oder waren es doch nur höherentwickelte Pflanzen? Wo kamen die Zischlaute her? Die Leuchtpunkte könnten Augen sein, sie saßen aber ohne feste Verbindung zum Inneren auf der Oberhaut. Der rote Stoff, daß mußte des Rätsels Lösung sein. Ohne eigentliche Absicht blies Madleine etwas Rauch in das Glas. Sofort fuhr das Geschöpf hoch, reckte zitternd die Blätter in die Höhe und fiel wieder in sich zusammen. Die Lichtpunkte erloschen. Madleine war erschrocken zurückgefahren. Was war das nun wieder? War die Pflanze durch dem Rauch betäubt worden, oder war sie sogar tot? Wer konnte das wissen? Madleine beschloß, zuerst einmal abzuwarten. Sie legte einen Deckel auf das Glas, schloß das Fenster und ging in die Zentrale zurück. Dort setzte sie sich in einen der Liegesessel. Minuten darauf war sie eingeschlafen. *
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John Rey erwachte mit einem dumpfen Gefühl im Kopf. Er stützte sich auf die Ellbogen. Vor ihm brodelte der rote Brei. Schwarze Rauchwolken stoben nach oben, bläuliches Feuer zuckte hin und her. Langsam stand Rey auf und suchte seine Ausrüstungsgegenstände zusammen. Den leeren Wasserbehälter nahm er ebenfalls mit. Dann setzte er seinen Weg fort. Zwei Stunden war er unterwegs, da erreichte er die jäh aufsteigende Wand, auf die auch Professor Wintrup mit seinen Leuten gestoßen war. Der Vorsprung der Expedition war nicht mehr groß, denn die vier Männer waren viel weiter unten auf den Strom gestoßen. Sie waren in einem großen Bogen marschiert, während John Rey geradlinig den Strom erreicht hatte. So war er auch unterhalb der Stelle an den Fluß gekommen, wo Percy Miller das Wasser in den Brei gespritzt hatte. John Rey ahnte deshalb nicht, wie nahe er den Gesuchten war. John Rey hielt an und betrachtete den Durchlaß, in dem der Strom verschwand. Er setzte den leeren Wasserbehälter ab und wollte in die Höhlung eintreten, als sich plötzlich vor ihm eine blendend helle Lichtwand erhob. Es war wie ein undurchsichtiger, flimmernder Vorhang, der sich, den Eingang der Höhle ausfüllend, vor Rey ausbreitete. John Rey blieb zögernd stehen. Hinter diesem Lichtschirm verbarg sich bestimmt ein Geheimnis. Vielleicht gar die Lösung des Rätsels um diesen Stern? Rey ergriff sein Strahlengewehr. Mit Wasser wollte er es nicht sofort versuchen, das war ihm im Augenblick doch etwas zu gefährlich. John Rey ging langsam auf den Vorhang zu. Die Ausstrahlung wurde intensiver, heller, obwohl sie nicht blendete. Da hob Rey sein Gewehr. Er schoß von der Hüfte aus. Die Wand riß auf, schloß sich aber sofort wieder. John Rey schoß noch einige Male auf die Wand. Er hörte einen tiefen Summton, konnte aber den Leuchtvorhang nicht durchbrechen. 45
John Rey preßte die Lippen zusammen. Der Widerstand reizte ihn. Er nahm seinen zweiten Wasserbehälter vom Rücken und öffnete den Verschluß. Dann füllte er etwas in eine leere Flasche ab und schnallte den Behälter wieder um. Bis auf fünf Meter ging er an den Eingang heran. Dann tauchte er seine Hand in das Wasser. Mit einem Schlag war es dunkel. Nur noch ein ganz mattes phosphoreszierendes Leuchten lag in der Luft. John Rey fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er glaubte zu träumen. Was waren das nur für Wesen, die diesen Stern bewohnten? Waren es hochentwickelte, intelligente Lebensformen, die hier ihre Macht vor ihm zeigten? Plötzlich packte ihn eine übermächtige Wut. Entschlossen schritt er auf den Eingang zu. Er würde das Geheimnis lüften. In dem trüben Licht konnte er gerade noch den Pfad erkennen, der innerhalb der Höhle neben dem Strom herführte. Als Rey mehrere Meter eingedrungen war, erschien wie von Zauberhand plötzlich wieder hinter ihm das Leuchten. Es folgte ihm immer im gleichen Abstand. Und noch eines bemerkte Rey: Der rote Brei schob sich hinter ihm über den Uferrand und stieg bis zu einem halben Meter Höhe an. John Rey ließ einen Tropfen Wasser auf den Boden fallen und schritt weiter. Der rote Brei ließ sich aber nicht aufhalten. Er wich der Stelle, auf die das Wasser gefallen war, aus und schob sich dahinter wieder auf den Gang zu. Auch die Lichtwand wich der für sie tödlichen Rauchfahne aus. Es schüttelte John Rey. Eine denkende Flüssigkeit und denkendes Licht! Das war zu hoch für ihn, das war unheimlich. Er dachte aber trotzdem nicht an eine Umkehr. Mit zusammengekniffenen Lippen lief er weiter. Dabei ließ er immer in bestimmten Abständen einige Tropfen Wasser auf den Boden fallen. Dadurch zwang er den Strom, in seinem Bett zu bleiben. Dann erreichte Rey die Terrassenanlage. Hier wurde es wie46
der heller. Staunend blieb er stehen. Diese Anlage war so exakt errichtet, daß sie nur von einem Lebewesen mit Händen und Füßen gestaltet sein konnte. Es war für Rey unvorstellbar, daß sich solche Formen aus sich selbst heraus bilden sollten. Auf dem schmalen Grat der ersten Terrasse schritt John Rey weiter. Die Leuchtwand blieb zurück. Eine unheimliche Stille lagerte in dem Gewölbe. Man konnte, obwohl es sehr hell war, keine Seitenwand, keine Decke, kein Ende sehen. Immer weiter tappte John Rey ins Ungewisse hinein. Dann erreichte er den Damm. War hier der Mittelpunkt? Rey wurde von einer fieberhaften Unruhe befallen. Er stand vor der Lösung des Rätsels. Instinktiv fühlte er, daß die Entscheidung vor ihm lag. Energisch betrat er den Damm. 6. Kapitel Professor Wintrup war mit seinen Männern schon über eine halbe Stunde unterwegs und immer noch war das Ende des Dammes nicht abzusehen. „Welch eine ungeheure Anlage“, wandte er sich an den dicht hinter ihm gehenden Will Borsh. „Wenn man sich überlegt, was das für eine Höhle sein muß“, antwortete dieser. „Und der Strom! Es kann ja sein, daß dies hier eine Art See ist, aber trotzdem – alles ist gigantisch.“ „Da können wir mit unserer Erde nicht mehr mitkommen.“ „Man darf keinen Vergleich ziehen. Damit kommt man nicht weit.“ Borsh nickte. „Es ist überwältigend. Ich möchte nur wissen, wer hierfür verantwortlich zeichnet. Hätten Sie gedacht, daß so etwas überhaupt existieren kann?“ „Nie, in meinen kühnsten Träumen nicht. Für uns sind Elek47
tronen und Atome das Höchste der Gefühle. Aber lebende Materie, das ist genauso, als wenn sich bei uns plötzlich die Berge auf Wanderschaft begeben würden.“ „Oder die Flüsse würden zu schreien anfangen, wenn man baden will.“ „Kinder, ihr habt einen unverwüstlichen Humor“, ließ sich von hinten Ted Killing vernehmen. „Hoffentlich kommen wir bald irgendwohin, sonst platzt bei mir der Kragen.“ Die Männer sollten nicht mehr lange im Ungewissen bleiben. Plötzlich verbreiterte sich der Damm nach beiden Seiten, fast im rechten Winkel. Professor Wintrup blieb stehen und wandte sich um. „Entweder haben wir jetzt die andere Seite erreicht, oder wir befinden uns im Zentrum.“ „Oder es ist etwas ganz anderes“, fügte Ted Killing skeptisch hinzu. „Oder es ist überhaupt nichts.“ Percy Miller kniff die Augen zusammen. Professor Wintrup schüttelte unwillig den Kopf. „Wir wollen uns jetzt nicht …“ „Da – seht!“ wurde er von Will Borsh unterbrochen. Alle Blicke folgte dessen ausgestreckter Hand. Aus dem Nebellicht vor ihnen schälten sich zwölf seltsam geformte Gebilde heraus. Sie kamen langsam näher und verhielten in zehn Meter Abstand vor den Männern. Die Wesen bestanden aus zwei ungefähr zwanzig Zentimeter großen Kugeln, die durch einen armdicken Schlauch miteinander verbunden waren. Jede der Kugeln besaß für sich vier dünne, kurze Auswüchse, mit denen sie sich fortbewegten. Aus der vorderen Kugel kam oberhalb ein fünfzig Zentimeter langes, bindfadendünnes Glied heraus, auf dem eine Kugel von der Größe einer Faust saß. Während die beiden größeren Kugeln und der Verbindungsschlauch blaugelb leuchteten, erstrahlten 48
die kleinen Kugeln, die wahrscheinlich, als Kopf dienten, in einem dunklen Grün. Professor Wintrup holte tief Luft. „Ich glaube, es ist soweit. Ich habe mir diese Begegnung zwar etwas anders vorgestellt, doch ich wundere mich nicht mehr. Jedenfalls müssen wir es mit intelligenten Wesen zu tun haben.“ Seine Gestalt straffte sich, er schritt auf die Fabelwesen zu. Ihre grünen Köpfe bewegten sich in schaukelnden Bewegungen hin und her. Dabei war ein ganz hoher, rhythmisch an- und abschwellender Ton zu hören. Als Professor Wintrup bis auf drei Meter an sie herangekommen war, verfärbten sie sich plötzlich dunkelrot. Professor Wintrup blieb stehen und wartete. Er ließ sich keine Bewegung der Gebilde entgehen. Die Rotfärbung war bestimmt ein Warnungszeichen. Er ging einen Schritt zurück, sofort, nahmen die Doppelkugeln wieder ihre ursprüngliche Färbung an. Die drei Männer traten neben Professor Wintrup. „Das Pfeifen muß ihre Sprache sein“, meinte Will Brosh. „Ich werde verrückt!“ stieß Ted Killing hervor. „Die haben uns doch erwartet. Mal sehen, ob sie über alles informiert sind.“ Er nahm seine Wasserflasche hervor und öffnete sie. Sofort erloschen die Gestalten. Killing steckte die Flasche wieder weg. „Was sagen Sie nun?“ „Sie trauen uns nichts Gutes zu. Wie können wir ihnen nur begreiflich machen, daß wir mit friedlichen Absichten kommen?“ Professor Wintrup dachte angestrengt nach. „Ich hab’s!“ ’rief er plötzlich. „Wir legen unsere Wasserflaschen auf den Boden. Sie halten sie für unsere Waffen. Vielleicht verstehen sie uns.“ Die Männer schnallten ihre Flaschen ab und legten sie hinter sich auf den Boden. Mit erregt hin und her schaukelnden Köp49
fen verfolgten die Wesen die Vorgänge. Doch als Professor Wintrup einen Schritt auf sie zutrat, verfärbten sie sich sofort wieder rot. „Sie verstehen uns nicht“, sagte Professor Wintrup und drehte sich um. „Oder sie wollen nicht“, rief Ted Killing erbost. „Ich sehe nicht ein, daß wir uns einen faulen Zauber vormachen lassen sollen. Wenn sie uns nicht freiwillig den Weg freigeben, dann zwingen wir sie einfach dazu.“ Er bückte sich und hob seine Wasserflasche wieder auf. Auch die anderen folgten seinem Beispiel. Sie wollten nicht auf ihre beste Waffe verzichten. „Keine Überstürzung, meine Herren“, warnte Professor Wintrup. „Wir wissen nicht, ob wir wirklich die Stärkeren sind.“ „Meine Geduld ist zu Ende.“ Ted Killing war nicht mehr zu bändigen. „Wenn das Wasser alle ist, haben wir noch unsere Gewehre. Die sind auch wirkungsvoll, wie wir gesehen haben.“ Er ging auf die Wesen zu und ließ sich durch ihre Verfärbung nicht aufhalten. Etwas zögernd folgten ihm die anderen. Die Kugelgestalten wichen mit erstaunlicher Schnelligkeit zurück, wobei ihre Körper Regenbogenfarben annahmen. Nur der Kopf blieb dunkelgrün. Das seltsame Pfeifen verstärkte sich, es lag den Männern unangenehm in den Ohren. Percy Miller steckte die Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus. Mit unheimlicher Lautstärke kam der Ton zurück. Die Fabelwesen erstarrten. Sie bewegten sich auch nicht, als die Männer ganz dicht an sie herankamen. „Eine neue Waffe!“ triumphierte Miller. „Man ist hier nicht nur gegen das Waschen empfindlich, sondern auch gegen das Pfeifen. Die Gespenster werden mir direkt sympathisch.“ „Mir ist, ehrlich gesagt, nicht zum Scherzen zumute“, ermahnte ihn Professor Wintrup. „Das Ganze ist so unheimlich, so unfaßbar, daß ich bald an. meinem Verstand zweifle.“ 50
„Ich warte auch darauf, daß ich jeden Moment in meinem Bett aufwache und feststellen muß, daß alles nur ein Traum war“, pflichtete ihm Will Borsh bei. „Ich kann es einfach nicht glauben.“ „Dann träumt von mir aus weiter!“ brummte Ted Killing. „Ich jedenfalls bin hellwach.“ Er ging au einer der Kugelgestalten und berührte sie. Das Wesen blieb steif. Er kippte es auf die Seite. „Das Gespenst ist mausetot“, verkündete er. „Du bist ein gewaltiger Streiter, Percy. Zwölf Geister auf einen Pfiff! Wollen wir so ein Ding mitnehmen?“ Er hob eine Doppelkugel auf. „Es ist federleicht.“ Die Männer umdrängten ihn und betasteten das Wesen. Die Außenhaut war hart und besaß noch alle Farben. Auch der Kopf war eine feste Masse. „Innen haben sie bestimmt nur diese rote Brühe“, behauptete Miller. „Knochen scheint man hier überhaupt nicht zu kennen.“ Sie leerten eine der Tragtaschen und verteilten den Inhalt auf die anderen. Dann packten sie das Wesen in die leere Tasche. „Gehen wir weiter!“ ordnete Professor Wintrup an. „Hoffentlich hat das Zwischenspiel keine Folgen.“ Sie brauchten nur wenige Schritte zu gehen, bis sie an eine kreisrunde Öffnung von zwanzig Meter Durchmesser kamen, die in den Boden hineinführte. An der Außenseite der Öffnung befand sich ein schmaler Pfad, der nach unten verlief. Er war breit genug, daß ein Mann darauf gehen konnte. „Ich glaube, das ist des Pudels Kern“, ließ sich Percy Miller vernehmen. „Rein oder nicht rein – das ist hier die Frage“, versuchte Ted Killing einen Witz. Professor Wintrup schaute seine Leute an. „Was ist, wollen wir?“ Will Borsh schob die Unterlippe vor. 51
„Es sollte ein Mann zurückbleiben. Sicher ist sicher.“ „Wollen Sie hierbleiben?“ fragte ihn Professor Wintrup. „Wenn Sie mich so fragen, bestimmt nicht.“ „Wer bleibt freiwillig hier oben?“ Niemand meldete sich. „Wir können doch ruhig zusammen gehen“, sagte Percy Miller, „dann zersplittern wir ums auch nicht.“ „Gut“, entschied Professor Wintrup, „setzen wir alles auf eine Karte.“ Als erster beschritt er die Spirale. Sie gingen nur langsam nach unten. Der Weg war glatt und ziemlich steil, und wenn man abstürzte, wußte man nicht, wo man ankam. * Madleine Breed hatte einige Stunden geschlafen, dann war sie zum Funkgerät gegangen und hatte nachgesehen, ob ein Anruf registriert war. Mit Enttäuschung sah sie, daß sich die Expedition noch nicht gemeldet hatte. Schließlich ging sie wieder ins Labor. Sie öffnete das Fenster und richtete den Spiegel. Die Pflanze lag immer noch zusammengesunken auf dem Boden des Glases. Madleine stieß sie mit einem Stab an. Sie rührte sich nicht. Sie faßte sich ein Herz, griff in den Behälter und holte die Pflanze heraus. Die Blätter waren nicht steif, sondern ließen sich leicht bewegen. Ob die Pflanze nur betäubt war? War es überhaupt eine Pflanze? Es half alles nichts, Madleine mußte dem Geheimnis auf die Spur kommen, sie würde sonst keine Ruhe finden. Sie holte einen elektrischen Bohrer. Mit einem anderen Mittel war der harten Außenhaut der Blätter nicht beizukommen. Und abhacken kam ihr seltsamerweise wie eine Verstümmelung vor. Eine Verstümmelung an einem anderen Lebewesen. 52
Madleine Breed spannte einen ganz dünnen Bohrer ein und setzte die Maschine ganz am Blattende an. Es war trotzdem sehr schwer, die ungeheuer widerstandsfähige Außenhaut zu durchdringen. Die Pflanze blieb regungslos liegen. Auch als der Bohrer die Haut durchdrang, rührte sie sich nicht. Madleine zog den Bohrer wieder zurück. Ein kleiner, roter, sirupartiger Tropfen quoll aus der Wunde. Madleine strich ihn mit einem Glasplättchen ab und brachte die Flüssigkeit unter ein Mikroskop. Sie traute ihren Augen nicht, als sie durch die Linse sah. In einer wasserhellen Flüssigkeit schwammen winzige rote, kugelrunde Körperchen, die dicht behaart waren. Das Seltsamste daran war aber, daß sich diese Körperchen in Wabenform angeordnet hatten. Es sah aus wie das Maschennetz eines Drahtzaunes. Madleine ging zu der Pflanze zurück, wo ein neuer Tropfen aus der Öffnung gequollen war. Sie strich diesen ebenfalls ab und verschloß das Loch mit einem Pfropfen. Nun wollte sie noch das Verhalten dieser Masse bei Berührung mit Wasser nachprüfen. Sie füllte ein Reagenzglas mit Wasser und tauchte den Stab in das Glas. Eine Stichflamme schoß empor. Aufschreiend taumelte Madleine zurück. Das Glas zerbarst ihr in der Hand; dichter, schwarzer Rauch quoll auf. Madleine hob abwehrend ihre Hände. Dann rannte sie schnell aus dem Labor und schloß die Tür hinter sich zu. Aufatmend blieb sie stehen und betrachtete ihre blutende Hand. Zum Glück hatten sie die Splitter des Reagenzglases nicht im Gesicht verletzt. Madleine Breed schüttelte den Kopf. Ihre Hand wies keinerlei Verbrennungen auf. Es waren nur die Glassplitter gewesen, die sie verletzt hatten. Die Explosion war völlig ohne Wärmeentwicklung vor sich gegangen. 53
Eine Explosion ohne Wärme. Kaltes Feuer! Das, wonach die Wissenschaftler der Erde schon seit Generationen suchten. Hier war es eine Naturgegebenheit. Madleine schaltete die Lüftung für das Labor ein und verband sich notdürftig. Sie hatte viel nachzudenken. War es wirklich das Wasser, die Verbindung von H2O, die dieses Phänomen hervorbrachte, oder spielten hier gewisse Spurenelemente mit? Der schwarze Stern, den sie entdeckt hatten, besaß auch eine Lufthülle mit denselben Grundstoffen, nämlich Wasserstoff und Sauerstoff. Und diese beiden Elemente sollte es nicht in der Verbindung von Wasser geben? Dann lebten alle Wesen auf diesem Stern sozusagen auf einem Pulverfaß. Und noch etwas war äußerst rätselhaft und mit menschlichen Maßstäben nicht zu messen. Jedes Tier, jede Pflanze braucht Sauerstoff, um leben zu können. Dieser Sauerstoff war auch hier vorhanden. Wie aber wurde er erzeugt? Wie nahmen diese seltsamen Gebilde, die wie Pflanzen aussahen und doch Tiere zu sein schienen, den Sauerstoff auf? Wie verarbeiteten sie ihn? Was schieden sie aus? Madleine hatte bei der Untersuchung der Luft keine Kohlensäure feststellen können. Bei genauester Untersuchung der kleinen Pflanze hatte sie keine Öffnung in der Außenhaut gefunden. Die Gewächse benötigten also anscheinend keinen Sauerstoff. Warum war er dann vorhanden, und wo kam er her? Von was lebten diese Pflanzen überhaupt? Madleine Breed fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sie durfte nicht mehr nachdenken. So etwas Unfaßbares riß an ihren Nerven. Auf den Kopf gestellte, erdgewohnte Naturgesetze, und keine Möglichkeit ihrer Enthüllung. Eines leuchtete ihr allerdings ein: Einen direkten Atmungsvorgang wie bei den Menschen konnte es hier nicht geben. Durch das Atmen wurde Wasserdampf erzeugt, und das glich unter den hiesigen Voraussetzungen einer Atomreaktion. Madleine Breed stellte die Lüftung zum Labor ab und öffnete 54
die Tür. Der Raum war wieder rauchfrei, doch die Pflanze und die Blutprobe unter dem Mikroskop hatten sich in Nichts aufgelöst. Madleine schloß das Fenster. Sie war entschlossen, ihre Experimente fortzusetzen und wollte dabei nicht auf die Rückkehr der Männer warten. Sie wollte dem Geheimnis dieses Sterns der Rätsel auf die Spur kommen. Sie öffnete die Aussteigluke und setzte einen Fuß auf die Leiter. Sie stockte. Sämtliche Rauchfahnen waren verschwunden. Der ganze Boden um die Rakete war von einer grünen Masse bedeckt, die ein phosphoreszierendes Leuchten ausstrahlte. An den Stellen, wo das Wasser auf den Boden gefallen war, bildeten sich große Blasen, die sich vom Boden lösten und nach oben schwebten. Der Stern wehrte sich. War das die Einleitung zu einem Angriff? Madleine Breed ging sofort zurück, holte einen Stab und kletterte nach unten. Die grüne Masse hatte die beiden untersten Stufen der Leiter schon ganz bedeckt. Mit dem Stab stach sie in die grüne Substanz, was ohne Schwierigkeit möglich war. Sie zog den Stab zurück und eilte wieder nach oben ins Labor. Das erste, was sie feststellte, war, daß die neue Masse auch im Licht der Lampen sichtbar blieb. Schnell füllte Madleine einen Glasbehälter mit Wasser und tauchte den Stab vorsichtig hinein. Es geschah nichts. Sie brachte etwas auf ein Glasplättchen und schob es unter das Mikroskop. Das Bild zeigte eine wäßrige Flüssigkeit, in der kleine, grüne Kugeln in schneller Bewegung hin und her schwammen. Madleine Breed arbeitete fieberhaft. Sie mußte ein Mittel finden, das diesen grünen Brei vernichtete. Es war ihr vorhin nicht entgangen, daß sich rings um die Rakete ein Hügel aufgewölbt hatte, der immer noch anstieg. Dieser grüne Sirup würde also mit der Zeit das Raumschiff vollkommen umschließen. 55
Und dann waren sie und die Männer verloren. Außerdem wurden alle Spuren, die zur Rakete führten, vernichtet. Die Wissenschaftlerin hatte schon alle verfügbaren Chemikalien angewandt. Sogar Fluorsäure hatte nichts ausrichten können. Dann versuchte es Madleine mit allem, was sie gerade fand, selbst Zucker und Salz probierte sie. Auf der Erde hätte sie über solche Versuche gelacht, hier kam es ihr durchaus nicht lächerlich vor. Auf diesem unheimlichen Stern war alles möglich. Doch ihre Bemühungen waren umsonst. Kein Mittel half. Madleine biß die Zähne zusammen. Sollte das das Ende sein? Sie nahm sich ein Strahlengewehr und ging zur Einstiegluke zurück. Das neue Element hatte schon die fünfte Stufe der Leiter erreicht und kletterte immer noch höher. Unmittelbar in Madleines Nähe stieg einer der rauchgefüllten Ballons auf. Sie schoß danach. Der Ballon platzte auf und ließ den Rauch frei. Die grüne Masse fiel auf den Boden zurück. Da schoß Madleine nach unten in den Brei. Er spritzte auseinander, schloß sich aber sofort wieder. Schuß um Schuß jagte Madleine im Halbkreis vor sich auf den Boden. Sie merkte, wie der Zufluß etwas nachließ, wie die Masse in ihrer Bewegung innehielt, doch das war auch alles, was sie erreichte. Mit einer müden Bewegung fuhr sie sich über die Haare. Wenn wenigstens die Männer dagewesen wären. Sie fühlte sich so unendlich einsam und verlassen, so hilflos. Plötzlich sprang sie entsetzt auf. Da, in der Ferne schob es sich über den grünen Teppich heran. Die Pflanzen kamen. Die Luft war von einem durchdringenden Zischen erfüllt. Mit hochaufgerichteten Blättern gingen die Pflanzen zum Angriff vor. Eine unübersehbare Schar. Madleine Breed eilte in die Zentrale. Sie öffnete auch die drei übrigen Fenster der Kanzel und hatte nun Ausblick nach allen Seiten. Sie war jetzt ganz ruhig. Die Pflanzen hatten den 56
inneren Kreis der Wassersperre erreicht. Die Sicht war plötzlich ausgezeichnet. Man konnte gut hundert Meter weit sehen. Madleine Breed hob das Gewehr. Sie zielte auf eine sich bildende Blase, um die herum die Pflanzen zum Angriff gingen. Die Entscheidung war gekommen. 7. Kapitel John Rey betrat vorsichtig den Damm und schritt ganz langsam auf ihm entlang. Zur Vorsicht spritzte er auch hier in bestimmten Abständen einige Wassertropfen auf den Boden. Sofort bildete sich der rätselhafte Rauch und stieg nach oben in das undurchsichtige Flimmern. Plötzlich stockte Rey. Ein schriller Pfiff klang auf. Er kam von vorn. Den Pfiff kannte er. Das war Percy Millers Zeichen. Also mußten seine Kameraden vor ihm sein. John Rey steckte zwei Finger in den Mund und wollte ebenfalls pfeifen, da stutzte er. Aus dem roten Brei zu beiden Seiten hoben sich grüne, leuchtende Kugeln. Sie saßen auf langen, bindfadendünnen Hälsen. John Rey starrte fassungslos auf diese, in rhythmischen Bewegungen hin und her schwankenden Gebilde. Was sollte das nun bedeuten? Körper waren nicht zu sehen, nur tanzende, zuckende Kugeln, die sich einen halben Meter über den Brei erhoben. John Rey wollte schon die Hand in den Wasserbehälter tauchen, zögerte aber doch. Wer wußte, was das Wasser hier für eine Wirkung hatte. Er nahm sein Strahlengewehr, zielte auf einen Kopf und schoß. Die grüne Kugel platzte auseinander und löste sich auf. Der bindfadendünne Hals zuckte noch einige Male hin und her und versank. Rey traf einen zweiten Kopf, einen dritten und einen vierten. Dann verschwanden alle übrigen Kugeln. 57
John Rey wischte sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. Er mußte seine ganze Energie zusammennehmen, um nicht in wilder Panik davonzulaufen. Plötzlich fühlte er, wie einsam er war und was für ein Wagnis er auf sich genommen hatte. Er dachte an Madleine. War es nicht unverantwortlich gewesen, das Mädchen allein zu lassen? Was mochte inzwischen bei dem Raumschiff geschehen sein? Mit einem wilden Schrei machte sich John Reys Erregung Luft. Plötzlich riß der leuchtende Nebel auf. Nach allen Seiten war klare Sicht vorhanden. Weit vor sich erkannte John Rey eine Insel, zu der der Damm hinführte. Über sich, in zweihundert Meter Höhe, sah er die Decke des Gewölbes. Lange Zapfen hingen von ihr herab, aus deren unteren Enden der rote Saft tropfte. John Rey schüttelte sich. Es war wie ein Traum, wie ein verwirrender, erstickender Albtraum. Wo gab es auf der Erde etwas Ähnliches? Welche menschliche Phantasie hätte sich so etwas vorstellen können? Der schwarze Stern stellte das ganze, durch Jahrtausende erworbene menschliche Wissen auf den Kopf. Würde man ihnen das überhaupt glauben, wenn sie zurückkehrten? John Rey schritt schneller aus. Er wollte seine Kameraden finden. Das Alleinsein wurde ihm unheimlich. Er erreichte die Insel und sah den Eingang nach unten. Doch vorher entdeckte er die elf erstarrten Doppelkugeln. Er kniete nieder und betrachtete die Gestalten. Er wußte nicht, wie er sich diesen Fund erklären sollte. Er war aber ein Beweis dafür, daß Professor Wintrup mit den Männern hier vorbeigekommen war. John Rey erhob sich und schritt langsam auf den Schacht zu. Plötzlich erhoben sich spitze Zacken vor ihm, wuchsen mannshoch aus dem Boden hervor. An ihren Spitzen bildeten sich Kugeln, die auseinanderplatzten. Eine dicke, grüne Flüssigkeit tropfte herunter. 58
Immer neue Zacken tauchten auf, auch in seinem Rücken. Der grüne Brei floß schon um seine Beine. Er nahm Wasser und spritzte es gegen die Erhebungen. Sie lösten sich in Dampf auf, doch der grüne Brei blieb und wölbte sich rings um John Rey zu einem Wall auf. Das Wasser lief wirkungslos von dieser Masse ab. Rey riß sein Strahlengewehr von der Schulter und schoß auf den Wall. Die Flüssigkeit spritzte auseinander. Mit mehreren Schüssen brach sich Rey Bahn. Hinter ihm schloß sich der Wall wieder über die Wunden. Aufatmend stand Rey vor dem Schacht. Waren seine Freunde da hinabgestiegen? Er verfolgte die nach unten führende Spirale mit seinen Blicken. Dort lag etwas. Ja, es war ein Taschentuch. John Rey hatte die Expedition gefunden. Ohne sich lange zu besinnen, begann er den Abstieg. * Professor Wintrup war mit seinen Begleitern auf dem Boden des Schachts angekommen. Sie standen in knöcheltiefem, rotem Schlamm. Ein hoher, breiter Gang führte weiter. „Ich hätte nicht gedacht, daß wir gesund hier unten ankommen“, sagte Professor Wintrup. „War doch ganz schön tief“, antwortete ihm Borsh und hielt seine Filmkamera ans Auge. „Wer hier den Anschluß verpaßt, braucht sich nicht mehr lange mit Sterben abzugeben.“ „Du hast einen goldigen Humor“, brummte Percy Miller. „Wenn ich ehrlich sein soll, dann scheint es mir jetzt brenzlig zu werden.“ „Angst?“ fragte Borsh. „Angst nicht, aber sieh mal, wie sich die Wände bewegen! Als ob dahinter Lungen verborgen wären, die atmeten.“ Ted Killing wischte sich über die Stirn. 59
„Dein Humor ist noch überwältigender, Percy. Du betrachtest dieses Loch sozusagen als Mund des Sterns. Wir befinden uns demnach in der Speiseröhre und wandern jetzt zum Magen um verdaut zu werden.“ Percy Miller kniff die Augen zusammen. „Du könntest sogar recht haben. Ich finde jedenfalls den Vergleich ziemlich treffend.“ „Na, na, meine Herren“, schaltete sich Professor Wintrup ein, „wir befinden uns hier auf einer Forschungsexpedition und nicht auf einem Kuriositätenmarkt. Ich kann Sie natürlich nicht zwingen, mit mir in den Gang zu gehen. Ich tue es jedenfalls.“ Percy Miller lachte auf. „Unser guter Professor glaubt, daß wir Angst haben. Das ist wirklich fein.“ Die anderen lachten ebenfalls, doch es klang etwas gequält. Will Borsh überbrückte die Situation. „Ich schlage vor, wir gehen, damit wir zum Mittagessen pünktlich zurück sind.“ Professor Wintrup nickte und schritt voraus. Der Gang senkte sich langsam abwärts. Er war breit genug, daß zwei Männer nebeneinander Platz fanden, doch die seltsamen Bewegungen der Wände, die sich in regelmäßigen Zeitabschnitten aufbauschten, brachte die Expedition einige Male ins Stocken. Auch hier herrschte dieses seltsame, undurchsichtige, bläuliche Licht, das keine weite Sicht zuließ. Dann wurde der Gang plötzlich breiter. Die Bewegungen der Wände hörten auf. Schmale Röhren führten nach beiden Seiten ab. Professor Wintrup steckte seinen Kopf in eine dieser Röhren. Erregt winkte er den Männern zu. „Eine phantastische Sache!“ rief er. „Der Geburtsort der Lebewesen auf diesem Stern.“ Seine Begleiter schauten ebenfalls in die Röhre. Auch andere Abzweigungen wurden untersucht. Was man entdeckte, war wirklich überraschend. 60
Die Röhren, sie mochten einen Durchmesser von einem Meter und eine Länge von fünfzig Zentimeter haben, endeten in einem großen, kugelförmigen Raum. Der Boden der Kugel war mit dem roten Brei ausgefüllt, der aus kurzen Zapfen von der Decke der Kugel herabtropfte. In der Kugel herrschte eine hohe Temperatur. Das Seltsamste aber war, daß in dem Brei am Boden eine Menge kleiner, schwarzer Punkte schwammen, die sich anscheinend in heftiger Bewegung durcheinander befanden. Die Männer schauten sich an, Professor Wintrup holte tief Luft. „Ein lebender Stern. Es besteht kein Zweifel mehr.“ „Nein, nein, das gibt es nicht“, wehrte sich Will Borsh gegen diesen Gedanken. „Das gibt es einfach nicht. Das wäre so, als wenn wir auf unserer Erde in eine Höhle kämen, und dort schwämmen in irgendeiner Flüssigkeit kleine Berge herum.“ „Erstens hinkt dieser Vergleich, und zweitens sind wir nicht auf der Erde.“ Professor Wintrup schüttelte den Kopf. „Ich frage mich nur eines: Auch auf der Erde mußte einmal das Leben entstehen. Das geschah durch Eiweißverbindungen, dem sogenannten Urstoff, der sich unter günstigen Voraussetzungen entwickeln konnte. Aber irgendwoher mußte auch er kommen. Gut, er war im All. Er war in dem Staub und Nebel enthalten, aus dem sich durch die Gravitation dann auch unser Sonnensystem entwickelt hat, aus dem noch heute neue Sterne entstehen. Durch den Strahlendruck ist der Urstoff dann auf die Erde gekommen. Wer will nun die These bestreiten, daß es auch einmal anders herum gewesen sein kann?“ „Sie wollen damit also sagen“, erwiderte Will Borsh, „daß sich nur Eiweißstoffe zusammengeschlossen haben. Sozusagen zu einem einzigen Lebewesen.“ „Sie haben mich richtig verstanden, Will. Unser Körper besteht ja auch aus Millionen einzelner Zellen, und doch wirkt er 61
als Ganzes. Jede einzelne Zelle in uns lebt und führt ihre Funktion aus. Wir haben auch eine Haut, die unsere Oberfläche schützt und so weiter. Ich könnte noch mehr Vergleiche anführen. Je mehr ich mir die Sache überlege, desto klarer wird für mich das Bild. Wir kommen hier sogar mit unseren erdgebundenen Vorstellungen weiter.“ „Aber wie erklären Sie sich das Verhalten der Materie, oder sagen wir besser, der Zellen, auf Wasser?“ warf Percy Miller ein. Professor Wintrup lächelte. „Sie stellen mir eine Fangfrage. Überlegen Sie einmal: Wenn Sie den Kopf unter Wasser halten, ertrinken Sie. Das hier ist nur eine andere Form. Wir haben auch auf der Erde Stoffe, die durch das Wasser gelöst werden.“ „Ich glaube, Sie haben recht, Professor“, sagte Will Borsh. „Wir befinden uns tatsächlich auf einem Stern, der als Einheit lebendig ist. Wir dürfen uns nur nicht an der Größe stoßen, dann wird das Bild schon verständlicher.“ „Und wie bilden sich die schwarzen Kugeln?“ wollte Ted Killing wissen. Percy Miller verzog den Mund. „Ted, Mann, noch nie etwas von Zellteilung gehört? Es kann natürlich auch sein, daß eine Vereinigung von Zellen stattfindet und dann daraus etwas Neues entsteht. Wir wollen aber mit dem zufrieden sein, was wir bisher gefunden haben.“ Doch Ted Killing gab sich noch nicht ganz zufrieden. „Und dieser gewaltige Sog, der uns hierhergerissen hat?“ „Auch dazu könnte ich Ihnen jetzt eine mögliche Erklärung geben“, sagte Professor Wintrup. „Unser Körper besteht ebenfalls aus Eiweißverbindungen. Alle unsere Lebensäußerungen werden durch elektrische Impulse ausgelöst. Das wissen wir. Wir können sie sogar messen. Diese Impulse sind im Verhältnis zu unserem Körpermaß ziemlich stark. Jetzt stellen Sie sich das Ganze in diesem großen Verhältnis vor.“ 62
„Aber unsere elektrischen Meßgeräte müßten doch dann irgendwie darauf reagieren.“ „Sie werden einen Wechselstrommotor nie durch Gleichstrom zum Laufen bringen. Die Lösung muß in der Art der Elektrizität liegen. Denken Sie an das Versagen unseres Kurzwellensenders.“ „Noch eine Frage?“ meinte Borsh bissig. „Ich schlage vor, wir gehen weiter und verlegen die Diskussion auf später, wenn wir mehr Zeit haben. Madleine und John werden sich sicher auch Sorgen machen.“ „Nehmen wir ein paar Kugeln mit?“ wollte Ted Killing wissen. Professor Wintrup wehrte entsetzt ab. „Um Gottes willen, Ted, versündigen Sie sich nicht. Mir tut es schon leid, daß wir die anderen Lebewesen getötet haben. Gehen wir.“ Schweigend schritten die Männer weiter. Es ging immer tiefer hinab. Ein leichter Temperaturanstieg war zu bemerken. Plötzlich verengte sich der Stollen zu einem schmalen Spalt, aus dem zuckendes, feuerrotes Licht herausstrahlte. Professor Wintrup schaute durch den Spalt. Er sah in eine große Halle mit gewölbter Decke. Das zuckende Licht kam von oben, wo viele seltsam geformte Bogen und Zapfen und lange, verknotete, schnurartige Gebilde herniederhingen. Diese Auswüchse pendelten hin und her, krümmten sich, zogen sich zusammen und dehnten sich wieder aus. Das Unheimlichste aber war eine übermannsgroße Halbkugel, die, mit ihrem abgeflachten Teil nach unten, in seltsam torkelnder Ellipsenbahn durch den Raum schwebte. Die Halbkugel strahlte ein intensiv grünes Licht aus, das die Augen blendete. Professor Wintrup wich zurück. „Wir sind am Ziel“, flüsterte er. Ted Killing drängte sich vor und blickte durch die Spalte. Dann griff er in die spitz vordringenden Wände. Sie waren 63
weich und gaben dem Druck seiner Hände nach. Weit riß er die Spalte auseinander und zwängte sich hindurch. Die anderen folgten. Professor Wintrup wollte sie zurückhalten, es gelang ihm nicht. Achselzuckend ging er seinen Leuten nach. Wie eine Ahnung war es ihm, daß dies ein Frevel sei, der bestraft werden würde. Dann standen die vier Menschen in dem Raum. Die Halbkugel hielt in ihrer taumelnden Bahn inne und blieb leicht vibrierend inmitten des Raumes. Ein Ton lag in der Luft, der das Trommelfell erbeben ließ. So wie der stark angerissene Ton einer Harfe, den man verklingen ließ, um ihn gleich wieder von neuem anzureißen. Mit mechanischen Bewegungen schritten die Männer vorwärts. Dann blieben sie stehen. Etwas Unerklärliches, Hemmendes hatte sie plötzlich in seinen Bann geschlagen. Die Halbkugel begann auf und nieder zu tanzen. Zu dem tiefen Ton gesellte sich ein hoher. Der Untergrund, auf dem die Männer standen, bewegte sich in Wellenlinien. Professor Wintrup wollte die Hand heben, es gelang ihm nicht mehr. Er wollte aufschreien und brachte keinen Ton heraus. Sein Gehirn war wie gelähmt. Die Ausstrahlungen der Kugel drangen in seine Gedanken ein und setzten jeden eigenen Willen außer Kraft. Jetzt pendelte die Halbkugel nach links und rechts, näherte sich den Männern und flog wieder zurück. Die Wellenbewegungen des Bodens hörten auf, dafür war aber ein unterirdisches Grollen zu hören, wie bei einem Erdbeben. Ruckartige Stöße fuhren durch den Boden. Von der Decke herab zuckten grün gefärbte Blitze in die Halbkugel. Das alles sahen die Männer mit vor Entsetzen geweiteten Augen. In verkrampfter Haltung, etwas zusammengekrümmt, standen sie da. Ihre Lungen keuchten, so stark war plötzlich der Druck, der auf ihnen lastete. 64
Nun hielt die Halbkugel wieder leicht vibrierend in der Mitte der Höhle. Ein Strahlenglanz umgab sie plötzlich, aus dem sich ein zweiter bildete, ein dritter Ring legte sich vertikal um die Kugel. Dann begann sich das Gebilde um seine eigene Achse zu drehen. Den Männern war es, als würde ihnen mit jeder Umdrehung eine Glutwelle entgegengeschleudert. Das dämonische Wesen setzte sich langsam in Bewegung. In einem großen Halbkreis pendelte es vor den Männern hin und her. Dann schwebte es plötzlich über ihnen. Der abgeflachte Unterteil irisierte in allen Regenbogenfarben und warf plötzlich ein Strahlenbündel nach unten. Es fiel mitten unter die Männer. Der Boden riß aus. Die Halbkugel schoß in wilden Spiralen über den Köpfen der Männer dahin. Dort aber, wo das Strahlenbündel den Boden aufgerissen hatte, quoll es grün und zähflüssig hervor. Schon umspülte die Masse die Knöchel der Männer. Die Halbkugel wich in die Mitte des Raumes zurück. Nach allen Seiten schleuderte sie Blitze. Wo sie auftrafen, sprühten Funken. Ein ohrenbetäubendes Knattern erfüllte den Raum. Die Beleuchtung wechselte schlagartig in alle Farbtönungen. Und der grüne Schlamm kroch immer höher an den Menschen empor. Der Gott dieses Sterns vernichtet uns, dachte Professor Wintrup müde. Er hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. Doch er wollte nicht aufgeben. Ein Umfallen hätte den sicheren Tod bedeutet. Mit der letzten, verzweifelten Kraft seines Menschseins wehrte er sich gegen dieses Fremde. Nein, wenn er auch schon ein alter Mann war, er gab nicht nach. Vielleicht gelang es ihm, mit aller Willenskonzentration auf diesen unheimlichen Spuk einzuwirken. Diese Halbkugel war eine geistige Erscheinung, die sich eine Form gegeben hatte. Aber Professor Wintrup wußte auch, wie gering seine Chancen standen. 65
8. Kapitel Es war für John Rey nicht so einfach, nach unten zu gelangen. Die Spirale war mit einer schleimigen Masse bedeckt. Jeder Schritt wurde zu einem Wagnis. Mehr als einmal drohte Rey der Absturz. Doch endlich stand er unten. Ein fernes Grollen war zu hören. John Rey sah den Gang, die Bewegungen der Wände, und zögerte. Dann wischte er alle Bedenken mit einer energischen Handbewegung beiseite und drang in den Gang ein. Rey kam zu dem Teil mit den abzweigenden Röhren. Vorsichtshalber schaute er in die erste Röhre hinein. Er mußte darauf achten, daß der Rückweg offen blieb. Sofort erkannte er die Bedeutung der Brutstätten. Es trieb ihn weiter. Irgendwie fühlte er, daß seine Kameraden in Gefahr waren. Dann hatte er endlich die Spalte erreicht und schaute nach innen. Mit einem Blick erkannte er die Situation, Hier galt es, sofort zu handeln, sonst war es zu spät. John Rey hob sein Strahlengewehr und visierte die Halbkugel an. Der erste Schuß fuhr durch die Halle und traf das unheimliche Wesen. Die Halbkugel verhielt plötzlich ganz ruhig an ihrer Stelle. Es war mit einem Schlage totenstill. Die hin und her zuckenden Blitze verloschen. Nur die grüne Masse kroch noch an den gefangenen Männern hoch, hatte schon ihre Knie erreicht. John Rey schoß ein zweites Mal. Die Halbkugel blähte sich auf und wich langsam zurück. Ihr grünes Licht wurde ganz durchsichtig. Wie ein Stöhnen fuhr es durch die Masse. „Los, raus!“ brüllte Rey. Die Männer fuhren zusammen. Sie konnten sich noch nicht bewegen, aber sie fühlten, wie die Lähmung langsam nachließ. Da traf der dritte Schuß die Halbkugel. Ihre Ränder krümm66
ten sich zusammen, ganz langsam sank sie zu Boden. Doch sie leuchtete noch. Dann verfiel sie in konvulsivische Zuckungen. Sie tanzte auf dem Boden hin und her, aber ihre Bewegungen wurden immer schwächer. Die Leuchtkraft nahm von Sekunde zu Sekunde ab. Der Bann löste sich von den Gefangenen. „Flieht!“ schrie nun Professor Wintrup. „Flieht, der Stern stirbt. Wir müssen zurück zur Rakete!“ Die Männer lösten mit Mühe ihre Beine aus dem grünen Schlamm und hasteten nach draußen. Die Wände des Ganges hingen schlaff und faltig herab. Als letzter ging John Rey. Er hatte das Strahlengewehr wieder über die Schulter gehängt und hielt den Wasserbehälter in der Hand. Am Ausgang drehte er sich noch einmal um und spritzte in weitem Bogen Wasser in die Halle. Überall schossen Flammen empor, überall bildete sich der für den Stern so tödliche schwarze Rauch. Das letzte, was John Rey noch sah, ehe er seinen Kameraden folgte, war die zusammengekrümmte Halbkugel, die mit taumelnden Bewegungen zur hinteren Wand der Höhle strebte. John Rey nahm sich die Zeit, in jede Röhrenöffnung, an der er vorbeikam, eine Handvoll Wasser zu schütten. Jedesmal war es, als ob die Hölle losbräche. Als John Rey endlich den Aufstieg erreichte, waren seine Kameraden schon auf halber Höhe. Ted Killing drehte sich gerade um und sah ihn an. „Beeile dich, John, es gibt bald eine Katastrophe.“ John Rey winkte lässig zurück und begann den Aufstieg. Der Weg war noch schlüpfriger geworden. Als er endlich oben war, warteten die Männer auf ihn. Professor Wintrup drückte ihm kurz die Hand. „Ich danke Ihnen, das war in letzter Sekunde. Wir müssen uns beeilen. Sie haben das Herz des Sterns getroffen.“ 67
John Rey fragte nicht, er nickte nur. Aus der Tiefe drang ein dumpfes Gepolter. Percy Miller schrie auf. „Dort – seht!“ Um die Männer herum erhob sich ein flimmernder, weißbläulich schimmernder Strahlenvorhang, der von Millionen kleiner Stäubchen gebildet wurde. „Keine Aufregung“, brummte John Rey, „damit wollte man mir schon einmal den Zutritt verwehren.“ Er hob sein Strahlengewehr und schoß in den Lichtteppich hinein. Es zeigte sich überhaupt keine Wirkung. Die Wand wich nicht. „Wir müssen durch!“ brüllte Ted Killing und rannte auf das Geflimmer zu. Er prallte gegen die Wand und wurde zurückgeschleudert. Wie mit tausend Nadeln stach es auf ihn ein. Die Männer schauten sich sprachlos an. Kam jetzt das Ende? Sollten sie hier elend umkommen? John Rey kniff die Augen zusammen. In weitem Bogen spritzte er Wasser um sich. Aber die erhoffte Wirkung blieb aus. „Die grüne Masse, die den Boden bedeckt, scheint gegen Wasser unempfindlich zu sein“, sagte Professor Wintrup. Jetzt bemerkten auch die anderen, daß sie nicht mehr auf dem normalen Bodengrund standen, sondern auf einem grünen Teppich. „Gehen wir doch gemeinsam gegen den Vorhang“, meinte Will Borsh. Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Die Männer schritten geschlossen gegen das Licht, wobei sie aus ihren Strahlengewehren das Feuer eröffneten. Es zeigte sich überhaupt keine Wirkung. Es verharrte in seiner bewegten Regungslosigkeit. Ted Killing preßte die Fäuste gegen die Stirn. „Ich werde noch verrückt. Licht oder Gas, das sich wie eine feste Masse verhält! Ich kapituliere.“ 68
„Quatsch!“ fuhr ihn John Rey an. „Wir müssen eben etwas anderes probieren.“ Er holte eine Schachtel Zigaretten hervor und bot jedem eine an. „Ihre Nerven möchte ich haben“, sagte Professor Wintrup. „Sind Sie sich im klaren darüber, daß es jede Sekunde aus sein kann? Sie haben das Herz dieses Sterns getroffen, den Hauptnerv. Er liegt dort unten und wird sterben. Und wenn er tot ist, bricht das ganze Gebilde auseinander. Wir haben schon zuviel Wunden geschlagen. Es wird unvermeidlich zu einer Katastrophe kommen. Und wir stehen mitten drinnen.“ John Rey lächelte sauer zurück. „Haben Sie einen Vorschlag? Nein, auch nicht. Wieso ist es da falsch, wenn wir jetzt erst einmal eine Zigarette rauchen? Wir wissen im Moment doch nicht, was wir unternehmen sollen.“ Er zündete ein Streichholz an und gab den anderen Feuer. Plötzlich fuhr er hoch. „Haben wir es schon einmal mit Feuer versucht?“ Er wartete keine Antwort ab, sondern ging ganz dicht an die Lichtwand heran, entzündete ein Streichholz und warf es dagegen. Das Licht rührte sich nicht, das Streichholz fiel zu Boden. „Danebengelungen“, meinte Percy Miller bitter. „Aber nein, was ist das?“ Dort, wo das brennende Streichholz zu Boden gefallen war, sprühten Funken auf. „Die grüne Masse brennt!“ rief Killing aus. Es war kein offenes Feuer, es war mehr ein Glühen, das sich von der Stelle, wo das Streichholz hingefallen war, schnell in einem immer größer werdenden Kreis weiterfraß. Der alte Boden wurde sichtbar. Sofort spritzte John Rey Wasser auf die freigewordenen Stellen, der schwarze Rauch bildete sich, die Lichtwand floß auseinander. 69
„Vorwärts, Jungens!“ Professor Wintrup schritt auf den Damm zu. Die Männer folgten ihm. Die Glut fraß sich mit unheimlicher Geschwindigkeit durch die grüne Masse, die auch den Damm bedeckte. Die alten Stellen, an denen John Rey vorher Wasser gespritzt hatte, wurden freigelegt und begannen sofort mit ihrer Rauchentwicklung. Immer mehr löste sich die Lichtwand auf. Sie wich nach beiden Seiten zurück. John Rey spritzte in den roten Brei zu beiden Seiten Wasser. Die Flammen zuckten hoch, es begann zu brodeln und zu kochen. Ein tiefes Grollen lag in der Luft wie ferner Donner. Der Damm, auf dem die Männer hinter der sich voranfressenden Glut herschritten, begann zu erbeben. Kurze, krampfartige Stöße fuhren durch den Boden. Da verschwand plötzlich der Lichtvorhang völlig. Die Männer blieben stehen. Das riesige Gewölbe lag in deutlicher Klarheit vor ihnen. Die Decke war von rötlicher Glut umloht. Der rote Brei befand sich, soweit man sehen konnte, in quirlender Bewegung. Blasen stiegen an die Oberfläche und platzten mit lautem Knall. Seltsame Gebilde, darunter auch die Doppelkugeln, irrten panikartig über den Strom und wurden durch die explodierenden Blasen durcheinandergeschleudert. „Lauft, lauft!“ keuchte Professor Wintrup und stieg über die Glut, die sich weiter durch die grüne Masse fraß. „Rettet euch, das ist der Untergang!“ Die Männer hasteten den Damm entlang. Auch in ihren Augen lag das Entsetzen. Doch sie hielten sich zusammen. Ted Killing half John Rey beim Tragen des Wasserbehälters. Dies war zur Zeit ihre beste Waffe. Sie durften nicht die Nerven verlieren. Plötzlich hielt Professor Wintrup an. „Ich kann nicht mehr. Ich bin ein alter Mann. Dieses Tempo halte ich nicht aus. Geht allein! Nehmt auf mich keine Rücksicht.“ 70
Will Borsh faßte ihn am Arm. „Kommt gar nicht in Frage, Professor! Ich führe Sie. Wir gehen eben etwas langsamer.“ „Nein“, wehrte Professor Wintrup ab, „ihr habt noch Aussicht auf Rettung. Lauft voraus! Ich hindere euch nur.“ Auch die anderen waren stehengeblieben. „Reden Sie nicht solche Sachen“, sagte Percy Miller grob und packte Professor Wintrup an der anderen Seite. „So schnell platzt der Laden hier nicht auseinander. Ich kann mir schlecht vorstellen, daß alles gleich einstürzen soll, wenn der komische Geist dort unten stirbt. Wir lösen uns ja auch nicht auf, wenn wir sterben. Auf alle Fälle bleiben wir zusammen, nur so haben wir die Möglichkeit, durchzukommen. Einzeln sind wir unserem Gegner unterlegen. Ich würde niemals mehr ein ruhiges Gewissen haben, wenn Sie hier zurückbleiben würden. Kommen Sie, Professor, wir können auch langsam gehen.“ Die anderen stimmten ihm zu. Langsam setzten sie ihren Weg fort. * Madleine Breed traf gut. Die gerade aufsteigende Blase zerplatzte und gab den eingeschlossenen Rauch frei. Die in der Nähe befindlichen Pflanzen wurden aufgelöst. Doch schon drängten neue heran. Madleine schoß wieder und immer wieder. Sie zielte auf die Blasen und auf die Pflanzen. Sie lief von einem Fenster zum anderen und erreichte es tatsächlich, daß der Angriff ins Stocken kam. Doch die Zahl der nachfolgenden Gewächse war unübersehbar. Ein ohrenbetäubendes Zischen lag in der Luft und zerrte an den Nerven. Die Ladung des Gewehrs war leergeschossen. Madleine griff zum nächsten und rannte wieder von Fenster zu Fenster. Die 71
Pflanzen waren jetzt schon innerhalb des Sperrgürtels. Es war sinnlos, noch auf die aufsteigenden Blasen zu schießen. Wenn eine Pflanze getroffen wurde, sackte sie sofort zusammen, die anderen mußten über sie hinwegklettern. Das behinderte sie. Sie kamen nur noch langsam vorwärts. Doch Madleine Breed konnte sich das Ende schon ausrechnen. Sie würde diese Anstrengung nicht mehr lange aushalten. Bis auf dreißig Meter hatten sich die Pflanzen schon genähert. Ein Wall von Leichen umgab das Weltraumschiff. So weit sie blicken konnte, alles wimmelte von den Angreifern, die sich unaufhörlich herandrängten. Plötzlich lief ein Zittern durch den Boden. Mit einem Schlag war es totenstill. Die Pflanzen verhielten in ihrem Angriff und kamen nicht mehr näher. Madleine atmete auf, gönnte sich aber keine Ruhe. An jedem Fenster befand sich ein Drehgestell zum Einspannen von Instrumenten. Mit fliegender Hast montierte Madleine auf jedes Gestell ein Gewehr. Sie brauchte jetzt nur noch den Abzug durchzukrümmen und den Lauf zu schwenken. Wieder lief ein Zittern durch den Boden. Die Rakete schwankte leicht hin und her. Wie ein einziger Aufschrei hing es in der Luft. Die Pflanzen gingen wieder zum Angriff vor. Madleine Breed faßte das erste Gewehr, schoß, rannte zum zweiten, zum dritten und vierten. Doch während sie auf der einen Seite die Angreifer zurückhielt, drangen sie auf der anderen Seite weiter vor. Mit John Rey hätte sie den Angriff ohne weiteres abschlagen können, allein war sie machtlos. Bis auf zehn Meter hatten sich die Pflanzen schon der Rakete genähert, als Madleine plötzlich innehielt. Eine rettende Idee war ihr gekommen. Mit dem Strahlengewehr tötete sie zwar die Pflanzen, verletzte sie aber nicht. Man mußte an den roten Saft kommen und dann Wasser daraufspritzen. Schnell schloß Madleine die Fenster und eilte in das Maga72
zin. Sie zögerte. Sollte sie eine Atomkapsel nehmen? Das war für das Raumschiff zu gefährlich. Deshalb nahm sie nur mehrere kleine Sprengkörper von geringerer Wirkung. Madleine ging wieder in die Zentrale zurück. Sie war vollkommen erschöpft. Ihre Finger zitterten, die Kleidung klebte an ihrem Körper, der Schweiß lief ihr in Strömen über das Gesicht. Das Herz klopfte zum Zerspringen. Vor den Fenstern sah sie die Blätter der Pflanzen auf und ab tanzen. Madleine öffnete vorsichtig eines der Fenster und warf eine Sprengkapsel hinaus. Sie hörte die Explosion. Auch zu den anderen Fenstern warf sie die Sprengkapseln hinaus. Dann eilte sie ins Labor, nahm eine Spritze und einen Eimer mit Wasser. Wieder zurück zur Zentrale. Die Rakete schaukelte hin und her. Sicher versuchten die Pflanzen, sie umzustürzen. Madleine füllte die Spritze mit Wasser und hielt sie durch einen Fensterspalt. Ein dünner Wasserstrahl spritzte nach draußen. Stichflammen schossen empor, schwarzer Rauch stieg auf. Da riß Madleine auch die letzten Fenster auf und schüttete das Wasser einfach hinaus. Der Erfolg war durchschlagend. Innerhalb weniger Sekunden war der Platz um das Weltraumschiff frei von Pflanzen. Doch sie wichen nicht ganz zurück. In dreißig Meter Entfernung schlossen sie einen dichten Kreis um die Rakete. Madleine Breed steckte sich eine Zigarette an. Der erzielte Erfolg hatte sie wesentlich ruhiger gemacht. So schnell würden die Pflanzen bestimmt keinen Angriff mehr wagen. Die Zigarette beruhigte die Nerven. Madleine öffnete alle Fenster weit. Sie war müde und hätte am liebsten geschlafen, aber noch war die Gefahr nicht gebannt. Sie fühlte instinktiv, daß noch etwas kommen würde. Madleine sollte nicht lange im Zweifel bleiben. Plötzlich lag ein neues Geräusch in der Luft. Sie fuhr hoch. Von weitem näherte sich eine dichte, flimmernde Wand, die immer näher kam. 73
Jetzt konnte sie schon einzelne, billardgroße Kugeln unterscheiden, die den Pflanzenkreis erreichten. Sie verhielten ebenfalls und breiteten sich nach oben aus und überwölbten sogar das Raumschiff. Sofort schloß Madleine die Fenster und bereitete sich auf einen neuen Angriff vor. Was waren das nun wieder für Geschöpfe? Dieser Stern war grauenhaft. Hoffentlich kamen die Männer bald zurück. Nun setzte auch schon der Angriff ein. Die leuchtenden Kugeln schweben näher. * Endlich erreichten die Männer die Terrassen. Hier erwartete sie eine neue Überraschung. Über die einzelnen Stufen sprudelte es herab. Der rote Brei war ganz dünnflüssig geworden. Ein reißender Sturzbach schäumte von der Höhe herunter, alles überflutend. John Rey trat etwas vor und spritzte Wasser gegen die roten Kaskaden. Es gab zwar Explosionen, und auch der Rauch bildete sich wieder, aber die Gewalt der Flüssigkeit spülte alles weg. In dem großen Strom allerdings war die Hölle los. Dort wirkte das Wasser mit doppelter Gewalt. John Rey drehte sich um. „Was nun? Der Stern wehrt sich.“ Er mußte brüllen, um sich verständlich zu machen. „Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als den Sturzbach zu durchwaten.“ Will Borsh trat auf eine Terrasse und sank bis zu den Knien ein. „Komm zurück!“ rief Percy Miller. „Wir müssen uns irgendwie anseilen. So ist es zu gefährlich. Man kann sich ja kaum gegen die Strömung halten.“ Will Borsh kam auf den Damm zurück. 74
„Wir nehmen Professor Wintrup in die Mitte.“ Dann holte er eine Rolle Nylonschnur aus der Tasche, wickelte sie auf und drehte mehrere Fäden zu einem einzigen zusammen. Die Männer banden sich aneinander fest. John Rey ging als erster. Er war der Kräftigste. Will Borsh machte den Schluß. „Los, geht schon!“ rief er ungeduldig. „Ich glaube, es ist bald höchste Zeit.“ Er deutete nach oben. Die Zapfen lösten sich von der Decke und fielen heulend nach unten. Wo sie losrissen, schoß ein schwefelgelber Nebel heraus. Es roch nach verbranntem Fleisch. Die Männer hatten Mühe, die aufsteigende Übelkeit niederzukämpfen. Schritt für Schritt tasteten sie sich vorwärts. Die herabbrausende Flüssigkeit sprühte über sie hinweg. Sie liefen mehr seitwärts, mit der Strömung entgegengebeugten Körpern. Ihre Anzüge wurden durchnäßt. Das klebrige Rot drang in Mund und Nase. „Nein!“ schrie Ted Killing. „Nein, das halte ich nicht mehr aus.“ Die Worte wurden durch das Getöse verschluckt. Immer mehr Zapfen brachen aus der Decke. Die gelben Schwaden lagen schon so dicht, daß sie den oberen Teil der riesigen Kuppel ausfüllten. Da blieb John Rey stehen. Er ließ den hinter ihm gehenden Percy Miller herankommen und schrie ihm ins Ohr. „Ich habe eine Atomkapsel dabei!“ brüllte er. „Ich werde sie werfen. Halte mich gegen die Strömung.“ Die anderen kamen auch heran. „Was ist los?“ schrie Professor Wintrup. John Rey deutete nach unten. Dort erhob sich auf der ganzen Länge der Anlage ein Wall. Von Minute zu Minute wuchs er empor und staute die herabschäumende Flüssigkeit. Die Männer standen auf der zweiten Terrasse. Bald mußte der Damm ihre Höhe erreicht haben. „Duckt euch nieder und stemmt euch dagegen!“ brüllte John Rey, „ich werfe eine Atomkapsel.“ 75
„Nein, das dürfen Sie nicht, das ist unser Untergang.“ Professor Wintrup sah ihn mit entsetzten Augen an. John Rey deutete nur auf den immer höher emporwachsenden Wall. „So oder so!“ schrie er zurück. „Vielleicht bringe ich diese Hölle zum Schweigen.“ „Oder wir werden von der Explosion vernichtet“, brüllte Professor Wintrup durch das Getöse. Dann zogen ihn kräftige Fäuste nieder. John Rey stellte die Zündung an der Kapsel ein und löste die Sperre. Er richtete sich hoch auf, stand einige Sekunden schwankend in der Gischt, dann warf er den Arm hoch und schleuderte die Kapsel weit von sich. Der Schwung war so stark, daß er nach unten auf die erste Terrasse fiel. Aber Percy Miller hatte aufgepaßt. Mit einem Ruck riß er John Rey wieder zurück. Sie konnten sich gerade noch niederducken, da explodierte die Sprengkapsel. Eine hohe Fontäne schoß empor, platzte gegen die Decke und spritzte dort auseinander. Dann kam der Knall. Obwohl die Männer die Finger in die Ohren gesteckt hatten, zerriß es ihnen fast das Trommelfell. Eine radioaktive Rauchsäule stieg pilzförmig hoch. Dort, wo sie auftraf, floß die Decke auseinander. Eine Glutwelle fegte durch die riesige Halle. Der Damm versank unter die Oberfläche des Stroms. Hinter den Männern riß der Boden in einem breiten Spalt auseinander. Ein tausendstimmiger Aufschrei hing in der Luft. Dann wurde es mit einem Schlag ruhig. Die von oben herabstürzende Flüssigkeit hielt wie erstarrt an. Wie leises Wimmern drang es aus dem Boden und wuchs zu einem Stöhnen an. John Rey sprang auf. „Los, weiter.“ Er zog seine Kameraden einfach hinter sich her. 76
Sie rannten um ihr Leben. Die Lungen keuchten, Schweiß perlte ihnen auf der Stirn und vermischte sich mit der roten Substanz, was ihren Gesichtern ein teuflisches Aussehen gab. Rücksichtslos peitschte sie ihr Wille vorwärts. Ihre Schritte wurden immer langsamer, ihre Bewegungen taumelnder. Es war ein erbarmungsloser Kampf. Schließlich hielt John Rey an. „Ihr könnt machen, was ihr wollt, ich muß mich fünf Minuten hinsetzen.“ Niemand widersprach ihm. Sie ließen sich einfach fallen, wo sie gerade standen, und starrten apathisch vor sich hin. Noch war alles wie erstarrt. Keine Regung des Boden oder der roten Masse zeigte irgendwie eine Wirkung nach dieser fürchterlichen Explosion. Nur die sonst immer ruhige Luft kam ganz leicht in Bewegung. Will Borsh kramte in seinen Taschen herum und brachte eine kleine Schachtel zum Vorschein. „Ich habe noch für jeden eine Pille. Das wird uns hochpeitschen.“ Ohne innere Anteilnahme schluckten die Männer ihre Pillen, doch schon nach wenigen Minuten stellte sich die Wirkung ein. Neue Kraft strömte durch ihre Körper. Mit etwas steifen Gliedern erhoben sie sich. Es ging wieder. „Los“, drängte John Rey, „ehe der Stern von neuem zu toben beginnt. Wenn wir hier raus sind, haben wir schon viel gewonnen.“ Das kleine Häuflein setzte sich in Marsch. Etwas langsam am Anfang, dann wurden die Bewegungen immer freier. In schnellster Gangart liefen die Männer dem Ausgang zu. Sie mußten herauskommen aus diesem Gewölbe, aus dieser Todesfalle. Wenn die Decke einstürzte, war es aus. Es knisterte schon überall, ein eigenartig schwingender Ton lag in der Luft. Das Vorzeichen des Chaos! 77
Schon konnten die Männer die riesige Öffnung erkennen. Doch was war das? Plötzlich wurde sie von schwarzen, kindskopfgroßen Kugeln ausgefüllt. Die Expedition stand zwanzig Meter vor der Freiheit. Ein langsam stärker werdendes Zittern lief durch den Boden. „Dort liegt das Leben!“ brüllte Percy Miller. „Das letzte Aufgebot erwartet uns.“ John Rey blinzelte ihn an. „Du hast wohl den Verstand verloren? Wollen wir nicht gemeinsam ein Marschlied singen?“ „Laßt das jetzt“, mischte sich Will Borsh ein. „Ich schlage vor, wir schneiden die Fäden durch. Es kann uns jetzt nur noch behindern, wenn wir aneinandergebunden sind.“ Man befolgte seinen Rat. „Und nun?“ fragte Professor Wintrup. Percy Miller hatte schon ein Strahlengewehr gehoben, doch mit einem Fluch schleuderte er es von sich. „Unbrauchbar, funktioniert nicht mehr!“ „Dann schmeißt man es doch nicht einfach weg!“ erregte sich Ted Killing. „Das kann man doch in Ordnung bringen.“ „Ich kenne die Dinger gut genug, um zu wissen, was ein Defekt bedeutet“, entgegnete Miller gereizt. „Wenn so ein Ding kaputt ist, reparierst du es nicht mehr, und ich auch nicht.“ „Wir wollen doch möglichst untereinander Frieden halten“, sagte Professor Wintrup etwas schärfer als beabsichtigt. „Die Situation ist ernst genug. Wer hat noch ein brauchbares Gewehr?“ Will Borsh trat vor. „Meines funktioniert noch.“ Er hob die Waffe, zielte kurz und drückte ab. „Wirkungslos“, stellte John Rey fest. Er ging bis auf einen Meter an die regungslos in der Luft verharrenden Kugeln heran 78
und spritzte etwas Wasser gegen sie. Es zeigte sich ebenfalls keine Wirkung. Das Wasser dampfte nur auf und verdunstete. John Rey ließ sich nicht entmutigen. Er zündete ein Streichholz an und schleuderte es in hohem Bogen auf die Kugeln. Aber auch das Feuer war wirkungslos. „Jetzt wird es kritisch“, meinte Will Borsh, „durch die letzte Katastrophe scheinen sich alle geltenden Verhältnisse verändert zu haben. Noch nicht einmal der schwarze Dampf zeigt eine Wirkung.“ „Oder diese Kugeln dort sind sozusagen die Panzermänner. Die letzte wirksame Einheit, die man uns entgegenstellen kann“, gab Professor Wintrup zu bedenken. Ted Killing schritt ebenfalls auf die Kugeln zu. Sie wichen nicht vor ihm zurück. Er versuchte, sie mit den Händen wegzudrücken. Er schrie laut auf und rannte zurück. Seine Gefährten schauten ihn erschrocken an. „Was ist denn los?“ fragte Will Borsh. „Ich habe mich verbrannt. Diese Kugeln sind unheimlich heiß.“ „Das gibt es doch nicht! Sie sind schwarz und glühen überhaupt nicht. Außerdem strahlen sie keine Hitze aus.“ Ted Killing zeigte seine Hände. Sie wiesen tatsächlich Brandspuren auf. Die Kugeln setzten sich langsam in Bewegung. In ruhiger Bahn kamen sie auf die Männer zugeflogen. Die Männer wichen langsam zurück. „Haltet sie doch auf!“ brüllte Ted Killing. „Ich will nicht mehr zurück.“ John Rey packte ihn mit eisernem Griff am Arm. „Wenn du eine Panik heraufbeschwören willst, schlage ich dich lieber zusammen“, zischte er. Ted Killing zog das Genick ein. Doch die Hilfe sollte von einer ganz anderen Seite kommen. 79
Das unterirdische Rumoren hatte sich immer mehr verstärkt. Plötzlich rollte ein schwerer Donner durch die Höhle. Die Kugeln verhielten und begannen leicht zu zittern. Noch einmal klang der Donner auf. Noch mächtiger als vorher. Die Kugeln vollführten taumelnde Bewegungen. Mit aufgerissenen Augen starrten die Menschen auf das Schauspiel. „Wenn wir hier herauskommen, werde ich ein anständiger Kerl!“ stöhnte Ted Killing. Plötzlich brach das Inferno los. Weit hinten in der gigantischen Höhle sprangen Flutwellen empor, der Boden riß auf. Überall quollen gelbe Dämpfe heraus; Ruckartig zuckte der Boden, zog sich zusammen, dehnte sich wieder aus. Mächtige Stücke der Decke brachen nieder. Wo sie in die rote Flut stürzten, schäumte der Brei auf. Rauchfahnen stiegen empor. Die Kugeln, die den Männern den Weg versperrten, schossen nach oben, verhielten in starrer Reglosigkeit und sausten krachend nach unten, wie von einer mächtigen Faust niedergeschlagen. Aus dem Hintergrund des Gewölbes kam ein hohles Brausen, wie die Annäherung eines Orkans. „Raus!“ brüllte John Rey und stürzte nach vorn. Die anderen folgten ihm. Zwanzig Meter, zehn, fünf. Der Boden schwankte hin und her. Kleine Risse versperrten den Weg. Die Männer mußten darüberspringen. Beißender, gelber Dampf drang aus den Spalten. Dann waren die Freunde im Freien. Sie rannten weiter, immer weiter, ohne sich umzudrehen. Eine wahnsinnige Angst trieb sie vorwärts. Endlich hielt John Rey an. Er stürzte zu Boden und breitete die Arme weit aus. Es ging nicht mehr. Er war an der Spitze gelaufen, hatte die anderen durch sein Beispiel mitgerissen, doch jetzt war er am Ende seiner Kraft. Die übrigen Männer warfen sich erschöpft neben ihm nieder. Ihre Blicke richteten sich auf den bald tausend Meter entfernten Höhleneingang. 80
Die Sicht war klar und deutlich. Eine strahlende Helle lagerte über der Gegend. Die Männer konnten den oberen Rand der Wand sehen. Ein riesiger Rauchkegel in der Form eines Atompilzes wuchs empor. Blitze zuckten in ihm. Immer weiter breitete er sich aus. Dann stürzte der ganze Berg zusammen. Hochauf spritzte der rote Brei, zerstäubte in der Luft. Die Männer fuhren empor. „Wir müssen weiter“, stieß Professor Wintrup hervor. Es war erstaunlich, welche Energie er aufbrachte. „Wo befindet sich unser Raumschiff, John?“ John Rey schritt schon voraus. „Hier entlang. Es ist noch ein weiter Weg.“ Torkelnd folgten ihm die anderen. 9. Kapitel Ein schrilles Klingen lag in der Luft. Madleine Breed ergriff ein Strahlengewehr, öffnete ein Fenster und schoß auf die näherrückenden Kugeln. Die getroffenen Kugeln platzten auseinander und fielen zu Boden. Sofort schlossen andere auf. Es war wie bei den Pflanzen. Die Masse war zu groß. Hier halfen auch keine Sprengkapseln und kein Wasser mehr. Zufällig schaute Madleine nach unten. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Die grüne Masse war schon dicht unter dem Triebwerk. Wenn sie die Düsen erreichte, war es aus. Dann war der Weg zur Erde abgeschnitten. Madleine Breed schlug die Hände vor die Augen. Es war zum Verzweifeln. Warum hatte sie John auch allein gelassen! Sie ließ die Stahlplatten vor die Fenster und lief zum Kommandostand. Von außen prasselten die Kugeln gegen das Raumschiff. Es klang wie der Aufschlag von Granaten. Noch hielten die Außenwände. Doch wie lange? 81
Das Triebwerk der Rakete stand noch auf Vorwärmung. Madleine schaltete die Zündung ein. An den Instrumenten erkannte sie, daß die Düsen arbeiteten, allerdings ohne Schubkraft. Immer noch prasselten die Kugeln gegen die Außenhaut. Das Raumschiff schwankte hin und her. Madleine mußte sich in ihrem Sessel festhalten. Sie schob den Schalthebel für die Bremsdüsen ein. Jetzt schlug auch nach oben Feuer aus der Rakete. Das war wirklich das letzte, was sie noch tun konnte. Und es schien richtig gewesen zu sein. Der Aufschlag der Kugeln ließ nach und verstummte schließlich ganz. Die Rakete stand wieder ruhig. Madleine Breed stellte die Düsen wieder auf Vorwärmung, ließ die Schutzplatte von einem Fenster hochfahren und schaute hinaus. Was sie sah, verschlug ihr fast den Atem. Die grüne Masse hatte sich entzündet. Sie brannte in einem glühenden Kreis rings um das Raumschiff herum. Von den Kugeln war nichts mehr zu sehen, dafür wallten wieder die Todeskämpfe aus dem Boden nach oben. Die Glut verbreitete sich so schnell, daß sie bereits die ersten flüchtenden Pflanzen eingeholt hatte. Diese blieben zitternd stehen und wurden von den neu aufbrechenden Rauchschwaden vernichtet. Dann erreichte der Brand den zweiten Sperrring, kurz darauf den dritten. Der Ausblick war plötzlich ganz klar. Keine Lufttrübung, keine Strahlung behinderte mehr die Sicht. Alles schien viel näher gerückt. Jetzt war die Glutwelle schon so weit entfernt, daß sie Madleine nicht mehr mit bloßen Augen erkennen konnte. Ringsum lag alles leer, nur die Rauchsäulen kündeten noch von der Katastrophe. Madleine Breed tastete sich mit weichen Knien zu einem Sessel. Schwer ließ sie sich hineinfallen. Sie konnte bestimmt schon etwas vertragen, sonst hätte man sie auch nicht mit auf 82
diese Expedition genommen, doch die letzten Ereignisse gingen über ihre Kräfte. Sie konnte einfach nicht mehr. Eine Apathie gegen alles, was um sie herum vor sich ging, ergriff sie. Sie machte sich keine Gedanken darüber, als plötzlich der Boden stark erbebte. Das Raumschiff neigte sich um fünfzehn Grad und richtete sich nicht mehr auf. Es berührte sie auch nicht, daß das vorher so strahlend helle Licht einem düsteren Grau gewichen war. Sie wollte nur ruhen, ruhen und von nichts mehr wissen. Und doch war ihr Inneres von den vorausgegangenen Ereignissen so aufgewühlt, daß sie nicht die herbeigesehnte Ruhe fand. Durfte sie überhaupt schlafen? Was war mit den Männern geschehen, die draußen waren? Wenn man sie hier so angriff, mußte auch die Expedition in Gefahr sein. Hatte John Rey die Kameraden gefunden? Er hätte doch längst wieder zurück sein müssen. Vielleicht irrten die Männer umher und fanden den Weg nicht mehr. Quälende Ungewißheit trieb Madleine Breed wieder hoch. Sie schluckte eine der Energietabletten, die jeder Raumfahrer für besonders eintretende Notfälle bei sich trug und fühlte auch schon nach wenigen Minuten die belebende und aufpeitschende Wirkung. Madleine ging zum Sendegerät. Es war noch keine Nachricht von der Expedition eingetroffen. Nachdenklich stand sie dann vor dem Fernsehgerät. Es war eine Neukonstruktion und sollte zur Auffindung vermißter Raumfahrer dienen. Hatte es einen Zweck, das Gerät überhaupt einzuschalten? Auf diesem Stern versagten doch alle elektrischen Instrumente. Aber die Männer waren Fleisch und Blut, auf sie mußte das Gerät eigentlich ansprechen, wenn – ja, wenn die ausgesandten Strahlen nicht vorher irgendwo und irgendwie unwirksam gemacht wurden. 83
Madleine saß schon hinter dem Gerät, hatte die Kopfhörer aufgesetzt und den Strom eingeschaltet. Langsam leuchtete der Bildschirm auf. Störungen zuckten über die Fläche. Dann war das Gerät warm. Madleine Breed fuhr die Antenne aus. Sie stellte die Entfernung ein und ließ die Antenne kreisen. Bei fünfhundert Meter fing sie an und verschob die Skala dann immer um fünfzig Meter. Bei der Tiefenwirkung des Apparates mußte sie, wenn es überhaupt möglich war, unbedingt ihre Kameraden finden. Der Bildschirm blieb leer. Sie war schon bei dreitausend Meter angekommen und mußte eine neue Frequenz einstellen. Jetzt war die Tiefenschärfe nicht mehr so stark, und sie konnte die Kreise nur noch um je zehn Meter verschieben. Bei dreitausendfünfhundert Meter immer noch kein Erfolg. Madleine zweifelte an einem Gelingen. Folgten die ausgesandten Strahlen überhaupt der Oberfläche des Sterns, so, wie es bei jedem anderen Planet der Fall war, oder liefen sie einfach ins All hinaus? Viertausend Meter. Immer noch nichts. Wieder zehn Meter weiter. Auch nichts. Noch einmal zehn Meter. Madleine Breed ballte die Fäuste. Sie mußte einen Aufschrei unterdrücken. Für Sekunden war ein schwarzer Schatten im Bildschirm aufgetaucht. Sie richtete die Antenne ein. Sie fand den Schatten wieder, dem andere folgten. Aber das waren doch keine Menschen? Madleine sah fünf Oberkörper, und auch diese waren nicht vollständig. Es fehlten einzelne Körperpartien. Doch die Oberkörper bewegten sich. Es mußten die Männer sein. Madleine Breed schloß die Augen und dachte nach. Was ging hier vor sich? Da fiel ihr ein, daß John Reys Hand durch die Berührung mit dem Blut der Pflanzen unsichtbar geworden war. Das konnte die Lösung sein. Die Männer mußten mit die84
ser Masse in Berührung gekommen sein und waren dadurch zum Teil unsichtbar geworden. Das Fernsehgerät konnte nur die Teile der Körper orten, die noch frei waren. Madleine wischte sich mit der Hand über die Stirn. Es war plötzlich sehr heiß geworden. Sie sah auf das Außenthermometer. Es zeigte dreiunddreißig Grad. Gebannt verfolgte sie den weiteren Weg der Expedition. * Mit keuchendem Atem stapften die fünf Männer vorwärts. Sie hatten ihre Überkleider ausgezogen. Die Hitze war allmählich so groß geworden, daß die Lederbekleidung einfach nicht mehr zu ertragen war. Da blieb John Rey stehen. Er wischte sich stöhnend den Schweiß von der Stirn. „Ich weiß nicht, es kommt mir so vor, als ob ich den Weg verloren hätte. Dieses verdammte grüne Zeug hat alle Spuren verwischt. Wir müßten doch schon längst wieder einer Rauchblase begegnet sein.“ „Das hat uns gerade noch gefehlt!“ tobte Ted Killing. „Aus der Höhle sind wir gut rausgekommen, und nun finden wir den Anschluß nicht mehr.“ „Moment“, mischte sich Percy Miller ein, „wenn ihr jetzt die Nerven verliert, ist das Blödsinn. Ich schlage vor, wir stecken das grüne Zeug an, dann sehen wir, was los ist.“ „Wir sind alle Idioten“, schimpfte John Rey, „das hätten wir schon längst machen können.“ Er riß ein Streichholz an und warf es auf den Boden. Sofort begann die grüne Masse aufzusprühen. Die Glut fraß sich weiter, und innerhalb weniger Minuten lag der Boden frei vor den Männern. „Hier ist nichts“, stellte John Rey fest. „Ich habe alle fünf85
undzwanzig Meter einen Tropfen Wasser fallen lassen. Also müssen wir wieder zurück.“ Mit verbissenen Gesichtern gingen die Männer wieder in entgegengesetzter Richtung. Noch war alles soweit ruhig, von einzelnen Erdstößen abgesehen, die in gleichmäßigen Abständen den ganzen Stern erschütterten. „Dort vorn!“ rief John Rey und deutete voraus, wo man eine dunkle Rauchsäule erkennen konnte. „Hier bin ich heruntergekommen.“ Die Männer beschleunigten ihre Schritte. Deutlich war jetzt die Rauchspur zu erkennen. „Gott sei Dank“, sagte Professor Wintrup aufatmend. „Wie lange waren Sie bis hierher unterwegs?“ „Das waren gut zweieinhalb Stunden. Man muß aber bedenken, daß ich wegen der Wasserbehälter langsam gegangen bin und mich auch das Spurenlegen aufgehalten hat. Wir müßten die Entfernung in einer Stunde schaffen.“ Die Männer folgten der Spur. Mit bewundernswerter Energie hasteten sie vorwärts. Hinter ihnen braute sich das Unheil zusammen. Schon längere Zeit war ein hohles Rauschen in der Luft zu hören gewesen. Dann brandete es mit einem Schlag los. Eine Sturmböe jagte heran und warf die Männer beinahe um. Trockener Staub prasselte auf sie nieder. Luftwirbel rasten über das Land. Der Boden erzitterte, stampfte und grollte. Grüne Blitze fielen vom Himmel und rissen den Boden auf. Mit nervenzerreißendem Pfeifen flog eine Schar weißer Kugeln vorbei. Einzelne fielen nieder und blieben liegen. Die Männer kauerten eng zusammengedrängt auf dem Boden. Sie hielten sich gegenseitig fest, um nicht weggeblasen zu werden. Es war unmöglich, bei diesem Toben auch nur einen Schritt zu gehen. Niemand von ihnen glaubte mehr an die Rettung. 86
Der Boden warf plötzlich Blasen auf, die auseinanderplatzten. Eine weiße, milchige Masse wurde wie bei einem Vulkanausbruch hochgeschleudert. Ein atemraubender Gestank von verbranntem Fleisch verpestete die Luft. Ted Killing wollte aufspringen und davonstürzen. John Rey, der neben ihm saß, packte ihn am Genick und zwang ihn nieder. Diese beiden Männer verband sonst eine tiefe Freundschaft, doch angesichts der gewaltigen Naturkatastrophe versagten bei Ted Killing die Nerven. Er wehrte sich verzweifelt gegen den Griff. Aber John Rey war der Stärkere. Er machte rücksichtslos davon Gebrauch. Hart traf seine Faust das Gesicht des Freundes. Ted sackte zusammen und rührte sich nicht mehr. Schweigend schauten die anderen zu. Sie erkannten sofort, daß Rey auf diese Weise vielleicht seinem Freund das Leben rettete. Auch in ihnen zuckte es, auch sie mußten sich mit letzter Willenskraft dagegen wehren, nicht aufzuspringen und ziellos in das sichere Verderben hineinzulaufen. Nur wenn sie zusammenblieben, bestand die Möglichkeit einer Rettung. So schlagartig wie der Naturausbruch gekommen war, so schlagartig ebbte er auch wieder ab. Die vorübergehende Dunkelheit hellte sich auf. Das Licht strahlte jetzt viel heller und intensiver als vorher. Es schien aber von einem hoch über dem Stern liegenden Punkt zu kommen. Die Sicht reichte bis auf gut fünfhundert Meter. Die Männer sprangen auf. John Rey riß Ted Killing mit hoch. Sie stürmten vorwärts. Immer noch waren die Rauchzeichen zu sehen. Will Borsh packte Ted Killing an der anderen Seite, zog ebenfalls den willenlosen Mann mit. Immer heller wurde es. Das grelle Licht blendete bereits die Augen. Eine unerträgliche Hitze strömte von oben herab. Schon längst hatten die Männer alles weggeworfen, was irgendwie Gewicht besaß. Auch John Rey trug seinen Wasserbehälter 87
nicht mehr. Nur Will Borsh hatte die Filmkamera noch umhängen. Der Schweiß floß ihnen vom Körper. Die Zunge hing ausgetrocknet wie ein Kloß im Mund. Aber sie gönnten sich keine Ruhe. Jede Sekunde war kostbar, jeder Zentimeter brachte sie der Rettung näher – wenn die Rakete noch da war. Keiner stellte die Frage, niemand sprach es aus. Kein einziger der Männer wagte an den Fall zu denken, daß ihr Raumschiff vielleicht der Naturkatastrophe zum Opfer gefallen war. Dann setzte der Todeskampf des Teufelssterns von neuem ein. Wieder brauste der Orkan über das Land, wieder schossen die weißen Fontänen aus dem Boden. Noch gewaltiger wütete die Natur. Die Männer mußten sich wieder zusammenkauern. „Wir haben den festen Boden bereits verlassen“, brüllte Will Borsh in das Toben des Infernos. „Das Raumschiff kann nicht mehr weit sein.“ Seine Kameraden konnten die Worte nicht verstehen, doch sie ahnten, was er sagen wollte. Der Sturm hatte eine solche Geschwindigkeit und Gewalt erreicht, daß sie sich hinlegen mußten. Es war eigenartig: Der Orkan kam von oben, fiel senkrecht auf den Boden, raste mehrere hundert Meter über die Oberfläche und stieg dann wieder empor. Der Lichtschleier hob sich immer höher. John Rey richtete sich etwas auf und stieß einen Schrei aus. Seine Gefährten blickten der ausgestreckten Hand nach. In etwa tausend Meter Entfernung stand die Rakete. Sie hatte sich zwar stark zur Seite geneigt, aber sie stand noch. Jetzt waren die Männer nicht mehr zu halten. Sie sprangen auf und liefen auf das Raumschiff zu. Will Borsh führte den Professor am Arm. Sie kamen nur wenige Meter weit. Eine neue Sturmbö raste heran, riß sie zu Boden und wirbelte sie durcheinander. 88
Auf allen vieren krochen sie weiter. Der wilde Sturm raubte ihnen fast die Luft. John Rey und Percy Miller waren am weitesten vorangekommen. Die Aussicht auf das nahe Ziel hatte jedes Zusammengehörigkeitsgefühl zerstört. Es ging um das nackte Leben. Nur das Raumschiff erreichen, kein anderer Gedanke hatte in den Gehirnen Platz. Meter um Meter trotzten die Männer der Naturgewalt ab. Sie krallten die Finger in den glatten Boden, wenn neben ihnen die Oberfläche des Sterns aufbrach, zogen sich vorwärts, wenn sich die Oberfläche aufwölbte. Plötzlich riß der nach oben flüchtende Lichtdunst auf. Eine riesige strahlend helle Halbkugel schwebte über dem Stern. Ihre Glutwelle ergoß sich auf das Land. Wo sie hintraf, brodelte der Boden auf und riß auseinander. Die Halbkugel hing schwankend am Himmel. Sie senkte sich ganz langsam herab. Es war totenstill geworden, nur das Knistern der versengten Masse hing in der Luft. Die Männer konnten nicht mehr vorwärts. Ihr Blut preßte sich in den Kopf und hämmerte gegen die Schläfen. Noch hatte sie die Hitzewelle nicht getroffen. Sie war immer wieder an ihnen vorbeigerast. Aber wie lange dauerte es, und sie erlagen der tödlichen Natur. Mit donnerartigem Getöse brach in ihrer Nähe der Boden auf. Ein unübersehbarer, breiter Riß klaffte auseinander. Immer tiefer sank die Halbkugel. Sturzbäche der weißen Flüssigkeit ergossen sich über den Boden, verdampften und stiegen hoch. Der Dampf breitete einen neuen Dunstschleier um den Stern, milderte aber wenigstens die Hitze etwas. Die Männer lagen bewegungslos. John Rey versuchte als erster, sich zu bewegen. Er schüttelte das lähmende Grauen ab und zog sich nach vorne. Er spürte plötzlich keine Schwere mehr, mit einem Ruck schoß er mehrere Meter weit. Die Schwerkraft ist aufgehoben, schoß es ihm durch den 89
Kopf. Mit verzweifelter Kraft schrie er auf. Seine Kameraden hoben die Köpfe, sahen, wie er über dem Boden dahinflog und erkannten sofort, was los war. Es war ein phantastisches Bild, die Männer in meterweitem Flug über den Boden gleiten zu sehen. Nur noch fünfhundert Meter war das Raumschiff entfernt. John Rey hatte sich ihm sogar schon auf vierhundert Meter genähert. Da stieg die über dem Stern taumelnde Halbkugel plötzlich senkrecht in die Höhe, zuckte auf, verlosch, zuckte wieder auf und wurde langsam trüber. Dann flammte ein greller Blitz aus ihr hervor. Sie platzte auseinander. Die glühende Masse stürzte weitverteilt auf den Stern nieder. Dort, wo sie auftrat, fraß sie sich in die Tiefe und schleuderte neue glühende Massen empor. Mit einem Schlag wurde es dunkel. Nur das Feuerwerk der auftreffenden und ausbrechenden Glut warf gespenstische Lichtreflexe über die Gegend. Die Männer konnten die Rakete nicht mehr sehen. „Das Rettungsseil“, murmelte John Rey, „warum schießt uns Madleine nicht das Rettungsseil herüber?“ Dabei überlegte er nicht, daß es ja nicht sein mußte, daß sie von Madleine gesehen wurden, er überlegte nicht, daß auch ihr etwas zugestoßen sein konnte. Seine Gedanken kreisten nur noch um das Rettungsseil, das man in Katastrophenfällen den noch außerhalb des Raumschiffes befindlichen Besatzungsmitgliedern zuschießen konnte. Aber nichts rührte sich. Die Männer verständigten sich durch Zurufe. Endlich waren sie wieder alle beisammen. „Wo ist die Rakete?“ keuchte Percy Miller. „Ich weiß es nicht mehr“, antwortete John Rey. „Ich habe die Richtung verloren.“ „Warum macht Madleine nicht die Scheinwerfer an?“ brüllte Ted Killing. 90
„Das Rettungsseil“, flüsterte John Rey. „Wißt ihr überhaupt, ob Madleine noch lebt?“ fragte Will Borsh. Sie schwiegen. Darauf gab es keine Antwort. Mit brennenden Augen suchten sie die Umgebung ab. „Da!“ schrie Percy Miller. „Nein, da“, rief John Rey. Doch es waren nur Sinnestäuschungen gewesen. „Ich werde wahnsinnig“, murmelte Ted Killing. „Das halten meine Nerven nicht mehr aus. Erst diese Hitze, und kaum haben wir das überstanden, da wird es dunkel.“ „Ich bekomme keine Luft mehr“, stöhnte Professor Wintrup. „Der Sauerstoff verliert sich.“ Auch die anderen hatten es schon bemerkt. Das Atmen fiel ihnen schwer. Keuchend, nach Luft schnappend, lagen sie nebeneinander auf dem Boden. Sie gaben auf. 10. Kapitel Madleine Breed saß hinter dem Fernsehschirm. Aufgeregt verfolgte sie den Marsch der Männer. Ihre Finger krampften sich zusammen, als sie feststellen mußte, daß die Expedition nicht in Richtung auf das Raumschiff zumarschierte. Wie konnte sie ihren Leuten nur helfen? Die Rakete neigte sich immer mehr zur Seite. Madleine stand auf, sie mußte erst das Raumschiff sichern. Sie ging zum Kommandostand. Dort befand sich die Auslösung für die Abschußvorrichtung der Haltetaue. Es war ein einfaches Gerät, das sich aber immer wieder, besonders bei starken Stürmen, bewährt hatte. Mehrere Harpunen wurden in zwanzig Meter Entfernung in den Boden geschossen und die an ihnen befestigten Stahlseile strammgezogen. Die Harpunen konnten sogar in Felsboden 91
eindringen. Im Notfall, wenn ein schneller Start nötig war, konnte man alle Seile in Sekundenschnelle kappen. Madleine verankerte die Rakete. Es geschah gerade im richtigen Augenblick. Draußen hatte sich ein gewaltiger Sturm erhoben. Das Raumschiff schwankte hin und her, stürzte aber nicht um. Dann schloß Madleine alle Fenster und ließ die Stahlplatten vorfahren. Anschießend überprüfte sie die Geräte. Sie mußten sofort starten können, wenn die Männer an Bord kamen. Ob es ihnen überhaupt noch gelang? Wieder saß Madleine Breed vor dem Bildschirm. Mit Erleichterung stellte sie fest, daß sich die Gefährten näherten. Fiebernd vor Erregung verfolgte sie den Verzweiflungsmarsch. Nur noch tausend Meter. Es mußte gelingen, aber warum taumelten die Oberkörper so seltsam hin und her? Madleine konnte auf dem Bildschirm nicht sehen, was sich draußen abspielte. Sie spürte zwar die Erschütterungen, mußte sich aber festhalten, um durch die schwankende Rakete nicht von ihrem Platz geschleudert zu werden. Die automatisch arbeitende Klimaanlage und die anderen technischen Einrichtungen ließen sie von dem draußen herrschenden Chaos wenig fühlen. Plötzlich war das Bild auf dem Schirm verschwunden. Madleine drehte an den Knöpfen. Es war umsonst. Sie bekam die Männer nicht mehr auf den Bildschirm. Madleine ließ vor einem Fenster die Stahlplatte hochfahren und starrte hinaus. Sie mußte sich festhalten. Eine grelle Helligkeit hatte sich ausgebreitet. Im Innern des Raumschiffes stieg die Temperatur trotz der Klimaanlage sprungartig an. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete Madleine das furchtbare Schauspiel, das sich ihr bot. „Mein Gott“, murmelte sie, „das kann kein Mensch überleben.“ 92
Und doch brannte in ihr noch ein kleines Fünkchen Hoffnung. Sie eilte zu den Instrumenten und überprüfte sie. Von dem Funktionieren der Maschinen hing das Leben ab. Dann ging sie wieder zu dem Fernsehgerät zurück. Der Bildschirm war leer. Madleine klopfte mit den Fäusten gegen das Gerät. Es war sinnlos, sie wußte es. Trotzdem probierte sie es wieder. Sie mußte wissen, wie weit die Männer noch weg waren, wo sie sich befanden. Erst dann konnte sie ihnen das Rettungsseil entgegenschießen. Wieder stand Madleine am Fenster und starrte in die Richtung, wo sie die Männer zuletzt gesehen hatte. Dann holte sie sich einen Prismenfeldstecher. Meter für Meter suchte sie das vor ihr liegende Terrain ab. Nur mit Mühe konnte sie einen Schrei der Freude unterdrücken. Sie hatte John Rey entdeckt. Und dann fand sie auch die anderen. Sie waren nicht mehr beisammen. Was bedeutete das? Ganz in der Nähe der Rakete fuhr ein Hitzestrahl nieder. Madleine Breed schloß geblendet die Augen. Sie taumelte zurück. Es dauerte Minuten, bis sie wieder einigermaßen sehen konnte. Noch einmal schaute sie durch den Feldstecher. Ja, die Männer lagen noch auf ihren alten Plätzen. Madleine schätzte die Entfernung, dann ging sie zu einem kleinen Pult Sie legte einen Hebel um. Am Kopf der Rakete öffnete sich eine kleine Zelle. Auf einer Skala stellte Madleine die Entfernung ein, richtete das Gerät und drückte auf den Auslöser. Zischend fuhr das Seil durch die Luft, doch mit Schrecken erkannte Madleine, daß sie die Neigung des Raumschiffes nicht berücksichtigt hatte. Sie ließ das Seil wieder einrollen und schoß noch einmal. Es ging wieder daneben. Ehe sie es ein drittes Mal versuchen konnte, wurde es dunkel. 93
„Jetzt ist es aus“, flüsterte Madleine, „jetzt sehen sie das Schiff nicht mehr.“ Sie senkte den Kopf. Verzweiflung wollte sie erfassen. Mit letzter Energie richtete sie sich auf. Nur Minuten hatte ihre Mutlosigkeit gedauert. Sie würde nicht aufgeben und wenn es sein mußte, mit ihren Kameraden sterben. Mit einer entschlossenen Bewegung schaltete sie die Suchscheinwerfer ein. Die Männer mußten sie sehen. Dann öffnete sie das Fenster. * „Da!“ schrie plötzlich John Hey auf, „die Scheinwerfer.“ Wie ein elektrischer Schlag fuhr es durch die Körper der Männer. Sie sprangen auf, stiegen mehrere Meter in die Höhe, hatten Mühe, wieder herunterzukommen. „Nach vorne abdrücken“, rief John Rey. „Wir haben kaum noch ein Gewicht. Durch das Hochspringen verlieren wir nur Zeit.“ Es war nicht so einfach, ohne die nötige Schwere vorwärtszukommen. Miller gelang es noch am besten. Er hatte bald einen großen Vorsprung vor den anderen. Nicht weit hinter ihm kam John Rey. Die Luft wurde immer schlechter. Sie enthielt kaum noch genügend Sauerstoff zum Atmen. Rings um die Männer herum schlugen glühende Brocken in den Boden, Feuerfontänen sprangen hoch und warfen ihre Funken nach allen Selten. Wo sie auf die Körper der Männer trafen, bildeten sich Brandblasen. Percy Miller hatte sich dem Raumschiff schon auf fünfzig Meter genähert. Deutlich sah er Madleine Breed am Fenster stehen und winken. Professor Wintrup, der von Will Borsh geführt wurde, und Ted Killing waren noch über hundert Meter weit zurück. 94
Jetzt hatte Percy Miller die Rakete erreicht. Er sprang hoch, faßte sich am Fensterrahmen und stand in der Zentrale. Sofort setzte er sich vor den Kommandostand. „Holen Sie sofort die Einstiegleiter ein, schließen Sie die Ausstiegluke“, befahl er hastig. Madleine Breed sah nur einen Teil seines Oberkörpers, doch an der Stimme erkannte sie Percy Miller. Während sie seine Anweisungen ausführte, kam John Rey durch das Fenster herein. „Draußen kann man kaum noch atmen“, keuchte er und pumpte seine Lungen voll Luft. „Der ganze Sauerstoff ist weg.“ Er beugte sich aus dem Fenster. Percy Miller hantierte an der Schalttafel herum. Er löschte die Scheinwerfer. „Wie weit sind sie noch weg?“ „Zwanzig Meter. Sie kommen nicht mehr vorwärts.“ Er holte tief Luft und sprang zum Fenster hinaus. Er landete direkt vor den drei Männern. Inzwischen machte Percy Miller alles zum Start klar. Madleine erschien wieder. Draußen beugte sich John Rey über den Professor. Er hob ihn hoch. Es ging sehr leicht. Der Professor hatte nur noch ein Gewicht von wenigen Gramm. Dann schleuderte Rey den Körper auf das offene Fenster zu. Er traf gut. Madleine Breed fing den Professor auf und trug ihn zu einem Sessel. Auch Ted Killing kam nun heran. Er war ganz blaß im Gesicht und hatte den Mund aufgerissen. Als letzten brachte Rey Will Borsh. Dieser hätte die Rakete schneller erreichen können, war aber bei Professor Wintrup geblieben und hatte ihm geholfen. Sofort schloß Percy Miller das Fenster und ließ die Schutzplatte vorfahren. „Alle anschnallen“, kommandierte er. 95
Die Männer erholten sich schnell und folgten seinem Befehl. Die Düsenaggregate begannen zu arbeiten. Percy Miller löste die Haltetaue. „Ich starte“, rief er. Langsam hob sich das Raumschiff vom Boden ab. Miller fuhr die Ständer ein und gab noch mehr Schubkraft auf die Düsen. Doch ehe er die volle Aufstiegsgeschwindigkeit erreicht hatte, wurde die Rakete wie von einer Riesenfaust emporgeschleudert. Sie überschlug sich und wirbelte durch den Weltraum. Percy Miller nahm geistesgegenwärtig den Druck von den Düsen. Nur allmählich gelang es ihm, das Raumschiff abzufangen. „Wir müssen ein Fenster frei machen“, rief er, „ich habe keine Orientierung.“ Er ließ eine Stahlplatte vor einem Fenster hochfahren. Madleine Breed schnallte sich los und trat an das Fenster. Regungslos starrte sie hinaus. Sie beantwortete die Fragen ihrer Gefährten nicht. Die Männer schnallten sich ebenfalls los und traten zu ihr. Ein grandioses Schauspiel bot sich ihnen. Das Raumschiff befand sich etwa fünfzigtausend Kilometer über dem schwarzen Stern. Er glühte jetzt so hell wie eine Sonne. Will Borsh schaltete eine automatische Kamera ein. „Der Stern ist so groß wie unser Mond“, sagte er in die Stille. Niemand antwortete ihm. „Er wächst!“ rief Madleine. Der Stern dehnte sich immer weiter aus. Die sechs Menschen konnten erkennen, daß er sich in rasender Umdrehung befand. Dann zog er sich plötzlich zusammen. Hohe Glutfontänen schossen nach allen Seiten weg. Eine mehrfache, grüne Lichtwelle flammte auf, und dann brach der Stern auseinander. Ziellos schossen die Lichtteilchen in das All hinaus. Mi96
nutenlang konnte man ihre Bahn verfolgen, bis sie verglühten. Die Finsternis des Kosmos lagerte über der Stelle, wo vor kurzem noch eine unerfaßbare Macht regiert hatte. – Ende –
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