Friedrich Gerstäcker
Die Flucht über die Kordilleren Erzählungen
Philipp Recklam jun. Stuttgart
Inhalt Flucht über d...
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Friedrich Gerstäcker
Die Flucht über die Kordilleren Erzählungen
Philipp Recklam jun. Stuttgart
Inhalt Flucht über die Kordilleren 7 Die Nacht auf dem Walfisch 37 Die Silbermine in den Ozarkgebirgen Die Sklavin 76 Die Vertreibung der Mormonen aus Missouri 114 Die Wolfsglocke 149 Ein Ausflug in Java 182 Herr Schulze – Ein Märchen 194 Jack und Bill 204 John Wells 225 Schwarz und Weiß 254
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Flucht über die Kordilleren Es war im September 1845, daß die vereinigten Geschwader von England und Frankreich die argentinische Flotte auf dem La Plata, von Admiral Brown, einem Irländer, kommandiert, wegnahmen und den Hafen von Buenos Aires blockierten. Ja sie landeten sogar Truppen, eroberten die von dem argentinischen General besetzten kleinen Häfen, wie die für die Schiffahrt der argentinischen Binnenwasser so wichtige kleine Insel Martin Garcia und setzten damit dem Einfluß des Diktators Rosas, wenn auch nur für kurze Zeit, einen entschiedenen Damm entgegen. Rosas wütete und drohte gleich darauf durch ein Dekret, seine Gegner als Seeräuber behandeln zu wollen, und hätte er damals die Macht in Händen gehabt, seine Feinde würden bös gefahren sein. So aber fürchtete er doch noch immer das entschiedene Auftreten der beiden vereinigten Mächte und mußte sich begnügen, seiner Rache gegen einzelne freien Lauf zu lassen, die seinen Gesetzen zuwiderhandelten und ihnen anheimfielen. Die rücksichtsloseste Strenge, ja Grausamkeit wurde aber gegen solche angewandt, die wirklich mit den Feinden der Föderalisten, den Unitariern, in geheimer Verbindung gestanden, ja auf die nur der Verdacht eines solchen Bündnisses fiel. Das war die Schreckenszeit, in welcher die abgesandten Henkersknechte des Diktators, die Mashorqueros, besonders in Buenos Aires selber durch die Stadt zogen, die bezeichneten Häuser besetzten und den verdächtig gewordenen Opfern wer hätte sie alle verhören können - oft in der Mitte ihrer eigenen Familien, die Kehlen durchschnitten. Dann brannten sie vor dem Hause eine Rakete ab, als Zeichen, daß die Polizei die Leiche abholen könne. Das war die Zeit, wo das Gitter des großen Obelisken auf dem Viktoriaplatz allnächtlich, ja am hellen Tage seinen furchtbaren Schmuck von abgeschlagenen Köpfen trug; das die Zeit, wo das Herz des treuesten Anhängers Rosas' selbst
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vor Entsetzen aufhörte zu schlagen, wenn man ein Klopfen an der Haustür vernahm, denn niemand war sicher, und jener furchtbare Mann des Blutes, der aber auch nur auf solche Art imstande war, sich das Land zu unterwerfen und die wilden Gauchoshorden in Furcht und Ordnung zu halten, mähte förmlich in den Reihen seiner Feinde. Man behauptet, daß er während seiner Regierung weit über 5000 Menschen habe hinrichten lassen. Aber nicht allein in Buenos Altes selber, sondern auch im innern Lande lebten ihm Feinde, und besonders stand die Provinz Mendoza in dem Verdacht, den »asquerosos, inmundos Unitarios« nur zu geneigt zu sein. Mendoza aber, am Fuß der Kordilleren, lag zu weit ab von dem wirklichen Schauplatz des Krieges, um die Einwohner dort ebenso streng unter Aufsicht, ebenso erfolgreich in Schrecken zu halten als die Küstenstriche; und wenn auch dort die föderalistische Polizei, von den wilden Gaucho-Soldaten unterstützt, das Land der Regierung des Diktators gehorsam hielt, waren es doch besonders die Fremden, die jetzt, darauf fußend, daß ihre Landsleute mit offenen Schießluken die Hauptstadt des Landes eingeschlossen hielten und bedrohten, ziemlich offen sich aussprachen über eine Regierung, die »genug Blut vergossen habe, um einen Dreidecker flottzuhalten« und allen Gesetzen der »Zivilisation und Menschenrechte« Hohn spräche. Ein junger, erst seit kurzem mit einer Mendozanerin verheirateter Engländer, namens Ellington, dessen Vater durch eine der Maßregeln des Diktators fast sein ganzes Vermögen eingebüßt, eiferte besonders gegen diese Zustände und trotzte dabei auf die Kriegsfahrzeuge seiner Landsleute, unter deren Schutz er sein Leben wähnte. Vergebens bat ihn selbst sein Vater, bat ihn sein junges Weib, seine Zunge zu wahren; offen schon hatte er sich gegen oft nur zweideutige Freunde ausgesprochen, daß gerade vom Westen aus die Bevölkerung nach der Seeküste vorpressen müsse, um einem Zustand der Willkür ein Ende zu machen, der unerträglich würde; ja er verbarg mehrere flüchtige Unitarios in seinem Hause und weigerte
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sich, der argentinischen Polizei den Zutritt zu gestatten, bis er Mittel gefunden, die Verfolgten zu retten. Allerdings hatte ihn bis jetzt nur noch seine Nationalität vor der Rache des beleidigten Diktators geschützt; aber dem mächtigen Gauchohäuptling standen auch andere Mittel zu Gebote, seine Feinde unschädlich zu machen, als allein öffentliches Gerichtsverfahren, und über Mr. Ellingtons Haupt zog sich ein Gewitter zusammen, das ihn in kurzer Zeit zu erreichen und - zu vernichten drohte. - Nichtsdestoweniger blieb er blind gegen die dringendsten Warnungen seiner wenigen wirklichen Freunde, denn nur wenige wagten noch in der Tat, sich öffentlich seine Freunde zu nennen. So rückte der Juni von 1846 heran, und Ellington, nur noch kühner gemacht durch die lange Duldsamkeit dessen, der doch die Macht in Händen hatte, ihn zu vernichten, ließ sich in immer tiefere Verbindungen ein und unterhielt sogar schon eine ziemlich lebhafte Korrespondenz mit Chile, um von dort herüber der Sache der Unitarier zu Hülfe zu kommen. Ja die Schlinge schien schon gelegt, die den Diktator in ihren Maschen fassen und vernichten sollte, als eines Abends Don José, Mr. Ellingtons Schwager, leichenbleich und vollständig zur Flucht gerüstet, in dessen Wohnung stürzte und dem anfangs Ungläubigen die Kunde brachte, daß ihr beider Leben in diesem Augenblick an kaum mehr als einem Haar hinge; denn von Rosas gedungene Mashorqueros seien allein in diesem Auftrag selbst von Buenos Aires nach Mendoza gekommen, und der nächste Augenblick schon könne sie selber in der Gewalt dieser furchtbaren und unerbittlichen, blutdürstigen Henkersknechte sehen. Schleunige Flucht, solange selbst diese ihnen noch übrigblieb, war das einzige, was sie jetzt retten konnte; und wenn sich auch Ellington im Anfang gegen den Gedanken sträubte, die Gefahr so nahe zu glauben, ja sich auf den Konsul seiner Nation stützen wollte, dem gegenüber Rosas nicht wagen würde, eine Gewalttätigkeit zu begehen, konnte er doch nicht lange dem Zureden seines Schwagers, den flehenden Bitten seines Weibes widerstehen. - Selbst der alte Mr.
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Ellington, der jedenfalls den Mißhandlungen der Henker ausgesetzt gewesen wäre, wenn diese den Sohn entflohen fanden, mußte sie begleiten, und nur eben zusammenraffend, was sie an Geld, Pretiosen und Lebensmitteln fortbringen konnten, verließen sie, vollkommen bewaffnet, wirklich im entscheidenden Moment das Haus, denn kaum zehn Minuten später wurden die verschiedenen Türen desselben von außen leise besetzt, und rot verhüllte Gestalten durchsuchten mit blanken Waffen und ingrimmigen Verwünschungen die leeren Räume. Die Lage der Flüchtlinge war aber deshalb keineswegs um vieles gebessert. Den Messern des Diktators allerdings im ersten Anlauf entgangen, wäre ihnen doch die Flucht auf die Länge der Zeit durch die weiten, öden Pampas, die Mendoza rings umschließen, unmöglich gewesen; und die Kordilleren, die sie nur in kurzer Entfernung von dem gastlichen Chile trennten, lagen mit Schnee gefüllt und drohten dem Tollkühnen Verderben, der sich in dieser Jahreszeit in ihre sturmdurchbrausten Schluchten wagen sollte. Und doch blieben diese nur ihre einzige Rettung - wenigstens in der Möglichkeit, den zürnenden Elementen das dürftige Leben abzuringen; denn kein Erbarmen hatten sie von den Mashorqueros des gereizten Rosas zu erwarten. Wohl aber wissend, daß bis Tagesanbruch auch selbst dorthin die Wege abgesperrt sein würden, führte Don José den kleinen Trupp in gerader Richtung in die Hügel hinein, an deren Fuß sie sich fast befanden, ihrem guten Glück vertrauend, von dort einen jetzt im Winter ganz unwegbaren Paß über das Gebirge selber zu finden. Das Glück begünstigte sie hier insofern, als sie, der ersten Schlucht in die nächsten Hügel hinein folgend, eine kleine Hütte und dort zwei Peons trafen, die sich augenblicklich bereit zeigten, ihnen gegen eine sehr beträchtliche Belohnung zu Führern über die Gebirge zu dienen. Die Burschen waren, wie sie behaupteten, mit jedem Pfade, jedem Bach in den Bergen bekannt, und selbst das aufrichtige Geständnis Don Josés, daß sie von Rosas' Henkern verfolgt würden, konnte sie nicht abschrecken. Lachend meinten sie, sie wären allerdings Argentiner, aber gehörten doch eigentlich nach Chile hinüber,
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und wenn die Señores und die Señorita fürchteten, daß sie verfolgt würden, wollten sie schon einen Pfad nehmen, auf dem bald die Kecksten der Gauchos, die sich überdies nie gern von ihren Pferden trennen, zurückbleiben sollten. Noch vor Tagesanbruch waren zwei Maultiere, das eine für Señora Ellington, das andere für den alten Herrn, gesattelt und mit den nötigsten Provisionen beladen, und der kleinen Schlucht, in der die Hütte stand, aufwärts folgend, erreichten sie gerade mit Dunkelwerden den Gipfel der ersten Hügeloder Bergreihe, der schon dicht mit Schnee bedeckt lag, überschritten diese und stiegen dann bei dem matten Licht, das die Sterne auf den Schnee niederfunkelten, wieder in ein anderes, wärmeres Tal hinab. Die Kordilleren bilden sich nämlich, wie die Rocky Mountains oder Felsengebirge im Norden durch drei Abdachungen, hier durch zwei streng voneinander geschiedene Gebirgsreihen, die sich von Nord nach Süd hinunterstrecken. Der erste, nach den Pampas zu liegende Berg- oder Hügelstreifen - denn was in einem andern Lande recht gut ein Berg genannt werden könnte, erscheint hier, neben den gewaltigen Kordilleren, doch nur als Hügel - schmiegt sich dicht an den Hauptrücken, nur ein schmales Tal zwischen sich und diesem lassend, hin, ist aber hoch genug, sogar in dieser niedern Breite den Winter hindurch eine gar warme und behagliche Schneedecke zu tragen, während die Kordilleren selber schroff und gewaltig, in riesiger Masse aus dem nämlichen Tal emporsteigen - ein fester, kompakter Körper von Schnee und Eis, auf granitenem Piedestal ruhend. So schroff und steil kommen dabei die einzelnen Bergwasser aus jenen riesigen Höhen herausgestürzt, daß es nur an einzelnen Stellen möglich ist, dem Lauf derselben aufwärts zu folgen, während die übrigen Gebirgsmassen eine feste, unersteigbare Wand bilden, die sich wolkenhoch, Berg auf Berg gehäuft, emportürmt. Aber selbst diese wenigen Pässe können nur für eine Strecke weit im Winter mit Maultieren begangen werden; nachher muß der Wanderer, den sein Geschick in diese Wildnis getrieben, die Bahn zu Fuß weitersuchen, und nicht allein der Ab-
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grund dicht unter dem schwankenden Schritt droht Verderben, nein, der geringste losgebröckelte Schnee, der ihn hier träfe, müßte ihn, durch das Gewicht seines Falles, in die Tiefe schmettern, und der Kondor oder der Puma der Gebirge hätte dann ein treffliches Mahl. Die beiden Peons kannten hier aber jeden Fußbreit Landes, und dem Tale folgend, das sich in ziemlich gerader Richtung gen Norden zog, erreichten sie gleich am nächsten Tage einen der Pässe, der eigentlich nur im Sommer benutzt wurde, den sie aber doch jetzt ebenfalls hofften, passieren zu können, und hier hatten sie dann kaum eine weitere Verfolgung zu fürchten. Nur zu bald sollten sie aber diese Hoffnung getäuscht finden: ein gewaltiger Schneesturz hatte den schmalen Pfad so überschüttet, daß sie wochenlang gebraucht haben würden, sich hier hindurchzuarbeiten, und wo indessen Provision hernehmen, während ein völliges Schneegebirge jeden weitern Fortschritt hemmte? Selbst jetzt war die Gefahr groß genug, gerade an dieser Stelle von ihren Verfolgern überholt zu werden, denen sie dann nach keiner Richtung hin mehr hätten entfliehen können. Langes Beraten half hier ebenfalls nichts; rasch umdrehend eilten sie die eben gemachte Bahn in das Tal zurück, wo ihre Maultiere noch zwischen den dort grünenden Myrtenbüschen reichliches Futter fanden, um den Tucunjado, ebenfalls einen der Bergströme, zu erreichen, ehe die Verfolger bis hierher ihre Spur aufgefunden haben könnten. Diese mußten übrigens schon in großer Anzahl kommen, wenn sie ihnen gefährlich werden sollten, denn die Gauchos, wie die Bewohner der Pampas genannt werden, führen selten oder nie Feuergewehre, mit denen sie auch nur höchst mittelmäßig umzugehen wissen, und die beiden Engländer waren mit Pistolen und Büchsen vortrefflich bewaffnet. Selbst Don José führte ein Paar Pistolen im Gürtel und ein Doppelgewehr, und die Peons hatten ihre gewöhnlichen langen Messer, ohne das ein Argentiner, besonders in damaliger Zeit, nie die Schwelle seines Hauses verließ.
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Unten an der Mündung des Tucunjado, das heißt dort, wo der Bergstrom, von dem Hauptrücken der Kordilleren niederschäumend, seine Wasser mit einem größeren Bache vereinigt, der von Norden niederkommt und sich später seine Bahn in die freie Ebene bricht, liegt, hoch von den Schneegebirgen überragt, aber auch gegen all die rauhen Südweststürme geschützt, in fast tropischem Klima, eine kleine freundliche Farm, die Grenzstation der Argentinischen Republik, und im Sommer der Stapelplatz der Mautaufseher, die den Tucunjado-Paß niederkommenden Karawanen zu überwachen; im Winter aber, wo fast jede Verbindung mit Chile, unbedingt jede mit Packtieren, abgeschnitten ist, wird die Bewachung teils sehr lässig betrieben, teils ganz aufgegeben, und eine kleine Wirtschaft mit einigen Bergbewohnern und einem Dutzend starker, kräftiger Guanakohunde ist das einzige, was zurückbleibt, bis der Schnee der Gebirge taut, seine Massen in Sturzfluten durch das Tal gesandt und die Pfade wieder freigegeben hat. Jetzt hausten dort nur ein paar alte Guanakojäger, und den hoch eingefriedigten Weideplatz, mit dem üppigsten Gras und Futterklee bedeckt, kannten die müden Tiere gut genug, um ihm schon von weitem entgegenzuwiehern. Ehe man sich aber in Sicht dieses Platzes wagte, wurde ein kurzer Kriegsrat gehalten, und zwar einstimmig dahin beschlossen, vorerst einen der Peons zum Rekognoszieren vorauszuschicken und zu sehen, ob die Spione und Henkersknechte des Diktators selbst bis hierher gedrungen wären. War das der Fall, so mußten sie, wo sie sich eben befanden, die Nacht abwarten, nach einbrechender Dunkelheit am rechten Ufer des Bergstromes, soweit es die steilen Wände erlaubten, hinaufhalten und den Fluß dann furtend den schmalen Pfad zu erreichen suchen, der an dem linken Ufer bis fast zu dessen Quellen auflief. Der älteste der Peons, ein durchtriebener Bursche mit wilden, verlebten Zügen, aber einem Paar schlau und listig unter buschigen Brauen vorblitzenden Augen, wurde dazu gewählt und kehrte auch schon nach zwei Stunden mit der Nachricht
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zurück, daß allerdings elf Mann in dem Hause lägen und eben erst von einem kurzen Streifzug den Tucunjado hinauf zurückgekehrt wären, nachdem sie sich überzeugt hätten, daß die Flüchtigen noch nicht auf diesem Wege entkommen seien. Am nächsten Morgen würden sie aber unfehlbar das ganze Binnental absuchen und deshalb gar keine Wahl lassen, was man etwa tun sollte. Die einzige Möglichkeit, noch zu entkommen, sei, während der Nacht die Station zu umgehen und dann so rasch vorwärts zu rücken, wie es die Kräfte der Passagiere nur irgend erlaubten. An der Schneegrenze angekommen, wollten sie dann die Maultiere absatteln und laufen lassen - den Rückweg suchten die klugen Tiere leicht allein, und hatten sie erst einmal den teilenden Gebirgsrücken erreicht, so waren sie sicher, denn Rosas durfte nicht wagen, die chilenische Grenze zu überschreiten. Das Umgehen der Farm gelang, von einer ziemlich dunklen Nacht begünstigt, vortrefflich. Noch lange vor Tagesanbruch hatten sie den schmalen Bergpfad erreicht, der sich am linken Ufer des jetzt niedern Stromes, oft kaum zwei Fuß Bahn neben einem Abgrund lassend, hinaufzog; hier aber mußten sie halten, bis das Tageslicht ihnen weiterhelfe, denn es wäre mehr als Tollkühnheit gewesen, solchen Weg in dunkler Nacht zu verfolgen. Mit dem ersten Dämmerlicht brachen sie wieder auf, und selbst Señora Ellington, wenn auch nie im Leben an solche Strapazen gewöhnt, fühlte sich durch die kurze Rast wie neu gestärkt; kein Wort der Klage kam wenigstens über ihre Lippen. Den schwierigsten Teil des Überganges hatten sie aber noch vor sich, jedenfalls den beschwerlichsten, und als erst ihre wirkliche Wanderung über den Schnee begann, drohten die Kräfte der jungen Frau sowohl wie die des alten Herrn den ungewohnten und gewaltigen Anstrengungen zu erliegen. Als sie am Abend, schon nach Dunkelwerden, die Punta del Vaca, eine kleine schmutzige Steinhütte, erreichten, mit einem Loch zur Tür und nichts als den kalten, gefrorenen Boden der Hütte selber zum Bett, wäre es der schwachen, zarten Frau nicht
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möglich gewesen, auch nur noch einen Schritt weiterzusetzen, und doch wußten sie alle, daß vielleicht an der Verzögerung einer Viertelstunde schon der Tod hing. Es mochte zehn Uhr abends sein. Der Himmel war klar und sternenhell, und in der Hütte hatten sich die müden Wanderer, ohne selbst imstande zu sein, ein Feuer anzuzünden, in ihre Decken gehüllt und dicht nebeneinandergeschmiegt, der Nacht vielleicht eine Stunde Schlaf und Ruhe abzustehlen. Nur der jüngere Peon stand, wohl dreihundert Schritt zurück, von woher sie gekommen, auf Posten, um hier an einer schmalen Stelle der Straße, an der kein Feind, noch dazu über den hellen Schnee, an ihn heranschleichen konnte, den Paß zu bewachen und bei dem geringsten Zeichen von Gefahr die kleine Schar zu alarmieren. Von der Hütte her kamen jetzt Schritte, und wenige Minuten später stand der ältere Felipe an seiner Seite. »Was sagst du zu unserem Unternehmen, Compañero?« frug er endlich leise den Kameraden, als er ein paar Minuten an dessen Seite gestanden und in die Nacht hinausgelauscht hatte. »Daß ich es herzlich satt habe, mich auf einer Seite mit einer papiernen Señorita herumzuquälen«, brummte der Gefragte mürrisch, »die wir morgen wahrscheinlich noch das Vergnügen haben werden, durch den Schnee zu schleppen, denn gehen kann die Puppe doch nicht mehr, und ich andererseits meinen Hals in Gefahr weiß, sobald uns die Mashorqueros des Gouverneurs überholen. Pest und Gift, die Burschen verstehen keinen Spaß, und ich könnte mir eher Erbarmen von einer wilden Schar der Pampas-Indianer erbitten als von einem von Rosas' roten Ponchos. - Ich wollte, wir hätten uns mit der ganzen Sache nicht eingelassen.« »Weißt du, Compañero«, sagte der Alte, seinen Arm traulich auf dessen Schulter legend und vorsichtig dabei zurückschauend, ob keiner ihrer Passagiere munter und in der Nähe wäre, »mir selber gefällt die Geschichte auch nicht mehr, und für die lumpigen zehn Unzen wären wir eigentlich rechte Toren, wenn wir - wenn wir eben -«
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»Wenn wir was?« frug der Jüngere gespannt und drehte sich halb nach seinem älteren Gefährten um. »Ei zum Teufel, wenn wir uns eben noch unnützerweise abquälten!« setzte dieser rasch und wild hinzu. »Es sind doch nur Unitarios und dürfen nie nach der Republik zurückkommen. Überdies sieht mir der Himmel da drüben im Südwesten ebenfalls nicht so richtig aus. - Kriegen wir hier einen Temporale, so sind wir geliefert, und - ich meinesteils bin fest entschlossen, diesen Augenblick meinen Rückweg anzutreten gehst du mit?« »Du hast mir die Gedanken aus der Seele gelesen«, lachte der Jüngere, »mag der Inglese sehen, wie er über die Berge kommt - wir lassen ihm überdies unser Charque Charque: getrocknetes Fleisch. in der Hütte zurück, und sie dürfen sich nicht beklagen, daß sie nichts zu essen hätten. Aber komm, die Zeit vergeht, und es ist bitter kalt hier oben; wenn wir uns tüchtig in Trab setzen, können wir die Estancia noch bei guter Zeit morgen früh erreichen.« »War mir's doch, als ob ich da vorn ein Geräusch wie von knirschendem Schnee hörte«, sagte der Alte da plötzlich und schützte seine Augen mit dem Arme gegen den blendenden Schein der weißen Decke, »da wieder.« »Mir kam es auch erst so vor«, sagte der Jüngere, seinen Poncho um sich herziehend und dann niederkniend, um das eine Schaffell, das er sich der Kälte wegen um seine Füße gewickelt, etwas fester zu binden, »aber es wird der Puma sein, der vor etwa einer halben Stunde quer vor mir über den Schnee sprang und hinunter nach dem Wasser zu hielt. Rosas müßte einen tüchtigen Preis auf das Einbringen unserer Gesellschaft gesetzt haben, wenn er die Gauchos bis hier in den Schnee hinter ihnen her treiben könnte. - So«, rief er dann, indem er, seine Fußbekleidung in Ordnung gebracht, wieder in die Höhe sprang und den Hut in die Stirn drückte, »jetzt bin ich fertig, und nun können wir doch sagen, daß wir unsern Weg bis hierher ganz anständig bezahlt bekommen haben.« Felipe antwortete nichts, horchte nur noch einmal zurück, wo sie die, die ihrer Treue viel zu gutmütig vertraut hatten,
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ohne Ahnung zurückließen, daß die Führer und Wachen sie verräterischerweise im Stich ließen, und schritt dann dem Gefährten rüstig voraus durch den tiefen Schnee, um sobald als möglich die von diesem freie Passage wieder zu erreichen und von da ab rasch dem wärmeren Tal zueilen zu können. »He, Felipe, rief's da nicht hinter uns?« sagte, stehenbleibend, plötzlich der junge Bursche. »Was kümmert's dich?« brummte aber, die Schritte eher noch dadurch beschleunigend, der ältere Gefährte; »laß sie schreien, aber mach, daß du aus Schußweite -« Seine Rede wurde hier auf etwas rauhe Art unterbrochen, denn neben ihm, wie aus dem Schnee heraus, sprang eine Gestalt, flog ihm nach der Kehle und hatte ihn auch im nächsten Moment, ehe er nur daran denken konnte, nach seinem Messer zu greifen, zu Boden geworfen, wo er wie in einen Schraubstock eingeklemmt und regungslos lag. Asistencia! wollte er rufen, aber schon bei dem ersten Laut blitzte ein blanker Stahl vor seinen Augen, und der Ruf erstarb ihm auf den Lippen. - Sein Angreifer sprach kein Wort - lautlos, doch mit riesiger Kraft hielt er ihn zu Boden. Wenige Minuten später hörte Felipe, daß sich jemand näherte, gleich darauf fühlte er sich selber von noch anderen gefaßt und aufgehoben, und als sie den nächsten Felsenvorsprung erreicht und hinter sich hatten, fand er sich plötzlich zu seinem Erstaunen ganz frei neben seinem jüngeren Gefährten stehend, der auf gleiche Weise überwältigt worden sein mußte, und nur sein erster Angreifer sagte mit leiser, aber nichtsdestoweniger drohend genug klingender Stimme: »Du bist alt genug, zu wissen, Compañero, daß wir keinen Spaß verstehen - verhalte dich ruhig und sag uns, was du weißt, und du hast für dich selber nichts zu fürchten; mache dagegen einen einzigen Versuch, zu fliehen oder uns zu verraten, und du bist ein Kind des Todes.« Der alte Peon, der seine Arme kaum frei fühlte, griff fast unwillkürlich nach seinem Gürtel zurück, das Messer zu fühlen. Der Fremde, der die Bewegung bemerkte, sagte jedoch mit kaltem, fast höhnischem Lächeln:
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»Es ist in guten Händen - könnte dir selber aber auch jetzt nur Schaden tun. Wir wissen überhaupt alles, und ihr beiden mögt es unserer guten Laune, euch hier in der Falle zu wissen, zuschreiben, daß unsere Messer nicht schon lange, und statt aller weiteren Umstände, mit euren Kehlen Bekanntschaft gemacht haben.« »Und weshalb?« frug jetzt der Alte, der seine Geistesgegenwart rasch wiedergewonnen und nun aus ihrer Lage so viel Vorteil als möglich zu ziehen suchte, »etwa weil wir euch heut abend in unserer Nähe spürten und uns nach kurzer Beratschlagung aufmachten, euch unsere Hülfe und Arme anzubieten? - Ich dachte allerdings nicht, daß ihr so zahlreich wäret«, setzte er dann langsamer hinzu, indem sein Blick rasch die ihn umgebende Schar, vierzehn oder fünfzehn drohende Gestalten, überflog, »aber wenn ihr uns nicht braucht, ist damit nicht gesagt, daß wir den Tod verdient hätten.« »Der Teufel traue dir nur, Compañero«, lachte der Anführer der Mashorqueros, »doch ich will sehen, inwieweit du wenigstens jetzt aufrichtig bist; so beantworte vor allen Dingen meine Fragen kurz und treu, wir haben weder Zeit noch Lust, Ausweichungen oder Unbestimmtes zu hören - also: Haben die Flüchtlinge Feuergewehr und sind sie gut bewaffnet?« »So ziemlich«, erwiderte Felipe, der nicht den mindesten Grund sah, irgend etwas geheimzuhalten, dem gefährlichen Burschen die Sache aber auch nicht wollte zu schwierig erscheinen lassen, um ihn bei guter Laune zu erhalten, »ihre Waffen sind wohl gut, aber ich glaube kaum, daß irgendeiner von ihnen, den jungen Engländer ausgenommen, ordentlich verstehen wird, damit umzugehen. Don José, weiß ich gewiß, kann kaum seine Pistolen wieder laden, wenn er sie erst einmal abgeschossen.« »Wo haben sie ihre Gewehre?« fragte der Gaucho zurück. »Neben sich auf der Erde liegen«, sagte Felipe. »Und ist es nicht möglich, die unschädlich zu machen?« »Unschädlich?« brummte der Peon, »der junge Cringo Verächtlicher Name für: Fremde. schläft mit einem Auge offen, und seine Pistolen hat er gespannt in der Hand - ich bin fest
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überzeugt, er selber hält jetzt schon, sollten sie uns vermißt haben, Wache, und kein Fuchs könnte sich ungesehen hin zur Hütte schleichen.« »Gut«, sagte der Henker nach kurzer Pause und Überlegung, »ich will euch beiden Gelegenheit geben zu beweisen, daß ihr mir, als wir euch überraschten, die Wahrheit gesagt habt und es redlich mit uns und der Federacion meint. Einer von euch, und dazu wird der Älteste am besten passen - kehrt augenblicklich, als ob nicht das geringste vorgefallen wäre, in die Hütte zurück - eine Ausrede habt ihr bald. - Ihr glaubtet, irgendwo etwas gehört zu haben, und waret rekognoszieren gegangen. - Du legst dich zum Schlafen nieder, als ob alles sicher sei, und bemächtigst dich, wenn die Fremden wieder schlafen, der Gewehre und des Pulvers. Ist es möglich, so wird es am besten sein, dem Engländer vor allen Dingen den Schädel einzuschlagen - es wäre für dich dann auch die Gefahr beim Entfliehen mit den Waffen nicht halb so groß, und nachher haben wir leichte Arbeit.« »Und das würde lohnen?« frug der alte Peon lauernd. »Ah, du verlangst auch noch Lohn, außer dem Geschenk deiner eigenen Kehle!« lachte der Henker. »Du bist unverschämt, alter Bursche; aber es sei. - Machst du die Burschen unschädlich, so sollt ihr beide euren Anteil von dem, was wir bei ihnen als Beute finden, haben, aber jetzt auch rasch, denn der dämmernde Morgen muß uns, nach vollbrachtem Geschäft, auf dem Heimweg sehen.« »Gut«, sagte der alte Peon, mit der Hand nachdenkend sein Kinn streichend, »dann darf ich aber nicht gehen, sondern Pedro da, mein Compañero, muß zur Hütte zurückkehren. Ich war gerade ausgerückt, um ihn von seiner Wache abzulösen, und käme ich statt seiner wieder, so schöpften die Fremden augenblicklich Verdacht.« »So laß uns beide gehen«, meinte Pedro rasch, »unter irgendeiner Ausrede -« »Danke, danke«, unterbrach ihn aber der Henker lachend, »einen von euch wollen wir doch lieber als Geisel zurückbehalten - nicht etwa, daß ich glaubte, der andere würde sich
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viel daraus machen, ihn im Stiche zu lassen, aber er wäre verloren, wenn er uns verriete, und wir rückten dann mit seinem Kameraden an der Spitze vor - überdies möchte ich den Feind nicht unnützerweise mehr verstärken, als unumgänglich nötig ist. So, meinetwegen magst du gehen, Amigo, du bist auch wohl rascher und gewandter als der Alte da, und find ich dich noch zwei Minuten später hier, den zottigen Schädel kratzend, so schneide ich dir Nase und Ohren ab und schicke dich zur Abkühlung in den Tucunjado hinunter - marsch fort - eine halbe Minute ist schon vorbei.« Der arme Teufel von Peon zweifelte nicht im mindesten, daß der Mashorquero Ernst machen würde, denn schlimmere Taten hatten diese entsetzlichen Menschen oft nur zum Spaß und aus reinem Mutwillen verübt; - würden sie deshalb hier gezaudert haben, wo es wirklich der Ausführung eines wichtigen Planes galt? Pedro kannte auch seine Leute, und nur noch mit wenigen Worten dem Führer Vorsicht empfehlend, nicht eher loszubrechen, bis er selber entweder zurück sei oder ein Schuß in der Punta del Vaca ihnen sage, er sei genötigt gewesen, auf diese Art sich Luft zu verschaffen, glitt er, sein Messer, das man ihm zurückgab, wieder in den Gürtel schiebend, um die nächste Felsecke und war bald in dem Dämmerlicht, das wie ein dünner Nebel auf dem glitzernden Schnee lag, verschwunden.
II Während sich die beiden Peons heimlich entfernten und von einem wachsameren Posten überrascht wurden, hatte Charles Ellington schon mehrmals lauschend den Kopf erhoben, um das Zurückkehren der abgelösten Wache zu erwarten. Lange schon wäre er aufgestanden, aber die Kälte war scharf, und er scheute sich, die neben ihm Schlafenden, doch jedenfalls nutzlos zu stören. Endlich aber, da der eine Peon
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noch immer nicht wiederkehrte, kroch er leise unter der Decke vor, und den Rock fester zuknöpfend, um den kalten Zug abzuhalten, der durch die niedere Öffnung ihm entgegenschlug, stand er eine Zeitlang lauschend und horchte hinaus in die Stille der Nacht, die durch keinen Laut irgendeines lebenden Wesens unterbrochen wurde. Nur der Bergbach tief unten rauschte und murmelte dumpf herauf, und da drüben, wo sich der Felsenhang steil in das Tal hinunterwarf und den Strom gegen die andere Wand hinüberzwang - das war wohl ein Fuchs gewesen, der hier, in seinem Abendmarsch gestört, die Fremden witterte und gegen den Wind und die verdächtige Nachbarschaft anbellte. »Felipe!« rief er jetzt, erst mit vorsichtig gedämpfter, dann mit etwas lauterer Stimme. »Felipe!« - Niemand antwortete, nichts ließ sich hören noch sehen, und wenn er auch für einen Augenblick glaubte, der Laut einer Menschenstimme dränge zu ihm herüber, so war das doch so rasch wieder verhallt, daß er sich auch ebensogut geirrt haben konnte. Die furchtbare Wahrheit tauchte jetzt, erst in flüchtigem Verdacht, der ihm schon das Blut in den Adern gerinnen machte, dann in entsetzlicher Gewißheit in ihm auf: - ihr Führerpaar war entflohen, und ihre kleine Schar dadurch nicht allein um ein Bedeutendes geschwächt, sondern die Gefahr, gerade von den früheren Führern verraten zu werden, so dringend geworden, daß jeder Augenblick, den sie an der argentinischen Seite der Gebirge verträumten, ihr Verderben rettungslos auf sie niederführen konnte. Hier galt entschlossenes Handeln - den Weg über die Gebirge getraute er sich schon, wenn es sein mußte, allein zu finden, denn von hier aus lag das anscheinend schmale Tal des Tucunjado lang ausgedehnt vor ihnen, ein Abweichen zur Rechten oder Linken nicht einmal gestattend, und nur beim Niedersteigen waren sie größerer Gefahr ausgesetzt, in mit Schnee gefüllte Abgründe zu stürzen; keineswegs war die aber dringender als das Bewußtsein gewissen Todes, wenn sie den Henkersknechten des Diktators in die Hände fielen, und es blieb deshalb keine Wahl.
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Rasch weckte er Don José, dem er seine Befürchtungen in wenigen Worten mitteilte, und als dieser ebenfalls ihm beiund zu augenblicklicher Flucht stimmte, hob sich auch die arme junge Frau von ihrem traurigen Lager, ihren Gatten über dessen Befürchtungen, sie selber betreffend, zu beruhigen, indem sie sich durch die wenigen Stunden Rast wie neu gestärkt fühle und die Männer wenig in ihrem Fortschreiten behindern werde. Wenige Minuten später fanden sie alle zum neuen Marsch durch eine Schneewüste, nur mit dem ungewissen Licht des Schnees selber gerüstet, als Ellington, der, immer aufmerksamer geworden, nach der Talschlucht hinüberlauschte, plötzlich ausrief, er sähe einen der Peons kommen. »Gott sei Dank!« flüsterte mit gefalteten Händen die junge Frau, »also waren es doch keine Verräter und unsere Befürchtungen grundlos.« »Das gebe die heilige Jungfrau!« murmelte Don José, indem er die sich rasch nähernde Gestalt vorsichtig und mißtrauisch beobachtete und fast unwillkürlich nach den schon wieder im Gürtel geborgenen Pistolen griff, »ich wollte, ich wüßte genau, wo der andere Schuft steckt.« »Am Ende haben wir ihnen doch unrecht getan«, flüsterte Ellington, »und können nun wenigstens Tageslicht abwarten, um unsern Weg fortzusetzen. Wozu die arme Candelaria mehr erschöpfen, als eben unumgänglich nötig ist.« »Erst wollen wir aber wissen, was der Bursche zu seiner Entschuldigung zu sagen hat«, beharrte Don José, der seine Landsleute besser kennen mochte als der Engländer, »jedenfalls müssen sie, selbst im günstigsten Fall ihrer Rechtfertigung, irgend etwas Verdächtiges gesehen oder gehört haben, sonst wären sie schon gar nicht so weit von hier fortgegangen - aber ruhig - es ist Pedro - der Alte scheint also doch seinen Posten zu halten.« Der jüngere der Peons kam indessen rasch näher, und seine Füße draußen an der Tür gegen die Steine klopfend, daß er den Schnee aus den Falten des um die Knöchel geschlagenen Schaffelles abschüttle, betrat er mit dem frommen, aber voll-
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kommen leise und kaum hörbar gemurmelten Gruß »Ave Maria Purísima« die Hütte. »Para siempre!« erwiderte halb unbewußt mit lauter Stimme und recht aus tiefstem, innerstem Herzen heraus die Frau, und der Peon, der in dem vollkommen dunkeln Raum, bei dem schwachen Schein, der dürftig durch die niedere Eingangspforte fiel, seine Umgebung nicht gleich erkennen konnte, sagte mit kaum unterdrücktem Ausruf der Überraschung, aber bald gefaßt: »Pero, amigos - was ist das? - die Señorita - ei wahrhaftig, alle zusammen auf und munter - es ist noch lange nicht Morgen. Aber ich glaub es wohl, daß Ihnen die Zeit hier in dem kalten Loch lang geworden - wir können noch fünf oder sechs Stunden schlafen.« »Und wo bist du gewesen, Amigo?« frug Don José den Führer, der noch immer, halb unschlüssig, was er selber tun sollte, ob sich zum Schein niederlegen oder offen entfliehen und dadurch den vollen Alarm geben, in der Tür stehenblieb, »wo ist dein Compañero, und weshalb habt ihr beide euern Posten verlassen?« Der Peon lachte. »Es war ein Puma da drüben«, sagte er endlich nach einer kleinen Pause, »und wir konnten das Tier im Schnee hören und auch manchmal den dunkeln Schatten seiner Gestalt sehen. Um ganz sicher vor Überraschung zu sein, umschlichen wir die Stelle, wo wir ihn vermuteten, aber er entfloh in langen Sätzen, und erst nachdem wir dort eine Zeitlang gelauscht und gewartet, ob sich nichts Verdächtiges weiter regen würde, kehrte ich zurück - aber der Puma ist noch draußen«, setzte er dann plötzlich, von einem neuen Gedanken durchzuckt, hinzu, »und Felipe schickte mich hier herein, eins der Gewehre zu holen - die Haut des Tieres gäbe ein herrliches Lager für die Señorita.« »Ich will selber mit dir gehen«, sagte Ellington rasch, aber Don José ergriff seinen Arm: »Das wäre doppelter Wahnsinn«, rief er in englischer Sprache, »drohte hier wirklich Verrat, so liefst du den Schuften
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selber in die Schlinge - selbst das aber angenommen, daß sie ehrlich sind, dürfen wir hier gar nicht schießen, denn der Schall würde unendliche Strecken in die Berge donnern und unseren Feinden, sollten uns diese wirklich nachfolgen, genaue Kunde von unserer Nähe geben. - Mir gefällt auch der Rat des Burschen nicht - der alte Peon ist viel zu schlau und vorsichtig, um sich selber zu verraten, und außerdem glaub ich nicht einmal, daß er ein Gewehr abfeuern könnte.« Der junge Bursche hatte indessen dem Gespräch, von dem er keine Silbe verstand, unruhig und mißtrauisch gelauscht; was berieten die Männer, und was taten indessen die vielleicht ungeduldig werdenden Mashorqueros, wenn er zu lange zögerte? Er erkannte jetzt recht gut, daß alle auf und zum Weitermarsch gerüstet waren, und was blieb da für ihn selbst das Sicherste? »Aber wo ist Felipe?« wandte sich Don José jetzt plötzlich gegen ihn, »euer früherer Posten war gerade da drüben, und ich kann nichts mehr von ihm erkennen.« »Er ist an der Spitze da vorn stehengeblieben«, erwiderte, auf diese Frage schon vorbereitet, der Peon; »erstlich hoffte er dort den Puma am ersten wiederzusehen, und dann kann man auch von dem Punkt aus den von unten heraufführenden Pfad besser überwachen.« ' »Gut, so leg dich wieder nieder«, sagte Ellington, »und schlaf noch ein paar Stunden; vor Tag aber wollen wir wieder aufbrechen, um womöglich noch die zweite Casucha Die steinernen Hütten in den Kordilleren, zum Schutz der Wanderer erbaut. zu erreichen; der nächste Tag sieht uns dann auf chilenischem Gebiet und dort hoffentlich sicher vor den Henkersknechten des blutigen Tyrannen.« »Bueno, amigo«, brummte als halbe Antwort der Peon. An der Wand der Hütte aber hintastend, um seinen früheren Lagerplatz wiederzufinden und dort das Weitere zu überlegen sowie abzuwarten, bis sich die jetzt mißtrauisch gemachten Flüchtlinge wieder beruhigt hätten, fühlte er plötzlich - und wie mit einem elektrischen Schlag fuhr es ihm durch die Glieder - die Gewehre der beiden Engländer, die Ellington dorthin
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gestellt hatte, um sie, falls sie wirklich angegriffen werden sollten, gleich zum Gebrauch bei der Hand zu haben. Eine rasche Bewegung der Hand überzeugte den Peon jedoch, daß die Pulverhörner nicht dabeihingen, und er kauerte sich dicht daneben auf den Boden nieder, den für ihn günstigsten Zeitpunkt abzuwarten. Er sollte nicht lange zu warten brauchen. Wenn auch Ellington im Anfang beabsichtigt haben mochte zu wachen und ein paarmal zu dem niedern Eingang schritt und hinauslauschte, war die Luft doch zu bitter kalt, sich ihr unnötigerweise zu lange auszusetzen. In seinen Poncho deshalb fest eingehüllt, streckte sich der Verfolgte endlich tief aufseufzend dicht neben die Gattin nieder, der er schon vorher das Lager wieder bereitet. Der Peon war indessen nicht müßig gewesen; vorsichtig neben sich herumfühlend, nahm er das eine Gewehr zu sich nieder aufs Knie und fing an, es zu untersuchen. Hierbei aber war für ihn ein Übelstand - er hatte wohl schon häufig schießen sehen, aber noch nie selber geschossen; nur so viel wußte er, daß der Hahn gespannt werden mußte. Die Waffe, die er in der Hand hielt, war ein Doppelrohr, die andere eine einfache Büchse, aber weder Pulver noch Blei dazu; was half ihm da das Gewehr? Da durchblitzte ihn ein teuflischer Gedanke wenn er das einfache Rohr in die Ecke abfeuerte, wo die Flüchtigen dicht aneinandergeschmiegt lagen, und dann mit dem noch geladenen Doppelgewehr entfloh, brachte ihn die Verwirrung des ersten Entsetzens jedenfalls außer Schußweite, und nicht allein einer oder mehrere der Fremden würden verwundet, sondern die Mashorqueros waren dann auch imstande, mit dem andern Gewehr sie am Weitermarsch zu verhindern oder doch so lange aufzuhalten, bis sie die wenigen Provisionen aufgezehrt hatten und dann rettungslos ihnen zur Beute fielen. Der Bursche, schlau und gewandt, zögerte nicht lange mit der Ausführung; überdies sollte der Schuß ja als Zeichen den übrigen gelten, und preßten diese scharf heran, so war es sogar möglich, daß sie sich ihrer Beute ohne weiteres bemächtig-
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ten. Ellingtons Leichtsinn, die Gewehre solcher Art außer dem Bereich des eigenen Arms zu lassen, wäre den armen Verratenen bald verderblich geworden - Pedro kannte nur den Mechanismus des Gewehres nicht genau genug, um den Hahn geräuschlos zu spannen, und als er das Doppelrohr wieder neben sich an die Wand gelehnt und die Büchse ergriffen hatte, um den Hahn leise aufzuziehen, knackte dieser, als er in die erste Ruhe trat. Don José hatte gar nicht geschlafen, und schon seit der Peon die Hütte wieder betreten, lehnte er, halb sitzend und nur in seinen warmen Poncho gehüllt, an der Mauer der Hütte, dem geringsten Laut horchend, der zu ihm herüberdringen möchte. Er wußte sich selber nicht ordentlich Rechenschaft zu geben, aber er war mißtrauisch geworden und erwartete mit Sehnsucht den anbrechenden Morgen. Nur die Augen schloß er endlich und überdachte halb wachend, halb träumend die Möglichkeit des Gelingens - die Gefahren ihres Marsches - als ihn das Knacken des Hahns zuerst aus seiner Ruhe wieder emporschreckte. Den Blick rasch nach dort richtend, von woher das so unvermutete Geräusch gekommen, sah er jetzt deutlich bei dem schwachen, von draußen hereindämmernden Schneelicht, wie sich der blanke Lauf eines Gewehres - er konnte nur nicht recht genau erkennen, nach welcher Richtung - niedersenkte. Dann war alles totenstill. Aber auch Ellington war durch den nur zu gut gekannten Laut aufgestört; auch er sah, gerade als er die Augen aufschlug, die Bewegung des Laufs, und dem im Lager überraschten Wilde gleich, fuhren die beiden Männer empor, um der neuen, noch kaum bewußten Gefahr zu begegnen. Vergebens riß indessen der Bandit an dem Drücker der Büchse, um sich selber durch den Schuß zu retten; er hatte keine Ahnung, daß der Hahn zweimal aufklinken mußte, ehe er feuern konnte; so war er nur »in Ruh gesetzt«, und das Schloß verweigerte den Dienst. Die doch nutzlose Waffe von sich schleudernd, ergriff er das Doppelrohr, um die Tür noch vor seinen Angreifern zu erreichen; hier aber verrannte ihm Ellington den Weg, und noch während er sein Messer aus der
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Scheide riß, sich die Bahn zu stoßen, brach er mit einem leisen Stöhnen, zugleich von Ellingtons Faust und Don Josés scharfem Stahl getroffen, der ihm die eigene Waffe in den Rücken trieb, eine Leiche, zu Boden. Die kleine Hütte war im Augenblick ein Bild der Verwirrung, und das Verderben der Unglücklichen wäre besiegelt gewesen, hätten die Henker nicht auf das Zeichen des ausgesandten Spions gewartet. Aber die Furcht vor Feuerwaffen, die der Gaucho nicht leicht überwindet, besonders wenn er sie in den Händen von Europäern weiß, hielt sie zurück, und so gern sie das Blutgeld ihres Herrn verdienen mochten, so wenig dachten sie daran, ihre eigene Haut unnötig dabei zu Markte zu tragen. Ellington und Don José aber waren in dem Augenblicke so bestürzt und erschreckt, daß der Spanier schon in der Tat das Messer zum zweitenmal gezückt hatte, den eigenen Schwager, den er ebenfalls für einen der Angreifer hielt, niederzustoßen, als ein zufälliger Ausruf desselben noch sein Leben rettete. Ellington besetzte jetzt vor allen Dingen die Tür, und während Don José die Leiche aus dem Weg und in die eine Ecke zog, eilte auch der alte Herr herbei, um den Platz, der, wie er natürlich glauben mußte, schon vom Feind angegriffen wurde, verteidigen zu helfen.
III Der Führer der Mashorqueros stampfte indessen den Schnee in toller Ungeduld. »Carajo!« rief er, dem alten Peon dabei einen grimmigen Seitenblick zuschleudernd, »ich glaube wahrhaftig, der Schuft von Vaqueano hat uns betrogen und die vermaledeiten Cringos gewarnt, anstatt ihre Waffen in unsere Hände zu liefern Gift und Messer, wenn ich das gewiß wüßte.« Die Anrede war halb an den Alten gerichtet, und dieser, der sich unter dem boshaften, tückischen Blick des Henkers nicht gerade wohlfühlte, erwiderte ruhig:
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»Pedro wird sich hüten und uns verraten, er weiß gut genug, daß uns die Burschen nicht entgehen können; aber es ist auch möglich, er hat die Sache dumm angefangen - und dann freilich wär's böse.« »Böse für dich, Compañero«, knurrte der andere, »wenn uns die Schufte entgehen, so freu dich, denn ein Kopf ist mir sicher, und wenn er auch keine zwölf Unzen trägt, ist er doch des Mitnehmens wert.« »Paciencia, amigo«, sagte der Alte trocken und mit unzerstörbarem Gleichmut, »wenn der Tag dämmert, werden wir's sehen.« »Und glaubst du, daß ich helles Tageslicht abwarten soll, mich von den Schuften nachher wie einen Hund totschießen zu lassen, wenn ich mich nur in Kugelnähe auf dem Schnee blicken lasse?« tobte der Henker. »Jetzt, augenblicklich müssen wir den Angriff wagen, oder sie ziehen morgen früh aus und ab vor unseren Augen, ohne daß wir es hindern können. Die Punta del Vaca ist außerdem noch die einzige Hütte, an die ein Anschleichen möglich wäre, wenn ich überhaupt Lust hätte, mich weiter in die Schneeregion hineinzuwagen.« »Aber, Amigo«, sagte der Alte, »du wirst dir selber -« »Fuego!« unterbrach ihn, ingrimmig den Boden stampfend, der Henker, »du wirst reden, wenn ich dich frage, und nun voran! Wohl verstanden, du bleibst dicht an meiner Seite - es könnte sein, daß ich dich brauchte.« Der Henker wandte sich von ihm ab, der alte Peon aber murmelte leise vor sich hin: »Glaub's wohl, um irgendwo zur Scheibe zu dienen, während die übrigen von der andern Seite anschleichen - aber Paciencia!« Und ruhig seinen Poncho etwas fester um sich ziehend, erwartete er den Entschluß des Anführers, dem er sich, wie er recht gut wußte, offen doch nicht widersetzen durfte. Der Mashorquero rief jetzt seine Schar rasch zusammen, und mit der Gegend hier, ja mit jedem Stein und Felsenvorsprung seit langen Jahren vertraut, bedurfte es auch weiter keiner Beratung. Klar und deutlich wies er jedem den von ihm
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bestimmten Platz an, um im entscheidenden Moment hervorzubrechen, und zu diesem bestimmte er den Augenblick, wo die Flüchtigen die Hütte selber wieder verlassen würden, um ihren Weg fortzusetzen. Die Casucha der Punta del Vaca besteht aus einer Doppelhütte von Steinen, und nur wenige Schritte von ihr entfernt läuft die Bank des Tucunjado in steilem Hang schräg nieder zu dem unten vorbeischäumenden Strom, den selbst der eisige Winter hier oben nicht unter der starren Decke fesseln konnte. Diesen Weg schlug er selber mit dem alten Peon und noch einem von den Seinen ein, bis sie sich dahin durch den Schnee arbeiteten, wo sie durch den Ausbau der Hütte selber geschützt waren und leicht bis dicht hinankommen konnten. Der Mashorquero hatte dabei außer zwei kleinen Terzerolen auch noch einen leichten Lasso, ohne den ein Gaucho selten auf einen Kriegszug ausgeht, an seinem Gürtel hängen, und den übrigen noch einmal einprägend, so nahe als möglich an die Hütte hinanzurücken, begann er selber seinen weniger gefährlichen als mühseligen Pfad zu verfolgen. Dem alten Peon war indessen die ganze Jagd von Grund aus verleidet worden. Weiteren Mühseligkeiten und Gefahren zu entgehen, hatte er sich den Treubruch gegen die Fremden zuschulden kommen lassen, und jetzt mußte er in stockdunkler Nacht, zitternd vor Frost, dem nämlichen Ort durch den tiefen, eisigen Schnee wieder entgegenkriechen, eine Kugel sein Lohn, wenn er von dort gesehen wurde, während der Mashorquero hinter ihm wenig Umstände gemacht haben würde, ihn sein Messer fühlen zu lassen, so er sich nur im mindesten dessen Befehlen widersetzte. Er wäre auch mit dem größten Vergnügen zum zweitenmal desertiert, aber wie erst hier fortkommen? Und gelang ihm das wirklich, hatten die Fremden dann nicht volle Ursache, seinen guten Absichten jetzt nicht zu glauben und ihn als einen Feind zu behandeln? Was war überhaupt aus seinem Kameraden geworden? Nur unendlich langsam rückten sie indessen vorwärts, denn der Schnee gab oft nach unter ihren Füßen, und wenn auch der Abhang im ganzen nicht so steil war, daß er unpas-
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sierbar gewesen wäre, kamen doch hier und da einzelne Stellen, an denen es schroff und tief hinabging und die sie zur äußersten Vorsicht zwangen, der dünnen Schneeschicht nicht zu viel zu vertrauen. Endlich erreichten sie den Teil des Ufers, der von dem Eingang der Hütte aus nicht mehr gesehen werden konnte, und der Peon mußte dem Anführer der Bande jetzt genau beschreiben, in welcher der beiden Hütten die Flüchtlinge ihr Lager aufgeschlagen, wieviel Gewehre und Pistolen sie bei sich hätten und von welchem Körperbau die beiden jüngeren Männer wären. Felipe hatte bis jetzt gehofft, daß er selber zum Rekognoszieren ausgesandt werden würde, und schon allerlei Pläne darauf gebaut. Der Mashorquero schien ihm aber keineswegs zu trauen, und dem mitgenommenen jungen Burschen eins seiner Terzerole und die nötigen Befehle gebend, sandte er diesen nach dem Rücken der Hütte hinauf, um dort das Terzerol auf den ersten der Männer, der sich zeigen würde, aus seinem Versteck heraus abzufeuern und sich nachher auf seine Beine zu verlassen, um wieder zu entkommen. Der Peon verlangte jetzt von seinem Begleiter wenigstens sein Messer zurück, um sich, im Fall es zu einem Handgemenge käme, verteidigen zu können; der Mashorquero verweigerte ihm dasselbe aber mit einem kräftigen Fluch und schwur, die einzige Art, wie er je wieder ein Messer von ihm bekommen solle, sei zwischen die Rippen oder in die Kehle. Die Nacht war indessen mehr und mehr vorgerückt, und hinter ihnen stieg schon der Morgenstern über die schroffen Kuppen des mächtigen Gebirges. - Der Tag konnte nicht mehr fern sein, aber noch immer ließ sich nicht das mindeste Zeichen irgendeines lebenden Wesens von der Hütte heraus hören oder erkennen. Der Henker wurde ungeduldig. - So lagen sie wohl noch eine halbe Stunde, die Glieder fast zu Eis erstarrt, und über dem Schnee dämmerte indessen der junge Tag. Während die Schlucht unter ihnen noch in tiefem Dunkel lag, schoß über die schneeigen Kuppen, die schroff und starr in den sternbesäten Nachthimmel hinaufragten, ein lichter bläulicher Schein; die Hänge und Kanten gewannen Ausdruck
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in Form und Farbe, und es war fast, als ob weiße gigantische Körper aus dämmernden Nebelschleiern emporstiegen und höher wüchsen, indes das steigende Licht ihnen Kraft gab und ihre Glieder reckte. »Ich halt's nicht mehr aus«, flüsterte der Peon endlich, der, von dem scharfen Südostwind abgekehrt, vergebens die letzte Stunde schon gesucht hatte, seine Glieder zu erwärmen, »mir ist das Blut in den Adern geronnen.« »Daß ich's nicht flüssig mache!« drohte der Mashorquero, »aber, beim Teufel! mir wird die Zeit hier auch lang, und ich begreife nicht, was die Kanaillen so lange im Baue hält. - Dein Kamerad, der Schuft von Unitarier, hat jedenfalls geplaudert, und mir zuckt's ordentlich in den Armen, mein Messer da an ihm - und an dir zu versuchen. - Ruhe! was helfen mir deine Beteuerungen, mach dich fertig, wir wollen den Spuren unseres vorangegangenen Spions folgen und der Bande zu Leibe rücken, die übrigen werden jetzt auf ihren Posten sein. - Ich will, beim Teufel! nicht wochenlang im Sattel gehangen haben, um jetzt unverrichteter Sache wieder abzuziehen. Da, Compañero - krieche einmal zurück bis zu jenem kleinen Vorsprung von da mußt du die Tür der Hütte in Sicht haben - und versuch, ob du nichts von dort erkennen kannst.« Felipe ließ sich das nicht zweimal sagen - irgendein Grund, aus der Nähe des blutdürstigen Mashorquero zu kommen, schien ihm erwünscht, noch dazu, da es ihm zugleich Gelegenheit bot, seine Glieder wieder zu gebrauchen. Rasch deshalb in seiner eigenen Fährte zurückspringend, erreichte er bald den bezeichneten Platz und hob leise und vorsichtig den Kopf. - Ein einziger Blick verriet dem Peon den ganzen Stand der Dinge, und wie ihm die Gedanken das Hirn durchkreuzten, welchen Weg er jetzt, da ihm ein günstiger Zufall auf kurze Zeit freie Bahn gegeben, am besten verfolgen könne, hatte sich im Nu sein Plan gebildet. Rasch überzeugte er sich nämlich, daß die Flüchtlinge die Gefahr kannten, in der sie sich befanden, und ihre Annäherung ruhig erwarteten. Er konnte die beiden Gestalten der jungen Männer erkennen, die mit ihren Gewehren in der Tür,
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aber noch weit genug im Innern standen, um von einem auswärts lauernden Feinde nicht gefährdet zu sein. Der abgesandte Mashorquero dagegen lehnte an der einen Ecke der Hütte wie der Tiger, der auf die Beute lauert, während die übrigen Feinde in kleinen Abteilungen, teilweise schon in Schußnähe, aber immer noch durch schneebedeckte Felsstücke den Feinden verborgen, im Hinterhalt lagen. Hätten sie Feuerwaffen gehabt, die kleine Besatzung wäre der ersten Salve erlegen. Nahm er jetzt einen Anlauf, so konnte er sicher die Casucha erreichen, ehe die Mashorqueros imstande waren, ihn daran zu verhindern; aber wie dann, wenn ihn die Belagerten nicht hinanließen, vielleicht gar auf ihn feuerten? - »Pest und Tod!« murmelte er vor sich hin, »ich glaube, die Bestien schössen auf ihren eigenen Bruder.« - Im offenen Kampf mit ihnen war er der Gefahr aber noch weit mehr ausgesetzt, während seine Kehle juckte, wenn er nur an das Messer des blutdürstigen Mashorquero-Führers dachte. Er sah sich nach diesem um, und die ungeduldige drohende Gebärde desselben machte im Augenblick all seinen Zweifeln ein Ende. Noch einmal das Terrain überschauend und mit den Augen messend, blieb ihm ein Raum von zirka hundertundzwanzig Fuß Breite, um zwischen der nächsten Abteilung der Feinde zur Rechten und seinem jetzigen Tyrannen zur Linken durchzubrechen; die Entfernung bis zur Casucha betrug überdies kaum mehr als dreihundert Schritt, und wenn ihn auch der Schnee im raschen Laufen hinderte, rechnete er doch im Anfang auf die Überraschung der im Hinterhalt Liegenden und später auf den Schutz, den ihm die Gewehre der Europäer bieten mußten. So also sich rasch und entschlossen auf den Kamm der Bank schwingend, hinter der hervor er bis dahin rekognosziert hatte, floh er, hier von dem hartgefrorenen Schnee begünstigt, rasch über die Fläche hin. Wohl sah er, daß sich die Gewehre der Fremden, sowie er sich aus dem Schnee emporhob, gegen ihn wandten; aber nur ein flüchtiger Blick war es, den er dorthin warf, denn links von ihm sprang der Mashorquero, jetzt ebenfalls jeden Versteck verschmähend, auf die Bank und
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suchte augenscheinlich ihm den Weg abzuschneiden. Was half auch jetzt noch hinter dem Berg halten - ihr Hinterhalt war verraten, und der Mashorquero hätte in diesem Augenblick der Wut und Rache sicherlich gern die Europäer entfliehen lassen, wäre ihm nur dadurch die Wiederergreifung des verräterischen Peons gesichert gewesen. In tollkühnem Grimm jede andere Gefahr dabei hintansetzend, lief er deshalb dem flüchtigen Alten nach; das Terrain schien ihn auch zu begünstigen, denn jener geriet in eine Schneewehe, durch die er sich nur weit langsamer Bahn brechen konnte. Ein Blick auf die Casucha überzeugte ihn aber auch, daß er sich fast schon in Schußnähe befand, und dem Flüchtigen jetzt auf etwa dreißig Schritt nahe gekommen, riß er das Terzerol aus dem Gürtel, um auf ihn zu schießen. Da sprangen von drüben herüber die anderen Gauchos vor, und diesen nicht in die Hände zu laufen, mußte der Peon noch näher nach dem Führer der Mashorqueros hinüberhalten. Dieser drückte die Waffe auf ihn ab, aber ohne Erfolg, und ingrimmig das Terzerol in den Schnee schleudernd, ergriff er den Lasso, den er lose in der linken Hand trug, und die Schlinge zweimal rasch um den Kopf schwingend, flog sie in furchtbarer Sicherheit über ihr Opfer. Felipe wäre verloren gewesen, hätte ihn der Schnee, der ihn am raschen Laufen hinderte, nicht auch eben wieder vor der gefährlichen Lassoschlinge gerettet; denn kaum sah er die furchtbare Waffe, deren Sicherheit er nur zu gut aus eigener Erfahrung kannte, gegen sich gerichtet, als er auch blitzschnell in den hier weichen Schnee sank, und schon im nächsten Moment fühlte er, wie die drohende Schnur, durch den weichen Schnee emporgehalten, wie eine Schlange, aber harmlos, über ihn hinglitt. Die Gefahr war vorüber, und emporschnellend floh er der Hütte zu. Ellington und Don José standen dort beide, die Gewehre im Anschlag, in der Tür, des sonderbaren Schauspiels Zeuge, und im Anfang in der Tat nicht sicher, ob das Ganze nicht eine schlau ausgesonnene Kriegslist sei, an sie heranzukommen. Das Abfeuern des Terzerols bestärkte sie darin fast noch mehr,
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denn an drei verschiedenen Stellen tauchten nach dem Schuß plötzlich dunkle, drohende Gestalten empor. Der Lassowurf schien aber wirklich ernst gemeint, und das bleiche, erregte Gesicht des Peons, der zu gleicher Zeit ängstliche Blicke nach dem entfernteren Teil ihrer eigenen Hütte warf, schien eher ihre Hülfe anzuflehen als Verrat zu sinnen. Was konnte der einzige Unbewaffnete ihnen auch schaden? - Ungehindert ließen sie ihn deshalb heran, als ein Schuß, dicht neben ihnen abgefeuert, ja fast wie aus der Hütte selber kommend, sie aufs neue erschreckte. In der nächsten Minute war Felipe an ihrer Seite, ohne sich aber auf eine Entschuldigung oder Erklärung seines Betragens einzulassen, die, wie er recht gut wußte, einen irgend gegen ihn erhobenen Verdacht in diesem Augenblick nur vermehren mußte; er zeigte jedoch auf den sich jetzt wieder zurückziehenden Führer der Mashorqueros und rief, kaum imstande, von der furchtbaren Anstrengung Luft zu schöpfen: »Dort - den - macht den unschädlich - es ist der Hauptmann der Henker - er kann euch - er kann euch nicht mehr entfliehen.« »Wir dürfen die Hütte nicht verlassen!« rief warnend Don José, als er sah, daß Ellington unwillkürlich hinaussprang, um den gefährlichen Feind zu erreichen; aber seines Schwagers grenzenlose Wut gegen die Helfershelfer und Henkersknechte seines grimmigsten Feindes ließ denselben im tollen Übermut der Gefahr trotzen. »Wir müssen Luft haben!« schrie er, indem er den Hahn der Büchse spannte und ins Freie sprang. »Pest und Blut über jene Schufte, und jetzt, da uns Gott sein Sonnenlicht gesandt, mögen sie's wagen, unseren Büchsen entgegenzutreten!« Mit wenigen Sätzen den freien Plan vor der Hütte erreichend, von wo er das Tal überschauen konnte, sah er eben, kaum zwanzig Schritt von sich entfernt, die flüchtige Gestalt des jungen Spions. Hatte dieser doch gerade von der Hütte selber aus auf den Peon gefeuert, und jetzt floh er der Schlucht wieder zu. Fast unwillkürlich hob Ellington die Büchse, diesem den Todesboten nachzusenden; allein der Führer der Ban-
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de war edleres Wild. - Aber wo war der Mashorquero geblieben? Wie in den Boden gesunken, schien er verschwunden. Ellington sprang noch einige Schritte vor, und nicht viel Zeit hatte er zu verlieren, denn die Helfershelfer eilten von zwei verschiedenen Seiten herzu - da hob sich die dunkle Gestalt wieder aus dem Schnee heraus - die Schlinge wirbelte um seinen Kopf, und während der Engländer überrascht im Anschlag blieb, fühlte er sich plötzlich von einer unwiderstehlichen Gewalt gefaßt und zu Boden gerissen. Das Triumphgeschrei des Henkers tönte in sein Ohr, und das blanke, haarscharfe Messer in der Faust, stürmte dieser heran. Ellington wäre verloren gewesen, hätte Felipe nicht, wie er den Mashorquero in den Schnee niederkauern sah und leicht die Absicht desselben erriet, den jungen Spanier vermocht, dem Freund zu Hülfe zu eilen. - Fiel Ellington, das wußte er jetzt recht gut, so war er selber verloren, und Don José, die Verteidigung der Hütte so lange dem alten Herrn überlassend, kam mit der Doppelflinte eben noch zeitig genug, um das rechte Rohr auf den heranstürmenden Henker abzufeuern und sich dann rasch gegen zwei der anderen Feinde zu wenden, die indessen den Eingang der Hütte zu erreichen suchten. Hier aber empfing sie der Bleigruß des alten Briten, der trotz seiner vorgerückten Jahre die Tage in Moor und Heide noch lange nicht vergessen hatte und mit zwei wohlgezielten Schüssen auf kaum fünfzehn Schritt Entfernung beide Henker zu Boden streckte. Es bedurfte keines weiteren Schusses - wie ein Volk zerstreuter Hühner stoben die übrigen der Verfolger, um der furchtbaren Wirkung der Feuerwaffen zu entgehen, nach allen Seiten auseinander. Ellington aber, der sich rasch wieder von der ersten Betäubung des Sturzes erholt und von dem Lasso befreit hatte, sah eben noch die Flucht der Feinde und den herbeieilenden Felipe, der, das in der Casucha gefundene Messer seines früheren Kameraden in der Hand, jetzt ebenfalls herbeieilte und dem Engländer winkte, der Fährte des angeschossenen Mashorqueros nachzugehen. Am steilen Rand der Uferbank war dieser im Schnee verschwunden, aber das strö-
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mende Blut verriet die Todeswunde des Unglücklichen, und als sie den Hang erreichten, von wo aus sie das ganze Tal übersehen konnten, taumelte der Henker seinem Grabe entgegen. Ellington hob noch einmal die Büchse, aber senkte sie wieder. »Schießt!« schrie der Peon, und ein wildes, unheimliches Feuer blitzte aus seinen Augen. Bei dem Klang des Wortes drehte sich der zum Tod getroffene Henker nach ihm um und tat, die Hand. krampfhaft auf die Wunde pressend, noch einen Schritt nach vorn - es war sein letzter - der Fuß glitt auf einem der Steine aus - er wollte sich halten, rechts von ihm wich der Schnee, eine steile Kluft hinab schmetterte er in die Tiefe, und in der nächsten Minute spielte die stürmische Flut des Tucunjado mit der Leiche des Henkers. Felipe war jetzt schlau genug, die Gefahr, in der er geschwebt, um seinem neuen Herren treu zu dienen, gegen die Flüchtigen herauszuheben, und da ihm nun selber der Rückzug abgeschnitten worden, führte er die kleine Schar ihren mühseligen und auch gefährlichen Weg treulich durch den Schnee nach Chile hinüber. Wohl drohte ihnen noch ein grimmer Feind in aufsteigenden Wolken, die den Horizont umzogen und sich in dicken Schwaden über die Höhen legten, aber was ihren Pfad hier bedrohte, schützte sie auch auf der andern Seite wieder um so viel sicherer gegen jeden weitern Verfolger, von denen sich keiner in die Gebirge gewagt hätte, solange solche Wolkennebel einen jener entsetzlichen Schneestürme befürchten ließen. Zwar mit Hunger und Kälte kämpfend, gewannen sie aber doch drei Tage nach den vorbeschriebenen Szenen die Schneegrenze Chiles - und Rosas' Arm reichte nicht so weit, sie hier mehr zu gefährden.
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Die Nacht auf dem Walfisch Der englische Walfischfänger König Harold kreuzte in der Nähe der Kingmills-Gruppe, ziemlich unter der Linie, auf Spermfische, in der Absicht die Wintermonate hier zuzubringen, um mit Beginn des Frühjahrs wieder nach Norden auf den Fang des rechten Walfisches aufzulaufen. Vergebens waren sie aber jetzt monatelang hin- und hergefahren und durch die sonst besten Jagdgründe für diese Fische wieder und wieder auf- und abgesegelt. Die Ausgucks in den Tops der Masten, die dort oben den ganzen Tag gehalten werden, um nach etwa auftauchenden Fischen auszuschauen, und einander zu gewissen Stunden ablösen müssen, blieben still und stumm, und wenn wirklich einmal ein Ruf kam, glaubte schon niemand mehr daran. Solche Meldungen hatten sich bis jetzt auch fast jedes Mal als ein nicht zu gebrauchender Finnback oder vielleicht eine school kleinerer Braunfische ausgewiesen, auf die man nicht Jagd machen wollte. Die Sonne brannte dabei heiß und sengend auf das ihren vollen Strahlen preisgegebene Deck nieder; und das Schiff, so still und reinlich, mit den kleingerefften Segeln in der leichten Brise, sah gerade so aus, als ob es hier an einem freundlichen, aber etwas langen Sonntagnachmittag zum Vergnügen herumfahren und eben keinen andern Zweck, kein bestimmteres Ziel kenne. Die Leute haben dabei natürlich immer ihre Arbeit: Segel müssen ausgebessert, das Takelwerk, stehendes wie laufendes, muss nachgesehen werden; die Eisen und Lanzen für den Fang des Fisches selber dürfen nicht rosten, und den Bootssteuerern obliegt die besondere Pflicht, sie blank und im Stand zu halten. Auch der Böttcher an Bord hat seine Arbeit, mit den Fässern zu einem etwaigen Fang gleich bereit zu sein; und der Zimmermann macht sich eine Beschäftigung an den zur Vorsorge mitgenommenen Booten, hier und da morsche Stellen daran zu finden und neue Stücke einzusetzen. Aber in der ganzen Sache ist kein Leben, keine wirkliche Tätigkeit; man sieht, dass die Leute, die sich schon monatelang auf dieselbe Art herumgetrieben, eben nur arbeiten, um nicht müßig
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zu stehen, und von der Arbeit fort schweift bei allen der sehnsüchtige Blick über die leicht gekräuselte Meeresfläche, in der allerdings vergeblichen Hoffnung, vom Deck aus den aufgeblasenen Strahl eines Fisches zwischen dem Blitzen der Wogen zu erkennen. Wäre aber wirklich etwas Derartiges in Sicht, so hätten es die Leute oben in den Masten schon lange angeschrien. »There she blows!« (Dort bläst sie.) Wie auf Kommandowort ruht jede Arbeit – der Böttcher wirft seinen Hammer, der Tischler seinen Hobel hin, und der Kapitän, der unten in seiner Kajüte auf dem Sofa gelegen und gelesen oder geschlafen hat, um die entsetzlich langweilige Zeit eines solchen müßigen Umherfahrens zu töten, springt die Kajütstreppe hinauf, um zu windwärts und nach dem Mann oben im Top zu sehen und die Details über die »aufgekommenen« Fische erfahren zu können. »There she blows!«, ruft der Mann oben wieder – und blow – blow – blow – setzt er langsam und gedehnt hinzu, als mehrere Strahlen nacheinander aufschießen, jeden Strahl bezeichnend. »Wo hinaus zu?«, lautet der Ruf vom Deck, und der ausgestreckte Arm des Ausgucks bezeichnet die Richtung; aber der Arm deutet zu windwärts, d. h. gegen den Wind an, und die Bootssteuerer rufen in wilder Eile ihre Bootsmannschaften zusammen, die Ersten zu sein, die fertig in See sind – immer eine ehrenvolle Auszeichnung. Das kleine Wasserfass wird gefüllt, die Butte mit dem aufgerollten Tau für die Harpunen, die auf einem Gestell an der Want dicht über dem Boot gestanden, damit sie dieses durch ihre Schwere nicht schädige, wird hineingelassen, das Boot selber gleitet unter den Krähnen nieder aufs Wasser. Die Leute folgen, wie Katzen an den Außenwänden des Schiffes niederkletternd, die Riemen werden eingelegt, und wie der Harpunier oder boats-header seinen Platz hinten am Steuerriemen eingenommen, stoßen sie ab, und der Bug des scharf gebauten leichten kleinen Fahrzeugs strebt schäumend und die Flut an beiden Seiten zurückwerfend der bezeichneten Richtung zu.
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Kommen die Fische in seewärts, d. h. unter dem Wind auf, dann können ihnen die Schiffe selber mit vollen Segeln bis zu einer gewissen Entfernung folgen, ohne sie scheu zu machen, und die nun rasch ausgesetzten Boote gleiten ebenfalls mit ihren Segeln geräuschlos und unbemerkt an ihre Beute heran; die Jagd ist in dem Fall auch immer weit schneller gemacht und sowohl sicherer als auch weit weniger mühsam. Wollte das Schiff aber zu windwärts aufkreuzen, um den Fischen den Wind abzugewinnen, so würde dadurch viel Zeit verloren gehen und die Beute jedenfalls nur höchst selten eingeholt werden. Das Aufrudern ist deshalb, wenn auch das Mühsamste, doch gewiss in diesem Fall das Schnellste und Sicherste, und das Schiff folgt dann mit der zurückgelassenen Mannschaft, so rasch es eben kann, seinen Booten, um diese nach vollendeter Jagd wieder auf- und einen etwa geworfenen und getöteten Fisch langseit zu nehmen. Die vier Boote des König Harold ruderten denn auch, so rasch sie die elastischen Riemen vorwärts treiben konnten, dem Wind gerade in die Zähne, und kamen nach einer etwa halbstündigen wackern Arbeit in Sicht der ersten »Strahlen« der dort wahrscheinlich spielenden und bald auf-, bald untertauchenden Fische. Von Bord des Walfischfängers wurde ihnen bis dahin mit einem an einer Stange befestigten und schwarz bemalten runden Korbe das Zeichen gegeben, nach welcher Richtung die Fische sich wandten. Ein dort postierter Matrose musste diesen nämlich, der auf sehr weithin sichtbar ist, hinaushalten, und die Boote richteten oder änderten danach ihren Kurs. Ein eigener Wetteifer herrscht bei solcher Fahrt nicht allein unter den Bootssteuerern und Harpunieren, wer zuerst an einen Fisch »festkommt«, sondern unter der ganzen Mannschaft. Es wird zur Ehrensache, welches Boot den ersten glücklichen und auch einträglichen Wurf getan, indem bei solcher Jagd alle, vom Kapitän bis zum Schiffsjungen hinunter, auf Anteil ausgehen, und die Leute tun gewiss ihr Äußerstes, um nicht hinter den anderen zurückzubleiben. Die drei schnellsten Boote hatten denn auch heute wieder die beste Aussicht, bald in Wurfnähe zu kommen, während das vierte,
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das ein junger, tollköpfiger Ire befehligte, trotz der wirklich verzweifelten Anstrengung seiner Mannschaft nicht imstande war, ihnen nachzukommen. Als sich in den ersten Booten die Bootssteuerer schon zum Harpunenwurf fertig machten, war es wohl noch eine ganze Kabellänge hinter diesen zurückgeblieben. Gerade da ging rechts von ihnen, aber freilich noch eine weite Strecke entfernt, ein einzelner Strahl auf, und wenn sich auch die Boote nicht gern zu weit voneinander trennen, um im Fall der Not einander Hilfe leisten zu können, sah doch der hinten an seinem Steuerriemen stehende junge Ire kaum den einzelnen Strahl, der ihm auch nach der Richtung zu Fische versprach, als er den Bug seines Bootes blitzschnell herumwarf und, von den übrigen Booten ab, dem neu aufgetauchten Wild nachsagte. In dem Augenblick hatten die anderen Boote zu viel mit sich selber zu tun, um darauf zu achten. Die rudernden Matrosen aber, die mit dem Gesicht nach rückwärts im Boot saßen und den veränderten Kurs ihrer Kameraden sahen, konnten sich leicht denken, dass dort ebenfalls Fische aufgekommen waren, und hatten nicht das Mindeste dagegen, einen Konkurrenten auf ihrer Hetze loszuwerden. Überdies befanden sie sich näher bei den Fischen, als sie im Anfang selber gedacht, denn als diese plötzlich nach unten gegangen waren und eine Zeit lang fortblieben, während die Boote, so rasch sie konnten, ihren Kurs beibehielten, tauchten sie plötzlich kaum dreißig Schritt vor ihnen wieder empor, und ein Fisch kam sogar in Wurfnähe von dem ersten Harpunier auf, dessen Bootssteuerer denn auch sein Eisen augenblicklich an ihm festwarf. Die anderen beiden kamen ebenfalls fest, ehe sie zehn Minuten gelaufen waren; das Eisen des zweiten Bootes riss aber wieder aus und der Fisch ging tief, sodass das zweite Boot, jetzt außer dem Bereich der anderen Fische, dem dritten folgte und dessen Beute mit zu sichern suchte, was ihm auch nach einiger Anstrengung gelang. In voller Flucht gingen aber die festgekommenen Fische gerade nach Norden auf, die Boote hinter sich dreinreißend, dass die Wellen an ihrem Bug hoch empor-
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schäumten, bis es dem dritten Harpunier zuerst gelang, seine Lanze hinter der Finne seines Fisches einzuwerfen und ihm den Todesstoß zu geben. Der erste Harpunier wurde wohl noch eine englische Meile weit mit fortgenommen, tötete aber den seinigen dann ebenfalls und blieb auf seinen Rudern liegen, das Schiff zu erwarten. Mit dem gewaltigen Fisch im Schlepptau wäre es ihm nicht möglich gewesen zu rudern. So weit hatten sie sich übrigens von ihrem Schiff entfernt, dass sie den Rumpf schon nicht mehr über Wasser sahen, und mühselig genug musste dieses jetzt zu ihnen gegen die schwache Brise aufkreuzen, wieder und wieder über Stag gehend, um dem Nordost die verlorenen Meilen abzugewinnen. Die drei Boote sahen sich jetzt auch, freilich vergebens, nach dem vierten um, das ihnen ganz aus Sicht gekommen, und suchten rund um sich her das vielleicht gesetzte hellere Segel desselben irgendwo zu erkennen. Es blieb verschwunden, und sie trösteten sich damit, dass sie es von Bord und den Masten aus wohl jedenfalls im Auge behalten haben und genau die Richtung kennen würden, die es genommen. Der König Harold war aber keineswegs ein sehr schneller Segler, wenigstens nicht dicht am Wind, und der Nachmittag ging darüber hin, bis es ihm gelang, zu den beiden Fischen aufzukreuzen und sie an beiden Seiten seines Bords zu befestigen. Der zweite Harpunier war schon früher an Bord zurückgekehrt, um mit der also vergrößerten Mannschaft das Schiff leichter regieren zu können; und ein Mann wurde jetzt wieder mit dem Fernglas nach oben geschickt, sich zu vergewissern, wo das vierte Boot läge, damit man ihm, falls es ebenfalls einen Fisch hätte, lieber alle anderen Boote zu Hilfe schicke, um die Beute ins Schlepptau zu nehmen. »Nun, Sirrah, nach welcher Richtung liegt es?«, fragte der Kapitän vom Deck aus, als er die bis jetzt gemachte Beute geborgen wusste und nun auch dem andern Boot seine Aufmerksamkeit zuwandte. »Ist es weit von hier?« »Kann es nirgends finden, Sir!«, lautete die Antwort zurück, und der Mann begann von neuem den Horizont um den ganzen Kompass herum zu bestreichen.
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»Ach, Unsinn, du brauchst nicht nach windwärts zu sehen, dahin zu ist es nicht!«, rief der Kapitän wieder hinauf. »Lass die Sonne rechts und such aufmerksam nach Süden hinüber – dort muss es liegen.« Der Mann gehorchte der Weisung, schaute aber ohne ein scheinbares Resultat so lange durch das Glas, bis der Kapitän endlich ungeduldig wurde, selber auf die Schanzkleidung sprang und die Wanten hinauflief, um nach dem Boot auszuschauen. Er fing doch an, unruhig über dessen Verschwinden zu werden. »Da drüben ist es mir schon ein paar Mal so vorgekommen, Sir«, sagte der Mann, dem er das Glas abgenommen, während er nach Süd-Südwest hinunterdeutete, »als ob ich einen etwas dunkleren Punkt auf dem Wasser erkennen könnte. Wenn ich aber genauer hinsah, war es immer wieder verschwunden.« »Wo hinaus?« »Gerade dorthin... Etwa in der Richtung, wo die kleine weiße Wolke liegt – vielleicht noch ein wenig mehr nach Westen.« Der Kapitän folgte der angegebenen Richtung eine Zeit lang mit dem Glas, schüttelte dann mit dem Kopf und fing an weiter zu suchen. Aber vergebens blieb er oben, bis die Sonne hinter den Horizont sank und dabei alle, auch die geringsten Gegenstände auf das klarste und deutlichste hervortreten ließ. Er konnte nicht das mindeste von dem Boot bemerken, das doch auch jedenfalls um diese Zeit, wo es wusste, dass man es besonders mit dem Glase suchen würde, sein Segel hätte setzen müssen, denn dessen weißer Schein leuchtet dann weithin über das Wasser. Auch der erste Harpunier war jetzt nach oben gekommen – dem Boot musste jedenfalls ein Unglück zugestoßen sein, und die Leute fingen an unruhig deshalb zu werden. Aber auch dieser konnte durch das ihm gereichte Glas nicht das mindeste erkennen, was einem Boot oder Segel glich, und die jetzt rasch einbrechende Dämmerung, der die Nacht in jenen Breiten auf dem Fuße folgt, machte ein weiteres Ausschauen bald unmöglich. Dem Kapitän des König Harold blieb aber keine Wahl, was er in diesem Fall zu tun habe. Aufund abkreuzen konnte er schon der langseits genommenen
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Fische wegen nicht, hätte er aber nur eine Richtung gewusst, wohin er halten solle, würde er doch vielleicht selbst die gemachte Beute im Stich gelassen haben, um seine verlorenen Leute wieder aufzufinden. So aber hatte er noch immer die Hoffnung, dass er sie in Lee finden würde, und dorthin trieb jetzt überdies das Schiff, an dem alle Segel aufgegeit waren, mit dem Passat und der Äquatorialströmung. War dann am nächsten Morgen noch nichts von dem Boot zu sehen, so konnte er, was über Nacht von den Fischen noch nicht eingeschnitten worden, mit einer darauf gesteckten Flagge zurücklassen, und nach dem verlorenen Boot umherkreuzen. Lieber Gott, immer ein verzweifelter Versuch, verlorene Boote wieder anzutreffen. Die See ist so entsetzlich groß und hatten die Leute wirklich ihr Boot verloren und schwammen auf dem Wasser – wo sie finden? Es wäre das auch eben nur geschehen, um sich selber nicht den Vorwurf machen zu müssen, dass man einen Teil der Kameraden leichtsinnig aufgegeben habe. Die höchste Wahrscheinlichkeit blieb immer, dass ein verwundeter Spermfisch das Boot zertrümmert hatte und die Mannschaft nicht imstande gewesen war, sich so lange mit Schwimmen an der Oberfläche zu halten. Die See war freilich ruhig genug, aber der furchtbare Hai wittert rasch das Blut eines geworfenen Fisches, und wie jetzt sechs oder sieben dieser gierigen Burschen ihr Schiff umschwammen und ungeduldig das Anschneiden der Beute erwarteten, daran herumzerrten und rissen, und doch die scharfen Fänge nicht in die riesige zähe Masse einschlagen konnten, so waren sie sicher auch dort aufgekommen, wo sich das andere vermisste Boot befand, und wehe den Unglücklichen, die, des schützenden Fahrzeugs beraubt, ihrem Heißhunger preisgegeben wurden. Freilich blieb noch immer die Möglichkeit, dass das unbeschädigte Boot durch die Jagd nur zu weit nach Lee zu verschlagen worden, um so bald wieder aufrudern zu können; ein Boot ist nur ein kleiner Fleck auf dem ungeheuren Ozean und kann mit dem besten Fernrohr wohl dem Auge entgehen.
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Dann wussten sie aber auch recht gut, welcher Richtung sie zu folgen hatten; und um ihnen die auch für die Nacht klar und deutlich anzugeben, wurden zwei Laternen auf dem Vorund Haupttop befestigt, damit sie an dem Schiff nicht etwa in der Dunkelheit vorbeiruderten. Nach Dunkelwerden dann, um Mitternacht und vor der Morgenwache ließ der Kapitän ebenfalls die kleinen Kanonen lösen, die er auf dem Deck stehen hatte, um auch durch deren Schall dem Boot die Richtung anzudeuten; aber umsonst, die Nacht verging und von den Vermissten war nichts zu hören noch zu sehen. Das Einschneiden der Fische ging indessen rüstig vor sich; der Blubber oder Speck war angestoßen und wurde mit einem besonders dazu eingerichteten Windewerk aufgeholt, und selbst das Auskochen begann zugleich mit dem Anbordnehmen, um keine Zeit zu versäumen und das unter der Linie sonst leicht in Verwesung übergehende Material aus dem Weg zu bekommen. Große, mit Streifen Blubber genährte Fackeln hingen in einer aus Eisenbändern gefertigten Art von Käfig oder Netz über Bord, und warfen ihren blutroten, flammenden Schein über ein wild bewegtes, reges Bild. Doch vor Mitternacht war auch der eine gewaltige Fisch schon eingeschnitten, und mit dem schwermächtigen Blubberhaken wurde der riesige Kopf, der im Wasser noch von der Wirbelsäule abgestoßen worden, ganz an Bord gehoben, sodass sich das Schiff unter der gewaltigen Last neigte, als er über die Seite kam. Mit Tagesanbruch, wo die ganze Mannschaft schon scharf an dem zweiten Fisch arbeitete, mussten aber wieder ein paar von den Harpunieren, jeder mit einem Fernrohr, nach oben, und vergebens hatten sie schon bis zu Sonnenaufgang den Horizont nach jeder Richtung hin durchsucht und nichts entdecken können, als der Blick des ersten Harpuniers auf einen dunkeln Punkt in dem jetzt hell blitzenden Wasser traf und diesen festhielt. Die Entfernung war aber selbst für das gute Glas zu groß, etwas Genaueres unterscheiden zu können, nichtsdestoweniger wurde der Kapitän gleich davon in Kenntnis gesetzt, der dann ebenfalls nach oben kam. Jeden-
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falls schwamm dort irgendetwas auf dem Wasser, was es auch sein mochte, aber es lag zu windwärts. Sie mussten in der Nacht daran vorbeigetrieben sein; und um sich erst davon zu überzeugen, was es sein könne, wurde der zweite Harpunier mit seinem Boot beordert, hinzufahren. Wenn auch nicht das vermisste Boot, denn so sah es nicht aus, war es möglicherweise ein toter Walfisch und lohnte nicht allein die Mühe danach zu sehen, sondern konnte sie auch auf die Spur der Verlorenen bringen, da der Fisch, wenn er von ihnen geworfen worden, jedenfalls noch eine der Schiffsharpunen oder »Eisen« in sich trug. Der Befehl wurde hinunter an Deck gerufen, und wenige Minuten später stieß das Boot schon vom Bord und schoss, von den vier kräftigen Riemen getrieben, pfeilschnell der Richtung zu, die ihm von dem Hauptmast aus durch den ausgehaltenen Korb fortwährend angedeutet ward. Der Kapitän aber blieb oben in der großen Bramstengensalung, um den einmal gefassten Punkt nicht wieder aus dem Glas zu verlieren und den Erfolg des Bootes beobachten zu können. Wohl eine halbe Stunde war dieses indes, nur dem Zeichen vom Bord aus folgend, gerudert, ohne selber etwas nach vorn wahrnehmen zu können, als endlich der vorn im Boot auf der Back stehende Harpunier einen dunkeln Gegenstand gerade vor sich und dicht über dem Wasser zu erkennen glaubte. Der eingezogene Korb an Bord zeigte ihnen ebenfalls, dass sie die rechte Richtung hätten, und nicht lange mehr dauerte es, so rief der Harpunier plötzlich, indem er sich nach seinen Leuten halb umwandte und mit dem Arm nach vorn deutete: »Greift aus, meine Burschen, greift aus – das ist bei Gott ein Mensch, der da auf einem Floß oder Boot oder sonstwas steht – greift aus, denn wie mir scheint, kommen wir eben noch zur rechten Zeit!« Dann ein lautes »Hallo!« ausstoßend, suchte er dadurch den Gegenruf von da drüben zu erwecken; aber kein Laut antwortete ihm, und indem sie nun alle Kraft in den Druck der Ruder legten, dass sie sich fast zum Zerspringen bogen, schäumte das scharfgebaute schlanke Fahrzeug seinem wunderlichen Ziel entgegen.
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»Ein Mann! ein Mann!«, riefen aber auch die Leute jetzt im Boot, die neugierig den Kopf nach ihm wandten, und: »Damn my eyes!«, brummte der Bootssteuerer, der ebenfalls mit dem Steuerriemen in der Hand hoch im Boot stand – »if that ai'nt Patrick!« (Verdamm meine Augen, wenn das nicht Patrick ist.) »Patrick, by God!«, rief auch jetzt der Harpunier. »Aber wo sind die anderen?« Jede weitere Frage verstarb jedoch in den neuen Ausrufen des Staunens, als sie näher kamen und nicht allein wirklich den vierten Harpunier, den jungen Iren Patrick, in dem Schiffbrüchigen erkannten, sondern auch fanden, dass er keineswegs auf einem Floß oder umgedrehten Boot, sondern auf einem toten Spermfisch kniete, der mit seiner Last einige Zoll unter der Oberfläche des Wassers lag. Die linke Hand hatte er dabei um das kurze Tau einer noch in dem Blubber steckenden Harpune geschlagen, was ihn allein auf seinem schlüpfrigen Stand gehalten, und mit der rechten hielt er den Harpunenstiel, den er von der Leine losgeschnitten, so krampfhaft umfasst, dass er ihn nicht einmal lassen wollte, als das Boot an ihn hinanschoss und sich aller Arme nach ihm ausstreckten, um ihm hineinzuhelfen. Der arme Teufel sah totenbleich aus und brachte keinen Laut über die Lippen – ja sein Blick schweifte wild und stier selbst über die Kameraden hin, als ob er sie nicht mehr kenne. Wie mechanisch nur richtete er sich selber auf, in das Boot zu steigen, brach aber dort, sobald er nur die festen Planken unter sich fühlte, ohnmächtig zusammen. Er hatte eine furchtbare Nacht durchlebt; und wir müssen zu dem Augenblick zurückgehen, wo er mit seinem Boot die Übrigen verließ, um den einzeln aufkommenden und von der übrigen school abschwimmenden Fisch zu verfolgen. In etwa fünfhundert Schritt Entfernung von dem Cajelot ruderten sie hinter ihm drein und gewannen an ihn, wie er mehrmals untertauchte und dann langsam, keinen Feind hinter sich ahnend, wieder nach oben kam. Mehr und mehr drehte er dabei von dem bisher gehaltenen Kurs ab, möglicherweise vielleicht um in einem weiten Bogen zu dem früheren Spielplatz zurückzukehren; aber auch diesen Kurs
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änderte er wieder und zog jetzt, während das Schiff selber, wie man im Boot recht gut sehen konnte, über den andern Bug von ihnen fort lag, gerade gen Westen mit Wind und Strömung. Patrick, wie vorher bemerkt, der Harpunier oder boatsheader des vierten Bootes, ließ nun, da ihnen der Wind günstig geworden, sein Segel setzen, um dem Fisch desto schneller und geräuschloser folgen zu können. Dieser aber, ob er nur so auf eigene Faust in rasche Fahrt kam, oder doch, trotz aller Vorsicht, etwas von den Verfolgern gewittert hatte, lief jetzt so schnell durch das Wasser, dass selbst das leichte Boot mit einer günstigen Brise nur wenig an ihn gewinnen konnte. Da plötzlich, als sie nach mühsamer Arbeit schon fast in Wurfnähe hinangekommen, und der Bootssteuerer auch bereits zum Wurf mit seinem Eisen ausholte, ging er nach unten, und das Boot schoss im nächsten Augenblick über die Stelle hin, in der die Flut noch hinter dem gesunkenen Ungetüm kräuselte und wirbelte. »Segel ein!«, scholl da der rasch und dringend gegebene Befehl des Harpuniers; die kleine Rahe fiel im nächsten Augenblick, das Boot glitt nur noch langsam, einmal im Schuss, ein Stück weiter auf seiner Bahn, und der Bootssteuerer stand, auf den Wink seines Obern, mit gehobener Harpune still und regungslos vorn im Boot, um gleich zum Wurf bereit zu sein, wenn der Fisch sich wieder zeigen sollte. Aber er selber zweifelte, dass das Tier hier wieder nach oben kommen würde, und deutete, fragend dabei den Harpunier ansehend, weiter nach vorn. Dieser, obgleich noch jung an Jahren, war doch ein alter Walfischfänger, und die ganze Art wie der Fisch niedergegangen, schien seine Vermutung zu rechtfertigen, dass er hier nur einen plötzlichen Halt gemacht und nicht weit gehen würde, bevor er aufs Neue zur Oberfläche käme. Während das Segel nun an den Mast flappte und der Harpunier das Schootenfall desselben noch um die Hand gewickelt hielt, um keinen Augenblick zu verlieren, wenn sie dennoch die Verfolgung wieder aufnehmen müssten, sahen die Leute an den jetzt leise wieder vorgenommenen und für jeden Tag eingelegten Rudern aufmerksam in die klare Flut unter sich nie-
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der, in der allerdings etwas ungewissen Hoffnung, den vielleicht darunter hinschwimmenden Fisch zu sehen und seine genommene Richtung dadurch bestimmen zu können. »Da schwimmt was!«, rief plötzlich einer der Leute mit halbunterdrückter, erschreckter Stimme. »Gerade von unten herauf!« »Bst!«, warnte aber der Ruf des Offiziers. »Leise – leise! ihr scheucht ihn fort! Wo?« »Da kommt er – da kommt er!«, kreischten aber drei oder vier Stimmen jetzt zu gleicher Zeit, und fast instinktartig griffen sie nach den Rudern. »Zurück mit euch – zurück – um euer Leben!«, schrie aber auch in diesem Augenblick der Harpunier, der, über Bord gebeugt, die hellgrüne riesige Gestalt blitzesschnell aus der Tiefe herauftauchen sah, und die Gefahr recht gut kannte, der sie ausgesetzt waren, wenn der Koloss ihr Boot so im Aufkommen nur leise traf. Fast in demselben Augenblick fielen auch die Ruder in das Wasser, und das Boot, von dem Gegenschlag derselben zurückgeschnellt, konnte kaum um seine eigene Länge den Platz geräumt haben, als der riesige abgestumpfte Kopf eines mächtigen Spermfisches, den weiten schmalen Rachen halb geöffnet, an die Oberfläche tauchte. Mit dem halben Kopf schnellte er zugleich darüber hinaus, um gleich darauf mit einem gewaltigen Satz, das Wasser dabei in vollen dicken Strahlen seitwärts abstoßend, nach vorn zu schießen und dem fremden Gegenstand, dem Boot, das er jedenfalls gesehen haben musste, zu entgehen. Vorn im Boot und dicht über dem »Berg von Blubber«, der sich eigentlich unter seinen Füßen aus der Flut hob, stand der Bootssteuerer mit gehobenem Eisen; aber sein Arm zitterte, und noch im Bereich des furchtbaren Gegners, der sie mit einem Schlag zermalmen konnte, wagte er es nicht, die Harpune in den fliehenden Koloss zu schleudern. »Wirf – wirf, in drei Teufels Namen!«, schrie aber Patrick, die Gefahr total missachtend und in dem Moment nur ihrer Jagd gedenkend, die ihnen die Beute fast in Armes Bereich gebracht. »Mensch, du lässt dir ja den Fisch unter den Händen weg!« Und die
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eigene Lanze aufgreifend, schien er den Augenblick mit wilder Lust zu erwarten, wo er den scharfen Stahl hinter die Finne des Wildes schleudern könnte. Noch zögerte der Bootssteuerer, aber es waren nur Sekunden, die ihm zum Besinnen blieben, denn ließ er den günstigen Moment ungenutzt vorbei, so war die Frage, ob er bei dem jetzt scheu gemachten Fisch je wiederkehrte. Aber das Segel, von des Harpuniers Hand rasch angezogen und gehalten, hatte schon den Wind gefasst, und indem er den Steuerriemen scharf gegen die Hüfte presste, um den Bug des Boots herumzubringen, ließ er es schäumend hinter dem flüchtigen Fische dreinfliegen. Und jetzt sauste die Harpune, von der kräftigen Hand des jungen Engländers geschleudert, tief in den Rücken des Gegners und haftete in dem zähen Blubber. Im Nu war das Segel niedergenommen, waren die Ruder eingeworfen, und der Bootssteuerer gab jetzt, indem er zurücksprang und seinen Platz am Steuerruder einnahm, dem Harpunier Raum, die Lanze zu werfen und dem Leviathan der Tiefe den Todesstoß zu geben. Der Harpunier ist nämlich der erste Offizier in einem Walfischboot, der Bootssteuerer der zweite; im Anfang der Jagd haben aber beide ihre Plätze gewechselt oder vielmehr die rechten noch nicht eingenommen, denn der Harpunier steuert das Boot an den Fisch hinan, was eine sehr sichere, geübte Hand erfordert, und der Bootssteuerer steht vorn mit der Harpune, den Fisch zuerst zu werfen und an ihn festzukommen. Hat aber die Harpune gefasst, dann nimmt der eigentliche Harpunier mit der Lanze (eine wirkliche Wurflanze ohne Widerhaken) zum Töten des Walfisches den Platz vorn im Boot ein, und sein Wurf muss gerade hinter die Finne auf einen etwas ausgehöhlten dunkleren Fleck treffen, wo das mächtige Tier allein tödlich verwundet werden kann. Die Leine, an der die Harpune saß, sauste indessen rauchend durch die vorn auf dem Boot zu dem Zweck angebrachte offene Klüse (Stoßpinnen), und das Boot schoss blitzschnell hinter dem herüber und hinüber zuckenden Fisch drein. Patrick stand jetzt vorn im Boot, die Lanze zum Wurf aufgeho-
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ben, und die Leute holten mit Macht Leine ein, um ihr kleines Fahrzeug wieder zum Todesstoß für den Gefangenen an ihn hinanzuziehen. Jetzt hatten sie ihn erreicht, Patrick bog sich zurück, und während der Schwanz des riesigen Tieres dicht neben ihnen in das Wasser schlug und es sich hob, um der ihm jetzt bewussten Gefahr zu entgehen, sauste der tödliche Stahl in die weiche Flanke des Feindes tief hinein. Im Nu riss sie aber der Harpunier mit einem triumphierenden Blitzen der Augen zurück, den Stoß zu wiederholen, als sich der Fisch in Schmerz und Todeswut rasch und plötzlich wandte, dass die See, seine Seiten peitschend, zischte und schäumte. »Dickes Blut, dickes Blut!«, jubelten die Leute in diesem Augenblick, aber »Zurück!« schrie die Stimme des Harpuniers in lautem gellenden Ton, und wie sich der Bootssteuerer mit ganzem Gewicht in seinen Riemen warf und weit hinaus über das Boot lehnte, um den Bug desselben rasch herumzuwerfen, und bevor die Leute selbst ihre Ruder in die Dollen werfen konnten, kam der gereizte Wal, der seinen Feind jetzt so dicht vor sich sah, mit offenem Rachen heran. Mit halbem Wurf sich dabei aus dem Wasser schleudernd, hielt er den riesigen Rachen geöffnet, und während das Boot seinen Bug herumwarf, ihm zu entgehen, fasste er es gerad in der Mitte, und es mit seinen Kiefern zusammenpressend, riss er die dünnen Planken auseinander, als ob sie von Papier gewesen wären. Patrick sah die Gefahr und wusste im ersten Augenblick, was ihnen bevorstand. Mit ruhiger, fester Hand schleuderte er aber dennoch die schon wieder gehobene Lanze gerad nach dem Auge des Feindes, das er traf und durchbohrte – aber das Boot konnte er damit nicht retten. Das wütende Tier fühlte im Todeskampf vielleicht nicht einmal die neue Wunde; nur das dicke schwarze Blut ausblasend und allein noch in dem einen Bewusstsein, dem der Rache, knirschte es das Boot zusammen, und die schäumende blutige Flut wirbelte im nächsten Augenblick über eine Masse von Trümmern und Schwimmenden, die nur in dem nächsten Gefühl der Erhaltung ein Brett zu fassen suchten.
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Patrick selber hatte fast unbewusst und krampfhaft noch im Sturz die Leine gepackt, in der die Harpune saß. Als sie sich um seinen Arm schlang, riss sie ihn wenige Minuten später mit fort durch die blutige Flut, hinaus in freies Wasser und nach unten, und er wäre verloren gewesen, wenn der Fisch nur noch für Sekunden länger Leben behalten hätte. Aber der erste Wurf hatte ihn zu sicher getroffen, und wieder nach oben kommend, schwamm er ein-, zweimal im Kreise herum, peitschte mit den riesigen Flossen die zitternden Wogen um sich her, und trieb dann langsam und tot in der blutigen Flut. Patrick, der mit ihm wieder nach oben gekommen und von dem getöteten Fisch so unfreiwillig eigentlich ins Schlepptau genommen war, zog sich jetzt rasch zu dem mit der Oberfläche gleich schwimmenden Koloss hin, und die dort noch haftende Harpune ergreifend, half er sich in demselben Augenblick hinauf, als ein wilder Schrei dicht hinter ihm ertönte. Erschreckt wandte er sich danach um – der Hilferuf klang gar so entsetzlich und markdurchschneidend. Aber ihm selber stieß es wie mit einem Messer ins Herz, als er, gar nicht weit von sich entfernt, die dunkeln Flossen zweier Haie erkannte, die rasch und gierig herüber- und hinüberschossen, während das Gurgeln im Wasser dicht hinter ihm und das Peitschen der Wogen die Stelle verriet, wo einer seiner Kameraden in den erbarmungslosen Fängen einer dritten Bestie den Todeskampf kämpfte. Wie sich die Geier und Raben um ein sterbendes Vieh sammeln, so steigt aus dem Grunde herauf der Hai, plötzlich und unerwartet, dem Schwimmer zum Verderben, und was er einmal gefasst, das ist auch sein und er hält es, sich herumwirbelnd, wie in eisernen Fängen. Hier und da trieben jetzt noch Einzelne der Unglücklichen aus dem zerschmetterten Boot, die sich teils an die Überreste desselben geklammert, teils einen Riemen gefasst hatten, sich über Wasser zu halten; aber nur noch drei waren übrig von all den kräftigen, lebensfrohen Gestalten, die keck und trotzig noch wenige Minuten vorher der Gefahr ins Auge geschaut, und die Hyänen der Tiefe wüteten jetzt unter ihnen. Was half
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der mit dem Arm nach ihnen geführte machtlose Schlag, was der gellende Aufschrei der Verzweiflung – es war Musik in den Ohren der kalten furchtbaren Raubtiere mit den Katzenaugen und der riesigen Kraft, und der blutige Schaum, der in der nächsten Sekunde auf der Oberfläche des Meeres schwamm, war das Leichentuch der Unglücklichen und zeichnete ihr Grab. »Das ist furchtbar!«, stöhnte Patrick, der kaum die Kraft behielt, sich auf dem ihn jetzt noch schützenden Körper des Wals zu halten. »Furchtbar, so enden zu sollen, und keine Hilfe!« Und das Auge suchte verzweifelnd das rettende Schiff, das weit, weit am Horizont von ihm ab kreuzte, den anderen Booten nach. Und wenn sie ihn dann auch vermissten und suchten, und das Boot nicht mehr finden konnten mit dem Glas, und hier auf- und absegelten tagelang, was half es ihm? – Nur Stunden, Minuten vielleicht waren ihm noch gegeben, und seine Henker wälzten und jagten sich um ihn her und sprangen und tauchten in wilder befriedigter, aber nimmer gesättigter Lust. Schaudernd barg er das Gesicht in die Hand, die eigene Gefahr fast vergessend, nur den Todeskampf der Kameraden nicht zu sehen – war er ja doch ein Spiegelbild dessen, was ihn selber erwartete. Aber das Zischen und Schlagen des Wassers um ihn her zwang ihn zuletzt, mit dem Instinkt der Selbsterhaltung, der sich bis zum letzten Augenblick selbst an den Strohhalm klammert, auf eigene Rettung zu denken, oder sein Schicksal doch wenigstens so lange hinauszuschieben wie möglich, um eben der Möglichkeit einer Hilfe überhaupt noch Raum zu geben. Die Harpune in dem Rücken des Wals, die er, um ihr mehr Festigkeit zu geben, noch tiefer in den Blubber hineindrückte, bot ihm eine Stütze, sich auf der schlüpfrigen, glatten Masse zu erhalten, denn wenn er auch ein paar Mal daran dachte, das Eisen herauszuschneiden und sich desselben als Schutzwaffe gegen den gierigen Hai zu bedienen, musste er den Gedanken doch immer wieder aufgeben. Hinuntergespült in die Flut, wäre selbst das scharfe Eisen nicht Wehr genug gegen
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den schnellen Hai gewesen, der herüber- und hinüberschießend sein Opfer doch zuletzt gefasst und dann, trotz allen ihm vielleicht versetzten Wunden, in die Tiefe gezogen hätte. Aber eins konnte er tun. Der Stiel der Harpune, ein kurzer, stämmiger Eichenstock von vielleicht zwei Zoll im Durchmesser, stak noch im Eisen fest, und den bog er heraus, befreite ihn mit dem kurzen Messer, das in seinem Gürtel hing und das jeder Matrose bei sich trägt, von der Leine, und behielt noch Zeit, diese von der Harpune zu lösen und wieder daran zu befestigen. Indem er nun die Harpunenleine zum besseren Halt um seine linke Hand schlang, fasste er den stämmigen Stock jetzt mit frohem Selbstvertrauen in die Faust und sah mit zusammengebissenen Zähnen und neu erwachtem Mut dem ersten Angriff des Feindes entgegen, der indessen lange auf sich warten ließ. Die Haie waren für den Augenblick gesättigt und spielten mehr in den Strömen des Blutes, die rings das Wasser färbten, als dass sie nach neuer Beute verlangten. In dem Blute selbst hatten sie auch weiter keine Witterung mehr und suchten nur manchmal, wenn auch vergebens, einen Halt an dem schlüpfrigen, breiten Körper zu bekommen, ja schwammen auch wohl faul und schläfrig hinter den aus dem Boot geschlagenen, treibenden Brettern und Riemen her, hier eins fassend und eine Weile im Rachen haltend, und dort eins mit dem runden, schaufelförmigen Oberkiefer vor sich hinstoßend. Das Wetter war glücklicherweise still und ruhig, und nur der Ostpassat warf leichte Wellen, in deren Wogen der Fisch sich ebenfalls hob und senkte; aber keiner der Haie war bis jetzt so nahe gekommen, dass er ihn gesehen oder, wenn gesehen, beachtet hätte, und er hoffte schon, vielleicht unangegriffen seinen Platz behaupten zu können, bis das Schiff zu seiner Rettung herbeikäme, oder wenigstens seine Boote schickte. Aber wo war das Schiff? – Heiliger Gott, keine Aussicht auf Entsatz noch in langer Zeit, denn selbst auf die Entfernung hin konnte es dem Auge des Seemanns nicht verborgen bleiben, dass es noch immer von ihm abhalte, in den Wind hinein. Die anderen Boote waren also ebenfalls fest-
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gekommen und, mit den genommenen Fischen langseits, gar nicht einmal mehr imstande nach ihm zu suchen. Die Sonne brannte ihm dabei heiß und sengend auf den Scheitel, und die Zunge klebte ihm am Gaumen. Wasser! – Die kühle Flut netzte seinen Fuß, und sollte er darin verschmachten? – Er kniete nieder und wusch sich Stirn und Schläfe, und Augen und Lippen, um einige Kühlung in der Glut zu haben, und dann band er sich, da er beim Zerschlagen des Bootes auch seinen Hut mit eingebüßt, sein Taschentuch über den Kopf, um ihn etwas gegen die stechenden Strahlen zu schützen. Durch diese Bewegung musste aber einer der Haie auf ihn aufmerksam geworden sein, oder konnte auch, wenngleich gesättigt und übersättigt, doch die Gier nach neuer Beute nicht mäßigen. Denn wie er den Kopf eben emporrichtete, bemerkte er, dass eine der größten ihn umschwimmenden, hoch aus dem Wasser ragenden dunkeln Rückenflossen gerade und rasch auf ihn zugeschwommen kam. Er behielt auch in der Tat kaum Zeit, sich emporzurichten und mit seiner Wehr zum Schlag auszuholen, als ein tüchtiger Bursch von vielleicht dreizehn Fuß Länge herangeschossen kam und sich mit der gerade steigenden Woge halbum auf den Rücken des Wals drehen wollte, um, was dort oben sich noch befand, herunterzulangen. Mit der Gefahr kehrte aber dem Seemann all der frische tollkühne Mut zurück, und, den schweren Harpunenstock in der Rechten und mit der Linken das Tau noch immer gefasst, um seinen festen Stand zu bewahren, traf er den eben die Oberfläche berührenden Kopf des Ungetüms mit so kräftigem, gut gezieltem Schlag, dass der Hai halb betäubt von dem Fisch zurückglitt und wegsank, ehe er sich zu einem neuen Angriff rüsten oder vielleicht auch entschließen konnte. Aber andere Haie hatte das Geräusch, das Plätschern und Schlagen herbeigelockt, und wenn sie auch nicht gleich einen unmittelbaren Angriff auf das kecke Menschenkind machten, das ihnen in ihrem eigenen Element zu trotzen wagte, so umschwammen sie doch den Ort, wo er stand, in immer engeren Kreisen und kamen ein paar Mal selbst so nahe, dass Pat-
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rick sie mit dem starken Ende des Holzes genugsam über die Riemen traf, um ihnen in Zukunft mehr Respekt einzuflößen. Der Hai ist aber ein gierig-stöckisches Vieh und kehrt, wenngleich selbst schwer verwundet, immer wieder zu einer einmal gewitterten Beute zurück, so lange er nur noch die Kraft dazu in sich fühlt. So auch hier. Wieder und wieder musste sie das schwere Holz belehren, dass hier noch nichts für sie zu holen sei, so lange wenigstens nicht, als sich der junge Ire noch stark genug fühle, gegen Hunger und Durst, gegen den sengenden Sonnenstrahl und die stete furchtbare Anstrengung seiner Nerven in der entsetzlichen ihn umgebenden Gefahr anzukämpfen. Und das Schiff? – Keine Rettung von dort! Tiefer und tiefer sank die Sonne, und weit zu windwärts noch lag das Schiff mit seinen hell schimmernden Segeln. Gieriger aber wurden die ihn umschwimmenden Bestien, die vergebens ihre Fänge in die zähe Haut des Spermfisches einzuschlagen suchten, und wie die Sterne sich im Osten entzündeten und nach und nach über den ganzen Himmel flammten, sah er die glühenden Strahlen in der phosphoreszierenden Flut herüber und hinüber streichen, wie die Fische zu und abwärts schwammen und ihn in immer engeren Kreisen umzogen, und die Gefahr für ihn wuchs mit der Nacht. Wohl erkannte er die für ihn ausgehangenen Laternen seines Schiffes, ja er sah, als es völlig dunkelte, den hellen Feuerschein der Blubberlampen und das matte Licht sogar, das von den Kochöfen der Transieder ausging und in den aufgegeiten Segeln seinen Widerschein fand. Aber was half das ihm? Wie durfte er hoffen, von dem Schiffe aus in dunkler Nacht gesehen und aus seiner furchtbaren Lage gerettet, befreit zu werden? Und würden menschliche Kräfte bis zum nächsten Morgen das so ertragen können? Er war kaum noch imstande, sich auf den Füßen zu halten, und suchte kurze Erholung wenigstens darin, dass er minutenlang, oder so lange ihn die immer wieder näher kommenden Fische ließen, auf seinem wunderlichen Floß kniete. Einmal versuchte er sogar, sich, wenn auch im Wasser, oh nur ein einziges Mal der Länge nach
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auszustrecken. Vergebene Hoffnung! Seine Peiniger ließen ihn nicht ruhen, und die Gefahr war zu furchtbar nahe, von ihnen überrascht, gefasst und seinem Tode entgegengerissen zu werden. Der gierigste der Burschen, ein junger Fisch von kaum mehr als acht Fuß Länge, packte sogar einmal die Harpune selbst, hinter die er getreten, und hielt sie lange genug, um von der zurückweichenden Welle halb trocken auf dem Spermfisch gelassen zu werden. Da traf ihn aber Patricks Harpunenstiel dermaßen über den tückisch-drohenden Schädel, dass er betäubt von dem schlüpfrigen Wal zurückglitt, das Weiße vom Bauche aufdrehte und versank. Aber andere nahmen seinen Platz ein, und nur der Glutenstreif, den sie im dunkeln Wasser zogen, verriet ihr Nahen und mahnte den Unglücklichen jedes Mal, dem neuen Angriff die Stirn zu bieten. Stunde um Stunde verging so in dem entsetzlichen Ringen um sein Leben; aber neue Hoffnung erwachte in ihm, als das Schiff jetzt näher und näher kam, und der wieder abgefeuerte Schuss hell und klar zu ihm herübertönte. Jetzt konnte er schon das Deck selber erkennen, ja die Gestalten sogar, die sich in demselben Lichte hin und her bewegten. »Ahoy! – Oh ahoy!«, tönte sein wilder, verzweifelter Schrei hinüber zu den Kameraden, die ohne ihn zu bemerken, an ihm vorübertreiben wollten – »Ahoy!« Wieder galt es sein Leben zu verteidigen, denn die Fische, von dem Ruf der menschlichen Stimme angelockt, kamen von allen Seiten herbei, und die dunkeln Rücken streiften und teilten die Oberfläche des Wassers an vielen Stellen. Da und dorthin traf sein Schlag, das Ende des zähen Holzes war schon zersplittert in den verzweifelten Streichen – Streiche, die einen Stier betäubt haben würden, und bei dem Hai nur höchst selten mehr Wirkung ausübten, als ihn auf kurze Zeit zurückzutreiben. Und das Schiff? – Da drüben trieb es, fast in Rufes Nähe; wieder schmetterte ein Kanonenschuss zu ihm herüber, und die darauf folgende Pause benutzte er aufs Neue, den gellenden Hilferuf dorthin zu senden, wo ihm so nah und doch un-
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erreichbar die Rettung lag. Aber der Wind kam von dort herüber; so deutlich er den Schall des Geschützes hörte, ja selbst dann und wann den einzelnen Laut einer Stimme vom Deck zu unterscheiden glaubte, so wenig vermochte sein eigener Ruf hinüberzudringen. Nur die Feinde um ihn her machte er mehr und mehr rege und gierig, und ihre Angriffe wurden häufiger. Was die Hoffnung auf Rettung bis dahin wach gehalten, seine Kraft, sein guter Mut – sie sanken, als er das Schiff vorbeitreiben sah, sanken, als ihm kein Mittel geblieben war, seine Nähe zu verkünden. Nur der krampfhafte, fast unbewusste Trieb der Selbsterhaltung ließ es ihn noch gegen den Angriff der gierigen Bestien bis zur letzten Kraft, zum letzten Atemzug verteidigen. So schwand die Nacht – das südliche Kreuz am Himmel drehte sich langsam, langsam nach Westen, und dort hinten im fernen Ost dämmerte der Tag. Er sah das noch – erkannte, wie die Sonne dem Meer entstieg, erkannte wieder die Umrisse seines Schiffs, die schlanken Masten und die aufgegeiten Segel, wollte noch das Letzte versuchen, sein Dasein zu verkünden, und versuchte das Hemd auszuziehen und es zu schwenken, dem Ausguck im Mast ein deutliches Zeichen – er vermochte es nicht mehr. Die Glieder waren ihm starr und steif, selbst die Stimme versagte ihm den Dienst und schwand in ein leises Röcheln. Seine Augen brannten, der Kopf wirbelte ihm, und eine neue wilde Idee, wie ein Irrlicht auf weitem Meer, blitzte in ihm auf und schien alles andere, jeden Gedanken an Hilfe oder Rettung, jede Hoffnung, jeden weitern Blick um sich her zu verdrängen. Er fing an, unter den ihn noch immer rastlos umschwimmenden Haien sich den einen auszusuchen, auf den er sich werfen und den er mit dem scharfen kurzen Messer, das er trug, zugleich mit sich vernichten wollte. Wieder und wieder hatte ihn der bedrängt und ihm nicht Ruhe noch Rast gelassen auch nur eine Stunde lang; immer aufs Neue, wenn auch immer wieder mit dem schweren Holz empfangen und zurückgeschlagen, kehrte er zurück, der Gierigste unter der gierigen Schar, und Rache wollte er nehmen an dem.
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Aber die Kräfte verließen ihn, die furchtbare Aufregung seines Geistes und Körpers drohte ihn zu bewältigen. Während die Haie seit Tagesanbruch, wenn sie auch nicht den getöteten Wal verließen, doch keinen direkten Angriff mehr auf den Mann machten, der ihnen ja doch bald zur Beute fallen musste, war er in die Knie gesunken und folgte halb bewusstlos nur mit den Blicken den dunkeln, dräuenden Flossen. Er hatte das Schiff ganz vergessen. Das laut herübergerufene Hallo des rettenden Bootes weckte ihn zuerst aus seiner Betäubung – er sah das Boot, aber er schien kaum zu begreifen, was es wolle, wo er sich eigentlich befinde. Aber er richtete sich noch einmal auf – fühlte sich von anderen Armen unterstützt, von freundlichen, herzlichen, ermutigenden Worten begrüßt, und sank ohnmächtig zurück. Der Harpunier hatte nun allerdings Order bekommen, wenn er den dunklen Punkt, den sie von Bord aus gesehen, erreiche und einen toten Walfisch finde, ein Zeichen durch das Wehen einer mitgenommenen weißen Flagge zu geben, und dann dort zu bleiben, bis ihm die anderen Boote zu Hilfe geschickt werden konnten, um den toten Fisch ins Schlepptau zu nehmen. Sie hatten aber nicht erwartet, einen einzelnen, halb toten Kameraden darauf zu finden. Er gab deshalb wohl das Zeichen und stieß die mitgenommene Flagge in den Körper des toten Wals, damit die anderen Boote den Platz finden könnten, ruderte dann aber, so rasch ihn die Riemen seiner Leute vorwärts zu bringen vermochten, mit dem Geretteten zum Schiff zurück. Drei von den Haien, die sich die schon sicher gehoffte Beute nicht so leicht wieder wollten entreißen lassen, folgten dem Boot und wurden von dem Harpunier, der sich wohl denken konnte, wie sie den Kameraden dort geängstigt und bedrängt, einzeln vom Boot aus mit der Lanze geworfen und erlegt...
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Die Silbermine in den Ozarkgebirgen Der Donner rollte dumpf und drohend über den hohen Gipfeln der Ozarkgebirge hin, schmetternd sein Echo fordernd aus den dunkeln Schluchten und die Nebel niederpressend in die engen, schroff in die Hänge gerissenen Thäler. Der Blitz zischte dabei grell und flammend an den Felsen nieder, der ganzen wilden Landschaft mit dem falben Lichte des scheidenden Tages eine eigene, unheimliche Beleuchtung gebend. Der Regen rasselte in Strömen auf die dichtbelaubten Eichen und Hickories nieder, wurde aber trotzdem von dem durstigen Boden aufgesogen, ehe er das tiefliegende Bett des kleinen Flüßchens »Hurricane« erreichen konnte, in dem das Wasser selbst jetzt nur in einzelnen kleinen Lachen stand. Da klommen, als das Gewitter gerade den höchsten Punkt erreicht zu haben schien und Schlag auf Schlag, von vielfältigem Echo verdoppelt, in den Schluchten dahinraste, zwei Jäger, in große, weiße wollene Decken gehüllt, die die ganze Figur, fast bis auf die befranzten Moccasins hinunter, bedeckten, an den steilen Seitenwänden nieder, welche den Hurricane von seinen Quellen bis dahin, wo er sich in den Mulberry ergießt, umgeben. Sie hielten auch nicht eher, als bis sie sich auf dem untersten, terrassenförmigen Vorsprung befanden, von dem aus sie das steinige Bett des Flusses, das dicht in die ihn starr und steil umgebenden Felsen eingezwängt liegt, übersehen konnten. »Hol' der Henker den Sturm!« brach endlich der Aeltere von ihnen das Schweigen, indem er stehen blieb und, seine Decke zurückschlagend, das mit Leder bedeckte Schloß seiner Büchse untersuchte, ob es auch noch trocken und wohlverwahrt sei – »er tobt ja heute zwischen den alten Stämmen, als ob er den ganzen Wald mit der Wurzel ausreißen wollte; ich bin herzlich froh, daß wir den Fluß erreicht haben, denn mir
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sinken die Glieder fast von dem schnellen Marsch, und die scharfen Steine haben mir Moccassins und Füße zerrissen.« »Also Du weißt sicher,« fragte der Jüngere, dessen Name Thomson war, seinen wohl um zehn Jahre älteren Kameraden – »daß Du auf der richtigen Fährte bist? und daß die Spanier diesen Weg eingeschlagen haben?« »Ich sah heute Morgen mit Tagesanbruch ihr Wachtfeuer unten an dem kleinen Schilfbruch, etwa anderthalb Meilen von hier, und hörte die Glocken ihrer Maulthiere,« antwortete Preston. »Und wie viel Männer glaubst Du, daß zu dem Zuge gehörten?« fragte der Andere bedenklich. »Ich habe Dir schon gesagt,« entgegnete der Aeltere mürrisch, »daß, so oft diese Fremden nun schon hier gesehen worden sind, nie mehr als zwei Männer von der Mündung des Hurricane aufwärts gingen, obgleich acht oder neun, gewöhnlich am Ausfluß des Hurricane, die Rückkehr der beiden Erstgegangenen erwarten.« »Ich kann aus der ganzen Geschichte nicht klug werden,« antwortete Thomson kopfschüttelnd, »und lieb wär' es mir, wenn Du mir jetzt einmal reinen Wein einschenktest und Alles, was Du davon weißt, erzähltest; denn da wir das Abenteuer zusammen bestehen wollen, möchte ich doch auch nicht gerne im Dunkeln tappen.« »Gut,« erwiderte sein Kamerad, »der Regen hat ziemlich nachgelassen; so wollen wir denn zum Wasser hinunter gehen und dort unser Lager aufschlagen; bei einem guten Feuer und gehörig gebratenen Stück Hirschfleisch erzählt sich die Sache viel besser, und aufrichtig gesagt, werden wir wohl zum morgenden Tag unsere Kräfte noch etwas gebrauchen. Es fängt auch schon an, recht dunkel hier unten zu werden, und wir möchten das schwache Licht nöthig haben, um schnell das nasse Holz in Brand zu bringen.« Damit, und ohne die Antwort seines Gefährten abzuwarten, klomm er einen schmalen Hirschpfad, der an den Fluß hinunter führte, abwärts und stand bald, von Jenem gefolgt, an dem steinigen Bett des Hurricane, und zwar gerade da, wo dieser
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in einer Biegung, und in Folge einer unterirdischen Quelle, ein kleines Becken von tiefem, obgleich gegenwärtig durch den Regen etwas getrübtem Wasser enthielt. Das Gewitter ließ jetzt nach; weit im fernen Norden verhallte der Donner, und an vielen Stellen schaute der blaue, azurne Himmel durch die weißlich grauen Wolkenschleier, die, von einem frischen Südostwind gejagt, in langen, wehenden Streifen über das Thal hinwegzogen. Wenig aber schienen sich die beiden Männer des schönen Abends zu erfreuen, sondern waren nur eifrig bemüht, ein Feuer anzumachen, um sowohl bei der erwärmenden Gluth Schutz gegen die keineswegs milde Nachtluft zu finden, als auch einige Stücke rohes Hirschfleisch, das Preston in einem frisch abgestreiften Fell umhängen hatte, zum Abendessen zuzubereiten. Thomson schlug jetzt Feuer an und entzündete einen, wohl mit Pulver eingeriebenen Lappen, während Preston kleine trockene Späne herbeibrachte, die er mit seinem Tomahawk aus einem umgestürzten, verdorrten Baume herausgehauen hatte. In wenigen Minuten flackerte auch, durch vereintes Blasen und Schwenken erweckt, eine schwache Flamme empor, die, durch schnell und sorgsam nachgelegte Stücke genährt, bald zur hohen, erwärmenden Gluth emporloderte. Die Jäger hingen nur ihre Decken zum Trocknen an in den Boden gestoßene Stangen, sammelten von den umherliegenden, oft schon halb verfaulten Stämmen einige Rinde, die sie auf die Erde breiteten, um nicht auf dem nassen Boden liegen zu müssen, steckten dann dünn geschnittene Scheiben Hirschfleisch auf zugespitzte Hölzer nahe an die glühenden Kohlen, und suchten die Zeit, in welcher das Fleisch briet, zu benutzen, sich selbst ein wenig zu trocknen und auszuruhen. Beide Männer waren in einfache, dunkelblaue Jagdhemden, aus grobem wollenen Zeug verfertigt, gekleidet, doch hatte der Jüngere noch eine Art Garnitur von kurzen, hellgelben Fransen an dem seinigen, mit der es am Kragen, an den Aermeln und an allen Nähten besetzt war. Sie trugen lederne Leggins oder Gamaschen und Moccasins, und in ihren leder-
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nen Gürteln, welche die Jagdhemden zusammenhielten, staken die breiten, langen Bärenmesser. – Preston's Kopf war mit einem alten, abgetragenen Filzhut bedeckt, während Thomson ein hellfarbiges Tuch fest um die Schläfen gebunden hatte, daß sein dunkles, lockiges Haar sich oben hindurchdrängte. Ihre langen Büchsen, mit darüber hinhängenden Kugeltaschen, hatten sie an einen jungen Baum gelehnt, und warfen sich nun selbst, müde und matt von der gehabten Anstrengung, auf die Rindenstücke an's Feuer, daß die verdunstende Feuchtigkeit ihres Anzuges in dichten Dampfwolken von ihnen emporstieg. »Nun, Preston,« begann Thomson nach einiger Zeit, nachdem er sich eins der mit Fleisch besteckten Hölzer hingenommen, von den rohen Stücken die gargekochten, dünnen Streifen abgeschnitten hatte, und das Uebrige wieder zum Feuer zurück steckte; »rücke mit Deiner absonderlichen Erzählung einmal heraus, nenne die Gefahren und sage den möglichen Gewinn, dann werde ich Dich auch wissen lassen, ob ich mit von der Partie bin oder nicht.« »Wissen lassen – Partie sein oder nicht?« fragte verwundert der also Angeredete, indem er sich auf einem Ellbogen emporhob und den jüngeren Kameraden staunend anschaute. – »Sind wir denn hier in Sturm und Ungewitter hergekommen, damit Du jetzt noch zweifelhaft wärest, was Du thun oder lassen solltest? Wartest Du vielleicht nur noch darauf, eine etwas weniger günstige Beschreibung des Ganzen zu hören, um wieder ruhig heimzukehren und mir allein die Entdeckung zu überlassen, an die ich, wie Du weißt, nun einmal mein Leben gesetzt habe?« »Nun, nun,« lachte Thomson, »nur nicht so hitzig; heraus mit der Sprache; Du weißt, ich bin gewöhnlich der Letzte, der einen einmal gefaßten Beschluß wieder aufgiebt. Also klar und deutlich denn – was haben wir zu hoffen? damit wir schnell und kräftig unsere Maßregeln treffen können.« »Gesprochen wie ein Mann,« antwortete der Aeltere, wieder in seine behagliche ruhende Stellung zurückgleitend; »und nun erfahre denn auch Alles, was ich von dem ganzen ge-
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heimnißvollen Leben und Treiben der Spanier weiß, denen ich jetzt schon Jahre lang nachspüre. Aber noch nie hat ein Fuchs einen Hound Braken. mehr zum Narren gehabt und öfter von der Fährte abgebracht, als diese verwünschten Señores mich, der ich ihnen nicht weniger treu und gierig gefolgt bin. Du weißt, daß schon seit Jahren die Cherokesen von einer Silbermine gesprochen haben, die sich irgendwo an den Wassern des Hurricane befinden und außerordentlich reichhaltig sein soll; nie aber konnten alle nur erdenklichen Versprechungen auch nur Einen von ihnen bewegen, den Platz genauer zu beschreiben, da nach ihren Gesetzen der Tod auf dem Verrath stand, trotzdem, daß doch Keinem von ihnen das Geheimniß mehr etwas nützen konnte. Einige Spanier aber müssen im Besitz desselben sein, denn schon seit langen Jahren (seit drei Jahren beobachte ich sie selber) kommen mehrere in lange mexikanische Mäntel gehüllte Gestalten mit drei oder vier Maulthieren an die Mündung des Hurricane, wo der größte Theil derselben in dem fast undurchdringlichen Dickicht, von dem der Fluß seinen Namen hat, lagert. Zwei steigen dann mit den Thieren den Berg an der linken Seite des Flusses hinauf, ziehen aus der zweiten Terrasse von oben fort, durchschneiden dort den » flat mountain« oder die mehrere hundert Schritt breite offene Stelle am Abhang des Berges, dem kleinen Rohrdickicht gegenüber, das etwa eine Meile von hier den Fluß hinauf liegt, wenden sich dann wieder in's Thal, indem sie ihre Maulthiere in dem Rohrdickicht ausgehobbelt (mit zusammengebundenen Vorderfüßen) lassen, und suchen dann die Mine aus, die, Gott weiß wo, aber sicher in dieser Gegend liegen muß. Nach vierundzwanzig Stunden schon kehren sie gewöhnlich mit schwerbeladenen Thieren zu ihrer Gesellschaft zurück und sind dann wieder für zwölf Monate verschwunden. – Drei Jahre nun passe ich ihnen schon auf und habe, wenn sie fortzogen, mit unermüdlicher Sorgfalt ihren Spuren nachgeforscht, beide Seitenwände des ganzen Flußbettes von oben bis unten durchwühlt, fast keinen Stein unumgewendet liegen gelassen, als ob sämmtliche Bären von Arkansas nach Würmern gesucht hätten, und – Alles verge-
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bens. Vom Schilfdickicht aus waren sie mehrere hundert Schritt bergan gestiegen, hatten sich aber dann so zwischen den Felsen und dem Gestein gehalten, daß jede Spur verschwand und mein Auge, sonst keineswegs eins der schlechtesten, ihrer Spur nicht weiter zu folgen vermochte. Zwei Jahre hintereinander machte ich solch' vergebliche Versuche, und zu meiner Schande muß ich's gestehen, daß mich auch eine von den Nachbarn erweckte Furcht abhielt, meinen Nachforschungen den gehörigen Erfolg zu sichern. Diese erzählen den finsteren Spaniern nämlich viele schauerlich klingende Geschichten nach, daß sie zum Beispiel, um ihr Geheimniß zu bewahren, Menschenblut nicht geachtet haben sollen, und einst einen einsamen Jäger, der sie zufällig bei ihren Arbeiten überraschte, ermordet hätten, und andere dergleichen schreckliche Geschichten. »War ich allein, so übermannte mich stets unwillkürlich eine fast weibische Furcht, wenn ich solchen Mordes gedachte, und scheu blickte ich dann wohl umher, hinter jedem vorspringenden Felsen oder umgestürzten Baumstamm die gespannte Büchse eines der dunkeläugigen Schufte vermuthend. Jetzt ist das etwas Anderes; wir sind unserer Zwei und sie sind Zwei; finden wir den Platz, wo sie graben, und sie entdecken uns und zeigen sich feindselig, wohl, so schießen unsere Büchsen so sicher wie die ihrigen, vielleicht noch sicherer. – Nehmen sie aber Vernunft an, desto besser, mich verlangt nicht nach Menschenblut, und es wird genug Silber für uns alle Vier vorhanden sein; aber wissen muß ich den Platz, und umsonst will ich nicht Jahre lang damit vergeudet haben, ihren Spuren nachgeschlichen zu sein, ohne meinen Zweck erreicht zu haben.« Preston schwieg und schaute sinnend, über seinen Plänen brütend, in die zusammenfallenden Kohlen, während Thomson einige Minuten ebenfalls tiefes Schweigen beobachtete und mit seinem breiten Jagdmesser allerlei Figuren vor sich in die Erde grub; endlich wandte er den Kopf halb zu seinem Gefährten herum und frug. während er dabei die Spitze seines
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Messers auf den ledernen Leggins reinigte und sich damit die Zähne stocherte: »Wann wollen wir aufbrechen?« »Sobald der Mond aufgeht und das geschieht ein Viertel nach Zwölf,« lautete die Antwort; »dann müssen wir dem Lauf des Flusses stromaufwärts folgen, bis wir an das Schilfdickicht kommen, und dort dasselbe umlauern, bis die Spanier, mit dem edlen Metall beladen, zu ihren Thieren zurückkehren. Sie werden den Weg oft machen müssen, und unserer Schlauheit ist es jetzt anheimgestellt, das Ganze friedlich, das heißt unbemerkt – oder feindselig, wenn entdeckt – abzumachen. Hunde haben sie nicht mit sich, von diesen ist also keine Entdeckung zu fürchten, und finden wir den Platz, so sind wir gemachte Leute.« »Gut!« rief Thomson, auf's Neue ein mit Fleisch bestecktes Holz vor sich hinpflanzend, welchem Beispiel diesmal sein ernsterer Jagdgefährte folgte; »gut – ich bin dabei – es ist wenig Mühe und Gefahr und die Hoffnung auf ungeheuren Gewinn; da widersteh' ein Anderer. Wir wollen uns nur noch tüchtig stärken und ein halb Stündchen schlafen, denn wer weiß, wie wir's nöthig haben werden; kommt dann der Mond, so haben wir wieder Kräfte und ertragen, was uns in den Weg kommt, leichter und mit frischerem Muthe.« Schweigend beendeten die beiden Männer ihre Mahlzeit, schürten dann das Feuer auf, das, von dürrem Holz genährt, hoch emporloderte, hüllten sich in ihre Decken und versuchten, ihre Körper zu den bevorstehenden Anstrengungen auszuruhen. Der Jüngere war bald sanft eingeschlafen, und sein tiefes, regelmäßiges Athmen bewies, wie wenig er die Gefahr, der er entgegenging, kannte, oder wenn er sie kannte, wie furchtlos er sie erwartete. Der Aeltere wickelte sich zwar auch in seine Decke und schien, den Kopf auf ein Stück faulen Holzes gelegt, zu schlummern, seine Augen aber waren und blieben geöffnet und sinnend schaute er hinauf zu den Myriaden von Sternen, die oben vom dunkeln Nachthimmel friedlich und freundlich auf ihn herabfunkelten.
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Endlich erhellte sich an den östlichen Bergkuppen der Himmel – der Mond mußte gleich erscheinen; da hob sich Preston von seinem harten Lager, dehnte und streckte die Glieder, weckte seinen Kameraden und ging dann zum nur wenige Schritte entfernten Wasser, sich Gesicht und Hände darin zu baden, um mit klaren Augen und hellem Verstand den gefährlichen Weg anzutreten. Thomson sprang auf und folgte seinem Beispiel; Beide wickelten dann ihre Decken zusammen und hingen sie sich über die Schulter, nahmen ihre Büchsen, schütteten frisches Pulver auf die Pfanne und waren so gegen Alles, was ihnen entgegentreten mochte, gerüstet. »Sollen wir nicht lieber im Thale hingehen?« fragte jetzt Thomson, als er sah, daß Preston an einigen steilen Felsstücken hinaufkletterte, um eine der Terrassen zu erreichen – »wir haben auf jeden Fall besseren Weg und können schneller fortkommen; denn, hol's der Henker, so in der Nacht zwischen den scharfen Steinen mit zerrissenen Moccasins umherzuklettern, ist eine verteufelt böse Sache – meine Füßen brennen mir schon jetzt wie Feuer.« »Wir müssen uns aus eben dem Grunde zwischen den Felsen halten, aus dem die Spanier den rauheren Weg gewählt haben – um alle Fährten zu vermeiden. Bleiben wir unbemerkt, so ziehen wir uns leise und vorsichtig zurück, und erregen nicht den Verdacht der Fremden, die sicher, wenn sie auch nicht den Thalweg einschlagen, doch hinunterspüren, ob sie keine verräterischen Fußspuren dort entdecken können.« Mit rüstigen Schritten, ohne weiter ein Wort laut werden zu lassen, stieg der Aeltere jetzt voran und Thomson, wohl einsehend, daß der erfahrenere Kamerad Recht habe, folgte, dann und wann nur, wenn er gerade auf einen recht spitzigen Stein getreten war, seinen Schmerz mit einem halb unterdrückten Fluch beschwichtigend. Eine kleine Stunde mochten sie so langsam fortgestiegen sein, der Mond goß freundlich vom hohen Himmel herab sein silbernes Licht durch den Wald, als Preston anhielt und, nach vorn deutend, seinem Kameraden zuflüsterte, daß dort das
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Schilfdickicht sei und er den Klang eines Glöckchens zu hören glaube. Klar und deutlich drang auch jetzt der feine, reine Ton einiger kleinen Schellen durch die stille Nacht, und die Männer hielten, um sich über ihr weiteres Vorschreiten zu berathen. »Sind sie denn auf der rechten oder linken Seite des Flusses?« fragte Thomson leise seinen Kameraden, der aufmerksam dem Schall der Glocken horchte, um zu wissen, wie viel Thiere sie diesmal mit sich führten. »An der rechten,« flüsterte Preston zurück, »wenigstens gingen jedesmal an dieser ihre Fußspuren hinauf; aber,« unterbrach er sich, »horch doch einmal, wie viele Glocken Du hörst – das bimmelt ja untereinander herum, als wenn es fünf oder sechs wären.« Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten jetzt Beide dem vermischten Klange, der aus dem Thal zu ihnen heraufdrang, bis Thomson endlich das Schweigen brach und leise vor sich hinmurmelte, daß er vier verschiedene Glocken gewiß höre. »Und mir ist's, als wären's fünf,« erwiderte eben so leise Preston. »Nun, zum Teufel, so laß es zehn sein!« entgegnete unmuthig Thomson – »wir sind einmal hier und auf ein paar Spanier mehr oder weniger wird es jetzt auch nicht ankommen; wir stehen hier auf Onkel Sam's eigenem Grund und Boden und haben die Fremden, im Fall sie uns entdecken sollten, böse Absichten, so mögen sie sich's selber zurechnen, wenn wir mit unserem Blei freigebig sind. – Aber was hast Du denn da?« fragte er, sich unterbrechend, seinen Kameraden, der sich dicht niederbog und den Boden genau zu untersuchen schien. »Eine Spur, so wahr ich lebe, und von einem beschuhten Fuß!« rief Preston; – »sie müssen hier hinaufgegangen sein.« »Bst,« flüsterte Thomson, seinen Arm ergreifend und festhaltend, »ich höre Schritte.« In gespannter Erwartung horchten Beide jetzt auf, und deutlich und immer näher kommend klang das Geräusch eines langsam bergan steigenden Mannes zu ihnen her. Lautlos
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schmiegten sie sich an die Erde, auf der sie standen, hinter einige zerstreut umherliegende Felsstücke und erwarteten die Gestalt, die, in einen braunen langen Mantel gehüllt, den Kopf mit einem breitrandigen schwarzen Filzhut bedeckt, langsam die Terrasse, an deren Rand die zwei Jäger lagen, erklomm, dort stehen blieb, sich etwa fünf Minuten lang vorsichtig umschaute, nach allen Himmelsrichtungen hinhorchte und dann einen leisen, aber vernehmlichen Ruf, den Ton der Eule nachahmend, dreimal ertönen ließ. Er wurde einmal aus dem Rohrdickicht heraus beantwortet und darauf war Alles wohl eine halbe Stunde lang still wie im Grabe; dann scholl derselbe Ruf wieder aus dem Thal heraus. Die Schildwache, denn etwas Anderes konnte die hoch aufgerichtete dunkle Gestalt, die, an einem Stamm lehnend, dem geringsten Laut zu horchen schien, nicht sein, antwortete wie das vorige Mal, stieg dann den Weg, den sie gekommen, wieder hinunter, und in wenigen Minuten, als ihre Schritte in der Entfernung verhallt waren, lag die ganze Gegend so einsam und verlassen, als ob sie noch nie von einem menschlichen Fuß entweiht worden wäre. Wohl noch eine Viertelstunde blieben die beiden Männer in ihrem Versteck, dann aber, als Alles sicher zu sein schien und sie glauben konnten, daß sich die Fremden wieder entfernt hätten, hob Thomson den Kopf, schaute einen Augenblick in das von dem jetzt hoch stehenden Monde erhellte Thal und wandte sich gegen seinen älteren Kameraden, der indessen ebenfalls aufgestanden war und wiederum nach dem Schloß seiner Büchse schaute, ob durch das Niederlegen des Gewehrs das Pulver nicht von der Pfanne gefallen sei. »Nun, Preston, was hältst Du von der Erscheinung? – mir gefiel sie gar nicht; ich hatte einmal große Lust, vorzuspringen und dem langen Burschen das Messer in die Kehle zu stoßen – es wäre einer weniger gewesen!« »Das würde so unbesonnen als thöricht gewesen sein,« entgegnete mit halb unterdrückter Stimme der Angeredete, »und hätte unsern ganzen Plan nicht allein verderben, sondern uns auch der Rache sämmtlicher brauner Schurken preisgeben
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können. Nein – mir ist es jetzt klar geworden – die Burschen müssen mit ihrer Beute im Thal herabkommen und zwar im felsigen Bett des Bergstromes selbst, sonst hätte ich in früheren Jahren ihre Spur gefunden, und dieser lange Gesell war nur hier oben aufgestellt, um sie vor irgend einer Ueberraschung von unten her zu sichern, während sie indessen ihre Last zum Sammelplatz brachten, um dort nachher Alles bequem zusammen aufladen zu können. Wir haben aber jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, denn wer weiß, ob sie den Weg noch mehr als einmal machen, und finden wir sie nicht beim Graben beschäftigt, so daß ich mir den Platz genau merken kann, so hilft unser ganzer Zug nichts.« »Sie können aber doch unmöglich all' das beste Erz in der Nacht finden und werden sicher ihre Arbeit noch nach Tagesanbruch fortsetzen,« antwortete Thomson. »Was sie am gestrigen Tage erbeutet haben, schaffen sie jetzt in Sicherheit und vernichten wieder alle Spuren, die sie hinterlassen könnten,« entgegnete Preston; »nein, nein, auf Tagesanbruch dürfen wir nicht warten, überdies scheint es, als ob sie Verrath ahnten, was der Posten zur Genüge beweist. Komm also in's Thal hinunter, wir schleichen durch den Schilfbruch, wo sie schwerlich eine Wache zurückgelassen haben und folgen leise dem Lauf des Flusses. Finden wir sie bei der Mine beschäftigt, so merken wir uns den Platz und entfernen uns wieder so schnell und leise als möglich, denn ich vermuthe nicht ohne Grund, daß sie diesmal in stärkerer Anzahl als gewöhnlich da sind. Laß sie dann, was sie gesammelt haben, mit fortnehmen, – wenn sie das nächste Mal wieder kommen, sollen sie's schwerer finden, ihre ledernen Felleisen zu füllen, als bisher, das Silber müßte denn haufenweis in den Bergen vorkommen.« Die Jäger stiegen jetzt vorsichtig in das enge Flußthal hinab, und krochen, Schlangen gleich, in den nicht sehr dicht stehenden kleinen Schilfbruch hinein, aufmerksam dabei auf das Geringste achtend, was ihnen Gefahr oder Entdeckung drohen konnte. Aber keine Wache war bei den Maulthieren, die ruhig weideten und die Anschleichenden gar nicht zu beachten
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schienen, zurückgelassen, und hoch aufathmend erreichten sie wieder den offenen Wald oberhalb des Schilfes, wo Preston schnell weiter eilen wollte, als ihn Thomson am Arme hielt und frug, ob sie nicht lieber das Silber erst aufsuchen sollten, was die Spanier schon irgendwo hierher getragen haben mochten. »Geh zum Henker mit Deiner Thorheit!« entgegnete mürrisch Preston – »nicht wahr, die Zeit hier mit Kinderspielen versäumen, um eine Sache aufzufinden, die wir nicht einmal anrühren dürfen, ohne augenblicklich Entdeckung fürchten zu müssen. – Komm, komm, wir können jeden Augenblick den wieder zurückkehrenden Schuften begegnen, und es wäre doch zu wünschen, daß wir sie hörten, ehe sie von unserer Nähe eine Ahnung hätten.« Mit diesen Worten machte er sich von Thomson's Hand los und glitt mit unhörbarem Schritt über die runden, glatten Kiesel des Flußbettes, von seinem Kameraden eben so geräuschlos gefolgt, wie zwei den Gräbern entstiegene dunkle Schatten der Unterwelt. Wohl eine Meile mochten sie ungestört und ununterbrochen ihren Weg fortgesetzt haben, ohne auch nur das Geringste zu vernehmen, was die Nähe lebendiger Wesen hätte verrathen können, als sie plötzlich, dicht vor sich, Stimmen hörten, und kaum noch Zeit behielten, sich in den Schatten einer umgestürzten Platane zu werfen, ehe fünf dunkle Gestalten, mit kleinen Säcken auf den Rücken, die übrigens, dem gebückten Gehen der Männer nach zu urtheilen, ein bedeutendes Gewicht haben mußten, ihnen gerade entgegenkamen und lautlos, von einem großen Stein auf den andern tretend, dem Schilfbruch zuwanderten. Als sie nur noch wenige Schritte von dem Versteck der Jäger entfernt waren, blieb der Führer stehen und richtete einige Worte in spanischer Sprache an die ihm Folgenden; gleich darauf aber setzte er wieder seinen Weg fort und war bald mit seinen Begleitern an einer Biegung des Hurricane hinter einer Felsecke verschwunden.
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»Verstandest Du, was der lange Schuft da in den Bart murmelte?« fragte Thomson seinen neben ihm liegenden Gefährten. »Nicht ein Wort,« entgegnete dieser, »es ist das erste Mal, daß ich Spanisch reden höre; komm aber schnell, wir dürfen keinen Augenblick verlieren, vielleicht können wir die Mine noch entdecken, ehe Jene zurückkehren, denn, hol's der Teufel, es sind ihrer doch mehr, als ich dachte, und die Burschen führen scharfe, lange Messer.« Schnell und leise verfolgten Beide wieder wohl noch mehrere tausend Schritt den Lauf des kleinen Stromes, als Preston plötzlich stehen blieb und auf mehrere Hacken und Hämmer deutete, die zerstreut gerade in einem ausgetrockneten Theil des Flußbettes umherlagen. »Da, beim Himmel!« rief er, krampfhaft Thomson's Schulter erfassend, der neben ihn getreten war – »wir sind im Nest!« »Und was ist das Dunkle dort, was da unter dem Busch liegt?« fragte Thomson, indem er mit vorgestrecktem Oberkörper der fraglichen Stelle näher trat und sich niederbog, um den Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte, zu erkennen. Aber mit einem Ruf des Schreckens und Erstaunens sprang er zurück, denn nur wenige Zoll von den seinigen entfernt blitzten ihm die dunkeln Augen eines Mannes entgegen, der auch in demselben Augenblick mit gezogenem Messer auf die Füße sprang und einen lauten Nothruf ausstieß. »Teufel!« schrie Preston, der bei der ersten Bewegung des Fremden sein Messer ebenfalls aus der Scheide gerissen hatte, »Teufel!« und sprang von der Seite auf den Spanier los. Gar verderblich würde aber der Sprung für ihn gewesen sein, hätte nicht zufällig die Büchse, die er in der linken Hand hielt, den sichern Stoß des Angegriffenen abgewandt, dem in demselben Augenblick das breite Messer des Jägers in der Brust saß, daß er aufschreiend zu Boden stürzte; im Falle selber aber riß er noch eine Pistole aus dem Gürtel und brannte sie auf den von ihm Zurückschreckenden ab. Wohl fehlte die Kugel Den, für welchen sie bestimmt war; doch zerschmetterte sie die linke Hand seines neben ihm ste-
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henden Kameraden, die dieser eben erhoben hatte, um den Feind mit einem Kolbenschlage unschädlich zu machen. Machtlos sank Thomson's Arm und seine Büchse rasselte in die Steine nieder; doch wie ein Tiger flog er auf den zum Tod Getroffenen zu und stieß dem schon Verschiedenen dreimal noch die breite Klinge in die Brust, bis Preston seinen Arm faßte und ihn zurückzog. »Fort, fort,« rief dieser, »laß Den, der hat genug, aber bald werden uns die Teufel auf der Fährte sein – fort! ich möchte nicht um alle Silberminen der Welt mit ihren fünf Messern Bekanntschaft machen!« »Ich bin verwundet,« flüsterte jetzt, mit verbissenem Schmerz, Thomson, »meine Hand ist zerschmettert.« »Besser die Hand, als der Kopf,« knirschte Preston, die Büchse vom Boden aufhebend und seinem verstümmelten Kameraden hinreichend; »komm! – in fünf Minuten ist's zu spät;« und mit schnellen Schritten eilte er, von Thomson, der die Nähe der Gefahr erkannte, gefolgt, eine kurze Strecke im Flußbett fort, und sprang dann an der rechten Thalwand in die Höhe, um vielleicht noch vor den Verfolgern den Gipfel des Berges zu erreichen und dann an der andern Seite desselben, unter dem Schutz der Nacht, leichter die Flucht zu bewerkstelligen. Die zerschossene Hand vorn an der Brust geborgen, blieb Thomson, seinen Schmerz verbeißend, dicht an jenes Seite, und in wenigen Minuten waren Beide in der Dunkelheit des Waldschattens verschwunden; in demselben Augenblick aber raschelten die Büsche, und fünf finstere Gestalten brachen durch die Sträuche auf den eben von den Flüchtigen verlassenen Wahlplatz. Einen Schreckensruf stießen sie aus, als sie den Leichnam ihres gemordeten Kameraden erblickten, und spähende Blicke sandten sie umher, die Thäter zu entdecken und ihrer Rache zu opfern: da mahnte eine schnelle, gebieterische Geberde ihres Führers zum Schweigen, und wie eben so viele, aus dunkelm Marmor gehauene Figuren standen die Männer,
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ohne auch nur zu athmen, da und lauschten hinein in den stillen, in heiliger Ruhe sie umgebenden Wald. Einen Augenblick herrschte Todesschweigen, da scholl das Krachen eines dürren Astes an ihr Ohr – da noch einmal, und mit lautem Freudenruf – wie Hunde, die die Nähe ihres fliehenden Feindes, des Panthers, wittern – sprangen die fünf kräftigen Männer an der fast steilen Felswand, die das enge Thal einschloß, hinauf und folgten der Richtung, in der sie das Geräusch gehört hatten. Schon hatten die beiden Flüchtigen, die durch einen Fehltritt und Sturz des verwundeten Thomson die Verfolger auf ihre Spur gebracht, die sechste Terrasse erreicht, und eilten in langen Sätzen einem Kastaniendickicht zu, das dunkel vor ihnen lag, als sie die Schritte des schnellsten ihrer Feinde hinter sich hörten. Preston riß gerade noch zur rechten Zeit seinen Gefährten in eine kleine Schlucht hinein, neben der, kaum zwei Schritte von ihnen entfernt, ein dunkler Abgrund sie angähnte, als eine lange, dunkle Gestalt an ihnen vorbeisprang und dem Dickicht zueilte. Dieser folgte rasch eine zweite und dritte und schon hatten die beiden Letzten den Rand der Terrasse erklommen und wollten dieselbe Richtung nehmen, als der Eine von ihnen, ob aus Zufall oder durch den Instinct, der ihm seinen Feind verrieth, getrieben, nach dem dunkeln Platze, der die beiden Verfolgten barg und der ihm verdächtig scheinen mochte, zusprang und aufmerksam darauf hinschaute. Der Mond trat gerade hinter einer dünnen Wolke hervor und der glänzende Büchsenlauf mußte die Versteckten verrathen haben, denn ein durch die Ueberraschung ausgepreßtes »Ha!« entfuhr den Lippen des Spaniers. Es war aber sein letzter Laut, denn Preston, als er sah, daß sie entdeckt waren, hatte ruhig die Büchse heraufgenommen und angelegt, und bei dem Krach des Gewehres zuckte auch der sicher Getroffene zusammen und stürzte mit schwerem Fall zwischen die Steine nieder.
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»Mache den andern Schuft kalt – schnell oder er entflieht,« rief er jetzt seinem Gefährten zu, der bleich und athemlos neben ihm am Felsen lehnte. »Nimm mein Gewehr – ich kann es nicht mehr heben,« hauchte dieser und reichte ihm die Büchse, die Preston in fieberhafter Aufregung ergriff, um auch den andern Feind unschädlich zu machen; doch dieser trat hinter eine starke Eiche, die ihn schützend bedeckte, und sein Ruf brachte in wenigen Minuten die Anderen zur Stelle zurück, die, durch den Krach der Büchse in ihrem Lauf aufgehalten, jetzt mit wilder Freude dem Zeichen Folge leisteten. Aber Preston war indessen nicht müßig gewesen und hatte, da er sah, daß sich der Spanier außer dem Bereich seiner Büchse hielt, Thomson's Gewehr hingestellt, das seinige wieder geladen, und schüttelte gerade Pulver auf die Pfanne, als die dunkeln Schatten der Verfolger sichtbar wurden, wie sie schnell durch die umhergestreuten Felsstücke und Stämme einherglitten. Mit wenigen Worten beschrieb der Zurückgebliebene den Schlupfwinkel ihrer Feinde und zeigte ihnen das neue Opfer, das durch Preston's sichere Hand gefallen; aber nur ein lauter, wilder Schrei der Rache, bei dem die beiden Verfolgten unwillkürlich zusammenzuckten, war die Antwort, und wie Tiger warfen sich die Spanier auf ihre Beute. Preston lag im Anschlag, und der Erste, der, in der linken Hand eine Pistole, in der rechten ein Messer, kaum zehn Schritt von ihm entfernt, hinter einem Felsstück auf ihn ansprang, fiel, durch das Herz geschossen, nieder; seine Büchse dann wegwerfend, ergriff er die seines Kameraden und legte mit Blitzesschnelle auf den Nächsten an – aber harmlos berührte sein Finger den Drücker! Wohl schnappte der Hahn und die Funken flogen in die geöffnete Pfanne hinab, doch das Pulver war ihr beim Sturz entfallen und erfolglos klappte der Stein gegen den Stahl. In dem Augenblick schoß ein scharfer Blitz hinter einem dicht neben ihm liegenden Fels hervor, und mit zerschmettertem Haupt sank Preston auf seinen Kameraden zurück.
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Da sprang dieser, mit Zusammenraffen seiner letzten Kraft und gezücktem Messer unter der Leiche vor und vertheidigte sich, Verwundung und Gefahr verachtend, mit wilder Verzweiflung gegen die drei auf ihn anstürmenden Feinde; doch ein Kolbenschlag machte ihn taumeln, und während er noch versuchte, sich mit der linken, zerschmetterten Hand anzuklammern, stürzte er mit dumpfem Fall und lautem Angstschrei in die tiefe, gähnende Schlucht an seiner Seite hinab. Drei Tage waren vergangen, als ein Jäger aus den Ansiedlungen am Hurricane der Spur eines Hirsches folgte und Unmassen von Aasgeiern eine der Terrassen umkreisen sah. Aus Neugierde, um zu sehen, was für ein Wild dort den Raubvögeln zur Beute gefallen sei, näherte er sich dem Platze und fand auf dem Berge ein, und in der Schlucht, durch die Geier geleitet, ein zweites Gerippe, nicht weit aber von dem ersten entfernt ein frisches Grab, und auf demselben, als Grabstein, einen breiträndigen schwarzen Filzhut, mit einem langen Messer auf den schnell aufgeworfenen Hügel festgespießt. Wohl eilte er, so schnell er vermochte, in die Ansiedlungen zurück und brachte schon am nächsten Morgen alle Nachbarn, die er auftreiben konnte, auf den Wahlplatz, um von hier aus die leicht errathenen Thäter zu verfolgen und zu bestrafen; vergebens aber blieben sie, mit dem Scharfsinn der Indianer, Tage lang auf der Fährte der Maulthiere; die schlauen Spanier hatten sich und Alles, was ihnen gehörte, auf Canoes in Sicherheit gebracht und nur Einen mit den Lastthieren in's Land geschickt, um die Verfolger, die sie nach kurzer Zeit vermuthen mußten, irre zu leiten. Dieser hatte dann die Thiere verkauft und war, ohne daß Jemand auf ihn achtete, spurlos verschwunden. Seit dieser Zeit hat zwar Keiner der Spanier gewagt, jene Gebirge, wo ihn die Rache der wilden Grenzbewohner erwartete, wieder zu betreten, aber auch die Silbermine am Hurricane ist noch nicht wieder von den dort Wohnenden entdeckt, und vergebens haben bis jetzt die Jäger ein Geheimniß zu ergründen versucht, das zu bewahren schon so viel Blut vergossen wurde.
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Die Sklavin Das Mail- oder Postboot war eben von New-Orleans angelangt und über die von demselben an's Ufer geschobene Planke strömten in ununterbrochenem Zuge fast alle Geschäftsleute und Müßiggänger der kleinen Stadt Bayou Sarah an Bord, um theils für sie angekommene Briefe und Packete in Empfang zu nehmen, theils ihre Neugierde zu befriedigen und an dem zierlich ausgeschmückten Schenkstande ein Glas Brandy und Eiswasser zu schlürfen. Der Capitain des Postboots, ein kleiner Franzose mit grauem Rock, schwarzem Filzhut und außerordentlich blank gewichsten Stiefeln, schien überall zu sein, und während ihm große Schweißtropfen an der gerötheten Stirn glänzten, schimpfte er in fürchterlich gebrochenem Englisch auf Gott und die Welt, vorzüglich aber auf den Postmeister, der ihm aus seinem Comptoir, eben als er kaum den Rücken gewandt, ein Packet Briefe in zu großem Amtseifer entführt und mit hinauf auf die Post genommen hatte. » God dam him!« wetterte der kleine Mann, mit der Faust auf das grünbeschlagene Pult niederschlagend, daß die Tinte hoch empor spritzte – »was hat der Pflasterschmierer (der Postmeister hatte zu gleicher Zeit eine Apotheke und einen Kramladen und ließ sich gern »Doctor« nennen) in meinem Comptoir zu suchen? Schleppt Briefe hinauf, eh? Denkt nachher Wunder, was er gethan hat; aber wart' – Du kommst mir wieder.« »Capitain! Briefe für mich angekommen?« fragte ein junger schlanker Mann, dem Erzürnten lachend dabei auf die Schulter klopfend. »Geht in die Hölle oder zum Quacksalber hinauf!« fluchte dieser weiter, ohne sich nur die Mühe zu nehmen, herumzuschauen, wer ihn angeredet habe. »Hallo! was ist wieder im Wind?« lachte der junge Pflanzer – »die Kessel voll zum Zerplatzen? Dampf genug, um drei gewöhnliche Boote in die Luft zu blasen! immer noch der Alte.
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Ihr Franzosen seid doch sonderbares Volk; gleich Feuer und Flamme, wie Dupont's Schießpulver!« »Der Postmeister hat die Briefe mit hinaufgenommen,« antwortete der Buchhalter statt des Capitains. » Dam him!« rief dieser und warf die Glasthür hinter sich in's Schloß, daß die Scheiben klirrten. » Never mind,« sagte der Pflanzer, »er will gern seine Viertel-Dollars dafür ziehen – Alles zu Onkel Sam's Scherzhafter Name der Vereinigten Staaten, von den Anfangsbuchstaben: United States, Uncle Sam. Besten, 's ist ein gar uneigennütziger Mann, ich kenne ihn wohl; wer einen Brief abholt, muß auch eine Kleinigkeit im Laden kaufen, oder eine Schachtel Medicin mitnehmen. Doch ich will hingehen und sehen, ob etwas für mich angekommen ist.« Damit trat er hinaus auf den Gang, stieg die Kajütentreppe hinunter und war eben über die Planke an's Ufer gesprungen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und ihn eine freundliche, wohlbekannte Stimme anredete: »Hoho, Ned, wohin so eilig? rennst Du doch, als ob Du von einer Wahl kämst und die wichtigsten Neuigkeiten mitbrächtest!« »Guston! bei allen Teufeln und Engeln der vier Elemente,« rief der also Angeredete in freudigem Erstaunen aus, – »Guston! aber wie um des Himmels willen kommst Du denn jetzt hierher, wo ich Dich ehrbar und fest in Connecticut angesiedelt glaubte; hast Du die östlichen Staaten schon satt?« »Vollkommen, mein alter Junge, vollkommen,« entgegnete Guston – »der Böse hole die freien Staaten; ein Pflanzer kann nun einmal da nicht existiren, wo kein Sclavenhandel ist. Ich hatte erst allerlei phantastische Ideen von der Freiheit und Gleichheit der Menschen,« fuhr er fort, als er seinen Arm in den des jungen Mannes hing und mit ihm an das Ufer hinaufschlenderte – »ich glaubte es eine Sünde, meinen »schwarzen Bruder«, wie die Methodisten sagen, zu schinden und zu plagen, bat daher meinen Alten um Reisegeld und ging nach
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New-York. Von dort aus schrieb ich Dir, daß ich gesonnen sei, mir ein Landgut zu kaufen und mich im Norden des Staats, oder in Connecticut, zwischen den dort eingewanderten gemüthlichen Pennsylvaniern niederzulassen. Es war damals meine Absicht, und hätte ich es gethan, so ständen wir jetzt nicht hier auf louisianischem Grund und Boden zusammen; gerade damals lernte ich aber einen jungen Mann kennen, dem ich mich anschloß und dessen intimer Freund ich wurde, so daß ich, da er in Geschäften nach Europa mußte, mit ihm ging und mit dem Great Western hinüber nach dem »alten Lande« segelte.« »So bist Du indessen in Europa gewesen?« unterbrach ihn erstaunt der junge Pflanzer. »Gewiß,« nickte Guston, »in England, Irland und Deutschland; durch die ersten beiden Länder begleitete ich meinen neugefundenen Freund, bis dieser sich plötzlich in ein irländisches Mädchen, und zwar so rasend verliebte, daß er in vier Wochen Hochzeit hielt, gegenwärtig mit allen möglichen alten Squires und jungen Gentlemen nach Füchsen und Kirchthürmen rennt, über alle nur aufzufindenden Hecken, Gräben und Mauern wegsetzt, und sich jetzt, wenn er nicht unter der Zeit den Hals gebrochen hat, ganz wohl befindet. Ich selbst hatte es da bald satt, ging zurück nach England und ließ mich von da nach Deutschland übersetzen. Dort hatte ich Gelegenheit, das Leben der unteren Volksklassen, das Leben der Armen kennen zu lernen, und, Ned, von dem Augenblick an bedauerte ich unsere Sclaven nicht mehr. Es muß hart sein, die Freiheit zu verlieren und der Willkür eines oft vielleicht zu strengen Herrn preisgegeben zu werden; aber das Elend, das ich dort gesehen, die Nahrungssorgen der Unglücklichen, vor deren Augen die eigenen Kinder darben und verderben; der Frost noch dazu im Winter, wo der Vater, der einzige Brodverdiener, eingekerkert wird, wenn er den Jammer zu Hause nicht mehr mit anschauen mochte und in den Wald ging, um ein paar Zweige abzubrechen und die Seinigen wenigstens zu erwärmen, wenn er sie nicht sättigen konnte – der eingebildete, förmlich wahnsinnige Stolz des Adels dabei, gegenüber
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den unglücklichen Armen – und außerdem noch eine »gesetzliche« Willkür, die dem Unglücklichen mit dem vollem Pomp und Schein offenbarer Gerechtigkeit mit gierigen Händen das Letzte nimmt und dem Vernichteten in der Pracht und dem Luxus der Großen wie zum Hohn alles Das zeigt, was er eben entbehren muß, nicht einmal im Stande, seine Kinder so zu füttern, wie die Hunde der Großen gefüttert werden – das, Ned, füllte mich mit Ekel und Ueberdruß, und ich kann Dir gestehen, ich war froh, als ich das »alte Land« wieder hinter mir hatte. Es mag denen dort zusagen, die es ihre Heimath nennen, der Eskimo liebt ja seine Eisberge und Thrannahrung, aber dem, für den es diesen Zauber entbehrt, ist es ein trauriger Aufenthalt – ich möchte dort nicht leben. Nach kurzem Aufenthalt in Deutschland kehrte ich über Hamburg nach New-Orleans zurück und bin heut, wie Du mich siehst mit dem Postboot heraufgekommen, um von hier zu Land meines Vaters Plantagen zu erreichen.« »Das zu lernen, brauchtest Du wahrhaftig nicht nach Europa zu gehen,« lachte Ned – »das weiß jedes Kind, daß es unsere Neger besser haben als die armen Leute in Irland oder Deutschland; hol' sie der Henker, und doch murren die Canaillen. Aber heut Abend bleibst Du bei mir, und morgen früh nimmst Du mein Pferd; Dein Alter hat Dich nun so lange nicht gesehen, daß es auf den einen Tag auch nicht ankommen wird.« »Topp!« rief Guston, »doch laß uns den Schatten suchen, die Hitze hier am Ufer ist unausstehlich. Du wirst mich übrigens führen müssen, denn ich kenne Bayou Sarah ja gar nicht wieder; kaum zehn Häuser waren's, wie ich fort von hier ging, und jetzt steht eine ordentliche Stadt da.« »Nun, die Mulattin Nelly lebt immer noch,« lachte Willis, »und führt so guten Brandy wie früher; da wollen wir denn vor allen Dingen einmal einsprechen, vielleicht findest Du dort einige alte Bekannte.« Mit diesen Worten nahm er seines neugefundenen Freundes Arm wieder in den seinigen und schlenderte mit ihm dem
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nahen Kaffeehause zu, aus dem ihnen lautes Lachen und Jubeln entgegentönte. Es war ein nicht sehr großes, nach der Straße zu offenes Zimmer, in das sie traten, und dessen Hintergrund ein langer Schenktisch ausfüllte. Der eigentliche Schenktisch ( Bar) bestand aus einem aus gemasertem Holz verfertigten, etwas hohen Aufsatze, über den weiße Marmorplatten gelegt waren, um die darauf verschütteten Flüssigkeiten wieder leicht hinwegwischen zu können. Aus einem großen, mit weißem Tuch überdeckten Präsentirteller standen mehrere Dutzend reiner Trinkgläser, während auf einem andern dicht daneben eine gläserne große Schale mit einem plattirten Deckel, geriebenen Zucker enthaltend, prangte. Neben ihr befanden sich wiederum zwei kleine Fläschchen, die, fest zugekorkt und mit einer durch den Stöpsel laufenden Federspule versehen, dazu dienten, die in ihnen enthaltenen Flüssigkeiten (Staunton-Bitters und Pfefferminze) in die Getränke zu tröpfeln, um diesen einen pikanten Geschmack zu verleihen. Hinter dem Schenktische waren in langer Reihe alle möglichen Arten von Getränken, Weine und Liqueure, in zierlichen, farbigen und feingeschliffenen Flaschen und Caraffen geordnet, und zwischen ihnen Orangen und Zitronen aufgeschichtet, was dem Ganzen einen frischen, heitern Anschein gab. Unter dem Schenktische stand eine große Schüssel mit Eis, das in Stücken in die Gläser geworfen wurde, den Trank abzukühlen, und ein junger Mann in einer weißleinenen Jacke und eben solchen weiten Beinkleidern war emsig beschäftigt, den durstigen Gästen, die sich bei der übergroßen Hitze in beträchtlicher Anzahl eingefunden hatten, einzuschenken. Ein langer Doctor von der andern Seite des Mississippi, von Pointe-Coupé, schien übrigens besonders thätig, sein Glas immer wieder auf's Neue zu leeren, bei welchem Geschäft ihm denn alle Anderen helfen mußten, weil er schwur, daß er nicht allein trinken wollte; und immer wieder ließ er das seinige wie die aller Anwesenden frisch füllen, obgleich er sich kaum noch selbst auf den Füßen halten konnte. Oft zwar versuchte ihm Einer oder der Andere zu entschlüpfen, aber mit Adlerblicken
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entdeckte und erwischte er die Deserteure, und ein frisches Glas war die Strafe, die ihrer wartete. Mehrere, unfähig noch einen Tropfen zu genießen, saßen in der Ecke, als unsere beiden Freunde zur Verstärkung anrückten und augenblicklich von dem Doctor mit offenen Armen empfangen wurden. »Willis – eh?« redete er diesen an, »durstig? immer durstig?« »Hier, Doctor, ist ein Freund von mir, ein gewisser –« »Ein Freund von Euch? er muß mit mir trinken. Sir, geben Sie mir Ihre Hand – so – ich bin der Doctor Siel von PointeCoupé, Sie müssen von mir gehört haben. Was wollt Ihr trinken? Hier, Barkeeper, schnell, hier ist ein Mann, der durstig ist – so recht, Gläser, und Eis hinein, – mir aber kein Eis, ich will's heiß haben, heiß wie Lava, will Hitze mit Hitze curiren. Zum Henker, wem gehört das lange Gesicht, was da zum Fenster hereinstiert? kommen Sie herein, Sir; was wollen Sie trinken?« »Danke, danke,« sagte der Neuangekommene, indem er rasch in die Thür trat und sich ohne weitere Umstände sein Glas füllen ließ. Es war ein Mann von außergewöhnlicher Länge, der noch um mehrere Zoll über den schon ungeheuer langen Doctor hinausreichte, mit vorstehenden Backenknochen und grauen, scharf und klug umherblickenden Augen, dessen ganze Gesichtszüge aber den Yankee nicht verkennen ließen. Ein blauer langschößiger Frack war trotz des heißen, schwülen Wetters fest zugeknöpft, und ein hoher weißer Filzhut, den er etwas nach hinten gedrückt auf dem Kopfe trug, machte die lange Gestalt noch länger. Seine Stiefeln waren nach der modernsten Façon gearbeitet und ganz neu, mochten ihn aber wohl gedrückt haben, denn auf beiden hatte er, gerade über den Zehen, mit einem Messer einen Kreuzschnitt gemacht, um seinen Füßen Raum zu gewähren; überhaupt schien er das Bequeme zu lieben, denn er setzte sich augenblicklich mit größtmöglicher Gemüthsruhe auf den Ladentisch, wobei ihm seine Ausdehnung sehr zu statten kam, und leerte das ihm mit Wachholder und Wasser dargereichte Glas.
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»Gentlemen,« begann jetzt der Yankee, nachdem er einige Kreuz- und Querfragen des Doctors mit eben so vielen anderen Fragen beantwortet hatte, »ich denke, wir können ein Geschäft zusammen machen.« »Ihr habt doch um Gottes willen keine Wanduhren zu verkaufen?« fragte mit komischem Schrecken der Doctor. »Nein,« entgegnete lachend der Yankee; »damit befasse ich mich nicht.« »Ihr Herren scheint Euch sonst nicht gerade an etwas Bestimmtes zu binden,« wandte Guston ein, indem er dem Langen näher trat. »Für diesmal doch,« antwortete der Yankee, »ich habe mich auf den Menschenfleischhandel gelegt und mit dem läßt sich nicht gut ein anderer vereinigen, Vieh- und Pferdehandel ausgenommen; doch habe ich meine letzten Mustangs Kleine indianische Pferde. in Baton rouge Eine französische Ansiedelung am Mississippi. verkauft und nur noch ein Negermädchen von ungefähr fünfzehn Jahren übrig behalten, die ich heute Nachmittag um vier Uhr in Müller's Kaffeehaus ausspielen will, um am Mittwoch wieder mit dem Mailboot nach New Orleans und von da nach meiner Heimath zurückkehren zu können.« »Und was kostet das Loos?« fragte Willis. »Fünf Dollars – wir wollen sie auswürfeln!« lautete die Antwort; »es ist ein capitales Mädchen, gesund und kräftig, und die schönste Negerin, die Ihr je gesehen habt.« »Aber wo steckt denn die Dirne?« unterbrach ihn der Doctor; »schafft sie doch einmal her, und sieht sie gut aus, so nehme ich drei oder vier Loose.« »Sie ist nur wenige Schritte von hier entfernt,« sagte der Yankee, von seinem Sitz aufstehend – »warten Sie einen Augenblick, ich bringe sie herüber; es wollen sie überdies noch einige Herren hier ansehen.« Mit diesen Worten verließ er das Schenkzimmer und kehrte bald mit einem schönen jungen Negermädchen zurück.
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Das kurze, wollige Haar hatte Rabenschwärze; die Nase war, ihrer äthiopischen Abkunft treu, breit gedrückt, aber klein und zierlich, und nur leicht aufgeworfen zeigten sich die kirschrothen Lippen, zwischen denen, wenn sie sprach, ein Paar blendend weiße Reihen Zähne sichtbar wurden und um so mehr gegen die sammetartige, schwarze Haut und die dunkeln, glühenden Augen abstachen. Sie war nicht groß, aber schlank gewachsen und ungemein zierlich gebaut, so daß selbst der seiner Sinne kaum noch halb mächtige Doctor einen Fluch ausstieß und schwur, sie wäre eine verteufelt hübsche kleine Hexe. Mehrere Pflanzer aus der Umgegend waren jetzt noch hinzugetreten, von denen fast Alle Loose genommen hatten, und der Yankee führte das Mädchen wieder fort, um in St.Francisville oben noch mehr Theilnehmer für das Würfelspiel um ein menschliches Wesen zu finden. Unmittelbar hinter dem Mädchen war, als ihr Herr sie zur Schau in die Schenkstube führte, ein junger blasser, aber sehr anständig gekleideter Mann eingetreten, der mit gespannter Aufmerksamkeit den ganzen Verhandlungen horchte und zuletzt, als jeder ein Loos nahm, seine Baarschaft ebenfalls hervorholte. Unstreitig hatte er beabsichtigt, zwei Loose zu kaufen, denn er überzählte sein Geld mehrere Mal; es mußte aber wohl nicht zureichen, denn seufzend schob er einige Dollarnoten wieder in sein schmächtiges, stark abgenutztes Taschenbuch zurück und löste für fünf einzelne derselben ein einziges Loos. Bald darauf, als sich der Doctor wieder nach ihm umsah und bei Allem, was im Himmel und auf Erden lebe, schwur, daß er mit ihm trinken oder sich mit ihm schlagen müsse, war er verschwunden. Unterdessen rückte die vierte Nachmittagsstunde heran und eine große Anzahl von Menschen hatte sich vor dem eben erwähnten Kaffeehause versammelt, wo sie ungeduldig den Yankee erwarteten. Endlich kam er – an seiner Seite ging das Negermädchen und nicht weit von ihr entfernt, doch etwas Zurück, der bleiche junge Mann.
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Lärmender Jubel empfing die Neuankommenden und der Doctor war der Ausgelassenste und Lustigste von Allen. Das Billard im großen Schenkzimmer wurde jetzt schnell zum Würfeltisch hergerichtet, die Liste der Würfelnden noch einmal verlesen, und der Wirth postirte sich dann mit einem Stück Kreide an die Billardtafel, um den Namen Dessen, der den höchsten Wurf thun würde, aufzuschreiben und die Zahl der geworfenen Augen dabei zu bemerken. Das Mädchen stand in einer Ecke auf einem zu diesem Zweck erhöhten Platz, um von Allen gesehen zu werden, und zwei große helle Thränen hingen an ihren dunkeln, niedergeschlagenen Wimpern. Ein Herz nur, in all' dem Drängen und Treiben, fühlte ihren Schmerz und theilte ihn – es war der bleiche junge Mann, der, nur wenige Schritte von ihr entfernt, an ein Fenster gelehnt, mit zusammengepreßten Lippen und für den Augenblick von Fieberhitze gerötheten Wangen, die Arme fest ineinander verschränkt, da stand, vor sich niederstarrte und nur dann und wann schnell und mit einem die höchste Angst verrathenden Blick das große, dunkle Auge zu ihr erhob. Als aber das Zeichen zum Anfang gegeben wurde und Aller Aufmerksamkeit sich dem Billard zuwandte, als selbst das Opfer einen Moment schüchtern und bebend aufschaute, begegneten sich ihre Blicke; im Nu war er an ihrer Seite und flüsterte ihr, dicht bei ihr vorbeistreichend, zu. »Muth, Selinde, Muth, Du sollst mein werden und wenn ich Dich aus ihrer Mitte stehlen müßte!« Ein mattes Lächeln überflog für einen Augenblick das thränenfeuchte Antlitz des armen Kindes, bald aber schwand es wieder und traurig senkte sie das Köpfchen und weinte still. Das Spiel hatte unterdessen seinen Anfang genommen, dicht um das Billard gedrängt standen die Theilnehmer, mit gespannter Aufmerksamkeit die rollenden Würfel betrachtend, um schnell die fallenden Augen zu zählen. »Fünfundvierzig!« rief Willis, als sein dritter Wurf gefallen war – »überbietet das, Doctor, wenn Ihr könnt.«
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»Nun, ich habe fünf Loose und kann es schon eine Weile mit ansehen,« entgegnete dieser; »aber einmal will ich es doch jetzt auch versuchen.« Er nahm die drei Würfel in den Becher, schüttelte sie und warf drei Einer. »Das ist ein guter Anfang!« rief er ärgerlich, als lautes Gelächter ihn von allen Seiten begrüßte – »aber laßt nur, für dies erste Loos werfe ich nicht mehr; könnte ja so nur, im günstigsten Fall, neununddreißig bekommen – ich will unterdessen Eins trinken. Er trat vom Billard zurück, Andere drängten sich hinzu, und eine Zeit lang herrschte ein gespanntes, ängstliches Stillschweigen, das nur von dem Klappern des Elfenbeins unterbrochen wurde. Der bleiche junge Mann, den Niemand im Zimmer zu kennen schien, trat jetzt hinzu und rief mit leiser, aber fester Stimme: »Mir die Würfel!« Nur schwach war der Laut, mit dem diese Worte gesprochen wurden; wie ein elektrischer Schlag aber durchzuckten sie den Körper des jungen Mädchens, das krampfhaft emporfuhr und mit geöffneten Lippen und angehaltenem Athem aufmerksam dem geringsten Laut horchte. Einen Blick nur warf der Spieler auf die vorgebeugt lauschende Gestalt, einen andern an die Decke, wie um da Hülfe zu erflehen, und dann rasselten mit fester Hand die entscheidenden Würfel auf das grüne Tuch – zwei Sechsen und eine Vier. »Sechzehn!« zählte monoton der Anschreiber; »noch einmal!« – wieder lagen dieselben Augen – zum dritten Mal warf er die Würfel in den Becher, schüttelte und – drei Zweien rollten hervor. »Achtunddreißig! – schlecht!« schrie der Ausrufer, und leichenblaß trat der Unglückliche vom Billard zurück. Ein Anderer nahm seinen Platz ein, und in sich zusammenschaudernd hielt die Negerin kaum ihre zitternde Gestalt aufrecht; doch ermannte sie sich nach wenigen Augenblicken wieder, und bat mit leiser Stimme einen nicht sehr entfernt von ihr stehenden weißen Mann um ein Glas Wasser. »Verdamm' Dich – hol es selber; glaubst Du, daß ich Dein Nigger bin!« rief dieser, sich unwirsch von ihr abwendend.
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Ohne ein Wort zu erwidern, schwankte sie zum Schenktisch, nahm ein dort stehendes Glas, füllte es mit dem kühlenden Eiswasser und trank es leer; neugestärkt hierdurch, schritt sie leichten, fast elastischen Schrittes zu ihrem Platz zurück und barg, an die Wand gelehnt, das Gesicht in ihren Händen: sie nahm sichtbar keinen weiteren Theil an ihrem ferneren Geschick, und nur manchmal, wenn der rohe, freudige Ausruf eines glücklichen Würflers an ihr Ohr drang, schien eine plötzliche Angst ihr ganzes Innere zu durchbeben, und ein leichtes Zittern überflog ihre Glieder. Wohl eine halbe Stunde mochte das Spiel so ununterbrochen fortgedauert haben und näherte sich jetzt seinem Ende, als der bleiche Mann, der sich auf kurze Zeit entfernt hatte und dem so viel an dem Besitz des jungen Mädchens gelegen zu sein schien, plötzlich zu dem Sclavenhändler wieder herantrat und ihn leise, mit verhaltener, aber zitternder Stimme um ein anderes Loos bat. »Gut, mein Herr, ich habe gerade noch zwei, wollte sie selbst werfen, aber um Ihnen einen Gefallen zu thun, ist hier eins davon,« antwortete dieser artig; »jedoch,« fuhr er, sich höflich verneigend, fort – »werden Sie einsehen, daß ich eine Gelegenheit, mein Eigenthum selbst wieder zu gewinnen, nicht ganz umsonst aus den Händen geben sollte – ich kann Ihnen jetzt das Loos nur für zehn Dollars lassen.« »Mann,« fuhr der Unglückliche empor, indem er krampfhaft seine Schulter faßte, »ich habe Alles veräußert, was ich bei mir hatte, um die lumpige Summe von fünf Dollars zu erschwingen, und jetzt wollt Ihr zehn; ich habe es nicht, mein ganzes Vermögen besteht in sechs Dollars.« »Freilich kaum bedeutend genug, ein Geschäft anzufangen,« bedauerte der Yankee; »doch erinnere ich mich, daß mein Bruder Jesaiah einst –« »Hier ist noch ein Ring,« unterbrach ihn plötzlich der Andere, indem er einen einfachen goldenen Reif von seinem Finger zog; »nehmt ihn und gebt mir ein anderes Loos. – Er ist das Doppelte werth,« fuhr er ungeduldig fort, als er sah, daß ihn der Yankee mißtrauisch und aufmerksam in der Hand
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wog und dann betrachtete; es bedurfte jedoch keiner weiteren Betheuerung. Der Sclavenhändler kannte zu gut den Werth des Goldes, um nicht augenblicklich sich überzeugt zu haben, daß der junge Mann die Wahrheit rede, und reichte ihm eins seiner Loose, während er selbst an das Billard trat und seine drei Würfe that. Das Glück war ihm nicht hold, und ruhig das Resultat des Spiels abwartend, zog er sich in eine Ecke des Zimmers zurück. Der Doctor hatte jetzt seinen letzten Wurf gethan und rief triumphirend: »Sechsundvierzig! – Das Mädchen ist mein!« »Sechsundvierzig! bester Wurf!« schrie der Anschreiber eintönig nach. »Halt! ich habe noch ein Loos!« rief jetzt der junge Mann und drängte sich zur Tafel. »Warum habt Ihr denn da nicht schon lange geworfen?« entgegnete ärgerlich der Doctor. »Hatte ich nicht das Recht so gut wie Ihr, bis zuletzt zu warten?« fragte ihn dieser empfindlich. »Meinetwegen,« lachte der Doctor jetzt dagegen, »Ihr werft doch keine Sechsundvierzig und hättet Eure fünf Dollars sparen können; aber halt!« rief er aus und erfaßte den Arm des jungen Mannes, der eben würfeln wollte – »die Dirne gefällt mir, sie hat ein verdammt hübsches Gesicht – ich gebe Euch fünfzig Dollars, wenn Ihr zurücktretet.« »Die Würfel mögen entscheiden!« rief der junge Fremde, indem er sich von der Hand des Doctors losmachte und ihm für einen Augenblick das Blut so in die Schläfe trat, daß es ihm die Adern zu zersprengen drohte; in derselben Minute kehrte es aber zu seinem Herzen zurück und ließ nicht einen Tropfen in seinen Wangen. Die Würfel rasselten und eintönig zählte der Wirth die Augen. »Siebzehn!« »Beim Himmel, ein guter Wurf!« riefen Alle, die jetzt mit gespannter Erwartung die grüne Tafel umstanden. Wieder rasselten die verhängnißvollen Stücke Elfenbein in dem ledernen Becher. Todtenstille herrschte und Aller Augen hingen an der Hand des Werfenden, während das arme ge-
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ängstigte Mädchen betend in die Kniee gesunken war und ihr Gesicht mit den Händen bedeckt hielt. Ihr verhaltenes Schluchzen war das Einzige, was die grabesähnliche Stille unterbrach. Die Würfel lagen. »Siebzehn! noch einmal!« »Verdammt!« brummte der Doctor. »Den dritten Wurf, den dritten Wurf!« riefen Alle ungeduldig, als sie sahen, daß der Fremde ängstlich sinnend einen Augenblick einhielt. Fast krampfhaft faßte er zweimal den Becher, jedesmal wie zusammenschaudernd vor dem entscheidenden Wurf – aber er konnte nicht länger warten – die halb trunkene Schaar wurde ungeduldig, und wieder rasselte der Becher; vorgebeugt umdrängten Alle das Billard, die Würfel fielen – es waren nur elf. »Hurrah!« jubelte der Doctor, sich auf das Billard wälzend in widerlicher Lust – »ich habe gewonnen! Wer will trinken? ich tractire Alles, was im Hause ist. Müller, he! holla! hierher! füllt die Gläser, gebt Jedem so viel, als er trinken will, ich bezahle Alles!« Und sich dann auf dem Billard niederlassend, rief er aus: »Bringt das Mädchen her, ich will sie betrachten!« Als Selinde den jubelnden Triumphruf des Doctors hörte, wollten sie fast ihre Kräfte verlassen, und sie wäre gesunken, hätte sie nicht der Fremde unterstützt; doch jetzt ermannte sie sich mit wunderbarer Kraft und flüsterte nur, ehe sie dem Befehl ihres neuen Herrn Folge leistete, ihrem Beschützer leise zu: »Fliehe, Alfons, fliehe, ehe man Dich entdeckt!« und trat dann festen und sichern Schrittes vor ihren Gebieter, seine Befehle zu vernehmen. »Sie ist ein hübsches Mädchen!« lallte dieser, von heftigem Schlucken unterbrochen, indem er sich mit dem rechten Ellbogen auf den Billardrand legte und mit gläsernen Augen zu ihr aufsah – »gut, gut – meine Frau wird scheel sehen, wenn ich ihr den Nigger in's Haus bringe, aber –« Er konnte nicht vollenden; die geistigen Getränke, die er an diesem Tage genossen hatte, gewannen durch die letzte Aufregung endlich die Oberhand, und bewußtlos sank er auf's
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Billard zurück, von dem er fortgetragen und in ein Bett gelegt wurde, um seinen Rausch auszuschlafen. Der Wirth nahm die Negerin in seine Obhut und schloß sie in ein Zimmer ein, um sie ihrem Herrn nach dessen Erwachen zu überliefern. Indessen hatten einige junge Leute, unter denen sich auch Willis befand, eifrig mit einander geflüstert und forschende Blicke auf den bleichen jungen Mann geworfen, den die Negerin Alfons genannt und der theilnahmlos in einer Ecke lehnte. Sein krauses, rabenschwarzes Haar hing ihm in langen Locken über die bleiche Stirn herunter, seine Lippen waren bleich und seine Augen geröthet; plötzlich trat Einer der jungen Leute auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und rief in barschem Ton: »Alfons!« Wie von einer Schlange gebissen, sprang bei dem Klange dieses Namens der Unglückliche empor und starrte wild umher, auf den Kreis fremder, unbekannter Gesichter, die ihn umgaben, bis seine umherirrenden Blicke auf dem des ihm Gegenüberstehenden haften blieben, der ihn fest und durchdringend betrachtete. Als ihm aber dessen Züge klarer und deutlicher aufdämmerten, schlug er sich mit der geballten Faust vor die Stirn, stieß einen tiefen Seufzer aus und sank wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück. Der junge Mann dagegen, der solche Veränderung in seinem ganzen Wesen hervorgebracht hatte, wandte sich triumphirend nach seinen Kameraden um und rief: »Ich kannte den Burschen, und Ihr mögt mich einen Schurken nennen, wenn es nicht ein erbärmlicher Nigger ist.« »Was, ein Neger?« riefen Alle, sich um den regungslos Dasitzenden drängend, »ein Neger? und mischt sich zwischen Weiße?« »Hinaus mit ihm! schlagt ihn zu Boden, den Hund! werft ihn aus dem Fenster!« Das waren die Ausrufungen, die mit Blitzesschnelle einander folgten, und nicht allein bei Ausrufungen blieb es, sondern in demselben Augenblick fühlte sich auch der Unglückliche von kräftigen Händen gefaßt, zu Boden geworfen, wieder aufgerissen und dem Fenster zugeschleppt,
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aus dem er wenige Secunden später auf die Straße geschleudert wurde. Die Höhe, von der er hinunterstürzte, betrug jedoch kaum sieben Fuß und nur wenig beschädigt fiel er zu Boden; schon aber hörte er das Rachegeschrei der Verfolger, die nicht gedachten, ihr Opfer so leichten Kaufs entwischen zu lassen, auf der Hausflur. Wohl sprang er empor und wandte das blutende Antlitz seinen Feinden entgegen, aber nicht Todesfurcht, nein, kalter Trotz und Verachtung des Schrecklichen, was ihm begegnen könnte, lag in dem Blick, mit dem er seine Peiniger zu erwarten schien. Da scholl aus einem der oberen Fenster die Stimme Selinde's, die ihm, den Untergang des Geliebten voraussehend, in Todesangst zurief: »Flieh, Alfons, flieh – um meinetwillen!« Einen Blick warf er hinauf zu der halb aus dem Fenster gebogenen schlanken Gestalt des armen Mädchens, einen Blick voll Liebe, Angst und Trotz; dann aber, wie von einem neuen Gedanken durchzuckt und ehe ihn noch der heranstürmende Haufe erreichen konnte, floh er mit Windesschnelle die Straße hinauf und war bald in den ihn verbergenden Baumgruppen, welche die Stadt umgaben, verschwunden. Taumelnd und fluchend folgten ihm wohl noch einige der Nüchternsten eine kurze Strecke, gaben es aber bald auf, den schnellfüßigen Flüchtling zu erreichen, und kehrten in das Wirthshaus zurück, indem sie schwuren, dem verdammten Neger, wo er sich nur wieder blicken ließe, Füße und Hände zu binden und ihn in die Bayou zu werfen. Guston hatte an dem ganzen Vorgange keinen Antheil genommen und ruhig, in einem Fenster lehnend, dem Auftritt zugesehen; einmal zwar, gerade als der Haufe den Unglücklichen auf die Straße schleuderte, war er zusammengezuckt, als ob er im Begriff gewesen wäre, ihm beizuspringen; hatte es aber nur so den Anschein gehabt, oder er sich eines Bessern besonnen, er fiel wieder in seine nachlässige Stellung zurück und blieb bei dem Ganzen ein unthätiger, ja, wie es fast schien, theilnahmloser Zuschauer. Nur erst als die Gemüther sich wieder beruhigt hatten und der lärmende Haufe zum
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erneuerten Trinken in die Gaststube zurückgekehrt war, entfernte er sich leise, selbst nicht von Willis bemerkt, und ging nachdenkend die Straße nach St.-Francisville hinauf. Die Sonne war indessen untergegangen und tiefe Dämmerung lagerte sich über das Thal, als Guston den Fuß des Hügels erreichte, auf dem das Nachbarstädtchen erbaut ist. Zu seiner Linken sah er ein mattes Licht zwischen den Spalten eines kleinen Blockhauses hindurchschimmern, das, wie er noch von früher wußte, von zwei Mulattinnen, Mutter und Tochter, bewohnt war. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, daß sich dorthin der Verfolgte geflüchtet haben könne, und obwohl sich keines klaren Zwecks bewußt, ging er schnell an dem sanften Abhang des Hügels hinauf und stand bald an der von innen verriegelten Thür des kleinen Hauses, aus dem leise flüsternde Stimmen heraustönten. Guston legte sein Ohr an eine der Spalten und unterschied bald die tröstende Stimme des Mädchens, die jemandem Muth zusprach und dabei selbst dann und wann einen recht tiefen, tiefen Seufzer ausstieß. Guston war überzeugt, daß der Unglückliche hier Schutz gefunden hatte, aber noch unschlüssig, wie er sich Eingang verschaffen wollte, da die Inwohnenden in ihm unmöglich einen freundlich Gesinnten vermuthen konnten, als er die Stimme der Alten hörte, die, an die Thür tretend, zu ihrer Tochter sagte: »Ich muß nur noch die Wäsche hereinnehmen, die draußen hängt, sonst dürfte morgen früh wenig davon übrig geblieben sein; setze Du indessen den Kessel auf's Feuer – der arme Mensch wird Nahrung und Ruhe bedürfen.« Zu gleicher Zeit wurde der große, schwere eiserne Riegel zurückgeschoben, und die alte Frau trat in die Thür, erblickte aber in demselben Augenblick den jungen Pflanzer und wollte, zurückschreckend, dieselbe wieder zuschlagen, als Guston schnell vorsprang und das Verriegeln derselben hinderte. Die Frauen stießen einen Angstschrei aus, und Alfons, der sich matt und erschöpft auf's Bett geworfen hatte, sprang erschrocken empor und riß ein verborgen gehaltenes Messer aus seinem Gürtel; Guston aber hob die Hand zum Zeichen des
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Stillschweigens, half selbst die Thür verriegeln und dann einen Stuhl an den Tisch rückend, setzte er sich mit einer solchen Ruhe und Kaltblütigkeit nieder, als ob nicht das Geringste vorgefallen sei. »Mr. Guston,« rief die alte Mulattin, die ihn erst jetzt erkannte, ganz erstaunt aus, »Mr. Guston! wie um des Himmels willen kommen Sie wieder nach Louisiana und in unsere Hütte? Sie wollen doch nicht dem armen Mann da –?« »Sei nicht bange, Alte,« unterbrach sie der junge Pflanzer, »ich habe keine bösen Absichten, ich komme einzig und allein aus Neugierde und kann dem armen Menschen sogar nützlich sein. Wie aber konntest Du es wagen,« – wandte er sich jetzt an den stumm und regungslos vor sich hinstierenden Quadroon Quadroon, der Abkömmling eines Weißen und einer Mulattin. – »Dich so dreist zwischen Weiße zu drängen und mit ihnen zu spielen und zu trinken?« »Ich habe nicht mit ihnen getrunken,« antwortete eintönig Alfons. »Gleichviel,« entgegnete Guston, »Du mußtest recht gut wissen, welcher Gefahr Du Dich aussetztest, und das ohne irgend einen Zweck oder Nutzen davon zu haben; denn wenn Du wirklich das Mädchen gewannst, so wäre sie Dir, unter den Verhältnissen, doch nicht gelassen worden.« Alfons seufzte tief auf. »Aber sage mir, wo bist Du her? Du bist so weiß wie irgend Einer von uns; ich selbst würde nie einen Verdacht geschöpft haben, daß Du von schwarzem Blute abstammtest. In welchem Verhältnisse stehst Du zu der Negerin? denn einen geheimen Grund mußt Du gehabt haben, Du hättest sonst nie etwas so Tollkühnes unternommen.« »Und was hülfe es mir und Euch, wenn ich die Geschichte meiner Leiden erzählte?« sagte Alfons traurig, »es ist die Geschichte Tausender meiner Brüder, und Ihr mögt dieselbe in all' den südlichen Staaten dieses freien, gesegneten Landes finden! Oh, ein freies Land ist es!« fuhr er, mit beiden Händen krampfhaft seine Schläfe fassend, fort.
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»Du selbst bist doch kein Sclave?« fragte, schnell vom Stuhl aufstehend, der Pflanzer. »Nicht ich,« murmelte, traurig mit dem Kopf schüttelnd, der Unglückliche; »doch überzeugt Euch,« fuhr er, mehrere Papiere aus seiner Tasche hervorlangend, fort – »überzeugt Euch selbst. Mein Vater schenkte mir die Freiheit; oh, ich glaubte es damals ein schönes Geschenk, ich wurde nicht mit den anderen Negerkindern wie die jungen Mustang-Füllen aufgezogen, ich durfte lesen und schreiben lernen und glaubte mich, durch die Weiße meiner Haut getäuscht, so frei und glücklich wie die Amerikaner. Es war ein kurzer, aber schöner Jugendtraum; überall kannte man mich, wußte, daß meine Mutter eine Mulattin sei, und der »verdammte Neger« durfte sich an keinem Orte, wo sich Weiße aufhielten, sehen lassen, ohne die schmerzlichsten Kränkungen und Demüthigungen zu erfahren. »Mit leichtem Herzen würde ich auch das Land meiner Geburt verlassen haben, hätte nicht eine Sclavin meines Vaters – dasselbe junge Mädchen, welches heute ausgewürfelt wurde,« – fuhr er mit leisem, zitterndem Tone fort – »mein Herz und meine Seele auf jener Pflanzung gefesselt gehalten. Selinde liebte mich wieder und Priesterhand sollte uns vereinigen, denn mein Vater hatte mir versprochen, sie frei zu geben und mir zu schenken. Da entriß mir der Tod plötzlich das einzige Wesen, das noch einen schützenden Einfluß auf mich ausgeübt hatte, denn auch meine Mutter war ein Jahr vorher gestorben, und Fremde nahmen das Eigenthum in Besitz, das durch unvorsichtige Spekulationen, wie mir gesagt wurde, verschuldet und verpfändet war. Ich wurde mit wenigen Dollars in die Welt hinausgestoßen, und Selinde, mit anderen Sclaven und Sclavinnen, da der neue Eigenthümer selbst deren einige fünfzig aus Georgien mitgebracht hatte, an einen Sclavenhändler verkauft. Dieser verließ Alabama und wandte sich nach NewOrleans, um dort für einen höheren Preis die billig eingehandelten Schwarzen zu verkaufen, was ihm auch mit allen gelang, Selinde ausgenommen, die er für sich behalten wollte,
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bis er mit ihr hier nach Bayou Sarah kam und es ihm einfiel, sie auszuwürfeln. »Ich war ihnen von meinem Geburtsort aus gefolgt und hatte oft mit Lebensgefahr das Mädchen, an dem mein Herz hing, zu sehen getrachtet; da hörte ich heute Morgen, hier eben angelangt, von dem beabsichtigten Würfelspiele. Neue Hoffnung belebte mich, ich glaubte mich hier von Niemandem gekannt, der weißen Farbe meiner Haut vertrauend, wagte ich mich in das Wirthshaus und wendete meinen letzten Cent, selbst einen Ring daran, den mir meine Mutter auf dem Sterbebette gegeben, um zwei Loose zu kaufen. Sie wissen das Uebrige. Der junge Mann, der mich erkannte, ist ein Neffe meines Vaters – mein eigener Vetter.« Alfons schwieg, die beiden Frauen aber saßen in der Ecke und schluchzten; selbst Guston war gerührt. »Wie aber entgingst Du der Aufmerksamkeit des Sclavenhändlers?« fragte er endlich nach einer Pause; »der mußte Dich doch auf Deines Vaters Pflanzung gesehen haben.« »Oft genug,« fuhr Alfons fort; »da ich aber mit im Herrenhause schlief und von den Sclaven stets als »Mr. Alfons« angeredet wurde, hatte er nicht den leisesten Verdacht geschöpft, daß ich selbst zu jener verachteten Race gehören könne.« »Und was denkst Du jetzt zu thun?« fragte Guston teilnehmend, als er ihm die schnell durchgesehenen Papiere zurückgab. »Was kann ich thun?« hauchte leise der Quadroon. »Sei morgen Abend wieder hier in diesem Hause,« sagte Guston aufstehend, »ich will mit dem Doctor morgen früh reden, vielleicht kann ich Dir helfen.« Alfons schüttelte, bitter lächelnd, den Kopf. »Heute ist so nichts mehr zu hoffen,« fuhr Guston, mehr zu sich selbst als zu dem Andern redend, fort, »um zehn Uhr fährt der Doctor mit der Dampffähre nach Pointe-Coupé, und da wird für diesen –« »Heut Abend um zehn Uhr?« fragte Alfons hoch aufhorchend.
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»Die Dampffähre geht doch bei diesem niedrigen Wasserstande nicht mehr so spät in der Nacht?« sagte die alte Mulattin, sich die Augen trocknend. »Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylor's Pflanzung auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch übergesetzt zu werden,« erwiderte Guston; »da wollen sie den Doctor so lange schlafen lassen und dann mitnehmen; bis dahin ist er nüchtern und kann auf seine Sclavin Acht geben. Doch genug für heut Abend,« unterbrach er sich selbst, »ich habe vielleicht Unrecht gethan, Dir so theilnehmend zuzuhören, da Du nach den Gesetzen des Staates, in dem wir nun einmal leben, eigentlich eher Strafe als Mitgefühl verdient hättest; doch wollen wir das für jetzt dahingestellt sein lassen; also leb' wohl, bis morgen Abend will ich sehen, was sich für Dich thun läßt, und halte Dich ein wenig verborgen, daß Du Deinem Vetter nicht wieder vor die Augen kommst, er scheint keinen großen Gefallen an seiner Verwandtschaft zu finden. – Schon gut,« sagte er, etwas zurücktretend und eine abwehrende Bewegung machend, als er sah, daß Alfons seine Hand ergreifen wollte – »schon gut, Du bist mir weiter keinen Dank schuldig, als daß ich Dich nicht verrathe, und dazu fühle ich nicht die mindeste Lust. Also gute Nacht, Alte, gute Nacht, Anna;« und den Riegel wieder zurückschiebend, sprang er von der hohen Schwelle hinunter und war bald in der Dunkelheit verschwunden. Er hatte aber kaum die nach Bayou Sarah führende breite Straße wieder erreicht und war auf dieser einige Schritte fortgegangen, als aus dem dichten Gestrüpp, das zu beiden Seiten des Weges wuchs, zwei dunkle Gestalten auf ihn zusprangen und ihn festhielten. Schon hatte er sein Messer ergriffen und wollte sich, nichts Gutes erwartend, Bahn machen, als er Willis' Stimme erkannte, der, ihn loslassend, lachend, aber mit unterdrückter Stimme ausrief: »Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir gefangen, aber nicht den rechten; wie um Gottes willen kommst Du hierher?«
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»Ich wollte erst nach St.-Francisville gehen, habe mich jedoch anders besonnen,« sagte Guston; »aber was im Namen alles gesunden Menschenverstandes thut Ihr hier, wie Straßenräuber auf dem breiten Fahrweg? Ich glaubte wahrhaftig im ersten Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicher Weise Deine Stimme erkannte. Wer sind Diese und was wollt Ihr Alle hier?« fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen nahen hörte, die in wenigen Secunden an seiner Seite waren und in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte. Der lange Sclavenhändler und der Ankläger und Vetter des Entflohenen schienen sie anzuführen. »Still,« sagte Willis, »wir wissen, daß der freche Schuft, der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.« »Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen?« fiel Guston gutmüthig ein, »Ihr habt ihn einmal abgestraft, laßt ihn laufen; er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße Männer hineinwagen.« »Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer,« entgegnete trocken Willis; »mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn ich's verhindern kann.« »Es thut mir nur leid, daß wir ihn nicht gleich banden und in den Fluß warfen,« fiel ärgerlich, doch mit unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein – »ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren unsere Zeit und dort schimmert das Licht.« Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufe leise gegen das kleine Blockhaus hinanschlich; plötzlich aber, wie von einem andern Gedanken ergriffen, kehrte er schnell um und folgte seinen Freunden, leise dabei vor sich hinmurmelnd: »Sie sollen ihn doch wenigstens nicht tödten!«
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Wenige Schritte nur war er nach der Hütte zurückgegangen, als es ihm schien, als ob eine dunkle Gestalt über den Weg glitte. Er blieb stehen und rief sie mit unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte und bald hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern geräuschlos umzingelt war, während die nichts Böses ahnenden Bewohner sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit leiser Stimme unterhielten und dann und wann ein leises Schluchzen durch die Nacht drang. Willis trat jetzt vor und mit dem starken Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs mitgenommen, an die Thür schlagend, verlangte er Einlaß. Einen Augenblick herrschte Todtenstille; erst auf seine zweite Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache keinem Fremden die Thür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen wären. »Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe!« rief jetzt Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag gegen die Thür führte – »öffne augenblicklich, oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe zusammen.« Die Uebrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten hinzugetreten, und das Haus eng einschließend, schienen sie die Drohung im wahren Sinne des Worts ausführen zu wollen, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Oeffnen der Thür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen dieselbe und sie aufstoßend, warf er sie mit solcher Gewalt gegen den Kopf der Mulattin, daß die Unglückliche, von dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und niederstürzte. Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte, so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Theil der Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen. Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos verschwunden, und drohend wandte sich jetzt
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Willis an die arme Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft an die Schulter ihrer Tochter lehnte. »Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war? Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um.« »Laßt meine arme Mutter, Herr!« rief das Mädchen, den schon nach ihr ausgestreckten Arm des wüthenden Willis zurückstoßend – »laßt sie, Ihr habt sie ja schon beinahe getödtet.« »Nigger!« rief dieser, sich zornig emporrichtend, »willst Du mir sagen, was ich thun oder lassen soll?« und mit der Peitsche ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston gefaßt und festgehalten fühlte, der ihm leise zuflüsterte: »Du schlägst das Mädchen nicht, oder Du hast es mit mir zu thun!« »Was zum Henker mischest Du Dich in mein Thun?« fuhr Willis heftig gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend, ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb ärgerlich: »Warum ist das dumme Ding so trotzig? ich wollte ihr übrigens kein Leid thun; sie soll nur sagen, wo der Bursche ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!« Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf Guston, um zu erforschen, ob er sie verrathen habe; bald aber schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise mit dem Kopfe und hauchte: »Ich habe Niemand gesehen.« »Lügen!« riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen – »er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?« »Ich habe Niemanden gesehen,« wiederholte leise das zitternde Mädchen. »Gentlemen!« sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht umdrängenden Männer wendend – »Sie sehen, der Mann ist fort, wohin? darf uns für den Augenblick sehr gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in der stockfinstern Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die Stadt zurück und wir wollen noch ein halb Stündchen zusammen trinken, ich tractire; morgen haben wir vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht mit mir?«
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»Nun, ich denke,« sagte der Sclavenhändler, indem er sich mit großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob – »wir gehen Alle.« »Ja, laßt uns gehen; zum Teufel mit dem Nigger!« riefen Alle untereinander und drängten sich wieder aus der Thür hinaus, um im Wirthshause ihr Gelage auf's Neue zu beginnen. Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen folgte ihm mit dem thränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick – sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter. Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel sie wollten. Die Unterhaltung war sehr laut und besonders schimpfte und fluchte der Sclavenhändler auf den Entflohenen, den er versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doctor mit verschlafenem, bleichem Gesicht, sich dehnend und streckend, in der Thür erschien. Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die Erzählung dessen, was, während er schlief, vorgefallen war. »Der Nigger!« rief er endlich ganz entrüstet aus. »Ich glaubte selbst, er sei einer jener dunkelhäutigen Creolen, die man oft kaum von Mulatten, viel weniger von Quadroonen unterscheiden kann – aber Ihr habt ihn doch gleich geknebelt und abgestraft, oder wenigstens in Sicherheit gebracht?« Etwas kleinlaut erzählte jetzt Willis, daß er ihnen entkommen sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am andern Morgen anstellen wollten. »Ich habe einen vorzüglichen Negerhund,« fuhr er in seinem Argumente fort – »und wenn wir den auf die Spur bringen –« »Bah,« rief der Doctor ärgerlich, »glaubt Ihr, der wird sich lange hier in den Büschen oder Sümpfen herumtreiben, wo so viel Boote am Ufer liegen? Der stiehlt diese Nacht eins, wenn das nicht schon jetzt geschehen ist, und hat bis morgen Früh
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wenig Spuren zurückgelassen, dafür steh' ich. Nun« – tröstete er sich endlich – »er kommt uns vielleicht ein ander Mal wieder in den Wurf, und – »wir kennen den Burschen jetzt. – Aber glaubt Ihr, ich sei ein Pulvermagazin, daß Ihr Euch hier Alle um mich her drängt und mich so trocken haltet, als ob mich ein Tropfen Spiritus verderben könnte? Heh, Wirth! etwas zu trinken! Ihr habt doch mein Mädchen ordentlich aufgehoben?« »Alles in Sicherheit,« entgegnete dieser, dem Doctor ein Glas und eine Flasche hinschiebend; »aber, Doctor, die Fährleute werden gleich zum letzten Mal hinüberfahren, Punkt zehn Uhr will Mr. Taylor am Ufer sein.« »Mr. Taylor,« sagte der Doctor, sein Glas halb füllend und leerend, »mag zu – Grase gehen! – – Es wird aber doch besser sein, ich fahre mit; so bringt das Mädchen herunter und laßt sie sich bereit halten.« »Ihr Bündel liegt in der Küche,« sagte der Yankee; – »viel hat sie zwar nicht, aber –« »Ihr Yankees werdet auch einen Sclaven viel Plunder mitnehmen lassen!« unterbrach ihn lachend der Doctor, »da müßte man Euch nicht kennen; nun, wenn sie fleißig und ordentlich ist, kaufe ich ihr ein paar neue Fähnchen.« Guston hatte, an das Billard gelehnt, eine Zeit lang starr vor sich niedergesehen und dem Gespräch gehorcht; als er aber hörte, daß das Mädchen vor die Thür geführt ward und der Doctor sich selbst zum Ueberfahren rüstete, trat er auf diesen zu und bat ihn, einen Augenblick mit ihm zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Doctor folgte und Beide standen bald in der sternhellen Nacht auf der offenen, menschenleeren Straße unfern des unglücklichen Mädchens, das, die Hände auf dem Rücken befestigt, an einen Balken, der eigentlich zum Anhängen der Pferde diente, gebunden war und, an diesen gelehnt, in ihrem dünnen weißen Kleide traurig empor zu den goldenen Sternen blickte. »Nun, was wollen Sie von mir, Sir?« fragte endlich der Doctor, nur wenige Schritte von der Sclavin stehen bleibend.
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»Ich wünsche Ihnen dies Mädchen abzukaufen,« antwortete Guston fest und ruhig. »Den Teufel auch!« rief erstaunt der Doctor; »was fällt Ihnen auf einmal ein?« »Sie gefällt mir,« entgegnete in gleichgültigem Ton der junge Pflanzer. »Mir auch,« sagte der Doctor lachend, »und ich verkaufe sie nicht wieder; nein, meine Frau wollte lange ein Hausmädchen haben und die scheint mir wie geschaffen dafür: leicht, behende, hübsch und stark.« »Doctor, es kommt mir auf einige Dollars nicht an; ich möchte aber das Mädchen haben und wenn Sie nicht einen zu horrenden Preis fordern, so –« »Nein, nein,« unterbrach ihn der Doctor, »aus unserem Handel wird nichts; wenn ich das Geld nöthig brauchte, ja, dann wär' es vielleicht etwas Anderes, ich habe aber just gestern einen Wechsel von tausend Dollars bekommen, gut wie Silber und da ist mir jetzt das Mädchen nicht feil. Fragt jedoch Weihnachten einmal wieder nach und – ich stehe Euch nicht dafür, daß das Geld so lange ausreicht – vielleicht noch früher; nur für den Augenblick wird nichts daraus.« Das Mädchen hatte im Anfang, da sie hörte, wie nahe sie die Unterhaltung anging, erschrocken aufgehorcht, und versuchte vergebens, eine Zeit lang mit ihren scharfen Augen die Finsterniß zu durchdringen, um die Züge Dessen zu erforschen, der sie zu erhandeln wünschte; da sie das aber unmöglich fand, verfiel sie wieder in ihre träumerische Stellung, wenig den Fortgang des Gesprächs und die Folgen, die es für sie haben mußte, beachtend. Sie war daran gewöhnt, als ein Stück Waare betrachtet und verhandelt zu werden, und ihr schien es gleichgültig, wer von den Beiden ihr neuer Herr werde, da Alfons doch unwiederbringlich für sie verloren war; nur zwei große Thränen traten ihr in die dunkeln Augen und fanden, von anderen gefolgt, ihre Bahn die sammetweichen Wangen der Unglücklichen hinab. – Sie konnte sie nicht abtrocknen, ihre Hände waren gebunden.
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Jetzt traten auch die übrigen Pflanzer und Kaufleute aus dem Hause und wanderten zusammen dem nicht fernen Flußufer zu, um den Doctor noch auf das Boot zu begleiten. Guston wandte sich ab und schritt schweigend an Willis' Seite, der ihm tausend tolle Streiche und Schwänke erzählte und sich wenig darum bekümmerte, ob sein Gefährte ihm zuhörte oder nicht, dem kleinen Städtchen St.-Francisville zu, um dort zu übernachten und am nächsten Morgen seines Vaters Pflanzung zu erreichen. Das Schicksal der beiden Unglücklichen hatte Guston, da er lange Zeit von den Sclavenstaaten entfernt gelebt, wirklich geschmerzt und manch' gutmüthiger Plan für die Zukunft der Beiden seinen Kopf durchkreuzt, als er dem Doctor das Mädchen abkaufen wollte. Da dieser aber nicht darauf eingegangen war, so glaubte er das Seinige gethan zu haben und vergaß bald das Unglück von Leuten, denen er doch nicht helfen konnte. Noch hatte er nicht die Höhe des Hügels und mit ihm die ersten Häuser des Städtchens erreicht, als er schon ganz in Willis' Laune einstimmte und diesem von seinen Reisen und Wanderungen erzählte. Unterdessen waren die Passagiere, die noch nach PointeCoupé übersetzen wollten, auf der Dampffähre eingeschifft und Selinde wurde ebenfalls an Bord gebracht, jetzt jedoch, als das Boot vom Lande abstieß, losgebunden, und sie stand vorn am Bugspriet des kleinen, breiten Fahrzeugs, schaute über das niedere Geländer hinab in den dunkeln, reißenden Strom und hing ihren trüben, traurigen Gedanken nach. In der Kajüte hatte sich indessen der Doctor mit noch zwei anderen Pflanzern zu Taylor's Familie gesellt und erzählte diesen von den heutigen Vorfällen, während das Boot langsam am Ufer hinauflief und eben vor der kleinen Bayou, von der das Städtchen seinen Namen hat, vorüberfahren wollte. »Geht denn der Herr nicht mehr mit, der da noch am Ufer steht?« rief plötzlich der Steuermann, ein Deutscher, dem Master des Boots zu, der unten, unfern der Sclavin, am Geländer lehnte.
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»Nein, hat sein eigenes Boot,« war die lakonische Antwort, und der Ingenieur, der auch zugleich die Stelle des Feuermanns mit vertrat, gab dem Boote die ganze Kraft, um so schnell wie möglich die nächtliche Fahrt zu beenden. Das Boot erreichte jetzt die ungefähre Höhe, von der aus sie hoffen durften, die gegenüberliegende Landung zu gewinnen; der Steuermann ließ also den Bug nach der Backbordseite abfallen, und bald zeigte das stärkere Rauschen am Bugspriet, daß es in reißendere Strömung gerathen sei. Langsam bewegte es sich der Sandbank zu, die sich in den Sommermonaten, mitten im Flusse von einer kleinen Insel unterhalb ausgehend, wohl zwei Meilen hinauszieht, und welche die Fähre, um an dem gewöhnlichen Landungsplatze in Pointe-Coupé anzulegen, umfahren mußte. Das Boot mochte kaum dreihundert Schritt von dem waldigen Ufer ab sein, als von der Mitte des Stromes aus dreimal der Ton eines Loon Loon (Wassertruthahn), eine Art Taucher, der sich in großer Anzahl in den südlichen Bewässern Nordamerikas, besonders auf dem Mississippi aufhält. klagend über die glatte Wasserfläche herüberschallte. Der Master schien die oft gehörten Töne wenig zu beachten; Selinde aber fuhr schon beim zweiten Rufe, wie von einem plötzlichen Schreck durchschauert, auf und lauschte mit verhaltenem Athem dem dritten. Wenige Minuten war Alles still, und dann schallten wieder dieselben drei wehmüthigen Rufe des menschenscheuen Wasservogels zu ihr herüber, während sie mit vorgebeugtem Oberkörper und weitgeöffneten Augen die Finsternis zu durchdringen suchte, wie um den Urheber dieser Töne zu entdecken. »Der Loon schreit recht kläglich heut Abend!« rief der Steuermann. »Ja, wir bekommen Regen,« sagte der Master, indem er einen prüfenden Blick nach oben warf. Der Himmel schien aber seine Wetterprophezeiung nicht zu rechtfertigen, denn kein Wölkchen umhüllte die Myriaden Sterne, die in glühender
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Pracht von dem dunkelblauen Firmament herniederschimmerten. Das Boot durchschnitt jetzt, in die Nähe der Sandbank und dadurch in etwas stilleres Wasser kommend, mit größerer Schnelle den Strom, während der Loon noch zweimal in kurzen Zwischenräumen seinen Ruf ertönen ließ, aber schwieg sobald die Fähre heranrauschte. »Halte stromauf!« rief der Master jetzt dem Steuermann zu, »Du rückst dem Sande zu nahe. So – das wird genug sein!« Sie liefen von da an ziemlich geschwind in ganz todtem Wasser an der Sandbank hinauf und näherten sich mehr und mehr der Spitze, als der Steuermann ausrief, er sähe etwas Schwarzes vorn auf dem Wasser, das einem Kahne gliche. »Ich kann nichts erkennen,« rief der Master, seine Augen anstrengend und sich vorn überbiegend. »Kommt hierher, es muß ein losgerissenes Boot sein, was dort auf den Sand getrieben ist. Wenn wir unsere Jolle mit hätten, könnten wir es fangen.« »Schändlich!« rief der Master ärgerlich, »die Burschen, die hinter uns mit dem Ruderboote kommen, werden es jetzt finden; wir dürfen aber nicht näher hinfahren, sonst bleiben wir sitzen.« Sie waren unterdessen in gleiche Höhe mit dem dunkeln Gegenstande gekommen, der sich wirklich als ein Kahn auswies, aber nicht als ein leerer, sondern ein einzelner Mann saß darin und ruderte, etwas vor dem Boote, auf dasselbe zu, als ob er dicht an demselben vorüberfahren wollte. In demselben Augenblick ließ sich auch der Loonruf, doch ganz in der Nähe und äußerst leise hören. »Habt Acht! Ihr kommt unter die Fähre!« schrie der Master vom Verdeck aus dem einsamen Ruderer zu, der jetzt fast auf Kahnlänge herangekommen war; die Warnung wurde aber nicht beachtet, und – »Selinde!« rief der fremde Mann leise herüber. In dem Augenblick berührte auch sein Kahn die Dampffähre, und mit einem Sprung lag das Mädchen an der Brust des Geliebten, glitt aber, wohl wissend, daß dieser seine Arme jetzt nöthiger brauche, als sie zu umfassen, behende in
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den Stern des Boots, und dasselbe mit einem dortliegenden kurzen Ruder abstoßend, trieb der kleine Nachen, ehe sich die Fährleute nur von ihrer Ueberraschung erholen konnten, schnell in das Fahrwasser des Dampfers. »Halt! verdamm' Euch! Hülfe! haltet sie!« riefen der Master und Steuermann zu gleicher Zeit, und ersterer sprang, mit Hintansetzung der Furcht für seine Gliedmaßen, mit einem Satz vom Steuer aus das untere Deck hinunter, um das Entkommen des Boots zu verhindern; aber zu spät, schon verschwand es in der dichten Finsterniß, und deutlich hörten sie, wie es, von kräftigen, regelmäßigen Ruderschlägen getrieben, schnell über die Fläche des Stromes dahinschoß. »Was schreit Ihr denn so, als ob Ihr am Spieße stäkt?« rief der Doctor, als er jetzt mit den anderen Männern aus der Kajüte kam – »ist das nicht ein Höllenlärm –« »Die Negerin ist fort!« rief der Master. » Was ist sie?« schrie der Doctor und war mit wenigen Schritten an der Seite des selbst zum Tode erschrockenen Masters, der seinem Steuermann nur schnell zurief, das Boot zu wenden und stromab den Flüchtigen zu folgen, und dann dem Doctor mit wenigen Worten den ganzen Vorfall erzählte. Fluchend und tobend aber sprang dieser zum Steuer, bot dem Steuermann zehn Dollars, wenn er die Entflohenen wieder einhole, und vertrieb sich dann die Zeit damit, daß er, aufund abgehend, überdachte, wie er die Beiden, wenn er sie erst wieder eingefangen hätte, züchtigen wollte. Der Master war indessen auch zu ihm herangetreten, und den Doctor in seinem Eifer und seinen Gesticulationen unterbrechend, rief er ihm zu, einen Augenblick ruhig zu sein, denn er glaube, er höre Ruderschläge. Sie horchten jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahmen deutlich das regelmäßige Einschlagen von Rudern in das Wasser; es konnten aber nicht die Flüchtlinge sein, denn es kam von Bayou Sarah herüber, und der Steuermann brach endlich das Schweigen, indem er versicherte, daß es das Segelboot wäre. »Gut,« rief der Master, »die wollen wir doch bei unserer Jagd zu Hülfe rufen, es müßte dann mit dem Bösen zugehen,
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wenn wir das Pärchen nicht einfingen, ehe es Waterloo erreichen kann.« Und die Hände trichterförmig an den Mund haltend, schrie er mit kräftiger Stimme sein »Boot ahoy-y!« über die ruhige Stromfläche hinüber. Schon sein zweiter Ruf wurde von drüben beantwortet, und bald tönte auch auf sein langsam und deutlich ausgestoßenes »Kommt herüber!« ein befriedigendes»Ay – Ay!« zurück. Die Dampffähre schoß unterdessen mit bedeutender Schnelle an der Sandbank hin, gleichwohl immer sich etwa hundertfünfzig Schritt von ihr entfernt haltend, um nicht aufzulaufen, und aufmerksam beobachteten die Männer den zwischen ihnen und der Bank liegenden Wasserstreifen, da sie nicht ohne Grund vermutheten, daß der Entflohene eher versuchen würde, ihnen unter dem Schutze der Nacht zu entgehen, als sich auf seine eigene Kraft zu verlassen und die Mitte des Stromes zu suchen, wo ihm, wenn entdeckt, auch nicht die mindeste Hoffnung auf Entrinnen geblieben wäre. Schon hatten sie sich auf wenige hundert Schritt der kleinen Insel genähert, als der Master plötzlich des Doctors Arm faßte und gerade sich gegenüber nach der Sandbank deutend, die hier etwa drei Fuß über die Wasserfläche herausragte, ausrief: »Dort sind sie, so wahr ich ein Christ bin; seht Ihr dort?« »Wo? wo?« rief der Doctor, der nur das dunkle Boot mit den Augen gesucht hatte. »Dort der weiße Punkt,« rief der Master – »das Kleid des Mädchens!« und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, sprang er mit einem Satz an das Steuerrad, und das Boot schnell wieder stromauf wendend, führte er es gerade auf den weißen Punkt zu. Der Flüchtige war aber hier allerdings in der Hoffnung angelaufen, unter dem mehrere Fuß hohen steilen Sandufer unbemerkt liegen zu bleiben und, wenn die Fähre vorbeigefahren wäre, schnell die Mitte des Stroms zu erreichen, wonach er dann, stromab, bald aus dem Bereiche augenblicklicher Verfolgung kommen konnte. »Jetzt haben wir sie!« rief der Master aus, als er sich, etwas näher rückend, wirklich überzeugt hatte, daß es die Flüchtigen waren; »hier ist das Wasser tief und ich müßte mich sehr irren,
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wenn wir nicht an den Burschen dicht heranlaufen könnten; auf alle Fälle wollen wir's versuchen.« Die armen Flüchtigen befanden sich unterdessen in einer gar mißlichen Lage, denn in der That hätte die nicht sehr tief im Wasser gehende Dampffähre gerade an dieser Stelle an sie heranlaufen können. In diesem kritischen Augenblick verließ aber den in der Schule des Unglücks Gestählten die so nöthige Geistesgegenwart nicht; mit raschen Ruderschlägen flog er, etwa fünfzig Schritt, seinen Verfolgern gerade entgegen, und als diese schon, in der Hoffnung, ihn bald in ihrer Gewalt zu haben, laut aufjubelten, der Doctor sogar ein Tau zurechtlegte, um den » damned nigger,« wie er sich ausdrückte, zu knebeln, schoß dieser plötzlich, einen schmalen Streifen seichten Wassers benutzend, der sich zwischen zwei langen Sandzungen hinzog, in seinem kleinen Boote rechts von der Fähre ab, die gleich nachher, durch das nur wenige Zoll tief gehende Boot irre geführt, in zu seichtes Wasser kam und auflief. Im nächsten Augenblick waren die Flüchtigen in der Alles umlagernden Finsternis verschwunden. Da schallte plötzlich ein nahes deutliches »Hallo!« herüber, und das angerufene, von Bayou Sarah kommende Segelboot lag wenige Augenblicke später neben dem auf dem Sande sitzenden Dampffährboote. »Hallo!« rief noch einmal der im Stern des ersteren behaglich hingestreckte Creole – »was flucht Ihr denn hier so gotteslästerlich durch die stille Nacht? Das ist der Doctor, nicht wahr?« »Beauvais!« rief dieser, »Euch sendet uns der Himmel!« »Wohl durch Euer Beten erweicht?« lachte Beauvais. »Kommt schnell heran, nehmt uns auf; mein Negermädchen ist mir hier vom Boote weg durch den weißen Nigger gestohlen, und vor kaum drei Minuten sind sie erst fort, wir müssen sie einholen.« »Kommt herein denn, schnell!« rief der Creole, das Boot an die Fähre anlenkend – »und wenn meine vier Burschen den bleichen Schurken nicht in zehn Minuten haben, so will ich mein Leben lang keinen Gumbo Lieblingsgericht der Creolen.
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mehr anrühren und, Doctor,« fuhr er lachend fort, »das würde mir so sauer werden, als Euch, wenn Ihr dem Brandy entsagen solltet.« Mit unglaublicher Schnelle verließ das Segelboot, das den Doctor, den Master und den andern Pflanzer aufgenommen, die gestrandete Fähre und flog der Mitte des Stromes zu, um die Flüchtigen einzuholen. »Ich höre das Ruder!« rief der Master, der, die Hände hinter die Ohren haltend, einen Augenblick gelauscht hatte – »ich höre das Ruder deutlich, gerade unter jenem hellen Stern. So – noch ein wenig rechts!« rief er, als Beauvais schnell seinen Lauf danach änderte – »so – jetzt sind wir auf der Spur; nun, meine Burschen, streckt Euch!« Das Boot berührte kaum die Wasserfläche und hochauf spritzte der weiße Schaum am Bugspriet. Unterdessen war Alfons nicht müßig gewesen; große Schweißtropfen perlten ihm an der durch die übermäßige Anstrengung des Ruderns erhitzten Stirn, und lange war kein Wort zwischen den Liebenden gewechselt; jetzt brach Selinde das Schweigen und flüsterte leise und bebend: »Ich habe Dich verrathen, Alfons, mein weißes Kleid zeigte den Verfolgern unser Versteck; – oh, wie bin ich unglücklich!« »Mein armes Mädchen,« tröstete sie Alfons, ohne einen Augenblick in seiner Arbeit nachzulassen, »beruhige Dich, ich entgehe ihnen dennoch; wäre nur das Segelboot nicht; ich hörte aber, wie sie es anriefen, und ich fürchte, wir werden landen und uns im Sumpfe verbergen müssen. Ich möchte ihnen nicht gern auf dem Wasser in die Hände fallen.« »Aber sie müssen uns hören, Alfons,« seufzte das Mädchen, »die bösen Ruder knarren so, das tönt gar weit über das Wasser; ich höre das Boot ebenfalls hinter uns.« »Ich habe nichts, um die Ruder zu umwickeln, – jeder Augenblick, den ich verzögere, bringt uns dem gewissen Verderben näher,« sprach leise Alfons. »Mein Kleid hat uns verrathen, mein Kleid mag uns retten,« lächelte das Mädchen unter Thränen hervor, riß das dünne
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Zeug in Streifen herunter und legte es unter die Ruder. Geräuschlos glitt jetzt das Boot über die ruhige Wasserfläche, und leise betend sank die schlanke Gestalt des armen Kindes im Stern des kleinen Boots nieder. »Verdamm' die Hunde!« rief der Doctor, als die Neger einen Augenblick rasteten und Alle aufmerksam, aber vergebens horchten, um auf's Neue einen Ruderschlag der Entflohenen zu hören – »nichts rührt sich mehr.« »Dort unten treibt ein Flatboot Große Waarenboote, die mit der Strömung den Fluß hinuntergehen. ,« rief der Master, »vielleicht haben die Leute darauf etwas von den Flüchtigen gesehen.« Sie steuerten, als kein Laut weiter gehört ward, schnell auf das unbehülfliche Fahrzeug zu, das sie auch gar bald erreichten, und der Doctor rief es ohne Weiteres an: »Habt Ihr ein Boot gesehen?« »Etwa hundert Schritt an uns vorbei ruderte eines.« »Welche Richtung?« »Mehr nach dem Lande zu.« »Wer saß darin?« »Weiß nicht,« rief der Flatbootmann. »Ihr sucht einen weggelaufenen Sclaven?« »Ja wohl, Freund,« antwortete Beauvais; »woher wißt Ihr das?« »Gut, ich denke, Ihr seid auf der rechten Fährte; der Bursche, der hier hinunterging, hatte die Ruder umwickelt, kam mir gleich verdächtig vor.« »Sie sind es!« schrie der Doctor; »jetzt tapfer, meine Burschen, streicht aus!« »Ihr sagtet, sie hielten sich nach dem Lande zu?« frug der Master noch einmal zurück, als das Segelboot von dem Flatboot hinweg schoß. »Ja,« lautete die Antwort; und zum dunkeln Ufer hin, aber immer noch in etwas die Strömung benutzend, eilten die Verfolger dem unglücklichen Alfons nach, der sich wirklich näher dem Lande zugewendet hatte, um im Nothfall das schützende Dunkel des Waldes zu erreichen.
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Mehrere Minuten war das Segelboot so im wahren Sinne des Worts über die Stromfläche fortgesprungen, als der Master, der im Vordertheil kauerte und aufmerksam über den Wasserspiegel hinschaute, in die Höhe sprang und ausrief: »Dort sind sie, ich sehe das Boot!« »Hurrah, meine Burschen, greift aus!« schrie der Doctor, »und Ihr, Master, gebt mir Euer Messer, ich will dem bleichen Nigger einmal zeigen, was es zu bedeuten hat, in Louisiana einen Neger zu stehlen.« Der Angeredete griff auch, ohne weiter ein Wort zu erwidern, unter seine Weste, holte sein langes Jagdmesser hervor und reichte es dem Doctor, der es aus der Scheide riß und jubelnd schwang. Alfons hatte mit fast übermenschlicher Anstrengung seine Bahn verfolgt, als er aber die Ruderschläge der Verfolgenden immer näher und näher kommen hörte und nun einsah, daß er selbst nur noch eine kurze Zeit das seine Kräfte übersteigende Rudern würde aushalten können, wandte er sich näher zum Ufer. Hatte er den Wald einmal erreicht, so war alle Verfolgung im Dunkeln und ohne Hunde unmöglich gemacht. Da – als Alfons seine letzten Kräfte anstrengte, das Werk zu vollenden, als er die Verfolger schon dicht hinter sich sah – brach ihm das rechte Ruder und sein Boot flog herum. Beauvais und der Master erkannten augenblicklich, daß der Flüchtling in ihren Händen sei, und stießen ein Freudengeschrei aus. Der Erstere wandte sich nur noch an den Doctor und rief diesem ermahnend zu: »Bringt ihn nicht um!« als das Boot auch schon an das andere hinanschoß und jener mit erhobenem Messer jubelnd hinübersprang. Er sollte aber seinen Triumph nicht lange genießen; Alfons, wohl wissend, daß für ihn alle Hoffnung verschwunden sei, und fest entschlossen, nicht lebendig in die Hände seiner Peiniger zu fallen, war, mit dem Ende des abgebrochenen Ruders in der Hand, das er hochgeschwungen über seinem Kopfe hielt, auf das Sitzbrett gesprungen, und von schwerem Schlage getroffen stürzte der Doctor rückwärts in das Boot, wäh-
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rend das Messer seiner Hand entfiel und in die Fluthen versank. Beauvais, der im Begriff war, dem Doctor zu folgen, würde ein gleiches Schicksal mit dem Ersteren getheilt haben, hätte nicht der Master, der sich wohl hütete, in den gefährlichen Bereich des Ruders zu kommen, eine Pistole gezogen und sie schnell und besonnen auf den frei Dastehenden abgedrückt. Beim Krach des Gewehres zuckte der Schwergetroffene zusammen, das wiedererhobene Ruder entfiel seiner Hand, und für einen Augenblick stand er aufrecht da, starr und fest zum Himmel emporsehend, dann stöhnte er »Selinde!« und sank rückwärts in die Fluth. »Alfons!« rief das Mädchen mit herzerschütterndem Schrei und folgte mit Gedankenschnelle dem Sinkenden, aber Beauvais, dies noch zur rechten Zeit gewahrend, sprang in das kleine Boot und das weiße flatternde Unterkleid erfassend, ehe es verschwand, zog er mit Hülfe seiner Leute die Ohnmächtige an Bord zurück. Vierzehn Tage waren nach diesem Abend verflossen, als der Doctor zuerst wieder nach Bayou Sarah hinüberfuhr, sich aber dort sehr mäßig hielt, seine Geschäfte schnell besorgte und dann wieder hinüber nach Pointe-Coupé fahren wollte. Er sah sehr blaß aus, und eine breite, noch nicht ganz zugeheilte Narbe zog sich über seine Stirn. Als er dem Flußufer zuschritt, um das Fährboot zu erreichen, das eben anlandete, hörte er seinen Namen rufen, und sich umwendend, erkannte er Guston, der ihm winkte und bald an seiner Seite war. »Nun, Doctor, wie geht's?« fragte er diesen, die ihm entgegenstreckte Hand schüttelnd, »was macht die Stirn? Das muß ein höllischer Schlag gewesen sein!« »War's auch, Guston, war's auch; warf mich nieder wie ein Stück Holz; der Hund hat aber seine Bezahlung bekommen.« »Er soll über Bord gefallen und ertrunken sein?« fragte Guston, den Doctor von der Seite fixirend. »Verdammt will ich sein, wenn ich weiß, wie er fortgekommen; als ich ihn zuletzt sah, stand er noch fest genug auf
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der Ruderbank, um mich mit dem scharfkantigen Holz zu Boden zu schlagen, aber der brave Master – Ihr geht mit nach Pointe-Coupé, nicht wahr?« unterbrach er sich plötzlich selbst. »Der Master soll ihn erschossen haben – wie mir gesagt wurde,« fuhr Guston, die Zwischenfrage nicht beachtend, fort. »Die Neger wissen nichts und können kein Zeugniß vor Gericht ablegen; ich wollte übrigens, ich hätte an jenem Abend Euern Vorschlag angenommen und Euch das Mädchen überlassen; ich wollte, ich hätte es!« »Nun, seid Ihr nicht mit ihr zufrieden? Ich nehme mein Wort selbst jetzt noch nicht zurück – wenn auch nicht mehr aus derselben Ursache wie neulich.« »Leider,« fuhr der Doctor ärgerlich heraus – »habe ich sie heute Morgen begraben lassen.« » Begraben?« frug Guston, erstaunt einen Schritt zurücktretend; »begraben? das junge kräftige Mädchen?« »Lieb wär' mir's, ich hätte weder sie noch den nichtswürdigen langen Yankee je mit Augen gesehen; die Dirne kostet mich ein schmähliches Geld, und dann legt sich der kleine weibliche Teufel hin und wird krank. Erst glaubte ich, sie wolle mich nur zum Narren haben, und ließ sie auf Anrathen meiner Frau züchtigen, sie mukste aber nicht und wurde zuletzt ohnmächtig; nun ließ ich sie in ein Krankenhaus bringen und gab ihr eine alte Frau zur Pflege; ich mochte sie doch nicht gern verlieren, sie war wenigstens ihre fünfhundert Dollars werth. Da setzt sich der schwarze Racker in den Kopf, nichts mehr zu essen, legt sich hin und liegt da und rührt sich nicht. Umsonst ging ich selbst zu ihr und versuchte Alles, um sie wieder zur Vernunft zu bringen, umsonst drohte ich ihr mit den fürchterlichsten Strafen und ließ ihr wirklich, nur um ihr zu beweisen, daß es mein Ernst sei, einige Hiebe geben; es blieb vergebens; sie ließ Alles ruhig mit sich anstellen und gestern Mittag, als ich zu ihr ging, um noch einmal zu versuchen, ob stärkere Drohungen vielleicht einen größeren Einfluß auf sie haben möchten, richtet sie sich plötzlich auf ihrem Bette in die Höhe, schwatzt allerlei dummes Zeug von Alfons, Vater und Mutter, und fällt um – sie war todt.«
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»Ich wollte doch, Ihr hättet sie mir damals überlassen,« sagte Guston, nachdenkend und verstimmt vor sich niedersehend – dann wandte er sich von dem Doctor ab und schritt langsam nach Bayou Sarah zurück.
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Die Vertreibung der Mormonen aus Missouri Vor der Thür eines kleinen Blockhauses, dessen Inneres zu einem Waarenlager und Laden eingerichtet war, hatte sich ein halbes Dutzend Männer, Jäger und Landleute, versammelt, und schien in einem sehr hitzigen Streit über Kirche und Politik, den besonders Zwei von ihnen mit besonderem Eifer fortführten, begriffen. Keiner von diesen wollte nachgeben, und drohende Worte waren schon Beiden entflohen, als ein alter grauhaariger Mann zwischen sie trat und den jüngeren, während er ihm freundlich die Hand auf die Achsel legte, mit sich hinwegzuführen versuchte. – »Kommt, Greenford,« sprach er leise, »laßt den Zank sein, Ihr erntet keine Ehre dabei ein, und überdies hat ja Jeder seine besonderen Meinungen.« »Ich bin nicht streitsüchtig,« entgegnete der junge Mann leicht besänftigt – »möchte auch Keinem wehe thun – es ist aber verdammt hart, daß man es ruhig mit anhören soll, wie diese Mormonen Alles auf der Welt, selbst unsern Präsidenten und die Vereinigten Staaten, herunterreißen, um nur ihre eigene Religion und Staatseinrichtung in die Wolken zu heben. – Sie sollten doch wenigstens bedenken, daß sie hier auf unserem Grund und Boden wohnen und leben und den Schutz unserer Gesetze für sich und ihre Familien genießen.« »Auf Eurem Grund und Boden?« fiel der Mormone spöttisch ein – »den Schutz Eurer Gesetze? Wem gehört denn dies Land, als den wahren Gläubigen, den Heiligen, den Höchsten? Hat uns nicht Gott schon in alten Zeiten die Erde als Eigenthum versprochen, und sollen wir jetzt irgend einem Staate für die erbärmliche Scholle, die wir bewohnen, Dank schulden?« »Hol' Euch der Henker mit Euren Prahlereien!« entgegnete ihm trotzig der junge Missourier – »Schlangen und Eidechsen! Ihr möchtet Euch wohl gern zu Herren der Erde und uns andere Ungläubige zu Euren gehorsamen Sclaven machen? Pest! Aber Ihr kennt die Missourimänner noch nicht, und wenn Ihr
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Eure Hände noch so fest in den Boden, den Ihr bewohnt, eingeklammert hättet, so giebt's dennoch Mittel, Euch Recht und Sitte zu lehren, sobald Ihr die Gesetze nicht anerkennt, die der Staat Euch und uns vorgeschrieben hat.« »Der Staat!« lachte wieder höhnisch der Mormone – »was ist der Staat? Seht Ihr die dünnen weißen Wolken da oben? Der Ewige haucht sie an und sie vergehen – blau und rein ist der Himmel – so ist es mit Eurem Staat. Bauet und pflügt nur Eure Ländereien, plagt Euch nur im Schweiße Eures Angesichts – das ist gut so – die Heiligen werden die Ernte halten und bald im Besitz der Güter sein, die ihnen von Gott und Rechts wegen zukommen.« »Der Bube droht!« rief Greenford und riß sich von des Alten Hand los – »verdammt will ich sein, wenn ich nicht glaube, daß diese heuchlerischen Schurken irgend einen tückischen Plan im Hinterhalt haben und wir die Schlangen hier am Busen nähren!« »Schurken nennst Du unsere heilige Gemeinde?« rief aber auch jetzt im höchsten Zorn der gereizte Mormone. »Schurken? Fluch Dir und Deinem Stamm, auf den ich dieses Schimpfwort zurückschleudere! Aber Geduld, nur noch kurze Zeit Geduld, denn die letzten Tage sind vor der Thür und die Heiligen werden vom Himmel herabkommen, Euch zu vertilgen! – Ausgerottet sollt Ihr werden – Alle, die Ihr hier in Sünde und Schmach den wahren Gott verlästert, und ein fürchterliches Blutbad wird die Ungläubigen Missouris von der Erde fegen, daß ihre Namen nicht einmal mehr in späteren Zeiten gehört werden sollen!« Er wäre noch lange in seiner Zorn und Bußpredigt fortgefahren, aber Greenford, seiner selbst nicht mehr Meister, schleuderte Alle, die sich ihm in den Weg stellten, zurück, riß seinen Rock herunter und sprang mit wildem Satz auf den zürnenden Redner zu, um ihn für die Lästerung seines Gottes und Volkes zu züchtigen. Der Mormone, keineswegs ein Schwächling und wie der junge Missourier im Walde auferzogen, bebte nicht vor dem Anstürmenden zurück, sondern empfing ihn, seine begeisterte
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Stellung schnell mit der eines kampfgeübten Boxers vertauschend, festen Fußes, die wüthend nach seinen Schläfen und Augen geführten Stöße eben so schnell und gewandt parirend und kräftig und geschickt wieder zurückgebend. Der Missourier hatte aber schon zu lange den mühsam verhaltenen Groll gegen die Feinde seines Glaubens und seines Staates genährt und mit unersättlichem Haß erneuerte er, zehnmal zurückgeschlagen, eben so oft seinen Angriff, bis die Kräfte des Feindes endlich ermatteten, dieser einen wohlgezielten Stoß seines fast zur grenzenlosesten Wuth getriebenen Gegners nicht mehr kräftig genug pariren konnte und, von dessen Faust getroffen, besinnungslos zu Boden stürzte. »Halt!« rief aber jetzt der Alte, als sich der junge Mann in blinder Rache auf den gefallenen Feind stürzen wollte – »halt, Greenford! – Ihr wollt Euch doch nicht an Einem vergreifen, der machtlos zu Euren Füßen liegt? – Ihr mögt das in Kentucky gesehen haben,« fuhr er milder, aber immer noch verweisend fort, da der junge Mann beschämt von seinem besiegten Feinde zurücktrat, um den sich jetzt die Nachbarn versammelten und ihn in's Leben zurückzurufen versuchten – »es ist aber hier in Missouri nicht Sitte und schickt sich auch, sollt' ich denken, für einen ordentlichen Mann nicht!« »Nun, laßt's nur gut sein, Stevenson,« bat der junge Farmer, indem er dem Alten die Hand hinüberstreckte – »es war nur so ein flüchtiges Gefühl, das mich trieb, an dem Schurken mein Sohlleder zu versuchen – 's ist aber wahr, ich dachte nicht gleich daran, daß er da lag. Doch hol' ihn der Henker – steht er wieder auf und läßt die verdammten gotteslästerlichen Reden nicht, so beginne ich auf's Neue mit ihm – dann halt' ich ihn aber aufrecht, bis ich ganz mit ihm fertig bin.« »Ich wollte, Ihr hättet den Streit nicht gehabt,« unterbrach ihn Stevenson jetzt halb ärgerlich, halb besorgt – »die Mormonen sitzen uns hier dicht auf dem Halse, sind dabei so feindselig wie möglich gegen uns gesinnt und halten zusammen wie die Kletten. Da sollt's mich denn gar nicht wundern, wenn dieser Kampf noch recht böse, häßliche Folgen mit sich führte; denn daß Der da, dem Ihr das ganze Gesicht zerschlagen habt,
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die Sache nicht ungerächt ruhen läßt, davon könnt Ihr überzeugt sein.« »Mag er zum Teufel gehen – ich fürchte ihn nicht!« rief Greenford – »er hat Das gelästert, was uns Allen das Heiligste ist, überdies böse, unheimliche Drohungen ausgestoßen; da müßte man ja oben am Nordpol geboren sein, wenn man bei solchen Reden kaltes Blut behalten könnte.« Der Mormone hatte sich indessen wieder von seiner Betäubung erholt, schien aber für heute den Streit nicht weiter fortsetzen zu wollen, sondern ging zu seinem Pferd, das angebunden an einem nahen Baume stand, warf sich hinauf und sprengte, ohne den Blick zurückzuwenden, mit verhängtem Zügel landeinwärts. Mehrere Minuten schon waren Roß und Reiter in dem Waldesdunkel verschwunden, und noch immer standen die Männer unbeweglich auf ihren Plätzen und starrten ihm in tiefen Gedanken versunken nach, bis endlich Greenford das Schweigen brach und, seinen Rock anziehend und die Kugeltasche, die er vor dem Kampf abgeworfen hatte, wieder umhängend, ausrief: »Da reitet der Schurke, der hier an einem der Bäume für seine gotteslästerlichen Reden zu hängen verdiente – verdammt will ich sein, wenn es nicht eine wahre Schande ist, auf Onkel Sam's eigenem Grund und Boden von einem Volk verachtet und verspottet zu werden, das schon aus den östlichen Staaten fliehen mußte, weil die Bürger dort Ihre Betrügereien und Schlechtigkeiten nicht länger dulden wollten.« »Es ist nicht so arg,« beruhigte Stevenson den Erzürnten, »und meiner Meinung nach mehr eine heilige Schwärmerei als böse Absicht, die sie zu diesen oft leichtsinnigen, ja schlecht scheinenden Handlungen verleitet. Blind glauben sie Alles, was ihnen ihr Prophet und Gott, dieser Joe Smith, sagt und als unmittelbar empfangene Offenbarung ausgiebt und halten sich als die Auserwählten des Herrn zu mehr berechtigt, als wir armen Verblendeten hier im Sinn haben ihnen zuzugestehen.«
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»Was können wir aber machen?« wandte Greenford ein, »wenn sie sich mit Gewalt ein Recht verschaffen, das sie zu besitzen fest überzeugt sind? – Vergebens haben wir uns schon mehrere Mal an die Regierung gewandt und diese auf die Gefahr aufmerksam gemacht, der wir bei feindseligen Absichten dieser Schwärmer ausgesetzt wären. Sie glaubt sie jetzt, da sie erst kürzlich von ihren alten Wohnorten vertrieben wurden, eingeschüchtert und verträglich gesinnt – Ihr werdet nächstens das Gegenteil erleben, wenn Blutvergießen und Gewalttaten eine friedliche Scheidung unmöglich gemacht haben.« »Ja, ja, ich stimme ganz mit diesen Ansichten überein!« bekräftigte ein alter sonngebräunter Jäger, der bis jetzt, auf seine Büchse gelehnt, ruhig und scheinbar theilnahmlos sowohl dem Kampfe zugeschaut, als den späteren Verhandlungen gehorcht hatte. – »Ich war in »Independence«, wie wir sie von dort vertrieben, und weiß, was sie alles unter dem Deckmantel ihres Glaubens und ihrer Religion gewagt haben. – Nichts war ihnen heilig, als die Ausführung jener Pläne, die sie ihrem Ziele näher brachten, und theils durch Gewalt, theils durch List hatten sie sich so fest in unserer Mitte eingenistet, daß es der ganzen Kraft des County bedurfte, ihrem nachtheiligen Wirken Einhalt zu thun.« »Pest und Gift! Und da schicktet Ihr sie uns hierher, nicht wahr – um sie nur dort los zu werden? – wahrhaftig, echt christlich!« fiel Greenford bitter lachend ein. »Und was sollten wir anders mit ihnen machen? sie vertilgen? – Hättet Ihr Eure Hände dazu hergegeben, Greenford, das Blut von Leuten zu vergießen, die einen andern Glauben haben als Ihr?« Greenford stampfte ungeduldig mit dem Fuße. »Nun, nein doch,« rief er endlich ärgerlich aus; »aber wolltet Ihr sie nicht länger in Independence dulden, so seh' ich nicht ein, warum wir uns hier in Caldwell ihren Abgeschmacktheiten und Anmaßungen unterwerfen sollen. Fort mit ihnen – ich hab' es satt, alle Tage hören zu müssen, daß jetzt bald der jüngste Tag nahen würde, an welchem die »Heiligen des Herrn« in ihre
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alten Rechte eingesetzt und die ungläubigen Kinder der Sünde und Verdorbenheit in Verbannung und Schmach geschleudert werden sollen. Ich hab' es satt, von unseren Gräbern reden zu hören, aus denen jener »geistige, die Erde ausfüllende Tempel« ersteigen soll. – Wer, zum Henker, steht uns denn dafür, daß es nicht in diesen Tagen dem alten Smith einmal einfällt, einen Kreuzzug gegen seine ungläubigen Nachbarn zu predigen, und was hilft es uns später, wenn wir mit abgeschnittenen Kehlen unter dem Rasen liegen, daß unsere Landsleute den Tod ihrer gefallenen Brüder rächen und die gestohlenen Weiber aus Gefangenschaft und Schande befreien! Fort mit ihnen, sag' ich, fort! Schickt sie westlich zu den Indianern, mit denen mögen sie sich herumschlagen und die Rothhäute bekehren, oder doch wenigstens so beschäftigen, daß sie uns für's Erste an den Grenzen mit ihren Einfällen verschonen.« »Der Staat wird sich,« wandte Stevenson ein, »ohne ernstliche Ursache nie dazu verstehen, eine solche, wenn auch nur scheinbare Ungerechtigkeit an ihnen zu begehen; denn ohne daß wir gegründete Ursachen –« »Gegründete Ursachen?« unterbrach ihn ärgerlich der junge Mann. – »Hol's der Henker, Stevenson, was versteht Ihr denn eigentlich unter gegründeten Ursachen? Sollen sie uns erst am hellen Tage überfallen und unsere Weiber fortschleppen? sollen sie uns die Häuser niederbrennen und die Felder zerstören? Gift und Schlangen! stehlen sie nicht schon von unseren Feldfrüchten, was sie heimlich bekommen können? schlachten sie nicht jedes Stück Vieh der »Ungläubigen«, das sich unglücklicher Weise auf ihre Besitzungen verläuft, und schwören die zu dem schändlichen Stamm der Daniten Gehörenden, den sie erst kürzlich gebildet haben, nicht – von ihrem Propheten selbst dazu aufgemuntert – die gräßlichsten Meineide, ehe sie Einen von ihrer Schaar verrathen? Nein, Ihr, Stevenson, und Harvard und Ihr anderen Alle, die Ihr Euch Männer Missouris nennt – Schimpf und Schande ist's, daß wir es so lange geduldet haben, und Zeit wär' es, das schmähliche Joch abzuschütteln, ehe es uns unter seiner Last erdrückt. – Die östlichen Staaten lachen uns aus, wenn sie in ihren Zeitungen die
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fast unglaublichen, aber wahren Berichte über die Anmaßungen des Sectengeistes lesen, und spotten nicht mit Unrecht, daß es aussähe, als ob die alten kräftigen Pionniere Missouris Büchse und Messer mit dem Gebetbuch vertauscht hätten und statt dem Panther an der Salzlecke aufzulauern, die Erscheinung der lieben Engelein vom Himmel erwarteten. Pfui – pfui! – wir müssen uns bald vor den Kindern schämen.« »Nun, ich denke, Ihr werdet nicht lange über Mangel an Ursachen zu klagen haben,« meinte kopfschüttelnd der andere Jäger, Harvard; »nach Allem, was ich je von den Mormonen gesehen habe, so sind sie gerade nicht feige, und der Bursche, der da mit wundgeschlagenem Gesichte und vor Zorn und Wuth glühenden Augen fortsprengte, könnte uns leicht in einigen Tagen mehr von ihnen auf den Hals ziehen, als sich gerade mit unserer Sicherheit und Behaglichkeit vertragen möchte.« »Laßt sie kommen, die Hunde!« rief Greenford, den Kolben seiner langen Büchse auf die Erde stoßend; »laßt sie kommen, wenn sie uns auch an Zahl überlegen sind. – Höll' und Teufel, ich sehne mich ordentlich danach, mir an einem von ihren verhaßten Körpern den Platz auszusuchen, wo das Herz sitzen muß, um das Tageslicht hindurchscheinen zu lassen!« »Greenford,« rief Stevenson verweisend, »Ihr macht es schlimmer als Die, die Ihr tadelt! Nein, Gott verhüte, daß es zum Blutvergießen kommen sollte; aber aufrichtig gestehen muß ich's, mit dabei wär' ich auch, wenn wir die Großprahler und Frömmler verjagen dürften. Doch kommt, Kinder – es wird spät und wir haben noch vier Meilen bis nach Hause; also gute Nacht – und Ihr, Harvard, wenn Ihr Lust habt, so machen wir morgen früh die verabredete Bärenjagd. Die Fährte bekommen wir frisch in dem kleinen Bache, der etwa eine Viertelmeile von meinem Hause vorbeiströmt. Seit den letzten acht Tagen ist der alte Bursche dort jede Nacht durchgekommen; aber mit Tageslicht geht's fort!« »Und wo treffen wir uns?« fragte Harvard dagegen. »An der Platane, von der wir neulich die beiden wilden Katzen herunterschossen,« rief Stevenson zurück, warf den
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Zügel seines Pferdes diesem über den Nacken, sprang in den Sattel, und nach einem herzlichen Gutenachtgruß ritten die Männer ihren verschiedenen Wohnungen zu, den eben noch so belebten Platz seiner tiefen, stillen Einsamkeit überlassend. Erst nach Sonnenuntergang erreichten die beiden Reiter, Stevenson und Greenford, das Haus des Ersteren, aus dem ihnen schon in weiter Ferne, da sie einen kleinen Hügel hinabritten und die kleine Lichtung, welche die Hütte des alten Mannes umgab, übersehen konnten, der Glanz des hellen Feuers entgegenschimmerte. Freudiges Hundegebell begrüßte sie, als sie sich endlich dicht am Hause von den Pferden schwangen, welche des Alten Söhne, ein paar kräftige Burschen von sechzehn und achtzehn Jahren, sogleich in Empfang nahmen. »Laßt sie nur nicht wieder in den Wald,« rief der Alte, »und gebt ihnen ein gutes Futter; bringt auch einen halben Bushel Mais mit in's Haus, wenn Ihr wieder zurückkommt, den Ihr nachher schälen und einsacken müßt; – wir wollen morgen früh unser Glück mit dem Bären versuchen.« »Hallo!« rief Jim, der Aelteste, »da geh' ich mit.« »Meinetwegen,« lachte der Alte, – »Einer von Euch mag mitgehen, der Andere muß aber das Haus hüten. Wir dürfen in diesen Zeiten die Frauen nicht ganz ohne Schutz lassen.« Mit den Worten trat er in die Thür, und ängstlich eilte ihm sein Weib entgegen. »Was ist geschehen, Stevenson – warum dürft Ihr die Frauen nicht ohne Schutz lassen? Seid Ihr doch schon so oft Alle auf die Jagd geritten und Ihr habt nie daran gedacht –« »Aengstige Dich nicht,« erwiderte gutmüthig lächelnd Stevenson – »Greenford hier hat einen Streit mit einem Mormonen gehabt, der später gerade nicht in der freundlichsten Stimmung schied. Es hat aber nichts zu sagen, es war ein ehrlicher Kampf – Mann gegen Mann – und der Besiegte darf sich nicht beklagen.« »Aber, Greenford!« flüsterte Anna, des Alten Tochter, ein liebliches, blühendes Mädchen von neunzehn Jahren und die Braut des jungen Pionniers, indem sie an diesen herantrat und
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ihm schmeichelnd die dunkeln Locken aus der Stirn schob – »Du hast schon wieder Streit gesucht und mir doch so fest versprochen, Dich zu mäßigen und das wilde, trotzige Wesen abzulegen – Du wirst uns noch Alle einmal recht unglücklich machen!« »Laß es gut sein, Anna!« bat der Jäger, »ich konnt' es wahrhaftig nicht ändern – der schlechte Bursche verhöhnte fast Alles, was uns heilig ist, und – Du weißt, ich habe nicht das ruhigste Blut – mir lief die Galle über – doch will ich mich bessern. – Ich will jedesmal, sollte ich wieder in Händel gerathen, an Dich denken und – wenn's nur irgend möglich ist, recht ruhig und ehrbar werden!« »Rührt Euch, Ihr Frauen – rührt Euch!« rief jetzt der Alte dazwischen, »setzt Eure Töpfe und Kessel zum Feuer, denn wir sind gewaltig hungrig; nachher könnt Ihr schwatzen, soviel's Euch beliebt, und Du, Anna, magst uns gleich etwas mehr Teig für Brode auf morgen früh anmengen und später backen, denn wenn wir einmal auf der Fährte des alten Burschen sind, den wir mit Sonnenaufgang zu jagen und unsere Schweine von dem gefährlichen Feinde zu befreien gedenken, so kann es wohl vorfallen, daß wir, so wir ihn morgen nicht finden, Abends im Walde bleiben. Vergiß auch nicht, ein tüchtiges Stück Speck dazu zu stecken, denn Harvard wird ebenfalls dabei sein und – häng' ihn – der verläßt sich stets auf seine Büchse und nimmt nie einen Bissen zu essen mit. 's ist uns schon oft so gegangen, daß wir draußen lagen und nicht ein Maul voll zu beißen und zu brechen hatten.« »Wann habt denn Ihr und Harvard die beiden wilden Katzen geschossen?« frug jetzt Greenford; »ich hörte doch, wie ihr ihm dadurch den Baum bezeichnetet.« »Ja, das ist eine sonderbare Geschichte,« lachte der Alte; »doch, Tom, Du hast sie schon wenigstens dreimal gehört,« wandte er sich jetzt, kurz abbrechend, zu dem jüngsten Sohne – »Du kannst indessen immer ein wenig Holz zum Feuer tragen – es sitzt sich behaglicher, wenn es recht hell im Zimmer ist. – Also Harvard und ich gingen vor etwa acht Tagen am Wolfscreek hinauf, und die Hunde waren schon lange einem
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Gang Truthühner, der dort herum den ganzen Wald zerscharrt und zerkratzt hatte, auf der Fährte gewesen, als wir sie plötzlich, nicht so gar weit entfernt, laut werden hörten und nun die Rüden hetzten, die auch bellend und jauchzend den wohlbekannten Tönen zuflogen. Wir folgten, so schnell uns unsere Knochen trugen, und vernahmen bald das Aufflattern der schweren Thiere in die Baumwipfel des Thallandes, wie das freudige Gekläff der sie verfolgenden und bewachenden Hunde. Nichts Anderes erwartend, als sie in den höchsten Bäumen hinter den Stämmen versteckt und an die dicken Aeste angeschmiegt zu finden, wie es so gewöhnlich ihre Art ist, kamen wir mit gehobenen Büchsen heran; Ihr mögt aber über unser Erstaunen urtheilen, als wir, gerade da, wo der Bach bei den zwei umgestürzten Bäumen den Weg durchschneidet, unsern alten Hector, der sonst kaum noch mit den anderen Hunden fortkommen kann, emsig beschäftigt fanden, einen kolossalen Truthahn, den neidisch knurrend drei der jüngeren Hunde umstanden, auf den Weg zu schleppen, damit wir ihn ja nicht verfehlen sollten. Uns Beiden war die Sache unerklärlich, denn äußerst selten fällt es, wie Ihr wohl selber wißt, vor, daß ein Hund selbst ein im Neste sitzendes Huhn überrascht. Wir konnten uns daher auf keine Weise erklären, wie dieses alte steife Thier den großen schönen Hahn, der wohl an zwanzig Pfund wiegen mochte, überlistet oder eingeholt haben konnte, denn daß er ihn eben erst gefangen, war ganz klar, da er sogar noch, als wir zu ihm kamen, mit den Flügeln zuckte. »Nun, sagte Harvard, und nahm ihn am Nacken in die Höhe, wir wollen uns hierüber nicht lange den Kopf zerbrechen; der Truthahn ist da und der Alte hat ihn erwischt – auf welche Art ist gleichgültig; ich will ihn aber indessen hier oder irgendwo aufhängen, daß wir ihn wiederfinden, wenn wir erst aus dem andern Gang noch einen oder zwei herausgeschossen haben. Unser Fleisch zu Hause geht auf die Neige und ich möchte gern ein paar der fetten Burschen mit heim nehmen. – Damit schauten wir Beide aufwärts, um irgendwo nahe bei der Hand zwei dicht nebeneinander stehende kleine Zweige
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zu finden, um den Kopf des Truthahns dazwischen einzuhängen, als wir, kaum zwanzig Fuß vom Boden, auf einer alten verdorrten Platane, die dicht neben uns am Rand des Baches stand, eine wilde Katze erblickten, die ruhig und lauernd, an einen der verdorrten, ziemlich schwachen Aeste angeschmiegt, mit ihren großen, funkelnden Augen wild und zornig auf uns herabsah. Er war jetzt außer allem Zweifel, daß die Katze und nicht der Hund den Truthahn gefangen haben mußte, und schnell hob ich die Büchse, um die tückische Bestie herunterzuholen. Harvard aber hielt mich zurück, und einen Stein aufhebend, sagte er: Laßt mich machen, wenn ich den morschen Ast treffe, auf dem sie sitzt, so muß sie fallen, und unsere Hunde können sich einen Spaß mit ihr machen. »Da ich wußte, daß er ein ausgezeichneter Steinwerfer war, und die Hunde, durch mein rasches Zielen aufmerksam gemacht, heulend den Baum umsprangen, der ihnen ihren grimmigsten Feind vorenthielt, nahm ich meine Büchse wieder herunter und in demselben Augenblick traf auch, von Harvard's sicherer Hand geschleudert, der Stein den Ast, der, überhaupt schon morsch und faul, ganz wie mein Kamerad vorhergesehen hatte, von dem plötzlichen Wurf und dem Zusammenzucken des Thieres herunterbrach. Aber die Katze kam nicht mit, sondern umklammerte noch im Stürzen, und kaum mehr zwei Fuß von den Hunden entfernt, die sie alle schon mit offenem Rachen und atemlosem Schweigen in fieberhafter Aufregung erwarteten, den Stamm, an welchem sie mit Blitzesschnelle in die Höhe lief. Wer beschreibt da unser Erstaunen, als wir, ihr mit den Augen folgend, noch eine zweite gewahrten, die oben, fast in der äußersten Spitze der Platane, kauerte. »Harvard machte nun zwar den Vorschlag, eine Axt von hier zu holen, denn es ist gar nicht weit; ich traute aber den Bestien nicht recht. In Kentucky haben wir einmal eine wilde Katze, die wir ebenfalls durch das Fällen einer Eiche zu erwischen gedachten, über sechs Stunden mit den Hunden gehetzt, ehe wir sie wieder aufbäumen konnten, und mußten sie nachher immer noch schießen. Ich rief ihm also kurz zu, die rechte
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zu nehmen, während ich die linke besorgte, und bei unseren Schüssen, die so zu gleicher Zeit fielen, daß sie hier im Hause nur einen einzigen Knall gehört haben, stürzten die Bestien zwischen die Hunde hinein, die sich nun eine Güte thaten und nicht eher ruhten, bis sie die beiden Thiere in Gott weiß wie viele Stücke zerrissen hatten.« Noch über Vieles plauderten die Männer zusammen und erzählten sich Jagdabenteuer und Anekdoten, bis die einfache Mahlzeit bereitet und der Tisch gedeckt war, wo dann die alte Mrs. Stevenson sie bat: »ihre Stühle herumzurücken und zu essen, was da wäre.« Sie ließen sich auch nicht lange nöthigen; das warme, in kleinen Kuchen gebackene Maisbrod, der saftige gebratene Speck und die dünnen Schnitten Hirschfleisch, mit einem Becher guter Buttermilch hinuntergespült, mundeten vortrefflich, und das allmähliche Verschwinden sämmtlicher Lebensmittel war der beste Lobspruch für der Frauen Kochkunst. Nach dem Essen wurde eine andere Schüssel voll Brod, die unterdessen gebacken war, nebst mehreren Stücken Speck und Hirschfleisch, in einen Sack gesteckt; der junge Stevenson schälte den Mais für ihr Pferdefutter auf den nächsten Tag aus, und der Alte und Greenford sahen nach ihren Büchsen, daß diese auch in guter Ordnung wären und ihnen nicht im entscheidenden Moment einen Streich spielten. »Wir werden wohl ein paar Kugeln gießen müssen,« meinte Greenford endlich, »ich habe nur noch fünf im Ganzen!« »Das sind zwei mehr, als mir, nachdem ich geladen, übrig bleiben,« erwiderte der Alte, »ist aber auch Blei genug zum Umherschleppen. Wenn wir nach neun Schüssen nicht so viel Fleisch haben, als unsere Pferde tragen können, dann dürfen wir immer die Arbeit an den Nagel hängen.« »In meiner Tasche ist auch noch ein halbes Dutzend,« sagte der junge Stevenson, »und ich will zufrieden sein, wenn ich zwei davon verschießen kann.«
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»Jetzt ist's aber Zeit zum Zubettegehen, Kinder,« rief der Alte, »wir müssen morgen früh heraus – habt Ihr denn eine Matratze oder so etwas für Greenford?« »Gebt Euch um mich keine Mühe,« entgegnete dieser, »ich liege hier weich genug, und meine Vorbereitungen sollen bald getroffen sein.« Damit hüllte er sich in seine Decke, schob den Sattel, den er als Kopfkissen benutzen wollte, an's Kamin und bewies bald durch sein ruhiges, regelmäßiges Athemholen, daß er allerdings keines weichen Lagers bedurfte, um sanft und schnell einzuschlummern. Seinem Beispiel folgten die Uebrigen, die sich in ihre Betten – alle in demselben Zimmer – niederlegten, nachdem der jüngere Stevenson die Kohlen im Kamin noch mit Asche bedeckt hatte, um am nächsten Morgen schnell und leicht Feuer machen zu können. Beim ersten Hahnenschrei waren Alle munter, die Pferde wurden gefüttert, eine kleine Mahlzeit schnell eingenommen, und ehe die Sonne die Gipfel der höchsten Bäume vergolden konnte, erreichten die drei Männer, von ihren fröhlich nebenherspringenden Hunden begleitet, den bezeichneten Platz, von welchem ihnen schon die grüßende Stimme Harvards's entgegenschallte. »Brav, Alter! Ihr habt mich nicht lange warten lassen – bin kaum gekommen. – Und den Jungen auch mitgebracht? das ist schön – nun, wir werden überdies nicht lange zu suchen brauchen, bis wir die Bestie einholen, ich habe sie eben am Bache gespürt. Sie ist richtig wieder hinüber, es war Alles, was ich thun konnte, meine Hunde vom Folgen abzuhalten – sie schienen so hitzig wie rother Pfeffer.« Damit ritt er an die Freunde heran und schüttelte ihnen die Hand, während seine Hunde sich knurrend und mit hochgehobenen Schwänzen (um ihre gänzliche Gleichgültigkeit über die Mehrzahl der anderen auszudrücken), aber doch ein wenig mit ihnen wedelnd, da sie die alten Jagdgenossen, in deren Gesellschaft sie schon mancher Fährte gefolgt waren, erkannten, zwischen dieselben hineindrängten. »Ruhig, ihr Hunde – ruhig, Leihk – schäm' dich, altes Vieh – Frieden da zwischen euch!« rief Stevenson und lenkte sein
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Pferd unter sie – es bedurfte aber schon weiter keiner Beruhigung; dem Stolz und Selbstgefühl der ersten Begegnung war genügt, und spielend und kläffend sprangen sie in wenigen Minuten mit einander herum. Ueber den Plan der Jagd hatten sich die Männer bald verständigt, und zu der Stelle zurücktretend, wo Harvard die Fährte an diesem Morgen gefunden, witterten die Hunde kaum die erst vor wenigen Stunden hinterlassene Spur, als sie kläffend und bellend derselben folgten und, bald den Lauf des Baches verlassend, mit den Jägern dicht auf den Fersen, ihren Weg gegen eine Reihe von steilen Hügeln einschlugen, die sich von Norden nach Süden hinabzogen. »Hört nur, Harvard! rief der alte Stevenson, als sie, eine kleine Prairie benutzend, um weniger durch das dichte Unterholz der Waldung aufgehalten zu werden, neben einander hinsprengten, »hört nur, wie Eure beiden Hounds Braken. immer vornweg suchen – es sind mir die liebsten Hunde auf einer Hetze!« »Ja, so lange die Hetze dauert,« entgegnete Harvard, sein Thier etwas mehr an des Alten Seite lenkend, »beginnt aber erst einmal der Kampf, dann lob' ich wir Euren Leihk. – Hol's der Henker, der Hund hat ordentlichen Menschenverstand – er packt die Bestie hinten an den Keulen, und wenn sie sich umdreht und mit der Tatze ausholt, ist er schon drei oder vier Schritt fort, wo er sich hält, bis der Schwarze wieder Fersengeld giebt!« »Nun, Eure Hounds sind doch auch nicht gerade zu bissig, wenn's an den Mann geht!« lachte Stevens. »Zu bissig? Verdamm' die Canaillen! Bei der letzten Hetze rührten sie den Bär, wie er sich stellte, gar nicht an und bekümmerten sich nicht mehr um ihn, als ob er ein abgebranntes Baumende gewesen wäre, ich will mit meiner nächsten Kugel vorbeischießen, wenn sie nicht, wählend sich meine beide jungen Hunde mit ihm auf Tod und Leben mit ihm herumschlugen, eine frische Hirschfährte annahmen und zwei Minu-
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ten später Gott weiß wo waren. Aber, hallo! sie müssen die Fährte verloren haben,« rief er, »es ist ja Alles ruhig.« Die Prairie verlassend und etwas weiter links den Wald wieder betretend, aus dem sie noch vor wenigen Secunden die Stimme der verfolgenden Hunde gehört hatten, erreichten die Männer bald den Platz, wo die Meute, suchend und leise winselnd, in toller Verwirrung hin- und herlief; fast in derselben Minute sprengten auch der junge Stevenson und Greenford auf den Platz. Unstreitig hatte sich hier der Bär eine lange Zeit herumgetrieben und seine Fährten mehrere Male gekreuzt, denn selbst die älteren Hunde waren irre geworden, und Leihk setzte sich endlich, zur Verzweiflung getrieben, nieder und heulte, den Kopf in die Höhe haltend, auf eine jämmerliche Weise. »Schäm' dich, Vieh! schäm' dich!« rief der alte Stevenson ärgerlich, »ist das eine Manier für einen verständigen Hund, die Nase in die Luft zu halten, wenn er sie auf der Erde haben sollte? – Aber, Harvard – was hat das Thier? – seht nur, wie es den Kopf hebt und umherdreht, meiner Seel', Harvard – es windet! Pätz ist doch nicht hier in der Nähe zu Bett gegangen? und dennoch! seht den Hund an! ich wette ein Pfund von Dupont's Schießpulver, daß er den Bär wittert.« »Das wäre ein Hauptspaß, grinste der alte Jäger, sich hoch im Sattel aufrichtend; »bekommen wir einen jumping start Wenn der Bär in seinem Lager von Hunden überrascht und dicht verfolgt wird, was immer eine schnellere Jagd hoffen läßt, als das lange Verfolgen der kalten Fährte. , so haben wir die Bestie in einer Stunde, das ist sicher, und – bei Allem, was da lebt – Leihk wittert etwas; der Hund ist zu klug, die Luft nach gar nichts einzuschnüffeln, überdies hat er den besten Wind.« Leihk schien aber jetzt auch mit sich selber einig zu sein, denn langsam und mit hochgehobenen Pfoten verließ er die übrigen Hunde, und folgte vorsichtig und behutsam einer kleinen Lichtung im Holze, bald links, bald rechts hinüber windend. Die anderen Rüden, schon daran gewöhnt, seiner Leitung zu folgen, umsprangen ihn bald, mit den Nasen auf
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dem Boden, und Harvard's Hounds fanden hier plötzlich die verlorene, so lange vergebens gesuchte Fährte wieder, die sie mit fröhlichem Winseln und Kläffen beibehielten und dem ruhigeren Schweißhund vorauseilten, der jetzt, da er seine Anzeichen bestätigt fand, eben so schnell hinterher stürmte. Dicht auf ihren Fersen hielten sich im raschen Galopp die vier Jäger; aber kaum mochten sie noch eine halbe Meile von da, wo Leihk zuerst den Bären spürte, zurückgelegt haben, als die ersten der Meute ein wildes Geheul ausstießen; gleich darauf sahen die schnell herbeisprengenden Männer die dunkle Gestalt des in seinem Bett überraschten und jetzt flüchtig davoneilenden Feindes in den Büschen verschwinden. Wenn er aber auch in rasender Schnelle durch das Dickicht brach, und zwar mit der Nase auf dem Boden, damit die vielen ihm im Weg liegenden Schlingpflanzen über ihn hinwegglitten; wenn er sich auch mehrere steile Abhänge mit gänzlicher Nichtachtung seiner eigenen Knochen und Gliedmaßen hinabstürzte: zu dicht waren die schnellen Hunde hinter ihm, und kaum zwei Meilen konnte er, nach seinem ersten Aufspringen, durchrast haben, als ihn die nachhetzenden Rüden in einer kleinen Schlucht, überall von steilen Felsen umgeben, stellten. Die vier Jäger waren bis jetzt dicht zusammen geblieben, und der junge Stevenson wollte auch diesmal – als Harvard, dem Getobe der Hunde zu, eine gerade Richtung einschlug – dem erfahrenen Jäger folgen, sein Vater verrannte ihm aber den Weg und brach, ihm ein Zeichen gebend, zu folgen, etwas links ab. Greenford schloß sich den Beiden an. Der alte Stevenson kannte jede Schlucht, jede Bergkuppe im ganzen Walde und zog daher den einige hundert Schritt weiteren, aber zugänglicheren Weg dem näheren vor, um mit den Pferden dicht an die in die Enge getriebene Bestie heranzukommen, da in der geraden Richtung, welche Harvard verfolgte, der Boden zu rauh und steinig war. Dieser fand auch bald, daß er mit dem Pferde unmöglich weiter vorwärts konnte; als er daher auf der Kuppe eines Hügels angekommen war, in dessen Nähe der Kampf zu toben
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schien – denn dicht unter sich hörte er das Bellen und Anschlagen der Hunde –, sprang er aus dem Sattel und lief in vollem Rennen, mit der Büchse in hochgehobener Hand, dem Wahlplatz zu; kaum aber mochte er hundert Schritt zurückgelegt haben, als er sich an einer steilen, mit kleinen lockeren Steinen bedeckten, abschüssigen Bergseite fand, an deren Fuße der Bär mit mächtigen Schlägen die Hunde zurückzutreiben versuchte. Die Gefahr, in der er schwebte, bemerkend, wollte er sich nun im Laufen stemmen, doch die bröcklige Steinmasse gab unter seinen Füßen nach, ein paar dürre Büsche, die er ergriff, brachen von seinem Gewicht, die Büchse entfiel seiner Hand und entlud sich im Stürzen, und mitten in den Knäuel der Kämpfenden hinein rannte oder fiel vielmehr der zum Tode erschreckte Jäger, unter diesen Verhältnissen sein Verderben vor Augen sehend. Was aber sein Unglück zu befördern schien, war seine Rettung, denn das von den Hunden arg bedrängte Thier, welches den Schuß hörte und den scheinbar in grimmiger Wuth und Kampfgier auf sich losstürmenden Feind gewahrte, machte, dieser neuen Gefahr zu entgehen, einen letzten, verzweifelten Versuch zur Flucht und sprang, sich für einen Augenblick den Hunden entreißend, wenige Schritte an der gegenüberliegenden, eben so steilen Felswand hinauf. In demselben Moment fielen zwei Schüsse, der zum Tode Verwundete, dem die eine Kugel das Rückgrat zerschmettert hatte, während die andere sein Herz durchbohrte, hielt wenige Secunden zusammenzuckend in seinem Lauf ein und stürzte dann zwischen die wild aufjubelnde Meute zurück, unter der sich eben mit vieler Mühe, aber außerordentlicher Geschwindigkeit, Harvard hervorgearbeitet hatte. Wenige Minuten darauf war der Bär verendet und keuchend, mit heraushängenden Zungen, lagerten sich die erschöpften Hunde um ihn her, während Leihk die Kugelwunden leckte und sich dann, als ob er wisse, wer das beste Recht auf ihn habe, neben ihn setzte. Jetzt traten auch die beiden Stevensons und Greenford heran und begrüßten lachend den armen Harvard, der mit ernst-
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komischem Gesicht sich die Glieder rieb und an dem Hügel hinauf zurücksah, von dem herab er mit so ganz unfreiwilliger Schnelle und Kühnheit zum Kampf geeilt war. Der junge Stevenson schlug nun zwar vor, das Fleisch aufzuhängen und zu versuchen, ob sie nicht einen zweiten auftreiben könnten. Keiner der Uebrigen stimmte ihm aber bei, denn erstlich behauptete der Alte, daß es ihnen sehr schwer werden würde, eine andere warme Fährte im Umkreise von fünf Meilen aufzufinden und dann trieb auch Greenford nach Hause, denn, wie er versicherte, war's ihm in der letzten halben Stunde gar nicht mehr heimlich im Walde gewesen. Also wurde der Bär geviertheilt und bald darauf trabten die Männer, sich nicht einmal Zeit nehmend, eine Mahlzeit zu kochen, der nicht über fünf Meilen entfernten Wohnung des alten Stevenson wieder zu. Harvard hatte sich schnell über seinen Unfall getröstet und lachte jetzt selbst recht herzlich über die sonderbare Figur, die er gespielt haben mußte, als er so ganz unfreiwillig bergab tobte, was der Alte, der gerade zur rechten Zeit am Eingang der Schlucht angelangt war, um das Ganze übersehen zu können, nicht komisch genug beschreiben konnte. Greenford jedoch war einsilbig und ritt schweigend nebenher. Auf diese Weise hatten sie den größten Theil des Weges zurückgelegt und erreichten eben eine kleine Anhöhe, die kaum noch eine Meile von Stevenson's Haus entfernt war und von der man eine weite Strecke Landes überblicken konnte, als sich der junge Greenford plötzlich hoch im Sattel aufrichtete, mit starker Hand sein Pferd auf die Hinterbeine zurückriß und, während er den Uebrigen mit erhobener Hand zuwinkte, einige Secunden in dieser Stellung verharrte. »Nun, Greenford – was ist Euch? Ihr werdet ja so weiß wie ein Schneeball – was habt Ihr – was stiert Ihr da so gerade vor Euch hinaus?« rief der alte Stevenson. »Hörtet Ihr den Schuß? – seht Ihr den Rauch dort?« frug der junge Jäger mit leiser, kaum hörbarer Stimme, aber zitternden Lippen und krampfhaft zuckender Gestalt.
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»Nun, haben wir denn nicht eben auch geschossen?« wandte Harvard kopfschüttelnd ein, »und der Rauch –« »Ist meine Wohnung,« knirschte Jener, krampfhaft mit der Rechten seine Büchse umklammernd, als wenn er die Eisenfinger in den Lauf pressen wollte; »dort liegt, oder dort lag mein Haus – die Mormonen sind in der Ansiedelung.« Und ohne nur eine Antwort der Gefährten abzuwarten, ergriff er das Fleisch, das über seinen Sattel zu beiden Seiten herunterhing, schleuderte es vom Pferde und diesem die Hacken in die Seite bohrend und mit fester Hand den Zügel ergreifend, sprengte er in so rasendem Galopp den steilen Hügel hinunter, daß die Zurückbleibenden entsetzt ihre Thiere anhielten und in jedem Augenblick fürchteten, des Tollkühnen Hals und Beine im unvermeidlichen Sturze brechen zu sehen. Der erreichte aber glücklich den Fuß des Hügels und war mit Gedankenschnelle im Dickicht verschwunden. Der alte Stevenson hatte jedoch indessen auch nicht müßig da gehalten, und er sowohl als Harvard entledigten sich schnell ihrer Last, die Jim, wie ihm sein Vater mit wenigen Worten zurief, zum Hause nachbringen sollte, während die beiden Männer ebenfalls, zwar etwas vorsichtiger als der junge Greenford, doch auch ohne Zeitverlust dem Vorangeeilten in gerader Richtung, nach des alten Stevenson Wohnung zu, folgten. Jim sah sich nun kaum allein, als er einen Augenblick auf seinem Pferde hielt und die ihm überlassenen Fleischstücke mit prüfenden, überlegenden Blicken betrachtete. Er ging augenscheinlich mit sich selbst zu Rathe, ob er dem Befehle seines Vaters gehorchen oder den Anderen folgen sollte. Da schallte aus dem Thal herauf ein Schuß, und der entschied augenblicklich die Handlung des jungen Hinterwäldlers. Anstatt sein Pferd mit der Jagdbeute zu belasten und langsam nach Hause zu ziehen, erfaßte er ebenfalls das auf der linken Seite seines Thieres hängende Fleisch und warf es mit kräftigem Ruck über die rechte zu dem andern hinab, stieß seinem also erleichterten und freudig aufwiehernden Pferde, das schon unwillig gestampft hatte, als es sich von den übrigen
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verlassen sah, die Hacken ein und sprengte, ganz dem Beispiel des vorausgeeilten Vetters folgend, in wilder Hast der eigenen Wohnung zu. Greenford durchflog indessen in rasender Schnelle die Strecke, die ihn von Stevenson's Hause trennte – ein niederhängender Ast riß ihm seine Mütze vom Kopfe – er achtete es nicht – unter einer Weinrebe dahinsausend, ergriff diese die auf seinem Rücken mit dünnem Bast befestigte Jagddecke – einen leisen Fluch nur stieß er aus und stärker preßte er die Seiten des sich auf das Aeußerste anstrengenden Thieres, das jetzt, als es einen schmalen, nach des alten Mannes Hause hinführenden Fahrweg erreichte, auf diesem dahinbrausend kaum den Boden zu berühren schien. Da schimmerten ihm von ferne die hellen Schindeln des kleinen Hauses entgegen, das sein Liebstes auf dieser Welt in sich faßte, und schon wollte er, da Alles ruhig und friedlich zu sein schien, seinem gepreßten Herzen mit einem fröhlichen »Gott sei Dank!« Luft machen, als er in nicht großer Entfernung – nur seitwärts von der Wohnung – mehrere Schüsse fallen hörte. Zwei Minuten darauf hielt er auch mit dem schnaubenden, zitternden Roß vor der bekannten Thür – aber – allmächtiger Gott! – Verderben und Zerstörung schien überall zu herrschen, und mit stieren, weit aufgerissenen Augen starrte er, selbst keinem Gedankens, keiner Bewegung fähig und das Aergste fürchtend, die sonst so freundliche, jetzt wüst und öde aussehende Wohnung an. Da erschien plötzlich die schlanke, ehrwürdige Gestalt von Anna's Mutter in der Thür und, den jungen Mann erkennend, rief sie aus: »Oh, rettet – rettet meine Tochter!« »Wo?« war das einzige Wort, das der Unglückliche im fürchterlichsten Entsetzen ausstoßen konnte, als wieder ein Schuß fiel und die alte Frau, selbst sprachlos vor innerem Seelenschmerz, nur eine stumme, flehende Bewegung nach jener Gegend zu machen konnte. Keine Silbe erwiderte der Jäger, aber der Rappe fühlte den Sporn und zur Seite gerissen, mit wildem Sprunge einige im Wege liegende Baumstämme überfliegend, trug ihn das durch
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den rasenden Reiter fast zu gleicher Wuth aufgereizte Thier der geraubten Geliebten nach. Der am gestrigen Tage von dem jungen Greenford besiegte Mormone war mit Zorn und Wuth im Herzen hinweggeeilt, fest entschlossen, die ihm widerfahrene Beleidigung fürchterlich zu rächen. Da, noch mit sich selbst berathend, auf welche Art er dies am besten bewerkstelligen könnte, begegnete ihm der Prophet Joe Smith selbst. Dieser kam mit einigen seiner Anhänger aus der schon erwähnten Gesellschaft der Daniten, gerade von einem Gerichtstag des benachbarten Districts, wohin er wegen mehrfach verübter Diebstähle der Seinigen citirt und trotz dem beharrlichen Leugnen seiner Genossen, trotz seinem eigenen Meineid, der vorliegenden kräftigen Beweise wegen mit bedeutender Strafe belegt und überdies bedroht worden war, daß das Gericht seine Eide untersuchen wolle, und ihn, so er es gewagt habe, falsch zu schwören, das Zuchthaus bedrohe. Mit den Zähnen knirschend hörte er den Bericht des gemißhandelten Bruders, der, um seiner Rache gewiß zu sein, Ihm erzählte, wie eine Mehrzahl ihn zu Boden geworfen und geschlagen und dabei drohende, gotteslästerliche Reden gegen ihn, den Propheten selber, wie gegen die heilige Religion, der sie huldigten, ausgestoßen habe. Zitternd vor verhaltener Wuth stand die kräftige Gestalt dieses merkwürdigen Mannes, seine Fäuste ballten sich, seine Zähne knirschten; aber er gewann augenblicklich die ganze ihm so schnell zu Gebote stehende Gewalt über sich selber wieder und mit zum Himmel aufgeschlagenen Augen, mit emporgereckten Armen schien er plötzlich in ein tiefes, brünstiges Gebet versunken, während dessen sich seine Gesichtszüge glätteten und seine Mienen eine fast friedliche, ruhige Heiterkeit annahmen. Zwei Minuten mochte er so gestanden haben, während deren keiner seiner Begleiter ein Wort zu sprechen wagte; da auf einmal überflog ein triumphirendes Lächeln seine dunkeln Züge – seine Augen blitzten – die ganze Gestalt hob sich, und wie von einem Gott begeistert rief er aus:
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»Zum Kampf – zur Rache! Die Hand der Gerechten schmettere Vernichtung nieder auf die Häupter der Gottlosen – der Herr der Heerschaaren wird die Kinder Zions beschützen und seine Heiligen werden Sieger bleiben. Fluch Denen, die den Stamm verachten, den der Herr auserwählt hat, aber siebenmaligen Fluch und fürchterliche Strafe Denen, die ihre Hand an die Lieblinge des Höchsten legen!« In jubelndem Triumphgeschrei stimmten seine Begleiter ein, und in fröhlicher Hast flogen sie auf schnellen Pferden, von dem Propheten abgesandt, zu den benachbarten Glaubensgenossen, um augenblicklich, auf frischer That, die Schuldigen zu strafen und die Ungläubigen zu überführen, wie schnell die Rache der Heiligen einer erlittenen Beleidigung folge. Noch in derselben Nacht versammelten sie sich in einer unbewohnten Hütte an der Straße nach St.-Louis und der Prophet hielt eine Rede voll glühender Begeisterung, in der er sie aufforderte, am wahren Glauben festzuhalten und mit starker Hand die Feinde desselben zu züchtigen. »Fürchtet nicht die Schaaren der Feinde!« rief er unter Anderem, »fürchtet nicht ihre Drohungen, mit denen sie Euch einschüchtern wollen; laßt sie ihre Truppen sammeln – ihre Bajonnette werden stumpf werden, wenn sie die Luft berühren, die uns umgiebt, und ihre Kugeln schmelzen, ehe sie das Rohr verlassen. Glaubt Ihr, Jene könnten den Sieg davontragen, wenn der Herr mit Euch ficht? Glaubt Ihr, die Schaaren der Sünder vermöchten Euch zu unterjochen, wenn die Engel selbst in Euren Reihen kämpfen? Fort zum Sieg, und Rache und Beute lohne Eure That!« Ein wilder Wahnsinn mußte den Geist des tollen Priesters umnachtet haben, der in entsetzlicher Verblendung die Seinigen einem Kampfe mit einer ihnen unzählige Mal überlegenen Macht entgegentrieb. Aber die bisherige grenzenlose, fast unverzeihliche Nachsicht des Staates mit seinem und der Seinigen Treiben – da der Gouverneur sowohl als die Gesetzgebung von Missouri mehr eine religiöse Schwärmerei, als wirkliche Bosheit und Schlechtigkeit in allen Vergehungen
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dieses Frömmlers sah – hatte ihn kühn gemacht und in wildem Trotz, der durch die gemachten bitteren Erfahrungen noch nicht gedemüthigt war, glaubte er mit dem Beistand des Himmels und der Engel, die er für seine festen Bundesgenossen ausgab, »das Reich Zions erweitern« und die »Heiligen des letzten Tages« zu den alleinigen Herren der Erde oder wenigstens für jetzt zu denen Missouris machen zu können. In derselben Stunde nun, da Stevenson, Greenford und Harvard zur Jagd aufbrachen, rüsteten sich diese »Männer der guten Sache«, wie sie sich nannten, um eine vermeinte Beleidigung an Unschuldigen zu rächen, die kaum davon reden gehört, und Schrecken und Verwirrung in eine Ansiedelung zu tragen, in welcher bis jetzt nur Ruhe und Frieden geherrscht hatte. Ihr erster Zug war zu dem Hause Greenford's, weil der gemißhandelte Mormone diesen als den Haupträdelsführer bezeichnete. In aller Stille wurde Feld und Wohnung desselben umzingelt, indem sie den jungen Mann auf seinem Eigenthum zu finden hofften; in ihrer Erwartung aber getäuscht, erbrachen sie das Haus und zündeten es aus Wuth, daß sie nicht einmal etwas des Forttragens Werthes darin gefunden hatten, an, ihren Haß sogar soweit treibend, daß sie Feuer unter die Fenz legten, um auch die Umzäunung seiner Felder zu vernichten und, für dieses Jahr wenigstens, seine Ernte zu zerstören. Von hier aus theilten sie sich, und die größere Hälfte zog nach Stevenson's Wohnung, auf den sie ebenfalls erbittert waren, weil er sich ihren Anmaßungen stets fest und stark entgegengestellt und ihre Drohungen verlacht hatte. Auch diesen nicht zu finden, steigerte ihre Wuth immer mehr; sie brachen, die flehenden Bitten der Weiber nicht beachtend, in sein Haus ein, warfen alles Geräth und Geschirr hinaus, zertrümmerten, was zertrümmert werden konnte, und wollten eben den Feuerbrand auch in diese friedliche Hütte werfen, als sich das junge Mädchen dem Propheten, der in dem Augenblick mit seinem andern Trupp herankam, entgegenwarf und ihn flehentlich bat, nicht das Obdach ihrer alten Eltern zu zerstören.
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Der Bube, durch die Reize der Jungfrau entzündet, befahl seinen Leuten, im Namen des Herrn einzuhalten, legte aber zu gleicher Zeit seine Hand auf die Schulter des zitternden Mädchens, erhob sie mit emporgehobener Rechte in den Rang der »Cyprischen Heiligen«, da sie werth wäre, eine »Kammerschwester der Mildthätigkeit« zu werden, und rief Zweien seiner Helfershelfer zu, sich derselben zu bemächtigen und sie auf ein Pferd zu nehmen. Vergebens sträubte sich das hülflose Wesen und rief wild nach Rettung; vergebens beschwor die alte, von Allen verlassene Frau Fluch und Verderben auf die Häupter der Nichtswürdigen herab. das Mädchen, in der Faust der kräftigen Männer schwach und widerstandsunfähig, ward auf ein Pferd gehoben, auf welches sich hinter sie der Ankläger und die Ursache dieses ganzen Ueberfalls schwang, und fort ging's im scharfen Galopp den eigenen Ansiedelungen zu. Mehrere der Nachbarn hatten sich aber indessen, durch den jüngsten Stevenson aufgerufen, gesammelt und stürmten mit Büchse und Messer dem Ort der Gefahr zu, um die Ruhestörer mit kräftiger Hand zurückzutreiben; doch war die Uebermacht der Mormonen zu groß. Obgleich die kühnen Missourier, mit dem Knaben Tom an der Spitze – der sich in wilder Todesverachtung auf die Buben warf, um seine Schwester zu befreien – ihr Aeußerstes versuchten, obgleich sie mehrere der Feinde verwundeten, wurden sie doch bald zurückgeschlagen und konnten nur zähneknirschend den Siegern nachsehen. So standen die Sachen, als Greenford auf schäumendem Rosse der Spur der sich Zurückziehenden folgte und bald die unter den Hufen ihrer Rosse aufwirbelnde Staubwolke gewahrte. »Oh, nur jetzt halte noch aus!« rief er, in unsäglicher Aufregung den Hals seines wild dahinbrausenden Renners klopfend – »nur noch wenige Minuten halte aus, mein treues Thier, bis ich des Schurken Herz getroffen, der mein Lieb gestohlen, dann magst du mit oder über mir zusammenbrechen; nur bis dahin noch zeige deine alte, so oft erprobte Kraft.« Näher und näher kam er jetzt dem sich in schnellem Trabe fortbewegenden Zuge, schon konnte er die einzelnen Pferde,
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die einzelnen Menschen erkennen, und dort – dort – mitten in der Schaar schimmerte das weiße Kleid des geraubten Mädchens. Einen Schrei der Angst und Freude stieß er aus, und die hochgeschwungene Büchse in der Faust, da er, aus Furcht seine Braut zu treffen, nicht wagen durfte zu schießen, folgte er mit wildem Herausforderungsruf den sich bestürzt nach ihm umschauenden Feinden. Nicht hundert Schritt mehr war Greenford von der Geliebten entfernt, die, ihn erkennend, flehend und Hülfe suchend ihre Arme ausbreitete, noch einmal trieb er mit bewaffneten Hacken das treue Thier zu größerer Anstrengung. Dessen Kräfte aber waren erschöpft, und gerade jetzt, so nahe seinem Ziel, als sich der wilde Reiter im Sattel hob, den Sprung über einen im Wege liegenden umgestürzten ungeheuren Baumstamm zu wagen, stürzte das ermattete Thier und schleuderte im gewaltigen Satz den jungen Mann weit über sich hinweg auf die Straße. Wildes Hohngelächter schallte triumphirend aus der Mitte der Mormonen, als sie den Fall ihres Feindes beobachteten; da erkannte der Bube, welcher die jetzt ohnmächtige Anna vor sich auf dem Pferde trug, den jungen Jäger, der sich mit Mühe unter dem Pferde hervorarbeitete. Die bewußtlose Gestalt des Mädchens in seinen linken Arm lehnend, riß er mit der Rechten eine Pistole aus dem Gürtel und verließ die Schaar der Freunde, das Rachewerk zu vollenden und seinen Feind zu vernichten. Es war aber seine letzte Bewegung; fast in demselben Augenblick durchbohrte eine Kugel den Schulterknochen seines Pferdes, daß es zusammenbrach, als eine zweite sein Hirn zerschmetterte, und mit geschwungenen Büchsen und brennender Kampfbegier in den zornfunkelnden Augen stürzten gleich darauf die drei Jäger aus dem Dickicht auf die Feinde. Diese, der geringen Anzahl Trotz bietend, rüsteten sich, sie zu empfangen, zu gleicher Zeit aber wurden auf dem Wege die früher zurückgeschlagenen und jetzt wieder herbeieilenden Ansiedler sichtbar, und doch nun den Zorn der auf das
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Aeußerste gereizten Missourier fürchtend, wandten sich die Mormonen, von ihrem Propheten dazu aufgefordert, zur Flucht und waren bald – von den Männern nicht weiter verfolgt, die sich um das ohnmächtige Mädchen und den schwer verletzten jungen Mann sammelten – im Dickicht verschwunden. Nur nach und nach erholte sich das arme, zum Tod erschreckte Kind wieder, und die beiden Brüder hoben sie in Harvard's Sattel, der sie sorgsam und vorsichtig zum Hause zurückführte. Auch Greenford, durch den fürchterlichen Sturz an vielen Stellen des Körpers verwundet und an allen Gliedern wie gelähmt, konnte nur mit Mühe auf des jungen Stevenson Pferd nach dessen Hause zurückreiten, wo ihn ein heftiges Fieber Wochen lang an sein Lager fesselte. Das ganze Land war aber jetzt in Aufruhr und Alles griff zu den Waffen, um die Mormonen, die sich übrigens nach diesen Vorfällen eine Zeit lang sehr ruhig verhielten, zu vertreiben oder zu vernichten; doch verhinderten die älteren, besonnenen Männer einen gewaltsamen eigenmächtigen Angriff auf die Stadt der »Heiligen«, der auch vielleicht für die geringe Zahl der Landleute von übeln Folgen hätte sein können. Mehrere Gesandte aber, unter ihnen Harvard, wurden nach St.-Louis geschickt. um sowohl Bericht über den gewaltsamen Einfall und Friedensbruch der Secte abzustatten, als auch den Gouverneur zu ernstlichen Maßregeln gegen diese Schwärmer zu veranlassen, welche die Bewohner von Missouri unter keiner Bedingung länger in ihrer Nähe dulden wollten. Der ganze Staat war über die schändliche Gewaltthat entrüstet, und der Gouverneur sandte endlich, drei Wochen nach dem eben erzählten Vorfall, eine bewaffnete Macht gegen die Ruhestörer, um sie mit Güte oder Gewalt aus dem Staat zu vertreiben und ihnen im indianischen Gebiet einen Platz anzuweisen. Greenford hatte sich indessen wieder vollkommen von den Folgen seines Sturzes wie der damaligen Aufregung erholt und war gerade beschäftigt, mit Hülfe der hinzugerufenen
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Nachbarn sein neues Hans aufzurichten und im nächsten Monat Hochzeit und Einzug zu halten, als die kriegerische Musik der sich nähernden Truppen an ihr Ohr schlug und Alle, Haus und Aexte im Stich lassend, den lang' ersehnten Lauten entgegeneilten. Herzlich wurden die Soldaten von den Ansiedlern begrüßt und in jeder Hütte Vorbereitungen getroffen, nicht allein den Willkommenen so viel Bequemlichkeiten, als ihnen ihre Lage erlaubte, zu bieten, sondern auch den Zug am nächsten Tag zu begleiten und die Militärmacht, im Fall die Mormonen ernstlichen Widerstand wagen sollten, mit kräftiger Hand zu unterstützen. In Stevenson's Hause waren die jungen Leute emsig mit Kugelgießen beschäftigt, während die Frauen buken und brieten. »Ich wollte aber doch, Ihr ginget endlich einmal mit Euren Löffeln und Zangen fort und ließet uns ungestört am Feuer,« zürnte zuletzt die alte Frau; »es ist ja doch meiner Seel', als ob Ihr Euch auf einen jährigen Kriegszug rüstetet. Greenford, Ihr müßt schon über fünfzig Kugeln gegossen haben!« »Eben die dreiundsiebzigste, Mutter,« lachte der junge Mann; »ich höre aber jetzt auf, all' mein Blei ist verbraucht.« »Wozu nur diese entsetzliche Menge Kugeln? es kommt doch nicht zum Fechten!« entgegnete Anna, obgleich sie ihren eigenen Worten nicht recht traute und besorgt dem Geliebten in's Auge sah. »Wer weiß!« rief Greenford dagegen, mit vor Kampflust funkelnden Augen; » mir wär's zum Beispiel wahrhaftig kein Gefallen, wenn die Mormonen ohne Weiteres –« »Greenford!« bat flehend das Mädchen, »hast Du mir nicht versprochen –?« »Nun ja, Anna,« sagte der junge Jäger, ihr gutmüthig lächelnd die Hand reichend, »ich weiß ja wohl – soll ich aber etwa den Buben nicht zürnen, die Dich mir entführen wollten?« »Hat denn jenen Mann nicht schon die fürchterlichste Strafe erreicht? verscharrtet Ihr nicht seinen blutigen Leichnam im Walde?« fragte bebend die Jungfrau.
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»Ja, ja,« rief Greenford, »es war ein verdammt guter Schuß von Harvard – und kam sehr zur rechten Zeit – nun, Anna – ich hege auch keinen Groll weiter gegen die Schurken – aber« – fuhr er, die Kugeln in seine Ledertasche schüttend, fort, »aber –« »Du möchtest doch gern das Blei nach ihren Köpfen verschießen, nicht wahr, Junge?« lachte der alte Stevenson dazwischen, »nun, laß es gut sein, Anna, wir werden keinen unnützen Streit und Kampf suchen, das versprech' ich Dir, aber fort müssen die Ruhestörer, denn so lange sie im Land leben, wird kein Friede. Diese Daniten rauben und plündern auf eine wirklich schauderhaft freche Weise, und das »Waarenhaus des Herrn«, das sie in Far West errichtet haben, birgt einen wahren Schatz gestohlener Gegenstände. Doch auch ohne den Namen Dan's sind diese Frömmler eine Pest, sowohl für unsere constitutionellen Gerechtsame, als auch für die Ruhe und den Frieden unserer Familien. Wir haben schon genug des religiösen Unsinns hier mit Methodisten, Quäkern, Baptisten und wie sie alle heißen mögen – also fort mit diesen Frömmlern, die das Wort Gottes auf der Zunge und Gift und Zwietracht im Herzen tragen.« Im »Lager der Heiligen« herrschte indessen Angst und Verwirrung, denn keineswegs waren ihnen die kriegerischen Vorbereitungen ihrer gekränkten Nachbarn unbekannt geblieben, und ausgesandte Kundschafter kehrten mit der nichts weniger als ermutigenden Nachricht zurück, daß eine große Truppenzahl in die Ansiedelungen, und zwar, wie es schien, mit feindseligen Absichten, eingerückt wäre. Zum ersten Mal wieder, seit sie sich in diesem abgelegenen Landstrich niedergelassen hatten, schien den Verblendeten die Möglichkeit vor Augen zu treten, von den Ungläubigen und Gottlosen besiegt und vertrieben zu werden, und Angst und Verzweiflung trat an die Stelle des sonstigen stolzen Trotzes; da schritt der »Prophet« unter sie, und ihren Kleinmuth bemerkend, warf er ihnen mit Donnerworten ihren Unglauben, ihre Wankelmüthigkeit vor.
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»In unzähligen Beweisen hat Euch der Herr seine Gnade und seinen Schutz kund gethan,« schloß er endlich seine begeisterte Rede, »sein heiliges Waarenhaus ist gefüllt! Ihr habt Eure Feinde gezüchtigt und geht jetzt einem neuen, dem letzten Siege entgegen, denn in stiller Nacht ward mir die Kunde, daß morgen die heiligen Schaaren uns mit ihren himmlischen Waffen zu Hülfe eilen und den Feind schlagen werden. – Dann aber hält keine enge Grenze mehr die Glieder unseres Glaubens zusammen, dann umschließt kein fremdes, unheiliges Gesetz mit drohenden, höhnischen Worten unsere Städte – frei und unbegrenzt fliegen unsere Prediger in die Welt hinaus, und das All soll Euch, als den Glaubensrettern der einzig wahren Religion, huldigen.« Mit tausend Fragen wurde der Prophet jetzt von den Seinigen bestürmt, um etwas Näheres über die Erscheinung der Engel und die so sehr nöthige Hülfe von Oben zu erfahren; dieser verwies sie jedoch auf die in seiner Verwahrung befindlichen, mit heiligen Hieroglyphen beschriebenen Platten, welche er unter dem Beistand und der Anleitung des Höchsten übersetzt und dadurch das Schicksal seines Volkes vorausgesehen habe. Für den nächsten entscheidenden Tag aber befahl er ihnen einzig und allein, eine Brustwehr von zolldicken Planken um das Lager her aufzuschlagen. »Von zolldicken Planken?« entgegnete Einer aus dem Stamm der Daniten verwundert; »aber, Herr, das wäre ja kaum ein Schutz gegen den Pfeil eines Indianers, wie soll er die Kugeln der Feinde abhalten?« »Ungläubiger,« zürnte der Prophet, »bekehre Dich und baue auf den Höchsten – die Wunder von Jericho werden sich wiederholen – das Heer der Engel wird unsere Schaar umschweben, und im Harnisch der Gerechtigkeit liegt allein unsere Stärke! Bedürfen die Krieger des himmlischen Königreichs eines kräftigeren Schutzes? Glaube, durch Glauben erschuf der Herr das Weltall, und durch Glauben werden wir siegen.« Seinen Befehlen wurde gehorcht; Alles, was eine Axt oder einen Hammer schwingen konnte, legte Hand an's Werk, und
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in zauberhafter Schnelle stieg eine vier Fuß hohe Brustwehr empor, die das »Lager der Heiligen« von allen Seiten umzog. Dicht daneben erhob sich das große, backsteinerne Gebäude, das größtenteils zum Waarenhaus des Herrn bestimmt war, aber auch zu gleicher Zeit mehrere Gemächer für die »Kammerschwestern der Mildthätigkeit« und die »Klosterheiligen« enthielt, während sich die »Cyprischen Heiligen« – drei verschiedene Frauenorden, größtenteils nur darum errichtet, um eine schändliche Unsittlichkeit zu heiligen – in einem andern Gebäude befanden. In diesem Hause wurde der sogenannte »Schatz des Höchsten« bewahrt, der in all' den Gütern und Waaren bestand, welche die Daniten sich heimlich oder öffentlich zueignen konnten, und nicht Unrecht hatte der alte Stevenson, wenn er behauptete, daß Raub und Plünderung in fast unglaublich schneller Zeit diese Räume mit allen nur erdenkbaren Gegenständen, werthvoll oder gering, gefüllt hatte. Wie sich aber am andern Morgen der Himmel im Osten röthete und die goldene Scheibe endlich langsam und glühend am klaren, wolkenlosen Firmament emporstieg, versammelten sich die »Krieger der heiligen Sache« in ihrem von den dünnen Planken umgebenen Lager, und erwarteten unter Gebeten und ermutigenden Reden des Propheten das Nahen der Feinde. Da rasselte in der Ferne ein kurzer, herausfordernder Trommelschlag, und Trompeten und Hörner schmetterten den wilden Kriegsruf darein, so daß selbst die, jetzt mit wirklicher Inbrunst die Engel herabflehenden Mormonen einen Augenblick ihre Gesänge und Gebete verstummen ließen und in athemlosem Schweigen den drohenden Tönen lauschten. Das feste, freudige Vertrauen aber, das ihr Führer und Prophet bewies, die unerschütterliche Sicherheit, mit der er das baldige Nahen der himmlischen Hülfstruppen verkündete, und der klare, fast triumphirende Blick, mit welchem er die Seinigen überschaute, gab auch diesen größtenteils das alte Gefühl der Sicherheit und der frohen Hoffnung zurück. Näher und näher kam indessen die kriegerische Musik der heranrückenden Schaaren, und aus dem Wald heraustretend,
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beleuchtete die Morgensonne die blitzenden Bajonnette der Soldaten, hinter denen, auf ihren kleinen, rauhhaarigen, indianischen Ponies, Hunderte von dunkeln, in Jagdhemden und Leggins gekleidete Gestalten sichtbar wurden, die, die Büchsen auf den Schultern, die Messer an der Seite, wild und zornig nach den verschanzten Feinden hinüberblickten, in ein lautes Gelächter aber ausbrachen, als sie der dünnen Bretterwand ansichtig wurden, welche die Vorsorge des Propheten zum Schutz der Seinigen errichtet hatte. Der Offizier der Schaar jedoch, eine kräftige, schlanke Gestalt, band als Zeichen der friedlichen Annäherung ein weißes Tuch an einen Zweig und ritt, von zwei Soldaten begleitet, an die Brustwehr heran, um den Mormonen das über sie ausgesprochene Urtheil: die Anführer auszuliefern, augenblicklich und ohne die geringste Gegenwehr den Staat zu verlassen und sich nach den indianischen Gebieten zu verfügen – kund zu thun und sie aufzufordern, die Waffen zu strecken. Voll Trotz und Hohn war aber die Antwort von des Propheten Lippen, und drohend warnte er den jungen Soldaten vor den schrecklichen Folgen, die es für ihn und die Seinigen haben müsse, wenn er wagen wolle, Hand an auch nur den Geringsten der Auserwählten des Herrn zu legen. Der Officier zuckte die Achseln und wandte sich, um mit bewaffneter Hand die Befolgung seiner Befehle zu erzwingen; noch einmal aber kehrte er mitleidig zu den Verblendeten zurück, machte sie auf ihre vertheidigungslose Lage aufmerksam und beschwor sie, ihr Leben nicht aus Trotz und Eigensinn zu opfern, sondern der Uebermacht zu weichen und ihn nicht zu Maßregeln zu zwingen, deren Erfüllung seinem Herzen wehe thun müßte. Verächtlich wies ihn der Prophet zurück und verkündete, zum Himmel emporzeigend, die nahe Ankunft der Beschützer und Rächer. Mitleiden mit der grenzenlosen Verstocktheit dieses Schwärmers bewegte die Brust des jungen Soldaten, als er langsam den Seinigen wieder zu ritt, und noch immer konnte er sich nicht entschließen, den Befehl zum Angriff zu geben, so lange ihm die Hoffnung blieb, ohne Blutvergießen seine Sendung zu erfüllen. Durch den Mund eines ehrwürdi-
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gen alten Mannes wurden daher auf's Neue gütige Vorstellungen versucht, es blieb aber vergebens; die Mormonen, durch die Nachsicht der Feinde, die sie für Furcht hielten, ermuthigt, stimmten jubelnde, herausfordernde Siegeslieder an, und der Officier sah sich genöthigt, den Verblendeten zu zeigen, daß er im Stande sei, sich mit kräftiger Hand Gehorsam zu erzwingen. Die Trommeln wirbelten, die Trompeten schmetterten und an beiden Seiten schlossen sich jetzt die Jäger und Landleute dem in dichten Colonnen vorrückenden Centrum an. Immer noch war kein Schuß gefallen, und etwa fünfzig Schritt vor der Verschanzung commandirte der Führer wiederum Halt, um den Feinden die letzte Gelegenheit zu verstatten, die milden ihnen vorgeschriebenen Bedingungen anzunehmen. Joe Smith beharrte aber in seinem festen, unerschütterlichen Trotz, wozu er selber auch wohl die gegründetste Ursache hatte, da der Staat seine Auslieferung besonders verlangte; doch war der Glaube der Heiligen, selbst der Daniten, schon bedeutend durch das schnelle Heranrücken der Truppen wankend geworden, da sie sich vergebens an dem klaren, reinen Himmel nach einer Gewitterwolke umgeschaut hatten, die Tod und Verderben in die Reihen der Feinde schleudern oder wenigstens in ihrer Umhüllung die versprochene und verheißene »Englische Verstärkung« mit sich führen sollte. Still und ruhig blieb die Natur, und kein Lüftchen regte sich, das dem Rauschen eines Engelflügels hätte gleichen können. In diesem kritischen Moment, wo die Mormonen, auf der einen Seite von ihrem Führer angefeuert, auf der andern von den glänzenden Bajonnetten und den keineswegs freundlichen Gesichtern und Blicken der Ansiedler bedroht, zwischen Ergebung und Widerstand schwankten, näherte sich, mit einer Spitzhacke in der Hand, der alte Stevenson, der den rechten Flügel anführte, dem backsteinernen Waarenhaus und rief lachend seinen Söhnen und dem jungen Greenford zu, heranzukommen und ihm zu helfen.
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»Hol's der Henker!« rief er fröhlich, indem er die aufgefundene Hacke in der Hand schwang, »die guten Leute reden da drüben so viel hin und her, daß Einem ordentlich die Zeit lang währt. – Kommt, Jungens, wir wollen uns indessen die Zeit vertreiben und die Wände hier einhacken – nieder mit dem Nest! Ich habe so eine Ahnung, daß Mancher da drinnen alte, bekannte Sachen wiederfinden wird!« Mit diesen Worten näherte er sich dem Gebäude und war eben, weit ausholend, im Begriff, den ersten Schlag zu führen, als plötzlich auf dem flachen Dach eine weiße, verschleierte, von fliegende Gewändern umhüllte Gestalt emportauchte, drohend die Arme gegen den Greis ausstreckte, der in stummer Verwunderung die Hacke sinken ließ, und mit hohler Stimme rief: »Halt ein, Unglücklicher! Die Hand, die sich gegen dieses Haus des Herrn erhebt, wird verdorren, ehe der Schlag geführt ist – also spricht der Höchste durch meinen Mund und also hat es sein heiliger Prophet verkündet.« Eine abergläubische Scheu durchschauerte die Herzen der Umstehenden und selbst Greenford blickte wild und unruhig im Kreise umher; der alte Stevenson war jedoch der Erste, der sich wieder sammelte und, um die Gestalt besser betrachten zu können, einige Schritte zurücktrat, während Mormonen sowohl als Soldaten für den Augenblick ihre gegenseitige Stellung zu vergessen schienen und den Ausgang der Scene erwarteten, die, wie sie wohl fühlten, für beide Theile entscheidend sein mußte. Stevenson, zwischen Gefahren aufgewachsen und nicht gesonnen, sich jetzt durch ein verschleiertes Frauenzimmer schrecken zu lassen, übersah schnellen Blicks die Lage der Dinge; die Spitzhacke aber mit der linken Hand ergreifend, denn so ganz traute er dem Frieden doch nicht, rief er fröhlich der verhüllten Gestalt zu: »Sieh hier, mein gutes Mädchen, ich will gerade nicht sagen, daß Du gelogen hast – die Sache kommt mir aber etwas unwahrscheinlich vor; ich bin übrigens ein alter Mann und werde meine Gliedmaßen so nicht mehr lange gebrauchen
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können, daher will ich den einen, den linken Arm einmal dranwagen, also – mit Gott!« Und bei dem letzten Ausruf das Werkzeug in der Linken um seinen Kopf schwingend, hieb er mit kräftig geführtem Schlag auf die Ecke des Gebäudes, daß der zerbröckelte Backstein weit umherspritzte. »Hallo!« rief er jetzt einhaltend und seine Hand mit anscheinender Verwunderung betrachtend – »sie lebt noch? Ei, da nehmen wir's doppelt;« und mit beiden Händen die schwere Hacke rasch emporhebend, schlug er, unter dem rauschenden Beifallsjubel der Seinigen, mit kräftiger Gewandtheit auf den weichen, wenig widerstehenden Backstein ein. Die heilige Schwester war gleich nach dem ersten, mit glücklichem Erfolg geführten Streich verschwunden, und mit wildem Jauchzen stürzte sich jetzt der größte Theil der Ansiedler, Alles als Werkzeug benutzend, was ihnen unter die Hände kam, auf das verhaßte Gebäude, dessen Mauern eingeschlagen und die Güter herausgeschleppt wurden. Nur die Soldaten standen still und finster unter den Waffen und schauten dem Treiben des Landvolkes zu, das, Büchsen und Messer bei Seite werfend, als ob ihnen von Seiten der Feinde auch nicht die geringste Gefahr drohen könne, wirklich in diesem Augenblick nur daran zu denken schien, das Gebäude so rasch als möglich der Oeffentlichkeit preis zu geben und die darin von den Feinden aufgespeicherten Waaren zu Tag zu fördern. Es dauerte auch gar nicht lange, so kamen sie, wie beim Ausgraben eines Hamsterbaues, auf die eingeschleppten und aufgespeicherten Güter und ein förmlicher Jubel brach unter dem Volk aus, als sie hier eine Masse Gegenstände zu sehen bekamen, die sie kannten und deren rechtmäßige Eigenthümer sie anzugeben wußten. Als die Mormonen nun die Zerstörung ihres Waarenhauses sahen, ohne daß eine himmlische Einmischung, die, ihrer Ansicht nach, doch hier sehr am Platze gewesen wäre, erfolgte, streckten sie die Waffen und übergaben die Anführer den Händen des Militärs. Nun hatte zwar der Staat die Absicht, diese unruhigen Köpfe in die Nähe gleicher Genossen, der
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Indianer, zu schaffen, doch beschlossen die Mormonen einstimmig, wieder über den Mississippi zurück nach Quincy in Illinois auszuwandern, da ihnen, wie sie behaupteten, von jener Gegend Schutz und freundliche Aufnahme zugesichert worden wäre. Den Missouriern war ihr künftiger Aufenthaltsort ziemlich gleichgültig, wenn sie nur von ihnen befreit wurden, und sie überließen es den Einwohnern von Illinois, mit ihren neuen Nachbarn fertig zu werden. Joe Smith wurde mit den übrigen Anführern nach St.-Louis geführt, entwischte aber bald darauf aus seiner Haft und schloß sich den Seinigen wieder an; später aber anderer Vergehungen wegen auf's Neue vor Gericht gefordert und eingekerkert, sollte ihn hier ein weit traurigeres Loos treffen, als der Staat wohl je über ihn verhängt haben würde. Ein wilder Haufe gesetzloser Amerikaner stürmte das Gefängniß und ermordete den Priester und Heiligen der Mormonen und der Stamm wanderte später aus, um über den Felsengebirgen drüben eine neue Heimath zu suchen – und zu finden. Dort haben sie sich am großen Salzsee, unfern der Sierra Nevada, niedergelassen, aber von dem starren Führer befreit, der oft den blinden Fanatismus der Schaar zum Bösen gelenkt zu haben scheint – auch dort in der Wildniß der Versuchung enthoben, zum Besten der Heiligen ihre Nachbarn mehr als »Werkzeuge«, denn als irgend etwas Anderes anzusehen – haben sie jetzt einen förmlichen Staat gegründet und blühen und wachsen. Aber es ist vorauszusehen, daß die Vereinigten Staaten nicht Jahre lang mehr eine Gesellschaft dulden werden, die einen Staat im Staat bildet. – Außerdem wird in der Union Bigamie mit Zuchthaus bestraft, und das gerade, was den Mormonen einen solchen Zufluß an Mitgliedern zugeführt hat, ist die fast unbeschränkte Vielweiberei der »Heiligen«.
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Die Wolfsglocke In den Washita-Bergen Nordamerikas liegt der Schauplatz, auf den ich den Leser führen will. Dort in den wilden Tälern jener reizenden Hügelketten existiert noch der richtige Backwoodsman; schlicht und ehrlich, rauh und derb, aufopfernd in seiner Freundschaft, aber gefährlich in seinem Haß, und sein Leben großenteils von der Jagd, etwas vom Ackerbau und meist von der Viehzucht abhängig machend. Die letztere wird ihm besonders durch das milde Klima jener Gegend, durch die grasreichen Hügel, durch die noch hier und da mit dichten Schilfbrüchen gefüllten Täler erleichtert, und wenig Mühe ist es, die ihn die Zucht einer oft nicht unbeträchtlichen Herde kostet. Dann und wann eine Handvoll Salz nahe bei seiner Hütte hingeworfen, eine häufige und regelmäßige Wanderung von einem der kleinen zerstreuten Trupps zum anderen, daß sie den Anblick des Menschen gewohnt blieben und nicht wild wurden - und der Sorgfalt, die er möglicherweise darauf verwenden konnte, war vollkommen Genüge geleistet. Einen Feind aber hatte er, den er, so oft er ihm auch nachstellte und ihn mit Büchse und Falle unermüdlich verfolgte und zu vernichten strebte, doch nicht bewältigen konnte, einen Feind, der nachts in heulenden Scharen die ängstlich blökende Herde umschlich und manch kräftiges Kalb, ja sogar manch einzeln abschweifende Kuh - und wieviel Ferkel und junge Schweine! - überfiel, erwürgte und verzehrte - dieser listige, blutgierige und erbarmungslose Feind war der Wolf. Durfte man es dem Backwoodsman verargen, wenn er seine ganze List und Jagdkenntnis anwandte, um solch schlauem und gefräßigem Dieb beizukommen? Aber so eifrig er auch auf der Lauer lag, so manche Nacht er, Moskitos und Holzböcken zum Trotz, in den Ästen irgendeiner knorrigen Eiche eingeklemmt hing und beim matten Mondlicht den scheuen Räuber durch angeschlepptes Aas herbeizulocken und zu belauern gedachte, so selten war er imstande, der höchst umsichtigen Bestie die tödliche Kugel in den Pelz zu schicken.
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Die Zahl der Raubtiere mehrte sich, trotz der unermüdlichen Nachstellungen, von Jahr zu Jahr, und im Verhältnis dazu wurden die Herden gelichtet, so daß wirklich etwas Ernstes geschehen mußte, wenn sich die Viehzüchter nicht genötigt sehen sollten, ihre Weidegründe, nur allein dieser Plage wegen, aufzugeben. - Und ein Hinterwäldler einem Wolf das Feld räumen? - Ei, Klapperschlangen und Poppkorn! Das wäre ja wahrhaftig eine Schmach und Schande für sein ganzes Leben gewesen. Daß unter solchen Umständen derjenige, der die meiste Geschicklichkeit auf der Jagd bewies, auch der geachtetste der Jäger war, versteht sich wohl von selbst, und so geschah es auch, daß sich Benjamin Holik, der erst seit kurzer Zeit aus Missouri heruntergekommen war, in kaum einem halben Jahr, wo er allein mit seiner Büchse siebzehn der Bestien erlegt hatte, den Ehrennamen ›Wolfs-Ben‹ verdient hatte und bald für den besten Wolfsjäger im ganzen Revier galt. Wolfs-Ben war auch noch außerdem ein gar stattlicher und wackerer Bursche. Gut seine sechs Fuß hoch, mit wahrhaft riesigen Schultern und Armen und einer Kraft, der es keiner der doch sonst gewiß nicht schüchternen Hinterwäldler gewagt hätte, im Einzelkampf zu begegnen, zeigte er sich sonst in seinem ganzen Wesen als der gutmütigste, verträglichste und gefälligste Freund. - Mit einem guten Wort ließ sich von ihm alles erlangen, die vorletzte Ladung Pulver gab er her und den letzten Bissen, den er in seine Decke gewickelt bei sich trug; dabei war er der trefflichste Gesellschafter, wußte Unmassen der abenteuerlichsten Geschichten zu erzählen, half, wo er einmal irgendwo übernachtet, mit unermüdlichem Fleiß Feuerholz schlagen und zum Haus schaffen, den Mais in der Stahlmühle mahlen, die Tiere versorgen usw., und hatte sich dadurch, sowohl wie durch sein männlich schönes Äußeres, die Herzen sämtlicher Frauen der Ansiedlung dermaßen gewonnen, daß er die übrigen jungen Burschen wahrhaftig zur Verzweiflung brachte und schon anfing, trotzdem daß er noch keinem auch nur eines Strohhalms Hindernis in den Weg gelegt, recht tüchtige Feinde unter ihnen zu zählen.
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So still und ruhig aber Ben dabei seinen Weg ging und anscheinend harmlos in den Tag hineinlebte, so hatte er doch auch die Augen weit genug offen und wußte selber am besten, unter welchem Dach er am liebsten schlief, in welche Augen er am unermüdlichsten schauen konnte, und wo ihn - nicht das freundlichste Gesicht, denn die Mädchengesichter bewillkommten ihn alle freundlich - wohl aber das süßeste Erröten begrüßte, daß ihm bis jetzt noch stets das Blut in rasender Schnelle durch die Adern gejagt. Doch ich will dem Leser keine langen Rätsel aufgeben, die er jedenfalls schon eine Weile vorher erraten hätte. Benjamin Holik liebte - wie nur seine treue, einfache Seele lieben konnte - so recht aus Herzensgrunde Robert Suttons liebliches und einziges Töchterlein, und die einzige und alleinige Sorge, die ihn dabei quälte, war, daß Sutton, der die größte Farm und Baumwollplantage unten am Washita und Red River besaß und im Sommer hier nur eigentlich seiner Herden und seiner Gesundheit wegen in die Berge zog, für einen sehr reichen und - was noch schlimmer war - geizigen Mann galt, und er armer Teufel! - weiter nichts auf der weiten Welt besaß als seine Büchse, sein Messer und seinen Körper. Sein braves, ehrliches und treues Herz schlug er dabei gar nicht an, und doch war das die kostbarste Perle, die in ihrer Umhüllung nur wie in einer weit minder wertvollen Schale saß. Ben hatte aber schon oft und lange und nicht selten mit recht trüben Sinnen darüber nachgedacht, wie er es eigentlich anfangen sollte, um etwas Geld zu verdienen und einen kleinen ›Start‹ wenigstens zu haben, mit dem er beginnen könne denn sich um Arbeit auszudingen und langsam und mühsam Dollar nach Dollar in schwerer Tages- und Monatsarbeit zu verdienen, das schien ihm ein viel zu langer und weitläufiger Weg und hätte ihn seinem Ziel auch wohl nun und nimmermehr entgegengeführt. Und doch war es nötig, denn er wäre nicht der erste Freier gewesen, dem der alte Sutton, seiner ärmlichen Verhältnisse wegen, einen Stuhl vor die Tür gesetzt. Und wo zeigte sich ihm in dem einfachen, ruhig dahinfließen-
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den Waldleben eine Gelegenheit, so einmal mit raschem Schlag das Glück beim Schopf zu erfassen - und zu halten? Er wurde immer nachdenklicher und schwermütiger, mied die geselligen Wohnungen der Ansiedlung, trieb sich Tag und Nacht draußen im Wald herum und hatte als einzigen Gewinn die Skalpe der erbeuteten Wölfe, die ihm der Staat allerdings mit drei Dollar Prämie per Stück vergütete, die aber immer noch zu keiner Summe anwachsen wollten, um auch nur einigermaßen seine Ansprüche auf der holden Betsy Hand zu begründen. In dieser Zeit etwa war es, daß der alte Sutton einmal einen kleinen Abstecher nach Texas gemacht und dort von ebenso abgeschieden wohnenden Viehzüchtern ein Mittel gehört hatte, um die Wölfe aus einer Gegend, in die sie sich gezogen und wo sie überhandgenommen hätten, vollkommen zu vertreiben. Dies bestand einfach darin, daß sie vorher einen Wolf lebendig fingen, ihm dann eine Glocke wie einem Pferd um den Hals schnallten und ihn - ruhig wieder laufenließen. Der Wolf kehrte hiernach natürlich, so rasch er konnte, zu seinem Rudel zurück; dort aber hörten sie kaum die fremdartige Schelle, als sie auch scheu vor dem früheren Kameraden die Flucht ergriffen und in wilder Eile einem so unheimlichen Gegenstand zu entkommen suchten. In jedes Versteck, das sie annehmen, folgt ihnen nun der beglockte Wolf, dem es mit dem unbequemen Riemen um den Hals und dem ewigen Gebimmel unter seiner Kehle selber unheimlich wird, wenn er sich allein sieht. Er glaubt Schutz unter den Brüdern zu finden, schüttelt sich, wälzt sich, springt, schwimmt, kurz, tut alles Mögliche, um seine Qual loszuwerden, und ist besonders darüber aufs äußerste empört, daß er nicht mehr wie früher so leise und geräuschlos seine Beute beschleichen kann, sondern sich jedesmal selbst gleich durch lauten Glockenklang verraten muß, und flieht nun, hat er das eine Rudel förmlich verjagt, zu einem anderen, treibt auch dieses aus den Bergen, die er sich selber bis dahin zum Wohnort gewählt, und sieht sich endlich - was er aber auch nur im äußersten Fall und erst dann tut,
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wenn er wirklich ganz allein zurückgeblieben ist - genötigt, selbst einen anderen Jagdgrund zu suchen, da auch die Herden sich bald den Ton der Glocke merken und nicht selten in fest geschlossener Phalanx den nächsten Ansiedlungen zustürmen, sobald sie den klingenden Feind nur nahen hören. Der Versuch mußte auch am Washita gemacht werden; Sutton kehrte rasch dorthin zurück, beriet sich mit sämtlichen benachbarten Farmern und kam mit ihnen dahin überein, daß sie eine Prämie von zwanzig Dollar darauf setzen wollten, einen Wolf lebendig überliefert zu bekommen, so daß sie ihm selber die Glocke umschnallen und ihn dann wieder ins Freie hinauslassen konnten. Der Preis ließ sich aber gut setzen! Die Wölfe waren schlauer als die Jäger, und wenn besonders Ben auch manchen Skalp einbrachte, so schien es doch selbst ihm unmöglich zu sein, einen der schlauen Schurken wirklich unbeschädigt und lebendig zu erhaschen, denn die Fallen, die er stellte, blieben leer, und in den Fallgruben, die er auswarf, fingen sich nur der Nachbarn Rinder und Schweine. Da es ihm nicht gelang, waren die übrigen Jäger noch weit weniger dazu imstande, und der auf einen lebendig eingebrachten Wolf gesetzte Preis stieg endlich, da die Farmer jetzt auch hitzig wurden und den Versuch unter jeder Bedingung, und zwar sobald als möglich, zu machen wünschten, bis zu der für den Wald ungemein hohen Summe von zweihundert Dollar empor. Das war ein Sporn für unseren Benjamin. Zweihundert Dollar, alle Wetter, damit konnte er sich eine vollkommen eingerichtete kleine Farm mit einem mäßigen Rinder- und Schweineanfang kaufen - und Betsy - ei, wer weiß, ob sich der Alte nicht dann doch noch überreden ließ, wenn er nur erst einmal den schwarzen Burschen einbringen und überliefern konnte! Zeit durfte er übrigens dabei auch nicht im geringsten verlieren, denn der Preis hatte natürlich alle Jäger der ganzen Umgegend auf die Füße gebracht, und überall im Wald hallten die Axtschläge der Männer wider, die sich kleine Baumstämme fällten, um damit die einzig mögliche Art von Fallen
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zu errichten, die man dort kannte, um eine solch wilde Bestie wirklich unbeschädigt zu fangen. Stahlfallen durften nämlich nicht angewandt werden, da diese jedenfalls den erfaßten Lauf verwundet, vielleicht gar zerschmettert hätten und die Prämie nur ausdrücklich für ganz gesunde Wölfe garantiert wurde. In dieser Zeit etwa war ein Besuch in die Hügel gekommen, der unseren armen Benjamin Holik bald auf das Bösartigste beunruhigen - ja, was noch schlimmer war - ihm wirklich gefährlich werden sollte. Es war dies niemand anderes als ein sogenannter ›Vetter‹ von Sutton, ein ›Städter‹ mit blauem Tuchfrack, blanken Knöpfen und ›Strippen‹ an den Hosen. Jesus, wie die Kinder lachten, wenn er irgendwo in ein Haus kam und sich niedersetzte; wie sie sich dann mit den schmutzigen Gesichtern zusammendrückten, miteinander flüsterten, dann einen scheuen Seitenblick nach den ›Strippen‹ warfen, plötzlich in ein lautes, mit aller Mühe nicht zu unterdrückendes Gelächter ausbrachen und wild und toll aus dem Haus stürmten! Das blieb sich aber gleich, die Kinder waren dumme Bälger, die noch nichts von der Welt verstanden und am wenigsten beurteilen konnten, ob an einem Mann wirklich etwas sei oder nicht; - und an diesem war jedenfalls etwas, denn sein Onkel galt für einen der reichsten Pflanzer in Alabama und hatte nur den einzigen Erben. Ist es da ein Wunder, daß ihn der alte Sutton freundlich aufnahm, wie den eigenen Sohn behandelte und sich und sein ganzes Haus (die Hand der Tochter damit eingerechnet) zu seiner Disposition stellte? Mr. Metcamp schien denn auch recht gut einzusehen, welch ein Schatz ihm hier geboten wurde, und wenn ihn auch die junge Dame selber scheu und in der Tat absichtlich vermied und ihm auf jede nur mögliche Art zu verstehen gab, es sei ihr an seinen Artigkeiten nicht das mindeste gelegen, so war er in New Orleans selber auferzogen - keineswegs der Mann, der sich durch solch ›ländliche Sprödigkeit‹ hätte so rasch und leicht abschrecken lassen. Er wußte sich vor allen Dingen klugerweise bei dem Vater in festeste Gunst zu setzen, lauerte dem alten Mann bald seine Schwachheiten ab und machte ihn
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in kürzester Zeit glauben, er sei der beste Jäger, der unerschrockenste Reiter und überhaupt das mutigste Herz, das nur je unter einem ledernen Jagdhemd geschlagen, also unter seinem blauen Tuchfrack doppelten Wert haben mußte, und wußte dabei den schlichten Hinterwäldler durch seine Gelehrsamkeit und sein tiefes Wissen - lauter solche Sachen, von denen dieser bis jetzt noch nicht einmal eine Idee gehabt - so zu verblüffen, daß Sutton endlich schwor, Mr. Metcamp sei der ›smartest‹ und beste Mann in der ›range‹, und wenn seine Tochter ihm nicht ihre Hand geben wolle, so bekäme sie es mit ihm selber, ihrem Vater, zu tun. Betsy machte bei einer - der ersten - heimlichen Zusammenkunft mit dem Geliebten diesen mit allem bekannt, was ihr das Herz abzudrücken drohte, erklärte ihm, nicht ohne ihn leben zu können und behauptete, das unglücklichste Wesen zu sein, das die Erde trüge. Benjamin war vollkommen damit einverstanden, hielt der Geliebten Hand fest in der seinen, schaute ihr mit recht wehmutsvollen Blicken in die treuen Augen und sagte endlich mit leiser, zum Trost bestimmter aber ach! - des Trostes selber sehr bedürftiger Stimme: »Liebe Betsy, verzage nicht - es wird schon noch alles gutgehen. - Sieh, ich habe die ganze Nacht gearbeitet und viele neue Fallen aufgestellt und auch in alle schon treffliche Lockspeise gelegt; fang ich selber den Wolf, dann hab ich ein kleines Kapital und kann nachher sagen: ›Nachbar Sutton, ich möchte Eure Tochter zum Weib und bin imstande, ihr gleich ein freundliches Dach zu bieten, so daß ich Eurer Hilfe dabei gar nicht weiter bedarf!‹ - Und wenn er dann hört, daß du, Betsy, mir wieder so recht von Herzen gut bist...« »Ach, du wirst gar nicht den ersten Wolf fangen können!« sagte Betsy unter Tränen. »Der häßliche Fremde hat dem Vater den ganzen Abend von weiter nichts als den neuerfundenen Fallen erzählt, die er hier anwenden will der kennt gewiß lauter neue Schliche und Pfiffe, wie sie in den Städten ausgedacht werden, und wird dir auch da am Ende störend in den Weg treten.«
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»Laß nur sein, mein Herz!« beruhigte sie, jetzt aber wirklich in stolzem Selbstgefühl lächelnd, der Jägersmann. »Darum sorge dich nicht - wo's in den Wald schlägt und mit wilden Bestien zusammenhängt, da laß sie in den Städten getrost sinnen und grübeln: In der Ausführung sollen sie's uns hier schon nicht zuvortun, oder - es ist unsere eigene Schuld und wir haben's nicht besser verdient. Da du mir jedoch sagst, mein Kind, daß er auch von der Jagd etwas zu verstehen vorgibt, so kommt er mir da auf einen Boden, wo ich ihm meinen Mann stehe, und siehst du, jetzt - ich weiß selber nicht, wie das so eigentlich gekommen ist - hab ich auf einmal weit mehr Mut und Selbstvertrauen als vorher. Bleib du mir nur hold, du gutes Kind! Zwingen kann dich der Vater zur Heirat doch nicht, und wenn er erst findet, daß ich dich nur zu meinem lieben Weib haben will, weil ich einmal nicht ohne dich leben kann und keineswegs seines Geldes und Gutes wegen, ei, so wird er auch einsehen, daß ihm ein solcher Schwiegersohn mehr Ehre bringt als der geschniegelte Städter, und vielleicht bekomme ich dann noch ein recht herzliches ›Ja‹ von ihm.« Es lag so eine freudige, vertrauensvolle Zuversicht in den Worten, daß sie selbst der mutlosesten Jungfrau neue Hoffnung gab. Durch das Gerücht von des Fremden Kenntnis im Fallenstellen war aber auch Benjamin aufgereizt worden, seine Anstrengungen zu verdoppeln, daß er nicht etwa durch Lässigkeit sein ganzes Glück versäume. Einen fast fröhlichen Abschied nahm er von dem schwermütigen Mädchen, küßte ihm die tränenden Augenlider, schulterte seine Büchse und wanderte frisch und getrost in den dunklen Wald hinein. Die Fallen, die Ben Holik für Wölfe stellte, befanden sich alle ziemlich in der Nähe der Ansiedlungen, da die wilden Bestien die bewohnten Plätze, wohin sich das Vieh abends zurückzog und wo auch die saugenden Sauen ihre Betten hatten, am liebsten aufsuchten. Eine besonders, auf die er seine meiste Hoffnung setzte, da sie nicht weit von einem Wechselpfad der Wölfe zwischen zwei Hügelrücken lag, war mit außerordentlicher Sorgfalt hergerichtet und so gestellt, daß sie
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von den Wölfen gesehen werden mußte. Ebenso steckte die treffliche Lockspeise, die ganze Keule eines erst gefallenen Pferdes, daran, und den Vorteil hatte sie noch außerdem vor den übrigen, daß er nicht jedesmal, wenn er nachsehen wollte, ob sich etwas gefangen habe, dicht hinzugeben brauchte, wo er gezwungen gewesen wäre, Spuren zurückzulassen, sondern von einem nicht fernen, ziemlich steilen Hügelrücken aus, der dort in eine starre Felsspitze vorragte, mit seinen Adleraugen den ganzen Platz recht gut übersehen konnte. Ließ sich dann auch nicht gleich bestimmen, ob sich etwas gefangen hätte, so ließ sich doch recht gut erkennen, ob die Falle noch aufgestellt oder niedergeschlagen wäre. In der Nacht mochte er freilich den Ort nicht stören, deshalb ging er jetzt geradenwegs zu seinem Lagerplatz, den er sich, bis er sein Ziel erreicht, in den Bergen aufgeschlagen, entzündete dort sein Feuer wieder, verzehrte sein einfaches Abendbrot, rollte sich in seine Decke und war bald sanft und süß, jeder weiteren Anstrengung für diese Nacht entsagend, eingeschlafen. Am Morgen bedurfte er des Hahnenschreis nicht, um munter zu werden. Sowie der ›Whip-poor-will‹ seine ersten klagenden Laute wieder hören ließ, sprang er auf, kochte seinen Kaffee, den jeder Jäger gebrannt und gemahlen in einem Leinwand- oder Ledersäckchen bei sich führt, und erwartete nun ungeduldig den ersten matten Dämmerschein, der sich im Osten zeigen würde. - Endlich, endlich kam das diesmal so heißersehnte Licht, mit dem sich der Wolf jedesmal wieder in seine bestimmten und gewöhnlich unzugänglichen Schlupfwinkel zurückzieht. Und vorsichtig, dürre Äste und brechendes Holz meidend, damit das Geräusch nicht etwa noch in der Nähe weilende Bestien aufscheuche, kroch er in der Tat mehr als er ging dem Felsen zu, der ihm zur hohen Warte diente. Jetzt hatte er ihn erreicht - jetzt konnte er den flachen, eben von grauem Licht kalt durchgossenen Fleck überschauen beim Himmel, der ungewisse Schein mußte ihn täuschen - er vermochte das aufgestellte Dach der Falle nicht mehr zu erkennen. - War sie - war sie niedergeschlagen?
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Das Herz schlug ihm in fieberhafter Ungeduld, und gewaltsam fast bezwang er sich, um den heller heraufbrechenden Morgen abzuwarten, ehe er seine Fährte dem Talgrund einpresste. Aber lange hielt er es so nicht aus; weder Ruh' noch Rast ließ ihm die Ungeduld, und je mehr er jetzt den Blick anspannte, um die Gegenstände unter sich zu erkennen, desto deutlicher wurde ihm die Tatsache und der Zweifel endlich zur Gewißheit. Die Falle war wirklich zugeschlagen, und es mußte also ein Wolf in ihr stecken, denn die Kühe, die manchmal sehr zum Ärger des Jägers und ihrem eigenen Schrecken die Stützen umstoßen, kamen gar nicht in dies felsige, grasleere Tal hinunter. »Betsy!« Das war der einzige Laut, den er, sich selbst vielleicht unbewußt, ausstieß, als er mit flüchtigen Füßen den Talgrund hinab- und der Stelle zuflog, wo im Schatten dichter Sassafras- und Spicebüsche, gar schlau in einen wilden Haufen des dort von dem manchmal reißend geschwollenen Bergstrom hingeschwemmten Holzes hineingestellt und von dem klar vorbeisprudelnden Wasser bespült, die Falle stand. »Hurrah!« Er konnte sich nicht helfen, er mußte seinem Jubel wenigstens in einem recht herzlichen, recht aus tiefster, innerster Seele kommenden Aufschrei Luft machen. Und er hatte auch wahrlich Ursache, darüber zu jauchzen, denn in der Falle saß, scheu und verschämt, als ob er sich genierte, bei dem heller und heller heraufdämmernden Tageslicht hier noch ertappt zu sein, ein prachtvoller, rabenschwarzer männlicher Wolf, und die Augen funkelten dunkelglühend zwischen den wohl eine Handbreit auseinander liegenden Stämmen nach dem grimmigsten Feind durch, dem er in diesem Teil des Waldes hätte in die Hand fallen können - dem jungen Jägersmann entgegen. »Siehst du, Bestie«, sagte aber der, »so habe ich dir endlich das Handwerk gelegt, du alter grauer Sünder - wirst die anderen wohl gestern von der gefundenen und so vortrefflich geglaubten Beute weggebissen haben und sitzt jetzt in der beneidenswertesten Lage von der Welt hinter Glas und Rah-
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men. Nun warte nur, dir ist noch weit besserer Spaß aufbewahrt. Ans Leben geht es dir allerdings nicht gleich, wenn du aber nur erst einmal mit der Glocke um den Hals spazierenläufst, wirst du schon finden, was es heißt, in Ben Holiks Hände geraten zu sein.« Der Wolf fletschte, als er sich nach der Falle hinunterbog, ingrimmig die Zähne gegen ihn, behauptete aber seinen Platz und schien, wie ein ärgerlicher Hund, nur einen Angriff zu erwarten, um gleich zufahren zu können. Ben dachte aber gar nicht daran, ihn weiter zu reizen, sah nur noch einmal lächelnd nach ihm zurück und rief: »Bin dir nicht böse, alter Bursche; bist zwar ein gar unwirsch aussehender Brautwerber, sollst mir aber doch zur Braut verhelfen, und da müssen wir schon gute Freunde mitsammen bleiben.« Und einen fröhlichen Gruß dem Gefangenen hinüberwinkend, warf er seine Büchse über die Schulter und sprang in flüchtigen Sätzen den ziemlich steilen Abhang der Schlucht hinauf, um die Ansiedlung auf dem geradesten Weg und so rasch als möglich zu erreichen, damit er von dort aus gleich Hilfe herbeiholen könne, um dem wilden Burschen das Halsband mit der Glocke umzulegen und ihn dann wieder - hei, wie er springen würde! - frank und frei laufenzulassen. So hatten die Männer der Ansiedlung (die sie, um ihr doch eine Art Stadtnamen zu geben, ›Woodville‹ getauft, obgleich sie nur aus drei Häusern und zwei Ställen bestand) den jungen Jägersmann noch nie gesehen. Jubelnd und jauchzend kam er in Suttons Haus gesprungen, umarmte in Ermangelung der Tochter den alten Sutton selber und schwatzte eine solche Menge tolles Zeug von Wölfen, Skalpen, Farmen, Glocken, Stricken und Holzhaufen, daß eine Art Gerücht, WolfsBen sei wahnsinnig geworden, schon wirklich anfing, Glauben zu gewinnen. Nach und nach klärte sich aber die Sache auf, und der alte Sutton erfuhr kaum, um was es sich handle, als er auch selber mit fast ebensolchem Eifer darauf einging und jetzt nur bedauerte, daß Metcamp den Augenblick nicht gegenwärtig
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wäre, da er ebenfalls die Nacht im Wald gewesen sei, um sein Glück zu versuchen. »Hallo, jetzt bekommen wir am Ende gar zwei!« lachte der Alte endlich, während er seine Büchse vom Nagel nahm und die Kugeltasche umhing. »Metcamp hatte verdammt gute Aussichten und scheint seiner Sache ziemlich gewiß zu sein. Nun, das schadete nichts; dann teilt ihr die Prämie, und zwei Wölfe wären am Ende immer noch sicherer als einer. Ist Eurer denn ein Wolf?« »Ei, und solch ein derber Bursche, wie nur je einer ein Kalb zerrissen hat!« »Vortrefflich, vortrefflich! Nun so kommt, Benjamin, und du, Scip, kommst gleich mit den anderen beiden nach. Wo ist's denn? An der Froschquelle, sagtet Ihr?« »An den Wassern der Froschquelle, etwa sechshundert Schritt von dem scheidenden Bergrücken und gerade da gegenüber, wo des ›Teufels Kanzel‹ über den Bach hängt.« »Nun, da könnt Ihr ja gar nicht fehlen - also die Stricke und den Sack - habt Ihr das Halsband, Ben?« Der junge Mann bejahte es, klingelte mit der kleinen Glocke und schien selber die Zeit nicht erwarten zu können, wo sie wieder aufbrechen würden, um seine Siegestrophäe in Empfang zu nehmen. Mit raschen Schritten wanderten die beiden Männer den schmalen Pfad entlang, der von der Ansiedlung aus in den Wald lief, verließen diesen aber bald darauf wieder, um eine nähere Richtung einzuschlagen, und benutzten einen von den Hügeln hin auszweigenden Abhang, der in leiser Niederdachung den Wassern der Froschquelle zuführte. »Aber Ben, Ihr habt ihn doch auch sicher?« fragte da Sutton, ganz plötzlich stehenbleibend, und sah den jungen Jägersmann mißtrauisch dabei von der Seite an. »Ihr wart mir heute morgen so - so kreuzfidel - es ist zwar noch etwas früh - ich hoffe doch nicht, daß Ihr mich etwa zum Narren haltet?« Ben Holik lachte, als ob er im Leben nicht wieder zu sich selber kommen wollte, und schüttelte das Halsband, das er in
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den Hand trug, dermaßen, daß der Ton hell und klingend durch den Wald tönte. »Hahahaha - das ist kostbar! Nein, Sutton - das ist wirklich kostbar! Jetzt - jetzt fällt Euch auf einmal ein, - hahaha - daß ich Euch könnte - hahaha - angeführt haben!« »Mr. Holik...!« »Nein, lassen Sie's gut sein, Sir«, sagte der Jäger, plötzlich seine Fröhlichkeit zügelnd, da er sah, wie ernst der alte Mann die Sache zu nehmen schien. »Sie dürfen aber wahrlich nicht bös darüber sein, wenn ich vielleicht ein bißchen zu munter bin - es freut einen doch am Ende, so einen verwünschten Kälberdieb, der so oft und schlau jeder Versuchung widerstanden hat, zuletzt doch noch überlistet zu haben. Wir müssen übrigens gleich an Ort und Stelle sein; da drüben seh ich schon die Kiefern der Teufelskanzel über das andere Schwarzholz hervorragen, und gleich dort unten, wo der Hickory über die enge Schlucht gestürzt ist, liegt das Triftholz, wo meine Falle steht. Die Neger werden den Platz doch finden?« »Scipio kennt jeden Fußbreit Boden hier«, sagte Sutton. »Also hier unten steckt die Bestie; nun warte, mein Schatz, du sollst deinen Kameraden so lange Musik vormachen, bis ihnen vor lauter Bimmeln die Ohren klingen. Hört Ben, dies ist ein nichtsnutziger Weg hier, wir sind auch wohl gerade auf den steilsten Fleck gekommen - nun Ben? - Wollen wir noch ein bißchen? - Was habt Ihr denn zu gucken?« Der junge Mann war auf einen umgefallenen Baumstamm getreten, hatte mit der Linken den niederhängenden Ast einer jungen Buche gefaßt und schaute mit starrem, unverwandtem Blick die Schlucht hinab in die Tiefe - erwiderte aber kein Wort. »Nun, Ben? - Was gibt's? - Ihr wißt wohl selber nicht mehr recht, wo Ihr daheim seid?« rief der Farmer und sah ungeduldig nach ihm zurück. »Wir sind wohl in der falschen Schlucht?« Ben Holik erwiderte keine Silbe; nur bleichen Angesichts und keines Wortes mächtig, deutete er nach einem wirren
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Haufen wild übereinandergestürzter dürrer Äste und Stämme, zwischen dem das scharfe Auge des alten Mannes gar bald das rauhe viereckige und massive Gestell einer zugeschlagenen Wolfsfalle, wie sie in den Wäldern eben üblich ist, erkannte. »Meiner Seel', an den falschen Kasten geraten«, brummte der Greis, nachdem er sich durch einen zweiten Blick überzeugt hatte, daß die Falle leer sei, »na, das fehlte auch noch, jetzt können wir die steile Partie wieder hinaufmachen.« Er wandte sich, um den Berg wieder emporzuklimmen, hier aber fiel ihm das verstörte, wilde Aussehen des eben noch so fröhlichen Jägers auf, und als er schon den Mund öffnete, um ihn zu fragen, was ihm fehle, hörte er die halblaut und heftig ausgestoßenen Worte desselben: »Sie ist leer!« »Da unten in der hat der Wolf gesessen?« fragte der alte Farmer rasch und erschreckt. »Dort unten«, lautete die monotone Antwort des aus seinen Himmeln erbarmungslos Niedergeschmetterten. »Na, das ist eine schöne Geschichte«, murmelte Sutton, klomm, so rasch dies eben gehen wollte, und sicherlich viel rascher, als er am Anfang beabsichtigt, den steilen Hang hinunter und stand gleich darauf vor der allerdings leeren, aber heruntergeschlagenen Falle. Das Fleisch im Inneren war augenscheinlich nicht berührt, eine Art Wolfsgeruch glaubte er aber selber zu wittern, und bei genauerer Untersuchung entdeckte er an dem einen rauhen Balken sogar einzelne weiße Bauchhaare, die kaum von einem anderen Tier als einem Wolf herrühren konnten. Wo aber war dieser hin verschwunden? Denn daß er sich sollte unter der schweren Klappe vorgearbeitet haben - Sutton stemmte seine Schultern darunter und suchte sie emporzuheben, er war kaum imstande - schien rein unmöglich. Während er noch so beschäftigt war, stieg Benjamin Holik langsam und schweigend zu ihm nieder, stellte seine Büchse an den nächsten Baum, legte Halsband und Glocke daneben
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und trat dann dicht zur Falle heran, die er, ohne sie jedoch zu berühren, auf das aufmerksamste und genaueste betrachtete. »Und Ihr habt heute morgen wirklich einen Wolf darin gefangen gehabt?« fragte Sutton nach längerer Pause, während er trotz des Beweises der gefundenen Haare ungläubig dabei mit dem Kopf schüttelte. »Ich gebe Euch mein Ehrenwort«, sagte Ben tonlos, »ein starker männlicher Wolf steckte in der Falle, als ich vor kaum einer Stunde diesen Platz verließ. Drei Wölfe hätten aber nicht Kraft genug gehabt, diese Balken emporzuheben und darunter vorzuschlüpfen, und wenn ihnen das wirklich gelungen wäre, so müßte wenigstens die Hälfte ihres ganzen Pelzes an der rauhen Rinde dieser Stämme hängengeblieben sein.« »Das dachte ich eben auch«, sagte Sutton, »und Ihr wißt gewiß, daß es auch wirklich ein Wolf...« »Nun, zum Henker!« rief der Jäger, dem der Ingrimm über die getäuschte Erwartung auch endlich durch das sonst überhaupt nichts weniger als geduldige Hirn zu blitzen begann. »Ich werde doch einen Wolf von einem Stück verendeten Pferdes unterscheiden können? Aber da - seht hier - und - und überzeugt Euch selber.« Noch während er sprach, sprang er plötzlich auf die Falle zu, warf mit einem Ruck seiner gewaltigen Kraft die Klappe zurück, als ob's ein loses Brett gewesen wäre, und schwang sich mit einem Satz über die niedere Wand ins Innere. »Da!« rief er, während er vor sich auf den feuchten Boden niederzeigte. »Da und da - und da sind die Spuren der Bestie, wenn Ihr denn meinen Worten nicht mehr glauben wollt; hier ist die Stelle, wo sie die Fänge in die Lockspeise einschlug, als die Klappe wahrscheinlich zufiel. Wollt Ihr mehr Beweise, daß ich Euch nur eine Tatsache verkündet und nicht etwa eine Lüge in den Bart geworfen habe? Pest und Gift! Das hat mir einer der schleichenden Halunken, die mich in der Ansiedlung immer nur so scheu von der Seite anblinzeln, wenn ich einmal hinaufkomme, zum Possen getan. Herausgelassen, mutwillig herausgelassen ist das Raubtier, und weiß es Gott, dem, der seine Hand in so schändlicher Art an Ben Holiks
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Eigentum gelegt hat, wäre besser, er hätte den Washita in seinem Leben nicht gesehen, als daß er mir, hab ich ihn erst aufgespürt, wieder vor die Augen käme! »Hm, das ist eine wunderliche Geschichte!« brummte der Alte. »Wer zum Henker soll sich die Mühe geben, Euch die Wölfe aus der Falle zu lassen? Und müßte er nicht die ganze Nacht gerade hinter Euch hergekrochen sein, um den einzigen Zeitpunkt, wo er es unentdeckt tun konnte, so genau abzupassen?« Ben erwiderte nichts, sondern stieg aus der Falle und suchte auf dem Holz nach irgendeinem Zeichen, das ihn vielleicht hätte auf die richtige Spur bringen können. Das trockene Holz bot seinem Auge aber nichts, von dem geleitet es hätte weiter forschen können - nur die Spuren von Haaren entdeckte er bald, auch die Fährten des Raubtieres, wo es vom letzten Stamm hinab auf die weiche Erde gesprungen und dann wieder die andere Seite der Schlucht hinauf in geradester Richtung seinen Schlupfwinkeln zugeflohen war. Nirgends ließ sich dabei die Spur eines menschlichen Fußes erkennen - nur ein paar unnatürlich tief in die Erde eingedrückte Steine, die der Blick des Jägers bald erkannte, lenkten seine Aufmerksamkeit auf sich: Sie waren, selbst da wo sie mit Erde bedeckt lagen, vollkommen trocken. Der, der sie eingetreten, mußte also erst vor ganz kurzer Zeit hier herübergeschritten sein. Holik zeigte sie dem alten Mann, und dieser gab auch zu, daß es ihm selber so vorkäme, als ob da jemand gegangen sei, an die Erkennung einer genaueren Fährte war aber nicht zu denken. Oben auf dem Hügelkamm zog sich ein starrer Felsstreifen meilenweit über den Berg hin und zweigte überall in rauhe, steinige Schluchten aus. Wem hier daran gelegen war, seine Spur zu verheimlichen, konnte das leicht genug, und die beiden Männer sahen sich auch endlich genötigt, jeden derartigen Versuch als nutzlos aufzugeben. Die Neger wurden zurückgeschickt, und Sutton folgte ihnen selber in keineswegs rosiger Laune allein, denn Ben Holik wollte jetzt vor allen Dingen den Wald nach der Richtung hin durchstreifen, wohin die mutmaßlichen Fährten liefen, mög-
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lich doch, daß ihm sein gutes Glück - er stampfte mit dem Fuß, als er die Worte sprach - den Täter gerade in den Weg führte. Er fand nichts - den ganzen Tag durchkreuzte er den Wald, und als er abends müde und matt in die Ansiedlung zurückkehrte, mußte er noch ertragen, daß man ihn bemitleidete und sich, anscheinend teilnehmend, in der Tat aber nur neugierig, nach den näheren Umständen erkundigte; ja, Metcamp erbot sich sogar höchst freundlich, wieder mit ihm zu gehen und die Spur noch einmal aufzunehmen. Er hätte, wie er selber dem alten Sutton versicherte, eine ungeheure Übung im Fährtefolgen und war überzeugt, er könne ihr nachgehen. Ben Holik aber hielt sich, was den Wald betraf, für einen ebenso guten Mann wie irgendeinen, dessen Füße je in Mokassins steckten, und lehnte das Anerbieten artig wohl, aber rundum ab. Dieser Metcamp hatte für ihn etwas Unheimliches in Blick und Ton. War er selber so parteiisch oder eifersüchtig, ohne allen sonstigen Grund den Menschen zu hassen, und wäre es nicht...? »Verzeih mir Gott die Sünde!« unterbrach Ben selber seine Gedanken, als er wieder zum Wald zurückschritt, denn Betsy konnte und wollte er in diesem Zustand von Aufregung und getäuschter Hoffnung nicht vor die Augen kommen. »Verzeih mir Gott die Sünde, daß ich von einem Menschen, der mir bis jetzt wissentlich noch kein Leid getan hat, Unrechtes denke, aber dieser Metcamp kommt mir immer vor wie mein böser Geist, und wenn es einen Menschen in der weiten Gotteswelt gäbe, dem ich den Bubenstreich zutrauen möchte - so ist es der. Aber warte, mein Bursche, bist du's gewesen, so hast du ein Paar so scharfe Augen auf deiner Fährte, wie sie in der Ansiedlung nur zu finden sind, und wer weiß dann, ob wir nicht noch einmal ein paar Worte im Vertrauen reden!« Ben war ein seelenguter und schwer zu kränkender Mann wie es fast alle kräftigen, kernigen Naturen von so riesigem Körperbau sind - aber leichenbleich färbte ihm doch der Zorn die Wangen, als er den Ort wieder erreichte, wo er das Ziel seiner Wünsche, nach dem er wochenlang gestrebt, endlich
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gefangengehalten, und wo dann ihm eine tückische Hand den Becher, den er gerade zum Mund führen wollte, entrissen und zu Boden geschleudert hatte. Was aber half ihm der ohnmächtige Zorn - er fand keine weiteren Anzeichen; die Spuren des Geflohenen waren so schlau verdeckt, daß er anfing, es dem geschniegelten Städter nicht einmal mehr zuzutrauen, und seinen Verdacht von einem zum anderen der jungen Leute unter seinen Bekannten schweifen ließ, die, wie er recht gut wußte, ihn um sein Glück bei Betsy beneideten und ihn dadurch vielleicht abhalten wollten, ihre Hand zu erringen. Es blieb aber auch immer nur wieder bei dem Verdacht; eine Gewißheit konnte er auf keiner Seite erlangen. Das Schlimmste bei der Sache war übrigens auch das noch, daß ihm diese seine beste Falle dadurch für eine geraume Zeit unbrauchbar geworden, denn in die ging, wenigstens nicht eher, als bis einmal ein Wolkenbruch jedes Zeichen der gefangen gewesenen Bestie abgewaschen, kein Wolf wieder hinein und welche Falle lag so vortrefflich wie gerade diese? WolfsBen war übrigens nicht der Mann, der sich durch eine ihm in den Weg geworfene Schwierigkeit so leicht hätte abschrecken lassen; noch standen ihm drei andere Fallen, und selbst in dieser Schlucht konnte er, wenigstens weiter oben, eine neue anlegen. Mit unermüdlichem Fleiß arbeitete er also aufs neue, lag Tag und Nacht draußen und hielt von jetzt an eine so scharfe Wacht in seinem gewöhnlichen Jagdrevier, daß kein Kaninchen, viel weniger denn ein Menschenkind, unbeachtet durchschlüpfen konnte. Voll neuer Hoffnung dachte er nun mit jedem Morgen den Fang eines zweiten Wolfes begrüßen zu können - aber vergebens. Was er auch tat, blieb fruchtlos, und Ben wurde zuletzt so schwermütig und menschenscheu, daß er gar nicht mehr aus seinem Wald heraus mochte, sondern jetzt, mit dem einen und einzigen Ziel vor Augen, fast nichts anderes dachte, als einen Wolf lebendig zu fangen. Die Ansiedlung besuchte er gar nicht mehr, oder doch nur bei Nacht, wo er nicht zu fürchten brauchte, daß Betsys Blick auf ihn fiel - denn nachgerade fing er an, sich zu schämen, ein
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so ›schlechter Jäger‹ zu sein, und er meinte, die Leute müßten ihm das alle an den Augen ansehen. Drei Wochen waren solcherart verflossen, und wenn Bens Herz wohl auch immer und unverändert dasselbe geblieben war, so hatten doch die Sachen in der Ansiedlung indessen eine ganz andere Wendung genommen. Der ›Stadtherr‹, wie ihn die übrigen Jäger gewöhnlich nannten, bekam Briefe aus Alabama, die seine Rückreise dorthin so rasch als möglich verlangten. Sein Onkel war plötzlich gestorben, er zum Universalerben eingesetzt und jetzt natürlich genötigt, die dortigen Verhältnisse, die durch eine bedeutende Sklavenhalterei noch weit mehr Aufmerksamkeit erforderten, selber zu ordnen. Er mußte also ohne Zögern zurück, und seine im Anfang langsam genug eingeleitete Werbung um die liebliche Waldblume, des alten Suttons Töchterlein, wurde nun zum raschen Heiratsantrag. Mr. Metcamp hielt noch am nämlichen Tag um des Mädchens Hand an, und wenn auch Betsy unbedingt ›Nein‹ sagte, sprach doch der Vater, dem der jetzt um so reichere Schwiegersohn desto mehr zu behagen schien, ein um so entschiedeneres ›Ja‹, versicherte seinem künftigen Eidam, das Mädchen ziere sich nur, wolle erst angegangen sein, und bat ihn, sich um das keine Sorge weiter zu machen. Metcamp hätte allerdings lieber eine freundlichere Antwort der Tochter, wenigstens keine so ganz bestimmt abgeneigte gehabt; da es aber nun einmal nicht anders ging, schien er sich auch hineinzufinden, hoffte durch Freundlichkeit zuerst ihr Wohlwollen, dann vielleicht ihre Liebe zu gewinnen - wenigstens sagte er das dem Vater -, und beschloß jedenfalls an demselben Abend, an dem er den Brief erhalten, eine Art Fest zu geben, wozu sämtliche Bewohner der Ansiedlung eingeladen wurden und das er dadurch zu einer Art Verlobungsfest zu stempeln gedachte. Der Abend kam heran, und das Gerichtshaus (ein leerstehendes und aus Stämmen roh aufgeführtes Gebäude, das in früherer Zeit einmal zu einer Gerichtssitzung gedient und davon den Namen und später auch noch das ›Versprechen‹
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erhalten hatte, bei nächster Gelegenheit zu einer Schule benutzt zu werden, jetzt aber zur Aufbewahrung des Mais diente) war zu dieser Gelegenheit gar festlich und brillant hergerichtet. Viele Pfund Wachslichter - aus dem rohen gelben Wachs gegossen, wie es die Jäger den gefällten Bienenbäumen entnehmen - erleuchteten den ziemlich großen Raum, der Boden war von allen Maishülsen gereinigt und ringsum Bänke gestellt für die Damen, wie auch ein Tisch mit einem Stuhl oben darauf in die Ecke geschoben, auf dem der einzige Musikant - ein Violinspieler - seinen Sitz nehmen sollte. Kurz, es war alles nur Mögliche angewandt, um den Raum so behaglich als tunlich zu machen, und wer am späten Abend die Fröhlichkeit der äußerst zahlreich versammelten Gäste gesehen hätte, wäre gewiß mit dem Resultat zufrieden gewesen. Nur Betsy war traurig - sie dachte an ihren armen Ben, der jetzt wahrscheinlich draußen allein im Wald herumirrte, und wollte nicht teilnehmen an Tanz und Lustbarkeit. Nur mit Mühe wurde sie in den Tanzsaal selber gebracht, dort aber wies sie jede Aufforderung auf das entschiedenste zurück und blieb ruhig, dem fröhlichen Treiben zuschauend, auf ihrem gleich am Anfang eingenommenen Platz. Benjamin Holik war aber nicht draußen im Wald, wie sein armes, hier in der lustigen Schar nur um so viel betrübteres Liebchen in ihrem Schmerz geglaubt. Der alte Sutton hatte ihn sogar, wie sich das übrigens von selbst verstand, da man niemand ausschloß, noch besonders dazu eingeladen, Ben jedoch die Einladung abgelehnt. In der Nähe mußte er aber doch weilen - geschäftige Freunde brachten ihm bald die Nachricht, daß es ein Verlobungsfest sein werde, was man hier feiern wolle, und er gedachte erst noch einmal zu sehen, mit eigenen, leiblichen Augen zu sehen, daß ihn Betsy - seine Betsy - auch wirklich ganz und gar vergessen habe, und dann - ei, dann zog er nach Texas. - Onkel Sam Onkel Sam - Uncle Sam U.S. - Scherzname für die United States - Vereinigten Staaten warb gerade für den beginnenden Krieg, und solche Leute, wie er war - Ben brauchte keinen
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Spiegel, um sich das selber zu sagen -, fanden rasche und freudige Aufnahme im Dienst. Scheu und furchtsam, daß ihn niemand erkenne und seinen Schmerz errate, umschlich er wohl eine Stunde lang das Haus und horchte den munteren, kreischenden Tönen der Violine. Näher hinanzugehen, daß er einen Blick hineinwerfen konnte, mochte er nicht. Da kamen endlich ein paar seiner Bekannten aus dem Haus heraus, blieben vor der Tür stehen und schritten dann zusammen dicht an dem Ort vorüber, wo sich Ben versteckt hielt, ihren Wohnungen zu. Ben drückte sich, so gut das gehen wollte, hinter den Stamm eines dort stehenden Hickory, und der eine der Männer sagte, als sie eben dicht neben ihm waren: »Betsy hat doch, so lange sie im Haus war, keinen Schritt getanzt.« »Den ganzen Abend noch nicht, und hat es ein für allemal rund abgeschlagen«, erwiderte der andere, »ich glaube noch nicht einmal, daß sie ihn nimmt.« »Ah bah«, sagte der erste wieder, »da müßte man die Mädchen nicht kennen - der hat Geld, und da...« Die weiteren Worte wurden in der Entfernung unverständlich, aber was brauchte Ben auch noch weiter zu hören. Das letzte war schändliche Verleumdung. »Noch keinen Schritt getanzt«, jubelte der junge Jäger in sich hinein, »also doch nicht falsch, doch nicht treulos, doch ihren Ben nicht vergessen - aber - was kann's dir auch helfen, armer Ben - du hast doch kein Glück - Betsy ist für dich verloren - und wenn sie dich nicht vergessen könnte - ach, dann wär's nur so viel schlimmer für sie - besser für dich selber aber nimmer!« Die Büchse, die er nicht weit von da in einen dichten Busch hineingestellt, hob er vom Boden auf, noch einen Blick nach dem hellerleuchteten Haus warf er zurück, und still und schweigend wanderte er den Fußpfad entlang dem nächsten Hügelrücken zu. Es litt ihn - die Nacht wenigstens - nicht in der Ansiedlung, und er wollte draußen am Feuer schlafen.
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Ein Platz war endlich an einer klaren Quelle, die hier dem felsigen Boden rein entquoll, gefunden, eine Flamme entzündet, und in die Decke gehüllt lag er, den Kopf auf einen untergeschobenen Stein gelegt, und schaute sinnend und ernst zu den freundlich auf ihn niederblitzenden Sternen empor. Im Wald war es merkwürdig still, selbst die Frösche quakten nicht so toll und wild durcheinander, wie er das sonst wohl gehört, den leisen Schritt des Opossums, das zu nächtlichem Hühnerraub nach den bewohnten Ansiedlungen schlich, konnte er deutlich und bestimmt hören, und dort hinten - er hob den Kopf und lauschte einen Augenblick - wahrlich, es war ein Wolf, der weit drüben auf dem scheidenden Gebirgsrücken sein klägliches Abendlied heulte. »Winsele nur, Bestie«, murmelte er endlich und sank in seine frühere Stellung zurück, »winsele, aber bleib mir außer Schußnähe; auf deinesgleichen und auf - noch einen hätt ich besonders heut abend Appetit.« Eine halbe Stunde lag er wohl noch so und suchte seine Gedanken wieder auf die früher durchträumten Pläne zu richten - es war aber nicht möglich - das immer näher und näher kommende Geheul des Wolfs lenkte seine Aufmerksamkeit immer wieder dorthin, und jetzt - Alle Wetter, das war gar nicht so weit entfernt! - antwortete eine andere Stimme aus einer hinter ihm liegenden Schlucht, wo auch, wie sich bald auswies, das ganze Rudel steckte. Er sprang rasch von seinem Lager auf und griff nach der Büchse; der Mond stieg eben hinter den düsteren Schatten der fernen Bergketten hell und freundlich empor - die alte Jagdlust erwachte und verdrängte für den Augenblick wenigstens jeden anderen Gedanken. Er befand sich auf einem äußerst günstigen, ziemlich offenen und vom Mond hell beschienenen Fleck, und zwar gerade mitten zwischen dem Rudel und dem vereinzelten, jetzt zu diesem zurückkehrenden Wolf - das Feuer war niedergebrannt, und die noch glimmenden Kohlen schreckten die Bestien auch nicht ab, da fortwährend brennende Stämme im Wald liegen und Hirsch und Wolf daran gewöhnt sind, Feuer
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auf ihrem Pfad zu finden. Ein vom Wind niedergeworfener Stamm, der die Höhe hinunter, nach dem Tal zu lag, gewährte ihm dabei einen trefflichen Hinterhalt. »Wart, Kanaille«, murmelte er, griff seine Büchse auf und glitt hinter den Stamm, »komm mir nur aus dem Busch vor und freu dich dann auf Ben Holiks Kugel.« Er hob sein Gewehr auf den Stamm, richtete die Mündung nach der Gegend zu, von der er den einzelnen Wolf erwartete - denn das Rudel bleibt in solchem Fall gewöhnlich so lange auf dem einmal behaupteten Platz, bis der Vereinzelte dazugestoßen ist - und harrte dann lange und geduldig - der Wolf wollte sich aber immer noch nicht sehen lassen. Sollte die Bestie etwas gemerkt haben - aber der Wind war doch günstig. Holik ließ seine Büchse auf dem Stamm liegen, hielt beide Hände trichterförmig an den Mund und heulte kläglich. Der Laut war täuschend ähnlich nachgeahmt und schallte gar wehmütig durch den düsteren Wald. Wenn auch keine Stimme von dort, wo der einzelne Wolf sein mußte, antwortete, so war Ben doch ein viel zu alter Jäger, um nicht auf der Hut zu sein oder sich durch Übertreibung einen einmal gewonnenen Vorteil zu verderben. Leise griff er wieder nach der Büchse, blieb ruhig im Anschlag liegen und erwartete das Resultat. Das sollte auch nicht lange ausbleiben. Der Wolf antwortete allerdings nicht mehr, aber nur, weil er zu nahe war, und als Ben mit gespannter Aufmerksamkeit selbst dem leisesten, unbedeutendsten Geräusch lauschte, hörte er plötzlich im trockenen Laub der benachbarten Baumgruppe rasche, aber vorsichtige Schritte. - Trap, trap, trap, trap - und das Tier stand noch einmal - es windete wieder. Hatte es vielleicht den Rauch in die Nase bekommen? Der Wolf betritt übrigens jedesmal vorsichtig einen freien Platz, weil er wahrscheinlich nicht allein Gefahr fürchtet, sondern auch vielleicht selber nach Beute ausschaut. Ben konnte genau von wo er stand die Schritte hören, den Platz selber aber noch nicht mit seinem Blick durchdringen, wagte deshalb auch nicht, sich zu bewegen, weil er nicht wissen konnte, ob des Raubtiers Augen
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nicht gerade in diesem Moment dorthin gerichtet waren, wo er lag. Heulen durfte er auch nicht wieder - die Entfernung mußte jedenfalls zu gering sein, als daß die scheue Bestie nicht den Betrug hätte merken und den raschen Rufer erkennen sollen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als jetzt ruhig und regungslos abzuwarten, bis das Tier ins Mondlicht hinaustreten würde. Da wurde plötzlich hinter ihm, ein klein wenig nach rechts, das Rudel wieder laut, und ein triumphierendes Lächeln zuckte über Bens Antlitz - es machte aber auch ebensoschnell einem Ausdruck peinlicher Spannung Platz, denn in dem nämlichen Moment schon trat der Wolf, der durch den letzten Lockton bestimmt schien, aus dem düsteren Schatten vor auf den freien, nur mit einzelnen Bäumen bewachsenen Raum. Bens Herz schlug fast hörbar, aber sein Arm lag fest wie Eisen - ruhig richtete er das todbringende Rohr nach dem Feind und suchte, mit dem scharfen Blick dessen dunkle Gestalt auf das Korn seiner Büchse zu bringen. Doch vergebens - in dem matten, ungewissen Licht schmolz Korn und Ziel so ineinander, daß er ums Leben nicht hätte genau bestimmen können, wo die Kugel sitzen würde, und fehlen - nein, das durfte er nicht. Vorsichtig hob er den Lauf gegen den helleren Himmel, wo er das Korn deutlich gegen einen der funkelnden Sterne konnte abstechen sehen, legte sich dann fest in den Kolben, fuhr nieder, und sowie er die Gestalt des noch immer regungslos und jetzt seitwärts ins Tal schauenden Tieres voll im Korn hatte, berührte sein Finger den Drücker. Der Schuß schmetterte dröhnend durch den Wald, und Ben sprang blitzschnell empor. »Siehst du, Kanaille«, sagte er da, als er den dunklen Körper regungslos im vom Mondlicht hell beschienenen Laube liegen sah, »siehst du - ich habe dir's prophezeit. - Das ist doch wenigstens ein Trost, einem solchen herumschleichenden Schuft das Handwerk gelegt zu haben. Panther und Bären - ich wollte, daß Gottes Strahl all das Lumpengesindel träfe, das so wie du, Bestie, das Licht scheut, im Dunkel herumschleicht und
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Unheil anrichtet, wohin es den Fuß gesetzt und seinen Atem gehaucht!« Ben war bei diesen Worten, die er mit fest zusammengebissenen Zähnen in den Bart murmelte, ruhig auf seinem Platz stehengeblieben und hatte, nach Jägerart, vor allen Dingen die Büchse wieder geladen, hob sie jetzt mit einem noch leise gemurmelten Fluch auf die Schulter und schritt langsam der Stelle zu, wo der so glücklich erlegte Feind im Laub ausgestreckt lag. Es war ein großer, kräftiger Wolf, kohlschwarz und nur mit dem einen kleinen, herzförmigen weißen Fleck auf der Brust, der im Mondlicht ordentlich zu glühen schien. Die Kugel mußte ihm gerade durch den Kopf gefahren sein - er rührte und regte sich nicht. »Ich habe ihn nicht einmal zucken sehen«, sagte der Jäger leise und bog sich zu ihm nieder, um nach dem Kugelloch zu fühlen. Über den ganzen Kopf strich er hinüber und herüber, dort war aber nichts, auch kein Schweiß - und die gegen das Mondlicht gehaltene Hand weiß und rein. »Wunderlicher Schuß!« brummte der Jäger. »Ei, zum Henker, es ist einerlei, wo die Kugel sitzt, wenn sie nur sitzt, und da ich den Schuft... Hallo!« unterbrach er sich plötzlich. »Lebt der Bursche noch?« Er stand mit gespannter Aufmerksamkeit, die Büchse im Anschlag, jede Bewegung des Raubtiers beobachtend, und allerdings gab dies jetzt wieder Lebenszeichen von sich, warf einmal den Kopf auf und schnellte sich dann auf dem linken Vorderlauf in die Höhe. Ben hatte aber schon zuviel Wild erlegt, als daß ihn diese Bewegung auch nur einen Augenblick länger über den Zustand des Wolfs im Zweifel lassen konnte. Im ersten Augenblick fuhr er allerdings noch einmal, und wie unwillkürlich, mit der Büchse an die Backe - das war aber auch nur ein Moment - im nächsten warf er sie fort und sprang plötzlich in keckem Mut auf das von der Minute an sich wieder ganz kräftig und rasend sträubende Tier. »Hoho, mein Bursche!« rief der junge Jägersmann dabei und lachte mit wilder Freude in sich hinein, während er sei-
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nen Arm mit eiserner Gewalt um den wütend dagegen ankämpfenden Körper des Wolfes schlang. »Hoho - einfach gecreast ›Creasen‹ nennt der amerikanische Jäger den Schuß über dem Rückgrat oder noch häufiger Hals eines Wildes, wenn die Kugel an die oberen Halssehnen oder Muskeln gedrückt hat, ohne sie zu durchschneiden, was das Tier augenblicklich zu Boden wirft, aber nur für den Moment betäubt und nicht im mindesten beschädigt. Nach sehr kurzer Zeit erholt es sich gewöhnlich wieder, und wenn der Jäger dann nicht schnell mit der Büchse oder dem Messer bei der Hand ist, springt es wieder auf und ist nicht selten weit aus dem Bereich der Kugel, ehe der verblüffte Schütze, der sich seine schon sicher geglaubte Beute auf einmal wieder entgehen sieht, seine Sinne gesammelt hat. Die westlichen Indianer fangen auch mit diesem Schuß die wilden Pferde, wobei natürlich mehr erschossen als gefangen werden. - hahahahah - ja, strample nur, strample nur, Herz, der Falle entgehst du nicht - wenn du nicht imstande bist, aus der Haut zu rutschen.« Das Tier, das nun sein volles Bewußtsein wiedererlangt hatte, schien jetzt erst zu begreifen, in welcher höchst mißlichen Lage es sich eigentlich befinde, und suchte mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft um sich zu beißen und durch Treten und Kratzen seine Freiheit wiederzugewinnen. Doch vergebens, Ben hielt es wie in einem eisernen Schraubstock und drückte sich dabei so mit dem ganzen Gewicht seines schweren Körpers darauf, daß der arme, also ertappte Wolf endlich, und als auch seine Kräfte vollständig erschöpft waren, wenigstens für kurze Zeit ruhig liegen mußte. Was aber nun tun? - Den Wolf töten? Das wäre allerdings mit nur wenig Schwierigkeiten verknüpft gewesen, denn Ben trug sein haarscharfes Jagdmesser im Gürtel. Aber war nicht jetzt sein Ziel erreicht? - Einen lebendigen, gesunden, unbeschädigten Wolf wollte er haben, und den hielt er in diesem Augenblick hier unter sich so fest, als ob er ihn im Leben nicht wieder loslassen wollte. Doch wie ihn binden und festhalten? Nicht einmal einen Lederriemen führte er bei sich, nichts als seinen Gürtel, und wie hätte er es überhaupt wagen dürfen,
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auch nur den Versuch zu machen? Ließ er dem Wolf nur ein wenig Luft, so gab es nachher einen Kampf, in dem er ihn entweder ernstlich beschädigen oder gar freilassen mußte das eine fast so schlimm wie das andere. Und das schwere Tier bis zur Ansiedlung tragen? - Er hätte ohne den Wolf eine halbe Stunde gebraucht, um sie zu erreichen - viel weniger mit ihm - aber es blieb ihm weiter keine Wahl. »Entweder - oder«, murmelte er, »du oder ich, Bursche, und so mag denn der Abend über mein Glück, über mein Unglück entscheiden. Zum Teufel auch, habe doch schon manchen starken Hirsch getragen, der noch einmal so schwer war wie du hier, und das bloß um des elenden Wildbrets wegen - werden mir heute die Kräfte nicht versagen, da es das Höchste oder doch wenigstens einen Triumph über den schurkischen Feind - gilt.« Und mit dem raschen Entschluß nahm er seinen Halt fest um das sich jetzt wieder mit rasender Wut sträubende Tier, brachte den rechten Fuß unter sich und stand, die Schulter gegen einen kleinen stehenden Gumbaum stützend, langsam auf. Er hatte den Wolf mit dem Rücken gegen sich, mit dem linken Arm zwischen den beiden Vorderläufen durch gepackt und den rechten Arm ihm fest um die Weichen geschlagen und hielt ihn so eng zusammengepreßt, daß er ihm mit seinen Zähnen gar nicht schädlich werden konnte. Die Büchse mußte er natürlich zurücklassen, auch die Mütze war ihm bei dem Ringkampf entfallen, doch das hinderte ihn nicht; mit fest zusammengebissenen Zähnen und zum Äußersten entschlossen, wanderte er, seine wunderliche, sich unaufhörlich sträubende Last im Arm, Schritt für Schritt weiter - der fernen Ansiedlung zu. Im alten Gerichtshaus herrschte indessen noch immer laute, lärmende Fröhlichkeit, Bowle nach Bowle wohlschmeckenden süßen Stewes war gebraut und der Raum endlich durch Kerzen, Trunk und Tanz so heiß geworden, daß man selbst das kleine, nach dem Holz hinausführende Fenster öffnete, um nur frische Luft hereinzubekommen.
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Die Töne der Violine schwirrten immer rascher und gellender in Jigs und Hornpipes, die Füße der Tänzer klapperten immer behender auf dem schon blankgescharrten Boden; Metcamp war besonders ausgelassen lustig, er nannte die arme Betsy - die sich übrigens hartnäckig weigerte, weder mit ihm noch einem der anderen Gäste zu tanzen - nicht anders als sein ›süßes Bräutchen‹, umarmte den alten Sutton ebenfalls zweimal als ›Schwiegerpapa‹ und wußte seiner Ausgelassenheit gar keine Grenzen. Eine kleine Unterbrechung hatte indessen stattgefunden; ›Lord Howe's Hornpipe‹ war eben beendigt, und einige Erfrischungen wurden herumgereicht. Betsy, die auf ihres Vaters Befehl die Bedienung überwachen mußte, saß unfern dem Eingang, nicht weit vom Schenktisch, und Metcamp, der sich dicht neben sie gestellt, flüsterte ihr eben einige fade Schmeicheleien ins Ohr, die ihr die zornige Röte auf die Wangen trieben, als plötzlich etwas mit gewaltigem Poltern von außen gegen die Tür schlug. »Hallo!« schrie der Bräutigam zusammenfahrend. »Das ist ein unhöfliches Anklopfen - wer da?« Die übrigen Gäste wandten sich alle rasch und erstaunt nach dem Lärmen um, die einzige Antwort von dort oben her war aber ein erneutes, noch viel stärkeres Gepolter. »Ei, so hol doch der Henker die Unverschämtheit!« rief da Metcamp. »Ich will doch sehen...« Rasch ergriff er den ledernen Riemen, der an dem Drücker hing, riß daran und stieß die Tür auf. »Ha!« - Vor sich ein paar stiere, funkelnde, fast aus ihren Höhlen drängende Augen - ein weit aufgerissener Rachen mit blutiger, heraushängender Zunge und weißem fürchterlichen Gebiß - ein Wolfskopf, wie ihn sich die Einbildung nur schrecklich und entsetzenerregend ausmalen kann - hinter ihm aber, dicht über dem gräßlichen Rachen, das totenbleiche, wild blickende Angesicht Ben Holiks, vom Schein der Kerzen geisterhaft beleuchtet. »Der Wolf - der Wolf!« schrie Metcamp nach einem nur flüchtigen Blick auf die schauerliche Gruppe. »Der Wolf!« Und
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durch die hinzudrängenden Gäste brach er in wilder Hast sich Bahn, zum Fenster sprang er, und ehe nur noch irgend jemand sein Vorhaben hätte erraten oder ihn gar daran hindern können, flog er mit scheuem Satz hinaus und ins Freie. Die hinten Stehenden, die noch gar nicht sehen konnten, was eigentlich die Ursache solch wunderbarer Behendigkeit gewesen, lachten; die nächst der Tür aber fuhren ebenfalls, kaum minder als Metcamp selbst erschreckt, zurück und starrten überrascht die wunderliche Gruppe an, aus der sie Ben Holiks totenfahle Züge jetzt erkennen konnten. »Die Glocke - die Glocke!« war aber alles, was der Jäger mit heiserer, nur den nächsten verständlicher Stimme zu lallen vermochte. »Die Glocke - ich kann - ich kann nicht mehr!« »Heiliger Gott!« schrie da Betsy, die schon bei dem ersten Ausruf Metcamps entsetzt emporgesprungen war und, ihren Augen kaum trauend, keines Wortes, keiner Bewegung mächtig, in das totenbleiche, fürchterlich entstellte Antlitz des Geliebten gestarrt hatte. »Heiliger, allmächtiger Gott, zu Hilfe zu Hilfe!« »Die Glocke!« flehte aber nur Ben. »Betsy, die Glocke, oder meine Arme erstarren.« »Die Glocke? - Was für eine Glocke?« fragten die Umstehenden wild durcheinander. »Ha! - Die Wolfsglocke!« rief das Mädchen, das ganze ihr bis dahin Entsetzliche jetzt rasch und froh begreifend. »Die Wolfsglocke! Nur noch einen Moment, Ben - nur noch wenige Sekunden, und ich bin wieder da!« Und rasch zur Tür hinaus, dicht an den klaffenden Fängen der Bestie vorbei - so dicht, daß ihre Schulter die blutträufende Zunge fast berührte - glitt die Jungfrau flüchtigen Laufes in das dicht daneben gelegene Haus ihres Vaters, wo die Glocke noch in der Stube (unter der Büchse, wo er sie neulich bei seiner Zurückkunft hingetan) hing, hob sie schnell herunter und war in kaum einer Minute Zeit schon wieder zurück mit dem Verlangten. Indessen hatten sich aber die Männer dort ebenfalls von ihrer ersten Überraschung erholt; der alte Sutton war zu ihnen getreten, und rasch begreifend, um was es sich hier
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handele, wollte er Ben unterstützen und ihm den Wolf abnehmen. Das gab aber der Jäger nicht zu, da er seiner wie des alten Mannes Sicherheit wegen nicht wagen durfte, dem festen Halt, den er einmal an der Bestie hatte, zu entsagen. Kaum erschien aber Betsy mit der Glocke, so nahm sie ihr Sutton rasch aus der Hand, schlang den Riemen um des jetzt wieder wütend um sich beißenden Wolfes Hals und schnallte ihn nicht zu fest, aber sicher genug, daß er nicht über den Kopf hinüberrutschen konnte, den Wolf jedoch auch nicht hinderte oder gar würgte. Was aber jetzt, nachdem dies geschehen war, tun? Wie die Bestie, da der Zweck erfüllt war, wieder loswerden? Denn war es nicht möglich, daß sie, in so gereiztem Zustand freigegeben, anstatt zu fliehen, sich gerade gegen ihre Feinde wenden und dort Unheil anrichten konnte, ja am Ende gar, um sie nur wieder loszuwerden, doch noch getötet werden mußte? Das Klingeln der Glocke beunruhigte den Gefangenen immer mehr, seine Anstrengungen wurden wütender, je mehr die Kräfte des armen Jägers nachließen. Zwar sprangen von vielen Seiten die Männer mit Stricken herbei, und einer machte sogar eine Schlinge, um den Wolf daranzuhängen und ihm die Kehle zuzuschnüren, bis er betäubt wäre und hinaus in den Wald geschafft werden könnte - das aber schienen viel zu gefährliche Experimente, denn geschah dem Tier dadurch ein Schaden, so war die ganze Anstrengung vergebens gewesen. Da rief Betsy, die in Todesangst um den Geliebten, die Hände fest gegen die Schläfe gepreßt, daneben gestanden, dem ganzen wirren Treiben zugeschaut und den tausend verworrenen Vorschlägen, wie sie gemacht und verworfen wurden, in namenloser Furcht gelauscht hatte, plötzlich aus: »Trag ihn in den Garten, Ben, wo der Fluß die Biegung macht - dort ist die Uferbank eingestürzt, und da hinabgeworfen, kann er nur ans gegenüberliegende Ufer schwimmen.« »Bei Gott, das Mädchen hat recht!« rief der alte Sutton, und Ben schritt schon ums Haus herum dem bezeichneten Orte zu. Die Fenz, die ihn noch von dem Garten trennte, wurde augenblicklich eingerissen, und wenige Sekunden später stand der
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Wolfsjäger an dem schroffen Ufer, das unten der vorbeischäumende kleine Bergstrom bespülte. Betsy hatte seinen Arm ergriffen und ihn geführt, daß er nicht etwa einen Schritt zu weit vorgehe sind selber mit hinabstürze. »Jetzt, Ben!« rief sie ihm zu, als sie ihn plötzlich zurückhielt. »Jetzt laß los!« »Gott sei Dank!« murmelte Ben, und während er noch die Arme öffnete, glitt der dunkle Körper am nachgebenden Sand hinab und schlug plätschernd in die unten über ihm zusammenbrechende Flut. Jetzt kamen auch mehrere mit rasch herbeigeholten Lichtern herbei, und bei dem matten, ungewissen Schein derselben konnten sie erkennen, wie der schwarze Körper des befreiten Wolfs rasch und mit heftigem Stöhnen durch die Flut strich. Als der aber drüben ans Ufer stieg, klingelte die wackere Glocke laut und hell - er hatte sich schütteln wollen, erschrak jedoch so über den fremden Laut, daß er rasch die Uferbank hinabsprang, und noch eine lange Strecke durch den Wald hörten sie das gleichmäßige Anschlagen der Schelle, wie der Wolf in dem diesen Tieren eigenen langen Galopp mit flüchtigen Sätzen nicht mehr den Feinden - die hatte er kaum gefürchtet - nein, diesem unerträglichen scharfen Lärm unter seiner Kehle zu entfliehen suchte. » Hahahaha!« brach endlich Ben, der jetzt lachend seine halberstarrten Arme schwenkte, das atemlose Schweigen, mit dem die Männer den immer mehr verschwimmenden Tönen der Glocke gelauscht hatten. »Er hat sie - beim ewigen Gott, er hat sie! So - das soll mir der Mr. Metcamp einmal nachmachen.« Metcamp? Ja, wo war denn Metcamp die ganze Zeit eigentlich? Das weiß der Himmel; am Washita hat ihn wenigstens kein sterbliches Auge mehr gesehen. Sein Fenstersprung konnte nicht bezweifelt werden, denn Zeugen gab es dafür genug, und vom Fenster aus ließ sich die Spur noch weit hinaus in den Wald, aber immer dem Arkansas zu, verfolgen. Sein ganzes Gepäck aber, ja selbst seinen Hut, ließ er, ohne auch nur einmal darum zu schreiben, in der Ansiedlung zu-
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rück, und Ben hatte gewiß recht, als er meinte, den habe nur sein böses Gewissen aus den Bergen getrieben. Und was wurde aus Betsy? Ich will dem Leser die weitläufige Auseinandersetzung ersparen und ihm nur mit kurzen Worten einzelne Tatsachen mitteilen, aus denen seine Einbildungskraft dann leicht den weiteren Verfolg der Sache, viel besser als ich ihm das selber klarmachen könnte, herausfinden wird. Mr. Metcamp war wirklich flüchtigen Fußes förmlich davongelaufen; der Brief aber, den er zu der Zeit am Washita erhalten hatte, mußte jedenfalls gefälscht gewesen sein, denn noch in demselben Monat hörten sie von einem Reisenden, daß Metcamps Onkel etwa vier Wochen vorher, ehe dieser zum Washita gegangen, total bankrott gemacht habe und der vermeintliche Erbe noch schlimmer als ein Bettler sei, da er sogar rasend in Schulden stecke. Die reiche Farmerstochter hatte er dabei leicht zu gewinnen geglaubt und auch natürlich alles Mögliche getan, seinem ihm allerdings gefährlichen Nebenbuhler den Besitz des Mädchens unmöglich zu machen. Daß er es gewesen, der damals den gefangenen Wolf befreit, ließ sich ebenfalls immer weniger verkennen, wenigstens sprach man die Ansicht kurze Zeit darauf ganz offen in der Ansiedlung aus, und daß sich der alte Sutton nach all dem Vorangegangenen schämte, den beabsichtigten Schwiegersohn aus der Stadt auch nur noch einmal zu erwähnen, versteht sich wohl von selbst. Es sind jetzt seit der Zeit zehn volle Jahre verflossen, und Farmer Sutton schläft in seinem eigenen Garten still und ruhig unter dem grünen, blumigen Rasen; Ben Holik aber hat das unstete Jägerleben aufgegeben, ist ein ordentlicher Farmer geworden und lebt mit seinem lieben Weib, seiner Betsy, und den drei Jungen und zwei Mädchen, die sie ihm in der neunjährigen Ehe geboren, glücklich und zufrieden, wie nur ein Mensch in der weiten Gotteswelt leben kann. Seine Herden haben sich dabei ungemein vermehrt, denn die Wölfe trieb der mit der Glocke behangene richtig hinaus aus der ganzen Nachbarschaft, und seine Felder hat Ben ebenfalls um viele
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fruchtbare Äcker erweitert; dort aber, wo er den Wolf damals lebendig gefangen, baute er sich auf der luftigen Bergkuppe ein kleines Haus und nannte es, zum Gedächtnis jenes glücklichen Abends, die Wolfsglocke.
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Ein Ausflug in Java Eines Morgens Mitte Januar ritt ich mit Herrn Blumenberger, der in Geschäften nach Batavia gekommen war, nach Tjipamingis hinauf. Gerade mit Sonnenaufgang verließen wir die letzten Landhäuser, und einen schmalen Fuß- oder Reitpfad annehmend, der durch eine weitläufige Kokos-Anpflanzung führte, erreichten wir die freien Reisfelder, durch die ein enger Weg bald durch, bald an Gräben hin, jetzt über eine Strecke hohen trocknen Landes, jetzt wieder durch niedere sumpfige oder künstlich überschwemmte Gegenden führte. Es war ein wunderherrlicher Morgen; die Gipfel der schwankenden im Winde rauschenden Kokospalmen, des schönsten, stolzesten Baumes, den die Tropenwelt geschaffen, glühten Von den ersten Strahlen der jungen Sonne geküßt; über das niedere Land zogen noch dünne, duftige Nebelstreifen, hier sich wie zum Spiel um eine hohe Gruppe dunkellaubiger Mangas sammelnd, dort, von irgendeinem Luftstrom erfaßt, wie ein Milchbach rasch ein enges Tal hinabfließend. Hier herrschte auch Leben in der Flur; dann und wann flog zwitschernd und scherzend ein munterer Schwarm von buntgefiederten Reisvögeln in die niederen, die Felder umwachsenden und den Weg hier und da begrenzenden Büsche, wenn ein Ulang-Ulang vielleicht, dicht über ihnen wegstreichend, sie aufgescheucht hatte von ihrem Morgenschmaus. An den feuchten Rainen saßen kleine, weiße, ernsthafte Kraniche und schauten neugierig in das zu ihren Füßen leise quellende Wasser nieder, und über ein dann und wann trockenes Feld schritt wohl ein langbeiniger Bangun, eine Art Storch mit riesig dickem Schnabel und schwerfälligem Kopf, sich mühsam rechts und links nach den vorbeisprengenden Pferden umschauend, ob sie ihn nicht auch etwa in seinem Morgenspaziergang stören und ihm die schöne Frühzeit verderben wollten. In den Reisfeldern wurde es ebenfalls lebendig; Scharen von Mädchen kamen aus den einzelnen Baumgruppen, in denen versteckt ihre Hütten lagen, heraus, ihr mühsames Tagewerk mit Pflanzen zu beginnen, und hier und da schlender-
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te langsam ein junger Bursch mit seinen beiden Karbauen heran und in den Schlamm der noch nicht zugerichteten Felder hinein, um zu pflügen oder zu eggen. Der Reis ist die Hauptnahrung nicht allein des Javanen, sondern fast aller indischen Völker, und der Reisbau deshalb eine ihrer wichtigsten, notwendigsten Beschäftigungen. Man baut hier auf Java zwei Arten von Reis, den nassen und trocknen. Das hauptsächlichste Handelsprodukt liefert der naßgebaute Reis, die Eingeborenen ziehen dagegen für ihren eigenen Bedarf den trocken gezogenen - und unter diesem wieder den roten Reis vor, der nahrhafter und wohlschmeckender sein soll als der andere, aber nicht so verkäuflich ist wie dieser. Einzig und allein dürfen sie sich aber auch nicht auf ihre trockenen Felder, die in der Anlage mit unseren Weizenfeldern Ähnlichkeit haben, verlassen, denn eine sehr trockene Jahreszeit könnte ihnen leicht eine Mißernte bringen, während der andere, durch lebendige Quellen und Ströme bewässert, weniger oder doch nicht so allein von dem Regen abhängig ist. Die hauptsächlichste und mühsamste Arbeit beim nassen Reis, d. h. solchem, der nicht allein im Wasser gepflanzt wird, sondern auch fast bis zur Reife mit den Wurzeln unter Wasser gehalten werden muß, ist jedenfalls die Herstellung der Felder selber, die vollkommen eben angelegt und einzeln mit Rändern oder Rainen umgeben sein müssen, um das Wasser sowohl darin zu halten, als auch gleichmäßig zu verbreiten. Natürlich findet sich in diesen bergigen oder auch nur wellenförmigen Ländern selten eine Strecke Land, selbst nur von einem Acker groß, deren Fläche vollkommen waagerecht wäre oder mit nur einiger Mühe dahin gebracht werden könnte. Die natürliche Folge davon ist denn, daß die Felder sehr klein angelegt und lieber mehrere, tiefer und tiefer laufende Abteilungen oder Schichten gegraben werden müssen, um das Wasser nach allen Seiten gleichmäßig verbreiten und benutzen zu können. Um diese Felder zu ebnen und aufzuhacken, gebrauchen die Javanen eine breite und, wenn man sie von weitem an-
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sieht, scheinbar sehr schwere Hacke; der Javane hat aber viel zuviel Liebe für seine eigenen Gliedmaßen, als daß er sich wirklich mit schweren Werkzeugen nur irgendwie einlassen sollte. Die Hacke besteht aus dem leichtesten Holz, mit einem Stiel, den man ohne die geringste Mühe zwischen den Händen - nicht einmal vor dem Knie - durchbrechen könnte, und nur vorn an der Schneide liegt ein dünner, sehr dünner und schmaler langer Stahl, um dadurch dem Werkzeug doch eine Schneide zu geben. Das sämtliche Eisen an der ganzen Hacke wird nicht über ein Viertelpfund wiegen. Ist das geschehen und von abgeschlagenem Rasen ein etwa fußhoher und ebenso breiter Damm oder Rand um dasselbe gelegt, dann wird das Feld gepflügt. Ich glaube aber, sie lassen schon vor dem Pflügen Wasser hinein, um diese Arbeit leichter in dem sonst wohl etwas schweren Boden verrichten zu können, und gehen erst mit dem Pflug hinein, wenn sie die Erde in eine Art Schlamm verwandelt haben. Sehr oft sah ich sie wenigstens in solchem Schlamm, aber nie in trockenem Grunde, ausgenommen in den zu trockenem Reis bestimmten Feldern, pflügen. Haben sie den Boden gehörig aufgerissen, so kommt die Egge hinein ein schwerfälliges Instrument, nicht wie unsere Eggen, sondern nach Art der Kultivatoren gebaut, und nur aus zwei Schenkeln bestehend, die vorn zusammenlaufen und ziemlich einen rechten Winkel bilden. In diesen stecken zehn oder zwölf starke hölzerne und etwas zugespitzte Zähne, und um dem Ganzen noch etwas mehr Schwere zu geben und die Zähne tiefer in den Schlamm hineinzudrücken, setzt sich der junge Bursch, der die Karbauen gewöhnlich treibt, sehr häufig oben auf seine Egge drauf und läßt sich in dem Brei spazierenfahren. Was die Saat des Reis anbetrifft, so geschieht die erst in besonders dazu hergerichtetem Feld, wie wir z. B. in Deutschland den Kraut- oder Kohlsamen säen. Er schießt dort dicht, Halm an Halm gedrängt empor und wird nur, sobald er die gehörige Größe erreicht hat, herausgenommen und büschelweise, d. h. immer drei, vier oder fünf Halme zusammen, von
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Menschenhänden in die nassen, unter Wasser stehenden Felder gepflanzt. Diese Arbeit besorgen fast allein Mädchen, ich habe wenigstens nie Knaben damit beschäftigt gesehen; sie nehmen sich eine tüchtige Handvoll der kleinen Pflanzen und drücken sie einzeln, ohne weiter ein Loch dazu bohren zu müssen, wie das bei den Krautpflanzen in trockenen Feldern der Fall ist, in den weichen Schlamm in ziemlich regelmäßigen Entfernungen und Reihen ein. Von jetzt ab haben sie weiter nichts mit dem Reis zu tun, bis er reif ist, als einmal vielleicht nach einigen Wochen durchzugehen und das dazwischen wuchernde Gras und Unkraut auszuziehen. Die Arbeit ist aber insofern, obgleich nicht sehr hart, doch unangenehm und beschwerlich, da die Pflanzenden den ganzen Tag in dem fast fußtiefen Schlamm und in der heißen, durch nichts abgehaltenen Sonnenhitze gebückt umhersteigen müssen. Solche frisch angepflanzte Felder mit ihren hellgrünen, fast durchsichtigen Reispflänzchen haben ein höchst freundliches Aussehen und wo besonders in den einzelnen Abdachungen ältere und dadurch dunkler gewordene Gefache, wie man fast sagen könnte, mit diesen abwechseln, tun die verschiedenen, oft wie in regelmäßigen Zeichnungen ausgestreuten Farben dem Auge unendlich wohl. Das Schneiden des Reis bewerkstelligen sie auch auf eine ganz eigene Art; die Frauen, welche diese Arbeit wieder meist allein besorgen, haben eine besondere Art von Messern oder Instrumenten dazu, womit sie jeden Halm einzeln abknipsen; es geschieht dies aber mit einer solchen Übung und Gewandtheit, daß sie doch eine sehr bedeutende Strecke in einem Tag beendigen sollen. Die reifen Halme werden mit dem Stroh etwa fünfviertel Fuß lang abgeschnitten und in kleine starke Büschel gebunden, die sie dann, die Ähren herunterhängend, zu Markte tragen. Eine Hauptnot haben die javanen von der Zeit an, wo der Reis zu reifen anfängt und eine wahrhaft unzählbare Schar von Reisvögeln, seine grimmigsten Feinde, oder vielmehr liebsten Freunde, herbeilockt. Dann muß die ganze junge Be-
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völkerung auf die Beine, um von früh bis spät mit allerlei entsetzlichen Lärminstrumenten und Scheuchmaschinen tätig zu sein. Eine besondere Art dieser letzteren, die ich vorzüglich auf dem Wege von Batavia nach Buitenzorg sah, besteht darin, daß in gewissen Entfernungen in den Reisfeldern kleine, auf hohen Baumstangen ruhende Hütten oder vielmehr Körbe, mit einem Schutzdach gegen Sonne und Regen, errichtet sind, in denen Knaben von sechs bis zehn Jahren auf der Lauer sitzen. Von diesen Körben aus, wo sie jeden Teil der in ihrer nächsten Umgebung liegenden Felder leicht übersehen und überwachen können, gehen aus Kokosnußfasern dünngedrehte Stricke nach den verschiedenen Teilen und stehen dort mit einem aufgesteckten Kokosblatt oder sonst einem vorragenden, leicht beweglichen Gegenstand in Verbindung. Lassen sich nun irgendwo in ihrem Bereich Reisvögel oder sonst dem Getreide nachteilige Tiere blicken, so ziehen sie nur einfach in etwas raschen Zuckungen an der dort hinausführenden Schnur, und die scheuen Tiere fliehen, sobald sie so ganz urplötzlich etwas anscheinend Lebendes in ihrer Nähe sich bewegen sehen, rasch ins Weite. Wo sie diese Hütten nicht haben, laufen die Jungen mit wahrer Todesverachtung den ganzen Tag mit riesigen Schnurren in den Feldern herum, die sie von nur einem etwas gebogenen Bambusstab anfertigen und die ein schmähliches Geräusch machen. Ähnliche Instrumente befestigen sie auch auf hohen Bambusstangen und überlassen den Lärm dem Winde, der sich auch gewöhnlich ein Vergnügen daraus macht, ihnen zu willfahren. Den größten Spektakel aber und einen wahren Heidenlärm, der genau wie das tolle Brüllen eines wildgewordenen Stieres klingt, macht ein etwas abgeschorenes Kokospalmblatt, das gerade so aufgesteckt wird, daß der Wind schräg in die starren, emporragenden und aneinanderschlagenden Blattabteilungen oder Zweigblätter hineinweht. Mag er dabei so stark blasen wie er will, er wird nie aus solchem Blatt ein gleichmäßiges Geräusch herausbringen können. Sobald es nur ein klein wenig aus der nötigen Rich-
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tung tritt, muß der tönende Lärm aufhören, der aber augenblicklich und zwar mit voller Stärke einsetzt, sobald es die frühere Stellung annimmt. Dadurch macht er aber auch den meisten Effekt auf die Reisdiebe, weil er nicht in einem fort tönt, sondern nur manchmal in unregelmäßigen Zwischenräumen, und wie ihn gerade der Wind faßt, einsetzt, dann aber mit einer Kraft, daß ich selber schon zusammengefahren bin, wenn ich mich gerade unter solch einer Reisklapper befand, ohne sie früher beachtet zu haben. Die Reisscheuen sind kleine, eigentümlich geflochtene Gebäude, vielleicht zehn bis zwölf Fuß hoch, acht Fuß lang und sechs bis sieben Fuß breit, nach unten etwas spitz zulaufend und mit hölzernen Füßen, wie ein richtiger Tragkorb. Sie können, wenn sie leer sind, leicht von einem Ort zum andern gewechselt werden und stehen wenn aufgestellt, mit diesen Füßen immer auf untergelegten Steinen. Das Dach ist ebenfalls von Bambus geflochten und gewöhnlich mit den schwarzen Fasern der Arenpalme gedeckt. Bei dem Reis darf ich aber auch nicht vergessen, des nützlichsten und von den Eingeborenen ungemein geschätzten Karbau, oder besser malayisch Karbo Erwähnung zu tun. Diese Karbos oder Bügel gehören gewissermaßen mit zu einer javanischen Familie, und so sehr der Javane das Schwein, als ein unreines Tier, verabscheut, so zärtlich liebt er den schmierigen, fast stets mit Schlamm bedeckten Karbo, mit dem der Knabe gewissermaßen aufwächst und in die Schule geht. Schon das Aussehen dieser Tiere ist merkwürdig sie haben fast gar keine Haare und eine Art Elefantenhaut, die nur in der Farbe wechselt, denn manche sind grau wie jene, andere aber auch wieder, und ein fast ebenso großer Teil vollkommen fleischfarben, weshalb sich einige Deutsche hier neulich ein Vergnügen daraus gemacht haben, einem gerade anwesenden Schiffskapitän weiszumachen, diesen Karbos würde jedes Jahr die Haut abgezogen, weshalb sie auch keine Haare hätten und einen Teil im Jahr noch fleischfarben und den andern dann wieder grau aussähen. "Es ist wunderbar", war alles, was er sagen konnte.
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Ihre Hörner, die oft eine unverhältnismäßige Größe erreichen, biegen weder zurück noch vorwärts, sondern stehen in gerader Linie mit dem Vorkopf, so daß man, wenn man ein Lineal fest von der Nase über die Stirn des Tieres weglegte, die nach oben wieder zusammenlaufenden Spitzen der Hörner dadurch ebenfalls berühren würde. Da sie die Nase fast immer vorgestreckt halten, so liegen die Hörner dadurch natürlich vollkommen zurück, und es gibt ihnen das mit den kleinen Schweinsaugen und dem halboffenen Mund ein wirklich rechtswidrig dummes Gesicht. Die Tiere sind aber gar nicht so dumm und wissen sich wohl recht gut, wenn das nur irgend ausführbar ist, von Arbeit und Quälerei wegzudrücken. Über dieselben haben nun gewöhnlich die Knaben die Oberaufsicht, und es ist merkwürdig, was für eine gegenseitige Zuneigung zwischen den beiden aufwächst. So wenig sich der Javane aus einem Pferd macht, und so sorglos und ohne Abwartung er dasselbe, selbst nach starkem Ritt, laufen läßt, so äußerlich ängstlich geht er dagegen mit diesen plumpen Geschöpfen um, und die Jungen sind ewig beschäftigt, sie in die Schwemme zu führen und abzuwaschen, was, nebenbei gesagt, eine so nutzlose als undankbare Arbeit ist, da die Tiere sich kaum rein abgestriegelt und abgespült fühlen, als sie auch schon wieder mit einem grenzenlosen Wohlbehagen im Schlamm liegen und sich mit ihren schaufelartigen Schnauzen das kühlende, natürlich dickschmutzige Wasser über den Rücken werfen. In dem Schlammwasser aber, wie draußen zur Weide gehend oder zu Hause ziehend, liegt der Knabe, der die Aufsicht über die Tiere hat, mit dem Bauch auf seinem Lieblingsbüffel, streckt die dünnen braunen Beine hinten in die Höhe und jauchzt vor Lust und Vergnügen. je mehr verschiedene Gespanne zusammen sind, desto größer ist die Freude; gehen sie dicht gedrängt, so wälzt sich das fröhliche Völkchen oft von einem zum andern, ohne daß sich die geduldigen Tiere auch nur im mindesten ungebärdig darüber zeigten; selbst beim Grasen bleiben sie oben liegen, und manchmal sehr zum Ärger eines kleinen starartigen Vogels, den die Balinesen Tjulik
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nennen (der malayische Name ist mir entfallen), und der sich ebenfalls, wenn der junge Javane einmal absteigen sollte, am liebsten auf dem Rücken des Karbo aufhält und ihm das Ungeziefer absucht, womit Karbo ebenfalls vollkommen einverstanden ist. Die unbepflanzten Reisfelder sind mit ihrem Schlamm eine wahre Erholung für diese Tiere, solange sie nämlich nicht darin pflügen und eggen müssen, und sie wälzen sich ganze Tage lang aus einem ins andere. Eine anstrengende Arbeit hat der Karbo oder Büffel übrigens im Karrenziehen, was nach dem Reisbau eine der bedeutendsten Beschäftigungen für ihn ist. Auf oder vielmehr an der Hauptstraße - denn neben den Hauptchausseen läuft noch ein Nebenweg, stets zerfahren und aufgewühlt, der nur für die Ochsenkarren der Javanen bestimmt ist - begegnet man oft in ganzen Zügen von zwanzig bis fünfzig zweirädrigen Karren, die quietschend und schreiend auf den holprigen, schlammigen Straßen dahinwälzen, während doch daneben ein Weg geht, auf dem sie sich mit Leichtigkeit fortbewegen könnten, den sie aber nicht betreten dürfen. Die Karren selber sind leicht genug, von Bambus stark geflochten und mit einem ebensolchen Bambusdach, wie zwei zusammengestellte Kartenblätter der Form nach, gedeckt. Vorn hängt, wahrscheinlich der Melodie wegen, eine Glocke, denn die Javanen halten ungemein viel von solch eintöniger, schreiender Musik. Das Gekreisch dieser Wagen ist dabei entsetzlich; die Räder sind, vielleicht vier bis fünf Zoll dick und etwa vier Fuß im Durchmesser, aus grobem Holz geschlagen, und werden natürlich nie geschmiert, so daß man sie oft meilenweit hören kann. Ganz in der Nähe hat selbst dies Gequietsche aber, mit seinen teils hoch, teils tief gestimmten Rädern eine Art Melodie, für die die Javanen jedenfalls Gehör haben und auch ein gewisses Interesse empfinden müssen. Im Lande wurde eine Anekdote von einem Orang gunung oder Bergmenschen erzählt, der zum erstenmal ein Harmonika spielen hörte, und auf die Frage, ob ihm die Musik gefalle, zur Antwort gab: "Ausgezeichnet es klingt beinah' so wie unsere Wagen."
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Diese Karren fahren sämtliche im Lande gezogenen Produkte in die nächsten Städte oder nach den Küsten hinunter, und die Karbos sind in ein Joch gespannt, das Ähnlichkeit mit den amerikanischen hat, aber lange nicht so praktisch ist. Es besteht nur aus einem geraden, runden Stück Holz, an das der Hals der Tiere durch ein gebogenes und wieder eingeschobenes Stück Bambus oder biegsames Holz festgehalten wird. Weil aber das Holz oder Joch eben gerade ist, so kann der Nacken der Tiere nur gegen einen einzelnen, den mittelsten Punkt drücken, und sie sind deshalb auch gar nicht imstande, ihre ganze Stärke dabei anzuwenden, während der eine kleine Teil ihres Körpers, gegen den das ganze Gewicht liegt, leicht ermüden und schmerzen muß. Das amerikanische Joch dagegen ist unten, nach dem Nacken des Tieres rund ausgeschnitten, so daß dieser vollkommen darin liegt und von allen Seiten gleich stark dagegen preßt, was ihnen die.Arbeit ungemein erleichtert und sie weit mehr leisten läßt. Die Javanen haben aber außerdem noch eine eigene Manier, ihre Büffel zu leiten; sie befestigen ihnen nämlich ein dünnes Seil durch den Nasenknorpel, mit dem sie das Tier leicht führen und lenken können, besonders dann, wenn sie obenauf sitzen. Eingespannt, treiben sie es nur mit der Peitsche. Unterwegs hatten wir mehrere kleine Flüsse zu kreuzen, die von dem letzten Regen bedeutend angeschwellt waren. Über den einen kamen wir mit dort von Javanen bereitgehaltenen Canoes, und ließen die Pferde hinüberschwimmen, am anderen aber waren keine Canoes.. und die Ufer so steil und schlammig, daß der Übergang bei hohem Wasser eben nicht angenehm, und manchmal wohl sogar gefährlich wird. Hierüber war allerdings etwas weiter unten eine Brücke geschlagen, aber nur von Pfosten und mit geflochtenen Bambusmatten gedeckt, ohne die geringste Stütze darunter. Solche Bambusmatten halten auch vortrefflich, solange der Bambus eben noch jung und frisch ist, wird er aber erst einmal alt, dann bricht er ungemein leicht und ist dann für die Pferde eine höchst gefährliche Passage.
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Es blieb uns aber nicht gut ein anderer Ausweg, als die Brücke zu nehmen, wir mußten von zwei Übeln das kleinere wählen, und gebrauchten nur die Vorsicht, vorher abzusteigen und die Pferde zu führen. - Es war ein häßlicher Platz - die Brücke etwa zwanzig Fuß hoch über dem Wasser und nichts als die dünne bröckelige Matte darüber - brach ein Pferd ein, so war es verloren. - Mein Begleiter, der voranging, kam aber gut hinüber, sein Pferd trat nur zweimal durch und fand immer wieder eine feste Stelle. Ich folgte aber nicht hinter ihm, denn die eben eingetretenen Plätze machten es dort nur noch schwieriger, hinüberzukommen, - ganz an der Seite schien mir der beste Platz. Das Pferd mochte aber wohl merken, welche fatale Stelle es zu passieren hatte, und wollte im Anfang gar nicht hinüber; erst als es sah, daß es nicht anders ging, machte es plötzlich einen Satz und sprang, den günstigsten Fleck sich dabei aussuchend, nach vorn, während es zu gleicher Zeit mit beiden Hinterbeinen durch die Matte brach. Glücklicherweise hatte es mit den Vorderhufen festen Halt, gerade hinter einem Querbalken, und sein volles Gewicht auf diese werfend, gelang es ihm, die Hinterbeine wieder mit einem plötzlichen Ruck in die Höhe und zu den Vorderfüßen zu bringen - noch ein Satz, und wieder krachte der trockene, mürbe Bambus, diesmal aber nur an einer Stelle, das Pferd gewann wieder festen Fuß und war mit dem dritten Sprunge auf dem erst später angelegten und sichern Teil der Matten. - Wir waren glücklich hinüber ich versprach mir aber, und wenn ich durch sechs Flüsse hindurchschwimmen sollte, nie wieder über eine solche Brücke mit einem Pferde zu ziehen. Gegen Mittag erreichten wir eine andere Farm, wo ein Holländer Aufseher war. Dies Gut gehörte einem im Land aus gemischter Ehe geborenen sogenannten Liplap, der sich durch sein liederliches, oder vielmehr verschwenderisches Leben einen ordentlichen Namen erworben hatte. Der gute Mann verzehrte, ich weiß nicht wieviel hunderttausend Gulden jährlich, und stak doch dabei fortwährend dermaßen in Schulden, daß ihm jetzt nun schon zum zweitenmal Kuratoren gesetzt waren, um seine Gläubiger sicherzustellen und zu befriedigen.
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Nach Tisch brachen wir auf, Tjipamingis noch vor dem gewöhnlich spät nachmittags eintretenden Regen zu erreichen, und jetzt kamen wir auch, allerdings noch in zirka sechs bis sieben Meilen Entfernung von Klapanunga, an dem Orte vorbei, wo in den kleinen, niederen, von dem Hauptrücken des hier jedoch schon abflachenden Gebirges auszweigenden Hügeln die indischen Schwalben in tief in die Berge gehenden Höhlen ihre eßbaren und so teuer bezahlten Nester bauen. Unterwegs kamen wir noch durch einen kleinen Kampong, wo auch allwöchentlich ein pasar oder Markt gehalten wird und wo wir bei einem behaglichen alten Burschen von Chinesen abstiegen, eine Tasse Tee tranken und einige eingemachte Früchte dazu aßen. Die Art, wie die Chinesen Tee trinken, hat etwas Besonderes; zuerst haben sie äußerst kleine Kannen und Tassen, die in einem Teebrett stehen, auf dem, durch das fortwährende Einschenken, schon immer eine Quantität herumschwimmt. Die kleinen Tassen werden vollgeschenkt, sowie aber der Gast nur die Hälfte davon getrunken hat, steht auch der Wirt oder die Wirtin schon da und füllt sie wieder voll. Sie brauchen ebenfalls Zucker dazu, aber keine Milch. Ihre eingemachten Früchte sind vortrefflich, und sie benutzen dazu auf sehr geschickte Weise alles, was ihnen nur vorkommt. Besonders zu lieben scheinen sie eine kleine Gattung wachsartiger Beeren, die sie vortrefflich zu präservieren wissen. Von hier ab betraten wir die Hügel, die wir bis jetzt nur zu unserer Rechten gehabt; bald ritten wir durch ein freundliches Tal, bald an weiten Hügelrücken hin, auf deren Flächen grünender Radjang tjina, Bohnen, Ananas und trockene Reisfelder lagen. Die Radjang tjina oder chinesische Radjang-Bohne wird hier ungemein viel gezogen und hauptsächlich dazu gebraucht, Öl daraus zu pressen; doch schmecken die Bohnen auch geröstet vortrefflich und sind eine Lieblingsspeise besonders der Kinder. Diese Radjang tjina ist übrigens dieselbe Frucht, die in den südlichen Teilen Nordamerikas unter dem Namen Erdnuß bekannt, auch manchmal nach Deutschland hinüber verschickt wird, dort aber schon meistens ranzig schmeckt. Sie
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werden in Reihen gepflanzt, und die Nuß oder Bohne, wie sie hier genannt wird, wächst als Knolle in der Erde und hat einen vollkommen nußähnlichen Geschmack. Sie soll das Land sehr bedeutend ausziehen, wenn zwei Jahre auf ein und derselben Stelle gebaut, während sie dagegen dem Boden im ersten Jahr eher Nutzen als Schaden bringt. Ziemlich spät am Nachmittag, und als eben die ersten Regen einsetzten, erreichten wir endlich Tjipamingis das eine höchst freundliche Lage am Ufer eines kleinen Bergstromes und am Fuße eines gerade dicht dahinter ziemlich steil und malerisch aufsteigenden und dicht bewaldeten Berges hat. Rings von Hügeln eingeschlossen, liegt es dabei wie in einem Kessel, und seine freundlichen, dicht von Fruchtbäumen überschatteten Dächer und wehenden Palmen geben ihm einen höchst lieblichen Anblick. Der Weg führte steil und schnurgerade durch und hinunter, und die Pferde liefen, was sie nur ausgreifen konnten, denn sie wußten, es ging nach Hause. Das Innere der Wohnung war übrigens echt indisch - ein europäischer Mann, eine chinesische Frau und ein javanisches Kind - man findet das hier im Lande ungemein häufig, und die Chinesinnen sollen gewöhnlich recht gute Frauen werden.
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Herr Schultze Ein Märchen
Die Zeit der Wunder ist vorüber und die Welt glaubt nicht mehr an das Überirdische, denn sie will alles in nüchterner, hausbackener Wirklichkeit haben, um es so recht aus Herzensgrund begreifen, das heißt betasten zu können. Kommt dann wirklich einmal etwas Geisterhaftes, zeigt sich einmal in stiller Mitternachtsstunde dem einzelnen, dem Auserwählten, ein anständiges, ordentliches Gespenst, so könnte dieser später bei allen Heiligen, und noch überdies Stein und Bein schwören, es glaubte ihm niemand ein Wort davon. Entweder hieße es: "Der gute Mann habe mit wachenden Augen geträumt", oder die lieblose Bruder- und Schwesterschar urteilte vielleicht noch strenger und sagte am Ende gar: "Er ist ein Narr, daß er denken kann, vernünftige Leute sollten sich so etwas weismachen lassen!" Was um des Himmels willen ist nun mit einer solchen Welt anzufangen? – Gar nichts. In solch ähnlicher Verlegenheit befand sich vor noch nicht so langer Zeit der liebe Gott selbst. Auf der Erde, und besonders in den deutschen Bundesstaaten, sah's in jeder Hinsicht windig und bös aus. Mit der Politik der Kammern waren allerdings die Kammer herren und Kammer diener, sonst aber auch niemand zufrieden; die Religion drohte gleichfalls wieder eben aus Religion ganz irreligiös zu werden, denn selbst die Laien fühlten sich nicht mehr sicher, als ganz gewöhnliche Menschen schlafen zu gehen und als Apostel wieder aufzustehen – und was die Ernten betraf, so war es wirklich zum Verzweifeln. Einmal schien es zu dürr, einmal zu naß, einmal viel Mehltau, ein anderes Mal Hagel, kurz, es kam in jedem Jahr etwas anderes, was die Getreidepreise hinauftrieb, Brot und Fleisch teurer machte und die Armen – i. e. solche, die nicht gewußt hatten reich zu werden – so bedrückte, daß des Betens und Bittstellens kein Ende mehr wurde. Die Notleidenden wandten sich dann aber teils persönlich an ihn selbst,
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teils plagten und peinigten sie die armen Heiligen und Schutzpatrone bis auf's Blut. Dazu kam nun noch, daß die Menschen wirklich anfingen, ihm leid zu tun. Er hätte ihnen so gern geholfen! – Wie aber das anfangen? Die Gesetze der Natur konnte und wollte er deshalb nicht ändern, und das ungeheure Walten jener wirkenden und schaffenden Urkräfte zu stören, wäre, der paar Erdenbewohner wegen, auch etwas viel verlangt gewesen. Aber es gab natür1iche Mittel, und die sollten hier helfen. Nichts war einfacher als die Religion – er hatte das Ganze schon früher einmal dem Moses in einer Viertelstunde diktiert – in dieser Hinsicht hoffte er bald Frieden zu stiften; auch die Politik mußte in Ordnung gebracht werden – es waren ja alles seine Kinder, und wenn auch die einen, wie das wohl die Geschwister häufig tun, die anderen unterdrückt und sich die Sachen zugeeignet hatten, die gar nicht für sie allein bestimmt gewesen, so konnte das – und dazu hatte er ihnen ja eben die Vernunft gegeben – bald wieder geregelt werden. Was denn endlich den vielen Mißwachs der Ernten betraf, so erzeugte die Erde selbst in ihrem Innern Mittel gegen diese Übelstände, denn sie trug und trägt ja in sich selbst den Keim, das alles zu verbessern und zu seinem höchsten Grad der Vollkommenheit zu führen. Nun frug es sich nur, wie es möglich sei, dies den Menschen selbst bekannt zu machen, und auf welche Art es sich hoffen ließ, von ihnen verstanden zu werden. Durch eine feurige Schrift am Himmel? – Die Freigeister und Professoren hätten eine solche als etwas Natürliches erklärt, und die Theologen ihr eine ganz andere Auslegung gegeben. Durch eine Stimme von oben? – Das war erstens schon dagewesen, und dann würden auch die Leute höchstens gesagt haben: "Heute hat es doch einmal gedonnert, daß man ordentlich Worte verstehen konnte." – Es war zum Verzweifeln. Da beschloß denn Gott Vater, aus unendlicher Liebe für das Menschengeschlecht, ein Buch über die zu verbessernden Verhältnisse und besonders über Ackerbau und Viehzucht, für
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welche beiden Zweige er sich vorzugsweise interessierte, zu schreiben und damit selbst auf die Erde hinabzusteigen. Zeit hatte er ja für den Augenblick: dieWelt lief im allgemeinen in ihren ewigen Kreisen ruhig fort, und wenn ihm nicht manchmal ein Komet durchbrannte und, einen Schweif roher Gesellen auf den Hacken, mit offenen Laternen und Pechfackeln die stillen Straßen des Firmaments auf staatsgefährliche Weise durchtobte, so war keine Unordnung zu fürchten. Doch auch selbst hierüber hatten ihn die Berechnungen der besten Astronomen beruhigt, die ja die Erscheinung des nächsten noch bis auf x Jahre hinausgeschoben. Sein Plan ward also, kaum gewollt, auch schon ausgeführt. Mit Gedankenschnelle flogen die Zeiten mit der Enthüllung jener göttlichen, uns noch unbekannten Urkräfte des Erdkörpers auf das Papier nieder, und wenn sich der liebe Gott auch, seit er damals die zehn Gebote entworfen, nicht mehr mit literarischen Arbeiten beschäftigt hatte, so ging die Sache doch verhältnismäßig ungemein schnell. Das geschehen, rauschte er, die Liebe für seine oft unfolgsamen Kinder im treuen Vaterherzen, auf unsere schöne Erde hiernieder, um einen Verleger für sein Werk zu suchen, und stieg, wie sich das von selbst versteht, in Leipzig, und zwar im ersten Gasthof, daselbst ab. Um aber jedes Aufsehen zu vermeiden, mußte er natürlich die Gestalt des Menschen – die edle, schöne Gestalt des Mannes, wie er ihn früher nach seinem eigenen Bilde erschaffen – annehmen und kleidete sich zwar sehr einfach, aber doch nach der gerade bestehenden Mode. Vor dem Hotel hielten mehrere Droschken, und eine derselben brachte ihn denn auch bald zu dem Buchhändler Schmerz, bei dem er ohne weitere Umstände eintrat und ihm nach wenigen einleitenden Worten sein fertiges Manuskript anbot. Herr Schmerz – ein langer, hagerer Mann mit tiefliegenden, dunkeln Augen – nötigte ihn sehr artig zum Sitzen, las dann den Titel des Manuskriptes und frug, sich leicht gegen den Fremden verneigend: "Mit wem habe ich die Ehre?"
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Das war nun allerdings eine sehr natürliche Frage; jeder Buchhändler wünscht doch zu wissen, mit wem er es zu tun bekommt. Dem lieben Gott kam sie aber nichtsdestoweniger unerwartet, denn er durfte dem Mann doch nicht sagen, wer er sei; Herr Schmerz hätte ihm das auch im Leben nicht geglaubt. Er faßte sich also kurz und antwortete, indem er, um nicht unartig zu scheinen, die Verbeugung erwiderte: "Schultze!" "Ah – Herr Schultze – mir sehr angenehm! Und Sie wünschen also dies hier drucken zu lassen?" "Ich wünsche dadurch einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen", sagte der liebe Gott, und Herr Schmerz schlug das Manuskript schnell auf, denn er glaubte wahrscheinlich, es lauere der Antrag zu einem neuen Theatergeschäftsbüro oder zu einer illustrierten Zeitung im Innern; bald sah er jedoch, daß er sich geirrt habe, und frug – schon etwas beruhigt: "Und über was handelt es? Der Titel ist etwas – etwas umfassend: Enthüllungen der geheimsten und segensreichsten Urkräfte des Erdballs -" "Über alles – Viehzucht und Ackerbau – Religion und Politik." "Sie sind Literat?" "Nicht eigentlich; ich bin mehr Ökonom, habe aber dieses Werk aus reiner Liebe zur Sache geschrieben, denn ich liebe die Menschen und weiß, welchen Dienst ich ihnen damit erzeigen werde." Herr Schmerz blätterte ein wenig im Manuskript herum, um einzelne Sätze darin zu lesen, und schüttelte dabei bedeutend mit dem Kopf. "Sehr flüchtig geschrieben das, sehr, – Herr – Herr" " Schultze", sagte der liebe Gott. "Ach ja, Herr Schultze – sehr flüchtig – die Setzer beklagen sich so immer!" "Ich sollte denken, es käme hier mehr auf den Inhalt als die Schrift an!" sagte der Fremde. "Wie unscheinbar sieht zum Beispiel eine Kartoffel aus, und was schließt sie nicht alles in sich ein? In ihrem Innern lebt und wirkt eine kleine, für sich
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abgeschlossene, aber deshalb nicht weniger kunstvolle Welt; dem Menschen unbekannte Kräfte und Lebenstriebe durchströmen sie, und atmende Wesen bewegen sich in dieser festen, saftigen Fleischmasse mit derselben Leichtigkeit, mit der sich die Menschen durch die Luft bewegen, und wenn im Frühjahr die Keime -" "Sie haben Phantasie, Herr Schultze", unterbrach ihn etwas ungeduldig Herr Schmerz – "aber dürfte ich Sie wohl bitten, mir den Inhalt dieser Schrift etwas näher anzugeben?" "Recht gern. – Es ist, wie Ihnen auch der Titel sagt, eine Enthüllung geheimer, bis jetzt noch nicht gekannter, vielleicht nicht einmal geahnter Naturkräfte, um zuerst dem Mißwachs und den Viehseuchen entgegenzuwirken, und gleichzeitig das moralische Schaffen und Treiben der Menschen – von denen der große Haufe nun doch einmal in den Tag hineinlebt – zu ordnen und zu regeln. Was die ersten Kapitel – Mißwachs und Seuchen – betrifft, so existierten in früheren Zeiten andere Verhältnisse. Die Bevölkerung des Erdballs war zu schwach, und die Erde erzeugte mehr, als ihre Bewohner konsumieren konnten. Daher mußte ich diesem Übelstand durch natürliche Mittel abzuhelfen suchen." "Sie?" "Ich – meine die Natur. jetzt aber hat jene Ursache aufgehört, und deshalb soll auch die Wirkung nachlassen. Das Menschengeschlecht ist an Zahl so gewachsen, daß es, wenigstens in Europa, alles braucht, was es erzeugen kann, und ich wünschte nun dieses zum Nachteil werdende Hindernis gehoben zu sehen. Das können sie aber nicht verlangen, daß ich deshalb die ewigen Naturgesetze ändern sollte, um – " "Nein!" sagte Herr Schmerz. Der liebe Gott sah ihn im ersten Augenblick erstaunt an, besann sich aber schnell und lenkte wieder ein: "Um solchen Übelständen nämlich abzuhelfen, kann man also, wie ich sagen wollte, doch nicht verlangen, daß die einmal bestehenden Gesetze der Natur geändert werden sollten. Dafür liegt aber auch in ihren eigenen Kräften, in ihren geheimsten, innersten Lebensfasern das Heilmittel gegen diese nicht mehr nötigen
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Zuwachsminderungen, und ich habe das alles hier kurz und bündig, aber auch leicht faßlich niedergeschrieben. Drucken Sie es, und geben Sie das dafür übliche Honorar in die hiesige Armenkasse. – Sie werden überdies Nutzen genug davon haben." Herr Schmerz, vielleicht durch dies keineswegs gewöhnliche Benehmen neugierig gemacht, oder auch, weil ihm das ganze Äußere des Fremden eine gewisse Ehrfurcht einflößte, scheute sich, augenblicklich eine bestimmte Antwort zu geben, und bat nur, ihm das Mariuskript bis morgen zu lassen, wo er sich dann darüber zu entscheiden versprach. Zur verabredeten Stunde am nächsten Tag stellte sich der Fremde wieder ein und bat um seine Antwort. Herr Schmerz machte indessen heut ein äußerst bedenkliches Gesicht und blickte kopfschüttelnd und mit emporgezogenen Augenbrauen auf das Manuskript herab, das er in der Hand hielt. "Ich komme, um Ihre Entscheidung über den Druck meines Werkes zu hören", sagte der Fremde. "Ja, sehen Sie – bester Herr Schultze", begann endlich der Buchhändler nach kurzer Pause – "das ist so eine Sache mit dem Druck dieses Heftes. Einesteils glaube ich – aufrichtig gestanden – gar nicht, daß das Buch etwas machen wird. Für ein rein wissenschaftliches Werk ist zuviel Phantasie, – für Phantasie zu viel Wissenschaftliches darin, und dann – druckten wir es nicht äußerst splendid, daß es über zwanzig Bogen gäbe, so striche uns der Zensor die ganze Geschichte. Sie halten sich ja gar nicht ein bißchen an das Bestehende, werfen alles über den Haufen, was nun doch einmal da ist, und reden von Sachen, die über menschliche Begriffe fast hinausgehen. Ich habe darin herumgeblättert – etwas altväterischer Stil – nun, dergleichen ließe sich abändern – aber – das nehmen Sie mir nicht übel – ein bißchen zu prätentiös ist das Ganze auch noch geschrieben. Sie reden da in einem fort: das muß so sein und das so, hier tue dies und da tue das, die Wirkung wird dann im ersten Jahr so, im zweiten so, und im dritten und den folgenden so sein; die Behandlungsart von A wirkt auf B, und die Unterlassung würde sich für drei Jahre, wieder so, und für
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andere zehn wieder so gestalten. Nein, das geht nicht, mein bester Herr Schultze, damit kommen wir nicht mehr durch. Ja, in alten Zeiten, da ließ man sich das gefallen, dam als gehörte nur eine etwas dreiste Stirn dazu, die Welt glauben zu machen, was man wollte; aber jetzt gehen wir der Sache tiefer auf den Grund. "Überdies erlauben Sie sich auch über Politik, und besonders über Religion Äußerungen, die ich selbst nicht einmal unter dem Namen Schultze vertreten möchte. Am Ende brauchten wir ja gar keine Priester und Prediger mehr; und dann die Beleuchtung Ihrer sozialen Verhältnisse? Nein, mein guter Herr Schultze: würde ich das Buch, das allerdings Geist verrät, wirklich drucken, so glaubte uns erstlich kein Mensch ein Wort von dem, was drinnen steht; dann kämen wir wegen des einen Teils in die schönste Kriminaluntersuchung, und über den andern Teil fielen nachher die Rezensenten wie wahnsinnig her. Das wenigste, was sie sagten, wäre, ich hätte einen neuen hundertjährigen Kalender verlegt. Und wenn sie's dann nur noch kauften – wenn es noch ginge! Ich käme aber wahrhaftig nicht einmal auf die Kosten, denn ein Leihbibliothekenbuch ist das nicht." "Nein, allerdings nicht", sagte der Fremde – "aber verlegen Sie es nur; ich garantiere Ihnen, daß Sie gute Geschäfte damit machen." "Sie garantieren mir das? Welche Bürgschaft könnten Sie mir denn dafür geben?" "Meinen Namen!" "Bester Herr Schultze!" rief Herr Schmerz. "Ja so!" sagte der liebe Gott – "Sie wollen es also nicht? Sie weisen es zurück?" "Ich bin Ihnen wirklich für das Vertrauen, das Sie in mich gesetzt, ungemein verpflichtet, aber ich habe jetzt in der Tat so viele Manuskripte daliegen, – eins drängt so das andere; – mein Nachbar Beißig wird sich aber sicherlich ein Vergnügen daraus machen, – der hat überdies mehrere landwirtschaftliche und wissenschaftliche Werke gebracht." "Und Sie glauben, daß Herr Beißig -"
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"Oh, ich bin es fest überzeugt; versuchen Sie es nur! – Oh – keine Komplimente, bester Herr Schultze! – jenes ist der Ausgang, wenn ich bitten darf; die Tür hier führt in die Küche. Habe die Ehre, mich gehorsamst zu empfehlen!" Der liebe Gott fand sich gleich darauf mit seinem in Makulatur eingeschlagenen Manuskript, auf welchem mit großen Rotstiftbuchstaben "Hr. Schultze" geschrieben stand, auf der Straße und blieb im ersten Augenblick wirklich etwas überrascht stehen. Das hatte er nicht erwartet! – Er wollte die Menschen glücklich machen, und trifft dafür auf solche Schwierigkeiten. "Nun, Herr Beißig wird es auf jeden Fall nehmen!" Aber siehe da – auch hier schien es, als ob er vergebens angeklopft habe; neue Schwierigkeiten, neue Entschuldigungen. Wieder wurde er zu einem andern geschickt, und nachmittags nahm er sich eine Droschke auf eine Stunde, um schneller aus einer Verlagshandlung in die andere kommen zu können. Volle sechs Tage hatte er so mit immer gleichem Erfolg auf dem Pflaster gelegen; er beschloß also, den siebenten zu ruhen und am nächsten Montag die noch übrigen fünfundfünfzig Buchhändler aufzusuchen, um sich später gar keine Vorwürfe machen zu dürfen. Da klopft es, als die Glocken eben zu läuten begannen, leise an seine Tür. "Herein!" rief er, gerade nicht in der besten Laune. "Ich habe das Vergnügen, mit Herrn Schultze zu sprechen?" "So nennt man mich hier." "Ihren Paß, wenn ich bitten darf." "Ich habe dem Wirt schon gesagt, daß ich keinen bei mir führe." "Dann muß ich Sie freilich bitten, mir zu folgen." "Aber, mein Herr -" "Ich bedaure recht sehr – aber Sie wissen – meine Pflicht" "Ich gehe auf keine Fall mit Ihnen!" "Sie werden sich doch der Obrigkeit nicht widersetzen wollen?"
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Was wollte der liebe Gott jetzt machen? An dem ihm selbst geweihten Tage Skandal anfangen? Welch ein Beispiel hätte er dadurch gegeben! Er setzte seinen Hut auf und folgte. Im Polizeibüro wurde er freilich mit der größten Artigkeit behandelt, denn in seinem ganzen Wesen lag etwas so Edles, Ehrfurcht Einflößendes, das ihm überall Freundlichkeit und Zuvorkommenheit sicherte; gegen die einmal bestehenden Gesetze ließ sich aber, das wußte er ja aus eigener Erfahrung, nichts tun – einen Paß hatte er nicht – der von ihm angegebene Ort, woher er stamme – "Himmelsburg in Engelland", ließ sich auf keiner Karte Albions entdecken, und somit mußte ihm denn, wie sich das vorhersehen ließ, die Weisung werden, sich binnen vierundzwanzig Stunden einen Paß zu schaffen oder – die Stadt zu verlassen. Jetzt bekam der liebe Gott die Sache aber auch satt. Bloß der Menschen wegen hatte er sich all diesem unterzogen, und nun traten ihm aus jeder Ecke neue Hindernisse entgegen. Zwar hätte er sich im Augenblick selbst einen Paß herstellen können; durfte er aber das auf einen fremden Namen tun? Das wäre wieder gegen seine eigenen Gesetze wie die der Menschen gewesen. – Nein, er sah jetzt ein, daß es die Sterblichen gar nicht besser verdienten; sie wollten das alles, was sie drückte und quälte, behalten – sie wollten kein Licht haben, und wenn sie sich die Schädel an den Wänden einstießen. So beschloß er denn, in den Himmel zurückzukehren und das von den Blinden verschmähte Werk im Feuer zu vernichten. Sein Wille war Tat. In lodernder Glut verzehrte sich das göttliche Manuskript – dieser allein Millionen werte Autograph – und jauchzend wirbelten die boshaften Luft- und Feuergeister die Aschenatome in das reine sonnige Blau des Firmaments, und spielten und tanzten damit im tollen, wilden Übermut hoch, hoch auf zu der endlosen Höhe. Der liebe Gott aber schaute ihnen sinnend nach und murmelte endlich gutmütig lächelnd vor sich hin: "Das hätt' ich mir, wenn ich nicht allwissend wäre, allenfalls denken können!"
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Dann in Licht zerfließend, stieg er wieder empor zu den reinen, göttlichen Räumen des Lichts, zu dem Urquell des von Strahlen durchfluteten Alls. Rosige Wolken drängten sich um ihn her und hoben und trugen den Gott, Freude glühend und Frieden leuchtend, hinan – hinan in das Äthermeer der Unendlichkeit, in die kreisenden Sonnenwelten des ewigen Seins.
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Jack und Bill Es ist nun schon einige Zeit her, da lebten am Oldcastle-Kap in Wales zwei Brüder namens Jack und Bill Drygarn. Beide waren Seeleute, die sich seit ihrem achten Jahre auf Salzwasser umhergetrieben und nie viel nach dem festen Lande verlangt. Das Ufer betrachteten sie auch in der Tat, wie die meisten dieser Menschenklasse, nur als einen Platz, der dazu da sei, Wasser und frische Provisionen, besonders Rum, an Bord zu nehmen, und wo die Matrosen ihr auf See sauer genug verdientes Geld wieder rasch und fröhlich durchbringen könnten. Außerdem hielten sie es für das, was es für den Seemann auch wirklich gar nicht selten ist, nämlich für ihren schlimmsten Feind, und mochten nicht viel davon wissen. Bill war zwei Jahre jünger als Jack, an Gesicht und Körper glichen sich aber die beiden so, dass sie schon oft für Zwillinge gehalten worden, und zuweilen selbst von ihren nächsten Bekannten verwechselt wurden. Ziemlich phlegmatischer Natur alle beide, hatten sie jedoch einander lieb und fuhren stets auf ein und demselben Schiff mitsammen, brachten mitsammen durch, was sie hatten, und ließen sich dann wieder ebenso ruhig und vergnügt zu neuer Reise anwerben. Machten es doch die anderen Matrosen ebenso. So gut sie übrigens von der See dachten, so schlecht meinte es diese eine Zeit lang mit ihnen, und nachdem beide lange Jahre außerordentlich glücklich gefahren, änderte sich das plötzlich. Sie konnten keinen Fuß mehr an Bord eines Schiffes setzen, ohne dass es nicht irgendwo scheiterte oder strandete, oder wenigstens die Masten über Bord jagte und sonst schwere Havarie litt. Mit dem Leben kamen sie allerdings immer glücklich davon, aber sonst verloren sie auch auf mehreren Reisen hintereinander alles, was sie sich eben mit großer Müh und Anstrengung angeschafft, und mussten immer wieder von neuem, und zwar ganz von vorn, beginnen. Seeleute sind alle ein wenig abergläubisch, und den beiden Brüdern kam zuletzt der Gedanke – der sich in diesem Fall auch wirklich entschuldigen ließ –, dass sie zum Unglück auf
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See ausersehen wären und die letzten Fatalitäten als wohlmeinende Warnung zu betrachten hätten: Salzwasser fortan zu meiden. Nur einen Versuch wollten sie noch machen, der eben über ihr künftiges Schicksal entscheiden sollte, und wie der ausfiel, danach wollten sie handeln. Der fiel übrigens sehr schlecht aus. Sie gingen beide wieder in einer nach New York bestimmten Brigg von Pembroke aus in See, verloren gleich in der ersten Nacht beide Masten und Klüverbaum, und trieben endlich mit dem Wrack, nachdem sie dasselbe mit Pumpen noch vierundzwanzig Stunden flott gehalten, an dieselbe Küste wieder an, von der sie ausgelaufen. Der Fingerzeig war denn doch zu deutlich, um ihn zu verachten, und Jack und Bill beschlossen jetzt, was schon seit einiger Zeit ihr Plan gewesen, zu bleiben, wo sie waren, das heißt auf festem Grund und Boden, und der See, wenigstens dem Fahren, zu entsagen. Dass sie nicht ganz von der See und dem, was dazu gehörte, Abschied nahmen, versteht sich wohl von selbst, wie hätten sie auch sonst wohl existieren wollen. Ihr ganzes Leben und Treiben war von Jugend auf viel zu eng damit verwachsen. Beides ließ sich aber auch leicht vereinigen, denn ein tüchtiger und ausgelernter Matrose ist auch meist immer ein geschickter Segelmacher, und so beschlossen denn Jack und Bill in Pembroke sich als Segelmacher zu etablieren. Dadurch blieben sie mit der See eng verbunden, hatten fortwährend mit allen dort einlaufenden Schiffen zu tun und – brauchten nicht selber mehr zu fahren. Die Ausführung dieses Planes erforderte allerdings ein kleines Kapital, und beide Brüder waren ohne einen einzigen Penny. In Pembroke selber aber lebte eine alte Witwe, eine Mrs. Bellhope, mit einer einzigen Tochter, die einiges Vermögen besaß und den Brüdern gewogen war. Diese, die sie als rechtschaffene Matrosen kannte, entschloss sich, ihnen fünfundzwanzig Pfund vorzuschießen, mit denen sie recht gut beginnen konnten. Alles ging vortrefflich. Die kleine Werkstätte war bald eingerichtet, und die beiden »jungen Leute« (Bill war dreißig und
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Jack zweiunddreißig Jahre alt) bekamen bald Arbeit genug. Nur eins fehlte ihnen noch – eine Häuslichkeit, und die mussten sie sich auf die eine oder die andere Art verschaffen. Matrosen sind nämlich nicht daran gewöhnt, sich ihre Lebensmittel selbst zu kochen – wenn sie sich auch ihre Betten selber machen und ihre Kleider eigenhändig ausbessern, ja auch wohl selber nähen. Für das Erstere sorgt unter allen Umständen der Koch, und einen solchen brauchten sie deshalb notwendig. Einen wirklichen Koch konnten sie aber nicht bezahlen, und sie fielen deshalb auf den jedenfalls glücklichen Gedanken, dass einer von ihnen – welcher, bliebe sich ziemlich gleich – heiraten müsse. Bill schlug dabei vor, dass das Alter hierbei zu entscheiden habe, wer von ihnen diesen Schritt tun solle, Jack dagegen meinte, das Los müsse entscheiden, denn er sähe nicht ein, wie er gerade dazu käme, allein für den Koch zu sorgen. Das Los entschied denn auch wirklich, aber nicht für Jack, sondern für den Jüngeren, der bei dem wichtigen Entscheid keine weitere Gemütsbewegung zeigte, als dass er sein erst halb verbrauchtes Priemchen Tabak wegwarf und sich ein frisches abschnitt, figürlich dadurch andeutend, dass er jetzt ein vollständig neues Leben beginnen müsse. Wen er heiraten solle, darüber war bis jetzt zwischen ihnen noch kein Wort gewechselt. Nach stillschweigendem Übereinkommen konnte das aber niemand anderes sein als die Tochter der Witwe Bellhope, Polly, und zu der ging denn auch ohne weiteres Bill, bot ihr seine Hand an, wurde freundlich auf- und angenommen, und kehrte, nachdem er Polly einen tüchtigen Kuss gegeben, augenblicklich wieder nach Haus zurück, um die nun einmal notwendig gewordenen Anstalten zur Hochzeit zu treffen. Diese war auf den Sonnabend vor den Osterfeiertagen bestimmt worden, und wurde denn auch mit alledem bei solchen Gelegenheiten üblichen und nicht üblichen Pomp vollzogen. Viel Poesie war eigentlich nicht dabei, Bill hatte deshalb auch nicht gewollt, dass die Hochzeit an einem Sonn-
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tag sei, da die Heirat doch eigentlich mit in das Geschäft gehöre und sonntags nicht gearbeitet würde. Nur einmal, gleich vor der Trauung, als sie die Braut in die Kirche führten, meinte Jack: »Eigentlich täte es ihm doch jetzt beinahe Leid, dass sie gelost hätten.« Als sie aber Ja gesagt und der Geistliche ihre Hände ineinander gelegt, versicherte er seinem Bruder. »Jetzt wär's ihm wieder lieb.« An dem nämlichen Abend erhielten die beiden Brüder einen Brief von Wexford in Irland, dass ein Schiff dort eingelaufen sei, dessen Kapitän ihnen noch eine ziemliche Summe für Segel schulde und diese zu zahlen wünsche. Jack, als der am nächsten Tage noch nicht Beschäftigte, entschloss sich, mit einem gerade bei ihnen vor Anker und dorthin bestimmten Schoner hinüberzufahren und das Geld einzukassieren, schiffte sich am nächsten Morgen ein und versprach in spätestens drei oder vier Tagen wieder zurück zu sein. Es vergingen indessen sechs und acht Tage, und Jack ließ nichts wieder von sich hören. Bill wurde zuletzt unruhig darüber. So lange war er in seinem ganzen Leben noch nicht von seinem Bruder getrennt gewesen, und die Summe, die jener holen sollte, ebenfalls keine Kleinigkeit für sie. Er beschloss also, selber hinüberzufahren und zu sehen, was aus ihm geworden, denn mit dem günstigen Westwind, der die letzten Tage geweht, hätte er recht gut von Wexford in vierundzwanzig Stunden herüberkommen können. Gesagt, getan. Das Geschäft konnte er indessen recht gut seinem sehr zuverlässigen Altgesellen überlassen. Die Schwiegermutter ließ es sich überdies nicht nehmen, nach dem zu sehen was rechtens war, und am nächsten Morgen schiffte er sich in einem Küstenfahrer, der nach Wexford mit englischen Waren hinüberlief, ein, um seinen Bruder aufzusuchen. Zu seinem Erstaunen hörte er in Wexford gar nichts von ihm. Allerdings hatte er das Geld bei dem Kapitän, der noch dort lag, erhoben, und dieser zeigte ihm die darüber ausgestellte Quittung – dann war er spurlos verschwunden.
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Nur zwei Fälle blieben jetzt möglich. Einmal hatte an dem Abend ein kleines Segelboot mit zwei Mann das Ufer verlassen und war verunglückt. Den Eigentümer desselben, der ebenfalls mit ertrunken, kannte man; der andere sollte ein Fremder gewesen sein, und es blieb möglich, dass sein Geschick den armen Teufel hier ereilt. Dann aber war an dem nämlichen Abend ein Auswandererschiff nach New York in See gegangen, das noch spät abends mehrere Passagiere aufgenommen; und wen er darüber fragte, sprach sich dahin aus, Jack würde wohl das kleine Kapital genommen und damit nach der neuen Welt gegangen sein, um dort sein Glück rascher zu finden als im alten Vaterland. Bill verwarf diesen Gedanken natürlich mit Entrüstung. Aber auch der andere Fall war ihm unwahrscheinlich, wenn allerdings möglich – dass sich Jack in einer solchen Nussschale von Fahrzeug der See ohne dringende Not anvertraut haben sollte. Das Wahrscheinlichste blieb immer, dass er, ohne weiter jemand etwas davon zu sagen, nach Waterford gegangen sei, um von dort mit dem Dampfboot nach Hause zurückzukehren, und nun schon lange gemütlich daheim sitze, während er ihn hier draußen suche. Gerade jetzt lag auch wieder eine amerikanische Barke in Wexford, die noch mehrere Passagiere in Waterford an Land zu setzen hatte. Auf der nahm er Passage, und weil sie noch einige Tage dort liegen blieb, amüsierte er sich indes ganz vortrefflich mit einigen da gefundenen alten Schiffskameraden. Nach drei Tagen erhielt er plötzlich Nachricht, dass die Barke abends sieben Uhr bei eintretender Ebbe segeln würde, und mit dem gerade günstig wehenden Wind konnte sie den Ort ihrer Bestimmung recht gut bis Tagesanbruch erreichen. Bill ging an Bord und zwar, wie das alte Matrosen gewöhnlich tun, als Zwischendeckpassagier im Forecastle, das heißt, er aß mit den Leuten, mit denen er, als nicht der Mühe wert zu Koje zu gehen, die Nacht auf den verschiedenen Wachen verplauderte. Erst als sie dem Leuchtturm näher und näher kamen, und die Leute noch einiges aus dem Raum heraufholten, was mit an Land geschickt werden sollte, holte er sich seine
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kleine Tasche herauf, um, wenn das Boot abstieß, gleich fertig zu sein. Irgendein kleiner geringfügiger Umstand, an und für sich nicht von der mindesten Bedeutung, hat oft Einfluss auf unser ganzes Leben und wirft unsere noch so vortrefflich berechneten Pläne über den Haufen. Hätte Bill die Tasche nicht unten im »Logis« liegen gehabt, wäre alles so gegangen, wie er dachte, und er selber wieder in kurzer Zeit zu Haus gewesen. So, als er im Dunkeln die schmale Treppe herauf und an Deck stieg und nach der Mitte des Fahrzeugs zu gehen wollte, wo das Boot niedergelassen werden sollte, stolperte er über den ausgeschobenen Lukendeckel, stürzte, ehe er sich halten konnte, in den Raum hinab, schlug mit dem Kopf an eine Kiste und blieb bewusstlos liegen. Diese Luke wurde von den Leuten gleich darauf wieder zugelegt, und als das Boot niedergelassen ward, rief man vergebens nach dem plötzlich verschwundenen Passagier. Der rasch und heftig wachsende Wind ließ aber auch kein längeres Zögern zu – der fremde Seemann musste jedenfalls in der Dunkelheit über Bord gefallen sein, wo ihm doch nicht mehr zu helfen war, und die für Waterford bestimmten Passagiere, von denen einer Bill kannte und sich am vorigen Abend noch mit ihm unterhalten hatte, verließen das Schiff in der festen Überzeugung, dass der arme Teufel sein zeitiges Grab in den Wellen gefunden. Das Fliegende Eichhorn, wie die Barke hieß, brasste bald darauf die Segel wieder auf und flog mit trefflichem Wind seine Bahn entlang. Der Morgen brach an und die Brise artete mit Sonnenaufgang in einen förmlichen Nordoststurm aus, der sie mit gerefften Segeln vor dem Wind elf oder zwölf Knoten die Stunde vorwärts jagte. Die Luken sollten wieder dichtgemacht werden, vorher aber brauchte der Koch noch Feuerholz aus dem untern Raum, und als ein paar von den Leuten hinabstiegen, fanden sie unten den armen Teufel von Passagier noch halb bewusstlos in seinem Blute liegen. Bill wurde jetzt allerdings gleich an Deck und zur Koje gebracht und es geschah alles, was die Umstände erlaubten, ihn
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wieder zu sich zu bringen und zu pflegen, aber ihn jetzt an Land zu setzen, war unmöglich. Die See ging hoch und der Kapitän hätte nicht um irgendetwas die kostbare Brise versäumen mögen. Außerdem lag der Fremde in einem heftigen Fieber, und es blieb eben nichts weiter übrig als ihn mitzunehmen – nach New York. Erst nach vier oder fünf Tagen, als sie schon lange weit draußen im Atlantischen Ozean und auf blauem Wasser schwammen, erholte sich Bill auch wirklich so weit, Rechenschaft von sich zu geben, wie er in den untern Raum gekommen, fand sich übrigens ungemein rasch in sein Schicksal, meinte, »es hätte einmal nicht anders sein sollen«, und ließ sich, da der Kapitän gerade knapp an Mannschaft war, mit Vergnügen als Matrose einschreiben, um seine Passage zu verdienen. In New York fand er ja bald Gelegenheit, wieder nach Hause zurückzukehren, und als er sich die Sache erst eine Weile überlegt hatte, schien es ihm sogar ganz recht zu sein, wieder einmal »ein Deck zu treten« und Masten und See über und um sich zu sehen, statt der »ewigen langweiligen Dächer und Häuser«. Das Seeblut stak ihm doch noch viel zu sehr in den Gliedern, es so leicht abzuschütteln, und nach Hause – »kam er noch immer zeitig genug«. Von seiner Wunde, wie nur erst einmal das Fieber von ihm gewichen, erholte er sich ungemein rasch, und was seine häuslichen Verhältnisse betraf, so machte er sich derentwegen auch nicht die geringsten Sorgen. Jack war jedenfalls indessen lange wieder zu Hause angekommen, und seine Frau – ih nun, die musste sich schon die paar Monate trösten. Was hätte sie denn machen wollen, wenn sie einen Seemann geheiratet; die waren fortwährend auf dem Wasser, und nur dann und wann einmal acht oder vierzehn Tage zu Haus, und deren Frauen hielten es auch aus. Nur eins genierte ihn im Anfang an Bord, obgleich er sich auch zuletzt daran gewöhnte: dass ihn der Steuermann und die Übrigen immer Jack statt Bill nannten. Zwischen den englischen und teilweise auch amerikanischen Matrosen ist es nämlich ein seit undenklichen Jahren eingeführter Brauch,
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alle, deren Namen sie nicht gleich wissen und die zum Seemannsstand gehören, Jack zu nennen. Wie man in Österreich jeden Fremden »Herr von« und in Leipzig »Doktor« nennt, so sagen die Matrosen untereinander Jack, und da der Name überhaupt so außerordentlich verbreitet ist, trafen sie noch nicht einmal so oft fehl. So lange Bill deshalb in seinem Fieber lag und doch schon, wenn er nicht starb, als zum Schiff gehörig betrachtet wurde, hieß er fortwährend, wenn von ihm geredet wurde, Jack, und zwar »der fremde Jack«, und als er wieder zu sich kam und Bill heißen wollte, ging das nicht mehr. Die Leute hatten sich daran gewöhnt und er blieb Jack nach wie vor. »Hol's der Henker«, rief er dann zuletzt mit dem gewöhnlichen und allbekannten Seemannswitz, der vielleicht auch dem Namen Jack seinen Ursprung verdankt: »Es ist mir einerlei, wie ihr mich auch ruft – nur nicht zu spät zum Essen.« Bill war früher, wie schon vorerwähnt, Matrose mit Leib und Seele gewesen, und es lässt sich denken, dass er sich bald wieder hinein und wohl in seiner altgewohnten Beschäftigung fand. Über die Trennung von seiner Frau hatte er sich schon lange getröstet, und lachte sogar manchmal, wenn er daran dachte, wie sie sich wohl den Kopf zerbrechen würde, wo er hingekommen und wann er zurückkehren würde. Am Ende war es noch gar kein so großes Unglück, dass er in das Loch gefallen, und jedenfalls hatte er bei der Gelegenheit doch wieder einmal tüchtig Salzwasser zu schmecken bekommen. Nach einer Fahrt von neunundvierzig Tagen erreichten sie New York, und Bill bekam, was er unterwegs verdient, ausgezahlt. In der Erinnerung aber an die freie fröhliche Zeit, die er sonst verlebt, wenn er nach langer Seefahrt wieder zum ersten Male Land betrat, dachte er in dem Augenblick gar nicht an die Heimat und seine dortigen, ihm noch etwas neuen Pflichten, und jubelte mit den Kameraden Tag und Nacht durch, bis auch – was gar nicht so sehr lange dauerte – der letzte Cent verzehrt und sogar, nach echter Matrosenart, die Jacke versetzt war.
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Damit hatte er den Gipfelpunkt seiner jetzigen Glückseligkeit erreicht, denn geborgt wird solchen Leuten nichts. Als aber der Rausch ausgeschlafen war, kratzte er sich doch hinter den Ohren und dachte zum ersten Mal ernstlich an die Rückfahrt, die er sich nun wieder als Matrose verschaffen musste. Umsonst hätte ihn natürlich kein Kapitän als Passagier mit hinübergenommen, hätte er selber als Passagier gehen wollen. Bill sah sich deshalb rasch wieder nach einem Schiff um, auf dem er ein »birth« bekommen könne, fand aber zu seinem Schrecken, dass kein einziges passend für ihn im Hafen lag. Vier oder fünf waren allerdings nach England bestimmt, aber schon vollauf mit Mannschaft versehen, andere, von dort erst angekommen, blieben vielleicht vier bis sechs Wochen liegen, ehe sie ihre Fracht gelöscht und neue eingenommen hatten, und so lange konnte er doch unmöglich ohne Geld und in Hemdsärmeln in New York herumlaufen. Ein einziges Schiff brauchte Leute und war nach England bestimmt, aber – über Rio Janeiro. Das verzögerte allerdings seine Rückkunft, doch blieb ihm in der Tat keine große Wahl. Der Kapitän, der schon segelfertig im Hafen lag, bot ihm Handgeld und Bill – ging an Bord. Dass er aber so gewissermaßen von zu Hause fortschiffte, wo er doch eine Frau sitzen hatte, war ihm ein unbehagliches Gefühl, und er wollte wenigstens nicht gekannt sein. Der Name Jack, den ihm das Fliegende Eichhorn aufgezwungen, passte ihm jetzt insofern, als er inkognito reisen konnte, und er ließ sich als Jack Brown in die Schiffsbücher eintragen. Gern hätte er auch nach Hause geschrieben und die Seinigen wissen lassen wie es ihm ginge, aber – er konnte nicht schreiben, und einem Fremden mochte er die Geschichte auch nicht erzählen. Überdies drehte sich ja die Sache nur um sechs oder acht Wochen länger, und dann war er ja selber wieder zu Haus. Das Schiff, eine englische Brigg, der Yorkshireman, ging schon am nächsten Morgen in See und kreuzte gegen ziemlich widrigen Wind nach Südost hinab. Es dauerte auch wirklich anderthalb Monate, bis sie nur die Passate erreichten, dann aber liefen sie mit Leesegeln und vor dem Wind den Hafen
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von Rio in vierzehn Tagen an, ankerten in der wundervollen Bai und löschten ihre für Rio mitgebrachte Fracht in kleine, zu dem Zweck langseitlegende »Lichter«. Der Kapitän des Yorkshireman hatte nun allerdings darauf gerechnet, in Rio augenblicklich und gute Fracht nach England zu finden. Es lagen aber wenigstens sechs Schiffe im Hafen, die sämtlich keine Ladung zu anständigem Preis bekommen konnten, und einige hatten sich schon entschlossen, lieber in Ballast nach Haus zurückzukehren oder vielleicht Bahia oder Buenos Aires anzulaufen, als ein frisch einkommendes amerikanisches Schiff der ganzen Sache eine andere Wendung gab. Gerade war nämlich die erste Nachricht von der kalifornischen Goldentdeckung in Amerika angelangt, und dies das erste Schiff, das dorthin mit Auswanderern um Kap Horn nach dem neuen El Dorado ging. Die Gerüchte, die von den Passagieren dieses Fahrzeugs in der Stadt verbreitet wurden, waren dabei so fabelhafter Art, dass besonders die Kaufleute ein wahrer Schwindel erfasste, und jeder jetzt Güter so rasch als möglich nach Kalifornien verschiffen wollte, um reine, solide Goldklumpen dafür einzutauschen. Die Kapitäne, die von ihren Reedern Vollmacht hatten, über ihre Schiffe zu verfügen, wie sie es für das Beste hielten, standen sich jetzt vortrefflich und akkordierten augenblicklich Fracht nach San Francisco. Unter diesen befand sich der Yorkshireman, und unserem Bill Drygarn oder Jack Brown, wie er sich genannt hatte, machte der Kapitän das Anerbieten, ihn, statt einer direkten Reise nach England, erst einmal nach San Francisco zu begleiten und dort, wenn er wolle, Gold zu graben. Er, der Kapitän, hätte selber Lust, einmal in die Minen zu gehen, wenn das Gold denn gar so dick dort oben herumliegen sollte. Hier war auf einmal eine plötzliche Aussicht, reich – steinreich zu werden, und weiter nichts dazu nötig, als eine etwas längere Seefahrt. Und kam es denn, wo er nun doch einmal so lange von zu Haus entfernt war, jetzt auf die paar Monate an? – Paar Monate, ja der Teufel; mit ein paar Monaten mochte es, wie sich Bill heimlich selber gestand, wohl kaum abgetan sein,
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und eine Reise nach San Francisco und von da zurück nach England konnte immer acht bis zehn Monate fortnehmen. Vierzehn Tage musste er außerdem noch wenigstens darauf rechnen, eine Quantität Gold in den Minen zusammenzusuchen. Wenn er nur wenigstens hätte einen Brief nach Haus schicken können! Aber auch das schadete nichts; die Überraschung, wenn er, noch dazu mit einem tüchtigen Klumpen Gold, ganz plötzlich angerückt käme, wurde nachher um so größer, und sein Bruder und seine Frau sollten nicht wenig staunen. Bill besann sich auch wirklich nicht lange; die Verlockung war zu groß, und ein Abend, den er mit einem Teil der Mannschaft des kalifornischen Schiffes verbrachte, festigte seinen Entschluss dermaßen, dass er jetzt die Zeit kaum erwarten konnte, wo sie nach dem Lande seiner heißen Sehnsucht aufbrechen sollten. Außerordentlich lieb war es ihm jetzt übrigens, dass er den Namen Jack Brown angenommen hatte. Er schämte sich doch etwas, so weit von der Heimat fortzuziehen, und seine Frau – aber zum Henker, gerade für die ging er ja nach Kalifornien, um etwas Ordentliches zu verdienen und als reicher, angesehener Mann zurückzukommen. Lieber wäre es ihm freilich gewesen, wenn er Jack bei sich gehabt hätte. Der Yorkshireman machte eine verhältnismäßig rasche Reise zum Kap Horn und erreichte das Goldland noch mitten in der ersten Gährung und Aufregung. Nicht allein die sämtliche Mannschaft brach denn auch, sowie der Anker niedergerasselt war, nach den Minen auf, das Schiff sich selbst und seinem Kapitän überlassend, sondern dieser hatte kaum seine Fracht und Ladung zu ziemlich guten Preisen untergebracht, als er mit seinen beiden Steuerleuten seine Kajüte zuschloss, die Luken vernagelte und ebenfalls in der kleinen Schiffsjolle durch die Bai und den Sacramento hinaufruderte. Ich habe hier keinen Raum, das alles, was Bill im El Dorado erlebte, zu beschreiben. Leider hatte er aber mit seinem Goldsuchen ebenso wenig Glück wie mit seiner Passage, und hielt das wenige, das er fand, immer nicht des »Aufhebens« wert.
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Einmal musste er ja doch an einen tüchtigen Klumpen kommen. Fünf Monate suchte er danach, bis er es endlich in Verzweiflung aufgab, und mit vielleicht sechzig Dollar in der Tasche und ärgerlich über sich und die ganze Welt, vorzüglich aber über das verwünschte Kalifornien, wieder nach San Francisco zurückkehrte. Eine Möglichkeit bot sich ihm allerdings noch dort, seinen Gewinn in kurzer Zeit zu verzehn-, ja vielleicht zu verhundertfachen, wenn er nämlich sein Glück in einem der San Francisco-Spielsäle versuchte. Das tat er denn auch, verlor in etwa einer halben Stunde alles, was er sich in den fünf Monaten mühsam erarbeitet, und vermietete sich dann aus reiner Desperation noch an demselben Abend auf ein Schiff, das am nächsten Morgen den Hafen verließ und – nach Sidney bestimmt war. Wieder ganz in das Matrosenleben hineingekommen, und doch einmal viele tausend Meilen von zu Haus entfernt, wo es auf ein paar Monate mehr oder weniger nicht ankommen konnte, gab er sich dem alten Beruf mit all der Gleichgültigkeit dieser Menschenklasse hin, schiffte sich in Sidney auf ein anderes, nach Manila bestimmtes Fahrzeug ein, ging von da nach China, von China nach Bombay, und fand erst dort wieder eine direkte Gelegenheit nach England, und zwar nach Liverpool, mit der er nun endlich in die Heimat zurückkehren konnte. Darüber waren etwas über drei Jahre vergangen und Bill den heimischen Verhältnissen so entfremdet worden, dass ihm seine bis dahin erlebten Schicksale, und was davor lag, oft wie irgendein toller, wunderlicher Traum vorkamen, von dem er sich nicht einmal recht deutlich mehr besinnen konnte, was eigentlich echt und was nur Einbildung davon sei. Manchmal zweifelte er sogar daran, ob er denn auch wirklich verheiratet und durch eine wunderbare Kette von Umständen seiner Frau entführt worden sei, wonach er seiner Schwiegermutter, vor der er allen möglichen Respekt hatte, denn auch gar nichts anging, ob er jetzt wiederkam, oder gleich noch einmal nach irgendeiner andern Himmelsrichtung unter Segel ging.
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Das gute Schiff verfolgte indessen wacker seine Bahn, und wieder im Sommer war es, als Jack Brown – welchen Namen er jetzt, solange er zur See fuhr, beibehalten – nach viermonatlicher Fahrt von Bombay aus, den St. Georgs-Kanal hinaufkreuzte. Zum ersten Mal, nach so langer Trennung, erblickte er hier wieder die Küste von Wales, konnte aber natürlich nicht gleich an Land, sondern musste erst mit dem Schiff, auf dem er sich verdingt, nach dem Ort seiner Bestimmung anlaufen. Erst wenn dort Anker geworfen und die Segel beschlagen waren, blieb es den Matrosen verstattet, das Schiff zu verlassen, dessen Kapitän dann zum Löschen der Fracht andere Leute nimmt. Wunderbar war ihm zu Mute, als er in Liverpool zum ersten Mal wieder an Land trat. Einmal hatte er auch wirklich gar nicht übel Lust wieder, und noch einmal zu guter Letzt, in das alte Leben mit beiden Füßen zugleich hineinzuspringen, und seine Kameraden ließen es nicht an Aufforderung dazu fehlen. Aber das Gute, was noch in ihm steckte, siegte doch zuletzt, und wenn er auch, um nicht knickerig zu scheinen, ein paar Nächte mit ihnen durchtrank, behielt er doch noch immer Verstand und Geld genug übrig, um sich neue und anständige Kleider zu kaufen und seine Passage nach Pembroke mit der Eisenbahn zu zahlen. Mit den alten, abgetragenen Kleidern hatte er denn auch den alten Menschen ausgezogen, und als er in Pembroke anlangte, schlug ihm das Herz nicht wenig in der Brust; wusste er doch nicht, wie er sein eigenes Haus nun wieder finden würde. »Hol mich der Deuvel, Jack Drygarn – Junge, wo kommst du her?«, waren übrigens die ersten Worte, die ihn, wie er mit seinem Bündel unter dem Arm aus dem Waggon stieg, begrüßten. Er drehte sich rasch und erstaunt nach der Stimme um, und sah einen alten Schiffskameraden von sich und seinem Bruder, der ihn mit eingestemmten Armen und großen Augen betrachtete. »War's nicht hübsch in Amerika?« Woher wusste der schon, dass er in Amerika gewesen war? Dass er Jack genannt wurde, fiel ihm übrigens gar nicht mehr
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auf, war er es doch die langen Jahre her gewohnt worden. Übrigens folgte er willig der Aufforderung des Freundes, mit ihm ins nächste Wirtshaus zu gehen und dort ein Glas auf glückliche Rückkehr zu trinken. War ihm doch die eigene Kehle von einer ganz unerklärlichen, ungewohnten Angst wie zugeschnürt, und ein Glas Grog unumgänglich nötig, dort Luft zu machen. Zu gleicher Zeit suchte er aber auch etwas Näheres über die Seinen zu Haus zu hören, und hielt das eben gefüllte und schon gehobene Glas allerdings etwas erstaunt vor den Lippen fest, ohne zu trinken, als ihm sein Freund in aller Ruhe erzählte, dass »Bills Frau« wieder geheiratet habe und das Geschäft vortrefflich gehe. Bills Frau? Alle Wetter, wer war er denn? Er trank jetzt erst einmal vor allen Dingen sein Glas aus, setzte es nieder und sagte dann, den Kameraden dabei von der Seite ansehend, ob der ihn vielleicht zum Besten habe: »Wäre nicht übel, Bills Frau hat wieder geheiratet?« »Nun ja«, lautete die ruhige Antwort des ebenfalls mit seinem Glas Beschäftigten. »Wessen Frau denn sonst?« Jetzt erst fiel es Bill auf, dass ihn der andere mit Jack angeredet und also jedenfalls für seinen Bruder gehalten hatte. Aber war denn der auch nicht mehr in Pembroke? Ein eigenes wehes Gefühl schoss ihm durch's Herz, über das er sich selber noch keine ordentliche Rechenschaft geben konnte. – Er beschloss, jedenfalls erst selber nach Haus zu gehen und nachzusehen, wie die Sachen ständen, ehe er sich einem Fremden entdeckte. Dieser wollte allerdings etwas Näheres über ihn hören, wo er die ganze Zeit gesteckt und wie es ihm gegangen sei. Bill ließ sich aber auf nichts Derartiges ein, gab ausweichende Antworten, griff sein Bündel wieder auf, schüttelte ihm die Hand und eilte dann mit raschen Schritten die wohl bekannten Straßen entlang, dem eigenen Hause zu. Eigenen Hause? – Wieder gab es ihm jenen Stich durchs Herz, und er wusste eigentlich selber kaum, weshalb er den Kopf beim Gehen niederbog und das Gesicht mit seinem
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Strohhut beschattete, dass ihn keiner seiner früheren Bekannten weiter anredete. So erreichte er endlich den wohlbekannten Platz unten am Hafen, ein kleines, freundliches Häuschen mit der riesigen Firma, die noch immer seinen und seines Bruders Namen bildete. Nur einen Blick warf er aber in den untern Raum, in dem fünf oder sechs matrosenartige Burschen gar emsig an Segeltuch nähten und ein fremder Mann ihnen dabei Anweisung gab, und stieg gleich die wenigen Stufen hinan, die zur Haustür und der innern Wohnung führten, ergriff den Klopfer und – behielt ihn unschlüssig in der Hand. Nach dem, was ihm der Bekannte vorhin gesagt, wagte er wahrhaftig nicht einmal seine eigenen Räume zu betreten und beschloss, lieber erst einmal unten hinein in die Segelkammer oder Werkstätte zu gehen und zu sondieren – d. h. wenn er keinen Bekannten darin sah. Rasch stieg er wieder die kurze Stiege hinunter und fand sich, nach einem flüchtigen, forschenden Blick in den Raum, glücklicherweise lauter Fremden gegenüber. »Guten Morgen mitsammen«, sagte er, als er hineintrat und sein Bündel dabei in der Hand, seinen Hut auf dem Kopf behielt. »Könnt ich nicht einmal mit Jack Drygarn sprechen?« »Guten Morgen«, sagte der ältere Mann, der hier die Oberaufsicht zu führen schien. »Jack Drygarn sucht Ihr? Ja, der ist nicht mehr in Pembroke.« »Nicht mehr in Pembroke?«, rief Bill erstaunt. »Aber wo ist er denn und wem gehört denn hier das Geschäft?« »Das Geschäft gehört mir«, sagte der Fremde, »und Jack Drygarn ist, soviel wir von ihm haben erfahren können, vor etwas über drei Jahren nach Amerika gegangen.« »Nach Amerika?«, rief Bill erstaunt. »Hm, das ist doch wunderbar! Und was ist aus Bill geworden?« »Ja, das ist eine unglückliche Geschichte«, meinte der Eigentümer der Werkstätte, mit den Achseln zuckend. »Bill ging hinüber nach Irland, wo Jack hatte Geld einkassieren sollen, um diesen zu suchen, und fiel nachts, als das Schiff an Waterford beilegen wollte, über Bord.«
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»Über Bord?« »Ja. Ein Passagier, der in Waterford an Land gesetzt wurde, brachte die Nachricht mit dorthin. Ihr seid wohl ein früherer Schiffskamerad von den beiden?« »Beinah so was«, sagte Bill, der sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen konnte. »Und Bills Frau?« setzte er dann hinzu, denn was nun kommen musste, wusste er, wie er fürchtete, schon mehr als zu gut. »Nun, Bills Frau«, sagte der Mann, indem er sich auf das Fensterbrett setzte und sein rechtes Bein über das linke schlug, »wartete ihr gehöriges Trauerjahr ab, und wie das vorbei war, heiratete sie wieder, einen gewissen Henry Burton, und ihr Mann sitzt vor Euch.« »Das ist nicht möglich«, rief Bill erschreckt, »Polly hat also wirklich –« »Nicht möglich?«, sagte spöttisch der Mann. »Aber, mit Eurer Erlaubnis, doch wahr.« »Mit meiner Erlaubnis?« »Ja, wenn Ihr nichts dagegen habt«, lachte der Segelmacher. »Hm? – Sonderbar«, brummte Bill vor sich hin, indem er sich hinter den Ohren kratzte. »He?«, sagte da Pollys zweiter Mann, dem bei dem wunderlichen Betragen des Fremden ein eigener Gedanke aufstieg, indem er den Seemann lächelnd anschaute. »Ihr seid wohl gar ein alter Anbeter von Polly und habt gedacht, sie solle auf Euch warten, bis Ihr zurückkämet und um sie anhieltet?« Bill sah den Mann überrascht an. Der Gedanke hatte aber doch so viel Komisches, dass er trotz seiner eben nicht heitern Stimmung darüber lachen musste. »Beinahe könntet Ihr Recht haben«, erwiderte er dann, »und doch nicht so ganz. – Lebt die Schwiegermutter noch?« »Meine Schwiegermutter? – Ja, gewiss. Kennt Ihr die auch?« »Ich denke – wenn's Euch recht ist, werd ich einmal hinaufgehen und ihr einen guten Tag sagen.« »Wird sich ungemein freuen, denk ich«, erwiderte der Mann ganz ernsthaft. »Geht nur voran, ich komme gleich nach, habe hier unten nur noch eine Kleinigkeit zu tun.«
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Bill ging, ohne weiter etwas zu erwidern, hinaus und die Treppe hinauf, und achtete nicht darauf, dass die Gesellen hinter ihm zusammen lachten. Er ließ diesmal auch den Klopfer herzhaft auffallen, und als ihm ein Mädchen geöffnet und ihn, auf seine Frage nach der alten Dame, hinaufgewiesen hatte, stieg er langsam die Treppe hinan. Jetzt aber kam es ihm wirklich so vor, als ob er unter jedem Fuß eine zolldicke Bleisohle habe, so schwer wurden ihm die Füße, und auf der letzten Stufe musste er stehen bleiben und frisch Atem schöpfen. Endlich klopfte er an. Die alte Dame, die schon auf der Treppe jemand fremdes gehört, öffnete die Stubentür, sah ihn an, stieß einen Schrei aus – und schlug sie ihm wieder vor der Nase zu. Dass sie ihn erkannt hatte, war außer allem Zweifel. Bill wusste jetzt auch wirklich nicht, ob er da stehen bleiben und warten solle, bis sie wiederkäme, oder ruhig und unbekümmert eintreten. Darüber wurde er aber nicht lange in Zweifel gelassen, denn kaum zwei Minuten später ging die Tür wieder auf, und Polly, seine eigene, allerdings höchst ungerecht verlassene Frau, stand auf der Schwelle und winkte ihm, einzutreten. Sie sah totenbleich aus – jedenfalls vor Schreck – und streckte ihm zitternd die Hand entgegen. Hinter ihr stand die doppelte Schwiegermutter und schaute ihn durch die Brille an. »Aber, Jack«, sagte sie, »wo habt Ihr die Zeit über gesteckt, seit das Unglück passiert?« »Das Unglück?«, sagte Bill ganz verstört und achtete gar nicht auf den Namen Jack. Er hielt seine Frau wieder an der Hand, und wagte nicht einmal, ihr um den Hals zu fallen. »Ach, Jack! Ach, Jack!«, jammerte die alte Dame. »Was habt Ihr damals durch Euer Fortgehen für Jammer und Elend angerichtet – und der arme, arme Bill – das gute, ehrliche Herz –« »Bill?«, rief dieser aber erstaunt, ja erschreckt aus. »Nun bei Gott, ich bin doch nicht Jack, und wenn Jack wirklich nach Amerika –« »Ihr seid nicht Jack?«, rief Mrs. Bellhope. »Und wer denn sonst?«
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»Kennt denn Polly nicht einmal ihren eigenen Mann mehr?«, sagte der arme Teufel traurig. »Und sind doch erst kaum drei Jahre darüber hingegangen.« »Bill?«, rief Polly erschreckt und riss ihre Hand aus der des Gatten. »Ihr seid doch nicht Bill – der ist ja über Bord gestürzt und ertrunken.« »Ist ihm nicht eingefallen«, sagte Bill kopfschüttelnd. »In die Luke ist er stolpert und hat sich den Schädel geborsten, das war alles, und jetzt – wie er zurückkommt –« »Na, nun wird's aber Tag!«, schrie da plötzlich Mrs. Bellhope und stemmte die Arme in die Seite. »Erst geht der liederliche Strick mit dem Gelde durch und nach Amerika, und nun, da er das vertan und verjubelt hat und sein armer Bruder darüber verunglückt ist, kommt er mit einem Schnupftuch voll alten Gelumpes wieder an und will sich für den andern ausgeben.« »Aber, Schwiegermutter –« »Der Teufel ist seine Schwiegermutter!«, rief die alte Dame in vollem Zorn aus, und Polly rang indes die Hände, setzte sich auf einen Stuhl und barg das Gesicht in die Schürze. »Hallo, was ist nun los?«, sagte da plötzlich die tiefe, aber vollkommen ruhige Stimme des neuen Segelmachers, der in diesem Augenblick in der Tür erschien und die drei verwundert ansah. »Was los ist?«, rief Mrs. Bellhope in, wie sie glaubte, sehr gerechter Entrüstung. »Da kommt Jack Drygarn zurück von seiner Vagabundenfahrt, und will sich für Pollys Mann, für seinen Bruder ausgeben – weiter nichts.« »So?«, sagte der Segelmacher, indem er die Hände in die Taschen schob und den angeblichen Delinquenten neugierig betrachtete. »Das ist also Jack Drygarn, der –« »Jack, und immer nur Jack – zum Teufel noch einmal mit dem Namen!«, rief aber jetzt auch Bill ärgerlich. »Ihr werdet mich noch zuletzt so verrückt machen, dass ich am Ende selber nicht mehr weiß, wer ich bin.« »Der Fall scheint mir schon jetzt eingetreten, mein Junge«, sagte Pollys neuer Mann gutmütig.
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»Aber Polly wird doch wenigstens wissen, wer ich bin?«, rief der arme Teufel, zur Verzweiflung getrieben. »Polly, mein Schatz – kennst du denn deinen Bill nicht mehr?« »Ach, Jack«, sagte aber schluchzend die junge Frau. »Wie dürft Ihr nur Eures armen seligen Bruders Namen so missbrauchen und Jammer und Elend hier in seine Familie bringen wollen. – ja, wenn es Bill wäre, das arme Herz, aber das schläft schon lange in seinem nassen kalten Grabe.« »Ich werde wahrhaftig verrückt!«, sagte Bill, sich mit beiden Händen den Kopf haltend. »Nun«, meinte der Segelmacher, »solange Ihr noch immer nur erst die Aussicht habt es zu werden, mag es angehen. Jetzt aber, solang es noch Zeit ist, seid so gut und kommt erst einmal mit in meine Stube, dass wir über die ganze Sache ein vernünftiges Wort sprechen. Auch selbst, wenn Ihr nur Jack Drygarn seid, wie es mir doch scheinen will, haben wir eine Abrechnung miteinander, und wenn die in Frieden und Freundschaft abgemacht werden kann, ist es immer besser, als den Nachbarn nachher Futter für Skandal zu geben.« Bill warf noch einen zögernden Blick auf Polly, als er aber in deren bleiches, verweintes und halb von ihm abgewandtes Gesicht schaute, drehte er sich langsam ab und folgte, ohne ein Wort weiter zu sagen, dem ihm vorangehenden Stellvertreter. Auf der Stube angekommen, schloss Burton ohne Weiteres die Tür hinter ihm ab, rückte zwei Stühle zum Tisch, holte eine Flasche mit Brandy und Wasser aus dem Schrank, aus der er sich selber vor allen Dingen ein tüchtiges Glas einschenkte, und begann dann mit seinem wunderlichen Gast eine lange und, wie es schien, sehr ausführliche Besprechung, die aber so leise geführt wurde, dass selbst Madame Bellhopes dicht an der Tür gelegtes Ohr nur einzelne, unzusammenhängende Sätze, und nicht den geringsten Sinn daraus entnehmen konnte. Zwei volle Stunden dauerte die Unterredung, dann wurden drinnen die Stühle gerückt. Mrs. Bellhope glitt in ihre Stube, und aus der geöffneten Tür schritten Burton und Bill Drygarn, anscheinend als die besten Freunde. Burtons Gesicht
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drückte dabei volle Zufriedenheit aus, während Bill mehr ernst und sogar niedergeschlagen schien. Unten an der Tür von Pollys Stube blieb er stehen und sah sich nach seinem ihm folgenden Gefährten um. »Geht nur hinein, Jack«, sagte dieser. »Ich will so lange hier draußen auf Euch warten.« Bill drückte die Klinke auf und trat hinein. Polly saß in der Sofaecke und sprang erschreckt auf, als sie ihn allein auf sich zukommen sah. Ohne indessen eine Miene zu verziehen, trat er zu ihr, reichte ihr die Hand und sagte: »Es hat mich gefreut, Polly, euch alle so wohl und munter hier zu sehen – die Mutter sieht noch recht gut aus, und – ich will wünschen, dass es euch immer unter der alten Firma wohl gehen mag.« »Ihr wollt fort?«, stammelte Polly, und wagte nicht zu ihm aufzusehen. »Ja – ich gehe wieder an Bord – wird wohl lange dauern, ehe ich einmal wieder nach Prembroke komme. Gott behüte Euch, Polly!« Er drückte ihr die Hand, die er noch immer in der seinen hielt, und wollte sie loslassen, aber sie hielt ihn fest. »Polly!« sagte er mit weicher, fast herzlicher Stimme. Die Frau ließ seine Hand los, sah ihm ein paar Momente starr in die Augen, warf plötzlich ihre Arme um seinen Nacken und drückte ihm einen heißen Kuss auf die Lippen. Dann, als ob sie ein Unrecht getan, schrak sie zurück und bedeckte ihre Augen mit den Händen. Sie hörte Schritte – die Tür wurde auf- und wieder zugemacht, und als sie emporblickte, war das Zimmer leer. »Nun, Jack, das war rasch abgemacht«, sagte Burton, als Bill wieder aus dem Zimmer trat. »Ja«, sagte dieser, sein Bündel mit der Linken aufnehmend und sich mit der Rechten den Hut in die Stirn drückend. »Es war weiter nichts zu bestellen.« »Und wo schick ich Euch die Sachen heut Abend hin?« »In den Anker – wann geht der Zug nach Liverpool zurück?«
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»Um neun. Wollt Ihr fort mit dem?« »Wird wohl das Beste sein. Good bye, Burton.« »Adieu, alter Junge. Hat mich herzlich gefreut, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Wollt Ihr nicht Abschied von der Schwiegermutter nehmen?« »Danke«, sagte Bill. »Grüßt sie recht schön von mir.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hände; Bill schob die seinige dann in die Tasche, verließ das Haus und schlenderte langsam die Straße hinunter, dem Anker zu. Eine Stunde später etwa wurde eine Seekiste, wie sie die Matrosen gewöhnlich mit sich führen, im Anker für »Jack Drygarn« abgegeben, um gleich darauf von Bill geschultert und nach dem Liverpool-Bahnhof getragen zu werden. Um neun Uhr ging der Zug, und Bill mit ihm; auch erfuhr Burton, der sich sehr angelegentlich danach erkundigte, später, dass er sich in Liverpool auf einem schon in den nächsten Tagen in See gehenden Ostindienfahrer eingeschifft habe. Weiter hörte man nichts mehr von ihm, und als die Tatsache in Pembroke bekannt geworden, dass Jack Drygarn, der Verschollene, plötzlich wieder aufgetaucht sei, schwamm Jack Brown schon lange wieder draußen auf seinem alten Element.
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John Wells I
Am Fourche la fave, einem kleinen, klaren Fluß, der sich, von Nordwesten herunterkommend, in den Arkansas ergießt, lag ein geräumiges, gut behauenes Blockhaus, das von einem Amerikaner mit seiner Frau und zwei Knaben, der eine sieben, der andere neun Jahre alt, bewohnt wurde. Der Mann hieß John Wells und wurde in einem Lande, wo jeder Ansiedler sich mit der Jagd beschäftigt, ja der dritte Teil der Bewohner in jener Zeit fast nichts tat, als mit der Büchse auf der Schulter im Wald umherzuziehen, nichtsdestoweniger mit besonderer Auszeichnung »der Jäger« genannt; und wenn irgend jemand in der Welt auf den Namen Anspruch machen konnte, so war er es. Schon in seinem ganzen Äußern hatte er einige Ähnlichkeit mit dem roten Sohn der Wälder, dem Indianer, mit dem er jedoch jede Verwandtschaft ableugnete. Er ging am liebsten im bloßen Kopfe, das lange, schwarze, straffe Haar von einem dünnen Tuch oder noch häufiger einem Streifen Bast zusammengebunden, den Hals bloß, und Jagdhemd, Leggins und Mokassins, in deren Verfertigung er Meister war, von selbstgegerbtem Leder. Niemand übertraf ihn im Folgen einer Fährte oder im Auffinden eines Honigbaums, im Anschleichen eines Wildes oder in der nicht leichten Kunst, das Erlangte oder Gefundene »einzupacken«. In unglaublich kurzer Zeit wußte er mit seinem kleinen »Skalpiermesser« - wie diese Art Waffe oder Jagdmesser auch bei den weißen Ansiedlern heißt - den Hirsch kunstgerecht abzustreifen, zu rasieren, die verschiedenen Öffnungen zu unterbinden und einen vortrefflichen Sack herzustellen, um Bärenfett oder Honig oder was sonst darin zu transportieren. Der Wolf, das scheueste und schlimmste Tier des Waldes, fand in ihm seinen gefährlichsten Gegner, und Fischotter und Biber konnten der Lockung, die er ihnen stellte, nicht widerstehen, wenn sie auch bei allen anderen
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gleichgültig blieben. Und wo es nun erst galt, den Winterplatz eines Bären aufzufinden und an der rauhen Rinde der Bäume die Spur des Hinaufgestiegenen zu entdecken, da gab es kein besseres Auge als das seine in der Range. Und so mit der langen Büchse, die fünfzig Kugeln aufs Pfund schoß, auf der linken Schulter, die linke Hand nachlässig darüber hingeworfen, glitt er mit seinem halb schwebenden, aber unbehülflich aussehenden Gang, durch Instinkt fast mehr als Aufmerksamkeit auch das geringste, unbedeutendste Geräusch vermeidend, von einem grauen kurzhaarigen Hund ebenso vorsichtig gefolgt, rasch und wie ein Schatten durch den Wald, und die meist auf dem Boden haftenden Augen, denen nicht eines Blattes gestörte Lage entging, schweiften dabei ohne Unterlaß auch nach rechts und links hinüber, um jeden herbstroten Busch, jeden sich im Winde regenden Zweig flüchtig, aber genau zu mustern. Seine Gestalt war schlank und sogar schmächtig zu nennen, aber sie war auch biegsam und gewandt, und im Laufen, Springen und Klettern suchte er seinen Meister; jedoch prahlte er nie mit diesen Dingen und hielt sie für etwas Natürliches, wie das Gehen. Jeder Hund konnte ja noch rascher laufen als er, jeder Hirsch weitere Sätze machen, jeder Panther besser und schneller auf einen Baum hinaufkommen. Wie durfte er sich da solcher Sachen rühmen? Sonst war er still und abgeschlossen für sich selbst, wortkarg, und selbst wenn er sprach, redete er fast niemals laut, als ob er immer fürchte, irgendein Stück Wild dadurch zu verscheuchen. Wirklich lachen aber tat er nie, und nur wenn er sich über irgend etwas recht freute, hoben sich seine Augenbrauen in die Höhe, und seine Augen glühten wie ein paar Kohlen darunter hervor. Die Nachbarn hatten ihn übrigens gern, obgleich sie ihn auch wieder fürchteten, denn sie wußten, wie weit er ihnen in allem überlegen war, was ihr wildes Leben betraf. Ja ein Gerücht brachte ihn einmal selbst mit jener Rotte von Pferdedieben in Verbindung, die in früherer Zeit Arkansas heimgesucht hatte und erst von den rasch gebildeten Regulatoren zerstreut
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oder aufgerieben wurde. Man gab ihm damals in der Tat zu verstehen, er würde besser tun, den Staat zu verlassen, um unangenehmen Erörterungen auszuweichen. Wells aber ging nicht. Konnte ihm wirklich etwas vorgeworfen werden? Niemand erfuhr es, Beweise tauchten nicht gegen ihn auf, keiner der eingefangenen und bestraften Verbrecher sagte gegen ihn aus, und der Jäger baute nach wie vor sein kleines Maisfeld und jagte in den Bergen nach allen Richtungen hin, bald zu Fuß, bald zu Pferd, oft wochenlang umher, ohne sich an irgend jemand von seinen Nachbarn weiter zu kehren. Seine Frau blieb in solcher Zeit mit den Knaben allein im Wald; aber die Frauen der Backswoods sind daran gewöhnt. Wenn auch einmal der Panther nachts in der Nähe der Hütte schreit oder die Wölfe den Platz umheulen, in Schußnähe getrauen sich die klugen Bestien doch nicht. Und selbst in solchem Falle würde das im Wald aufgezogene Weib den über dem Kamin auf zwei Klammern liegenden Reifel sicher genug zu führen wissen, um die allzu kecken Schweineräuber zu treffen, und dabei an Gefahr nicht denken. Es war eine nicht mehr ganz blühende, aber noch recht hübsche Frau von einigen dreißig Jahren, mit dunklem vollen Haar, recht klaren braunen Augen und so lebendigem Temperament, daß sie einmal sogar daran dachte, ihren Mann zu bewegen, aus dem Wald hinaus in die Stadt zu ziehen, wo sie mehr Umgang mit ihresgleichen haben konnte. Das aber fiel Wells natürlich nicht ein. Für ihn gab es nichts Fataleres auf der Welt, als auf eine Fenz zu treffen und Leuten zu begegnen, und wenn er nur eine menschliche Fußspur draußen im Wald traf, teilte nicht selten ein halblaut gemurmelter Fluch seine Lippen. Wie sie nun länger verheiratet waren und die Knaben heranwuchsen, gab Betsey, wie die Frau hieß, den früher gefaßten Gedanken auch leicht wieder auf. Der Wald war ja doch einmal ihre Heimat, und in der mußte sie nun schon bleiben. Wells war den Tag über auf der Jagd gewesen, und vor der Tür hing ein stattlicher Bock, den er auf seinem kleinen Pony mit nach Haus gebracht. Er selber saß in der Hütte und
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schnitzte seinem ältesten Jungen aus einem Ende des Geweihs ein neues Lademaß für seine kleine Büchse, die der Knabe schon recht wacker führen konnte. Die Frau stand an dem großen Baumwollspinnrad und spann. »Hallo the house!« rief da eine Stimme von draußen den bekannten Anruf von der nächsten Fenz, an der ein schmaler Pfad vorbeiführte, herüber. »Hallo, Fremder!« rief Wells zurück, mit seiner Arbeit aufstehend und in die Tür tretend, wo er draußen einen Reiter erkennen konnte, »steigt ab und kommt herein.« »Dank Euch!« sagte der Mann, »kann ich hier die Nacht bleiben?« »Ich denke so; kommt ins Haus.« Weiter war nichts nötig; der Fremde stieg vom Pferd, nahm seinen Sattel ab, den er auf die Fenz legte, warf den Zügel seines Tieres über die äußersten Enden der oberen Fenzriegel, stellte seine Büchse dann über die Fenz hinüber und kletterte nach, wo er, seinen Reifel auf der Schulter, den nächsten Weg zur Haustür einschlug. »Wie geht's, Fremder?« fragte Wells, ihm zum Gruß die Hand reichend, »nehmt einen Stuhl und setzt Euch zum Feuer, gebt mir Eure Büchse, ich will sie dort mit übern Kamin legen - hm, ist ein gutes Gewehr - liegt vortrefflich!« - Wells hatte sein Messer und das Stück Hirschhorn aus der Hand gelegt und zielte mit der Büchse aus der Tür hinaus nach einem Blatt. »Schießt auch auf den Fleck«, sagte der Fremde, »guten Abend, M'am.« »Kommt Ihr weit her?« fragte Wells. »Texas.« »Texas? - hell!« sprach Wells, den Fremden erstaunt betrachtend, »muß famose Jagd da sein.« »Ausgezeichnet«, entgegnete der Fremde, indem er ohne weitere Umstände am Feuer Platz nahm, seine wollenen Reitgamaschen (zwei braune Streifen Wolldecke) von dem untern Teil der Beine band und zum Trocknen an den Kamin hing.
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Es war ein schlanker, stattlicher Mann von vielleicht achtunddreißig bis vierzig Jahren, aber mit wettergebräunten, etwas dunkeln Zügen und einer breiten Narbe über der linken Backe, die sein Gesicht indessen mehr zierte als entstellte. Außerdem ging er in der gewöhnlichen Tracht der Backwoods, einem wollenen dunkelblauen Jagdhemd, welches nach seinem besonderen Geschmack mit Orangefransen verziert war, trug aber keine Mokassins, sondern derbe, rindslederne Schuhe und am linken Fuß einen großen mexikanischen Sporn mit etwa zweizölligem Rad und einem Stückchen Metall daran, damit es beim Gehen und Reiten einen klingenden Laut gäbe. »Viel Bären da?« fragte Wells nach einer Pause, in der er den Fremden aufmerksam betrachtet hatte, ohne daß dieser weiter große Notiz von ihm selber nahm. »Ziemlich viel an manchen Stellen«, sagte der Fremde, seinen Sporn abschnallend und auf den Kaminsims legend, »werden aber auch schon dünn.« »Ja, wohl wie überall!« seufzte Wells, »'s gibt zu viel Vieh im Wald, das Wild hat nirgends mehr Ruh vor dem ewigen Gebimmel.« »Und alle Meile eine Fenz!« brummte der Fremde. »Das weiß Gott!« stimmte der Jäger ein, »wär' ich ein Bär, ich wanderte auch aus. - Wie ist's mit den Indianern in Texas?« »Bah, so viel für die Rotfelle!« versetzte der Fremde, den Kopf verächtlich auf die Schulter werfend, »wer fragt nach denen?« »Hm - ja - braucht nicht viel nach ihnen zu fragen. Aber wo's ihrer viele gibt, treiben sie das Wild vor sich her und aus der Range.« »Bleibt noch genug übrig - können's nicht totmachen«, lautete die ermutigende Antwort. »Wollte schon lange einmal nach Texas hinüber«, sagte Wells endlich wieder, nachdem beide Männer, eine lange Zeit mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, in die Flammen ge-
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sehen hatten; bin nur immer noch nicht dazugekommen. Wie ist's mit dem Land?« »Für unsereinen gut«, meinte der Fremde. »Eine Menge Militärgrants, und niemand weiß, wem's gehört. Wer sich draufsetzt, hat's.« »Und gutes Land?« »Vortrefflich.« »Gute Pferdezucht? « fragte Wells wieder nach einer langen Pause. Der Fremde warf einen flüchtigen, aber scharfen Blick nach ihm hinüber, schwieg einen Augenblick und sagte dann ruhig: »Man könnte sich's nicht besser wünschen.« »Ihr werdet hungrig sein«, mischte sich die Frau jetzt in das etwas einsilbig geführte Gespräch, indem sie ihr Rad in die Ecke schob, die große blecherne Kaffeekanne vom Brett nahm und sie aus dem dicht vor der Tür stehenden Eimer füllte, in dem ein Flaschenkürbis als Schöpfer lag. »Du könntest noch ein paar Stecken Holz hereinholen, John, daß wir Kohlen kriegen zum Brotbacken.« Wells stand auf, ging vor die Tür und kam mit drei mächtigen Stücken Hickoryholz zurück, die er langsam auf den Boden gleiten ließ und dann kunstgerecht in den Kamin legte, damit sie nicht allein Glut geben, sondern auch so liegen möchten, daß die Frau ihre Kanne und Töpfe sicher oben daraufstellen konnte. Das Abendbrot wurde indessen bereitet, ohne daß ein weiteres Gespräch zwischen den dreien fortgeführt wäre, einzelne Fragen abgerechnet, die der Fremde nach der hiesigen Range, nach Wild und Viehstand, nach Maispreisen und Schweinen und deren Mast tat und die sämtlich befriedigend beantwortet wurden. »Dreht eure Stühle herum und setzt euch zum Tisch«, sagte die Frau endlich, als das frischgebackene Maisbrot und der Kaffee auf dem Tisch dampften und große Scheiben Speck und Wildbret in der Pfanne noch spritzten und zischten, während eingekochter Kürbis, Honig, Butter und Milch das Mahl vervollständigten. Der Fremde stand auf, und einen Blick im Haus umherwerfend, an dessen Wänden Harpunen, Stellei-
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sen, Fellsäcke und gegerbte Häute die Tätigkeit des Besitzers bekundeten, sagte er, indem er dabei der Einladung Folge leistete und seinen Stuhl zum Tisch rückte: »Ihr seid ein Jäger, wie ich sehe; Euch würd' es in Texas schon gefallen, und Arbeit bekämt Ihr da auch.« »Vielleicht!« meinte Wells, »welchen Weg seid Ihr gekommen?« »Gerade durch.« »Vom roten Lande her?« »Noch was weiter drunten.« »Hm - wo habt Ihr die letzte Nacht kampiert?« »Am Washita.« »Und seid früher in der Gegend hier noch nicht gewesen?« Der Fremde schüttelte mit dem Kopf, hatte anscheinend jedoch über Tisch keine große Lust, Fragen zu beantworten, sondern bei weitem größeren Hunger, und die Mahlzeit ging still vorüber. Die Knaben hatten indessen das Pferd des Fremden draußen besorgt und kamen dann ins Haus, um, nachdem die beiden Männer abgegessen hatten, mit der Mutter ihr Nachtmahl zu halten. Der Fremde schien übrigens müde, und wie es dunkel geworden war, holte er sich seinen Sattel und seine Decke herein, machte sich neben dem Feuer sein Lager zurecht, wickelte sich ein, sagte »gute Nacht« und war einige Minuten später, wie sein lautes und regelmäßiges Atmen bewies, sanft und süß eingeschlafen. Als er am andern Morgen wieder aufwachte, war Wells' Frau am Feuer beschäftigt, das Frühstück zu bereiten. Er stand auf, wusch sich, sah nach seinem Pferd und kam dann zurück zum Haus, wo das Frühmahl wieder auf dem Tisch dampfte; Wells selber aber war nicht da, sondern schon seit Tagesanbruch mit seiner Büchse und seinem Hund in den Wald gegangen, wie er das manchmal tat. Der Fremde mußte allein frühstücken, und die Frau setzte sich zu ihm und schenkte ihm den Kaffee ein. Er sah sie dabei ein paarmal von der Seite an, begann auch nach einer Weile ein gleichgültiges Gespräch, es blieb aber doch sehr einsilbig, und nach dem Essen sattelte er sein Pferd wieder auf und ging ins Haus, um seinen Sporn
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anzuschnallen, seine Gamaschen umzubinden und die Büchse zu holen. »Lebt wohl«, sagte er dann, der Frau die Hand reichend und herzhaft drückend, »ich dank Euch für alles Gegebene; vielleicht komm ich einmal wieder. Die Gegend hier gefällt mir, muß nur erst nach dem Ozarkgebirge hinauf, um einige Geschäfte zu besorgen. Kann man hier durch den Fluß reiten oder muß man schwimmen?« »Nun, hier gegenüber würdet ihr wohl schwimmen müssen«, erwiderte die Frau, »wenn Ihr aber ein Stück weiter hinaufreitet, findet Ihr eine Furt.« »Danke«, sprach der Fremde. »Ist nicht nötig.« Und über die Fenz kletternd und in den Sattel springend, trabte er, indem er unbekümmert um alle Hindernisse geraden Kurs beibehielt, mitten in den Wald hinein. Erst ziemlich spät gegen Abend kehrte Wells aus dem Walde zurück und hatte sein Pferd schwer mit einem tüchtigen Schwein beladen, das er im Walde geschossen und in vier Teile zerschnitten. Wilde Schweine gibt es übrigens in Nordamerika gar nicht, und es war das auch nur eins seiner eigenen zahmen, aber draußen im Wald wild gewordenen Tiere, dessen er eben nicht anders hatte habhaft werden können, als indem er ihm eine Kugel vor den Kopf schoß. Wie gewöhnlich ging er im bloßen Kopf, die Büchse auf der linken Schulter, nebenher, und Schneider, sein Hund - er hatte das Tier nach einer eigentümlichen Gewohnheit desselben, die Hinterbeine beim Sitzen übereinanderzulegen, so genannt - folgte dicht hinter dem Pferde. »Hallo, Vater, hast du das Schwein endlich erwischt?« rief ihm John, sein ältester Junge, entgegen, als er zum Haus kam. Jim, der Jüngste, saß auf der Fenz und sah zu, wie der Vater das Fleisch ablud. »Ja, John«, sagte Wells, »aber es hat Mühe gekostet; die Racker sind so wild geworden wie die Hirsche und denken gar nicht dran, sich treiben zu lassen. Wenn's kalt wird, magst du hinausgehen und noch ein paar davon schießen. Jimmy kann
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dir helfen. Gerad unter Pine-Knot-Hollow haben sie jetzt ihren besten Brechplatz, und dort bleiben sie auch, denn die Weißeichen und Overcup hängen unmenschlich voll; es gibt ein gutes Mastjahr heuer.« »Jimmy soll mir helfen einpacken?« fragte John erstaunt, »tust denn du das nicht?« »Wirst's jetzt auch einmal machen müssen«, sagte Wells, »bist doch alt genug dazu! - Hier, Schneider, paß auf, daß mir die anderen Hunde nicht ans Fleisch geben.« Und damit hob er sich ein Viertel des Schweins auf die Schulter und trug es ins Rauchhaus - eine kleine Blockhütte, die etwa fünfzig Schritt von seiner Wohnung entfernt lag, ging dann zurück, um das andere zu holen, und arbeitete so lange, bis er alles untergebracht hatte. Die Jungen besorgten indessen sein Pferd, das er ihnen empfahl, heute ganz besonders gut zu füttern, und als er alles beendet hatte, ging er ins Haus hinein und aß sein Abendbrot. »Wohinaus ist der Fremde?« sagte er, als er sein Mahl, zu dem ihm die Frau etwas von dem frischen Schweinefleisch braten mußte, beendet hatte und nun vom Tisch aufstand. »Wenn er den Kurs beibehalten hat, den er hier vom Haus aus ritt, nach Nordwesten«, erwiderte die Frau. »Er sprach auch vom Ozarkgebirge, daß er dort zu tun hätte. Aber was suchst du da in der Ecke?« »Den Kaffee; hast du ihn fortgestellt?« »Ich habe heute nachmittag eine Partie gebrannt. »Das ist gut«, sagte der Mann, »gib ihn einmal her, daß ich mir etwas mahlen kann.« »Willst du denn wieder fort?« fragte die Frau, »lieber Gott, du bist ja die ganze Woche erst zwei Tage zu Haus gewesen.« »Ich will nach Texas«, sagte Wells ruhig. »Nach Texas?« rief die Frau und hätte vor Schrecken fast die Kaffeekanne fallen lassen, die sie eben aufgenommen hatte, um sie vom Tisch in die Ecke zu stellen, »und allein? - nach Texas?« »Willst du mit?« fragte John.
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Die Frau schüttelte mit dem Kopf. Daß er sie doch nicht mitnehme, wenn sie auch ja gesagt hätte, wußte sie recht gut. »Aber wann kommst du denn wieder zurück?« »Bis zum Frühjahr bin ich wieder da«, sagte Wells. »Dies Texas hat mir schon lange im Kopf gelegen und der Fremde gestern die Geschichte endlich umgestoßen. Ich muß einmal selber sehen, wie's drüben ist; auf Beschreibungen kann man nichts geben, und die Jungen sind groß genug, den Winter durch alles zu besorgen, was du hier beim Hause brauchst. John mag jagen und Jim Feuerholz einbringen. Der Mais ist eingefahren und im Feld bis zum Frühjahr auch nicht viel mehr zu tun. Die paar Bäume, die den Winter durch im Felde vielleicht umfallen - und einer liegt schon -, hau ich zusammen, wenn ich wiederkommen oder wenn das später sein sollte, als ich jetzt glaube, besorgen dir das die Nachbarn.« Die Frau wollte ihm den Gedanken ausreden, sie und die Kinder fünf oder sechs Monate allein im Wald sitzenzulassen, Wells sah aber nichts Besonderes darin. So gut wie sie eine Woche allein geblieben war - und das kam alle Augenblicke vor -, so gut konnte sie auch einmal einen Winter durch allein haushalten. Zu leben hatten sie, Feuerholz gab's ebenfalls genug, was wollte sie mehr? An dem Abend machte er denn auch noch seine Vorbereitungen zu dem Marsch durch eine viele hundert Meilen lange Wildnis, denn auf der Richtung, die er zu nehmen hatte, traf er, gleich vom Fourche la fave ab, der hier ziemlich die Grenze der Ansiedlungen bildet, nur noch einzelne Blockhäuser und mußte wochenlang, nur auf sich und seine Büchse angewiesen, durch den Wald ziehen. Aber in dem war er zu Hause. Was er zu der Reise brauchte, war ein Säckchen mit gemahlenem Kaffee, das einzige und Hauptlabsal des Jägers im Wald, ein Säckchen mit Salz, ein paar Pfund gesalzenen Speck und etwas getrocknetes Wildbret für den nächsten Tag, außerdem seine wollene Decke, die Kugelform, ein paar Pfund Kugeln und sein Horn voll Pulver. Damit konnte er ein Jahr draußen aushalten.
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Die beiden Knaben hatten gehört, daß der Vater nach Texas wolle, und Texas war bei ihnen etwa derselbe Begriff, den wir hier in Europa mit Amerika verbinden. Texas lag für sie nicht mehr in Amerika - es gehörte damals noch den Mexikanern -, und die meisten indianischen Greueltaten, von denen Nachricht zu ihnen gedrungen, waren in Texas verübt. Sie saßen still und schüchtern am Kamin und warfen nur dann und wann einmal einen scheuen Seitenblick zu dem Vater hinüber, der in der andern Ecke an der dort an einem Balken befestigten Kaffeemühle stand und seinen Kaffee mahlte. »Wells, es ist nicht recht, daß du auf so lange fortgehst«, sagte die Frau endlich, als die Knaben im Bett waren und Wells noch vor dem Kamin kauerte, um Kugeln zu gießen. »Wenn dir nun was zustößt?« »Unsinn!« brummte Wells, »was soll mir denn zustoßen?« »Die Indianer - die Creeks und Pawnees sind böse Nationen.« »Bah - hast du nicht gehört, was der Fremde sagte? - so viel für die Rothäute!« lachte Wells. »Was die können, kann ich auch, und Schneider und ich werden uns schon unsere Bahn frei halten.« »Mir ist recht weh ums Herz«, fuhr die Frau nach einer Weile fort, »ich fürchte, du kommst nicht wieder, und ich kann mich dann hier grämen und härmen und erfahre nicht einmal, was aus dir geworden. Laß Texas Texas sein und bleibe hier, John. Hier weißt du, was du hast, und wir leben glücklich und zufrieden.« »Zufrieden nicht, solange mir das Texas in den Ohren liegt«, sagte aber John, »erst muß ich einmal wissen, wie's dort aussieht, denn die Burschen, die von dort herüberkommen und wo die gewesen sind, dahin kann ich auch -, nehmen das Maul immer so furchtbar voll von ihrem Texas, daß man am Ende meinen sollte, es wär' etwas Besonderes.« »Und wenn dich nun die Indianer überfallen und skalpieren?«
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»Schwatz keinen Unsinn«, brummte Wells, »wenn ich mich von denen überfallen lasse, verdiene ich's nicht besser, und du hast nichts an mir verloren.« Er ließ sich den einmal gefaßten Plan nicht wieder ausreden, und als ihm die Frau am andern Morgen mit Tränen im Auge sein letztes Frühstück bereitete, sattelte er sich sein Pferd, packte seine kleinen Vorräte darauf, nahm von Frau und Kindern Abschied, was er sonst nie tat, wenn er nur auf acht Tage in den Wald ging, rief seinen Hund (denn der amerikanische Jäger pfeift seinem Hund nur, wenn er ihn hetzt) und trabte gleich hinter seinem Hund fort - durch das niedere Talland den Hügeln zu, die den Fourche la fave von den Wassern der großen Mamelle trennen. Dort ritt er schräg hinüber nach Süden.
II Betsey Wells führte den Winter durch ein einsames Leben, aber sie litt an nichts Mangel. John wußte schon recht gut mit der Büchse umzugehen, denn er war in einer guten Schule gewesen, und Jim sorgte für Holz. Die Nachbarinnen kamen auch manchmal, Betsey zu besuchen und vielleicht Nachricht von Wells zu hören, ob er bald wiederkäme und wie es ihm ginge. Wie hätte der aber Nachricht von sich geben sollen? Er konnte nicht einmal schreiben, und mündliche Botschaft zu senden - lieber Gott, wie selten traf es sich, daß von dort jemand nach dieser Richtung zugezogen wäre, aus einer Wildnis in die andere! Nein, sie mußte nun schon warten, bis er selbst zurückkehrte, und das hatte er fest bis zum Frühjahr versprochen. Der armen Betsey war aber noch kein Winter so lang geworden wie dieser; die Tage schlichen nur so dahin, und es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern von einem Sonntag zum andern, daß sie wieder eine Woche abzählen konnte. Weihnacht kam endlich und Neujahr; der Januar ging vorüber und
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der Februar; die Bäume fingen an auszuschlagen, die wilden Truthühner im Wald an zu balzen. Sie konnte den sichern Frühlingslaut morgens selbst in ihrem Bett hören, und wie sich die Bäume endlich mit frischem Grün deckten und alles sproßte und keimte und neues Leben trieb, kam kein Reiter mehr die Straße herab, ohne daß sie nicht in die Tür gesprungen wäre, den endlich Heimkehrenden zu begrüßen. - Umsonst! - Der Dogwood blühte, und die Weiden sandten ihren würzigen Duft weit vom Ufer ab in das Land hinein; der Mais mußte gepflanzt werden, wobei ihr die Nachbarn freundlich halfen, das Feld zu reinigen und zu ackern, die jungen Pflanzen wuchsen, trieben Blätter und verlangten in Hügel geworfen zu werden, die Kolben bildeten sich, die Seide setzte an die jungen Truthühner wurden flügge, der Mais reifte - die Blätter fielen wieder von den Bäumen, der Schnee deckte das weite Land - und John war noch nicht zurückgekehrt. Wie das so einsam im Wald wurde den zweiten Winter, wie die dürren frostigen Äste so unheimlich aneinanderschlugen und klapperten und der Wind so toll und schauerlich durch die dürren Wipfel heulte, und was für böse, böse Träume ihr da beikamen, nächtelang! - Sie hatte sich noch nie im Wald allein gefürchtet, jetzt aber überlief sie's manchmal mit Fieberfrost, wenn sie ihr einsames Lager suchte; und die bleiche, blutige Gestalt, die ihr so oft erschien, jagte ihr den kalten Schweiß auf Stirn und Schläfe und ließ sie nicht selten mit lautem Angstgeschrei aus ihrem Schlummer emporfahren. Die Knaben wuchsen indes heran, John war zehn, Jim acht Jahre geworden, und beides kräftige Jungen, die ordentlich zufassen konnten; die Mutter brauchte nicht in Sorge zu sein, daß sie Mangel litt. Nichtsdestoweniger fehlte der Mann im Hause, denn die beiden jungen Burschen, die sich solcherart fortwährend allein überlassen und als Kinder selbständig waren, wurden zuletzt natürlich wild und unbändig und wollten nur tun, was ihnen selber Freude machte. Auf die Jagd gehen ja, das gefiel ihnen, aber arbeiten mochten sie nicht, und die Mutter bekam von Tag zu Tag mehr Not, sie nur zu den notwendigsten Beschäftigungen anzuhalten.
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Auch dieser Winter verging und der nächste Sommer - aber Wells kam nicht. In der Ansiedlung ging ein dumpfes Gerücht, er sei von den Indianern skalpiert worden, während andere wieder behaupteten, die Mexikaner hätten ihn gefangen und in eins ihrer Bergwerke als Sklaven geschickt. Gewisses aber wußte niemand anzugeben, und der Frau selber hütete man sich wohl, etwas Derartiges zu erzählen. Das dauerte eine Weile; auf die Länge der Zeit konnte es ihr aber auch nicht verborgen bleiben. Wie wären die Nachbarinnen imstande gewesen, das so lange auf dem Herzen zu behalten, und einzelne Fragen klärten auch sie endlich darüber auf, was die Ansiedlung selber über ihres Mannes Schicksal dachte. Aber sie ließ den Mut noch nicht sinken. Wells, wenn irgend jemand in der weiten Gotteswelt, war den Gefahren, denen er mit vollem Bewußtsein entgegengegangen, auch gewachsen; doch konnte er krank geworden sein und in irgendeiner Ansiedlung darniederliegen. - Er brauchte Zeit, sich zu erholen, und würde dann den Rückmarsch gewiß nicht vor dem nächsten Frühjahr antreten. Mit dem kam er gewiß. - Aber er kam auch da nicht. Wieder blühten die Bäume, wieder balzten die Truthühner draußen im Wald, und keine Spur von dem Gatten ließ sich entdecken. Befreundete Cherokesen-Indianer, die von dem indianischen Territorium aus nach Arkansas und selbst Texas hinein handelten, brachten endlich gewisse Nachricht mit, daß Wells von einer Streifpartie marodierender junger Pawnees, die auf ihren ersten Skalpzug ausgegangen wären, im Walde zufällig überrascht und gefangengenommen und nachher, ihrer Sitte gemäß, zu Tode gemartert wäre. Das zerstörte denn freilich auch den letzten Zweifel, wenn jemand, außer der Frau, bis dahin noch gezweifelt hätte. - Aber Betsey hoffte immer noch. Einen näheren Nachbar bekam sie indessen in demselben Fremden, dessen Erzählung damals John eigentlich bewogen hatte, selber nach Texas zu gehen. Der Mann war damals nach den Ozarkgebirgen gezogen, dort anderthalb Jahre geblieben
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und jetzt an den Fourche la fave zurückgekehrt, dessen Land ihm schon damals gefallen, wo er sich, etwa eine Meile von Wells entfernt, am andern Ufer des Flusses niederließ und ein kleines Improvement begann. Im Anfang schlug er sich dort freilich nur ein Lager auf und lebte von der Jagd, verkehrte auch mit keinem der Nachbarn und war schon vier Monate in der Gegend, ehe er einmal nach Wells Platz herüberkam, um eine »fro« zu borgen, wie die Amerikaner das Instrument zum Bretterspalten nennen: er hatte die seinige bei der Arbeit abgebrochen. Betsey Wells freute sich, als sie ihn sah, denn er vor allem konnte ihr sagen, welche Hoffnung er selber für Wells Rückkehr habe. Der Mann war aber entsetzlich einsilbig, schien nicht gern davon zu sprechen und meinte nur, es wäre noch recht gut möglich, daß er doch zurückkäme. Man hätte einzelne Beispiele, daß Weiße selbst den Indianern entkommen wären und ihren Weg wieder nach Hause gefunden hätten. Damit ging er fort und kam auch nicht wieder zum Haus, denn er schickte das geborgte Werkzeug später durch einen von Wells Knaben zurück, die bei ihm vorüberkamen. So vergingen noch zwei Jahre, und selbst Betsey gab jede Hoffnung auf, den Gatten wiederzusehen. Der Fremde, der Mawler hieß, war aber jetzt einigemal in ihre Gegend gekommen, um nach einzelnen von seinen Schweinen zu sehen, die sich dorthin verlaufen hatten. John und Jim halfen ihm sie suchen, und er übernachtete auch einmal wieder in Wells Haus, weil gegen Abend, als er auf dem Rückweg von dort herüberkam, ein furchtbares Unwetter einsetzte und der kleine Fluß an dem Nachmittag gewaltig gestiegen war. Von da an kam er öfter, half Mrs. Wells hier und da in ihrer Farm, wo die Jungen nicht allein fertig werden konnten, trieb ihr fortgelaufenes Vieh, das er draußen gefunden, in die Range zurück und baute ihr für ihren zerfallenen Webstuhl einen neuen, denn er wußte mit Axt und Schnitzmesser außerordentlich gut umzugehen. Auch die Knaben unterrichtete er darin und schenkte John einen vortrefflichen »langsamen« Schweißhund, eine Race, die selbst dort im Walde nicht häufig
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ist und die er mit von Texas herübergebracht hatte. Die beiden jungen Burschen mochten den Fremden schon lange gern leiden. Wells war seit vier und einem halben Jahr verschollen, als Betsey Wells und Bill Mawler eines Morgens zum Friedensrichter Houston nach der »Fork« hinaufkamen und ihm erklärten, daß sie beide einander zu Mann und Frau nehmen wollten. Da die »Nachbarn«, also auch der Friedensrichter, das schon lange gewußt hatten, fand er so wenig wie jemand anderes in der Range irgend etwas Außerordentliches darin. Wells war tot, so viel stand fest; Mr. Houston, der selber einmal an der texanischen Grenze gewesen war und die Verhältnisse dort genau zu kennen vorgab, hatte schon nach dem ersten Jahr nicht daran gezweifelt; und Mr. Mawler und Betsey Mawler kehrten noch an dem nämlichen Nachmittag nach Mawlers Farm, wie der Platz jetzt hieß, zurück. Acht Tage später verkaufte Mawler sein an der andern Seite des Flusses angelegtes Improvement mit Vieh und Ackergerät und allem, was dazugehörte, an einen erst ganz kürzlich eingewanderten Deutschen, der sich in jener Gegend niederzulassen wünschte, und ging von da an eifrig daran, seine neue, in den letzten Jahren doch ziemlich vernachlässigte Farm wieder ordentlich instandzusetzen. Es war im Herbst. - Mawler saß den Nachmittag allein in der Hütte und schnitzte ein Ochsenjoch, um in der nächsten Woche Stämme zu einem neuen Rauchhaus zu fahren. John, jetzt ein derber, vierzehnjähriger Bursche, war schon am Morgen mit seiner Büchse einem Bären nachgegangen, den er mit Tagesanbruch nicht weit vom Haus gespürt; Jim war in der »Schreibstunde«, da sich vor kurzer Zeit ein Yankee hier in der Nachbarschaft niedergelassen, um allen, die das Bedürfnis fühlten, den Winter hindurch Unterricht im Schreiben zu geben. Und Betsey endlich war zu ihrer nächsten Nachbarin, der Mrs. Wilson, hinübergeritten und brachte ihr Medizin für ein krankes Kind.
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Da kam ein einzelner Reiter mit einem alten grauen Hund hinter sich langsam die Hügel herunter, die hinter dem Feld aufstiegen, ritt an dessen Fenz entlang und hielt vor dem Haus, ohne dieses jedoch anzurufen. Das Pferd wieherte, als es an die Fenz kam, und der Fremde stieg ab, nahm den Sattel herunter, legte ihn auf die Fenz und besah sich einen Augenblick die kleine, erst kürzlich dort eingeschnittene Tür, durch die er dann schritt und langsam dem Haus zuging. Der Hund, ohne sich um die ihn ankläffenden Rüden zu kümmern, lief voran in die Stube und legte sich rechts vom Kamin in die Ecke. Mawler war, als er die Hunde anschlagen hörte, von seiner Arbeit aufgestanden und in die Tür getreten, wo der Hund, ohne weitere Notiz zu nehmen, an ihm vorübersprang. »Guten Abend, Fremder!« grüßte er dabei den Gast auf die ruhige, gewohnte Weise, »kommt herein und nehmt Euch einen Stuhl.« »Danke«, sagte der Fremde und trat ins Haus, in dem er sich umsah, und als er niemand weiter darin erblickte, nach der Tür hinaufschaute, als ob er seine Büchse dort auflegen wollte. Da lag aber schon eine, er stellte die eigene deshalb in die Ecke ans Kamin, rückte sich einen Stuhl zum Feuer und sah, sein rechtes Bein auf das linke Knie legend, ruhig in die Flamme. »Das ist ein alter Hund, den Ihr da bei Euch habt«, sagte Mawler endlich. »Sehr alt«, erwiderte lakonisch der Fremde. Er sah selber nicht sehr jung oder doch arg verwildert aus, trug ein buntes zerrissenes Tuch um den Kopf gebunden, unter dem die langen schwarzen Haare vorhingen, aber ein noch neues ledernes Jagdhemd auf dem bloßen Leib, lederne Hosen, die an den Seiten, wie das Jagdhemd, ausgefranst waren, und braun geräucherte, sehr zierlich gearbeitete Mokassins. Mawler betrachtete ihn aufmerksam; das Gesicht kam ihm fast bekannt vor, er konnte sich aber doch nicht darauf besinnen, wo er es schon einmal gesehen haben mochte. Überdies waren in letzter Zeit viele Leute hier vorbeigekommen, um
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nach dem indianischen Territorium zu ziehen, da ein Gerücht umlief, die Regierung der Vereinigten Staaten wolle den Chocktaws und Cherokesen das ihnen dort früher angewiesene Land wieder abkaufen. Da zogen sich denn die Pioniere und Squatter des Westens, die in diesem Fall einen Zusammenstoß mit den wilden Stämmen nicht für unmöglich, ja eher für sehr wahrscheinlich hielten, in Menge dort hinauf, um gleich bei der Hand zu sein und irgendeinen guten Platz im Vorkaufsrecht nehmen zu können. Was lag den Leuten an einem Kampf mit den Rothäuten? Den hatten sie sich lange schon gewünscht und überhaupt den Indianern seit Jahren das gute Land mißgönnt, das sie dort besaßen. Wie sich das Gerücht endlich als falsch erwies, zog die Mehrzahl wieder zurück in ihre alten Jagdgründe, meist eben solch abenteuerliche Gestalten wie diese hier und auf ein Leben in der Wildnis nun schon einmal von Jugend auf angewiesen. »Wessen Farm ist dies?« fragte der Fremde endlich nach einer langen Pause, indem er mit dem Fuß dabei eins der herausgefallenen Stücke Holz wieder in die Kohlen schob, daß es hell aufloderte. »Meine«, sagte Mawler, seine Arbeit an dein Ochsenjoch wieder aufnehmend. »Und Euer Name?« fragte der Fremde wieder, ohne seinen Wirt jedoch dabei anzusehen. »Mawler.« »Alte Lady tot?« forschte der Fremde. »Nein«, versetzte Mawler, hörte aber auf zu schnitzen und sah den Fremden plötzlich starr und aufmerksam an. Eine ganze Weile sprach wieder niemand ein Wort. Endlich fragte Mawler: »Wo kommt Ihr her?« »Von Texas.« Mawler sprang von seinem Sitz auf und trat auf den regungslos in seiner Stellung bleibenden Fremden zu. »Und heißt?« »John Wells.«
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»Den Teufel auch!« rief Mawler, und das Schnitzmesser fiel ihm aus der Hand. In diesem Augenblick schlugen die Hunde, die bis jetzt gegen den Fremden durch die Tür hineingeknurrt hatten, draußen an; Mrs. Mawler kam, von drei anderen, ihren eigenen Rüden begleitet, zurück, sprang aus dem Sattel, warf den Zügel über die Fenz und trat ins Haus. »Guten Tag, Mawler«, sagte sie dabei, »guten Tag, Fremder.« Der Fremde drehte sich langsam nach ihr um - sie sah ihn an, starr und sprachlos, mit weit aufgerissenen Augen, und eine Weile stand sie dem Mann gegenüber, ohne auch nur imstande zu sein, einen Laut über die Lippen zu bringen. Endlich aber hob sie die Arme, aber immer noch fast willenlos, empor und rief mit angstvoll klagender Stimme: »Heiland der Welt! John - John - oh, wo bist du so lange - so lange - so entsetzlich lange geblieben?« »Guten Tag, Betsey«, sagte John, der von seinem Stuhl langsam aufgestanden war und ihr die Hand reichte, »wie geht's?« »O John, John, warum bist du so lange fortgeblieben!« wiederholte die Frau, die sich ihm an die Brust warf und laut schluchzte, »und die langen, langen Jahre nichts von dir hören zu lassen!« »Das ist eine fatale Geschichte, Wells«, sprach jetzt auch Mawler, der sich indessen von seiner ersten Überraschung erholt und gesammelt hatte, »wo habt Ihr die ganze Zeit gesteckt?« »In Texas«, sagte Wells, einen flüchtigen Blick nach dem Mann hinüberwerfend. »Die Frau heißt Betsey Mawler, nicht wahr?« »O John, John«, wehklagte diese wieder, »was habe ich nicht alles um dich ausgestanden! - Sie sagten hier, die Indianer hätten dich gefangen und skalpiert, du wärest den Pawnees in die Hände gefallen.« Ein leichtes spöttisches Lächeln blitzte über Johns Gesicht, aber es war im Nu wieder verschwunden, und er erwiderte kein Wort.
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»Was machen die Jungen?« fragte er endlich, die Frau dabei ansehend. »Sie sind wohl. Jim muß gleich zu Hause kommen«, schluchzte die Frau unter Tränen. »Und wie lange wohnt Ihr hier im Haus, Mawler?« »Über sechs Monate.« »Hm«, sagte Wells und sah ein paar Sekunden vor sich nieder. Dann machte er sich leise, aber nicht unfreundlich von der Frau los, ging in die Ecke, wo seine Büchse stand, und sich dann zur Tür wendend, fuhr er langsam fort: »Was einmal geschehen ist, läßt sich nicht mehr ändern. Ich selbst trage auch viel Schuld dabei, wenn auch nicht so viel, wie ihr vielleicht glaubt. Wenn ich hätte kommen können, wär' ich nicht so lang geblieben. Überlegt euch nun heut abend die Sache zusammen, und morgen komme ich wieder. Einer von uns kann nur im Haus bleiben, das werdet Ihr einsehen, Mawler. So komm, Schneider!« und damit drehte er sich um und wollte das Haus verlassen. »Wo willst du hin, John?« rief die Frau bestürzt. »Wohin? - an den Fourche la fave, um dort zu lagern und mir die Sache selber zu überlegen; morgen zum Frühstück bin ich wieder da.« Er drehte sich dabei ab und verließ das Haus, gefolgt von seinem allem Anschein nach damit gar nicht zufriedenen Hund, der einen mürrischen Blick nach Mawler hinüberwarf. Draußen aber blieb er noch einmal stehen und sagte: »Habt Ihr Tabak hier?« »Jawohl, Wells«, rief Mawler schnell, »hier ist ein ganzer Block.« »Danke Euch, brauche nur ein Stück - habe lange keinen gehabt. - Und vielleicht was gemahlenen Kaffee?« - Die Frau lief zitternd vor Aufregung in die Ecke und kam mit einer kleinen Büchse gemahlenen Kaffees zurück. Wells nahm ein Säckchen aus seiner Kugeltasche und schüttete sich dort etwas hinein, schnitt sich ein Stück von dem Tabak herunter, und das übrige zurückgebend, verließ er, so ruhig, wie er gekommen, die Fenz, legte den Sattel wieder auf sein Pferd, stieg auf und ritt langsam dem Fluß zu in den Wald hinein.
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Am Fluß angekommen, sattelte er sein Pferd ab, hobbelte es aus, das heißt, band ihm die Vorderbeine so zusammen, daß es eben nur kleine Schritte machen konnte, und ließ es sich selber sein Futter im Wald suchen. Dann machte er sich ein Lager zurecht, wie es Jägersitte ist, schlug Zweige ab, um gegen den Nachttau geschützt zu sein, nahm von einer umgestürzten dürren Kiefer die in Menge daran umherhängende Rinde, um auch nicht auf der bloßen Erde zu liegen, zündete sich ein ordentliches Feuer an und legte sich, nachdem er sich ein Stück trockenes Wildbret zum Wärmen auf die Kohlen geworfen und seinem Hund ein anderes gegeben, ruhig zum Schlafen nieder. Aber er schlief nicht, stand auch die Nacht drei- oder viermal auf und saß stundenlang, in die Kohlen stierend, am Feuer, bis er sich gegen Morgen noch einmal hinlegte, die Decke über den Kopf zog und fest schlief, bis die Sonne schon durch die dichten Zweige auf sein Rindenlager niederfiel. Jetzt stand er auf, wusch sich, zog seine Mokassins an, rollte seine Decke zusammen und ging aus, um sein Pferd zu suchen; wie er aber fand, daß dessen Spuren nach dem Haus zu liefen, kehrte er zum Lager zurück, nahm Sattel, Zaum und Decke auf die eigene Schulter und folgte langsam den Spuren des vorangegangenen Tieres. Am Hause kamen ihm aber seine beiden Knaben entgegengesprungen, und er blieb stehen, schüttelte ihnen herzlich die Hände, gab ihnen dann Sattel und Decke zu tragen und sah sich eine Weile mit freundlich zufriedenem Blick die beiden jungen kräftigen Burschen an. Auch Gelände und Fenz betrachtete er genau und forschend: es war alles in gutem Stand erhalten; die Fenzen hatten neue Unterriegel bekommen, die Bäume im Feld schienen ziemlich fortgeräumt und ein paar kleine neue Gebäude in seiner Abwesenheit errichtet zu sein. »Und euch ist's gut gegangen die Zeit?« sprach er zu den Knaben, seine Hand dabei auf des Jüngsten Kopf legend; »hast du viel geschossen, John?« »Sehr viel, Vater, und im vorigen Herbst meinen ersten Bären erlegt.«
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»Alle Wetter, du fängst früh an.« »Und ich habe auch schon einen Hirsch geschossen«, sagte Jim. »So? Hast du denn eine Büchse?« fragte Wells, augenscheinlich innig vergnügt. »Ich habe jetzt Johns kleine Büchse«, rief Jim mit leuchtenden Augen, »und Mr. Mawler hat John eine neue gekauft.« »Mr. Mawler scheint ein ordentlicher Mann zu sein?« »Ganz brav«, sagte John, »und dabei fleißig, und war gut mit uns und Mutter.« »Hm, hm, hm«, machte Wells und schritt nachdenkend dem Hause zu, an dem schon ein anderes Pferd mit aufgeschnallter Decke gesattelt stand. »Ist jemand Fremdes gekommen?« fragte er die Knaben, indem er wieder stehenblieb. »Nein, das ist Mr. Mawlers Pferd; - bleibst du jetzt wieder bei uns, Vater?« sagte Jim. »Ich weiß noch nicht, Jim, wohl nicht lange.« »Und Mr. Mawler auch?« »Es täte dir leid, wenn er fortginge?« fragte Wells. »Der Mutter auch - sie hat viel geweint gestern abend.« »Hm, hm, hm, hm«, machte Wells wieder, richtete aber keine weitere Frage an die Kinder und ging mit ihnen geradenwegs zum Haus hinauf, an dessen Tür ihn schon Betsey empfing, ihm die Hand reichte und herzlich schüttelte und mit Tränen im Auge sagte: »O John, John, hättest du doch damals meinen Bitten nachgegeben und wärest nicht nach Texas gegangen! Daß jetzt alles so kommen mußte, daß alles so kommen mußte!« »Tut's dir leid, daß ich zurückgekommen bin?« fragte Wells. »Oh, wie kannst du so reden!« klagte die Frau. Mawler stand am Kamin, fertig angezogen und seine Gamaschen umgeschnallt; auch den Sporn hatte er wieder am Fuß, wie er damals zuerst in das Haus gekommen. Er reichte Wells die Hand und wollte dann zu reden anfangen, dieser aber unterbrach ihn und sagte: »Halt, Mawler, erst wollen wir frühstücken, und es ist lange her, daß ich die Beine unter dem Tisch da stecken gehabt. Ver-
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geht auch vielleicht noch lange Zeit, ehe es wieder geschieht; laßt sein jetzt, davon sprechen wir nachher, jetzt gib uns den Kaffee, Betsey; ist er fertig?« Die Frau stellte das Essen mit dem Kaffee auf den Tisch und bediente die beiden Männer. Wells war dabei erst recht ernst, ja finster gewesen; während der Mahlzeit heiterte sich aber sein Gesicht wieder auf, er zog die Augenbrauen hoch in die Höhe und sprach: »Wenn uns die Nachbarinnen jetzt hier so sitzen sähen, wie würden die staunen!« »Das wird ein schönes Gerede in der Ansiedlung geben«, seufzte die Frau. »Wenn ihr schweigen könnt, braucht kein Mensch etwas davon zu erfahren«, sagte Wells trocken. »Wird nun doch wohl nicht mehr zu ändern sein«, meinte Mawler. »Vielleicht doch«, versetzte Wells, seine Tasse noch einmal der Frau hinüberreichend, um sie wieder füllen zu lassen. »Und haben dich die Indianer denn wirklich gefangengehalten?« fragte Betsey, mit ängstlichen Blicken sein Gesicht überfliegend, in dem sie drei oder vier frische Narben entdeckte. »Nur die Creeks - feiges, verdammtes Volk«, knurrte der Jäger halblaut vor sich hin, während sich die Knaben zu ihm drängten und ihm die Worte mit den Augen von den Lippen fingen. »Das erste Frühjahr wollt' ich noch nicht wieder zurück, ich mußte doch erst wissen, wie Texas im Sommer aussah, war ja doch einmal dort. Wild war auch genug da, und wie ich das Land dann nach allen Richtungen durchzogen und im Herbst wieder heimkehren wollte, fiel ich mit einer Bande der verfluchten Rothäute zusammen, die mit einem einzelnen Jäger glaubten, keine Umstände machen zu dürfen. Sie stahlen mir erst mein Pferd, und als sie mir selber zu Leib gingen, schoß ich vier von ihnen nieder, bis ich von ein paar Kugeln, die ich selber gekriegt hatte, ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam, hatten sie mich gebunden und auf eins von ihren Maultieren gepackt und nahmen mich mit in ihr Lager.
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Dort durft' ich mich erst ganz ordentlich wieder erholen, und ich glaubte schon, die Kanaillen wollten mich mit in das Territorium nehmen, wo ich leicht Gelegenheit gefunden hätte, zu entwischen. Eigentlich aber sparten sie mich nur zu einer Festlichkeit auf, die sie in nächster Zeit hatten und bei der ich, wie ich nachher fand, ›den Pfahl laufen sollte‹.« Man weiß, daß die nordamerikanischen Indianer ihre Kriegsgefangenen oft auf die ausgesuchtest grausame Weise marterten. Eine ziemlich häufige Art dabei war nun, den Gefangenen nackt auszuziehen und an einem fünf oder sechs Fuß langen Streifchen Büffelhaut an einen Pfahl zu binden, daß er um diesen herumlaufen konnte. Den Boden bestreuten sie dann mit glühenden Kohlen und trieben und stießen ihn selbst, unter dem Jubelruf der Zuschauer, mit zugespitzten Bränden, bis er seinen Qualen erlag. Die Erbitterung der westlichen Amerikaner schreibt sich auch einesteils von diesen Martern, meist aber von den heimlichen Überfällen der Wilden her, die, wenn sie eine einsam liegende Hütte umzingelt hatten, weder Weiber noch Kinder schonten und alles ermordeten. Wie sehr sie dazu von den Amerikanern selbst gereizt wurden, die sie weiter und immer weiter zurücktrieben von ihren Jagdgründen, von den Gräbern ihrer Väter, das kümmerte die Pioniere nicht. Seit den letzten zwanzig Jahren haben diese Überfälle in den Vereinigten Staaten aber aufgehört. Black Hawk war der letzte Häuptling, der seine Krieger gegen die Weißen führte, und nur noch in den Felsengebirgen und den weiten, wüsten Prärien - westlich vom indianischen Territorium - waren die einzelnen Jäger und Fallensteller den Schrecken und Gefahren solcher Kriegsführung ausgesetzt, der sie aber nicht selten auf gleiche Weise begegnen, ihre erschlagenen roten Feinde wenigstens ebensogut skalpieren wie die Indianer selber. »Am Tage vor dem Fest«, erzählte Wells weiter, »hielten sie eine Art Vorfeier, und ich wurde draußen vor dem Lager an einen Baum gebunden und« - er biß die Zähne fest aufeinander, daß sie knirschten - »den Frauen und Kindern und alten Weibern des Stammes überliefert, die mich mit brennenden
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Stäben stießen und peinigten, indes die verdammten rothäutigen Schufte dabeistanden und sich ausschütten wollten vor Lachen. - Pest! - Ich hab's ihnen aber vergolten. In der Nacht brach ich durch ihr Lager und lief ohne Gewehr, am ganzen Körper voll Brandwunden, nur von Schneider hier gefolgt, der mich nicht aus den Augen gelassen hatte, bis ich den Wald erreichte. Die roten Höllenhunde waren hinter mir her, und sie hätten mich doch am Ende wieder erwischt, wäre mir nicht glücklicherweise ein kleiner Zug weißer Jäger in den Weg gekommen, die nach Santa Fé wollten. Vor denen zogen sich die Indianer zurück, ich aber schwor, keinen Bären wieder zu schießen mein Leben lang, bis ich den Skalp des Häuptlings, der mich den Weibern zum Spott überliefert, am Gürtel hängen hätte, und als die Jäger erfuhren, wie ich von den Rotfellen behandelt worden sei - meine Haut erzählte die Geschichte dabei viel besser, als ich es selber konnte -, gaben sie mir Kleider und Büchse und Messer, und noch in derselben Nacht griffen wir das Lager an. Wieviel wir von den Hunden totschossen, weiß ich selber nicht mehr, aber - der Häuptling war nicht darunter und nach Hause durft' ich nicht wieder, bis ich meinen Schwur gelöst. Die Jäger zogen weiter, ich aber ging in die nächste, vielleicht fünfzig Meilen von dort liegende Ansiedlung, um mich erst ordentlich wieder zu erholen, und nachher, wie es mein Unglück wollte, konnt' ich den Stamm nicht wiederfinden. Drei Jahre bin ich so in den Steppen herumgezogen, den Schuften immer auf der Ferse; drei Jahre haben die Bären Ruhe vor mir gehabt, zu Schneiders Ärger, und jedesmal, daß ich in Schußnähe von einem der schwarzen Burschen kam, brannte mir der Schwur wieder wie Feuer auf der Seele. Was ich dabei ausgestanden, welchen Gefahren ich dabei entging und sie wieder und wieder aufsuchen mußte - das zu erzählen brauchte ich einen ganzen Winter. Aber - ich ließ nicht nach, bis mir vor fünf Monaten etwa der rote Bursche vor die Büchse lief.« »Und habt Ihr ihn erwischt?« rief Mawler, der mit dem gespanntesten Interesse der Erzählung gefolgt war. Wells erwi-
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derte nichts darauf, sondern schlug nur sein Jagdhemd zurück, und die Frau barg schaudernd ihr Angesicht in den Händen, als sie an dem Gürtel, der das Messer trug, die dunkle, entsetzliche Trophäe erkannte. »Und deshalb konntest du Frau und Kinder so lang allein zurücklassen?« stöhnte sie vorwurfsvoll. »Ich glaube, an seiner Stelle hätt' ich das auch getan«, sagte Mawler finster. »Hol der Teufel die roten Bestien, einen Mann zu quälen, wie selbst ein nichtswürdiger Panther, ein Wolf seine Beute nicht martert! - Ich hab auch noch eine alte Schuld an sie abzutragen.« »Das kann ich Euch vielleicht besorgen«, sprach Wells jetzt, der seinen Teller zurückschob und vom Tisch aufstand. »Ich hab mir die Sache überlegt, Mawler, hab die Fenz und das Feld angesehen, wie ich vom Fluß herüberkam, hab die Kinder nach Euch gefragt, und - doch das gehört nicht hierher. Was ich aber erfahren, hat mir gezeigt, daß Ihr ein braver, rechtschaffener Mann seid, der auf Farm und Haus gesehen und für die Familie, in der Ihr Euch eingewohnt, auch gesorgt hat. Ich selber fühle recht gut, daß ich gegen mein Weib wenigstens nicht so gehandelt habe, wie ein Mann hätte handeln sollen, der ihr vor dem Friedensrichter nun einmal gelobt hat, daß er bei ihr aushalten wolle in Freud und Leid. Sie fühlt sich wohl jetzt bei Euch, und die Kinder - sind auch mit Euch zufrieden. Ich selber - unterwegs hatte ich mir die Sache freilich anders ausgemalt, aber - 's ist auch so gut - ich selber gehöre nicht mehr hierher - für die Leute vom Fourche la fave bin ich tot, für Euch will ich's ebenfalls sein. Bleibt, wo Ihr seid, behandelt mir die Betsey und die Kinder gut und - aber was braucht's da langer Worte?« brach er kurz und rasch ab. »Gott behüte dich, Betsey - good bye, John - good bye, Jim, haltet euch wacker und folgt eurem neuen Vater so gut, wie ihr früher dem alten gefolgt seid. - Komm, Schneider - wir beide nehmen den alten Pfad noch einmal auf.« Sein Gesicht war, während er die Worte sprach, kalt und regungslos geblieben; keine Muskel zuckte dabei, keine Wimper, aber auch jeder Blutstropfen hatte es verlassen, und Maw-
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ler, der ihn scharf dabei beobachtete, sah, wie es in ihm arbeitete und wühlte. Als aber die Frau sich ihm an die Brust warf und ihn bat, sie nicht wieder zu verlassen - nicht so von seinen Kindern zu gehen, und der Mann sie leise, aber fest von sich schob und nach seiner Büchse griff, trat Mawler in die Tür, und sich dem Jäger entgegenstellend, sagte er freundlich, aber fest: »Halt, Wells, damit wird's nichts; auch ich habe mir in der letzten Nacht die Sache hin und her überlegt und bin zu einem festen Entschluß gekommen, von dem mich nichts abbringt. Ich habe einen Schwur getan, wie Ihr damals dem roten Schurken gegenüber, und - ich will ihn ebenso halten. Die Sache hier«, fuhr er nach einer langen Pause, während der ihn die übrigen erwartungsvoll ansahen, langsam fort, und seine Stimme war schwer und heiser geworden; er tat sich Gewalt an zu reden, was sich aber, während er sprach, mehr und mehr gab, bis sein Antlitz einen zwar fest entschlossenen, doch selbst freundlichen Ausdruck annahm, »die Sache hier kann nicht bleiben, wie sie ist, das sehen wir alle miteinander ein, und - so wohl und glücklich ich mich bis jetzt mit Eurer Betsey und den Knaben hier gefühlt habe, wo wir nicht anders glauben konnten, als daß Euch wirklich ein Unglück betroffen habe, so elend müßte mir von nun an zumute sein, wenn ich Euch gesund und wohl, aber durch meine Schuld fern von dem Platz wüßte, der von Gottes und Rechts wegen Eure Heimat ist und sie - soweit ich dabei beteiligt bin - bleiben soll.« »Ihr habt unrecht, Mawler«, unterbrach ihn Wells. »Laßt mich ausreden«, sagte aber dieser fest und bestimmt. »Ihr, Wells, habt das älteste Anrecht auf Farm und Frau. Ob Ihr recht daran getan, so lange auszubleiben, mögt Ihr mit Eurem eigenen Gewissen und Eurer Frau abmachen. Ich aber will nicht länger zwischen Euch stehen; verhüte Gott noch weniger, daß ich Euch wieder hinaus in die Welt triebe. Was müßten die Knaben später einmal von mir denken, wenn sie erst zu Verstand kämen? So gehabt Euch wohl, good bye, Betsey!« sagte er, der Frau Hand ergreifend und sie derb und
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herzlich schüttelnd, und es war fast, als ob dem rauhen Mann dabei eine Träne ins Auge trat, »ich danke Euch für die kurze, glückliche Zeit, die ich hier verlebte. Good bye, Jungen!« fuhr er dann, sich rasch an diese wendend, fort, »werdet brave Kerle und macht eurer Mutter Freude. Lebt wohl, Wells - kein Wort weiter. Ihr könnt mich nicht halten und müßt anderer Leute Schwur ebenso achten wie Euren eigenen, und nun - mit Gott!« Und seine Axt, die mit fest verwahrter Schneide in der Ecke dicht an der Tür lehnte, aufgreifend und umhängend, die Büchse über die Schulter werfend, wandte er sich rasch ab und verließ das Haus, eilte über den schmalen Vorhof, warf sein Pferd los, sprang in den Sattel, und seine Hunde rufend, galoppierte er wenige Sekunden später mit klappernden Hufen die Straße hinauf. Noch einmal wandte er den Kopf und schaute zurück - Betsey stand in der Tür, aber vor Tränen konnte sie ihn schon lange nicht mehr sehen, und in demselben Augenblick war er auch in einer Biegung der Straße hinter den dichten Bäumen verschwunden. Und Wells? Als Mawler das Haus verlassen hatte, stand er eine Weile still und regungslos an derselben Stelle, das Auge fest und nachdenkend auf die weinende Frau geheftet; dann nahm er seine Büchse, die noch in der Ecke lehnte, und legte sie auf den alten Platz, auf die Pflöcke, die zu dem Zweck über der Tür befestigt waren - hing seine Kugeltasche mit dem daran befestigten Pulverhorn daneben, nahm dann eine Ahle und ein paar dünngeschnittene Streifen Leder aus derselben, zog seinen linken Mokassin aus und setzte sich, ohne das Vergangene weiter mit einem Wort zu erwähnen, an den Kamin, um etwas an dem Leder auszubessern; ging überhaupt von da an seinen gewohnten Beschäftigungen wieder nach, als ob er seine Farm eben nur, wie er das oft zu tun pflegte, auf ein paar Tage verlassen und bei seiner Rückkehr alles so wiedergefunden habe, wie immer. - Er wäre auch mit der nämlichen Ruhe nach Texas zurückgeritten.
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Und die Nachbarn? - Vierzehn Tage wurde in dem ganzen County von weiter nichts gesprochen als von Wells Wiedererscheinen und Mawlers Verschwinden. Einmal hieß es sogar, Wells habe ihn erschossen und hinter seinem Haus im Garten vergraben, aber Leute aus der Ansiedlung waren dem Davonreitenden an dem nämlichen Morgen oben an der Fork begegnet und widerlegten die Beschuldigung. - Wells selber fragte niemand darum; er hätte auch niemandem darauf geantwortet. Ein Jahr später kam einer seiner Nachbarn zu ihm, sagte ihm, daß er selber im Sinn habe, nach Texas auszuwandern, und bat Wells um seine Meinung. Das einzige, was dieser darauf erwiderte, war: »Texas soll verdammt sein!«
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Schwarz und Weiß
Aus dem Farmerleben Missouris Weit aus dem fernen Westen, da, wo die eisgekrönten Berge ihre zackigen Kuppen ineinanderdrängen und zwei Meeren, dem Atlantischen wie dem Stillen Ozean, die schäumenden Quellen zusenden; weit von daher, wo er sich seine rauhe Bahn durch die entsetzlichsten Felsmassen bricht, die er entweder mit starkem Arm zerreißt oder sich im tollkühnen Satz hinüberschwingt, um nachher, wie ob des gelungenen Wagstücks, Meilen lang weiter zu tanzen und zu sprudeln, kommt der gewaltige Missouri herab, der ›schmutzige Strom‹, wie ihn der Indianer des Raubes wegen nennt, den er an seinem eigenen Ufer vollführt, oder der ›brüllende Strom‹ (roaring river), wie ihn erstaunt der Weiße taufte, als er da zuerst sein Bett erblickte, wo er Fall nach Fall, dem verfolgten Panther .gleich, aus den Gebirgsschluchten sprang und erst dort still und geräuschlos seine Bahn vollendete, als er das schützende Dickicht der Niederung erreicht hatte und nun zwischen den riesigen Stämmen des Urwalds hin dem starken Bruder, dem Mississippi, in die Arme glitt. Dort nun, wo in dem Schatten der Eichen und Hickories der wilde Wein seine mächtigen Ranken von Zweig zu Zweig schlang und in zähen Armen die stattlichen Bäume verband, während mit zwar prunkenderem Äußern, mit bunter schimmernden Blüten und saftigeren Blättern andere Schlingpflanzen ebenfalls hinaufstrebten zu den starken Ästen und sich ihnen liebend anzuschmiegen schienen, indes doch Gift in ihren Adern floß und sie nur Macht zu bekommen suchten, das wackere Holz fest, fest zu umklammern und ihm Licht und Luft zu rauben, daß es endlich in ihrem Griff erstickte, verdorrte, - dort, in dem fast noch unentweihten Heiligtum, stand ein kleines, roh aufgebautes Blockhaus mit breitmächtigem, aus Lehm errichtetem Kamin, die Nordseite dicht an den dunkeln Wald geschmiegt, dessen ungeheure Wipfel hoch
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über das niedere Dach emporragten, an den drei anderen Seiten aber durch ein wahres Chaos gefällter Bäume, hoch aufgestapelten Busch- oder Oberholzes, abgeschlagener Stämme und knorriger, sich weit umherspreizender Äste im wahren Sinne des Wortes verbarrikadiert. Der Eigentümer dieses Platzes mußte augenscheinlich erst vor kurzer Zeit hierhergezogen sein und die Urbarmachung des Bodens begonnen haben, was auch noch überdies ein dicht am Hause stehender, mit Leinwand bespannter Wagen bewies, der wohl, nebst einem nicht sehr weit von ihm entfernten Karren, sämtliche Habseligkeiten des Farmers in dessen neue Waldheimat eingeführt hatte. Die Sonne schimmerte eben noch mit ihrem roten Glutlicht durch die Wipfel der Bäume, als sich ein Reiter auf einem kleinen indianischen Pony, einem schmalen Kuhpfad folgend, dem Platz näherte und endlich gerade da die Lichtung erreichte, wo Stämme und Äste am tollsten umhergestreut lagen. Wenige Sekunden hielt er auch wirklich sein schnaubendes Pferd an und schien, sich in den Steigbügeln hoch emporrichtend, nach irgendeiner Öffnung zu suchen, durch die er in diese Holzmasse eindringen und das Haus erreichen könnte. Der Wunsch mochte aber wohl unerfüllt bleiben, denn, einen leisen Fluch ausstoßend, preßte er seinem Tier den einen bespornten Hacken in die Flanke und setzte über die ersten ihm den Weg versperrenden Klötze hinweg. Das kleine muntere Pferd sah auch bald, was sein Herr eigentlich beabsichtige, und daran gewöhnt, Hindernisse zu beseitigen, die bei fortwährendem Reiten im Wald fast stündlich vorkommen, wand es sich mit wirklich bewundernswerter Geschicklichkeit immer näher und näher dem Haus zu, hier einen Stamm überspringend, dort vorsichtig durch wild umhergestreute und zersplitterte Äste dahinschreitend, bis es sich plötzlich, nach einem besonders kühnen Satz über oder vielmehr durch den Wipfel einer gefällten Eiche, so von allen Seiten eingezwängt und von wirklich unübersteiglichen Hindernissen umgeben sah, daß es ruhig stehenblieb und in der festen Überzeugung, sein Äußerstes getan zu haben, ganz
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geduldig erwartete, was jetzt der Reiter beschließen würde, der doch eigentlich bei der Sache interessiert war. Dieser aber blickte vergebens nach einem Ausweg umher und tat endlich das, was er von allem Anfang an hätte tun sollen: Er rief das Haus an, und zwar mit einem kräftigen, weit hinausschallenden »Hallo!«, das augenblicklich im ohrenzerreißenden Chor von zehn bis zwölf Rüden bellend und heulend beantwortet wurde. Gleich darauf öffnete sich die Brettertür, auf deren Schwelle eine schlanke, schon etwas ältliche Frau erschien, die rings nach dem Rufenden, freilich vergeblich, umherschaute, während jetzt die durch den Anblick der Herrin immer noch mehr gereizten Hunde einen so fürchterlichen Lärm erhoben, daß er für kurze Zeit jeden anderen Laut vollkommen übertäubte. »Ruhig, Muse, ruhig, nieder mit dir, Match, willst du still sein, Deik; Hunde, ihr bringt einen noch zur Verzweiflung, ruhig da, hört Ihr denn nicht!« rief die Frau, die Meute beschwichtigend, die sich denn auch zufriedengeben wollte, als ein zweites »Hallo the house!« ihren Grimm aufs neue erregte, der jetzt gar keine Grenze mehr zu kennen schien. Die Geduld der guten Frau mochte nun aber auch wohl ihr Ende erreicht haben, denn einen zum Trinkbecher ausgeschnittenen großen Flaschenkürbis ergreifend, der in dem vollen, auf einem Gesims vor der Tür stehenden Eimer schwamm, goß sie die klare, kalte Flut über die Tobenden aus, die nun heulend und kläffend auseinanderstoben. Zum dritten Mal rief jetzt, diesen Augenblick der Ruhe benutzend, die Stimme ihr immer ungeduldiger werdendes »Hallo!« herüber, und nun erst wurde die Matrone den Reiter gewahr, dessen Kopf nur wenig über das ihn umgebende Buschwerk hervorragte. »Mr. Hennigs, sind Sie das?« rief sie lachend, als sie die Lage des jungen Mannes erriet. »Wie um Christi willen haben Sie sich denn da hineinverloren?« »Verloren?« rief dieser in komischer Verzweiflung. »Ich möchte wirklich wissen, wie ich mich hier verlieren sollte; ich sitze so fest wie der Wolf in der Falle. Wo zum Henker ist
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denn der Eingang zu Ihrem Haus? Ich bin hier zwar auf dem Fußweg, er scheint aber nicht sehr begangen. » »Sie hätten um die Lichtung herum, durch den Wald reiten müssen«, entgegnete die Frau, »mein Mann hat hier Bäume gefällt.« »Ja, das läßt sich nicht leugnen«, lachte der Reiter, »die Beweise liegen zur Hand.« »Bleiben Sie nur da halten, Mr. Hennigs«, rief jetzt eine kichernde Mädchenstimme hinter der alten Dame vor, und dicht neben ihr ließen sich in diesem Augenblick zwei allerliebste Köpfchen sehen, die neugierig die Lage des jungen Mannes erspähen wollten, »bleiben Sie nur da halten; Vater hat gesagt, daß er im Lauf der nächsten Woche das ganze Holz wegräumen will, und dann wird der Fußweg wieder frei.« »Danke, Sally, danke!« rief Hennigs lachend. »Die Zeit möchte mir aber doch lang werden, wenn ich Ihre liebe Stimme immer so ganz in der Nähe hören müßte und nicht hinüberkönnte. Nein, mag mein Pony sehen, wie es allein herauskommt, ich will's ihm leichter machen!« Und damit sprang er vom Pferd, schnallte Sattel und Zaum ab, hing sich beides über die Schulter und kletterte nun, wenn auch nicht ohne bedeutende Anstrengung, dem kaum sechzig Schritt entfernten Haus zu. Das Pony blieb am Anfang, als es sich so von seinem Herrn verlassen sah, ruhig stehen und spitzte nur sehr bedeutend die kleinen Ohren; als es jedoch fand, wie sich die Sache eigentlich verhielt, und den Trog witterte, an dem es gefüttert zu werden hoffte, warf es den Kopf in die Höhe, wieherte ein paarmal hell auf und flog dann, jetzt durch keine Last mehr zurückgehalten, mit kühnen Sätzen über Stamm und Busch hinweg, bis es schnaubend und mit den Hinterbeinen wild nach den hier auf es einstürmenden Hunden schlagend, vor der Tür der Hütte hielt und dort seinen ebenfalls herankeuchenden Herrn freudig begrüßte. Dieser aber warf Sattel und Zaum nieder, sprang schnell die aus übereinandergelegten Klötzen bestehenden Stufen hinauf ins Haus und rief hier, die Hände der Frauen ergreifend und herzlich schüttelnd:
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»Wie geht's, Mrs. Draper, wie geht's, Sally und Lucy, alle wohl? Sehen wenigstens alle kerngesund aus; doch - wo ist der Alte?« »Vater ist noch draußen im Wald, er sucht die Pferde«, entgegnete nach der kurzen Begrüßung Sally, das jüngere der beiden Mädchen, die etwa siebzehn und neunzehn Jahre zählen mochten. »Haben Sie gar keine Spuren im Wald gesehen?« fragte die Matrone, während sie ihr großes Baumwollspinnrad in die Ecke schob und die Kohlen im Kamin mit dem langen Schürstecken zu neuer Glut aufschüttelte. »Sie müssen heute morgen aus den Hügeln heruntergekommen sein«, meinte Hennigs, »am Bach wenigstens waren die Fährten, und wenn ich nicht irre, so habe ich auch gleich oben über dem Kreuzweg die Schelle gehört.« »Ah, dann findet sie Vater gewiß nicht«, rief Sally bedauernd aus, »er wollte am Potters Creek hinauf und von da links in das Tal hinüber suchen. » »Er ist doch wohl schon auf den Spuren«, entgegnete der junge Mann, »denn im weichen Quellboden sah ich deutlich die Abdrücke eines Schuhs. » »Vater trägt heute seine Mokassins«, sagte Lucy, »das muß jemand anderes gewesen sein.« »Dann allerdings; aber wer will denn die Pferde brauchen? Ist ein Tanz irgendwo? Es scheint Sie ja alle ungemein zu interessieren, ob der Vater die Pferde findet oder nicht! » »Tanz? Pfui, Mr. Hennigs, ich dächte doch, Sie wüßten, daß wir nicht tanzen«, erwiderte ihm etwas pikiert die Matrone. »Ach, alle Wetter, ja, ich habe davon gehört, Sie hätten sich der ›Kirche‹ angeschlossen und wären ›religiös‹ geworden, Vater auch?« »Noch nicht«, entgegnete mit einem tief heraufgeholten Seufzer Mrs. Draper, »wir wollen aber morgen früh zum Campmeeting, und davon hoffe ich das Beste: Der liebe Gott wird ihn ja wohl erleuchten, daß er den rechten Weg findet.« »Das wird er, das wird er, Mrs. Draper, ob aber auf solche Art, bezweifle ich fast; der alte Herr trinkt gern sein Gläschen,
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und wenn ihm einmal etwas in die Quere kommt, ja nun, dann flucht er auch wohl ein bißchen, und ich glaube kaum, daß er sich das so leicht abgewöhnen wird. Wozu braucht er aber auch wirklich zu einer ›Kirche‹ zu gehören? Es ist so ein herzensguter alter Mann, wie nur je einer seine Sohlen in den Missouri-Botton drückte, er tut ja keinem Menschen etwas zuleide.« »Wir sind alle Sünder, Mr. Hennigs«, sagte die alte Dame sehr ernst, »und mein armer Mann besonders, er schwört und flucht, genießt geistige Getränke und hat neulich den reisenden Prediger, der bei uns übernachtete und die Gebete las, einen Hypokriten genannt, ja sogar gelogen, als er während des Gebets aufstand und, Nasenbluten vorschützend, das Haus schnell verließ. Ich habe später das Tuch untersucht, es war nicht ein einziger Blutfleck darin, und der arme Fremde wartete eine volle halbe Stunde mit dem Gebet, ehe er fortfuhr, damit der böse Mensch keinen Vers des heiligen Wortes versäumte.« Hennigs lachte laut auf. »Der arme Draper, also half ihm seine kleine Notlüge nicht einmal?« »Kleine Notlüge, Mr. Hennigs?« sagte die Matrone mit größerer Strenge, als sie es sonst wohl gewohnt war. »Sie reden da recht böse, recht unendlich böse Worte. Abgesehen davon, daß der Augenblick, wo er sich mit seinem Gott beschäftigen sollte, keine Notlüge zuließ, so gibt es gar keine Notlügen. Es darf nichts in der Welt einen frommen Menschen zu einer Lüge bewegen, nicht einmal die Not, denn das Herz, das nicht wahr und treu ist, kann dem Herrn kein wohlgefälliges Opfer bringen.« »Aber, beste Mrs. Draper«, entgegnete ihr Hennigs, »Sie werden mir doch gewiß zugeben, daß es Fälle im menschlichen Leben gibt, wo eine Notlüge nicht allein keine Sünde, sondern sogar gut und...« »Nein, das gebe ich Ihnen nicht zu«, unterbrach ihn die Matrone schnell, »das kann ich Ihnen nicht zugeben, und schon ein solcher Gedanke ist unrecht.«
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»Wenn aber nun zum Beispiel Ihr Mann oder eins von Ihren Kindern recht lebensgefährlich krank wäre«, demonstrierte Hennigs, »und wenn Sie nun wüßten, daß jede Aufregung für sie oder ihn die traurigsten, nachteiligsten Folgen haben könnte, würden Sie da nicht, wen nun etwa ein lieber Freund des Kranken eben gestorben wäre und er danach früge, ihm den Todesfall verheimlichen? Würden Sie da nicht lieber zu einer Notlüge Ihre Zuflucht nehmen, ehe Sie das Ihnen teure Leben aufs Spiel setzten?« »Mr. Hennigs, Sie bauen da eine ganze Menge von Voraussetzungen zusammen, um nur eine Ihren Ansichten günstige Antwort zu hören. Das sind die Fallstricke, die uns der Teufel legt, um uns irrezuführen in dem, was recht und gut ist, und reichen wir ihm dann den kleinen Finger, so hat er bald die ganze Hand und die Seele des ihm Verfallenen. Draper nannte auch den frommen Mann einen Hypokriten.« »Hm, ja, Mrs. Draper; aber Draper sagte mir, er hätte an dem Gebet volle sieben Viertelstunden gelesen, das ist doch ein bißchen stark.« »Es war sehr erbaulich, und er gedachte aller unserer Sünden, da mußte es schon lange währen«, erwiderte die Frau. »Wollen Sie nicht mit uns zum Campmeeting gehen, Mr. Hennigs?« fragte jetzt Sally den jungen Mann und sah ihn bittend mit ihren großen dunkeln Augen an. »Gewiß, gewiß!« rief dieser schnell. »In so angenehmer Gesellschaft führ ich selbst mit zum - Campmeeting«, verbesserte er noch zur rechten Zeit, da ihm schon ein sehr sündhaftes Wort auf den Lippen schwebte. »Aber wahrhaftig«, sagte er, sich jetzt in dem kleinen Raum umschauend, »Draper muß ver... muß ungemein fleißig gewesen sein; er hat sich in den vier Wochen, die er hier ist, schon wirklich ganz behaglich eingerichtet; das Dach kann ja kaum vierzehn Tage liegen.« »Mr. Draper ist auch in der Tat sehr fleißig gewesen«, erwiderte die Matrone, »wie lange wird's aber dauern, da packt ihn die leidige Wanderlust wieder an, und Knall und Fall verkauft er für wenige Dollar das, was ihn jahrelange Arbeit gekostet hat, und zieht westlich, immer weiter westlich und
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immer tiefer in den Wald zwischen wilde Menschen und Tiere hinein.« »Nun, viel weiter westlich kann er jetzt nicht mehr gehen«, meinte Sally ganz ernsthaft, indem sie dem Gast einen Stuhl zum Feuer rückte, »Vater hat ja selbst gesagt, er wäre nun nicht mehr weit vom indianischen Gebiet, und in dem dürfen sich keine weißen Leute ansiedeln. Überdies«, fuhr sie schelmisch lächelnd fort, »ist ja Mr. Hennigs ebenfalls hier in den Wald gezogen, und da muß die Gegend doch wirklich Vorzüge besitzen, die man ihr auf den ersten Anblick hin gar nicht zutrauen möchte.« Lucy wandte sich ab und setzte ihre Arbeit an dem großen Baumwollspinnrad fort. »Das Wandern müssen Sie uns schon zugute halten«, erwiderte Hennigs, der ebenfalls Sallys Anspielung vermeiden zu wollen schien und jetzt in aller Verlegenheit mit seinem Taschenmesser an dem Stuhl herumschnitt, auf dem er saß. »Dafür sind wir ja eben Pioniere oder Squatter, wie uns der Ostamerikaner nennt. Amerika braucht aber gerade solche Leute, die weder wilde Tiere noch wilde Menschen fürchten, sondern keck hineinziehen mitten in ihren Bereich und der Natur den Boden abtrotzen, der ihnen und ihrem Fleiß nach Aussage aller klugen Leute nun doch einmal gehört.« »Ja, ja, das ist schon alles recht schön und gut«, meinte Mrs. Draper, »aber lieber wäre ich denn doch in Illinois geblieben.« »Was, in Illinois? In den ungesunden dürren Steppen? Zwischen Präriehühnern und Präriewölfen und in der Gesellschaft der wirklich weltberühmten Corncrackers! Spottname für die Bewohner von Illinois « rief Hennigs erstaunt aus. »Nein, da lobe ich mir das Kraftland unserer Niederung, das ist nicht totzumachen, und wollen wir wirklich Prärien haben, nun, dann finden wir sie westlich von hier schöner und herrlicher, als sie der ganze Osten mit all seinen so hochgepriesenen Vorteilen ausweisen kann.« »Das mag wahr sein«, entgegnete ihm Mrs. Draper, »aber Illinois ist doch kein Sklavenstaat, und mag dies Land so schön und gut sein, wie es will, es ist mir fürchterlich, auch
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nur mit Menschen zusammen leben zu müssen, die ihre Brüder und Schwestern wie das Schlachtvieh verkaufen.« »Ach Gott, ja, Madam, es mag viel Wahres daran sein«, meinte Hennigs kopfschüttelnd, »manchmal, wenn ich so recht allein darüber nachdenke, kommt's mir auch fast vor, als ob es nicht ganz recht wäre, daß wir die Neger feilbieten und ebenso für sie, wie für andere Waren, den möglichst höchsten Preis zu erhalten suchen. Für Sünde kann's aber doch auch nicht gelten; denn unsere Väter und Großväter haben's getan, das Gesetz hat den Sklavenhandel geheiligt, und die Bibel selbst scheint die Sache als etwas sehr Natürliches zu betrachten; wenigstens habe ich neulich einmal mit dem presbyterianischen Geistlichen, der auch Sklaven hält, darüber gesprochen, und der behauptet, Gott selbst habe das so eingesetzt, daß die heidnischen Völker den Christen dienen müßten. Das klingt auch eigentlich vernünftig genug.« »Ich weiß es, ich weiß es«, sagte Mrs. Draper, »sie verteidigen die Sklaverei selbst aus der heiligen Schrift, aber nur Gott kann erkennen, ob sie daran recht tun; ich möchte nicht ein voreiliges Urteil fällen. Wir Frauen fühlen uns aber auch vielleicht viel näher davon berührt als die Männer; mir tut's ja schon in der Seele weh, wenn ich ein junges Huhn geschlachtet habe und nun sehe, wie die alte Henne gluckend den ganzen Raum, den sie sonst zu begehen pflegt, durchläuft und das Verlorene sucht; wie viel mehr muß ich Mitgefühl mit einer Mutter haben, der fremde Menschen das Kind aus den Armen reißen, um es für wenige Dollar zu verkaufen, während sie selbst gern das eigene Herzblut dafür hingäbe und doch zu arm ist, um es zu bezahlen. - Ich wollte, wir wären in einem Freistaat geblieben.« »Nun, hier in Missouri wird die Sklaverei noch nicht so arg getrieben«, sagte Hennigs, »im Süden mag's freilich schlimmer sein; hier hören wir auch ganz selten von entflohenen Negern, und das, sollte ich denken, wäre ein ziemlich günstiges Zeichen. Wo ein Freistaat so nahe ist und die Sklaven trotzdem bei ihren Herren bleiben, da kann auch ihr Los noch kein entsetzliches sein.«
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»Und wie sollten sie denn entfliehen können?« fragte Mrs. Draper. »Muß denn nicht ein Neger, wenn er nur selbst auf eine andere Farm oder Plantage hinübergeht, einen Paß haben, ohne den er von jedem weißen Mann festgenommen werden kann? Und liefert nicht selbst dann, wenn der flüchtige Neger den Freistaat wirklich erreicht hat, dieser, zur Schande der Vereinigten Staaten, den festgenommenen Sklaven an seinen Herrn aus? Wie also soll ein solcher armer Mensch denn entkommen, wenn er niemand weiß, an den er sich wenden kann, wenn er niemand hat, der ihn unterstützt und ihm forthilft, und wer das tut - hat Zuchthausstrafe zu erwarten.« »Das Ausliefern muß aber sein«, fiel ihr hier Hennigs in die Rede, »wie könnten denn die Vereinigten Staaten einig nebeneinander bestehen, wenn sie einander ihr Eigentum vorenthalten wollten; das gäbe ja zu endlosen Streitigkeiten Anlaß und müßte nach und nach zu Haß und Zwietracht führen. Nein, es ist allerdings schlimm, daß wir die Sklaverei haben, und ich selbst wollte Gott danken, wenn es ein Mittel gäbe, ihrer los und ledig zu werden. Wenn wir zum Beispiel alle von Negern Abstammende wieder über die See zurück in ihre Heimat senden könnten, wie ja der Anfang dazu auch mit Liberia gemacht ist; da aber die klügsten Leute im Lande sich schon seit langen Jahren vergebens die Köpfe zerbrochen haben, wie dem am besten abzuhelfen wäre, so wird unsereiner doch auch nicht dagegen ankämpfen sollen. Das Bestehende, wie es nun einmal besteht, muß der einzelne ehren.« Lucy hatte indessen aus einer Spalte über dem Kamin ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt herausgenommen, schlug es jetzt auseinander und hielt es dem jungen Mann entgegen. »Sie behaupten, es entflöhen hier in Missouri keine Neger ihren Herren?« fragte sie mit leisem Vorwurf im Ton. »Da, überzeugen Sie sich selbst; hier stehen drei angegeben, und vor jedem ein kleines Bildchen: ein armer Neger mit seinem Päckchen auf dem Rücken. Der eine ist sogar von einem unserer Nachbarn aus dem nächsten County, von Squire Wallis.« »Das spricht für und wider mich«, sagte Hennigs, »wider mich wegen des Entlaufens, für mich, weil eben dieser Wallis
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auch einer von Ihren sogenannten frommen Leuten ist; er hat sogar schon gepredigt, und die Presbyterianer halten ihn für ein besonderes Licht, das dem Staat und ihrer Kirche in diesem Mann aufgegangen sei. Gott bewahre uns vor solcher Beleuchtung!« »Behandelt Mr. Wallis seine Sklaven wirklich so arg?« fragte die Matrone. »Davon waren Draper und ich neulich Zeuge«, erwiderte ihr Hennigs, »wir ritten gerade vorbei, als er einen seiner jungen Neger an einen Baum gebunden hatte und ruhig daneben seine Pfeife rauchte; dann und wann nur, wie um sich eine kleine Bewegung zu machen, stand er auf und peitschte den Unglücklichen höchst eigenhändig, daß ihm das klare Blut am Rücken herunterlief. Wir fragten ihn, was ihn zu einer so fürchterlichen Strafe veranlaßt habe, er behauptete aber, er tue das aus christlicher Milde; es sei gegen seine Grundsätze, einen seiner Sklaven im Zorn zu strafen, und da kühle er sich in der Zwischenzeit immer erst ein wenig ab, um ruhig zu bleiben und nicht hitzig zu werden.« »Und das nennen Sie ein freies Land?« rief die Matrone entrüstet. »Und das nennen Sie einen frommen Christen?« warf Hennigs dagegen ein. »Ist Ihnen da nicht Ihr Mann mit all seinen kleinen Fehlern und Eigenheiten, meinetwegen Schwächen, zehntausendmal lieber, selbst wenn er dann und wann das untere Ende des Whiskykrugs höher hebt als das obere und seinem Herzen mit etwas rauh klingenden, aber keineswegs bös gemeinten Worten Luft macht?« »Aber das viele gotteslästerliche Fluchen könnte er doch lassen«, sagte Mrs. Draper, freilich schon um vieles milder gestimmt. »Ja, und Sie auch, Sir«, lachte Sally, »Lucy hat schon oft gesagt, Sie wären ein ganz guter Mensch, wenn Sie nur nicht immer...« »Sally! » rief Lucy, »wie kannst du nur...« Ein plötzliches Anschlagen der Hunde unterbrach hier jede weitere Rede, und gleich darauf trat auch, die Mütze fest in
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die Stirn gedrückt und die Büchse in der Hand, die er, ohne sich weiter umzusehen, auf die über der Tür eingeschlagenen Pflöcke legte, Draper ein. »Da bin ich wieder«, sagte er und drehte sich in diesem Augenblick nach den Seinen um, sein Antlitz war aber auffallend bleich, sein ganzes Wesen schien erregt, und er fuhr merklich zusammen, als er einen Fremden an seinem Kamin erblickte, faßte sich jedoch augenblicklich und streckte dem schnell erkannten Freund die Rechte entgegen. »Und ohne die Pferde?« fragte Hennigs, der die dargebotene Hand derb schüttelte. »Mit leeren Zügeln? Die Damen hier scheinen deren Ankunft fest erwartet zu haben.« »Dann müssen die Damen noch etwas Geduld haben«, lächelte der Alte und nahm die Mütze ab, die er oben auf eine Ecke des Kaminsimses legte. Dabei schienen aber seine Gedanken wieder weit hinwegzuschweifen, und er starrte, die Hand noch immer oben an dem Brett, wohl mehrere Minuten lang, wie in tiefes Nachdenken versunken, auf die im Kamin glimmenden Kohlen nieder. »Mr. Hennigs hat die Fährten im Potters Creek gesehen, Vater«, brach endlich Sally das Schweigen, »sie müssen nach der Niederung hinunter sein, und da, weißt du wohl, wenn sie erst in den Schilfbruch kommen, findest du sie immer nicht gleich wieder. Am Ende versäumen wir morgen den Anfang des Campmeetings.« »Das wäre freilich entsetzlich«, lächelte der Alte, der jetzt seine volle Ruhe wiedererlangt hatte und sich behaglich auf den für ihn hingeschobenen Stuhl niederließ, »und dann können du und Lucy auch nicht eure neuen Kleider und Bonnets Hauben zeigen, und Mutter müßte das schöne Umknüpftuch noch ganze vierzehn Tage länger in der Kiste liegen lassen.« »Aber, Mann!« unterbrach ihn vorwurfsvoll Mrs. Draper. »Willst du denn behaupten, daß wir solcher sündlichen Eitelkeit wegen zu der Versammlung reiten? Habe ich dir dazu schon je Ursache gegeben?«
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»Vater ist überhaupt heute so sonderbar!« sagte Sally plötzlich, indem sie auf ihn zuging und ihm scharf ins Auge schaute. »Es fiel mir gleich auf, wie er hereintrat; ich weiß nicht...« »Aber ich weiß, was Jungfer Naseweis zu tun hat«, sagte der Alte und ergriff sie lächelnd beim Kinn, »draußen steht Mr. Hennigs Pony und wiehert nun schon, so lange ich im Hause bin, ganz ungeduldig um den versteckten Mais herum. Geh und gib ihm ein halbes Dutzend Kolben, und dann wollen wir das Pferd aushobbeln Aushobbeln nennt der Amerikaner das Zusammenbinden der Vorderbeine des Pferdes, damit sich dieses zwar langsam von der Stelle bewegen kann, um sein Futter zu suchen, aber doch nicht imstande ist, fortzulaufen., es mag sich hier herum sein Futter selbst suchen. Du mußt ihm aber vorher die kleine Hausglocke umschnallen, sie hängt hinten an der Hausecke.« Sally sprang singend hinaus, um den erhaltenen Auftrag zu erfüllen; Draper aber ging zu seiner Frau hin, strich ihr schmeichelnd die nur noch halb schmollend weggedrehte Wange und sagt gutmütig: »Bist nicht böse, Alte, weißt schon, wie's gemeint ist; ein bißchen eitel seid ihr aber alle, wenn ihr's auch nicht wollt merken lassen, denn in ihrem Alltagskleid ginge keine von euch zum Campmeeting, soviel weiß ich.« »Das würde sich auch nicht schicken, Draper, das würde sich auch nicht schicken; wenn wir zu dem Herrn beten, müssen wir auch zeigen, daß wir etwas darauf halten, mit anständigem Äußern vor ihn zu treten.« »Das wäre dem lieben Gott, so wie ich ihn kenne, sehr gleichgültig«, lachte Draper gutmütig, »doch du hast recht, du meinst's ehrlich dabei und bist auch sonst brav und wacker; nur das scheinheilige Pack kann ich nicht leiden. - Aber, Hennigs, wo habt Ihr denn die Pferde gesehen?« »Die Pferde nicht, nur die Spuren«, erwiderte dieser, »sie kamen aus den Hügeln herunter und gingen über den Kreuzweg hinüber der Niederung zu. Wenn ich nicht ganz irre, habe ich sogar die Schelle gehört, die der Fuchs um hat.«
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»Ja, die schallt am weitesten. Es ist wohl möglich; nun, dann finde ich sie heut abend an der Buffalolick, dorthin gehen sie gewöhnlich, wenn sie überhaupt die Richtung einschlagen.« »Ich sah auch dort oben die Spuren eines Mannes«, fuhr Hennigs fort«, und glaubte erst, als ich hier hörte, Ihr wäret ausgegangen, um die Pferde zu suchen, es seien die Euren gewesen. Der die hinterließ, trug aber Schuhe; es wird wohl ein Jäger gewesen sein.« »Ja, ja, es wird wohl ein Jäger gewesen sein«, sagte der Alte, stand auf und schritt dann ein paarmal in der Stube auf und ab. »Ja«, fuhr er dann fort, »ich habe sie auch gesehen, sie gingen nach Süden, den Ansiedlungen zu; wahrscheinlich ein Jäger. Aber was ist das für ein Zeitungsblatt?« »Dasselbe, das der Sheriff heute morgen hier hereingelegt hat, Vater«, erwiderte ihm Lucy, »wir blätterten darin herum.« »Nun, gibt es Neuigkeiten aus St. Louis?« fragte der Alte und fuhr sich mit der linken Hand über die breite, offene Stirn, als ob er alle anderen Gedanken daraus verscheuchen wollte. »Wie steht's mit der Wahl? Was sagt unser Demokrat da? Hat Polk Aussichten?« »Nun, Missouri läßt ihn sicher nicht im Stich«, lachte Hennigs. »Das war's aber nicht, wir haben uns nicht mit Politik beschäftigt, sondern nur über eine Frage debattiert, die das gute Verständnis der südlichen und nördlichen Staaten betraf - über die Sklaverei, und zur Erläuterung derselben lasen wir hier einige Anzeigen von entlaufenen Sklaven.« »Von entlaufenen Sklaven? Wo? Zeigt her!« rief Draper schnell, und zwar mit einem Interesse, das einem genauen Beobachter sicherlich hätte auffallen müssen; Hennigs aber, die Bewegung einzig und allein der Neugierde zuschreibend, hielt ihm ruhig das Blatt hin und sagte: »Drei Stück - Wallis hat auch wieder einen hineinsetzen lassen.« » Neunzehn Jahre alt«, las Draper, »schlank gewachsen, mit freier, hoher Stirn und besonders wolligem Haar; Farbe: Ebenholzschwärze, Größe: fünf Fuß, sieben Zoll das stimmt alles.«
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»Was stimmt?« fragte Hennigs. »Was stimmt? Ah, nun, die... Oh, ich kenne den Burschen wahrscheinlich, der entlaufen ist«, erwiderte Draper und wandte sich, wie um besser lesen zu können, mit der Zeitung ab, dem Licht zu. »Ist es etwa der, den er vor kurzer Zeit so fürchterlich mißhandelte?« fragte Hennigs. »Derselbe; sein Rücken ist noch jetzt blutig und zerfleischt, die Narben hatten noch keine Zeit, wieder zu heilen, der arme Teufel konnte Tag und Nacht kein Auge schließen vor Schmerz und Qual und mußte dennoch arbeiten. - Donnerwetter, Alte, wo ist denn eigentlich der Whisky?«, unterbrach er sich plötzlich und bog sich nieder, um unter den Fuß des Bettes zu sehen, wo die fragliche Steinkruke gewöhnlich ihren Platz hatte. »Ich bin trocken wie eine Ohio-Chaussee, ich staube ordentlich. Glaubt ihr, man soll euch die Pferde suchen und nachher nicht einmal einen Tropfen trinken? Ich verdurste, wenn ich nicht bald etwas bekomme!« »Vater hat wohl die Pferde gesucht, hat sie aber noch nicht gefunden«, sagte Sally und schöpfte dabei, als sie eben in die Tür trat, den Flaschenkürbis voll des klaren Quellwassers, das in einem Eimer auf dem dort angebrachten Regal stand. »Ist mein kleiner ›Kiek in die Welt‹ auch schon wieder da?« lachte der Alte. »Also, weil ich sie nicht gefunden habe, brauch ich auch nicht trocken im Hals geworden zu sein? Und Wasser soll ich trinken? Wettermädchen, das folgt der Alten aufs Haar! Nein, Kinder, einen Schluck Whisky muß ich vorher aufsetzen, aber laß nur das Wasser hier, Sally, zum Nachtrinken gibt's nichts Besseres auf der ganzen Welt.« »Bester Mann«, bat Mrs. Draper, »ist nun das klare, liebe Himmelsgetränk nicht viel besser und zweckmäßiger, um selbst den brennendsten Durst zu löschen?« »Liebe, beste Frau«, entgegnete ihr Draper, während er von der ihm gereichten Kruke den aus dem holzigen inneren Teil eines Maiskolbens bestehenden Stöpsel abzog und dann etwas von dem goldklaren Inhalt in den großen, vor ihm auf dem Tisch stehenden Blechbecher ausgoß, »das Wasser ist eben ein
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Himmelsgetränk, wie du ganz richtig bemerkst; für uns arme Sterbliche aber müssen wir etwas Feurigeres, Herz und Seele mehr Zusammenhaltendes haben, und da hat denn der liebe Gott den Whisky erschaffen.« »Den hat der Teufel erschaffen!« rief Mrs. Draper lebhafter, als es sonst gewöhnlich ihre Art war. »Das ist des Teufels Erfindung!« »So? In der Tat? Dann bin ich dem Teufel wirklich mehr verbunden, als ich bis jetzt habe glauben mögen; die Erfindung macht ihm alle Ehre und söhnt mich teilweise wieder mit ihm aus«, sagte der unverwüstliche Draper mit größter Ruhe und leerte etwa die Hälfte des Inhalts, wonach er den Rest an Hennigs hinüberschob. Dieser aber zögerte, ihn anzunehmen, und blickte sich halb unschlüssig nach Lucy um. »Lucy sieht nicht her!« neckte ihn Sally, der des jungen Mannes Verlegenheit keineswegs entgangen war. »Sie können's riskieren.« »Laßt Euch durch die Frauen nicht irremachen, Hennigs«, ermahnte ihn der Alte, »wenn ich denen glauben wollte, dann wäre das gute Getränk hier vor uns ein Haken und meine Kehle ein Arm, die mich zu zweit und mit vereinten Kräften in den Pfuhl der Hölle hineinrissen; so hat's ihnen wenigstens neulich der Presbyterianer erklärt.« »Du bist ein böser Mann, Draper, und drehst einem immer die Worte im Mund herum«, sagte die Matrone, reichte aber dem Gatten dabei freundlich die Hand hinüber, »du weißt ja doch recht gut, wie ich's meine, und daß es nur immer deines eigenen Besten wegen ist, wenn ich ein Wort einwerfe über dein...« »Trinken und Fluchen! » fiel ihr Draper ins Wort. Ja, ja, ich weiß schon, wovon die Rede ist. Übrigens habe ich heute noch nicht ein einziges Mal geflucht, und was den Trunk betrifft, den ich selten genug zu meiner Erholung tue, so bin ich allerdings davon überzeugt, daß du ihn mir nicht mißgönnst, da ist aber der gottverdammte...«
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Sallys kleine Hand lag auf seinen Lippen, und er zog sie gutmütig lächelnd herunter und drückte einen herzlichen Kuß auf den kleinen, gespitzten Rosenmund des lieben Kindes. »Nun, schon gut, schon gut, Sally«, sagte er dann, »bist mein gutes Mädchen. Jetzt seht aber nach euren Kühen - ach, ja so, es ist erst eine da; nun, schad't nichts, besorgt die nur, ehe es dunkel wird, es sollen schon mehrere nachkommen, und nachher zündet auch die Lampe an, oder habt ihr die Lichter schon gegossen?« »Ja, Vater, die letzten drei Hirsche, die du geschossen hast, hatten gar viel Talg bei sich, und aus den Bienenbäumen, die hier Mr. Hennigs für uns umgehauen, ist auch ein recht schönes Stückchen Wachs gekommen; die Lichter sind fertig.« »Brav, Kinder, dann macht alles bereit, Hennigs und ich wollen indessen noch einmal nach der Buffalolick hinübergehen und die Pferde holen; vielleicht finden wir auch unterwegs irgendwo ein Volk Truthühner aufgebäumt, ich will auf jeden Fall die Rifle mitnehmen.« Und der alte Mann hob die schwere Büchse von der Wand herunter, hing sich die kaum abgelegte Kugeltasche wieder um, setzte die Mütze auf und wollte eben mit seinem jungen Freund das Haus verlassen, als er plötzlich zurückprallte und erbleichend ausrief. »Tod und Teufel!« Erschreckt sprangen seine Frau und Töchter hinzu, sie sollten aber über das, was den Vater so überrascht hatte, nicht lange im Zweifel bleiben; ein junger Neger in bloßem Kopf und nur mit einer dünnen Leinwandjacke und ebensolchen Hosen bekleidet, die nackten Füße in groben rindsledernen Schuhen, das schwarze Antlitz eingefallen und verzehrt von Todesfurcht und übermäßiger Anstrengung vielleicht, sprang auf die Schwelle, warf einen scheuen, wilden Blick über die ihn jetzt Umstehenden und brach dann, die Knie des alten Mannes krampfhaft umklammernd, vor diesem halb ohnmächtig zusammen. »Ben, Ben, um Gottes willen, was soll das heißen?« rief Draper und sah ängstlich nach Hennigs hinüber, der ganz
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überrascht dastand und gar nicht wußte, wie er diese merkwürdige Szene deuten solle. »Rettet mich, Herr, rettet mich, wenn Ihr nicht wollt, daß sie mich bei lebendigem Leib verbrennen, wie sie's dem armen Nigger in St. Louis getan haben, rettet mich um des Heilands willen, sie sind dicht hinter mir!« Er blickte flehend zu ihm empor, und Hennigs konnte zum ersten Mal seine Züge erkennen. Kaum hatte er ihn aber einen Moment scharf ins Auge gefaßt, als er vorsprang, den Knieenden bei der Schulter ergriff und ausrief: »Alle Wetter, das ist Wallis' entlaufener Neger, halt, Bursche, wo kommst du her und wo willst du hin?« Der unglückliche Ben warf einen flehenden Blick auf den alten Mann und sank dann, seine Knie loslassend, ohnmächtig zu Boden. »Der Bursche hat wahrscheinlich nicht mehr weitergekonnt«, sagte Hennigs, als er ihn umwandte und fühlte, wie der arme Teufel regungslos in seinen Armen lag, »nun, ein bißchen kaltes Wasser wird ihn schon wieder zu sich selbst bringen. Sie werden ihn aber hierbehalten müssen, bis wir Wallis davon benachrichtigen können. Der wird nicht wenig froh sein, daß er seinen Neger wieder hat.« »Sie werden ihn doch nicht ausliefern?« rief Lucy entsetzt. »Nicht ausliefern, Miß Lucy? - Wir sollen doch wohl nicht etwa gar einem Nigger zum Fortlaufen behilflich sein und nachher das Vergnügen im Zuchthaus büßen?« »Man will ihn lebendig verbrennen!« rief Sally und faltete in Todesangst die kleinen weißen Hände auf der klopfenden Brust. »Oh, bewahre Gott!« lächelte Hennigs. »Das wäre ja wider des Herrn eigenen Vorteil, einen seiner Sklaven umzubringen; nein, Sally, der kommt mit einer Tracht Schläge davon, und die hat der Schlingel auch eigentlich verdient, warum läuft er fort; er weiß, daß er doch am Ende wieder gefangen wird.« Draper bog sich schweigend zu dem Unglücklichen nieder und wies auf seinen Rücken. Die Dämmerung brach schon stark herein, aber deutlich konnten sie noch erkennen, wie
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rotes Blut durch die dünne Leinwandjacke gedrungen war und diese in langen teils erhärteten, teils noch frischen Streifen an dem Rücken des Unglücklichen festgeleimt hatte. Die Frauen stießen einen Schrei der Angst und des Entsetzens aus, und selbst Hennigs wandte sich schaudernd ab. » Der arme Teufel! » brummte er vor sich hin. Draper brach endlich das Schweigen und sagte mit hohler, fast tonloser Stimme, indem er den Neger noch immer mit seinem Arm unterstützte: »Der Knabe hier rettete mir vor drei Wochen das Leben; ich badete im Strom, und nur seiner Dazwischenkunft verdanke ich es, daß ich das steile, schroffe Ufer, zu dem mich die zu starke Strömung hingerissen hatte, wieder erklimmen konnte. Heute traf ich ihn flüchtig im Wald, und obgleich ich wußte, daß es ein entflohener Sklave sei, ließ ich ihn ungehindert ziehen. - Ich wandte mich ab und wollte nicht sehen, wohin er floh. Jetzt führt, Gott nur weiß welches Schicksal, den Unglückseligen in meine Hütte, und mir bleiben einzig und allein zwei Auswege offen: Entweder ich verrate meinen Lebensretter und überliefere ihn seinen Henkern, oder ich setze mich der Gefahr aus, angeklagt zu werden, einem Neger, einem Sklaven zur Flucht behilflich gewesen zu sein - das Zuchthaus ist dann meine Strafe.« »Hier ist, denk ich, ein Ausweg möglich«, sagte Hennigs, »Wallis weiß, daß ihm ein Arbeiter nur dann von Nutzen sein kann, wenn er gesund und kräftig ist; auf Euer Wort gibt er überdies etwas, und wenn Ihr zu ihm hinüberreitet und ihm sagt, daß Ihr ihm seinen Neger gegen das Versprechen wieder verschaffen wollt, daß er den schon so arg Mißhandelten nicht noch mehr züchtige, so glaub ich, wird er ein vernünftiges Wort mit sich reden lassen und kein Unmensch sein. Zum Henker noch einmal, er gehört ja doch auch noch zur Kirche, und da darf er ja schon des Ansehens wegen nicht den Tyrannen spielen.« Er schlägt die Augen auf«, sagte Mrs. Draper, die ihm indessen Stirn und Schläfe mit Essig eingerieben hatte, »er kommt wieder zu sich; großer Gott, wie weh dem armen Men-
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schen ums Herz sein muß! Vater, wenn nun unser Sohn, der sich jetzt in Texas oder Mexiko herumtreibt, so unter fremden Menschen läge, wie wolltest du, daß ihm da geschähe?« »Ich glaube wirklich nicht, daß ihm viel Gefahr droht, Mrs. Draper«, nahm Hennigs noch einmal das Wort, »wenn Sie es wünschen, so will ich selbst mit Draper hinüberreiten, um Wallis zur Milde zu stimmen; aber ausliefern müssen wir ihn, das verlangt nicht allein das Gesetz, sondern auch unsere eigene Sicherheit. Es ist ja denn doch auch nur ein Neger, und ich sehe nicht ein, weshalb sich zwei Weiße seinetwegen in so entsetzliche Unannehmlichkeiten stürzen sollten, wie daraus entstehen könnten.« »Es ist nur ein Neger, Mr. Hennigs«, sagte Sally mit bitterem Vorwurf im Ton, »das klingt, aufrichtig gesprochen, recht garstig von Ihnen. Vater war in seinen Augen auch nur ein Weißer, und er hat ihn doch aus dem Wasser gezogen. Das weiß ich, wenn Sie den armen Menschen wieder auslieferten, und ich wäre Lucy, ich spräche in meinem ganzen Leben kein Sterbenswörtchen mehr mit Ihnen.« »Seien Sie barmherzig!« flehte auch Lucy jetzt und sah bittend zu dem jungen Mann auf, der sich, den Hut in der Hand, verlegen hinter den Ohren kratzte. »Aber, beste Miß Lucy«, sagte er endlich, »was hilft es ihm denn, wenn wir unsere eigene Sicherheit auch wirklich nicht einen Pfifferling rechnen wollen; deshalb wäre ihm doch nicht mehr geholfen. Entfliehen kann er nicht; wie käme ein Nigger von hier bis zu der kanadischen Grenze ohne Paß? Liefern wir ihn also nicht aus, wobei wir uns zugleich für ihn verwenden können, so fängt ihn jemand anderes, und dann geht's ihm erst recht schlimm.« Der Neger hatte seine großen, lebhaften Augen geöffnet und zu dem Sprechenden mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Seelenschmerz in den dunkeln Zügen aufgeblickt. Jetzt teilten sich seine Lippen und er flüsterte, aber mit kaum noch hörbarer Stimme: »Ich bin verloren, die Verfolger sind mir auf den Fersen; ich traf einen der nach mir ausgesandten Männer zufällig im
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Wald, und nur die Verzweiflung gab mir Kraft genug, ihm in dem dichten Unterholz zu entgehen, das ihm nicht erlaubte, mit dem Pferd so schnell hindurchzubrechen. Unfern von hier wußte ich ihn von meinen Fährten abzubringen und floh nun, als letztem Rettungsweg, Ihrem Haus zu. Ich kann nicht weiter, mein Rücken ist zerfleischt, meine Kräfte sind erschöpft, die Wunden brennen wie Feuer, und die Glieder versagen mir den Dienst. Liefern Sie mich aus, dann ist's vorbei, und ich habe dieses elende Leben überstanden.« »Es ist nicht so schlimm, Ben«, sagte Hennigs gutmütig, »wir wollen selbst zu deinem Herrn hinüberreiten und ihn um Schonung für dich bitten; er soll dich nicht weiter mißhandeln.« »Umsonst, umsonst!« stöhnte der Unglückliche und sah starr vor sich nieder. »Das wäre vergebens; letzten Freitag warf er mich zu Boden und trat mich mit Füßen; die harten Steine rissen die noch nicht geheilten Wunden der Peitschenhiebe wieder auf, wahnsinniger Schmerz durchzuckte mich, und in aller Verzweiflung nicht mehr wissend, was ich beging, ergriff ich einen gerade dort liegenden Axtstiel und - schlug meinen Master zu Boden.« »Unglückseliger!« sagte Hennigs mitleidig. »Dann bist du allerdings verloren.« »Nein, nein!« rief Draper. »Ich will verdammt sein, wenn ich ihn ausliefere. Ich weiß, was ich riskiere, ich weiß, was mich bedroht, wenn ich entdeckt werde, doch gleichviel; im schlimmsten Fall lasse ich die hier getane Arbeit im Stich und ziehe nach Iowa hinein; aber ich will nicht haben, daß mich das Bild dieses Unglücklichen mein ganzes Leben lang Tag und Nacht hindurch mahnen und martern soll, und ich mir ewig sagen muß: Der hatte dir nur das Leben gerettet, damit du ihn nachher gebunden seinem Henker überliefern konntest. Sei guten Muts, Ben, es soll dir nichts geschehen, ich will doch einmal sehen, ob der alte Draper so auf den Kopf gefallen ist, daß er nicht ein Mittel findet, um dir fortzuhelfen.« »Aber, Draper, Draper, denkt an Euer Weib und Eure Kinder«, sagte warnend der junge Mann.
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»Oh, reden Sie dem Vater nicht ab«, bat ihn flehend Lucy, »lassen Sie ihn das gute Werk vollbringen, und - wenn Sie sich uns allen als ein recht lieber Freund erweisen wollen, so helfen Sie nur diesmal, um den armen Jungen von so fürchterlicher Strafe zu erretten.« »Liebe Miß Lucy«, erwiderte Hennigs noch immer unschlüssig, »ich will ja gewiß alles von Herzen gern tun, was Ihnen nur die mindeste Freude gewähren kann, ich sehe aber wahrhaftig nicht ein, wie dem armen Teufel geholfen werden soll. Sind ihm die Verfolger so dicht auf den Fährten, wie er sagt, dann können wir sie auch jeden Augenblick hier erwarten, und in dem Zustand, in dem er sich jetzt befindet, wäre es für ihn unmöglich, zu entfliehen. Hier im Haus sind wir ebensowenig imstande, ihn lange zu verbergen, selbst wenn wir wollten, denn das eine offene Gemach, das Sie haben, bietet nirgends auch nur den geringsten sicheren Schlupfwinkel.« »Wir müssen ihm einen Paß schreiben! » rief Mr. Draper schnell. »Das wird ihm durchhelfen; einen mit dem Paß versehenen Neger hält niemand an.« »Aber womit?« fragte Lucy ängstlich. »Wir haben weder Schreibzeug noch Papier, selbst das Stückchen Bleistift, das in dem alten Haus über dem Kamin steckte, muß verlorengegangen sein, ich konnte es wenigstens nirgends finden.« Der Neger hatte indessen mit ängstlichen Blicken von einem der Sprechenden zum anderen gestarrt, und seine Augen leuchteten, als er den Paß erwähnen hörte; jetzt, da ihm diese letzte Hoffnung abgeschnitten schien, barg er zitternd das Antlitz in den Händen, und wenn auch kein Laut, kein Schluchzen die Stille unterbrach, so kündete doch das konvulsivische Zucken seiner ganzen Gestalt den ungeheuren Schmerz an, der ihn durchbebte. »Hier muß Rat geschafft werden!« rief der alte Draper jetzt und ging mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab. »Ben muß fort, und ein Paß, das seh ich ein, ist dazu unumgänglich nötig. So mag er denn hier im Haus verborgen bleiben, bis ich ihm den herbeischaffen kann; ich will noch heute zum Squire Mabel reiten und Tinte und Papier holen.«
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»Aber das ganze County ist schon in Aufregung«, flehte in Todesangst Ben, »der, der mich heute verfolgte, wußte ebenfalls von dem einem weißen Mann gegebenen Schlag; zweimal hätte er mich niederschießen können, aber er schrie fluchend, er wolle mich lebendig haben, um mich schmoren zu sehen; sie sind zum Fürchterlichsten entschlossen.« »Hallo! Da drüben! » schallte plötzlich eine Stimme von der anderen Seite der niedergehauenen Bäume herüber, und gleich darauf übertäubte, wie bei Hennigs' Ankunft, das Heulen der Meute jeden weiteren Anruf. »Das ist mein Verfolger!« stöhnte Ben und sank, die Hände gefaltet, in Verzweiflung auf einen Stuhl nieder, an dessen Lehne mehrere Tropfen klaren Blutes, die durch die dünne Jacke gequollen waren, hängenblieben. Der alte Mann trat indessen in die Tür, beschwichtigte mit einem Wort die Hunde, die, der Stimme des Herrn gehorsam, nur leise knurrend den fremden Tönen lauschten, und rief jetzt die Gegenfrage an den späten Gast hinüber: »Wer ist da und was wollt Ihr?« »Wer da ist? Zum Henker, Pitt ist da, oder ist eigentlich noch nicht da, denn er steckt hier in einem undurchdringlichen Gewirr von allem möglichen und weiß nicht, wie er herauskommen soll. Wo in aller Welt ist nur der Fahr- oder Reitweg, Draper? Auf dem, wo ich hergekommen bin, liegen wenigstens zwanzig Klafter Holz! »Seid Ihr allein?« fragte Draper zurück. »Ja, allerdings, es werden aber gleich noch eine ganze Menge kommen, ich traf sie nicht weit von hier, und sie redeten davon, bei Euch zu übernachten.« »Ich komme gleich, Pitt«, rief Draper ihm zu, »bleibt nur einen Augenblick da halten, Euer Pferd möchte sonst in den vielen Splittern Schaden nehmen.« Und damit warf er die Tür wieder in die Klinke und trat in das Innere seiner Hütte zurück. »Es ist zu spät!« sagte er eintönig, als er mit starren Blick auf den unglücklichen Knaben niedersah. »Sie werden hier
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sein, ehe wir imstande sind, auch nur einen vernünftigen Rettungsplan zu ersinnen, viel weniger auszuführen.« »Wenn er sich nun draußen im Wald versteckte?« fragte schüchtern Sally. »Ich will ihm ja gern Speise und Trank bringen; morgen früh gelingt es dann vielleicht, dem Armen zu helfen.« »Nein, das ist unmöglich, die Hunde würden ihn dort nicht unbeachtet lassen; überdies bringen die Fremden, wenn es seine Verfolger wirklich sind, auch auf jeden Fall ihre Rüden mit, und dann wäre seine Entdeckung unvermeidlich. Ich begreife ohnehin nicht, wie ihn meine eigenen Bärenfänger so unbelästigt hereingelassen haben.« »So verbirg ihn dort, zwischen unseren Betten!« sagte Sally plötzlich. »Dort mag er liegen, bis sich irgendein Ausweg für ihn gefunden hat, und wenn es bis morgen früh wäre.« »Das ist das einzige; Höll' und Teufel, Pitt wird ungeduldig da drüben, ich muß ihn holen; so versteckt ihn denn schnell, und möge Gott geben, daß er dort unentdeckt bleibt, sonst ist mein guter Name für Missouri dahin, und ich muß der Rache seiner Bürger entfliehen.« Tief aufseufzend verließ er die Hütte, seinen heute so unwillkommenen Gast hereinzuholen, während die Frauen indessen ein ziemlich weiches Lager für den armen Mißhandelten bereiteten und es zwischen den Betten und durch einen mit Kleidern überhangenen Stuhl so verdeckten, daß, wenn nicht eine wirkliche und hier keineswegs zu befürchtende Haussuchung stattfand, sein Lager von den in der Hütte befindlichen Personen sicherlich nicht gesehen werden konnte, da sich auch schon ohnedies keiner der Amerikaner neugierig einer Stelle zugedrängt hätte, die ›der Damen Schlafplatz‹ war. Bald darauf erreichte der späte Besuch den kleinen vor dem Haus befindlichen offenen Platz, sprach dort einige Worte, seines Pferdes wegen, mit Draper und betrat dann, schon von draußen den Frauen einen guten und freundlichen Abend hereinrufend, das Innere des jetzt durch ein selbstgegossenes Licht erhellten Raums.
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Mr. Pitt war ein kleines wohlbeleibtes Männchen mit so blonden Haaren, daß er sie oft selbst im Scherz ›isabellfarben‹ nannte, dazu mit großen blaugrauen Augen, und gewöhnlich in einen pfeffer- und salzfarbenen Oberrock eingeknöpft. So gemütlich er aber auch sonst in manchen Sachen sein mochte, so viel er selbst auf sein Vieh, auf seine Pferde und Rinder hielt, die er sich nie überarbeiten ließ, so sehr haßte er die Neger und behandelte seine eigenen Sklaven, wenn er sie auch gut ›fütterte‹, wie er es nannte, mit der größten Verachtung. Die Sklaven der ganzen Nachbarschaft fürchteten ihn auch ungemein, haßten ihn aber wohl noch mehr und nannten ihn überall nur den ›Niggerfresser‹. Und doch war dieser Mann ein ganz guter Bürger, ehrlich und rechtschaffen in all seinem Tun und Handeln, und hatte sich, einzig und allein durch eigenen Fleiß, ein gar nicht unbedeutendes Vermögen erworben. Seinem Ehrgeiz war übrigens dadurch Genüge geschehen, daß ihn sein ›Township‹ zum Friedensrichter, und zwar damals noch, ernannt hatte, als die Aufregung für General Harrison selbst bis in den fernen Westen drang; er rühmte sich auch seines eifrigen Whigtums und schwärmte natürlich für Henry Clay und besonders für Frelinghuysen, der seiner Aussage nach der frömmste Mann der Welt sei und eher verdiente, Präsident als nur Vizepräsident zu werden. Seiner Religion nach war er Presbyterianer und hing dabei so eifrig an der Kirche, daß er schon einmal, als er sich bei einer großen Betversammlung befand, wo der andächtig harrenden Gemeinde gemeldet wurde, der plötzlich krank gewordene Prediger könne nicht kommen, selbst, unvorbereitet, den Rednerstuhl bestieg und mit Kraftworten und noch nie dagewesenen Gestikulationen den Leuten erzählte, wie's ihm eigentlich ums Herz sei. Man wollte ihn später allerdings dazu bewegen, der geistlichen Beredsamkeit sein Leben ausschließlich zu weihen, Mr. Pitt zog es aber vor, Friedensrichter zu bleiben, und behauptete, freilich nicht ganz ohne Grund, ›als Laie die Eingeborenen viel mehr in Erstaunen setzen zu können, als wenn er aus der heiligen Sache eine wirkliche Profession mache‹. Dabei war er höchst ritterlich und gefällig gegen
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Damen, obgleich er als alter Junggeselle von diesen auch manches Scherz- und Stichelwort ertragen mußte; ja, er hatte sogar selbst vor noch nicht so langer Zeit bei einer Entführung in St. Louis tätigen Anteil genommen. Wenn er aber auch gern von dieser Sache sprach, so verfehlte er doch nie dabei die Bemerkung zu machen, daß das vor der Zeit gewesen sei, so er als Friedensrichter in Tätigkeit getreten, und er jetzt, gerade im Gegenteil, eine solche ungesetzliche Handlung mit jeder ihm zu Gebote stehenden Macht verhindern würde. Mr. Pitt trat also in die Tür der Hütte und reichte, sich nicht mit dem allgemeinen »Guten Abend, Ladies!« begnügend, noch jeder der Damen insbesondere die Hand, führte dabei auch so total allein das Wort und erkundigte sich so angelegentlich nach dem Befinden und Wohlergehen seiner ›neuen Nachbarn‹ (sein Haus lag elf englische Meilen entfernt), daß er die Verlegenheit und Aufregung, in der sich diese befanden, gar nicht bemerkte, sondern geschäftig einen der Stühle zum Kamin schob (und zwar mit dem Rücken gegen die Tür, also den Betten mehr zugewandt), von dem aus er an Draper und Hennigs indessen tausend verschiedene Fragen zu gleicher Zeit richtete. Draper war übrigens selbst zu aufgeregt, um sich in eine Beantwortung derselben einzulassen, und fragte nur seinerseits, wobei er freilich einen Augenblick benutzen mußte, in dem der würdige Mann gerade Atem schöpfte, wen er noch an Fremden im Wald getroffen habe, was diese getrieben und wann sie hier eintreffen würden. »Stop, Sir - stop!« schrie der Kleine und drehte sich in komischer Verzweiflung nach ihm herum. »Das sind eine Menge verschiedener Artikel, die erst geordnet und dann einzeln vorgenommen werden müssen. Vor allen Dingen, Ladies, fürchte ich, daß Ihr Raum heute ein wenig beschränkt werden wird, denn acht Mann kann ich sicher anmelden, die noch vor Ablauf einer Stunde hier eintreffen werden. Das heißt eigentlich nur sieben, da einer von ihnen hier schon ganz behaglich und warm am Feuer sitzt und sich ungemein freut, daß er aus den bösen Dornen und Ranken da draußen heraus ist. Dieser
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eine, meine teuren Ladies, den ich Ihnen die Ehre habe in meiner unbedeutenden Person vorzustellen, wird nun auch wohl morgen noch hoffentlich das Vergnügen genießen, in Ihrer Gesellschaft zu bleiben, denn ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie ebenfalls beabsichtigen, der Betversammlung beizuwohnen. Die dort aufgehäuften Kleider sind wahrscheinlich schon dazu bestimmt, Ihren holden Gestalten einen womöglich noch höheren Reiz zu verleihen.« »Wer waren aber die anderen?« unterbrach ihn ungeduldig der Alte. »Wer die anderen waren?« wiederholte lächelnd der kleine Friedensrichter. »Die Blüte des Staates, der Stolz und Schmuck unseres und des benachbarten County, lauter wackere Farmer, wie berittene Nimrode, mit ihren Büchsen und Hunden. Apropos, Draper, habt Ihr den Wolfshund noch, den Ihr von Hilbert damals kauftet? Das war ein famoses Poppy Welpe , muß einmal ein prächtiger Hund werden!« »Waren die Männer auf der Jagd?« mischte sich Hennigs jetzt in das Gespräch. »Jagd? ja«, sagte der Kleine, »aber ganz besondere Jagd Hochwild - Menschenfleisch!« »Menschenfleisch!« riefen die Frauen entsetzt. »Erschrecken Sie nicht, meine Damen, es war weiter nichts als ein weggelaufener Nigger«, lächelte der gemütliche Friedensrichter, »vielleicht haben sie ihn jetzt schon und bringen ihn dann gleich mit her.« Keiner im Haus antwortete ihm auch nur eine Silbe darauf, und der Geschwätzige fuhr plaudernd fort: »Wallis hat, wie Sie vielleicht wissen, neulich einmal einen seiner Neger exemplarisch abstrafen müssen, der Strick war am lieben Sonntag mit seinen ganz neu gekauften Sachen, wie er selber sagte, in den Fluß gefallen...« »Großer, allmächtiger Gott! Deshalb hat er ihn gezüchtigt? Das ist die Ursache gewesen?« schrie Draper entsetzt. Pitt sah ihn erstaunt an. »Nun«, sagte er, »das wäre allerdings eine Ursache gewesen, ihn zu strafen, und er hat auch wohl seine Tracht Schläge deshalb bekommen. Von der Strafe
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aber, von der ich spreche, war es nur ein entfernterer Grund, denn die Kanaille hatte sich auch noch dabei erkältet und konnte nun ihre Arbeit nicht ordentlich verrichten. Wallis ist ein wenig hitzig, und ich weiß nicht recht, wie alles später gekommen ist; soviel aber ist gewiß, Ben, der Junge, hatte eine trotzige Antwort gegeben und mußte dafür, wie sich das auch von selbst versteht, büßen. Da, denken sie sich nur, überfällt er neulich seinen eigenen Herrn, schlägt ihn mit einem Axtstiel, an dem glücklicherweise die Axt fehlte, zu Boden und - entflieht. Aber weit wird er nicht kommen, Hilbert ist ihm heute nachmittag hier ganz in der Nähe begegnet, hatte aber unglücklicherweise seine Hunde nicht bei sich und verlor, nicht weit von dem Hurricane Hurricane werden in den westlichen Wäldern auch die durch einen Hurrikan oder Orkan niedergeworfenen Waldstrecken genannt, die oft, besonders wenn sie erst einige Jahre gelegen haben, wirklich undurchdringliche Dickichte bilden. , seine Fährte. Gleich darauf traf er übrigens die zur Verfolgung des Niggers ausgezogenen Männer, und nun wollen sie, da sie noch mehr Hunde mitbrachten, den Hurricane ordentlich abtreiben und nachher hierherkommen und hier übernachten. Sie blieben vielleicht im Wald, es sieht aber heut abend wie Regen aus, und da ist's doch besser, sie suchen Dach und Fach. - Aber, Ladies, Sie lassen mich die Unterhaltung ganz allein führen, es spricht ja keine von Ihnen auch nur ein Wort.« »Wir müssen ans Abendessen denken, Sir«, sagte die Matrone, »wenn wir so viele Gäste bekommen, so werden sie für die anderen Unbequemlichkeiten, denen sie ausgesetzt sind, doch wenigstens etwas Warmes zu essen haben wollen; bis wann können sie wohl hier sein?« »Wird nicht mehr so lange dauern, gar nicht mehr so lange dauern«, sagte der Kleine und zog die Augenbrauen bedeutsam in die Höhe, »in höchstens drei Viertelstunden können sie alles abgesucht haben; der Hurricane ist nicht so übermäßig groß und die Hunde, die sie mit sich führen, sind vortrefflich. Die Mutter von Eurem Wolfshund ist auch dabei, Draper.
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Übrigens kann es auch sein, sie finden den Burschen gleich, und dann halten sie sich weiter gar nicht auf.« Draper und Hennigs hatten leise einige Worte gewechselt, und der letztere nahm jetzt seinen Stuhl auf und trug ihn an die entgegengesetzte Seite des Kamins, während er zugleich Mr. Pitt bat, ihm dahin zu folgen, damit die Damen nicht so viel in dem Ab- und Anrücken ihrer Kochgerätschaften gehindert würden. Mr. Pitt folgte sehr eilfertig dem ausgesprochenen Wunsch, ergriff seinen Stuhl an der Lehne und trug ihn weiter herum, faßte sich aber plötzlich erschreckt an die Tasche seines Rocks, fühlte dort etwas und besah dann am hellen Kaminfeuer die gegen dieses ausgestreckte linke Hand. »Blut!« rief er überrascht und schaute sich nach dem Stuhl um, auf dem er eben gesessen, Mrs. Draper aber sprang schnell hinzu, wischte mit einem alten Tuch die Lehne ab, und sagte mit vor Angst und Bestürzung halberstickter Stimme: »Ach, seien Sie nicht böse, Mr. Pitt. Lucy - bekam heute so plötzliches Nasenbluten; wir haben die Flecken gar nicht gesehen.« Hennigs bog sich leise zu Sally hinüber und flüsterte lächelnd: »Erinnern Sie doch Mutter einmal wieder an das Kapitel von der Notlüge!« »Oh, bitte sehr, bitte sehr!« rief der artige Friedensrichter. »Hat gar nichts zu sagen, so süßes Blut kann mir nur angenehm sein; bitte, genieren Sie sich nicht. Ich habe selbst ein Taschentuch - es ist ja bloß ein unbedeutender kleiner Flecken. Ich erschrak nur so am Anfang, als ich das Nasse an der Hand fühlte, weil ich glaubte, ich hätte heute beim Reiten eine kleine Tintenflasche zerdrückt, die ich in der Rocktasche trage. Das wäre mir allerdings fatal gewesen, denn für meine hellen Bein... meine hellen Kleider würde eine solche Anfeuchtung von bösen Folgen gewesen sein.« »Sie haben Tinte bei sich?« rief Hennigs schnell und sprang in der Erregung des Augenblicks von seinem Stuhl, auf den er sich eben wieder niedergelassen, empor.
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»Ich? Allerdings; befremdet Sie das? Ja, hier im Wald ist Tinte allerdings ein seltener Gegenstand, ich bin deshalb auch genötigt, sie überall mitzuführen, denn komm ich einmal in ein Haus und muß etwas schreiben, so kann ich mich fest darauf verlassen, daß erstens keine Tinte in fünf Meilen im Umkreis zu bekommen und das einzige Papier der Schmutztitel irgendeines verräucherten Buches ist, der zuerst herausgenommen werden muß. Im allergünstigsten Fall steckt dann noch über dem Kamin ein alter, halbverbrauchter Truthahnflügel, dem eine hineingedorrte Feder durch Gemeinkraft sämtlicher Familienmitglieder entzogen und mit dem Jagdmesser des Mannes oder gar der Schere der Frau notdürftig geschnitten wird, und dann ist das Schreibzeug fertig. Nein, darauf kann ich mich nicht einlassen, ich muß mein ›Handwerkszeug‹ besser in Ordnung haben, und da trag ich deren immer eine kleine steinerne Kruke mit Tinte sowie etwas Papier und einige Federn bei mir.« Hennigs war indessen einige Mal schnell im Zimmer aufund abgegangen und blieb plötzlich neben dem Stuhl des Redseligen, der in allem Eifer das Fläschchen hervorgeholt hatte, stehen. »Mein bester Herr«, sagte er, freundlich dabei die Hand auf dessen Schulter legend, »da könnten Sie der Mrs. Draper einen recht großen und vielleicht einen doppelten Gefallen tun!« »Wer? Ich?« rief Mr. Pitt, sich schnell nach der erwähnten Dame umdrehend. »Mit dem größten Vergnügen. Was ist es? Was steht zu Diensten?« »Die Damen wünschten gern eine Abschrift des kleinen, von Ihnen gedichteten geistlichen Liedes zu besitzen, das Sie neulich bei Mapels vortrugen, und sie haben mich schon heute nachmittag darum ersucht, weil ich ihnen vor einiger Zeit einen Vers desselben aus dem Kopf zitierte. Da wir uns aber hier in derselben Lage befinden wie die übrigen Ansiedlungen, nämlich ohne jegliches Schreibmaterial, so möchte ich Sie jetzt im Namen der Damen nicht allein um etwas Papier und Tinte bitten, sondern auch noch den Wunsch daranknüpfen,
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mir die Verse langsam vorzusagen, daß ich sie gleich auf der Stelle nachschreiben könnte.« »Meine Damen, Sie beschämen mich wirklich durch die freundliche Nachsicht, mit der sie meine armseligen poetischen Versuche beehrt haben!« schmunzelte der kleine Mann, während er in größter Geschäftigkeit seine Taschen auskramte und in wenigen Sekunden eine große Brieftafel, ein kleines Pennal Federmäppchen und die eben wieder zurückgeschobene Tintenflasche zum Vorschein brachte, was er alles auf den Tisch stellte und dann seinen Stuhl neben denselben rückte, das Licht mit den Fingern putzte, seine Brille abwischte und jede Vorbereitung traf, um das gewünschte Gedicht augenblicklich selbst niederzuschreiben. Daran hinderte ihn aber Hennigs, indem er wie scherzend das Pennal an sich nahm und dem Richter versicherte, er würde unter keiner Bedingung zugeben, daß er selbst seine überdies schon so schwachen Augen bei dem düsteren Schein des flackernden Talglichts anstrenge. »Nein«, fuhr er in seinen Einwendungen fort, »lassen sie mich einmal meine, wenn auch von der Führung der Axt etwas steifen, Finger mit der Feder versuchen, es wird schon gehen, und sie setzen sich mir gegenüber an den Tisch, dann haben die Damen auch noch den Genuß des Vortrags und brauchen nicht müßig zuzusehen.« Mrs. Draper war hinter den Friedensrichter getreten und hielt die zusammengefalteten Hände fest, fest auf das Herz gepreßt, als ob sie die Angst, die ihr die Brust zu zersprengen drohte, da bannen und zurückdrängen wollte. Lucy hielt seine Stuhllehne gefaßt und blickte starr und mit halbgeöffneten Lippen, aber leichenbleichen Wangen und glanzlosen Augen nach dem Geliebten hinüber, und nur Sally, das sonst so muntere, leichtsinnige Mädchen, hatte die fürchterliche Entscheidung des Augenblicks nicht ertragen können und war hinaus vor die Tür gegangen, wo sie den Kopf in der Schürze barg und sich dort recht nach Herzenslust ausweinte. Hennigs dagegen schien ganz ruhig und unbefangen, plauderte mit dem Friedensrichter - während dieser ein reines Blatt Papier vorsuchte und aus dem Pennal eine geschnittene
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Feder nahm - lauter tolles Zeug, erzählte ihm, wie sie in Louisiana immer auf Magnolienblätter geschrieben und in Tennessee Tinte aus Pulver und Indigo gemacht hätten, legte dann, als er auch die letzten Bedenklichkeiten des so geschmeichelten Dichters überwunden hatte, der nur immer noch selber zu schreiben wünschte, das weiße Blatt vor sich hin, sah nach dem Spalt der Feder, feuchtere diese einmal im Mund an und sagte, sich behaglich auf den Stuhl zurechtrückend: »So, jetzt bin ich fertig; nun schießen Sie los!« Draper lehnte am Kamin, und der starke Mann zitterte vor innerer Aufregung so gewaltig, daß die lockeren Dielen unter ihm erbebten; nur Hennigs blieb ruhig und gleichmütig und lächelte sogar still und heimlich vor sich nieder, als der Friedensrichter, wohlbehaglich im Stuhl zurückgelehnt, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, die Brille in die Höhe auf die Stirn geschoben und die kleinen runden Augen andächtig der Decke und einer Anzahl dort aufgehängter geräucherter Hirschkeulen zugekehrt, mit monotoner, singender Stimme begann: »Oh süßer Herr Jesus, oh, komm doch zu mir, Verzeih mir, oh Herr, meine Sünden!« »Halt! Nur nicht so schnell«, bat Hennigs, »ich komme ja sonst nicht mit. - Verzeih mir...« »...oh Herr, meine Sünden!« Draper trat hinter Hennigs Stuhl und las, was dieser schrieb. Auf dem Papier stand: » Der Träger dieses, Scipio... »Also weiter - ich hab es.« »Und laß mich, Lamm Gottes, beim Vater und Dir Erbarmen und Sühnigung finden.« Hennigs schrieb weiter: »... geht mit meinem Wissen und Willen zu seinen Eltern...« »Haben Sie: Sühnigung finden?« fragte der Friedensrichter, schob sich die Brille herunter und blickte nach dem jungen Mann hinüber. »Gleich, gleich - Sühnigung finden - so, nur weiter.«
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»Ich bin zwar, oh Heiland, ich muß es gestehn, Dein schlechtester, niedrigster Knecht...« deklamierte Mr. Pitt, warf einen freundlichen Blick nach der über ihn hingebeugten Mrs. Draper hinauf, seufzte einmal tief auf und wiederholte: »Dein schlechtester, niedrigster Knecht...« »... nach Illinois und hat von mir dazu vier Wochen Erlaubnis...«, schrieb Hennigs. »Haben Sie das?« fragte wieder der Richter. »Ja - Erlaubnis...« »Wie?« sagte Mr. Pitt und blickte zu ihm auf. »Oh, nichts«, erwiderte schnell gefaßt der junge Mann, »es hatte sich ein Haar in die Feder geklemmt; also Knecht!« »Ja - warten Sie einmal, nun bin ich herausgekommen, schlechtester, sündigster Knecht«, murmelte er vor sich hin, »ach ja, jetzt hab ich's: Doch hast Du ja auch meine Reue gesehn, So weise mich, Herr, denn zurecht!« »...weise mich, Herr, denn zurecht!« wiederholte Hennigs und beendete indessen den Paß Benjamins mit dem Wort » erhalten«, setzte den fingierten Namen Peter Rollins mit dem gestrigen Datum darunter und faltete das Papier zusammen. »Halt, ich bin noch nicht fertig!« rief der würdige Friedensrichter aus, dem diese Bewegung nicht entgangen war, »das sind nur die zwei ersten Strophen; nun kommen fünf in einem andern Rhythmus und dann wieder drei Schlußverse. Schreiben Sie also weiter: Ich will Dir, Du treuer Hirte Ein getreues Schaf auch sein, Führe denn mich, heil'ger Vater, In den ew'gen Schafstall ein. Und wenn mir.. Aber Sie schreiben ja gar nicht?« »Nur die beiden ersten Verse fehlten Ihnen, nicht wahr, Mrs. Draper?« sagte Hennigs und stand von seinem Stuhl auf.
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»Ja, Sir, es waren nur die beiden«, stammelte die Matrone, und sie wußte jetzt, daß Hennigs' Auge fest auf ihr haftete; das Blut strömte ihr quellend in Stirn und Schläfe, und der Atem verging ihr fast vor Angst um den Unglücklichen, vor Scham über die ausgesprochene Lüge. »Also die anderen Verse haben Sie? Nun warten Sie, ich sage sie Ihnen noch einmal vor, dann können Sie, wenn etwas daran nicht richtig sein sollte, es ändern. Zeigen Sie mir nur erst einmal, was sie geschrieben haben«, und er streckte seinen Arm nach dem Papier aus, das Hennigs mit auf den Tisch gestützter Hand locker zwischen den Fingern hielt. Dieser aber schien es gar nicht zu bemerken; mit vorgebeugtem Körper, starr und regungslos, stand er da, die linke Hand lauschend hinter das Ohr gehalten. Er horchte einem entfernten Geräusch und hatte für den Augenblick seine ganze Umgebung vergessen. Mr. Pitt nahm indessen das Papier herüber, öffnete es, schob sich die Brille wieder nieder und schien dann erst das sonderbare Benehmen des jungen Mannes zu bemerken. Die Bewohner der Hütte standen entsetzt; warf der Friedensrichter nur einen Blick in die Zeilen, die er geöffnet in der Hand hielt, so waren sie entdeckt. »Hennigs!« rief der alte Mann und faßte seinen Arm. »Mr. Hennigs!« sagte Pitt und hielt das Innere der Linken gegen das Licht, um, von diesem nicht geblendet, ihn besser betrachten zu können. Das rief den Träumenden aber mit Gedankenschnelle in seine Umgebung zurück; er blickte den Fremden an, sah den Paß in dessen Hand und riß ihn mit keckem Griff aus seinen Fingern. »Mr. Hennigs!« rief überrascht der Richter. »Ich muß tausendmal um Verzeihung bitten, Sir«, entschuldigte sich jener, verlegen lächelnd, »doch das, was ich hier geschrieben habe, dürfen Sie wahrhaftig nicht lesen, es ist zu schlecht. Sie haben zu schnell gesprochen, und ich mußte mich beeilen; warten Sie noch wenige Minuten, und ich will es ins Reine schreiben, nachher mögen Sie sich überzeugen, daß auch ein Backwoodsman manchmal keine so üble Feder führt
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und den Schulmeister nicht braucht, wenn er jemandem einen Brief schicken will.« »Was hatten Sie denn aber eben? Sie starrten ja vor sich nieder, als ob sie einen Geist sähen«, fragte dadurch beruhigt Mr. Pitt. »Oh, nichts, wenigstens nichts von Bedeutung«, erwiderte jener, »mir war es nur, als ob ich irgendein fremdartiges Geräusch vernahm, und ich konnte nicht recht herausbekommen, was es war. Halt - da wieder; hören Sie nichts?« Draper sprang an die Tür und riß sie auf, und deutlich drang jetzt der Ruf von fernen Stimmen an ihr Ohr, als ob Leute über einen Fluß hinüber die Fähre anriefen: »Das sind sie«, sagte der Kleine, sprang auf und griff nach dem an der Wand hängenden Blechrohr, das in fast allen amerikanischen Blockhütten dazu benutzt wird, die Arbeiter zum Essen aus dem vielleicht weit entfernten Feld zu rufen. Die Töne dieses langen, geraden Horns schallen ungemein weit, und man kann sie mit günstigen Wind, und besonders über das Wasser hin, oft meilenweit hören. Mr. Pitt schloß nun auch ganz richtig, daß die Jäger, von der Dunkelheit überrascht, die einzeln und mitten im Wald liegende Hütte nicht hatten finden können und nun durch ihr Rufen die Aufmerksamkeit der Bewohner zu erwecken gedachten, damit diese durch irgendein Zeichen, durch einen abgefeuerten Schuß oder den Ton eben eines solchen Horns ihren Aufenthalt verrieten. Er nahm denn auch ohne weitere Umstände das Instrument vom Nagel, trat in die Tür und ließ nun nach jener Richtung hin so durchdringende, klagende Laute ertönen, daß die Hunde mit kurzem Gebell zuerst eine Art Protest gegen solche Musik einzulegen schienen, dann aber, vielleicht durch das Weiche der Melodie gerührt, ein so fürchterliches wehmütiges, markzerschneidendes Geheul ausstießen, daß Mr. Pitt erschreckt mitten in seinem Blasen einhielt, den Bestien einen Augenblick zuhörte und dann kopfschüttelnd sagte: »Ist nun einem lebendigen Christenmenschen schon so etwas in seinem ganzen Leben vorgekommen?« Nichtsdestowe-
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niger setzte er seine musikalischen Übungen fort, und Hunde und Friedensrichter vereinigten sich jetzt zu einem so ohrenzerreißenden Konzert, daß der Wald ordentlich lebendig zu werden schien und von dem sämtlichen zahmen Hausvieh als da waren: drei Ferkel und etwa ein halbes Dutzend Hühner - die ersteren ihr Lager mieden und grunzend, die Seiten aneinandergedrückt, herbeiliefen, und die anderen mit den Flügeln schlugen und nicht übel Lust zu haben schienen, eine so unruhige Nachbarschaft zu verlassen. »Hier ist der Paß«, rief Hennigs jetzt schnell und drückte das Papier dem alten Draper in die Hand. » Der Träger dieses Scipio, geht mit meinem Wissen und Willen zu seinen Eltern nach Illinois, und hat von mir dazu vier Woche Erlaubnis erhalten. Peter Rollins. »Wer ihn anhält und nicht persönlich kennt, wird ihm kein Hindernis weiter in den Weg legen; doch muß er noch in dieser Nacht fort.« »Aber wie? Der Richter steht in der Tür, und in wenigen Minuten haben wir das Haus so voll Menschen, daß ein Entrinnen für ihn zur Unmöglichkeit wird.« »Auch dazu wird Rat werden; geben sie ihm nur einen alten Rock und eine Mütze - schnell! - Der Richter hat aufgehört zu blasen, ich will ihn zu mir hinausrufen. Wenn ich den Eulenruf nachahme, muß Ben rasch hinausgleiten; er soll dann zu mir hinter das Haus kommen; ruhig jetzt, er dreht sich wieder um.« Mr. Pitt hatte allerdings seine Lungen pausieren lassen und die Bearbeitung des Instruments eingestellt, keineswegs waren aber die Hunde gesonnen, sich so schnell und plötzlich über das Gehörte zufriedenzugeben. Ein junges Tier, und zwar eben der schon früher erwähnte junge Wolfshund, heulte Sopran und schien den Ton anzugeben, denn nach jedesmaliger kurzer Pause fiel er stets zuerst wieder ein, und ihm folgte augenblicklich ein alter blinder Schweißhund in E-Moll, wonach dann die übrige Schar, als ob sie nur auf das Angeben der Tonart gewartet hätte, im wilden, disharmonischen Chor
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einfiel und nicht eher aufhörte, als bis auch der letzte Vorrat von Luft aus Lunge und Kehle erschöpft war. Mr. Pitt versuchte nun zwar sein Bestes, um sie zur Ruhe zu bringen, schimpfte, drohte und warf sogar einzelne Späne und Holzstücke, die vor der offenen Tür lagen; das hatte aber weiter nichts zur Folge, als daß sie jetzt sämtlich gegen ihn Front machten, und zwar die Köpfe seitwärts zugedreht, um jedem etwa nach ihnen geschleuderten Wurfgeschoß schnell genug ausweichen zu können, sonst aber fuhren sie in ihren entsetzlichen Akkorden ruhig fort. »Laßt's gut sein, Sir«, tröstete ihn jetzt Hennigs, als der kleine Friedensrichter halb lachend, halb ärgerlich wieder in der Tür erschien, »ich will sie schon zum Schweigen bringen.« »Ruhig, ihr Bestien!« schrie er dann mit Donnerstimme, als er eben vor das Haus getreten war. »Ruhig, oder ich drehe euch die Hälse um!« Und eine dort lehnende Stange ergreifend, fuhr er mit so gutgemeinten und links und rechts ausgeteilten Schlägen zwischen sie hinein, daß sie nach allen Seiten auseinanderstoben und sich winselnd teils in den Wipfeln der umhergestreuten Bäume, teils unter dem Haus verkrochen. Hennigs aber blieb jetzt einen Augenblick auf die Stange gestützt und wie in tiefen Gedanken stehen; da schreckten ihn der näher und näher kommende Lärm der Jäger, das entfernte Bellen von Hunden aus seinem Sinnen empor. Er warf den Blick schnell umher, ergriff den noch neben dem Haus liegenden Sattel und Zaum, trug beides hinter dasselbe und rief nun mit leisem Pfiff sein gehorsames Pony herbei. »Nun, Madam, werden Sie gleich Einquartierung bekommen«, sagte der Friedensrichter, während er sich schmunzelnd die Hände rieb und zum Feuer trat, an dem Lucy und Sally jetzt eifrig beschäftigt waren, die verschiedenen, schnell hinzugerückten Lebensmittel zu verteilen. »Es wird freilich knapp hergehen hier in dem engen Zimmerchen, man kann sich das aber alles einteilen. Lieber Gott, in Arkansas lagen wir einmal zu siebzehnt in einem Raum, der, wenn nicht noch kleiner, auf jeden Fall keinen Zollbreit größer war als dieser hier. Draper macht wohl schon sein Lager da zwischen den
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Betten zurecht? Ja, ja, werden jedes Eckchen und Winkelchen benutzen müssen, die Burschen sind wie das wilde Heer. Ob sie nur den Neger haben? Hoffentlich doch. Hol der Henker eine solche schwarze Bestie - schlägt ihren eigenen Herrn! Wenn da nicht einmal ein Exempel statuiert wird, dann wäre man ja seines Lebens selbst nicht mehr sicher und müßte sich wahrhaftig fürchten, die eigenen Dienstboten zu züchtigen. Wie ich gehört habe, wollen sie zusammenlegen und den Eigentümer wenigstens in etwas schadlos halten.« Mr. Pitt hatte sich jetzt wieder halb dem Feuer und halb Mrs. Draper zugekehrt, und diese hielt ihre Augen auch fest auf die seinigen gerichtet; aber kein Wort vernahm sie von alldem, was er ihr mit so bedeutender Zungengeläufigkeit erzählte, ihr Ohr lauschte dem Rauschen der Kleidungsstücke, dem unterdrückten Flüstern ihres Mannes, und sie sah jetzt plötzlich, wie sich die Gestalt des jungen Sklaven leise und vorsichtig emporhob. »Weiß nur der liebe Gott, wo die Männer so lange bleiben!« unterbrach sich jetzt selbst der kleine Mann, indem er einen Schritt vom Kamin zurücktrat und nach der Tür sah. »Mr. Hennigs kommt auch nicht wieder, der ist ihnen wahrscheinlich entgegen; wo ist denn Mr. Draper?« »Hier, Sir«, antwortete dieser und trat einen Schritt vor. Dicht hinter ihm stand der Neger, und die geringste Bewegung hätte ihn dem Friedensrichter verraten; die nächste Minute mußte überhaupt das Schicksal des Verfolgten entscheiden. Da schlugen wiederum die Hunde an; es waren die Jäger, die ebenfalls, wie vor ihnen Hennigs und Pitt, durch den ziemlich begangenen Pfad herbeigelockt, an der Grenze der niedergeworfenen Bäume hielten und das Haus anriefen. - Mr. Pitt wollte in die Tür treten; geschah das, so wurde es zu einer Unmöglichkeit, den Neger hinauszulassen, und er war dann rettungslos verloren. Draußen ließ sich der klagende Ruf einer Eule hören. »Bester Mr. Pitt«, rief da Lucy plötzlich, »dürft ich Sie wohl einmal bitten, mir den schweren eisernen Topf hier auf die
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Kohlen zu heben. Ich kann ihn wahrlich nicht regieren, und unsere Gäste kommen schon.« »Oh, mit dem größten Vergnügen, mein Fräulein!« rief der bereitwillige Friedensrichter und sprang schnell hinzu, lehnte sich mit dem linken Arm gegen den über den Kamin hinlaufenden Querbalken und griff mit der Rechten in die von Lucy schnell in den Henkeln des Gefäßes befestigten Topfhaken. »Sehen sie, mein Fräulein, das ist gar nicht so schwer, allerdings etwas zu massiv für eine Dame, aber.. Doch, wo wollen Sie ihn denn hinhaben? Auf die brennenden Scheite? Die müßten wohl erst ein wenig zusammengeschoben werden.« »Ach, bitte, bester Mr. Pitt, halten sie ihn nur zwei Sekunden, die Klötze haben sich verschoben, warten Sie, ich richte sie gleich zurecht.« Lucy rückte mit dem Schüreisen die im Kamin liegenden Brände, und Friedensrichter Pitt hielt indessen, dicht über die Glut gebeugt, den schweren Topf, daß sich ihm das Antlitz immer roter färbte und der Schweiß in großen Tropfen auf seine Stirn trat. Hinter seinem Rücken glitt eine in einen braunen Überrock gehüllte Gestalt, den schwarzen Filz tief in die Augen gedrückt, zur Tür hinaus, strich um die nächste, der, wo sich die Hunde befanden, entgegengesetzte Ecke und verschwand in der Finsternis hinter dem Gebäude. Draper folgte ihr hinaus vor die Tür. »So, Sir, jetzt nur dahin; ah, das ist recht, es ist Ihnen wohl sehr sauer geworden?« sagte mit mitleidigem Ton das schöne Mädchen, und es war ihr in diesem Augenblick, als ob sich eine Zentnerlast von ihrer Brust wälze. »O bewahre, bewahre«, erwiderte der galante Richter und benutzte augenblicklich die nun freigewordenen Hände, um sein Taschentuch hervorzuholen und sich die tropfende Stirn damit abzutrocknen, »nicht mehr als gern geschehen, das Feuer meint's übrigens gut - blitzmäßig heiß. - Wo bleiben denn aber nur die Jäger? - Aha, können auch nicht durch die Baumwildnis vor dem Haus, das geschieht ihnen recht, wa-
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rum reiten sie nicht herum, bis sie einen Eingang finden; habe mir auch meinen Weg suchen müssen.« Draper stand indessen vor der Tür seiner Wohnung und starrte in die dunkle Nacht hinein; von drüben her schallten die Stimmen seiner Nachbarn, die fluchend und lachend herüberschrien, daß er ihnen den geheimen Pfad zum warmen Herd zeigen möchte, und hinter dem Haus raschelte es in den Zweigen, und er vernahm leises Flüstern. Schnell schritt er diesem zu. Hennigs stand vor dem Neger, der seine Hand erfaßt hatte und sie trotz dem Sträuben des jungen Mannes inbrünstig an die Lippen drückte. Der arme Knabe konnte vor Schluchzen kaum reden und wollte sich immer wieder zu Füßen seines Retters niederwerfen. »Unsinn«, sagte dieser und schob ihn von sich, »mach jetzt schnell, daß du fortkommst, sonst wird's zu spät; meine Adresse hast du, das Pferd schickst du mir nach St. Louis zurück.« »Euer Pferd?« fragte Draper schnell. »Er kann nicht anders fort«, flüsterte jener. »Doch nun schnell, sonst wird's beim ewigen Gott zu spät! Kannst du reiten?« »Den wildesten Hengst, der je einen Reiter abwarf«, lautete die Antwort. »Desto besser, du hast's vielleicht nötig, aber - schone mir das kleine Tier, wenn's irgend geht. Es ist ein so gutes Pony wie nur eins in den Staaten und - mein einziges. Aber, alle Teufel, da kommen die Reiter herum. Pest und Gift, wir haben so lange gezögert, bis sie uns auf dem Kragen sitzen! Was nun tun? Willst du jetzt fort, so müssen sie dir begegnen; der einzige Ausweg hier ist kaum dreißig Schritt breit.« Der Neger stand wenige Sekunden lauschend still, doch das immer näher kommende Galoppieren der Hufe ließ keinen Zweifel mehr übrig; was geschehen sollte, mußte schnell geschehen, und mit kühnem Sprung schwang sich der Sohn Afrikas in den Sattel, winkte noch einmal mit der Hand und preßte die Flanken des kleinen, ungeduldig stampfenden Ponys. Im nächsten Augenblick überflog es einen vor ihm lie-
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genden umgestürzten Futtertrog und wollte eben in den schmalen Pfad einlenken, der von hier aus allein durch das Gewirr von Ästen und Zweigen führte, als von dorther ein lauter Jubelruf drang und gleich darauf ein in ein helles Jagdhemd gekleideter Reiter erschien. »Hurra! Hier ist der Weg!« schrie dieser. »Kommt an, Hilbert, im Haus ist licht, und da vorn seh ich auch Gestalten, auf jeden Fall finden wir eine trockene Stube und ein loderndes Feuer. Wer zuerst am Kamin ist, bekommt den besten Platz.« Benjamin erkannte mit Entsetzen die Stimme seines Herrn, das Blut erstarrte ihm in den Adern, doch hier galt es Entschlossenheit, das Leben stand auf dem Spiel. Mit Blitzesschnelle glitt er aus dem Sattel, warf sich den Zaum über den Arm und schritt zurück, dem Haus wieder zu. »Halt da!« schrie der voransprengende Wallis. »Hier, Bursche, hörst du nicht? Nimm mein Pferd auch mit, reib es tüchtig ab und gib ihm genug Mais, die Tiere sind alle todmüde; leg aber auch die Sättel ins Haus!« Und er schwang sich vom Rücken seines schnaubenden, schäumenden Rappen, überließ den Zügel dem Schwarzen, ohne diesen weiter eines Blicks zu würdigen, und eilte dann mit flüchtigen Sätzen der Tür zu, denn der bis jetzt drohend bedeckte Himmel fing an, in großen Tropfen die Boten eines nahenden Unwetters niederzusenden. »Gerade zu rechter Zeit, wie abgemessen!« rief er, als er das schützende Dach über sich sah. »Guten Abend, Ladies und Gentlemen, müssen tausendmal um Entschuldigung bitten, es kommt aber eine ganze Jagdgesellschaft, und die Not zwingt uns, Ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.« Draußen sprengten die Reiter vor das Haus und hingen die Zäume ihrer Tiere an einzelne Äste und schwankende Zweige der umhergestreuten Bäume, während sie vergebens nach dem Neger schrien, um die Pferde zu versorgen und zu füttern. »Gentlemen«, sagte Draper, der in diesem Augenblick in die Tür trat und seine Gäste bewillkommte, »Sie rufen nach einem Neger, ich muß aber sehr bedauern, daß ich keinen
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habe, deshalb soll jedoch Ihren Pferden nichts abgehen, ich werde sie selbst versorgen.« »Ich habe doch mein Tier eben einem Neger übergeben!« rief Wallis. »Das war ich!« lachte Hennigs, der jetzt ebenfalls ins Trockene trat. »Ich merkte wohl, daß Ihr mich für einen Nigger hieltet.« »Oh, bitte tausendmal um Vergebung, Sir«, sagte der Farmer und trat, ihm die Hand entgegenstreckend, auf ihn zu, »es fing gerade an zu regnen, und ich sah gar nicht ordentlich zu, dachte wahrhaftig, es wäre so ein schwarzer Halunke gewesen. Seid übrigens froh, Draper, daß Ihr keinen habt, nichts als Sorge und Not mit den Bestien. Ah, guten Abend, Richter, wie geht's? Wohin? Zur Betversammlung? Das ist recht; es ist ein Glück für das Land, wenn die, die mit der Polizei desselben beauftragt sind, auch ihren Gott darüber nicht vergessen. Ein frommer Richter ist stets ein gerechter Richter. Ich würde auch mitgehen, aber leider hält mich diesmal die Verfolgung eines nichtsnutzen Buben ab, den ich erst seiner gerechten Strafe übergeben muß.« Der Eintritt der übrigen unterbrach hier den Redner, und es war für den Augenblick ein allgemeines Begrüßen, Entschuldigen, Einanderausweichen und Stühlerücken, bis endlich, nach mancher Platzveränderung lebendiger wie lebloser Gegenstände, eine Anzahl von Personen in dem engen Raum nicht allein untergebracht, sondern auch verhältnismäßig bequem plaziert war, von der sich nur der einen richtigen Begriff machen kann, der einmal selbst in einem solchen Haus gelebt hat und Zeuge gewesen ist, wie in einem Raum von ›zwanzig bei zwanzig‹ - das heißt: zwanzig Fuß lang und zwanzig breit - zwei bis drei Familien mit einer unbestimmten Anzahl von Kindern imstande sind, zu wohnen, zu kochen und zu schlafen. Hennigs und Draper hingen sich nun, als sie das Innere des Hauses ein wenig geordnet hatten, ihre alten wollenen Jagddecken über und eilten schnell hinaus, um die Pferde der Jäger zuerst in einem gemeinsamen Trog zu füttern und sie dann,
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da von einem Stall oder Schuppen auch keine Spur in der Nähe war, für die Nacht ihrem Schicksal zu überlassen. Der Sturm zog indes herauf und rauschte und tobte in den alten, weitgespreizten Wipfeln der mächtigen Bäume; von Süd und Westen kam er zusammen und schleuderte seine gewitterschwangeren Hilfstruppen, die flüchtigen dunklen Wolkenmassen, mit starken Fäusten gegeneinander, daß sie sich, grollend und tobend, mit den zuckenden Glutlanzen die weiten, giftgeschwollenen Bäuche durchstießen und nun in tollen Schauern ihre Ströme auf die Erde hinabfluteten. Die Tiere des Waldes suchten ihre versteckten Lager, die Eule selbst barg sich in der sicheren Höhlung und verschob den Raub auf eine günstigere Zeit. Nur der Wolf, der immer gefräßige, zog mit seiner wilden Schar lauernd und geräuschlos unter den niederkrachenden Ästen hin, schnuppernd dabei die Nase erhoben, um den Schlupfwinkel irgendeines scheuen Wildes zu erspähen. Dann und wann aber, wenn ein lauterer Schlag als gewöhnlich den Wald durchdröhnte und das Echo aus den fernen Bergen klagend und grollend antwortete, dann stellte sich wohl der Führer des Rudels, hob den langen, spitzen Kopf zu den jagenden, über ihn dahinstiebenden Wolken empor und heulte seine klagende Weise hinein in den Aufruhr der Elemente, daß sich der unter das sichere Farmhaus gedrückte Hund unruhig hob, knurrend einen Augenblick den bekannten gehaßten Tönen lauschte und sich dann mit halbunterdrücktem Bellen wieder fester und wärmer zusammenrundete als vorher. Die Männer im Innern der Hütte ließen aber den Sturm Sturm sein; das war ein alter Bekannter von ihnen, und das Niederrasseln einzelner Äste, ja oft ganzer Stämme, das Heulen wilder Bestien und das Rasen der Windsbraut, sie hatten es schon zu oft gehört. Ein loderndes Feuer, ein warmes Abendessen und gute Gesellschaft ließ sie bald alles vergessen, was um und über ihnen vorging. Hennigs war besonders ausgelassen lustig, und wenn auch Wallis und Pitt am Anfang nicht so recht mit einstimmen wollten in seine Fröhlichkeit, so riß sie der unverwüstliche
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Humor des jungen Mannes doch zuletzt ebenfalls mit fort. Massen von alten Jagdgeschichten und Anekdoten wurden erzählt, Szenen aus dem Revolutionskrieg wieder aufgefrischt, da Pitt behauptete, die Schlacht von New Orleans mitgemacht und hinter den Baumwollballen damals mit vorgeschossen zu haben; und es mochte zehn Uhr sein - eine für den Backwoodsman ungemein späte Stunde - als die Männer erst das Lager suchten, um sich für die Strapazen des morgigen Tages zu stärken und zu kräftigen. Die Nacht ging es mit dem Lagerraum allerdings eng genug her, doch wußten die Jäger bald Rat; seine wollene Decke hatte ein jeder mit. Einige derselben wurden deshalb vor dem Feuer hingelegt, auf denen dann sämtliche Gäste in langer Reihe Platz nahmen, und über diese wieder breitete nun ihr Wirt alles, was er nur an breitbaren Gegenständen irgend vorrätig fand. Ein gutes Feuer wurde dabei ebenfalls die Nacht über im Kamin unterhalten, und die Männer lagen - wie es sich nur ein Jäger wünschen kann - warm und trocken. Der nächste Morgen fand übrigens die letztgekommenen am frühesten zum Aufbruch fertig; Wallis war schon draußen gewesen, um nach den Pferden zu sehen, als der anbrechende Tag kaum seine ersten bleichen Strahlen von Osten heraufsandte, und die übrigen fachten indessen das fast niedergebrannte Feuer wieder an, füllten den großen blechernen Kaffeetopf mit Wasser und bereiteten alles zu einem äußerst frühen Aufbruch vor. Nur Hennigs, sonst immer der erste, zögerte an diesem Morgen; an den Kaminsims gelehnt, stand er und starrte gedankenlos nach Mr. Pitt hinüber, der, noch der einzige Schlafende, in einer Ecke sein besonderes, mit einem Unterbett versehenes Lager gefunden hatte. Hilbert und Wallis, deren Tiere indessen schon wieder gesattelt vor der Tür standen, kamen jetzt herein, um das von der Frauen schnell bereitete Frühstück einzunehmen. »Nun, Hennigs«, sagte der erste, als er seine am Feuer aufgehängten Leggins lederne, gamaschenartige Überzieher der Jäger anzog und mit dem einen hart gewordenen eben wieder
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zur Tür zurückschritt, um ihn auszureiben, »Ihr seit ja heute morgen verdammt bequem; Euer armes Pony steht da draußen, kaut an den Ästen herum und scheint unmenschlichen Hunger zu haben.« »Mein Pony?«, sagte Hennigs halb verwundert, halb ungläubig und hob den Blick zu ihm auf »Nun ja, das dort drüben gehört doch Euch, wie? So eine kleine rauhaarige Bestie gibt's ja weiter gar nicht am ganzen Missouri!« Hennigs war mit einem Satz neben ihm und blickte hinaus; wer aber beschriebe seine freudige Überraschung, als er dort, mitten zwischen Drapers Pferden, die durch das Unwetter heimgetrieben waren, sein eigenes liebes kleines Pony erkannte, an das er den ganzen Morgen mit einem recht wehmütigen Gefühl gedacht und jetzt schon viele, viele Meilen von da entfernt, todmüde durch den anstrengenden Ritt eines Verzweifelten, vermutet hatte. War denn Benjamin zu Fuß fort? So töricht konnte er doch nicht gewesen sein. »Wie ist denn Pitt eigentlich hierhergekommen?« fragte Hilbert in diesem Augenblick und überzählte leise murmelnd die Pferde, die fast sämtlich in verschiedenen Gruppen vor dem Haus standen. »Auf seinem Fuchs«, sagte Hennigs schnell und blickte forschend nach dem eben genannten Tier umher. »Auf dem Goldfuchs?« »Ja, aber ich sehe ihn nicht. »Der ist auch nicht hier«, meinte Hilbert, »am Haus wenigstens nicht, denn ich bin seit länger als einer Stunde auf und fast die ganze Zeit draußen gewesen.« Mrs. Draper rief in diesem Augenblick zum Frühstück, und Mr. Pitt rutschte schnell unter den ihn bis jetzt noch immer verhüllenden Pferdedecken hervor, zog seinen Rock an und trat hinaus vor die Tür, um dort in einem großen blechernen Waschbecken Gesicht und Hände zu baden. Die Jäger aber ließen sich indessen nicht besonders nötigen, sie langten wacker zu, beendeten schnell ihr Mahl und griffen dann ohne weiteres Zögern nach ihren Büchsen, um die gestern aufgege-
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bene Hetze - eine nun allerdings hoffnungslose Arbeit - wieder zu beginnen. Beim Essen schon hatten sie den Plan verabredet, wie sie jetzt am besten des flüchtigen Negers habhaft würden, der ihnen, wie sie äußerten, nach solch furchtbarem Wetter und in dem Zustand, in welchem er sich befand, gar nicht mehr entgehen konnte. Wie Draper jetzt vernahm, so waren auch schon am Missouri selbst alle Farmer, die Boote im Fluß hatten, von der Flucht des Sklaven in Kenntnis gesetzt und bereit, ihn aufzufangen. Ihre Absicht, was mit dem Unglücklichen geschehen solle, wenn sie ihn ergriffen, äußerten sie ebenfalls unverhohlen: Er hatte sich an einem Weißen vergriffen, und der Tod war dafür sein Los. Der Friedensrichter stimmte ihnen auch darin vollkommen bei und versprach sogar, den nötigen Bericht darüber an den Gouverneur des Staates zu machen, um von dort her wenigstens einen Teil des Schadens für den Eigentümer vergütet zu bekommen. Fünf Minuten später waren die Männer beritten, riefen noch Dankund Abschiedswort von den Pferden herunter ihren freundlichen Wirten zu und sprengten dann, Wallis und Hilbert ausgenommen, in zwei Abteilungen rechts und links ab, dem Missouri zu. Die beiden Letztgenannten aber bildeten mit den besten Hunden der Gesellschaft das Zentrum dieser Kette, die also langsam und vorsichtig noch einmal den ganzen Wald durchsuchte, wo sie den Flüchtling vermuten mußten und auf diese Art hofften, ihn entweder aus seinem Lager auf- oder doch den am Fluß hin postierten Helfern in die Hände zu treiben. Draper sah ihnen lächelnd nach und murmelte, als sie hinter den Büschen der Niederung verschwanden, leise vor sich hin: »Geht nur, geht, ihr wackeren Männer, hetzt eure Hunde und Pferde ab, um einen Menschen zu jagen; den aber, den ihr sucht, bringt ihr mir nicht mehr zurück. Hat er Glück, so kann er jetzt schon bald in Illinois sein. Und Mr. Peter Rollins mag ihm dort durchhelfen.« Zu seinem keineswegs freudigen Erstaunen entdeckte übrigens Mr. Pitt nach eingenommenem Frühstück die Abwesen-
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heit seines Pferdes, die er sich gar nicht erklären konnte, da das Tier sonst noch nie in der Nacht den Trog verlassen hatte, an dem es gefüttert worden, und das Fortlaufen eines Pferdes in solchem Wetter doppelt unwahrscheinlich wurde, wo im Gegenteil alles zahme Vieh gern die Nähe menschlicher Wohnungen aufsucht. Hier half aber weiter kein Besinnen, und er mußte, wollte er die Betversammlung heute nicht versäumen, Mr. Drapers Vorschlag annehmen, der ihm eins seiner Pferde zum Gebrauch überließ und den Goldfuchs zu suchen versprach, sobald er selbst zurückkehren würde. Die beiden Männer ritten auch zusammen voraus, und nur Hennigs blieb bei den Damen zurück, um diese, die erst noch manches zu ordnen wünschten, später zu begleiten. Kaum schlossen sich nun die Büsche hinter dem Friedensrichter und seinem Gefährten, als sich der junge Farmer, der ihr Fortreiten durch eine Spalte der Hütte beobachtete, mit triumphierendem Blick gegen die Matrone wandte. Die arme Frau hatte aber nur mit fürchterlichster Kraftanstrengung bis dahin, und so lange die Fremden zugegen gewesen, ihre äußere Unbefangenheit und Ruhe behaupten können, jetzt, da der Zwang aufhörte, ließen auch ihre Kräfte nach, und das Antlitz in den Händen bergend sank sie zitternd auf einen Stuhl nieder und schluchzte laut. »Mutter!« riefen die beiden Mädchen und sprangen an ihre Seite. »Liebste, beste Mutter!« »Mrs. Draper«, bat Hennigs, »beruhigen Sie sich doch; schmerzt es Sie denn, daß Sie ein Menschenleben gerettet haben?« Die Matrone bedurfte einiger Zeit, ehe sie sich wieder sammeln konnte; endlich blickt sie mit den tränenden Augen zu dem jungen Mann auf und sagte leise: »Sie haben mich hart gestraft, Hennigs, ich werde gewiß in recht, recht langer Zeit nicht den gestrigen Abend vergessen; habe ich aber gefehlt, so mag mir Gott die Sünde vergeben, ich konnte nicht anders. Ach, unser Herz ist ja so schwach und weiß wohl oft selbst nicht, wo es irrt und wo es recht handelt.
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- Wie ist der arme Junge entkommen, und ist er überhaupt gerettet?« »Er hat Pitts Pferd mitgenommen«, lachte Hennigs, »dem ›Niggerfresser‹ kann das übrigens nichts schaden. Ben muß gestern abend doch natürlich alles mit angehört haben, was er über ihn und seine Rasse sagte, und da verdenk ich's ihm gar nicht, daß er sich ein bißchen an ihm gerächt hat.« »Oh, das tut mir sehr leid, das tut mir sehr leid!« seufzte die Matrone. »Hätten Sie das nur verhindern können; ich würde ihm ja so gern eins unserer besten Pferde überlassen haben.« Hennigs schwieg und sah vor sich nieder, jetzt nahm aber Lucy das Wort und rief: »Er hat's verhindern wollen, Mutter, er hatte ihm schon sein eigenes, einziges Pony gegeben, ich weiß es, aber die Ankunft der Fremden trieb den Flüchtling wieder zurück. Erst später, als alle hier im Haus waren, muß der Negerknabe zurückgekommen sein, um noch einmal mit Lebensgefahr das Pferd seines Retters gegen das seines Feindes umzutauschen.« Hennigs reichte ihr die Hand hinüber und flüsterte: »Ich danke Ihnen für das freundliche Wort, Lucy; jener Neger scheint aber in der Tat Rücksicht auf mein Eigentum genommen zu haben; er ließ sogar meinen Sattel zurück, den er durch darüber hingelegte Bretter vor dem nächtlichen Regen schützte, während er sich selbst mit der schlechtesten alten Satteldecke begnügte, die er in der Geschwindigkeit finden konnte.« »Wird er aber entkommen?« fragte Sally ängstlich. »Den sehen wir nicht wieder«, lachte der junge Farmer, »seine Verfolger glauben ihn nördlich, weil er auch zu Fuß und ohne Paß gar nicht anders hätte fliehen können, er ist aber jetzt in anderer als der in der Zeitung beschriebenen Kleidung, beritten und mit einem guten Paß, östlich, gerade dem Mississippi zu geflohen. In St. Louis wird er sich übersetzen lassen, und einmal in Illinois, droht ihm, unter diesen Verhältnissen, keine Gefahr weiter. Der Goldfuchs ist ohnehin ein Prachtpferd und muß ihn bald seinem Ziel entgegentragen.« »Und Kanada liefert ihn nicht wieder aus?«
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»Nein, wahrlich nicht; einmal dort, bringt ihn ganz Amerika nicht wieder in Banden. Aber wollen wir nicht aufbrechen?« »Ach Mr. Hennigs, werde ich dem Prediger frei ins Auge sehen können?« sagte Mrs. Draper seufzend. »Frei und klar!« rief der junge Mann. »Wie Sie Ihr Auge zu dem heute eben so rein auf uns niederlächelnden Himmel heben können. Wir haben zwar alle gegen die Gesetze des Staates, aber, wie ich fest überzeugt bin, nicht gegen die Gesetze Gottes gehandelt, und die einzige Bedenklichkeit, die ich jetzt bei der ganzen Geschichte habe, ist die, daß wir nicht entdeckt werden. Doch auch das hat keine Gefahr, und so wollen wir uns die schöne Zeit nicht selbst mit unnützer Sorge und Not verderben. - Ist denn Lucy jetzt mit mir zufrieden?« flüsterte er dann und bog sich leise zu dem schönen Mädchen nieder. »Sie sind ein guter Mensch!« sagte die Jungfrau und reichte ihm errötend die kleine Rechte. Acht Wochen mochten nach den oben beschriebenen Vorfällen entschwunden sein, der junge Hennigs hatte um Drapers ältestes Töchterlein angehalten und dieses auch, da in dem schönen Land der Freiheit die Herzen, die sich lieben, nicht erst eine hohe Polizei zu fragen brauchen, ob sie auch einander angehören dürfen, als sein braves Weib in die selbstgegründete Heimat geführt. Um aber nicht so weit entfernt von den Schwiegereltern zu wohnen, waren die beiden Männer übereingekommen, das einmal von Draper durch seine erste Niederlassung in Beschlag genommene Land gemeinschaftlich anzubauen, und die schweren Äxte der wackeren Hinterwäldler hatten sich denn auch schon recht tief und erfolgreich in den stillen Frieden des Waldes hineingearbeitet. Mit Hilfe des Feuers, das die niedergeworfenen Riesenstämme verzehren mußte, dehnte sich ein recht stattliches Feld zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Blockhütten aus, und von den Nachbarn angekauftes Vieh teilte der kleinen Farm jene eigentümliche, gemütliche Lebendigkeit mit,
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ohne die selbst die bedeutendste Niederlassung doch nur eine Einöde sein würde. Da hielt eines Sonntagmorgens, gerade als sich die kleine Familie um den reinlich gedeckten Tisch gesetzt hatte, auf dem saftiges Hirschfleisch, braungebackenes Maisbrot und die dampfende Kaffeekanne zum leckeren Mahl einluden, ein Reiter vor der Tür der Hütte - und beide Männer sprangen gleich schnell und erstaunt von ihren Sitzen auf, denn kein anderer war es, als Squire Pitt auf - seinem Goldfuchs. Er wurde augenblicklich hereingenötigt und sollte nun schnell erzählen, wo er das Pferd wiederbekommen habe, das seit jenem stürmischen Abend nirgends wieder gesehen worden war. Pitt aber, der schon mehrere Stunden geritten war und nicht unbedeutenden Hunger verspüren mochte, wollte sich auf keine Erläuterungen einlassen, ehe nicht das Tischtuch abgeräumt war; ein Stuhl wurde ihm also rasch herbeigerückt, und unser Friedensrichter ließ denn auch der Kochkunst der jungen Frau alle nur mögliche Gerechtigkeit widerfahren. Dann erst, als das Geschirr beseitigt und der Tisch zurückgeschoben worden, löste sich seine Zunge, und halb in Entrüstung über die Frechheit des Erlebten, halb aber auch froh darüber, sein vortreffliches Pferd, und noch dazu in so gutem Zustand, wiedererhalten zu haben, teilte er jetzt den ihm aufmerksam Zuhörenden mit, auf welch wunderliche Art er wieder zu seinem Eigentum gekommen sei. »Denken Sie nur, Ladies«, erzählte er, »gestern abend sitze ich ruhig in meinem Zimmer und bin entsetzlich müde, denn ich hatte mich den ganzen Tag im Sattel herumgetrieben, da knurrt auf einmal mein kleiner Feist, der bei mir im Haus schläft, und ehe ich nur aufstehen kann, tritt auch schon, wer anders als der Postmeister vom nächsten Städtchen drüben, zu mir herein. Erst glaubte ich, er käme aus der westlichen Ansiedlung und wollte nach Hause reiten. Aber Gott bewahre er sagt, er bringe mir etwas, faßt mich beim Arm, führt mich vor die Tür und zeigt mir - meinen eigenen Fuchs, der leibhaftig vor mir steht und mich anwiehert. Ladies, es ist zwar nur ein Vieh, aber ich fiel ihm vor lauter Freude um den Hals und
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wollte eben anfangen, zu fragen, wem in aller Welt ich das Wiedererlangen meines Eigentums verdanke, als er mir einen Brief übergab und mir sagte, ein Mulatte hätte das Pferd da nach St. Louis gebracht, dort sich nach unserem Postoffice erkundigt und dann einen Boten gemietet, der beides - Pferd und Brief - in unsere Ansiedlung brachte. Das war nun schon an und für sich merkwürdig, das Merkwürdigste aber ist der Brief.« »Von wem?« riefen alle zugleich. »Ja, das raten Sie einmal!« sagte der Kleine, indem er beide Arme vor sich auf die Stuhllehne stemmte und ein verzweifelt geheimnisvolles Gesicht machte. »Aber geben Sie sich nur keine Mühe, sie raten es im Leben nicht; denke sie nur, von Ben, dem von Wallis entflohenen Nigger!« »Konnte denn der schreiben?« fragte Draper ungläubig. »Nein, das konnte er allerdings nicht«, sagte der Friedensrichter, »er hat auch nur sein Zeichen, eine Art Kreuz, daruntergemacht, das ist aber einerlei, ein anderer Nigger hat's für ihn von Kanada aus geschrieben.« »Von Kanada aus?« »Ja, von Kanada; die Bestie ist glücklich, Gott nur weiß freilich, auf welche Art, nach Kanada entkommen; das ist aber ein neuer Beweis, wie wir den Engländern sobald als möglich ein Land abnehmen müssen, das uns erstlich nach der ganzen Natur der Sache angehört und durch das die Bürger der Vereinigten Staaten schon so unendlichen Schaden erlitten haben.« »Aber was steht in dem Brief?« fragte Sally neugierig. »Der ist ›kurz und süß‹, wie die Yankees sagen«, brummte der Friedensrichter, »noch dazu von einem verwünschten Nigger selbst geschrieben, der sich einen ›freien kanadischen Bürger‹ nennt und mich - Wenn ich die Kanaille nur hier hätte! - herzlich grüßen läßt.« »Nun, das ist doch freundschaftlich«, lachte Hennigs. »Freundschaftlich? Der schwarze Lump nennt mich sogar sein ›liebstes, bestes Pittchen‹ und bittet mich, ich möchte ihn,
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wenn ich einmal nach Toronto käme, doch auf jeden Fall besuchen.« »Aber Ben? Was schreibt Ihnen denn Ben, bester Mr. Pitt!« bat Sally. »Ei nun, daß er an dem Abend meinem Pferd im Wald begegnet und überzeugt gewesen sei, ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, es ihm auf wenige Wochen zu überlassen - der Schuft! - Er kenne mein gutes Herz, sagt er, und wünsche mir nur die Verwirklichung des Segens, den die Neger meiner Nachbarschaft schon seit Jahren auf mich herabgefleht hätten; als ob ich nicht wüßte, daß mich die schwarzen Halunken alle wie die Pest hassen.« »Und das Pferd?« »Hat er, Gott weiß, durch welche Gelegenheit, nach St. Louis gesandt; es wundert mich übrigens doch, daß ein Nigger ein gestohlenes Pferd zurückschickt.« »Und sollte es unter den Negern nicht auch brave, ehrliche Leute geben?« fragte Mrs. Draper vorwurfsvoll. »Hm, ja, Madam mögen da nicht ganz unrecht haben«, sagte der kleine Friedensrichter und machte sich fertig, nach Hause zurückzukehren, »das eine Beispiel spricht wenigstens dafür; doch, ich weiß nicht, es ärgert mich auch wieder, daß uns der schwarze Schuft so zum Narren gehalten hat. Nun, ich will jetzt einmal zu Wallis hinüber und den von der glücklichen Flucht seines Sklaven in Kenntnis setzen. Wird sich auch unmenschlich darüber freuen, ist ein reiner Verlust für ihn von achthundert Dollar.« Der kleine Friedensrichter bestieg seinen schönen Goldfuchs, den er von diesem Augenblick an Ben nannte, und ritt zum ›Squire Wallis‹ ins nächste County. - Den aber sollte er nicht mehr unter den Lebenden antreffen. Ein von ihm mißhandelter Mulatte hatte in Rache und Wut eine Spitzhacke ergriffen und diese seinem Master in die Schulter gehauen; eine Stunde später war er tot. Der Mulatte floh nun zwar nach der Tat dem Missouri zu und wollte diesen durchschwimmen, konnte aber der reißenden Strömung desselben nicht widerstehen und sank in demselben Augenblick unter, als seine
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Verfolger das Ufer erreicht hatten und eben noch sahen, wie sich die Flut über ihm schloß. Das alles schien übrigens einen höchst wohltätigen Einfluß auf den Richter Pitt ausgeübt zu haben, er behandelte von da an seine Neger viel besser und freundlicher, und diese nannten ihn nicht einmal mehr den ›Negerfresser‹.
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