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SCIENCE-FICTION-TASCHENBUCH Nr. 21 072 Amerikanischer Originaltitel: WINTER’S CHILDREN Übertragen ins Deutsche von Lore Strassl © Copyright 1974 by Michael Coney Deutsche Lizenzausgabe 1975 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach Printed in Western Germany Titelillustration: Eddie Jones Umschlaggestaltung: Eva Braunova-Kokstein Gesamtherstellung: Moritz Schauenburg KG, Lahr/Schwarzwald ISBN 3-404-00371-3 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
2 Michael G. Coney – Eiskinder
I »Es gefällt mir nicht«, murmelte Switch nervös, während er neben Cockade durch die roh aus dem Eis gehauenen Gänge stapfte. »Was können wir sonst tun?« Cockade hielt die Lampe, deren Schein sich wie in einem endlosen Spiegel brach. Ihre Stimme echote schrill. »Das weiß ich auch nicht. Also wird uns nichts anderes übrigbleiben, als sie zurückzulassen, wie du schon sagst.« Der Korridor wurde ein wenig weiter. Durch das Eis seltsam verzerrt leuchtete das Wort SUPERMARKT im Schein von Cockades Lampe auf. »Warum tun wir es dann nicht?« »Wir zwei allein?« »Ja.« Sie begann Dosen auf den Schlitten zu stapeln, während Switch ein weiteres Regal mit der Spitzhacke von Eis befreite. »Zu zweit hätten wir doch keine Chance.« Er hielt in seiner Arbeit inne. »Die Fleischjäger würden uns sofort einfangen.« »Nicht, wenn wir Jackos Schneeboot nehmen.« »Ich weiß doch nicht einmal, wie man damit umgeht.« »Aber ich«, erklärte sie selbstgefällig. »Manchmal hat er mich zum Jagen mitgenommen. Ehe du kamst. Ich kann damit segeln.« »Und was ist dann mit Jacko und den anderen?« Nun plagten Switch doch Gewissensbisse. »Wie sollen sie denn ohne das Boot an Fleisch kommen?« »Hier unten ist genügend.« »Schon. Aber kein frisches. Hin und wieder braucht man frisches Fleisch. Das sagt Jacko immer. Ob er wohl heute Glück hatte?«
3 Michael G. Coney – Eiskinder
»Willst du denn nicht fort?« Sie beugte sich zu ihm und kniff böse ihre Augen zusammen. »Du möchtest wohl bleiben? Ist es das?« »Es ist doch gar nicht so schlimm hier.« »Überleg nur mal…« Sie hielt ihm die Hand vors Gesicht und begann an ihren Fingern abzuzählen: »Die Fleischjäger wissen, daß wir hier sind. Der Alte will nicht weg. Jacko geht nicht ohne den Alten. Shrug und Paladin gehen nicht ohne Jacko. Bald werden die Fleischjäger hier sein, dann haben wir keine Chance mehr. Das siehst du doch ein, nicht wahr? Wir müssen weg!« »Ich kenne sie noch alle«, erzählte der Alte Shrug und Paladin im Glockenturm. »Kühe, Schafe, Schweine, Ziegen, Pferde – Nutztiere nannte man sie. Wollte man frisches Fleisch, schlachtete man eines. Die Pferde nicht.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Pferde aß man nicht.« »Warum hat man sie dann gehalten?« fragte Paladin. »Um darauf zu reiten. Sie trugen einen über Felder und Wiesen und Straßen, und ihre Hufe klapperten im Rhythmus mit dem Wind, der dem Reiter ins Gesicht pfiff, wenn er so dahingaloppierte.« Die Erinnerung hatte die Wangen des Greises gerötet, und seine Augen glänzten. »Sind denn die Hufe nicht eingesunken?« staunte Paladin. Er war sechsundzwanzig und ein Träumer. Die Geschichten des Alten verliehen seinen Träumen Form und Substanz. »Natürlich nicht. Damals gab es doch keinen Schnee. Das heißt, im Winter schon… Nein, der Boden war so hart, daß man darauf gehen konnte, wie auf den Dielenbrettern hier. Und die ganzen Gebäude unten, die standen alle einmal auf festem Grund unter freiem Himmel. Wenn man hindurchstapfte, spürte man die Erde unter den Füßen.«
4 Michael G. Coney – Eiskinder
Shrug, der mit einem Ohr zuhörte, schauderte. Er entsann sich seines letzten Ausflugs ins Oben. Jack nahm ihn damals im Schneeboot mit, um Pads zu jagen, und ein heftiger Windstoß hatte das Boot gekippt. Er war in den pulvrigen Schnee gefallen, und seine Füße hatten vergeblich nach einem Halt gesucht. Bis zu den Schultern war er bereits eingesunken, als Jacko ihn ausgestreckt auf einem breiten Brett liegend mit Müh und Not herausfischen konnte. Das war das letzte Mal, daß er sich ins Freie begab. Sein Unterbewußtsein hatte den Schock offenbar immer noch nicht ganz überwunden, denn jedesmal, wenn Switch vergaß, ihm eine Flasche aus dem Spirituosenladen mitzubringen, quälte ihn der gleiche Traum. Er war wieder in den Schnee gefallen. Doch diesmal gab es keinen Jacko weit und breit. Und während er schreiend immer tiefer sank, berührten seine Zehen etwas Festes, und er dachte: Jetzt bin ich gerettet. Es war das Dach der Schnapsbude, das sich nur etwa einundeinenhalben Meter unter der Schneedecke befand. Aber es war ein Giebeldach und obendrein eisglatt. Und obwohl seine Füße ihr Bestes taten, fanden sie doch keinen Halt. Endlos schien er sich an den Dachziegeln hochzuarbeiten, während er trotzdem immer tiefer rutschte. Immer tiefer, tiefer in den Schnee. Er schrie. Gewöhnlich wachte er dann auf, weil die anderen ihn rüttelten oder anbrüllten. Er war immer entsetzlich froh, die anderen zu sehen, auch wenn die noch so verärgert darüber waren, daß sein Schreien sie wieder einmal aus dem Schlaf gerissen hatte. Aber was war, wenn sie ihn einmal nicht aufweckten? Hastig nahm er einen weiteren Schluck und sah sich in dem gemütlichen Glockenturm mit seinen Holzverstrebungen um. An einer Wand war eine Leiter festgenagelt, die zur Spitze hinaufführte. Jacko benutzte sie. Neben seiner Matratze befand sich eine quadratische Öffnung. Von ihr führte eine Steintreppe hinunter zum Eistunnel.
5 Michael G. Coney – Eiskinder
Der Alte erzählte immer noch. Er erzählte fast ständig. »Und es gab Wagen und Eisenbahnen und Flugzeuge, die viel schneller waren als das Schneeboot. Sie waren auch nicht auf den Wind angewiesen. Sie hatten ihren eigenen Antrieb eingebaut. Ich bin zu vielen großen Autorennen gefahren. Das hättet ihr sehen sollen! Die Wagen sausten nur so dahin. Die Fahrer waren Prinzen, der Sieger ein gekrönter König!« Paladin seufzte. Seine Augen glänzten. »Rennfahrer zu sein, das hätte mir gefallen!« Seine Hände umklammerten ein Phantasiesteuerrad, so wie der Alte es beschrieben hatte. »Ich hätte gesiegt! Sie hätten mich zum König gekrönt! Nie hätte es einen Fahrer wie mich gegeben!« Shrug lachte rauh. Dann lauschte er, den Kopf schiefgelegt. »Psst – ich glaube, sie kommen.« Das vertraute Poltern des Schlittens war zu hören, den Cockade und Switch die Treppe heraufzerrten. Hin und wieder rutschte eine Dose über den niedrigen Schlittenaufbau und ratterte die Treppe hinunter. Dann war das Schleifen über den Boden unter ihnen zu vernehmen und danach das Klappern des Aufstapelns. Schließlich erschien Cockades Kopf auf der Treppe. »Es könnte euch Faulenzern nicht schaden, wenn ihr uns einmal helfen würdet!« keifte sie. Sie stieg den Rest der Treppe hoch und ließ sich auf den schmutzigen Boden fallen. Switch folgte dicht hinter ihr und legte sich neben sie. »Was hast du mir mitgebracht?« erkundigte Shrug sich aufgeregt. Wortlos reichte Switch ihm eine Flasche. Im Schein der Lampe, die Cockade auf den Boden gestellt hatte, las er das Etikett. »Pepsinwein!« brummte er abfällig. »Weshalb dieses Zeugs?« Er hob den Verschluß ab und trank. »Der Weg zum Spirituosenladen ist verschüttet«, erklärte Switch. »Wir konnten uns nur aus dem Supermarkt bedienen.«
6 Michael G. Coney – Eiskinder
»Verschüttet!« rief Shrug entsetzt. »Wir müssen ihn sofort freilegen!« »Meldest du dich dazu?« fragte Cockade sarkastisch. Jackos Heimkehr verhinderte eine unerfreuliche Auseinandersetzung. Er kam durch das Loch an der Kirchturmspitze, mit dem Rücken zu ihnen, die Leiter herabgestiegen. »Ich würde es ihnen zeigen!« rief Paladin. »Ich würde sie niedermähen! So! Und so! Und so! Einen nach dem anderen!« Er stach mit einem gebrochenen Stock um sich, holte aus und trieb seinen imaginären Gegner an die Wand. »Nimm das, du Schurke!« brüllte er. »Wo?« erkundigte Shrug sich nervös. »Südwestlich«, erklärte Jacko und deutete mit dem Finger. Er wirkte wie ein Riese neben Paladin. »Ungefähr ein Dutzend, etwa fünf Kilometer von hier. Ich hatte einen Pad verfolgt und sah Rauch aus einem Dach neben einer Turmspitze qualmen. Und dann kamen sie heraus. Sie trugen etwas – Menschen vielleicht. Sie warfen sie auf ihre Schlitten und verschwanden in nördlicher Richtung.« »Sie wissen, daß wir hier sind«, murmelte Switch. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit.« »Das glaube ich nicht«, widersprach Shrug. »Sonst hätten sie uns schon längst überfallen.« »Du bist zu bequem, auch nur daran zu denken, daß wir von hier wegmüssen!« schnaubte Cockade. Sie schnitt ein Stück Schinken von dem Pad ab, der auf dem improvisierten Grill brutzelte. Sie saßen nun alle um das Feuer in der umgedrehten Glocke. »Wenn du die Fleischjäger kommen sähst, würdest du nichts anderes tun, als einen weiteren Schluck aus der Flasche nehmen. Du bist ja ständig so voll, daß du ihre Messer nicht einmal spürtest.« Shrug rülpste verächtlich und starrte wortlos ins Feuer.
7 Michael G. Coney – Eiskinder
»Ich entsinne mich der grünen Wiesen«, murmelte der alte Mann. »Es war nicht immer wie jetzt. Nein, nein. Damals konnte man über die Straßen und durch die Wälder spazieren, überallhin, ohne Angst haben zu müssen. Es gab keine Fleischjäger…« »Jacko!« sagte Cockade scharf. »Befiehl dem alten Narren, das Maul zu halten.« Sie blickte von einem zum anderen. »Was können wir dagegen tun?« »Uns verteidigen!« Paladin lachte begeistert. »Sie niedermähen, wie sie durch das Loch kommen!« »Dazu werden wir keine Gelegenheit haben«, brummte Switch abfällig. »Sie werden uns ausräuchern. Sie werden Petroleum heruntergießen und den Turm anzünden. Dann metzeln sie uns nieder, wenn wir hustend hinausklettern.« »Was meinst du, Jacko?« Cockade schmiegte sich an ihn, wie sie es früher getan hatte, ehe seine Gleichgültigkeit sie verärgerte. Sie hatte sie nie verstanden, sich selbst nie die Schuld dafür gegeben. Dann hatte Jacko ihr Switch gebracht. »Können wir denn nicht woanders hingehen? Ein neues Heim suchen?« »Ich verlasse den alten Mann nicht«, erwiderte Jacko in einem Ton, der verriet, daß er dieser ständigen Wiederholung müde war. »Zum Teufel! Vergiß doch den alten Narren. Seine Zeit ist ohnehin bald abgelaufen. Wir Jungen sind wichtig. Du und ich und Switch und Paladin. Und Shrug. Doch nicht der alte Parasit!« »Ihr könnt ja ohne uns gehen.« »Wie denn? Wir haben nicht einmal ein Schneeboot.« »Dann baut eines.« »Eines bauen? Das würde Wochen dauern! Dazu haben wir die Zeit nicht. Hör zu…« Sie senkte die Stimme zu einem beschwörenden Flehen. »Wenn du so an dem Alten hängst, warum nimmst du ihn dann nicht mit?«
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»Du weißt genau, daß er zu alt für eine so anstrengende Fahrt ist.« »Die Farben fehlen mir am meisten.« Die Stimme des Greises füllte die plötzliche Stille. Er hatte die ganze Zeit leise vor sich hin geredet. »Die grünen Wiesen und roten Dächer, der blaue Himmel und die weißen Häuser. Hier ist alles braun – die Wände, der Boden, das Dach – brauner Schmutz. Hier hat alles die Farbe des Zerfalls…« »Erzähl mir von den Wiesen, alter Mann.« Jacko kauerte sich neben die ausgemergelte Gestalt. »Erzähl mir von den Bäumen und Hügeln.« Seine Augen blickten in die Ferne, stellten sich all die Dinge vor, die er nur aus den Erzählungen des Alten kannte. »Die Hügel waren purpur vom Heidekraut, und die Bäume smaragdgrün im Frühling und golden im Herbst, und selbst im Winter fehlte es nicht an Farbe – mit den Beeren und den Vögeln…« »Erzähl uns von den Vögeln«, bat Paladin und setzte sich auf den Boden. Cockade zuckte die Schultern und ließ sich ebenfalls nieder. Das Wortgefecht war vorbei. Wie üblich hatte es zu keinem Ergebnis geführt.
II Bleiches Mondlicht drang durch das Loch in der Turmspitze und weckte Cockade. Unwillig öffnete sie die Augen, rollte sich auf die Seite und fand sich Switchs schlafgeschwollenem Gesicht gegenüber. Seine Haut war gerötet, und er schnarchte. Sie schüttelte ihn mißmutig. »Wach auf. Ich will mit dir reden!« »Später«, brummte er und drehte sich auf die andere Seite. Sie zuckte die Schultern. Es konnte warten – eine Weile jedenfalls noch…
9 Michael G. Coney – Eiskinder
Paladin träumte. Er schwitzte mit seinen Traumkameraden, während sie das Geschütz luden. Dann pfiff das Geschoß durch den Regen, schlug ein und jagte die feindliche Stellung in die Luft. Ein Todesbote, den er, Paladin, gesandt hatte! Begeistert grinste er im Schlaf. Der Alte träumte von Regenbogen. Jacko erwachte. Er streckte und kratzte sich, warf einen Blick auf seine schlafenden Freunde und erhob sich leise. Dann schlüpfte er in einen warmen Mantel und kletterte lautlos die Leiter hoch. Wie immer blieb er an der Öffnung stehen und spähte zum Horizont. Als kein Zeichen von Fremden zu sehen war, stieg er die äußere Leiter hinab und in das Schneeboot, das unterhalb angebunden war. Wie immer wehte der Wind, nicht stärker und nicht schwächer als seit Jahren, eine gleichmäßig treibende Wand, gegen die man sich lehnen konnte. Die Oberfläche des Schnees hier warf kräuselnde Wellen, deren Kronen der Wind in steter Bewegung hielt. Jacko löste das Haltetau, hißte das Segel und stieß mit dem Fuß gegen die graue Steinmauer des versunkenen Kirchturms ab. Das Boot bewegte sich anfangs nur langsam. Dann, als es aus dem Schutz des Turms kam, krängte es ein wenig und begann schließlich mit geblähtem Segel über den Schnee zu brausen. Jacko ließ sich am Heck nieder und setzte Südwestkurs. Nur die Kirchturmspitze, die unauffällig hinter ihm aus dem glitzernden Silberfeld ragte, deutete auf das versunkene Städtchen hin. Der kalte Schweiß strömte Shrug über die Stirn, als er den Dämonen der Nacht zu entkommen suchte. Er hatte die riesigen weißen Gestalten deutlich gesehen. Es konnte ganz gewiß nicht nur ein Traum gewesen sein! Sie waren durch die verschwunde-
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nen Körper Switchs, Cockades, Paladins, Jackos und des Alten gestiegen, um ihn zu packen, nur ihn, Shrug. Er schrie einmal gellend auf, da hatte Jacko sich über ihn gebeugt. Aber trotzdem kamen die Pads unaufhaltsam näher. Auf allen vieren umkreisten sie ihn. Doch Jacko hatte sie einfach ignoriert und sich wieder schlafen gelegt. Sobald er sich ein wenig besser gefühlt hatte, war Shrug aufgestanden und mit der Lampe in der Hand die Treppe hinunter zu den Eistunnels gestiegen. Gebückt war er die Gänge entlanggelaufen, vorbei an der Maßschneiderei, Woolworth und dem Supermarkt, und dann nach rechts eingebogen zum Spirituosenladen. Wochen, ja vielleicht gar Monate war er schon nicht mehr in den Tunnels gewesen. Ganz sicher jedenfalls nicht mehr seit Switchs Ankunft. Seither hatte er sich darauf verlassen, daß die anderen sich um die Versorgung kümmerten. Dann war er zu dem von Switch erwähnten Einsturz gekommen. Er hatte nicht lange überlegt, sondern sich eine Schaufel und eine Kiste mit Sprengstoff und Zündschnur aus dem Eisenwarengeschäft geholt. Zwei kleinere, aber sehr wirkungsvolle Explosionen hatten das Hindernis beseitigt, ohne daß die Decke eingestürzt war. Und nun schaufelte er die Eisbrocken zur Seite. Sein Rücken schmerzte bereits, sein Kopf pochte wie verrückt, und es schien ihm, als gefriere der Schweiß zu Eistropfen, so beißend war die Kälte im Gang. Aber zumindest hatte er, wenigstens einstweilen, die Dämonen besiegt. Während er schuftete, dachte er an Jacko und fragte sich wie schon oft, weshalb der Riese bei ihnen blieb. Wollte er einen eigenen Stamm gründen? Wenn ja, hatte er kein gerade vielversprechendes Menschenmaterial für den Anfang: ein Alkoholiker, ein Verrückter und ein Phantast. Blieben noch Switch und Cockade. Beide waren nun schon eine ganze Weile beisammen, aber es sah nicht so aus, als gäbe es da Nachwuchs.
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Nein. Jacko wäre anderswo besser aufgehoben. Er könnte ein Führer in einer größeren Gemeinschaft sein, wenn er es wollte. Er brauchte nicht hierzubleiben. Aber vielleicht war Jacko ein Philanthrop? Shrug jedenfalls hielt Jacko für den anständigsten und nettesten Menschen, den er je gekannt hatte. Er versuchte sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, aber immer mehr schweiften seine Gedanken ab. Er sah bereits die gefüllten Regale des Spirituosenladens vor sich, der sein Ziel war. Flasche an Flasche. Weinbrand, Whisky, Gin (aber hatte Switch nicht gesagt, davon wäre nichts mehr vorhanden?), Wodka, Creme de Cacao, Cherry Brandy, Port, Sherry. Ah, einen tiefen Schluck nehmen! Die Padmutter und ihre beiden Jungen hatten noch nicht Wind bekommen von Jacko. Er näherte sich ihnen aus der entgegengesetzten Richtung. Erst als er in Schußweite war, hielt er das Boot an und stützte das Gewehr auf den Bug. Er zielte sorgfältig. Plötzlich erdröhnte der Knall eines fernen Schusses. Die Padmutter hob sich auf die Hinterpfoten und spähte mit ihren kurzsichtigen Augen um sich. Jacko wartete. Er war nicht der einzige auf Jagd nach dem Tier. In einem solchen Fall war es klüger, erst einmal zu sehen, wie stark die Konkurrenz war. Bald darauf tauchte weit jenseits des Pads eine Gruppe Schier auf. Sie kamen schnell näher, und er sah die großen flügelähnlichen Segel an den Schultern der Männer. Es handelte sich also um Fleischjäger, ein gutes Dutzend mindestens. Ein bellender Befehl warnte Jacko, daß man ihn entdeckt hatte. Schüsse ballerten, und die Padmutter hauchte mit ihren Jungen das Leben aus. Zwei der Fleischjäger blieben bei ihnen zurück, die restlichen stürmten auf das Schneeboot zu. Jacko hatte inzwischen eilig gewendet. Das Segel blähte sich und das Boot begann Fahrt aufzunehmen. Aber er wußte, daß sie
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ihn einholen würden, wenn er sie nicht irgendwie überlisten konnte. Allmählich änderte er den Kurs, um einen weiten Bogen zu beschreiben, bis der Wind von der Seite kam. Erneute Schüsse deuteten an, daß die Fleischjäger seine Absicht durchschaut hatten. Einige lösten sich von der Gruppe, um ihm den Weg abzuschneiden. Ihre Schier schnitten durch den sprühenden Schnee, als sie sich bemühten, mit dem Wind zu segeln. Sie hatten zweifellos Erfahrung darin. Jacko beobachtete sie besorgt. Während die Hauptgruppe zurückfiel, kam die kleinere immer näher und feuerte Schuß um Schuß auf ihn ab. Jacko entschloß sich zu einem verzweifelten Manöver. Egal über welches Können ein Segelschier verfügte, mit dem Wind hatte doch das Schneeboot den Vorteil. Er steuerte nun genau auf einem Kurs, der sich mit jenem seiner Verfolger etwa siebzig Meter voraus schneiden würde. Das Schneeboot krängte jetzt so stark, daß es fast auf dem Strombord dahinglitt. Als er sich dem Schnittpunkt näherte, warf er sich auf den Boden, wo er durch die schrägliegende Bootswand von seinen Gegnern sichtgeschützt war. Er hörte den Einschlag von Schüssen durch das dünne Holz und wartete auf den lähmenden Schock einer Kugel in seinem Rücken, als einer der Segelschier dicht am Heck vorbeiglitt. Der Fleischjäger starrte auf ihn herab und versuchte einen Revolver auf ihn anzulegen, aber der Druck der Schultersegel behinderte ihn. Ein paar Schüsse hagelten ohne Schaden anzurichten in das Holz, und schon wenige Sekunden später war diese Gefahr überstanden, als der Schier außer Schußweite geriet. Sein Manöver war erfolgreich gewesen. Bald darauf schlug Jacko den Kurs zurück nach Hause ein. Es war zu riskant, sich heute auf den Schneefeldern aufzuhalten.
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Der Schein der Lampe wanderte von Regal zu Regal. Shrug konnte es einfach nicht fassen. Sie alle waren leer. Es war wie in einer Gruft hier. Er zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Und sein Magen, der schon seit Stunden auf den wärmenden und stärkenden Alkohol hatte verzichten müssen, rebellierte. Shrug schluckte schwer. Es war einfach unvorstellbar, daß er den Laden in den paar Jahren leergetrunken hatte. So lange hatte er ihn mit seinen beruhigenden Getränken verwöhnt, daß er ihn im Unterbewußtsein für unerschöpflich hielt. In letzter Zeit hatte er sich auch nicht mehr selbst bedient, sondern sich von Switch und Cockade versorgen lassen. Da konnte ihm natürlich die Verminderung des Bestandes auch nicht auffallen. Sie hatten ihm die Flaschen gebracht, und wenn sie leer waren, neue. Warum hätte er also damit rechnen sollen, daß das nicht ewig so weitergehen konnte? Müde und unglücklich legte er sich auf den Boden. Sein Gesicht war grau, nur das Glitzern der Eissplitter in seinem Bart, auf den der Lampenschein fiel, verlieh ihm ein wenig Leben. »Als ich ein junger Mann war, hieß dieses Städtchen Manaton, glaube ich. Es könnte aber auch Bickleigh gewesen sein…« »Wo ist Shrug?« fragte Switch plötzlich. »Heutzutage ist es schwer zu sagen, wenn nur noch die Kirchturmspitzen sichtbar sind, aber es sieht mir doch sehr wie Manaton…« »Er war nicht hier, als ich aufwachte«, brummte Cockade. »Hast du hier in dieser Gegend gelebt?« fragte Paladin. »Früher, zuvor, meine ich?« »Ich glaube schon. Aber es ist wirklich schwierig…« »Ach du hast ja nicht die leistete Ahnung, wo du überhaupt bist!« sagte Cockade ätzend. »Du lebst nur in deiner eigenen
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Welt. Solange ich mich entsinnen kann, hast du den Kirchturm nicht ein einziges Mal verlassen.« »Das ist wahr… Aber leben wir denn jetzt nicht alle in unserer eigenen Welt?« Erstaunlicherweise ging der Alte einmal auf eine Diskussion ein. »Ich meine nicht nur geistig, sondern auch physisch? Wann bist du denn zuletzt im Oben gewesen?« Cockade änderte ein wenig unbehaglich ihre Stellung. »Jedenfalls ist es bei mir nicht so lange her wie bei dir. Und ich gehe jeden Tag in die Tunnels hinunter.« »Schön. Aber wie sieht es in dir aus? Ich hörte, etwas über Shrug sagtest. Dachtest du in deinem ist nicht hier? Oder dachtest du: Shrug ist unten den, oder irgendwo in den Tunnels? Und konntest vorstellen?«
wie du gerade Innern: Shrug im Schnapsladu ihn dir hier
»Ich dachte ganz einfach, er ist nicht hier bei uns, das ist alles. Na und?« Der Alte schmunzelte. »Also gehört Shrug schon bereits nicht mehr zu deiner eigenen kleinen Welt, weder physisch noch psychisch. Und damit war die Sache für dich abgetan…« Paladin blickte beunruhigt auf. »Er dürfte sich gar nicht unten in den Tunnels herumtreiben. Er ist nicht gesund. Vergangene Nacht schrie er wieder.« »Bravo, Paladin. Vielleicht wird noch ein Mensch aus dir.« Der Alte schien erfreut. »Okay, okay«, brummte Cockade verärgert. »Und woran denkst du, Alter?« »Die meiste Zeit an Jacko. Ich mache mir Gedanken um ihn, wenn er oben ist. Er ist sehr gut zu mir.« Seine Stimme begann ein wenig weinerlich zu klingen. Sein wacher Augenblick schien vorbei. Er würde jeden Augenblick wieder in seinen Monolog fallen.
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Glücklicherweise wurde das durch Jackos Rückkehr unterbunden, der gerade durch das Loch kletterte. Er sprang die letzten paar Sprossen herunter. »Mein Gott…« Er warf den Mantel auf seine Matratze und rieb sich die starren Hände über dem Feuer. »Das war vielleicht ein Morgen…« Er blickte sich suchend um. »Wo ist Shrug?« Nach einem verlegenen Schweigen antwortete Switch: »Wir nehmen an, in den Tunnels.«
schließlich
»Wa-as? Habt ihr denn nicht nach ihm geschaut?« »Noch nicht… Wir wollten…« »Ihr wußtet, daß er nicht hier ist, und habt nicht nach ihm gesucht?« fragte Jacko drohend. »Bei allen guten Geistern…« Er streifte sich nochmals den Mantel über und rannte die Treppe hinunter. Es dauerte eine Weile, bis Shrug wieder ganz zu sich kam. Er war sich dumpf bewußt, daß er im Glockenturm zurück war; der Holzboden war warm in seinem Rücken. Er konnte die Stimmen der anderen hören, die sich über ihn unterhielten. Seine Gedanken kamen unsagbar langsam, aber sie waren merkwürdig klar, wie durch äußere Einflüsse und eine seltsame Ablenkung geläutert. Die Gruppe im Turm hatte einen bestimmten Zweck. Das konnte er nun sehen. Aber der Grund hinter diesem Zweck war schwierig zu erklären. Der Zweck der von Jacko angeführten Gruppe war, das Leben des alten Mannes zu erhalten, der sonst schon gestorben wäre. Jegliche Handlung war auf diesen Zweck hin abgestimmt. Und der Grund für die Verlängerung dieses nutzlosen Lebens? Das war bedeutend schwieriger zu beantworten. Vielleicht war der Grund, daß es ohne Grund keinen Zweck gäbe. Es mußte also einen Grund geben, damit die Gruppe zusammenhielt, denn sonst verstreute sie sich, und die einzelnen würden nicht überleben.
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Aber es war nicht nur das. Jacko selbst war ein weiterer Grund. Jacko bestand darauf, daß sie sich um den Alten kümmerten, wenn sie Wert darauf legten, daß er für sie sorgte. Und ohne Jacko als Führer würden sie alle zugrunde gehen. Also gehorchten sie ihm und nahmen sich des Alten an, aus Angst, daß Jacko sie sonst verlassen würde. Zu schade, daß ihre ganzen Anstrengungen darauf hingerichtet waren, dem Verfall zu dienen. Wenn Cockade wenigstens ein Kind bekäme, das gäbe ihnen einen echten Ansporn. Was würde geschehen, wenn der Alte starb? Wieso war der Schnapsladen leer? Weshalb hatte Jacko wieder einmal sein Leben gerettet, wenn sein, Shrugs, Überleben für das Wohlbefinden des Alten unwichtig war? Mit einem Kopf, der vor unbeantworteten Fragen brummte, kehrte Shrug zum vollen Bewußtsein zurück.
III »Switch! Schnell, komm herauf!« Jacko stand so auf der Leiter, daß sein Kopf sich in gleicher Höhe mit dem Loch in der Turmspitze befand. Gehorsam kletterte Switch hoch und blickte hastig über die Schneefelder. Gut hundertzwanzig Meter entfernt hatte sich eine Gruppe von Männern gesammelt, die sich offenbar berieten. Da es sich zweifellos um Fleischjäger handelte, war es logisch anzunehmen, daß ihre Beratung etwas mit dem Kirchturm zu tun hatte, da seine Spitze das einzige weit und breit war, das aus dem Schnee ragte. All das erkannte Switch im Bruchteil einer Sekunde, ehe er wie von Furien gehetzt die Leiter wieder hinunterstürmte und dabei fast über Cockade fiel. »Was ist denn los?« fragte sie.
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»Fleischjäger!« Er zitterte am ganzen Körper. Er hatte schon seit endloser Zeit keinen Blick mehr hinausgeworfen. Die Männer dort draußen waren nicht seine einzigen Feinde… Jacko rief zu ihnen herab. »Ich glaube, es sind die gleichen, die heute morgen hinter mir her waren. Sie müssen der Richtung, die ich einschlug, gefolgt sein.« Paladin kletterte hoch. »Großer Gott!« Er zählte. »Das sind ja mehr als ein Dutzend! Haben wir eine Chance gegen sie?« »Das wird sich herausstellen.« Ein Schier löste sich von der Gruppe und kämpfte sich gegen den Wind heran. Paladin konnte die geröteten Augen sehen, die sie aus einem Pelzschutz fixierten. »Was willst du?« fragte Jacko unruhig. Der Mann war die Außenleiter bereits halb hoch. Die Schier hatte er am Grund abgeschnallt. Seine Augen verengten sich, und Paladin nahm an, daß sein Mund unter dem Pelz höhnisch verzogen war. »Wir wollen Lebensmittel«, kam die gedämpfte Stimme. »Und Trinkbares, und Weiber. Wir wollen Unterkunft, Gewehre, Munition. Wir wollen alles, was ihr habt.« »Versucht es euch zu nehmen«, knurrte Jacko. »Ja, versuch es!« brüllte Paladin plötzlich. »Mit euresgleichen werden wir schnell fertig, nicht wahr, Jacko. Wir haben Schußwaffen genug, euch alle in die Hölle zu jagen. Ihr habt keine Chance gegen uns. He, Cockade!« rief er hinunter. »Gib mir eine Büchse. Da ist einer, der sich mit uns anlegen will. Sollen sie es nur versuchen!« »Das werden wir auch!« erwiderte der Fleischjäger. Seine Augen schienen die Paladins zu durchbohren. Paladin hielt dem Blick eine Weile stand, dann senkte er die Augen.
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»Sie haben ihre Schlitten umgekippt«, berichtete Jacko von seinem Posten aus und gab einen Schuß ab. Der Glockenturm hallte darunter wider. »Es sieht so aus, als wollten sie bis zum Einbruch der Dunkelheit warten. Solange kann ich sie uns vom Leib halten.« Er schoß erneut, aber die Kugel richtete nichts gegen das schwarze Holz der improvisierten Schilde aus. Ein Antwortschuß zischte durch die Öffnung, als Jacko sich duckte. Er schlug in eine der Turmstreben ein. Staub und Taubenkot regneten herab. »Was hast du vor?« fragte Paladin nervös. »Wir haben keine Chance gegen sie. Wenn wir das Loch verteidigen, werden sie auf der anderen Seite ein neues einschlagen und uns ausräuchern.« Er setzte sich auf die Treppe zu in Bewegung. »Kommt, wir gehen in die Tunnels hinunter. Dort sind wir sicherer.« »Sei kein Narr!« Jacko blickte kopfschüttelnd zu ihm herunter. »Wenn sie den Glockenturm einnehmen, haben sie uns. Es gibt keinen anderen Weg ins Freie.« »Was ist denn los?« greinte der Alte, der vor sich hin gedöst hatte. »Fleischjäger sind oben«, erklärte ihm Shrug mit gewisser Genugtuung. »Du bist für uns verantwortlich!« schrie Cockade und starrte aggressiv zu Jacko hinauf. »Kannst du nicht wenigstens etwas vorschlagen?« Jacko schwieg. »Großer Gott! Er ist am Ende seiner Weisheit!« höhnte Cockade. »Als Führer ist er nicht besser als im Bett. Ich bleibe jedenfalls nicht hier, um im Feuer zu braten!« Ein wenig unsicher schaute sie sich um. An Switch blieb ihr Blick hängen. »Hast du einen rettenden Einfall, mein Süßer?« Keine Antwort. »Ich hätte es wissen müssen!« Cockades Stimme überschlug sich nun fast. »Wenn es zum Ernstfall kommt, könnt ihr
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Mannsbilder nur an euch selbst denken. Jeder Mann für sich, soll der Teufel die Weiber holen! Erst Jacko und jetzt du. Mein Gott, was seid ihr nur…« »Niemand läßt dich im Stich«, beruhigte Switch sie. »Aber nur, weil ihr nicht wißt, wo ihr euch hin verkriechen könntet!« kreischte sie. »Gäbe es einen zweiten Ausgang, wie der Blitz wärt ihr verschwunden… Warum, zum Teufel, hat er eigentlich nicht daran gedacht, für einen Notausgang zu sorgen?« Ihr Daumen zuckte nach oben. »Einen feinen Führer haben wir! Ich wette, wenn es dunkel genug ist, wird er sich hinausschleichen und uns an sie verkaufen… Aber warte nur!« brüllte sie plötzlich. »Ich passe schon auf…« Shrug schlug ihr links und rechts ins Gesicht. »Halt dein Schandmaul«, sagte er bedrohlich leise. Cockade fuhr zurück. Sie drückte die Hände gegen die brennenden Wangen und starrte ihn mit wutfunkelnden Augen an. Switch machte einen Schritt auf Shrug zu, die Faust zum Schlag erhoben, doch dann ließ er sie abrupt fallen. Ein wenig schwankend stapfte Shrug auf die Leiter zu und kletterte sie empor. Dicht neben Jacko spähte er eine Weile durch das Loch. Dann legte er die Hand fest auf die Schulter des Riesen. »Ich schätze, die Männer sind etwa hundertzwanzig Meter südwestlich von hier. Meinst du nicht auch?« Dann stieg er wieder herab. Die anderen blickten ihm schweigend nach, als er über die Treppe zu den Eistunnels verschwand. »Wie lange noch, bis es dunkel ist?« fragte Paladin, der nun neben Jacko durch das Loch spähte. Jacko warf einen Blick auf den Himmel. »Noch etwa eine Stunde, ehe sie sich heranschleichen werden.« »Was können wir nur tun?« Paladin wollte nicht wie Cockade klingen, aber er hatte diese Frage einfach stellen müssen.
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»Warten«, erwiderte Jacko lakonisch und weiteren Schuß hinaus in die Dämmerung.
schickte
einen
»Ich ertrage das Warten nicht. Konnte es nie. Ich möchte kämpfen. Komm, gib mir das Gewehr.« Er packte es und sandte eine Kugel nach der anderen in den Wind. Dann gab er es beschämt zurück. »Wir müssen sie draußen festnageln, solange wir es vermögen«, sagte Jacko verständnisvoll. »Mehr können wir im Augenblick nicht tun.« »Was, zum Teufel, brütet ihr dort oben aus?« keifte Cockade. Paladin ignorierte sie. Jackos Ungerührtheit gab ihm Mut. »Und wenn es dunkel ist?« »Dann werden sie vermutlich den Turm umstellen und ringsum Löcher einschlagen.« Jacko sprach mehr zu sich als zu Paladin, um sich selbst ein ungefähres Bild zu machen. »Dann schieben sie die Läufe durch die Löcher und schießen. Sehen werden sie nichts, weil wir vorher das Feuer auslöschen. Treffen können sie uns von dort aus ohnehin nicht, denn wir verziehen uns in die Vorratskammer. Schließlich werden sie Stoffetzen anzünden und sie in den Turm werfen…« Jackos Stimme murmelte dahin. Danach würden die Fleischjäger sehen, daß sie sich gar nicht im Turm befanden, also würden sie ihn besetzen, sich einen Weg nach unten schießen und die Verteidiger in die Tunnels treiben, von wo aus es keinen Ausgang, keinen Fluchtweg gab. Minuten vergingen. Es wurde dunkler. »Switch!« rief Jacko. »Du und Cockade. Bringt den alten Mann in die Vorratskammer. Macht es ihm dort bequem, und ladet eine Flinte für ihn. Shrug!« Schweigen. »Shrug ist nicht hier. Dein teurer Freund ist davongelaufen. Hinunter in die Tunnels«, erklärte Cockade sarkastisch. »Zum Schnapsladen sicherlich, um sich vollaufen zu lassen. Also bleiben wir vier gegen Gott weiß wie viele. Und wenn du glaubst,
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daß ich dem Alten mit einem Gewehr traue, dann bist du verrückt.« »Paladin«, bat Jacko müde. »Geh hinunter, und mach das Feuer aus. Gieß Wasser in die Glocke, um sicherzugehen.« »Was hast du vor?« »Ich werde noch eine Weile hier oben bleiben.« Jacko starrte hinaus in die Dämmerung auf die umgekippten Schlitten, bis sie vor seinen Augen verschwammen und sich zu bewegen schienen. Und überall sah er Männer, die durch die Düsternis krochen. Doch immer, wenn er genauer hinschaute, waren sie verschwunden. Das also war das Ende des Stammmes Jacko. Zum Teil gab er sich selbst die Schuld, weil wohl er es gewesen sein mußte, der den Fleischjägern den Weg gewiesen hatte, obgleich sie mit der Zeit ohnehin hierhergekommen wären. Eine aus dem scheinbaren Nichts ragende Kirchturmspitze fällt eben doch auf. Aber er gab auch den anderen die Schuld. Dem Alten, der sie etwas hätte lehren können, ihnen jedoch nichts als Senilität bot. Cockade, eine unfruchtbare Xanthippe in einer kinderlosen Gemeinschaft. Switch, ein williger Arbeiter, aber nichts weiter. Paladin, ein träumerischer Nichtsnutz. Shrug, intelligent und ein potentieller Führer, wäre da nicht seine eine Schwäche. Jacko fragte sich, ob es richtig gewesen war, daß er vor ein paar Nächten, während die anderen fest schliefen, systematisch die Regale des Spirituosenladens geleert und die Flaschen am Ende des Dorfs in einem unbenutzten Tunnel versteckt hatte. Er hatte gehofft, Shrug dadurch zur Besinnung zu bringen, aber offenbar hatte es nichts weiter geleistet, als dem Mann den Mut zu nehmen. Also war es doch hauptsächlich seine Schuld. Der Führer der Gruppe war ein nüchterner, phantasieloser Mann, ohne Voraussicht. Doch hätte er die Chance, noch einmal von vorn zu beginnen, würde er dann anders handeln? »Ja…«
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Er hatte jetzt gelernt, daß sie sich keine Verluste leisten konnten, daß es keinen Sinn hatte, das Unausbleibliche hinauszögern zu wollen. Vor allem aber wußte er nun, daß ihre jetzige Art zu leben unnatürlich war und enden würde, sobald die Vorräte erschöpft waren – eine Tatsache, der er sich bisher geweigert hatte, ins Auge zu sehen. Denn sollte das Leben weitergehen, brauchte man Kinder, mußte die Gruppe wachsen. Hätte er dazu noch die Gelegenheit, würde er das Land suchen, von dem der Alte immer erzählte. Das Land im Süden, wo die Berge höher als der Schnee waren und die Bäume grünten. Er würde Getreide säen und ernten. Er würde sich ein Blockhaus unter dem freien Himmel bauen. Es würde ein hartes, aber gutes Leben sein, und er würde es schnell leben, statt langsam dahinzuvegetieren. All das würde er tun, wenn er noch eine Chance hätte… Eine unterirdische Erschütterung rüttelte am Turm. Die Leiter schaukelte mitsamt der Wand. Jacko hörte eine ferne Explosion, und ein heftiger Windstoß preßte ihn gegen die Ziegel. Ein echoendes Krachen erschallte, als eine der Glocken sich von ihrer uralten Halterung löste und auf den Boden der Vorratskammer tief unten donnerte. Schreckensschreie drangen zu ihm herauf. Er hörte Cockades Gellen heraus und blickte hinunter, aber es war zu dunkel, als daß er etwas zu erkennen vermochte. Er starrte wieder hinaus. Und nun, da seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er dort, wo die Barrikade der Fleischjäger stand, eine feine Schneewolke. Der Wind wirbelte sie hoch und offenbarte eine meterbreite Kluft. Vom Gegner war nichts mehr zu sehen. Doch da gab die Wolke ihre Beute frei. Und während die Kluft sich mit grollendem Rumpeln verbreiterte, regneten die letzten Schlittenteile in die Tiefe.
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IV Sie hatten die Lampe in der Vorratskammer angezündet. In ihrem flackernden Schein standen sie um Paladins Leiche. »Zwei Tote«, sagte Switch schwer. »Shrugs Tod erfüllte zumindest einen Zweck, aber das…« Er seufzte. Paladin war der Jüngste der Gruppe gewesen, darum schien es doppelt bedauerlich. »Er hat nichts gespürt, Jacko«, murmelte Cockade. »Er stand unmittelbar unter der Glocke, als sie herunterstürzte. Er muß sofort tot gewesen sein. Er hat nicht einmal mehr einen Laut von sich gegeben.« Jacko betrachtete schweigend die verkrümmte Gestalt, die so klein und hilflos aussah. »Ich hätte es Shrug nie zugetraut«, sagte Cockade, ausnahmsweise mit tiefem Respekt in ihrer Stimme, Sie versuchte Jacko aufzuheitern. Sein Schweigen erschreckte sie. »Er muß die ganze Kiste Dynamit in die Luft gejagt haben. Der Schnapsladen war leer, da hat er sich wahrscheinlich gedacht, das Leben lohnt sich für ihn ohnehin nicht mehr. Und das Dynamit war da, die Fleischjäger hatten sich genau darüber verschanzt. Das alles zusammen… Er starb als Held.« Ich habe Shrug auf dem Gewissen, dachte Jacko. Er betrachte den Rest seines Stammes und bemerkte, daß der Alte in Fetzen gefüllt war. Warum hatte sich niemand darum gekümmert, daß er sich anständig kleidete? Der Laden des Schneiders unten war voll mit brauchbaren Sachen. »Danke, Cockade«, murmelte er, als hätte sie ihn persönlich gelobt. »Aber es hilft nichts. Wir werden uns trennen müssen. Hier gehen wir nur langsam ein.« Nach einem drückenden Schweigen sagte Cockade tapfer: »Ich verstehe schon, Jacko. Du hast natürlich recht. Was wirst du tun? Wirst du den Alten mit dir nehmen und die Berge und Bäume suchen, von denen er immer spricht?«
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»Ja. Ich glaube schon… Und ihr?« »Oh. Wir werden uns wohl einer der größeren Gruppen im Osten anschließen. Das heißt, wenn wir unterwegs nicht den Fleischjägern in die Hände fallen. Aber wir werden es schon schaffen, nehme ich an.« »Gut.« Jacko fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. »Ich lade das Schneeboot, damit wir in aller Frühe aufbrechen können. Wir haben eine lange Reise vor uns. Ich hoffe nur, daß der alte Mann es durchhält.« Mit einem Armvoll Dosen stieg er die Treppe zum Glockenturm empor. Es sah so aus, als hätten Switch und Cockade mit seiner Entscheidung gerechnet. Jackos Augen hingen an der Turmspitze, die immer kleiner wurde. Dann drehte er sich um und betrachtete forschend die endlose Schneewüste voraus. Das Herz war ihm schwer, und er vermochte nicht, sich auf das neue Leben zu freuen. Der alte Mann, der in dicke Decken gehüllt am Boden lag, sah aus wie eine Leiche mit seiner pergamentenen Haut und dem dünnen weißen Haar, das hin und wieder leicht im Wind flatterte. Besorgt beugte er sich zu ihm herab und berührte die eingefallenen Wangen. Der Alte hielt die Augen geschlossen, aber seine Lippen bewegten sich wortlos. Ein wenig erleichtert kümmerte sich Jacko um das Segel. Switch und Cockade begutachteten die Dosen, die sie rundum im Glockenturm aufgestapelt hatten. »Das ist es wohl«, murmelte Cockade schließlich. »Wir können anfangen, den Schlitten zu beladen.« »Ja«, erwiderte Switch und schluckte. Er packte einen Sack voll Dosen. Jacko hatte einen Schlitten für sie zusammengebaut und ihn draußen vor der Turmspitze im Schnee bereitgestellt.
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Draußen im Schnee… Unsäglich langsam ging Switch auf die Leiter zu und kletterte sie empor. In einer Hand trug er den Sack, mit der anderen hielt er sich an den Sprossen fest. Es war schrecklich schwierig. Der Sack war schwer, und der Boden unten schien ihn wie ein Magnet festzuhalten. Die kaum zu bewältigende Aufgabe, den Fuß von einer Sprosse zur nächsten zu heben, beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Er bemerkte, daß die Sprossen in der Mitte schon ganz abgetreten waren, und konzentrierte sich darauf. Doch plötzlich tastete seine Hand ins Leere, und er spürte den Wind im Gesicht. Aber dieses Mal war kein Jacko bei ihm. Er blickte auf… Da war Schnee. Eine endlose Weite von sprühender, wirbelnder Weiße unter einem Himmel, der nicht weniger weiß war, so daß man nicht wußte, wo beide sich trafen. Daß man nicht sicher sein konnte, was oben und was unten war, der Schnee oder der Himmel. Es war eine Vision der Unendlichkeit aus zwei physischen Elementen, Schnee und Himmel, in der Switch nichts weiter als ein Staubkörnchen war. Und diese Unendlichkeit lockte ihn wie ein Tunnel – und verwehrte ihm den Weg wie eine Mauer… Keuchend und gegen eine schreckliche Übelkeit ankämpfend, klammerte er sich an die Leiter. Er schloß die Augen und konzentrierte sich ausschließlich auf die Existenz der Sprossen unter seinen Händen und Füßen – das einzig Feste, das es im Moment für ihn gab. Dumpf hörte er den Sack mit den Dosen am Fußboden unten aufschlagen. »Was, zum Teufel, hast du denn?« Er lehnte sich – oder vielmehr Cockade schob ihn – zur Seite, als sie ebenfalls heraufkletterte. Gemeinsam kauerten sie nun ganz oben auf der Leiter. Cockade starrte auf den Schnee hinaus. Switch beobachtete sie. Er bemerkte, wie ihre Lider
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flatterten und sich das Weiß der Augen nach oben schob. Schnell legte er einen Arm um ihre Taille. Schwach schüttelte sie den Kopf. »O Gott…« Sie schluckte. Er half ihr die Leiter herunter. Als sie beide schwer keuchend im Glockenturm standen und einander hilflos anblickten, hörten sie hallende Schritte die Steinstufen hochsteigen. Cockade preßte ihren Kopf an Switchs Brust, und sie umklammerten einander. Er spürte ihr Herz ganz heftig pochen, als er über ihre Schulter hinweg zur Treppe blickte. Shrug tauchte auf. Er rieb sich den Kopf. »Hallo, ihr«, begrüßte er sie. »Ich habe ganz schön was abbekommen. Der Luftdruck in den Tunnels war nicht von schlechten Eltern. Bis zum Schneider schaffte ich es gerade noch, ehe es mir zum zweitenmal schwarz vor den Augen wurde. Ich muß wohl rund um die Uhr geschlafen haben.« Er grinste schwach. »Aber jetzt fühle ich mich bedeutend wohler. Was gibt’s zum Frühstück? Oder komme ich schon zu spät?« »Shrug!« Cockade löste sich aus Switchs Umarmung, als sie die vertraute Stimme hörte. »Was machst du hier?« Plötzlich brach ihr die Stimme. »Wir hielten dich für tot!« Shrug schmunzelte. »Ich hätte nie gedacht, daß du je so froh sein könntest, mich zu sehen. Nein, ich bin nicht tot. Warum sollte ich es sein?« »Wir dachten, du hast dich mit dem Schnapsladen in die Luft gesprengt.« »Was?« Shrug lachte laut. »Ich mich in die Luft jagen? Ihr hieltet mich doch nicht wirklich für einen so unbedachten Helden?« Jacko hatte es dem Alten im Heck des Schneeboots bequem gemacht. Dieser saß gegen die Bordwand gelehnt und blickte sich mit glänzenden Augen um. »Es hat sich nichts daran
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geändert«, murmelte er. »Fast hatte ich schon vergessen, wie diese Farben aussehen. Hast du jemals ein solches Grün gesehen, Jacko?« Er deutete auf das merkwürdig verzweigte Ding, das er Baum nannte. »Das ist die Farbe des Lebens… Ihr könnt eure Schneeboote, eure Hamstervorräte, eure Eistunnels und unterirdischen Schlupflöcher behalten, und euer trauriges Schwarz und Weiß und Grau. Selbst die Grautöne unterscheiden sich kaum voneinander. Das Rotgrau des toten Fleisches, das Blaugrau der aus dem Eis geschlagenen Tunnels – das alles ist durch den Menschen so geworden… Aber der Baum dort lebt! Er ist grün! Grün, Jacko! Und Gott hat ihn geschaffen!« Jacko betrachtete den Baum. »Das ist der Unterschied, Jacko. Der Unterschied zwischen Leben und Tod, zwischen Grün und Grau. Wenn ich mich hier umsehe, ist es mir, als wäre ich jahrelang tot gewesen – doch nun habe ich all das wieder, das ich verlor, als ich von hier wegging – und nun lebe ich wieder!« Doch seine Stimme klang schwächer. Jacko kniete sich neben ihn und legte besorgt den Arm um seine Schultern. »Du mußt auch hierbleiben, Jacko«, bat der Alte. »Irgendwo gibt es hier bestimmt Menschen, denn es ist der richtige Ort für sie. Gute Menschen. Du wirst eine Frau finden und hier glücklich sein. Du wirst dich nicht mehr in Eislöcher verkriechen, sondern dir hier ein Holzhaus bauen, hier zwischen den grünen Bäumen, unter dem blauen Himmel. Hol dir Samen aus dem Laden unter dem Schnee und bau Gemüse an, und rund um dein Haus bunte Blumen…« Aber Jacko dachte an Cockade, ausgerechnet an Cockade, und an Switch. Er befürchtete, daß die beiden nie imstande sein würden, den Kirchturm zu verlassen. »Umgib dich mit Leben, Jacko, dann wird dein eigenes ausgefüllter und lebenswerter sein, denn du warst nie dazu bestimmt, in einem Loch zu vegetieren.« Er schwieg und schaute
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mit strahlenden Augen auf einen Baum. Jacko folgte seinem Blick und sah gegen den Silberhimmel die Silhouette eines kleinen hüpfenden Tiers in den Zweigen. »Sie sind alle hier!« freute sich der Alte. »All die Tiere sind hier, selbst die Vögel. Und nun bin auch ich hier, und du, Jacko…« Tränen des Bedauerns stahlen sich über Jackos Wangen, denn er würde den alten Mann verlassen müssen, und auch, weil er den Baum nicht mit den Augen des Alten sehen konnte. Jackos Augen hatten sich dem glitzernden Weiß der Schneefelder angepaßt, er vermochte keine Farben mehr zu erkennen. Für ihn war die Landmasse hier schwarz und viel drohender als das vertraute Weiß der endlosen Schneefläche. Und die seltsam geformten dunklen Bäume, die sich im Winde wiegten und deren Blätter gespenstisch raschelten… Nein, das alles bereitete ihm tiefes Unbehagen. Später einmal, versprach er sich. Später vielleicht, wenn er einen triftigeren Grund zu bleiben hatte als nur die Laune eines Greises. Später, wenn er all das Neue mit jemandem teilen konnte, für den es ebenfalls neu war – nicht mit irgendeinem unbekannten Mädchen von über dem Hügel, einer Frau, die das alles hier kannte und die seine Unsicherheit nicht verstehen und ihn nur auslachen würde. Eine Gruppe von Menschen kam über den Hügelkamm und riefen ihnen einen Willkommensgruß zu. Jacko und der Alte winkten. Fast hätte Jacko seinen Vorsatz bereut – fast… Dann kletterte der Alte aufgeregt aus dem Boot und strahlte über das ganze Gesicht. Die Gruppe kam näher. Alle lächelten sie ihn freundlich an – den Alten, nicht ihn, Jacko. Eilig wendete er das Schneeboot und setzte erneut das Segel, ehe die Einsamkeit ihn seinen Entschluß bereuen ließ.
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Der Greis spürte eine sanfte Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich um, und viele freundliche Gesichter blickten ihn an. »Warum weinst du, alter Mann?« fragte eine dralle Frau mittleren Alters, der die Zufriedenheit aus dem Gesicht leuchtete. »Glaubst du denn nicht, daß hier der richtige Ort für deinen Lebensabend ist? Komm mit uns ins Dorf. Du wirst hungrig sein nach deiner Reise. Brachte der andere dich von weither?« »Ich wußte, daß du die Nerven verlieren würdest«, triumphierte Cockade. »Ich wußte, du würdest zurückkommen. Was hast du mit dem Alten gemacht? Ihn irgendwo aus dem Boot, geworfen? Das war das Beste, was du tun konntest!« Immer noch starrte Jacko auf Cockade und Switch. Er hatte erwartet, sie hier zu finden. Aber er hatte nicht gedacht, daß er so froh sein würde, sie wiederzusehen. Er schwieg und wärmte seine Finger an der Glocke. Als er ein Rascheln über sich hörte, blickte er hoch. »Jacko!« Shrug wand sich mit einiger Mühe zwischen einer Strebe und den Dachziegeln hervor. »Kannst du heraufkommen und dir das ansehen? Ich glaube, wir könnten hier eine Art Galerie innen rund um die Spitze bauen. Wenn wir dann Löcher durch das Dach schlagen, wäre es möglich, uns nach allen Seiten zu verteidigen.« Er grinste zufrieden mit sich selbst und über Jackos lobende Zustimmung. Später fragte ihn Jacko: »Hast du ebenfalls damit gerechnet, daß ich zurückkomme?« Shrugs Augen wichen seinen aus. »Du warst nie weg, Jacko. Sagen wir es so, ja?« »Ich hielt dich für tot, wußtest du das?« »Cockade glaubte es auch. Und weißt du was, ich hatte tatsächlich das Gefühl, sie war froh, daß es nicht stimmte. Aber jetzt ist sie leider wieder die alte.«
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»Cockade ist gar nicht so schlimm. Wir sind es sicher alle nicht. Aber wenn der Alte von der guten alten Zeit sprach, hatte ich immer das Gefühl, als lägen wir uns hier immer nur in den Haaren.« »Das ist ja auch so, Jacko. Doch vielleicht war es früher gar nicht anders. Der Alte erinnerte sich eben nur an das Gute.«
V Die Nächte um das Feuer schienen nun friedlich, ja schon fast langweilig. Die Gruppe saß oder lag am Boden und starrte in die emporlodernden Flammen und unterhielt sich kaum. Ohne Geschichten, die ihre Phantasie anregten, wurden sie denkfaul und phlegmatisch. Es war die Jahreszeit, da es hier nur wenige Pads gab, und an so manchem Morgen mußte Jacko sich selbst gut zureden, sich warm anzuziehen und zum Schneeboot hinaufzusteigen. Wenn er dann am Abend müde und fast immer ohne Beute zurückkam, brachte nicht einmal Cockade es übers Herz, ihn auszuschimpfen. »Es ist die gefährlichste Zeit, wenn es so ruhig ist«, murmelte Shrug eines Abends, als er eine Flasche Pepsinwein leerte, die er unten in einem zersplitterten Schrank entdeckt hatte. »Es ist die sicherste Zeit«, widersprach Cockade aufsässig. »Die Fleischjäger ließen sich schon seit Wochen nicht mehr sehen.« »Sie warten nur auf den günstigsten Augenblick. Und sicher sind sie nun auch am hungrigsten, da die Pads südwärts zogen. Wir müssen endlich damit beginnen, den Turm zu befestigen, die Galerie zu bauen…« »Shrugs Idee, den Turm zu befestigen, ist gut, findest du nicht auch?« Switch stapelte Dosen aus den Regalen im Supermarkt auf den Schlitten.
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»Den Turm befestigen! Daß ich nicht lache! Setz dich her zu mir, Switch. Laß dir etwas sagen. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Jacko uns verlassen. Er hätte Shrug mitgenommen, wenn er ihn nicht für tot gehalten hätte. Was hätte es sie gekümmert, ob wir hier verhungerten?« Switchs Finger zeichneten die Formen des schlanken blonden Mädchens auf der Maisdose nach. Er versuchte, keine Vergleiche anzustellen, aber trotzdem mußte er unwillkürlich denken, daß Cockade ihr gar nicht ähnlich sah. Kein Wunder, daß der Alte ständig behauptet hatte, früher wäre alles viel besser und schöner gewesen. »Und was sie einmal getan haben, werden sie auch wieder tun«, fuhr Cockade fort. »Na schön, Shrug redet also jetzt von Befestigung, von einer Verteidigungsmethode gegen die Fleischjäger. Aber ich sage dir, Switch, es soll uns nur in Sicherheit wiegen. Gewiß, sie werden etwas zur Befestigung tun. Wir müssen ja schließlich etwas unternehmen und können nicht nur untätig herumsitzen. Selbst Shrug sieht das ein. Also werden sie einen Gefechtstand bauen, oder wie sie es auch nennen. Aber die ganze Zeit – und darauf kannst du Gift nehmen, Switch – werden sie einen Plan aushecken, um wegzukommen. Ich möchte, daß du sie nicht aus den Augen läßt, Switch. Gib mir sofort Bescheid, wenn dir etwas auffällt. Okay?« »Okay«, murmelte Switch. Verstohlen löste er den Aufkleber von der Maisdose und schob ihn in die Hosentasche. »Also, was ist damit, Jacko?« Shrug blickte sein Idol gespannt an. »Du meinst die Befestigung?« Shrug seufzte erleichtert. Jacko hatte also nicht vergessen. »Ja. Ich habe jetzt auch einen Plan. Vor ein paar Wochen habe ich drunten im Tunnel gegraben, um zu sehen, ob… Na ja, jedenfalls, ich habe gegraben und bin auf einen Hof direkt hinter der Eisenwarenhandlung gestoßen. Sicher, das Eis hat das
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meiste eingeschlossen, aber mit ein bißchen Dynamit kämen wir an das Zeug heran.« »Welches Zeug?« »Holz. Unwahrscheinliche Stöße von Brettern und Balken. Mehr als genug, die Galerie zu bauen. Den Rest können wir nach und nach als Brennstoff verwenden«, fügte er schnell hinzu. »Ich weiß, daß du dir schon Sorgen gemacht hast, er würde uns bald ausgehen.« »Ist ja großartig. Dann können wir sobald du willst anfangen.« Jacko warf ein Stuhlbein in die umgekippte Glocke, und die Flammen fielen prasselnd darüber her. Er starrte ins Nichts. »Es war etwas, woran ich nie gedacht hatte, Shrug«, wechselte er das Thema. »Alles war schwarz. Nicht weiß, wie in den Schneefeldern. Schwarz, und die Bäume waren wie Hände. Wie die Hände des Alten, wenn er sich an meiner Jacke festklammerte. Es war ganz anders, als er immer erzählt hatte.« Er schauderte. »Den anderen würde ich es nie sagen, Shrug, aber dieses Schwarzland hat mich ganz schön mitgenommen. Nun weiß ich nicht mehr, was ich denken soll. Ich frage mich, welchen Sinn alles überhaupt noch hat. Früher war ich immer überzeugt, daß alles gut werden würde, wenn wir erst das Land erreicht hätten, wo es keinen Schnee gibt. Dafür lebte und schuftete ich. Und jetzt gibt es nichts mehr. Außer noch einmal dorthin zu fahren…« Shrug schwieg und sein Blick hing voll Mitgefühl an Jacko, der in die Flammen starrte. Schließlich meinte er: »Es ist immer am besten, schwer zu arbeiten, wenn man in einer solchen Stimmung ist. Mir geht es zum Beispiel so, wenn ich nichts mehr zu trinken habe. Wenn man konzentriert arbeitet, stellt man schließlich fest, daß selbst das Unbedeutendste beginnt, einen Sinn zu bekommen. So, wie einen Nagel in ein Brett zu schlagen. Nach einer Weile gibt man sich mehr Mühe, statt hoffnungslos dar auf loszuhämmern, als wollte man seinen Sarg fertigstellen, ehe man stirbt.«
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Jacko lachte kurz auf, und Shrug entspannte sich. »Tut mir leid, Shrug. Ich werde mich nicht mehr so gehenlassen. Du hast recht, wir müssen den Turm befestigen. Wir wollen gleich damit anfangen.« Shrug kam ein plötzlicher Einfall. »Noch etwas, Jacko…« »Ja?« »Irgendwann müssen wir doch einmal von hier fort. Ob wir nun ins Schwarzland oder anderswo hinziehen. Die Nahrungsmittel hier reichen nicht ewig. Eines Tages werden wir einen neuen Tunnel graben, und graben und graben…« Shrug erinnerte sich schaudernd an seinen letzten Alptraum. »… und graben, und wir werden nichts mehr finden. Keine weiteren Läden, keine Häuser, nichts als Eis in jeder Richtung.« Jacko blickte stirnrunzelnd auf. Er kam fast nie in die Tunnels hinunter. »Wie schlimm ist es denn bereits?« »Oh, es geht schon noch. Switch sagt, es sind noch mehrere Kisten mit Dosentomaten unten, und ich glaube, ich weiß, wo ich noch einige Flaschen auftreiben kann…« »Ich vermag mir in etwa ein Bild zu machen. Woran dachtest du?« »Wir sollten ein Boot bauen.« Auf der Treppe war schleppendes Poltern zu hören und müdes Tappen. »Wir haben doch ein Boot.« »Ich meine ein großes. So was wie ein Schiff, in dem wir alle von hier fortkönnen.« Die Schritte hielten an. »Ich weiß nicht, ob du gehört hast, was ich gehört habe, Switch«, zischelte Cockade auf der Treppe. »Aber man scheint uns auszuschließen. Sie wissen verdammt gut, daß wir nicht mit einem Boot wegkönnen.«
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Shrug stand in der Mitte des Glockenturms und gab Anweisungen. Switch sägte einen Balken in kürzere Stücke. Mehrmals wischte er sich den Schweiß von der Stirn und jammerte. Cockade gönnte sich keine Pause, um ihre ablehnende Meinung über die Arbeit kundzutun. Sie nörgelte unentwegt vor sich hin, während sie auf die dicken Dachziegel einschlug, von einer Leiter aus, die Switchs erste schreinerische Leistung war. »Vier Löcher genügen«, rief Shrug zu ihr hinauf und sprang zur Seite, als kleine Ziegelstücke herunterregneten. »Im gleichen Abstand.« »Wenn du glaubst, daß ich hier noch weiterschufte, dann bist du noch dümmer, als du aussiehst!« keifte Cockade. »Ich werde dieses eine fertigmachen, dann kannst du den Rest selbst besorgen. Wenn Jacko wüßte, daß du nichts tust, als uns herumzukommandieren, wäre er nicht sehr erfreut, das kann ich dir sagen!« Nachdem sie sich erfolgreich in Wut geredet hatte, kletterte sie die Leiter herunter und baute sich vor ihm auf, die Hände in die Seiten gestemmt. Wie häßlich sie doch ist, dachte Shrug nicht zum erstenmal. Mädchen sollten nicht so aussehen dürfen. Und schon gar nicht so reden… Viele Kilometer weiter nördlich kämpften zwei Menschen sich durch die Schneewüste. Sie hatten Schier an die Füße geschnallt, die ihnen das Schleppen ihrer Rucksäcke erleichterten. Ihre Pelzkleidung war weiß vom gefrorenen Schnee, und ihre Gesichter ließen sich unter den dicken Schals und dunklen Gläsern nicht erkennen. Eine der Gestalten war bedeutend kleiner als die andere. Sie kamen zu einem Dorf, wo der Schnee nicht so tief wie sonst überall war. Oder vielleicht war es auch um einen Berg herumgebaut. Sie wußten es nicht. Doch was auch immer der Grund, zumindest ein Hausdach ragte ein wenig aus der eisigen Weiße heraus.
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Die kleinere Person sprach. »Wir werden hier Rast machen, William Charles.« Es war eine Frauenstimme, tief und klangvoll. Die größere Gestalt – ein Riese, nicht nur verglichen mit der zierlichen Frau – brummte. Er löste die Schaufel vom Rücken des Mädchens und begann neben dem Dach ein Loch zu graben. Seine Begleiterin sah ihm wortlos zu. Es gab nichts, was sie tun könnte, sie besaßen nur eine Schaufel. Wenn sie hätte helfen können, sie hätte es getan. Ganz im Gegensatz zu Cockade war sie hilfreich und ein guter Kamerad. Der Riese hatte nun ein Fenster freigelegt und schlug die Scheibe mit der Schaufel ein. Er kletterte hindurch und das Mädchen folgte ihm. Sie kamen in ein Schlafzimmer, dessen Mobiliar vermodert war. Die Treppe, die nach unten führte, war längst schon eingefallen, und der Boden unter ihren Füßen schwankte. Sie machten Feuer und zogen schließlich ihre Pelze aus. Der Mann war breitschultrig mit gewaltigen Muskeln. Er bewegte sich schwerfällig und hatte ein einfältiges Gesicht. Das Mädchen war zweifellos das schönste Mädchen auf der ganzen Welt. Selbst wenn die Welt noch wie früher von Menschen wimmelte, es wäre unvorstellbar, daß jemand schöner als sie sein könnte. Sie war die Schneeprinzessin. William Charles empfand ergebene Bewunderung für sie, nichts weiter. Als ihre Pelze wieder trocken waren, machten sie sich ein Bett daraus, kuschelten sich der Wärme wegen aneinander und schliefen ein. Shrug war stärker und williger als Cockade, und schon nach zwei oder drei Schlägen drang der Hammer durch die Dachziegeln und riß ihn fast mit sich. Ein heftiger Wind pfiff durch das Loch. Shrug klammerte sich eilig an einer Strebe fest, als die Leiter unter seinen Füßen heftig schwankte.
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Staub wirbelte auf dem Fußboden des Turms auf. »Was hast du denn wieder angestellt, du Schwachkopf!« kreischte Cockade. Hastig kletterte Shrug die Leiter herunter und griff nach einer Flasche unter dem Haufen Lumpen, die sein Bett darstellten. »Ein Berechnungsfehler«, gestand er. »Ich habe den Wind nicht in Betracht gezogen.« Er deutete hoch. »Das Loch, das Jacko benutzt, ist natürlich auf der windgeschützten Seite.« Seine Stimme klang entschuldigend. »Es ist so lange her, da ich im Oben war, ich hatte es völlig vergessen. Verzeih, Cockade. Wir werden es wieder zustopfen.« »Tu’s sofort!« Switch blickte mit geröteten Augen von seiner Säge auf. »Warum haben wir die Galerie nicht zuerst gebaut und dann erst die Löcher in die Turmspitze geschlagen?« Shrug musterte ihn überrascht und ein wenig verärgert. Es war das erstemal, solange er sich erinnern konnte, daß Switch mit einer brauchbaren Idee aufwartete, und es mußte ausgerechnet jetzt sein, wo Cockade ohnehin geladen war. »Bei Gott, ja!« schrillte das Mädchen. »Selbst Switch ist klüger als du, Shrug. Du scheinst keinen anderen Gedanken als Zerstörung im Kopf zu haben, daß du nicht warten konntest. Ein Kind hätte dir sagen können, daß du das Pferd beim Schwanz aufzäumst.« »Ein Kind vielleicht. Du hast es jedenfalls nicht getan.« Als Jacko mit leeren Händen aus den Schneefeldern zurückkam, fand er seine drei Gefährten um die fast weißglühende Glocke gekauert, während der schneebeladene Wind durch das neue Loch hereinstob und Staub und Schnee aufwirbelte. »Warum verstopft ihr das Loch nicht?« fragte er mit ruhiger Stimme. Als er am Morgen aufgebrochen war, hatte es das neue Loch noch nicht gegeben. Irgendwie waren sie auf diese verrückte Idee gekommen. Er gab jedem der drei gleich viel Schuld.
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»Schau mich nicht so an, Jacko«, heulte Cockade. »Shrug hat das Loch gemacht.« Shrug stützte sich auf die Fersen und starrte eigensinnig vor sich hin. »Ich lasse mich doch von einer Frau nicht herumkommandieren!« Jacko schaute Switch an. »Tu’s ja nicht, Switch!« kreischte Cockade. »Shrug hat das Loch gemacht. Also muß er auch etwas dagegen unternehmen!« Jacko überlegte. Er warf einen Blick auf Shrug, der schuldbewußt, aber störrisch am Feuer kauerte; dann auf Cockade, deren Augen triumphierend funkelten. Er seufzte und nahm von jedem Bett eine Decke und verstopfte damit das Loch. Später, als sie gegessen hatten, sagte er: »Wenn die Galerie erst fertig ist, werden wir hier sicherer sein und Zeit haben, ein größeres Boot zu bauen, mit dem wir alle von hier wegkommen.« Cockade warf Switch einen bedeutungsvollen Blick zu. »Hast du schon vergessen, daß Switch und ich nicht ins Oben können?« »Das Boot wird eine geschlossene Kabine für dich und Switch haben.« »Oh…« Sie blickte ihn argwöhnisch an. »Also nicht wie dein kleines Schneeboot?« »Viel größer!« »Oh…« »Die ganze Sache mit dem Boot kommt mir reichlich seltsam vor«, wisperte Cockade, als sie nachts neben Switch lag. »Ich meine, es schien doch ganz so, als ob Jacko gar nicht mehr von hier fortwollte. Ich meine, als er zurückkam, nachdem er den Alten umgebracht hatte. Sagte er nicht, daß das Schwarzland ihm nicht gefällt?«
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»Gesagt hat er es. Er hat gesagt, daß wir nichts versäumten, wenn wir nicht dorthin kämen. Es schien mir damals so, als wollte er uns damit nur trösten.« »Wir müssen ihn ihm Auge behalten. Hast du bemerkt, daß er uns nicht mehr gerade ansehen kann?« »Ja, das ist mir auch aufgefallen«, pflichtete Switch ihr bei.
VI Am Ende eines der Tunnels befand sich die Stadtbibliothek. Sie hatten sie nicht mehr besucht, seit der Alte fort war. Doch nun hatte Shrug sich dort nach einem Buch mit Angaben und Bildern über Wasserfahrzeuge umgesehen und auch etwas gefunden, was er für einigermaßen brauchbar hielt. Unterhalb des Glockenturms war ein kleiner Raum, den er als Schreinerwerkstatt benutzen wollte. Ein riesiger Tisch mit glänzendem Mahagonifurnier stand darin. Auf ihm zeichnete er nun die Pläne für die Schneeprinzessin. Viele Tage lang war die Arbeit gut vorangeschritten. Ein recht sonderbarer Wetteifer hatte sich zwischen den beiden rivalisierenden Fraktionen ergeben. Switch und Cockade bauten die Galerie. Irgendwie glaubte Cockade tief im Innern, wenn die Galerie vor dem Boot fertig sei, würde die Gruppe im Turm bleiben, für immer – was ihr sehr recht wäre. Denn der Gedanke, sich auf die Schneefelder hinauszuwagen, noch dazu in einem von Shrug konstruierten Boot, erfüllte sie mit Schrecken. Und natürlich dachte Switch wie sie. Shrug dagegen hatte sich vom Galerieprojekt zurückgezogen. Zuerst nur aus Trotz, weil Cockade sich so wegen des unbedachten Lochs aufgeführt hatte. Als dann die anderen jedoch ohne ihn begannen, quälte ihn das schlechte Gewissen. Den ganzen Tag lang schufteten Cockade und Switch, während er, dessen Idee doch die Galerie überhaupt gewesen war, im Bett lag und
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an den Flaschen nuckelte – was nicht sehr gut aussah, wenn Jacko des Abend müde heimkam. Also fing er früher, als er vorgehabt hatte, mit dem Bau der Schneeprinzessin an. Er hatte zwar kein großes Vertrauen in seine Fähigkeiten, hoffte jedoch, daß Jacko ihm schließlich schon mit Rat und Tat zu Hilfe kommen würde. Jedenfalls würde er nie und nimmer an einem Projekt mitarbeiten, bei dem Cockade das Wort angab. Ganz abgesehen davon, wenn er das Boot zuerst fertig hatte, würden die beiden anderen ihre Zeit nur vergeudet haben. Jacko suchte die Schneefelder nach Beute ab. Aber die Pads waren vorsichtig, und es gelang ihm kaum noch, überhaupt nur in Schußnähe zu kommen. Irgendwie schienen sie eine Art von Warnsystem entwickelt zu haben. Wenn er tatsächlich zu Schuß kam und sein Opfer verfehlte – was in letzter Zeit so gut wie immer der Fall war –, würde er den ganzen Tag keinen weiteren Pad mehr zu Gesicht bekommen. Trotzdem gab er nicht auf. Er mußte etwas tun, denn die anderen plagten sich so. Jedesmal, wenn er nach Hause zurückkehrte, staunte er über die Fortschritte, die sie gemacht hatten. Und jedesmal schämte er sich, weil er mit leeren Händen kam. Es war die hungrige Jahreszeit. In ein paar Monaten würde es hier wieder von Tieren wimmeln… »Morgen dürfte es soweit sein. Dann können wir sie befestigen.« Cockade betrachtete die Stöße von zugeschnittenen Brettern auf dem Boden. »Ja«, stimmte Switch zu. »Wir werden von Jackos Leiter aus die Bretter auf die Streben nageln. Ich glaube, dort oben gab es einmal einen Zwischenboden. Aber uns genügt jetzt eine Galerie.«
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Mit ihren vor Begeisterung glänzenden Augen sah sie fast hübsch aus. »Aber was ist mit dem Boot, Cockade?« »Du kannst Gift darauf nehmen, daß darauf kein Platz für uns ist. Jacko und Shrug haben ihre eigenen Pläne. Sie werden auf und davon segeln, ohne uns, ob wir die Galerie nun fertig haben oder nicht. Also werde ich dafür sorgen, daß wir geschützt sind, wenn es nur noch uns zwei gibt.« Etwas hatte Switch schon lange beschäftigt, nun rückte er heraus damit: »Wie kann die Galerie uns denn schützen, Cockade?« Sie sah ihn mitleidig an. Shrugs Sägen klang gedämpft bis zum Glockenturm herauf. »Mit der Galerie haben wir ein Schußfeld von dreihundertsechzig Grad«, belehrte sie ihn. »Oh.« Später machte Jacko seine Absicht deutlicher, da er die untergründige Angst Switchs spürte. »Durch die Galerie werden wir vor den Fleischjägern sicher sein«, erklärte er. »Denn dann haben wir keinen toten Feuerwinkel mehr. Trotzdem müssen wir jedoch auch die Fleischversorgung in Betracht ziehen. Es gibt zu dieser Jahreszeit hier so gut wie keine Pads, und ich habe keine Ahnung, wann sie zurückkommen. Bald wird auch der Munitionsnachschub zum Problem werden. Und der Vorrat an Konserven schrumpft immer mehr. Den Supermarkt haben wir bereits geleert. Falls es also dazu kommen sollte, daß wir von hier weg müssen, ist es gut, ein großes Boot bereitzuhaben. Deshalb bauen wir es.« In dieser Nacht schlief Switch viel ruhiger. Eines Abends, als Jacko von einer weiteren erfolglosen Jagd zurückkam, blickten Cockade und Switch ihm erwartungsvoll
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entgegen. Sie hatten die Galerie fertiggestellt und hofften auf sein Lob. Natürlich tat Jacko ihnen den Gefallen und bewunderte ihr Werk. »Sehr schön, wirklich sehr schön. Wenn erst die Löcher geschlagen sind, haben wir eine uneinnehmbare Stellung.« »Was ist eine uneinnehmbare Stellung?« erkundigte Switch sich vorsichtig und hoffte, daß es etwas war, das man nie verließ. Gleichzeitig fragte Cockade: »Wie kommst du mit dem Boot voran, Shrug?« Am folgenden Tag brach Switch die restlichen beiden Löcher durch die Dachziegel und verstopfte sie mit Decken. Doch vorher wagte er einen kurzen Blick nach draußen, um zu sehen wie es war, ein Schußfeld von dreihundertsechzig Grad zu haben. Es war entsetzlich. Die Agorophobie war so weit fortgeschritten, daß ihn sofort ein unüberwindbares Schwindelgefühl übermannte. Cockade bemerkte es nicht. »Nun haben wir gewonnen, Switch!« rief sie triumphierend. Sie hörten Shrug unten hobeln. »Und der größenwahnsinnige Narr kommt nicht weiter. Es wird ihm nie gelingen, das Boot fertigzustellen. Hast du es gesehen? Alles, was er hat, sind Planken. Er hat ja keinen blassen Dunst vom Bootsbau!« »Vielleicht…« Switch fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und warf einen Blick auf Shrugs Flaschenvorrat. »Vielleicht sollten wir feiern. Uns einen Schluck genehmigen, meine ich.« »Bist du verrückt?« Cockades gute Laune schlug sofort um. »Du willst wohl wie er werden? Es ist geradezu erbärmlich, wie ihr Männer euch vom Alkohol abhängig macht. Wenn du vielleicht glaubst, daß ich…« »Schon gut, schon gut. Vergiß es!« Cockade warf ihm einen harten Blick zu, dann bückte sie sich. Sie hob die Holzabfälle von der Galerie auf und warf sie in die
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Glocke. Switch streifte sein Bett glatt. Dann legte er Hammer und Nägel in eine Ecke, ehe er blicklos ins Feuer starrte. Nach einer Weile schloß Cockade sich ihm an und sprach ihre Gedanken aus. »Was, zum Teufel, sollen wir jetzt tun?« Shrug hatte viele Enttäuschungen erlitten, seit er mit der Gruppe in dem versunkenen Städtchen lebte, und war manchmal dem Zusammenbruch nahe gewesen. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, sich je so niedergeschlagen gefühlt zu haben wie jetzt. Den ganzen Morgen hatte er, während er arbeitete, auf Geräusche von oben gelauscht. Er hatte Hämmern gehört, als Switch noch ein paar zusätzliche Nägel in die Galerie schlug, und dann das Krachen der brechenden Ziegel, als er die Löcher hindurchhackte. Danach herrschte Schweigen, und er konnte sich nur allzu bildhaft vorstellen, wie das Pärchen oben seinen Sieg feierte. Es wäre ja nicht so schlimm gewesen, wenn er Fortschritte mit dem Boot gemacht hätte. Aber als die Tage vergingen, hatte Shrug sich eingestehen müssen, daß er es einfach nicht schaffen würde. In Gesellschaft der anderen hatte er sich jedoch nichts anmerken lassen und mit großen Worten wie Duchten und Vorsteven und Rundgattheck um sich geworfen, die er in dem Buch gefunden hatte. Er seufzte und legte die Säge zur Seite. Die schwere Zimmermannsarbeit war ganz einfach zu viel für ihn. Er brauchte etwas zu trinken. Dummerweise mußte er, um seinen Vorrat zu erreichen, an Switch und Cockade vorbei. Und Cockade war kein angenehmer Sieger. Er schlich zur Treppe und starrte empor. Das flackernde Feuer in der Glocke warf hin und wieder einen Schein zur neuen Galerie hinauf. Plötzlich griff eine eisige Faust nach seinem Magen. Er hätte schwören können, daß dort oben ein Mann stand.
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Bis er sich selbst zuredete, daß es ganz gewiß Switch war, loderte das Feuer erneut auf und leuchtete hoch. Nein, es war nicht Switch. Es war aber auch nicht Jacko. Es war ein Fremder, über und über mit Schnee bedeckt. Und er hielt sein Gewehr in der Hand. Shrug unterdrückte einen Schrei und zog sich von der Treppe zurück. Cockade und Switch genehmigten sich schließlich doch eine Flasche Rosewein. »Es ist sicher das Größte, das je geleistet wurde, seit wir hierherkamen«, sagte Switch stolz. Plötzlich runzelte er nachdenklich die Stirn. »Cockade, kannst du dich eigentlich erinnern, wie wir hierhergekommen sind?« Sie schien zu überlegen. »Ich glaube, Jacko hat dich hergebracht. Ja, so war’s. Jacko hat dich gebracht.« »Dich nicht?« »Ich war immer hier. Und jetzt«, ihre Augen glänzten, »werde ich immer hierbleiben. Mit der Galerie können wir eine ganze Armee in Schach halten.« »Das bezweifle ich«, erklang eine kalte Stimme von oben. »O Gott«, heulte Switch. »Rührt euch nicht von der Stelle, ihr zwei, dann passiert euch nichts. Männer!« Der Fremde hob seine Stimme. Decken fielen aus den neuen Löchern in der Turmspitze und Bewaffnete krochen durch sie auf die Galerie. Ein Wald von Läufen war auf Cockade und Switch gerichtet. »Was, zum Teufel, wollt ihr?« keifte Cockade, und Switch blickte sie bewundernd an. Selbst Shrug, der mit einem Revolver zum Fuß der Treppe zurückgekehrt war, konnte ihr einen gewissen Respekt nicht aberkennen.
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»Dich ganz bestimmt nicht«, erwiderte der Anführer. Die anderen brachen in ein spöttisches Gelächter aus. »Wie viele seid ihr?« »Dreiundzwanzig«, Switch.
erklärte
Cockade.
»Vier«,
stammelte
»Versucht es noch mal!« »Vier.« »Ich sehe nur zwei.« »Einer ist unten«, erwiderte Switch eifrig. »Von ihm habt ihr nichts zu befürchten. Und der andere ist auf Jagd. Das ist Jacko, unser Führer. Der im Tunnel ist Shrug. Vor Jacko müßt ihr euch aber in acht nehmen. Er hat ein Gewehr und kann sehr gut damit umgehen. Doch er wird euch keine Schwierigkeiten machen, wenn er sieht, wie viele ihr seid. Wenn ihr wirklich wissen wollt…« »Halt dein Maul. Wie sieht es mit Lebensmitteln bei euch aus, Mädchen?« »Nicht sehr gut.« »Ruft euren Mann im Tunnel. Sorgt dafür, daß er heraufkommt, damit ich ihn sehen kann.« »Shrug! Shrug!« Shrug blieb, wo er war. Er zitterte am ganzen Körper, und der Revolver in seiner Hand war plötzlich furchtbar schwer. Er versuchte den Atem anzuhalten. »Versuch es noch mal, Mädchen. Mach’s überzeugend. Ich möchte keine Gewalt anwenden müssen. Warum sollten wir ihn durch die Tunnels jagen? Sieh zu, daß er sofort hier antanzt. Sofort!« »Shrug! Shrug! Ich muß mit dir sprechen! Hörst du?« »Shrug!« brüllte Switch, von Panik erfüllt. »Komm herauf, um Himmels willen. Sonst bringen sie uns um!«
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»Da hast du ja was angestellt«, sagte der Große kalt. »Wie bedauerlich für euch. Paßt auf sie auf, Männer. Ich steige jetzt hinunter.« Er schwang sich auf die Leiter. Shrug zielte mit bebender Hand auf den Rücken des Anführers und schoß. Der Knall in dieser Enge war ohrenbetäubend. Es war kein guter Schuß gewesen – die Kugel war fast unbeachtet in die Dachziegel gedrungen –, aber er erfüllte seinen Zweck. Die Männer trampelten auf der Galerie herum, um aus der Schußlinie zu kommen, während sie gleichzeitig die Läufe auf Cockade und Switch gerichtet hielten. Switchs Augen hingen an den obersten Steinstufen. Sie stellten für ihn eine Zuflucht dar, insofern, als er in einstweiliger Sicherheit wäre, wenn er die Treppe hinablaufen könnte. Shrug war unten, er konnte die Fleischjäger nach Bedarf abknallen, wenn er den Mut dazu hatte. Aber den hatte er sicher nicht. Er stellte sich Shrug am Boden unten liegend vor, zu verängstigt, auch nur noch einmal den Finger um den Abzug zu legen. Tatsächlich kam Switch der Wahrheit damit ziemlich nahe. Cockade fragte sich ebenfalls, ob es ihr gelingen würde, die Treppe zu erreichen. Wenn sie plötzlich losrannte, würden sie dann nicht auf den wie erstarrt stehenden Switch schießen, als das einfachere Ziel? Oder würde sie von Kugeln durchbohrt werden? Jacko hatte einmal erwähnt – und Jacko wußte, wovon er redete – , daß Pads auf schnelle Bewegungen aufmerksam wurden und angriffen, wenn man rannte. Aber wenn man sich ruhig verhielt, sahen sie einen kaum. Also blieb sie reglos stehen und hoffte, daß Switch einen Ausbruch versuchen würde. Und schließlich, war sie nicht eine Frau? Und eine Frau konnte diesen Männern auf so manche Weise nützlich sein. Wenn Switch aus dem Weg war, ließe sich vielleicht etwas mit ihnen aushandeln. »Lauf, Switch«, flüsterte sie drängend. Die ganze Aufregung, Shrugs Schuß, Cockades Einschätzung der Situation, nun gefolgt von Switchs verzweifeltem Sprung zur Treppe, hatte insgesamt nicht länger als sieben Sekunden
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gedauert, während derer die Galerie unbemerkt unter dem Gewicht der trampelnden Füße ächzte. Die Fleischjäger sammelten sich unbedacht an einer Stelle und feuerten auf Switch, der kopfüber die Steinstufen hinunterpurzelte. Cockade war immer noch darauf bedacht, sich nicht zu bewegen, als Jackos Theorie sich als richtig erwies. Dann, als das Echo der Schüsse erstarb, wandte sie sich dem Großen zu, der nun auf der Leiter stand. Sie versuchte ein Willkommenslächeln. »Es ist schön, neue Gesichter zu sehen«, erklärte sie. Mit einem donnernden Bersten gab die Galerie nach und ihre menschliche Last stürzte vier Meter tief auf den Boden des Glockenturms. »Sie griffen uns an, verstehst du, Jacko«, berichtete Switch eifrig. »Deshalb waren wir gezwungen, uns zu verteidigen.« Jacko betrachtete ungläubig die Leichen. Elf Mann lagen tot auf dem Glockenturmboden. Die Verteidiger waren einstimmig der Ansicht gewesen, daß sie sich Gefangene, selbst bewußtlose, nicht leisten konnten. Neben den Toten war eine eindrucksvolle Menge von Schußwaffen und Munition ordentlich aufgestapelt, genau wie die Bruchstücke der Galerie, die – wie Switch erklärt hatte – im Verlauf des Kampfes hatte daran glauben müssen. »Wir kämpften wie die Tiger«, behauptete Switch. Jacko mußte es für bare Münze nehmen – die Beweise sprachen dafür. Cockade schien nicht in der Lage, etwas beizusteuern, und Shrug hatte sich vollaufen lassen. Wer könnte es ihm nach einem solchen Sieg übelnehmen, dachte Jacko. »Das habt ihr großartig gemacht«, lobte er schließlich. »Wißt ihr, daß ich sehr stolz auf euch bin?« Die nächsten Tage blieb Jacko bei den anderen und half bei der Neuerrichtung der Galerie. Es war ohnehin gefährlich auf den
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Schneefeldern. Die Fleischjäger trieben sich in großer Anzahl herum. Jacko fand es daher zweckmäßiger, eine Weile Wache zu halten. Die Gruppe, die für den Überfall auf den Turm verantwortlich gewesen war, hatte in ihrem Hauptquartier zweifellos hinterlassen, welches Ziel sie aufs Korn nehmen würde. Dieses Hauptquartier vermutete Jacko irgendwo im Norden. Denn immer, wenn er Fleischjäger mit ihrer Beute hatte abziehen sehen, waren sie nach Norden verschwunden. Eines Morgens machte er mit Shrug einen Gang durch die Tunnels. Er erschrak, als er sah, wie sehr die Nahrungsmittelreserven geschrumpft waren. »Wir können noch ein paar weitere Tunnels durch das Eis sprengen«, schlug Shrug vor. »Möglich. Aber wir müssen wohl oder übel den Tatsachen ins Auge sehen. Früher oder später müssen wir weg von hier.« Jacko fröstelte. Er war die weiten offenen Schneefelder gewohnt und hatte vergessen, wie ungemütlich es in den engen Eiskorridoren war. Seine baumelnde Laterne warf ihren Schein auf die Aufschrift: BLACKS EISENWARENHANDLUNG SCHUSSWAFFEN – ANGELGERÄTE. »Wie weit bist du mit dem Boot?« erkundigte er sich. »Ich habe in letzter Zeit bei der Galerie mitgeholfen«, antwortete Shrug ausweichend. »Und vorher? Wieviel hast du geschafft?« »Ich zeige dir, wo das Holz herkommt. Hier hindurch. Paß auf deinen Kopf auf. Jetzt…« Er leuchtete auf die hohen Stapel. »Hier, siehst du?« Shrug zog am Ende eines Bretts. Mehrere, durch das Eis zusammengeklebte Planken, kamen gleichzeitig. »Das ist aber merkwürdig…«, murmelte Shrug. Im Eis dahinter war eine Art Höhle. Sie konnten die innere Wand sehen. Ein eigenartiger warmer Geruch drang davon heraus.
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»Schnell, pack das Holz wieder davor«, befahl Jacko plötzlich. Er hatte den Geruch zwar nicht bewußt erkannt, aber irgendwie hatte er einen Reflex in seinem Unterbewußtsein ausgelöst – und Jacko hatte es gelernt, solche Warnungen zu beachten. In früheren Zeiten als die Erde warm und von vielen wilden Tieren bevölkert war, hätte er vielleicht bestimmte Tiergerüche auf Anhieb identifizieren können. Die Erinnerung währte nicht lange, und die Höhle war bald vergessen. Weder Jacko noch Shrug kam der Gedanke, daß es zu dem Bau noch einen anderen Eingang geben mußte, denn sie hatten die Höhle gar nicht als Bau erkannt. Jacko war viel zu sehr damit beschäftigt, mit Shrug wegen der Konstruktion der Schneeprinzessin zurechtzukommen.
VII Ein Stakkato von Schüssen riß Cockade aus dem Schlaf. »Um Himmels willen, Jacko«, greinte sie. »Sieh doch endlich nach, was vor sich geht.« Sie schmiegte sich enger an Switch, der irgend etwas im Schlaf murmelte. Seufzend schlüpfte Jacko aus seinem Schlafsack und kletterte die Leiter zur Galerie empor. Mit dem Gewehr schußbereit, zog er nacheinander die Decken aus den Löchern und starrte hinaus. Es war nichts zu sehen. In keiner Richtung. Vermutlich Fleischjäger, die irgendein bedauernswertes Opfer verfolgt hatten, schloß er. Unten war Cockade erneut aufgewacht. »Wie, zum Teufel, soll man schlafen, wenn du dort oben herumtrampelst?« keifte sie aufgebracht. Sie hatte schon vergessen, daß sie selbst ihn hinaufgeschickt hatte. So leise wie möglich kletterte Jacko die Leiter wieder hinunter. Das Feuer glimmte in der Glocke. Cockade und Switch schliefen bereits wieder, eng aneinandergekauert in unwilliger Abhängigkeit. Shrug schnarchte in seiner Hängematte.
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Voll Stolz erinnerte sich Jacko, wie diese drei mit elf Fleischjägern fertig geworden waren. Sie waren seine Leute, sein Stamm. Er liebte sie, oder nicht? Am Morgen schloß sich ihm Shrug auf der Galerie an. »Irgend etwas muß in der Nacht vorgefallen sein. Cockade hat wieder einmal eine unerträgliche Laune.« »Sie hat Schüsse gehört.« Jacko blickte hinaus über die Schneefelder. Der Wind wehte heute stärker als sonst. Er peitschte das wirbelnde Weiß in hohen Wellen über das versunkene Städtchen. »Ich hätte es selbst hören müssen, aber ich schlief zu tief.« »Wie leicht hätte man uns alle umbringen können!« keifte Cockade. »Oh, ich habe auch nichts gehört.« Shrugs Wimpern und Brauen waren schwer vom Schnee. »Du glaubst, es waren Fleischjäger?« »Es ist anzunehmen. Vielleicht sollten wir des Nachts wieder einen Posten aufstellen«, meinte Jacko zögernd. Er wußte, daß dafür nur er und Shrug in Frage kommen würden. »Oder vielleicht sollten wir lieber von hier wegziehen – wenn die Schneeprinzessin fertig ist.« Den letzten Satz sprach er laut, damit die beiden Frühstücksköche ihn unten auch hörten. Es war nun schon über eine Woche her seit Jackos und seiner ergebnislosen Beratung über das große Schneeboot. »Frühstück wird kalt!« Die beiden Männer kletterten die Leiter hinunter. Jacko in guterhaltenem Schneidermantel, Shrug in zerschlissener Jacke. Switch beobachtete sie vom Feuer aus. »Ich werde dir heute was Neues zum Anziehen bringen, Shrug«, bot er ihm freundschaftlich an. Es gab so einiges, was ihm lieb wäre, wenn es Shrug Jacko gegenüber nicht erwähnte. »Soll er es sich doch selbst holen«, brummte Cockade automatisch und schob eine Gabel voll Speck in den Mund.
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»Glaubst du, daß die Fleischjäger vom Norden her kommen?« Switch versuchte das Thema zu wechseln. »Ich möchte, daß ihr Segeltuch herauf bringt, wenn ihr wieder in den Tunnels seid«, wandte Jacko sich an Switch und Cockade. »Wir brauchen bald Segel für die Schneeprinzessin.« »Wie weit ist das Boot denn schon?« fragte Switch. »Oh. In ein paar Wochen oder so, können wir aufbrechen.« Eine Woche, genau wie ein Monat, war eine unbestimmbare Zeitspanne. Switch starrte in das Feuer. »Uh… Du sagtest doch, es wird nicht – offen sein. Ich meine, wir brauchen uns nicht im Freien aufzuhalten? Wie ein Haus auf Schiern, das sagtest du doch, nicht wahr, Jacko?« »Wie ein Haus auf Schiern«, versicherte Jacko ihm. »Mit Wänden ringsum und einer Decke.« »Und gleich außerhalb des Turms?« »Unmittelbar hinter der Mauer dort.« Jacko deutete auf eine Stelle oben am Turm. »Wir werden ein paar Steine herausbrechen, dann könnt ihr direkt in die Kabine kriechen. Kein Problem.« »Oh…« Switch grinste freudlos. »Ich habe keine Angst vor dem Oben. Aber Cockade… Ihr wißt ja…« Das Mädchen blickte vom Feuer auf. Sie sagte keinen Ton, aber noch abfälliger hätte ihr Blick gar nicht sein können. Shrug spazierte langsam durch die Tunnels. Der Schein der Lampe brach sich gespenstisch auf dem glitzernden Eis, und manchmal, wenn die Tunnels eine Biegung machten, schien es, als käme ihm ein zweiter Shrug entgegen mit einer flackernden Lampe in der Hand. Shrug hatte eine sehr lebhafte Phantasie. Und Angst ebenfalls.
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Er versuchte sich abzulenken, indem er über ihre kleine Gruppe nachdachte. Zwei Verluste hatten ihre ursprüngliche Zahl von sechs auf vier reduziert. Cockade war offenbar unfähig, Kinder zu haben. Der Zweck ihrer Gemeinschaft war zu überleben. Sie brauchten Zuwachs, neues Blut. Die riesigen Lettern des Wortes SUPERMARKT, verzerrt vom Eis, tanzten im Lampenschein, als er in Gedanken versunken weiterschlurfte. Vor einem Monat oder zwei waren sie auf die Idee gekommen, die Schneeprinzessin zu bauen, um der Gruppe einen Antrieb zu geben. Nun, da die Galerie fertiggestellt war, war dieses Problem sogar noch wichtiger. Aber Shrug war nicht sehr glücklich darüber. Das heißt, die Idee war natürlich gut, aber die Ausführung… Er brüllte auf vor Schrecken und seine Stimme echote tausendfach durch die Gänge. Ein Mann stand vor ihm. Er starrte ihn durch eine dünne Eisschicht an, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Als Shrug unwillkürlich mit der Lampe zurückfuhr, schien es, als blinzle er ihm spöttisch zu. Der Mann lächelte rätselhaft. Er war von Kopf bis Fuß wie aus dem Ei gepellt und hatte eine bewundernswerte Statur. Der Wind blähte das Segel des Schneeboots auf. Jacko hatte diesen Morgen vom Turm aus Pads gesichtet. Sie waren also zurück. Die Jagdzeit konnte beginnen. Er schlug einen östlichen Kurs ein, im rechten Winkel zur Route, die die Fleischjäger vermutlich in der vergangenen Nacht genommen hatten. Während er dahinsegelte, ließ er sich die verschiedenen Faktoren durch den Kopf gehen, die mit der Konstruktion oder Unmöglichkeit einer Konstruktion der Schneeprinzessin zu tun hatten.
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Genau zur gleichen Zeit, auf dem Weg zu den Tunnels, debattierten auch Cockade und Switch über die Schneeprinzessin. »Ich verstehe nicht, weshalb wir so viel Zeit mit dem Bau des Boots vergeuden. Jetzt will er auch noch ein Segel!« Schon lange hatte sie alle Argumente vergessen, die überhaupt zur Konzeption des Boots geführt hatten. »Warum sollen wir denn von hier weg, Switch, möchte ich wissen.« »Die Nahrungsmittel aus den Tunnels reichen nicht ewig«, erwiderte ihr Gefährte düster, mehr aus Freude am Widerspruch, denn aus Loyalität zu ihrem Anführer. Die Schneefelder waren absolut eben. Eine endlose Weite, die ein Gebiet bedeckte, das früher ein Hügelland gewesen war. Der Schnee war weiß, der Himmel war weiß, und die oberste Schneeschicht wanderte mit dem Wind. Es war schwierig, Entfernungen zu schätzen. Die wenigen Anhaltspunkte schienen mitten in der Luft zu hängen. Jacko richtete sich nach dem Wind, der, solange er sich zurückerinnerte, aus der gleichen Richtung blies. Etwa eine halbe Stunde nachdem er den Turm verlassen hatte, stieß er unerwartet auf eine Gruppe von Schiern, die ihm mit geblähten Schultersegeln auf diagonalem Kurs entgegenkamen. Er beobachtete sie wachsam und griff nach seinem Gewehr, während er gleichzeitig am Segel hantierte. Er hatte vor, ihren Kurs etwa fünfzig Meter voraus zu schneiden. Das Boot schoß dahin, der Schnee knirschte unter dem flachen Rumpf. »He! Du!« Er ignorierte ihren Ruf, überrascht, daß er nicht wie gewöhnlich vom üblichen Gewehrfeuer begleitet wurde. Fleischjäger waren nicht wählerisch, was ihre Beute anbelangte. »Nicht dorthin!« hörte er dumpf durch den Wind. Offenbar wollten sie ihn vor irgend etwas warnen. Überrascht ließ er das Segel lose flattern, und das Boot schlitterte zu einem
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Halt. Er drehte sich in der Erwartung einer Falle um, sah jedoch nichts weiter als die kleiner werdenden Segelrücken der Schier. Das Schneeboot schaukelte ein wenig. Jacko wandte sich wieder nach vorn. Kalter Schweiß träufelte seinen Rücken hinab. Das flatternde Segel riß ihm das Tau aus den Fingern. Ein Pad stand am Bug. Er war etwa drei Meter hoch, hatte die mächtigen Beine gespreizt, während seine Tatzen den Bug umklammerten. Sein silbriger Pelz war an manchen Stellen starr vom gefrorenen Schnee. Seine Kiefer klafften und legten wie in der Karikatur eines Lächelns scharfe Zähne frei. Jacko starrte ihn wie gelähmt an, als der Pad mit seinen Pranken gegen das Schneeboot schlug, langsam zuerst, dann wie von Sinnen. Schließlich bückte er sich, langte unter das Boot und kippte es gelangweilt um. Kalte Dunkelheit hüllte Jacko ein. Das umgedrehte Boot bedeckte ihn. Rechts von ihm schimmerte ein grauer Streifen Tageslicht. Die riesigen Spreizfüße des Pads schienen geduldig darauf zu warten, daß er unter dem Boot hervorkroch. Shrug rannte mit pochendem Herzen und wild schwingender Lampe durch die Tunnels. Er wußte nicht, in welche Richtung er lief, er wollte nur eine möglichst große Entfernung zwischen sich und dem makellos gekleideten lebenden Toten legen. Er schluchzte, während er dahinstürmte, und mit jedem Spiegelbild, das der Schein der Lampe auf dem glatten Eis wiedergab, erhöhte sich seine Panik. Plötzlich stürmte ein schrecklicher Kerl mit verzerrtem Gesicht auf ihn zu. Shrug schrie, vermochte jedoch nicht mehr anzuhalten.
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Er raste geradewegs in die Eiswand und in die unnachgiebigen Arme seines Spiegelbildes. Zitternd lag er auf dem kalten Eisboden und spürte wie sein Herz dagegenhämmerte. Die Lampe war ausgegangen und das einzige Geräusch, vom Pochen seines Herzens abgesehen, war das rauhe Echo seines Keuchens. Nach einer Weile tastete er um sich. Er war am Ende eines alten Tunnels angekommen. Es gab keinen Weg weiter. Aber etwas anderes ertasteten seine Hände ebenfalls – glatte zylindrische Objekte. Eine große Anzahl davon. Vor Monaten, in Sorge um Shrugs Gesundheit, hatte Jacko den ganzen Vorrat des Spirituosenladens hier versteckt. Shrug öffnete eine Flasche und setzte sie an seine Lippen. Es war beruhigend, ein wundervolles, warmes Gefühl. Schon bald rannen ihm die Tränen über die Wangen, als er an seine Mutter dachte. Er fand es unverzeihlich, daß er sich nicht erinnern konnte, wie sie ausgesehen hatte. Jackos Hand berührte den Kolben seines Gewehrs, das halb im Schnee begraben lag. Er umklammerte ihn und robbte unter dem umgekippten Boot von den Füßen des Pads weg nach vorn. Vermutlich würde das Tier bald auf die Idee kommen, das Boot zur Seite zu ziehen. Wenn es soweit war, wollte Jacko nicht mehr darunter sein. Der kurze Mast hatte sich in den Schnee gebohrt. Jacko konnte nicht erkennen, ob er gebrochen war oder nicht. Er befreite sich aus dem Tau, in dem seine Beine sich verheddert hatten, und schlüpfte am Bug, halb im Schnee vergraben, unter dem Boot hervor. Er stellte sich auf, bis zu den Knien im weichen Weiß, und legte das Gewehr an. Der Pad drehte ihm den Kopf zu. Er stand etwa zwei Meter von ihm entfernt, in der Nähe des Hecks. Die Augen des Tiers
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wanderten von seinem Gesicht zum Gewehr und zurück zum Gesicht. Zitternd legte Jacko einen von der Kälte steifen Finger an den Abzug. Es war etwas Merkwürdiges an den Augen des Pads. Sie starrten ihn wie hypnotisierend an, warnten ihn, nicht zu schießen. Sie waren kleine glänzende Scheiben in dem gewaltigen silberpelzigen Gesicht, und ihr Ausdruck war fast menschlich. Jacko hatte das Gefühl, als stecke eine bösartige Intelligenz hinter ihnen. Die Büchse donnerte, und ihr Rückstoß warf Jacko aus seinem nicht sehr festen Stand. Sich wieder hochkämpfend, sah er den Pad zusammenbrechen, die Augen nach wie vor fest auf ihn gerichtet, bis ihr Glanz erlosch. Jacko kroch auf dem Bauch zum Schneeboot zurück. Er zog ein paar der losen Bodenbretter heraus und stellte sich darauf. Mit aller Gewalt zerrte er an der Bordwand, um das Boot wieder umzudrehen. Sie hob sich jedoch nicht mehr als etwa dreißig Zentimeter, denn der Mast war zu tief vergraben. Aus der Ferne näherten sich weiße Gestalten. Die Angst pumpte Adrenalin durch Jackos Adern und verlieh ihm zusätzliche Kraft. Er glaubte, der Rücken müsse ihm brechen, aber es gelang ihm schließlich, das Boot wiederaufzurichten. Er sprang hinein, packte das Tau und zog das Segel an. Langsam unsäglich langsam setzte das Boot sich in Bewegung. Erst jetzt erinnerte er sich an sein Gewehr. Er streckte den Arm danach aus, verfehlte es jedoch. Die riesigen zottligen Gestalten hatten ihn nun eingekreist und kamen auf ihn zu. Er band das Tau fest und hieb mit einem langen Stock auf die krallenbewehrten Tatzen ein. Gleichzeitig stieß er mit den Beinen gegen die Ruderpinne und steuerte einen Zickzackkurs mitten durch die Meute. Der Schlag einer enormen
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Pranke schmetterte ihn auf den Boden des Bootes. Er kauerte sich zusammen und wartete mit den Armen um den Kopf. Nach einer Weile wagte er es, ihn zu heben und übers Heck zu blicken. Etwa dreißig Pads starrten dem Schneeboot reglos nach, als der Wind es in Sicherheit trieb. Zitternd vor Erleichterung, steuerte er einen weiten Bogen, der ihn wieder nach Hause bringen würde. Ein neuer Faktor in ihrem Überlebenskampf hatte sich nun ergeben. Die Pads hatten begonnen, in Meuten zu jagen. Cockade und Switch schlurften, den Schlitten hinter sich herziehend, durch den Eiskorridor. Außerhalb des Supermarkts ließen sie den Schlitten stehen und kletterten durch die eingeschlagene Panzerglasscheibe. Im Licht ihrer Lampen wirkte der gewaltige, hallenartige Raum geradezu abweisend mit seinen zum größten Teil geleerten Regalen und den überall herumliegenden aufgeschlitzten Pappkartons. Sie stiegen über die selbstverursachte Unordnung hinweg zum Lager am Ende des Ladens. »Viel ist nicht übrig«, stellte Switch düster fest. »Lachs«, brummte Cockade und zog eine Kiste unter einem Haufen Abfall hervor. »Nein, Tomaten. Ich dachte, der Alte hat dir das Lesen beigebracht.« Cockade dachte nach und erinnerte sich schließlich. »Ach ja, der Alte. Jacko hat ihn umgebracht.« »Jacko hat ihn zu retten versucht. Du warst für seinen Tod.« »Ich?« »Ja, du sagtest, er sei ein Parasit.« »Und hatte ich vielleicht nicht recht? Wenn wir ihn gleich getötet hätten, wäre jetzt noch viel mehr zu essen für uns.« »Wir haben von dem Alten eine Menge gelernt.«
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»Und was hilft uns das nun schon?« Cockade stöberte mißmutig durch die Haufen leerer Kisten und Kartons, um doch noch etwas Eßbares zu finden. »Ich weiß zum Beispiel, daß dies hier Tomaten sind.« »Na und? Es ist doch egal, ob Tomaten oder Lachs, solange wir es essen können. Sieht nicht so aus, als ob sich sonst noch etwas hier fände. Wir werden morgen hungern, außer Jacko kommt mit einem Pad zurück.« Switch spürte erneut die nagende Unruhe, die sich in den vergangenen Wochen noch verstärkt hatte. »Und was ist mit übermorgen?« Sie blickte ihn an. Ihr Gesicht hatte einen wölfischen Ausdruck. Switch schauderte, und seine Hand tastete unwillkürlich nach dem Messer. »Wir werden einen anderen Supermarkt finden«, brummte sie, und plötzlich war sie wieder Cockade, seine Gefährtin, die ihm half, Vorräte zu sammeln. Er entspannte sich. »Beginnen wir doch gleich mit der Suche«, schlug er eifrig vor. »Um einige der alten Tunnels haben wir uns noch nie richtig gekümmert.« Sie beluden den Schlitten mit der einsamen Kiste Tomatenkonserven und ließen ihn stehen, wo er war, während sie den Korrdidor entlangstapften. »Wo wohl Shrug ist«, murmelte Switch. »Vielleicht in der Schneiderei? Wird ja auch Zeit, daß er sich was Neues zum Anziehen holt.« An der Tür zum Bekleidungsgeschäft, um die herum das Eis weggehackt war, blieben sie stehen. Die Schaufenster waren kaum erkennbar. Cockade hob die Lampe und leuchtete hinein, dann begann sie zu kichern. »Sieh dir das an, Switch!« Eine Schaufensterpuppe stand hinter der Glasscheibe und lächelte rätselhaft. Sie trug einen dunklen Abendanzug.
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»Glaubst du, daß Switch auch so aussehen wird, wenn er da drin fertig ist?« Der Gedanke, sich den schmuddligen Shrug mit seinem wirren Bart in einer solchen Kleidung vorzustellen, war doch zu erheiternd. Cockade schüttelte sich vor Lachen. Grinsend folgte ihr Switch in den Laden. Eine Weile bewunderten sie die Stoffe und Anzüge und staunten über die Umkleidekabinen. Die häßlichen Risse in den Wänden zeugten vom Druck des Eises. »Er ist nicht hier«, stellte Cockade schließlich fest. »Ich glaube auch nicht, daß es in dieser Richtung noch Lebensmittelgeschäfte gibt. Wir wollen umkehren.« Switch war dabei zuzustimmen, als er sich erinnerte, wie wütend Jacko schon einmal gewesen war, als er zurückkam und erfuhr, daß Shrug sich in den Tunnels verlaufen und niemand nach ihm gesucht hatte. Außerdem hatten sie kaum etwas zu essen gefunden. Unter diesen Umständen würde es nicht sehr erfreulich sein, Jacko unter die Augen zu treten. »Vielleicht sollten wir uns doch noch ein wenig umsehen«, schlug er vor. »Shrug ist ein Parasit«, brummelte Cockade, »aber Jacko würde wollen, daß wir uns um ihn kümmern. Der Himmel weiß weshalb.« »Vielleicht finden wir gleichzeitig auch Lebensmittel«, fügte Switch hinzu.
VIII Sie hoben Shrug auf die Beine und hielten ihn, während er sich stöhnend übergab. »Versoffener Kerl«, schimpfte Cockade. »Ein Mann hat mich aus dem Eis beobachtet«, murmelte Shrug. »Wie der Teufel sah er aus, weiß und lächelnd. O Gott…«
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Er beugte sich nach vorn, und der Rest seines Mageninhaltes kam hoch. »Eine Schaufensterpuppe«, grinste Switch. »Er hat sich vor einer Schaufensterpuppe gefürchtet!« Vor langer Zeit war es ihm ähnlich ergangen. Shrug hob den Kopf. Sein Gesicht war grau und schweißglänzend, seine Augen blutunterlaufen. »Das war keine Schaufensterpuppe«, wehrte er indigniert ab. »Seine Augen bewegten sich – ich schwöre euch, er rollte sie.« Aber er war nicht mehr so sicher. Sein Kopf schwamm. Er hatte das Bedürfnis, sich wieder bis zur Bewußtlosigkeit zu betrinken. »Komm schon, wir müssen zum Turm zurück«, drängte Cockade ungeduldig. Ihr Griff um Shrugs Arm verstärkte sich, und Switch packte ihn am anderen, dabei rutschte ihm die Lampe aus der Hand und zerschellte am Boden. »Zum Teufel«, fluchte Switch in der plötzlichen Dunkelheit. »O Gott! Ich kann nichts sehen! Meine Augen! Meine Augen! Ich bin blind!« »Halt’s Maul. Was hast du denn jetzt wieder angestellt, Switch?« »Die Lampe ist mir heruntergefallen. Oder was hast du gedacht?« »Ihm ist die Lampe heruntergefallen!« Cockades Stimme troff vor Hohn. »Was ist das schon? Willst du mir vielleicht sagen, wie wir ohne sie zurückfinden sollen?« Es dauerte eine Weile, ehe Switch »… scheint gebrochen zu sein«, murmelte. »Wartet, ich glaube, ich habe Streichhölzer.« Ein schwaches Glühen illuminierte die Eiswände. »Das wird uns nicht viel helfen.« »Aber ich habe es ja noch gar nicht angezündet!« keuchte Switch heiser vor Schrecken.
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Das Glühen wurde stärker. Es schien von keiner bestimmten Quelle auszugehen, sondern war plötzlich grün und gespenstisch rings um sie. Sie klammerten sich furchterfüllt aneinander. Selbst Shrugs Augen wurden klarer, und er teilte das Entsetzen der anderen. »Schaut!« Tief im Eis bewegte sich etwas – ein schwarzer vager Schatten im smaragdgrünen Glühen. Gebannt starrten sie darauf, beobachteten, wie sich die schwarzen verschwommenen Finger der Finsternis ausdehnten. Und plötzlich erwachte die ganze Wand zum Leben. Licht und Schatten tanzten darüber. Ein Feuerwesen erschien. Sie warfen einander panikerfüllte Blicke zu, rasten den Eiskorridor zurück und ertrugen wortlos, wenn sie dagegenprallten oder ausglitten. Als sie schließlich den Glockenturm erreichten, stampfte Jacko gerade den Schnee von seinen Stiefeln. Verdutzt hielt er inne, als sie die Treppe heraufgestürmt kamen und sich nach Luft schnappend auf den Boden warfen. »Um Himmels willen, was ist denn mit euch los?« Switch erholte sich als erster. »Im Tunnel ist ein Gespenst!« stöhnte er. Er erinnerte sich an die Geschichten aus seiner Kindheit. »Der Schwarze Mann! Er ist riesig!« Die Anstrengung war zu viel für ihn. Er schnaufte heftig. »Ein Pad?« erkundigte sich Jacko scharf. »Wir wissen doch, wie ein Pad aussieht!« brauste Cockade auf. »Was wir sahen, war groß und schwarz und hatte ganz verzerrte Formen, und es war ein Licht dabei. Wenn du jemals einen Pad siehst, der ein Licht trägt, dann dürfte etwas mit dir nicht stimmen. Und es befand sich im Eis.«
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Jacko blickte sie nachdenklich an. Sie hatten etwas gesehen, daran bestand kein Zweifel. Ein Pad konnte es kaum gewesen sein, denn wie sollte er in den Tunnel gelangt sein? »Was ist denn mit Shrug?« fragte er plötzlich. »Er erlitt einen Schock«, erwiderte Cockade hastig. Jacko beugte sich über die am Boden ausgestreckte Gestalt. »Er hat getrunken! Und ihr habt ihm dabei zugesehen!« »Wir können nichts dafür, Jacko«, winselte Switch. »Wir haben ihn so gefunden.« »Ihr verdammten Idioten«, quetschte Jacko zwischen den Zähnen hervor. »Ich mache mich für uns alle zur Jagd auf, und wenn ich zurückkomme, finde ich das! Ich frage mich manchmal wirklich, warum ich mich überhaupt noch um euch kümmere. Wie oft habe ich euch schon gesagt, ihr sollt ihn vom Schnaps fernhalten!« Cockade und Switch klammerten sich schuldbewußt aneinander und wichen ängstlich dem Blick Jackos aus, der sich wie ein Racheengel über sie beugte. »Du wirst uns doch nicht im Stich lassen, Jacko?« wimmerte Switch. Der hochgewachsene Mann zuckte die Schultern und richtete sich auf. Er schlüpfte aus dem Mantel und warf ihn auf sein Bett. »Habt ihr etwas zu essen mitgebracht?« Die beiden wagten nicht aufzusehen. Endlich Cockade: »Wir haben nichts gefunden, Jacko.«
murmelte
»Wa-as? Keine Dosen? Alles aufgebraucht? Es gibt noch andere Läden außer dem Supermarkt. Oder habt ihr das vergessen?« »Wir waren gerade dabei, uns danach umzusehen, als plötzlich dieses – dieses Ding auftauchte. Es jagte uns einen solchen Schrecken ein, daß wir einfach davonliefen«, erklärte Switch schuldbewußt. »Es ist bestimmt noch eine Menge Eßbares unten, Jacko, ganz sicher.«
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»Und wenn nicht, können wir ja alle mit der Schneeprinzessin woanders hinfahren«, fügte Cockade hinzu, um Jacko zu besänftigen. Jacko schritt zur Treppe. »Kommt mit, ihr zwei«, befahl er barsch. »Wir werden jetzt hinuntergehen. Ich will wissen, was dort vor sich geht. Aus euren Geschichten kann ich mir keinen Reim machen.« Sie ließen den schlafenden Shrug zurück und stiegen die Treppe hinab. Shrug spaltete sich und segelte über die weißen Schneefelder in den ebenso weißen Himmel, höher, immer höher. Und plötzlich war der Himmel blau, und alles Weiße lag unter ihm. Die vielen sich der kollektiven Wesenheit bewußten Teile, die Shrug waren, wunderten sich über das Blau des Firmaments, das genau die Farbe hatte, wie er sie von den Aufklebern auf den Jamaicarumflaschen kannte. Die vielen Shrugs hatten nie zuvor den Himmel gesehen, aber sie wußten, was sie erwartete, und arbeiteten mit den Schwingen auf die gigantische Gestalt des Mannes mit nur einem Bein zu, auf dessen Schulter das grüne gefiederte Wesen saß. »Achterpasch!« schrillte der Grüne. Er verschwand und ließ den alten Mann auf seinem Rücken vor dem mit scharlachroten Schlangen wimmelnden Hut liegen. Die Lippen des Alten bewegten sich. Shrug sammelte sich um ihn und sah, daß er Jackos Züge hatte. Jacko sagte: »Ich mache mir Sorgen wegen der Pads. Sie benehmen sich so merkwürdig.« Shrug fühlte sich tief in seiner Schuld, als er das vernahm. Sein Beitrag zum Wohlergehen seiner Kameraden war bisher nicht sehr bedeutend gewesen, darum murmelte er: »Ja, Vater.« Er salutierte und teilte sich erneut. Mit Hilfe von zwölf Ginflaschen, denen er für ihre Unterstützung dankte, schwärmte er wieder aus und segelte erneut zum Himmel empor.
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Über den Schneefeldern flatternd entdeckte er die Pads. Es war eine große Anzahl, darum spaltete er sich noch weiter und vermischte sich mit ihnen. Nun verstand er. Er dachte, wie sie dachten. Vorwärts, zusammen. Vorwärts mit dem Wind. Fleisch! Das Fleisch mit der großen Schale. Es weicht uns aus, entschlüpft. Oh! HUNGER! Fort. Fort mit dem Wind. Zusammen in den Wind um Fleisch. Gemeinsam, ich – wir – sind EINS! Alle mit dem Wind!
Und weit entfernt begann ein Wesen sich zu rühren. Es war kein Pad. Shrug kannte die Pads und ihre schwerfälligen Gedanken. Es war ein mächtiges Wesen, das wußte, was Shrug war, und das ihn dafür haßte. Shrug wollte nichts mit dieser Kreatur zu tun haben. Sein Geist scheute davor zurück, und gleichzeitig zog sich auch der Geist des Wesens zurück. Und doch hielt Shrug mit ungewollter Neugier eine schwache Verbindung mit ihm aufrecht, und er sah ein kugelförmiges Loch unter der Oberfläche der Schneefelder… Langsam, unsagbar langsam sammelte Shrug sich und kehrte zum Bewußtsein zurück. Er spürte den harten Boden unter seinem Rücken und öffnete die Augen. Als er stöhnte, erschrak er über seinen eigenen Laut. Mühsam torkelte er auf die Füße. Der Glockenturm war leer, das Feuer schon heruntergebrannt. Er nahm ein paar trockene Scheite und warf sie in die Glocke. Sein Kopf schmerzte unerträglich. Er kletterte die Leiter hoch und schnallte sich ein Paar Schi an die Stiefel. Jacko stapfte, die Lampe schwingend, den Eiskorridor entlang. Cockade und Switch folgten ihm mit hängenden Köpfen.
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»Also, wo genau habt ihr dieses Ding gesehen?« erkundigte er sich. Ein neues Gewehr hing über seine Schulter und schlug bei jedem Schritt gegen seine Hüfte. »Hier in diesem Gang, Jacko. Dort, wo du den Schnaps versteckt hattest.« »Habt ihr eure Spitzhacken?« »Ja… Ja…« »Sind eure Gewehre geladen?« »Ja.« »Dann gibt es doch überhaupt keinen Grund, euch zu fürchten!« »Nei-ein, natürlich nicht.« Trotzdem hielt Switch sich vorsichtshalber ein paar Schritte hinter Jacko. Cockade blieb immer weiter zurück, während Jacko sich dem Ende des Tunnels näherte. »Jacko«, gestand sie plötzlich. »Ich habe Angst. Es ist mir egal, was ihr von mir denkt, aber ich fürchte mich, Jacko!« rief sie ihm entsetzt nach, als die schwingende Lampe sich immer weiter entfernte. »Jacko, bitte, kehren wir um!« Plötzlich wurde ihr klar, daß sie sich allein im Dunkeln befand. Sie stürmte vorwärts und stieß mit Switch zusammen, der zurückrannte. Sie klammerten sich zitternd aneinander. »Wir wollen von hier verschwinden«, drängte Switch. »O Gott, was ist das?« heulte Cockade. Ein tiefes Dröhnen hallte durch den Tunnel. »Es ist das Ding!« winselte Switch, außer sich vor Furcht. »Es bricht durch! Es hat sich auf Jacko gestürzt!« Ein donnerndes Bersten erschütterte die Luft. Vor Angst wimmernd rannten die beiden Hals über Kopf in die Sicherheit des Turms zurück.
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»Wir kämpften«, keuchte Switch und starrte in das Feuer. »O Gott, du hättest uns sehen sollen!« »Es war unheimlich stark«, fügte Cockade hinzu. »Wie sah es denn aus?« erkundigte sich Shrug. »Riesig! Ungeheuerlich!« »Hatte Jacko denn kein Gewehr?« »Das Ding war über ihn hergefallen, ehe er es überhaupt in die Hand nehmen konnte.« Cockade malte sich die ganze Szene aus. Sie schauderte. »Wir hätten etwas tun sollen«, murmelte sie. »Aber es war bereits zu spät. Wir konnten uns kaum noch selbst retten.« »Dann befindet es sich also immer noch unten?« »Aber es kann nicht in den Turm. Wir haben die Tür verriegelt.« Shrug stand auf. »Ihr glaubt nicht, daß es sie einschlagen kann?« Cockade überlegte. »Sie ist aus massiver Eiche«, meinte sie. »Wo gehst du denn hin?« »Ich sperre die Tür auf«, erklärte Shrug. »Bist du verrückt?« Switchs Gesicht war angstverzerrt. »Hört mir zu, ihr beiden«, sagte Shrug gefährlich ruhig. »Während ihr unten wart, bin ich ins Freie gegangen, um mir einen klaren Kopf zu holen. Am entgegengesetzten Dorfende kam ich zu einem Dach, das ein winziges bißchen herausragt. Ein Loch war in den Schnee geschaufelt und ein Fenster eingeschlagen. Ich blickte hindurch und sah ein improvisiertes Lager und ein paar leere Konservendosen. Da wußte ich plötzlich, was uns im Tunnel erschreckt hatte. Es war der Schatten eines Mannes mit einer Lampe in einem parallelen Korridor. Das war alles. Kein Gespenst. Kein Ungeheuer. Lediglich ein Mensch.« »Aber er könnte gefährlich sein«, jammerte Cockade.
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»Er kam gestern nacht an«, fuhr Shrug fort. »Fleischjäger verfolgten ihn, deshalb versteckte er sich. Es war sehr wenig Schnee auf dem Boden. Er kann keine große Bedrohung für uns sein, wenn die Fleischjäger hinter ihm her sind.« Shrugs Ton wurde eisig. »Und dann kommt ihr hierher und erzählt mir euer Schauermärchen von einem Ungeheuer. Ich sage euch, was wirklich geschehen ist. Ihr habt vor Angst in die Hosen gemacht und seid auf und davon gerannt dort unten. Jacko habt ihr einfach im Stich gelassen. Und das nach all dem, was er für uns getan hat und obwohl er bei der Padjagd ständig seine Haut für uns riskiert, um uns frisches Fleisch zu bringen. Sobald ihr euch einbildet, daß es euch an den Kragen gehen könnte, nehmt ihr die Füße in die Hand. Jacko soll nur alles allein ausbaden.« Cockade und Switch starrten einander beschämt an. Ausnahmsweise fand nicht einmal das Mädchen ein Wort zu ihrer Verteidigung. Switch stieg wortlos die Treppe hinunter und zog den Riegel zurück. »Das Frühstück ist fertig!« tat Cockade fröhlich, während sie die zerquetschten Tomaten im ranzigen Fett umrührte. Sie und Switch hatten tiefen Schlaf vorgetäuscht, als Jacko und Shrug vergangene Nacht aus den Tunnels zurückkehrten. Nun versuchte Cockade sich durch eine frühe Morgenmahlzeit wieder lieb Kind zu machen. Jacko rührte sich und öffnete ein Auge. Shrug setzte sich stöhnend auf. »Was ist denn das für ein komischer Geruch?« fragte Jacko. »Tomaten«, erklärte Cockade bereits mit ätzendem Ton. »Sonst konntet ihr nichts auftreiben?« »Der Supermarkt ist leer, Jacko«, erinnerte ihn Switch.
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»Dann müssen wir eben anderswo suchen.« Jacko erhob sich und tupfte mit den Zehen an ein Fellbündel. »Frühstück!« rief er. Switch und Cockade sahen mißtrauisch zu, als der Pelzhaufen sich zu rühren begann. Zwei Köpfe erschienen. Der Mann befreite sich aus den Pelzen und stand auf. Er war gut zwei Meter groß, und das wirre dunkelbraune Haar hing in seine niedrige Stirn. Seine verhältnismäßig kleinen Augen waren von den runden Wangen fast versteckt. Er sah ungemein kräftig und primitiv aus. Switch betrachtete ihn nervös. Er war sogar größer und breitschultriger als Jacko. Doch dann fiel sein Blick abrupt auf das Mädchen. Sie erhob sich aus den dicken Pelzen wie eine schwarzhaarige Venus. Sie war schlank und hübsch, mit großen Augen in einem ernsten ovalen Gesicht. Ihre Brüste waren klein und fest unter dem zerknitterten enganliegenden roten Kleid, das sie sich, wie Switch annahm, vermutlich gestern aus dem Textilgeschäft in den Tunnels geholt hatte. Ihre Beine waren kräftig und wohlgeformt. Er benetzte die Lippen und warf unwillkürlich einen vergleichenden Blick auf Cockade, die ihn wütend anstarrte. »Hallo«, sagte das Mädchen lächelnd, und plötzlich schien die Sonne zu scheinen. »Ich bin Mignon. Jacko und Shrug habe ich bereits kennengelernt. Wer seid ihr beide?« Cockade schnaufte. »Switch und Cockade«, beeilte sich Switch zu erwidern und versuchte seine Bewunderung nicht allzu offensichtlich werden zu lassen. »Und wer ist das?« fragte Cockade und deutete auf den Giganten. »Mein Freund. William Charles.« Als er seinen Namen hörte, drehte der Riese ihnen den Kopf zu. Er hatte in den Kochkessel gestarrt. »William Charles«, echote er mit tiefer Stimme. Mignon lächelte. »Ich glaube, mein Freund ist hungrig.«
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Das Gespräch nach dem Frühstück war zuerst zurückhaltend und fast übertrieben höflich, was wohl hauptsächlich Mignons Schönheit und der Statur William Charles’ zuzuschreiben war. Aber bald entspannte man sich ein wenig. »Er spricht nicht viel«, erklärte Mignon. »Aber er ist sehr stark.« Sie meinte es als eine Art Rechtfertigung William Charles’ Nützlichkeit, aber Switch verstand es als versteckte Drohung und begann den Mund vollzunehmen. »Wir haben Schußwaffen hier«, begann er, »und wir sind gut organisiert. Wir haben schon viele Angriffe abgeschlagen und werden es auch weiter tun. Wir sind zwar nur wenige, aber wir halten zusammen. Unsere Einheit macht uns stark.« »Oh, seit wann halten wir so zusammen und sind uns so einig, Switch?« erkundigte Shrug sich spöttisch. »Ich persönlich bin sehr erfreut darüber, daß Mignon und, uh, William Charles sich uns angeschlossen haben. Je mehr, desto besser.« »Wo, zum Teufel, hat er nur diesen Namen her?« fragte Cockade. »Und noch etwas. Wir brauchen die Hilfe eines starken Mannes wie William Charles, um neue Tunnels durchzubrechen. Die Nahrungsmittel gehen zur Neige. Wir müssen neue Quellen erschließen«, erklärte Jacko. »Bis die Schneeprinzessin fertig ist«, warf Shrug ein. »Das ist sein Name«, sagte Mignon freundlich. »So nannte er sich schon, als ich ihn kennenlernte.« Cockade schnaubte. »Er bedeutet nichts und ist viel zu lang.« Herausfordernd blickte sie von einem zum anderen. »Ich schlage vor, wir nennen ihn Bog.« Switch nickte, wie nicht anders zu erwarten war, zustimmend. Aber Mignons Augen verengten sich, und Shrug fixierte Cockade finster.
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»Also heißt er von jetzt an Bog«, bestimmte Cockade triumphierend, als niemand offen widersprach. Sie deutete auf den Riesen, den sie inzwischen als harmlos klassifiziert hatte. »Bog!« »William Charles«, kam die schwerfällige Antwort. Er wies mit dem Finger auf Cockade. »Cockade«, betonte er nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Er tupfte sich auf die Brust. »William Charles«, wiederholte er brummig. Mignon bemerkte Cockades feindliches Gesicht. Sie lächelte dem Riesen zu. »Vielleicht wäre Bog doch besser, es ist kürzer«, meinte sie beruhigend. »Viel besser«, trumpfte Cockade auf. Mignon schwieg. Sie bückte sich und hob ein merkwürdig geformtes Stück Holz auf. »Was ist denn das?« fragte sie. Zögernd erwiderte Shrug. »Das ist für die Schneeprinzessin.« »Schneeprinzessin?« Switch erklärte. »Unser Kabinenboot. Ich habe dieses Stück selbst genau nach Shrugs Anweisung angefertigt. Man nennt es Knie, weil es so aussieht, und es gehört irgendwo an die Hülle. Ich nehme an. Jacko wird es heute einbauen. Die Schneeprinzessin hat Platz für vier. Und sie hat eine Kabine, weil – weil…« Seine Stimme schwankte. »Weil manche Leute die offene Weite nicht ertragen«, beendete Mignon mitfühlend den Satz für ihn. »Ja. Und heute fangen wir mit den Segeln an. Der Rumpf ist schon fast fertig. Jacko sagt, wir müssen nur noch die Duchten, Querbalken, die Kabinenseiten, ihr Dach und noch ein paar andere Sachen einpassen…« »Ich nähe die Segel«, warf Cockade ein. »In einer Woche oder so, im Höchstfall aber in zwei Monaten, können wir dann den Proviant laden, und auf geht’s.« Switchs Stimme hob sich zu einem triumphierenden Crescendo. »Schön war’s«, murmelte Shrug bitter, aber leise.
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»Oh, das muß ich sehen«, rief Mignon. Sie stieg die Leiter hoch, aber nur Switch schaute auf ihre Beine. Sie spazierte rings um die Galerie und blickte durch die Löcher im Turm hinaus ins Freie. Switch beobachtete sie mit unverhohlener Bewunderung. Nach all den Jahren in den Tunnels empfand er uneingeschränkten Respekt für jeden, der keine Angst vor der endlosen weißen Öde hatte. Abgesehen davon war Mignon von bezaubernder Schönheit. Cockade wußte seinen Gesichtsausdruck zu deuten und schnaufte verächtlich. Bog starrte ins Feuer. Shrug und Jacko blickten einander an. Mignon kam langsam die Leiter wieder herunter. Sie sah Jacko an, und er las in ihren Augen, daß sie verstand. »Es ist ein wundervolles Boot, Jacko«, sagte sie sanft. »Ich wünschte, es wäre groß genug, auch Bog und mich mitzunehmen.« Jacko seufzte tief. »Vielleicht können wir es größer machen.«
IX Shrug bewunderte, wie Bog die Spitzhacke handhabte und einen neuen Tunnel in ungefährer Richtung des Spirituosenladens aushob, wo sie weitere Lebensmittelgeschäfte zu finden hofften. Bog öffnete eine alte Route, indem er einen Parallelgang zu dem eingebrochenen schaffte. Shrug nahm fest an, daß der Spirituosenladen Teil eines bisher nicht erforschten Einkaufskomplexes war. Die Erinnerung an die alten Tage im Schnapsladen hatten ihn durstig gemacht, darum hatte er sich eine Flasche aus seinem Vorratslager geholt. Er trank, während er Anleitungen gab. »Ein wenig mehr nach rechts, Bog«, rief er in bester Laune und wischte sich die Lippen. »Wir kommen etwas schief.« Der Gigant schwang die Spitzhacke und summte rhythmisch vor sich hin. »Wart einen Augenblick.« Shrug fühlte sich unbeschwert wie selten. Er schob den Schlitten vorwärts und begann das lose Eis
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um Bogs Füße wegzuschaufeln. Als der Schlitten aufgehäuft war, nahm er seine Lampe und zog ihn zu einem aufgegebenen Gang, den er als Abladeplatz benutzte. Plötzlich kam ihm eine Idee. Er kehrte zu Bog zurück und befahl ihm großspurig aufzuhören. »Was?« Der Gigant drehte sich verwundert um. Ginge es nach ihm, er würde den ganzen Tag ohne Rast weitermachen. Die Arbeit bereitete ihm Spaß, vor allem in der Gesellschaft seines neuen Freundes. »Wir vergeuden nur unsere Zeit, Bog, alter Kumpel. Was wir brauchen ist Dynamit.« Shrug grinste vor Vorfreude. Jacko und Mignon standen auf der Galerie und blickten über die Schneefelder. »Früher oder später müssen wir von hier fort«, murmelte Jacko. »Ich habe zwar das Gefühl, daß wir durch intensive Suche unten im Städtchen noch auf eine Menge Lebensmittel stoßen werden, aber selbst mit dir und Bog jetzt ist unsere Gruppe ganz einfach zu klein. Wir würden hier nur dahinvegetieren, bis wir sterben. Das ist doch kein Leben!« »Wo willst du denn hin?« fragte Mignon. »Das ist eben das Problem. Ich weiß nicht so recht. Wir hatten schon einmal die Absicht, nach einer Auseinandersetzung mit den Fleischjägern. Wir trennten uns und wollten weg. Ich glaube, wir waren damals sehr verstört, weil einer von uns den Tod gefunden hatte. Ich nahm den alten Mann und segelte mit ihm zu einem Ort, weit weg von hier, wo kein Schnee mehr lag. Als ich dort ankam, gefiel es mir nicht. Ich kehrte zurück und fand die anderen immer noch hier. Switch und Cockade hatten Angst, sich ins Freie zu wagen. Sie hatten zu lange unter der Oberfläche gelebt.« »Bedeutete der Alte dir viel?« fragte Mignon. »Uns allen, auch wenn die anderen es sich nicht eingestanden. Er lehrte uns lesen und brachte uns auch sonst eine Menge bei. Ihn am Leben zu erhalten, gab uns ein Ziel. Wir dachten nicht
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soviel an uns selbst. Als er fort war, lebten wir mehr oder weniger nur in den Tag hinein.« Bis ihr euch die Schneeprinzessin erträumtet, dachte Mignon. »Und in letzter Zeit ist alles noch schlimmer geworden«, fuhr Jacko fort. »Schon seit Wochen haben wir kein frisches Fleisch mehr. Die Pads haben sich irgendwie – organisiert. Es beunruhigt mich. Sie waren bisher eben Tiere, nichts weiter. Nun sind sie etwas – etwas anderes. Manchmal glaube ich, daß sie gefährlicher als die Fleischjäger sind.« »Ihr dürft die Fleischjäger nicht unterschätzen«, warnte ihn Mignon. »Sie werden zu einer immer größeren Bedrohung. Wenn sie Bog und mich erwischt hätten, würden wir heute nicht mehr leben. Sie sind hungrig, und ihnen geht es mit den Pads nicht besser als dir. Windaufwärts haben sich außerdem eine Menge Städte zusammengetan. Sie können sich verteidigen. Die Fleischjäger lassen sie in Ruhe, weil sie wissen, daß sie keine Chance gegen sie haben. Aber sie überfallen jeden Boten, der die Verbindung zwischen den Städten aufrechterhält. Bog und ich kommen aus Bovey. Wir hatten den Auftrag, mit Moreton Kontakt aufzunehmen. Sie lauerten uns auf, und es blieb uns nichts übrig, als in Windrichtung zu fliehen. Sie verfolgten uns bis fast hierher…« Ihre Stimme brach, und sie zitterte am ganzen Körper in Erinnerung an das Erlebte. Jacko legte seine Hand auf ihre. »Ich bin sehr froh, daß du hier bist, Mignon.« Cockade und Switch unten wurden unruhig. »Es gefällt mir nicht«, brummte Cockade. »Zwischen den beiden spinnt sich doch was an.« Sie saß auf dem Boden, ein Segeltuch über den Knien, durch das sie wütend die Nadel stach. »Na, und was ist schon dabei?« Switch grinste. »Es ist doch allmählich Zeit, daß Jacko zu einer Frau kommt.«
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»Wie kann man nur so kurzsichtig sein!« schnaubte Cockade. Sie schob das Segeltuch zur Seite und baute sich über Switch auf, der an einer Planke hobelte. »Was meinst du denn?« fragte er verwirrt. »Das!« Sie packte ihn am Schopf und zerrte seinen Kopf zurück. Sein erstauntes Gesicht war nun dicht an ihrem. »In der Schneeprinzessin ist nur für vier Platz.« Sie hielt ihm vier Finger unter die Nase. »Vier! Hörst du?« »Das weiß ich doch.« »Jacko ist oben auf der Galerie mit dem Mädchen. Shrug arbeitet unten im Tunnel mit Bog. Nun sag mir, Switch«, zischte sie, und der Ausdruck ihres Gesichts erschreckte ihn, »welche zwei bleiben da übrig?« Nun begann ihm zu dämmern, worauf sie anspielte. »Wir«, brummte er schließlich. »Jawohl! Wir!« Ihre Augen verengten sich. »Switch, wenn wir nicht mit der Schneeprinzessin fortkönnen, soll es auch niemand anderer!« »Was meinst du damit? Was hast du vor?« »Das wirst du noch sehen…« Abrupt ließ sie ihn los und drehte sich um, als Jacko und Mignon die Leiter herunterkamen. »Was macht das Segel?« erkundigte sich Jacko. Der Donner einer heftigen Explosion verschluckte Cockades Antwort. Der Turm erzitterte, und der Schmutz auf dem Boden wirbelte auf. Als sie einander erschrocken anstarrten, blies ein starker Luftdruck ein Durcheinander von leeren Pappkartons und zerfetztes Packpapier die Steintreppe herauf. Eine Lampe fiel um, und das Petroleum bildete eine dunkle Lache auf dem Boden. Es entzündete sich explosionsartig, und das Feuer trug mit seinen lechzenden Flammenzungen und den flackernden Schatten zur weiteren Verwirrung bei.
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Jacko faßte sich als erster. »Mignon! Cockade!« brüllte er. »Schnell, löscht! Switch, du kommst mit mir!« Er stürmte die Treppe hinunter, etwas zögernd gefolgt von Switch. Mignon schlug mit dem Segeltuch auf das Feuer ein. Cockade starrte fasziniert. Eine dünne Flammenzunge leckte nach dem halbfertigen Segel. Der Stoff färbte sich schwarz. Funken sprühten den Rand entlang. Cockade überlegte… »Es schien mir eine so gute Idee«, murmelte Shrug kleinlaut. »Du hast den ganzen Tunnel zum Einsturz gebracht«, wies Jacko ihn zurecht. »Die Arbeit eines ganzen Tags oder mehr ist zunichte. Ihr werdet morgen noch einmal von vorn anfangen müssen.« »Von vorn anfangen«, echote Bog glücklich. »Ja, natürlich, Jacko«, stimmte Shrug zu. Er fiel in einen unruhigen alkoholschweren Schlaf. Ungebetene Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. Es schien, als stünde er auf dicken kräftigen Beinen und fühlte sich ausgesprochen wohl. Der Wind war kalt und erfrischend. Die Grube, in die er hinunterstarrte, war vielversprechend. Shrugs Gedanken sprachen mit denen seiner Kameraden, als sie sich mit ihm sammelten. Und während er redete, war es, als sprächen sie alle als einer. Ein einstimmiges Murmeln der Zustimmung. Jetzt? Jetzt! Cockade lag wach und blickte hinauf zum Dach, während der letzte Schein des sterbenden Feuers über die uralten Holzbalken tanzte.
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»Switch?« flüsterte sie. Sie betrachtete die schlafende Gestalt neben sich, dann schlüpfte sie leise aus den Decken. »Tut mir leid, Bog.« »Okay«, brummte der Riese und studierte die gewaltige Anhäufung riesiger Eisbrocken. Sie hoben sich am Ende eines kurzen Korridors steil in einem wirren Haufen bis über die Schneedecke hinaus und gaben ein ausgezacktes Blickfeld auf den blassen Himmel frei. »Wir haben bis zur Oberfläche durchgesprengt«, staunte Shrug. Ein beunruhigendes Gefühl der Erinnerung jagte einen kalten Schauder seinen Rücken hinab. Er hatte das Ausmaß der Explosion gekannt, ehe er es heute morgen noch sah. Sie hatten gestern vor der Sprengung Deckung gesucht. Dann war Jacko aufgebracht vorbeigestürmt, hatte den Eistrümmerhaufen kurz im Lampenlicht betrachtet und sie dann auf dem Rückweg im Supermarkt entdeckt, wohin sie sich schuldbewußt verzogen hatten. Er hatte sie zum Turm zurückgejagt, und sie hatten sich kaum über die Sprengung unterhalten. Und doch war ihm dieser Anblick vertraut… »Anfangen?« fragte Bog und schwang seine Spitzhacke. »Ja«, murmelte Shrug. Sie würden einen weiten Bogen um den Eishaufen machen müssen, um das brüchige Eis in unmittelbarer Nähe zu umgehen. Bog begann zu hacken. Eisstücke flogen. »Halt!« brüllte Shrug. Er hörte etwas wie eine Lawine und befürchtete, daß Bog dabei war, das Eisdach zum Einsturz zu bringen. Ein Eisbrocken prallte auf dem Boden auf und glitt gegen seinen Fuß. Verwirrt trat er näher an die Explosionsstelle heran. Der steile Berg aus Eisbrocken bebte. Kleinere Stücke polterten herab und rollten über den Korridor. Er blickte hoch, und sein Herz drohte stillzustehen.
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Ein riesiger Pelzhintern versperrte die Sicht auf den Himmel. Rückwärts kam ein Pad die Eislawine heruntergeklettert. »Bog!« krächzte Shrug. Er rannte zurück und hielt abrupt an, rutschte jedoch noch ein paar Schritt weiter. Im schwachen Lampenlicht sah er Bog lautlos mit einem zweiten gigantischen Pad ringen. Shrug beobachtete hilflos den Kampf. Das Tier hatte seine Vorderpranken um Bog geschlungen. Der Mann preßte mit beiden Handflächen gegen die bärenähnliche Schnauze, versuchte sie zurückzudrücken. Der Pad war gut einen halben Meter größer als der Mensch. Seine winzigen Augen stierten über Bogs Kopf hinweg bösartig auf Shrug. Er grunzte vor Wut, als er die Hände des Mannes zurückzwang. Shrug vermochte seinen stinkenden Atem zu riechen. Bogs Mantel war zerfetzt. Blut rann über seinen nackten Rücken um des Pads messerscharfe Klauen und färbte das Silberfell rot. Shrug schlug plötzlich mit der Hacke auf den Schädel der Bestie ein, doch es blieb recht wirkungslos, weil er zu wenig Platz zum Ausholen hatte. Er schluckte vor Angst und Verzweiflung, während Bog immer schwächer wurde und sein Gesicht sich vor Schmerz verzerrte. »Lauf, Freund!« keuchte er. »Ich werde seiner schon Herr!« Shrug vernahm das Rollen von weiteren Eisstücken, als der zweite Pad unten ankam. Sein gewaltiger Körper füllte den ganzen Gang. Er beobachtete den Kampf mit glühenden Augen und wartete auf seine Chance, sich am Opfer den Bauch vollzuschlagen. Shrug zwängte sich an Bogs Gegner vorbei und kauerte sich in den Schatten. Bog stöhnte vor Schmerz, als der Pad die Umarmung verstärkte und seine Klauen immer tiefer in Bogs Rücken drangen. Das Untier, dessen Schnauze kaum noch drei Zentimeter von Bogs Gesicht entfernt war, schnüffelte vor Aufregung. Es roch das Blut, und stinkender Geifer träufelte aus seinen Lefzen.
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»Lauf, mein Freund«, wisperte Bog. Shrug hörte es und weinte hilflos. Dann, ohne lange Überlegung, handelte er. Er packte die Lampe und schmetterte sie über den gewaltigen Schädel des Pads. Das Petroleum rann lichterloh brennend über die Schulter der Bestie. Der Schein brach sich grell in den Eiswänden. Der lodernde Kopf des Pads starrte Shrug aus jeder reflektierenden Fläche an. Als das Tier davontorkelte, legte Shrug die Arme um Bogs Mitte und half ihm den Korridor entlang. Der zweite Pad kehrte offensichtlich verängstigt zum Eishaufen zurück. Während Shrug und Bog zum Turm zurücktaumelten, hörten sie Grunzen und Schnüffeln aus den dunklen Tunnels, in denen zahllose Pads herumtappten. Sie hatten offenbar geschlafen, als die beiden Menschen sich auf den Weg zur Eislawine gemacht hatten, und waren durch die Qualen ihres Bruders geweckt worden, die sie mitfühlten. Endlich erreichten Shrug und Bog die Eichentür zum Turm. Shrug schob Bog hinein und drehte sich um, als es plötzlich hell hinter ihnen wurde. In der Ferne tauchte der brennende Pad auf. Sein Schädel und die Schultern waren ein einziger Feuerkranz, den tausend Eisspiegel zurückwarfen. Das Tier brüllte vor unerträglichem Schmerz. Es fiel zu Boden und schlug im Todeskampf mit Vorder- und Hinterpranken um sich. Als Shrug die schwere Tür hinter sich und Bog verriegelte, hörte er ein vielstimmiges Wimmern und Heulen. Die Pads beweinten den Tod ihres Kameraden. »Nun hast du es geschafft, du alter Säufer!« kreischte Cockade, während sie ängstlich auf das Rammen schwerer Körper gegen die Eichentür lauschte. »Du hast sie durch die Hintertür eingelassen. Nach all der Arbeit, die wir uns mit der Befestigung machten!«
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Mignon, die gerade Bogs Wunden verband, blickte auf. »Das ist unfair«, sagte sie. »Das konnte Shrug ja schließlich nicht wissen.« »Ach«, meinte Switch zuversichtlich, »wir brauchen schließlich nur ein provisorisches Segel für die Schneeprinzessin, dann fahren wir einfach von hier weg. Cockade und ich in der Kabine, und ihr vier an Deck.« »Wir können Bog diesen Strapazen jetzt nicht aussetzen«, widersprach Mignon. »Die Schneeprinzessin ist noch nicht fertig«, sagte Jacko. »Aber wenn wir ganz langsam segeln?« bat Switch. »Ich fürchte, es läßt sich nicht machen.« Cockade beobachtete sie verkniffen. Die Angst lag wie ein schwerer Stein in ihrem Bauch. In der vergangenen Nacht war sie mit ein paar Kanistern Petroleum zur Galerie hinaufgestiegen, und dann noch einmal und noch ein paarmal. Im Dunkeln war es nicht so schlimm. Der Wind heulte durch das Loch in der Turmspitze, aber er störte sie nicht. Die Hauptsache war, daß sie die stäubende weiße Öde nicht sehen mußte, die ihr eine solch panische Angst einjagte. Sie zog die Decken aus dem Loch, hinter dem, wie sie von Jacko wußte, die Schneeprinzessin vertäut war. Ihr Plan war ganz einfach. Wenn sie und Switch keinen Platz auf dem Boot hatten, brauchte für die anderen auch keiner zu sein. Sie würde das Petroleum über die Schneeprinzessin leeren und ein brennendes Streichholz hinterherwerfen. Probehalber zündete sie eines mit zitternden Fingern an und warf es zum Loch hinaus. Der Wind fegte es fort und brachte es zum Erlöschen. Sie zündete ein zweites und drittes. Sie schluchzte vor Enttäuschung. Sie versuchte es immer wieder.
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Die Schachtel war leer. Die Petroleumkanister standen unbenutzt zu ihren Füßen. In ihrer Wut schlug sie mit den Stiefeln dagegen und stieß sie achtlos um. Unten im Glockenturm rührte sich jemand. Bog war versorgt und lag mit geschlossenen Augen auf seinen Fellen. Sein Atem kam sehr flach. Jacko, Mignon und Shrug schritten zur Leiter. Der Lärm unten wurde immer heftiger. Dem Krachen der Schläge folgte bereits bedrohliches Splittern. »Könnten wir es nicht mit dem Schneeboot versuchen, Jacko?« fragte Shrug. »Es wird das Gewicht nicht aushaken. Aber es ist vielleicht die einzige Chance, die uns bleibt. Wir könnten Decken über Switch und Cockade legen, daß sie nichts zu sehen brauchen, und Bog müßte im Liegen steuern. Wir drei anderen nehmen Schier. Trotzdem – drei im Boot! Es ist nur ein Einmannfahrzeug. Und wie können wir Bog die Leiter hoch- und dann hinausschaffen?« Sie stiegen zur Galerie empor und blickten hinaus auf die wirbelnde Weiße. Sie sahen den Spalt im Schnee, eine tiefe Kluft links von ihnen. Etwa hundert Meter windwärts tobte eine Meute junger Pads ausgelassen herum, während ihre Alten die Eistunnels nach frischem Fleisch durchstöberten. Drei Meter unterhalb des Lochs in der Turmspitze lag Jackos Schneeboot. Ebenfalls auf der windgeschützten Seite, teilweise mit Schnee bedeckt, warteten die einzelnen Teile der Schneeprinzessin darauf, daß sie zusammengefügt würden… Rings um den Turm kauerten dicht an dicht zahllose Pads und starrten sie mit intelligenten, hungrigen Augen an.
X Cockade und Switch saßen am Fuß der Steintreppe und beobachteten furchtsam die Eichentür. Sie bebte erschreckend unter dem wütenden Ansturm der schweren Leiber. Feine Risse
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zeichneten sich bereits in der Holzmaserung ab. Die beiden hielten Gewehre in den Händen und gaben hin und wieder aufs Geratewohl einen Schuß ab. »Viel länger hält sie nicht mehr«, stöhnte Switch verzweifelt. Er hob das Gewehr und feuerte mehrmals hintereinander. Das Knallen echote von den Mauern. »Die Kugeln bleiben alle im Holz stecken«, brummte er. »Wenn sie nur die Pads auch so abhalten würde!« Abrupt stand er auf. »Es hat ja doch keinen Zweck. Im Turm sind wir sicherer. Ich möchte wissen, wo die anderen so lange bleiben.« »Ich auch!« sagte Cockade. Tiefes Mißtrauen klang aus ihrer Stimme. »Weißt du was? Diese Schufte sind auf und davon, sie haben uns einfach im Stich gelassen!« Sie sprang auf die Füße und keuchte die Treppe hoch. »Seid ihr da?« schrillte sie. Bog, der immer noch auf dem Rücken lag, zuckte zusammen und blinzelte. Von der Galerie knallten ein paar Schüsse. »Wir sind hier oben«, rief Jacko müde. »Gut«, bellte Cockade. »Ich hatte den starken Verdacht, du hast mit Shrug und deiner Freundin das Weite gesucht. Worauf, zum Teufel, schießt du eigentlich? Du wirst nur die Pads auf die Turmspitze aufmerksam machen, du verdammter Narr!« »Sie sind schon lange hier!« rief Jacko zurück. »Mignon würde nie einfach das Weite suchen«, sagte Bog überzeugt, so schwer ihm auch das Sprechen fiel. »Willst du damit sagen, daß wir umzingelt sind?« kreischte Cockade. »Ich fürchte, so ist es.« »Ich glaube es dir nicht. Wir kommen hoch«, schrillte Cockade. »Bleibt unten, ich komme zu euch. Shrug! Du und Mignon wartet hier eine Weile. Ich muß den beiden Idioten den Kopf waschen. Unsere einzige Chance, die Pads zu erledigen, ist, wenn sie die Treppe hochkommen… Wir können uns nicht alle auf die Galerie zurückziehen. Außerdem bekämen wir Bog nie die
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Leiter herauf. Irgendwie müssen wir einen Weg finden, sie zu vertreiben…« »Ich habe gehört, daß du uns Idioten genannt hast!« Cockades Stimme überschlug sich. »Es müssen mehr als hundert sein«, murmelte Mignon. Shrug schwieg einen Augenblick. »Sag mal, riechst du ebenfalls Petroleum?« fragte er schließlich schnuppernd. »Mhm… Schau, da liegen ein paar Kanister herum.« Shrug lehnte sich aus dem Loch und blickte auf Jackos Schneeboot hinunter. Seine Gedanken wanderten kurz zu Cockade. Dann überflog er die Schneefelder. Er dachte an die Pads. Unzusammenhängende Erinnerungsfetzen drängten sich ihm auf. Sachen, die Jacko erwähnt hatte. Dinge, die er – träumte? »Mignon«, bat er. »Gib mir Feuerschutz. Ich klettere hinunter zu Jackos Boot. Halte mir die Pads so lange vom Leib. Lös das Haltetau, sobald ich zurück bin.« Er lockerte das Seil ein wenig, das zum Boot hinunterführte, warf ein paar Kanister Petroleum durch das Loch, und nahm eine Lampe von der Galerie, mit der er unbeholfen durchs Loch stieg und die äußere Leiter hinunterkletterte. Mit geifernden Lefzen bewegten die Pads sich unruhig auf ihren Hinterbeinen. Mignons Gewehr begann zu donnern. Mit einem ohrenbetäubenden Bersten brach die schwere Eichentür aus den Angeln und fiel in den Treppenvorraum. Ein riesiger Pad prallte mit ihr auf den Boden. Jacko legte das Gewehr an. Der weiße Pelz des Eindringlings färbte sich rot. Grunzend und brummend drängte die Meute sich durch den Eingang. Jacko, Switch und Cockade schossen pausenlos. Die Todesschreie klangen fast menschlich, als mehrere Pads auf den
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Boden sanken. Jene hinter ihnen kletterten mit weitaufgerissenen Rachen über sie hinweg. Der Geifer rannte ihnen herab, als sie das Trio auf den Stufen entdeckten. Ein penetranter Raubtiergestank erfüllte die Luft. »Nach oben!« befahl Jacko und streckte den vordersten Pad nieder, der bereits die erste Stufe erreicht hatte. Er taumelte rückwärts gegen die anderen, und Switch gelang es, in dem Durcheinander einen zweiten Pad mit einem Schuß in den Rachen zu töten. Cockade hatte ihr Gewehr fallen lassen. Mit den Händen gegen die Lippen versuchte sie einen Schrei zu unterdrücken, als ein weiterer Pad hoch aufgerichtet zu torkeln begann und eine Blutfontäne aus seinem Bauch spritzte. Inzwischen war der Treppenvorraum voll Pads, und neue drängten durch den Eingang, drückten die ersten durch ihre Zahl die Stufen hinauf. Jacko und Switch zogen sich langsam zurück, unaufhörlich in die wimmelnde Masse feuernd. Das Brüllen und die Schreie bewiesen, daß ihre Kugeln ihr Ziel fanden. Aber die Menge war zu überwältigend… Am Kopfende der Treppe keuchte Jacko. »Klettert zur Galerie hoch, ihr zwei.« Der Befehl war unnötig. Switch und Cockade hatten bereits die Flucht ergriffen. Jetzt ließ auch Switch sein Gewehr fallen und kämpfte mit Cockade um den Vorrang auf der Leiter. Jacko stellte sich mit gespreizten Beinen über Bog und hielt das Gewehr in Anschlag. Der vorderste der Pads tapste die Stufen hoch. Als er die beiden Männer sah, stellte er sich aufrecht und durchquerte den Glockenturm in vier Schritten, ohne auf die Kugeln zu achten, die in seinen Körper drangen. Nun stand er in voller Größe vor Jacko. Mit einer verächtlichen Prankenbewegung fegte er das Gewehr aus dessen Hand. Jackos Augen bohrten sich in jene des Kolosses…
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Die sich nach ihm ausstreckende Tatze erstarrte. Dann ließ der Pad sie sinken. Unentschlossen hielt er an, während Jacko die Augen nicht von seinen ließ. Jetzt schlugen auch von oben Kugeln in den mächtigen Körper. Aber immer noch stand er reglos, während die anderen Pads, ohne sich zu rühren, auf den Hinterbeinen kauerten. Dann drehte er sich um. Sie alle drehten sich um. Langsam zuerst, überlegend fast, stapften sie zur Treppe. Schließlich drängten sie in plötzlicher Eile, einander stoßend und zur Seite schiebend, die Stufen hinunter. Eigenartig maunzende Töne entfuhren ihren Schnauzen. Sie waren fort. Der Glockenturm war leer. Jacko kletterte die Leiter hoch. Switch und Cockade saßen auf dem Boden der Galerie. Shrug und Mignon starrten mit offenen Mündern hinaus. Die Pads, die bisher den Turm umzingelt hatten, rannten über die trostlosen Schneefelder davon, überschlugen sich fast in ihrer Hast. Über zweihundert Feuerball.
von
ihnen
verfolgten
einen
glühenden
In einiger Entfernung im Westen, in dicke Pelze gehüllt, hörte der dunkle Mann die Schreie, oder hörte sie auch nicht. Und er sah den Feuerball, oder sah ihn auch nicht. Doch ob er es nun sah und hörte, oder auch nicht, er spürte es. Er spürte die Angst und Sorge einer Unzahl von Tiergehirnen, die sich mit seinem verbanden und deren Gefühl ihn zu überschwemmen drohte. Er schüttelte sich innerlich und blinzelte, obwohl nichts zu sehen war – und hatte seine eigenen Gedanken wieder in der Gewalt. Doch sie waren nicht weniger tierisch als jene der Pads. Shrug war davongeeilt, doch schon bald kam er zurück. Er rieb sich die Hände, als eine dumpfe Explosion zu ihnen heraufhallte.
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»Nur eine ganz minimale Sprengung, diesmal«, erklärte er zufrieden. »Genug, den Spalt wieder zu schließen. Durch ihn werden sie nicht mehr hereinkommen.« Cockade weinte. Sie entschuldigte sich für alles, was sie getan hatte. Das meiste davon verstanden die anderen gar nicht. »Vergiß es«, brummte Shrug. »Morgen wirst du dich wieder besser fühlen, die alte Cockade sein – bedauerlicherweise.« »Wißt ihr, ich dachte eigentlich, wenn wir ein paar erschießen, daß die anderen dann zufrieden wären und sich an den toten Artgenossen den Bauch vollschlagen würden«, murmelte Jacko. »Statt dessen hast du sie mit deinem Blick bezwungen!« rief Switch begeistert. »Nein, so war es nicht. Sag es ihnen, Shrug.« Shrug öffnete die Lippen, um ihnen alles zu erzählen, doch abrupt preßte er sie wieder zusammen. Nein, Shrug war nicht der einzige, auch wenn er es sich einbildete. Der Tiermann hätte es verstanden – jener Mann, der sich dick in Pelze verpackt in seiner winzigen Eiskammer unter dem Schnee aus einer fetusgleichen Stellung ausrollte. Der Mann hatte schon früher Echos von Shrugs Gedanken aufgenommen, wenn sie sich in den vergangenen Wochen während verschiedener Besäufnisse durch eine Nacht von Phantasie und Wirklichkeit schwangen. Der Mann haßte Shrug, obgleich er ihn nie gesehen hatte. Der Mann kniete nun. Er streckte die Arme aus und schlug mit der behandschuhten Faust gegen das Dach seiner Kammer, bis Schnee- und Eisklumpen herunterhagelten und bald darauf das Tageslicht hereindrang. Er stand auf, steckte Kopf und Schulter durch die Öffnung und blickte sich um. Aber er vermochte nichts zu sehen. Der aufgewühlte Schnee wirbelte um ihn herum und biß in seine Augen. Knurrend kletterte er aus dem Loch.
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Nun konnte er sie im Südosten erkennen. Schneeverschleierte Schemen, die sich in seine Richtung bewegten. Eine gewisse Trauer erfüllte ihn, als er sie beobachtete, denn viele von ihnen waren gestorben. Doch da faßte ihn die Angst erneut – seine eigene, persönliche Angst – , weil er nicht unterscheiden konnte, ob die Trauer aus ihm selbst kam oder von den Pads. Eines Tages, dachte er, werden sie und ich eins sein. Jetzt lenke ich diese Tiere noch, aber eines Tages werden sie mich beherrschen. Möglicherweise war es diese gleiche Angst, die Shrug davon abhielt, mit den anderen darüber zu sprechen. Vielleicht befürchtete er, daß die vereinten Gefühle der Pads ihn einmal überwältigen würden, wenn der Alkohol ihn abgestumpft hatte – daß er dann erwachen würde, ohne eigene Intelligenz, nur mit dem Instinkt der Pads. Und die anderen würden schlafen und ihm hilflos ausgeliefert sein… Aber auch die Angst ausgelacht zu werden, hielt ihn ab. Wie könnte er Switch und Cockade erklären, daß er unter Alkoholeinfluß irre Träume gehabt hatte und daß er aus ihnen und den folgenden Ereignissen geschlossen hatte, daß die Pads in gewissem Maße telepathisch veranlagt waren? Daß er, wenn seine geistige Barriere unter den Alkoholspiegel tauchte, ihre Gefühlsregungen empfangen konnte? Cockade würde ihn auslachen wie immer. Komm, nimm noch einen Schluck, Shrug, und erzähl uns, was die Pads denken. Eine gute Entschuldigung einer weiteren Flasche den Hals zu brechen, eh Shrug? Nein… »Jacko und mir fiel auf, daß die Pads plötzlich gemeinsam handeln, als wären sie ein Einzelwesen«, erklärte er schließlich. »Sie haben sich organisiert. Sie denken miteinander. Sie bewegten sich durch die Tunnels und umstellten den Turm. Dazu gehört ein gewisses Maß an Intelligenz. Sie können nicht sprechen, also muß es eine andere Verständigungsmöglichkeit
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zwischen ihnen geben…« Er erwärmte sich für sein Thema. »Wie dem auch sei, windwärts befanden sich ihre Jungen.« Seine Finger deuteten, während er das Ganze noch einmal erlebte. So sehr riß er ihre Phantasie mit sich, daß aller Augen seiner dramatisch zeigenden Hand folgten. »Unten ankerte das Boot, neben mir lagen mehrere Kanister mit Petroleum.« Sein Blick streifte Cockade nicht gerade freundlich. »Also hißte ich das Segel, während Mignon mir Feuerschutz gab, zündete das petroleumgetränkte Boot an und überließ den Rest dem Wind. Er trieb es geradewegs auf die jungen Pads zu. Panik erfüllte sie, und sie rannten in alle Richtungen davon. Die erwachsenen Pads sahen es – und jene, die es nicht selbst sahen, spürten es. Sie handelten sofort. Nichts kann sie so schnell in Bewegung setzen, wie die Angst um ihre Jungen…« Shrug blickte sie lächelnd an. Im Augenblick war er der große Mann. Alle zollten ihm uneingeschränkte Bewunderung. »Nur Jackos Schneeboot – ich mußte es leider opfern…« »Du meinst natürlich die Schneeprinzessin«, korrigierte Mignon ihn schnell. Shrug starrte sie an, setzte zum Sprechen an, hielt jedoch inne. Jacko lächelte. »Es ist natürlich bedauerlich«, fuhr Mignon fort, »nach all der Arbeit, die in der Schneeprinzessin steckte. Aber wenn man bedenkt, was dadurch erreicht wurde, ist das Opfer nicht zu groß. Wir können ja ein neues Boot bauen. Bog ist ziemlich gut darin. Er hat in Bovey schon viele Schneeboote gebaut, große.« Sie lächelte dem Giganten herzlich zu. Jacko und Shrug bewunderten sie nun noch mehr. Mit ein paar schnell erdachten Worten hatte sie ein Problem aus der Welt geschafft, das sie schon seit Wochen gequält hatte. Damit hörte die Schneeprinzessin in aller Form zu existieren auf.
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»Wir brauchen keine Schneeprinzessin als Boot.« Bog lachte tief. »Wir haben unsere lebende Schneeprinzessin.« Er legte beschützend die Arme um Mignon. Cockade runzelte die Stirn. Sie fragte sich, ob Bog vielleicht gar nicht so dumm war, wie er aussah.
XI Der Mann unter dem Eis handelte nicht überstürzt, dafür steckte noch zuviel Menschliches in ihm. Er unternahm erst ein paar Erkundungsausflüge auf seinen breiten Schneeschuhen, so sehr in Pelze gehüllt, daß er schon fast einer Kugel ähnelte. Er zog ostwärts, wo die Kirchturmspitze aus der weißen Öde ragte. Unter dem Schnee lag dort das Städtchen, das er bereits aus den Gedanken der Pads einigermaßen kannte. Schon bald würde er es besser kennen. Bald würde es ihm gehören. Das war es, was ihn vorwärtstrieb – der Hunger nach Macht, die er nicht ohne die Hilfe der Pads erreichen konnte. Andere hätten sich vielleicht damit zufriedengegeben, Hunderte von Pads unter ihrer unmittelbaren Kontrolle zu haben. Aber das war nicht dasselbe. Der Mann wollte über Menschen herrschen, sie nach seiner Pfeife tanzen lassen. Das war sein größter Wunsch, seit seiner Verbannung, die schon eine lange Zeit zurücklag. So kauerte er in seiner Schneekammer und wartete darauf, daß seine zukünftigen Opfer in dem versunkenen Städtchen, nach der Begeisterung über ihren Sieg, ihr normales Leben wiederaufnahmen. Inzwischen brachten seine Pads ihm blutiges Fleisch, das er roh verzehrte, und später nagte er so lange an den Knochen, bis sie weiß und bloß waren. Nie fragte er die Pads, was es war, das sie ihm brachten. Es spielte keine Rolle. Nicht einmal sich selbst gegenüber gab er zu, daß Machthunger nicht der einzige Grund war, weshalb er sich in dem Schneeloch verkroch und wartete, statt ein normales Nomadenleben mit
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seiner Padmeute zu führen. Es gab tatsächlich noch einen anderen Grund, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Der Verbannte hungerte nicht allein nach Macht, sondern auch nach menschlicher Gesellschaft. Bog hatte ein Blick genügt, die Fehler in Shrugs Konstruktionsplänen zu erkennen. »Nein, mein Freund«, murmelte er. »Du bemühst dich zu sehr, ein Schneeboot wie ein Schiff zu bauen. Aber ein Schneeboot ist kein Schiff, sondern mehr eine flache Hütte.« »Ja, darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht. Aber ich hatte nur das hier, nach dem ich mich richten konnte.« Shrug zeigte ihm das dicke Schiffsbuch. Bog zeichnete mit seinem breiten Finger die Umrisse der Illustration nach, auf die Shrug deutete. »Du hast bestimmt ein sehr schönes Schiff gebaut«, sagte Bog gütig. Shrug seufzte. »Nein, nicht einmal das. Alles ging daneben, selbst als Jacko mithalf. Am Ende tat ich nichts anderes mehr, als Holzplanken zu sägen und sie in den Schnee hinauszuwerfen, um Switch und Cockade nicht zu beunruhigen. Jacko wußte es natürlich. Er meinte, eines Tages würde ich die nötige Erfahrung haben und wirklich ein Boot bauen können – aber das sind wohl nur schöne Träume. Es geht ganz einfach über meine Fähigkeiten. Also sagte Jacko: ›Versuch es weiter, wir müssen ganz einfach ein Ziel haben, nun da die Galerie fertiggestellt ist‹.« Mit einem Mal fühlte sich Shrug viel besser. Trotz seiner Erfolge in anderen Beziehungen hatten ihn wegen seines Fehlschlags mit der Schneeprinzessin Schuldgefühle gequält. Nun hatte er endlich mit jemandem darüber sprechen können. Und bestimmt hätte er keinen besseren Vertrauten als Bog zu finden vermocht. Der Gigant war nicht nur gütig und verständnisvoll, sondern hatte auch die Gabe, sofort zu vergessen.
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»Es ist gut, ein Ziel zu haben«, sagte Bog, der selbst nie eines gehabt hatte, außer für Mignon dazusein. »Bauen wir eben ein neues Boot, ein besseres. Wie wollen wir es nennen?« »Irgendwie kamen wir auf den Namen Schneeprinzessin für das erste. Was hältst du von Schneeprinzessin II?« »Ein neuer Name wäre besser.« »Hm.« Shrug blätterte durch sein Buch. Sein Blick blieb an der Abbildung eines Schiffs hängen mit hohen Masten und imposanten Segeln, das noch dazu schlanke rauchende Schornsteine und riesige Schaufelräder mittschiffs hatte. »Das ist ein toller Kahn!« sagte er bewundernd. »Er heißt Kreuz des Südens.« »Schöner Name«, brummte Bog. »Also, nennen wir es Kreuz des Südens.« Shrug war ganz begeistert. »Fangen wir gleich an?« »Erst bauen wir ein neues Boot für Jacko«, bestimmte Bog. Die Tage des Wartens dehnten sich zu Wochen aus, aber es war keine verlorene Zeit. Der Mann unter dem Schnee plante und dachte, sein Gehirn strömte Befehle aus, und er kümmerte sich um die Ausbildung der Pads. Sie gehorchten seinen Anweisungen nun schon unmittelbar, zogen als eine große Meute über die Schneefelder, bogen rechts ab und nach links, wenn er es so befahl, töteten, verschlangen ihre Beute. Was immer er auch dachte, sie taten es. Aber – und seine Besorgnis darüber wuchs – ihre Gefühle überschwemmten ihn immer mehr. Er erlebte die Geburtsschmerzen einer Padmutter mit; er genoß, gegen seinen Willen, das herrliche Gefühl, die Schnauze tief in die warmen Eingeweide eines Opfers zu graben und sich den Bauch vollzuschlagen. Einmal übergab er sich vor Ekel und mußte ein neues Schneeloch ausheben. Beunruhigt über den Zusammenschluß und das gemeinsame Handeln der Pads, verlegten die Fleischjäger ihre Jagdgründe weiter östlich, wo sie Reisenden zwischen den bewohnten Orten, einsamen Pads und kleineren Tieren wie Hermelinen, Wölfen und
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Silberfüchsen auflauerten. Was dazu führte, daß die Padmeute immer häufiger unter Hunger litt und infolgedessen auch der Mann unter dem Eis. Es gab eventuell noch eine weitere Möglichkeit, zu Nahrung zu kommen. Schon eine ganze Weile hatte er Ausstrahlungen aus einem schwer bestimmbaren Gebiet aufgenommen, das jedoch zweifellos irgendwo tiefer unter dem Schnee sein mußte. Zuerst glaubte er, sie kämen von dem versunkenen Städtchen, und er hatte sie tatsächlich ursprünglich fälschlicherweise für Shrugs Gedanken gehalten. Aber es waren keine menschlichen Gedanken, sondern schwerfällige, einseitige, vermutlich von großen Tieren, die sich jedoch von den Pads unterschieden. Er hatte versucht, sie unter seine Gedankenkontrolle zu bringen, hatte jedoch kein Glück gehabt, da diese neuentdeckten Tiere nicht auf seine Denkweise abgestimmt waren. Sie waren sanft und harmlos – und deshalb von keinem Nutzen für ihn. Außer vielleicht als Nahrung. Er befahl den Pads, Stollen zu graben, doch zum erstenmal gehorchten sie nicht. Sie hatten Angst, sich unter die Oberfläche zu begeben. Offenbar konnten sie nicht vergessen, daß während ihres Ausflugs in die Tunnels ein gutes Dutzend ihrer Jungen den Wölfen zum Opfer gefallen waren. Also war es nun Zeit aufzubrechen, solange die Meute hungrig genug war, seinen Befehlen zum Töten zu gehorchen. »Draußen ist jemand!« rief Jacko von seinem Aussichtsposten auf der Galerie hinunter. In ihre Decken gehüllt rührten die anderen im Glockenturm sich zögernd. Das Feuer war heruntergebrannt, und sie fröstelten. »Dann schieß ihn doch nieder!« keifte Cockade aufgebracht über die Störung ihres Schlafs. In letzter Zeit hatten sich ihre Launen noch verschlimmert.
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Jacko antwortete nicht. Er hielt den Finger am Abzug, als die dunkle Gestalt sich dem Turm näherte. Die Munition war knapp. Vielleicht stoßen wir auf weitere Häuser, wenn wir die Eistunnels verlängern, hoffte Jacko. Und mit viel Glück entdecken wir möglicherweise sogar eine private Waffensammlung mit dazugehöriger Munition. Wenn nicht… »Worauf, zum Teufel, wartest du?« brüllte Cockade jetzt ganz wach. »Willst du, daß man uns in den Betten ermordet?« »Dann heb doch deinen Hintern und blick dem Tod stehend ins Auge«, brummte Shrug sarkastisch. Cockade musterte ihn abfällig. »Ich bin in anderen Umständen«, erinnerte sie ihn. »Ich brauche meinen Schlaf.« Als sie vor einiger Zeit mit dieser Neuigkeit herausgerückt war, hatte man sie mehr als skeptisch aufgenommen. Aber ihr geschwollener Bauch überzeugte sogar Shrug. Switch murmelte im Halbschlaf, dann richtete er sich auf. »Was ist los?« brummelte er. »Wir werden überfallen. Jacko heißt die Fleischjäger eben willkommen.« »Ich lasse die Leiter hinunter«, rief Jacko. »Bei allen guten Geistern, der hat wohl den Verstand verloren!« stöhnte Switch und tastete noch schlaftrunken nach dem Gewehr. Die beiden anderen kletterten bereits zur Galerie empor. Mignons Anblick auf der Leiter beanspruchte Switchs völlige Aufmerksamkeit. Je höher sie stieg, desto mehr von ihren wohlgeformten Beinen offenbarte sich ihm. Cockade beobachtete Switch mit wütenden Augen. Shrugs Blick wanderte von Switch, der nur noch Mignon sah, zu Cockade, die unförmig wie ein Nilpferd in ihrem schmutzstarrenden Bettzeug saß. Er grinste und dachte, schwanger ist sie ganz sicher. Er versuchte, sie sich schlank vorzustellen, aber es
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gelang ihm nicht. Hatte sie vielleicht immer so ausgesehen und war sie gar nicht in anderen Umständen? Mignon und Bog standen neben Jacko auf der Galerie. »Was meinst du, Jacko?« erkundigte das Mädchen sich ruhig. Der einzelne Mann hatte den Fuß der Leiter draußen erreicht und schlüpfte aus seinen Schneeschuhen. Er blickte zu ihnen hoch. Nur seine rotumrandeten Augen schauten aus der dicken Pelzvermummung. »Ich weiß es nicht. Er ist allein. Fleischjäger treiben sich gewöhnlich in Gruppen herum.« »Was, zum Teufel, brütet ihr da oben aus?« zeterte Cockade. »Ich glaube, wir sollten ihm eine Chance geben«, brummte Bog mit seiner tiefen bedächtigen Stimme. »Du hast recht, Bog. Wir dürfen ihn nicht einfach abknallen, wie die Fleischjäger es tun würden.« Und ganz in seinem Innern dachte Jacko: Der Stamm ist zu klein. Jeder, der sich uns freiwillig anschließen möchte, ist willkommen. Außerdem hat er sicher ein Gewehr und Munition… Das Loch in der Turmspitze verdunkelte sich, als der Mann den Kopf der Leiter erreichte. Sie musterten einander im Glockenturm. Der Fremde hatte seine Pelze abgelegt. Er war etwa mittelgroß, dunkelhaarig, mit stechenden Augen. »Ich danke euch für euer Willkommen. Ich habe einen weiten Weg hinter mir.« »Woher kommst du?« erkundigte sich Shrug. »Wir haben ohnehin zu wenig zu essen«, keifte Cockade, die beruhigt liegengeblieben war, als sie erfuhr, daß der Mann allein war. »Aus dem Norden.« Der Fremde machte eine vage Handbewegung. »Wir wurden von Fleischjägern angegriffen.«
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»Und nicht von Pads?« wunderte sich Jacko. »Die Schneefelder wimmeln wieder von ihnen.« »Da habe ich wohl Glück gehabt.« »Sonst wärst du nicht hier.« Switch wollte sich bei dem Neuen einschmeicheln. »Ich bin Switch. Das dort sind Cockade, Mignon, Bog, Jacko und Shrug.« Switch war kein Held. Er hatte in den Augen des Fremden eine merkwürdige Kraft gelesen. Da er offenbar im Stamm aufgenommen wurde, wollte er sich gut mit ihm stellen. »Freut mich«, erwiderte der Neue. »Man nennt mich Ajax.« »Wer nennt dich Ajax?« fragte Cockade schneidend. »Im Norden nennt man mich so.« Die Augen des Fremden ruhten auf Cockades. Sie hatte vorgehabt, ihn weiter auszufragen, aber nun schwieg sie plötzlich. Sie versuchte ein Lächeln. »Du bist schwanger, Cockade«, bemerkte Ajax. »Das ist gut.« »Hast du ein Gewehr?« erkundigte Jacko sich. »Eine Pistole. Und eine Anzahl von Magazinen.« »In diesem Stamm«, erklärte Jacko bedächtig, »legen wir unsere Habe zusammen. Ich möchte dich bitten, deine Waffe zu unseren zu geben.« Eine fühlbare Spannung zog auf. Aller Augen hingen an dem Fremden. »Davon möchte ich Abstand nehmen«, erwiderte Ajax ruhig. »Ich bin an meine Pistole gewöhnt, versteht ihr? In der Hand eines anderen ist sie möglicherweise nicht so wirkungsvoll.« Shrug hatte sich lautlos von hinten herangeschlichen und näherte sich dem Fremden. Ajax drehte sich fast gleichgültig um. Plötzlich hielt er eine kleine Pistole in seiner Rechten. Mit einer blitzschnellen Bewegung der Linken entriß er Shrug das Stück Metallrohr und schleuderte es gegen die Wand.
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»Ich bin sicher, ihr seht nun, was ich meine«, murmelte Ajax scheinbar ungerührt. »Nichts für ungut, Shrug, eh?« Shrug schwieg. »Wie du willst, Ajax«, gestand Jacko ihm zu. »Aber du mußt deinen Anteil an Arbeit übernehmen, wenn du hierbleiben möchtest.« »Vielen Dank, Jacko. Ich werde euch ganz sicher nicht zur Last fallen.« Lächelnd steckte der Fremde die Pistole unter sein Hemd zurück.
XII Nachdenklich trottete Shrug durch die Eiskorridore, vorbei an dem leeren Spirituosenladen. Seine Gedanken galten Ajax. Er traute ihm nicht über den Weg. Der Fremde war zu glatt, zu sehr von sich überzeugt. Er wich aus, wenn man ihn nach seiner Vergangenheit fragte. Er hatte merkwürdige Augen. Shrug fühlte sich regelrecht ungemütlich, wenn Ajax ihn ansah. Es war ihm, als musterte der andere ihn wie eine Beute. Ja, das war es. Er hatte einen hungrigen Blick. Doch in aller Fairneß gab Shrug sich auch zu, daß er vielleicht nur eifersüchtig auf Ajax war. Der Mann konnte Jacko eine große Stütze sein. Shrug hatte uneingeschränktes Vertrauen zu Jacko. Er kam zu dem neuerschlossenen kleinen Lebensmittelgeschäft und begann Dosen auf den Schlitten zu laden. Ein Regal hatte er bereits leer, als er plötzlich den Kopf dahinter sah. Kleine Augen in einem mächtigen weißbepelzten Gesicht mit hundeähnlicher Schnauze starrten ihn an. Dampf drang aus den schwarzen Nüstern. Shrug machte vor Schreck wimmernd ein paar Schritte rückwärts. Das Tier hob sich auf die Hinterbeine, stützte die mächtigen Vorderpfoten vorsichtig auf die Kisten mit grüner
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Seife und blickte nun über das Regal hinweg auf den Mann herab. Das Tier befand sich zwischen Shrug und der Tür. Shrug drückte sich schreiend gegen die Wand. Neugierig schnuppernd zottelte das Tier nun auf allen vieren hinter dem Regal hervor. Selbst jetzt war es noch so hoch wie ein Mann. »Jacko!« brüllte Shrug. Aber Jacko war drei Kilometer entfernt. Jacko raste mit seinem neuen Schneeboot über das blendende Weiß. In den jetzigen Zeiten war es gut, ein schnelles wendiges Fahrzeug zu haben, denn nicht nur die Fleischjäger trieben hier erneut ihr Unwesen, sondern auch die Pads, die sich unheimlich vermehrt hatten. Sie waren geradezu eine Bedrohung für den Stamm geworden. Ajax hatte wirklich ein unglaubliches Glück gehabt, daß er es bis zum Turm geschafft hatte. Er schien ein recht fähiger Mann zu sein, sicher nützlich für den Stamm. Aber andererseits würde es nichts schaden, ihn im Auge zu behalten. Das waren Jackos Überlegungen, während er sein neues Boot ausprobierte. Hin und wieder entdeckte er eine Gruppe Fleischjäger in einiger Entfernung, aber von Pads nirgends auch nur eine Spur. Nach einer Weile kehrte er zum Turm zurück. Bog und Mignon waren mit dem Bau des Schiffs beschäftigt. Die Kreuz des Südens würde bald vom Stapel laufen können. Die Hülle auf Kufen war bereits außerhalb des Turms verankert, die Kabine zusammengebaut. Es fehlten lediglich die Masten und Segel. Der kleine Stamm konnte es kaum noch erwarten, von den Pads und Fleischjägern weg und in sicherere Gefilde zu kommen. Alle, außer Bog. Bog wußte, daß die Kreuz des Südens nie segeln würde.
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Es war nicht das erste Schneeboot, das er gebaut hatte, und aus Erfahrung kannte er die maximale Belastung. Das Problem war die Kabine, die zu schwer für die Größe des Decks war. Er hatte schon die Kufen verlängert und das durch größere Segel ausgeglichen. Aber das wiederum ergab neue Probleme. Bei starkem Seitenwind würde es toplastig und überbesegelt sein und kippen. Und wenn es das erst einmal tat, wäre es unmöglich, es wieder aufzurichten, denn dazu war es viel zu schwer. Also arbeitete Bog, einen Trauermarsch summend, niedergeschlagen, während Mignon irgend etwas erzählte. Er fragte sich, ob man vielleicht einen dritten Mast setzen könnte. Aber das Schiff war dazu nicht lang genug, außer die Segel wären hoch und schmal. Doch das würde wiederum die Krängungsneigung erhöhen. Switch und Cockade saßen im Glockenturm und lauschten mit glänzenden Augen Ajax’ Beschreibung der Stadt im Norden. »Richtige Straßen, und Menschen, die in den Geschäften arbeiten. Dort wird nicht geplündert. Wenn man etwas braucht, kann man es sich kaufen. Es ist genügend für alle da. Elektrisches Licht, hydroponische Anlagen, alles gibt es in Bristol. Die Tunnels sind ausgemauert, damit sie nicht einstürzen. Man sieht überhaupt kein Eis. Riesige Rohre befördern die verbrauchte Luft von den Tunnels an die Oberfläche. Und die Bevölkerung wächst zusehends. Das machen die Lebensbedingungen. Cockade. Man kann dort Kinder bekommen und aufziehen, ohne sich Sorgen machen zu müssen.« Cockade lehnte ihren Kopf an Ajax’ Schulter. »Ich habe Angst wegen des Babys«, murmelte sie. »In Bristol brauchte man nur einen Arzt zu rufen. Jede Frau kann sich dort untersuchen lassen, ehe das Kind kommt. Das ist nur richtig, denn es handelt sich eben doch um keine ganz einfache Sache. Schließlich will man wissen, ob auch alles in Ordnung ist.«
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»Es ist eine schreckliche Sache. Die wenigsten Männer wissen es zu würdigen«, seufzte Cockade, die zum erstenmal schwanger war. »Ich bewundere die Frauen. Sie sind viel tapferer als wir Männer. Ich möchte kein Kind gebären müssen. Schon gar nicht unter den Umständen hier.« »Versuch doch Jacko zu überreden, einen Arzt für mich zu holen. Tust du das, Ajax?« Ajax lächelte und tätschelte ihre Wange. »Mach dir keine Sorgen, Cockade. Ich kenne einen Geburtshelfer keine fünfunddreißig Kilometer von hier.« War der Morgen zuerst wenig versprechend, jetzt wurde er geradezu gefährlich. Mit gerafftem Segel beeilte Jacko sich, nach Hause zu kommen. Etwa hundert Meter heckwärts verfolgte ihn eine Gruppe Fleischjäger auf Schiern. Kugeln pfiffen über seinen Kopf. Er duckte sich unter die schützende Querverstrebung, ohne jedoch die Turmspitze aus den Augen zu lassen. Er hatte Glück gehabt, daß ihm kein Pad vor die Büchse gelaufen war. Das zusätzliche Gewicht wäre ihm zum Verhängnis geworden. Er wandte sich um und betrachtete die Fleischjäger. Es waren acht, alle mit Gewehren bewaffnet, die sie fast pausenlos abschossen, während ihre breiten Schultersegel sie mit einer Geschwindigkeit vorwärtstrieben, die das Boot nicht aufzubringen vermochte. Der Schnee sprühte empor, als sie immer näher kamen. Jacko hatte zwar sein Gewehr, aber er benötigte beide Hände für das Boot. Wenn sie zu nahe kommen, dachte er, halte ich an und schieße. Ich habe das Boot als Deckung, während sie völlig ungeschützt sind… Ober das Knallen der Schüsse hinweg, vernahm er plötzliche Jubelschreie. Einer der Schier winkte mit seinem Gewehr. Eine zweite Gruppe Fleischjäger kam aus dem Norden angesegelt und schlug einen Kurs ein, der ihm den Weg zum Turm
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abschneiden würde. Jacko kauerte sich noch tiefer zusammen, vertäute das Segel und nahm resigniert das Gewehr in die Hand, bereit sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, während das Boot einen Zickzackkurs beschrieb. Die zweite Gruppe flitzte ganz knapp am Turm vorbei. Jacko fragte sich, weshalb der Posten – heute morgen war es Ajax gewesen – nicht auf sie geschossen hatte. Vermutlich hatte er sich auf eine Pause in den Glockenturm zurückgezogen. Er konnte nichts daran ändern. Ein Fleischjäger segelte nun direkt neben dem Boot und starrte mit geröteten Augen auf ihn herab. Jackos Kugel verlieh ihm ein drittes, noch röteres Auge genau in der Mitte. Der Getroffene stürzte mit einem letzten Schrei in den Schnee. Nun segelten bereits zwei weitere wie riesige Möwen auf ihn zu, auf jeder Seite des Bootes einer, und wanden sich in den schweren Gurten, die die Schultersegel hielten, um einen sicheren Schuß abzugeben. Jacko spürte den brennenden Schmerz kaum, als eine Kugel ein Stückchen Ohr mit sich riß. Er feuerte, aber verfehlte sein Ziel. Und wieder. Jetzt war ein Gewehr direkt auf seine Brust gerichtet. Wie in Zeitlupe sah er den Finger auf den Abzug drücken. Die Welt erlosch um ihn und er versank in tiefer Dunkelheit. Mignon stand auf der Galerie. Sie lehnte sich aus dem Loch und warf ein Stück der Sitzbank in den Rumpf des Schiffs, das draußen im Schnee Form annahm. Als sie sich wieder aufrichtete, wurde sie auf eine Bewegung aufmerksam. Sie legte schützend die Hände über die Augen und starrte hinaus in den Wind und Schnee, ehe sie sich hastig umdrehte. »Ihr dort unten!« rief sie. »Wer von euch sollte hier Wache halten? Das Schneefeld wimmelt geradezu von Fleischjägern!« »Fleischjäger?« Ajax’ Stimme klang leicht überrascht. Mignon kletterte eilig die Leiter hinunter und stellte sich vor den Mann, der sich eben erst vom Boden erhoben hatte.
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»Jawohl, Fleischjäger.« Ihre Augen funkelten ihn gefährlich an. »Du solltest dort oben auf Posten sein. Was hast du die ganze Zeit gemacht?« Cockade blickte auf. »Ich habe mich nicht wohl gefühlt«, fauchte sie gereizt. »Da hat er mir Gesellschaft geleistet.« »Du hast schließlich Switch!« Cockade schnaufte abfällig. »Es ist ja nichts passiert«, meinte Ajax leichthin. »Sie könnten gar nicht herein, die Außenleiter ist eingeholt.« »Sie könnten ihre eigenen Leitern dabei haben – oder sich mit der Kreuz des Südens aus dem Staub gemacht haben. Wir halten immer Wache, während Jacko jagt, damit wir ihn warnen können, falls sich hier Fleischjäger herumtreiben. Wir feuern ein paar Schüsse ab, die er hören kann.« Ajax grinste. »Oh, ich verstehe… Es ist also Jacko, um den du dir Sorgen machst, eh?« Der Ton seiner Stimme ließ Mignon erröten. »Natürlich mache ich mir Sorgen um Jacko! Und du tust es besser auch, wenn du weißt, was gut für dich ist!« Switch hatte sich erhoben und tappte auf die Treppe zu. Mignons Grimm machte ihm Angst. »Habe etwas im Tunnel zu tun«, brummte er. Mignon begann die Leiter wieder hochzusteigen. Ajax folgte ihr etwas zögernd. Hinter ihnen brüllte Cockade auf Switch ein: »Was bist du denn für ein Kerl, daß du eine schwangere Frau ganz allein läßt?« Doch diesmal predigte sie tauben Ohren. Ihr Gefährte hatte sich bereits die Stufen hinab in Sicherheit gebracht. Mignon blickte durch das Loch hindurch. »Ajax!« rief sie plötzlich. »Es kommen noch mehr! Beeil dich!« Während sie hinausschauten, segelte eine Gruppe Fleischjäger kaum vierzig Meter entfernt am Turm vorbei. »Schieß doch!«
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»Ich habe das Gewehr unten gelassen«, murmelte Ajax. »Großer Gott!« Mignon wirbelte wütend herum. »Was hast du nur im Kopf! Schnell hol es!« »Ich lasse mir doch von einer Frau keine Befehle geben!« Aber Mignon hörte es gar nicht. Sie starrte wieder hinaus auf die Schneefelder. »Dort ist Jacko!« stöhnte sie. »O mein Gott! Eine ganze Meute ist hinter ihm her. Und die anderen versuchen ihm den Weg abzuschneiden. Er hat keine Chance…« Mit weitaufgerissenen Augen beobachtete sie, wie der erste Fleischjäger ihn einholte und Jacko ihn erschoß. Dann erreichten ihn die beiden nächsten. Weitere Schüsse knallten und plötzlich war das Boot umringt. »Sie haben ihn erwischt«, schluchzte sie. »So ein Pech«, sagte Ajax ungerührt. »Ich hatte natürlich noch keine Gelegenheit, ihn näher kennenzulernen, aber ich bezweifle nicht, daß er ein guter Mann war. Wenn auch recht einfallslos. Wie dem auch sei, ihr braucht nun einen neuen Anführer…« Eine heftige Ohrfeige Mignons schnitt ihm das Wort ab. Switch war kein großer Denker, aber nun, als er zu den Eistunnels hinuntereilte, quälten ihn doch alle möglichen Gedanken. Es schien ihm, als fehle dem Stamm das bisherige Gleichgewicht. Wenn sie sich auch früher in den Haaren gelegen hatten, ein Unfrieden wie jetzt hatte nie geherrscht. Es war alles so schnell gekommen. Vorige Woche war die Welt noch in Ordnung gewesen. Nun würden sie einander am liebsten umbringen. Auch er selbst war davon betroffen. Er hätte Cockade dort oben am liebsten erwürgt, als sie Ajax so anhimmelte. Und wie gern hätte er Ajax’ schmierige Visage seine Fäuste spüren lassen. Aber irgend etwas in den Augen des anderen hielt ihn furchterfüllt davon ab. Er betrat die Eisenwarenhandlung, stellte die Lampe ab und suchte nach Nägeln. Kurze Kupfernägel, wenn möglich, hatte Bog gesagt. Doch in der Lade, die er aufzog, befanden sich statt
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dessen lange zylindrische Objekte. Die Schrift darauf war verblaßt, aber Switch wußte auch so daß es sich um Dynamit handelte. Er lächelte erfreut. Shrug würde begeistert sein, denn sie hatten den letzten Sprengstoff für den neuen Tunnel zum Lebensmittelladen verbraucht. Er stapelte den Inhalt der Lade auf den Schlitten und war sehr zufrieden mit sich. Aber das Leben in den Eiskorridoren ist unberechenbar, die Freude vergänglich. Switchs Hochstimmung verwandelte sich in einem Sekundenbruchteil in panische Angst. Er hatte ein unheimliches Scharren gehört. Es kam von hinter einer glitzernden Eiswand, die von der Lampe beleuchtet wurde. Verschwommen bewegte sich dort eine mißgestaltene schwarze Kreatur. Switch stieß einen gellenden Schrei aus. Er erinnerte sich der Erzählungen des Alten über den Atomkrieg und die entsetzlichen Folgen der Strahlung, die gräßliche Mutationen hervorgebracht hatte. So wie gigantische Pads Shrug in seinen Alpträumen verfolgten, waren hinter ihm, Switch, in seinen Träumen riesige haarige Spinnen her. Nun waren seine Alpträume Wirklichkeit geworden. Eine mutierte ungeheuerliche Tarantel, die Äonen im Gletscher geschlummert hatte, war durch seine Lampe geweckt worden und brach sich nun einen Weg durch die dünne Eiswand, um ihn zu verschlingen. Mit zitternden Händen griff er nach der Lampe. In seiner Hast glitt er jedoch aus und stürzte zu Boden. Das Licht erlosch. Hilflos lag er im Dunkeln, während das Eis zersplitterte und die haarige Kreatur sich freikämpfte und schließlich mit kratzenden, scharrenden Bewegungen auf ihn zueilte.
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XIII Jacko kam langsam wieder zu sich. Er mußte gegen Wellen von Schmerz und Übelkeit ankämpfen. Qualvoll drehte er sich auf die Seite. Er stützte sich auf eine nachgiebige vollgesogene Substanz, die sich bald als das Segel herausstellte. Das Boot war demnach umgekippt, und er lag darunter. Mühsam hob er sich auf Hände und Knie und spähte nach oben. Jenseits des umgedrehten Boots führte ein glatter eisgrüner Schacht in die Höhe. Es schien ganz so, als sei das Boot zu seinem Glück in ein Schneeloch gefallen und hatte ihn so vor weiteren Schüssen geschützt. Er fragte sich nicht, wie es überhaupt zu diesem Loch gekommen war. Für ihn war es eben eines jener Dinge, über die man sich nicht den Kopf zerbrach. Er tastete sich hoch und versuchte das Boot ein wenig zu bewegen, aber es hing im Schacht fest. Oben hatte man jedoch offenbar seine Bemühungen bemerkt und sofort zersplitterte eine Kugel den Boden den Bootes. Die Fleischjäger waren also immer noch da. Er war vermutlich nicht länger als ein paar Sekunden bewußtlos gewesen. Er befand sich etwa zweieinhalb Meter unter der Oberfläche des Schneefeldes. Überlegend nahm er sein Gewehr an sich, das sich direkt neben ihm im Segeltuch verfangen hatte. Was konnte er tun? Das Loch war nicht mehr als einen Meter fünfzig breit. Ungefähr einen Meter über ihm steckte das Schneeboot fest. Hinter ihm… Hinter ihm war nichts. Das entdeckte er überraschend, als er rückwärts kroch und plötzlich über eine Kante rutschte. Ein Gang führte in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad in die Tiefe. Ehe Jacko sich noch festzuhalten vermochte, glitt er rückwärts auf den Knien hinunter, schneller und immer schneller, bis der Tunnel schließlich doch schräger und endlich horizontal verlief und Jacko zum Stillstand kam. Ächzend hob er sich in kauernde Stellung und streckte die Arme aus, um auf dem glatten Boden
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nicht noch einmal auszurutschen. Der Gang war hier etwa ein Meter fünfzig hoch und von einem gespenstischen Leuchten erfüllt. Vorsichtig tastete er sich auf die Quelle des eigenartigen Lichtes zu. Bald konnte er sie ganz deutlich sehen – das gelbe Glühen drang durch die Eiswand. Ohne viel Hoffnung begann er mit dem Gewehr auf sie einzuschlagen. Völlig unerwartet gab das Eis nach, und unter einem Hagel Eissplittern fiel er nach vorn und landete mit dem Bauch einem wirren Haufen von Eisbrocken. Gleichzeitig erlosch Licht. Sein ganzer Körper schmerzte nun, als er behutsam, den Händen voraustastend, vorwärtskroch.
von auf das mit
Seine Rechte berührte etwas feuchtwarmes Zuckendes. Voll Ekel zog er sie schnell zurück, aber es war bereits zu spät. Die Kreatur warf sich mit winselnden Lauten auf ihn und kämpfte mit blinder Wildheit. Sie war fast so groß wie er und von der Kraft der Verzweiflung beherrscht. Während sie ineinanderverschlungen auf dem Boden rangen, wurde das Winseln zum gellenden Schrei. Und als Jacko schließlich die Oberhand gewann, begann die Kreatur hilflos zu stammeln, und er vernahm ganz deutlich die Worte: »Haarige Bestie«. Er lockerte seinen Griff. »Bist du es, Switch?« fragte er. Die Kreatur entspannte sich. »Oh – hallo, Jacko«, schluchzte sie. Mit einer Kiste Werkzeug unter dem Arm kletterte Bog die Stufen zum Glockenturm empor. Morgen würde er die Masten setzen, die Segel auftakeln und dann die Vorwürfe der anderen über sich ergehen lassen, wenn die Kreuz des Südens keine Anstalten machte, sich zu bewegen. Es hatte keinen Sinn, es weiter hinauszuzögern. Er machte sich keine großen Gedanken darüber, wie Mignon, Jacko und Shrug es aufnehmen würden. Shrug gegenüber hatte er sogar schon ein paar Andeutungen
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gemacht, denn der Freund hatte oft recht brauchbare Ideen. Jacko würde den Rückschlag philosophisch hinnehmen, und Mignon würde es verstehen, sie war immer vernünftig. Aber vor Cockade fürchtete er sich. Er mochte sie nicht. Seiner Ansicht nach erfüllte sie auch keinen Zweck. Sie war ein Hindernis für alles Neue, eine Defätistin und Xanthippe. Er spürte, daß Jacko wie er empfand, aber seit sie schwanger war, behandelte er das bissige Weibsstück besonders rücksichtsvoll. Als er am Kopfende der Treppe ankam, wußte er sofort, daß etwas nicht stimmte. Die Gruppe stand mit düsteren Gesichtern herum, selbst dieser Kerl Ajax schien betreten. Mignon rannte auf ihn zu. Die Tränen rannen über ihre Wangen. Nie zuvor hatte Bog sie weinen gesehen. Ein brennender Grimm begann in ihm aufzusteigen. Er stellte die Werkzeugkiste ab und nahm das Mädchen in die Arme. Niemand durfte es wagen, Mignon zum Weinen zu bringen. »Was ist geschehen?« fragte er, sich mühsam beherrschend. »O William Charles…«, würgte Mignon heraus, daß er seinen Namen kaum erkannte. »Jacko… Er ist tot. Den Fleischjägern in die Hände gefallen…« Es dauerte eine Weile, ehe Bog die Tragweite der Worte begriff. Er ließ das Mädchen los und begann auf die Leiter zuzustapfen. »Nein!« Mignon hielt ihn schluchzend zurück. »Es ist zu spät. Es sind Dutzende von ihnen draußen!« Unwillig blieb er stehen und drehte sich wieder um. Er blickte Cockade an. Sie nickte. »Er ist tot«, murmelte sie. Ihr Bedauern klang nicht sehr überzeugend. »Er starb wie ein Mann.« Ajax schien jedes Wort abzuwägen. »Er nahm mehrere mit sich. Es ist wirklich sehr betrüblich. Aber…« »Aber es ist schließlich nicht das Ende der Welt«, fuhr Cockade für ihn fort.
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»Er würde sicher wollen, daß wir sein Werk fortsetzen«, fügte Ajax hinzu. Mignon bemühte sich, ihre Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Ich glaube nicht, daß es euch überhaupt klar ist, was Jacko für diesen Stamm getan hat.« »Es hat jedenfalls keinen Sinn, in Einzelheiten zu gehen«, wehrte Ajax brüsk ab. »Er hätte bestimmt nicht gewollt, daß wir aufgeben, nur weil er nicht mehr unter uns ist. Nein. Dazu lag der Stamm ihm viel zu sehr am Herzen. Wir werden die Arbeit in seinem Sinn fortführen. Cockade, wie wäre es, wenn du jetzt das Essen zubereitest? Was macht das Schiff, Bog?« »Aber Jacko ist doch eben erst gestorben«, erwiderte der Riese kopfschüttelnd. »Ja, ja… Ich bin überzeugt, daß jeder einzelne von uns seinen Tod zutiefst bedauert. Die Arbeit wird unseren Kummer mildern.« »Mignon kann das Essen zubereiten«, lehnte Cockade ab. »Ich fühle mich nicht wohl. Kochen macht mich krank.« »Dagegen mußt du ankämpfen, Cockade«, sagte Ajax bestimmt. »Mignon wird am Schiff gebraucht.« »Aber du hast doch selbst gesagt, daß es gut wäre, wenn ein Arzt mich untersucht«, jammerte die Schwangere. »So, habe ich das? Es kann jedenfalls warten, bis das Schiff fertig ist. Dann werden wir weitersehen. Jetzt wirst du Essen machen. Bog und Mignon haben am Schiff weiterzuarbeiten, vielleicht können wir morgen schon eine Versuchsfahrt unternehmen.« »Aber…« »Keine Widerrede mehr. Wo sind eigentlich die anderen? Switch und Shrug?« »In den Tunnels«, brummte Cockade beleidigt.
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»Hol sie, Bog. Während des Essens können wir uns dann über die Zukunft des Stammes unterhalten.« Verwirrt schritt Bog auf die Treppe zu. Plötzlich blieb er stehen. »Ich höre sie kommen«, meldete er. Schwere Stiefel stapften die Stufen empor. Bog Sekunde ungläubig hinunter, dann drehte er das anderen zu. Er wollte etwas sagen, begann jedoch laut zu lachen, während ihre Augen verdutzt an ihm Gelächter echote im Glockenturm.
starrte eine Gesicht den statt dessen hingen. Sein
»Ich glaube, du warst ein wenig zu voreilig, Ajax«, stieß er halberstickt aus. Hinter ihm betraten Jacko und Switch den Glockenturm. Beunruhigt über Shrugs Ausbleiben kehrte Jacko nach dem Essen in die Tunnels zurück. Obgleich Shrug sich in letzter Zeit sehr zurückgehalten hatte, befürchtete Jacko doch, daß er vielleicht irgendwo im Vollrausch schlief. Und das war bei der Kälte unten gefährlich. Er konnte erfrieren. Als er in die Nähe des Lebensmittelgeschäfts kam, hörte er jedoch erleichtert Shrug lauthals hinausgrölen, daß er sein Herz in Heidelberg verloren habe. Dieses Lied hatte der Alte ihm einmal beigebracht. Jacko betrat den kleinen Laden und entdeckte den Sänger inmitten verstreuter Dosen auf dem Boden ausgestreckt. Sein Kopf lehnte gegen etwas, das wie eine Schneewächte aussah. Shrug winkte ihm mit einer fast leeren Flasche grüßend zu. Jacko zuckte erschrocken zurück, als die Schneewächte sich bewegte und als riesiges weißes Tier mit scharfen Zähnen entpuppte. »Shrug«, flüsterte erbeschwörend. »Du liegst auf einem Pad.« »Nein, isch’n Schneemaulwurf«, korrigierte ihn Shrug leicht lallend. »Lebt un-nerm Schnee. Kann schich durch Eisch graben. Hat scharfe Klauen. Scharfe Zähne. Aber isch lieb. Isch guter Freund. Nenn ihn Fang.«
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Jacko musterte das Tier. Es war offensichtlich, daß es zur selben Gattung wie die Pads gehörte – Schädel und Körperbau waren gleich. Aber die Vorderpfoten, die der Maulwurf vor sich ausgestreckt hatte, waren anders: riesig, selbst im Verhältnis zu dem gewaltigen Körper, und schaufelförmig mit kurzen scharfen Krallen. Vor langer Zeit mußte ein weniger kampffreudiger Pad sich für ein friedlicheres, wärmenderes Leben unter der Oberfläche entschieden haben. Dieses Tier hier wirkte wirklich völlig harmlos, als es ihm mit sanften Hundeaugen ansah. Nun erinnerte er sich an so manches, das ihm in den Tunnels merkwürdig erschienen war und ihm eigentlich die Existenz solcher Wesen hätte verraten sollen. »Esch war L-liebe auf’n ersch’en Blick«, erklärte ihm Shrug. »Woher weißt du, daß er unter dem Schnee lebt?« Es war Jacko nun klar, woher das Loch stammte, durch das er gerutscht war. Aber das ergab ein weiteres Problem. Wenn dieses Tier das Städtchen von der Oberfläche aus zu erreichen vermochte, dann konnte es auch ein Pad. Und Pads waren bereits einmal in die Tunnels eingedrungen… Shrug blinzelte nur verschmitzt, aber offensichtlich war ihm dabei doch nicht ganz wohl in seiner Haut. »Hast du schon feste Pläne, Jacko?« erkundigte sich Ajax am Tag darauf. Er stand in einem neuen gutsitzenden Anzug in der Mitte des Glockenturms. Die anderen saßen herum und kauten noch an ihrem Mittagessen, das sie sich nach einem Morgen harter Arbeit am Schiff schwer verdient hatten. Jacko blickte die übertrieben vornehm ausstaffierte Gestalt irritiert an. »Nicht direkt«, gab er schließlich zu. »Aber da die Kreuz des Südens jetzt fertiggestellt ist, hält uns hier eigentlich nichts mehr…«
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Unruhig verlagerte Bog sein Gewicht. »Jacko«, begann er. »Ich…« »Aber wo könnten wir denn hin?« fragte Ajax. »In südlichere Gefilde«, schlug Shrug vor, dessen Brummschädel ihm arg zu schaffen machte. »Weit im Süden liegt kein Schnee mehr«, erklärte Jacko. »Ich war schon einmal dort. Es war eine lange Fahrt. Ich brachte den alten Mann dorthin. Aber es gefiel mir nicht sonderlich…« Ajax seufzte theatralisch und ließ seinen Blick von den rauchgeschwärzten Holzstreben des Turms über den schmutzigen Boden und die blassen Gesichter der anderen wandern. »Es ist fast eine Sünde, ein so gemütliches Zuhause aufzugeben«, meinte er. »Ich kann in meinem Zustand keinesfalls die Strapazen einer Reise auf mich nehmen«, jammerte Cockade. »Ja, du brauchtest ärztliche Betreuung.« »Ah, weht der Wind jetzt wieder aus dieser Richtung?« »Die Überlebenschancen eines Stammes wie dieser sind abhängig von Frauen wie du, Cockade, die bereit und fähig sind, Kinder zu gebären.« Zufrieden mit seiner salbungsvollen kleinen Rede blickte Ajax sich um. »Was, zum Teufel, ist in dich gefahren, du Lackaffe«, schnaubte Shrug. »Willst du dieser Frau und ihrem ungeborenen Kind das Recht zum Leben absprechen?« Shrug mußte sich auf diese klug formulierte, wenn auch rein rhetorische Frage geschlagen geben. »Ich möchte lediglich andeuten, daß es hier keinen Arzt gibt«, brummte er. Jacko blickte nachdenklich vor sich hin. »Auf gewisse Weise hat Ajax recht. Der Stamm, muß wachsen, wenn er überleben will, im Augenblick ist er ohnehin viel zu klein. Andererseits, wenn wir Zuwachs bekommen, wird unser ›gemütliches Zuhause‹ zu eng
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für uns. Wir sind schon sehr lange hier, und eines Tages ist es soweit, daß wir keine Nahrung mehr finden werden. Die Munition wird bereits bedenklich knapp.« »Ja, weil du sie alle verschossen hast, ohne frisches Fleisch heimzubringen«, keifte Cockade. »Ich habe gestern etwas Dynamit gefunden«, erinnerte sich Switch. »Ah, wirklich?« Shrug lebte sichtlich auf. »Ich bin auf eine interessante Tür dort unten gestoßen, die ich unmöglich ohne Dynamit aufbringen könnte.« »Wieso müßt ihr immer vom Thema abweichen?« Mignon erhob sich. »Die Lösung zu unserem Problem ist doch offensichtlich. Einige von uns werden einen längeren Ausflug mit dem Schiff machen…« »Mignon…« »Ist schon gut, Bog. Die Kreuz des Südens hat eine Kabine, in der wir schlafen können. Wir werden jagen und uns gleichzeitig nach einer neuen Heimat umsehen. Vor den Fleischjägern sind wir im Schiff sicher. Wir werden außerdem zusehen, daß wir irgendwo Munition auftreiben…« »Wir könnten auch einen Arzt für Cockade holen.« »Selbst das, wenn es sein muß. Obgleich die Frauen es früher auch ganz gut ohne geschafft haben.« Cockade schwankte dramatisch auf die Füße. »Du hast nie Kinder geboren! Du weißt ja gar nicht, wie das ist!« »Na, du vielleicht? Warum wartest du nicht ab und lernst aus der Erfahrung, statt nach einem Doktor zu blöken? Du hast ja nicht einmal etwas von einem Arzt gewußt, ehe unser Allesbesserwisser hier ankam und dir allerhand Flausen in den Kopf setzte. Du bist eine Schande für das weibliche Geschlecht. Setz dich hin und halt deinen Mund, ehe du dich so übernimmst, daß es zur Fehlgeburt führt.« Nach Luft schnappend setzte Cockade sich.
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»Manchmal geht das Temperament bemerkte Bog bewundernd.
mit
Mignon
durch«,
Bog stand im Schnee und befestigte das Steuerruder. Mignon kümmerte sich um das Vertäuen der Segel. Jacko nahm Switch, der den ganzen Kleinkram die Leiter hochbeförderte, die letzten Sachen ab und gab sie an Ajax weiter, der alles in der Kabine verstaute: Konserven, Lampen und Petroleum, Gewehre, Streichhölzer, Schlafsäcke und zwei ihrer wertvollsten Besitztümer – kleine Taschenlampen. Cockade lag auf ihrem Bett im Glockenturm und nörgelte vor sich hin. Shrug stand neben Jacko am Loch in der Turmspitze. Er betrachtete nachdenklich die Kreuz des Südens, dann schüttelte er überlegend den Kopf und kletterte die Leiter hinunter und stieg schließlich auch noch die Treppe zu den Tunnels hinab. »Fang!« rief Shrug, und seine Stimme echote gespenstisch in den Eiskorridoren. »Fang? Komm her, Junge…« In der Ferne antwortete ein dumpfes Brüllen. Shrug öffnete eine Dose Schweinefleisch und wartete. Bald schon vernahm er lautes Schnüffeln und Tappen. »Ah, da bist du ja, Junge. Shrug hat ein feines Futter für dich. Na, wie fühlst du dich heute?« Obgleich Shrug völlig nüchtern war, spürte er doch die Zufriedenheit, die das Gehirn des Tiers ausströmte. Als Antwort grunzte der Schneemaulwurf und kaute erfreut das Dosenfleisch, das für ihn offenbar eine unbekannte Delikatesse war. Shrug beobachtete ihn. Plötzlich hörte er ein weiteres Schnüffeln und Tappen näher kommen. Ein Augenpaar glühte in der Dunkelheit, und dahinter noch ein zweites. Bog versuchte mit weit gespreizten Beinen, sich am Hauptmast festhaltend, die Kreuz des Südens zum Schaukeln zu bringen,
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damit sie in Bewegung käme. Aber nichts tat sich. Schließlich schnallte er sich seine Schneeschuhe um und sprang von Deck. Jacko folgte ihm. Mignon reichte ihnen Schaufeln hinaus. Sie begannen den Treibschnee von den Kufen wegzuheben. Der Wind pfiff an den straffen Segeln vorbei. Ajax schloß sich Mignon im Cockpit an. Gemeinsam bemühten sie sich, die Ruderpinne zu bewegen. Bog und Jacko warfen ihre Schaufeln auf das Kabinendach, stapften zum Heck und plagten sich, es freizubekommen. Ajax schnallte sich nun ebenfalls Schneeschuhe an und half ihnen. Aber die Kreuz des Südens ließ sich nicht bewegen. Ajax gab als erster auf. Er blickte die anderen nur an und kletterte ins Cockpit zurück. Bog und Jacko folgten ihm fast unmittelbar. Mignon gab ihren Kampf mit der Ruderpinne auf. Vor Anstrengung nach Luft schnappend, starrten die vier sich düster an. »O Bog«, murmelte Mignon. »Es tut mir ja so leid.«
XIV »So sieht also unsere Chance aus, aus diesem Loch wegzukommen«, keifte Cockade. »Und was ist jetzt mit dem Arzt, möchte ich wissen? Hat sich schon jemand darüber Gedanken gemacht?« »Ich verstehe es nicht!« Jacko schüttelte den Kopf. »Mein Schneeboot funktionierte einwandfrei.« »Das Schiff ist zu groß«, erklärte Bog. »Wenn du das gewußt hast, weshalb hast du es dann überhaupt gebaut?« schrillte Cockade. »Die ganze Arbeit umsonst! Ich habe mir meine Finger blutig gestochen mit den verdammten Segeln. Und alles umsonst! Du Schwachkopf!« Sie wandte sich Mignon zu. »Sagtest du nicht, daß dieses Rindvieh etwas vom Bau von Schneebooten versteht?«
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»Es sieht Bog gar nicht ähnlich, einen solchen Fehler zu machen«, murmelte Mignon. »Wahrscheinlich ist der Wind heute nicht stark genug.« »Der Wind ist immer gleich stark!« »Vielleicht brauchen wir größere Segel?« »Großer Gott! Nach all der Arbeit, die ich mir damit gemacht habe, willst du jetzt sagen, daß die Segel nicht groß genug sind! Wenn du größere willst, brauchst du auch höhere Masten. Es wird Wochen dauern, ehe die fertig sind!« Cockade preßte theatralisch ihre Hände auf den Bauch. »Meine Niederkunft steht bevor. Eine Frau weiß das. Es wird eine schwierige Geburt werden. Vielleicht überlebe ich es nicht. Mein Gott«, ächzte sie. »Die Wehen beginnen schon. Du bist schuld daran!« Ajax beugte sich besorgt über sie. »Sie ist krank«, sagte er ernst. »Sie braucht einen Arzt. Leg dich hin, meine Liebe. Du darfst dich nicht noch mehr aufregen.« Etwas sehr Seltenes ereignete sich. Jacko verlor seine Beherrschung. »Verdammt!« brüllte er. »Hört mit eurem Theater auf, ihr zwei. Sie hat genausowenig Wehen wie ich. Die ganze Situation ist schlimm genug, auch ohne dein Winseln und Selbstmitleid, Cockade. Also halt endlich dein Schandmaul!« »Ich meine, du bist es Cockade schuldig, ihr einen Arzt zu holen, Jacko«, sagte Ajax glatt. »Ich kann dir beschreiben, wo du einen findest.« Sich mühsam beherrschend, sagte Mignon: »Er schuldet Cockade gar nichts, aber auch absolut nichts. Doch wie dem auch sei, Jackos Schneeboot ist zerschellt und unter dem Schnee begraben. Cockade wird also der Natur ihren freien Lauf lassen müssen, fürchte ich. Entspann dich und reiß dich zusammen, wenn die nächste Wehe kommt.« »Mich zusammenreißen? Großer Gott, was verstehst denn du davon?« Cockade stierte Mignon giftig an. »Aber glücklicherweise für uns alle, hat es sich bei meinen Schmerzen offenbar doch nicht um die ersten Wehen gehandelt. Doch wir sind vom Thema
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abgekommen. Was ich wissen möchte, ist: Wie konntet ihr nur einen so blöden Fehler mit diesem verdammten Schiff machen?« »Ich glaube, das kann ich dir sagen, Cockade.« Shrug stand am Kopfende der Treppe und beobachtete sie alle interessiert. »Na?« Cockade funkelte ihn böse an. »Das Schiff kann nicht segeln, weil es zu schwer ist«, erklärte Shrug ruhig. »Ich hatte damit gerechnet. Und es ist zu schwer, weil wir die große Kabine errichten mußten. Und die Kabine mußten wir errichten, weil du und Switch Angst vor dem offenen Himmel und den Schneefeldern habt, weil ihr darauf bestandet, daß das Schiff einen von der Außenwelt abgeschlossenen Raum bekommt. Darum kann es nicht segeln! Wegen euch! Und die anderen sind zu verdammt anständig und rücksichtsvoll, es euch zu sagen!« Cockade vermochte kein Wort herauszubringen. Sie starrte ihn nur mit offenem Mund an. Auch die anderen schwiegen. Bog grinste. Schließlich fuhr Shrug fort. »Aber ich habe eine Idee.« Zwei Tage später stand Ajax am Loch in der Turmspitze und rief hinaus: »Du hast es dir also wirklich genau gemerkt, Jacko? Die Stadt liegt etwa fünfunddreißig Kilometer nördlich von hier.« In den Schneefeldern bedeuteten fünfunddreißig Kilometer eine Zweitagesreise, wenn es nordwärts, gegen den Wind ging, und eine Tagesreise in südlicher Richtung mit dem Wind. »Du wirst sofort wissen, wenn du in die Nähe kommst. Die Türme einer alten Burg ragen zwischen zwei steilen Bergen aus dem Schnee. Du kannst sie nicht verfehlen. Wenn du ankommst, brauchst du nur zu sagen, daß ich dich geschickt habe.« »In Ordnung.« Jacko warf einen Blick auf Bog und Mignon, die mit ihm in der Kreuz des Südens saßen. Sie nickten, tief in ihre Pelze vermummt. Die große Kabine war, genau wie einer der Masten, entfernt worden, und das Schiff sah nun wie eine
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größere Version von Jackos Schneeboot aus – ein langes Deck mit niedrigen Seiten und nur einem Segel, das jedoch nicht gehißt war, da es erst für die Rückfahrt mit dem Wind benutzt werden würde. Das Schiff war mit Proviant, Gewehren und aller entbehrbarer Munition beladen. »Los!« rief Jacko mit etwas unsicherer Stimme. Die vier von Shrug wohltrainierten Schneemaulwürfe stemmten sich in ihr Geschirr, und die Kreuz des Südens begann sich nordwärts zu bewegen. Ajax blickte dem Schiff nach. Es nahm allmählich Geschwindigkeit auf, als die Schneemaulwürfe einen etwas holprigen Galopp anschlugen. Ihre schaufelähnlichen Vorderpfoten ließen den Schnee aufsprühen. Ajax seufzte zufrieden und kletterte in den Glockenturm zurück. Cockade und Switch warteten auf ihn. »Sind sie gut weggekommen?« erkundigte sich Switch besorgt. »Aber ja.« Ajax lächelte. »Diese Stadt, zu der du sie geschickt hast. Wie viele Menschen leben denn dort?« »Als ich auf meinem Weg von Bristol eine Weile dort blieb, hatte sie mindestens zweihundert Einwohner, und einer davon ist Arzt.« »Ist sie sicher vor Fleischjägern?« Ajax lächelte rätselhaft. »Sie haben dort keine Probleme mit ihnen«, erwiderte er. Shrug saß im Lebensmittelgeschäft und trank. Er war unglücklich, daß man ihn nicht mitgenommen hatte. Schließlich war er es gewesen, der die Verwendung von Schneemaulwürfen als Zugtiere erkannt hatte. Mit Hilfe einer Flasche Whisky und Fangs Unterstützung, hatte er den vier Tieren beigebracht, Jackos einfache mündliche Befehle
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auszuführen. Es war wirklich eine Schwerstarbeit gewesen. Und nun hatten sie die Fahrt ohne ihn gemacht. Jacko hatte ihn zur Seite gezogen und ihm gesagt, er verlasse sich darauf, daß er Shrug, nach dem Rechten sehe während seiner Abwesenheit. Er hatte gesagt, er traute Ajax nicht so recht, und Switch und Cockade waren zu leicht beeinflußbar. Deshalb mußte Shrug ihn vertreten und sich um alles kümmern. Aber Shrug hatte so seine Schwierigkeiten, denn Ajax bestand darauf, die Befehle zu geben. Ajax hatte ihm aufgetragen, etwas zum Essen zu holen. Shrug hatte sich geweigert, mußte jedoch feststellen, daß die anderen in der Überzahl waren. Sowohl Cockade als auch Switch hatten Ajax’ Partei ergriffen. Die Flasche ließ ihn seinen Kummer vergessen und riß die geistige Barriere nieder. Die Gedanken Fangs, der einsam durch die Eistunnels stöberte, drangen zu ihm durch. Allein, dachte Fang. Wo…? Eine Weile hing das Tier seinen traurigen Gedanken nach, dann nahm Shrug frohere auf und ein Bild seiner selbst. Komm zu mir, Junge, dachte Shrug. Bald darauf stupste das riesige Wesen ihn erfreut an. Shrug schmiegte sich gegen den warmen silbrigen Pelz und schlummerte ein. Zusammenzuckend erwachte er. Etwas Fremdes hatte seinen Geist berührt. Fang schnüffelte und begann leise zu knurren. Shrug vernahm den fremden Gedanken wie ein Flüstern in seinen Ohren. Kommt zu mir, meine Freunde, hörte er. Kommt zu mir… Die Antwort erfolgte aus einer weiten Entfernung und drang nicht verständlich zu ihm durch. Kommt zu mir… wiederholte das nahe Flüstern in seinem Kopf. Fang stellte sich auf die Hinterbeine, fletschte die Zähne und begann ruhelos auf und ab zu tappen.
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»Es ist anzunehmen, daß die Stadt über eine starke Verteidigung verfügt«, meinte Mignon ein paar Stunden später. Die Schneemaulwürfe waren in einen gleichmäßigen Trott gefallen, und sie kamen stetig voran. »Darüber brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen«, erwiderte Jacko. »Wir beabsichtigen keinen Angriff.« »Du hast so lange am gleichen Ort gelebt, Jacko«, sagte Mignon ernst. »Ich glaube nicht, daß du dir einen Begriff davon machen kannst, welche Zustände außerhalb unserer kleinen Welt herrschen. Sie werden uns in ihrer Stadt nicht willkommen heißen. Wenn wir sie bitten, uns ihren Arzt mitzugeben und etwas Munition zu überlassen, werden sie etwas dafür verlangen. Hier ist jede Gemeinschaft für sich. Ich wohnte etwa achtzig Kilometer nördlich von hier, wo es eine Anzahl kleinerer Orte gibt. Wir versuchten ständig, die einzelnen Gruppen dazu zu bringen, sich zusammenzuschließen. Aber wir erreichten kaum etwas.« »Ja, aber man darf nichts unversucht lassen. Ein Zusammenschluß ist so wichtig. Du glaubst doch nicht, daß wir diese Fahrt nur Cockades wegen unternehmen!« Fältchen bildeten sich um seine rotumränderten Augen, als er unter seinem Pelzschutz grinste. »Ich bin ganz sicher, daß sie es auch ohne ärztliche Hilfe schafft. Nein, ich möchte mich mit den Leuten in dieser Burgstadt zusammensetzen und versuchen, ob wir nicht etwas miteinander ausarbeiten können. Bestimmt gibt es in unserem Städtchen Sachen, die sie benötigen, genau wie wir Hilfe und Munition von ihnen brauchten. Ein freundschaftliches Treffen kann nicht schaden.« »Vorausgesetzt, daß Ajax die Wahrheit sprach.« »Weshalb sollte er das nicht, Mignon?« »Es könnte eine Falle sein.« »Ich traue Ajax nicht«, brummte Bog. »Ich verstehe nicht. Weshalb sollte er uns eine Schlinge legen wollen?«
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Das Mädchen blickte nachdenklich vor sich hin. »Es geht mir nicht aus dem Kopf, wie sehr er uns drängte, Shrug mitzunehmen. Ganz offensichtlich wollte er mit Switch und Cockade allein sein. Er hat einen großen Einfluß auf sie. Meines Erachtens möchte er die Führung an sich reißen und das Städtchen für sich haben.« »Deshalb ließ ich Shrug ja auch zurück. Es dürfte Ajax schwerfallen, ihn auf seine Seite zu bringen. Mach dir keine unnötigen Sorgen, Mignon. Wenn uns an der Burgstadt etwas verdächtig vorkommt, machen wir ganz einfach kehrt. Wir können die Segel hissen, und mit dem Wind im Rücken und den Schneemaulwürfen als Zugtiere erreichen wir sicher eine recht beachtliche Geschwindigkeit.« »Ich hoffe, dazu muß es nicht kommen.« »Fleischjäger backbord voraus«, meldete Bog und griff nach seinem Gewehr. Sie kauerten sich hinter die Bootswand und gaben ein paar vereinzelte Schüsse ab, während die Fleischjäger in einiger Entfernung an ihnen vorbei südwärts brausten. Ajax kehrte zum Glockenturm zurück. »Wo warst du denn?« fragte Cockade. »Oh, ich habe mich nur ein wenig umgesehen. Shrug liegt stockbesoffen im Lebensmittelladen. Ich ließ ihn dort. Schließlich wollen wir nicht, daß er uns den ganzen Glockenturm vollspuckt, oder?« »Jacko hat Shrug immer zurückgebracht«, gab Switch ein wenig unsicher zu bedenken. »Jacko ist fort!« »Stimmt ja!« Switch begann sichtlich aufzuleben. »Wißt ihr, es ist richtig angenehm, daß Jacko und Bog und Mignon nicht hier sind. Es ist so friedlich. Sie geben nie Ruhe, diese drei.«
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»Ja. Ständig fällt ihnen etwas Neues ein«, fügte Cockade hinzu. »Wann, glaubst du, werden sie zurückkommen?« wollte Switch wissen. Ajax seufzte. »Ich fürchte, wir werden uns mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß sie vielleicht gar nicht mehr wiederkommen. Man kann es ihnen nicht verdenken. Sie nahmen die Chance wahr. Soviel ich hörte, hat Jacko oft davon gesprochen, von hier wegzugehen. Hattet ihr jemals den Eindruck, daß er nicht wirklich die Absicht hatte, euch mitzunehmen?« Cockade starrte mit finsterem Gesicht ins Feuer. »Ich schon. Ich hatte immer das Gefühl, daß er uns einfach im Stich lassen würde. Vor allem, seit Bog und Mignon kamen.« »Es ist vielleicht das beste, wenn wir sie einfach vergessen und allein hier weitermachen. Nur du und ich… Und Switch…« »Und Shrug.« »Ja, natürlich. Shrug.« Shrug graute vor dem Weg zurück zum Glockenturm, nicht zu reden von der liebenswerten Gesellschaft, die ihn dort erwarten würde. Er brach einer zweiten Flasche Scotch den Hals. Fang stapfte immer noch unruhig auf und ab. »Guter Junge«, murmelte Shrug. Er begann sanft zu dem Tier zu reden, um das immer stärker werdende drohende Geflüster in seinem Kopf zu übertönen.
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XV Zwei schneebedeckte Berge hoben sich schroff aus der Ebene. Im schmalen Paß dazwischen ragten Mauern aus dem wirbelnden Schnee. »Das könnte der Eingang zur Stadt sein«, murmelte Jacko. »Komisch. Ich habe Ajax eigentlich gar nicht geglaubt.« »Es sind keine Fleischjäger in der Nähe«, kommentierte Mignon. »Sie werden den Burgtürmen sicher fernbleiben, wenn sie tatsächlich so stark befestigt sind, wie Ajax behauptete.« Bald befanden sie sich zwischen den beiden Bergen, und die Brustwehr der Burg lag deutlich sichtbar vor ihnen. Die Schneemaulwürfe trabten unbeirrt weiter. Bog fröstelte in seinen dicken Pelzen. »Es gefällt mir nicht«, sagte er plötzlich. Ein paar Köpfe waren nun oberhalb der grauen Mauer zu sehen. Der Wind, verstärkt durch den Trichtereffekt des Passes, heulte an ihren Gesichtern vorbei, als sie wachsam zu den noch fernen Türmen blickten. »Wir werden bald anhalten«, bestimmte Jacko. »In sicherer Entfernung. Es wäre zu gefährlich, uns in Schußweite zu begeben, ehe wir ihnen unsere Absicht kundgetan haben.« »Und wie wollen wir das machen?« fragte Mignon. »Sie können uns gegen den Wind nicht rufen hören.« »Schwenken wir eine weiße Fahne«, schlug Bog vor. Er befestigte ein weißes Unterhemd am Mast. »Was anderes können wir eigentlich verstehen.« Jacko Schneemaulwürfe hielten an. ten nieder und kratzten den Fell.
nicht tun. Aber sie müßten es zog an den Leitriemen, und die Sie ließen sich auf ihre Hinterpfoeisigen Schnee aus ihrem dicken
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»Schaut doch!« rief Mignon. Mehrere Männer erschienen auf der baufälligen Brustwehr und kämpften mit ihren riesigen Schulter segeln schwerfällig gegen den Wind an. »Sie sehen wie Fleischjäger aus«, stellte sie ruhig fest. »Ihre Segel sind größer.« Jacko blickte überrascht hinüber. »Was machen sie dort oben?« Während sie noch zusahen, sprangen etwa zwanzig Mann rückwärts über die Brustwehr. Ihre Segel begannen sich zu blähen. Die Männer fielen nicht in den Schnee, sondern schwebten frei. »Seht ihr den niedrigen Turm? Den dort in der Mitte!« Jacko deutete darauf. »Sie sind mit Kabeln daran angebunden. Wie Papierdrachen! Mit dem Wind gegen ihre Segel bleiben sie in der Luft.« Gewehre ballerten, der Schnee stäubte um sie auf, und eine Kugel schlug in die Kreuz des Südens. Hinter den Drachenseglern schossen Scharfschützen von der Brustwehr aus auf sie. »Nieder!« brüllte Jacko. Sie warfen sich flach auf das Deck und nahmen ihre Gewehre, während die Kugeln über sie hinwegpfiffen. »Wir lassen die Schneemaulwürfe besser wenden«, schlug Mignon vor. »Es ist also tatsächlich eine Falle. Ich glaube, das hier ist das Hauptquartier der Fleischjäger. Sie kamen immer aus dieser Richtung, erinnert ihr euch?« Jacko blickte hastig hoch, als er ein metallisches Knarren hörte. Ein Drachensegler schwebte etwa zehn Meter über dem Boot und legte sein Gewehr auf sie an. Jacko rollte sich auf den Rücken. Er zielte auf den Schützen. Der schwenkte herum, verlor ein wenig an Höhe, doch dann kurbelte er an einer großen Spule, die an seiner Brust hing, und brauste windwärts davon. Weitere Drachenmänner segelten schießend über das Schiff hinweg. Kugeln schlugen in das Holz. Mignon schrie unterdrückt auf, als ein Splitter sich in ihre Wange bohrte. Blut drang aus der Wunde, und der Wind peitschte es hinweg.
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In kurzer Zeit befanden sich alle Drachenmänner hinter ihnen und schnitten ihnen so den Rückweg ab. Die drei im Schiff versuchten so gut es ging Deckung zu finden. »Es ist sinnlos«, stöhnte Jacko. Er schoß auf eines der Drahtseile über ihnen, aber das schwankende Ziel war zu dünn. Eine Kugel schlug einen Zentimeter von seinem Gesicht in den Bug ein. »Hier sind wir Zielscheiben für die Drachenmänner, und am Heck sehen uns die Scharfschützen auf der Brustwehr.« Einer der Segler kurbelte sich auf sie zu. Er beschrieb schwindelerregende Bogen, während er einen Schuß nach dem anderen auf sie abfeuerte. Mignons Kugel fetzte ein Loch in sein Segel. Er drehte an seiner Kurbel und brauste höhnisch lachend davon. »Unter das Schiff!« brüllte Bog. Er klemmte sich Mignon unter einen Arm und tauchte über den Bug, während es ringsum Kugeln regnete. Schneetretend schob er das Mädchen unter das Schiff, wo die beiden breiten Kufen den Rumpf über der Oberfläche hielten. Keuchend robbte er ihr nach. Jacko wirbelte Schnee auf, als er ihnen nachkam. Blut sickerte durch den Pelzärmel. »Nicht der Rede wert«, murmelte er, als Mignon besorgt darauf starrte. »Was jetzt?« fragte Bog. Das Knattern der Gewehrschüsse wurde unregelmäßiger und erstarb schließlich. Jacko steckte den Kopf unter dem Schiff hervor. Er sah, daß die Drachenmänner noch etwa hundert Meter südlich wartend in der Luft schwebten. Ein großer kistenähnlicher Gegenstand wurde gerade aus der Burg geschoben. Gewehrläufe ragten aus Schlitzen im Holz. »Sie kommen uns holen«, erklärte er tonlos. »Wir können uns nicht nordwärts absetzen – wir würden nie an der Burg vorbeikommen. Wir können nicht südwärts, weil uns da die Drachenmänner abschössen, östlich und westlich sind die Berge. Es ist unmöglich, sie zu erklimmen.« »Jacko meint, sie werden uns bald haben, Mignon.« Bog legte unbeholfen seinen Arm um das Mädchen und blickte sie bedrückt an.
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»So, hier bist du also?« Shrug rollte sich auf die Seite und erhob sich schwankend. »Uh, Ajax«, brummte er. Er rieb sich die Augen. Fang warf einen Blick auf den Neuankömmling und tappte davon. »Komm mit.« Shrug gähnte. »Ich bleibe noch eine Weile hier. Ich komme später nach.« »Ich sagte, kommt mit«, wiederholte Ajax. Er richtete seine Pistole auf Shrug. »Wenn du mich so überzeugst! Was ist denn los?« Ajax lächelte. beschluß!«
»Ich
übernehme
die
Führung.
Mehrheits-
»Wa-as? Soll das heißen, daß Cockade und Switch mitmachen?« »So ist es.« Shrug fluchte lauthals vor sich hin, als er vor Ajax herschlurfte. Am Fuß der Steintreppe in der Nähe von Bogs Werkstatt war eine schwere Eichentür. Daneben stand ein kleiner Schlitten mit einer Kiste, in der vertraute zylindrische Gegenstände lagen. »Pfoten weg!« warnte Ajax, als Shrug sich bückte, um einen an sich zu nehmen. Er öffnete die Tür. »Hier hinein.« Er gab Shrug einen Stoß, daß er in die kleine Kammer taumelte und schlug die Tür von außen zu. Dann verriegelte er sie. Shrug hockte sich auf den Boden und holte eine Taschenlampe aus seiner Hosentasche. Die Kammer war etwa drei Quadratmeter groß. Die Wände wiesen Sprünge auf, und an manchen Stellen hatte das Eis die Steine bereits verdrängt. Er befand sich unmittelbar unter dem Glockenturm. Wenn er nur an das Dynamit herankäme! »Ich habe ihn eingesperrt«, erklärte Ajax. »Das ist das einzig Richtige.« Cockade rührte das Gulasch um. Der Schein der
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Flammen tanzte über die Wände. Draußen wurde es dunkel. »Aber was ist jetzt mit einem Arzt für mich? Wenn die anderen nicht zurückkommen, muß ich es ganz ohne Hilfe durchstehen. Es wird auch nicht mehr lange dauern. Das spüre ich.« »Es wird mir eine Ehre sein, auszuhelfen, Cockade.« »Was?« Sie war zutiefst beeindruckt. »Das verstehst du auch?« »Es gibt wenig, das mich in Verlegenheit bringen könnte«, erwiderte er selbstbewußt. Plötzlich stand er auf. »Ich lasse jetzt die Außenleiter hinunter, damit sie hereinkönnen, falls wir sie nicht hören, wenn wir schlafen.« Sie aßen in zufriedenem Schweigen. Danach streckte Ajax sich auf seinem Lager aus und zog die Decken bis zum Hals hoch. »Wißt ihr was«, murmelte er. »Ich habe gute Lust, sie gar nicht hereinzulassen, wenn sie doch zurückkommen sollten.« »Sollen sie sehen, wo sie unterkommen«, pflichtete Cockade ihm bei. Ajax schlief ein, doch er zuckte mehrmals hoch und versuchte wieder ganz wach zu werden. Er öffnete die Augen, als Wellen von Zwang über ihn hinwegspülten. Er kämpfte gegen die fremden Gefühle an, aber es war zu spät. Monate, Jahre zu spät. Etwas berührte ihr Gesicht, drängte sich in ihre Träume. Brummelnd rollte sie sich herum. Wieder spürte sie die Berührung und ein dumpfes Zischeln. Sie erwachte, sah den dunklen Boden, die Wände und das glimmende Feuer. Sie drehte sich auf den Rücken und blickte geradewegs einem Pad ins Gesicht. Er beugte sich ein wenig zu ihr herab und schnüffelte. Sie roch seinen Raubtieratem. Ein gellender Schrei entfuhr ihren Lippen. Das Tier richtete sich auf und brummte. Verstört blickte sie sich um. Der ganze Glockenturm war voll mit den gespenstischen Gestalten.
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»Ajax!« schrillte sie. »Switch!« Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Ein schneidender Schmerz zog von ihrem Bauch zum Kreuz. »Jacko!« Cockade schrie und schrie, während die gewaltigen Tiere auf ihren weichgepolsterten Ballen im Glockenturm herumstapften. »Es gibt eine Alternative«, murmelte Jacko. Er kroch nach vorn und zog ein Messer aus seinem Gürtel, als er unter dem Bug der Kreuz des Südens hervorspähte. Das Licht ließ bereits nach, und die Burg war nur noch eine schwarze Silhouette, die sich gegen den nördlichen Himmel abhob. Noch etwa fünfundzwanzig Meter entfernt, näherte sich die mobile Schießfestung der Fleischjäger. Jacko langte hoch und durchschnitt die Zügel des linken vorderen Schneemaulwurfs. »Bacchus!« lockte er leise. Das Tier blickte sich um. Ein Blutfleck zeichnete sich auf der Schulter ab. »Komm her!« rief Jacko. Bacchus drehte sich um und watete schnuppernd auf ihn zu. Jacko zog sich wieder unter das Schiff zurück und der Schneemaulwurf folgte ihm, seinen gewaltigen Körper in den engen Raum zwischen den Kufen zwängend. »Grab, Bacchus! Grab!« befahl Jacko ihm. Das Tier schnaubte, dann steckte es den Schädel in den Schnee und begann mit flinken Bewegungen seiner riesigen Vorderpfoten zu schaufeln. Der Schnee sprühte über sie, als der Maulwurf tiefer sank und bald nur noch seine stoßenden Hinterbeine zu sehen waren. Auf seine phlegmatische Art hatte Bacchus sich schon gefragt, wann sein Herr ihm gestatten würde, nach Futter zu stöbern.
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»Sehr schön«, murmelte Jacko. »Wir werden jetzt hintereinander folgen. Es wird sehr kalt sein, ist aber unsere einzige Chance. Mignon, ich mache den ersten, du kommst mir nach, und Bog folgt als letzter. Brecht nicht in Panik aus, wenn der Schnee euch einschließt.« Bog stieß ein rauhes Lachen aus. »In Panik ausbrechen? Nicht wir, Jacko! Höchstens dann, wenn die Fleischjäger anfangen, uns in handliche Stücke zu zerlegen.« »Grab weiter, Bacchus!« rief Jacko und tauchte kopfvoraus hinter dem Tier in den weichen Schnee, nachdem er den Pelz seiner weiten Kapuze über das Gesicht geschlagen hatte. In der Finsternis spürte er das Schaufeln voraus. Er schob sich in einem Fünfundvierziggradwinkel weiter, genau dem rutschenden Schnee nach. Einmal traf ein schmerzhafter Stoß von Bacchus’ Hinterpfote seinen Arm. Mignon kämpfte sich blind hinter ihm her und schob den Schnee wie er mit Schwimmbewegungen zurück. Bog folgte. Er half Mignons Füßen nach und trampelte den Schnee mit seinen schweren Stiefeln hinter sich fest. An der Oberfläche verdeckte der Treibschnee die Spuren ihres Fluchtwegs. Jacko schnappte immer öfter nach Luft. Dem Maulwurf zu folgen und gleichzeitig den Schnee zurückzuwerfen war ungemein beschwerlich. Die Kälte machte ihm jedoch nicht zu schaffen. Im Gegenteil, der Schweiß lief ihm in Strömen über den ganzen Körper, und bald war sein Pelz damit getränkt. Er hatte nur eine Sorge, die Spur des flinken Bacchus zu verlieren. Geschähe das, würde ihnen nichts übrigbleiben, als an die Oberfläche zurückzukehren… Mignon ahnte nichts von Jackos Befürchtung. Sie robbte unentwegt weiter. Trotz ihrer zierlichen Figur verfügte sie über große Stärke und Ausdauer. Außerdem verlieh ihr uneingeschränktes Vertrauen auf Jacko und Bog ihr noch zusätzliche Kraft. Sie genoß das Leben, so wie es sich ergab, und auch das gegenwärtige Abenteuer bereitete ihr Spaß. Sie wunderte sich
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selbst ein wenig darüber und kam zu dem Schluß, daß es wohl hauptsächlich daran lag, daß Cockade nicht dabei war. Mignon war sehr verträglich und mochte normalerweise jeden, aber bei Cockade mußte sie sich sehr bemühen, nett zu ihr zu sein. Bog schaufelte nur. Wenn er überhaupt etwas dachte, dann lediglich, daß er Mignons Spur nicht verlieren durfte. Nie hatte er jemanden wie Mignon gekannt. Jacko, dem das Blut heftig im Kopf hämmerte und dessen Lunge verzweifelt nach Luft pumpte, bekam einen heftigen Hieb gegen die Schläfe, als er Bacchus zu nahe geriet. Der Schneemaulwurf war etwas langsamer geworden, denn der weiche Schnee wechselte allmählich zu Harsch und schließlich zu festem Eis über. Doch das Tier war ganz in seinem Element. Die Schaufelklauen hackten mit schnellen Schlägen in das Eis, warfen die Brocken unter dem Körper nach hinten, und die Hinterpfoten stießen sie noch weiter zurück. Mit seinem nicht ganz tierischen Verstand spürte er das aufmunternde Drängen Jackos. Er verstärkte seine Anstrengungen, als seine darauf eingestellten Sinne etwas voraus aufnahmen. Nahrung… Es schien Jacko als grabe er schon seit Stunden. Er wußte, daß Mignon sich noch hinter ihm befand. Jetzt, da sie langsamer vorankamen, fühlte er des öfteren ihre Hand an seinem Fuß. Bestimmt war Bog dicht hinter ihr. Er grinste ein wenig, als er sich die verdutzten Gesichter der Fleischjäger ausmalte, wenn sie entdeckten, daß das Schiff verlassen war. Vor langer Zeit hatte ihnen der alte Mann von der Marie Celeste erzählt. Er stellte sich die Kreuz des Südens als eine neuere Version der Marie Celeste vor, die verlassen über die Schneeozeane dieser Welt trieb. Plötzlich, zu seiner größten Erleichterung, drang frische Luft durch die Pelzvermummung in Jackos Nase. Bacchus war nicht mehr vor ihm. Blindlings robbte Jacko weiter. Seine Hände tasteten in leere Luft und gleich darauf rutschte er etwa einen Meter tief ab. Dann schob er die Kapuze aus dem Gesicht. Er befand sich immer noch in totaler
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Dunkelheit, aber er bekam ausreichend Luft. Sekunden später plumpste Mignon, einen überraschten Schrei ausstoßend, neben ihn. »Wo sind wir?« fragte sie atemlos. »Irgendwo in der Burgstadt, glaube ich. Bog?« »Ja?« »Vorsichtig. Hier geht’s gut einen Meter steil ab.« Jacko holte die Lampe aus der Tasche und leuchtete. Bog landete neben ihnen. Sie befanden sich in einem Zimmer. Durch hing die Decke gewölbt über ihnen. Ein Stühle bildeten das ganze Mobiliar. Auf der genden Seite war eine Öffnung, wo sich befunden hatte.
den Druck des Eises Tisch und mehrere ihnen gegenüberlieeinstmals eine Tür
»Schaut!« deutete Mignon. In einer Ecke sahen sie einen Haufen Lumpen und eine offene Dose. »Es war jemand hier. Das Loch führt hinaus in einen Tunnel.« Jacko fröstelte. Sein Kopf schmerzte von Bacchus’ Schlag. »Wir werden uns hier erst einmal eine Weile ausruhen«, bestimmte er. »Oben ist es jetzt sicher Nacht.« »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich umsehe?« fragte Bog. »Ich werde Bacchus mitnehmen. Du kümmerst dich einstweilen um Mignon, ja?« »Sei vorsichtig, Bog.« Jacko war zu müde, Einspruch zu erheben. Die Energie des Riesen schien unerschöpflich. Mignon und er kauerten sich nebeneinander auf den Boden, während Bog, gefolgt von Bacchus, durch die Öffnung kletterte. Jacko schlief.
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XVI Bog kroch lautlos durch den Tunnel, der allmählich weiter wurde, als Seitengänge in ihn einmündeten. Bald schon vermochte er aufrecht zu gehen. Er ließ den Taschenlampenschein über die Wände huschen. Er nahm an, daß er sich am fernen Ende der Stadt befand und allmählich zu den Geschäften gelangen würde. Und dort, dachte er unbekümmert, würde er schon irgendwie zu Munition kommen. Flüchtig erinnerte er sich an Cockades Verlangen nach einem Arzt, aber er schob den Gedanken beiseite. Er mochte Cockade nicht. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß Jacko und Mignon die Expedition bereits als Mißerfolg abgeschrieben hatten und allein damit zufrieden wären, lebend aus der Stadt zu gelangen. Der Korridor wurde wärmer, und immer häufiger mündeten Seitengänge ein. Bog vernahm Geräusche. Er befürchtete keine bewaffneten Posten, denn die Fleischjäger erwarteten sicher keinen Angriff von hier unten. Ein Grinsen überzog Bogs Gesicht bei diesem Gedanken. Er machte aus einer Niederlage einen Angriff. Bacchus tapste schnüffelnd hinter ihm her. Lichter schienen voraus, wurden von den Eiswänden zurückgeworfen. Er knipste die Taschenlampe aus und befahl Bacchus zu warten, dann schlich er vorsichtig weiter. Bald stellte er fest, daß das Licht von glühenden Kugeln an der Decke ausgestrahlt wurde, die mit Kabeln in regelmäßigen Abständen aufgereiht waren. Ein dumpfes rhythmisches Klopfen drang von irgendwo hierher. Es war ein mechanisches Geräusch. Die Fleischjäger waren gut ausgestattet. »Gutes Essen!« Der Gruß erreichte ihn unvorbereitet, aber der Mann, der ihn gemurmelt hatte, war bereits an ihm vorbei und schritt einen Seitengang weiter. »Gutes Essen!« rief Bog ihm nach. Kurz darauf erreichte er eine breite Straße, die völlig menschenleer war. An ihren beiden Seiten befanden sich Läden. Eine
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Bäckerei, ein Lebensmittelgeschäft, eine Buchhandlung, ein Laden mit Sportartikeln. Bog betrat den letzteren. Die Regale waren wohlgefüllt, alles ordentlich an seinem Platz. Bog begab sich hinter den langen Ladentisch und betrachtete interessiert, doch verwirrt die fremdartigen Dinge wie Boxhandschuhe, Springseile, Tischtennisbälle und -schläger. Er zog die Schubladen heraus, bis er schließlich eine mit Patronen gefüllt fand. Er klemmte sie sich unter den Arm und schritt damit auf die Tür zu. »He, wo willst du damit hin?« Er wirbelte herum. Ein Mann stand unter der geöffneten Hintertür und musterte ihn mißtrauisch. »Ich habe dich gefragt, wo du damit hin willst? Wer bist du überhaupt? Ich kann mich nicht erinnern, dich schon einmal gesehen zu haben.« Der Mann hielt ein Gewehr im Anschlag. »Wird oben gebraucht«, brummte Bog. »Wo ist deine Anweisung dafür?« Bog schwieg. Er hatte keine Ahnung, was eine Anweisung war. Er stellte die schwere Lade ab und fummelte in seinem Pelz. »Hier«, brummte er schließlich und tat, als hielt er etwas in der gekrümmten Hand. Der Mann kam näher, das Gewehr auf Bogs Bauch gerichtet. »Dann zeig her.« Mit aller Gewalt stieß Bog den Stiefel gegen die Lade vor seinem Fuß. Sie glitt über den eisigen Boden geradewegs auf den Fleischjäger zu und riß ihn von den Beinen. Als sein Gewehr davonrutschte, warf Bog sich über ihn. Er legte die Hände um den Hals des sich heftig Wehrenden und brach ihm das Genick. Bog übergab sich. Er war im Grunde seines Herzens ein Pazifist und verabscheute das Töten. Als er sich wieder gefangen hatte, hob er die Lade auf und schlurfte den Korridor zurück. Bacchus begrüßte ihn mit sichtbarer Freude, und gemeinsam kehrten sie in den kleinen
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Raum zurück, wo Jacko und Mignon in ihre Pelze gehüllt fest schliefen. Bog fühlte sich besser beim Anblick seiner beiden Freunde. Er stellte die Lade mit Munition neben ihnen ab, rief Bacchus leise zu und machte sich zu einem weiteren Erkundungsgang auf. Cockade und Switch wichen Shrugs Blick aus. Nun waren alle drei in der kleinen Kammer unter dem Glockenturm eingesperrt. Sie drückten sich in eine Ecke und starrten auf den riesigen Pad, der sie mit unverhohlener Bosheit bewachte. »Also hat euer verehrter Freund Ajax sich auch gegen euch gewandt?« bemerkte Shrug mit offener Genugtuung. Cockade schwieg. »Er wollte Jacko, Bog und Mignon nicht mehr hereinlassen«, erklärte Switch eifrig. »Das durften wir doch nicht hinnehmen. Wir sagten ihm die Meinung. Er wollte unser Führer sein. Da sagte ich ihm, Jacko ist unser Führer. Er ist ein guter Mann. Er sagte, Jackos Zeit ist vorbei. Vermutlich haben die Fleischjäger ihn schon erledigt. Da habe ich schnell das Gewehr gepackt…« Switchs Augen glänzten, als seine Phantasie ihn mit Einzelheiten versorgte, wie es hätte gewesen sein können. »Ich sagte, ›an die Wand mit dir, du Schuft!‹ Er taumelte zurück und zitterte vor Angst am ganzen Körper. Sein Gesicht war grau. Grau!« »Na, und was ist schiefgegangen?« fragte Shrug, der ihm kein Wort seiner Heldentat glaubte. Switch hielt verwirrt inne. So weit hatte er noch nicht überlegt. Cockade warf ihm einen eisigen Blick zu. »O ja«, fuhr er fort. »Plötzlich wimmelte der ganze Glockenturm von Pads. Einer von ihnen hat mir das Gewehr aus der Hand geschlagen. Da warf ich mich auf ihn. Wir kämpften.« »Du willst mit einem Pad gekämpft haben?« spottete Shrug. »Davon merkt man aber nichts.«
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»Er hat mich überwältigt«, warf Switch schnell ein. »Er hat seine Pranken um mich gelegt und mich gedrückt.« Er verzog schmerzerfüllt das Gesicht und rieb sich den Brustkorb. »Ich glaube, er hat mir mehrere Rippen gebrochen.« Seine Stimme wurde schwach. »Es ist schwer, mit eingedrückten Rippen zu sprechen. Ich bekomme keine Luft.« Er schwieg und betastete theatralisch die Brust. Cockade stöhnte plötzlich. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. »Oh, du hast dich wohl ebenso tapfer gegen die Pads zur Wehr gesetzt?« erkundigte Shrug sich ohne Mitleid. »Nein… Bitte, Shrug, du mußt mir glauben. Ich bin sicher, die Geburt setzt ein.« »Bei allen guten Geistern. Das hat uns gerade noch gefehlt.« Switch redete drängend auf ihn ein. »Der Glockenturm ist voll Pads, Shrug. Du weißt, daß sie telepathisch sind. Du hast selbst gesagt, daß du sie verstehen kannst, wenn du – wenn du etwas getrunken hast…« Shrug blickte ihn nachdenklich an. »Es geht jetzt auch schon ohne«, gestand er. Ein Plan nahm vage Form an. »Ajax kann mehr als das. Er hat sie völlig unter seiner Kontrolle. Sie gehorchen ihm. Wenn die anderen zurückkommen – falls sie zurückkommen –, wird Ajax die Pads auf sie hetzen, sobald sie durch das Loch im Turm steigen. Sie haben keine Chance.« Shrug musterte den Pad an der Tür. Offensichtlich stand er unter einem geistigen Zwang, sonst hätte er sie längst angegriffen. Ajax hatte ihn als Wache zurückgelassen. Versuchsweise konzentrierte er sich und dachte: Töte… Der Pad knurrte und setzte sich in Bewegung. »Shrug!« brüllte Cockade. Hastig verbannte Shrug den Gedanken, und der Pad nahm seine reglose Haltung wieder ein.
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Es stimmte also. Ajax hatte die Pads unter geistiger Kontrolle. Das erklärte auch, weshalb sie in letzter Zeit nicht in dieser Gegend zu sehen gewesen waren. Ajax hatte sie weggeschickt, bis er sie brauchte. Dann hatte er Jacko und die anderen dazu gebracht wegzufahren, möglicherweise sogar in eine Falle. Und nun hatte er die Tiere herbeibefohlen, um mit Jacko fertig zu werden, falls er doch zurückkäme. Shrug ärgerte sich über sich selbst. Er hätte es wissen müssen. Hatte er nicht selbst Ajax’ Gedankenbefehle aufgenommen? Aber er hatte das Flüstern in seinem Kopf nicht richtig ausgelegt. »Warum hat Ajax uns denn nicht umgebracht«, wunderte er sich. »Er ist irr vor Machthunger«, erklärte Switch. »Er will der Führer eines Stamms sein. Er kann die Pad herumkommandieren, aber sie ersetzen ihm die Menschen nicht. Was er will, ist Macht über Menschen. Wir drei sollten sein Stamm sein. Er bildet sich ein, daß wir mitmachen – ich möchte wissen, wie er auf diese Idee kommt. Aber er weiß auch, daß Jacko, Mignon und Bog es nie täten. Deshalb will er sie los sein… Was können wir nur tun?« Shrug überlegte. »Das Dynamit, das du gefunden hast. Ist es noch vor der Tür?« »Das schon. Aber wir können ja nicht an dem Pad vorbei. Und selbst wenn, wir hätten nicht die Kraft, die Tür aufzubrechen.« »Sag mir ausnahmsweise einmal die Wahrheit. Weshalb hat er euch heruntergebracht?« »Er hat Angst vor uns.« »Er will uns aus dem Weg haben, wenn er Jacko umbringt«, sagte Cockade müde. Sie stöhnte, als eine weitere Wehe durch ihren Unterleib schnitt. Shrug legte alle Konzentration, deren er fähig war, in einen einzigen Gedanken: Fang…
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Jacko erwachte. Er dehnte sich, gähnte und leuchtete mit der Taschenlampe um sich. Mignon schlief noch neben ihm. Ihre Pelzkapuze hatte eine Flut von seidigem schwarzem Haar freigegeben. Leise und mit schlechtem Gewissen beugte er sich über sie und küßte sie. Sie rührte sich, da rollte er sich schnell auf die andere Seite und stand auf. Eine große offene Kiste lag auf dem Boden. Sie war mit kleinen Pappschachteln bis zum Rand gefüllt. Er öffnete sie. Sie enthielt 22er-Patronen. »Jacko?« Mignon blinzelte. »Wo ist Bog?« »Irgendwo in der Stadt, nehme ich an. Schau, er hat Munition gebracht, während wir schliefen.« »Horch! Ich glaube, er kommt gerade zurück.« Entfernte Geräusche erreichten sie. »Das ist er nicht«, flüsterte Jacko erschrocken. »Ich höre Stimmen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß er einen Freund gefunden hat.« Die Stimmen kamen näher. Es waren sehr viele. Sie hörten laute Befehle. »Schnell! Wir müssen die Öffnung verbarrikadieren.« Jacko nahm den Tisch und lehnte ihn dagegen. Er bedeckte die ganze Öffnung. Mignon brachte einen Stuhl. Sie klemmten ihn gegen ein Tischbein. Dann schoben sie die restlichen Stühle dagegen, bauten sie übereinander auf. »Es wird sie nicht lange aufhalten«, seufzte Jacko. »Wir müssen verschwinden.« »Und Bog?« »Ich weiß nicht. Vielleicht ist er schon oben.« Aber Jacko glaubte es nicht wirklich. Seine Hauptsorge war, Mignon aus der unmittelbaren Gefahr zu bekommen. »Ihr da drin!« brüllte eine Stimme außerhalb der Barrikade. »Psst!« warnte Jacko. »Geh zum Loch, durch das wir gekommen sind, und fang an hochzuklettern.«
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»Wir wissen, daß ihr dort drin seid! Kommt mit erhobenen Händen heraus, dann wird euch nichts geschehen.« Mignon hüllte sich in ihre Pelze und begann hochzusteigen. Als Jacko nur noch ihre Füße sah, zerrte er die Lade mit der Munition zum Fuß des Tunnels. Schläge dröhnten gegen die Barrikade. Sie gab ein wenig nach. Jacko feuerte einen Schuß durch den Spalt zwischen Tisch und Wand. Das Schweigen draußen wurde von einem Murmeln unterbrochen. »… bewaffnet. Sie sind es bestimmt. Sie haben Jarvis umgebracht. Wie sind sie bloß hineingekommen?« Weiteres Gemurmel. »… löste sich in Luft auf… Wie viele? Es waren drei im Schiff… Der Raum hier hat ohnehin keinen zweiten Ausgang.« Eine Stimme hob sich. »Ihr sitzt in der Falle. Wir wissen, daß ihr nur zu dritt seid. Ihr habt keine Chance!« Die Barrikade wackelte ein wenig. Offenbar hatten sie Bog nicht erwischt. Erleichtert gab Jacko einen weiteren Schuß durch den Spalt ab, dann zog er sich in den durch Bacchus geschaffenen Tunnel zurück. Er leuchtete mit der Taschenlampe hoch und sah, daß Mignon schon eine beträchtliche Strecke hinter sich gelegt hatte. Er hob die Munitionskiste in das Loch und begann, sie vor sich herschiebend, hochzuklettern. Nach einer Weile blickte er zurück und ließ die Taschenlampe aufflammen. Die losen Eistrümmer und der Schnee hatten bereits den Zugang zu ihrem Fluchtweg verschüttet. Mühsam kämpfte er sich mit der schweren Kiste weiter und bewunderte die Ausdauer des Mädchens vor sich. Keuchend sogen sie die frische Luft ein, als sie unter dem Schiff ankamen, das sie vor den Ausschau haltenden Posten auf der Brustwehr verbarg. »Und was jetzt, Jacko?« fragte Mignon. »Wir warten auf Bog«, bestimmte er. Wenn er es schafft, dachte er.
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»Er wird es schaffen«, sagte Mignon, die seine Gedanken erraten hatte, überzeugt. »Es wird schon hell«, murmelte Jacko besorgt. »Ich hoffe, er kommt schnell. Bald werden sie erraten haben, wo wir sind.« Er spähte unter dem Bug hervor und sah Männer über die Brustwehr laufen. Aufgeregte Rufe waren zu hören. Ihre Verfolger hatten also inzwischen schon Alarm geschlagen. Die Drachenmänner schwangen sich mit blähenden Segeln über die Brustwehr und brausten in geordneten Reihen über ihnen hinweg. »Sie schweben etwa hundert Meter hinter uns«, erklärte ihm Mignon, die sich neben ihn gezwängt hatte. »Wenn wir versuchen, die Segel zu setzen und aufzubrechen, können sie uns treffen. Es sind doppelt so viele wie zuvor.« »Ohne Bog können wir ohnehin nicht weg.« Tiefe Verzweiflung bemächtigte sich Jackos. Nun begann auch die mobile Schießfestung langsam, aber stetig wieder auf sie zuzugleiten. Mignon legte ihre Hand auf seinen Arm. »Du hast getan, was du konntest, Jacko. Es ist nicht deine Schuld.« Er drückte ihre Hand und beobachtete weiter die Burg. Um den mittleren Turm herrschte offenbar ungewöhnliche Aufregung. Er sah Männer herumlaufen. Er hörte Schreie. Die Schießfestung stoppte. Ihre Besatzung interessierte sich offenbar dafür, was hinter ihr vorging. Ein Mann, dessen Silhouette selbst in dieser Entfernung riesig wirkte, tauchte am mittleren Turm auf. Er kämpfte, eine Axt schwingend, um sein Leben. Die Fleischjäger wichen ihr aus, aber sie umringten ihn in immer größerer Zahl, während andere auf dem mittleren Turm mit einem Netz zusammenliefen. In ihrer Aufregung verließen Jacko und Mignon den Schutz ihres Schiffs und starrten, knietief im Schnee stehend, zur Burg.
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Als seine Gegner ihre Gewehre auf ihn anlegten, verschwand Bog plötzlich hinter dem Turm aus ihrer Sicht. Die Verfolger rannten ihm brüllend nach. Da tauchte Bog auf der Turmspitze auf. Immer noch schwang er die Axt wie ein Berserker. Er drang auf die Männer mit dem Netz ein. Ein Hieb mit der Axt trennte den Kopf des vordersten vom Rumpf. Panikerfüllt sprangen die anderen vom Turm, als Bog auf sie losging. Mit einem Mal endeten die Schreie. Bog stand allein in der Mitte des offenen Turms, außer Sicht der Schützen auf den unteren Brustwehren. Wieder schwang er die Axt, und immer wieder, als wolle er Holz spalten. »Schau!« schrie Mignon. Surrende Drähte schnellten über sie hinweg südwärts. Als Jacko und Mignon sich umdrehten, sahen sie die Drachenmänner außer Kontrolle davonwirbeln. Einige stürzten schneeaufsprühend zu Boden, andere hoben sich hoch in die Lüfte und wurden vom Wind südwärts getrieben. Bald war kein einziger mehr zu sehen. »Ins Schiff!« brüllte Jacko. »Schnell, wir müssen das Segel hissen!« Während sie mit dem flatternden Tuch kämpften, behielten sie die Burg im Auge. Bog war vom Turm verschwunden, und die Fleischjäger dort rannten in alle Richtungen. Die Schießfestung setzte sich unter den drängenden Schreien von der Brustwehr wieder in Bewegung. Von hinter der Burg galoppierte Bacchus, den Schnee hochaufwirbelnd herbei. Bog hing an seinem Rücken. Jacko feuerte zur Ablenkung mehrere Kugeln auf die Schießfestung ab. Doch ehe ihre Besatzung noch die Gewehre anlegen konnte, war Bacchus schon an ihr vorbei. Das Tier kam neben seinen Gefährten zum Halt. Bog sprang von seinem Rücken, knüpfte einen Knoten in den durchschnitte-
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nen Gurt und spannte Bacchus wieder ein. Sofort warfen die vier Schneemaulwürfe sich in die Riemen, und die Kreuz des Südens begann langsam zu wenden. Das Segel blähte sich auf. Bog sprang in das Geschwindigkeit aufnehmende Schiff. Sie duckten sich hinter das Heck, wo die Kugeln ihnen nichts anhaben konnten, und befanden sich bald außer Schußweite.
XVII Shrug spürte es als erster – eine noch schwache Erschütterung im Eis hinter ihnen. Er warf einen Blick auf die beiden anderen, die sich in ihrer Not aneinanderklammerten. Cockades Gesicht war von den in immer geringeren Abständen kommenden Wehen schmerzverzerrt, und Switch murmelte nichtssagende Worte, die ihr Mut geben sollten. »Kein Gespräch jetzt«, mahnte er sie. »Wir wissen nicht, wieviel Ajax von dieser Bestie erfahren kann.« Er deutete auf den Pad, der immer noch reglos Wache hielt. Sie starrten ihn verständnislos an. Shrug schätzte die Tageszeit auf frühen Vormittag, obgleich sie schon so lange in der kleinen Kammer eingesperrt waren, daß es schwierig zu bestimmen war. Es konnte auch schon Nachmittag sein. Eines jedoch wußte er sicher, Jacko und die anderen waren noch nicht zurückgekommen – sonst hätte Ajax ihnen längst triumphierend den Tod ihrer Kameraden berichtet. Shrug spürte es jetzt schon ganz genau. Es war halb Geräusch, halb Vibration hinter der Eiswand. Er rückte zur Seite und lehnte sich gegen die noch unbeschädigte Steinmauer neben den beiden anderen. Der Pad spitzte die Ohren und beäugte Shrug wachsam. In einem Eisregen brach Fang durch die Wand und warf sich wild brüllend auf den Pad. »Schnell!« drängte Shrug. »Durch das Loch mit euch!«
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Nach kurzem Zögern stolperten Cockade und Switch auf die Beine und kletterten durch das von Fang geschaffene Loch. Shrug schaute sich verzweifelt nach irgendeinem als Waffe geeigneten Gegenstand um, mit dem er dem pelzigen Freund zu Hilfe eilen könnte. Aber es gab nichts. Er kauerte vor der Tunnelöffnung und beobachtete hilflos den Kampf der Giganten. Die beiden Tiere waren von gleicher Größe, aber der Pad war von Natur aus ein Raubtier, während der friedliche Schneemaulwurf nicht an Kampf gewohnt war, sondern lediglich Shrug, seinen Freund, beschützen wollte. Die Tränen rannen Shrug über das Gesicht. Fang hatte keine Chance gegen den Killer aus den Schneefeldern. Blut floß über die silberweiße Schulter, wo die grausamen Zähne des Pads bereits einen gewaltigen Brocken Fleisch herausgerissen hatten. Shrug wollte die Lampe ausschalten, in der Hoffnung, daß Fang sich in der Dunkelheit zurückziehen könnte. Aber er vermochte sie nicht zu erreichen. Sie lag unmittelbar neben dem Pad, dessen Augen sich nun blutdurstig auf ihn richteten. Er tapste auf ihn zu, aber Fang warf sich dazwischen und riß mit seinen Schaufelpranken das Brustfell des anderen blutig. Knurrend stürzte der Pad sich erneut auf den Schneemaulwurf, und die beiden Tiere fielen ineinanderverkrallt und -verbissen auf den Boden. Erst war einer, dann der andere oben, als sie in erbittertem Kampf in der engen Kammer von Wand zu Wand rollten. Der Geruch von Blut und körperlicher Ausdünstung hing schwer in der Luft. Da drängte der Pad, auf ihm liegend, den Schneemaulwurf gegen die Wand. Fang vermochte sich nicht mehr herumzuwerfen. Das Raubtier knurrte triumphierend und senkte die Zähne tief in die ungeschützte Kehle des Gegners. Fang hatte den Kampf verloren. Shrug stolperte tränenblind den engen Gang entlang, der schließlich im Lebensmittelgeschäft endete. Switch und Cockade waren nirgends zu sehen. Müde schleppte er sich durch die Eistunnels zum Glockenturm, während ein grimmiger Plan in seinem halbbetäubten Gehirn Gestalt annahm.
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Er würde das Dynamit unter dem Glockenturm zünden und den Pad und Ajax und alle Pads oben – und möglicherweise auch sich selbst – in die Luft jagen. Der Schlitten mit den Sprengzylindern stand immer noch neben Bogs Werkstatt. Er hob einen der Zylinder empor und untersuchte ihn. Er war von anderer Art als jene, die er bisher benutzt hatte, aber sicher nicht weniger wirkungsvoll. Sein Durchmesser war etwas stärker und die Schrift rundherum längst verblaßt. Er hoffte nur, daß die Füllung nicht unter der langen Lagerung gelitten hatte. Merkwürdigerweise gab es keine Zündschnur. Verwirrt betrachtete er das Ding und drehte es musternd in der Hand. Er bemerkte, daß ein Ende aus einem festabschließenden Deckel bestand. Er drehte ihn ab und der Zylinder begann zu zischen. Ein Rauchfaden stieg auf. Der Sprengkopf hatte sich selbst entzündet! Shrug überlegte nur einen Augenblick. Jacko, Mignon und Bog waren aller Wahrscheinlichkeit nach tot. Fang lebte nicht mehr. Ajax hatte übernommen und verfügte über eine Armee von Pads, die seine Befehle ausführten… Shrug steckte den rauchenden Zylinder zwischen die anderen auf dem Schlitten. Dann legte er sich mit dem Kopf nach unten auf den Arm daneben. Er wartete auf den Tod. Im Schneidergeschäft deckte Switch die stöhnend auf dem Boden liegende Cockade mit einem weiteren Stück Stoff zu. »Wie fühlst du dich?« fragte er hilflos. Cockade stützte sich auf die Ellbogen und funkelte ihn böse an. »Wie, zum Teufel, glaubst du denn, daß ich mich fühle?« fauchte sie. »Kein Mann könnte die Schmerzen ertragen, die ich ausstehen muß. O Gott…« Sie wimmerte. »Es ist alles deine Schuld, du blöder Kerl. Tu doch etwas! Hilf mir! Steh nicht wie angenagelt herum!«
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Switch erinnerte sich, daß man bei einer Geburt Wasser brauchte, heißes Wasser – der Himmel wußte wofür. Er lief in die kleine Kammer hinter dem Laden, wo ein Gaskocher stand, und begann Eisbrocken in einen Topf zu häufen. Er drehte das Gas an und blickte sich um. Mit der Taschenlampe leuchtete er die Regale ab. Er fand keine Streichhölzer. Die Kreuz des Südens machte schnittige Fahrt. Die Schneemaulwürfe galoppierten ohne sich anstrengen zu müssen dahin. Der Wind leistete gute Arbeit. Als sie die Turmspitze in der Ferne aus dem Schnee ragen sahen, seufzte Jacko erleichtert. »Zumindest hat Shrug den Turm nicht in die Luft gejagt«, grinste er. »Was machen wir mit Ajax?« erkundigte sich Bog. »Wir werfen ihn hinaus.« Jacko blickte finster drein. »Ich nehme an, daß Shrug ihn eingesperrt hat. Bestimmt hat Ajax, kaum daß wir weg waren, versucht die Führung zu übernehmen, und das hat Shrug sich bestimmt nicht gefallen lassen.« »Aber Cockade und Switch hatten vermutlich nichts dagegen«, gab Bog zu bedenken. Fünfzig Meter vor dem Turm hielten sie an. »Was jetzt?« fragte Mignon, die das Segel gerafft hatte. »Wir rufen und sehen, wer herausschaut. Wir steigen nicht hinein, ehe sich Shrug nicht gezeigt hat. Bog könnte recht haben. Ich traue es Cockade und Switch ohne weiteres zu, daß sie die Seiten wechselten. Ajax könnte uns leicht eine weitere Falle gestellt haben.« Sie riefen gemeinsam, und ihre Stimmen hallten über das Schneefeld. Nach einer Weile steckte Ajax den Kopf zum Loch in der Kirchturmspitze heraus. »Kommt herein!« rief er.
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Vor sich hin grinsend stieg Ajax die Leiter zum Glockenturm wieder hinab. Die Pads, eine ausgesuchte Gruppe von fünfzehn, standen reglos auf ihre Anweisung wartend bereit. Ajax versteckte sie unter der Galerie und unterhalb des Einstieglochs, damit sie außer Sicht waren, wenn Jacko und die beiden anderen den Fuß der Leiter erreichten. Ajax war ausnehmend zufrieden mit sich. Er setzte sich neben das Feuer. Es würde noch zwei oder drei Minuten dauern, bis sie die Kreuz des Südens vertäut hatten, die äußere Leiter heraufund die innere hinuntergeklettert waren. Er fragte sich, wie sie es geschafft hatten, aus dem Hauptquartier der Fleischjäger zu entkommen, und sagte sich dann, daß sie es vermutlich überhaupt nicht gefunden hatten. Was immer auch der Grund war, so würde es viel ergötzlicher für ihn sein. Er rümpfte plötzlich die Nase, und seine Augen begannen zu tränen. Hastig sprang er auf und blickte sich um. Dichter, ätzender Rauch drang von der Treppe her in den Glockenturm. Es dauerte nicht lange, da sah Shrug ein, daß er sich nicht zum Freitod eignete. Eine lähmende Panik erfüllte ihn. Sie war so stark, daß er sich nicht aus der Lage zu erheben vermochte, in der er sich so törichterweise entschlossen hatte, seinem Schöpfer vor die Augen zu treten. Bebend vor Angst lauschte er auf das leise Zischen des Zünders. Weitere Sekunden vergingen. Er begann würgend zu husten, und seine Augen brannten, als unglaublich beißender Rauch den Treppenvorraum füllte und in die Höhe schwebte. Endlich gelang es ihm auf die Füße zu taumeln. Er starrte durch den Nebel, der von dem Zylinder auf dem Schlitten aufstieg. Von oben drang das panikerfüllte Brüllen der Pads herunter.
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Sich halb überschlagend rannte er in die verhältnismäßig reine Luft der Eiskorridore hinaus. Keuchend und hustend lehnte er sich gegen eine Wand. Als er wieder einen klaren Gedanken zu fassen vermochte, wurde ihm bewußt, daß die Zylinder keine Sprengladungen enthalten hatten. Es handelte sich bei ihnen um Rauchbomben – eine Art Tränengas zur Bekämpfung von Aufständen. Er erinnerte sich, vor langer, langer Zeit einmal darüber gelesen zu haben. Selbst hier vermochte er noch das Stampfen und Knurren von oben zu hören. Da kam ihm eine Idee. Er konzentrierte seine Gedanken auf die Pads im Glockenturm. Tötet… dachte er mit aller Kraft. »Was ist da nur los?« fragte Jacko verwundert. »Es ist besser, wenn wir noch eine Weile hier abwarten«, meinte Bog. Rauchschwaden stiegen aus dem Loch in der Turmspitze. Ajax stolperte durch den dichten Rauch. Er keuchte und hustete, und die Augen tränten unaufhaltsam. Um ihn herum stampften die Pads. Sie knurrten und fielen einander in ihrer Panik an, wenn sie sich versehentlich zu nahe kamen. Die Lage wurde gefährlich. Ajax dachte: Ruhig – ruhig… Doch noch während er diesen Gedanken ausstrahlte, spürte er einen anderen, fremden. Tötet… Und dieser andere war stark und stand besser in Einklang mit dem panikerfüllten Zustand der Pads. Sie brüllten und trampelten durch den Glockenturm und hieben mit ihren Pranken aufeinander ein, mit nur einem Gedanken, blindlings zu töten, was ihnen in den Weg kam. Tötet…
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»Nein!« schrie Ajax. Er rannte durch den Rauch auf die Leiter zu. Die Tränen nahmen ihm die Sicht, und der Husten schüttelte seinen Körper. Er vermochte die Leiter nicht zu finden. Überall waren Pads. Er duckte sich im letzten Augenblick, als eine Pranke auf ihn zustieß, und sprang aus dem Weg, als zwei in tödlichem Kampf verbissene Tiere an ihm vorbeirollten. Schließlich fand er die Leiter. Sie hob sich vor seinen tränenden Augen verschwommen durch den Rauch. Er griff danach und begann sie keuchend, nach jeder Sprosse tastend, hochzuklettern. Tötet… Ein unnachgiebiger Pelzarm legte sich um ihn und holte ihn herab. In der Luft hängend wand er sich schreiend herum. Es war so leicht für einen Pad einen Menschen zu töten. Das Tier verstärkte kurz seinen Druck, dann schleuderte es Ajax weg. Das letzte, was Ajax sah, war das mächtige Hinterteil eines Pads, der unbeholfen die Leiter hochkletterte, wie man es ihm beigebracht hatte. Es war eine beachtliche Leistung für ein Wesen, das in den Ebenen der Schneefelder zu Hause ist. Aber schließlich war Ajax ein guter Lehrer gewesen, der sehr engen Kontakt mit seinen Schülern gehabt hatte. Die Rauchbomben waren in den Zeiten der Aufstände entwickelt worden, und zwar mit dem zweifachen Zweck, der Polizei einen unbemerkten Rückzug vor Scharfschützen zu gewähren und gleichzeitig eine Verfolgung zu unterbinden. Ihr Erfinder wäre sehr zufrieden gewesen mit dem Erfolg, den sie hier erzielt hatten. Nachdem der Rauch sich langsam aufgelöst hatte und die paar überlebenden Pads blindlings aus dem Turm getorkelt waren, betraten Jacko, Mignon und Bog den Glockenturm, wo sie von Shrug mit einer Geschichte machiavellistischen Triumphes
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begrüßt wurden. Mehrere Pads lagen tot auf dem Boden und würden dafür sorgen, daß der Stamm lange Zeit nicht unter Fleischmangel leiden mußte. Sie fanden Cockade und Switch in der Schneiderei. Switch begrüßte sie überschwenglich. Cockade war ausnahmsweise einmal ruhig, was daran lag, daß sie fest schlief. Strahlend zeigte Switch ihnen das Baby. Er hob es stolz empor, als wäre es allein ihm zu verdanken. Jacko betrachtete es. Es ist unglaublich klein, dachte Shrug. Winzige Finger, blaue Augen in einem Miniaturgesicht. Es hatte kleine Ohren, etwas, das eine Nase sein sollte, und einen weitgeöffneten Mund, der hungrige Töne aus stieß. Es ist geradezu abstoßend, dachte Shrug. Runzlig, übelriechend und ein Schreihals. Voll Abscheu wollte er sich gerade an Jacko wenden und ihm berichten, welche Rolle Switch und Cockade in Ajax’ Plan gespielt hatten. Doch da sah er den Gesichtsausdruck, mit dem sein Idol das neueste Stammesmitglied bewunderte. »Du bist sicher sehr stolz, Switch«, murmelte er, »auf das – das…« Switch blickte von oben auf Shrug herab. »Auf ihn!« betonte er.
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XVIII Switch gabelte Spargelspitzen aus einer Dose. Jacko hatte den anderen ihre Anweisungen gegeben, und sie waren losgezogen. Nun schritt Switch und Jacko durch die Eiskorridore, während Mignon bei der schlafenden Cockade Wache hielt. Switch aß im Gehen. Er sonnte sich noch in der Erinnerung an die Gratulationen, die er eingeheimst hatte. Achtlos ließ er die leere Dose auf den Boden fallen und wischte sich die Lippen am Ärmel ab. »Na, damit wäre uns wohl die Entscheidung abgenommen, Jacko, nicht wahr?« Es war lange her, seit er mit Jacko durch die Eistunnels spaziert war. Das heißt, er konnte sich überhaupt nicht erinnern, je mit Jacko allein gewesen zu sein. Doch nun hatten sie ein Gespräch von Mann zu Mann. »Entscheidung? Wovon sprichst du?« »Nun, ich meine, daß wir von hier weggehen und das alles. Das geht ja nun nicht mehr.« »Und weshalb nicht?« Etwas von Switchs Zuversicht schwand. »Aber da ist doch jetzt das Baby. Wir können nicht mehr so einfach weg von hier.« »Nun müssen wir es erst recht«, erklärte Jacko kurz. Switchs Hochstimmung verwandelte sich ins Gegenteil. »Hier ist nicht der richtige Ort ein Kind großzuziehen.« »Aber früher hast du einmal gesagt, er wäre ideal.« Switch war fast sicher, daß Jacko es tatsächlich gesagt hatte. »Vielleicht. Doch das war, ehe die Fleischjäger uns entdeckten. Überleg doch mal. Wir haben sie hier geschlagen und dann sogar in ihrem eigenen Hauptquartier. Sie wissen, wo wir sind. Sie wissen, daß es sich bei uns nur um ein paar Mann handelt und daß wir bisher lediglich das Glück auf unserer Seite hatten. Nun, was meinst du, werden sie als nächstes tun, Switch?« Switch überlegte angestrengt. Er fühlte sich wichtig. Jacko hatte ihn nie zuvor um seine Meinung gefragt. »Ich glaube«, erwiderte er schließlich bedächtig, »daß sie eine Art Kriegsrat
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halten. Sie werden wütend sein, daß ihnen übel mitgespielt wurde, und werden sicher beschließen, uns auf den Pelz zu rücken. Und diesmal schicken sie bestimmt einen großen Trupp mit genügender Bewaffnung und Munition, um uns den Garaus zu machen.« Switchs Stimme schwankte ein wenig, als ihm richtig klar wurde, was er da prophezeite. »Ich – ich glaube, das werden sie tun. Sie werden Hunderte schicken, Jacko. In kugelsicheren Schlitten. Und dann werden sie des Nachts den Turm stürmen. Sie werden Leitern dabei haben. Es würde uns also nicht einmal etwas nützen, wenn wir die Galerie abreißen. Sie würden trotzdem… O Jacko«, heulte Switch mit plötzlichem Schreck auf, »wir haben nicht die geringste Chance!« »Darum bat ich Bog und Shrug, die Kabine wieder auf der Kreuz des Südens aufzustellen.« Cockade erwachte gemächlich mit dem Gefühl, etwas Gewaltiges geleistet zu haben – es schwand jedoch, als sie ihre Augen öffnete und Mignon über sich gebeugt sah. »Was willst denn du hier?« keifte sie. »Was hast du mit meinem Kind gemacht?« »Hier ist es, Cockade.« Sie reichte ihr das vermummte schlafende Bündel. »Herzlichen Glückwunsch. Wir sind alle stolz auf dich.« »Oh…« Cockade dachte einen Augenblick nach. Offenbar war Jackos Ausflug erfolgreich gewesen, sonst wäre Mignon nicht hier. »Wo ist der Arzt?« fragte sie abrupt. »Ich muß untersucht werden. Möglicherweise treten Komplikationen auf.« »Wir konnten keinen Arzt bringen. Ajax schickte uns zum falschen Ort. Doch vielleicht…« Mignon biß sich auf die Lippe. Sie hatte sagen wollen, »vielleicht wußtest du das bereits«, aber es war unfair, das Mädchen in ihrem gegenwärtigen Zustand auszuhorchen. Sie fragte sich, wie Cockade sich wohl während ihrer Abwesenheit benommen hatte und wieweit Switchs Geschichte der Wahrheit entsprach. Aber es spielte keine Rolle.
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Es war besser, es nicht zu wissen. Mit ein paar Worten berichtete sie von Ajax’ Tod und Shrugs Sieg. »Ich hätte mir denken können, daß Jacko ohne Arzt zurückkommt.«, murmelte Cockade, aber ohne ihre sonstige Bissigkeit und ohne hörbares Bedauern über Ajax’ Ableben. Mignon schloß, daß sie lieber nicht mehr über dieses Thema reden wollte. »Wie fühlst du dich?« fragte sie. »Wie würdest du dich fühlen, nach allem, was ich durchgemacht habe? Nicht so gut, nehme ich an.« »Du siehst mir aber recht munter aus. Und das Baby ebenfalls.« »Wenn du etwas von Wöchnerinnen verstehen würdest, wüßtest du, daß das Aussehen trügen kann. Mein Gott, ich fühle mich, als hätte ein Pad mich in die Mangel genommen.« »Das tut mir leid… Oh, Cockade. Schau mal, ob du aufstehen kannst. Und vielleicht ein bißchen herumgehen. Ich helfe dir.« »Was, zum Teufel, willst du eigentlich? Ich finde es recht bequem hier. Mach mir lieber eine Tasse heiße Fleischbrühe. Auf dem Tisch stehen ein paar Dosen.« »Cockade«, drängte Mignon beschwörend. »Wir müssen weg von hier!« »Weg? Wohin, um Gottes willen?« »Irgendwohin. Hauptsache wir kommen von hier fort. Die Fleischjäger wissen, wo wir sind!« »Heilige Maria! Ich hätte es wissen müssen! Du und Jacko, ihr habt sie hierhergelockt! Wie blöd kann man sich nur anstellen!« Sie drückte das Kind an sich. »Sie haben uns verraten, mein kleiner Liebling!« »Okay, okay«, murmelte Mignon müde. »Aber jetzt wollen wir aufbrechen, einverstanden?« Sie nahm Cockade das Baby ab, zog die schimpfende Frau auf die Beine und schritt langsam mit
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ihr durch die Tunnels. Cockade stützte sich schwer auf sie und humpelte theatralisch. Shrug beäugte die Kreuz des Südens etwas zweifelnd. Das Schiff lag am Fuß der Turmspitze. Beide Masten waren gesetzt und die Kabine neu befestigt. Es sah riesig aus. »Ich kann das letzte Mal nicht vergessen«, vertraute er sich Bog an. »Es wird sich auch dieses Mal nicht von der Stelle bewegen. Nicht mit der schweren Kabine darauf.« »O doch, diesmal wird es starten« prophezeite Bog zuversichtlich. »Wir fahren südwärts, mit dem Wind im Rücken. Als wir zurückkamen, erreichten wir eine hohe Geschwindigkeit mit einem Segel und den vier Schneemaulwürfen. Jetzt haben wir zwar zusätzlich die Kabine, aber auch ein Segel mehr. Mit den Schneemaulwürfen verfügen wir über genügend Zugkraft.« Das Geschirr war leer, die Schneemaulwürfe befanden sich noch in den Tunnels. Shrug hatte sich mit den Tieren beschäftigt und sie noch weiter ausgebildet und sie dafür – nun, da sie sich nicht mehr einschränken mußten – mit nahrhaften Leckerbissen wie Dosenhundefutter und Sahnereispudding belohnt. »Glaubst du, daß sie kommen werden, Bog?« fragte er und blickte zum x-tenmal in nördliche Richtung. »Ganz sicher. Und schon bald«, brummte der Riese. Sie lagen auf ihren Decken und starrten auf die Feuerzungen, die aus der Glocke herausleckten und einen rötlichen Schein über die Wände warfen. Alte nostalgische Erinnerungen wurden wach. »Erinnert ihr euch an Paladin?« fragte Switch. »Wer war Paladin?« erkundigte sich Mignon. »Er war unser Freund, noch vor eurer Zeit. Er starb, glaube ich… Ja, wir bestatteten ihn. Er war ein Held. Ganz allein hielt er die Fleischjäger in Schach. Erinnerst du dich daran, Jacko?
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Erinnerst du dich, als diese Mörder uns überfielen? Die hatten vielleicht Waffen, jeder zwei Gewehre, mindestens! Sie nahmen uns alle gefangen. Da kam Paladin die Treppe hoch und stellte sie – nur mit einem Messer bewaffnet. Er stand dort, wo du jetzt liegst, Bog. Er trug eine rote Jacke. Er baute sich vor dem Anführer auf und sagte: ›Binde sie los!‹ Er sagte es ganz ruhig. Ganz einfach sagte er: ›Binde sie los!‹« »Da war der alte Mann, wißt ihr«, unterbrach ihn Cockade, durch ihre neue Mutterschaft in milder Stimmung. »Er erzählte uns Geschichten. Er erzählte uns von all den Orten, wo er gewesen war und was er alles gesehen hatte. Er konnte so gut erzählen, daß man alles ganz deutlich vor sich sah. Und dann fiel Jacko nichts Besseres ein, als ihn umzubringen«, schloß sie mit einem Rückfall in ihre übliche Bissigkeit. »Was ist dann passiert?« fragte Bog. Jacko blickte auf, als er Shrug, der auf der Galerie Posten stand, kichern hörte. »Und Ajax hat uns von Bristol erzählt«, trauerte Cockade dem Vergangenen nach. »Und dann fiel den Pads nichts Besseres ein, als ihn umzubringen«, spottete Shrug. »Aber wir können nicht dorthin, weil es im Norden liegt. Nein, wir müssen ausgerechnet in den Süden, wo niemand weiß, wie es dort ist, außer Jacko – und er kann nicht allzuviel davon halten, sonst wäre er nicht wie ein begossener Pudel zurückgekrochen.« »Und hat er sie losgebunden?« fragte Mignon verschmitzt. »Ha?« »Ich glaube, es wird euch dort gefallen«, sagte Jacko unerwartet. »Es ist wohl so, daß ich die Farben nicht so richtig sehen kann, weil ich zu viel Zeit auf den Schneefeldern verbracht habe. Aber ein Ort ist ja nicht nur vom Sehen schön. Es kommt darauf an, wie man dort lebt, was man dort tun und ob man sich wohl
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fühlen kann, und…« Er warf einen Blick in Mignons Richtung. »Es liegt eben alles in der Zukunft«, fuhr er vage fort. »Und wir müssen schließlich an die Zukunft des Kleinen denken.« »Hat er sie losgebunden?« Auch Bog ließ nun nicht locker. »Solange es dort Straßen gibt und Beleuchtung und Läden, wo man alles bekommt, ohne es selbst aus dem Eis hacken zu müssen…«, murmelte Cockade. »Vielleicht wird es besser sein als in diesem Loch hier.« Jacko stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Und der Fleischjäger senkte die Augen vor Paladins Blick«, erzählte Switch dem heimlich grinsenden Bog. »Und er sagte…« »Verdammt, hör doch endlich auf, Switch«, fauchte Cockade. »Wer interessiert sich schon für deine Lügenmärchen! Paladin war nichts weiter als ein Held aus den Geschichten des Alten«, erklärte sie. »Er erzählte ständig Geschichten über Menschen wie diesen Paladin, über Menschen, die anständiger und besser waren als wir. Manchmal bekam ich regelrechte Minderwertigkeitskomplexe.« »Ich fand die Geschichte von Paladin gut!« brummte Switch enttäuscht. Diese Nacht lösten sie sich alle drei Stunden auf der Galerie ab. Shrug war der erste, der Wache hielt, dann kamen Mignon, Jacko und Bog. Als Bog durchgefroren die Leiter herunterstieg, brach bereits der Tag an. Cockade, die seine Schritte hörte, steckte den Kopf unter der Decke hervor. Das Baby neben ihr begann zu weinen. Sie seufzte, fuhr kratzend durch ihr Haar und setzte sich auf. Sie nahm sich Bog als Sündenbock vor. »Wieso verläßt du einfach deinen Posten?« keifte sie. »Es ist Morgen«, erklärte er geduldig und deutete auf das Loch in der Turmspitze, durch das bereits das Tageslicht drang.
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»Willst du vielleicht behaupten, daß die Fleischjäger nie bei Tag angreifen?« »So ist es«, erwiderte Bog stoisch. »Wie steht’s mit dem Frühstück?« »Siehst du denn nicht, daß ich mich um das Kind kümmern muß, du gefräßiger Einfaltspinsel?« Jacko erwachte und erhob sich sofort. »Heute ist der Tag«, erklärte er. »Heute geht’s auf die Reise!« »Aber es sind noch so viele Dosen im Lebensmittelgeschäft. Soll ich nicht lieber noch welche holen?« fragte Switch, der sich vor der Abfahrt fürchtete. »Wir haben genügend an Bord. Mehr Gewicht dürfen wir dem Schiff nicht zumuten.« »Aber das Baby ist noch so klein… Ich weiß nicht, ob es kräftig genug ist…« Mignon kniete sich neben Cockade. »Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut, du wirst schon sehen. Und es wird dir auf der Kreuz des Südens gefallen. Es hat eine wunderschöne Kabine.« »Ja, ja. Ich bezweifle es ja nicht. Ich dachte nur, wenn wir vielleicht ein paar Tage warten könnten…« »Auf keinen Fall«, sagte Jacko ernst. »Wir können von Glück reden, daß die Fleischjäger noch nicht hier sind. Wir müssen so schnell wie möglich aufbrechen.« Er musterte Cockade nachdenklich. »Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, auch Switch nicht. Das Schiff steht genau dort«, er deutete auf die Südmauer des Turms. »Wir müssen nur ein Loch durchbrechen. Dann schließt ihr die Augen, und wir führen euch geradewegs in die Kabine. Ihr werdet nur ein paar Sekunden im Freien sein.« »Mhm«, murmelte Cockade. »Aber was ist mit dem Kleinen?« »Du kannst ihn ohne weiteres selbst tragen. Oder einer von uns nimmt ihn, wenn dir das lieber ist.«
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Shrug beobachtete sie. Er las den Terror in ihren Augen. »Vielleicht ist es besser, wenn du ihn trägst, Jacko«, flüsterte sie verstört. »Gut…« Jacko musterte die Wand. Sie war ganz aus Stein und seiner Schätzung nach gut zwei Meter dick. Mit der Hacke würde es Tage dauern, ehe sie hindurch waren. Aber es gab einen anderen Weg. »Ihr geht jetzt allein in die Tunnels«, bestimmte er. »Vielleicht findet ihr noch etwas leichtes Mitnehmenswertes. Du auch, Cockade, ich kann es nicht ändern. Shrug, du bleibst bei mir. Wir werden die Schneemaulwürfe einspannen und dann eine kleine Sprengung vornehmen.« »Aber – aber, Jacko«, stammelte Shrug. »Wir haben keinen Dynamit mehr. Schon lange nicht!« »Heilige Maria!« heulte Cockade. »Jetzt sitzen wir in der Falle!« Bogs tiefe Stimme klang von der Galerie herunter. »Ich sehe Fleischjäger«, erklärte er ruhig. Sie hatten etwa vierhundert Meter entfernt angehalten, gerade außer Schußweite der Gewehre. Vorsichtshalber hatten sie jedoch auch ihre Schlitten umgekippt und sich dahinter auf Lauer gelegt. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, Jackos Schuß zu erwidern, mit dem er ihre Absicht erkunden wollte. Alle Trümpfe waren in ihrer Hand. Sollte der Stamm den Turm verlassen, würden sie ihn niedergemacht haben, noch ehe er weit gekommen war. Blieb er jedoch innerhalb der alten Mauern, warteten sie lediglich die Nacht ab und griffen dann in vielfacher Übermacht an. Jacko zählte zwanzig Schlitten. Er schätzte, daß zumindest zwei Mann auf Schneeschuhen zu jedem gehörten. Er wunderte sich, daß sie mit den langsamen Schlitten und nicht auf Schiern mit Schultersegeln gekommen waren. Aber dann wurde ihm klar, weshalb. Sie brauchten die Schlitten, um ihre Beute zurückzuschaffen…
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Während er sie noch beobachtete, traf Verstärkung ein. Zwanzig oder dreißig Schier schössen mit prallen Segeln herbei. Den Schnee hoch aufwirbelnd kamen sie zum Halt. Sie schlüpften aus ihren Geschirren und ließen sich mit den anderen hinter den Schlittenbarrikaden nieder. Bog, Shrug und Mignon standen schweigend um Jacko. Unten waren sogar Switch und Cockade ruhig. Die Verzweiflung hing fast greifbar in der Luft. »Wir haben keine Zeit mehr, uns einen Weg durch die Mauern zu brechen«, sagte Shrug tonlos. »Und wir können die Fleischjäger nicht abwehren. Also bleibt uns nur eines, nicht wahr, Jacko?« »Was meinst du, Shrug?« fragte er mit schwerer Stimme. »Die Kreuz des Südens liegt auf der ihnen entgegengesetzten Seite, sie werden sie nicht sehen, solange sie noch im Schutz des Turms sind. Das gäbe uns einen geringen Vorsprung. Die Schneemaulwürfe sind flink, und außerdem haben wir zwei Segel. Ich glaube, wir haben eine Chance. Und wenn Switch und Cockade nicht mitkommen wollen, weil sie Angst haben die Außenleiter hinunterzuklettern, dann müssen sie wohl oder übel hierblieben.« »Es geht nicht anders«, pflichtete ihm Bog bei. »Was, zum Teufel, murmelt ihr da oben?« keifte Cockade. »Redet so, daß wir es auch hören können! Schließlich haben wir ebenfalls ein Recht zu erfahren, was ihr vorhabt.« »Du hast recht, Shrug«, seufzte Jacko. Wenig später standen sie alle im Glockenturm und blickten einander an. Shrug kam durch das Südloch im Turm, von oben bis unten mit Schnee bestäubt. »Sie sind eingespannt, Jacko«, meldete er. »Gut… Mignon, du gehst als erste. Dann du, Switch. Bog nach dir.«
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»Was habt ihr vor? Was wollt ihr denn?« Während der Vorbereitungen hatten Cockade und Switch sich in die entfernte Ecke des Glockenturms zurückgezogen. Sie weigerten sich, der Tatsache ins Auge zu sehen, daß die Abfahrt bevorstand. »Du weißt genau, was wir vorhaben«, brauste Jacko nervös auf. »Wir brechen auf. Wir alle, und zwar sofort!« Mignon schritt zur Ecke, wo Cockade sich mit entsetzten Augen im Sitzen gegen die Mauer drückte, »Ich nehme ihn«, erklärte sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. Ehe Cockade überhaupt begriff, was sie beabsichtigte, hatte Mignon das Kind aufgehoben und begann damit die Leiter hochzuklettern. »Sie hat mein Baby gestohlen! Schnell lauf ihr nach, Switch!« »Ja, schnell ihr nach!« ermunterte ihn auch Shrug. Switch hatte bereits die unteren Sprossen hinter sich, ehe ihm bewußt wurde, was er tat. Doch da war Bog schon hinter ihm und drängte ihn weiter. Sie erreichten die Galerie geradezu ineinanderverschlungen, während Cockade unten gellend schrie. Der Wind wirbelte silberne Flocken durch das Loch, eine unerträgliche Helligkeit drang herein, und Switch sah den Himmel. Alles um ihn drehte sich. Er begann das Bewußtsein zu verlieren und fiel und fiel… Dann war alles schwarz und kalt und bald gab es überhaupt nichts mehr. Bog und Mignon kletterten die Außenleiter herunter. Mignon trug das Baby. Bog hob den bewußtlosen Switch aus dem Schnee und warf ihn an Bord. Dann half er Mignon und öffnete das Luk zur Kabine. Gemeinsam betteten Mignon und er das Kind auf einen Stoß Pelze in einer Ecke. Es schloß die Augen und schlief ein. Mignon blickte sich in der mit allem möglichen vollgestopften Enge um. »Wir werden hier nie alle Platz haben«, seufzte sie. »Vielleicht werden wir nicht alle hier sein.« Bog lächelte.
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»Jacko würde nie ohne Cockade abfahren, Bog«, sagte sie leise. »Gebt mir mein Kind zurück!« »Das Baby ist bereits auf der Kreuz des Südens. Es wartet auf dich«, sagte Shrug, der weniger Skrupel als Jacko hatte. »Ich gehe nicht weg von hier, ehe ihr ihn nicht zurückbringt.« »Aber das ist doch lächerlich, Cockade«, sagte Jacko milde. »Du bist noch dümmer, als ich dachte«, unterbrach ihn Shrug. »Wo sind überhaupt deine Mutterinstinkte, kannst du mir das sagen? Mein Gott! Ein Padweibchen ist eine bessere Mutter als du! Erinnerst du dich, Jacko, als wir das Boot anzündeten und die Pads alles andere vergaßen und nur liefen, um ihre Jungen zu retten! Mein Gott, und was machst du?« »Wir werden dir die Augen verbinden, Cockade«, schlug Jacko vor. »Shrug wird vor dir hergehen und ich hinter dir. Und wir halten dich die ganze Zeit fest. Du wirst den Himmel und die Schneefelder überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.« »Aber ich weiß, daß sie da sind! Ich werde den Wind spüren. Heilige Maria, ihr wißt ja nicht, wie das ist!« Shrug machte einen Schritt auf sie zu. »Komm, Jacko. Wir ziehen ihr eins über und tragen sie hinaus.« Das Mädchen fummelte unter ihrem Bettzeug und zog einen Revolver hervor. »Rühr mich nicht an, du – du…« »Komm, du würdest ja doch nicht schießen.« Ein Knall hallte durch den Turm, und Shrug sprang hastig zurück. Sein Gesicht wurde hart. »Mir reicht es, Jacko. Ich hoffe, du siehst endlich ein, daß es Menschen gibt, die es gar nicht wert sind, gerettet zu werden. Wenn du mich fragst, es ist das Beste, was geschehen könnte.« Er drehte sich um und kletterte eilig die Leiter hoch.
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Jacko starrte Cockade ungläubig an. »Ich verstehe dich nicht. Switch ist bereits auf dem Schiff und dein Baby ebenfalls. Warum willst du nicht mitkommen?« »Es lohnt sich nicht.« »Das kann doch nicht dein Ernst sein!« Ein tiefes Bedauern sprach aus Jackos Stimme. »Cockade, ich habe immer versucht, unsere Gruppen zusammenzuhalten, weil ich glaubte, das sei für jeden einzelnen das beste. Und jetzt… Gerade jetzt ist es notwendiger denn je, daß du dich uns anschließt. Sonst wirst du sterben.« »Nicht unbedingt. Eine Frau allein – weshalb sollten sie mich töten?« Sie lächelte. Es jagte Jacko einen kalten Schauder über den Rücken. Er drehte sich um. Er ertrug es nicht länger, sie anzusehen. Unter Switch war etwas Hartes. Zuerst vermeinte er, im Glockenturm zu liegen, aber dann empfand er die fremdartige Helligkeit gegen seine Lider. Er öffnete die Augen… Er schrie und taumelte auf die Beine. Verzweifelt krallte er nach der unendlichen Weite rings um sich, die ihn einschloß und sich öffnete und zum Nichts, zum weißen Nichts wurde. Sein Gehirn brüllte: schrei! Und er schrie und schrie und schrie. Und sein Gehirn brüllte: renn! Da rannte er, und plötzlich war es gar nicht mehr so einfach zu rennen, aber er gab sich Mühe. Er pflügte durch etwas, das er nicht sehen konnte, während der Himmel sich immer weiter von ihm entfernte und der feste Boden unter seinen strampelnden Beinen verschwand. Jacko sprang vom Turm. Der Grund schoß auf ihn zu und dann war er durch ihn hindurch, schwamm durch die weiße Kälte. Etwas traf ihn am Kopf. Er griff danach und hielt es fest. Er keuchte nach Luft, packte Switch fester und sah sich um. Die Fleischjäger hatten sie entdeckt. Switchs panische Flucht hatte sie auf die andere Turmseite geführt. Kugeln schlugen in die
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Mauern und wirbelten Schnee neben ihnen auf. Hinter ihnen hörte er Bog rufen, dann trudelte ein Seil an ihm vorbei und er griff hastig danach. Bog zog ihn und den sich heftig wehrenden Switch durch den Schnee. »Sie haben euch gesehen!« brüllte Shrug in sein Ohr, als Bog ihn an Bord hievte. »Bring Switch in die Kabine. Ich halte sie auf.« In der kleinen Kabine nahm, Mignon sich Switchs an. Sie machte es ihm in einer Ecke bequem und drückte ihm das Kind in den Arm. »Es tut mir leid, Jacko«, entschuldigte sie sich. »Wir waren so mit dem Baby beschäftigt, daß wir Switch ganz vergaßen. Er muß wieder zu sich gekommen und in Panik ausgebrochen sein.« »Ich dachte, ich könnte ihn aufhalten, ehe die Fleischjäger ihn sehen, aber ich schaffte es nicht rechtzeitig.« Einige Kugeln schlugen ins Holz des Schiffrumpfs. Bog und Shrug erwiderten das Feuer der Fleischjäger. »Du hast dein Bestes getan. Was ist mit Cockade?« »Sie will nicht mit.« »Oh…« Mignon musterte Jackos niedergeschlagenes Gesicht. »Vielleicht ist es besser so«, meinte sie. »Das Kind braucht sie. Und…« Jacko starrte blicklos vor sich hin. »Wir haben immer versucht zusammenzuhalten. Und gerade jetzt, wo es wirklich wichtig ist, kommt es zu dieser Spaltung. Ich verstehe es einfach nicht…« Mignon legte mitfühlend die Hand auf seinen Arm. »Es ist nicht jeder wie du, Jacko. Leider… Cockade ist ausgesprochen egoistisch, das weißt du doch. Vielleicht bildet sie sich ein, sie könnte bei den Fleischjägern besser landen.« »So ist es wohl. Aber das Baby? Und Switch?« »Sie werden sie nicht vermissen, dafür sorgen wir schon.«
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In diesem Augenblick erwachte Switch schreiend. Als er mit Armen und Beinen um sich zu schlagen begann, nahm Mignon das Baby hoch, und Jacko drückte ihn zu Boden. Switch öffnete die Augen, die er bisher fest geschlossen hatte. »Was ist passiert?« keuchte er. »Wo, zum Teufel, bin ich? Wo ist Cockade? Was geht hier eigentlich vor?« Während Mignon seine Fragen beantwortete und ihn so gut wie möglich beruhigte, öffnete Jacko vorsichtig das Luk und blickte hinaus. Bog und Shrug kauerten hinter dem Bug und beantworteten sporadisch das Dauerfeuer der Gegner. »Wie sieht es aus?« erkundigte Jacko sich und robbte an Shrugs Seite. »Sie schieben ihre Schlittenschilde vor sich her und kommen näher. Wann brechen wir auf, Jacko?« »Cockade ist noch im Turm.« »Mhm.« Shrug verheimlichte seine Erleichterung darüber nicht. »Wieviel Zeit bleibt uns noch?« »Oh… Es kann noch ein paar Minuten dauern, ehe es wirklich gefährlich wird. Warum?« Plötzlich begriff er. »Um Himmels willen, Jacko! Nein! Laß uns verschwinden.« Jacko blickte sich um. Wie Shrug gesagt hatte, würden sie noch eine kurze Weile sicher sein. Die Schneemaulwürfe waren eingespannt und bereit und durch die Kreuz des Südens von Kugeln geschützt. »Ich gehe noch einmal hinein und hole sie«, sagte er. »Sei kein verdammter Narr. Sie ist es nicht wert.« »Zieht euch einstweilen schon langsam zurück. Sie werden euch nicht gleich verfolgen. Der Turm wird ihnen wichtiger sein, besonders, wenn sie mich noch einmal hineinsteigen sehen. Wartet ein Stück weiter windwärts auf mich. Ich bringe Cockade und wenn ich sie bewußtlos schlagen muß.« »Wie du meinst, Jacko«, resignierte Shrug.
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XIX »Was hat er getan?« fragte Mignon verstört. »Er ist zurück, um Cockade zu holen.« »Und das hast du zugelassen?« »Ich konnte ihn nicht aufhalten. Du kennst ja Jacko.« Shrug wich ihrem Blick aus. Draußen feuerte Bog eine Salve ab, und Mignon zuckte zusammen. »Es wäre doch nicht fair, Cockade zurückzulassen, nicht wahr, mein Kleiner?« Switch hatte sich wieder ganz gefaßt. Er saß mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand, und hielt das Kind im Arm. »Wir müssen doch unsere Mami mitnehmen.« »Wenn du gehört hättest, was Cockade zu Jacko sagte, würdest du sie gar nicht mehr sehen wollen«, sagte Shrug grob. »Was, zum Teufel, willst du denn hier?« keifte Cockade. »Ich dachte, du hättest vielleicht deine Meinung geändert. Es ist noch Zeit.« Selbst Jacko begann Abscheu vor ihr zu empfinden, als er sie ansah. Sie hatte seit Wochen ihr Gesicht wieder gewaschen und sogar das Haar zu kämmen versucht. »Wenn du dir einbildest, daß ich in euren Kahn steige, dann bist du wohl nicht recht bei Trost. Verschwinde mit deinen Kumpanen, solange ihr noch eine Chance habt.« »Cockade, bitte, komm mit.« »Zum Teufel, bist du denn ganz begriffsstutzig? Muß ich es dir noch extra unter die Nase reiben? Die Tage deines großen Reichs sind vorbei! Es zerfällt. Die Fleischjäger ziehen ein, wir trennen uns. Du hast nichts mehr zu sagen, Jacko! Deine Zeit ist zu Ende! Begreifst du das denn nicht?« Plötzlich brach sie in herzloses Gelächter aus.
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Sie hörten ein Geräusch über sich und blickten hoch. Ein unbekanntes bärtiges Gesicht blickte durch das Loch in der Spitze. Der Mann entdeckte sie und grinste… »Kommt nur herein!« rief Cockade mit Genugtuung. Jacko sah ihr Lächeln. Ein willkommenheißendes offenes Lächeln, das sie nie für ihn oder einen anderen seines Stammes gehabt hatte – auch nicht für Switch. Dieses Lächeln, das Cockade fast hübsch machte, war nur für besondere Anlässe, wenn sie glaubte, etwas dadurch erreichen zu können… Später versuchte Jacko sich einzureden, daß es notwendig gewesen war, sie bewußtlos zu schlagen, damit er sie aus dem Turm bringen konnte. Aber in jenem Augenblick wollte er nichts weiter, als dieses Lächeln auslöschen. »Wir müssen ein Stück weg von hier«, brummte Shrug. »Und Jacko zurücklassen?« Tränen strömten über Mignons Wangen. »Das können wir nicht tun, Shrug! Das dürfen wir nicht!« Shrug machte Mignon Platz, daß sie durch das Luk sehen konnte. Der Schlittenschild war nun in Turmhöhe angekommen. Schon bald würden sie die Kreuz des Südens stürmen können, und dann gab es keine Rettung mehr für die Besatzung. »Kümmere dich um das Baby, Switch«, befahl Mignon. Sie nahm ein Gewehr an sich und kletterte aus der Kabine, um sich Shrug und Bog auf dem Deck anzuschließen. Shrugs Stirn war in tiefer Konzentration gefurcht, und nach einer kurzen Weile begann das Schiff sich langsam südwärts in Bewegung zu setzen. »Seht!« rief Bog und gab mehrere Schüsse ab. »Sie klettern die Leiter hoch.«
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Der oberste stürzte mit einem heiseren, plötzlich abgeschnittenen Schrei in die Tiefe. Aber keine Freude kam darüber auf der Kreuz des Südens auf. Die Fleischjäger hatten Leitern mit sich gebracht und stiegen auch auf der anderen Turmseite hoch. Nach einer Weile befahl Shrug den Schneemaulwürfen anzuhalten. Das Schiff lag wartend im Schneeozean. Im Augenblick feuerte auch niemand darauf. Die Fleischjäger waren anderweitig beschäftigt. Während Jacko Cockade die Treppe hinuntertrug, dachte er über das nach, was er als Fügung ansah. Er hatte sich das Mädchen über den Rücken geworfen und gleichzeitig mit nur einer Hand auf den Fleischjäger am Loch geschossen. Der hatte einen Schrei ausgestoßen und war verschwunden. Gleich darauf kletterten andere durch die weiteren Öffnungen. Kugeln schlugen rings um ihn in den Boden, aber er erreichte die Eiskorridore unverletzt. Es schien Jacko ein Teil unabänderlicher Fügung, daß er Cockade mit dem Rest des Stamms in der Kreuz des Südens mitnehmen sollte. Alles, was bisher geschehen war, hatte zu diesem Augenblick geführt, so unausbleiblich, daß es ihm war, als gehöre alles schon der Vergangenheit an. Es konnte es gar nicht geben, daß die Fleischjäger ihn aufhielten, daß sie ihn niederschössen. Nein, er würde die Kreuz des Südens sicher erreichen. Jacko war keineswegs überheblich oder ichbezogen, aber irgendwie war er in seinem Innern fest davon überzeugt, daß, was immer auch mit dem Rest der Welt passierte, sein Stamm überleben würde. Es war wie eine der Heldensagen des Alten. Jacko und seine Männer waren Helden, nicht aufgrund irgendwelcher besonderer Charaktereigenschaften, sondern ganz einfach deshalb, weil es so bestimmt war. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hatten Jacko und sein kleiner Stamm ihre bescheidenen Ziele trotz aller Widerwärtigkeiten erreicht. Und mit Ausnahme von Paladin, und möglicherweise dem alten Mann, waren sie alle noch am Leben. Und während
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der Rest der Welt starb, kam der Stamm voran. Denn wenn die Menschheit dieses letzte Desaster überleben sollte, würde es in Form von Gruppen wie Jackos sein, die eben Glück hatten – und nicht die zivilisierteren, wie die große Kolonie in Bristol, die vor sieben Monaten von einer neuen Art von Grippe dahingerafft worden war – alle sechshundert ihrer Angehörigen. Jacko hörte das Brüllen hinter ihm. Er drehte sich um und sah das Flackern vieler Lampen in der Ferne. Vorsichtig setzte er Cockade ab, zielte sorgfältig und schoß mehrere Lampen aus. Als die Schreie durch den Tunnel hallten, erlosch auch das Licht der übrigen. Der Feind hatte beschlossen im Dunkeln vorzugehen, was von großem Vorteil für Jacko war, da er als einziger sich in dem versunkenen Städtchen auskannte. »Jetzt dauert es nicht mehr lange«, sagte Bog. Mignon warf ihm einen Blick zu, dann schaute sie schnell weg, damit er die Tränen nicht sehen konnte, die sie nicht mehr zurückzuhalten vermochte. »Was dauert nicht mehr lange, Bog?« fragte sie hoffnungslos. »Bis Jacko kommt.« »Oh. Ich befürchtete schon, du meintest…« Sie schwieg und kauerte sich enger an den Bug zwischen Bog und Shrug. Sie wünschte, sie könnte deren Zuversicht teilen. Beide wiederholten ständig, daß es sich nur um eine Frage der Zeit handelte, bis Jacko kam, wenn sie sich doch ganz sicher war, daß er irgendwo tot, von Kugeln durchlöchert, in den Tunnels lag. Es war ihre Liebe zu ihm, die sie alles in den schwärzesten Farben sehen ließ. »Dort ist er«, sagte Shrug. Sie blickte nicht auf, sondern starrte weiter auf das dunkle Holz vor ihren tränennassen Augen. Shrug hatte gesagt: »Dort ist er.« Das war grausam von ihm, wo er doch wissen mußte, wie leicht sie es mißverstehen könnte. »Gut«, brummte Bog.
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Erleichterung schwang aus seiner Stimme, was bedeutete, daß Shrugs Ausruf gute Nachricht bedeutete, wie zum Beispiel, daß Jacko auf sie zukam. Mignon hob den Kopf. Als sie Shrugs gerunzelte Stirn und seine blicklosen Augen sah, begann sie heftig zu schluchzen. »Sei ruhig, Mignon«, bat Shrug. »Ich muß mich konzentrieren.« Da begann die Kreuz des Südens sich in Bewegung zu setzen. Endlich blickte Mignon hinaus auf die Schneefelder. Die Tränen verschleierten ihren Blick, aber sie erkannte sofort, auf wen die Schneemaulwürfe zutrabten. Jacko stand wie ein Gott inmitten der endlosen Weiße – mit Cockade über der Schulter. Sie schleppten Cockade in die Kabine. Jacko kletterte an Bord und durch das Luk. Der Stamm war wieder vereint. »Heilige Maria, seid ihr Trottel immer noch da?« brummte Cockade, als sie die Augen öffnete und die Gesichter erkannte, die sich in der Düsternis der Kabine über sie beugten. Sie versuchte es sich etwas bequemer zu machen, da verzerrte ihr Gesicht sich vor Angst. »O Gott, ich kann mich nicht bewegen!« heulte sie. Sie tastete verzweifelt um sich. »Wo, zum Teufel, sind wir?« »In der Kabine auf dem Schiff«, erklärte Shrug. »Du kannst dich nicht bewegen, weil es hier ganz einfach zu eng ist. Wir sind wie die Sardinen eingepfercht. Jacko hat dich vor den Fleischjägern gerettet«, fügte er hinzu. »Ich habe ihn nicht darum gebeten!« Switch wand sich, um seine Schulter freizubekommen. »Schau, Cockade«, rief er. »Hier ist das Baby.« Er legte es auf ihren Schoß. Shrug stieß Jacko in die Seite. »Sehen wir hinaus. Es wird Zeit, daß wir weiterkommen.« Er hatte keine Lust, den Ausbruch der
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Mütterlichkeit mitzuerleben, zu dem es kommen mochte – oder auch nicht. Jacko, Shrug, Bog und Mignon kletterten aus der Kabine und warfen das Luk hinter sich zu, gerade als Cockade Switch zurechtwies, besser aufzupassen, wo er seine verdammten Latschen hinstellte, weil er sonst auf das Baby steigen würde. Das war jedenfalls schon ein beruhigendes Zeichen. Sie standen mit einem etwas unbehaglichen Gefühl auf dem Achterdeck des Schiffs und blickten zur Turmspitze zurück. Der Wind pfiff in ihre Gesichter, und in ihrem Rücken blähten die Segel sich auf. Ein paar Fleischjäger standen auf ihren Schiern außerhalb des Turms und warteten zweifellos auf den Befehl, die Verfolgung aufzunehmen, dachte Jacko. Doch der würde nicht kommen, ehe nicht Verstärkung eintraf. Gegenwärtig befand sich die Hauptmacht in den Tunnels und suchte noch nach ihm und Cockade. Bald würden sie auf den Schacht stoßen, durch den er sich in Sicherheit gebracht hatte – zum zweitenmal schon, doch diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Jenen engen Gang, den Fang vor langer Zeit gegraben hatte und in dem immer noch das zerschmetterte Schneeboot steckte. Er seufzte. Er sollte wohl irgend etwas Großes sagen, nun, da sie für immer von hier weggingen, aber es fiel ihm einfach nichts Passendes ein. »Wir haben lange hier gelebt«, sagte Mignon, die fühlte, was in ihm vorging. »Dort, wohin wir jetzt kommen, werden wir auch lange leben«, meinte Bog optimistisch.
XX Die am Turm zurückgebliebenen Fleischjäger hatten offenbar inzwischen die anderen in den Tunnels verständigt. Ehe die Kreuz des Südens noch richtig Geschwindigkeit aufnahm, sah Jacko eine Anzahl von ihnen hastig aus der Turmspitze klettern,
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sich die Schultersegel anschnallen und die Segel der kleinen Schneeboote hissen. Schüsse knallten, und vereinzelte Kugeln schlugen in das Heck. Gegen ihren Willen empfand Mignon tiefe Wehmut. Der Turm war ihr zum Zuhause geworden. Sie hätte nie gedacht, daß es ihr so schwerfallen würde, ihn zu verlassen. Aber sie tröstete sich damit, daß sie ja noch alle beisammen waren – und jetzt verstand sie auch Jackos Motiv, Cockade unter allen Umständen mitzunehmen. Die endlose Öde hier war so erschreckend, daß es zum Zwang geworden war, sich an das Vertraute zu klammern. Es wäre leicht möglich gewesen, daß sie alle es einfach nicht ertragen hätten, die Fahrt durch diese trostlose Weiße anzutreten, wenn sie nicht komplett gewesen wären. Sie schauderte, steckte den Kopf über das Heck und schoß auf einen der nächsten Verfolger. Zu ihrer Verblüffung traf die Kugel, und der Fleischjäger sank mit schlaffen Segeln in den Schnee. »Bravo!« lobte Jacko und schoß ebenfalls, aber daneben. Der Feind hatte sich in zwei Gruppen geteilt. Die nächsten, die langsam aufholten, waren die Schier mit den Schultersegeln. Hinter ihnen, eine gleichmäßige Entfernung haltend, folgten die bessergeschützten Männer in ihren kleinen Schneebooten. Sie würden es sein, mit denen sie zu rechnen hatten, sobald die Schneemaulwürfe ermüdeten – wenn die Schier die Besatzung des Schiffs bis dahin nicht schon abgeknallt hatten. Die wuchtige Kreuz des Südens segelte schwerfällig südwärts. Nie fiel ihrer Mannschaft auch nur ein, sich zu wünschen, der Wind würde abflauen, damit der Vorteil der Maulwürfe auf ihrer Seite wäre. Sie kamen gar nicht auf diesen Gedanken, denn der Wind wehte immer gleichmäßig, solange sie zurückzudenken vermochten. Nach Mignons Treffer hatten sich die vordersten Schier in zwei Gruppen geteilt. Sie würden sich back- und steuerbord bald in gleicher Höhe mit ihnen befinden. »In ein paar Minuten nehmen sie uns in die Zange, Shrug!« brüllte Jacko nach vorn. »Ich fürchte, du mußt die Schneemaulwürfe eine Weile sich selbst
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überlassen. Übernimm du mit Bog die Verteidigung backbord. Mignon und ich bleiben steuerbord.« »In Ordnung«, rief Shrug. »Welche Chance haben wir, Jacko?« fragte Mignon ruhig. Fast nachdenklich schoß Jacko einen Fleischjäger ab. »Keine sehr große«, gab er zu. »Die Schneemaulwürfe können dieses Tempo nicht auf die Dauer durchhalten. Selbst wenn wir die Schier erledigen, bleibt immer noch die zweite Gruppe.« Er deutete heckwärts. In nicht sehr bedeutender Entfernung folgte ihnen in Breitformation eine Armada von winzigen Segeln. »Wenn es ganz schlimm wird, könnten wir in der Kabine Schutz suchen«, schlug Mignon vor. »Das hälfe uns nicht viel. Sie würden das Schiff entern. Und es gibt keine Fenster in der Kabine, durch die wir schießen könnten.« Ihr feingeschnittenes besorgtes Gesicht war dem seinen ganz nahe. Er küßte sie auf die Wange und fühlte sich gleich viel besser, als sie ihn anlächelte. »Sie kommen heran!« brüllte Shrug. Gleichzeitig näherten sich auch steuerbord die Schier. Eine Kugel schlug von hinten neben Jacko ein. Die Fleischjäger von Backbord waren bereits so nahe, daß sie von oben ins Schiff schießen konnten und Jacko und Mignon ihnen ohne Deckung ausgesetzt waren. Jacko stellte sich vor Mignon und drückte ab, als ein grinsendes schneebesprühtes Gesicht über ihm auftauchte. Gleich darauf verwandelte sich das Grinsen in ungläubiges Erstaunen und der Schier stürzte in den sich rotfärbenden Schnee. »Ihr drei müßt die Verteidigung einstweilen allein übernehmen«, rief Shrug. »Ich muß zum Bug. Wenn diese Hundesöhne die Schneemaulwürfe niederknallen, sind wir erledigt.« Das Deck schwankte, und Jacko rollte herum. Er richtete das Gewehr auf einen Fleischjäger, der wie eine riesige Fledermaus auf das Heck gesprungen war und mit den Segeln flatterte, um
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das Gleichgewicht zu behalten. Ehe Jacko noch abziehen konnte, stieß Bog mit seinem Gewehr wie mit einem Bajonett nach ihm, daß der Enterer rückwärts in den Schnee fiel. Vom Bug knallten Shrugs Schüsse, als er die Feinde abwehrte, die es auf die Maulwürfe abgesehen hatten. Jacko lächelte zufrieden. Für einen Mann, der so wenig Erfahrung im Kampf auf den Schneefeldern hatte, machte Shrug sich bemerkenswert gut. Shrug selbst war nicht so besonders glücklich. Er saß mit dem Rücken gegen die Kabine gelehnt und spähte nach links und rechts, um nur ja rechtzeitig genug abzudrücken, wenn wieder einer der Feinde zu nahe kam. Er hatte zwar bis jetzt noch immer getroffen, war jedoch der Meinung, daß er jedes Mal fast ein wenig zu spät abgezogen hatte. Ein roter Fleck breitete sich auf dem Rücken des nächsten Maulwurfs aus, und der Schmerz des Tiers übertrug sich auf ihn. Er konzentrierte sich und verdrängte die Panik des Maulwurfs, indem er ihm Ruhe suggerierte und den Willen, unbeirrt weiterzutraben. Plötzlich kam es zu einem heftigen Aufprall neben ihm, als ein Fleischjäger, der sich in Geschwindigkeit und Entfernung verschätzt hatte, geradewegs in die Schiffshülle raste. Shrug schoß ihm eine Kugel in den Kopf und stieß die Leiche über Bord. Er fragte sich, wie es den anderen erging. Die Härchen auf seinem Nacken stellten sich plötzlich auf, als er sich einbildete, ein Fleischjäger kröche über das Kabinendach auf ihn zu. Hastig blickte er sich um. Es war niemand hinter ihm. Keiner konnte ihm aus dieser Richtung etwas anhaben – nicht mit Jacko auf dem Achterdeck! Solange er, Shrug, die Schneemaulwürfe zum Laufen anhalten konnte, würde alles in Ordnung sein… Mignon feuerte wie im Traum. Die Kugel verfehlte ihr Ziel, auch die nächste und übernächste. Und jedesmal, wenn sie danebenschoß, verkrampfte die Angst ihr Herz, und der Feind kam immer näher. Aber schließlich traf sie ihn doch. Die Schultersegel
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platzten, und die Schier zappelten hilflos. Und wenn er doch nicht fiel, gelang es Jacko immer noch, ihn rechtzeitig auszuschalten. Es war nicht wirklich, dieses Töten. Sie, ihr Stamm, die Menschheit – sie konnten ganz einfach nichts damit zu tun haben. Wie könnte es auch sein, da die Welt ohnehin so knapp an Menschen war? Und doch wußte sie, daß sie ihr Leben verwirkt haben würde, wenn sie zu schießen aufhörte. Und auch Jacko und Bog und die anderen würden sterben. Soweit es sie betraf, waren deren Leben tausendmal wertvoller als die der Fleischjäger. Aus diesem Grund und völlig gegen ihre Einstellung und Instinkte fuhr sie fort zu töten und töten und töten. Bog hatte keine solchen Skrupel. Seine Hand hielt das Gewehr, und auf den Schneefeldern wimmelte es von Feinden. Er würde nicht im Traum daran denken, das alles näher zu definieren, genausowenig, wie er es bei seinem Gewehr versuchen würde. Im Augenblick war sein einziger Lebenszweck, diese Schädlinge zu töten – und das tat er. Er war glücklich. Jacko kämpfte für die ganze Menschheit, die sich ihm in der Mannschaft der Kreuz des Südens verkörperte. Starb er, würde auch sie sterben, alles würde sterben, denn sein Stamm war alles an Menschheit, das Jacko seit langem gekannt hatte. Die Fleischjäger betrachtete Jacko nicht als Menschen, und deshalb war es ihm möglich, sie mit unvorstellbarer Treffsicherheit niederzumähen. Drei Angreifer segelten geradewegs auf das Schiff zu, und ein Kugelregen prasselte darauf herab. Jacko fühlte, daß sein Fuß zurückzuckte, als etwas ihn traf, aber er spürte keinen Schmerz. Wie ein Roboter feuerte er dreimal, und drei Männer starben… Im Innern der Kabine herrschte eine Stimmung, die schon an Panik grenzte. »Diese Schufte könnten uns doch zumindest darüber informieren, wie es draußen aussieht«, beschwerte sich Cockade. »Sie
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können sich ja nicht vorstellen, wie es ist, hier eingesperrt zu sein und im dunkeln zu tappen. Mein Gott, wir wissen ja nicht einmal, ob die Fleischjäger das Schiff nicht vielleicht schon übernommen haben!« »Ich glaube, ich habe eben eine fremde Stimme gehört«, murmelte Switch unglücklich. »Du hast was? O Gott! Ich höre sie jetzt ebenfalls. Horch! Wer ist das?« »Das ist Jacko.« »Zum Teufel, ja. Was hast du eigentlich vor, willst du mir einen Schreck einjagen?« »Die andere Stimme war nicht die Jackos. Zumindest glaube ich nicht, daß er gesprochen hat.« »Wer soll es denn dann gewesen sein?« »Ich weiß es nicht. Ein Fleischjäger wahrscheinlich.« »Ein Fleischjäger!« Cockades Stimme wurde zum schrillen Wimmern. »O Gott, was ist das?« Sie begann wild um sich zu schlagen. Switch versuchte sie festzuhalten. »Was ist was?« »Es ist jemand hier drin bei uns! Er hat seine dreckigen Hände um mich! Tu was dagegen, Switch!« In der Dunkelheit der Kabine rangen sie verzweifelt. »Das Baby! Das Baby! Paß auf das Baby auf!« »Heilige Maria! Er hat mich. Ich kann mich nicht rühren. Wo, zum Teufel, bist du denn, Switch?« »Hier! Direkt bei dir, Cockade.« »Oh, du bist es also. Sieh zu, daß du von mir herunterkommst, du Wüstling. Aber wo ist jetzt der verdammte Kerl?« »Er… Er ist sicher drüben in der anderen Ecke.«
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»Himmel! Hier ist das Baby. Halt dich um Gottes willen ruhig, Switch!« »Ich rühre mich doch gar nicht!« »Aber – aber, wer ist es denn dann?« »Er, ganz sicher.« Cockade heulte ihre abgrundtiefe Angst und Verzweiflung hinaus. »Ich wollte nie auf dieses stinkende Boot«, wimmerte sie. »Was ist denn da drin los?« fragte Jacko Mignon während einer kurzen – Feuerpause. Die Kreuz des Südens schwankte unter dem heftigen Gerangel in der Kabine. Vereinzelte Schreie waren zu hören. »Sie liegen sich in den Haaren«, erklärte Bog mit Genugtuung. Die Schier hatten sich ein wenig zurückgezogen und segelten, gleichen Abstand bewahrend, hinter ihnen her. Das Schiff hatte bedenklich an Geschwindigkeit verloren, da die Maulwürfe ermüdet waren. Die kleinen Schneeboote der Fleischjäger holten auf. Sie konnten bereits ihre Besatzung sehen, von der ein Teil riesige Segel ausbreitete. »Drachenmänner!« stellte Mignon erschrocken fest. »Das verschlimmert unsere Lage.« Ihre Kabel an den Schneebooten festgebunden, segelten die Drachenmänner wie Habichte über die Kreuz des Südens, und wieder begannen Kugeln in das Holz einzuschlagen. Die Schier, die die Zeit ihres Angriffs genau berechnet hatten, drangen nun von beiden Seiten auf sie ein. Hinter ihnen begannen die Schneeboote durch den Zug der Drachenmänner aufzuholen. »Wir müssen nach vorn!« brüllte Jacko. »Über das Kabinendach! Es ist unsere einzige Chance!« Kugeln schlugen überall um sie herum ein, als sie sich auf das Vorderdeck zurückzogen. Sie fanden Shrug mit geschlossenen
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Augen wie in Trance gegen die Kabine gelehnt. Sie kauerten sich mit ihm gegen die niedrige Holzwand und kosteten die letzten Sekunden aus, ehe das Schiff geentert und sie getötet würden. Keiner sprach. Blut träufelte aus ihren vielen Wunden, und ihr Herz war schwer vor Verzweiflung. Das war es also. Das Ende. Ihrer aller Ende. Kreuzfeuer hagelte auf das Schiff. Shrug öffnete die Augen. Jacko blickte ihn kurz an, dann schnell noch einmal. Das Gesicht des Freundes war totenbleich und verstört, als habe er dem Teufel persönlich gegenübergestanden… »Jacko! Schau!« schrie Mignon. Riesige aufrechtstehende weiße Gestalten erhoben sich voraus. Es waren Dutzende, vielleicht Hunderte sogar, die in dichten Reihen, fächerartig ausgebreitet in den Wind schnupperten und die Beute suchten, die die merkwürdige Stimme in ihren Köpfen ihnen versprochen hatte. Die Kreuz des Südens näherte sich ihnen und passierte sie ungehindert. Sie kümmerten sich gar nicht darum. Das war nicht der Feind, nicht die Nahrung, mit der sie ihre hungrigen Mägen füllen konnten. Nein, die Beute befand sich in der Mitte jenes gewaltigen Halbkreises, zu dem sie ausgeschwärmt waren. Es waren die Gestalten mit den eigenartigen Schwingen und jene auf den hölzernen Beinen, die verzweifelt zu wenden versuchten, die der Wind jedoch unaufhaltsam in die Falle trieb. Bald schon schloß sich der riesige Kreis… »Ich – ich weiß nicht, ob sie das verdient haben«, sagte Mignon mit tonloser Stimme, als sie mit Jacko, Shrug und Bog auf dem Kabinendach stand und sah, wie das Blutbad begann. »Sie haben es«, versicherte Shrug ihr düster.
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XXI Tage- oder auch wochenlang – die Besatzung der Kreuz des Südens hatte kein ausgeprägtes Zeitgefühl – fuhr das Schiff südwärts. Der Stamm ernährte sich von seinem Vorrat an Konserven, und hin und wieder gelang es Jacko auch, einen arktischen Fuchs, einen Hermelin oder einen Schneehasen zu schießen. Jacko hatte sich oft gefragt, wovon die Schneemaulwürfe eigentlich lebten. Sie fraßen alles, was man ihnen gab, zogen jedoch rohes Fleisch den Delikatessen vor, als ihr Vorrat immer mehr schrumpfte. Spargelspitzen verweigerten sie, und Rosenkohl fraßen sie nur, wenn es gar nichts anderes gab. Shrug schlug schließlich vor, ihnen jeden Tag eine Weile das Geschirr abzunehmen, damit sie ihr Futter selbst suchen könnten. Seither ließ er sie am Abend immer frei, und sie begannen jeweils sofort Löcher zu buddeln, in denen sie schnell verschwanden. Anfangs waren die anderen sehr erschrocken darüber, aber Shrug versicherte ihnen, daß er sie zu jeder Zeit zurückholen konnte. Sie gehorchten nun völlig sowohl seinen geistigen als auch mündlichen Befehlen. Er vermochte jedoch nicht herauszubekommen, was sie unter der Oberfläche fraßen, aber er nahm an, daß die verschiedensten Arten von kleineren Tieren sich an das unterirdische Leben angepaßt hatten. Einmal hatte er den nun schon lange toten Fang dunkles verfaultes Pflanzenzeug fressen sehen, aus jener Schicht, wo das Eis mit dem eigentlichen Erdboden verschmolz. Das Tier hatte das Futter erst durch seine Körperwärme aufgetaut. Diese Methode wandten vermutlich auch die kleineren Pflanzenfresser an. Weiter südlich weigerten die Schneemaulwürfe sich jedoch, Löcher zu graben. Sie saßen zusammengekauert an der Oberfläche und blickten unsicher umher und fraßen dankbar, was immer Shrug ihnen zu bieten hatte. Sie machten absolut keine Anstalten mehr, sich ihr Futter selbst zu suchen.
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»Es gefällt ihnen dort unten nicht«, meinte Mignon, die sie vorn Vorderdeck aus beobachtete. Jacko sagte nachdenklich: »Der alte Mann erzählte viel vom Meer. Vielleicht überqueren wir es gerade…« Mignon blickte ein wenig besorgt drein. »Wenn das der Ozean unter uns ist, wohin kommen wir dann eigentlich?« Als sie schließlich Land erreichten, erkannten sie es nicht. Das Terrain wurde plötzlich eines Morgens unebener, aber die Schneemaulwürfe zogen weiter wie bisher. Der Stamm hatte es sich angewöhnt, die meiste Zeit dicht aneinandergekauert in der engen Kabine zu verbringen. Sie litten alle unter Kälte und Hunger, waren völlig erschöpft und unterernährt und wurden ständig schwächer. Auch ihre Hoffnung nahm immer mehr ab. Der Wind hatte allmählich nachgelassen. Jacko wußte deshalb nicht mehr, ob sie überhaupt noch in die beabsichtigte Richtung fuhren – aber was schlimmer war, es war ihm schon fast gleichgültig. Vielleicht dachte er sich an diesem Morgen, daß es die göttliche Fügung war, wenn sie rastlos dahinzogen, bis sie alle an Hunger starben. Verworrene Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, traumgleiche Eindrücke und hin und wieder reine Halluzinationen. Aber er wußte, daß es den anderen nicht besser erging. Gestern hatte Cockade Bog beschuldigt, er starre sie hungrig an. Das brachte die Frage auf, die sie bisher alle vermieden hatten: Was taten die Menschen normalerweise, wenn es nichts mehr zu essen gab? Eine etwas beängstigende Diskussion folgte darauf, die aus Erschöpfung glücklicherweise im Sand verlief. Doch dann an diesem Morgen wurde das sanfte Gleiten der Kreuz des Südens zu einem Mark und Bein erschütternden Holpern. »Was ist passiert?« fragte Cockade müde. »Irgend etwas stimmt mit dem Schiff nicht. Schaut denn niemand nach?« »Vermutlich größere Eisklumpen«, murmelte Shrug.
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»Ich halte diese Holperei nicht aus«, ächzte sie. »Jemand drückt sein Knie gegen mich.« Sie stieß wütend dagegen, und Switch schrie schmerzhaft auf. Das Kind lag komatös auf ihrem Schoß. »Ich gehe hinaus«, erklärte Jacko. »Halt dich ruhig, verdammt! Du könntest wirklich wenigstens ein bißchen Rücksicht auf uns nehmen!« Jacko öffnete das Luk und kletterte auf das Achterdeck. Er starrte lustlos hinaus auf den ewigen Schnee, der heute noch unerfreulicher als sonst aussah. Er war fleckig und uneben und häßlich schmutziggrau. Er sah so gar nicht wie die glatte weiße Weite aus, die sie gewohnt waren. Große nackte Stellen ragten heraus. Die Schneemaulwürfe zogen das Schiff ungerührt darüber, daß die Kufen durch die plötzliche Reibung quietschten. Schreckensrufe drangen aus der Kabine. Shrug kam blinzelnd heraus, gefolgt von Mignon und Bog. »Ich – ich glaube, wir sind da«, sagte Jacko zweifelnd. Die Schneemaulwürfe hatten sich ausgestreckt und ruhten sich aus. Bog, Shrug und Mignon saßen auf dem Deck und blickten sich um. Sie versuchten das, was sie sahen, zu verstehen. »Es ist völlig anders, als das letzte Mal«, murmelte Jacko. Es fehlten die Bäume hier, aber die Gegend war trotzdem nicht nackt, es wuchsen vereinzelte niedere Büsche. Auch war es hier unnatürlich hell, und tief am Himmel zeichnete sich eine leicht verschleierte silbrigschimmernde Stelle ab. Der dunkle Boden erstreckte sich in die wellige Ferne mit sanften Hügeln und ein paar verstreuten Felsen. Mignon lehnte sich über die Schiffsseite. »Seht euch das an!« rief sie. Eine rosa Blume hatte tapfer in der kalten schwarzen Erde Wurzeln geschlagen. Ganz in der Nähe befanden sich weitere. Und als ihre Augen sich daran gewohnten, Farben zu sehen,
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entdeckte Mignon Hunderte und aber Hunderte von blühenden Pflanzen. Leuchtend purpurnes Seifenkraut, gelbe Weidenkätzchen, fleischige smaragdgrüne Blätter, silberne Löwenzahnbälle. Sie alle wuchsen in der dünnen Erdschicht, unter der der ewige Frost lag, der den größten Teil der Erde erfaßt hatte, seit die Verlagerung der Pole zur fünften Eiszeit geführt hatte; Karminrot und orange und blau und gelb und lila und türkis leuchteten die Blumen für Mignon, die sie strahlend bewunderte. »Was sind denn diese komischen Dinge?« staunte Shrug. »Leben«, erwiderte Bog ehrfurchtsvoll. Später stiegen sie auf den Kamm des nächsten Hügels und stießen auf ein paar spielende Kinder. Im Tal auf der anderen Seite entdeckten sie mehrere größere Objekte, die sie nicht sofort als Wohnstätten erkannten, obgleich Männer und Frauen in ihrer Nähe im Freien arbeiteten. Sie sahen ein Feuer, und als sie näher kamen, rochen sie die herrlichen Düfte, die davon aufstiegen und ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Ein Mann mit einem Speer in der Hand kam ihnen entgegen. »Wo seid ihr her?« Sein Akzent war für sie ungewohnt, aber die Worte verstanden sie trotzdem. »Aus dem Norden.« Der Mann lächelte. Plötzlich wußte Jacko, daß alles gut werden würde. »Das haben sie bisher alle gesagt – die wenigen, die so vernünftig waren hierherzukommen. ›Aus dem Norden‹, sagten sie. Nun verratet mir nur noch, wo dieser Norden ist. Hättet ihr gesagt, ihr kommt aus der Kälte, das wäre leicht zu verstehen gewesen. Aber der Norden?« Wieder lächelte er. »Es gibt keinen Norden mehr. Jedenfalls nicht mehr so, wie die Alten ihn kannten.« »Euer Essen riecht gut«, mischte Shrug sich hoffnungsvoll ein. Jacko hatte den Mann jedoch bereits richtig eingeschätzt und wußte, daß er sich nicht unterbrechen lassen würde in seiner selbstgestellten, ihm so viel bedeutenden Aufgabe, Fremde hier
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einzuführen. »Sagtest du, nur wenige waren vernünftig genug, aus der Kälte hierherzukommen?« »Ja. Das sagen die Gelehrten im Inland.« Der Mann deutete nach dem Süden. »Sie sagen, es gab einmal riesige Städte, wo jetzt das Eis sich türmt. Die Menschen blieben dort, als das Eis kam, und auch danach wollten sie nicht weg. Sie hingen so sehr an den Städten, daß sie sich ein anderes Leben gar nicht vorzustellen vermochten.« Jacko erinnerte sich, wie schwer es ihnen gefallen war, das versunkene Städtchen zu verlassen, und nickte verstehend. »Es gibt dort immer noch einige. Sie wohnen in den Tunnels, leben von den letzten Konserven und hydroponischer Nahrung und sterben an Krankheiten, die sie sich durch ihr ungesundes, unnatürliches Leben zuziehen. Sie sind die Urururenkel jener, die zu Gegenden wie diese hätten kommen sollen, aber dazu fehlte es ihnen eben an Einsicht und vielleicht auch an Mut.« »Gibt es viele Orte wie euren?« »Eine ganze Anzahl. Weiter im Inland wird es noch beträchtlich wärmer. Eine Menge Leute wohnen in den wärmeren Gegenden.« Offenbar wußte der Mann nicht allzu viel, auch wenn er ein noch so großes Wissen vortäuschte, dachte Jacko. Er war, allem Anschein nach, der Häuptling einer isolierten Ansiedlung und hatte vermutlich sein ganzes Leben diesen Ort nicht verlassen und gab nur weiter, was er von Fremden erfahren hatte. Jacko blickte sich um. Er hatte sich schon ein wenig mit dem Ungewohnten abgefunden und begann die Landschaft allmählich als angenehm zu empfinden. »Es ist ein wunderschönes Fleckchen Erde«, sagte Mignon, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Sein ganzes Leben war Jacko der Führer einer wenn auch kleinen Gruppe gewesen. Er betrachtete die Menschen um ihre Blockhütten und musterte unauffällig den Mann vor ihm. Er kam zu der Überzeugung, daß er ihnen mit Leichtigkeit seinen Willen
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aufzwingen konnte, wenn er wollte. Einstweilen würde er jedoch den Mann hier bei guter Laune halten. »Ich bin Jacko«, stellte er sich vor. »Das sind Mignon, Shrug und Bog.« Er deutete nacheinander auf sie. »Man nennt mich Loko«, erklärte der Mann seinerseits. »Wollt ihr mit uns essen?« »Ich habe schon geglaubt, er würde uns nie einladen«, flüsterte Shrug Bog zu, der sich hungrig über den Bauch strich. Ab und zu dachte Jacko an Switch und Cockade auf dem Schiff, aber er erwähnte sie nicht. Es schien ihm klüger, bei ihren Gastgebern erst einen guten Eindruck zu machen, damit sie freundschaftliche Abkommen treffen könnten, was Verpflegung und Unterkunft anbelangte. Wäre Cockade dabei, bliebe es sicher nicht lange bei der zufriedenen Stimmung. Als sie gesättigt neben dem Feuer saßen und sich unterhielten, hoffte Jacko, daß sie bald zu diesen Menschen hier gehören würden. »Wie sind eure Pläne?« erkundigte Loko sich an einem Stück Fleisch kauend. »Wir haben keine mehr«, erwiderte Jacko. »Wir planten diese Reise. Sie ist zu Ende und damit auch unser Plan.« »Eure Reise ist zu Ende?« »Wir fanden den Ort, wo der Schnee schmilzt. Wir fanden, wonach wir suchten.« Loko blickte sich um, als sähe er seine Heimat zum erstenmal. Das Feuer flackerte hoch. Hin und wieder warf eine der Frauen einen knorrigen Ast hinein, daß die Funken aufsprühten. Trotz der vereinzelten Schneeflecken war es verhältnismäßig warm in diesem geschützten Tal, so unvorstellbar wärmer als auf den arktischen Schneefeldern. Rings um sie hoben sich die Hügel in den dämmernden Abend, und ganz in der Nähe standen die anheimelnden Hütten, in denen die Kinder bereits friedlich schliefen.
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»Es läßt sich leben hier«, sagte Loko zufrieden. Langsam zeigten sich die ersten Lichter am Himmel. Jacko schaute hinauf und bald folgten die anderen seinem Blick. »Das müssen die Sterne sein«, murmelte Shrug andächtig. Loko nickte verständnisvoll. Unter den endlosen Weiten des Treibschnees leuchteten keine Sterne. Jacko versuchte nichts zu forcieren. Als sich durch das gute reichliche Mahl und die angenehme Unterhaltung ein Gefühl des Wohlbehagens in ihnen ausbreitete und die ersten ihrem Drang zum Gähnen nachgaben, bot Loko ihnen eine Hütte für die Nacht an… Später standen Jacko und Mignon vor der Tür, während Bog und Shrug bereits fest schliefen. Der fast volle Mond, der Bog und Shrug in ihrer Müdigkeit gleichgültig gelassen hatte – oder vielleicht taten sie auch nur so, um dem Paar eine Chance zum Alleinsein zu geben, dachte Jacko – , hatte sie verzaubert. Es gab etwas, das er Mignon sagen wollte. Das er ihr schon so lange hatte sagen wollen und das nun wichtiger schien, denn je zuvor. Er war nicht sicher, ob er die richtigen Worte überhaupt kannte, denn nie zuvor waren sie über seine Lippen gekommen – aber er wußte, daß er bald etwas sagen und daß Mignon ihn verstehen würde. Jacko war der körperliche Aspekt der Liebe nicht unbekannt, obgleich es Monate oder gar Jahre her war, seit er mit einer Frau geschlafen hatte. Er erinnerte sich, daß er vor undenkbar langer Zeit mit Cockade ins Bett gegangen war, ehe er Switch gefunden und ihn dem Mädchen zugeschoben hatte, damit sie Ruhe gab. Und doch schien es ihm unvorstellbar, nun da er Mignons liebreizendes Gesicht sah, daß er je mit Cockade schlafen konnte. Es war nicht angenehm gewesen in Cockades Bett. Ihrer Verbindung hatte etwas Wichtiges gefehlt, das Jacko zu jener Zeit jedoch nicht zu definieren vermochte. Damals, im Gegensatz zu jetzt, hatte er keine Vergleiche anstellen können.
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Mignons Gesicht war voll Anmut. Sie hatte lange dichte Wimpern, und ihre Augen waren, wie sie sagte, grün. Aber es war viel mehr in ihren Augen, als sie ihn anblickte, viel mehr als ihre übliche Freundlichkeit. Es war, als wollte auch sie etwas ungemein Wichtiges sagen. Ein- oder zweimal ertappte er sie dabei, wie sie ihn von der Seite ansah, ihre Lippen öffnete, sie aber schnell wieder schloß und mit gespielter Konzentration zum Mond hinaufblickte. »O Gott«, seufzte Jacko verzweifelt über seine Unbeholfenheit. »Was ist denn, mein Liebling?« »Ich möchte dir etwas sagen, aber ich bringe es offenbar einfach nicht fertig.« »Du könntest mich statt dessen küssen.« Ein wenig ungeschickt kam Jacko dem Vorschlag nach. Er mußte sich herabbeugen, denn Mignon war ein zierliches und nicht sehr großes Mädchen, dafür aber wunderschön. Er küßte sie lang und wollte gar nicht mehr aufhören, so sehr gefiel es ihm. Viel später traten sie in die Hütte. Shrug und Bog schliefen. Mignon stupste Bog, bis der Riese stöhnte und schläfrig blinzelte. »Was ist?« murmelte er. »Jacko liebt mich, Bog.« In dem schwachen Licht sahen sie seine gütigen Augen musternd an. »Und liebst du ihn auch, Mignon?« »Ja.« Sie strahlte. Ein Lächeln, das tief aus seinem Innern kam, verschönte Bogs plumpe Züge. »Gut. Und ich liebe euch beide.« Zufrieden schloß Bog die Augen wieder und schlief weiter. Cockade sagte zu Switch: »Weißt du, was diese Schufte getan haben?« »Sie sind ohne uns auf und davon, meinst du das?«
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»Ja. Was gedenkst du dagegen zu tun?« »Uh… Nichts, Cockade. Es gibt nichts, was ich tun könnte.« »Was bist du nur für ein Mann!« Am nächsten Morgen erwachte Jacko aus dem angenehmsten Schlaf seines Lebens. Er streckte sich und gähnte, voll eines herrlichen Gefühls der Freiheit. Heute gab es nichts, worüber er sich Sorgen zu machen brauchte. Keine trostlose Jagd, keine Fleischjäger oder Pads, gegen die er kämpfen müßte, keine Cockade, die nörgelnd das Frühstück bereitete. Er rollte sich aus dem Haufen Pelze, ganz vorsichtig, um ja Mignon nicht aufzuwecken, und schritt hinaus in den frischen Morgen. Nichts rührte sich in der kleinen Siedlung. Das Feuer der vergangenen Nacht war zu Asche auf dem dunklen Grund herabgebrannt. Nach einem kurzen Rundblick holte er sich sein Gewehr aus der Hütte und zog landeinwärts zum Kamm eines Hügels. Er drehte sich auf dem halben Weg um und blickte hinab auf das Dorf, das langsam zu erwachen begann. Ein paar Hunde rannten aus den Hütten und hoben ihre Hinterbeine. Eine Frau stand unter der Tür zu Lokos Hütte. Sie blickte zufrieden in den Morgen, und ihr Atem kam als sichtbare Wolke. Ein Kind plärrte. Jacko sah Shrug aus der Hütte treten und sich verstohlen umsehen. Dann schritt er eilig auf die Kreuz des Südens zu. Das Schneeschiff war von hier aus nicht viel mehr als ein schwarzes Rechteck am Rand des Schnees, der sich nach Norden zu ausdehnte, soweit Jacko sehen konnte. Er fröstelte plötzlich und drehte sich wieder um. Langsam stapfte er den Rest des Hügels hinauf. Eine weite, ihm völlig ungewohnte Landschaft lag auf der anderen Seite vor ihm. Freundliche Blumen nickten mit den Köpfchen, und seltsame Bäume streckten ihre Zweige, um sich zu erwärmen, schräg bis zum Boden aus. Er vermochte die Farben nicht zu sehen, aber er erkannte ihre Schönheit. Die Luft war klar, und es schien, als dehne sich dieses Wunderland in
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ungeahnte Fernen aus. Er war versucht zu wandern, aber seine Vernunft hielt ihn zurück. Es wäre doch verrückt, sich in der Tundra zu verirren, nach dem weiten Weg, den er zurückgelegt hatte, um hierherzukommen. Eine lange Weile stand er nur und schaute. Unter ihm, in einem flachen Kessel, äste ein Rudel merkwürdiger Tiere. Ihre Schulterhöhe war bestimmt sechs Fuß, wenn nicht mehr. Sie hatten eigenartig verzweigte Hörner auf ihrem Kopf. Er bestaunte sie eine Zeitlang, ehe sein Instinkt sich meldete und er das Gewehr anlegte. Der Schuß knallte über die Tundra, und die Herde ergriff sofort die Flucht, aber sie ließ einen der ihren leblos zurück. »Guter Schuß!« Jacko wirbelte herum und bemerkte jetzt erst Loko, der anerkennend grinste. »Er genügt, schätze ich.« »Hattest du eine gute Nacht, Jacko?« »Ja, danke.« »Gut. Gut… Uh, ich wollte dich nur fragen… Wie lange, glaubst du, werdet ihr bei uns bleiben?« Jacko hörte aus seiner Stimme, daß der andere sich über ihr Bleiben freuen würde. Gemeinsam stiegen sie hinab zu dem erlegten Elch. »Vielleicht bleiben wir eine Weile«, erwiderte Jacko vorsichtig. »Wir sind allerdings noch zwei mehr, mußt du wissen. Und ein Baby.« »Sie sind auf deinem Schiff? Warum kommen sie denn nicht heraus?« »Weil sie Angst haben. Sie lebten so lange unter der Oberfläche. Ach, du verstehst schon, wie es ist. Wenn wir hierbleiben wollen, müssen wir ihnen irgendwo ein Heim unter der Erde schaffen. Eine Kammer, ein paar Tunnels, und so weiter. Eben so, daß sie sich bewegen können und genügend Platz haben, aber nicht ins Freie kommen müssen.«
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»Das ist unmöglich«, sagte Loko langsam und achtete auf Jackos Reaktion. Nicht zum erstenmal war er mit kleinen Gruppen aus den Schneefeldern zusammengekommen. Immer hatte irgend etwas mit ihnen nicht gestimmt. Immer hatte es irgendwelche Gründe gegeben, daß sie weiterziehen mußten, daß sie nicht bleiben und seinem Stamm neues Blut bringen konnten. »Die Erde hier ist bis fast zur Oberfläche gefroren. Sie ist wie Fels. Selbst im Hochsommer kann man nicht tiefer als vielleicht dreißig Zentimeter graben.« Jacko kniete sich neben den Elch und spürte den Boden sich in der strahlenden Morgensonne erwärmen. Es war das erste weiche Erdreich, das er je gesehen hatte. Aber selbst das, das er halten und in seinen Fingern zerkrümeln konnte, war nur zeitweilig von jenem verdammten Eis befreit, das sein Leben lang um ihn gewesen war. Was sollte er jetzt tun? Er konnte nicht weiter südlich ziehen, denn es gab keinen Schnee, über das die Kreuz des Südens gleiten könnte. »Dann müssen wir wohl wieder zurück«, murmelte er düster. Als sie ins Dorf zurückkamen, stand Shrug bei dem neuentzündeten Feuer und zeigte das Baby herum. Die Frauen hatten sich um ihn geschart, gluckerten in sinnloser Babysprache und betätschelten den Kleinen. Sie wollten seinen Namen wissen und brachten Shrug damit in Verlegenheit. Er blickte Jacko ein wenig schuldbewußt entgegen. »Ich dachte, ich sehe nach, wie es Switch und Cockade geht«, murmelte er. Jacko war überrascht. Shrug hatte bisher immer so getan, als hasse er den Kleinen, aber hier schien er stolz wie ein Vater auf ihn zu sein. »Und wie fühlen sie sich?« »Wie zu erwarten war.« Bog und Mignon traten aus der Hütte. Tief atmeten sie die herrlich frische Luft ein. »Ein wundervoller Morgen!« Mignon strahlte. »Warst du spazieren, Jacko?« »Ich habe ein Tier geschossen.« Er wich ihren Augen aus.
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»Euer Jacko ist ein guter Schütze«, kommentierte Loko. »Ich weiß. Er – er kann überhaupt alles. Es ist gut, jemanden wie ihn zu haben«, sagte sie hoffnungsvoll. »Das stimmt. Wollen wir frühstücken?« Die Frauen gaben gekochtes, in Streifen geschnittenes Fleisch auf flache Metallteller und häuften etwas dazu, das, wie sie erklärten, Schneehuhnrühreier waren. Sie aßen zuerst vorsichtig, dann mit immer größerem Genuß, als sie sich an den Geschmack gewöhnten. »Insgeheim habe ich immer gewußt, daß Eier eigentlich so sind.« Shrug kaute mit vollem Mund. »Auch wenn wir sie nur als gelbes Pulver kannten. Aber so schmecken sie viel besser.« »Es ist wundervoll hier, Jacko.« Mignon lächelte ihm glücklich zu. Er blickte sie an. Sie hielt den Metallteller in der Hand und saß im Schneidersitz neben ihm. Ihr nachtschwarzes Haar fiel sanft bis zur Taille. Ihre Augen hingen erwartungsvoll an ihm, flehten ihn an, zu sagen, daß sie hierbleiben würden, daß sie ihr neues Zuhause gefunden hatten… Traurig wich er ihrem Blick aus und dachte: Es ist nicht richtig. Es war ihnen nicht bestimmt, es so leicht zu haben. Zwei ihres Stammes fehlten – und sie würden nicht hierherpassen, wenn sie blieben. Sie mußten einen anderen Ort finden, wo auch Switch und Cockade zu Hause sein konnten, auch wenn er nicht so schön war. Wehmütig streiften seine Augen die Blockhütten, die freundlichen Siedler, die Blumen und Sträucher, und er dachte an das Wild, das es hier in Hülle und Fülle gab. Nein, es wäre alles zu leicht errungen. Das war ihnen nicht bestimmt. »Ja«, murmelte er. »Es ist sehr schön hier. Aber wir müssen weiter, sobald wir gegessen haben.« Loko und viele der Siedler begleiteten sie über den Hügel zur Kreuz des Südens. Die Schneemaulwürfe, die sie freigelassen
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hatten, damit sie sich selbst Futter suchten, tapsten gehorsam zu ihren Geschirren am Bug. Shrug spannte sie ein. Fäuste trommelten innen an die Kabinenwand. »Wo, zum Teufel, seid ihr gewesen?« kreischte eine schrille Stimme. »Wenn ihr euch vielleicht einbildet, daß wir den Rest unseres Lebens in diesem engen Loch zubringen, dann habt ihr euch aber getäuscht! Wann baut ihr etwas für uns?« Loko blickte Jacko kopfschüttelnd an. »Ist das dort drin seine Mutter?« Er deutete auf das Baby in Mignons Armen. »Ist sie es, die euch davon abhält hierzubleiben?« »Es wäre nicht recht, wenn wir blieben«, sagte Jacko bedrückt. »Wir sind schon eine lange Zeit beisammen und dürfen uns jetzt nicht einfach trennen. Ich glaube, wir werden wohl zurück zu dem Städtchen fahren, von woher wir kamen. Die Fleischjäger haben es sicher inzwischen längst verlassen, außerdem haben die Pads die meisten von ihnen ohnehin getötet. Es wird nicht mehr so schlimm werden. Wir hatten auch gute Zeiten dort.« »Was, zum Teufel, murmelt ihr dort draußen?« schrillte Cockade. »Wir danken euch für eure Gastlichkeit«, Jacko blickte sie der Reihe nach an. »Wir müssen uns jetzt verabschieden…« Die Schneemaulwürfe hoben den Kopf, als der Befehl kam. Sie verstanden, daß sie nun aufbrechen sollten und waren auf ihre Weise froh darüber. Es war wenig zu finden hier unter dieser dünnen Schneeschicht. Ein Bild zeichnete sich in ihren Gehirnen ab – das Bild einer weiten Schneelandschaft, aus der eine Kirchturmspitze herausragte. Eine Gegend, wo es wohlschmeckende Schneemäuse in großer Zahl gab. Sie erkannten das Bild, und sie wußten auch, wer es ihnen übermittelte. Wenn er also wollte, daß sie dorthin zurückkehrten,
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nun, sie hatten nichts dagegen. Es war ohnehin ihr Wunsch gewesen. Sie erhoben sich, schüttelten den gefrorenen Schnee aus ihren dicken Pelzen und warfen sich erfreut in die Riemen. Ihre menschliche Fracht war schwer, und sie würden den ganzen Weg gegen den Wind kämpfen müssen. Aber dafür würden sie wieder nach Hause kommen, wohin sie gehörten. Langsam, dann mit zunehmender Geschwindigkeit, glitt die Kreuz des Südens weiter hinaus auf die Schneefelder, in nördlicher Richtung – oder war es südwärts?
XXII Die Gruppe am Rand der Schneefelder blickte ihnen mit wachsender Verwirrung nach. »Halt!« schrie Jacko. »Kommt sofort zurück, ihr Biester!« »Es sieht so aus, als wolle euer Schiff euch nicht mitnehmen.« Loko schmunzelte. »Verdammt… Shrug! Shrug! Kannst du denn nichts tun? Was ist nur in sie gefahren? Schick deine Gedanken aus! Halt sie auf!« Shrugs Blick wanderte von Jacko zu Mignon und dem Baby und zu Bog und dann zu der immer schneller verschwindenden Kreuz des Südens. Er runzelte die Stirn, als konzentriere er sich mit aller Macht. Dann blickte er auf. »Es tut mir leid«, sagte er zerknirscht, wich aber schnell Jackos Augen aus. »Ich fürchte, ich kann es nicht mehr.«
ENDE
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