G. F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE
Einsamer Job County Sheriff Adam McDonelly betrachtet seine drei Deputys nac...
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G. F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE
Einsamer Job County Sheriff Adam McDonelly betrachtet seine drei Deputys nacheinander wie ein Mann, der sich auskennt, wenn es darum geht, andere Männer zu beurteilen. Und dabei verlässt er sich vor allem auf seinen Instinkt. So hat er sich seine Stellvertreter auch damals ausgesucht. Sie waren Kriegsheimkehrer, eigentlich Satteltramps. Und vielleicht wären sie sogar Banditen geworden, hätte er ihrem Leben keine andere Richtung gegeben. Sie erwidern seinen prüfenden Blick fest, und er spürt wieder einmal mehr ihren selbstbewussten Stolz. Nach einer Weile sagt er: »Für einen von euch habe ich einen ganz besonderen Job. Es geht um dieses verdammte Nest an der Grenze, um diese armselige und verkommene Stadt Casa Coronado, die wie eine Hure ist und sich auch wie eine Hure verkauft, wenn nur der Hurenlohn stimmt. Einer von euch muss diesen verdammten Job übernehmen!« 2008-BY-MAD RAXX-2008- BY-MADRAXX-2 008-BY-MAD RAXX-200 8-BY-MAD RAXX-2008-BY- MADRAXX-20 08-BY-MAD RAXX-2008- BY-MADRA XX-2008-BY-M ADRAXX-200 8-BY-MAD RAXX-2008- BY-MADRAXX
Er schaut jetzt von einem zum anderen. »War einer von euch schon in Casa Coronado?« Die drei Deputys schütteln stumm den Kopf und warten. Der County Sheriff Adam McDonelly hockt hinter seinem narbigen Schreibtisch – narbig, weil von den Sporenrädchen ständig misshandelt – wie ein alter Adler in seinem Horst, von
dem aus er die halbe Welt überblicken kann. Er lässt sie nicht lange warten, sondern spricht weiter: »Ich bekam vom Gouverneur die unmissverständliche Anweisung, endlich in Casa Coronado Ordnung zu schaffen. Und das mit allen nötigen Mitteln und seiner vollen Rückendeckung. Aber Casa Coronado ist an die hundert Meilen weit entfernt. Das sind fast drei Tagesritte durch raues Land und mitten durch ein Apachengebiet. Casa Coronado liegt wie eine Banditeninsel an der Sonoragrenze. Aber einer von euch muss hin und dort Ordnung schaffen. Es wird ein verdammt einsamer Job sein. Die Bösen werden ihn hassen und die Guten werden zu feige sein, ihm beizustehen. Also, wer von euch will hin? Er hat alle Vollmachten und volle Rückendeckung, kann auch Deputys verpflichten. Und sein Gehalt wird um ein Drittel erhöht. Wer will hin?« Seine Adleraugen funkeln bei der Frage. Seine Nasenflügel vibrieren, so als nähme er eine besondere Witterung auf. Der Deputy Hank Nolen spricht zuerst: »Ich mache das, Boss.« Doch auch Jubal McKenzie sagt: »Ich auch, Sir.« Da grinst der dritte Deputy – sein Name ist Jake Clayton – und spricht ruhig: »Dann müssen wir wohl das Los entscheiden lassen.« McDonelly nickt zufrieden. »Ja, ihr seid mir alle gleich«, spricht er ruhig und wirft ein Kartenpäckchen auf den Tisch. »Jungs, wer die höchste Karte zieht, der darf in dieses verdammte Drecknest.« Hank Nolen zieht eine Kreuzzehn, Jubal McKenzie deckt einen Herzkönig auf, aber Jake Clayton zeigt ihnen das Kreuzass. Und somit ist die Sache klar. Nolen und McKenzie grinsen Jake Clayton am. Dann fragt Nolen: »Wie ist das mit deinem Vornamen, Jake? Soll auf
deinem Grabstein Jake oder Jakob stehen?« Sie grinsen nun alle. Doch Jake Clayton spricht dann ernst: »Jakob. Und wenn ich es nicht schaffen sollte in Casa Coronado, dann kann es ja einer von euch besser machen. Was ist das nur für ein seltsamer Name für eine Stadt? Casa Coronado – was ist das?« Der grauköpfige Sheriff grinst: »Ganz einfach. Als damals die alten goldgierigen Spanier unter Coronado überall nach den sagenhaften goldenen Städten von Cibola suchten, die es gar nicht gab, da errichtete die Bande von Edelleuten einen Stützpunkt, nannte ihn Coronado nach ihrem Anführer. Rings um das alte Gemäuer entstand dann der Ort. Manchmal war er verlassen, dann wieder wurde er eine Zuflucht. Jetzt ist Casa Coronado gewissermaßen so etwas wie eine Raubritterburg des alten Europa. Der Wagenweg über Casa Coronado stößt auf den Hauptweg nach Santa Fe und Taos, von dort über den Apachenpass hinüber nach Colorado, wo jetzt rings um Denver Zehntausende nach Gold suchen.« Er macht eine kleine Pause und spricht dann zu Jake Clayton: »Es müssen auch Steuern eingetrieben werden, vor allen Dingen Grundsteuern. Ich gebe dir eine Liste mit. Von den eingetriebenen Steuern kannst du dein Office unterhalten, dir dein Gehalt zahlen und auch das deiner Deputys. Du musst nur ein Buch mit den Ein- und Ausgaben führen und den Überschuss mir schicken. Ich leite das dann weiter nach Santa Fe. Ist dir alles klar, Jake? Es ist ja im Grunde einfach, Jake, mein Junge.« Dieser nickt nur. Denn eigentlich gibt es ja auch nichts mehr zu sagen. *** Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang ist Jake Clayton unterwegs. Auf einem Packtier hat er seine wenige Habe und in
einem wasserdichten Beutel aus derben Segeltuch alles, was ihm der County Sheriff an Listen, Kladden und Bürozeug mitgab. Jake Clayton hätte auch mit einer der Postkutschen fahren können, welche alle drei Tage verkehren. Aber er möchte das Land besser kennen lernen, sich ein Bild von den Landmarken machen und sich länger als nur wenige Minuten bei den Pferdewechselstationen aufhalten. Er ist ja während seiner Deputyzeit kaum weiter als dreißig Meilen südlich von Silver City gekommen. Nun aber muss er hundert Meilen weit weg vom Sitz des County Sheriffs. O ja, er ahnt jetzt schon, dass er verdammt allein sein wird, ganz auf sich allein gestellt, ein Mann ohne Freunde. Doch es reizt ihn, sich zu behaupten. Und so stark oder so schwach wie er, so stark oder schwach wird auch das Gesetz sein. Als er am Abend die erste Pferdewechselstation erreicht – es gibt zwischen Silver City und Casa Coronado drei –, da ist er nicht als Sheriff zu erkennen. Denn er trägt den Stern in der Tasche. Zur Station gehört auch ein kleiner Store. Auf der Veranda haben es sich zwei Männer bequem gemacht, die sein Kommen bewegungslos beobachten. Der Stationsmann kommt von den Corrals herüber und fragt: »Bleiben Sie die Nacht hier? Wollen Sie was essen? Meine Frau kocht gut. Wenn ich Ihre Pferde versorge und Sie bei uns essen, zahlen Sie einen Dollar. Sie können in der Scheune auf Maisstroh gut liegen.« Jake Clayton nickt nur, und er hat den Eindruck, dass der Stationsmann froh über sein Kommen ist. Er wäscht sich beim Brunnen am Wassertrog. Der Stationsmann verschwindet im Haus, wahrscheinlich, um seine Frau in der Küche zu informieren. Dann kümmert er sich um
Claytons Pferde. Die beiden Männer auf der Veranda aber beobachten den Ankömmling unentwegt. Und als er auf die Veranda kommt, da starren sie ihn feindlich an. Er hält sie für Burschen jener Sorte, die von ihrem Revolver leben. Und wahrscheinlich passt es ihnen nicht, dass sie nicht mehr allein Gäste der Station sind. Jake Clayton hält inne und erwidert ihre Blicke. Dabei fragt er: »Habe ich zwei Köpfe? Oder warum starrt ihr mich sonst an?« O ja, er weiß, dass seine Frage eine Herausforderung für sie ist. Denn sie gehören zu jener Sorte, die sich stets herausgefordert fühlt. Sie starren ihn immer noch an, und sie sehen einen großen, blonden Mann, der bei aller Hagerkeit dennoch schwergewichtig ist und sich so geschmeidig wie ein Leichtgewicht bewegt. Er sieht gut aus, sehr viel besser als sie. Und wahrscheinlich fühlen sie sich allein schon deshalb herausgefordert. Einer spricht mit einem heiseren Klang in der Stimme: »Wir starren dich an, weil du hier störst. Also hau wieder ab, wenn du das Steak und die Bohnen verschlungen hast. Wir wollen dich hier nicht haben. Oder willst du Ärger mit uns bekommen?« Bevor er etwas erwidern kann, tritt eine junge Frau aus dem Stationshaus. Sie ist eine Mexikanerin und mehr als nur hübsch. Und so weiß Jake Clayton plötzlich, warum sich die beiden Kerle durch ihn so gestört fühlen. Es ist wohl wegen der Frau. Denn so eine gibt es in hundert Meilen Umkreis gewiss kein zweites Mal. Der Stationsmann ist zu beneiden. Und so fragt sich Jake Clayton, wie der Mann zu so einer Frau kam, die auch noch bereit ist, mit ihm auf dieser einsamen
Station zu leben, bei der nur alle drei Tage eine Postkutsche vorbeikommt. Was mag diese mehr als hübsche Mexikanerin dazu bewogen haben? Sie sieht zu ihm her und fragt: »Señor, wie wollen Sie das Steak? Nach Texasart oder mehr mexikanisch?« »Mexikanisch«, erwidert er, geht zum anderen Ende des langen Tisches und setzt sich an das Kopfende, sodass er die beiden Kerle ständig im Blickfeld hat. Er dreht sich eine Zigarette. Durch die offene Tür hört man das Zischen des Steaks in der heißen Pfanne. Der Stationsmann kümmert sich bei den Corrals um Claytons Pferde. Ja, er übergießt sie mit Wasser, reibt sie ab und stellt sie an den Futtertrog, in dem sich Maiskörner befinden. Den Sattel hat er über eine Corralstange gelegt. Nun will er den Packsattel mit dem wenigen Gepäck hinüber zur Scheune tragen. Doch Jake Clayton ruft über den Hof: »Ich bleibe nicht hier! Nach dem Abendessen reite ich weiter!« Der Stationsmann zuckt zusammen und verharrt bewegungslos. Er wirkt durchschnittlich. Und er ist unbewaffnet. Sein blondes Haar leuchtet rötlich in der Abendsonne. Nach einer Weile bewegt er sich endlich und legt den Pferden wieder die Sättel auf. Dann kommt er über den Hof auf die Veranda. Die beiden Kerle betrachtet er mit einem schrägen Blick. Sie sehen ihn grinsend an, bevor er im Haus verschwindet. Die Frau bringt nun die große Pfanne mit dem Steak und all dem Zubehör heraus und stellt alles vor ihm hin. Er tritt die Zigarettenkippe auf dem Steinboden der Veranda aus und beginnt zu essen. Die Frau verharrt noch einige Sekunden bei ihm, so als wollte sie etwas sagen oder fragen.
Dann aber verschwindet sie wieder im Haus. Die beiden Kerle lachen leise, aber es ist ein böses Lachen. Vom Stationsmann ist nichts mehr zu sehen. Aber es weht nun noch stärker ein unheilvoller Atem. Clayton beendet seine Mahlzeit. Die Sonne versinkt hinter den flachen und gelblich leuchtenden Tortillas. Und von Osten her kommt die Nacht herangekrochen wie ein schwarzes Geheimnis. Clayton leert den großen Kaffeebecher und legt dann einen Dollar auf den Tisch. Als er sich erhebt, da spricht einer der beiden Kerle hart: »Das wird auch Zeit. Schleich dich endlich, bevor wir dir Beine machen!« In seiner Stimme schwingt Ungeduld und böse Drohung. Jake Clayton verharrt einige Sekunden lang und hält sich nur mühsam unter Kontrolle. Er weiß, wenn er nicht gehorcht, wird er die beiden großspurigen Revolverschwinger erschießen müssen. Im Stationshaus wurde noch keine Lampe angezündet. Drinnen ist alles dunkel. Jake Clayton bewegt sich plötzlich und geht sporenklingelnd von der Veranda über den Hof zu seinen Pferden. Er sitzt auf und reitet davon. Das hohnvolle Lachen der beiden Kerle folgt ihm. Nach einer Viertelmeile jedoch hält er an, bindet die Pferde an einen Busch und macht sich zu Fuß auf den Rückweg zur Station. Dabei denkt er grimmig: Wenn ich sie schon erschießen muss, dann will ich einen besonderen Grund dafür haben. *** Der Hufschlag ist kaum verklungen, als einer der Kerle ins Haus hinein ruft: »Hoi, Jimmy McLowry, zünde die Lampen
an! Wir wollen für unser Fest eine Festbeleuchtung! Und wenn du die Lampen angezündet hast, dann wirst du die Nacht in der Scheune verbringen. Denn die schöne Ramona gehört dann uns, bevor wir sie morgen zurück nach Sonora ins Hurenhaus bringen, von wo sie mit dir geflohen ist. Na los, Jimmy!« Drinnen im Haus ist es einige Atemzüge lang still. Dann hören sie die Stimme von Ramona laut genug sagen: »Sie werden dich sonst töten, Jimmy. Du musst tun, was sie dir befehlen. Und ich war ja drüben wirklich nur eine Puta. Gehorche ihnen also. Ich bitte dich, Jimmy. Ich möchte nicht die Ursache für dein Sterben sein.« Abermals bleibt es eine Weile still. Dann werden drinnen die Lampen anzündet. Der Stationsmann Jimmy McLowry kommt durch die offene Tür heraus auf die Veranda, hält dort inne und wendet sich den beiden Revolverschwingern zu. Heiser fragt er: »Es hat wohl keinen Sinn, dass ich vor euch auf die Knie falle? Warum wollt ihr Ramona wieder dorthin bringen, von wo ich sie herausgeholt habe?« »Warum, Jimmy, warum fragst du? Oho, für tausend Dollar. Denn sie war ja eine wunderschöne Edelhure in diesem Haus. Für die musste man viele Dollars zahlen! Wir konnten sie uns niemals leisten, deine schöne Ramona. Doch jetzt werden wir mit ihr die ganze Nacht ein Fest feiern – die ganze Nacht ohne zu bezahlen, hahaha!« Jimmy McLowry steht im herausfallenden Lichtschein. Man kann erkennen, wie sehr er am ganzen Körper zittert. Sie hatten ihm ja schon bei ihrem Kommen alle Waffen weggenommen. Wahrscheinlich hätte er sonst längst gekämpft. Und wieder zischt einer der beiden Kerle: »Hau endlich ab! Verschwinde in der Scheune und verstopf dir die Ohren! Vorwärts!« Jimmy McLowry lässt nun ein hilfloses Stöhnen hören. Drinnen im Haus ruft Ramonas Stimme: »Was ist schon
dabei, Jimmy! Ich bin wieder im alten Gewerbe. Was ist schon dabei?« Und da verschwindet Jimmy von der Veranda und schleicht wie ein Betrunkener über den staubbedeckten Hof. Jimmy McLowry ist gewiss kein Weichei. Er hielt sich bisher für einen zähen und harten Burschen. Doch jetzt… Er weiß zu gut, dass sein Sterben die Dinge nicht ändern würde. Er könnte ja nur mit einer Mistgabel aus dem Stall auf die beiden Kerle losgehen. Er lehnt sich gegen das Scheunentor und stöhnt immer wieder vor Hilflosigkeit. Drüben im Stationshaus tönt das Gelächter der Kerle. Einer ruft: »Los, schöne Ramona, trink! Du sollst trinken, damit du lustig wirst! Und auch tanzen sollst du für uns, so nackt wie die Eva vor dem Adam, bevor der den Apfel fraß, hahaha!« Jimmy McLowry hält sich die Ohren zu. Er möchte fortlaufen und will es dann doch nicht. Seine Hilflosigkeit ist so groß, dass er nun die Tränen auf seinen Wangen spürt. Dann aber ist er plötzlich nicht mehr allein vor dem Scheunentor. Ein Mann ist neben ihm. Im Lichtschein der Sterne erkennt er den Fremden, dessen Pferde er versorgte und dem Ramona das Steak briet. »Erzählen Sie es mir«, spricht Clayton ruhig. »Um was geht es?« Jimmy McLowry saugt tief die Luft ein. Dann spricht er seltsam ruhig: »Mister, wenn Sie mir Ihren Revolver ausborgen könnten…« »Nein«, unterbricht ihn Clayton. »Ich bin Deputy Sheriff. Doch wenn ich eingreife, dann muss ich wissen, worum es geht. Also?« McLowry saugt wieder die Luft ein. Dann erwidert er: »Das ist ganz einfach. Ramona arbeitete
in einem Bordell jenseits der Grenze. Man hatte sie dorthin verkauft. Als ich dort einer ihrer Besucher war, überredete ich sie zur Flucht mit mir. Das war vor einem halben Jahr. Wir wussten, dass wir uns verstecken mussten. Deshalb nahm ich diesen Job bei der Post- und Frachtlinie an und übernahm diese Station. Aber Ramona ist dem Hurenhaus tausend Dollar wert. Und deshalb suchten die Kerle nach ihr. Eigentlich sind sie Skalpjäger. Doch es gibt nicht mehr so viele Apachenskalpe zu erbeuten.« Als Jimmy McLowry verstummt, holt Jake Clayton seinen Stern aus der Tasche und steckt ihn sich an die Weste. Dann setzt er sich in Bewegung. Als er im Stationshaus in die Gaststube tritt, da sind die beiden Kerle unmissverständlich mit Ramona beschäftigt. Einer wendet sich um und erkennt den Fremden, den sie verjagt zu haben glaubten. Er sieht auch den Stern und stößt einen Warnschrei aus, wobei er nach der Waffe schnappt, so schnell er nur kann. Aber er ist nicht schnell genug. Auch sein Partner oder Kumpan schafft es nicht. Jake Clayton ist zu gut mit der Waffe. Sie sterben stehend und fallen dann einfach um. Durch den Pulverdampf seiner Waffe spricht Clayton ruhig: »Ma’am, es ist vorbei. Sie sollten sich wieder ankleiden. Es ist vorbei. Ich bin Deputy Sheriff Jake Clayton. Es ist vorbei.« Sie steht halb nackt vor ihm und wischt sich über Stirn und Augen. »Ich sollte nackt vor ihnen tanzen«, flüstert sie. »Und morgen wollten sie mich wieder…« Die Stimme versagt ihr. Hinter Clayton kommt Jimmy McLowry herein, hält inne und starrt auf die beiden leblosen Körper am Boden. Dann spricht er zu Ramona: »Ich hatte ja keine Waffe. Ich konnte…« »Ich weiß, Jimmy, ich weiß«, unterbricht sie ihn und verschwindet in einem Zimmer, welches offenbar der
Schlafraum des Paares ist, um sich anzukleiden. Jimmy spricht stöhnend: »Sie haben alle meine Waffen in den Brunnen geworfen. Ich hätte es sonst mit ihnen aufgenommen.« »Ich weiß«, erwidert Clayton ernst. »Wir werden morgen Ihre Waffen aus dem Brunnen bergen und auch die beiden Kerle beerdigen. Dann muss ich weiter nach Casa Coronado. Kennen Sie das Nest?« Jimmy McLowry nickt. »Dort werden Sie verdammt einsam und allein sein, Sheriff. Auf der anderen Seite der Grenze liegt die Casa Paraiso. Dort holte ich damals Ramona weg. Die ganze Gegend zu beiden Seiten der Grenze ist voller Böser, vor denen sich die Guten fürchten.« *** Es ist schon später Vormittag, als sich Jake Clayton wieder auf den Weg macht. Er reitet bis spät in die Nacht hinein, gönnt sich und den Tieren nur kurze Pausen. Und dann endlich sieht er die Lichter der zweiten Pferdewechselstation vor sich unter dem Licht der Sterne, welches so kalt und unirdisch ist. Diese Station ist offensichtlich etwas größer als jene der McLowrys. Er freut sich auf das Abendessen. Denn nach diesem langen Tag verspürt er einen starken Hunger. Bei der Station herrscht einiger Betrieb. Denn ein ganzer Frachtwagenzug rastet hier am Ufer eines Creeks. Er kann nun einigermaßen sicher sein, hier keinen Ärger zu bekommen. Wenig später sitzt er im Gastraum beim Abendbrot. Seine beiden Pferde werden von einem Gehilfen des Stationsmannes versorgt. Er bekommt guten Hammelbraten. Die Frau des Stationsmannes ist eine Halbindianerin. Doch sie kann kochen wie eine Weiße.
Da es schon spät ist, sitzen nur noch zwei andere Gäste am langen Tisch. Sie betrachten Clayton immer wieder vorsichtig, denn sie wissen den Texaner nicht einzuschätzen, fragen sich, zu welcher Sorte er gehört. Und so eröffnet er das Gespräch und fragt: »Kommen Sie von Casa Coronado über die Grenze?« Der ältere Mann nickt. Er ist schon älter, hat graue Haare und ist von bulliger Gestalt. Der andere Mann ist in Claytons Alter. Clayton hält ihn für einen Revolvermann. Und dieser fragt: »Wollen Sie dorthin, in dieses verdammte Banditennest, Mister?« Clayton nickt, fragt dann: »Hatten Sie dort Ärger? Sie mögen Casa Coronado wohl nicht. Warum?« Die beiden altersmäßig so ungleichen Männer grinsen bitter. Dann spricht der ältere Mann: »Wenn Sie hinreiten, werden Sie es herausfinden. Mir gehört der Wagenzug dort draußen. Ich bringe Waren aus Mexiko herüber. Doch ich musste wegen der Wasserstellen den Weg über Casa Coronado wählen. Ich habe zehn Wagen mit je acht Maultieren, dazu noch einige Reiter auf Pferden. Sie alle benötigen eine Menge Wasser. Die kleinen Wasserstellen nützen mir nichts. Also muss ich über Casa Coronado und dort den Banditen einen hohen Zoll zahlen – für Wasser, Durchzugserlaubnis und wer weiß noch was. Es gibt dort kein richtiges Gesetz, nur das Gesetz dieser Banditen. Ich frage mich, warum die County-Behörde den Handel in diesem Land nicht schützt. Oder sie finden niemanden, der sich in dieses Drecknest wagt, weil er dort so einsam und allein wäre wie ein Hund unter Wölfen.« Er verstummt grimmig. Der jüngere Mann neben ihm nickt heftig und spricht klirrend: »Wahrscheinlich würde dort ein Gesetzesmann nicht lange leben, denn er hat dort allein keine Chance. Die wenigen Guten dort fürchten sich.« »Wir werden sehen«, erwidert Jake Clayton und fragt: »Kommen Sie wieder durch Casa Coronado, Mister?«
Er sieht bei seiner Frage den älteren Mann an. »Ich muss ja«, knurrt dieser. »Ich lade auf der Rückfahrt Blei und Kupfer aus den Minen, zu denen ich jetzt Proviant und viele andere Waren bringe. Ich versorge an die tausend Minenleute in diesem Gebiet. Und so werde ich wahrscheinlich in etwa drei bis vier Wochen wieder durch Casa Coronado müssen. Die werden grinsend auf mich warten am Black Lake dicht bei der Stadt und der Grenze.« Er hat nun alles gesagt und will sich mit seinem Begleiter erheben. Da spricht Clayton ruhig: »Mister, ich kenne zwar Ihren Namen noch nicht, aber ich verspreche Ihnen, dass ich tun werde, was ich kann, damit Sie diesmal keinen Zoll zahlen müssen in diesem Banditennest .« Die beiden Männer halten inne und starren ihn an. Da sagt er: »Mein Name ist Jake Clayton. Ich bin der Sheriff von Casa Coronado.« Er sieht den jüngeren Mann an, den er für einen Revolvermann hält, den sich der Wagenboss zum Schutze hält. »Freund«, sagt er und grinst schmal, »es wagt sich nun das Gesetz doch nach Casa Coronado. Es gibt immer einen Anfang.« Sie starren ihn staunend an. Dann murmelt der Wagenboss: »Mein Name ist Herb Nelson. Und dies ist Johnny Fisher. In Casa Coronado waren drei Schrotflinten auf ihn gerichtet. Ich wollte nicht, dass er nach seiner Waffe griff. Nun, Sheriff, wir werden ja sehen, was sein wird, wenn wir wieder durch Casa Coronado kommen. Und wenn Sie beerdigt sind, dann werde ich Ihr Grab besuchen.« Er erhebt sich und geht zur Tür. Sein Leibwächter aber verharrt noch und starrt Clayton an. »Oh, Mann«, murmelt er dann, »entweder sind Sie verrückt oder ein ganz Großer unserer Zunft. Doch Ihren Namen habe
ich noch nie gehört.« Nach diesen Worten geht auch er. *** Die dritte Pferdewechselstation gehört schon zu Casa Coronado. Es waren nochmal an die vierzig Meilen, die Clayton reiten musste. Als er auf dem letzten Hügel vor Casa Coronado verhält, da liegt die Stadt im Mond- und Sternenschein zu seinen Füßen. Das Licht der Gestirne lässt den See neben den Häusern und Hütten silbern leuchten. Clayton sieht eine Menge gelber Lichter. Vom Hügel aus wirkt alles so friedlich. Er reitet dann langsam im Schritt hinunter. Wenig später erreicht er die ersten Adobehütten, dann auch den Wagenhof mit dem Mietstall und der Schmiede. Er biegt in den Hof ein. Aus dem offenen Stall kommt ein Mann gehinkt und betrachtet ihn im Licht der Gestirne. Das gelbe Licht der Stalllaterne reicht nicht bis zu ihm. Der Stallmann blickt zu ihm auf und fragt: »Weit und lange geritten? Die Pferde brauchen jetzt was Gutes, nicht wahr? Soll ich mich ihrer annehmen oder wollen Sie einen Dollar sparen und es selbst tun?« »Hier ist der Dollar«, erwidert Clayton und wirft ihm das Geldstück zu. Der hinkende Stallmann ist mit den Händen blitzschnell, denn er fängt den Dollar wie eine Fliege trotz der schlechten Beleuchtung. Clayton sitzt ab und spricht: »Mein Gepäck hole ich später.« »Aah, wollen Sie länger in unserer fairen und noblen Stadt bleiben?« Der Stallmann hat bei seiner Frage einen Klang von Sarkasmus – also schneidenden Spott – in der Stimme. Clayton aber erwidert nichts, sondern macht sich auf den
Weg. Er ist durstig und hungrig. Er kommt am Holzplatz und der Schreinerei vorbei. Schräg gegenüber erkennt er eine Sattlerei. Dann erreicht er den Barbierladen mit der Badeanstalt. Und auf der anderen Straßenseite ist ein großer Store. Es ist wie überall in solchen Städten. Geschäfte und Wohnhäuser reihen sich aneinander. Es ist alles ganz normal. Dann erreicht er den ersten Saloon, der eine Mischung aus halb mexikanischem und halb angloamerikanischem Stil ist. Er tritt ein. Sein schneller Blick fliegt in die Runde. Er schätzt die Anzahl der Gäste auf etwa zwei Dutzend. Der Wirt hinter dem Schanktisch betrachtet ihn kritisch und fragt: »Bier, Tequila, Pulque – und was zum Beißen?« »Bier und ein Steak, mexikanisch mit Gemüse«, erwidert Clayton. Er sieht dem Wirt an, dass dieser mal Preiskämpfer war. Er erkennt es an den Narben im Gesicht des Mannes und besonders an dessen Blumenkohlohren. Solche Ohren bekommt man von harten Fäusten geschlagen, die auch das schönste Ohr zu Blumenkohl zerhämmern können, wenn die Deckung nicht stimmt. »Es sind genügend Plätze frei«, sagt der Wirt und grinst. »Und Sie bekommen das beste Steak auf hundert Meilen in der Runde…« Clayton nickt nur. Er nimmt das Bier mit zu einem Tisch und setzt sich. Als er das Glas erst halb geleert hat, kommt ein Mann zu ihm an den Tisch und setzt sich. Der Mann ist zur Hälfte mexikanischer Abstammung. Wahrscheinlich trägt er in einer Nackenscheide einige Wurfmesser. Clayton kann das erkennen, weil das Rüschenhemd des Mannes im Nacken nicht anliegt. »Fremd hier, nicht wahr?« So fragt der Bursche und lässt unter seinem schwarzen Schnurrbart scharf und herausfordernd weiße Zähne blinken.
Clayton aber sagt: »Hombre, ich habe dir nicht gesagt, dass du dich setzen sollst. Also hau wieder ab.« Der Mann staunt ungläubig. Dann blickt er in Claytons stahlblaue Augen und erkennt darin etwas. Es ergeht ihm etwa wie einem Mann, der zu spät erkannt hat, dass der Hund ein Wolf ist. Und alle im Raum, die das Geschehen beobachteten, auch alles hören konnten, begreifen nun, dass ein harter Mann nach Casa Coronado kam. Jemand lacht in der Ecke und spricht halblaut: »Ay, Snake, was nun?« Doch jener Snake erhebt sich wortlos und verschwindet aus dem Saloon. Clayton aber leert das Bierglas. Der Wirt bringt ihm ein zweites. Als er es vor Clayton auf den Tisch stellt und nach dem leeren Glas greift, da fragt Clayton ruhig: »Wer war das?« »Das war Snake«, grinst der Wirt. »Der macht sich an alle Fremden ran. Er hat noch einen anderen Namen, aber hier wird er nur Snake genannt. Sie haben ihn soeben gedemütigt. Das wird er nicht auf sich sitzen lassen. Der wirft Ihnen ein Messer in den Rücken.« Nachdem der Wirt das kalt und hart gesagt hat, kehrt er wieder hinter den Schanktisch zurück. Wenig später bringt er Clayton das Steak aus der Küche und fragt: »Wollen Sie diese Nacht bleiben? Meine Schwester betreibt eine kleine Pension. Es ist nur vier Häuser weiter.« Er zögert zwei lange Atemzüge lang, will sich schon zum Gehen wenden. Doch dann fragt er: »Wenn Sie wegen irgendwelcher Geschäfte hier sind, brauchen Sie dann Auskünfte? Denn Sie sind doch gewiss fremd in unserer Stadt.« »Nicht mehr lange, mein Freund«, erwidert Clayton lächelnd. »Casa Coronado wird mich bald gründlich kennen
lernen. Vielleicht entsteht dann eine innige Freundschaft zwischen mir und dieser Stadt.« Als er verstummt, werden die Augen des bulligen und schwergewichtigen Wirts ganz schmal, und er senkt den Kopf wie ein Toro, der einen Feind auf die Hörner nehmen will. Doch dann grinst er, sagt: »Nun gut.« und geht hinter den Schanktisch zurück, wo er Gläser zu spülen beginnt. Jake Clayton isst mit Appetit, und er spürt, dass er von allen Seiten beobachtet wird. Doch das ist für ihn sehr verständlich. In diesem Ort an der Grenze halten sich gewiss Männer auf, welche Schatten auf ihrer Fährte haben. Und so müssen sie entweder mit Kopfgeldjägern oder mit Rächern rechnen. Jeder Fremde, der hier auftaucht, könnte solch ein Verfolger sein. Als Clayton seine Abendmahlzeit beendet hat, legt er einen Dollar für seine Zeche auf den Tisch und erhebt sich. Er hat inzwischen festgestellt, dass die kleine Tür rechts neben dem Schanktisch zum Hof hinaus führt. Als er zu dieser Tür geht, sagt der Wirt: »Ja, dieser Snake wird in der Gasse lauern und denken, Sie kämen ahnungslos durch die Vordertür heraus. Gut, gut, Mister!« Er hat zuletzt ein grimmiges Lachen in der Kehle. Clayton hält inne und betrachtet den Wirt nochmals. Er wird nicht so recht schlau aus dem Mann und fragt sich in diesem Moment, ob der einstige Preiskämpfer zu den Guten oder Bösen in dieser Stadt gehört. Er fragt ihn: »Wie ist eigentlich Ihr Name? Meiner ist Clayton, Jake Clayton.« Der Wirt grinst mit seinen narbigen Lippen, die von harten Fäusten in vielen Kämpfen zerschlagen wurden. »Ich bin Jedson Bullock«, spricht er. »Und man nannte mich einst den Hammer vom Mississippi. Schon mal von mir
gehört? Ich war zwei Jahre lang zwischen New Orleans und Saint Louis ungeschlagen.« Er verstummt wie ein Mann, welcher stolz auf seine Vergangenheit ist. Clayton schüttelt den Kopf. »Nein, ich habe nie von Ihnen gehört«, spricht er. Dann öffnet er die Tür und tritt hinaus in den Hof, schiebt sich sofort an der Hauswand zur Seite. Er verharrt in der Dunkelheit. Hier im Hof brennt keine Laterne. Er macht sich auf den Weg in die schmale Gasse, die neben dem Saloon nach vorn zur Hauptstraße führt, und er bewegt sich leise wie ein Schatten, bis er jenen Snake erreicht, der in der Gassenmündung verharrt und wieder einmal um die Hausecke späht. Er fragt ihn ganz ruhig: »Wartest du auf mich, Snake?« Dieser reagiert wahrhaftig so blitzschnell wie eine Schlange, welche sich bedroht fühlt und mit ihren Giftzähnen zubeißen will. Snake duckt sich und wirbelt herum. Sein Messer – welches er auf Clayton werfen wollte, wäre dieser durch den Vordereingang herausgekommen – blinkt im Halbdunkel. Nun will er es Clayton aus der geduckten Haltung von unten herauf in den Bauch stoßen. Doch Clayton fasst zu wie nach einer zustoßenden Schlange. Und dann bricht er dem Messerhelden über seinem Knie den Arm wie einen Holzknüppel. Er ist jedoch noch nicht fertig mit jenem Snake. Erst als er dessen Gesicht zweimal gegen die Hauswand gestoßen hat, lässt er ihn fallen, steigt über ihn hinweg und wendet sich nach rechts, um seinen ersten Rundgang durch Casa Coronado zu beginnen. Ja, in ihm ist ein grimmiger und bitterer Zorn. Doch was hätte er tun können? Er besitzt noch kein Office mit einigen Gitterzellen. Er hätte Snake nicht einsperren können, sondern war gezwungen, ihn auf diese Art unschädlich zu machen. Sonst wäre dieser Kerl
hinter ihm hergeschlichen und hätte es bei der ersten günstigen Gelegenheit erneut versucht. Was für ein Empfang, was für eine Begrüßung!, so denkt er. Und er beginnt jetzt schon zu ahnen, dass er sich eines Tages gewiss fragen wird, warum er sich das angetan hat, hier den Stern zu tragen. Das nächste Haus ist eine Waffenhandlung und die Werkstatt eines Waffenschmieds oder Büchsenmachers. Drinnen im Laden brennt noch Licht. Durch das Auslagenfenster kann er eine junge Frau sehen, die in der Ecke an einem Tisch sitzt und im Licht einer Lampe offenbar eine Taschenuhr repariert. Und so nimmt er an, dass hier nicht nur Waffen verkauft und repariert werden, sondern auch Uhren. Und weil seine Nickeltaschenuhr schon seit einiger Zeit immer stärker nachgeht, entschließt er sich und tritt ein. Eine silbern bimmelnde Glocke klingt melodisch. Die junge Frau kommt von ihrem Arbeitstisch zu ihm an den Ladentisch. Ihr grünäugiger Blick ist prüfend, aber es ist nicht dieser Blick, der ihn staunen lässt. Denn er sieht eine wunderschöne Frau. Ja, sie ist schön auf eine rassige Art. Ihr schwarzes Haar glänzt im Lampenschein. Auf der Nase hat sie ein paar Sommersprossen, und das gefällt ihm. Ihr Mund ist geschwungen und ausdrucksvoll. Dieser Mund verrät viel über ihre Gefühle. Im Moment sind sie misstrauisch, prüfend, wachsam. Er lächelt sie an, und dieses Lächeln verändert sein Gesicht ganz und gar. Es wirkt nun jünger. Wer ihn so sieht nach dieser Veränderung seines Ausdrucks, der ahnt, dass dieser vorhin noch so hart wirkende Mann zwei Seiten hat – nämlich eine, welche hart und unerbittlich ist – und eine andere, die sanft und fröhlich sein kann, lebenslustig und aufgeschlossen. Sie spürt das auf der anderen Seite des Ladentisches, streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn und erwidert sein Lächeln, sodass auch ihr Gesicht sich verändert, weicher und noch
schöner wirkt. »Ich habe eine alte Uhr, welche immer mehr nachgeht«, murmelt er. Er sieht dabei in ihre grünen Augen und verspürt bis tief in seinen Kern hinein einen Zauber. Ja, es geht von ihr ein Zauber aus. Und so fragt er sich verwundert: He, was ist das? Ist sie ein Engel, der sich nach hier verirrt hat? »Dann zeigen Sie mir diese Uhr«, hört er sie sagen, und ihre Stimme verstärkt den Zauber noch mehr, der von ihr ausgeht. Er holt endlich die Nickeluhr aus der Westentasche und legt sie vor sie auf den Ladentisch. »Es ist eine alte, einfache Uhr«, murmelt er. »Aber sie gehörte meinem Vater. Deshalb sollte sie noch lange leben.« Sie nimmt die Uhr, klappt sie hinten auf und betrachtet das Werk. Dabei spricht sie ernst: »Ja, eine Uhr lebt. So ist es. Eine Uhr ist voller Leben. Und man muss sie pflegen wie ein Lebewesen. Diese hier ist verharzt und müsste gründlich überholt werden. Ich müsste sie total auseinander nehmen. Aber das kostet mehr als eine neue Uhr dieser Art. Es ist eine billige Uhr.« »Nicht für mich, Ma’am«, erwidert er. »Mein Name ist Clayton, Jake Clayton. Ich bin heute erst hier angekommen und werde eine Weile in dieser Stadt bleiben. Sie haben also Zeit für die Reparatur.« Sie blickt wieder fest in seine stahlblauen Augen und spürt die von ihm ständig ausgehende Kraft, die etwas Greifbares hat. Jedenfalls verspürt sie dieses Gefühl ganz plötzlich. Und so erwidert sie: »Ich bin Josie West. Ich führe hier den Laden und die Werkstatt meines Vater weiter und bin zugleich Uhrmacherin. Ich habe beide Geschäft vereint. Doch hier tragen oder besitzen die Menschen nur wenige Uhren. Bei Waffen ist das anders.« Er staunt. »Sie sind Waffenmeisterin?«
»Auch«, lächelt sie. »Ich wollte meinem Vater stets den Sohn ersetzen, den er leider nicht bekommen konnte. Und so erlernte ich beide Berufe. Aber warum eigentlich erzähle ich Ihnen das alles? Kommen Sie in drei Tagen Ihre Uhr abholen.« Sie verstummt spröde und irgendwie zornig über sich selbst. Er lacht leise und erwidert: »Was ist falsch daran? Ich würde gerne noch eine Menge mehr über Sie wissen. Doch das wird sich gewiss noch ergeben. Wir haben Zeit, uns besser kennen zu lernen. Denn ich bleibe lange in dieser Stadt.« Er greift an die Hutkrempe, verbeugt sich leicht und geht hinaus. Und als sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, da starrt sie noch eine Weile auf die Tür, so als könnte sie ihn dort noch sehen. Und sie flüstert leise: »He, Josie, was ist geschehen? Da ist nur ein neuer Mann nach Casa Coronado gekommen, mehr nicht. Und auch er wird einer dieser zweibeinigen Tiger sein.« Sie nimmt die Uhr und geht zu ihrem kleinen Werktisch in der Ecke zurück. *** Jake Clayton geht weiter. Im nächsten Haus ist eine Schneiderei für Ladys und Gentlemen. Im erleuchteten Schaufenster sind auch Hüte ausgestellt, auch ganz verrückt wirkende Damenhüte. Er grinst und geht weiter. Doch nun weiß er, dass es Frauen in Casa Coronado geben muss – auch solche des ältesten Gewerbes auf dieser Erde. Denn sonst gäbe es hier nicht so verrückt gemachte Hüte zu kaufen. Das nächste Haus ist jene Pension, die der Wirt ihm empfohlen hat. Auf der Veranda knarrt ein Schaukelstuhl. Aus einem der Fenster fällt Lichtschein. Er hält inne und erkennt im
knarrenden Schaukelstuhl eine unförmig wirkende Frau. Aber ihre Stimme klingt melodisch und warm, so als gehörte sie zu einer Schönheit. »Wollen Sie zu mir, Fremder? Ich bin Mrs Lisa Bullock.« »Wenn Sie für mich ein Zimmer frei haben, Ma’am«, erwidert er. »Ihr Bruder hat mich auf Ihre Pension aufmerksam gemacht.« Sie lacht leise. Es ist ein angenehmes Lachen. »Aah, Jedson schickt mir immer Gäste, weil er glaubt, dass ich sonst verhungern würde. Kommen Sie herein, Fremder. Sehen Sie sich das Zimmer an. Und über das Frühstück werden Sie sich nicht beklagen müssen.« Sie erhebt sich aus dem Schaukelstuhl, und nun sieht er, dass sie eine gewaltige Walküre ist, ein Riesenweib mit einem kleinen Kopf, der überhaupt nicht zu ihrem Körper passt. Und weil sich dieser Kopf nun im aus dem Fenster fallenden Lichtschein befindet, kann er erkennen, dass es ein wunderschöner Kopf ist, der genau zu ihrer Stimme passt. Aber ihr unförmiger Körper… Er spricht schnell. »Ich nehme das Zimmer unbesehen, Ma’am. Mein Name ist Clayton, Jake Clayton. Mein Gepäck ist noch bei meinen Pferden im Mietstall.« »Das lasse ich sofort von Pedro holen«, spricht sie. »Kommen Sie, wann Sie wollen. Ich muss Ihnen jedoch gewiss nicht sagen, dass dies hier eine böse Stadt ist, Mr Clayton?« »Nein, das müssen Sie nicht, Mrs Bullock.« Er hat ein grimmig klingendes Lachen in der Kehle. Dann geht er weiter. Und auch diese Frau starrt ihm nach, als er schon verschwunden ist und flüstert: »Oha, es ist wohl ein neuer Tiger gekommen. Aber Jedson hat ihn mir geschickt.« Indes geht Jake Clayton weiter, und er wundert sich über diese Stadt. Denn sie wirkt sehr ruhig und still. Es herrscht kaum Betrieb – auch nicht in den anderen Saloons, Bodegas und Cantinas.
Aus einer dieser Cantinas tönen Gitarrenklänge und klappern Kastagnetten. Er hält inne und blickt durch den offenen Eingang. Drinnen tanzt eine rassige Mexikanerin einen spanischen Tanz. Die Mehrzahl der Gäste ist mexikanischer Abstammung, zumeist sind es Maultiertreiber und Schafhirten. Und sie alle sind hingerissen von der Darbietung. Clayton geht weiter. Vor ihm öffnet sich die Plaza. Es ist ein schöner Platz mit alten Bäumen und einem Brunnen. Die Quelle, welche hier sprudelt und den Brunnen füllt, bekommt von irgendwoher Druck. Denn der Brunnen läuft über und füllt ein Bassin. Doch Clayton achtet nicht so sehr auf den Brunnen. Es ist ein ziemlich großes Bauwerk, welches sein ganzes Interesse auf sich zieht. Er weiß sofort, dass er die Casa Coronado sieht. Das Gebäude, welches die alten Spanier einst als Stützpunkt errichteten, ist wie ein Fort aus Steinen gebaut. Und später scharten sich die Hütten und Häuser um dieses Fort. Ja, es sieht trutzig aus. Und es hat Jahrhunderte überdauert. Er hält beim Brunnen inne und blickt hinüber. Aus der Einfahrt zum Innenhof fällt Lichtschein. Und auch die schießschartenartigen Fenster in den Mauern aus Bruchsteinen lassen gelbes Licht nach außen fallen. Vor der Einfahrt zum Innenhof aber steht ein Mann. Er trägt eine doppelläufige Schrotflinte in der Armbeuge und bewacht ganz offensichtlich den Zugang. Auf dem Rand des Brunnenbeckens hockt ein kleiner Mann und wäscht sich die Füße. Er lacht zu Clayton herüber, den er offensichtlich im Mond- und Sternenschein als Fremden einschätzt und ruft halblaut herüber: »Hoi, Mister, da staunen Sie wohl, nicht wahr? Die alten Dons haben für die Ewigkeit gebaut. Aber solche Mauern brauchten sie wohl auch, um nicht
von den Apachen massakriert zu werden. Denn die haben ja damals sogar den alten Francisco de Coronado aus dem Land und zurück nach Mexiko gejagt. Sie sind wohl neu hier, Mister?« Clayton setzt sich wieder in Bewegung und geht zum Brunnen, verharrt neben dem kleinen Mann, der seine nackten Füße immer noch im sprudelnden Wasser lässt. »Das ist gutes Heilwasser«, sagt der Kleine und grinst unter seinem großen Hut. »Viele Leute baden hier immer wieder ihre Füße. Und meine sind schon alt. In diesem Wasser muss Magnesium sein. Das löst die Krämpfe, wenn man zu starke Krampfadern hat. Aber Sie, Mister, sind ja noch jung. Sie kennen diese Probleme nicht, oder?« »Nein«, erwidert Clayton und setzt sich auf den Rand des Bassins, lässt seine Füße jedoch auf der trockenen Seite am Boden stehen. »Wer lebt denn in diesem Kastell?« Er fragt es höflich. Der kleine Mann lacht wieder. »Das ist die Burg von Duke James«, kichert er. »Und alle Lebewesen in Casa Coronado leben in seinem Schatten. Wenn er will, kann er alles hier in seinem Schatten verdorren lassen. Aber so ist es wohl überall auf unserer Erde. Es gibt Große, die ihre Schatten werfen – und Kleine, die in diesem Schatten leben. Ist es nicht so?« »Sie sind wohl ein Philosoph.« Clayton grinst und holt sein Rauchzeug hervor, um sich eine Zigarette zu drehen. Dann bietet er Tabaksbeutel und Blättchen seinem Nachbarn an und fragt: »Wollen Sie?« »O ja, auch ich gehöre zu den Süchtigen«, lacht der kleine Mann und bedient sich. Er besitzt eine unwahrscheinliche Fingerfertigkeit und dreht sich blitzschnell eine Zigarette. Eine Weile rauchen sie schweigend und betrachten sich im Licht der Gestirne. Es ist eine sehr helle Nacht, und dort, wo das Mondlicht
nicht hinfallen kann, da sind tiefe Schatten. Der kleine Mann ist schon alt. Clayton schätzt ihn auf mehr als sechzig Jahre. Er fragt nach einer Weile: »Ein Duke James lebt also in diesem Kastell?« Der kleine Mann lacht wieder leise und erwidert etwas kichernd: »Der große Gott lebt im Himmel. Wir hier in Casa Coronado haben auch einen Gott. Ja, und er wohnt dort in diesem Kastell und heißt James Hoker. Aber er freut sich stets, wenn man ihn Duke nennt. Und Duke, dies bedeutet Herzog, nicht wahr?« Clayton nickt. Er betrachtet den kleinen Mann und wird sich endgültig darüber klar, dass dieser kein primitiver und ungebildeter Mensch ist. Denn seine Ausdrucksweise verrät eine gewisse Bildung. Und so fragt er geradezu: »Warum leben Sie hier, Mister?« Und wieder lacht der Kleine unter seinem großen Hut. Er schwingt seine Füße aus dem Becken und wendet sich in die andere Richtung. Denn dort stehen seine alten Stiefel. Es sind Apachenstiefel. Er hat einige Mühe, seine nassen Füße in die Stiefel zu bekommen. Als er es geschafft hat, spricht er ernst: »Ach, ich sammle dort draußen im weiten Umkreis Leichen – Kakteenleichen, keine menschlichen. Hier sind vertrocknete Kakteen das einzige Brennmaterial. Sie brennen besser als trockener Büffelmist, den man im Norden auf der Hochprärie zum Feuermachen verwendet. Ich versorge alle Küchenöfen von Casa Coronado mit Kakteenleichen. Das ist mein Job. Davon leben ich und meine beiden Maultiere, die meinen Wagen ziehen. Ich bin Bac Wannagan. Und wer sind Sie, mein junger Freund?« »Jake Clayton ist mein Name. Erzählen Sie mir doch was über diesen Duke James Hoker. Dieser ist wohl ein harter Mann – oder?«
Bac Wannagan schweigt einige Atemzüge lang, so als zögerte er und müsste sich erst zu einer Antwort durchringen. Doch dann spricht er ernst: »Dieser Duke ist böse und gnadenlos. Und seine Männer sind von der Sorte, die auf der Flucht vor dem Gesetz ist. Sie fanden hier eine Zuflucht, weil es hier kein Gesetz gibt, nur die Macht von Duke James. He, Jake Clayton, was hat Sie hergeführt nach Casa Coronado? Sind auch Sie auf der Flucht? Doch wenn Sie bei James Hoker unterkriechen wollen, dann müssen Sie ohne Gewissensbisse töten können. Können Sie das? Sind Sie ein Revolvermann der bösen Sorte?« Clayton gibt ihm auf seine klare Frage keine Antwort, sondern denkt erst noch nach, befragt auch seinen Instinkt. Dann fragt er: »Was haben Sie vorher gemacht, Bac Wannagan – ich meine, bevor Sie trockene Kakteen zu sammeln begannen?« Bac Wannagan schweigt lange. Dann fragt er: »Kann ich mir aus Ihren Beutel noch mal eine Zigarette drehen?« Clayton holt wortlos den Tabaksbeutel hervor und reicht ihn Wannagan. Dieser nimmt sich Zeit. Erst als die Zigarette brennt und er einige Züge gemacht hat, spricht er: »Ich weiß nicht, Jake Clayton, warum ich Ihnen diese Frage beantworte. Aber ich möchte es tun. Ich war mal in Boston Professor für Geschichte. Aber das ist schon lange her. Ich habe es fast vergessen. Etwa dreißig Jahre ist das schon her. Ich hatte auch eine schöne Frau. O ja, sie war wunderschön. Leider betrog sie mich mit einem meiner Kollegen, den ich für meinen Freund hielt. Ich habe ihn dann erschossen, als er im Bett auf meiner Frau lag. Dann war ich ständig auf der Flucht, bis ich nach all den langen Jahren hier gelandet bin. Jetzt wissen Sie eine Menge von mir, mein junger Freund. Aber ich musste das wohl mal loswerden. Und nun sind Sie an der Reihe, Jake Clayton.« Dieser nickt langsam.
Dann entschließt er sich aus einem Instinkt heraus, einer inneren Stimme, die ihn dazu treibt. Und so spricht er ruhig: »Ich trage einen Stern in der Tasche. Ich wurde hergeschickt, um hier in Casa Coronado dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Es kamen zu viele Beschwerden zum Gouverneur.« Als er verstummt, da lacht Wannagan schallend. Dann keucht er vor sarkastischem Vergnügen: »Aber was ich damals tat, geschah in Boston, in einem ganz anderen Staat.« »Ich hätte an Ihrer Stelle den Liebhaber meiner Frau auch erschossen«, erwidert Jake Clayton. »Und was taten Sie mit Ihrer Frau?« »Nichts. Sie war zu schön, um getötet zu werden. Ja, sie war ein Kunstwerk der Schöpfung, welches ich nicht zerstören konnte. Denn ich war ja damals ein Schöngeist, hahaha!« Er krümmt sich vor Lachen. Dann aber wird er ernst und spricht: »Sheriff, Sie werden hier nicht lange leben. Mein Junge, Sie tun mir Leid. Warum tun Sie sich das an? Die Menschen werden es Ihnen nicht danken.« Er will sich erheben. Doch dann sieht er, dass der Wächter vor dem Eingang des Innenhofes herüber kommt, und bleibt neben Clayton auf dem Bassinrand sitzen. Der bullige Mann mit der Schrotflinte verhält vor ihnen und wippt auf den Stiefelsohlen. »He, du alter Zwerg«, sagt er und grinst, »erzählst du wieder Witze? Ich hörte euer Lachen. Also lass mich mitlachen. Was war das für ein Witz?« Wannagan und Clayton schweigen einige Atemzüge lang. Da richtet der Mann die Doppelmündung auf sie: »Los, ich will hören, worüber ihr gelacht habt. Oder ich putze euch vom Rande des Beckens. Also, verdammt, auch ich will mal lachen!«
Seine Stimme klingt wütend. Er ist denkbar schlecht gelaunt, weil er Wache halten muss. »Nur ruhig«, spricht Wannagan. Dann fragt er: »Kennst du die Geschichte von der Frau mit den drei Scheiteln, Fargo?« »Kenne ich nicht«, knurrt Fargo, denn so heißt der Mann. »Aber du wirst sie mir ja gleich erzählen. Und dann kenne ich sie. Also?« »Ach, die hatte soeben geheiratet«, beginnt Wannagan. »Und da sagt sie zu ihrem frisch angetrauten Mann: He, Mausebär, wenn ich meinen Scheitel links trage, dann habe ich Migräne, wenn ich den Scheitel rechts trage, dann habe ich meine Tage. Doch wenn ich den Scheitel in der Mitte trage, da bin ich scharf auf einen Mann. Hast du das kapiert, mein Mausebär? Und er antwortet: O ja, meine Honigmaus. Aber auch ich habe meine Eigenarten. Ich trinke vor dem Frühstück einen Whisky und vor dem Mittagessen zwei. Am Abend aber trinke ich eine ganze Flasche. Und dann sind mir deine drei Scheitel scheißegal. Hast du das auch verstanden, Honigmaus?« Als Wannagan verstummt, da krümmt sich der Wächter vor Lachen und geht zu seinem Platz vor der Casa zurück. »Dem muss ich immer wieder Witze erzählen«, knurrt Wannagan. »Manchmal fallen mir aber keine neuen mehr ein. Dieser Fargo ist ein verdammtes Arschloch. Der heißt eigentlich Jennison, aber er fuhr mal für die Fargo-Postlinie Kutschen. Deshalb nennen sie ihn alle so. Er hat dann mal mit Banditen gemeinsame Sache gemacht und wird nun steckbrieflich gesucht. Oh, der hat eine Menge auf dem Kerbholz.« Er erhebt sich nun und verharrt vor Clayton. »Viel Glück, Sheriff. War nett, Sie kennen gelernt zu haben. Ich bade hier stets nach dem Abendessen meine Beine. Vielleicht sieht man sich mal wieder.« Er geht mit kleinen Schritten davon.
Clayton aber bleibt noch eine Weile auf dem Beckenrand sitzen und starrt auf die Casa Coronado. Er verspürt ein ungutes Gefühl und weiß es zu deuten. Denn je länger er auf das steinerne Kastell blickt, desto stärker spürt er die Bedrohung, die von dort herüber weht wie ein Atem. Er erhebt sich endlich und geht zurück zu seinem Quartier. Als er auf die Veranda kommt, da sitzt die unförmige Frau immer noch im Schaukelstuhl. Die kleine Stadt ist inzwischen etwas lebhafter geworden. Es kamen einige Reiter herein, deren Pferde nun vor den Saloons und Cantinas stehen. Lisa Bullock spricht mit ihrer schönen und melodischen Stimme: »Ihre Sachen hat Pedro aufs Zimmer gebracht. Es ist oben die dritte Tür rechts. Haben Sie noch Wünsche?« »Nein, Ma’am«, erwidert er. »Ich habe keine Wünsche mehr.« Er tritt ein. Die Treppe ist schwach beleuchtet. Oben findet er sein Zimmer schnell. In einem Krug steht genügend Wasser neben dem Waschtisch. *** Als er am nächsten Morgen erwacht, da bleibt er erst einmal bewegungslos liegen und hält alles für einen Traum. Doch dann fällt ihm jene schöne Frau aus dem Waffen- und Uhrenladen wieder ein. Heiliger Rauch, denkt er, was ist sie für ein Wunder in dieser armseligen Stadt, die von einem Despoten beherrscht wird, gegen den ich wahrscheinlich allein stehe. Ihm fällt auch der alte Mann wieder ein, der sich im Brunnenbecken die Füße wusch. Ja, Clayton glaubt, dass Bac Wannagan tatsächlich einmal Professor in Boston war, an einer noblen Universität. Und so ist dies wieder einmal mehr ein Beweis für ihn, dass jeder
Mensch sein vorbestimmtes Schicksal hat, gegen das es kein Gegenankämpfen gibt. Er erhebt sich endlich, denn er muss ja etwas in Gang bringen. Er geht wenig später hinunter zum Frühstück. Die bei Tageslicht noch unförmiger und gewaltiger wirkende Lisa Bullock bringt ihm Kaffee, Eier mit Speck und frische Biskuits aus der Küche. Ihr schönes Gesicht wirkt freundlich. »Nun, Mr Clayton, wie gefällt Ihnen unsere Stadt?« So fragt sie sanft. Er lächelt von seinem Sitz aus zu ihr hoch. »Das kann ich erst sagen, wenn ich Duke James Hoker kennen gelernt habe«, erwidert er. »Wie ich da und dort hörte, ist er hier der große Bulle im Corral, und diese Stadt lebt in seinem Schatten.« »So ist es«, erwidert sie und geht bis zu der offenen Küchentür. Dort hält sie noch einmal inne und spricht von dort: »Ihre Pferde wurden scharf geritten. Ich weiß es von Pedro. Sind Sie auf der Flucht, Mr Clayton? Oder warum sonst wollten Sie so verdammt schnell hierher, einem Ort dicht an der Grenze? Halt, Mister! Ich frage nicht aus Neugierde, sondern will Ihnen klar machen, dass sich auch James Hoker diese Frage stellen wird. Der weiß längst, dass ein Fremder von Ihrer Sorte kam, der es verdammt eilig hatte, nach Casa Coronado zu kommen.« Nach diesen Worten geht sie in die Küche zurück. Dort hört er sie hantieren und mit Geschirr klappern. Dazu singt sie. Ihre Stimme klingt wie die einer ausgebildeten Sängerin. Und so fragt er sich, was diese Frau und deren Bruder hierher verschlagen hat. Aber er weiß, er wird dies alles noch erfahren, wenn er lange genug am Leben bleibt. Und so macht er sich nach dem Frühstück auf den Weg.
Eigentlich will er zuerst zum Mietstall, um dort nach seinen beiden Pferden zu sehen. Sein grauer Wallach musste neue Eisen haben. Also muss Clayton mit dem Schmied reden. Auf der einzigen richtigen Straße von Casa Coronado ist nicht viel Betrieb. Der Sattler sitzt neben dem Eingang seines Ladens und näht neue Steigbügelbänder an einen Sattel. Er blickt auf, als Clayton bei ihm verhält, und fragt: »Brauchen Sie etwas aus meinem Laden – einen Sattel, Chaps oder Satteltaschen? Bei mir bekommen Sie alles.« »Nein, ich brauche nichts«, erwidert Clayton. Dann fragt er: »Die Geschäfte hier gehen wohl nicht besonders gut – oder?« Der Sattler weicht seinem Blick aus und murmelt: »Ich kann mich nicht beklagen, Mister. Dies ist eine hübsche, kleine, freundliche Stadt. Und sie wird von Duke James beschützt. Was wollen wir mehr?« Die letzten Worte klingen bitter. »Dann seid ihr alle hier wohl so richtig glücklich.« Clayton grinst und geht weiter. Ja, er spürt nun ein Gefühl des Ärgers, fast schon Zorn. Als er nach einigen Dutzend Schritten das nächste Haus erreicht, wird dort ein großer Wagen mit Hausrat beladen. Ein Mann, eine Frau und zwei größere Kinder sind damit beschäftigt. Am Haus ist ein Schild befestigt, auf dem man lesen kann, dass hier ein Brunnenbauer wohnte, der auch Pumpen und Windräder verkaufte. Clayton hält inne und betrachtet das Haus. Es ist ein einfaches Haus, doch aus Bruchsteinen gemauert. Und es gibt eine Hofeinfahrt zu Nebengebäuden, also Lagerschuppen und einer Werkstatt. Der Mann – wahrscheinlich ist er der Brunnenbauer – kommt mit einer Kiste aus dem Haus und hebt sie auf den Wagen. Dann wendet er sich Clayton zu, hat einen fragenden
Ausdruck in den Augen. Und so fragt Clayton: »Ziehen Sie fort?« »Was bleibt mir übrig«, murmelt der Mann. »Ich kam mit meiner Familie her, weil ich darauf setzte, dass im weiten Umland Farmen oder zumindest Siedlerstätten entstehen würden, nachdem die Apachengefahr nicht mehr so schlimm ist. Ich wollte Wasseradern finden, Brunnen bauen, Windräder aufstellen. Auch kleine Pumpen in die Küchen wollte ich installieren. Aber das Umland hier hat keine Zukunft. Ja, ich verschwinde von hier.« Er will sich abwenden und ins Haus zurück gehen. Doch Clayton fragt: »Was ist mit dem Haus? Ist es schon verkauft?« Der Brunnenbauer staunt ihn an. »Verkauft?« So fragt er. »Hier darf niemand ohne die Erlaubnis von Mr Hoker etwas verkaufen oder kaufen. Nein, ich gebe einfach alles auf und geh mit meiner Familie fort.« Er will sich endgültig abwenden, doch Clayton fragt: »Und wenn Sie es verkaufen könnten, wie viel würden Sie dafür fordern?« Nun staunt der Mann ihn abermals an, diesmal noch stärker und ungläubiger. Dann aber erwidert er: »Es ist ein gutes Haus mit vier Räumen und oben einem Speicher. Ich habe es renoviert. Und im Hof sind Nebengebäude, ist auch ein Brunnen. In der Küche war eine Handpumpe, doch die habe ich abgebaut. Ich würde vierhundert Dollar fordern. Das wäre ein fairer Preis. Aber was ist hier in Casa Coronado schon fair?« Seine Stimme klingt zuletzt verbittert. Jake Clayton aber sagt: »Ich kaufe das Haus zu diesem Preis, wenn Sie die Handpumpe wieder installieren. Und Sie müssten zur County-Hauptstadt, um dort beim County Sheriff den Kaufpreis zu kassieren. Denn Sie bekommen hier von mir nur eine Zahlungsanweisung. Wollen Sie? Dann setzen wir da
drinnen den Kaufvertrag auf.« Der Brunnenbauer starrt ihn an, und man kann ihm ansehen, wie sehr sein Hirn nun arbeitet. Nach einer Weile sagt er: »Aha, ich verstehe. Das Gesetz will herkommen. Doch ich will immer noch weg von hier mit meiner Familie. Mister, wir sind im Geschäft. Mein Name ist Tom Perrit aus Alabama. Wir sind im Geschäft.« *** In der nächsten halben Stunde wird den Bürgern von Casa Coronado immer mehr klar, dass der Fremde, der bei Lisa Bullock wohnt, eine Menge in Gang bringt. Denn sie sehen ihn zum Schmied gehen und dann mit dem Schmied in der Werkstatt des Schreiners verschwinden. Alle drei Männer verschwinden zusammen im Haus des Brunnenbauers, der mit seiner Familie inzwischen abgefahren ist. Doch die Bürger von Casa Coronado hören nicht, was Jake Clayton drinnen den beiden Handwerkern erklärt. Sie hören ihn auch nicht fragen: »Wollen Sie die Aufträge annehmen und ausführen?« Der Schmied und der Schreiner sehen sich an. Der Schreiner schwitzt heftig und muss sich mit seinem roten Schnupftuch das Gesicht abwischen. Dann aber ist er es, welcher heftig nickt und zum Schmied sagt: »Nicht wahr, Mike, wir machen das – oder?« Und Mike Tonsend nickt ebenso heftig. »Wir brauchen diese Aufträge. Ja, wir machen das.« Er wendet sich an Clayton: »Sie wollen also im Hinterzimmer drei Gitterzellen? Und Al Parson soll für diese Zellen harte Holzpritschen fertigen, dazu noch Möbel und andere Schreinerarbeiten liefern?« »So ist es«, nickt Clayton. »Denn dies hier wird ein
Sheriff’s Office mit Gefängnis.« Abermals sehen sich die beiden Handwerker an. Dann betrachten sie Clayton nochmals kritisch. Aber sie sehen einen harten Mann und erkennen in seinen stahlblauen Augen etwas, was ihnen Hoffnung macht. »Wir fangen sofort an, Sheriff«, spricht der Schmied. Clayton nickt zufrieden. »Ich mache jetzt Einkäufe im Store«, spricht er und geht hinaus. Der Schmied und der Schreiner sehen sich eine Weile schweigend an. Denn spricht der Schreiner trotzig: »Mike, ich mache mir Sorgen. Aber ich will es dennoch wagen. Dieser Clayton ist ein Revolvermann mit einem Stern. Dem kann Hoker nichts verbieten, dem nicht. Und er wird es sich überlegen, einen Sheriff abschießen zu lassen. Denn dann käme bald ein neuer. Nein, Hoker wird es erst anders versuchen.« *** Indes ist Clayton unterwegs zum Store. Denn er braucht ja eine Menge, um sein Office einrichten zu können. Doch er kommt nicht weit. Als er an der Saloonveranda vorbei will, kommen zwei Männer die drei Stufen abwärts und nehmen ihn in die Mitte. Einer sagt hart: »Wir sollen Sie zu Hoker bringen. Also gehen wir!« Die drei letzten Worte sind ein unmissverständlicher Befehl. Clayton blickt nach rechts, dann nach links in die harten Gesichter der Kerle. Ja, sie sind hartgesotten und tragen ihre Revolver tief unter den Hüften. Er weiß, dass ihn zwei gefährliche Revolverschwinger eingekeilt haben. »Und wenn ich nicht zu diesem Hoker will?« Er fragt es mit einem amüsierten Klang in der Stimme, über den sich die
beiden Abgesandten von Hoker sichtlich ärgern. Einer von ihnen faucht: »Müssen wir dich erst klein machen wie einen störrischen Hammel? Hoker will dich sehen, basta! Also gehen wir!« Jake Clayton tritt einen halben Schritt zurück und spricht mit trügerischer Freundlichkeit: »Von Hoker habe ich schon gehört.« Dann aber reißt er die Arme hoch. Es geschieht blitzschnell. Gewiss macht er es nicht zum ersten Mal. Er knallt die beiden so selbstbewussten Handlanger eines mächtigen Mannes mit den Köpfen zusammen, als wären diese nichts anderes als Kürbisse. Es ist wie ein Explosion, so unerwartet und blitzschnell. Und weil sie nur benommen taumeln und noch nicht vor seinen Füßen zu Boden gehen, macht er es nochmals mit ihnen, diesmal mit noch mehr Kraft. Ihre Köpfe klingen hohl. Dann aber liegen sie zu seinen Füßen und bewegen sich nicht mehr. Die neugierigen Bürger der Stadt aber sahen zu. Und sie alle staunen ungläubig und können nicht begreifen, dass sich in Casa Coronado etwas verändert haben soll. Clayton steigt über sie hinweg und macht sich auf den Weg zur Casa Coronado, welches auf der anderen Seite der Plaza steht und mit seinen Mauern drohend wirkt. Die Bürger von Casa Coronado schauen fast andächtig, aber auch mitleidig. Und sie sehen den Fremden Schritt für Schritt über die Plaza gehen, geradewegs auf die Höhle des Löwen zu. Vor dem Eingang zum Innenhof steht wieder ein Wächter mit einer Schrotfinte. Es ist nicht jener, dem der einstige Professor Bac Wannagan stets Witze erzählen muss, so wie am Tag zuvor. Der Mann sieht Clayton grinsend entgegen und fragt, als Clayton vor ihm verhält: »Na, Bruder, was soll’s denn sein?«
»Geh mir aus dem Weg«, erwidert Clayton ruhig. »Ich will zu deinem Boss.« Der Mann lacht nur verächtlich und erwidert dann: »Der will jetzt nicht gestört werden. Der hat Besuch. Komm in zwei oder drei Stunden wieder. Jetzt ist keine Besuchszeit. Hau ab!« Clayton nickt gelassen und blickt auf den Lauf der Schrotflinte nieder, deren Mündungen auf seinen Leib gerichtet sind. »Na gut«, murmelt er, »dann komme ich später wieder. Was für einen Besuch hat er denn?« Der Wächter grinst wieder. »Das geht dich zwar nichts an«, kichert er dann mit einer Fistelstimme, »aber ich will es dir dennoch sagen. Es ist eine wunderschöne Señorita aus der Casa Paraiso jenseits der Grenze. Wer ihn jetzt stört, dem schießt er den Kopf weg. Was willst du überhaupt von ihm?« Da schlägt Clayton die linke Seite seiner Lederweste auf. Der Wächter kann nun den Messingstern sehen und reißt die Augen auf. »Heiliger Rauch«, stößt er dann hervor, »ist das ein richtiger Sheriffstern?« »Gewiss, mein Freund. Das Gesetz ist nach Casa Coronado gekommen. Und das möchte ich deinem Boss persönlich mitteilen. Also geh zur Seite.« Doch da schüttelt der Mann heftig den Kopf und murrt: »Das Gesetz von Casa Coronado ist Duke James Hoker. Dein Blechstern ist hier so viel wert wie Bullshit. Hau ab, du Witzbold!« Nun ist der Mann so richtig böse und will Clayton die Doppelmündung der Waffe gegen die Magenpartie stoßen, um seinen Worten Nachdruck zu verschaffen. Doch Clayton dreht sich zur Seite, sodass der Lauf mit seiner Doppelmündung ins Leere stößt. Zugleich hat Clayton seinen Revolver in der Faust und schlägt mit dem langen Lauf blitzschnell zu. Er fängt mit der freien Linken die Schrotflinte
auf, kippt den Doppellauf nach unten ab und lässt die beiden dicken Papppatronen herausfallen. Er stampft sie mit dem Absatz tief in den Staub, lässt die Schrotflinte fallen und steigt über den bewusstlos am Boden liegenden Wächter hinweg. Das alles wird von einigen Menschen, die den Platz da und dort bevölkern, beobachtet. Denn es gibt rings um diese Plaza einige Geschäfte. Auch sitzen einige Müßiggänger unter den schattigen Bäumen beim Brunnen. Und sie alle werden später von der Begebenheit erzählen, deren Augenzeugen sie waren. Denn mit dieser Begebenheit beginnt eine neue Zeit in Casa Coronado. Sie sehen den großen, blonden Texaner im Innenhof der Casa Coronado verschwinden. Es ist ein schöner Innenhof, ein Patio mit einer sprudelnden Quelle in der Mitte, die damals gewiss der Grund war, warum man an dieser Stelle das Bauwerk errichtete als Burg zum Schutz gegen die Apachen. In dem Innenhof stehen Bäume, blühen Blumen und ranken sich Weinreben an den Wänden empor. Unten gibt es einen Arkadenrundgang. Es ist still. Doch dann hört er das Klappern von Geschirr. Er setzt sich in Bewegung und kommt an der offenen Tür der Küche vorbei. Als er hineinblickt, sieht er den Koch – es ist ein Mexikaner – im Nebenraum verschwinden. Offenbar trägt er Speisen in diesen Raum. Er hört eine Stimme ziemlich böse sagen: »Du verdammter Pfannenschwenker hast uns heute wieder mal verdammt lange auf das Mittagessen warten lassen.« Clayton grinst, als er dies hört. Er weiß nun, warum sonst niemand hier im Innenhof zu sehen ist. Hokers Männer sind im Speiseraum versammelt. Sie alle verlassen sich auf den Wächter vor dem Eingang zum Innenhof. Und nur durch diesen Eingang kann man in die Casa Coronado gelangen. Clayton bewegt sich weiter, bis er unter den Arkaden zu
einer Steintreppe gelangt, die nach oben führt. Es gibt hier eine umlaufende Galerie, von der aus Türen ins Innere des oberen Stockwerks führen. Wieder bewegt er sich weiter, geht an einigen offenen Türen vorbei und verharrt dann an einer ebenfalls offenen Tür, aus der das Stöhnen und all die anderen unverkennbaren Laute und Geräusche eines sich liebenden Paares dringen. Es ist dann plötzlich still. Und die übertrieben süß und zärtlich klingende Stimme einer Frau fragt in die Stille: »War ich gut, Don James? Habe ich dir genug geben können, sodass du glücklich wurdest? Habe ich dich dem Himmel so nahe gebracht wie nur möglich?« Als die so süß und zärtlich klingende Stimme verstummt, da lacht eine Männerstimme dröhnend, so als käme das Lachen aus einem tiefen Keller. Und dann spricht die tiefe Stimme: »Ay, Conchita, du verstehst deine Kunst wahrhaftig. Doch das tut ihr alle aus der Casa Paraiso. Sonst wäret ihr nicht in dieser Puta Casa, verdammt! Es ist euer Job, verdammt! Du kannst gehen. Manuel wird dir deinen Wagen wieder anspannen. Verschwinde!« Es bleibt eine Weile still. Dann sagt die Stimme der Frau bitter: »Ich habe mir große Mühe gegeben. Warum belohnst du mich nicht? Auch ich verdiene Respekt. Selbst die Großen und Mächtigen des Altertums erwiesen den Hetären Respekt und machten manche zu ihren Beraterinnen. Wir Frauen aus der Casa Paraiso sind keine Huren der niedrigsten Stufe.« Die Stimme verstummt voller Bitterkeit. Der Mann aber lacht höhnend und spricht dann: »Was soll der Quatsch? Hau ab! Und morgen soll Rosita kommen.« Nach diesen zuletzt barschen Worten bleibt es abermals eine Weile still. Dann kommt die Frau heraus. Sie sieht Jake Clayton neben
der Tür an der Hauswand lehnen und hält einen Moment inne. Wortlos betrachten sie sich einige Atemzüge lang. Die Frau ist noch jung, aber dennoch kein Mädchen mehr. Doch sie ist eine Schönheit. Ihre Augen funkeln zornig. Sie will etwas sagen, doch Clayton schüttelt den Kopf. Da geht sie wortlos weiter. Ihre ganze Haltung drückt zornigen Stolz aus. Er tritt ein. Der Raum ist ein großes Schlafzimmer und nobel im spanischen Stil ausgestattet, zum Beispiel mit einem Baldachinbett. Ein Mann steht nackt vor dem großen Spiegel und betrachtet sich kritisch. Nun sieht er im Spiegel Clayton eintreten und wendet sich um. Er ist ein schwergewichtiger Mann, gut proportioniert und mit Muskeln bepackt. Sein gelbes Haar trägt er lang bis auf die Schultern. Es lässt an einen Löwen denken. Duke James Hoker verharrt bewegungslos vor ihm und starrt ihn an. Dass er nackt ist stört ihn nicht. Sie sehen sich lange wortlos an, und es ist wohl in ihnen ein Gefühl, welches sie vom ersten Augenblick an ahnen oder spüren lässt, dass sie füreinander bestimmt sind. Das ist manchmal so, wenn Männer sich begegnen. Sie können vom ersten Moment an Feinde oder Freunde werden. »Wer hat Sie denn reingelassen?« Hoker fragt es mit trügerischer Ruhe. Clayton lächelt mit trügerischer Freundlichkeit und erwidert: »Ihr Wächter mit dem Parker-Schrotgewehr. Er wollte zwar nicht, aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Jetzt hat er auf seinem dummen Kopf eine Beute, wird aber noch zu gebrauchen sein.« Hokers Augen unter den buschigen Brauen – diese sind schwarz und nicht gelb wie sein Kopfhaar – werden schmal. »Was wollen Sie?« Er fragt es grob und wirft dann einen
schnellen Blick zu seinem Waffengurt, der mit dem schweren Colt im Holster über einer Armlehne hängt. Doch Clayton spricht: »Ich komme ganz friedlich zu Ihnen, Hoker. Es ist ja so, dass sich auf unserer Erde immer wieder alles verändert und nichts so bleibt, wie es ist. Und so hat sich auch hier in Casa Coronado etwas verändert, ist anders geworden.« Er verstummt mit immer noch trügerischer Freundlichkeit im Klang seiner Stimme. Und dann öffnet er die linke Seite seiner Lederweste, sodass Hoker den Stern auf der Hemdtasche sehen kann. »Das ist es, Hoker«, spricht er. »In Casa Coronado gibt es nun das Gesetz, ich meine das richtige Gesetz, so wie es die Verfassung vorschreibt. Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Hokers Gesetz von nun an nicht mehr gilt. Haben Sie mich genau verstanden, Mr Hoker?« Dieser starrt auf den Stern. Dann verzieht sich sein Gesicht. »Oh, Mann, dann haben Sie aber einen einsamen Job angetreten. Oder brachten Sie ein ganzes Aufgebot mit? Ich weiß ja, dass der County Sheriff Adam McDonelly mich nicht mag, aber dass er so närrisch ist, es immer wieder zu versuchen. Sie sind nun der dritte Deputy, den er in den letzten sechs Monaten hergeschickt hat. O weia, das wird wieder etwas…« Er bricht ab und beginnt sich anzukleiden. Dann aber hält er inne und spricht ganz ruhig: »Mann, Sheriff, Sie kommen einfach hier ohne Respekt herein, bestaunen mich in meiner Nacktheit und haben wahrscheinlich zuvor dort draußen gelauscht wie ein Spanner. Wollten Sie mich auf diese Weise demütigen, mir dadurch klar machen, dass Sie mich nicht respektieren?« »Ihr Wächter hätte mich anmelden können. Er wollte nicht. Und im Übrigen haben Sie mich ja rufen lassen durch zwei Ihrer Schergen.«
Nach diesen Worten geht Clayton hinaus. Hoker ruft ihm nach: »He, wir sehen uns wieder! Ganz bestimmt!« *** Als Clayton wieder unten im Innenhof ist, steht dort der Wächter am Brunnen und kühlt sich die Beule am Kopf. Doch als er Clayton ansichtig wird, greift er fluchend nach dem Schrotgewehr, welches er neben sich an der Brunnenmauer lehnen hat. Doch als er beide Hähne abdrückt, passiert nichts. Clayton droht ihm mit dem erhobenen Zeigefinger und sagt freundlich: »Mein Gefängnis wird erst noch hergerichtet. Sobald die erste Zelle bezugsfertig ist, sperre ich dich ein, weil du mich erschießen wolltest.« Dann geht er hinaus. Auf der Plaza sind nun mehr Menschen als zuvor. Es muss sich in der Stadt etwas herum gesprochen haben. Man sah ihn den Wächter vor der Casa zusammenschlagen, in der Casa verschwinden und sieht ihn nun wieder unbeschädigt herauskommen. Und so breitet sich rings um die Plaza das große Staunen aus. Und immer noch weiß man nicht, dass er einen Stern unter der Weste trägt. Der Schmied und der Schreiner waren ja von ihm zu vorläufigem Schweigen verpflichtet worden. Doch lange wird er seinen Stern nicht mehr verbergen können. Er überquert die Plaza und geht die Straße hinauf. Als er den Laden der Waffenhandlung und Uhrmacherin erreicht, hält er inne und überlegt kurz. Dann tritt er ein. Josie West – er hat sich ihren Namen gut gemerkt – steht hinter dem Ladentisch und hantiert in einer Schublade.
Sie schenkt ihm ein ernstes Lächeln, und er glaubt, dass sie ihn schon durch das Schaufenster – es besteht aus vielen Sprossenscheiben – kommen sah. Und so hofft er, sie könnte sich sein Eintreten gewünscht haben. »Ich will Sie wegen der Uhr nicht bedrängen«, spricht er. »Doch sie fehlt mir irgendwie in der Westentasche. Konnten Sie den Fehler finden?« »Das war einfach«, erwidert sie. »Ich musste nur die Unruhe etwas schneller machen. Ich habe sie in der vergangenen Nacht noch vollständig auseinander genommen, gereinigt und geölt. Jetzt geht sie wieder. Ich habe mehr als sechs Stunden daran zu tun gehabt. Das kostet zehn Dollar, Mister.« »Clayton, Jake Clayton«, sagt er. »Sie haben meinen Namen doch nicht vergessen?« Nun sieht er wieder ihr ernstes Lächeln. Es ist ein gutes, ruhiges und zugleich auch nachsichtig wirkendes Lächeln. »Nein, ich habe Ihren Namen nicht vergessen«, spricht sie. Nach diesen Worten wendet sie sich ab, um die Uhr vom Werktisch zu holen. Er erfreut sich an ihren leichten Bewegungen. Was für eine Frau!, denkt er. Ob sie noch zu haben ist? Er legt die zehn Dollar auf den Tisch, steckt die Uhr in die Westentasche und befestigt das andere Ende der Uhrkette am Knopfloch. Dabei öffnet sich – eigentlich ungewollt von ihm – die andere Hälfte der Weste. Josie West kann für einen Moment den Messingstern auf seiner Hemdtasche sehen. Ihre grünen Augen weiten sich sekundenlang und werden dann wieder schmal. »Sie sind also ein Sheriff«, stellt sie ruhig fest. »Aber Sie verstecken den Stern noch. Vielleicht ist das klug. Sie haben das Haus des Brunnenbauers gekauft. Der Schmied und der Schreiner arbeiten jetzt schon dort drinnen. Und die Stadt rätselt und fragt sich, was das alles zu bedeuten hat.«
»Sie wird es bald wissen.« Er lächelt, und dieses Lächeln verändert abermals sein ganzes Gesicht. Sie mag dieses Lächeln, welches er ihr gestern schon zeigte, denn es zeigt ihr abermals, dass er zwei Seiten hat. Und diese Seite jetzt, die mag sie. Aus einem Impuls heraus spricht sie: »Gewiss wollen Sie jetzt zum Mittagessen ins Hotel-Restaurant gehen. Oder irre ich mich da?« »Nein, Miss West«, erwidert er. Und da spricht sie: »Wenn Sie wollen und mir einige Kochkünste zutrauen, dann würde ich Sie gerne zum Mittagessen einladen. Ich habe es schon vorbereitet, sodass Sie nicht lange warten müssen. Wollen Sie?« Er staunt und begreift, dass sie eine Frau ist, die sich nicht ziert und auf ihr Ziel losgeht. Und jetzt ist es ihr Ziel, ihn besser kennen zu lernen. Das gefällt ihm. Und so erwidert er: »Das habe ich mir gewünscht, ich meine, Sie besser kennen lernen zu können. Aber das spüren Sie wohl bei fast allen Männern.« Sie nickt. Ihre grünen Augen betrachten ihn fest. Und er spürt auch, wie ihr Instinkt an ihm tastet und in ihn einzudringen versucht. Und plötzlich weiß er, dass sie eine erfahrene Frau ist, so jung sie auch wirken mag. Ja, sie kennt das Leben und die Menschen. Er ist nun sicher. Sie kommt um den Ladentisch herum und schließt die Ladentür. »Um diese Zeit sind hier alle Läden zu«, spricht sie. Er folgt ihr vom Ladenraum durch die Waffenwerkstatt in den Wohnbereich des Hauses bis in die Küche. Es gibt hier einen Esstisch in der Ecke, und so setzt er sich dort und kann sie beobachten, wie sie am Herd und Küchentisch hantiert. Ihre Bewegungen erfreuen ihn. Alles an ihr findet er bewundernswert. Er will ein Gespräch in Gang bringen, indes sie am Herd
und am Küchentisch hantiert und er sich an ihrem Anblick und ihren Bewegungen erfreut. Und so fragt er: »Sie sagten gestern, dass Sie Ihrem Vater den Sohn ersetzen mussten oder wollten. Was geschah mit Ihrem Vater? Denn offenbar gibt es ihn nicht mehr, oder irre ich mich?« Sie wendet sich ihm zu. »Mein Vater wurde von einem Revolverschwinger erschossen, als er von einer Bürgerschaftsversammlung heimging. Er hatte dort eine Rede gehalten, und anschließend hatte man ihn zum Bürgermeister gewählt. Und zuvor hatte er sich geweigert, an diesen Hoker und dessen Bande Schutzgeld zu zahlen. Ja, sie haben ihn abgeschossen, weil er einen Widerstand organisieren wollte. Und auch zwei Sheriffs wurden in den vergangenen sechs Monaten abgeschossen. Sie könnten der dritte Sheriff sein, der hier dran glauben muss.« Nach diesen ernsten Worten wendet sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Er schweigt und denkt nach. Und er weiß auch nun einigermaßen sicher, warum er hier bei ihr zu Gast sein darf. Und so verspürt er eine gewisse Enttäuschung. Sie wendet sich ihm plötzlich nochmals zu und spricht hart: »Jake Clayton, wenn Sie hier überleben wollen, dann müssen Sie James Hoker töten, ihm zuvorkommen, bevor er Sie töten lässt. Das wäre Ihre einzige Chance.« »Ich weiß«, erwidert er. »Doch ich muss nach Recht und Gesetz handeln. Ich kann nicht einfach hingehen und ihn erschießen. Das hätte ich vorhin schon gekonnt.« Sie schüttelt den schönen Kopf und streicht sich mit dem Unterarm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das ist es immer wieder«, spricht sie. »Die Bösen halten sich nicht an Recht und Gesetz. Die handeln nach anderen Regeln. Deshalb wurde mein Vater und wurden die beiden Vorgänger von Ihnen umgebracht. Jake, Sie tun mir Leid. Denn
jede Mahlzeit kann von nun an Ihre Henkersmahlzeit sein.« Sie beendet ihre Arbeit und bringt zuerst den Kaffeetopf auf den Tisch. Dann holt sie den Hammelbraten und fischt die Klöße aus dem Topf. »Es langt für uns beide.« Sie lächelt ernst. »Denn ich koche sonst immer für zwei Tage. Hoffentlich schmeckt es Ihnen. Dieses Essen kochte auch meine Mutter immer, und die kam aus Germany herüber.« Sie setzt sich zu ihm. Er spricht nach einigen Bissen: »Es schmeckt wunderbar. Wenn Sie dieses Essen Ihrem späteren Mann kochen, dann wird er dem Himmel dankbar sein, außer einer schönen Frau auch eine gute Köchin bekommen zu haben, ganz zu schweigen von Ihren beruflichen Vorzügen. Josie, Sie sind für mich ein Wunder. Ich glaube, dass ich Sie nicht mehr aus meinen Gedanken bekommen könnte, selbst wenn ich das wollte. Hätte ich eine Chance, wenn ich mich um Sie bemühe? Oder…« Er bricht ab, weil sie nun heftig den Kopf schüttelt. Dann spricht sie spröde und hart: »Jake Clayton, Sie haben keine Chance gegen Hoker und dessen Bande. Da kommt es nicht mehr auf eine Chance bei mir an. Denn wenn Sie ihn nicht töten, lässt er Sie umbringen. Und deshalb hätte ich Sie gern an jedem Mittag, den Sie noch erleben, bei mir zum Essen.« Nun wird er doch etwas zornig und murmelt zwischen zwei Bissen: »Josie, nur kein Mitleid – nur nicht. Denn es könnte sein, dass ich nicht so leicht umzubringen bin wie Ihr Vater und die beiden Sheriffs.« Sie hält inne, lässt die schon halb erhobene Gabel wieder sinken und betrachtet ihn ernst. Nach einer Weile nickt sie und spricht sanft: »Ja, ich spüre, Sie haben zwei Seiten, und die eine kann gnadenlos sein. Dann sind Sie wie ein Tiger auf der Jagd. Doch Sie haben auch noch eine andere Seite – und die
wird Ihnen zu schaffen machen, was Ihr Gewissen angeht. Sie könnten zerbrechen.« Er schüttelt leicht den Kopf, und sie kann erkennen, wie er tief in sich hinein lauscht. Dann sieht er sie wieder an: »Dann wäre ich schon im Krieg zerbrochen«, murmelt er fast tonlos. »Ich habe diesen Job nun mal angenommen und bringe ihn auch zu einem Ende.« *** Als er aus Josie Wests Laden tritt, ist es früher Nachmittag. Die Stadt ist immer noch still. Die Hitze flimmert über der staubigen Hauptstrasse. Sogar die Hunde suchten Schatten. Vor dem Store steht ein Wagen, welcher irgendwelche Vorräte für die Aurora Mine holt. Er kann das am Wagenkasten lesen. Er erinnert sich wieder daran, dass er ja zum Store wollte, als ihm Hokers Männer in den Weg traten, um ihn zu Hoker zu bringen. Und so tritt er jetzt in den Store ein. Der Mann, welcher mit dem Minenwagen kam, hockt dort neben dem Gurken-Fass auf einem Sack Bohnen und ist dabei, eine saure Gurke zu verspeisen. Der Storehalter lehnt über dem Ladentisch und sagt soeben: »Dass du diese sauren Gurken kiloweise essen kannst, Pisulsky! Fressen alle Polen so viele saure Gurken in dem Land, wo du geboren bist?« »Was weiß ich.« Der Mann auf dem Bohnensack grinst und holt sich mit der Holzzange noch eine Gurke aus dem Fass. Der Storehalter richtet nun den Blick fragend auf Clayton. Der tritt zu ihm und legt ihm ein beschriebenes Blatt Papier hin. »Das ist die Liste der Dinge, die ich schnellstens haben möchte«, sagt er. »Lassen Sie alles in das Haus des
Brunnenbauers schaffen.« Nach diesen Worten will er wieder gehen. Doch der Storehalter fragt: »Und wann zahlen Sie, Mister?« »Ich nicht, sondern die County-Verwaltung. Ich unterschreibe nur die Zahlungsanweisungen.« Er öffnet bei seinen Worten wieder die linke Westenseite und lässt die Männer den Stern sehen. Und erklärend fügt er hinzu: »Aus dem Haus des Brunnenbauers wird nun das Sheriff’s Office des Casa-Coronado-Distrikts.« Nach diesen Worten geht er hinaus, und er weiß, dass sich die Nachricht nun blitzschnell in der Stadt verbreiten wird. Er kommt wenig später an der Pension von Lisa Bullock vorbei. Die unförmige Frau sitzt wieder in ihrem Schaukelstuhl auf der Veranda und hält einen Fächer in der Hand. Er nickt ihr zu. Da spricht sie zu ihm herüber: »Sie machen verdammt lange Schritte in dieser Stadt. Viel Glück.« Er winkt nur dankend ab und geht weiter zum Mietstall, wo sich ja auch die Schmiede und der Wagenhof befinden. Abermals spürt er, wie ihm die Blicke folgen. Vor Jedson Bullocks Saloon stehen einige Sattelpferde. Auf der Veranda sitzen deren Reiter. Bullock bringt soeben gefüllte Biergläser heraus. Als er Clayton sieht, hält er inne und ruft von der Veranda zu ihm herunter: »Sind Sie gut bei meiner Schwester untergekommen?« »Sehr«, erwidert er. »Ihre Schwester ist eine sehr verständnisvolle Frau.« Wenig später biegt er in die Einfahrt zum Mietstall ein. Aus der halb offenen Schmiede klingen Hammerschläge. Der Stallmann kommt aus dem Vorraum des Stalles und sagt: »Ihre beiden Pferde habe ich wieder wie neu gemacht. Ich möchte jetzt einen Dollar kassieren. Die Pferde stehen im Corral hinter dem Stall. Denen gefällt die frische Luft im Schatten gewiss besser.« »Ich sehe sie mir an«, erwidert Clayton. »Und mein Wallach
muss neue Eisen bekommen. Bringen Sie ihn zum Schmied, wenn dieser Zeit zum Beschlagen hat. Hier!« Er wirft dem Stallmann den Dollar zu. Dann geht er um den Stall herum, will nach den beiden Pferden sehen. Doch da wird er von hinten angerufen von einem Mann, der ihm vom Saloon aus gefolgt ist. »He, warten Sie!« So ruft die Stimme. Er hält inne und blickt über die Schulter zurück. Als er den Mann sieht, weiß er auch schon, was nun kommen wird. Nicht nur sein Instinkt sagt es ihm, sondern auch seine ganze Erfahrung. Duke James Hoker hat nicht lange gewartet. Denn dieser Revolvermann kommt von ihm. Und es handelt sich um einen Revolvermann, nicht um einen dieser großspurigen Revolverschwinger, die sich von wirklichen Revolvermännern unterscheiden wie Coyoten von Wölfen. Der Mann sieht nicht besonders beachtlich aus. Sein Anblick lässt an einen farblosen Wüstenwolf aus der Gila-Wüste denken. Der Mann ist nur mittelgroß, hager und sehnig. Doch seine Handgelenke sind breit. Die Hände aber wirken geschmeidig. Und unter der heruntergezogenen Krempe seines Hutes brennen zwei helle Augen. Jake Clayton weiß sofort Bescheid. Und der Mann spricht: »Mein Name ist Donahue, Cole Donahue. Vielleicht haben Sie mal was über mich gehört?« »Habe ich nicht«, erwidert Clayton. »Aber ich denke, dass Hoker Sie geschickt hat, um herauszufinden, wie er mich einzuordnen hat in unserer Kaste.« »Richtig.« Donahue nickt und setzt seine Füße im Staub etwas weiter auseinander, um festen Stand zu bekommen. Seine Linke hängt nun hinter dem hellen Beingriff seines Revolvers.
Es ist alles eindeutig und klar. Jake Clayton wartet. Ja, auch er ist bereit, und er weiß, dass dies jetzt keine leichte Sache für ihn werden wird. Er hat einen Großen vor sich, keinen feigen, hinterhältigen Killer. Sie verharren einige Atemzüge lang schweigend. Dann spricht Donahue: »Sie haben heute am späten Vormittag zwei meiner Freunde zusammengeschlagen. Nun müssen Sie mir deshalb Genugtuung geben. Wenn der verdammte Hahn wieder kräht, dann müssen Sie ziehen. Einverstanden?« Clayton nickt nur. Dann kräht in einem der Höfe hinter den Häusern auch schon der Hahn. Sie zaubern ihre Waffen heraus. Ja, es ist Zauberei. Ihre Schüsse krachen fast zur gleichen Zeit, so als wären sie ein einziger Schuss. Doch um einen winzigen Sekundenbruchteil schießt Clayton früher. Er spürt die Kugel von Donahue wie einen Peitschenhieb über einer linken Rippe. Donahue taumelt, ist schwer getroffen. Aber er will den Revolver noch einmal heben. Doch dieser ist zu schwer für ihn geworden. Und so schießt er nur vor sich in den Staub, fällt auf die Knie und schießt abermals in den Staub. Dann fällt er nach vorn aufs Gesicht. Clayton sieht auf die Männer, die nun neben der Stallecke auftauchten. Es sind der Stallmann, der Schmied – und jener ehemalige Professor Bac Wannagan, mit dem Clayton in der vergangenen Nacht beim Brunnen saß und redete. Sie treten an Donahues leblosen Körper heran. Der Schmied dreht ihn auf den Rücken. Doch der Revolvermann ist tot. Wannagan sieht zu Clayton auf, der ebenfalls näher tritt. Und er sagt: »Sheriff, jetzt wissen alle Bescheid – alle! Und niemand wird es von nun an von vorn gegen Sie versuchen. Jetzt wird es höllisch, mein Junge.«
Der Stallmann und der Schmied nicken. Wannagan fragt plötzlich: »Wie wäre es, Sheriff, wenn Sie mir den Befehl gäben, den toten Donahue zu Hoker zu bringen? Ich habe meinen Wagen noch angespannt und alle Kakteenleichen verkauft. Soll ich?« Clayton blickt in die Augen des Alten und erkennt darin eine wilde Freude. Und so nickt er. Doch er spürt nun die Schmerzen der Streifwunde und fühlt das warme Blut an seiner Seite hinablaufen. *** Er muss die Wunde versorgen, bevor man ihm ansehen kann, dass er angeschossen wurde. Doch wohin kann er gehen? Eigentlich hat er nur eine einzige Möglichkeit. Er muss in die kleine Pension von Lisa Bullock auf sein Zimmer. Dort befindet sich sein ganzes Gepäck, und in einer seiner beiden Satteltaschen ist etwas Verbandszeug. Und so macht er sich auf den Weg. Die drei Männer, die bei dem toten Donahue stehen, sehen ihm nach. Dann spricht der Schmied fast ehrfürchtig: »Er hat den legendären Donahue geschlagen, den ganz großen Revolvermann. Wir haben es gesehen. Er hat ihn geschlagen. He, ein zweibeiniger Tiger mit einem Stern kam in unsere armselige Stadt.« »Aber er ist allein, verdammt einsam und allein«, murmelt Bac Wannagan mit einem Klang von Bedauern und Trauer in der Stimme. Dann fügt er hinzu: »Jetzt geht es erst richtig los. Jetzt ist er gewissermaßen vogelfrei für alle, die sich eine Abschussprämie verdienen wollen. Denn Hoker lässt sich nichts wegnehmen. Und diese Stadt wurde schon oft von ihm zurechtgestutzt und gedemütigt. Sie wurde feige. Jeder hier
zahlt Schutzgelder, sogar ich, damit ich in Casa Coronado die Kakteenleichen verkaufen kann.« Er setzt sich in Bewegung und sagt über die Schulter zurück: »Ich hole meinen Wagen und schaffe Donahue zu Hoker. Dieser müsste das alles als letzte Warnung begreifen. Doch das wird er gewiss nicht tun.« *** Lisa Bullock sitzt wie immer auf der Veranda im Schaukelstuhl, als Clayton kommt. Er hält sich die Hand gegen die Seite gedrückt, versucht so die Blutung zu stoppen und auch den Schmerz zu lindern. Aber die unförmige Frau weiß sofort Bescheid. »Ich habe es schon gehört«, spricht sie mit ihrer angenehmen Stimme. »Es gab vor wenigen Minuten einen Revolverkampf im Mietstallhof. Diese Stadt sah ja, dass Donahue Ihnen folgte, mein Freund, als Sie am Saloon vorbeigingen. Ist er tot?« Clayton verhält nun neben ihr auf der Veranda, blickt die Straße hinauf und hinunter. Und er sieht überall die Bürger von Casa Coronado vor den Geschäften und Häusern stehen, zumeist in kleinen Gruppen. Als er soeben am Saloon vorbeiging, da spürte er eine Strömung, die von den dort versammelten Reitern ausging, deren Pferde vor der Veranda stehen. Er sieht auf Lisa Bullock nieder, die den Schaukelstuhl nur leicht bewegt und zu ihm aufsieht. »Donahue hat Sie verwundet«, stellt sie fest. »Ich werde Ihnen helfen. Und ich verstehe mich auf Wunden und Knochenbrüche jeder Art. Denn als mein Bruder noch der berühmte Preiskämpfer am Mississippi war, da fügten ihm seine Gegner böse und schreckliche Wunden zu.« Sie stemmt sich aus dem Schaukelstuhl hoch und geht
voran. Er folgt ihr. »Legen Sie sich in Ihrem Zimmer aufs Bett«, spricht sie mit einem warmen Klang in der Stimme. »Ich hole meinen Verbandskasten. Wenn Sie können, dann machen Sie den Oberkörper frei. Es ist eine Wunde über einer Rippe, nicht wahr? Wenn ich mit Nadel und Zwirn nähen muss, dann werden wir sehen, wie hart Sie sind.« Er gehorcht wortlos, geht zu seinem Zimmer hinauf und hat dann Mühe damit, sein Hemd auszuziehen. Denn es klebt mit dem Blut zu sehr. Doch er schafft es schließlich und legt sich aufs Bett. Seine Gedanken jagen sich. Was wird geschehen? Gewiss, seine Wunde ist nur ein tiefer Riss. Die Kugel glitt an einer der Rippen ab. Es ist keine lebensgefährliche Wunde. Doch sie ist schmerzhaft. Er kann nur flach atmen. Sie wird ihn beim nächsten Kampf behindern, und er weiß, dass er noch viele Kämpfe vor sich hat, die er bestehen und überleben muss. Lisa Bullock kommt herein, tritt zu ihm ans Bett und betrachtet die Wunde. Sie hat auch eine Flasche Tequila mitgebracht und trinkt nun einen gewaltigen Schluck. »Wollen Sie auch?« »Nein«, erwidert Clayton. »Ich mag keinen Tequila. Der ist für mich nichts anderes als Pumaspucke.« Sie lächelt breit und zeigt zwei gut erhaltene weiße Zahnreihen, die zu ihrem schönen Gesicht passen. »Na, dann wollen wir mal«, sagt sie. Sie gießt eine Menge von dem Schnaps auf die Wunde, die so aussieht wie von einem Säbelhieb. Es brennt sofort fürchterlich. Doch Clayton stöhnt nicht einmal, zuckt nur ein wenig. »Aah, Sie sind einer der Indianer, die keinen Schmerz kennen«, murmelt sie und macht sich an die Arbeit. »Es gibt keine blonden Indianer«, knirscht er. »Haben Sie
schon mal einen blonden Indianer gesehen, Ma’am?« »Nennen Sie mich einfach Lisa«, spricht sie. »Wir kommen uns in dieser Stunde ziemlich nahe, nicht wahr? Und Ihr Name ist Jake. Das kommt gewiss von Jakob. Jakob ist ein guter Name, denke ich, besser als Jake.« Sie beginnt nun zu nähen, und sie tut es wahrhaftig mit Nadel und Zwirn. *** Indes dies alles in Lisa Bullocks Pension passiert, fährt Bac Wannagan seinen Wagen, mit dessen Hilfe er jeden Tag trockene Kakteen als Brennmaterial für die Küchenöfen von ganz Casa Coronado herbeischafft, vor das Gebäude, dem die kleine Stadt ihren Namen verdankt. Wie immer wird der Eingang zum Innenhof von einem Wächter mit der Schrotflinte bewacht, der den alten Mann grinsend fragt: »Bringst du schon wieder eine Fuhre vertrockneter Leichen?« Doch Bac Wannagan grinst nur wortlos und fährt hinein in den Innenhof. Hier hocken einige hartbeinig wirkende Burschen unter den Arkaden und spielen Poker. Einer ruft zu Wannagan herüber: »Lade bei der Küche ab wie immer! Aber dann hat der Koch für eine Woche genug!« Doch Wannagan schüttelt der Kopf. »Ich habe heute eine andere Ladung, und sie ist für euren Boss bestimmt. Der neue Sheriff von Casa Coronado lässt grüßen. Kommt her und holt den großen Donahue heraus. Für mich allein ist er zu schwer.« Sie alle unter den Arkaden halten inne beim Pokerspiel. Dann erheben sie sich und kommen zum Wagen. Nun können sie den toten Donahue sehen. Und sie wollen es nicht glauben. Sie sehen auch das Einschussloch genau dort,
wo in Donahues Brust das Herz schlug. Einer fragt heiser: »Und es war ein fairer Kampf, ein richtiges Duell wie unter Coltrittern?« Bac Wannagan nickt. »Sie warteten beide, bis der Hahn im Hof von Witwe Hackman krähte. Ja, es war ein fairer Kampf. Donahue war nicht schnell genug. Jungs, es kam ein zweibeiniger Tiger mit einem Stern in eure Stadt, die ihr so gern für euch allein hättet. Und vielleicht wird er auch von euch den einen oder anderen mit Blei füllen.« Bac Wannagan verstummt zufrieden. Ja, man sieht ihm an, dass in ihm eine wilde Freude wie ein Feuer brennt. Dann blickt er von seinem Fahrersitz dorthin, wo sich nun James Hoker zeigt. Hoker tritt aus der großen Wohnhalle und unter den Arkaden hervor ins Freie. Gewiss hat er drinnen jedes Wort gehört. Er kommt bis zum Wagen und blickt auf Donahue. Dann sieht er zu Wannagan hoch und fragt: »Und der neue Sheriff schickt ihn mir?« »So ist es.« Wannagan grinst. »Und ich konnte mich dem Sheriff wohl nicht widersetzen. Das konnte nicht mal der große Donahue.« Hokers Gesicht verzerrt sich. Aber sonst hält er seinen Zorn unter Kontrolle. Nein, er flucht und tobt nicht. Aber man sieht ihm an, wie sehr er sich seiner Niederlage bewusst ist. Er sieht die beim Wagen versammelten Männer an. Es sind sieben. Aber das sind nicht alle. Auf seiner Lohnliste sind mehr als ein Dutzend. Und einige Bürger dieser Stadt tragen ihm immer wieder zu, was er sonst nicht erfahren würde. Er kennt stets die Stimmungen der Bürger, weiß fast von jedem, was er denkt und redet. Er hat dieser Stadt sein System aufgezwungen. Damals wollte der Vater von Josie West diesem System
Widerstand leisten und sich zum Anführer der Redlichen machen. Und so wie Hardin West würde es jedem Rebellen gegen Hoker ergehen. Ja, es ist ein einfaches, brutales und gnadenloses System. »Jungs«, spricht er fast gönnerhaft zu den Männern, »ihr habt bis jetzt recht gut bei mir in meiner Stadt gelebt. Alles war so einfach und fast ohne jedes Risiko für euch. Doch jetzt…« Er unterbricht sich, als würde er sich endlich bewusst, dass Wannagan ein Fremdkörper hier ist und jedes Wort ebenso hört wie die anderen Männer. Und so spricht er zu Wannagan hoch: »Hier ist nicht der Friedhof, Kakteensammler. Tote gehören dem Totengräber. Schaff ihn weg!« Die letzten drei Worte spricht er mit klirrender Stimme, die nun endlich seine wilde Wut verrät. Bac Wannagan gehorcht wortlos, denn er weiß, dass dieser Mann ihn bestrafen würde wie ein Despot einen Boten, der ihm eine schlechte Nachricht brachte. Er wendet den Wagen und fährt den toten Donahue wieder hinaus und dann weiter zum Friedhof der Stadt. *** Als Jake Clayton erwacht, ist es draußen Nacht geworden. Ja, er hat lange geschlafen. Er verspürt kaum noch Schmerzen. Und so beginnt er darüber nachzudenken, was er nun tun und wie er sich verhalten soll. Denn eines ist ihm klar: Die Stadt darf nicht wissen, dass er angeschossen wurde. Er darf sich nicht verstecken wie ein angeschossener Wolf, der in seiner Höhle die Wunden leckt. Er muss aufstehen und sich in der Stadt zeigen. Denn er ist der Sheriff, das Gesetz. Und so erhebt er sich. Einen Moment verharrt er leicht
schwankend. Doch die Wunde verhält sich erträglich. Im Zimmer brennt eine Lampe. Lisa Bullock muss hier gewesen sein, als er noch fest schlief. Seine Reservekleidung liegt auf dem Stuhl. Auch neues Unterzeug ist dabei. Langsam tritt er vor den Spiegel und betrachtet sich im Lampenschein. Er sieht das Funkeln und Glitzern in seinen Augen und spürt, wie sehr er sich herausgefordert fühlt. Dieser James Hoker hatte einen Revolvermann ausgesandt, einen wirklich Großen der Gilde. Er, Clayton, sollte im Duell getötet werden. Hoker wollte ihn tot sehen. Clayton verspürt Zorn. Er beginnt sich mit langsamen Bewegungen anzukleiden. Manchmal hält er inne und betastet seine zusammengenähte tiefe Streifwunde und die angeknickte Rippe. Obwohl Lisa Bullock die tiefe Furche gut zusammennähte, hat sie ihm überdies ein breites Pflaster darüber geklebt. Er kann also ziemlich sicher sein, dass die Wunde nicht aufbrechen wird. Nach einer Weile ist er fertig, legt den Revolvergurt um und überprüft den Revolver noch einmal. Nur eine der sechs Patronenkammern in der Trommel ist leer. Er hat ja auch nur eine einzige Kugel abgefeuert. Bedächtig lädt er den Revolver nach. Er lässt die Waffe im Holster verschwinden und zieht sie einige Male schnell. Und dieses Ziehen ist wie Zauberei. Dann macht er sich auf den Weg. Seinen Spencer-Karabiner, den jener Pedro gestern mit dem anderen Gepäck vom Mietstall holte, lässt er in der Ecke neben der Zimmertür stehen. Aber als er hinunterkommt, da wartet Lisa Bullock auf ihn. »Jetzt gehen Sie wohl zur schönen Josie, um dort ein Abendessen zu bekommen?« So fragt sie. Er hält vor ihr an und nickt. »Ist da etwas falsch dran, Lisa?«
Sie schüttelt den wunderschönen Kopf. »Eigentlich nicht«, erwidert sie. »Doch Josie hasst Hoker so sehr, dass sie sich wahrscheinlich jedem Mann hingeben würde, der ihren ermordeten Vater rächt. Und Hoker ist die Wurzel alles Bösen in dieser Stadt.« In ihrer Stimme klang zuletzt der pure Hass. Und so fragt er: »Was hat Hoker Ihnen und Ihrem Bruder angetan? Lisa, Sie hassen Hoker besonders. Was ist der Grund? Es liegt doch nicht allein daran, dass auch Sie ihm Schutzgeld zahlen müssen?« Sie starrt ihn mit funkelnden Katzenaugen an. Erst nach einer Weile spricht sie: »Aah, den kannten wir schon am Mississippi, diesen verdammten Hurensohn. Das war vor dem Krieg. Es ging damals um einen riesigen Wettbetrug. Er zwang meinen Bruder, einen ganz besonderen Kampf zu verlieren. Das brachte ihm mehr als hunderttausend Dollar Wettgewinn ein. Vor dem Krieg war das eine unvorstellbar große Summe. Der Kampf fand in New Orleans statt. Aber der Betrug kam heraus. Einer seiner Männer erzählte die Sache im Bett einer Hure. Und die hatte auch Wettgeld verloren. Sie informierte andere Wettverlierer. Wir alle mussten damals flüchten. Denn sonst hätten sie uns gelyncht, zumindest geteert und gefedert. Wir folgten damals Hoker, weil er uns etwas schuldig war. Und so sind wir hier mit ihm in diesem Nest gelandet. Er hat meinen Bruder um seine Ehre als Preiskämpfer gebracht. Ja, wir hassen ihn. Aber eigentlich hasst ihn die ganze Stadt.« Sie verstummt hart. Jake Clayton aber fragt: »Wird Hoker in Mississippi steckbrieflich gesucht?« »Nicht nur in Mississippi«, spricht sie mit einem bitteren Lachen in der Kehle. »Damals nannte er sich Kelly, James Kelly.« Clayton nickt nach ihren Worten stumm und geht hinaus.
*** Auf dem Weg zu Josie Wests Laden kommt er am ehemaligen Haus des Brunnenbauers vorbei, welches er ja als seinen Amtssitz einrichten lässt. Es brennt noch Licht in den vier Räumen, und so tritt er ein. Da sieht er sie sitzen – nämlich den Schreiner mit dessen Gehilfen und auch den bulligen Schmied mit dem Wagenbauer, der auch für den Schmied als Zuschläger arbeitet. Die vier Männer hocken im ersten Raum auf Kisten oder der Bank. Als Jake eintritt, sagt der Schmied mit bitterem Grimm: »Da sind Sie ja, Sheriff. Wo haben Sie sich denn versteckt, als wir Sie hier brauchten?« Nun, Clayton hätte es ihm erklären können. Doch er verzichtet darauf. Er will nicht, dass jemand von seiner Verwundung erfährt. Und so fragt er: »Was ist passiert?« Sie grinsen ihn nun ziemlich böse an. Dann spricht der Schreiner: »Zwei von Hokers Revolverschwingern waren hier. Sie verboten uns die Weiterarbeit, sagten, wir sollen verschwinden. Ja, wir sollen alles zertreten, was wir heute geschaffen haben, einfach alles wieder kurz und klein schlagen oder abreißen. Aber wir haben hier schon an die zwölf Stunden gute Arbeit geleistet, weil Sie es eilig haben, Sheriff. Wir waren stolz auf unsere Arbeit. Aber jetzt ist alles für die Katz gewesen – oder?« Als er verstummt, grollt der Schmied: »Sie sagten uns, dass sie uns die Ohren abschießen würden, wenn wir hier auch nur noch einen Handschlag machen.« Clayton erwidert noch nichts. Er wandert in den vier Räumen umher und sieht sich alles an. Ja, die vier Männer haben gute Arbeit geleistet. Zwar hat der
Brunnenbauer einige Möbel, die er nicht mehr auf seinen Wagen laden konnte, zurückgelassen. Doch es ist Neues an Einrichtung zu sehen. Und im Zellenraum sind Gitterstäbe und Gittertüren angebracht, welche drei Käfige bilden. In einer dieser Zellen ist schon eine Holzpritsche als Lagerstätte für zukünftige Insassen aufgestellt. Als Clayton wieder in den vorderen Raum tritt, sehen ihn die Männer fordernd an. Der Schmied sagt: »Aber wir bekommen doch unseren Lohn und Geld für das Material?« Clayton antwortet nicht auf ihre Frage, sondern fragt: »Wie sahen die beiden Revolverschwinger aus? Wie kann ich sie erkennen?« Nun staunen sie ihn an. Dann spricht der Schmied: »He, Sheriff, die sind leicht zu erkennen. Ich weiß sogar ihre Namen, jedenfalls die Vornamen. Der Rotkopf mit den vielen Sommersprossen heißt Ambrose, der andere, dem das linke Ohr zur Hälfte fehlt, wird Brazos genannt. Ich denke, sie sind jetzt im Saloon und lassen sich von Jed Bullock die Gläser füllen.« Als der Schmied endet, nickt Clayton zufrieden. »Ich bringe sie her«, verspricht er. »Ich sperre sie in die erste Zelle. Denn die ist ja fertig. Und ich denke, ihr solltet hier nicht aufgeben, sondern ein Beispiel für die ganze Stadt sein.« Nach diesen Worten geht er hinaus. Die vier Männer schweigen eine Weile und sehen sich zuerst ratlos wirkend an. Dann grinst der Wagenbauer und lässt ein wildes Lachen hören. Schließlich spricht er fast gierig wirkend: »Hoii, das wäre was! Oder nicht?« Die drei anderen Männer nicken. Der Schmied murmelt: »Ja, das wäre wirklich ein Zeichen für die ganze Stadt. Aber versprechen wir uns nicht zu viel.
Gewiss, er hat den berüchtigten Donahue von den Beinen geschossen. Aber…« Er verstummt und zuckt mit den muskulösen Schultern. Indes geht Clayton zum Saloon. Der Gang durch die Stadt wird für ihn ein gefährlicher Weg. Er kann sich jetzt nur auf seinen Instinkt verlassen, auf feine Warnsignale, welche von feindlichen Strömungen ausgelöst werden. Doch selbst wenn ihn diese bösen Ahnungen warnen, wird er längst noch nicht wissen, wo die Gefahr lauert. Er hat nun den Saloon von Jed Bullock erreicht und wundert sich ein wenig, dass er ohne Zwischenfälle dort angekommen ist. Und so tritt er durch die offene Tür ein. Etwa ein Dutzend Gäste stehen im Saloon an der Bar und ein weiteres Dutzend sitzt an den Tischen. Es dauert einen Moment, bis sich Claytons Augen an das Licht gewöhnt haben. Und dann sieht er die beiden Revolverschwinger an der Bar stehen. Des einen Mannes rotes Haar leuchtet feurig im Lampenschein. Der andere Mann ist gelbhaarig und trägt die Haare lang, wahrscheinlich deshalb, weil er sein verstümmeltes Ohr nicht kundigen Blicken darbieten will. Denn kundige Blicke – was abgeschnittene Ohren betrifft – gibt es hier im Südwesten genug. Die Viehzüchter in Texas haben nämlich die gnadenlose Eigenart, Vieh- und Pferdedieben, wenn diese zum ersten Male erwischt werden, das halbe linke Ohr abzuschneiden. Und werden sie dann noch mal erwischt, hängt man sie an den Hälsen auf. Und so hat wahrscheinlich der langhaarige Bursche sein halbes Ohr verloren. Hinter dem Schanktisch hängt ein breiter Spiegel an der Wand.
In diesem Spiegel kann Clayton die Gesichter der beiden Kerle gut sehen. Aber auch sie sehen ihn eintreten. Er kann erkennen, wie sie sich anspannen und bereit sein wollen für alles. Denn sie machen sich nun gewiss Sorgen, wenn sie an Donahue denken, gegen den sie kaum mehr als Pinscher waren. Clayton bewegt sich ein Stück weiter in den Raum hinein und hält inne. Dann klingt seine Stimme trocken und präzise: »He, ihr zwei Wild Bills da am Schanktisch! Ja, du, Rotkopf, und du, Gelbhaar mit dem halben Ohr! Dreht euch um und seht mich nicht länger mehr im Spiegel an. Na los!« Er kann erkennen, wie sie sich noch mehr anspannen, ja sogar zu zittern beginnen. Einige Sekunden überlegen sie noch. Dann aber wenden sie sich ihm zu. »Was wollen Sie?« So fragt der rothaarige Ambrose. »Wer sind Sie überhaupt?« Dies fragt der Gelbhaarige. Clayton öffnet wieder die linke Seite seiner Weste und lässt den Stern im Lampenlicht blinken. »Ich verhafte euch wegen Nötigung und Stadtfriedensbruch«, sagt er ruhig. »Und wenn ihr jetzt nach den Waffen greift – nur zu! Dann werdet ihr neben Donahue begraben. Wie also wollt ihr es haben?« Sie zittern wieder vor Wut und Hilflosigkeit. Gewiss denken sie an Donahue, der es nicht schaffte. »Also schnallt ab und kommt her zu mir!«, sagt Jake hart. Im Saloon ist es still. Die beiden Revolverschwinger gehorchen endlich. Sie lösen die Schnallen ihrer Waffengurte und lassen sie zu Boden fallen. »Na los, dann kommt her«, klingt Claytons Stimme hart und dennoch sehr ruhig. Und abermals gehorchen sie. Clayton hat seine Waffe noch im Holster. Als sie bei ihm sind, da überlegen sie sicherlich, wie groß ihre Chancen wären, wenn sie ihn nun angreifen würden. Bekäme er noch seinen Revolver heraus? Könnten sie ihn
klein machen? Doch vielleicht erinnern sie sich wieder daran, dass er schon zwei ihrer Sorte mit den Köpfen zusammenschlug. Und so wagen sie nichts. Er scheint ihnen zu unüberwindlich zu sein. Er tritt ein wenig zur Seite und spricht: »Geht voraus! Ihr werdet die ersten Gäste in meinem Gefängnis sein. Vorwärts!« Und zum Wirt gewandt sagt er: »Bullock, sammeln Sie die Waffen ein und verwahren Sie die Kanonen. Ich hole sie später bei Ihnen ab.« »Yes, Sir.« Der Wirt grinst hinter dem Schanktisch. »Was Sie da tun, Sheriff, wird Mr Hoker aber gar nicht gefallen.« Nun lachen einige Gäste. Aber Clayton hört nicht länger zu. Er folgt den beiden Gefangenen hinaus. *** Als Clayton seine beiden Gefangenen ins Office bringt, da sind die vier Handwerker noch da. Sie warten schweigend, bis er die Gefangenen in der ersten Zelle eingesperrt hat und wieder nach vorn kommt. Er fragt sie ganz ruhig: »Werdet ihr morgen hier weitermachen?« Sie tauschen unter sich noch einmal Blicke aus. »Na gut«, erwidert der Schmied. »Wir sind keine Feiglinge und waren auch im Krieg. Doch wir haben Familien. Wenn Hoker Sie erledigen kann, wird er uns bestrafen. Aber wir kneifen nicht.« Clayton hört es und kann diese Männer gut verstehen. Er nickt ihnen zu. »Also bis morgen.« Dann geht er hinaus, denn er will ja immer noch zum Abendessen bei Josie West. Er erreicht Josie Wests Laden unbehelligt. Drinnen brennt noch Licht, doch die Tür ist verschlossen. Aber er klopft an,
und da sieht er sie aus der Werkstatt kommen. Er weiß plötzlich, dass sie auf ihn gewartet hat. Denn sonst hätte sie auf sein Klopfen nicht so schnell reagiert. Als sie ihn einlässt, da sagt sie: »Ich machte mir Sorgen. Jake, das war ein böser Tag für Sie. Sie waren lange in Lisa Bullocks Pension auf Ihrem Zimmer. In der Stadt glaubte man schon, Sie hätten sich verkrochen.« »Nein«, erwidert er. »Ich wurde von Donahue angeschossen. Lisa Bullock musste eine tiefe Streifwunde nähen.« Sie hat hinter ihm die Tür wieder verriegelt und sieht ihn mit großen Augen an. Sie murmelt: »Aber es wird noch schlimmer und härter. Jake, werden Sie das durchhalten?« »Ich will.« Er lächelte auf sie nieder. »Bekomme ich ein Abendbrot, Josie? Ich würde wieder gerne mit Ihnen am Küchentisch sitzen und Sie beim Lampenschein betrachten. Für mich sind Sie in dieser lausigen Stadt wie ein Stern in dunkler Nacht. Bei Ihrem Anblick glaube ich fast, dass es auf dieser Erde auch schöne Dinge gibt.« Sie tritt näher an ihn heran. Fast berühren sie sich, und sie sieht zu ihm empor. Er überragt sie um einen Kopf, obwohl sie als Frau mehr als mittelgroß ist. Plötzlich stellt sie sich auf die Zehenspitzen, umklammert seine Oberarme und zieht sich noch etwas höher, sodass sie ihn küssen kann. Doch bevor er nach ihr greift, löst sie sich und geht an ihm vorbei. Aber dabei spricht sie herb: »Jake, du musst Hoker töten – oder er tötet dich. Er hat es leichter als du. Denn er verfügt über viele Handlanger. Du aber bist allein. Ich habe dich geküsst, damit du begreifst, dass sich ein Überleben lohnen würde. Komm in die Küche! Das Essen wartet.« Er folgt ihr etwas benommen, weil seine Gedanken und Gefühle sich jagen.
*** Es wird eine wunderschöne Stunde für ihn. Denn Josie übt einen Zauber auf ihn aus. Und dabei sieht er sie nur an. Aber es geht etwas von ihr aus. Und wenn er in ihre grünen Augen sieht, da verstärkt sich der Zauber auf ihn noch mehr. Sie reden eigentlich nur über belanglose Dinge, so als müsste er nicht schon bald wieder hinaus und sich den Dingen stellen. Er hat jetzt sogar vergessen, dass er in seinem Office zwei Gefangene in der ersten fertig gewordenen Zelle sitzen hat. Die Zeit beim Abendessen vergeht schnell, zu schnell für ihn. Doch als er die Kaffeetasse geleert hat, da weiß er, alles ist beendet. Die schöne Stunde mit Josie ist vorbei. Er muss hinaus, denn er ist der Sheriff von Casa Coronado. Er darf sich nicht verstecken. Er muss sich zeigen. Und er ist allein. Und so erhebt er sich, stellt den Stuhl wieder sorgfältig an den Tisch und sieht Josie an, die sich ebenfalls erhoben hat. »Danke, Josie«, murmelt er. »Ich sagte es ja schon. Du bist für mich wie ein Licht in dunkler Nacht.« Er wendet sich zum Gehen. Doch sie spricht schnell: »Warte!« Und dann kommt sie zu ihm. Abermals stellt sie sich auf die Zehenspitzen, fasst seine Oberarme und zieht sich hoch, um ihn zu küssen. Er begreift, dass sie seinen Überlebenswillen stärken will. Aber er muss hinaus, obwohl er lieber die ganze Nacht bei ihr bleiben würde. Sie lösen sich und müssen von der Küche aus durch die Wertstatt nach vorn zum Verkaufsraum. Doch mitten in der Werkstatt spricht sie abermals: »Warte,
Jake, warte!« Er hält inne, doch diesmal kommt sie nicht zu ihm, sondern tritt an einen Schrank, öffnet diesen und holt dort eine doppelläufige Schrotflinte heraus. »Das ist eine Parker«, spricht sie. »Der Lauf wurde verkürzt. Die Schrotpatronen haben doppelte Pulverladung unter dem Indianerschrot. Vielleicht wirst du sie brauchen.« Sie legt das Parker-Schrotgewehr auf den Werktisch und holt aus einer Schublade eine große Schachtel Schrotpatronen heraus. »Mehr kann ich dir nicht mitgeben«, murmelt sie. Er nimmt das Gewehr, hantiert damit herum, bis er ein Gefühl für die Waffe bekommt. Dann klappt er den Doppellauf herunter und füllt die Kammern. Die anderen Patronen aus der Schachtel verteilt er in seinen Taschen. »Danke, Josie«, murmelt er. »Mit dieser Kanone bin ich nicht mehr ganz so allein.« *** Die Stadt ist immer noch recht still. Nur da und dort sind einige Sattelpferde angebunden und Wagen abgestellt. Von der Plaza her klingt Musik. In einem der Lokale, die von Gästen mexikanischer Abstammung bevorzugt werden, herrscht Stimmung. Gitarren und Trompeten, Kastagnetten und der Gesang einer Frau klingen über die Plaza. Aber auf der anderen Seite des Platzes steht die Casa mit ihren starken Mauern wie ein drohendes und riesiges Ungeheuer. Und dort in dieser alten Burg der spanischen Dons, da sitzt James Hoker. Was wird er inzwischen in Gang gebracht haben? Jake Clayton tritt aus der dunklen Gassenmündung auf den Plankengehsteig. Er will zu seinem Office und den beiden
Gefangenen. Dabei wird ihm bewusst, wie sehr ihm ein Gehilfe fehlt. Er kann das allein hier gar nicht alles schaffen. Es werden Register zu führen und Schreibarbeiten zu erledigen sein. Er soll ja auch die längst fällig Steuern eintreiben. Der County Sheriff hat ihm eine Menge Listen mitgegeben. Er muss hier eine Verwaltung aufbauen. Allein ist er überfordert. Mit diesen Gedanken im Kopf erreicht er sein Office. Licht fällt dort aus den Fenstern. Und die Tür steht einladend offen. Er hält außerhalb des Lichtscheins an und weiß, dass man ihn beobachtet. Denn auf der anderen Straßenseite sitzen Menschen auf den Veranden der Häuser oder auf den Bänken der Gehsteige. Die Stadt ist zwar still, aber nicht tot. Er kann ständig eine lauernde Zurückhaltung spüren, ein Abwarten. Er entschließt sich plötzlich und hat mit wenigen Schritten die offene Tür erreicht und tritt ein. Er ist auf alles gefasst, hält das Schrotgewehr mit der Linken um den Kolbenhals gefasst und hat die Rechte am Revolverkolben. So wäre er bereit, eine Hölle loszulassen. Er gleitet auch sofort zur Seite, sodass er sich nicht im Türrechteck befindet, voll angeleuchtet vom Lampenschein. Doch dann bleibt er stehen und staunt nur noch. Denn an seinem erst halb fertigen Schreibtisch, dem noch die Schubladen fehlen und dessen Holz noch nicht behandelt ist, da sitzt ein Mann, den er gut kennt. Und dieser Mann hat eine Schrotflinte auf dem rohen Holz der Tischplatte liegen, deren Mündungen auf die offene Tür gerichtet sind. Der Mann hat auch seine Hand am Abzug und könnte die gespannten Hähne zuschlagen lassen. Aber der Mann ist kein anderer als Bac Wannagan, der Exprofessor aus Boston, der Sammler verdorrter Kakteen, die er als Brennmaterial verkauft. Bac Wannagan grinst im Lampenschein.
»Nun, mein Junge, da bist du ja endlich. Ich habe gegen mein zweites Ich gewettet, dass du kommen und dich nicht verstecken würdest. Zehn Dollar habe ich auf dich gesetzt, und mein zweites Ich hielt nur fünf Dollar dagegen.« Er verstummt mit einem Lachen in der Kehle und spricht dann: »Da staunst du wohl, Sheriff?« Clayton schüttelt den Kopf. »Professor, was wollen Sie hier?« So fragt er. »Dir helfen, beistehen, dich entlasten. Und nenne mich nicht Professor. Das ist lange her, sehr lange und längst verjährt, so wie alles andere in meinem Leben damals in Boston. Nenne mich Bac, das ist die Abkürzung von Bacchus. Weißt du, Jake, wer jener Bacchus war?« Clayton schüttelt nur staunend den Kopf. »Das war der römische Weingott. Bei den Griechen hieß er Dionysos, und er war auch der Gott der Fruchtbarkeit und soll der Sohn von Zeus und Semele gewesen sein. Mein Vater war ein großer Weinkenner. Deshalb taufte er mich Bacchus, hahaha!« Er lacht tatsächlich herzlich. Jake fragt: »Und warum willst du mir helfen, Bacchus?« Dabei grinst er. Und auch Wannagan grinst, sagt dann aber: »Ein alter Mann ist oft zu großen Dummheiten fähig. Vielleicht juckt es ihn, wie es die jungen Burschen juckt, sodass sie etwas wagen müssen, um sich großartig zu fühlen. Wenn du mir ein Gehalt zahlst, welches höher ist als mein Verdienst als Brennholzsammler, dann will ich hier dein Schreiber und Gefängniswärter sein. Und dann will ich auch einen schönen Stern tragen wie du. Das wäre doch was – oder?« Clayton schweigt noch. Da spricht Bac weiter: »Und ich muss auch den Gefangenen Essen kochen. Also bin ich auch noch Koch. He, ich werde mich unentbehrlich machen.« In Jake Clayton entsteht nun ein seltsames oder
merkwürdiges Gefühl. Er ist nun nicht mehr allein. Vorhin ließ ihn das Josie West spüren. Und nun sitzt dieser alte Mann hier und will ihm helfen. Aber kann er das annehmen? Als er sich das fragt, da weiß er, dass er das Angebot des kleinen Mannes annehmen muss. Ohne einen Gehilfen geht es nicht. Es gibt ja hier keine verwaltende Ordnung, nicht mal einen Bürgermeister oder Stadträte. Hier macht jeder, was er will. Und alle werden von Hoker beherrscht. Und so nickt Jake Clayton und spricht: »Willkommen, Bacchus auf dem Pulverfass. Ich kann dir vierzig Dollar im Monat zahlen. Du wirst hier in diesem Hause wohnen. Und einen hübschen Stern bekommst du auch. Aber es muss dich wirklich mächtig jucken, dass du dich auf so etwas einlässt. Ich habe nur eine einzige Bedingung.« »Welche?« Wannagan fragt es wachsam mit einem Funkeln in den Augen. »Dein Hut…«, erwidert Clayton. »Mit diesem Hut siehst du wie eine Schildkröte aus. Kauf dir auf Countykosten einen hübschen Stetson. Dann sieht jeder, dass du dich von einem Kakteenleichensammler in den Deputy des neuen Casa-Coronado-Distrikts verwandelt hast.« Nach Claytons Worten betrachten sie sich eine Weile ernst. Dann nickt Wannagan und sagt: »Eigentlich hat mir dieser Hut schon lange nicht mehr gefallen. Ich trage ihn schon viele Jahre, weil ich mich darunter so gut verstecken konnte, hahaha!« Jake Clayton nickt und geht hinüber zum Zellenraum. Auch hier brennt eine Lampe und verbreitet Licht. Die beiden Gefangenen sitzen nebeneinander auf der harten Pritsche und lehnen mit den Rücken an der Wand. Als er eintritt und sie ihn erkennen, erheben sie sich. Einer sagt böse: »Jetzt ist es genug. Lassen Sie uns raus – oder Sie sind bald ein toter Mann. Sie wissen doch, dass wir für Hoker
arbeiten. So dumm können Sie doch nicht sein, dass Sie sich mit ihm anlegen. Sie sind ja fast schon so gut wie tot.« Clayton schüttelt den Kopf. »Ich setze eure Strafe wegen Nötigung und Stadtfriedensbruch auf je zweihundert Dollar oder hundert Tage Haft fest. Mal sehen, ob ihr Hoker insgesamt vierhundert Dollar wert seid.« Nach diesen Worten verlässt er den Zellenraum. Die beiden Kerle Ambrose und Brazos mit dem halben Ohr heulen ihm Flüche nach. Vorn im Office sagt er zu Bac: »Ich mache jetzt meine erste Runde durch die Stadt. Das muss sein.« »Ich weiß, Sheriff, ich weiß.« Wannagan nickt. »Und ich werde hinter dir die Tür schließen und die Lampe löschen. Ich kenne deine Stimme gut genug, wenn du nur meinen Namen rufst.« Sie grinsen sich an. Irgendwie ist ein Gefühl der Freundschaft zwischen ihnen, obwohl sie Vater und Sohn sein könnten. Dann tritt Clayton wieder hinaus. Die feige Stadt kommt ihm nun wie ein Untier vor, welches nur darauf wartet, ihn fressen zu können. Denn er ist allein. Wannagan kann ihm hier draußen nicht helfen, ihn nur im Office entlasten. Er wendet sich nach links und muss an der Sattlerei vorbei. Diese ist erleuchtet. Das große Schaufenster besteht aus zwei Dutzend Sprossenscheiben. Man kann in der Auslage einige Sättel und anderes Reitzeug bewundern. Einige dieser Dinge sind allerbeste mexikanische Maßarbeit. Er muss an diesem Schaufenster vorbei, also durch den Lichtschein. Gegenüber ist eine dunkle Gassenmündung, und so wittert er hinüber. Doch sein Instinkt warnt ihn nicht. Aber wird er sich auf seinen Instinkt für eine lauernde
Gefahr stets verlassen können? Er spürt also eine Anspannung und weiß in diesem Moment, dass er nun ständig mit oder unter dieser Anspannung seinen Job erledigen muss. Er geht mit ruhigen Schritten durch die breite Lichtbahn und erreicht den Barbierladen. Hier steht eine Bank an der Hauswand. Ein Mann sitzt darauf. Er erkennt den Barbier. Dieser sagt höflich: »Jetzt wird es bald kühler, Sheriff.« Jake hält an und wittert in die Runde. Der Barbier murmelt: »Drüben ist nichts. Ich beobachte die andere Straßenseite schon eine Weile. Dort sitzen nur Bürger der Stadt und genießen die Nachtkühle. Der Schuhmacher hat seine Frau bei sich auf der Bank. Und auf der Veranda des Hotels sitzen zwei Handelsreisende. Einer will Bestellungen für Damenunterwäsche aufnehmen und hat Kataloge bei sich, auf denen Ladys halb nackt zu sehen sind. Der andere Vertreter will Klaviere und Roulettetische verkaufen. Aber sie werden beide keine guten Geschäfte machen. Und dafür, dass sie hier Geschäfte machen dürfen, mussten sie Hoker für die Handelserlaubnis Geld zahlen. Ich würde zu gerne wissen, was seine Beauftragten ihnen abgenommen haben.« »He«, sagt Clayton nur, als er das hört. Dann macht er sich auch schon auf den Weg, geht schräg über die staubige Fahrbahn und betritt die Veranda des Hotels. Hier sitzen tatsächlich zwei Gäste im schwachen Lichtschein einer Laterne. Clayton setzt sich zu ihnen, und trotz des schwachen Lichtscheins sehen sie den Stern blinken, als er seine Weste öffnet. Einer sagt böse: »Aah, ein Sheriff. Nun gut, wollen auch Sie etwas von uns dafür kassieren, dass wir den hiesigen Geschäften Konkurrenz machen? Verdammt, wenn die Kutschen nicht nur alle paar Tage fahren würden, wären wir längst wieder weg aus dieser armseligen Stadt.« Der Mann verstummt bitter.
Clayton aber fragt: »Wer hat Ihnen hier Geld abgenommen? Und wie viel?« Sie schweigen einige Atemzüge lang. Dann spricht der andere Mann: »Könnte es sein, dass Sie ein integrer Sheriff sind, einer von der redlichen Sorte?« Und der andere Mann knurrt: »Sie wissen doch, was integer ist, Sheriff?« »Es bedeutet makellos, sauber, ehrlich«, knurrt der andere Handelsvertreter bitter. »Aber das gibt es wohl hier nicht. Oder doch?« Clayton erwidert noch nichts. Er dreht sich im Halbdunkel eine Zigarette. Als er sie sich ansteckt, da sehen sie im schwachen Schein des kleinen Flämmchen sein hartes Gesicht. Nach einigen Zügen hören sie ihn mit trügerischer Freundlichkeit sagen: »Gentlemen, ich fragte Sie etwas. Aber bisher hörte ich nur dummes Geschwätz. Wenn Sie mir meine Fragen beantworten, dann könnten Sie schnell herausfinden, ob ich integer bin oder nicht. Also, Gentlemen?« Nun lassen sie ihn nicht länger warten. Einer von ihnen stößt bitter hervor: »Jeder von uns musste fünfzig Dollar zahlen. Bei mir fällt das nicht ins Gewicht, wenn ich nur ein einziges Klavier, einen Roulettetisch oder einen Billardtisch verkaufen kann. Bei mir sind fünfzig Dollar nicht so schlimm. Aber Mr Skinner hier neben mir, der muss verdammt viel Unterzeug und Reizwäsche verkaufen, um fünfzig Dollar Gewinn zu machen. Es ist unfair, was man mit uns hier macht.« Als er verstummt, murrt der andere Mann: »Dieser Steuereintreiber ist fett und dick wie ein Eber. Und er hat einen Revolvermann bei sich. Wir sahen sie vorhin im Saloon verschwinden. Sie sind ja leicht zu erkennen.« Als der Mann, den der andere Skinner nannte, verstummt, da sagt Clayton ganz ruhig: »Nun gut, Gentlemen, gehen wir.« Sie lassen ihn ihr Staunen irgendwie spüren. Denn ihre
Gesichter kann er nur undeutlich erkennen. Aber ihr Staunen spürt er. Einer fragt: »Gehen – wohin?« »Sie werden Ihr Geld zurückbekommen«, verspricht Clayton. »Doch Sie müssen mir die beiden Banditen zeigen. Gehen wir!« Nun fordert er es härter. Da erheben sie sich. Einer sagt: »Das gefällt uns mächtig.« Sie folgen Clayton, und bis zu Bullocks Saloon sind es weniger als hundert Schritte. Da sie einige Lichtbahnen durchqueren müssen, werden sie natürlich gesehen. Es sitzen ja immer noch Menschen vor ihren Häusern und Läden und genießen die Nachtkühle. Und weil den Bürgern in Casa Coronado kaum etwas verborgen bleibt, ist vielen Leuten sofort klar, was da in Gang gekommen ist. Da und dort treten Leute aus der Dunkelheit unter den überdachten Gehsteigen oder Veranden hervor, sammeln sich zu kleinen Gruppen. Vor der Sattlerei zum Beispiel sind es vier Männer. Und sie alle können im herausfallenden Lichtschein des Saloons sehen, wie der Sheriff mit seinen beiden Begleitern im Saloon verschwindet. *** Jake Clayton sieht den Mann sofort, denn es gibt keinen zweiten Gast im Saloon, auf den die Beschreibung passt. Der Mann steht am Schanktisch und lässt bei seinem Anblick wahrhaftig an einen fetten Eber denken. Er ist nicht groß, doch sehr schwergewichtig. Sein runder Kopf ist fast kahl. Er hält ihn gesenkt, blickt unter der Stirn hinweg auf die drei eintretenden Männer. Claytons Blick geht in die Runde. Er sucht den
Revolvermann, den Beschützer von Hokers Geldeintreiber. Dann begegnet er dem Blick von Jed Bullock, der für zwei Gäste Biergläser füllt. Bullock macht eine Kopfbewegung zur Treppe nach oben. Und da weiß Clayton Bescheid. Der Revolvermann muss sich mit einem der Mädchen nach oben verzogen haben, um sich dort für ein paar Dollar verwöhnen zu lassen. Und so geht Clayton ruhig auf den zweibeinigen Eber zu, der mit dem Bierglas in der Hand mit dem Rücken am Schanktisch lehnt und ihm mit schrägen Augen entgegensieht. Als Clayton vor ihm verhält, da grinst der Mann ihn an und fragt: »Wollen Sie zu mir? Sind Sie unser neuer Sheriff?« »Und als solcher verhafte ich Sie hiermit«, erwidert Clayton ruhig. Der Mann spannt sich an. Dies ist deutlich zu erkennen. Doch bevor er explodiert, fragt er scheinbar ruhig: »Habe ich etwas verbrochen? Und wenn, was soll es denn gewesen sein?« »Erpressung. Widerrechtliche Geldeintreibung, also Raub und Nötigung. Kommen Sie, Mann! Trinken Sie Ihr Bier aus und kommen Sie mit mir zum Stadtgefängnis. Wie ist Ihr Name?« Es ist völlig still im Saloon. Alle hören Claytons Worte. Der Mann schüttelt den Kopf und spricht: »He, Sheriff, Sie übernehmen sich aber mächtig. Ich handle in Mr James Hokers Auftrag. Wenden Sie sich an Hoker.« Er will nach diesen Worten Clayton den Rücken drehen. Doch das ist nur eine Täuschung. Denn mitten in der Drehbewegung versucht er dem Sheriff das Bier ins Gesicht zu schütten und zugleich mit dem Bierglas zuzuschlagen. Es ist ein böser Trick. Das Bier soll Clayton blenden, sodass er dem schweren Bierglas nicht entkommen kann. Doch er entkommt schon dem Bier durch ein rasches Kopfwegnehmen, so wie es auch ein Boxer macht, um einer Geraden auszuweichen.
Dann aber wird es schlimm für den zweibeinigen Eber. Denn er bekommt den Doppellauf der Schrotflinte über den Schädel. Von oben aber kommt ein Mann die Treppe herunter, der die ganze Situation sofort erfasst und nach seinem Revolver greift. Doch als er die Waffe herausgezaubert hat und auf Clayton richten will, da kracht dessen Schrotflinte. Das grobe Indianerschrot trifft der Mann auf der Treppe voll, und so kommt er heruntergerollt und bleibt am Fuß der Treppe liegen. Im Saloon herrscht ehrfürchtiges Schweigen. Clayton deutet mit der Schrotflinte auf einen Tisch, an dem drei Männer sitzen, die wie Cowboys gekleidet sind, aber ebenso gut auch Viehdiebe sein können, welche hinüber nach Sonora wollen, um dort Rinder zu stehlen. »Jungs«, sagt er, »ihr werdet den fetten Eber zum Gefängnis tragen. Es ist nicht weit. Ihr werdet euch keinen Bruch heben. Na los, Jungs! Oder muss ich euch erst als Deputys vereidigen?« Sie grinsen ihn an, und sie sind drei verwegene Wild Bills. Aber er hat ihnen imponiert. Sie respektieren ihn deshalb. Also erheben sie sich. Einer grinst breit und sagt mit einem Kichern in der Kehle: »Oho, ich hätte nie gedacht, dass wir mal einem Sheriff einen Gefallen erweisen würden.« Sie heben den schweren Mann hoch. Einer murrt: »Der wiegt ja mehr als eine Sau! Wir werden ihn draußen quer über mein Pferd legen.« Clayton sieht sich im Raum um. Viele Augen starren ihn an, und es ist immer noch still. Von oben kommt eines der Mädchen die Treppe herab, hält auf halber Höhe an und starrt auf den leblos am Boden liegenden Mann, welcher offenbar bei ihr war. Sie ruft plötzlich schrill: »O Vater im Himmel, ist er tot? Das kann doch nicht sein! Vorhin habe ich mit ihm eine Menge
Freude gehabt. He, ist Hank Wade tot?« Aber weil sie keine Antwort erhält, kommt sie weiter die Treppe nieder, kniet bei diesem Hank Wade nieder und untersucht ihn recht sachkundig. Dann springt sie auf und ruft abermals schrill: »Er lebt noch! Der ist nur mit Schrot gepfeffert! Na los, dann tut doch was! Soll er verbluten?« Als sie verstummt, da bewegt sich der Revolvermann und stöhnt. Sie hilft ihm mit all ihrer Kraft auf die Füße. Dabei ruft sie wild: »Halte durch, Hank! Es ist nicht weit bis zu meinem Bett. Nur die Treppe hinauf! Dann werde ich dir helfen!« Hank Wade ist offensichtlich ein zäher Bursche. Obwohl er viele Schrotkugeln im Leib hat und aus vielen Wunden blutet, zieht er sich am Treppengeländer hoch. Das Mädchen kreischt dann von oben: »Mit einer Schrotflinte! Zum Teufel, mit einer Schrotflinte! Das ist barbarisch!« Ihre ganze Verachtung liegt in ihrer Stimme. Clayton verharrt noch, und aller Augen sind auf ihn gerichtet. Er steht im Kreuzfeuer vieler Blicke. Und so blickt auch er in die Runde. Dann spricht er laut genug, sodass sie es alle hören können: »Dies ist jetzt meine Stadt, nicht mehr die von Hoker. Und ich bin das wirkliche Gesetz. In meiner Stadt zahlt niemand mehr Schutz oder irgendwelche anderen Gelder außer den Steuern, auf welche der Staat nach unserer Verfassung Anspruch hat.« Er sieht die beiden Handelsvertreter an. »Gehen wir! Sie werden ein Protokoll unterschreiben und Ihr Geld zurückbekommen. Denn das haben Ihnen Banditen abgenommen.« Bac hockt immer noch hinter dem halb fertigen Schreibtisch im Office, als sie den dicken Geldeintreiber der Hoker-Bande
hereinbringen. Dann fragt er staunend: »Das ist doch Stapp Hogan, den man auch Javelinas nennt, nach den Moschus-Schweinen. Was ist mit ihm?« »Der hatte Ärger mit dem Sheriff«, sagt einer der drei Wild Bills. »Wo können wir ihn abladen?« Wannagan erhebt sich, geht ihnen voraus und deutet auf die zweite Zelle. »Da hinein. Der hat aber ein schönes Horn am Kopf. Legt ihn einfach nur auf den Boden, Jungs.« *** Am nächsten Tag beginnt die Stadt Casa Coronado zu begreifen, dass sich eine Menge verändert hat. Aber wie wird es weitergehen? Sie alle in Casa Coronado kennen ja Hokers Macht. Seine Bande, mit der er die Stadt beherrscht und den wichtigen Wagenweg – eine Lebensader des Landes – kontrolliert, ist zu stark. Und so gibt die kleine Stadt dem Sheriff keine Chance. Man wartet nur noch darauf, dass Hoker mit seinen Männern kommt und die drei Gefangenen wieder aus dem Gefängnis holt. Aber immerhin kommen an diesem Morgen die vier Handwerker zum Office. Sie bringen auf einem Handwagen Material mit, um in den vier Räumen alles zu vollenden. Was also wird der heutige Tag bringen? Die Stadt wartet. Und einige neugierige Fremde, die nur dann und wann in die Stadt kommen, warten ebenfalls. Jake Clayton kommt in Lisa Bullocks Pension sehr spät zum Frühstück. Er brauchte dringend einige Stunden tiefen Schlaf. Lisa Bullock hat für ihn das Frühstück auf der Veranda gedeckt, und so kann er die Straße nach beiden Seiten überblicken.
Wenn er sich vorbeugt, sieht er sogar in die Plaza hinein und kann dort die Casa Coronado mit den festen Mauern erkennen. Lisa Bullock leistet ihm Gesellschaft, schaukelt sachte in ihrem gepolsterten Schaukelstuhl und raucht eine Zigarre. Manchmal wendet sie den Kopf zur Seite und betrachtet Clayton. Als er den Teller leer kratzt, da spricht sie plötzlich: »Jakob, sie werden dich früher oder später vernichten, wenn dir diese lausige Stadt nicht beisteht. Dieser Bac Wannagan ist gewiss ein noch rüstiger Bursche, den man leicht unterschätzt. Aber Ihnen fehlt einer, der Ihnen den Rücken deckt.« »Ich weiß«, murmelt er und leert die Kaffeetasse. Er erhebt sich und sagt: »Das war ein prächtiges Frühstück. Und meine Wunde hat sich auch nicht entzündet. Das juckt nur unter dem Pflaster.« »Lassen Sie es jucken, Jakob«, sagte sie und lächelt. »Morgen nehmen wir das Pflaster ab. Und wenn die Wunde gut verheilt, dann ziehe ich in zwei Tagen die Fäden heraus. Ich hoffe, dass Sie dann noch leben. In der Stadt werden schon Wetten abgeschlossen.« »Ich weiß«, erwidert er und erhebt sich, ergreift die Schrotflinte, die neben ihm an der Hauswand lehnt, und macht sich auf den Weg. Als er sein Office erreicht, hört er dort das Hämmern und Sägen der Handwerker. Als er eintritt, sieht er Bac Wannagan in der Ecke sitzen, die Schrotflinte quer über den Knien. Sie grinsen sich an. Wannagan sagt schließlich: »Hoker lässt uns warten, und ich frage mich, auf was er wartet. Der dicke Stapp Hogan, den sie hier in der Stadt Javelinas nennen, hat jetzt eine Schlafpritsche in seiner Zelle. Er liegt flach und hält sich den Kopf. Ich habe den Gefangenen Wasser in die Zellen geschoben. Aber sie haben noch nichts gegessen.« »Dann koch ihnen eine dicke Suppe«, entscheidet Clayton. »Der Kochherd, den die Brunnenbauerfamilie zurückließ, ist ja
wohl in Ordnung. Und vom Store wurden gestern genügend Vorräte hergebracht. Du könntest zu Lisa Bullock essen gehen, Bac. Sie kocht gut.« »Aah, mir genügt die Suppe, die ich für die Gefangenen kochen werde. Und den großen Hunger stille ich mit meinem Kautabak. Weißt du, Sheriff, ein alter Mann isst nicht so viel wie ein junger. Was wirst du tun, Boss?« »Ich muss zuerst einen Bericht an meinen Boss verfassen und kann ihn hoffentlich mit der Post senden. Die Postkutsche kam gestern von Norden her hier an und fährt gegen Mittag wieder zurück nach Santa Fe. Mein Boss wartet gewiss schon auf meinen Bericht. Hoker, der sich am Mississippi Kelly nannte, wird dort steckbrieflich gesucht. Das war vor dem Krieg. Er hat sich dann wohl nach hier in Sicherheit gebracht und seine Macht ausgebaut. Diese armselige Stadt kam ihm gerade recht. Wenn der Steckbrief noch Gültigkeit hat, dann hole ich ihn in aus seiner Burg heraus.« Clayton verstummt ganz ruhig und sachlich. Er setzt sich dann hinter den Schreibtisch und holt das Schreibzeug aus einer Satteltasche, welche er mitgebracht hat. Ihn scheint der Lärm der vier Handwerker nicht sonderlich zu stören. Es ist kurz vor Mittag, als er mit dem dicken Brief zum Hotel geht, wo die Postkutsche schon wartet. Er sieht auch die beiden Handelsreisenden einsteigen. Als er den Brief zum Begleitmann hinauf reicht, da steckt einer der Reisenden den Kopf aus dem Fenster und sagt: »Hoi, Sheriff, wir ziehen unsere Hüte vor ihnen.« Er winkt nur ab und sieht durch den aufgewirbelten Staub der Kutsche nach. Der Hotelbesitzer wohnte ebenfalls der Kutschabfahrt bei. Nun blickt er bitter auf den Sheriff und spricht mürrisch: »He, Sheriff, Sie machen sich unbeliebt in unserer Stadt, denn Sie haben dem alten Bac Wannagan einen Job gegeben. Aber er hat die ganze Stadt mit Brennmaterial versorgt, im
meilenweiten Umkreis die trockenen Kakteen eingesammelt. Wer macht das nun?« Der Mann erwartet keine Antwort, denn er wendet sich ab und verschwindet in seinem Hotel. Doch auch Clayton wendet sich ab. Er sieht nun ein Stück weiter Josie West vor ihrem Laden stehen. Sie wartet auf ihn, und als er bei ihr ist, da lächelt sie ernst und spricht: »Komm herein, Jake. Ich habe das Essen fertig. Es genügt, wenn du bei Lisa Bullock frühstückst.« Er wirft einen Blick in die Runde und erkennt, dass sie von allen Seiten beobachtet werden. In dieser kleinen Stadt bleibt nichts unbeobachtet. Die Leute sind geradezu gierig nach Gesprächsstoff. Und so sagt er lächelnd: »Du kommst ins Gerede, Josie.« »Da pfeife ich drauf«, erwidert sie verächtlich und setzt hinzu: »Diese armselige Stadt…« Aber sie vollendet den Satz nicht, sondern geht voraus in ihren Laden. Er folgt ihr. Wenig später sitzen sie in ihrer kleinen Küche und essen gemeinsam. »Du würdest einem Mann eine gute Frau sein.« Er grinst kauend. »Sogar mexikanisch kannst du kochen. Und eine Schönheit bist du auch. Warum hast du noch keinen Mann gefunden?« Sie lächelt und erwidert: »Vielleicht habe ich auf einen wie dich gewartet und immer gespürt, dass es so kommen würde. Aber im Ernst, Jake: Es ist sicher so, dass sich viele Männer gar nicht an mich heranwagen.« »Weil du so wunderbar bist, nicht nur schön, sondern sehr selbstständig. Sie fühlen sich dir instinktiv unterlegen. Aber ich würde mir zutrauen, dir angemessen zu sein.« Er sagt es lächelnd, aber sie bleibt ernst und erwidert: »Ja, das glaube ich. Aber um mich bekommen zu können, musst du
am Leben bleiben. Und das kannst du nur, wenn du Hoker tötest, bevor er dich tötet oder töten lässt. Jake, ich habe Angst um dich. Du bist mit dem alten Mann als Gehilfen so verdammt allein. Was wirst du tun? Willst du einfach nur abwarten?« »Es bleibt mir nichts anderes übrig«, erwidert er. »Ich habe drei von seinen Männern in meinem Gefängnis, aber ich kann nicht beweisen, dass es seine Männer sind, obwohl es die ganze Stadt weiß. Sie würden es vor einem Gerichtshof abstreiten. Und wir haben hier keinen Gerichtshof. Ich müsste sie erst nach Silver City schaffen und anklagen. Das alles würde nicht funktionieren. Und so muss ich warten, bis er seine Männer herauszuholen versucht. Ich muss ihn kommen lassen. Und wenn er mich angreift, wird sich die Stadt entscheiden müssen. Entweder sieht sie zu oder sie hilft mir.« Als er endet, da bekommt sie große Augen. »Das ist ein gefährliches Spiel«, murmelt sie. »Du glaubst noch irgendwie an die Menschen hier. Aber fast alle sind Familienväter, haben Frauen und Kinder. Die Männer dieser Stadt sind gewiss nicht feige, aber sie müssen abwägen.« »Wir werden sehen, Josie. Dein Essen schmeckt wirklich gut. Ich habe schon immer gern ein mexikanisch zubereitetes Ferkel gegessen.« Sie will nun wütend reagieren, weil er von ihrem Thema abschweift. Doch sie beherrscht sich. Er kann es in ihren funkelnden grünen Katzenaugen erkennen. Und so beenden sie die Mahlzeit schweigend. Als er sich dann erhebt, da sagt sie herb: »Ich erwarte dich zu den Mahlzeiten, solange du noch lebst. Und ich würde dich auch die ganze Nacht bei mir behalten. Doch da musst du ja auf deine Gefangenen aufpassen und auf Hokers Banditen warten. Ja, es sind Banditen, Abschaum der Grenze, der unter seinem Schutz steht und ihm deshalb im eigenen Interesse treu ergeben ist.«
»So ist es«, erwidert er knapp. »Du bist eine wunderbare Frau, Josie.« Nach diesen Worten verlässt er sie. Als er in Richtung Office geht, da folgt ihm ein großer Hund. Er hält inne und blickt auf den Hund nieder. Dieser ist eine Mischung von zumindest drei Rassen, vielleicht sogar zu einem Drittel ein Wolf. Der Hund blickt zu Clayton empor und lässt ein leises Winseln hören, so als wollte er freundlich sein. »He, Beißer«, spricht Clayton zu ihm nieder, »bist auch du so verdammt allein? Oder gehörst du zu jemanden?« Der Hund lässt abermals ein freundlich klingendes Winseln hören. Und als Clayton seinen Weg fortsetzt, folgt ihm das Tier und blickt ständig zu ihm empor. Nochmals hält Clayton an und betrachtet die ziemlich struppige Kreatur. »Hunger kannst du nicht haben«, spricht er auf den Hund nieder. »Denn ich halte dich für einen Burschen, der überall Beute findet und sich selbst ernährt. Vielleicht frisst du sogar Hühner. He, was willst du also?« Der Hund lässt abermals ein freundliches Winseln hören. Und so beginnt Clayton zu begreifen, dass sich der Hund aus irgendeinem Grund zu ihm hingezogen fühlt. Könnte es sein, dass das Tier seine Einsamkeit wittert? Aber eigentlich ist er ja gar nicht mehr einsam in Casa Coronado. Denn im Office hat er Bad Wannagan – und soeben kam er vom Mittagessen von Josie. »Na, dann komm, Beißer.« Clayton grinst auf ihn nieder. Wenig später kommt er mit dem Hund ins Office. Dort sitzt Bac wieder hinter dem Schreibtisch über einer dicken Kladde, also einem Registerbuch, in welches er Eintragungen macht. »Das wird unser Einwohnerregister«, sagt er. »Soll ich den Hund auch eintragen? Das ist Lobo. Den kennen sie hier alle.
Aber er gehört niemanden. Doch warum ist er dir gefolgt, Sheriff?« »Das frage ich mich auch«, erwidert Clayton. »Vielleicht stellen wir ihn als Deputy ein.« Da schüttelt Bac seinen Kopf. »Nein, der will frei sein. Aber vielleicht hat er sich in dich verliebt, Boss. Doch da ist noch etwas anderes.« Er deutet auf ein Notizbuch und auf einen gefüllten Geldgürtel, neben dem auch noch ein Lederbeutel liegt. »Das hatte Javelinas bei sich«, spricht er, »also der fette Stapp Hogan. Im Buch hat er alle Namen eingetragen, auch die Beträge der kassierten Schutzgelder, also der Steuern, die Hoker hier erhebt. Wir könnten den Bürgern von Coronado alles zurückzahlen. Es sind ja erpresste Gelder. Es sind mehr als tausend Dollar im Lederbeutel. Das Geld im Gürtel ist wahrscheinlich Hogans eigenes. Wir könnten eine hohe Strafe verhängen und diese kassieren. Gefällt dir das, Sheriff?« »Sehr«, erwidert Clayton. »Was gibt es sonst noch an Neuigkeiten?« »Gut, dass du danach fragst.« Bac Wannagan grinst mit seinen vom Kautabak gebräunten Zahnreihen. »Hoker hat mit fast einem Dutzend seiner Revolverschwinger die Casa verlassen und ist in Richtung Grenze geritten. Seine Burg ist jetzt also schwach besetzt oder bewacht. Und ich weiß auch schon, warum die ganze Bande zur Grenze ritt.« Als Bac verstummt wie ein Mann, dem es Spaß macht, Neugierde zu erwecken, da tut ihm Clayton den Gefallen und fragt: »Dann sag es. Oder willst du mich zappeln lassen?« Bac hebt den Zeigefinger. »Eine große Herde kommt aus Mexiko herüber. Wahrscheinlich wurde sie gestohlen und wäre hier erst in Sicherheit. Und das kostet etwas. Hoker wird an der Grenze kassieren. Sonst lässt er die Herde nicht über die Grenze. Was wirst du tun, Boss Clayton?«
Er fragt es mit ernster Besorgnis, und diese Besorgnis ist auch in seinen Augen zu erkennen. Clayton geht erst zu einer Kiste und setzt sich dort. Dabei wird er sich seiner Hilflosigkeit bewusst. Er kann weder gegen Hoker und dessen Reiter noch gegen die gewiss starke Treibmannschaft der Herde etwas ausrichten. Er kann nur zusehen. Und so sagt er zu Bac: »Nichts kann ich tun, gar nichts. Aber ich will mir das wenigstens ansehen.« Er erhebt sich und will wieder hinaus, um sein Pferd aus dem Mietstall zu holen. Der Hund, den man in der Stadt Lobo nennt, will ihm folgen. Da hält er inne und spricht: »Bleib bei Bac. Der braucht dich hier mehr als ich dort draußen. Also bleib hier bei Bac, doch friss ihn nicht.« »Mich frisst kein Hund«, knurrt Bac. Da geht Clayton hinaus. Und der Hund bleibt tatsächlich bei Bac, so als hätte er jedes Wort wie ein Mensch verstanden. Bac Wannagan blickt auf den Hund und knurrt: »He, er hat dich zum zweiten Deputy ernannt. Was ist denn zwischen euch so plötzlich entstanden, als hättet ihr euch gesucht und gefunden? Warum gehorchst du ihm aufs Wort? Was für ein Zauber oder Geheimnis ist zwischen euch?« Doch Lobo kann ihm nicht mit Worten antworten, lässt nur sein freundliches Winseln hören. Und so murmelt Bac Wannagan nur: »Sachen gibt es…« *** Jake Clayton ist etwa zwei Meilen geritten, als er auf einem Hügelkamm anhält und einen freien und weiten Blick nach Süden hat. In der Ferne schwebt eine große Staubwolke dicht über dem Boden. Und aus dieser Staubwolke tönt das tausendstimmige
Brüllen einer Herde. Er sieht auch Reiter, die eine breite Front bilden. Und so weiß er, dass die Herde dort an der Grenze aufgehalten wurde und man offenbar jetzt über den Durchgangszoll verhandelt. Ja, Hoker erhebt Zoll wie ein Herrscher. Jake Clayton aber kann nichts dagegen unternehmen. Er ist mit seinem Stern allein und machtlos, wird sich mit Bitterkeit seiner Hilflosigkeit bewusst. Es dauert eine ganze Weile, die er im Sattel verbringt, wobei er zwei Zigaretten raucht und einmal aus der Wasserflasche den stärker werdenden Durst stillt. Seine Bitterkeit wächst immer noch, zumal er erkennen kann, dass die Herde wieder in Bewegung kommt, also über die Grenze ins Arizona-Territorium getrieben wird. Arizona ist ja zu dieser Zeit noch kein Staat. Hier ist alles noch im Werden. Er muss der Herde aus dem Wege reiten und wendet sich westwärts. Weil er in diesem Moment auf seiner Fährte zurück nach Norden blickt, sieht er den Reiter. Dieser ist ihm offenbar von Casa Coronado gefolgt und hat angehalten, um ihn zu beobachten. Clayton ist sofort davon überzeugt, dass der Reiter einer von Hokers Männern ist. Doch er beachtet ihn nicht weiter, sondern reitet nach Westen, will das dortige Land besser kennen lernen. Das alles gehört ja zum Casa-Coronado-Distrikt innerhalb des Silver City Countys. Er reitet noch etwa drei Meilen nach Westen und gelangt an eine Wasserstelle, die in einer grünen Senke liegt. Es muss dort unten eine unterirdische Quelle geben dicht unter der Erdoberfläche. Sein Wallach wird ihm dankbar sein für einige Maul voll Wasser dort unten.
Also reitet er hinunter und sitzt ab, um sich auch selbst zu erfrischen. Obwohl es inzwischen später Nachmittag wurde und die Sonne schon ziemlich tief im Westen steht, flimmert immer noch überall die Hitze. Das Wasser der Tinaja ist köstlich frisch, denn die Quelle kommt gewiss tief aus Felsgestein herauf. Von irgendwoher bekommt sie Druck. Er kniet nieder, wäscht sich und trinkt einige Schlucke. Auch seinem Wallach gefällt es hier. Clayton kann es dem Tier ansehen. Der Wallach fängt auch an zu grasen. Und so will er ihm ein wenig Zeit lassen. Also geht er zu einem Stein und dreht sich eine Zigarette. Er ist immer noch angefüllt mit Bitterkeit und kann das Gefühl von Hilflosigkeit nur schwer ertragen. Ja, er ist dem Geschehen hilflos ausgeliefert. Denn er ist allein gegen Hoker und dessen Macht, nämlich Hokers Revolvermannschaft. Und er kann vorerst keinen Ausweg erkennen Von Zeit zu Zeit blickt er sich um. Denn er weiß ja, dass ihm ein Reiter folgt, der gewiss zu Hokers Männern gehört. Doch dieser Reiter taucht am Rand der Senke auf. Offenbar ist er ihm nicht mehr gefolgt, sondern geradeaus weiter zu Hoker geritten, der sich vor der Herde auf dem Rückweg zur Stadt befand. *** Und so ist es auch. Der Reiter erwartet Hoker und dessen Rudel mitten auf dem Wagenweg, den auch die Herde bald kommen wird. Der Reiter wird Pecos genannt. Und so fragt Hoker barsch, als sie vor Pecos anhalten: »Was ist, Pecos? Warum bist du mir entgegen gekommen?« Pecos grinst über das ganze pockennarbige Gesicht und deutet nach Westen auf die flachen Hügel.
»Boss«, sagt er, »ich sah den Sheriff aus Casa Coronado reiten und ritt ihm nach, um herauszufinden, wohin er wollte und was er vorhat.« »Und? Was hat er vor?« Hoker fragt es barsch und ungeduldig. Doch sein Blick schweift nun in die Runde, so als hoffte er, Clayton zu sehen. »Er hat alles beobachtet«, spricht Pecos weiter. »Dann aber ritt er nach Westen. Er wich euch aus – Ihnen, Boss, und der Herde. Er muss dort hinter den Hügeln sein. Vielleicht sieht er sich das Land an. Es gibt ja da hinter den Hügeln eine Quelle. Er könnte dort sein.« Als Hoker das hört, erscheint in seinen gelben Löwenaugen ein Feuer. Dann senkt er schnell den Blick und starrt auf seine Hände, welche das Sattelhorn kneten und so seine innere Unruhe verraten. Ja, es muss nun ein wildes Feuer in ihm brennen, ein Feuer des Hasses. Denn bisher war er gegen den einsamen Sheriff der Verlierer. Drei seiner Handlanger sitzen im Gefängnis. Und die armselige Stadt Casa Coronado beginnt Hoffnungen zu schöpfen. Dieser Sheriff konnte sogar mit dem einem wirklich gefährlichen Revolvermann fertig werden und in der Stadt ein Office mit einem Gefängnis errichten. Es gab also nur Niederlagen für Hoker. Doch jetzt… Er hebt den Blick wieder und richtet ihn auf die Hügel im Westen. Dann wendet er sich im Sattel um und betrachtet die wartende Mannschaft. Sie bildet eine dichte Traube auf schnaubenden Pferden. Er winkt seinen Vormann Morg Sloane zu sich. Und als der Mann neben ihm verhält, sodass ihre Steigbügel sich berühren, da sagt er zu ihm: »Morg, jetzt ist es so weit. Ihr reitet ohne
mich in die Stadt und holt die Gefangenen aus dem Gefängnis. Und wenn dabei das ganze Office abbrennt, dann wäre mir das egal. Macht es hart, demütigt die Stadt. Sie soll begreifen, dass sie gegen uns keine Chance hat.« Morg Sloane nickt, und dann schluckt er etwas mühsam. Dann fragt er: »Und Sie, Boss, was tun Sie?« Hoker deutet auf die Hügel im Westen. »Pecos hat mir soeben gemeldet, dass der Sheriff dort bei der Felsenquelle sein könnte. Wenn ich ihn dort treffe, wird er nie wieder nach Casa Coronado kommen. Dann ist er verschollen und alles ist wieder so wie früher. Hast du das kapiert, Morg?« »Habe ich, Boss. Ich erledige alles.« Morg Sloane ruft es fast freudig, denn auch er ist ein Mann wie fast alle aus der Hoker-Mannschaft, der vom Gesetz gesucht wird und auf dessen Ergreifung eine hohe Belohnung ausgesetzt ist. Er machte sich schon Sorgen, dass er eines Tages wieder auf der Flucht vor Kopfgeldjägern sein müsste, wenn das Gesetz in Casa Coronado Fuß fassen würde. Morg Sloane reitet also mit den Revolverschwingern an. Er wird Hokers Befehle zuverlässig ausführen. Hoker aber bleibt zurück und richtet den Blick gierig auf die Hügel im Westen. *** Als Clayton die Zigarette aufgeraucht hat, erhebt er sich vom Stein und ruft halblaut: »He, Buddy, komm her zu mir!« Der Graue spitzt die Ohren, schnaubt willig und kommt tatsächlich wie ein folgsamer Hund. Er verharrt neben Clayton und versucht an dessen Hutkrempe zu knabbern. Es ist ein deutliches Zeichen von Zuneigung. Clayton sitzt auf und will die Zügel anheben.
Aber da sieht er Hoker oben am Rand der Senke auftauchen und verharrt. Sein Blick schweift nun in die Runde. Doch er sitzt nicht in der Falle. Hoker ist offensichtlich allein gekommen. Er erwartet Hoker bewegungslos im Sattel. Und Hoker kommt langsam im Schritt heruntergeritten. Er wirkt irgendwie unaufhaltsam auf seinem löwengelben Wallach, der den schwergewichtigen Mann mühelos trägt und trotz des eigenen Gewichts leicht wie eine Katze geht. O ja, sie bieten einen imposanten Anblick. Hoker hält dann etwa sechs Yards vor dem Sheriff an. Sie betrachten sich eine Weile schweigend, und beide spüren sie in dieser Minute stark, dass sie es gegeneinander austragen müssen, weil sie für einander bestimmt sind und einer von ihnen zu viel auf dieser Erde ist. Hoker nickt schließlich und sagt mit seiner tiefen und rauen Stimme: »Ich habe dich wahrhaftig unterschätzt, Clayton. Weißt du, ich ließ die kleinen Pinscher und all das andere Kroppzeug stets von meinen Männern platt machen. Das hatte nichts mit Feigheit zutun. Diese Pinscher waren mir nicht angemessen. Bei dir ist es anders. Denn ich kann dich wohl nicht auf meine Seite ziehen – oder?« »Kannst du nicht, Hoker. Oder soll ich dich Kelly nennen?« Als Clayton verstummt, da lacht Hoker tief in seiner Kehle. »Das weißt du also schon«, sagt er. »Ich wette, du hast das von der dicken Lisa Bullock erfahren. Ja, die Bullocks gehören zu meiner Vergangenheit am Mississippi, und aus einer Sentimentalität heraus ließ ich sie in meinem Schatten hier leben. Na gut, du weißt also eine Menge über mich. Doch das nützt dir nichts mehr. Wir werden es jetzt miteinander austragen für immer. Denn ich erledige meine mir angemessenen Feinde immer noch selbst. Komm herunter von deinem Gaul. Wir tragen es Mann gegen Mann mit unseren Fäusten aus. Das ist real und fair. Dein schneller Colt, mit dem
du sogar einen Cole Donahue schlagen konntest, nützt dir nichts. Oder willst du keinen ehrlichen Kampf? Dann reite ich zurück in meine Burg.« Clayton zögert. Denn er denkt an die Wunde an seiner Seite über einer der Rippen. Noch klebt das feste Pflaster darüber. Und noch wurden die Fäden nicht gezogen. Ein einziger Schlag auf diese Stelle würde die Wunde wieder aufbrechen lassen. Und dann dürfte er stark im Nachteil sein. Soll er es also wagen? Hokers Blick ist herausfordernd. Er spricht nun höhnend: »Warum zögerst du so lange, Sheriff? Angst? Es ist doch ein faires Angebot. Jeder von uns kann den Gegner totschlagen. Dann ist alles erledigt – so oder so.« Abermals denkt Clayton an seine noch längst nicht verheilte Wunde. Doch zugleich wird ihm immer klarer, dass er vor diesem selbstgefälligen Mann nicht kneifen kann. Und so nickt er plötzlich und sitzt ab. Hoker tut es ebenso. Dann legen sie ihre Waffengurte ab und hängen sie an ihre Sattelhörner. »Keine Colts, keine Messer – nur unsere Fäuste«, knurrt Hoker. »Es soll ein fairer Kampf werden. Doch es gibt keine Gnade.« Sie treten nun von ihren Pferden weg und beginnen sich zu umkreisen. Körperlich sind sie sehr verschieden. Hoker ist bullig, mit Muskeln bepackt, ganz und gar ein zweibeiniger Löwe, schwergewichtig zwar, aber mit leichten Bewegungen. Clayton ist fast einen ganzen Kopf größer, doch gewiss an die dreißig Pfund leichter. Denn er wirkt sehnig, ein Mann mit einer schmalen Taille und langen, leicht gekrümmten Beinen. Doch seine Schultern sind breit. Und er hat starke Knochen. Ja,
seinem Körperbau nach ist er ein völlig anderer Typ. Sie umkreisen sich einige Male, fintieren – und dann kommt Hokers Angriff wie der Sprung eines Löwen. Doch sein herumgezogener Haken radiert nur über Claytons Kopf. Clayton weicht blitzschnell aus! Ihre Körper prallen also nicht gegeneinander. Hoker stößt ins Leere, stolpert einige Schritte, bis er sich endlich fangen und herumwirbeln kann. Und da bekommt er es. Claytons Fäuste treffen ihn hart am Kopf. Er bekommt sie rechts und links auf Ohren und Kinnwinkel. Doch er ist hart im Nehmen. Seine Reichweite ist etwas geringer als die von Clayton. Und so wirft er sich hechtend gegen ihn, umschlingt Claytons Beine in Höhe der Kniekehlen, bringt ihn zu Fall. Nun wälzen sie sich umeinander. Aber das ist erst der Anfang. Sie fügen sich schwere Schläge zu, hämmern aufeinander ein. Irgendwann kommen sie hoch, stehen Fuß bei Fuß und treffen sich abermals. Sie sind nun in einem Zustand, der auch gegen sie selbst gnadenlos ist. Denn sie nehmen alles hin, um den Gegner treffen zu können. Und als keiner von ihnen trotz der heftigen Treffer zu Boden geht, lösen sie sich voneinander, kämpfen nicht mehr Fuß bei Fuß, sondern umkreisen sich. Sie verlieren jedes Gefühl von Zeit. Im Westen sinkt die Sonne jenseits der Gila Desert und des fernen Colorado River. Und sie kämpfen immer noch. Der Luftmangel lässt ihre Bewegungen immer langsamer werden. Obwohl sie ihre Schläge sozusagen weit herholen, können sie ihnen kaum noch ausweichen, weil sie ihre explosive Schnelligkeit verloren haben. Sie taumeln wie Betrunkene. Dann wieder kauern sie voreinander wie Riesenfrösche am Boden und keuchen nach Luft. Sie bluten, haben ihre Gesichter zerschlagen. Ja, sie
wollen einander totschlagen. Clayton geht es denkbar schlecht. Denn er musste viele Schläge wie Huftritte auf die Rippen hinnehmen. Und so platzte seine Wunde auf. Und seine Rippe, die ja nur angebrochen war, ist nun richtig gebrochen. Er beginnt zu spüren, dass er bald erledigt ist. Es fehlt ihm die Luft. Und so wird Hoker gewinnen. Als Hoker ihn wieder einmal trifft und er dem Schlag nicht ausweichen kann, fällt er zu Boden, kracht auf den Rücken und kann nicht verhindern, dass seine Beine hochfliegen, so als wollte er rückwärts einen Purzelbaum schlagen. Hoker will nun auf ihn springen, mit beiden Füßen auf seinem Leib landen. Clayton kann sich im letzten Moment zur Seite rollen. Doch dann ist es mehr ein Zufall als gewollt, dass er von der Seite gegen Hokers Knie tritt. Und von diesem Moment an ist Hoker einbeinig. Das getroffene Bein knickt unter ihm weg. Er kann nur noch mühsam humpeln. Und so kommt Clayton wieder auf die Füße. Was er nun mit Hoker macht, gleicht fast einer gnadenlosen Bestrafung. Es ist seine einzige Chance. Längst wurde es Nacht. Denn sie kämpften länger als zwei Stunden, vielleicht schon deren drei. Es ist ein böser, gnadenloser, animalischer Kampf. Irgendwann kann Clayton nicht mehr und beginnt wie durch dicke Nebel zu begreifen, dass Hoker zu seinen Füßen am Boden liegt und nicht mehr kämpfen kann. Und so hält er inne, schwankt keuchend und bekommt ein wenig Klarheit in seinen Kopf. Er begreift, dass der Kampf beendet ist, weil sie beide nicht mehr kämpfen können. Es ist vorbei. Doch was nun? Soll er Hoker töten, so wie dieser es gewiss mit ihm getan hätte?
Doch das kann er nicht. Überdies hat er zu viel mit seiner eigenen Not zu tun. Und so geht er schwankend und stöhnend zur Wasserstelle und wirft sich dort hinein. Fast ertrinkt er im kaum kniehohen Wasser, weil er sich nur mühsam wieder aufrichten und auf den Rücken drehen kann. Das kalte Wasser erfrischt ihn etwas. Er bekommt allmählich wieder besser Luft. Nach einer Weile fühlt er nach seiner Wunde. Ja, sie ist aufgeplatzt und blutet. Seine gebrochene Rippe fügt ihm bei jeden Atemzug heftige Schmerzen zu. Und so kommt er zu der Erkenntnis, dass er weg muss von hier. Ja, er muss sich irgendwo verkriechen, wo er Hilfe bekommen kann. Und sein Stern ist jetzt wirklich nichts mehr wert, weniger noch als Bullshit. Irgendwie schafft er es auf die Füße und taumelt zu seinem Pferd. Als er bei Hoker ist, liegt dieser immer noch am Boden und keucht stöhnend nach Luft. Aber er kann sich nicht erheben. Und so spricht Clayton heiser und mühsam auf ihn nieder: »Hoker, du hast verloren. Es sieht jetzt gar nicht mehr gut für dich aus.« Dann tritt er zu seinem grauen Wallach und kommt beim dritten Versuch in den Sattel. Jeder Schritt des Pferdes verursacht in ihm Schmerzen. Er ist ein kranker Mann. Doch zum Glück ist Hoker noch mehr erledigt. Als Clayton – nur im Schritt reitend – der Stadt schon ziemlich nahe ist, da sieht er das Feuer. Und er weiß sofort, dass dort sein Office brennt. Es kann gar nicht anders sein. ***
Als Hokers Mannschaft vor dem Office die Pferde zügelt, da will Lobo hinaus. Doch Bac Wannagan sagt ruhig: »Bleib hier bei mir, Lobo. Die schießen dich sonst tot. Bleib hier bei mir.« Und der große Hund gehorcht, so als wäre er mit menschlicher Klugheit gesegnet. Sie kommen mit schussbereiten Waffen herein. Wannagan kennt sie fast alle. Denn er brachte ja oft seinen Wagen voller Brennmaterial in die Casa und lud es neben der Küche ab. Sloane grinst ihn an und sagt: »Pass auf, du alter Knacker, an dir vergreifen wir uns nicht. Aber wenn du etwas dagegen haben solltest, dass wir die Gefangenen herausholen, dann nützt dir das gar nichts.« »Das weiß ich, Morg. Glaubst du, ich würde mich mit euch anlegen? Eigentlich habe ich für die Gefangenen nur gesorgt wie eine Mutter. Ich habe sie bekocht, so richtig verwöhnt. Und dafür könnt ihr mich sicherlich nicht bestrafen. Also holt sie euch. Da an der Wand hängen die Zellenschlüssel.« Morg Sloane schickt zwei der Männer in den Zellenraum und setzt sich auf die Ecke des Schreibtisches, lässt jedoch einen Fuß am Boden. Er nimmt die Kladde, in welche Wannagan schon eine Menge Eintragungen machte. Grinsend blättert er darin herum und knurrt dann böse: »Damit fängt alles an, nämlich mit Bürokram, Listen und der ganzen Schreiberei einer Behörde. Das alles nennt man dann eine verwaltenden Ordnung, von der Recht und Gesetz ausgehen. So fängt es immer an. Aber wir halten das hier noch eine Weile auf.« Er beginnt die dicke Kladde mit deutlich erkennbarer Lust zu zerfetzen. Als die Papierfetzen am Boden liegen und einen großen Haufen bilden, reibt er ein Schwefelholz an seinem Stiefelschaft an und wirft es auf das Papier. Als es zu brennen beginnt, bringen seine Männer die
Gefangenen aus dem Zellenraum. Sloane sieht sie grinsend an und deutet auf Wannagan: »Er sagt, dass er euch gut versorgt hätte. Stimmt das?« »Er ließ uns nicht hungern«, erwidert einer der drei Befreiten. »Und er gab uns sogar ein Halmaspiel in die Zellen. Eigentlich kochte er recht gut, besser jedenfalls als unser Bauchbetrüger in der Casa.« »Na gut«, nickt Sloane, »dann wollen wir ihm nicht die Ohren abschneiden.« Er wendet sich an Wannagan, neben dem der Hund hockt und leise knurrt und damit seine Missbilligung ausdrückt. »Dann darfst du auch wieder trockene Kakteen zu ins in die Casa bringen, Großvater. Denn hier bist du fertig. Hau ab! Auf der Stelle! Mach schon!« Sloanes Stimme klingt zuletzt hart und gnadenlos. Und Wannagan gehorcht. Er hätte sicherlich gern das immer größer werdende Feuer am Boden erstickt, denn es hat nun schon die Fußbodenbretter ergriffen. Aber er weiß, dass etwas geschehen sein muss, wodurch sich alles wieder total verändert hat. Und so fragt er nur noch: »Was ist mit meinem Boss? Kommt der nicht mehr?« »Nein.« Sloane grinst. »Jetzt ist alles wieder so wie früher – alles!« Da nickt Wannagan bitter. *** Jake Clayton sieht also das Feuer in der Stadt und weiß sofort, dass dort sein Office brennt und die Gefangenen gewiss befreit wurden. Er macht sich Sorgen um Bac Wannagan, obwohl seine eigene Not groß ist und er nur mühsam denken kann. Er wurde ja halb totgeschlagen, ist voller Schmerzen, blutet
aus Rissen, aufgeschlagenen Wunden und wird bald schon voller Blutergüsse sein. Aber er macht sich dennoch Sorgen um Wannagan, der für ihn wie ein väterlicher Freund geworden ist. Dennoch weiß er, dass er nichts tun kann, gar nichts. Seine körperliche Not ist zu groß. Er muss an sich selbst denken. Indes sein Wallach ihn Schritt für Schritt der Stadt näher bringt, bewegen sich seine Gedanken nur mühsam in seinem Kopf. Und so beginnt er zu begreifen, dass er eigentlich drei Möglichkeiten hat. Da ist Lisa Bullock. Doch in deren Pension werden sie ihn zuerst suchen. Dann wäre da Josie West. Doch wenn er bei ihr unterkriecht, bringt er sie in Gefahr. Kann er ihr dies zumuten? Und wo könnte sie ihn wochenlang verstecken? Ja, er wird wochenlang krank sein und sich vielleicht nie wieder richtig erholen. Als Letztes wäre da noch Lisas Bruder, dem der Saloon gehört. Kann er sich ihm anvertrauen? Würde Bullock ihn vielleicht doch verraten, um nicht selbst in Schwierigkeiten zu kommen? Aber er muss sich entscheiden. Der Wallach bringt ihn Schritt für Schritt näher an die Stadt heran und auf das Feuer zu. Ja, das Feuer wird immer größer. Nun muss auch schon das Dach in Flammen stehen. Und gewiss wagen die Bürger von Casa Coronado keine Löschversuche. Clayton entschließt sich endlich und biegt vom Wagenweg ab. Als er nahe genug an der Stadt ist, hält er an und sitzt mühsam und stöhnend ab. Er gibt ihm mühsam einen Klaps aufs Hinterteil. »Lauf zum Mietstall«, murmelt er heiser und erkennt seine
eigene Stimme nicht. Eigentlich nuschelt er nur. Seine zerschlagenen Lippen schwellen immer mehr zu dicken Würsten an. Auch seine Zähne wackeln. Er denkt grimmig, dass es Hoker gewiss nicht besser geht als ihm, eher noch schlechter. Denn Hoker konnte nicht mehr aufstehen. Der Wallach schnaubt und wendet den Kopf. »Na los, Junge, geh schon! Sie werden glauben, dass ich irgendwo aus dem Sattel gefallen bin und dass du schlau genug warst, zu deiner Futterkrippe zu laufen. Also geh endlich!« Er hebt noch einmal mühsam die Hand für einen weiteren Schlag auf die Hinterseite des Tieres. Und da setzt der Wallach sich in Bewegung, als hätte er alles begriffen. *** Josie West steht wie viele andere Bürger vor ihrem Haus und beobachtet den Brand. Niemand versucht zu löschen. Der Brand ist ein Zeichen für die feige und wehrlose Stadt. Ihr wird erneut demonstriert, wie sehr sie in Hokers Hand ist und wie sehr sie beim geringsten Widerstand zurechtgestutzt werden würde. Und so brennt das ehemalige kleine Haus des Brunnenbauers, welches zum Sheriff’s Office wurde, restlos ab. Zum Glück weht kein Wind in dieser Nacht, sodass kein Funkenflug auf die anderen Häuser übergreifen kann. Denn die meisten Häuser sind zwar mit Adobeziegeln errichtet worden, haben jedoch Dächer aus Maisstroh und inneres Gebälk. Dieses Gebälk brennt schnell. Und so würde bald alles bis auf die Adobemauern zusammenbrechen. Josie West sieht also zu wie die anderen Leute. Der Brand erleuchtet die ganze Stadt. Josie West fragt sich, was draußen passiert sein mag.
Bac Wannagan kommt nun mit dem Hund an ihr vorbei, hält aber an und wendet sich ihr zu. Im Feuerschein sehen sie sich an. Dann murmelt Wannagan: »Ja, er ist dort draußen irgendwo. Eine gestohlene Herde kam über die Grenze. Er wollte sich das ansehen. Doch es muss was passiert sein. Er kam noch nicht zurück. Doch auch Hoker ist nicht hier. Sein Vormann Morg Sloane machte das hier alles. Verdammt, es muss was geschehen sein.« Er geht weiter. Josie West aber kehrt in ihr kleines Haus zurück, durchquert den Laden und die Werkstatt und verharrt in ihrer Wohnküche. Was soll sie tun? Ihr erster Gedanke ist, sich Reitzeug anzuziehen und ihr Pferd zu holen. Dann könnte sie nach Clayton suchen. Doch als sie sich schon entschlossen hat, hört sie das Klopfen an der Hintertür. Es ist ein schwaches Klopfen. Sie geht hin und öffnet. Und da taumelt Jake Clayton in ihre Arme. Sie kann ihn nur mit ihrer ganzen Kraft auffangen, ihn stützend ins Schlafzimmer und dort zu ihrem Bett bringen. Er lässt sich bäuchlings darauf fallen. Sie zündet die Lampe an, dreht ihn auf den Rücken, hört sein Stöhnen und sieht dann, wie schlimm er zugerichtet ist, so als wäre er unter eine Rinderstampede geraten. Und so begreift sie, dass er einen schrecklichen Kampf hinter sich haben muss, einen Kampf, bei dem es um Leben oder Tod ging. Sie ahnt irgendwie, dass er mit Hoker kämpfte. Und so bekommt alles für sie einen Sinn. Denn Morg Sloane kam mit Hokers Bande ohne den Boss in die Stadt und richtete hier das Unheil an. Hoker blieb draußen, weil auch Clayton draußen war. Sie wischt sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Dann erinnert sie sich daran, dass ja schon zwei Sheriffs hier ihr
Leben verloren. Und auch ihr Vater wurde ermordet. Doch Jake Clayton schaffte es noch lebend bis zu ihr. Nun wird es zum großen Teil an ihr liegen, ob er wieder gesund werden und alles überstehen kann. Sie macht sich an die Arbeit, holt eine Schere und beginnt seine blutige und zerfetzte Kleidung von seinem Körper zu schneiden. *** Die Tage vergehen, und es spricht sich in der Stadt herum, dass auch Hoker halb tot und krank in seiner Burg liegt. Nur der Sheriff ist verschollen. Sein Wallach kam in den Mietstall mit einem blutverschmierten Sattel. Die kleine Stadt ist wieder hilflos und gefangen im Schatten einer Bande. Vielleicht werden einige Bürger wieder anonyme Briefe an den County Sheriff schicken und sich über die Unfähigkeit der Behörde und ihrer Gesetzeshüter beklagen. Es könnte ja sogar sein, dass sich der County Sheriff eines Tages mit einem starken Aufgebot auf den Weg nach Casa Coronado macht, auf einen Hundert-Meilen-Ritt also. Doch er kann mit diesem Aufgebot nicht lange bleiben. Hokers Bande wird sich dann für einige Tage über die Grenze verziehen und in Sicherheit abwarten, bis die Luft wieder rein ist. Und dann wird alles wieder so sein wie zuvor. Die Stadt wurde ja schon am nächsten Tage nach dem Brand gedemütigt. Denn man trieb die in Mexiko gestohlene Rinderherde nicht um die Stadt herum, sondern mitten hindurch. Die Rinder brüllten, wirbelten Staub auf und rissen Zäune und Verandapfosten nieder, hinterließen ihren Dung im Staub der Straße. Ja, es war eine Demütigung. Auch Bac Wannagan empfindet es als Demütigung, dass er
wieder trockene Kakteen sammeln muss, um sich die paar Dollar zu verdienen, die er für seinen bescheidenen Lebensunterhalt braucht. Doch er sucht gleichzeitig nach Spuren und findet die Stelle des Kampfes. Aber auch Reiter der Hoker-Bande durchstreifen die nähere Umgebung der Stadt und suchen den verschollenen Sheriff, der sich ja nicht in Luft aufgelöst haben kann. Und so kommt dann der Tag, da Morg Sloane in der Stadt zu suchen beginnt. Denn ihrer Meinung nach muss sich der Sheriff verkrochen haben wie ein kranker Hund. Es kann ihm nicht besser gehen als Hoker. Und dem geht es schlecht, so schlecht, dass Morg Sloane immer mehr an Hokers Stelle tritt und sich manchmal fragt, ob er Hoker überhaupt wieder als Boss respektieren soll. Die Tage vergehen also. An einem dieser Tage kommt Lisa Bullock zu Josie in den Laden und fragt geradezu: »Ist er bei Ihnen, Josie?« Diese sieht ihr fest in die Augen und sagt noch nichts. Da spricht Lisa Bullock weiter: »Sie suchen jetzt in der Stadt nach ihm und glauben, dass jemand ihn verborgen hält und pflegt. Ich bin gekommen, um Sie zu warnen, Josie, denn sie waren auch schon bei mir. Sie haben mein ganzes Haus durchsucht, alles auf den Kopf gestellt.« Als Lisa Bullock verstummt, da nickt Josie nur stumm. Und da geht die unförmige Frau wieder. Josie aber rollt in der Wohnküche den Navajoteppich zusammen und öffnet die Kellerluke. Einige Stufen führen hinunter in den Keller, den damals ihr Vater anlegte, um Schießpulverfässchen und andere explosive Dinge – zum Beispiel Munition – kühl und ungefährlich lagern zu können. Josie hat schon eine Matratze und andere Dinge in diesen Keller gebracht. Nun geht sie ins Schlafzimmer und tritt ans Bett. Clayton ist bei Besinnung. Er hat in den vergangenen Tagen
und Nächten fast bewegungslos geruht. Er konnte auch gar nichts anderes tun, denn er ist voller Blutergüsse und steif und voller Schmerzen. Josie spricht: »Du musst hochkommen, Jake. Sie suchen jetzt in allen Häusern und sonst wo nach dir. Ich muss dich im Keller verstecken. Hilf mir, so steif du auch sein magst. Hilf mir, sonst schaffe ich es nicht. Du bist zu schwer.« Er stößt heiser hervor: »Gut, versuchen wir es, Josie.« Und so versuchen sie es keuchend. Er kann sich nur wie ein gichtkranker Greis bewegen. Jede Bewegung schmerzt ihn. Doch er weiß, dass es um sein Leben geht. Er muss in den Keller. Und vielleicht ist er nicht mal dort in Sicherheit. *** Es ist dann gegen Mittag, als sie zu Josie in den Laden kommen. Morg Sloane hält die Männer, die ihm folgen wollen, mit einer Armbewegung zurück. »Ich erledige das hier allein«, sagt er grinsend. »Die Lady hat eine besondere Behandlung verdient.« Die beiden Männer grinsen zurück und strömen Neid aus. Doch sie gehorchen dem Vormann. Er ist jetzt noch mehr ihr Boss als zuvor. Und so sind Josie und Sloane allein. Er schlägt hinter sich die Tür zu und lehnt sich von innen dagegen. Gemächlich beginnt er sich eine Zigarette zu drehen. Dabei sieht er nicht auf seine Finger, sondern auf Josie. »Ist er hier?« So fragt er nach einer Weile, nachdem er die Zigarette angeraucht hat. »Wenn er hier ist, dann sollten Sie es gleich zugeben, schöne Josie. Denn sonst wäre das dumm von Ihnen. Also, wie ist es?« Sie schüttelt stumm den Kopf.
Er grinst, und er ist ein dunkler, geschmeidiger Typ. Eigentlich sieht er gut aus. Doch auch ein schwarzer Panter sieht auf seine Art gut aus – eben wie ein prächtiges Raubtier. Dennoch strömt er Gnadenlosigkeit aus, wenn er Beute machen will. Und Morg Sloane will Beute machen. Diese Beute ist jetzt gewiss nicht so sehr der gesuchte Sheriff. Nein, es ist Josie West. Er spricht es dann brutal deutlich aus mit den Worten: »Hoker hat dich immer in Frieden gelassen und sich lieber Mädchen aus der Casa Paraiso drüben in Sonora kommen lassen. Doch ich wollte dich schon immer haben, vom ersten Augenblick an, da ich dich sah. Und du würdest es gut bei mir haben.« Als er verstummt, verzieht sie verächtlich die vollen Lippen. »Sie müssten bei mir Gewalt anwenden«, spricht sie. »Und damit würden Sie Ihren Stolz aufgeben und zum letzten Dreck werden. Oder haben Sie Ihren Stolz schon vor langer Zeit verloren und mussten deshalb einem Mann wie Hoker dienen?« Er gibt ihr darauf keine Antwort, aber sie sieht, wie er einen Moment die Augen schließt. Dann aber spricht er klirrend, wobei er sich mit seinen Schultern von der Tür abstößt: »Ich musste mir noch nie eine Frau mit Gewalt nehmen. Ich bekam sie auf meinen Wegen alle ganz freiwillig.« »Wie schön für Sie«, erwidert sie kühl. »Aber manchmal klappt das nicht, so wie jetzt bei mir. Also gehen Sie. Verlassen Sie mein Haus.« Sie spricht ruhig und bestimmt, und er kann ihr nicht ansehen, wie sehr sie tief in ihrem Kern voller Furcht ist. Denn wenn er auf die Idee kommen sollte, dass es in diesem Haus einen Keller geben könnte, dann wird er Jake Clayton finden. Aber vielleicht ist dieses Haus das einzige mit solch einem
Keller. Eigentlich ist es ja nur ein kleines Loch von weniger als zweimal zwei Yards im Quadrat. Morg Sloane beginnt nun im Haus umherzuwandern, sich alles anzusehen. Doch es gibt nicht viel zu sehen. Hier sind nur der Laden, die Werkstatt, die Wohnküche und das Schlafzimmer. Und oben unter dem schrägen Dach sind noch zwei kleine Zimmer, die Josie bewohnte, als ihr Vater noch lebte. Doch Sloane findet nichts, was auf einen zweiten Bewohner dieses Hauses hindeuten könnte, gar nichts. Er geht wieder nach vorn in den Laden. Josie steht nun hinter dem Ladentisch, so als wäre er ein Kunde, den sie bedienen möchte. Er verharrt vor ihr, und als er sie ansieht, da kann sie spüren, wie sehr er in sich einen Kampf auskämpfen muss, um zu einem Entschluss zu kommen. Wird er seinen Stolz vergessen und ihr seinen Willen aufzwingen, oder wird seine letzte Selbstachtung letztlich doch stärker sein als sein Verlangen nach einer Frau? Er wendet sich plötzlich ab und geht hinaus, zieht die Tür hinter sich zu. Josie aber atmet langsam aus und wischt sich über Stirn und Augen. »Du bist doch noch nicht auf der allerletzten Stufe angekommen, Morg Sloane«, murmelt sie tonlos. Indes steht Sloane draußen vor der Tür und kämpft immer noch mit seinen Gefühlen, also zwischen Verlangen und Stolz. Dieser Stolz ist alles, was ihm geblieben ist auf seinen rauen Wegen. Er hat niemals einer Frau etwas angetan. Denn er hatte mal eine gute Mutter und drei ältere Schwestern, die ihm nur Gutes taten. Er setzt sich endlich in Bewegung und beaufsichtigt weiter die Suche seiner Männer nach Jake Clayton, dem Sheriff von Casa Coronado.
*** Josie wartet noch eine Stunde, bis sie die Kellerluke wieder öffnet. Denn sie traut ihrem Glück nicht, davongekommen zu sein. Doch weder Morg Sloane noch seine Männer kommen zurück. Und so blickt sie nun auf Clayton nieder, der unten auf der Matratze liegt und zu ihr emporblinzelt. Er kann sie gegen das helle Licht über sich nur mühsam erkennen. »Es ist vorbei«, flüstert sie zu ihm nieder. »Ich glaube, wir können es wagen, dass du aus diesem Kellerloch wieder heraus kommst. Wie geht es dir?« »Ich bin steif, völlig steif. Und ich würde gerne wissen, ob es Hoker auch so geht wie mir.« Nach diesen Worten erhebt er sich, kann das Stöhnen nicht unterdrücken und benötigt ihre Hilfe, um die paar Stufen heraufzukommen. »Ich habe den Laden geschlossen«, sagt sie. »Es ist jetzt Mittagszeit, und so ist es normal, dass ich geschlossen habe. Du kannst dich durch alle Räume bewegen. Und bewegen musst du dich. Sonst bleibst du steif und voller Schmerzen.« »Ich weiß«, murmelt er. »Ich habe innerliche Blutergüsse. Ich müsste wie ein Preiskämpfer von kundigen Händen massiert werden.« Als er dies gesagt hat, da sieht sie ihm an, dass ihm nun ein Gedanke kommt. Sein Gesicht ist noch zerschlagen, verfärbt, angeschwollen, und er wird einige Narben bis an seine Lebensende behalten. Doch sie sieht ihm dennoch an, dass er einen Gedanken im Kopf hat. Und so fragt sie: »Was ist, Jake?« Er erwidert: »Geh zu Lisa Bullock. Ihr Bruder Jedson war
Preiskämpfer am Mississippi zwischen New Orleans und Saint Louis. Sie war stets bei ihm. Und ich denke, sie hat ihn stets nach seinen Kämpfen gepflegt. Schon damals hat sie meine Wunde wie ein richtiger Doc behandelt. Ich wette, sie könnte mich massieren und mir helfen. Ja, geh zu ihr.« Josie zögert. Schließlich fragt sie: »Und du vertraust ihr?« »Sie hasst Hoker. Ja, ich vertraue ihr. Von ihr weiß ich auch, dass Hokers richtiger Name Kelly ist, dass er unter diesem Namen steckbrieflich gesucht wird und es hohe Belohnungen für sein Ergreifen gibt.« Josie nickt. »Gut, ich hole sie. Und gibt es noch jemanden hier in dieser Stadt, dem du vertrauen kannst?« »Bac Wannagan«, erwidert er. »Ja, ihm und dem Hund, den sie hier Lobo nennen, vertraue ich.« Er beginnt nun mühsam umherzuwandern. Und sie sieht, wie sehr er dies alles nur unter Schmerzen vermag. *** Einige Tage vergehen. Lisa Bullock verrichtet Wunder an Clayton mit ihren Händen. Es grenzt fast an Zauberei. Denn sie findet die richtigen Stellen und massiert dort alles weg, was den Durchfluss der Lymphflüssigkeit hindert. Und in all den anderen Stunden muss Clayton sich bewegen, viele Übungen machen, die sie ihm beibringt. Am Anfang ist alles schwer, aber von Tag zu Tag wird es besser. Auch sein Appetit stellt sich wieder ein. Er beginnt die verlorene Substanz wieder aufzufüllen. Lisa Bullock besucht Josie West ganz offen, so als wären sie nun gute Freundinnen geworden. Sie sitzen auch auf der Veranda, tun so, als plauderten sie. Und Lisa strickt dann stets Socken für ihren Bruder. In der Stadt ändert sich nichts. Nur vor der Stadt kassiert die Hoker-Bande von allen
Reisenden Zoll, mögen es Wagenzüge oder Herden sein. Auch die Bürger der Stadt müssen bald wieder mit dem Eintreiben der so genannten »Schutzgebühren« rechnen, denn schon ist wieder ein Monat um. Bac Wannagan sammelt wieder wie früher für alle Öfen von Casa Coronado trockenes Kakteenholz. Die beiden Frauen haben Bac Wannagan eingeweiht. Er weiß ebenfalls, dass der verschollene Sheriff gar nicht verschollen ist, sondern bei Josie West wie ein Wolf in der Höhle seine Wunden leckt. Als Wannagan eines Nachmittags auch in Josies kleinem Hof Brennmaterial ablädt, da bittet sie ihn herein. Und so treffen sich der Sheriff und dessen Deputy nach fast drei Wochen wieder. Bac Wannagans Blick ist ernst, prüfend und dann zuletzt zuversichtlich. Er sagt: »Ich sehe, du wirst wieder. Gestern habe ich Hoker gesehen in der Casa, als ich dort Kakteenholz ablieferte. Dem geht es gar nicht gut.« »Das freut mich«, erwidert Clayton grimmig. »Der wollte mich totschlagen. Aber dir ist wohl klar, Bac, dass du immer noch mein Deputy bist. Und ich erwarte aus Silver City von meinem Boss eine Antwort auf meinen Bericht. Du musst den Posthalter dazu bringen, dir alle Post an mich auszuhändigen.« »Das ist leicht für mich.« Wannagan grinst. »Mit dem spiele ich oft Halma. Der ist mein Freund, weil ich mir seine Mogeleien gefallen und ihn gewinnen lasse. Aber was erhoffst du dir von einer Antwort aus Silver City?« »Viel, Bac, sehr viel. Wir werden sehen. Bring mir nur die Post, bevor Morg Sloane sie sich holt.« *** Wieder vergehen drei Tage und drei Nächte.
Jake Clayton verlässt in diesen Nächten Josies Haus. Er ist als Mexikaner verkleidet, trägt einen weiten Poncho und einen riesigen Sombrero. Er musste sich auch einen dichten Bart wachsen lassen, weil sein zerschlagenes Gesicht nicht zu rasieren war. Und so schleicht er wie einer der vielen Fremden, die über die Grenze kommen, überall umher. Doch er geht nicht in den Saloon oder die anderen Lokale. Es geht ihm allein darum, sich zu bewegen. Auch sein abgebranntes Office sieht er sich im Mond- und Sternenschein an. Die Mauern aus Adobe stehen noch. Sonst ist alles eingestürzt. Aus den verkohlten Resten ragen noch die Gitterstäbe der einstigen Zellen heraus. Doch er weiß, er wird dies alles bald wieder aufbauen lassen. Als er nach der dritten Nacht wieder in den Hof hinter Josies Haus gelangt, erwartet ihn hier Lobo, richtet sich auf den Hinterläufen auf, legt die Vorderläufe auf Claytons Brust und versucht sein Gesicht abzulecken. Sie spielen eine Weile miteinander. Es ist ein Balgen zwischen zwei Freunden. Dann öffnet sich die Tür. Josie wird sichtbar. »Komm herein«, verlangt sie. »Sei nicht zu leichtsinnig, Jake.« Als er eintritt, sieht er Bac Wannagan am Küchentisch sitzen und mit vollen Backen mampfen. Auf dem Tisch liegt ein großer Umschlag. »Das kam bei Sonnenuntergang mit der Postkutsche«, sagt Wannagan. »Der Posthalter hat es sofort aus der wenigen anderen Post herausgeholt und verschwinden lassen. Wenige Minuten später kam Morg Sloane und sah sich die andere Post an. Ja, er riss alle Briefe auf, sogar eine Trauernachricht, die an den Storehalter adressiert war.« Clayton setzt sich, und Lobo legt sich vor ihn auf die Füße,
hechelt zu ihm empor, während Clayton den Umschlag öffnet. Ein Schreiben und einige Steckbriefe sind darin enthalten. Josie und Wannagan warten schweigend, bis er alles gelesen und in sich aufgenommen hat. Er sitzt dann einige Atemzüge lang mit geschlossenen Augen da. Wannagan aber greift nach den Steckbriefen und sieht sie sich an. »Oho«, knirscht er dann, »den würde man in einigen Staaten hängen. Er heißt Kelly und nicht Hoker. Und das untrügliche Erkennungszeichen ist die tätowierte Schlange um seinen linken Unterarm, eine Schlange mit roten Augen. Dann wäre noch die Narbe von einem Säbelhieb schräg über dem Kinn. Sogar die Armee will ihn haben. Der ist während des Krieges mit einer Regimentskasse desertiert und hat einen Zahlmeister erstochen. Der ist ja ein ganz Schlimmer.« Er richtet den Blick auf Clayton, der den Brief des County Sheriffs noch in der Hand hält. Clayton sagt: »Sheriff Adam McDonelly teilt mir mit, dass die Armee eine starke Patrouille von Fort Catalina aus zu mir schickt, um den Deserteur James Kelly zu übernehmen. Seine Vergehen sind zwar fast zehn Jahre her, doch die Armee vergisst nichts. Sie werden ihn hängen. Aber wie holen wir ihn raus aus seiner Burg?« Er sieht Bac Wannagan an. Und der Exprofessor aus dem fernen Boston grinst nach einer Weile und kichert dann vor Lust. »Das schaffen wir«, verspricht er. »Es ist eigentlich ganz einfach.« Sie staunen ihn an und lauschen dann, als er es ihnen mit den schlichten Worten erklärt: »Ich bringe dich unter einer Ladung Kakteen in den Innenhof der Casa bis neben die Küche. Es wird eine große Ladung sein bei Sonnenuntergang. Und wenn sie dich nicht erwischen beim Aussteigen, dann bist du allein gegen die ganze Bande. Du musst dann in der Nacht
nur noch Hoker aus dem rückwärtigen Fenster zu mir herunterwerfen. Dann haben wir ihn.« Er verstummt, als wäre dies die leichteste Sache der Welt. Doch Clayton nickt sofort. Wenig später ist er mit Josie wieder allein wie die anderen Nächte zuvor auch. Doch diesmal ist es anders. Denn sie kommt zu ihm, nimmt seine Hand und zieht ihn mit sich ins Schlafzimmer. Dort flüstert sie: »Nimm mich, Jake, nimm mich. Diesmal küsse ich dich nicht nur, um dir zu zeigen, dass sich ein Überleben lohnen würde. Ich möchte dir alles schenken, was eine Frau einem Mann nur schenken kann. Nimm mich in deine Arme.« Ja, sie werden in dieser Nacht endgültig ein Paar. Und so wird er nun noch intensiver alles tun, um am Leben zu bleiben. Ein sehr großes Glück wartet ja auf ihn, vielleicht für die ganze Zeit bis zum Ende eines langen Lebens. *** Es ist zwei Tage später, als Bac Wannagan in den Hof von Josies Haus fährt, sodass es aussieht, als brächte er wieder Kakteenholz zu ihr. Aber sie laden nur so viel ab, dass Clayton in eine große Kiste kriechen kann. Dann decken sie alles wieder mit Kakteenleichen zu. Bac fährt aus dem Hof und geradewegs zur Plaza und vor die Einfahrt zum Innenhof der kleinen Festung der Dons. Der Wächter lässt ihn einfahren und scherzt nur: »Pass auf beim Abladen. Im Dunkeln kannst du die Stacheln nicht sehen.« »Haha«, macht Wannagan nur und fährt über den Innenhof bis zur Ecke des Steinquaderbaus, wo sich der Kücheneingang am Ende der Arkaden befindet.
Hier hält er an und beginnt das trockene Kakteenholz abzuladen. Manche dieser Kakteen waren einst mehr als mannshoch und standen wie riesige Kandelaber zwischen Dornenbüschen, Mescal, Mesquite und Sagebusch. Wannagan musste sie mit der Axt in Stücke schlagen. Nun, er lädt also ab, bis für Clayton der Ausweg aus der Kiste frei ist. Es ist nun schon fast dunkel. Ein Stück weiter zurück sitzt die Hoker-Bande beim Abendessen. Nur die Wachtposten fehlen. Und auch Hoker und Sloane sind nicht dabei. Wahrscheinlich befinden sie sich in ihren Zimmern. Clayton gelangt ungesehen aus der langen, sargähnlichen Kiste und auch vom Wagen. Er gleitet im Halbdunkel um die Ecke. Wannagan lädt weiter ab und beginnt sogar dabei zu singen. Clayton aber gleitet weiter am Gemäuer des alten spanischen Kastells entlang, bis er die Möglichkeit eines Aufstiegs entdeckt. Er erreicht ein offenes Fenster und schwingt sich in den Raum. Als er den Raum verlässt, befindet er sich auf dem alten Wehrgang, der das Dach der Arkaden bildet. Unter sich hört er die Stimmen der Männer beim Abendessen. Er gleitet weiter. Unten werden Lampen angezündet, deren Lichtschein jedoch nicht nach oben dringt. Er ist ständig bereit, sich zu Boden zu werfen. Vom Wehrgang, der auch mit einer Galerie zu vergleichen ist, kann man in die einzelnen Zimmer oder Räume treten. Die Türen sind alle offen. Man will ja die Nachtkühle in den Bau bekommen. Aus einer der offenen Türen fällt Lichtschein. Jake hört nun die rauen Stimmen zweier streitender Männer, weiß sofort, dass da Hoker und Sloane eine böse
Auseinandersetzung haben. Als er nahe genug bei der Tür verhält, versteht er die Worte. Es ist Sloanes Stimme, welche mit brutaler Härte sagt: »Also finde dich damit ab, Hoker, dass ich dich abgelöst habe! Die Männer hören nur noch auf mich. Du bist zu lange ausgefallen und immer noch nicht wieder voll…« Weiter kommt Sloanes Stimme nicht, denn nun kracht ein Doppelschuss. Clayton weiß den Knall zu deuten. So kracht ein kleiner Derringer, dessen beide Läufe zu gleicher Zeit abgedrückt wurden. Und weil Sloanes Stimme so jäh verstummt, weiß er, dass es Hoker war, der geschossen hat. Clayton zieht sich schnell zurück. Denn ein Stück weiter führt von unten eine Treppe nach oben. Männer stürmen von unten herauf. Hokers Stimme ruft ihnen entgegen: »Nur ruhig, Jungs! Sloane hat sich mit mir angelegt! Ich musste ihn leider erschießen! Und wen muss ich von euch erschießen?« Die Worte brüllt er zuletzt in wildem Zorn. Und da verharren sie. Clayton kann es vom Ende des Außenganges beobachten. Und er erlebt, wie Hoker seine Bande wieder unter Kontrolle bekommt. Der Meuterer, der ihm den Rang streitig machen wollte, ist tot. »Schafft ihn weg von hier! Werft ihn draußen in ein Loch!« Hokers Stimme gellt immer noch vor Zorn. *** Jake Clayton muss lange warten am dunklen Ende des Wehrganges. Er hockt am Boden und hört alle Stimmen und Geräusche.
Unten klingen noch die Stimmen durcheinander. Einige von Hokers Männern gehen abwechselnd Streife durch die Stadt, zeigen sich dort gewiss großspurig und lassen Casa Coronado ständig spüren, dass sich nichts geändert hat und alles wieder so ist wie zuvor. Auch der dritte Sheriff hat nichts ändern können. Und natürlich haben Hokers Männer in allen Lokalen und Geschäften alles frei. Sie zahlen für alles, was sie sich nehmen, einkaufen und in Anspruch nehmen, keinen Cent. Nach Mitternacht wird es still in der Casa. Der Koch in der Küche unter Claytons Versteck hört auf mit dem Klappern und Scheppern des Geschirrs und der Pfannen. Auch für ihn ist der Tag beendet. Es ist dann etwa eine oder gar zwei Stunden nach Mitternacht, als in der Casa absolute Ruhe herrscht. Und so macht Clayton sich auf den Weg. Wenig später erreicht er die offene Tür von Hokers Unterkunft. Eine Weile verharrt er lauschend und hört Hokers Atemzüge. Es sind tiefe Atemzüge, die ihn überzeugen, dass Hoker fest schläft. Und so gleitet er hinein. Mond- und Sternenlicht erhellt den Raum nur sehr mäßig. Doch er kann Hoker auf seinem Lager erkennen. In der gegenüberhegenden Wand ist ein großes Fenster. Er spürt den Luftdurchzug. Hoker beginnt zu schnarchen. Und Clayton muss sich entschließen. Er geht nicht das geringste Risiko ein. Er kann sich keine Schonung erlauben. Er greift Hoker mit der linken Hand an den Hals und schlägt ihm mit der Rechten den Revolverlauf auf den Kopf. Hokers tiefer Schlaf wird nun zur Bewusstlosigkeit. Und so kann er nicht erwachen, als Clayton ihn zum Fenster schleift und bäuchlings über die Brüstung legt, sodass sein Oberkörper sehr weit nach draußen hängt.
Einen Moment zögert Clayton. Denn Hoker wird etwa fünf Yards tief fallen. Doch der Boden an der Mauer ist weich. Es wachsen hier Büsche. Hoker wird nicht hart aufschlagen. Er umfasst Hokers Beine in Höhe der Knie oder Kniekehlen. Und dann lässt er ihn fallen und springt sofort hinterher. Hoker liegt in einem Busch und stöhnt. Wahrscheinlich würde er wenig später wieder aus seiner Bewusstlosigkeit erwachen. Und so schlägt Clayton ihm nochmals was über den Kopf. Als er ihn aus dem Busch zieht, ist Bac Wannagan bei ihm. Wannagan knurrt zufrieden: »Da haben wir ihn ja. Mein Wagen steht nicht weit von hier unter den alten Cottonwoods beim Brunnen. Also tragen wir ihn ein Stück über die Plaza dorthin.« Sie tun es, und sie haben Glück, dass es sonst kein Leben auf der Plaza gibt. Josie wartet schon seit Mitternacht auf ihr Kommen, sitzt neben ihrer Hintertür auf der Bank an der Hauswand. Als der Wagen in den kleinen Hof rollt, da erhebt sie sich. »Habt ihr ihn?« »Ja, wir haben ihn. Ist die Kellerluke offen?« »Schon lange. Und jede Minute kam mir wie eine Ewigkeit vor.« Josies Stimme klingt ein wenig heiser. Doch jetzt löst sich ihre Anspannung. Und so schaffen sie Hoker hinein. Als sie ihn fesseln, wird er wach und will hoch. Aber Clayton sagt: »Solltest du jetzt wild werden, bekommst du noch was auf deine Birne.« Und so erschlafft Hoker wieder und keucht heiser: »Meine Männer werden nach mir suchen. Die finden mich!« »Die haben mich nicht gefunden«, erwidert Clayton. »Warum sollten sie dann dich finden, zumal du den klügsten
Kopf deiner Bande getötet hast? Du wirst es dort unten ebenso gemütlich und bequem haben wie ich, als ich mich vor Sloane verstecken musste. Wir verwahren dich für eine Armeepatrouille, die von Fort Catalina kommen wird.« Sie lassen ihn nun in das Kellerverlies gleiten und schließen die Luke. Dann sehen sie sich im Lampenschein zufrieden an. Josie sagt mit bitterer Zufriedenheit und spröder Härte: »Jetzt wird er für alles bezahlen. Hoffentlich kommt die Armee bald.« Bac Wannagan kichert grimmig: »Gewiss wird sie kommen. Ich muss endlich den Wagen fortbringen.« Er geht wieder hinaus. Josie aber kommt in Claytons Arme und flüstert an seiner Schulter: »Bald werden wir ein normales Leben führen können – wir alle hier in der Stadt, du und ich als sich liebendes Paar.« Es geht dann ziemlich schnell. Als Hokers Männer am nächsten Vormittag überall nach ihrem Boss zu suchen beginnen und herauszufinden versuchen, wo er abgeblieben sein könnte, die kleine Stadt sich Sorgen zu machen beginnt, weil sie ja noch nicht weiß, was in der Nacht geschah, da kommt von Osten her die Armeepatrouille angeritten. Es sind zwei Dutzend staubige, schwitzende Kavalleristen, geführt von einem eisgrauen Lieutenant, einem Sergeant und einem Zivilscout. Und dann sieht die Stadt – und sehen auch Hokers Männer – den verschollenen Sheriff wieder. Jake Clayton tritt vor Josies Haus der Patrouille in den Weg. Sein Stern blinkt in der Sonne. »Zu Ihnen wollte ich mit meinen Reitern.« Der Lieutenant grinst von seinem Pferd auf ihn nieder. »Es soll hier einen Ex-Sergeant Kelly geben, den die Armee schon vor fast zehn Jahren gerne gehängt hätte. Wo ist er?« »Ich habe ihn für Sie aufgehoben, Lieutenant«, erwidert
Clayton. »Und es gibt keinen Zweifel, dass er es ist. Sie können ihn sofort haben. Sehen Sie die Kerle dort vor dem Kastell auf der Plaza? Das ist seine Bande. Doch ich denke, dass die Kerle nun über die Grenze nach Sonora flüchten werden.« Der Lieutenant blickt die Straße hinunter und erkennt das dort vor dem Kastell verharrende Rudel der Banditen. Er wendet sich an den Sergeant: »Sergeant, nehmen Sie zehn Mann und jagen Sie die Bande über die Grenze.« Und so kommt es auch. Die kleine Stadt Casa Coronado erlebt einen Freudentag. Hokers Männer schaffen es gerade noch auf ihren Pferden, die sie schon beim Kommen der Patrouille in Bereitschaft hielten, nach Süden zu entkommen. Und dann sieht die Stadt zu, wie Hoker aus Josie Wests Haus gebracht und von der Armeeabteilung übernommen wird. Und so weiß und glaubt man in Casa Coronado endlich, dass nun eine neue Zeit beginnt. *** Und so ist es auch. Casa Coronado blüht in den nächsten Wochen auf. Die Stadtverwaltung, das Sheriff’s Office und das Gefängnis befinden sich nun im alten Kastell, von dem aus Hoker mit seiner Bande wie von einer Burg aus die Stadt beherrschte und auch den Wagenweg kontrollierte. Alles ist vorbei. Der Sheriff geht seine Runden, begleitet von Lobo, dem wolfsähnlichen Hund. Und überdies hat sich eine Bürgerwehr gegründet, die den Sheriff unterstützen will, wenn dies notwendig werden sollte. Alles wäre also in Ordnung und bestens, zumal Clayton und Josie einen Padre aus der Santa-Cumori-Mission kommen lassen wollen, der sie trauen soll.
Es ist an einem schönen Morgen, als der Padre auf einem Esel angeritten kommt und vor dem Kastell verhält. Er ist in eine braune Kutte gekleidet, hat die Kapuze tief über das Gesicht gezogen und zeigt darunter nur ein bärtiges Gesicht. Als er in Claytons Office tritt, wo Clayton hinter dem Schreibtisch sitzt, da sagt er kehlig: »Ich soll hier ein Paar mit dem Segen des Herrn vermählen.« »Ja, da sind Sie hier richtig, Padre. Ich bin Sheriff Clayton und lasse sofort meine Braut holen. Inzwischen können wir hier bei einem Glas Wein alles besprechen. Gut so, Padre?« »Gut so«, erwidert dieser, schüttelt die Kapuze von seinem Kopf und bringt unter der Kutte einen Revolver zum Vorschein. »Erkennst du mich trotz meines Vollbartes, Clayton?«, fragt er. Clayton nickt nur, denn er sieht Hoker. Es gibt keinen Zweifel. Der Padre ist Hoker, der nun spricht: »Ich konnte der Armee in Fort Catalina wieder einmal entkommen. Unterwegs traf ich auf den Padre, der mir erzählte, wohin er wollte. Nun, das passte mir gut. Und so bin ich hier, um dich zu töten. Dann werde ich hinüber nach Sonora flüchten und bald wieder eine Bande führen. Also, willst du noch etwas sagen? Sonst steh auf, als würdest du vor deinem Richter stehend das Urteil empfangen. Steh auf, verdammt!« Clayton erhebt sich, indes er in die hasserfüllten Augen von Hoker blickt. Clayton trägt keine Waffe. Er hat seinen Revolvergürtel an die Sessellehne gehängt. Seine Chance ist gleich null. Er hat keine. Und so macht er sich bereit zum Sterben. Es ist ein tiefes Bedauern in ihm. Denn er denkt an Josie. Es kann kein Glück mit ihr geben. Gleich wird er tot und Hoker letztlich der Sieger sein. Doch dann verändert sich alles.
Hinter Hoker taucht Lobo auf und springt Hoker auf den Rücken, verbeißt sich dabei in Hokers Nacken. Hoker stolpert nach vorn, schießt dabei vor sich in den steinernen Boden und bringt es fertig, Lobo noch einmal abzuschütteln, weil dessen Zubeißen von der Kapuze behindert wurde. Als Hoker den zweiten Schuss auf Clayton abgeben will, hat dieser längst den Revolver in die Hand bekommen und schießt. Die Kugel trifft Hoker voll ins Herz. Und selbst Lobo spürt, dass der Feind tot ist, denn er greift ihn nicht mehr an, verharrt nur knurrend. Clayton lässt die rauchende Mündung seiner Waffe sinken. Mit der anderen Hand wischt er sich übers Gesicht. Soeben hatte er mit seinem Leben abgeschlossen. Nun begreift er, dass es ein ihm wohlgesinntes Schicksal gibt. ENDE