Vom Autor genehmigte deutsche Umdichtung von FELIX PAUL GREVE.
EIN LIEBESVERSUCH UND ANDRE NOVELLEN VON ANDRÉ GIDE
B...
50 downloads
1097 Views
276KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Vom Autor genehmigte deutsche Umdichtung von FELIX PAUL GREVE.
EIN LIEBESVERSUCH UND ANDRE NOVELLEN VON ANDRÉ GIDE
BERLIN 1907 OESTERHELD & CO. • VERLAG. SCAN BY PÁRDUC
ö 2002
EL HAJD ODER DER TRAKTAT VOM FALSCHEN PROPHETEN.
Für Friedrich Rosenberg.
O! Prophet, tue kund alles, was auf dich herabgekommen ist um deines Fürsten willen, denn, so du es nicht tust, hast du seine Botschaft nicht erfüllt. Der Koran, V, 71. Da die hingingen, fing Jesus an, zu reden zu dem Volke von Johannes : Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen! Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen: Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen! Wolltet ihr einen Propheten sehen! Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. Matthäus XI, 7—9.
Jetzt, da nah bei der sinkenden Sonne die geliebten Minarehs wieder auftauchen, in der endlich wiedererreichten Stadt; da das erschöpfte Volk vor Begierden lacht und auf sie zustürzt . . . Allah! ist meine Aufgabe jetzt zu Ende? Nicht meine Stimme führt sie mehr. Ah! mögen sie heute Abend auf der Schwelle ihres Hauses vor Liebe schreien können, da sie dort ihre Ruhe wiederfinden! — ich will in der Wüste verweilen. — Mein Geheimnis, ich habe es verschwiegen, die Tage durch und die Nächte durch; ohne Stütze habe ich die Last meiner furchtbaren Lüge getragen, und bis zum Schluss habe ich den Schein gewahrt, aus Furcht, wenn sie unsrer langen Irrfahrt vergebens ein Ziel suchten und keines fanden, gäben sie sich den Leiden hin und könnten nicht mehr von der Stelle. Jetzt will ich reden! ich bin allein. Aber was soll ich vor Verzweiflung schreien? Denn ich weiss jetzt, dass es Propheten gibt, die am Tage den Völkern, die sie führen, die 7
Unruhe ach! verbergen und die Verirrung ihrer Seele; die ihre einstige Inbrunst spielen, um zu verhehlen, dass sie tot ist — die da schluchzen, wenn die Nacht kommt, wenn sie sich ganz allein sehn — und nur noch kaum erleuchtet sind von den ungezählten Sternen und von der zu fernen Idee vielleicht noch — an die sie doch längst nicht mehr glauben. Aber ihr, Fürst, ihr seid ja tot; ich selber, ich habe euch niedergelegt in den ziehenden Sand; der Wind hat geweht; der Sand ist gerollt wie die Wogen der grossen Flüsse, und wer kennt noch den Ort eures irrenden Grabes? — Führtet ihr euer Volk in die Wüste? — Oder wurdet ihr selber von einem andern geführt? Was habt ihr in der Ebene getroffen? — Es war nichts da. Nicht wahr? Ihr habt nichts in der Ebene gesehen? Aber, kam nicht der Tod, so wäret ihr weiter gegangen. — Fürst, ich habe das Volk aus der Ebene heimgeführt. Sicherlich glaubte ich anfangs nicht, ich sei ein Prophet; ich fühlte mich nicht dazu geboren. Ich war nur ein Märchenerzähler auf den Plätzen. El Hadj, und man nahm mich, weil ich Lieder kannte. Man hat mir gesagt, ich trüge das Zeichen auf dem Rücken, mit dem Gott seine Apostel zeichnet; aber es war mir nicht kund getan; sonst hätte ich die 8
Stadt nicht verlassen; aus Furcht vor Gott wäre ich ihnen nicht gefolgt. Aber konnte ich meine Geschichte ahnen? Prophet: den andern allein habe ich vorausverkündet. — Man zog aus in eiliger Truppe und wusste nicht, wozu noch wohin. Sie zahlten mich, dass ich sie unterhielte; so schloss ich mich ihnen an; ich sang ihnen Liebeslieder während der Langenweile des weiten Weges, und ich beweinte mit ihnen die Frauen, die wir nicht mitgenommen hatten; so schlich ich mich in ihre Liebe. Wir rückten auf die Ebene zu. Vor uns her zog der Fürst, getragen in einer geschlossenen Sänfte; keiner von uns durfte ihn sehen. Nachts schlief er allein in seinem Zelt, und keiner von uns nahte ihm; stumme Sklaven schützten seine Einsamkeit. Wie zog er uns nach sich? Es war eine geheimnisvolle Abhängigkeit; man hätte meinen können, seine Entscheidung erlege sich unmittelbar uns allen auf. Denn keiner überbrachte irgend Befehle von ihm; wir hatten keine anderen Führer als ihn, und er bewahrte ewiges Schweigen; oder vielleicht sprach er zu seinen Trägern, aber seine Stimme hatte uns nie erreicht. So dass wir alle ihm zu folgen schienen, der nicht sichtlich führte. Aber seltsam war es, und ich staunte hinfort darüber, dass unser Marsch vorbedacht schien und der Weg schon
9
bestimmt, als hätten ihn, vor uns hinziehend, andere schon bezeichnet. Wir setzten nichts auf dem Weg in Erstaunen, und in den Städten, denen wir nahe kamen, fand man uns so leicht Proviant und verwunderte sich unserer so wenig, dass es schien, die Erwartung unser sei uns schon vorausgeeilt. Und doch sah man recht wohl, dass wir nicht zu jenen Handelskarawanen gehörten, die von Stadt zu Stadt ziehn und die man zu empfangen gewohnt ist. Eher hätte man uns für eine Kriegstruppe halten können, hätten wir mehr Waffen getragen — aber noch ehe man unsere friedliche Absicht begriffen hatte, aus der Ferne schon erschrak nicht einer. Sowie wir die Staaten des Fürsten verlassen hatten, kampierten wir der Form wegen nicht mehr in den Städten, sondern am Fuss ihrer Mauern und auf der Seite nach Osten. Wenn die Stadt von Oasen umgeben war, traten wir nicht mehr unter die Bäume, sobald der Tag sich senkte. Dort herrschte eine verderbliche Frische; wir lagerten am Saum der Gärten, und unsere Seele ward es gewohnt, vor sich nur eine endlose Fläche zu haben. Bisweilen ging ich vor Schluss des Tages in diese Gärten und begleitete unsere Abgesandten, die auf den Märkten Vorräte suchen sollten, und die Verkäufer dort befragten uns 10
kaum; übrigens bald verstanden wir ihre Sprache nicht mehr leicht; es war noch die unsre, aber man sprach sie zu anders aus. Und was hätten wir ihnen antworten können? Es sei denn, dass wir aus einer Hauptstadt des Südens kamen, und dass wir auf unserm langen Marsch nach Norden das Land jeden Tag weiter und wüster werden sahen. Bisweilen — mehr für die unsern als für diese Fremden, die mich schlecht verstanden, und als für die kleinen Kinder, die uns, wenn das Lager ihrer Stadt nicht zu fern stand, dorthin folgten und am Abend blieben, schweigend oder um unsere Reisigfeuer zischelnd, die aber weder unsere Reiserüstung noch die reichgestickten Stoffe, die am Nacken der Dromedare hingen, kaum weiter zu erstaunen schienen, als dass sie sich ihrer mit den Fingerspitzen vergewisserten — bisweilen sang ich und zog meinen Sang bis zum Nahen des Schlummers in die Nacht hinein: — Die Stadt, die wir verlassen haben, ist, war reich, gross und schön. Wenn wir sie nie verlassen hätten, hätten wir sie auch nie genannt, Denn wir kannten keine andern. Fortan nennen wir sie Bab-el-Khrur, um unter uns von ihr reden zu können, Und um ihren Ruf mit uns durch die Lande zu tragen.
Unsere Stadt ist schöner weit als, die wir durchzogen, alle. Ich weiss Cafés dort, wo man abends plaudert, und wo schöne Frauen tanzen. Die wir verliessen, die Frauen weinen in der Erwartung unser vor Liebe. Jeder von uns hat ihrer ein paar, und die geringste ist noch sehr schön. Aussen der Stadt wächst Mais und Korn; reich ist das Land an Getreide. Unser Fürst ist mächtig unter den Fürsten; niemand darf ihm nahen; Keiner hat je sein Gesicht gesehen Ah! glückselig die junge Braut, die seine Züge betrachten wird. Was wird, reich genug für ihn, sie besitzen? Welches Parfüm wird das Haar ihr feuchten? Wo erwartet sie ihn zu den Festen? Dorthin werden wir gehn. Sie siecht hin im Harren vor Langerweile, An dem Rand der Wasser in weiten Gärten, Keiner als der Fürst wird sie sehen dürfen, Doch am Abend der Hochzeit werden reichlich Palmenmilch und süssen Wein wir haben. So sangen wir vor den andern das Lob unserer Stadt aus Eitelkeit — und prophe12
zeiten uns prunkvolle Schicksale, um nicht verachtet zu werden. Doch in der Nacht, wenn uns die anderen alle verlassen hatten, hatten wir nicht mehr solche Zuversicht und sagten uns : Freilich ist es wahr, unsere Stadt ist gross und schön, die Stadt, die wir verlassen haben; aber lang war der Weg seither, und der Rest, was wissen wir von ihm? Wir müssen dem Fürsten folgen, kein Zweifel; aber bis wann? und bis wohin? — und um was zu tun, fuhrt er uns dahin? Lasst uns ihn singen; doch wer kann es sagen? Ohne Zweifel weiss es der Fürst; aber zu wem wohl spräche der Fürst? Und ob sie auch ihrer traurigen Frage keine Antwort erhofften, sagte ich ihnen: Zu mir wird er sprechen. — Wie wolltest du das beginnen? sagten sie; man lässt ihm nicht nahen. — Lasst uns warten lernen, gab ich zur Antwort. Wer in der Nacht marschiert, kann Tags über Schatten geniessen. — Und als ich das sagte, hoffte ich selber. Am folgenden Tage dachte ich, während wir in der Ebene weiterzogen und die letzten Schatten verschwanden: Wozu nützt mir, dass ich singe, wenn ich nicht für den Fürsten singe? — Heute Nacht will ich hingehn, nicht fern seinem Zelte; sie alle werden ermattet schlafen: der Fürst, der nicht marschiert 13
ist, wird wenig schlafen; er wird mich hören, und ich werde singen, so schön, dass er mich wird weiter hören wollen. Daran dachte ich während des ganzen Tages;eine Inbrunst stärkte meinen Marsch, und das Verlangen nach dieser Nacht machte, dass sie mir langsam kam, sie, die ich mit meinem Sang erfüllen wollte. Als die Nacht kam, sang ich: — O Nacht! — und alles schwieg im Lager. Das Zelt des Fürsten bildete aussen des Lagers einen gesonderten Vorsprung; und dahinter erstreckte sich ungeheuer die Wüste. — O Nacht! — und ich unterbrach meinen Gesang durch Pausen, als trüge ein Wind ihn fort, dass der Fürst bedauern müsste, ihn nicht ganz zu hören . . . — Ein Zelt auf der Wüste. — Eine Schaluppe auf den Wogen! — Aber vom Sande, El Hadj, was sollte ich sagen? . . . und ich nannte meinen Pilgernamen und dachte, was auch nicht ausblieb, dass der Fürst sich dessen erinnern würde und mich rufen lassen könnte. Und da alsbald der runde Mond sich schweigend verzerrte, und da ich, bei seinem Anblick von Qual erfasst, mich wunderte, wieviel des Lichtes der Sand nach der Hitze des Tages noch festhielt, so dass er blau erschien, so sang ich: Er ist blauer als die Wogen des Meeres. Er war leuchtender als der Himmel . . . 14
Und plötzlich rief ich wie einer, der wehklagt: Vor wievielen Tagen hast du gesagt: da weichen die Hügel des Landes zurück, und wir haben, unsere Treue zu stützen, nur noch zu ferne Erinnerungen. Was sahen wir denn seither in der Ebene! Die Ebene. El Hadj! was wirst du von der Ebene berichten? Es ist nichts da. Nicht? du hast in der Ebene nichts gesehen? — Ich habe Flüsse, grosse Flüsse, ganz im Sande verschwinden sehen; nicht hinunter, glaube ich, stürzten sie sich in ihn; langsam versanken sie in ihm; sie verschwanden darin wie Hoffnungen. — Manchmal erschienen sie weiterhin wieder; nicht empor, glaube ich, sprudelten sie; sie kamen einfach als feines, filtriertes Wasser aus dem Sande zurück; sie erschienen wieder wie Hoffnungen. Weiterhin war dann nur noch Sand; man wusste nicht einmal mehr, was aus ihnen geworden war. — Flüsse, grosse Flüsse, nicht euch zu sehen, sind wir gekommen. Sagt! was sähet ihr in der Ebene? Die unendliche Karawane durchzog sie. Was wird sie auf dem Sand gesehen haben? Bleiche Knochen; leere Muscheln: Spuren und Spuren und Spuren, — Die der Wind der Wüste verwehte. 15
Vorüber
Wind der Wüste. — Ah? was zogt ihr zu sehn in die Ebene? Einen Schilfhalm, gewirbelt vom Winde? Aber was zogt ihr zu sehn in die Ebene? Zogt ihr denn, nichts zu sehen, hinaus? . . . Als der Tag zurückkam, fürchtete ich, die anderen würden mir meines Sanges halber lästig fallen; — aber sie hatten ihn nicht einmal vernommen. — Wir zogen weiter in der Wüste. Als die Nacht zurückkam, näherte ich mich von neuem dem Zelt, und als der Mond tiefrot ob der Wüste aufstieg, rief ich: O Nacht! grosse Nacht! . . . — dann begann ich leiser vom neuem: — Einer Barke gleich auf den Wogen, Fürst, führt dich ein Zelt einher. — Sag, es führt dich bis wohin? — Und da ich heute Nacht meine Geige bei mir hatte, spielte von Zeit zu Zeit den Fragen ich eine Antwort. — Bist du, düstere Ebene, in der Sonne, vor uns, ohnmächtig genug geworden? Wüste! Wenn die Nacht kommt, machst du nicht da stets halt? — O! wenn der Wind mich auf seinen Flügeln entführte, zum anderen Ufer dieses entflammten Meeres — o möge es dorthin gehen, wo der blutende Mond, der Hirte des Himmels, vor dem Weidegang sich wäscht. 10
zog
der
unendliche
Am Rande der Wasser, in weiten Gärten, einem Liebenden gleich am Hochzeitsabend, schmückt er sich; er betrachtet sich in dem Wasser. Die Liebende harrt, o Fürst, am Rand der verborgenen Quellen, des Abends der Hochzeit. — So wurden meine Worte kühner, bis zur Behauptung — und doch, doch, was wusste ich davon? war das Prophezeien? . . . und ich sang, und mein Ton wurde immer zärtlicher, immer pathetischer oder matter: Fürst! wo soll diese Reise enden? In der Ruhe etwa des Todes? — Ohne Zweifel stehn andere Gärten im Norden, unter dem milden Himmel, wo die Palmen verkrüppeln. Woran denkst du? Fürst, oder schläfst du? — Fürst! wann werde je ich dich sehen? auf dass ich welchen kleinen Kindern und an wievielen Abenden antworten könne: Ja, so war es, — wenn sie mich fragen werden: El Hadj! El Hadj! was zu sehn, hat man dich in die Ebene geführt? Einen Fürsten, gehüllt in Prunkgewänder? — Fürst! meine ganze Seele seufzet; meine Seele verzehrt sich nach dir . . . Und allmählich fühlte ich, wie ich nach dem Willen selber meiner Worte in ihm aufging, also dass ich, als ich ihn in der dritten Nacht beim ersten Klang meines Sangs aus seinem Zelte treten 17
sah, gehüllt in Prunkgewänder, doch das Gesicht unter einem Schleier verborgen — und wie ich noch fragte und vergebens zu fragen vermeinte: Fürst! was zu sehn seid ihr in die Wüste gezogen? — als ich ihn mir da, mit einer Stimme, feiner als irgend ein Lied, das ich je vernommen hatte, antworten hörte : — Ein Prophet — und mehr als ein Prophet — El Hadj! guter Pilger, du bist es! morgen sollst du in mein Zelt hineinkommen — da verstummte ich und schluchzte bis zur Morgenröte in der Nacht vor Liebe. Aber am folgenden Tage bezog sich die Wüste mit Spiegelungen; seit langem hatten die Oasen aufgehört; kaum stieg, wo Wasser stagnierte, ein magerer Palmenhain, so gesteigert durch die Spiegelung, dass er von ferne aussah, wie eine wunderbare Oase. Und ich versichere euch, nichts — hohe Städte, Palmen und Wasser, nichts war für uns enttäuschender, Allah! als diese Spiegelungen. Bisweilen zogen wir von Tagesgrauen an auf sie zu, und bis zum Abend, um zu verzweifeln, wenn wir sie, die sich erst langsam entfernten, im Verbleichen der Sonne verlöschen sahen. — So werden wir in der Hoffnung, El Hadj, bis zum Tode von Tugend zu Tugend ziehen, und werden uns aufrecht erhalten bis zum Schluss durch 18
die Spiegelvision man weiss nicht welcher Seligkeit — dem gleich, der seinem unwiderruflichen Schlummer, um darin einzuschlafen, beharrlich einen Traum bereitete. — O toter Fürst! hast du in deinem visionslosen Schlummer immer noch Durst nach dem Wasser der Quellen? — O Visionen des Paradieses! O glücklich der, bei dem allein der schwarze Tod euch löschen kann. Allah? du bist einzig wahrhaft. — Ich weiss wohl, es gibt ihrer, die sagen, dies da seien nicht Unwirklichkeiten, und die Dinge seien anderswo, und man werde sie endlich doch finden — sie, von denen wir hier nur den schwebenden Schein noch haben, durch zuviel Wärme von ihnen gelöst — der sich näher, trügerisch unserem Griffe bietet. Aber da wir ihn nicht ergreifen können, Allah! wozu da ihn bieten? — Und wir fassten uns nicht am Morgen, wenn man vor uns den Horizont erschäumen sah — und selbst das Vergangene schien uns keine unvermeidliche Gewissheit mehr zu besitzen, so sehr war es, wenn man sich wieder zur Sonne wandte, als schmelze alles und werde beinahe flüssig. — Doch gegenwärtig bewundere ich, erfüllt es mich mit Geduld, wenn ich bedenke, ah! armes Volk! wie gross sie war, deine Zuversicht! daher entsprang mein Mitgefühl . . . . . Denn schliess19
lich, was wusste er von allem, was man von ihm erwartete? und was davon erwartete er selber? — Ihnen genügte, damit sie zogen, dass sie glaubten, es gehe zu einem Ziel, und der Fürst wenigstens kenne es und führe sie mit Sicherheit. Wie folgsam sie folgten, ohne zu wissen! — denn von dem, was der Fürst mir sagte, glaubte ich ihnen nichts offenbaren zu dürfen; übrigens hätten sie es nicht verstanden. Und welche Gewissheit hatte er übrigens selber der Zukunft, von der er sprach? Wenn er jetzt an jene Hochzeit glaubte, war es nicht erst, seit er mich sie hatte singen hören? Aber da sprach er so sanft, so gläubig und sicher von dem Kind, das ihr entspringen sollte und seinen Namen tragen würde, verjüngt, jenen Namen, den keiner hat kennen dürfen, und durch den das ganze Volk gewonnen wäre; er sprach davon mit so ernster Zuversicht, dass ich trotz der Vergangenheit und eben meines Nichtverstehens wegen daran glaubte. — El Hadj! sagte er da zu mir, du musst, verstehe, mit allen Kräften an mich glauben; das braucht die Zukunft, um einzutreffen. — Fürst, kraft der Liebe habe ich an dich geglaubt. — Singe, El Hadj! singe jetzt die Gärten, wo mich die Liebende erwartet — aber von ihr rede mir nicht. — Und indem 20
ich die Einförmigkeit der Palmen bedachte, sagte ich mir: dass der Bewohner der Wüste träume, muss ich vom zahlreichen Astwerk des Nordens reden und von den mancherlei Stämmen der Bäume; — und ich sang die tiefen Wälder, die Schluchten, den Duft der Blätter und der Moose, die Nebel des Mittags, des Abends, die Frische der Nacht, die Anmut des Tages und auf den Wiesen die köstliche Feuchte. Der Fürst hörte mir langsam zu. Ich nannte die Arbeiten leichter; die Wollust lächelnder, den Azur klarer, die Luft weniger brennend, die Nacht minder entflammt. — Werden wir bald dort sein? fragte er. — Wir werden bald dort sein, antwortete ich. — Singe noch weiter, vielgeliebter El Hadj! — Da unten, sang ich, fliessen Wasser, die nicht mehr salzig sind. Ah! wie süss werden unseren Füssen die eisigen Kiesel der Flüsse sein . . . . . Mit dem Singen verstrich die Hälfte der Nacht. Ich weiss nicht, ob mein Sang dem Fürsten Zuversicht gab, aber ich selber fühlte mich ausserordentlich gekräftigt. Was ich sang, wurde; wenn ich es gesungen hatte, glaubte ich daran. Vor dem Volke schirmte ich mich meist durch Schweigen; es genügte, wenn es glaubte, dass der Fürst es führe. 21
Und wenn ich sprach, so sagte ich: Der Fürst leitet euch; er weiss, wohin es ihm zu gehn gefällt. Aber was sollte ich euch darüber sagen? Was bin ich selber vor ihm? Vor euch, freilich, Prophet; vor dem Fürsten ein Diener. Und ich warf mich zu Boden gegen sein Zelt, um ein Beispiel der Unterwerfung zu geben. Indessen wurde jeder Nachmittag ein wenig lastender. Wenn die Spiegelungen nicht entsprangen, sah man vor sich nichts als den roten Sand der Ebene, der sich Momente lang zu Dünen erhob; die einzige Episode eines Tages war, wenn man Koloquinten gefunden hatte. Um uns zubeschäftigen, erfand ich strengere Übungen und sonderbare Entbehrungen. Kaum hatten wir im Lager ein paar Frauen mitgeführt, aber ich setzte Stunden fest, um sie zu berühren; aber sie hatten nicht wie ich das Herz voll Liebe für den Fürsten und waren nicht dadurch beschäftigt. Vor ihnen zeigte ich Selbstgefälligkeit, und damit sie mich nicht befragten, behauptete ich nur unzusammenhängende Dinge: den Unterwürfigen gab ich Versprechungen des Lohnes, den Empörern Drohungen der Züchtigung. Dann kehrte ich in die Nähe des Zeltes zurück, in das mich der Fürst erst am Abend einliess — und 22
bis zum Abend fühlte ich, wie meine Zuversicht, die bei dem Fürsten neu erstand, versank. — Aber ich weiss nicht woher, wenn ich am Tage schwach geworden war, wusste es der Fürst am Abend. — El Hadj! sagte er dann mit immer schwindender Stimme, in deiner Treue ruhe ich; aus deinem Glauben an mich schöpfe ich die Gewissheit meines Lebens. — Ich verstand es damals nicht, aber nach jedem Tage des Zweifels fand ich ihn Abends ein wenig mehr geschwächt. Ah! und daher erwachte an jedem Morgen meine Treue schwächer; und wenn ich bei ihm die ganze Nacht durch meine Zuversicht neubaute, wurde er dadurch nicht gekräftigt. — El Hadj! sagte er dann, armer Prophet! wie deine Liebe klein ist! Lohnt es der Mühe, dass ich von ihr lebe? wenn du nicht mehr von ihr gebrannt wirst. — O! antwortete ich, ich liebe euch, Fürst, so sehr, wie ich euch lieben kann. — In der Sonne nur schwankt alles; Nachts setze ich mich zu euch und verzehre mich vor Inbrunst. — Was bin ich nicht den ganzen Tag unter eurem Zelte? wir würden uns lange trösten; auch während des Tages liebe ich euch; ich warte der Nacht und weine, dass ihr mir nicht erschienet. Was lasst ihr euch nicht besser kennen? Nichts verlangt mich, als 23
euch zu kennen. Ah! wenn ich dein Gesicht sehen könnte, Fürst, ich wäre ganz gekräftigt. — Da nahm mich der Fürst bei der Hand, und das verwirrte mich so . . . . . Meine Zärtlichkeit wurde gesteigert, doch meine Zuversicht tödlich verwundet — so brannte diese Hand vor Fieber. Am folgenden Tage sang ich zwischen den Märschen des langen Tages, hoffend, er werde mich hören, nahe dem noch aufgespannten Zelte: Auf der Wüste schwimmt mein Zelt Wie auf einem glühenden Meer. Tore aus Leinwand, möge der Wind euch heben! Tore meines Zelts, ihr seid von Licht durchdrungen. Hebt euch, Tore aus Leinwand, Lasst mein Verlangen hinein. Aber kaum, dass die Leinwand gleich dem Segel eines Schiffes im Winde flatterte. Der Fürst schlief den ganzen Tag und hörte mich nicht singen. Da begann ich leiser murmelnd von neuem: Mein süsser Freund schläft unter dem Zelt. Dass er schlafen könne, wache ich. Wenn ich allein bin, ist es, weil ich des Freundes harre. 24
Erst am Abend gehe ich zu ihm. Jetzt ist die Stunde der Feuer alle des Mittags; Alles Land wird welk vor Durst und vor Furcht und Erwartung; Es ist die Stunde, da der Wille mutiger Männer erschrickt, Da der Gedanke der Weisen wirr wird, Da die Tugend der Reinen abfällt, — So ist der Durst Verlangen der Liebe, Und die Liebe ist Durst, zu berühren,— Da sich, was nicht Feuer ist, Alles unter der Glut verfärbt. Es gibt ihrer, die, ist der Abend gekommen, ihren Mut nicht mehr wiederfanden, und die soviel Hitze ermüdet hat; Es gibt ihrer, die durch die Wüste hin, während der ganzen Nacht darauf vergebens ihren verirrten Gedanken suchten; — Um meines süssen Freundes willen Harr' ich der süssen Nacht ohne Furcht. Wenn der Abend kommt, erwacht mein Freund; Ich gehe zu ihm; wir trösten uns lange. Er führt die Augen mir hin durch die Gärten der Sterne. Ich rede ihm von den grossen Bäumen des Nordens Und von den kalten Teichen, in denen der Mond, 25
Der Hirte des Himmels, sich wie ein Liebender badet: Er erklärt mir, dass die vergänglichen Dinge einzig Die einzigen Worte erfunden haben, Und dass, die nicht vergehen sollen, Ewig schweigen, weil sie alle Zeit zum Reden haben — Und weil ihre Ewigkeit sie erzählt. Kaum verstehend weshalb, erschrak ich, also singend, wegen des Schweigens selber der Wüste, über diese seltsamen Worte des Fürsten, die ich in meinem Sang berichtete. Als ich ihn diese Nacht unter dem kaum erleuchteten Zelte wiedersah, war er müde: Fürst, sprach ich zu ihm, ich brauche ein Pfand für das Bündnis — dein Bündnis mit mir; das ich an deiner Statt besitze und im Laufe des Tages ansehn kann. — Wie, gab er zur Antwort, El Hadj, verstehst du nicht, dass du selber ein Pfand bist für das Bündnis zwischen dem Volke und mir? — und dass es zwischen dir und mir kein Zeichen geben kann, da ich dir nicht verborgen bin; — was willst du anderes von mir als mich? Du beschäftigst dich mit mir, ich weiss — aber nicht genug mit deinem Volke; und doch kennt es nichts von mir als dich; durch dein Gesicht erscheine ich 26
vor ihm, und ich rede zu ihm durch deine Stimme. Du redest nicht genug zu ihm; wie also willst du, dass es mich liebe? — Dann fuhr er, es schien mir, fast traurig, und mit ein wenig veränderter Stimme fort: Sicherlich werde ich dir meine Züge zeigen — aber dass du sie siehst, wird deine Liebe nicht sättigen. Musst du sie also mit mehr Verlangen noch schüren? — Und er stieg aus dem Bett, schwankend wie ein sehr schwacher Genesender, und er hob die Leinwand des Zeltes und enthüllte vor dem blassen Gesicht der Himmel seine blassen Züge. Er war schön, von einer übernatürlichen Schönheit, und er schien von anderer Rasse als wir, — aber unaussprechlich blass, und von so ermüdetem Ausdruck, dass mein Glaube verschwinden wollte, während ich fühlte, dass mich statt seiner eine ganz menschliche Liebe ergriff. Und ich blieb ohne Geste und Wort vor ihm stehen, bis ich ihm zu Füssen fiel und ihm die gebrechlichen Knie mit den Armen umschloss; und da vermeinte ich vor Zärtlichkeit, Zweifel und Betrübnis zu vergehen, als ich fühlte, wie seine zu laue Hand sich mir auf die zu brennende Stirne legte. Es war am folgenden Tage, am Abend, da erschien vor unseren atemlosen Begierden, 27
nach dem langen Marsch, als wir eine letzte Düne überwunden hatten, eines Sees oder eines Meeres sanftblaue Fläche. Und das ganze Volk durchlief, denn die rasenden Schreie der ersten trieben die andern zur Eile, eine namenlose Bewegung; als genüge für einen Abend der Anblick einer sehr nahen Frische, indem er ihre Seele schon in Hoffnung sättigte, sie zu stillen; — hingestreckt wie zum Gebet, schrien sie nach den Wassern ohne hinzugehen, und ihr Durst ward zur Wollust, da er fühlte, er musste nun bald gelöscht werden. Es waren Sänge, Schreie dankbarer und befreiter Sinnlichkeit; andere tanzten. Niemand dachte mehr daran, weiterzuziehen; als genügten Versprechungen statt der Befriedigungen; als hätte sich je ein Durst mit Salzwasser löschen können, die Liebe mit Visionen oder mit Aufschubfristen die Hoffnung. — Kaum eine kleine Wegstunde lag noch bis zum Ufer dazwischen, aber nach einer ungeheuren Anstrengung brach sie diese ungeheure Freude. Sicherlich hörte aus seinem geschlossenen Lager, das stets vor dem Marsche herzog, der Fürst die rasenden Schreie seines Volkes. Die Träger machten auf halbem Hange der Düne Halt, und das Königszelt wurde aufgeschlagen. Die Sonne neigte sich auf eine Wallung zu von Nebel 28
oder Staub, die ihr schräges Strahlen rötete; der Horizont hinter dem Meer verschmolz zu einer köstlichen Vergoldung; einen Moment erschienen die Wasser im Widerschein des Himmels glühend; dann kam jäh, als der Stern verschwunden war, vollständig und geschlossen, die Nacht. — Ich wusste, bisweilen können sich auf flachem Boden die Fluten weithin dehnen, und gefährlich sind oft die Gestade unbekannter Meere — und also war ich froh, dass wir dort Halt machten, fern noch und hoch auf dem Hügel. — Alle Zelte wurden aufgerichtet; das Lager gebildet; die Feuer des Abends glänzten. Das Zelt des Fürsten stand, fast unerleuchtet, vor dem Lager wie ein gesonderter Vorsprung; das Meer schien die Nacht erfüllt zu haben. — Ich näherte mich dem Zelt des Fürsten. Er stand da, aus dem Zelt gelehnt, indem er die Leinwand der Tür aufhob; er hatte keinen Schleier vor dem Gesicht, und seine Augen suchten in der Nacht. Als er mich sah, sprach er: Ich sehe das Meer nicht, El Hadj! — Er sprach geheimnisvoll; als ich ihn meinen Namen aussprechen hörte, fühlte ich darin fast die Weichheit der Liebe. — Das kommt, weil die Nacht zu dunkel ist, gab ich zur Antwort; bald wird der Mond erscheinen. — Ich höre das Meer nicht, El 29
Hadj. — Ah! Fürst, das kommt, weil es sehr ruhig ist, und es kommt, weil wir ihm noch zu fern sind. — El Hadj! begann er langsam von neuem, auf dem anderen Ufer dieses Wassers ist meine Hochzeit bereitet und wächst für uns die Erwartung. El Hadj! trotz der Nacht, in der Nacht, dass dich niemand sehen könne, musst du zum Meere niedersteigen; der Mond wird aufgehn, wenn du das Ufer erreichst; blicke aus, ob man das andere Ufer sieht, — was man auf dem anderen Ufer sieht, — ob man endlich die Bäume erkenne, die grossen Bäume, von denen du mir in deinen Sängen sprichst. Geh, mein El Hadj! El Hadj, geliebter, eile dorthin — und nachher komm’ alsbald zu mir zurückgelaufen. Ich brach auf; ich ging, trotz meiner Müdigkeit. Ich stieg die Hänge der Düne hinab und fühlte mich bald schwer umhüllt von der Nacht. Als ich mich nach dem Lager umgewandt hatte, sah ich keine Flamme mehr in ihm; ein fast undurchsichtiger Nebel verbarg sie mir, und ich drang immer tiefer in ihn ein, während ich zum Strande hinabstieg. Ich vertraute dem Mond, er werde bei der Rückkehr meine Schritte führen. Ich war müde; müde bis zu einem Grade, dass ich darob meiner Hoffnung vergass. Ich 30
erstaunte, ich entsinne mich, über den zu faden Geruch der Luft; die Feuchtigkeit, die sie schwängerte, war nicht, wie sie es hätte sein müssen, herb vom Salzgehalt des Meeres, sondern erinnerte eher an die Ausdünstungen der Sümpfe. — Aber da erzitterte vor mir, wie ich einherschritt, der Dunst,— schwankte, wurde silbern, öffnete sich, und wie ein Hirte in den Hürden der Schafe, hob sich ernst der Mond empor. Er schwebte über einer Ebene von unbekannter Ruhe. Ich stand am Rand eines hingestreckten Geheimnisses, auf dem sich keine Woge regte, doch auf dem das schöne Bild des Mondes, unbestimmt vergrössert, lachte und glänzte. — Der Boden wich ohne Stoss; der flache Sand wurde einfach ersetzt von etwas anderem, das seine Ebene fortführte; und von dem ich begriff, dass es kein Wasser war. Ich ging weiter; ich trat — es war wie in noch ungeschaffene Materie, die weder ganz fest war noch ganz flüssig, beweglich unter meinem Fuss, sonst ruhig, aber wie unvollständig gefroren. Zu meiner Linken griff ein Sandsprung hinein und verharrte; eine schmale Landzunge, auf der schlaffe Binsen wuchsen. Darauf ging ich . . . nachher war es nicht mehr, nein, weder Erde noch Wasser . . . eine Art Schlamm, Moder, den 31
eine dünne Salzkruste bedeckte, die den Widerschein des Mondes aufnahm und die unter dem Himmel des Abends erst hatte blau erscheinen können. Ich wollte noch weitergehen; diese zerbrechliche Kruste barst: ich versank in eine von scheusslichem, weichem Morast verkleidete Tiefe. Indem ich mich an die Binsen klammerte, kam ich, kniend oder kriechend, auf den Sand zurück. Dort setzte ich mich; ich blickte hinaus; mein Erstaunen war so gross vor diesem unerträumten Meer des salzgeschützten Schlamms, in den mein Gewicht ein Loch gedrückt hatte — dass ich in mir nicht einmal mehr meine Hoffnungslosigkeit fühlte. Übermannt von Müdigkeit und Betäubung, blickte ich auf den heiteren Mond, wie er über der klaren Fläche zu lachen schien und zu glänzen — auf dieser düsteren unergründeten Ebene, düsterer noch als die Wüste. — Und da zeigte der höhere Mond, als er den Horizont stärker erhellte, auf der anderen Seite des Meeres nicht fern ein anderes Ufer, und es war, als neigten sich dort grosse Bäume . . . . . Aber der Sand, auf dem ich sass, gab nach; ich musste die Zunge verlassen, rückwärts gehen, zum Ufer, wo dies Meer zu Ende war. — Da legte ich mich flach auf den Boden, und jetzt fühlte ich meine Einsam32
keit und die Umgebung dieses Unermesslichen so ganz . . . . . und wenn dies Meer auch schmal ist, sagte ich mir, es wäre deshalb nicht leichter zu überschreiten . . . und meine ganze Kraft verliess mich plötzlich; sie entfloh nicht, glaube ich; sie verschwand wie Wasser; wie Wasser, das sich im Sand verliert; sie verschwand vollständig. Plötzlich fühlte ich mich mutlos und als einen, den sein Glaube vollständig verlassen hat. Mir schien, mich ergriff, in mir dehnte sich, öffnete sich eine Trostlosigkeit ohne Tränen, ungeheurer noch und ebenso düster wie die Wüste. Ich war zu müde, um alsbald zu den Zelten zu kehren, und was hätte ich dem Fürsten sagen sollen? Und trotz allem war der Glanz dieser Nacht so rein, so köstlich, dass mein verlassener Geist sich in ihr gefiel. Und doch machte ich mich, trunken von der Nacht vor der Morgenröte, um ihrer keinem schon zu begegnen, der vom Lager zum Meer abstiege und bemerkte, dass es falsch war, und meinem Schmerz durch armselige Klagen lästig fiele, sobald ich die endlich traurige Nacht auf der Düne, wo die Blässe entsprang, scheitern sah, zu den Zelten auf den Weg, die noch halb der sinkende Mond erhellte. 33
Klarheit, entspringend auf allen Seiten des Himmels! Weisse des Mondes auf den Zelten! . . . . O! Knie, die ihr euch beugt, gestreckte Hände, und des, der beten will, unruhige Umarmung des Schattens . . . . Prophet, das bin ich, ich bin es. — Fürst! zu deinem Volk habe ich zu sprechen verstanden, als du, du nichts mehr hast sagen können. Ach! lange Märsche in der Wüste! Erwartungen, man weiss nicht, wessen; gebrochene Knie; gesteigerter Durst; Gang der überraschungslosen Stunden; — Sehnen der Nächte; Dehnen der Tage; Oasen, die am Abend erschlaffen.—Bäume des Nordens; unbestimmt verlangte Zweige; ah! Vorgebirge! Vorgebirge, gegen den Himmel geworfen, auf denen man hingeht, hingeht; hinter denen man nicht mehr kann Weisse des Mondes auf den Zelten! beendete Nacht; Klarheit, entspringend auf allen Seiten des Himmels . . . . . Dann o! Tür aus Leinwand, gehoben; heimliches Zelt, in das ich trat! Tür aus Leinwand, zurückgefallen, wie sich über einem Geheimnis Schweigen wieder schliesst; Lager, auf das ich zuging, das eine sterbende Flamme erhellte; schauerlich hohles Lager, das leer schien, und auf dem der Fürst lag, ohne Leben. 34
Fürst, du hast dich getäuscht; ich hasse dich. Denn ich war nicht als Prophet geboren; durch deinen Tod bin ich es geworden; nur weil du nicht mehr redetest, habe ich zum Volke reden müssen.... Völker, verlassen in der Wüste, einzig über euch muss ich weinen. — Dich, entschwundener Fürst, dass ich dich hasse, weiss ich es? . . . . aber ich vergehe vor Langeweile, vor Hunger, vor Müdigkeit, weil ich dich also geliebt habe; und die susse Erinnerung jeder deiner Nächte lässt mich trostloser nur meine endgültigere Einsamkeit empfinden. Ich liebte das Volk bis dahin nicht, aber hinfort erfasste mich Mitleid mit ihm. — Liebtest du es? — Zu welchem Glück also führtest du es weit fort von den Städten? — Denn der Lärm deiner Hochzeit ist nicht bis zu uns erklungen. Wir haben nicht die Zymbeln gehört. Meine Ohren sind voller Erwartung. — Wo ist sie gefeiert, dass das Gerücht von ihr schon erloschen wäre? Fürst, ich werde es niemals sagen . . . keiner weiss, dass sie in deinem Tod so schweigsam ist. — Fürst, ich habe das Volk täuschen müssen, weil du es schon getäuscht hattest — und weil ich deine vielleicht unfreiwillige Lüge kannte und mich ihrer erbarmte. Fürst, ich habe dein Elend verlängert, bis über 35
deinen Tod hinaus. Ich habe deinen ganzen Weg wieder vernichtet. Du führtest das Volk in die Wüste; ich habe es zur Stadt zurückgeführt; ich habe es zur Sättigung geführt, als Entgelt für den Hunger, den du uns den Sand hin der Dürre, lässiger Hirte, auf die Weide triebst . . . . Die Dämmerung erschauerte; es war die Stunde, um die ich an anderen Tagen den Fürsten zu verlassen gewohnt war. Ich trat aus dem Zelt heraus, mit trockenen Augen und mit gefasstem Gesicht. Keiner war noch zum Strand hinabgestiegen. Ich wollte ihre nahe Verzweiflung vorbereiten, wollte ihren furchtbaren Jammer, wenn sie sich dem Meere näherten, als Züchtigung ausgeben: also eine bestimmte Schuld erfinden; dem Volk gleichsam die Gelegenheit zu einer Sünde bieten, die diese Züchtigung motivierte — also, dass sie ihre Geschichte als ein wenig verdient ansehen konnten und mir dadurch, wenn sie sich auch nicht minder betrübten, wenigstens unterworfen würden und mich fürchteten. Ich, den nur die Liebe geführt hatte, ich konnte sie nur durch die Furcht heimführen. — Und also sprach ich trotz ihres Durstes, oder besser wegen des Durstes zu ihnen: Der Fürst stellt eure Treue auf die Probe. Er wünscht nicht nach euch zu 36
dem solange erwarteten Strand hinabzusteigen. Bin ich nicht der erste? hat er gesagt; muss ich nicht als erster darin baden und daraus trinken? Webe dem, der vor mir zum Meere niederstiege! Er müsste seinen Ungehorsam grausam bezahlen, und er würde nicht allein gestraft. Ware es auch nur einer, der sündigte, so trüget ihr alle die Vergeltung für seine Schuld. Denn mein Zorn wird jede Erwartung übersteigen, und es wird scheinen, er überflügele die Sünde. — Ich habe nötig, sprach er zu mir, dass das Volk mich fürchte, und ich erhoffe von ihm vollständige Unterwerfung; nun aber wäre mir dieser Verstoss, selbst begangen von einem einzigen, ein Zeichen vollständiger Ununterwürfigkeit. — Aber vernehmet: es ist nicht meine Absicht, heute zum Strand hinunterzusteigen, noch auch morgen, sondern erst am Morgen nach dem zweiten Tage; und eben das soll eure Prüfung sein; trotz eures Durstes, wartet. Ehe ihr euch dem Wasser nahet, muss für Gott ein Altar errichtet werden, als Zeichen der Danksagung, und um darauf opfern zu können. Dazu sollt ihr diese zwei Tage verwenden. Ihr werdet diesen Altar in sehr geringem Abstand vom Strande errichten, ohne euch darum zu sorgen, dass es auf fliegendem 37
Sand geschieht. Ihr werdet Gips zum Mörtel finden, und am Fusse der Düne Blöcke zusammengesinterten Sandes. Ihr werdet den Altar unten höhlen, wie eine Kammer. — Geht. Ich will, es sollen alle daran arbeiten. Ich will eiligst opfern können. In der Langenweile der beiden Tage und trotz des Zwanges rückte die Arbeit schleunig vorwärts. Ich weiss nicht, ob vielleicht schon einer von ihnen heimlich mein Verbot überschritten hatte. Darauf kam es nicht an. Wenn auch alle gehorchten, dachte ich, bliebe das Meer nicht minder, wie es war. Man konnte immer noch einen annehmen, einen Sünder, für den alle leiden müssten — denn sie alle konnten nicht wissen, was ein Einzelner unter ihnen getan haben mochte. Während der Langenweile der beiden Tage war das Meer lichtblau; das andere Ufer offenbarte sich vag und krönte sich mit Spiegelungen, die der Lauf der Stunden änderte. Ich blieb dem Zelt des Fürsten nahe, um ihnen ihre Sünde leicht zu machen. — Nachts stieg ich zum Strande hinab, dessen Überraschung ich kannte. Ich setzte mich nicht fern vom Rande, einzig verloren im Schauen. Der Mond stieg auf, voller als die Nacht zuvor; weniger erstaunt, konnte ich ihn besser betrachten. Es schien, das Schweigen war 38
wahrhaft da und etwas Wirkliches, und es war meine Anbetung. Denn ich wusste zuvor noch nicht, dass eine Nacht so schön sein konnte, und ich fühlte in mir, tiefer als ich je in mir eine Tiefe zu finden gedacht hätte, eine andere Liehe, inbrünstiger tausendmal, süsser, ruhiger als die Liehe, die ich für den Fürsten getragen hatte, und es war, als antworte ihr diese unermessliche Stille. Also dass ich, friedlicher noch, in dieser Nacht, der dritten, als der Mond kam, um meinen Schritten zum Ufer zu leuchten — als ich, ein müder Pilger, verstohlen wie ein nächtlicher Dieb, den Fürsten, dessen Nacktheit ich nun hätte sehen können, aber als Leichnam und unwert jetzt, dass man an sie dachte, als ich ihn an dem Zipfel des Mantels, der sein Gesicht bedeckte, hinabgetragen, hinabgeschleift hatte — als ich ihn unter dem Altar geborgen, auf dem das ganze Volk am anderen Tage in höhnischer Busse opfern sollte — da ich ihn ausgestreckt hatte in dieser engen Kammer, die ich dazu hatte höhlen lassen — also dass ich da, von der Liehe meiner Seele endlich trostlos befreit, allein in der Nacht, meine Freude ausschreien konnte, und die tote Vergangenheit fortstossend, endlich meine Hoffnung hin39
schweifen lassen. — Zuvor ahnte ich nicht, wie sehr ich dieser Pilgerfahrt müde war, wusste nicht, in wieviel Nacht sie versank: aber da, als ich ein letztes Mal auf das Ufer hinabzog, um noch einmal, jetzt ohne Schrecken, wiederzusehen das Meer, das schrecklich im Grunde nur dem war, der es überschreiten zu müssen glaubte, als ich es da so schön sah, und blau wie aus Kristall, fühlte ich, wie mein Glaube von gestern wechselte; wie meine stets lebendige, da der Fürst tot war, verlorene Anbetung sich gewaltig erweiterte, bis zu den Grenzen selber der endlosen Wüste; und weil meine ernstere Seele sich mit Majestät erfüllte, glaubte ich, es sei das Glück. Jetzt, wo ich glaube, dass es unmöglich ist, entsinne ich mich nicht mehr, ob ich wirklich zum Glück gelangte. Ich entsinne mich, dass ich singen wollte, dass ich nicht konnte, weil es für niemand mehr war, also dass ich in mir nur sagte und wiederholte, ohne noch meinen Gedanken zu verstehen: Fürst! wer denn ist tot? — Nicht ich. Freude? vielleicht; ich begriff damals nicht, wie sehr er in eben dem Augenblick triumphierte; denn er war nur für mich gestorben, der ihn gerade einzig liebte. Vor dem Volke her musste seine leere Sänfte 40
immer ziehn, als sei sie bewohnt; unaufhörlich musste ich ihn gesehen haben, und ich sprach nur noch, um seine Worte zu berichten, Ich begriff nicht gleich, welch Gewicht diese Wirklichkeit meiner Lüge haben musste, und dass der tote Fürst in dieser Lüge weiterlebte. Denn dadurch, dass ich ihn mir ohne Unterlass vorstellen musste, wurde meine Liebe geschürt. Ich kannte ihn als nichts denn tot; vorstellen konnte ich ihn mir nur als lebendig. Bisweilen schlief ich nachts, jetzt ganz allein, in seinem Zelte; und mein traumloser Schlummer wurde mir gleichsam zu einer Darstellung seines Todes; aber bisweilen tat ich um der andern willen nah seinem Zelte, als singe ich für ihn; dann entsann ich mich unserer Nächte und wurde traurig, weil ich sein Gesicht gesehen hatte. Mein Schmerz versteifte sich auf das auferlegte Trugbild seiner Gegenwart. Wie dem Lebenden brachte man ihm jeden Tag zu essen; alles, was ich tat, um ihn den andern darzustellen, half nur, mir seine Abwesenheit zu bestätigen. Je mehr ich fühlte, dass er hätte sein sollen, um so mehr wusste ich, dass er nicht war. Und hinfort bewohnte mich dieser Gedanke, ermüdend und mächtig wie eine Begierde : sicherlich werde ich das Glück meiner 41
Seele, das schon bereite, kosten, aber erst, wenn sie von dem Volk und der Liebe, und zwar vollständig, befreit ist. Jetzt ist das Volk fort; es hat seine verlassene Stadt wieder besetzt. Ich habe es aus der Wüste heimgeführt. Es hat mich nicht geliebt, weil ich ohne Milde prophezeite, denn ich fürchtete, weich zu werden; und es hat den Fürsten nicht geliebt, denn ich führte von ihm nur Worte der Härte an: — Ich konnte nicht von Liebe reden, da es um einer Lüge willen geschah. Sie galt es bis zum Schluss aufzuerlegen, meine Ohnmacht nicht zu rechtfertigen. Da ich keine Kraft besass, durfte ich nicht spielen . . . Aber ich weiss jetzt, wenn es Propheten gibt, so sind sie es, weil sie ihren Gott verloren haben. Denn wenn ER nicht schwiege, wozu da seine Worte formulieren? Sicherlich auch tat ich falsche Wunder; ich habe das Wasser aus dem Felsen sprudeln lassen; ich habe bittere Quellen in susse verwandelt, und als das Wachtelvolk kam, habe ich gesagt, es geschehe, weil ich gebetet habe. Als Bubaker sich erhob, weiss ich nicht, wie ich seinen Aufstand habe bewältigen können, es sei denn, dass ich als Verzweifelter handelte. Ich habe gedroht. Und nachher zweifelte niemand mehr 42
an meiner Kraft; nur ich war nicht von ihr überzeugt. Mein Hirtenamt ist zu Ende; meine Seele ist endlich befreit. Jetzt, was soll ich vor Freuden schreien? Ich kann nicht mehr nur noch Lieder singen. Ich kann nicht mehr, in Liehe gebadet, abends, am Rande der Plätze, Verse schreien, noch auch die Kinder noch tanzen lassen. Ich kann nicht mehr nichts gekannt haben, als die Stadt; kann die Wüste nicht nicht durchzogen haben. — Jetzt, El Hadj, was soll ich tun? Dass der Fürst tot ist — weiss ich es? Ich erinnere mich der Hochzeit, die ihn erwartet, als sei von ihm nichts tot .... Hier, hier, im Innern des Palastes der Stadt, ich weiss, dort wächst ein junger Bruder des Fürsten heran . . . Wartet er, dass meine Stimme ihn führe? und werde ich mit ihm, mit einem neuen Volke eine neue Geschichte beginnen, die ich Schritt für Schritt wiedererkennen soll? . . . oder werde ich wie jene Geister voll Trauer, genährt mit bitterer Asche, allein davongehn — jenen gleich, die ein Geheimnis verbergen, die um die Gräber schweifen, und die, ohne dass sie sie finden, ihre Ruhe suchen an öden Örtern? 43
DER LIEBESVERSUCH ODER DER TRAKTAT VON DER EITLEN BEGIERDE.
Für Francis Jammes.
Die Begierde ist wie eine glänzende Flamme, und was sie berührt hat, ist nur noch Asche — ein leichter Staub, den ein wenig Wind verweht — lasst uns also nur denken an das, was ewig ist. Calderon (Das Leben ein Traum).
Diese Bücher werden nicht die sehr wahren Berichte über uns selber sein, — sondern vielmehr unsere traurigen Begierden, die Wünsche nach anderen Lebensformen, die auf ewig versagt sind, und alle unmöglichen Gesten. Hier schreibe ich einen Traum auf, der mein Denken zu sehr störte und ein Dasein erforderte. Ein Traum des Glücks hat mich dies Frühjahr ermattet; es hat mich nach vollkommenerem Erblühen meiner selber verlangt. Es hat mich verlangt, glücklich zu sein, als brauche ich sonst nichts zu sein — als triumphiere nicht stets über uns die Vergangenheit, — als wäre nicht das Leben geschaffen aus der Gewohnheit seines Trübsinns, und als wäre nicht das Morgen die Folge des Gestern — als kehrte hier nicht heute schon meine Seele, kaum von ihrem Traum befreit, zu ihren herkömmlichen Studien zurück. Und jedes Buch ist nur noch eine hinausgeschobene Versuchung.
47
Wahrlich, nicht die lästigen Gesetze der Menschen, noch die Furcht, noch die Scham, noch der Gewissensbiss, noch die Achtung vor mir und meinen Träumen, noch du, trauriger Tod, noch der Schrecken jenseits des Grabes sollen mich hindern, mich mit dem zu vereinen, was ich begehre; nichts, nichts als der Stolz, da ich weiss, dass etwas so stark ist, mich noch stärker zu fühlen und es zu besiegen.— Aber die Freude an so hochmütigem Siege — ist so süss noch nicht, ist so gut nicht, wie euch nachgeben, Begierden, und sich ohne Schlacht besiegen lassen. Als dies Jahr der Frühling kam, quälte mich seine Anmut; und da mir Begierden die Einsamkeit schmerzlich machten, zog ich am Morgen in die Felder hinaus. Den ganzen Tag durch strahlte die Sonne auf die Ebene; ich ging hin: träumend vom Glück. Sicher48
lich gibt es, dachte ich, andere Lande als diese entzauberten Heiden, wo ich die Seele auf die Weide führte. Wann werde ich, meinen grämlichen Gedanken fern, jede Freude in der Sonne einherführen können, und im Vergessen des Gestern und sovieler unnötiger Religionen das Glück umarmen, das kommen wird, stark, ohne Bedenken und ohne Furcht? Und ich wagte an diesem Abend nicht, nach Hause zu gehen, da ich mir zuviele neue Sorgen vorzustellen vermochte: ich schritt zu den Wäldern, in denen sich schon einst und so oft meine Einsamkeit verloren hatte. — Die Nacht kam, und der Mondschein. Der Wald wurde ruhig und füllte sich mit wunderbaren Schatten; der Wind rauschte; die Vögel der Nacht erwachten. Ich trat in eine tiefe Allee, wo der Sand mir zu Füssen leuchtete, und diese Weisse, der ich folgte, führte mich. Zwischen den geräumigeren Zweigen sah man, wenn der Wind die Bäume bewegte, die ungreifbare Gestalt der Nebel schweben; und da inmitten der Nacht der Tau von den Blättern rieselte, begann der Wald, als sich die Düfte erhoben hatten, Liebe zu atmen. Unter dem Kraut erzitterte es; jede Form suchte, fand, schuf die Harmonie : die grossen Blüten wiegten sich, und der befruchtende Staub schwebte 49
leichter als der Nebel. Eine geheime und bewusstlose Freude liess sich fühlen, wie sie unter den Zweigen brauste. Ich wartete. Die Nachtvögel weinten. Dann verstummte alles; es war die Sammlung vor dem Tagesgrauen; die Freude wurde heiter und meine Einsamkeit verloren unter der bleichen, beratenden Nacht.
50
Qualquiera ventio que sopla. Ein leichter Staub, den ein wenig Wind verweht.
I. Der Morgen kam. Mit Blüten beladen, trat Lukas aus dem Wald hervor, nachttrunken noch und ein wenig starr von der Morgenfrische; er setzte sich auf die Böschung des Waldrands, um des Aufgangs der Sonne zu warten. Vor ihm dehnte sich eine feuchte Wiese, bunt durchwirkt mit Blumen und dunstig vom Wasser und blank. Lukas erwartete das ganze Glück, zuversichtlich und des Glaubens, es werde kommen, wie sich ein Bienenschwarm niederlässt, und für ihn habe alles sich schon auf den Weg gemacht. Die Morgenröte erzitterte vor unendlicher Freude, und der Frühling entsprang auf einen Ruf des Lächelns. Singen erscholl, und es erschien ein Reigen junger Mädchen. Ausgelassen und vom Grase benetzt, das Haar noch gelöst von der Nacht her, pflückten sie alle Blumen, und indem sie den Rock 51
wie zum Korbe hohen, liessen sie ihre nackten Füsse tanzen. Dann stiegen sie, von ihren Reigen rasch ermüdet, die Wiese hinab, zu den Quellen, sich dort zu baden, zu spiegeln und für die Freuden des Tages zu rüsten. — Als sie sich verliessen, vergass eine jede ihre Gefährtinnen. Rahel allein kam zurück, nachdenklich; sie nahm die gefallenen Blumen wieder auf und bückte sich, als wolle sie neue pflücken, um nicht zu sehen, wie Lukas nahte. Sie pflückte Butterblumen, Salbei und Margeriten und alle Blumen der Weide. Lukas brachte den Fingerhut aus den Schluchten und violette Hyazinthen. Er war Rahel ganz nahe; jetzt flocht sie die Blumen. Lukas wollte seine Blumen zu ihrem Kranze tun, aber er wagte es nicht; und plötzlich warf er sie ihr zu Füssen und sagte: Dies sind düstere Blumen aus den Wäldern, und ich habe sie im Schatten gepflückt, — für euch, denn ihr erschienet; ich hatte die ganze Nacht durch gesucht. Ihr seid schön wie der Frühling dieses Jahres, und ihr seid jünger noch als ich. Und heute Morgen habe ich eure Fusse nackt gesehen. Ihr wäret mit euren Gefährtinnen, und ich wagte mich nicht zu nähern; jetzt seid ihr die einzige. Nehmt meine Blumen und kommt, ich bitte euch; lasst uns uns reizende. Freuden lehren. 52
Rahel lächelte aufmerksam; Lukas hatte sie bei der Hand genommen, und so gingen sie gemeinsam nach Hause. Der Tag verstrich mit Spielen und Lachen. Abends kehrte Lukas allein zurück. Die Nacht kam; schlummerlos für ihn; oft verliess er sein zu heisses Bett und ging in seinem Zimmer umher oder neigte sich aus dem offenen Fenster. Ihn verlangte, jünger zu sein und von grösserer Schönheit, denn er dachte, zwischen zwei Wesen habe die Liebe den Glanz ihrer Leiber. — Die ganze Nacht begehrte Lukas Rahel. Am Morgen lief er zu ihr. Eine Fliederallee führte zu ihrer Wohnung, dann kam ein Garten voll Rosen, umschlossen von einem niederen Gitter; von Anfang anhörte Lukas Rahel singen. Er blieb bis zum Abend, dann kam er am folgenden Tage wieder; — jeden Tag kam er wieder; beim Erwachen brach er auf; Rahel wartete lächelnd im Garten. Tage vergingen; Lukas wagte nichts; Rahel gab sich zuerst. — Eines Morgens, als er sie nicht unter der gewohnten Hagebuche gefunden hatte, entschloss sich Lukas, in ihr Zimmer hinaufzusteigen. Rahel sass auf dem Bett, die Haare gelöst, fast nackt, bedeckt nur mit einem Schal, der schon fast 53
ganz herabgeglitten war; sicherlich wartete sie. Lukas kam, errötete, lächelte — aber da er ihre köstlichen Beine so zart gesehen hatte, fühlte er eine Zerbrechlichkeit darin, und er kniete nieder vor ihr und küsste ihr die feinen Fusse; dann legte er ihr den Schal wieder um. Lukas verlangte es nach der Liebe, aber ihn schreckte der fleischliche Besitz wie etwas Verdorbenes. Traurige Erziehung, die wir erfuhren, die uns schluchzend und herzenszerrissen oder aber grämlich und einsiedlerisch die doch so glorreich heitere Lust vorausfühlen liess! Wir werden Gott nicht mehr bitten, uns zum Glück zu erheben. — Aber nein! nicht so war Lukas; denn es ist eine Sucht, des Hohnes wert, stets sich gleich zu machen, wen man erfindet. — Lukas also ergriff Besitz von dieser Frau. Wie soll ich jetzt ihre Freude schildern — es sei denn, ich erzähle rings um sie von der Natur, die gleich war, ebenso freudig, die teil nahm. Ihre Gedanken waren nicht mehr wichtig: da sie sich nur noch damit beschäftigten, glücklich zu sein, waren ihre Fragen Wünsche, waren Befriedigungen die Antworten. Sie erfuhren die Vertraulichkeiten des Fleisches, und ihre Intimität wurde heimlicher von Tag zu Tag. 54
Eines Abends, da er sie seiner Gewohnheit nach verlassen wollte, sagte sie: Weshalb gehst du? willst du einer Liebe halber fort, gut — so geh — ich bin nicht eifersüchtig. Sonst bleibe — komm: mein Lager lädt dich ein. Von da an blieb er jede Nacht. Die Luft war lauer geworden, die Nacht so schön, dass sie das Fenster nicht mehr schlössen: sie schliefen so unter dem Mond — und da ein Rosenstrauch voller Blüten aufstieg, das Fenster umrankte, so hatten sie seine Zweige gefangen genommen: der Duft der Rosen mischte sich dem der Sträusse im Zimmer. Der Liehe willen schliefen sie sehr spät ein; ihr Erwachen war wie das des Rausches — sehr spät, noch müde von der Nacht. Sie wuschen sich in einer klaren Quelle, die aus dem Garten floss, und Lukas sah zu, wenn Rahel, nackt, unter den Blättern, badete. — Dann brachen sie zum Spaziergang auf. Oft erwarteten sie den Abend, im Grase sitzend und ohne etwas zu tun; sie sahen der Sonne zu, wie sie sank; dann, wenn die Stunde endlich milder wurde, kehrten sie langsam zur Wohnung zurück. Das Meer war nicht fern; bei starken Fluten vernahm man Nachts, leise, das Rollen der Wogen. 55
Bisweilen stiegen sie bis zum Strande hinah; es ging durch ein enges und gewundenes Tal ohne Bach; Stechginster wuchs dort und Pfriemkraut, und der Wind jagte den Sand hindurch; dann tat der Strand sich auf: es war eine Bucht ohne Barken und Schiffe; doch das Meer war ruhig dort. Fast gegenüber sah man auf der gebogenen Küste, die in der Ferne eine Insel zu bilden schien, an eben diesem Punkt bemerkte man etwas wie das prunkvolle Gitter eines Parkes; Abends leuchtete es wie Gold. — Bald fand Rahel im Sand keine Muscheln mehr; sie langweilten sich vor dem Meer. Nicht fern lag auch ein Dorf, aber sie gingen wegen der Armen nicht oft hindurch. Wenn es regnete, oder wenn sie aus Saumseligkeit nicht einmal in die Wiesen gingen, bat Rahel, ausgestreckt, während Lukas ihr zu Füssen sass, ihr eine Geschichte zu erzählen: Sprich, sagte sie, ich höre jetzt zu; höre nicht auf, wenn ich schlummere: erzähle mir von den Gärten im Frühling — du weisst wohl, und jenen hohen Terrassen. Und Lukas erzählte von den Terrassen, von den Kastanien in Reihen, von den Gärten, die über der Ebene hängen: — am Morgen kamen die kleinen Mädchen dorthin, um zu spielen und ihren Reigen zu tanzen, und die 56
Sonne lag noch so niedrig über der Ebene, dass die Bäume keinen Schatten gaben. Ein wenig später traten grosse, ruhige junge Mädchen zwischen die Beete und wanden Kränze — wie du es tatest, Rahel. Gegen Mittag kamen Paare hinzu — und als die Sonne über die Bäume gestiegen war, machte das undurchsichtige Gewölbe der Zweige die Allee, so schien es, frischer; die darin spazieren gingen, sprachen nur noch mit leiser Stimme zu einander. Ein wenig später, als sie weniger geblendet war, begann man die Ebene zu sehen, auf der der Sommer ausgegossen schien. Spaziergänger stützten sich auf, lehnten sich gegen die Balustraden; Gruppen von Frauen setzten sich, die einen spulten Wollgarn ab, das andere zu Handarbeiten verwendeten. Stunden verstrichen. Es kamen die Schüler, als die Schulen zu Ende waren; Kinder spielten mit Kugeln. Der Abend sank herab; die Spaziergänger wurden einsam; doch ein paar, die noch beisammen waren, sprachen bereits vom Tage wie von etwas Beendetem. Der Schatten der Terrasse stieg auf die Ebene nieder, und ganz am Ende des Horizontes erschien am klaren Himmel, sehr fein und rein, der Mond. — Ich bin gekommen, die Nacht auf der verlassenen Terrasse zu irren . . . . . 57
— Lukas verstummte und sah Rahel an, die beim Tonfall der Worte entschlummert war. Sie machten noch einen längeren Spaziergang; es war um das Ende des Frühlings. Als sie den Hügel überschritten hatten, an dem ihr Haus gelegen war, fanden sie auf dem entgegengesetzten Hang in halber Höhe einen Kanal. Eine Pappelreihe lief an ihm hin; ein aufgeböschter Weg folgte ihm; dahinter senkte der Boden sich weiter. Da sie auf einer Brücke den Kanal hatten überschreiten können, trieb sie die brennende Sonne, dem Rande des Wassers zu folgen. Aus dem Tal stieg in Wogen eine Glut empor; die Luft zitterte auf den Feldern; in der Ferne erstäubte eine grosse Strasse, wenn ein Karren auf ihr hinfuhr; sie sahen den Sommer auf der Ebene. Der Weg, die Bäume, der Kanal folgten beharrlich den Windungen des Hügels; sie folgten also dem Kanal auf dem Ufer; an das andere Ufer trat ein kleiner Wald heran. — Das war alles. So gingen sie sehr lange weiter; aber da sie sahen, dass es ins Unbestimmte so fortging, kehrten sie, als sie genug hatten, zurück.
58
II. Gnädige Frau — Ihnen werde ich diese Geschichte erzählen. Sie wissen, unsere traurige Liebe hat sich auf der Heide verirrt, und eben Sie beklagten sich einstmals, dass es mir soviel Mühe machte zu lächeln. Diese Geschichte ist für Sie: ich habe darin gesucht, was die Liebe gibt; wenn ich nichts gefunden als Langeweile, so bin ich schuld: Sie hatten mich verlehrt, glücklich zu sein. — Wie die Freude in einem Buche kurz ist, und wie schnell sie erzählt ist; wie alltäglich ein Lächeln ist, ohne Laster und Melancholie! Und dann, was geht uns die Liebe der andern an, die Liebe, die für sie das Glück ausmacht.*) — Um so schlimmer für sie! Lukas und Rahel liebten sich; um der Einheit meiner Erzählung willen taten sie sogar nichts anderes; sie lernten nichts von der Langenweile kennen, als eben die des *) Unsere Langeweile kam vor allem infolge des Glücks der andern, das wir doch nicht wollten.
59
Glücke. — Das Pflücken der Blumen war ihre einförmige Beschäftigung. Sie schoben die Begierde nicht um einer ferneren Verfolgung willen von sich; und sie kosteten wenig von der Sehnsucht des Harrens. Sie kannten jene Geste nicht, die eben das zurückstösst, was man umarmen möchte — wie wir es taten, ah! gnädige Frau — aus Furcht vor dem Besitz, und aus Liebe zum Pathetischen. — Sie pflückten alsbald jede wünschbare Blume, ohne Sorge darum, dass sie in ihren warmen Händen allzu rasch verwelkt sein musste. — Glücklich, die ihnen gleich ohne Bewusstheit werden lieben können! Sie würden kaum davon müde; — denn nicht so sehr die Liebe, und nicht so sehr die Sünde, wie die Reue darüber ermüdet. Daher hatten sie diese Gewohnheit angenommen, auf den Wassern der Vergangenheit ihre schwimmenden Handlungen wenig anzusehen; und ihre eigene Freude kam ihnen aus der Unkenntnis des Trübsinns; sie erinnerten sich nur der Küsse und der Besitznahmen, die man wiederholen kann. Da kam ein Moment, in dem sich ihrer beider Leben wahrhaft verschmolz. Es war zur Sommersonnenwende; in der rein blauen Luft zeigten über ihnen die hohen Zweige souveräne Schlankheit. 60
Sommer! Sommer! Einer Hymne gleich müsste man das singen. — Fünf Uhr; — ich hin aufgestanden; da graut der Tag, und ich hin durch die Felder hinausgezogen. — Wüssten sie, was alles an frischem Tau auf dem Grase liegt, an kaltem Wasser, in dem die fröstelnden Fusse des Morgens baden werden; wüssten sie von den Strahlen auf den Feldern, und von der Betäubung der Ebene; wüssten sie von dem Empfang des Lächelns, den die Morgenröte dem bereitet, der im Gras zu ihr hinabsteigt — sie blieben nicht schlafen, denke ich mir —, aber Lukas und Rahel sind schlaff von den Küssen der Nacht, und diese Liebesschlaffheit hat an Lächeln ihnen vielleicht in die Träume mehr gelegt, als der Tagesanbruch auf die Felder legt. Doch eines Morgens zogen sie aus; sie suchten jenes selbe Tal auf und den Kanal, dem sie eines Frühlingstages folgten; aber da sie den Hügel, statt ihn zu überschreiten, umgangen hatten, kamen sie zu einem Ort, wo der Kanal sich einem breiten Fluss anschloss; der Kanal diente zum Tauen; sie überschritten das Wasser auf einer Schleuse und folgten dem Leinpfad, mit dem Kanal zur Rechten, zur Linken dem Fluss. Auf dem anderen Ufer des Flusses war auch eine Strasse. Und diese fünf parallelen Wege 61
zogen sich in dem engen Tal, soweit sie sehen konnten, hin. Ihr Spaziergang war an diesem Tage ziemlich lang, aber nicht interessant zu erzählen. Sie wollten den Strand noch einmal sehen; sie stiegen wieder durch die Schlucht hinab; sie setzten sich vor das Meer. Die Wellen eines kürzlichen Sturms hatten Muscheln, Trümmer und losgerissene Algenfetzen auf den Strand geworfen; die noch schwellenden Wogen betäubten durch ein beständiges Brausen. Und Rahel verspürte plötzlich eine Unruhe : sie fühlte, Lukas begann zu denken. Es wehte ein kälterer Wind; ein Schauder erfasste sie; sie standen auf. — Lukas ging vorauf, zu schnell, ein wenig deklamatorisch; ein Balken lag da, zerschlagen und schwarz, ein unbekannter Grundpfahl, das Fragment eines Schiffes, Holz von den Inseln . . . und alle beide blieben davor stehen. Dann sah Lukas aufs Meer hinaus; Rahel stützte sich aus Bedürfnis, aus Instinkt auf Lukas und neigte den Kopf gegen seine Schulter, denn sie fühlte wirr in ihm die Angst und den Durst nach Abenteuern. Sie blieben stehen. Die Sonne ging, versank jenseits der Bucht, hinter der Enge, wo man zwischen den Landzungen fern die unendliche Linie des Meeres entfliehen sah. 62
Und indes die Sonne niedertauchte, da begannen ihnen gegenüber wie auf einer Insel die Gitter des unbekannten Parks, getroffen von den sterbenden Strahlen, auf unerklärliche und fast übernatürliche Weise zu leuchten; wenigstens zeigte es sich ihnen an dem, dass sie einander nichts davon sagten; jeder Gitterstab schien, eher aus Stahl als aus Gold, von selber, von innen heraus oder kraft einer äussersten Glätte zu leuchten; das sonderbarste aber war, dass man hinter dem Gitter, wenn man auch nicht hätte sagen können, was, zu sehen vermeinte. Lukas und Rahel fühlten beide, dass der andere nicht davon zu reden wagte. Auf dem Rückweg fand Rahel im Lande ein Tintenfischei, ungeheuer, schwarz, elastisch und von solcher wie absichtlichen Bizarrerie der Form, dass sie sie als für sich wichtig erachteten und eine Ursache für sie suchten. Die Erinnerung an diesen Tag hinterliess in ihnen eine vage Unruhe, und weil sie oft unwillkürlich dieses Parkes gedachten, der vergittert vor dem Meere stand, so beschlossen sie, angelockt, voll von Fragen, und da sie übrigens keine Barke hatten, um sie hinzuführen, eines Morgens aufzubrechen, an der Küste entlangzuziehen und zu gehen, bis sie ihn gefunden hätten. 63
Sie standen vor dem Tagesgrauen auf und machten sich auf den Weg; es war noch grau und frisch; sie schritten aus wie ernste Pilger, schweigsam, beschäftigt, denn sie hatten ein anderes Ziel als sich, und ihre wiedererwachte Neugier hinterliess in ihnen etwas wie das Gefühl einer Aufgabe. — Aber wir wollen nicht zuviel davon sagen, gnädige Frau, denn hier gefallen sie uns beinahe. — Um so schlimmer! dies eine Mal zogen sie hin, ohne sich um die Hitze des Tages zu kümmern, geleitet von einem Gedanken — denn es war kein Verlangen mehr. Und Rahel beklagte sich nicht über den rollenden Kies des Weges, noch den weichenden Sand, in dem die Fusse versanken, wenn man auftrat — bald am Strande entlang, bald quer über Felder —; einmal folgten sie der Böschung eines Flusses stromaufwärts, bis sie eine Brücke fanden — dann ging es wieder talab — dann von neuem quer über Felder. — Ah! da endlich kamen sie fast zu der Mauer, es war der Park; und um den Zutritt besser zu hindern, war das Wasser vom Meer in einem aus Stein gebauten Graben herbeigeleitet, und es schlug an den Fuss der Mauer und schien sich um sie zu schliessen, und diese Mauer sprang als ein Deich in das Meer hinaus, also dass man von dieser Seite nichts als ein Vorgebirge aus 64
Kalkstein sah. Sie gingen weiter. Der Graben hörte auf. Da folgten sie auf ihrem Marsch der Mauer. Die Sonne war drückend; der Weg vor ihnen zog sich in die Ferne; — es war die Stunde, in der die Mauern der Gärten keinen Schatten werfen. Sie sahen, fast unter dem Efeu und ganz versteckt, ein kleines, geschlossenes Tor. Unmerklich drehte sich die Mauer, und die Sonne, die sich gleichfalls drehte, indes der Tag zur Neige ging, schien ihnen zu folgen. Über die Mauer neigten sich Zweige, aber ohne Gesten. Aus dem Innern des Parks entsprang etwas wie ein dauernder Klang des Lachens, aber oft geben Wasserstrahlen den Klang sogar von Worten. Plötzlich standen sie wieder vor dem Meer. Da wurden sie von grosser Traurigkeit erfasst, und sie setzten sich ein wenig, ehe sie sich wieder auf den Heimweg machten. Vor ihnen sprang wie auf der anderen Seite ein Vorgebirge aus Stein ins Meer und setzte die Mauer fort, deren Fuss das Meer in unüberspringbarem Graben bespülte. Und die Trauer durchdrang sie, erfüllte sie und trat zugleich durch jede engste Lücke ein. Vor allem waren sie von dem Ausflug, und weil er vergeblich gewesen war, müde. — Jetzt verschwand die Sonne hinter dem Park; sie gingen im wachsenden Schatten der Mauer; 65
ihnen war ein wenig, als enthalte er ein Geheimnis. Ihnen schien, als hörten sie Momente lang ein Geräusch wie vom Spiel der Finger auf den Scheiben, aber da dies Geräusch aufhörte, sobald sie stehen blieben, meinten sie, es sei von der Betäubung ihres Gehens verursacht. Es war schon lange Nacht, als sie nach Hause kamen. Am folgenden Tage sagte Rahel, während sie ruhte : Erzähle mir vom Tagesanbruch des Sommers, da mich hier meine Trägheit bei dir festhält. Lukas begann: Es war im Sommer, aber vor Tagesanbruch; die Vögel sangen noch nicht: der Wald erwachte kaum. — O! keinen Wald, sagte sie; eine Allee. Der Tag bricht an, und wenn die Vögel noch nicht singen, so liegt es an dem zu tiefen Tal, wo die Nacht noch verspätet weilt; aber schon bleicht Helle den Gipfel der Hügel. — Auf diese höhere Stelle, fuhr Lukas fort, wagten sich zwei Reiter zu, und auf das Hochland, das überschaut; die ganze Nacht waren sie dem Tal gefolgt. Sie waren schweigsam und ernst, denn sie waren lange im Schatten geritten, und die hohen Eichen der Allee dehnten über ihnen ihre Zweige. Ihre Pferde stiegen langsam die ganz gerade abgedachte Strasse empor. Während sie stiegen, wuchs rings um sie das Licht. Auf dem 66
Hochland erschien der Tag. —Auf dem Hochland dehnte sich eine zweite Allee, geräumiger, die die erste schnitt und dem Kamm des Hügels folgte. Die beiden Reiter hielten an. Der eine sprach : Wir wollen uns trennen, mein Bruder: nicht dieselbe Strasse ruft uns beide — und mein genügender Mut weiss mit deinem zur Hülfe nichts zu beginnen. Wo der eine gilt, ist der andere unnütz. — Und der andere sprach: Leb wohl, mein Bruder. — Dann wandten sie sich den Rücken, und ein jeder zog zu einsamen Eroberungen davon. — Da erwachten alle Vögel. Unter den Blättern schwirrten Liebesverfolgungen, und Insektenjagden in der Luft; man hörte Bienenvölker, und auf den Rasen taten sich die neuen Honigblüten auf. Köstliches Gemurmel erhob sich. Weiterhin, wo der Boden wich, sah man nur noch Blätter; weiter unten, im weniger finsteren Tal die schwebenden Wipfel der Bäume; und noch weiter unten einen Nebel. O! wie hätten wir uns geneigt, um die Hirsche zur Tränke niedersteigen zu sehen. — Und die beiden Reiter? fragte Rahel. — Ah! lassen wir sie, sagte Lukas — beschäftigen wir uns mit der Allee. — Dorthin kam gegen Mittag eine Gesellschaft junger Frauen; beim Gehen hielten sie sich an den Händen gefasst, wie du mit deinen Gefährtinnen; sie lachten; dann
67
kamen Männer, gekleidet in Seide und frivole Goldgehänge; und alle setzten sich und plauderten miteinander. Der Tag verging; sie waren verstummt, und der Schatten auf dem Moos war gewachsen: sie standen auf und zogen davon, um die Sonne untergehen zu sehen. Und die Allee erfüllte sich mit Unruhe und Gemurmel, alles rüstete sich zum Entschlafen; — dann verstummte alles; es war Abend, und die Zweige wiegten sich; die grauen Stämme erschienen geheimnisvoll im Schatten; es erhöh sich der Schrei eines Dämmervogels. Da sah man in der beginnenden Nacht zwei Reiter heimkehren : sie ritten aufeinander zu, weil sie den Strassen folgten, und ihre Pferde waren wie nach einer grossen Ermattung. Sie selber waren gebeugt, um der vergeblichen Aufgabe willen noch ernster als am Morgen. Und als sie ohne ein Wort zusammengetroffen waren, stiegen sie die Allee wieder nieder, die den Hügel wieder niederstieg, und sie versanken in der Nacht unter den Zweigen. — Wozu da aufbrechen, Lukas — sagte Rahel; wozu nützt es, sich auf den Weg zu machen? Bist du nicht mein ganzes Leben? — Aber du, Rahel, sagte Lukas — bist nicht das ganze meine. Es gibt sehr viele Dinge noch. 68
III. Gnädige. Frau, diese Geschichte langweilt mich. Sie wissen ja, wenn ich Sätze haute, so geschah es für die anderen und nicht für mich. Ich habe eine Beziehung der Jahreszeiten zur Seele erzählen wollen; es galt, bis zum Herbst zu kommen: ich gehe keine begonnene Aufgabe, welche es auch sei, gern auf. Zwei Seelen begegnen sich eines Tages, und weil sie beide Blumen pflückten, haben sie sich für gleich gehalten. Sie haben sich an den Händen gefasst, des Glaubens, sie setzten den Weg fort. Die Folge des Vergangenen trennt sie. Die Hände lassen sich los, und siehe da! kraft der Vergangenheit wird eine jede den Weg allein fortsetzen. Es ist eine notwendige Trennung, denn einzig eine ähnliche Vergangenheit kann die Seelen ähnlich machen. Alles ist für die Seelen kontinuierlich. — Es gibt ihrer, Sie wissen es, gnädige Frau, wir wissen es, die werden parallel dahinziehen und sich nicht nahekommen können. — Lukas also und Rahel verliessen sich; einen 69
einzigen Tag, einen einzigen Moment des Sommers hatten sich ihre Linien vereint — ein einziger Berührungspunkt — und schon jetzt blickten sie nach verschiedenen Seiten. Auf dem Lande sitzend, nah bei den Wellen, blickte Lukas aufs Meer hinaus und Rahel zurück auf die Landschaft. Sie suchten monatelang die Liehe, die sich löst, noch einmal zu fassen, aber es war Genuss ohne Überraschung; es war etwas Ausgeschöpftes, und Lukas war glücklich, wenn er an Aufbruch dachte. Rahel hielt ihn nicht zurück. — Wenn sie noch wieder zusammen hinauszogen, gingen sie einher und sannen — ich wollte sagen: sie gingen nachdenklich; ein jeder blickte vor sich hin, statt den anderen soviel anzusehen. Lukas dachte nicht mehr an die Liebe, aber ihre Liebe hinterliess in ihnen etwas wie die Erinnerung an eine grosse Susse und wie den Duft der schönen, verwelkten Blumen — alles, was von den Kränzen blieb —, aber ohne Trauer, ohne Trauer. An gewissen Tagen gingen sie so, matt und wortlos, dahin. Um der prachtvollen Farben willen, die die herbstlichen Blätter angenommen hatten, und in den Wassern eines so schönen Spiegelbildes liebten sie vor allem die schlafenden Wasser, und sie gingen langsam an ihren Ufern einher. Die 70
Wälder waren glorreich und klangvoll: im Fallen enthüllten die Blätter den Horizont. Lukas dachte ans unermessliche Lehen. — Ich sage das, weil ich daran denke; ich glaube, er musste daran denken. — Lukas und Rahel langweilen mich, gnädige Frau, was soll ich noch von ihnen sagen? Sie wollten noch einmal hingehen, den Park mit den wunderbaren Gittern zu sehen. Sie fanden auf dem Wege die Mauern entlang jenes kleine versteckte Tor, das früher fest verschlossen war — jetzt offen; sie traten ein; — es war ein verlassener Park. Nichts vermöchte die Pracht der Alleen zu malen. Der Herbst bestreute die Wiesen, und Äste waren zerbrochen; Kraut hatte die Wege überzogen, blühendes Kraut, Gräser; da drinnen gingen sie schweigend einher, an den Büschen voll roter Beeren hin, in denen Rotkehlchen zwitscherten. Ich liebe die Pracht des Herbstes. — Steinbänke standen da, Statuen; dann erhob sich ein grosses Haus mit geschlossenen Läden und vermauerten Türen. — Im Garten verweilte die Erinnerung an die Feste; zu reife Früchte hingen an den Spalieren. — Als der Abend sich senkte, brachen sie wieder auf. . . . . . . . . . Erzähle mir vom Herbst, sagte Rahel. Der Herbst, nahm Lukas auf, ah! das ist der 71
ganze Wald und der braune Teich am Saum. Dorthin kommen die Hirsche, und das Jagdhorn hallt: Hallahi! Hallahi! Die Meute bellt; die Hirsche retten sich. Lass uns unter den grossen Wäldern einhergehen. — Die Jagd stürmt herbei; — sie ist vorüber; — hast du die Zelter gesehen? Der Schall des Jagdhorns verzieht sich, verzieht sich in die Walder. — Lass uns noch einmal den ruhigen Teich ansehen, auf den der Abend niedersinkt. — Deine Geschichte ist stumpfsinnig, sagte Rahel; man sagt nicht mehr: Zelter; und ich liebe den Spektakel nicht. Lass uns schlafen.— Da liess Lukas sie, denn er war noch nicht schläfrig. Sie verliessen sich bald darauf; ein Abschied ohne Tränen und ohne Lächeln; ruhig und ganz von selber; ihre Geschichte war erfüllt. — Sie dachten an die neuen Dinge.
72
Auch hierher ist jetzt der Herbst gekommen, gnädige Frau; es regnet, die Wälder sind tot, und der Winter ist im Anzug. Ich denke an Sie; meine Seele ist brennend und beruhigt; ich sitze am Feuer; neben mir stehen meine Bücher; ich bin allein, ich sinne, ich lausche. — Werden wir, wie ehedem, noch einmal unsere schöne Liebe voller Geheimnis beginnen? — Ich bin glücklich; ich lebe; ich habe hohe Gedanken. Ich habe Ihnen diese Geschichte, die uns langweilt, auserzählt; grosse Aufgaben rufen uns jetzt. Ich weiss, auf dem Meer, auf dem Ozean des Lebens, warten glorreiche Schiffbrüche — und verlorene Schiffer und zu entdeckende Inseln. — Aber wir bleiben, über die Bücher gebeugt, und unsere Begierden gehen auf gewissere Handlungen. Eben das, ich weiss es, macht uns freudiger als die anderen Menschen. — Bisweilen jedoch, ermüdet von zu beharrlichem Studium, steige ich zu den Wäldern nieder, durch 73
den Regen hin, und ich will sehen, wie der Herbst verendet. — Und ich weiss, nachher, an gewissen Abenden, wenn ich von solchem Spaziergang nach Hause kam, habe ich mich nahe ans Feuer gesetzt, wie trunken vom Glück des Lebens und beinahe schluchzend vor Trunkenheit, da ich in meinem Gedanken ernsthafte Taten fühlte, die zu vollbringen waren. — Ich werde handeln! ich werde handeln; ich lebe. Vor den anderen all werden wir die grossen schweigsamen Werke lieben. Das Gedicht soll es sein, und die Geschichte und das Drama; wir werden uns über das Leben beugen — wie Sie es ja taten, meine Schwester, nachdenklich und sorgend. Jetzt geh ich fort, aber denken Sie, denken Sie an das Glück der Reise. . . . . Und doch, ich hätte gern — der Winter ist da — diese Erzählung gemeinsam verlängert. Eines Abends wären wir allein nach einer Stadt in Holland aufgebrochen; der Schnee hätte alle Strassen gefüllt; auf den gefrorenen Kanälen hätte man das Eis gefegt. Sie wären lange Schlittschuh gelaufen, mit mir, bis in das Land hinaus; wir wären in den Feldern gewesen, wo man den Schnee sich bilden sieht, er erstreckt sich unendlich weiss; es tut gut, die eisige Luft zu fühlen. — Die Nacht kommt, aber in ihr leuchtet der 74
Schnee; wir gehn nach Hause. Jetzt wären Sie hei mir im Zimmer; Feuer; die Vorhänge geschlossen, und alle unsre Gedanken. — Da sagten Sie mir, meine Schwester: Keine Dinge sind es wert, dass sie unseren Weg ablenken; sie alle wollen wir im Vorbeigehen umarmen; doch unser Ziel liegt ferner als sie — also wollen wir uns nicht vergreifen; — diese Dinge schreiten und entschwinden; unser Ziel sei unbeweglich — und wir wollen schreiten, um es zu erreichen. Ah! wehe jenen stumpfen Seelen, die die Hindernisse für Ziele halten. Es gibt keine Ziele; die Dinge sind weder Ziele noch Hindernisse — nein, nicht einmal Hindernisse; man braucht sie nur zu umgehen. Unser einziges Ziel ist Gott; wir werden ihn nicht aus den Augen verlieren, denn man sieht ihn durch jedes Ding. Schon jetzt wollen wir auf ihn zuschreiten; in einer Allee, die einzig dank uns prachtvoll ist, mit den Werken der Kunst zur Rechten, mit den Landschaften zur Linken und dem Weg, dem wir folgen müssen, vor uns; — und jetzt wollen wir uns, nicht wahr? schöne und freudige Seelen schaffen. Denn allein unsre Tränen lassen um uns Traurigkeiten keimen. — Und ihr, Gegenstände unsrer Begierden, gleicht den vergänglichen Konkreszenzen, die, 75
sobald die Finger sie drücken, nichts in ihnen als Asche lassen. — Qualquiera ventio que sopla. Erhebt euch, Winde ihr meines Denkens — die ihr diese Asche verstreuen werdet. Sommer 1893 Yport und La Roque.
76
DER TRAKTAT VOM ERLEBNIS DES NARKISSOS (THEORIE DES SYMBOLS).
Für Paul Valéry Nuper me in littore vidi. VERGIL.
Die Bücher sind vielleicht nichts so sehr Notwendiges; anfangs genügten einige Mythen. Daran hielt sich eine ganze Religion. Das Volk verwunderte sich über das Äussere der Fabeln, und ohne zu verstehen, betete es an; die aufmerksamen Priester beugten sich über die Tiefe der Bilder und drangen langsam ein in den geheimen Sinn des Hieroglyphen. Dann hat man auslegen wollen; die Bücher haben die Mythen erweitert; — aber wenige Mythen genügten. So der Mythos des Narkissos: Narkissos war von vollkommener Schönheit, — und deshalb war er keusch; er verschmähte die Nymphen — weil er in sich selbst verliebt war. Kein Hauch trübte die Quelle, in der er, ruhig und über sie geneigt, den ganzen Tag sein Bild betrachtete ... — Man kennt die Geschichte. Trotzdem wollen wir sie noch einmal erzählen. Alle Dinge sind schon gesagt; aber da niemand hinhört, muss man stets von neuem beginnen. 79
Es ist kein Ufer mehr da, noch eine Quelle; keine Metamorphose mehr und keine gespiegelte Blume; — nichts als Narkissos allein, also nichts als ein träumerischer Narkissos, der sich auf grauen Dingen abschliesst. In der unnützen Monotonie der Stunde wird er unruhig, und sein Ungewisses Herz befragt sich. Er will endlich erfahren, welche Gestalt seine Seele hat; er fühlt, sie muss überaus anbetungswürdig sein, wenn er nach ihren grossen Schaudern urteilt; aber ihr Gesicht! ihr Bild! Ah! nicht wissen, oh man sich lieht . . . seine Schönheit nicht kennen! Ich verirre mich in dieser linienlosen Landschaft, die seine Plane nicht kreuzt. Ah! sich nicht sehen können! Ein Spiegel! ein Spiegel! ein Spiegel! ein Spiegel! Und Narkissos, der nicht zweifelt, dass sich seine Gestalt irgendwo finde, steht auf und macht sich auf die Suche nach den ersehnten Konturen, um endlich seine grosse Seele einzuhüllen. Am Rande des Flusses der Zeit blieb Narkissos stehen. Verhängnisvoller und betrüglicher Strom, in dem die Jahre vorüberschwimmen und verstreichen. Einfache Ufer, einem rohen Rahmen gleich, in den sich das Wasser einfügt, wie ein Spiegel ohne Belag; hinter dem sich nichts sehen liesse, hinter dem 80
sich die leere Langeweile entfaltete. Ein langweiliger, ein lethargischer Kanal, ein fast wagerechter Spiegel; und nichts unterschiede dies graue Wasser von der farblos umgebenen Luft, fühlte man nicht, dass es fliesst. Von ferne hat Narkissos den Fluss für eine Strasse gehalten, und da er sich, ganz allein, in all dem Grau langweilte, ist er herbeigekommen, um Dinge vorüberziehen zu sehen. Die Hände auf dem Rahmen, neigt er sich jetzt in der überlieferten Stellung. Und siehe, während er blickt, erblüht plötzlich auf dem Wasser ein dünnes Scheinbild. — Blumen der Ufer, Baumstämme, Fragmente gespiegelten blauen Himmels, eine Flucht rascher Bilder, die nur ihn erwarteten, um zu werden, und die sich unter seinem Blicke färben. Dann öffnen sich Hügel, und Walder staffeln sich an den Hängen der Täler hin ab — Visionen, die nach dem Lauf der Wasser wogen, und die die Wellen in Wechsel bringen. Narkissos blickt voll Staunen; — doch er begreift nicht ganz, denn die eine wie die andere wiegt sich, ob seine Seele den Wellenstrom leitet oder der Wellenstrom die Seele. Wohin Narkissos blickt, da ist die Gegenwart. Aus der fernsten Zukunft her drängen 81
die Dinge sich, nur erst im Keim vorhanden, zum Sein; Narkissos sieht sie, dann ziehen sie vorüber; sie verlaufen in der Vergangenheit. Narkissos findet bald, dass es immer dasselbe bleibt. Er fragt; dann denkt er nach. Immer dieselben Formen ziehen vorüber, der Sprung der Welle allein macht sie verschieden. — Wozu mehrere? oder vielmehr wozu dieselben? — Also sind sie unvollkommen, da sie immer von neuem beginnen .... und alle, denkt er, mühen sich und streben zu etwas hin, zu einer ersten verlorenen Form — paradiesisch und kristallgleich. Narkissos träumt vom Paradiese.
82
I. Das Paradies war nicht gross; weil vollkommen, blühten die Formen dort jede nur einmal, und ein Garten umfasste sie alle. — Ob es war, oder ob es nicht war, was geht das uns an? Doch es war so, wenn es war — als der vollkommenste Ausdruck Gottes. Alles kristallisierte dort in einer notwendigen Form aus, und alles war vollkommen so, wie alles sein sollte. — Alles verharrte regungslos, denn nichts verlangte es, sich besser zu fühlen. Die einzige ruhige Lebenskraft liess das Gesamtwerk sich langsam entwickeln. Und da kein Schwung aufhört, in der Vergangenheit weder noch in der Zukunft, so war das Paradies nicht geworden — es war einfach seit ewig da. Keusches Eden! Garten! Garten der Ideen, wo die Formen, rhythmisch und sicher, ohne Anstrengung ihre Zahl offenbarten; wo jedes 83
Ding war, was es schien; denn Beweisen war nicht nötig. Eden! wo die singenden Briesen in vorgesehenen Kurven wogten; wo der Himmel den Azur über dem symmetrischen Rasen breitete; wo die Vögel himmelblau waren, und die Schmetterlinge auf den Blumen vorbestimmte Harmonien schufen; wo die Rosen rosa waren, weil die Metallkäfer grün waren, die sich eben deshalb dort niederliessen. Alles war vollkommen wie eine Zahl, und es teilte sich regelrecht ab; ein Akkord entfloss der Beziehung der Linien; über dem Garten schwebte gleichförmig eine Symphonie. Im Mittelpunkt Edens tauchte Ygdrasil, der logarithmische Bann, seine Lebenswurzeln in den Boden, und er führte ringsum auf den Rasen den Schatten seines Laubwerks, in dem sich die einzige Nacht auftat. In dem Schatten lehnte gegen seinen Stamm das Buch des Geheimnisses — in dem die Wahrheit zu lesen stand, die man kennen muss. Und wenn der Wind in den Blättern des Baumes wehte, entzifferte er in ihm den langen Tag durch die notwendigen Hieroglyphen. Adam lauschte fromm. Allein, noch geschlechtslos, blieb er im Schatten des grossen 84
Baumes sitzen. Der Mensch! Wesenheit des Elohim! Vertreter der Gottheit! Für ihn, durch ihn erscheinen die Formen. Regungslos und im Mittelpunkt dieses ganzen Feenreichs, blickt er es an, wie es sich entrollt. Aber, ein ewig gezwungener Zuschauer eines Schauspiels, in dem er keine Rolle hat als die des ewigen Zusehens, wird er müde. — Alles spielt für ihn, er weiss es — aber er selber . . . — aber er selber sieht sich nicht. Und was macht ihm das andere all? ah! sich sehen! — Freilich ist er mächtig, denn er schafft, und die ganze Welt hört auf nach seinem Blick — aber kennt er diese Macht auch nur, solange sie unbezeugt bleibt? Wozu nützt sie ihm, diese Macht, solange er sie sich nicht beweist? — Wahrlich, gerade weil er immerfort blickt, unterscheidet er sich nicht mehr recht von den Dingen: es ist unerträglich — nicht zu wissen, wie weit man geht! Denn es ist schliesslich Sklaverei, wenn man keine einzige Geste mehr wagen kann, ohne die ganze Harmonie zu stören. Und dann, um so schlimmer! diese Harmonie bringt mich auf, und ihr stets vollkommener Einklang. Eine Geste! eine kleine Geste! nur um zu wissen, — eine Dissonnanz, zum Teufel! — Eh! geht mir! ein wenig Unvorgesehenes. 85
Ah! fassen! einen Zweig Ygdrasils fassen, zwischen seinen betörten Fingern, und er zerbreche ihn . . . Es ist geschehen. . . . . . Erst ein unmerklicher Sprung, ein Schrei, aber er keimt, er breitet sich aus, er wütet, kreischend pfeift er, und bald ächzt er wie ein Sturm. Der Baum Ygdrasil wankt verdorrt und kracht; seine Blätter, in denen die Briesen spielten, krampfen sich fröstelnd und verschrumpft im Wirbel, der sich erhebt und sie in die Ferne trägt — zu dem Unbekannten eines nächtlichen Himmels und zu Ungewissen Gegenden, dahin auch die Zerstreuung flieht der aus dem grossen heiligen Buch, das sich entblättert, losgerissenen Seiten. Gegen den Himmel ist ein Dunst emporgestiegen, Tränen, Wolken, die als Tränen wieder niederfallen und als Wolken wieder steigen werden: die Zeit ist geboren. Und der entsetzte Mensch, der Zwitter, der sich zerlegt, hat vor Angst und Grauen geweint, denn er fühlte, mit einem neuen Geschlecht, in sich quellen die unruhige Begierde nach jener ihm fast gleichen Hälfte, jener plötzlich entstandenen Frau, da, die er umarmt und die er wieder in sich nehmen möchte, — jener Frau, die im blinden Be86
mühen, noch einmal ein vollkommenes Wesen zu schaffen und der Zucht gleich Halt zu gebieten, in ihrem Schoss dem Unbekannten eines neuen Geschlechtes Regung verleihen wird, und bald wird in der Zeit ein anderes Wesen wachsen, ein noch unvollständiges, das sich nicht genügen wird. Trauriges Geschlecht, das du dich über diese Erde der Dämmerung und der Gebete zerstreuen wirst, mit der Vision bisweilen in der Ekstase vom Paradiese, das verloren ging und das du überall suchen wirst; — Geschlecht, aus dem, dich zu trösten, Propheten entspringen werden, — und Poeten, denn zu ihnen gehöre ich, die sich eines Eden erinnern und fromm sammeln werden die zerrissenen Blätter des unordentlichen Buches, in dem die Wahrheiten zu lesen standen, die man kennen muss.
87
II. Drehte Narkissos sich um, ich denke, er sähe ein grünes Ufer, einen Himmel vielleicht, den Baum, die Blume, kurz, etwas Stabiles, etwas was dauert, aber dessen Reflex, wenn er aufs Wasser fällt, sich bricht, und dem die Beweglichkeit der Wellen den Wechsel leiht. Wann denn wird dies Wasser aufhören mit seiner Flucht? und endlich ruhend, ein stagnierender Spiegel, in der gleichen Reinheit des Bildes — gleich schliesslich so sehr, dass es mit ihnen eins wird — die Linien dieser Schicksalsformen sagen — bis es schliesslich zu ihnen wird. Wann denn wird die Zeit ihre Flucht einstellen und es geschehen lassen, dass dieser Abstrom ruhe? Formen, göttliche Formen und ewige! die ihr nur die Ruhe erwartet, um wiederaufzutauchen, o wann, in welcher Nacht, in welcher Stille werdet ihr auskristallisieren? 88
Das Paradies ist immer neu zu schaffen; aber es liegt in keinem fernen Tale. Das Paradies liegt unter der Erscheinung. Jedes Ding enthält, im Keim, die geheime Harmonie seines Seins, wie jedes Salz in sich den Urtyp seines Kristalls enthält; — und es komme eine Zeit der schweigenden Nacht, da die Wasser dichter niedersteigen: in den ungestörten Gründen werden die heimlichen Salzpyramiden blühen . . . Alles ringt nach seiner verlorenen Form; sie erscheint, doch beschmutzt, verwachsen, und sie genügt sich selber nicht, da sie ewig von neuem anfängt; bedrängt, gestossen von den Formen daneben, die, eine jede, auch zu erscheinen ringen, — denn zu sein genügt nicht mehr; man muss sich beweisen, — und der Stolz betört eine jede. Die verstreichende Stunde stösst alles um. Doch da die Zeit nur durch die Flucht der Dinge flieht, klammert jedes Ding sich an und kräuselt sich, um diesen Lauf ein wenig zu verlangsamen und hesser in die Erscheinung treten zu können. Da kommen Epochen, in denen die Dinge langsamer werden, in der die Zeit ausruht — so glaubt man; — und wie der Lärm mit der Bewegung aufhört, — so schweigt alles. Man wartet, man begreift, dass der Augenblick 89
tragisch ist, und dass man sich nicht rühren darf. „Es geschähe eine Stille im Himmel"; Vorspiel der Apokalypsen. — Ja, tragische Epochen, in denen neue Aren beginnen, in denen sich Himmel und Erde sammeln, in denen das Buch mit den sieben Siegeln sich auftun will, in denen sich alles in ewigen Stellungen fixieren will . . . aber immer entspringt ein ungelegener Schrei, der umstürzt und vergeht. Auf den Auserwählten Höhen, wo man glaubt, die Zeit wolle enden, — stets ein paar habgierige Soldaten, die sich Gewänder teilen und die Tuniken auswürfeln, — wenn die Ekstase die heiligen Frauen reglos macht, wenn der Schleier, der zerreisst, des Tempels Geheimnisse preisgeben will; da die ganze Schöpfung endlich Christus anschaut, der am höchsten Kreuz erstarrt und die letzten Worte spricht: „Es ist vollbracht . . ." . . . Und dann, nein! alles ist neu zu schaffen, ewig neu zu schaffen — weil ein Würfelspieler seine eitle Geste nicht innehielt, weil ein Söldner eine Tunika gewinnen wollte, weil ein Irgendwer nicht hinsah. Denn die Schuld ist stets dieselbe, und stets verliert sie das Paradies von neuem. Das Einzelwesen, das an sich denkt, während 90
die Passion sich ordnet, und das sich, ein stolzer Statist, nicht unterordnet.*) Unerschöpfliche Messen, jeden Tag, um Christus wieder in die Todesqual zu ver*) Die Wahrheiten wohnen hinter den Formen — Symbolen. Jedes Phänomen ist dag Symbol einer Wahrheit. Seine einzige Pflicht ist, dass es sie offenbart. Seine einzige Sünde : dass es sich, selber vorzieht. Das möchte ich sagen. Ich werde mein ganzes Leben lang darauf zurückkommen; da sehe ich die ganze Moral, und ich glaube, alles läuft darauf hinaus. Ich will es hier nur in einer Anmerkung andeuten; auch müsste ich in diesem kleinen Traktat den engen Rahmen zu sprengen fürchten. Wir leben, um zu offenbaren. Die Regeln der Moral und der Ästhetik sind die gleichen: jedes Werk, das nicht offenbart, ist unnötig und eben deshalb schlecht, (Wenn man sich ein wenig erhebt, so sähe man freilich, dass alle offenbaren — aber man darf es erst nachher anerkennen.) Jeder Repräsentant der Idee neigt dazu, der Idee, die er offenbart, sich vorzuziehen. Sich vorziehen — da liegt die Schuld. Der Künstler, der Gelehrte darf nicht sich der Wahrheit vorziehen, die er sagen will : das ist nicht seine ganze Moral; noch das Wort, noch die Phrase der Idee, die sie zeigen wollen: ich möchte fast sagen, das ist die ganze Ästhetik. Und ich behaupte nicht, dass diese Theorie neu sei; die Lehren der Entsagung predigen nichts anderes. Die moralische Frage liegt für den Künstler nicht darin, ob die Idee, die er offenbart, mehr oder minder moralisch und der grossen Zahl nützlich ist; die Frage liegt darin, ob er sie gut offenbart. — Denn alles muss offenbart werden, selbst die unheilvollsten Dinge : „Wehe dem, durch den Ärgernis kommt", aber: „Es muss ja
91
setzen, und das Publikum in die Stellung des Gebetes . . . ein Publikum! — Gälte es, die ganze Menschheit auf die Knie zu bringen; — da genügte eine Messe. Verständen wir, aufmerksam zu sein und zu blicken, wieviele Dinge könnten wir sehen, vielleicht . . . Ärgernis kommen". — Der Künstler und der Mensch, der wahrhaft Mensch ist, der für etwas lebt, muss das Opfer seiner selber im voraus gebracht Haben. Sein ganzes Leben ist dahin nur ein Mittel der Beförderung. Und jetzt, viras offenbaren! — Das lernt man im Schweigen. (1890.)
92
III. Der Dichter ist der, der blickt. Und was sieht er? — Das Paradies. Denn das Paradies ist überall; lasst uns nicht den Erscheinungen glauben. Die Erscheinungen sind unvollkommen : sie stammeln die Wahrheiten, die sie bergen: der Dichter muss diese Wahrheiten auf ein halbes Wort verstehen — sie dann wiederholen. Tut der Gelehrte etwas anderes? Auch er sucht nach dem Urtyp der Dinge und den Gesetzen ihrer Folge; schliesslich rekonstruiert er eine ideal einfache Welt, in der sich alles regelrecht ordnet. Aber diese ersten Formen, nach denen sucht der Gelehrte vermöge einer langsamen und furchtsamen Induktion, quer durch zahllose Beispiele; denn er bleibt stehen bei der Erscheinung, und nach Gewissheit durstend, verbietet er sich, zu erraten. Der Dichter, er, der weiss, dass er schafft, errät durch jedes Ding hindurch — und ein 93
einziges genügt ihm, als Symbol, um seinen Urtyp zu offenbaren; er weiss, die Erscheinung ist nur ein Vorwand, ein Gewand, das es verbirgt, und an dem das profane Auge haften bleibt, doch das uns zeigt, dass es da ist*). Der fromme Dichter betrachtet, er neigt sich über die Symbole, und schweigsam steigt er tief in das Herz der Dinge, — und wenn er, ein Geisterseher, die Idee, die heimliche harmonische Zahl ihres Seins, die die unvollkommene Form trägt, bemerkt hat, so fasst er sie, und dann weiss er ihr, ohne sich um jene flüchtige Form zu kümmern, die sie in der Zeit umkleidete, eine ewige Form zu geben, ja, ihre wahre Form und ihre schicksalsbestimmte — die paradiesische und kristallgleiche. Denn das Kunstwerk ist ein Kristall — ein teilweises Paradies, in dem die Idee in ihrer höheren Reinheit wiederaufblüht; in dem, wie im entstandenen Eden, die regelrechte und notwendige Ordnung alle Formen in eine gegenseitige und symmetrische Abhängigkeit verteilt hat; in dem nicht mehr der Stolz des Wortes den Gedanken verdrängt, — in dem die rhythmischen und sicheren Sätze, *) Hat man begriffen, dass ich Symbol nenne — a l l e s w a s e rscheint.
noch Symbole, aber reine Symbole, in dem die Worte durchsichtig werden und offenbarerisch. Solche Werke kristallisieren nur in der Stille aus; aber es gibt Stillen bisweilen mitten in der Menge, wo sich der flüchtige Künstler, Moses gleich auf dem Sinai, abschliesst, aus den Dingen, der Zeit heraustritt und sich einhüllt in eine Atmosphäre des Lichtes, über dem geschäftigen Gewimmel. In ihm kommt die Idee langsam zur Ruhe, und dann blüht sie leuchtend ausserhalb der Stunden auf. Und da sie nicht in der Zeit steht, wird die Zeit nichts über sie vermögen. Gehen wir weiter: man fragt sich, ob das Paradies, selbst auch ausserhalb der Zeit, vielleicht nie anders war als dort, — das heisst, nur ideell*). . . Narkissos betrachtet indessen vom Ufer aus jene Vision, die eine Liebesbegierde verwandelt; er träumt. Narkissos, der Einsame, Kindliche, verliebt sich in das gebrechliche Bild; er beugt sich, mit einem Bedürfnis der Liebkosung, seinen Liebesdurst zu stillen, über den Fluss. Er beugt sich, und plötzlich, siehe! verschwindet der Spiegelspuk; auf dem Flusse sieht er nur noch zwei Lippen vor den seinen, und sie strecken sich, zwei Augen, die seinen, *) Die Anmerkung, Seite 91, noch einmal lesen.
95
und sie sehen ihn an. Er begreift, dass er es ist — dass er allein ist — und dass er sich in sein Gesicht verliebt. Rings ein leeres Blau, das seine blassen Arme durchstossen, die er aus Begierde durch die zerbrochene Erscheinung streckte, und die in einem unbekannten Element versinken. Da erhebt er sich ein wenig; das Gesicht entfernt sich. Die Oberfläche des Wassers blümt sich schon, und die Vision erscheint von neuem. Aber Narkissos sagt sich, der KUSS ist unmöglich — man darf kein Bild begehren; eine Geste, um es zu fassen, zerreisst es. Er ist allein. — Was tun? Betrachten. Ernst und fromm nimmt er seine ruhige Stellung wieder ein : er verweilt —ein Symbol, das wächst — und über die Erscheinung der Welt gebeugt, fühlt er vag in sich, aufgezogen, der Menschen Generationen, die vorüberziehen.
96
Dieser Traktat ist vielleicht nichts so sehr Notwendiges. Anfangs genügten einige Mythen. Dann hat man erklären wollen; Priesterstolz, der Geheimnisse offenbaren will, um sich anbeten zu lassen, — oder aber lebhafte Sympathie und jene apostolische Liebe, die macht, dass man die geheimsten Schätze des Tempels entschleiert und entweiht, indem man sie zeigt, weil man darunter leidet, allein zu bewundern, und weil man möchte, dass Andere anbeten.
Gedruckt bei Imberg & Lefson in Berlin W.
Inhalt. Seite
El Hadj . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Der Liebesversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Der Traktat vom Erlebnis des Narkissos . . 77