Backcover: Die Kompaßnadel am Armaturenbrett hatte sich wie verrückt im Kreise gedreht, aber jetzt war sie wieder ruhig...
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Backcover: Die Kompaßnadel am Armaturenbrett hatte sich wie verrückt im Kreise gedreht, aber jetzt war sie wieder ruhig. Sein Kurs lag immer noch bei Nord-Nordwest. »Sacre bleu!« sagte Hank Stover, und dann: »Heiliger Strohsack!« Sein Herz klopfte so schnell und so hart wie der Schnabel eines Spechtes am Stamm einer Eiche. Er hatte soviel Angst wie damals, als die rot-schwarz gestreifte PFALZ über dem Schwanz seiner SPAD aufgetaucht war. Eine Kugel aus einem schimmernden, transparenten Material rollte aus einer Erdspalte herauf, schoß vor dem Flugzeug dahin und zerplatzte kurz vor der Vegetationsgrenze in funkelndem Dunst... Aber Hank Stover, der Ritter der Lüfte aus Kansas, sollte sich noch mehr über das Land wundern, in das er mit seinem Doppeldecker abgetrieben worden war: eine rote und eine gelbe Ziegelstraße, sprechende Tiere, eine gute und eine böse Hexe, ein ängstlicher Löwe und ein blecherner Holzfäller... er befand sich in einem Märchenland — in L. Frank Baums OZ, um genau zu sein..
KNAUR SCIENCE FICTION FANTASY Herausgeber Werner Fuchs
Kansas flackerte — und dann war sich Hank Stover nicht mehr sicher, ob er sich noch über seinem Heimatstaat befand. Er war mit seiner Jenny aufgestiegen, einem Curtiss-JN-4HDoppeldecker, als plötzlich diese seltsame grüne Wolke wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte und ihn verschlang. Und dann mußte er notlanden — an einem Ort, der ihm die Sprache verschlug. Hank Stover war ein besonderer Mensch. Außer ihm gab es nur noch eine Person, die wußte, daß Oz, das wunderbare Land, wirklich existierte, nicht nur als ein Märchengebilde von L. Frank Baum. Aber er hätte nie geglaubt, daß er an jenem Apriltag im Jahre 1923 dort landen würde, geschweige denn, daß er dort die Hexe finden würde, die seiner Mutter einmal geholfen hatte. Die Hexe, aber auch all die anderen verrückten Gestalten — etwa die Vogelscheuche oder der blecherne Holzfäller — stürzten Hank in Ereignisse, wie er sie sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hätte ausmalen können... Philip José Farmer wurde 1918 in North Terre/lndiana geboren und gilt als herausragender Vertreter abenteuerlicher Ideen-Science-Fiction. Bekannt wurde er neben seiner »Flußwelt«- und »World of Tiers«-Serie auch durch die Tatsache, daß er Werke oder Id een anderer Autoren fortsetzt oder neu interpretiert. So variierte er beispielsweise Stoffe von Melville (»Ishmaels fliegende Wale«), Burroughs (»Lord Tyger«) oder Verne (»Das andere Log des Phileas Fogg«). Der vorliegende Roman nimmt in dieser Kategorie eine besondere Stellung ein, weil Farmer versucht, Baums Märchen »The Wizard of Oz« rational und wissenschaftlich zu erklären.
Von Philip Jose Farmer erschienen ebenfalls in der KnaurTaschenbuchreihe Science Fiction: »Die Liebenden« (Band 5703) »Welten wie Sand« (Band 5718) »Lord der Sterne« (Band 5723) »Die Welt der Wiyr« (Band 5744) »Vermächtnis der Zeit« (Band 5764) »Pater der Sterne« (Band 5767) »Bizarre Beziehungen« (Band 5771) »Erlöser vom Mars« (Band 5777) »Schockvisionen« (Band 5779) »Die Toten Welten des Bolg« (Band 5833)
Deutsche Erstausgabe © Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1985 Titel der Originalausgabe »A Barnstormer in Oz« Copyright © 1982 by Philip Jose Farmer Umschlaggestaltung Franz Wöllzenmüller Umschlagillustration Don Ivan Punchatz Satz Compusatz, München Druck und Bindung Eisnerdruck, Berlin Printed in Germany 54321 ISBN 3-426-05800-6
Philip José Farmer
Ein Himmelsstürmer in Oz Fantasy-Roman
Deutsche Erstausgabe
Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt
Knaur
Für Frank L. Baum, Fred M. Mey er, den Internationalen Zauberer-von-Oz-Club, Lester und Judy-Lynn del Rey . Judy Garland, alle Vogelscheuchen, Blech-Holzfäller. Ängstlichen Löwen und Dorothys auf dieser Seite der Gelben Ziegelstraße, und für John Steinbeck, der gesagt hat, daß er lieber als alles andere »Botschafter in Oz« sein möchte.
l Kansas flackerte. Es war das zweite unerwartete und beunruhigende Phänomen. Das erste hatte sich ein paar Sekunden zuvor ereignet, als eine grüne Wolke etwa zweihundert Fuß weit vor ihm aus dem Nichts hervorgequollen war. Er flog mit seiner Jenny, einem Curtiss-JN-4H-Doppeldecker, in einer Höhe von eintausend Fuß, als der smaragdgrüne Dunst aus dem nahezu wolkenlosen Himmel strömte wie ein Dschinn aus einer Flasche. Bevor er noch zweimal hatte zwinkern können, war er zu einem dichten Nebel angewachsen, rund achtzig Fuß breit und dreißig Fuß tief. Die Wolke war an den Rändern und an der Vorderseite transparent und hellgrün, ansonsten überall dunkelgrün und undurchsichtig. Er war so verblüfft gewesen, daß seine trainierten Reflexe ihn im Stich ließen. Seine linke Hand umklammerte bewegungslos den großen, hölzernen Steuerknüppel, und seine Füße verharrten starr auf den Pedalen für das Seitenruder. Die Jenny schoß in den äußeren Bereich der Wolke hinein. In diesem Augenblick geschah es, daß der Staat Kansas flackerte; er verschwand, erschien wieder, und dann war er nicht mehr da. Fort Leavenworth, der Missouri, die Felder und die Bäume verschwanden. Diese Wolke bestand nicht aus winzigen Feuchtigkeitströpfchen. Er spürte keine Nässe im Gesicht. Die Sonne stand noch in derselben Position wie in dem Moment, da er in die Wolke eingedrungen war. Der Himmel aber, der an diesem ersten April, Ostersonntag und ersten Tag des Passahfestes im Jahre des Herrn 1923, teilweise bewölkt gewesen war, strahlte jetzt in makellosem Blau. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Elf Uhr vormittags. Wie spät es war, wußte er, aber wo er war, wußte er nicht. Unten erstreckte sich eine sandbraune Wüste, aus der dunkle Felsen emporragten. Zwei Meilen weit vor ihm begann grünes Gelände, das sich nach rechts und links hinzog, so weit das Auge reichte. Am Rande dieses Geländes endete die Wüste so abrupt wie ein Ozean, der sich an den Gestaden einer Insel brach. Etwa eine Meile weit ging es sodann sanft bergauf, und dahinter erhoben sich steile
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Klippen, gekrönt von einem Plateau. Hinter den Bäumen am Rande dieses Plateaus erkannte er flimmernde Türme, Häuser und Felder. Er verdrehte den Hals, um einen Blick hinter sich zu werfen. Die Wolke schrumpfte zusammen, und dann war sie fort, als habe ein unsichtbarer Staubsauger sie verschluckt. Hank war auf Kurs NordNordwest nach Muscotah, Kansas, unterwegs gewesen, um die persönliche Habe von John »Rube« Schultz, seinem verstorbenen Flugpartner in Doobie's Flying Circus, abzuliefern. Mit Grauen hatte Hank sich ausgemalt, wie er der Witwe erzählen würde, wie Rube bei dem Unfall ums Leben gekommen war und warum der Sarg bei der Beerdigung geschlossen bleiben müßte. Er hatte sich schon seine vermutlich völlig unzureichenden Versuche vorgestellt, Mrs. Schultz zu trösten. Jetzt aber sah es so aus, als würde er nicht auf der Wiese neben dem Hause der Witwe landen, wenigstens nicht innerhalb der geplanten Zeit. Die Kompaßnadel am Armaturenbrett hatte sich wie verrückt im Kreise gedreht, aber jetzt war sie wieder ruhig. Sein Kurs lag immer noch bei Nord-Nordwest. »Sacre bleu!« sagte Hank Stover, und dann: »Heiliger Strohsack!« Sein Herz klopfte so schnell und so hart wie der Schnabel eines Spechtes am Stamm einer Eiche. Seine Hände waren feucht. Er fühlte sich desorientierter und betäubter als an seinem letzten Urlaubstag in Paris, an dem er zuviel Brandy getrunken hatte. Er hatte soviel Angst wie damals, als die rotschwarz gestreifte Pfalz über dem Schwanz seiner Spad aufgetaucht war. Er straffte sich. Zu seiner Rechten war etwas, das aussah wie ein Blitz — in dem hellen Sonnenlicht war es nicht genau auszumachen —, zwischen zwei hohen, spitzen Türmen aus schwarzem Fels aufgeflackert. Und dann war da etwas, das aussah wie ein Feuerball, von der Spitze eines der beiden Türme, heruntergerollt und explodiert. »Ich habe viel getrunken gestern Abend«, brummte er. »Ich habe einen Kater wie von einem Holzhammerschlag. Aber vom Delirium tremens bin ich noch weit entfernt.« Eine Kugel aus einem schimmernden, transparenten Material rollte aus einer Erdspalte herauf, schoß vor dem Flugzeug dahin und zerplatzte kurz vor der Vegetationsgrenze in funkelndem Dunst. Kleine Silhouetten, Vögel sicherlich, erhoben sich in Wolken aus den Bäumen am Rande der Wüste.
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Jetzt war er über dem grün bewachsenen Land und näherte sich den Klippen. Das Plateau würde fünfhundert Fuß tief unter ihm liegen, aber er zog den Steuerknüppel zurück, um höher zu steigen. Vermutlich würde es an der Flanke der Klippen einen Aufwind geben, aber er wollte kein Risiko eingehen. Obwohl der Motor der JN-4H fast zweimal so stark war wie der in der JN-4D, reagierte sie doch nicht so sensibel wie ein militärisches Jagdflugzeug. Außerdem wollte er einen besseren Überblick über das Land bekommen. Was war was und wo? Gleichwohl aber lag die Wahrheit wie ein Finger auf dem Puls seines Geistes. Sie spürte ein leichtes Pochen, aber er konnte einfach nicht glauben, daß er sich täuschte. In den zweiundzwanzig Jahren seines Lebens hatte Hank schon viele Überraschungen und Schrecken erlebt, die unangenehmsten davon, als sein Heiratsantrag abgelehnt worden war, als eine Pfalz, geflogen von einem der kaiserlichen Ritter der Lüfte, sich über den Schwanz von Hanks Spad manövriert hatte, und als er ausgerutscht war, während er bei einer Show am Rande von Nashville, Tennessee, vom Flügel einer Jenny auf den Rücksitz eines Automobils umsteigen wollte. Er erinnerte sich auch an den Schrecken, den er empfunden hatte, als seine Mutter die Schminke von ihrer Stirn abgewischt und ihren achtjährigen Sohn in ein dunkles Zimmer geführt hatte, um ihm das matt schimmernde, runde Mal auf ihrer Stirn zu zeigen. Dies allerdings war ein überaus angenehmer Schreck gewesen. Das hier aber war schlimmer als alles andere, weil es so unerwartet kam und weil es nicht sein konnte. Dennoch war er in paradoxer Weise nicht so schockiert und verblüfft, wie er es hätte sein müssen. Er glaubte zu wissen, wo er war, obwohl es einfach nicht zu glauben war. Und wenn er tatsächlich da war, wo er ungläubig glaubte zu sein und wo, soweit er wußte, vor ihm nur zwei Menschen jemals gewesen waren, dann... Aber nein, es konnte nicht sein. Zwei Meilen weit zur Rechten stürzte ein schmaler Wasserfall über die Klippen herunter. Er wäre weit mächtiger gewesen, hätte ihn nicht ein Damm gebändigt, auf dessen Nordseite sich ein See erstreckte. Zu beiden Seiten des Sees sah er Bäume, Wiesen und Farmen. Zahllose Bewässerungsgräben umgaben ihn wie Gliedmaßen. Die meisten der Bäume sahen aus wie die in Illinois: Eichen, Ahorn, Walnußbäume, Osage-Orangen, Kiefern und andere. Aber hier und dort wuchsen auch Palmen.
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Die Farmhäuser waren rechteckig und hatten hohe, steile Dächer. Seine Mutter hatte ihm von ihnen erzählt und auch erwähnt, daß sie sich in der Bauweise von denen unterschieden, die in dem Land im Nordwesten von hier standen. Häuser und Scheunen waren in vielen Farben bemalt, aber Rot schien die beliebteste zu sein. Alle besaßen dicke Blitzableiter. Die Zäune, die aus Holzlatten oder Steinpfählen bestanden, schienen die Besitzgrenzen zu markieren, denn sie waren nicht so hoch, daß Schafe, Ziegen oder Kühe sie nicht hätten überspringen können. Unten verlief eine Straße mehr oder weniger parallel zum Rande der Klippen. Sie bestand aus roten Ziegeln und war die einzige gepflasterte Straße, die er entdecken konnte. Er zog die Jenny nach links und flog über der Straße entlang. Ein Bauer, der einen vollbeladenen Karren lenkte, stand auf, riß den Mund auf und zeigte auf das Flugzeug, obwohl außer ihm weit und breit niemand da war. Doch, es war wohl jemand da. Die beiden Kühe, die den Karren zogen, schauten hoch. Als er das Gespann überflog, sah Hank, daß an dem Zuggeschirr keine Zügel befestigt waren. Vor ihm, dicht am Rande der Hochebene, erhob sich ein Schloß, und westlich davon lag ein Dorf. Das Schloß war aus irgendeinem weißen Stein erbaut, etwa hundert Meter hoch und umgeben von einer Mauer, die sicher dreißig Meter hoch war. Aber es gab kein Schloß auf der Erde, das von einem mächtigen Wasserturm gekrönt war oder das Mauern hatte, die mit dicken roten Edelsteinen und Rubinen besetzt waren. Natürlich konnte er nicht mit Sicherheit feststellen, ob diese Steine nicht vielleicht aus Glas waren, aber er glaubte es nicht. Auch dieses Gebäude war mit Blitzableitern ausgerüstet. Er überflog das Schloß in einer Höhe von zweihundert Fuß und sah, daß die Mauern es nicht völlig einschlossen; sie waren eher geformt wie ein U, dessen Enden sich wie bei einem Hufeisen auswärts krümmten und das sich zur Wüste hin öffnete. Das Schloß selbst hatte einen X-förmigen Grundriß. Hank flog über das Dorf hinweg und sah, daß viele Leute durcheinanderliefen und aufgeregt gestikulierend bald auf ihn, bald auf andere deuteten. Er kehrte um und flog, die Straße entlang, zurück. Jetzt strömten Männer und Frauen durch das große, offene Tor in der Schloßmauer nach draußen. Er ließ sie hinter sich, legte sich in die Kurve, bis das Flugzeug mit der
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Nase im Südwestwind lag, und ging hinunter. Mit einer Dreipunktlandung setzte er auf einer Wiese auf, Räder und Schwanzkufe berührten den Boden gleichzeitig; er rollte bis zum Zaun und stellte den Motor ab. Die Rinder und Schafe hatten sich in die hinterste Ecke der Weide geflüchtet und standen dort dicht zusammengedrängt und starrten zu ihm herüber. Die Leute aus dem Farmhaus blieben vor der Veranda und diskutierten vermutlich darüber, ob sie sich ihm nähern sollten oder nicht. Vielleicht hielten sie die Jenny für ein geflügeltes Ungeheuer, und dann mußte sie besonders furchterregend aussehen. Ihr Rumpf war gelb und die Flügel scharlachrot. Ein großes, blaues Auge leuchtete auf jeder Seite unterhalb des offenliegenden Motors. Die Propellernabe und ihre Umgebung sah aus wie eine Nase, und darunter war ein roter Rachen, gekrümmt wie Amors Bogen und mit weißen, spitzen Zähnen versehen. Es war wärmer hier. Als er Kansas City verlassen hatte, waren es minus fünf Grad gewesen, aber hier schienen beinahe fünf Grad über Null zu herrschen. Zwölf Seeadler überflogen ihn in V-Formation in einer Höhe von zwanzig Fuß. Schwadronen von Bussarden, Hühnerhabichten und Wanderfalken folgten ihnen. Die Nachhut bildeten zwölf Goldadler. Alle diese Vögel waren etwa um ein Drittel kleiner als die Spezies, die er von der Erde her kannte. Sie kreisten und landeten dann auf den Ästen einiger Bäume am Rande der Weide. Schweigend hockten sie da, sie bewegten sich kaum und beäugten ihn unverwandt. Ein einsamer Wanderfalke aber kreiste eine Weile über ihm und flog dann mit hoher Geschwindigkeit geradewegs auf das Schloß zu. Der Motor war noch heiß genug, daß er ihn hätte starten können, ohne daß jemand den Propeller anwarf. Vielleicht war dies das Vernünftigste; er könnte dann in die Nordostecke der Wiese rollen, wo er mit der Nase im Wind stände und zu einem Blitzstart bereit wäre. »Zum Teufel«, sagte er, kletterte aus dem hinteren Cockpit und sprang auf den Boden. Es war ihm bewußt, daß er in seiner Kunstfliegerkleidung einen prächtigen, verwegenen Eindruck machte: Er trug einen schwarzen Lederhelm, auf dem eine grüngeränderte Schutzbrille saß, einen langen, weißen Schal, eine schwarze Lederjacke, schwarze, pelzgefütterte Lederhandschuhe, gelbe
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Wickelgamaschen und schwarze Schuhe. Aber statt der üblichen Kaninchenpfote trug er als Glücksbringer einen Hausschlüssel an einer Goldkette an seiner Jacke. Inzwischen war die Straße von einer großen Menge von Leuten gesäumt, die ihn anstarrten. Die Augen der meisten befanden sich in Höhe seines Bauchnabels. Er war nicht überrascht. Männer und Frauen schnatterten in einer unbekannten Sprache durcheinander — gleichwohl klang es manchmal wie Englisch —, und sie trugen hohe, kegelförmige Hüte mit breiten Krempen, an denen winzige Glöckchen hingen. Die Kleider der Frauen waren tief ausgeschnitten und reichten bis knapp unter die Knie. Das, was aussah wie Stiefel, waren Holzschuhe, an denen wollene Stulpen befestigt waren. Die Männer trugen Hemden mit langen Ärmeln, Westen, Hosen und Stiefel wie die Frauen, nur daß ihre Stiefel in einer dicken Rolle endeten. Die älteren Männer trugen Vollbärte, die jüngeren waren glattrasiert oder hatten einen Schnurrbart. Make-up trugen nur die Frauen, und auch bei ihnen beschränkte es sich auf Rouge. Alle waren Kaukasier, allerdings sonnengebräunt. Ihre Gesichter sahen aus wie die, welche er im besetzten Norddeutschland gesehen hatte. Nach einer Weile näherten sich ihm die Tiere, die in der Ecke der Weide gestanden hatten, und ihre Zahl verstärkte sich durch das Vieh der angrenzenden Farmen. Wie die Menschen, so waren auch Rinder und Schafe um etwa ein Drittel kleiner als ihre irdischen Gegenstücke. Ein Schrecken durchfuhr Hank, als er hörte, wie ein Schaf mit einem anderen sprach. Seine Sprache war unverkennbar die der Menschen, aber die Stimme war nicht menschlich. Es war der Klang einer Victrola-Schallplatte, und eisige Schauer liefen Hank über den Rücken. Aber eigentlich hätte er darauf vorbereitet sein müssen. Er kam zu dem Schluß, daß er die Weide bald verlassen würde, und nahm die Ankergeräte aus der hinteren Ladekammer. Kaum hatte er die Jenny gesichert, sah er einen Zug von Streitwagen mit bewaffneten Frauen, der beim Zaun haltmachte. Streitwagen! Gezogen wurden sie von verkleinerten Elchen. Ebenso wie die Kühe, die er gesehen hatte, trugen auch sie keine Zügel, und die Fahrerinnen der Streitwagen waren nicht mit Peitschen ausgerüstet. Er hätte es wissen können. Die weiblichen Soldaten stiegen von ihren Wagen herunter
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und stellten sich, den Anweisungen einer Offizierin folgend, in Formation auf. Ihre stählernen Helme liefen nach oben spitz zu; sie waren mit goldenen Arabesken verziert, und an der Vorderseite trugen sie das Emblem eines Hufeisens, das ein X umschlang. Lange, scharlachrote Federn steckten oben in den Helmen, und die Helme selbst wurden durch rote, leinene Kinnriemen gehalten. Die Frauen trugen steife, rote Hemden und darüber hüftlange Wolljacken, scharlachrot und mit goldenen Tressen verziert. Ihre knielangen, roten Röcke waren mit gelben, blauen und grünen Mustern versehen; er sah Hufeisenund-X-Embleme, Hakenkreuze, Ankhs und Eulenaugen. Ihre Stiefel glichen denen der Bauern, aber sie waren ebenfalls scharlachrot und mit goldenen Bändern geschmückt. Stover warf einen Blick auf die blonde, blauäugige Kommandantin und meinte: »Eine echte Puppe! Zucker!« Aber das Schwert, das sie in der einen Hand hielt, sah nicht aus wie Zucker, und die langen Speere ihrer Truppe ebenfalls nicht. Mit einer Geste bedeutete sie Stover, er solle das Flugzeug verlassen und beiseite treten. Er gehorchte, und im nächsten Augenblick fand er sich von drohenden Speerspitzen umzingelt. Lächelnd machte er eine Geste, die besagen sollte, daß er in Frieden gekommen sei. Falls die Kommandantin die indianische Zeichensprache verstand, so ließ sie es nicht erkennen. Er wurde zur Straße eskortiert, und dann bewegte sich der Trupp auf das Schloß zu. Die Streitwagen folgten ihnen mit dem Rest der Soldatinnen, und die Nachhut bildete die Menge der Zivilisten. Er und seine Bewacherinnen hatten eine Meile zu marschieren, bevor sie das Schloß erreichten. Hier wartete bereits eine große Schar von Menschen, Tieren und Vögeln auf den Riesen, der mit einem gewaltigen Vogel von irgendwoher zu ihnen geflogen war. Männliche Soldaten, die ebenfalls Röcke trugen, verhinderten, daß die Menge ihm allzu dicht auf den Leib rückte. Man führte Hank auf eine Zugbrücke, über den fünfzehn Meter breiten Wassergraben, durch die Außenmauern in einen mit Marmorplatten gepflasterten Innenhof. Schließlich erstieg er zwölf Marmorstufen, von denen jede etwa einen Meter breit sein mochte. Rechts und links von der Treppe befanden sich Rampen für die Tiere. Er fand keine Gelegenheit, die Rubine näher zu betrachten, die, so groß wie sein Kopf, in die Mauern neben dem Eingang eingelassen waren. Es gab viel zu sehen, aber er konnte nur wenige Details in sich aufnehmen. Er kam
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durch hohe, weite Hallen voller Statuen, Malereien und anderer Objekte mannigfaltiger Art. Bunte Mosaike bedeckten die Marmorböden. Am Ende einer dieser Hallen geleitete man ihn eine breite Wendeltreppe hinauf, über die er atemlos eine Tür im neunten Stock erreichte. Gebückt trat er durch diese Tür und gelangte in ein Vorzimmer. Eine Eisentür mit einem kleinen vergitterten Fenster führte in den nächsten Raum. Man schob ihn hindurch, und der Hauptmann und zwei Soldaten, die ihn begleitet hatten, traten zurück. Die Tür wurde verschlossen, und ein schwerer Eisenriegel fiel dröhnend herab. Er sah sich um und stellte fest, daß er sich in einem ziemlich großen Raum befand, dessen Mobiliar jedoch mit Ausnahme des gewaltigen Himmelbetts zu klein für ihn war. Hinter einer Tür lag das Badezimmer. Es war tatsächlich mit fließendem Wasser ausgestattet, doch die Toilette war zu klein, als daß er bequem darauf hätte sitzen können — seine Hoden hingen im Wasser —, und er würde sich weit vorbeugen müssen, wenn er sich das Gesicht waschen wollte. Das einzige Licht, das er in der Nacht anmachen konnte, würden Lampen sein, die irgendein Öl verbrannten.
2 Was Mr. H. G. Wells, Mr. Roy Rockwood und Mr. Dante Alighieri bei ihren Reisen in andere Welten übersehen haben, ist der Schrecken, den ihre Helden empfunden haben müssen. Das Verlassen der Erde kam dem phy sischen und emotionalen Schlag gleich, den ein Neugeborenes fühlen mußte, wenn es aus dem Mutterleib kam. Ein Baby allerdings hatte keine Ahnung von dem, was da geschehen war, während ein Erwachsener, der zum Mond, zum Mars oder zur Hölle reiste, zumindest eine gewisse Vorstellung von dem hatte, was ihn erwartete, und zudem diese Reise ins Unbekannte aus freien Stücken auf sich genommen hatte. Außerdem hatten sich die Figuren in Mr. Wells' Die ersten Menschen im Mond, in Mr. Rockwoods
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Durch den Weltraum zum Mars und in Mr. Alighieris Inferno innerhalb der relativ engen Grenzen des Sonnensystems bewegt, und ihre Ziele waren Orte gewesen, die man kannte. Mr. Alighieris Held, Dante selbst, hatte eine klare Vorstellung von der Hölle, obgleich die Realität ihn im Kern seines Wesens erschüttert haben muß. Zweifellos müssen die Helden aller drei Phantastiker eine Zeitlang wie betäubt und völlig orientierungslos gewesen sein, und schwächere Männer hätte der Schock womöglich leblos zu Boden geworfen. Na ja, vielleicht auch nicht. Immerhin hatten sie ja wenigstens eine Art Training für ihre Reisen absolviert und waren bis zu einem gewissen Grade vorbereitet gewesen. Aber plötzlich in ein anderes Universum versetzt zu werden — das war etwas, wovon Hank Stover noch nie gelesen oder auch nur gehört hatte. Na gut, er hatte es doch. Hölle, Fegefeuer und Himmel waren andere Welten insofern, als sie sich in einem anderen Universum befanden. Oder nicht? Lagen sie etwa auch innerhalb des Sonnensystems? Und in gewisser Weise war er durch die Erzählungen seiner Mutter und durch Mr. Baums Bücher für dieses Universum konditioniert und darauf vorbereitet worden. Deshalb war der Schock nicht ganz so schrecklich gewesen. Außerdem befand er sich, wenngleich er in einem anderen Universum gelandet war, immer noch irgendwie im Sonnensy stem der Erde. Eine große, mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Pendeluhr stand im Raum. Auf dem Zifferblatt sah er dreiundzwanzig Einzel- und Doppelzeichen. Es waren Zahlzeichen, von denen viele aussahen, als entstammten sie dem griechischen Alphabet; manche wirkten eher lateinisch, und einige hielt er für Runen. Er war nicht sicher, aber er fühlte sich an Zeichen erinnert, die er in einem Buch über die gotische Sprache gesehen hatte. Die Uhr war offensichtlich ein Vierundzwanzig-StundenChronometer. Der Tag begann, darauf deutete das Nullzeichen hin, am Mittag. Das Nullzeichen, das sich oben auf dem Zifferblatt befand, sah nicht aus wie die Null, an die er gewöhnt war. Es war eine kurze, waagerechte Linie mit einem großen Punkt in der Mitte. Falls die Vorfahren dieser Menschen von der Erde gekommen waren, mußten sie vor der Einführung der arabischen Zahlzeichen hier gewesen sein. Aber eines ihrer Genies hatte ein Sy mbol für Null erfunden. Als die Uhr Mittag schlug, zeigte Hanks Armbanduhr
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12:04:08 Uhr. Es war Vollmond wie auf der Erde, und obgleich er im Tageslicht nur matt leuchtete, schien er die gleiche Zeichnung wie der Mond auf der Erde aufzuweisen. Es gab auch einen Morgenstern — auf der Erde wäre es die Venus gewesen. Als die Sonne unterging, war es auf seiner Uhr fünf Minuten vor halb sieben, wie es sich für diesen Tag gehörte, und die Sternbilder sahen so aus, wie er es an diesem Datum im Mittelwesten erwartet hätte. Was es auf der Erde nicht gab, waren die großen, leuchtenden Kugeln, die plötzlich auf der Wüstenebene erschienen, heranrollten und lautlos explodierten, wenn sie das fruchtbare Grenzland erreichten. Irgend etwas am Rande der Wüste schien sie zu entladen. Am 2. April ging der Mond, der nun abzunehmen begann, um acht Uhr morgens auf. Er war sicher, daß die Wüste und das grüne Land auf der Erde nirgends zu finden waren. Auch wenn es A.D. 1923 noch unerforschte Landstriche gab — dieser hier konnte nicht dazugehören. Wo immer der grüne Dunst, offenbar eine Art Eingang, ihn hingeführt haben mochte, ein entlegener Fleck seines Heimatplaneten war es nicht. Er befand sich in einem anderen Universum. Die beiden Universen bildeten ein DoppelebenenKontinuum. Die Erde und dieser Planet teilten sich denselben außeratmosphärischen Raum und waren doch voneinander getrennt wie durch eine Mauer. Oder sie befanden sich, sozusagen, auf zwei verschiedenen Etagen desselben Planetengebäudes. Als er durch den grünen Dunst geflogen war, hatte er sich damit aus dem ersten Stockwerk der Erde in das zweite Stockwerk, nach Ertha, begeben. Ertha. Daß dieses Wort dem Englischen für »Erde« so ähnlich klang, war kein Zufall. Nicht, wenn die Sprache lamb für »Lamm«, fotuz für »Fuß«, manna für »Mann«, kald für »kalt«, arm für »Arm« und herto für »Herz« sagte. Die Bewohner dieses von Wüsten umgebenen Landes, das Amariiki, »Geisterreich«, hieß, hatten eine Sprache, die im Germanischen zu wurzeln schien. Er vermutete, daß es sich um Gotisch handelte, aber sicher war er natürlich nicht. Im Norden gab es ein Land, das Oz hieß. Dieses Wort allerdings hatten die Menschen hier nicht von der Erde mitgebracht. Hank Stover hatte viele Fragen gehabt, und er hatte sie immer noch, aber er konnte sie nicht stellen, bevor er die
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Sprache seiner Gefängniswärter erlernt hätte. Daß sie mit dem Sprachunterricht angefangen hatten, als er noch nicht eine Stunde lang in seiner luxuriösen Zelle war, deutete darauf hin, daß sie ein starkes Interesse daran hatten, sich mit ihm zu verständigen. Solange es hell war, verbrachte er die meisten Stunden des Tages in gebeugter Haltung vor dem Türfenster. Seine Lehrer, die während der ersten zwei Wochen Gazemasken vor den Gesichtern trugen, standen auf der anderen Seite. Hank lernte viel, aber er bekam auch höllische Kreuzschmerzen und manchmal Kopfschmerzen dazu. »Was bin ich eigentlich?« schrie er hin und wieder. »Ein Stinktier? Ein Paria? Etwas unaussprechlich Schmutziges und Niedriges? Habe ich Lepra? Bin ich Sozialist?« Vier Männer, vier Frauen und ein Kind unterrichteten ihn, jeder etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten lang. Unter seinen Lehrern war auch die blonde Puppe, Hauptfrau Lamblo, »Lämmchen«. Wie die anderen hatte auch sie keinen Familiennamen, wohl aber einen Spitz- oder Beinamen. Sie hieß »die Flinke«. Sie fingen damit an, daß sie auf einzelne Körperteile zeigten und sie benannten. Er wiederholte ihre Wörter, bis seine Aussprache perfekt oder für dieses Stadium zumindest akzeptabel war. Wenn er ihre Lippen hätte sehen könne, hätte er wohl schneller gelernt. Sie brachten Gegenstände herein und benannten diese. Nach fünf Tagen lehrten sie ihn einfache Sätze. »Sa-her'z ain sko.« »Dies ist ein Schuh.« »Sa-thar'z ain hilm.« Das ist ein Helm.« »Ii sai thuk.« »Ich sehe dich.« »Sai thu mik?« »Siehst du mich?« »Ain, twai, thriiz...« »Eins, zwei, drei...« Viele dieser Wörter konnte er mit drei verschiedenen Zweigen des Teutonischen in Verbindung bringen. Seine schwedische Gouvernante hatte ihm ein wenig von ihrer Muttersprache beigebracht, und Deutsch hatte er in der Schule, später dann als Besatzungssoldat und in Yale gelernt. Die Kenntnis dieser beiden Sprachen wiederum verhalf ihm dazu, Verbindungen zum Englischen herstellen zu können. Aber wie waren die Teutonen in diese Welt gekommen? Und was hatte sie zu Pygmäen werden lassen ? Unterdessen war es ihm gelungen, einen Schuppen um die Jenny bauen zu lassen, damit sie vor Wind und Wetter geschützt wäre. Sehen konnte er das Flugzeug nicht, denn sein Fenster, das aug-dor, die »Augentür« also, war nach Süden gerichtet. Außerdem hatte er seine Gefängniswärter überreden können, ihm sein Gepäck zu
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bringen, das in der Ladekammer im Heck des Flugzeuges verstaut gewesen war. Man hatte es ihm in Laken gewickelt gebracht, und die Männer, die es trugen, hatten Handschuhe getragen. Die Laken wurden vor der Tür entfernt, und man schob die Koffer mit langen Stöcken durch die Tür. Er nahm an, daß man Laken und Handschuhe danach verbrennen würde. Jetzt war er zufrieden. Er hatte seine Unterwäsche, sein Hemd und seine Strümpfe bisher mit kaltem Wasser und grober Seife waschen und dann nackt herumlaufen müssen, bis alles wieder trocken war. Jetzt hatte er endlich Wäsche zum Wechseln. Außerdem noch einen Karton Camel-Zigaretten und eine Literflasche Schmuggelwhisky, Glenfiddich aus Kanada. Bis jetzt hatte er den einheimischen Tabak, einen starken Burley, in der Pfeife rauchen müssen, aber er rauchte nicht gern Pfeife. Sie hatten ihm Bier gegeben, das besser schmeckte als jedes, das er bisher getrunken hatte, doch er zog harte Getränke vor, und auf seine diesbezügliche Anfrage hin hatten sie ihm Alkohol gebracht, der aus Korn gebrannt und dann mit Wasser und Fruchtsaft vermischt worden war. In seinem Gepäck befand sich außerdem ein Colt-Revolver, ein 45er New Service, und zwei Schachteln Munition. Diese Leute hatten offenbar keine Ahnung, wozu diese Dinge dienten, aber er beabsichtigte nicht, sie zu benutzen. Zuletzt fand sich noch ein Bauernalmanach, sodann Babbitt von Sinclair Lewis, Zivilisation in den Vereinigten Staaten, herausgegeben von Harold Stearns, und zwei Current-OpinionMagazine. Die letzteren hatte er aus einer Pension in Kansas City mitgehen lassen, und obwohl es die Ausgaben von April 1920 und April 1921 waren, hatte Hank angefangen, sie zu lesen. Sie enthielten viele interessante Artikel. Außerdem las er sowieso alles — sogar das Etikett auf Campbells Suppendosen, wenn er sonst nichts bekommen konnte. Neben dem Lesen verbrachte er täglich eine Stunde mit ausgiebigem Körpertraining, und einige Zeit verbrachte er auch damit, die Himmelserscheinungen und die Feuerbälle zu beobachten, die zu Hunderten heraufblitzten wie die Geschosse der Dicken Bertha. Er fragre Lamblo, wie sie hießen. »Fizhanam.« »FeindGeister.« Als er sie bat, ihm zu erklären, woraus diese Kugeln beständen, bekam er keine Antwort. Am Ende der dritten Woche kamen seine Gefängniswärter
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offenbar zu dem Schluß, daß er rain, also sauber, sei. Die Tür wurde aufgeschlossen, und Wulfla, »Wölflein«, einer der Lehrer, trat ein. Aber zwei Wachtposten blieben draußen stehen. »Warum habt ihr mich behandelt, als hätte ich die... ?« fragte er. Was war das Wort für Pest? » Unhaili. Zha, sa Aithlo (Ja, das Mütterlein) hat dich einschließen lassen, bis wir herausfinden konnten, ob du ein Übel in dir trägst, das uns krank machen könnte.« »Was für Krankheiten habt ihr denn? Wenn ich euch anstecken kann, könntet ihr mich ja auch anstecken«. »Da wirst du das Mütterlein fragen müssen. Sie hat befohlen, dich unversehrt hierzulassen. Aber ich glaube, ihr Riesen habt manche schrecklichen Krankheiten, die uns so krank machen können, daß wir sterben.« »Und diese Krankheiten habt ihr nicht?« »Ne. Wir sterben an gund (Krebs), Schlagfluß, Herzversagen und anderen Selbst-Krankheiten, aber mit Ausnahme von einigen Hautkrankheiten haben wir kaum etwas, das sich von einer Person auf die andere überträgt.« Auf weitere Fragen erfuhr er, daß diese Leute nicht einmal eine gewöhnliche Erkältung kannten. Lungenentzündung allerdings konnten sie bekommen. Die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen war niedrig; es starb nur einer von zehntausend bei der Geburt. Viele seiner Fragen wurden bereitwillig, wenn auch nicht vollständig beantwortet. Bei anderen verwies man ihn auf sein bereits geplantes Zusammentreffen mit Sa Hauist, der »Höchsten« — einer der zahlreichen Titel der weiblichen Regentin. Der Tabak stürzte ihn in einige Verwirrung. Wenn diese Eingeborenen Abkömmlinge der Goten aus dem Dunklen Zeitalter waren, wie konnten sie dann Tabak haben? Der stammte doch aus Amerika, die Goten hingegen waren Europäer. Daneben gab es außerdem viele andere nordamerikanische Pflanzen: Fruchtsaft in Dosen, Kürbis und Mais. Kartoffeln und Tomaten kannte man nicht, aber die ersteren waren aus Südamerika und die letzteren aus Mittelamerika zunächst nach Europa und dann nach Nordamerika gelangt. Auf den Regalen fanden sich zahlreiche illustrierte Bücher, und die Bilder zeigten Tiere, die sich wie eine Mischung aus amerikanischer und europäischer Fauna ausnahmen. Sie schlossen auch den Löwen und den Tiger ein, von denen Baum geschrieben und seine Mutter ihm erzählt hatte. Der Löwe
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hatte große Ähnlichkeit mit seinem afrikanischen Gegenstück, aber die Babyflecken waren bei dem erwachsenen Exemplar nicht völlig verschwunden. Er war proportional größer, als der afrikanische Löwe gewesen wäre, wenn dieser auf die entsprechenden Größenverhältnisse zusammengeschrumpft wäre. Hank hatte den Eindruck, es müsse sich um einen Abkömmling des »Schrecklichen Löwen« handeln, der einst den Südwesten dessen, was die Vereinigten Staaten waren, durchstreift hatte, inzwischen aber seit 14 000 Jahren ausgestorben war. Der Tiger, den seine Mutter nie gesehen, von dem sie aber gehört hatte, war nicht die asiatische Großkatze. Es war die Art, die man Säbelzahntiger oder Smilodon nannte, und sein Fell war lohfarben und streifenlos. Er war ungefähr zur gleichen Zeit vom nordamerikanischen Kontinent verschwunden wie der Löwe. Anscheinend hausten auch das Riesenbodenfaultier und der kurzgesichtige Grizzly in den heimischen Wäldern und Ebenen, und mit ihnen das höckerlose Kamel, das Mammut und das Mastodon. Wo aber waren Hund und Pferd? Die alten Goten mußten sie gehabt haben, als sie in dieses Universum kamen. Was also hatte diese Tiere auf geisterhafte Weise verschwinden lassen ? Und was hatte Tiere und Menschen veranlaßt, zusammenzuschrumpfen? Und was... ? Er bemühte sich, den Gedanken an alle die Fragen zu verdrängen, die sich wie gespenstische Voy eure um die Fenster seines Geistes drängten. Manchmal starrte er durch die großen französischen Fenster oder vom Balkon herunter über das Land. Sein Apartment befand sich im südöstlichen Arm des X-förmigen Schlosses. Er sah einen Teil des Landes im Süden, Farmen, Wälder, und dahinter die Wüste. Außerdem konnte er in einige Fenster der unteren Etagen hineinschauen. Einen riesigen Raum gab es, der seine Neugier weckte, obwohl er nie jemanden hatte eintreten sehen, nicht einmal zum Staubwischen. Die Fenster des Raumes waren groß, und die Vorhänge waren niemals zugezogen. Der Fußboden war aus Holz, und vielfältige Muster bedeckten die Wände, darunter Fünfecke und Neunecke. Er konnte zahlreiche Tische erkennen, große und kleine, und darauf standen Gerätschaften, die aussahen wie Laboratoriumsapparaturen. Wenn die Sonne hineinschien, konnte er
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einen großen Teil des Raumes deutlich sehen. Nachts aber brannte darin nur ein einziges Licht, eine riesige Fackel, die in der Mitte des Raumes auf einer Sphinx aus blankpoliertem, schwarzem Stein steckte. Die Sphinx schaute nach Süden, und ihr Kopf hatte vier weibliche Gesichter — zumindest vermutete er das; sehen konnte er nur die Profile des vorderen und hinteren Gesichtes sowie das nach Süden gerichtete. Die siebenzackige Krone war mit großen Juwelen besetzt. Der liegende Körper war nicht der einer Löwin, sondern es war ein Bärenkörper.
3 Am achtundzwanzigsten Tag seiner Gefangenschaft war die Sonne des Spätnachmittags hinter dicken, schwarzen Wolken verschwunden. Der Wind wurde nach und nach immer stärker, bis er eine Stimme bekam, und kurz darauf heulte er. Die Äste der Bäume schwankten hin und her, und ihre Wipfel bogen sich. Der Donner ließ die Blitze zucken, als wären sie flammende Peitschen. Als die Nacht hereinbrach, kam auch der Regen und trommelte gegen seine Fensterscheiben. Draußen in der Wüste vermehrten sich die weißen Lichtbögen, und in der Ferne spien sie ihre Strahlen von einem Punkt zum anderen. Die riesigen Feuerbälle schienen überall emporzuflackern. Wie eine angreifende Armee rollten sie heran, wie donnernde Brandung wogten sie gegen den Rand der Vegetation, wo sie zerstoben. »Der Teufel feuert aus allen Rohren«, murmelte Hank. Eiskalt lief es ihm über die Haut. Erst der Artilleriebeschuß, und was dann? Die Stunde Null? Der Angriff? Jetzt war auch seine Theorie, nach der die Lichtbögen und Feuerkugeln eine Art von Elmsfeuer seien, nicht länger haltbar. In dieser feuchten Atmosphäre konnte so etwas nicht existieren. Er trat an einen Tisch und goß sich ein großes Glas von dem einheimischen Schnaps ein; sein eigener Whisky war längst
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ausgetrunken. Dieser hier war anders als die erste Flasche, die man ihm gegeben hatte. Es war eine Art Gerstenwodka, starker Stoff, der einem die Tränen in die Augen trieb. Er stürzte zwei oder drei Doppelte hinunter, und dann wandte er sich um und schaute der Raserei aus dem Süden mit beschwipstem Mut entgegen. Bisher hatte er vor Gewittern keine Angst gehabt. Er hatte sie sogar durchflogen, und wenn er dabei auch etwas nervös gewesen war, so hatte er sich doch nie gefürchtet. Aber dieser Sturm hatte etwas an sich, das ihm weit größeres Unbehagen einflößte. Vielleicht waren es die Lichtbögen und Feuerbälle. Seine Lehrer hatten ihm keine Erklärung dafür geben können. Sie hatten gesagt, sie seien schon immer dort draußen gewesen, aber woher sie kämen, wüßten sie nicht. Stover war schon fast daran gewöhnt. Aber jetzt... Es sah fast aus, als seien sie entschlossen, die verborgene Barriere zu überspringen, die sie in der Wüste hielt, was immer diese Barriere sein mochte. »Das ist anthropomorphes Denken«, sagte er bei sich. »Aber was könnte ein anthropos sonst tun? Es liegt in seiner Natur, derart lächerliche Torheiten zu begehen. Begehen?« Der Wind schien jetzt noch stärker zu werden. Er rüttelte an den Fenstern und schleuderte massive Regenmassen gegen die Scheiben. Die hohe Großvateruhr im Wohnzimmer, deren Gehäuse mit Schnitzereien von grotesken, koboldhaften Gesichtern verziert war, schlug zwölfmal. Mitternacht. Und bevor der letzte Gongschlag verklungen war, hörten Sturm und Regen auf. Es war, als habe jemand mit einem Schalter die Kraft unterbrochen, die die Elemente vorangetrieben hatte. Er öffnete die französischen Fenster und trat hinaus. Draußen hörte man keinen Laut außer dem Tropfen von Regenwasser. Die Feuerbälle, die »Feind-Geister«, explodierten, wenn sie sich gegen die Grenze der Wüste warfen. Ihr Blitzen erinnerte ihn an Artilleriefeuer des Nachts an einer fernen Front. In den Bauernhäusern brannte kein Licht, und Wolken überzogen den Himmel. Aber das grelle Leuchten der aufblühenden Feuerkugeln durchbohrte die Finsternis, als sei Gott ein verrückter Schriftsteller, dessen Finger auf der Asterisk-Taste hängengeblieben war. Aus weiter Ferne drang mürrisches Donnerrollen herüber. Es klang wie ein wütender Bär, dessen Angriff abgeschlagen worden war und der sich getrollt hatte, um sein Glück anderswo zu versuchen. Die leuchtenden Kugeln wurden zahlreicher. In der Wüste
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wimmelte es plötzlich von ihnen. Wo bisher vier oder fünf pro Morgen geleuchtet hatten, schienen jetzt hundert dahinzurollen. In zerklüfteten Reihen drangen sie über die sandige Marsch hinweg auf das Waldland zu, und dabei rumpelten sie wie die Räder einer alten britischen Wagenarmee. Plötzlich, zu seiner Linken, gelang es einer lodernden Kugel, das zu durchdringen, was ihre Artgenossen bisher abgewehrt hatte. Einen Moment lang sah er sie noch in ihrer ganzen Pracht, dann aber konnte er nur noch hin und wieder einen hellen Blitz ausmachen, während der Feuerball durch den Wald dahinjagte. Er fuhr hoch. Der Raum mit der Sphinx, der bis dahin nur von der Fackel erleuchtet gewesen war, erstrahlte plötzlich in gleißendem Licht. Es blendete ihn, als er hineinschaute, aber als die Beleuchtung wieder erstarb, sah er, daß jemand hereingekommen war. Zunächst vermochte er die Gestalt nicht deutlich zu erkennen. Das grelle Licht war wieder erloschen, und es oblag allein der Fackel, die Finsternis zurückzudrängen, eine Aufgabe, der sie nicht gewachsen war. Aber dann leuchteten Hunderte von Lichtern auf, und der riesige Saal war jetzt erhellt, ohne daß man geblendet war. Das Licht drang aus zahllosen Halbkugeln, die in die Wände eingelassen waren. Stover fluchte. Wie konnten alle diese Lampen auf einmal angezündet werden, wenn sich nur eine Person im Raum befand? Er vergaß diesen Gedanken sogleich. Die Person war eine Frau, nackt bis auf hochhackige Schuhe aus einem silbrig glitzernden Metall und einem hohen, kegelförmigen weißen Hut, an dem zwei ausgebreitete Vogelschwingen angebracht waren. Ihr langes Haar hing bis fast zu den Kniekehlen, und sein dunkles Kastanienrot schien das Licht einzufangen, zu komprimieren und wieder zu verstreuen, als habe es sich in Juwelen verwandelt. Ihr Gesicht war wunderschön, aber dabei unregelmäßig genug — die Nase war eine Spur zu lang, die Lippen um einen Hauch zu voll, die Augen lagen ein wenig zu weit auseinander —, so daß die Züge nicht klassisch, sondern äußerst individuell erschienen. Ihr Körper war makellos, die Beine lang und schlank, aber dabei wohlgerundet, die Hüften waren schmal, aber nicht hager, ihre Taille war zierlich und ihr Oberkörper kräftig, ihre Brüste aber waren voll und straff und die Brustwarzen groß mit kleinen Höfen. Ihre Haut war sehr weiß. Hank verachtete Spanner, aber er brachte es nicht
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über sich, in seinem Zimmer zu verschwinden. Wenn sie nicht beobachtet werden wollte, würde sie doch sicher die Vorhänge schließen. Zudem hatte die Frage, was sie dort treiben mochte, seine Neugier erweckt, und so vergaß er Anstand und gute Erziehung. Sie hatte die Fackel aus dem Loch im Kopf der viergesichtigen Sphinx genommen und in einen Wandhalter geschoben. Jetzt trat sie an einen Tisch und schlang die Arme um eine Kugel aus Glas oder Kristall, die etwa doppelt so groß wie ein Basketball sein mochte. Sie trug sie zu der Sphinx hinüber und setzte sie auf die Krone, auf die sie haargenau paßte. Stover warf einen Blick nach Süden; aus dem Augenwinkel hatte er einen weiteren Durchbruch bemerkt. Zwei neue Feuerkugeln hatten die Grenze durchstoßen und ihre lodernden Gefährten hinter sich gelassen. Die erste hatte den Wald bereits zur Hälfte durchquert. Wie ein Phantom zuckte sie zwischen Bäumen und Büschen daher, und bald würde sie unter dem Rande des Plateaus verschwunden sein. Er wandte sich wieder der rothaarigen Frau zu. Sie tanzte gegen den Uhrzeigersinn um die Sphinx herum. In der Linken hielt sie einen Schäferstab, dessen Schaft spiralförmig geschnitzt war. Sie hob den Stab und senkte ihn, stieß ihn wie einen Speer von sich und zog ihn zurück, während sie herumwirbelte, sie sprang, schlich, wirbelte, hüpfte, beugte und streckte sich und bewegte dabei die Lippen. Hin und wieder schien es, als greife sie mit dem Haken am Ende des Stabes nach dem Halse eines unsichtbaren Feindes. Ein Blitz forderte die Erde zum Duell, indem er ihr ins Gesicht schlug. Hank schrak zusammen, und sein Herz hämmerte in seiner Brust. Der Blitz war völlig unerwartet gekommen; er hatte geglaubt, die elektrische Raserei sei vorüber. Außerdem war die Entladung anscheinend so dicht vor ihm vonstatten gegangen, daß man die Entfernung mit dem Schnurrbarthaar einer Katze hätte messen können. Donner grollte im Gefolge des Blitzes, als versuche der Himmel, den Geist der Wut zu verdauen. Wieder überbrückte ein Blitz die Luft zwischen Wolken und Boden, nun jedoch ein Stück weiter entfernt. Die Glaskugel war jetzt nicht mehr klar. Etwas Dunkles wallte in ihrem Innern. Gleichzeitig verfinsterten sich die Ecken des riesigen Raumes, als brüteten Schatten dort, die schwarz aufquollen wie Tintenwolken, die einem flüchtenden Oktopus entströmten. Die schwarze Wolke erreichte bald die ersten
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Lampen und zog darüber hin, aber undeutlich konnte Hank die brennenden Dochte durch die Finsternis erkennen. Eisige Schauer überliefen ihn. Er hatte das Gefühl, daß ihm die Haare zu Berge standen. »Jesus«, murmelte er. Hastig verschwand er in seinem Zimmer, um sein Fernglas zu holen. Wieder auf den Balkon zurückgekehrt, richtete er das Glas auf die Kugel, stellte es scharf und sah jetzt, daß das, was die Kugel erfüllte, anscheinend eine verkleinerte Nachbildung der Szenerie vor dem Schloß war. Er erkannte kleine, schwarze Wolken und winzige Blitze, die zwischen ihnen hindurch und abwärts zuckten. Plötzlich bildeten sich im unteren Teil der Kugel sechs kleine, rollende Lichtbälle. Die Schwärze hatte jetzt den Raum zur Hälfte erfüllt und wallte der Mitte zu, wo der Rotschopf wie wahnsinnig die Glaskugel umtanzte. Er vermochte ihr Gesicht nicht mit dem Fernglas zu fixieren, denn sie bewegte sich zu schnell und zu unberechenbar; er hatte allerdings den Eindruck, daß die Bewegungen für sie alles andere als unberechenbar waren und daß der Tanz in Wahrheit einem starren Muster folgte. Er setzte das Fernglas ab und schaute über den Wald hinaus. Sieben Feuerkugeln blitzten jetzt hier und da zwischen den Bäumen hindurch. Nein. Acht. Noch eine war durchgedrungen. Er wandte sich wieder dem Rau m zu und hob das Fernglas an die Augen. Auch die Glaskugel enthielt jetzt acht Feuerbälle. Die rothaarige Frau blieb vor der Kugel stehen. Sie wandte ihm den Rücken zu, und er sah, wie sie sich weit zurückbog, den linken Arm hob und den spiralig geschnitzten Hirtenstab in die Höhe streckte. Dann senkte sich der Stab und deutete auf die Glaskugel. Eine kleine Weile, etwa dreißig Sekunden lang, hielt sie den Stab bewegungslos fest. Dann stieß sie ihn gegen die Kugel, hielt aber eine Handbreit davor inne. Die Schwärze, die nur noch wenige Schritte weit von ihr entfernt war, rückte immer näher. Hank fluchte. Er konnte sie jetzt nur noch undeutlich erkennen. Aber das blendende Licht, das dem Ende des Stabes entsprühte und auf die Glaskugel traf, strahlte hell und klar. Die Dunkelheit waberte ein kleines Stück weit zurück. Wieder spähte er durch sein Fernglas. Er sah nur noch sieben Feuerkugeln. Als er in den Wald hinüberblickte, zählte er auch dort
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nur noch sieben. Noch einmal stieß der Stab zu. Ein zuckender Lichtblitz schoß aus seiner Spitze und fuhr in einen der Feuerbälle im Innern der Glaskugel. Er verschwand in einer lodernden Flamme. Hank schaute zum Wald. Sechs waren es noch. Der vorderste war verschwunden. Wieder und wieder schleuderte die rothaarige Frau Lichtblitze aus ihrem Stab. Immer, wenn einer der kleinen Feuerbälle in der Glaskugel zerstob, verschwand auch einer der großen Bälle zwischen den Bäumen. Die Finsternis in dem Riesenraum wich in die hintersten Winkel zurück. Als der letzte der kleinen Feuerbälle fort war, hatten sich auch die Schatten dorthin zurückgezogen, woher sie gekommen waren. Die rollenden Feuerkugeln an der Grenze zerbarsten, als seien sie Signale zum Rückzug, und die, die ihnen folgten, wichen zurück. Auch das Donnergrollen entfernte sich. Allmählich wurde es so still, daß Hank nur noch sein schweres Atmen hörte. Er fror und war zugleich von Schweiß durchnäßt. Sein Py jama war völlig durchtränkt. Der Geruch seiner Angst umgab ihn in dichten Schwaden. So rasch, wie sie aufgestrahlt waren, erloschen die Flammen in den hundert Lampen. Die Rothaarige nahm die Glaskugel vom Kopf der Sphinx herunter und setzte sie auf dem Tisch ab. Dann schob sie die Fackel wieder in die Halterung am Kopf der Sphinx. Stover hob sein Fernglas und richtete es auf ihr Gesicht. Ihre Miene war so machtvoll, so triumphierend und so wild, daß er es mit der Angst zu tun bekam. Er zog sich in sein Zimmer zurück, verschloß die französischen Fenster und trank von seinem Gerstenwodka. Aber selbst mit dieser Unterstützung konnte er noch lange keinen Schlaf finden. Am Morgen des dreißigsten April duschte und rasierte er sich, und nach kurzem Überlegen zog er dann seine Kunstfliegermontur statt der zivilen Sonntagsgottesdienstkleidung an. Eine Art Uniform, dachte er, sei das beste für diesen Tag, denn es war ein offizieller Anlaß. Das Frühstück wurde nicht wie sonst zu ihm hereingebracht. Kurz nachdem es neunzehn Uhr geschlagen hatte — seine Armbanduhr zeigte sieben Uhr morgens —, trat Hauptfrau Lamblo mit sechs Soldatinnen ein. Sie führten ihn den Gang hinunter und über die Wendeltreppe ins Erdgeschoß. Von hier aus geleitete man ihn in den Mittelteil, die Achse des Schlosses, und durch eine hohe, sehr breite Halle aus rotem
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Marmor, deren Wände von goldenen Statuetten auf silbernen Sockeln gesäumt waren. Durch einen Torbogen, der mit Rubinen, so groß wie Kohlköpfe, besetzt war, gelangte er schließlich in eine gigantische Halle. Die Kuppel, die sich darüber spannte, war an ihrer höchsten Stelle mindestens dreißig Meter hoch, und auch ihr Durchmesser betrug dreißig Meter. Wände und Boden bestanden aus weißem Marmor, und riesige Gobelins, die anscheinend historische Szenen darstellten, hingen überall. Goldene Filigranarbeiten zierten die Wände dazwischen. Eine Schar von etwa dreihundert Menschen, Vierbeinern und Vögeln hatte sich so formiert, daß sie ein Spalier bildete. Die Menschen trugen Uniformen oder prachtvollen Feiertagsstaat, die Frauen knöchellange Roben und die Männer farbenfrohe Kilts. Wie Hank später erfuhr, trugen die Männer werktags oder zur Arbeit zwar Hosen, zu feierlichen Anlässen aber bekleideten sie sich mit einem Kilt. Am Ende des Spaliers, an der hinteren Wand der Halle, erhob sich eine Plattform aus weißem Marmor, zu der sieben Marmorstufen hinaufführten. Die Kanten der Plattform waren mit Rubinen geschmückt, die noch größer waren als die am Torbogen. In der Mitte stand ein Thron, der aus einem gigantischen Rubin geschnitten war. Darauf, auf einem Kissen, saß eine Frau. Es war die Königin, die Höchste, die Weise Frau, die Hexenfürstin höchstselbst — das Mütterlein. Die Soldatinnen hoben ihre Speere zum Salut, aber sie begleiteten Stover und Hauptfrau Lamblo nicht zum Thron. Die kleine Blonde führte ihn bis zum Fuße der Plattform, salutierte mit ihrem Schwert und trat beiseite. Niemand hatte gesprochen, während er den Gang hinunterging, niemand hatte auch nur gehustet, geniest oder sich geräuspert. Hank erkannte die kleine, außergewöhnlich schöne Frau mit dem kastanienroten Haar wieder, die da auf dem Thron saß. Er hatte gesehen, wie sie während des Unwetters in dem riesigen Raum nackt tanzte. Jetzt war sie vom Hals bis zu den Knöcheln in ein wallendes, weißes Gewand gehüllt, und statt des spitz zulaufenden Hutes trug sie eine goldene Krone mit neun Zacken. In die Vorderseite der Krone waren kleine Rubine eingelassen, die die Umrisse eines von einem Hufeisen umschlungenen X bildeten. Ihr Haar war hochgesteckt und schmiegte sich um ihren Kopf. Ihre auffällig dunklen, blauen Augen fixierten ihn. Ihre Mundwinkel zuckten kaum merklich,
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als dächte sie: »Du hast mich in der Nacht gesehen.« Natürlich mußte sie wissen, daß er das merkwürdige und beängstigende Ritual, oder was immer es gewesen sein mochte, gesehen hatte. Sie hätte die Vorhänge zuziehen können, wenn sie nicht gewollt hätte, daß jemand sie beobachtete. Die Vorstellung, sich vor ihr zu verneigen, machte Stover verlegen, doch er hielt es gleichwohl für angemessen. Dankend nickte sie mit dem Kopf. Dann sagte er: »Glinda die Gute, nehme ich an?«
4 »Das Gute ist eine relative Sache«, sagte die Königin. Sie frühstückten auf dem Balkon ihrer Gemächer. Sie saß auf einem Stuhl und speiste von Tellern, die auf einem kleinen Tisch vor ihr standen. Er hatte einen Stuhl und einen Tisch, die man speziell für seine Größe angefertigt hatte. Sogar die Teller und der Löffel, die Gabel mit den zwei Zinken und das Messer waren für ihn hergestellt worden. »Relativ zu was?« fragte Hank. »Nicht etwa zum Bösen, sondern zu anderem Gutem«, antwortete sie. »Aber ich sollte nicht in abstrakten Begrifflichkeiten reden. Es gibt nichts, was an sich gut oder böse wäre. Es gibt nur gute oder böse Personen. Und in Wirklichkeit gibt es nicht einmal die. Es kommt nur hin und wieder vor, daß Menschen untereinander übereinkommen, andere als gut oder böse zu definieren. Aber was eine Person als gut oder böse definiert, entspricht nicht immer den Definitionen einer anderen Person, auch wenn es hier Berührungen oder Überschneidungen geben mag.« Stover schwieg eine Weile. Zunächst einmal beherrschte er die Sprache nicht so gut, daß er sicher sein konnte, alles zu verstehen, was sie sagte. Und zum zweiten fragte er sich, ob sie wohl versuchen mochte, ihm etwas zu sagen, ohne es ausdrücklich auszusprechen.
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Er verzehrte ein hartgekochtes Ei und eine Schnitte Brot mit Butter. Seit er hier war, hatte er eine Unmenge Gemüse und Früchte zu sich genommen, außerdem Weizen und Gerste, Käse, Eier, Nüsse und Milch, aber weder Fleisch noch Geflügel oder Fisch. Er sehnte sich nach Steaks und Speck, aber er hatte sich nicht beklagt, denn wenn er seinem Verlangen Ausdruck gegeben hätte, wäre er damit in den Augen seiner Gastgeber vermutlich zum Kannibalen geworden. Er warf einen Blick auf den Elchhirsch, der neben ihrem Stuhl stand, und auf das Seeadlerweibchen, das auf einem Holzbalken an der Wand hockte. Bis jetzt hatten die beiden nichts gesagt, aber es war offensichtlich, daß diese beiden Leibwächter verstanden, worüber ihre Herrin und ihr Gast sprachen. »Auf jeden Fall muß das Volk Euer Hexenhoheit über alle Maßen respektieren«, sagte er. »Sonst würde man Euch nicht >die Gute< nennen.« »Ich bin eine sehr gute Hexe«, sagte sie lächelnd. »Ja, ich bin so gut, daß man mich eigentlich >die Beste< nennen müßte.« Er war im Begriff zu sagen, daß sie ihn vermutlich auf den Arm nehmen wolle, unterdrückte aber dann diese Bemerkung. Ihre Bedeutung würde der Königin in der wörtlichen Übersetzung sicher mißverständlich erscheinen. »Ihr treibt Scherz mit mir«, sagte er statt dessen. »Ich bin sicher, daß die Leute das nicht meinen, wenn sie Euch >die Gute< nennen.« Glinda trank einen Schluck Milch. »Da solltest du nicht so sicher sein«, sagte sie. »Wie auch sonst nicht. Noch nicht. Vielleicht nie.« Ebensogut könnte man sie auch »Glinda die Vieldeutige« nennen, dachte er. Glinda — das bedeutet sowohl »die Leuchtende« als auch »die Flinke«. Das Wort mußte derselben urgermanischen Wurzel entstammen wie das englische »glint« oder das deutsche »glänzen«. Er nippte an der warmen, nicht pasteurisierten Milch, und fast hätte er sich geschüttelt. Sie stank nach Kuh, und der Geschmack behagte ihm überhaupt nicht. Aber Milch war gesund, und falls er hierbleiben sollte, würde er seinen Geschmack und seine Gewohnheiten in vielerlei Hinsicht verändern müssen. Und da es kaum wahrscheinlich war, daß er wieder zur Erde zurückfinden würde, war es ratsam, die Naturalisation sogleich in Angriff zu nehmen. Eine Dienerin nahm eine Serviette und betupfte Glindas Lippen damit. Eine andere, die neben Stover
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stand, wollte ihm den gleichen Dienst erweisen, doch er wehrte ab. »Ne, thungk thuk.« Es störte ihn, wenn man ihn buchstäblich von Kopf bis Fuß bediente. Er war zwar in einem Haus mit zehn Bediensteten aufgewachsen, aber diese intensive, unablässig über einem schwebende Aufmerksamkeit gefiel ihm nicht. Glinda schob sich ein paar Walnüsse in den Mund — Gott sei Dank, wenigstens fütterten sie sie nicht, das wäre wirklich zuviel des Guten gewesen — und sagte: »Du hast erzählt, du seist Dorothy s Sohn. Du hast in der Tat ihre großen, dunkelgrünen Augen, und auch dein Gesicht erinnert mich an sie. Aber woher soll ich wissen, ob du wahrhaftig ihr Sohn bist?« »Weshalb sollte ich Euch belügen?« »Ich habe nicht viele Feinde«, erwiderte sie. »Aber die, die ich habe, sind mächtig. Und äußerst gerissen.« »Ihr meint, sie könnten mich von der Erde importiert haben, damit ich Euch ermorde.« Er lachte. »Unruhig ruht das Haupt, das eine Krone trägt... nein... Paranoia regiert den Sinn des Regenten.« Auch sie lachte, und dabei sah sie so schön aus, daß seine Brust schmerzte. Gott, welch eine Zauberin! Dabei maß sie nur einen Meter dreißig. »Das ist lächerlich, nicht wahr?« meinte sie. Er hielt den Eisenschlüssel an der Goldkette hoch, den er am Morgen von seiner Jacke genommen hatte. »Den hat meine Mutter mir gegeben. Ich sollte ihn tragen, damit er mir Glück bringt.« Glinda nahm den Schlüssel und drehte ihn in ihren Händen. Dann gab sie ihn zurück und meinte: »Er sieht genauso aus wie der Schlüssel, den sie hatte, als sie herkam.« »Es ist derselbe. Ich weiß nicht, ob das Haus, in dem sie auf dem Tornado in diese Welt ritt, noch steht, aber wenn es noch steht, dann wird dieser Schlüssel die Vordertür öffnen.« »Es ist ein staatliches Denkmal, und jedes Jahr kommen viele Munchkins hin, um es sich anzusehen.« »Ich würde es auch gern sehen.« »Vielleicht wirst du es sehen dürfen. Eines Tages.« Leise erkundigte sich die Dienerin, ob er mit dem Essen fertig sei oder ob er noch einen Wunsch habe. Er gab zur Antwort, daß er satt sei, und sie schien darüber nicht zu staunen, denn er hatte das Dreifache dessen verdrückt, was sie hätte zu sich nehmen können. Als der Tisch abgeräumt war, fragte er Glinda, ob er rauchen dürfe. »Nicht in meiner Gegenwart«, erwiderte sie, aber sie lächelte, um dem Verbot die Schärfe zu nehmen. Stover schob Pfeife und Tabaksbeutel wieder in die Jackentasche zurück.
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»Nun«, sagte sie, »du hast Lamblo bereits erzählt, wie du in unsere Welt gekommen bist. Aber ich würde die Geschichte gern noch einmal von dir hören.« Er entsprach ihrem Wunsch. Als er geendet hatte, sagte sie: »Anscheinend hast du nicht die geringste Ahnung, weshalb es dazu gekommen ist.« »Nein. Wißt Ihr mehr, Euer Hexenhoheit?« »Nicht im Augenblick. Erzähle mir, was aus Dorothy wurde, nachdem ich sie heimgeschickt hatte. Erzähle mir auch von dir.« Dies erwies sich als schwierig. Immer wieder mußte er innehalten und erklären, wovon er redete. Dennoch verstand sie mehr, als er erwartet hatte, denn schon Dorothy hatte ihr vieles erzählt. Und was für ein Gedächtnis Glinda hatte! Undurchlässig wie die Faust eines Bankiers. Anscheinend hatte sie nichts von dem, was seine Mutter ihr erzählt hatte, vergessen. Es war ein Tornado gewesen, kein Zyklon, der Dorothy mitsamt dem Farmhaus davongetragen hatte. Die Farm ihres Onkels hatte ein paar Meilen außerhalb von Aberdeen, South Dakota, gestanden, als das Unwetter an jenem 23. Mai 1890 über die Gegend hereinbrach. »Nicht in Kansas«, sagte er. »In South Dakota. Kansas liegt weiter südlich als South Dakota.« »Was hat South Dakota, was immer das sein mag, damit zu tun?« Stover seufzte: »Ich wünschte, ich könnte auf geradem Kurs bleiben. Aber wir werden durch unbekannte Meere kreuzen müssen.« »Was ist mit South Dakota?« beharrte sie. »Was ich Euch erklären muß, ist, daß ein Erdenmann, ein Amerikaner, ein Buch über die Abenteuer geschrieben hat, die Dorothy hier erlebte«, sagte er. »Aber es war erdichtet oder erschien zumindest so. Ein großer Teil war tatsächlich frei erfunden, und die Passagen, die der Wahrheit entsprachen, hatte er geschönt. Das mußte er tun, weil er ein Buch für Kinder schrieb.« »Geschönt?« »Zensiert. Gereinigt.« Er hatte einige Schwierigkeiten, Wörter zu finden, die dem Begriff der Zensur entsprachen. Schließlich gab er auf und erklärte das Wort. »Mutter war sechs Monate lang fort, aber in dem Buch, das dieser Mann, Ly man Frank Baum, über sie schrieb, hieß es, sie sei nur ein paar Wochen lang hier gewesen. Dieser Baum war Romanschriftsteller, aber zu jener Zeit gab er in Aberdeen
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eine Zeitung heraus. Er hörte, daß ein kleines Mädchen verschwunden sei und daß alle glaubten, der Tornado habe sie fortgetragen. Man suchte ihren Leichnam, fand ihn jedoch nicht. Die Leute glaubten, daß sie wahrscheinlich in einen Erdspalt oder in den Wald gefallen sei, viele Meilen weit entfernt von Aberdeen. Und vielleicht hatten die Koyoten sie gefressen. Und dann tauchte meine Mutter wieder auf, mit einer Geschichte über eine Reise in ein unbekanntes Land jenseits der Wüste im Territorium Arizona. Natürlich glaubte niemand, was sie da über sprechende Tiere erzählte, über Menschen, die so groß seien wie ein achtjähriges Kind, über eine lebendige Vogelscheuche und einen Holzfäller aus Blech, über Hexen, fliegende Affen und alles das. Man hielt sie für eine Lügnerin oder Verrückte.« »Und das erkannte deine Mutter recht bald, und so behauptete sie, daß sie das Ganze nur geträumt habe — oder etwas Ähnliches.« »Woher wißt Ihr das?« »Deine Mutter war ein über alle Maßen zähes und anpassungsfähiges Kind. Äußerst nüchtern und sachlich. Sie dürfte sofort gewußt haben, was zu tun sei, als sie merkte, daß niemand ihr glauben würde.« »Ja, so ist Mutter. Rauh und hellwach. Ein liebevolles und mitfühlendes Herz, aber ohne Sentimentalität oder hochfliegende Phantasie. Ein Verstand, so schnell und so hartnäckig wie eine Wolfsfalle. Ihre Haltung ist: So ist die Welt nun einmal, ganz gleich, wie sonderbar und ungerecht sie auch erscheinen mag, aber ich bin ihr gewachsen.« »Eine ausgezeichnete Charakteranalyse«, meinte Glinda. »Und was geschah dann?« »Baum hörte von der Geschichte des kleinen Mädchens und fuhr hinaus zu der Farm, um mit ihr zu reden. Obgleich er ihr — vermutlich — nicht glaubte, gab er doch vor, es zu tun. Nach seinen drei Gesprächen mit ihr machte er sich Notizen, aber er druckte kein Wort davon in seiner Zeitung. Es wäre nur peinlich gewesen — für Dorothy wie auch für ihre Tante und ihren Onkel —, und es hätte weiteren Spott und neue Zweifel an ihrer geistigen Gesundheit und ihrer Wahrheitsliebe hervorgerufen. Aber er vergaß ihre phantastische Erzählung nicht, und später benutzte er seine Notizen als Grundlage für den Wunderbaren Zauberer von Oz. Es war ein sehr erfolgreiches Buch, ein Bestseller«, fuhr
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Hank fort. »Mutter war sehr überrascht, als sie es las, und auch verärgert über die Freiheiten, die Baum im Umgang mit ihrer Geschichte an den Tag gelegt hatte. Sie dachte daran, ihm zu schreiben und ihm deshalb Vorwürfe zu machen. Aber bald hatte sie sich wieder beruhigt — Mutter ist ziemlich gelassen — und entschied, ihm nicht zu schreiben. Was blieb ihr auch anderes übrig? Sie wollte kein öffentliches Aufsehen erregen, denn das würde weder ihr selbst noch ihrem Mann oder dessen Eltern gefallen, und außerdem würde man sie erneut des Irrsinns bezichtigen. Also unternahm sie überhaupt nichts.« Allerdings las Dorothy ihrem Sohn aus dem Wunderbaren Zauberer von Oz vor, als er fünf Jahre alt war. Der Kleine war fasziniert, und als die Fortsetzungsbände erschienen, verschlang er sie wieder und wieder. »Als ich acht war, erzählte meine Mutter mir, daß sie in dieser Welt gewesen sei, daß sie die Dorothy sei, von der Baums Bücher erzählten. Zumindest sei sie das Kind gewesen, auf dessen Abenteuern das erste Buch basierte. Die Fortsetzungsbände waren selbstverständlich allesamt frei erfunden, abgesehen von wenigen Details wie Personen- und Ortsnamen. Ich war verblüfft und entzückt zugleich, als ich davon erfuhr, aber ich war auch enttäuscht und frustriert, weil ich ihr versprechen mußte, niemandem von ihren Enthüllungen zu erzählen.« Oft fühlte er sich versucht, seinen Spielgefährten zu erzählen, daß seine Mutter die Dorothy von Oz gewesen sei, aber er tat es nicht. Als er dann älter wurde, verlor er seinen Glauben an die Existenz des Landes Oz. Er kam zu dem Schluß, daß seine Mutter ihm Phantasiegeschichten erzählt haben müsse. Aber ganz sicher war er nicht. Seine Mutter machte selten Scherze, und sie hätte weder ihr Kind noch sonst jemanden jemals belogen. Eines Tages — er war elf — brachte er das Thema zur Sprache. Er fragte sie, ob sie ihm tatsächlich die Wahrheit gesagt habe oder ob sie ihn nur unterhalten wollte. Oder hatte er stolz darauf sein sollen, daß seine Mutter die Heldin eines Kinderbuches gewesen war? Sie war ärgerlich geworden, aber der Ärger hatte nicht lange vorgehalten. Sie war mit ihm in ihr Schlafzimmer gegangen und hatte einen kleinen Sekretär aufgeschlossen. Aus einer Schublade nahm sie eine kleine Stahlkassette. Sie öffnete sie und entnahm ihr nicht etwa den Schatz, den er erwartet hatte — Gold, Juwelen oder einen Dolch —, sondern
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einen gewöhnlichen eisernen Haustürschlüssel. »Mutter sagte: >Dies ist der Schlüssel zu dem Haus, das der Tornado in das Land der Munchkins trug.<« Stover hatte den Schlüssel nur angestiert, starr vor Ehrfurcht. »>Ich wünschte, Onkel Henry und Tante Em könnten noch leben< sagte Mutter. >Sie würden dir erzählen, daß ich einen leuchtenden Fleck auf der Stirn hatte, als ich aus dem Quadling-Lande zurückkam. Tagsüber konnte man ihn sehen, und nachts strahlte er hell. Es war das Zeichen, das die Hexe des Nordens auf meine Stirn gemacht hatte, um darauf hinzuweisen, daß ich unter ihrem Schutz stände. Dieses Zeichen war der Hauptgrund dafür, daß Onkel und Tante mir meine Geschichte glaubten. Aber sie waren nicht dumm. Sie wußten, daß ich zum Gegenstand von allerlei Rummel und Belästigungen durch Neugierige und Zeitungsreporter werden würde, daß man mich verspotten und verhöhnen oder vermarkten würde. Also befahlen sie mir, das Zeichen mit Gesichtspuder zu verdecken, und sie rieten mir, niemandem zu erzählen, wo ich gewesen war. Aber ich konnte nicht schweigen. Ich sprach mit anderen Kindern, diese erzählten es ihren Eltern, und so sprach sich die Geschichte herum. Natürlich war ich ohnehin eine Berühmtheit, denn alle glaubten, daß der Tornado mich mitsamt dem Haus davongetragen habe, und ich war ein Wunder für sieben Tage, als ich wieder auftauchte. Aber Onkel Henry ließ verbreiten, ich sei während der ganzen Zeit umhergewandert, und außerdem hätte ich an Gedächtnisschwund gelitten —ich hatte vergessen, wer ich sei — und Gehirnfieber gehabt. Das erzählte er auch Mr. Baum, als dieser kam, um mich zu besuchen.<« Stover fuhr fort. »Onkel Henry hatte Dorothy für tot gehalten und er hatte die Totenmesse für sie feiern wollen. Aber Tante Em war dagegen gewesen: Man werde das Kind erst dann für tot erklären, wenn sein Tod erwiesen sei. Sie hatte fest daran geglaubt, daß Dorothy noch lebte, und inständig für sie gebetet. « »Aber die Zeitungen müssen doch mindestens über ihr Auftauchen berichtet haben, nachdem man sie schon für tot gehalten hatte. Die Reporter müssen sie doch gefragt haben, wie sie das Ganze überlebt habe.« »Sicher, vor allem in einer so kleinen Gemeinde, wo schon ein Teekränzchen eine heiße Nachricht sein konnte. Man druckte die Story über ihre scheinbar wunderbare Errettung,
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ihre Amnesie und alles das. Meine Mutter hatte die Zeitungsausschnitte in einem Album aufbewahrt, das sie mir einmal zeigte.« »Und warum hat dieser Baum Dorothy in den Staat Kansas versetzt?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht wollte er nicht, daß meine Mutter ihn verklagte. Wie ich schon sagte, er hatte ihre Story fiktionalisiert, er hat Dinge eingeflochten, die nicht stimmten.« Er erzählte Glinda von dem Kapitel, in dem Dorothy und ihre Wandergefährten, der Ängstliche Löwe, der BlechHolzfäller, der Hund Toto und die Vogelscheuche eine Stadt voller lebendiger Puppen entdeckten. »Sogar Baums glühendste Bewunderer meinen, daß dieses Kapitel dort nicht hingehöre, daß es konstruiert wirke und mißraten sei. Aber er tat noch andere Dinge, die sich allesamt nur durch sein Verlangen, ein Kinderbuch zu schreiben, erklären lassen. Es mußte schnell und leicht zu lesen sein, und die Handlung mußte rasch und reibungslos voranschreiten. Daher ignorierte er die Tatsache, daß die Bewohner Eurer Welt kein Englisch sprechen, und es stimmt auch nicht, daß Mutter sich sofort aufmachte und die Gelbe Ziegelstraße entlangwanderte. Sie mußte erst einen Monat bleiben, wo sie gelandet war, um die Munchkin-Sprache zu erlernen. Sie ist ein Naturtalent, was das Aufschnappen fremder Sprachen betrifft. Ich bin auch nicht schlecht auf diesem Gebiet, aber ich bin sicher, daß sie mich in den Schatten stellt.« »Das alles ist sehr interessant«, sagte die Königin. »Aber du hast mir immer noch nichts von ihrem späteren Leben erzählt. « »Tut mir leid. Ich muß Euch erst über den Hintergrund aufklären, denn sonst versteht Ihr vielleicht nicht, wovon ich rede.« Glinda lächelte. »Ich weiß vielleicht mehr, als du glaubst.« Hank starrte sie einen Augenblick lang an. »Das würde mich nicht überraschen. Ich werde Euch später einmal fragen, was Ihr damit gemeint habt.«
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5 Seine Mutter hatte das harte, arbeitsreiche Leben eines Bauernmädchens aus Dakota gefü hrt, bis sie sechzehn Jahre alt war. Sie besuchte die Dorfschule, dann die High-School in der Stadt, und sie hatte viel gelesen, wann immer sie Gelegenheit dazu gefunden hatte. »Und das war nicht oft der Fall, denn sie mußte bei der Hausarbeit, bei der Aussaat und auch beim Ernten mithelfen.« Aber das Leben insgesamt war leichter und besser als vor ihrem Besuch in der anderen Welt. Dorothy war ein nüchternes Mädchen, aber neben all ihrer Nüchternheit war noch Platz für einen Hauch von Aberglauben. Sie schrieb die Besserung in ihrem Leben erstens dem Segen der Nordhexe und zweitens dem Hausschlüssel zu. Dieser war zu einem halb magischen Amulett geworden. Aber als Onkel Henry an den Folgen eines Maultiertrittes starb und Tante Em zwei Wochen später einem Herzanfall zum Opfer fiel, hielt Dorothy ihre Glückssträhne für beendet. »Aber aus dem Verkauf der Farm konnte sie einigen Profit schlagen. Den Gesamterlös bekam sie nicht in die Hand, denn sie war jetzt ein Gerichtsmündel, und so erhielt sie eine regelmäßige Rente aus dem Vermögen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestritt und ihre Schulausbildung bezahlte. Sie verließ die High-School und ging zu einer Handelsschule in Iowa. Dann erklärte sie den Anwälten, die ihre Angelegenheiten führten, sie gehe nach New York, um Stenotypistin und Sekretärin zu werden. Die Anwälte erhoben Einwände, aber sie kümmerte sich nicht darum. Sie bekam einen Job, aber sie mußte ihr wahres Alter verschweigen. Gleichzeitig hielt sie Ausschau nach einem Engagement bei einem Schauspiel oder einem Musical. Mutter war eine Schönheit — das heißt, sie ist es auch heute noch, mit einundvierzig Jahren.« Er wollte hinzufügen, daß ihre Beine fast so schön wie Glindas seien, ließ es aber dann sein, da diese Bemerkung vielleicht ein wenig indiskret sein könnte. Seine Mutter bekam einen Job als Tänzerin im Chor einer sehr erfolgreichen Broadway -Produktion. Kurz darauf begegnete sie Lincoln Stover, dem einzigen Sohn eines reichen
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Börsenmaklers. Lincoln war zehn Jahre älter als Dorothy und lungerte regelmäßig an Bühneneingängen herum. Zwischendurch erklärte Hank, welchem Zweck eine solche Beschäftigung diente. »Seine Eltern stammten aus vornehmen Familien, Massachusetts-Pioniere, die in den dreißiger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts aus England herübergekommen waren.« Lincoln Stover, Hanks Vater, war in Oyster Bay , Long Island, geboren, einer Gegend, wo Leute wie Louis Tiffany und F.W. Woolworth große Anwesen besaßen und wo Theodore Roosevelt sein Weißes Haus für die Sommermonate hatte. Lincolns Eltern erwarteten, daß er in die Fußstapfen seines Vaters trete, und das tat er auch — nur heiratete er nicht die Tochter einer reichen Familie aus New York. Statt dessen verliebte er sich mit großer Heftigkeit in Dorothy und machte ihr bald einen Heiratsantrag. Mr. und Mrs. Robert Stover, Hanks Großeltern, waren schockiert und fassungslos. Lincoln konnte, er durfte einfach nicht die stammbaum- und vermögenslose Tochter und Nichte ärmlicher Kleinbauern heiraten. Enterbungsdrohungen zum Trotz floh Lincoln mit Dorothy in den wilden Staat Nevada, wo der Pfarrer, der sie miteinander vermählte, vergaß, nach dem Alter der Braut zu fragen. Vielleicht waren es die vollendeten Tatsachen, die die Stovers veranlaßten, die beiden wissen zu lassen, sie könnten heimkommen und alles sei vergeben. Die Ehe wurde erneut und diesmal rechtmäßig geschlossen. Und nachdem Lincolns Eltern Dorothy ein wenig besser kennengelernt hatten, akzeptierten sie sie nicht nur, sondern schlossen sie nach und nach sogar in ihr Herz. »Und das war keine schlechte Leistung bei solchen Snobs«, bemerkte Hank. »Deine Mutter war eine bemerkenswerte Person«, sagte Glinda. »Und überaus liebenswert.« »Wenn ich nicht so bescheiden wäre, würde ich Euch erzählen, wie ähnlich ich ihr bin«, meinte Hank. Beide lachten. Ah, dachte er, wenn du mich nur lieben könntest, Glinda. Du würdest finden, daß ich nicht nur an Körpergröße, sondern auch in der Liebe ein Riese bin. Er kehrte zu seiner Biographie zurück. Als die Vereinigten Staaten am 6. August 1917 Deutschland den Krieg erklärten, war er auf der Vorbereitungsschule gewesen. Er verließ die
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Schule während des letzten Semesters, um im Februar 1918 in den Army Air Service einzutreten. Im Sommer zuvor hatte er schon Flugunterricht genommen. Im September wurde er nach Frankreich versetzt und flog dort vom zwanzigsten September bis zum elften November, dem Tag des Waffenstillstands, eine Spad-Jagdmaschine. Er hatte fünf Luftkämpfe erlebt, aber nur ein Flugzeug abgeschossen, und diesen Sieg mußte er noch mit seinem Commander teilen. Nach seiner Entlassung hatte er sich in Schweden, Dänemark, Deutschland, Italien und Spanien herumgetrieben. Schließlich kehrte er nach Amerika zurück, beendete seine Vorbereitungsschule und ging nach Yale. Aber er war ein passionierter Flieger und dabei zu alt und zu erfahren, um das Dasein als Erstsemester zu genießen. Im Sommer 1921 eröffnete er seinen Eltern, er werde nicht zur Universität zurückgehen, zumindest vorerst nicht. Er wollte Kunstflieger werden. Lincoln und Dorothy protestierten nachdrücklich, aber er war nicht weniger starrköpfig als die beiden, und so verschwand er mit der Jenny, die ihm sein Vater gekauft hatte, und versprach, das Flugzeug mit dem Geld, das er auf seiner Tournee verdienen würde, zu bezahlen. »Dad wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, bevor ich meine romantische Idiotie, wie er es nannte, abgelegt hätte. Mutter hatte mich angefleht, doch erst die Universität zu beenden, bevor ich mich, wie sie sagte, am Himmel herumtriebe. Auch sie war mir böse, aber sie schrieb mir trotzdem lange Briefe. Ach ja, das habe ich vergessen — der Hausschlüssel. Sie gab ihn mir, bevor ich nach Frankreich abreiste. Sie meinte, er habe ihr stets Glück gebracht, und vielleicht würde er auch mir gute Dienste tun. Ich würde es sicherlich nötig haben, fand sie.« Glinda reichte ihm den Schlüssel zurück. »Er hat weite Reisen unternommen.« Dann erzählte er ihr noch einmal, wie er durch die grüne Wolke in ihre Welt gelangt war. »Ganz selten«, sagte sie, »geschieht es, daß die Wände, die unsere beiden Welten voneinander trennen, sich für einen kurzen Augenblick auftun. Zumeist geschieht das hoch über dem Boden, obwohl es gelegentlich auch schon knapp über der Erde zu solchen Öffnungen gekommen sein muß. Es handelt sich um ein unvorhersehbares Naturphänomen, und aus irgendeinem Grunde ist es viel schwieriger, aus meiner Welt in die deine zu gelangen, als umgekehrt.« »Heißt das, ich kann
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nicht zurück?« fragte Hank. »Aber meine Mutter —« »Es ist nicht unmöglich. Es ist nur schwierig. Wie ich eben sagen wollte, ehe du mich unterbrachst: Berichte unserer Vorfahren lassen darauf schließen, daß sie vor etwa 1500 Jahren durch solche Öffnungen in diese Welt gelangt sind. Mehr als ein ganzer Stamm kam damals herüber; Teile anderer Stämme und Einzelpersonen waren dabei, Vögel, Vierbeiner, Reptilien, und natürlich auch Insekten. Damals müssen die Öffnungen länger gehalten haben, als sie es heute tun. Vielleicht bewegten sie sich auch schneller und durchzogen ganze Gebiete, schaufelten gleichsam ganze Wohnbezirke auf. Im Grunde wissen wir nicht, was damals geschah. Jedenfalls deutet das wenige, das wir über die Öffnungen wissen, darauf hin, daß sie sich westwärts bewegten. Aber ganz unabhängig von ihrer Position auf der Erde war ihre andere Seite, durch die man hierher gelangte, stets unbeweglich in dieser Gegend, in Amariiki.« »Darf ich Euch noch einmal unterbrechen, Euer Hexenhoheit?« »Zha, thu mag.« (»Ja, du darfst.«) »Was wäre, wenn sich die Öffnungen teilweise unterhalb der Erdoberfläche befänden? Würden sie, wenn sie sich schlössen, aufhören zu funktionieren und die Erde der anderen Welt ebenfalls mit sich nehmen? Und die Vegetation?« »Ich weiß es nicht. Ich denke, daß irgend etwas, vielleicht gewisse Strahlen der Erde...« Erdströme? dachte Hank. ».. .verhinderte, daß die Öffnungen sich unterhalb der Erd- oder Wasseroberfläche deiner oder meiner Welt auftun konnten. Aber als meine Vorfahren hierher kamen, trafen sie auf Menschen, die eine andere Sprache sprachen. Sie waren klein und stark behaart, weißhäutig, hatten kräftige Oberaugenwülste, fliehende Kinne, flache Schädel und starke Knochen.« Neandertaler? fragte sich Hank. Glinda erzählte, daß diese Leute entweder ausgestorben waren oder sich mit ihren Vorfahren vermischt hatten. Im Laufe dieses langen Prozesses entlehnten die Vorfahren Wörter aus der Sprache der Untergegangenen. Namen wie Quadling, Munchkin, Winkie und Gillikin stammten von diesen Vorläufern. Im Verlauf von etwa zehn Generationen nach ihrem Eintritt in diese Welt schrumpften die Vorfahren auf die gegenwärtige Größe zusammen. Um diese Zeit drangen
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andere Stämme ein, und es kam zu m Krieg. Aber auch die Neuankömmlinge waren nach etwa zehn Generationen zusammengeschrumpft, und schließlich vermischten Glindas Vorfahren sich mit ihnen. Nach den Berichten der Alten hatten diese Leute sich als Morrigans Volk bezeichnet. Morrigan? dachte Hank. Eine alte irische Göttin vielleicht? Glinda berichtete, daß es im gebirgigen Nordosten von Gillikinland noch vereinzelt Dörfer gebe, in denen Dialekte gesprochen würden, die von der Sprache jener Invasoren abstammten. Glinda erzählte weiter. Beim dritten Mal seien ebenfalls Riesen gekommen, dunkelhäutig, mit glattem, schwarzem Haar, breiten Gesichern, hohen Wangenknochen und kräftigen, kühnen Nasen. Auch sie seien geschrumpft, während sie sich noch im Krieg mit ihren Vorgängern befanden. Schließlich hätten sie sich hinter der Bergkette niedergelassen, die den nordwestlichen Teil dieser gewaltigen Oase begrenzte. »Was mich wirklich durcheinanderbringt, Euer Hexenhoheit, ist die Frage, äh... na ja... wie kann ein unbeseelter Gegenstand, die Vogelscheuche beispielsweise, lebendig werden ? Und nicht nur das — wie kann sie intelligent sein und sprechen? Wie kann ein Ding aus Stoff und Stroh, ohne Skelett, ohne Muskeln, Nerven und Blut — wie kann ein solches Ding laufen ? Wie kann es sprechen, wenn sein Mund nur aufgemalt ist, wie kann es sehen, wenn auch seine Augen gemalt sind? Und wie —?« Erschrocken sprang er auf. Ein Vogel war hereingeflogen und senkte sich flatternd auf eine Stuhllehne herab. Auch Glinda schrak zusammen und fuhr den Vogel erzürnt an. Es war ein Hühnerhabicht, und er antwortete mit jener Art von Stimme, die Hank immer noch Unbehagen verursachte, wenn er sie vernahm. Er konnte sich einfach nicht an sprechende Vögel und andere Tiere gewöhnen, vor allem, wenn ihre Stimmen klangen, als kämen sie von einem Grammophon. Sie klangen für seine Ohren alle ziemlich gleich. Man hörte keinen Unterschied, ob die Worte nun aus der kleinen Kehle eines Falken oder aus dem großen Schlund einer Kuh kamen. Die Stimmlage blieb immer gleich, nur die Lautstärke variierte. Dabei hätten einige piepsen und andere brummen müssen, doch das taten sie nicht. »Verzeiht, Mütterchen«, sagte der Habicht. »Ich hätte mich natürlich zunächst bei den Wachen gemeldet, brächte ich nicht wichtige Neuigkeiten.« »Ob ich dir verzeihe, wird davon abhängen, wie wichtig
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diese Neuigkeiten sind«, versetzte Glinda. »Was gibt es?« »Eine kleine grüne Wolke erschien plötzlich draußen in der Wüste, und eine Flugmaschine wie die des Riesen erschien. Aber sie flog nicht weiter. Etwas hatte sie in der Mitte entzweigeschnitten, und sie stürzte zu Boden. Dort liegt sie nun und brennt.«
6 Wieder sprang Hank Stover auf. »Wo genau liegt sie?« rief er. Der Habicht sah Glinda an. Sie nickte. »Genau im Süden des Schlosses. Etwa drei Meilen Luftlinie von hier entfernt.« Glinda erhob sich. »Das sind acht Meilen auf der Straße. Halt!« Hank drehte sich um. »Ja, Mütterlein?« »Ich verstehe, daß du ungeduldig bist und es nicht abwarten kannst, dort hinzukommen. Aber du wirst nicht in meiner Gegenwart den Raum verlassen, solange ich es dir nicht gestattet habe.« »Verzeiht, Euer Hexenhoheit.« Rasch erteilte Glinda einige Anweisungen und ging dann mit ihrer Leibwache hinaus. Stover folgte ihr. Er wäre nur zu gern gerannt, doch er mußte gehen und dies nicht einmal schnell, denn Glindas Beine waren zwar lang in Proportion zu ihrem Körper, aber kurz im Vergleich zu seinen. Kochend vor Aufregung, zappelnd vor Nervosität, paßte er seinen Schritt dem ihren an, während sie den Gang hinunter und über die Treppe ins Erdgeschoß gingen. Der Habicht war vorausgeflogen, um ihre Befehle weiterzuleiten. Als die Gruppe den Vordereingang erreicht hatte, warteten dort vier Streitwagen. Hank bestieg den, der von der blonden Lamblo gelenkt wurde, und beugte sich nieder, um den Haltegriff zu umfassen. Die beiden Elche, die den Wagen zogen, würden es schwerer haben als die anderen. Er wog etwa dreimal so viel wie Lamblo. Im nächsten Augenblick gab die Königin, die auf
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einer Bank im vordersten Wagen saß, das Signal zur Abfahrt. Ihre Wagenlenkerin richtete sich auf und rief den Elchen zu, sie sollten laufen, so schnell sie könnten. Sie benutzte keine Zügel und war eher Mittlerin als Lenkerin. Intelligente Tiere brauchten so etwas nicht und hätten sogar Abneigung dagegen empfunden. Sie jagten über die Zugbrücke und durch das gewaltige Tor in der Außenmauer ins Freie. Die überraschten Leute stoben nach allen Seiten auseinander. Auf der mit roten Ziegeln gepflasterten Straße wandten sie sich nach Osten und hatten die Schloßmauern bald hinter sich gelassen. Hank spähte nach Süden und sah die schwarze Rauchwolke, die von dem brennenden Flugzeug aufstieg. Als das Schloß ungefähr eine Meile hinter ihnen lag, bogen die Wagen nach Süden auf einen unbefestigten Weg ein. Wenig später verließ der Weg die Hochebene und zog sich in Windungen an den Klippen entlang nach unten. Er war eben breit genug, daß zwei kleine Wagen nebeneinander Platz finden konnten, aber die Elche durcheilten die Kurven auf dem kürzesten Weg, als seien sie sicher, daß ihnen niemand begegnen würde. Hank hoffte, sie würden recht haben. Lamblo mußte ihren Tieren mehrmals zurufen, das Tempo zu verringern, und einmal zog sie die Handbremse, die neben ihr angebracht war. Aber irgendwie gelangte die ganze Kavalkade — oder sollte man sagen: Cervuskade? — unversehrt auf ebenes Gelände. Hier, so glaubte Hank, würden die Tiere langsamer laufen, um wieder zu Atem zu kommen. Aber weit gefehlt. Sie liefen jetzt noch schneller. Die Bäume zu beiden Seiten der Straße huschten vorüber. Schließlich aber machte sich sein Gewicht bei Lamblos Tieren bemerkbar, und der Wagen fiel hinter den anderen zurück. Glinda sah sich um und rief etwas, und sogleich verlangsamten auch die anderen ihren Schritt. Aus dem Halbdunkel des dichten Waldes kamen sie in helles Sonnenlicht. Vor ihnen lag die Wüste: Lohfarbener Sand und rote und schwarze Felsen, manche groß wie ein Haus, andere klein wie ein Ei. Glinda ließ die Wagen anhalten. Als Hanks Gefährt neben ihrem zum Stehen kam, sagte sie: »Von hier aus gehen wir zu Fuß.« Er brauchte sie nicht zu fragen, warum. Die Wagen über dieses rauhe, zerklüftete Gelände zu ziehen, hätte die Elche schon auf einer einzigen Meile nachhaltiger erschöpft als die bisherigen sechs Meilen scharfen Tempos. Er fragte sich aber, ob dies der einzige Grund war, als er
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sah, wie mehrere Kisten von dem einzigen vierrädrigen Wagen abgeladen wurden. Die Kisten wurden geöffnet und der Inhalt wurde verteilt. Hank nahm drei der dünnen Eisenlanzen, die Lamblo ihm reichte. »Was tun wir damit?« Die stupsnasige Blondine deutete auf einen weißen Lichtbogen, der von einer Felsspitze zu einer anderen zuckte. »Sie sind nicht gefährlich, solange man ihnen nicht in den Weg kommt«, erklärte sie. »Aber wenn einer auf dich zurollt, dann wirf eine davon hindurch.« Sie spreizte die Hände mit aufwärts gerichteten Handflächen nach außen. »Gaguum!« Das war das Quadling-Wort für »Bumm«. »Sie explodieren, meistens jedenfalls. Manchmal muß man noch eine werfen.« Die Lanzen waren aber nicht der einzige Schutz. Als sie langsam in die Wüste hinausgingen, gesellte sich eine zweite Gruppe, die wenige Minuten nach ihnen eingetroffen war, zu ihnen. Es waren Bogenschützen, männliche und weibliche, und auf den Spitzen ihrer Pfeile saßen runde Eisenkugeln. Das Gewicht dieser Kugeln würde die Schußweite beträchtlich verringern, aber man hielt sie offenbar für zweckmäßig. Die Bogenschützen formierten sich im Kreis um den Trupp der Königin. Sie stiegen einen zerklüfteten Abhang mit schroff hervorspringenden Felsplatten und Sandlöchern hinauf. Als sie den Gipfel der Anhöhe erreicht hatten, sahen sie das brennende Wrack auf der anderen Seite. Dunkle Kratzspuren auf dem Felsen ließen erkennen, wo das Flugzeug auf einer schräggeneigten Felsplatte aufgeschlagen war; es war abgeprallt und dann über die untere Hälfte des grauen Felsens bis zum Fuße der Anhöhe gerutscht. Hank hätte die anderen gern zu größerem Tempo gedrängt. Er zitterte vor Neugier. Aber Glinda ging langsam, und niemand würde die Disziplinlosigkeit besitzen, in einen anderen Schritt zu verfallen. Sie blieb für einen Moment stehen und sah sich um. »Gut«, sagte sie. »Keine fizhanam zu sehen. Aber sie können schnell und unverhofft erscheinen, Hank.« Die sengende Hitze, die von dem lodernden Wrack ausging, ließ nicht zu, daß sie sich ihm auf weniger als dreißig Schritte näherten. Es blieb ihnen nichts übrig, als abzuwarten, bis die Flammen erloschen und
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das Metall abgekühlt wäre. So dachte Hank zumindest. Aber nach zwanzig Minuten trafen weitere Soldaten und Elchgespanne ein, die unter großer Anstrengung sechs vierrädrige Karren heranschleppten. Die Karren waren mit Tanks und Pumpgeräten beladen. Grünlicher Schaum wurde mit dreien dieser Pumpen versprüht, und schon bald war das brennende Benzin gelöscht. Dann pumpte man Wasser aus den drei anderen Tanks auf das Wrack, um den Schaum fortzuspülen und das Metall abzukühlen. Hank hatte vermutet, daß die Quadling-Technologie etwa derjenigen entsprechen würde, die es im vierzehnten Jahrhundert auf der Erde gegeben hatte. Aber selbst A.D. 1923 gab es diesen feuerlöschenden Schaum noch nicht. Offenbar war es ratsam, zu warten, bis er mit der hiesigen Kultur vertrauter war, bevor er sich zu Schlußfolgerungen und Vergleichen über die Fortschritte von Wissenschaft und Technologie hier und auf der Erde verleiten ließe. Nun konnte er sich dem Wrack so weit nähern, daß er es genauer in Augenschein nehmen konnte. Der Gestank von verbranntem Fleisch wollte ihm schier den Magen umdrehen, und so atmete er durch den Mund, als er um das Wrack herumging und auch die Trümmer untersuchte, die durch den zweifachen Aufschlag verstreut worden waren. Der Habicht hatte recht gehabt. Der Rumpf war etwa drei Fuß weit hinter dem hinteren Cockpit wie durch das Schwert eines Riesen in zwei Teile geschnitten worden. Der fehlende Teil mochte weiter südlich in der Wüste liegen, aber Hank bezweifelte es. Wahrscheinlicher war, daß er auf dem Boden von Kansas aufgeschlagen war. Das ausgebrannte, verbogene Skelett des Flugzeugs sah aus wie das einer D.H.4B, eines zweisitzigen Aufklärers und leichten Doppeldecker-Bombers. Der Army Air Service besaß mehr als tausend Stück davon. In den meisten Fällen waren sie mit zwei Maschinengewehren vom Kaliber .30 vor dem Piloten im vorderen Cockpit und mit einem neben dem hinteren Cockpit ausgerüstet. Die beiden vorderen Geschütze lagen verbogen etwa dreißig Schritte vor dem Wrack. Das dritte Maschinengewehr war nicht zu sehen. Hank vermutete, daß man es aus der Halterung genommen habe, bevor das Flugzeug zu seiner tödlichen Mission gestartet war. Normalerweise hatte eine D.H.4B zwei Mann Besatzung, aber hier war nur einer, eine verkohlte Masse im Pilotensitz.
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Durch den Absturz waren einige Dinge aus dem hinteren Cockpit geschleudert worden: Ein paar Kartons mit Munition, eine BAR (Browning Automatic-Sturmgewehr, Kaliber .3o) Modell 1918, eine zerschmetterte Kamera und Kästen mit Filmmaterial. Die BAR war bis auf ein paar Kratzer unbeschädigt. Er trat beiseite, damit die Soldaten den Leichnam aus dem Cockpit nehmen konnten. Als er auf dem Felsboden lag, zwang er sich, näher heranzugehen. Er hatte schon arg verbrannte Leichen gesehen, in Frankreich, und einmal zwei auf einer Landebahn in Missouri, aber trotzdem war ihm, als müsse er sich übergeben. Handschuhe und Kleider waren verbrannt, und die Stiefel fielen in Fetzen von den Beinen, als man die Leiche vom Flugzeug wegtrug. Die Finger fehlten. Das Gesicht war zerschmettert, aber es wäre ohnehin nicht mehr zu erkennen gewesen. Die Schutzbrille hatte es beim Aufschlag vom Kopf gerissen. Ohren und Nase waren verkohlt und die Augenhöhlen leer. Er schaute in die schwarze Masse des ehemaligen Gesichtes und fragte sich, wie der Pilot ausgesehen haben mochte, als er noch lebte. Mit einer Grimasse suchte er nach einer Hundemarke, aber er fand keine. Wenn der Mann Papiere bei sich gehabt hatte, würden sie jetzt verbrannt sein. Aber die beiden goldenen Streifen, die sich in das verkohlte Fleisch eingebrannt hatten, ließen erkennen, daß es sich um einen Oberleutnant gehandelt hatte. Ein Soldat brachte einen angesengten Gürtel und eine Pistolentasche mit einer .45er Colt Automatic. Die Munition im Magazin war explodiert und hatte die Pistole zerstört. Einige der Kisten jedoch, die aus dem hinteren Cockpit geschleudert worden waren, enthielten geladene Magazine für die BAR, und in anderen fand sich Munition, die in seinen New-Service-Revolver passen würde. Außerdem plante er, mehr davon herzustellen. Glinda schien sich von dem grauenhaften, stinkenden Ding, das da auf dem Boden lag, nicht beeindrucken zu lassen. Einige der Soldaten aber übergaben sich, und viele waren so bleich wie er vermutlich auch. Glinda stellte ihm ein paar Fragen über das Flugzeug. Hank erklärte, daß es sich um eine militärische Flugmaschine handele. Er nahm an, daß es den Befehl gehabt habe, durch den grünen Dunst zu fliegen. »Denkst du, was ich denke?« fragte sie. »Daß nämlich der
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Dunst, durch den ihr gekommen seid, du und dieser Mann, keine natürliche Öffnung ist, sondern daß er von deinem Volk geschaffen wurde?« »Ich kann mich irren«, sagte er. »Vielleicht ist es das Ergebnis von Experimenten, die das Signal Corps durchgeführt hat. Dessen Hauptquartier ist in Fort Leavenworth. Aber...« Er konnte sich nicht vorstellen, daß es das Ziel des Signal Corps gewesen sein könnte, diese Öffnungen mit Gewalt herbeizuführen. Es waren eher unbeabsichtigte Nebenprodukte gewesen, Serendipitäten, wie das Wort dafür hieß, welches Horace Walpole im achtzehnten Jahrhundert geprägt hatte. Zumindest beim ersten Mal war es ein Versehen gewesen; beim zweiten Mal allerdings hatte man es offensichtlich mit Absicht herbeigeführt. »Wenn dein Volk die Öffnungen gemacht hat«, sagte Glinda, »dann hat es noch nicht herausgefunden, wie es sie stabil halten kann. Du mußt zufällig auf eine gestoßen und hindurchgeflogen sein. Ich frage mich nur, ob es der erste Versuch war oder ob schon andere stattgefunden haben.« »Ich weiß es nicht. Sie müssen überrascht gewesen sein, als ich im Dunst verschwand — das heißt, wenn sie mich gesehen haben. Aber ich glaube, sie haben mich gesehen, denn das würde erklären, weshalb sie das Armeeflugzeug hinterhergeschickt haben.« Die hohen Tiere müssen sich fragen, was zum Teufel hier los ist, dachte er. Wahrscheinlich hatte die Sicherheitsabteilung das Projekt mit Geheimhaltungsmaßnahmen belegt, aber das war wohl schon gleich zu Anfang geschehen, noch bevor der Dunst aufgetreten war. Glinda erteilte einige Befehle. Ein Ledersack wurde von einem der Karren herbeigeschleppt, und man stopfte den Leichnam hinein. Sechs kräftige Soldaten trugen ihn davon, legten ihn oben auf einen der Feuerwehrwagen und zurrten ihn mit Seilen fest. Hank bewunderte Glindas Weitsichtigkeit, mit der sie den Ledersack hatte mitbringen lassen. Das plötzliche Erscheinen und der Absturz des Flugzeugs mußten sie erschüttert haben, doch sie hatte in aller Ruhe Vorkehrungen für die Beseitigung der Leiche getroffen. Da sie nicht hatte wissen können, wie viele Menschen in dem zerschellten Flugzeug sein würden, hatte sie sogar sechs solcher Säcke bringen lassen. Auf Hanks Bitte hin ließ Glinda die
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Maschinengewehre auf den Karren laden. »Gibt es noch etwas, das ins Schloß gebracht werden soll ? Wir sollten uns jetzt so bald wie möglich auf den Rückweg machen.« Sie schaute zum strahlend blauen Himmel hinauf, wo wenigstens hundert Vögel kreisten und Ausschau hielten. Wenn sie in der Nähe einen fizhanam entdeckten, würden sie sofort Alarm geben. »Nein, das ist alles«, sagte er. Sie marschierten zum Rande der Wüste zurück und fuhren dann mit den Wagen zum Schloß hinauf. Der Leichnam wurde auf einem Karren über eine Rampe unter die Erde befördert. Hank hatte damit gerechnet, daß die Königin ihn ausfragen würde, aber sie befahl Hauptfrau Lamblo, sich um Hank zu kümmern. Ob er nun in die Stadt gehen oder sich in seine Gemächer zurückziehen wolle — was immer er wünsche, sie solle dafür sorgen, daß es geschehe. »Innerhalb vernünftiger Grenzen, mein Lieber«, fügte Glinda lächelnd hinzu. Sie zog sich zurück, begleitet von hohen Offizieren und Regierungsbeamten. Hank schaute auf die entzückende kleine Blondine hinunter, die lächelnd zu ihm aufsah. Sie muß doch allmählich genug davon haben, ständig in meine Nasenlöcher zu gucken, dachte Hank. In mancher Hinsicht war es vorteilhaft, ein Riese zu sein, aber eben nicht in jeder. Aber obwohl er doppelt so groß war wie sie, fürchtete sie sich nicht vor ihm. Beinahe von Anfang an war sie sehr gelassen mit ihm umgegangen, vielleicht sogar allzu vertraulich. Hin und wieder konnte sie recht vorlaut sein. »Nun, magla (kleiner Junge), was ist dein Wunsch?« »Ich denke, mawlo (kleines Mädchen), ich werde einmal nach meinem luftskip (Luftschiff) sehen.« »Gut. Du darfst nach ihm sehen, aber die Königin sagt, du darfst es nicht besteigen — noch nicht jedenfalls.« »Ihr Vertrauen wärmt mir das Herz. Wohin, glaubt sie, könnte ich fliegen?« An Glindas Stelle hätte er sich allerding nicht anders verhalten. Sie fuhren mit dem Wagen zu der Weide, wo man inzwischen einen Hangar um die Jenny gebaut hatte. Außerdem standen ständig zwei Wachtposten da, die verhindern sollten, daß das Flugzeug durch Neugierige beschädigt würde. Hank war froh, das grinsende Gesicht wiederzusehen, mit dem das Flugzeug bemalt war. Es war, als sehe er eine alte Freundin
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wieder, seine einzige Erinnerung an die Erde. Er inspizierte sie gründlich, und Lamblo behielt ihn im Auge, während sie mit zwei weiblichen Soldaten schwatzte. Aber sie war nicht die einzige, die ihn beobachtete. Die beiden in der Nähe grasenden Kühe betrachteten ihn ebenfalls mit ihren großen braunen Augen und wechselten gelegentlich leise Bemerkungen mit ihren unheimlichen Stimmen. Abgesehen von ihrer Größe sahen sie aus wie Black-Angus-Rinder. Hin und wieder schaute Hank zu ihnen hinüber, aber er sah keine lebenden Tiere, sondern dicke, saftige, blutige Steaks. Und obwohl er sich schämte, als sei es Kannibalismus, was er erwog, konnte er weder das Bild vor seinem geistigen Auge auslöschen noch den Fluß seines Speichels eindämmen. Demnächst würde er das Benzin durch Alkohol ersetzen müssen. Dann würde es notwendig sein, die Einspritzdüsen am Vergaser zu vergrößern, da der Alkohol nicht so ergiebig war wie Benzin, aber das war kein Problem. Die Quadlinge besaßen das notwendige Werkzeug. Außerdem würde er den Zündzeitpunkt vorverlegen müssen, da Alkohol langsamer verbrannte als Benzin. Die Maschine würde Startprobleme haben, aber er könnte Äther in den Vergaser geben, bevor er den Motor anließe. Seine Reichweite würde allerdings reduziert sein. Zum Schmieren gab es hier genug Rhizinusöl. Mit Ersatzteilen könnte es Probleme geben, und neue Batterien würde er auch irgendwann benötigen, aber die — so hoffte er — würde er anfertigen lassen können. Gummireifen für die beiden Räder gab es natürlich nicht, aber statt dessen würde er eisenverstärkte Holzräder benutzen können. Die Landungen würden dann weniger weich ausfallen, aber zum Teufel damit. Mechaniker würde er ausbilden müssen... Plötzlich begriff er, daß er plante, hierzubleiben. Und warum auch nicht? Er war wie ein Kolumbus des zwanzigsten Jahrhunderts, der nicht nur einen Kontinent, sondern einen ganzen Planeten entdeckt hatte. Jedoch... wenn nun plötzlich ein grüner Nebel auftauchte und er zur Erde zurückfliegen könnte — würde er ihm den Rücken zuwenden ? Das wußte er nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß er jemals eine solche Entscheidung treffen müßte, war gering. Als er sich davon überzeugt hatte, daß die Jenny flugbereit war, verließ er den Schuppen. Lamblo, die noch über etwas kicherte, das ein Wachtposten gesagt hatte, folgte ihm.
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Zusammen fuhren sie in die Stadt; hier wohnten etwa zehntausend Menschen, dazu Vögel und Vierbeiner. Die rotgepflasterte Hauptstraße zog sich an sechs Häuserblocks entlang und war hauptsächlich von Läden gesäumt, die vielerlei Waren verkauften. In den Nebenstraßen der Umgebung gab es vermischte Wohn - und Geschäftsbezirke, sie erstreckten sich aber höchstens über vier Blocks. Auf dem großen Platz trafen sich Bauern und Händler, um ihre Produkte zu verkaufen. Rathaus, Rekrutierungsbüro, eine Druckerei, die lokale Wochenzeitung, eine Bibliothek, zwei Tempel sowie einige andere Gebäude umsäumten diesen Marktplatz. »Suthwarzha (Südgard) ist die größte Gemeinde in Quadlingland«, erklärte Lamblo. »Sie ist so groß wie die Hauptstadt von Oz, allerdings nicht so prächtig, soweit ich weiß.« Oz, dessen Territorium etwa dem von Rhode Island entsprach, war der souveräne Staat im Zentrum dieses Oasenlandes. Im Norden grenzte es an Gillikinland, im Süden an Quadlingland, im Osten an Munchkinland und im Westen an Winkieland. Im nordwestlichen Teil von Gillikinland jedoch wohnten die dunkelhäutigen Natawey . Hanks Mutter hatte darüber nichts berichtet, weil sie nichts davon gehört hatte. Auch hieß nicht das gesamte Oasenland Oz. Die Leser des ersten Buches, das Baum geschrieben hatte, wußten, daß Oz ein kleines Land in der Mitte dieser Gegend war, nicht der Name für den gesamten Raum. Aber in seinem zweiten Buch hatte Baum beschlossen, den Namen auf die ganze Umgebung auszuweiten. Hank war von Baums Serie so stark beeinflußt, daß er dazu neigte, das Oasenland als Oz zu bezeichnen, obgleich er es besser wußte. Jetzt, da er unter einem strahlenden Himmel über den betriebsamen, lärmenden Marktplatz spazierte, ging ihm vieles durch den Kopf. Es war ihm unmöglich, sich auf einen bestimmten Gegenstand zu konzentrieren, denn es gab so viele Ablenkungen. Er sah sich umgeben vom Querschnitt einer fremden Kultur. Eine Zeitlang beschäftigten seine Gedanken sich mit der Rolle und dem Status der Tiere. Er sah Männer, Frauen, Vögel und andere Tiere in Gruppen das dreistöckige, aus Granit gebaute Rathaus betreten. Er befragte die Blonde danach. Lamblo erklärte, es handele sich um gewählte Vertreter des Quadlingsvolkes. Hank vermutete, daß man diese
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Volksvertreter in den Vereinigten Staaten als Senatoren bezeichnen würde. Wieder erfüllte ein Gefühl der Verwirrung und Betäubung seinen Kopf. Rinder, Elche, Rehe, Schafe, Adler, Rotkehlchen, Katzen und ... Bullenschlangen! Das sollten Senatoren sein? »Warum nicht?« meinte Lamblo. Hank antwortete darauf nicht, denn sonst hätte er den Unterschied zwischen den politischen Systemen der Amerikaner und der Quadlinge beschreiben müssen, und dies hätte ihn zu der Tatsache geführt, daß die Tiere auf der Erde nicht intelligent waren, und dieses Thema wiederum hätte ihn Gott-weiß-wo-hin gebracht. Er war zum Lernen hier, nicht zum Lehren. Zumindest vorläufig. Er erfuhr, daß die Nicht-Menschen zwar wahlberechtigte Bürger seien, gleichwohl aber von Sklaven abstammten. In vieler Hinsicht waren sie auch immer noch Bürger zweiter Klasse. Aber sie waren eben allgemein auch nicht so intelligent wie die Menschen. Sie hatten niemals eine Philosophie hervorgebracht, und auch keine Musik und keine Literatur, weder Malerei noch Bildhauerei, keine Wissenschaften und keine technologischen Neuerungen. Sie waren mehr als ihre menschlichen Vettern vom Instinkt beherrscht. Hank fragte weiter. In dieser Welt herrschten überall — nur bei den Natawey nicht — wohlwollende Despoten. Gelegentlich allerdings, wie etwa im Falle der untergegangenen Hexen des Ostens und des Westens, waren diese Despoten auch böse gewesen. Während jedoch die Oberherrschaft auf einer Erbfolge, einem Putsch oder auch nur auf dem langen Leben eines Regenten beruhte, gab es keine Aristokratie, und auf den unteren Ebenen war die Regierung demokratisch strukturiert. Die Vertreter der Orts- und Bezirksregierungen und ein großer Teil der Staatsregierung wurden vom Volke gewählt. »Seit wann haben denn die Frauen das Wahlrecht?« erkundigte Hank sich. Er dachte daran, daß die Frauen in seinem eigenen Lande in vielen Staaten erst etwas mehr als zwei Jahre zuvor das Wahlrecht erhalten hatten. »Seit mindestens tausend Jahren«, antwortete Lamblo. In Amerika waren die Schwarzen zwar wahlberechtigt, aber in vielen Gegenden hatten sie Angst vor dem Gang zur Urne. Und Indianer durften überhaupt nicht wählen. »Ein Philosoph meiner Welt — seinen Namen habe ich vergessen — hat
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gesagt, ein wohlwollender Despotismus sei die beste Regierungsform. Der Hauptnachteil dieses Sy stems lag nur darin, daß der Despot irgendwann sterben mußte und daß dann meist ein weniger wohlwollender Herrscher die Zügel der Macht übernahm.« »Tatsächlich?« fragte Lamblo. »Einen solchen Nachteil haben wir in Quadlingland noch nicht erlebt. Unsere Königin regiert uns seit über dreihundert Jahren.« Diese Enthüllung hätte Hank weit mehr verblüfft, wenn Baums Oz-Bücher ihn nicht darauf vorbereitet hätten. Er hatte Glindas Langlebigkeit zwar für erdichtet gehalten, aber ein Teil seines Geistes hatte sie doch als Wahrheit akzeptiert. »Sie sieht aus, als sei sie erst fünfundzwanzig.« »So sieht sie seit zweihundertfünfundsiebzig Jahren aus.« »Was ist ihr Geheimnis?« »Hexerei natürlich.« Lamblo sah ihn verwundert an. »Aber sie ist eine weiße Hexe. Ihr langes Leben und ihre Alterslosigkeit haben einen anderen Ursprung als bei den roten Hexen.« »Und der wäre?« »Das weiß ich nicht. Wenn ich es wüßte, wäre ich auch eine Hexe.« Sie rümpfte die Stupsnase. »Vielleicht. Es erfordert großen Mut — manche sagen, große Torheit —, eine Hexe oder ein Zauberer zu werden. Und obgleich die Vorteile groß sind, muß man doch einen ungeheuren Preis dafür zahlen.« »Was ist denn der Preis?« »Ich weiß es nicht. Ich würde nicht wagen, Königin Glinda danach zu fragen, und auch die Priester und Priesterinnen verraten es nicht. Aber wahrscheinlich wissen sie es auch nicht.« Wenn es in dieser Welt echte Magie gab, dann konnten die physikalischen Gesetze nicht in jeder Hinsicht denen entsprechen, die in seiner eigenen Welt herrschten. Aber er hatte schon von Anfang an den Eindruck gehabt, daß es sich hier nicht um ein exaktes Gegenstück zur Erde handelte. Er schüttelte den Kopf, als seien seine Gedanken Wassertropfen, die er sich aus den Haaren schütteln könnte. Zu viele Daten stürmten allzu schnell auf ihn ein. Er war verwirrt. Für den Verwirrten aber war die Welt ein Chaos. Er brauchte Zeit und Erfahrung, damit er die Fakten ordnen könnte. Er mußte sie zu einem System zusammensetzen, mit dem sein Verstand vernünftig arbeiten konnte. So unbekümmert wie diese Leute hier würde er allerdings niemals sein können. Anscheinend akzeptierten sie, was war,
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und stellten es nicht in Frage. In seiner eigenen Welt hatte er sich schließlich kaum anders verhalten. Warum zum Beispiel akzeptierte er das »Gesetz« der Schwerkraft? Oder den Grundsatz, daß alle Menschen politisch — zumindest in der Theorie — gleich seien ? Oder daß er das Recht habe, Fleisch zu essen, nur weil Rinder und Schweine nicht sprechen konnten? Ja, aber was war mit den fleischfressenden Haustieren, mit den Katzen und den Falken ? Was aßen die? Er seufzte. Er mußte Geduld haben, sich Zeit lassen. Aber er konnte nicht aufhören, Fragen zu stellen.
7 Von den Landkarten, die ihm seine Lehrer gezeigt hatten, wußte Hank, daß dieses Oasenland etwa so groß wie Alaska war. Seit Jahrtausenden lebten hier Menschen, aber es war nicht überbevölkert. Es gab viele große Wälder und beinahe unbewohnte Gebirge. Warum herrschte hier keine schreckliche Überbevölkerung? Zumal die Einwohner hier viel gesünder und viel weniger von Krankheiten geplagt zu sein schienen als die Menschen auf der Erde? »Die weisen Herrscher der Vergangenheit wußten, daß sie eines Tages nicht mehr genug Land haben würden, auf dem sie Nahrung für ein stetig wachsendes Volk anbauen könnten. Alle Bäume würden gefällt werden müssen. Flüsse und Seen würden vergiftet sein. Man würde furchtbare Kriege um Land und Wasser führen. Und nach einer Weile würde dieses grüne Land genauso aussehen wie die Wüste, die es umgibt. Also verwandten sie eine Medizin, die man aus einer Pflanze der Natawey herstellt. Wenn ein Mann sie einnahm, wurde er steril. Und es wurden Gesetze erlassen, daß nur noch so viele Kinder zur Welt kommen dürften, wie notwendig waren, die Verstorbenen zu ersetzen. Natürlich durfte die Anzahl der Neugeborenen so lange wachsen, bis die vorausberechnete Maximalbevölkerung erreicht war, das heißt, diejenige Anzahl
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von Menschen, die das Land höchstens ernähren konnte, ohne daß beispielsweise die Wälder abgeholzt werden mußten. Zwar hatte man schon längst herausgefunden, daß dieses Land eine weit größere Zahl von Menschen ernähren und ihnen Wohnraum bieten könnte, dennoch erging der Befehl, daß diese Obergrenze nicht überschritten werden dürfe. Das war vor tausend Jahren, und seither ist dieses Gesetz strikt befolgt worden.« Hank war skeptisch. Was war mit Leidenschaft? Was geschah bei Nachlässigkeit? Was, wenn der Mann es versäumte, das Verhütungsmittel zu nehmen, und gleichwohl einer Frau beiwohnte? Was geschah mit den Kindern, die bei Vergewaltigungen gezeugt worden waren? »Guth (Gott) läßt nicht zu, daß Unschuldige getötet werden!« sagte Lamblo. »Das wäre ja schrecklich! Undenkbar! Gewiß tötet doch dein Volk keine Babys?« Hank zögerte. »Nur aus Wut oder Nachlässigkeit oder Grausamkeit oder Gleichgültigkeit oder Wahnsinn. Es —« »Nur?!« Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen, und ihr Mund stand offen. »Ich meine, es ist nicht üblich. Es...« Er brach ab; er wollte nicht in ein derartiges Gespräch verwickelt werden. »Was geschieht mit dem Mann?« »Er wird sterilisiert.« »Und was ist, wenn er eine Vergewaltigung begeht?« Der Fall, so erfuhr er, wurde gründlich untersucht, damit deutlich wurde, unter welchen Umständen es zu dem Verbrechen gekommen war. Unabhängig von der Situation im Einzelfall und auch dann, wenn der Frau eine Mitschuld zugesprochen werden mußte, wurde der Mann sterilisiert. Ein Mann, der zu der Tat verführt worden war, hatte keine weitere Bestrafung zu befürchten, aber wenn er nichts zu seiner Entschuldigung anführen konnte, war er des Todes. »Und wie wird er getötet?« »Man schlägt ihm den Kopf ab.« »Und welche Strafe steht auf andere Verbrechen?« Wenn es stimmte, was sie sagte, dann waren Verbrechen hier viel seltener als auf der Erde. Vielleicht lag es daran, daß die meisten Gemeinden so dicht beieinander lagen. Mord, Vergewaltigung und illegitime Vaterschaft galten als Kapitalverbrechen, und auch jeder Attentatsversuch, der sich gegen den Regenten richtete. Andere Vergehen fanden zumeist ein mildes Urteil — zumindest hatte Stover diesen Eindruck. Er war überrascht von der relativ kleinen Zahl der
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Geisteskranken und von der Therapie, die man ihnen angedeihen ließ. Aber diese Leute konnten es sich leisten, ihre Geisteskranken gut zu behandeln, weil es relativ wenige davon gab. Dies wiederum ließ auf die seelische Robustheit dieser Menschen schließen. »Wenn es zu einer unverhofften Schwangerschaft kommt, bedeutet das, daß jemand, der ein Kind hätte bekommen können, jetzt keines mehr haben darf?« »Nein. Das außerplanmäßige Baby wird der Frau gegeben, die planmäßig eines hätte bekommen dürfen.« »Aber das erscheint mir grausam sowohl gegen die Mutter, die ihr Kind fortgeben muß, als auch gegen die, die nun selber keines austragen darf.« »Das Leben ist ein einziger Kompromiß«, sagte Lamblo. »Man gibt und man nimmt. Was den einen schmerzt, ist ein Segen für den anderen — vielleicht. Auf jeden Fall sind die Gesetze bemüht, sicherzustellen, daß es nicht zu viele Schmerzen für die einen und zuviel Segen für die anderen gibt. Perfekt ist das Sy stem nicht. Aber ist eures nur annähernd so gut? Oder gar besser?« Hank antwortete nicht. Er fand, daß er jetzt in seine Suite zurückkehren sollte, um zu duschen, einen Drink zu nehmen und ein wenig nachzudenken. Lamblo kaufte eine Flasche vom hiesigen Equivalent eines Scotch. Der Branntwein war ein Import aus Gillikinland, denn in Quadlingland gestatteten die Umweltbedingungen nicht, dergleichen zu produzieren. Da der Handelsverkehr zwischen den beiden Ländern begrenzt war, lagen die Preise für solche Waren entsprechend hoch. »Die Königin bezahlt«, sagte Lamblo. »Aber ich denke mir, sie wird von dir bekommen, was du ihr dafür schuldest. Auf die eine oder andere Weise.« Ein großer Teil des Geschäftsverkehrs wurde über Tauschhandel abgewickelt, aber es gab auch Münzen von unterschiedlichem Wert. Da Gold und Silber weit verbreitet waren, dienten sie nicht als Währungsgrundlage. Statt dessen benutzte man Kupfer und Nickel. Auf dem Rückweg zu dem Platz, wo Lamblo den Wagen abgestellt hatte, erkundigte Hank sich, auf welche Weise man die nichtmenschliche Bevölkerung in ihrem Zuwachs begrenzte. Lamblo erklärte, daß auch diese Lebewesen den Verhütungstrank zu sich nähmen. »Aber wie ist es bei den wilden Tieren?« fragte Hank. »Sie fressen einander«, sagte sie erschauernd. Hank blieb ein paar Schritte zurück, um Tabak an einem Verkaufsstand näher zu
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betrachten. Aber das vergaß er sogleich, als er den hypnotisierenden Schwung von Lamblos Hüften vor sich sah. Heiliges Kanonenrohr! Wenigstens das schien auf beiden Welten das gleiche zu sein. Und es war inzwischen lange her, viel zu lange... Lamblo drehte sich um, als sie merkte, daß er nicht mehr neben ihr ging. Offenbar hatte sie seinen Gesichtsausdruck gesehen, denn sie lächelte wissend, als sie zu ihm zurückkam. »Was ist, mein hübscher Riese?« Er räusperte sich. »Tja... äh... ich hab' nachgedacht. Warum hat man mir den Sterilisationstrank nicht gegeben?« »Weil du bis heute ein Gefangener warst. Aber die Königin hat mir befohlen, einen Vorrat für dich anlegen zu lassen und darauf zu achten, daß du täglich davon trinkst.« »Ach ja?« sagte er und beäugte sie. »Du wirst es bekommen, sobald du in deinen Gemächern bist.« »Und weshalb sollte ich es brauchen?« Mit einer Handbewegung wies er auf die winzigen Leute ringsumher. »Ich bin so groß. Es erscheint mir unmöglich...« Sie lachte plötzlich. »Wieviel Erfahrung mit Frauen hast du eigentlich?« Sein Gesicht wurde rot. »Eine ganze Menge.« »Eigentlich bezweifle ich das nicht, magla. Aber sie waren gewiß allesamt Riesinnen. Ich versichere dir, daß kleine Frauen keine Schwierigkeiten mit großen Männern haben.« Woher willst du das wissen? Er sprach diesen Gedanken nicht aus, denn das wäre indiskret gewesen. Sie berührte seinen Handrücken mit einem Finger, einem entzückenden Finger, einem kindlichen Finger. Der Kontakt ließ winzige Kugelblitze über ihn hinweg und durch ihn hindurchrollen. »Komm schon«, sagte sie, und ihre Stimme klang plötzlich heiser. Sie wandte sich ab und ging auf den Wagen zu. Er folgte ihr und bestieg das Fahrzeug. Als sie sich davon überzeugt hatte, daß er den vorderen Haltegriff umklammert hatte, befahl sie den beiden Elchen, so schnell wie möglich zum Schloß zurückzukehren. Sie verfielen in Trab, aber einer der beiden drehte den Kopf nach hinten und sagte: »Du hast uns einen freien Nachmittag versprochen.« Lamblo lachte. »Gut, gut. Aber du redest zuviel.« Hank hob die Augenbrauen. Hatte sie diese Sache geplant? Na, wenn schon... Auf dem Rückweg hatte er kaum noch Augen für die Umge-
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bung. Als sie in seinen Gemächern waren, trat Lamblo sogleich an einen Tisch, auf dem eine Flasche mit einer purpurroten Flüssigkeit, dem Spermatozid, stand. Sie schraubte sie auf und sagte: »Die übrigen Flaschen stehen in der Schublade neben deinem Bett.« Sie goß einen gemeißelten Steinbecher voll, der wie das Gesicht eines Wasserspeiers aussah. Hank packte den Becher bei den großen Ohren und stürzte den Trank hinunter. Er schmeckte wie eine Mischung aus Walnüssen und Heidelbeersaft, durchsetzt von einem undefinierbaren Aroma, das scharf und angenehm zugleich war. »Seine volle Wirkung entfaltet es nach fünfzehn Minuten«, sagte Lamblo. Er rülpste, bat aber nicht um Verzeihung. Die Sitten der Quadlinge schienen das nicht zu erfordern, auch nicht im Falle von entweichenden Darmwinden, es sei denn, diese wären in Gegenwart der Königin entwichen. Lamblo setzte sich auf den Stuhl, den die Lehrer zu benutzen pflegten, und schickte sich an, einen ihrer wadenhohen Stiefel auszuziehen. »Ich werde ein Bad nehmen.« »Muß das sein?« Sie streifte den anderen Stiefel und dann die Strümpfe ab. »Himin! (Himmel!) Meine Füße sind so schmutzig!« »Es ist guter, sauberer Staub«, sagte er mit gepreßter Stimme. Sie erhob sich und knöpfte ihre Jacke auf. »Gut.« »Es ist so lange her, daß es nicht lange dauern wird«, sagte er. »Beim ersten Mal wenigstens.« Sie lächelte. »Deine Konferenz mit der Kleinen Mutter findet erst nach dem Frühstück statt.« Hank haßte sich in diesem Augenblick, wenn auch nicht übermäßig. Er wünschte sich nämlich, es wäre Glinda gewesen, nicht Lamblo, die da vor ihm stand. Das ist nicht fair gegen sie, dachte er. Aber war irgend jemand in einer solchen Situation irgendwo jemals fair gewesen? Lamblos Augen weiteten sich. »Du bist in der Tat ein Riese, magla.«
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8 Vor dem Frühstück hatte Hank schon immer mehrere Tassen Kaffee trinken müssen. Es war für ihn die einzige Möglichkeit, den Tag zu beginnen. Aber hier hatte er kein Glück. Trotzdem durfte er Lamblo jetzt nicht mürrisch behandeln. Nach der langen Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, wäre er ein Schuft gewesen, wenn er jetzt grob zu ihr gewesen wäre. Also zwang er sich, zu lächeln und munter zu plaudern, auch wenn er sonst selten ein Wort sprach, bevor der Kaffee ihn zu einem Menschen gemacht hatte. Er trank den Apfelsaft statt der warmen Milch — die hätte er um diese Zeit nun wirklich nicht heruntergebracht — und verzehrte sein Walnußomelett, das köstliche braune Brot mit Butter und Marmelade und ein paar Scheiben von einer Melone. Die letztere mußte ein einheimisches Produkt sein. Sie schmeckte anders als alle, die er bisher gegessen hatte. O Gott, was hätte er für ein Frühstück aus Kaffee, Orangensaft und Speck gegeben. Und für Roastbeef und Schinken und Huhn und Truthahn und Kartoffelbrei und Tomatensalat und Bananen und Erdnußbutter! Wenigstens Äpfel hatte er. Die alten Goten hatten den Apfelbaum von den Römern bekommen, und die Vorfahren der Amariikianer hatten Setzlinge mit in diese Welt gebracht. Auch Salat hatten sie mitgebracht. Das bedeutete, daß ihre Vorfahren wahrscheinlich Ostgoten, Osteuropäer oder gar Stämme aus Kleinasien gewesen waren. Salat hatte man in Westeuropa erst im Mittelalter angepflanzt. Nach dem Frühstück rauchten sie zusammen eine Pfeife. Dann erklärte sie, sie müsse nun zum Dienst. Sie deutete auf die Flasche mit dem afseth. »Vergiß nicht, es einzunehmen. Du solltest dir angewöhnen, gleich nach dem Aufstehen davon zu trinken. Solltest du es doch einmal vergessen, wird die letzte Dosis dich noch drei bis vier Tage lang steril bleiben lassen. Aber riskieren solltest du es nicht.« »Jawohl, meine Liebe.« Sie lachte und gab ihm einen langen, warmen Kuß. »Sehe ich dich bald wieder?« fragte er, als sie sich von ihm gelöst hatte. »Heute Abend. Ich werde herkommen — es sei denn, die Königin hätte einen Auftrag für mich. Das wäre möglich. Da
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ist die Gillikin-Krise, und — « »Krise?« »Die Königin wird dir davon erzählen. Bis bald, mein Lieber.« Sie war entzückend. Lustig. Leidenschaftlich. Er hatte sie sehr gern, aber er war nicht verliebt. Aus ihrem Benehmen schloß er, daß er es auch nicht sein sollte. Sie war auf sexuelles Vergnügen aus und dachte nicht daran, ihn zu heiraten. Und wenn sie doch daran dachte, war sie klug genug, darüber nicht zu reden. Der afseth-Trank hatte auf die Sitten des Landes einen ähnlichen Effekt gehabt wie die Einführung des Automobils und des billigen Kondoms in den Vereinigten Staaten. Die Wirkung hier war sogar noch größer, weil sie in dieser Gesellschaft tausend Jahre Zeit gehabt hatte, sich zu entfalten. Sie hatte Männer und Frauen in vieler Hinsicht befreit, wenngleich Hank nicht sicher war, ob er dies in allen seinen Aspekten billigte. Man erwartete von den jungen Erwachsenen, daß sie so viele Sexualpartner hatten, wie sie wollten. Wenn sie aber einmal verheiratet waren, hatten sie ihren Ehegatten gegenüber treu zu sein. Ob man allerdings diesen Erwartungen hier stärker entsprach als auf der Erde, wußte Hank nicht. Die Menschen hier waren zwar Pygmäen, aber sie waren nicht die schlichten, kindlichen Charaktere aus Baums Oz-Buch, denn dies war im wesentlichen eine moralische Fabel, die in einem Feenland spielte. Baums Dorothy hatte nach einem Weg gesucht, nach Hause zu gelangen, der Ängstliche Löwe hatte Mut gesucht, der Blech-Holzfäller hatte ein Herz gewollt und die Vogelscheuche ein Gehirn. Sie hatten viele Abenteuer bestehen müssen, um zu dem Mann zu gelangen, der ihnen geben konnte, was sie sich wünschten. Aber der Zauberer von Oz, mochte er auch ein Scharlatan gewesen sein, hatte gesehen, daß sie schon besaßen, was sie so ersehnten. Da er außerstande war, sie davon zu überzeugen, gab er dem Löwen einen Trank, den er als flüssigen Mut bezeichnete, dem Blech-Holzfäller gab er ein samtenes Herz, das mit Sägemehl gefüllt war, und die Vogelscheuche bekam ein Hirn aus Kleie, vermischt mit Nadeln. Diese materiellen Sy mbole besaßen keine magischen Kräfte, doch sie verliehen den dreien das sichere Bewußtsein, nun zu haben, was sie zu missen geglaubt hatten. Die Magie des Zauberers beruhte auf nichts anderem als auf Psy chologie, aber der gerissene alte Zirkuskünstler wußte genau, was er tat. Dorothy hatte etwas getragen, das sie schon kurz nach ihrer Ankunft im Munchkinlande nach Hause hätte bringen können:
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Die silbernen Schuhe, die sie der toten, vertrockneten Hexe des Ostens genommen hatte. Der Zauberer hatte es nicht gewußt; Glinda war es gewesen, die es ihr am Ende ihrer Ody ssee erzählt hatte. Der Wunderbare Zauberer von Oz war ein klassisches Kinderbuch, und auch für Erwachsene, deren Phantasie noch nicht vom Drachen der Reife zur Strecke gebracht worden war, konnte es bezaubernd und belehrend sein. Dorothy hatte Baum ihre Geschichte in Umrissen erzählt. Schon da war sie einfach und flott genug gewesen, aber Baum hatte sie noch weiter reduziert und beschleunigt. Er war ein kunstreicher Geschichtenerzähler gewesen, der ausließ, was er für ein Kinderbuch als unpassend empfand, und der hier und da Details hinzugefügt hatte, die in Dorothys Erzählung nicht enthalten gewesen waren. Er berichtete nicht, und er war auch kein Geschichtsschreiber, auch wenn er sich in späteren Bänden der Serie den Titel »Königlicher Historiker von Oz« aneignete. Trotzdem waren Dinge darin enthalten, über die Kinder rasch hinweggingen, wenn sie von den faszinierenden Abenteuern lasen. Es gab den Tod in Oz, auch wenn blutrünstige Details fehlten — und Baum tat recht daran, sie wegzulassen. Der Blech-Holzfäller schlug einer Wildkatze, die die Mäusekönigin jagte, den Kopf ab. Zwei Kalidahs mit Bärenkörpern und Tigerköpfen wurden zerschmettert, als sie von der Holzbrücke stürzten, die der Blech-Holzfäller durchgehauen hatte. Außerdem tötete der Holzfäller vierzig Wölfe mit einer Axt. Der Ängstliche Löwe schlich sich des Nachts davon, um etwas zu essen, und Dorothy fragte ihn nicht, woraus sein Mahl bestanden habe, aber sie zitterte um die Rehe. Dorothy sah einen winzigen Säugling, und das bedeutete, daß es Geburt und folglich auch Paarung und Empfängnis gab, und somit alles, was sonst noch dazugehörte. Es gab — sogar in Baums Oz — Haß, Machtgier, Hunger, Terror, Unterdrückung, Geburt und Tod. Baum hatte zunächst nicht beabsichtigt, mehr als das erste Buch über Oz zu schreiben. Sein großer Ehrgeiz war es, der Schöpfer des wahrhaft amerikanischen Märchens zu sein. Seine Feen, Kobolde und sprechenden Tiere würden hier eine Heimat haben und dem europäischen Märchen nichts mehr schulden. Aber seine Leser, die amerikanischen Kinder, wollten mehr
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über Oz lesen. Und da der Bedarf groß war und er das Geld brauchen konnte, schrieb er die Fortsetzung: Im Reich des Zauberers Oz. Dieses Buch nun war fast gänzlich erfunden; allerdings verwandte er Namen und Personen, die Dorothy erwähnt hatte, und er schuf jene wunderbaren Charaktere: Jakob Kürbiskopf, das Holzpferd, den Quasselkäfer, den Gump und Ozma, die lange verschollene, wahre Königin von Oz. Seine Leser waren entzückt und verlangten nach mehr. Baum versuchte, sie zu ignorieren, aber es gelang ihm nicht. Wie Arthur Conan Doyle stellte auch er fest, daß das, was er als Lohnschreiberei betrachtete, in Wahrheit die Creme des Kuchens war — soweit es seine Leser betraf. Doyle gelangte durch Sherlock Holmes zu Ruhm und Reichtum, obgleich er erfolglos versuchte, ihn sterben zu lassen, damit er sich wieder seinen geliebten historischen Romanen zuwenden könnte. Baum arbeitete, solange er konnte, am wahren amerikanischen Märchen, aber dann tat er, was er tun mußte: Er produzierte eine Serie von vierzehn Stück. Im Verlauf dieser Arbeit beschloß er, Oz so utopisch wie möglich werden zu lassen. So kam es, daß in den späteren Büchern niemand in Oz mehr sterben oder alt werden konnte. Säuglinge blieben für alle Zeit Säuglinge, und Menschen, die alt waren, als die große Feenkönigin Lurline ihren Zauber über Oz breitete, wurden nicht mehr älter. Selbst wenn man jemanden in kleine Stücke zerschnitt, lebten diese Stücke weiter. Baum dachte nicht immer daran, und in seinen späteren Büchern fanden sich flüchtige Hinweise darauf, daß der Tod in diesem Lande immerhin möglich war. Hank hatte die vielen Unstimmigkeiten in der Serie nicht bemerkt, als er klein war. Die Vorstellung, daß niemand sterben könne, hatte ihm gefallen, aber als er älter wurde, sah er, daß dies den Abenteuern einen großen Teil der Spannung nahm. Und als er zum jungen Mann heranwuchs, begriff er, daß eine Welt, in der Säuglinge für immer Säuglinge bleiben mußten und in der es keinen Tod und, dadurch impliziert, auch keine Geburt gab, eine furchtbare Welt sein müsse. Gleichwohl vermochte er seinen kritischen Verstand abzuschalten und die Bücher zu genießen, wie er es als Kind getan hatte — ja, er wurde beim Lesen wieder zum Kind. Aber hier befand er sich in einer realen Welt. Er konnte das Buch nicht zuklappen, wenn er keine Lust mehr zum Lesen hatte, und
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Spazierengehen. Die Wirklichkeit war ein Roman, der einem die Seiten heftig um die Ohren schlug. Man mußte weiterlesen, bis man starb. Auch der Schlaf bot keine Zuflucht, denn dann präsentierte der Geist andere Bücher (ohne Plot), mit zahllosen Fußnoten, unsinnig, voller Druckfehler und mit lauter ausgelassenen Sätzen, weit schlimmer noch als alles, was man lesen mußte, solange man wach war. Hank zog seinen Kunstfliegerdreß an, und dann vertiefte er sich in das Papier, auf dem er die achtundzwanzig Buchstaben des QuadlingAlphabets und die Symbole ihrer Aussprache notiert hatte. Er verbrachte eine Stunde damit, in einer Kinderfibel zu lesen. Dann ging er ins Bad, und als er herauskam, trat eben ein Diener ins Zimmer, um ihn abzuholen. Diesmal wurde er in einen großen Raum neben dem Thronsaal geleitet. Glinda, in ein schneeweißes Gewand gehüllt, jedoch ungekrönt, saß auf einem Stuhl vor einem Eichentisch. Die Tischbeine waren zu Sphinxgesichtern geschnitzt. Vor ihr stand eine lange Reihe von Bittstellern, wie er vermutete. Aber er brauchte nicht lange zu warten. Der Diener führte ihn an Menschen und Tieren vorbei. Falls es sie störte, daß er sich nicht anzuschließen brauchte, so ließen sie es nicht erkennen. Sie starrten ihn unverhohlen an, wie es Eingeborene überall zu tun pflegten. Aber viele lächelten, und manche sagten sogar: »Goth morn!« Sie waren auch laut, und sie schwiegen nicht, wie er erwartet hatte, in Gegenwart der Königin. Manchmal hörte er einen Ausdruck oder auch einen ganzen Satz, der wie Englisch klang. Eine Englisch-Imitation. Glinda lächelte ihm zu und sagte etwas zu dem Hauptmann an ihrer Seite. Dann wartete sie, während der Soldat verkündete, daß die Audienz für den Augenblick beendet sei. Die Bittsteller könnten jedoch in der Halle warten. Ein speziell für ihn gebauter Klappstuhl wurde hereingetragen, und Hank wurde aufgefordert, an der anderen Seite des Tisches Platz zu nehmen. Er winkte ab, als man ihm einen gläsernen Kelch mit Fruchtsaft darbot. Glinda lehnte sich in ihrem hochlehnigen, kunstvoll geschnitzten Eichenholzstuhl zurück. »Willst du mich etwas fragen? Gibt es etwas, das ich für dich tun könnte?« Hank war sicher, daß er nicht hier war, damit sie in Erfahrung brachte, ob alle seine Wünsche zu seiner Zufriedenheit erfüllt würden. So antwortete er: »Ich kann mich nicht beklagen. Was meine
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Fragen betrifft — nun, ich könnte Euch Hunderte stellen.« »Für einige davon haben wir vielleicht Zeit«, antwortete sie. »Du bist vor allem deshalb hier, weil ich dich mit verschiedenen Situationen vertraut machen will. Außerdem habe ich eine Bitte an dich.« »Ich bin ganz der Eure, Mütterlein.« Und ich war's wahrhaftig gern, dachte er. »Der Mann, der gestern in der fliegenden Maschine ums Leben kam, wird heute nachmittag bestattet werden«, sagte sie. »Ich weiß nicht, welcher Religion er angehörte, aber wenn dir daran liegt, für ihn zu beten, magst du dies während der Zeremonie tun.« »Mein Vater ist Anglikaner und meine Mutter Methodistin. Ich selbst bin ein abgebrühter Agnostiker.« Glinda schaute ihn verständnislos an. »Unwichtig«, sagte er. »Ich werde ein Gebet für ihn sprechen. Schaden kann es nicht.« »Nein. Aber vielleicht war er nur der erste. Andere werden ihm folgen. Was du wissen mußt, ist, daß wir keinen weiteren tolerieren werden. Einer von euch ist genug. Mit einem können wir fertig werden — vor allem, wenn es Dorothy s Sohn ist. Einer ist uns sogar willkommen. Aber nicht mehr. Eine Invasion werden wir nicht zulassen!« Hank war erschrocken. Der letzte Satz war mit großem Nachdruck, hartem Gesicht und blitzenden Augen ausgesprochen worden. Glinda meinte, was sie sagte. »Mein Zorn gilt nicht dir«, sagte sie jetzt lächelnd. »Aber du bist intelligent. Allein unsere strikte Quarantäne muß dir gesagt haben, daß die Möglichkeit irdischer Erkrankungen uns hier sehr beunruhigt. Es gab solche Krankheiten hier schon einmal, und viele müssen ihnen zum Opfer gefallen sein. Dann starben die Seuchen aus. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht lag es an etwas, das die Längst Versunkenen hier zurückließen. Eine Art Schutz vor Krankheiten, der das Land erfüllt... es durchstrahlt vielleicht?« »Die Längst Versunkenen?« »Die alten Ureinwohner. Die Nicht-Menschen, die ursprünglich auf diesem Planeten lebten — wenigstens, soweit wir wissen. Sie müssen ausgestorben oder ausgerottet worden sein oder sie wanderten aus, bevor die ersten Menschen hierher kamen. Wir wissen es nicht, aber die Geschichten, die uns, sicher in verzerrter Form, von unseren Vorfahren überliefert wurden... nun, darin heißt es, daß es hier keine Eingeborenen gegeben hat. Aber in der äußersten Nordwestecke des Landes
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stehen halbverschüttete Ruinen einer Stadt der Längst Versunkenen. Wir wissen nicht viel darüber, denn sie stehen auf dem Territorium der Natawey . Ich bin schon dort gewesen, aber während meines kurzen Aufenthaltes konnte ich mit dem, was ich sah, nicht viel anfangen. Es gab damals andere Dinge, die mich beschäftigten...« Sie verstummte und sah aus, als sinne sie über die Vergangenheit nach. Dann fuhr sie fort: »Es war ein Glück, daß ihr beide keine Krankheiten in euch trugt, du und deine Mutter. Aber ich weiß, daß gräßliche Gebrechen viele von euch befallen und töten. Und wenn sie zu uns hereingelangten...« Sie verzog das Gesicht, als sehe sie Visionen der Hölle. »Mein Volk wäre wehrlos. Zu Tausenden würden sie niedergestreckt werden, und vielleicht würden sie alle sterben. Sei ehrlich — könnte das nicht geschehen?« Hank dachte an die amerikanischen Indianer, die an den Krankheiten gestorben waren, die die Weißen eingeschleppt hatten. Die Polynesier kamen ihm in den Sinn, die durch Tuberkulose, Pocken, Röteln und Syphilis dezimiert worden waren, nachdem die Weißen auf ihre Inseln gekommen waren. »Ich glaube nicht, daß sie aussterben würden, Euer Hexenhoheit«, sagte er. »Aber die Folgen wären gleichwohl schrecklich. Verheerend. Aber... Ihr sagtet, es sei etwas hier, das Krankheiten im Augenblick fernhält. Warum würde das nicht auch gegen neue Krankheiten helfen? Warum würde Euer Volk davon infiziert werden? Wäre dieser Schutz plötzlich wirkungslos?« »Ich habe dir schon gesagt, daß die Alten an diesen Krankheiten litten. Erst nach ungefähr einhundert Jahren — falls die Chronologie stimmt — verschwanden die Seuchen. Anscheinend ist eine gewisse Frist erforderlich, damit das, was die Krankheiten bekämpft, wirksam werden kann. Bis es soweit wäre, würden neue Krankheiten Hunderttausende von uns töten. Wie auch immer — ich will nicht, daß auch nur einer der unseren an diesen Dingen stirbt, die ihr Erdenmenschen mit der gleichen Nonchalance mit euch umhertragt wie eure Taschentücher. « »Verzeiht mir, Allerhöchste, aber das ist eine Übertreibung. Wir sind ganz und gar nicht gleichgültig gegen —« »Nicht?« »Überhaupt, was kann ich gegen eine... äh, Invasion tun?« »Du bist der einzige, der zwischen uns dolmetschen könnte. Mag sein, daß wir dich als Vermittler brauchen. Ich
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beabsichtige, einige meiner Untertanen Englisch lernen zu lassen, und ich wünsche, daß du sie unterrichtest. Aber für den Augenblick müssen wir uns anderen Dingen als nur den Erdenmenschen widmen.« Sie runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippe. Hank wartete. »Aber zuerst das Problem mit der Erde. Es ist mehr als nur Krankheit, was wir fürchten. Selbst wenn es diese nicht gäbe, würde dein Volk unsere Gesellschaft zerstören. Ihr würdet eure Religion, eure Sitten, eure Institutionen zu uns bringen. Ihr würdet uns verändern, und zwar zum Schlechteren. Und wir besitzen soviel Gold und Silber, so viele Edelsteine. Eure Habgier würde unser Land verwüsten. Aber um eure Piraterie rechtmäßig erscheinen zu lassen, um eure Räuberei in Einklang mit dem Bild des ehrlichen, gesetzestreuen und gottesfürchtigen Wesens zu bringen, das ihr selbst von euch habt, würdet ihr euch zunächst einen Vorwand suchen, mit dem ihr einen Krieg vom Zaun brechen könntet. Ihr würdet eure Armeen auf uns hetzen und unser Land besetzen. Und dann würdet ihr mit eurer Vergewaltigung beginnen.«
9 Hank war rot angelaufen. Er rief: »So ist es nicht, Glinda! So würde es nicht kommen! Ihr redet, als seien wir Wilde, aber — « »Aber? Sei doch ehrlich. War dein Volk so nicht schon immer? Und damit meine ich nicht nur deine Nation, Hank. Ich meine alle Nationen. Haben sie nicht schon immer solche Dinge getan, sobald sie mächtig genug dafür waren? Und haben nicht die, welche diese Macht nicht besaßen, sich immer gewünscht, sie hätten sie?« »Mir scheint, Ihr wißt viel über die Erde«, sagte Hank. »Merkwürdig, wenn man bedenkt, daß Ihr noch nicht dort wart!« »Das habe ich nie behauptet«, entgegnete Glinda. »Ihr wart da? Wann? Wo?«
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»Das werde ich dir später einmal erzählen. Vielleicht. Aber nun, Hank, reden wir über die andere Krise. Seit dreißig Jahren hat es hier keinen Krieg mehr gegeben, aber jetzt, so scheint mir, läßt er sich nicht länger vermeiden. Deine Mutter hat dir zweifellos erzählt, daß die Hexe des Nordens, Helwedo, sie kurz nach ihrem Eintreffen hier aufsuchte.« »Das stand auch in Baums Buch«, antwortete Hank. »Aber den Namen erwähnte er nicht. Meine Mutter hat ihm nicht gesagt, wie sie hieß.« »Helwedo war damals fast tausend Jahre alt.« Hank riß die Augen auf. Er hätte sie gern gefragt, wie einige Leute es anstellten, so alt zu werden, aber dies war nicht der rechte Augenblick. Würde er jemals kommen? Die Ereignisse jagten dahin wie Narney Oldfield. Wie Alice und die Rote Königin. »Durch einen ihrer Falkenspione erfuhr Helwedo von Dorothy s Ankunft, und sie kam unverzüglich her, um mit deiner Mutter zu sprechen.« Die Nordhexe war in der Tat eine Hexe gewesen. Mit einem Knall plötzlich verdrängter Luft war sie vor Dorothy erschienen — ein Phänomen, von dem zu berichten Dorothy in ihren Gesprächen mit Baum vergessen hatte. Helwedo hatte über Transportmittel verfügt, die auf der Erde unbekannt waren, es sei denn, die Hexen des Mittelalters hätten solche Kräfte gehabt, aber das glaubte er nicht. Hier mochte »Magie« möglich sein, aber daheim nicht. »Helwedo ermutigte Dorothy, die silbernen Schuhe der toten Osthexe anzuziehen.« Glinda schwieg einen Moment lang und sagte dann: »Zumindest sahen sie aus, als wären sie aus Silber. Echtes Silber hätte natürlich das Laufen und Rennen deiner Mutter nicht lange ausgehalten.« Ich wette, dachte Hank, daß Helwedo dir von Dorothy erzählt hat. Oder es war einer deiner gefiederten Spione. Ich würde meinen Arsch an Rockefeller verpfänden, um genug zu bekommen, daß ich darauf wetten könnte. Es war in diesem Augenblick, daß der Verdacht in ihm aufkeimte, Glinda könne Dorothy auf ihren Irrfahrten insgeheim die ganze Zeit über geführt haben. Aber er hatte keine Zeit, über diesen Verdacht weiter nachzugrübeln, denn er mußte sich auf Glindas Worte konzentrieren. »Vor zehn Jahren geschah es, daß Helwedo, die Hexe des Nordens und Königin von Gillikinland, unverhofft starb. Ich
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tat mein Bestes, aber ich konnte nicht verhindern, daß eine junge Hexe namens Erakna die Macht ergriff. Erakna, die Ungenießbare. Sie ist so gerissen, daß sie sogar vor mir hatte verbergen können, daß sie eine rote Hexe war, bis es zu spät war. Ich hatte Mitleid mit den Gillikins. Sie mußten ebenso leiden, wie die Munchkins unter der Osthexe und die Winkies unter der Westhexe hatten leiden müssen. Aber ich ließ mir Zeit, und Erakna unternahm nichts gegen mich, ja, sie schickte mir sogar eine Botschaft, die besagte, sie habe keinerlei Ehrgeiz, die Grenzen ihres Reiches zu überschreiten. Sie begnüge sich damit, dort zu bleiben und zu herrschen. Aber ich glaubte ihr nicht. Keiner glaubt einer roten Hexe.« Und wie ist es mit weißen Hexen? dachte Hank bei sich. »Sie hatte nämlich mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Revolten, immer häufigere Raubzüge der Natawey aus den Bergen, ein Streit mit einer anderen roten Hexe. Aber jetzt sieht es so aus, als habe sie alle ihre Gegner ausgeschaltet, und der Ehrgeiz, den sie wie einen hungrigen Wolf im Käfig festgehalten hatte, ist nun frei. Während des vergangenen Jahres ist es immer wieder zu Grenzzwischenfällen mit den Gillikins gekommen. Erakna behauptet, die Aufrührer seien Banden von Gesetzlosen, aber ich weiß, daß sie selbst diese Zwischenfälle angestiftet hat. Zudem hat sie ihren Untertanen schwere Steuern aufgebürdet, um ein mächtiges Heer auszurüsten, und in diesen Tagen finden Manöver an den Grenzen von Winkieland und Oz statt. Es ist offensichtlich, daß sie sich auf eine Invasion vorbereitet.« »Es tut mir leid, das zu hören«, sagte er. »Aber...« »Was du damit zu tun hast? Das wirst du erfahren. Ich will mich mit der Vogelscheuche und dem Holzfäller beraten. Sehr bald. Ich könnte ihnen durch einen Falken eine Botschaft zukommen lassen, aber ich ziehe es vor, selbst mit ihnen zu sprechen. Andaugi bi andaugi. Von Angesicht zu Angesicht.« »Wollt Ihr, daß ich hinauffliege und sie hole?« Glinda lächelte. »Sehr gut. Lamblos Liebhaber ist nicht nur ein hübscher Riese, sondern auch ein intelligenter.« Hank errötete. Glinda lachte wieder. »Wie lange wird es dauern, bis du dich mit deiner Flugmaschine auf den Weg machen kannst?« Hank erklärte ihr, was zuvor geschehen müsse. Der Motor der Jenny mußte geringfügig verändert werden, damit er Methylalkohol verbrennen könnte. Es mußte sichergestellt werden,
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daß entlang der Route an Stellen, die flach und geräumig genug waren, daß ein Flugzeug dort landen konnte, Treibstoffvorräte lagerten. Und Landkarten brauchte er. Die, die er gesehen hatte, waren nicht gut genug. »Ein Falke, der den Weg kennt, wird dich führen«, sagte sie. »Muß ich unterwegs mit Schwierigkeiten rechnen?« »Ja. Ich bin sicher, daß Erakna von dir weiß. Daß du für mich arbeitest, ist ihr sicher Grund genug, dich zu überfallen. Aber vielleicht findet sie keine Gelegenheit dazu.« Glinda schickte nach einem weiblichen Falken namens Ot, einem purpurn und bronzefarben gefiederten Vogel, den Hank schon früher gesehen hatte. Er stellte nun sicher, daß alle genau verstanden, was er benötigte. Sie besprachen die Distanzen zwischen den einzelnen Versorgungsdepots, die Reinheit des aus Getreide gebrannten Alkohols und viele andere notwendige Dinge. Bald war es Zeit für das Mittagsmahl. Speisen und Getränke wurden hereingebracht. Ot pflegte nur einmal am Tag etwas zu sich zu nehmen, und so ließ sie das Mittagessen aus. Hank fragte sie, wovon sie sich ernährte. Mit ihrer unheimlichen Grammophonstimme antwortete sie: »Wenn ich unter den Zahmen bin, esse ich Nüsse und Insekten. Sie werden so für mich zubereitet, daß sie eine fleischartige Konsistenz erhalten. Aber bei den Wilden esse ich Mäuse, Ratten, Kaninchen und alles, was so klein ist, daß es sich nicht wehren kann.« Damit waren mehrere Fragen beantwortet, unter anderem die, ob auch die Insekten zu den intelligenten Lebewesen zählten. Hank erklärte schließlich, er könne in zehn Tagen nach Winkieland starten. Glinda wandte sich an Ot und meinte, sie brauche nicht länger zu bleiben, und die Falkin flatterte von der Stuhllehne auf und flog durch die offene Tür hinaus. »Warum, Glinda«, fragte Hank, »laßt Ihr den Holzfäller und die Vogelscheuche nicht einfach herbringen ? Wenn Helwedo in Sekundenschnelle von einem Ort zum ändern gelangen konnte, müßtet Ihr doch dazu ebenfalls fähig sein. Und wenn Ihr es mit Euch selbst tun könnt, müßtet Ihr es auch mit anderen schaffen.« Glinda starrte ihn einen Moment lang wortlos an. »Du bist noch nicht so recht vertraut mit unseren Sitten und Gesetzen«, sagte sie schließlich. »Deshalb will ich dir verzeihen. Aber für die Zukunft merke dir: Niemand fragt eine Hexe nach den Geheimnissen ihres Berufes.« »Ich bitte um Vergebung«, sagte er kühl. »Dir ist vergeben. Einiges will ich dir immerhin
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erzählen. Beispielsweise, daß es einen ungeheuren Aufwand erfordert, jemanden auf diese Weise von einem Ort zum anderen zu befördern... Wie soll ich es nur nennen ? Das Wort gehört nicht zum Vokabular des Volkes, und das Wort selbst hat Macht. Nur Hexen kennen es. Diese Macht bekommt man nicht, ohne teuer dafür zu bezahlen, und man benutzt sie nur, wenn man es unbedingt muß. Ich müßte einige Vorbereitungen treffen und könnte die beiden dann sehr rasch herbeiholen. Aber das ist nicht notwendig. Selbst wenn du zehn Tage für die Vorbereitungen und sechs für die Reise brauchst, werden sie immer noch viel früher hier sein, als wenn sie auf normale Weise kämen.« Glinda erhob sich. »Du sollst so viele Schmiede, Mühlenbauer und Arbeiter bekommen, wie du benötigst, und auch sonst alles, was erforderlich ist. Du wirst sogleich beginnen. Aber halte dich bereit, um vier Uhr am Begräbnis des toten Fliegers teilzunehmen.« Eine halbe Stunde später traf Hank mit einem Dutzend Männer zusammen, die Glinda herbefohlen hatte. Zwei Stunden verbrachte er damit, die Leute zu organisieren und ihnen genau zu erklären, was er von ihnen wollte. Er half ihnen, Pläne und Diagramme zu zeichnen; das Papier, das sie verwendeten, war aus Lumpen hergestellt. Um vierzehn Uhr begab er sich zum Schloß zurück, und eine halbe Stunde später traf Lamblo ein, um ihn abzuholen. Sie trug eine Uniform, die er noch nicht kannte: Schwarze Gewänder und einen scharlachroten Tschako mit dem Emblem eines silbernen Totenkopfes. »Ich trage sie nur, wenn ich zur Ehrenwache bei einem Begräbnis gehöre«, erklärte sie. »Setz dich, Hank. Ich muß dir ein paar Fragen stellen. Die Antworten kenne ich schon, aber die Formulare müssen ausgefüllt werden.« Er setzte sich. »Schieß los.« »Was? Oh, ich verstehe. Nun denn: Wie ist dein Name?« »Meine Güte! Das weißt du doch!« »Das ist aber ein ulkiger Name.« Sie kicherte. Dann aber machte sie ein ernsthaftes Gesicht und sagte: »Gib mir nur die richtigen Antworten. Es ist Vorschrift, und wenn du weiter herumalberst, kommen wir zu spät. Das würde der Kleinen Mutter nicht gefallen.« »Mein Name ist Henry Lincoln Stover.« »Bist du mit dem Verstorbenen verwandt?« »Nein.« Er fragte sich, welchen Grund diese Vernehmung haben mochte. Wahrscheinlich schrieben die Regierungsbürokraten so etwas vor, denn die gab es sogar in Quadlingland. »Bist du
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ein Freund?« »Von dir?« Sie lächelte knapp. »Ein Freund des Toten.« »Nein. Ich hab' noch nie von ihm gehört.« »Wärest du bereit, die Rolle des Hinterbliebenen zu übernehmen?« »Du meinst, als Trauernder?« »Ja.« Hank verzog einen Mundwinkel und sah sie scharf an. »Was heißt das? Was muß ich tun, wenn ich ja sage?« Sie sagte es ihm. Er erbleichte. »Um Gottes willen! Was für eine Barbarei ist denn das?« »Es ist eine uralte Sitte bei uns.« »Verflucht, das würde ich nicht einmal für meine eigene Mutter tun!« Sie zuckte die Achseln. »Gut. Die professionellen Trauerer werden ihr Brot damit verdienen.« Sie erhob sich. »Gehen wir.« Hank folgte ihr. Er fühlte sich unbehaglich, und in seinem Magen rumorte es. Wenn er die Einladung zur Teilnahme an der Beerdigung hätte ablehnen können, hätte er es getan. Aber dann hätten die Leute und auch er selbst an seinem Mut und an seinem Taktgefühl gezweifelt. Abgesehen davon drängte ihn die Neugierde, doch hinzugehen. Lamblos Kompanie erwartete sie am nördlichen Hauptportal des Schlosses. Die Soldaten formierten sich um Hank, und einen Augenblick später marschierte er in ihrer Mitte; er zügelte sein Tempo, damit sie trotz ihrer kürzeren Beine mit ihm Schritt halten konnten. Sie wandten sich nach Westen und nahmen die Straße, die durch die Stadt führte. Anscheinend waren alle, einschließlich der Tiere, auf dem Friedhof. Wie alle Begräbnisstätten befand er sich im Westen der Stadt auf einem Hügel. Nach Westen nämlich wandten sich die 'Seelen der Verstorbenen; weit westwärts vom Lande der Lebenden, irgendwo jenseits der Wüste, lag ihr Ziel. Hank hatte dies einmal, an einem späten Abend, von Lamblo erfahren. »Dort, so sagen die Priester und Priesterinnen, liegt ein anderes grünes Land, in dem Gott und Seine Engel die Toten über ihre Irrtümer und Fehler belehren. Dann werden die Toten in Gestalt der amaizhuath (Geistlichter) oder fonfoz (Feuerfüchse) zurückgeschickt. Sie kommen durch die Wüste hierher und nehmen die Körper von Tieren und manchmal auch von Menschen oder sogar leblose Dinge in Besitz.« In Hanks Erinnerung blitzte jene stürmische Nacht auf, in der er
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beobachtet hatte, wie Glinda nackt in dem großen Raum mit der Sphinx und den Schatten jene Zeremonie vollzogen hatte — oder war es ein Kampf gewesen? »Wie können sie einen Körper in Besitz nehmen, der schon jemandem gehört?« »Das weiß ich nicht«, hatte Lamblo gesagt. »Sie tun es eben.« Ihr Gesicht hatte Unbehagen erkennen lassen. »Und was geschieht mit der vertriebenen Seele?« »Sie geht zurück in das Land Gottes, wo Er und Seine Engel ihr erklären, was sie falsch gemacht hat. Danach wird sie wieder ins Land der Lebenden geschickt.« »Klingt wie >Reise nach Jerusalem< für Geister«, hatte er gesagt, und dann hatte er erklären müssen, was es mit der Reise nach Jerusalem auf sich hatte. »Glaubst du, was du mir da erzählst?« hatte er dann gefragt. »Hast du etwa eine bessere Erklärung? Reden wir nicht mehr über solche Dinge. Versuchen wir lieber die saitigzhuz-nyuhStellung. Gott nannte man hier entweder Guth oder Chuz. Hank vermutete, daß Chuz von Tius abstamme und somit eine Verwandtschaft mit dem altnordischen Gott Tyr und mit dem altenglischen Tiw aufweise. Einen Engel nannte man anggluz; dieses Wort wurzelte im Griechischen und ließ auf Kontakte mit dem frühen Christentum schließen. Aber auf irgendeine Weise hatte man die Engel mit den slanchuzar, jungfräulichen Halbgöttinnen, ähnlich den altnordischen Walküren, vermischt. Uralte Verwirrung zeigte sich auch in den Kreuzen auf den Grabsteinen des Friedhofes. Hier fand sich das einfache Kreuz ebenso wie das keltische Kreuz, das X oder Andreaskreuz und die Swastika, auch thyunz-hamar, Thors Hammer, genannt, jenes uralte Sy mbol, das auf der Erde zu prähistorischer wie auch zu geschichtlicher Zeit verwandt worden war. Die meisten Gräber waren von Standbildern gekrönt, Statuen, die nicht nur Menschen, sondern auch nichtmenschliches Leben in vielerlei Gestalt darstellten. So fand sich gleich neben dem Grab einer Frau das eines Rehs. Obwohl Lamblos Berichte ihn schon vorbereitet hatten, war er immer noch schockiert durch den Anblick der Priester und Priesterinnen und der professionellen Trauerer. Die heiligen Männer und Frauen besaßen große Ähnlichkeit mit afrikanischen Zauberdoktoren. Als Kopfputz trugen sie hochaufragende, schmale und farbenprächtige Federn, ihre Gesichter waren
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mit schwarzer und roter Farbe beschmiert, und auf der nackten, buntbemalten Brust trugen sie Ketten aus Knochen und Zähnen. Die entblößten Genitalien waren glattrasiert, und die Beine waren mit schwarzroten Spiralen bemalt. Sie tanzten wie Medizinmänner, schüttelten Kürbisrasseln, klingelten mit kleinen Glöckchen und ließen brüllende Schnüre über ihren Köpfen kreisen. Die Trauerer, Männer und Frauen, waren ebenfalls nackt; sie zerschnitten ihr Fleisch mit steinernen Messern. Er war aus einem anheimelnden, ja, einem »niedlichen« Dörfchen geradewegs in die Altsteinzeit gelangt. Lamblo ließ ihre Kompanie anhalten. Auch Hank blieb stehen. Die Soldaten traten beiseite, um ihm Platz zu machen, und Lamblo bedeutete ihm mit dem Schwert, weiterzugehen. Mit einem tauben Gefühl schritt er auf den Sarg zu, einer aus Kalkstein gehauenen Halbkugel. Der Sarg war nicht verschlossen, und der verkohlte Leichnam lag unverhüllt in einer Vertiefung auf der Spitze der Kalksteinkuppel. Davor gähnte ein rundes, offenes Grab. Dahinter saß Glinda auf einem marmornen Thron; eine alte, schwarze Decke schützte ihr nacktes Gesäß vor dem harten, kalten Stein. Sie trug nichts als einen gefiederten Kopfschmuck und war vom Hals bis zu den Zehen mit schwarz-weißen Streifen bemalt, die sie spiralförmig umschlangen. In der Hand hielt sie den langen, hölzernen Hirtenstab. Hank blieb vor ihr stehen und verneigte sich. Seine Augen waren niedergeschlagen, denn er war verlegen. Die Trauerer heulten, die Menge summte wie ein Dynamo, die Kürbisse rasselten, die Glöckchen klingelten, und das Brüllen der dröhnenden Schnüre erfüllte die Luft. »Sieh auf!« rief Glinda. »Sieh auf, Fremdling!« Zögernd hob Hank seinen Blick. Glinda lächelte halb, und in ihren blauen Augen lag ein amüsierter Ausdruck. Wußte sie etwa, wie ihn dieses wilde Schauspiel und ihre Nacktheit schockierte? »Sieh auf, Fremdling«, sagte sie und deutete mit dem Stab zum Himmel. Hank gehorchte. Der Himmel war wolkenlos. Was sollte er hier, wenn auch nur sy mbolisch, sehen können ? Er warf einen Blick nach rechts und sah, daß alle anderen ebenfalls hochschauten. »Ruhe!« rief Glinda, und das Summen, Klagen, Rasseln, Klingeln und Dröhnen verstummte. Nur ein Säugling im Arm einer Frau in der vorderen Reihe schrie. »Wendet euch nach
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Westen!« rief Glinda. »Schaut nach Westen!« Hank und alle anderen außer Glinda wandten sich zur Seite. »Dorthin gehen wir alle«, rief sie. »Ob ihr einen Tag oder tausend Jahre lebt, ihr werdet dorthin gehen. Nackt seid ihr in diese Welt gekommen, und nackt werdet ihr sie verlassen. So war es, und so soll es sein.« Sie schwieg einen Moment lang und fuhr dann fort. »Doch es wird nicht immer so sein.« »Es wird nicht immer so sein!« schrie die Menge. »Auch die Endlosigkeit hat ein Ende!« »Sie hat ein Ende!« Einen Moment lang herrschte Stille. Auch das Baby war verstummt; es trank. Glindas Stimme zerriß die Stille. »Die Toten sollten nicht ohne Blut heimkehren!« »Nicht ohne Blut!« »Der tote Mann ist ein Fremdling. Er ist nicht von unserem Blute. Doch selbst der Fremde soll nicht hungrig gehen. Ist hier kein Vater, keine Mutter, kein Bruder und keine Schwester, ihm Blut zu geben?« »Es ist niemand da!« rief die Menge. »Dann soll er sein Blut mit ihm teilen! Der Tote soll nicht hungrig gehen.« Ein Priester und eine Priesterin liefen auf Hank zu. Die Frau packte Hanks Handgelenk und drehte seine Handfläche nach oben. Der Mann hob ein steinernes Messer hoch und ließ es niederfahren. Hank stieß einen Schmerzensschrei aus. Er hatte nicht damit gerechnet, daß man ihm einen so tiefen Schnitt beibringen würde. »Allmächtiger!« »Wende dich dem Toten zu!« befahl eine andere Priesterin schrill. Hank wurde dem Sarg zugewandt, und man stieß ihn voran. Auch die Menge drehte sich um und schaute auf die Kuppel. Die heiligen Männer und Frauen begannen wieder zu tanzen. Die Kürbisse rasselten, die Schellen klingelten, die Schnüre brüllten, die Trauerer begannen zu heulen und sich zu zerfleischen. Die kleine Priesterin zerrte an seiner Hand, bis sie sich über dem gräßlichen Gesicht der Leiche befand. Dann drehte sie sie um, und das Blut tropfte auf die schwarzverkohlte Haut und die klaffende Mundhöhle. Glinda erhob sich von ihrem Thron, deutete mit dem Stab zuerst auf den Toten und dann nach Westen. »Trink, auf daß du stark werdest! Geh! Geh nach Westen, wo deine Heimat liegt!«
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Dies ist kein Ort für Anämiker, dachte Hank. Er sah auf das Blut und auf den Leichnam und hoffte, er werde nicht in Ohnmacht fallen. Glinda hatte den Mund geöffnet, um etwas zu sagen. Jetzt starrte sie — nicht auf ihn, sondern nach Süden. Die Leute, die ihm auf der anderen Seite des Sarges gegenüberstanden, rissen ebenfalls die Augen auf und schrien. Trotz seiner Betäubtheit wußte er, daß dies nicht zur Zeremonie gehörte. Er drehte sich um und schaute auf die Wüste hinaus. Hoch oben am Himmel, langsam herabsinkend, strahlte ein helles Licht. Es sah aus wie eine Very -Rakete, eines jener Leuchtsignale aus brennendem Magnesium, die er so oft am nächtlichen Himmel über den Schlachtfeldern Frankreichs gesehen hatte.
10 Noch bevor der immer noch gleißende, aber winzig kleine Lichtpunkt den Boden erreicht hatte, erschien über ihm ein Gegenstand. Er kam aus einer grünen Wolke, die nicht größer als Hanks Hand wirkte. Es funkelte, als das Sonnenlicht sich in silbrigem Material spiegelte. »Ein Fallschirm?« murmelte Hank. Beinahe unmittelbar danach erschien ein zweites blitzendes Objekt aus der Wolke und sank herab. Und dann strahlte wieder eine Leuchtkugel auf. Die grüne Wolke wurde vom Himmel au fgesogen. Glinda sagte etwas zu dem Falken, der über ihr auf der rechten Kante der Thronlehne hockte. Das Tier flatterte davon, dem herabsinkenden Licht entgegen. Hank wäre nur zu gern ohne weitere Umstände in die Wüste hinausgelaufen, aber Glinda hatte andere Pläne. Daß es ihr gelang, die neugierige Menge daran zu hindern, wie eine durchgehende Rinderherde in die Wüste zu stürmen, zeigte, mit welch eiserner Gewalt sie sich selbst und ihr Volk beherrschte. Laut verkündete sie, die Zeremonie gehe nun weiter,
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und so geschah es auch, wenngleich Hank den Eindruck hatte, daß man nun ein wenig hastiger zu Werke ging. Auf Glindas Aufforderung hin sprach er ein Gebet, das Vaterunser, über den Leichnam, der Deckel wurde auf den Sarg gelegt, und mit Hilfe von Gurten senkte man den Sarg in die Grube. Hank wurde angewiesen, ein paar Blutstropfen auf den Sarg fallen zu lassen, und dann machten sich die Totengräber daran, das Grab zuzuschaufeln. Die heiligen Männer und Frauen tanzten neunmal gegen den Uhrzeigersinn um das Grab, und dann nahm Glinda den gefiederten Kopfschmuck ab und legte ihre lange weiße Robe an. Ein Arzt verband Hanks Hand. Wenige Minuten später war er an Bord eines Streitwagens mit Kurs auf die Wüste. Als die Prozession die Klippenstraße zur Hälfte hinter sich gebracht hatte, landete der Falke auf der Haltestange von Glindas Fahrzeug. Die beiden redeten miteinander, aber Hank war zu weit entfernt, um das Gespräch zu verstehen. Als sie sich zu Fuß dem einen der herabgefallenen Objekte bis auf eine halbe Meile genähert hatten, blieben sie stehen. Lamblo, die an Hanks Seite stand, sagte: »Gott schütze uns!« Eine leuchtende Kugel mit einem Durchmesser von vielleicht vier Metern war plötzlich auf der Spitze einer hohen, gewundenen Felsnadel erschienen. Glinda rief einen Befehl, und ein Trupp männlicher Bogenschützen entfernte sich im Laufschritt von der Marschkolonne. Die schimmernde Kugel, durch die Hank den Himmel sehen konnte, rollte senkrecht an der Felsnadel herunter und geradewegs auf sie zu. Aber sie schien nicht zu wissen, daß sie da waren; ihre Bahn, falls sie sich geradeaus weiterbewegen würde, müßte sie um etwa zehn Schritte verfehlen. Ein Hauptmann brüllte ein paar Befehle, und die Männer hoben ihre Bögen. Auf einen weiteren Befehl hin jagten die Pfeile in die Kugel, und sie explodierte wie eine französische .75er Granate. Hank sprang zurück und zwinkerte mit den Augen. Der Feuerball war verschwunden, aber die hölzernen Schäfte der Pfeile standen in Flammen. Wachsam, doch ohne weitere Zwischenfälle, näherte sich die Kolonne nun dem Ding, das aus der grünen Wolke gekommen war. Es war eine große, mit kleinen Spiegeln beklebte Holzkiste, die an einem großen, zusammengesunkenen, silbrig schimmernden Fallschirm befestigt war. Die Leinen des Fallschirms waren durchschnitten, die silbern bemalten Lederschnallen der Kiste
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waren geöffnet und der Deckel zurückgeklappt. Hank schaute hinein. Er sah weitere Kästen, verpackt in dickem Isolationsmaterial. Er nahm sie heraus und öffnete sie. Sie enthielten eine Filmkamera, vier Büchsen Film, eine Kodak mit zehn Filmrollen, zwei Betriebsanleitungen, Schreibblock mit unzähligen Bleistiften, Federhaltern und Tintenflaschen, Bleistiftspitzer, ein Zwölf-Zoll-Lineal, Radiergummis, Winkelmesser, Filmentwicklerlösung und ein Handbuch, das ihre Verwendung beschrieb, eine Taschenlampe, eine Stoppuhr und einen großen braunen Briefumschlag. Der Umschlag trug Emblem und Namen des U.S. Army Signal Corps. Und er trug, in großen Druckbuchstaben, seinen Namen. »Wie zum Teufel... ?« murmelte er. Bevor er den Umschlag öffnen konnte, hörte er einen Schrei aus der Umgebung der Felsnadel. Ein Falke umflog sie und meldete, daß eine zweite Kiste unterwegs sei. Hank beschloß, den Umschlag erst zu öffnen, wenn er festgestellt hätte, was sich in der zweiten Kiste befand. Wie sich herausstellte, enthielt die zweite Kiste ein Funkgerät mit Kopfhörern und einem Satz Extra-Batterien. Auch hier fand er einen Umschlag mit seinem Namen. Es zeigte sich bald, daß er eine exakte Kopie des Briefes in dem ersten Umschlag enthielt. Dieser Fund mußte Glinda mit großer Neugier erfüllt haben, aber sie drängte darauf, zunächst ihre Leute aus der Gefahrenzone zu bringen. Wenige Augenblicke später marschierten sie auf das grüne Land zu. Als sie dort angekommen waren, luden sie die Kisten auf einen Elchkarren. Hank öffnete die Briefumschläge erst, als er in einem Raum im ersten Stockwerk des Schlosses angekommen war. Glindas erste Frage galt den Gegenständen in den Kisten. Er erklärte ihr, was diese Dinge waren und woher sie gekommen waren. »Lies den Brief«, sagte sie. »Dann fasse ihn für mich zusammen und übersetze ihn mir in allen Einzelheiten.« Es waren sechs Seiten, einzeilig mit der Maschine beschrieben. Das Schreiben kam aus dem Büro eines Oberst Mark Simpson des U.S. Army Signal Corps, aber es war unterzeichnet vom Oberkommandierenden der Armee, Stabschef General John Joseph Pershing. »Black Jack höchstpersönlich«, murmelte Hank. Er hatte großen Respekt vor den Fähigkeiten, die Pershing während des Ersten Weltkriegs unter Beweis gestellt hatte, aber zugleich
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verabscheute er ihn. Pershing, so hatte er gehört, war es gewesen, der den amerikanischen Fliegern verboten hatte, Fallschirme zu benutzen. Der Grund: Es bestand die Möglichkeit, daß sie in Situationen größter Gefahr ihr Flugzeug in der Schlacht aufgäben. Mit anderen Worten, Pershing mißtraute dem Mut seiner Flieger. Pershing war es auch gewesen, der keine Bedenken gehabt hatte, Tausende von Soldaten zu opfern, um eine Position zu gewinnen, aber in dessen Augen die Freudenhäuser, in die seine Männer gingen, etwas Böses waren, und der deshalb sein Bestes tat, sie zu schließen. »Ein durch und durch prüder Wichser«, brummte Hank. »Wie bitte?« fragte Glinda. »Nichts. Okay. Fangen wir an.« »Okay?« »Ein amerikanischer Ausdruck. Er bedeutet gut, fein, prima, in Ordnung, all right, hunkeydorey, copasetic...« »Hankiidorii? Kopasetik?« Hank las den Brief bei sich durch, aber im Raum herrschte keine Stille. So ungeduldig die Königin auch augenscheinlich darauf wartete, den Inhalt zu erfahren, verschwendete sie doch keine Zeit. Sie konferierte mit einigen Menschen und Vögeln, erteilte Befehle, diktierte einen kurzen Brief und ging einmal zur Toilette. Als sie zurückkam, sah sie, daß Hank den ganzen Brief gelesen hatte. »Zunächst einmal — es steht kein Wort darüber drin, wie sie mich haben identifizieren können«, sagte er. »Aber das dürfte kaum schwierig gewesen sein.« Er fragte sich, ob Geheimagenten bei seinen Eltern gewesen sein mochten. Wahrscheinlich noch nicht, denn die ganze Angelegenheit würde man vorerst als top secret behandeln. Aber man würde sich über Mr. und Mrs. Lincoln Stover ein genaues Bild gemacht haben. Und zweifellos hatten sie auch Präsident Harding in Kenntnis gesetzt, und vielleicht darüber hinaus ein paar Kabinettsmitglieder. »Adressiert ist es an Leutnant Henry L. Stover. Ich bin aber kein Armeeoffizier mehr und auch kein Reservist. Sie benutzen den Titel aus psy chologischen Gründen.« »Weshalb?« »Sie wollen, daß ich bestimmte Dinge tue, weil ich amerikanischer Staatsbürger bin, und sie appellieren an meinen Patriotismus. Sie erinnern mich daran, daß ich Soldat und Offizier war und daß ich mich entsprechend verhalten
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soll.« »Was sind diese bestimmten Dinge?« »Das wird gleich offenbar werden, Mütterlein. Sie geben keine spezifische Erklärung dafür, wie und warum der grüne Nebel, die Öffnung, gemacht wurde. Aber sie beziehen sich auf diese Operation, das Experiment oder was immer es sein mag, und nennen es >Projekt Thor<. Das könnte bedeuten, daß es etwas mit Kraftübertragung zu tun hat oder hatte. Thor war bei den nordischen Völkern nämlich der Gott des Donners und des Blitzes.« Es würde nicht leicht werden, alles, was in dem Brief stand, zu erklären. Es gab einfach zu viele Referenzen, die in dieser Kultur oder in seinem Wortschatz fehlten. »Mag sein, daß ich mich irre, aber es könnte sein, daß das Signal Corps mit Experimenten zur Übertragung von... oh, verdammt! Jetzt werde ich erst erklären müssen, was das Wort >Elektrizität< bedeutet.« Glinda überraschte ihn mit der Mitteilung, daß ihr die Vorstellung nicht gänzlich unvertraut sei. Seine Mutter hatte ihr davon erzählt, und sie hatte auch erzählt, wie die Kraft von Blitzen hervorgebracht und übertragen werden konnte und was sie zu leisten vermochte. »Ja, aber sie war damals ein achtjähriges Kind, und außerdem hat die Wissenschaft in diesem Zusammenhang seit 1890 beträchtliche Fortschritte gemacht. Ich werde Euch also detailliert informieren und Eure Kenntnisse auf den heutigen Stand bringen.« Nachdem sie ihn angehört hatte, fragte sie: »Und diese Leute vom Signal Corps — was, glaubst du, hatten sie vor?« »Ich glaube, daß sie versuchten, elektrische Energie drahtlos zu übertragen. Vielleicht durch die Atmosphäre. Ein berühmter Wissenschaftler, Nikola Tesla, interessiert sich schon seit langem für solche Versuche. Vielleicht hat er die Leitung des Projektes. Ich weiß es nicht. Jedenfalls glaube ich, daß das Corps ein solches Experiment durchführte, als ich Fort Leavenworth überflog, und daß das Experiment ein völlig unerwartetes Nebenprodukt zutage brachte. Eine schwache Stelle in der Wand zwischen diesen beiden Universen oder ein natürlicher Kanal, durch den man sich zwischen den beiden Welten auf und ab bewegen kann... nun, diese Schwachstelle wurde durch die Energie geöffnet. Gerade so lange, daß ich hindurchfliegen konnte. Die Leute vom Signal Corps sahen, wie ich in den Dunst hineinflog und
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nicht wieder herauskam. Also wiederholten sie das Experiment, und wieder erschien der Dunst. Ich weiß nicht, zu welch phantastischen Spekulationen dies führte. Wie immer sie ausgesehen haben mögen, sie halten keinem Vergleich mit der Wirklichkeit stand. Nun, sie beschlossen jedenfalls, ein Armeeflugzeug hindurchzuschicken. Wie sie es zur Erde zurückbringen wollten, weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich planten sie, das Tor zu einer bestimmten Zeit wieder zu öffnen. Aber...« Er zuckte die Achseln. »Offenbar haben sie die Maße und die Dauer der Öffnung nicht unter Kontrolle. Und sie haben keine Ahnung, daß dies die Welt von Oz ist.« Er lachte und meinte dann: »Wenn ihnen jemand erzählte, dass hier das Land Oz liegt, würden sie ihn für verrückt erklären. Sie würden ihn einsperren. Und wenn — falls — ich ihnen die Wahrheit sage, werden sie vermutlich denken, ich hätte den Verstand verloren.« Sollte er ihnen erzählen, daß seine Mutter die Dorothy aus Baums Büchern war? Nein. Ob sie ihm glaubten oder nicht, sie würden sie auf jeden Fall mit langen Verhören belästigen. Sie würden ihr das Leben zur Hölle machen und ihr die Ruhe und den Frieden rauben. Und falls das Geheimprojekt auf irgendeine Weise ans Licht der Öffentlichkeit dränge und er sie davon überzeugt hätte, daß er tatsächlich in Oz gewesen sei, dann würde sie unter weltweiter Publicity leiden müssen. »Aber du hast Mittel, sie zu überzeugen«, meinte Glinda. Sie deutete auf die Kisten, die in einer Ecke standen. »Sie würden mir trotzdem nicht glauben.« »Das ist unwichtig. Sprich weiter.« »Nun, nachdem sie mir nachdrücklich eingeschärft haben, daß ich keiner unbefugten Person davon erzählen dürfe — we m zum Teufel sollte ich es auf dieser Seite des Universums wohl erzählen? —, fordern sie mich auf, nach besten Kräften mit ihnen zu kooperieren. Ich soll alle Befehle befolgen. Mein Möglichstes tun, um ihnen Informationen über diese Welt zu beschaffen.« »Mit Hilfe der Filme?« »Damit, und mit Karten und Daten über die Bewohner, falls es welche gebe... Sie wissen ja nicht einmal, ob es in dieser Welt — sie nennen sie die Vierte Dimension — überhaupt außer mir intelligente oder andere Lebensformen gibt. Falls es Intelligenz gibt, wollen sie alles darüber wissen, vor allem über ihr — Euer — Militärpotential, und dann über Krankheiten und Rohstoffe — damit meinen sie fruchtbares
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Land, Gewässer, Holz, Eisen, Kupfer, Bauxit, Öl, Gold, Silber und so weiter. Ich soll bewegliche und starre Aufnahmen von allem Wichtigen machen, ich soll Daten über dies und jenes aufzeichnen und ihnen ein möglichst vollständiges Bild vermitteln.« Er sah von dem Brief auf. »Sie sind nicht einmal sicher, ob ich noch lebe, und wenn ich noch lebe, ob ich mich noch in dieser Gegend aufhalte, so daß diese Nachricht mich erreichen kann. Sie geben zu, daß sie gleichsam ins Blaue hineinoperieren.« »Wann werden sie den Weg wieder öffnen?« »In sieben Tagen, von jetzt an gerechnet, wird er sich kurz öffnen. Um zehn Uhr morgens, in ihrer Zeit. Sie wissen natürlich nicht, ob die Zeit hier mit der ihren übereinstimmt. Ich soll mich nach der Armbanduhr richten, die sie mitgeschickt haben. Aber Genaues wissen sie natürlich nicht. Es ist alles äußerst unsicher.« »Der Weg wird sich kurz öffnen?« »Nur so lange, daß ich Zeit habe, den Empfang dieser Dinge zu bestätigen. Noch einmal dreißig Tage später soll ich dann Filmmaterial und Daten hindurchschicken.« Hank übersetzte die Nachricht Wort für Wort, und hin und wieder unterbrach er sich oder wurde er von der Hexe unterbrochen, weil das eine oder andere Detail erklärt werden mußte. Als er geendet hatte, fragte Glinda: »Was würde denn geschehen, wenn du in sieben Tagen keine Antwort schicktest? Würde dein Volk dann einfach aufgeben?« »Ganz im Gegenteil. Sobald sie die erforderliche Kontrolle über die Durchgangspforte hätten, würden sie versuchen, einen weiteren Piloten hindurchzuschicken.« »Das wird ihnen aber vielleicht nicht gelingen.« »Möglich. Aber daß sie aufgeben werden, bezweifle ich. Ihre Neugier wird zu groß sein. Sie werden denken, daß diese Welt der ihren ebenso gefährlich sein kann, wie Ihr glaubt, daß unsere es für Eure sein könnte. Sie können die Versuche nicht einstellen. Wenn Dinge aus meiner Welt hierher gelangen können, dann ist es auch möglich, daß Dinge aus Eurer Welt in meine kommen. Sie werden an den Roman von Mr. H.G. Wells denken. Da ging es um eine Invasion vom Mars...« Mit knappen Worten umriß er, wovon der Roman erzählte. Dann sagte er: »Sie werden das Schlimmste befürchten. Sie können sich nicht leisten, die Tatsache zu ignorieren, daß von hier eine mögliche Gefahr für ihre Welt ausgehen kann. Das könnt Ihr doch verstehen, nicht wahr, Euer Hexenhoheit?« »O ja. Nun... dies ist ein Problem, das wir gleichfalls nicht
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ignorieren können. Ich werde dir gestatten, diese erste Botschaft hinüberzuschicken, aber ich will, daß du sie mir vorliest. Und belüge mich nicht. Ich werde es wissen, solltest du es doch tun.« Hank fühlte, wie sein Gesicht sich erwärmte. »Das würde mir nie einfallen.« »Doch, das würde es. Es ist dir in diesem Augenblick eingefallen. Aber das bedeutet nicht, daß du tatsächlich lügen würdest. Wie dem auch sei — weißt du schon, wie du deine Nachricht durch die Öffnung befördern willst?« Er erklärte ihr, er werde über die grüne Wolke hinwegfliegen und die Botschaft hineinwerfen. Glinda lächelte. »Und wenn die Wolke groß genug ist, um dein Flugzeug aufzunehmen? Wirst du uns dann verlassen?« Hank nagte an seiner Unterlippe. »Ich will ehrlich sein: Ich weiß es nicht, aber ich bezweifle, daß die Wolke groß genug sein wird. Anscheinend erfordert es Unmengen von Energie, sie hervorzubringen, und deshalb wird sie nicht sehr groß sein. Sie wird auch nicht lange halten. Ich werde schnell sein und gleich beim ersten Überflug mein Ziel treffen müssen. Sonst kann ich es kaum schaffen. Abgesehen davon... na ja... ich glaube eigentlich nicht, daß die hohen Tiere in der Army es gern sähen, wenn ich zurückkehrte. Zumindest vorläufig nicht. Sie brauchen jemanden, der hier ist und sie... äh... mit Informationen versorgt, oder der, sozusagen, als Botschafter fungiert.« Glinda lachte. »Oder als Agent für die Pläne, die sie wahrscheinlich schmieden. Ich vertraue darauf, daß du uns nicht verlassen wirst. Etwas anderes kann ich nicht tun. Wenn du merkst, daß du der Versuchung nicht widerstehen kannst, wirst du verschwinden. Das ist alles.« »Manchmal habe ich tatsächlich ein wenig Heimweh«, gestand er. »Aber ich bin zugleich sehr neugierig auf diese Welt. Außerdem ist es, wie ich schon sagte, meine patriotische Pflicht, hierzubleiben.« »Nun gut. Drei Jahrhunderte überlebt man nur, indem man an das Hier und Jetzt denkt. Obwohl man dabei auch die nahe Zukunft nicht vergessen darf, wenn man nicht sterben will. Manchmal... Aber lassen wir das. Bereite deine Flugmaschine vor und verfasse dann deinen ersten Bericht. Halte ihn kurz. Und erwähne an keiner Stelle, wie alt ich bin, und deute auch nicht an, daß andere ebenso lange oder länger gelebt haben.« Hank wollte fragen, weshalb er diese
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Dinge nicht erwähnen sollte, aber dann besann er sich. »Wenn ich ihnen das erzählte, wäre garantiert, daß sie versuchen würden, herzukommen. Sie würden das Geheimnis Eurer Langlebigkeit erfahren wollen. Es würde sie herbeilocken, mehr als Gold und Juwelen, mehr als ein neues Land und die Wunder eines anderen Universums. Jeder möchte gern ewig leben.« »Ja, es wäre eine unwiderstehliche Verlockung. Aber nicht jeder möchte so lange leben, und nur wenige werden auch die Mittel besitzen, es zu tun. Ich könnte dir gestatten, ihnen das zu erklären, aber sie würden es nicht verstehen.«
11 Am Morgen des siebten Tages, nachdem Pershings Botschaft vom Himmel gefallen war, wurde Hank in Glindas Gemächer gerufen. Sie befahl ihm, sich zu setzen. »Ihr tut das so oft, daß ich mir allmählich wie ein Hund vorkomme«, beschwerte er sich. »Toto«, sagte sie, und dann mußte sie lachen. »Ja, ich erinnere mich an dieses merkwürdige Geschöpf. Nun, ein Hund, denke ich, hat nichts dagegen, wenn man ihm befiehlt, sich zu setzen. Nicht, wenn er seine Herrin liebt. Hier, Hank. Nimm das in die Hand.« Ein kleiner Mann mit einem langen, grauen Bart hielt ihm ein rundes, weißlich-graues Objekt von der Größe einer Pflaume entgegen. »Die Schwarze Perle der Wahrheit«, erklärte Glinda, als Hank die Kugel in Empfang nahm. »Es ist keine echte Perle. Sie sieht nur so aus und fühlt sich so an.« Meere oder Austern kannte man in diesem Land nicht, aber anscheinend gab es Flußmuscheln, die Perlen hervorbringen konnten. »Meine Mutter hat Mr. Baum davon erzählt. Sie sagte, Ihr
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hättet ihr diese Perle gezeigt. Baum hat es in seinem zweiten Buch verwendet. Aber er ging davon aus, daß ihr sie am Körper tragt. Vermutlich hat er sich geirrt.« »Richtig, er hat sich geirrt«, bestätigte Glinda. »Du — oder wer immer geprüft werden soll — mußt sie in der Hand halten oder an seiner Haut tragen.« Er vermutete, daß das Ding die Verlagerung des elektrischen Potentials auf der Haut des Trägers registrieren konnte. Es würde sich schwarz verfärben, wenn der Träger nicht die Wahrheit sagte. Aber was, wenn der Träger glaubte, die Wahrheit zu sagen, auch wenn er es nicht tat? Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Glinda: »Wenn du wahnsinnig wärest, könnten wir uns auf die Perle nicht verlassen. Aber du bist es nicht — jedenfalls halte ich dich für geistig normal, für relativ normal wenigstens. Niemand ist völlig frei von Wahnsinn. Einer, der es wäre, würde sofort verrückt werden.« Hank hielt die »Perle« zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe. »Auch so etwas bildet eine Gefahr für meine Welt«, sagte er. »Wenn man diese Perle herstellen und in jedem Gericht, in jedem Heim verwenden könnte, würde die Gesellschaft zerbrechen. « »Das weiß ich«, sagte sie. »Deshalb wirst du sie ebenfalls nicht erwähnen. Noch nicht jedenfalls. Aber sie ist ohnehin einzigartig. Man kann sie nicht duplizieren. Niemand weiß, wie sie gemacht wurde. Die Längst Versunkenen haben sie uns hinterlassen. Vor siebenhundert Jahren wurde sie gefunden, und seitdem gehört sie den Quadlinghexen.« Auf ihren Befehl übersetzte er die Nachricht, die er am Abend zuvor verfaßt hatte. Die Perle verfärbte sich nicht. »Gut. So hatte ich es erwartet«, sagte Glinda. Der Bericht wurde in einen dicken, gefütterten Umschlag geschoben und dieser in eine diskusförmige Büchse gelegt. Die Büchse bestand aus einem stählernen Rahmen, der mit dreifach übereinandergelegtem, zähem Leder bezogen war. Das Leder stammte von einer bei einem Unglücksfall ertrunkenen Kuh. Diese Büchse und der Umschlag, der mit zerstoßenen Walnußschalen isoliert war, würden den Bericht und, ein paar Fotografien vor Beschädigungen schützen. Die Fotos hatte Hank mit der kleinen Kamera aufgenommen, und sie wurden durch ein paar Quadling-Objekte, unter anderem eine winzige Goldstatue von Glinda, ergänzt. Sie betrachtete alles, bevor sie gestattete, daß
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er es verpackte. »Nur schade, daß du keinen Film hast, der Farben zeigen kann«, meinte sie. »So können sie nicht sehen, daß mein Haar rot ist.« Hank grinste. »Wie war's, wenn Euer Hexenhoheit eine Locke für den Export zur Verfügung stellt en?« »Sei nicht vorlaut.« Was würden die Armeeführung und Präsident Harding mit diesen Bildern anfangen? Eines zeigte das Schloß vom Boden aus, eines war eine Luftaufnahme davon, und auf einem sah man ihn inmitten einer Gruppe von Pygmäen. Andere Fotos zeigten Glinda auf ihrem Thron, Glinda in einem von Elchen gezogenen Wagen, Glinda mit ihm vor der Jenny, ein aufgeschlagenes Buch, die Schloßwache beim Appell, einen schreibenden Waschbären, eine zeitungslesende Katze, den Friedhof von zwei verschiedenen Seiten und vieles andere mehr. Hank hatte jedes Foto beschriftet. Gewiß würde der Name Glinda und die Erwähnung von Quadlingland einen Aufruhr verursachen und sicher auch Unglauben hervorrufen. Um 10.15 Uhr Zentrale Sommerzeit startete er mit der Jenny in einen wolkenlosen blauen Himmel. Die Falkin Ot begleitete ihn; ihre Klauen gruben sich in die rechte Schulter seiner schweren Lederjacke. Hank wußte ungefähr, wo die Wolke beim letzten Mal erschienen war, aber Ot behauptete, sie könne die Stelle exakt wiederfinden. Sie dirigierte ihn, und er kreiste mit dem Flugzeug über der Stelle, wo die grüne Wolke erscheinen sollte. Dann wurde es elf Uhr. Die Luft blieb leer. Fünfzehn Minuten verstrichen. Etwas war schiefgegangen. Die Anlage, mit der die Pforte geöffnet wurde, war zusammengebrochen oder funktionierte nicht. Oder die Energie reichte aus irgendeinem Grunde nicht aus. Oder das ganze Ding war explodiert. Oder die hohen Tiere hatten beschlossen, die Operation wegen schlechten Wetters abzusagen. Eine halbe Stunde verging. Er beobachtete vier riesige Kugeln, die weit draußen durch die Wüste rollten. Bei der nächsten Gelegenheit würde er einige davon fotografieren. Nach einer Weile empfand Hank Langeweile und Unruhe. Zudem hatte er es satt, im Gegenuhrzeigersinn zu kreisen; also richtete er die Jenny geradeaus, legte sie dann in eine Rechtskurve und kreiste nun im Uhrzeigersinn. In diesem Augenblick- er hatte eben festgestellt, daß die Uhr 11.46:1212 zeigte — erschreckte Ot ihn mit einem schrillen Schrei in sein Ohr. Er nahm den Blick von der Uhr zu seiner Linken.
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Ungefähr vierzig Fuß tief unter ihm begann eine grüne Wolke Gestalt anzunehmen. Er ließ die Jenny seitlich abkippen und drückte die Nase hinunter. Mit der linken Hand ergriff er die scheibenförmige Büchse und hielt sie mit der Schmalseite hinaus in den Luftstrom. Als er sich genau über dem Dunst befand, hatte dieser sich zu einer diamantförmigen Wolke aufgebläht, die die Jenny an ihrer breitesten Stelle leicht hätte aufnehmen können. Sein Herz klopfte wie die Hacke eines Goldgräbers, der eben auf eine glitzernde Ader gestoßen war. Wenn er abrupt und steil abtauchte, würde er durch die Wolke hindurchstoßen und zur Erde zurückgelangen können. Aber er tat es nicht, und er war froh, daß er es nicht getan hatte. Die Wolke begann rapide zu schrumpfen. Als er die Büchse hineinwarf, hatte sie nur noch die Größe eines großen Tisches, und eine Sekunde lang glaubte er, er werde des Ziel verfehlen. Wenn er versucht hätte, zu entkommen, wären sein Flugzeug und möglicherweise auch er selbst in zwei Teile zerschnitten worden. »Viel Zeit haben sie dir nicht gegeben«, schrie Ot mit ihrer Victrola-Stimme. »Wahrscheinlich konnten sie nicht«, schrie Hank zurück. Offenbar gab es Schwierigkeiten mit der Maschine. Es würde ein kleiner Trost für Glinda sein, wenn er es ihr berichtete. Als er ihr Ratszimmer betrat, fragtet sie ihn nicht, wie er erwartet hatte, ob er versucht gewesen sei, hindurchzufliegen. Sie befahl ihm, nach Kräften an seinem Bericht zu arbeiten, sich dadurch aber nicht bei dem geplanten Abholflug behindern zu lassen. »Glaubst du noch immer, daß du in sechs Tagen zurücksein kannst?« »Mehr oder weniger«, antwortete er. »Es kann sein, daß schlechtes Wetter mich zur Landung zwingt oder daß ich einen Maschinenschaden habe. Außerdem hätte ich gern mehr Zeit, damit ich das Haus meiner Mutter in Munchkinland anschauen kann.« »Ich verstehe deine Gefühle«, sagte sie. »Aber damit wirst du noch ein wenig warten müssen. Man hat mir. berichtet, daß Eraknas Armeen an den Grenzen von Winkieland und Oz beträchtlich verstärkt worden sind. Ist es möglich, daß du früher als geplant startest?« Hank dachte einen Moment lang nach und sagte dann: »Ich könnte mich morgen auf den Weg machen, wenn ich die Ma-
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schinengewehre nicht mehr montiere.« Glinda lächelte. »Im Morgengrauen also.« »Wenn das Wetter gut ist.« »Keine Sorge. Es wird gut sein.« Er glaubte nicht — wie ihre Untertanen glaubten —, daß sie auch das Wetter beherrschte. Aber vielleicht brachten ihre Vögel ihr meteorologische Daten. Nach dreihundert Jahren mußte sie ohnehin in der Lage sein, das Wetter mindestens ebensogut »vorherzusagen« wie die besten Meteorologen auf der Erde, wenn nicht sogar besser. Nicht, daß dies viel bedeutet hätte. Vor Sonnenaufgang war er schon bei der Jenny. Er absolvierte die Startchecks und vergewisserte sich, daß seine Vorräte an Bord waren. Glinda, in Stiefeln und in dicke weiße Wollgewänder gehüllt, war gekommen, um ihn zu verabschieden und ihm ein paar letzte Anweisungen zu geben. Lamblo, die sich ebenfalls durch warme Kleidung vor der Morgenkälte geschützt hatte, stand ein wenig abseits und versuchte, nicht traurig auszusehen. Sie hatte mit ihm fliegen wollen, aber selbst wenn die Königin es erlaubt hätte, wäre im Flugzeug kein Platz für sie gewesen. Zwei Falken, Shii und Windwaldriiz, hockten im vorderen Cockpit. Ot war bei Hank, um ihm bei der Navigation zu helfen. Windwaldriiz würde sie verlassen, wenn sie die Smaragdstadt erreicht hätten, um Glinda Bericht zu erstatten, und Shii würde zurückfliegen, wenn sie das Königsschloß von Winkieland vor sich sähen. Das graue Licht wurde heller, und bald stieg die Sonne über den Horizont. Hank verabschiedete sich von der Königin. Lamblo kam zu ihm und sagte: »Küß mich, Hank.« Er zögerte. »Du brauchst dich nicht zu zieren«, sagte sie. »Jeder weiß von uns.« »Darauf möchte ich wetten«, erwiderte er. »Sogar die Gillikins.« Er beugte sich nieder, hob sie hoch und gab ihr einen langen Kuß. Als er sie wieder absetzte, warf er einen Blick auf Glinda. Sie lächelte. Ihm wäre wohler gewesen, wenn sie eine Spur von Eifersucht hätte erkennen lassen. Er kletterte ins Cockpit. Man hatte den Motor vorgewärmt, und so sprang er rasch und mühelos an, als ein Quadling den Propeller herumwarf, nachdem Hank »Kontakt!« gerufen hatte. Er benutzte das englische Wort; er hatte es den beiden Männern, die ihm als Mechaniker zugeteilt waren, beigebracht. Die Keile wurden unter den Rädern weggezogen, und er öffne-
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te behutsam die Drosselklappen. Die Jenny setzte sich in Bewegung. Er rollte zum Ostrand der Wiese, drehte die Nase in den sanften Morgenwind, der von Westen kam, und gab Gas. Als die Räder vom Boden abhoben, winkte er der Gruppe vor dem Schuppen zu. Sein Kurs war Nord-Nordwest. Er hatte den Kompaß nachjustieren müssen, da der magnetische Nordpol hier um etwa zehn Grad von dem auf der Erde abzuweichen schien. Aber er benötigte das Instrument ohnehin nicht. Ot würde ihn sogleich darauf aufmerksam machen, sollten sie vom Wege abweichen. Sie stand jetzt neben seiner rechten Hüfte, eingeklemmt zwischen ihm und der Cockpitwand. Dort war sie, auch wenn es für beide ein wenig eng war, besser aufgehoben als auf seiner Schulter. Vögel konnten, anders als Vierbeiner, ihre Ausscheidungen nicht unter Kontrolle halten, und nach ihrem letzten gemeinsamen Flug hatte Hank seine Jacke reinigen müssen. Jetzt hockte Ot auf einem dicken Tuch, und wenn dies beschmutzt wurde, konnten sie es fortwerfen, sobald sie landeten. Das Wetter war angenehm, wie Glinda es vorausgesagt hatte. In einer Höhe von dreitausend Fuß flog die Jenny ohne große Turbulenzen dahin. Farmen, dazwischen weite Waldgebiete, Feldwege, kleine Seen und ein Fluß glitten unter ihm dahin. Gegen Mittag landete er bei einem kleinen Dorf, um zu tanken. Er hatte zwar noch genug Alkohol im Tank, aber er zog es vor, über ausreichende Reserven zu verfügen. Außerdem wollte er sich erleichtern und eine Kleinigkeit essen. Die Einwohner kamen, dicht zusammengedrängt, heraus, um ihn anzustarren, und einige wenige richteten sogar das Wort an ihn. Zwanzig Minuten später startete er wieder. Eine Stunde vor Sonnenuntergang landete er bei einem etwas größeren Dorfe am Ufer eines kleinen Flusses. Sein Nachtquartier war schon bereit: Ein Zimmer im Hause des Kaizar, des gewählten Führers, dessen Position der eines Bürgermeisters entsprach. Hank hätte es allerdings vorgezogen, in einer Scheune zu schlafen und sich die Leute vom Leibe zu halten. Zwar war er alles andere als ungesellig, aber er brauchte auch Zeit für sein hartes Training und mußte acht Stunden schlafen. Die Einheimischen jedoch brannten darauf, ihn mit Fragen, Essen und Branntwein zu bestürmen, ein großes Fest für ihn zu feiern und ihn mit ihrem Trubel so lange wie möglich auf den Beinen zu halten. Zudem wäre es in
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einer Scheune vermutlich bequemer gewesen, denn es gab keine Betten, die groß genug für ihn waren. Im Hause seines Gastgebers mußte er sich bücken, um durch die Tür zu kommen, und ständig den Kopf einziehen, damit er nicht an die Decke stieß. Er erwartete, daß er auf einem Haufen von Wolldecken würde schlafen müssen. Die Fragen, mit denen man ihn bedrängte, galten zu gleichen Teilen der Erde, der Hexenkönigin, die nur wenige selbst je gesehen hatten, und den Gerüchten einer drohenden Invasion der Gillikins. Hank seufzte müde, wenn er daran dachte, daß er solchem Wirbel bei jeder Zwischenlandung ausgesetzt sein würde. Aber er gab sich große Mühe, leutselig zu sein und alle Fragen nach bestem Wissen zu beantworten. Schließlich war er eine Art Botschafter in diesem Lande Oz, und zudem war er in Glindas Auftrag unterwegs. Und er mochte sie auch, diese kleinen Leute, auch wenn die piepsenden Stimmchen einer auf ihn einstürmenden Menge ihm gelegentlich auf die Nerven gingen. Sie waren in vieler Hinsicht fremdartig, aber allgemein wirkten sie freundlich und gastlich. Die jungen, unverheirateten Frauen taten — die einen verstohlen, die anderen ganz offen — ihr Bestes, ihn dazu zu bringen, daß er mit ihnen schlief. Widerwillig und behutsam wies er sie zurück. Zwar fühlte er sich versucht, aber er sagte sich, daß Lamblo in gewisser Weise seine Verlobte sei. Sie hatte ihn nicht gefragt, ob er sie heiraten wolle, und vielleicht würde sie es auch niemals tun, aber das Benehmen der Leute im Schloß sowie die Bemerkungen, die dort die Runde machten, ließen ihn vermuten, daß man sie als Verlobte betrachtete. In manchen Dingen zeigten diese Menschen eine moralische Strenge, die ein Amerikaner für sonderbar gehalten hätte, in anderen hingegen waren sie so liberal, daß viele Amerikaner, vor allem die Bewohner des Bibelgürtels, sich empört und angewidert abgewendet hätten. Ein Quadling in Amerika, sagte er sich, hätte vermutlich auf die dort herrschenden Sitten ähnlich reagiert, aber ein Westafrikaner oder ein Malaie hätte es vermutlich auch getan. Verkatert standen er und die Falken am nächsten Morgen auf. Er nahm ein leichtes Frühstück zu sich, was seinen Gastgeber und dessen Familie veranlaßte, den Kopf zu schütteln und mißbilligend mit der Zunge zu schnalzen. Wie konnte er seinen riesigen Körper mit so geringen Nahrungsmengen in Gang halten? Er antwortete auf diese Frage nicht. Er sehnte
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sich nach Kaffee. Immer, wenn er morgens erwachte, gelüstete es ihn nach dampfend heißem, schwarzem Java. Am folgenden Tag gegen Mittag gelangte er an den Rand eines dichten Waldes, der nirgends durch bebautes Land unterbrochen war und an keiner Stelle die Spuren menschlicher Tätigkeit zeigte. Wenn Ot recht hatte, erstreckte sich dieses Waldland über zweihundert Meilen. Vor langer Zeit, so hatte man Hank erzählt, hatten die weisen, wenn auch oft drakonischen Hexenköniginnen befunden, daß die Wälder ein natürliches Hindernis für den Krieg seien. Diese Auffassung war durch den Willen der in den Wäldern lebenden Geschöpfe noch bestärkt worden. Sie waren bereit gewesen, den Menschen einen gewissen Freiraum zu gewähren, solange diese nicht versuchten, ihn auf Kosten der wilden Tiere zu vergrößern. Hier waren die Tiere ja intelligent und vermochten sich deshalb mit einer Geschicklichkeit zur Wehr zu setzen, die den Tieren auf der Erde fehlte. So war es uralte Übereinkunft, daß die Menschen mit ihren Haustieren den ihnen zugeteilten Raum bewohnten. Die Wildtiere aber blieben in ihren Wäldern, wenn nicht Hungersnöte sie dazu zwangen, die Farmen zu plündern. Manchmal drangen die Menschen auch in die Wälder ein, aber beide Seiten kannten den Preis, den zu zahlen sie riskierten. Tatsächlich nahm eine gewisse Menge von Handelsgütern und Besuchern den Weg zwischen den Bäumen hindurch, aber der größte Teil des Verkehrs wurde über den Fluß abgewickelt. Seine Mutter und ihre Gefährten hatten ihre Reise nach Süden zu Glindas Hauptstadt zumeist auf dem Flusse Gogz gemacht. Baum hatte diese Informationen aus dramaturgischen oder anderen, nur ihm selbst bekannten Gründen ausgelassen. Für den zweiten Tankstop im Wald landete er auf einer schräg abfallenden Wiese am Fuße eines Berges. Der Trupp, den man vorausgeschickt hatte, um die Landebahn präparieren zu lassen, hatte Bäume gefällt, die Wurzeln aus dem Boden gerissen und die Löcher aufgefüllt. Zwischen Quadlingland und Ozland erhob sich eine Bergkette, die stellenweise zirka fünfeinhalbtausend Meter hoch aufragte. Hank ging mit der Jenny nicht gern auf über achttausend Fuß, weil die Steuerung dann »matschig« wurde; zudem würde er in den Bergen vielleicht keinen Paß finden können, der niedriger wäre als die Maximalsteighöhe des Flugzeugs. Also flog er über dem Fluß Gogz dahin und hielt sich ungefähr fünfhundert Fuß hoch über
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dem manchmal breiten und ruhigen, manchmal schmalen und brodelnden Wasserlauf. Diese Route verlängerte seinen Reiseweg um ungefähr zweihundert Meilen und zwang ihn, zusätzliche Tankstops einzuschieben. Ozland selbst war so flach wie Kansas; es war hauptsächlich Bauernland, unterbrochen nur von Waldgegenden. Die unbefestigten Straßen waren von Obst- und Nußbäumen gesäumt, die vor Jahrhunderten gepflanzt worden waren. Man konnte von einer Stadt zur anderen laufen, ohne sich Sorgen zu machen, daß man Hunger leiden würde; allerdings mochte man der einseitigen Diät irgendwann überdrüssig sein. Ot unterbrach ihr irritierendes Geplapper auf dem ganzen Weg nicht ein einziges Mal, bis sie in der Ferne die Turmspitzen der Smaragdstadt erblickte. Dann aber verstummte sie, nicht etwa, weil der Anblick sie mit Ehrfurcht oder Aufregung erfüllte, sondern weil Hank ihr versprochen hatte, er werde ihr den Hals umdrehen, wenn sie nicht für ein Weilchen den Schnabel hielte. Die »Hauptstadt«, die der Zauberer Oz erbaut hatte, lag an einem Fluß. Baum hatte diese Tatsache nicht erwähnt, aber dies war vermutlich nicht seine Schuld. Wahrscheinlich hatte Dorothy es ihm nicht erzählt. Aber früher einmal hatte hier ein blühendes Dorf gestanden; der Fluß und seine Lage am Schnittpunkt von vier Verkehrsstraßen hatten es zu einem natürlichen Handelszentrum werden lassen. Oz hatte die Häuser niederreißen lassen und dieses Denkmal für sich selbst errichten lassen. Als die Smaragdstadt näherrückte, wurden ihre Details allmählich sichtbar. Sie war wunderschön und exotisch; eine kreisrunde Mauer umschloß viele kleine Häuser und den großen Palast im Zentrum. Die fünfzehn Meter hohe Mauer, die die Stadt umgab, war aus großen, grünlichen Steinblöcken. Auf ihrer breiten Krone erhoben sich zahllose schlanke Wachtürme aus rotem Stein, und auf der Spitze trug jeder einen Flaggenmast mit der Fahne von Oz. Der Zauberer selbst hatte die Flagge entworfen, und der derzeitige Herrscher, die Vogelscheuche, hatte daran nichts verändert. Ursprünglich hatte dieses Land Mizhland (Mittelland) geheißen, aber man hatte es umgetauft und nach dem berühmten Zauberer benannt. Hank hatte noch genug Treibstoff im Tank, und so umkreiste er die Stadt zweimal und flog dann zweimal darüber hinweg. Gewaltige Smaragde waren außen in die Mauer eingelassen,
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Juwelen, die, wie Glinda gesagt hatten, zweifellos von den Längst Versunkenen geschliffen worden waren. Vier riesige Tore öffneten sich in der Mauer, nicht, wie Baum berichtet hatte, ein kleines. Ein einzelnes Tor hätte für den Verkehr von 30000 Einwohnern und Tausenden von Händlern und Touristen gar nicht ausgereicht. Die Häuser der Bewohner waren aus buntem Stein und rechteckig wie die der Quadlinge. (Nur die Munchkins hatten runde Häuser.) Die Straßen waren grün gepflastert, und überall sah man Bäume, Parks und Springbrunnen. Der Palast, dessen Grundfläche mindestens sechs Morg en betrug, war aus grünlichem Stein, und in seinen Mauern funkelten mehr Smaragde als in der gesamten Stadtmauer. Hank grinste, als er ihn sah. Oz hatte ihn, wenn auch vergrößert, dem Capitol in Washington nachgebaut. Die Ozianer hatten zweifellos die Augenbrauen hochgezogen, als sie die Pläne sahen, denn im ganzen Land gab es diese Architektur kein zweites Mal. Vor dem Palast erhob sich die Bronzestatue eines Mannes, der auf einem Stuhl saß; sie war doppelt so groß wie die Lincoln-Statue im Eingang des Lincoln Memorials in Washington. Die Statue stellte den Zauberer dar. Er trug einen hohen, spitzen Hut, eine Zigarre steckte zwischen seinen Lippen, und gekleidet war er in den Abendanzug eines Gentleman aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Zufällig hatte sein Gesicht große Ähnlichkeit mit dem Zauberer in den Illustrationen von Neill, aber Hank fühlte sich zugleich an D´Israeli erinnert. Nachdem er die sagenhafte Hauptstadt von Oz aus der Vogel-Perspektive besichtigt hatte, nahm Hank Kurs auf den Landeplatz. Es war eine weite, ebene Wiese am Fluß, etwa eine halbe Meile weit vor der Stadtmauer. Man verwendete sie sonst als Marktplatz für die Bauern der Umgebung und die Händler aus anderen Ländern, aber heute hatte man Wagen und Zelte fortgebracht und den Abfall beiseite geschafft. Es sah aus, als habe sich die gesamte Stadt und alle ihre Besucher versammelt, um ihn zu begrüßen. Man hatte Pfähle in den Boden gerammt, um eine lange, breite Landebahn zu markieren, und die Pfähle waren mit Seilen verbunden worden. Dennoch hatte die Polizei mit ihren grünen Uniformen und den scharlachroten, an Kulihüte erinnernden Helmen große Mühe, die Menge daran zu hindern, die Barriere zu durchbrechen. Hank drehte die Nase der Jenny in den Wind und begann mit dem Landeanflug.
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12 Er stellte die Zündung ab und kletterte aus dem Flugzeug. Ot flatterte in das vordere Cockpit, sagte etwas zu den beiden Falken, die dort saßen, und Windwaldriiz flatterte mit der Botschaft an Glinda davon. Es war ein Babel von Stimmen — ringsumher erscholl ohrenbetäubendes Geschrei und Geschnatter von Menschen, Vögeln und Vierbeinern. Hank erwartete das Begrüßungskomitee, das auf ihn zukam, geführt vom Herrscher, der Vogelscheuche. Er — sie oder es, besser gesagt — war ein wandelndes Fragezeichen für Hank. Nach dem, was Hanks Mutter ihm gesagt hatte, war Baums Bericht über ihre Begegnung mit dem Ding wahrheitsgemäß gewesen. Als sie die Vogelscheuche zum ersten Mal sah, hatte sie auf einem Pfahl am Rande eines Kornfeldes gestanden. Die Krähen jedoch hatten ihr nicht die geringste Beachtung geschenkt; sie hatten nicht einen Schritt weit entfernt die Ähren abgefressen. Die Vogelscheuche hatte Dorothy angesprochen und sie dazu überredet, sie von dem Pfahl zu befreien. Es stimmte auch, daß sie bei Bewußtsein gewesen war, als der Bauer ihr Gesicht gemalt hatte — Augen, Lippen, Nase und Ohren. Dorothy, acht Jahre alt und ein zähes kleines Mädchen, aber naiv und wundergläubig wie alle Kinder, hatte ihr nicht viele Fragen gestellt. Sie hatte sich auch nicht gefragt, wie es sein konnte, daß eine Vogelscheuche lebendig war, mit einem gemalten Mund sprach und mit gemalten Augen sah. Nicht einmal die Behauptung der Vogelscheuche, sie könne mit dem linken Auge besser sehen als mit dem rechten, weil der Bauer es größer gemalt habe, erregte ihre Zweifel. Sie hatte sich nicht darüber gewundert, wie ein Geschöpf ohne Knochen und Muskeln laufen konnte oder woher es seine Energie nahm, wenn es weder aß noch trank. Und es hatte sie nicht verblüfft, daß ein Ding, das niemals Säugling oder Kind gewesen war, ein Ding, das anscheinend keinem Samen entsprossen war, plötzlich reden konnte, und noch dazu so flüssig. Es mochte ungefähr eine Million Vogelscheuchen in diesem Lande geben. Jeder Bauer hatte eine. Wieso konnte nur eine unter einer Million reden und laufen? Wieso waren alle übri-
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gen nur seelenlose Objekte? Was Baum, Dorothy und die meisten Leser außerdem übersehen hatten, war die Tatsache, daß Vogelscheuchen Krähen vielleicht auf der Erde verjagen konnten, aber die Krähen hier waren schließlich intelligente Lebewesen. Sie mußten augenblicklich erkennen, daß es sich bei den furchterregenden Männchen um ausgestopfte Puppen handelte. Warum also stellten die Munchkin-Bauern sie überhaupt auf? Die Wahrheit war, daß alle Bauern solche Vogelscheuchen hatten, und sie stellten sie nicht auf, um die körnerfressenden Vögel zu verjagen, sondern um sie anzulocken. Es verstieß gegen das Gesetz, Vögel und andere Tiere zu töten —außer unter ganz bestimmten Umständen —, aber sie brauchten Nahrung, und so gestand jeder Bauer ihnen einen bestimmten Teil seiner Ernte zu, damit sie vom Rest fernblieben. Um den diesen Tieren zustehenden Bereich zu markieren, stellte der Bauer eine Vogelscheuche auf. Es war eine uralte Sitte, die mittlerweile zum Gesetz geworden war. Die intelligenten Vögel und anderen Tiere fraßen meist ausschließlich in dem abgezäunten Gelände, das man »Opfergarten« oder »Gnadenfeld« nannte. Die Gillikins, so hatte man Hank erzählt, verwendeten keine Vogelscheuchen. Sie stellten hölzerne Statuen auf, die man fuglskarya, Vogelnährer, nannte. Jemand war verantwortlich dafür, daß diese Vogelscheuche hier einzigartig war. Es mußte mit dem zu tun haben, was die Menschen hier als »Zauberei« bezeichneten. Wenn nicht, wollte Hank seinen Helm verspeisen, ungekocht und ohne Salz und Pfeffer. Vielleicht war er übermäßig mißtrauisch, aber er fragte sich, ob Glindas unsichtbare Hand nicht damals — wie vielleicht noch heute — den Ereignissen die Richtung gegeben haben mochte, die ihren Wünschen entsprach. Es stimmte beispielsweise nicht, daß Helwedo, die Hexe des Nordens und Beherrscherin der Gillikins, Dorothy erwartet hatte, als diese aus dem Farmhaus kam. Wenn es so gewesen wäre, hätte sie sich nicht mit dem Mädchen unterhalten können, denn Dorothy sprach ihre Sprache nicht. Erst drei Wochen später, als Dorothy zu einer einfachen Unterhaltung in der Lage war, hatte die Hexe sie besucht. Sie hatte ihr etwas über das Land und über die silbernen Schuhe der toten und vertrockneten Osthexe erzählt, und dann hatte sie ihren
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weißen, spitzen Hut abgenommen. Sie hatte ihn auf der Nase balanciert, was keine schlechte Leistung war, und dabei gesagt: »Eins, zwei, drei.« Der Hut hatte angefangen zu leuchten, und als das Leuchten innerhalb einer Sekunde wieder verschwunden gewesen war, hatte der Hut sich anscheinend in eine Schiefertafel verwandelt. Mit großen, weißen Kreidebuchstaben hatte darauf gestanden: L A S S D O R O T H Y I N D I E S M A R A G D S T A D T G E H E N . Diese Worte, so hatte man Dorothy erzählt, standen auf der Tafel. Sie selbst konnte sie nicht lesen. Wer hatte diese Worte geschrieben? Glinda? Wenn ja, warum? Und wie hatte sie es tun können ? Sie war viele hundert Meilen weit weg. Besaß sie etwa nicht nur telepathische Kräfte, die sie befähigten, mit der Nordhexe zu kommunizieren, sondern darüber hinaus auch telergische Kräfte? Hatte Glinda die Vogelscheuche auf irgendeine Weise belebt und mit Intelligenz versehen, damit das kleine Erdenmädchen einen Beschützer und Berater hätte? »Bin ich paranoid?« murmelte Hank. »Ich glaube es eigentlich nicht. Ich bin nur logisch, oder ich versuche es zumindest zu sein. Aber im Grunde habe ich nicht genügend Informationen, um glaubhafte und logische Hypothesen zu erstellen. Und das ist es, was mich verrückt macht. Zumindest macht es mich unruhig und frustriert.« Seit er hier war, hatte er so viel gesehen, daß er ein wenig verwirrt war, und die Vogelscheuche war vielleicht verwirrender als alles andere bisher. Obgleich er konditioniert war, sie als einen Teil der normalen Welt zu akzeptieren, weil er Baums Bücher gelesen hatte, erschien ihm die Vogelscheuche doch immer noch unheimlich. Sie war unheimlich, das heißt, monströs, erschreckend, sonderbar, sie ließ ihn an Gespenster, böse Geister und andere übernatürliche Dinge denken, sie war geheimnisvoll, dämonisch. Der Golem fiel ihm ein und Frankensteins Ungeheuer. Aber dieses Ding mit seinem gemalten Grinsen und seinen großen blauen Augen, dieses schlaksige, unbeholfene Wesen, war zugleich doch eher komisch als gespenstisch. Seine Mutter hatte es jedenfalls sehr geliebt, mehr vielleicht als jedes andere der merkwürdigen Geschöpfe, denen sie begegnet war. Und eine weitere Umstellung mußte er vornehmen. Unbewußt hatte er erwartet, daß die Vogelscheuche so groß sein würde wie er selbst. Das lag an den Illustrationen von Denslow und Neill, die sowohl den Blech-Holzfäller als auch die
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Vogelscheuche so groß wie Erwachsene von der Erde dargestellt hatten. Dies war jedoch nicht realistisch, da ein pygmäengroßer Munchkin-Bauer eine Vogelscheuche nicht größer bauen würde, als er selbst war. Das Ding näherte sich grinsend und streckte ihm blaue Ärmel mit weißen Stoffhandschuhen — seine Hände — entgegen. »Dorothys Sohn!« dröhnte die Phonographenstimme. »Willkommen ! Dreimal willkommen!« Er schlang seine Arme um Hanks Taille und preßte sein flaches Gesicht an seinen Leib. Hank war gerührt; aus irgendwelchen Gründen stahl sich eine Träne aus seinem Auge und rann ihm über die Wange. »Ich danke Euch, Väterchen«, sagte er. »Ich wünschte, meine Mutter könnte mit mir hier sein.« Die Vogelscheuche ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. »Und wie geht es dem lieben kleinen Mädchen?« »Sie erfreut sich bester Gesundheit und ist guter Dinge, Hoheit. Aber sie ist natürlich kein kleines Mädchen mehr.« »Ah ja, das hatte ich vergessen. Sie wachsen ja... Nun, dann komm jetzt mit mir zum Palast, mein Junge. Ich will dir deine Gemächer zeigen und dir das Programm für heute abend und für morgen erläutern.« Zunächst jedoch sorgte Hank dafür, daß die Jenny vorsichtig in eine Scheune geschoben wurde und daß ein Wächter die Neugierigen fernhielt. »Die Maschine hat auch ein gemaltes Gesicht«, stellte der Regent fest. Hank antwortete nicht. Was hätte er darauf sagen können? Allenfalls hätte er den König fragen können, was ihn zu dieser seltsamen Bemerkung veranlaßt habe. Die letzten Stunden des Tages verbrachte man mit einem Rundgang durch die Stadt. Am Abend folgte ein langes Fest, an dem die meisten der Gäste Unmengen von Bier und Branntwein tranken. Geraucht wurde nirgends im Saal. Noch immer fürchtete die Vogelscheuche Feuer mehr als alles andere. Hank saß zur Rechten des Herrschers und aß und trank. Die Vogelscheuche saß am Kopf eines Tisches mit fünfzig Gästen, aber sie hatte weder Teller noch Becher. Sie stellte Hank viele Fragen über seine Mutter und über die Erde. Dann sagte sie: »Glinda hat mir Informationen gesandt, die besagen, daß dein Volk versucht, einen Weg zwischen uns und euch zu eröffnen.
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Sie ist darüber sehr besorgt.« »Ich glaube nicht, daß es Grund zur Sorge gibt«, erwiderte Hank unwahrheitsgemäß. »Es sieht so aus, als habe mein Volk die Öffnung nicht in der Gewalt, und ich zweifle sehr daran, daß sich das je ändern wird.« »Nun, vielleicht nicht. In jedem Fall wird Glinda in der Lage sein, damit zurechtzukommen.« Hank wollte fragen, was die Vogelscheuche damit meinte, aber da fuhr sie fort: »Viel mehr Anlaß zu unmittelbarer Besorgnis bietet uns im Augenblick Erakna die Ungenießbare.« Hank hätte gern gefragt, wie die Hexe zu diesem Namen gekommen sei, doch er traute sich nicht. »Sie ist noch schlimmer als die verstorbene Hexe des Westens«, sagte die Vogelscheuche. »Sie ist so grausam und unterdrückerisch, und mit ihren Steuern wird sie den Gillikins noch das letzte Hemd vom Leib nehmen. Sie begründet diese hohen Steuern damit, daß sie eine große Armee unterhalten müsse, um das Land zu verteidigen. Dabei ist sie es, die zu diesen Grenzzwischenfällen anstiftet, und sie bereitet sich darauf vor, in unser Land einzufallen.« Die Vogelscheuche tippte sich an die Stirn. »Das Schlimme an dieser Welt ist, daß allenthalben das Gehirn fehlt. Wenn der Verstand regierte...« »Fast immer haben Emotionen das menschliche Verhalten beherrscht«, meinte Hank. »Das wird sich nicht ändern.« »Ich frage mich, warum das so ist?« Erakna war relativ unbekannt gewesen, bevor die Nordhexe starb. Es war verboten, daß außer dem Herrscher jemand Hexerei ausübte, aber in abgelegenen Landgegenden gab es gleichwohl Leute, die es taten. Wenige Minuten nach dem Tode der alten Frau war Erakna in Helwedos Palast erschienen. Sie hatte die Macht ergriffen, indem sie die Gillikins mit einem Spektakel aus hexerischer Pyrotechnik in Angst und Schrecken versetzt und sie sich damit gewaltsam gefügig gemacht hatte. Daß sie die Machtübernahme seit langem geplant hatte, zeigte sich darin, mit welcher Plötzlichkeit eine Bande ihrer Anhänger die politischen Ämter der Zentralregierung übernommen hatte. Es hatte Aufstände gegeben, die aber blutig niedergeschlagen wurden. Der Hauptkonflikt, die entscheidende Auseinandersetzung, würde wahrscheinlich zwischen den beiden Hexen stattfinden müssen. Wenn es Glinda gelänge, Erakna zu überwinden, würden die Gillikins Ruhe geben. Wenn Erakna hingegen Glinda
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töten könnte, würde sie alle vier Länder übernehmen. Der Widerstand wäre dann zwar noch nicht ausgeschaltet, aber ihre Gegner wären psychologisch stark beeinträchtigt. Als das Festmahl vorüber war, sagte Hank den übrigen Gästen gute Nacht und ging zu Bett. Der Zauberer hatte ein ungeheuer großes Bett für sich selbst bauen lassen, ein geräumiges, mit einem Baldachin versehenes Möbelstück mit Füßen aus massivem Gold und einem Rahmen aus einer Silberlegierung. Es war das einzige Bett, das groß genug für Hank war, und die Vogelscheuche hatte nichts dagegen, daß er darin schlief. Die Vogelscheuche selbst schlief niemals. Sie verbrachte die Nacht damit, zu lesen oder Papiere zu studieren und zu unterzeichnen, und manchmal durchstreifte sie einfach nur den Palast. »Ein Herrscher hat viele Entscheidungen zu treffen, viele Informationen über seine Untertanen zu erwägen. Ich habe Glück insofern, als ich, anders als Monarchen aus Fleisch und Blut, nicht jede Nacht acht Stunden vergeuden muß. Mein Volk, so könnte man sagen, hat zwei Regenten zum Preis von einem.« Hank lachte. »Wer, Euer Weisheit, wird an Eurer Stelle regieren, wenn Ihr bei Glinda seid?« Das Gesicht der Vogelscheuche konnte seinen Ausdruck nicht verändern. Dennoch kam es Hank so vor, als ziehe sie die Brauen hoch. »Mein Premierminister, Azer der Eifrige. Ein sehr weiser junger Mann — auch wenn er zuviel raucht.« »Habt Ihr ihn überprüfen lassen?« erkundigte sich Hank. »Ich meine, kennt Ihr seinen Hintergrund genau?« »Was?« Hank machte eine Gebärde der Ungeduld. »Ich meine, er könnte nicht etwa ein Spion sein? Eraknas Agent?« »Wie u m alles in der Welt kommst du auf diesen Gedanken?« »Nach allem, was ich gehört habe, ist Erakna sehr verschlagen. Eine wahre Schlange. Aber gut — vielleicht bin ich voreilig und allzu mißtrauisch. Aber...« Die Vogelscheuche drehte sich so, daß Hank nur noch das größere Auge sehen konnte. »Hat Glinda vorgeschlagen, du sollest mit mir über Azer reden?« Hank nickte. »Sie sagte, sie habe keinen Grund, ihm zu mißtrauen. Ich hoffe, Euer Einzigartigkeit werden mir vergeben, wenn ich es sage, aber sie war nicht zufrieden mit seiner Geschichte. Ich meine, er behauptet, aus einem kleinen Dorf an der Grenze
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nach Winkieland zu stammen. Aber das habt Ihr niemals verifiziert.« »Nun, ich muß schon sagen!« rief die Vogelscheuche, und dann folgten ein paar Worte, die Hank nicht verstand. Wahrscheinlich war sie in ihren Munchkin-Dialekt verfallen. »Morgen früh werde ich abreisen «, sagte sie. »Wie kann ich das tun, wenn ich nicht weiß, ob Azer vertrauenswürdig ist oder nicht? Wenn er Eraknas Agent ist, dann —« »Es gibt keinen Grund zur Aufregung«, unterbrach Hank. »Glinda hat bereits einen Falken in Azers Dorf gesandt. Er hat Erkundigungen eingezogen und ihr berichtet, daß Azer anscheinend der ist, für den er sich ausgibt.« Die Vogelscheuche wedelte mit einer weißen Stoffhand. »Was soll dann... ? Ah, ich verstehe! Glinda will mir eine Lektion erteilen. Sie hält mich für naiv — sie hat recht, wie ich zugeben muß —, und sie zeigt mir, was ich hätte tun müssen, und was ich in Zukunft immer tun muß. Diese Glinda! Sie ist die Weise, nicht ich. Ich würde sagen, mein Gehirn sei vermodert, wenn ich mir nicht erst gestern ein neues hätte einsetzen lassen.« Es ist kaum zu glauben, dachte Hank, aber es stimmt. Dieses Ding wechselte den Stoff, aus dem sein Körper bestand, es wechselte Hose, Hemd, Jacke und Handschuhe, es wechselte den Sack, auf dem sein Gesicht gemalt war, das Stroh, mit dem Körper undHände ausgestopft waren, und auch die Stiefel, den schwersten Teil seines Körpers. Es hatte sich auch den Kopf mit einer frischen Mischung aus Kleie und Nadeln füllen lassen, die es sein »Gehirn« nannte. Jene Mischung, von der der gerissene Scharlatan, der Zauberer Oz, behauptet hatte, er werde der Vogelscheuche einen nadelspitzen Verstand verleihen. Ein nadelneues Gehirn, sozusagen. Aber das war es, was die Vogelscheuche gewollt hatte, denn sie hatte sich für hirnlos und unverständig gehalten. Dabei hatte sie von Anfang an große Weisheit besessen, obgleich sie ebenso ungebildet wie naiv gewesen war. Hank schüttelte den Kopf. Wie konnte es sein, daß dieses Ding lebte? Abgesehen von dem alten, verschlissenen Schlapphut, der nicht ein Teil seines Körpers war, hatte man es rundum erneuert. Es war nicht mehr das Ding von gestern. Es war in seiner Substanz gänzlich ausgewechselt, aber nicht in seiner Essenz. Was war es also, was die Vogelscheuche zu einem
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lebendigen Kontinuum machte? Er glaubte, es müsse etwas geben, woraus die Vogelscheuche an sich bestand und was Kleider, Stiefel und Kopfsack bewohnte. War es eine Art von Energiekonfiguration ? Ein straff organisierter, unsichtbarer Komplex von Elektromagnetismus ? Oder eine andere Art von Energie? Eine Kombination aus elektromagnetischer und einer anderen, unbekannten Energie? Schließlich wagte er es, der Vogelscheuche seine Fragen offen zu stellen. Die runden blauen Augen blickten ihn überrascht an, aber das taten sie schließlich immer. »Du bist ein tiefschürfender junger Mann«, sagte sie. »In deiner philosophischen Begabung nicht minder eindrucksvoll als in deiner Körpergröße. Auch ich habe schon über diese Rätsel nachgedacht, immer und immer wieder, aber ich weiß es nicht. Ich bin weise, aber Weisheit ohne Wissen kann keine großen Sprünge machen. Und das Wissen, das ich brauche, besitze ich nicht. Vielleicht könnte Glinda es dir erklären. Uns, besser gesagt.« »Sie beantwortet solche Fragen zumeist recht ausweichend.« »Wenn sie es tut, muß sie gute Gründe dafür haben.« Am nächsten Morgen, wenige Minuten nach Sonnenaufgang, startete die Jenny. Drei Meilen westlich der Hauptstadt lag ein dichtes Waldgebiet, geformt wie ein unregelmäßiger Kreis mit einem Durchmesser von etwa zwei Meilen. Dies, sagte Ot, war eine der Domänen der wilden Tiere. Menschen wagten sich nie dorthin, allenfalls solche, die auf der Flucht vor dem Gesetz waren. »Nimm diese Richtung«, sagte sie dann und deutete mit einem Fuß nach Südwesten. »Warum?« fragte Hank. »Es ist nur ein kleiner Umweg. Du wirst etwas sehr Interessantes sehen.« Achselzuckend drehte er die Nase der Jenny in die bezeichnete Richtung. Nach kurzer Zeit entdeckte er eine Lichtung inmitten der grünen Fläche. An ihrem Rande am Boden lag etwas, das aussah wie ein umgestürzter Ballonkorb oder eine Gondel. »Die Überreste vom Ballon des Zauberers Oz«, erklärte Ot. »Hier landete er, nachdem er die Smaragdstadt verlassen hatte, weil er als falscher Zauberer entlarvt worden war. Weit ist er nicht gekommen, wie?« Hank hatte nicht vermutet, daß der Zauberer lange in der
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Luft geblieben war. Als er in der Stadt aufgestiegen war, hatte er sich in einem Ballon befunden, dessen Hülle mit Heißluft von einem Holzfeuer am Boden gefüllt war. Die heiße Luft mußte sich bald nach dem Aufstieg abgekühlt haben. Der Zauberer hatte von Glück sagen können, daß er überhaupt so weit gekommen war. »Was wurde aus Oz, nachdem der Ballon gelandet war?« rief Hank. »Er ging nach Nordwesten«, erwiderte der Falke. »Nur wenige Menschen haben ihn gesehen, aber Berichte von Vögeln und anderen Tieren deuten darauf hin, daß er diesen Weg ins wilde Land eingeschlagen hat.« Hank fragte sich, ob der Zauberer noch leben konnte. Er war ein alter Mann gewesen, als Dorothy ihm begegnet war, und seither waren rund dreiunddreißig Jahre vergangen. Gewiß würde Glinda, deren Spione im ganzen Land verteilt waren, wissen, was aus dem Alten geworden war. Er würde sie danach fragen, wenn er nach Suthwarzha zurückkäme. Zwanzig Minuten später hatte er die Grenze von Oz überflogen. Das Flugzeug befand sich jetzt über dicht bewaldetem Hügelland, das nach weiteren zehn Minuten gebirgig wurde. Es war das schwierige Gelände, welches seine Mutter mit ihren drei Gefährten, zwei belebten Objekten und einem Löwen mit Selbstzweifeln, durchquert hatte. Nachdem er sechzig Meilen weit durch immer rauher werdende Luft geflogen war, landete Hank bei einem Depot. Es befand sich auf einer Bergwiese, an deren Rand drei große Zelte und eine Gruppe von Leuten standen. Hank stellte die Zündung ab und fragte: »Wie gefällt Euch das Fliegen, Väterchen?« »Ich bin nicht dazu geschaffen, ein Vogel zu sein. Ich fühlte mich... nun, ein wenig unsicher.« Anscheinend ohne Schwierigkeiten löste die Vogelscheuche die Schnalle ihres Gurtes. Hank war nicht sicher gewesen, ob sie dazu kräftig genug sein würde. Sie stieg aus dem Cockpit und kletterte nach unten. Als sie von der Tragfläche heruntersprang, fiel sie flach auf den Bauch. Hank stieg aus der Maschine. Die Vogelscheuche rappelte sich auf und meinte: »Ich glaube, in zwei Welten gibt es keinen würdeloseren Monarchen als mich.« »Mag sein«, entgegnete Hank. »Aber nüchterner ist auch keiner.«
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Sie sah Hank an und lachte dann phonographisch. »Ah, du meinst, daß ich nicht trinke, weil ich es nicht kann. Sehr gut. Aber so, wie ich taumele, stolpere und falle, müssen Leute, die mich nicht kennen, glauben, daß ich ein Trunkenbold bin.« Unterdessen hatten die Winkies sich dem Flugzeug genähert. Auf einem zweirädrigen Karren hatten sie ein Faß mit Äthylalkohol, einem Trichter und einer Kanne mitgebracht. Es waren sechs, Männer in verschiedenfarbigen Gewändern, aber alle mit gelben, spitz zulaufenden Hüten. Hank beaufsichtigte den Tankvorgang, erledigte die notwendigen Startvorbereitungen und setzte die Reise fort. Nach einem Flug ohne Zwischenfälle landete er neben dem mächtigen grauen Schloß, das ehedem von der Hexe des Westens bewohnt worden war. Der Blech-Holzfäller, den ein Falke von der Ankunft der Jenny in Kenntnis gesetzt hatte, wartete mit seinem Gefolge am Rande einer Wiese. Eilends überquerte er sie nun und erreichte das Flugzeug, als der Propeller zum Stillstand kam. Hank und der Monarch von Oz kletterten aus der Maschine. Der Holzfäller jedoch überging die traditionellen Begrüßungen und Umarmungen und sprudelte eine Botschaft hervor. »Ein Bote von Glinda teilt uns mit, wir sollten so schnell wie möglich kommen. Die Invasion könne früher als erwartet stattfinden. Wir sollen uns deshalb unverzüglich auf den Weg machen.« Niklaz Sa Kapy ar (Nikolaus der Holzhacker — »Kapper«) hatte nicht viel Ähnlichkeit mit den Illustrationen, die Denslow und Neill von ihm angefertigt hatten. Der Trichterhut fehlte, und seine Schädeldecke war aus Wellblech, eine Nachahmung des lockigen Haars, das er einst besessen hatte. Seine Nase war nicht der komische, lange, dünne Zylinder, und der Unterkiefer war kein separates, mit Scharnieren befestigtes Teil. Das Gesicht war eine lebendige Maske aus Blech mit den Zügen eines jungen Mannes mit großen abstehenden Ohren, breit und eckig, mit buschigen Brauen, tiefliegenden Augen, einer Stupsnase, einem breiten Mund (den der Handwerker, der das Ganze angefertigt hatte, zu einem Grinsen verzogen hatte), und einem ausgeprägten, tief eingekerbten Kinn. Die Augen waren früher einmal aufgemalt gewesen, aber inzwischen hatte man sie durch blaues Glas ersetzt. Der Kopf saß auf einer horizontalen Scheibe über dem
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dicken kurzen Hals, so daß Niklaz ihn um dreihundertsechzig Grad drehen konnte, wenn er wollte. Auf seiner breiten Brust waren blecherne Brustwarzen und Haar aus Stahlwolle festgeschweißt. Auch ein Nabel war angedeutet. Auf den Bildern in Baums Büchern waren Arme und Beine mit dicken Eisenstiften am Rumpf befestigt, und die Gelenke waren auf ähnliche Weise konstruiert. Der echte Blechmann hingegen hatte Gelenke, die denen einer Ritterrüstung glichen, und Arme und Beine waren nicht flach, sondern rund wie bei einem Menschen. Er bewegte sich zwar weniger unbeholfen, als es Baums Blechmann zwangsläufig hatte tun müssen, aber anmutig oder behende war er dennoch nicht. Wie Denslows und Neills Blechmann trug er keine Kleider. Aber sein Erschaffer hatte die Geschlechtsorgane weggelassen. Eine Krone trug er nicht, aber das war auch nicht notwendig. Es gab nur einen wie ihn im ganzen Land, und jeder wußte, daß er der König des Westlandes war. Allerdings trug ein Diener das Sy mbol für Amt und Gestalt: Die Blechaxt. Jetzt, da der König seine Botschaft verkündet hatte, umarmte er die Vogelscheuche. Sie versicherten einander, wie erfreut sie über das Wiedersehen seien. Jeder erkundigte sich nach der Gesundheit des anderen (was Hank komisch fand, da die beiden ja doch nie krank wurden), und dann wurde Hank von der Vogelscheuche vorgestellt, was ebenfalls unnötig war, da seine Identität offenkundig war. Der blecherne Holzfäller sprach mit einer ebensolchen Phonographenstimme wie sein ausgestopfter Freund. Er erklärte, er sei erfreut, ihn kennenzulernen, und dann wiederholte er Glindas Botschaft. »Ich hatte gehofft, ihr könntet eine kleine Weile in meinem Palast verbringen«, sagte er. Sein rechter Arm drehte sich ein wenig, um auf die düsteren Steinmassen auf dem Gipfel eines Hügels zu deuten. »Aber nun müssen wir uns sofort aufmachen.« Hank antwortete, daß sie starten könnten, sobald er aufgetankt, den Ölstand überprüft und das Flugzeug auf lose Drähte und Lecks untersucht hätte. Eine halbe Stunde später saßen die beiden Könige im vorderen Cockpit. Hank und Ot stiegen hinten ein, der Vergaser wurde mit Äther gefüllt und der Propeller angeworfen. Der Motor hustete, sprang an und röhrte auf. Sie rollten zum hinteren Ende der Wiese, und dann erhob
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sich die Jenny in südöstlicher Richtung. Das unebene Gelände wurde immer hügeliger und wurde schließlich zu einem Gebirge. Hank flog zwischen den Bergen hindurch; viele von ihnen waren über viertausend Meter hoch. Die Sonne war hinter Wolken verschwunden. Zumeist folgte Hank einem breiten, gewundenen Flußlauf am Grunde eines Canyons, aber manchmal dirigierte Ot ihn durch Pässe, um die Strecke abzukürzen. Sie waren seit anderthalb Stunden in der Luft, als Ot sagte: »Jetzt nach rechts, in diesen Paß. Das erste Tankdepot liegt zwei Meilen weit abseits des Flusses.« »Gut«, meinte Hank. »Ich möchte nicht in einen Sturm geraten.« Er zog die Jenny nach oben und aus dem Canyon hinaus. Er überflog den Rand und dann ging es in leichtem Sinkflug über abfallendes Gelände. Sie befanden sich zirka tausend Fuß hoch über dem Boden, als Ot plötzlich zu schreien begann. »Großer Gott!« »Was ist los?« fragte Hank. Er sah keinen Grund zur Aufregung. »Falken!« schrie Ot. »Ungefähr fünfzig! Direkt vor uns!« Hank konnte immer noch nichts entdecken. »Was ist mit ihnen?« »Sie kommen geradewegs auf uns zu. Sie können nichts Gutes im Sinn haben. Es muß ein Überfall sein. Sie gehören zu Erakna, darauf möchte ich wetten. Sie hat sie hergeschickt, damit sie uns angreifen. Damit kann sie uns vernichten, sie kann zwei ihrer ärgsten Feinde töten, kann dich töten und das Flugzeug zerschellen lassen. O mein Gott!« Jetzt sah auch Hank den Schwärm von Punkten vor sich. Er schaute nach hinten und fluchte. »Sieht aus, als waren noch einmal so viele hinter uns.« »Siehst du! Ich hab's dir gesagt. Es ist ein Hinterhalt. Was tun wir jetzt?« Der Plan der Falken war gut. Die Jenny flog zwischen zwei steilen Bergflanken, die über dreitausend Meter hoch aufragten. Zu beiden Seiten waren etwa vier Meilen zum Manövrieren, aber sie konnten nicht umkehren und den Falkenschwarm, der von hinten nahte, durchbrechen. Vielleicht könnten sie ihnen entkommen, aber der Treibstoff würde ausgehen, ehe sie die nächste Tankstation erreicht hätten. Hank mußte nach Westen fliegen. Er begann mit dem Steigflug. Er konnte nicht schneller als die Falken an Höhe gewinnen und dann über sie
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hinwegfliegen. Aber er würde Platz zum Manövrieren brauchen. Er hatte keine Lust, in eine Bergflanke zu rasen, während er versuchte, seinen Angreifern auszuweichen. Er hob den Kopf und erschrak. Es schienen mehrere hundert Punkte zu sein, die da mit schrecklicher Geschwindigkeit auf sie herabstießen. Bald waren sie als Falken zu erkennen, die mit zweihundert Meilen pro Stunde erdwärts rasten. »O Gott, wir sind erledigt«, stöhnte Ot. »Heilige Marzha, Mutter der Gnade, rette mich! Heilige Nantho, Mutter der Falken, beschütze mich!« »Und was ist mit uns ?« schrie Hank. »Kannst du nicht auch für uns ein Gebet sprechen?« Und dann — »Was zum Teufel... ?« Die Falken über ihnen hatten ihren Sturzflug leicht abgebremst und teilten sich jetzt auf! Eine Gruppe flog den von vorn herannahenden Falken entgegen, die andere nahm Kurs auf den Schwärm hinter dem Flugzeug. Ot kreischte vor Entzücken. »Sie müssen Glinda gehören! Sie hat von Eraknas Hinterhalt erfahren und auch einen Hinterhalt vorbereitet.« Hank hoffte, daß es so war. Er wünschte sich auch, Glinda hätte ihn vorgewarnt, so daß er eine andere Route hätte einschlagen können. Aber vielleicht hatte sie nicht genug Zeit gehabt. Hank beendete den Steigflug und drückte die Nase der Jenny ein wenig herunter, bevor er wieder geradeaus flog. Er öffnete die Drosselklappe ganz. Er würde so schnell fliegen müssen, wie er konnte, wenn er den Pulk des herannahenden Feindes durchbrechen wollte. Der Höhenmesser zeigte, daß er sich fast tausend Fuß hoch über dem Erdboden befand, das hieß, fünftausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel, und dies wiederum bedeutete, daß die Maschine nicht ihre volle Leistung entfalten konnte. Sie brauchte mehr Sauerstoff. Seine Bodengeschwindigkeit betrug nur noch sechzig Meilen pro Stunde. Und dann war die Jenny inmitten einer Wolke von Falken. Zehn Sekunden zuvor waren Glindas Vögel wie gefiederte Blitze auf den Feind herabgestoßen. Etwa fünfzig waren zu ihm unterwegs gewesen, und jetzt war es nur mehr ein Dutzend. Diese aber trachteten ihm nach dem Leben, und sie verringerten ihr Tempo, um sich dem seinen anzupassen. Sie wollten offenbar versuchen, die Jenny zu entern, als seien sie Piraten. Die Vogelscheuche und der Holzfäller hatten ihren Sicher-
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heitsgurt abgelegt und waren aufgestanden. Der Winkie-König hielt seine Axt in die Höhe, bereit, auf die Angreifer einzuschlagen. Der Ozianer wedelte mit den Armen, als könne er die Vögel damit vertreiben, aber vielleicht gab er auch nur seiner Angst Ausdruck. Hank fluchte; er brüllte sie an, sich hinzusetzen und wieder anzuschnallen, denn er konnte keine plötzlichen Manöver machen, ohne daß die beiden aus dem Flugzeug gefallen wären. Aber dann fiel ihm ein, daß er es wohl doch tun könne. Die Vogelscheuche würde fast ebenso sicher landen, wie wenn sie einen Fallschirm trüge. Der Blechmann würde zerbeult und verbogen sein, und vielleicht würden Gliedmaßen und Kopf abbrechen, aber das würde sich reparieren lassen. Aber er hatte weder Zeit noch Platz für Sturzflüge, Loopings, Rollen, Immelman ns und was es sonst noch so gab. Und selbst wenn er welche gehabt hätte, wäre er die Falken damit nicht losgeworden. Ein Falke landete auf der oberen rechten Tragfläche und schlug seine Klauen in die Textilbespannung. Sie zerriß, der Vogel verlor den Halt und schoß, kreischend vor Wut und Frustration, an Hank vorbei. Einem anderen Falken gelang es, die Windschutzscheibenkante des vorderen Cockpits zu umklammern. Niklaz' Axt blitzte auf, und der Falke war in zwei Teile gespalten. Blut sprühte über Windschutzscheibe und Cockpit und besudelte auch die Windschutzscheibe des hinteren Cockpits. Plötzlich war Hank die Sicht nach vorn genommen. Aber das war im Augenblick nicht weiter schlimm. Es gab einen Stoß, ein Ruck durchfuhr das Flugzeug, und es wurde merklich langsamer. Federn wirbelten vorüber, Fleischstücke und ein abgetrennter Kopf mit funkelnden Augen. Das Flugzeug begann zu schütteln und zu beben. Das Dröhnen des Motors klang plötzlich eigenartig. Mindestens einer der Falken war in den wirbelnden Propeller geraten. Die Vibrationen wurden stärker, und das Flugzeug begann zu bocken. Hank fluchte wieder und stellte die Zündung ab. Sofort stand der Propeller still, und man sah, daß der äußere Teil eines Blattes abgebrochen war. »Was ist? Was ist passiert?« kreischte Ot. »Wir müssen im Gleitflug landen«, antwortete Hank. Er brauchte jetzt nicht mehr zu schreien, denn das
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einzige Geräusch, das man noch hören konnte, war das Singen des Windes in den Drähten, die die Tragflächen mit dem Rumpf verbanden, und das ferne Geschrei der kämpfenden Falken. Er schaute nach hinten. Glindas Sturzbomber hatten zwei Drittel der feindlichen Schwärme zur Strecke gebracht, aber die Überlebenden setzten sich verbissen zur Wehr. Er blickte rechts und links zur Erde hinunter. Zwei Meilen weit voraus lag die geräumige, leicht geneigte Wiese, die sein erster Landeplatz auf dem Heimflug hatte sein sollen. Sie war es immer noch. Zum Glück war der Wind nicht stärker geworden, und Böen gab es kaum. Die beiden im vorderen Cockpit schrien jetzt aufgeregt durcheinander. Sie wollten wissen, was nun geschehen würde. Hank rief ihnen eine Antwort zu, aber der Wind trug seine Worte davon, und so schickte er Ot mit einer Erklärung nach vorn. »Und dann bleib bei ihnen oder steig aus«, sagte er. »Mir ist gleich, was du tust. Verschwinde nur aus meinem Cockpit. Ich brauche so viel Platz, wie ich bekommen kann.« Ot begab sich nach vorn, um sich ihres Auftrags zu entledigen. Die beiden setzten sich wieder, und die Falkin tat, was in diesem Augenblick das Vernünftigste war! Sie flog davon. Der Wind kam heute aus Westen. Hank glitt so steil hinein, daß die Jenny nicht absacken konnte, aber wiederum nicht so schnell — hoffte er —, daß der Landeplatz nicht lang genug wäre. Er überflog die Wiese, legte sich auf die Seite, überflog sie nochmals und kam zurück. Die Räder rissen Blätter von den obersten Zweigen eines Baumes. Als er das Gehölz hinter sich gelassen hatte, ließ er die Jenny seitlich absacken, damit sie rascher an Höhe verlöre. Er hatte gerade noch Zeit genug, sie wieder geradezurichten, bevor die Räder den Boden berührten. Das Flugzeug prallte ab, hüpfte, landete auf Rädern und Schwanzkufe, sprang wieder hoch, landete hart, holperte ein wenig — und dann huschten Gras und Blumen der Wiese unter ihnen dahin, und die Bäume vor ihnen nahten mit rasender Geschwindigkeit. Bremsen hatte er nicht; er konnte nur hoffen, daß die Jenny rechtzeitig zum Stehen ko mmen würde. Und das tat sie, unter den Ästen eines Baumes, die Propellernase nur wenige Zoll von einem dicken, grauschwarzen Baumstamm entfernt. Eine Weile saß Hank einfach da und sagte nichts. Allmählich normalisierten sich Atmung und Herzschlag
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wieder. Auch die beiden im vorderen Cockpit schwiegen. In der Ferne rollte der Donner, und man hörte die Rufe der Männer, die vom Lager herbeigeeilt kamen. Ot landete auf dem Cockpit, und er erschrak. »Eine schlechte Landung für einen Falken!« schrie sie. »Aber für einen Menschen wohl nicht so übel, wie?« »Nein, wenn man die Umstände bedenkt, war sie recht ordentlich«, meinte Hank. Die Vogelscheuche stand auf und drehte sich um. Sie hatte Blutspritzer im Gesicht, und die Spitze einer Feder klebte an ihrem gemalten Mundwinkel. Das Gesicht grinste immer noch, aber die Stimme zitterte. »Kommt so etwas oft vor?« »Exakt so etwas ist noch nie passiert«, sagte Hank. »Aber ich war schon in schlimmeren Situationen. Und auf der Erde haben wir Piloten ein Sprichwort: Solange du noch weggehen kannst, war es eine gute Landung. So gesehen war diese hier ausgezeichnet.« Regentropfen fielen herab, sanft und vereinzelt zunächst, aber bald goß es in Strömen. Die Vogelscheuche suchte Schutz unter einer Tragfläche. Wenn sie sich mit Wasser vollsog, wurde sie schwer und langsam. Den Blech-Holzfäller störte der Regen nicht. Im Gegensatz zu dem, was Baum erzählt hatte, rostete er nicht. Es war nichts als eine hübsche Idee, die Baum sich ausgedacht hatte, wie auch seine Erzählung davon, wie der Holzfäller weinte und wie seine Gelenke von den Tränen einrosteten. Niklaz hatte keine Körperflüssigkeiten und auch keine Tränendrüsen. »Glinda muß benachrichtigt werden«, sagte Ot. »Ich werde einen Boten besorgen, wenn es hier einen gibt. Gibt es etwas Besonderes, was du ihr mitteilen willst?« »Ja. Wir werden uns vielleicht um drei Tage verspäten. Womö glich dauert es auch noch länger. Ich brauche einen neuen Propeller. Außerdem muß ich die Propellerwelle ausbauen und nachsehen, ob sie verbogen ist. Wenn ja, dann muß sie gerichtet werden. Und wenn es so weiterregnet, können wir sowieso nicht fliegen. Wir können erst wieder starten, wenn die Reparaturen durchgeführt sind und sich das Wetter gebessert hat.« »Ich werde dafür sorgen, daß sie diese Nachricht erhält«, sagte Ot und flatterte davon. Inzwischen waren die Männer angekommen. Es waren wilde Erscheinungen. Ihr Haar reichte ihnen bis zur Hüfte, und ihre Barte sprossen wie Waldpilze. Ihre Kleider waren
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verschlissen, zerrissen und schmutzig, und sie starrten von Dolchen, Schwertern, Speeren und Äxten. Nach dem, was Niklaz vor dem Start erzählt hatte, waren diese Männer Gesetzlose. Glinda hatte mit Hilfe von Falken Kontakt zu mehreren Gruppen dieser »wilden Männer«, wie man sie n annte, aufgenommen. Sie hatte ihnen Straffreiheit versprochen, wenn sie sich bereitfänden, als Guerillas für sie zu kämpfen. Sie hatten die Tankstation in den Bergen eingerichtet. Nach dem Abflug würden sie nordwärts wandern, heimlich die Gillikingrenze überschreiten und die Bürger dort terrorisieren, oder sie würden, falls die Gillikins bereits eingefallen wären, ihre Truppen mit Überfällen verunsichern. Ot machte Hank mit den Anführern der Bande bekannt, die genau vierzig Mann zählte. Kannst mich Ali Baba nennen, dachte Hank. Vierzig Räuber, so ist es richtig. Die Leute sahen aus, als seien sie geradewegs aus Tausendundeiner Nacht gekommen — oder als hätte man sie dort hinausgeworfen, weil sie zu schmutzig waren. Noch nie, fand Hank, hatte er eine Bande von solchen Strauchdieben gesehen. Nicht einmal auf der Wall Street. Die beiden, die seine besondere Aufmerksamk eit erregten, hießen Sharts der Hemdlose und Blogo die Seltene Bestie. Sharts war ein Riese unter seinesgleichen, so groß wie Hank mit seinen hundertfünfundachtzig Zentimetern und dabei breiter und muskulöser — ein »Würger« Lewis, ein gutaussehender allerdings, der einzige in der ganzen Meute, der glattrasiert war. Er hätte für eine Reklameanzeige posieren können. Sein dichtes, welliges Haar war rot wie die untergehende Sonne. Seine Augen blickten sonderbar und beunruhigend, sie waren purpurfarben und mit Aquamarin gesprenkelt, und ein Hauch von Wahnsinn glitzerte in ihnen. Er hatte die Angewohnheit, tonlos vor sich hinzupfeifen, wenn er allein war oder wenn jemand mit ihm sprach. Dies sollte Hank noch beträchtlich irritieren, aber im Augenblick hielt er es nur für eine exzentrische Marotte. Hank wußte nicht, wie Sharts zu seinem Beinamen gekommen war. Er trug ein bronzefarbenes Samthemd, das ihn — oder den Mann, dem er es geraubt hatte — eine Stange Geld gekostet haben mußte. So unheimlich dieser Riese auch aussehen mochte, verglichen mit Blogo war er eine Kerze neben einem Scheinwerfer. Hank wußte nach dem ersten Blick, daß die
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Vorfahren dieser Kreatur nicht von der Erde stammten. Blogos Kopf war affenähnlich, jedoch von einem dicken, fleischig-roten Hahnenkamm gekrönt. Seine Nase war lang und zy linderförmig und endete in einer dicken Knolle. Sein langes, rostbraunes Haar bildete am Hinterkopf einen Wirbel, der das dort befindliche dritte Auge umgab. Die vorderen Augen waren klein und hellblau und blickten arglos drein. Seine Arme wirkten zwar humanoid, aber sie waren mit dichtem, rostbraunem Fell bedeckt und reichten bis zu seinen Knien. Auch der Rumpf war humanoid, aber gleichfalls dicht behaart, und nur wenige Menschen waren so breit und besaßen so kräftige Knochen. Die Beine sahen aus wie die eines Straußenvogels, dünn, haarlos und bleich wie ein Fischbauch. Die Füße waren die eines Vogels mit fünf Zehen. Blogos Brustkasten war gewaltig, aber seine Stimme war schrill und quiekend. Sie mußte geschmiert werden, und anscheinend geschah dies nicht selten, denn an einem Schulterriemen trug er eine große Steinflasche mit einem Gemisch aus Wasser und Kornalkohol, wobei der Wasseranteil nicht der Rede wert war. Die Stimme Sharts des Hemdlosen klang wie die Baßpfeife einer Orgel! Sie war tief, troff von Honig und funkelte gleichsam von Charisma. Ohne jeden Grund empfand Hank plötzlich Eifersucht. Wie würde Glinda reagieren, wenn sie diesen Burschen je zu Gesicht bekäme? Und er war froh, daß hier salutiert wurde und man einander nicht die Hände zu schütteln brauchte. Dieser Mann hätte ihm wahrscheinlich die Hand zu Brei zerquetscht und noch seinen Spaß daran gehabt. »Sogar wir in unserer Bergfestung haben von dir gehört«, sagte Sharts. »Der legendäre Erdenmann. So groß, wie unsere Vorfahren waren. Keiner von uns jedoch ist dem Himmel so nahe wie Thago der Ungnädige, Eraknas Leibwächter und Liebhaber. Er prahlt damit, der Größte und Stärkste weit und breit zu sein. Ich hoffe nur, ich werde ihm eines Tages nahe genug kommen, um ihn auf die Probe zu stellen.« »Diesen Kampf würde ich gern sehen«, engegnete Hank. »Ich würde mich nicht mit dir messen wollen.« Sharts wirkte erfreut, aber er lächelte nicht. Er lächelte nie. »Dies« — er deutete auf Blogo — »ist mein Unterbefehlshaber und mein Busenfreund.« »Stets zu Diensten, du Freund von Glinda der Guten«, sagte Blogo. »Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, daß ich, einmal abgesehen von Sharts und vielleicht von Thago, der Zweit-
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stärkste im ganzen Lande bin. Und der Mutigste bin ich außerdem. « »Ja, er fürchtet sich vor nichts und niemandem«, bestätigte Sharts. »Ist es nicht so, Blogo?« Blogo blähte seinen Brustkorb auf, und sein Hahnenkamm schwoll an und wurde noch röter. »Ja, so ist es.« »Er fürchtet sich vor nichts und niemandem«, wiederholte Sharts. Er hielt inne und fuhr dann fort: »Nur vielleicht vor der Sehr Seltenen Bestie. Ist es nicht so, Blogo?« Hank glaubte, die Luft zu sehen, die aus Blogo entwich. Der Kamm schrumpfte, und vielleicht war es Einbildung, aber Hank kam es so vor, als erschlaffe auch die knollige Nase ein wenig. »Nun... ja.« »Wer ist denn die Sehr Seltene Bestie?« wollte Hank wissen. »Darüber möchte ich überhaupt nicht reden«, antwortete Blogo und stolzierte auf seinen Vogelbeinen davon. Hank sah ihm nach. »Gibt es hier noch mehr von seiner Sorte?« »Sprichst du von seinem Geist oder von seiner Gestalt?« fragte Sharts. »Ich rede von seiner... Art.« »Ein paar«, antwortete Sharts betrübt. »Ungefähr zwanzig sind noch am Leben. Die Spezies stirbt aus.« »Er sieht unnatürlich aus«, meinte Hank. »Das heißt, er sieht nicht aus wie ein Produkt der Natur oder wie ein Geschöpf Gottes.« »Er ist es auch nicht. Seine Vorfahren wurden — so glaube ich, und ich habe seine Herkunft gründlich studiert — von den Längst Versunkenen erschaffen.« Hank erklärte ihm nun, was zu geschehen hatte. Sharts versprach, er werde dafür sorgen, daß alles rasch und sorgfältig ausgeführt werde. »Wenn ich sage! >Los!<, dann setzt das Universum sich in Bewegung.« Hank grinste, aber er sagte nichts. Als Sharts gegangen war, meinte Ot: »Du mußt deine Launen zügeln, wenn du mit diesen Leuten umgehst. Sie mögen es nicht, wenn jemand ein loses Mundwerk hat. Es könnte geschehen, daß sie dir ohne weitere Umstände ein Messer in den Leib rennen, auch wenn sie großen Respekt vor Glinda haben. Auch solltest du mit Sharts nicht streiten. Er bildet sich ein, alles zu wissen, und er wird sehr unangenehm, wenn ihm jemand widerspricht. Und wenn Sharts unangenehm ist, dann ist er zehnmal so unangenehm wie jeder andere.« »Warum lebt er als
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Verbannter?« fragte Hank. »Vielleicht glaubst du es nicht, wenn du ihn jetzt siehst«, sagte die Falkin. »Aber früher einmal war er der größte Wissenschaftler und Arzt im ganzen Quadlingland, außer Glinda natürlich. Eines Tages erlitt einer seiner Untergebenen einen Anfall von Irrationalität, Hochmut oder Indiskretion — oder von allen dreien. Ich weiß nicht, worüber Sharts und sein Assistent stritten. Ich habe gehört, daß es darum ging, ob die Seele eine phy sikalische Einheit sei oder nicht, und wenn ja, wo sie ihren Sitz im Körper habe. Sharts behauptete, sie befinde sich im Gehirn, und man könne sie ausfindig machen und operieren, um ihre Neigungen zum Bösen zu entfernen. Der Assistent behauptete, dies sei Unsinn. Sharts verlor die Geduld und brach ihm das Genick. Dann floh er vor der Gerechtigkeit und suchte Zuflucht in den Wäldern.« »Ich will versuchen, mich zusammenzureißen«, versprach Hank. »Eine gute Idee. Sogar der Ängstliche Löwe hat Angst vor ihm.« »Und weshalb ist die Seltene Bestie hier?« »Ach, die ? Haha. So häßlich und abstoßend der Kerl auch ist, er hält sich für den größten Liebhaber der Welt. Vielleicht ist er das auch. Jedenfalls behauptet eine seiner vielen Frauen, sie sei von ih m schwanger. Das ist natürlich unmöglich. Keine menschliche Frau könnte von einer Bestie befruchtet werden. Aber sie brachte ihren Fall vor Gericht, und der buchstabentreue Richter der entlegenen Landgegend, in der sie lebten, entschied, daß Blogo sie heiraten müsse. Blogo geriet daraufhin in eine solche Wut, daß er den Richter und drei Leumundszeugen mit bloßen Händen tötete, den Gerichtssaal verwüstete und durch ein Fester entsprang. Als Glinda von dem Fall hörte, hob sie das Urteil des Richters auf, aber Blogo wird immer noch wegen Mordes gesucht.« »Ein sauberes Paar«, meinte Hank. »Solange du sie nicht verärgerst, wirst du sie als angenehme Gesellschaft empfinden«, sagte Ot. »Das heißt, wenn dich Sharts Pfeifen und Blogos Prahlen nicht stört.«
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13 Vielleicht war Sharts Stolz auf sein Wissen nicht ohne Arroganz, aber sein ausgeprägtes Talent für Mechanik war ihm nicht zu bestreiten. Er stellte so viele Fragen über das Flugzeug, daß Hank ärgerlich wurde. Aber Hank war diskret genug, seine gereizte Laune zu verbergen, und als Sharts die Prinzipien der Aeronautik und des Verbrennungsmotors verstanden hatte, war er Hank eine große Hilfe. Er assistierte ihm bei Inspektions- und Reparaturarbeiten. Er beschaffte außerdem Stoff und Leim, damit die Tragfläche, die der Falke zerfetzt hatte, wieder instandgesetzt werden konnte. Und er ließ sich von Hank die Funktion des .45er Revolvers erklären. »Wir alle hier hätten solche Waffen«, meinte er, »wenn die Zauberer und die Hexen nicht wären.« »Was soll das heißen?« fragte Hank. »Der Sprengstoff, den du Schießpulver nennst, wurde schon vor vierhundert Jahren erfunden, vielleicht noch früher. Aber die Regenten erklärten Herstellung und Benutzung für illegal. Jeder, der dabei ertappt wurde, war aufzuhängen. Die Hexen und Zauberer wollten nicht, daß jeder, der sie töten wollte, dies aus einer Entfernung von einer halben Meile tun könnte. Jeder kompetente Magier weiß es zu verhindern, daß ein Laie ihn aus einer Entfernung von einer Viertelmeile mit Pfeil und Bogen tötet. Also — kein Schießpulver, keine Gewehre. « »Aber das Farmhaus meiner Mutter fiel auf die Munchkinhexe und tötete sie.« »In diesem Falle war es eine Naturgewalt, ein Tornado, der aus dem Nichts zu kommen schien, was den Tod verursachte. Es erwischte die Hexe unvorbereitet. Außerdem ist es leicht möglich, daß Glinda die Hand im Spiel hatte.« Hank zog die Augenbrauen hoch. »Dieser Gedanke ist mir allerdings auch schon gekommen. Aber du bist doch ohnehin ein Gesetzloser. Was hindert dich daran, Pulver und Schußwaffen herzustellen?« »Die Hexen lassen mich in Ruhe, solange ich sie in Ruhe lasse. Aber wenn ich Schußwaffen hätte, säßen mir sowohl die guten als auch die bösen Hexen im Nacken wie die Elstern der Katze. Wie die Koyoten dem sterbenden Büffel.« »Ich hätte erwartet, daß ein
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Mann mit deinem Wissen und deinem Verstand Zauberer geworden wäre«, meinte Hank. »Ich bin zu bekannt, zu leicht zu identifizieren. Ich würde mir eine Meisterin oder einen Meister suchen müssen, einen Lehrer, aber sobald ich mich bei einem der großen bewerbe, bin ich gezeichnet, selbst wenn ich einen finde, der mich als Lehrling nimmt. Das überlebe ich nicht lange. Ich könnte einen kleineren Zauberer oder eine der geringeren Hexen aufsuchen, aber die könnten mich nicht lehren, was ich wissen will. Die kleinen praktizieren ohnehin illegal und werden gehängt, wenn man sie schnappt. Aber die großen Hexen neigen dazu, die geringeren zu ignorieren, weil sie keine Gefahr für sie sind.« »Was ist mit Erakna? Wie hat sie vermeiden können, daß Glinda oder die alte Nordhexe sie bemerkte?« »Sie hat es nicht vermieden. Sie hat eine Zeitlang bei Helwedo gelernt und die weiße Hexenkunst studiert. Dann erklärte sie, sie habe es sich anders überlegt und wolle nun keine Hexe mehr werden. Sie brach die Lehre ab und trat in ein Nonnenkloster im hohen Norden ein. Aber sie war eine rote Hexe geworden; das geschieht manchmal, wenn eine weiße Hexe auf die schiefe Bahn gerat, verstehst du. Dies konnte sie geheimhalten, sie harrte aus, und als Helwedo starb, schlug sie zu. Sie hat Glinda überrascht. Glaube mir, das ist nicht leicht. Aber warum hat Glinda dir erlaubt, deine Feuerwaffen zu behalten?« »Das weiß ich nicht«, sagte Hank. »Ich habe mich auch schon darüber gewundert, aber ich hielt es für besser, sie nicht zu fragen.« »Wahrscheinlich macht sie eine Ausnahme, weil sie plant, dich zu benutzen. Und du wirst nützlicher sein, wenn du deine Flugmaschine und deine Explosivwaffen noch hast.« »Das würde mich nicht überraschen«, meinte Hank. Er befragte Sharts über die rollenden Blitzkugeln, die Intelligenz der Tiere und danach, wie es komme, daß die Vogelscheuche lebendig sei. Man sah, wie Sharts innerlich mit sich kämpfte. Er verabscheute es, sagen zu müssen, daß er die Antwort auf diese Fragen nicht wisse. Es erbitterte und bewegte ihn so sehr, daß er sogar sein nervtötendes Pfeifen vergaß. Schließlich, nach ausgiebigem Grimassenschneiden, Zähneknirschen und Zucken an Nase und Ohren, und nachdem er mehrmals die Fäuste geballt und wieder geöffnet hatte, gab
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er schließlich zu, daß er es nicht wisse. Hank bewahrte sich ein ausdrucksloses Gesicht. Er wollte weder mitfühlend noch erstaunt aussehen, denn Sharts könnte beides mißfallen. »Ich habe allerdings mehrere Theorien«, sagte der Riese schwer atmend. »Aber sie sind so geartet, daß ich sie nicht im Laboratorium testen kann. Die Hexen und Zauberer behaupten, sie wüßten es nicht, aber ich denke, daß sie lügen. Sie wissen es, aber sie wollen nicht, daß das Volk es weiß.« Nach dem Modell des unbeschädigten Propellerblattes schnitzte Sharts aus einem heimischen Holz, das so leicht wie Balsa war, zwei neue Blätter für die Jenny. Drei Tage nach der Notlandung war das Flugzeug startbereit. Inzwischen hatte sich auch der Himmel wieder aufgeklart. Die Wetterfalken berichteten jedoch, daß von Westen her eine Schlechtwetterfront aufziehe, doch Hank sollte in der Lage sein, alle seine Tankstationen anzufliegen, ehe es hereinbräche. Vielleicht würde er sogar Glindas Hauptstadt noch vorher erreichen. Er bedankte sich bei den Verbannten und verabschiedete sich von ihnen. Als die Jenny sich von der Wiese erhob, winkte er ihnen zu, aber er hatte das Gefühl, daß er sie nicht zum letzten Mal gesehen habe. Als er bei der letzten Tankstation landete, brachte ihm ein Falke die neuesten Nachrichten von Glinda. Erakna hatte mit der Großinvasion begonnen. Ihre Armeen hatten die Winkies an den Grenzen überrannt und kämpften sich jetzt durch den Wald zwischen Gillikinland und Oz voran. »Was fangen wir nun an?« fragte der Blech-Holzfäller. »Wir sollten zu Hause sein und unsere Truppen anführen. Die Moral unserer Völker wird schlecht sein, wenn wir nicht an ihrer Spitze stehen.« »Glinda hat mir nicht gesagt, was wir tun sollten, falls es dazu käme«, sagte Hank. »Aber sie muß an diese Möglichkeit gedacht haben. Offenbar will sie mit Euch sprechen, was auch sonst geschehen mag.« Ein Wetterscout flog heran. Das Unwetter war immer noch hundert Meilen weit entfernt. Das Wetter ringsumher war seltsam. Es ging nicht ein Lüftchen. Die Luft war schwer wie der Bauch eines Schweines, das in den Kornspeicher gefallen war, und sie war trocken, so trocken, wie Amerika nach dem Volstead-Gesetz hätte werden müssen, wenn es nach den Prohibitionisten gegangen wäre. Als Hank mit der Hand über den Flicken am Flügel rieb, knisterten
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Funken. Die beiden Könige zeigten Unbehagen. Wenn sie mit den Augen hätten rollen könne, hätten sie es wohl getan. »Wir glauben, es ist das Beste für uns, im Lager zu bleiben, bis das Unwetter vorüber ist«, meinte der Holzfäller. »Warum? Das könnte eine Verzögerung von mehreren Tagen bedeuten«, sagte Hank. »Vielleicht sogar eine Woche. Jetzt zählt jede Sekunde.« »Wenn die Luft so trocken und so stark elektrisch ist, geschehen manchmal seltsame Dinge«, behauptete die Vogelscheuche. »Was denn zum Beispiel?« »Die kleinen Sinngeister, die Feuerfüchse, streifen dann frei umher. Die großen können die Hexen meist fernhalten, aber die kleinen entziehen sich ihrer Kontrolle, wenn sie ihnen nicht nahe sind.« »Und was bedeutet das?« »Nun, die kleinen nehmen dann manchmal Vögel oder andere Tiere in Besitz, und auch solche, die... äh... als Gegenstände geboren wurden. Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen. Nur sehr selten ergreifen sie von Menschen Besitz, wenngleich es hin und wieder vorkommen mag. Es heißt auch, wenn eine gute Hexe zu einer bösen werde, habe ein böser Sinngeist von ihr Besitz genommen. Ich kann diese Behauptung jedoch nicht bestätigen. Es gibt zu wenige Informationen darüber, als daß man entscheiden könnte, was daran wahr ist und was nicht.« »Aber sie haben recht«, meinte Ot. »Wir sollten warten, bis das Gewitter vorüber ist.« »Aber wir können daheim sein, ehe es anfängt.« »Ja, verstehst du denn nicht?« rief der Blechmann. »Es ist doch schon da! Jetzt! Die erste Welle jedenfalls. Bald wird es schlimmer werden.« »Oh, Ihr redet von der statischen Elektrizität«, sagte Hank. »Ja, natürlich.« »Er ist ein unwissender Erdenmann«, sagte die Vogelscheuche. »Du kannst nicht erwarten, daß er es begreift.« »Er muß in einer guten Welt leben«, meinte der Blech-Holzfäller, »wenn man sich dort keine Sorgen wegen der Sinngeister zu machen braucht.« Hank wurde allmählich ungeduldig. »Ich glaube nicht, daß Ihr mehr von diesen Dingen versteht als ich.«
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»Wir wissen nicht viel über sie, nein. Aber wir haben unsere Erfahrungen mit ihnen«, antwortete die Vogelscheuche sanft und ein wenig herablassend. »Also, was wollt Ihr jetzt?« fragte Hank. »Hierbleiben oder weiterfliegen? Wenn Ihr bleibt, werdet Ihr zu spät zu Eurer Besprechung mit Glinda kommen, und was noch schlimmer ist, Ihr werdet zu spät nach Hause kommen. Vielleicht werdet Ihr dann feststellen müssen, daß die Gillikins Eure Hauptstädte besetzt haben. Oder daß der Krieg vorüber ist und Ihr keine gekrönten Häupter mehr seid. Nur noch königliche Landstreicher.« »Das wäre gar kein so schlechtes Leben«, meinte der Holzfäller. »Um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht so glücklich, wie ich es sein sollte. Ein König zu sein ist harte Arbeit und sehr mühselig. Ich war viel glücklicher, als ich noch ein Holzfäller war. Das war zwar nicht so glorreich, aber auch nicht so verantwortungsvoll.« »Ich würde augenblicklich abdanken«, sagte die Vogelscheuche, »wenn mein Gewissen mich nicht zwänge, auf dem Thron zu bleiben. Das Volk braucht jemanden mit einem Gehirn, der es führen kann. Manchmal glaube ich allerdings, die Leute würden ohne mich ebensogut zurechtkommen. Das Sy stem ist nämlich so aufgebaut, daß —« »Wir haben jetzt keine Zeit zur Seelenschau«, unterbrach Hank. »Nun, vielleicht doch. Ihr stellt Eure eigene Sicherheit über Eure Sorge um Euer Volk. Königliche Feiglinge! Glaubt Ihr, Glinda hätte auch nur ein einziges Mal an die Möglichkeit gedacht, daß Ihr zu spät kommen könntet, weil Ihr Angst habt? Sie muß einen Bericht über die Wetterbedingungen hier bekommen haben. Aber hat sie Euch eine Botschaft gesandt, daß Ihr warten sollt, bis die Gefahr — falls eine existiert — vorüber ist? Nein, das hat sie nicht getan.« »Du verstehst einfach nicht«, versetzte die Vogelscheuche. »Du würdest nicht starten, wenn wir jetzt ein Gewitter hätten. Warum sollen wir dann Weiterreisen, wenn wir uns einer Gefahr gegenübersehen, die ebenso groß ist wie ein Unwetter —nein, viel gefährlicher noch.« Hanks Ärger wuchs. »Ich werde in ein paar Minuten starten. Falls Ihr beschließen solltet, hierzubleiben, kann man nichts machen. Ich werde Glinda dann erklären müssen, was geschehen ist.« Vogelscheuche, Blech-Holzfäller und Falkin stöhnten auf. Widerwillig kletterten die drei in ihre Cockpits. Zum ersten
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Mal schnatterte Ot nicht unablässig. Sie schnatterte überhaupt nicht. Sie wirkte sehr bedrückt. Hank hätte seine Freude daran gehabt, wenn er nicht allmählich ein schlechtes Gewissen verspürt hätte. Vielleicht hatten sie tatsächlich gute Gründe, nicht zu fliegen. Wenn das, was sie befürchteten, einträfe, würde er die Verantwortung tragen müssen. Andererseits war es ratsam, unverzüglich weiterzufliegen, ganz gleich, welche Gefahren ihrer harren mochten. Er begann sich zu wünschen, das Gewitter hätte sie eingeholt. Dann hätten alle einen Grund gehabt, nicht zu fliegen. Wenn jedes Wenn ein Tropfen Wasser gewesen wäre, wären längst alle ertrunken. Die Tankstation lag etwa zehn Meilen weit hinter ihnen und sie flogen in einer Höhe von fünftausend Fuß zwischen zwei Bergen dahin, als eine Art St.-Elms-Feuer das Flugzeug umhüllte. Nadeln aus statischer Elektrizität erhoben sich von allen Ecken. Als Hank den Steuerknüppel losließ, züngelte eine Flamme zwischen dessen Ende und seinem Handschuh. Aus den Köpfen der beiden im vorderen Cockpit sprühte blaues Feuer, und den Propeller umgab ein flammender Kreis, ein St.-Kathrins-Rad. Flammen liefen auch an den Drähten zwischen den Tragflächen auf und ab. Ot kauerte sich neben Hank auf den Sitz und stöhnte, und dann schob sie den Kopf unter einen Flügel. »Es kann uns nichts tun!« rief Hank. Niemand konnte ihn hören, aber er brauchte jetzt ein wenig tröstenden Zuspruch, auch wenn er ihn sich selbst gab. Er schrak auf, als das Feuer an der rechten Tragfläche an der Spitze zusammenlief und sich dort zu einer knapp halbmeterdicken Kugel formte. Die Kugel rollte auf der rechten oberen Tragfläche hin und her. Dann sprang sie hinüber zur linken oberen Tragfläche und sammelte dort das Feuer in sich. Hank senkte die linke Tragfläche ab, in der Hoffnung, die Kugel werde herunterfallen. Aber das tat sie natürlich nicht. Die Vogelscheuche und der Holzfäller waren verschwunden. Anscheinend duckten sie sich so tief wie möglich in ihr Cockpit, um nicht entdeckt zu werden. Als ob die Kugel sie sehen könnte! Jetzt rollte die Kugel über die obere Tragfläche nach innen. Für einen Moment hielt sie an der Innenkante der Tragfläche oberhalb des vorderen Cockpits inne. Hank beobachtete sie und verfluchte sich dafür, daß er auf dem Flug bestanden hatte. Er hatte Angst, zum Teil schon deshalb, weil er hilflos
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war und nicht wußte, was es mit diesem Ding auf sich haben mochte. Plötzlich machte die Kugel einen Satz — eine feurige Granate, abgeschossen von einer unsichtbaren Kanone. In einem Bogen überflog sie das vordere Cockpit und landete auf Hanks Windschutzscheibe. Er starrte in das grelle Licht und konnte durch das Gleißen hindurch die Kante der oberen Tragfläche und den klaren Himmel dahinter erkennen. Die Vorstellung, das Ding lande auf seinem Kopf, umschließe ihn und explodiere dann, war so stark, daß er fast glaubte, es sei tatsächlich geschehen. Er schrie angstvoll auf, und erschrocken zuckte Ots Kopf unter dem Flügel hervor. Sie kreischte, sprang in die Höhe und entfaltete ihre Schwingen: Sie verließ das Schiff. Die Kugel schoß empor und jagte schräg an Hank vorbei. Er verdrehte den Kopf, um ihr nachzublicken, aber sie war schon verschwunden. Wohin? Ot verschwand in der Ferne, ein dunkler Punkt unter ihm, der immer kleiner wurde. Aber sie flatterte nicht mehr. Ihre Flügel waren zum Gleitflug ausgebreitet. Hank empfand Erleichterung, bis ihm bewußt wurde, daß er seine Führerin verloren hatte. Aber die Frage, wie er nun den Rückweg finden sollte, war nicht seine einzige Sorge. Wieder war das Flugzeug von den unheimlichen Flammen umhüllt. Eine zweite Feuerkugel bildete sich, diesmal an der linken Flügelspitze. Sie rollte auf der Tragfläche umher und sog die statische Elektrizität in sich auf, bis sie auf der anderen Seite angelangt war. Dann rollte sie zurück und verharrte wie die vorige über dem vorderen Cockpit. Hank zog seinen .45er Revolver aus dem Halfter und feuerte auf das Ding. Er glaubte nicht, daß das Projektil etwas bewirken würde. Erstens war es aus Blei und nicht aus Eisen, und zweitens war es nicht geerdet, selbst wenn es Eisen gewesen wäre. Und wie er es erwartet hatte, ließ sich die Feuerkugel nicht beirren. Sie zu beschießen bewirkte nichts, aber er hatte wenigstens das Gefühl, etwas zu unternehmen, um sich zu schützen, auch wenn es in Wirklichkeit nicht so war. Er sah, wie sich der Blechkopf des Holzfällers vorsichtig über den Rand des Cockpits erhob und dann hastig zurückgezogen wurde. Hank preßte sich mit dem Rücken gegen seinen Sitz. So schnell, daß er nicht einmal einen verwischten
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Lichtstreifen geschert hatte, war die Kugel von der Tragfläche auf seine Windschutzscheibe gesprungen. Er schoß noch einmal auf den Feuerball — besser gesagt, er schoß hindurch. Der Ball blieb unversehrt, aber die Bespannung der oberen Tragfläche hatte ein kleines Loch. »Es wird nicht in mich eindringen«, sagte Hank laut. »Sie haben gesagt, daß.es Menschen in Ruhe läßt. Meistens jedenfalls.« Aber wenn es nun ein ganz gewöhnlicher Kugelblitz war, wie er auch auf der Erde vorkam? Er könnte auf ihm landen und zerplatzen, er könnte ihn verbrennen oder sein Nervensy stem kurzschließen, so daß er wahnsinnig würde. Er hatte schon gelesen, daß Kugelblitze solche Wirkung auf Menschen gehabt hatten. Die Kugel war verschwunden. Aber da war sie wieder! Jetzt saß sie auf der Kante der vorderen Windschutzscheibe. Der Blech-Holzfäller erhob sich, bis sein ganzer Oberkörper sichtbar war. Offenbar stand er auf dem Sitz. Seine Axt reckte sich in die Höhe, umklammert von zwei Händen. Hank wartete auf die Explosion. Sie kam nicht. Wie von einer unsichtbaren Hand fortgerissen, schoß die Kugel nach vorn und schien im Motor zu verschwinden. Einen Augenblick später waren alle elektrischen Phänomene verschwunden. Weit hinten am Horizont jagte die schwarze Gewitterfront auf sie zu.
14 In den Bergen konnte die Jenny den Wolken entkommen, nicht aber dem Wind. Er mußte sie in hügeligem Gelände auf den Boden bringen. Er fand eine Hochlandfarm und landete dort in starkem Gegenwind auf einer Wiese. Als er auf eine Scheune zurollte, wurden die rechten Tragflächen von einer Bö angehoben. Die linken senkten sich, und die Spitze der unteren hätte
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so schnell über den Boden gekratzt, daß er keine Zeit mehr gehabt hätte, das Flugzeug mit dem Ruder wieder auszurichten. Aber die Spitze berührte den Boden nicht, und so wurde auch die Bespannung nicht zerrissen und der Rahmen nicht verbogen. Die linke Seite hob sich und das Flugzeug rollte wieder auf beiden Rädern. »Glück gehabt«, murmelte Hank. Eine Windbö mußte die linke Tragfläche erfaßt und die Maschine aufgerichtet haben. Er war fast, als hätte die Jenny es selbst getan. Die Bauersleute kamen aus dem Haus gerannt. Sie rissen die Augen auf und winkten. Sie hatten noch nie von dem Erdenmann und seiner Flugmaschine gehört, und sie hatten Angst; sie wußten nicht, ob das Ding ein Drachen aus dem Märchen oder das Fahrzeug eines Zauberers war. Aber die Vogelscheuche und den Blech-Holzfäller kannten sie. Die beiden beruhigten die Bauern, und diese fanden sich daraufhin bereit, die Jenny in eine große Gemeinschaftsscheune zu schieben. Hank zurrte sie fest, und dann gingen alle ins Haus. Wenige Minuten später brach das Unwetter mit Blitz, Donner und Regen los. Hank saß auf mehreren Kissen am Boden, und die Gastgeber servierten ihm Essen und Trinken. Die Anwesenheit der beiden Könige und des Riesen, der unter Glindas Schutz stand, erfüllte sie mit Ehrfurcht und Freude. Mit einem üppigen, wenn auch fleischlosen Mahl und einer halben Flasche Wodka im Bauch wünschte Hank den Bauern eine gute Nacht und ging in die Scheune, um sich schlafen zu legen. Seine beiden Passagiere begleiteten ihn. In einem Stall im Innern der Scheune ließ Hank sich ins Heu sinken. »Euer Polierte Hoheit«, sagte er zu dem blechernen Holzfäller, »ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, Euch zu fragen, wie Ihr an Eure... äh... gegenwärtige Gestalt gekommen seid. Ich weiß, was Ihr meiner Mutter erzählt habt; danach wart Ihr in ein junges Mädchen verliebt, aber ihre Mutter wollte nicht, daß ihre Tochter einen Holzhacker heiratete. Sie wollte, daß sie die Frau eines reichen Bauern und Ratsherrn würde, obwohl dieser fünfzehn Jahre älter war als das Mädchen. Aber die Tochter zog Euch vor. Deshalb veranlaßte die Mutter eine niedere Hexe, eine alte Frau namens Mombi, Euch zu verzaubern. Stimmt die Geschichte bis dahin?« Der Winkie-König seufzte. »Das ist die Geschichte, die ich deiner Mutter erzählt habe.« »Ist diese Mombi dieselbe, die sich mit Erakna verbündet
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hat?« »Ja. Allerdings ist >verbündet< nicht der richtige Ausdruck. Mombi ist eine Untergebene. Sie steht nicht auf einer Stufe mit Erakna.« »Okay , verstehe. Dann, sagte meine Mutter, habt Ihr ihr erklärt, wie der Zauber funktionierte: Zuerst glitt Eure Axt beim Holzhacken ab und trennte Euch den rechten Fuß ab.« »So habe ich es deiner Mutter erzählt.« »Aber Ihr ließet Euch einen künstlichen Fuß anfertigen und arbeitetet weiter als Holzfäller. Und die Tochter bestand immer noch darauf, Euch zu heiraten.« »Dies waren meine Worte.« »Die, Axt glitt ein zweites Mal ab und hackte Euch das rechte Bein ab.« »Auf halber Höhe des Schenkels. Da wußte ich, daß diese >Unfälle< keine Unfälle gewesen waren. Wie konnte eine Axt so etwas fertigbringen? Jemand mußte sie geführt haben, eine Hexe oder ein Zauberer. Ich wußte, daß mir jemand Böses wünschte, und es dauerte nicht lange, bis ich wußte, wer es war. Ich beschuldigte die Mutter, aber sie stritt alles ab. Da ging ich zur alten Mombi und bezichtigte sie, aber auch sie leugnete. Ich wäre ja zur Polizei gegangen, aber da die Mutter die Anstifterin gewesen war, hätte man sie zusammen mit der alten Mombi gehängt, und das hätte meine Geliebte nicht ertragen. Sie bat mich, nicht zur Polizei zu gehen, und versprach mir, sie werde ihre Mutter überreden, Mombi Einhalt zu gebieten. Außerdem wollte sie mich unverzüglich heiraten, und dann bestehe ohnehin kein Grund, den Zauber weiterhin aufrechtzuerhalten. Ich erklärte mich einverstanden, kein weiteres Aufheben von der Sache zu machen.« »Warum wäre Mombi denn hingerichtet worden?« wollte Hank wissen. »Die Munchkins wurden damals von der Osthexe regiert. Ihr konnte es doch gleichgültig sein, ob es andere rote Hexen gab oder nicht.« »Falsch. Sie wollte keine Konkurrenz, weder rote noch weiße.« »Baum schrieb, die Mutter der Frau sei zur Osthexe gegangen und habe ihr zwei Schafe und eine Kuh versprochen, wenn sie verhinderte, daß Ihr ihre Tochter heiratetet. Das ist nicht das, was Dorothy ihm erzählt hatte, aber entweder hatte er die Einzelheiten des Falles vergessen oder er hatte es für richtig gehalten, die Geschichte zu verändern und zu vereinfachen. Ohnehin hätte die Osthexe sich nicht mit zwei Schafen und einer Kuh bestechen lassen; das wäre ein allzu dürftiger Preis gewesen. Außerdem kann man Tiere nicht
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einfach fortgeben, wie wir es auf der Erde tun. Sie haben Rechte. Das hatte Baum übersehen. Und wenn die Osthexe Euch hätte loswerden wollen, hätte sie Euch getötet und sich nicht auf diesen Quatsch mit der schrittweisen Amputation eingelassen.« »Es war Mombi, nicht die Osthexe, die mich mit dem Zauber belegte«, sagte der Holzfäller. »Aber der Osthexe hätte dieser — wie du es nennst — >Quatsch mit der schrittweisen Amputation< viel Spaß gemacht.« »Bei Baum heißt es, daß die Axt beim ersten Mal, als der Zauber wirkte, abglitt und Euch das Bein abtrennte. Daraufhin, geht es weiter, habt Ihr Euch zu einem Blechschmied begeben und Euch ein neues Bein aus Blech anfertigen lassen. Aber wie hätte der Blechschmied das Bein an Eurem Körper befestigen können? Mit einem Nagel durch den Hüftknochen? Selbst wenn das möglich wäre, könntet Ihr das Bein nur mit einer Krücke benutzen. Und es wäre nutzlos gewesen, da es im Knie eingeknickt wäre. Ihr hättet damit nicht gehen können, gar nicht zu reden vom Holzhacken und Tragen.« »Ich finde es bewundernswert, wie du dein Gehirn benutzt, Hank«, meinte die Vogelscheuche. »Du hast einen logischen Verstand.« »Ich danke Euch, Väterchen. Nun, Baum schrieb weiter, daß der Verlust des Beines Euch nicht daran hindern konnte, weiterzuarbeiten und dem Mädchen den Hof zu machen. Aber die Osthexe hob den Zauber nicht auf, und die Axt hackte Euch das rechte Bein ab. Sehr sauber, aber gleichwohl schmerzhaft, möchte ich meinen. Wie habt Ihr diese Amputationen überleben können? Ihr wart allein im Wald, als die >Unfälle< geschahen. Ihr müßt viel Blut verloren haben. Es ist ein Wunder, daß Ihr nicht gestorben seid. Wer hat Euch gefunden, die Blutung mit einer Aderpresse gestillt und Euch zum Arzt geschafft? Und wie lange wart Ihr im Krankenhaus?« Der Winkie-König antwortete nicht. »Und dann — immer noch nach Baums Version — hackte die Axt Euch die Arme ab, einen nach dem anderen. Mit den Worten >einen nach dem anderen< muß er gemeint haben, daß zwischen dem Abtrennen des einen und dem des anderen Arms eine beträchtliche Zeit verstrichen sein muß. Unterdessen müßtet Ihr aber doch längst gewußt haben, daß die Axt von einem böswilligen Zauberer oder einer Hexe verzaubert war. Ihr hättet diese Axt nicht länger benutzt, und nicht nur sie nicht, sondern auch kein anderes gefährliches Werkzeug. Baum
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schreibt, Ihr ersetztet Eure Arme durch solche aus Blech. Aber diese dürften noch weniger brauchbar gewesen sein als die Beine. Und dann — jetzt kommt das Unglaublichste an der Geschichte — glitt die Axt wieder ab und schlug Euch den Kopf ab. Aber, heißt es bei Baum, der Blechschmied kam des Weges, und er mach te Euch einen neuen Kopf aus Blech.« »Wenn man es logisch bedenkt, muß man vermuten, daß du tot warst, Niklaz«, sagte die Vogelscheuche. »Der Blechschmied hätte nichts für dich tun können.« Hank schaute sie überrascht an. »Ist dies das erste Mal, daß Ihr über diese Geschichte nachdenkt?« »O nein! Ich mache nur einige Anmerkungen, gewissermaßen, um die Struktur deiner logischen Untersuchung auszupolstern.« »Nun«, fuhr Hank fort, »gehen wir also zum nächsten Ereignis. Die Axt soll noch einmal abgeglitten sein und Euren Körper in zwei gleiche Teile zerteilt haben. Wieder war es der Blechschmied, der zu Eurer Rettung kam. Er machte Euch einen Torso aus Blech und befestigte die anderen Gliedmaßen daran. Aber jetzt liebtet Ihr das Mädchen nicht mehr, weil Ihr kein Herz mehr hattet. Ihr wart ein leerer Mann, in mehr als einer Hinsicht.« »Ein Mann eigentlich nicht«, bemerkte der Winkie-König. »Ja! Baum schrieb ein Kinderbuch, und so konnte er die fehlenden Genitalien nicht erwähnen. Ich bezweifle, daß er überhaupt daran gedacht hat. Meiner Mutter kam es nicht in den Sinn, nicht, als Ihr die Geschichte erzähltet. Aber sie war damals auch erst acht Jahre alt. Baum schrieb, als Ihr Euren Blechkörper hattet, gab es für Euch nur noch eine einzige Gefahr: Eure Gelenke konnten verrosten. Also bewahrtet Ihr eine volle Ölkanne in Eurer Kate, und Ihr öltet die Gelenke, wann immer Ihr es für notwendig hieltet. Aber eines Tages gerietet Ihr in einen Gewitterregen, die Gelenke rosteten ein und Ihr konntet Euch nicht mehr bewegen. Ein Jahr lang mußtet Ihr im Wald stehen, bis Dorothy und die Vogelscheuche daherkamen und Eure Gelenke ölten. Unsinn! Wenn überhaupt, so könnte das Blech niemals so schnell rosten.« »Sehr gut«, befand die Vogelscheuche. »Baum sag te auch, Ihr hättet sehr viel Zeit zum Nachdenken gehabt, während Ihr dastandet, starr vom Rost. Ihr konntet entscheiden, daß der größte Verlust, der Euch je widerfahren
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war, nicht der Verlust Eurer Geliebten, sondern der Verlust Eures Herzens gewesen war. Als Ihr verliebt wart, wart Ihr sehr glücklich. Die Liebe war das Größte auf der Welt, und das will ich nicht bestreiten. Aber um lieben zu können, brauchtet Ihr ein Herz, und so gelobtet Ihr, zum Zauberer Oz zu gehen und ihn zu bitten, er möge Euch eines geben. Und danach wolltet Ihr Eure Geliebte erneut um ihre Hand bitten. Ich frage Euch: Was für eine Ehe wäre das geworden? Ein Blechmann, ohne jegliches Organ aus Fleisch und Blut, verheiratet mit einer Frau aus Fleisch und Blut? Habt Ihr wirklich einen Augenblick lang geglaubt, sie würde Euch heiraten? Oder wäre die Ehe — falls sie es getan hätte — von Dauer gewesen?« »Selbstverständlich nicht«, erwiderte Niklaz. »Warum seid Ihr dann in Wirklichkeit zu Oz gegangen und habt ihn um ein Herz gebeten? Brauchtet Ihr denn ein Herz? Ich meine, fehlte es Euch an Freundlichkeit, Sanftmut, Mitgefühl und Empfindsamkeit?« »Nein.« Hank wandte sich an die Vogelscheuche. »Seid Ihr wirklich zu Oz gepilgert, um ihn um ein Gehirn zu bitten, weil Ihr glaubtet, eines zu brauchen?« »O ja«, anwortete das ausgestopfte Ding. »Ich war dumm, das wußte ich, und ich wünschte mir Intelligenz mehr als alles andere.« »Aber die hattet Ihr von Anfang an.« »O nein! Ich wußte überhaupt nichts. Na ja, sehr wenig jedenfalls.« »Ihr verwechseltet den Mangel an Wissen und Erfahrung mit dem Mangel an Intelligenz«, sagte Hank. »Okay, Ihr habt also nicht gelogen, als Ihr meiner Mutter erzähltet, weshalb Ihr Oz besuchen wolltet. Aber König Niklaz —« »Glaubst du etwa, daß ich lüge?« Die Blechmaske blieb ausdruckslos, aber die Stimme klang empört. »Ja. Eure Geschichte ist einfach nicht wasserdicht. Sie ist löchrig wie ein Sieb. Um nur einen Punkt aufzugreifen: Euren neuen Blechkopf. Ihr wäret tot gewesen, und Euer Gehirn wäre verrottet. Aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wenn dem Blechschmied eine chirurgische Wundertat gelungen wäre, indem er Euer Hirn und Euer Nervensy stem in den neuen Kopf übertragen hätte — wie sollte es am Leben erhalten werden? Es braucht Blut und Nahrung. Aber Ihr behauptet, selbst diese unglaubliche Leistung sei nicht vollbracht worden.
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Man gab Euch einen neuen Kopf, einen leeren Blechkopf, und plötzlich wart Ihr, Euer Gehirn, Euer Geist — nennt es, wie Ihr wollt — in diesem Blechkopf. Baum behauptet das zwar nicht ausdrücklich, aber es ist impliziert.« »Und was folgerst du daraus?« fragte der blecherne Holzfäller. Seine Stimme klang gleichmütig. »Ich glaube, daß Ihr tatsächlich einen Fuß verloren habt und daß dieser Unfall durch einen Zauberbann — was immer das bedeuten mag — verursacht wurde, mit dem Mombi Euch belegte. Ihr hieltet es für einen Unfall und ließt Euch einen künstlichen Fuß aus Blech anfertigen. Er muß allerdings mit einem ledernen Ring oder einer Scheide am Bein befestigt worden sein, denn das nackte Metall hätte Euch sonst blutig gescheuert. Habe ich bis dahin recht?« »Es klingt vernünftig, was du sagst«, entgegnete Niklaz. »Aber nicht alles, was vernünftig klingt, ist es auch in Wirklichkeit.« »Dann, als Ihr den zweiten Fuß verloren hattet, wußtet Ihr, daß jemand die Axt behext — ich hasse diesen unwissenschaftlichen Ausdruck — haben mußte. Rasch fandet Ihr heraus, wer hinter diesen >Unfällen< steckte. Eure unwillige zukünftige Schwiegermutter und die einzige bekannte Hexe der Umgebung, Mombi. War es nicht so?« »Du würdest einen guten Detektiv abgeben«, meinte der Holzfäller. »Theoretisch jedenfalls.« »Aber in der Praxis nicht, meint Ihr?« Hank legte den Kopf schräg. Er grinste. »Laßt mich mit meiner Theorie fortfahren. Ihr mochtet vielleicht ein einfacher Mann sein, der davon lebte, daß er Bäume fällte und das Holz verkaufte, aber Ihr wart klug genug, jemanden zu suchen, der Euch beschützte. Vielleicht hatte dieser Jemand auch schon ein Auge auf Euch geworfen, und vielleicht kam sie zu Euch. Es ist nämlich ein verdammt weiter Weg für einen Mann mit zwei gesunden Füßen, aber für einen Prothesenträger — na!« »Sie kam?« fragte die Vogelscheuche. »Du hast gesagt, sie?« »Ein weiter Weg«, wiederholte der Holzfäller. »Wohin?« »Zu Glinda, in die Quadling-Hauptstadt. Ich glaube nicht, daß Ihr hingingt. Sie kam zu Euch. Vielleicht hat sie Euch auch mit magischen Mitteln zu sich kommen lassen. Jedenfalls spracht Ihr von Angesicht zu Angesicht miteinander. Und sie schloß einen Handel mit Euch ab. Sie würde Euch einen neuen Körper geben, einen, der nicht getötet werden konnte, wenn man ihn auch zerstören könnte, was allerdings nicht leicht
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wäre. Sie versprach Euch Unsterblichkeit oder doch wenigstens ein sehr, sehr langes Leben. Wahrscheinlich mußte sie eine ganze Weile mit Euch diskutieren. Ihr konntet unsterblich und nahezu unverwundbar werden, aber dafür würdet Ihr eine Menge aufgeben müssen. Ihr würdet nie wieder gute Speisen und Getränke auf Eurer Zunge schmecken. Andererseits gäbe es für Euch auch nicht mehr die tägliche, schmutzige Belästigung durch Verdauung und Ausscheidungen. Ihr würdet Euch nicht mehr um schlechten Atem oder um Zahnschmerzen sorgen müssen, Ihr würdet nicht befürchten müssen, Eure Zähne zu verlieren, Krebs zu bekommen oder am Herzschlag zu sterben. Ihr würdet keinen Schlaganfall bekommen können, nicht blind werden, würdet weder Ohren- noch andere Schmerzen bekommen, Ihr würdet Eure Kräfte nicht verlieren und nicht die Betrübnis des Alters verspüren. Muß ich noch weitersprechen? Die Vorteile würden die Nachteile auf jeden Fall überwiegen. Der schlimmste Verlust allerdings würde der Verlust des sexuellen Vergnügens und die Tatsache sein, daß Ihr keine Kinder mehr würdet zeugen können.« »Das ist allerdings schlimm«, meinte der Holzfäller. »Aber das vielleicht Schlimmste hast du vergessen: Ich würde ein Monstrum sein. Menschen würden mich nicht mehr als Menschen betrachten. Ich würde immer ein Außenseiter sein. Ich konnte ihr König werden, aber ich würde niemals in der Lage sein, die Herzlichkeit und Wärme zu empfangen, die nur Menschen einander geben können. Andererseits allerdings — wie viele Menschen spenden schon soviel Wärme, Herzlichkeit und Verständnis, wie sie sollten, wenn sie wirklich Menschen sind? Eigentlich sind sie alle Ungeheuer. Das heißt — nein, das sollte ich nicht sagen. Es gibt ein paar echte, durch und durch menschliche Menschen unter ihnen. Aber sie sind so selten, daß sie auch schon wieder Monster sind.« »Na, ich denke, so schlimm sind sie nun auch wieder nicht«, meinte Hank. »Aber ich muß zugeben, daß nur wenige unter uns so werden, wie sie sein sollten.« »Nur wenige versuchen es überhaupt«, sagte Niklaz. »Ihr habt wahrscheinlich nicht ein Jahr lang dagestanden und nachgedacht«, meinte Hank. »Aber Ihr habt sicher viel nachgedacht.« »Ich wohnte allein im Wald.« »Nun«, sagte Hank, »um mit meinen Vermutungen — oder sind es Deduktionen? — fortzufahren: Glinda kam in der Tat
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mit einem Angebot zu Euch. Und Ihr habt es angenommen. Sie übertrug Eure Persönlichkeit, ich weiß nicht wie, Eure Seele oder Euer Zerebral-Neuralsystem in den Blechkörper, der übrigens an einem Stück hergestellt worden war, nicht Teil für Teil, wie Ihr es überall erzählt habt. Ich meine damit nicht, daß sie Euer Gehirn tatsächlich in den Blechkopf steckte. Das ging natürlich nicht. Aber sie übertrug, was immer es sein mag, das Euch zu dem macht, was Ihr seid, in den Blechkopf.« »Und weshalb sollte sie das tun?« fragte Niklaz. »Was hätte sie davon gehabt? Hexen, ob weiß oder rot, tun nur selten etwas aus purer Gutherzigkeit. Nicht, wenn es mit Magie zu tun hat. Es erfordert zuviel magische Energie und ist zu gefährlich.« »Eben diese Frage wollte ich jetzt stellen, rhetorisch natürlich. Sie hatte sehr wohl Verwendung für Euch. Sie wollte, daß Ihr Dorothy in das Land Oz begleitetet. Ihr solltet Dorothy s Berater und Beschützer sein. Wenn Glindas Pläne in Erfüllung gingen, würdet Ihr zusammen mit Dorothy und den übrigen Gefährten die Westhexe eliminieren und, vielleicht durch einen Zufall, vielleicht auch nicht, diesen Scharlatan, den großen Zauberer Oz, aus dem Weg räumen.« »Scharlatan!« rief die Vogelscheuche. »Wie kannst du es wagen! Er hat mir das einzige gegeben, was mir fehlte. Ein Gehirn.« »Ich will nicht mit Euch streiten«, versetzte Hank. »Zauberer oder nicht, er war jedenfalls schlau und gerissen.« »Und gut! Ein guter Mann! Groß und gut!« »Okay. Aber ich glaube, daß Glinda —« »Falls Glinda dahintersteckte«, unterbrach Niklaz. »Falls die Dinge sich so abgespielt haben, wie du behauptest.« »Yeah. Ich glaube, Glinda wollte Oz loswerden. Vielleicht hielten ihn alle anderen — einschließlich die Hexen im Osten und im Westen — für einen echten und mächtigen Zauberer, aber sie wußte, daß er das nicht war. Sie wußte, daß seine Macht eine Fassade war, die nur allzu leicht zerbröckeln konnte. Und das tat sie ja auch. Bedenkt doch nur, wie Ihr, meine Mutter und der Ängstliche Löwe ihn bloßstellten. Es bestand die Gefahr, daß er gestürzt werden oder fliehen würde — und er floh in der Tat mit seinem Ballon — und daß dann eine böse Person die Macht übernehmen würde. Also trachtete sie danach, ihn zu vertreiben, und jetzt sitzt ein guter Regent auf seinem Thron, nämlich Ihr, Euer Weisheit.« Er machte eine
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Verbeugung zur Vogelscheuche. »Aber nicht doch. Na ja...« »Ihr seid Glinda ein guter Verbündeter«, fuhr Hank fort. »Der Zauberer hatte nie direkt mit ihr zu tun, auch wenn er nicht so dumm war, sich ihr entgegenzustellen. Wenn er und Glinda einander begegnen sollten, das wußte er, würde sie sogleich wissen, daß er kein echter Zauberer war. Deshalb hielt er Distanz zu ihr, so wie er sich auch vom niederen Volk und selbst von den Dienern und Wächtern seines Palastes fernhielt. Er regierte, aber er verbarg sich vor allen. Wie einsam muß sein Leben gewesen sein.« »Wenn ich weinen könnte, würde ich es tun«, sagte die Vogelscheuche. »Ich auch«, meinte der Blech-Holzfäller. »Eigentlich seid Ihr keine Monster«, sagte Hank. »Ihr seid menschlicher als die meisten Menschen, die ich kenne.« »Monster? Ich? Wir?« fragte die Vogelscheuche. »Ich bitte um Vergebung«, antwortete Hank. »Ich meine! >Anders<.« »Du hast da eine beeindruckende Theorie konstruiert«, sagte der Blech-Holzfäller. »Ist es nicht mehr als das?« »Da mußt du Glinda fragen.« »Die meisten meiner Fragen wird sie nicht beantworten.« »Dann wird sie gute Gründe haben, es nicht zu tun.« »Du solltest jetzt ein wenig schlafen, Hank«, meinte die Vogelscheuche. »Die Wetter-Scouts sagen, der Himmel könne bis morgen nachmittag aufklaren.« »Ja, jetzt hört auf mit dem Geschwätz«, sagte eine Kuh im Stall nebenan. »Geht schlafen. Ihr weckt mich immer wieder auf. Da wird einem ja die Milch sauer.«
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15 Als die Jenny Suthwarzha überflog, sah Hank, daß Glindas Arbeiter sich wirklich gesputet hatten, während er fortgewesen war. Sie hatten einen größeren Hangar am Rande einer Wiese an der Ostseite des Schlosses errichtet. Die Wiese lag allerdings näher an der Kante des Plateaus, als es Hank lieb war. Der Wind kam aus Südwesten durch die Wüste und brachte heiße, trockene und böige Luft mit sich. Just als er zum Landeanflug ansetzte, sah er, wie der Windsack sich nach Nordwesten drehte. Er schickte sich an, die Jenny um ihre vertikale Achse zu drehen, so daß das Flugzeug zwar auf einer geraden Linie weiterflöge, dabei aber mit der Nase in eine andere Richtung deutete — wie ein Krebs. Aber der Steuerknüppel bewegte sich ohne sein Zutun, und die Jenny geriet in die exakte richtige Position für die Landung. Hank spürte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Obgleich es gegen sein Training und gegen alle seine Pilotenreflexe verstieß, nahm er die Hand vom Steuerknüppel und die Füße von den Ruderpedalen. Die Jenny richtete sich auf, kurz bevor die Räder den Boden berührten, und vollführte eine makellose Dreipunktlandung. Hank fluchte leise. Er berührte den Drosselhebel nicht, aber er bewegte sich, und der Motor lief langsamer. Als das Flugzeug langsam genug geworden war, drehte es sich langsam und rollte auf das Hangartor zu. Im Innern des Hangars klappte sie das Seitenruder um, hob das Höhenruder auf der linken Tragfläche und ließ den Motor aufheulen. Die Jenny drehte sich um ihre Achse und richtete die Nase auf den Ausgang. Als das Manöver beendet war, schaltete sich die Zündung ab und der Motor blieb stehen. Hank saß wie betäubt da, bis der Propeller stillstand. Er stieg aus dem Cockpit und half seinen Passagieren heraus. Lamblo war da, um sie zu begrüßen, und sagte, sie wolle sie sogleich zu Glinda führen. »Ich komme in einer Minute nach«, erklärte Hank. »Die Kleine Mutter will dich aber sofort sehen«, wandte Lamblo ein. Hank zuckte die Achseln. »Okay.«
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Aber er ging zur Nase der Jenny und starrte die aufgemalten Augen, den Mund und die Ohren an. Das Flugzeug starrte zurück. »Bitte«, sagte Lamblo. »Sie hat ausdrücklich gesagt, sie wollte euch so schnell wie möglich sehen. Kein e Verzögerungen.« »Ich hole euch ein, bevor ihr am großen Tor seid«, sagte er. Sie zog die Brauen hoch. Es sah aus, als hätte sie ihn gern gefragt, weshalb er zurückbleiben wolle, aber statt dessen sagte sie: »Das hoffe ich.« Mit ihrer Ehrenwache eskortierte sie die beiden Könige aus dem Hangar. Sobald sie außer Sicht waren, wandte sich Hank seinem Flugzeug zu. »Jenny? Bist du da, Jenny?« Er kam sich albern vor, aber er mußte es versuchen. »Jenny?« dröhnte eine Victrola-Stimme. Der rote, geschwungene Mund hatte sich nicht bewegt, aber die Stimme war aus seiner Richtung gekommen. Hank erschrak, obwohl er eine solche Reaktion halb erwartet hatte. »Jenny? Ist das mein... Name?« Sie sprach es Tschenny aus. Den Laut dsch gab es in keinem der zahlreichen Dialekte in diesem Land. »Ja, dein Name ist Jenny«, sagte er, und dann wisperte er: »Allmächtiger!« »Allmächtiger?« wiederholte der gemalte Mund. »Wir unterhalten uns später«, sagte Hank. »Ich muß jetzt gehen. Hör zu, du mußt hierbleiben. Du darfst den Hangar nicht verlassen. Und schalte den Motor nicht ein. Kannst du das überhaupt?« »O ja, das kann ich«, sagte Jenny. »Wie...?« Er brach ab. Er hatte jetzt keine Zeit, sie auszufragen. Statt dessen tätschelte er die Propellernase und sagte: »Ich komme bald zurück.« Dann rannte er davon, nicht ohne noch einmal zurückzuschauen. Das Flugzeug sah nicht lebendig aus. Oder doch? Funkelte da ein schwaches Licht in diesen großen blauen Augen mit den langen Wimpern? Und woher sollte sie wissen, was er meinte, wenn er »Hangar« oder »Motor« sagte? Während er auf das Schloß zutrabte, murmelte er vor sich hin: »Die hohen Herren daheim werden das nicht glauben. Ich glaube es ja selbst nicht.« Glinda saß hinter dem großen Tisch im Konferenzsaal. Sie erhob sich, als die Gruppe eintrat, ging um den Tisch herum und umarmte die beiden Könige. Sie schienen glücklich über
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das Wiedersehen zu sein. Für die Besucher wurden speziell angefertigte Stühle gebracht. Die Vogelscheuche bekam einen aus grünem Samt; die hohe Kopflehne trug ein großes goldenes O (für Oz), und oben auf der Kopflehne saß eine Goldkrone, die mit Smaragden besetzt war. Der Stuhl für den Holzfäller war aus gelb bemaltem Blech. Auf der Kopflehne stand ein gotisches W (für Winkieland), und die Kopflehne trug eine Krone aus Blech, die mit Topasen besetzt war. Für Hank kam ein mächtiger Polstersessel auf Rädern. Er war mit blauem Samt bezogen und trug weder ein Monogramm noch eine Krone. Speisen und Getränke für Hank wurden hereingetragen und auf einem kleinen Tisch neben seinem Sessel abgestellt. Glinda erhielt einen hohen, aus Quarz geschnittenen Pokal mit Wein. Glinda erkundigte sich nach der Gesundheit der beiden Könige. Hank unterdrückte ein Kichern. Dann wandte sie sich an ihn und erklärte, daß er keinen Bericht über die Reise vorzutragen brauche. Sie wisse bereits alles. Hank fragte sich, ob sie auch von Jennys Animation wußte, aber er richtete diese Frage nicht an Glinda. Er würde warten, bis sie allein wären. Aber er vermutete, daß sie es noch nicht wußte. Wer hätte es ihr erzählen sollen? »Wie ihr alle bereits wißt«, begann sie, »hat die Ungenießbare mit der Invasion begonnen. Sie hat uns nicht offiziell den Krieg erklärt und wird sich diese Mühe wohl auch weiterhin sparen. Nach den neuesten Berichten — sie sind gerade dreißig Minuten alt — hat eine Armee den Wald zwischen Oz und Gillikinland zur Hälfte hinter sich gebracht, und eine zweite, Niklaz, steht hundert Meilen vor deiner Hauptstadt. Eine dritte steht einsatzbereit an der Grenze nach Munchkinland, und vielleicht hat auch sie sich inzwischen schon in Bewegung gesetzt. Die Armee in Oz befindet sich auf der Straße, über die ihr beide mit Dorothy gewandert seid, als ihr zu mir unterwegs wart. Sie kommt nicht sehr schnell voran. Der Ängstliche Löwe befehligt die Tierstreitkräfte dort, und er hat ihre Vorhut zerfetzt. Die Winkies haben bereits zwei größere Schlachten verloren; sie sind auf dem Rückzug und wollen vor ihrer Hauptstadt in Stellung gehen. Du solltest bald zurückreisen. Sie brauchen deine moralische Unterstützung. Wulthag, die Königin der Munchkins, hat mir berichtet, daß Erakna vor zwei Nächten einen Angriff gegen sie persönlich geführt hat. Wulthag hat diesen Angriff abwehren können,
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ohne daß einer der beiden ein Haar gekrümmt worden wäre. Ich rechne jederzeit damit, daß sie es auch bei mir versucht, obgleich ich nicht glaube, daß Erakna jetzt schon den Mut besitzt, sich mit mir zu messen.« »Was ist mit den Natawey?« fragte die Vogelscheuche. »Ich habe gehört, daß Erakna versucht, sie anzuwerben. Sie hat ihnen Beute und Frauen versprochen.« »Wasokat, der König der Pekotashas, ist Eraknas Verbündeter. Aber der König der Shanahookas, Tekumlek, ist bereit, Wakosat anzugreifen, falls ein großes Heer der Pekotasha das Land verlassen sollte, um Erakna zu unterstützen. Darüber habe ich mich mit Tekumlek schon vor langer Zeit geeinigt.« Glinda hob die Hand und streckte den Zeige- und den Mittelfinger empor. Ein weißbärtiger Berater, der mit einem kleinen Metallkasten neben ihr gestanden hatte, stellte diesen auf den Tisch. Glinda produzierte einen Schlüssel aus der leeren Luft, als sei sie eine Zauberin — was sie ja war, wenngleich Hank hier doch einen Taschenspielertrick vermutete — und schloß den Kasten damit auf. Sie hob den Deckel, und die rostigen Scharniere knarrten. Zwei Gegenstände nahm sie au s dem Kasten, ein jeder hing an einer stählernen Kette. Die beiden Objekte waren identisch! Dünne, eiserne »Ankhs«, ägyptische Schlingenkreuze mit einem eisernen G in der Schlinge. Das G sah eher aus wie ein englisches kleines r. »Ich möchte, daß ihr sie tragt«, sagte sie zu den beiden Königen. »Immer. Es sind schützende Sy mbole, und sie werden helfen, Eraknas Kräfte abzuwehren. Beachtet, daß ich sage: >helfen<. Gegen die ganz großen Kräfte der Ungenießbaren werden sie nichts oder nur wenig vermögen. Das G steht nicht als Anfangsbuchstabe meines Namens da. Er steht für Ganswabzham, die Hexe, die sie gemacht hat und von der ich sie indirekt geerbt habe. Legt sie euch um den Hals. Sofort.« »Ich hätte sie Hank mitgegeben«, erklärte sie. »Aber ihre Kraft war mit der Zeit geschwunden, und ich mußte sie erst wieder aufladen. Das aber erforderte mehr Energie, als ich zu jenem Zeitpunkt aufzuwenden bereit war.« Sie wandte sich an Hank. »Ich könnte dir auch eines geben, aber du brauchst es nicht. Du hast das Geschenk deiner Mutter, den Hausschlüssel. Den habe ich ebenfalls aufgeladen.« Wann denn? fragte Hank bei sich. Während ich schlief? Sie gestattete ihm, die Konferenz nun zu verlassen, falls er anderes zu besorgen hätte. Die militärischen Strategiepläne erforderten seine Anwesenheit nicht. Er solle
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seine Maschine darauf vorbereiten, die beiden Könige in zwei Tagen in ihre Hauptstädte zurückzufliegen. Hank ging zum Hangar und überprüfte den technischen Zustand des Flugzeugs. Da andere Leute in der Nähe waren, sprach er nicht mit Jenny. Er wollte mit ihr allein sein, wenn er es täte. Er unterhielt sich mit den Schmieden und den anderen technischen Fachleuten, die ihm zugeteilt worden waren. Die Maschinengewehre waren bereit zum Test, und man hatte zweihundert Patronen vom Kaliber .3o hergestellt. Sie wurden mit Schwarzpulver gefüllt, obgleich andere Experten schon an Kordit arbeiteten. Auch hatten sie zweihundert .45erGeschosse für seine Automatic und für den sechsschüssigen Revolver angefertigt, und Hülsen für Bomben und kleine Raketen waren ebenfalls da. Die letzteren würden allerdings nicht bis zu seinem Abflug nach Norden fertiggestellt sein. Hank hatte ein paar Meßschablonen herstellen lassen, damit festgestellt werden konnte, ob die Geschosse seinen Anforderungen entsprachen. Ein Teil des Nachmittags verging mit dem Nachmessen. Nur zwanzig Projektile mußten aussortiert werden, eine recht kleine Zahl. Dann unternahm er ein paar Schießproben mit den Maschinengewehren an einem Stand draußen vor dem Hangar. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß sie einwandfrei funktionierten, wurden sie unter seiner Aufsicht an der oberen Tragfläche der Jenny montiert. Es war dunkel geworden, als man mit dieser Arbeit fertig war. Sein Nachtmahl wurde ihm gebracht, Speisen und Getränke. Er aß, und dann befahl er allen, den Hangar zu verlassen. Die Wachtposten stellten sich draußen vor dem Schuppen auf, und Hank ging zu Jenny. »Jetzt können wir reden«, sagte er. »Ich habe mich schon gefragt, wann du wohl mit mir reden würdest«, antwortete Jenny. »Warum hast du dann nichts gesagt?« »Ich wußte nicht, was ich tun und was ich sagen sollte«, erwiderte Jenny. »Ich meine... ich... ich weiß es eigentlich nicht.« Hank nahm einen Schluck von seinem Beerensaft-WodkaDrink. Wer würde ihm eine solche Szene glauben? Er, Henry L. Stover, sprach, ja, er sprach tatsächlich mit einer JN-4H, einer leblosen Flugmaschine. Nein, sie war ja kein lebloses Objekt mehr. Sie war ein Artefakt, das plötzlich Bewußtsein und Sprache entwickelt hatte. Wie denn? »Wann bist du zum erstenmal zu Bewußtsein gekommen?« fragte er sie. »Ich
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meine, wann hast du zum erstenmal etwas gesehen, gehört oder gefühlt?« Er konnte sie nicht fragen, wie sie zur Welt gekommen sei. »Ich war in der Luft«, gab Jenny zur Antwort. »Dann war ich nicht. Und dann war ich. Du mußt es mir nachsehen, wenn ich diese Dinge nicht richtig beschreiben kann. Ich weiß nicht alles, was ich wissen sollte. Mir fehlen die... äh... Worte, die man braucht. Viele jedenfalls.« Sie zögerte und fügte dann hinzu: »Aber ich kann lernen.« »Du kannst dich nicht erinnern, was war, bevor du... zu existieren begannst? Ich meine, vor dem Augenblick, da du dich in deinem Körper fandest?« »Nein.« »Überhaupt nicht?« »Überhaupt nicht.« Aber ein Gedächtnis hatte sie. Sie konnte sprechen, und das bedeutete, daß sie auf ein Vokabular zurückgreifen konnte, das irgendwo in ihr verborgen war. Sie mußte eine Vor-Existenz gehabt haben, auch wenn sie sich daran nicht erinnerte. Hank schilderte, was geschehen war, bevor der leuchtende Ball in ihrem Motor verschwunden war. Hin und wieder mußte er sich unterbrechen, um ihr bestimmte Zusammenhänge zu erläutern. »Erst war ich nur ein lebloses Ding aus Metall, Stoff und Holz«, meinte Jenny. »Und dann konnte ich leben, sprechen und denken.« »Hast du schon einmal gehört, was... Ich meine, weißt du, was Quadling bedeutet?« fragte Hank. »Nein. Dieses Wort kenne ich nicht.« »Kennst du den Namen Glinda?« »Den habe ich schon gehört, aber ich weiß nicht, wer — sie? —ist.« »Wie heiße ich?« »Hank. Ich habe gehört, daß die anderen dich so nennen. Ich habe vieles gelernt, indem ich nur zuhörte.« Er erzählte ihr von der Vogelscheuche, aber es schien sie mehr zu verwirren als zu erleuchten. »Du meinst... bin ich so etwas wie diese Vogelscheuche?« »Phy sisch nicht. Aber ihr beide habt etwas gemeinsam. Ihr habt beide eine Seele.« »Eine Seele? Was ist das?« Hank tat sein Bestes, um es ihr zu erklären. Schweigen. Blickten die großen gemalten Augen etwa ratlos? »Übrigens, eines sollten wir besser gleich klarstellen«, meinte Hank. »Nämlich: Ich bin der Pilot, und du bist das Flugzeug. Der Pilot führt das Flugzeug. Von jetzt an entscheidest du nicht mehr, ob du steigst, sinkst, gleitest, eine Kehre fliegst, startest oder
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landest, wenn ich es dir nicht sage. Ich bin der Herr. Ich habe das Steuer in der Hand, es sei denn, ich fordere dich auf, zu übernehmen. Ist das klar?« »Ich glaube ja. Nur... ich kann manchmal nichts dazu. Wenn du es nicht richtig oder nicht schnell genug machst, muß ich es einfach tun. Es ist eine Frage von... von was?« »Eine Frage der Selbsterhaltung. Du mußt dafür sorgen, daß dir nichts zustößt.« »Genau.« »Nun, dann mußt du eben lernen, dich zu beherrschen. Ich will nicht, daß du eigenmächtig übernimmst! Ich will nicht, daß du dich über mich hinwegsetzt! Verstanden?« »Ja. Du brauchst mich nicht anzuschreien. Du hast keinen Grund, so unfreundlich zu mir zu sein.« Hilflos hob Hank die Hände über den Kopf. Eine Jenny, deren Gefühle leicht zu verletzen waren! Ein sensibles Flugzeug! Was würde als nächstes kommen? »Mag sein, daß du dich an dein Vorleben nicht erinnerst«, sagte er. »Aber du bist, als Maschine jedenfalls, mit halb entwickelter Sprache und einer voll ausgebildeten Persönlichkeit auf die Welt gekommen. Du bist kein neugeborenes Baby.« Er war davon überzeugt, daß diese Transformation, diese Besessenheit niemand anderem als Glinda zuzuschreiben sei. Aber wie konnte sie ihn über Hunderte von Meilen beobachtet und diese Veränderung bewirkt haben? »Sie kennt alle Antworten«, brummte er. »Und sie sollte verflucht bald damit herausrücken.« Sonst — was würde er tun? Er konnte nichts tun. »Wir werden noch öfter miteinander plaudern«, sagte er. »Jetzt muß ich gehen. Äh... gibt es etwas, das ich für dich tun kann?« »Nein, vielen Dank, Hank.« »Nun... hör zu... da wäre noch etwas. Kannst du deinen Motor selbst anwerfen? Wenn du es kannst, brauche ich niemanden, der den Propeller anwirft, wenn ich... dich starten will.« Statt einer Antwort drehte die Jenny den Propeller ein paarmal, aber der Motor erstarb wieder. Hank goß ein wenig Äther in den Vergaser und bat sie, es noch einmal zu versuchen. Diesmal rotierte der Propeller langsam, der Motor sirrte und brach dann in explosives Husten aus, der Propeller begann sich schneller zu drehen, und dann brüllte die Maschine auf. Hank schrie ihr zu, sie solle die Zündung abstellen. Vielleicht hörte sie ihn wegen des Getöses nicht,
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aber sie verstand seine Gebärden. Das Röhren des Motors verstummte, die Propellerblätter wurden sichtbar und standen dann still. Hank tätschelte ihre Haube. Dann verließ er den Hangar; er fühlte sich verwirrt und kam sich ein wenig albern vor. Er wechselte noch ein paar Worte mit dem Offizier der Wache und stellte sicher, daß das Tor verschlossen wurde und daß drinnen wie draußen Soldaten aufgestellt waren. Dann begab er sich zum Schloß. Später an jenem Abend, als er und Lamblo rauchend im Bett saßen, verkündete er: »Ich habe eine neue Liebe.« Sie richtete sich kerzengerade auf. Glühende Asche sprühte aus ihrer Pfeife, und hastig streifte sie die Funken von der Decke, bevor sie Feuer fangen konnte. »Eine neue Liebe? Du... hast eine getroffen, die du lieber magst als mich?« »Das würde ich nicht sagen.« Hank grinste. »Aber sie kann manches, was du nicht kannst.« »Das glaube ich nicht«, versetzte Lamblo. »Komm schon, Hank. Nimm mich nicht auf den Arm.« Er erzählte ihr von Jenny. Lamblo schauderte und schmiegte sich enger an ihn. »Das ist Hexerei. Glinda muß dahinterstecken.« »Ich wüßte gern, wie sie es gemacht hat. Und warum.« »Es ist besser für dich, wenn du es nicht weißt. Und wenn du sie nicht fragst.« »Ich muß sie aber fragen.« »Bitte, du darfst Glinda nicht erzürnen.« »Glinda die Gute? Wenn sie so gut ist, wird sie mir schon nichts tun.« »Glindas Güte gilt dem Wohle des Volkes. Du bist nur eine einzelne Person und ein Fremdling dazu. Sie weiß nicht, was noch geschehen wird, weil du hier bist; niemand weiß das. Sie kann nicht einmal sicher sein, daß du kein Spion bist.« Hank war empört. »Ich bin Dorothy s Sohn!« »Ja, aber das ist nicht das gleiche, wie wenn du Dorothy wärest. Außerdem wäre deine Mutter auch verdächtig, wenn sie jetzt zurückkäme. Sie ist erwachsen...« »Quatsch!« schrie Hank. »Purer, unverdünnter Blödsinn!« »Aber, aber, mein kleiner Riese.« »Spar dir deine Herablassung«, entgegnete Hank. »Hör zu. Ich bin geprüft worden... die Schwarze Perle der Wahrheit, weißt du? Was braucht Glinda mehr?« »Die wahre Prüfung hat noch nicht stattgefunden. Du wirst dich entscheiden müssen, zwischen uns und deinem Land. Es wird dazu kommen. Glinda sagt...« »Nun, was sagt Glinda?« »Ich habe ein loses Mundwerk. Es tut mir leid. Mehr kann
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ich dir nicht sagen. Glinda wird sich darum kümmern müssen. Bitte verzeih mir.« »Weil du mir die Wahrheit gesagt hast? Kein Grund, um Verzeihung zu bitten.« Nichtsdestoweniger war er ärgerlich über sie. Wie konnte irgend jemand wagen, an seiner Integrität zu zweifeln? Spät in der Nacht, nachdem er sich lange unruhig hin und her gewälzt hatte, während Lamblo sanft wie ein Kätzchen neben ihm schnarchte, mußte er eingestehen, daß Glinda recht hatte. Sie hatte immer recht. Er haßte sie dafür.
16 Ot, die Falkin, war zurückgekommen. Aber es war nicht mehr Ot. Hank erfuhr es am nächsten Tag. Er hörte, wie einer seiner »Mechaniker« ihren Namen erwähnte, und er forderte den Mann auf, zu wiederholen, was er gesagt hatte. »Oh, sie war schon vor dir wieder hier. Vermutlich war es ihr Instinkt, der sie zurückgeführt hatte, oder sie hatte irgendwie doch nicht alles vergessen. Nachdem sie sich ausgeruht hatte, war ihre erste Tat, ein Huhn zu töten und es zu fressen.« Ein Schauer überlief den Mechaniker. »Natürlich wurde sie eingesperrt. Man wird sie nicht vor Gericht stellen, aber man kann sie auch nicht wieder freilassen.« »Wovon redest du?« frage Hank. Der kleine Mann sah verblüfft zu Hank auf. »Sie wurde verlassen. Ich dachte, du wüßtest es. Aber...« »Es gibt noch vieles, was ich nicht weiß«, erwiderte Hank. »Wo ist Ot?« Man führte ihn in den vorderen Hof des Schlosses. Dort stand ein großer Käfig auf einem Gestell. Ot — oder das, was einmal Ot gewesen war — hockte hinter den Gitterstäben. Mit wilden, schrecklichen, schönen Augen funkelte sie Hank an. Er sprach sie an, aber sie kreischte, und als er einen Finger zwischen die Gitterstäbe schob, stürzte sie sich wütend darauf, und Hank konnte ihn noch gerade rechtzeitig zurückziehen,
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bevor er abgerissen wurde. »Umgekehrt«, erklärte der Mechaniker. »Ihre Seele ist fort.« Er bekreuzigte sich. »Wo ist sie?« fragte Hank. »Das weiß Gott allein.« »Nein«, murmelte Hank. »Ich wette, Glinda weiß es auch.« Er hatte eine Theorie. Wenn sie stimmte, hatte der erste Kugelblitz, oder was immer es sonst gewesen sein mochte, das Flugzeug verlassen, um Ot nachzujagen, und zwar in der Absicht, das Bewußtsein, das ihr innewohnte, zu vertreiben und sie in Besitz zu nehmen. Zwar war ihm die Vertreibung gelungen, aber er hatte nicht vermocht, von ihr Besitz zu ergreifen. Unterdessen hatte sich die zweite Kugel geformt, oder sie war, wenn sie bereits existiert hatte, unsichtbar gewesen, bis sie mit Hilfe der elektrischen Energie in der Atmosphäre die Kugel hatte bilden können. Oder hatte er alle verfügbaren Daten in die falsche Theorie verpackt? War sie falsch, weil er nicht alle Daten besaß, die er benötigte? Frustration machte sich bemerkbar, und er empfand Mitleid mit der Falkin. »Wird sie in diesem Käfig bleiben müssen, bis sie stirbt?« fragte er. »Das weiß ich nicht. Die Kleine Mutter hat dies zu entscheiden. Aber freilassen kann man sie nicht. Sie würde wieder Hühner töten. Selbst wenn man sie in den Wäldern freiließe, würde sie vermutlich Haustiere überfallen. Da sie nicht mehr denken kann, ist sie außerdem behindert. Sie könnte mit den anderen Falken nicht konkurrieren und müßte wahrscheinlich verhungern. « Glindas Falken bekamen ihr Fleisch, indem sie in die Wälder flogen, wo die wilden Tiere lebten; dort fingen sie Mäuse, Kaninchen und andere Kleinlebewesen. Aber da diese denken konnten, waren sie keine so leichte Beute, wie sie es auf der Erde gewesen wären. Die Falken konnten nie so viele fangen, daß sie davon satt geworden wären. Sie waren in hohem Maße von den dort wachsenden Fleischnüssen abhängig, Schalenfrüchten, die einen hohen Eiweißanteil aufwiesen. Mit diesen Früchten füllten sie sich den Bauch, denn an ihnen herrschte kein Mangel, aber das Verlangen der Falken nach echtem Fleisch stillten sie nicht. Daher gestattete man ihnen in regelmäßigen Abständen, in den Wäldern auf die Jagd zu gehen. Den Mäusen, Kaninchen, Eichhörnchen,
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Wildenten und Fasanen gefiel das nicht, aber in ihren Verträgen mit den Menschen war nicht vereinbart, daß sie vor den zahmen Raubvögeln geschützt zu werden hätten. »Ist so etwas auch schon anderen Falken zugestoßen?« fragte Hank. »Noch nicht oft, aber es kommt hin und wieder vor.« »Wie ist man mit ihnen verfahren?« »Man hielt sie ein Jahr lang im Käfig. Wenn sie bis dahin nicht wieder in Besitz genommen wurden, tötete man sie. Es wäre grausam, wenn man sie freiließe. Sie würden Hungers sterben.« »Wenn es einem Falken zustoßen kann«, meinte Hank, »dann muß es gelegentlich auch mit anderen Tieren geschehen. Und ich vermute, auch Menschen sind gefährdet. Stimmt das?« Der Mechaniker bekreuzigte sich. »Ich habe gehört, daß es auch schon Menschen getroffen haben soll. Aber wenn man von einigen Geschichten absieht, von denen die Kleine Mutter sagt, daß sie nicht wahr seien, sind die einzigen, die je in Besitz genommen wurden, Idioten.« Die Angehörigen der Hauptkirche pflegten das Kreuzzeichen zu machen und Marzha, Hailag Aithii og Kristuz-Thun (Ma-tia, heilige Mutter des Christus-Thor) anzurufen. Manchmal nannte man sie auch anders, und der beliebteste Name war Nantho. Wenn Hank sich recht erinnerte, war Nantho der Name einer alten gotischen Göttin gewesen. Verwirrung herrschte auch in Bezug auf Christus, denn manchmal nannte man ihn Thun und manchmal Ogiiz. Den Ursprung des zweiten Namens kannte Hank nicht. Es gab eine Form der Meßfeier, die in einigen Gegenden Kollekta hieß, in anderen dagegen »Brotbrechen«. Liturgiesprache war ein barbarisches Latein, dessen Übersetzung verlorengegangen war. Die Goten mußten mit vollständigen oder lückenhaften gotischen Übersetzungen des Neuen Testamentes in diese Welt gekommen sein. Aber der Text war seither offenbar verballhornt und erweitert worden, und auch die Religion selbst hatte sich verändert und war mit neuen Elementen angereichert worden. Die orthodoxen Kirchen der Erde hätten diesen Zweig der Religion als ketzerisch betrachtet. Allerdings hätten die Amariikianer die irdischen Kirchen sicherlich ebenso als Irrlehren bezeichnet. Um Mittag wurde Hank in den Konferenzsaal gerufen. Glinda, die beiden Könige sowie
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menschliche und tierische Berater waren schon versammelt. »Wann kannst du starten?« fragte die Königin. »In einer halben Stunde. Die Ersatzräder sind fertig. Wenn die Batterie allerdings ausfällt, habe ich Pech.« »So soll es sein. Du müßtest die dritte Tankstation erreichen können, bevor es Nacht wird. Zuerst fliegst du nach Oz. Wenn du Niklaz dort abgesetzt hast, wirst du zur Hauptstadt von Oz zurückkehren und fünf Tage lang die Truppen dort unterstützen. Fliege — wie nennt man es? Bombenangriffe. Dann kommst du hierher zurück, ganz gleich, wie die Situation dort aussehen mag. Die nächste Botschaft deines Volkes wird kurz nach deiner Rückkehr eintreffen.« »Falls ich zurückkehre«, bemerkte Hank. »Euch ist zweifellos klar, Glinda, daß Eraknas Vögel mich noch einmal überfallen können. Ich könnte auch einen Unfall haben. Oder —« »Ja, das weiß ich alles«, unterbrach Glinda. »Und es gibt noch eine andere Gefahr. Erakna hat die Goldene Kappe der Geflügelten Affen gestohlen. Weißt du, was das bedeutet?« Hank nickte. Die Westhexe hatte diese Kappe gehabt, als Dorothy in dem Schloß der Hexe gefangengehalten wurde. Als Dorothy die Hexe mit Wasser bespritzt hatte und die Hexe zerflossen war, hatte Dorothy die Kappe an sich genommen. Nachdem Dorothy die drei Wünsche — »Wünsche?« —, mit denen der Besitzer der Kappe Macht über die Geflügelten Affen ausüben konnte, aufgebraucht hatte, war es der König der Affen gewesen, der die Kappe von Glinda erhielt. Von nun an, so dachte man, würden die Affen frei sein. Nun konnte es nicht mehr geschehen, daß sie unvermittelt von ihrer jeweiligen Beschäftigung fortgerissen und gezwungen wurden, zu tun, was der derzeitige Besitzer der Kappe von ihnen verlangte — Dinge, die den Affen oft unangenehm und manchmal wirklich gefährlich waren. Und jetzt waren sie wieder in Knechtschaft geraten. Wie mag diese Kappe funktionieren? fragte sich Hank. Wie konnte sie die Affen zu Sklaven machen? Und wieso nur drei Wünsche? »Ich weiß nicht, ob die Ungenießbare sie jetzt schon gegen dich verwenden würde«, fuhr Glinda fort. »Aber ich bin sicher, daß sie dich als eine ernsthafte Bedrohung ansieht. Sonst hätte sie nicht die Falken auf dich gehetzt. Vielleicht wird sie die Affen aussenden, damit sie dich töten und das Flugzeug zerstören, aber es kann auch sein, daß sie die Falken
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noch einmal einsetzt. Glaubst du, mit diesen Maschinengewehren hast du eine gute Chance, dich gegen die fliegenden Affen zu verteidigen?« Hank zuckte die Achseln. »Das kommt auf die Situation an. Jenny ist kein schnelles und wendiges Militärflugzeug. Ich weiß es wirklich nicht.« Er schwieg für einen Moment. »Vielleicht sollte ich sie fragen. Schließlich ist die Gefahr für sie genauso groß. Vielleicht ist sie freiwillig zu einem so gefährlichen Einsatz gar nicht bereit.« Glinda lächelte, und er wußte, daß sie Bescheid wußte. »Noch hat Jenny keinen freien Willen. Sie ist von dir abhängig. Es ist, als sei sie dir Untertan und du seist ihr König. Für eine Weile jedenfalls. Sie ist wie eine junge Ente! Sie hat sich an das erste Lebewesen gebunden, das sie sah, als sie... nun, als sie von dort kam, wo sie vorher gewesen war.« »Wenn das so ist«, entgegnete Hank, »wieso hat dann die Vögelscheuche sich nicht an den Bauern gebunden gefühlt, der sie gemacht hatte? Er war ja wohl das erste Lebewesen, das sie zu Gesicht bekam.« »Du bist ein Denker«, sagte Glinda lächelnd. »Warum fragst du sie nicht selbst?« Hank schaute das Ding an. »Ich fühlte mich dem Bauern sehr verbunden«, erklärte die Vogelscheuche. »Wie gern hätte ich meinen Pfahl verlassen und wäre mit ihm gegangen. Aber er verließ mich, und lange waren Krähen meine einzigen Gefährten. Dann kam deine Mutter und befreite mich, und ich... äh... übertrug, könnte man sagen, meine Abhängigkeit und meine große Zuneigung auf sie. Trotzdem schreibe ich — diktiere ich, besser gesagt — einmal im Jahr einen Brief an den Bauern, und mir liegt viel an seinem Wohlergehen.« »Genug der Fragen«, befahl Glinda. »Jetzt geh.« »Ich bitte um Vergebung«, erwiderte Hank, »aber dies betrifft den Flug. Wird ein Falke mich begleiten? Wie Ihr wißt, ist Ot... nicht mehr da.« »Eigentlich solltest du keinen Führer mehr benötigen«, meinte Glinda. »Du hast die Strecke schon einmal zurückgelegt. Aber ich habe dennoch veranlaßt, daß drei Falken dich begleiten. Einer von ihnen wird als Führer die ganze Zeit über bei dir bleiben.« Hank dankte ihr, verneigte sich und ging in seine Gemächer, um zu packen. Er war eben fertig, als Lamblo eintrat. Sie schlang ihre Arme u m seine Taille und schmiegte ihre Wange an seinen Leib.
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»Oh, Hank, ich habe ein schreckliches Gefühl bei dieser Reise. Eine Todesahnung. Ich werde dich nie Wiedersehen.« Ihre Tränen durchtränkten sein Hemd. Er hob sie hoch und küßte sie. »Mach dir keine Sorgen. Vorahnungen bedeuten nichts. Mir wird schon nichts passieren.« Er setzte sich auf das Bett und nahm sie auf den Schoß. »Ich werde neun oder zehn Tage lang fort sein. Du wirst nur deine Lüsternheit im Zaum halten müssen, bis ich zurückkomme. « »Das ist es nicht!« rief sie. »Du weißt, daß es darum nicht geht. Ich liebe dich, Hank!« Er küßte sie auf ihren blonden Scheitel. Ihr Haar roch nach frischer Luft, und er entdeckte einen Hauch von Veilchenduft. Sie war wunderschön, sie war lustig, sie war eine großartige Partnerin im Bett, und sie verströmte Draufgängertum und Mut. Er mochte sie sehr gern, aber er liebte sie nicht. Und doch, in gewisser Weise liebte er sie sehr wohl. Und so war es nicht gänzlich gelogen, als er sagte: »Ich liebe dich auch.« Sie sprang von seinem Schoß, drehte sich um und sah ihn an. Die blauen Augen waren so voller Liebe und Vertrauen, daß er ein schlechtes Gewissen verspürte. »Genug, um mich zu heiraten?« fragte sie. Dies war nicht der Augenblick, zu zögern. »Klar«, behauptete er. Aber warum nicht? Glinda würde er niemals bekommen, und er war nicht sicher, daß es ihm gefallen würde, wenn er sie bekommen könnte. Andererseits — das Leben war so voll von anderen Seiten — war er vielleicht nur ein Feigling. Hatte er Angst, sie zu verletzen, indem er ihr sagte, daß er sie nicht liebe? Wenn es sie später doch viel tiefer verletzen würde, wenn sich ihr Verhältnis abkühlte oder wenn er es bedauerte, diesem Impuls gefolgt zu sein? »Klar«, wiederholte er lächelnd. Ihm war ein guter Grund für die Verschiebung einer Hochzeit eingefallen. »Klar. Ich würde dich heiraten, Lamblo. Aber was ist, wenn ich zwischen den Quadlingen und meinem eigenen Volk wählen muß ? Ich meine... ich weiß nicht, was dann geschehen wird. Nach allem, was ich weiß, kann es zum Krieg kommen. Es kann sein, daß mein Land eine Invasion dieser Welt in Betracht zieht, natürlich nur, um zu verhindern, daß dein Volk über meines herfällt, das ist sicher.« Aber er war sich dessen gar nicht so
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sicher. »Eure Welt ist eine unbekannte Größe. Die Führung unserer Army wird befürchten, daß die Amariikianer eine Gefahr für die Vereinigten Staaten bilden könnten. Eine Gefahr für unsere ganze Welt.« Lamblo war vor ihm zurückgewichen. »Aber dein Volk wird erfahren, daß wir es nicht bedrohen. Das tun wir nicht; du weißt es, und du wirst es ihnen sagen.« »Vielleicht werden sie mir nicht glauben. Auf jeden Fall werden sie ihre Versuche, herzukommen, nicht einstellen. Sie wissen, daß diese Welt hier ist, und schon deshalb und auch weil sie noch nie hier gewesen sind, werden sie kommen. Sie müssen. Sicher, im Augenblick weiß noch keine andere Regierung von dieser Welt. Aber vielleicht findet eine andere Nation heraus, wie man die Pforte öffnet. Und wenn das geschieht, wird die Regierung dieses Landes versuchen, herzukommen. Meine Regierung weiß das. Sie wollen die ersten sein.« »Und du wirst ihnen dabei helfen?« »Na ja, ich weiß es nicht. Es ist meine patriotische Pflicht. Andererseits...« »Glinda hat dem Rat erzählt, was geschehen könnte, wenn weitere Erdenleute herkommen sollten. Es wäre furchtbar! Gräßlich! Hank, es muß doch noch höhere Pflichten für dich geben. Eine Pflicht gegenüber der Menschheit. Du bist doch kein Wilder, der nur an seinen kleinen Stamm denkt und dem es gleichgültig ist, wenn alle anderen dabei zur Hölle fahren.« Hank seufzte und stand auf. »Es wird Zeit. Ich muß jetzt gehen. Wir reden darüber, wenn ich zurückkomme.« Eine Minute später war er unterwegs zum Hangar. Er fühlte sich unwohl; er wußte, wenn er zurückkäme, würde er sich der gleichen Situation gegenübersehen. Was würde er dann tun? Er hatte keine Ahnung. Aber er würde ausführlich darüber nachdenken können, wenn er unterwegs wäre. Falls er Zeit dazu fände. Als er zum Hangar kam, sah er, daß seine Passagiere und Glinda schon dort waren. Er war verstimmt. Glinda war heruntergekommen, um die beiden Könige zu verabschieden, aber dieser Mühe hatte sie sich nicht unterzogen, als er zur ersten Reise aufgebrochen war. War er etwa nicht der Botschafter der Erde in Oz? Er entschuldigte sich nicht für sein Zuspätkommen. Er warf seine Reisetasche ins Gepäckabteil und sagte: »Alles klar. Wir können starten.« Während Glinda
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die Könige umarmte, ging er nach vorn zur Nase des Flugzeugs und sprach mit leiser Stimme in Jennys linkes Ohr. »Ich hab's mir anders überlegt, was deine Fliegerei betrifft. Ich meine, unter gewissen Umständen kannst du die Steuerung übernehmen. Jetzt möchte ich, gewissermaßen zur Probe, daß du den Motor anwirfst, hinausrollst und startest. Wenn wir bei der ersten Station gelandet sind, werde ich dir ein paar einfache Signale beibringen, die wir benutzen können, um uns in der Luft miteinander zu verständigen. Später können wir sicher ein komplizierteres System entwickeln.« »Darf ich fragen, was dich zu dieser Sinnesänderung veranlaßt hat?« erkundigte das Flugzeug sich leise. »Aber gern. Mein Stolz hat einfach mein Gefühl für die Realität überrollt.« »Was heißt das?« »Ich erkläre es dir später. Glinda wird nervös. Wir sollten starten, bevor die Herzkönigin mir den Kopf abschlagen läßt.« »Was?« »Schon gut.« Die königliche Blaskapelle schmetterte vor dem Hangar. Hank konnte schon jetzt kaum noch sein eigenes Wort verstehen. Er winkte den beiden Regenten zu, und sie ließen Glinda stehen und kamen eilig zu ihm herüber, der eine zu steif in seinen Bewegungen, der andere zu flexibel. Hank half ihnen ins hintere Cockpit. Er hatte den Steuerknüppel ins vordere Cockpit versetzt, weil er die Maschinengewehre nur von dort aus bedienen konnte. Zwei der Falken zwängten sich zu den Majestäten, und der dritte, Listiig, flatterte auf den Vordersitz. Hank stieg ein, wartete, bis der Mechaniker Äther in den Vergaser geschüttet hatte, und rief: »Kontakt!« Jenny hörte ihn trotz des Lärms der Kapelle. Hank unterdrückte den Impuls, die Zündung einzuschalten, und ließ Hände und Füße von der Steuerung. Der Propeller begann sich langsam zu drehen, der Motor sirrte und brüllte dann auf. Hank sah Glinda an und grinste. Der Wind vom Propeller zerzauste ihr kastanienrotes Haar und wirbelte ihr Gewand bis zu den Hüften hoch. Sie versuchte nicht, es unten zu halten; im Laufe von drei Jahrhunderten war sie gleichgültig gegen alle Schicklichkeitsregeln außer ihren eigenen geworden. Nach dem Warmlaufen überprüfte Hank Wassertemperatur, Öldruck und Drehzahl. Dann gab er den Mechanikern das Signal, die Keile unter den Rädern wegzuziehen. Das Flugzeug setzte sich in Bewegung, rollte aus dem Hangar und nahm Kurs auf die Nordwestecke der Wiese. Anscheinend erkannte Jenny die
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Windrichtung an der Stellung des Windsackes, oder sie spürte den Wind mit ihren eigenen Sinnen. Hank fühlte sich unbehaglich, aber er unterdrückte das heftige Verlangen, das Steuer zu übernehmen. Jenny rollte fehlerlos dahin, wie er es nicht besser gekonnt hätte, drehte sich um, stellte sich in den Wind und setzte sich in Bewegung. Fasziniert beobachtete Hank die Bewegungen des Steuerknüppels und der Pedale. Bewegten sie sich, weil Jenny tat, was er getan hätte, oder bewegte sie Höhen- und Seitenruder, und die Cockpitinstrumente folgten nur? Er würde sie fragen müssen. Der Start verlief tadellos. Als der Höhenmesser tausend Fuß anzeigte, klopfte er zweimal hart auf das Armaturenbrett. Zum Zeichen, daß sie verstanden habe, wippte die Jenny mit der linken Tragfläche. Er hatte sie angewiesen, bei dreitausend Fuß mit dem Steigen aufzuhören. Das tat sie, und er fragte sich, woher sie wußte, daß sie diese Höhe erreicht hatte. Besaß sie eine Möglichkeit, den Höhenmesser zu lesen? Eine Zeitlang behielt er die Anzeigeinstrumente und die Landmarken im Auge, und dann begann er, mit seinem Navigatorfalken zu plaudern. Während des ersten Fluges hatte er sich die Landmarken eingeprägt, aber er befragte Listiig dennoch darüber. Es würde dem Falken das Gefühl vermitteln, wichtig oder wenigstens nützlich zu sein. Nach einer Weile sagte Hank: »Natürlich gibt es noch vieles in dieser Welt, das ich nicht verstehe. So habe ich mich beispielsweise gefragt, warum Ot vertrieben wurde.« Listiig stand auf seiner linken Schulter. Ihre Krallen bohrten sich in die Lederjacke und der Wind zerzauste ihr Gefieder. Sie schrie ihm ins Ohr: »Ich habe gehört, wie die Sinngeister die Flugmaschine angriffen. Es ist klar, was geschehen ist. Einer von ihnen hat versucht, Ot zu übernehmen. Er hat den Geist, der in ihr wohnte, vertrieben, aber dann ist es ihm nicht gelungen, von ihr Besitz zu ergreifen.« Hank verzog verächtlich das Gesicht. Das war doch keine Erklärung ! »Nein, ich meine, was ist eigentlich ein Sinngeist oder Feuerfuchs?« »Nun, es ist der Geist eines Toten, der von seinen Sünden gereinigt und dann ausgesandt wurde, sich einen neuen Körper zu suchen. Oder es ist ein böser Geist, der aus dem Fernen Land entronnen ist und nun versucht, einen Körper zu übernehmen.«
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»Klar«, sagte Hank. Anscheinend würde er nichts als religiöse Erklärungen bekommen — also eigentlich keine. »Gehörst du einer Kirche an?« fragte er. »Selbstverständlich! Tut das nicht jeder?«
17 Hin und wieder erblickte Hank große Gruppen von bewaffneten, in Reihe und Glied marschierenden Männern, gefolgt von ihrem Troß. Sie waren unterwegs nach Norden, wo sie den Truppen von Oz zu Hilfe kommen wollten. Es gab auch Kavallerieeinheiten, die auf Hirschen und Elchen ritten. Streitwagen benutzten nur die Schloßwachen, oder man setzte sie bei zeremoniellen Anlässen ein. Früher einmal, vor langer Zeit, waren sie auch in Schlachten verwendet worden, die auf weiten, waldlosen Ebenen ausgefochten wurden, von denen es jetzt fast so wenige wie damals gab. Die Wagen wurden von Rindern oder hirschähnlichen Vierbeinern gezogen, denen man über viele Generationen hinweg Zugkraft oder Geschwindigkeit angezüchtet hatte. Hank hatte sich schon gefragt, weshalb die Tiere, die doch Bürger waren, zugelassen hatten, daß man sie auf bestimmte Eigenschaften hin züchtete. Ein Hirsch konnte eine bestimmte Kuh anderen vorziehen, und einer Kuh konnte ein bestimmter Hirsch lieber sein als alle anderen. Aber es gab bei ihnen Brunftzeiten, und solange diese andauerten, überwog ihr Sexualtrieb jede persönliche Beziehung. Die Menschen hatten dieses Problem gelöst. Sie fütterten die Tiere, die sich nicht fortpflanzen sollten, mit einer von zwei verschiedenen Pflanzenmischungen. Die Männchen bekamen eine, die sie steril werden ließ, ohne sich auf ihre Männlichkeit auszuwirken. Die Weibchen wurden mit einer Mischung gefüttert, die Scheinschwangerschaften herbeiführte. Schon immer hatte es Tiere gegeben, die damit nicht einverstanden waren, und es gab sie auch heute noch. Aber sie hatten
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die Wahl, bei den Menschen zu bleiben und die Gesetze zu befolgen oder in die Wälder zu ziehen und dort ihr Glück zu versuchen. Dies war eine der Situationen, in denen die Tiere Bürger zweiter Klasse waren, doch sie war vertraglich mit den tierischen Vorfahren sanktioniert worden, und die meisten akzeptierten sie, ohne zu murren. Diese Zuchtvereinbarung war, neben einigen anderen, die einzige Möglichkeit für Menschen und Tiere, so zusammenzuleben, daß beide Parteien einen Nutzen davon hatten. Schafe, Ziegen, Rinder und Hirschtiere stellten Wolle, Felle, Milch und Arbeitskraft zur Verfügung. Sie wurden nicht für den menschlichen Verzehr geschlachtet und man durfte sie weder zu Tode schinden noch vernachlässigen oder auf andere Weise schlecht behandeln. Wenn sie starben, wurden sie Seite an Seite mit den Menschen bestattet und von Menschen wie von Tieren, die sie gemocht oder geliebt hatten, beweint. Selbst wenn die amariikianische Kirche in allem anderen mit der katholischen Kirche auf der Erde übereingestimmt hätte, wäre der Glaube, daß Tiere eine Seele besäßen, allein schon ausreichend gewesen, sie wegen Häresie zu verdammen. Katzen waren ein Sonderfall — wie auch auf der Erde. Sie waren Spieltiere, viele von ihnen jedenfalls, aber sie waren nützliche Hauswächter und Nagetiervertilger. Die meisten Tiere hielten sich von den Bereichen, die den Menschen vorbehalten waren, fern, aber viele Ratten und Mäuse wagten sich doch hin und wieder hinein. Sie drangen in Häuser und Scheunen ein und galten deshalb als vogelfrei. Ein Mensch durfte sie allerdings weder mit Fallen zur Strecke bringen noch vergiften oder abschießen, wenn er nicht wegen außergewöhnlicher Umstände eine gerichtliche Sondergenehmigung dafür hatte. Katzen erhielten eine Lizenz zum Töten von Nagern, die sie ohnedies gejagt hätten. Vögel zu töten war ihnen jedoch nicht gestattet, es sei denn, es handelte sich um Gesetzlose. Auch andere Tiere fanden sich unter den nordwärts Marschierenden. Hank entdeckte einige Mammuts und Mastodons. Wenngleich winzig, waren sie doch Riesen im Vergleich mit den übrigen Geschöpfen. Die Dickhäuter zogen jetzt die schweren Karren, aber an der Front würden sie als Krieger eingesetzt werden. Auch höckerlose Kamele trugen jetzt Lasten, würden aber demnächst kämpfen, reiterlos und von eigenen Kamel-Offizieren geführt.
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Manchmal trugen sie auch menschliche Bogenschützen in die Schlacht. Als Hank bei der Hauptstadt landete, fand er eine veränderte Szenerie vor. Scharenweise standen jetzt Zelte vor den glitzernden Mauern, und Männer exerzierten auf den Wiesen. Zahllose Boote drängten sich am Flußufer, das von Kisten und Kästen übersät war. Die Smaragdstadt bereitete sich auf eine lange Belagerung vor. Hank hielt sich nicht länger auf, als nötig war, um die Vogelscheuche abzusetzen, Jenny aufzutanken, Drähte, Beschläge und Bespannung zu überprüfen und für sich selbst und die Falken etwas zum Essen zu beschaffen. Einer der Falken, Wiin, würde derweilen eine Zusammenfassung der neuesten Nachrichten besorgen und sich sodann auf den Weg zu Glinda machen, um ihr Bericht zu erstatten. Eine halbe Stunde nach der Landung konnte Hank bereits wieder starten. Es blieben ihm noch dreieinhalb Stunden Tageslicht, genügend Zeit also, zu Niklaz' Schloß zu gelangen. Der Himmel war klar, abgesehen von einigen Zirrokumulus-Wolken, und der Gegenwind wehte mit einer Geschwindigkeit von schätzungsweise vier bis sechs Meilen pro Stunde. Über Nacht würde er bei dem Winkie-König bleiben, und im Morgengrauen würde er dann die Rückreise zur Smaragdstadt antreten. Jenny flog in einer Höhe von zweitausend Fuß, zwanzig Meilen westlich der Smaragdstadt, als eine Vielzahl kleiner Punkte vor ihnen am Himmel auftauchte — und hinter ihnen, und zu beiden Seiten. Listiig kreischte: »Die Geflügelten Affen! Heilige Marzha, Mutter Gottes! Erakna will uns ans Leder!« Hank fühlte, wie es ihn eiskalt überlief. Es war nicht nur die Gefahr, die diese Empfindung bewirkte. Die Präsenz des »Magischen«, welches diese Wesen in großer Zahl aus der Ferne in seine unmittelbare Nähe teleportiert hatte, ließ ihn erschauern. Mittlerweile hätte er sich an derartige Phänomene gewöhnt haben sollen, aber das würde ihm wohl nie gelingen. Unterdessen waren aus den Punkten die Silhouetten geflügelter Wesen geworden. Es war eine Horde von Geschöpfen, die — das war selbst aus dieser Entfernung zu erkennen — keine Vögel waren. Er schätzte den Schwärm vor ihm auf etwa zweihundert Exemplare. Wie viele sich hinter ihm und zu beiden Seiten befinden mochten, wußte er nicht. Sie flogen etwa tausend Fuß höher als er und stießen herab, um an Geschwindigkeit zu gewinnen.
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Die JN-4H konnte in einer Minute um zwölfhundert Fuß steigen, das war das Dreifache der Steiggeschwindigkeit einer JN-4D. Aber die Affen waren über ihm, und sie würden ihn erreicht haben, bevor er über sie gelangen könnte. Und wenn er abwärts flöge, würden sie es ebenfalls tun. Vielleicht sein einziger Vorteil war die Geschwindigkeit. Er glaubte nicht, daß die Affen es im Geradeausflug auf neunzig Meilen pro Stunde brachten, was Jennys Höchstgeschwindigkeit bei dieser Beladung und in dieser Höhe entsprach. Wahrscheinlich waren sie dafür zu groß und zu schwer. Aber sicher konnte er dessen nicht sein. Er klopfte dreimal auf das Armaturenbrett. Jenny rollte geringfügig nach rechts und nach links, um ihm zu verstehen zu geben, daß er die Steuerung übernehmen könne. Er drückte den Steuerknüppel nach vorn und ließ das Flugzeug in einer flachen Bahn abwärts fliegen. Auf diese Weise würde er an Geschwindigkeit gewinnen, vielleicht genug, um durch den von vorn nahenden Schwarm hindurchbrechen zu können. Außerdem mußte es ihm damit gelingen, die von hinten und von den Seiten kommenden abzuschütteln:. Er war froh, daß Eraknas Künste nicht ausgereicht hatten, den exakten Punkt zu bestimmen, an dem die Affen hatten erscheinen sollen. Zumindest vermutete er, daß ihre Macht dafür nicht groß genug gewesen war, denn sonst hätte sie die Kreaturen gewiß viel dichter bei ihm plaziert und ihm keine Zeit gegeben, adäquat zu reagieren. Die entgegenkommenden Angreifer gewannen schnell, viel zu schnell, an Größe. Er konnte bereits die fledermausartige Struktur der Flügel erkennen, die aus der zu einem monströsen Klumpen zusammengeballten Rückenmuskulatur herauswuchsen. Er sah die kurzen, vogelhaft dünnen Beinchen. Weiße Zähne, lang und spitz. Rötliches Haar. Lange, ausgestreckte Arme. Hände, die Messer, kurze Schwerter und Speere umklammerten. Anders als auf den Illustrationen, die Denslow gemacht hatte, trugen sie keine Kleider. Aber einer hatte eine silberne Krone auf dem Kopf. Der König. Hank bog nach rechts und nahm Kurs auf den König. Er schätzte, daß sie in etwa vierzig Sekunden zusammentreffen würden. Es würde tödlich für beide sein, tödlich für Jenny zumindest, wenn der König in den Propeller geriete. Hank
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hatte einen Fallschirm, und der Blech-Holzfäller würde den Fall, wenn auch zerbeult, überleben. Hank sah sich um. Der Monarch stand in seinem Cockpit und hielt die Axt bereit. Hanks Falkin klammerte sich an den Rand der vorderen Windschutzscheibe und behinderte seine Sicht. Lauthals schreiend befahl er ihr, herunterzukommen, aber der heulende Wind riß ihm die Worte vom Mund und trug sie nach hinten. »Verschwinde!« brüllte er. »Verschwinde!« Listiig zögerte. Dann erhob sie sich und wurde sogleich fortgerissen. Hank zog den Knüppel an sich, und Jennys Nase hob sich. Der Affenkönig und andere in seiner Nähe gingen in einen flachen Gleitflug über. »Sind die wahnsinnig?« rief Hank. »Wollen sie etwa Selbstmord begehen?« Ein so kleines Ziel wie den Affenkönig zu treffen wäre selbst dann nicht leicht gewesen, wenn die Maschinengewehre am Ru mpf montiert gewesen wären, direkt vor ihm also. Aber sie befanden sich oben auf der oberen Tragfläche. Wenn er feuerte, wäre er vor allem auf sein gutes Glück angewiesen. Er blickte kurz hoch und dann nach unten. Er zog an dem Kabel, das die Maschinengewehre auslöste, und sie ratterten los. Dunkle Fetzen huschten vorüber. Es gab einen Stoß, und Jenny schüttelte sich. Ein Affe hatte die Spitze der rechten oberen Tragfläche gestreift — Gott sei Dank, daß er nicht dichter beim Rumpf gegen den Flügel geprallt war oder gar die Drähte der Verstrebungen zerrissen hatte. Ein Stück der Bespannung war abgerissen und das Ende des hölzernen Rahmens abgesplittert. Aber der Schaden würde die Flugtüchtigkeit nicht beeinträchtigen, wenn nicht mehr von der Bespannung, die jetzt im Wind flatterte, abgerissen würde. Hank sah sich um. Die Falken jagten im Sturzflug nach unten, um im dichten Wald Schutz zu suchen. Ein paar der Affen verfolgten sie, aber es war eine hoffnungslose Jagd. Zwei Körper stürzten noch immer hinab. Einer war der, welcher mit dem Flügel kollidiert war. Der andere war der König, jetzt ohne seine Krone. Der silberne Reif stürzte nicht weit von ihm durch die Luft; er glitzerte in den Strahlen der Sonne, die über dem westlichen Horizont stand. Die übrigen waren umgekehrt und flatterten hastig. Aber er würde sie abschütteln können. »Den ersten Wunsch hast du verschwendet!« johlte Hank.
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Erakna hätte warten sollen, bis er gelandet wäre; wenn sie erst dann die Affen auf ihn gehetzt hätte, wäre es ihnen ein leichtes gewesen, ihn und Jenny in Stücke zu reißen. Sein Frohlocken erstarb. Wenn sie es noch einmal versuchte, würde sie vermutlich genauso verfahren. Vielleicht würde sie den zweiten Wunsch ebenfalls für einen Angriff gegen ihn verwenden wollen, aber das hielt er nicht für wahrscheinlich. Gewiß würde sie ihre geflügelten Sklaven für ein wichtigeres Ziel aufbewahren wollen. Aber was wußte er von der Psy chologie einer Hexe? Zwei Minuten später stießen hundert oder mehr Falken aus der Sonne auf ihn herab. Sie hatten ihn erwartet und sich so plaziert, daß er geblendet wäre, wenn er in die Sonne schaute. Als sie ihn fast erreicht hatten, teilte sich der Schwärm, und die Hälfte der Vögel wandte sich nach Westen. Wenn er die angreifende Welle durchbrochen hätte, würde seine Geschwindigkeit etwa der der zweiten Gruppe entsprechen. Sie konnten schneller fliegen als Jenny; sie würden versuchen, zu entern. Und wenn er abdrehte, um in östlicher Richtung zu fliehen, würde er wieder in den ersten Schwärm geraten. »Skiit!« schrie er auf Quadling. Jetzt waren die Angreifer abgeschwenkt und entfernten sich im Bogen von ihm. Auch sie würden versuchen, Jenny zu entern. Und plötzlich waren sie überall — er war umringt von Gekreisch, funkelnden gelben Augen, klaffenden, rasiermesserscharfen Schnäbeln, gespreizten Klauen. Von allen Seiten drangen sie auf ihn ein. Hank stöhnte auf — es schmerzte ihn, das Steuer abgeben zu müssen — und klopfte zweimal auf das Armaturenbrett. Dann riß er wieder an dem Kabel, und befriedigt sah er, wie mindestens ein Dutzend Falken in einem Wirbel von Federn explodierten. Damit waren es nur noch ungefähr achtundachtzig. Er schaute sich um. Der Blech-Holzfäller schlug mit seiner Axt auf einen Falken ein. Hank lockerte seinen Sicherheitsgurt, damit er sich herumdrehen könnte, falls es nötig wäre, und zog seinen Revolver aus dem Halfter. Er ziehlte mit dem .45er auf einen Falken, der nur wenige Armlängen entfernt war, aber er verfehlte ihn. Er hatte den Wind nicht berücksichtigt. Beim zweiten Schuß zielte er besser. Etwa zwanzig Falken hatten ihre Klauen in die Bespannung an Tragflächen und Rumpf geschlagen. Sorgfältig zielend
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zerfetzte Hank mit elf Schüssen sieben Vögel. Ein paar Löcher schoß er auch in die Tragfläche, aber das war nicht zu vermeiden. Federn, Fleischfetzen und Blutklumpen flogen wirbelnd an ihm vorbei. Bis auf einen entschlossen sich sämtliche Angreifer am vorderen Teil der Jenny, Falstaffs Rezept bezüglich des besseren Teils der Tapferkeit zu befolgen. Der einzige heldenhafte — oder dumme — stürzte sich vom Mittelteil der oberen Tragfläche auf ihn herunter. Er zerplatzte knapp oberhalb der Windschutzscheibe und bespritzte Hanks Schutzbrille mit seinem Blut. Hank schob die Brille auf die Stirn und drehte sich um. Eben zerteilte die Schneide der Axt einen Falken vor dem Holzfäller. Ein anderer hatte sich auf dem Blechkopf festgekrallt und hieb sich Klauen und Schnabel an dem Metall stumpf. Wieder ein anderer rutschte am blechernen Rücken hinunter ins Cockpit, und hinter dem Cockpit mühten sich zwei, den Blechmann zu erreichen. Hank schoß den Falken von dem Blechschädel herunter. Der Vogel, der ins Cockpit gerutscht war, tauchte wieder auf, aber der Holzfäller drehte sich um und packte den Falken am Hals. Der Vogel flatterte und versuchte, sich an dem glatten Körper festzukrallen, aber Niklaz hob ihn hoch und schleuderte ihn nach hinten. Für den Augenblick waren sie frei. Aber die Falken jagten sie noch immer, und dahinter waren zahlreiche Punkte zu erkennen! Die Geflügelten Affen, weit abgeschlagen, aber immer noch entschlossen, die Verfolgung nicht aufzugeben. Jetzt kam das gelb schimmernde Schloß in Sicht. Fünf Meilen weiter rechts, hinter den Hügeln, tobte eine Schlacht auf den Feldern. Die Eindringlinge waren rascher vorangekommen, als die letzten Berichte hatten vermuten lassen. Hank schrie Niklaz zu: »Festschnallen! Wir landen!« Schräg wie ein Krebs in den Südwestwind gedreht, landete Jenny und rollte dann, so schnell es nur ging, auf eine große Scheune zu. Soldaten liefen ihnen entgegen. Hank drehte die Jenny so, daß ihre Nase von der Scheune abgewandt war, und stellte die Zündung ab. Er und der Holzfäller kletterten aus dem Flugzeug. Die Falkin, die hinten bei dem König gesessen hatte, war wie Listiig längst verschwunden. Als der Falkenschwarm herangekommen war, erwarteten die Winkies sie in Kampfformation, angeführt von ihrem König. Jenny hatte man rückwärts in die Scheune geschoben, und das Tor war halb geschlossen. Zwanzig
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Bogenschützen und zwanzig Schwertkämpfer standen auf dem Dach der Scheune, und Bogenschützen und Speerträger umringten die Scheune in Zweierreihen. Vor dem Tor hatte der Hauptteil der Truppe Stellung bezogen! Dreißig Bogenschützen und fünfzig Speerträger. Alle Soldaten trugen Kurzschwerter am Gürtel. Hank stand in der ersten Linie vor dem Scheunentor. Er hielt die .30er BAR in den Händen, und neben ihm stand ein Mann, den er hastig darin unterwiesen hatte, ihm geladene Magazine anzureichen. Als erstes überflog eine Kundschafterstaffel der Falken die Wiese. Sie verschafften sich einen Überblick über die Lage und flogen dann zurück zu seinem Baum, der außerhalb der Bogenschußweite stand. Sie erstatteten einem großen Falken Bericht; es war ein Falkenweibchen, das auf einem Eichenast hockte. Die Falkin, offenbar die Anführerin, flatterte auf und kreiste am Himmel,während die übrigen sich zu Zwanzigerreihen formierten. Als die Formation komplett war, brachte die Anführerin sie in eine Höhe von etwa fünfzig Fuß und eine halbe Meile weit weg. Niklaz befahl seinen Leuten, nicht zu schießen, bis die Angreifer auf etwa zwanzig Meter herangekommen wären. Die Geflügelten Affen waren jetzt sichtbar — kleine Punkte, die aussahen wie ein Mückenschwarm, schätzungsweise dreihundert Fuß hoch über dem Boden. »Es wäre vielleicht klug, die meisten deiner Kugeln für sie aufzusparen«, meinte Niklaz. »Sie sind größere Ziele.« »Wir werden sehen«, antwortete Hank. Im Grunde hatte der Blechmann recht, aber wenn genügend viele Falken getötet werden könnten, würde dies die Affen vielleicht so sehr entmutigen, daß sie auf den Angriff verzichteten. Für die Feinde wäre es natürlich am besten, dachte Hank, wenn sie warteten, bis auch die Affen angekommen wären, und dann einen Massenangriff starteten. Aber wenn sie dazu zu dumm oder zu unerfahren waren, würde er ihnen ganz gewiß keine Ratschläge erteilen. Außerdem war es möglich, daß Falken und Affen eifersüchtig aufeinander waren und die Falken Ruhm und Ehre für sich allein haben wollten. Die Situation konnte der Rivalität vergleichbar sein, die zwischen Heer und Marine der Vereinigten Staaten — und wahrscheinlich auch jeder anderen Nation — herrschte. Diese beiden Waffengattungen versuchten oft, einander auszustechen, sogar im Krieg. Die Falken stießen herunter. Sie
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näherten sich mit einer Geschwindigkeit von etwa sechzig Meilen pro Stunde und teilten sich im nächsten Augenblick in eine große und eine kleine Gruppe auf. Die Mehrheit nahm Kurs auf die Männer am Erdboden, der kleine Schwärm hingegen näherte sich den Leuten auf dem Dach. Als sie bis auf etwa dreißig Meter herangekommen waren, verringerten die Falken ihr Tempo ein wenig. Sie wollten sich nicht umbringen, indem sie allzu heftig gegen die geschlossene Formation der Menschen prallten. Niklaz' Kommandostimme erscholl, und die Bogenschützen schössen. Zehn Falken waren getroffen. Im nächsten Augenblick hatten die Bogenschützen neue Pfeile aus den Köchern gezogen und an die Sehnen gelegt. Sie konnten von jetzt an nach Belieben schießen. Hank begann, kurze Feuerstöße abzugeben, und er tötete oder verwundete zehn Falken. Aber bevor die Bogenschützen ihre zweite Salve abschießen konnten, waren die Falken unter ihnen; sie kreischten, flatterten und hackten mit Schnäbeln und Klauen nach den Augen und Gesichtern der Soldaten. Hank trat zurück, und Soldaten formierten sich um ihn. Er schoß über ihre Köpfe hinweg, immer weiter, auf die zweite und dritte Welle der Falken. Seine Beschützer schlugen mit den Schwertern um sich oder stießen mit ihren Speeren nach den Vögeln. Niklaz ließ seine Axt wirbeln, er spaltete die Falken oder schlug ihnen die Flügel ab. Zwei Männer vor Hank ließen ihre Waffen fallen und sanken zu Boden. Sie versuchten verzweifelt, die rasenden Furien von ihren Gesichtern zu streifen. Nur zu gern hätte Hank die BAR beiseite geworfen, ein Schwert ergriffen und auf die Falken eingeschlagen. Aber er feuerte weiter, schwenkte den Lauf der Waffe von rechts nach links und wieder zurück. Sobald das zwanzigschüssige Magazin leer war, ersetzte er es durch ein neues. Er erwischte den größten Teil der zweiten und einen beträchtlichen Teil der dritten Welle, bevor er die glühendheiße BAR fallenlassen und sich mit einem Schwert zur Wehr setzen mußte. Zwei Falken fielen gespalten zu Boden. Ein dritter klammerte sich an seinen Hinterkopf; die Krallen bohrten sich durch den Lederhelm und ließen Kopfhaut und Nacken wie Feuer brennen. Hank ließ sich hart auf den Rücken fallen und schlug den Kopf mit dem Falken auf den Boden. Sterne tanzten
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vor seinen Augen, aber der Falke ließ nicht locker. Schreiend sprang er auf und riß sich den Helm mitsamt dem Falken vom Kopf. Er sprang in die Höhe, landete mit beiden Füßen auf dem Vogel und zerquetschte ihn. Er strich mit der Hand über seinen Hinterkopf. Als er sie wegnahm, war sie blutbeschmiert. Glühende Kohlen schienen seinen Hinterkopf und seinen Nacken zu verschmoren. Er achtete nicht darauf; er hob sein Schwert auf, beugte sich vor, packte einen flatternden Flügel und schnitt ihn ab. Der Falke, der dabei gewesen war, das Gesicht eines am Boden liegenden Mannes zu zerfetzen, sank zusammen, aber seine Krallen lösten sich nicht aus dem Fleisch seines Opfers. Plötzlich war der Kampf vorüber, wenigstens für eine Weile. Die überlebenden Falken flogen davon oder zogen sich, am Boden dahintaumelnd, zurück, wenn sie zu schwer verwundet waren. Hank bog die Klauen des toten Falken auseinander und löste sie aus seinem Lederhelm. Dann setzte er den Helm wieder auf und sah sich nach seiner Schutzbrille um. Sie lag drei Schritte weit entfernt am Boden. Er beschloß, sie ebenfalls wieder aufzusetzen, um seine Augen zu schützen. Die Falken hatten schwere Verluste erlitten. Fünfzig waren tot oder so schwer verwundet, daß sie nicht mehr einsatzfähig waren. Keiner der Menschen war ums Leben gekommen, aber sieben waren wegen gräßlicher Gesichtswunden kampfunfähig. Vier schienen ein oder beide Augen verloren zu haben, und mehrere hatten Nase oder Ohren eingebüßt. Niklaz ließ die Schwerverwundeten in die Scheune schaffen, wo sich die Sanitäter ihrer annehmen konnten. »Es fällt mir nicht leicht, jemanden zu hassen«, sagte der blecherne Holzfäller. »Aber diese Erakna hasse ich. Dies alles ist völlig sinnlos.« Hank dachte genauso, aber er sagte nichts. Er ging in die Scheune, um sich davon zu überzeugen, daß kein Falke eingedrungen war und Jenny beschädigt hatte. Drei Vögel waren hineingelangt, aber sie waren getötet worden, bevor sie das Flugzeug erreicht hatten. Er begab sich wieder nach draußen zu den anderen. »Ich frage mich, wie die Schlacht wohl stehen mag«, meinte Niklaz. »Was?« fragte Hank. Dann begriff er, daß der König von dem Getümmel sprach, das sie auf den Feldern gesehen hatten, bevor sie landeten. »Wenn die Gillikins durchbrechen«, sagte Niklaz, »wird es
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nicht lange dauern, bis sie hier sind. Die Falken und die Affen können wir vielleicht zurückschlagen, aber gegen eine Armee sind wir machtlos.«
18 »Werden die Truppen dort oben auch Falken haben?« frage Hank. Die Blechmaske lächelte starr unter dem Blut, das sie bedeckte. »Du befürchtest, daß ihre Falken die anderen verstärken könnten. Jawohl, sie haben wahrscheinlich Falken und Adler. Aber nicht viele. Sie werden sie hauptsächlich als Scouts einsetzen, nicht als Kämpfer. Erakna hat ebensowenig Tausende davon zur Verfügung wie Glinda. Die meisten Vögel ziehen es vor, wild zu leben. Glinda hat ungefähr fünfhundert zu ihren Diensten, und die meisten sind über das ganze Land verstreut. Ich schätze, daß Erakna etwa über die gleiche Anzahl verfügt.« »Da kommt einer von ihnen.« Hank deutete in die Höhe. Niklaz sah sich um und erblickte einen Entenfalken, der eben auf dem Ast einer Eiche am Rande der Wiese gelandet war. Aber der Falke rief ihnen zu, sie sollten nicht auf ihn schießen. Es sei Rakya, einer der Ihren, und gekommen, um über die Schlacht zu berichten. »O ja, jetzt erkenne ich ihn«, meinte Niklaz. Der Falke flatterte auf und landete vor ihnen. Ein paar Federn fehlten ihm, und seine Brust war blutig. Ein Auge war angeschwollen und geschlossen. »Sire, ich habe schlechte Nachrichten. Eure Armee ist in panischem Rückzug begriffen. Die meisten versuchen, das Schloß zu erreichen. Die Gillikins sind ihnen dicht auf den Fersen, und eine Kavallerieeinheit, bestehend aus Kamelen und Bogenschützen, ist unterwegs hierher.« »Wann wird sie hier sein?« erkundigte sich Niklaz. »In etwa einer Stunde.« Niklaz blickte zu dem zerklüfteten, gelben Steinkomplex
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auf dem Gipfel des Hügels. »Vielleicht sollten wir uns ins Schloß zurückziehen.« »Nein«, widersprach Hank. »Wir können Jenny nicht alleinlassen.« »Können wir sie nicht mitnehmen?« »Wir wären zu ungeschützt, zu verwundbar«, erwiderte Hank. »Wir müssen den Gegner zuerst völlig vernichten und ihm jeden Mut nehmen, uns zu verfolgen.« Er deutete auf den Schwärm von Falken und Affen im Osten. Sie sahen aus wie eine wirbelnde Wolke in völliger Konfusion, aber er war sicher, daß die Falkenführerin und der Stellvertreter des Affenkönigs sich berieten. Nur zu bald würde aus dem Chaos wieder Ordnung werden. »Gut, wir werden noch einen, vielleicht zwei Angriffe zurückschlagen«, erklärte Niklaz. »Aber dann müssen wir sehen, daß wir das Schloß erreichen.« »Nein. Ich werde Jenny nicht alleinlassen. Sie werden sie in Stücke reißen.« »Du bist ebenso halsstarrig wie deine Mutter«, meinte der König. »Ich schätze deine Loy alität, aber Loyalität kann zur Dummheit werden. Ich muß das Wohlergehen meines Volkes im Auge behalten, und ich werde ihm nicht helfen können, wenn ich mich gefangennehmen lasse.« Hank zog sich in die Scheune zurück. Ein Medikus wusch seine Wunden mit Seife und kaltem Wasser aus, tupfte sie mit einem weichen Tuch trocken, während Hank die Zähne zusammenbiß, u m nicht laut aufzuschreien, goß eine Flüssigkeit über die blutigen Risse und legte ein Pflaster darauf. Dann trat Hank zu Jenny. »Wenn es brenzlig wird, mußt du auf eigene Faust starten.« »Sieht es so schlimm aus?« »Noch nicht. Aber es könnte schlimm werden. Wenn der Feind mich tötet oder gefangennimmt, oder wenn ich in die Wälder fliehen muß, dann starte. Falls ich es schaffe, mich nach Suthwarzha durchzuschlagen, sehen wir uns dort wieder.« Jennys Stimme klang unverkennbar traurig. »Und wenn du nicht zurückkommst... ?« »Dann wird Glinda sich um dich kümmern.« Er ließ das Scheunentor weit öffnen, damit Jenny hinausrollen könnte. Dann kommandierte er hastig einen Soldaten ab, der Äther in ihren Vergaser gießen sollte, falls sie gezwungen wäre, tatsächlich zu starten. Jennys Stimme zitterte. »Ich bin so aufgeregt. Ich will nicht von dir getrennt werden. Ich wünschte, ich könnte sein wie ihr Menschen und weinen.«
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»Sei nicht traurig«, sagte Hank. »Sei wütend. Mein Gott, das hätte ich fast vergessen! Deine Tragfläche ist beschädigt. Du mußt aufpassen; die Bespannung könnte wieder abreißen. Übrigens — tut dein Schaden, ich meine die Verletzung... tut es dir weh?« »Nein. Ich fühle es, aber es tut nicht weh. Ich glaube es wenigstens nicht. Ich bin allerdings nicht sicher, was du mit >wehtun< meinst.« Es war schon seltsam. Sie, die Vogelscheuche und der Holzfäller besaßen Sinne, mit denen sie eine Beschädigung lokalisieren konnten, aber Schmerzen blieben ihnen erspart. Körperliche Schmerzen wenigstens, denn eine emotionale Verletzung tat ihnen sehr wohl weh. Er tauchte eine Kelle in einen Wassereimer und trank mit tiefen Zügen. Obwohl die Luft recht kühl war, hatte er so ausgiebig geschwitzt, daß seine Kleider durchnäßt waren. Sein Mund war so trocken wie ein Handbuch der Army. Er ging hinaus und erzählte dem Holzfäller, was er vorhatte. »Ich brauche ungefähr zwanzig Männer um mich herum, wenn ich in den Wald gehe. Zwei werden nicht zurückkommen: Ich und mein Munitionsgehilfe. Glaubt Ihr, es könnte klappen?« »Die Falken haben scharfe Augen, aber sie sind über eine Meile weit weg«, meinte Niklaz. »Vielleicht zählen sie euch nicht, wenn ihr im Wald verschwindet. Aber sie werden sich fragen, warum der Trupp dorthin geht. Sie werden versuchen, es herauszufinden.« »Die Männer sollen so tun, als müßten sie scheißen«, schlug Hank vor. »Das dürfte genügen, um sie zu täuschen. Dem Geruch nach zu urteilen, schätze ich, daß ein paar von ihnen sowieso schon die Hose voll haben. Sie sollen sich das Zeug aus den Hosenbeinen schütteln.« »Ja«, meinte Niklaz. »Es riecht ziemlich streng, nicht wahr?« Baum hatte behauptet, die Vogelscheuche und der Blech-Holzfäller hätten keine Gerüche wahrnehmen können, doch dies stimmte nicht. Sie sahen mit Nachbildungen von Augen und hörten mich nachgebildeten Ohren. Da sie Nasenimitationen besaßen, konnten sie auch riechen. Einen Geschmackssinn hatten sie allerdings nicht. Unterdessen hatten die Falken und die Affen begonnen, sich zu formieren. Hank erläuterte den Männern, die er brauchte, seinen Plan, und wenig später watschelte er im Entengang auf den Wald zu, damit sein Kopf die Männer seiner Eskorte nicht
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überragte. Ein schmaläugiger Winkie namens Naby a der Nieser trug die Magazine. Als sie die mächtigen, dreißig Meter hohen, in prachtvoller Blüte stehenden Bäume erreicht hatten, von denen die Wiese gesäumt war, schwärmte die Gruppe auseinander. Hank und Naby a begaben sich in die Deckung des Waldes, wo der schwere, aber köstliche Duft der Blüten ihren Geruchssinn schier überwältigte. Sie wandten sich zuerst nach Süden und dann nach Osten. Als sie die Scheune etwa hundert Schritte weit hinter sich gelassen hatten, schlichen sie sich an eine Stelle, die nur knapp zehn Meter vom Waldrand entfernt lag. Dort kauerten sie sich hinter einen Busch und warteten. Sie waren gerade zur rechten Zeit im Wald verschwunden. Ein Seeadler überflog die Scheune, zog einen weiten Kreis und verschwand mit schwerem Flügelschlag in nördlicher Richtung. Zweifellos war er ein Kundschafter, den die Gillikins ausgesandt hatten. Nicht lange, und er würde der Kavallerie melden, daß der Winkie-König hier sei, und dann würde man ihm den Weg zum Schloß abschneiden. Niklaz hatte den Adler gesehen, aber anscheinend wollte er bei der Scheune bleiben. »Da kommen sie«, flüsterte Naby a und spuckte ein Stück Kautabak auf den Boden. Die Falken flogen nicht mit Höchstgeschwindigkeit; sie hielten sich zurück, damit die Affen ihnen folgen konnten. Beide Gruppen flogen in einer Höhe von etwa einhundert Fuß. Die Falken bildeten eine Vorhut von drei Linien, und die Affen flogen in vier Linien hinterher. Die Vögel schwiegen, aber die Affen stießen Kriegsrufe aus, sie brüllten ihren Feinden Beleidigungen entgegen und ermutigten einander. Hank schüttelte den Kopf. Diese Geschöpfe waren insofern unnatürlich, als sie sich nicht im Laufe einer Evolution zu ihrer gegenwärtigen Gestalt entwickelt hatten. Zweifellos waren sie Produkte künstlicher Gen-Manipulationen. Die Längst Versunkenen hatten sie erschaffen. Es hieß, sie seien, Pfund für Pfund, die stärksten Lebewesen dieser Welt. Sie mußten es sein, um ihr Gewicht von zirka vierzig Pfund in die Höhe zu bringen und mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich zwanzig Meilen pro Stunde zu fliegen. Die Tatsache, daß jeweils zwei von ihnen in der Lage gewesen waren, Dorothy, die Vogelscheuche und den BlechHolzfäller in die Höhe zu heben, war Beweis ihrer gewaltigen Muskelkraft. Zu zwölft hatten sie den Ängstlichen Löwen an
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Seilen zum Schloß der Westhexe getragen; der Weg dorthin war allerdings nicht weit gewesen. Die Falken waren noch hundert Meter weit von der Scheune entfernt. »Los«, sagte Hank. Er stand auf und schlich zu einem Baum am Rande der Wiese. Daneben stellte er sich auf, hob die BAR und eröffnete das Feuer. Nabya reichte ihm die Magazine an. Mindestens dreißig Falken zerstoben zu Blut und Federwolken. Jede Kugel durchschlug zwei oder drei hintereinander. Dann schwenkte Hank das Gewehr nach links und jagte einen Feuerstoß in die Frontlinie der Affen. Mindestens fünfzehn, schätzte er, wurden getroffen, einschließlich der mächtigen Bestie, die sie anführte. Hank schoß unaufhörlich in den Schwärm, der jetzt die Wiese überflog. Er wünschte sich, er hätte eine ThompsonMaschinenpistole. Sie hatte ein fünfzigschüssiges Trommelmagazin, und man hätte sie nicht so oft nachladen müssen wie die BAR mit ihren zwanzigschüssigen Kastenmagazinen. Außerdem war sie leichter und weniger unhandlich. Es erforderte einen kräftigen Mann, die achtzehneinhalb Pfund schwere BAR aufrecht stehend zu bedienen. Am Lauf des Gewehrs war ein Ständer montiert, so daß der Schütze flach am Boden liegen und schießen konnte, wobei der größte Teil des Gewichts auf dem Ständer ruhte. Aber unglücklicherweise befanden sich die meisten Ziele, die Hank hier zu beschießen hatte, in der Luft, und er mußte die Waffe zu meist steil und in den verschiedensten Winkeln in die Höhe richten. Nichtsdestoweniger richtete er ein Blutbad an, und über der Wiese brach Panik aus. Mindestens zweihundertfünfzig Affenleiber lagen auf der blutbespritzten Wiese, und dazwischen zahllose Falken und Adler. Dann war seine Munition zu Ende. Er hängte sich die BAR über die Schulter, sorgsam darauf achtend, daß das heiße Metall nicht mit dem Leder seiner Jacke in Berührung kam. Dann wandte er sich an Nabya. »Folge mir.« Etwa zehn Affen waren mutig genug, auf ihn zuzufliegen. In seinem Revolver waren nur sechs Patronen. Selbst wenn er sechs seiner Gegner erwischte, würde er keine Zeit zum Nachladen finden, bevor die Überlebenden ihn erreicht hätten. Mit seinen langen Beinen kam er so schnell voran, daß Nabya nicht Schritt halten konnte. Als er einen Schrei hörte, blieb er stehen und wirbelte herum. Die Pseudo-
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Affen setzten dem Winkie auf allen vieren und mit zusammengefalteten Flügeln nach, und sie waren ihm dicht auf den Fersen. Naby a, der unter einem Brotbeutel voller leerer Magazine ächzte, hatte sich umgedreht und sah den Verfolgern entgegen. Er reckte sein Schwert in die Höhe und hielt sich bereit. Hank warf sein Gewehr auf den Boden, zog den Revolver aus dem Halfter und rannte zu Nabya zurück. »Hinlegen!« schrie er. »Leg dich hin, Nabya!« Entweder hörte der Winkie ihn nicht oder er befürchtete, eine allzu leichte Beute zu sein, falls Hank sein Ziel verfehlte. Jedenfalls hieb er auf den ersten der Affen ein und schlug ihm die Pfote ab. Dann schleuderte ihn ein kreischender Affe rücklings auf den Boden. Hank umklammerte den .45er mit beiden Händen und schoß dreimal. Die beiden hinter Nabyas Angreifer stürzten zu Boden. Der Winkie und der Affe wälzten sich am Boden. Aus dieser Entfernung konnte Hank nicht schießen, ohne Naby a zu gefährden, und so stürzte er auf die beiden zu. Bei der ersten Gelegenheit feuerte er, und die Kugel durchschlug den Hinterkopf der Kreatur, so daß ihr Gesicht den Winkie von oben bis unten bespritzte. Der überlebende Affe rannte davon, aber nach zwanzig Schritten brach er zusammen. Naby a bewegte sich nicht. Seine Kehle war aufgerissen. Hank fluchte. Er rollte den Affen beiseite und drehte Nabya um, damit er ihm den Beutel abnehmen konnte. Dann hastete er zu seinem Gewehr zurück. Er hielt es für das beste, den Revolver nachzuladen, bevor er weiterginge. Er tat es und kehrte dann mit Beutel und BAR zum Waldrand zurück. Der Holzfäller sowie zehn Soldaten und Sanitäter waren die einzigen, die noch auf den Füßen standen. Vor und hinter ihnen türmten sich tote und verwundete Angreifer zu Bergen. Etwa zwanzig Schritte von ihnen entfernt sprangen ungefähr zwei Dutzend Affen auf und ab, heulten den Verteidigern Obszönitäten entgegen und feuerten einander an. Sie versuchten, sich für einen neuen Angriff in Raserei zu bringen. Hank feuerte mit dem Revolver in die Gruppe, lud ihn und drang, wieder schießend, auf sie ein. Die Affen ergriffen die Flucht, sie hetzten gegen den Wind an der Scheune vorbei auf das Farmhaus zu. Auf allen vieren galoppierend erreichten sie eine hohe Geschwindigkeit, und plötzlich richteten sie sich flügelschlagend auf. Die aus Haut und Knochen bestehenden
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Schwingen flatterten heftig, aber der Anlauf war einfach nicht lang genug. Sie würden sich so niemals in die Luft erheben und das Farmhaus und die dahinter stehenden Bäume überfliegen können. Als sie dies begriffen hatten, blieben sie aufheulend stehen und wandten sich um. Fünf von ihnen schafften es schließlich. Langsam und schwerfällig lösten sie sich vom Boden. Niklaz meinte: »Erakna hat einen hohen Preis gezahlt. Aber wir auch.« »Ich bin nur froh, daß sie nicht alle Affen eingesetzt hat, die ihr zur Verfügung stehen«, antwortete Hank. »Wenn sie die ganze Horde losgeschickt hätte, wären wir jetzt tot.« »Ja«, bestätigte Niklaz. »Als wir mit deiner Mutter unterwegs waren, schickte die Westhexe uns das ganze Pack entgegen, als wir uns ihrem Schloß näherten.« »Wie viele waren es?« »Oh, es waren wohl tausend, würde ich meinen.« »Dann hat sie ja noch eine Menge übrig.« Er schaute nach Osten. Ungefähr fünfzig Affen flogen davon. Sie waren überhaupt nicht gelandet, sondern hatten abgedreht, als sie sahen, wie ihre Gefährten unter dem Feuer der BAR zu Boden trudelten. »Wann wird Erakna sie wohl zurückrufen?« fragte er. »Diese dort? Überhaupt nicht. Sie müßte einen zweiten Wunsch darauf verwenden, sie zurückzuholen. Deshalb hat sie sie aufgegeben. Sie müssen nun selbst sehen, wie sie zu ihrer Meute zurückfinden. Das wird ein weiter Weg für sie sein.« Hank schickte zwei Männer aus, die ihm seine Waffen und die Gurte holen sollten. Dann fragte er: »Was werdet Ihr nun tun, Euer polierte Hoheit?« »Du kannst mich Niklaz nennen. Was ich tun werde? Nun, ich könnte mich im Schloß verkriechen. Es ist alles für eine lange Belagerung vorbereitet. Aber dann wäre mein Volk ohne einen General, der es führt. Deshalb werde ich mich in die Wälder zurückziehen und meine Armee neu organisieren. Ich habe bereits einen Boten zum Schloß geschickt, der den Leuten dort befehlen soll, es zu verlassen.« »Viel Glück, Niklaz«, meinte Hank. »Ich werde jetzt gleich losfliegen. Die Gillikins werden bald hier sein.« »Welch unermeßliche Dummheit«, seufzte der blecherne Holzfäller. »So viele Tote, so viel Blut und so viel Leiden. Und wozu?« »So ist es auch auf der Erde«, antwortete Hank. »Dort allerdings hört es niemals auf. Ihr habt doch wenigstens dreiunddreißig Jahre lang Frieden gehabt, und bisher gab es
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weder Krieg noch Gerüchte von einem Krieg.« »Aber jetzt habe ich nicht einmal Zeit, die Toten zu begraben.« »Es wird sie nicht kümmern.« Die Verwundeten wurden auf improvisierten Bahren zum Wald geschleppt. Jenny hatte man bereits aus der Scheune gerollt und Leichen und Kadaver waren ihr aus dem Weg geräumt worden. Hank salutierte vor Niklaz und meinte: »Keine Zeit mehr für einen ruhigen Abschied.« »Wem sagst du das?« erwiderte der König. Er deutete nach Norden, und Hank erblickte zwei Kamele, die auf dem Gipfel eines Hügels standen, etwa eine halbe Meile weit entfernt. Im selben Augenblick wandte eines der beiden sich ab und verschwand hinter der Kuppe. Hank warf den Magazinsack und die BAR in das hintere Cockpit und kletterte auf den Vordersitz. Zehn Minuten später war er in der Luft. Die Winkies waren derweilen unter den Bäumen verschwunden. Die Kavallerie der Gillikins galoppierte den nächstgelegenen Hang herunter, Kamele an der Front, dicht gefolgt von Kamelen, auf denen Bogenschützen ritten. Dahinter sah er Menschen, die dem Schloß entströmten und mit den Scharen, die aus dem Norden herunterkamen, verschmolzen. Es war die geschlagene, fliehende Armee Niklaz' des Ersten und Einzigen. Hank flog zurück zur Smaragdstadt. Jennys Flügel mußte dringend repariert werden. Sie konnte von Glück sagen — und Hank ebenfalls —, daß sie die Strecke hinter sich brachte, ohne daß der Flügel abbrach. Die Stadt und die umliegenden Wiesen waren von ungewöhnlich dichtem Gedränge bevölkert. Flüchtlinge aus dem Norden waren hierher gezogen, und sie hatten ihre Karren mit Haushaltsgegenständen beladen, bis sie zusammenzubrechen drohten. Die Invasoren hingegen wurden vorläufig noch in den Wäldern aufgehalten. Sie waren gezwungen, in schmalen Kolonnen zu marschieren und konnten sich nicht zum Kampf massieren. Die Armee von Oz ließ sie immer wieder in Hinterhalte laufen, schnitt einzelnen Kolonnenteile von den übrigen ab, beschoß sie aus dem Schutz der Bäume und riß hier ein Stück und dort ein Stück aus dem Fleisch der Eindringlinge. Die Verteidiger erhielten tatkräftige Unterstützung von den wilden Tieren, die ihre Verbündeten waren. Der Ängstliche Löwe hatte die einheimischen Tiere und Vögel rekrutiert sowie zahlreiche Löwen, Jaguare, Säbelzahntiger, Bären, Mammuts, Mastodons und Wölfe aus den Wäldern seines
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Reiches im nördlichen Quadlingland mitgebracht. »Trotzdem«, meinte die Vogelscheuche, »werden die Gillikins in wenigen Tagen aus den Wäldern hervorbrechen. Wir werden ihren Marsch auf die Stadt nicht aufhalten können. Das Land ist zu offen. Sag Glinda, daß ich jetzt nichts weiter tun kann, als mich auf eine Belagerung vorzubereiten. Damit müßte ich den größten Teil ihrer Armee an mich binden können.« »Das weiß sie wahrscheinlich schon«, erwiderte Hank. »Ja, wahrscheinlich. Aber sie muß es offiziell erfahren.« Ein Falke traf ein; er brachte neue Befehle von Glinda: Hank sollte die geplanten Angriffsflüge gegen die Gillikins nicht mehr durchführen. Drei Tage später flog er ab. Er fühlte sich müde und geschlagen, aber nicht mutlos.
19 Stover stand vor Glinda und berichtete ihr über die letzten Entwicklungen. »Nur schlechte Nachrichten, fürchte ich.« »Nein«, erwiderte die Königin, »ganz und gar nicht. Du mußt mindestens ein Viertel von Eraknas Falken zur Strecke gebracht haben, und das bedeutet, daß ihre Späher- und Nachrichteneinheiten empfindlich reduziert worden sind. Außerdem hast du den Geflügelten Affen einen schweren Schlag versetzt. Aber die Ungenießbare wird aus ihren zwei Begegnungen mit dir lernen. Wenn sie dir die nächste Falle stellt, wird sie es anders angehen.« »Warum bin ich ihr denn so wichtig?« »Es geht weniger um dich als um dein Flugzeug. Sie muß übertriebene Vorstellungen von der Gefahr haben, die dieses Flugzeug für ihre Streitkräfte darstellt.« Hank zuckte zusammen, aber er mußte zugeben, daß sie vermutlich recht hatte. Jennys größter Nutzen war ihre Fähigkeit, Passagiere zu befördern. Bei Tiefflugangriffen oder Bombenüberfällen gegen
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die Invasoren hätte sie von begrenztem Nutzen sein können, wenn es die Falken und Adler nicht gegeben hätte. Aber diese konnten ihn relativ mühelos vom Himmel holen. Bisher hatte er Glück gehabt, wenn er ihnen entkommen war. Außerdem waren die Falken als Kundschafter hoch überlegen. Wenn er ein Jagdflugzeug gehabt hätte, eine MB-3A... Aber es hatte keinen Sinn, über Wenns nachzudenken. »Du bist zudem nicht der einzige, der mir schlechte Nachrichten bringt«, fuhr sie fort. »Nicht?« »Am Tag, bevor Erakna dir die Geflügelten Affen hinterherschickte, tötete sie Wulthag.« »O mein Gott! Die Osthexe ist tot?« »Ja. Irgendwie ist es ihr gelungen, ihren Schutzbann zu durchbrechen und sie in Brand zu setzen. Eine Gillikin-Armee marschiert beinahe ungehindert auf die Hauptstadt der Munchkins zu. Die alte Mombi ist dabei. Sie soll dort die Herrscherin werden — natürlich Eraknas Oberbefehl unterworfen.« »Das ist schrecklich.« »Nicht in jeder Hinsicht. Erakna zieht ihre Streitkräfte zu weit auseinander. Sie wird es nicht leicht haben, wenn sie einen Krieg an drei Fronten führen will, an vier Fronten, falls sie in Quadlingland einfallen sollte. Schon jetzt sind die Gillikins draußen auf den Farmen knapp an Leuten. Wahrscheinlich wird sie Sklaven aus den eroberten Gebieten einsetzen müssen, um die Bauern zu ersetzen. Aber diese müssen bewacht werden, und dafür wiederum wird sie eine Menge Soldaten abstellen müssen. Viele Soldaten werden auch als Besatzungstruppen gebunden sein.« »Könnte sie auch daran gedacht haben, mich gefangenzunehmen, damit sie mich verhören kann ? Ich meine, sie muß ja sehr neugierig über mich sein. Vielleicht glaubt sie, daß ich über Kenntnisse Verfüge, die ihr von Nutzen sein könnten, beispielsweise im Zusammenhang mit Waffentechnik.« Glinda nahm einen Schluck Beerensaft. Dann sagte sie: »Du bist sehr schlau, Hank. Ganz wie deine Mutter. Jawohl, ich vermute, daß ihr dieser Gedanke gekommen ist, aber dann zog sie es vor, dich töten zu lassen. Ihre Sorge, daß du mir helfen könntest, überwiegt ihr Interesse daran, wie du ihr möglicherweise von Nutzen sein könntest.« Hank zögerte. »Bitte verzeiht mir, Mütterlein...« »Nenne mich Glinda, wenn wir allein sind. Ich habe diese Titel satt.« »Nun, äh... Glinda. Ich frage mich... Ich meine, wenn
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Erakna einen Angriff gegen Wulthag geführt hat, dann muß dieser Angriff sie doch eine Menge Energie gekostet haben. Müßte sie dann jetzt nicht schwächer sein, weil ihr eigener Schutzbann nicht mehr so stark ist? Wieso ergreift Ihr nicht die Gelegenheit, sie anzugreifen?« Glindas Augen wurden schmal, aber dann lächelte sie. »Erakna hat bei ihrem Überfall eine Menge Energie verbraucht, das stimmt. Aber als ich das herausfand, hatte sie Wulthag bereits ermordet. Meine arme Freundin. Als Wulthag aber starb, übernahm Erakna augenblicklich ihren gesamten Energievorrat. Damit war sie nicht nur wieder zu Kräften gekommen, sondern stärker als je zuvor. Deshalb habe ich sie nicht angegriffen.« »Ich danke Euch für diese Erklärung«, sagte Hank. »Sie ist allerdings nicht sehr erhellend. Was ich brauche, ist eine klare und detaillierte Beschreibung von Theorie und Praxis der Magie.« »Du würdest die Disziplin der Hexenkunst erlernen müssen«, antwortete Glinda. »Das würde Jahre dauern, und es wäre äußerst gefährlich. Von hundert Lehrlingen, die sich darauf einlassen, gibt die Hälfte auf, noch bevor sie nennenswerte Fortschritte gemacht hat. Von den verbleibenden fünfzig werden höchstens zwei oder drei zu voll ausgebildeten Hexen oder Zauberern. Die übrigen... sterben. Aber ich sollte mich genauer ausdrücken. Einige geben sich damit zufrieden, niedere Hexen zu werden. Mombi zum Beispiel ist eine von ihnen.« »Warum greift Ihr sie nicht an?« »Ich werde es tun, wenn die Bedingungen es zulassen.« Sie erklärte, er könne nunmehr seinen Bericht an das Signal Corps abfassen; sie werde ihn dann lesen. Wenn der grüne Dunst wieder käme, sollte alles bereit sein. Sie würde sich jedoch vorbehalten, seinen Report zu zensieren. »Sie werden es einfach nicht glauben«, meinte er. »Auch wenn sie dich für verrückt halten, werden sie ihre Versuche nicht aufgeben. Vielleicht versuchen sie, einen weiteren Flieger durch die Pforte zu schicken, vielleicht sogar mehr als einen. Wenn sie Größe und Dauer der Öffnung unter Kontrolle haben, werden sie eindringen. Dessen bin ich sicher.« »Ich nicht. Ihr habt große Angst vor Krankheiten. Aber sie werden ebenso große Angst vor unseren Krankheiten haben. Sie wissen nicht, ob sie nicht hochempfindlich dagegen sind.« »Aber wir haben hier keine Krankheiten, jedenfalls keine,
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derentwegen sie sich Sorgen zu machen brauchen.« »Das wissen sie nicht. Dafür habt Ihr gesorgt.« »Ich?« »Natürlich. Glaubt Ihr, es sei nicht so?« »Ich habe dreihundert Jahre Erfahrung, aber hin und wieder treffe ich immer noch auf Leute, die so listig sind, daß sie selbst mich gelegentlich hinters Licht führen können. Der men schliche Erfindungsreichtum ist tiefgründig und komplex, und am produktivsten ist er, wenn es um Verbrechen oder Krieg geht. Du bist gerissen, und du hast dich nicht offen auf unsere Seite gestellt. Und ich würde dir nicht einmal glauben, wenn du es tätest.« Sie schwieg einen Moment lang. »Ich täte es vielleicht, wenn du Lamblo heiratetest. Aber selbst dann könnte ich mir deiner Loy alität nicht sicher sein. Du könntest sie heiraten, um mich zu täuschen.« »Verdammt, so hinterlistig bin ich nicht! Ich habe Integrität! Ich bin ehrlich! Wenn ich ein so doppelzüngiges Schwein wäre, hätte ich doch die Gelegenheit, Lamblo zu heiraten, unverzüglich beim Schöpf ergriffen!« »Beruhige dich«, entgegnete sie lächelnd. »Du bist ebenso heißblütig wie deine Mutter. Der Unterschied zwischen euch beiden ist, daß ihr Ärger immer angemessen war. Du bist nicht so selbstsicher wie sie. Natürlich kann es auch sein, daß deine Empörung gespielt ist.« »Ich bin kein guter Schauspieler!« »Du wirst immer hitziger. Es geht doch nur darum: Was würdest du tun, wenn uns von deinem Volk keine Gefahr drohte und dein Patriotismus nicht auf die Probe gestellt würde? Würdest du Lamblo dann auch heiraten?« »Ich weiß es wirklich nicht«, antwortete er. »Ich liebe sie nicht. Das heißt, ich bin nicht Hals über Kopf in besinnungslose Leidenschaft versunken.« »Leidenschaft ist nicht immer Liebe. Eigentlich ist sie es sogar selten. Wenn du darauf wartest...« Hank sagte nichts. »Auf wen wartest du? Ist es jemand, den ich kenne?« »Es gibt keine Frau auf der Erde —« »Aber hier?« »Das habe ich nicht gesagt.« Sie schwiegen lange. Glinda betrachtete den Stapel von Papieren, die daraufwarteten, daß sie sie durchlas und unterzeichnete oder nicht unterzeichnete. Sie seufzte. Niemand sonst, fand er, konnte mit einem einzigen Ausatmen so viel zum Ausdruck bringen wie sie. Es lag eine tiefe Müdigkeit darin, die Müdigkeit von Jahrhunderten. Vielleicht war es auch
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nicht Müdigkeit, sondern Frustration. Oder womöglich Trauer. Oder alle drei Empfindungen, nicht übereinandergeschichtet, sondern unentwirrbar ineinander verflochten. Er hatte das Gefühl, daß sie die Erleichterung gebrauchen könnte, die Tränen ihr bringen würden. In diesem Augenblick liebte er sie mehr als jemals zuvor; das Verlangen nach ihr war beinahe schmerzhaft, aber er spürte auch den Schatten, der über ihnen lag. Es war die Dunkelheit der Einsicht, daß er sie niemals als Geliebte oder als Frau in die Arme würde schließen können. Sie war ein Mensch und sie war schön, aber sie war ein sehr, sehr alter Mensch. Ebensogut wie ihn könnte sie sich ein einjähriges Kind zum Liebhaber erwählen. Sie hob den Blick, und ihre Augen fixierten ihn. »Du liebst mich, nicht wahr?« »O nein«, erwiderte er hastig. Er haßte sich wegen dieser Lüge. Weshalb hatte er sie herausgesprudelt? Warum hatte er Angst, die Wahrheit auszusprechen? Hatte er geglaubt, er würde sie damit beleidigen ? Sie verletzten ? Eine Frau, die dreihundert Jahre lang Zeit gehabt hatte, einen Schutzwall gegen jede Art der Verletzung ihrer Gefühle zu errichten ? Die einen solchen Schutzwall vermutlich inzwischen gar nicht mehr benötigte? Sie lächelte leise, aber sie sagte nichts. Diese Augen. Sie waren wie die der Sphinx in Gizeh. Vom Lauf der Jahrhunderte geprägt starrten sie auf Unendlichkeit und Ewigkeit, und diese beiden starrten zurück, und sie wurde eins mit ihnen. Nein — sie wurde zu ihnen. Glinda kehrte zurück von da, wo sie mit ihren Gedanken gewesen war. Es klang munter, als sie sagte: »Also gut. Es ist äußerst zweifelhaft, daß dein Volk, die Amerikaner, in der Lage sein werden, eine Pforte in Bodenhöhe zu eröffnen. Aus irgendeinem Grunde scheinen die schwachen Stellen in der Wand zwischen unseren beiden Welten jetzt oberhalb der Erdoberfläche zu liegen. Die Amerikaner werden also nicht in der Lage sein, Bodentruppen hereinzuschicken. Wie stehen die Chancen dafür, daß sie eine Armee in Flugmaschinen zu uns entsenden?« Hank dachte eine halbe Minute lang nach, bevor er antwortete. »Die Amerikaner besitzen keine großen Transportflugzeuge, weder zivile noch militärische. Ich vermute, sie könnten welche von den Briten kaufen, aber es würde ihnen schwerfallen, so etwas vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten. Das ganze Projekt ist derzeit ohnehin streng
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geheim. Sie könnten zweisitzige Flugzeuge und ein paar Bomber schicken, aber die größten Bomber, die wir haben — in der Army wenigstens —, fassen nicht mehr als drei Männer. Die Maschinen müßten aber auch Vorräte, Munition und Waffen transportieren. Das bedeutet, daß sie nicht mit voller Besatzung fliegen könnten. Natürlich könnten sie, wenn sie rasch genug operierten, eine Basis etablieren, die durch die erste Welle verteidigt werden könnte, während Pendelflüge weitere Soldaten und zusätzliches Material hereinbrächten. Aber... ich weiß nicht. Wenn sie die Operation eine Zeitlang geheimhalten wollten, müßte sie recht klein bleiben. Je mehr Leute daran beteiligt sind, desto größer sind die Chancen, daß jemand redet.« »Und wenn die Regierung beschließt, die Öffentlichkeit zu informieren?« »Ich glaube nicht, daß sie das tun würde, solange sie nicht gezwungen ist, die Karten auf den Tisch zu legen. Sie wollen ja nicht, daß andere Nationen davon erfahren, ehe sie sicher sein können, daß sie das Monopol auf dieser Welt haben. Die Reaktion ihres eigenen Volkes ist außerdem auch nicht frei von Risiken. Es herrscht eine Menge Sentimentalität über das fiktive Land Oz. Viele Leute wären empört, wenn sie wüßten, dass das Militär einen Invasionsfeldzug gegen dieses Land führt. Um die Wahrheit zu sagen: Ich weiß nicht, was sie dort denken und was sie gern tun möchten.« Glinda machte ein entschlossenes Gesicht. »Ich will, daß Kommunikation und Reisen zwischen den beiden Welten abgeschnitten werden. Zumindest so lange, bis dein Volk ein wenig zivilisierter ist — falls dieser Augenblick jemals kommt.« Hanks Gesicht war brennend rot, aber er sagte nichts. Glinda nippte an ihrem Beerensaft. Dann fuhr sie fort: »Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht, ob ich dir von einer bestimmten Tatsache erzählen soll. Heute morgen beschloß ich, daß du es wissen sollst. Ich möchte, daß du es in deinem Bericht an dein Volk erwähnst.« Sie schwieg. Hank sah sie an. »Ja?« »Ich habe Falken in der Gegend kreisen lassen, in der die grüne Wolke sich zu bilden pflegte. Beim vorletzten Mal, da sie erschien, ist einer der Falken auf meinen Befehl hin durch die Wolke in deine Welt geflogen. Als die Pforte sich neulich bildete, kam er zurück.« »War er immer noch fähig, zu denken?« fragte Hank schnell. Glinda nickte. »Ja. Und das bedeutet, daß Sinngeister,
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wenngleich deine Welt sie nicht hervorbringt, dort existieren können.« Diese Neuigkeit würde diejenigen, die von dem Projekt wußten, erschrecken — falls sie ihm glaubten. Aber... sagte Glinda überhaupt die Wahrheit? Oder hatte sie diese Geschichte erfunden, um der Regierung Angst einzujagen? »Es gibt nur eine Möglichkeit, sie von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen«, meinte er. »Wenn die Pforte sich das nächstemal auf tut, schickt einen Falken hindurch. Einen sprechenden Vogel können sie nicht ignorieren.« Glinda lachte. »Aber sie verstehen doch kein Quadling.« »Das macht nichts. Sie können einen Sprachwissenschaftler hinzuziehen, der Gotisch beherrscht, und er wird in der Lage sein, Lautveränderungen, grammatische Weiterentwicklungen und den größten Teil des Vokabulars herausarbeiten zu können. Das einzige Problem ist, daß sie ihn vereidigen müssen, damit er seine Erkenntnisse für sich behält. Vielleicht vertrauen sie nicht darauf, daß er den Mund hält. Jedem Wissenschaftler würde es höllische Probleme bereiten, anderen nicht davon zu erzählen, wenn er es mit einem sprechenden, intelligenten Vogel zu tun hätte.« »Würde dein Volk den Falken zurückkommen lassen, wenn sie ihn erst studiert hätten?« wollte Glinda wissen. Hank zögerte. »Das weiß ich nicht. Na ja... eigentlich bezweifle ich es. Zumindest würden sie ihn lange bei sich behalten. Man würde ihn auf Herz und Nieren untersuchen, und das würde Monate dauern, vielleicht ein ganzes Jahr. Und selbst dann —« »Ich werde niemanden aus meinem Volke in Gefangenschaft schicken«, unterbrach Glinda. Hank hatte es nicht ausgesprochen, aber er glaubte, daß man den Falken schließlich töten würde. Die Wissenschaftler würden ihn sezieren wollen, wenn sie ihre Studien am lebenden Exemplar beendet hätten. Sie würden wissen wollen, wie die Struktur des Hirn- und Nervensy stems beschaffen wäre. »Wieso kannst du ihnen nicht einen Film mit beweglichen Bildern schicken, auf dem du und andere im Gespräch mit Falken zu sehen sind? Du könntest eine Tonaufnahme dazulegen.« »Das könnte ich tun, aber sie würden es für eine Fälschung halten.« »Wenn sie das täten, würden sie glauben müssen, du seist ein Verräter.«
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Hank war erschrocken. Nach einigen Augenblicken sagte er: »Nicht unbedingt. Sie könnten und würden wahrscheinlich glauben, man habe mich gezwungen. Und damit hätten sie einen Vorwand für die Entsendung einer Invasionstruppe: Sie müßten mich retten.« »Und da wir ihnen Widerstand leisten würden, könnten sie uns sodann den Krieg erklären?« »Offiziell, das heißt, öffentlich könnten sie es nur tun, wenn sie wollten, daß jeder von dieser Welt erfährt.« Glinda lächelte. »Kompliziert, nicht wahr? Aber so sind die Angelegenheiten der Menschen immer.« Hank antwortete nicht. Kurz darauf entließ Glinda ihn. Er begab sich zum Hangar und machte sich daran, Jenny für die notwendigen Inspektions- und Reparaturarbeiten zu demontieren. Es war längst überfällig. Jenny fragte ihn, was er da tue; es schien sie nervös zu machen, daß er sie auseinandernahm. Er erklärte es ihr, und dann mußte er viele Fragen über andere Dinge beantworten. Jenny versuchte unablässig, sich zu bilden. Wenn er nicht in der Nähe war, löcherte sie Mechaniker und andere, Menschen wie Tiere, solange sie nur in Reichweite ihrer Stimme waren. Eine halbe Stunde vor dem Abendessen stellte er die Arbeit ein, und er gab seinen Helfern ein paar Zeichnungen und zusätzliche Weisungen; sie sollten ihm einige Dichtungen herstellen. Nach dem Essen ging er mit Lamblo zu der allwöchentlichen Abendunterhaltung, die im Ballsaal stattfand. Dort traten Gaukler, Akrobaten, Feuerfresser, Narren und Clowns auf; außerdem gab es einen Zweiakter, der auf einer Quadling-Legende basierte. Hank begann sich zu langweilen, aber er konnte nicht gehen, solange Glinda da war. Zum Glück langweilte sie sich noch mehr; sie kannte solche Vorstellungen seit dreihundert Jahren. Nach vierzig Minuten zog sie sich zurück, und kurz darauf waren auch Hank und Lamblo in ihren Gemächern. Eine Dienstmagd, eine hübsche Brünette namens Mizdo, weckte ihn, als der Morgen graute. Er hatte die Anweisung hinterlassen, daß man ihn um diese Zeit wecken solle, da er den ganzen Tag lang am Flugzeug arbeiten wollte. Mizdo aber verrichtete nicht nur ihre Pflicht als Wecker. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie war ein wenig bleich und wirkte erregt. »Die Königin sagt, du sollst sofort zu ihr kommen!« Lamblo
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setzte sich auf. Sie blinzelte. »Wie? Was?« »Nicht du, Hauptfrau«, sagte Mizdo. »Hank der Riese.« Er sprang aus dem Bett und stürzte ins Bad. Über die Schulter hinweg rief er: »Was ist los?« Mizdo deutete mit ihrem winzigen Zeigefinger auf das französische Fenster. »Dort! Dort!« Hank wirbelte herum. Das Nachthemd umflatterte seine Knöchel, als er zum Fenster lief. Das Fenster war verschlossen und mit einem Laden versperrt, um plötzlichen Überfällen durch Eraknas Mörderfalken vorzubeugen. Er öffnete das Fenster und trat hinaus auf den Balkon. Die Sonne stand bereits über dem Horizont. Im Süden, hoch in der Luft, hing eine grüne, ungefähr rechteckige Silhouette. Die Pforte. Aber sie war viel größer als jemals vorher. Sie war sicher so groß wie zwei Fußballplätze nebeneinander. »Was ist das?« fragte Hank. »Es ist doch noch nicht soweit.« Der Dunst begann zusammenzuschrumpfen, aber als er die Größe eines halben Fußballplatzes hatte, hörte er auf zu schrumpfen. Hank beobachtete ihn zwei Minuten lang, ohne daß er eine Veränderung festgestellt hätte. Dann fiel ihm ein, daß die Königin ihn gerufen hatte und daß es nicht weise sei, sie warten zu lasseh. Also riß er sich von dem Schauspiel los. Zehn Minuten spater war er in Glindas Suite. »Was hältst du davon?« fragte sie ihn. Der Nebel hatte immer noch die gleiche Größe. »Sie haben einen Weg gefunden, die Öffnung zu stabilisieren«, meinte er. »Sie führen ein Experiment, einen Test, durch.« »Nur gut, daß Jenny im Moment nicht fliegen kann«, bemerkte sie. »Sonst würdest du jetzt vielleicht versuchen, zu fliehen.« »Niemals«, erwiderte er. »Jetzt könnten sie eine ganze Armee von Flugzeugen einfliegen, nicht wahr?« »Ja, aber ich bezweifle, daß sie es tun werden. Wie ich schon sagte, sie müssen die Sache geheimhalten...« »Vielleicht nicht mehr.« »Wir können nichts weiter tun als abzuwarten.« Die Wolke schrumpfte plötzlich zusammen und verschwand, als sei sie ein grünes Taschentuch, das durch ein Loch im Himmel gezogen wurde. »Bisher ist sie immer mittags erschienen«, stellte Glinda fest. »Wieso kommt sie jetzt kurz vor Morgengrauen?« Hank
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antwortete nicht. »Könnte es sein, daß sie so klein war, daß sie kaum Aufsehen erregt hat ?« fragte sie. »Aber sie wissen nicht, daß die Menschen etwas so Großes tagsüber zwangsläufig sehen müssen ? Deshalb führen sie ihre Tests durch, bevor allzu viele auf den Beinen sind?« »Vermutlich ist es so«, antwortete er. Im Morgengrauen des nächsten Tages wurde er wieder geweckt. Mizdo war eben eingetreten, aber er war schon ein paar Sekunden vorher aus dem Schlaf gerissen worden. Trompeten gellten, Trommeln dröhnten, und durch die geöffnete Tür drangen die Rufe und Schreie vieler Menschen und das Getrappel aufgeregter Schritte. »Was ist jetzt wieder los?« fragte er Mizdo. »Flugmaschinen! Schrecklich viele!«
20 Hank war auf die Spitze des höchsten Turmes gehastet, und schwer atmend beobachtete er, wie die Flugzeuge aus der grünen Wolke hervorkamen und Kurs auf das Schloß nahmen. Als er den Turm erklommen hatte, kreisten die ersten Maschinen bereits über dem Schloß. Angeführt wurden sie von zwei Jagd-Doppeldeckern vom Typ Thomas Morse MB-3A. Wahrscheinlich waren sie mit Colt-BrowningMaschinengewehren vom Kaliber .30 bewaffnet. Hinter ihnen flogen drei D. H. 4B-Aufklärer und Leichtbomber, zweisitzige Doppeldecker wie der, welcher in der Ebene abgestürzt war. Dahinter folgten drei D.H. —DoppeldeckerLuftpostflugzeuge! Der Air Service mußte sie requiriert haben, um damit Material und Munition zu transportieren. Ein jedes hatte eine Ladekapazität von 55o Pfund. Jetzt kam eine Day ton Wright Model FP-2, ein schwimmfähiger, zweimotoriger Doppeldecker, speziell für die Kanadier gebaut, die damit
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Patrouillenflüge über ihren Wäldern durchführten. Hatte die Army sie ausgeborgt oder gemietet? Die FP-2 flog normalerweise mit vier Mann Besatzung, aber Hank vermutete, daß sie jetzt mit Soldaten und Material vollgestopft war. Jetzt erschien eine Loening Air Yacht, ein Flugboot. Sie faßte vier Passagiere und einen Piloten, aber die Passagiere würden diesmal keine Zivilisten sein. Dahinter kam eine E.M. Laird Company »Swallow«, ein dreisitziger Land-Doppeldecker, gefolgt von einem Oreco Tourister II-Doppeldecker, einem viersitzigen Verkehrsflugzeug. Jetzt hatte auch Glinda den Turm erstiegen. Mit ihren kürzeren Beinen hatte sie mit Hank nicht Schritt halten können, aber ihre Kondition war besser als seine: Sie keuchte nicht. »Was, glaubst du, werden sie tun?« Hank trat an die andere Seite des Turmes und deutete nach Nordosten. »Seht Ihr den See und die große, baumlose Wiese daneben? Ich wette, sie werden dort landen. Die Wasserflugzeuge landen auf dem See, und die Landflugzeuge gehen auf der Wiese herunter. Dort werden sie eine Verteidigungsstellung errichten, ihre Basis. Es gibt dort eine Straße und Wälle längs der Straßengräben. Auf der anderen Seite der Wiese steht eine Baumgruppe. Sie werden Bäume fällen und eine Art Palisadenzaun errichten, durch den sie schießen können. Der See wird die eine Flanke schützen, der Straßenwall die andere; die beiden übrigen werden durch die Palisade gesichert.« »Und ein paar der Flugmaschinen werden in der Luft bleiben, vermute ich, um sie dort vor Angriffen zu schützen.« »Wahrscheinlich, solange die anderen Flugzeuge landen. Was sie danach tun werden, weiß ich nicht.« Ein Elias-VerkehrsDoppeldecker hatte sich in den immer größer werdenden Kreis eingereiht. Angetrieben wurde er von zwei Le-Rhone-Motoren mit jeweils achtzig PS, und er hatte drei Cockpits. Der Pilot saß vorn, zwei Passagiere in der Mitte und einer hinten. Allmählich begriff Hank, was die Army getan hatte. Sie hatte nicht ganze Schwadronen von einer Einheit oder einer Basis abgezogen. Statt dessen hatte sie ein Flugzeug von hier genommen, ein anderes von dort, und sie hatte kommerzielle Maschinen geliehen, gechartert oder gemietet, diesen Flying Cruiser von der Aeromarine Airway s Inc. zum Beispiel. Offensichtlich hatte die Army geheime Vereinbarungen getroffen, mit denen sie einen davon für kurze Zeit erworben
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hatte, und diesen dann in die Gegend von Fort Leavenworth geflogen, wo er vermutlich auf dem Missouri gelandet war. Dort kam wieder ein kommerzielles Flugzeug: Eine dreisitzige Huff-Daland »Petrel«. Er fragte sich, weshalb die Flugzeuge über dem Schloß kreisen mochten. Wollte man die Bewohner erschrecken? In diesem Falle leisteten sie gute Arbeit. Alle außer Glinda waren völlig aus dem Häuschen. Und unten, auf den Farmen und in den Städten, starrte jedermann zum Himmel. Wenn das Motorengedröhn nicht gewesen wäre, hätte er die Schreie der Menge hören können. Jetzt lösten sich die beiden Jäger aus dem Verband und nahmen, wie er es erwartet hatte, Kurs auf die Wiese. Andere folgten ihnen nacheinander, während immer neue Maschinen von Süden her zu dem Kreis stießen. Die Piloten hatten mehr im Sinn gehabt, als nur die Quadlinge zu erschrecken. Sie hatten ihren Passagieren außerdem einen gründlichen Überblick über das Schloß und das umliegende Land ermöglichen wollen, damit diese die Landkarten, die Hank ihnen geschickt hatte, überprüfen könnten. Falls sie angriffen, würden sie es nicht blindlings tun. Hank schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht glauben.« »Was denn?« fragte Glinda. Hank streckte den Arm aus. »Zehn Jennys. Nein, elf. Nein, zwölf.« Wenig später hatte er zwanzig gezählt. Als sie in Schräglage gingen, um in den Kreis einzubiegen, sah er, daß zehn von ihnen im vorderen Cockpit einen Soldaten trugen, während das Vordercockpit bei den zehn anderen scheinbar leer war. Er war jedoch sicher, daß es Waffen, Munition und anderes Material enthielt. »Es ist eine große Operation«, murmelte er. Glinda, die dicht neben ihm stand, sah auf. »Ich könnte den Befehl zum Angriff geben«, sagte sie. »Ich habe Pläne für eine solche Situation vorbereitet. Aber zuerst möchte ich erfahren, was sie eigentlich vorhaben. Du wirst übersetzen müssen.« »Wie Ihr wollt, Glinda.« Während sie die Treppe hinunterstiegen, erklärte sie ihm, was er dem Ko mmandanten von der Erde sagen solle. »Gib ihnen mit Nachdruck zu verstehen, daß sie die Wiese nur verlassen dürfen, um zur Erde zurückzukehren. Ich werde nicht gestatten, daß sie Krankheiten verbreiten. Sobald sie das
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Lager verlassen, werden sie angegriffen. Sei in diesem Punkt nicht diplomatisch. Sag es ihnen in klaren Worten, in groben Worten, wenn es sein muß. Sie dürfen die Wiese nicht verlassen, es sei denn, sie fliegen zurück. Und das hat so bald wie möglich zu geschehen. Ich werde mit dem Kommandanten nicht diskutieren. Er muß tun, was ich sage.« »Ich werde es ihnen mitteilen«, versprach Hank. »Aber ich weiß nicht, ob es viel nützen wird. Sie haben ihre Befehle, und sie werden sie ausführen.« Sie gelangten in den Hof und bestiegen die Streitwagen. Als sie durch das Tor hinausfuhren, sah Hank, daß die Wachen durch eine Garnison aus der Nähe verstärkt worden waren. Sie hatten eine starke Kette quer über die Straße gebildet und hielten die Menge zurück, die aus der Stadt herangeströmt war. Andere Soldaten waren dabei, die Bauern aus den Häusern zwischen der Wiese und der Stadt zu evakuieren. Ein Wald zur Rechten wimmelte von Falken und Adlern. Sie warteten auf Glindas Befehle. Als die Wagen noch eine Viertelmeile weit von der Wiese entfernt waren, hielten sie an. Glinda sagte: »Näher werden wir uns nicht heranbegeben — außer dir. Du gehst und redest mit ihnen. Nein, warte noch. Was empfindest du bei dieser Sache, Hank?« Er lachte rauh. »Was ich empfinde? Wir Amerikaner haben ein Sprichwort: >Recht oder Unrecht — Mein Land<. Die meisten von uns — es schmerzt mich, das sagen zu müssen — stimmen damit überein. Aber einige tun es nicht. Meine Mutter hat mich gelehrt, daß das Recht höher steht als alles andere — na, außer Gott, aber Er steht schließlich immer auf der Seite des Rechts. Und sie hat mich auch gelehrt, daß es nicht immer leicht zu unterscheiden ist, was Recht ist und was nicht. In dieser Situation... Ich bin in einem Zwiespalt, Glinda. Ich liebe mein Land, auch wenn vieles daran ganz und gar nicht in Ordnung ist. Ich möchte, daß es immer recht hat, daß es immer recht tut. Aber das war nicht immer so, es ist nicht immer so, und es wird nicht immer so sein. Trotzdem ist es das beste Land, das ich kenne — oder jedenfalls eines der besten. Jetzt aber... jetzt sind sie im Unrecht, ohne jedes Wenn und Aber. Sie dürfen hier nicht so einfallen. Sie, das heißt, die Regierung, die hohen Tiere, haben erfahren, was hier geschehen wird, wenn sie kommen. Sie werden etwas viel
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Tödlicheres als Gewehrkugeln mitbringen. Sie wissen das, man hat ihnen gesagt, daß sie fortbleiben sollen, und sie kommen trotzdem. Warum? Aus Habgier und aus Angst. Sie sind im Unrecht, Glinda. Es ist schmerzhaft für mich, so etwas zu sagen. Und schlimmer noch: Sie sind böse. Sie würden das bestreiten; sie halten sich für gute Männer, die das, was sie tun, zum Wohle des Landes tun. Aber ihr Denken ist pervertiert.« »Ich weiß das alles«, antwortete sie. »Das, und noch mehr. Aber was ist deine Position dabei? Bist du für mich oder gegen mich... uns?« »Ich kann doch mein Land nicht verraten!« Seine Stimme zitterte; er schluchzte fast. »Ich kann es einfach nicht!« »Welches ist dein Land?« »Was meint Ihr damit?« »Ist es das Land, in dem du geboren wurdest, oder das Land, in dem das Recht ist?« Die beiden Wasserflugzeuge waren gelandet und schwammen in Ufernähe. Soldaten waren herausgesprungen und wateten bis zu den Hüften im Wasser. Schlauchboote wurden zu Wasser gelassen, sie wurden mit Kisten beladen, ans Ufer geschoben, entladen und wieder zum Flugzeug geschoben, um neue Fracht aufzunehmen. Während die beiden Jäger hoch am Himmel kreisten, landeten die übrigen Flugzeuge eines nach dem anderen und rollten zum Seeufer. Soldaten und Piloten kletterten heraus, um Waffen und Gerät aus den Maschinen zu holen. Hank sah zehn .5oer und vier .3oer Browning-Maschinengewehre und zwei leichte Mörser. Die meisten der Soldaten waren mit BARs bewaffnet. Rings um das Gelände wurden Wachen aufgestellt. Ein paar Männer hoben Latrinengräben aus, und eine große Anzahl war damit beschäftigt, mit Äxten auf die Stämme mittelgroßer Bäume einzuschlagen. Jetzt landete das letzte Flugzeug, eine Jenny, und brachte einen Soldaten und mehrere Kästen. In der Nähe des Straßengrabens stand ein Mann in Offiziersuniform. Sein Fernglas war auf Hanks Gruppe gerichtet. Hank fragte sich, was der Bursche wohl von den winzigen Leuten und den von Elchen gezogenen Wagen halten mochte. Er würde sich davon überzeugen, daß die Einheimischen keine Feuerwaffen besaßen, obgleich man ihn davon sicher schon informiert hatte. Was mochte man ihm sonst noch erzählt haben? Ein Mann bediente eine Filmkamera, und zwei andere waren dabei, eine Funkanlage aufzubauen.
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Nacheinander starteten die Flugzeuge nun wieder und kreisten in einer Höhe von zweitausend Fuß am Himmel, bis alle oben waren. Hank wartete darauf, daß Glinda ihm befehle, zum Stützpunkt zu gehen, aber sie schien sich nur noch für das Schauspiel zu interessieren. Gleichwohl war dieses weise alte Gehirn hinter dem berückend schönen, jungen Gesicht zweifellos damit beschäftigt, alle Möglichkeiten zu überdenken. Jetzt öffnete sich der Kreis am Himmel, und die Flugzeuge flogen in einer Kette nach Süden. Die beiden Jäger aber stießen herunter, wendeten und flogen auf die Quadlinge auf der Straße zu. Ihre Flughöhe betrug höchstens fünfzig Fuß, als sie heranjagten, und brüllend und pfeifend schössen sie über den Köpfen der Quadlinge dahin. Die Soldaten der Königin mußten große Angst haben, aber sie wichen nicht von der Stelle. Niemand würde Disziplinlosigkeit zeigen — nicht, wenn Glinda in der Nähe war. »Sie hätten uns alle töten können, wenn sie gewollt hätten«, meinte Hank. Er sah den Jägern nach; sie zogen hoch und folgten den anderen. »Ich habe nicht erwartet, daß sie es beabsichtigen würden«, sagte Glinda. »Jetzt geh zu ihnen, Hank. Aber du darfst sie nicht berühren. Halte Abstand von ihnen. Ich möchte dich nicht wieder unter Quarantäne stellen müssen.« »Wie Ihr wünscht«, antwortete er und ging die Straße hinunter. Als er bei dem Holzsteg angelangt war, der den Straßengraben überbrückte, bog er ab und überquerte ihn. Ein junger Gemeiner mit dem Abzeichen der Infanterie, den gekreuzten Gewehren, stand auf Posten; er rief ihn an. »Henry L. Stover, ehemaliger Leutnant des Army Air Service«, erwiderte Hank. Der Wachtposten wußte Bescheid über ihn. Wer, dachte Hank, hätte er auch sonst sein sollen? Wer sonst in dieser Welt war so groß und sprach Englisch? Nur er — und die Invasoren natürlich. Der Wachtposten brüllte zu einem in der Nähe stehenden Korporal hinüber, und der Mann lief herbei und eskortierte ihn zu dem Offizier mit dem Fernglas. Hank war überrascht, als er das Rangabzeichen eines Hauptmanns sah. Er hatte erwartet, daß eine Expedition von dieser Wichtigkeit mindestens von einem Oberst geführt werden würde. Wie alle anderen Soldaten, die Hank sehen konnte, trug der Offizier keine Tuch-
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abzeichen. Hank blieb drei Schritte vor ihm stehen und sagte: »Henry L. Stover zu Ihren Diensten, Sir.« Der Hauptmann war fast so groß wie Hank. Er war schlank und hager, sein Gesicht war dunkelbraun gebrannt und hatte hohe Wangenknochen; die Augen waren blaßblau und das Haar strohblond. Er schien weniger al s dreißig Jahre alt zu sein. »Hauptmann Boone Longstreet«, sagte er mit dunkler, rauher Stimme. Er sprach mit einem Südstaatenakzent, wahrscheinlich aus Tennessee oder Kentucky. »Infanterie der Vereinigten Staaten.« Longstreet trat auf ihn zu, und Hank wich zurück. Mit verblüffter Miene blieb der Offizier stehen. »Ich habe Anweisungen, mich keinem von Ihnen zu nähern«, erklärte Hank. »Wieso nicht, Sir?« »Ich soll mich nicht an Ihnen infizieren.« Der Hauptmann lief unter seiner Sonnenbräune rot an. »Das klingt wie eine Beleidigung, Sir.« »Es ist nichts weiter als realistisch«, erwiderte Hank. »Diese Menschen hier sind völlig schutzlos gegenüber Erkrankungen von der Erde.« Der Hauptmann sah ihn erschrocken an. Guter Gott, hatten ihm denn seine Vorgesetzten davon nichts gesagt? »Natürlich«, fuhr Hank fort, »sind Sie und Ihre Leute gegen die Krankheiten dieser Welt ebenso empfindlich.« Longstreet erbleichte; der Kerl war ein Chamäleon! Warum hatte er so spontan diese Lüge ausgesprochen? Warum? Weil er nicht wollte, daß sie hier waren. Sie hatten kein Recht, hier zu sein. Aber diese Empfindung bedeutete nicht, daß er ein Verräter war oder daß er sich bereitwillig zu Glindas Agenten machen lassen würde, der alles täte, was sie von ihm verlangte. Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen. Ein bißchen wenigstens. »Ich würde gern wissen, wie Ihre Befehle lauten, Hauptmann«, meinte Hank. »Was? Sie sind Zivilist, Sir. Meine Befehle brauchen Sie nicht zu kennen, und Sie sind auch gar nicht berechtigt, sie zu kennen. Nicht alle jedenfalls.« »Hören Sie, Hauptmann«, entgegnete Hank. »Ich bin ermächtigt, als Dolmetscher und zugleich als eine Art Botschafter auf zutreten. Das ist Ihnen doch sicherlich bekannt. Ich muß deshalb erfahren, was Sie beabsichtigen.« »Man hat mir gesagt, ich müsse durch Sie verhandeln — das
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heißt, bis zu einem gewissen Punkt.« Longstreet starrte über Hanks Schulter hinweg. Hank drehte sich um. Die grüne Wolke war wieder erschienen. Die Flugzeuge hatten sich zu einem Kreis formiert, den eines nach dem anderen nun verließ, um in der Wolke zu verschwinden. Als die Wolke das letzte Flugzeug verschlungen hatte, schrumpfte sie zusammen und war nach wenigen Sekunden verschwunden. Bei diesem Anblick, dachte Hank, mußte der Hauptmann sich allein und isoliert fühlen. Hilflos vielleicht. Aber womöglich unterstellte er dem Mann nur seine eigenen Reaktionen. Hank hatte fünfundsiebzig Männer gezählt, Soldaten und Offiziere. Diese Zahl war nicht sonderlich beeindruckend, aber vermutlich glaubten sie zuversichtlich daran, daß ihre Schnellfeuerwaffen und ihre größere Gestalt sie einer ganzen Armee von mit Schwertern, Speeren und Bogen bewaffneten Pygmäen ebenbürtig machten. Ein paar von ihnen fällten Bäume mit zweihändigen Sägen. Andere hoben in der Nähe des Seeufers einen flachen Graben aus. Sie beabsichtigten, vor dem Graben eine dreiseitige Holzpalisade zu errichten. Der See würde ihnen den Rücken decken. »Hauptmann«, sagte Hank, »hätten Sie etwas dagegen, mir zu erzählen, wie weit man Sie informiert hat?« »Das geht Sie nichts an, Sir«, erwiderte Longstreet und sah ihm starr in die Augen. »Man hat mich angewiesen, Ihnen meine Befehle mitzuteilen, damit Sie sie der Führungsautorität dieses Landes unterbreiten können.« Hank deutete auf die kleine, aber majestätische Gestalt im Wagen. Ihr Haar leuchtete rot in der Sonne. »Das ist sie: Glinda die Gute.« Anscheinend hatte Longstreet die Oz-Bücher nie gelesen. Er betrachtete sie durch sein Fernglas und ließ es dann sinken. »Sagen Sie dieser Glinda folgendes.« Longstreets Stimme klang laut und bestimmt. »Erstens: Wir sind nicht hier, u m Krieg zu führen, es sei denn, man behandelte uns feindselig. Wir sind hier auf einer friedlichen Mission.« »Ja, genauso sieht es auch aus.« Hank deutete mit einer Geste auf die schweren Maschinengewehre. »Sind Sie für oder gegen uns?« fragte Longstreet, doch ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort. »Zweitens: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind bereit, dieses Land gegen Feinde von der Erde zu verteidigen.« Zumindest schien
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dieser Hauptmann also zu wissen, daß er sich nicht in seinem Heimatuniversum befand. »Die Vereinigten Staaten bieten diesem Lande ihre Hilfe gegen jeden Feind an seinen Grenzen an. Sie sind bereit, ein Bündnisabkommen mit Königin Glinda von Quadlingland zu unterzeichnen und ihr mit ihren Streitkräften im Kampf gegen jeden Invasor beizustehen.« Hank hatte erwartet, daß Longstreet eine offizielle Note verlesen würde, aber die Regierung hielt sich zurück. Es waren nur mündliche Befehle ergangen. »Drittens: Die Vereinigten Staaten von Amerika erbitten die Erlaubnis, eine Basis zu errichten, von welcher aus ihre Soldaten gegen die Feinde der Quadlinge operieren werden und in der später Diplomaten, Wissenschaftler und andere Agenten, welche die Vereinigten Staaten nach Quadlingland zu entsenden beschließen, untergebracht werden sollen, vorausgesetzt natürlich, daß die Regierung von Quadlingland sich damit einverstanden erklärt. Die einzelnen Bedingungen sind zu einem gegebenen Zeitpunkt auszuhandeln.« »Sie können sich alles Weitere sparen, Hauptmann Longstreet«, unterbrach Hank. »Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit damit, mir das alles zu erzählen. Ich habe eine Botschaft von Glinda. Ich soll dem kommandierenden Offizier mitteilen, daß Sie alle verschwinden sollen. Abhauen. Verduften. Und zwar unverzüglich. Tuut swiit. Sie wird mit Ihnen darüber weder konferieren noch diskutieren noch streiten. Sie hat Sie nicht eingeladen, und sie will, daß Sie verschwinden. Sofort. Es kümmert sie nicht, ob Sie gute oder schlechte Absichten haben. Ihre bloße Anwesenheit hier ist eine schreckliche Gefahr, eine grauenhafte Bedrohung für die Menschen dieses Landes. Wenn Sie fort sind, wird Glinda diese Wiese sowie den Wald, der sich daran anschließt, abbrennen lassen, um Bakterien und Keime zu vernichten, die Sie womöglich hinterlassen haben, und drei Monate lang wird niemand das Wasser des Sees benutzen dürfen. Sie wird darüber nicht mit Ihnen reden, und sie ist für keinen Kompromiß, für keine Verzögerung und auch für nichts anderes zugänglich. Sie besteht auf Ihrem so fortigen Abzug. Darüber hinaus wünscht sie nicht, daß diese... äh... daß die Pforte zu dieser Welt noch einmal geöffnet wird, nachdem Sie wieder zur Erde zurückgekehrt sind. Das können Sie Ihren Vorgesetzten ausrichten.«
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2l Longstreets Gesicht blieb ausdruckslos, aber seine Wangen waren rot. »Ich habe den Befehl, diese Basis zu halten, bis ich andere Befehle erhalte. Weiterhin habe ich diese Basis zu verteidigen, falls ich angegriffen werde.« »Dann ziehen Sie also nicht ab?« »Nein. Wie kann ich das? Ich bin hinsichtlich des Transports auf den Air Service angewiesen. Aber das hat damit nichts zu tun. Ich habe meine Befehle, und die werde ich ausführen.« »Hören Sie, Hauptmann, dies ist keine normale militärische Situation. Die USA haben den Quadlingen offiziell nicht den Krieg erklärt. Nur sehr wenige Menschen wissen überhaupt von der Existenz dieses Universums. Ich wette, Sie sind Junggeselle und Waise. Sie haben keinerlei familiäre Bindungen. Habe ich recht?« Longstreet sah ihn verblüfft an. »Woher wissen Sie das?« fragte er, und dann: »Was hat das überhaupt damit zu tun?« »Ich wette, daß auch alle Ihre Leute Junggesellen ohne Verwandte sind. Stimmt's?« »Na und?« »Sie gehören zu einem streng geheimen Projekt. Sie alle haben sich freiwillig dazu gemeldet, und man hat Ihnen nur wenig erzählt. Vielleicht hat man Ihnen weisgemacht, es sei Teil eines wissenschaftlichen Experiments und es schließe eine Expedition in eine andere Welt ein.« »Die vierte Dimension«, bestätigte Longstreet. »Ein anderes Universum.« »Na klar. Jedenfalls, es ist streng geheim, wie ich bereits sagte. Die amerikanische Öffentlichkeit weiß nichts davon. Es wissen nur sehr wenige Leute. Ein paar vom Signal Corps, ein paar vom Air Service, Präsident Harding, ein paar Kabinettsmitglieder, vielleicht noch einige republikanische Kongreßabgeordnete. Warum aber diese Heimlichtuerei ? Warum vertuscht man die größte Entdeckung der Geschichte? Ich will Ihnen sagen, warum. Sehen Sie sich das Schloß an, Hauptmann.« Er zeigte auf das rötliche Gebäude, dessen Mauern mit Tausenden von glitzernden Objekten übersät waren. »Das ist kein Glas, Hauptmann. Jeder einzelne Stein ist ein echter Rubin im Werte
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von mehreren Millionen Dollar. In diesem Lande wimmelt es von Rubinen, Diamanten, Smaragden — im Norden gibt es eine Stadt, die ganz mit Smaragden besetzt ist — von Topasen, Türkisen und Turmalinen. Und es gibt Gold, Hauptmann, mehr Gold als in hundert Klondikes und tausend Südafrikas zusammen. Und das Silber reicht aus, um die Chinesische Mauer damit nachzubauen. Ich sage Ihnen, Hauptmann: Wer immer diesen Reichtum in seine Hände bringt, ist ein SuperKrösus. Aber man mu ß es streng unter Kontrolle halten, denn sonst würde die Erde mit Juwelen und Edelmetallen überflutet, die Marktpreise würden ins Bodenlose fallen, und die Erde geriete in ein finanzielles Chaos. Sehen Sie, es ist Habgier, was hinter dieser Geschichte steht. Den großen Tieren, die Sie zum Sterben hierher geschickt haben, ist es gleichgültig, was aus Ihnen wird. Wenn Sie dabei draufgehen, bedeutet das für sie nur, daß sie einen guten Vorwand haben, weitere arme Teufel hereinzuschicken, die für sie kämpfen und sterben sollen. Für den Reichtum, den sie an sich bringen wollen. Ich würde ihnen sogar zutrauen, daß sie Leute herschicken, die an Pocken und Cholera und anderen Krankheiten aus der Büchse der Pandora leiden. Sie würden diese Krankheiten verbreiten, damit jeder in dieser Welt stirbt. Ich —« »Nein!« brüllte Longstreet. »Man hat uns auf Herz und Nieren untersucht. Es ist nicht ein einziger Kranker unter uns. Wir sind sauber.« »Sie vielleicht. Aber wenn militärische Gewalt ihnen nicht verschafft, was sie haben wollen, dann werden sie Kranke einsetzen. Ob Sie zurückkommen, interessiert ohnehin niemanden. Wenn Sie hier sterben, werden Sie hier bestattet — verbrannt, damit Sie keine Bakterien verstreuen. In Amerika wird man Sie für tot erklären, aber man wird verschweigen, wo, warum und wie Sie gestorben sind. Es wird falsche Berichte geben, und es wird heißen, Sie seien verunglückt oder an einer Krankheit verstorben.« »Halten Sie den Mund!« schrie Longstreet. »Man hat mir gesagt, daß man Ihnen wahrscheinlich nicht trauen kann, und bei Gott! Ich sehe, es stimmt. Sie sind ein Verräter!« »Du Arschloch«, erwiderte Hank. »Ich bin doch kein Benedikt Arnold. Ich versuche, dir diesen Wahnsinn auszureden, dir klarzumachen, weshalb du hier bist. Ich will nicht, daß diese Tragödie geschieht! Ich will euch retten!« »Ich habe meine
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Befehle«, versetzte Longstreet. »Ich werde Ihnen jetzt den Rest der Botschaft an die Königin mitteilen.« Hank lauschte nur noch mit halbem Ohr. Aber als er zu Glinda zurückgekehrt war, wiederholte er die Rede des Hauptmanns beinahe wörtlich. »Hat er gesagt, wann man die Pforte wieder öffnen wird?« fragte sie. »Nein. Er sagte, diese Informationen seien geheim.« »Höchst bedauerlich, diese ganze Angelegenheit. Nun gut. Was sein muß, muß sein.« Sie gab der ganzen Schar den Befehl, zum Schloß zurückzukehren. Dort angekommen, stieg Stover auf den höchsten Turm und beobachtete die Wiese mit seinem Fernglas. Die Palisadenbefestigungen würden bald fertiggestellt sein. Im Innern der Umzäunung wurden Zelte aufgestellt, und vier große Feuer brannten bereits. Im Morgengrauen würde der Stützpunkt fertig sein. Was würde als nächstes geschehen? Würden die Soldaten in ihrem Lager bleiben oder hatten sie den Befehl, anzugreifen ? Er konnte nichts weiter tun als Glinda anzuflehen, und das würde nutzlos sein. Sie hatte ihr Handeln mit einer Logik geplant, die er nicht zu widerlegen vermochte. Er begab sich hinunter zum Hangar und arbeitete fünf Stunden lang an Jenny. Dann war sie wieder flugbereit, aber es gab nichts, wohin er hätte fliegen können. Jenny wollte sich mit ihm unterhalten, aber er hatte keine Lust dazu. Sie fragte ihn kläglich, was ihm denn fehle, aber er ließ sie stehen. Er hatte gehofft, mit Glinda über die Soldaten reden zu können, doch sie lud ihn nicht ein, mit ihr zu Abend zu speisen. So aß er allein in seiner Suite, denn Lamblo hatte Wachdienst. Danach verließ er das Schloß und spazierte die Straße hinunter, bis Glindas Wachen ihn anhielten. Er konnte die Feuer sehen und auch die Gestalten, die sich zwischen ihnen hin und her bewegten, und Gesang wehte zu ihm herüber. Die Worte waren unverständlich, aber die Melodie kannte er. Sie sangen einen Schlager aus dem Jahre 1922: »Toot, Toot, Tootsie, Goodby e«. Einen Augenblick lang regte sich Heimweh in ihm, und die Tränen wollten ihm in die Augen steigen. Er fühlte ein Verlangen, hinüberzugehen und sich unter die Soldaten zu mischen. »Hier bin ich — ein Amerikaner. Ich bin auf eurer Seite, auch wenn ihr im Unrecht seid.« Dann plötzlich empfand er Wut gegen die Männer, die die
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Soldaten hergeschickt hatten. Man sollte sie anklagen und bestrafen. Wenn es ihm irgendwie gelänge, zur Erde zurückzukehren, würde er ihr Verbrechen vielleicht an die Öffentlichkeit zerren und dafür sorgen können, daß diese fetten alten Männer in Schimpf und Schande gestürzt würden. Jetzt sangen die Männer Julia Ward Howes »Hy mn to the Republic«. Das würde ihren Südstaaten-Hauptmann ärgern. Aber unmittelbar danach erklang »Dixie«. Damit war Longstreet sicher wieder besänftigt. Licht strahlte auf, er hörte Schritte und das Flattern von Mänteln im Wind. Er drehte sich um. Glinda und sechs Wachen waren gekommen. Sie kam an seine Seite and stand eine Zeitlang schweigend da. Jetzt sangen die Soldaten George M. Cohans »Over There«. Er schaute hinunter und betrachtete ihr Profil. Das schmerzhaft schöne Gesicht war völlig ausdruckslos. »Es ist traurig«, sagte sie. »Solche Dinge sollten nicht geschehen dürfen. Eigentlich sollte ich inzwischen abgehärtet sein, aber ich bin es nicht.« Sie sprach nicht von den Liedern. Ihre Gedanken drehten sich um das, was bald mit den Soldaten geschehen würde. »Könntet Ihr Eure >Magie< nicht dazu verwenden, sie zur Erde zurückzutransportieren?« fragte er. »Das würde die Regierung davon überzeugen, daß sie es mit einer unbesiegbaren Macht zu tun haben, mit Kräften, die sie nicht verstehen und mit denen sie sich nicht messen können.« »Nein, das kann ich nicht. Es sind zu viele. Ich würde besondere Hilfsmittel verwenden müssen, und davon habe ich nicht einmal annähernd genug. Außerdem würden sie, selbst wenn ich diese Mittel besäße, mit mir zusammenarbeiten müssen, und das würden sie nicht tun. Zudem würde es mich erschöpfen, und ich stände einem Angriff von Erakna wehrlos gegenüber. Ich bezweifle aber, daß ihre Führer so leicht zum Aufgeben zu bewegen wären.« »Wann werdet Ihr sie angreifen?« »Es ist besser, wenn du es nicht weißt. Und versuche nicht, sie zu warnen. Es würde nichts nützen. Aber ich kann verstehen, warum du es vielleicht gern tätest.« Er ging davon, ohne ihr eine gute Nacht zu wünschen. Lamblo kam nicht zu Bett; sie ließ ihm mitteilen, daß sie für die ganze Nacht zu Glinda befohlen sei. Hank versuchte zu schlafen, doch er konnte es nicht. Er stand auf und trank von dem teuren,
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importierten Gillikin-Branntwein, der fast wie Scotch schmeckte. Nachdem er mehrere Pfeifen geraucht und fast die halbe Flasche geleert hatte, taumelte er ins Bett, aber auch jetzt schlief er nicht sofort ein. Er konnte keine bequeme Lage finden, und er war im Begriff, noch einmal aufzustehen, als er merkte, daß ihn jemand bei der Schulter schüttelte. Er setzte sich auf. Das erste Licht des Morgens erfüllte den Raum. Mizdo hatte ihn geweckt; sie sah müde aus und hatte schwarze Ringe unter den Augen. Sein Kopf schmerzte, seine Augen waren verklebt, und seine Zunge schmeckte wie der Boden eines Nachtgeschirrs. »Die Königin will dich sehen.« »Okay, okay, eine Minute.« Trotz der Dringlichkeit nahm er sich Zeit. Er rasierte und duschte sich, putzte sich die Zähne mit Salz und trank ein wenig Beerensaft. Dann zog er sich langsam an. Er wußte, daß ihm dieser Tag nicht gefallen würde, und so schob er das Unvermeidliche hinaus, solange es ging. Glinda erwartete ihn nicht, wie er erwartet hatte, in ihren Gemächern oder im Konferenzsaal. Lamblo, die noch erschöpfter und bleicher aussah als Mizdo, erwartete ihn am Fuße der Treppe im ersten Stock. Sie begrüßte ihn, fragte ihn aber nicht, wie er sich fühle. Statt dessen sagte sie: »Wir nehmen den Wagen und fahren hinaus zur Wiese.« Auf der Straße war weder Mensch noch Tier zu sehen, bis sie zu der Wiese kamen. Hier drängten sich zahllose Soldaten, männliche und weibliche, und Hunderte von Falken und Adlern. Einige der Vögel waren mit verkrustetem Blut überzogen. Hank sah sich um; es mußte ein Höllenlärm geherrscht haben in der vergangenen Nacht — Schreien, Brüllen und das Feuer von Gewehren und Maschinenpistolen. Er hatte nichts gehört; seine Gemächer lagen auf der hinteren, südlichen Seite des Schlosses, und die Mauern waren dick. Jetzt aber war es still; man hörte nichts als schlurfende Schritte, gelegentliches Klirren von Metall an Metall und hin und wieder einen leisen Befehl von einem der Offiziere. Glinda stand oben auf dem Erdwall bei dem Straßengraben. Hank stieg zu ihr hinauf und blickte auf die Toten hinunter. Die meisten der Amerikaner lagen hinter dem Palisadenzaun, aber einige hatten offenbar versucht, über die Wiese in den Wald zu fliehen. Die Vögel hatten sie gestellt und ihnen Gesichter und Kehlen zerfetzt. Tote Falken und Adler lagen zwischen ihnen, aber die meisten der getöteten Vögel fanden sich
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bei den Leichen hinter dem Palisadenzaun. Mehrere Dutzend der Verteidiger hatten Pfeile im Leib stecken. »Der Angriff begann eine Stunde vor Sonnenaufgang«, sagte Glinda. »Die meisten von ihnen wurden im Schlaf überrascht. Mit der dritten Welle schickte ich Bogenschützen hinein; sie töteten die, die noch kämpften, und die Verwundeten.« Soldaten in weißen, sackförmigen Gewändern und mit Gesichtsmasken gössen Methylalkohol und Öl über die Leichen. Als sie damit fertig waren, wurden Fackeln auf den Kampfplatz geworfen. Schwarzer Qualm stieg von den Flammen empor. Obwohl der Wind aus Südwesten kam, konnte Hank das brennende Fleisch riechen. Er kämpfte die aufsteigende Übelkeit nieder. Noch nie hatte er die Überreste eines Blutbades aus der Nähe gesehen. Bisher war er immer hoch über den Leichen hinweggeflogen, die auf den vom Artilleriefeuer zerwühlten Schlachtfelder gelegen hatten. Die weißgekleideten Soldaten trugen Äste und kleine Holzstücke herbei und warfen sie auf die Leichenhaufen. Dann schütteten sie Alkohol und Öl aus Eimern über das Holz. Die verwundeten Vögel wurden mit verdünntem Alkohol behandelt. Einige von ihnen schrien vor Schmerzen. »Ich glaube, das alles ist nicht notwendig«, meinte Hank. »Ich bezweifle sehr, daß jemand von... meinen Leuten krank war.« »Ich möchte dennoch kein Risiko eingehen.« Hank kehrte in seine Suite im Schloß zurück, holte Papier, Feder und Tintenfaß hervor und spazierte dann eine Weile im Zimmer auf und ab, während seine Lippen sich bewegten. Als er seinen Text in groben Umrissen entworfen hatte, setzte er sich und begann zu schreiben.
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1o. Juli 1923 Henry Lincoln Stover Amerikanischer Staatsbürger Im Schloß der Königin Glinda Quadlingland, Amariiki Warren Gamaliel Harding Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Weißes Haus Washington, D. C, USA Erde Sehr geehrter Herr Präsident, ohne Zweifel werden Sie in wenigen Tagen erfahren, was aus den Soldaten geworden ist, die in diese Welt eingedrungen sind. Als Oberkommandierender der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika sind Sie verantwortlich für die Invasion und für den Tod der Soldaten. Sie waren schlecht beraten, als Sie diesem Unternehmen Ihre Zustimmung gaben, aber letztendlich sind Sie derjenige, der die Verantwortung zu tragen hat. Ich bin sicher, daß Sie über die möglichen — nein, unausweichlichen Konsequenzen dieser Invasion unterrichtet waren. Meinen Bericht müssen Sie, Sir, erhalten haben. Es ist mir unbegreiflich, weshalb das Projekt nicht beendet wurde, weshalb nicht nur die Kommunikation nicht eingestellt, sondern sogar der Befehl zu dieser verbrecherischen Invasion erteilt wurde. Ich bin sehr zornig, und ich empfinde große Scham und tiefe Trauer. Ich bin der Ansicht, daß die Offiziere, die zivilen Wissenschaftler und die Regierungsbeamten, die an diesem Projekt beteiligt waren, sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben. Aber ihre Schuld ist gering im Vergleich zu der Ihren, Sir. Ich bin immer stolz darauf gewesen, ein Amerikaner zu sein, obgleich mir klar ist, daß wir Amerikaner gewisse Dinge getan haben und noch immer tun, derer wir uns schämen sollten. Aber ich habe immer gespürt, daß im amerikanischen Geist — auch wenn wir längst nicht vollkommen sind — etwas liegt, das immer darum kämpft, die Fehler in unserer Gesellschaft zu berichtigen. Ich habe immer geglaubt, daß wir
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nicht die einzigen seien, die sich durch solche Fehler auszeichnen. Alle Nationen haben solche Fehler, einige solche wie wir, andere ihre eigenen. Dies hat meine Mutter mich gelehrt; ich würde allerdings gern glauben, daß ich objektiv genug gewesen wäre, dies selbst einzusehen, als ich erwachsen geworden war. Ich spreche hier natürlich von der Stellung der Schwarzen, von der Behandlung, die Chinesen, Japaner und Indianer erfahren, von der verzweigten und tief verwurzelten Korruption in unseren Regierungen, in einzelnen Gemeinden und Staaten wie im Bund, von dem dummen Prohibitionsgesetz, welches zu Korruption geführt und Menschen getötet oder ihr Leben ruiniert hat; ich rede von... aber warum soll ich diese Liste fortsetzen? Dies sind unsere Probleme, und mein Vertrauen in unser politisches Sy stem und in den Geist unserer Zeit ist groß genug, daß ich glauben kann, daß es uns irgendwann gelingen wird, sie zu lösen. Was mir Sorgen bereitet, ist das, was jetzt auf dieser Welt vor sich geht. Ich habe versucht, Entschuldigungen für die Invasion zu finden, aber es ist mir nicht gelungen. Es gibt keine, die akzeptabel wären. Sie sind für mich als Amerikaner und als Mensch nicht akzeptabel. Zwischen diesen beiden Worten dürfte es keinen Unterschied geben. Ein Amerikaner zu sein sollte bedeuten, ein Mensch zu sein. Manchmal sind diese beiden Bezeichnungen Synonyme, aber häufiger sind sie es nicht. Ich jedoch bin ein Individuum, bin eine Person, bin ich selbst, und ich trachte danach, beides zu sein. Dies bedeutet, daß ich den Slogan >Recht oder Unrecht — mein Land< nicht unterstütze. Ich will, daß mein Land stets das Rechte tut, und wenn es Unrecht sieht, soll es dafür sorgen, daß es zu Recht wird. Nicht anders würde ich denken, wenn ich Franzose wäre oder Russe, Brite, Chinese oder Siamese. Königin Glinda will nicht, daß Sie diese Welt betreten. Sie will, daß Verkehr und Kommunikation zwischen den beiden Welten eingestellt wird. Sie will keine Seuchen, die Hunderttausende oder vielleicht Millionen Bürger dieser Welt töten würden — und ich will sie auch nicht. Sie spricht nur für eine der hier lebenden Nationen, aber ich bin hundertprozentig sicher, daß die anderen Regierungen nicht anders denken würden als sie. Ich bin kein Verräter, weil ich mich Ihnen oder Ihrem
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möglichen Nachfolger widersetze. Ich war an der Vernichtung der Invasionstruppen, die Sie entsandt haben, nicht beteiligt, und ich habe mein Bestes getan, das Problem auf eine andere Weise zu lösen. Ich betrachte mich noch immer als Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, als einen loyalen Staatsbürger, aber als einen, der beschämt und bestürzt über das ist, was sein Land in diesem Augenblick tut. Ich bitte Sie, Sir, als Amerikaner und als Mensch, dieses Projekt stillzulegen und alle Aktivitäten im Zusammenhang damit zu beenden. Gefahren drohen nicht nur den Menschen dieser Welt. Wenn Sie auf der Fortführung des Projektes beharren, kann es geschehen, daß Sie Amerika — ja, die ganze Welt — für Dinge öffnen, die für die Menschen auf der Erde eine größere, vielleicht eine tödliche Gefahr darstellen. Was das für Gefahren sind, können Sie meinen Berichten entnehmen. Ich habe weder übertrieben noch gelogen. Ich flehe Sie an, Sir: Bitte erwägen Sie diese Berichte sorgfältig. Mit aufrichtigem Respekt Henry Lincoln Stover Während die Tinte trocknete, schritt Hank auf und ab. Sollten seine Bemühungen vergeblich sein? Er sandte einen Falken mit einer Botschaft zu Glinda. Ein paar Minuten später kehrte der Falke zurück und berichtete, Glinda könne ihn sogleich empfangen. Als er in den Konferenzraum kam, erzählte er ihr, daß er einen Brief geschrieben habe und üb ersetzte ihn für sie. »Ich hoffe, er wird euren Präsidenten dazu bringen, seine Absichten zu ändern«, sagte sie. »Aber ich bezweifle es.« »Vermutlich habt Ihr recht«, meinte er. »Ich wünschte nur, er könnte ihn bekommen, ehe sie etwas Neues versuchen.« Glinda lächelte. »Ich werde ihn zustellen. Heute Abend.« Hank war verblüfft. »Aber... ?« »Oh, es wird mich etwas kosten, aber Erakna ist — im Augenblick jedenfalls — nicht in der Lage, mich anzugreifen, während ich geschwächt bin. Außerdem wird es jetzt leichter sein und mich weniger beanspruchen, durch die Öffnung zu gehen, die dein Volk gemacht hat. Je öfter die Pforte benutzt wird, desto weniger Energie benötigt man, um hindurchzudringen.« Im Grunde, dachte Hank, hätte ihn das nicht überraschen müssen. Sie hatte zweifellos Dutzende
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solcher Tricks im Ärmel. »Wißt Ihr genau, wohin Ihr diese Botschaft bringen müßt?« fragte er. »Ich habe die Briefe und andere Dinge, die sie dir geschickt haben. Sie werden mir helfen, die Absender ausfindig zu machen. « »Wie...?« begann Hank, aber dann brach er ab, denn ihr Lächeln verriet, daß sie es ihm nicht sagen würde. Er vermutete allerdings, daß Briefe und Gegenstände eine Art Vibrationsspur hinterließen, wenn sie den Raum durchquerten. PSI-Fährten? Er seufzte. Wahrscheinlich würde er es nie erfahren, es sei denn, er würde selbst ein Zauberer. Dazu aber würde er hierbleiben und die Staatsbürgerschaft erwerben müssen. Er würde seine amerikanische Staatsangehörigkeit aufgeben und sich in Oz naturalisieren lassen müssen. In diesem Augenblick wußte er, daß es das war, was er wollte und was sein Unterbewußtsein schon seit geraumer Zeit gewollt hatte. Das heißt, er wollte ein Bürger dieses Landes werden. Was die Zauberei betraf, so war er da nicht so sicher.
22 Am nächsten Tag brannte Hank Stover darauf, Glinda zu fragen, ob sie seinen Brief abgeliefert habe. Er erfuhr jedoch, daß sie Anweisung gegeben hatte, sie nicht vor drei Uhr nachmittags zu stören. »Die Königin schläft«, sagte der Bote. Eine Stunde, nachdem die Sonne den Zenit erreicht hatte, erschien die grüne Wolke wieder. Das Flugzeug, das aus ihr hervorschoß, war eine D.H. 4B, vermutlich eine von denen, die vorher Material oder einen Soldaten hergebracht hatten. Diesmal beförderte sie einen Piloten und einen Fotografen. Zwei Minuten lang kreiste sie flach über der Wiese, dann überflog
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sie das Schloß. Hank rechnete halb damit, daß man ihm eine Botschaft abwerfen werde, doch er wurde enttäuscht. Das Flugzeug flog über die Wüste hinaus und verwand wieder in dem grünen Dunst, der zwei Minuten, bevor die Maschine ihn erreichte, erneut aus dem Himmel gequollen war. Wenn die hohen Tiere glaubten, er habe gelogen, würden die Fotos sie eines Besseren belehren. Sie würden eine Reihe von zugeschaufelten Gräbern sehen, andere, die zur Hälfte gefüllt waren, und daneben verbrannte Leichen, die das Begräbnis erwarteten. Was hatte es zu bedeuten, daß man ihm keine Nachricht zukommen ließ? Hatten sie noch keine Antwort geschrieben oder planten sie einen neuen Angriff? Er verbrachte eine Stunde in dem Rau m, wo die Vögel und Menschen ihre mündlichen Berichte für Glinda ablieferten. Schreiber notierten alles, und die beschriebenen Blätter wurden in Körben gestapelt, die dann in ihren Gemächern auf ihren Schreibtisch gestellt wurden. Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden, daß er zuhörte. Er glaubte jedoch nicht, daß man ihn übersah. Glinda, der niemals etwas entging, mußte den Befehl gegeben haben, ihm Zutritt zu gewähren. In der Smaragdstadt herrschte der Belagerungszustand, aber bisher hatten die Gillikins nicht versucht, sie zu erstürmen. Die Vogelscheuche war allerdings nur mit knapper Not einem Anschlag entronnen. Adler hatten versucht, brennende Fackeln auf sie zu werfen, als sie die Wachen auf der Mauerkrone inspizierte. Eine davon war nur wenige Handbreit neben ihr gelandet und hatte sie fast zu Tode erschreckt. Unter den wenigen Dingen, vor denen sie sich fürchtete, war Feuer für sie das schlimmste. Der größte Teil von Oz war inzwischen vom Feinde besetzt, und die Überlebenden der Verteidigungsarmee hatten sich nach Quadlingland geflüchtet. Erakna hielt sich in Munchkinland auf, plante jedoch ihre baldige Rückkehr in die eigene Hauptstadt. Der König der Pekotasha-Nation hatte sich bereitgefunden, Erakna eine Armee zur Verfügung zu stellen. Sie war jedoch nicht so groß, wie Erakna es gewünscht hatte, weil Wasokat gezwungen war, ein umfangreiches stehendes Heer an seinen eigenen Grenzen zu unterhalten, um sich gegen einen möglichen Angriff der Shanahooka-Nation zu verteidigen. Der Blech-Holzfäller und
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seine Guerillas hatten sich noch tiefer in die Berge von Winkieland zurückgezogen. Eine Armee der Gillikin unternahm große Anstrengungen, ihn aufzustöbern, aber sie erlitt unaufhörlich schwere Verluste, da die wilden Tiere eine aktive Allianz mit dem Holzfällerkönig geschlossen hatten. Unter den Gillikins herrschten Unzufriedenheit und Widerwillen. Es machte sie unglücklich, von der roten Hexe regiert zu werden, und sie sahen keinen Grund für den Krieg. Erakna hatte schreckliche Strafmaßnahmen gegen alle befohlen, die nicht in jeder Hinsicht absolute Loy alität zeigten. Ein Tornado im Nordwesten von Gillikinland hatte ein Bataillon von Soldaten vernichtet, und die Gillikins fragten sich — verstohlen natürlich —, ob es nicht Glinda gewesen sei, die den Sturm hervorgebracht und gesteuert hatte. Die Nachrichten waren — wie sie es überall in beiden Welten zu sein pflegen — manchmal gut und manchmal schlecht. Um viertel nach vier wurde Hank in den Konferenzsaal befohlen. Er traf auf eine blasse Glinda, die unter den leicht geschwollenen Augen bläuliche Ringe trug, aber ansonsten schon wieder recht unternehmungslustig erschien. »Dein Brief wurde auf einen Schreibtisch im Hauptquartier des Signal Corps placiert«, berichtete sie. »Zweifellos dürfte er Bestürzung und Panik hervorgerufen haben, nicht wegen seines Inhalts, sondern weil sie nicht wissen, daß ich unbemerkt an ihren Wachen vorbeikommen kann. Sie werden sich fragen, wie mir das gelingen konnte. Nach allem, was sie darüber wissen, könnte ich nicht nur mich selbst, sondern eine ganze Armee in ihre stärkste Festung transportieren.« »Und könntet Ihr es?« fragte Hank. »Nein. Du weißt, daß ich es nicht kann. Aber es gibt eine, die eine Armee in ein Schloß bringen kann, wenn auch nicht in deiner Welt. Es ist die Rote Hexe, Erakna die Ungenießbare. Nein, ich will es modifizieren: Sie könnte die Geflügelten Affen in die Umgebung meines Schlosses versetzen. Sie kann den Punkt ihres Erscheinens nich t haargenau festlegen, aber wenn sie Glück hätte, könnte sie wenigstens ein paar von ihnen innerhalb des Schlosses in der Nähe meiner Gemächer auftauchen lassen. Die übrigen wären über eine Viertelquadratmeile verstreut.« »Wem die Goldene Kappe gehört, dem gehören die Affen. Ihr hättet die Affen gern, und deshalb hättet Ihr gern die Kappe. Erakna weiß das, und sie wird Maßnahmen ergriffen
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haben, die verhindern, daß jemand sie in die Hände bekommt.« Glinda lehnte sich zurück und lächelte. Sie war so schön, daß es seine Brust wie ein schmerzhafter Blitz durchzuckte. »Du bist in der Tat der Sohn deiner Mutter.« »Das fasse ich als ein großes Kompliment auf. Ihr würdet gar nicht davon sprechen, wenn Ihr nicht eine Idee hättet, wie Ihr die Goldene Kappe an Euch bringen könntet. Und Ihr würdet nicht Eure Zeit damit verschwenden, mir davon zu erzählen, wenn ich in Eurem Plan nicht auch eine Rolle spielte.« »Ausgezeichnet. Ja, du spielst eine herausragende Rolle. Genau gesagt, du bist der Achsenmann, derjenige, der die Räder hält und ohne den die Räder sich nicht drehen könnten.« »Die Kurbelwelle gewissermaßen?« Sie machte eine Geste der Ungeduld. »Fast alle Vorbereitungen sind bereits getroffen. Eines fehlt noch. Wirst du dich zur Verfügung stellen? Ich kann dir nicht befehlen, dein Leben aufs Spiel zu setzen.« Hank fand, daß ihr das Befehlen bisher keine großen Probleme bereitet habe, aber das behielt er für sich. »Ich müßte schon wissen, wie heiß das Wasser ist, bevor ich hineinsteige. Allerdings... Ihr hättet vermutlich nicht unternommen, was immer bereits geschehen sein mag, wenn Ihr nicht sicher gewesen wäret, daß ich zustimmen werde. Ich weiß nicht, ob es mir Spaß macht, so berechenbar zu sein.« »Niemand ist hundert Prozent berechenbar. Wenn du dich weigern solltest, kann ich dich ersetzen — das heißt, ich kann es bis zu einem gewissen Grade. Ich würde dich immer noch brauchen, damit du den Mann beförderst, der dich ersetzt.« Hank seufzte. »Ihr appelliert an meinen Stolz. Nein, nennt es lieber Eitelkeit. Was Ihr sagt, ist, daß niemand ganz in meine Stiefel paßt.« »Nicht so, daß es mich zufriedenstellen würde.« Hank sah sich im Rau m um. Außer ihm, Glinda und Balthii, einem Hühnerhabicht, war niemand zugegen. Nicht einmal eine Maus hätte sich verbergen können, und wenn es ihr doch gelungen wäre, hätte Balthii sie gewittert. Über diese Besprechung würde kein Spion berichten können. Stumm lauschte er, während Glinda ihren Plan umriß und dann im Detail schilderte. Als sie geendet hatte, sagte er: »Weshalb habt Ihr mich ausgewählt? Ihr braucht jemanden, der relativ unauffällig ist. Jemanden, den man für einen Gillikin halten könnte. Das gleiche hätte ich auch gegen Sharts den Hemdlosen
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einzuwenden. Und wie viele Seltene Bestien gibt es noch?« »Ihr werdet ja nicht am heilichten Tag vor aller Augen in der Stadt umherspazieren. Der Hauptgrund dafür, daß ich dich, Sharts und die anderen ausgesucht habe, ist, daß ihr die größten Chancen habt, diese Aktion durchzuführen. Ich weiß, daß ihr die besten seid. Ich kann einen Charakter lesen, und ich kann Wahrscheinlichkeiten in einem Maße berechnen, das du vermutlich für unvorstellbar halten würdest.« Hank seufzte wieder und meinte: »Na gut. Aber was ist, wenn die Amerikaner ein zweites Mal eine Invasion versuchen?« »Darum werde ich mich kümmern. Beim letzten Mal habe ich dich auch nicht gebraucht, obgleich ich natürlich froh darüber war, daß du zur Verfügung standest, falls ich dich benötigen würde.« »Abfliegen kann ich erst übermorgen. Ich muß Jenny checken, und ich habe einiges vorzubereiten.« Glinda lächelte. »Du solltest dir auch mehr Zeit für Lamblo nehmen.« Später fragte Hank sich, ob Glinda an den Nuancen von Lamblos Stimme und an den Bewegungen ihres Körpers erkennen konnte, was Lamblo vorhatte, oder ob Lamblo sich ihr anvertraut hatte. Gewiß aber war er nicht darauf vorbereitet, daß die kleine Blonde ihm einen Heiratsantrag machen würde. »In meinem Lande«, sagte er, als er sich von dem Schock erholt hatte, »fragt der Mann die Frau, ob sie ihn heiraten will.« »Aber dort bist du nicht«, erwiderte Lamblo. Sie trugen nichts weiter als Hausmäntel und Slipper, während sie eine Kleinigkeit aßen, bevor sie ins Bett zurückkehrten. Sie saß auf einem hochbeinigen Stuhl, der extra für sie angefertigt worden war. Trotzdem mußte sie den Kopf heben, um ihn über den Tisch hinweg anzusehen. »Außerdem tut das überhaupt nichts zur Sache«, fuhr sie fort. »Du weichst meiner Frage aus. Vielleicht, weil du mir nicht weh tun willst. Du mußt doch wissen, ob du mich zur Frau haben willst oder nicht. Du kannst mir nicht erzählen, daß du darüber noch nie nachgedacht hast.« Hank legte sein halbverzehrtes Honigbrot aus der Hand. Wenn er noch einen Bissen nähme, würde er daran ersticken. »Du brauchst keine Angst zu haben — du kannst ruhig zugeben, daß du Glinda liebst. Jeder Mann tut das. Aber keiner kann sie bekommen. Auch du kannst sie nicht bekommen. Wenn du auch nur ein Fünkchen Verstand hättest, würdest du
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das wissen. Du würdest auch wissen, daß du nicht sehr lange glücklich bleiben würdest, wenn du ihr Gatte sein dürftest. Sie ist dreihundert Jahre alt, Hank, und sie ist eine Hexe. Ihr könntet einander niemals ebenbürtig sein. Du würdest immer ihr Schatten sein. Ein Sterblicher, der mit einer Göttin vermählt ist. Du würdest —« »Das weiß ich alles«, unterbrach er sie. »Ich habe mehr Verstand, als du zu glauben scheinst.« Er nahm einen Schluck Milch. »Nur...« Lamblo lächelte nicht mehr. Ihre Augen waren schmal. »Nur... wenn du sie nicht haben kannst, willst du gar keine?« »Nein, das ist es nicht.« »Ich liebe dich, Hank.« Etwas, das hart und kalt in ihm gelauert hatte, schien zu schmelzen und zu zerfließen. Er brach innerlich auf, und es schmerzte ihn, es ließ ihn aufschluchzen, einmal nur, aber heftig. Es war, als habe sich etwas tief in seinem Innern losgerissen und sei durch seinen Schlund herauf und aus seinem Mund hinausgeflogen. Fast war ihm, als höre er seinen klagenden Schrei, als es in die Nacht hinauswehte. »Ich liebe dich, Lamblo, aber...« Sie wartete. Jetzt lächelte sie. Ihre Augen waren groß, aber sie schwammen in Tränen. »Na ja, aber dies ist doch nicht die Zeit für ein Gespräch über das Heiraten. Ich meine, ich gehe bald auf eine gefährliche Mission... es kann sein, daß ich nicht zurückkomme...« »Das ist mir gleichgültig!« entgegnete sie. »Nein, ich meine natürlich nicht, daß es mir gleichgültig ist, wenn du in Gefahr gerätst, denn das berunruhigt mich sehr, das brauche ich dir nicht zu sagen. Ich meine, daß es an der Situation nichts ändert. Ich bin bereit, zu riskieren, daß ich eine Witwe werde, und wenn du mich liebst, tust du es auch. Hank, ich will ein Kind von dir.« Er umklammerte die Tischkante. »Aber es sollte doch einen Vater haben.« »Willst du mich heiraten? Ein Ja oder Nein genügt. Soweit Worte hier genügen.« »Ja. Sobald ich zurückkomme«, sagte er. »Wir haben keine Zeit mehr, jetzt zu heiraten. Morgen werde ich den ganzen Tag lang mit Reisevorbereitungen beschäftigt sein. Wir könnten nicht einmal Flitterwochen haben.« »Oh, ich denke, Glinda wird es schaffen, uns gleich morgen früh zu trauen. Nach dem Frühstück. Und was die Flitterwo-
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chen betrifft, so könnte man sag en, daß wir sie schon gehabt haben.« Er stand auf, ging um den Tisch herum, hob sie hoch und küßte sie. »Ich habe dich doch nicht gezwungen, ja zu sagen, oder?« murmelte sie. »Ich wäre kein Mann, wenn du das könntest.« »Aber du bist ein großer Mann, so groß wie jeder andere und noch viel größer. Wir Quadlinge haben ein Sprichwort: >Ein großer Mann ist nicht unbedingt groß<. Es ist doppelsinnig, aber ich rede von Charakterstärke. Ich rede von einem starken Mann.« »Hör zu, Lamblo, ich bin Manns genug, dir zu sagen, ob ich dich heiraten will oder nicht. Ich werde dir die Wahrheit sagen. Ich habe hier keine andere Frau kennengelernt — natürlich kenne ich auch nicht viele —, die ich lieber heiraten würde als dich. Und ich liebe dich.« »Und Glinda?« »Sie ist eher eine Göttin als ein Mensch. Das ist mir schon vor einer Weile klargeworden. Ich will nur nicht, daß du sie ins Spiel bringst, wenn du dich über mich ärgerst. Es wäre nicht fair. Du kannst mir vorwerfen, was du willst, aber laß sie beiseite.« »Das kommt darauf an, wie zornig du mich machst.« Aber sie kicherte. Die Trauung nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Statt eines Priesters oder einer Priesterin vollzog Glinda die Zeremonie. Sie sprach (einige Worte, stellte jedem der beiden eine Frage, erhielt von jedem eine Antwort, Bräutigam und Braut tauschten goldene Ringe aus, Glinda segnete sie, und das war alles. Später, wenn es Gelegenheit dazu gäbe, würde die Vermählung noch einmal vollzogen werden, in einer großen, formellen Feier mit Priestern und Priesterinnen, in Anwesenheit von Lamblos Eltern und Verwandten, mit Musik, Tanz, unter fröhlichem Zechen und ausgelassenen Scherzen. Die »Flitterwochen« dauerten eine Stunde. Hank hatte den fruchtbarkeitshemmenden Trank nicht zu sich genommen, aber da die Wirkung des letzten noch nicht verflogen war, konnte Lamblo nicht schwanger werden. So brauchte er sich keine Sorgen darüber zu machen, daß sein Kind vaterlos sein könnte, wenn er nicht von seinem Einsatz zurückkäme.
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23 Der letzte Landeplatz war die Wiese eines Bauern, zehn Meilen nördlich von Wugma, der Hauptstadt von Gillikinland. Hank war nur nachts geflogen, und zwar auf einer kreisförmigen Bahn, die ihn weit westlich um Wugma herum über hügeliges, dünn besiedeltes Land geführt hatte. Glinda hatte dafür gesorgt, daß Guerillas und Spione in Abständen von fünfzig Meilen Richtfeuer entzündeten, die ihm den Weg wiesen. Aber selbst mit deren Hilfe hätte er in der Finsternis nicht fliegen können, wenn Bargma, die Eule, nicht gewesen wäre. Sie war vertraut mit den Bergketten, die er zu durchfliegen hatte und gleitete ihn sicher hindurch. Das Wetter hatte ihnen keinen Strich durch die Rechnung gemacht, obgleich der Himmel meist wolkig war. Bargma schrieb es Glinda zu, daß sie nicht von Regen oder heftigem Wind behelligt worden waren. Hank glaubte dies nicht, denn er konnte sich nicht vorstellen, wie eine Hexe die ungeheure Menge Energie, die dazu notwendig gewesen wäre, hätte aufbringen und kontrollieren sollen. Aber er widersprach der Eule nicht. Jenny landete zwischen zwei Fackelreihen. Sie hüpfte ein wenig — die Wiese war nicht ganz eben —, und sobald sie festen Boden unter den Rädern hatte, wurden die Fackeln gelöscht. Das große Richtfeuer mit Wasser zu ersticken dauerte etwas länger. Hank stellte die Zündung ab. Gestalten erschienen aus der Finsternis. Auf seine Anweisung hin schoben sie das Flugzeug unter die Zweige einer mächtigen Eiche und drehten es um. Ein Mann mit einer Suchlaterne stand neben dem Cockpit. Er war so groß wie Hank — Sharts der Hemdlose. Hinter ihm sah Hank die knapp einen Meter große Gestalt von Blogo der Seltenen Bestie. Der kammgezierte Kopf und die knollige Zy lindernase waren vor dem ersterbenden Feuer deutlich erkennbar. Hank begrüßte die beiden und kletterte dann aus dem Cockpit, um das Tanken zu beaufsichtigen. Die Falken, die im hinteren Cockpit mitgeflogen waren, und die Eule setzen sich auf die Windschutzscheibe. Balthii gab ihrer Gefährtin ein paar letzte Anweisungen, und dann flog Martha
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mit der Nachricht davon, daß die letzte Landung ohne Zwischenfälle erfolgt sei. »Ist alles vorbereitet und in Ordnung?« erkundigte Hank sich bei Sharts. Die Stimme des Mannes klang glashart. »Selbstverständlich! Ich selbst habe alle Vorbereitungen getroffen! Bis ins letzte Detail!« »Es war auch nur eine rhetorische Frage«, erwiderte Hank. Es verdroß ihn schon jetzt, daß er mit dieser Primadonna so behutsam umgehen sollte. Der Einsatz war so schon schwierig und nervenaufreibend genug, und er hatte keine Lust, Sharts zu behandeln, als sei er eine Flasche mit Nitrogly zerin. Aber in gewisser Weise war er das ja. Irgendwann würde er sich erkundigen, wie der Riese zu seinem Beinamen gekommen war. Ganz sicher aber würde er diese Frage nicht an Sharts selbst richten. Im Augenblick trug Sharts ein elegantes, spitzenbesetztes Brokathemd mit hohem, gefälteltem Kragen. Eine offene, ärmellose Weste lag um seine breiten Schultern. Sie sah aus wie Leder, aber vermutlich war sie aus einem anderen Material. Leder war seltener und kostbarer als Gold und Diamanten, und es zu besitzen war in allen Nationen illegal, es sei denn, man konnte nachweisen, daß man die Erlaubnis des Verstorbenen oder seiner Angehörigen hatte, den Leichnam abzuhäuten. Sharts trug Reithosen, und seine Stiefel waren konventionelle Holzschuhe mit Filzgamaschen, die oben aufgerollt waren. Diese würde er später durch leinene Schuhe ersetzen. In der Nähe warteten acht gesattelte Rehe, und acht weitere Rehe waren vor einen Wagen gespannt. »Damit werden wir fahren«, erklärte Sharts, der Hanks Blicke richtig deutete. Er machte Hank, Jenny und die Vögel mit den übrigen Mitgliedern des Kommandos bekannt. Es waren fünf Männer, sieben Falken und die Rehe. Die Seltene Bestie sagte mit ihrer Fistelstimme: »Sharts und ich könnten es auch allein schaffen. Aber Glinda will es so, und was Glinda will, soll geschehen.« »Außerdem würdest du keine Amnestie für deine Verbrechen bekommen, wenn du ihr nicht gehorchtest«, bemerkte Balthii. »Was für Verbrechen?« brüllte Sharts. Die Rehe zuckten zurück, die Falken kreischten auf, die Eule schuhte und ein paar der Männer wichen zurück. »Wie würde es dir gefallen, wenn ich dir einen Knoten in den Hals
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mache?« quakte die Seltene Bestie. »Aber, aber!« Hank hob die Hand. »Das ist doch kein Grund zur Aufregung. Ich bin sicher, daß Balthii niemanden beleidigen wollte. Stimmt 's nicht, Balthii?« »Ganz gewiß nicht«, bestätigte Balthii hastig. »Nun, es war eine recht persönliche Bemerkung«, knurrte Sharts. »Halte deine freche Zunge im Zaum, Falke, sonst verdrehe ich dir den Schnabel so, daß er aussieht wie ein Korkenzieher. « »Wie würde es dir gefallen, das südliche Ende einer Ente zu küssen, die nach Norden fliegt?« fragte Balthii und flatterte davon, bevor Sharts sie erreichen konnte. Hank stöhnte und brummte: »Wir werden uns gegenseitig umgebracht haben, bevor wir noch die Wiese hinter uns bringen können.« Er wandte sich an Sharts. »Als Glindas offizieller Vertreter bitte ich um Entschuldigung für die Bemerkungen, die Balthii entschlüpft sind. Du weißt ja, wie diese Falken sind.« Sharts grunzte. Unwaz, der Anführer der Gillikin-Falken, schaltete sich ein. »Und wie, bitte sehr, sind wir Falken?« »Stolz!« beeilte Hank sich zu versichern. »Stolz! Und, ohne daß ich jemandem zu nahe treten möchte, schnell eingeschnappt — ich meine, äußert empfindsam.« Balthii war wieder auf ihrem Platz auf der Kante der Windschutzscheibe gelandet. Sie sagte: »Wir alle, einschließlich meiner selbst, benehmen uns töricht. Wenn Glinda hier wäre, würde sie uns zur Ordnung rufen. Ich schlage vor, daß wir von nun an sachlich miteinander umgehen. Es tut mir leid, Sharts, wenn ich dich beleidigt haben sollte. Ich werde es nicht noch einmal tun. Das verspreche ich.« Als Berufsdiplomat würde ich bald verrückt werden, dachte Hank. Ich würde diesem Kerl gern die Fresse polieren. Vielleicht werde ich es auch tun, wenn erst alles vorbei ist. Nur... wahrscheinlich wäre das nicht sehr klug. Wahrscheinlich könnte man ihm eine Hand auf den Rücken fesseln, und er würde mich immer noch verprügeln, daß mir Hören und Sehen vergeht. Aber versuchen werde ich es vielleicht trotzdem. »Eines müssen wir noch klarstellen, bevor wir aufbrechen«, verkündete Sharts und blickte mit funkelnden Augen in die Runde. »Anscheinend herrscht hier einige Verwirrung bezüglich der Frage, wer hier das Kommando führt. Glindas Bote hat mir gesagt, ich sei der Anführer.« Hank hatte Sharts den Rücken zugewandt, weil er eben
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damit beschäftigt war, die BAR-Magazine aus dem Vordercockpit zu räumen. Er drehte sich um, einen Moment lang wortlos vor Wut. Glinda hatte unmißverständlich gesagt, er habe das Kommando. Sharts log. Aber vielleicht log er nicht bewußt. Vielleicht glaubte er wirklich, der Falke habe ihm diese Botschaft überbracht. Er war ein solcher Egomane, daß er die Vergangenheit zu rekonstruieren imstande war, nur um damit sein Image zurechtzurücken. »Du kennst dich hier aus«, sagte Hank. »Ich nicht. Also bist du der Führer. Geht denn voraus, Macduff.« »Meckdaff?« »Ein englisches Wort. Es bedeutet >Sohn einer.. .< Na, jetzt habe ich vergessen, wessen Sohn. Aber Macduff war ein großer Mann.« Er trat dicht zu Jenny und wisperte: »Wenn ich nicht zurückkomme, kannst du Glinda sagen, als ich starb, hätte ich sie gehaßt, weil sie mich mit diesen Clowns in den Wald geschickt hat.« »Okay «, antwortete das Flugzeug. »Aber ich habe volles Vertrauen in dich, Hank. Ich werde bereit sein, wenn du zurückkommst. « »Wenn ich komme, werde ich wahrscheinlich spurten wie Charlie Paddock.« »Wie wer?« »Wie der größte Sprinter der Welt. Meiner Welt. Paß auf: Ich habe dem Bauern gesagt, wie er deinen Vergaser vorzubereiten hat. Zum Glück hast du genug Energie, deinen Propeller selbst anzuwerfen. Diese Gillikins sind zu klein dafür; der Mann müßte sich wahrscheinlich auf einen Schemel stellen, und dabei könnte er mitten durchgeschnitten werden.« »Ich bin nicht dumm, weißt du. Ich werde es nicht vergessen. « Hank tätschelte ihre Haube. »Noch eine Primadonna«, sagte er, und dann ging er zum Wagen. Sharts saß auf dem Kutschbock und wartete. Hank kletterte hinauf und sagte: »Exzelsior!« »Was?« »Vorwärts, immer vorwärts und hinauf! Ihr mögt feuern, wenn Ihr bereit seid, Gridley! Fahren wir!« Sharts sprach leise ein paar Worte, und die Rehe legten sich ins Geschirr. Er schwieg eine Weile und sagte dann: »Wenn du glaubst, daß du damit Eindruck machen kannst, daß du in deiner barbarischen Sprache redest, und wenn du weiterhin denkst, du könntest damit erreichen, daß ich weniger gelehrt erscheine —« »Gott behüte!« unterbrach Hank. »Ich bin nur ein wenig
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angespannt, und wenn ich nervös bin, neige ich dazu, meine Muttersprache zu benutzen. Ich will dir nicht zu nahe treten.« Sharts grunzte und begann wieder zu pfeifen. Sie bogen von der Wiese auf einen schmalen Feldweg ein und wandten sich nach Süden. Blogo die Seltene Bestie ritt auf einem Reh an der Spitze und richtete den Strahl der Suchlaterne auf den Weg. Das einzige andere Licht hing an einem Haken im Innern des Wagens. Als Hank sich umsah, konnte er ein paar Kisten und ein großes, mit Papier eingewickeltes Paket erkennen. Eine der Kisten enthielt Pfeile, die zweite seine BAR-Munition und in der dritten lagen drei Schwarzpulvergranaten. »Was ist in dem Paket?« fragte er. »Meine Hemden.« »Es geht nichts über Sauberkeit.« »Soll das sarkastisch sein?« »Nein, mein Sarkasmus ist in der Reinigung, und ich habe ihn vor der Abreise nicht mehr zurückbekommen.« Im Zwielicht sah man den halb verärgerten, halb verblüfften Gesichtausdruck des Riesen. Schließlich meinte Sharts: »Ich glaube, du und ich, wir werden uns ein wenig unterh alten, wenn diese Sache hier vorüber ist.« »Es wird mir ein Vergnügen sein, dich ein wenig besser kennenzulernen«, entgegnete Hank. Nach fünf Meilen bog der Trupp auf eine breitere, aber ebenso rauhe und ausgefahrene Straße ein. Sie kamen an mehreren Bauernhäusern vorbei; die meisten davon waren dunkel. Hank war froh, daß es auf dieser Welt keine Hunde gab. Die Hofhunde hier hätten im Umkreis von mehreren Meilen gekläfft. Oder vielleicht doch nicht? Sie wären intelligent gewesen, und deshalb hätten sie vermutlich abgewartet, bis sie sicher wären, daß es etwas gab, wofür es sich zu kläffen lohnte. Andererseits war der Instinkt bei den Tieren immer noch so stark, und so hätten die Hunde sich vermutlich doch die törichte Seele aus dem Leib gekläfft. Als die Karawane etwa zehn Meilen hinter sich gebracht hatte und auf eine andere Straße gewechselt hatte, blieb sie stehen. Frische Rehe kamen aus einem Waldstück getrabt, um die erschöpften zu ersetzen. »Die einheimischen Tiere müssen gewußt haben, daß diese Rehe hier warteten«, meinte Hank. »Haben sie denn keine Fragen gestellt?« »Sie sind nicht alle so naseweis wie du«, versetzte Sharts. »Aber diese Rehe sind nicht auf einmal hierher gekommen, und so haben sie auch nicht über Gebühr Aufmerksamkeit
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erregt. Glindas Falken haben sie schon vor langer Zeit rekrutiert. Als sie die Nachricht bekamen, verließen sie ihre Herden und kamen hierher.« »Wie lange mag es her sein, daß Glinda alle diese Vorbereitungen getroffen hat?« bemerkte Hank. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich war es, bevor Erakna Königin wurde.« Die verstorbene Hexe des Nordens war eine gute Freundin Glindas gewesen. Dennoch hatte Glinda sich eine Möglichkeit geschaffen, unentdeckt in ihr Schloß zu gelangen. War sie von der Annahme ausgegangen, daß zwei Regenten nur so lange miteinander befreundet sein können, wie die politische Situation es gestattet? Oder hatte Glinda wirkliches Vertrauen in Wulthag gesetzt, aber war gleichzeitig klug genug gewesen, einzuplanen, daß ihre Nachfolgerin ihr feindselig gesonnen sein könnte? Was immer Glindas Gründe gewesen sein mochten, sie hatte mit dem, was sie getan hatte, richtig gehandelt. Aber bei diesen Gedanken fragte Hank sich, ob Wulthag nicht auch weitsichtig genug gewesen sein mochte, ähnliche Vorkehrungen für einen geheimen Zutritt zu Glindas Schloß zu treffen. Aber daran würde Glinda sicherlich gedacht haben. Zweifellos hatte sie das Schloß und seine Umgebung gründlich durchsucht. Aber wenn Glinda dies planen konnte, konnte Erakna auch Argwohn schöpfen. Also hatte Erakna ihr Schloß vielleicht ebenfalls nach geheimen Eingängen durchforscht und sie gefunden, und jetzt waren diese Eingänge gut bewacht oder gar in Fallen umgewandelt worden. Als er an dies dachte, brach Hank der Schweiß aus, obgleich die Bergluft allmählich kühl wurde. Sie kamen jetzt durch eine Gegend, in der die Bauernhöfe Seite an Seite lagen, und sie durchquerten zwei Dörfer. In wenigen Häusern brannte Licht; beinahe jedermann war im Bett. In der Ferne sah man größere Ansammlungen von Lichtern. Es waren die Fackeln und großen Lampen auf den Türmen und Mauern, die Wugma umgaben. Dann passierten sie einen Anblick, der Hank noch nervöser werden ließ. Es war ein Baum, an dem die stinkenden Leichen von sechs Männern und einem Waschbären baumelten. »Spione oder Rebellen«, meinte Sharts und nahm sein Pfeifen wieder auf. »Das glaube ich nicht«, widersprach Balthii, die auf Hanks
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Schulter hockte. »Wenn es Spione gewesen wären, hätte man sie nach Wugma gebracht und dort gefoltert. Es müssen Rebellen gewesen sein, oder auch nur gemeine Verbrecher.« »Was verstehst denn du davon, Falke?« gab Sharts zurück. »Gewöhnliche Kriminelle werden enthauptet.« »Was ist das für ein Unterschied?« fragte Hank. »Ein beträchtlicher«, erwiderte Sharts. »Es ist der Unterschied zwischen Wissen und Ignoranz. Mir liegt viel daran, zu wissen, was für Leute diese Toten waren und weshalb sie gehängt wurden. Dies zu wissen könnte mein Verhalten in der nächsten Zukunft beeinflussen. Davon könnte abhängen, ob ich getötet werde oder weiterlebe. Abgesehen davon ist Wissen um seiner selbst erstrebenswert.« »Ein Gehirn kann nur soundso viel aufnehmen«, meinte Balthii. »Was hat es für einen Sinn, wenn man es mit belanglosem Quatsch vollstopft?« »Dein Gehirn kann nur soundso viel aufnehmen«, schnaubte Sharts. » Spatzenhirn!« Balthii sträubte ihr Gefieder. Womöglich wäre es im nächsten Augenblick zu einer handfesten Auseinandersetzung gekommen, wenn sie nicht unterbrochen worden wären. Hank hörte ein Flattern und erschrak, als etwas sich auf seiner anderen Schulter niederließ. »Bargma! Verdammt, vor Schreck wäre ich beinahe vom Wagen gefallen.« »Eine Patrouille kommt uns entgegen«, meldete die Eule. »Sie ist etwa eine halbe Meile weit weg.« »Wie viele?« fragte Sharts. »Zwölf Männer auf Rehen und zwei Kamele.« Sharts befeuchtete seinen Finger und hielt ihn in die Höhe. »Der Wind kommt immer noch aus Nordwesten. Sagt den übrigen, daß wir beim nächsten Tor nach links abbiegen. Beeilt euch, ihr beiden!« Die Vögel erhoben sich von Hanks Schultern. Mit ihren Klauen ruinieren sie meine Jacke, dachte er, ohne daß dies für den Augenblick eine Bedeutung gehabt hätte. Gereinigt werden mußte sie auch jeden Tag. Eine Minute später drehte Blogos Laterne sich ihnen zu, und ihr strahlendes Auge wurde hin und her geschwenkt. Die Kavalkade zog durch ein Tor aus Holz und Draht, welches leise knarrend geöffnet worden war. Der Stoßtrupp verließ rasch den schmalen Feldweg, der zu dem Bauernhaus führte, und bewegte sich über die Wiese hinweg auf eine kleine Baumgruppe zu. Im Dunkel des Gehölzes warteten sie, bis die
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Lichter der Patrouille eine Viertelmeile weiter nördlich hinter einer Wegbiegung verschwanden. Sharts fragte Unwaz, wie weit es noch bis zu der Stelle sei, an der sie sich tagsüber verstecken wollten. »Noch eine Meile.« Sie bewegten sich langsam voran; sie wollten nichts überstürzen und dadurch vielleicht Geräusche machen, die einen Bauern oder ein Tier geweckt hätten. Ihr Ziel war ein Hof, wo der Besitzer und sein Sohn sie in einer Scheune erwartete. Unwaz stellte die Mitglieder des Kommandos vor, als das Scheunentor sich hinter ihnen geschlossen hatte. Ehrfurchtsvoll bestaunten die Gillikins die beiden Riesen, Sharts und Hank. »Meine Familie und die Tiere sind in Ordnung«, erklärte Abraam, der Bauer. »Sie hassen Erakna. Ihr seid in Sicherheit, wenn ihr hier schlaft. Nur...« »Nur was?« wiederholte Sharts erbost. »Nur... da ist eine Maus in der Scheune. Barrabaz« — er deutete auf einen großen schwarzen Kater- »hat sie noch nicht fangen können. Ich schätze, daß ich mir unnötige Sorgen mache. Was kümmert es schließlich eine Maus, wer Königin ist oder was wir Menschen treiben, solange sie sich den Bauch mit Getreide vollschlagen kann, das sie mir stiehlt? Aber...« »Aber vielleicht denkt sie, sie braucht nur zur Königin zu gehen und uns zu verpfeifen, und schon bekommt sie für den Rest ihres Lebens freie Kost und braucht sich den Kopf nicht mehr wegen einer Katze zu zerbrechen. Richtig?« fragte Sharts. »Nun, Barrabaz bereitet ihr nicht allzu viel Kopfzerbrechen«, meinte Abraam. »Ich sage dir, ein fauleres Biest als diesen Kater gibt's auf dieser Seite des Berges nicht.« »Ich tue, was ich muß«, behauptete Barrabaz und leckte sich die Pfote. »Ja, aber nicht für mich«, entgegnete Abraam. »Schluß mit dem müßigen Geschwätz«, befahl Sharts. »Vielleicht ist diese Maus keine Gefahr für uns, aber wir dürfen kein Risiko eingehen. An die Arbeit, Kater. Stöbere sie auf, die Maus.« »Eine Maus?« fragte Bargma. »Wo? Wo?« Die Eule war eben von der Suche nach einem hochgelegenen Schlafbalken zurückgekehrt. »Du kannst dem Kater helfen«, sagte Sharts. »Falls er seinen verschlafenen Hintern hochbringt und tut, was seine Pflicht ist.«
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»Ich bedanke mich für deine freundliche Anteilnahme«, antwortete der Kater, und seine gelben Augen leuchteten rötlich im Schein der Laterne. »Aber im Augenblick habe ich keine Lust zum Jagen. Vielleicht ein andermal.« »Hier gibt es kein Vielleicht!« brüllte Sharts. Barrabaz leckte sich über die andere Pfote, und dann schlenderte er in eine dunkle Ecke. Er schaute sich um und sagte: »Leck mich doch am Arsch.« »Was? Was?« stammelte Sharts. »Sag mal, Kater, weißt du, wer hier vor dir steht?« »Ein Misthaufen mit ulkigen Augen«, erklärte Barrabaz. Sharts gurgelte etwas und wollte sich auf die Katze stürzen. Barrabaz sprang auf einen Heuhaufen, von dort auf einen Balken und weiter auf einen anderen, und mit einem Riesensatz war er oben auf der Tenne. Dort drehte er sich um und bleckte die Zähne. »Blogo!« Sharts wandte sich an die Seltene Bestie. »Du steigst hinauf und jagst mir diese Miezekatze herunter. Ich werde ihr den Hals umdrehen.« Blogo grinste, aber ob es wegen der Vorfreude auf das nahe Ende des Katers war oder weil es ihn amüsierte, wie sein Chef beleidigt worden war, konnte man nicht erkennen. Er schickte sich an, die Leiter zur Tenne zu erklimmen, aber Hank hielt ihn auf. »Warte.« Sharts fuhr herum und funkelte ihn an. »Wahrscheinlich hast du die Maus mit deinem Gezeter bereits verjagt«, sagte Hank. »Und wenn sie uns belauscht hat, dann kannst du darauf wetten, daß sie bereits in Windeseile unterwegs nach Wugma ist, und zwar mit einer interessanten Geschichte für die Königin. Der Kater ist völlig unwichtig. Hier geht es um die Maus.« »Ich habe hier das Kommando!« protestierte Sharts. »Ich gebe die Befehle!« Hank wandte sich an die Eule. »Bargma, du solltest draußen nachsehen, ob die Maus zu finden ist.« Er ging an Sharts vorbei, der starr und mit geballten Fäusten dastand, öffnete das Scheunentor und ließ die Eule hinausfliegen. Dann drehte er sich um. »Sharts, mein Volk hat ein Sprichwort, welches sagt: >Eine Katze darf der Königin ins Gesicht sehen. < Es bedeutet unter anderem, daß Katzen privilegierte Geschöpfe sind und daß ihre Natur nicht mit menschlichen Maßstäben gemessen werden darf. Du jedenfalls bist zu groß, als daß du einem solchen Wesen allzu viel Aufmerksamkeit schenken
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solltest. Was würden die Leute sagen, wenn sie erführen, daß unsere Mission in Gefahr geriet, weil du eine Katze gejagt hast?« »Gib's ihm«, rief Barrabaz. »Du hältst die Klappe und kümmerst dich um deinen eigenen Kram!« brüllte Hank. »Du hast schon genug Unheil angerichtet. « Blogo, der die Leiter zur Hälfte erklettert hatte, schaute an seiner langen, klobigen Nase entlang seinen Herrn an. »Was soll ich jetzt machen, Boß?« Sharts spreizte die Finger und sagte mit leiser Simme: »Der Mann von der Erde hat zumindest zur Hälfte recht. Die Katze ist nur ein kleines Ärgernis, ein Ungeziefer. Warum sollte ich, Sharts, mich davon belästigen lassen? Trotzdem werde ich dem Tier den Schädel zusammenquetschen, daß ihm die Augen herausspringen, wenn ich es zu fassen bekomme! Gut denn — alle sollen sich aufmachen und nach der Maus suchen. Ihr Falken fliegt hoch, dorthin, wohin wir nicht gelangen können, und sucht dort. Wir werden die Scheune gründlich durchsuchen, und wenn wir jeden Halm einzeln umdrehen.« Mit gedämpfter Stimme fuhr er, zu Hank gewandt, fort: »Über deine Manieren werden wir uns später auch einmal unterhalten müssen.« Hank unterdrückte eine Erwiderung und begann, eine Futterkrippe zu durchwühlen. Der Bulle, der davor stand, meinte: »Hier drin ist keine Maus.« »Wahrscheinlich nicht«, antwortete Hank höflich. »Aber wir können nicht riskieren, irgend etwas zu übersehen.« Die Suche war noch nicht lange im Gange, als Bargma von draußen rief: »Macht das Tor auf. Ich habe sie.« Ein Gillikin namens Smiirn drückte das Tor auf, und Bargma kam hereingeflogen. Smiirn schloß das Tor wieder. Die Eule landete auf dem Rand der Tenne. Im Schnabel hielt sie eine graue Maus. Das Tierchen, das etwa um ein Drittel kleiner war als eine terrestrische Hausmaus, hielt sich starr und zappelte nicht, aber in seinen Augen glitzerte die Todesangst. Bargma hatte keine Schwierigkeiten, deutlich zu sprechen, obwohl sie den Schnabel nicht öffnen konnte. »Sie wollte eben den Hof verlassen und in die Straße einbiegen, als ich auf sie hinunterstieß und sie schnappte«, erzählte die Eule. »Es muß eure Maus sein.« »Es könnte jede beliebige Maus sein«, widersprach Sharts. Hank stimmte dem Riesen nicht gern zu, aber diesmal hatte er
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recht. Abraam, der Bauer, sah den Kater an. Dieser hockte mit verschränkten Vorderpfoten am Rande der Tenne. »Barrabaz, ist das die Maus?« Der Kater gähnte. »Es ist eine Maus, ja. Das sieht doch jeder Dummkopf.« »Verdammt!« fluchte der Bauer. »Dies ist nicht der Augenblick für alberne Faxen! Ist das die Maus, die du nicht fangen konntest?« »Ich konnte es«, erwiderte Barrabaz. »Aber ich wollte nicht. Ich wollte sie verwahren, bis ich einmal ganz schrecklich Langeweile hätte.« »Dann ist es also die richtige.« »Das sieht die Maus anders, würde ich sagen.« Der Bauer hob hilflos die Arme. »Herr im Himmel, weshalb gebe ich mich eigentlich mit ihm ab?« »Na, es ist ja wohl umgekehrt«, meinte Barrabaz. Da begann die Maus mit zitternder Stimme zu sprechen. »Er soll mich nicht auffressen. Bitte nicht! Bitte!« Hank fluchte leise. Die Maus war intelligent, und somit konnte sie fühlen und denken wie ein Mensch in Todesgefahr. »Ich bin unschuldig«, schwor die Maus. »Ich wollte nieman dem etwas verraten. Ich wollte nur aus der Gefahrenzone fliehen. Wenn die Leute der Königin euch hier finden, brennen sie die Scheune nieder.« »Vielleicht sagt sie die Wahrheit«, meinte Hank. »Können wir sie nicht einsperren, bis wir zurückkommen?« »Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert«, versetzte die Eule, die Bibel zitierend. Sie klappte den Schnabel auf und fing die Maus mit ihrer rasiermesserscharfen Klaue auf. Dann weidete sie das Geschöpf aus, jedoch nicht bevor es noch einmal geschrien hatte: »Hilfe! Hilfe!« »Jetzt hast du mir den ganzen Spaß verdorben«, sagte Barrabaz zu der Eule. Bargma konnte nicht antworten; sie war damit beschäftigt, die Maus zu verschlingen.
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24 Die restliche Nacht und einen Teil des Tages verschliefen sie in der Scheune. Eine Stunde nach Tagesanbruch übernahm Hank die Wache. Danach fiel es ihm schwer, wieder einzuschlafen, doch schließlich gelang es ihm. Die Rehe hatten sich in einen Wald jenseits der Felder hinter dem Farmhaus zurückgezogen. Dort würden sie bleiben, bis der Stoßtrupp (ein Euphemismus für Meuchelmordkommando, dachte Hank) zurückkehrte. Falls er zurückkehrte. Hank erwachte, als die Frau und die Tochter des Bauern mit dem Frühstück hereinkamen. Mit Genuß verspeiste er heiße Kohlsuppe, Brot, Butter, Marmelade und Nüsse; die warme Milch bereitete ihm weniger Vergnügen. Die beiden Frauen trugen die Nachtgeschirre hinaus, leerten und spülten sie und brachten sie dann zurück. Die Menschen, ein rauher Haufen, schärften ihre Waffen und brüsteten sich mit vergangenen Heldentaten. Die Falken begaben sich auf die Jagd, versprachen aber, daß sie bis zum Abend zurückkehren würden. Hank, Blogo und Sharts vertieften sich in die Pläne, die Glinda ihnen mitgegeben hatte, bis sie sie auswendig kannten. Das Abendessen bestand aus Kohlsuppe, Mais, Butter, Nußgebäck und kleinen Torten mit Kürbis, Obst, Milch und Gerstenwodka. Die Falken, die zu wenig gefangen hatten, als daß sie davon satt gewesen wären, stürzten sich auf das harte Gebäck aus Nüssen und Zuckerguß. Zwar beschwerten sie sich über den Geschmack, aber sie verzehrten doch alles. Während des Tages beobachtete Hank durch ein Fenster die Scharen von Menschen und Tieren, die auf Wugma zuritten oder wanderten. Sie waren unterwegs, um Erakna und andere zu hören, die auf einer Kriegskundgebung auf dem Hauptplatz der Stadt reden würden. Der Kommandotrupp wollte sich die Massen und das herrschende Durcheinander zunutze machen, um sich in der Dunkelheit in die Stadt zu schleichen. Hank fand genug Zeit, seine Neugier in bezug auf die Seltene Bestie zu stillen. Er gab Blogo ein wenig QuadlingTabak, da der Bursche seinen eigenen auf der Wanderschaft vom Süden herauf aufgebraucht hatte. »Danke«, sagte Blogo. »Dieses Gillikin-Kraut zerreißt
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einem die Kehle.« Sharts saß mit gekreuzten Beinen und geschlossenen Augen in einer Ecke; anscheinend vollführte er geistige Trainingsübungen. Blogo hatte keine Hemmungen, freundlich mit Hank umzugehen, solange sein Chef ihn dabei nicht bemerkte. Er stammte aus einer von Bergen umgebenen, abgeschiedenen Gegend im Westen, wo Quadlingland und Winkieland aneinanderstießen. Soviel er wußte, hatte seine Familie immer dort gelebt. Besonders zahlreich waren seine Artgenossen nie gewesen, weil — vermutete er — die Frauen im Laufe ihres Lebens nur ein einziges Kind zur Welt brachten. »Warum das so ist, weiß ich nicht«, setzte er hinzu; wenn er grinste, sah er aus wie ein Schimpanse. Hank vermutete, daß seine Ureltern von den Längst Versunkenen geschaffen worden sein mußten. Zumindest hätte er sonst keine Erklärung für diese Anomalie gewußt. Er sprach jedoch nicht darüber, denn er wollte Blogo damit nicht beleidigen. Außerdem vermutete Hank, daß die extrem kriegerischen Neigungen Blogos und seiner Leute für den Bevölkerungsschwund teilweise ebenfalls verantwortlich seien. »Wir verlassen unser Land selten«, erzählte Blogo. »Aber Hama und ich — er war mein bester Freund, auch wenn er nichts als Schabernack im Sinn hatte — also, wir beide beschlossen, einmal nachzuschauen, wie es draußen in der Welt wohl aussehen mochte. Drei Monate später wurde Hama von einer Sau getötet, weil sie glaubte, er sei hinter ihrer Brut her. Das war er auch, aber nicht, um sie aufzuessen, weißt du. Wir waren ja keine Kannibalen. Nein, ich glaube, er wollte mir eines der Ferkel in den Schlafsack stecken, um mir einen Streich zu spielen. Er war ein großer Spaßvogel.« Tränen rannen ihm über die haarigen Wangen. »Darf ich fragen«, sagte Hank, »wie es kam, daß du zum Gesetzlosen wurdest?« »Ach, das!« Blogo schüttelte den Kopf, daß der rote Hahnenkamm hin und her schwankte. »Das war alles wegen eines Schabernacks. Als Hama gestorben war, machte ich mich auf die Wanderschaft nach Suthwarzha. Ich wollte zu Glinda, weil ich gern in ihrer Leibgarde gedient hätte. Ich hatte gehört, es sei eine angenehme Arbeit, und außerdem sollte es dort jede Menge gutaussehende Frauen geben. Unterwegs bezog ich einmal Quartier in einer Truppengarnison, und wir betranken uns alle
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miteinander. Da beschlossen die Soldaten, ihrem kommandierenden Offizier einen Streich zu spielen. Sie mochten ihn nicht, und sie wußten, daß er mit einer Frau zusammen war. Aber als der Augenblick kam, da sie ihm den Streich spielen wollten, waren sie nicht so betrunken, daß sie nicht doch noch gezögert hätten. Da sagte ich ihnen, sie seien Feiglinge und ich würde es an ihrer Stelle tun. Ich fand die Idee damals sehr lustig. Ich schlich mich in die Hütte, wo dieser Offizier auf der Frau lag, und spritzte ihm Terpentin auf den bloßen Schwanz. Da war es vorbei mit seiner Liebeslust, har, har, har!« Blogo wischte sich die Tränen aus den Augen. »Aber der Spaß ging auf meine Kosten. Diese Clowns hatten die Tür von außen verrammelt, als ich hineingegangen war. Der Offizier wollte mich totschlagen, und so mußte ich mich natürlich verteidigen. Er war ein großer Kerl, er hätte dir sicher fast ans Kinn gereicht, aber ich brach ihm den Hals. Die Frau kreischte, und die diensthabenden Soldaten stürmten herbei. Ich konnte die Tür nicht aufbekommen, und so riß ich ein paar Bohlen aus der Wand und machte mich aus dem Staub. Als Mensch wäre ich vielleicht davongekommen. Wie hätten diese Trunkenbolde mich identifizieren sollen? Aber ich fiel auf wie ein Leopard in einer Schafherde, wie eine Warze in Glindas Gesicht. Man suchte mich. Die Regierung empfand ein unbezähmbares Verlangen danach, mir den Kopf vom Halse zu trennen. Regierungen, weißt du, nehmen alles immer sehr ernst. Kein Sinn für Humor. So wanderte ich in den Wäldern umher, wäre beinahe von einem Tiger aufgefressen worden, und dann traf ich Sharts« — er warf einen Blick auf den Riesen, um sicherzugehen, daß dieser sich auf sein Innenleben konzentrierte — »den Hemdlosen«, fügte er wispernd hinzu. Hank zögerte und sagte dann: »Äh... Sharts hat einmal die Sehr Seltene Bestie erwähnt. Wer ist das?« Blogos Augen weiteten sich und er bleckte die Zähne. Er faßte seine heiße Pfeife beim Kopf und fragte: »Wie würde es dir gefallen, wenn ich dir dieses Ding bis zur Leber in den Arsch rammte?« »Verzeihung«, sagte Hank. »War nicht böse gemeint.« »Kam aber mächtig böse an. Hättest du Lust, nach draußen zu gehen und dich mit mir zu prügeln? Ich habe schon größere Männer als dich in kleine Streifen zerrissen.« »Das wäre albern. Ich hab's nicht böse gemeint«, wiederholte Hank. Kopfschüttelnd ging er davon.
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Kurz vor Sonnenuntergang schob der Bauer mit seinem Sohn einen Karren in die Scheune. Das Tor wurde geschlossen, und dann legten sich Hank, Blogo und Sharts mit den Waffen und mit Sharts Hemden auf den Boden des Karrens. Sie wurden mit Heu bedeckt, und auf das Heu legte man eine Schicht einheimischer Frühjahrsfrüchte. Die drei Geheimpassagiere atmeten durch Risse im Karrenboden. Der Karren wurde aus der Scheune geschoben, und man spannte vier Rehe des Bauern davor. Dann machten sie sich auf den Weg. Hank hörte die Menschenmenge, die die Straße bevölkerte, und hin und wieder vernahm er Gesprächsfetzen von seinen Gefährten, die hinter dem Wagen gingen. Die Bauern, die zu der großen Kundgebung unterwegs waren, klangen nicht so fröhlich, wie Erakna es gern gehabt hätte. Niemand lachte, und allenthalben hörte man, wie Leute sich beklagten, obgleich sich, wie er feststellte, niemand offen über die Königin äußerte. Zweifellos war die Menge durchsetzt mit Spionen und agents provocateurs. Nach etwa einer Stunde — Hank war die Zeit viel länger vorgekommen — hielt der Karren an. Hank hörte, wie die Torwachen dem Bauern einige Fragen stellte. Abraam erklärte, daß er während der Kundgebung unter den Zuhörern Obst verkaufen wolle. Wenn er nicht alles am selben Abend verkaufen könne, werde er den Rest am nächsten Morgen auf den Markt bringen. Ob die Wächter das Obst nicht untersuchen wollten ? Vielleicht etwas davon für die Familie mit nach Hause nehmen? Die Wachen wollten es nur zu gern. Hank hoffte, sie würden nicht mit ihren Speeren in den Früchten herumstochern, um festzustellen, ob sich Konterbande auf dem Wagen befand. Aber sie taten es nicht, und nachdem sie den Karren um einige Früchte erleichtert hatten, ließen sie Abraam weiterfahren und wünschten ihm noch einen angenehmen Tag. Jetzt waren sie in der Stadt und drängten sich langsam durch lärmende, offenkundig betrunkene Menschenmassen. Hin und wieder kam der Karren überhaupt nicht weiter. Nach ungefähr einer Stunde aber blieb er endgültig stehen, und Abraam klopfte dreimal gegen die Seite. Hank entstieg dem Heu und den Früchten wie Lazarus bei der Auferstehung. Steif und ratlos sah er sich um. »Was jetzt?« Es war dunkel; das einzige Licht in der Nähe fiel aus den Fenstern einiger Häuser, und an einer Straßenecke, einen hal-
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ben Block weit entfernt, brannte eine Öllaterne hoch über dem Pflaster. Nein. Auch Blogos Lampe brannte; Smiirn hielt sie in der Hand. Die Straße war eng und von Gerüchen durchzogen; die schmalbrüstigen Häuser hatten drei oder vier Stockwerke und hohe Spitzdächer. Bürgersteige gab es nicht. Das Haus, vor welchem der Karren stand, war dunkel, aber davor stand ein Fremder und redete mit Smiirn und Unwaz. Aus anscheinend weiter Ferne drang das gedämpfte Rauschen der Menge herüber. Sharts ging zu dem Mann in der Haustür und begann auf ihn einzureden. Dann drehte er sich um und sprach Hank an. »Dies ist Audag der Hinker. Er sagt, wir sollen jetzt ins Haus gehen und nicht länger auf der Straße herumlungern. Den Wagen wird man im Hof hinter seinem Hause parken.« Audag war ein dünner Mann mittleren Alters mit einem ungewöhnlich langen, schmalen Gesicht. Er machte die Neuankömmlinge mit seinem halbwüchsigen Sohn bekannt, der aussah wie sein Vater. Er war allerdings größer als dieser. Abraam und sein Sohn verabschiedeten sich und wünschten ihnen Erfolg bei ihrer Mission. Sie wollten ein paar Tage lang im Hause eines Verwandten wohnen und dann ohne Karren und Zugtiere auf die Farm zurückkehren. Die Eule und Balthii ließen sich auf Hanks Schultern nieder. Er nahm das Stoffutteral, in dem die BAR steckte; ein Mann trug die Kisten mit den Magazinen und den Granaten. Er gelangte in einen kleinen, unbeleuchteten Raum; vor sich sah er eine steile Treppe, rechts und links eine Tür. Ein klammer Moschusgeruch stieg ihm in die Nase. Er schnüffelte. Der Geruch kam ihm bekannt vor. Tote Ratten. Sie befanden sich in einem vollgestopften Keller; überall standen Holzkisten in den verschiedensten Größen, Stapel von zusammengebundenen Zeitungen, und in den Ecken lag zerbrochenes Mobiliar und Spielzeug. Audag und zwei der Gefährten machten sich daran, die Kisten, die sich an der Nordwand stapelten, aus dem Weg zu räumen. Als sie sie beiseite geschafft hatten, sah man eine Mauer aus Ziegeln und Mörtel, feucht und von Flechten grau überzogen. Mit einem Stück Kreide markierte Audag eine Fläche auf der Wand und deutete dann auf ein paar Werkzeuge: Vorschlaghammer, Meißel, Hacken, Bohrer und Schaufeln. »Ihr müßt die Steine heraushauen.« Sharts nahm sich die oberen Ziegelreihen vor, und als er
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fertig war, riß Blogo die unteren heraus. Hinter dem Loch zeigte sich eine solide Lehmschicht. »Sie ist zwei Fuß tief«, sagte Audag. »Dahinter ist wieder eine Wand. Es wurde so konstruiert, damit es nicht hohl klingt, wenn man gegen die Mauer klopft.« Zwei Männer lockerten den Lehm mit der Hacke und schaufelten ihn beiseite. Sharts kam dies alles viel zu langsam vor, er wurde ungeduldig und trug den Lehm selbst ab. Dahinter erschien die zweite Ziegelmauer. Ohne sich auszuruhen, begann Sharts, die Ziegel aus dem verrotteten Mörtel zu reißen. Eine Kette von Männern nahm die Ziegel an und stapelte sie in einer Ecke. Sharts, der trotz der Anstrengungen nicht außer Atem war, sagte: »Wir warten ein paar Minuten. Die Luft dort drin ist vielleicht schlecht.« Es roch in der Tat so, als sei die Luft verbraucht, aber sie war in Bewegung. Irgendwo dort drinnen gab es eine Lüftung. Sharts schob seine Fackel durch den Eingang. Hank, der dicht hinter ihm stand, schaute hinein. Etwa zwanzig Schritte weit führte der abwärtsgeneigte Tunnel durch Erde. Dann hatte man ihn durch Felsgestein vorantreiben müssen. Die Ziegelsteine an seinen Wänden hatten hier und dort nachgegeben, und Lehm und Steine waren hereingebrochen. Aber die hölzernen Stempel, wiewohl verrottend, und die stützenden Stahlstreben hatten standgehalten. »Er führt unter dem Wassergraben hindurch, der das Schloß umgibt«, erklärte Audag. »Das weiß ich«, erwiderte Sharts knurrend. »Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte Hank zu Audag. »Glinda wird dafür sorgen, daß du dein Geld bekommst.« Geführt von Sharts drangen sie nacheinander in den engen Tunnel ein. Es war gerade so viel Platz, daß zwei Pygmäen Schulter an Schulter nebeneinander gehen konnten, und die beiden Riesen mußten sich bücken. Sie kamen nur langsam voran, da Sharts noch immer der Luft nicht vertraute und in keine Falle laufen wollte. Als sie den tiefsten Punkt des Tunnels erreicht hatten, standen sie plötzlich vor einem schwarzen Tümpel. Die Wasserfläche war etwa zehn Schritte breit. Auf der anderen Seite führte der Tunnel bergauf. Noch während Sharts am Rande des Wassers stand, schwappte er gegen seine Füße, und in der Mitte des schwarzen Teiches blubberten Luftblasen an die Oberfläche. »Einen oder zwei Tage später«, meinte Sharts grimmig, »und der Tunnel wäre
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mit Wasser vollgelaufen gewesen.« Hank sah zu, wie der Tümpel sich ausbreitete; sie würden von Glück sagen können, wenn sie auf dem Rückweg nicht schwimmen müßten. Vielleicht dachte auch Sharts daran, aber dann wollte er sicher die anderen nicht entmutigen und schwieg. Blogo stand vor Hank. Er trug ein Schwert und einen langen Dolch in Scheiden an seinem Gürtel, und in den Händen hielt er eine zweischneidige Axt mit kurzem Schaft. Ein Tragebeutel barg das Paket mit den Hemden seines Chefs. Was zum Teufel hatte es mit diesen Hemden auf sich? Waren sie die Glücksbringer des Riesen? Unwaz, der Falke, der auf Smiirns Schulter saß, fragte: »Worauf warten wir? Ich werde hier nervös.« Sharts gab keine Antwort. Er watete in den Tümpel hinein, und im nächsten Augenblick stand er bis zum Kinn im Wasser. Als er weiterging, erhob er sich mit jedem Schritt weiter über den Wasserspiegel. Als er am anderen Ufer angekommen war, wandte er sich um. Er tropfte. »Alle bis auf den Erdenmann werden schwimmen müssen.« »Das ist offensichtlich«, erwiderte Balthii. »Auf solche Dinge hinzuweisen ist eine deiner besonderen Begabungen. Aber wenn du glaubst, wir Falken werden ins Wasser steigen, dann irrst du dich gewaltig.« »Leg dich nicht mit mir an«, versetzte Sharts. »Selbstverständlich werdet ihr fliegen. Aber ich garantiere nicht für das, was geschehen wird, wenn du hier ankommst.« Balthii wartete, bis die übrigen Vögel von einer Schulter zur anderen geflattert waren, und erhob sich dann von Blogo, um das Wasser zu überfliegen. Sharts hatte sich aber bereits abgewendet und ging langsam den Gang hinauf. Hank half jedem einzelnen beim Durchqueren des Tümpels, damit niemand unter Wasser geriet. Das brachte ihn ans Ende der Kolonne, wo er auch blieb. Es wäre zu zeitraubend und schwierig gewesen, sich an allen, die vor ihm gingen, vorbeizuzwängen. Außerdem behagte es ihm, zu wissen, daß er freie Bahn haben würde, falls man kehrtmachen und Fersengeld geben müßte. Naß bis zum Hals und zitternd vor Kälte trat er schließlich in eine Kammer, die gerade groß genug war, die Gruppe aufzunehmen. Sharts kauerte am Boden und die kleinen Männer drückten gegen seinen Rücken, während er eine rechteckige Platte in der Decke beseite zu schieben bemüht war. Die Platte ächzte und knarrte, als sie sich hob, aber wenig später hatte er
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sie weggedrückt und beiseite geschoben. Sharts streckte den Kopf durch die Öffnung und hielt seine Fackel hoch. »Noch eine Kammer«, verkündete er. »Größer als diese hier.« Er kniete nieder, drehte sich um und hielt die verschränkten Hände vor sich. Einer nach dem anderen stellten sich die kleinen Männer und die Falken auf seine Hände und wurden nach oben und leicht vorwärts geschleudert. Smiirn kippte zurück und fiel auf Sharts herunter, und eine Zeitlang wurde unten geschrien und geflucht, bevor Smiirn wieder heraufgeflogen kam. Hank wußte, daß er riskierte, Sharts Zorn erneut zu wecken, aber er mußte sich äußern. »Glaubst du nicht, daß dieser Lärm die Aufmerksamkeit auf uns lenken könnte? Wir sollten von jetzt an besser leise sein und nur noch miteinander flüstern.« Zu seiner Überraschung entschuldigte Sharts sich. »Du hast recht. Es war dumm von mir, so zu brüllen. Aber in diesem Fall war es gleichgültig, denn Smiirn schrie sowieso.« Smiirn brummte etwas vor sich hin; Hank war nahe genug, zu hören, daß Smiirn jemandem ein Messer in den Leib rennen werde, wenn dies alles erst vorüber sei. Sharts und Blogo funkelten ihn wütend an, aber sie sagten nichts. Eine dick mit Farbe bemalte Leiter führte zu einem Loch etwa sechs Meter über ihnen in der Decke. Sharts klemmte sich seine Fackel zwischen die Zähne und kletterte behende die Leiter hinauf, obgleich sie nicht für einen Mann seiner Größe gebaut war. Er stieg durch das Loch und beugte sich dann herunter. Das Licht der Fackel ließ seine Augen noch unheimlicher erscheinen. »Kommt herauf!« Mit den Vögeln auf ihren Schultern stiegen die Männer einer nach dem anderen hinauf. Hank sah, daß sie wieder in einen anderen Raum gelangt waren. Dieser war größer als der, aus dem sie kamen. Auch er war aus dem Felsen gehauen, aber eine seiner Wände war aus mächtigen, dunkel purpurn gefärbten Steinblöcken. Es war die Schloßmauer. Sie befanden sich an der Außenwand der Kerkerverliese. Auch hier erhob sich eine etwa sechs Meter hohe Eisenleiter zu einem Loch in der Decke. Als sie sie erklommen hatten, befanden sie sich in einem Raum mit zwei Ebenen. Die obere war über eine drei Meter hohe Leiter zu erreichen, eine schmale, aus dem Felsgestein gehauene Plattform. An der Innenwand befand sich eine Eisentür mit schweren Angeln und
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einem mächtigen Riegel. Sharts stieg zur oberen Ebene hinauf und zog ein Ölkännchen aus seinem Beutel. Er ölte den Riegel sorgfältig ein und zog ihn dann zur Seite, was ihn einige Anstrengung kostete. Hin und wieder mußte er innehalten und neues Öl anbringen. Dennoch kreischte der Riegel. Als er ihn vollends beiseite gedrückt hatte, ölte er die Türangeln ein und zog dann behutsam an der schweren Klinke. Trotz steten Ölens knarrte die Tür, aber sie öffnete sich weit. Sharts warf einen Blick hindurch und winkte dann den anderen, ihm zu folgen. Als Hank durch die Tür getreten war, sah er, daß er sich am Grunde eines Schachtes befand, den man in die massiven Steinblöcke getrieben hatte. Als Leiter diente eine Reihe von bemalten Metallsprossen, die in die Wand eingelassen waren. Hank hoffte, sie möchten nicht verrostet sein; zumindest denen, die er sehen konnte, schien die feuchte Luft keinen Schaden zugefügt zu haben. Hank zog die BAR aus ihrer Hülle und hängte sie sich über die Schulter. Dann nahm er den zurechtgeschnitzten Metallteil der Fackel zwischen die Zähne und begann zu klettern. Bisher hatte der Weg genauso ausgesehen, wie Glinda ihn beschrieben hatte. Ihre Geduld und ihre Planungskünste erfüllten ihn mit Staunen. Das Schloß war zweihundert Jahre alt. Glinda mußte den Tunnel und die Kammern vorbereitet haben, bevor er erbaut worden war. Zwanzig Jahre mußten ihre Leute gebraucht haben, um den Schacht zu bohren, denn sie mußten langsam und vorsichtig arbeiten, damit man sie nicht entdeckte. In dem Haus, in dessen Keller der Tunnel begann, mußten immer ihre Agenten wohnen, die nichts weiter zu tun hatten, als so zu tun, als wären sie brave Bürger von Wugma, und darauf zu warten, daß der Tunnel eines Tages gebraucht werden würde. Generationen von Agenten mußten hier gelebt haben. Aber zweifellos waren sie gut bezahlt worden. Und das war die Frau, mit der sich die U.S. Army anlegen wollte. Immer höher führte die Leiter, aber schließlich zog er sich über den Rand. Eine Tür in der Wand, einen Schritt weit vom Schacht entfernt, stand offen. Die Angeln trieften vom Öl. Gebückt drängte Hank sich durch die Öffnung; selbst für die Pygmäen war sie eng. Die anderen standen bereits in einem langgestreckten, schmalen Raum, der nur vom Schein der
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Fackeln erleuchtet wurde. Der Rauch des brennenden, ölgetränkten Kiefernholzes würgte ihn in der Kehle und trieb ihm die Tränen in die Augen.
25 Blogo legte den Finger an die Lippen, als Hank eintrat. Sharts stand vom Boden auf; er hatte sein Ohr auf den Stein gedrückt, um zu lauschen. Er beugte sich nieder, ergriff einen Ring, der in den Boden eingelassen war, und klappte eine Falltür hoch. Obgleich er auch hier die Angeln geölt hatte, knarrte sie. Der Boden lag etwa sechs Meter tief unter der Falltür. Die beiden Männer, die Seilrollen auf den Schultern trugen, reichten sie jetzt an Sharts weiter, und dieser band das Ende des einen Seils an einen Haken, der in die Wand eingelassen war. Auch hier zeigte sich Glindas vorausschauende Planung. Sie hatte gewußt, daß man den darunterliegenden Raum nur mit Hilfe eines Seiles würde erreichen können, und so hatte sie den Haken anbringen lassen. Sharts ließ sich an dem Seil hinuntergleiten. Die übrigen folgten ihm. Der Rau m war groß und fensterlos, und eine dicke Staubschicht lag auf dem Boden und den Gegenständen, die hier lagerten. Die einzige Tür war verschlossen. Sharts zog einen Schlüssel aus seinem Beutel und öffnete sie. Ein neues Beispiel für Glindas Weitsicht. Schon vor langer Zeit hatte sie vom Schlüsselbund des Hausdieners einen Zweitschlüssel herstellen lassen. Hinter der Tür lag ein langer, staubiger, zugiger Gang. Am einen Ende befand sich ein schwer verbarrikadiertes Fenster, das verdreckt und voller Spinnweben war. Die Fußspuren, die dort hinführten, waren unter dem Staub schon zur Hälfte verschwunden. Smiirn nieste, und alle fuhren erschrocken zusammen. »Das wirst du nicht noch einmal tun«, sagte Sharts leise. Sie
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warteten ab und hofften, daß niemand Smiirn gehört haben möge. Als eine Minute vergangen war, führte Sharts sie zu der Treppe, die auf halber Strecke in den Gang mündete. Bis auf das Scharren der Füße, den schweren Atem eines der Männer und das Rascheln eines Falkenflügels herrschte Totenstille. Die Treppe führte zu einem zweiten Gang, an dessen hinterem Ende eine einsame Fackel brannte. Auf dem staubbedeckten Steinboden sah man zahlreiche, relativ frische Fußspuren. Sharts, eine geladene und gespannte Armbrust in der Hand, spähte um die Ecke. Er gab ihnen das Zeichen, daß sie ihm folgen könnten, und sie schlichen wieder einen Gang hinunter. An einer anderen Treppe blieb Sharts stehen. Nach den Informationen, die Hank von Glinda erhalten hatte, würden zwei menschliche Wachtposten und ein Habicht am Fuße dieser Treppe stehen. Falls jemand von oben hereinkäme — und Erakna mußte dies für sehr unwahrscheinlich halten —, würde der Habicht davonfliegen, um die Wachen in den anderen Stockwerken zu alarmieren. Die beiden Männer sollten jeden Eindringling aufhalten, bis Hilfe herbeikommen könnte. Obgleich die beiden wissen mußten, daß sie nichts anderes als Opferlämmer waren, würden sie sich wahrscheinlich nicht unbehaglich fühlen. Wie sollte jemand von oben herunterkommen? Es gab nur wenige Fenster, und alle waren wegen möglicher Mörderfalken verbarrikadiert. Und niemand konnte die Schloßmauern erklettern. Sharts winkte zwei Männer mit Armbrüsten, ihm zu folgen; zwei Falken sollten sich auf ihre Schultern hocken. Die anderen sollten etwa zehn Schritte weit hinter ihnen bleiben und auftauchen, wenn sich ein Getöse erhöbe. Dann aber würden sie alle zusammen angreifen. Im Gänsemarsch schlichen sie die Treppe hinunter. Sharts lugte um die Ecke. Dann zog er den Kopf zurück und flüsterte den beiden Männern und den Falken etwas zu. Hank, der noch fast am oberen Ende der Treppe stand, konnte kein Wort verstehen. Sharts hob die Hand und sprang in den Gang. Dicht auf seinen Fersen folgten die beiden Armbrustschützen, und die Falken erhoben sich im selben Moment von ihren Schultern. Mit einem einzigen spang! jagten drei Bolzen auf ihre Ziele zu. Hank hörte einen erstickten Aufschrei. Als er bei den Leichen ankam, sah er, daß Sharts' Bolzen den Habicht just in dem Augenblick durchschlagen hatte, als dieser sich von
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seiner Sitzstange erheben wollte. Der eine Wächter war in der Nähe der Wirbelsäule getroffen; der Bolzen hatte das Kettenhemd durchschlagen und sich halb in den Körper gebohrt. Der dritte Bolzen hatte die Schulter eines Postens getroffen. Der Mann lag stumm am Boden und starb am Schock. Blogo schnitt ihm die Kehle durch. Am liebsten hätte Hank sich übergeben. Von der Treppe, wenige Schritte hinter den Toten, war kein Laut zu hören. Hank hoffte, daß die Wachen in den darunterliegenden Stockwerken nichts gehört hatten. Aber es konnte sein, daß sie sich still verhielten, einen Falken zu den anderen Wachtposten geschickt hatten und jetzt darauf warteten, den Eindringlingen einen Hinterhalt zu stellen. Sharts stieg die nächste Treppe hinunter, schob den Kopf um die Ecke und zog ihn rasch zurück. Dann kam er wieder herauf. »Einer der Wächter schläft, der Falke ebenfalls. Wir machen es genauso wie vorhin. Es sieht aus, als sei das Ganze ein Kinderspiel.« Es war eines. Hank schaute auf seine Armbanduhr. Sie hatten noch eine Stunde Zeit, bevor Erakna sich planmäßig in ihre Gemächer zwei Stockwerke unter ihnen zurückziehen würde. Sie galt als äußerst pünktlich, und aller Voraussicht nach würde sie zur geplanten Zeit kommen. Aber es konnte vieles geschehen, was sie aufhalten würde. Die Wachablösung würde in einer Stunde und fünfzehn Minuten stattfinden, aber es bestand natürlich immer die Gefahr, daß es einem Offizier einfiele, eine Überraschungsinspektion vorzunehmen. Zwei von Sharts' Männern würden Posten beziehen, um den Offizier zu töten, falls es dazu käme. Zudem bestand die Möglichkeit, daß der eine oder andere Bewohner des Stockwerks, in dem die Gemächer der Königin lagen, frühzeitig heimkäme. Fernes, aber unüberhörbares Donnergrollen erklang. Hank fluchte. Wenn jetzt ein Unwetter oder ein Sturm hereinbrach, war dies das Ende der Mission. Grimassen schneidend schlich Sharts zur nächsten Treppe. Einen Augenblick später kam er mit Riesenschritten zurückgeeilt. »Beinahe hätten sie mich entdeckt«, flüsterte er. »Die Wachen gingen den Gang hinunter, um aus dem Fenster zu schauen. Ich konnte mich eben noch rechtzeitig hinter die Ecke ducken.« Er befahl den beiden Armbrustschützen und den
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beiden Falken, ihm zu folgen. Hank warf einen Blick auf die Uhr, als sie verschwanden. Genau zweiundsechzig Sekunden später tauchte Sharts wieder auf. »Fertig«, meldete er. »Jetzt kommt der schwierige Teil.« Der Falke hatte geschlafen. Sharts war auf Zehenspitzen den Gang hinuntergeschlichen, während die beiden Wachtposten ihm freundlicherweise den Rücken zukehrten, um aus dem Fenster dem Gewitter zuzuschauen. Sharts hatte dem Falken den Kopf abgeschnitten, und eine Sekunde später waren die beiden Posten ebenfalls tot gewesen, durchbohrt von zwei Bolzen. Hank, der oben an der nächsten Treppe stand, konnte einen Teil des unten vorbeiführenden Ganges sehen. Er war mit einem luxuriösen Teppich ausgelegt, und auf einem zierlich behauenen Marmorsockel stand eine Statue, deren Augen geschliffene Diamanten waren. Hank sah die Ecke eines großen Ölgemäldes, das an der von Goldfiligran überzogenen Wand hing. Solange die Königin fort wäre, würden dort sechs Wächter und zwei Falken stationiert sein. Wenn sie zurückkäme, würde sie von einer ganzen Schar Leibwächter, Zofen und Höflinge umgeben sein. Das Donnergrollen war unterdessen nähergekommen. Heftige Windstöße rüttelten an den Fenstern des Ganges, in dem Hank stand. Er ging hinüber, um hinauszuschauen, und sah, daß es jetzt regnete. Glinda und Hank hatten davon gesprochen, alle Wachen in der Suite der Königin zu töten, die menschlichen Mitglieder des Kommandos mit den Uniformen der Wachen zu bekleiden und die Falken an die Stelle der getöteten zu setzen. Aber diesen Plan hatten sie bald verworfen. Es würde unter keinen Umständen geräuschlos abgehen, und so könnte es leicht geschehen, daß sie die Posten aus dem darunterliegenden Stockwerk auf sich aufmerksam machten. Hank sollte warten, bis Erakna käme, und dann eine Handgranate auf sie schleudern, bevor sie ihre Gemächer beträte. Dann sollte er vortreten und das Unternehmen mit seiner BAR beenden. »Du hast nichts dagegen, Frauen zu töten?« hatte Glinda gefragt. »Ich habe grundsätzlich etwas dagegen, jemand zu töten«, hatte Hank geantwortet. »Aber es muß geschehen.« Sharts trat zu ihm und schaute ebenfalls aus dem Fenster. »Sie wird bald hier sein. Auch gut. Besser sogar. Die Vorstellung, auf sie
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warten zu müssen, hat mir nicht gefallen. Die Gefahr, daß jemand die Wachen inspiziert, ist zu groß. Ohnehin wird jemand die Treppe heraufkommen, bevor die Königin dieses Stockwerk betritt. Ich hoffe nur, es wird nicht mehr als einer sein.« Die Leichen hatte man um die Ecke auf die Treppe geschleift. Unwaz hockte auf der Sitzstange des getöteten Falken, und zwei Männer hatten die Helme der Wachtposten aufgesetzt. Zehn Minuten später kam der Falke, der oben an der Treppe gesessen und gelauscht hatte, herübergeflattert. »Ich habe gehört, wie ein Offizier die Wachen angesprochen hat. Das muß unser Mann sein.« Sharts stellte sich auf die eine Seite des Durchgangs, Blogo auf die andere. Als der Offizier heraufkam, schlossen sich Riesenhände um seinen Hals und legten sich auf seinen Mund. Blogo schnitt ihm unverzüglich die Kehle durch. Unten im Gang herrschte großes Getöse; Speerschäfte stampften auf den Boden, man hörte heiseres Befehlsgebrüll und die schrillen Stimmen und das Gelächter kleiner Männer und Frauen. »Heiliger Thun!« fluchte Sharts. »Da sind sie! Schnell, Mann!« Hank lief die Treppe hinunter, so leise und so schnell er konnte. Am Fuße der Treppe drückte er sich gegen die Wand und zog eine Granate aus seiner Tasche. In der anderen Jackentasche steckte eine zweite, falls diese nicht explodieren sollte. »Die Königin! Die Königin!« bellte ein Offizier. »Öffnet die Tür für die Königin!« Hank trat hinaus in den Gang, zog den Ring von der Granate, erhaschte einen kurzen Blick auf die Menschenmenge, die vor der Tür zu den königlichen Gemächern stand, hörte einen Warnschrei, der von rechts durch den Gang hallte — und warf die Granate. Dann wandte er sich um und rannte die Treppe hinauf. Die Tür war sechs oder sieben Schritte entfernt gewesen, und die Wand der Treppe würde ihn schützen, aber es würde eine höllische Explosion geben — falls die Granate funktionierte. Falls nicht, würde er wieder hinunterspringen und die BAR einsetzen müssen. Der Plan mit der zweiten Granate würde vielleicht nicht klappen, denn die Königin konnte unterdessen hinter ihrer Tür verschwunden sein. Er hörte schrille Schreie und dann einen dröhnenden Knall. Ein Luftzug jagte die Treppe herauf. Eine schwarze Rauchwolke folgte.
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Hank drehte sich um, die BAR in den Händen, und sprang die Treppe hinunter. Er stürzte in den Gang hinaus. Hinter sich hörte er Schritte auf den Stufen. Sharts und die anderen kamen herbei. Überall hing dichter Qualm, aber er sah die zerfetzten Leichen auf dem Boden. Ein paar lebten noch und schrien. Er zielte dorthin, wo er die Tür vermutete, und drückte auf den Abzug, bis die zwanzig Schüsse abgefeuert waren. Smiirn reichte ihm sofort ein neues Magazin, und er schob es unten in das Gewehr. Ein Wachtposten vom Ende des Ganges wollte sich auf sie stürzen. Er war ein tapferer Mann, aber er starb, als Blogos Axt ihn zwischen Schulter und Hals traf. Hank rannte auf die Treppe zu, den Gang hinunter und an Eraknas Tür vorbei. Er sprang über die Leichen hinweg, aber dann glitt er auf dem Blut aus und fiel hart auf den Rücken. Leicht benommen kam er gleich wieder auf die Beine und stürmte weiter. Er hatte die Treppe erreicht, als ein Trupp Soldaten heraufgerannt kam. Die BAR fegte sie beiseite. Er schaute den Gang hinunter. Der Rauch hatte sich so weit verzogen, daß man sehen konnte, daß die Tür der Königin weggesprengt war. Seine Gefährten untersuchten die Leichen, um festzustellen, welche unter ihnen die Königin war. Dann sah Blogo zu Hank auf und schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht dabei!« rief er mit seiner Fistelstimme. »Sie muß entkommen sein!« Hank stöhnte auf. »Nach all dem!« Sharts war durch die Tür gestürmt. Blogo folgte ihm, und drei Falken flatterten hinterdrein. Smiirn kam zu Hank und fragte: »Wie lange kannst du sie mit diesem Ding zurückhalten?« »Bis mir die Munition ausgeht«, antwortete Hank. »Vielleicht brauchen wir mehr Zeit, die Hexe zu suchen, als wir dachten«, erklärte Smiirn. »Ihre Gemächer sind größer als erwartet.« Ein behelmter Kopf schob sich unten um die Ecke. Hank gab zwei Schüsse ab. Der Soldat wurde nicht getroffen, aber zwei Minuten später erklang ein Schrei, und Männer strömten aus dem Durchgang. Die BAR streckte zehn von ihnen nieder, bevor der Rest die Flucht ergriff, wobei einige zu Boden stürzten. Hank ließ sie laufen. Er wollte sie nur einschüchtern. Wieder vergingen zwei Minuten.
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Noch einmal schob sich ein Kopf um die Ecke. Diesmal schoß Hank nicht. Er hoffte, seine bloße Anwesenheit werde genügen, sie zurückzuhalten. Vorläufig wenigstens. Sechzig Sekunden gingen dahin. Alle außer Smiirn waren in den Gemächern verschwunden, um bei der Suche zu helfen. Aber es war gut, daß Smiirn als Munitionshelfer bei ihm war, denn sonst wäre Hank jetzt vielleicht überrascht worden. Smiirn stieß einen Schrei aus. Hank schaute ihn an und sah, daß er an ihm vorbeideutete. Er wirbelte herum. Zwei Männer standen am Ende des Ganges, und weitere kamen aus der Tür, die sich dort geöffnet hatte. Glinda war nicht die einzige, die hier geheime Passagen geschaffen hatte. Ihre Armbrüste waren auf ihn gerichtet. Er feuerte, während er sich vorwärts fallen ließ. Die Bolzen verfehlten ihn, und seine Salve schleuderte die Soldaten nach hinten. Er griff nach vorn, klappte den Ständer der BAR herunter und schoß im Liegen weiter. Zehn Männer fielen. Dann kam niemand mehr. Er stand auf und winkte Smiirn, neue Magazine zu bringen. Er zog das leere heraus und schob ein neues ein. Dann trug er Smiirn auf, die Treppe im Auge zu behalten, während er sich um die andere Angelegenheit kümmerte. Die Tür stand offen und wies zwei Einschüsse auf. Als er herangekommen war, nahm er die Handgranate aus der Tasche, zog den Ring ab, zählte und warf sie durch die Öffnung. Dann rannte er ein Stück weit an der Wand entlang und ließ sich zu Boden fallen. Die Detonation riß die Tür ab und füllte dieses Ende des Ganges für eine Weile mit schwarzem Qualm. Er steckte die dritte Granate in die Tasche. Sharts kam auf den Gang gestürzt. Er blieb stehen, als er die Leichen sah. »So!« »Ja, so«, versetzte Hank. Er hatte seinen Posten oben an der Treppe wieder eingenommen.» Hast du die Königin gefunden ? « »Nein. Sie muß in einem geheimen Versteck verschwunden sein. Oder sie ist über eine verborgene Treppe nach unten geflohen. Wahrscheinlich befindet sie sich im Stockwerk unter uns.« »Dann sollten wir verschwinden«, meinte Hank. »Jetzt gleich.« »Ich mag keine Fehlschläge!« schrie Sharts. »Wer tut das schon«, erwiderte Hank. »Aber es gibt Schlimmeres als einen Fehlschlag, nämlich den Tod. Laß uns von hier verschwinden.« »Glaubst du, du könntest dir den Weg zur Königin
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freischießen?« fragte Sharts. »Vielleicht ist sie noch unten bei der Treppe. Du könntest sie noch erwischen, bevor sie entkommen kann.« »Nein, das glaube ich nicht«, sagte Hank. »Wir sollten uns zurückziehen.« Sharts bleckte die Zähne, aber er drehte sich um, ging zur Tür und brüllte zu den Suchenden hinein, sie sollten auf den Gang kommen. »Willst du, daß die Gillikins wissen, was wir tun?« erkundigte Hank sich. Sharts hielt ihm den ausgestreckten Mittelfinger entgegen. Aus irgendeinem Grunde fand Hank dies sehr komisch. Er lachte, bis ihm klar wurde, daß er am Rande eines hysterischen Anfalls stand. Bevor er den anderen folgte, feuerte Hank ein Magazin halb leer, damit man unten wußte, daß er noch da sei. Dann drehte er sich um und rannte, aber er blieb stehen, als ihm etwas Ungewöhnliches ins Auge fiel. Es war ein mit Samt bezogener Kasten, dessen Deckel aufgeklappt war, als er die Granate auf die Königin geschleudert hatte. Etwas mattgelb Schimmerndes lag darin. Es war ein halbkugelförmiger Gegenstand, so groß, daß er auf den Kopf eines normalen Amariikianers paßte. Er drehte ihn in den Händen und schaute im Licht der Öllampe, die er von einem Tisch neben dem Fenster genommen hatte, hinein. Inschriften zogen sich in vier Reihen um den Rand, doch das Licht war nicht hell genug, um sie entziffern zu können. Aber selbst wenn der Lampenschein hell genug gewesen wäre, hätte er die Schrift nicht lesen können, denn sie bestand aus den unergründlichen Zeichen, die die Längst Versunkenen benutzt hatten. Dennoch wußte er, was diese goldene Halbkugel war. »Ich bin der Onkel der Affen!«
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26 Er schob die goldene Halbkugel zu der letzten Handgranate in die Tasche und lief den anderen nach. Als er den Raum erreicht hatte, in dem das Seil von der Decke hing, atmete er schwer. Aber er hatte viel Zeit, wieder zu Atem zu kommen. Vier Männer warteten darauf, daß sie an die Reihe kämen, am Seil hinaufzuklettern. Er bewachte die Tür, während sie sich hinaufzogen. So weit, so gut. Verfolger waren nicht zu hören, aber den Gillikins würde es nicht schwerfallen, ihnen auf den Fersen zu bleiben, denn ihre Fußspuren waren im Staub deutlich sichtbar. Hier würden die Männer der Königin jedoch aufgehalten werden, denn sie müßten zunächst eine Leiter auftreiben, um weiterzukommen. Sharts stand neben dem Loch. Mühelos zog er Hank mit einer Hand zu sich herauf, während er in der Rechten eine Fackel hielt. Die anderen waren nicht mehr zu sehen. Sie waren bereits im Schacht verschwunden. Den seltsamen Augen entging nur wenig. »Was ist in deinem Beutel?« »Etwas, das noch sehr nützlich werden könnte.« Sharts umklammerte Hanks Arm mit einem Griff, der die Adern platzen zu lassen drohte. »Vergiß nicht, wir teilen uns jede Beute.« »Diese nicht. Ich glaube, sie gehört Glinda. Und nimm deine Hand weg.« Sharts biß sich auf die Unterlippe, aber er ließ Hanks Arm los. Er stieg in den Schacht. Hank kauerte sich für einen Moment bei der Falltür nieder, um zu hören, ob die Gillikins hinter ihnen waren. Zunächst war nichts zu hören, aber als er sich aufrichtete und die Falltür herunterlassen wollte, vernahm er ein leises Geräusch. Nach wenigen Sekunden erschollen laute Stimmen. Er zögerte. Sollte er warten, bis der Raum dort unten sich mit Leuten gefüllt hatte, und dann die Handgranate hinunterwerfen? Das würde ihnen solche Angst einjagen, daß geraume Zeit verstreichen würde, bevor sie es wagen würden, den Eindringlingen weiter zu folgen. Aber Erakna würde sehr zornig sein; sie würde ihre Soldaten vorantreiben, ganz gleich, wie sehr sie sich fürchten mochten. Ihre Angst vor der Königin würde größer sein als die vor seinen schrecklichen Waffen. Er
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beschloß, die Granate für eine kritischere Situation zu verwahren. Voller Unbehagen kletterte er die Sprossen hinunter. Wenn die Gillikins die Schachtmündung erreichten, solange er noch darin war, konnten sie etwas herunterwerfen oder auf ihn schießen. Er war ein verhältnismäßig leichtes Ziel, denn zwischen den Zähnen hielt er die Fackel, die man oben in der Kammer für ihn zurückgelassen hatte. Aber keine Jubelrufe klangen von oben. Unten angekommen, fand er seine Magazine am Boden liegen. Smiirn hatte klug gefolgert, daß Hank sie jetzt, da sie voneinander getrennt waren, vielleicht brauchen würde. Hank schob eines in jede Tasche und die restlichen fünf in seinen Beutel. Aufrecht lief er durch die Kammern, gebückt durch den Tunnel. Dann blieb er stehen. »Mein Gott!« Der Tümpel war an beiden Seiten um mindestens sechs Meter breiter geworden. Das war gut und zugleich schlecht. Bis die Verfolger ankämen, würde der Tunnel vermutlich überflutet sein. Aber er würde jetzt schwimmen müssen, und dabei würde er mit einer Hand die Fackel über den Kopf halten müssen, während die BAR, die goldene Kappe und die Magazine ihn nach unten zogen. Aber es hatte keinen Sinn, zu zögern. Er watete in das kalte Wasser, bis es ihm ans Kinn reichte, und dann begann er, mit einer Hand zu paddeln. Er mußte heftig strampeln, damit seine Nase über Wasser blieb, aber schon bald hatte er wieder festen Boden unter den Füßen und watete weiter. Er war froh, daß gegenwärtig kein Winter herrschte, denn dann würde er erfrieren, wenn er das Haus verließe. Sharts zog eben seine Holzschuhstiefel an. »Sie sind oben«, sagte er. »Alles ist bereit. Der Wagen steht vor dem Haus. Aber zieh dir zuerst deine Stiefel an.« Sie gingen hinaus. Viele Fenster waren jetzt erleuchtet; die Einwohner waren von der Kundgebung zurückgekehrt. Der Regen prasselte herunter, der Donner grollte, und der Blitz tat sein Bestes, allen Lebewesen eine tiefe Gottesfurcht einzuflößen. Das Gewitter hatte ihren Plan, sich in der Menge zu verbergen, die von der Kundgebung zurückkehrte, und so aus der Stadt zu entkommen, zunichte gemacht. Die Falken allerdings waren bereits davongeflogen. Bargma, die Eule, sah aus, als hätte sie sie gern begleitet. »In der Stadt wird es von Soldaten nur so wimmeln!« schrie Sharts.
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Hank antwortete nicht; dazu gab es nichts zu sagen. Er stieg mit dem Riesen und Blogo wieder in den Karren und legte sich wie ein Fötus auf den Boden. Die anderen bedeckten sie mit einer dünnen Schicht Heu und Obst, das sie zuvor auf der Straße aufbewahrt hatten; sie fürchteten, daß die Zeit nicht ausreichen könnte, die drei vollständig zu bedecken. Audag, sein Sohn und ein dritter Mann setzten sich auf den Bock. Langsam setzte sich der Karren in Bewegung und wurde dann immer sch neller. Jetzt, da keine Menschenmassen die Straße bevölkerten und der Verkehr nur gering war, gab es keinen Grund, wie harmlose Bauern dahinzutrödeln. Hank begann, die Sekunden zu zählen: Eintausendundeins, eintausendundzwei, eintausendunddrei... Vier Minuten waren vergangen, als er einen lauten Ruf hörte. Er hörte das Trappeln eiserner RehHufeisen auf dem Pflaster, und der Wagen hielt an. Hank umklammerte Lauf und Schaft der BAR und wartete ab. »Wer seid ihr?« fragte eine rauhe Stimme. »Was tut ihr hier draußen bei dem Unwetter?« »Bitte, Sir, wir sind nur ein paar Bauern«, wimmerte Audag. »Man hat uns aus der Herberge geworfen, weil wir einen kleinen Streit mit dem Wirt hatten. Er wollte uns mehr berechnen, als wir vorher vereinbart hatten. Jetzt suchen wir einen Platz zum Übernachten.« »Wo ist diese Herberge, und wem gehört sie?« »Es ist das Gasthaus >Zum Rotbäckchen<, und der Schuft, dem es gehört, heißt Skilduz der Stotterer — möge er in der Erde verfaulen, und mögen die Würmer seinen biergetränkten Kadaver fressen.« »Das >Rotbäckchen Das liegt auf der anderen Seite der Stadt. Sergeant, durchsucht den Karren mit dem Speer!« »Jawohl, Sir!« brüllte der Sergeant. »Du, Izhal und Azgo, ihr helft mir!« »Gepfiffen«, sagte Hank. Gleichzeitig mit Sharts und Blogo erhob er sich aus der Ladung. Er hatte nur einen winzigen Augenblick Zeit, die Situation abzuschätzen. Der Karren war umringt von neun Männern auf Rehen; drei weitere waren dabei, abzusteigen. Keiner schien eine Armbrust zu haben. Er stand auf, brüllte Sharts und Blogo zu, sie sollten aus der Feuerlinie verschwinden, und drückte auf den Abzug. Während er schoß, drehte er sich um sich selbst, bis er einen vollständigen Kreis beschrieben hatte. Der Offizier fiel als erster, und acht stürzten entweder aus dem Sattel oder wurden vom Gewicht ihrer getroffenen Reittiere zu Boden geworfen.
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Dann mußte Hank ein neues Magazin einschieben. Drei sprangen vom Boden auf und wollten davonrennen. Sie und die drei, die vorher abgestiegen waren, wären sicher in der Dunkelheit entkommen , wenn Hanks Gefährten nicht geladene Armbrüste unter ihren Mänteln hervorzogen und sie erschossen hätten. An den Fenstern der umstehenden Häuser flogen die Läden auf, und die Bewohner spähten hinaus in den Regen. »Fahrt los, so schnell wie der Teufel!« brüllte Sharts. Mit einem Ruck, der Hank die Beine unter dem Leib wegriß, setzte sich der Karren in Bewegung. Zum Glück dämpften Heu und Früchte seinen Sturz. Während der Karren ratternd, rumpelnd und stoßend die Straßen entlangraste und um die Ecken schleuderte, lud Hank sein Gewehr nach. Kurz darauf schwärmte eine Streife auf einer breiten Straße auseinander, um ihnen den Weg zu versperren. Hank schoß das Magazin leer und fegte sie beiseite. Dann schob er wieder ein neues Magazin ein. Jetzt hatte er noch fünf. Schließlich hielt der Wagen unterhalb eines Wachtturms an der Stadtmauer von Wugma an. Das Nordtor war eine halbe Meile weit entfernt. Während Audag und sein Sohn die Tiere ausspannten, rief Sharts zu dem Turmwächter hinauf. Wenn alles plangemäß gegangen war, würde der Mann ein Agent Glindas sein. Er diente seit drei Jahren in der Gillikin-Armee, und seine Aufgabe war es, seinen Kameraden außer Gefecht zu setzen und eine Strickleiter herunterzulassen. Eine solche gab es in jedem der Türme; sie wurden benutzt, um Soldaten einen Aufstieg zum Turm zu ermöglichen, falls eine Belagerungsarmee hereingebrochen wäre und den regulären Aufgang zur Mauerkrone blockiert hätte. Der Nachteil dieser Leitern war natürlich, daß man sie auch herablassen konnte, um Feinde herein oder hinaus zu lassen. Der Mann auf dem Turm war im Schein seiner Fackel kaum zu erkennen. Er winkte, und zwei Sekunden später fiel die Leiter herab. Smiirn war als erster oben, Audag als letzter. Die Rehe waren unterdessen verschwunden; sie würden die Nacht in einem Versteck verbringen, und am Morgen würden sie durch die Stadttore hinauslaufen und in den Wäldern untertauchen. Zumindest hofften sie, daß ihnen dies gelingen würde. Pläne, sie mit Seilen heraufzuziehen, hatte man aufgeben müssen; die Zeit war einfach zu knapp dafür. Inzwischen schrien die Posten auf den Türmen zu beiden Seiten aufgeregt durcheinander und schlugen auf ihre Trommeln. Im Schein
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eines Blitzes sah Hank, daß aus jedem der beiden Türme ein Mann auf sie zukam. Mit vier Schüssen tötete er die beiden. Kurz darauf standen sie unten vor der Mauer, und zusammen mit Lukaz, dem Agenten, schlugen sie den Weg nach Norden ein. Sie durchquerten das Dorf, das dort lag, und als sie es eben hinter sich gelassen hatten und durch die Felder marschierten, landete Bargma plötzlich auf Hanks Schulter. »Beim nächsten Mal solltest du mich vorwarnen!« Die Eule lachte. »Es hat keinen Sinn, wenn ich noch länger bei euch bleibe. Ich werde zum Bauernhof vorausfliegen.« »Okay. Sag dem Bauern, er soll Jenny losbinden, sobald das Unwetter vorüber ist. Außerdem soll er sich darauf vorbereiten, mit seiner Familie zu fliehen, falls man uns bis zur Farm verfolgen sollte.« Mit schweren Flügelschlägen flog die Eule davon. Ein wenig später verließ die Gruppe das Ackerland und bog in einen schmalen, von tiefen Fahrgleisen durchfurchten Feldweg ein, der nach Nordwesten führte. Mit jedem Schritt würden sie sich nun weiter von der Hauptstraße entfernen. Auf der Landstraße und vielleicht auch auf den Nebenstraßen würde Kavallerie — Cervuserie? — unterwegs sein. Mit dem ersten Tageslicht würden auch Eraknas Falken und Adler in der Luft sein, um die Gegend abzusuchen. Aber jetzt hatte der Trupp nur noch zehn Meilen vor sich. Sie konnten leicht vor Tagesanbruch auf dem Bauernhof sein. Wenn dieses Unwetter anhielt, würde das Flugzeug ohnehin nicht starten können. Hank stapfte weiter; er hatte den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen, aber das Regenwasser rann ihm in den Nacken. Sein Blick richtete sich bald auf die Wagengleise, damit er nicht stolperte, bald auf das Licht der Suchlaterne. Hin und wieder drehte Sharts die Laterne nach hinten, damit die anderen ihn sehen konnten. Sie gelangten an eine rechtwinklig abbiegende Straße, die zu der großen Überlandstraße führte. Lieber wären sie querfeldein auf die Farm zu marschiert, aber in dem dunklen, bewaldeten Hügelland konnten sie sich nur allzu leicht verirren. Sie mußten es riskieren, Soldaten auf dem Weg zu treffen. Ihr Glück ließ sie im Stich. Eraknas Männer hatten sich in einem Eichenhain zehn Meter weit neben der Wegkreuzung verborgen. Sie hatten bei sich, was Hank nicht erwartet hatte: Falken und Adler. Die Vögel waren auf den Sattelknäufen mitgeritten. Jetzt stießen sie aus der Finsternis
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auf die Kolonne herab, bevor diese überhaupt bemerkt hatte, daß sich im Umkreis von einer Meile ein lebendes Wesen befand. Die Kavallerie griff unter Geschrei und Gejauchze in dem Augenblick an, da das Kreischen der Vögel und die Schreie der Menschen verrieten, daß die Attacke begonnen hatte. Die Reiter kamen hintereinander über den schmalen Steg, der den Straßengraben überquerte, auf die Wiese galoppiert. Es war ein Glück für Sharts und seine Truppe, daß das dritte Reh in der Reihe stolperte und stürzte. Sechs Reiter und ihre Tiere prallten ineinander und stürzten ebenfalls zu Boden. Den drei letzten gelang es gerade noch rechtzeitig, ihre Rehe zu zügeln. Sie setzten über den flachen Zaun hinweg und sprangen in den Graben. Zwei der drei Tiere gerieten unter Wasser, und nur das dritte konnte mit seinem Reiter die Böschung hinaufklettern. Der Adler, der von hinten auf Hank herabschoß und seine Krallen in den Lederhelm bohrte, war wohl ebenso erschrocken wie Hank. Seine Enttäuschung aber war gewiß noch größer. Der Riemen des Helms war lose. Zwar drangen die Krallen durch das Leder und schnitten sich in Hanks Kopfhaut, aber dann rutschte ihm der Helm vom Kopf. Hank warf sich auf den Boden, rollte zur Seite, drehte sich um und riß sich die BAR von der Schulter. Der Adler flatterte irgendwo in der Dunkelheit umher und versuchte, den Helm von seinen Klauen zu nesteln. Andere hatten weniger Glück gehabt. Sie schrien und kämpften verzweifelt mit den Vögeln, die versuchten, ihnen die Augen auszukratzen und die Gesichter zu zerfetzen. Hank sah, daß es zu gefährlich sein würde, im Dunkeln zu schießen. Also packte er die BAR beim Lauf, um sie als Keule zu benutzen, und schlug damit auf einen Falken ein, der über einem am Boden liegenden Mann kauerte. Er brach ihm das Rückgrat, aber die Krallen ließen nicht locker. Mann und Vogel rollten in die Finsternis. Die drei Reiter, die den Steg überwunden hatten, galoppierten heran und schwenkten ihre Schwerter. Hank konnte sie nicht genau sehen, aber er erkannte drei Umrisse. Er drehte das Gewehr wieder um und schoß die Reiter aus den Sätteln. Die Rehe waren zwar für den Kampf trainiert, aber vor dem Knall der Schüsse ergriffen sie die Flucht. Hank ortete drei weitere Gruppen von Kämpfenden und tötete die Vögel. Jetzt griff der Soldat an, der durch den Straßengraben gekommen war. Er stach Smiirn nieder,
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während dieser auf einen Falken einhieb, der seine Klauen in seine Brust geschlagen hatte. Hank erschoß den Soldaten und sein Reittier. Sharts und Blogo hatten ihre Angreifer zur Strecke bringen und sich die Krallen aus dem Fleisch ziehen können. Sie eilten Hank zu Hilfe, und wenig später waren vier weitere Vögel tot. Hank entdeckte den Adler, an dessen Krallen noch immer der Lederhelm hing. Er schoß ihn ab, fand jedoch keine Zeit, seinen Helm zurückzuholen. Drei Reiter, die sich aus der Karambolage auf der Brücke hatten befreien können, jagten brüllend heran. Hank erschoß zwei von ihnen; Blogo sprang dem dritten in den Rücken und schlitzte ihm die Kehle auf. Es dauerte eine Weile, bis sie die restlichen Vögel erlegt hatten, aber schließlich war es geschafft. Bis auf drei waren alle, die zu Sharts' Trupp gehörten, bewußtlos, blind oder tot. Die einzigen, die noch gehen konnten, waren Sharts, Blogo und Hank. Aus unbestimmbarer Ferne erklang von Süden her der Schall einer Trompete. »Sie müssen uns gehört haben«, rief Blogo. »Sie werden wie der Teufel die Straße heraufkommen. Wir haben nicht viel Zeit.« »Wir können diese nicht Eraknas Gnade ausliefern«, erwiderte Sharts und deutete dabei auf die Geblendeten und die Schwerverletzten. »Du hast recht«, stimmte die Seltene Bestie zu. Bevor Hank protestieren konnte, hatte Blogo den Blinden die Kehle durchgeschnitten und machte sich an die anderen. »Es gefällt mir auch nicht, aber es muß geschehen«, meinte Sharts. »Ja, vermutlich«, antwortete Hank müde. Das Gewitter hatte kurz vor dem Überfall aufgehört, aber es regnete noch. Hank nahm Blogos Laterne und suchte nach dem Adler. Als er ihn gefunden hatte, versuchte er, ihm seinen Helm zu entreißen, doch schließlich gab er auf. Die beiden anderen drohten, ihn zurückzulassen, wenn er weiter herumtrödelte. So trottete er hinter ihnen her, und nach zwanzig Minuten hatten sie das Farmhaus erreicht. Sie mußten im Wolfstrab laufen, um so schnell voranzukommen — fünfzig Schritte rennen, fünfzig Schritte gehen. Am Hoftor blieb Sharts stehen. Im Licht seiner Laterne bot er einen gräßlichen Anblick. Sein Gesicht war von tiefen Schnitten durchzogen, es war wie seine Kleider blutbespritzt, und sein Hemd war zerfetzt. »Was ist los, Boß?« fragte Blog o. »Wir sollten hier nicht stehenbleiben.«
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»Du weißt, was los ist«, antwortete der Riese. »Oh — ja, klar«, sagte Blogo. Er nahm seinen Beutel von der Schulter und holte ein in Papier gehülltes Paket hervor. Er riß es an der Oberseite auf und zog ein purpurn und golden gestreiftes Hemd mit zarter weißer Spitze an Kragen und Manschetten heraus. Unterdessen hatte Sharts seine Weste und das verdorbene Hemd ausgezogen. »Um Gottes willen«, sagte Hank. Blogo sah zu ihm auf. »Jedesmal, wenn er in einen Kampfgerät... na, du siehst es ja selbst. Deshalb...« »Deshalb was?« fragte Sharts zornig. »Nichts, Boß.« Wenn er nicht so müde gewesen wäre, hätte Hank sich ausgeschüttet vor Lachen. Aber so schadete es auch nicht. Sharts wäre unweigerlich über ihn hergefallen, und dann hätte er Sharts erschießen müssen. Sharts erschießen... Alliterativ und attraktiv, diese Vorstellung. Der Riese, nun wieder geziemend bekleidet, sagte: »Blogo, du gehst zum Haus und sagst dem Bauern, er soll sich mit seiner Familie in die Berge zurückziehen. Von dort aus können sie Ausschau halten und sehen, ob die Gillikins herkommen.« »Klar, Boß, aber... die werden ohne jeden Zweifel kommen. Wenn es erst hell ist, werden die Falken hier so zahlreich sein wie Pfefferkörner in der Suppe. Sie werden Jenny entdecken, und dann marschiert die Armee an.« »Das kann aber erst geschehen, wenn es hell geworden ist«, erklärte Sharts mit einer für seine Verhältnisse ungeheuren Geduld. »Wenn sich das Wetter bis dahin bessert, können wir dann aber wegfliegen.« »Nicht, wenn es hier von Falken wimmelt«, gab Hank zu bedenken. »Sobald wir das Flugzeug besteigen, werden sie angreifen. Wir haben keine Chance, auch nur vom Boden wegzukommen, wenn sie in großer Zahl hier auftauchen.« »Willst du denn in die Berge fliehen?« fragte Sharts. »Die Armee wird hinter jeden Busch schauen, und wahrscheinlich werden sie uns finden.« »So sind es zwölfe und anders ein Dutzend«, meinte Hank. »Aber in die Wälder will ich auch nicht gehen, nicht, wenn es sich vermeiden läßt. Ich bin dafür, zu warten, bis es hell wird, und dann zu sehen, wie das Wetter wird.« »Wenn eine Streife uns findet, werden sie einen Falken nach Wugma schicken, der die Garnisonstruppen herbeiholt.« »Da hast du deine Streife«,
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sagte Hank. Er deutete auf die schwankenden Laternen weit hinten auf der Straße. Blogo machte sich auf den Weg, die Bauern zu alarmieren. Die beiden Männer warteten, bis sie Hufgetrappel hörten und eine verschwommene Masse auf sich zukommen sahen. Hank schoß das Magazin leer und feuerte noch fünf Schuß aus dem neuen hinterdrein. Ein paar der Laternen fielen auf die Straße, eine zerbrach und ging in Flammen auf. Was von der Streife übriggeblieben war, hatte sich zurückgezogen, und ein paar Verwundete schrien. Nach einer Weile wurden die Stimmen leiser. Die Soldaten hatten sich noch einmal zurückgeschlichen und die Verwundeten fortgeschleppt. Die Seltene Bestie kam atemlos zurückgerannt. »Was ist passiert?« Sharts erzählte es ihm. »Wo ist Bargma?« wollte Hank wissen. »Auf der Jagd. Sie wird vor Tagesanbruch zurück sein.« Hank glaubte nicht, daß die Eulen auf der Erde bei so schlechtem Wetter jagten. Sie würden nicht naß werden wollen, es war so dunkel, daß selbst eine Eule nur schlecht sehen konnte, und die Beutetiere würden vermutlich gar nicht ins Freie kommen. Die Tiere hier benahmen sich jedoch nicht genauso wie die auf der Erde. Womöglich streifte Bargma zu Fuß durch den Wald und stöberte nach Nagetieren, die sich in ihren Löchern verkrochen hatten. Ihre Intelligenz befähigte sie dazu, auf eine Weise zu jagen, von der ihre Vettern in der anderen Welt nicht einmal träumen konnten. Sharts schickte Blogo aus, etwas zu essen und ein wenig heißen Beerensaft herbeizuschaffen. Als Blogo mit einem großen Korb zurückkam, sagte er: »Sie sind weg.« »Das klingt, als würdest du gern mit ihnen gehen«, meinte Sharts. »Ich doch nicht!« erwiderte Blogo. Mit der Faust schlug er sich auf die tonnenförmige Brust. »Du kennst mich. Bin ich je vor einem Kampf davongelaufen ? Zum Teufel, Boß, du und ich, wir haben uns mit zwanzig Männern angelegt und sie besiegt. Und sieh doch nur das Blutbad, das wir in dieser Nacht unter den Gillikins angerichtet haben. Wahrscheinlich machen sie sich in die Hosen, wenn sie nur daran denken, sie könnten uns tatsächlich aufstöbern. Vielleicht sollte ich mal die Straße hinuntergehen und ihnen sagen, wer wir sind. Sie würden sich zu Tode erschrecken.«
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»Ja«, sagte Hank. »Alle zehntausend.« »Zahlen machen mir keine Angst«, behauptete Blogo. Hank mußte sich die Prahlerei noch lange anhören. Er war ihrer längst müde, aber sie hielt ihn wach. Sie und das Bild, das er vor seinem geistigen Auge sah... wie er die beiden in den Hintern trat, während sie sich vorbeugten, um von einer Klippe hinunterzuspähen... Als nach seiner Armbanduhr die Stunde des Morgengrauens heranrückte, blieb der Himmel gleichwohl schwarz. Mehr noch, es donnerte wieder, und Blitze fuhren mit feurigen Fingern über die Erde wie über die Seiten eines aufgeschlagenen Buches. Hank hoffte, daß sie nicht nach seinem Namen suchten.
27 Mit der Laterne in der Hand ging Hank den bergab führenden Feldweg hinunter. Als er auf ebenem Gelände angelangt war, verließ er den Weg und ging quer über das Feld. Unter der Eiche blieb er stehen und fragte: »Wie geht es dir, Jenny?« »Ich bin nervös und aufgebracht. Ich habe mir große Sorgen gemacht. Ich wußte, daß drei von euch zurückgekommen waren, weil ich Blogo fragte, als er vorüberging. Aber er wollte mir nicht sagen, was geschehen war.« Sie klang gekränkt. »Tut mir leid«, antwortete Hank. »Wir waren sehr beschäftigt.« In groben Umrissen schilderte er ihr den Verlauf der Mission, und dann sagte er: »Ich werde dich jetzt losbinden, auch wenn noch ein starker Wind geht. Wir werden im Morgengrauen oder kurz danach starten. Wir haben keine andere Wahl. Ich überlasse dir das Anrollen und den Start, aber wenn wir zehn Fuß hoch sind, übernehme ich. Ist das klar?« »Ja«, sagte Jenny. »Und dann?« »Ein wenig action. Vielleicht.« Er tätschelte ihre Motorhaube und kehrte zum Hoftor zurück. Inzwischen war der Himmel im Osten fahl geworden,
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aber noch nicht sehr. Eine halbe Meile weit entfernt sah Hank eine sich dunkel abzeichnende Schar von Männern auf der Straße. Er vermutete, daß sich unter den Bäumen entlang der Straße noch mehr befanden. Zwei Minuten vergingen, und dann geschah das, was er erwartet hatte. Etwa hundert Falken und Adler erschienen. Sie griffen nicht an, sondern ließen sich eine Viertelmeile weit entfernt auf den Ästen der Eichen zur Linken und zur Rechten nieder. Einer der Falken flog über der Straße zurück. Er würde Zahl und Position der Attentäter melden. »Ich wette, Erakna ist hier und führt die Soldaten selbst«, sagte Hank. »Sie wird toben vor Wut — über das, was wir getan haben, über ihr knapppes Entkommen und alles das. Sicher will sie dafür sorgen, daß die Soldaten nicht noch einmal einen Bock schießen.« »Ich hoffe, sie benutzt ihre Magie nicht gegen uns«, meinte Blogo. »Das dürfte sie kaum für nötig halten«, meinte Sharts. »Sie wird sich die Energie sparen wollen.« Hank zeigte auf die Vögel, die schweigend in den Bäumen hockten und die Männer mit funkelnden Augen ansahen. »Sharts, Blogo, ihr stimmt mir sicher zu, wenn ich sage, daß unsere Chancen, vom Boden hochzukommen, solange die da in den Bäumen sitzen, so groß sind wie die eines Mammuts auf dünnem Eis, oder?« Der Riese starrte Hank an. »Der ganze Schwarm wird über uns herfallen, sobald wir uns in dein Flugzeug setzen. Wir können viele töten, aber sie werden nicht nachlassen.« »Ja, und wenn ich erst keine Munition mehr habe, was bald der Fall sein wird, dann sind wir erledigt.« »Offensichtlich hast du einen Plan«, sagte Sharts ungeduldig. »Wie lautet er?« Hank griff in seinen Beutel und zog die Halbkugel hervor. Sharts und Blogo rissen die Augen auf. »Die Goldene Kappe, die die Geflügelten Affen beherrscht«, erklärte Hank triumphierend. Sharts hätte erfreut sein müssen, aber er runzelte die Stirn, nagte an seiner Lippe und begann dann zu pfeifen. Er machte sich Vorwürfe, weil er die Kappe nicht selbst entdeckt hatte. »He!« rief Blogo. »Vielleicht läßt die Königin uns laufen, wenn wir ihr das Ding zurückgeben.« »Vermutlich nennt man dich die Seltene Bestie, weil du nur
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selten Intelligenz zeigst«, entgegnete Sharts. »Weshalb sollte sie mit uns handeln, wenn sie es für den Preis einiger Leben bekommen kann?« »Manchmal glaube ich, du magst mich nicht«, klagte Blogo. »Aber... ja... ich begreife, worauf Hank hinauswill. Glaube ich wenigstens.« »Hauptsächlich aus diesem Grunde wird Erakna die Armee persönlich führen«, meinte Hank. »Sie weiß, was wir damit tun werden, wenn wir auch nur einen Funken Verstand haben. Also los!« Die Inschriften auf der Innenseite des Randes waren für Hank unlesbar, aber er brauchte sie auch nicht zu entziffern. Das hoffte er zumindest. »Gedächtnis, laß mich nicht im Stich«, murmelte er. Er setzte die Kappe auf. Da sie ihm zu klein war, mußte er sie mit einem Finger festhalten. Er kam sich recht albern vor, als er das rechte Bein hob und nur noch auf dem linken balancierte. »Ep-pe! Pep-pe! Kak-ke!« »Das ist die Sprache der Längst Versunkenen«, erklärte Sharts dem mit offenem Mund dastehenden Blogo. Hank stellte sich auf sein rechtes Bein. »Hil-lo!Hol-lo!Hel-lo!« Er stellte beide Beine fest auf den Boden. »Ziz-zii! Zuz-zii! ZIK!« Obwohl das Erwartete geschah, fiel es Hank schwer zu glauben, was er sah. Er stand mit dem Gesicht nach Westen, und dort vor ihm in der Luft erschien plötzlich ein Heer von geflügelten Wesen. Es dröhnte wie auf einem gewaltigen Schießplatz, als sie unvermittelt aus dem Nichts auftauchten. Die Luft, die abrupt von ihnen verdrängt wurde, wich mit explosiven Donnerklängen, ein Detail, welches zu beschreiben Baum in seinem ersten Buch über Oz versäumt hatte. Vielleicht hatte er es auch vergessen. Die ganze Horde mußte gekommen sein. Der Himmel war übersät von schwarzen Punkten, als habe Gott einen riesigen Pfefferstreuer umgestoßen. Das Schnattern und Kreisen war furchterregend. Die drei Männer waren fassungslos, und die wartenden Adler und Falken flatterten von den Bäumen auf. Glinda hatte ihm erklärt, daß jede der vier Inschriftenzeilen eine andere Einsatzart herbeiführte. Die eine rief die Affen in begrenzter Anzahl zu dem Benutzer der Kappe. Die zweite rief alle Affen herbei, ganz gleich, wie weit sie verstreut sein mochten. Mit der dritten konnte man eine begrenzte Zahl der Affen zu einem bestimmten Ort senden, wenn man dort schon
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einmal gewesen war. Der vierte schickte die gesamte Horde in ein bestimmtes Gebiet, wenn der Benutzer dort schon gewesen war. Hank kannte nur eine der vier Inschriften, denn er hatte die Betriebsanleitung in Baums Buch gelesen und seine Mutter hatte ihm gleichfalls davon erzählt. Als Kind hatte er oft gespielt, er sei in Oz, und mit einer Goldenen Kappe aus Papier hatte er das Ritual viele Male vollzogen. Baum hatte nur von einer einzigen Inschrift erzählt, und er hatte behauptet, Dorothy habe sie lesen können. In Wirklichkeit war es Dorothy gelungen, heimlich die Instruktionen im Buch der Westhexe nachzulesen. Die Hexe war sehr alt gewesen, und ihr Gedächtnis war ebenso schnell eingetrocknet wie ihr Körper. Deshalb hatte sie Gedächtnisstützen im ganzen Schloß verteilt. Hank warf einen Blick auf Eraknas Vögel. Einer flatterte jetzt davon, um der Königin von den Affen zu berichten. Ein großer Affe landete neben Hank und kam auf ihn zu. »Ich bin der König«, sagte er. »König lizarnhanduz der Dritte, du Scheißkerl.« Der König mußte Hank gehorchen, aber er brauchte es nicht gern zu tun. An den lauten und erbitterten Klagen seiner Untertanen war zu erkennen, daß ihnen gleichfalls nicht viel an dieser Art der plötzlichen Entrückung lag. Was immer sie gerade getan hatten, ob sie mit Schlafen beschäftigt gewesen waren, mit Essen, Urinieren, Paaren, Spielen — es hatte sie fortgerissen, und jetzt sollten sie eine schwierige und vermutlich gefährliche Aufgabe übernehmen. Es mußte ein sehr beunruhigendes Erlebnis sein, wenn man gerade noch behaglich geschlummert hatte und plötzlich tausend Meilen weit entfernt in fremden Lüften hing. Hank erklärte dem Affen genau, was geschehen sollte. »Um Gottes willen!« rief der König. »Wenn das so weitergeht, sind wir bald ausgestorben.« Hank empfand Mitleid mit ihm, aber mit fester Stimme sagte er: »Setzt euch in Bewegung! Sofort!« lizarnhanduz (»Der Eisenhändige«) richtete einen Zeigefinger auf die Affen über dem Feld. »Frauen und Kinder etwa auch? Hab' ein Herz, Mann!« »Nein«, sagte Hank. »Sie brauchen nicht mitzumachen.« »Klar. Und was sollen sie machen, wenn ihre Männer alle tot sind?« »Ich will nur, daß diese Vögel da getötet oder verjagt werden. Und dann sollt ihr uns den Weg freihalten... Ich habe
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dir gesagt, was geschehen soll!« »Yeah, und danach — wenn es überhaupt ein Danach gibt — müssen wir wieder den ganzen Weg nach Hause fliegen. Weißt du eigentlich, wie weit das ist?« Was immer in der Goldenen Kappe steckte, wodurch die Affen beherrscht und gesteuert wurden, es verlor offensichtlich seine Kraft, dachte Hank. Er vermutete, daß in den Wänden der Kappe irgendeine Maschinerie verborgen sei, die durch die Worte, die zu sprechen waren, aktiviert wurde. Von welcher Energiequelle sie gespeist werden mochte, wußte er jedoch nicht. Auf jeden Fall zeigte der König größere Aufsässigkeit als in jeder anderen Situation, von der er je gehört hatte. »Beim letzten Mal, als man euch die Kappe zurückgab — übrigens war es meine Mutter, von der ihr sie bekamt«, sagte Hank, »solltet ihr für immer frei von der Herrschaft anderer sein. Aber ihr wart nicht klug genug. Ihr verstecktet die Kappe nicht, und so wurde sie gestohlen. Ich sag' dir was. Ich verspreche dir, wenn ihr meine Befehle ausgeführt habt, werde ich sie irgendwo verstecken, wo sie niemand finden kann. Bist du damit zufrieden?« Der König grinste; seine langen, spitzen Zähne waren ein fürchterlicher Anblick. »Sehr.« Er drehte sich um und rannte auf allen vieren zu seinem Volk, das sich auf der Wiese niedergelassen hatte. Nach langem Geschnatter ließ er die Männer auf der Wiese in Formation antreten. In der Südwestecke beginnend, liefen sie gegen den Wind. Flügelschlagend sprangen sie in die Luft und stiegen langsam auf. Einige waren entweder zu schwer oder zu langsam; sie mußten in die Ecke zurückkehren und es noch einmal versuchen. Als die vorderste Reihe einen Bogen geflogen hatte und mit dem Wind auf die in der Nähe kreisenden Vögel zuflog, führte Hank die beiden Männer zu Jenny. Bargma, die sich auf dem Boden im vorderen Cockpit verborgen gehalten hatte, flatterte auf und setzte sich auf die Kante der Windschutzscheibe. »Du gehst vorerst zu Sharts und Blogo nach hinten«, befahl Hank. Sharts goß, Hanks Anweisungen folgend, Äther in den Vergaser. Er warf auch den Propeller an, als Hank »Kontakt!« rief; auf diese Weise würde Jenny nicht so viel Energie für den Start des Motors verbrauchen. Der Motor sprang augenblicklich an, und im nächsten Moment dröhnte die 15oPS-Hisso-Maschine ohrenbetäubend auf. Sharts und Blogo
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warteten, bis sie warmgelaufen war, dann rissen sie die Holzklötze weg, mit denen die Räder blockiert gewesen waren. Hastig kletterten sie an Bord, und Jenny rollte langsam zum Startpunkt. Sie mußte mit dem Rand der Wiese vorliebnehmen, weil noch nicht alle Affenmänner vom Boden hochgekommen waren. Die Bäume schützten das Flugzeug vor plötzlichen Böen, aber wenn sie auf die offene Wiese gerieten, würde sie den Bodenturbulenzen ausgeliefert sein. Hank verließ sich auf ihre Reflexe und auf die Tatsache, daß sie die nötige Energie besaß, die Tragflächen zu heben oder zu senken, um die Böen auszugleichen. Inzwischen waren Falken und Adler mit den Affen aneinandergeraten, die meisten jedenfalls. Einige der Vögel hatten sich wohl gedacht, es hätte keinen Sinn, gegen eine solche Übermacht Heldenmut zu demonstrieren. Sie waren geflohen, und wenig später folgten die übrigen Vögel, soweit sie sich dem Kampf entziehen konnten, ihrem Beispiel. Keiner aber flog in Richtung Osten. Nach einem weiten Halbkreis nahmen sie Kurs nach Süden und verschwanden. Es lag ihnen nichts daran, sich dem Zorn ihrer Königin zu stellen. Das Ackerland lag ein wenig tiefer als die Straße auf dieser Seite des Tores, und so konnte Hank nicht sehen, was dort vor sich ging. Er vermutete aber, daß die Gillikin-Soldaten angegriffen hatten. Die Affen flatterten auf die Straße zu. Sie hatten nichts weiter zu tun, als die Gillikins aufzuhalten, bis Jenny in der Luft wäre. Das Flugzeug rollte zum Startpunkt, ohne mit einer Flügelspitze über den Boden zu schleifen. Langsam drehte es sich in den Wind und rollte dann, immer schneller werdend, vorwärts. Sekunden später hatte es abgehoben. Hank klopfte auf das Armaturenbrett, um anzuzeigen, daß er jetzt der Pilot sei. Als sie über die Bäume auf den Hügeln jenseits der Farm hinweggeflogen waren, legte er die Maschine hart auf die Seite, flog eine Kurve und jagte dann in einer Linie mit der Straße dahin. Als er die Wiese überquerte, sah er, daß die Frauen und Kinder der Affen sich in der südöstlichen Ecke zusammengedrängt hatten. Sie warteten, bis das Flugzeug über sie hinweggeflogen war, und begannen dann ihre Wanderschaft nach Süden. Er drückte Jennys Nase hinunter, bis sie sich nur noch zehn Fuß hoch über dem Boden befand. Dann hob er sie wieder, und als er das Tor überflog, betrug der Abstand zwischen Rädern
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und Zaun nur wenige Fuß. Für die Gillikins und die Affen, die vor ihm kämpften, mußte es aussehen, als sei das Flugzeug wie eine Rakete vom Landeplatz herübergeschossen. Er riß Jenny scharf in die Höhe, und plötzlich fiel ihm ein, daß ein paar Affen in der Luft sein könnten. Es wäre Ironie des Schicksals und überhaupt nicht komisch, wenn er jetzt mit einem Affen zusammenstieße. Aber alle befanden sich auf dem Boden, im Nahkampf mit der Vorhut der Armee. Hank tauchte wieder ab und brachte Jenny dicht über das Schlachtfeld. Das Brüllen des Motors würde den Affen sagen, daß sie den Kampf einstellen und nach Hause fliegen könnten. Dies allerdings war leichter gesagt als getan. Wenn sie sich einfach abwandten, würde man sie von hinten niedermetzeln. Außerdem brauchten sie einen langen Anlauf, um sich in die Luft zu erheben, und dafür bot sich auf der von Leichen übersäten Straße kein Platz. Aber Hank konnte sich ihretwegen den Kopf nicht zerbrechen. Jetzt war jedermann — und jeder Affe — sich selbst der Nächste. Er jagte über die Straße dahin und zog an dem Kabel. Beide Maschinengewehre feuerten. Gut. Er hatte befürchtet, sie könnten Ladehemmung haben. Das schien immer dann zu geschehen, wenn er sie brauchte, beim Luftkampf oder bei Tiefflugangriffen in Frankreich. Auf der Straße drängten sich die Soldaten. Um Verwirrung, Unordnung und Panik auszulösen, gab er vier Salven ab. Wer nicht getroffen wurde, sprang rechts und links in den Straßengraben oder versuchte es zumindest. Vor ihm, bei der Kreuzung auf einem Feld, stand etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Eine große, weiße Kutsche mit einem Gespann von acht Elchen. »Die Königin«, murmelte Hank. Er zog die Maschine höher und ging dann in einen flachen Sinkflug über. Die Leute, die bei der Kutsche standen, rannten nach allen Richtungen auseinander. Nein. Eine Gestalt war zurückgeblieben. Sie trug ein langes, schneeweißes Gewand. Erakna. Nur den Hexen war es erlaubt, Gewänder zu tragen, die ganz und gar weiß waren. Sie saß auf einem Stuhl neben der Kutsche. Der scharlachrote Gegenstand, der danebenlehnte, mußte ihr Schirm sein, das Wahrzeichen und Sy mbol der roten Hexe. Erakna blieb, zumindest scheinbar, gelassen sitzen, bis
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Hank feuerte. Als sie aber sah, wie die parallele Linie der Einschüsse im Boden auf sie zuraste, vergaß sie Stuhl und Würde. Sie warf sich zur Seite. Hank zog Jenny hoch und fluchte. »Nicht getroffen!« Er kurvte und stieß noch einmal hinunter. Erakna war nicht zu sehen. Anscheinend verbarg sie sich hinter der Kutsche. Seine Kugeln schlugen in die Kutsche. Die Elche erholten sich von ihrer Schreckenslähmung oder sie vergaßen den Befehl ihrer Königin, stehenzubleiben, zogen die Kutsche vorwärts und galoppierten in wilder Flucht über die Wiese. Erakna war jetzt ohne Deckung, aber sie hatte Zeit zu fliehen. Mit beiden Händen raffte sie ihre langen Gewänder zusammen und rannte davon wie ein Kaninchen, dem der Habicht im Nacken saß. Sie beging nicht den Fehler, die Flucht über das freie Feld zu versuchen, sondern lief auf die Masse der Soldaten zu, die sich zu Boden geworfen hatten. Zweifellos würde sie ihnen befehlen, sie mit ihren Körpern zu decken. Als Hank gedreht und zu einem erneuten Anflug angesetzt hatte, sah er, daß die Soldaten sich in der Tat um sie geschart hatten. Aber als er das Feuer eröffnete, stoben sie nach allen Seiten auseinander. Die Königin stand allein auf dem Feld, ein schneeweißes Ziel. Ihr Haar war so blond, daß es fast ebenso weiß erschien wie ihr Gewand. Glinda ist eine weiße Hexe mit roten Haaren, ging es Hank — bedeutungslos — durch den Kopf, und Erakna ist eine rote Hexe mit weißen Haaren. Die Königin warf sich zur Seite und rollte über den Boden. Hank wußte nicht, ob er sie diesmal getroffen hatte oder nicht, bis er aufstieg und wieder drehte. Er spürte Vibrationen hinter sich und drehte rasch den Kopf nach hinten, um zu sehen, was sie verursachte. Sharts trommelte gegen die Seite des Flugzeugrumpfes und grinste. Dann deutete er nach unten. Hank schaute hinunter und sah, daß Erakna am Boden lag. Ein roter Fleck leuchtete auf ihrem weißen Gewand. Er hatte sie ins Bein getroffen. »Das müßte reichen«, dachte Hank. »Wenn ich sie töte, ist der Krieg zu Ende.« Aber die Königin hatte andere Pläne. Sie stand auf und hob ihre Gewänder in die Höhe; man sah, daß sie auf ihrem unversehrten Bein stand. Dann begann sie sich wie eine Ballerina mit ausgestreckten Armen um die eigene Achse zu drehen. »Was zum Teufel... ?« murmelte Hank. Er hatte das
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Gefühl, daß plötzlich etwas schiefgegangen war, daß er es jetzt mit Kräften zu tun hatte, die er nicht verstand. Dennoch zog er an dem Kabel, und die Maschinengewehre über ihm auf der Tragfläche begannen zu rattern. Erakna verschwand. Stöhnend ließ Hank das Kabel los. Er hatte keine Ahnung, wo sie stecken mochte. Er bezweifelte, daß sie sich unsichtbar gemacht hatte. Wenn sie es getan hätte, dann wäre sie von den Kugeln getroffen worden. Wahrscheinlich saß sie jetzt schon in ihrer Suite im Schloß. Er drehte nach Süden. Es hatte keinen Sinn, noch mehr Zeit und Treibstoff zu vergeuden. Er wandte sich um und winkte Bargma zu, ins vordere Cockpit zu kommen. Blogo sah er nicht, weil er auf Sharts Schoß saß, aber es schien, daß der Riese tobte und fluchte. Als die Eule sich zu ihm vorgearbeitet und mit ihren Krallen seine Schulter umklammert hatte, schrie sie ihm ins Ohr: »Das war Pech!« »Wenn ich zu Glinda zurückkomme, wird sie mir das Fell über die Ohren ziehen«, gab er zurück. »Du hast dein Bestes getan. Und das, so füge ich gern hinzu, war besser als das, was die meisten anderen geleistet hätten.« Sie überholten die Affen, die in einer langen, unregelmäßigen Reihe dahinflogen, und dann entdeckte Hank Balthii unter sich. Sie hatte sich irgendwo in der Nähe der Farm herumgetrieben, und jetzt war sie unterwegs zu Glinda, um ihr die Neuigkeit zu überbringen, daß Erakna noch lebte. Eine halbe Stunde später zog von Südosten ein Sturm herauf, wie Hank ihn noch nie durchflogen hatte und wie er es nie wieder tun zu müssen hoffte. Das Unwetter war so schrecklich, daß ihm einen Moment lang der verrückte Gedanke durch den Kopf ging, Erakna habe es gegen ihn heraufbeschworen. Aber wodurch es auch hervorgerufen worden sein mochte, es hüllte ihn in wilde, schwarze Wolken ein, in denen er manchmal nicht mehr sicher war, ob er nicht kopfüber dahinflog. Seine Kompaßnadel rotierte wie irrsinnig. Aufwinde und Abwinde packten Jenny, und manche hielten sie so lange in den Klauen, daß er zum Himmel flehte, es möge sie nicht an einer Bergflanke zerschellen lassen. Er hatte noch Treibstoff für etwa fünfzehn Minuten, als Jenny plötzlich in einen offenen Himmel und relativ ruhige Luftschichten hinausschoß. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Und Bargma wußte es auch nicht.
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28 »Das sind die Ruinen der Stadt der Längst Versunkenen«, behauptete die Eule. »Verdammt, so weit können wir nicht abgetrieben worden sein«, widersprach Hank. »Glinda hat mir erzählt, die Ruinen befänden sich im äußersten Nordwesten des Landes. Im Natawey -Land.« »Ich sagte: Eine Stadt. Ich habe Gerüchte und Geschichten über verschiedene versunkene Ruinenstädte gehört.« Seit zehn Minuten suchte Hank nach einem Landeplatz in den Bergen. Er allein hatte einen Fallschirm, und so würde er natürlich aussteigen können, falls es ihm nicht gelänge, Jenny beizeiten zu Boden zu bringen. Aber von Jenny und seinen menschlichen Passagieren würde er sich erst verabschieden, wenn es unbedingt sein müßte. Es war immer möglich, eine Notlandung auf den Baumwipfeln zu versuchen, aber er wusste nicht, ob er wirklich riskieren wollte, sich wegen der beiden unappetitlichen Gestalten im hinteren Cockpit das Genick zu brechen. Außerdem würde Jenny eine derartige Landung auch allein vollbringen können. Wenn sie dabei zerstört würde, wäre er darüber wahrscheinlich betrübter als über den Tod von Sharts und Blogo. »Für Glinda spiele ich gern den Helden, aber nicht für die beiden«, brummte er. Dennoch wartete er, bis er noch Sprit für drei Minuten hatte — falls er sich in der Menge nicht verschätzt hatte. »Da ist ein Landeplatz«, kreischte Bargma ihm plötzlich ins Ohr. Hank schaute nach unten und sah eine ebene, relativ baumlose Fläche, die unvermittelt aufgetaucht war. Er bog darauf zu, stellte fest, in welche Richtung der Wind die Baumwipfel und Büsche drückte, und drehte das Flugzeug entsprechend. Dann klopfte er auf das Armaturenbrett, um Jenny anzuzeigen, dass sie das Steuer übernehmen solle. Sie konnte mit plötzlichen Böen besser umgehen als er, von Landungen in ruhiger Luft gar nicht zu reden. »Viel Glück«, wünschte die Eule, flatterte hoch und war
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verschwunden. Als der Motor verstummt war, stieg Hank aus der Maschine und wandte sich dann an Jenny. »Tja, altes Mädchen, es sieht so aus, als müßten deine Passagiere zu Fuß zurück nach Suthwarzha wandern, es sei denn, wir finden in dieser gottverlassenen Gegend irgendwo Alkohol. Aber ich habe nirgends auch nur ein einziges Haus oder gar ein Dorf gesehen.« »Kannst du meinen Alkohol nicht machen?« fragte Jenny kläglich. »Vielleicht. Wir werden sehen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich werde dich nicht im Stich lassen, solange es eine Alternative gibt. Und wenn, dann werde ich zurückkommen, um dich zu holen. Das schwöre ich dir.« Als erstes galt es nun, Jenny in den Schutz der Bäume zu schieben und zu sichern. Als er dies den beiden anderen sagen wollte, stürmte Blogo auf ihn zu wie ein Miniaturunwetter. »Weshalb zum Teufel bist du hier gelandet? Weißt du nicht, daß die Sehr Seltene Bestie in den Ruinen der Längst Versunkenen spuken soll?« »Halt den Mund, Dummkopf«, wies Sharts ihn zurecht. »Wenn er nicht gelandet wäre, wären wir jetzt schon tot.« »Aber vielleicht fliegen wir jetzt besser weiter«, murrte Blogo. Hank versorgte Jenny und fragte dann Bargma, ob sie versuchen wolle, den Heimweg zu Glinda zu finden. »Aber wer soll dich dann führen, falls es dir doch gelingt, Jenny wieder in die Luft zu bringen, und falls du dann eine vertraute Landmarke findest?« »Das weiß ich nicht. Aber wenn Glinda weiß, wo wir sind, kann sie uns vielleicht irgendwie nach Hause holen.« »Darauf solltest du keine großen Hoffnungen setzen. Sie ist eine Hexe, aber sie kann keine Wunder wirken. Ich fliege jetzt fort, aber nicht sehr weit. Ich muß mir etwas zum Essen suchen.« Das erinnerte Hank daran, daß er ebenfalls hungrig war. Er nahm den restlichen Käse, sowie die Nüsse und Rosinen aus seinem Beutel und schlang sie hinunter. Er hatte immer noch Hunger. Vielleicht würde er verhungern müssen. Nein, nicht, wenn es ihm gelänge, ein Tier zu erlegen. Es war ihm gleichgültig, ob die anderen entsetzt sein würden oder nicht. Er würde jedenfalls nicht sterben, nur weil das Fleischessen ein Tabu war. Außerdem brauchte ja niemand etwas davon zu erfahren.
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Er mußte an die flehende Maus denken, die die Eule in Abraams Scheune gefangen hatte. Konnte er ein intelligentes Lebewesen töten, um es zu essen? Ein leerer Magen kennt kein Gewissen, sagte er sich. Die Frage würde sich beantworten, wenn er kurz vor dem Verhungern stünde. Er überquerte die Wiese und trat an den Rand des Plateaus. Mindestens dreihundert Meter tief unten, am Fuße der senkrechten Felswand, strömte ein Fluß dahin. Auf der gegenüberliegenden Seite, etwa zwei Meilen entfernt, erhob sich eine ebenso hohe Felswand, Berge umringten das Land, und die im Westen schienen die höchsten zu sein. Er konnte von Glück sagen, daß er durch einen Paß gekommen war. Eine Meile weiter rechts oder eine Meile weiter links und er wäre jetzt tot gewesen. Seine Finger umschlossen das Geschenk seiner Mutter, den Hausschlüssel. Im Südosten, nahe am Rande des Plateaus, erhoben sich einige Hügel, in denen die Ruinen der alten Stadt zu sehen waren. Die meisten waren in Erde und Vegetation versunken, aber es standen noch genug Gebäude frei, die darauf hindeuteten, daß dies einst eine stark bevölkerte Gegend gewesen sein mußte. Er wußte nicht, weshalb die Längst Versunkenen in diesem abgelegenen, isolierten Hochland eine Stadt erbaut hatten — vielleicht aus demselben Grund, aus dem man Machu Picchu, das zwölf Jahre zuvor in den Anden entdeckt worden war, erbaut hatte. Sein Hunger war stärker als das Verlangen, die Ruinen zu erkunden. Deshalb schloß er sich den beiden anderen an, als diese sich aufmachten, die Gegend zu durchstöbern. Sharts wollte auf die Ruinen zugehen, aber Blogo bestand darauf, daß sie sich nordwärts wendeten. »Nun gut«, sagte Sharts,»wenn du dich fürchtest, gehen wir nicht dorthin.« Blogo schlug sich gegen die Brust, und sein Hahnenkamm wurde noch röter. »Ich fürchte mich vor gar nichts, das sage ich euch! Aber ich bin Manns genug, zuzugeben, daß es in der Tat einige Dinge gibt, die mich nervös machen. Ein wenig nur, versteht ihr? Und das kommt nur daher, daß meine Mutter mich — wie alle Mütter ihre Kinder — vor der Sehr Seltenen Bestie gewarnt, hat. Ich, der Mann, fürchte mich nicht. Aber da ist ein kleines Kind in mir, und das hat noch immer Angst. Das ist es, was mich ein wenig nervös macht.« »Das Kind in dir muß wahrhaftig ziemlich klein sein, wenn
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es in deinen kleinen Körper paßt«, spottete Sharts. Sein Grinsen ließ das von Vogelkrallen zerfleischte Gesicht noch grauenvoller aussehen. Seite an Seite drangen Hank und Sharts in den schräg ansteigenden Wald ein. Blogo lief hinter ihnen, da er mit seinen kurzen Beinchen nicht Schritt halten konnte. Außerdem wollte er wahrscheinlich keine weiteren Bemerkungen über seine Butzemann-Geschichten provozieren. Sharts fluchte, weil Fliegen sich über seine offenen Wunden hermachten, und dann blieb er inmitten eines blasphemischen Wortes, dessen absatzfüllende Länge einem deutschen Philosophen Ehre gemacht hätte, plötzlich stehen. Auch Hank erstarrte. Blogo prallte von hinten gegen ihn und schimpfte: »Wieso kannst du einen nicht vorwarnen, Riese?« »Psst!« machte Sharts. Sie lauschten und hörten ein leises schweineartiges Grunzen. Aber als sie ungefähr dreißig Schritte weiter durch das Unterholz geschlichen waren, sahen sie, daß das, was wie ein Schwein klang, ein großer, schwarzer Bär war. Er war dabei, den Kadaver eines Elchweibchens zu zerreißen. »Fleisch!« sagten die beiden Gesetzlosen wie aus einem Munde. Die Geschichten stimmten also. Diese Männer waren tatsächlich Kannibalen. Sie waren jetzt so nahe herangekommen, daß der kurzsichtige Bär sie sehen konnte. Er hörte auf zu fressen und erhob sich schwankend auf die Hinterbeine; er streckte die Pranken vor, und von seinen Lefzen troff das Blut. Es hätte dem Bären vermutlich nichts ausgemacht, zahlenmäßig unterlegen zu sein, wenn die Fremdlinge nicht bewaffnet gewesen wären. Aber zwei der Männer zielten mit geladenen Armbrüsten auf ihn, und einer hatte einen Gegenstand in der Hand, dessen Zweck der Bär nicht zu ergründen vermochte, den er aber gleichwohl für eine Waffe hielt. »Haut ab«, sagte der Bär. »Ich hab' diesen Elch erwischt, und er gehört mir. Sucht euch selber was zu essen!« »Normalerweise töten wir keine Tiere, um sie zu essen«, erwiderte Sharts. »Aber da du uns nun einmal den Gefallen getan hast, diesen Elch zu töten, werden wir ihn auch verzehren.« »Nur über meine Leiche, Grusel-Auge!« »Mag sein«, versetzte Sharts. »Aber warum gehst du nicht einfach weg? Wir sind keine gewalttätigen Leute, und wir wollen kein Blut vergießen, wenn es nicht sein muß. In diesen Wäldern muß es doch Rehe
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und Elche scharenweise geben.« »Mir schmeckt Bärenfleisch noch besser als Elchfleisch, Boß«, erklärte Blogo. »Wieso essen wir nicht beides?« »Moment, Moment«, sagte Hank. »Das wäre Mord.« »Nicht, wenn er uns angreift«, erwiderte Sharts. »Und wenn er sich nicht verzieht, ist das genauso, wie wenn er uns angreift.« »Wie habt ihr Trottel euch das gedacht?« wollte der Bär wissen. »Wenn wir uns ein Stück von dem Elch abschneiden, wirst du uns angreifen, nicht wahr?« »So ist es.« »Wir schneiden uns jetzt eine Scheibe ab.« Der Bär bleckte die Zähne. »Versucht mal.« »D u hast keine Chance«, sagte Hank. »Warum schließen wir keinen Kompromiß, denken uns etwas aus ? Es ist genug für alle da. Wir teilen es uns. Die Hälfte für dich, die Hälfte für uns.« »Ich liebe Bärenfleisch«, wiederholte Blogo und schmatzte mit den Lippen. »Und ich esse gern Affen und Hähnchen«, knurrte der Bär. »Zu welchen gehörst du? Oder bist du ein Hy brid? War dein Vater ein Gockel ? Was da nicht wie Affe aussieht, sieht aus wie Huhn. Wahrscheinlich bist du ein ängstliches Hühnchen. Ga-ga-ga-gack!« »Ich zeig' dir gleich, wer ein ängstliches Hühnchen ist«, drohte Blogo, aber er näherte sich dem Bären nicht. Sharts wandte sich an Hank. »Ich nehme an, du wirst Glinda davon erzählen, wenn wir dieses Tier töten.« »Es wäre Mord«, antwortete Hank. »Ihr wäret dann wieder Gesetzlose.« »Das ist gar kein so schlechtes Leben, Boß«, ließ Blogo vernehmen. »Ich bevorzuge die kleinen Segnungen der Zivilisation«, entgegnete Sharts. »Bücher, guten Wein, warme Häuser, ein tägliches Bad, schöne Frauen, Konzerte, ein Laboratorium. Ich habe es satt, zu leben wie ein Wilder. Sag, Bär, wie ist dein Name?« »Es geht dich zwar nichts an, aber ich heiße Kwelala der Unbesiegte. « »Ein harter Bursche, ein Champion, wie? Hör zu, ich mache dir einen sportlichen Vorschlag, du ursiner Strauchdieb. Ich kämpfe gegen dich, ohne Waffen und ohne verbotene Griffe, und wenn ich gewinne, wirst du verschwinden und uns den Elch überlassen. Wenn du mich besiegst, werden wir weggehen. Wie findest du das?« »Ja? Ohne Hinterlist? Deine Freunde werden mich nicht erschießen? Ganz gleich, was ich mit dir anstelle?« »Das
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verspreche ich dir. Du hast das Wort von Sharts.« »Ich hab' noch nie von dir gehört, Mann. Aber wenn du sterben willst — und das mußt du —, dann kann ich es dir nicht verdenken, denn du bist ein ziemlich häßlicher, erbärmlich aussehender Haufen Wieselscheiße. Also los!« Sharts ließ seine Armbrust fallen und griff an. Der Bär war so überrascht, daß er zurückwich. Sharts sprang in die Höhe und trat mit beiden Füßen zu. Seine hölzernen Sohlen trafen den Unterkiefer des Bären, und dieser fiel, halb betäubt, hintenüber. Sharts landete auf dem Rücken, war aber sofort wieder auf den Beinen. Der Bär hatte sich eben aufgerappelt, als Sharts' Füße ihn erneut unter dem Kinn trafen. Mit verdrehten Augen stürzte der Bär noch einmal. Aber als Sharts ihm ein drittes Mal entgegensprang, schlug er mit der Tatze nach ihm. Sharts wirbelte durch die Luft und fiel zu Boden. Auf allen vieren griff der Bär jetzt an. Sharts, der auf dem Rücken lag, trat dem Bären gegen die Nase und rollte sich zur Seite, während das Tier schmerzerfüllt aufheulte. Er kam auf die Beine, sprang auf den Rücken des Bären und brachte einen Doppelnelson an. Hank riß die Augen auf, und er fluchte leise vor sich hin. Bisher hatte er geglaubt, niemand könne stark genug sein, den massigen Schädel eines Bären herunterzudrücken. Aber der Hals bog sich nach unten, und er würde brechen, wenn Sharts den Druck aufrechterhalten könnte. Der Bär wälzte sich am Boden und begrub Sharts zweimal unter sich, aber der Riese lockerte seinen Griff nicht. »Gib auf«, befahl Sharts mit gepreßter Stimme. »Sonst breche ich dir den Hals wie einen Zahnstocher.« »Das kann ich nicht glauben«, keuchte Kwelala. »Das kann einfach nicht sein, daß mir das passiert.« »Ich werde niemandem erzählen, daß ich dich besiegt habe«, antwortete Sharts. »Du kannst deinen Stolz und deinen Beinamen behalten.« »Versprochen?« »Mein Wort ist so stark wie meine Muskeln.« »Okay. Ihr könnt den verdammten Elch haben. Ich glaube, das Vieh war sowieso krank. Ich hoffe, daß euch schlecht davon wird.« »Erschießt ihn, wenn er irgendwelche Tricks versucht«, sagte Sharts und ließ den Bären los. Grollend trottete Kwelala davon; er sah sich nicht mehr um. Sharts war ein wenig atemlos. »Das dumme Biest hat mir mein Hemd zerrissen.« Blogo nahm seinen Beutel von der Schulter. »Ich habe noch
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eins für dich, Boß.« Das Wasser lief ihnen im Munde zusammen, als sie den Elch häuteten, eine Keule abschnitten und Nieren und Herz aus dem Leib holten. Sharts schlug ein paar dünne Äste ab und spitzte sie an, so daß sie damit Fleischstücke über das Feuer halten konnten, welches Blogo eben entfachte. Hank kehrte zum Flugzeug zurück, um Salzund Pfefferstreuer zu holen, die er stets bei sich hatte, weil man immer zu wenig davon in sein Essen gab. Als er zurückkam, kaute Blogo bereits ekstatisch auf einem kleinen, verkohlten Stück. Hank hielt seines über das Feuer, und als es aussah, als sei es etwa medium gebraten, zog er es zurück und wartete, bis es soweit abgekühlt war, daß er hineinbeißen konnte. Aber als er den Fleischbrocken zum Munde führte, begann er plötzlich zu würgen. Er betrachtete das Fleisch eine ganze Weile, und dann warf er es ins Feuer. Er stand auf. »Verflucht, ich kann es nicht.« Sharts grinste. »Man hat dich konditioniert.« »So könnte man es nennen«, erwiderte Hank voller Abscheu. Er wanderte in den Wald hinein, um sich Nüsse und Beeren zu suchen. Zwei Stunden später kehrte er mit vollem Bauch zum Flugzeug zurück. Er war immer noch unzufrieden. Bargma war gerade dabei, ein kleines Stück Fleisch zu verschlingen, welches Blogo ihr mitgebracht hatte. Als sie es verzehrt hatte, fragte sie: »Was jetzt?« »Zuerst die Ruinen. Dann müsen wir sehen, daß wir irgendwo Alkohol auftreiben.« »Der Treibstoff ist wichtiger«, meinte Blogo. »Ich werde gleich morgen früh anfangen, danach zu suchen.« Die Nacht verbrachten sie an einem Feuer unter einem Felsvorsprung. Am nächsten Morgen machten sie sich, müde, steif und durchfroren, auf die Suche nach etwas Eßbarem. Sharts und Blogo brauchten nicht weit zu gehen, denn das Elchfleisch war noch frisch genug für sie. Hank begab sich wieder zu der Stelle, an der er Beeren und Nüsse gefunden hatte, und füllte sich den Bauch mit dieser nun monotonen Nahrung. Als er zurückkehrte, schmierten Blogo und Sharts sich eine Salbe auf ihre Wunden. Diese verheilten rasch und hinterließen nicht, wie er erwartet hatte, tiefe Narben. Neue Haut wuchs über den Wunden,und die beiden warteten darauf, daß das Narbengewebe irgendwann abfiele. Er fragte Sharts nach der Salbe. Der Riese erklärte, Blogo
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habe sie mitgebracht, als er von seinem Volk gekommen sei. Er selbst denke daran, sie zu analy sieren und dann zu produzieren, wenn er erst in die Zivilisation zurückgekehrt sei. »Er und ich, wir werden reich werden«, fügte Blogo hinzu. »Es ist ein geheimes Arzneirezept, das nur meinem Volk bekannt ist. Aber Sharts hier, er wird herausfinden, woraus es besteht, und dann machen wir mehr davon.« Hank dachte, wenn er die Formel bekommen und mit zur Erde nehmen könnte, würde er wohl auch Millionär werden können. Aber es lag auf der Hand, daß seine Chance, zurückzukehren, nicht besonders groß war, und er war auch gar nicht versessen darauf. Wenig später machte sich die Seltene Bestie in nordwestlicher Richtung am Rande des Plateaus entlang auf den Weg, um nach Anzeichen für menschliches Leben zu suchen. Hank und Sharts wanderten zu den Ruinen und stocherten dort zwischen Steinen und halb verschütteten Gebäuden herum. Die Häuser waren aus zyklopischen Blöcken irgendeines weißen Minerals, die durch Mörtel miteinander verbunden waren. Die Flanken der Steinblöcke waren durch Erosion zerbröckelt, aber der Mörtel war vom Zahn der Zeit unberührt geblieben. Nach einer Weile spazierte Sharts davon. Hank stieß auf einen Steinblock, der breiter war als das Haus seiner Eltern daheim in Oyster Bay . Er ragte etwa vier Meter aus dem Boden. Ringsherum waren Figuren eingemeißelt, Tiere, Gegenstände und merkwürdig aussehende Zweifüßler mit menschlichen Händen. Hank vermutete, daß hier eine Geschichte abgebildet war. Die Bilder zogen sich in einer Reihe rund um den Block herum. Daß diese Reihe der Anfang oder das Ende der Geschichte sein mußte, konnte man daraus schließen, daß die Verwitterung die Oberseite einer weiteren Figurenreihe darunter freigelegt hatte. Wenig später entdeckte er einen dreißig Meter langen Obelisken aus Metall, der auf dem Boden lag. Er war geformt wie »Kleopatras Nadel« im New Yorker Central Park und trug die Umrisse von Lebewesen und Gegenständen und zahlreiche Inschriften. Er war darin vertieft, als er hörte, wie Sharts nach ihm rief. Hank schlängelte sich zwischen den Büschen und Bäumen, die in den Ruinen wuchsen, hindurch bis zum Rande des Plateaus. Sharts stand an einer Stelle, die aussah, als sei ein überhängender Felsen abgebrochen und in den Canyon hinuntergestürzt. »Sieh dir das an.«
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Sharts deutete auf eine anderthalb Meter hohe, silberne Kuppel, die in der Erde versunken war. An ihrem unteren Rand, dem Abgrund zugewendet, befand sich ein etwa fünfundzwanzig Zentimeter hohes Loch. »Interessant«, sagte Hank. »Warte. Ich habe die Zeit gestoppt.« Fünfzig Sekunden vergingen. Dann erschrak Hank. Eine winzige Gestalt, ein genaues Abbild der Zweifüßler, deren Porträts er auf dem Block gefunden hatte, kam herausmarschiert. Sie beachtete sie nicht, sondern stakste wie ein hölzerner Soldat zur Kante des Plateaus und stürzte hinunter in die Tiefe. »Mein Gott, was ist denn das?« fragte Hank. »Warte.« Nach sechzig Sekunden kam ein Duplikat des ersten heraus und marschierte wie dieses geradewegs in den Canyon. »Ich glaube, es ist eine Spielzeugfabrikation der Längst Versunkenen«, meinte Sharts. »Sie funktioniert immer noch.« »Nach zweitausend Jahren oder mehr?« »Ich weiß, es klingt unglaublich, aber was gäbe es sonst für eine Erklärung?« Als sechzig Sekunden später die nächste Figur herausmarschiert kam, hob Sharts das kleine Ding auf. Es bewegte die Beine und schwenkte die Arme, als sei es immer noch auf dem Boden. »Es muß einen Steuermechanismus gegeben haben, mit dem die Kinder es lenken konnten und dergleichen«, sagte Sharts. Hank fand, daß dies eine Menge Spekulationen seien, aber er konnte natürlich keine Argumente dagegensetzen. »Unten auf dem Hang am Fuße der Felswand müssen Tausende liegen«, meinte Sharts. »Die übrigen, es müssen Millionen gewesen sein, hat sicher der Fluß fortgetragen.« Der Körper des Spielzeugs war menschlich, und das Gesicht wäre es auch gewesen, wenn ihm nicht die Nase gefehlt hätte. Wo diese hätte sitzen müssen, befand sich ein Loch mit vielen feinen Härchen, die wie ein zartes Netz angeordnet waren. Bei näherem Hinsehen entdeckte Hank, daß die Ohren proportional kleiner als die eines Menschen waren und daß die Windungen in den Ohrmuscheln anders aussahen. Die Gelenke der Arme, Beine, Finger und Zehen ließen sich einzeln bewegen. Hank erzählte, was er gefunden hatte. »Ich würde gern versuchen, die Geschichte zu lesen, die auf diesem Obelisken steht«, meinte er. »Aber dann müßten wir ihn umdrehen. Die Geschichte ist eine Bilderserie, und sie verläuft spiralförmig vom Fuße bis zur Spitze.« Sharts
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begleitete ihn zu dem u mgestürzten Monument. Er betastete das rote Metall, das nicht verrostet war, und betrachtete ein paar der Hieroglyphen. »Er muß zwischen dreihundert und fünfhundert Tonnen wiegen«, schätzte er. »Wir könnten ihn niemals umdrehen, um die andere Seite zu lesen. Wir müssen uns zufriedengeben mit dem, was wir sehen können. Aber sieh dir das an.« Er zeigte auf eine Darstellung der Kuppel mit einer runden Öffnung an ihrer Basis. Aus dieser Öffnung kamen Gestalten wie Blogo, die Geflügelten Affen und andere unnatürlich erscheinende Geschöpfe. »Das verleiht meiner Theorie Gewicht, nach welcher die seltenen Bestien und die Affen Abkömmlinge synthetischer Existenzen sind«, meinte Hank.
29 Auf den zutage liegenden Seiten des Obelisken befanden sich Anfang und Ende der Geschichte. Was auf der unteren Seite stand, mußte verborgen bleiben, und auf den Seiten, die sie sehen konnten, gab es vieles, was sie nicht verstanden. »Trotzdem haben wir hier genug, um wenigstens einen Teil der Geschichte der Längst Versunkenen erfahren zu können«, sagte Hank. »Einschließlich der Tatsache — ich nehme an, es ist eine Tatsache —, daß sie nicht einfach ausgestorben sind. Sie sind in eine andere Welt gegangen, und zwar durch eine Pforte, die sie zwischen dieser und der anderen Welt öffnen konnten. Wenn ich die Bilder richtig interpretiere, waren es ihre Experimente zur Öffnung dieser Pforte in eine andere Welt, die die schwachen Stellen in der Wand zwischen meinem und eurem Universum verursacht haben. Aber vielleicht sollte ich nicht von einer Wand sprechen. Wie ich es sehe, entspricht der Prozeß eher der Auf- oder Abwärtsbewegung zwischen einer Ebene oder Konfiguration von Energie und einer anderen. Jedenfalls war es den Längst
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Versunkenen entweder nicht möglich, zur Erde zu gehen, oder sie beschlossen, nachdem sie sich dort umgeschaut hatten, woanders hinzugehen.« Er brauchte Sharts nicht zu erklären, wieso die nasenlosen Wesen diese Welt verlassen hatten. Auch Sharts hatte begriffen, daß die Längst Versunkenen beschlossen hatten, nicht mehr zu kämpfen. Man hatte sie in dieses Gebiet gedrängt, welches etwa die Größe von Alaska besaß, und es schien keine Möglichkeit zu geben, es zu vergrößern. Sie trieben die Mächte, die den Planeten verwüstet hatten, zurück, und sie hätten es noch lange Zeit tun können. Aber es war nicht der Mühe wert. Nicht, wenn sie zu einer neuen, grünen Welt gehen und die Aggressoren zurücklassen konnten. Die Energiekonfiguration des Universums, in welches sie gingen, war so beschaffen, daß ihre Feinde dort nicht existieren konnten. »Ich nehme an, sie können auch auf der Erde nicht existieren«, dachte Hank laut. »Aber ich bin nicht ganz sicher. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die Energiewesen, die von Tieren Besitz ergreifen, dort existieren könnten. Aber Glinda hat mir erzählt, sie habe einen Falken durch die Öffnung entsandt, und er sei von der Erde zurückgekehrt, wie er von hier fortgeflogen war.« »Hat sie dich auch gebeten, diese Information an dein Volk weiterzugeben?« fragte Sharts. »Ja, warum? Oh, ich verstehe. Vielleicht hat sie gelogen, damit mein Volk es mit der Angst zu tun bekäme. Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Aber ich werde meinem Volk... diesem Volk... nicht sagen, daß ich glaube, sie sagt nicht die Wahrheit, denn das Risiko besteht, daß sie es doch tut.« Nach dem, was er auf dem Obelisken hatte lesen können, schien es zwei Sorten von Energiewesen zu geben. Die eine bestand aus den großen, rollenden Kugeln, die gegen das grüne Land anrannten. Die meisten von ihnen gingen dort zugrunde, weil die Längst Versunkenen an den Grenzen zwischen Wüste und Oase Abwehrvorrichtungen eingegraben hatten. Sie waren als große Pfähle abgebildet, als unterirdische Blitzableiter sozusagen. Lange bevor die antiken Ureinwohner dieses Universum verlassen hatten, war bereits mit Öffnungen zu anderen Universen experimentiert worden. Der erste Erfolg hatte sich als Katastrophe erwiesen. Die großen Kugeln aus elektrischem Feuer waren hereingeströmt, ehe die Pforte wieder geschlossen
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werden konnte. Tausende mußten eingedrungen sein. Sie hatten sich fortgepflanzt, indem sie sich die Elektrizität der Erde und der Atmosphäre zunutze gemacht hatten. Sie hatten allen Lebewesen, ob aus dem Tierreich oder aus dem Pflanzenreich, die elektrische Energie aus dem Körper gesaugt. »Es sind keine Dämonen oder Seelen aus der Hölle, die herkommen, um unter den Lebenden ihr Unwesen zu treiben«, sagte Hank. »Eure Priester irren sich. Es sind elektrische Drakulas. Und sie existieren, weil die physikalische Struktur dieses Universums ein wenig anders ist als die des meinen. In meiner Welt... nein. Ich habe etwas übersehen. Wie kommt es, daß die Energiewesen die in einer anderen Welt entstanden sind, in dieser Welt leben können, nicht aber in der, zu welcher die Längst Versunkenen gegangen sind?« »Vielleicht unterscheiden sich die phy sikalischen Gesetze dieser Welt gerade so weit, daß diese Wesen dort nicht existieren können?« Sharts war vielleicht ein halber Psychopath, aber unintelligent war er nicht. »Da könntest du recht haben. Nein!« Hastig berichtigte Hank sich, als er sah, wie Sharts' Züge sich strafften und sein Gesicht rot anlief. »Du hast recht! Absolut recht. Eine andere Möglichkeit kann es einfach nicht geben. Aber woher soll ich wissen, daß die physikalischen Gesetze meines Universums diesen Wesen nicht gestatten, auch dort zu leben? Ich weiß es nicht. Ich darf nicht vergessen, das in meinem Bericht zu erwähnen.« Sharts' Gesicht entspannte sich und nahm wieder seine normale Farbe an. »Die Abwehrvorrichtungen, die die Längst Versunkenen installiert haben, müssen an wenigstens einer Stelle allmählich schwächer geworden sein«, überlegte Hank. »Sonst könnte es nicht einigen der Kugeln gelingen, auf das grüne Land hinüberzurollen. Das habe ich einmal nachts mitangesehen, als ich in Glindas Schloß wohnte. Sie wurden zerschlagen, aber ich bin sicher, es war Glinda, die dies bewirkte. Sie benutzte ihre eigenen Kräfte, um sie zu zerstören, das, was ihr >Magie< nennt.« »Vielleicht hat Glinda aus diesem Grunde ihre Hauptstadt an der Stelle errichtet, an der sie steht«, meinte Sharts. »Es gibt dort eine schwache oder schwächer werdende Stelle, und die wollte sie im Auge behalten.«
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Sharts' Gesicht verfinsterte sich. »Was geschieht, wenn Glinda stirbt oder die schwache Stelle größer wird?« »Dieser Gedanke ist abscheulich«, antwortete Hank. Vielleicht wäre es doch besser, wenn er zur Erde zurückginge. »Wie auch immer«, sagte er mit einer Armbewegung, die die ganze Oase umfassen sollte, »ich kann mir nicht vorstellen, dass dies die einzige belebte Gegend sein soll und daß der Rest des Planeten Wüste ist.« »Warum nicht? Geht das nicht deutlich aus dem Obelisken hervor?« »Es hat gestimmt, als der Obelisk hergestellt wurde. Vielleicht hat es nicht einmal damals gestimmt. Ich rede von der Luft.« »Von der Luft?« Sharts machte ein verwirrtes Gesicht, und er war ungern verwirrt. »Ja, von der Luft. Von der Atmosphäre des Planeten. Der Sauerstoff wird durch die Pflanzen auf der Erde und im Meer ständig erneuert. Aber wenn die Energiewesen alle Pflanzen vernichtet haben, woher kommt dann der neue Sauerstoff? Dieses Land allein ist nicht groß genug, zu verhindern, daß seine Bewohner ersticken. Ständig weht der Wind von der Wüste herüber, und er würde den Sauerstoff, der hier entsteht, forttreiben.« »Vielleicht sind die Pflanzen im Meer nicht getötet worden«, schlug Sharts vor. »Mag sein, aber ich bezweifle, daß sie allein ausreichen würden. Natürlich weiß ich im Grunde nicht genug über dieses Problem. Aber ich wette... na ja, ich glaube, daß sich sämtliche Energiewesen in der Wüste rings um das grüne Land aufhalten. Woanders würden sie keine Beute finden und vermutlich man gels Elektrizität verschmachten. Dadurch konnten in vielen anderen Gegenden wieder Pflanzen wachsen, und sie sind gediehen und haben sich ausgebreitet, weil die Energiewesen noch nichts von ihnen wissen.« Eine der Überraschungen beim Lesen der Cartoons der Längst Versunkenen — denn das waren die Inschriften: Cartoons — war, daß die Sinngeister oder Feuerfüchse nicht aus dem Universum der großen Energiewesen stammten. Sie waren nach der Invasion von den Alten erschaffen worden. Wenn Hank das, was er las, richtig interpretierte, waren sie das Resultat eines anderen Experiments der Längst Versunkenen. Die Wissenschaftler hatten, die Konfiguration der Zerstörer als Modell benutzend, eine andere Art von
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Energiewesen geschaffen. Sie sollten dazu dienen, den nervlich-geistigen Inhalt einer Person in einem sy nthetischen Körper zu übertragen. Damit, hatten die Wissenschaftler gehofft, würden sie unsterblich werden und ihren Geist von einem Körper zum anderen weiterverpflanzen können. Hank wußte nicht, warum das Experiment gescheitert war. Aber es war fehlgeschlagen. Die Feuerfüchse konnten denken, sie besaßen ein Bewußtsein und eigene Motivationen. Sie hatten sich geweigert, den Wissenschaftlern zu gehorchen und sich als Laborsubjekte zur Verfügung zu stellen. Außerdem hatte sich die Hoffnung, die Feuerfüchse könnten den geistigen Inhalt von einem Körper zum anderen transportieren, gleichfalls nicht erfüllt. Die Geschöpfe konnten die Körper von Tieren und Menschen in Besitz nehmen. Aber bei den letzteren konnten sie sich den Verstand nicht aneignen, wenngleich es ihnen bei Tieren möglich war. Etwas in der Struktur des menschlichen Nervensystems und vielleicht auch der Grad der Intelligenz verhinderte, daß die Feuerfüchse das menschliche Gehirn beeinflussen konnten. Die Feuerfüchse waren entflohen und hatten sich, ähnlich wie die zerstörerischen Kugeln, vermehrt. Sie besetzten die Zerebral-Neuralsysteme von Vögeln, Säugetieren und Reptilien; Fische und Insekten waren ihnen entweder versperrt oder interessierten sie nicht. (Diese Information veranlaßte Hank zu der Frage, weshalb die Menschen keine Fische und Frösche aßen. Sharts erklärte ihm, daß die Quadlinge, Munchkins und Ozianer es aus religiösen Gründen nicht tun dürften. Der Fisch sei das Sy mbol für Christus-Thor und somit heilig. Der Verzehr von Fröschen war wegen des alten My thos, ein Frosch sei ein Fisch, der nur gelernt habe, zu laufen oder wenigstens zu hüpfen, verboten. Bei den Winkies und Gillikins jedoch existiere dieses Tabu nicht.) Was die Bilder nicht verraten konnten, war die Art der Interaktion zwischen Sinngeistern und den Nervensystemen der in Besitz genommenen Tiere. Hank mußte mit Extrapolationen aus dem, was er bisher beobachtet hatte, vorliebnehmen. Als Beispiel konnte ein Feuerfuchs dienen, der kurz nach seiner Flucht aus dem Laboratorium der Längst Versunkenen wie ein elektrisches Frankenstein-Ungeheuer einen Falken in Besitz genommen hatte. Der Feuerfuchs war vielleicht ebenso intelligent wie ein
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Mensch. Aber wenn er mit dem Vogel gewissermaßen eins wurde, waren damit seine physischen und geistigen Fähigkeiten durch den Körper, den er bewohnte, begrenzt. Bei seinen Handlungen war er darauf angewiesen, ein kleines Gehirn und einen Körper, der auf das Fliegen spezialisiert war und keine Sprechwerkzeuge besaß, zu benutzen. Der Feuerfuchs-Falke konnte von den Menschen die Sprache erlernen, aber bei seinen Äußerungen war er auf den Stimmapparat des Falken angewiesen. Er löste das Problem, indem er lernte, die Klangwellen mit Hilfe elektrischer Energie zu modulieren. In gewisser Hinsicht glich seine Stimme einem Telefonapparat. Es gab auch etwas, das man als negativen Fluß bezeichnen konnte. Das nicht-menschliche Nervensystem des Falken wirkte sich auf das des Feuerfuchses aus, und das Ergebnis war eine Intelligenzebene, die sich mit der eines Menschen nicht vergleichen ließ. Zudem glich der Feuerfuchs, wenn er den Körper des Falken eben besetzt hatte, einem menschlichen Kleinkind. Wie ein Baby mußte er sprechen lernen und Erfahrungen sammeln. Allerdings lernte ein Feuerfuchs wesentlich schneller als ein Säugling. Einer der Faktoren, die die volle intellektuelle und emotionale Entwicklung des Symbioten verhinderten, war die kurze Lebensdauer eines Falken. Er lernte in der Tat schneller als ein Säugling, aber er hatte auch nicht viel Zeit zum Lernen. Aber wenn der Falke starb, lebte der Sinngeist weiter. Er streifte umher — oder was immer man sonst dazu sagen will —, und wenn er auf einen unbesetzten Körper stieß, haftete er ihm an wie Eisenspäne einem Magneten. Dieser Vorgang, dessen war Hank sicher, verursachte einen traumatischen Schock. Der Feuerfuchs verlor seine Identität als Falke, oder, besser gesagt, er verlor die Erinnerung an sein früheres Leben als Falke. Aber wie ein Amnetiker behielt er die Erinnerung an die Sprache und die unbewußten Kenntnisse über seine Umgebung. In mancher Hinsicht erlebte der Feuerfuchs das, was die Hindus als Seelenwanderung oder Reinkarnation bezeichneten. Obwohl der Feuerfuchs jedesmal, wenn er einen neuen Körper in Besitz nahm, auch eine neue Identität bekam, befähigte ihn die Erhaltung gewisser Fertigkeiten doch, geistig und emotional zu wachsen. Sein Wissen vermehrte sich bis zu einem
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gewissen Grade. Folglich konnte man unterstellen, daß ein Feuerfuchs nicht sterben konnte. So mochte der, welcher Bargma innewohnte, beispielsweise zwischen fünfzehnhundert und vierzigtausend Jahre alt sein. Aber seine Intelligenz war in ihrem Aktionsbereich durch das Nervensystem des Vogels beschränkt. Auch war vieles von dem, was er gelernt hatte, mittlerweile verloren oder vergessen. Hank glaubte nicht, daß ein Feuerfuchs ohne Hilfe ein unbelebtes Objekt besetzen und beleben könne. Aber eine Hexe konnte einem Feuerfuchs dabei helfen, auch wenn es wahrscheinlich kein leichtes Unterfangen war. Wenn es das gewesen wäre, hätte es vermutlich weit mehr Vogelscheuchen gegeben, als es tatsächlich gab. Glinda hatte die Vogelscheuche zum Leben erweckt, dessen war er sicher. Und es war ihr gelungen, den Geistgehalt eines Menschen, nämlich des sterbenden Holzfällers, in ein blechernes Ebenbild zu verpflanzen. Ein weiteres, vermutlich seltenes Phänomen war die Vertreibung eines Feuerfuchses durch einen anderen. Das elektrische Potential in einem Gewitter hatte einen Feuerfuchs sichtbar werden lassen, und Hank hatte gesehen — nun gut, er hätte beinahe gesehen —, wie der freie Feuerfuchs das Wesen, das der Falkin innewohnte, vertrieb. Aber dem Vertreiber war es nicht gelungen, den Vogel in Besitz zu nehmen. Statt dessen war er in ein unbelebtes Objekt gefahren: In das Flugzeug. Oder konnte es sein, daß jenes ursprünglich Ot bewohnende Wesen, aus dem Falkenkörper verdrängt, daraufhin in die Jenny geschlüpft war? Wie immer es sich ereignet haben mochte, Glinda hatte die Hand im Spiel gehabt. Warum hatte sie es getan? Weil sie ein lebendiges Flugzeug gebrauchen konnte, dachte Hank, genauso wie sie eine lebendige Vogelscheuche und den Blechholzfäller hatte gebrauchen können und dafür gesorgt hatte, daß sie Dorothy begegneten. Hank erläuterte Sharts seine Theorie. Der Riese nickte. »Das klingt plausibler als die religiösen Erklärungen. Das soll nicht heißen, daß du recht hast und die Priester nicht. Es könnte bedeuten, daß ihr euch beide irrt oder daß ihr beide zur Hälfte recht habt. Aber eines will ich zugeben: Trotz deiner charakterlichen Mängel bist du nicht ohne ein gewisses Maß an Intelligenz.«
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Hank wußte nicht, ob er sich bei Sharts bedanken oder ihm aufs Maul schlagen sollte. Dann aber mußte er daran denken, wie der Mann den Bären überwältigt hatte, und er beschloß, seine Fäuste zu bezähmen.
30 Den Rest des Tages verbrachten sie damit, die Gegend auszukundschaften und nach Eßbarem zu suchen. Als sie auf einen breiten, tiefen Bach stießen, der sich über die Felswand hinabstürzte, folgten sie seinem Bett stromaufwärts, bis sie zu einem Teich gelangten. Hier bastelten sie sich behelfsmäßige Angelruten zurecht und fingen drei forellenähnliche Fische. Dann wateten sie in einem kleinen Sumpf umher und packten mit bloßen Händen nacheinander drei große Frösche. Als sie ins Lager zurückkehrten, hatten sie beide den Bauch voll Protein. Sie kamen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Blogo auf seinen kurzen Beinen mit Höchstgeschwindigkeit auf das Lager zurannte. Wenige Schritte vor ihnen kam er zum Stehen. Keuchend, aber mit einem Gesichtsausdruck von stolzer Freude, rief er: »Ich habe ein Dorf gefunden!« Am nächsten Tag folgten sie ihm zu einem entfernt gelegenen Punkt am Rande des Plateaus. Dort angekommen, deutete er auf eine Stelle, die tief unten auf der anderen Seite des Flusses lag. Sie brauchten einen ganzen Tag, um an den Klippen hinunterzuklettern und den reißenden, von Stromschnellen durchsetzten Fluß zu überqueren. Die Dorfbewohner gehörten nicht zu dem Typ von Gillikins, den sie erwartet hatten. Sie waren offensichtlich ein nahezu reinrassiger Stamm von Neandertalern. Sie verständigten sich jedoch mit einem archaischen Dialekt der Gillikin-Sprache. Es gelang den drei Fremden, sich verständlich zu machen und den Leuten mitzuteilen, daß sie dreißig Gallonen Kornalkohol haben wollten. Die Dorfbewohner hatten solchen Alkohol, aber sie
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weigerten sich, ihn zu verschenken. Sie wollten etwas dafür bekommen. Sie wußten nicht, was, aber es mußte etwas von gleichem oder höherem Wert sein. »Wieso nehmen wir ihnen das Zeug nicht einfach weg?« fragte Blogo. »Eine Salve aus deinem Gewehr, Hank, und wer dann noch lebt, wird rennen wie ein Hase.« »Das werde ich nicht tun«, erwiderte Hank. »Außerdem brauchen wir ihre Hilfe, wenn wir den Sprit auf das Plateau hinaufschaffen wollen.« »Es würde aber eine Menge Spaß machen, diese winzigen Affenmenschen laufen zu sehen«, beharrte Blogo. »Winzig!« wiederholte Hank. »Blogo, kleiner als du ist hier niemand weit und breit! Und du hast größere Ähnlichkeit mit einem Affen als diese Leute.« »Geistig, meinte ich«, versetzte Blogo mißmutig. »Geistig.« Die Nacht verbrachten sie in dem Dorf; die halbe Nacht hindurch jedoch bewirteten die Dorfbewohner ihre Gäste, die ihnen recht unheimlich erscheinen mußten. Trotzdem standen sie am nächsten Morgen früh auf. Nach einem Frühstück aus Buchweizenbrot, Fischen, Fröschen, Nüssen, Beeren, Maiskuchen mit wildem Honig und einer weißlichen, nach Vanille schmeckenden Flüssigkeit, die aus einem Milchbaum gezapft wurde, machten sie sich auf den Weg. Der Häuptling, die Priesterin und sechs junge Männer begleiteten sie. Kurz nach Anbruch der Dunkelheit kamen sie in ihrem Lager an. Hier, im Lichte eines Holzfeuers, zeigten sie den Dorfbewohnern die Spielzeugmaschine. »Die geben wir euch für den Alkohol«, erklärte Sharts. Die Augen der Kumkwoots begannen zu glänzen, vor Angst wie vor Verlangen. Dies war ein heiliger, ein gefürchteter Ort. Sie hatten ihn bisher gemieden, weil sie die Geister der Längst Versunkenen fürchteten. Aber da sie die Fremdlinge für Geister der Alten hielten, die heruntergekommen waren, um ihnen zu sagen, daß sie ihnen freundlich gesonnen seien, waren sie bereit gewesen, das Gelände zu betreten. Hank mußte darüber grinsen. Wenn sie die Fremden für Geister hielten, weshalb hatten sie dann mit ihnen gefeilscht? Er hätte gedacht, daß man den Geistern alles gäbe, was sie verlangten. Aber die Habgier war stärker gewesen als ihre Ehrfurcht. »Der Spielzeugmacher ist mein, und so kann ich ihn euch geben«, behauptete Sharts. »Die anderen Geister sind damit einverstanden. Sie möchten sogar, daß ihr sie besucht, wann
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immer ihr dazu Lust habt.« »Wo sind sie?« fragte die Priesterin. »Ich möchte sie gern kennenlernen.« Sharts begegnete der gerissenen Frau mit Gerissenheit. »Sie sind gerade auf einem Besuch in der Anderwelt. Aber sie kommen zurück.« Drei Tage später wurde der Treibstoff ins Lager gebracht. Am folgenden Morgen verabschiedeten sich die KumkwootTräger. Trotz Sharts' Versicherungen schienen sie froh zu sein, diesen Ort hinter sich lassen zu können. Vielleicht war es Jenny, die ihr Unbehagen noch verstärkte. Blogo schmollte noch immer, weil Hank und Sharts ihm verboten hatten, die Frauen der Kumkwoots zu belästigen. »Laßt uns aus dieser erbärmlichen Gegend verschwinden«, sagte er. »Wie lange dauert es, dieses Ding aufzutanken?« »Person!« kreischte Jenny. »Person! Nicht Ding!« »Wie würde es dir gefallen, wenn ich dir einen Apfel in den Auspuff ramme?« wollte Blogo wissen. »Ich bin wirklich froh, wenn wir diesen Hühnerschiß los sind«, sagte Jenny zu Hank. Er tätschelte die Motorhaube. »Ich auch.« Aber der schwarze Himmel drohte mit Regen, und der Wind wehte so kräftig und böig, daß an einen Start nicht zu denken war. Außerdem wollte Sharts die Ruinen noch ein wenig länger durchforschen. Da sie nicht fliegen konnten, war Hank damit einverstanden. »Du kommst mit uns«, sagte Sharts, an Blogo gewandt. Blogo sträubten sich die Haare und seine Augen funkelten wild. »Ich? Nein!« »Doch, du kommst mit«, beharrte der Riese. »Deine lächerliche und entwürdigende Angst vor der nicht existierenden Sehr Seltenen Bestie hast du jetzt lange genug gehabt. Wir werden überall hineingehen, wo wir hineingehen können, und ich werde dir zeigen, daß dort nichts ist, wovor du dich fürchten müßtest.« »Was soll uns das nützen, wenn da keine Bestie ist?« fragte Blogo. Er schluckte. »Vielleicht spukt sie in irgendwelchen anderen Ruinen.« »Du hast mir erzählt, daß in jeder Ruine eine ist«, entgegnete Sharts. »Hab' ich das? Ich kann mich nicht erinnern.« »Nennst du mich einen Lügner?« erkundigte Sharts sich mit eisiger Stimme. Er baute sich vor Blogo auf, so daß dessen Nase fast
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seinen Nabel berührte. Blogo ballte die Fäuste und zitterte. »Nein, aber vielleicht ist es ja deine Erinnerung, die dich täuscht.« »Was?« brüllte Sharts. »Du weißt, daß mein Gedächtnis perfekt ist! Ich vergesse nie etwas. Und du kannst auch deine lächerliche Nase darauf verwetten, daß ich diese Insubordination nicht vergessen werde. Vielleicht sollten wir beide uns trennen, wenn wir wieder in Quadlingland sind. Ich beabsichtige, dort ein schönes Leben in einer schönen Umgebung zu führen, und du wärest ein Makel für jede ästhetische perfekte Umgebung. Es ist unmöglich, daß jemand, der so dumm und so häßlich wie du ist, in eine schöne Umgebung paßt.« »Bitte, Boß«, wimmerte Blogo. »Bitte zwing mich nicht.« »Du hast keine Wahl«, schnarrte Sharts und packte das kleine Geschöpf beim Lendentuch. »Wirklich, Blogo, ich tue das alles für dich, weil ich dich mag — obgleich ich nicht weiß, wie ich dazu komme — und weil es zu deinem eigenen Besten ist. Ich habe ja nichts dagegen, diese Mühe auf mich zu nehmen, aber ich wäre froh, wenn du dich ein wenig kooperativer zeigen könntest.« Die Seltene Bestie strampelte und kreischte, als Sharts sie in die Ruinen trug. Hank, den alle beide anwiderten, folgte ihnen. Als sie das erste Gebäude erreicht hatten, dessen Eingang nicht unter Erde und Gestrüpp verschwunden war, stellte Sharts Blogo auf die Füße, aber er hielt seinen Hals mit zwei Fingern umklammert. Er stieß ihn vor sich her in das Gebäude. Hank wartete. Kurz darauf kamen sie wieder heraus. Blogo schrie und wehrte sich nicht mehr, aber sein Hahnenkamm und sein Gesicht waren rot angelaufen, und wenn noch ein wenig mehr Blut in seine Nasenspitze geströmt wäre, hätte sie wohl platzen müssen. »Siehst du?« fragte der Riese. »Da war niemand außer einigen Fledermäusen. War doch nicht so schlimm, oder?« »Nicht schlimm!« schimpfte Blogo. »Ich habe etwas auf den Boden fallen lassen!« »Das hättest du sowieso loswerden müssen«, entgegnete Sharts. »Obwohl es, das muß ich zugeben, das Beste von dir war.« Sie betraten ein anderes Gebäude. Als sie herauskamen, sagte Blogo nichts, aber er zitterte, als stehe er kurz vor einem Anfall. Alles Blut war aus Kamm, Gesicht und Nase gewichen. Das dritte Haus war nur durch einen halb versunkenen Eingang
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zu betreten. Die Erde, die ringsherum aufgeworfen war, ließ erkennen, daß irgendein großes Tier sich dort hindurchgewühlt hatte, um sich im Innern häuslich niederzulassen. Der Gestank deutete darauf hin, daß noch immer Tiere dort drinnen lebten. Sharts aber behauptete, er habe die Vielfraßmeute, die dort ihren Bau gehabt habe, vertrieben. Hank wußte nicht, ob dies der Wahrheit entsprach, zumal da Vielfraße nicht in Meuten auftraten. Sie waren Einzelgänger. Aber dies war nicht die Erde, und vielleicht hatten die intelligenten Tiere ihre einst übermächtigen Instinkte überwunden. Blogo sah jetzt so betäubt aus, als habe er eine Morphiumspritze erhalten. Er ging vor Sharts in das Gebäude hinein. Weniger als zehn Sekunden waren vergangen, als Hank einen verzweifelten Schrei hörte. Ein paar Sekunden später stürzte Blogo aus dem Eingang hervor und rannte auf den Rand des Plateaus zu. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und er hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Beine und Arme rasten wie Pumpenschwengel. Sharts kam gebückt aus dem Haus. Er lachte schallend, aber als er sah, wohin Blogo flüchtete, schrie er: »Halte ihn auf! Der verdammte Narr springt von der Klippe!« Hank und Sharts sprinteten wie Charlie Paddock hinter Blogo her. Obgleich Sharts schwerer mit Muskeln bepackt war, war er schneller als Hank. Dann warf er sich nach vorn und packte im Fallen Blogos Knöchel. Wenn er ihn verfehlt hätte, wäre Blogo geradewegs in den Canyon gestürzt. Blogo fiel vornüber, und als er sich aufrichtete, schielte er einen Moment lang, denn der plötzliche Halt hatte ihn mit dem Gesicht hart auf den Steinboden schlagen lassen. Aus einer Platzwunde an seiner Nasenspitze spritzte das Blut. Mit einem schmutzigen Taschentuch stillte Hank die Blutung. Nach einer Weile begann Blogo mit zitternder Stimme zu sprechen. »Ich hab's gesehen! Ich hab's gesehen. Sag mir nicht, daß ich mich getäuscht habe.« Sharts hockte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Seine Stimme klang ruhig. »Aber sicher, du hast es gesehen. Und wenn du dich erholt hast, gehen wir wieder hinein. Ich zeige dir, weshalb du beinahe Selbstmord begangen hättest.« Blogo wich vor der Berührung zurück. »Bist du verrückt geworden?« »Nein. Du warst verrückt, aber es gibt keinen Grund,
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weshalb du im Irrsinn verharren solltest.« »Ich gehe da nicht noch einmal hin!« Blogo brach in Tränen aus. »Doch, du gehst«, sagte Sharts sanft. Er nahm Blogo wie ein Kind auf den Arm und trug ihn zum Eingang. Dort stellte er ihn auf die Erde und schob ihn vor sich her. Äußerst neugierig folgte Hank ihnen in eine große Kammer, die von Lichtstrahlen, die durch Risse in der Decke herabfielen, trübe erleuchtet war. Faules Fleisch an abgenagten und zersplitterten Knochen und alte Fischstücke waren der Ursprung des erstickenden Gestanks. Sie gingen daran vorbei in einen schiefwandigen Gang; auch dieser war von einem Licht erfüllt, wie man es nach dem Sonnenuntergang gelegentlich erleben kann. Sharts steuerte Blogo durch die erste Tür zur Rechten. Blogo begann zu wimmern, aber Sharts wies ihn zurecht. »Aber, aber — sei ein Mann.« Die beiden verschwanden hinter der Ecke. Hank hörte, wie Blogo wiederum verzweifelt schrie, aber diesmal brach der Schrei unvermittelt ab. Stille folgte. Hank bog um die Ecke und blieb stehen. Zwar drang auch hier ein wenig Licht durch Öffnungen hoch oben in der Decke, aber es war in diesem Raum ein wenig dunkler als in den anderen. Aber es war nicht so finster, daß er nicht hätte sehen können, daß Sharts und Blogo vor einem großen Spiegel standen. »Den habe ich in einem anderen Raum gefunden«, erklärte Sharts leise. »Ich habe ihn geputzt und dann hier aufgestellt, so daß er das erste sein mußte, was du sehen würdest, wenn du hereinkämst. Aber du hast ihn gar nicht gesehen. Du hast nur dein eigenes Spiegelbild gesehen.« Blogo schluchzte. »Aber es sah aus wie die Sehr Seltene Bestie. « »Sie war es auch. Du warst es. Muß ich noch mehr sagen?« Es war lange still. Dann ergriff Blogo Sharts' Hand und küßte sie wieder und wieder. Schluchzend sagte er: »Dir schulde ich alles, Boß. Du hast mich geheilt!« Hank wandte sich angewidert ab. Die Seltene Bestie hätte Sharts in die Eier treten sollen.
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31 Hank setzte die beiden in einem Guerilla-Stützpunkt an der Grenze zwischen Winkieland und Gillikinland ab und flog weiter nach Suthwarzha. Nach ihrem Abflug vom Plateau hatten sie zweimal zwischenlanden, die Eingeborenen verjagen und ihnen den Alkohol stehlen müssen, bevor Jenny eine Tankstation erreichte. Jetzt, am 2. August Erdzeit, saß Hank in Glindas Schloß und beendete eben seinen Bericht. »Es klingt, als hättet ihr viel Spaß gehabt«, meinte Glinda lächelnd. »Ich wünschte, du hättest die Goldene Kappe nicht in den Fluß geworfen. Aber du hattest ja dein Wort gegeben.« »Es war sowohl interessant als auch aufschlußreich. Manchmal war es sogar richtig aufregend. Als Pauschalreise würde ich diese Tour jedoch nicht vermarkten. Und an der Gesellschaft, in der ich mich befand, lag mir auch nicht viel.« »Man muß sich oft mit seinen Partnern in Geschäften, in Kriegen und in der Ehe arrangieren. Ich bin sehr zufrieden mit eurer Mission, auch wenn es euch nicht gelungen ist, Erakna zu töten. Nach den Berichten meiner Spione habt ihr ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt, und die Gerüchte über das, was ihr mit ihr gemacht habt, haben viele dazu veranlaßt, aus ihrer Armee zu desertieren. Die Leute wissen jetzt, daß sie nicht so unverwundbar ist, wie sie immer dachten.« »Aber eines verstehe ich nicht. Ich dachte, alle roten Hexen fürchteten das Wasser. Meine Mutter hat erzählt — und Baum hat es korrekt wiedergegeben —, die Westhexe sei so trocken gewesen, daß sie nicht einmal Blut in sich gehabt habe. Und sie trug stets einen Schirm bei sich, um Regenwasser und auch anderes Wasser von sich fernzuhalten. Ich muß zugeben, daß es mir schwerfiel, diese Geschichte zu glauben. Zumindest glaubte ich, daß die roten Hexen vielleicht einen Feuerfuchs benutzen, um ihren Geist und ihren Körper lebendig zu halten, auch wenn sie eigentlich tot wie Mumien sein müßten.« »Du bringst da einiges durcheinander. Erakna ist eine junge Hexe, und sie kann bluten wie du und ich. Du hast es gesehen. Die alten, die sehr alten roten Hexen verdorren in der Tat, bevor sie dahingehen. Der Ausdruck >Dahingehen< ist kein bloßer Euphemismus; wenn sie kurz davor sind, an Altersschwäche zu
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sterben, verwenden sie tatsächlich einen Feuerfuchs, um sich am Leben zu erhalten. Seine Energie dient dann auch als Nahrung für die Hexe. Sie essen nicht mehr, wenn sie angefangen haben, zu verdorren, weißt du.« »Das wußte ich nicht«, antwortete Hank. »Was ist denn mit der Küche, in der meine Mutter arbeiten mußte, als sie die Gefangene der Westhexe war? Und was ist mit den Lebensmitteln, die sie aus dem Schrank stahl, um sie dem Ängstlichen Löwen zu geben?« »Nun, die Diener und Soldaten der Westhexe mußten natürlich essen.« »Okay . Aber wieso löste die Westhexe sich zu einer Pfütze auf, als meine Mutter sie mit Wasser bespritzte?« »Ich nehme an, das Wasser löste die elektrischen Bindungen, die ihre Atome zusammenhielten. Wenn du mir nicht von der Atomtheorie erzählt hättest, wüßte ich überhaupt keine Erklärung dafür. Meine Wissenschaftler sind dir übrigens sehr dankbar für deine Informationen.« »Es sind ziemlich elementare Informationen«, meinte Hank. »Wie auch immer — ich bin froh, daß Ihr nicht allzu enttäuscht seid von dem, was wir erreicht haben.« »Ich kann dir sogar einen Orden verleihen«, erwiderte sie lächelnd. »Ich habe einen anfertigen lassen, speziell für dich und zu diesem Anlaß.« Hank wurde rot. »Euer Dank ist mir Lohn genug.« »Zuerst will ich dir etwas geben, das durch die grüne Wolke kam, während du fort warst.« Sie nahm einen großen weißen, unbeschriebenen Umschlag und reichte ihn ihm. Er betrachtete den Umschlag und stellte fest: »Ihr habt ihn nicht geöffnet.« »Sei nicht albern. Ich kann kein Englisch lesen. Noch nicht, jedenfalls.« »Ihr verwirrt mich.« Sie lächelte, aber sie antwortete nicht. Er schlitzte den Umschlag mit einem stählernen Brieföffner auf. Er enthielt zwei handbeschriebene Blätter. Er erkannte die formschönen, spencerianischen Lettern und fand seine Vermutung bestätigt, als er einen Blick auf den Namen am Fuße des zweiten Blattes warf. »Wie kommt denn das? Was hat der alte Stinky Wright damit zu tun? Wieso... ?« »Wir werden das alles wissen, wenn du es gelesen hast. Aber zuerst erzähle mir von diesem Stinkii Rait.« »Wir sind
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zusammen aufgewachsen. Sein Elternhaus stand nicht weit von meinem. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, und wir waren immer die besten Freunde. In Frankreich waren wir zusammen in derselben Schwadron. Als ich zuletzt von ihm hörte, war er Kadett in West Point. Das ist eine amerikanische Militärhochschule. Die beste. Aber... Okay , ich werde den Brief lesen. Lieber Hank, ich wette, selbst mit Deiner fruchtbaren Phantasie hättest Du Dir nicht träumen lassen, daß ich hier sein könnte und Du dort, und daß ich Dir einen Brief schriebe. Ich schreibe Dir heimlich, es ist niemand in der Nähe, und es kann mich den Arsch kosten, wenn es herauskommt. Aber Freundschaft, wahre Freundschaft, überwindet alles. Außerdem gefällt mir überhaupt nicht, was sie hier tun und was passiert ist. Vielleicht bin ich ein Verräter, wenn ich so etwas sage, aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich bin bloß nicht der typische Aufziehsoldat aus West Point. Ich bin seit kurzem als Leutnant beim Signal Corps. Habe ein Ingenieursdiplom, auch wenn ich der Schlechteste in der Klasse war. Weshalb sie einen Holzkopf wie mich zu diesem Projekt abkommandiert haben, ist mir ein Rätsel. Ich bekomme nie eine andere Erklärung als: >So ist die Army eben<. Warum ich überhaupt nach West Point gegangen bin, wenn ich doch schon so viel Erfahrung mit dem militärischen Denken hatte? Ich will's Dir sagen: Weil mein alter Herr es so wollte, und weil ich nicht den Mumm hatte, ihm zu sagen, es sei mir egal, daß ich der älteste Sohn sei und daß der älteste Sohn immer nach West Point gegangen sei. Ich konnte dem alten Soundso nicht sagen, daß ich das Soldatenleben verabscheute, denn damit hätte ich ihm das Herz gebrochen. Aber vielleicht nehme ich bald meinen Abschied. Ich bin zwar bei diesem Projekt, aber ich wüßte noch immer nicht, was hier wirklich los ist, wenn ich nicht ein paar geheime Akten in die Finger bekommen hätte. Ich bin vielleicht dumm, aber ein bißchen Mumm habe ich trotzdem. Oder handelt es sich nur um ein weiteres Merkmal meines Schwachsinns? Ich tobe vor Wut, alter Freund, aber deshalb kann ich noch lange nicht zur Zeitung oder zu sonstwem rennen und das
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Maul aufreißen. Ich würde verschwinden, im Armeegefängnis, wahrscheinlich in Einzelhaft. Vielleicht würde man mich sogar erschießen. Es wäre ein >Unfall<, aber es könnte passieren, glaube mir, Hank, alter Junge. Ich wünschte, es gäbe einen sicheren Weg, irgendeinen, auf dem Du mir antworten könntest. Es gibt keinen. Wie's aussieht, weiß ich nicht einmal, ob Du diesen Brief hier bekommen wirst. Aber ich hoffe, es wird klappen. Ich werde morgen das Privatflugzeug nehmen, das ich mir gemietet habe, und den Brief in die grüne Wolke werfen, die sie hier als >Sampson-Phänomen< bezeichnen. Mark Sampson ist der brillante junge Bursche, der die Maschine gebaut hat, mit der man die grüne Wolke produzieren kann, durch die man nach Oz gelangt, wenn auch nur versehentlich. Nach Oz! Ich kann's nicht glauben! Jedenfalls werde ich dort oben sein, wenn die grüne Wolke erscheint, falls sie erscheint. Sie kommt nicht jedesmal, und wenn, weiß man immer noch nicht sicher, wie groß sie sein wird und wie lange sie stehenbleibt. Jedenfalls wollen sie ein paar Experimente damit durchführen, aber es wird niemand hindurchfliegen. Also dürfte ich den Himmel für mich allein haben. Ich werde hochziehen und mich dann draufstürzen wie Frank Luke, der alte Bailon-Killer. Ich werfe den Brief in einer Büchse mit einer Leuchtkugel in die Wolke und verschwinde, als säße mir von Richthofen im Nacken. Ich habe das Flugzeug unter falschem Namen gemietet und bar bezahlt; ich werde einen falschen Bart und Zivilkleider tragen und mit deutschem Akzent reden. Wenn sie herausfinden, wer ich bin, setze ich mich nach Brasilien ab. Mir waren ja die dunkeläugigen Schönheiten schon immer lieber, weißt Du noch? Als sie erfuhren, was mit ihrer Invasionstruppe geschehen ist, haben sie sich in ihre Reithosen geschissen, und dann haben sie eine verschlüsselte Meldung nach Washington geschickt. Wer immer die Geschichte dort bearbeitet, hat seine Meldung an den Präsidenten gegeben. Der war in Alaska unterwegs. Die Nachricht brachte ihn auf, er wurde krank und mußte sich ins Bett legen. Jetzt ist er in San Francisco, aber es heißt, er sei immer noch krank. So war er den Leuten hier bisher keine große Hilfe. Man hat ihnen mitgeteilt, sie sollten selbst entscheiden, was nun zu geschehen habe, aber Du kannst darauf wetten, daß man es
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ihnen in die Schuhe schieben wird, falls etwas schiefgeht. So läuft es nun mal in der Army, und Gott segne sie dafür. Ich weiß das alles, weil ich Geheimhaltung habe schwören müssen, und wenn sie mir auch nicht viel erzählen, bekomme ich doch mehr mit, als ich eigentlich sollte. Dafür sorge ich. Und, wie gesagt, ich habe mir die geheimen Unterlagen angesehen, und daher weiß ich, was hier wirklich vor sich geht. Nach allem, was ich erfahren konnte, planen die hohen Chargen hier tatsächlich eine zweite Invasion. Allerdings werden sie den Tod der Soldaten und den Verlust der Flugzeuge vertuschen müssen, und sie werden keine Lust haben, so etwas noch ein zweites Mal tun zu müssen. Zu viele Leute stellen zu viele Fragen. Sampson ist eigentlich ganz okay; er ist dafür, daß man der Öffentlichkeit die Wahrheit sagt, aber damit sind sie nicht einverstanden. Sie haben Angst vor dem öffentlichen Aufruhr, und die hohen Politiker, die in der Sache stecken, fürchten die politischen Auswirkungen. Ich habe Gerüchte gehört, nach denen ein paar von Hardings Kabinettsmitgliedern mit den Fingern in der Staatskasse ertappt worden sind; es wird einen höllischen Skandal und vielleicht sogar ein paar Gefängnisstrafen geben.« Hank hörte auf zu lesen und sagte: »Mein Vater hat mir geschrieben, er habe gehört, daß der Innenminister, Albert Fall, und der Marineminister, Edward Denby, Ölreserven der Marine an Edward Doheny von Pan American Petroleum und an Harry Sinclair von Mammoth Oil verpachtet hätten. Er habe außerdem erfahren, dieser Oberganove Doheny habe die beiden geschmiert, damit sie ihm das Geschäft zukommen ließen, und >Schwarze Seele< Sinclair habe Fall an einigen seiner Finanzgeschäfte beteiligt. Dad meint, Harding sei ein aufrichtiger, doch nicht sehr intelligenter Mann. Ein paar der Leute, denen er hohe Positionen in der Regierung verliehen hat, weil er es ihnen wegen ihrer politischen Unterstützung schuldig war, haben ihn betrogen. Ihn und das Volk der Vereinigten Staaten.« »Die meisten Menschen sind auf diese oder jene Weise korrupt«, meinte Glinda. »Sie wissen es nicht einmal. Lies den Brief weiter vor.« »Okay.
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Tja, Hank, mein Zimmerkamerad wird bald zurückkommen, und deshalb muß ich jetzt rasch zum Schluß kommen. Ich bin so aufgebracht, daß ich sogar daran gedacht habe, dem Präsidenten ein Telegramm zu schicken oder ihn anzurufen. Er ist jetzt im Palace Hotel in San Francisco, aber er liegt krank im Bett und könnte sich nicht einmal darum kümmern, wenn ich ihm sagte, ich hätte nicht übel Lust, die ganze Sache mit Mordsgetöse platzen zu lassen. Deshalb muß ich vorläufig den Mund halten. Ich will schließlich nicht, daß mir ein >Unfall< zustößt. Ich hoffe, Du verstehst meine Position. Aber ich wünsche Dir viel Glück. Himmel! Oz? Würde mir überhaupt jemand glauben, wenn ich es erzählte? Wahrscheinlich würden sie mich ins Irrenhaus stecken, und das ist schlimmer, als erschossen zu werden. Ich hoffe, Du verstehst das. Good luck, ave atque vale, und vay a con Dios. Un homme averti et vaut deux, und so weiter. Ist Glinda so schön, wie Baum sie schildert? Wenn ja, gibt ihr einen dicken Schmatz von mir, aber halte Deine Finger im Zaum, Du alter Hallodri. Dein Freund William Wordsworth >Stinky< Wright« »Afe atkwei fale, faya kon Diioz, und so weiter?« fragte Glinda. »Was bedeutet das?« »Heil und Lebewohl, geh mit Gott, ein gewarnter Mann ist besser als zwei ungewarnte.« »Du mußt ihn vermissen.« »Ja. Ich vermisse auch meine Eltern.« »Wenn du etwas gewinnst, verlierst du auch etwas, und umgekehrt. Hank, ich muß mich so schnell wie möglich um die Situation bezüglich der Erde kümmern, und das bedeutet: Heute abend. Erakna wird mich hier angreifen. Ich weiß das, und sie weiß, daß ich es weiß. Ich brauche jedes bißchen Energie, das ich für diesen Angriff aufbringen kann. Allerdings werde ich ein wenig Zeit haben; ich werde wissen, wenn sie kommt.« Glinda machte eine Pause. »Und?« drängte Hank. »Ich werde dir später ein paar Einzelheiten erklären. Zunächst einmal: Hast du ein Bild von Präsident Harding? Eine Fotografie?«
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Hank überlegte, daß ein Foto von ihm in den Current Opinion-Magazinen sein könnte, die er mitgebracht hatte. Glinda schickte einen Diener in Hanks Gemächer, der sie holen sollte, nachdem er den Titel mit Blockbuchstaben auf ein Stück Papier geschrieben hatte. Als der Diener die Hefte gebracht hatte, blätterte Hank durch die Seiten und suchte nach einem Foto. Glinda vertiefte sich indessen in einige Papiere. Seine Augen erfaßten und speicherten verschiedene Reklameanzeigen, Artikelüberschriften und Textpassagen. Sie waren wie kleine Haken, die ihn zur Erde zurückzogen, oder wie das Läuten winziger Glöckchen, das durch seinen Kopf hallte und sein Gehirn veranlaßte, Bilder und Empfindungen abzusondern.
BD.LXVIII
April 1920
Nr. 4
Ist die Welt auf dem Weg in den Bankrott? Inflation als Mittel zur Vernichtung des Kapitalismus Parteipolitik und Prohibition
Die achtzehnte Ergänzung beginnt sich bemerkbar zu machen 271
Gute Tage in Peoria und St. Louis Die New York Tribüne hat mit »strengster Neutralität« die Auswirkungen der Prohibition auf andere Bereiche untersucht. Es haben sich, so heißt es, in New York City
»genügend Argumente ergeben, um damit den Papiermarkt zu ruinieren, wollte man sie alle detailliert und mitsamt ihren weitreichenden Verästelungen drucken.«
Verheimlicht Japan revolutionäre Bewegung im Lande? Ich gehöre zu denen, die glauben, daß die Seemacht-Theorien, die Admiral Mahan vertritt, durch die sinistren Triumphe des U-Boots und des Torpedos weitgehend modifiziert, wenn nicht gar völlig zerschlagen worden sind.
Erklärungen für den angeblichen Zusammenbruch des Liberalismus in Amerika »Als Verkörperung einer politischen und internationalen Doktrin ist der Liberalismus praktisch zusammengebrochen«, erklärt Harold Stearns (früherer Mitherausgeber des Dial in dessen kurzer, ultraliberaler Periode) in einem neuen Buch, »Liberalismus in Amerika« (erschienen bei Boni & Liveright), welches in diesen Tagen große Diskussionen hervorgerufen hat. »Er steht«, so Lord Morley, »für das Streben nach
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sozialem Wohlstand und gegen Klasseninteressen oder dynastische Interessen. Er steht für die Unterwerfung aller Ansprüche externer Autorität unter menschliches Urteilsvermö gen.« Den Militarismus bezeichnet Lord Morley in diesem Zusammenhang als »diametrales Gegenteil des Liberalismus«. Mr. Stearns betrachtet den Sieg der Prohibition als einen Beweis dafür, daß antiliberale Kräfte die Szene im heutigen Amerika beherrschen.
Philadelphia kritisiert New York
Ein Tadel für New York wegen seiner moralischen und anderen Mängel Gesucht: Ein Etat-System, das dem Steuerzahler jährlich zwei Milliarden Dollar erspart Mit einem Etatsystem, welches die Staatsausgaben der USA regulierte, würden sich jährlich Steuern m Hohe von zwei Milliarden Dollar einsparen lassen. Dies behauptete der Finanzstatistiker Roger W. Babson. Camels sind überall in nach wissenschaftlichen Erkenntnissen versiegelten Packungen zu 20 Stück für 20 Cent erhältlich. Zehn Packungen (200 Cigaretten) bekommt man im zellophanpapierumhüllten Karton.
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Wir empfehlen Ihnen diesen Karton als Vorrat für daheim, für das Büro oder für die Reise. RJ. Reynolds Tobacco Co. Winston-Salem, N.C. »Einsteins Relativitätstheorie« von Prof. H. A. LorentZ von der Universität Leyden (erschienen bei Brentano) ist ein nützliches kleines Buch von 64 Seiten, gedacht für den Laien und geschrieben in einer einfachen Sprache. Damit wird auch dem englischsprachigen Leser ein Artikel zugänglich, der ursprünglich in der Zeitung Nieuwe Rotterdamse Courant erschienen ist.
Die kommende Wissenschaft Man könnte beinahe sagen, daß die psychologische Forschung im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Untersuchungsgebieten in den letzten vier Jahrzehnten weit größere Fortschritte gemacht hat als jeder andere Zweig wissenschaftlichen Strebens innerhalb einer vergleichbaren Zeit.
EINIGE DER ZAHLREICHEN THEMEN, DIE IN DIESEM FASZINIERENDEN WERK BEHANDELT WERDEN: Was geschieht beim Tode? Die Projektion des Astralkörpers. Die Geschlechter im Jenseits. Das Unterbewußtsein. Ego und Seelenkultur. Die drei Gesetze des Erfolges. Wahre Geistergeschichten. Die menschliche Aura. Automatisches Schreiben. Spukhäuser. Traumpsy chologie. Botschaften aus dem Jenseits. Psychische Heilungen. Hypnose und Mesmerismus. Kristallschau. Materialisationen. Geist- und Gedankenfotografie. Wie man seine übersinnlichen Kräfte entwickelt, und vieles andere mehr. Hank hatte eines der Current Opinion-Magazine durchgeblättert, ohne eine Foto zu finden. Er warf einen Blick auf Glinda.
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Sie war immer noch mit Dokumenten und Botschaften beschäftigt, und es schien sie nicht zu stören, daß er mit der Zeitschrift soviel Zeit vertat. Er nahm das Heft vom April '21 zur Hand.
Brennstoff Öl überrundet Kohle weltweit
Das Eine-Million-DollarGeheimnis Ein sensationelles Prinzip — eine Kraft, die Wohlstand, Glück und Vorrang garantiert Dieses ausgeklügelte, grundlegende Erfolgsprinzip erfordert weder Willenskraft noch Training, Stärke, Energie, Studium, Schreibarbeit, Diät oder Konzen-
tration, und auch keine Atemübungen. Es gibt nichts zu üben, nichts zu studieren und nichts zu verkaufen.
Weshalb jeder Mann latent eine Frau ist Dem neuen Antisemitismus bis zu seiner russischen Wiege auf der Spur 275
Wenn Sie Wohlstand wollen, sparen Sie sich die Einkommensteuer
Weibliche Geschworene und die Schicklichkeit — sollten Frauen In Scheidungsprozessen Geschworene sein? Dieses Problem wurde in England infolge eines jüngst vor dem Londoner Scheidungsgericht verhandelten, recht unziemlichen Falles ausführlich diskutiert. Zum ersten Mal saßen Frauen in diesem Gericht auf der Geschworenenbank. Ein Teil des Beweismaterials bestand aus unschicklichen Fotografien, Der Richter war nicht bereit,
diese Fotografien den Damen zu zeigen, und schlug vor, daß statt dessen die Geschworenen die Abbildungen betrachten und sodann ihren weiblichen Kollegen mündlich darüber Bericht erstatten sollten, soweit sie es in Anbetracht ihrer Bedeutung als Beweismaterial für erforderlich hielten.
Die Überbetonung des Sex-Faktors in Freuds Methoden Eine neue Bedrohung Greift der Bolschewismus nach den Kirchen? »Die Prinzipien der Freiheit« von Terence MacSwiney, dem verstorbenen Bürgermeister von Cork (erschienen bei Dutton),
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ist die Selbst-Enthüllung eines Mannes, der für seinen Glauben gestorben ist... »Ein erhellendes Dokument, welches die in der Sinn Fein herrschende Mentalität offenbar macht«, meint Mr. Boyd, selbst ein Ire, zu diesem Buch. Hier geht es nur um eines: Um die Unabhängigkeit Irlands von England. Es haben sich Experten gefunden, die behaupten, ein Aspekt der Krebskrankheit, der in Mißkredit geraten war, müsse möglicherweise erneut erwogen und weiterer Forschung unterzogen werden. Es geht um die vor allem unter Laien hier und da vertretene Vorstellung, ein altes, von Ratten bevölkertes Haus könne ein Brutstätte für den Krebs sein.
Klare Sprüche »Mein Rat an die Männer, die den Anblick der Begegnungen zwischen liebevollen Augen, Sinnen — und in manchen Fällen Lippen — auf den Autobussen der Fifth Avenue nicht ertragen können, ist: Fahrt mit der U-Bahn. Laßt die Turteltauben turteln.« - Sheriff Knott, N. Y. City »Als Angehöriger des männlichen Geschlechtes protestiere ich mit Entrüstung gegen die Schlußfolgerung, daß alle Männer mit Abscheulichkeiten vertraut seien und daß meine Empfindsamkeit weniger zart sei als die einer Frau.« - G. Bernard Shaw
Die kranke Welt und der Ladendieb Die wütende Entschlossenheit, mit der Partisanenpolitiker die Vereinigten Staaten daran hindern, mit dem Rest der Welt Vereinbarungen zur Beendigung des Krieges zu treffen, der Ausbruch von Gewalttätigkeit unter den kriminellen Klassen, die entschlossenen Bemühungen der Branntweinanhänger, das verfassungsgemäße Prohibitionsgesetz zu annullieren, die schlechte Konjunktur des Geschäftslebens, die wachsende Arbeitslosigkeit, das eifrige Bestreben von Agitatoren, Unfrieden zwischen unserem Lande und Großbritannien auf der einen und
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Japan auf der anderen Seite zu stiften — alles dies gehört in dieselbe Kategorie von Erscheinungen wie das erbärmliche Schauspiel von respektablen Frauen, die zu Ladendiebinnen werden: Hinweis auf eine beklagenswerte moralische Abkehr vom Idealismus.
32 »Hier ist es, auf Seite 434«, sagte Hank. Glinda legte ihre Feder beiseite und nahm die Zeitschrift in die Hand. Hank kam um den Schreibtisch herum und stellte sich hinter sie. »Das ist Präsident Harding, in der ersten Reihe, der dritte von rechts.« »Ein gutaussehender, aber schwacher Mann«, stellte Glinda fest. »Er ist nicht so ehrlich, wie du sagtest.« »Woher wißt Ihr das?« fragte Hank. Glinda antwortete nicht. Statt dessen deutete sie auf Calvin Coolidge, den Vizepräsidenten, und Herbert Hoover, den Wirtschaftsminister. »Diese Männer müßten Hardings Amtsnachfolger werden; ich weiß allerdings nicht, in welcher Reihenfolge.« Sie wies auf Denby, Fall und Daugherty, den Marineminister, den Innenminister und den Generalstaatsanwalt. »Bis auf diesen einen« — sie zeigte auf Denby — »werden diese Männer unehrenhaft entlassen werden, oder sie müßten es zumindest werden. Der eine ist wahrscheinlich unschuldig, obwohl auch er in Unehren entlassen werden sollte.« »Soll das heißen, daß Ihr dies alles von den Fotografien ablesen könnt?« »Ich sage dir nicht mehr als das, was ich dir jetzt gesagt habe.« Sie nahm einen großen Bogen Papier zur Hand, entfaltete ihn und breitete ihn auf dem Tisch aus. Wieder riß Hank verblüfft die Augen auf. Es war eine Karte der Vereinigten Staaten von Amerika. »Ich habe sie mitgenommen, als ich den Brief beim Signal Corps ablieferte«, sagte sie. »Nun, wo liegt San Francisco auf
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dieser Karte?« Hank legte einen Finger auf die Stadt. »Wo wäre die grüne Wolke einzuzeichnen?« Hank zeigte auf Fort Leavenworth. »Warst du je in diesem Palace Hotel, von dem dein Freund in seinem Brief schreibt?« »Einmal«, antwortete Hank. »Als ich sechzehn war.« »Beschreibe mir, so gut du kannst, wo es liegt. Ich will jede Einzelheit wissen, an die du dich erinnern kannst. Und dann zeichne einen Plan für mich.« Was hat sie vor? fragte Hank sich. Als er fertig war, reichte er ihr das Blatt. »Gut. Sag, hast du Metallfüllungen in den Zähnen? Feste Brücken?« »Nein«, erwiderte Hank langsam. »Gut! Hank, möchtest du mich heute abend begleiten?« »Wohin?« »Ins Palace Hotel.« »Was... Ich meine... im Ernst?« »Vielleicht kommen wir nicht hin, aber ich werde mir große Mühe geben, und wenn alles gut geht, schaffen wir es.« »Wie denn?« »Das geht dich nichts an.« »Wollt Ihr dem Präsidenten etwas antun?« »Nein. Aber ich will ehrlich mit dir sein. Was ich tue, könnte man so deuten, als täte ich eurem Präsidenten etwas an. Aber es wird notwendig sein.« »Ich bin Euer Mann.« »Warte ab, ich bin noch nicht fertig. Es kann sein, daß du in große Gefahr gerätst, wenn du mit mir gehst. Es ist immerhin möglich, daß wir uns verirren oder daß uns etwas begegnet, das uns vernichten könnte. Ich werde dir im Detail erklären, was geschehen wird.« Sie tat es und meinte dann: »Ich würde es dir nicht verdenken, wenn du dich weigertest. Ich fange sogar schon an zu bereuen, daß ich dich überhaupt gefragt habe. Ich tat es auch nur, weil ich möchte, daß du deinem Volk haargenau berichten kannst, was geschehen ist. Wenn das, zusammen mit dem, was ich plane, deine Leute nicht überzeugt, sind sie Narren.« »Ihr meint, sie bekommen solche Angst, daß sie die Pforte zu dieser Welt verschließen und den Schlüssel wegwerfen?« »Das hoffe ich.« »Ich werde mit Euch gehen.« »Bist du sicher, daß du das nicht sagst, weil du fürchtest, ich könnte sonst deinen Mut in Zweifel ziehen oder auf dich herabsehen?« »Ich bin sicher.« »Nun gut.« Er zog sich in seine Gemächer zurück und blieb dort allein bis gegen halb neun abends. Er bekam nicht einmal die Bediensteten zu Gesicht, die ihm sein Essen brachten. Sie
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stellten die Tabletts auf den Boden, klopften und waren verschwunden, ehe er die Tür öffnete. Lamblo kam nicht, weil Glinda ihr wahrscheinlich befohlen hatte, wegzubleiben. Er sollte keinen Geschlechtsverkehr haben und mit niemandem ein Wort sprechen. Er trieb ein wenig Gymnastik, und dann legte er sich auf sein Bett und versuchte, das Bild vom Palace Hotel und seiner Umgebung vor seinem geistigen Auge heraufzubeschwören. Er hatte geglaubt, er sei zum Schlafen viel zu aufgeregt, aber er schlief bei dieser Beschäftigung ein. Er erwachte, als die Sonne unterging. Neun Minuten nach sieben. Seine Uhr zeigte Standardzeit; in Kalifornien, wo die Sommerzeit galt, würde es somit achtzehn Uhr neun sein. Der Mond ging hier in sein letztes Viertel, ebenso in Kansas und in San Francisco. Glinda hatte gemeint, ein Vollmond sei ihr lieber, aber so sei es immer noch besser als bei Neumond. Warum, hatte Hank nicht erfahren. Er aß etwas, putzte sich die Zähne, badete, wusch sich die Haare und säuberte Zehennägel und Fingernägel. Glinda hatte ihm aufgetragen, dies ganz besonders sorgsam zu tun. Als er sich abgetrocknet hatte, zog er Leinenpantoffeln und einen Hausmantel an. Hausschlüssel und Armbanduhr lagen auf dem Tisch. Er war überrascht, als es an der Tür klopfte. Er hatte nicht erwartet, daß die Königin ihn abholen würde. Sie trug leinene Schuhe und ein Gewand mit einer Mönchskapuze, die ihr Gesicht überschattete. Sie winkte ihm, ihr zu folgen. Schweigend lief Hank neben ihr her durch die Gänge, mehrere Treppen hinunter und schließlich in den südwestlichen Flügel des X-förmigen Schlosses. Niemand war zu sehen, kein Vogel, kein Mensch, kein Vierfüßler, und das war recht ungewöhnlich. Anscheinend hatte Glinda allen befohlen, sich von dieser Strecke fernzuhalten. Vor einer sehr hohen und sehr schmalen Tür blieb sie stehen. Mit einem hölzernen Schlüssel, den sie aus einer Tasche ihres Umhangs zog, schloß sie auf. Sie trat hindurch, und Hank zwängte sich hinterher. Er sah sich um, während sie einen schweren Holzriegel vorschob und den Schlüssel auf einen Tisch legte. Dies war der Raum, in den er geblickt hatte, als Glinda jenes wilde Ritual vollzog. Er war riesengroß und finster bis auf einige Lichtfünkchen an den Wänden und die Fackel auf dem Kopf der viergesichtigen Sphinx. Es überlief ihn eisig, als wehe ein winterlicher Wind durch den Raum. Glinda führte ihn an das hintere Ende, wo eines der kleinen
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Lichter funkelte. Eine in den Mauerstein eingelassene transparente Kugel enthielt einen leuchtenden Staub. Ein großes, flaches Bett stand unter dem Licht, ein Bett, wie es in beiden Welten nirgends stand außer in den Schlössern der Südhexe und der Nordhexe und in den Schlössern, die den Hexen des Westens und des Ostens gehört hatten. Aber auch die Betten dort waren nicht ganz so wie Glindas. Dieses hier war mit weißen Laken, Decken und Kissen bedeckt und von einer silbernen Kugel überspannt, unter welcher eine komplizierte Anordnung von Spiegeln angebracht war. Die Spiegel würden die Essenz der Reisenden auffangen — was immer »Essenz« bedeuten mochte —, sie von Spiegel zu Spiegel reflektieren und dabei, wie Glinda erklärt hatte, Geschwindigkeit und Dichte der »Essenzen« erhöhen und sie schließlich durch einen silbernen Trichter hinausschleudern. Die Beine des Bettes waren aus Silber; sie drangen durch den Boden des Raumes und durch die Decken und Böden der darunterliegenden Räume bis tief in die Erde hinunter, wo sie in einem Becken aus dickem Glas in Quecksilber standen. Glinda berührte eine Kugel an der Wand, und diese leuchtete auf wie eine elektrische Glühbirne. Sie bedeutete Hank mit einer Gebärde, er möge Pantoffeln und Gewand ablegen. Er gehorchte und legte die Sachen auf den Boden, wo schon Glindas Kleidungsstücke lagen. Dann schob sie die gekrümmten Finger in den Mund und zog eine komplette Zahnprothese heraus. O mein Gott! dachte Hank. Wie häßlich dieses eingefallene Gesicht plötzlich aussieht! Er hätte es eigentlich erwarten müssen, wenn er mit klarem Kopf darüber nachgedacht hätte. Ihre Körperzellen mochten sich erneuern, aber die Abnutzung im Lauf von dreihundert Jahren mußte ihre Zähne zu kleinen Stummeln verwittern lassen. Sogar sie, mit all ihren scheinbar magischen Kräften, konnte sich keine neuen Zähne wachsen lassen. Sie lächelte ihn an, als wollte sie sagen: »Siehst du? Ich bin nicht mehr die Schönheit, nach der du dich verzehrt hast, nach der es dich gelüstet hat, nach der du in Liebe entbrannt warst. Ich bin eine Königin, aber mein Herr ist der Wurm.« Sie legte die falschen Zähne auf die Kleider und kroch ins Bett. Auf allen vieren folgte Hank ihr und legte sich neben sie. Sie rollte an die Bettkante und nahm einen dünnen, hölzernen Gegenstand vom Boden auf, der wie ein dreizackiger Stern
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geschnitzt war. Darauf stand eine matt schimmernde Inschrift, aber Hank konnte sie nicht deutlich erkennen. Glinda streckte die linke Hand aus und ergriff seine Rechte. Sie hielt das Holzobjekt vor sich in die Höhe und betrachtete es, während ihre Lippen sich lautlos bewegten. Sie las die Zeichen, die auf einem Zacken des Sterns standen, ließ ihn dann durch die Luft wirbeln, fing ihn bei der nächsten Zacke auf, las die Schriftzeichen auf dieser und wiederholte die Prozedur sodann, um die Zeichen auf der dritten Zacke zu lesen. Zweifellos kannte sie sie auswendig, aber vielleicht erforderte das Ritual oder das Verfahren, daß sie den Stern in der Hand hielt. Mit einem fast unhörbaren Seufzer legte sie den Stern auf ihre prachtvollen Brüste und schloß die Augen. Hank hatte vorher die Anweisung erhalten, die Augen zu schließen, wenn sie es täte, und diese Anweisung befo lgte er nun. Eben hatte er begonnen, sich das Palace Hotel vorzustellen, als er durch das Bett hindurchsank — oder zu sinken schien. Er öffnete die Augen — oder er glaubte sie zu öffnen —, aber er sah nichts als ein eintöniges Grau, das sich, einem Korkenzieher gleich, zu winden schien. Einen Moment lang schrie er voller Schrecken, wie ein Säugling schreien mag, der aus dem Arm seiner Mutter zu Boden fällt. Er hörte seine Stimme nicht, aber die blutroten, glatten Wellen, die seinem Mund entsprangen und vor ihm dahinjagten — hinunterstürzten —, mußten Schreie sein. Sie sahen aus wie in Schwingungen umgewandeltes Grauen, eine wellenförmig fließende Straße zur Hölle. Er wußte nicht, weshalb er wußte oder fühlte, daß er fiel. Vielleicht waren die silbernen Schäfte und der Quecksilbertank eine Art Kanone, die ihn wie ein Geschoß zu dem glühenden Nickel-Eisen-Kern des Planeten schoß. Obwohl er keinen Bezugspunkt mehr hatte, wußte er, daß er abwärts stürzte. Er hörte auf zu schreien; zumindest schrie er jetzt nicht mehr bewußt. Aber die roten Wellen entströmten ihm noch immer, sie rasten vor ihm her, liefen in weiter Ferne zusammen und sammelten sich zu einer scharfen Spitze, als seien sie der Bug eines Eisbrechers, der ihm einen Weg durch das Grau bahnte. Vielleicht irrte er sich, wenn er glaubte, daß die Wellen eine »sichtbare« Projektion seines Grauens seien. Vielleicht waren sie auch etwas anderes. Oder etwas in seinem Unbewußten gab die Schreie von sich. Er wurde langsamer, ohne zu wissen, woher er das wußte.
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Glinda war nicht bei ihm. Aber als er »anhielt« und auf der Stelle schwebte, schrumpften die blutroten Wellen, sie schössen zu ihm zurück wie ein Wasserfall in einem rückwärts laufenden Film. Sie verschwanden jedoch nicht in seinem Mund, sondern formten sich, aufwärts und abwärts gekrümmt, zu einer hellen Kugel. Und dann wurde die Kugel zu einer schattenhaften, halb transparenten Glinda. Lächelnd bewegte sie sich auf ihn zu, dehnte sich aus und umhüllte ihn. Der Gedanke, daß er nun in ihr sei, ließ seinen Verstand rotieren wie ein Schneeball, der einen Hang hinunterrollte. Sie hatte ihn gerade rechtzeitig in ihren »Schoß« aufgenommen. Etwas, das er nicht sehen oder auch nur hören sollte, bewegte sich jetzt ringsumher. Nur Glinda verhinderte, daß das Ding seine »Fänge« um ihn legte und zuschnappen ließ. Und sie war in höchster Gefahr, obgleich er nicht wußte, woher er das wußte. »Aufwärts«, sagte ihre stimmlose Stimme leise. Sie »stiegen auf«, aber das Ding war dicht hinter ihnen. Hank spürte, daß er zitterte und schwitzte, wenngleich nicht körperlich. Seinen Körper fühlte er nicht. Alle seine irdischen Sinne schienen abgeschaltet oder zurückgeblieben zu sein, aber er hatte andere Sinne, die er nicht zu definieren vermochte. Das Grau wurde zu einem tiefen Purpurrot, durch welches er etwas sehen oder spüren konnte, was anscheinend das verschlungene Netz von Baumwurzeln, Maulwurfsgängen und Nestern von Würmern und Schlangen war. Und wie ein Blitz zog eine Höhle vorbei, in der die trüben, verschwommenen Umrisse gnomartiger Gestalten Steine klopften und Metall hämmerten, und einer schien auf einem Stuhl aus Stein zu sitzen und mit Kopfhörern auf etwas zu lauschen , was viel, viel tiefer lag. Sie stiegen durch die Kruste der Erde empor und waren im Innern der Hotels, flackernder Geisterstoff. Er war nicht mehr in Glinda; sie war ein Phantom neben ihm, fester allerdings als die Böden, durch die sie jetzt aufstiegen wie metaphy sischer Rauch. Hank erkannte den Raum, in dem sie anhielten. Es war das Schlafzimmer der Suite, in der seine Eltern geschlafen hatten, als sie mit ihm in San Francisco gewesen waren. Irgendwie hatte Glinda ihn — und sich selbst — genau an dieser Stelle auskommen lassen. Sie waren darauf zugestrebt, wie ein Eisenstück auf einen Magneten springt. Wenn er nun niemals hiergewesen wäre? Hätte Glinda den
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Weg dann auch finden können? Er hatte das Gefühl, daß sie es vermocht hätte, auch wenn es ihr dann viel schwerer gefallen wäre. Der Mann dort im Bett war Warren Gamaliel Harding, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Frau, die in einem Sessel neben dem Bett saß und ihm aus einem Magazin vorlas, war Florence Kling de Wolfe, Mrs. Harding. Zwei Krankenschwestern schlichen umher, als hätten sie nichts zu tun, gaben sich aber den Anschein, nach Arbeit zu suchen. Auf dem Nachttisch stand eine Vase mit ein paar langstieligen Rosen und eine Uhr. Die Uhrzeiger standen auf sieben Uhr siebenundzwanzig. Harding war viel fetter, er sah älter aus und wirkte weniger gesund als auf dem Foto, das er Glinda gezeigt hatte. Seine verstörten Augen blickten zur Decke, während er seiner Frau lauschte, aber um seine Lippen spielte ein Lächeln. Hank sah den Raum und die ganze Einrichtung wie durch einen dünnen, weißen Schleier. Aber er konnte alles deutlich erkennen, wohingegen er weder hören noch riechen oder fühlen konnte. Glinda hatte ihm erklärt, daß sie auch diese Sinne hätte aktivieren können, wenn es notwendig gewesen wäre, aber es hätte weit mehr Energie erfordert. Sie hatte ihn außerdem darauf vorbereitet, daß seine »Form« sich von seinem Normalzustand auch anderweitig unterscheiden würde. Er würde nichts beeinflussen können und selbst so ungreifbar sein wie Ektoplasma. Sie selbst hingegen würde »dichter« sein und somit, falls die Situation es erforderte, für kurze Zeit auch mit Materie hantieren können. Jetzt schwebte sie mit ihm unter der Decke, und in einer Hand hielt sie einen Gegenstand, den er nicht gesehen hatte, als sie sich in dem Rau m im Schloß aufhielten. Sie mußte ihn mit der Rechten ergriffen haben, als sie die Augen schloß. Hatte sie den wirklichen Gegenstand mitgebracht oder war es ein astrales Abbild desselben ? Der Präsident sagte etwas. Hank versuchte, von seinen Lippen zu lesen; anscheinend hatte er gesagt: »Das ist gut. Weiter. Lies noch ein wenig.« Dann erschauerte Harding, sein Mund klappte auf, und seine Augen starrten wie gebannt zur Decke, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Frau erhob sich aus ihrem Sessel und beugte sich über ihn. Ihre Lippen bewegten sich in ihrem emotionslosen Gesicht. Die Krankenschwestern kamen zum Bett, und die
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eine fühlte nach Hardings Puls. Dann lief Mrs. Harding zur Tür und rief etwas nach draußen. Mehrere Männer stürzten herein, schoben die Schwestern beiseite und untersuchten den Körper. Einer schüttelte den Kopf, und ein anderer schien zu sagen: »Schlaganfall.« Glinda sank nach unten. Der Gegenstand in ihrer ausgestreckten Hand — jetzt sah er, daß es eine winzige Goldfigur, die Glinda selbst in ihren Hexengewändern und mit dem Stab darstellte — verlor immer mehr von seiner Transparenz. Als sie am Bett angelangt war — sie drang durch den Arzt, der ihr im Wege stand, hindurch —, hatte die Statuette fast aufgehört zu flimmern und erschien beinahe ebenso solide wie die Wand. Sie schob die Statuette tief in Hardings geöffneten Mund. Jetzt begriff Hank, was sie da tat. Bei der Autopsie würde man die Statuette finden, und die Gerichtsärzte würden die Behörden informieren. Die Regierung würde nicht zulassen, daß die Öffentlichkeit davon erfuhr, und sie würde dafür sorgen, daß derjenige, der die Statuette gefunden hatte, den Mund hielt. Aber man würde wissen, wer sie dort hinterlassen hatte, denn exakt die gleiche hatte Glinda in das Paket gesteckt, welches Hank an das Signal Corps geschickt hatte. Wenn die Geschichte irgendwie doch an die Öffentlichkeit dringen sollte, wäre dies in Glindas Augen um so besser. Die wahre Identität würde man nicht offenbaren; für alle außer für einige wenige würde sie stets ein unerklärliches Mysterium bleiben. Glinda schwebte zu Hank zurück, wisperte mit tonloser Stimme: »Es ist vollbracht«, und dann nahm sie ihn bei der Hand und sie schössen abwärts. Die Rückreise war nicht viel anders als der Hinweg; allerdings hatte Hank das Gefühl, in noch größerer Gefahr zu schweben, als sie das erreicht hatten, was er für die Mitte des Planeten hielt. Als er zwischen den silbernen Schäften aus dem Quecksilberbassin emporstieg, fühlte er, daß mächtige »Fänge« dicht hinter ihm zuschnappten, und irgend etwas »schrie« in hilfloser Frustration.
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33 »Die Figur unterschied sich von der anderen«, erklärte Glinda. »Sie war aus Holz, nicht aus Gold, und sie war hohl. Sie war mit einer dünnen Schicht Goldfarbe bemalt. Metall kann ich nicht transportieren, ohne dabei so viel Energie zu verlieren, daß ich hilflos diesem... Ding ausgeliefert wäre. Und ich könnte dann auch niemanden mitnehmen. Masse und chemische Zusammensetzung des transportierten Objektes müssen leicht und nichtmetallisch sein.« Sie war bleich und träge wie eine von Graf Drakulas Blutspenderinnen. Nach der Rückkehr hatte sie zwei Tage lang ihre Gemächer nicht verlassen. Hank vermutete, daß sie die meiste Zeit über geschlafen hatte. Ihr Premierminister hatte bis zum dritten Tage alle Regierungsgeschäfte geführt, und auch dann hatte sie nicht mehr als zwei Stunden gearbeitet, bevor sie sich in ihre Suite zurückzog. »Waren wir wirklich im Mittelpunkt der Erde oder dieses Planeten — oder vielleicht in beiden?« fragte er sie. »Ich wußte nicht, wo wir waren, bis wir im Keller des Hotels angekommen waren. Aber wie du hatte ich das Gefühl, wir befänden uns im geschmolzenen Herzen der Welt. Meine Theorie ist, daß wir dort hing ehen müssen, um in der gewaltigen Hitze Energie zu akkumulieren, damit wir den zweiten Schritt der Reise und die Rückkehr sicher hinter uns bringen können. Nach allem, was ich weiß, können wir uns auch im Herzen der Sonne befunden haben. Aber das glaube ich nicht. Mir kommt es so vor, als seien wir unter der Erde, so tief, wie man nur vordringen kann.« »Ich glaube, ich kann verstehen, weshalb Eure Magie in diesem Universum funktioniert. Aber ich begreife nicht, weshalb sie es auch in meinem Universum tut.« »Es ist schwieriger und gefährlicher, in deiner Welt Werke der Magie zu vollbringen. Es ist viel unsicherer. Nach meiner Theorie funktioniert es dort, auf deiner Welt, nur deshalb, weil durch die schwachen Stellen in der Wand Einflüsse von meiner eigenen Welt hindurchsickern. Um es anders auszudrücken: Ertha befindet sich auf einer höheren Energieebene als die Erde. Deswegen ist es leichter, von hier nach dort zu gelangen, als umgekehrt.
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Und wenn die Pforte offen ist, gibt es einen Energiefluß, der einen vorübergehenden, schwachen Einfluß von dieser Welt auf die deine bewirkt. Diese Gesetze, die dein Universum beherrschen, verändern sich, sozusagen, ein wenig, wenn die Pforte offen ist, ganz gleich, ob sie nun durch Hexenwerk oder durch eure Wissenschaft geöffnet wurde.« »Das könnte ja bedeuten, daß die Zauberer und Hexen in meinem Universum hin und wieder echte Magie haben praktizieren können«, meinte Hank. »Sie haben den Weg für den Energieaustausch oder Fluß, oder wie immer Ihr es nennen wollt, eröffnet.« »Möglich. Aber wie dem auch sei — es gibt jetzt Wichtigeres zu besprechen. Werden wir eine Botschaft von deinem Volk bekommen oder nicht?« »Ich weiß es nicht. Ich nehme an, daß Coolidge — er dürfte jetzt Präsident sein — über das Projekt und die Statuette informiert worden ist. Er ist ein dickschädeliger, nüchterner Yankee aus Neu-England. Ich würde schätzen, er hat die Gefahren, die der Erde drohen, durchdacht, hat Nutzen und Schaden gegeneinander abgewogen und dann entschieden, daß es am besten ist, wenn das Projekt geschlossen wird. Er wird dafür sorgen, daß die Akten entweder eingeschlossen oder vernichtet werden und daß alle, die mit dem Projekt zu tun haben, noch einmal Stillschweigen schwören müssen. Er ist kein Mann, der sich mit einer anderen Welt anlegt. Er hat schon jetzt Probleme genug. Außerdem bezweifle ich, daß er an dieses Beweismaterial tatsächlich glaubt, auch wenn es vor ihm auf dem Tisch liegt.« »Was immer dort geschehen mag, ich kann mir darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Von der Front kommen fast nur schlechte Nachrichten. Die Smaragdstadt kann jeden Augenblick fallen. Ich habe der Vogelscheuche vorgeschlagen, die Stadt zu verlassen — zwei Adler könnten sie im Schütze der Nacht hinaustragen —, aber sie weigert sich. Die GillikinArmeen sind in mein Land eingefallen. Noch sind sie in den Bergwäldern und bei den Flüssen, aber schon bald werden sie die Prärien und das Farmland erreicht haben. Ich mußte ein paar meiner Generäle durch jüngere, flexiblere Männer ersetzen. Die, die ich entlassen habe, kannten den Krieg nur aus den Lehrbüchern, und sie konnten sich nicht den Realitäten anpassen. In Winkieland haben die Gillikins die meisten der strategisch wichtigen Punkte erobert, und dann sind sie durch
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zwangsrekrutierte Munchkins und Ozianer ersetzt worden. Die dadurch freigewordenen Männer werden in unser Land einmarschieren, um die Gillikin-Truppen hier zu verstärken.« »Und was sind die guten Nachrichten — wenn es welche gibt?« Sie lächelte. »Meine Guerillas, geführt vom Ängstlichen Löwen, haben einen Deich lange genug besetzen können, um ihn zu sprengen. Fünfzig Boote mit Eraknas Soldaten an Bord wurden von den Fluten davongespült, und die Soldaten ertranken.« »Ihr habt den Einsatz von Schießpulver gestattet?« »Nur für dieses eine Mal. Aber ich vermute, daß demnächst ein paar drastische Veränderungen stattfinden werden. Wahrscheinlich wird Erakna Schießpulver und Feuerwaffen herstellen lassen. Sie wird befürchten, ich könnte es vorher tun und damit einen gewaltigen Vorteil erlangen.« »Es wird sich auf den Verlauf des Krieges nicht mehr auswirken können«, meinte Hank. »Bis siegenügend Munition und Waffen hergestellt und die Soldaten in ihrer Verwendung unterwiesen hat, ist der Krieg vorüber, so oder so.« »In fünfunddreißig Tagen wird eine totale Sonnenfinsternis stattfinden. Sie wird um vierzehn Uhr zehn beginnen und um sechzehn Uhr fünfunddreißig enden.« Zehn nach zwei und fünf nach halb fünf, dachte Hank. Irgend etwas war sonderbar. »Von hier aus gesehen werden nur achtzig Prozent der Sonne verdunkelt sein«, erklärte Glinda. »Darüber bin ich froh, wenn auch nicht allzu sehr. Eraknas Kräfte würden beträchtlich gesteigert werden, wenn es hier eine totale Sonnenfinsternis gäbe, und meine würden sich erheblich verringern.« Achtzig Prozent, dachte Hank. Wenn man die Karte von Amariiki über die der Vereinigten Staaten legte, würde Suthwarzha in Quadlingland in der Nähe der Grenze zwischen Oklahoma und Texas liegen. Seinem Bauernkalender entnahm er, daß es im Gebiet von Fort Leavenworth, Kansas, zu einer siebzigprozentigen Eklipse kommen würde. Dort war die grüne Wolke erschienen, aber der Zugang führte zu einem Ort, der weiter südlich lag. Das konnte ihn nicht überraschen. Quadlingland war das Süd-Kalifornien dieser Oase. Der Ortsunterschied war der Grund gewesen, weshalb die Zeitangaben ihn verwirrt hatten. »Soll das heißen, daß Sonne, Mond und Sterne die Menschen beeinflussen können?« fragte Hank. »Ich habe immer gedacht, Astrologie sei purer Unsinn.«
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»Alles im Universum hängt miteinander zusammen. Es ist ein gewaltiges Spinnennetz, in dem nicht einmal eine winzige Fliege auf einem Faden landen kann, ohne daß ein Beben durch das gesamte Netz läuft. Aber du hast natürlich recht, wenn du meinst, daß die Astrologen nicht wissen, wovon sie reden — wenn sie nicht zugleich Zauberer sind. Und selbst ein Zauberer oder eine Hexe weiß nur wenig über einen Gegenstand von dieser kosmischen Komplexität. Allerdings kann das Zusammenspiel von Sonnenlicht oder Dunkelheit, des Mondes und der Sterne Hexenkräfte beeinflussen.« »Ich fühle mich außerstande, dies zu bestreiten«, antwortete Hank. »In gewisser Hinsicht ist die Eklipse ein Vorteil für mich. Ich weiß, daß sie dann angreifen muß, weil sie dann über die größten Kräfte verfügt. Andererseits weiß sie natürlich, daß ich dies weiß und daß ich deshalb nach besten Kräften vorbereitet sein werde. Aber ich wünschte, die Sonnenfinsternis könnte schon früher stattfinden. Wenn es ihrer Armee gelingt, so weit nach Süden vorzudringen, bevor es dazu kommt, kann es passieren, daß sie das Schloß stürmt und ich fliehen muß. Ich werde weit weniger geschützt sein, wenn ich mich nicht am Sitz meiner Macht aufhalte.« Hank tat in den darauffolgenden Wochen sein Bestes, Glindas Soldaten zu unterstützen. Er flog Tiefflugangriffe gegen die Marschkolonnen der Gillikins und warf dabei kleine Bomben ab. Aber seine Anstrengungen verlangsamten das Vorstoßen der Feinde nicht nennenswert. Als Aufklärer war er nicht annähernd so effizient wie die Falken und Adler in der Luft und Füchse und Mäuse auf dem Boden. Zudem war er bei jedem Flug von Eraknas Raubvögeln bedroht. Viele Male kam er nur mit knapper Not davon; es gelang ihm, der Luftwaffe der roten Hexe spürbare Verluste beizubringen, aber oft mußte er am Boden bleiben, weil Jenny repariert werden mußte. Am zehnten September des Erdenkalenders waren die Gillikins bis auf fünfzehn Meilen an die Stadt herangerückt. Zwischen ihnen und dem Schloß stand eine riesige Armee von wütenden Verteidigern, die geschworen hatten, bis zum Tode zu kämpfen und sich niemals zu ergeben. Aber die Invasionstruppen waren den Quadlingen im Verhältnis eins zu drei überlegen.
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34 Lamblo, schwanger und weinend, war von Jenny zu einer Farm tief in einem grünen Wald gebracht. Hank fragte sich, ob er sie wohl je Wiedersehen würde. Das Schloß war wie ausgestorben. Nur noch ein paar gesetzlose Nagetiere lebten darin — und Hank und Glinda. Sie hatte ihm befohlen, ebenfalls zu fliehen, aber er hatte sich geweigert. »Seit hundert Jahren hat mir niemand mehr den Gehorsam verweigert«, sagte sie. »Und der, welcher es damals tat, wurde streng bestraft.« »Ich werde nicht gehen. Vielleicht braucht Ihr mich.« »Nur aus diesem Grunde habe ich dich nicht gewaltsam fortschleppen lassen«, versetzte sie lächelnd. »Mag sein, daß deine Loy alität dich das Leben kostet, aber ich bin selbstsüchtig genug, dich bei mir bleiben zu lassen, wenn du darauf bestehst. Ich weiß, daß du mir — vielleicht — helfen kannst. Wann und wie, weiß ich noch nicht. Aber es kann dazu kommen. Es hat etwas damit zu tun, daß du von der Erde stammst. Du bist für Erakna nicht so verwundbar wie ein Einheimischer.« Sie bestand jedoch darauf, daß er in seinem Apartment blieb. Er nahm nur ein sehr leichtes Mittagessen zu sich, denn ihm war, als habe sich sein Magen von innen nach außen gekehrt, und dann schritt er in seinem Zimmer auf und ab. Hin und wieder trat er hinaus auf den Balkon. Der Himmel war klar, aber am südlichen Horizont drohten tiefe, dunkle Wolkenbänke. Der Wind wehte mit einer Geschwindigkeit von schätzungsweise fünf Meilen pro Stunde, und die Schlacht dieses Tages würde längst vorüber sein, wenn er die Wolken herangetrieben hätte, es sei denn, ein stärkerer Wind wehte hinter jenen dunklen Bänken. Die Luft war heiß und trocken, und eine ungewöhnlich große Zahl der riesigen Blitzkugeln wurde herangeblasen. Er war bereit zum Einsatz. Der geladene Revolver lag auf dem Tisch. In der BAR steckte ein volles Magazin. Ein Schwert ragte aus der Scheide an seinem Gürtel. Wenn er vom Balkon hinunterschaute, konnte er Glindas Laboratorium sehen. Die
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Vorhänge an den Fenstern waren nicht geschlossen, und der ganze Raum war hell erleuchtet von glühenden Kugeln und Dutzenden von Fackeln. Lange Zeit saß Glinda auf einem hochlehnigen Stuhl vor der viergesichtigen Sphinx, aber als Hank einmal von der Toilette zurückkehrte, war sie verschwunden. Vielleicht befand sie sich in einem Teil des Raumes, den er nicht einsehen konnte. Er warf einen Blick auf die Uhr: Neun Minuten nach zwei. Die nächsten sechzig Sekunden schienen zu schleichen; er hörte fast, wie sie schlurften. Dann begann sich der Schatten des Mondes unaufhaltsam in die Sonne zu fressen. Er hatte damit gerechnet, daß Glinda wieder erscheinen würde, aber sie blieb verschwunden. Wo mochte sie sein? Sie würde nicht davonlaufen — nicht Glinda. Er verließ den Balkon und trat ein paar Schritte weit in den Raum hinein. Der Himmel verdunkelte sich, und Düsternis kroch über die Erde. Mit Ausnahme der Geräusche, die er selbst hervorrief, hörte er nichts. Selbst die Vögel mieden die Luft rings um das Schloß. Vier Uhr zehn. Noch fünfundzwanzig Minuten bis zum Ende der Sonnenfinsternis. Wo war die weiße Königin ? Wo war die rote Königin? Was tue ich eigentlich hier, ich, ein Springer, oder vielleicht nur ein Bauer? fragte er sich. Und was kann ich gegen solche Mächte überhaupt ausrichten? Zehn Minuten später betrachtete er die Sonne durch eine dunkle Brille. In fünfzehn Minuten würde die Macht der Ungenießbaren ihren Höhepunkt erreicht haben. Gleich darauf würde sie zu schwinden beginnen. Gewiß würde Erakna jetzt gleich angreifen. Aber er konnte Glinda nirgends entdecken. Sein Mund war trocken, und sein Herz schlug heftig. Er mußte einen Schluck Wasser trinken. Er streifte den Vorhang und zuckte zurück, als statische Elektrizität knisternd übersprang. Seine Stiefel ließen Funken aus dem Teppich blitzen. Als er am Tisch vorbeikam, dachte er daran, den Revolver in den Halfter zu stecken. Nein. Das würde er auf dem Rückweg tun. Während er sich Wasser in den Becher goß, fragte er sich, ob Erakna vielleicht die Nerven verloren habe. Vielleicht würde sie gar nicht kommen. Schließlich war sie noch jung und verfügte nicht über die Übung und Erfahrung, die ihre Gegnerin im Laufe der Jahrhunderte hatte erwerben können. Glinda mußte einen beängstigenden Ruf haben. Vielleicht hatte Erakna beschlossen, sich auf ihre Eroberungsarmeen zu ver-
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lassen. Wenn Glinda gezwungen werden könnte, das Schloß zu verlassen, wäre sie dadurch erheblich benachteiligt. Er stürzte das Wasser herunter, drehte sich um und wollte zum Balkon zurückkehren. Aber bevor er die Badezimmertür erreichte, erschienen rings um ihn her tausend sich windende rote Würmer. Er schrie auf und sprang zurück, um denen vor ihm zu entweichen, geriet aber mitten unter die, welche sich von hinten heranschlängelten. Eine oder zwei Sekunden lang bedeckten sie ihn vom Kopf bis zu den Füßen, aber er spürte sie nicht. Sie waren nicht greifbar. Sie verschwanden, als gewaltige Explosionen ihn betäubten und die Badezimmertür ins Schloß fiel. Der Fußboden unter ihm bebte. Er stieß die Tür so heftig auf, daß sie von der Wand abprallte und sich wieder halb schloß. Schwarzer Pulverdampf wallte herein; er keuchte und seine Augen begannen zu tränen. Er taumelte ins Zimmer hinaus. Seine Augen brannten. Er riß die beiden Außentüren auf, um frische Luft in den großen Raum dringen zu lassen. Als er sich umdrehte, sah er, daß die Munition in dem Revolver und in dem automatischen Gewehr explodiert war und die Waffen zerfetzt hatte. Irgend etwas — die roten Würmer? — hatte das Pulver entzündet. Das Beben des Fußbodens rührte wohl daher, daß das Munitionslager im Erdgeschoß ebenfalls in die Luft geflogen war. Es war gut, daß er den Revolver nicht in den Halfter geschoben hatte. Er hätte eine scheußliche Wunde an Hüfte und Bein davongetragen und wäre damit, wenn nicht gar tot, sicherlich kampfunfähig gewesen. Dies war etwas gewesen, womit Glinda nicht gerechnet hatte, denn sonst hätte sie ihn gewarnt und das Munitionslager ausräumen lassen. Was würde die Ungenießbare als nächstes gegen Glinda einsetzen? Sein Bett stand in Flammen; die Explosion von drei BARMagazinen, die darauf gelegen hatten, hatte es in Brand gesetzt. Den Revolver hatte es vom Tisch geschleudert; was von ihm übrig war, lag auf dem Boden. Weiße Flecke zeigten, wo Kugeln von der Steinmauer abgeprallt waren. Wenn er auf dem Balkon gestanden hätte, wäre er womöglich nicht mit dem Leben davongekommen. Er merkte plötzlich, daß er den großen Hausschlüssel umklammerte, der an einer Kette um seinen Hals hing. Sein Unbewußtes wollte ihm sagen, daß der Schlüssel seiner Mutter ihm immer noch Glück bringe.
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Er lief auf den Balkon hinaus und lehnte sich über das Geländer. Im hellen Licht des Laboratoriums sah er Erakna, die dort umherging und sich hin und wieder bückte, als suche sie etwas. Sie trug ein langes, weißes, tief ausgeschnittenes Gewand und einen scharlachroten Helm mit zwei Ziegenhörnern. In der Linken hielt sie einen zusammengeklappten, blutroten Schirm. Mit Bedauern dachte Hank an die BAR. Er hätte die Hexe mit einem Kugelhagel eindecken, die Fenster zerschmettern und sie mit den .3oer Geschoßen durchsieben können. Aber sie hatte davon gewußt und ihn ausgeschaltet. Das heißt, sie hatte seine Feuerwaffen beseitigt. Aber er lebte noch, und sie mußte mit ihm rechnen, auch wenn sie es vielleicht nicht glaubte. Allerdings — falls Glinda ihn aus irgendeinem Grunde im Stich gelassen hatte, würde Erakna leichtes Spiel mit ihm haben. Wo war sie nur? Erakna hatte ihm den Rücken zugewandt und stocherte mit der Spitze ihres Schirmes in einem hohen Eichenschrank in der Ecke herum. Hank blinzelte und schüttelte den Kopf. Mit seinen Augen stimmte etwas nicht. Die viergesichtige DioritSphinx schimmerte, sie dehnte sich aus und zog sich zusammen, als strahle sie Hitzewellen aus. Dann umklammerte er das Balkongeländer und fluchte. Unvermittelt hatte das Schimmern aufgehört, und die Sphinx hatte sich aus ihrer kauernden Stellung erhoben und schritt auf Erakna zu. Sie hatte sich der Nordhexe bis auf sechs oder sieben Schritte genähert; jetzt duckte sie sich wie zum Sprung zusammen, riß den schwarzen Rachen auf und entblößte lange, spitze, schwarze Zähne. Da drehte Erakna sich um. Ihr Mund öffnete sich weit — sicher schrie sie —, und sie riß den Schirm hoch und richtete ihn auf die Sphinx. Das steinerne Ding sprang, und ein Kugelblitz sprang aus seiner Stirn und schoß ihm voraus. Er stieß mit der feurigen Kugel, die der Spitze von Eraknas Schirm entsprungen war, zusammen, und die beiden verschmolzen miteinander, blähten sich auf und explodierten wie ein Faß Dynamit. Rauch und blendendes Licht erfüllten den Raum. Die Fensterscheiben flogen heraus. Hank gewann sein Sehvermögen gerade noch rechtzeitig zurück, um zu sehen, wie die Glasscherben, glitzernden Schneeflocken gleich, in den Hof hinunterwirbelten.
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Der Rauch quoll — rot, nicht schwarz — aus den klaffenden Fensterhöhlen. Erakna stand noch immer in derselben Haltung da, den Schirm vor sich gestreckt und anscheinend unversehrt von einer gewaltigen Explosion, deren Wucht sie gegen die Wand hätte schleudern und zerschmettern müssen. Die Sphinx lag zerschlagen am Boden, ein Haufen Steintrümmer. Inmitten der Trümmer stand Glinda, und auch ihr hatte die Explosion nichts anhaben können. Irgendwie war es den beiden Frauen gelungen, sich für den erforderlichen Bruchteil einer Sekunde mit einem Schutzschild zu umgeben. Die Fackeln waren aus ihren Halterungen geflogen und lagen brennend am Boden. Die riesigen Glasflaschen und Retorten und die silbernen und kupfernen Röhren auf den Tischen waren zersplittert oder verbogen. Qualm erhob sich von Säurepfützen, die sich in den Fußboden fraßen. Hank begann zu schreien, so laut er nur konnte. »Glinda! Hinter Euch! Hinter Euch!« Zehn Schritte weit hinter ihr hatte die Luft begonnen zu vibrieren, sie brodelte, und roter Dampf oder Rauch stieg aus dem Wirbel empor. Dann wurde die Luft dunkler, das Brodeln und Dampfen hörte auf, und plötzlich stand da ein großer brauner Bär. Es war ein kurzgesichtiger Bär, ein Abkömmling jener monströsen Kreaturen, die bis vor zehntausend Jahren den amerikanischen Südwesten durchstreift hatten und dann ausgestorben waren. Dieser hier war um ein Drittel kleiner als seine Vorfahren, aber er war immer noch groß genug, um es mit einem sibirischen Tiger aufnehmen zu können. Es schien, daß Glinda ihn durch die offenen Fenster gehört hatte. Sie vollführte eine Vierteldrehung, und ohne zu zögern, richtete sie einen Finger auf Erakna und den anderen auf den Bären. Das Untier griff an, und sein Gebrüll drang bis zu Hank herauf. Eine weitere glühende Kugel löste sich von Eraknas Schirm. Sie traf mit einer ebenso großen Kugel aus Glindas Mittelfinger zusammen, aber diese hatte sich nur wenige Schritte weit von Glinda entfernt, als sie mit der anderen Kugel zusammenschmolz und explodierte. Die Feuerkugel aus Glindas linkem Mittelfinger schien auf die Nase des Bären zu treffen, aber das grelle Licht blendete Hank erneut. Er konnte die Abfolge der Geschehnisse nicht mehr genau erkennen; es ging alles zu schnell für ihn. Als sich
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die dunklen Wolken verzogen hatten, sah er, daß der Bär zusammengesunken am Boden lag. Seine Nase und seine Lippen waren verbrannt. Fast berührte er Glinda, die am Boden lag. Der Anprall der angreifenden Bestie, die wahrscheinlich schon tot war, als sie sie erreichte, hatte sie zu Boden geschleudert. Aber sie schien unverletzt zu sein, und sie kam gleich wieder auf die Beine, als Erakna eine riesige Blase aus ihrem Schirm quellen ließ, die in vielen Farben schillerte wie Benzin in einer Wasserpfütze. Die Blase sprang auf Glinda zu, aber sie wurde langsamer, je näher sie ihr kam. Glinda deutete mit dem Finger auf sie und schien sie dadurch von sich abzuhalten. Der Mittelfinger ihrer linken Hand stieß in die Ecke, in der das Bett stand, und ein wirbelndes, vielkantiges Objekt schoß aus der Fingerspitze hervor. Es flog in die Ecke über dem Bett, prallte dort ab und jagte — ein magisches Billard — auf Eraknas Rücken zu. Erakna drehte sich halb und richtete den Schirm auf den Polyeder. Er prallte zurück, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geflogen, und schlug gegen die Mauer. Gleichzeitig bewegte sich die schillernde Blase auf gerader Linie zu Erakna zurück. Diese hob die rechte Hand, alle Finger bis auf den mittleren zu einer Faust geballt, und die Blase wurde langsamer, blieb stehen und hing dann, müde rotierend, in der Luft. Dabei kreischte sie wie ein ungeschmiertes Lager. Der schimmernde Polyeder prallte von der Mauer ab, schoß quer durch den Raum und flog aus dem Fenster. Alles das geschah mit solcher Geschwindigkeit, daß Hank den Angriffsund Abwehrmanövern kaum zu folgen vermochte. Jetzt aber mußte er aufhören, die beiden zu beobachten, denn die Kugel, die aus dem Fenster geflogen war, hatte einen Bogen beschrieben und kam zu ihm herauf. Obwohl sie sich intensiv auf ihren Kampf mit Glinda konzentrierte, hatte die Nordhexe ihn gesehen, und jetzt, da Glinda die Kugel aus dem Raum gelenkt hatte, setzte Erakna sie ein, um ihn aus dem Weg zu räumen. Er zweifelte nicht daran, daß er das Ziel der strahlenden Kugel war. Aber sie war langsam. Die Nordhexe konnte ihr nur wenig Energie oder Gedankenkraft widmen. Sie hatte viel davon — verloren, als sie sich aus ihrem Schloß zu Glinda projiziert hatte. Sie hatte noch mehr verloren, als sie den riesigen Bären aus seinem Wald herbeigezaubert hatte. Und jetzt versuchte sie, den Attacken der weißen Königin entgegenzuwirken und gleichzeitig ihn zu vernichten.
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Wenn mehr Zeit zum Nachdenken gewesen wäre, hätte Hank, wenn auch widerwillig, die magischen Kräfte, die Geistesbeherrschung und die Nervenstärke der Ungenießbaren bewundert. Aber soviel Zeit hatte er nicht. Er mußte etwas gegen den Tod unternehmen, der durch die Luft auf den Balkon zuschwebte. Er rannte an der lodernden Matratze vorbei, stürzte sich durch den Qualm, den der Wind vor sich hertrieb, warf die beiden Türen hinter sich ins Schloß, blieb stehen, drehte sich um und wartete. Schweiß drang durch seine Kleider und rann ihm in die Augen. Mit dem linken Ärmel wischte er sich die beißende Flüssigkeit ab. Sein Herz klopfte, daß es klang wie die Trommel, die noch einen Wirbel schlägt, ehe der Henker die Falltür entriegelt. Die Kugel wölbte sich durch die Tür, sie quoll hindurch. Dort, wo sie das Holz durchdrang, kräuselte Rauch empor. Hank schleuderte das Schwert mit der Spitze voran gegen die Tür und mitten durch die Kugel. Zitternd blieb die Klinge stecken, während sich die Kugel immer weiter durch das Holz fraß, bis sie fast hindurchgegangen war. Das Holz ringsherum ging in Flammen auf, und die Farbe des Schwertes wechselte von Grau zu Mattrot. Hank fühlte die Hitze, die von ihm ausging. Er rannte den Gang hinunter bis zu einer rechtwinkligen Kreuzung. Dort wirbelte er herum, und er sah, daß die Tür in hellen Flammen stand; das Schwert bog sich nach unten — sein eigenes Gewicht ließ es hinabsinken, als sich das Metall im Innern der Kugel erweichte. Dann fiel die Waffe klirrend auf den nackten Steinboden. Der Rauch von dem durch das Feuer vergrößerten Loch vermischte sich mit dem Rauch von der inneren Tür, die die Kugel gleichfalls in Brand gesetzt hatte. Aber die Kugel war verschwunden. Das Schwert hatte ihre Energie verdampfen lassen. Hals über Kopf rannte er den Gang entlang und eine Wendeltreppe hinunter, bis er in Glindas Stockwerk angelangt war. Er rannte, bis er an der hohen, schmalen Tür zu ihrem Laboratorium ankam. Dort blieb er keuchend stehen, und auch sein Gehirn schien zu keuchen, so schnell jagten seine Gedanken. Was konnte er, nun waffenlos, tun, um Glinda zu helfen? In der Waffenkammer gab es Schwerter und Bögen, aber die Waffenkammer lag im ersten Stock, und vielleicht würde er sie nicht mehr betreten können, weil die Explosion der Munition den Eingang versperrt hatte. Und wenn die Tür nicht von
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Trümmern blockiert wäre, würde er sie vermutlich, ja, wahrscheinlich verschlossen vorfinden. Einen Schlüssel hatte er nicht, und wo der Schließer sich aufhielt, wußte er nicht. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er den großen Hausschlüssel umklammerte, der an der Kette an seinem Hals hing. Der Schlüssel! Es mußte einen Schlüssel zu diesem Problem geben! Er drückte die Türklinke nieder. Unverhofft schwang die Tür auf. Glinda hatte sie nicht verschlossen. Hatte sie erwartet, daß er kommen würde ? Oder hatte sie nicht abgeschlossen, weil sie daran dachte, möglicherweise durch diese Tür zu entfliehen? Oder aus beiden Gründen ? Dicker, roter Qualm wirbelte durch die halbgeöffnete Tür heraus, nahm ihm den Atem und brannte in seinen Augen. Er roch Säure und noch etwas anderes in diesem Rauch. Er mußte husten, aber er glaubte nicht, daß Erakna dadurch gewarnt worden war. Drinnen erscholl ein Gebrüll wie von einem Bullen. Dann verstummte es, und ein Knattern wie von Knallfröschen folgte. Er unterdrückte eben einen neuerlichen Hustenanfall, als plötzlich ein kleines, etwa zwanzig Zentimeter hohes Wesen durch die Tür spritzte wie Ketchup aus einer Flasche. Mit einem Aufschrei sprang er zurück, als das Ding sein Bein streifte. Der Vergleich mit Ketchup war tatsächlich zutreffend: Es war über und über mit etwas beschmiert, das Blut gewesen wäre, wenn es leuchtender und nicht so dick gewesen wäre. Laut heulend jagte das Wesen den Gang hinunter. Die dünnen Beinchen und die großen, mit Schwimmhäuten versehenen Froschfüße wirbelten und klatschten auf dem Boden, die dürren Arme rasten wie Pumpenschwengel, der froschartige, von Säbelzähnen starrende Mund stand offen und die Augen, die oben auf dem nackten, blutbeschmierten Kopf saßen, quollen aus ihren Höhlen. Bevor das Ding das Ende des Ganges erreicht hatte, brach es mit einem Geräusch wie von einem nassen Handtuch, das man gegen die Wand wirft, zusammen. Es zitterte, und seine Beinchen traten ins Leere, und dann begann es anzuschwellen. Von Grauen erfüllt sah Hank, wie das Monstrum sich aufblähte wie ein Ballon und dann zerplatzte, als sei es mit Gas gefüllt gewesen. Dickes, schweres Blut und Organe spritzten über Boden und Wände. Ein Geruch verbreitete sich, der so durchdringend war, daß sich die Haare in Hanks Nasenlöchern kräuseln wollten.
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Etwas, das halb so groß war wie die tote Kreatur, kroch aus den Organfetzen hervor und krächzte. Es grinste Hank an und huschte dann auf vielen Beinen um die nächste Ecke, feuchte Fußabdrücke hinter sich lassend. Hank schluckte und kämpfte einen aufsteigenden Brechreiz nieder. Als sein Magen sich beruhigt hatte, schlich er gebückt, damit man ihn nicht sehen könnte, durch die Tür. Er duckte sich hinter einen Tisch, und elf Bestien von der Art des unidentifizierbaren, aber unbestreitbar grauenhaften Wesens, das der froschartigen Kreatur entschlüpft war, huschten an ihm vorbei, und ihre Füßchen klatschten feucht auf den Boden. Sie stanken wie verschimmelte Kartoffeln mit faulem Hühnerfleisch, aber nicht sie allein waren der Ursprung der Gerüche, die ihm an der Tür in die Nase gestiegen waren. Als die kleinen Ungeheuer fort waren, spähte er um den Tisch herum in den Raum hinein und sah Stalaktiten aus einem weißlichen, grüngefleckten, teigigen Material an der Decke hängen. Einer fiel herunter, lag einen Moment lang bebend am Boden und wälzte sich dann langsam voran. Hier und dort hingen die schleimigen Klumpen auch an den Wänden, als habe eine Explosion sie im Raum verspritzt. Von ihnen, so dachte Hank, ging der Gestank aus, der ihn würgen ließ. Sie stanken wie eine Mischung aus getrocknetem Blut, Hundekot, verrotteten Geranien, Teufelsdreck, Bierfürzen, Limburger Käse und einem Geruch, den er nicht kannte und er hoffentlich niemals würde kennenlernen müssen. Sechs dieser Froschkreaturen lagen zerplatzt und tot am Boden. Er schätzte, er würde sechs weitere finden, wenn er den ganzen Raum übersehen könnte. Eine der beiden Hexen hatte sie in der Hoffnung heraufbeschworen, daß ihre Zahl zu groß sein würde, als daß sich die Feindin ihrer erwehren könnte. Aber die andere Hexe hatte die vielbeinigen Ungeheuer im Leib der Reptilmonster entstehen lassen. Und eine der Hexen hatte auch die kriechenden, teigigen Wesen aus jenem Winkel der Hölle herbeizitiert, in welchem sie sonst hausten. Die Verzweiflung der beiden Hexen mußte groß sein, wenn sie sich auf solche energieverschlingenden Manöver einließen. Durch den weitgeöffneten Mund atmend, kroch Hank auf allen vieren um den Tisch herum und lugte um die Ecke. Es sah aus, als hätten die beiden Frauen eine kurze Ruhepause eingelegt, einen unausgesprochenen, aber wortlos vereinbarten Waffenstillstand. Glinda stand am Fenster, sie atmete schwer
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und war schweißüberströmt. Ihr kastanienrotes Haar war fleckig vom Rauch, ihre Wange sah versengt aus, als sei sie einer Flamme zu nahe gekommen, und ihr nackter Arm blutete aus vielen Wunden, als sei sie von winzigen Granatsplittern getroffen worden. Ihr Gewand war an vielen Stellen geschwärzt und zerrissen, als hätten krallenbewehrte Pranken nach ihr geschlagen, und ihre Schuhe hatte sie entweder abgestreift oder sie waren ihr von einem Aufprall oder einer Explosion von den Füßen gerissen worden. Ihre Arme hingen schlaff herab, als sei sie völlig erschöpft. Sie atmete durch den Mund, aber das mo chte an dem durchdringenden Gestank liegen. Erakna war alles andere als unversehrt. Sie sah aus, als habe man sie durch den Wolf gedreht. Vielleicht war sie ungenießbar, aber etwas hatte sie durchgekaut, bevor es sie wieder ausspie. Ihr Helm lag auf dem Boden, und die Ziegenhörner waren abgebrochen. Ihr weißes Haar, das bei ihrer Ankunft zu einem Psy che-Knoten geflochten gewesen war, hing lose herab. Es war gleichfalls rauchgeschwärzt, und aus einer Wunde in der Kopfhaut flöß ein blutiges Rinnsal. Ihr Gewand klebte schweißnaß an ihrem makellosen Körper; es war so zerfetzt, daß es ihr fast vom Leibe fiel. Ein rotes, von Blasen bedecktes Brandmal glühte knapp oberhalb ihrer Brüste. Ein Auge war angeschwollen und rot umrändert. Ihr Gewand war von der Taille bis hinunter zum Saum aufgerissen, und Hank sah ein wunderschönes, aber tätowiertes Bein. Einige der roten und violetten Sy mbole waren ihm bekannt. Bis auf das laute Atmen der Frauen war es still im Raum. Dann begann Glinda zu sprechen. »Deine Kraft schwindet, Erakna. Die verfinsterte Sonne erhellt sich wieder. Siegreich entsteigt sie dem Rachen des Wolfes, so wie auch ich siegreich bleiben werde, während du dorthin gehst, wo die Tauscherin dich erwartet.« »Aber deine Kraft ist schwächer noch als meine, Weiße Hexe«, erwiderte Erakna. »Als du jene wilna in meine hely afriskaz setztest, verbrauchtest du mehr Energie, als gut für dich war. Du bist geschwächt, Weiße Hexe, und es ist zu spät, als daß die Wiedergeburt der Sonne dir noch nützen könnte.« »Du irrst dich, wie du dich dein Leben lang geirrt hast«, versetzte Glinda. »Und jetzt wird es bald zu Ende sein, dein Leben — in dieser Welt jedenfalls. Die Tauscherin wird dich an einen Ort senden, mit dem nur eine Seele, die krank ist von Bosheit,
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einverstanden sein konnte.« Eines der Dinge, die an der Decke hingen, fiel herab. Keine der beiden Frauen sah hinüber. Hank aber sah, daß der Klumpen, der zuerst herabgefallen war, sich sehr langsam auf Glinda zuwälzte. Er war hinter ihr, und sie schien ihn nicht bemerkt zu haben. Der zweite Klumpen bewegte sich nicht. Vielleicht war er tot; Glinda konnte ihn getötet haben, obgleich keine Wunde zu sehen war. Womöglich hatte auch Glinda ihn heraufbeschworen, und Erakna hatte ihn zur Strecke gebracht. Aber nein — wenn es so gewesen wäre, hätte Erakna sicher erwähnt, daß auch das Herbeischaffen dieser Klumpen Glindas Kräfte beeinträchtigt habe. Ein dritter Teigkloß klatschte zu Boden. Auch dieser bewegte sich nicht. Schleimige Pfützen bildeten sich an den Rändern der beiden letzten Klumpen. Sie schwanden dahin, schmolzen zusammen. Aber der dritte wallte immer noch auf Glinda zu. »Was weißt denn du von der Tauscherin und den Abkommen, die Sie abschließt?« fragte Erakna. »Ich habe einen ausgezeichneten Vertrag mit Ihr.« Glinda lächelte. »Ja, Sie hat mir davon erzählt. Doch nein, es war kein so guter Vertrag. Er war zwar besser als jeder andere, den deine schleimige Sorte je hat abschließen können, aber er wird dich an einen Ort bringen, an dem es keine Hoffnung mehr gibt. Und schon bald wird er in den unaussprechlichen Archiven der Tauscherin verschwinden.« Zum ersten Mal verlor die Rote Hexe die Fassung. Mit großen Augen fragte sie: »Was meinst du damit?« »Du bist nicht die einzige, die den furchtbaren Weg zur Tauscherin zu gehen gewagt hat. Auch ich war dort, und ich habe gesprochen mit Ihr, die da brütet im Herzen des Mondes. Auch ich habe gewisse Vereinbarungen mit Ihr getroffen.« »Du bist verrückt!« kreischte Erakna. »Keine Weiße Hexe würde jemals zu Ihr gehen! Keine könnte sich Ihr überhaupt nähern! Du lügst! Du lügst!« »Ich bin röter als du denkst«, antwortete Glinda. »Du lügst!« Die weiße Masse war jetzt nur noch wenige Zoll von Glindas Fersen entfernt. Erakna mußte es sehen, aber in ihrer Wut schien sie es zu vergessen. Er zögerte. Wenn er jetzt aufspränge und Glinda eine Warnung zuriefe, wäre er entblößt und wehrlos gegen alles, was
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die rote Hexe ihm entgegenschleuderte. Andererseits würde Erakna ihre Kraft aufspalten müssen, um sich ihm widmen zu können, und dies würde vielleicht ihre Abwehr schwächen. Der Klumpen war jetzt nicht mehr als einen Zoll weit von Glindas Knöchel entfernt. Er wußte nicht, was das Ding ihr würde antun können, aber er war sicher, daß es nichts Erfreuliches sein würde. Auch wenn es sie nur erschreckte, würde Erakna dadurch einen momentanen Vorteil gewinnen. Mehr brauchte sie vermutlich nicht, um Glinda tödlich zu treffen. Erakna — sie kreischte noch immer: »Du lügst! Du lügst!« — umklammerte den Griff ihres blutroten Schirms mit beiden Händen und richtete ihn gegen ihre Feindin. Eine glühend rote Wolke quoll aus der Spitze, wirbelte hoch und bildete schließlich ein blutrotes Gesicht, welches zwar flimmerte, aber dennoch deutliche Züge erkennen ließ. Es war das Antlitz einer uralten, zahnlosen Frau mit ungewöhnlich tiefen Augenhöhlen und ungewöhnlich großen Augen, die leuchteten — eines grün, das andere rot. Eine scharlachrote Zunge zuckte zwischen grünlichen, zahnlosen Kiefern hervor. »Siehe, das Gesicht der Tauscherin!« kreischte Erakna. »Es ist ein Gesicht, das du noch niemals erblickt hast, du lügenhafte Hündin! Aber es ist das letzte Gesicht, das du jemals sehen wirst!« »Ich habe es schon gesehen«, gab Glinda ruhig zurück. Hank biß sich so heftig auf die Unterlippe, daß es schmerzte. Er mußte Eraknas Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber er wußte, daß er dann sterben würde. Das Gesicht bewegte sich, langsam wie ein krankes Faultier, auf Glinda zu. Sie hatte beide Hände erhoben und streckte ihm die Finger entgegen. Sie kämpfte dagegen an, aber sie konnte das unerbittlich vorwärtsschwebende Gesicht nicht aufhalten. »Sie wird dich bei lebendigem Leibe fressen!« gellte Erakna. »Sie wird dich in Stücke reißen!« Ihr Gesicht war verzerrt, und der Schweiß lief ihr in Strömen über die Stirn. Aber der Schirm war so reglos, als liege er in den Händen einer Statue. Der Klumpen hielt inne, und dann bewegte er sich wieder. Hank konnte jetzt den Boden zwischen ihm und Glindas Ferse nicht mehr sehen. Er sprang auf und stieß einen heiseren Schrei aus. Irgendwann, er wußte nicht, wann, hatte er sich die Kette von seinem
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Hals abgenommen. Jetzt hielt er den Schlüssel in der Linken. Sein Unterbewußtsein hatte dies aus einem bestimmten Grund veranlaßt, aus einem Grunde, den er erkannte, gleich nachdem ihm bewußt geworden war, daß er den Schlüssel in der Hand hielt. Erakna drehte sich halb herum; sie erbleichte, und ihre Augen öffneten sich noch weiter. Offenbar hatte sie ihn für tot gehalten. Aber die Schirmspitze blieb auf Glinda gerichtet. Mit einer Hand ließ die Hexe den Griff los und richtete ihre Finger auf Hank. Glinda riß die Arme hoch, als das teigige Ding ihre Ferse berührte, und tat einen Satz nach vorn. Das Gesicht schoß auf sie zu, doch es hielt inne, als es nur noch wenige Zoll weit von ihren wieder ausgestreckten Fingern entfernt war. Glinda sah ihrem Tod in die Augen, und diese Augen näherten sich langsam. Mit heiserer Stimme rief Glinda: »Wenn du deine Kraft gegen ihn wendest, werde ich die Tauscherin gegen dich wenden! Sie hat mir versprochen, daß ich siegen werde. Ich werde an einen Ort gehen, zu dem niemand gehen will, aber dich habe ich dann einem schlimmeren Geschick übergeben, und ich habe mein Volk gerettet!« Schreiend wie ein Komantsche stürmte Hank der Roten Hexe entgegen. Erakna kreischte auf, und aus ihrem Finger entsprang eine feurige Kugel. Sie war viel kleiner als die vorigen, etwa so groß wie ein Baseball, und sie bewegte sich längst nicht so schnell. Hank warf mit dem Schlüssel nach ihr; er war nicht sicher, daß er das zerstörerische Ding treffen würde, denn es war so klein. Er wußte nicht, ob der Schlüssel, falls er die Kugel durchschlüge, etwas bewirken würde. Gewiß würde er die Kugel nicht erden können. Er merkte, daß Erakna immer noch kreischte, aber jetzt klang ihr Kreischen anders. Nicht mehr Haß gellte, sondern Grauen und Schmerz. Der Schlüssel flog in einer bogenförmigen Bahn auf die Kugel zu und berührte sie. Die Explosion betäubte Hank und schleuderte ihn nach hinten. Sein Kopf schlug gegen einen Tisch, und fast hätte er das Bewußtsein verloren. Benommen stand er auf; er sah den Schlüssel auf dem Boden liegen, und er sah, was Glinda mit Erakna gemacht hatte. In jenem kurzen Augenblick, da Eraknas Aufmerksamkeit
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und Kraft geteilt gewesen waren, hatte sie das Gesicht herumgedreht. Es hing jetzt an dem der Roten Hexe. Zumindest nahm Hank an, daß es so war, denn deutlich sehen konnte er es nicht. Von hinten war es fast unsichtbar, und es sah nicht aus wie ein Hinterkopf. Wie es aussah, hätte er nicht sagen können. Erakna wälzte sich am Boden und hatte beide Hände in ihr eigenes Gesicht gekrallt, als wolle sie das Ding abreißen. Plötzlich brach ihr Schreien ab. Ihre Hände fielen herab und lagen reglos an ihren Seiten. Ihre Augen waren starr und blicklos zur Decke gerichtet. Ihr Mund stand offen, und ihr Gesicht färbte sich grau. Zwei Dunstfahnen, flimmernd und halb durchsichtig, lösten sich von ihrem Kopf und schwebten durch die Decke. Es sah fast so aus — aber gewiß war es nichts als Hanks Einbildung —, als sei Eraknas Gesicht an das der Tauscherin geschmiegt und als küsse die gräßliche Alte Eraknas Lippen. Hank sprang auf und fluchte, als der Leichnam einen dünnen Schrei ausstieß. »Ein Echo«, sagte Glinda. »Die arme Frau.« Ihre Stimme klang schwach, und sie schien zu erschöpft zu sein, sich zu bewegen. Er lehnte sich gegen den Tisch, doch der war ihm keine ausreichende Stütze. So setzte er sich auf den Boden und starrte Glinda wie betäubt an. Jetzt bewegte sie sich, wenn auch langsam und steif. »Es ist vorüber«, sagte sie. »Ich wußte, daß es gut sein würde, wenn du im Schlöß bliebst.« »Ich bin nicht sicher, daß Ihr dies alles eingeplant habt.« Sie lächelte matt. »Nein, Hank. Ich wußte nicht, was geschehen würde, wenn sie herkäme. Wenn du mir nicht geholfen hättest, wäre ich jetzt tot.« Draußen wurde es allmählich heller. »Habt Ihr... wirklich einen Pakt mit der... Tauscherin geschlossen?« »Nein, Hank. Ich habe Erakna belogen, um sie zu erschüttern, ihr die Zuversicht zu nehmen, sie zu verwirren.« »Glinda die Gute«, murmelte er.
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Anmerkungen des Autors 1. Irgendwo da draußen ist jemand, der nachprüfen wird, wie das Wetter am 1. April 1923 in Fort Leavenworth war. Er kann sich die Mühe sparen, es sei denn, er hätte Spaß an solchen Übungen. Ich habe meine Daten aus dem Kansas City Star und den Kansas City Times. Eine interessante Nachricht, die wenig mit dem Wetter zu tun hat, ist die über den »König-TutRummel«, welcher damals seinen Höhepunkt erreichte. Die professionellen Models, die zu Ostern auf dem Auteuil-Rennen in Paris auftauchten, trugen Tutenchamun-Hüte, grüne Gewänder mit geschlitzten Ärmeln, weiten Taillen, engen Hüften und langen Rücken, dazu geschlitzte Stulpenhandschuhe. Viele von ihnen trugen Tücher mit ägyptischen Abbildungen um den Hals oder um den Arm geschlungen.
2. Die Umstände von Präsident Hardings Tod waren durchaus my steriös; zumindest behaupteten das viele. Ein ehemaliger Regierungsbeamter schrieb sogar ein Buch, in dem er behauptete, Mrs. Harding habe ihren Mann vergiftet. Nach allem, was man weiß, war diese Geschichte zweifellos eine boshafte Ente. Mrs. Harding weigerte sich allerdings, die Genehmigung zur Autopsie ihres Gatten zu geben. Daher ist die Spekulation gestattet, daß die Gerichtsmediziner Glindas »Visitenkarte« nicht gefunden haben; jedenfalls aber müssen die Einbalsamierer sie entdeckt haben. Vielleicht auch nicht. Das Projekt des Signal Corps wurde auf jeden Fall geheimgehalten. Aber vielleicht findet sich irgendwo in den Akten der USRegierung die ganze Geschichte. Sie dürfte allerdings ebenso schwer aufzufinden sein wie die Bundeslade, welche sich ebenfalls in den Archivlagern der Regierung befindet.
3. Lag es am Wasser, daß die Vorfahren der Amariikianer zusammenschrumpften? Oder war es die Anwesenheit der Feuerfüchse, die das Schrumpfen bewirkte? Niemand, außer vielleicht Glinda, weiß das.
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4. Wenn die Energiewesen, die Sinngeister oder Feuerfüchse genannt wurden, von den alten Roten Hexen benutzt wurden, um sich am Leben zu erhalten, wieso benutzten die Hexen sie dann nicht, um den Inhalt ihres Geistes in neue Körper zu übertragen? Die Antwort ist, daß der Körper, den die Hexe gern in Besitz genommen hätte, bereits einen Geist hatte, der sich jedem Versuch der Übernahme widersetzt hätte. Es hieß jedoch, daß Feuerfüchse hin und wieder von Idioten Besitz ergriffen hätten. Wenn dies so war, wieso benutzten die Hexen dann die Feuerfüchse nicht dazu, Idioten in Besitz zu nehmen ? Nun, zweifellos versuchten sie es, doch sie scheiterten. Ein Feuerfuchs, der auf eigene Faust operierte, konnte gelegentlich einen Idioten besetzen. Aber die Kombination von Feuerfuchs und dem Geistesinhalt einer Hexe konnte die Übertragung nicht in Gang setzen, wenngleich die Hexe den Feuerfuchs beherrschte, solange er sich in ihrem Körper befand. Wenn aber die Hexe versuchte, ihren Geistesinhalt in einen anderen Körper zu transferieren, konnte es sogar geschehen, daß der Geist elektrisch entladen und gelöscht wurde, wie man ein Tonband löscht. Dann allerdings konnte der Feuerfuchs Körper und Hirnstruktur mit Leichtigkeit übernehmen. Nachdem dies einige Male geschehen war, verfolgten die alten Roten Hexen diese Versuche zur Erreichung eines langen Lebens nicht weiter. 5. Die Hexe des Ostens kam zu Tode, weil Dorothy s Haus auf sie herabstürzte, und sie unverzüglich zu Staub verwandelte. Die Hexe des Westens verwandelte sich in eine Wasserpfütze, als Dorothy einen Eimer Wasser über sie ausleerte (trotz des sauberen Wassers könnte man Dorothy »schmutzige Tricks« vorwerfen). Ich hatte bereits vor einigen Jahren herausgefunden, wie es zu diesen beiden Ereignissen gekommen war, aber es ist nicht mehr als fair, wenn ich hier vermerke, daß Dr. Douglas A. Rossman in seinem Artikel »Zur Liquidation von Hexen«, der im Frühjahr 1969 in der Baum-Fanfare erschien, die gleichen Ergebnisse wie ich extrapolierte. Ich war damals kein Mitglied des Internationalen Zauberer-von-Oz-Clubs, aber als ich im Jahre 1981 von dem Artikel erfuhr, ließ ich mir von Fred Mey ers, dem Geschäftsführer des Clubs, ein Exemplar der betreffenden Ausgabe zusenden. , Wasser oder ein heftiger Schlag kann unter bestimmten Bedingungen die Kräfte, welche die großen Moleküle zusammenhalten,
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ausschalten. Die alten Hexen, die Feuerfüchse zu ihrer Energieversorgung verwendeten, waren blutlos, wenn sie gestorben waren, und nur die Feuerfüchse verhinderten, daß sie schon vorher auseinanderfielen und zu Staub wurden. Ich vermute, daß die alten Hexen irgendwann auch ohne Wasser oder harte Schläge zerbröselt wären.
6. In Baums Der wunderbare Zauberer von Oz hat die Westhexe Angst vor der Dunkelheit. Handelte es sich hier um eine Neurose oder fürchteten sich alle Roten Hexen vor dunklen Orten? Hank hat sich niemals danach erkundigt, aber falls alle Roten Hexen dieses Gefühl teilten, dann war dies, so vermute ich, darauf zurückzuführen, daß sie glaubten, sie könnten dort der gefürchteten Tauscherin begegnen. Vielleicht hatten sie auch Angst, irgendein von einer Weißen Hexe gesandtes Ungeheuer könnte ihnen dort auflauern.
7. Zu meinem Bedauern mußte ich das Kapitel, in welchem Hank nach seinem Besuch in der Stadt der Längst Versunkenen auf den uralten, sterbenden Zauberer Oz trifft, herausnehmen. Es hätte hier zu mehreren anrührenden Szenen kommen können, und gewiß wäre einiges Licht auf Oz' Karrieren in zwei Welten geworfen worden. Aber der Umfang dieses Romans zwang mich zu dieser Entscheidung.
8. Im Wunderbaren Zauberer von Oz behauptete Baum, es gebe keine Hunde; zumindest hätten die Eingeborenen nie welche gesehen oder von ihnen gehört. In einem späteren Buch erklärte er, daß keine Pferde existierten. Dies ist sonderbar, da die alten Goten beide Tierarten mitgebracht haben dürften. Selbst wenn man Baums Prämisse, daß die Menschen dort entstanden und nicht von der Erde gekommen seien, akzeptiert, ist das Fehlen von Hunden und Pferden verwirrend. Es gibt dort Pflanzen und Tiere, die in Nordamerika heimisch sind, und auch einige Tierarten aus Afrika und Asien. (Aber ich habe bereits erklärt, weshalb es nahelag, daß Dorothy Löwen, Mastodon und Säbelzahntiger als afrikanische Löwen und Elefanten und als asiatischen Tiger identifizierte: Mastodon und Säbelzahntiger hatte sie nie gesehen, und der
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amerikanische Löwe sah genauso aus wie der afrikanische; er war nur sehr viel größer.) In Wirklichkeit brachten Goten und Kelten Pferde und Hunde mit, und die Indianer brachten ebenfalls Hunde. Doch die Jagd auf die dort lebenden intelligenten Tiere bereiteten den neuangekommenen Menschen große Schwierigkeiten. Die meisten waren zu intelligent, als daß sie sich leicht hätten fangen lassen, und so verspeisten die nach Fleisch schmachtenden Stämme Hunde und Pferde, und die, die sie nicht aßen, fielen den Raubtieren zum Opfer. Bis dahin aber müssen ein paar Pferde und Hunde von Feuerfüchsen in Besitz genommen worden sein, doch diese intelligenten Tiere waren zu wenige, als daß sie sich in einem zum Überleben befähigenden Umfang hätten vermehren können. Und Hausgeflügel? Die Antwort auf diese Frage ist, daß die Goten, die Kelten und die Indianer kein zahmes Geflügel hatten, da es erst später von Asien nach Europa gelangte. Die Amariikianer hatten einige Wildvögel dazu überreden können, als Eierlieferanten bei ihnen zu leben. Im Gegenzug wurden die Vögel vor Raubtieren geschützt.
9. Die Natawey sind eingeborene Amerikaner, also das Volk, das man als Indianer zu bezeichnen pflegte. (In meinen Augen ist jeder, der in Amerika geboren ist, ein eingeborener Indianer.) Die Natawey sprechen Algonquin-Dialekte, die unter anderem mit der Sprache der Pequots, der Naticks, der Shawnee und der Illinois verwandt sind. Ihre Wörter für Tabak und andere, in Amerika heimische Pflanzen wurden von den kaukasischen Amariikianern entlehnt. Gern hätte ich Hank ins Natawey land geführt, wo ihm aufgefallen wäre, daß die Natawey -Zivilisation gewisse Parallelen zu denen der Olmeken, der May as und der Inkas aufweist. Es hätte auch viele Unterschiede gegeben. Aber diese Exkursion verbot sich in Anbetracht des Romanumfangs.
10. Der Quadling-Dialekt ist der am wenigsten archaische und am meisten veränderte unter allen der im Gotischen wurzelnden Sprachen. Die Beispiele sind nicht diejenigen, die ich gegeben hätte, wenn mir spezielle Phonemsy mbole zur Verfügung gestanden hätten. Ich habe »a«, »o« und »u« benutzt, um
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jeweils zwei verschiedene Laute damit darzustellen, und ich habe keine Unterscheidung zwischen langen und kurzen Vokalen getroffen. Auch habe ich Baums Schreibweise für Wörter aus der Quadling-, Munchkin-, Winkie- und Gillikinsprache beibehalten. Hank vermutete, daß Glindas Name von einem gotischen Wort stamme, welches mit dem deutschen »glänzen« verwandt sei. Er irrte sich, denn in diesem Falle hätte sie Glindo heißen müssen. In Wahrheit entstammte ihr Name einem Lehnwort aus der Sprache der kleinwüchsigen Neandertaler. Daß dessen Bedeutung derjenigen von »glänzen« ähnlich war, muß als Zufall gelten. Das s als Wortendung war im Amariikianischen verloren, es sei denn, es ging ein Vokal voran; in diesem Falle wurde s zu Z. So wurde stains (»Stein«) zu stain und fotus (»Fuß«) zu fotuz. Der Personenname Sharts sowie einige andre Wörter waren von dieser Regel ausgenommen, weil sie erst nach der Lautveränderung in die Quadlingsprache gelangten. Wortinternes s zwischen zwei stimmhaften Lauten wurde zu Z. Folglich wurde dabei fraliusan (»verlieren«) zu fraliuzan. Einleitendes und wortinternes i, gefolgt von u, wurde palatalisiert und gesprochen wie der j-Laut im englischen »year«. Aus fraliuzan wurde so fralyuzan. In einem späteren Stadium der Quadlingsprache wurde der Laut y (der im Gotischen durch j repräsentiert gewesen war), zu demj-Laut des französischen »Jalousie«. Diesen Laut habe ich mit z h wiedergegeben. Diese Veränderung ist mit derjenigen vergleichbar, die in einigen Spanisch-Dialekten Südamerikas »yo« (»ich«) zu »zho« hat werden lassen. In den Dialekten der Winkies und der Gillikins hat dieser Lautwechsel nicht stattgefunden. So kommt es, daß der Nieser Naby a heißt, nicht Nabzha. Fralyuzan wurde deshalb in der Quadlingsprache zu fraizhuzan. Das al würde diphthongisiert, wobei das i das verlorengegangene l auszugleichen hatte. Wortinternes t wurde zwischen Vokalen zu d. Bota (»Vorteil«) wurde zu boda. Bota ist möglicherweise verwandt mit dem englischen »booty « und dem deutschen »Beute«. Aspirations-h ging verloren, sofern es nicht von einem Vokal gefolgt war. Aspiriertes Initial-u? verlor die Aspiration nicht. Im Gotischen gab es die Laute, die im Englischen mit sh (wie
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in »ship«) und mit ch (wie in »church«) repräsentiert werden, nicht. Durch Neandertaler-Lehnwörter gelangten sie in die Sprache, beispielsweise mit dem Wort Munchkin, das ursprünglich munichikin lautete. In einem späteren Stadium wurden t und s, gefolgt von u, palatalisiert und wurden zu ch und sh. Somit wurde tuggo (»Zunge«) zu tyuggo und schließlich chuggo. (Das erste g wurde wie das n in »sinken« oder wie das ng in »singen« ausgesprochen.) Die Veränderung des palatalisierten t zu ch hat auch in anderen Sprachen, beispielsweise im Englischen, stattgefunden. Kiusan (»erkiesen«) wurde zu kuzan, zu kyuzan und schließlich zu chuzan (»to choose«). Es gab noch andere Lautveränderungen, auf die ich hier nicht eingehen kann. Die Quadlingsprache durchlief einen Prozeß, in dessen Verlauf interne Silben kollabierten, jedoch nicht in einem Ausmaße, wie dies im Alt-Nordischen der Fall war. Genus und Numerus wurden nahezu vollständig eliminiert. Mit Ausnahme einiger weniger Formen verschwanden auch die Casus. Der Nominativ Singular blieb, mit wenigen Ausnahmen, als Substantiv-Grundform bestehen. Der Genitiv wurde durch angefügtes s nach stimmlosen und durch angefügtes z oder Vokal plus z nach stimmhaften Wortendungen gebildet. Aber auch für diese Regel gab es eine Reihe von Ausnahmen. Die Akkusativformen der Personalpronomina wurden jedoch beibehalten, wenngleich zu der Zeit, da Hank sich im Lande aufhielt, die meisten Leute es vorzogen, den Nominativ statt des Akkusativs zu benutzen. Die Akademiker kämpften dagegen auf verlorenem Posten. Die Sprachwissenschaftler schrieben diese umfassende Regularisierung der Quadlingsprache dem langdauernden und engen Kontakt zu den Neandertalern und den Vorfahren Blogos und seines Volkes zu. (Seine Vorfahren waren noch nicht so selten.) Es gibt jedoch keinerlei Belege für diese Theorie. Irgendwann möchte ich den Wunderbaren Zauberer von Oz gern in die Quadlingsprache übertragen, aber es gibt so viele ähnliche Projekte, die ich nur halb vollendet oder überhaupt nie in Angriff genommen habe, daß es nicht feststeht, ob dieses Projekt je zur Durchführung gelangen wird.
11. Es ist möglich, daß Hanks Erklärungen für die Animation
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des blechernen Holzfällers und der Vogelscheuche sowie für die Intelligenz der Tiere unzutreffend waren. Es ist weiterhin möglich, daß er die Hieroglyphen auf dem Obelisken der Längst Versunkenen falsch auslegte. Es fällt allerdings auf, daß Glinda die Richtigkeit seiner Argumentation weder bestätigt noch bestritten hat. Mag sein, daß Glinda tüchtig gelacht hat, als Hank einmal nicht zugegen war. Baum erwähnt niemals ihren zweiten Beinamen: Glinda die Vieldeutige.
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