Ein Hauch von Seide
Heather MacAllister
Tiffany 866 24 - 1/99
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1. KAPITEL „...
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Ein Hauch von Seide
Heather MacAllister
Tiffany 866 24 - 1/99
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1. KAPITEL „Und dabei war ich heute so glücklich." Lexi Jordan legte den Telefonhörer auf und löschte die Nachricht ihrer Mutter auf ihrem Anr ufbeantworter. Sie und ihre Freundin Francesca, mit der sie sich eine Wohnung teilte, waren gerade als musikalische Unterhaltung für zwei private Feiertagspartys im Wainright Inn am nächsten Wochenende gebucht worden, was bedeutete, dass Lexi ihre Weihnachtseinkäufe beenden konnte, ohne das Limit ihrer Kreditkarte ausschöpfen zu müssen. Wenn das kein Grund für gute Laune war! Doch dann hatte ihre Mutter angerufen ... „Was gibt es Neues bei den Jordans?", rief Francesca aus dem Badezimmer, wo sie ihre Unterwäsche zum Trocknen aufhängte. „Gretchen hat eine neue Therapeutin." „Deine Schwester hat ständig neue Therapeuten." „Aber diese hat meine Mom dazu überredet, die ganze Familie zum Weihnachtsessen einzuladen." Lexi entfernte sich vom Telefon und beobachtete vom Türrahmen aus ihre Mitbewohnerin. „Sie will, dass ich einen Mann mitbringe." „Einen Küchenchef? Einen Butler? Zur Unterhaltung?" „Einen zum Vorzeigen." Francesca hob die Brauen und entrollte ein Handtuch. „Oje." Lexis Mitbewohnerin besaß eine umfangreiche Sammlung an teurer Unterwäsche, die mit der Hand gewaschen werden musste, mit einem speziellen Waschmittel, das sie aus einem Katalog bestellte. Lexi hingegen trug Baumwollunterwäsche, weil sie atmungsaktiv war. „Und? Hast du einen vorzeigbaren Mann, von dem ich nichts weiß?" „Ich habe noch nicht einmal einen nicht vorzeigbaren." Lexi dachte an die Männer, die sie kannte. Sie waren alle nichts Besonderes. Daran würde sich höchstwahrscheinlich auch nichts ändern, solange sie und Francesca an den Abenden, an denen etwas los war, im Wainwright Inn in Rocky Falls, Texas, auftraten. „Selbst wenn ich einen Mann finde, wäre er sicher befremdet, wenn ich ihm unsere Familientherapie zumute." „Familientherapie?" „Ja. Gretchens Therapeutin ist nämlich der Ansicht, Gretchen leide an unverarbeiteten Zurücksetzungen während ihrer Kindheit." „Das klingt gut. Erzähl weiter." Francesca grinste und nahm einen schwarzen und pinkfarbenen BH aus dem Handtuch. Zumindest vermutete Lexi, dass es sich um einen BH handelte, da es nicht viel Stoff zum Identifizieren gab. Lexi lehnte sich an den Türrahmen. „Na ja, diese Frau hat Gretchen erklärt, unsere Eltern seien emotional distanziert und mehr am Wohlergehen der Kunstgemeinde interessiert als an Gretchen. Kannst du dir das vorstellen?" Francescas und Lexis Blicke trafen sich im Spiegel über dem Waschbecken. „Irgendwie schon." „Frankie! Bleib ernst. Was glaubst du, wer Gretchens Therapie bezahlt? Abgesehen davon habe ich keine Probleme mit meinen Eltern." „Äh ..." Lexi verzog das Gesicht und machte eine abwehrende Geste mit der Hand. „Außer den üblichen. Sie waren immer da und verbrachten viel Zeit mit mir, und als ich klein war, kamen sie stets zu meinen Konzerten. Sie kommen noch heute. Sie sind nicht emotional distanziert. Ich könnte Gretchen dafür ohrfeigen." Francesca hängte weitere Stücke des schwarzen und pinkfarbenen Ensembles auf. Dann fischte sie ein schwarzes Stoffknäuel aus dem Waschbecken. „Gretchen ist völlig unmusikalisch. Sie kann weder singen noch Klavier spielen." „Na und?"
„Also gab es auch keine Konzerte, zu denen deine Eltern hätten gehen können. Vielleicht haben sie ihr dadurch zu wenig Beachtung geschenkt." Lexi rief sich rasch die Kindheitserinnerungen an ihre kleine Schwester ins Gedächtnis. „Gretchen ist ein Quälgeist. Man kann sie unmöglich ignorieren." Auch diese neueste Macke diente nur dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen. Francesca lachte, während sie das schwarze Knäuel auswrang und auf den Waschbeckenrand legte. „Wieso Weihnachtsessen?" „Gretchen hat keine glücklichen Kindheitserinnerungen an Weihnachten, also sollen wir ihr jetzt welche bescheren." „Eigentlich hört sich das doch gar nicht so schlecht an. Ich finde die Idee nett." Lexi war der Ansicht, dass man Gretchen nur ermutigte, wenn man ihr ihren Willen ließ. „Das ist nicht nett. Mutter will beweisen, dass wir eine normale, glückliche, ausgeglichene und erfolgreiche Familie sind." Francesca kicherte. „Und was davon liegt ihr besonders am Herzen?" Lexi holte tief Luft. „Alles. Ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, die Adjektive wegzulassen und sich darauf zu beschränken, zu beweisen, dass wir eine Familie sind. Aber sie besteht auf ihrem Vorhaben. Jetzt halt dich fest – Les kommt auch." Francesca wirbelte herum und stieß dabei das schwarz gestreifte Stoffknäuel wieder ins Wasser. „Dein Bruder? Das graue Schaf?" Die beiden Frauen brachen in Gelächter aus bei der Erinnerung an die vielen kurzlebigen Rebellionsversuche von Lexis Zwillingsbruder. „Der arme Les. Er möchte so gern das schwarze Schaf sein, doch jedes Mal, wenn er nach Hause kommt, bleicht er aus." „Ich kann nicht glauben, dass es deiner Mutter gelungen ist, ihn Weihnachten nach Hause zu locken." „Sie schafft ja sogar, dass ich mich nach einem Mann umschaue." „Ich begreife es nicht. Wieso?" „Gretchen ist so labil und Mom hat Angst davor, wen Les mitbringt." Francesca warf ihr einen geduldigen Blick zu. „Weil du meine beste Freundin bist, darf er mich mitbringen." „Danke für das Opfer, aber du hast das falsche Geschlecht." „Nein!" „Doch. Das hat er mir jedenfalls erzählt, als wir zuletzt miteinander telefoniert haben." „Das hat er wahrscheinlich nur behauptet, um sich an deinen Eltern dafür zu rächen, dass sie ihn Leslie genannt haben." Das vermutete Lexi auch. „Jedenfalls hat es seine Wirkung nicht verfehlt." „Das kann ich mir vorstellen." Francesca fischte ihre Dessous aus dem Becken und ließ sie abtropfen. „Was ich jedoch eigentlich meinte, war, wieso es überhaupt wichtig ist, dass du jemanden mitbringst. Es soll doch eine Familienfeier sein, oder?" Genau darin bestand das Problem. Dieses Mal schloss „Familie" Lexis Tante Carolyn ein, die, laut Aussage von Lexis Mutter, ein perfektes Leben führte. „Ich nehme an, mein Begleiter soll Tante Carolyn die Gelegenheit nehmen, sich wieder über fehlende Enkelkinder auszulassen. Anscheinend werden ihr Mann, meine wunderbare Cousine und deren Ehemann auch da sein." Francesca sah mit großen Augen in den Spiegel. „Emily DeSalvo kommt nach Rocky Falls?" „Es sieht ganz danach aus." „Gütiger Himmel ... wie kann sie ihren Terminplan so kurz vor Weihnachten umstellen?" „Sie ist eben vollkommen", meinte Lexi kühl. Francesca sah sie verwundert an. „Du bist doch nicht etwa immer noch eifersüchtig auf sie, oder?" „Ich war nie eifersüchtig auf meine Cousine."
„Na ja, es wäre ganz normal, wenn du es sein würdest. Sie ist... sie ist..." Francesca bemerkte Lexis grimmige Miene und drehte sich wieder zum Waschbecken um. „Sie ist eine weltberühmte Sopranistin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, während ich bloß außerordent liche Professorin für Musik an einem kleinen College im texanischen Hinterland bin und Unterricht im Klavierspielen gebe. Das wolltest du doch sagen, oder?" Einen Moment lang herrschte Schweigen. „Ich hätte den Ausdruck ,Hinterland' nicht gewählt." Lexi seufzte. „Komm schon, du kannst dich doch nicht mit ihr vergleichen." „Meine Mutter tut es." Lexi lächelte schwach. „Früher, als wir klein waren, habe ich Emily bei ihren Auftritten begleitet." Francescas Augen leuchteten auf. „Wusstest du damals schon, wie gut sie war?" „Ja. Ich war nicht schlecht, aber sobald die Leute sie singen hörten ..." Sie ließ den Satz offen und erinnerte sich daran, wie sie übte und übte und Emilys Stimme sie jedes Mal in den Schatten stellte. Wenn sie es sich genau überlegte, waren ihre Eltern vielleicht nur zu den Auftritten gekommen, weil sie Emily hören wollten. Ihre Miene verfinsterte sich. „He." Lexi bemerkte, dass Francesca sie prüfend betrachtete. „Wir werden einen echten Prachtkerl zu Weihnachten für dich finden müssen. So einen wie ihn." Francesca deutete auf den Pin- up-Kalender neben dem Spiegel. Der Kalender enthielt Fotos von Männern in erotischen Posen. Angeblich waren es alles Wissenschaftler. Ein Weihnachtsmann mit nackter Brust und lässiger Haltung starrte sie von dem letzten Bild finster an. Und „finster" war die richtige Umschreibung. Während die meisten anderen Männer ein sexy Lächeln versuchten, schien der Gesichtsausdruck dieses Mannes die Frauen herauszufordern, es mit ihm aufzunehmen. Und genau das hatte Francesca vor. Sie war fasziniert von dem Kerl. Morgens konnte Lexi sie mit ihm reden hören, wenn Francesca sich schminkte. Lexi musste zugeben, dass seine Pose beunruhigend war. Daran änderte auch der Abdruck von Francescas Lippenstift auf seiner linken Wange nichts. „Das ist er", meinte Francesca und gab Kussgeräusche von sich. „Ein echter Augenschmaus für Emily." Nicht nur für Emily. Bis jetzt war Lexi dem vorwurfsvollen Blick von Mr. Dezember ausgewichen, aber das hieß nicht, dass sie ihn sich nicht angesehen hätte. Er hatte wohlgeformte Hände mit schmalen, langgliedrigen Fingern. Menschen mit Lexis Beruf achteten auf Finger. Trotzdem war sie überzeugt, dass sie die einzige Frau war, die außer seiner breiten, leicht behaarten Brust, dem flachen Bauch und den muskulösen Schultern auch noch seine Finger wahrnahm. „Was meinst du?", fragte Francesca und ihre Wangengrübchen zeigten sich. „Er wäre perfekt, nicht wahr?" „Ich weiß ja, dass dies die Zeit der Wunder ist, aber nun übertreib nicht." „Ich sage dir ständig, dass es nur eine Frage der richtigen Unterwäsche ist." Lexi betrachtete das Kalenderbild. „Ich habe das Gefühl, dass mehr dazu gehört, um sich diesen Mann zu schnappen." „Deshalb habe ich ihm auch geschrieben." „Das hast du nicht!" Francesca nahm grinsend das letzte Wäschestück aus dem Waschbecken und ließ das Wasser ablaufen. „Natürlich habe ich das. Und ich habe ihm ein Bild geschickt." Lexi schloss die Augen. „Nicht das, auf dem du nackt mit deinem Cello bist." „Nur damit er weiß, dass ich auf einem edlen Instrument zwischen meinen Beinen zu spielen weiß." „Francesca!" „Du solltest auch einem dieser Kalendermänner schreiben", schlug sie vor.
Lexi sah zu Mr. Dezember und stellte sich Emilys Neid vor. Das wäre mal etwas anderes. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Doch dann dachte sie an das entsetzte Gesicht ihrer Mutter. „Ich glaube nicht, dass irgendeiner dieser Männer zu meiner Familie passt." „Wieso? Es sind alles Wissenschaftler. Diese Jungs haben Hirn und Muskeln. Könnte es sein, dass du ein bisschen wählerisch bist?" „Francesca ..." Wie konnte jemand gleichzeitig so klug und naiv sein? „Dieser Mann ist kein Wissenschaftler." „Und ob er einer ist!" Francesca rollte ihr letztes Stück Unterwäsche in ein Handtuch. „Sie sind alle Wissenschaftler und arbeiten drüben im Forschungszentrum für Elektronik." „Das weiße Gebäude auf der anderen Seite der Wasserfälle?" Francesca nickte. Lexi ging zu dem Kalender und nahm ihn von der Wand. Sie blätterte ihn durch und sagte: „Du willst damit also behaupten, dass diese vielen gut aussehenden, intelligenten und allein stehenden Kerle nur ein paar Meilen von hier entfernt arbeiten und wir ihnen noch nie begegnet sind? Das glaube ich nicht." „Ich war selbst überrascht, aber in der Herbstausgabe von 'Texas Men' steht ein ausführlicher Bericht über sie." „Deswegen habe ich die Zeitschrift also überall auf dem Campus gesehen." Lexi hängte den Kalender wieder auf. „Da muss es trotzdem einen Haken geben." Sie sah Mr. Dezember in die Augen. War das tatsächlich Intelligenz, was sie darin sah? „Wenn du etwas über sie lesen willst, ich besitze eine Ausgabe des Magazins." Francesca hielt einen langen, hauchdünnen Catsuit mit Tigermuster hoch und hängte ihn auf die Wäscheleine über der Badewanne. „Sie liegt unter meinem Kopfkissen." Lexi wandte sich zum Gehen. „Unter deinem Kopfkissen, sagtest du?" Das Magazin befand sich auf dem Nachttisch, nicht unter dem Kissen. Sie setzte sich auf die Bettkante und klappte das Magazin bei Mr. Dezember auf. Besser gesagt, bei Dr. Dezember. „Welche Frau würde sich nicht glücklich schätzen, Mr. Dezember Weihnachten in ihrem Strumpf zu finden?", las sie. Im Hintergrund hörte sie das Telefon klingeln. „Ich geh schon!", rief Francesca. „Spencer Price, unser Lieblingsweihnachtsmann, ist Maschinenbauingenieur mit Doktortitel..." Lexi betrachtete erneut Dr. Price und begann sich die Möglichkeiten auszumalen. Hier war ein Mann, der sowohl dem Niveau ihrer Eltern als auch Emilys und Tante Carolyns Maßstäben entsprechen würde. Das würde Lexi mitfühlende Blicke ersparen und neidvolle einbringen. Es war eine reizvolle Phantasie – beinahe so befriedigend wie die, in der sie ganz allein das Littletree College zu einer der besten Universitäten für Kunst im ganzen Südwesten machte. Leider war sie ebenso unwahrscheinlich zu verwirklichen. Lexi blätterte das Magazin durch und entdeckte eine 900-Nummer, unter der Kontaktsuchende Informationen zu den Männern erhalten konnten. Sie dachte tatsächlich darüber nach, dort anzurufen, als Francesca im Türrahmen erschien. „Lexi, ich halte den Verfall unseres Musikinstituts nicht länger aus! Du weißt doch, dass es heute Morgen geregnet hat?" Lexi nickte. „Nun, Dr. Biersangers Sekretärin war am Apparat. Das Leck in der Decke des Auditoriums hat endlich dazu geführt, dass Teile der akustischen Deckenvertäfelung morsch wurden und heruntergestürzt sind, während das Blockflötenensemble auf der Bühne war." „O nein! Ist jemand verletzt worden?" „Nein. Aber das wird noch geschehen, wenn das Gebäude nicht renoviert wird." „Renoviert?" Das war einer von Lexis wunden Punkten. „Hast du eine Ahnung, wie viele potentielle Studenten und Professoren Littletree abgelehnt haben wegen der vielen
mangelhaften Unterrichtsräume, der alten Klaviere und des schäbigen kleinen Übungsraumes?" „Natürlich." „Inzwischen ist es so, dass es mir peinlich ist, wenn wir einen Gastmusiker haben. Man sollte das ganze Institut abreißen und ein neues bauen." „Wieso bringst du deinen Vater nicht dazu, uns etwas von seinem Stiftungsgeld zu geben?" Lexi starrte sie wütend an, da Francesca gerade eine unausgesprochene Regel verletzt hatte. Lexis Vater und seine Verbindung zur Stiftung „Kultur und Kunst" waren tabu. Seufzend hob Francesca die Hände. „Tut mir Leid. Aber allmählich sieht es so aus, als sei er unsere beste Chance." Lexi wusste, dass Francesca damit nur die Meinung der meisten aus dem Fachbereich Musik am Littletree College aussprach. Selbstverständlich hatte Lexi niemand ins Gesicht gesagt, dass man sie lediglich eingestellt hatte, weil sie die Tochter von Lawrence Jordan war, des bekannten Kunstfreundes. Aber seit sich der Zustand des Gebäudes rapide verschlechtert hatte, in dem das Musikinstitut untergebracht war, machten die Leute immer wieder Andeutungen in dieser Richtung. Deutlich bekam Lexi die Erwartung dann schließlich zu spüren, als Dr. Biersanger, der Vorstand des Fachbereichs Musik, sie nicht mehr als Emily DeSalvos Cousine vorstellte, sondern zukünftigen Studenten und Lehrkräften als Lawrence Jordans Tochter präsentierte. Lawrence Jordan sollte ihre beste Cha nce sein? Wohl eher die einzige. Und hauptsächlich, weil sie Biersangers hoffnungsvollen Hundeblick nicht länger ertragen konnte, hatte Lexi bereits beschlossen, sich vor Ende des Jahres an ihren Vater zu wenden. Dafür war jedoch der richtige Ort, seine Stimmung und der Zeitpunkt entscheidend. „Na schön", verkündete sie Francesca. „Ich werde ihn fragen." Francesca hob triumphierend die Faust. „Ja!" „Aber du darfst noch niemandem etwas davon verraten." „Meine Lippen sind versiegelt. Aber in der Zwischenzeit fällt mein Kurs für Kammermusik aus. Es sei denn, du hast nichts dagegen, wenn wir hier üben." „Natürlich nicht." „Ich werde gleich das Sekretariat anrufen, damit sie ein Schild anbringen." Nachdem Francesca verschwunden war, schaute Lexi wieder auf das Magazin. Sieben verfügbare Männer, nur wenige Meilen entfernt. Und sie brauchte bloß einen. Nur einen einzigen Mann, um ihre Mutter und somit auch ihren Vater zufrieden zu stellen. Einen Mann, um Gretchens Therapeutin zu beruhigen und Tante Carolyns neugierigen Fragen zuvorzukommen. Einen Mann, der sie gegen Emilys strahlenden Erfolg abschirmte. Und vielleicht einen Mann, der tatsächlich für sie selbst infrage kam. Lexi stand auf und nahm das Magazin mit. Francesca war dabei, Stühle um das Klavier zu stellen. „He, Frankie, sehe ich gut aus?" Sie trug einen Sweater, für den Fall, dass die Heizung in ihrem Studio nicht funktionierte, eine Bluse und einen langen Rock, um auf die Strumpfhose verzichten zu können. „Wofür?" Lexi holte tief Luft und wedelte „Texas Men" durch die Luft. „Ich fahre zum Forschungszentrum." „Jetzt gleich?" Lexi nickte. „Ich habe noch zwei Stunden bis zu meinem nächsten Kurs." Francesca grinste. „Das mag ich an dir. Wenn du dich zu etwas entschlossen hast, dann setzt du alles daran, es zu erreichen. Willst du meinen Catsuit anziehen? Ich kann ihn mit dem Föhn trocknen." Lexi schüttelte den Kopf. „Das Ding ziehe ich nicht an. Ich würde mich darin nur unwohl fühlen."
„Im Gegenteil, es löst einen zusätzlichen Reiz aus", erwiderte Francesca mit sinnlicher Stimme. „Gereizt bin ich auch so schon genug." „Es verändert deine Körpersprache." „Das ist nicht die Sprache, die ich sprechen will." Francesca verdrehte die Augen. „Falls doch, wirst du wahrscheinlich jeden Kerl aus dem Kalender für die Weihnachtsfeier bekommen." Sie musterte ihre Freundin kritisch, ging zu ihr und öffnete die obersten beiden Knöpfe von Lexis Bluse. „Lass den Sweater weg." Lexi schaute an sich herunter, dorthin, wo ihr Ausschnitt hätte sein sollen. „Du brauchst einen Hauch Spitze, die hervorlugt." „Ich will nicht, dass meine Unterwäsche für mich spricht." Lexi knöpfte den einen Knopf wieder zu und zog den Sweater aus. Francesca zuckte die Schultern. „Es gab Gelegenheiten, da war ich dankbar für die eindeutigen Signale, die meine Dessous aussendeten." Lexi bevorzugte eine direktere Methode. „Setzt du immer deine Unterwäsche ein, um zu bekommen, was du willst?" „Nein, manchmal trage ich nicht einmal welche." „Wie bitte?", rief Lexi empört. Francesca lachte und baute die Notenständer auf, die sie im Flurschrank aufbewahrten. „Gewöhnlich wenn ich ein Konzert gebe und der Dirigent bei der Probe nicht genug aus sich herauskam. Bevor wir auf die Bühne gehen, flüstere ich ihm ins Ohr, dass ich keine Unterwäsche trage. Das verleiht dem Konzert stets einen Extrakick. Meistens erhöht sich dadurch auch das Tempo." „Und wenn der Dirigent eine Frau ist?" „Dann sorge ich dafür, dass sie einen meiner Catsuits trägt." Francescas tiefe Grübchen erschienen. Lexi starrte ihre Freundin an. „Das denkst du dir doch jetzt bloß aus." „O nein." Francesca deutete auf eine Cello spielende Kristallfigur auf dem Sims des Kamins, den sie nie anzündeten, weil Lexis Klavier zu dicht daneben stand. „Das ist von Martina Golavaskov. In Dankbarkeit." „Die Russin?" Francesca hob eine Braue. „Ihre Kritiken wurden nach unserem gemeinsamen Konzert deutlich besser." „Und du glaubst, das liegt an deiner Unterwäsche?" „Die Unterwäsche entscheidet über meine Stimmung", erwiderte Francesca. „Du musst lockerer werden, Lexi." „Ich bin locker, wenn es darauf ankommt", protestierte sie. „Ich spare mir meine Emotionen für die Musik auf, statt sie an irgendwelche Wäschestücke zu verschwenden. Außerdem muss eine von uns beiden ja diszipliniert und konzentriert bleiben." „Du solltest deine Gefühle nicht zurückhalten. Genieße sie. Sie dehnen sich aus." Francesca lächelte listig. „Genau wie der Catsuit." Lexi hängte ihren Sweater wieder in den Schrank. „Ich weiß das Angebot zu schätzen, aber lass es mich zuerst auf meine Art versuchen. Welc he Jacke soll ich anziehen?", rief sie. „Nimm meine Lederjacke. Aber du musst versprechen, deine Haare offen zu tragen." Lexi grinste und schlüpfte in die Ärmel der Jacke, da sie ohnehin vorgehabt hatte, die Haare offen zu tragen. Sie stellte sich vor den Wandspiegel im Flur, löste die Schildpattspange und ließ die taillenlangen schwarzen Haare herabfallen. Lexis Haare waren ihr ganzer Stolz und sie pflegte sie mit derselben Intensität wie Francesca ihre Unterwäsche. Sie war gerade dabei, Lippenstift aufzutragen, als ihre Freundin in den Flur kam, um weitere Stühle aus dem Schrank zu holen. „Wenn ich solches Haar hätte, würde mir auch Baumwollunterwäsche genügen",
bemerkte Francesca seufzend. „Falls du Mr. Dezember triffst, frag ihn, ob er mein Foto bekommen hat." Lexi schraubte die Kappe ihre Lippenstifts zu. „Wenn ich Mr. Dezember sehe, schnappe ich ihn mir selbst."
2. KAPITEL „Aber diesmal ist sie richtig sauer." „Na ja, gestern hat sie auch nicht gerade vor Wonne geschnurrt." „Ich meine, sie ist richtig wütend." Es herrschte kurzes Schweigen. Dann: „Na schön. Halt sie in der Leitung, bis ich mit ihm gesprochen habe." Spencer Price tat, als könnte er die Unterhaltung hinter der abgetrennten Ecke des Labors, die er großzügig sein Büro nannte, nicht hören. Er wollte sie auch gar nicht hören. Er arbeitete an der Jahresbilanz, was ihn jedes Mal in schlechte Stimmung versetzte. Jeder in seinem Forschungsteam wusste das und ging ihm während dieser Zeit aus dem Weg. „Du wirst ihm nichts erzählen von der ..." Der Rest des Satzes ging unter, weil der aufgeregte Sprecher zum Schweigen gebracht wurde. „Ich werde mich um die Angelegenheit kümmern." Spencer fragte sich, worum es sich handelte. Er überlegte, ob er die Zimmertür schließen sollte, obwohl er das nie tat, weshalb ein Stapel Kartons mit elektronischem Zubehör sie aufhielt. Schritte näherten sich seiner Tür. „He, Doc?" Spencer sah von seinem Computermonitor auf. „Ich hoffe, es ist etwas Wichtiges, Gordon." Sein dienstältester Forschungsassistent trug nicht sein übliches Lächeln im Gesicht. Das war kein gutes Zeichen. „Die Lady von 'Texas Men' ist in der Leitung. Warte", warnte Gordon ihn, da Spencer schon nach dem Hörer griff. „Es gibt noch etwas, was du wissen solltest, bevor du mit ihr sprichst." Spencers Laune verschlechterte sich weiter, als er bemerkte, wie sich der Rest des Teams hinter Gordon versammelte. „Was habt ihr angestellt?" „Ich hab dir doch gesagt, dass das ein schlechter Zeitpunkt ist", murmelte jemand. Gordon hob eine Hand. „Zweifellos hast du bemerkt, wie der Berg Post im Labor angewachsen ist, seit unser Kalender in ,Texas Men' vorgestellt wurde." Das war eine Untertreibung. Sie sahen beide auf den Postsack in der Ecke von Spencers Büro. „Was ist damit?" „Einige von uns – genau gesagt, alle, bis auf dich – haben die Briefe gelesen und sich mit einigen der Frauen getroffen." „Das weiß ich. Ihr sechs habt in den letzten drei Monaten von nichts anderem gesprochen. Du redest um den heißen Brei herum, Gordon." „Ich hatte gehofft, sie würde auflegen." Alle sahen auf das rot blinkende Lämpchen an Spencers Telefon. „Warum?" Gordon hob resigniert die Hände. „Damit sie die Gelegenheit hat, sich zu beruhigen, bevor sie mit dir spricht. Wenn man zu aufgebracht ist, neigt man dazu, Dinge zu sagen, die man später bereut." Spencer musterte ihn misstrauisch. „Also was ist los?" Gordon verzog das Gesicht. „Es hat einige Beschwerden gegeben." „Wer hat sich worüber beschwert?" „Ein paar der Frauen, mit denen wir uns getroffen haben, fanden, dass wir unseren Kalenderfotos nicht ähnlich genug sehen, und haben es ,Texas Men' wissen lassen." Spencer dachte einen Moment darüber nach. Wie viele Klagen hatte es tatsächlich gegeben? „Zufriedene Frauen beklagen sich nicht. Was habt ihr mit ihnen gemacht?" „Nichts!", riefen alle im Chor. „Ist es euch je in den Sinn gekommen, dass genau darin das Problem liegen könnte?" Spencer schaltete seinen Monitor ab. „Keine von ihnen blieb lange genug, als dass wir etwas mit ihnen hätten tun können. Aber ich habe im Chemielabor angefragt, ob sie nicht etwas erfinden könnten, um ..."
„Sei still, Murray." Gordon stieß ihn in die Seite und räusperte sich. „Bei der Computerbearbeitung der Kalenderfotos haben wir es vielleicht ein wenig übertrieben. Aber grundsätzlich sind wir dieselben Personen mit derselben Persönlichkeit. Oder?" Er schaute sich Zustimmung suchend zu seinen Kollegen um. „Frauen kaufen sich diese Kalender nicht wegen deiner Persönlichkeit", knurrte ein Mann mit breitem, gewölbtem Brustkorb im Hintergrund. „Bei einigen von uns si t das aber nun einmal alles, was sie einer Frau zu bieten haben." „Schon gut, schon gut. Ich habe das Problem erfasst." Spencer atmete schwer aus. „Ich wusste gleich, dass es keine gute Idee war, den Kalender in einem solchen Magazin vorstellen zu lassen. " „Denk nur daran, wie schnell wir danach unsere restlichen Kalender losgeworden sind", erinnerte Gordon ihn. „Und denk an das Geld, das es uns eingebracht hat." Da das Auftreiben der nötigen Mittel für sein Roboterhand-Projekt den Großteil von Spencers Ze it einnahm, erinnerte er sich natürlich daran. Er hielt mit dem Finger über der Wartetaste des Telefons inne. „Name und Status." „Tonya. Blond. Ledig." „Danke." Spencer drückte die Taste und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Tonya", sagte er gedehnt in den Hörer und versuchte sich die Blonde am anderen Ende der Leitung vorzustellen, „Hier ist Spencer Price. Wie geht es Ihnen?" „Na, wenn das nicht Mr. Dezember höchstpersönlich ist. Ich fing schon an zu glauben, dass Sie ebenfalls gar nicht existieren." „Ebenfalls?" „Zuerst berichtet man mir, dass die Männer aus dem Kalender nicht die gleichen waren, die bei den Rendezvous auftauchten. Und dann haben Sie weder meine Anrufe noch mein Fax beantwortet." „Welche Anrufe?" Spencer beobachtete, wie Gordon zu dem Stapel Papiere in der Ecke seines Schreibtisches schlich und einige pinkfarbige Zettel herauszog. Spencer schnappte sie sich und fächerte sie wie ein Kartenspiel vor sich auseinander. Er sah finster zu Gordon, der auf ein Stück Papier unter den pinkfarbene n Zetteln deutete, das sich als das Fax erwies. Gordon und die anderen zogen sich rasch zurück, während Spencer Tonyas Tirade über sich ergehen ließ. Im Grunde war er selbst schuld. Seit er den Posten des Forschungsleiters hatte, verbrachte er weniger Zeit mit der Forschung und immer mehr mit Verwaltungsaufgaben. Das bisschen Zeit, das ihm noch für die Arbeit an der Roboterhand blieb, wurde ständig unterbrochen. Und jetzt musste er auch noch den Etatbericht anfertigen. Er drehte seinen Bürosessel zur Wand und dem schmalen Fenster. „Tonya, mein Assistent hat gerade eben Ihre Nachrichten aus den Eingängen auf meinem Schreibtisch ausgegraben. Es besteht ein Kommunikationsproblem auf unserer Seite. Er hatte Anweisung, mich nicht bei der Arbeit zu stören. Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung." Er bemühte sich um einen charmanten Ton. „Ich war mit Arbeit überhäuft." „Ich wurde auch überhäuft, und zwar mit Beschwerden", erwiderte sie barsch, doch klang sie schon nicht mehr so wütend wie zu Anfang. „Sieht denn keiner von Ihnen seinem Foto ähnlich?" „Das ist ein typischer Effekt solcher Fotos. Sie kennen doch diese Kalender. Da wird retuschiert und mit Posen gearbeitet." „Dr. Price, lassen Sie mich nur aus einer kleinen Auswahl an Beschwerden zitieren. ,Übergewichtiger Spinner ... Er bekam rote Ohren und starrte ständig auf meine Brüste.'" Sofort erschien Bobs Bild in Spencers Vorstellung. Er schloss die Augen und rieb sich die Nasenwurzel. „,Ein blasser Depp ... dieser Eierkopf hatte überhaupt keine Muskeln und ist
offensichtlich in seinem ganzen Leben noch nie in einem Fitnesscenter gewesen ... Ich erwartete einen attraktiven, gebräunten Mann mit dichtem Haar, der sich für Paragliding begeistert. Und seine Haare sollten auf dem Kopf sein, nicht auf dem Rücken.'" Spencer unterbrach sie. „Möglicherweise haben sich Ihre zufriedenen Abonnentinnen nicht gemeldet." „Wir haben mit Frauen gesprochen, die unsere Servicenummer gewählt hatten. Keine war glücklich. Alle fordern eine Kostenerstattung. Sie schaden uns finanziell und gefährden den Ruf von 'Texas Men'." Spencers in finanziellen Dingen sensible Antennen vermeldeten drohende Schadensersatzansprüche. Doch damit würde sie nicht durchkommen. „Die Sache hat zwei Seiten, Tonya", entgegnete er. „Sie sollten Ihre Auswahl gründlicher treffen, um die Frauen mit unrealistischen Erwartungen auszusieben." „Sie wollen also behaupten, es sei unrealistisch zu erwarten, dass die Männer auf den anderen Kalenderfotos so wie Sie aussehen?" Spencer bemühte sich, genau das nicht zu sagen. Er war sich der Tatsache bewusst, dass Frauen ihn attraktiv fanden. Aber da er sein gutes Aussehen eher seinen Genen zu verdanken hatte als eigenem Bemühen, war er nicht stolz darauf. „Sie schmeicheln mir." „Das war nicht meine Absicht, das versichere ich Ihnen." Nein, ihre Absicht war es, die zum Littletree College gehörende Forschungsabteilung für Elektronik für etwaige finanzielle Einbußen ihres Magazins haftbar zu machen. Spencer vermutete, dass sie Druck von ihrer Herausgeberin bekommen hatte, den sie jetzt an ihn weitergab. Also musste er einen Weg finden, um alle Beteiligten zu besänftigen. Das war nichts Neues für ihn. Diese ganze Kalendergeschichte hatte als Scherz begonnen – es hatte eine Parodie auf die üblichen Kalender mit sexy Kerlen sein sollen und eine weitere verrückte Idee aus Dr. Prices Labor, um sich Fördermittel zu beschaffen. Sicher, die Männer hatten ihre Fotos zum Positiven verändert. Aber sie hatten nicht damit gerechnet, dass irgendjemand die Bilder ernst nehmen würde, bis „Texas Men" anrief und den Kalender präsentieren wollte. Anscheinend besaßen die Leserinnen von „Texas Men" keinen Sinn für Humor. Die Wahrheit war jedoch, dass der Kalender dank der Vorstellung in dem bekannten Kontaktanzeigenmagazin zur größten Einnahmequelle für das Labor geworden war und weitere sechs Monate Forschungsarbeit an der Roboterhand sicherten, dem Projekt, das Spencer so am Herzen lag. Und wenn es das Letzte war, was er zu Stande bringen würde, er wollte Dr. „Moldy" Oldstein einen Prototyp der Hand vorlegen. Er wollte das Gerät an diese arthritischen Hände anschließen und dem alten Mann zeigen, dass ausgerechnet Spencer Price – der Junge, an den nach Ansicht von Oldstein Stipendiengelder verschwendet waren –, ihm sein Bewegungsvermögen zurückgab. Während des Studiums hatte Moldy ihm das Leben schwer gemacht, indem er ständig herummäkelte, Spencer gebe nicht sein Bestes, und ihn ständig Entwürfe und Projekte von neuem beginnen ließ. Spencers Zorn hatte seine Entschlossenheit nur gefestigt. Selbst als er nicht mehr Moldys Student war, trieb ihn der Spott des Mannes weiter an – und zum Erfolg. Vor drei Jahren hätte er fast aufgegeben. Ohne weitere Zuschüsse hätte er kein Geld und keinen Job mehr gehabt. Und wer saß im Bundesausschuss für die Bewilligung von Fördermitteln? Sein strengster Kritiker Moldy Oldstein. Spencers Augen suchten den gerahmten Brief an der Wand, wie häufig, wenn er an einen Tiefpunkt gelangte. Er erinnerte sich an die wenigen Worte: „Herzlichen Glückwunsch. Hier haben Sie noch mehr Geld, das Sie verschwenden können." Der Zuschuss war hoch gewesen – er hatte gereicht, um dieses Team zusammenzustellen. Doch noch mehr hatte ihm Moldys private Spende in Höhe von zehntausend Dollar bedeutet. Moldy glaubte an Spencer und ihm war klar geworden, dass Moldy das schon
immer getan hatte. Und nun meinte Tonya, er würde zulassen, dass sie alles bedrohte, wofür er so hart gearbeitet hatte? „Wir brauchen positive Rückmeldungen, um den Beschwerden etwas entgegenzusetzen", sagte sie gerade. „Das Problem könnte darin bestehen, dass die Jungs niemandem einen Korb geben wollten und sich deshalb mit allen Frauen getroffen haben. Ich werde dafür sorgen, dass sie sich die Kandidatinnen, die an einem Kontakt interessiert sind, sorgfältiger aussuchen." „Das ist ein Anfang. Aber ich brauche etwas Greifbares, das ich meiner Herausgeberin vorlegen kann", erklärte Tonya und bestätigte damit Spencers Einschätzung der Lage. „Das dürfte nicht schwer sein." Zumindest hoffte er das. „Wir werden die Damen bitten, Ihnen begeis terte Zuschriften zu senden. Einladungen zu den Hochzeiten ... zur Taufe des ersten Kindes ..." „Schon gut, ich verstehe, was Sie meinen, Dr. Price." Tonya machte eine Pause und ihr Ton änderte sich. „Übrigens ... über Sie hat es keine Klagen gegeben." Spencers Blick fiel unwillkürlich auf den Stapel ungeöffneter Post, die an ihn adressiert war. „Ich versuche mein Bestes." Verzweifelten Frauen aus dem Weg zu gehen, fügte er in Gedanken hinzu. „Sollten Sie jemals wieder in Dallas sein ..." „Dann rufe ich Sie an", meinte Spencer leichthin, bereit aufzuhängen. „Tun Sie das." Tonya klang wie eine Frau, die die „Ich rufe dich an"-Phrase schon zu oft gehört hatte. „Bis dahin erwarte ich ein paar positive Berichte über die Treffen. Nichts Detailliertes, nur etwas, was wir in unserer Leserbrief- Rubrik bringen und womit wir die Herausgeberin dazu veranlassen können, ihre Betrugsklage noch einen Monat hinauszuschieben." Der Sessel quietschte, als Spencer sich abrupt aufrichtete. „Betrugsklage?" „Ja, zu unserem Schutz gibt es in unseren Verträgen eine Klausel über falsche Darstellungen, die Sie und Ihre Männer vor der Präsentation des Kalenders in unserem Magazin unterschrieben haben. Wir müssen uns nur äußerst selten darauf berufen, aber falls es nötig ist ..." Sie lachte, als wollte sie den Rest des Satzes nur widerwillig preisgeben. „Sie verstehen sicher, wenn ich Ihnen sage, dass es für uns unprofitabel ist, Klagen anzustrengen, die wir verlieren könnten." „Sie wollen uns vor Gericht bringen?" „Das ist die einzige Methode zur Wiedergutmachung finanzieller Einbußen und eines beschädigten Rufs." Spencer schaltete den Monitor wieder ein. Der Etat erschien wieder. „Über welche Höhe einer Wiedergutmachung sprechen wir?" „Das wird das Gericht entscheiden." Eine Klage würde ihn ruinieren, selbst wenn er am Ende gewinnen würde. Er würde nie mehr einen Zuschuss bekommen. Und er würde auch nicht bleiben können. Seine Methoden zum Auftreiben von Geldmitteln – besonders der Kalender – waren beim Vorstand der Forschungsabteilung ohnehin nicht sonderlich beliebt. Man nannte sie peinlich-bizarr. Spencer bezeichnete sie als innovativ. Die lokale Presse liebte ihn. Wenn sie ein Zitat brauchten, riefen sie Spencer an, nicht den Präsidenten der Abteilung. Das war ein wunder Punkt geworden. Spencer wusste, dass der Mann ihn lediglich tolerierte, weil seine Popularität bei der Presse gute Werbung für die Abteilung war. Wenn „Texas Men" klagte, würde Spencers Projekt eingestellt werden. Sein Team, das für ihn einer Familie am nächsten kam, würde aufgelöst werden. Und das durfte nicht geschehen. „Tonya, ich glaube, keiner von uns möchte diese Sache vor Gericht bringen, wo es sich im Grunde doch nur um eine Meinungsverschiedenheit handelt. Was genau benötigen Sie, um Ihrer Herausgeberin zu beweisen, dass wir im besten Glauben gehandelt haben?"
„Das habe ich Ihnen bereits gesagt. Ich brauche schriftliche Aussagen ..." „Gut. Wie viele?" Spencer schnappte sich seinen Kugelschreiber. Sie zögerte. „Das ist schwer zu sagen." Er brauchte eine genaue Zahl. „Sagen Sie mir, wie viel." „Eine ist schon mehr, als ich im Augenblick habe!" „Dann besorge ich Ihnen eine." „Das, Dr. Price, sollte dann aber auch ein Kunstwerk von einem Brief sein." „Oh, das wird er." Und wenn er ihn selbst schreiben musste. „Wir prüfen selbstverständlich die Post, ob positiv oder negativ, mit Hilfe unseres üblichen Verfahrens auf ihre Echtheit." Verdammt. Spencer zwang sich zu einem Lächeln. „Natürlich." Er knirschte noch immer mit den Zähnen, als er das Gespräch beendete. „Gordon!", brüllte er. Sofort erschien Gordon in der Tür. Spencer hielt die pinkfarbenen Memos hoch. „Du hast diese Nachrichten mitten in meine Unterlagen geschoben!" Gordon gelang es nicht, ein reumütiges Gesicht zu machen. „Man sollte seine Unterlagen eben öfter durchsehen." „Untersteh dich, mir die Schuld für diese Geschichte zu geben!" Gordon schluckte und kam vorsichtig ins Büro. „Wenn du mir genauer erklären würdest, was du meinst..." „Ihr Witzbolde werdet verklagt!" Gordons Lider begannen zu flattern, während er diese Information zu verarbeiten versuchte, und Spencer wusste aus Erfahrung, dass er für die nächsten Minuten nicht zu gebrauchen sein würde. „Der Rest von euch soll reinkommen!", rief er. „Und jemand weckt Rip auf." „Das wird ihm gar nicht gefallen", meldete sich eine Stimme außerhalb des Büros. „Ist es euch lieber, wenn Rip wütend wird oder ich?" Schweigen. Offenbar war seinen Leuten der Ernst der Lage entgangen. Spencer stand auf, schob den blinzelnden Gordon beiseite und trat ins Labor hinaus. Ohne ein Wort an seine Männer zu richten, nahm er den Besenstiel mit dem Schaumgummipolster und ging zu der Kartonwand gegenüber den Snack-Automaten. Der ein Meter achtzig hohe Kartonstapel war in der Ecke neben den Toiletten und dem Wasserhahn für die Not-Augenwäsche L- förmig angeordnet. Über den Kartons lag eine Decke, die mit Nägeln an der angrenzenden Wand befestigt war. Spencer blieb am Eingang dieser Kartonhöhle stehen und schob das gepolsterte Ende des Besenstiels hinein, bis er auf etwas stieß. „Ich kann nur hoffen, dass es sehr wichtig ist", meldete sich eine eisige Stimme aus dem dunklen Inneren der Kartonhöhle. „Steh auf, Rip." Spencer war nicht in Stimmung für Spielchen mit dem brillanten, aber menschenfeindlichen Programmierer. Sebastian „Rip" Riportella zog es vor, nachts allein im Labor zu arbeiten, nur im Schein des Computerbildschirms und der Beleuchtung des Erfrischungsgetränkeautomaten. Zunächst war lautes Atmen zu hören, dann das Quietschen der Federn eines Feldbettes, was Spencer an Fledermäuse erinnerte. Kurz darauf erschien Rips Kopf in der Öffnung zwischen Kartons und Wand. „Was ist kaputtgegangen?" „Nichts. Wir haben ein PR-Problem." Rip blinzelte träge. Seine hellgrauen Augen waren blutunterlaufen. „Dafür hast du mich aufgeweckt?" „Dieses Problem könnte gefährlich werden." Spencer deutete auf den Klapptisch neben der Mikrowelle. „Versammeln wir uns, meine Herren." Fünf von ihnen schlenderten mit ernster Miene zum Pausentisch. Rip kramte in der Tasche seiner schwarzen Jeans und steckte Vierteldollars in den Getränkeautomaten, bis zwei Dosen herausfielen. Er machte eine auf und trank sie in
einem Zug leer, bevor er sich zur Gruppe gesellte. Spencer fragte sich, ob er jemals etwas anderes als Coffein und Zucker zu sich nahm. Er wandte sich an sein Team. „Es scheint, als seien die Frauen, mit denen ihr euch getroffen habt, keineswegs so begeistert gewesen wie ihr." „Darum geht es?" Dan, ein stämmiger Programmierer, schnappte sich eine offene Chipstüte und stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund. „Ja", bestätigte Spencer und berichtete die Einzelheiten seines Gesprächs mit Tonya. „Wenn sie vor Gericht gehen, werden wir die Anwaltskosten aus unserem Forschungsetat bestreiten müssen." Er sah in ihre Gesichter. „Und das wäre das Ende für unser Team." Einige Sekunden herrschte betroffenes Schweigen. „Spencer, wieso hast du ihr nicht einfach die Meinung gesagt?" Dan war mit der Tüte Chips fertig und wischte sich die Hände an seinem T-Shirt ab. „Was ist?", fragte er, da alle ihn anstarrten. „Benutz ein Papierhandtuch, Mann." Der gewöhnlich stille Bob schob ihm die Rolle zu. „Hat sie wirklich gesagt, sie würde uns verklagen?" Gordon blinzelte noch immer heftig. „Wegen Täuschung", bestätigte Spencer. „Es sei denn, sie bekommt ab jetzt begeisterte Zuschriften von den Frauen, mit denen ihr euch trefft. Das Problem ist nur, dass ihr den Erwartungen der Frauen nicht entsprecht. Was also war los?" Niemand wollte seine Niederlagen vor den anderen ausbreiten. Damit hätte Spencer rechnen müssen. Er bot ihnen die Möglichkeit, ihr Gesicht zu wahren. „Ich habe Tonya gesagt, ihr hättet ein weiches Herz und euch deshalb mit allen Frauen getroffen. Richtig?" Alle nickten, bis auf Rip, der an seiner Limonade nippte. „Also schön." Spencer zog sich einen Plastikstuhl heran und setzte sich, damit es nicht so aussah, als würde er ihnen einen Vortrag halten – was er natürlich tat. „Lest die Briefe dieser Frauen und trefft intelligente Entscheidungen. Das bedeutet, wenn eine Frau ihre Oberweite erwähnt und sie für ihre beste Eigenschaft hält, erwartet sie von euch ähnliche Attribute." Er sah zu Bob, der den Kopf senkte. „Daran ist nichts Schlechtes, nur verfügt ihr weder über die Erfahrung noch über die Attribute für solche Frauen." „Wie sollen wir denn Erfahrung sammeln, wenn wir nicht mit ihnen ausgehen?" Gordon hatte aufgehört zu blinzeln. „Würdest du deinen hochwertigen Computer einem fünfjährigen Kind zum Spielen geben? Oder würdest du es lieber Saft auf eine ausrangierte alte Kiste kleckern lassen?" Er erntete entsetzte Blicke, dann zustimmendes Gemurmel. Spencer zeigte auf die Postsäcke. „Ich will, dass ihr die Briefe durchseht und Frauen heraussucht, die berichten, dass sie keinen Freund haben, weil sie so sehr mit ihren Abschlüssen in Computerwissenschaft, mit Beta-Tests von Software oder der Arbeit an Marsproben beschäftigt sind. Und zeigt mir die Briefe, bevor ihr Kontakt aufnehmt." „Ist das alles?" Rip warf seine leere Dose in den Recyclingbehälter. „Nein. Gib mir mal den Kalender." Dan nahm den über der Mikrowelle hängenden Kalender von der Wand und reichte ihn Spencer. Er blätterte ihn durch und wünschte, der Dezember wäre endlich vorbei. Außer ihm und Rip, der Mr. Oktober war, hatten alle für zwei Fotos posiert. „Das wird ernsthafte Schadensbegrenzung erforderlich machen. Steve, du wirst dicke Sweater mit Schulterpolstern tragen. Außerdem wirst du Aktivitäten im Freien betreiben und einen Hut aufsetzen. Und eine Brille, wenn es angemessen ist. Dan, du gehst ins Fitnessstudio und siehst zu, dass du den Bierbauch loswirst." „Das ist kein Bierbauch!" „Dann eben ein Chipsbauch. Und trink in Zukunft Diät-Getränke. Murray, du läßt dir einen Spitzbart wachsen." „Auf keinen Fall!" Spencer zeigte auf eines der Kalenderfotos. „Auf dem Bild hast du dir einen Spitzbart
verpasst. Also lass dir einen wachsen. Gordon ..." Er betrachtete das Bild, dann Gordon. „Geh ins Fitnessstudio, ins Solarium und leg dir ein Toupet zu." Die anderen johlten, als Gordon unsicher nach seinem rapide auf dem Rückzug befindlichen Haaransatz tastete. „Ich werde kein Toupet tragen!" „Dann setz dir eben eine Baseballmütze auf. Und nun zu dir, Bob." Bob duckte sich und wurde rot. „Du trägst ebenfalls Schulterpolster. Lass dir die Haare wachsen und trag Kontaktlinsen." „O Mann!" Nach kurzem Murren verstummten alle wieder und sahen zu Rip. Er legte seinen in Strümpfen steckenden Fuß auf den Stuhl neben ihm. Er hatte nachts posiert, ohne Hemd, mit einem schwarzen Umhang und offenem, schulterlangem Haar. Im Hintergrund leuchtete ein – computersimulierter – Vollmond. Auf dem Kalenderbild war die Brust des großen, schlanken – man könnte auch sagen mageren – Mannes muskulöser. Das war es jedoch nicht, was Spencer Sorgen bereitete. „Rip, hast du irgendeinen Brief beantwortet?" Ein zögerndes Lächeln erschien auf Rips Gesicht. „Ich habe mit zwei ehrgeizigen Schönen der Nacht geliebäugelt, aber sie waren meiner nicht würdig." Spencer hasste es, wenn er so abgehoben daherredete. „Sorg dafür, dass die Frau, die sich mit dir verabredet, ein Nachtmensch wie du ist." Rip verbeugte sich. Spencer stand auf. „Jeder macht sich über die Postsäcke her. Und denkt daran, dass ich die Briefe überprüfe, bevor ihr anruft." „Was ist mit der Etat-Aufstellung?", wollte Murray wissen. „Der Fachbereich Chemie braucht eine Einschätzung der Arbeitsstunden." Spencer war bereits auf dem Weg in sein Büro. Er drehte sich um. „Begreift ihr nicht? Es wird nichts mehr zum Berechnen übrig bleiben, wenn wir unser Geld für Anwälte ausgeben müssen." „Heißt das, eine junge Lady wird in die Gunst deiner Gesellschaft kommen?" Rip grinste herausfordernd. „Nein", erwiderte Spencer. „Dass ich mit einer der Frauen ausgehe, gehörte nie zur Abmachung." „Wieso nicht?" Rip hielt den Kalender hoch und kam auf Spencer zu. „Von uns allen bist du der einzige, über den die Frauen begeistert an ,Texas Men' schreiben würden." „Du irrst dich." Spencer sprach zu Rip, doch sein Blick galt allen. „Ich beschränke meine sozialen Kontakte auf Frauen, die nicht mehr erwarten, als ich bieten kann." Murray kicherte. „Er spricht von männlichen Attributen, Jungs." „Rip hat Recht, Doc." Gordon grinste. „Überleg mal, was hier auf dem Spiel steht." Rip wedelte mit dem Kalender. „,Welche Frau würde sich nicht glücklich schätzen, Mr. Dezember in ihrem Strumpf zu finden?'", zitierte er mit seiner tiefen Stimme. „Also, wie ist es, Doc?" Spencer musste sich wohl oder übel geschlagen geben. „Eine." Er hob einen Finger. „Mehr nicht." Zornig marschierte er zurück in sein Büro und starrte düster auf den Postsack. Wer würde die Glückliche sein? Nachdem Le xi den Raumplan des Gebäudes studiert hatte, ging sie mit „Texas Men" unter dem Arm auf das Labor am Ende des Ganges zu. Offenbar gab es keinen Empfangstresen, daher öffnete sie einfach, ohne anzuklopfen, die Tür – und wurde von der strahlend weißen Einric htung geblendet. Es gab einen weiträumigen Abschnitt mit Werkbänken, Schwenklampen, dicken, schwarzen Kabeln, die sich über den Boden schlängelten, Maschinen, deren elektronische Eingeweide sichtbar waren, und Computer über Computer. Am anderen Ende befand sich die Pausenecke mit Resten von Fast Food, leeren Getränkedosen und Kaffeebechern. Rechts davon türmte sich ein Kartonberg auf. Es dauerte einen Moment, bis sie bemerkte,
dass auch menschliche Wesen da waren. Anscheinend hatte sie ein Meeting unterbrochen. Die Männer hatten sich auf ihren Stühlen um zwei der Computer geschart und ... lasen Post? Niemand hatte ihr Eintreten bemerkt. Lexi schlug das Magazin „Texas Men" auf. „Sieh dir das an!" Einer der Männer sprang plötzlich auf. „Ich habe eine. Mathematiklehrerin gefunden!" Er küsste das Stück Papier und wedelte damit herum. „Lest es, und erblasst vor Neid!" „Verdammt." „Spar dir deine Schadenfreude, Gordon. Hat sie eine Schwester?" „Wieso mögen alle Frauen lange Spaziergänge am Strand?" Alle schauten zu einem schmächtigen Mann mit dicken Brillengläsern. „Weil du geschrieben hast, dass du solche Spaziergänge magst, Bob." „Du hast gesagt, ich soll es schreiben!" „Warum hörst du auch auf alles, was Steve dir sagt?" Ein anderer zerknüllte einen Umschlag und warf damit. Der Mann mit der Brille duckte sich. „Entschuldigen Sie", machte sich Lexi bemerkbar, bevor die Papierschlacht außer Kontrolle geraten konnte. Beim Klang ihrer Stimme verstummten die Männer und sechs vage vertraute Gesichter wandten sich ihr zu. „Können Sie mir sagen, wo ich ..." Sie sah auf das Magazin und vermied vorerst den Namen von Mr. Dezember. „Gordon Emerson finden kann?" Der Mann, der mit dem Brief herumgewedelt hatte, stieß den Brillenträger zur Seite und kam auf sie zu. „Ich bin Gordon Emerson." Lexi musterte ihn und richtete den Blick wieder auf das Kalenderfoto, das einen gebräunten, durchtrainierten Mann mit markantem Kinn beim Wasserskilaufen zeigte. „Ich meine diesen Gordon Emerson." Sie zeigte auf das Bild. Sein Lächeln erstarb. „Ich bekenne mich schuldig." Lexi begriff, dass sie ihn beleidigt hatte, und versuchte die Situation zu retten. „Ach ja, jetzt sehe ich es. Es liegt am ... es liegt am Licht hier drin." Das in der Tat sehr hell war. Sie blätterte das Magazin durch und verglich die übrigen Männer mit den Fotos. Es gab entfernte Ähnlichkeiten – genug, um zu wissen, dass sie am richtigen Ort war. „Sie sind die Männer aus dem Kalender?" Sie nickten und wirkten beleidigt und reumütig zugleich. Na schön, es waren keine Supermänner, aber vermutlich waren sie anständige Kerle, die man zu einem Weihnachtsessen überreden konnte... Trotzdem würde sie es Francesca lieber nicht erzählen. Es war nicht nötig, ihr die Illusionen über Mr. Dezember zu rauben. „Und wer sind Sie?" Die barsche Frage kam von einem Mann, den sie als Mr. Oktober identifizierte. Er saß an einem Computer neben einem Getränkeautomaten und musterte sie, während er aus einer Dose trank. Auf dem Foto sah er faszinierend bedrohlich aus. Jetzt wirkte er nur noch bedrohlich. In Gedanken strich sie ihn von ihrer Liste der potentiellen Begleiter für die Familienfeier. „Ich bin Alexandra Jordan und lehre am Littletree College." „Womit können wir Ihnen dienen?", erkundigte sich Mr. Oktober. Lexi hatte nicht damit gerechnet, ihre Bitte allen vortragen zu müssen. Sie hielt das Magazin hoch. „Ich habe das hier gelesen und ich dachte, ich vereinfache die Sache und komme direkt hierher." Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann sprach der Mann mit den dicken Brillengläsern. „Sie meinen, Sie wollen mit... mit Gordon ausgehen?" Lexi erinnerte sich an seinen Jubel über die Mathematiklehrerin. „Mir schwebte kein bestimmter Mann vor", log sie. „Ich wollte nur ..." Sie verstummte, als ihr die Bedeutung der Postsäcke klar wurde. Das war eine schlechte Idee gewesen. Sie sollte lieber gehen,
solange das noch mit Würde möglich war. „Tut mir Leid, dass ich Sie behelligt habe." „Was unterrichten Sie, Alexandra?" Mr. Oktober rutschte von der Tischkante. Lexi wich zurück. „Klavier." Er wandte sich an die Gruppe. „Wer von euch kann eine Unterhaltung über das Thema Musik bestreiten?" „Dan spielt Gitarre", meinte Gordon. Ein stämmiger Mann hob stirnrunzelnd die Hand. Jemand nieste. „Ich habe Klarinette in einer Band gespielt, bis mein Asthma zu schlimm wurde." Die Männer waren wirklich höflich, was Lexi von sich bis jetzt nicht behaupten konnte. „Das ist großartig – nicht Ihr Asthma, natürlich. Tja, ich sehe, dass sich viele Frauen gemeldet haben ..." „Ich kenne Sie!" Ein Mann, der bisher still gewesen war, stand auf und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. „Murray Bendel. Ich lehre Chemie am Littletree College." Nicht schlecht, dachte sie. Er sieht zwar anders aus als sein Foto, aber trotzdem nicht schlecht. Lexi schüttelte ihm die Hand. „Ich werde Sie dem Doc vorstellen", schlug er vor. „He ..." Murray warf der Gruppe einen Blick zu. „Der Doc sollte sie kennen lernen." Er konnte nur Spencer Price meinen, Mr. Dezember. „Nein, wirklich,, das ist nicht nötig", wehrte Lexi ab, um sich eine Enttäuschung zu ersparen. Doch Murray drängte sie bereits Richtung Büro. „He, Doc. Ich möchte dir Alexandra Jordan vorstellen." Der Mann hatte ihr den Rücken zugewandt und den Blick auf einen Computerbildschirm geheftet. Er wirbelte mit seinem Bürosessel herum und sagte in barschem Ton: „Murray, ich habe dir doch gesagt, ich will den Brief sehen, bevor du mit jemandem Kontakt aufnimmst." „Ich habe keinen Brief geschrieben", sagte Lexi, bevor sie sein Gesicht wahrnahm. Es war Mr. Dezember. In Fleisch und Blut. Zwar war hier weniger Fleisch von ihm zu sehen als auf dem Kalenderfoto, doch hatte sie absolut keine Schwierigkeiten, ihn wieder zu erkennen. Er sah exakt so aus wie auf dem Bild. Sogar noch besser. Die dunklen, intelligenten Augen auf dem Foto waren zum Leben erweckt. Und sie musterten sie von Kopf bis Fuß auf eine Weise, die ihr den Atem raubte. Bevor er ein höfliches Lächeln aufsetzte, sandte er Murray hinter ihr einen finsteren Blick und Lexi erkannte, dass er diesen Ausdruck auch auf dem Foto gehabt hatte. Unwillkürlich sah sie auf das Magazin in ihren Händen und schlug den Dezember auf. Ja, dort war er, mit nacktem Oberkörper, am Kamin lehnend und mit einem über die Schulter geworfenen Weihnachtsmannkostüm. Sie schluckte und atmete tief durch – unglücklicherweise gleichzeitig. „Sie wollten mich sprechen?", fragte er, nachdem sie aufgehört hatte zu husten. „Bitte, seien Sie Murray nicht böse." Lexi drehte sich um, doch Murray hatte sie allein gelassen. „Er fand, ich sollte Sie kennen lernen. Ich hätte lieber vorhe r anrufen sollen." „Ich bin nie lange wütend auf Männer, die mir hübsche Frauen in schwarzem Leder in mein Büro bringen." Er unterstrich sein Kompliment mit einem Lächeln, das perfekte, gerade, weiße Zähne entblößte. Na gut, dieser Mann war außerhalb ihrer Liga, aber das hatte sie schließlich schon vorher gewusst. Gütiger Himmel, er war wahrscheinlich sogar für Francesca unerreichbar. Er streckte quer über den Schreibtisch die Hand aus. „Spencer Price." Lexi schüttelte ihm die Hand und dachte an die schmalen, feingliedrigen Finger, die sie bewundert hatte. „Lexi Jordan", stellte sie sich überflüssigerweise vor. Kaum berührte ihre Hand seine, wurde der Rest des Kalenderbildes lebendig und Lexi
war sprachlos. Mühelos konnte sie sich ihn ohne sein schwarzes T-Shirt mit dem Werbeaufdruck eines Computerchip-Herstellers vorstellen. Spencer setzte sich wieder und wartete auf die Erklärung für ihren Besuch. Doch sie brachte noch immer kein Wort heraus. Es besaß jene Art von Attraktivität, die erst auf den zweiten Blick ihre volle Wirkung entfaltet, und dass er diese Wirkung auf sie bemerkte, machte es nicht gerade besser. „Was kann ich für Sie tun, Miss Jordan?", erkundigte er sich höflich, aber dennoch andeutend, dass sie seine kostbare Zeit in Anspruch nahm. Lexi holte tief Luft und platzte heraus: „Würden Sie zum Weihnachtsessen meiner Familie kommen?"
3. KAPITEL Spencer blinzelte. Offenbar hatte Lexi Jordan ihn gerade zu einem Weihnachtsessen eingeladen. Er versuchte krampfhaft, sich an die Verbindung zwischen ihnen zu erinnern – es musste eine geben. Schließlich lud man nicht einfach irgendeinen Fremden Weihnachten zu seiner Familie ein. Bevor Murray gegangen war, hatte er hinter ihrem Rücken mit den Lippen einige Worte geformt und sich benommen, als müsste Spencer wissen, was er damit meinte. Jordan ... der Name kam ihm vertraut vor, aber Spencer konnte ihn nicht einordnen. War sie die Tochter oder Schwester eines Freundes? Eine Sponsorin? Sie waren sich noch nie begegnet, da war er sich sicher. Mit ihren prachtvollen langen schwarzen Haaren war sie einfach unvergesslich. Er hatte eine besondere Schwäche für langes, seidiges, glänzendes Haar wie ihres – nur hatte er das bis zu diesem Moment nicht gewusst. Als sie sich vorbeugte, um seine Hand zu schütteln, streiften ihre Haarspitzen sein Handgelenk und sandten einen Schauer durch seinen Körper. „Tut mir Leid." Sie lächelte über sich selbst und schüttelte den Kopf, was eine leichte Wellenbewegung ihrer Haare auslöste. „Ich wollte nicht so damit herausplatzen. Ich sollte es Ihnen erklären." „Bitte." Spencer deutete auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches. Lexi warf einen Blick darauf, setzte sich jedoch nicht. Spencer stand auf, schaute über den Schreibtisch und entdeckte drei Schaltbretter und eine Rolle Lötzinn auf dem Stuhl. „Warten Sie." Er kam um den Schreibtisch, nahm die Sachen und sah sich hilflos nach einem neuen Ablageplatz um. Schließlich warf er sie auf den Poststapel von „Texas Men", den er durchgesehen hatte. „Bitte." Lächelnd deutete er erneut auf den Stuhl. Sie wirkte benommen und in dem Moment, bevor sie sich setzte, registrierte Spencer, dass sie höchstens fünfzehn Zentimeter kleiner war als er. Lexi sah auf den Stapel Briefe und Spencer folgte ihrem Blick. Einige der Frauen hatten Fotos gesandt, die er nach oben gelegt hatte, da er wissen wollte, wie seine potenzielle Verabredung aussah. Ein Foto mit einem nackten Bein, das, wie er wusste, zu einer sexy Cellistin gehörte, ragte aus dem Stapel. Lexi neigte den Kopf. Spencer hatte keine Ahnung, wie viel sie erkennen konnte, daher räusperte er sich. „Sie wollten mir eine Erklärung geben." „Oh!" Erschrocken richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Sie ließ sich auf den Stuhl sinken und starrte auf das Magazin in ihrem Schoß. „Ich sah die Beschreibung Ihres Forschungsteams in ,Texas Men', und da ich in Rocky Falls lebe, dachte ich ..." Ihr Blick schweifte erneut zu den Briefen. „Es scheint verrückt zu sein ... daher ..." Das war zwar kaum eine Erklärung, aber für den Moment genoss Spencer es, die Bewegungen ihres Mundes zu beobachten. Sie hatte roten Lippenstift aufgetragen, der sich von ihrer hellen Haut abhob. Ihm gefiel der Kontrast. Im Türrahmen erschien ein handgeschriebenes Schild. „Lawrence Jordan" stand darauf. Murrays Kopf erschien und er wackelte mit den Augenbrauen. Was haben die Jungs denn jetzt vor?, fragte sich Spencer, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Es folgte ein Rascheln und das leise Quietschen eines Filzstiftes. Neben dem Namen auf dem Schild prangte nun ein Dollarzeichen. Spencer konzentrierte sich wieder auf Lexi, während er aus den Augenwinkeln weitere Dollarzeichen und einen Pfeil auf dem Schild wahrnahm. Der Pfeil zeigte auf Lexi Jordan. Na schön. Er kannte die Verbindung zwischen ihr und dem Geld nicht, aber bis er ihn erfasste, würde er seinen Charme spielen lassen. Er lächelte so breit, dass sich das Grübchen in seiner linken Wange zeigte. Er beugte sich vor, legte die Unterarme auf den Schreibtisch und spielte mit den Stiften im Kaffeebecher, um Offenheit und Zugänglichkeit zu signalisieren. Er wartete darauf, dass sie sich ebenfalls entspannte und vielleicht die tödliche Umklammerung des Magazins lockerte. Doch sie hörte lediglich auf, sich an der
Stuhllehne festzukrallen. „Ich habe so etwas noch nie getan", begann sie, „und ich kenne vermutlich die Regeln nicht, wie ich Sie am besten um ein Rendezvous bitte. Besonders nicht, wenn es sich um Weihnachtsessen bei meiner Familie handelt, aber ich würde Sie gern mindestens einmal vorher sehen, daher ... Können Sie bitte etwas sagen?" Spencer fehlten für einen Moment die Worte. Er hätte aufmerksamer sein sollen. „Wieso zum Weihnachtsessen?" Lexis Miene veränderte sich. „Wieso nicht?" Lächelnd betrachtete er den Kugelschreiber, mit dem er auf den Tisch klopfte. „Mir fallen hundert Gründe ein, weshalb nicht." Er sah ihr ins Gesicht. „Mich interessiert, was dafür spricht." Wenn es kein dunkler, regnerischer Tag gewesen wäre, hätte Lexi die Spiegelung in dem Fenster hinter Spencer nicht sehen können. Ob spiegelverkehrt oder nicht, ein Dollarzeichen war leicht zu erkennen. Sie hatten also herausgefunden, wer sie war – besser gesagt, wer ihr Vater war, und Lexi beschloss, das zu ihrem Vorteil zu nutzen. Francesca lockte mit einem Aktfoto von sich mit ihrem Cello und sie, Le xi, konnte mit einem Vater aufwarten, dessen Job es war, Geld zu verteilen. Somit herrschte Chancengleichheit. Bis jetzt war es Lexi schon schwer genug gefallen, Mr. Dezember gegenüberzusitzen, während Francescas Bein ihr zuzuwinken schien. In dem Moment, als sie Spencer Price gegenüberstand, hatte sie gewusst, dass die Sache aussichtslos war. Dieser Mann war nicht der Typ, der Frauen die Initiative ergreifen ließ. Er wollte entscheiden, wann, wo und ob er den ersten Schritt unternahm. Lexi vermochte nicht zu sagen, woher sie das wusste. Vielleicht hatte es etwas mit dem Kalenderfoto zu tun. Sie spürte jedenfalls, dass es so war. Außerdem war ihr klar, dass sie ihr Gesicht eher wahrte, wenn sie nach seiner unmissverständlichen Abfuhr nicht einfach davonlief. Dennoch hatte sie sich an der Stuhllehne festgehalten, um nicht aufzuspringen und zu fliehen – bis sie das Schild im Fenster gesehen hatte. Denn jetzt gab es Hoffnung. Dummerweise war sie mit der Einladung zum Weihnachtsessen zu voreilig gewesen. Sie hätte mit einer Verabredung zum Kaffee beginnen und sich dann behutsam vorarbeiten müssen. Aber jetzt war es für solche Überlegungen zu spät. „Sie wollen wissen, weshalb Sie zum Weihnachtsessen kommen sollen?" „Ja." Er legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete Lexi darüber hinweg. Er schien amüsiert zu sein und Lexi vermutete, dass er versuchte, nicht laut zu lachen. „Erstens", sagte sie und hielt sein Foto hoch, „bietet es Ihnen eine weitere Gelegenheit, das Weihnachtsmannkostüm zu tragen. Hier kam es ja nicht besonders zur Geltung." Das Lächeln erstarb und sein Blick fiel auf das Kalenderfoto. Die Schilder hinter Lexi wackelten und ein weiteres Dollarzeichen, diesmal mit Ausrufezeichen, spiegelte sich im Fenster. Sie sollte es aufgeben und einen Handel mit ihm abschließen – ein Rendezvous als Gegenleistung dafür, dass sie ihn ihrem Vater vorstellte. „Der Hauptgrund, weswegen Sie kommen sollten, ist, dass das Musikinstitut zerfällt." Spencer ließ die Hände sinken. „Wie bitte?" „Am Musikinstitut des Littletree Colleges sind umfassende Renovierungsarbeiten nötig. Wir brauchen mehr Übungsräume, neue Klaviere ... einfach alles. Wir verlieren potenzielle Studenten und Lehrkräfte. Mein Vater ist Cheftreuhänder der Stiftung 'Kultur und Kunst'." Lexi betonte diesen Satz. „Ich will ihn wegen des Musikinstituts ansprechen, aber dazu muss er in guter Stimmung sein. Und damit er in guter Stimmung ist, brauche ich einen ..." Lexi suchte nach dem richtigen Wort. „Begleiter" war es nicht. „Einen potenziellen Schwiegersohn?", schlug Spencer trocken vor. Das war es auch nicht, oder? „Nennen wir es jemanden, den meine Eltern gern mit mir zusammen sehen würden." Emily neidisch zu machen war nur ein Bonus. „Ich war
gerade auf der Suche nach dem geeigneten Mann, als ich die Fotos von Ihnen und Ihren sechs Kollegen in 'Texas Men' sah. Da beschloss ich herüberzukommen, um Sie kennen zu lernen." Spencer sagte nichts, daher fuhr sie fort: „Ich brauche also diesen Gefallen von Ihnen und im Gegenzug können Sie meinen Vater kennen lernen." Spencer lehnte sich zurück. Lexi konnte seine Miene nicht deuten. „Einwandfreie Logik. Ich bin beeindruckt." „Mir ist klar, dass Weihnachten die Zeit für die Familie ist, daher verstehe ich, wenn Sie andere Pläne haben." Hinter Lexi formten Gordon und Murray das Wort „Ja" für Spencer. Endlich war er darauf gekommen, wer Lawrence Jordan war. Aber er hatte momentan noch größere Sorgen als die Beschaffung von Geldmitteln, und die Lösung seiner Probleme saß in Gestalt einer attraktiven Frau vor ihm. Er würde viel Zeit und Energie sparen. Jetzt brauchte er nicht mehr die Post durchzugehen, sondern konnte sich wieder um den Etat kümmern. „Wir feiern auch Weihnachten und meine Familie lebt in Dallas." Meine Pflegefamilie, fügte er im stillen hinzu, fand jedoch, dass dieses Detail nicht ins Gewicht fiel. „Ich könnte es also einrichten." Er machte eine Geste mit der Hand und hoffte, seine Kollegen würden den Hinweis begreifen und verschwinden. Sie taten es nicht. „Heißt das, Sie kommen?" Hoffnung flackerte in ihren Augen auf. Erst jetzt achtete er genauer auf ihre Augen. Neben ihren Haaren und ihren Lippen fielen sie zunächst nicht besonders auf. Aber es waren hübsche Augen. Sie waren blau, nicht braun, wie er erwartet hätte. „Da wären allerdings ein paar Bedingungen", fügte er hinzu. Die Hoffnung in ihren Augen erlosch. „Das hätte ich mir denken können." Er ignorierte ihre Worte. „Wenn ich mich einverstanden erkläre, Ihren Freund zu spielen, müssen Sie mir auch einen Gefallen tun." Er öffnete und schloss einige Schubladen, auf der Suche nach Papier. Er fand ein leeres Blatt ohne das Logo des Labors, schaffte freien Platz auf seinem Schreibtisch und schob das Blatt Papier zusammen mit einem Kugelschreiber zu Lexi. „Ich möchte, dass Sie an ,Texas Men' schreiben und ihnen mitteilen ..." Ja, was? „Zeigen Sie mal her", meinte er und deutete auf das Magazin in ihrem Schoß. Lexi reichte es ihm. Spencer schlug die Seite mit den Leserzuschriften auf und las einige der Briefe. „Schreiben Sie, wie wundervoll Ihr Rendezvous war und was für ein großartiger Kerl ich bin, wie froh Sie sind, dass Sie ,Texas Men' angerufen haben ... Sie sollten besser zuerst anrufen, damit Sie im Computer der Zeitschrift registriert sind." „Für zwei Dollar fünfundneunzig pro Minute?" „Hier, benutzen Sie das Labortelefon." Er drehte es zu ihr herum und riss es abrupt wieder an sich. „Moment! Wahrscheinlich verfolgen sie die Nummer zurück und es wird verdächtig aussehen, wenn sich herausstellt, dass von hier telefoniert wurde. Ich werde Ihnen Geld für das Telefonat geben." Er stand auf und griff in die Gesäßtasche seiner Jeans. „Behalten Sie es. Ich bin sicher, dass Sie zwei Dollar fünfundneunzig pro Minute wert sind." Er grinste. „Danke." Dann zeigte er auf das Papier. „Schreiben Sie. Ich möchte es lesen, bevor Sie es abschicken." „Entschuldigen Sie, aber Weihnachten ist erst in drei Wochen. Wird es nicht ein bisschen seltsam aussehen, wenn ich von etwas schwärme, was noch gar nicht stattgefunden hat?" Musste er denn an alles selbst denken? „Sie schreiben natürlich nicht über Weihnachten. Sagen Sie meinetwegen, ich hätte Sie zur Pizza oder ins Kino eingeladen." „Wie langweilig." Lexi lehnte sich zurück. „Niemand will über Pizza oder Kino lesen.
Sie wollen etwas über eine romantische Verabredung hören." Sicher, als Kind reicher Eltern kam Pizza oder Kino für sie nicht in Frage. „Was heißt das? Ein Rendezvous im Wainright Inn?" „Nachdem ich zwei fünfundneunzig pro Minute bezahlt habe, um Ihre Adresse zu bekommen, ist das schon besser." „Was gefällt Ihne n an diesem überteuerten Laden?" „Er hat Atmosphäre." Spencer verdrehte die Augen. „Die Atmosphäre besteht darin, dass man Vierzigwattbirnen einschraubt, ein paar Kerzen anzündet und die Menü-Preise verdoppelt. Oder verdreifacht, wenn das Lokal auch noch ein paar zweitklassige Musiker hat, die im Schlaf ihre Broadway-Melodien herunterspielen." Ihr Blick wurde eisig. „Meine Mitbewohnerin und ich treten dort dreimal in der Woche auf. Und wir spielen nichts im Schlaf." Er zuckte zusammen und draußen vor der Tür war ein ersticktes Aufstöhnen zu hören. Die Jungs mussten gelauscht haben, in der Hoffnung, ein paar Tipps für ihre Rendezvous aufzuschnappen. Spencer tat reumütig und sagte: „Es wäre besser, wenn Sie diese Unterhaltung nicht im Brief erwähnen würden." Ihr Blick schweifte in die Ferne. „Ich kann den Brief nicht schreiben. Ich bin seltsam uninspiriert." Spencer holte tief Luft. Dann griff er in den Postsack und warf eine Handvoll Briefe auf seinen Schreibtisch. „Sehen Sie das? Wenn Sie nicht an ,Texas Men' schreiben, suche ich so lange in diesem Stapel, bis ich eine Frau finde, die es tut." Er grinste selbstzufrieden. „Und das wird nicht allzu schwierig sein." Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, nahm er einen Umschlag und riss ihn langsam auf. Lexi stützte einen Ellbogen auf den Tisch. „Denken Sie daran, wie viel Zeit es kosten wird, jemanden zu verzaubern, indem Sie sie zum Pizzaessen oder ins Kino einladen. Besonders wenn sie in ..." Ohne zu überlegen, nahm sie ihm den Umschlag weg. „... in El Paso lebt", beendete sie den Satz und warf ihm mit einem ebenso zufriedenen Grinsen den Brief zurück. „Dann überlegen Sie sich mal, wie viel Zeit es Sie kosten wird, jemanden zu finden, der Weihnachten Ihre Eltern beeindruckt", konterte Spencer. Ihre Miene wurde ernst. „Überhaupt keine. Mein Vater ist Lawrence Jordan. Notfalls kaufe ich mir einen Partner." Spencer begriff, dass sie genau das jetzt tat. Das Weihnachtsessen gegen das Kennenlernen ihres Vaters. Ihm gefiel die Vorstellung nicht, gekauft zu werden. Sie sah ihn an. Ihr ausdrucksloser Blick beunruhigte ihn. Offenbar ließ Lexi Jordan sich von gutem Aussehen nicht einschüchtern. Außer ihrer anfänglichen Nervosität hatte sie nicht den Eindruck gemacht, dass sie ihn unwiderstehlich fand. Möglicherweise verbarg sie ihre Reaktion, aber Spencer war sich nicht sicher. Und das war eine neue Erfahrung für ihn. Er hatte den Eindruck, dass es ihn viel Mühe kosten würde, sie zu gewinnen. Vielleicht war es interessant, es zu versuchen. Er atmete tief durch. An einem Tag mit Tonya und Lexi zu tun zu haben war mehr, als man einem Mann zumuten sollte. Er gab sich versöhnlich. „Na schön, wir wissen beide, dass wir unsere Probleme auch anders lösen können. Aber wir würden Zeit sparen, wenn wir zusammenarbeiten. Also?" Sie musterte ihn. „Sie müssen diesen Brief wirklich dringend brauchen." Spencer blickte auf den Poststapel und hielt nach einem Stempel aus dem Umkreis von fünfzig Meilen Ausschau. Vergeblich. Mehrere Briefe kamen aus anderen Bundesstaaten. „Ja." „Wenn ich den Brief jetzt schreibe, woher weiß ich, dass Sie Weihnachten kommen?" „Weil ich es Ihnen sage! Sie können mir glauben, dass ich nicht in Reichtum aufgewachsen bin. Es gab eine Zeit, da konnte ich den Leuten nichts anderes geben als
mein Wort. Sie können sich hundertprozentig darauf verlassen." Lexi war irritiert darüber, wie Spencer das Wort „Reichtum" aussprach. Sie war mit dem Geld der Stiftung groß geworden, aber das gehörte schließlich nicht ihrer Familie. Ihr Vater war der Treuhandverwalter, doch die Jordans hatten die Stiftung nicht gegründet. Dieses kleine Detail übersahen die Leute häufig und ihre Eltern – besonders Lexis Mutter – strengten sich nicht gerade an, um dieses Missverständnis richtig zu stellen. Die Jordans bewegten sich in den wohlhabenden Kreisen der Geldgeber der Stiftung, aber soweit Lexi wusste, war ihre Familie selbst nicht sonderlich wohlhabend. Sie entschied, Spencer in seiner Annahme nicht zu korrigieren. Er wollte Lawrence Jordan kennenlernen, also würde sie ihn mit ihrem Vater bekannt machen – auch wenn sie nicht verstand, was er sich davon versprach. Die Stiftung „Kultur und Kunst" unterstützte keine wissenschaftlichen Projekte. „Gut", sagte sie nur und begann, das Datum auf das Papier zu schreiben. „Datieren Sie ihn auf ein paar Tage später", wies Spencer sie an. „Warten Sie. Was haben wir heute – Mittwoch? Schön, sagen wir, Sie rufen heute an und schreiben den Brief." Er klopfte mit dem Kugelschreiber, während er nachdachte. „Dann dauert es zwei Tage, bis ich den Brief erhalte und ich Sie anrufe. Also gehen wir am Wochenende aus. Datieren Sie ihn mit Sonntag oder Montag." Lexi hob den Kopf. „Ihnen ist hoffentlich klar, dass es mit Ihrem bloßen Erscheinen zu Weihnachten nicht getan ist." Spencer deutete auf das Papier. „Je begeisterter der Brief ist, desto begeisterter werde ich sein." „Möglicherweise reicht Begeisterung allein nicht", warnte sie ihn und fragte sich, wie viel sie ihm verraten sollte. Er warf ihr einen sinnlichen Blick zu. „Ich bin bereit zu was immer Sie mich brauche n", erwiderte er mit tiefer, erotischer Stimme. „Gut. Die Tatsache, dass Sie diese Miene auf Kommando aufsetzen können, wird uns vielleicht nützlich sein. Ja, das könnte funktionieren." Sie lächelte ihn an. „Sagt Ihnen der Name Emily DeSalvo übrigens etwas?" Er schüttelte den Kopf. „Sollte er?" „Nur wenn Sie Opern lieben." „Nicht besonders." „Großartig. Liebe Leute von ,Texas Men'", sagte sie, während sie gleichzeitig schrieb. „Ich habe beschlossen, mir ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk zu machen und einen der Männer aus Ihrem Magazin anzurufen. Ich habe Mr. Dezember, Spencer Price, ausgewählt, weil er aussieht, als könnte er zu Weihnachten ein wenig Aufheiterung gebrauchen." „He!" „Na, sehen Sie sich Ihr Bild doch mal an", konterte Lexi. „Sie machen ein finsteres Gesicht." „Nicht mit Absicht. Der Fotograf war ein Idiot. Ständig dieses 'Spannen Sie die Muskeln an und bewegen Sie sich sexy!'. Und ich wollte dieses blöde Kostüm nicht anziehen." Lexi schaute auf das Bild. „Das war die richtige Entscheidung." Spencer räusperte sich. „Was ist mit dem Brief?" Sie las, was sie geschrieben hatte. „Aber als er mich anrief, war er so nett wie ....'" „Nicht ,nett", unterbrach er sie. „Man nennt einen Mann nicht ,nett', es sei denn er ist irgend jemandes Bruder oder Cousin oder so etwas." Lexi strich das Wort durch. „Ich nehme an, dies ist erst der Entwurf?" „Jetzt ja." „Er war charmant..." „Nein. Schreiben Sie so etwas wie ,er war ein Mann, der meine kühnsten Träume übertraf’.“
„Sie haben keine Ahnung, wie kühn meine Träume sein können", erwiderte sie trocken. „Ich ändere den Satz lieber in ,es funkte sofort zwischen uns'." Sie hob auf Zustimmung wartend die Brauen. „Na schön." „,Er führte mich...'" „... zum Poolbillardspielen bei Busters aus." „,In ein Konzert am Littletree College."' Lexi sah auf und Spencer verdrehte die Augen. „Die Konzerte kosten normalerweise keinen Eintritt", erklärte sie ihm. „Oh, na ja, dann auf jeden Fall. Danach habe ich Sie dann zum Kaffee bei KK's eingeladen." „,Später aßen wir Himbeer-Trüffel-Käsekuchen im Wainright Inn.'" Sie lachte über seine angewiderte Miene. „Was ist das bloß mit Ihnen und diesem Ort?" „Das Konzert in der Fakultät war umsonst, also beschweren Sie sich nicht. ,Wir unterhielten uns stundenlang.'" „Ich habe Ihnen alles über mein Projekt erzählt, ja? Wir entwickeln die Beta-Version für eine Roboterhand mit Tastsinn ..." „,Er wollte alles über mich wissen. An irgendeinem Punkt muss ich ihm meine Lieblingsblume verraten haben, denn am nächsten Morgen klopfte er an meine Tür und brachte mir Kaffee, ein Croissant und eine einzelne pfirsichfarbene Rose.'" „Pfirsichfarben? Nein, Lady, Sie sind für rote Rosen gemacht." „Aber die sind so klischeehaft. Ehrlich gesagt mag ich Wildblumen viel lieber. Die Rosen habe ich nur genommen, weil es besser klingt." „Gute Idee. Können Sie erwähnen, dass ich Sie durchs Labor geführt habe, wo Sie die anderen Männer kennen gelernt haben, und dass die Jungs ebenfalls alle umwerfend sind?" Lexi hielt inne. Höchstwahrscheinlich standen die Männer vor der Tür und lauschten. Ja, das Niesen gerade klang ziemlich nah. „Wir verbrachten den Tag zusammen ..." „Beeilen Sie sich, ich habe noch zu tun." „Heute ist Sonntag." „Tatsächlich!" „.Spencer führte mich durch sein Labor. Ich traf die anderen Männer aus dem Kalender und sie waren sehr freundlich. Es war überwältigend, sie alle auf einmal zu sehen. Ihre Arbeit ist faszinierend.'" „ Bahnbrechend." Lexi seufzte. „Ich streiche faszinierend' und ersetze es durch ,bahnbrechend'. .Wie auch immer, ich wollte Ihnen nur schreiben, wie glücklich ich bin, dass ich Spencer Price durch Ihr Magazin kennen lernen konnte. Er kommt Weihnachten zu mir ...'" Spencer lachte. „... .und so werde ich ein fröhliches Weihnachtsfest erleben. Ich hoffe, Sie haben auch eines.' Wie ist das?" „Nicht schlecht", erwiderte Spencer. „Sie könnten noch Schreiben, dass Sie verrückt nach mir sind oder ich mehr bin, als Sie je erwartet hätten." „Ich kenne Sie doch erst seit zwei Tagen." „Aber ich habe Ihnen eine Rose gekauft und Sie zum Käsekuchen eingeladen." „Sie sind mit mir Billardspielen gegangen und haben mir fade Chips aus dem Automaten in Ihrem Labor gezogen." „Die Chips sind nicht lange genug in der Maschine, um fade zu werden." Sie dachte an die leeren Verpackungen um den Automaten herum und stimmte ihm im Stillen zu. „Genügt der Brief Ihren Ansprüchen?" „Sagen Sie es mir. Weckt ein solcher Brief die Neugier der anderen Frauen, uns kennen zu lernen?" Lexi schaute erstaunt auf den Postsack. „Wollen Sie noch mehr Briefe bekommen?"
„Nein! Ich will überhaupt keine Briefe mehr bekommen." Er rieb sich die Stirn. „Ich habe noch nicht mal welche beantwortet und jetzt, wo ich Ihren Bericht über unser Rendezvous habe, muss ich auch keinen mehr beantworten." „Haben Sie etwa schon eine Freundin?" Das wäre ein Hindernis für ihre Pläne. „Nein." „Wenn Sie niemanden kennen lernen wollen, wieso sind Sie dann in 'Texas Men'?" Er wedelte mit dem Arm. „Die anderen wollten es und ich war außerdem Teil des Kalenders." Der beste Teil, dachte Lex. „Gut. Ich werde den Brief ins Reine schreiben und ... gütiger Himmel! Ich habe in ein paar Minuten Unterricht! " Sie sprang auf, schob den Brief in das Magazin und warf sich die Handtasche über die Schulter. „Ich muss mich beeilen." So kurz vor den Schlussexamen durfte sie keinen Kurs mehr ausfallen lassen. Sie wandte sich zum Gehen. „Moment!" Spencer kam ihr nach. „Keine Sorge, ich werde das Magazin anrufen." Lexi rannte zur Tür hinaus, wobei ihre Handtasche weit um sie schwang und einen der lauschenden Männer in den Magen traf. „Verzeihung." „Der Brief!" „Ich schreibe ihn ab." „Aber ich will ihn lesen, bevor Sie ihn abschicken." Lexi stieß die Labortür auf. „Ich bleibe in Kontakt mit Ihnen." „Aber..." Sie ließ die Tür hinter sich zufallen. „Ich kenne Ihre Telefonnummer nicht", rief Spencer ihr nach und erwartete, dass sie den Kopf noch einmal zur Tür hereinsteckte und ihm die Nummer mitteilte. Frauen gaben ihm ständig ihre Nummern und er hatte ein gutes Gedächtnis dafür. Er wartete, doch er hörte lediglich die sich entfernenden Schritte auf dem Flur. „Ich bin beeindruckt", meldete sich schließlich Rip zu Wort. Lexi Jordan war einfach gegangen und hatte die Oberhand behalten. Noch schlimmer aber war, dass Spencer seinem Team gegenüber so tun musste, als verliefe alles genau nach Plan. Er drehte sich um und zeigte mit dem Daumen über die Schulter. „Sie hat einen Kurs." „Das haben wir gehört." Murray rollte mit seinem Stuhl vor seinen Computer. „Dann habt ihr ja auch gehört, dass sie einen Brief an ,Texas Men' schreiben wird." Er grinste aufmunternd. „Das verschafft uns fürs erste Luft. Aber um ganz sicherzugehen, solltet ihr eure Partnerinnen ebenfalls beeindrucken." Mit diesen Worten machte er sich wieder auf den Weg ins Büro. „So wie du sie beeindruckt hast?", fragte Gordon, worauf Spencer abrupt stehen blieb. Er hob den Arm und drehte sich um. „Da spielte sich einiges ab zwischen uns, auf körpersprachlicher Ebene. Das konntet ihr durch die geschlossene Tür nicht mitbekommen." „Freust du dich dann nicht?" Die anderen stimmten in Dans Lachen ein. „Was soll das?", meinte Spencer. „Ziele wurden erreicht. Wir brauchten einen Brief. Wir kriegen einen Brief. Das war eine erfolgreiche Begegnung." Rip warf ihm einen langen, düsteren Blick zu und. kramte in seiner Hosentasche nach Vierteldollars. Auf dem Weg zum Getränkeautomaten fragte er: „Und wo ist der Brief?" „Sie hat ihn, damit sie ihn ins Reine schreiben kann." Die anderen tauschten Blicke. „Ach hört schon auf, Jungs", rief Murray von seinem Computer. „Wir sprechen hier über Lexi Jordan. Ihr alter Herr ist stinkreich. Er leitet eine Stiftung oder so etwas. Ich habe die Details in einer Minute. Aber Doc weiß, was er tut. Er wollte sie nicht verschrecken. Wahrscheinlich laufen ihr die Kerle ständig nach. Für so etwas ist Doc zu
schlau. Er gibt sich völlig unbeeindruckt. Das bringt sie aus dem Gleichgewicht, versteht ihr?" „Stimmt das?", wollte Bob wissen. Die Augen aller richteten sich erwartungsvoll auf Spencer. Er lächelte und klatschte in die Hände. „Murray, besser hätte ich es auch nicht umschreiben können."
4. KAPITEL „Weiße Baumwollunterwäsche bringts!", rief Lexi, als sie die Wohnungstür öffnete. Zu spät fragte sie sich, ob Francescas Schüler schon gegangen waren. Falls nicht, würde Francesca Lexis Bemerkung erklären müssen und ihre Unterwäsche würde unter den Studenten des Littletree Colleges allgemein bekannt sein. „Was ist passiert?" Francesca war in der Küche, offenbar allein mit dem Käsekuchen; Bei Käsekuchen konnte man ihr nicht trauen. „Ich habe eine Verabredung für das Weihnachtsessen!" „Mit einem der Süßen aus dem Kalender?" Lexi betrat die Küche rechtzeitig genug, um mitzubekommen, wie ihre Freundin eine Plastikschachtel zurück in den Kühlschrank schob. „Frankie, du hast den Käsekuchen gegessen. Du weißt, wie selten wir Reste davon bekommen." Francesca schluckte. „Hätten wir diesmal auch nicht. Aber der mit Brandy flambierte Käsekuchen kam nicht besonders an. Dabei ist er gar nicht so schlecht." „Habe ich auch noch die Chance, ihn zu probieren?" „Wenn du schnell bist." Francesca leckte die Gabel ab und warf sie ins Spülbecken. „Jetzt erzähl, was passiert ist. Bist du in die Forschungsabteilung gegangen? Sind die Männer dort alle so umwerfend wie auf den Fotos? Wen hast du dir geangelt?" Lexi zögerte. Dann platzte sie heraus: „Mr. Dezember!" Francesca starrte sie ungläubig an. „Nein!" „Doch." „Mein Mr. Dezember?" „Francesca, ich ..." „Ich brauche noch mehr Käsekuchen." Francesca riss die Kühlschranktür auf. „Hast du ihn gefragt, ob er mein Foto bekommen hat?" Lexi dachte an das nackte Bein. „Nein, ich habe nicht gefragt." Francesca ging mit dem Käsekuchen an ihr vorbei und nahm sich eine neue Gabel aus der Besteckschublade. „Du bist also geradewegs in die Forschungsabteilung gelaufen und hast den Kerl gefragt, ob er dich zum Weihnachtsessen begleiten will, und er war einverstanden?" Es wäre äußerst befriedigend, wenn sie jetzt so tun könnte, als hätte sie sofort den attraktivsten Mann in Rocky Falls, wenn nicht in ganz Texas, um den Finger gewickelt. Aber sie musste mit Francesca weiter zusammenwohnen – und sie wollte etwas von dem Käsekuchen. „Er war einverstanden, weil er meinen Vater kennen lernen will." Frankie hielt mit der Gabel auf halbem Weg zum Mund inne. „Hat er das gesagt?" Lexi erinnerte sich an die Schilder, die sich hinter ihm im Fenster gespiegelt hatten. „Das brauchte er nicht. Es war offensichtlich." „Das ist mies." Francesca bot ihr eine Gabel an. „Das stört mich nicht weiter." Lexi nahm die Gabel und es gelang ihr, drei Bissen des Käsekuchens zu ergattern. Er schmeckte nicht schlecht. „Francesca, immerhin ist dieser Kerl umwerfend." „Na ja, das weiß ich." „Er allerdings auch. Aber das macht nichts, denn wenn er es nicht wüsste, wäre er blöd und den ganzen Ärger nicht wert." Sie starrte ins Leere. „Er hat dieses kleine Grübchen auf der einen Wange ..." Lexi berührte ihre Wange. „Es erscheint nur, wenn er einen bestimmten Ausdruck in den Augen hat und auf eine bestimmte Art lächelt." „Schon gut, das reicht", unterbrach Francesca sie. „Oh, das hätte ich fast vergessen. Gwen rief an und wollte wissen, ob wir heute Abend für sie im Wainright Inn einspringen können." „Heute Abend? Meine Eltern werden dort sein. Im Weinkeller findet eine Wohltätigkeitsveranstaltung statt."
Lawrence und Catherine Jordan machten keinen Hehl daraus, dass sie der Ansicht waren, Lexi vergeude ihr Talent, indem sie Dinner-Musik im Wainright Inn spielte. Dabei war es ein vielgelobter regionaler Veranstaltungsort. „Na schön. Aber unser Ankündigungsposter bleibt hier." Vielleicht bekamen ihre Eltern ja gar nicht mit, dass sie heute Abend dort auftrat, außer sie gingen durch den Hauptspeisesaal. „Klar." Francesca musterte sie. „Ich habe neulich ägyptische Baumwollunterwäsche mit Spitzenbesatz gesehen. Ich habe sie nicht bestellt, aber ich überlege, ob ich es mal mit Baumwolle versuchen sollte, da du so erfolgreich damit bist." Lexi lachte. „Nur damit du es weißt, heute Abend werde ich schwarze Unterwäsche tragen." Eine Stunde, nachdem Lexi gegangen war, wusste Spencer soviel über sie, wie man aus Computerdatenbanken erfahren konnte. Und da das Labor mit dem Hauptcomputer des Littletree Colleges vernetzt war, war das eine ganze Menge. Er stieß einen leisen Pfiff aus. Murray hatte Recht gehabt. Lawrence Jordans Stiftung verteilte Tausende Dollars, hauptsächlich an Museen, Schulen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen der Gegend. An die Wissenschaft gingen keine Spenden, aber das hieß ja nicht, dass Spencers Projekt nicht das erste sein konnte. Geld war schließlich Geld. Er grinste. Wenn er sich auf eines verstand, dann darauf, Geld aufzutreiben. „He, Murray", rief er aus seinem Büro. „Danke für die Informationen über Lexis Vater." „Kein Problem." Murray und die anderen hatten sich wieder an die Arbeit gemacht. Rip war in seiner Höhle verschwunden. Spencer war hin und her gerissen. Auf der einen Seite wollte er, dass sein Team arbeitete. Andererseits brauchte er mehr als nur einen schwärmerischen Brief für „Texas Men" – zumindest für die Moral seiner Leute. Nicht einmal darauf, dass er den Brief bekam, konnte er sich verlassen, denn Lexi Jordan war hinausgestürmt, bevor er alle Punkte mit ihr hatte klären können. Er musste dringend noch einmal mit ihr sprechen. Er überflog erneut die gerade gelesenen Informationen, fand ihre Telefonnummer und rief sie an. Die Stimme auf dem Anrufbeantworter gehörte nicht ihr. Er probierte es ein zweites Mal, hörte die gleiche Stimme und legte auf. Spencer Price hinterließ keine Nachrichten. Wo steckte sie? Es war früher Abend, sie konnte also ausgegangen sein. Oder war es einer der Abende, an denen sie im Wainright Inn spielte? Spencer rief dort an. „Wer tritt heute zur musikalischen Unterhaltung bei Ihnen auf?", erkundigte er sich bei der Frau am anderen Ende der Leitung. „Francesca Fontaine und Alexandra Jordan, Cello und Piano." Spencer ließ sich einen Tisch reservieren und ging aus dem Büro. Fünf Augenpaare beobachteten ihn. „Ich werde mir ihren Auftritt anschauen", erklärte er. „Was ist daran so besonders?" „Nichts", erwiderten alle im Chor und widmeten sich wieder ihrer Arbeit. Spencer hoffte, dass sie sich ein Beispiel an ihm nahmen. Er ließ bei Lexi Jordan nicht locker und nutzte den Moment. „Gordon, schließt du nachher ab?", bat er. „Sicher." „Also, Leute, dann werde ich mal wieder versuchen, Geld aufzutreiben." Lexi spielte einige As auf dem Klavier, während Francesca ihr Cello stimmte, und ließ den Blick über den Speisesaal schweifen. Es war noch früher Mittwochabend, doch das Restaurant des Wainright Inn war bereits voll. Mitten in der dritten Broadway-Melodie kam Spencer Price hereinspaziert. Allein. Francesca war so in ihr Spiel vertieft, dass sie ihn nicht bemerkte. Lexi starrte hastig auf
ihre Noten, obwohl sie die Songs auswendig kannte. Was hatte er hier zu suchen? Er hasste dieses Restaurant doch. Vorsicht ig beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie er an seinen Tisch geführt wurde. Er trug einen dunklen Anzug mit einem kragenlosen Hemd, seine Haare waren mit Gel zurückgekämmt. Er hätte nach den Wünschen ihrer Eltern entworfen sein können. Er war vollkommen und setzte neue Maßstäbe für das männliche Geschlecht. Er ... „Was machst du da?", zischte Francesca. „Ich spiele." „Das Stück ist zu Ende!" Lexi konzentrierte sich wieder. Offenbar hatte sie die Wiederholung einmal zu oft gespielt. „Eine kleine Zugabe", meinte sie verlegen. Francesca begann das nächste Stück. „Was ist los mit dir?", flüsterte sie. „Ich war abgelenkt. Und jetzt behaupte nicht, dass dir das nie passiert." „Das passiert mir nie." „Ach nein? Mr. Dezember sitzt an Tisch vierzehn." Francescas Bogen rutschte ab. „Gütiger Himmel." Sie spähte in die Menge. „Überleg nur – möglicherweise hat er dich nackt gesehen", fügte Lexi boshaft hinzu. Francesca verstümmelte die letzten Noten und Lexi spielte lauter, damit es nicht allzu sehr auffiel. „Gütiger Himmel", sagte Francesca noch einmal. „Ich schwitze. Nach Fiddler on the Roof machen wir eine Pause." Eigentlich war die Pause erst in etwa fünfzehn Minuten dran, aber Lexi widersprach nicht. Kaum waren die letzten Töne von „Sunrise, Sunset" verklungen, sprang Francesca von der Bühne und verschwand im Nebenraum. Sobald die Tür hinter ihnen zu war, fuhr sie Lexi an. „Wie konntest du ihn hierher einladen, ohne mir davon zu erzählen?" „Ich habe ihn nicht eingeladen!" „Wieso ist er dann hier?" „Vielleicht zum Essen?" Doch Lexi wusste, dass er ihretwegen hier sein musste, da er allein gekommen war. „Lexi, hast du ihn gesehen?" Francescas Augen wurden glasig. „Ist er nicht umwerfend? Ich kann nicht glauben, dass du ihn tatsächlich um ein Rendezvous gebeten hast." Bevor Lexi etwas erwidern konnte, wurde an die Tür geklopft und Julian Wainright, der Besitzer, schaute herein. „Alexandra, der Herr an Tisch vierzehn bittet dich, ihm Gesellschaft zu leisten." Francesca stieß einen kleinen Aufschrei aus und packte den Arm ihrer Freundin. Julian sah Lexi amüsiert an. „Bist du interessiert? Ich kann mich für ihn verbürgen. Sein Name ist Spencer Price, und er ist einer der Leiter in der Forschungsabteilung für Elektronik. Er hat außerdem einen ausgezeichneten Geschmack bei Weinen. Die Kellner sagen, er gebe großzügiges Trinkgeld." „Wir kennen uns." Lexi löste Francescas Finger von ihrem Arm. „Was soll ich ihm ausrichten?" „Sag ihm, ich bin gleich bei ihm." „Und dass ich sie begleite", fügte Francesca hinzu. Julian nickte und verschwand. Lexi wollte ebenfalls gehen, doch ihre Freundin hielt sie zurück. „Was soll das?", rief Lexi. „Nicht so hastig. Lass ihn ruhig ein wenig warten. Vorfreude steigert das Vergnügen." Lexi verdrehte die Augen. „Ich spiele keine Spielchen. Eine solche Beziehung haben wir nicht." Sie stieß die Tür auf. „Ihr habt eine Beziehung?" Lexi ignorierte sie und konzentrierte sich darauf, zwischen den Tischen hindurchzugehen, ohne mit ihrem langen Rock irgendwo hängen zu bleiben.
Spencer erhob sich bei ihrer Ank unft. Sein Lächeln ließ ihre Knie ein wenig weich werden, doch abgesehen davon gelangte sie ohne Zwischenfall an seinen Tisch. „Ich wette, Sie haben nicht damit gerechnet, mich hier anzutreffen", begrüßte er sie und zog einen Stuhl für sie heraus. „Da Sie sagten, dies sei nicht gerade Ihr Lieblingsrestaurant in Rocky Falls, nein." „Aber es ist Ihr Lieblingsort, also fand ich, ich sollte ihm noch eine Chance geben." Erneut erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht – diesmal das mit dem Grübchen. Lexi zog Francesca neben sich. „Dies ist meine Partnerin und Mitbewohnerin, Francesca Fontaine." Spencer neigte den Kopf, während sie sich die Hände schüttelten. „Sind wir uns schon einmal begegnet?" „Oh, daran würde ich mich bestimmt erinnern", versicherte Frankie rasch. „Aber wenn Sie darüber nachdenken, fällt es Ihnen bestimmt wieder ein, weshalb ich Ihnen bekannt vorkomme." Das reichte. Sie standen noch immer mitten im Raum und am Tisch befanden sich lediglich zwei Stühle. Lexi drängte ihre Mitbewohnerin per Telepathie zum Gehen. „Das werde ich", meinte Spencer. „In der Zwischenzeit möchte ich Ihnen jedoch Ihre Pause nicht stehlen, während Lexi und ich ein gemeinsames Projekt besprechen." Das konnte selbst Francesca nicht ignorieren. Sie warf ihm einen letzten feurigen Blick zu und stolzierte zurück in den Nebenraum. „Haben Sie ein paar Minuten Zeit?", wandte sich Spencer an Lexi. „Sicher." „Haben Sie schon gegessen? Oder möchten Sie ein Glas Wein?" „Normalerweise würde ich liebend gern annehmen. Aber ich muss noch weitere neunzig Minuten auftreten. Ich nehme lieber nur einen Tomatensaft." Spencer brauchte nur über die Schulter zu blicken und schon tauchte eine Kellnerin auf. Anscheinend behielt das weibliche Personal ihn genau im Auge. Lexi konnte es den Kellnerinnen nicht verübeln. „Haben Sie daran gedacht, bei ,Texas Men' anzurufen?", erkundigte er sich, nachdem er den Tomatensaft bestellt hatte. „Ich kam erst nach fünf nach Hause und da erfuhr ich, dass Frankie und ich heute Abend einspringen müssen. Eigentlich spielen wir Mittwoch nicht." „Sie haben also nicht angerufen." Er verstand es, jemandem Schuldgefühle zu bereiten. „Nein, aber das werde ich noch. Ich habe es versprochen." „Gut, denn ich werde so lange drängen, bis Sie es getan haben. Und denken Sie an den Brief." Sie hatte auch den Brief vergessen. „Das tue ich, während wir uns unterhalten." „Dann wechsle ich lieber das Thema." Er deutete zum Klavier. „Sie spielen sehr gut." Ohne es zu wissen, hatte er damit das Fazit ihrer musikalischen Karriere gezogen. „Sehr gut" bedeutete nicht „großartig", „phantastisch" oder „genial" – Worte, die Emilys Gesang umschrieben. „Danke. Wir spielen gern Broadway-Melodien." Ein charmant-reumütiges Grinsen erschien um seine Mundwinkel. „Diese Bemerkung haben Sie mir noch immer nicht ganz vergeben, wie?" „Ich wusste nicht, dass Sie Vergebung wollten." Spencer lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie mögen mich nicht besonders, oder?" Lexi errötete leicht. „Ich kenne Sie doch gar nicht." „Nun, dann werden wir das ändern müssen." „Ja." Sie nippte an ihrem Tomatensaft. „Aber ich fürchte, die noch verbleibenden zehn Minuten reichen nicht, um uns heil durch die Weihnachtsfeier zu bringen." An die Weihnachtsfeier hatte er nicht gedacht, sondern nur an sie. Er fragte sich, ob
sie wusste, wie hinreißend sie beim Klavierspielen aussah. „Wir werden uns treffen müssen", erwiderte er. „Wir könnten hier zusammen zu Abend essen, wenn Sie nicht auftreten. Welcher Tag würde Ihnen passen?" Sie grinste. „Wissen Sie was? Vielleicht habe ich ja Lust, dass Sie mir Billard bei Busters beibringen." Spencer stellte sich unwillkürlich vor, wie sie sich in einem engen, kurzen Kleid über den Billardtisch beugte. Er erwiderte ihr Grinsen. „Einverstanden." Lexi schob den Ärmel ihres Rollkragenpullovers ein Stück hoch und schaute auf ihre Armbanduhr. „Wir fangen in fünf Minuten wieder an. Francesca wird mir Fragen über Sie stellen und ich kann nichts weiter berichten, als dass ich Billard lernen werde." Spencer hatte Mühe, sich Francescas Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. „Was wollen Sie wissen?" „Zuerst, ob es wahr ist, was über Sie in ,Texas Men' stand." „Nur das, was meine Ausbildung und meine jetzige Tätigkeit betrifft. Den Rest mussten sie sich ausdenken." Sie schien enttäuscht. „Sie suchen also keine Frau, mit der sie Ihre Berghütte ausbauen können, um darin lange, romantische Winterabende vor dem Kamin mit ihr zu verbringen?" Spencer war verblüfft. „Ich besitze nicht einmal eine Berghütte." Allerdings klang die Vorstellung äußerst verlockend. ,,Und im übrigen: Sehen Sie hier irgendwo Berge?" „Wo die Hütte genau steht, wurde nicht erwähnt." „Ich hätte es mir besser vorher durchlesen sollen." „Sie haben es nicht gelesen?" „Ich bin nicht dazu gekommen. Wenn ich nicht gerade an der Roboterhand arbeite, die wir entwickeln, bemühe ich mich, Geld für dieses Projekt aufzutreiben." „Und dazu diente der Kalender." Spencer nickte. „Es funktionierte auch hervorragend. Aber jetzt geben Sie mir ein paar Informationen über sich." Ihre Miene veränderte sich schlagartig. „Sie werden mehr als ein paar Informationen bekommen." Ihre Stimme klang angespannt und sie starrte über seine Schulter hinweg. „Sie werden gleich meine Eltern kennen lernen."
5. KAPITEL Hier und jetzt? Obwohl Spencer seinen guten Anzug trug, war er nicht auf eine Begegnung mit Lawrence Jordan vorbereitet. Er wusste ja noch nichts über den Mann. Und über seine Tochter wusste er ja auch kaum etwas. Verdammt! Offenbar war Lexi ähnlich nervös, denn sie umklammerte förmlich ihr Glas. Fabelhaft, dachte Spencer. Es gibt also Probleme in der Familie. „He, wie gut sind wir befreundet?", wisperte er. „Kommt darauf an. Ganz gut, denke ich." „Dann sehen Sie mich an und lächeln Sie." Sie versuchte es, jedoch ohne Erfolg. Spencer schnitt eine Grimasse und wurde mit einem überraschten Lachen belohnt. Sie entspannte sich ein wenig, ehe sie wieder zu ihren Eltern schaute. An Lexis Körpersprache schätzte Spencer ab, wie nah ihre Eltern bereits an ihren Tisch gekommen waren. Schließlich stand er auf und drehte sich um. Ein gut aussehendes älteres Paar kam auf sie zu. Sie waren groß, schlank und gut gekleidet. Leute wie sie hatte Spencer schon hunderte Male getroffen. Er wünschte, er könnte Lexi beruhigen. Ihre Eltern musterten ihn mit unverhohlener Neugier. Auch Lexi stand auf. „Alexandra, ich habe dich heute Abend nicht hier erwartet. Wie es scheint, arbeitest du." Ihre Mutter kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu, nahm die Hände ihrer Tochter in ihre und deutete einen Kuss auf die Wange an. Dann wandte sie sich Spencer zu und wartete darauf, ihm vorgestellt zu werden. Lexi gehorchte. „Mom, Dad, dies ist Dr. Spencer Price. Spencer, das sind meine Eltern." Durch seinen Titel stieg er sofort in ihrem Ansehen, was ihm nur recht sein konnte. „Freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr. und Mrs. Jordan." Spencer schüttelte Lawrence kraftvoll die Hand. „Wollen Sie sich zu uns setzen?" Er war sicher, dass sie ablehnen würden. Zumindest hoffte er das. Da Lexis Pause fast vorüber war, würde es bedeuten, dass er mit ihnen allein war. „Danke, aber wir nehmen an einer geschlossenen Veranstaltung im Weinkeller teil und wollten nur rasch hallo sagen", erklärte Mrs. Jordan. Dann fügte sie hinzu: „Hat Alexandra Sie als, Dr. Price vorgestellt?" „Ja, ich leite ein Team am Forschungsinstitut." „Tatsächlich?" Mrs. Jordan taute spürbar auf und warf ihrer Tochter einen angenehm überraschten Blick zu. Das veranlasste Spencer zu der Überlegung, mit welcher Art von Männern Lexi sich normalerweise umgab. „Und woran forschen Sie?", wollte Mrs. Jordan wissen. „Wir entwickeln eine Roboterhand mit Tastsinn, was bedeutet, dass der Benutzer Gewebe und Temperatur fühlen kann." „Wie faszinierend. Lexi, hast du das gehört?" Lexi nickte. „Erzählen Sie mir mehr davon, Dr. Price. Wie sollen die Menschen Ihre Erfindung einsetzen?" „Die Entwicklung ist nicht allein mein Verdienst, sondern das des ganzen Teams. Ursprünglich hatten wir an Anwendungen in der Medizin und bei Prothesen gedacht. Aber die Anwendungsmöglichkeiten erweitern sich täglich." „In welcher Hinsicht?", fragte Lawrence. In jeder, die Sie wollen, solange wir dadurch Zuschüsse bekommen, dachte Spencer und ließ ein paar weitere Erläuterungen folgen, die für sein Projekt warben und ihn als Mann erscheinen ließen, den halbwegs vernünftige Eltern sich für ihre Tochter nur wünschen konnten. Er hatte Übung darin, Werbung für sein Projekt zu machen, da fiel es ihm leicht, sich selbst mit einzubeziehen.
„Dr. Price, das klingt, als würden Sie wundervolle Dinge in Ihrem Leben erschaffen", bemerkte Lexis Vater. „Ihre Eltern müssen sehr stolz auf Sie sein", ergänzte Mrs. Jordan. Spencer nickte angespannt. Mrs. Jordan betrachtete stirnrunzelnd ihre Tochter und strich ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Du hast ein so hübsches Gesicht, aber bei all dem Haar kann man es gar nicht sehen." „Mutter." Lexi befreite ihr Haar wieder. „Lassen Sie sich von ihrem Auftreten nicht täuschen, Dr. Price. Unsere Alexandra besitzt sehr viel Talent." Mrs. Jordan lächelte kurz. „Vielleicht entscheidet sie sich eines Tages, davon Gebrauch zu machen und erschafft ebenfalls großartige Dinge." Der Hieb saß. „Ich stimme Ihnen zu, dass sie Talent hat. Ich hatte bereits zwanzig Minuten lang das Vergnügen, es zu hören." Lexis Eltern ignorierten seine Worte. „Schließlich ist es nicht so, als hätte niemand in der Familie Großartiges erreicht. Meine Nichte Emily DeSalvo, zum Beispiel", verkündete Mrs. Jordan mit deutlichem Stolz. Spencer schüttelte leicht den Kopf. Aber er hätte sich auch nicht beeindruckt gezeigt, wenn er diese Emily gekannt hätte. Mrs. Jordan hob die Brauen. „Die Opernsängerin?" Hatte er sich mit Lexi nicht über die Oper unterhalten? „Ich bin kein großer Opernfan." Lexis Mutter wirkte pikiert. „Ich bin auch kein Baseballfan und weiß trotzdem, wer Mickey Mantle war." Sie sah zu ihrem Mann, der zustimmend nickte. Tja, anscheinend würden sie im Labor in den nächsten Wochen Opern hören müssen. „Spencer hat sich ausschließlich mit seiner Forschung befasst, Mom. Er hatte keine Zeit, Emilys Karriere zu verfolgen. Du wirst sie kenne n lernen", wandte sich Lexi an ihn. „Sie kommt Weihnachten auch." „Weihnachten?" Mrs. Jordans Brauen wiesen noch immer nach oben. Spencer nahm Lexis Hand und sagte: „Ja, Lexi hat mir Ihre freundliche Einladung übermittelt. Ich freue mich schon darauf." „Du hast Dr. Price zu Weihnachten eingeladen?" Mrs. Jordan klatschte erfreut in die Hände. Offenbar hatte sie Spencer verziehen, dass er ihre Nichte nicht kannte. „Was für eine gute Idee. Lawrence, Dr. Price kommt zu unserem Weihnachtsessen." Lawrence Jordan lächelte wohlwollend. „Fein, dann können Sie uns mehr von Ihrem Projekt erzählen." Das war Musik in Spencers Ohren. Er drückte sanft Lexis Hand. Ihre Eltern sahen glücklich und zufrieden aus. Das war also geschafft. Aus irgendeinem Grund war Lexis Freude jedoch gedämpft. „Lexi und ich hatten noch keine Gelegenheit, über die Uhrzeit zu sprechen", meinte Spencer. „Ich werde am Weihnachtsmorgen zu meiner Familie nach Dallas fahren. Also könnte ich um eins bei Ihnen sein, wenn es Ihnen recht ist." Er legte den Arm um Lexis Taille, um ihren Eltern den Eindruck zu vermitteln, sie seien ein Paar. „Gegen eins wird die Gans fertig sein." Mrs. Jordan strahlte. „Oh, das wird das schönste Weihnachten!" Lexi rang sich ein Lächeln ab. Wenn ihre Eltern glauben sollten, dass sie und Spencer zusammen waren, würde sie sich ein bisschen mehr Mühe geben müssen. „Ich muss wieder auf die Bühne", verkündete sie, „Wir müssen auch gehen", sagte ihre Mutter. „Es war reizend, Sie kennen zu lernen, Dr. Price. Wir freuen uns, Sie Weihnachten wieder zu sehen." Damit machten sich Lexis Eltern auf den Weg zurück in den Weinkeller. Lexi löste sich von Spencer. „Danke, Sie waren großartig." „Warum machen Sie dann so ein Gesicht?"
„Ach ..." Sie schaute ihren Eltern nach. „Manchmal gehen sie mir auf die Nerven. Es gefällt ihnen nicht, dass ich hier auftrete." „Das habe ich vermutet." „Egal, es ist nicht wichtig." Entschlossen wechselte sie das Thema. „Wir sprachen vorher über Billard. Wir müssen uns entweder morgen oder nächste Woche treffen. Am Wochenende bin ich ausgebucht." Spencer spürte einen Anflug von Enttäuschung. „Verabredungen?" „Auftritte." Er empfand eine eigenartige Erleichterung. „Morgen wäre mir recht", sagte er und stellte fest, dass er sich ehrlich darauf freute, Lexi wieder zu sehen. „Ich muss erst in meinen Terminkalender schauen. Wegen der vielen extra Proben musste ich ständig Termine mit meinen Studenten umändern. Soll ich Sie morgen früh anrufen?" „Gern." Wieder behielt sie die Oberhand, auch wenn die Erklärung vernünftig klang. Trotzdem gefiel ihm das nicht. „Bis dann also." Sie wandte sich zum Gehen. „Warten Sie einen Moment." Ein Blick zur Tür verriet, dass ihre Eltern noch in Sichtweite im Foyer standen. „Was sollen Ihre Eltern denken, wie nah wir uns stehen?" Sie sah in die gleiche Richtung. „Sie sind so beeindruckt von Ihnen, dass ich sagen würde, je näher, desto besser." Spencer strich ihr die Haare aus der Stirn. „Dann musste das hier sie überzeugen." Und mit diesen Worten küsste er sie, mitten im Restaurant des Wainright Inn. Er vermutete, dass sie vor Überraschung erstarrt war, da sie sich nicht wehrte. Das war gut, denn er war über sich selbst erstaunt. Die Berührung ihrer sanften Lippen sandte heiße Schauer durch seinen Körper. Der Kuss hatte nicht nur freundschaftlich sein, sondern tiefere Intimität verraten sollen. Doch dieser Kuss wurde auf einmal so leidenschaftlich und verheißungsvoll, dass es an diesem Ort beinah an Unanständigkeit grenzte. Spencer fühlte Lexis Haare über seine Hand streichen, als er ihren Hinterkopf umfasste, spürte, wie ihre Verblüffung nachließ und sie sich enger an ihn schmiegte. Ihr Duft war bezaubernd und Spencer atmete ihn tief ein. Jemand klopfte ihm auf die Schulter und räusperte sich. „Wir beginnen gleich mit dem nächsten Set", hörte er Francesca sagen. Lexi wich abrupt zurück und starrte ihn entsetzt an. Francescas Miene war bewundernd und tadelnd zugleich. „Ruf mich an", bat Spencer heiser. Lexi machte den Mund auf, brachte jedoch kein Wort heraus. „Wenn sie es nicht tut, mache ich es", kündigte Francesca an, bevor sie Lexis Arm umfasste und sie wegführte. Während sie auf die Bühne zugingen, hörte Spencer Francesca sagen: „Ich werde es auf jeden Fall mal mit Baumwolle versuchen." „Es riecht wundervoll hier." Francesca ging in die. Küche und naschte einen Keks. „Frankie! Die sind für die Jungs im Labor." Lexi hatte gerade das letzte Blech aus dem Backofen geholt. „Spencers Labor?" Lexi nickte. Francesca wedelte mit der Hand über den Küchentresen, auf dem Dutzende von Chocolate-Chips-Keksen abkühlten. „Es sind doch genug davon da. Die dort drüben sehen verbrannt aus." „Mom rief heute Morgen an und schwärmte von Spencer. Deshalb sind sie zu lange im Ofen geblieben." „Schwärmen" war noch untertrieben. Ihre Eltern taten so, als sei das Mitbringen eines passenden Begleiters zum Weihnachtsessen das Wundervollste, was Lexi je getan hätte.
„Hm." Francesca hielt einen der verbrannten Kekse über die Spüle und kratzte die verkohlten Stellen ab. „Wozu machst du das?" „Spencer hat meine Eltern beeindruckt und ich möchte mich dafür bedanken. Außerdem", fügte sie seufzend hinzu, „möchte ich ihn ermutigen, sich an sein Versprechen zu halten." Inzwischen hatte Lexi zwar bei „Texas Men" angerufen, aber den Brief noch nicht ins Reine geschrieben. Er konnte ohnehin erst nächste Woche zur Post. „Du bedankst dich bei dem Mann mit Keksen, nachdem du ihn mitten im Restaurant des Wainright Inn stürmisch geküsst hast?" „Ganz so war es nicht. Er küsste mich zum Abschied, damit meine Eltern denken, dass zwischen uns etwas läuft." „Da läuft ja auch eindeutig was. Zwischen euch hat es dermaßen geknistert, dass ich dachte, es gibt Brandflecke auf dem Teppich." Ja, der Kuss. Da Lexi an ihre Eltern gedacht hatte, war sie völlig überrascht gewesen. Dann, als sie begriff, was er mit ihr machte, hatte sie noch einige Gedanken an Mr. Dezember zu überwinden gehabt, ehe sie Spencer nur noch als Mann wahrnahm. Als Mann mit einem überaus verführerischen Mund, der Dinge mit ihr tat, die ihre Eltern unmöglich vom Foyer des Restaurants aus sehen konnten. Dinge, bei denen Lexis Knie nachzugeben drohten. Ihr Verstand ermahnte sie natürlich, dass der Kuss nur Show gewesen war. Aber das hieß nicht, dass sie auf ihren Verstand hörte. Immer wieder rekapitulierte sie jene Szenen, bis sie an nic hts anderes mehr denken konnte. Und heute Abend sollte sie mit Spencer Poolbillard spielen. Feige wie sie war, hatte sie vor dem Frühstück angerufen und eine Nachricht in seiner telefonischen Mailbox hinterlassen, dass sie ihn im Labor treffen würde. Falls es ihm nicht passe, solle er zurückrufen. Das war nicht geschehen. „Ich fürchte, das Knistern war absolut einseitig", gestand sie und hoffte, Francesca würde loyal widersprechen. „Aha! Du gibst also zu, dass du dich zu ihm hingezogen fühlst!" „Frankie, wenn ich behaupten würde, den Mann nicht attraktiv zu finden, müsstest du den Notruf wählen, denn dann hätte ich keinen Puls mehr." „Aber man kann sich so oder so zu jemandem hingezogen fühlen." Lexi wusste genau, was sie meinte und deshalb backte sie auch Kekse. Denn die signalisierten unverbindliche Zuneigung – und Lexi wollte Spencer unbedingt zeigen, dass sie den Kuss nicht zu ernst genommen hatte. Von seiner Seite aus hatte der Kuss wahrscheinlich überhaupt keine Bedeutung und sie war diejenige, die die Situation maßlos überschätzte. Das bedeutete aber, dass seine echten Küsse ... Lexi steckte sich schnell einen Keks in den Mund, damit Francesca glaubte, ihr Seufzen beziehe sich auf die Schokolade und nicht auf Spencer. „Wann bringst du sie ins Labor?", wollte Francesca wissen. Lexi schluckte und schaute auf ihre Uhr. „In ungefähr fünfundvierzig Minuten. Spencer wird mir Poolbillard bei Busters beibringen." „Tatsächlich? Was wirst du anziehen?" „Das hier." Lexi zeigte auf ihre Jeans und ihr Littletree-Sweatshirt. „Du machst Witze." „Was ist an den Sachen verkehrt? Es ist eine gewöhnliche Kneipe." „Du solltest ein schwarzes Lederminikleid, Netzstrümpfe und Stiefeletten tragen. Komm schon, Lexi, das ist fast wie ein Gesetz." „Ich werde mich über einen Billardtisch beugen müssen!" „Eben." „Selbst wenn ich ein schwarzes Lederminikleid hätte, würde ich es nicht anziehen. Das ist doch viel zu offensichtlich."
„Zeig mir deine Schuhe." Lexi hielt ihre Füße hin. „Du trägst Halbschuhe? Ich schwöre, du bist die einzige erwachsene Frau, die ich kenne, die Halbschuhe trägt." „Sie sind bequem." „Du sollst nichts Bequemes tragen, sondern etwas, das gut aussieht. Also, du kannst die Jeans anbehalten, wenn du Pfennigabsätze trägst und einen zwei Nummern kleineren Pulli anziehst." „Ich besitze keinen Pulli, der zwei Nummern kleiner ist." Ein schlauer Ausdruck erschien auf Francescas Gesicht. „Dann müssen wir eben einen von denen ausfüllen, die du besitzt." „Wovon redest du?" „Vom Ausstopfen, was denkst du denn? Komm her." Lexi folgte Francesca in deren Zimmer. „Sieh dir das an." Francesca öffnete eine Schublade und nahm eine Schachtel heraus. Darin befanden sich zwei fleischfarbene Klumpen. Lexi hatte ein ungutes Gefühl, was diese beiden Klumpen betraf. „Was ist das?" Francesca gab ihr einen. „Falsche Brüste." Der Klumpen fühlte sich kalt und wabblig an. „Igitt!" Lexi warf ihn zurück auf sein cremefarbenes Samtbett. „Der neueste Stand der Technik", erklärte Francesca. „Sie erwärmen sich auf deine Körpertemperatur und passen sich deiner Form an. Sie fühlen sich echt an. Wenn Spencer dich beim Billard berührt, um dir zu demonstrieren, wie man den Queue benutzt, wird er sie für echt halten." Während sie sprach, öffnete sie eine weitere Schublade, aus der sie einen BH nahm. „Was ist das? Ein Melonenträger?" Lexi winkte ab. „Nein danke. Ich würde das Gleichgewicht, verlieren, sobald ich mich über den Billardtisch beuge." „Lexi, ich versichere dir ..." „Ich weiß, ich weiß. Auf die Unterwäsche kommt, es an." Sie versuchte sich selbst mit falschen Brüsten vorzustellen und schüttelte den Kopf. Widerstrebend legte Francesca die falschen Brüste weg. „Übrigens habe ich mir die Unterwäsche aus ägyptischer Baumwolle bestellt, aber sie kommt nicht vor nächster Woche. Hör mal, zieh dir wenigstens ein anderes Oberteil an, ja? Und vielleicht solltest du Stiefeletten statt Halbschuhe tragen." Lexi musste sich dreimal umziehen, bis Francesca zufrieden war, und dann war sie zu spät dran. „Dieser Pulli wird nicht in der Hose bleiben." Francesca legte sic h in gespieltem Entsetzen die Hand an die Wange. „Du meinst, er könnte tatsächlich aus der Hose rutschen und ein paar Zentimeter Haut entblößen, wenn du dich nach vorn beugst, um eine Kugel zu versenken? Du meine Güte!" Lexi warf ihr einen Blick zu und ging Richtung Küche. „Mir bleibt kaum noch Zeit, die Kekse einzupacken." „Ich werde dir helfen", bot Francesca an. „Ehrlich gesagt ... Lexi, nimm mich mit. Ich will die Prachtburschen kennen lernen. Bitte, ja?" Francesca hatte völlig falsche Erwartungen. Lexi gefielen die Männer aus dem Labor allerdings besser so, wie sie waren. „Das halte ich für keine gute Idee." Sie legte einen von den Kartons, in denen Francescas Unterwäsche verschickt wurde, mit Folie aus und tat die Kekse hinein. „Wieso nicht? Schämst du dich meinetwegen?" „Unsinn." „Du hast Angst, ich könnte Spencer den Kopf verdrehen, nicht wahr?" Francesca schob die Unterlippe vor. „Was glaubst du, was für eine Freundin ich bin?" „Es hat nichts mit dir zu tun, sondern mit ihnen. Du erwartest männliche Sexbomben, aber so sind sie nicht. Sie sehen nicht aus wie auf den Fotos."
Francesca glaubte ihr nicht. „Wenn sie nur halb so gut aussehen wie Spencer, werde ich begeistert sein." „Wenn das dein Ernst ist, kannst du mitkommen. Aber ich muss dich warnen. Be i ihren Fotos war sehr viel Retusche mit im Spiel." „Sogar mein Foto wurde retuschiert. Aber irgendetwas muss erst mal da sein, um es retuschieren zu können", erwiderte Francesca und ging in ihr Zimmer. Lexi vernahm ihre Stimme von dort. „Ich ziehe meinen kobaltblauen Catsuit an, damit ich cool und sexy bin. Außerdem passt das Blau zum Nagellack auf meinen Fußnägeln." Sie fuhren in Lexis Wagen zum Labor. Für jemanden, der so scharf darauf war, die Kalender-Boys kennen zu lernen, benahm Francesca sich sehr gelassen, als sie den Flur zum Labor hinunterliefen. Vielleicht war doch etwas dran an ihrer UnterwäschePsychologie. Lexi musste zugeben, dass sie gut aussah. Tatsache war, dass sie zusammen gut aussahen. Frankies Haare waren honigblond und gelockt, während Lexis glatt waren. Francescas Figur war wohlgerundet, Lexi dagegen war schlank. Dafür war Lexi größer, während ihre Freundin die meiste Zeit hochhackige Schuhe tragen musste. Plötzlich war Lexi froh, dass sie die Stiefeletten angezogen hatte, auf die Francesca bestanden hatte. Sie blieben vor der Tür stehen. „Möchtest du einen Trommelwirbel?", fragte Lexi. Francesca warf den Kopf zurück und leckte sich die Lippen. „Ich bin bereit." Sie traten ein. Einige Männer aus dem Forschungsteam arbeiteten an einem langen Metalltisch voller Kabel und Drähte. Die anderen trugen Kopfhörer und blickten auf Computerbildschirme. Aus Spencers offener Bürotür drang Licht. Murray sah die Frauen als Erster. Er starrte sie an, nahm die Kopfhörer herunter und stand langsam auf. Nach zwei Schritten wurde er aufgehalten, weil die Kopfhörer noch um seinen Hals baumelten. Inzwischen hatte er die Aufmerksamkeit der anderen geweckt, die nun ebenfalls Lexi und Francesca anstarrten. Hauptsächlich Francesca. Sie erwiderte mit einem kühlen Lächeln die Blicke der Männer. „Hallo, Jungs", begrüßte Lexi sie. „Dies ist meine Freundin Francesca." „Hallo", hauchte Francesca. „Lexi, bist du das?" Spencer streckte den Kopf aus seinem Büro. „Ich bin in zwei Minuten bei dir." Er bemerkte ihre Freundin und sah zu seinen Kollegen, die sich offenbar in Zombies verwandelt hatten. „O Mann!" Lexi ging zu ihm. „Ich habe dir Kekse mitgebracht, um mich dafür zu bedanken, dass du meine Eltern begeistert hast." Er deutete auf Francesca. „Das ist aber nicht alles, was du mitgebracht hast." „Francesca wollte so gern mitkommen. Ich hoffe, das ist in Ordnung." Spencer betrachtete sie noch immer. „Da bin ich mir noch nicht sicher." Lexi nahm den Deckel der Schachtel ab und ein Duft nach Vanille und Schokolade breitete sich aus. „Möchtest du einen Keks?" „Noch nicht..." Er schnupperte. „Selbst gemacht?" „Sicher. Die oberen sind noch warm." Spencer probierte einen, dann noch einen und nahm schließlich die Schachtel an sich und trug sie zur Pausenecke. „He, Leute, Lexi hat Kekse für uns gebacken." Das schien den Bann zu brechen. Die Männer murmelten ihren Dank und erwachten wieder zum Leben. Alle bis auf Francesca schlurften zur Pausenecke. Francesca schlurfte nicht. Sie stolzierte auf ihren hohen Absätzen. Hochhackige Pumps im Dezember? Lexi hielt ihre Mitbewohnerin für verrückt. Andererseits verfolgten sämtliche Augenpaare im Raum, einschließlich Spencers, ihre
Bewegungen. Francesca hüpfte auf den Tresen und schlug die Beine übereinander. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie eine Limonade in der Hand. „Oh, danke", erwiderte sie in der gedehnten Sprechweise einer Südstaatenschönheit. Da sie aus Indiana stammte, war das natürlich gespielt, aber Lexi bezweifelte, dass irgendjemand es bemerkte. „Welcher Monat waren Sie?", wandte Francesca sich an Murray, der ihr die Limonade gegeben hatte. „März und August." „Sie haben sich den Bart abrasiert!" Murray rieb seine einen Tag alten Bartstoppeln. „Ich lasse ihn mir gerade wieder wachsen." „Oh, aber warum nur? Mit dem Bart ist mir gar nicht aufgefallen, was für einen sexy Mund Sie haben. Diese volle Unterlippe weckt in mir die Lust..." Francesca hielt inne. „Verzeihung, es ist ein bisschen mit mir durchgegangen." „Das macht doch nichts!", versicherte Murray ihr rasch. „Möchten Sie vielleicht etwas anderes zu trinken?", erkundigte sich ein anderer. „Oder einen Keks?" „Ich habe Chips." „Und Doughnuts ..." „Nicht die, Mann!" Francesca lachte und schwang die Beine vor und zurück, während sich die Männer um sie scharten. „Ich kenne Sie – Sie sind der Mr. Juli!" Es gab weiteres Gelächter und die Nervosität unter den Männern ließ spürbar nach. „Deine Mitbewohnerin ist in Ordnung", flüsterte Spencer Lexi ins Ohr. „Ja, ist sie." Lexi fing Francescas Blick auf und gab ihr das Daumen- hoch-Zeichen. Francesca grinste. „Wollen wir verschwinden?", fragte Spencer. „Ich dachte, du wärst noch nicht soweit." Spencer betrachtete sie und ein warmes Lächeln erschien in seinen Augen. „Das war, bevor ich dich gesehen habe."
6. KAPITEL Bei Busters umlagerten ha uptsächlich College-Kids die Tische. Eine altmodische Jukebox spielte Countrymusic. Die Billardtische befanden sich im hinteren Teil. Spencer nahm Lexis Hand und führte sie an den Tischen vorbei. Sie entdeckte einige ihrer Studenten, die ihr Zeichen machten, dass sie Spencer gut fanden. Es gab keine Hoffnung, dass er das nicht mitbekommen hatte. „Solltet ihr nicht üben?", rief sie ihnen im Vorbeigehen scherzhaft tadelnd zu. Spencer erregte zwangsläufig überall Aufsehen. Er besaß eine imponierende Ausstrahlung, ganz zu schweigen davon, dass sein Foto wahrscheinlich in jedem Zimmer des Studentenwohnheims des Littletree College an der Wand hing. Im Pool-Raum war es ruhiger, da hier weder Musik spielte noch das elektronische Piepen der Videospiele zu hören war. „Ich habe einen Tisch reserviert", eröffnete Spencer ihr, „aber wir sind zu früh. Was kann ich dir zu trinken holen? Du bekommst alles, was du willst, aber ich hoffe, ich muss keinen Weißwein bestellen." Lexi lachte. „Nein. Wie wäre es mit einem Bier?" „Gute Entscheidung." Nachdem das Bier serviert worden war, knackte Spencer eine Erdnuss und fragte: „Wie viel verstehst du vom Poolbillard?" „Ich habe keine Ahnung von den Regeln, nur dass es nicht gut ist, wenn der Ball vom Tisch fliegt." „Wie alt warst du, als dir das passiert ist?" „Acht. Er traf auf den Betonboden im Keller und splitterte. Danach ließ Großvater mich nie mehr spielen." „Das passiert uns allen mal." „Vermutlich zerbrichst du dabei mit dem Queue aber nicht gleichzeitig die TiffanyLampe über dem Tisch." „Das hast du getan?" „Nur weil Les – mein Zwillingsbruder – seine Limonade über meine Hand geschüttet hat." Spencer verzog das Gesicht. „Lag deine Hand zu dem Zeitpunkt auf dem Tisch?" „Natürlich, ich habe ja einen Stoß versucht." „Und dabei sprang die Kugel vom Tisch." „Und ich richtete mich abrupt auf und traf die Lampe mit dem Queue." Spencer nickte. „Jetzt verstehe ich deinen Großvater." Sie aßen Erdnüsse, tranken ihr Bier und unterhielten sich über Belanglosigkeiten, bis eine Glocke ertönte, die das Ende der Poolrunde signalisierte. „Wir haben Tisch drei." Spencer zeigte auf den Tisch direkt vor ihnen. „Komm, wir suchen dir einen Queue aus." Die meisten der an der Wand hängenden Queues hatten die gleiche Länge, daher wusste Lexi nicht, was es da auszuwählen gab. Spencer untersuchte trotzdem mehrere, prüfte sie auf ihre Länge und probierte Elastizität und Gewicht aus. „Du spielst sicher oft", bemerkte Lexi. „Eigentlich nicht. Ich versuche nur, dich zu beeindrucken." „Erzähl mir doch nichts!" Sie lachte und schnappte nach dem Queue in seiner Hand. „Ich nehme an, das hier willst du auch." Er hielt einen kleinen blauen Würfel hoch. „Und ob. Früher benutzten wir die Kreide nach jedem Stoß und verursachten jede Menge blauen Staub." Spencer schüttelte sich in gespieltem Entsetzen und schob das Dreieck mit den Kugeln über eine leicht abgenutzte Stelle auf dem Tisch. „Dein armer Großvater." „Grandma musste die Bescherung sauber machen. Soll ich anfangen?" Lexi fühlte sich so ungezwungen in seiner Gegenwart, dass sie nicht auf ihre Reaktion gefasst war, als er sich mit ihr über den Tisch beugte, um ihr die richtige Position zu
zeigen. Es war ein Schock, als ihre kameradschaftliche Stimmung innerhalb von Sekundenbruchteilen in sinnliche Erregung umschlug, ausgelöst durch Spencers körperliche Nähe. Das leise Klacken der Kugeln, das Gemurmel der anderen Spieler und die Musik traten in den Hintergrund, während Lexi sich ganz auf Spencers männliche Ausstrahlung konzentrierte. Ein Teil ihres Rückens berührte seine Brust, die sie jeden Morgen im Bad begrüßte. Seine Finger verflochten sich im Lichtschein der Lampe mit ihren. Seine Wange mit den frischen Bartstoppeln war nur wenige Zentimeter von ihrer entfernt. Er erklärte ihr etwas, doch nahm sie lediglich die Vibrationen wahr, die seine Stimme an ihrem Rücken verursachte. Sie veränderte ihre Position, so dass mehr von ihrem Körper mit seinem in Kontakt kam. „Nicht so." Er beugte sich noch weiter über sie und legte ihre Finger um den Queue. Jetzt berührten sie sich an der Hüfte und am Oberschenkel. Ihr Pulli rutschte aus der Jeans und entblößte einige Zentimeter Haut. Er senkte den Kopf, um mit ihr auf gleicher Augenhöhe zu sein und zielen zu können. Er sagte etwas über Physik und Geometrie, Dinge, die Lexi in diesem Moment ohnehin nicht aufnehmen konnte. „Hast du’s?" Wenn sie ihm nur irgendwie klarmachen könnte, dass er seine wundervollen Finger um ihre Taille legen sollte ... „Okay, und jetzt stoss!" „Muss ich?" Er lachte und sie grinste, als sie wieder die Vibrationen seiner Stimme an ihrem Rücken spürte. „Ich halte das hintere Ende fest", sagte er. „Keine Sorge." Lexi seufzte. Alle guten Dinge gehen mal zu Ende. In diesem Moment strich Spencer ihr zärtlich die Haare aus dem Gesicht, so dass sich eine ganz neue Partie ihres Körpers aufs Intensivste seiner Nähe bewusst wurde. Ein leichter Schauer lief ihren Hals hinunter bis in ihren Ellbogen. Ihre Muskeln gehorchten nicht mehr. Das mussten sie aber, sonst würde er merken, dass etwas nicht stimmte. Also holte sie entschlossen aus – und erschrak, als sie Spencers Keuchen hörte. Sie hatte ihn in den Magen getroffen. Die Kugel hatte sie dabei völlig verfehlt. „Gütiger Himmel!" Sie richtete sich abrupt auf, wodurch ihr Kopf gegen seinen stieß. Lexi wirbelte herum. Spencer blinzelte und hielt sich die Nase. „Oh .. das tut mir so Leid!" Bevor ihr klar wurde, was sie da tat, rieb sie seinen Bauch, wo ihn nach ihrer Vermutung der Queue getroffen hatte. „Zu hoch." Sie bewegte die Hand tiefer. Spencer holte tief Luft und hielt ihr Handgelenk fest. „Noch immer zu hoch, aber danke für die Absicht." Er klang angespannt. „Deine Nase! Es tut mir so Leid! Soll ich vom Barkeeper einen Eisbeutel holen?" „Nein, es geht schon." Vorsichtig tastete er seine Nase ab. „Hast du etwas dagegen, wenn wir uns einen Moment setzen?" „Natürlich nicht!" Lexi hielt nach einem freien Tisch Ausschau. „Da vorne wird etwas frei." Sie nahm die Bierflaschen und wartete, bis der Kellner die Erdnussschalen vom Tisch gewischt hatte. Spencer rutschte behutsam in die Tischnische. „Poolbillard ist nicht dein Ding, was?" „Es ist mir so peinlich." „Das muss es nicht sein." Er tat ihre Worte mit einer Handbewegung ab und schenkte ihr ein Lächeln, dessen Wirkung seine leicht geschwollene Nase nicht schmälern konnte.
Dann zog er ein Stück Papier aus seiner Tasche, schniefte und sagte: „Wir müssen uns ohnehin über ein paar Dinge unterhalten." Er entfaltete das Papier und Lexi erkannte, dass es sich um eine Checkliste handelte. „Ich glaube, ich habe einen guten Eindruck auf deine Eltern gemacht", meinte er fragend. „Das ist eine Untertreibung." Ihr trockener Ton ließ ihn aufsehen. „Ich dachte, das war Sinn der Sache." „Schon." „Aber?" Mit dem Daumen fuhr Lexi über das Etikett ihrer Bierflasche. „Bis gestern Abend war mir nicht klar, dass meine Eltern mich ohne Mann für unvollständig hielten", sagte sie. Er dachte über ihre Worte nach. „Haben sie Enkel?" Lexi schüttelte den Kopf. „Das ist es wahrscheinlich. Sie sehnen sich nach Enkelkindern." Lexis Mutter hatte einen solchen Wunsch nie geäußert, höchstens um den zwei Kindern etwas entgegenzusetzen, die Emily Tante Carolyn geschenkt hatte. Spencer zog einen Kugelschreiber hervor. „Ich brauche ein paar Informationen über dich. Hast du Geschwister?" „Einen Bruder, Les." „Richtig, der Zwilling." Spencer schrieb den Namen auf. „Ich versuche mir eine männliche Ausgabe von dir vorzustellen, aber es gelingt mir nicht." „Das macht nichts, denn wir sind keine eineiigen Zwillinge." Spencer schrieb. „Hm, nur du und dein Bruder." Lexi atmete tief durch. „Unglücklicherweise nein. Da ist noch Gretchen, meine kleine Schwester. Sie ist der Grund für die Familienzusammenkunft." Sie beobachtete, wie Spencer sich sorgfältig Notizen machte, und dachte daran, wie beschäftigt er war. Trotzdem hatte er sich nicht einen, sondern zwei Abende Zeit genommen, um sie besser kennen zu lernen. Dabei ahnte er noch nicht einmal, was ihm bevorstand. Lexi stützte seufzend den Kopf in die Hände. „Ich kann die Schuld nicht länger ertragen. Ich muss dir sagen, worauf du dich einlässt." Sie sah ihm in die Augen. „Es wird das schlimmste Weihnachten deines Lebens werden." Niemals. Das schlimmste Weihnachten war das gewesen, als er von der Busstation zurück in den dunklen Schlafsaal seines Internats gegangen war. Er hatte ein Fenster aufbrechen müssen, um wieder hineinzukommen, da die ganze Schule wegen der Feiertage geschlossen war. Er hatte das Fenster unverriegelt gelassen, aber der äußerst wachsame Verwalter, Mr. Sayers, musste es bei seinem letzten Rundgang entdeckt haben. Alle Schüler waren entweder nach Hause gefahren oder verbrachten die Feiertage bei Freunden. Spencer hatte weder das eine noch das andere. Doch da er es nicht zugeben wollte, hatte er seine Sachen gepackt und war wie die meisten zum Busbahnhof gefahren, wo er schließlich den Großteil des Heiligabends verbrachte. Später war er ins Internat zurückgekehrt. Nachdem er in das Gebäude eingebrochen war, verbrachte er kalte Feiertage, da die Heizung abgestellt worden war. Am Tag nach Neujahr packte er erneut seine Sachen und setzte sich draußen auf die Stufen, wo er auf die Rückkehr des Direktors wartete. Diese Erinnerung gehörte zu denen, die er gern vergessen würde. „Es wird ein großartiges Weihnachtsfest", sagte er. „Ich freue mich darauf." Er freute sich seit dem Kuss gestern Abend darauf. Es würde interessant sein, an einem echten Familienfest teilzunehmen. Nicht, dass seine Pflegefamilie ihm nichts bedeutet hätte, aber er hatte sich immer gefragt, wie Weihnachten in einer normalen Familie ablief. „Du verstehst nicht – diese ganze Familienzusammenkunft war die Idee von Gretchens Therapeutin. So wie ich Gretchen kenne, wird sie alles unternehmen, um im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Und Les' einziges Ziel im Leben ist es, erfolgreich zu
rebellieren. Bis jetzt ist es ihm nicht gelungen, also wird er in übler Stimmung sein. Zwischen meiner Mutter und Tante Carolyn herrscht Rivalität und meine überspannte Cousine Emily unterbricht ihre sagenhafte Opernkarriere, um uns mit ihrer Anwesenheit zu beehren. Sie bringt ihren sie anbetenden Mann und ihre perfekt erzogenen Kinder mit." Spencer hatte während ihrer Aufzählung eifrig mitgeschrieben. „Ich glaube, ich habe jetzt alle deine Verwandten. Hört sich nach einem faszinierenden Haufen an." Sie hob eine schwarze Braue über ihren unglaublich blauen Augen. „Du bist wirklich ein Optimist, nicht wahr?" „Einer von uns muss es ja sein." Er wandte sich dem nächsten Punkt auf seiner Liste zu. „Was soll ich mitbringen, um einen guten Eindruck zu machen?" „Soll das heißen, ic h habe dich noch nicht verschreckt?" „Nein." „Na dann." Sie warf die Haare über die Schulter und er beobachtete, wie es in Wellen bis zu ihrer Taille fiel. „Wenn du richtig Eindruck machen willst, bring einen geräucherten Truthahn oder einen Schinken mit." „Hat deine Mutter nicht gesagt, dass es Gans gibt?" „Ich habe ein ungutes Gefühl hinsichtlich der Gans. Meine Mutter ist keine besonders gute Köchin. Wenn du kommst, könnte ein geräucherter Truthahn sehr willkommen sein." „Also ein Kuchen oder eine Flasche Wein ist nicht ..." „Vertrau mir. Bring einen geräucherten Truthahn mit." „Wenn du meinst." Er hatte Zweifel, aber sie wusste es schließlich am besten, Spencer notierte sich, dass er für alle Fälle auch eine Flasche Wein mitbringen würde. Indem er die Liste durchging, erfuhr er immer mehr über Lexi. Sie hatte klare Ansichten, doch man musste sie ihr entlocken. Sie war niemand, aus dem es nur so hervorsprudelte, damit er sich selbst reden hörte. Trotz des Missgeschicks beim Billard genoss er den Abend. Bis sie sich nach seiner Familie erkundigte. Es war eine logische Frage, aber Spencer wollte nicht von seiner Herkunft erzählen. Er hätte ihr Dutzende Geschichten auftischen können, die er sich sämtlich ausgedacht hatte. Zwar wollte er Lexi nicht belügen, doch war er andererseits auch noch nicht so weit, ihr alles zu erzählen. Noch nie hatte er jemandem alles erzählt, nicht einmal den Kollegen im Labor. „Keine Geschwister", sagte er knapp. „Meine Leute leben im Ruhestand auf ein paar Hektar Land außerhalb von Dallas. Möchtest du noch eine Runde Poolbillard versuchen?" Zum Glück ließ sie ihn das Thema wechseln. „Du bist wirklich mutig." Sie brachten ein Spiel ohne Zwischenfälle hinter sich und ließen den Abend ausklingen, da morgen beiden ein harter Arbeitstag bevorstand. Lexi hatte nicht nur Unterricht, sondern musste später am Tag auch noch im Wainright Inn auftreten. Sie fuhren in seinem Wagen und Lexi dirigierte ihn zu ihrem Haus. Als der Wagen den sanften Hügel hinauffuhr, schaute Spencer automatisch nach links. Dies war der einzige Punkt in der Stadt, von dem aus man bis zur anderen Seite der Wasserfälle sehen konnte. In der Ferne erkannte Spencer kurz das Forschungsgebäude. Da die Wasserfälle nachts beleuchtet wurden, wirkte das Gebäude vor dem schäumenden Wasser wie in bunte Farben getaucht. Er verlangsamte die Fahrt, um es Lexi zu zeigen, und hielt schließlich an. „Was ist los?" „Ich wollte dir das Forschungsgebäude zeigen. Es sieht toll aus bei Nacht. Und jetzt sehe ich, dass im Labor die Lichter an sind." „Ist das ungewöhnlich?" Ungewöhnlich genug, um ihn nervös zu machen. Er hoffte, dass es keinen Einbruch gegeben hatte. Spencer schaute auf seine Uhr. „Rip arbeitet meistens nachts, aber er mag
nicht so viel Licht." „Willst du nachsehen?" Spencer drehte sich zu ihr. „Macht es dir etwas aus?" Sie schüttelte den Kopf und Spencer fragte nicht zweimal. Sie waren auf dem Gang vor dem Labor. Spencer legte den Kopf schräg. „Ist das ein Cello?" Lexi kannte das Stück. „Ja, und nicht nur irgendeins. Francesca muss noch hier sein. Das ist eigenartig. Ich habe ihr zwar meinen Wagen dagelassen, aber ich habe ihn nicht auf dem Parkplatz gesehen." „Was machen die da?", murmelte Spencer und stieß die Tür auf. Lexi wusste nicht, was sie erwartet hatte. Jedenfalls nicht, ihre Mitbewohnerin, an lauter Kabel angeschlossen konzentriert Cello spielen zu sehen. Murray saß mit völlig begeisterter Miene neben ihr. Gordon und einweiterer Mann, an dessen Namen Lexi sich nicht erinnern konnte, saßen über einen Computer gebeugt. Ein vierter Mann mit dicken Brillengläsern saß vor einem Oszilloskop und studierte die aus der Maschine kommenden Ausdrucke. Mr. Oktober hockte selbstvergessen vor einem Computer und tippte wild. „Was haben sie mit ihr gemacht?", fragte Lexi. „Sie haben Elektroden an ihr befestigt, um irgend etwas zu untersuchen." Spencers Stimme verriet, wie sehr er sich bereits auf die Szene vor ihnen konzentrierte. „Es hat mit der Hand zu tun und muss gut sein." „Wieso?" Er deutete auf Mr. Oktober. „Weil Rip dabei ist. Er hält nichts davon, seine Zeit zu verschwenden." Spencer ging auf die Gruppe zu. „Doc!" Alle bis auf Rip schauten auf und begannen aufgeregt durcheinander zu plappern. Francesca hatte den zufriedenen Ausdruck einer verwöhnten Katze. „Was geht hier vor?", wandte sich Spencer an Murray. „Es ist unglaublich. Wir zeigten Frankie gerade den Beta-Prototyp der Hand und erklärten ihr, dass wir die Hand mit einem Tastsinn ausstatten wollen, der dem einer menschlichen Hand gleicht." Murray hielt inne und holte aufgeregt Luft. Francesca fuhr mit dem Bericht fort. „Ich sagte ihnen, dass ich durch die Vibration der Saiten unter meinen Fingern spüre, ob ich richtig spiele. Ich fühle die Stimmung des Instruments." Spencer hörte fasziniert zu und Lexi empfand einen Anflug von Eifersucht, den sie sofort verdrängte. „Ihr habt also herauszufinden versucht, wie ihr Gehirn ihr diese Information übermittelt, um es in Computersprache zu übertragen." Er rannte zum Monitor und ignorierte Francesca, was Lexis seelische Verfassung sofort verbesserte. Bis Spencer sich über den Schreibtisch beugte, ein Foto aufhob und zu Francesca schaute. Lexi wusste sofort, um welches Foto es sich handelte – das, auf dem ihre Freundin nackt mit ihrem Cello war. Sie ging zu Francesca und fragte leise: „Was hast du getan?" „Ich habe ihnen ein Foto mitgebracht." „Wieso?" „Ich fand es nur fair, da ich ihre Fotos schon das ganze Jahr bewundert habe. Jetzt haben sie eins von mir." „Sehr schön", bemerkte Spencer und warf das Foto zurück auf den Tisch, ohne es eines weiteren Blickes zu würdigen. „Rip? Wie sehen die Ergebnisse aus?" „Erstklassige Daten", antwortete Rip, ohne vom Monitor aufzusehen. „Francesca, könnten Sie noch einmal spielen, damit ich verfolgen kann, wie es funktioniert?", bat Spencer. „Gern, Doc." Sie positionierte ihren Bogen und flüsterte Lexi zu: „Sie nennen ihn Doc."
„Das weiß ich", erwiderte Lexi, doch es ging in Francescas Spiel unter. Als eine der Elektroden sich löste, versammelten sich alle um sie, während Murray sie wieder befestigte. Lexi schlenderte in die Pausenecke, da sie ohnehin niemand mehr zu beachten schien. Von dort aus beobachtete sie die Vorgänge im Labor, bis der unheimliche Mr. Oktober zum Getränkeautomaten kam. Erst nachdem er zwei Münzen aus seiner Tasche gekramt hatte, registrierte er Lexi. „Ich habe ganz vergessen, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren, meine Schöne", meinte er und warf die Münzen in den Automaten. „Alle anderen offenbar auch", antwortete sie und hoffte, dass es nicht zu wehleidig klang. Er warf Murray eine Dose zu, bevor er sich wieder an Lexi wandte. „Erlauben Sie mir, Sie heimzufahren." Allein mit dem Fürsten der Finsternis? Er lächelte über ihr Zögern. „Fürchten Sie sich nicht. Ich habe schon zu Abend gegessen." Lachend stand sie auf und hängte sich die Handtasche um. „In dem Fall akzeptiere ich Ihr Angebot." Rips Wagen sah aus wie das Batmobil, doch in Wahrheit war es ein Dodge Viper. Er passte zu ihm. „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mich nach Hause zu fahren", meinte sie, nachdem sie den Parkplatz verlassen hatten. „Zumal Sie nach Spencers Aussage ungern Zeit verschwenden." Rip lächelte schwach. „Das stimmt. Der Unterschied zwischen ihm und mir ist nur, dass Spencer so darauf fixiert ist, durch seine Roboterhand Bestätigung zu finden, dass er den Weg dahin nicht mehr genießen kann, Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Gegenwart einer schönen Frau, deren Haut hell wie das Mondlicht ist und deren Haar schwarz ist wie die Nacht, Teil des Weges sein sollte."
7. KAPITEL Francesca kam erst gegen halb vier morgens nach Hause. Lexi wusste es, weil sie noch immer wach lag und vergebens gegen ihre Frustration ankämpfte. Du musst drüber hinwegkommen, sagte sie sich und schlief endlich ein, nachdem sie gehört hatte, wie Francesca ihr Cello im Musikzimmer verstaut hatte. Natürlich verschlief sie. Fabelhaft. Kein Kaffee, kein Frühstück. Wenigstens brauchte sie sich vor Francesca nicht zu verstellen, die noch schlief. Es. war der letzte Tag des Semesters, in der kommenden Woche sollte das Vorspielen der Schüler stattfinden. Zum Glück hatte Francesca Lexis Wagen sicher nach Hause gefahren und in die Garage gestellt. Lexi schaffte es, noch rechtzeitig zum Musikinstitut zu kommen, Sie rannte die Stufen hinauf zu ihrem Studio im dritten Stock, stürmte um die Ecke und blieb abrupt stehen. Auf dem Fußboden vor ihrem Studio saß Spencer mit einem riesigen roten Weihnachtsstern. Er lächelte müde und seine dunklen Bartstoppeln ließen seine Zähne sehr weiß erscheinen. Er trug noch die gleiche Kleidung wie am Abend zuvor, also war er vermutlich noch nicht zu Hause gewesen. Er sah großartig aus. „Du kommst fast zu spät zum Unterricht." „Ich habe verschlafen", gestand sie. „Was machst du hier?" Er stand auf, als sie die Tür aufschloss und folgte ihr hinein. „Ich komme mit Geschenken." Sie warf ihre Mappe auf den Schreibtisch und drehte sich um. Spencer hielt eine kleine Bäckertüte und den Weihnachtsstern hoch. „Wenn ich mich recht erinnere, sollten es ein Croissant und Kaffee sein ..." „Kaffee!", rief sie und griff nach der Tüte. „Du hast mir Kaffee gebracht? Du bist ein Engel!" „Hast du mir schon verziehen?" „Ja." Sie nahm den Plastikbecher aus der Tüte und entfernte den Deckel. „O ja, ja, ja." Sie trank einen Schluck und schloss die Augen. „Ich werde überleben." „Ich wollte mich für gestern Abend entschuldigen." Ihre Miene wurde ernst. „Schon gut. Habt ihr gute Informationen durch Francesca gewinnen können?" So müde er auch war,, seine Augen begannen zu leuchten und er erging sich in technischen Einzelheiten, die sie auch gestern Abend schon nicht verstanden hatte. Daher begnügte sie sich damit, ihn beim Sprechen zu beobachten. „Es eröffnet völlig neue Möglichkeiten", schloss er seine Ausführungen. „Ich weiß nicht, wieso wir nicht schon vorher daran gedacht haben. Jetzt müssen wir uns höllisch beeilen, diese neue Information in unseren Jahresbericht und die Bewerbungen um die Zuschüsse einzufügen. Wir haben Stunden an Datenmaterial. Deine Freundin muss erschöpft gewesen sein, aber sie hat sich nicht ein einziges Mal beklagt. Ich muss gestehen, dass ich jetzt einen ganz anderen Eindruck von ihr habe." „Darauf wette ich", erwiderte Lexi und dachte an das Foto. Spencer offenbar auch. „Übrigens ist sie das Maskottchen des Teams geworden. Die Jungs haben ihr Foto auf Posterformat vergrößert." „Sie wird begeistert sein", meinte Lexi mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Miene wurde ernst. „Was ist los?" „Nichts." Doch Lexi wusste, dass er ihren Arger spürte. „Noch mal: Es tut mir Leid." „Schon gut. Rip hat mich nach Hause gefahren. Er ist ein netter Kerl, aber er gibt sich Mühe, es zu verstecken. Es war interessant, ihn ein wenig besser kennen zu lernen." „Von mir hättest du aber einen Gutenachtkuss bekommen." Spencers Mundwinkel hoben sich. „Und für mich ist unser Abend offiziell noch nicht zu Ende." Lexi stand wie benommen da und kriegte kein Wort heraus. Das ist auch gut so, weil
ich sonst nur nervös losplappern und mich womöglich um den Kuss bringen würde, dachte sie. Doch er küsste sie nicht, sondern sprach weiter. „Die Sache ist die, dass wir sämtliche Berichte umschreiben müssen und ich in den nächsten zwei Wochen wie ein Besessener arbeiten muss." Oje, das lief nicht auf einen Kuss hinaus, sondern auf einen nett umschriebenen Abschied. „Ich kann nicht versprechen, dass wir uns vor Weihnachten noch einmal wieder sehen. Ich werde zu verrückten Zeiten arbeiten müssen und schlafen, wenn du wach bist..." „Das ist schon in Ordnung." Das war es keineswegs, aber er sollte nicht denken, dass sie irgendetwas erwartete, auch wenn sie gedacht hatte ... aber Rip hatte sie schließlich gewarnt. „Du hast schon mehr getan, als du hättest tun müssen." Sie nahm einen leicht zerknitterten Umschlag aus ihrer Handtasche. „Ich habe den Brief gestern Abend geschrieben und noch ein paar Dinge hinzugefügt. Er wird dir gefallen." Zögernd nahm er ihn entgegen und las die Adresse. „Den Brief hatte ich schon ganz vergessen." Das konnte er unmöglich vergessen haben! Deswegen würde er doch Weihnachten zu ihrer Familie kommen, oder? Vielleicht hätte sie ihm den Brief nicht ausgerechnet heute geben dürfen. „Danke." Er sah auf. „Ich werde jetzt nach Hause fahren und mich hinlegen." Sie lachte, überrascht, dass sie es konnte. „Gute Nacht." Doch er rührte sich nicht von der Stelle. Stattdessen betrachtete er sie, zuerst fragend, dann mit unmissverständlicher Absicht. Die Luft schien plötzlich elektrisch aufgeladen. Lexi blinzelte, um sicherzugehen, dass sie es sich diesmal nicht einbildete. Nein, es war eindeutig ein Ich-werde-dich- gleich-küssen-Blick. Und ihre Eltern waren nirgends in der Nähe. Der Mann, von dem unzählige Frauen schwärmten, stand in ihrem kalten Studio und war kurz davor, sie zu küssen. Langsam beugte er sich vor und legte die Arme um sie. „Ich bin nicht rasiert." „Und ich muss mich beeilen, um mich nicht allzu sehr zu verspäten." Seine Lippen berührten ihre. Sie waren warm, verlockend und sinnlich. Der Kuss ließ sie vergessen, dass sie sich im kalten dritten Stock befand, ließ sie den Unterricht vergessen, Weihnachten und die Poster ihrer Freundin. Dieser Kuss sollte nicht leidenschaftlich werden, doch fiel es Lexi immer schwerer, sich zu beherrschen. Als Spencer ihre Mundwinkel mit der Zungenspitze berührte, erkannte sie glücklich, dass sie nicht länger so zu tun brauchte, als sei dies ein platonischer Kuss. Endlich konnte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Er küsste sie sanft, bis sie erschauerte. Nie zuvor waren ihre Lippen so sensibel gewesen. Dann presste er seinen Mund hart auf ihren. Spencers Kuss wischte sämtliche Vorstellungen von Leidenschaft hinweg, die sie je gehabt hatte. Noch nie war sie so wundervoll geküsst worden. Wer hätte gedacht, wie intensiv Zärtlichkeit sein konnte? Es war ein intimer Kuss, trügerisch harmlos zunächst und dann voller Intensität. Ein heimtückischer Kuss – denn damit eroberte ein Mann das Herz einer Frau im Sturm. Kuss hin, Kuss her – Lexi würde Spencer bis Weihnachten nicht mehr sehen. Es sei denn, sie ergriff drastische Maßnahmen. Er war so sehr beschäftigt, wie er angekündigt hatte. Einmal hatte er angerufe n und sich zerstreut nach dem Weg zum Haus ihrer Eltern erkundigt. Ihr Brief hatte offenbar bei „Texas Men" die gewünschte Wirkung gehabt. Spencer ließ sie wissen, wie froh er war, dass er sich endlich wieder auf sein Projekt konzentrieren konnte.
Francesca hatte einen Vorschlag. Er hatte mit Unterwäsche zu tun, wie immer. „Du bist in letzter Zeit aber sehr gestresst!", rief sie Lexi von der Tür zum Musikzimmer zu. „Die Vorweihnachtszeit ist eben anstrengend", gab Lexi zurück. Sie saß am Klavier und versuchte das Weihnachtspotpourri zu arrangieren, damit sie es mit Gwen, der Harfenistin, spielen konnte, während Francesca die Feiertage in Indiana verbrachte. „Es beeinflusst dein Spiel." Francesca betrat den Raum. „Verführe ihn." Lexi tat nicht einmal so, als hätte sie nicht auch schon daran gedacht. „Er ist beschäftigt." „So beschäftigt nun auch wieder nicht." „Doch. Alle arbeiten rund um die Uhr an Modifizierungen des Tastsinns dieser blöden Hand." Francesca legte die Finger an die Schläfen. „Hast du durch das Zusammenleben mit mir nichts gelernt?" „Natürlich. ,Früh zu Bett und auf zu früher Stund' bedeutet, dass man die falsche Unterwäsche trägt." „Sehr gut, aber das meinte ich nicht." „Es kommt nicht drauf an, was du weißt, sondern auf deine Unterwäsche?" Francesca schaute himmelwärts. „Ich versuche dir zu helfen und das ist der Dank?" „Die Liebe zur Unterwäsche ist die Wurzel allen ..." „Okay, Lexi. Ich werde dir dein Weihnachtsgeschenk wieder wegnehmen – für das ich übrigens einen Express-Aufschlag bezahlt habe – und lasse dich weiterleiden. Dabei könntest du mit meiner Hilfe einen Zustand glücklicher Entspanntheit erlangen. Mit Betonung auf ,glücklich'." Francesca sah seufzend auf die flache Schachtel in ihren Händen. „Es tut mir Leid. Du hast recht, ich bin gestresst." „Und ich reise morgen ab. Das ist der perfekte Zeitpunkt für dich, etwas gegen deine Anspannung zu unternehmen." „Aber wie soll ich Spencer von der Arbeit weglocken?" „Das ist gar nicht nötig. Muss ich dir alles erklären?" „Ja." Lexi nahm einen Stift und ein leeres Notenblatt. „Ich schreibe mit." „Es ist nicht kompliziert." Francesca begann auf und ab zu gehen. „Wenn ich im Labor vorbeischaue, um mich zu verabschieden und den Jungs ihre Weihnachtsgeschenke zu geben, werde ich Spencer sagen, dass du die Hand weitertestest. Sie wollten, dass ich es mache, aber ich verzichte." „Ich spiele doch gar nicht Cello." „Verrate es ihm nicht! Bis er es herausgefunden hat, sollte es ihm egal sein." „Oh." „Lexi, du wirst Ruhe haben, ein Klavier, Spencer ... und das hier." Francesca überreichte ihr die Schachtel. „Frohe Weihnachten." Lexis Neugier erwachte. „Danke. Soll ich es gleich aufmachen?" „Auf jeden Fall." Lexi nahm den Deckel ab und starrte auf den Inhalt. „Ist das Lederunterwäsche?" „Das Ensemble für die Motorradbraut." Francesca strahlte. „Sieh dir nur die vielen Reißverschlüsse und Ketten an. Oh, und die versteckten Häkchen und Verschlüsse!" Sie öffnete einen. „Das Tor zum Vergnügen! Was für ein Spaß! Ich wollte es für mich in Rot bestellen, aber sie hatten es leider nur noch in Schwarz." „Das Tor zum ... ich glaube nicht, dass ich für Lederunterwäsche bereit bin." „Wenn alles gut geht, brauchst du sie nicht lange zu tragen." Francesca zwinkerte ihr zu. Lexi hielt den Slip mit den Reißverschlüssen hinten hoch. „Spencer mag technische Spielereien", fuhr ihre Freundin fort, „also wird sie ihm gefallen. Und was für ein Test für die Roboterhand! Wenn es funktioniert, gewinnt ihr beide."
Spencer war spät dran. Lexi war sehr verständnisvoll gewesen, als er sie gebeten hatte, ihm beim Testen der Hand zu helfen. Er wollte die Meinung einer Musikerin, und da Francesca die Stadt verlassen hatte, war Lexi die einzige Musikerin, die er kannte. Er musste die Türklingel mit der Schulter betätigen, weil er so viel Ausrüstung trug. Der Prototyp der Hand war noch an Brettschaltungen angeschlossen, die sich nicht besonders gut transportieren ließen. Die Tür wurde geöffnet. „Hallo." Lexi winkte ihn herein. „Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben." Sie trug ihr Haar offen und das gefiel ihm. „Es hat länger gedauert, alles einzupacken." Er trat ein. Es war ein kleines Haus, mit gemütlichen Möbeln und flauschigen Kissen. Brennende Kerzen verströmten einen angenehmen Duft. „Wo soll ich die Sachen aufbauen?" „Das Klavier steht hier drin." Er folgte ihr und bemerkte zum erstenmal ihren Gang. Es lag ein faszinierender Schwung darin, der ihm bisher nicht aufgefallen war. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie einen sehr engen schwarzen Hosenanzug trug. Sie drehte sich um. „Es gibt keine Tische, aber du kannst den Laptop auf einen Klappstuhl stellen." „Kein Problem." Seine Arme begannen zu schmerzen. Sobald die technischen Neuerungen der letzten anderthalb Wochen dokumentiert waren, würde er wieder ins Fitnessstudio gehen müssen. Lexi verließ das Zimmer und kehrte mit zwei Klappstühlen zurück. „Brauchst du noch einen Stuhl?" Sie betrachtete stirnrunzelnd, was er alles auf dem Arm hatte. „Mir war nicht klar, dass du so viele Sachen mitbringen würdest." „Zwei Stühle reichen. Aber ich benötige eine Steckdose", erklärte er. „Und könntest du bitte etwas mehr Licht machen?" Sie zögerte, ging dann zum Lichtschalter und knipste ihn an. „Das ist besser." Spencer stellte den Laptop auf einen Stuhl, den Kasten mit dem Prototyp auf einen anderen und hockte sich auf den Boden. Dann machte er den Kasten auf und hob vorsichtig die Hand heraus, besser gesagt das Durcheinander an Kabeln, elektronischen Teilen und winzigen Motoren, aus dem eines Tages eine Hand werden sollte. „Hast du schon gegessen?", fragte Lexi. „Ich könnte dir etwas warm machen. Francesca und ich bekommen immer lauter gute Reste aus dem Wainright Inn." „Danke, aber ich habe ein Sandwich aus dem Automaten gegessen, bevor ich herkam." „Möchtest du etwas trinken?" „Ja, eine Limonade wäre toll." Spencer konzentrierte sich aufs Entwirren der Kabel. Lexi kehrte mit einem Glas zurück und kniete sich neben ihn. „Wie soll ich dir helfen, die Hand zu testen?" „Ich will hauptsächlich herausfinden, ob du sie überhaupt benutzen kannst und wie viel Kraft du aufwenden musst, wenn du Klavier spielst. Bis jetzt weiß ich noch nicht einmal, ob sie für Klavierspieler überhaupt geeignet ist." Er lächelte ihr kurz zu. „Ich habe lediglich Daumen und Zeigefinger nach menschlichem Vorbild gestaltet, aber irgendwo müssen wir ja anfangen." „Natürlich, und mit Daumen und Zeigefinger kann man viele Dinge tun." Er sah sie an, doch sie lächelte nur. Irgendwie wirkte sie anders als sonst. „Ich werde dich an Elektroden anschließen müssen." „Wo?" „An deinem Kopf, am Arm und an deiner Brust zur Kontrolle." „Du willst meine Brust kontrollieren?" Fast hätte Spencer sich an einer Klemme gezwickt. „Um deine Herzfrequenz zu messen." „Wozu?"
„Deine Herzfrequenz wird sich unter Stress erhöhen. Dadurch kann man leichter abschätzen, wie sich der Einsatz der Hand bei dir psychologisch auswirkt." Er reichte ihr ein Stück feines Sandpapier. „Du kannst anfangen, deine Haut vorzubereiten." „Wie bitte?" Sie machte ein so erstauntes Gesicht, dass er lachen musste. „Du musst deine Haut ein wenig anrauen. Danach trage ich diese Leitmasse auf, über der ich die Elektroden befestige." „Reizend. Wo genau soll ich ...?" Sie zeigte auf ihren Körper. Spencer nahm ihre Hand herunter. „Hier auf deinem Unterarm. Von den Sehnen dort bekomme ich sieben verschiedene Impulse. Dann an deiner Schläfe." Er berührte sie dort. „Das Zeug ist ziemlich klebrig und du wirst etwas in die Haare bekommen." „Ich kann sie waschen. Und wo an meiner Brust?" „Genau ... tja, also ..." An der Seite ihres Overalls befand sich ein langer Reißverschluss. Spencer legte die Hand auf seine Herzgegend. „Du meinst hier?" Wie in Zeitlupe zog sie den Reißverschluss einige Zentimeter herunter. Spencer beobachtete gebannt, wie mehr und mehr ihrer hellen Haut zum Vorschein kam. Sie zo g den Kragen zur Seite und Spencer konnte ein Stück ihres BHs sehen. Er war schwarz, nicht pink oder mit Spitze besetzt, wie er vermutet hätte. Spencer verfolgte, wie sie mit dem Finger über die Wölbung ihrer Brüste strich, und bekam einen trockenen Mund. „Hier?", fragte sie. Er schluckte. „Ein bisschen mehr zur Seite und vielleicht nach unten." Sie bewegte ihre Hand. „Nein ..." „Zeig es mir", bat sie. Es geht nur um die Wissenschaft, Spencer, ermahnte er sich. Behutsam darauf bedacht, lediglich ihre Finger zu berühren, schob er sie dorthin, wo er die Elektrode platzieren wollte. Dann wandte er sich abrupt wieder der Roboterhand zu. Seine Hände waren feucht. Er wischte sie an seiner Jeans ab. Wenn er nicht aufpasste, würde er noch einen Stromschlag bekommen. Lexi raute die Haut mit dem Sandpapier an und Spencer machte fahrlässige Fehler beim Anschluss an den Computer, weil er sie ständig aus den Augenwinkeln beobachtete. „Ich glaube, ich bin fertig." Sie hielt ihm den Arm hin, legte den Kopf zur Seite und schob den Kragen fort. „Soll ich mich ans Klavier setzen?" „Ja." Spencer trug die Hand mit dem Riemensystem zu ihr. „Zuerst möchte ich, dass du eine Hand darüber legst. Spiel so normal, wie du kannst, während ich den Druck ablese." Er befestigte ihre Finger an den Schlaufen. „Das wird meine Technik nicht gerade verbessern", murmelte sie. „Die Hand ist schwer." „Du gibst hier ja kein Konzert für die Carnegie Hall. Spiel so gut du kannst." Spencer setzte sich auf den Fußboden vor den Laptop. „Denk dran, nur Daumen und Zeigefinger sind angeschlossen." „Okay." Sie sah wartend in seine Richtung. Es musste am Kerzenschein liegen. Plötzlich wurde Spencer bewusst, dass Lexi Jordan eine sehr schöne Frau war. Ihre Haare, ihre Haltung, ihr Ausdruck ... es war nicht ein einzelner Faktor, sondern alle zusammen ... Wow! Attraktiv hatte er sie von Anfang an gefunden, seit ihrem Abend beim Billard. Doch jetzt... jetzt sollte er sich lieber auf den Grund seines Besuches konzentrieren. „Es kann losgehen." Lexi nickte und begann ein Stück zu spielen, das allmählich lauter wurde, bis er eine Reihe von Anzeigen bekam. Obwohl er sich auf den Monitor konzentrierte, nahm er die
verführerischen Melodien des Klaviers wahr. Die Noten schienen ihn zu umschwirren und zu Lexi zu ziehen. Ihre Musik rief ihn und er wollte ihr folgen. Er holte tief Luft, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. „Ausgezeichnet!", rief er, als sie fertig war. „Was war das?" „Rachmaninow." Sie benutzte die mechanische Hand, um sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen. „Hat es dir gefallen?" „Ja." Gefallen? Er war noch immer völlig verzaubert. „Wir sollten jetzt die Elektroden anbringen." Er schleppte alle Utensilien zum Klavier, setzte sich neben sie auf die Bank und tauchte einen Baumwolltupfer in die geleeartige Leitmasse, mit der er die rötlichen Stellen auf ihrem Arm und ihrer Schläfe einrieb. Und dann war die dritte Stelle an der Reihe. Er hatte schon oft mit Frauen gearbeitet, aber diese Art von Nervosität, die er jetzt verspürte, war ihm neu. Allerdings hatte er auch noch nie so reine, wundervolle Haut wie ihre gesehen. Und die weichen weiblichen Rundungen, die sich unter ihrer Kleidung deutlich abzeichneten, bildeten einen äußerst reizvollen Kontrast zu dem kalten technischen Zubehör, mit dem er Lexi ausgestattet hatte. Spencer holte tief Luft, doch statt sich zu beruhigen, atmete er ihr Parfüm ein. Was, fragte er sich, würde geschehen, wenn ich sie, statt die Elektrode anzubringen, einfach küsse? „Autsch!" „Habe ich dir wehgetan?" Spencer war zu hastig gewesen. „Nein, meine Haare haben sich im Reißverschluss verfangen." „Versuch die Hand zu benutzen." Er zeigte ihr, wie sie ihre Fingerknöchel einsetzen musste, um die zwei funktionierenden Finger benutzen zu können. Nach einigen vergeblichen Versuchen hielt sie ihre Haarsträhne zwischen den Fingern. „Ich kann fühlen, dass ich etwas in der Hand habe!" „Fühlt es sich wie Haar an?" „So ähnlich." Sie zog, doch ihr Haar war fest eingeklemmt. „Oh!" Sie schaute an sich herunter. Spencer folgte ihrem Blick und bereute es sofort. „Wo ist es eingeklemmt?" „In Francescas Weihnachtsgeschenk", erwiderte sie mit einem merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht. „Was?" Sie errötete. „Es ist so eine Art Gag. Francesca will es sich selbst in Rot bestellen, aber nicht, wenn es unbequem ist. Und da man die Sachen nicht umtauschen kann, trage ich meine, um sie für sie zu testen", erklärte sie eilig. „Was trägst du?" „Ich ... ich habe gedacht, du hättest es bemerkt." Ihm war einiges aufgefallen, aber er war nicht sicher, ob es klug war, das schon zuzugeben. „Was du anhast?" „Ja." Sie zog den Reißverschluss weiter auf. „Die Ledersachen." Spencer betrachtete die Kleidung, die eine Amazone in einem Fantasy-Comic tragen würde. Himmel, das hatte er nicht erwartet. „Meine Haare hängen an einer der Ketten fest und ich kann ...", Lexi wedelte mit der Roboterhand, „damit nicht gut genug umgehen, um sie zu befreien. Könntest du nicht..." Was? Weiterhin funktionieren, während ein Testosteron-Schock drohte? „Sicher." Ihr Haar hatte sich wirklich verhakt. Zuerst befreite er die Hand daraus. Danach blieb noch die Kette am BH. Es war eine kurze Kette mit winzigen Kettengliedern, die flach am Leder anlag. Er gab sich alle Mühe, Lexi nicht mehr als nötig zu berühren, doch seine Knöchel streiften ihre Haut. Einer von ihnen schnappte hörbar nach Luft. Spencer konnte es ebenso gut gewesen sein wie sie. Es spielte keine Rolle. Spencer wusste nur, dass er diese unbeabsichtigte Intimität nicht länger aushielt, ohne etwas zu tun, bei dem Haut, Leder und seine Lippen
eine Rolle spielten. Ihre Haare bekam er nicht frei. Verzweifelt zog er, bis die Kette nachgab. Die silbernen Nieten, die das Körbchen des BHs zierten, waren, wie sich zeigte, nicht nur reine Zierde. Es waren Verschlüsse. Und an einem von ihnen war die Kette befestigt gewesen. Das Leder teilte sich und entblößte ein großzügiges Stück Haut. Lexi hielt ihre Hände vor sich. „Oh! Es kribbelt!" „Verdammt. Verzeihung." Er atmete tief durch, „Das wollte ich nicht." „Was wolltest du nicht? Fluchen oder das ,Tor zum Vergnügen' öffnen?" "Das ,Tor zum Vergnügen'?" Seine Stimme klang heiser, doch Lexi schien es nicht zu bemerken. „So hat Francesca es genannt... ach, das ist wirklich faszinierend." Mit seltsamer Miene fuhr sie fort, sich selbst und die verschiedenen Re ißverschlüsse und Ketten mit der mechanischen Hand zu berühren, womit sie Spencer langsam wahnsinnig machte vor Lust. „Es kribbelt ein wenig und ich fühle den Unterschied zwischen meiner Haut und dem Leder. Meine Haut ist warm ... der Reißverschluss kalt... und ich spüre den Unterschied des Materials ..." Er sollte begeistert sein. Die Sensoren funktionierten. Er sollte die Daten studieren und ihre Bewegungen aufzeichnen. Stattdessen hatte er jegliche wissenschaftliche Objektivität verloren und beobachtete wie hypnotisiert die Bewegungen ihrer Finger, die mit denen der künstlichen Hand verbunden waren. Sie berührte seinen Arm mit der Roboterhand. „Spürst du das Kribbeln?" „Oja." „Soll die Hand das?" „Ich spreche nicht von der Hand." Er ließ seine Finger über die glatte Haut ihres Halses und ihres Kinns gleiten. „Ich spreche von dir." Kein Fördergeld der Welt hätte ihn in diesem Moment mehr davon abhalten können, sie zu küssen. Möglicherweise war es unklug, da er sie schon zweimal geküsst hatte. Beim ersten Mal war es ein prickelnder Kuss gewesen, beschwingend wie das erste Glas Champagner auf einer Party. Der zweite hatte eigentlich ein Abschiedskuss sein sollen, war jedoch ausgeartet. Dieser Kuss aber war von vornherein pure Begierde. Lexi fühlte sich unglaub lich weich und sexy an, als sie sich in seine Arme schmiegte. Er war dabei, sich in sie zu verlieben. Aber das durfte nicht geschehen! Spencer Price war nicht bereit für die Liebe. Er brauchte seine ganze Zeit und Energie für die Roboterhand. Die Forschungsgelder hielten nicht ewig vor. Jemand anderes würde zwangsläufig eine ähnliche Idee entwickeln und dann wäre ihre gesamte Arbeit kommerziell wertlos. Daher mussten sie die Ersten sein, die diese Technik perfektionierten. Sein Team zählte auf ihn. Und dann war da noch ein gewisser Professor, dem er etwas schuldete. Spencer war zu nah am Ziel, um sich jetzt ablenken zu lassen. Trotzdem, er war unleugbar dabei, sich in Lexi zu verlieben. In ihren süßen, verführerischen Mund, ihr seidiges Haar und ihren exotischen Duft. In ihren biegsamen schlanken Körper und in den Ausdruck in ihren Augen. In das schwarze Leder und sogar in ihre erbärmlichen Fähigkeiten beim Billard. „Zum Glück ist die Elektrode noch nicht an meinem Herzen angebracht, denn die Anzeige auf dem Monitor würde wie wild ausschlagen", hauchte sie atemlos. Lächelnd legte er seine Stirn an ihre. „Du solltest wissen, dass ich nur hergekommen bin, um die Hand zu testen." „Also los, testen wir sie." Sie berührte sein Gesicht. „Fühlst du das Prickeln?" Und ob. „Vermutlich sind das die Vibrationen der kleinen Motoren." „Das bietet phantastische Möglichkeiten", sagte sie und sprach damit auch seine Gedanken aus. Sie schloss die Augen. „Ich kann deine Haut fühlen, deine frischen Bartstoppeln und
die Wärme deines ..." „Lexi, hast du eine Ahnung, was du da mit mir machst? Ich kann nicht..." „Dann lass es." Sie küsste ihn so leidenschaftlich, dass er alles andere zu vergessen drohte. Irgendwo im Unterbewusstsein ahnte er, dass dies keine gute Idee war. „Bist du sicher, dass du weitermachen möchtest?", wisperte er. „Absolut sicher." Spencer küsste die Handfläche ihrer echten Hand, und dann neckend einen Finger der Roboterhand. Das Kribbeln an seiner Lippe war beinah schmerzhaft und er zuckte zurück. „Ich habe gerade einen Schlag bekommen." Das hatte etwas Wichtiges zu bedeuten, aber er verfolgte den Gedanken nicht weiter, da Lexi sich zu ihm beugte. „Soll ich dich küssen, damit es besser wird?" Er zog sie an sich und wollte sie küssen, hielt jedoch inne. „Meine Lippen sind ganz taub." Er starrte die mechanische Hand an. Lexi lachte. „Bis du wieder fühlen kannst, werde ich meine eigenen Tests durchführen." Es gelang ihr mit der Roboterhand sein Hemd aufzuknöpfen, während sie beschrieb, was sie dabei fühlte. Danach gab Spencer sich ganz seinen eigenen Empfindungen hin und erforschte ein paar der Reißverschlüsse und Nieten von Francescas Weihnachtsgeschenk. Schließlich sagte Lexi mit einem sinnlichen Lächeln: „Jetzt kommt der ultimative Test" und zog den Reißverschluss seiner Jeans auf. . Er atmete schwer und wollte vorschlagen, ins angrenzende Schlafzimmer oder aufs Sofa zu gehen, als Lexi ein erschrockenes Gesicht machte. „Ich fürchte, ich habe sie kaputtgemacht." „Wie bitte?" „Es ist so schwer, die Finger zu bewegen." Sie strich über seinen Bauch. „Spürst du das Kribbeln noch?" Er legte den Kopf in den Nacken. „Das Kribbeln ist unglaublich." „Wie unglaublich?" Sie ging tiefer. „Es ist... überwältigend." „So, so", meinte sie mit einem boshaften Grinsen. Und dann umfasste die Roboterhand den sensibelsten Teil seines Körpers. Spencer erlebte einen Moment höchster Ekstase, ehe der Druck stärker wurde und das Kribbeln sich zu schmerzhaften Nadelstichen steigerte. „Lexi!", keuchte er und nahm ein elektrisches Knistern und Brandgeruch wahr. „Spencer, irgendetwas stimmt da nicht!" Lexi zog an der Hand. „Ich bekomme sie nicht mehr los!" „Hör auf zu ziehen!" Spencer griff nach dem Kabel und riss den Stecker aus der Wand. „Was soll ich denn jetzt machen?", fragte Lexi ängstlich. Spencer verzog das Gesicht. „Kannst du deine Hand aus dem Gerät befreien?" „Ich denke schon." „Das wäre ein guter Anfang." Nachdem sie sich der qualmenden Hand entledigt hatten, fuhr Lexi einen gedemütigten Spencer in die Klinik von Rocky Falls. Viel später half sie Spencer, seine Ausrüstung zusammenzupacken. „Irgendwann schauen wir auf diese Geschichte zurück und lachen darüber", prophezeite er und stieg vorsichtig in den Wagen. „Ja, zu schade, dass du den Brief schon an 'Texas Men' geschickt hast." Er lachte und zuckte sofort zusammen. „Das Gute daran ist, dass wir jetzt wissen, dass wir bei der Hand ein Konstruktionsproblem haben." Lexi war überzeugt, dass es andere, weniger demütigende Möglichkeiten gab, solche
Fehler in der Konstruktion aufzudecken. „Und das Schlechte?" „Dass ich ab jetzt bis Weihnachten eine Menge Arbeit haben werde. Bis dahin können wir uns also nicht sehen." Das war keine große Überraschung. Sie hatte sogar damit gerechnet, dass er ihr sagte, es würde zwischen ihnen nicht funktionieren. Und das hatte es ja bis jetzt auch nicht. Spencer hatte Glück, dass er mit intakter Männlichkeit davongekommen war. Trotzdem tat Lexi so, als sei dieser Abend nur eine lustige Anekdote in der Geschichte ihrer Rendezvous, und winkte zum Abschied von den Stufen vor ihrer Haustür. Dann ging sie auf direktem Weg in die Küche, nahm die Reste des Käsekuchens aus dem Wainright Inn und begann zu essen. Natürlich rief Francesca aus Indiana an, um sich Bericht erstatten zu lassen. Also erzählte Lexi ihr alles. Nur dass sie den Käsekuchen verputzt hatte, ließ sie aus. „War es sehr demütigend?", fragte Francesca. „Nicht so demütigend wie die Tatsache, dass meine Unterwäsche den Metalldetektor in der Klinik ausgelöst hat." Lexi hörte ersticktes Lachen am anderen Ende der Leitung. „Ist er ... wird er ... kann er noch ..." „Nein, er ist nicht Rocky Falls erster Kastraten-Tenor geworden. Sein Stolz war verletzt und seine Unterwäsche versengt. Das ist alles." „Zum Glück. Tja ..." „Was?", knurrte Lexi. „Hat er viel, worauf er stolz sein kann?" Lexi bedauerte seufzend die verpassten Gelegenheiten. „Ich glaube schon. Ich weiß es sozusagen ja nur aus zweiter Hand." Francesca gluckste. „Lexi, du bist schlimm." Sie stöhnte. „Nicht schlimm genug." „Und was jetzt?", wollte Francesca wissen. „Die Konstruktion der Hand muss verbessert werden." „Das Verhältnis zwischen dir und Spencer muss verbessert werden." „Dazu gibt es bis nach Weihnachten leider keine Gelegenheit." „Also werdet ihr es später noch einmal miteinander versuchen?", fragte Francesca. Lexi nahm das Telefon und ging über den Flur ins Bad, wo sie den Kalender mit Spencers Bild betrachtete. „Meinst du wirklich, er wird nach diesem Rückschlag und Weihnachten bei meiner Familie noch irgendetwas mit mir zu tun haben wollen?"
8. KAPITEL Am dreiundzwanzigsten Dezember rief Lexis Mutter ihre Tochter fast stündlich an, so dass Lexi entschied, Heiligabend bei ihren Eltern zu übernachten. Lexi war in dem imposanten weißen Haus im traditionellen Kolonialstil mit der herrlichen Aussicht auf die Wasserfälle nicht aufgewachsen. Sie hatten in Kanas City, Fort Worth und schließlich Austin, etwa eine Autostunde von hier, gelebt. Doch im Zuge der Entwicklung von Rocky Falls zu einem kulturellen Zentrum und des damit einhergehenden Baubooms hatten Lexis Eltern erkannt, dass es unter reichen Texanern bald in Mode sein würde, sich hier ein Ferien- oder Altersdomizil zuzulegen. Die Stiftung „Kultur und Kunst" war einverstanden Und baute das Haus, um sowohl potenziellen Spendern etwas zu bieten als auch Gastkünstler unterzubringen. Die Jordans würden so lange dort leben, wie Lawrence Cheftreuhänder war. Lexi kam gegen drei am Nachmittag an und parkte in der kreisförmigen Auffahrt direkt hinter dem Lieferwagen vom Drugstore in der Mainstreet. Sie nahm den Kleidersack und die Reisetasche heraus, in der sich die Geschenke für ihre Eltern befanden. Gerade als sie die Tür zuwarf, kam der Fahrer des Lieferwagens die Stufen heruntergelaufen. „Frohe Weihnachten!", rief Lexi ihm zu. Der Fahrer öffnete die Wagentür und warf sein Klemmbrett hinein. „Viel Glück." Viel Glück? Lexi ging die Stufen hinauf. Kaum hatte sie die Hand gehoben, um zu klingeln, hörte sie von drinnen Geschrei. „Catherine, ich bitte dich, nimm eine Beruhigungstablette!" „Medikamente? Du willst mich Weihnachten betäuben?" „Ja!" Lexi klingelte und betätigte für alle Fälle auch den Türklopfer. Sofort wurden die Feindseligkeiten eingestellt und ihre Eltern öffneten lächelnd die Tür. Würziger Tannenduft empfing Lexi. Lichter funkelten. Gold glänzte. Im Kamin flackerte ein Feuer. „Alexandra!" Ihre Mutter, die eine weiße Schürze mit Weihnachtsbaum- Applikationen trug, zog sie ins Haus. „Fröhliche Weihnachten, mein Liebling!" Ihre Augen leuchteten und sie hatte hektische rote Flecken auf den Wangen. Lexis Vater trug einen roten Pullover und ein tannengrünes Halstuch mit Weihnachtsmanngesichtern. Er brauchte jetzt nur noch eine Pfeife. „Fröhliche Weihnachten, Mom und Dad. Bin ich die Erste?" Ihr Vater nahm ihr den Kleidersack und die Reisetasche ab. „Ja. Leslies Flugzeug kommt um halb sieben an, was bedeutet, dass wir erst nach acht essen können." Es war typisch für ihren Bruder, dass er seinen Flug auf die ungünstigste Zeit gelegt hatte. „Und die anderen?" Lexis Mutter kniff märtyrerhaft die Lippen zusammen. „Gretchens Therapeutin möchte Heiligabend bei ihrer Familie verbringen, aber anscheinend kann deine Schwester es nicht ertragen, ohne ihre Therapeutin mit uns zu kommunizieren." – „Sie kommt doch wohl nicht!" Lawrence hob schweigend die Hände und scha ute himmelwärts. „Die beiden haben gerade eine Sitzung", erklärte Lexis Mutter, als sei Gretchens Benehmen nichts Außergewöhnliches. Was ja auch stimmte. „Dr. Tracey meint, und ich stimme ihr zu, dass Gretchen das gesamte Weihnachtserlebnis haben muss. Das heißt zu schlafen, während man auf den Weihnachtsmann wartet, und am nächsten Morgen aufgeregt die Treppe herunterzulaufen, um zu sehen, welche Geschenke er unter den Baum gelegt hat." „Aber das haben wir früher doch getan!", protestierte Lexi. „Nicht nachdem du und dein Bruder sie über den Weihnachtsmann aufgeklärt habt." „Sie ist dreiundzwanzig. Sie hatte Jahre Zeit, um darüber hinwegzukommen."
„Offenbar hegt sie noch immer Groll." Lexi würde sich nicht entschuldigen. Außerdem war Les der Schuldige und er hatte Gretchen nur aufgeklärt, weil sie behauptet hatte, der Weihnachtsmann würde sie am liebsten mögen. Lexi griff nach ihrer Reisetasche. „Da ich nicht der Weihnachtsmann bin, kann ich meine Geschenke unter den Baum legen." „Auf keinen Fall!", rief ihre Mutter. „Du musst sie in passendes Papier neu einpacken. Nur Gold, Rot, Cremefarben oder Tannengrün. Das sind unsere Weihnachtsfarben. Es ist das Beste, wenn wir alles sehr traditionell halten." „Ich fand Lila und Pink peppig." Ihre Mutter nahm ihren Arm und schloss die Augen. „Bitte streite nicht mit mir, Alexandra. Nicht an diesem frohen Fest." „Ich wollte gar nicht streiten. Ich habe lediglich gesagt... autsch!" Lexi rieb sich den Arm an der Stelle, wo sich die Fingernägel ihrer Mutter in ihre Haut gebohrt hatten. „Das Geschenkpapier ist oben in meinem Arbeitszimmer." Lawrence hielt hinter Catherines Rücken eine Plastikflasche ärztlich verordneter Pillen hoch und schüttelte den Kopf. Anscheinend lagen die Nerven ihrer Mutter blank und es war das Klügste, ihrem Willen nachzukommen. „Na schön, ich packe sie neu ein." Das Lächeln erschien wieder auf Catherines Gesicht. „Bitte schlag scharfe Falten an den Ecken." An ihres Vaters Stelle hätte Lexi ihrer Mutter längst ein paar der Pillen in den Eierpunsch geschmuggelt. „Scharfe Falten, ich werde dran denken." Gretchen und Les kamen abends ungefähr zur gleichen Zeit an und Lexi wünschte sich unwillkürlich, sie würden wieder verschwinden. Wenn Heiligabend eine Vorschau auf das morgige Hauptereignis war, dann würde Lexi Spencer wieder wegschicken – vorausgesetzt, er tauchte wirklich auf. Immerhin war es für ihn nicht ungefährlich, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Bei ihrer Ankunft hatte Gretchen verkündet, dass sie bis zum Erscheinen ihrer Therapeutin nicht mit ihrer Familie kommunizieren wollte. Dann war sie hinauf in ihr Zimmer gegangen. Les kam unrasiert, mit fettigen Haaren, in farbbekleckster Kleidung und mit unzähligen Ohrringen behängt an. Nachdem er erfahren hatte, dass Lexi Spencer eingeladen hatte, beklagte Les sich, dass er „Arnaud" vermisse. Doch niemand interessierte sich für „Arnaud", bis Les seine Jacke auszog. Er trug ein Muscle-Shirt, das seine Tätowierungen zeigte. „Ich bin Künstler", verkündete er, „und die Haut ist meine Palette." Das war der Moment, in dem Catherine sich mit dem Hinweis auf den morgigen langen Tag ins Bett zurückzog. Lexi wusch das Geschirr ab, während Les und ihr Vater stritten. Um sechs Uhr am Weihnachtsmorgen weckte Lexi ihre Geschwister und scheuchte sie nach unten. Sie trampelten die Treppe hinunter, um ihre Eltern aufzuwecken. Ganz wie in alten Zeiten. Klugerweise hatte der Weihnachtsmann ihnen Fahrräder gebracht, gute noch dazu. Gut genug jedenfalls, um bei Gretchen und Les freudige Reaktionen hervorzurufen, die ihr Vater pflichtbewusst mit der Videokamera aufzeichnete. Die Stimmung war gut und hielt auch bei Lexi an. Bis sie einige Zeit später vor der Küchentür stand. „Dann ruf ihre Therapeutin an!" „Catherine, es ist Weihnachten. Wir können die Frau nicht von ihrer Familie wegzerren." „Wieso nicht? Die ganze Sache war doch ihre Idee." „Sie wird uns ein Vermögen berechnen!"
„Ist Geld dir wichtiger als deine eigene Tochter?" „Wenn du Dr. Traceys letzte Rechnung gesehen hättest, würdest du diese Frage nicht stellen." Lexi betrat die Küche. Sie band sich eine Schürze mit aufgedruckten Rentierköpfen um und sagte: „Ignoriert Gretchen, dann kommt sie wieder heraus. Schließlich kann sie nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, wenn niemand weiß, dass sie hier ist." „Alexandra! Lawrence, ruf Dr. Tracey an." Schwer seufzend nahm Lexis Vater den Telefonhörer, lauschte einen Moment und legte rasch wieder auf. „Das hat Gretchen bereits getan. Sie hat der Frau den Weg hierher erklärt." „Gut. Wenn Dr. Tracey ankommt, behaupten wir einfach, sie sei Gretchens Freundin." „Catherine ..." Seine Frau warf Lawrence einen durchdringenden Blick zu. „Ich wünsche nicht, dass meine Schwester und ihre Familie erfährt, dass eines meiner Kinder eine Therapeutin braucht, um Weihnachten mit uns durchzustehen!" Lawrence kapitulierte. „Na schön, ganz wie du willst." Kurz darauf klingelte es an der Tür, und Catherine schrie auf. „Es ist erst Viertel vor elf! Ich hoffe nicht, dass das schon meine Schwester ist!" Natürlich war sie es. Lexi folgte ihrer Mutter zur Tür, wo ihre Tante und ihr Onkel bereits von ihrem Vater begrüßt wurden. „Ben! Carolyn!", rief Catherine erfreut. Was für eine Schauspielerin!, dachte Lexi und hielt nach ihrer Cousine Ausschau. Doch sie war nirgends zu sehen. „Ben, ich mache Eierpunsch und brauche deine Meinung." Lawrence rettete geschickt Lexis Onkel. „Wir sind extra früher gekommen, um zu helfen", verkündete Carolyn und schaute sich kommentarlos im geschmückten Flur um. „Wie nett von dir, aber es gibt kaum noch etwas zu tun." Lexis Mutter hängte die Mäntel im Flurschrank auf. „Ich habe alles unter Kontrolle." Lexi hoffte, dass das stimmte, da sie nicht lange genug in der Küche gewesen war, um den Zustand des Weihnachtsessens zu beurteilen. „Wie wundervoll", erwiderte Carolyn. „Ich muss gestehen, ich hatte meine Zweifel, da du bisher nie die ganze Familie zu Weihnachten zu Besuch hattest. Und große Feste können ja so anstrengend sein." „Ich gebe regelmäßig weitaus größere Feste." Catherine klang gereizt. „Ach tatsächlich? Und ich dachte, du hasst Feste." Lexi holte tief Luft, doch es war zu spät, ihre Mutter vor der Falle zu retten. „Im Gegenteil, ich liebe es, Partys zu geben." „Das wusste ich nicht, da ich ja noch nie eingeladen wurde." Catherine tätschelte den Arm ihrer Schwester. „Die meisten Veranstaltungen sind für die Spender der Stiftung." „Heißt das, ich müsste eine Einladung zu einer deiner Partys kaufen?" „Wo ist Emily?", unterbrach Lexi die beiden in heiterem Ton. „Sie ist kurz nach uns losgefahren", antwortete Tante Carolyn. „Ich warte an der Tür, damit ich sofort aufmachen kann, wenn sie hier ist. Sie soll keine Halsprobleme riskieren, indem sie draußen in der Kälte steht. Apropos Kälte...", Carolyn rieb sich die Arme, „könntet ihr die Heizung nicht ein wenig höher stellen? Diese großen Häuser sind immer so zugig." „Im Kamin brennt ein großes Feuer", erklärte Catherine angespannt. „Emily kann sich in die Nähe setzen, wenn ihr kalt ist." „Und wenn wir essen? Habt ihr auch einen Kamin im Esszimmer?" „Nein, aber ..."
„Es gibt gewis se Verantwortungen, wenn man ein großes Talent besitzt, Catherine." „Du solltest wissen, dass einige der größten Künstler und Musiker der Welt in diesem Haus verkehrt haben und ich habe nie irgendwelche Klagen gehört", konterte Lexis Mutter beleidigt. „Mag sein, aber sind sie jemals wiedergekommen?" „Mom, hast du nicht etwas auf dem Herd?" Lexi trat zwischen die beiden und drängte ihre Mutter Richtung Küche. „Oh, ich hoffe es ist nicht die Sauce", rief Carolyn. „Ich kann klumpige Saucen nicht ertragen." „Nach dem Genuss deiner Saucen wäre ich nicht darauf gekommen!" Lexi betrat die Küche und schaute sich um. Im Spülbecken stapelte sich schmutziges Geschirr, auf dem Küchentresen lagen ein Stapel Kochbücher, ein Schneidebrett und mehrere Tabletts. Auf dem Herd blubberte nur der Plumpudding. Die Quelle der herrlichen Düfte musste der Ofen sein, in dem Lexi die Gans brutzeln hörte. „Mom?" „Ja?" Catherine stand am Kühlschrank. „Du hast die Gans im Ofen. Sollten wir da nicht mit den Beilagen beginnen?" Ihre Mutter fächelte sich das gerötete Gesicht. „Das wollte ich eigentlich. Aber jetzt, wo Carolyn hier ist, müssen wir die Vorspeisen zubereiten." „Darum kann ich mich kümmern." Bis zum Essen waren es noch Stunden. Das war kein gutes Zeichen. „Du konzentrierst dich auf die Gans." „Das tue ich schon die ganze Zeit! Mir war nur nicht klar, dass alles so lange dauern würde. Allein für die Füllung habe ich eine Stunde gebraucht!" Lexi beschloss, nicht in Panik zu geraten, da ihre Mutter schon aufgeregt genug war. Sie war gerade mit Käsehäppchen und Kräckern auf dem Weg ins Wohnzimmer, als es an der Tür klingelte. Tante Carolyn riss sie auf. Lexis Herz schlug beim Anblick der Silhouette des Mannes höher, doch es war nicht Spencer. „Gut, dass du hier bist. Komm rein, Marshall." „Ich wollte nur rasch nachschauen, ob für Emily alles bereit ist", erklärte er und ging, ohne seinen Mantel auszuziehen, mit Carolyn ins Wohnzimmer. Lexi folgte ihnen. Marshall DeSalvo, Emilys Mann, wirkte älter, als Lexi ihn in Erinnerung hatte. Allerdings hatte sie ihn auch lange nicht gesehen. Vielleicht liegt es am Leben mit Emily, dachte sie grinsend. Während Lexi die Häppchen herumreichte, arrangierte ihre Tante die Möbel um, so dass ein bequemer Ohrensessel vor dem Kamin stand. Dass man sich so nicht mehr vernünftig unterhalten konnte, störte sie dabei wenig. „Gut, das wird akzeptabel sein." Marshall inspizierte den Raum wie ein FBI-Agent. Dann leckte er seinen Finger und hielt ihn hoch, während er im Kreis lief. „Zug im südöstlichen Quadranten." „Dort werde ich sitzen", erbot sich Carolyn sofort. Ohne dieses mütterliche Opfer anzuerkennen, ging Marshall zu Lexi und starrte auf das Tablett in ihren Händen. „Keine Milchprodukte. Dadurch werden die Stimmbänder verschleimt." Damit ging er weiter. „Und deine Mutter behauptet, sie habe schon Sänger bewirtet." Carolyn folgte kopfschüttelnd ihrem Schwiegersohn. „Eierpunsch kommt dann wohl auch nicht infrage." Lexi schaute auf das Tablett und schob sich ein Käsehäppchen in den Mund. Verschleimte Stimmbänder hielten sie vielleicht davon ab, etwas zu sagen, was sie später bereute. Im nächsten Moment gab es einen Tumult im Flur. „Hier entlang, Darling." „Wir müssen dich hier drin unterbringen, Em." „Daddy, ich habe Hunger." „Hier gibts keinen Videorecorder. Du hast gesagt, wir könnten unseren Film sehen."
„Du hast doch nicht den mit der Meerjungfrau mitgebracht, oder?" „Es ist mein Lieblingsfilm! Daddy hat gesagt, wir können ihn anschauen!" „Marshall, die Kinder", mischte sich eine weibliche Stimme ein. „Derek, lass deine Schwester ,Die kleine Meerjungfrau' sehen, dann kannst du ,Angriff der Ninja-Mutanten' sehen." Lexi wich zurück, als die in Samt, Spitze und rotem Plaid gekleidete Horde einfiel. Im Zentrum befand sich eine zierliche blonde, in Himmelblau gekleidete Frau mit einem Schal um den Hals. Emily DeSalvo und ihr Gefolge waren eingetroffen. Fasziniert beobachtete Lexi, wie Emily ans Feuer gesetzt wurde, ihre wohlerzogenen Kinder mit den Schmollmündern im Schlepptau. „Hallo, Emily", begrüßte Lexi ihre Cous ine und ging zur ihr. Emily erwiderte ihren Gruß mit einem majestätischen Nicken. Tante Carolyn gab ihr Emilys Schal. Marshall gab ihr eine silberne Thermoskanne mit Emilys Monogramm. „Dies ist ihr spezieller Vitamindrink. Er sollte warm serviert werden." „Danke, aber ich fürchte, der reicht nicht für alle", meinte Lexi. Marshall blinzelte lediglich. „War nur Spaß. Ich werde gleich ..." Sie zog sich zurück. Auf dem Weg durch die Eingangshalle entdeckte sie einen Schatten vor der Tür. Nicht groß genug für Spencer, dachte sie, als es klingelte. Eine Frau mit ebenso schwarzen Haaren wie Lexis stand draußen. „Ich bin Dr. Tracey und wegen Gretchen Jordan hier." „Kommen Sie herein. Ich bin ihre Schwester, Lexi. Sie sollten wissen, dass wir Sie den Leuten als Gretchens Freundin vorstellen." „Natürlich bin ich ihre Freundin – in professioneller Eigenschaft." „Dr. Traceeeeey!", schrie Gretchen und stürmte die Treppe herunter. „Ohne Sie schaffe ich es nicht!" Im Wohnzimmer herrschte plötzliches Schweigen. Dr. Tracey ging zur Treppe und scheuchte Gretchen wieder nach oben. „Gretchen, warst du den ganzen Morgen in deinem Zimmer?" „Ich habe es versucht, ich habe es wirklich versucht." Gretchen begann zu schluchzen. „Möchtest du darüber sprechen?" „Lexi hat mehr Geschenke bekommen als ich!" „Und wie fühlst du dich deswegen?" „Entschuldige mal!", rief Lexi ihnen nach. „Und wenn ich ein extra Paar Socken bekommen habe? Dafür hast du Diamantohrringe bekommen!" Lexi wurde sich ihres Publikums bewusst, drehte sich um und lächelte. „Ich werde mal schauen, wie weit das Essen ist." Beim Vorbeigehen an der Arbeitszimmertür hörte sie den leisen Ton eines Footballspiels, das ihr Vater und Onkel Ben sich ansahen. Nicht mehr lange, vermutete Lexi, denn dann würde dort „Die kleine Meerjungfrau" laufen. In dem Moment, als sie die Küche betrat, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Ein eigenartiger Brandgeruch hing in der Luft. Ihre Mutter bemühte sich, den Geruch mit Zimtspray zu überdecken. „Der Mixer ist mir durchgebrannt", erklärte sie, sichtbar um Fassung ringend. „Dabei sollte es als ersten Gang Lachs-Mousse geben." „Dann wird die Mousse eben ein bisschen gröber." „Sie soll sich vier Stunden lang setzen. Ich habe aber keine vier Stunden mehr." „Dann gieß es in eine Schüssel und nenne es Lachssuppe." „Meinst du, sie merken es?" Lexi schüttelte den Kopf. Catherine entspannte sich. „Du musst den Tisch umdecken. Ich habe keine Suppenteller aufgestellt."
„Kein Problem." Die nächsten zwei Stunden vergingen rasch, so dass Lexi nicht dazu kam, sich Gedanken darüber zu machen, ob Spencer auftauchen würde oder nicht und ob sie das überhaupt wollte. Auf Dr. Traceys Drängen kam Gretchen in die Küche, um am gesamten Weihnachtserlebnis teilzuhaben. Allerdings war sie keine Hilfe, sondern stand meistens im Weg. Schließlich setzte Lexi sie an den Tisch und ließ sie Zuckerplätzchen dekorieren, während Dr. Tracey mit ihr die Wahl der Farben diskutierte. „Catherine, Darling?" Lexis Vater wagte es, den Kopf zur Küchentür hereinzustecken. „Ist alles in Ordnung? " „Ziemlich." „Dann soll es also aus dem Backofen qualmen?" „Das ist nur ein bisschen Fett von ..." Sie schnappte nach Luft und stürzte zum Ofen. Kaum hatte sie die Backofentür geöffnet, wurde sie in eine dicke Rauchwolke gehüllt, die zur Decke stieg. Es dauerte einige Minuten, bis man die Gans sehen konnte. Catherine schaute hinein, wich wankend zurück und fasste sich ans Herz. Es blieb Lexi überlassen, die verschrumpelte, schwarze Gans herauszuholen. „Es ist nicht Ihre Schuld, sondern die der Gans", tröstete Dr. Tracey, die sofort an Catherines Seite war. Lexi bemerkte, dass sich das Klappern des Dampfdrucktopfes, in dem der Pudding zubereitet wurde, verändert hatte. „Mom, der Topf klingt gar nicht..." Mit einem lauten Knall flog der Deckel ab und verspritzte überall Pudding. Dann landete der Deckel in der Lachssuppe und Suppe spritzte auf den Boden und den Küchentresen. Catherine stöhnte. „Was soll ich bloß machen? Was soll ich bloß machen?", wiederholte sie immer wieder. „Hallo, ihr da drin", verkündete Onkel Ben. „Ich habe hier einen jungen Mann, der sagt, er sei zum Weihnachtsessen gekommen." Durch den Qualm trat wie ein strahlender Ritter Spencer Price. Und im Arm trug er einen geräucherten Truthahn.
9. KAPITEL „Spencer!", rief Lexi erfreut und erleic htert. Sie stellte einen verrußten Bräter auf den Küchentresen. „Du bist da!" „Ja. Fröhliche Weihnachten." Er deutete auf den verbrannten Klumpen in dem Bratentopf. „Ist das die Gans?" „Das war sie." Spencer war verblüfft. Sie hatte die Gans absichtlich ve rbrennen lassen, damit er mit seinem Truthahn gut dastand. Dazu gehörte Mut. Sie deutete auf die Plastiktüte in seiner Hand. „Ist das, wie ich inbrünstig hoffe, ein geräucherter Truthahn?" Er nickte nur. Lexi atmete auf. „Danke", flüsterte sie und drehte sich zu ihrer Mutter um. „Mom, sieh nur, was Spencer uns mitgebracht hat. Einen geräucherten Truthahn! Wie findest du das?" Mrs. Jordans Augen füllten sich mit Tränen. „Oh, Dr. Price, Sie haben unser Weihnachtsfest gerettet!" „Sie übertreiben." Spencer scha ute sich in der Küche um. „Ich bin sicher, Sie haben noch genug andere Sachen gekocht." Einiges davon tropfte die Wand hinter dem Herd herunter. „Mom, der Truthahn ist bereits gegart, wir brauchen ihn also nur noch warm zu machen. Bis dahin haben wir auch den Rest des Essens fertig." Lexi packte bereits den Braten aus, doch ihre Mutter hielt sie auf. „Hier drin ist es so verqualmt. Zeig Spencer ... darf ich Sie Spencer nennen?" Er nickte. „Zeig Spencer den Garten, bis der Rauch sich verzogen hat." „Aber da ist doch ..." Lexi sah zum Herd, den ihr Vater gerade ausgestellt hatte. „Bitte." Catherine scheuchte sie hinaus. „Lawrence, sei so lieb und mach den Backofen sauber." Lexi zeigte zur Hintertür. „Wir gehen hier entlang. Vom Garten hat man eine tolle Aussicht auf die Wasserfälle." Beim Hinausgehen kamen sie an zwei dunkelhaarigen Frauen vorbei, die Plätzchen dekorierten. „Spencer, dies ist meine Schwester Gretchen und ihre Freundin ..." „Dr. Tracey ist meine Therapeutin", unterbrach Gretchen sie. „Ich schäme mich deswegen nicht. Es ist wichtig und ich habe keine wichtigen Geheimnisse vor Familienmitgliedern." Damit wandte sie sich ab. Spencer fühlte Lexis Anspannung. Die Therapeutin sah ihn an. „Gretchen hörte, wie Sie als Dr. Price vorgestellt wurden." „Ich bin Ingenieur", erklärte er. Sie musterte ihn noch einmal kurz und drehte sich wieder zu Lexis Schwester um. „Siehst du? Deine Familie hat keinen zweiten Arzt für dich gerufen." Noch immer mürrisch sah Gretchen ihn an und Spencer hatte den leisen Verdacht, dass es ihr lieber gewesen wäre, wenn er ein weiterer Therapeut wäre. „Gretchen, die Welt dreht sich nicht nur um dich", platzte Lexi heraus. Die Bemerkung kam bei der Therapeutin nicht gut an. Ebenso wenig bei Lexis Schwester. „Wenn er kein Arzt ist, dann ist er dein Freund." Lexis Miene blieb ausdruckslos. „Gretchen fühlt sich ausgeschlossen, weil Sie sie nicht ins Vertrauen gezogen haben", erläuterte Dr. Tracey in leisem, professionellem Ton, der anscheinend beruhigen sollte. „Worüber ins Vertrauen gezo gen?", fragte Lexi. „Über Ihren Freund." „Wir kennen uns noch nicht so lange", meinte Spencer.
„Immerhin lange genug, dass Sie zum Weihnachtsfest unserer Familie kommen", konterte Gretchen vorwurfsvoll. „Heute ist Weihnachten. Da sollte nur die Familie zusammen sein." „Nur weil du in Therapie bist, musst du noch lange nicht unhöflich werden", fuhr Lexi sie an. „Komm, Spencer." „Ich drücke nur meine Gefühle aus." „Gretchen ...", begann Dr. Tracey. „Er gehört nicht hierher!", rief sie. „Ihre Eltern waren so freundlich, mich einzuladen", sagte Spencer so ruhig wie möglich. „Sie können sich sehr glücklich schätzen, dass Sie eine Familie haben, mit der Sie heute zusammen sein können. Nicht alle Menschen haben dieses Glück." Lexis fragender Blick war ihm bewusst, doch er sah sie nicht an. Stattdessen trat er aus der Hintertür, bevor er etwas sagen konnte, was Gretchen erneut aufbrachte. „Es tut mir Leid", sagte Lexi und holte ihn auf der Veranda ein. „Alles, was man zu Gretchen sagt, wird verdreht und gegen einen verwendet." Er beobachtete die Wasserfälle. „Schon gut." Sie schwieg einen Moment. „Ich finde nur, du hast durch mich schon genug gelitten. Es ist offensichtlich, dass Gretchen dich getroffen hat, und dabei hast du deinen Teil unserer Abmachung mehr als erfüllt. Fahr ruhig nach Hause und mach dir ein nettes Weihnachtsfest. Ich lasse mir eine Entschuldigung für meine Eltern einfallen." Er würde es ihr erklären müssen. „Ich bin in Pflegefamilien aufgewachsen", sagte er unvermittelt. „Wirklich? Willst du mir mehr darüber erzählen?" „Meinen Vater kenne ich nicht, meine Mutter war Alkoholikerin und Großmutter konnte mich nicht aufnehmen. Das ist alles." „Du brauchst nicht darüber zu reden." Er holte tief Luft. „Gewöhnlich tue ich das auch nicht. Es hat Zeiten gegeben, da war meine Vergangenheit mir hinderlich." Er brachte ein Lächeln zu Stande. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll." „Ich glaube, deine Erfahrungen würden die meisten Menschen sehr beeindrucken", meinte Lexi schließlich. „Denn du musstest sicher sehr hart arbeiten, um dorthin zu kommen, wo du jetzt bist." Die Brise frischte auf und wehte ihr die Haare ins Gesicht. Lexi strich sich die Strähnen hinter die Ohren. „Das ist dein Stichwort, um mir zu erzählen, wie du Leiter eines Forschungsteams wurdest." Er zuckte mit den Schultern. „Das war eigentlich nicht mein Lebensziel. Ich wollte lediglich eine stabile, normale Umgebung. Versteh mich nicht falsch. Ich lebte bei guten Leuten, aber wir wussten stets, dass es nur vorübergehend sein würde. Dann sah ich diese alten Filme im Fernsehen, in denen die Männer ihre Schulkrawatten trugen. Es war egal, was sie als Erwachsene taten, die anderen unterstützten sie, weil sie die gleiche Schule besucht hatten. Sie lebten dort, die ganze Zeit." „Im Internat." Er nickte. „Ich musste ständig die Schulen wechseln, also dachte ich, wenn ich in der Schule wohnte, hätte ich mehr Beständigkeit." Lexi rieb sich fröstelnd die Arme. „Das war klug von dir." „Ja, nur waren einige Dinge gegen mich." Spencer war so in seine Erzählung vertieft gewesen, dass er nicht bedacht hatte, dass Lexi nur in Kleid und Schürze nach draußen gegangen war. Er streifte sein Wolljackett ab und legte es ihr um die Schultern. Sie schmiegte sich hinein und er wusste, dass er beim nächsten Tragen ihr Parfüm würde riechen können. „Dummerweise kam ich nicht aus einer der wohlhabenden Familien, die ihre Kinder auf Internate schicken. Trotzdem hörte ich mich um, ging in die Bücherei und fand schließlich etwas über Privatschulen heraus. Ich wollte eine, in der ich das ganze Jahr
bleiben konnte, um nicht mehr in Pflegefamilien leben zu müssen, und in der es Uniformen gab, damit ich nicht wegen meiner Kleidung auffiel. Ich wusste, dass ich es nur mit einem Stipendium dorthin bringen würde. Daher lernte ich wie ein Besessener und feilte an meiner Redekunst. Dann bewarb ich mich überall, bis eine Schule in Pennsylvania mir ein Stipendium anbot." „Dort musstest du feststellen, dass man dich wegen deiner Herkunft verspottete, weil du nicht ,einer von ihnen' warst, richtig?" „Stimmt genau." Mitleid schimmerte in ihren Augen, doch bevor er sich deswegen unbehaglich fühlen konnte, strich sie ihm über die Wange. „Ich hoffe, du weißt, dass dir das hier nicht passieren wird." „Deswegen hast du die Gans anbrennen lassen, oder?" „Wovon sprichst du?" „Du hast mir gesagt, ich soll einen Truthahn mitbringen, und dann hast du die Gans anbrennen lassen, damit ich gut dastehe. Du hattest Angst, dass deine Eltern mich durchschauen." Sie war verblüfft. „Das ist nicht zu fassen. Spencer, wenn überhaupt, müssten meine Eltern befürchten, dass du sie durchschaust. Schließlich ist es nicht ihr Geld, das sie verteilen." „Wessen dann?" „Das der Stiftung 'Kultur und Kunst'. Mein Vater ist bloß Angestellter." Sie machte eine ausholende Geste. „Der Stiftung gehört das alles hier. Meine Eltern hängen das allerdings nicht gerade an die große Glocke. Vermutlich wollten sie deswegen, dass eines ihrer Kinder eine so große Musikerin wie Emily wird – damit sie einen legitimen Zugang zur Welt der Künste haben. Doch im Gegensatz zu Emily interessiert meine Tante Carolyn sich nicht für den gesellschaftlichen Aspekt. Es ist, als seien Emily und ich in den falschen Familien geboren." Spencer erinnerte sich, dass Lexis Eltern der Ansicht waren, sie vergeude ihr Ta lent. Er empfand eine starke Verbindung zwischen ihnen, die er noch nie bei einer Frau gespürt hatte. Auch Lexi war verletzt worden. Er wusste nicht genau, was er tun oder sagen sollte, daher entschied er sich für etwas Bewährtes: Er küsste sie. Er streckte einfach die Hand nach ihr aus, zog sie an sich, küsste sie und genoss es, sie wieder in den Armen zu halten. Das war der Moment, in dem ihre Mutter Sie entdeckte. „Alexandra?", rief sie von der Verandatür. Sie wichen erschrocken auseinander. „Oh, ihr zwei." Sie lächelte ihnen liebevoll zu. „Dabei ist dort draußen noch nicht einmal ein Mistelzweig. Kommt schnell herein. Ich habe wundervolle Neuigkeiten. Emily hat sich bereit erklärt, vor dem Essen für uns zu singen!" „Gab es da irgendwelche Zweifel?", meinte Lexi und reichte Spencer sein Jackett zurück. Ihre Mutter runzelte die Stirn. „Du glaubst doch wohl nicht, dass eine Künstlerin ihres Formats einfach überall singt, wo sie auftaucht. Zudem war da noch der Rauch." Sie schloss die Tür hinter ihnen. „Spencer, es wird ein außerordentliches Ereignis für Sie sein." „Ich bin sehr gespannt", erwiderte er und folgte den Frauen ins Haus. Schon im Flur hörten sie Emily Tonleitern singen. Nur Marshall und Emily befanden sich momentan im Zimmer. Die anderen warteten draußen, bis Emily sich eingesungen hatte. Lexi schloss die Tür hinter sich, doch weder Emily noch ihr Mann nahmen sie zur Kenntnis. Also ging sie über den Holzfußboden zum Klavier. „Was wollen wir singen?", fragte sie schließlich. Emily summte weiter, während Marshall eine Ledermappe mit einem Reißverschluss
öffnete. „Da wir damit gerechnet haben, dass man Emily bitten würde, vor dem Essen zu singen", erklärte er mit einem verächtlichen Lächeln, „habe ich eine Auswahl jahreszeitlicher Musik mitgebracht." Er blätterte die Mappe durch. „Ich glaube nicht, dass du deine volle Stimme einsetzen musst, Emily. Ich werde einige leichte Weihnachtslieder wählen." „Wie ,Rudolph the Red- nosed Reindeer'?", meinte Lexi. Marshall würdigte sie keines Blickes. „Ich würde gern ,O Holy Night' singen", mischte sich Emily ein. „Das hat eine hübsche Begleitung." Sie lächelte Lexi zu und summte weiter, einen Finger im Ohr. „Nicht heute, Darling", sagte Marshall. „Das erfordert deine ganze Stimme und es hat keinen Sinn, dass du dich so anstrengst. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich dich ,Stille Nacht' singen lasse." Lexi betrachtete seine ergrauenden Schläfen und die schwarze Metallbrille, die er trug. „Bist du nicht Buchhalter?", fragte sie ihn. Die Tatsache, dass er noch immer auf der Klavierbank saß und sie noch immer stand, machte sie wütend. „Ich bin Emilys Manager, und in Abwesenheit ihres Gesangstrainers muss ich auch auf ihre Kräfte, namentlich ihre Stimme, achten", erklärte er kühl. Lexi sah erst ihn, dann Emily an, die weiterübte. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen, aber vielsagenden Moment, ehe Emily sich abwandte. Wie konnte sie sich von diesem Buchhalter tyrannisieren lassen? Sie sollte singen, wozu sie Lust hatte. Eine Familienfeier war also nicht wichtig genug, für die „ganze Stimme"? „Da Emilys Kräfte so begrenzt sind, sollte sie heute überhaupt nicht singen. Aber keine Sorge." Lexi ging auf die andere Seite der Bank und setzte sich, wodurch Marshall gezwungen war, zur Seite zu rutschen. „Ich habe auch jede Menge jahreszeitlicher Musik mitgebracht." Sie legte die Finger auf die Tasten und wandte sich an Marshall: „Du bist im Weg." Verdutzt erhob er sich. Lexi stellte die Bank ein und begann das Weihnachtspotpourri, das sie schon den ganzen Monat im Wainright Inn gespielt hatte. Dieser Idiot Marshall machte sie wütend. Noch mehr tat ihr jedoch Emily Leid. Was für ein Leben führte sie? Für ihren Mann war sie lediglich eine Stimme. Er entschied, wann und was sie sang. Wie schrecklich. Lexi wollte niemals, dass ein Mann so viel Macht über sie hatte. Aber Spencer würde auch nie so sein. Er wäre viel zu beschäftigt mit seinen eigenen Projekten, um bei ihr jeden Schritt zu bestimmen, den sie tat. Lexi war völlig in das Potpourri vertieft und überrascht, als nach dem Ende Applaus ertönte. Irgendwann während ihres wütenden Spiels waren die anderen hereingekommen. Sie saßen nun auf blauen Samtstühlen. „Danke, Alexandra", sagte ihre Mutter. „Und jetzt Emily." Sie klatschte in die Hände. „Es wird ein echter Genuss." Emily trat ans Klavier und reichte Lexi die Noten. „Was wirst du singen?" Sie einigten sich auf „Away in a Manger" für die Kinder, „What Child is This" und „Joy to the World". Lexi begann zu spielen. Obwohl die Begleitung und die Melodie einfach waren, war von den ersten Noten an klar, dass das Lied von einer Meisterin gesungen wurde. Das zweite Lied strengte Emily ebenfalls nicht sonderlich an. Dennoch hörte Lexi, wie gut sie war. Nein, sie war großartig. Weit besser als alle aus der Gesangsabteilung des Littletree Colleges. Der Gedanke deprimierte sie. Größe inspirierte Größe. Lexi stellte fest, dass sie sich bei ihrem Spiel noch mehr Mühe gab. Wie lange war es her, dass sie sich selbst gefordert hatte? Und wie sollte das Littletree College jemals auch nur halb so große Talente wie Emily anziehen, wenn die Möglichkeiten dort so begrenzt waren? Lexi war
entschlossener denn je, mit ihrem Vater zu sprechen. Das dritte Lied sollte nun folgen. Lexi sah auf das Intro, dann zu Emily, die bereit war, ein triumphales „Joy to the World" zu singen. Bis jetzt war dieser kleine Vortrag gewesen, als führe man mit einem Rennwagen mal eben um den Block. Sie brauchten eine richtige Rennstrecke, um zu sehen, was in ihm steckte. Sie brauchten „O Holy Night". Und genau das begann Lexi zu spielen. Emily schluckte einmal, schreckte jedoch nicht zurück oder schüttelte den Kopf. Stattdessen öffnete sie den Mund und begann zu singen. Sie sang mit hoher, wundervoller Stimme den klaren Sopran, der sich zu den höchsten Rängen der größten Opernhäuser der Welt emporschwang.' Doch Lexi beneidete ihre Cousine nicht länger noch bedauerte sie sie. Emily hatte sich für ihre Kunst entschieden und dafür einen Preis gezahlt. Einen Preis, das erkannte Lexi, den sie selbst nicht gezahlt hätte.
10. KAPITEL Spencer wartete auf Lexi, während sich die anderen um Emily scharten. „Ich bin beeindruckt." Selbst Dr. Tracey hatte Gretchen vorübergehend vergessen. Les, der mit dem Rücken an der Wand gelehnt hatte, war hinausgeschlichen. Seine Miene hatte beängstigend dem mürrischen Gesicht von Gretchen geglichen. „Sie ist großartig, nicht wahr?" Lexi strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Das bezog sich auf dich." „Sie zu begleiten spornt mich an." Auf der anderen Seite des Raumes hielt noch immer die engelsgleiche Emily Hof. „Früher war ich eifersüchtig auf sie, aber das ist vorbei. Trotzdem, ich bin fest entschlossen, die Musikabteilung des Littletree Colleges wieder zu beleben." Sie lächelte ironisch. „Man braucht nur Geld dazu." „Ich bin sehr gut darin, Geld aufzutreiben", erklärte Spencer grinsend. „Ach ja, der Kalender." „Francesca hat doch schon ihr Foto. Das ist ein Anfang." Lexi lachte und gemeinsam gingen sie zur Tür. „Es gibt viele Möglichkeiten, Geldquellen aufzutun, auch für den Fachbereich Musik. Wenn du willst, können wir uns zusammen mal etwas ausdenken." „Einverstanden. Setzen wir uns nach den Feiertagen zusammen." Das war ein Test, denn nach dem Kuss auf der Veranda musste sie ihn auf die Probe stellen. Dieser Kuss war nicht nur sinnlich gewesen, sondern hatte signalisiert, dass sie ihm etwas bedeutete. Als Spencer nickte, breitete sich ein warmes Gefühl in ihr aus. So unglaublich es war, anscheinend würde ihr Mr. Dezember auch ihr Mr. Januar werden. Und wer weiß, vielleicht würden sie und Francesca sich zum Valentinstag im nächsten Jahr keine schwarzen Rosen mehr schenken müssen. „Bleiben uns noch ein paar Minuten, bevor wir essen?", fragte er. „Wahrscheinlich noch mehr." „Ich habe nämlich ein Geschenk für dich. Es ist in meiner Jacke." „Wir treffen uns am Weihnachtsbaum." Sie hatte ihr Geschenk für ihn verstecken müssen, weil es nicht im offiziellen farblich abgestimmten Weihnachtsgeschenkpapier verpackt war. Lexi kramte gerade das violette Päckchen mit dem silbernen Hologramm-Band unter den Zweigen hervor, als Spencer zu ihr kam. „Dich spielen zu hören hat mich daran erinnert", erklärte er und überreichte ihr eine kleine, in Silberpapier eingewickelte Schachtel. Lexi öffnete die Schachtel und stieß auf einen Samtbeutel. Darin befanden sich zwei glänzende silberne, kunstvoll geformte Haarspangen. „Spencer", hauchte sie gerührt. „Mir fiel auf, dass du dir immer die Haare hinter die Ohren streichst, besonders beim Spielen. Du hast so wundervolles Haar und ich befürchtete, du würdest es irgendwann abschneiden, wenn es dir weiter ins Gesicht fällt. Deswegen habe ich dir die Spangen gekauft." Lexi sah in sein attraktives Gesicht. „Sie sind wunderschön." Sie griff in die Tannenzweige und holte sein Geschenk hervor. „Du hast ein Geschenk für mich?" Er strahlte. „Es ist nur ein ..." Lexi verstummte und beobachtete, wie er es vorsichtig auspackte, damit das Papier nicht zerriss. „Na, so was!" Lachend brachte er ein Namensschild aus Acryl zum Vorschein, auf dem sein Name mit elektrischen Widerständen, Kondensatoren, integrierten Schaltkreisen und anderen geheimnisvollen elektronischen Bauteilen geschrieben war. „Einer der Kunststudenten hat das für mich gemacht", erklärte sie. „Francesca und ich unterstützen sie, wo wir können. Mir ist bei meinem Besuch im Labor kein Namensschild aufgefallen."
„Ich habe auch keins." Er grinste. „Das ist großartig. Danke." Lexi lächelte und strich sich die Haare hinter die Ohren. „Oh, ich tue es ja wirklich! Mir ist gar nicht aufgefallen, wie oft ich das mache. Ich werde die Spangen benutzen." Sie ging damit zum Spiegel über dem Sofa. Während sie sie befestigte, sah sie Spencer hinter sich. Er betrachtete begeistert das Namensschild und Lexi atmete erleichtert auf. Endlich ein Weihnachtsfest in einer richtigen Familie! Spencer war tatsächlich ein wenig nervös, als er Lexi ins Esszimmer folgte. Sie wollten sich gerade setzen, als Lexis Bruder seinen großen Auftritt hatte. Alle starrten ihn an, was offenbar genau seine Absicht gewesen war. Les trug ein rotes Muscle-Shirt, das seine tätowierten Arme entblößte. Spencer fiel es schwer, zu glauben, dass er Lexis Zwillingsbruder war. Der Kerl benahm sich eher wie Gretchens Zwilling. „Leslie! Zieh dir ein Hemd an!" Mrs. Jordans Stimme bebte vor Entsetzen. „Ich hab doch ein Hemd an." „Zieh ein anderes an." „Wieso?" Er zeigte auf sich. „Ich halte mich an die Weihnachtsfarben." „Lawrence, dein Sohn trägt kein Hemd." „Das sehe ich." Lexis Vater wandte sich entschlossen an seinen Sohn. „Leslie, zieh ein Hemd an." „Oh, ich verstehe, was los ist", meinte Les streitlustig und deutete zu Emily. „Sie darf ihre Kunst vorführen, aber ich nicht." „Les, das ist keine Kunst", mischte sich Lexi ein. „Und fang nicht wieder mit diesem Meine-Haut- ist- meine-Palette-Blödsinn an." „Ihr weigert euch also, meine Kunst und mein Schwulsein anzuerkennen?" Spencer fürchtete, Lexis Mutter würde in Ohnmacht fallen. „Wie fühlen Sie sich dabei?", meldete sich Dr. Tracey zu Wort. „Ich kann Ihnen sagen, wie ich mich dabei fühle. Wertlos!", stieß Lexis Mutter hervor. Lexi holte geräuschvo ll Luft. „Ich will so akzeptiert werden, wie ich bin!", erklärte Les. „Niemand wird deine haarigen Achseln während des Essens akzeptieren", verkündete Gretchen und sprach damit die Meinung aller aus. „Na fein!", knurrte er und marschierte hinaus, bevor sein zorniger Vater ihn hinauswerfen konnte. „Möchte noch jemand Champagner, solange wir auf die Rückkehr meines Sohnes warten?", fragte Lawrence. Der Vorschlag wurde von allen begeistert aufgenommen. Einige Minuten später stürmte Les wieder ins Zimmer, die Arme vor einem nicht zugeknöpften Hemd verschränkt. Catherine zwang sich zu einem Lächeln und bat zu Tisch. „Lexi und Gretchen durften wenigstens ihre speziellen Freunde mitbringen", klagte Les, als das Essen serviert wurde. „Soweit ich weiß, sitzt Arnaud heute mit einem Tiefkühlgericht vor dem Fernseher." Spencer schaute fragend zu Lexi. Sie hob ihr Wasserglas und flüsterte: „Immer nur lächeln." „Möchte noch jemand Sauce?", flötete Catherine, die mit Schürze am Tisch erschienen war, in dessen Mitte jetzt Spencers Truthahn thronte. „Du hast Glück, dass hausgemachte Saucen so in Mode sind", wandte sich Lexis Tante an Catherine. „Man wird annehmen, die Klumpen sind absichtlich darin." „Seht ihr? Alles was ich tue, wird kritisiert." Gretchen barg das Gesicht in den Händen. Dr. Tracey tätschelte ihr den Rücken und wandte sich an die ganze Gruppe. „Gretchen hat das Gefühl, dass man ihren Beitrag zum Essen nicht zu schätzen weiß." Catherine sah Dr. Tracey an wie ein Insekt. „Sie ist dafür zu loben, dass sie die Schuld
auf sich genommen hat für ..." „Ich hätte sehr gern noch etwas Sauce, Mrs. Jordan", unterbrach Spencer sie. „Ich habe mich bisher zurückgehalten, da ich schon zuviel genommen habe." „Und ich hätte gern noch etwas von dem Gemüse-Aspik", sagte Lexi. „Igitt." Derek kicherte. „Ja, bäh", stimmte die kleine Melissa zu. „Aspik, igitt- igitt", sang sie und demonstrierte, dass sie nichts vom musikalischen Talent ihrer Mutter geerbt hatte. „Melissa!" „Emily, ich kümmere mich darum", mischte sich Marshall ein. „Du musst deine Stimme schonen." Er stand auf, langte über den Tisch und nahm der überraschten Lexi das Aspik weg. „Junge Dame", sagte er und klatschte einen Löffel voll auf Melissas Teller. „Du wirst jeden Bissen davon essen." „Neeiiin!", jammerte Melissa. „Sie wird sich übergeben", meinte Derek schadenfroh. „Sie weiß, wie das geht." „Kümmerst du dich so um die Kinder?", fuhr Emily ihren Mann an. „Ja, Liebling." Marshall zwang das Mädchen, den Löffel in die Hand zu nehmen. „Während du unterwegs bist und schwitzenden Tenören etwas vorträllerst, erziehe ich unsere Kinder." „Aber nur, wenn das Kindermädchen seinen freien Tag hat, mein Lieber." „Ich höre Ärger aus Ihrer Stimme, Marshall", meldete sich Dr. Tracey zu Wort. „Apropos schwitzen ..." Les wedelte mit seinem Hemd. „Es ist tatsächlich ein wenig warm." Tante Carolyn fächelte sich Luft zu. „Die Hitze muss meine Enkel gereizt gemacht haben." „Du hast uns selbst gebeten, die Heizung höher zu stellen, um Emily vor einer Erkältung zu schützen", konterte Catherine selbstzufrieden. „Dann lasst uns die verdammte Klimaanlage anmachen!" Les stand auf. „Das geht nicht", beharrte Catherine. „Na schön, aber dann werde ich es mir in meinem eigenen Zuhause auch bequem machen." Er riss sich das Hemd vom Leib und setzte sich wieder. „Und jetzt hätte ich gern noch etwas Truthahn, Kartoffeln und die Sauce!" Les langte über den Tisch nach der Kartoffelschüssel, die vor seiner Tante stand. Carolyn wich zurück. „Was ist los?", fuhr Les sie an. „Kannst du die Kunst anderer nicht akzeptieren?" „Das ist kein besonders guter Drache", stellte Derek fest, während Melissa weiterjammerte. Les hörte auf zu kauen und schaute auf seinen Arm, auf dem ein Drache zerlief. Gretchen fing an zu lachen. „Die sind ja gar nicht echt! Les' Tätowierungen sind nicht echt!" Dr. Tracey sagte: „Statt dich über deinen Bruder lustig zu machen, solltest du lieber bedenken, dass er gerade seine Maske verloren hat. Nutze diese Gelegenheit, um seine wahre Persönlichkeit kennen zu lernen." „Mir reichts!" stieß Les hervor und sprang auf. Melissa übergab sich. „Das ist mir also all die Jahre entgangen", sagte Spencer zu Lexi, als ihre Mutter in die Küche rannte. „Da kommen einem die Tränen, was?" Lexi hob ihr Champagnerglas. Carolyn kümmerte sich um die arme Melissa. „Sei beruhigt, mein Liebes, es lag am reichhaltigen Essen." Sie half dem kleinen Mädchen, den Tisch zu verlassen, während ihre Eltern mit dem Chaos fertig zu werden versuchten. „Unsinn!", protestierte Catherine, die mit einer Rolle Küchentücher zurückgekehrt war. „Dein Schwiegersohn hat versucht, seine Tochter vollzustopfen!" „Tante Catherine ist es nicht gewohnt, für Kinder zu kochen. Die arme Tante Catherine hat nämlich keine Enkelkinder."
„Und ich werde wahrscheinlich auch nie welche haben!" Catherine zeigte auf Spencer. „Nach dem, was er heute miterleben musste, kann ich es Dr. Price nicht verdenken, wenn er nicht in diese Familie einheiraten will!" Lexi zuckte zusammen. „Mutter!" Dr. Tracey stand auf. „Ich spüre die unterschwellige Feindseligkeit in dieser Familie. Sie sollten sich gegenseitig Ihre Gefühle mitteilen. Ich kann Ihnen einen Gruppentarif anbieten." In dem nachfolgenden Geplapper stand Lawrence Jordan auf und bedeutete Spencer, ihm zu folgen. Er sah zu Lexi. „Geh ruhig", flüsterte sie ihm zu. „Renn um dein Leben." „Ich werde auf dich warten", flüsterte er zurück und folgte ihrem Vater ins Arbeitszimmer. „Wie ich sehe, haben Sie nicht nur das Essen mit einem Truthahn gerettet, sondern auch noch eine gute Flasche Portwein mitgebracht", meinte Lawrence und holte zwei Gläser aus der Bar. „Sie sind ein Mann von seltener Umsicht." „Danke, Sir." Lexis Vater schenkte zwei Gläser Portwein ein, reichte Spencer eines und wies auf die abgewetzte Ledercouch. „Jetzt erzählen Sie mir mehr über die mechanische Hand." Das war die Eröffnung, auf die Spencer gewartet hatte. Selbst ein durchschnittlich hoher Zuschuss der Stiftung würde weitere Aktionen zur Geldbeschaffung überflüssig machen, die die Leitung der Forschungsabteilung so ärgerte. Dann könnte er sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren. Und all das war jetzt in Reichweite. Spencer holte tief Luft und begann, Lawrence Jordan sein Projekt zu schildern. Nachdem Dr. Tracey Visitenkarten verteilt hatte, gingen Emily und ihre Familie, gefolgt von Tante Carolyn und einem rotnasigen Onkel Ben. Lexi hatte den Eindruck, als sei kaum Eierpunsch angeboten worden. Trotzdem war die Schüssel halb leer. Gretchen versuchte, sich die Treppe hinaufzuschleichen, doch Lexi fing sie ab. „Du wolltest das ganze Weihnachtserlebnis, also kannst du auch in die Küche gehen und beim Abwasch helfen." „Das wäre eine ausgezeichnete Therapie", stimmte Dr. Tracey ihr zu. Das war es tatsächlich. Unter Dr. Traceys Anleitung räumten die drei Frauen auf und erledigten den gesamten Abwasch. Dr. Tracey überzeugte sogar den gebändigten Les, wieder herunterzukommen und seine Kugelschreiberentwürfe zu präsentieren, die die Grundlage für seine Tätowierungen gewesen waren. Sie waren sogar erstaunlich gut, wenn sie nicht auf schwitzende Haut gemalt wurden. Lexi hatte Spencer nicht so lange allein lassen wollen und halbwegs rechnete sie schon damit, dass er nach Hause gefahren war. Doch sie fand ihn im Arbeitszimmer mit ihrem Vater. Im Fernsehen lief ein Footballspiel mit leise gestelltem Ton. Deutlich zu hören dagegen war die Unterhaltung. Spencer berichtete vom jüngsten Durchbruch bei der Entwicklung der Roboterhand. Obwohl Lexi inzwischen genug darüber wusste, blieb sie an der Tür stehen und lauschte einen Moment. Sie mochte es, wie Spencers Gesicht aussah, wenn er sich für das Projekt ereiferte. Es war ihm sogar gelungen, das Interesse ihres Vaters zu wecken. Lexi betrat den Raum und setzte sich auf die Lehne des Sofas, auf dem Spencer saß. Sie war ein wenig erstaunt über die vielen Skizzen, die auf dem Couchtisch verstreut lagen, aber sie war auch wirklich lange in der Küche gewesen. Spencer lächelte ihr zu, unterhielt sich jedoch weiter mit ihrem Vater. „Erst nachdem Lexis Freundin Francesca mit uns gearbeitet hatte, wurde mir klar, dass die Hand auf einem völlig neuen Gebiet eingesetzt werden kann." Und was ist mit mir?, dachte Lexi und wusste gleichzeitig, dass sie entsetzt wäre,
wenn er ihrem Vater ihre Rolle bei der Entwicklung der Hand schildern würde. „Nämlich bei Musikern. Denken Sie an die großen Künstler, die wegen Arthrose, Sehnenscheidenentzündung und dergleichen nicht mehr spielen können. Stellen Sie sich vor, sie bekommen die Chance, ihre Kunst weiter ausüben zu können." Sehr schlau, Spencer, dachte Lexi. „Das ist die perfekte Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst", sagte ihr Vater, der den ganzen Tag lang nicht so lebhaft gewirkt hatte wie in diesem Moment. „Man muss ein Mann mit Visionen sein, um das zu erkennen." „Ich hatte stets den Ruf, ein Mann zu sein, der ein neues Talent entdecken kann", erwiderte Lawrence. „Vermutlich oft, ohne die verdiente Anerkennung dafür zu erhalten." Lawrence nickte. „Das ist wahr." „Sie sind viel bescheidener als ich", fuhr Spencer fort. „Ich habe Jahre meines Lebens in dieses Projekt gesteckt, und wenn wir die Hand endlich vermarkten, werde ich die Anerkennung dafür genießen. Selbstverständlich teile ich sie mit denen, die vorausschauend genug waren, mich während der Entwicklungsphase zu unterstützen." Bei Lexi schrillten die Alarmglocken. „He, Dad", mischte sie sich ein, „wir haben deinen Eierpunsch noch gar nicht probiert." „Er steht auf der Anrichte, Liebes. Wie lange wird es dauern, bis Sie einen funktionierenden Prototyp haben?", wollte Lawrence wissen. Lexi gefiel die Richtung gar nicht, die das Gespräch nahm. Spencer breitete die Hände aus. „Das hängt vom Geld und von der Zeit ab." „Spencer hat ein Talent, Geld zu beschaffen, Dad. Er hat viele Geldgeber ..." „Kleine Geldgeber. Es würde die Arbeit erheblich erleichtern, wenn wir uns nur mit einem Sponsor auseinander setzen müssten." „Das verstehe ich." Lawrence Blick schweifte in die Ferne. „Spencer will mir helfen, eine Spendensammelaktion für das Musikinstitut des Littletree Colleges zu entwickeln", berichtete Lexi und versuchte nicht einmal, die Verzweiflung in ihrer Stimme zu verbergen. „Das alte Gebäude verfällt allmählich. Die potenziellen Talente laufen uns davon. Deswegen wollte ich auch mit dir sprechen ..." „Alexandra." Ihr Vater hob die Hand. „Spencer und ich unterhalten uns gerade über die Roboterhand." Spencer hatte doch gewusst, dass sie ihren Vater um Spenden für das neue Musikgebäude bitten wollte. Ihr früheres Mitleid für den armen Waisenjungen verblasste und Kälte breitete sich in ihrem Innern aus. Mit der Kälte kam jedoch auch die Klarheit. Dieser Mann war für sein Talent berühmt, Geldquellen aufzutun – was der berüchtigte Kalender bewies. Und sie hatte ihn wie eine Närrin zu ihrem Vater geführt. Dabei hatte Spencer ihr die ganze Zeit erzählt, wie wichtig ihm sein Projekt war – während sie sich ihm in Lederunterwäsche an den Hals geworfen hatte. Sie fühlte, wie sie im Nachhinein wegen dieser Demütigung errötete. Sie hatte tatsächlich geglaubt, sie hätte Chancen bei ihm. In Wirklichkeit hatte Spencer sie nur gebraucht, um an ihren Vater he ranzukommen. Nicht nur das, sie und Francesca hatten ihm auch noch den perfekten Anlass gegeben, sich bei der Stiftung „Kultur und Kunst" um Fördermittel zu bewerben. „Gegen Ende des Jahres bleibt Ihnen nicht mehr viel Zeit, aber ich habe hier Anträge auf Förderung in meinem Schreibtisch." Ihr Vater zog die Schreibtischschublade auf. „Ich würde gern einen Antrag von Ihnen erhalten, falls Sie daran interessiert sind." „Selbstverständlich bin ich interessiert", erwiderte Spencer und sah zu Lexi. Dieser Verräter! „Wenn du schon die Anträge heraussuchst, kannst du mir auch gleich einen geben", sagte Lexi. „Das Musikgebäude des Colleges muss dringend renoviert werden. Die Situation ist bedenklich." Sie ließ Spencer nicht aus den Augen, während sie sprach. „Ist das nicht eher eine Angelegenheit des Verwaltungsrates?", meinte Spencer.
„Ich stimme Ihnen zu", sagte Lawrence. „Dann werde ich eben denen den Antrag geben", beharrte Lexi. „Bitte, wenn du darauf bestehst. Spencer, wir geben am Achtundzwanzigsten hier einen Empfang zu Ehren von Mr. und Mrs. Robards und ihrem Gast." Er schien nachzudenken. „Es handelt sich um einen Pianisten. Lexis Mutter kennt seinen Namen. Wie dem auch sei, da sie große Förderer des Littletree Colleges und der Stiftung sind, werden alle Treuhänder ebenso wie die Mitglieder des Verwaltungsrates da sein." Lawrence reichte Lexi und Spencer Antragsformulare. „Es könnte sehr nützlich sein, diese Leute kennen zu lernen. Vielleicht können Sie und Lexi bei dieser Gelegenheit die Fähigkeiten der Roboterhand vorführen." Auf keinen Fall! dachte Lexi. „Lawrence?", rief Lexis Mutter. „Würdest du bitte in die Küche kommen? Du musst dir unbedingt anschauen, was Les gemalt hat." „Wenn ihr zwei mich entschuldigen wollt", sagte Lawrence. Lexi bekam kaum mit, dass er ging. Sie starrte Spencer an. „Stell den Antrag nicht bei der Stiftung." „Dein Vater scheint sehr interessiert zu sein ..." „Du wusstest, dass ich meinen Vater um Geld für das Musikgebäude bitten wollte." „Das hat er nicht erwähnt." Spencer faltete vorsichtig die Unterlagen zusammen und steckte sie in die Brusttasche seines Jacketts. Am liebsten hätte Lexi sie ihm aus der Hand gerissen. „Weil ich es ihm noch gar nicht sagen konnte! Als wir uns zum erstenmal trafen, habe ich dir gesagt, dass ich damit warten wollte, bis er in guter Stimmung ist. Deswegen solltest du überhaupt heute kommen. Erinnerst du dich?" Etwas flackerte in seinen Augen auf. „Nein, das wusste ich nicht." War das noch derselbe Mann, den sie kannte? „Ich glaube dir nicht und ich kann nicht fassen, was du getan hast. Du hast Dutzende Geldquellen, ich nicht." Seine Miene war hart und entschlossen. „Weil ich Jahre damit zugebracht habe, mir diese Verbindungen aufzubauen." „So viel Zeit habe ich nicht. Du hast das Musikinstitut gesehen. Das Gebäude zerfällt. Wir verlieren Lehrkräfte. Ich bin sogar wegen Francescas Aufenthalt in Indiana nervös. Dort gibt es ein phantastisches Musikinstitut und ich habe Angst, dass sie sich dort bewirbt." „Wieso bewirbst du dich nicht auch?" Das war der Todesstoß für ihre Beziehung, soweit es eine gegeben hatte. So etwas nannte man Reinfall. „Das Littletree College bietet Möglichkeiten. Ich werde es nicht aufgeben." Sie stand auf und er erhob sich ebenfalls. Er sah so gut aus wie eh und je, verdammt. „Ich glaube, du solltest jetzt besser gehen."
11. KAPITEL „Ich sage dir, Lexi, deine Taktik ist ganz falsch." „Francesca, hast du mir nicht zugehört? Spencer Price hat meinen Vater für seine blöde Roboterhand begeistert!" Sie befanden sich in Francescas Zimmer, während sie auspackte. Lexi hatte sie am Flughafen abgeholt und sich den ganzen Rückweg lang über Spencers Verrat beklagt. „Ich habe dir die ganzen fünfzig Mal zugehört. Weißt du, weshalb du so wütend bist?" „Weil er sich mein Geld schnappt?" „Nein, weil er sich um Fördergeld bewirbt, bevor du mit ihm geschlafen hast. Jetzt ist er offiziell der Feind und du glaubst, du kannst nicht mehr mit ihm schlafen." „Na, das kann ich ja wohl auch nicht!" Francesca verdrehte die Augen. „Oder?" „Du kannst und du solltest es tun." Sie zog den Reißverschluss ihres Koffers zu. „Sieh dich an. Du bist frustriert, überarbeitet und wütend, und das ist es nicht wert." „Zufällig finde ich schon, dass die Zukunft unseres Musikinstituts es wert ist." „Ist sie es wert, Spencer Price dafür aufzugeben?" „Ich hatte Spencer Price nie", konterte Lexi. „Genau das ist der Punkt. Und der Empfang heute Abend ist deine Chance, ihn zu bekommen." „Ich werde ihm nicht auch noch helfen, dieses Ding zu demonstrieren! Vielleicht ist mein Vater ja auch nur höflich, weil er denkt, Spencer und ich sind zusammen. Ich werde ihm sagen, dass es aus ist." „Falsch." „Wieso?" „Du lässt dir eine einmalige Gelegenheit entgehen. Du solltest heute Abend zu dem Empfang gehen." „Noch mal, wieso?" „Um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Um ihn abzulenken – bring ihn dazu, mit dir zu verschwinden, bevor er Schaden anrichten kann. Er weiß, dass du wütend bist, oder?" „Ich habe dreimal aufgelegt, als er anrief." „Er hat dich dreimal angerufen?" „Vielleicht auch öfter. Ich bin bloß dreimal rangegangen." „Äußerst vielversprechend." Francesca schob ihren Koffer unters Bett und warf ihre Wäsche in den Wäschekorb. „Du befindest dich in einer günstigen Position." „Wofür?" „Um ihn zu verführen." „Das habe ich doch schon versuc ht. Außerdem spielt er kein ehrliches Spiel. Er ist für mich nicht länger attraktiv", log Lexi. „Natürlich wirst du meine Hilfe brauchen." Francesca ignorierte ihre Behauptung. „Soll das heißen, ich muss um des Musikinstituts willen mit ihm schlafen?" „Wenn du unbedingt einen Grund für das brauchst, was du ohnehin tun willst, dann ist dieser so gut wie jeder andere. Los, wir haben nicht mehr viel Zeit." Francesca ging zu ihrer Unterwäschekommode und nahm die mit Samt ausgelegte Schachtel heraus. Lexi stöhnt e. „Nicht schon wieder die falschen Brüste!" „Lexi, das ist ein Notfall. Du musst so heiß aussehen, dass Spencer den Blick nicht von dir abwenden kann und sich von dir vom Empfang fortlocken lässt. Dann kann er die Hand nicht vorführen und dein Vater wird sauer sein. Adieu Fördergeld. Hol das schwarze Strickkleid. Warte, nimm meins, das ist knapper." „Frankie ..." „Nimm auch mein schwarzes Abendtäschchen." Sie ging zu ihrem Nachttisch, zog die
Schublade auf und nahm ein kleines Folienpäckchen heraus. „Francesca!" Lexis Freundin holte ihr paillettenbesetztes Täschchen aus dem Kleiderschrank und legte das Päckchen hinein. „Denk dran, dein Körper ist ein Tempel, kein Vergnügungspark." Lexis Brüste waren so groß, dass sie fast aus dem Ausschnitt quollen und sie musste beim Gehen darauf achten, dass die falsche Pracht nicht zu sehr wippte. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Mutter zu beschäftigt war, um ihre Anwesenheit zu bemerken. Der Empfang fand im Musikzimmer statt. Obwohl Lexi einige Minuten zu früh erschienen war, drängten sich bereits die Gäste. Sie versuchte unbemerkt zu bleiben, bis sie herausgefunden harte, ob Spencer da war oder nicht. Sie entdeckte ihre Eltern, ein weiteres Paar, von dem sie annahm, dass es sich um die Ehrengäste handelte, den Partyservice und Paare im Alter ihrer Eltern, die vermutlich zu den Treuhändern der Stiftung gehörten. Von Spencer bisher keine Spur. Das war gut. Sie würde ihn draußen abfangen, so dass er es nicht einmal bis zum Empfang schaffte. „Ich habe nicht erwartet, dich hier zu sehen", sagte auf einmal eine vertraute männliche Stimme hinter ihr. Lexi wirbelte herum, wobei sie ihre veränderte Figur vergaß, und stieß mit Spencer zusammen. „Hallo." Sie war zu erschrocken, um die heisere Stimme einzusetzen, die sie geübt hatte. Fasziniert starrte er auf ihr Dekolletee. Dann schluckte er und schaute ihr mit verzweifelter Entschlossenheit in die Augen. Es funktionierte! Sie lächelte, bog die Schultern zurück und fühlte eine leichte Aufregung, da sein Blick unwillkürlich nach unten huschte. „Ich hatte ursprünglich nicht vor, hier zu sein." „Ich weiß." Winzige Schweißperlen bildeten sich auf seiner Oberlippe und Lexi konnte tatsächlich eine Ader in seiner Schläfe pochen sehen. „Aber ich dachte mir, dass dieser Mushy-Mishy-Kerl dich he rlocken würde." „Mushy?" „Ja, irgend so ein Pianist." Ach ja, ihr Vater hatte jemanden erwähnt... Lexi packte Spencers Arm. „Meinst du etwa Mischa Wolfe?" Er nickte. „Mischa Wolfe kommt heute Abend hierher?" „Das hat man mir erzählt." Er hob seinen Metallkoffer. „Ich soll ihm unseren Freund zeigen." Lexi fiel fast in Ohnmacht. Mischa Wolfe mit den wallenden blonden Locken, den glühenden Augen und den hohen Wangenknochen war in Rocky Falls und ihre Mutter hatte es ihr nicht einmal erzählt? Allerdings war sie auch nicht mehr ans Telefon gegangen. „Natürlich will ich ihn kennen lernen. Ich bewundere ihn seit Jahren." Sie konnte nicht widerstehen hinzuzufügen: „Ihr zwei habt etwas gemeinsam: Ihr habt beide einen Kalender gemacht." „Tatsächlich?" Lexi nickte und bewegte sich ein wenig. Wie? Seine Miene veränderte sich? Erfreut registrierte sie, wie sein Blick erneut nach unten glitt. Die Dinger sind beinah so wirkungsvoll wie die pendelnde Uhr eines Hypnotiseurs, dachte sie. „Wollen wir hineingehen?" Lexi zögerte. Das entsprach nicht ihrem Plan. Andererseits konnte sie sich auch nicht die Chance entgehen lassen, Mischa Wolfe kennen zu lernen. Wenn sie ihn für das Littletree College gewinnen könnte ... sie erschauerte – eine weitere Bewegung, die Spencer fasziniert verfolgte. Francesca sollte hier sein. Sie war genau die Richtige, um sich um Mischa zu
kümmern. Dann könnte sie, Lexi, in Ruhe Spencer ablenken. Aber leider musste sie sich allein um alles kümmern. „Gehen wir hinein", sagte sie zu Spencer. Gütiger Himmel!, dachte Spencer. Diese Frau ist eine Sexgöttin mit ihren roten Lippen, den phantastischen Brüsten und dem langen schwarzen Haar. Er schluckte. Sein Verstand wollte nicht arbeiten. Dabei hatte er geglaubt, sie nach Weihnachten einfach vergessen zu können. Sie war wütend auf ihn, was er gut verstehen konnte. Aber er hatte sich damit getröstet, dass sie eben ein weiteres Opfer in einer langen Reihe von Opfern war, die er für die Erreichung seines Ziels schon erbracht hatte. Jetzt fragte er sich allerdings, ob er nicht zu viel geopfert hatte. Sie hatten sich erst seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen, doch alles an ihr kam ihm intensiver vor, als er es in Erinnerung hatte. Ihre Lippen wirkten roter, ihre Haare länger und dunkler. Ihre Augen blauer. Ihre Haut wirkte heller, ihr Parfüm verführerischer und ihre Brüste ... Lexi wich nicht von seiner Seite und schien alles, was er von sich gab, urkomisch zu finden. Sie lachte und beugte sich so weit vor, dass sämtliche Männer in der Nähe gebannt ihren Bewegungen folgten. Niemand hörte Spencer zu, wenn er über die künstliche Hand sprach. Er selbst interessierte sich nicht mehr für ihre Verwendungsmöglichkeiten für Musiker. Ganz zu schweigen davon, dass er den Pianisten nicht leiden konnte. Es gefiel ihm nicht, wie der Kerl Lexi anstarrte, als könne er sie haben. Aber das konnte er, oder? Sie war frei. Spencer war frei. Und das gefiel ihm kein bisschen. Lexi spürte Spencers Blicke, obwohl alle Männer sie beobachteten. Sogar ihre Mutter – die jedoch mit finsterer Miene. „Mir gefällt Texas", sagte Mischa zu Lexis Dekolletee. „Und die texanischen Frauen mag ich ganz besonders. Sie sind so ... anziehend." Allmählich hatte sie genug von diesen Brüsten. Aber wenn es Mischa nach Littletree brachte ... „Es würde Ihnen hier gefallen. Ich glaube auch, dass es an unserem College im Fachbereich Musik zur Zeit keinen Gastdozenten gibt." Sie sah ihm in die Augen – zumindest versuchte sie es. „Ich könnte Sie empfehlen, da ich dort Klavier lehre." „Ich finde die Vorstellung, an Ihrem College Gastdozent zu sein, sehr verlockend." Er sah hoch und senkte den Blick sofort wieder. „Hier gibt es soviel Schönheit und Talent." Er bot ihr die Hand. „Kommen Sie, lassen Sie uns gemeinsam wundervolle Musik machen." Selbst für den extravaganten Mischa klang das daneben, doch Lexi zwang sich zu einem Lächeln und nahm seine Hand. Er führte sie zum Klavier. „Ich möchte Sie spielen hören." Offenbar wollte er sich eine Bild vom Niveau des Colleges verschaffen. Lexi nahm Francescas paillettenbesetztes Umhängetäschchen ab und legte es neben sich. Dies war eine einmalige Gelegenheit. Wenn sie Mischa beeindruckte und er sich bereit erklärte, Littletrees Gastdozent zu werden, würde Lexi das Geld von der Stiftung nicht mehr brauchen. Denn dann würde sich die Verwaltung des Colleges bei der Bewilligung von Renovierungsgeldern überschlagen. Das war durchaus möglich. Es kam nicht selten vor, dass ein Konzert-Künstler seinen Namen einem kleinen College lieh und ihm damit zu einem erstklassigen Ruf verhalf. Spencer konnte von ihr aus das Geld der Stiftung haben. Und wenn dieses Hindernis erst einmal aus dem Weg geräumt war ... Sie hielt Ausschau nach ihm. Er beobachtete sie mit angespannter Miene. Offenbar war er eifersüchtig. Das wäre er nicht, wenn er sie nicht begehren würde. Diese Erkenntnis brachte sie zum Lächeln und gab ihr Hoffnung. Sobald die Gäste sich gesetzt hatten, wurde Lexi bewusst, dass sie sich auf eine der
wichtigsten Vorstellungen ihres Lebens vorbereitete. Sie würde sich etwas Kurzes und Eindringliches aussuchen, etwas, was der Masse gefiel, schließlich befanden sie sich hier auf einer Cocktailparty. Mischa würde wahrscheinlich auch spielen, vermutlich etwas von Chopin, einem seiner Lieblingskomponisten. Als Kontrast dazu wollte sie etwas Modernes wähle n, zum Beispiel Prokofjew. Na schön. Das war es. Doch schon nach den ersten Akkorden wusste Lexi, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Die verdammten Brüste waren ihr im Weg. Sie konnte nicht im richtigen Winkel sitzen und ihre Sicht auf die Tasten war teilweise eingeschränkt. Der treibende Rhythmus mit den donnernden Akkorden hatte ein heftiges Wippen zur Folge, das sie fühlen und sehen konnte. Es lenkte sie ab und ihr Spiel litt darunter. Mischa stand so, dass er ihr in den Ausschnitt blicken konnte. Vielleicht achtete er deswegen nicht so sehr auf ihr Spiel. „Ah, eines meiner Lieblingsstücke", murmelte er. Ja, ganz bestimmt, dachte Lexi. Ihre Situation war schrecklich und sie würde Francesca nie verzeihen. Sie beendete das Stück glücklicherweise, ohne aus dem Kleid zu fallen, aber es war nicht ihre beste Vorstellung gewesen. Während sie den höflichen Applaus entgegennahm, achtete sie darauf, bei ihrer Verbeugung nur den Hals zu bewegen. Dann wandte sie sich an Mischa und brachte ein Lächeln zu Stande. „Jetzt sind Sie an der Reihe." Er beugte den Kopf, warf ihr eine Kusshand zu und nahm seinen Platz am Klavier ein. Erwartungsvolle Stille trat ein. Statt neben ihm stehen zu bleiben, entfernte Lexi sich vom Klavier. Ein halbes Dutzend Schritte später stieß sie sanft mit dem Rücken gegen einen warmen Körper. „Ich will mit dir reden", raunte Spencer ihr zu. „Wo können wir allein sein?" Lexi ärgerte sich noch immer, weil ihre Darbietung gut hätte sein können, wenn sie sich wegen Spencer nicht so ausgepolstert hätte. Daher war sie ihm in diesem Moment nicht gerade wohlgesonnen. Sie bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, dass sie den Raum durch eine Seitentür verlassen sollten. Mischa hatte ein langes Chopin-Stück begonnen, so dass Lexi einige Minuten Zeit blieben, bis er ihr Verschwinden bemerken würde. Da es ohnehin ihr Ziel gewesen war, Spencer fortzulocken, hätte sie eigentlich froh sein müssen. Das war sie jedoch nicht. Mischa hatte ihr den ganzen Abend deutliches Interesse an ihr signalisiert. Sicher, er war attraktiv und selbstbewusst, und das zu Recht. Es wäre so bequem, eine Affäre mit ihm zu beginnen. Doch Lexi war nicht daran interessiert und der Grund dafür war Spencer. Seinetwegen war sie für andere Männer verloren. Warum musste er auch so gut aussehen, so klug sein – und sich so mies benehmen? Und hatte sie sich unbedingt in ihn verlieben müssen? Kaum waren sie auf dem Flur vor dem Musikraum, zog Spencer sie in seine Arme. „Bist du noch wütend auf mich?" „Ja." Man konnte doch gleichzeitig wütend und verliebt sein, oder? Er küsste sie heiß und drängend. „Und jetzt?" „Bin ich noch immer wütend." Er küsste sie erneut. „Ich kann damit weitermachen, so lange wie es nötig ist." Es könnte sogar funktionieren. „Wieso?" „Weil ich dich will." Das war genau das, was er sagen sollte, und es machte sie noch wütender. Sie wollte nicht, dass er sie nur begehrte, er sollte sie lieben. Sie sah ihn funkelnd an. „Du willst nicht mich, du willst meine Brüste." „Na schön, ich will deine Brüste." Vergiss den Plan, sagte Lexi sich. „Dann nimm sie." Sie griff in das Oberteil ihres Kleides und zog die fleischfarbenen Polster heraus. „Hier, bitte. Sie gehören Francesca und haben mir ohnehin nur Ärger eingebracht."
Mit diesen Worten marschierte sie davon. Auf diese Weise war Spencer noch nie an Brüste gekommen. Benommen starrte er sie an und allmählich dämmerten ihm die Zusammenhänge. Erst das Zuschlagen der Haustür riss ihn aus seiner Benommenheit, und er wollte Lexi folgen. „Spencer!" Lexis Vater hielt ihn auf. Spencer schob hastig die falschen Brüste in seine Jacketttaschen und drehte sich um. „Ich habe Sie schon gesucht. Jetzt ist der günstigste Moment, die Hand vorzuführen. Ich gestehe, dass ich es selbst kaum erwarten kann, sie in Aktion zu sehen." Lawrence Jordan stand im Türrahmen zum Musikraum. Hinter ihm brandete Applaus auf. Anscheinend war Mischa fertig. „Ich habe noch keinen voll funktionsfähigen Prototyp. Wir haben einen Konstruktionsfehler entdeckt. Lexi hat mir dabei geholfen." Spencer schluckte. Er musste ihr unbedingt nachlaufen, wenn er die Dinge zwischen ihnen jemals in Ordnung bringen wollte. Lawrence schnaubte verärgert. „Offenbar ist sie gegangen. Nach ihrer entsetzlichen Vorstellung kann ich es ihr nicht verübeln. Und was ihr Auftreten angeht ..." Er holte tief Luft. „Ich hoffe, Sie werfen uns das Benehmen unserer Tochter nicht vor." Spencer war perplex. „Sie sollten stolz auf sie sein." Lawrence runzelte die Stirn. „Weshalb?" In diesem Moment wurde Spencer klar, dass er Lexi besser durchschaut hatte als sie sich selbst. Kein Wunder, dass sie Geld von der Stiftung ihres Vaters wollte – es wäre ein sichtbarer Beweis seiner Anerkennung. Es wäre jedoch auch ein Eingeständnis, dass sie ohne seine Hilfe nicht erfolgreich sein konnte. Sie musste sich im klaren darüber gewesen sein, dass dieser Empfang für sie hart sein würde. Trotzdem war sie bereit gewesen, ihren Stolz für etwas zu opfern, woran sie mit derselben Inbrunst glaubte wie er, Spencer, an sein Projekt. Und er hatte ihre Pläne durchkreuzt. Er konnte froh sein, dass sie ihn nicht geohrfeigt hatte. Er straffte die Schultern und sah Lawrence ins Gesicht. „Wenn Sie nicht wissen, weshalb Sie auf Ihre Tochter stolz sein können, dann kennen Sie sie nicht. Ich schon. Sie ist talentiert, klug, witzig, ehrgeizig und wunderschön." Und ich habe sie gehen lassen, fügte er in Gedanken hinzu. Warum? Lawrence lächelte. „Ich sehe, Ihre Familie hat Sie zu einem Gentleman erzogen. Manchmal versuchen Eltern ..."• „Und manchmal versuchen sie es nicht", unterbrach Spencer ihn, entsetzt über die Einstellung des Mannes. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen." Er wandte sich zum Gehen. „Wohin wollen Sie? Wir warten auf die Demonstration der Hand." „Tut mir Leid, mir ist etwas Wichtigeres dazwischengekommen." „Was könnte wichtiger sein als die Vorführung Ihrer Erfindung vor den Stiftungstreuhändern?" Spencer grinste. „Ich muss mich mit einer Frau treffen. Es geht um ihre Brüste." Für Lawrence' Gesichtsausdruck würde ich jederzeit wieder auf die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung pfeifen, dachte Spencer. Das ist es mir wert. Er hatte den Flur bereits halb durchquert, als Lexi aus dem Schatten trat. „Lexi! Ich wollte dich gerade suchen." „Du kannst nicht einfach verschwinden. Du musst die Hand vorführen." „Ich habe etwas Wichtigeres zu tun." Sie holte zitternd Luft und schien den Tränen nahe zu sein. „O Spencer, ich habe gehört, was du zu meinem Vater gesagt hast. Wie ritterlich von dir." Spencer nahm sie in die Arme. „Es war mein Ernst. Alles." „Aber dies ist deine große Chance bei der Stiftung!" . „Ich will nicht, dass du mich hasst, weil ich mich um das Fördergeld beworben habe. Es gehört dir. Hol es dir."
„Ich hasse dich nicht und ich werde mir das Geld nicht holen", erwiderte sie resigniert, „Heute Abend habe ich begriffen, dass mein Vater es ohnehin nie bewilligen würde. Also werde ich ihm nicht die Genugtuung geben, darum zu bitten." Sie warf die Haare zurück. „Bei dir ist es etwas anderes. Komm, ich lasse nicht zu, dass du diese Chance verpasst." „Lexi..." „Und glaub ja nicht, ich würde Mischa die Hand vorführen. Er würde den ganzen Ruhm nur für sich einstreichen." „Du willst mir bei der Vorführung der Hand helfen?" „Deswegen bin ich zurückgekommen." In diesem Moment erkannte Spencer, dass er sie liebte. Die Erkenntnis war ein Schock für ihn und er musste den richtigen Zeitpunkt abpassen, um es ihr zu sagen. Bald. Ein nobles Opfer zu bringen ist in der Theorie leicht. Lexi musste jedoch feststellen, dass die Realität viel härter war. Auch wenn sie wusste, dass eine Roboterhand mehr Menschen nützte als ein neues Musikinstitut, gab sie nur schweren Herzens ihre Hoffnungen auf das Fördergeld der Stiftung auf. Wenn sie und Spencer geübt hätten, wäre ihre Vorstellung nicht besser gelungen. Sie schafften es, alle davon zu überzeugen, dass die Erfindung der Hand die vollkommene Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft war. Und da Lexis Dekolletee wieder Normalformat besaß, hatte auch Mischa Wolfes Interesse an ihr nachgelassen. Das war kein Verlust. Spencer im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sehen, während ihr ein weiteres Jahr mit schwindenden Studentenzahlen, sich verkleinerndem Lehrkörper und alten Klavieren bevorstand, war dagegen härter. Dann war da noch Spencer selbst. Natürlich, er hatte ein paar nette Dinge über sie gesagt. Andererseits war es auch nicht klug, es sich mit der Tochter des Cheftreuhänders der Stiftung zu verscherzen. Zu dumm, dass er nicht wusste, dass es Lawrence völlig gleichgültig war. Mit diesem deprimierenden Gedanken verließ Lexi heimlich den Empfang.
12. KAPITEL Lexi traf Francesca, als sie gerade aus dem Schlafzimmer kam. „Du bist früh zurück. Ich bin noch gar nicht fertig", flüsterte ihre Mitbewohnerin und schaute sich erwartungsvoll um. „Womit fertig?", fragte Lexi gereizt und hängte ihren Mantel auf. „Ein bisschen Atmosphäre in deinem Zimmer zu schaffen ... Wo sind meine Brüste?" „Bei Spencer." Francesca hob die Brauen. „Und wo ist Spencer?" Lexi sah ihr ins Gesicht. „Verrate du mir zuerst, ob du dich in Indiana, beworben hast." „Wie bitte?" „Hast du dich als Lehrkraft in Indiana beworben?" Francesca wich ihrem Blick aus. „Frankie!" Na fabelhaft. Jetzt würde sie auch noch die beste Mitbewohnerin verlieren, die sie je gehabt hatte. „Es war nur eine Bewerbung. Was ist heute Abend passiert?" „Sagen wir, dass ungefähr in diesem Moment die Stiftung ihr Geld Spencer nachwerfen dürfte." Francesca sackte gegen den Türrahmen. „Ich kann nicht glauben, dass die Brüste nicht gewirkt haben." „Haben sie." Lexi ging in ihr Schlafzimmer. „Aber dann entschied ich, sie nicht mehr zu tragen." „Bist du verrückt geworden?" „Nein, ich wollte nur, dass er mich um meiner selbst willen begehrt, nicht wegen ..." Die Türklingel unterbrach sie. Sie starrten sich an. Dann grinste Francesca. Lexis Herz schlug bis zum Hals. „Mach nicht auf." Doch Francesca war bereits an der Tür und öffnete sie. „Das wurde aber auch Zeit." Sie zerrte Spencer förmlich herein. Er griff in seine Taschen. „Ich nehme an, die gehören Ihnen." „Ja." Francesca warf die Brustpolster fröhlich auf den Flurtisch. Dann schob sie Spencer in Lexis Richtung und sagte: „Sie ist dort." „Danke." Spencer grinste. „Ich sehe sie." Lexi wich in ihr Schlafzimmer zurück. „Ihr zwei wollt sicher ungestört sein. Seien Sie nicht schüchtern, Spencer." Francesca schob ihn ins Schlafzimmer. „Frankie!" Lexi fühlte sich gedemütigt, besonders als sie sah, was Francesca getan hatte: über die Lampen waren Tücher drapiert, die Baumwollbettwäsche war gegen pfirsichfarbene Satinwäsche eingetauscht und überall brannten Kerzen. „Ich werde ins Labor fahren", verkündete Francesca. „Wir planen unsere Silvesterparty. Bis dann." Sie schloss die Tür. Spencer wirkte amüsiert. „Ich ... wir ...", stammelte Lexi. Die Tür flog wieder auf. „Ich bins noch mal." Francesca warf Lexi etwas zu. „Du hast deine Tasche im Flur liegen lassen." Lächelnd wandte sie sich an Spencer. „Wir versuchen, Ordnung zu halten. Adieu!" Lexi starrte auf ihre Handtasche, bis sie die Haustür zufallen hörte. Spencer trat auf sie zu, nahm ihr die Handtasche ab und stellte sie auf den Nachttisch. Dann zog er Lexi an sich. „Ich liebe dich. Willst du jetzt darüber sprechen oder nachher?" Lexi machte den Mund auf. „Also später. Eine gute Entscheidung." Er beugte sich über sie und sie legte ihre Hand auf seine Brust. „Warte!" Sie deutete auf den Raum. „Das ist alles Francescas Idee. Sogar die Mogelei
mit den Brüsten." Er legte den Arm um sie. „Sie hat gute Ideen." Er hatte gesagt, dass er sie liebt. Trotzdem... „Wenn du nur zur Feier des Tages eine heiße Affäre suchst, vergiss es." Er wich verwirrt zurück. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich liebe. Das war mein Ernst." „Du kannst einer Frau doch nicht aus heiterem Himmel deine Liebe erklären." „Weshalb nicht? Ich wollte, dass du es erfährst, gleich nachdem ich es selbst erkannt hatte." Er wirkte äußerst zufrieden mit sich. „Eigentlich wusste ich es schon vor der Vorführung der Hand, aber du warst verschwunden, ehe ich es dir gestehen konnte. Und als mir klar wurde, dass ich dich liebe, erkannte ich auch, dass du mich liebst." „Das klingt ziemlich arrogant." „Aber es ist wahr, oder?" „Ja", gestand sie und lächelte. Er zog den Reißverschluss ihres Kleides auf. „Also, haben wir etwas miteinander?" „Spencer! Wenn du mich wirklich liebst, haben wir viel miteinander zu besprechen." „Uns bleiben nur zwei Stunden. Ich kann reden und dich gleichzeitig dabei ausziehen." Er streifte ihr das Kleid von den Schultern. „Du kannst mich ausziehen und dich dabei unterhalten." „Du wirst mir nicht zuhören." Er küsste ihre Schulter. „Vermutlich nicht." Und während er sich über ihr Schlüsselbein ihren Hals hinaufarbeitete, ahnte Lexi, dass auch sie nicht viel reden würde. Er zog ihr das Kleid herunter und ihr nun flacher gewordener BH kam zum Vorschein. Lexi verschränkte die Arme vor der Brust. „Da ist nicht mehr so viel, wie du erwartet hast." „Was ich sehe, ist wundervoll", erwiderte er, hakte den BH auf und streifte ihn ihr ab. In einem plötzlichen Anfall von Schüchternheit bedeckte sie ihre Brüste mit den Händen. Bei der Lederunterwäsche hatte sie keine Scheu gezeigt, warum also jetzt? Spencer drapierte ihr Haar so, dass es ihr auf die Brüste fiel. „Das gehört zu einer meiner Phantasien", gestand er, betrachtete sie und verbarg seine glühende Begierde nicht. Pulsierende Hitze breitete sich in Lexi aus, die ihr jegliche Hemmungen nahm. Lächelnd ließ sie die Hände sinken. „Du hast noch viel zu viel an." „Ich habe mich schon gefragt, wann du es bemerkst." Sie zog seine Krawatte auf und warf sie neben das Bett. „Die brauchen wir vielleicht später noch." „Apropos später. Bevor wir weitermachen, fällt mir noch etwas ein, was wir brauchen. Da ich nicht damit gerechnet habe, dich heute Abend zu treffen ..." „In der Handtasche." Sie zeigte auf den Nachttisch. Er hob die Brauen. „Francesca", erklärte sie. Spencer grinste. „Deine Mitbewohnerin gefällt mir." Er half ihr beiden Hemdknöpfen. „Sie hat ihre guten Seiten." „Und du deine." Er streifte sein Hemd ab. Mit gespreizten Fingern fuhr Lexi über seine Haut und fühlte die Wärme und seinen Herzschlag. „In Natur siehst du viel besser aus als auf dem Kalenderfoto." Er lachte und sein Brustkorb erbebte unter ihren Fingerspitzen. „Ich liebe es, dein Gesicht anzuschauen. Es ist so ausdrucksstark." „Findest du?", fragte sie und küsste ihn in der Nähe seines Herzens. Sie fühlte seinen Herzschlag an ihren Lippen. Er legte die Hand auf ihren nackten Rücken und sie lächelte, als sein Puls sich beschleunigte. Sie hob den Kopf und er küsste sie auf die Stirn, die Lider und die Nase, bevor seine Lippen sanft ihre streiften." „Ich habe noch nie einer Frau gesagt, dass ich sie
liebe." Er streichelte ihre Hüften. „Also habe ich auch noch nie mit einer Frau geschlafen, die ich liebe." „Dafür machst du deine Sache aber gut", flüsterte sie. Er küsste sie voller Leidenschaft. „Ich habe vor, es besser als nur gut zu machen." Erneut fanden ihre Zungen sich zu einem erotischen Spiel. Ja, das tust du, war Lexis letzter klarer Gedanke. Als seine Hände über ihre nackte Haut glitten, gaben ihre Knie nach. Sie schlang ihm die Arme um den Nacken, wodurch sie beide aus dem Gleichgewicht gerieten und aufs Bett fielen. Die Satinlaken fühlten sich angenehm kühl und glatt an. Spencer rutschte auf die Seite und stützte sich auf den Ellbogen. Zärtlich blies er ihre Haare von den Brüsten. „Das kitzelt." „Gut oder schlecht?" „Vielversprechend." Seine Miene wurde ernst. „So sehe ich unsere Beziehung. Ich habe nie geglaubt, dass ich eine Frau wie dich finde, und selbst wenn, habe ich gedacht, es würde Jahre dauern, ehe ich sie liebe. Ich dachte immer, ich müsste es zuerst zu etwas gebracht haben. Aber mit dir habe ich das schon." Ihr ging es ebenso, doch begriff sie es erst jetzt. „Wir beide haben versucht, den anderen etwas zu beweisen. Ich wollte aus Emilys Schatten treten und du wolltest es diesen hochnäsigen Kids aus den Privatschulen zeigen. Jetzt, wo wir uns haben, brauchen wir niemandem mehr etwas zu beweisen." „Da bin ich nicht so sicher." Er richtete sich auf und zog ihr die Schuhe aus. „Ich hätte nichts dagegen, dir zu beweisen, was für ein außergewöhnlicher Liebhaber ich bin." Sie lachte, obwohl seine Worte sie erschauern ließen. „Na dann los!" Er stand auf und entledigte sich rasch seiner restlichen Kleidung. Das Licht von einem Dutzend Kerzen tauchte seinen Körper in warmes Licht und Lexi beobachtete das anmutige Spiel seiner Muskeln. Sein Blick war glühend und voller Verlangen. Spencer gehörte ihr. Sie setzte sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und wollte aufstehen, um sich ebenfalls ganz auszuziehen. „Lass mich das machen." Spencer kniete sich vor sie hin und küsste sie auf den Bauch, ehe er ihren Unterrock abstreifte. Kurz darauf folgte ihre Strumpfhose. Nun trug sie nur noch die weiße Baumwollunterwäsche, die Francesca so verachtete. Doch zwischen Spencers Zähnen und seinen Händen wirkte sogar ein weißer Spitzenslip sexy. Dann war auch der Slip fort. „Ich habe davon geträumt, dich so zu sehen", flüsterte er. „Nackt, nur noch bedeckt von deinen langen Haaren. Du bist wunderschön." „Du gibst mir das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein." „Das bist du auch, Liebling. Ich habe noch nie eine Frau so sehr begehrt wie dich." Sie schmiegte sich an ihn und genoss es, ihn Haut an Haut zu spüren. Lange lagen sie sich so in den Armen, ehe er ihre Lippen küsste, ihren Hals und ihre Brüste. Dann ließen sie sich wieder aufs Bett sinken und die Laken kühlten sie bei ihrem heißen Liebesspiel. Für Lexi war es mehr als Sex. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich vollkommen akzeptiert, und erst jetzt erkannte sie, wie sehr sie sich schon immer danach gesehnt hatte. Spencers Liebkosungen weckten Emotionen in ihr, die sie nie zuvor empfunden hatte, und sie brachten die Tiefe seiner eigenen Gefühle zum Ausdruck. Der ehrfürchtige Ausdruck auf seinem Gesicht war ebenso verführerisch wie sein Mund und sein beherrschtes Verlangen so erregend wie seine Zärtlichkeit. Überwältigt von Glück stöhnte sie laut, als sie miteinander vereinigt waren. „Pscht, Liebling", flüsterte er, küsste ihre Schläfe und streichelte ihre Haare. „Es ist so ..." „Ich weiß. Mir geht es genauso." Langsam begann er sich zu bewegen und flüsterte ihr
zärtliche Worte ins Ohr, bis Lexi vor Lust erschauerte und seinen Namen rief. Sekunden später stieß er ihren Namen hervor und sie umklammerte ihn so fest sie konnte. Sie wollte sich nie wieder bewegen, niemals mehr den Zauber brechen, der sie miteinander verband. Spencer versuchte sich von ihr zu lösen, doch sie klammerte sich noch fester an ihn. „Ich gehe nicht fort", versprach er und sein besitzergreifender Blick faszinierte sie. „Ich will mit keiner anderen Frau mehr zusammen sein und ich kann die Vorstellung nicht ertragen, dass du mit einem anderen Mann zusammen bist. Heirate mich." Es war eine Forderung, die ihr keine Wahl ließ. „Ja", hauchte sie. Als Lexi später neben Spencer lag, den Kopf an seine Brust geschmiegt, dachte sie wieder an die Party bei ihren Eltern. „Du musst gleich nach mir verschwunden sein. Ich hoffe, du hast die Treuhänder nicht vor den Kopf gestoßen." „Ich habe ihnen noch erklärt, dass du und Francesca hervorragend mit uns zusammengearbeitet habt, dass ich aber eine besser ausgerüstete Universität brauchte, um die Hand so zu konstruieren, dass sie sich speziell für den Einsatz bei Musikern eignet. Wie sich herausstellte, hatte Mischa die Gebäude von Littletree schon mit den Robards besichtigt und kannte den Zustand." „Wie peinlich und ich wollte ihn dazu bewegen, unser Gastdozent zu werden. Das kann ich wohl vergessen." „Da bin ich nicht so sicher", meinte Spencer. „Ich habe viele betretene Gesichter in der Menge gesehen. Das Ganze könnte besser ausgehen, als du angenommen hast." „Apropos peinlich. Francesca kommt sicher bald nach Hause. Sollten wir uns nicht lieber anziehen?" „Ich glaube nicht, dass ihr so schnell etwas peinlich ist." „Du hast Recht." „Dann gibt es auch keinen Grund für uns, scho n aufzustehen." Sie grinste. „Mir fällt jedenfalls keiner ein." „Dies ist die beste Silvesterparty, die wir je hatten." Francesca lief in die Küche und machte eine weitere Tüte Chips auf. „Der Anteil der Männer hier ist klasse. Bob und Gordon haben den Videorecorder repariert, und Dan und Steve arbeiten am Stereoanschluss für den Grossbildfernseher, den wir gemietet haben." „Es ist unsere erste Silvesterparty überhaupt", erklärte Lexi Spencer. „Ist das Essen fertig? Die Jungs sind hungrig." Lexi und Spencer waren für das Essen zuständig. „Ihr habt die saure Sahne beim Salat-Dressing vergessen! Ich bin überzeugt, dass die Liebe die Menschen für alles andere unbrauchbar macht", erklärte Francesca angewidert. „Da du gerade davon sprichst, Murray hat angerufen und gesagt, dass er unterwegs ist." „Ach ja? Ist er nicht hier?", fragte Francesca betont gleichgültig. „Das habe ich gar nicht bemerkt." Doch als es kurz darauf klingelte, rannte sie sofort zur Tür. „Spencer!" Murray stürmte herein. „Ich habe gerade herausgefunden ... He!" Erst jetzt nahm er Francesca wahr. Sie trug ihren Tiger-Catsuit und warf Murray Raubtierblicke zu. „Hi, Frankie, ich ..." Weiter kam er nicht, weil sie ihn küsste. „Ich rette ihn lieber, bevor er erstickt", meinte Spencer. „He, Murray, was wolltest du erzählen?" Francesca ließ ihn blinzelnd los. „Erzählen? Ach ja. Auf der Party des Fachbereichs Chemie, von der ich gerade komme, redeten alle von dem Fördergeld und der Renovierung des Musikinstituts." „Was?", riefen Spencer und Lexi gleichzeitig.
„Ja, es war gerade erst beschlossen worden. Ein paar von den Mitgliedern des Verwaltungsrates waren dort. Habt ihr noch nichts gehört?" „Nein", erwiderte Spencer. Jemand klopfte an die noch offene Tür. „Dann kann ich das Geheimnis wohl lüften", sagte eine vertraute Stimme. „Mom! Dad!", rief Lexi. „Hallo, Alexandra." Ihre Mutter küsste sie auf beide Wangen. Lawrence Jordan grinste breit. „Wir dachten, wir würden dich und Spencer im Wainright Inn treffen, aber du spielst ja heute Abend gar nicht." „Nein", sagte Lexi benommen. „Wir müssen wieder dorthin zurück, aber zuerst wollten wir euch das hier geben." Lexis Vater überreichte Spencer einen Umschlag. Er riss ihn auf und las verblüfft. „Hier steht, dass uns die Stiftung einen großzügigen Zuschuss gewährt, unter der Bedingung, dass das alte Musikinstitut des Colleges renoviert wird." „Das fasse ich nicht." Lexi schaute ihm ungläubig über die Schulter. „Sie wollen das Gebäude wirklich renovieren?" „Der Verwaltungsrat hat heute Nachmittag darüber abgestimmt", bestätigte ihr Vater. „Das wurde auch Zeit", meinte Francesca und führte Murray am Arm ins Wohnzimmer. „Das ist... das ist..." Spencer schüttelte sprachlos den Kopf. Lexi wusste genau, wie er sich fühlte. Jetzt brauchte er sich nicht mehr darum kümmern, Geld aufzutreiben, und konnte sich ganz seiner Arbeit widmen. „Alexandra, du sollst wissen, wie stolz ich bin, dass du den Weitblick hattest, die Möglichkeiten von Spencers Roboterhand zu erkennen", erklärte ihr Vater. „Das zeugt von jenem zukunftsorienterten Denken, das ich mir für meine Kinder stets gewünscht habe." Spencer hatte den Arm um sie gelegt und drückte sie an sich. Catherine sah liebevoll zu ihrem Mann: „Dein Vater hört nicht mehr auf, euch in den höchsten Tönen zu loben." Lexi lächelte. Noch vor einem Monat wäre sie vor Freude außer sich gewesen. Jetzt machte sie das Lob ihres Vaters zwar froh, aber sie wäre auch ohne glücklich geworden. Und das hatte sie dem Mann an ihrer Seite zu verdanken. Nachdem ihre Eltern wieder zum Wainright Inn aufgebrochen waren, sagte Spencer: „Anscheinend werden wir im nächsten Jahr viel zu tun bekommen." „Aber nicht zu viel, um zusammen zu sein." „Wir müssen auch noch eine Hochzeit vorbereiten." Lexi drückte ihn fest. „O Spencer, ich liebe dich wirklich." Er grinste. „Ich weiß." - ENDE-