Ein Guru läßt zur Hölle bitten Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Sie war sanf...
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Ein Guru läßt zur Hölle bitten Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Sie war sanft wie ein Lamm. Lady Agatha Simpson hockte ein wenig verkrampft auf einem Sitzpolster und hatte ihre stämmigen Beine gekreuzt. In ihrer majestätischen Fülle erinnerte sie an einen weiblichen Buddha. Freundliche Milde lag auf ihrem sonst etwas grimmigen Gesicht. In ihren Händen hielt sie eine Räucherkerze, die einen penetrant süßlichen Geruch verströmte. Lady Agatha trug einen weiten, wallenden Umhang, der in dekorativen Falten ihren Körper umschmeichelte. Kurz, Lady Agatha Simpson schien eine andere Frau geworden zu sein. Die Detektivin war nicht allein. Sie befand sich in einem Kreis Gleichgesinnter, die gekleidet waren wie sie. Und diese Gleichgesinnten saßen mit gekreuzten oder untergeschlagenen Beinen in einem großen, aber niedrigen Raum, der als eine Art orientalischer Kultstätte hergerichtet war. Die Wände, verschwanden hinter schweren Seidenstoffen, die selbst die Decke säumten. Der Boden war ausgelegt mit teilweise echten Teppichen, wie Lady Agatha trotz ihrer weihevollen Stimmung beiläufig bemerkte. Auf einem Podest war ein Altar aufgebaut worden, auf dem ein Schrein stand, dessen Klapptüren noch verschlossen waren. Das alles war in mildes Licht getaucht, was die feierliche Stimmung zusätzlich erhöhte. Dennoch benahm die alte, sonst so kriegerische Dame sich ein wenig vorbei. Sie tat es sicher nicht absichtlich, doch sie
wurde von dem süßlichen Geruch der Räucherstäbchen herausgefordert. Zuerst zuckte Lady Agathas Nase ein wenig, dann kräuselte sie sich bedenklich, und Sekunden später nieste die Sechzigjährige explosionsartig. Das Geräusch konnte sich hören lassen. Eine Granate mittleren Kalibers schien in der Kultstätte detoniert zu sein. Die Gleichgesinnten wurden von der Druckwelle des Niesers erfaßt und fuhren zusammen. Einige ältere Herren gingen automatisch in Deckung und warfen sich zu Boden. Es mußte sich um ehemalige Kriegsteilnehmer handeln, deren Erinnerungsvermögen noch intakt war. Einige weibliche Teilnehmer der Runde’ reagierten weniger heftig. Aber sie maßen Lady Agatha mit vorwurfsvollen Blicken, da sie sich in ihrer Meditation empfindlich gestört fühlten. Lady Simpson sorgte also für einige Aufregung, 1
was sie aber nicht sonderlich scherte. Selbst in diesem erlauchten Kreis ließ sie erkennen, wie ungeniert sie sich normalerweise benahm. Es war ein dunkler, dröhnender Gong, der Sekunden später für Ruhe und erneute Weihe sorgte. Die Damen und Herren der Runde murmelten beschwörende Worte aus dem Tibetanischen, mit denen Lady Agatha allerdings nichts anzufangen wußte. Sie war schließlich neu in diesem Kreis und mußte noch lernen. Sie bemühte sich allerdings ehrlich, diese ihr fremden Worte nicht albern zu finden, denn sie war gekommen, um zusammen mit den anderen die reine Erleuchtung zu suchen. Der Gong dröhnte und hallte noch nach, als aus dem Boden des Podestes weißer Rauch aufwallte, der den Schrein verdeckte. Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, war der Guru zu sehen. Der ehrwürdige Lehrer und Führer konnte sich durchaus zeigen. Er war sogar sehenswert. Es handelte sich um einen Inder, dessen Alter zeitlos war. Jung in diesem braunen Gesicht, das von einem weißen Bart fast zugedeckt wurde, waren eigentlich nur die Augen, die in der Tat eine seltsame Kraft besaßen. Der Guru saß mit gekreuzten Beinen auf einem dicken Seidenkissen, das reichlich mit Perlen bestickt war. Seine Hände waren vor der Brust gekreuzt. Aufmerksam sah er sich seine Jüngerinnen und Jünger an und verbeugte sich dann, indem er den Oberkörper mit akrobatischer Geschicklichkeit nach vorn bewegte. Es handelte sich um eine wirkungsvolle Geste. Sein Englisch war ein wenig hart und guttural, doch das machte überhaupt nichts. Das Gegenteil schien eher noch 2
der Fall zu sein. Der fremde Akzent unterstrich die Exotik dieses weisen Mannes. „Suchende der letzten Wahrheit“, sagte der Guru leise, aber durchaus eindringlich, „Pilger zum Gipfel der Erkenntnis und Weisheit, der Hunger nach Licht und Erleuchtung hat uns wieder zusammengeführt. Beschreiten wir gemeinsam den einzigen Weg, den der Erleuchtete uns in seiner Güte anbietet. Streifen wir ab die Mühen des Alltags und die Bürde dieser Welt. Versenken wir uns in das Reich der Stille und...“ Auf das Stichwort ,Stille’ mußte Lady Agatha erneut niesen. Dieses Urgeräusch fiel noch lauter aus als das erste. Der weise Führer auf dem bestickten Seidenkissen zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen und duckte sich unwillkürlich. Sein Blick wurde scharf wie ein spitzer Dolch, den er auf Lady Simpson schleuderte. Bevor er jedoch sein Ziel erreichen konnte, holte er ihn im übertragenen Sinn des Wortes schleunigst wieder zurück und ließ ihn verschwinden. Dem weisen Führer schien sehr daran gelegen zu sein, die ältere Dame nicht zu verletzen. „Entschuldigung, weiser Guru“, trompetete Lady Simpson mit ihrer nie sonderlich leisen Stimme. Sie besaß das Sonore eines männlichen Baritons und vermochte gefüllte, unruhige Säle zu übertönen. Der Guru zuckte noch mal zusammen und senkte seinen Blick. Er wollte sicher verhindern, daß weitere Dolche auf Lady Agatha flogen. Nachdem er sich gefaßt hatte, begann er erneut mit seiner Einstimmung und fand Worte, die die kritische Teilnehmerin in Entzücken versetzten.
* Josuah Parker war in großer Sorge. Er wartete zusammen mit Kathy Porter auf die Rückkehr seiner Herrin. Es paßte ihm überhaupt nicht, daß Mylady sich für diesen Guru interessierte. Sie war nicht mehr jene Lady Agatha, die er kannte, sondern hatte sich völlig verwandelt und schien ihren Sinn auf das Jenseitige gerichtet zu haben, von dem der Guru behauptete, daß man nur dort die innere Befreiung fand. „Die Sitzung scheint sich heute ziemlich auszudehnen“, stellte Kathy Porter fest. Sie war die Sekretärin der älteren Dame, zugleich ihre Gesellschafterin und schließlich sogar noch so etwas wie ihr Patenkind. Kathy Porter — fünfundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und schlank — sah blendend aus. Ihre Figur hätte sich auf den Titelseiten internationaler Modezeitschriften bestens bewährt. Ihr kupferrotes, langes Haar paßte wunderbar zu den Augen, deren Farbe kaum zu bestimmen war. Es handelte sich um ein dunkles Grün, das durchaus wie glühende Kohlen schimmern konnte. Kathy Porter besaß normalerweise die Sanftheit eines Rehs, doch davon durfte man sich nicht täuschen lassen. Sie konnte zu einer wilden Pantherkatze werden, wenn es darauf ankam. Die junge Dame war erfahren in Judo und Karate, wußte mit Schußwaffen umzugehen und kannte darüber hinaus eine Menge Tricks, die ihr ein gewisser Josuah Parker im Lauf der Zeit beigebracht hatte. Dieser Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Wagens, das einst ein Londoner Taxi gewesen war. Es war, nach Parkers eigenwilligen Vorstellungen
umgebaut worden. Im Grund war dieser vorsintflutlich aussehende Wagen nichts anderes als ein gut getarnter Hochleistungstourenwagen, der neben seinem Motor auch sonst noch für einige Überraschungen gut war. Eingeweihte waren der Ansicht, daß es sich dabei um eine raffiniert ausgestattete Trickkiste auf Rädern handelte. Parker sorgte sich also. Er war der Butler der Lady Agatha Simpson und stets auf die Wahrung der Formen bedacht. Er bewahrte seine Herrin vor Unüberlegtheiten, denn Mylady neigte dazu, sich in jedes passende und unpassende Abenteuer zu stürzen. Sie liebte die Abwechslung und war leicht in Rage zu bringen. In solchen Fällen war sie dann eigentlich nur noch von ihrem Butler zu bremsen. Josuah Parker war ein Mann unbestimmbaren Alters, mittelgroß und nicht schlank, allerdings auch nicht dick. Er verfügte über ein glattes, oft ausdrucksloses Pokergesicht und bewegte sich mit der Gemessenheit eines Haushofmeisters alter Schule. Er bevorzugte eine etwas barock zu nennende Ausdrucksweise und ließ sich eigentlich nie aus seiner steifen Gemessenheit bringen. Selbstbeherrschung war eine Tugend, die er stets und überall trainierte. Hinter dieser Fassade war der Butler ein gerissener Einzelkämpfer, der so ziemlich alle Tricks dieser Welt beherrschte. Natürlich war er kein Übermensch, auch ein Josuah Parker erlitt Niederlagen. Und diese Sitzung, an der Lady Simpson jetzt teilnahm, war solch eine peinliche Niederlage. Es war ihm nämlich nicht gelungen, Mylady diesen Guru auszureden. Parker hielt den Weisen aus dem Osten für einen raffinierten Gauner, 3
der darauf aus war, die Bargeldreserven seiner Anhänger an sich zu bringen. Der Butler hatte dem großen Weisen bisher nichts nachweisen können. Er hatte eingesehen, daß er es mit einem ausgesuchten Schlitzohr zu tun hatte. Der Guru, der sich schlicht „Der Erleuchtete“ nannte, schien ein ungemein vorsichtiger Mensch zu sein. „Sollte man nicht etwas unternehmen, Mr. Parker?“ erkundigte sich Kathy Porter, nachdem Parker auf ihre Feststellung nicht reagiert hatte. „Mylady sind, wenn ich es so ausdrücken darf, ein wenig schwierig“, sagte der Butler in seiner gewohnt knappen Art. „Mylady bemerken leider sofort, wenn man ihr etwas ausreden möchte.“ „Könnte man es nicht anders versuchen, Mr. Parker?“ schlug Kathy Porter vor. „Sollte man ihr vielleicht zureden? Vielleicht verliert sie dann ihr Interesse am Guru?“ „Ein durchaus bemerkenswerter Vorschlag“, räumte der Butler steif und gemessen ein. „So könnte man Mylady möglicherweise beikommen, Miß Porter.“ „Es gibt noch eine andere Möglichkeit“, erklärte Kathy und lächelte. „Daran habe auch ich bereits gedacht, Miß Porter.“ „Sie wissen, was ich vorschlagen will?“ „Man müßte diesem ,Erleuchteten’ nachweisen, daß er das ist, was die Behörden einen Schwindler nennen.“ „Richtig“, gab Kathy zurück, „ich würde mich zu gern mal in seinem Haus umsehen.“ „Sie denken hoffentlich an einen ungesetzlichen Besuch, Miß Porter?“ „Natürlich“, erwiderte sie lächelnd. „Könnten Sie mir dabei etwas Rückendeckung geben, Mr. Parker?“ 4
„Ich fürchte, Miß Porter“, sagte Parker, „daß es mir sogar ein Vergnügen sein wird.“ * „Hatten Mylady einen vergnüglichen und erholsamen Abend?“ erkundigte sich Butler Parker. Er war der älteren Dame entgegengegangen. Sie kam gerade aus dem großen, villenartigen Backsteinbau, der inmitten eines gepflegten Gartens stand. Das Haus befand sich im Westen von London, genauer gesagt in Wimbledon. Parker sah Lady Agatha prüfend an und registrierte in ihren Augen einen äußerst milden Schein. Und genau das verwirrte den Butler noch mehr. Eine kriegerische Lady war ihm bedeutend lieber. „Habe ich bisher eigentlich gelebt?“ fragte Lady Simpson und schaute ihren Butler verklärt an. „Diese Frage möchte ich entschieden bejahen“, antwortete der Butler. „Mylady haben Zweifel?“ „Ich meine doch nicht dieses banale, biologische Leben“, schwärmte die Detektivin weiter und sah ihren Butler für den Bruchteil einer Sekunde strafend an, um dann allerdings sofort wieder auf Milde umzuschalten. „Ich denke an das Leben an sich.“ „Aha“, erwiderte der Butler verblüfft. „Ich meine ein Leben in seiner geistigen Dimension“, verkündete Lady Agatha nachdrücklich. „Ich denke an ein Leben auf überhöhter Ebene.“ „Ganz meiner Meinung“, sagte der Butler in seiner höflichen Art und öffnete den hinteren Wagenschlag. „Mylady haben diese höhere Ebene verheißen bekommen?“
„Der Erleuchtete weiß um die Geheimnisse des Überich“, erwiderte die ältere Dame. „Wir alle sind mehr als wir scheinen und sind.“ „Sehr wohl, Mylady.“ „Sie verstehen mal wieder kein Wort, nicht wahr?“ Ein wenig Grimmigkeit lag in der Stimme der Sechzigjährigen. Dieser vertraute Ton ließ den Butler freudig aufhorchen. „Mylady dürfen davon überzeugt sein, daß auch meine bescheidene Wenigkeit sich nach Erleuchtung sehnte“, gab der Butler zurück und setzte sich ans Steuer. „Hätten Mylady vielleicht die Güte, sich ausführlicher über den Guru zu äußern?“ „Dieser Mann ist die Erlösung aus den Niederungen des Alltags“, stellte Lady Simpson nachdenklich fest. „Er zeigt den Weg zur Läuterung und Erkenntnis.“ , „Ein bemerkenswerter Mann, wenn ich es so ausdrücken darf.“ „Ich werde mein Leben radikal umstellen“, verkündete die ältere Dame. Sie sah zu Kathy Porter hinüber, die in der anderen Ecke des Fonds saß. „Wie soll dieses Leben aussehen, Mylady?“ erkundigte Kathy sich sachlich. „Askese und Versenkung, Kindchen.“ „Askese, Mylady?“ Kathy wußte nicht, worauf Lady Simpson anspielte. „Ein Leben in Bescheidenheit und Bedürftigkeit.“ „Wird das nicht ein wenig kompliziert werden, Mylady?“ tippte Kathy vorsichtig an. Sie wußte wie Parker, daß Lady Simpson eine mehr als vermögende Frau war. Agatha Simpson gehörte, wie es in den Gesellschaftsblättern nur zu gern hieß, zum Blut- und Geldadel der Insel. Sie konnte sich jeden erdenklichen Luxus leisten, was sie normalerweise allerdings
kaum tat. Ihr einziger Luxus war im Grund ihre Tätigkeit als Amateurdetektivin, wozu auch ausgedehnte Reisen gehörten. Darüber hinaus finanzierte sie über eine anonyme Stiftung die Ausbildung und das Studium begabter junger Menschen. Wenn man sie darauf ansprach, reagierte sie unwirsch. Sie wollte nichts davon wissen und bildete sich schon gar nicht darauf etwas ein. Mylady, seit vielen Jahren schon Witwe, war ein skurriler Mensch, zu dem ein Leben in Askese eigentlich überhaupt nicht paßte. „Ich werde mein Leben ändern“, versprach die ältere Dame nachdrücklich. „Hinweg mit allem Tand! Nur Besitzlosigkeit macht wirklich reich. Kind, wenn Sie wüßten, wie glücklich ich bin. Wahrscheinlich werde ich alles aufgeben und nach Indien ziehen. Im ,Zentrum der Versenkung’ wartet auf mich eine bescheidene Klosterzelle.“ Parker, der aufmerksam zugehört hatte, bekam nun doch einen mittelschweren Schock. Nur durch äußerste Konzentration konnte er gerade noch verhindern, einige am Straßenrand parkende Wagen zu rammen. * Josuah Parker war fassungslos. Er blieb an der Tür zu Lady Simpsons Räumen stehen, die sich im oberen Stockwerk des altehrwürdigen Hauses befanden. Dieses Haus stand im Stadtteil Shepherd’s Market und zeigte noch altes englisches Fachwerk. Es gehörte zu einer Reihe ähnlicher Häuser; die einen kleinen, fast verträumt zu nennenden Platz umstanden. Diese Häuser waren ebenfalls Eigentum von Lady Simpson, die sie an 5
gute Freunde vermietet hatte. Die beiden Fachwerkbauten links und rechts von dem großen Haus, in dem Parkers Herrin residierte, waren nur scheinbar vermietet. In Wirklichkeit gehörten sie zum Wohnkomplex der Lady und standen mit dem Haupthaus auf raffinierte Art und Weise in Verbindung. Die Fassungslosigkeit des Butlers hatte damit aber nichts zu tun. Sie hatte einen völlig anderen Grund. Agatha Simpson hatte ihre Räume radikal leeren lassen. Bis auf ein schmales Bett, das ein wenig verloren in ihrem ehemaligen Schlafzimmer stand, gab es kein Stück Möbel mehr. Während Parker fassungslos war, machte Lady Simpson einen sehr zufriedenen Eindruck. Sie schritt auf ihren stämmigen Beinen durch die drei leeren Räume und nickte immer wieder nachdrücklich. Dann trat sie ans Fenster und sah hinunter auf den kleinen Platz. Die drei Möbelpacker, die die Zimmer geräumt hatten, fuhren gerade mit dem Mobiliar ab. „Mylady sind sicher, daß diese Schlafstätte den Anforderungen genügen wird?“ erkundigte sich der Butler und deutete auf das spartanisch einfache Bett. „Askese, Mr. Parker“, gab Lady Simpson zurück, „der Körper ist eine leere, unbedeutende Hülle. Was zählt, ist der Geist!“ „Wie Mylady meinen. Wenn es gestattet ist, möchte ich mich zurückziehen. Haben Mylady noch besondere Wünsche?“ „Nein, natürlich nicht, Mr. Parker.“ Agatha Simpson schüttelte abwesend den Kopf. „Wann darf ich das Abendessen servieren; Mylady?“ 6
„Überhaupt nicht“, entschied die Detektivin. „Bringen Sie mir einen Krug Wasser und ein paar Datteln!“ „Mylady?“ Parker glaubte an eine Sinnestäuschung. „Wasser und Datteln“, wiederholte Lady Agatha, „Sie haben schon richtig gehört. Ab sofort werde ich auf die Gifte dieser Zivilisation verzichten, und Sie sollten es ebenfalls tun.“ „Vielleicht später, Mylady.“ „Ich werde nur noch vegetarisch leben“ versprach die ältere Dame. „Ich werde mich schon hier dem neuen und besseren Leben verschreiben.“ „Wann, wenn man fragen darf, werden Mylady die Fahrt nach Indien antreten?“ „Das entscheidet allein der Erleuchtete“, lautete die Antwort der Agatha Simpson. „Bevor ich meine Reise in das Zentrum der Versenkung antreten werde, muß ich meinen irdischen Besitz noch auflösen.“ „Mylady gedenken zu verkaufen?“ „Um neuen Mammon zu erlangen? Nein, Mr. Parker, das würde der Erleuchtete niemals gestatten. Ich werde alles verschenken!“ „Mylady haben sicher bereits bestimmte Vorstellungen, wer beschenkt werden soll?“ „Aber natürlich“, antwortete die Sechzigjährige. „Ich werde meinen irdischen Besitz dem Erleuchteten ausliefern. Er allein weiß, was damit geschehen soll.“ „So etwas hatte ich mir fast schon gedacht“, murmelte der Butler. „Sagten Sie was, Mr. Parker?“ „Keineswegs, Mylady“. schwindelte Parker. „Mylady wollen für die Zukunft auch das Schreiben aufgeben?“ Der Butler spielte seiner Ansicht nach geschickt auf die Marotte der älteren
Dame an, einen Bestseller zu verfassen. , Bisher war sie stets der Ansicht gewesen, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen zu können. Doch über die erste Seite dieses geplanten Bestsellers war Lady Simpson nie hinausgekommen, aber sie liebte diesen frommen Selbstbetrug. „Ich werde schreiben“ gab sie zurück und schloß versonnen die Augen, als horche sie in sich hinein, „aber ich werde nur noch die Botschaft des Guru verkünden. Falls er es überhaupt erlaubt. Gehen Sie jetzt, mein Freund, ich möchte allein sein und meditieren!“ Parker wankte durch die Tür, schloß sie leise hinter sich und lehnte sich dann erschöpft gegen die Wand. Er war inzwischen nicht mehr fassungslos, er war erschüttert. Diesen grundlegenden Wandel hatte er nicht erwartet. Sie hatte ihn sogar ‚Freund’ genannt. Das hier war keine neue Marotte seiner Herrin mehr, das schien echt gemeint zu sein. Seiner bescheidenen Ansicht nach befand Mylady sich in höchster Gefahr. Er beschloß, dagegen etwas zu unternehmen. Sie mußte vor diesem Guru bewahrt werden. * „Mylady meditieren“, vermutete der Butler. Er befand sich zusammen mit Kathy Porter im Erdgeschoß des Hauses. Sie hielten sich in dem großen Wohnsalon auf und horchten auf das nachdrückliche Umherwandern in den oberen Räumen. Mylady marschierte seit geraumer Zeit durch ihre leeren Räume. „Sollte man nicht vielleicht den Hausarzt informieren?“ fragte Kathy bedrückt.
„Mylady könnte darauf möglicherweise unwillig reagieren“, sagte Parker. „Es ist nicht zu verkennen, daß Mylady genau weiß, was sie tut.“ „Aber so gründlich und schnell kann sich doch kein Mensch ändern“, wunderte sich Kathy und sah den Butler verzweifelt an. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, finden Sie nicht auch. Mr. Parker?“ „Mylady sucht die Erkenntnis seit einigen Wochen“, erwiderte Parker, „in dieser knappen Zeitspanne kann leider viel geschehen.“ „Glauben Sie, daß man sie unter Drogen gesetzt hat, Mr. Parker?“ „Man sollte diese Möglichkeit keinesfalls ausschließen. Miß Porter.“ „Wir müssen ihr Blut untersuchen lassen, Mr. Parker. Wir müssen endlich etwas tun.“ „Da möchte ich Ihnen voll und ganz beipflichten“, stimmte der Butler Myladys Sekretärin zu. „Wie ist sie eigentlich an diesen Guru geraten?“ wollte Kathy Porter wissen. „Ich hatte ja ein paar Tage Urlaub und weiß nicht, was wirklich vorgefallen ist.“ „Leider vermag ich diese Frage nicht zu beantworten“ sagte der Butler bedauernd. „Mylady läßt sich nicht in die Karten sehen, um bei diesem vielleicht etwas vulgären Bild zu bleiben. Mylady gab sich äußerst zurückhaltend, was diesen Punkt betrifft.“ „Glauben Sie wirklich, daß sie nach Indien zieht?“ „Myladys Entschlüsse sind leider, wie die Erfahrung gelehrt hat, recht fest.“ „Das Leben in der Klosterzelle eines Gurus wird sie doch umbringen.“
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„Vielleicht muß auch der Guru dran glauben“, hoffte der Butler freudig. „Mylady kann sehr irritierend wirken.“ „Wir werden sie natürlich nach Indien begleiten, nicht wahr?“ „Selbstverständlich“ beruhigte Parker die Gesellschafterin. „Man wird Lady Simpson, wenn auch aus gehöriger Entfernung, unter Sichtkontrolle halten.“ „Wissen Sie, was ich glaube, Mr. Parker?“ „Ich glaube es erraten zu können.“ „Dieser Guru will sie nur nach allen Regeln der Kunst ausnehmen, Mr. Parker. Er will ihr Vermögen an sich bringen.“ „Dieser Vermutung neige auch ich zu, Miß Porter.“ „Sollte man nicht herauszubekommen versuchen, wer dieser Guru ist?“ „Das ist bereits geschehen, Miß Porter. Die Ergebnisse hören sich leider wenig erfreulich an.“ „Er ist also ein Schwindler, den die Polizei kennt?“ „Das Gegenteil ist leider der Fall“, korrigierte Parker. „Der Guru stammt aus Labore und hat dort als eine Art regionaler Heiliger gewirkt. Er kam vor einem halben Jahr nach London, um seine Botschaft an die Welt zu verkünden. Die Polizei hat keine Handhabe gegen ihn.“ „Sie wandert nicht mehr herum“, stellte Kathy plötzlich fest und hob lauschend den Kopf. Die junge Dame hatte sich nicht verhört. Lady Simpson hatte ihren Dauermarsch durch die leeren Räume beendet. „Dann wird es gleich passieren“, murmelte der Butler. „Was wird passieren?“ wollte Kathy neugierig wissen. „Es wird sich erweisen, daß Mylady mit dem schmalen Bett nicht zurechtkommt“, 8
prophezeite der Butler. Womit er nicht unrecht hatte, wie sich hören ließ. Sein Satz war noch nicht ganz beendet, als man aus dem oberen Schlafraum ein Krachen und Bersten hörte. „Du lieber Himmel“, stieß Kathy überrascht hervor. „Ich habe mir erlaubt, das Bett ein wenig zu präparieren“, gestand der Butler verschämt. „Ich wollte Mylady demonstrieren, wie anstrengend Askese sein kann.“ „Sie ... Sie reagiert nicht“, sagte Kathy ungläubig, „normalerweise müßte man jetzt doch ihre Stimme hören. Ob ihr etwas passiert ist?“ „Sie erschrecken mich. Miß Porter. Man sollte tatsächlich nachsehen.“ Sie gingen ziemlich eilig über die Treppe nach oben und öffneten vorsichtig die Tür. Durch den schmalen Spalt konnten sie in das ausgeräumte Schlafzimmer sehen. Parker war ehrlich erschüttert. Agatha Simpson lag neben den Trümmern ihres schmalen Behelfsbettes auf dem nur kaum gefüllten Strohsack, hatte die Augen geschlossen und machte einen geistesabwesenden, wenn auch offensichtlich glücklichen Eindruck. Das „Kloster der inneren Sammlung“ war das Ziel von Kathy Porter, die gerade den Wagen des Butlers verlassen hatte. Sie waren zusammen nach Wimbledon gefahren, um dem Guru einen nächtlichen Besuch abzustatten. Die große Backsteinvilla in dem parkähnlichen Garten zeigte kein Licht. Die Bewohner des ,Klosters’ schienen fest zu schlafen. Dennoch kamen dem Butler Bedenken, als er das Haus beobachtete. Sein stets wacher Instinkt meldete Bedenken an. Er hatte den Eindruck, daß
drüben hinter den Mauern einiges nicht stimmte. Das große Gebäude war zwar dunkel, doch es machte auf ihn einen gespannten und lauernden Eindruck. Dieses Haus schien ein Organismus zu sein, der lebte . . . Es war weit nach Mitternacht. In den angrenzenden Straßen herrschte kaum Verkehr. Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf, als Kathy Porter sich in Bewegung setzen wollte. Ihm gefiel dieses Unternehmen immer weniger. Er hatte große Bedenken, seine attraktive Schülerin in dieses Abenteuer zu schicken. Das ,Kloster der inneren Sammlung’ strömte eine Feindseligkeit aus, die Parker zu spüren glaubte. „Vielleicht sollten wir noch einen Moment warten“, sagte er und griff nach seinem kleinen Nachtsichtgerät, das entfernt an eine kurzläufige Schrotflinte erinnerte. Restlichtmengen der Nacht wurden in diesem Gerät elektronisch verstärkt und schufen ein erstaunlich gutes und klares Bild, obwohl die Augen allein kaum etwas am Haus entdecken konnten. „Der äußere Eindruck müßte meine Zweifel eigentlich zunichte machen“, sagte Parker, der die Fenster der Villa absuchte und sich dann auf den großen Park konzentrierte. „Befürchten Sie einen Zwischenfall?“ erkundigte sich Kathy, die einen erstaunlich gelassenen Eindruck machte. „Leider vermag ich meine Befürchtungen nicht zu konkretisieren“, erwiderte Parker in seiner gewohnt einfachen Weise. „Mein Gefühl sagt mir, daß wir dieses Unternehmen aufgeben sollten, mein Verstand hingegen, daß es gilt, Informationen zu sammeln.“
„Ich werde es versuchen“, entschied Kathy, als der Butler sein Nachtsichtgerät weglegte. „Ich nehme ja schließlich den kleinen Sender mit, Mr. Parker.“ „Ein zweifelhafter Rettungsanker“, unkte der Butler. „Besser als nichts.“ Kathy wollte nicht länger warten. Sie schaltete den winzig kleinen Sender ein, mit dem Parker sie ausgerüstet hatte Dann nickte sie ihm noch mal zu und überquerte die Straße. Innerhalb weniger Sekunden war sie bereits in der Dunkelheit verschwunden. Kathy Porter trug eng anliegende Jeanshosen und einen schwarzen Pulli. In ihrem BH befand sich der Minisender, ein äußerst leistungsfähiges Gerät, das aus der Bastelstube des Butlers stammte. Es sollte alles übertragen, was Kathy zu melden hatte. Im Moment aber waren nur ihre Herztöne zu hören. Sie kamen aus dem Autoradio, das Parker eingeschaltet hatte. Dieses Radio diente ihm als Empfänger und sorgte für einen ausgezeichneten Ton. Kathys Herztöne kamen sauber und rein. An ihnen war abzulesen, daß sie nicht die Spur erregt oder ängstlich war. Zwischendurch war immer wieder ihre leise Stimme zu vernehmen. Sie gab ihre jeweiligen Positionen durch und informierte den Butler darüber, wo sie sich gerade aufhielt. Parker hatte das Nachtsichtgerät wieder eingeschaltet und beobachtete seine begabte Schülerin. Kathy Porter befand sich bereits auf dem Gelände seitlich neben der großen Backsteinvilla und gab jetzt durch, daß sie zur Rückseite überwechseln würde. Die junge Dame sagte gerade noch, daß alles in bester Ordnung sei, als plötzlich ein hastiges Atmen zu hören war, als habe sie eine überraschende Entdeckung gemacht. Bruchteile von Sekunden später war das 9
schnelle Pochen ihres Herzens besser zu hören als ihr Atem. Dann knackte es im Empfänger, es folgte ein erstickter Aufschrei und dann nichts mehr. Kathy Porter schien eine unfreiwillige Sendepause eingelegt zu haben, was dem Butler aber gar nicht paßte. Sein Schützling mußte von einer Entdeckung jäh überrascht worden sein. * Als sie wieder zu sich kam, schmerzte ihr Genick. Kathy Porter wußte nicht, was passiert war. Sie rieb sich unwillkürlich die schmerzende Stelle im Nacken und brauchte einige Zeit, bis sie wieder klar denken konnte. Sie erinnerte sich jetzt dunkel. Irgendein jäher Schlag hatte sie getroffen, ein Schlag, mit dem sie wirklich nicht rechnen konnte. Sie richtete sich auf und versuchte sich zu orientieren, doch um sie herum war nichts als Dunkelheit. Erst mit einiger Verspätung wurde ihr klar, daß es ungewöhnlich warm und heiß war. Die feucht-heiße Luft erinnerte sie an die Atmosphäre in einem Zoo-Exotarium. Ja, das war es! Diese feucht-schwüle Luft hatte in dem großen Kuppelbau geherrscht, in dem Krokodile hausten. Unwillkürlich hielt Kathy Porter den Atem an, lauschte in die schreckliche Dunkelheit und sehnte sich förmlich nach einem Geräusch. Doch da war nichts Oder doch? Plötzlich glaubte sie ein scharrendes Schleifen zu hören. Rasch zog sie die Beine an und merkte erst jetzt, daß sie auf nacktem, feuchtem Zement saß. Dann hörte sie von irgendwoher ein stetiges Wasser tropfen. Es kam wahrscheinlich aus großer Höhe 10
und explodierte förmlich, wenn es den Boden erreichte. Kathy zog die Beine noch enger an den Körper und merkte auch, daß man ihr die Jeans und den Pulli ausgezogen hatte. Sie trug nur noch ihren knappen Slip und den BH. Ihr Rücken lehnte gegen eine raue Zementwand, die mit einem feuchten, schleimigen Film überzogen war. Panik erfaßte sie plötzlich. Es war ihr vollkommen gleichgültig, wer sie niedergeschlagen und ausgezogen hatte. Sie wollte nur wissen, wo sie sich befand. Das scharrende Schleifen war nämlich inzwischen lauter geworden. Kathy konnte nicht feststellen, woher es kam und was es verursachte. Doch dieses Geräusch erinnerte sie unwillkürlich an ein Exotarium und gleichzeitig an Krokodile. Sie redete sich plötzlich ein, man könnte sie in solch ein Exotarium geworfen haben. Pirschten sich da nicht einige dieser Panzerechsen an sie heran? Nur mit äußerster Mühe unterdrückte sie einen Schrei. Sie biß sich auf die Lippen und zwang sich zur Ruhe. Sie durfte jetzt nicht durchdrehen und verrückt spielen, sonst war es um sie geschehen. Vielleicht hatten es diejenigen, die sie überrascht hatten, nur darauf abgesehen, sie in eine Panik zu lotsen? Vielleicht war das hier nur geschickt inszeniertes Theater? Vielleicht wollte man sie nur psychisch terrorisieren? Natürlich dachte Kathy Porter gerade in diesen Augenblicken der Angst an einen gewissen Butler Parker. War er bereits unterwegs, um sie aus dieser schrecklichen Lage der Ungewissheit zu befreien? Er mußte inzwischen doch wissen, was mit ihr passiert war? Einem Josuah Parker konnten solche Dinge unmöglich entgangen sein. Bisher hatte
sie sich immer noch auf ihn verlassen können. Die Dunkelheit war schrecklich. Wenn es doch nur ein Fünkchen Licht gegeben hätte! Das schleifende Scharren war schwächer geworden. Oder hatte sie sich nur geirrt? Nein, es wurde sogar lauter und noch peinigender. Irgendwo in der Dunkelheit war das Plantschen von Wasser zu hören. Fauliger Geruch von Wasser wehte heran und nahm ihr fast den Atem. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Man hatte sie während ihrer Ohnmacht in ein Exotarium geschafft und wollte sie den Krokodilen zum Fraß vorwerfen. Kathy kniete hoch, richtete sich auf und preßte ihren nackten Rücken fest gegen die raue, feuchte und glitschige Betonwand. Mit beiden ausgebreiteten Armen und Händen tastete sie die Mauer ab und riskierte einen ersten Schritt nach links zur Seite, dann einen zweiten und schließlich einen dritten. Doch das war bereits zuviel. Sie rutschte mit dem nackten Fuß ab, konnte sich nicht mehr halten, suchend warf sie die Arme nach vorn schrie entsetzt auf und ... stürzte. Haltsuchend warf sie die Arme nach vorn und landete eine Sekunde später im aufspritzenden Wasser, das über ihrem Kopf zusammenschlug. Prustend und nach Luft schnappend kam sie wieder an die Oberfläche, suchte mit den Füßen Grund, mußte schwimmen, wenn sie nicht erneut untergehen wollte und wagte es nicht, einen energischen Schwimmstoß zu unternehmen. Absolute Dunkelheit zerrte an ihren Nerven, als ein fremdartiges Plantschen ganz in ihrer Nähe erfolgte. Bruchteile von Sekunden später spürte sie etwas
Scharfkantiges an ihrem rechten Fuß. Kathy Porter schrie wie besessen ... * Butler Parker hütete sich, im Galopp hinüber in den großen Garten zu rennen, nachdem er über den Sender den erstickten Aufschrei gehört hatte. Spontane Handlungen waren noch nie sein Fall gewesen. Bevor er etwas tat, pflegte er gründlich zu überlegen. Er kam deshalb zu dem Schluß, daß man ihn mit größter Wahrscheinlichkeit bereits sehnsüchtig drüben erwartete. Ihm war klar, daß man ihn genau wie Kathy beobachtet hatte. Die Falle war gestellt, er brauchte nur noch in sie hineinzutappen. Nun, er fand eine andere und wohl auch bessere Lösung. Parker hatte bereits seine Gabelschleuder in der Hand, ein ungemein leistungsstarkes Gerät, mit dem sich große Entfernungen geräuschlos überbrücken ließen. Aus dem Handschuhfach seines Wagens hatte er eine flache Blechschachtel geholt und geöffnet. Sie enthielt eine Spezialmunition, die natürlich auch aus seiner privaten Bastelstube stammte. Parker entschied sich für ein Geschoß, das etwa taubeneigroß war. Er legte es in die breite Lederschlaufe, strammte die beiden Gummistränge und katapultierte dieses seltsame Geschoß dann hinüber zum Kloster der inneren Sammlung’. Das Ergebnis war erstaunlich und konnte sich im wahrsten Sinn des Wortes hören lassen. Nach dem Aufprall löste sich eine Sperre in dem Ei und produzierte ein geradezu ohrenbetäubendes Sirenengeheul, das man unmöglich überhören 11
konnte. Parker nickte äußerst zufrieden. Genau diesen Effekt hatte er beabsichtigt. Er begnügte sich keineswegs mit diesem einzigen Geräusch-Ei. Da er noch über zwei weitere Sirenen verfügte, plazierte er auch sie noch am Haus. Innerhalb weniger Sekunden herrschte ein derartiger Lärm, daß selbst Parker sich ein wenig gepeinigt die Ohren zuhielt. Die Stille der Nacht war empfindlich gestört. In der engeren und weiteren Nachbarschaft wurden Fenster aufgerissen und Licht eingeschaltet. Parker durfte davon ausgehen, daß man inzwischen bereits die Polizei informiert hatte. Bis zu ihrem Eintreffen konnte es nicht mehr lange dauern. Um den nächtlichen Ärger noch ein wenig anzuheizen, verschoß der Butler mit besagter Zwille zwei weitere Toneier. Diesmal beförderte er die Geschosse durch ein Fenster ins Innere der Villa. Sekunden später quollen aus dem zerbrochenen Glas pechschwarze Rauchwolken, die einen mittelschweren Zimmerband vortäuschten. Um das alles ein wenig aufzuhellen und auch optisch sichtbar werden zu lassen, vergeudete der Butler abschließend eine Lichtbombe. Sie war nicht größer als ein Gänseei. Als diese Lichtbombe im Garten zerplatzte, schien die Sonne aufzugehen. Greller Lichtschein breitete sich aus und ließ die pechschwarzen Rauchwolken besonders gut erkennen. In der Villa war inzwischen das Licht eingeschaltet worden. Der ,Erleuchtete’ im ,Kloster der inneren Sammlung’ schien seine nächtlichen Meditationen abrupt beendet zu haben. Dieser lautstarke Wirbel paßte dem Guru unmöglich in den Kram. Die Bewohner der Villa konnten 12
sich leicht ausrechnen, daß die Polizei gleich erschien. Nun, sie brauchten tatsächlich nicht lange zu warten. Es fuhren gleich drei Streifenwagen vor, deren Insassen einen unbritischen, aufgeregten Eindruck machten, was aber wohl mit dem schrillen Sirenengeheul zusammenhing. Die Polizisten rannten auf die Villa zu, registrierten die aus dem Fenster quellenden, schwarzen Rauchwolken und alarmierten vorsichtshalber die Feuerwehr. Parker war rundherum zufrieden und schien sicher, daß Kathy Porter im Moment nichts passierte. Die Polizisten verschwanden im Haus und suchten nach der Quelle des vermeintlichen Brandes. Josuah Parker suchte natürlich mit. Er fiel überhaupt nicht auf, denn er trug die Kleidung eines Butlers. Die Polizisten kamen überhaupt nicht auf den Gedanken, ihn für einen Fremden zu halten, so gemessen und selbstsicher bewegte sich Josuah Parker. Sein Trick hatte sich ausgezahlt. Ihm war es gelungen, ganz offiziell in den ,Tempel der inneren Erleuchtung’ zu kommen und stand dabei sogar noch unter Polizeischutz, wovon die Vertreter der Behörde allerdings nichts ahnten. Parker konnte sich im Haus umsehen, was er von vornherein beabsichtigte. Eine Minute später stand der Butler dem .Erleuchteten’ gegenüber. Er hatte den Guru bisher zwar, noch nicht gesehen, doch er wußte sofort, daß es sich nur um ihn handeln konnte. Der Weise aus dem Osten hatte etwa Parkers Größe und trug ein mit Drachen besticktes Gewand, das die Körperlinien verhüllte. Und der Weise sah gar nicht friedlich oder milde aus.
Seine Augen sprühten vor Zorn. Er wußte wahrscheinlich sehr genau, wem er diesen nächtlichen Trubel zu verdanken hatte. „Die Weisheit der Einsicht möge über Sie kommen, Erleuchteter“, begrüßte Parker den Guru. „Sie ahnen wahrscheinlich, daß ich Miß Porter abholen möchte. Sie muß sich in Ihrem Tempel, nun, sagen wir, ein wenig verirrt haben. Helfen wir gemeinsam dem armen Kind zurück auf den Pfad der Erkenntnis!“ Die Blicke des Guru waren wie scharf geschliffene Dolche, die er auf den Butler schleuderte. Diesmal aber holte der Guru sie nicht zurück. In seinen Augen stand nackter Mord, doch er konnte im Moment nichts machen. Parker hatte den ‚Erleuchteten’ überlistet. * Der Guru gab sich nicht geschlagen. „Man wird sie nicht finden“, sagte er, wobei sein hartes Englisch noch härter klang als sonst. „Es widerstrebt mir ungemein, Ihnen widersprechen zu müssen“; antwortete der Butler gemessen, „aber ich bin sicher, daß Sie sich irren. M. Ghandari.“ „Sie kennen bereits meinen bürgerlichen Namen?“ Der Guru lächelte spöttisch. „Nur Informationen aus zweiter Hand“, sagte der Butler, „aber schweifen wir nicht unnötig vom Thema ab, wenn Sie erlauben. Sie erinnern sich hoffentlich. Ich möchte Miß Porter abholen!“‘ „Man wird sie nicht finden. Aber sie schwebt in Lebensgefahr, wenn Sie. nicht bald gehen.“ „In Lebensgefahr?“ „Jede Minute ist kostbar.“ „Und was haben Sie mit Miß Porter vor, Mr. Ghandari?“
„Wissen wir, was die Zukunft bringen wird?“ fragte der ,Erleuchtete’ und sah den Butler spöttisch an. Es war eine groteske Situation. Im Haus, in dem eine wahre Invasion von Polizisten und Feuerwehrleuten stattfand unterhielten sich diese beiden Männer, als seien sie allein auf weiter Flur. „Ihre Zukunft, Mr. Ghandari, glaube ich einschätzen zu können“, meinte Josuah Parker höflich, wie es seiner Art entsprach. „Ich muß sie, um offen zu sein, als düster bezeichnen.“ „Täuschen Sie sich da nicht ein wenig?“ „Falls Miß Porter etwas zustoßen sollte, werden, Sie ihr wahrscheinlich ins Nirwana folgen, um bei Ihrer Ausdrucksweise zu bleiben.“ „Übernehmen Sie sich da nicht ein wenig?“ Der Guru schnalzte mit der Zunge, und schon erschienen zwei seiner Vertrauten auf der Bildfläche. Es handelte sich um stämmige, junge Männer, die in weiße Umhänge gehüllt waren. Sie machten einen sehr handfesten Eindruck, zeigten aber keine Waffen. „Suchen wir also Miß Porter auf“, schlug der Butler vor und hob die Spitze eines Kugelschreibers, mit dem er bisher absichtslos gespielt hätte. „Sie langweilen mich“, gestand der Guru. „Sie erlauben, daß ich dagegen etwas unternehme“, erwiderte Josuah Parker höflich und ... drückte auf den Halteclip des Kugelschreibers. Das Resultat dieser Bewegung war erstaunlich. Nur ein feines Zischen war zu hören, als sei irgendwo in der Nähe Preßluft entwichen. Was übrigens vollkommen stimmte, wie sich entsprechend zeigte. Die entweichende Preßluft drückte durch die Spitze des von Parker konstruierten Kugelschreibers eine 13
wasserklare Flüssigkeit auf das Gesicht des zu Recht erstaunten Guru. Der ,Erleuchtete’ fühlte sich Bruchteile von Sekunden danach nicht mehr wohl. Er riß beide Hände vor die Augen und rieb sie. Dazu stieß er keuchende Töne aus, die auf einen leichten Schmerz hindeuteten. Die beiden Halberleuchteten neben dem Guru wollten sich auf Parker werfen, doch er stoppte sie mit einer energischen Handbewegung. „Lassen Sie gefälligst diesen Unsinn“, hauchte der Butler sie energisch an. „Wollen Sie unbedingt, daß Ihr Herr und Meister erblindet? Wenn er nicht schleunigst das Gegenmittel erhält, fürchte ich um seine Sehstärke.“ Der Butler präsentierte ihnen das Gegenmittel. Es handelte sich um eine offensichtlich dünnwandige Glasampulle, die eine rosa Flüssigkeit enthielt. „Ich werde das Gegenmittel vernichten, falls Miß Porter nicht innerhalb von fünf Minuten hier erscheint“, setzte der Butler seinen Gesprächspartnern kühl auseinander. „Ich hoffe, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben.“ Und ob sie ihn verstanden hatten! „Holt sie“, stöhnte der Guru, „schnell, beeilt euch! Holt die Frau! Worauf wartet ihr noch?“ „Ich wußte gleich, daß Sie ein einsichtsvoller Mensch sind“, lobte der Butler den Guru. „Nicht umsonst sind Sie ja erleuchtet!“ * Als das Licht aufflammte, schloß Kathy Porter geblendet die Augen. Sie hörte Schritte und leise Stimmen und fühlte, 14
daß harte Hände nach ihren Armen griffen. Sekunden später zogen diese Hände sie aus dem warmen Wasser und hoben sie auf. Kathy riskierte einen ersten Blick, erkannte aber nicht viel, denn sie wurde bereits aus dem niedrigen Keller hinausgetragen. Die junge Dame bekam gerade noch mit, daß dieser Raum wahrscheinlich ein eingebautes Schwimmbecken besaß. Sie stellte darüber hinaus fest, daß aus diesem Wasser langrankige fleischige Pflanzen wucherten, die an den nackten Betonwänden emporwuchsen. Dann schloß sich leider eine schwere Tür, die fast fugenlos in die Wand zurückglitt. Eine stark parfümierte Hand legte sich über ihre Augen und nahm ihr jede Sicht. Kathy wehrte sich nicht dagegen. Sie war froh und dankbar, daß man sie aus diesem schrecklichen Keller herausgeholt hatte. Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Nach wenigen Augenblicken wurde sie auf einen Stuhl gedrückt. Die Hand gab ihre Augen wieder frei, Kathy schaute sich neugierig um. Sie befand sich in einem Kellerraum, der wie ein kleines Sport- und Fitnesszentrum eingerichtet war. Es gab da eine Sprossenwand, ein Trockenrudergerät, dicke Ledermatten auf dem Boden und zwei Standfahrräder. Im Hintergrund entdeckte sie eine geöffnete Tür, die in eine größere Gemeinschaftssauna füllte. Kathy musterte die beiden Männer, die vor ihr standen. Sie waren jung, stämmig und hatten erstaunlich sanftmütige Gesichter. Die Augen in diesen Gesichtern waren jedoch hart und verrieten Rücksichtslosigkeit. „Los, ziehen Sie sich an“, sagte einer der beiden Männer und drückte ihr die Jeanshose und den Pulli in der Hand.
„Wenn Sie oben Krach schlagen, wird Ihr Butler das gar nicht gern haben“, meinte der zweite Mann. Kathy nickte, stand auf und streifte sich die Jeans und den Pulli über. Dabei sah sie sich verstohlen in dem Trainingsraum um und versuchte herauszubekommen, wo der Zugang zu dem stickig-heißen Schwimmbecken war. Sie entdeckte nichts, bis sie endlich eine dünne Wasserspur auf den dicken Ledermatten ausmachte. Diese führte direkt in die Sauna hinein. Natürlich ließ sich Kathy Porter nichts anmerken. Nachdem die junge Dame sich angekleidet hatte, ließ sie sich von den beiden Jüngern des Guru hinauf ins Erdgeschoß bringen. Sie war fest entschlossen, diesen Keller irgendwann noch mal aufzusuchen. Und sie spekulierte darauf, sich für die erlittene Angst zu revanchieren. Kathy war, wenn es sich ergab, recht nachtragend. * „Ich werde mich von Ihnen trennen“, sagte Lady Simpson sanft und mild. „Armut und Bedürfnislosigkeit vertragen sich nicht weiter mit meiner bisherigen Lebensauffassung.“ Die ältere, sonst so streitbare Dame trug eine Art Büßerhemd aus grauem Nesselstoff. Sie befand sich im großen, salonartigen Wohnraum ihres Hauses, sah Parker und Kathy Porter heiter an und schüttelte den Kopf, als der Butler ihr das hereingebrachte Frühstück servieren wollte. „Keine Schlemmereien mehr“, sagte sie dann und lächelte verzeihend.
„Gewiß nicht, Mylady“, gab der Butler zurück. „Ich habe mir nur erlaubt, einige Dattelsorten zu besorgen. Das Wasser habe ich sicherheitshalber entchlort, wie ich zusätzlich bemerken möchte.“ Während der Butler noch redete, hob er die silberne Wärmehaube der Platte ab und präsentierte seiner Herrin einige ausgesuchte Datteln. Um die Eintönigkeit dieser Morgenspeise ein wenig zu durchbrechen, hatte er um die Früchte herum noch einige rohe Möhren und etwas Frischobst dekoriert „Sehr nett, Mr. Parker“, kommentierte Agatha Simpson diesen festlichen Sehmaus, wobei sich wider Willen ihre kräftige Nase krauste. „Das Wasser ist selbstverständlich nicht geeist“, verkündete der Butler weiter. „Schon gut, schon gut.“ Lady Simpson nickte ein wenig unwillig, stand auf und ignorierte das von ihr gewünschte Frühstück. „Bleiben wir bei meinem Entschluß! Wir werden uns trennen müssen...“ „Mylady wollen umgehend Indien aufsuchen?“ erkundigte sich Parker, ohne sich aus seiner sprichwörtlichen Ruhe bringen zu lassen. „Möglichst schnell“, sagte sie, „natürlich habe ich hier noch einige geschäftliche Dinge abzuwickeln, aber das wird sich in einigen Wochen regeln lassen.“ „Eine Trennung würde ich ungemein bedauern“, meinte Parker und deutete eine Verbeugung an. „Sie bekommen selbstverständlich eine entsprechende Entschädigung“, sagte die ältere Dame, um sich dann Kathy Porter zuzuwenden, „und Sie, Kindchen, werden mit dem Startkapital ebenfalls zufrieden sein. Sie werden sich damit eine neue Existenz aufbauen können.“ 15
„Wenn ich darf, würde ich Sie gern nach Indien begleiten, Mylady“, antwortete Kathy Porter, der man das nächtliche Erlebnis überhaupt nicht ansah. „Dazu bedarf es erst der inneren Sammlung und Umkehr“, mahnte die Sechzigjährige eindringlich, aber mild. „Vielleicht sehen wir uns eines Tages tatsächlich mal wieder, Kindchen.“ „Und wann möchten Mylady sich von meiner bescheidenen Person trennen?“ fragte der Butler, präziser werdend. „Noch heute, Mr. Parker“, entschied die Detektivin. „Das Suchen einer neuen Wohnstätte wird einige Zeit in Anspruch nehmen, denke ich.“ ..Ich werde für Sie ein Hotelzimmer reservieren“, versprach Agatha Simpson. „Das gilt auch für Sie, Kathy. Ich kann nur hoffen, daß auch Sie beide bald vom Baum der Erkenntnis naschen werden. Lassen Sie ab von allem Tand dieses irdischen, unwichtigen Lebens, suchen Sie die Wahrheit hinter den letzten Dingen, entlarven Sie die Lüge und den falschen Anspruch, meine Lieben!“-. „Sehr wohl, Mylady“, antwortete Parker gemessen. „Miß Kathys und meine Entlassung stehen nicht im Zusammenhang mit einem nächtlichen Intermezzo?“ „Es wäre so oder so zu einer baldigen Trennung gekommen“ antwortete die ältere Dame, ohne sich festlegen zu lassen. „Unsere Wege trennen sich, Mr. Parker, weil ich meiner inneren Stimme gehorchen werde.“ „Legen Mylady ab sofort keinen Wert mehr auf Betreuung?“ fragte Parker. „Das ist es“, erklärte Agatha Simpson. „In einer Stunde werde ich das Haus hier verlassen.“ 16
„Um in das ,Kloster der inneren Sammlung’ überzuwechseln, Mylady?“ schaltete Kathy Porter sich bestürzt ein. „So ist es, Kindchen“, lautete die kategorische Antwort. „Ich werde mich in die Bereiche des Friedens und der Stille zurückziehen.“ „Und was wird aus dem Haus hier, Mylady?“ „Es wird verkauft“, entschied Agatha Simpson. „Was soll ich noch mit diesem Ballast? Besitz macht nur unfrei.“ Als Kathy Porter und Josuah Parker den großen Wohnsalon verließen, um ihre Koffer zu packen, näherte sich die Hausherrin vorsichtig den Datteln, die Parker serviert hatte. Sie schien tatsächlich fest entschlossen zu sein, sie zum Frühstück zu verzehren. * Butler Parker wollte es einfach nicht glauben. Er stand zusammen mit Kathy Porter neben seinem hochbeinigen Privatwagen, den er am Straßenrand geparkt hatte. Von hier aus konnten sie den kleinen Platz beobachten, an dem Lady Simpsons Haus stand. Die Besitzerin zog tatsächlich aus! Seit dem Gespräch am Morgen waren etwa anderthalb Stunden verstrichen. Und schon jetzt verließ die ältere Dame ihr wunderschönes, altes Fachwerkhaus und stieg in einen schäbigen VW-Transporter, der vor dem Eingang stand. Sie meinte es ernst mit ihrer Absicht. Agatha Simpson nahm so gut wie kein Gepäck mit. Sie schien sich ganz der angekündigten Bedürfnislosigkeit verschrieben zu haben und hatte nur eine große Reisetasche bei sich die sie einem
der beiden jungen Männer übergeben hatte. „Es sind die beiden aus der Villa“, stellte Parker fest. „Haben Sie sie erkannt, Miß Porter?“. . „Eindeutig“, antwortete Kathy und schüttelte den Kopf, als der VW-Transporter sich in Bewegung setzte. „Sie holten mich aus dem Tropenkeller.“ „Insgesamt eine Entwicklung, die mich immer wieder erneut verblüfft“, meinte der Butler würdevoll und schaute dem Transporter nach, der den kleinen Platz bereits verlassen hatte. „Mylady geben sich ungewöhnlich konsequent.“ „Aber sie muß doch spüren, daß sie ausgemachten Gaunern in die Hände gefallen ist“, wunderte sich Kathy Porter. „Mr. Ghandari scheint über bemerkenswerte Fähigkeiten zu verfügen, Miß Porter.“ „Denken Sie an Hypnose?“ „Auch das, Miß Porter“, gab der Butler zurück, „an Hypnose und Drogen. Myladys bisherige Urteilskraft scheint nachhaltig untergraben worden zu sein.“ „Und was werden wir jetzt tun, Mr. Parker?“ „Ich halte es für richtig, zuerst mal jenes Hotel aufzusuchen, das Mylady uns angewiesen hat, Miß Porter.“ „Damit ist aber doch nichts erreicht. Wir sollten vielleicht die Behörden alarmieren. Lady Simpson hat doch einflußreiche Freunde in fast sämtlichen Ministerien. Die müssen sich einschalten, Mr. Parker. Man darf nicht zulassen, daß Lady Simpson ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans.“ „Man wird sich in der Tat einiges überlegen müssen, Miß Porter. Zuerst sollte man wohl feststellen, wohin man Lady Simpson zu bringen gedenkt.“
„Hoffentlich landet sie nicht in diesem scheußlichen Keller, Mr. Parker.“ „Daran glaube ich nicht, Miß Porter. Mylady wird schließlich noch gebraucht, bis alle geplanten Eigentumsüberschreibungen getätigt worden sind.“ „Und danach?“ „Danach wird Mylady ihre Reise nach Indien antreten und dort wahrscheinlich verscheiden.“ „Ich glaube auch, daß man sie früher oder später umbringen wird, Mr. Parker.“ Kathy Porter war völlig aus dem Häuschen, was bei ihr selten vorkam. Aber Lady Simpson war für sie schließlich mehr als nur eine Arbeitgeberin. Sie fühlte sich der älteren Dame menschlich tief verbunden. Parker öffnete gerade den Wagenschlag, um Kathy Porter einsteigen zu lassen, als er sich plötzlich noch steifer aufrichtete als sonst. Der Butler beobachtete den kleinen Platz, an dem Lady Simpsons Haus lag. Dort war gerade ein luxuriöser Bentley aufgetaucht, der genau vor dem Eingang stoppte. „Der Guru“, stellte Parker fast erfreut fest. „Der ,Erleuchtete’ scheint seinen neuen Besitz in Augenschein zu nehmen.“ „Bitte, Mr. Parker, könnten Sie diesem Schwindler nicht wenigstens eine kleine Lektion erteilen?“ bat Kathy Porter eindringlich, ja, fast schon beschwörend, „vielleicht ein Blasrohrpfeil in den Rücken? Oder eine Tonmurmel an den Hinterkopf? Irgend etwas, was ihn unsicher macht!“ „Gäbe ich meinem Gefühl nach, Miß Porter, wäre das bereits geschehen“, antwortete der Butler, „aber der Verstand rät mir dringend davon ab. Der Guru sollte vorerst nicht unnötig gestört 17
werden. Das wird ihn in Sicherheit wiegen.“ Nein, sie konnten von dem kleinen Platz aus nicht gesehen werden. Josuah Parker und Kathy Porter standen hinter dem parkenden Wagen und waren nicht einzusehen. Der Guru, der ein schneeweißes, wallendes Gewand trug, marschierte bereits auf den Eingang zu. Er trat zur Seite und wartete, bis sein Sekretär die Haustür geöffnet hatte. Wenig später verschwand er zusammen mit dem schmalen, fast dürren Mann in dem Fachwerkhaus. Parker hatte sein Fernglas aus dem Handschuhfach des hochbeinigen Monstrums geholt und beobachtete die Fenster des Hauses. Zwischendurch gab er einige Erklärungen, die sich auf die Position des Guru bezogen. „Er ist jetzt im Wohnsalon“, sagte Parker, „er interessiert sich ungemein für die Gemälde neben dem Kamin. Jetzt verläßt er den Salon und wird sich wohl hinauf ins Obergeschoß bemühen. Richtig, da erscheint er im Treppenhaus. Wie ich vermutet habe, Miß Porter, nun inspiziert der ,Erleuchtete’ das Obergeschoß. Er scheint sich mit einer pauschalen Begehung begnügen zu wollen.“ Es dauerte etwa eine Viertelstunde, bis der ,Erleuchtete’ wieder vor dem Haus erschien und sich in den Bentley setzte. Der Guru machte einen zufriedenen Eindruck, wie Parker durch die Optik genau feststellen konnte. Der Wunsch, diesem Gauner eines auszuwischen, wurde fast übermächtig in ihm. Er griff bereits nach seinem Universal-Regenschirm, der mehr war als nur ein Schutz gegen Regentropfen. Mit 18
ihm ließen sich seltsame, aber auch sehr wirkungsvolle Geschosse abfeuern. „Ist Ihnen etwas aufgefallen?“ erkundigte sich Kathy Porter in diesem Augenblick. Sie machte einen aufgekratzten Eindruck und vibrierte vor Spannung. „Ich muß leider bekennen, nicht ganz bei der Sache gewesen zu sein“, antwortete der Butler. „Der Guru hat nur das eigentliche Haus besichtigt“ setzte Kathy Porter nach, „nicht aber die beiden angrenzenden Häuser. Ob er gar nicht weiß, daß sie miteinander in Verbindung stehen?“ „Dafür, Miß Porter, verdienten Sie durchaus einen scheuen Kuß der Dankbarkeit“, sagte Parker und nickte nachdrücklich. „Diese Tatsache läßt hoffen, falls sie nicht auf einem dummen Zufall beruhen sollte.“ * Es handelte sich um ein zwar kleines, aber durchaus gediegenes Hotel in der Nähe des Hyde Park. Wie Lady Simpson angekündet hatte, waren zwei Hotelzimmer reserviert und vorausgezahlt worden. Diese Einzelheit erfuhren Butler Parker und Kathy Porter, als sie an der Rezeption nach ihrer Buchung fragten. „Die Räume wurden für vier Wochen fest gebucht“, sagte der Portier hinter der Anmeldetheke. „Und dann ist auch hier ein Schreiben für Sie, Mr. Parker. Ich soll es Ihnen sofort nach Ihrer Ankunft überreichen.“ Parker nahm den Doppelbrief entgegen und ging mit Kathy Porter in den kleinen Aufenthaltssalon neben der Rezeption. Er öffnete den Brief und stieß zuerst auf zwei Schecks, die er verblüfft betrachtete.
„Sie erlauben, Miß Porter“, sagte er, ihr die beiden Schecks reichend, „Sie erlauben, daß ich ein wenig stutze.“ „Du lieber Himmel!“ Kathy hatte einen Blick auf die Summen geworfen und schnappte nach Luft. „Fünfzigtausend Pfund für Sie und für meine bescheidene Wenigkeit“, stellte Parker fest. „Das ist wenn ich es so sagen darf, ein recht beträchtliches Legat.“‘ „Und was schreibt Lady Simpson dazu, Mr. Parker?“ „Der Brief ist ungewöhnlich kurz“, sagte der Butler. „Mylady wünscht, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit die Summe unmittelbar nach Erhalt des Briefes abheben. Mylady wünscht ferner, daß Sie und meine bescheidene Person die Suche nach der Wahrheit fortsetzen. Mylady versichert abschließend, daß man sich dereinst wieder zusammenfinden wird im Zeichen der Liebe und des Friedens.“ „Fünfzigtausend Pfund für jeden von uns“, wiederholte Kathy Porter noch mal kopfschüttelnd, „das ist ja ein Vermögen.“ „Sie sagen es, Miß Porter.“ Parker nickte bestätigend. „Laut Myladys Direktive soll das Geld sofort nach Erhalt dieses Briefes in bar abgeholt werden. Ich denke, man sollte es tun und die Summen erneut deponieren, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.“ „Sie will sicher verhindern, daß es in die Überschreibungsmasse kommt, nicht wahr?“ „Dieser Ansicht neige auch ich zu, Miß Porter. Falls Sie einverstanden sind, suchen wir die Bank auf.“ Parker und Kathy Porter verließen umgehend das Hotel und ließen das hochbeinige Monstrum auf dem Parkplatz
zurück. Sie hatten es nicht weit bis zur Bank. Hier erledigten sie die notwendigen Formalitäten, eröffneten zwei neue Konten und ließen die je fünfzigtausend Pfund transferieren und gutschreiben. Als Parker wieder an den Bankschalter trat, fiel sein Blick auf einen schmalen, asketisch aussehenden , Mann, der etwa fünfunddreißig Jahre alt war. Es handelte sich ganz eindeutig um einen Inder. Dieser Mann ließ sich an einem benachbarten Schalter von einem Bankangestellten etwas erklären, was Parker nicht verstand. Der Butler hatte jedoch den Eindruck, daß der Inder kaum zuhörte. Vielmehr beobachtete dieser schmale Asket sehr ausgiebig den Butler und Miß Porter. Er folgte ihnen, als sie zurück zum Hotel gingen. Auch Kathy Porter war inzwischen auf den Mann aufmerksam geworden. „Der Guru scheint uns überwachen zu lassen“, meinte sie, ohne sich natürlich nach dem Verfolger umzuwenden. „Er weiß in jedem Fall daß Mylady insgesamt hunderttausend Pfund ausgesetzt hat“, antwortete Parker zufrieden. „Ich war so frei, diese Summe recht deutlich und laut zu nennen.“ „Ich ebenfalls“, sagte Kathy und lächelte. „Wenn man es recht bedenkt, ist diese Gesamtsumme ein fetter Köder, finden Sie nicht auch?“ „Sie sagen es, Miß Porter.“ Josuah Parker nickte nachdenklich. „Ein fetter und verlockender Köder, den jeder Hai in Menschengestalt anbeißt. Ein Mann wie der Guru wird auf diese Summe freiwillig nie verzichten, auch wenn er das gesamte Riesenvermögen von Mylady zu erwarten hat.“ 19
„Rechnen Sie damit, daß er diese beiden Legate gerichtlich anfechten wird?“ „Auf keinen Fall.“ Parker schüttelte den Kopf. „Nach dem geltenden Recht hätte er nichts zu erwarten. Nein, ich erwarte andere Maßnahmen.“ „Gewalt, Mr. Parker, nicht wahr?“ „Sie sagen es erneut, Miß Porter. Nach diesem Legat wird der Guru Sie und meine bescheidene Person keineswegs mit Verachtung strafen.“ „Wollen wir warten, bis er etwas unternimmt und uns überrascht?“ „Keineswegs, Miß Porter! Nach einer an sich schon recht alten Bauernregel soll man den Stier stets bei den Hörnern fassen.“ „Beginnen wir doch mit dem Burschen, der uns folgt, Mr. Parker?“ „Ein recht guter Gedanke.“ Parker nickte beifällig. „Schwebt Ihnen eine bestimmte Taktik vor, Miß Porter?“ „Ich würde ihn gern etwas verunsichern.“ „Der Mann gehört Ihnen, Miß Porter“, sagte Parker großzügig. „Was halten Sie von dem kleinen Park dort hinter dem Säulengang?“ Kathy nickte nun ihrerseits wohlgefällig. Durch einen weiten und hohen Säulengang konnte man in einen kleinen Park sehen, der wegen seiner idyllischen Stille vor allen Dingen von älteren Herrschaften aufgesucht wurde. Es handelte sich um eine winzige Oase inmitten der hektischen Millionenstadt. Es gab dort gepflegte Rasenflächen, Blumenbeete, Ziersträucher und kunstvoll beschnittene Bäume. Parker und Kathy Porter wechselten in diese Oase hinüber, gefolgt von dem Inder, der natürlich keine Ahnung hatte, was ihn erwartete. Er beschleunigte sogar 20
noch seine Schritte, als Kathy Porter und Josuah Parker hinter einer hohen Taxushecke verschwanden. Er wollte den Anschluß nicht verlieren und sich nicht abschütteln lassen. Der Mann wäre besser auf der Straße geblieben! Als er um die Hecke bog, prallte er um ein Haar mit Kathy Porter zusammen, die einen leicht derangierten Eindruck machte. Ihr langes und kupferrotes Haar war zerzaust, ihre Bluse am Hals tief eingerissen und zerfetzt. Dazu stieß Kathy einen schrillen Schrei aus und rief anschließend um Hilfe. Der Inder wollte umgehend das Weite suchen. Er hatte wohl begriffen, daß es ihm an den Kragen ging. „Sie sollten zu Ihrer Tat stehen“, hörte er da hinter sich eine gemessene Stimme. Er federte herum, sah sich dem Butler gegenüber, der aus der Taxushecke kam, und griff blitzschnell nach einem Dolch, der in seinem Hosengürtel steckte. „Hiiilfe!“ schrie Kathy und ... schlug dem Unbekannten mit ihrer rechten Handkante die Waffe aus der Hand. Parker zog den Fassungslosen mit dem Bambusgriff seines Universal-RegenSchirms zu sich heran und legte ihm dann die Wölbung seiner schwarzen Melone auf die Stirn. Da diese Kopfbedeckung des Butlers mit solidem Stahlblech gefüttert war, ging der Mann natürlich betäubt in die Knie und legte sich zu Kathy Porters Füßen. Kathy Porters Hilferufe störten die beschauliche Ruhe des kleinen Parks empfindlich. Einige ältere Herrschaften nahten und starrten ergrimmt auf die hilflose, kleine Frau namens Kathy Porter, die fassungslos schluchzte. Dabei hielt sie sich nur oberflächlich die zerfetzte Bluse
über der Brust zusammen. Die sorgte dafür, daß einige ältere Gentlemen die straffe Jugendlichkeit ihrer Formen nicht übersahen. Das forderte zusätzliche Hilfsbereitschaft heraus. „Ich bin konsterniert“, verkündete Parker und deutete zuerst auf Kathy Porter und dann auf den Mann, der sich gerade vorsichtig erhob. „Ich möchte sogar sagen, daß ich ein wenig fassungslos bin. Nur mit Mühe vermochte ich diesen Angriff auf eine Unschuld zu stoppen.“ Der Inder stand inzwischen wieder auf den Beinen und wollte sich verständlicherweise schleunigst absetzen. Er sah die älteren Herrschaften um sich und deren ergrimmten Blicke. „Mit einem Schneideinstrument wollte er die junge Dame wahrscheinlich zwingen ihm zu Willen zu sein“, klagte der Butler den asketisch aussehenden Mann an. „Welch eine Verwilderung der Sitten, wie ich bei dieser Gelegenheit mal feststellen möchte!“ Der Inder wollte sich auf keine Diskussionen einlassen. Er hielt es für sinnlos, sich zu verteidigen. Der Schein sprach deutlich gegen ihn. Er beging den Fehler, eine Lücke anzusteuern, die zwei ältere Damen bildeten. Der Mann stürzte sich auf sie und ... lief sich gründlich fest. Die Frauen dachten gar nicht daran, ängstlich zur Seite zu weichen. Sie ließen ihren Gegner kommen und droschen dann mit ihren koketten Sonnenschirmen auf ihn ein. Die älteren Herren beteiligten sich an der Keilerei und warfen sich ihrerseits auf den vermeintlichen Sittenstrolch. Innerhalb weniger Sekunden wurde der Asket zu einem Punching-Ball der
aufgebrachten Mitbürger, die ihn nach allen Regeln der Kunst vertrimmten. „Ich denke, man sollte sich vornehmzurückziehen“, schlug Butler Parker seiner Begleiterin vor. „Unsere Anwesenheit ist offensichtlich nicht mehr notwendig.“ „Haben Sie seine Brieftasche, Mr. Parker?“ erkundigte sich Kathy Porter. „Ich konnte in der Tat nicht widerstehen“, erwiderte der Butler und nickte. „Wir werden sie ihm später natürlich zurückschicken, man ist ja schließlich kein Taschendieb!“ * „Mein Verdacht hat sich leider bestätigt“, sagte Josuah Parker eine halbe Stunde später. Er befand sich im Hotelzimmer von Kathy Porter und schloß die Tür hinter sich. „Myladys bisheriger Anwalt ist seiner Pflichten entbunden worden. Mylady muß das kurz nach dem Verlassen des Hauses erledigt haben. Der Anwalt war nicht bereit, sich näher zu diesen Dingen zu äußern. Dem Ton seiner Stimme mußte ich allerdings entnehmen, daß Anwalt Pale schockiert sein dürfte.“ „Und wer vertritt jetzt die Interessen von Lady Simpson?“ wollte Kathy Porter wissen. „Wahrscheinlich ein Anwalt, der das Vertrauen des Guru genießt“, meinte der Butler. „Läßt sich dieser Name denn nicht feststellen?“ „Mr. Pale wird sich nachdrücklich darum kümmern“, sagte Parker. „Ich war so frei, ihn darum zu bitten und ließ durchblicken, daß das im Interesse von Mylady sein dürfte.“ „Der Guru scheint schnell reinen Tisch machen zu wollen.“ 21
„Man muß verhindern daß Mylady überstürzt London verläßt. Das scheint mir wichtig zu sein.“ „Warum entführen wir sie nicht einfach?“ fragte Kathy Porter nachdrücklich. „Lady Simpson ist doch offensichtlich nicht mehr in der Lage, nach ihrem freien Willen zu entscheiden.“ „Ein, wie ich bekennen muß, sehr verwegener Gedanke, Miß Porter.“ „Sehen Sie eine andere Möglichkeit, Mr. Parker?“ „Mylady könnte nach einer Realisation dieses Vorschlags möglicherweise sehr unmutig reagieren.“ „Glauben Sie wirklich, Mr. Parker, daß Sie genau weiß, was sie tut?“ „Allerdings, Miß Porter.“ „Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein, Mr. Parker.“ „Mylady machte einen ausgesprochen gesammelten Eindruck, wenn ich es so ausdrücken darf.“ „Sie glauben, daß sie tatsächlich ihr Leben radikal ändern will?“ „In der Tat, Miß Porter.“ „Aber dann tut sie das doch unter falschen Voraussetzungen. Der Guru ist ein Gauner!“ „Wie Sie und meine bescheidene Person vermuten, Miß Porter. Beweise für eine geplante Gaunerei liegen zur Zeit noch nicht vor.“ „Und wer sperrte mich in diesen scheußlichen Keller? Und wo befindet sich dieser Keller? Der Guru ist in meinen Augen ein ganz raffinierter Gangster.“ „Der es nur auf Mylady abgesehen hat, Miß Porter?“ „Richtig, Mr. Parker.“ Kathy hatte sofort verstanden. „Man müßte herausfinden, wer sonst noch in dieses .Kloster der inneren Sammlung’ geht. Wenn Sie 22
mich fragen, so bestimmt nur Leute, die Geld haben.“ „Daraus ergibt sich die Frage, wie der Guru es schafft, diesen Personenkreis an sich zu binden.“ „Ich denke, darüber sind wir uns bereits im klaren. Mr. Parker. Hypnose oder Drogen, anders kann ich mir das nicht vorstellen.“ ,,Sie haben etwas übersehen, Miß Porter.“ „Tatsächlich? Was denn?“ „Stünde Mylady unter Hypnose oder Drogen, hätte sie auf keinen Fall die beiden Legate über je fünfzigtausend Pfund ausgesetzt.“ „Das ... Das stimmt allerdings.“ Kathy Porter wirkte ein wenig verblüfft. „Dann hätte Mylady auch nicht diese beiden Hotelzimmer reserviert, nicht wahr?“ „Auch das ist richtig, Mr. Parker. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?“ „Ich möchte annehmen, daß Mylady sich in einer Art Zwangslage befindet. Mylady ist aus mir noch unerfindlichen Gründen auf dieses Spiel eingegangen.“ „Und sie setzt darauf, daß wir auf sie aufpassen! Meinen Sie das, Mr. Parker?“ „Sie sagen es, Miß Porter.“ „Aber dann müssen wir ihr doch helfen, Mr. Parker. Wir können doch nicht nur abwarten.“ „Ich war so frei, mir bereits einen Aktionsplan zurechtzulegen, Miß Porter.“ „Ich atme auf.“ Kathy lächelte befreit und sah den Butler im voraus schon dankbar an. „Es geht nicht darum, Mylady daran zu hindern, nach Indien zu gehen, Miß Porter. Es geht einzig und allein darum, den Guru an einer Abreise zu hindern. Er und seine Mitarbeiter müssen derart
beschäftigt werden, daß ihnen ein Verlassen Londons unmöglich wird.“ * Parker benahm sich mehr als auffällig. Er saß in seinem hochbeinigen Monstrum und hielt eine Kleinbildkamera in Händen, die mit einem riesigen Teleobjektiv versehen war. Damit schoß der Butler ungeniert immer dann einige Aufnahmen, wenn sich auf dem Gelände des ,Klosters der inneren Sammlung’ etwas rührte. Er fotografierte im Grund nur banale Motive, doch er setzte darauf, daß man in der großen Backsteinvilla früher oder später nervös und gereizt wurde. Nach gut einer Stunde fuhr er ein Stück weiter, parkte seinen Wagen vor der hohen Mauer und stieg dann auf die Motorhaube. Er besorgte das übrigens mit einer Gemessenheit, die bemerkenswert war. Selbst bei dieser Turnübung verlor er nichts von seiner Würde und Vornehmheit. Von der Motorhaube aus konnte er in den rückwärtigen Teil des parkähnlichen Gartens sehen. Er entdeckte zu seiner Freude eine Reihe von meditierenden Jüngern des ,Erleuchteten’. Sie trugen sackähnliche Gewänder, die bis zu den Füßen reichten, hielten Schriftrollen in Händen und lasen offensichtlich immer wieder den Text, der auf diesen Rollen stand. Sie alle wirkten ungemein vertieft und waren ganz hei der Sache. Josuah Parker war ehrlich froh, endlich eine Reihe von Gesichtern aufnehmen zu können. Diese Aufnahmen konnten ihm sicher helfen, den Personenkreis der Jünger des ,Erleuchteten’ zu identifizieren. Leider konnte er Lady Simpson
nicht entdecken. Sie schien sich noch im Haus aufzuhalten. Parker hoffte das wenigstens. Ein dumpfer Gong hallte durch den kleinen Park hinter der Backsteinvilla. Die Gestalten in den langen Gewändern wußten mit diesem Signal etwas anzufangen. Sie drehten sich um und schritten zurück zum Haus. Innerhalb weniger Minuten waren sie samt und sonders im ,Kloster der inneren Sammlung’ verschwunden. Der Guru schien nicht viel davon zu halten, daß seine Schäfchen abgelichtet wurden. Parker wußte, daß er auf dem richtigen Weg war. Jetzt konnte es wohl nicht mehr lange dauern, bis der ,Erleuchtete’ Gegenmaßnahmen ergriff. Er konnte und durfte sich diesen Eingriff in seine Privatsphäre unmöglich weiter bieten lassen. Parker hatte sich nicht verrechnet. Er saß gerade wieder in seinem hochbeinigen Wagen, als ein Mini-Cooper heranrollte. Der Wagen hielt dich hinter seinem Monstrum. Zwei Inder stiegen aus, von denen er den hageren, asketisch aussehenden Mann bereits kannte. Es handelte sich um den Unglücklichen, der von Kathy Porter hereingelegt worden war. Der Mann wies deutliche Spuren der Behandlung durch die älteren Herrschaften im Park auf. Sein Kinn zierte ein breites Pflaster. Auch die Nase wurde von einem Pflasterstreifen gestützt. Auf der Stirn waren einige unbedeutende Schrammen zu sehen. Die beiden Männer kamen schnell auf den Wagen des Butlers zu, der diesem Besuch mit Gelassenheit entgegensah. Parker lüftete sogar äußerst höflich seine 23
schwarze Melone und nickte dem Bepflasterten gemessen zu. Der Butler befand sich übrigens hinter der geschlossenen Wagenscheibe. Die beiden Besucher wollten es schnell hinter sich bringen. Der junge Asket, wahrscheinlich ein wenig böse auf den Butler, äugte nach dem Türgriff und wollte die Wagentür mit Vehemenz aufreißen. Er investierte viel Kraft in diese Absicht und ... flog nach hinten. Er verlor das Gleichgewicht und landete auf dem Gehweg. Rücklings starrte er verdutzt auf den Türgriff in seiner Hand. Parker, der mit einer Aktion gerechnet hatte, war vorher nicht untätig gewesen. Er hatte den Türgriff entriegelt und dafür gesorgt, daß er sich weich und geschmeidig aus dem Wagen löste. Es handelte sich dabei um einen äußerst einfachen technischen Kniff, auf den der Butler fast stolz war. Der Asket rappelte sich auf, rieb sich die linke Gesäßhälfte und machte einen durchaus ergrimmten Eindruck. Er humpelte auf den Wagen zu, während sein Begleiter bereits diskret eine schallgedämpfte Handfeuerwaffe gezogen hatte. „Raus“, sagte er wahrscheinlich, denn Parker konnte nicht hören, was er genau sagte. Die Waffe unterstrich seine Aufforderung. Sie sah bösartig aus. Parker hatte inzwischen die Wechselsprechanlage eingeschaltet. Sie ermöglichte eine Unterhaltung durch die geschlossene Wagentür und Scheibe hindurch. Auch diese technische Feinheit hatte der Butler sich einfallen lassen. Es gab schließlich Augenblicke, in denen er Wert auf eine gewisse Distanz legte. „Die Wagenscheibe besteht aus Panzerglas“, warnte der Butler höflich, aber 24
eindringlich. „Wenn Sie schießen sollten, müssen Sie konsequenterweise mit einem Abpraller und Querschläger rechnen. An Ihrer Stelle würde ich mir das Lösen eines Schusses also gründlich überlegen.“ Der Waffenträger sah den asketisch aussehenden Jüngling fragend an, der schnell den Kopf schüttelte. Nach der Blamage mit dem Türgriff glaubte er wohl ohne weiteres, daß diesem Wagen mit Schußwaffen nicht beizukommen war. „Ein weiser Entschluß, Mr. Singh“, lobte der Butler den jungen Mann, der ihn giftig und. auch ein wenig ratlos ansah. „Bei der Gelegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, daß Ihre Brieftasche sich verirrt hat. Sie befand sich erstaunlicherweise in meiner Tasche. Sie dürfen versichert sein, daß ich sie Ihnen zurückgeben werde.“ „Sie haben sie mir gestohlen!“ „Eine Behauptung, die Sie erst beweisen müßten“, antwortete Parker. „Ich schäme mich ein wenig einzugestehen, daß ich sie auf ihren Inhalt hin durchsuchte. Sie sind bei einem gewissen Anwalt Norman Perkins angestellt?“ . „Der Guru will Sie sprechen“, erwiderte Mr. Singh, der junge Asket. „Ich rate Ihnen mitzukommen.“ „Und wo finde ich den erleuchteten Meister?“ fragte der Butler gelassen. „Drüben im Kloster“, sagte Singh, während er sich erneut die schmerzende Gesäßhälfte massierte. „Ich glaube, er will Ihnen einen Vorschlag machen.“ „Und zu diesem Treffen wollten Sie mich mit einer Schußwaffe überreden?“ wunderte sich der Butler. „Ein Mißverständnis“, erklärte Mr. Singh eilfertig. „Mein Freund hatte das mit dem Türgriff falsch aufgefaßt.“
„Stecken Sie ihn zurück in die dafür vorgesehenen Öffnungen“, bat Josuah Parker. Der junge Asket nickte und tat das, worum der Butler ihn gebeten hatte. Parker verriegelte deutlich sichtbar für die beiden draußen stehenden Männer die Steckbolzen. Sie mußten jetzt annehmen, daß die Tür sich nun wieder regulär öffnen ließ, zumal der Sicherungsstift des Schlosses nach oben zeigte. Parker war gespannt, wie die beiden Männer reagierten. Diesmal glaubten sie tatsächlich, an den Butler heran zu können. Der Mann mit der Schußwaffe in der Hand, langte nach dem Griff und wollte nun seinerseits die Tür aufreißen. Von Höflichkeit war in seinem verzerrten Gesicht nichts zu erkennen. Er gierte förmlich danach, sich mit Parker anzulegen. Bruchteile von Sekunden später verzichtete er gern darauf. Parker hatte dem Mann wirklich nur ein wenig helfen wollen. Er drückte seinerseits die Tür auf, doch dabei mußte er sich verschätzt haben. Die Tür flog raketenartig auf und schmetterte den Mann zu Boden. Dabei verlor der Waffenträger seine Schußwaffe, die ein Stück über den Gehweg schlitterte und dann vor der Parkmauer liegen blieb. „Das ist mir aber ungemein peinlich“, bedauerte der Butler, „ein Mißverständnis jagt das nächste, wie ich es ausdrücken möchte. Ich denke, ich sollte Sie nicht weiter inkommodieren und in Verlegenheit bringen, meine Herren.“ Parker hatte die Wagentür bereits wieder geschlossen und fuhr los. Im Rückspiegel sah er, daß der Asket sich sehr um seinen Begleiter kümmerte, der sich wohl den linken Fuß vertreten hatte.
Die beiden Jünger des ,Erleuchteten’ machten keinen betriebsamen Eindruck mehr. * Josuah Parker befand sich im Hotel und schritt gemessen durch den Korridor auf das Zimmer von Kathy Porter zu. Er hatte sie hier zurückgelassen, damit sie einige wichtige Anrufe und Ermittlungen tätigen konnte. Parker wollte vor allen Dingen wissen, wer dieser Anwalt Norman Perkins war und welchen Leumund er hatte. Durch den Brieftascheninhalt des jungen Asketen Singh war Parker auf diesen Namen gestoßen, der ihm vorerst überhaupt nichts bedeutete. Er wußte nur, daß Singh als eine Art Kanzleivorsteher im Büro des Anwalts Perkins arbeitete. Als er die Tür zu Kathys Hotelzimmer erreicht hatte, klopfte er diskret an und wartete auf Miß Porters Antwort. Von dieser Antwort hing alles ab, ob er das Zimmer betrat oder nicht. Parker hatte mit Kathy Porter ein bestimmtes Ritual verabredet. „Ja, was ist denn?“ hörte er nach einer kleinen Pause die etwas unwillige Frage seiner attraktiven Schülerin. Und damit war dem Butler bereits klar, daß im Zimmer etwas nicht stimmte. Wahrscheinlich hatte Kathy Porter in der Zwischenzeit ungebetenen Besuch erhalten. Die unwillige Frage deutete das an und war gleichzeitig eine Warnung. Parker sollte auf keinen Fall ohne weiteres eintreten. „Was ist denn?“ wiederholte Kathy Porter ihre Frage, als Parker sich nicht meldete. Er hatte sich dicht neben der Tür, hart an der Wand aufgebaut und 25
rechnete mit der Neugier des seiner Ansicht nach vorhandenen Besuchers. „Ja, was ist denn?“ fragte Kathy Porter zum dritten Mal. Sie stand bereits dicht vor der Tür und ahnte wohl, was ihr Lehrer und Meister provozieren wollte. Parker brauchte nicht lange zu warten. Gerade sein Schweigen ging dem Besucher im Hotelzimmer auf die Nerven. Der Butler hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Sekunden später steckte ein Mann seinen Kopf durch den Türspalt. Er wollte nachschauen, wer da geklopft hatte. Parker verzichtete diesmal auf Entschuldigungen. Er enthielt sich auch jeder Vorwarnung. Er langte kurz und nachdrücklich mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-RegenSchirms zu. Er hatte ihn bereits vorher zum Schlag erhoben und ließ ihn auf den Kopf des Neugierigen fallen. Der Mann brabbelte einige unverständliche Worte vor sich hin, litt parallel dazu an eindeutigen Konditionsschwierigkeiten und fiel auf die Knie. Dabei drückte er die Tür weiter auf und verschaffte dem Butler einen Blick ins Hotelzimmer. Kathy Porter saß auf einem Stuhl und strahlte den Butler an, konnte aber nicht aufstehen. Ihr Besucher hatte sie auf dem Stuhl festgezurrt und dabei augenscheinlich nicht geschont. Kathy Porters Kleidung sah mitgenommen aus. Ihr Kleid war eingerissen und an den Schultern zerfetzt. Sie schien sich gegen das Festzurren gewehrt zu haben. „Darf ich hoffnungsvoll davon ausgehen, Miß Porter, daß Sie sich relativ wohl befinden?“ erkundigte sich Parker, während er den ohnmächtigen Besucher 26
behutsam ins Zimmer zog und dann die Tür schloß. „Ich will mich nicht beklagen“, gab Kathy Porter erleichtert zurück, „aber dieser widerliche Kerl wurde zudringlich und brutal. Gut, daß Sie gekommen sind, Mr. Parker, bevor er seinen zweiten Grad anwenden konnte.“ „Was hat er Ihnen zugefügt, Miß Porter?“ „Ohrfeigen“, sagte sie, „und gerade wollte er es mit einer brennenden Zigarette versuchen.“ „Ich hätte vielleicht ein wenig nachdrücklicher zulangen sollen“, warf Parker ein, „und warum fügte er Ihnen diesen Harm zu?“ „Er wollte mich zwingen, ihm die fünfzigtausend Pfund zu überschreiben, Mr. Parker.“ „Daher also pfeift der sprichwörtliche Wind.“ Parker wußte sofort Bescheid. „Und in welcher Form sollten Sie ihm diese Summe übertragen?“ „Er wollte nur einen Barscheck, Mr. Parker.“ Kathy lächelte bereits wieder. „Ich habe ihn absichtlich hingehalten, ich rechnete ja mit Ihrer Rückkehr.“ „Kennen wir diesen jungen Mann?“ erkundigte sich Parker und deutete auf den Schlafenden, der es sich auf dem Teppich bequem gemacht hatte. „Ein neues Gesicht“, antwortete Kathy. „Er gehört nicht zu den beiden. Männern, die mich aus diesem tropischen Keller herausgeholt haben.“ „Unterziehen wir ihn einer kurzen Wasserkur“, schlug Parker vor, der Kathy Porter natürlich längst befreit hatte. „Vielleicht kann der junge Mann dadurch in die notwendige Stimmung versetzt werden, einige Angaben über den Guru zu machen.“
Parker arbeitete schnell, geschickt und mit größter Perfektion. Als der junge Ganove wieder zu sich kam, saß er nun seinerseits gefesselt -auf dem Stuhl. Und dieser Stuhl stand unter der Dusche, die der Butler allerdings noch nicht aufgedreht hatte. „Gewalt und Zwang sind mir äußerst zuwider“, schickte Parker in seiner gemessenen Art voraus, „ja, ich hasse sie geradezu. Dennoch werden Sie mich jetzt mit Sicherheit mißverstehen, wie ich vermute. Vielleicht werden Sie mich nach einigen Minuten auch gar nicht mehr sonderlich schätzen.“ „Quatsch’ nich’ um den heißen Brei rum, Alterchen“, lautete die etwas rüde Antwort des Gauners. „Nun denn“, sagte Parker, ohne sich aus seiner vornehmen Ruhe bringen zu lassen, „kommen wir also zum Kern der Dinge: In wessen Auftrag sollten Sie die fünfzigtausend Pfund abkassieren, wie es in Ihren Kreisen wohl heißt?“ „Du glaubst doch nicht etwa, daß ich darauf antworte, oder?“ Der junge Mann sah den Butler verächtlich an. Es war offensichtlich, daß er Parker erheblich unterschätzte. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, daß dieser Mann nachdrücklich werden konnte. „Ich rechne allerdings mit einer baldigen Antwort“, erwiderte Josuah Parker, „ich erwarte sogar Auskunft darüber, wo Lady Simpson sich im Moment aufhält.“ „Schwachkopf“, sagte der junge Mann und grinste. „Mann, haben Sie überhaupt ‘ne Vorstellung, gegen wen Sie da Krieg führen wollen? An Ihrer Stelle würde ich schleunigst die Kurve kratzen und abhauen. Mann, verstecken Sie sich irgendwo und warten Sie, bis alles vorbei
ist! So, und jetzt sollten Sie mich losbinden, klar?“ „Vielleicht später“, entschied der Butler höflich, „im Augenblick erscheint es mir angebracht, Ihr Temperament ein wenig abzukühlen.“ Parker beugte sich vor und drehte die Dusche an. Der junge Mann duckte sich unwillkürlich, als die ersten Wasserstrahlen nach unten rauschten. * „Gönnen wir dem jungen Mann ein wenig Ruhe“, schlug Parker vor. Er verließ zusammen mit Kathy Porter das Badezimmer und schloß die Tür hinter sich. Damit verstummten auch akustisch die mehr als ordinären Flüche des ungebetenen Besuchers, der sich unter den Wasserstrahlen offensichtlich nicht sonderlich wohl fühlte. „Bevor er kam, habe ich einige Informationen über Anwalt Perkins sammeln können“, berichtete Parkers attraktive Schülerin. „Seine Kanzlei liegt in Soho. Er hat sich auf die Verteidigung von kleinen Gaunern und Ganoven spezialisiert. Sein Ruf ist zwar nicht besonders, Mr. Parker, aber gegen ihn liegt nichts vor.“ „Und solch ein Mann betreibt nun die Vermögensauflösung von Mylady“, wunderte sich Parker, „ob er noch weitere Aufträge dieser Art übernommen hat?“ „Freiwillig wird er es uns bestimmt nicht sagen, Mr. Parker. Haben Sie übrigens Lady Simpson entdecken können?“ „Diese Frage muß ich leider bedauernd verneinen“, gab der Butler zurück. „Mylady scheint sich im ,Kloster der inneren Sammlung’ aufgehalten zu haben, 27
falls man Mylady nicht schon aus London weggeschafft hat.“ „Das wäre ja schrecklich, Mr. Parker. Damit verlören wir jeden Anhaltspunkt.“ „Ich erlaube mir, Ihre Befürchtungen zu teilen“, redete der Butler weiter. „Ich denke, ich werde Mr. Ghandari einen Höflichkeitsbesuch abstatten.“ „Vergessen Sie nicht diesen scheußlichen Keller, in den man mich gesperrt hat, Mr. Parker. Ich weiß noch immer nicht, um was es sich wirklich gehandelt hat.“ „Wir werden ihn bei passender Gelegenheit visitieren“, versprach Parker. „Ich war so frei, eine Reihe von Aufnahmen zu schießen, die jetzt entwickelt werden sollten. Mich interessiert der Personenkreis jener Leute, die sich dem Guru anvertraut haben.“ „Ich werde das sofort in die Wege leiten, Mr. Parker.“ Kathy Porter nahm den Fotoapparat in die Hand, den Parker mit ins Hotelzimmer gebracht hatte. Sie spulte den Film zurück, öffnete den Apparat und legte die Filmspule auf den kleinen Wandsekretär. Als sie den Apparat wieder schließen wollte, schüttelte der Butler den Kopf. „Verschwenden wir einen neuen Film“, schlug er vor. „Man weiß nie, was alles noch passieren kann, Miß Porter. Lenken wir etwaige Interessenten ab.“ Er spannte einen neuen Film ein, schloß den Apparat und schoß dann eine ganze Serie von Scheinaufnahmen, bis der Rollfilm fast restlos belichtet war. Erst danach legte er den Apparat wieder weg. Er hatte es übrigens nicht weit bis zum Telefon, das Sich in diesem Moment meldete.
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„Parker“, nannte er seinen Namen, „was, bitte, kann und darf ich für Sie tun?“ Die Gegenseite antwortete’ mit einem kurzen Schweigen des Verblüffens. Dann war ein nervöses Hüsteln zu hören, schließlich wurde aufgelegt. Parker ließ den Hörer in die Gabel fallen und nickte Kathy Porter zu. „Nun dürfte der Guru gleich wissen, daß sein Coup hier im Hotel ohne Erfolg war“, sagte er. „Ich bin sicher, daß die Gegenseite angerufen hat.“ „Rechnen Sie damit, daß er jetzt ein paar Leute in Marsch setzen wird?“ wollte Kathy wissen. Sie zeigte natürlich keine Unruhe. „Ich fürchte, Miß Porter, daß er uns diesen Gefallen kaum erweisen wird“, antwortete Parker und schüttelte bedauernd den Kopf, „er wird sich auf die Schweigsamkeit seines Handlangers drüben im Badezimmer verlassen.“ Nun, Josuah Parker sollte sich täuschen. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis das Telefon sich erneut meldete. Die Rezeption des Hotels teilte ihm mit, in der Halle warte ein gewisser Mr. Ghandari. * Der ,Erleuchtete’ trug einen normalen, sehr gut sitzenden, grauen Straßenanzug und machte einen recht irdischen Eindruck. Er war übrigens allein gekommen, wie der Butler mit schnellem, prüfendem Blick festgestellt hatte. „Ich bin allein gekommen“, erklärte der Guru, der die Blicke des Butlers richtig gedeutet hatte. „Ich möchte mich mit Ihnen mal in Ruhe unterhalten, Mr. Parker.“
„Sie haben mein Ohr“, gab der Butler zurück. Er befand sich zusammen mit dem Guru in dem kleinen Salon neben der Hotelhalle. Sie waren hier allein. „Ich denke, wir sollten unsere Ziele abstecken“, sagte der Guru, sofort zur Sache kommend. „Ich muß zugeben, daß ich Sie falsch eingeschätzt habe.“ „An meiner Beurteilung Ihrer Person brauche ich kaum etwas zu korrigieren“, gab der Butler höflich zurück. „Sie entschuldigen gewiß meine Offenheit, die wahrscheinlich schon an Brutalität grenzt, aber ich halte Sie für einen erstklassigen Roßtäuscher! Vorsichtig ausgedrückt!“ „Für was Sie mich halten, ist mir völlig gleichgültig.“ „Der ,Erleuchtete’ ließ sich nicht provozieren. „Ich will Sie nur warnen, Mr. Parker! Falls Sie meine Kreise noch weiter stören, werden Sie bald Dauerbewohner eines Friedhofes werden.“ „Spielen Sie möglicherweise auf meinen unschuldigen Bluff an, als es um Miß Porter ging?“ „Sie haben mich tatsächlich reingelegt“, bekannte der Guru und grinste ein wenig windschief. „Die Sache mit der angeblichen Augenverätzung war ... tückisch.“ „Aber wohl doch auch wirkungsvoll“, stellte der Butler klar. „Nur so vermochte ich Miß Porter aus diesem Keller zu holen, den sie nach wie vor für scheußlich hält.“ „Noch einmal können Sie mit so einem Trick bei mir nicht landen, Mr. Parker.“ „Wollen wir uns nicht dem Kern des Themas nähern?“ schlug der Butler vor. „Sie sind ein verdammt hochnäsiger und arroganter Bursche, Mr. Parker.“ „Echauffieren Sie sich nicht unnötig, Mr. Ghandari! Sie haben mir einen Vor-
schlag zu unterbreiten? Bezieht er sich möglicherweise auf die beiden Legate, die Mylady für Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit ausgesetzt hat?“ „Fünfzigtausend Pfund für jeden“, seufzte der Guru förmlich auf, „aber ich werde das tolerieren.“ „Ihre Großmut verwirrt mich“, sagte Parker, ohne sein Gesicht dabei zu verziehen. „Ich denke, ich werde jetzt Ihre näheren Bindungen erfahren.“ „Kümmern Sie sich ab sofort nicht mehr um Lady Simpson!“ „Ist das bereits alles?“ „Und um mich!“ „Darf ich hoffen, Ihnen bereits ein wenig lästig geworden zu sein?“ „Ich verlange, daß Sie sich auch nicht weiter um meine Gäste kümmern.“ „Die ich per Teleobjektiv aufgenommen habe, wie Sie ja sicher längst wissen.“ „Stecken Sie sich die Aufnahmen wegen mir an den Hut“, meinte der Guru wegwerfend. „Falls Sie aber weiterhin Ärger machen wollen, Mr. Parker, sehe ich verdammt schwarz für Sie und Miß Porter.“ „Jetzt gefällt mir Ihre Tonart schon bedeutend besser, Mr. Ghandari. Sie paßt zu Ihnen!“ Parker nickte anerkennend. „Wir sind unter uns, also brauche ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Weshalb kümmern Sie sich eigentlich um die alte Dame? Sie haben abkassiert, reicht Ihnen das nicht?“ „Und einer Ihrer Leute wollte gerade rückkassieren“, stellte der Butler fest. „Er befindet sich oben im Hotelzimmer.“ „Dieser Versuch gehört bereits der Vergangenheit an. Ich will mich mit Ihnen einigen.“
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„Damit Sie noch mehr Ahnungslose vom Ballast des irdischen Besitzes befreien können, Mr. Ghandari?“ „Was meine Anhänger auch tun, sie tun es freiwillig und reinen Herzens“, gab der Guru ironisch zurück. „Ist Lady Simpson nicht ein Beispiel dafür? Steht sie etwa unter Druck? Wird sie gezwungen?“ „Irgendwie erlaube ich mir, Ihre Methode zu bewundern“, schickte Josuah Parker voraus. „Sie dürften eindeutig mit einem bestimmten Trick operieren, Mr. Ghandari, aber mit welchem nur? Hypnose oder Drogen?“ „Überzeugung“, sagte der Guru überraschend mild. „Einsicht in die Notwendigkeit der Besinnung.“ „Sie werden wahrscheinlich in die Kriminalgeschichte eingehen“, prophezeite der Butler, „und um das zu beschleunigen, werden Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit weiterhin gegen Sie ermitteln.“ „Das Reich des Todes ist Ihnen nahe“, verkündete der Guru und kehrte zurück zu seinem salbungsvollen Ton. Er erhob sich und ging auf die Tür zu. „Dazu gefährden Sie auch noch das Leben von Lady Simpson.“ „Ich könnte Ihr ,Kloster der inneren Sammlung’ noch mal von Polizeibeamten bevölkern lassen.“ „Lady Simpson befindet sich längst nicht mehr...“ Der Guru merkte zu spät, daß er bereits zuviel gesagt hatte. Er biß sich ärgerlich auf die Unterlippe und maß den Butler mit bösem Blick. „Danke, mehr wollte ich gar nicht wissen“, gab Parker zurück. „Sollte man die Polizei nicht über eine Entführung informieren?“
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„Damit würden Sie nur das Leben von Lady Simpson in Gefahr bringen, Mr. Parker“, warnte der Guru gereizt, „und das von Miß Porter, an die Sie wohl gar nicht mehr gedacht haben, oder?“ Der Guru wollte nach orientalischer Art in die Hände klatschen, um seinen Troß zu alarmieren, doch der Butler hatte damit ganz offensichtlich gerechnet. Bevor die beiden Handflächen sich innigst berühren konnten, befand sich der bleigefütterte Bambusgriff seines UniversalRegenschirm dazwischen. Das Klatschen der Hände blieb daraufhin völlig aus. Der Guru öffnete seinen Mund und wollte rufen, doch auch dagegen hatte der Butler einiges einzuwenden. Blitzschnell schob er den Bambusgriff ein wenig nach oben und drückte den Unterkiefer nachdrücklich gegen den Oberkiefer. Der Guru stöhnte leicht auf, schloß vor Schmerz die Augen und bekam überhaupt nicht mit, wie der Butler nach seiner perlenverzierten Krawattennadel langte und sie dann gezielt und kraftvoll in die rechte Gesäßhälfte des ,Erleuchteten’ rammte. Der Guru fuhr zusammen, kiekste auf und schaffte es nicht mehr, seine Augen zu öffnen. Einen ausgesprochen wohligen Laut von sich gebend, fiel er auf das Wandsofa und ringelte sich dort zu einem kurzen Intensivschlaf zusammen. Die Spitze der Krawattennadel war selbstverständlich entsprechend präpariert und enthielt eine schnell wirkende Droge, die für einen Tiefschlaf garantierte. Nun schlug der Butler leicht und locker in die Hände. Er stand neben dem schlafenden Guru und wunderte sich überhaupt nicht, als plötzlich die beiden jungen Männer erschienen, die er bereits
vom Ansehen her kannte. Die hatten ihren Herrn und Meister bereits in der Backsteinvilla zu schützen versucht, als der Butler dort erschienen war, um Kathy Porter -aus dem feuchten und tropischen Geheimkeller zu befreien. Sie machten einen anfangs sehr energischen Eindruck und hatten diesmal bereits ihre mitgebrachten Schußwaffen gezogen. Als sie jedoch merkten, daß dem Guru nicht besonders wohl war, senkten sie die Läufe ihrer Schußwaffen und machten einen leicht ratlosen Eindruck. Ihre Ratlosigkeit war durchaus verständlich. Der Butler hielt seine rechte, schwarz behandschuhte Hand so, daß die beiden Männer annehmen mußten, sie stünden ebenfalls einer Waffe gegenüber. Was allerdings nicht den Tatsachen entsprach. Er preßte nur seine Faust gegen den Rücken des ,Erleuchteten’, doch diese Geste genügte bereits. „Ich möchte Miß Porter sehen“, sagte der Butler in seiner höflichen, aber auch bestimmten Art, „einer von ihnen sollte die Dame hierher in den Salon bringen.“ Sie kapitulierten sofort. Einer von ihnen hastete zurück in die kleine Hotelhalle, um Parkers Wunsch auszuführen. Der Butler nickte wohlwollend und befaßte sich dann mit dem Zurückgebliebenen. „Sie können den Guru gleich mit zurück in das ,Kloster der inneren Sammlung’ nehmen“, sagte er, „er wird nach schätzungsweise einer Stunde wieder das sein, was man gemeinhin auf dem Damm nennt.“ „Mann, an Ihrer Stelle würd’ ich mir irgendwo ein Versteck suchen und wegtauchen“, riet ihm der Mann eindringlich.
„Der Guru wird nach Ihnen suchen mein Wort darauf!“ „Ich könnte mir in der Tat vorstellen, daß er mir ein wenig gram sein wird.“ „Gram?“ Der Mann lachte spöttisch auf. „Da kennen Sie den Guru aber schlecht.“ „Hier ist sie!“ Der junge Mann kam mit Kathy, Porter zurück. Er schob sie vor sich her, machte einen sehr entschlossenen Eindruck und schien bluffen zu wollen. Hinter Kathy Porter und ihrem Begleiter tauchte der Mann auf, der von Parker unter die Dusche gesetzt worden war. Er zog eine deutliche Wasserspur hinter sich her und machte einen rachsüchtigen Eindruck. Kathy hingegen lächelte befreit. „Bringen wir den Austausch hinter uns“, sagte Parker höflich, „sobald ich Sie auf der Straße dort sehe, werden Miß Porter und ich den Salon verlassen. Anschließend können Sie Mr. Ghandari abholen.“ „Moment mal, wer hier Bedingungen stellt, dürften doch wohl wir sein“, sagte der Durchnäßte gereizt, „noch haben wir die Kleine hier als Geisel.“ „Miß Porter, darf ich Sie bitten, die Waffen der Herren zu bergen?“ Parker ließ sich überhaupt nicht verunsichern. „Der Guru bedeutet für Sie bares Geld, wenn ich die Dinge richtig sehe. Ein toter Guru ist für Sie völlig wertlos. Also, dann keine langen Debatten mehr! Miß Porter, wenn ich jetzt also bitten darf.“ Sie waren recht einsichtig und verstanden den Butler sofort. Sie lieferten der Schülerin des Butlers ihre Schußwaffen aus und protestierten nur schwach, als Kathy sich auch noch zusätzlich für ihre Brieftaschen interessierte. Sie riskierten aber keine Gegenwehr. Mit einem toten Guru hätten sie wirklich nichts anfangen 31
können. Parker hatte genau ihren schwachen Punkt getroffen. Zähneknirschend — wenn auch nur im übertragenen Sinn — zogen die drei jungen Männer des Guru ab und verließen den Salon. Kathy hatte sich am Fenster aufgebaut und beobachtete von dort die Straße. Nach wenigen Minuten nickte sie dem Butler zu. „Dann sollten wir hinauf in unsere Zimmer gehen“, schlug Parker vor. „Ich denke, man sollte mit dem Ergebnis dieser Konfrontation zufrieden sein.“ „Kennen Sie bereits den Tascheninhalt des Guru, Mr. Parker?“ „Vielen Dank für Ihre Mahnung“, meinte Parker. „Sagte ich Ihnen schon mal, wie wertvoll Sie als Mitarbeiterin sind, Miß Porter?“ „Sie deuteten es mal an, Mr. Parker.“ Kathy lächelte. „Ich werde das in Zukunft konkreter tun, Miß Porter.“ Parker durchsuchte die Taschen des ,Erleuchteten’, was innerhalb weniger Sekunden geschah. ‘ Nachdem er einige Dinge geborgen hatte, verließ er zusammen mit Lady Simpsons Gesellschafterin den Salon, passierte den fassungslosen Empfangschef und fuhr dann mit seiner Begleiterin hinauf ins Hotel. Vom Fenster seines Zimmers aus beobachtete er anschließend die drei jungen Männer, die ihren Guru ein wenig mühsam aus dem Hotel führten. Sie hatten den ,Erleuchteten’ zwischen sich genommen und erweckten den Anschein, als sei ihr Begleiter nicht ganz sicher auf den Beinen. Nachdem sie ihn im Bentley verstaut hatten, preschten sie los, als säße ihnen der Teufel im Nacken. „Ich denke, auch wir sollten jetzt das Feld räumen“, schlug Parker vor, „man darf die Dinge nie übertreiben.“ 32
„Und wohin werden wir gehen, Mr. Parker?“ „Dorthin, wo man Sie und meine bescheidene Wenigkeit auf keinen Fall suchen wird.“ „Ich habe verstanden.“ Kathy Porter nickte. „Wir fahren in Lady Simpsons Stadthaus, nicht wahr?“ „Sie sagen es, Miß Porter.“ Parker deutete eine leichte Verbeugung an. „Mit etwas Glück wird sich auch der Guru dort einfinden, um seine seelische Wunden zu lecken.“ Agatha Simpsons Stadthaus hatte es in sich. Es gab das offizielle Haus, in dem sie wohnte. Links und rechts davon aber standen weitere Häuser an dem kleinen, stillen Platz, die ebenfalls der Detektivin gehörten. Sie waren unbewohnt, auch wenn das nach außen hin nicht zu erkennen war. Alle drei Häuser hatten untereinander Verbindung, doch die Zugänge waren nur Eingeweihten bekannt. Außer Lady Simpson wußten davon nur noch Kathy Porter und Josuah Parker. In der Vergangenheit hatte sich das bereits häufig als nutzbringend erwiesen. Im Verlauf einiger Auseinandersetzungen mit Gangstern hatte das Trio sich ungesehen und unbemerkt dem Haupthaus nähern können. Die Betroffenen wußten wahrscheinlich noch immer nicht genau, wie man sie so nachhaltig überraschen und ausschalten konnte. Parker und Kathy Porter befanden sich seit gut einer halben Stunde im linken Nachbarhaus und hatten hier Posten bezogen. Vom Fenster des Obergeschosses aus konnten sie den kleinen Platz gut beobachten. Bisher hatte sich der Bentley des Guru noch nicht sehen
lassen. Parker rechnete aber nach wie vor damit, daß der ,Erleuchtete’ erscheinen würde. Lady Simpsons Haus mußte für den Guru ein Ort sein, an dem er auf keinen Fall von einem gewissen Josuah Parker gestört werden konnte. Der Butler und seine attraktive Schülerin hatten das Haus auf Schleichwegen erreicht und eine schmale Hintergasse benutzt. Parkers hochbeiniges Monstrum stand weit entfernt auf einem öffentlichen Parkplatz,’ wo es auf keinen Fall entdeckt werden konnte. Sie durften sicher sein, daß die Gegenseite von ihrer nahen Anwesenheit nichts ahnte. „Es handelt sich um eine Probe aufs Exempel“, sagte der Butler, der zusammen mit Kathy Porter dieses Thema diskutierte. „Falls Lady Simpson nichts von den beiden benachbarten Häusern gesagt hat, dürften Mylady das mit Absicht verschwiegen haben.“ „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Lady Simpson ...“ Kathy verzichtete darauf, ihren Satz zu beenden, denn der Butler, der am Fenster stand, hob warnend den Arm. Sie lief ebenfalls zum Fenster und schaute hinunter auf den kleinen Platz. Der Bentley erschien gerade, kurvte von der Hauptstraße herein und hielt wenig später vor Lady Simpsons Haus. Der Guru stieg aus, gefolgt von seinem Sekretär und den beiden jungen Männern, die ihn ins Hotel begleitet hatten. Der Sekretär, ein schmaler, dürrer Mann, wieselte wieder voraus und öffnete die Tür. Der Guru schritt majestätisch ein. Er trug wieder seinen schneeweißen, wallenden Umhang und machte einen würdigen und entrückten Eindruck. Parker verließ seinen Beobachtungsposten am Fenster und schaltete die Ge-
räte ein. In Myladys Haus gab es eine ganze Reihe von sogenannten ,Wanzen’, die der Butler schon vor langer Zeit installiert hatte. Mylady Haus wurde häufig von Gangstern okkupiert. Es hatte sich dann immer als wirkungsvoll erwiesen, diese Gespräche abhören zu können. So auch jetzt. Die ,Wanzen’ sorgten für eine erstklassige Übertragung, die gestochen scharf über den Empfänger kam. Der Guru marschierte noch mal durch das geräumige Haus und erteilte seinem Sekretär Anweisungen. Bei dieser Gelegenheit erfuhren Parker und Kathy Porter, daß dieser Sekretär Steven Planters hieß. Parker fiel auf, daß die Antworten dieses Sekretärs überraschend selbstbewußt klangen. Steven Planters schien auf den Guru einen erstaunlich großen Einfluß zu haben. Er genierte sich nicht, den ,Erleuchteten’ immer wieder zu korrigieren und ihm Vorschläge zu machen. Der Guru akzeptierte sie in fast allen Fällen. Es ging, wie zu hören war, um die Ausplünderung des Hauses. Der Guru wollte die wertvollen Bilder, Möbel und Antiquitäten so schnell wie möglich wegschaffen lassen, doch sein Sekretär Planters war strikt dagegen. Die Art, wie er seinen Widerspruch formulierte, war eigentlich schon eine Frechheit. Er fuhr dem ,Erleuchteten’ einfach über den Mund und nannte dessen Absichten Schwachsinn. Er plädierte dafür, daß dieses Ausräumen erst zu einem viel späteren Zeitpunkt geschah, um in der Öffentlichkeit keinen Verdacht zu erregen. Kathy bediente während dieses Zwiegesprächs das Tonband. Sie schnitt die Unterhaltung Wort für Wort mit. Sie 33
lächelte, als der Guru und sein Sekretär sich über Parker unterhielten. „Dieser Butler macht mir Sorgen“, sagte der ,Erleuchtete’ mit nervöser Stimme. „Ich bin sicher, daß er keine Ruhe geben wird.“ „Keine Angst, Ghandari“, war der Sekretär zu vernehmen, „Parker wird schnellstens abserviert. Ich habe das bereits veranlaßt.“ „Und diese Kathy Porter?“ In der Stimme des Guru lag ein eigenartiger Unterton. „Sie hat’s Ihnen angetan, wie?“ Sekretär Planters lachte leise. Spöttisch übrigens, wie der Empfänger deutlich übertrug. „Jeder hat eben so seine Schwächen“, meinte der Guru und grinste häßlich. „Ich möchte sie noch mal durch die Hölle jagen, bis sie vor Angst und Grauen zusammenbricht.“ „Sadist, Wie?“ Der Sekretär lachte erneut. „Aber Sie sollen sie bekommen, Ghandari, mein Wort darauf! Lassen Sie sich meinetwegen von ihr die Füße küssen, das geht mich nichts an.“ „Wann werde ich sie haben, Planters?“ „Wir sind bereits hinter Parker und der Kleinen her. Ohne unser Wissen kommen sie nicht aus der Stadt.“ „Hoffentlich unterschätzen Sie diesen Butler nicht, Planters.“ „Wir sind schon mit ganz anderen Schnüfflern fertig geworden, Ghandari. Lassen Sie das mal unsere Sorge sein, Hauptsache, Sie halten Ihren Schwindel durch!“ „Sie fressen mir aus der Hand, diese Dummköpfe.“ „Macht die alte Fregatte Ihnen keine Schwierigkeiten?“ wollte Planters wissen. „Die ist weich wie Butter in der Sonne. Ich denke, wir können Perkins jetzt auf 34
sie ansetzen. Sie wird unterschreiben, was immer ich will.“ „In Ordnung, dann werde ich Perkins in Marsch setzen, Ghandari, dann kann die Kuh ja geschlachtet werden. Sorgen Sie jetzt dafür, daß Ihr komisches Kloster sauber bleibt!“ „Keine Sorge, Planters, dort kann die Polizei sich jederzeit umsehen. Sie wird nur auf harmlose Irre stoßen.“ „Schön, beenden wir die Sitzung hier, Ghandari. Es bleibt dabei, diese Bude hier ist ab sofort unser Konferenzort. Hier sind wir sicher, daß wir nicht durch irgendeinen Trick abgehört werden können. Verlagern Sie alle Unterlagen hierher, sicherer kann ein Versteck gar nicht sein.“ * „Das Leben schreibt die besten Drehbücher“, stellte Josuah Parker zufrieden fest. Er stand zusammen mit Kathy Porter am Fenster des Nachbarhauses und schaute dem davonfahrenden Bentley nach. „Solch einen tollen Zufall kann man wirklich nicht erfinden“, meinte Kathy und nickte lächelnd. „Deutlicher konnte man uns nicht sagen, daß wir es mit Gangstern zu tun haben.“ „Wer ist dieser Planters?“ fragte sich der Butler halblaut, „meiner bescheidenen Ansicht nach muß er der Vertreter eines sogenannten Gangsterbosses sein.“ „Der den Guru kontrolliert, nicht wahr?“ „Sie sagen es, Miß Porter.“ Parker nickte zustimmend. „Der ,Erleuchtete’ scheint auf zwei getrennten Ebenen zu arbeiten. Da sind einmal die ,harmlosen Irren’, von denen der Guru berichtete,
aber da scheint es auch noch einen zusätzlichen und exklusiven Kreis zu geben.“ „Lady Simpson?“ „Sie und andere, die über beträchtliche Barmittel verfügen müssen“, bestätigte der Butler. „Ich darf daran erinnern, daß man Mylady mit einer Kuh verglich, die geschlachtet werden kann.“ „Sie hält sich ganz sicher nicht mehr im ,Kloster der inneren Sammlung’ auf, Mr. Parker.“ „Da möchte ich Ihnen voll beipflichten“, sagte Parker, „Anwalt Perkins soll in Marsch gesetzt werden. Das klingt nach einer längeren Ausfahrt.“ „Werden wir diesen Anwalt Perkins verfolgen?“ „Dem möchte ich nachdrücklich zustimmen“, erwiderte der Butler, „Mr. Perkins wird uns hoffentlich den richtigen Weg weisen.“ „Lady Simpson muß aber diesen ganzen Schwindel längst durchschaut haben“, wunderte sich Kathy Porter, als sie zusammen mit dem Butler das Nebenhaus verließ. „Mylady werden ihre ganz bestimmten Gründe haben, dieses an sich alberne Spiel mitzumachen“, erklärte der Butler. „Darf ich in diesem Zusammenhang vielleicht noch mal auf die dringenden Mahnungen zurückkommen, mit denen Mylady Sie und meine bescheidene Person verließ?“ „Worauf spielen Sie an, Mr. Parker?“ „Mylady riet, vom Baum der Erkenntnis zu naschen“, erinnerte sich Parker. „Ich möchte sogar annehmen, daß ich fast wortwörtlich zitiere; Darüber hinaus riet Mylady, die Wahrheit hinter den letzten Dingen zu suchen und die Lüge zu entlarven.“
„Das klingt ja fast nach einem Auftrag, Mr. Parker?“ Kathy Porter sah den Butler erstaunt an. „Sie sagen es, Miß Porter.“ Parker nickte nachdrücklich. „Man sollte davon ausgehen, daß Mylady geradezu darauf besteht, diesen Fall nicht aus der Hand zu geben.“ „Warum macht sie freiwillig mit, Mr. Parker? Diese Frage geht mir einfach nicht aus dem Kopf.“ „Mylady wird dazu später Stellung nehmen“, vertröstete Parker seine attraktive Schülerin. „Ich hege allerdings den schrecklichen Verdacht, daß Mylady nur dabei ist, Material für einen kommenden Bestseller zusammenzutragen.“ „Ob sie dann weiß, daß sie mit ihrem Leben spielt?“ „Man wird Mylady tunlichst bald danach fragen müssen“, entschied der Butler. „Man kann nur hoffen, daß der erwähnte Anwalt Perkins sich als guter Pfadfinder erweist.“ Sie hatten das Haus durch die Kellerräume verlassen, befanden sich in der schmalen Gasse hinter den altehrwürdigen Fachwerkhäusern und gingen dann hinüber zu dem öffentlichen Parkplatz, wo Parkers hochbeiniges Monstrum stand. Kathy Porter hatte noch vor dem Erscheinen des ungebetenen Besuchers vom Hotel aus in Erfahrung gebracht, wo die Kanzleiräume des Anwalts sich befanden. Die Fahrt nach Soho dauerte seine Zeit, da die eigentliche City wieder mal verstopft war. Erst nach knapp einer Stunde erreichten sie Soho und hier die Sutton Row. Parker, der seinen Privatwagen langsam durch die Sutton Row rollen ließ, nahm plötzlich seine schwarze Melone ab. Im 35
gleichen Moment glich sein Wagen einem der unendlich vielen Taxis, die die Straßen von London bevölkern. Sein hochbeiniges Monstrum fiel überhaupt nicht mehr auf, es war anonym geworden. Parkers schnelle Reaktion war nicht ohne Grund erfolgt. Aus dem schmalbrüstigen Haus, in dem sich die Kanzlei des Anwalts Perkins befand, kamen zwei Männer heraus. Einer von ihnen war der Asket, den der Butler bereits recht gut kannte. Es handelte sich um Gara Singh, der bei Perkins angestellt war, wie seine Brieftasche enthüllt hatte. Neben Singh marschierte ein großer, dicker und schwitzender Mann, der etwa fünfundvierzig Jahre alt war. Er hielt einen schwarzen Aktenkoffer in der rechten Hand und machte einen wichtigtuerischen Eindruck. Beide Männer stiegen in einen schon recht mitgenommenen Ford und fuhren umgehend los. „Anwalt Perkins?“ fragte Kathy, sich an den Butler wendend. „Mit einer Wahrscheinlichkeit, die bereits an Sicherheit grenzt“, gab der Butler zurück. „Ich denke, Miß Porter, daß wir in absehbarer Zeit das Vergnügen haben werden, Mylady zu sehen, wenn auch nur aus einer gewissen Distanz heraus.“ * Der Landsitz am östlichen Fuß der North Downs war eine echte Augenweide. Es handelte sich um ein mittelalterliches Schloß, das man restauriert hatte. Es lag in einem weiträumigen, verwilderten Park, in dem hohe Bäume standen. Das gesamte Anwesen wurde von einer hohen und solide aussehenden Mauer umgeben. 36
Parker und Kathy Porter hatten den Ford bis hierher diskret verfolgt und konnten eigentlich sicher sein, daß man sie dabei nicht entdeckt hatte. Nach dem Verlassen Londons waren der Anwalt Perkins und Gara Singh in Rochester von der Schnellstraße nach Dover gegangen und dann über Maidstone bis fast nach Chilham gefahren. Ein paar Meilen von diesem Städtchen entfernt lag der Landsitz inmitten der grünen und teilweise bewaldeten Hügellandschaft. Von einem dieser Hügel aus beobachteten Parker und Kathy Porter das schloßähnliche Anwesen, das einen stillen und friedlichen Eindruck machte. Es war inzwischen fast Nachmittag geworden, die Downs lagen in idyllischer Ruhe in der sanften Sonne. Parker, der das große Anwesen unten im Tal durch sein Fernglas beobachtete, hob plötzlich lauschend den Kopf. Ein giftiges Summen war zu hören, das seine Trommelfelle erheblich peinigte. Zuerst wußte er mit diesem hohen Ton nichts anzufangen, bis er plötzlich das Flugzeug entdeckte. Es handelte sich um ein Modell, das offensichtlich ferngesteuert wurde. Es jagte in verwegenen Kurven durch die Luft, kippte wechselnd über die Tragflächen ab und trudelte. Doch immer wieder wurde dieses an sich recht große Modellflugzeug abgefangen und erneut hinauf in den Himmel torpediert. Parker, an technischem Spielzeug stets interessiert, vergaß den Landsitz tief unten im Tal und beobachtete ausschließlich das Modellflugzeug, das in einen eleganten Gleitflug überging und hinter einer Buschgruppe landete. Diese Buschgruppe war etwa zweihundert Meter von Parkers Standort
entfernt. Genau von dort startete plötzlich ein weiteres Modellflugzeug, das kleiner, dafür aber schneller war. „Wenn Sie erlauben, werde ich mir die Modelle mal aus der Nähe ansehen“, sagte Parker, sich an Kathy wendend, wobei er ihr das Fernglas reichte. „Wenn meine Erinnerung mich nicht sonderlich trügt, müßte es sich um eine Zehn-KanalSteueranlage handeln.“ „Die Modelle werden vom Boden aus gesteuert, Mr. Parker?“ Kathy Porter wußte nur zu gut. daß es für den Butler kein Halten mehr gab. Technisches Spielzeug faszinierte ihn. „In der Tat“, bestätigte der Butler, „mit einem solchen Steuersender lassen sich sämtliche Flugmanöver ausführen. Ich denke, daß ich in wenigen Minuten wieder zurück bin.“ „Nehmen Sie sich nur Zeit, Mr. Parker! Dort unten im Landsitz scheint sich aber auch gar nichts zu tun.“ Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und schritt gemessen hinüber zu der Buschgruppe. Natürlich sorgte er dafür, daß man ihn vom Landsitz aus auch jetzt nicht sehen konnte. Er brauchte etwa zehn Minuten, bis er die Buschgruppe erreicht hatte, da der Weg sehr uneben und gewunden war. „Sie sehen einen begeisterten Modellbauer vor sich“, begrüßte er die beiden Männer, die graue Kittel trugen und absolut nicht wie Liebhaber aussahen. Während der Butler noch redete, schaute er hinunter auf die am Boden stehenden Modelle. Er zählte insgesamt sechs Flugzeuge. Es waren perfekt gebaute Modelle mit starken Motoren, die seiner Schätzung nach bis zu 15 ccm besaßen. Es stellte sich heraus, daß der Butler es tatsächlich nicht mit Amateuren zu tun
hatte. Es handelte sich um zwei Angestellte einer kleinen Firma, die sich auf den Bau und den Versand von Modellflugzeugen spezialisiert hatte. Die beiden Männer erprobten hier neue Modelle, die später den Kunden angeboten wurden. Nun der Butler ließ sich von der Sachlichkeit der beiden Männer nicht abschrecken. Er verwickelte sie in ein Fachgespräch und entpuppte sich als Kenner der Materie. Als er nach einer halben Stunde wieder neben Kathy Porter erschien, machte er einen äußerst zufriedenen Eindruck. „Hier hat sich nichts gerührt“, sagte Kathy bedauernd. „Falls Mylady sich dort unten im Landsitz befindet, wird sie festgehalten. Hoffentlich hat sie noch einen freien Willen, Mr. Parker.“ „Diese Frage sollte man in der Tat klären“, meinte der Butler und nickte zustimmend. „Nach Einbruch der Dunkelheit werde ich mir die Freiheit nehmen, dem Landsitz einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.“ * „Hoffentlich haben Sie die drei Doggen gesehen, Mr. Parker“, stellte Kathy Porter fest und reichte dem Butler das Fernglas. „Sie streichen sehr hungrig durch den großen Park.“ „Erstaunlich riesige Exemplare“, sagte Parker, nachdem er die drei Tiere durchs Glas beobachtet hatte. „Sie erinnern mich, was die Größe anbetrifft, an Kälber.“ „Aber sie werden sicher nicht so friedlich sein, Mr. Parker.“ „Vielleicht gelingt es mir, sie zur Friedfertigkeit zu überreden“, erwiderte Parker optimistisch. „Doch dazu bedarf es 37
noch einiger Vorbereitungen, Miß, Porter. Ich denke, man sollte zurück nach Maidstone fahren „ „Sie haben natürlich schon wieder einen Plan?“ Kathy lächelte. „Ich erlaube mir tatsächlich, einige Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen“, antwortete Parker gemessen. „Die Modellflugzeuge haben meine Phantasie aktiviert, wenn ich es so ausdrücken darf.“ „Ich glaube, wir können uns die Fahrt ersparen“, sagte Kathy plötzlich und deutete nach unten ins Tal. Parker wußte sofort, was sie meinte. Von weither war Hundegebell zu hören. Parker nahm etwas schneller als üblich das Fernglas hoch und sah ins Tal hinunter. Zwei Männer verließen ganz eindeutig den Landsitz durch eine Mauerpforte. Sie führten drei Doggen mit sich, die einen furchterregenden Eindruck machten. Die Tiere bellten heiser und zerrten an den Leinen, an denen sie geführt wurden. Die Männer interessierten sich eindeutig für die Hügelkette und schienen die beiden Modellbauer vertreiben zu wollen. „Schreiten wir zur Tat“, schlug Parker seiner Schülerin unternehmungslustig vor, „zeigen wir den Männern dort unten, wie wirkungsvoll Flugzeugmodelle sein können!“ Er wartete, bis Kathy in seinem hochbeinigen Wagen saß. Dann setzte Parker sich ans Steuer und fuhr los. Er mußte einen weiten Umweg machen, um den kleinen Lieferwagen zu erreichen, mit dem die Modellbauer ins Gelände gefahren waren. Als er sie erreicht hatte, wollten sie gerade verschwinden. Sie machten einen nervös-aufgeregten Eindruck. 38
„Darf ich unterstellen, daß Sie allergisch gegen die Doggen sind?“ erkundigte sich Parker. „Jetzt ist langsam ‘ne Anzeige bei der Polizei fällig“, sagte einer der beiden Männer gereizt. „Die komischen Brüder da unten haben die Downs ja schließlich nicht für sich gemietet.“ „Wollte man Sie schon wiederholt vertreiben?“ „Klar, und sie kommen immer mit diesen verdammten Doggen.“ „Es scheint sich um einen sehr eigenwilligen Besitzer zu handeln.“ „Da unten spinnt doch jeder“, lautete die Antwort, „die machen da auf Kloster oder so, aber sie lassen keinen ans Grundstück.“ „Seit wann findet dort unten das von Ihnen erwähnte Klosterleben statt?“ „Seit ein paar Monaten“, hörte Parker, der gern noch weitere Fragen gestellt hätte, doch die beiden Modellbauer waren an einer ausgiebigen Unterhaltung nicht interessiert. Sie wollten das Feld so schnell wie möglich räumen. Parker vermochte ihre Ungeduld allerdings zu zügeln. Er rückte mit einem finanziell recht interessanten Vorschlag heraus und sorgte dafür, daß die beiden Männer die Banknoten sahen, die er für den Ankauf von drei Modellen auszugeben bereit war. Die Verkaufsverhandlungen waren schnell getätigt. Nach wenigen Minuten war der Butler der dankbare Besitzer dreier Modelle und der dazu notwendigen Steuergeräte. Er wirkte ein wenig verklärt, als er sich Kathy Porter zuwendete. „Sind sie nicht wunderbar?“ fragte er und deutete auf die drei Flugzeuge. Er schien die beiden Männer unten im Tal
und auch die drei riesigen Doggen völlig vergessen zu haben. „Sollten wir vielleicht nicht auch wegfahren?“ fragte Kathy Porter und sah dem davonpreschenden Wagen der beiden Modellbauer nach. „Die beiden Männer scheinen ihre Erfahrungen gemacht zu haben.“ „Aber keineswegs, Miß Porter.“ Parker sah seine attraktive Schülerin erstaunt an. „Ich brenne ja förmlich darauf, die Modelle auszuprobieren. Ich verspreche mir davon ein wenig Ablenkung und Vergnügen.“ * Die drei großen Doggen sprühten vor, Kampfeslust und Eifer. Sie waren von den Leinen gelassen worden und liefen hinauf zum Hügelkamm Die Tiere wirkten nur auf den ersten Blick ein wenig ungelenk und schienen vor Kraft kaum laufen zu können, doch in Wirklichkeit waren sie sehr schnell. Der erste Eindruck täuschte. Sie freuten sich darauf, endlich mal herzhaft zulangen zu dürfen. Bisher war ihnen das versagt geblieben, doch jetzt waren die Anweisungen eindeutig. Sie bellten heiser, als wären sie erkältet, und achteten kaum auf ein Modellflugzeug, das sich oben vom Hügelkamm löste und ein wenig in der Luft taumelte, dann aber sicher lag und nach unten summte. Die erste Dogge blieb stehen und wirkte verunsichert. Das Modellflugzeug schoß im Steilflug herunter und näherte sich knapp über dem Boden der Hundeschnauze. Der Ton des kleinen, aber leistungsstarken Motors erinnerte an den einer
Superhornisse. Die Gehörgänge des Vierbeiners wurden empfindlich belästigt. Die Dogge blieb stehen, äugte mißtrauisch auf das komische Etwas, das sich da rasend schnell näherte und zog den Kopf ein. Nur wenige Zentimeter huschte es dann am linken Spitzohr der Dogge vorüber. Der Vierbeiner setzte sich auf seine Hinterläufe und kratzte sich ein wenig ratlos am Ohr. Die Dogge wußte mit diesem seltsamen Rieseninsekt nichts anzufangen. Sie schaute dem Modell nach, das bereits in einer verwegenen Steilkurve lag und erneut zum Tiefflug ansetzte. Die beiden anderen Doggen waren weitergelaufen und hatten den Kunstvogel übersehen. Das sollte sich bitter rächen! Die zweite Dogge wurde von dem Tiefflugangriff vollkommen überrascht. Sie jaulte auf, als das Bugrad des vorbeizischenden Modells über das Ohr rasierte. Die Dogge kam aus dem Tritt, verlor das Gleichgewicht und überschlug sich. Die erste Dogge, die sich inzwischen wieder in Bewegung gesetzt hatte, lief auf und rammte das zweite Tier. Die beiden Tiere purzelten übereinander und landeten zappelnd auf dem Rasen. Als sie sich erhoben, schnappten sie wütend um sich, konzentrierten sich dann aber auf das erneut heranjagende Modell. Es bewegte sich neckisch wie ein taumelnder Schmetterling, vollführte einige gekonnte Kunstflugfiguren und strich dann unsicher nach links ab. Die beiden Doggen witterten Morgenluft, obwohl es längst später Nachmittag war. Sie sahen eine echte Chance, dieses komische Ding zu erhaschen. Sie pfiffen im übertragenen Sinn auf die Kommandos 39
ihrer beiden Hundeführer. Sie ließen sich echt ablenken und verloren ein wenig die Übersicht. Die Doggen rannten also dem davonwackelnden Etwas nach und holten mächtig auf. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie nach dem vermeintlichen Rieseninsekt schnappten. Als sie es dann tun wollten, wurden sie arg enttäuscht. Das schrill sirrende Etwas machte plötzlich Fahrt auf und huschte davon, jagte zum Himmel hinauf, vollführte einen Looping und kippte dann über die linke Tragfläche ab. Im Steilflug ging es erneut nach unten. Die dritte Dogge hatte sich bisher nicht ablenken lassen, hatte mächtig an Raum gewonnen und hetzte den Hügel hinauf, der an dieser Stelle recht steil war. Die dritte Dogge achtete dummerweise nicht auf den Tiefflieger. Sekunden später wußte sie, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Das Modell schien auf dem hohen Rücken der Dogge landen zu wollen. Das Tier bekam einen Riesenschreck, zuckte zusammen, sprang hoch und ... wurde von dem schnurrenden Propeller oben am Kopf erwischt. Eine Schnellrasur war nichts dagegen. Gewiß, und das war erfreulich, floß kein Blut. Der Propeller sägte nur durch das kurze Haar der Dogge und traf dabei unglücklicherweise das rechte Ohr des Tieres. Daraufhin verlor der Vierbeiner jede Lust, sich weiter an seinen Auftrag zu halten. Das getroffene Ohr knickte um und schmerzte nicht schlecht. Die Dogge stieß einige heisere Jaultöne aus, brach seitlich aus und wimmerte erwartungsvoll, als das Rieseninsekt sich bereits erneut näherte. Diesmal wackelte es wie ein flügellahmer Vogel. Das 40
Geräusch des Motors klang sehr unregelmäßig, der Propeller eierte. Die Dogge witterte eine Chance, sich für die Schnellrasur zu revanchieren. Sie warf sich vor und schnappte zu. Sie hatte genau den richtigen Zeitpunkt berechnet, aber nicht an den rotierenden Propeller gedacht. Bruchteile von Sekunden später schloß sich das mächtige Gebiß der Dogge und zermalmte den Angreifer. Der Propeller klatschte noch nachdrücklich gegen die Fangzähne, bevor er zersplitterte. Die Dogge biß noch wütender zu und übersah dabei, daß der Motor keineswegs aus Balsaholz bestand. Der kleine Motor erwies sich als eine harte Nuß, an der die Dogge sich die Zähne ausbiß. Aufheulend und jaulend warf die Dogge sich herum und rannte an den beiden Hundeführern vorbei zum Landsitz. Sie war fest entschlossen, vorerst nicht mehr mitzumachen. Die beiden Hundeführer bekamen noch optisch mit, daß die Dogge den Motorzylinder ausspuckte, um dann noch einen halben Propeller folgen zu lassen. * „Die beiden Herren scheinen meine Begeisterung nicht zu teilen“, stellte Josuah Parker fest. Er bediente die kleinen Steuerknüppel der batteriegespeisten Fernlenkanlage und ließ sein zweites Modell durch die Lüfte schwirren. Er handhabte die Steuerknüppel mit Virtuosität und echter Freude und steuerte damit das zweite Modell in verwegenen Kunstflugfiguren um die beiden Hundeführer herum, die einen ausgesprochenen sauren Eindruck auf den Butler machten.
Man konnte es ihnen allerdings auch nicht verdenken. Die drei kriegerischen Doggen hatten sich inzwischen längst abgesetzt und waren zum Landsitz zurückgerannt. Das erste Modell hatte die Vierbeiner völlig frustriert. Sie suchten Schutz in ihrem Zwinger und wollten mit diesem Rieseninsekt nichts mehr zu tun haben. Die beiden Hundeführer hatten natürlich längst herausgefunden, daß sie auf den Arm genommen wurden. Eine Modellcessna sirrte um ihre Köpfe und zwang sie immer wieder unbewußt in die Kniebeuge. Bisher hatten sie gegen diesen Miniatur-Tiefflieger noch kein Gegenmittel gefunden. Immer dann, wenn sie sich vom Boden erheben wollten, war das lästige Modell schon wieder zur Stelle und veranlaßte sie, sich schleunigst zurück in das satte und grüne Gras zu drücken. Natürlich fürchteten sie den Propeller. Sie wollten nicht rasiert werden wie ihre furchterregenden Doggen. Sie schlugen zwar nach dem Modell und versuchten dessen Tragflächen zu erwischen, doch Parker gab ihnen keine Chance. Vom Hügelkamm aus dirigierte er den Kurs der kleinen Maschine, die sich als ungemein kunstflugtauglich erwies Parker war allerdings auch kein Anfänger. Er war durchaus in der Lage, ein normales Flugzeug zu steuern. Der Umgang mit dem Modell war nach kurzer Eingewöhnung dagegen eine Kleinigkeit. „Dachte ich es mir doch!“ Parker nickte. „Sie wollen das Modell abschießen!“ „Ein reizvolles Spiel“, kommentierte der Butler diese Warnung, „die beiden Herren scheinen in eine Art Weißglut geraten au sein.“
Parker beugte’ sich vor und machte einen gesammelten Eindruck. Sein Ehrgeiz war geweckt worden. Er wollte sein Modell auf keinen Fall abschießen lassen und überlegte blitzschnell, wie er die beiden Männer überlisten konnte. Sekunden später hatte er bereits das richtige Rezept gefunden. Die Sonne stand erfreulich tief und war ein riesiger ‘Feuerball, in den man nicht hineinsehen konnte. Diesen Feuerball benutzte der Butler als Deckung. Er griff die beiden Männer aus der Sonne heraus an. Sie hörten natürlich das giftige Sirren des kleinen Motors, der immerhin seine zwei Pferdestärken hatte, doch sie konnten die Cessna nicht sehen. Sie schirmten mit ihren Händen die Augen ab und ... warfen sich dann blitzschnell zurück ins Gras. Die Cessna raste über sie hinweg und berührte mit ihrem Bugrad fast die Nase eines der beiden Scharfschützen. Sie warfen sich herum auf die Seite und nahmen Maß Sie waren sich ihrer Treffer völlig sicher. Die Cessna jagte dicht über den Boden und schien ein leichtes Ziel zu sein. Sie hob sich sogar gegen die grünen Hügel wirkungsvoll ab. Die beiden Männer im Gras hielten ihre schweren Schußwaffen mit beiden Händen fest und merkten nicht, daß das Modell sich sanft aus dem eben erst gesteuerten Kurs wegschob. Und dann, als die beiden Männer schössen, hüpfte sie über eine Bodenwelle und verschwand aus der Sicht der Schützen. Die beiden Geschosse aber waren bereits unkorrigierbar in der Luft und jagten hinunter in Richtung Landsitz. „Treffer“, sagte Kathy Porter trocken, „und noch mal ein Treffer, Mr. Parker. 41
Sie haben zwei Fenster unten im Schloß zerschossen.“ „Sehr schön“, freute sich Parker, „nun müßte Lady Simpson mit letzter Deutlichkeit wissen, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit in der Nähe sind, Miß Porter. Ich denke, ich werde die kleine Cessna noch ein wenig durch den Park wirbeln lassen.“ „Die beiden Kerle stecken auf“, meldete Kathy, die die Männer weiterhin beobachtete. „Sie laufen zurück zum Landsitz. Ob man sie vielleicht noch etwas herumscheuchen könnte, Mr. Parker?“ „Ihr Wunsch ist mir sofort Befehl“, antwortete Parker. „Ich werde ihnen unten am Gehölz auflauern.“ Sie konnten das Modell nur hören, nicht aber sehen. Parker, der wesentlich höher stand als sie, bewegte die kleine Cessna hinter der hohen Hecke und wartete, bis die beiden Männer sie erreicht hatten. Dann aber zog er die Cessna hoch, ließ sie über die linke Tragfläche abkippen und auf die beiden zurückspringenden Männer sausen. Einer der beiden Waffenträger reagierte schnell und gut. Er feuerte zwei Schüsse auf die Cessna ab, die sofort außer Kurs kam und ... dann auf der Stirn seines Partners landete. Es kam zu einer Bruchlandung. Der Propeller rasierte eine tiefe Geheimratsecke in den Haarschopf des aufbrüllenden Mannes und quirlte dann noch dessen Nase, die sich daraufhin leicht verformte Nach diesem Zusammenstoß tropften die Reste des Modells an dem Mann hinunter und regneten zu Boden. „Sie sind mein Zeuge. Miß Porter, daß es sich um alleiniges Selbstverschulden handelte“, bemerkte Parker gemessen. 42
„Ich muß allerdings einräumen, daß ich diesem Mann das kleine Mißgeschick durchaus gönne!“ Sich die Nase haltend, trabte der Getroffene auf die Mauerpforte zu, gefolgt von seinem Partner, der sich immer wieder mißtrauisch umsah und wohl mit einem weiteren Modell und Angriff rechnete. Parker beließ es jedoch bei dieser Attacke. Er besaß jetzt noch ein drittes Modell, das er nicht so ohne weiteres opfern wollte, zumal die beiden Männer inzwischen auch nicht mehr zu sehen waren. Dieses dritte und letzte Modell wollte er zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen, denn es enthielt eine seiner Ansicht nach technische Delikatesse, die man nicht so einfach verschleudern konnte. * „Wollen Sie immer noch versuchen, in den Landsitz einzudringen, Mr. Parker?“ erkundigte sich Kathy Porter. Es war inzwischen dunkel geworden, doch Parker und seine attraktive Schülerin hatten den Hügelkamm nicht geräumt. „Sie haben Bedenken gegen einen solchen Versuch?“ „Man weiß dort unten doch längst, wem man diese Tieffliegerangriffe zu verdanken hat, man rechnet also bestimmt mit einem Besuch.“ „Dieser Ansicht möchte auch ich beipflichten, Miß Porter.“ Parker beobachtete durch sein leistungsstarkes Nachtsichtgerät den Landsitz. Er wollte auf jeden Fall feststellen, ob und wann der Anwalt aus London wieder losfuhr. Erschien der Wagen von Anwalt Perkins, so war damit zu rechnen, daß er alle
Unterschriften besaß, damit der Guru Lady Simpsons Besitz an sich bringen konnte. Nur aus diesem einzigen Grund war Perkins schließlich zusammen mit Gara Singh hierher in die Downs gefahren. Das Nachtsichtgerät verfügte über eine erstaunliche Leistung. Selbst die letzten Restlichtmengen wurden von der Elektronik verstärkt und zu einem gut erkennbaren Bild umgeformt. Durch dieses Gerät hätte man selbst eine Katze beobachten können, falls sie versucht hätte, den Landsitz zu verlassen. „Wir bekommen Besuch“, sagte Parker plötzlich und suchte mit dem Nachtsichtgerät die weiten Wiesen ab. „Es handelt sich eindeutig um drei Männer, die sich an unseren Standort heranpirschen.“ „Kennen wir die Männer?“ wollte Kathy wissen, die sofort an die beiden Doggenführer dachte. „Wir hatten noch nicht das Vergnügen“, bedauerte der Butler, „es scheint sich um sehr handfeste Leute zu handeln, wenn ich den Körperbau richtig deute.“ „Und woher wissen sie. daß wir hier auf dem Hügel sind?“ „Entweder verfügt man dort unten ebenfalls über ein Nachtsichtgerät, Miß Porter oder aber man will den Hügelkamm nur sicherheitshalber absuchen.“ „Bleiben wir?“ „Ein kleines Ausweichmanöver könnte nicht sonderlich schaden“, sagte Parker gemessen. „Vielleicht ist der Landsitz dort unten jetzt weniger scharf bewacht.“ „Warum holen wir Lady Simpson nicht heraus?“ wollte Kathy wissen. „Sobald sie unterschrieben hat, dürfte sie sich in Lebensgefahr befinden.“
„Sie sagen es!“ Parker nickte. „Mylady werden unter Umständen zwar unwillig darauf reagieren, doch dieses Risiko sollte man eingehen.“ Er schaute noch mal durch das Nachtsichtgerät und beobachtete die drei Männer. Sie kamen gut voran, kannten sich im Gelände aus. Es war inzwischen eindeutig, daß sie sich für den langgestreckten Hügelkamm interessierten. Sie mußten tatsächlich wissen, daß ihre beiden Gegner sich noch dort oben befanden. „Darf ich Sie bitten, Miß Porter, das Ablenkungsmanöver durchzuführen?“ bat Parker, „könnten Sie vielleicht ein wenig über den Hügelkamm herumfahren, während ich mir den Landsitz ansehe?“ „Natürlich“, sagte sie sofort, „soll ich Sie dann später unten am Landsitz erwarten?“ „Ein vorzüglicher Vorschlag“, antwortete Parker, „falls ich Mylady überreden kann, meiner bescheidenen Wenigkeit zu folgen, ließe sich ein längerer Fußmarsch vermeiden.“ Parker wartete bis Kathy am Steuer seines hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte. Sie ließ den Motor diskret aufrauschen, damit die drei Männer abgelenkt wurden. Danach fuhr sie langsam in Richtung Osten und folgte dem schmalen Hügelweg. Parker war bereits unterwegs. Es war wieder mal erstaunlich, wie sportlich der Butler war, wenn er nicht beobachtet wurde. Von seiner Gemessenheit verlor er zwar keinen Deut, doch er entwickelte dennoch eine erstaunliche Geschwindigkeit. Nach einer guten Viertelstunde hatte er die Mauer des Landsitzes erreicht. Das große, schloßähnliche Haus war dunkel 43
und machte einen friedlichen Eindruck. Von den drei Doggen war nichts zu hören. Die verschreckten Tiere schienen immer noch unter den Nachwirkungen der Tieffliegerangriffe zu leiden. Josuah Parker brauchte nicht lange nach der bewußten Mauerpforte zu suchen, durch die die Männer des Landsitzes ins Gelände marschiert waren. Die Pforte war nur angelehnt und bot sich förmlich an, benutzt zu werden. Parker horchte in sich hinein und wartete auf das Ansprechen seiner inneren Alarmanlage. Er verfügte über eine Art siebten Sinn und hatte ein feines Gespür für Gefahr. Seine Alarmanlage meldete sich, wenn auch im Augenblick nur verhalten. Parker, der es kaum erwarten konnte, Agatha Simpson endlich zu sehen, schaltete die mahnende Stimme in seinem Innern ab und drückte die Pforte auf. Was danach geschah, wußte er später nicht mehr genau zu sagen. Er konnte sich nur daran erinnern, daß sich ein äußerst harter Gegenstand auf seine stahlblechgefütterte Melone legte, worauf ihm die Kopfbedeckung tief in die Stirn getrieben wurde. * Kathy Porter hatte sich das Ablenkungsmanöver ein wenig zu einfach vorgestellt. Sie rollte mit Parkers hochbeinigem Monstrum über den Höhenweg und ... sah sich plötzlich einem Langholzwagen gegenüber, der den schmalen Weg restlos blockierte. Sie hielt den Wagen an, schaute sich um und suchte nach irgendwelchen Leuten, die zu diesem Wagen gehörten. Sie rechnete selbstverständlich sofort mit einer raffinierten Falle, legte 44
sicherheitshalber bereits den Rückwärtsgang ein und — entdeckte dabei im Rückspiegel einen zweiten Langholzwagen, der ihr den Rückweg versperrte. Dieser Wagen war aus dem übermannshohen Buschwerk gekommen und keilte sie fest. Sie hatte sich nicht getäuscht. Eine perfektere Falle, konnte man sich gar nicht vorstellen. Geduldig war sie gestellt worden. Die Insassen des Landsitzes unten vom Tal hatten schnell dazugelernt. Auch sie waren nicht gerade phantasielos wie sich leider zeigte. Kathy überlegte, was zu tun war. Sie konnte sich in Parkers Wagen einigeln und Zeit herausschinden. Doch sie machte sich keine Illusionen. Mochte das hochbeinige Monstrum auch über eine Reihe technischer Raffinessen verfügen, eine uneinnehmbare Festung war der Wagen natürlich nicht. Kathy klinkte die Tür auf, nachdem sie den versteckt angebrachten Zentralschalter bedient hatte. Das Getriebe des Wagens war jetzt völlig blockiert. Das Privatfahrzeug des Butlers konnte nicht mehr regulär bewegt werden. Es war auch unmöglich, den Motor in Gang zu setzen. Man brauchte nun schon einen Abschleppwagen, um das Monstrum auf Rädern fortzubewegen. Daß man im Unterholz auf sie wartete, zeigte sich Sekunden später. Einige Gestalten wischten aus den Büschen heraus und stürzten sich auf Kathy. Da sie aber mit solch einem Angriff gerechnet hatte, konnte sie geschickt ausweichen. Nachdem sie einen der Angreifer mit der Kante ihrer linken Hand zu Boden gebracht hatte, rannte Kathy los. Sie wollte Parker warnen, für den man
wahrscheinlich ebenfalls eine Falle vorbereitet hatte. Lady Simpsons Gesellschafterin, die normalerweise an ein scheues und ängstliches Reh erinnerte, hatte sich innerhalb weniger Sekunden in eine geschmeidige Pantherkatze verwandelt, Sie war nicht so leicht einzufangen, wie die Angreifer es sich wohl vorgestellt hatten. Kathy rannte durch das dichte Unterholz und hörte hinter sich halblaute, erregte und wütende Zurufe, vermischt mit dem Brechen von Zweigen und dem Rauschen von Blättern. Ein Verfolger saß ihr dicht auf den Fersen. Sie ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen, passierte einen dichten Strauch mit zähen Zweigen und benutzte sie als Waffe. Sie hielt einen langen Ast fest, um ihn dann plötzlich zurückpeitschen zu lassen. Ein ersticktes Aufbrüllen zeigte ihr wenig später, daß sie richtig gehandelt hatte. Kathy schlug einen Haken, um sich zu ducken. Sie wollte die Verfolger an sich vorbeirennen lassen. Die Sicht im Unterholz war erfreulicherweise gleich Null. Die Verfolger ließen sich hereinlegen, trampelten an dem Versteck vorüber, riefen sich Warnungen und Flüche zu und verschwanden dann in der Tiefe des Unterholzes. Kathy lächelte unwillkürlich. Sie schien es geschafft zu haben, richtete sich auf und pirschte sich leise zurück zu Parkers Wagen. Von dort wollte sie dann zum Landsitz laufen, um Parker zu warnen. Sie erreichte den Wagen, doch sie kam leider nicht weiter. Geblendet schloß sie die Augen, als ein gleißender Lichtstrahl ihre Sehnerven traf. Kathy blieb sofort stehen und hob
resigniert die Arme. Sie wartete erst gar nicht auf den Befehl dazu, denn sie wußte, daß man sie überlistet hatte. „Wird der Guru sich aber freuen“, hörte sie eine vor Ironie triefende Stimme, die ihr bekannt vorkam, „auf solch ‘ne Schülerin hat er gerade noch gewartet. Freu’ dich schon jetzt auf ein paar Privatlektionen! Der Erleuchtete’ läßt sich bestimmt ein paar nette Sachen einfallen!“ Kathy spürte die Gänsehaut auf ihrem Körper. * Josuah Parker befand sich nicht gerade in Hochstimmung. Er ärgerte sich gründlich und war mit seiner augenblicklichen Unterbringung überhaupt nicht einverstanden. Er befand ich in einer mehr als schmalen Zelle, die kaum größer war, als eine Besenkammer. Sie war fensterlos und besaß eine Tür, die mit normalen Mitteln nicht zu öffnen war. Man hatte den Butler gründlich ausgeplündert, dabei jedoch einige Dinge übersehen, wie Parker längst bemerkte. Seine Taschen waren gründlich geleert worden, doch immerhin verfügte er noch über seine schwarzen Schuhe, deren Schnürsenkel es in sich hatten. Er besaß ferner noch seinen unscheinbar aussehenden Siegelring und die Manschettenknöpfe. Sie alle hatten eine Art doppelten Boden, vom Inhalt seiner Schuhabsätze mal ganz abgesehen. Parker war also nicht gerade wehr- und waffenlos, er war leider nur gründlich und unbequem eingesperrt worden. Schon die Art. wie man ihn überlistet hatte, deutete daraufhin, daß er es mit Gegnern zu tun hatte die aus dem 45
Profilager stammten. Der Butler dachte unwillkürlich an den Sekretär des Guru. diesen Steven Planters. Dieser angebliche Sekretär mußte die Weichen gestellt haben. Er schien inzwischen die Dinge in die Hand genommen zu haben, nachdem der ,Erleuchtete’ einige Niederlagen kassiert hatte. Wer, so fragte Parker sich, mochte dieser Planters sein? Sein Gesprächston war mehr als keß gewesen wie Parker sich noch genau erinnerte. Er hatte den Guru im Grund herumkommandiert und ihm die Anweisungen im Fall der Lady Simpson erteilt. Handelte Planters auf eigene Rechnung? Oder vertrat er nur einen Gangsterboß der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte? War der .Erleuchtete’ nichts anderes als eine Marionette? Parker wartete ungeduldig darauf daß man ihn aus dieser engen Zelle herausholte. Irgendwann mal mußten seine Gegner sich doch mit ihm befassen. Oder hatten sie sich vielleicht inzwischen längst abgesetzt und ließen ihn hier schmoren? An diese Möglichkeit hatte Parker bisher noch gar nicht gedacht. Ihm wurde plötzlich heiß, als er in diesem Zusammenhang an Lady Simpson dachte. Hatte man sie schon wieder weggeschafft? Er fuhr zusammen, als er von weither einen unterdrückten Schrei hörte. Er dachte sofort an Kathy Porter. * „Was soll denn das?“ fuhr Steven Planters seine Gefangene an. Der Sekretär des Guru hatte Kathy gerade ins Haus geschoben und war zusammengefahren, 46
als sie den spitzen Schrei des Entsetzens ausgestoßen hatte. Dieser Schrei war grundlos erfolgt, denn man hatte Kathy bisher nichts getan. Nachdem man sie oben auf den Hügeln überlistet und gestellt hatte, war sie hinunter in den Landsitz gebracht worden. Um Parkers Wagen hatten die Männer sich nicht weiter gekümmert. Die Gefangene war ihnen vorerst wichtiger. Kathy hatte den langen und dürren Sekretär des Guru sofort erkannt, sich aber natürlich nichts anmerken lassen. Steven Planters brauchte ja nicht zu wissen, daß Lady Simpsons Haus in Shepherd’s Market nicht das sichere Versteck war, wie er zusammen mit dem Guru vermutete. Kathy stieß einen zweiten Schrei aus, der noch spitzer und greller ausfiel. Es kam ihr darauf an, daß Parker informiert wurde, falls er sich im Haus aufhielt. Sie wollte damit aber auch Lady Simpson aktivieren. Kathy Porter wußte aus Erfahrung, wie die Dame auf Schreie dieser Art reagierte Ihre Hilfsbereitschaft wurde dann sofort geweckt, für Lady Simpson gab es dann kein Halten mehr. „Warum schreien Sie nicht noch mal?“ fragte der Sekretär und grinste. „Parker hat keine Chance, in seine Trickkiste zu langen. Und die alte Fregatte schwebt in höheren Regionen. Die ist geistig weggetreten.“ „Sie haben sie unter Drogen gesetzt?“ Kathy blieb stehen und sah Steven Planters gereizt an. Sie hätte diesem langen und dürren Kerl am liebsten gegen das Schienbein getreten, doch sie kam nicht an ihn heran. Sie wurde festgehalten von zwei stämmigen Männern, die sie oben auf den Downs gejagt hatten.
„Die dumme Kuh braucht keine Drogen“, meinte Steven Planters geringschätzig. „Die hat sich selbst high gemacht „ „Warum halten Sie sie hier fest?“ Steven Planters antwortete erst, als sie in einem mittelgroßen Raum waren, der eine Mischung aus Salon und Büro war. Es gab hier einen sehr real aussehenden Arbeitstisch, einige Rollschränke, aber auch dicke Teppiche auf dem Boden und einige bequeme Sessel. Sie standen vor einer Anbauwand, deren Regale mit Fernsehmonitoren gefüllt waren. Kathy zählte sie automatisch und kam auf die Zahl zehn. Kathy wurde in einen der Sessel gedrückt die beiden Männer blieben hinter ihr stehen und ließen sie nicht aus den Augen. Steven Planters griff nach einem Fernbedienungsschalter, der auf Ultraschallbasis arbeitete. Er drückte auf einen der Knöpfe und schaute dann Kathy lächelnd und überlegen an. Kathy schnappte nach Luft. Auf einem der Monitore flackerte ein Bild auf, das sofort und ohne jeden Übergang Lady Simpson zeigte. Sie befand sich in einer Art Klosterzelle, die mehr als karg- eingerichtet war. Es gab da an der weiß gekalkten Längswand ein Feldbett, das schon rein optisch ungemein hart aussah, ferner einen winzig kleinen Wandtisch und einen offenen Kasten an der Wand, in dem eine einfache Schale und ein Messingbecher standen. Damit war die Einrichtung aber auch schon vollständig beschrieben. Lady Simpson hatte ihre Worte wahrgemacht, sie hatte zum einfachsten Leben zurückgefunden. Sie saß auf einem länglichen Teppich unterhalb des kleinen viereckigen Fen-
sters und hatte sogar ihre recht stämmigen Beine übereinandergekreuzt. Sie schien zu meditieren. „Da haben Sie Ihre Lady Simpson“, meinte Sekretär Steven Planters ironisch. „Macht sie nicht ‘nen herrlich friedlichen Eindruck?“ „Sie haben sie unter Drogen gesetzt“, gab Kathy zurück. „Nun hören Sie endlich mit den Drogen auf“, sagte Planters, „Sie können sich wohl gar nicht vorstellen, daß die alte Fregatte vollkommen freiwillig mitmacht, wie?“ „Sie will immerhin auf ihr ganzes Vermögen verzichten! Das würde sie freiwillig niemals tun.“ „Ist alles ‘ne Frage der Motivierung“, redete Planters ironisch weiter. „Der Guru ist eben ‘ne Ausnahmeerscheinung. Der kann seinen Humbug verkaufen!“ „In Ihrem Auftrag, nicht wahr?“ „Passen Sie mal auf, was gleich geschehen wird.“ Der Sekretär des Guru warf einen knappen Blick auf seine Armbanduhr. „Der Gong muß jeden Augenblick dröhnen.“ Er hatte seinen Satz gerade beendet, als tatsächlich ein dumpfer, hallender Gong ertönte. Lady Simpson, auf dem Fernsehschirm immer noch deutlich zu erkennen, erhob sich umständlich und hatte einige Schwierigkeiten, ihre gekreuzten Beine auseinander zu flechten. Dann schritt sie zur Tür ihrer Zelle, die zu Kathys Überraschung nicht verschlossen war. Agatha Simpson trug ein bis zu den Knöcheln reichendes Büßergewand aus gelbem Stoff. Ihre an sich recht großen Füße waren nackt. Sie verschwand hinter der Tür und erschien Sekunden später prompt auf einem anderen Bildschirm. 47
Dieses Bild zeigte einen langen Korridor, auf den eine Reihe schmaler und hoher Türen mündete. Aus ihnen kamen fast gleichzeitig weitere Büßergestalten, die alle samt und sonders gelbe Gewänder trugen. Kathy beugte sich vor, um besser sehen zu können. Sie interessierte sich für diese Besitzlosen, die dort friedlich und in sich gekehrt den langen Korridor hinunterschritten. Die Gesichter dieser Menschen konnte sie leider nicht erkennen. „Das sind ja über ein Dutzend Menschen“, sagte sie halblaut und überrascht. „Wir sind ja auch schließlich im Zentrum der Versenkung’, Mädchen“, meinte Steven Planters gespielt feierlich. „Ich denke, das befindet sich in Indien?“ „Nun ja“, redete Planters weiter und grinste. „Man muß nicht alles so wörtlich nehmen.“ „Sind das alles Menschen, die von Ihnen ausgeplündert werden?“ fragte Kathy gereizt. „Sie alle verzichten freiwillig auf die irdischen Güter“, parodierte Planters den Tonfall des Guru. „Dabei läppert sich so ganz nebenbei ‘ne Menge zusammen.“ „Und was wird aus den Menschen, wenn sie nichts mehr besitzen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie danach noch interessant für den Guru sind.“ „Sie siedeln nach Indien über. Sie warten ja nur darauf, ins Hauptkloster zu kommen.“ „Das nehme ich Ihnen nicht ab.“ Kathy schüttelte den Kopf. „Sie schreiben sogar regelmäßig an ihre Verwandten“, redete der Sekretär weiter. Der Tonfall seiner Stimme ließ deutlich erkennen, daß er sich amüsierte. Kathys 48
Verdacht verstärkte sich, daß er nur log. Die Wahrheit sagte er ganz sicher nicht. „Wo befindet Lady Simpson sich im Moment?“ Statt zu antworten, drückte Steven Planters auf einen Knopf seiner Fernbedienungsanlage. Auf einem anderen Monitor erschien ein Bild, das das Innere eines tempelähnlich ausgeschmückten Raumes zeigte. Hier hatten die Anhänger des Guru sich inzwischen versammelt. Sie saßen auf Teppichen und ließen Gebetsketten durch ihre Finger gleiten. Der Monitor lieferte auch den Ton zu dieser Szene. Die Verehrer des Guru murmelten Worte, mit denen Kathy nichts anzufangen wußte. Plötzlich sah sie den Guru, den sie in London vermutet hatte. Er kam feierlich durch eine schmale Nebentür und hob segnend seine Hände. Das Bild wurde ein wenig schwächer und unklarer. Kathy hatte den Eindruck, daß mit dem Eintreten des Guru eine Art Nebel in den ,Tempel’ geblasen wurde. Sie nahm den Kopf herum und sah den Sekretär des ,Erleuchteten’ fragend an. Er verstand diesen Blick und nickte lächelnd. „Die Nebel der Erleuchtung und Einkehr“, spöttelte er. „Nach solch’ ‘ner Sitzung fühlen seine Kunden sich prima, wetten? Sie schweben wie auf Wolken.“ „Also doch Drogen!“ „Unsinn, Mädchen.“ Planters schmunzelte. „Wolken des Glücks, wie der Guru sagen würde. Aber Schluß jetzt mit der Fragerei. Bereiten Sie sich lieber auf den Guru vor, er will Ihnen ein paar Privatstunden verpassen!“ „Wie ... Wie soll ich das verstehen?“ „Wenn Sie Glück haben, werden Sie sogar seine Lieblingsjüngerin“, meinte
Planters. „Falls Sie aber nicht richtig spuren, wird er sie in die Hölle schicken.“ „Umbringen?“ „Kindchen, Sie haben ‘ne tolle Phantasie!“ Planters schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf. „Wir sind doch keine Gangster, haben Sie das immer noch nicht begriffen?“ Kathy nickte versonnen, gab sich vollkommen friedlich und . . sprang dann überraschend aus dem Sessel Bevor die beiden Männer zupacken konnten, war sie bereits an der Tür. Sie hörte hinter sich die wütende Stimme des Sekretärs, der Befehle geiferte. Sie riß die Tür auf, schlüpfte in den Korridor und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Dann rannte sie los. * Kathy Porter brauchte sich nicht lange zu orientieren. Sie hatte den Korridor wiedererkannt, durch den die Anhänger des Erleuchteten’ feierlich geschritten waren. Sie lief weiter, hörte hinter sich die wütenden Stimmen ihrer Verfolger, erreichte eine wattierte Tür und klinkte sie auf. Sekunden später war sie in dem tempelähnlich eingerichteten Raum, den sie eben erst auf dem Monitor gesehen hatte. Der Guru saß mit gekreuzten Beinen auf einem altarähnlichen Podest und starrte sie entgeistert an. Kathy lief um die kauernden Jünger des ,Erleuchteten’ herum und war bei dem Guru, bevor er sich erheben konnte. Blitzschnell hatte sie ihre dünne Perlenkette in ihren Händen. Sie schlang sie um den Hals des Guru, der daraufhin sichtlich unter Luftmangel litt. Die Kette
hatte es nämlich in sich und stammte aus Parkers Bastelstube. Die Wachsperlen waren auf einen dünnen, aber ungemein zähen Stahldraht aufgezogen, der mit Menschenkraft kaum zu zerreißen war. Kathy handhabte diese Kette wie eine tödlich Schlinge und schnürte dem, Guru die Luft ab. „Sagen Sie, daß sie stehenbleiben sollen“, fuhr sie den Guru scharf an. Sie meinte die drei Männer vorn an der Tür, die sie verfolgt hatten. Es handelte sich um Planters und die beiden stämmigen, jungen Männer. Sie machten einen leicht ratlosen Eindruck, denn sie sahen natürlich deutlich, daß es dem ,Erleuchteten’ nicht sonderlich gut ging. Der Guru krächzte in Todesangst, doch seine Worte waren nicht zu verstehen. Die Perlenkette schnürte sich in seinen Hals ein und bewies ihm, daß Gegenwehr sich nicht auszahlte. Kathy gab dem ,Erleuchteten’ etwas Luft, worauf er endlich besser zu verstehen war. „Bleibt stehen“, krähte er verzweifelt. „Sie bringt mich um!“ Kathy hatte hinter dem Guru Deckung genommen und konnte so nicht niedergeschossen werden. Sie hatte die Schußwaffen in den Händen der Männer deutlich gesehen. „Werft die Waffen zu mir herüber“, befahl sie energisch. „Und keine Tricks, sonst schnür’ ich ihm die Luft ab!“ „Na, und?“ Steven Planters hatte sich bereits wieder gefaßt und unter Kontrolle. Er dachte nicht daran, Kathys Wunsch zu erfüllen. Lässig schritt er durch die teilnahmslos herumsitzenden Jünger des Guru und grinste. Kathy Porter zog ihre Perlenkette ein wenig an. Der Guru schnappte nach Luft 49
und bekam einen roten Kopf. Er zappelte mit den Armen in der Luft. „Ich bluffe nicht“, warnte Kathy. „Ich auch nicht“, antwortete der Sekretär und trat näher auf Kathy zu. „Sie werden ihn umbringen!“ „Vielleicht wird er schon nicht mehr gebraucht“, meinte Planters verächtlich. „Mädchen, begreifen Sie denn nicht, was hier gespielt wird? Ghandari hat im Grund längst seine Schuldigkeit getan.“ Kathy sah blitzschnell zu Lady Simpson hinüber. Die sonst so streitbare Dame saß apathisch auf dem Teppich und schien Kathy überhaupt nicht erkannt zu haben. Sie sah durch sie hindurch. Ihre Lippen bewegten sich, die Sechzig jährige schien zu beten. „Lady Simpson“, rief Kathy verzweifelt. Doch die Detektivin reagierte nicht. Lady Simpsons Finger spielten mit der dicken Gebetskette. Sie befand sich tatsächlich in einer anderen Welt. Von ihr war keine Hilfe zu erwarten. „Geben Sie den Hampelmann endlich frei“, höhnte Planters inzwischen, „los, Jungens, schnappt sie euch! Ich hab’ keine Lust, die ganze Show durchzuspielen.“ Während der Sekretär noch redete, war er in die Nähe von Agatha Simpson gekommen. Bis zu Kathy und dem nach Luft schnappenden Guru waren es nur noch wenige Meter. Die beiden stämmigen Männer gingen außen um die Betenden herum und liefen dann auf Kathy zu. Sie hatte längst eingesehen, daß Planters nicht bluffte. Diesem Gangster war es völlig gleichgültig, ob der Guru erdrosselt wurde oder nicht. Dennoch hatte der Sekretär des .Erleuchteten’ sich gründlich verrechnet. Er 50
hatte Lady Simpson erreicht, schritt weiter, hob drohend die Waffe und... stolperte plötzlich unvermittelt. Sein Straucheln hing eindeutig mit den Händen der Lady Simpson zusammen. Die ältere Dame war aus ihrer inneren Versenkung erwacht und wohl ein wenig in Zorn geraten. Sie griff sehr nachdrücklich nach den Waden des Sekretärs und riß dem Gangster die Beine unter dem Leib weg. Planters stieß einen Schrei der Überraschung aus. Er legte sich waagerecht auf die süßlich riechende Luft und klatschte dann auf den Teppich. Bevor er sich wieder erheben konnte, langte die resolute Dame noch mal zu. Diesmal schien Lady Simpson ein wenig unwillig geworden zu sein. Sie verabreichte Planters ein paar derbe Ohrfeigen, die ihn an den Rand einer Ohnmacht brachten. Agatha Simpsons Kampflust wurde neu entfacht. Nach den Ohrfeigen schlug sie mit der Faust auf die Nasenspitze des Sekretärs. Während sich die Augen des Mannes mit Tränen füllten, angelte Lady Simpson nach der Schußwaffe des Mannes und drückte sie ihm in die Seite. „Waffen wegwerfen!“ Ja, das war die Stimme der Lady Simpson, wie Kathy sie nur zu gut kannte. Der sonore Ton erinnerte an den eines gut ausgebildeten Baßbaritons. Die beiden Männer fuhren herum und starrten die alte Dame entgeistert an. Sie merkten erst jetzt, daß Planters auf dem Teppich lag und Tränen vergoß. Sie begingen den Fehler, auf Lady Simpsons Befehl nicht sofort zu reagieren. Die Detektivin zeigte sich sehr verärgert. Und das war bereits gefährlich. Sie schoß!
Agatha Simpson hatte die Mündung der erbeuteten Waffe natürlich nicht auf Planters gerichtet, sondern nahm die beiden Männer unter Beschuß. Als die Geschosse dicht neben den Stämmigen einschlugen, steckten sie sofort auf, da Lady Simpson mit starken Armen Planters als Schutz und Schirm hochgestemmt hatte. Den beiden Gangstern war es unmöglich, Lady Simpson anzuvisieren. Kathy kümmerte sich nicht weiter um den Guru, der bereits einer Ohnmacht nahe war. Sie lief vom Podest herunter und sammelte die Schußwaffen. Innerhalb weniger Sekunden hatte die Situation sich gründlich verändert. „Sehr schön, Kindchen“, lobte Lady Simpson ihre Gesellschafterin, „und jetzt her zu mir.“ Diesem Wunsch kam Kathy ‘ Porter nur zu gern nach. Sie strahlte die alte Dame an und war einfach glücklich. Im letzten Augenblick hatten die Dinge eine glückliche Wendung genommen. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr passieren. Der Guru konnte nicht länger mehr zur Hölle bitten, sein Spiel war aus. Die Jünger des Guru hatten sich bisher nicht gerührt, ja, sie hatten die Schüsse wohl überhaupt nicht gehört, Versunken und von der Umwelt abgeschnitten saßen sie auf dem Teppich und meditierten ungerührt weiter. Kathy Porter hatte Lady Simpson erreicht. „Mr. Parker ist noch irgendwo im Haus“, sagte sie hastig. „Hat er sich wieder mal einfangen lassen?“ Agatha Simpson lächelte triumphierend. Sie schien sich über Parkers Mißgeschick sehr zu freuen.
„Genau weiß ich es nicht“, antwortete Kathy schnell, „aber wir sollten vielleicht den Tempel hier verlassen, Mylady.“ Bevor die wieder streitbare Dame antworten konnte, ging das Licht aus. . Tiefe Dunkelheit breitete sich aus. Für ein paar Sekunden herrschte Stille, doch dann waren die Zurufe der Männer zu hören, die natürlich ihre Chance nutzen wollten. „Nichts wie weg“, sagte die ältere Dame und zerrte Kathy mit sich. „Hier ist gleich die Hölle los!“ * Parker hatte die Schüsse gehört und war nervös geworden. Er konnte sich vorstellen, daß es um Kathy ging. Wahrscheinlich wurde sie jetzt durch das Haus gehetzt. Parker hielt es für angebracht, seine ,Besenkammer’ zu verlassen. Obwohl man ihn fast restlos ausgeplündert hatte, verfügte er dennoch über eine Grundausrüstung, die man einfach übersehen hatte.. Der Butler ließ sich auf dem Boden seiner mehr als kleinen Zelle nieder und löste seinen linken Schuhabsatz. Nachdem er eine kaum erkennbare Sperre gelöst hatte, ließ der Absatz sich leicht zur Seite drehen. Er gab eine Höhlung frei, in der sich einige kleine Aluminiumkapseln befanden, die an etwas kurz geratene, dafür aber dicke Zahnstocher erinnerten. Diese Zahnstocher hatten es natürlich in sich. Ein Mann wie Josuah Parker schleppte niemals sinnlose Dinge mit sich herum. Er nahm eine dieser Kapseln in die Hand, untersuchte sie und brachte seinen Schuh wieder in Ordnung. Nachdem am Fuß alles stimmte, ging der Butler zur Tür 51
und schob die Kapsel probeweise ins Schlüsselloch. Er hatte genau die richtige Kapsel gewählt. Sie glitt mühelos in die Öffnung. Parker schaute sich in der ,Besenkammer’ nach einer geeigneten Deckung um, doch die war nicht vorhanden. Er mußte also das Risiko einer eventuellen Verletzung eingehen. Doch darauf wollte er es gern ankommen lassen. Es ging schließlich um seine Schülerin. Parker verdrehte die beiden Enden der Kapsel gegeneinander und hatte danach noch vier Sekunden Zeit. Er schob den ,Zahnstocher’ erneut ins Schlüsselloch und preßte sich dicht gegen das Türblatt. Dabei hielt er sich die Ohren zu. Er wußte aus Erfahrung, was gleich passierte. Es dauerte genau vier Sekunden. Parker hatte halblaut mitgezählt. Plötzlich gab es ein reißendes Bersten, das die Trommelfelle malträtierte. Die solide Tür erhielt einen fast wütenden Schlag, als sei sie mit einem überdimensional großen Rammbock bearbeitet worden. Beißender Rauch quoll aus dem Schlüsselloch. Als der Rauch sich etwas gehoben hatte, begutachtete der Butler den Erfolg seiner Kleinstsprengung. Das Ergebnis war frappierend. Dort, wo das Schloß sich eben noch befand, war jetzt ein großes, gezacktes Loch in die Tür gestanzt worden. Diese Öffnung war im Durchmesser fast fünfzehn Zentimeter groß. Die Sprengmasse in der Aluminiumkapsel hatte ganze Arbeit getan. Parkers Erfindungsgeist feierte wieder mal Triumphe. Die Tür ließ sich nicht sofort öffnen, denn es gab da noch einen festen, schweren Riegel, aber der stellte kein echtes Hindernis mehr dar. Parker langte mit 52
dem Arm durch das herausgesprengte Loch und zog die Sperre zur Seite. Wenig später konnte er seine ,Besenkammer’ ungehindert verlassen. Er befand sich in einem langen Korridor, unter dessen Decke trübe Glühbirnen schwaches Licht verbreiteten. In diesem Licht machte der Butler eine erfreuliche Entdeckung. Auf ein paar Kisten lagen seine persönlichen Utensilien, die man ihm abgenommen hatte. Besser hätten sich die Dinge überhaupt nicht entwickeln können. Er brauchte nur noch zuzulangen. Was er auch besorgte. Parker setzte zuerst seine schwarze Melone auf, steckte die vielen SpezialKugelschreiber zurück in die Westentaschen, nahm Brieftasche, Zwiebeluhr und Pillendose an sich und langte schließlich nach seinem UniversalRegenschirm. Da mit unliebsamen Zwischenfällen durchaus zu rechnen war, ,aktivierte’ er diesen völlig harmlos aussehenden Schirm, Mittels der Kraft einer Kohlensäurepatrone konnte er durch den Schirmstock spezielle Biasrohrpfeile verschießen. Eine wirkungsvollere und lautlosere Waffe war undenkbar, zumal die Spitzen der Blasrohrpfeile chemisch präpariert waren. Ein mit solchen Pfeilen Getroffener wurde innerhalb weniger Sekunden von einem unbezwingbaren Müdigkeitsgefühl erfaßt und zu Boden gezwungen. Diese wirkungsvollen Pfeile befanden sich im verlängerten Schirmgriff, der eine Art Trommelmagazin darstellte. Wieder optimal ausgerüstet, machte der Butler sich daran, etwas für Kathy Porter und vielleicht auch für Lady Simpson zu tun. Die Phase des geduldigen Abwartens
war vorüber, Parker schritt nun zur Tat und freute sich darauf, den Guru in Bewegung zu bringen. Als plötzlich die Glühbirnen verlöschten, geriet er keineswegs in Verlegenheit. Traumhaft sicher war sein Griff nach einem ganz bestimmten Kugelschreiber. Er drückte auf den Halteclip und verfügte im gleichen Moment bereits über eine erstaunlich starke Lichtquelle. Eine Miniaturbatterie in diesem Kugelschreiber speiste eine Miniaturbirne, die scharf gebündeltes Licht produzierte. Parker schritt also gemessen weiter und erreichte eine steile Steintreppe, die hinauf ins Erdgeschoß des Landsitzes führte. Er wunderte sich kaum, daß man die scharfe Detonation unten im Keller überhört hatte. Kathy Porter hatte unbewußt für die notwendige Ablenkung gesorgt. Die Gangster dort oben im Haus hetzten wahrscheinlich noch immer hinter ihr her. Am Ende der Treppe erreichte Parker eine Tür, die er vorsichtig aufklinkte. Sie war erfreulicherweise nicht verschlossen und führte ihn in einen großen Vorraum, in dem Kisten und Kartons aufgestapelt waren. Im Licht seiner Kugelschreiberlampe machte Parker aus, daß es sich um Konserven handelte, die laut Aufdruck aus Japan stammten. Diese Konserven enthielten Spezialitäten der fernöstlichen Küche und wurden wohl als Nahrung für die Guru-Anhänger verwendet. Parker drückte eine nur angelehnte Tür auf und stand in der Küche des Landsitzes. Geleitet vom Strahl der kleinen Taschenlampe kam der Butler an einem langen Arbeitstisch vorbei, auf dem einige
Schüsseln standen. Auf dem Herd entdeckte er einen hohen Aluminiumtopf, in dem Reis dünstete. Dann konnte er seine Inspektion nicht weiter fortsetzen. Parker hörte Schritte, die bereits dicht vor der Tür zu vernehmen waren, die wahrscheinlich in die Halle des Landsitzes führte. Er schaltete sofort seine Miniaturbeleuchtung aus und langte prophylaktisch nach der langen Kelle, die im Reistopf war. Parker war ein Meister der Improvisation, der zudem gern mit ungewöhnlichen Kampfmitteln arbeitete. * Die Tür zur Küche öffnete sich. Parker hörte heftiges und angestrengtes Atmen. Er wartete noch einen Moment, um dann seine Miniaturtaschenlampe einzuschalten. Im scharf gebündelten Licht erkannte er Gara Singh und den großen, dicken Anwalt Perkins. Die beiden Männer befanden sich offensichtlich auf der Flucht. Sie zuckten zusammen, als ihre Augen von dem scharfen Lichtstrahl getroffen wurden. Beide hielten Schußwaffen in Händen, doch Parker ließ ihnen keine Chance, sie auch zu benutzen. Er erledigte alles mit zwei Portionen Reis. Norman Perkins gurgelte überrascht auf, als eine Ladung in seinem Gesicht landete. Da der Reis recht heiß war und der Anwalt mit dieser Vollnahrung nicht gerechnet hatte, fuhr er zurück und riß dabei die Hände hoch. Um sich den heißen Reis aus dem Gesicht wischen zu können, ließ er seine Schußwaffe fallen. 53
Gara Singh wußte natürlich nicht, was dem Anwalt passiert war. Er riß aber seine Schußwaffe hoch und ... brüllte vor Entsetzen auf, als er seine Position zugeteilt erhielt. Reiskörner drangen in Mund und Nase. Er verschluckte sich, bekam einen mittelschweren Hustenanfall und krümmte sich. Dabei übersah er, daß Parker bereits heran war. Der Butler benutzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, um die beiden Männer zu Boden zu schicken. Weitere Stimmen und Schritte waren zu vernehmen. Parker lief zurück zum Herd und verteilte noch einige Reisportionen auf dem Steinboden der Küche. Dann schaltete er das Licht aus und blieb rechts neben der Tür stehen. Er war gespannt, wer diesmal auftauchen würde. Im Haus tat sich einiges, die Menschen darin waren nach den Schüssen in Bewegung geraten. Der Reis auf dem Steinboden tat seine Wirkung. Er wirkte wie Glatteis, obwohl er sehr heiß war. Auf den gar gekochten Körnern rutschten einige Personen aus und schlugen der Länge nach hin. Sie purzelten übereinander und behinderten sich gegenseitig, als sie wieder eiligst aufstehen wollten. Parker schaltete für einen Moment die Lampe ein und langte noch mal herzhaft mit seinem Regenschirm zu. Ächzen und Stöhnen waren zu hören, Aufschreie und sogar in einem Fall ein ersticktes Grunzen. Danach aber herrschte Stille, die fast unheimlich war. Als er das Licht erneut eingeschaltet hatte, konnte er seine Beute klassifizieren. Er erkannte die Männer sofort wieder. Es handelte sich um die beiden Doggenführer. Sie lagen übereinander und hatten sich vollständig mit Reis be54
schmiert. Doch sie waren nicht allein. Da waren auch noch jene drei stämmigen Burschen, die den nächtlichen Ausflug zum Hügelkamm unternommen hatten. Zwei von ihnen regten sich noch und langten im Reis herum. Parker brachte sie zur Ruhe, wobei er die Schläge selbstverständlich genau dosierte. Er war kein brutaler Mensch, der unnötig Schmerzen verursachte. Ihm kam es nur auf den gezielten Effekt an, den er mit einem Minimum an Aufwand erreichte. Wohlgefällig sah er auf seine Beute hinunter. Er war mit seinem Erfolg mehr als zufrieden. Ja, er durfte sogar stolz auf sich sein. Er hatte unter den Mitarbeitern des Guru nachhaltig aufgeräumt. Plötzlich hörte der Butler draußen vor dem Haus das wilde Aufheulen eines Automotors. Parker beeilte sich, um hinüber an das Küchenfenster zu gelangen. Dabei übersah er allerdings leider den gekochten Reis, den er ja selbst auf dem Küchenboden ausgebreitet hatte. Als er am Herd entlangging, rutschte er plötzlich aus und ... schlug der Länge nach zu Boden. Bevor er ohnmächtig wurde, merkte er noch, daß ihm die Melone erneut tief in die Stirn getrieben wurde. Diesmal hatte er das allerdings selbst besorgt! * „Man kann Sie aber auch keinen Moment allein lassen“, hörte Parker eine grollende Stimme, die ihm seltsam vertraut war. Er schüttelte leicht benommen den Kopf und richtete sich auf. Obwohl er noch nichts sah, wußte er, mit wem er es zu tun hatte.
„Ich erlaube mir, Mylady zu grüßen“, murmelte er leise. „Darf ich mich nach dem werten Befinden erkundigen?“ „Nehmen Sie endlich Ihre Melone aus der Stirn und seien Sie nicht albern!“ Ja, es war Lady Simpson. Der Tonfall ihrer Stimme war unverkennbar. Parker riß sich zusammen und mühte sich mit seiner Melone ab. Es dauerte einige Sekunden, bis er sie endlich wieder in Händen hielt. Ein wenig betreten richtete er sich auf. „Was suchen Sie noch auf dem Boden?“ fauchte die Detektivin ihn gereizt an. „Warten Sie, ich werde Ihnen helfen.“ Kathy Porter war weniger grimmig als Lady Simpson. Sie streckte Parker ihre Hände entgegen und zog ihn hoch auf die Beine. Parker schaute sich ein wenig betreten um und vermißte seine Beute. „Sie sind alle unten im Keller“, sagte Kathy Porter, die den Blick sofort verstanden hatte. „Lady Simpson und ich schafften sie nach unten.“ „Schaffen ist gut.“ Agatha Simpson lachte abfällig. „Wir haben diese Lümmel über die Treppe nach unten gekippt.“ „Mylady fühlen sich wohl?“ erkundigte sich Parker. Er spürte, daß es ihm von Sekunde zu Sekunde immer besser ging. „Was soll diese dumme Frage?“ Sie sah ihn gereizt an wie immer. „Behandeln Sie mich nicht wie eine Halbirre! Natürlich fühle ich mich wohl. Warum soll ich mich nicht wohl fühlen?“ „Mylady hatten immerhin einige Abenteuer zu bestehen, wenn ich mich so ausdrücken darf.“ „Gehen wir hinüber ins Büro“, schlug Kathy vor, „den Guru und seinen Sekretär holen wir doch nicht mehr ein.“ „Waren sie im Auto, das ich hörte?“ wollte Parker wissen.
„Sie konnten leider entkommen“, meinte Kathy, „aber sie werden sich mit Sicherheit wieder melden. Sie brauchen die Unterlagen, die der Anwalt bei sich hatte.“ Parker ging zusammen mit Lady Simpson und Kathy Porter ins Büro und schaute sich neugierig um. Wie übrigens auch Lady Simpson, die diesen Raum noch nicht gesehen hatte. Kathy, die sich alles gut gemerkt hatte, schaltete die kleinen Fernsehgeräte nacheinander ein. Auf den Bildschirmen der Monitoren waren die Besinnungszellen der Anhänger des .Erleuchteten’ zu sehen. Die Jünger des Guru befanden sich bis auf Mylady alle brav in ihren karg eingerichteten Räumen und meditierten. Sie schienen von dem Wirbel im Haus überhaupt nichts mitbekommen zu haben. „Dieses Subjekt“, sagte Lady Simpson fast anerkennend, „dauernd unter Kontrolle. Raffinierter geht es einfach nicht. Warum sitzen wir hier noch länger herum? Ich möchte mich mit dem Guru unterhalten.“ „Vielleicht sollten wir erst mal gewisse Dinge klären, Mylady.“ Parker sah seine streitbare Herrin erwartungsvoll an. „Sie meinen mich?“ „Mylady gaben Miß Porter und meiner bescheidenen Wenigkeit einige Rätsel auf“, redete der Butler weiter und wischte sich etwas Reis vom Revers seines schwarzen Zweireihers. „Haben Sie etwa den Nonsens geglaubt, den ich Ihnen erzählt habe?“ wunderte sich Agatha Simpson und lachte grimmig. „Mylady waren ungemein überzeugend.“ „Gibt es hier so was wie einen Kreislaufbeschleuniger?“ Lady Simpson deutete auf einen geschlossenen Wand55
schrank und schnupperte erwartungsvoll. Kathy Porter folgte dem Wink der älteren Dame und öffnete den Wandschrank. Sie drehte sich lächelnd zu Lady Simpson um. „Kognak, Whisky und auch Champagner“, meldete sie. „Ich werde mit einem kleinen Kognak anfangen“, entschied die Detektivin. „Ich habe ihn mir redlich verdient. Es war die Hölle für mich. Dieser Guru scheint ein Sadist zu sein, es gab nur Wasser für uns.“ Kathy Porter bedachte Lady Simpson mit einem dreistöckigen Kognak, den die ältere Dame gekonnt hinunterkippte. Sie schüttelte sich ein wenig und machte danach einen recht friedlichen Eindruck. Sie hatte in einem Sessel Platz genommen und reichte Kathy das Glas. „Noch einen kleinen Schluck“, sagte sie, „ich habe einiges nachzuholen, Kindchen. Danach sollen Sie wissen, weshalb ich eine Anhängerin des ,Erleuchteten’ wurde.“ Parker, der neben dem geöffneten Wandschrank stand, beugte sich plötzlich vor und griff nach einer Flasche, die ohne Etikett war. Er schraubte den Verschluß auf und schnupperte daran. Er verzog sein Gesicht, als er sich Agatha Simpson zuwendete. „Es dürfte sich um ein Opiat handeln“, sagte er. „Mir ist es, um offen zu sein, ein Rätsel, wie Mylady es schafften, dieser Droge zu entgehen.“ * „Mir nicht“, erwiderte die Detektivin, „ich habe so gut wie nichts gegessen.“ „Mylady haben gefastet?“ 56
„Das muß man mir doch ansehen“, wunderte sich Agatha Simpson sichtlich. „Ich bin doch geradezu vom Fleisch gefallen. Ich habe gefastet wie ein Asket.“ „Mylady ahnten, daß das Essen versetzt war?“ „Das Zeug mußte im Essen sein“, erwiderte Lady Simpson, „das Wasser schmeckte normal, doch das Essen hatte einen eigenartigen Beigeschmack. Und das machte mich mißtrauisch.“ „Sie haben sich freiwillig in Gefahr begeben?“ wollte Kathy Porter wissen. „Wie kann man nur so neugierig sein“, wunderte sich die alte Dame und sah Parker und ihre Gesellschafterin kopfschüttelnd an. „Aber gut, Sie sollen meine Geschichte hören. Aufmerksam auf diesen Guru wurde ich durch eine Freundin. Lady Frame erschien eines Tages nicht mehr zum Bridge, wie Sie vielleicht noch wissen, Kindchen, oder?“ „Richtig, Mylady, sie ließ sich entschuldigen und kam nicht mehr.“ „Das machte mich mißtrauisch“, redete Agatha Simpson weiter. „Lady Frame ist nämlich bridgebesessen. Ich dachte mir gleich, daß da etwas passiert ist. Ich wollte sie sprechen, doch sie ließ sich verleugnen. Und genau das machte mich ärgerlich. Mich speist man nicht mit einer faulen Ausrede ab. Ich verstand die Welt nicht mehr, als sie sich plötzlich meldete und mich zu sich einlud. Ich fuhr also zu ihr, um ihr mal gründlich den Kopf zu waschen und lernte bei ihr diesen widerlichen Guru kennen.“ „Er hatte Lady Frame bereits in seinen Bann geschlagen, Mylady?“ warf der Butler ein. „Er hatte sie schon vollkommen eingewickelt und faselte von innerer Sammlung. Die gute Frame war wie
betrunken, himmelte diesen Lümmel förmlich an und erzählte mir später, daß sie ihren ganzen Besitz aufgeben wolle. Da hakte es bei mir ein.“ „Mylady glaubten an ein Verbrechen?“ „So ungefähr“, bestätigte Agatha Simpson. „Ich ließ mich scheinbar einwickeln und machte mit. In Wirklichkeit suchte ich natürlich nach einem Stoff für meinen geplanten Bestseller.“ „Mylady kamen offensichtlich auf Ihre Kosten.“ „Dieser Guru ist ein ganz raffinierter Bursche“, erzählte die ältere Dame weiter. „Sein Geschwafel kam bei den Frauen an. Er hatte sich genau die Jünger ausgesucht, die vor Langeweile nicht wissen, was sie tun sollen.“ „Sind es nur Frauen, die eine neue Bewußtseinsebene anstreben?“ „Auch ein paar männliche Trottel sind darunter“, antwortete Agatha Simpson. „Aber sie alle sind betucht. Der Guru hatte eine erstklassige Auswahl getroffen. Er arbeitete übrigens mit Drogen, das bekam ich schnell heraus. Nach den ersten beiden Sitzungen hatte ich einen dumpfen Kopf. Da wußte ich Bescheid. Ich verzichtete auf den ,Reis der Armut’, wie der Fraß sich nannte, ich fastete.“ „Haben Mylady bereits Ihr Vermögen überschrieben? „ „Wie die anderen“, bestätigte die ältere Dame, aber ihr Gesicht nahm dabei einen verschmitzten Ausdruck an. „Ich habe ihm jede gewünschte Unterschrift gegeben, doch damit kann der Guru überhaupt nichts anfangen. Ich habe nämlich vorgesorgt und bei meinem Anwalt Pale ein Codewort hinterlassen. Ohne dieses Codewort erhält der Guru keinen Penny.“
„Eine weise Voraussicht, Mylady“, freute sich Parker. „Die anderen haben das leider nicht getan“, redete Mylady weiter, „sie haben ihre Konten plündern lassen, aber ich denke, sie werden ihr Geld und ihren Besitz zurückerhalten, wenn der Guru entlarvt wird.“ „Ob es dazu kommt?“ fragte Kathy Porter. „Aber natürlich, Kindchen“, beruhigte Lady Simpson ihre Gesellschafterin. „Sobald die ,Suchenden’ wieder klar denken können, werden sie gegen den Guru Strafanzeige stellen.“ „Der dann bereits über alle Berge sein dürfte, Mylady“, warf Kathy Porter ein. „Er weiß doch jetzt, daß sein Spiel durchschaut ist.“ „Dafür haben wir seinen Anwalt Perkins“, korrigierte die ältere Dame ihre Sekretärin. „Sehen Sie doch mal in seinem Aktenkoffer nach. Sie werden darin Vermögensüberschreibungen finden, die sich gewaschen haben. Und ohne die kann der Guru überhaupt nichts ausrichten. Ja, er muß sogar alles versuchen, an sie ranzukommen.“ Parker hatte bereits reagiert. Er öffnete den flachen Aktenkoffer, den Perkins tatsächlich bei sich gehabt hatte. Er blätterte die Papiere durch und sah die alte Dame erstaunt an. „Sind diese Überschreibungen erst heute vorgenommen worden?“ wollte er dann wissen. „Das ist der zweite Schub“, erklärte die ältere Dame. „Mit meiner angeblichen Überschreibung müssen es insgesamt sieben Verträge sein, nicht wahr?“ „In der Tat, Mylady!“
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„Wir mußten heute unterschreiben, und auch die Kartengrüße aus Indien waren heute fällig.“ „Kartengrüße, Lady Simpson?“ fragte Kathy erstaunt. „Natürlich, sie sollen später von Indien aus hierher nach England geschickt werden. Hübsch eine Karte nach der anderen. Die Angehörigen sollten ja glauben, daß ihre Verwandten sich in Indien befinden. Der Guru hat sich das alles sehr raffiniert ausgedacht.“ „Der Guru?“ warf Parker ein. „Sein Sekretär, natürlich.“ Agatha Simpson nickte grimmig. „Der Guru ist doch nur eine Marionette, der eigentliche Drahtzieher ist sein Sekretär Planters. Das habe ich alles genau festgestellt, denn ich blieb ja klar.“ Parker hatte die beschriebenen Kartengrüße inzwischen gefunden. Sie enthielten einen Grundtext, der von Fall zu Fall individuell variiert wurde. Selbst das Datum auf den diversen Karten war so verteilt, daß die Grüße für ein gutes Jahr gereicht hätten. Die Gangster hatten an alles gedacht. „Hatte man vor, sie früher oder später umzubringen?“ wollte Parker weiter wissen. „Das kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen“, räumte Agatha Simpson ein. „Wahrscheinlich wollte man uns hier in diesem Landsitz festhalten. Passieren konnte ja nichts. Wer hätte schon aufmucken können? Wer hier mal unter Drogen gesetzt wurde, hat jedes Gefühl für Zeit und Realität verloren. Zudem glaube ich, daß die Gangster einfach verschwinden wollten, nachdem sie abkassiert hatten. Nein, an Mord glaube ich eigentlich nicht.“ 58
„Ein Stoff, der einen Bestseller garantiert“, stellte der Butler beeindruckt fest. „Falls ich so kühn sein darf, möchte ich Mylady dazu gratulieren.“ „Mir fehlt noch der Schluß“, antwortete Agatha Simpson unternehmungslustig und erhob sich. „Warum sind wir nicht längst unterwegs? Den Guru und seinen Sekretär werden wir mit Sicherheit in seinem ,Kloster der inneren Sammlung’ erwischen.“ „Vor Antritt der Fahrt möchte ich mir die Freiheit nehmen, Mylady zu beglückwünschen“, ließ der Butler sich erneut vernehmen. „Mylady waren als Anhängerin des Guru ungemein, überzeugend.“ „Wegen der Geschichte mit meinem Bett werden wir uns noch unterhalten“, erwiderte die ältere Dame grimmig. „Ich bin sicher, daß Sie es absichtlich so präpariert haben und ich damit zusammenbrach.“ * Der Guru lag mit ausgebreiteten Armen und Beinen in dem kleinen Schwimmbecken. Er war tot. Kathy Porter, Lady Simpson und Josuah Parker standen betroffen am Rand dieses eigenartigen Schwimmbeckens, das in einen mittelgroßen Keller eingebaut war. Es reichte von Wand zu Wand und war angefüllt mit tropischen Pflanzen, die üppig wucherten und zusätzlich für eine feucht-schwüle Atmosphäre sorgten. Nur vorn am Eingang zu diesem ,Schwimmkeller’ gab es einen Absatz, der allerdings schräg nach unten ins Wasser führte.
Das Trio befand sich im ,Kloster der inneren Sammlung’ in Wimbledon. Kathy Porter hatte diesen tropischen Keller entdeckt, der durch eine versteckt angebrachte Tür in der Sauna zu erreichen war. Sie hatte sich diesen Weg genau gemerkt. „Hier wurde ich festgehalten“, sagte sie unwillkürlich leise und sah auf die im Wasser liegende Leiche des Guru. „Ich bin vor Angst fast gestorben.“ „Nun übertreiben Sie nur nicht, Kindchen“ meinte Lady Simpson gespielt ruppig, um ihre Befangenheit abzuschütteln. Sie wollte nicht zugeben, daß der Keller auch ihr unheimlich vorkam. „Es war dunkel“, erinnerte sich Kathy weiter. „Und da war etwas, was im Wasser gewesen sein muß und auf mich zukroch. Ich habe dieses Scharren noch jetzt im Ohr.“ „Eine Selbsttäuschung“, sagte Parker. Er dachte an den Sekretär des Guru, auf dessen Konto der Mord ging. Eine andere Möglichkeit gab es nach seiner Ansicht überhaupt nicht. Steven Planters hatte reinen Tisch gemacht und den Guru aus dem Weg geräumt. Wahrscheinlich war das schon immer sein Plan gewesen. Der Guru war für ihn nur eine Marionette. „Sehen Sie doch!“ rief Kathy plötzlich und deutete auf das Wasser. Vom hinteren Ende aus, dort, wo die Pflanzen besonders dicht standen und aus dem Wasser ragten, bewegte sich etwas und trieb auf den Guru zu. „Was ist denn das?“ wunderte sich Agatha Simpson und räusperte sich. „Falls meine Augen mich nicht täuschen, muß es sich um ein Krokodil handeln“, sagte Parker und schluckte seinerseits. Mit solch einer grausigen
Überraschung hatte er wirklich nicht gerechnet. „Es schwimmt auf den Guru zu“, sagte Kathy und schnappte nach Luft. „Dieses Krokodil muß ich gehört und auch am Bein gespürt haben ... Mir wird schlecht!“ „Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen, Kindchen!“ Agatha Simpson beugte sich vor, um besser zu sehen. Nun, Parker hatte sich nicht getäuscht. Es handelte sich tatsächlich um ein Krokodil, das mit dem Kopf auftauchte und das Trio aus kalten Reptilienaugen musterte. „Tun Sie endlich etwas“, schnauzte die ältere Dame ihren Butler an. „Schließlich brauchen wir den Guru noch als Beweismittel, Mr. Parker.“ „Es handelt sich um ein relativ kleines Krokodil“, erklärte Parker beruhigend. Er untertrieb nicht. Das Reptil war auf keinen Fall ausgewachsen, was aber kaum etwas besagte. Als es den Rachen öffnete, waren Zahnreihen zu sehen, die es in sich hatten. Das Reptil schwamm an den Guru heran, nahm aber den toten Körper nicht an. Es ruderte mit ein paar Schwanzschlägen weiter auf Lady Simpson, Kathy Porter und den Butler zu. Es schien sich nur für Frischfleisch zu interessieren. „Warum tun Sie nichts?“ fuhr die Detektivin ihren Butler an. „Wollen Sie meine Nerven unnötig strapazieren?“ „Das werde i c h schon besorgen“, ließ sich in diesem Moment eine gehässigironische Stimme vernehmen. Die ältere Dame fuhr herum und sah sich dem Sekretär des Guru gegenüber, der eine Schußwaffe in der Rechten hielt. Hinter ihm standen die beiden Männer, die Kathy aus dem Keller herausgeholt hatten. Auch sie waren bewaffnet und 59
machten einen energischen und profihaften Eindruck. „Mr. Planters“; stellte der Butler ruhig und fast gelassen fest. „Sagen Sie bloß, Sie hätten mit mir gerechnet“, gab Planters gereizt zurück. „Aber natürlich“, antwortete Kathy Porter, „Ihnen geht es doch um den Aktenkoffer von Mr. Perkins, nicht wahr?“ Während sie noch redete, hob sie ihn hoch, präsentierte ihn und ... warf ihn dann in hohem Bogen ins Schwimmbecken. Da der Koffer auf dem Schädel des Krokodils landete, planschte das Reptil irritiert im Wasser herum und zog sich beleidigt zu den Tropenpflanzen am Ende des Beckens zurück. * „Los, holen Sie sofort den Koffer aus dem Wasser“, brüllte Planters Kathy Porter an, „los, oder ich knalle Sie ab!“ „Wenn Sie erlauben, werde ich das besorgen“, erbot sich Parker gemessen. „Wir wollen die Nerven der Damen doch schonen, Mr. Planters.“ „Beeilen Sie sich!“ Planters machte einen nervösen Eindruck. „Das ist eine Sache von Sekunden, Mr. Planters.“ Parker ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm seinen Universal-Regenschirm vom Unterarm und wollte ihn offensichtlich als Angel benutzen. Er beugte sich weit vor, umfaßte den Regenschirm an der unteren Zwinge und ... wirbelte plötzlich blitzartig herum. Der bleigefütterte Bambusgriff traf den Unterarm des Gangsters, der damit nicht gerechnet hatte. Er verlor die Waffe, brüllte auf und stürzte sich auf den Butler. 60
Er war wie von Sinnen, Und er war es ganz besonders, als er an Parker vorbei über die schräge Rampe hinunter ins Wasser segelte. Er tauchte tief ein, kam wieder hoch und prustete. „Der Aktenkoffer“, erinnerte der Butler und deutete auf den Gegenstand, den Planters so heiß begehrte. Die beiden Begleiter des Gangsters hätten möglicherweise geschossen, doch sie nahmen Abstand davon. Ihr Verzicht war allerdings nicht freiwillig. Er hing mit den beiden Damen zusammen, die ihrerseits Schußwaffen in Händen hielten, deren Mündungen auf sie gerichtet waren. „Warum schießen Sie denn nicht?“ grollte Agatha Simpson sie an. „Fürchten Sie etwa die Kriminalbeamten hinter der Tür?“ Das machte sie unschlüssig. Sie wußten nicht, ob es sich nun um einen Bluff handelte oder nicht. Langsam senkten sie ihre Waffen. Kathy Porter nutzte ihre Unentschlossenheit aus, um schnell auf sie zuzugehen und sie zu entwaffnen. „Und jetzt ins Wasser“, kommandierte die ältere Dame energisch, „etwas Abkühlung tut gut.“ Nein, sie wollten nicht. Sie schüttelten wie trotzige. Kinder ihre Köpfe und riskierten es nicht, ihrem Boß ins Wasser zu folgen. Sie machten überhaupt einen völlig irritierten Eindruck. Mit diesem Wandel hatten sie nicht gerechnet. Als Lady Simpson einen ersten Schuß abfeuerte, setzten sie sich allerdings in Marsch und näherten sich der Rampe. Sekunden später brauchte die Detektivin nicht weiter nachzuhelfen. Die beiden Männer rutschten auf den feuchten Algen aus und landeten im aufklatschenden Wasser. Sie schlugen wild um sich,
brüllten vor Entsetzen und wollten zurück an Land. Doch die rutschigen Algen verhinderten das gründlich. Die Burschen segelten erneut zurück in das nicht gerade saubere Wasser. „Nun zur Sache“, ließ Lady Simpson sich streng vernehmen, „daß heißt, warten wir noch einen Moment Mr. Planters scheint Schwierigkeiten mit dem Guru zu haben.“ Es war eine mehr als makabre Situation. Der Aktenkoffer war durch die Wellenbewegungen in die Nähe des toten Guru getrieben. Planters schwamm auf den Toten zu, aber gleichzeitig näherte sich von den Pflanzen her das neugierig gewordene Krokodil. Es war durch die hastigen Bewegungen im Wasser animiert worden und wollte offensichtlich nachsehen, was da los war. Planters entdeckte das Krokodil und keuchte vor Angst und Grauen. Er beeilte sich, um an den Aktenkoffer heranzukommen, doch das neugierige Krokodil war wesentlich schneller. Es schien sich um ein verspieltes Reptil zu handeln, denn es interessierte sich weder für den toten Guru noch für den Sekretär. Es hielt genau auf den schwarzen Aktenkoffer zu und ... schnappte danach. Planters brüllte wütend auf und griff ebenfalls nach dem Koffer Er und das Krokodil kämpften um den Koffer. Das Krokodil ließ jedoch nicht los, sondern tauchte einfach weg, zog Planters samt dem Koffer unter die Wasseroberfläche und bewegte sich zurück zu den dichten Pflanzen. Planters tauchte wieder auf, schnappte nach Luft und schien erst jetzt zu begreifen, auf was er sich da eingelassen hatte. Mit heftigen Schwimmstößen arbeitete er sich zurück zu der schrägen
Rampe, wo seine beiden Mitarbeiter bis zu den Oberschenkeln im Wasser standen. „Ich denke, wir sollten nicht weiter stören“, sagte Agatha Simpson und wandte sich gelangweilt ab. „Ich wünsche eine gute Unterhaltung! Kommen Sie, Mr. Parker, kommen Sie, Kindchen! Man muß immer wissen, wann man nicht mehr erwünscht ist.“ Als sie die Tür zu dem Tropenkeller hinter sich schlossen, hörten sie das entsetzte und wütende Brüllen der drei Männer. Agatha Simpson schaltete das Licht aus, und es wurde unheimlich still in dem Schwimmkeller. „Nur für ein paar Minuten“, sagte die Detektivin, als Parker sie fragend anschaute. „Sie sollen nur nachvollziehen, wie es Kathy zumute war. Nur ein paar Minuten, ich denke, Sie werden mir diesen Wunsch nicht abschlagen!“ * „Ich hab’ ihn vor ein paar Monaten in Soho aufgelesen“, beichtete Steven Planters mit monotoner Stimme. Der Gangster machte einen völlig apathischen Eindruck. Der Aufenthalt in dem Krokodilkeller bei völliger Dunkelheit hatte ihn entnervt und weich gemacht. Lady Simpsons Uhr war nämlich leider stehen geblieben, dadurch war aus den wenigen Minuten immerhin eine halbe Stunde geworden. „Sie hatten also die Idee, die Anhänger des Guru auszunehmen?“ wollte Parker wissen. Lady Simpson, Kathy Porter die drei Gangster und er befanden sich in dem Sportkeller, wo jetzt die Befragung stattfand. „Er hatte schon so etwas wie ‘ne Gemeinde“, redete Planters weiter und warf 61
einen scheuen Blick auf die geöffnete Geheimtür, durch die man in den Krokodilkeller hineinsehen konnte. „Ich hab’ die Sache erst groß aufgezogen und die Villa in Wimbledon gemietet.“ „Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?“ fragte Lady Simpson grimmig. „Antworten Sie, Planters, oder ich schicke Sie zurück in den Keller!“ „Zu Ghandari kam eine verrückte Alte mit viel Geld“, sagte Planters hastig. „Die ließ sich von ihm einwickeln und konnte nicht schnell genug ihr Geld loswerden. Da fiel bei mir der Groschen. Ich hab’ rumgehorcht in London, wer als Kunde in Betracht kam, und hab’ dann den Guru auf die betreffenden Personen angesetzt. Ich will Ihnen mal was sagen, je mehr Geld einer hat, desto schneller fällt er vor lauter Langeweile auf solchen Hokuspokus rein.“ „Wieviel Beute konnten Sie bisher machen?“ „Beim ersten Schub haben wir bare hundertzehntausend Pfund und ‘ne Menge Häuser und Grundstücke abgesahnt“, gestand Planters, „aber erst der zweite Schub sollte das große Geld bringen. Da hatten wir genau die Trottel, die wir brauchten. Wir konnten ja nicht ahnen, daß die dort uns aufs Kreuz legen würde.“ Er deutete auf Agatha Simpson, die grimmig und zustimmend nickte. „Was sollte aus den Jüngern des Guru werden?“ „Umbringen wollten wir sie auf keinen Fall. Sie sollten draußen in den Downs bleiben, bis wir abkassiert hatten, dann wollten wir uns nach Indien absetzen.“ „Wie sind Sie an den Anwalt Perkins gekommen?“
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„Der alte Gauner pfiff doch längst aus dem letzten Loch. Als der Bargeld sah. stellte er keine Fragen.“ „Und wie schaffte der Guru es, seine Anhänger willenlos zu machen?“ fragte Parker. Er wollte die letzte Bestätigung des Mannes. „Wir haben dem Essen einfach Opium beigemischt“, bekannte Planters. „Das hat die Trottel völlig irr gemacht. Die hätten ihr eigenes Todesurteil unterschrieben.“ „Warum brachten Sie den Guru um?“ „Der wollte abhauen und alles verpatzen“, sagte Planters weiterhin monoton, als habe er keinen eigenen Willen mehr. „Der Guru wollte sich der Polizei Stelen, er ist vor Angst ja fast gestorben.“ „Und da haben Sie etwas nachgeholfen, nicht wahr?“ „Wer mich reinlegt, den bring’ ich um!“ Planters merkte überhaupt nicht, wie dumm und sinnlos seine Bemerkung war. „Wer hat diesen Krokodilkeller angelegt?“ stellte der Butler seine nächste Frage. „Welchen Zweck sollte er erfüllen?“ „Der war für besonders widerspenstige Typen gedacht“, sagte Planters etwas zu hastig. Es war deutlich herauszuhören, daß er log. Ja. er senkte sogar seinen Blick. „Es war also Ihre Idee, Mr. Planters“ sagte Parker, „und ich bin sicher, daß das Reptil jene Jünger des Guru verschwinden lassen sollte, die vielleicht aus irgendwelchen Gründen starben. War es nicht so gedacht?“ „Gedacht hab’ ich vielleicht daran“, räumte Planters hastig ein, „aber getan hab’ ich’s nicht.“ , „Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß Lady Simpson Ihnen etwas vorspielte?“
„Nee“, sagte Planters ehrlich, „die wirkte besonders dämlich.“ „Was durchaus als Kompliment zu werten ist, Mylady“, schaltete der Butler sich schnell ein, da die Detektivin sich bereits bedrohlich räusperte, „das sagt einzig und allein nur etwas über Myladys schauspielerische Fähigkeiten aus.“ „Die hat uns reingelegt“, pflichtete Planters dem Butler bei und sah die ältere Dame schief an. „Und so was hab’ ich für ‘ne dumme Kuh gehalten.“ Parker verzichtete auf weitere Fragen, da er von weither die Sirene eines Polizeifahrzeugs hörte. „Die Herren der Behörde dürften sich nähern“, sagte er ,zu Lady Simpson, „das deutet daraufhin, daß man die handschriftliche Mitteilung gefunden hat.“ Parker hatte vor dem Verlassen des Landsitzes eine Notiz im Büro des Zentrums der Versenkung’ hinterlassen, in der unter anderem auf dieses ,Kloster der inneren Sammlung’ hingewiesen worden war. Da die Polizei nahte, war der Fall für Lady Simpson, Kathy Porter und den Butler erledigt. Die Details interessierten nicht weiter. „Darf ich hoffen, Mylady, daß der Stoff sich für den geplanten Bestseller eignen wird?“ erkundigte sich Parker, als auf den Treppen bereits die Schritte der Polizisten zu hören waren. „Das muß alles sehr gründlich überlegt werden“, antwortete Agatha Simpson überraschend zurückhaltend.
„In der Tat, Mylady“, erwiderte der Butler steif und gemessen. Er wußte aus Erfahrung nur zu gut. wie unlustig Mylady sich vor ihre elektrische Schreibmaschine setzte, um diesen Bestseller endlich in Angriff zu nehmen. Er ahnte auch schon, was jetzt folgen würde. „Ich denke, Mr. Parker“, sagte sie dann prompt, „daß Sie erst mal aus neutraler Sicht so eine Art Expose anfertigen sollten. Danach werde ich entscheiden, ob ich den literarischen Markt überraschen werde.“ „Wie Mylady befehlen“, antwortete Parker und unterdrückte einen Seufzer. „Zumal Mylady ihre literarischen Perlen nicht so ohne weiteres vergeuden sollten.“ Lady Simpson antwortete nicht sofort, da sie ein wenig abgelenkt wurde. Das Krokodil aus dem Tropenkeller watschelte auf seinen krummen Beinen in den Trainingskeller und kaute an den Resten des schwarzen Aktenkoffers. „Hinaus!“ Lady Simpsons Stimme klang wie Donnergrollen. Daraufhin warf das unschuldige Reptil sich herum und eilte zurück ins Wasser. „Vergessen wir dieses Thema“, sagte Lady Simpson. „Wie soll ich später für eine Bühnenfassung des Themas ein Krokodil einbauen? Ich schlage vor, Mr. Parker, wir warten auf eine bessere Gelegenheit!“ „Sie sagen es, Mylady.“ Parker nickte und atmete innerlich befreit auf. Er hatte das Gefühl, noch mal davongekommen zu sein.
ENDE Red. Hinweis: Der heutigen in der Schweiz verbreiteten Auflage ist ein interessanter Prospekt des Instituts Mössinger, Fernschule in Zürich, beigelegt, den wir der Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.
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Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten
Nr. 147 PARKER pflügt das Monster unter Sein wahres Gesicht zeigte dieses Monster nie. Es verbarg sich hinter einer Gummimaske, deren Aussehen man von Fall zu Fall ändern konnte. Der Unheimliche agierte an verschiedenen Stellen gleichzeitig, und es ging um sehr viel Geld, Erpressung und Mord. Lady Agatha wurde von diesem Monster überfallen, aber sie ließ sich nicht ins Bockshorn jagen, benutzte fachmännisch ihren »Glücksbringer« und machte damit dem Monster den Garaus. Josuah Parker und seine attraktive Assistentin mußten wieder sehr aktiv werden und gerieten bei der Verfolgung des Monsters prompt in böse Schwierigkeiten... Doch das Ungeheuer hatte nicht mit Parkers Trickkiste gerechnet und wurde regelrecht untergepflügt. Das sollten Sie lesen, denn Parkers Methoden, seine Gegner zur Strecke zu bringen, sind einmalig. Humor und Hochspannung ergänzen sich auf raffinierte Weise. Deshalb: Wer spannend unterhalten sein will und dennoch schmunzeln möchte, greift immer wieder zu PARKER-Krimis. Die sind in ihrer Art unverwechselbar und haben seit 15 Jahren einen großen Leserstamm. Sollten Sie noch nicht dazu gehören — wie wär’s mit Butler Parker…
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PARKER blufft den „großen Meister“ ebenfalls von Günter Dönges s can: crazy2001 @ 07/2011
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