Band 48 der Fernseh-Serie Raumpatrouille H. G. Francis
Duell der Körperlosen
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Band 48 der Fernseh-Serie Raumpatrouille H. G. Francis
Duell der Körperlosen
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Der Kampf gegen die Hinterlassenschaften des Kosmischen Infernos, dessen Hauptlast bisher von der ORION-Crew getragen wurde, gestaltet sich immer mehr zu einem Kampf gegen ein vielköpfiges Ungeheuer, ähnlich der Hydra aus der griechischen Mythologie, der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen. Es ist in erster Linie ein Kampf gegen die Stationen und Werkzeuge des Rudraja, aber auch die Hinterlassenschaften des Varunja, das »das Gute« verkörperte, bergen unbekannte Gefahren. Die Raumfahrer der ORION IX hatten drei Ruhetage verordnet bekommen, um sich von den ungeheuren physischen und vor allem psychischen Belastungen der Auseinandersetzung mit dem Todeskristall zu erholen. Doch sie fanden keine Ruhe, denn noch immer schwebt das Damoklesschwert der wiedererwachten Erben der beiden Urmächte über der Menschheit. Ihre Ahnung trog nicht. Der letzte Hyperimpuls des Todeskristalls wurde von Überwachungssatelliten verfolgt, und als Ziel wurde das Dreifach-System 0 2 – Eridanus ermittelt. Kaum stand dieses Ergebnis fest, wurde die Erde von einer Kodegruppe Hyperimpulse getroffen, die aus der ermittelten Richtung kamen. Diesmal handelte es sich offenbar nicht um eine lokale Bedrohung, sondern ein Gegner außerhalb des Sonnensystems mußte auf die Erde aufmerksam geworden sein. Und wieder wurde die ORION-Crew als Galaktische Feuerwehr losgeschickt. Sie sollte nur erkunden, aber wie so oft, schoß sie auch diesmal über das Ziel hinaus, weil sie ahnte, daß ein größerer Aufwand die Erde erst wirklich interessant für die wiedererwachten Erben des Rudraja machen müßte. Sie entdeckte im Dreifach-System 0 2 – Eridanus den Planeten Vyamar und auf ihm eine uralte Ausbildungszentrale für Einsatzagenten des Rudraja – und sie entdeckte Schiffe und Flugzeuge, die in der Vergangenheit aus dem BermudaDreieck verschwunden waren. Nachdem sie selbst unter den Willen der Hypnobasis gezwungen worden war, gelang es ihr mit Hilfe des V'acora, die fremde Basis auszuschalten. Aber sie konnte nicht mehr rückgängig machen, was in der Vergangenheit geschehen war. Deshalb kommt es nach Rückkehr der ORION-Crew auf die Erde zum DUELL DER KÖRPERLOSEN ...
Die Hauptpersonen des Romans: Peter Bedron – Ein Raumkapitän erlebt eine unangenehme Überraschung. Mario de Monti – Der Kybernetiker läßt sich auf ein gefährliches Duell ein. Helga Legrelle – Die Funkerin redet zuviel. Charles Taylor – Leiter eines Sabotagetrupps. Cliff McLane – Der Commander unternimmt eine Rettungsaktion. Murdonom Kahindra – Erster Chefprogrammierer von TECOM.
1. Peter Bedron lehnte sich aufatmend in seinem Sessel zurück. »Sämtliche Systeme aus«, befahl er. »Flug- und Landesysteme aus«, bestätigte Trom Tail, der Chefingenieur. »Das wär's. Wir sind heil auf Krasitch gelandet.« »Denk an«, sagte Commander Bedron spöttisch. »Das hätte ich gar nicht bemerkt, wenn du mich nicht darauf aufmerksam gemacht hättest.« Trom Tail lächelte nur. Er kannte seinen Kommandanten und seine speziellen Bemerkungen. Sie regten ihn nicht mehr auf. »Ich weiß nicht, ob ihr es schon bemerkt habt«, sagte Helen Sanders, der Funkleitoffizier der MORNING. »Wir bekommen Besuch.« Sie deutete auf den Hauptbildschirm, auf dem ein Flugwagen zu erkennen war, der sich dem Raumschiff näherte. Commander Bedron blickte zu den beiden anderen Raumschiffen der Astiriakos-Flotte hinüber, die gleichzeitig mit der MORNING auf Kra-
sitch gelandet waren. Er stellte fest, daß sich für diese Raumer offenbar noch niemand interessierte. Helen Sanders regulierte die Brennweite der Außenoptiken neu ein, bis die Männer in dem Flugwagen sich im Großformat auf dem Hauptbildschirm abzeichneten. »Alle vier sind bildhübsche Burschen«, sagte sie lächelnd. »Ehrlich, sehen die nicht wirklich gut aus?« »Das kann ich nicht finden«, entgegnete Trom Tail abfällig. Vergeblich versuchte er, nicht eifersüchtig zu erscheinen. »Ich mag solche Typen nicht.« »Ich schon«, sagte Helen. Sie strich sich das lange, blonde Haar über die Schultern in den Nacken zurück. »Überhaupt sind Männer, die ihr ganzes Leben auf einem Planeten verbringen, für mich irgendwie faszinierend. Sie haben so etwas Besonderes. Finde ich.« »Geschmackssache«, erwiderte der Chefingenieur. »Für mich sind solche Männer schlicht langweilig.« Der Flugwagen hielt vor der MORNING. »Aha, jetzt melden sie sich endlich«, sagte die Funkerin und drückte einige Tasten. Das scharfgeschnittene Gesicht eines der vier Männer erschien vor ihr im Projektionsfeld. »Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?« »Wir möchten den Kommandanten sprechen«, erwiderte der Krasitch-Siedler. »Wir bitten, an Bord kommen zu dürfen.« »Sind Sie vom Zoll oder so etwas?« erkundigte sich Helen Sanders. »Nein«, entgegnete der Besucher und lächelte gewinnend. »Wir sind Vertreter der neugegründeten kosmischen Handelsgesellschaft. Wir interessieren uns für Ihre Fracht.«
Commander Peter Bedron schaltete sich ein. Er drückte eine Taste, und der Bildschirm vor ihm erhellte sich. »Wozu gibt es eine Warenbörse?« fragte er schroff. »Auf der Börse ist eine Störung eingetreten. Vorübergehend müssen die Waren frei ausgehandelt werden«, behauptete der Fremde. »Wer am schnellsten ist, hat die besten Chancen. Wir bieten Ihnen einen fairen Preis.« »Einverstanden«, sagte Bedron arglos. »Kommen Sie an Bord. Sie können sich die Fracht ansehen.« Er gab Trom Tail ein Zeichen, und der Chefingenieur öffnete die Bodenschleuse des diskusförmigen Raumschiffs. Eine Minute später traten die vier Männer aus dem zentralen Schacht. »Mein Name ist Bo«, erklärte der blonde Mann, mit dem Bedron verhandelt hatte. Er griff unter seine Kleidung und holte einen altertümlichen Revolver hervor. »Sie sollten wissen, daß das Schiff in diesem Moment an mich übergeht. Sie sind als Kommandant abgesetzt.« Helen Sanders lachte. Sie warf den Kopf in den Nacken, blickte Trom Tail lächelnd an und ging auf den Mann zu, der sich Bo nannte. »Bo«, sagte sie weich und streckte die Arme aus. »Seien Sie uns willkommen. Für gelungene Scherze haben wir immer etwas übrig.« »Sie täuschen sich«, entgegnete Bo. »Dies ist kein Witz.« »Aber, Bo«, rief sie amüsiert. Sie hatte ihn fast erreicht. Er hob den Revolver etwas höher und schoß ihr eine Kugel mitten in die Stirn. Helen stürzte zu Boden, als habe ihr jemand die Beine unter dem Leib weggeschlagen.
Commander Bedron, Trom Tail und die schweigsame Sue Mayn sprangen entsetzt auf. Bestürzt blickten sie auf die Tote. Keiner von ihnen schien zu begreifen, was geschehen war. Schließlich aber schrie Trom Tail wie ein waidwundes Tier auf. Er wollte sich auf Bo stürzen, aber dieser richtete sofort den Revolver auf ihn. »Auch Todessehnsüchte?« fragte er sarkastisch. »Sind Sie wahnsinnig geworden?« flüsterte Peter Bedron, der wie betäubt vor seinem Sessel stand. »Haben Sie den Verstand verloren? Wie können Sie so etwas tun?« Bo gab seinen Begleitern ein Zeichen. Sie verteilten sich über die Zentrale, bis sie den Raum wirklich beherrschten. »Die Verhältnisse auf Krasitch haben sich ein wenig geändert«, erklärte Bo kühl. »Aber der Computer hat die Auskunft erteilt, daß ...«, sagte Trom Tail stammelnd. Er sank auf die Knie und drehte Helen Sanders mit tränenfeuchten Augen auf den Rücken herum. Er strich ihr mit den Fingern über die gebrochenen Augen und schloß die Lider. Bo lachte. »Der Computer!« rief er höhnisch. »Das war unsere Überlegung. Wir wußten, daß Sie sich voll und ganz auf die Informationen des Computers verlassen würden. Nur weil es so war, konnten wir Sie überrumpeln. Nicht schlecht, wie?« »Was, zum Teufel, wollen Sie von uns?« fragte Bedron. »Ich verstehe das nicht. Wollen Sie die Fracht klauen? Das ist doch sinnlos. Sie können sie nirgendwo in der Galaxis absetzen.« Bo schüttelte den Kopf. Er deutete auf den verwai-
sten Platz der Cheffunkerin. »Setzen Sie sich dorthin, und rufen Sie den Innenminister an«, befahl er. »Teilen Sie ihm mit, daß sich die MORNING in den Händen der gelben Adler befindet.« Bedron gehorchte. Er schaltete die Bildfunkgeräte ein und drückte einige Tasten, nachdem ihm Bo eine Zahlenkombination genannt hatte. Nur Sekunden verstrichen, bis sich der Bildschirm erhellte. Das Gesicht eines jungen Mädchens erschien. »Geben Sie mir den Innenminister«, forderte Bedron. »In welcher Angelegenheit, bitte?« erkundigte sie sich höflich. »In der Angelegenheit gelber Adler«, erwiderte der Kommandant mit zornbebender Stimme. Das Mädchen erbleichte. Ihre Lippen zuckten. Sie stellte jedoch keine weiteren Fragen, sondern schaltete um. Das aufgedunsene Gesicht eines etwas siebzigjährigen Mannes erschien. Mit verengten Augen musterte er Bedron. »Was ist los?« fragte er in schroffem Ton. »Wir haben den gelben Adler an Bord«, antwortete der Terraner. »Ich weiß zwar nicht, was das alles zu bedeuten hat, Tatsache ist jedoch, daß dieser Adler meine Cheffunkerin erschossen hat.« »Seien Sie vorsichtig«, bat der Innenminister. »Mit diesen Leuten ist nicht zu spaßen.« »Stellen Sie sich vor«, erwiderte Bedron ärgerlich. »Das haben wir bereits gemerkt.« Bo schob ihn zur Seite. »Hören Sie zu, Sankmann«, sagte er. »Sie kennen mich. Sie wissen, was wir wollen. Erfüllen Sie unsere
Forderungen nicht innerhalb der nächsten beiden Stunden, beginnen wir mit der Hinrichtung. Für jede zehn Minuten, die Sie verstreichen lassen, ein Menschenleben.« »Wir werden Ihre Freunde nicht freilassen«, antwortete der Minister energisch. »Was auch immer Sie tun werden, wir werden sie nicht freilassen. Es sind Verbrecher, die in einem rechtmäßigen Verfahren verurteilt worden sind.« »Sie werden meine Freunde als politische Gefangene öffentlich anerkennen, und Sie werden sie freilassen. Wenn Sie sich auf die Hinterbeine stellen, gibt es hier an Bord der MORNING ein Blutbad.« Er schaltete ab, schwang sich mit seinem Sessel herum und blickte Commander Bedron grinsend an. »So ist das«, sagte er. »Da verläßt man sich auf eine Computerinformation, und dann kommt man an, und alles ist ganz anders.« Peter Bedron preßte erbittert die Lippen aufeinander. Er fühlte sich wehrlos gegen diesen Mann. Er war vollkommen überrascht worden. Niemand hatte damit gerechnet, daß auf Krasitch etwas nicht in Ordnung sein könnte. Der Planet war für seine politisch stabilen Verhältnisse bekannt. Vor wenigen Wochen erst war Peter Bedron zum letztenmal hier gewesen, und alles war in Ordnung gewesen. Über Nacht schien jedoch eine Terrororganisation entstanden zu sein, die extrem gefährlich war. Er ließ sich in einen freien Sessel sinken und legte sich die Hände vor das Gesicht. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er war davon überzeugt, daß die Terroristen ihre Drohung wahrmachen würden. Sie hatten keine Skrupel gehabt, Helen Sanders zu erschießen, warum sollten
sie welche haben, wenn es darum ging, weitere Besatzungsmitglieder zu töten? »Was ist hier los auf Krasitch?« fragte er. Bo schien überrascht zu sein. »Ist das wesentlich für Sie?« erkundigte er sich. »Ich denke schon«, bemerkte Trom Tail. »Wir haben mit den politischen Verhältnissen hier nichts zu tun. Wir wollen Speicherkristalle für Produktionssteueranlagen verkaufen. Alles andere interessiert uns nicht.« Bo setzte sich in den Sessel des Kommandanten. »In Ordnung«, sagte er und nickte Peter Bedron zu. »Sie können das Raumschiff verlassen. Gehen Sie zur Börse und verkaufen Sie Ihre Kristalle.« Bedron war so überrascht, daß er sich zunächst nicht rührte. Er glaubte an einen Trick, aber Bo wiederholte seine Aufforderung. »Wenn Sie nicht mehr an Bord sind, bleiben mir noch genügend andere, die ich erschießen kann, wenn es notwendig werden sollte«, erklärte er. »Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an. Außerdem kann ich mir jederzeit von den anderen Schiffen einige an Bord kommen lassen.« Bo fühlte sich offensichtlich vollkommen sicher. Tatsächlich konnten Bedron und die anderen Besatzungsmitglieder der MORNING nichts gegen ihn und seine Begleiter ausrichten, denn diese besaßen Waffen, die Raumfahrer hatten keine. »Geh schon endlich«, riet Trom Tail. »Niemand wird uns etwas tun. Die Regierung wird die gefangenen Männer und Frauen freilassen, und alles ist in Ordnung.« Peter Bedron zögerte nicht länger. Er verließ die
Zentrale und jagte wenig später mit einem Fluggleiter davon. Der Raumhafen von Krisagi war wie leergefegt. Nur die drei Raumschiffe von Keklos Astiriakos standen auf dem Landefeld. Als der Kommandant am Kontrollgebäude landete, ging ein tropischer Regen hernieder. Er hatte erwartet, hier von irgendwelchen Beamten oder Offizieren in Empfang genommen zu werden. Das war jedoch nicht der Fall. Die Halle des Gebäudes war leer. Die einzelnen Verkaufsstände waren geschlossen. Niemand war zu sehen. Es schien, als sei der Betrieb eingestellt worden. Der Kommandant durchquerte die Halle und ging zu einer Tür, die zur Hauptverwaltung führte. Sie war geschlossen. Er mußte einen Knopf drücken, um sich bemerkbar zu machen. Danach verstrichen etwa fünf Minuten, bis sich ein kleiner Bildschirm an der Tür erhellte. Das sonnengebräunte Gesicht eines dunkelhaarigen Mädchens erschien im Bild. »Was gibt's denn, Commander?« fragte sie gelangweilt. Peter Bedron konnte sich nicht mehr beherrschen. Er brüllte seine Wut hinaus. »Meine Besatzung schwebt in Lebensgefahr«, schloß er seinen Protest, »und Sie sitzen hier herum und tun so, als wäre überhaupt nichts los.« »Du meine Güte, Commander«, erwiderte sie gelassen. »Was habe ich damit zu tun, daß an Bord der MORNING irgend etwas nicht in Ordnung ist? Mich geht das nichts an.« »Gibt es einen Polizeioffizier, einen Sicherheitsbeamten oder sonst irgend jemanden, mit dem man vernünftig reden kann?«
Sie richtete ihre Blicke auf einen Punkt, der irgendwo über dem Aufnahmesystem lag. »Lassen Sie mich mal überlegen ...«, sagte sie nachdenklich. »Wer könnte denn da zuständig sein?« Peter Bedron wandte sich zornbebend ab und kehrte zu seinem Gleiter zurück. Es goß noch immer in Sturzbächen. Er stieg in die Maschine und startete. Wenig später raste er über die weit verstreut liegenden Häuser der Hauptstadt von Krasitch hinweg. Er war außer sich. Für ihn gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder arbeiteten die Angestellten des Raumhafenkontrollgebäudes Hand in Hand mit den Terroristen zusammen, oder auf Krasitch herrschte das totale Chaos, so daß sich niemand für andere verantwortlich fühlte. Vor dem Regierungsgebäude landete er. Endlich hörte es auf zu regnen. Doch das bedeutete nicht, daß er trockenen Fußes in das Gebäude kommen konnte. Das Wasser stand knöchelhoch, so daß er versucht war, einfach mit dem Gleiter durch die offene Tür zu fliegen. Da er nicht unnötig provozieren wollte, verzichtete er darauf und watete durch das Wasser. Auch hier traf er zunächst auf keine Bediensteten. Eine unnatürlich wirkende Ruhe herrschte in dem Gebäude. Erst als Bedron in das erste Stockwerk vordrang, begegnete er einem Beamten, der diensteifrig Akten über den Flur schleppte. Der Kommandant hielt ihn am Arm fest, weil er sonst an ihm vorbeigelaufen wäre, ohne ihn zu beachten. »Wo finde ich den Innenminister?« fragte er heftig. Der Beamte zeigte über die Schulter zurück und erwiderte einsilbig: »505.« Bedron fuhr in einem Lift bis ins fünfte Stockwerk
hoch und betrat das Zimmer 505, in dem eine blonde Sekretärin an einem Schreibtisch saß. »Ja?« fragte sie. »Bitte?« Bedron antwortete nicht. Er ging an ihr vorbei zu der einzigen Tür, die aus diesem Raum weiterführte, und öffnete sie. Die Sekretärin protestierte nicht. »Er ist nicht da«, sagte sie nur. »Wo ist er?« »Er frühstückt.« Sie pinselte seelenruhig weiter. »Und wo ist das?« fragte er mühsam beherrscht. »In der Kantine. 500.« Er eilte zur Eingangstür zurück und riß sie auf, als ein Zuruf von ihr ihn zurückhielt. »He, Commander!« »Was ist?« »Sie könnten wenigstens danke sagen.« Er ging von der Voraussetzung aus, daß sie informiert war. Dementsprechend fiel seine Verwünschung aus. Sie wurde feuerrot und ließ vor Schreck den Nagellack fallen. Er schlug die Tür zu und eilte bis zu einer Tür, die die Nummer 500 trug. Davor blieb er kurz stehen und zwang sich zur Ruhe. »Es hat keinen Sinn, wenn du wie ein Wilder durch die Gegend tobst«, sagte er sich leise. Dann öffnete er die Tür und trat ein. Der Innenminister saß mit zwei jungen Mädchen an einem Tisch am Fenster. Außer ihnen hielt sich niemand in der Kantine auf. Eines der Mädchen blickte flüchtig zu Bedron hinüber, während der Innenminister sich lächelnd zu der anderen hinüberbeugte. Peter Bedron ging zu dem Tisch, nahm sich einen Stuhl und setzte sich. Der Innenminister drehte sich
langsam zu ihm um, während die beiden Mädchen empört von dem Commander abrückten. »Ich habe Sie nicht gebeten, sich zu uns zu setzen«, sagte der Politiker scharf. »Das ist mir völlig egal«, erwiderte der Terraner. »Bester Mann, meine Leute befinden sich in der Hand von Terroristen. Meine Funkerin ist erschossen worden. Die Terroristen haben Ihnen ein Ultimatum gestellt, das bald abläuft, und Sie sitzen hier herum und flirten mit zwei Mädchen, die Sie in eine peinliche Verlegenheit bringen würden, wenn sie ernsthaft auf den Flirt reagieren würden.« Der Politiker blieb kühl und gelassen. »Der Kerl hat Sie also von Bord gelassen«, stellte er fest. »Warum?« »Er will mir die Möglichkeit geben, die Fracht an der Börse zu verkaufen.« »Und warum sind Sie dann hier und nicht in der Börse?« Peter Bedron war so überrascht, daß er nichts zu entgegnen wußte. Er blickte den Innenminister fassungslos an. »Sie sollten jetzt aber wirklich gehen«, empfahl ihm eines der Mädchen und blies sich eine rötliche Locke aus der Stirn. »Man kann alles übertreiben.« »So leicht werden Sie mich nicht los«, sagte Bedron heftig. »Glauben Sie, ich riskiere das Leben meiner Besatzung?« »Sie scheinen völlig falsche Vorstellungen von uns zu haben«, entgegnete der Innenminister gelangweilt. »Zwei Minuten vor Ablauf der Frist werden wir Bo mitteilen, daß wir auf seine Forderungen eingehen.« »Sie wollen wirklich nachgeben?«
»Wir müssen, denn sonst überlebt Ihre Besatzung nicht.« »Und was geschieht mit Bo und seinen Leuten?« »Das geht Sie nichts an«, erklärte der Politiker abweisend. Er trank sein Glas aus und blickte Bedron mißbilligend an. »Finden Sie nicht, daß Sie uns nun schon lange genug gestört haben?« Der Kommandant erhob sich, verneigte sich kurz vor den beiden Mädchen und verließ die Kantine. Verwirrt und verunsichert verließ Bedron das Regierungsgebäude. Er setzte sich in seinen Gleiter und blickte auf die bungalowartigen Häuser, die den Zentralplatz umsäumten. Wenn Helen nicht erschossen worden wäre, dann hätte er alles nicht so ernst genommen. So aber wußte er nicht, was er von Krasitch und seinen Bewohnern halten sollte. Er startete und programmierte die Daten der Auktionshalle ein, ging aber nur auf mäßige Geschwindigkeit. Er sah, daß die Menschen aus ihren Häusern kamen und ihre Arbeit wiederaufnahmen, die sie wegen des Regens unterbrochen hatten. Alles schien seinen normalen Verlauf zu nehmen. Nichts deutete darauf hin, daß irgend etwas auf Krasitch nicht stimmte. Bedron landete auf dem Dach der Auktionshalle und fuhr mit einem Lift nach unten. Die Liftkabine glitt in eine Röhre aus Transparentplastik nach unten, so daß Bedron die Halle gut übersehen konnte. In den zahlreichen Glaskabinen saßen nur wenige Personen und ließen sich von den holographischen Geräten Waren vorführen. Das Interesse an Importwaren schien nicht so groß zu sein, wie es nach Auskunft von TECOM hätte sein müssen.
Bedron schob den Gedanken einer Falschinformation jedoch von sich. Er paßte einfach nicht in die Vorstellungswelt dieses Raumfahrers, der es seit Jahren gewohnt war, sich blind auf TECOM zu verlassen. Noch nie hatte es Pannen gegeben. TECOM war nicht nur der vollkommenste Computer, sondern auch der bestinformierte in der Galaxis. Wenn TECOM angekündigt hatte, daß Speicherkristalle für Produktionsanlagen auf Krasitch auf einen äußerst aufnahmefähigen Markt stoßen würden, dann war es auch so.
2. Peter Bedron schob die Schablone in den Schlitz am Computer und wartete. Einige Sekunden verstrichen, dann erschien das Angebot, das er zu machen hatte, in dem holographischen Projektionsfeld. Peter Bedron war sich dessen ganz sicher, daß es nur Minuten dauern würde, bis von allen Gebieten des Kolonialplaneten die Nachfragen eingehen würden. Nicht nur, weil TECOM das vorausgesagt hatte, sondern weil Speicherkristalle für Produktionsanlagen für alle Kolonialplaneten ausgesprochen begehrte Produkte waren. Die drei Raumschiffe, die er nach Krasitch geführt hatte, hatten Waren im Wert von zusammen fast 25 Milliarden Points an Bord. Somit trug Bedron die Verantwortung für Werte, die für den Ankauf eines ganzen Industrieimperiums ausgereicht hätten. Diese Lieferung würde erhebliche Finanzprobleme für die Bewohner von Krasitch aufwerfen. Doch das war von untergeordneter Bedeutung für Krasitch, da die Speicherkristalle die auch hier allgegenwärtigen Computer befähigten, die vollautomatischen Fabriken zu steuern. Mit Hilfe der Speicherkristalle konnten komplizierte Produkte in Serie hergestellt werden, ohne daß dazu Menschen als Arbeitskräfte eingesetzt werden mußten. Durch sie wurde der kontinuierliche Aufbau der Kolonialwelten erst möglich. Das erste Angebot, das der Commander Krasitch unterbreitete, war ein Speicherkristall, der das Fertigungsprogramm für den Bau von landwirtschaftlichen Robotern beinhaltete. Diese Automaten mußten
mit besonderer Sorgfalt hergestellt werden, da sie extremen Belastungen standzuhalten hatten. Sie machten das Land urbar und bestellten es. Sie setzten sich aus mehr als zwanzigtausend Einzelteilen zusammen. Die Robotfabrik, die mit den Speicherkristallen gesteuert werden konnte, versorgte sich selbst mit Rohstoffen, fertigte sämtliche Einzelteile und warf schließlich die voll einsatzfähigen Roboter aus. Der Wert der Speicherkristalle ließ sich aus diesem Grunde tatsächlich kaum in einer Summe von Points angeben. Es war viel höher. Dennoch wartete Peter Bedron an diesem Tag vergebens. Sein Angebot erzielte kein Echo. Die Situation war absolut ungewöhnlich für ihn. Er hatte es noch nie erlebt, daß er länger als einige Sekunden auf eine Antwort warten mußte. Daher wurde er von Sekunde zu Sekunde unsicherer. Er fragte sich, ob die Terroristen etwas mit der Sache zu tun hatten. Alles, was ihm an diesem Tage Ungewöhnliches widerfahren war, fiel ihm wieder ein, doch nichts schien zusammenzupassen. Er stellte sich tausend Fragen, während er in der Kabine saß und wartete. Er stellte die abenteuerlichsten Vermutungen auf, doch der Wahrheit kam er nicht nahe. Als etwa zwanzig Minuten verstrichen waren, ohne daß sich ein Interessent für die Speicherkristalle gemeldet hatte, verließ er die Kabine und suchte eine andere in der entgegengesetzten Seite der Halle auf. Hier programmierte er den Computer neu, erzielte aber auch hier nicht die erwartete Wirkung. Er brach seinen vergeblichen Versuch ab und ging zu einer besetzten Kabine, als er bemerkte, daß hier
die Geschäftsverhandlungen gerade zu Ende gingen. Er klopfte an die Glastür und wartete höflich, bis sie geöffnet wurde. »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er. »Ich habe Schwierigkeiten mit der Anlage. Können Sie mir helfen?« »Worum geht es denn?« fragte der Mann in der Kabine. Er war klein und untersetzt. Er musterte Bedron aus verengten Augen, und es schien, als fürchte er sich vor ihm. »Ich habe drei Schiffe voller Speicherkristalle hier«, erklärte der Kommandant. »Derartige Produkte müssen nach den Informationen von TECOM, des Hauptcomputers der Erde, hier reißenden Absatz finden. Doch niemand meldet sich. Nun befürchte ich, daß die Computeranlagen gestört sind.« Bedrons Gegenüber schüttelte den Kopf. »Hier ist alles in Ordnung«, entgegnete er und schob sich an dem Terraner vorbei. »Nur werden Sie Ihre Ware hier bestimmt nicht verkaufen.« Er eilte davon. Bedron blickte ihm verblüfft nach. Er glaubte nicht, was dieser Mann gesagt hatte. »Wahrscheinlich hast du schlechte Geschäfte gemacht«, sagte er, »und willst jetzt deine Wut an mir auslassen.« Er lächelte unsicher und betrat dann die eben frei gewordene Kabine, da er sich sagte, daß die hier installierten Kommunikationsgeräte sicherlich in Ordnung waren. Er setzte sich und wiederholte sein Angebot. Nur wenige Sekunden verstrichen, bis das Gesicht eines Mannes im Projektionsfeld erschien. Bedron atmete auf. Die Welt war plötzlich wieder halbwegs in Ordnung für ihn.
Er begann mit den üblichen Geschäftsverhandlungen. Doch die Hoffnung auf reiche Gewinne zerschlug sich schon nach wenigen Minuten. Der Interessent wollte nur eine verschwindend geringe Anzahl von Speicherkristallen haben, eine Menge, über die Bedron unter anderen Umständen gar nicht erst verhandelt hätte. »Ich bin überrascht«, sagte er, nachdem der Handel abgeschlossen war. »Warum nehmen Sie nur so wenige Einheiten? Sie würden doch erheblich besser fahren, wenn Sie mehr nehmen würden.« »Das würde ich gern tun«, antwortete der Geschäftsmann, »aber die neuen Bestimmungen erlauben es mir nicht.« »Welche Bestimmungen?« fragte Bedron verblüfft. Sein Gegenüber lächelte verwundert. »Die Reinheitspartei hat die Wahlen vor drei Monaten gewonnen. Das müßten Sie doch eigentlich wissen.« »Ich habe keine Ahnung«, gestand Bedron. »Die Reinheitspartei setzt sich besonders dafür ein, die natürliche Umwelt dieses Planeten zu erhalten. Es soll so wenig wie möglich kultiviert und verändert werden. Unter den ersten Gesetzen, die erlassen wurden, war eines, das nur noch ein begrenztes Wachstum der Industrie zuläßt. Sicherlich gibt es Hunderte von Geschäftsleuten, die Ihre Kristalle liebend gern kaufen möchten, um dann große Industrieanlagen aufzubauen. Sie dürfen nicht mehr. Das bedeutet, daß für Sie hier kein großes Geschäft zu machen ist. Tut mir leid für Sie, aber es ist so.« Der Geschäftsmann lächelte freundlich, nickte und schaltete ab.
Peter Bedron blieb wie betäubt auf seinem Stuhl sitzen. Er konnte nicht fassen, was er gehört hatte. Etwas Ungeheuerliches war geschehen. TECOM hatte eine falsche oder zumindest doch unzureichende Auskunft gegeben. Derartiges war noch niemals zuvor geschehen. Bedron war, als habe ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Er erhob sich langsam und verließ die Börse. Er wußte nicht, was er tun sollte. Als er im Gleiter saß, startete er, ohne ein direktes Ziel in die Computertastatur zu tippen. Er blickte auf die Häuser der Stadt hinab und versuchte, die Erkenntnis zu bewältigen, daß kein Verlaß mehr auf TECOM war. Dann erinnerte er sich daran, daß die Terroristen die MORNING immer noch besetzt hielten und daß er etwas tun mußte, um die Gefahr zu beheben. Er flog zur MORNING zurück, suchte allerdings die beiden Kommandanten der anderen Raumer auf, bevor er das Schiff betrat. »Nun, haben Sie sich gute Ratschläge geholt?« fragte Bo spöttisch, als er in die Hauptleitzentrale kam. Wortlos ging Peter Bedron zu seinem Sessel und setzte sich. »Die Kristalle sind unverkäuflich«, sagte er, ohne sich um die Terroristen zu kümmern. Er brauchte einige Minuten, um die erregten Fragen der Besatzungsmitglieder zu beantworten. Danach wandte er sich an den Anführer der Terroristen. »Der Innenminister hat zugesagt, daß er dem Ultimatum nachgibt«, erklärte er. »Zwei Minuten vor Ablauf der Frist wird er Ihre Forderungen erfüllen.« Fast schien es, als seien Bo und seine Begleiter enttäuscht.
»Ich möchte wissen, wie es danach weitergehen soll«, fuhr Bedron fort. »Ganz einfach«, erwiderte Bo lächelnd. »Sie werden uns nach Süden fliegen und irgendwo absetzen, bevor Sie diesen Planeten verlassen.« Bedron blickte auf sein Chronometer. Zehn Minuten bis zum Ablauf der Frist blieben noch. Würde der Innenminister Wort halten? Der Kommandant hielt es für möglich, daß der Politiker das Ultimatum einfach ignorieren würde, ohne sich darum zu kümmern, was aus den Geiseln wurde. Doch Bedron irrte sich. Genau zwei Minuten vor Ablauf des Ultimatums meldete sich der Innenminister. »Hören Sie zu«, sagte er knapp zu Bo, der am Gerät saß. »Ihre Forderungen werden erfüllt. Wir lassen Ihre Komplizen frei, und wir erkennen sie als politisch Verfolgte an.« »Gut«, entgegnete Bo. »Ich warte, bis meine Freunde sich von einem sicheren Ort aus melden.« Peter Bedron und die anderen Besatzungsmitglieder der MORNING erlebten die Erpressung mit. Sie waren Zeuge, wie die Forderungen der Terroristen Zug um Zug erfüllt wurden, aber sie interessierten sich kaum dafür. Sie mußten jedoch erkennen, daß sich die politischen Zustände auf Krasitch in den letzten Monaten grundlegend verändert hatten und kaum noch mit jenen vergleichbar waren, die vorher geherrscht hatten. Diese Tatsache war viel wichtiger als alles andere, weil sie zeigte, in welchem Maß TECOM versagt hatte. Sieben Stunden nach Ablauf des Ultimatums gab Bo endlich den Befehl zum Start. Seine Forderungen
waren alle erfüllt worden. Die MORNING und die beiden Schwesterschiffe flogen nach Süden und landeten in einem unübersichtlichen, bergigen Gebiet. Peter Bedron mußte die Terroristen gehen lassen. »Verdammt«, sagte Trom Tail zornbebend. »Warum mußte das so kommen? Wir hatten nicht die Spur einer Chance, Helen zu rächen.« »Bo hat an alles gedacht«, entgegnete Bedron. »Es hat keinen Sinn, über diese Dinge nachzudenken. Wir werden den Tod Helens noch einmal offiziell melden und der Regierung alle Beweise überstellen. Mehr können wir nicht tun.« Bedron hatte es sich leichter vorgestellt, den Planeten zu verlassen, als es war. Der Innenminister rief die MORNING zur Hauptstadt zurück. Hier mußten Bedron und seine Mannschaft lange Verhöre über sich ergehen lassen. Helen Sanders mußten sie auf Krasitch zurücklassen. Danach startete die MORNING erneut, und Peter Bedron setzte einen Lichtspruch zur Erde ab. Die Antwort von Keklos Astiriakos kam innerhalb weniger Minuten. Der Industrielle war außer sich vor Zorn. »Erzählen Sie mir keine Märchen«, brüllte er. »Sagen Sie mir lieber, was wirklich passiert ist.« »Nichts anderes als das, was ich Ihnen berichtet habe«, erwiderte Peter Bedron. »Sie müssen mir schon glauben, und je schneller Sie das tun, desto besser für Sie.« Astiriakos schwieg bestürzt. Offensichtlich dämmerte ihm, daß der Kommandant kein Täuschungsmanöver versuchte. »Also gut«, sagte er. »Ich werde mich an die Regierung wenden und Schadenersatz verlangen. Fliegen
Sie nach Trakelar. Dort sind zwar nicht so gute Absatzmöglichkeiten vorhanden, wie für Krasitch in Aussicht gestellt wurden, die Fracht dürfte sich aber absetzen lassen.« »Vorausgesetzt, die Angaben von TECOM stimmen«, entgegnete Bedron. »Sie stimmen«, sagte Astiriakos grimmig. »Verlassen Sie sich darauf.« Er brach die Verbindung ab. * Keklos Astiriakos war noch immer außer sich vor Zorn, als er das Büro des terranischen Regierungschefs Han Tsu-Gol betrat. Der Asiate saß in aufrechter Haltung hinter seinem Arbeitstisch und erwartete ihn. Der kahlköpfige Mann ließ durch keinerlei äußerliche Anzeichen erkennen, was er dachte und fühlte. Seine Hände lagen ruhig auf der Tischplatte. Astiriakos setzte sich unaufgefordert. Er kannte Han Tsu-Gol, da sein Sohn Basil Astiriakos als Minister in der Regierung mitarbeitete. »Ich nehme an, Sie haben inzwischen einen Bericht von Krasitch erhalten, Tsu-Gol«, sagte er mit bitterem Unterton. »Man wird Ihnen gemeldet haben, daß alles nach Plan verlaufen ist.« Han Tsu-Gol runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht«, erwiderte er. »Oh, doch, Sie wissen recht gut, was ich meine.« Han Tsu-Gol schüttelte den Kopf. Er beugte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch.
»Keklos«, sagte er ruhig, »wir kennen uns nun schon einige Zeit, aber ich kenne Sie nicht so gut, daß ich Ihre Gedanken lesen kann.« »Ja«, erwiderte der Industrielle aufbrausend. »Wir kennen uns lange, das bedeutet jedoch nicht, daß Sie Sympathien für mich aufbringen. Im Gegenteil. Ich bin überzeugt davon, daß Sie die erste beste sich bietende Gelegenheit nutzen würden, mir das Genick zu brechen. Aber Sie haben sich verrechnet. Noch ist es nicht soweit.« »Keklos, was ist los?« Das Gesicht des Industriellen verzerrte sich. »Ich habe Ihnen einen Verlust von mehr als zwei Milliarden Kreditpoints zu verdanken. Jeden anderen würde ein derartiger Verlust erledigen. Mich nicht. Noch nicht. Außerdem habe ich meine Anwälte verständigt. Wir werden einen Prozeß gegen den Staat führen, in dem wir Point für Point zurückholen, was mir gehört.« Han Tsu-Gol blieb gelassen. »Ich würde mich gern konstruktiv an diesem Gespräch beteiligen«, erklärte er. »Das kann ich jedoch nur, wenn Sie sagen, was passiert ist. Vielleicht haben Sie recht, daß ich schuld bin. Wenn es jedoch so sein sollte, dann bin ich darüber noch nicht informiert.« Keklos Astiriakos lehnte sich in seinem Sessel zurück und atmete tief durch. Er beruhigte sich etwas. »Ich bin der Ansicht, daß Sie TECOM manipuliert haben«, sagte er. »TECOM hat falsche Informationen geliefert und damit eine geschäftliche Katastrophe herbeigeführt. Außerdem hat die Manipulation ein Menschenleben gefordert.« »Ein finanzieller Verlust läßt sich ausgleichen«, a nt-
wortete der Asiate. »Ein Menschenleben nicht. Wie kommen Sie zu der Vermutung, daß ich oder sonst irgend jemand TECOM manipuliert haben könnte?« Keklos Astiriakos berichtete, was er von Commander Peter Bedron gehört hatte. Dabei beobachtete er Han Tsu-Gol scharf. Es schien, als sei das Staatsoberhaupt schockiert. Han Tsu-Gol schüttelte schließlich energisch den Kopf. »Sie irren sich, Keklos«, sagte er. »Es ist völlig ausgeschlossen, daß TECOM manipuliert worden ist. Das Computerzentrum ist derart sorgfältig abgesichert, daß so etwas einfach unmöglich ist. Man kann TECOM nicht manipulieren.« Han Tsu-Gol erinnerte sich daran, daß er selbst einmal das Opfer einer Fehlinformation durch TECOM geworden war. Nachforschungen hatten jedoch ergeben, daß keine Manipulation vorgelegen hatte. So glaubte der Asiate nun, daß er das Opfer einer menschlichen Fehlleistung geworden war. »Na schön«, sagte Astiriakos, »wenn es so ist, dann erklären Sie mir, bitte, was auf Krasitch geschehen ist. Wir sind uns darüber einig, daß das alles nicht passiert wäre, wenn TECOM die richtigen Informationen gegeben hätte.« Han Tsu-Gol lehnte sich ebenfalls in seinem Sessel zurück. Ratlos hob er die Schultern. Dann drückte er einen Knopf an der Unterseite der Tischplatte. Das Projektionsfeld eines Videogeräts erhellte sich. »Basil Astiriakos soll, bitte, zu mir kommen«, sagte er höflich und schaltete wieder ab. Er wandte sich seinem Besucher zu. »Auf jeden Fall ist der Verdacht, eine Intrige sei ge-
gen Sie im Gange, absurd«, bemerkte er. »Aber auch an eine Manipulation zu denken, ist abwegig, denn was könnte schon damit erreicht werden, daß wir über gewisse Vorgänge auf einem so unwichtigen Planeten wie Krasitch nicht informiert sind?« »Ich bin überfragt«, entgegnete Astiriakos hilflos. Er blickte zur Tür, als sein Sohn eintrat. Basil Astiriakos war ein gut aussehender Mann, der oft Mühe hatte, sein überschäumendes Temperament zu zügeln. Er begrüßte seinen Vater mit besonderer Herzlichkeit und ließ sich danach berichten, was vorgefallen war. Er wußte ebenso wenig Rat wie Han TsuGol. »Ich habe auch nicht damit gerechnet, daß Sie die Lösung jetzt sozusagen aus dem Hut ziehen würden«, sagte der Asiate. »Ich möchte, daß Sie sich mit dem Fall befassen und ihn aufklären. Da Sie der Sohn des Betroffenen sind, bin ich sicher, daß Sie mit der nötigen Energie ans Werk gehen werden.« »Darauf können Sie sich verlassen«, erwiderte der Sohn des Raumreeders. Er führte seinen Vater aus dem Büro des Regierungschefs und verabschiedete sich draußen von ihm. »Wenn tatsächlich irgendwo jemand Intrigen gesponnen hat«, sagte er, »dann werden Köpfe rollen. Das ist sicher.« »Ich weiß, daß du alles tun wirst, was in deiner Macht steht«, entgegnete Keklos Astiriakos. »Die Situation ist ernst. Der Verlust ist auch für uns hart. Wenn es uns nicht gelingt, wenigstens einen Teil des Geldes zurückzuholen, dann sieht es schlecht aus für uns.« »Ich habe schon begriffen, Vater«, sagte der Minister.
Er blickte seinem Vater nach, bis dieser um eine Gangecke bog, und er ihn aus den Augen verlor. Im gleichen Moment sanken seine Schultern nach unten. Basil Astiriakos bot nicht mehr das Bild eines entschlossenen und selbstsicheren Mannes. Er sah hilflos aus. Minutenlang blieb er auf der Stelle stehen und überlegte, wohin er sich wenden sollte. Er fühlte sich den Problemen, die auf ihn einstürmten, nicht gewachsen. Sonst war er ein Mann, der vor keiner Aufgabe und vor keiner Verantwortung zurückschreckte, doch der Problemkreis TECOM erschien ihm zu groß und zu erdrückend. Er überlegte, an wen er sich wenden konnte. Flüchtig dachte er an die zweite Chefprogrammiererin Melia Chang-Fu. Sie gehörte jedoch zu den wenigen Frauen, bei denen er keinerlei positiven Eindruck hinterlassen hatte, und denen gegenüber er sich unsicher fühlte. »Cliff McLane«, sagte er laut. »Er wird mir helfen.« * Mario de Monti strich sich genüßlich mit den Fingerspitzen über die Lippen. »Du bist verdammt hübsch«, sagte er vergnügt. »Und du bringst mich ziemlich durcheinander.« Jeanny Laver lachte. Sie strich sich die blonden Haare bis hinter die Ohren zurück und stützte dann ihren Kopf auf die Hände. »Ich muß dir auch ein Kompliment machen, Mario«, entgegnete sie. »Du verstehst zuviel von Frauen. Du verdrehst mir den Kopf, so daß ich schon gar
nicht mehr weiß, ob ich wirklich alles will, was ich tue und denke.« Mario de Monti griff nach seinem Glas, lächelte geschmeichelt und trank. Dann blickte er sich in dem Restaurant um, indem sie sich aufhielten, und sagte: »Schade nur, daß hier so viele Menschen sind. Ich würde mich viel lieber an einem Ort mit dir unterhalten, wo wir nicht gestört werden.« Sie schob ihre Hand in die seine und erwiderte: »Ich kenne so einen Platz.« »Was sitzen wir hier denn noch herum und verplempern unsere Zeit?« fragte er, drückte eine Taste auf dem Tisch und schob dann seine Kreditkarte in einen Zahlschlitz. Die Kosten für das Essen, das er zusammen mit dem schönen Mädchen genossen hatte, wurden damit automatisch von seinem Konto abgebucht. Mario de Monti legte seine Hände um die Schultern Jeannys und verließ zusammen mit ihr das Lokal. Sie schlenderten durch einen Park, an den Klippen über der Timor See entlang bis hin zu einer Wohnanlage. Dabei plauderten sie ausgelassen. Hin und wieder blieben sie stehen, um auf die See hinauszublicken oder Zärtlichkeiten auszutauschen. Als die Tür der kleinen Wohnung hinter ihnen zufiel, sagte der Chefkybernetiker der ORION: »Ich hoffe, daß du noch ein kleines Faß Whisky im Haus hast.« Sie drehte sich zu ihm um, lächelte und schüttelte den Kopf. »Nicht einen Tropfen habe ich da«, sagte sie. Dann schoß ihre kleine Faust plötzlich nach vorn. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Instinktiv
hob er die Arme, doch das half ihm nichts. Mit einer blitzschnellen Kombination von Schlägen gegen seinen Kopf und die Herzgegend überrumpelte Jeanny ihn. Er stürzte zu Boden und blieb bewußtlos liegen. Das Mädchen drehte ihn auf den Rücken herum, tätschelte lächelnd seine Wange und zog ihm die Kreditkarte aus der Tasche. Dann eilte sie zu einem Automaten in der Wohnung, schob die Karte in einen Schlitz und hämmerte mit den Fingerspitzen nervös auf einer Tastatur herum. Enttäuscht blickte sie schließlich auf den Bildschirm, auf dem der Kontostand Mario de Montis und damit die Summe, die sie hatte abheben können, aufgezeigt wurde. Sie stieß den Bewußtlosen ärgerlich mit dem Fuß an. »Nur zwanzigtausend Kreditpoints«, sagte sie. »Und mit so einem miesen Konto machst du so einen Rummel? Mann, ich dachte, du wärest ein steinreicher Kerl. Und nun dies. Wegen zwanzigtausend so ein Risiko.« Mario de Monti konnte auf die Vorwürfe des Mädchens nicht antworten. Er hörte sie nicht einmal. Er erwachte erst wieder aus seiner Bewußtlosigkeit, als sie die Wohnung längst verlassen hatte und der rechtmäßige Eigentümer der Wohnung zusammen mit einem Polizeibeamten erschien. Der Polizist packte ihn rauh und stellte ihn auf die Beine. »Moment«, rief Mario empört. Seine Sinne klärten sich nun rasch. Er erinnerte sich voll an das, was geschehen war. Ärgerlich schüttelte er den Polizisten ab. »Lassen Sie mich los. Ich bin es, der hier überfallen worden ist. Was glauben Sie, weshalb ich sonst auf dem Fußboden herumliege?«
»Das ist mir völlig egal«, sagte der Mann, dem die Wohnung gehörte. »Ich treffe Sie hier an. Sie haben hier nichts zu suchen. Das sind meine Privaträume. Also haben Sie die Konsequenzen zu tragen.« Marios Blick fiel auf seine Kreditkarte, die auf dem Boden lag. Er erkannte sofort, daß er sie nicht verloren haben konnte. »Moment mal«, sagte er und hob die Karte auf. »Hier stimmt doch etwas nicht.« Er berichtete kurz, wie er in die Wohnung gekommen war. »Das Mädchen muß mir mit einem Trick Geld abgenommen haben.« Der Polizist schüttelte den Kopf. Ungeduldig griff er nach Marios Arm. »Erzählen Sie keinen Unsinn«, sagte er ärgerlich. »Sie wissen ebensogut wie ich, daß es unmöglich ist, Geld vom Konto eines anderen abzubuchen und auf diese Weise Geld zu stehlen.« »Es ist aber offenbar passiert«, entgegnete Mario. Er riß sich erneut los und ging zum Kreditautomaten. Er schob seine Karte hinein und drückte zwei Tasten. Sekunden später erschien auf dem Projektionsfeld eine Reihe von Nullen. »Na, bitte«, sagte Mario erbittert. Er zeigte auf die Nullen. »Das beweist doch wohl alles.« »Nichts ist dadurch bewiesen«, erwiderte der Polizist. »Es gibt genügend Leute, die um diese Zeit nichts mehr auf ihrem Konto haben. Die neuen Zahlungen kommen erst in drei Tagen.« Mario lachte wütend. »Ich habe über zwanzigtausend Points auf dem Konto gehabt«, erklärte er und drückte die Abbu-
chungstaste. »Hier. Sehen Sie selbst.« Im Projektionsfeld erschien die Zahl: 20 354,61. Dahinter flammten Datum und Uhrzeit der Abbuchung auf. Der Polizist kratzte sich am Kopf. Der Eigentümer der Wohnung krauste die Stirn und setzte sich in einen Sessel. »Schön und gut«, sagte er. »Sie sind beklaut worden. Zufällig hat man meinen Automaten dazu benutzt. Aber das alles geht mich überhaupt nichts an. Unter den gegebenen Umständen verzichte ich auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, aber nur, wenn Sie auf der Stelle meine Wohnung verlassen.« Der Polizist nahm die zweite Hand zur Hilfe, um sich noch etwas intensiver am Kopf zu kratzen. Offenbar hoffte er, dadurch besser denken zu können. Mario de Monti ging zum Videogerät. »Erlauben Sie, daß ich ein Gespräch führe?« fragte er. »Mit wem?« erkundigte sich der Polizist. »Mit wem wollen Sie sprechen?« »Mit Han Tsu-Gol«, erwiderte der Kybernetiker. »Mit wem sonst?« »Sie spinnen wohl«, sagte der Polizist heftig. »Wenn Sie sich einen Anwalt suchen wollen, dann erlaube ich Ihnen das. Machen Sie aber keine Witze, sonst muß ich in einem anderen Ton mit Ihnen reden.« Mario de Monti drückte einige Tasten. Sekunden darauf erschien das Gesicht des Regierungschefs im Projektionsfeld. Bestürzt blickte der Polizist auf das Gerät. Seine Lippen zuckten. Der Kybernetiker berichtete ruhig, was geschehen
war. Er schloß: »Für mich steht fest, daß TECOM manipuliert worden ist. Ich stelle daher den Antrag, daß Sie mich in die nun fraglos notwendigen Untersuchungen einschalten.« »Ich bin einverstanden, de Monti«, erwiderte Han Tsu-Gol. »Ich werde Astiriakos informieren.« Damit schaltete er aus. Mario de Monti drehte sich triumphierend um. Er hatte Mühe, ein allzu deutliches Lächeln zu unterdrücken. »Noch Fragen?« erkundigte er sich. »Ich habe keine Fragen«, erwiderte der Polizist stammelnd. Er nahm eine respektvolle Haltung ein. »Ich bitte lediglich um Verständnis dafür, daß ich ein Protokoll anfertigen muß.« »Da ein solches Protokoll die Voraussetzung dafür ist, daß ich später mein Geld zurückbekommen, bitte ich darum«, antwortete der Chefkybernetiker der ORION. »Aber das muß ja wohl nicht hier sein.« Zusammen mit dem Polizisten und dem Eigentümer der Wohnung flog er zur nächsten Polizeistation, wo alle Daten festgehalten und abgezeichnet wurden.
3. Als er die Brücke erreichte, bemerkte er den Schatten. Charles Taylor stutzte. Er ging langsam weiter und horchte angespannt nach hinten. Deutlich konnte er hören, wie die Sohlen des anderen über den Kies glitten und dann auf die Steinplatten gerieten. Abermals blieb er stehen, und das Geräusch zerbrechender Steinchen verstummte. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr für Taylor. Er wußte, daß er verfolgt wurde. Vor ihm lag die fast zweihundert Meter lange Brükke. Er mußte hinüber auf die andere Seite. Ein anderer Weg bot sich nicht an. Sein Herz schlug schneller. Er hatte ständig damit gerechnet, in eine solche Situation zu geraten, gerade die Erfolge der letzten Tage und Wochen aber hatten ihn sicherer gemacht, so sicher, daß er bereits an den absoluten Erfolg geglaubt hatte. Seine Arbeiten an TECOM waren perfekt gewesen. Keine Spur war geblieben, die ihn hätte verraten können. Was bedeutete es also, daß er nun verfolgt wurde? Er ging weiter. Die Nacht war dunkel. Nur wenig Licht kam von dem wolkenverhangenen Himmel. Die Sicht reichte nur wenige Meter weit. Was weiter entfernt war, verschwand im Dunkel. Das war seine Chance. Charles Taylor schob sich blitzschnell erst den linken, dann den rechten Slipper von den Füßen ab und eilte dann auf Strümpfen weiter, so daß er lautlos über den Steinboden glitt. Plötzlich wurden die
Schritte hinter ihm schneller. Taylor lächelte. Sein Verfolger hatte sich offenbar ebenso wie er an den Geräuschen orientiert, und nun hatte er ihn verloren. Er blieb stehen, bis die Schritte hinter ihm verstummten. Da wußte er, daß der andere ihn gesehen hatte und nun wartete. Taylor duckte sich und rannte los. Für den Verfolger mußte es so aussehen, als ob er von einer Sekunde zur anderen verschwand. Vielleicht vermutete er ihn gar noch immer an der gleichen Stelle. Der Computerspezialist lächelte, als er das Ende der Brücke erreicht hatte. Er war davon überzeugt, den lästigen Verfolger nun abgeschüttelt zu haben. Er lobte sich selbst, denn er glaubte, daß es ein guter Trick gewesen war, sich erst zu zeigen, um den anderen in Sicherheit zu wiegen, und dann lautlos zu flüchten. Taylor blieb stehen und blickte zur Brücke zurück. Dort blieb alles ruhig. Das war für ihn der Beweis, daß er es geschafft hatte. Lächelnd eilte er weiter bis zu einem Vaser-Verteilungskasten. Mit wenigen Griffen öffnete er eine versiegelte Luke, ohne das Siegel zu brechen, und stieg in den nach unten führenden Schacht. Er schloß die Luke über sich und ließ sich an einer Leiter nach unten sinken. Am Ende der Leiter befand sich ein seitliches Schott, das ebenfalls versiegelt war. Auch dieses Schott konnte er öffnen, ohne einen Alarm auszulösen oder verräterische Spuren zu hinterlassen. Er schloß es hinter sich und schaltete eine Taschenlampe an. Kurz darauf hatte er eine Kontaktplatte gefunden, mit der er das Deckenlicht einschalten konnte. Zufrieden lächelnd blickte er auf die mit Panzerplast umhüllten Vaser-Bahnen, die irgendwo in der
Ferne bei TECOM endeten und Kommunikationsverbindungen bis in alle Winkel der Erde herstellten. Er löste eine Spezialtasche von der Brust und nahm eine Reihe von elektronischen Werkzeugen heraus. Bevor er jedoch damit beginnen konnte, die Panzerplasthülle zu entfernen, öffnete sich das Schott hinter ihm. Eine hünenhafte Gestalt schob sich herein und richtete eine Laserhandwaffe HM 4 auf ihn. Taylor fuhr so heftig zusammen, als werde sein Körper von einem Stromschock geschüttelt. Das Werkzeug fiel ihm aus den Händen. Er war vollkommen überrascht worden. »Was ... was ...?« stammelte er. »Charles Taylor«, sagte der Mann. »Ich habe es gewußt, daß ich Sie hier unten finden würde. Drehen Sie sich um, stützen Sie sich mit beiden Händen an die Wand. Und vorsichtig sein, Taylor, sonst geht dieser Laser los. Ich bin ziemlich nervös, wissen Sie?« Charles Taylor gehorchte. Er stützte sich mit den Händen an die Wand und spreizte die Beine. Der andere tastete ihn ab und nahm ihm die Gasdruckpistole ab, die er im Strumpf versteckt hatte. »Sie können sich wieder umdrehen, Taylor.« Der Computerspezialist gehorchte. »Was wollen Sie von mir?« fragte er. »Das ist eine intelligente Frage«, entgegnete der Hüne ironisch. Er deutete auf die Vaser-Bahnen. »Sie gehen einer interessanten Beschäftigung nach.« »Ich habe dringende Reparaturarbeiten durchzuführen«, behauptete Taylor. »Das sehe ich«, erwiderte der Fremde lachend. »Und dazu kommen Sie mitten in der Nacht. Sie steigen ein, ohne die Siegel zu brechen, und verwenden
nicht die offiziellen TECOM-Schlüssel, sondern Einbruchswerkzeuge.« »Wer sind Sie?« »Ich bin Harris Lawford, Privatdetektiv«, antwortete der Hüne bereitwillig. »Und was wollen Sie von mir?« »Sie sind der dicke Fisch, den jeder Privatdetektiv irgendwann in seiner Laufbahn gern einmal an seiner Angel haben möchte«, erwiderte Lawford. »Das verstehe ich nicht.« »Nun, dann will ich Ihnen sagen, was ich von Ihnen weiß. Es war ziemlich mühsam, das alles herauszubringen, aber ich habe es geschafft. Hören Sie zu.« Der Detektiv zündete sich eine Zigarette an. Er beobachtete Taylor sorgfältig und hielt die HM 4 ständig auf ihn gerichtet. »Sie sind Charles Taylor. Am 5. Dezember 1945 waren Sie Schwarmführer einer Gruppe von Torpedobombern der amerikanischen Marine vom Typ TBM 3 Avenger.« Taylor lachte. Er stemmte sich die Hände in die Seiten. »Am 5. Dezember 1945!« rief er. »Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich bin nicht unsterblich. Wie hätte ich wohl diese Zeitspanne überleben sollen?« Harris Lawford zeigte sich unbeeindruckt. »Sie waren Lieutenant am 5. Dezember 1945. Und Sie waren mit Ihrem Schwarm im Bermuda-Dreieck im Einsatz. An diesem Tage verschwanden alle fünf Flugzeuge des Schwarms unter – sagen wir – mysteriösen Umständen.« »Aha«, sagte Taylor spöttisch. »Ein Funkamateur fing Ihre letzten Worte auf. Er hat später eine Aussage gemacht.«
»So, so«, bemerkte Taylor. »Und wie waren meine letzten Worte?« »Sie haben gerufen: Kommt mir nicht nach ... Sie sehen aus, als ob sie aus dem Weltraum wären ...« Der Computerfachmann strich sich mit der Hand über die Augen. Er lächelte plötzlich nicht mehr. Er atmete einige Male tief durch, räusperte sich und fragte: »Und wie ging es weiter, Mr. Neunmalklug?« »Ich nehme an, daß Sie von diesen Dingen überhaupt nichts mehr wissen«, erklärte Lawford. »Ich vermute, daß Sie sich einer Hypnoschulung unterziehen mußten, bei der das Wissen über Ihre wahre Vergangenheit vollkommen ausgelöscht worden ist.« »Nun mal ernsthaft«, sagte Taylor. »Was soll diese Spinnerei?« Lawford schüttelte den Kopf. »Ich meine es wirklich ernst, Taylor. Irgend jemand hat Ihnen eine Legende beschafft, einen gefälschten Lebenslauf. Dieser hat mich auf Ihre Spur gebracht. Ich hatte Gelegenheit, Ihren Lebenslauf einzusehen. Dabei stellte ich fest, daß Sie nach diesem Lebenslauf mit mir gemeinsam die Hochschule besucht haben und in einem Seminar mit einer Gruppe, zu der auch ich gehörte, eine wissenschaftliche Arbeit ausgeführt haben.« »Das stimmt«, sagte Taylor. Lawford schüttelte den Kopf. »Das kann nicht stimmen, weil dieses Seminar damals ausgefallen ist und auch nicht wiederholt wurde. Pech, Taylor. Über derartige Kleinigkeiten kann man stolpern.« »Und was weiter?« »Neugierig geworden, habe ich mich mit Ihnen be-
faßt. Sie haben sich vor einiger Zeit um eine Arbeitsstelle bei TECOM bemüht. Dabei haben Sie alle Tests mit ausgezeichneten Ergebnissen bestanden. Vier kleine Fehler haben Sie gemacht. Sie sind niemandem außer mir aufgefallen. Ich habe sie näher untersucht und bin nun überzeugt, daß Sie diese Fehler absichtlich gemacht haben, um nicht durch ein allzu positives Ergebnis aufzufallen.« Charles Taylor verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Voller Unbehagen blickte er auf den Privatdetektiv. Er war blaß geworden, und seine Lippen zuckten. Lawford wußte, daß seine mühevollen Ermittlungsarbeiten lohnend gewesen waren. »Sie wurden als Überwachungstechniker für Service-Anschlüsse bei TECOM angestellt«, fuhr der Privatdetektiv unerbittlich fort. »Das war noch vor Orcunas Ende. Infolge Ihrer Ausbildung, die Sie vermutlich bei den Fremden aus dem Weltraum erhalten haben, verfügen Sie über ein Wissen, das Sie allen anderen terranischen Computer-Fachleuten überlegen macht. Das Verbergen Sie allerdings sehr sorgfältig.« »Meinen Sie?« Ein spöttisches Lächeln glitt über die farblosen Lippen Taylors. »Davon bin ich überzeugt. Es muß Ihnen gelungen sein, Orcuna durch eine Reihe von Tricks zu überlisten und sich den Kode des Primär-Impulses anzueignen. Mit seiner Hilfe haben Sie von einem Programm-Injektor aus Manipulationen an TECOM vorgenommen.« »Das sind kühne Behauptungen, die durch nichts zu beweisen sind«, erwiderte Taylor.
»Ich habe Sie, Mr. Charles Taylor«, rief der Privatdetektiv. »Oder sollte ich besser Lieutenant Taylor zu Ihnen sagen?« Taylor schwieg verbissen. Er belauerte den Mann, der ihn mit einer HM 4 bedrohte. »Glauben Sie mir, Lieutenant, wir haben mittlerweile Verhörmethoden entwickelt, die sich mit den raffinierten Hypnomethoden der Außerirdischen messen können. Wir werden alles aus Ihnen herausholen, was Sie wissen, und wir werden sogar das ans Tageslicht bringen, was Sie nicht mehr wissen, weil Sie präpariert worden sind.« »Werden Sie das?« fragte Taylor. Er versuchte, ironisch zu sein, aber das gelang ihm nicht. »Wir werden«, antwortete Lawford. »Und wir werden auch die Namen Ihrer Helfer aus Ihnen herausholen.« »Helfer? Was meinen Sie damit?« »Lieutenant, Sie sind nicht der einzige, der im Bermuda-Dreieck von Außerirdischen entführt worden ist. Viele sind den Fremden in die Falle gegangen. Für mich ist selbstverständlich, daß Sie nicht als einziger aus dem Weltraum zur Erde gekommen sind, um hier einen Untergrundkrieg gegen uns zu führen. Sie gehören zu einer Einsatzgruppe. Und diese werde ich mit Ihrer unfreiwilligen Hilfe vernichten. Haben wir uns verstanden?« »Allerdings«, erwiderte Charles Taylor. Er wandte sich zur Seite, als wolle er ein paar Schritte gehen, dann aber warf er sich herum und stürzte sich trotz der angeschlagenen HM 4 auf Harris Lawford. Er war zu allem entschlossen, und er mußte so handeln, denn der Privatdetektiv hatte Punkt für
Punkt die Wahrheit gesagt. Ihm war es ein Rätsel, wie Lawford das in der kurzen Zeit hatte schaffen können. Er mußte ihn töten. Das war der einzige Ausweg, der sich ihm nun noch bot. * »Du siehst aus, als habe man dir die Butter vom Brot geklaut«, sagte Hasso Sigbjörnson, als Mario de Monti in die Bar kam, in der der Ingenieur mit Arlene und Cliff McLane saß. »Die Butter war's nicht«, erwiderte de Monti. »Es war vielmehr mein gesamtes Vermögen.« »Wie kann man dir ganze Stadtteile und IndustrieImperien entwenden?« fragte Cliff McLane. »Was faselst du da?« Mario de Monti blickte ihn an, als habe er den Verstand verloren. »Stadtteile? Industrie-Imperien? Meinst du mich?« »Allerdings«, erwiderte der Kommandant. »Wenn du als Computerspezialist es nicht schaffst, dich in den Besitz von Reichtümern zu versetzen, wer soll es dann schaffen?« Mario de Monti stöhnte. Er ließ sich einen Gin kommen und stürzte ihn herunter. »Spaß beiseite, mir haben sie zwanzigtausend Kreditpoints vom Konto geklaut.« Er erzählte, was vorgefallen war, und schloß: »Basil Astiriakos wird gleich hier sein.« »Da ist er schon«, sagte die dunkelhäutige Arlene. Mario de Monti drehte sich um. Der Minister eilte auf ihn und die anderen Besatzungsmitglieder der ORION zu. Er machte einen ernsten Eindruck. »Wir fliegen sofort zum Zentralsektor von TE-
COM«, erklärte er nach der kurzen Begrüßung. »Man erwartet uns dort bereits. Bitte, trinken Sie aus.« »Schon geschehen«, erwiderte McLane und rutschte von seinem Barhocker. »Von mir aus kann es losgehen.« Basil Astiriakos atmete sichtlich auf. McLane beobachtete ihn sorgfältig, um am Verhalten des Ministers das Ausmaß der Gefahr erkennen zu können. Er war Astiriakos schon begegnet und hatte nie Zeichen einer derartigen Nervosität an ihm gesehen. Daraus war nur ein Schluß zu ziehen: Die Erde befand sich in höchster Gefahr. Er hielt sich an der Seite des Politikers, als sie zum Fluggleiter eilten. Astiriakos machte keinen Hehl aus seinen Sorgen. »Können Sie sich vorstellen, was passieren kann, McLane?« fragte er. »Ich glaube, ich ahne es ungefähr.« »Wenn TECOM tatsächlich manipuliert worden ist und vielleicht noch weiter manipuliert wird, dann gibt es eine weltweite, vielleicht sogar eine kosmische Katastrophe. Ein Computerzentrum wie TECOM hat unübersehbare Vorteile. Darüber sind wir uns alle klar. Über die Nachteile haben wir bisher noch nicht intensiv genug nachgedacht.« »Fraglos ein Fehler, der daraus resultiert, daß man auf der Erde zu arglos und zu friedfertig geworden ist. Fluidum Pax scheint allerlei Unheil angerichtet zu haben«, sagte McLane. »Der seidene Faden, an dem buchstäblich unsere gesamte Existenz hängt, ist TECOM«, entgegnete Astiriakos. »Wir haben uns vollkommen von dem Computerzentrum abhängig gemacht. Sicherlich gibt es Reservesysteme und Sicherheitsweichen, mit deren
Hilfe Ausfälle aufgefangen werden können. Einen wirksamen Schutz gegen Manipulationen aber gibt es nicht, denn bisher waren sämtliche Experten der Erde der Ansicht, daß eine Manipulation absolut unmöglich ist.« »Man wird seine Meinung ändern müssen.« Astiriakos lachte verbittert auf. »Sie sagen das so, McLane, als hätten wir bisher etwas versäumt, was nun schleunigst nachzuholen ist. So aber ist es nicht. Würden Sie von der Überzeugung abgehen, daß zwei mal zwei gleich vier sind?« »Sicherlich nicht.« »Sehen Sie. So einfach ist das. Sprechen Sie aber mal mit einem Hyperphysiker. Der wird Ihnen etwas ganz anderes erzählen. Der wird Ihnen beibringen, daß es gewisse hyperphysikalische Bedingungen gibt, in denen das Ergebnis ganz anders ist. Es wird vermutlich lange dauern, bis Sie das verstanden haben, aber Sie werden es verstehen, ebenso wie wir wahrscheinlich einsehen müssen, daß TECOM doch zu manipulieren ist.« Mario de Monti räusperte sich. »Es wird allerhöchste Zeit, daß Sie das begreifen«, bemerkte er. »Für mich war das schon lange klar.« Astiriakos lachte. »Sie schneiden mal wieder fürchterlich auf, de Monti.« »In diesem Fall nicht«, erwiderte Mario ernst. »Ob Sie es glauben oder nicht. Für mich stand schon immer fest, daß auch TECOM angreifbar ist.« »Wenn das so ist, dann habe ich ja den richtigen Mann für die Lösung des Problems gefunden«, sagte der Politiker. Er hielt die Tür des Gleiters auf und ließ
die Mitglieder der ORION-Crew als erste einsteigen. Schon nach wenigen Minuten erreichte die Maschine den Mount Isa in Queensland und landete in einer Gleiterbasis im Barkly-Tafelland. Arlene und die Männer verließen die Flugkabine und fuhren in einem Sonderlift 1500 Meter in die Tiefe. Der Lift stürzte nach zunächst zögernder Beschleunigung wie ein Stein in die Tiefe. Für die Raumfahrer traten keine ungewohnten Effekte auf, Basil Astiriakos aber verfärbte sich deutlich. Er legte sie Hand gegen den Bauch und atmete tief durch, als die Kabine plötzlich stark verzögerte und dann hielt. Mario de Monti grinste. »Sie sind so blaß um die Nase«, sagte er. »Ist Ihnen nicht gut?« »Tun Sie nicht so«, erwiderte Astiriakos mühsam lächelnd. »Ich habe nicht dieses blinde Vertrauen in die Technik wie Sie. Und ich habe mir einen Teil meiner Phantasie bewahrt. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, daß TECOM diesen Lift auch einmal mit voller Fahrt gegen die Bodenplatte rasen lassen kann.« »So etwas würden wir doch mit federnden Knien abfangen«, erwiderte der Kybernetiker. »Oder nicht?« Die Tür öffnete sich. Astiriakos verzichtete auf eine Antwort. Er verließ die Kabine. Seine Stirn krauste sich, als er die beiden Männer und die Frau sah, die sich ihnen näherten. Die Frau war Melia Chang-Fu, die sich sowohl von seinem Reichtum wie von seiner Männlichkeit unbeeindruckt gezeigt hatte. Melia blickte ihn kurz an und lächelte, aber Astiriakos hatte das Gefühl, daß sie ihn gar nicht gemeint hatte, sondern irgendeine anonyme Person, die aus dem Lift kam.
Er begrüßte die Frau so knapp, wie es möglich war, ohne unhöflich zu sein, und wandte sich dann den beiden Männern zu. »Darf ich bekannt machen?« sagte er zu McLane. »Unser Erster TECOM-Chefprogrammierer Murdonom Kahindra. Und das ist der Dritte Chefprogrammierer Veit Holocek.« McLane und seine Begleiter begrüßten die Programmierer. Dem Commander fiel das eigenartige Spannungsverhältnis zwischen Astiriakos und der Zweiten Chefprogrammiererin sofort auf. »Ich schlage vor, wir gehen gleich ins Zentrum der Anlage«, sagte er. »Je eher wir eine Lösung des Problems finden, desto besser.« Basil Astiriakos führte die Gruppe in den Zentralsektor von TECOM, der sich als eine von Schaltwänden eingeschlossene Halle darstellte. Die Schaltwände waren allerdings nicht für eine manuelle Bedienung vorgesehen. Sie waren transparent. Hinter ihnen spielten sich die koordinierten Schaltungen des Zentralsektors ab. McLane wußte, daß diese Schaltgänge normalerweise unsichtbar waren, aber durch besondere optische Effekte sichtbar gemacht werden konnten. Rings um den Zentralsektor lagen in schalenförmiger Anordnung sechs weitere Sektoren, die um so mehr Schalt- und Speichereinheiten umfaßten, je weiter draußen sie sich befanden. Der äußere Schalensektor war der Kommunikationssektor, der die Rückkopplungsverbindung mit der Außenwelt sicherte. Hier befanden sich auch die Schaltstellen für Informationen, die durch Info-Sensoren, die überall auf der Erde, im Sonnensystem und auf allen Koloni-
alwelten stationiert waren, alle nur erdenkbaren Daten erfaßten. Dadurch stand TECOM ständig auf dem aktuellsten Wissens- und Informationsstand. Darüber hinaus waren drei Programm-Injektoren vorhanden. Das waren tresorähnlich gebaute und abgesicherte Räume, in denen mit Hilfe von Schaltpulten Änderungen der TECOM-Programmierung oder Zusatz-Programmierungen erfolgen konnten. Das alles wußte Cliff McLane ebenso wie Mario de Monti, der Kybernetiker. »Wir sind uns darüber einig, daß Manipulationen an TECOM vorgenommen worden sind«, sagte Cliff McLane. »Keinesfalls«, rief Melia Chang-Fu empört. »Wir sind uns keineswegs darüber einig. Sie behaupten, daß Manipulationen vorgenommen worden sind. Wir sind ganz anderer Meinung.« »Allerdings«, bestätigte Murdonom Kahindra, ein schlanker Inder mit strengen, asketischen Gesichtszügen. Abwehrend hob er seine feingliedrigen Hände. »Wir haben sofort neue Berechnungen und Kontrollen durchgeführt, als wir von dem Verdacht hörten. Bestätigt hat sich der Verdacht bis jetzt überhaupt nicht.« »Welche Voraussetzungen müssen denn überhaupt gegeben sein, wenn ein mißbräuchlicher Eingriff in die Programmierung von TECOM vorgenommen werden soll?« fragte McLane. Murdonom Kahindra lächelte hochmütig. »Sagen wir es anders herum«, entgegnete er. »Um mißbräuchliche Eingriffe in die Programmierung von TECOM auszuschließen, müssen wir drei Chefprogrammierer gleichzeitig absolut identische Manipu-
lationen von den drei Programm-Injektoren aus vornehmen.« »Außerdem enthält die Grundprogrammierung von TECOM Verhaltensweisen, die unbeeinflußbar sind«, fügte Veit Holocek hinzu. Der Dritte Chefprogrammierer von TECOM war ein untersetzter, korpulenter Mann, der einen kahlen Schädel, aber einen mächtigen Kinnbart hatte. Er vergrub seine Hände in den Hosentaschen und wippte auf den Fußballen. »Das verstehe ich nicht ganz«, erwiderte McLane. »Ganz einfach«, bemerkte Mario de Monti. »Eines dieser Verhaltensschemata bewirkt beispielsweise, daß bei geringsten Abweichungen in der ProgrammManipulation die Möglichkeit zur Manipulation blockiert wird.« »Aha«, sagte McLane. »Nun bin ich auch nicht viel schlauer.« »Als der Ego-Sektor von TECOM, der ja mittlerweile zerstört worden ist, noch existierte, konnte er die Programm-Blockade mit einem geheimen PrimärImpuls wieder lösen. Niemand außer ihm kannte den Kode des Primär-Impulses. Folglich sollte es nach menschlichem Ermessen unmöglich sein, irgend etwas zu manipulieren, da nichts über das Stadium eines Versuchs hinauskäme, was nicht in TECOM sein darf«, erläuterte Melia Chang-Fu. »Es sei denn, daß alle drei Chef Programmierer daran beteiligt sind«, sagte Mario de Monti und blickte gelangweilt zur Decke.
4. Lawford wich den wild zupackenden Händen von Charles Taylor aus. Er warf sich zur Seite und versuchte, den HM 4-Strahler auszulösen, doch ein wuchtiger Faustschlag traf die Waffe und schleuderte sie meterweit weg. Die beiden Männer standen sich gegenüber. Beide beugten sich leicht nach vorn, um so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Beide streckten die Arme nach vorn, um so schnell wie möglich zupacken zu können, falls sich beim Gegner eine Lücke bot. »Sie haben einen Fehler gemacht«, sagte Taylor. »Sie hätten mich gleich töten sollen. Jetzt haben Sie keine Chance mehr. Ich bin in einer Kampftechnik ausgebildet worden, die hier auf der Erde völlig unbekannt ist. Sie werden sterben, Mr. Lawford. Nichts kann Sie mehr vor dem Ende retten.« Der Detektiv zeigte sich unbeeindruckt. »Wenn es so ist, Mr. Taylor, dann greifen Sie ruhig an«, sagte er. »Es könnte allerdings sein, daß Sie sich dabei das Genick brechen. Darf ich fragen, wo ich die trauernden Hinterbliebenen finde und welche Nachricht ich ihnen zukommen lassen soll?« »Sie dürfen nicht«, erwiderte Taylor. »Aber Sie sollen wissen, daß zu unserer Gruppe zehn Spezialkämpfer gehören. Wir werden die Erde und die gesamte terranische Zivilisation in ein Chaos stürzen, von dem sie sich nicht wieder erholen wird.« »Ballyhoo«, sagte Lawford geringschätzig. »Mit Ihrem angeberischen Geschrei können Sie mich nicht beeindrucken. Was ist denn nun, scheuen Sie das Risiko?«
Charles Taylor ließ sich provozieren. Er griff vehement an und versuchte, mit einer Beinschere einzusteigen. Lawford reagierte blitzschnell. Taylor flog an ihm vorbei und mußte eine Kombination von Handkantenschlägen einstecken, die ihn zu Boden warfen. Der Detektiv glaubte bereits, es geschafft zu haben. Er beugte sich nach vorn, um Taylor mit einem weiteren Schlag völlig auszuschalten, als ihm die Beine des Agenten der Außerirdischen entgegenzuckten und ihn voll auf der Brust trafen. Lawford flog meterweit zurück, brach zusammen und blieb in gekrümmter Haltung auf dem Boden liegen. Er preßte sich die Hände gegen die Brust. Er hatte das Gefühl, daß sein Herz unter dem Nacken Taylors zerquetscht worden war. Der Lieutenant richtete sich langsam auf. Er war ebenfalls einem Zusammenbruch nahe. Lawford erkannte, daß der Beinangriff eine rein instinktive Handlung gewesen war, die die Außerirdischen während der Kampfausbildung bei ihm einprogrammiert haben mußten. Bis zu diesem Moment war Lawford davon überzeugt gewesen, daß er Taylor überwältigen konnte. Jetzt packte ihn die Angst. Er spürte, daß er diesem Gegner deutlich unterlegen war. Taylor war kein Mensch mehr, er war wie ein biologischer Roboter, der genau das tat, was ihm irgendwann irgendwo in der Galaxis eingegeben worden war. Der Detektiv richtete sich langsam auf. Er erholte sich mit jedem Atemzug mehr. »Nun?« fragte Charles Taylor spöttisch. »Wie war das?« »Lieutenant Taylor«, sagte Lawford scharf. »Erin-
nern Sie sich. Sie sind ein Mensch. Sie werden von Außerirdischen mißbraucht. Sie sollten für die Menschen der Erde kämpfen, nicht aber gegen sie. Wachen Sie doch endlich auf, Taylor. Wehren Sie sich gegen das Psychoprogramm, das man Ihnen eingepflanzt hat.« »Seien Sie still«, forderte Taylor. Er näherte sich dem Detektiv vorsichtig. »Versuchen Sie, sich an Ihr wirkliches Ich zu erinnern. Versuchen Sie es wenigstens. Sie sind keine biologische Maschine, Taylor, Sie sind ein denkendes und fühlendes Wesen, das seine Freiheit verloren hat, sie aber zurückgewinnen kann, wenn es will. Sie müssen nur wollen, Taylor.« »Ich weiß nur, daß ich Sie zum Schweigen bringen will und muß«, antwortete Taylor. »Das genügt für mich. Sie können das wohl nicht verstehen, wie?« Der Privatdetektiv wich zurück, bis er mit den Schultern gegen ein Zwischenschott stieß. Er versuchte, es zu öffnen, aber der Mechanismus reagierte nicht. Seine Blicke fielen auf die Laserhandwaffe HM 4, die auf dem Boden lag. Sie war nur etwa zweieinhalb Meter von ihm entfernt. »Nicht doch«, sagte Charles Taylor spöttisch. »Sie wollen doch nicht versuchen, an die Waffe zu kommen? Das wäre Ihr Ende, Lawford. Ich wäre sofort über Ihnen, und dann wäre es vorbei.« Der Privatdetektiv versuchte eine Finte. Er tat, als ob er sich auf die Waffe werfen wollte. Als er sah, daß Taylor darauf einging, schnellte er sich zur Seite. Mit unglaublicher Wucht hämmerten seine gestreckten Hände auf den Agenten ein. Sie schmetterten ihn erneut zu Boden.
Dieses Mal versuchte Lawford gar nicht erst, Taylor vollends zu besiegen. Er rannte in weiten Sätzen durch den Gang, riß das Schott auf und flüchtete nach oben. Er hörte eilige Schritte hinter sich, während er sich in fieberhafter Eile bemühte, den Schachtdeckel zu öffnen. Als der Deckel nach oben schwang, hörte er ein leises Lachen unter sich. Dann blitzte der HM 4-Strahler auf. Lawford hatte das Gefühl, in glühende Lava zu stürzen. Er schrie gellend auf und stürzte sterbend in die Tiefe. Charles Taylor stieg gelassen über den Toten hinweg, kletterte nach oben, schloß und versiegelte den Schachtdeckel und entfernte sich pfeifend. Seine Schritte verloren sich in der Dunkelheit. * Als Charles Taylor die Mole im Hafen von Sidney erreichte, blieb er stehen und spähte mit verkniffenen Augen auf das Wasser hinaus. Er pfiff leise. Kurz darauf schwebte ein dunkler Körper auf ihn zu, glitt an ihm vorbei und landete. Licht flammte für einen kurzen Moment auf, und der Agent erkannte die transparente Haube eines Fluggleiters, unter der ein blondes Mädchen saß. Eine schlanke Hand hob sich und öffnete die Tür der Maschine. Dann erlosch das Licht wieder. Charles Taylor stieg ein. »Los, weg hier«, befahl er ohne ein Wort der Begrüßung. Das Mädchen gehorchte und startete. Der Gleiter raste in nördlicher Richtung davon.
»Alles in Ordnung?« fragte er. »Alles in Ordnung«, bestätigte sie. »Ich habe siebzehn liebestollen Männern die Kreditkarte abgenommen und anschließend abgebucht. Eine Abschlußkontrolle hat ergeben, daß der Plan in allen Fällen aufgegangen ist. Wir haben keine finanziellen Probleme mehr.« »Ausgezeichnet«, lobte er. »Hat es Schwierigkeiten gegeben?« »Ich glaube nicht«, antwortete sie, »obwohl ich in einem Fall einen Kybernetiker erwischt habe. Es war Mario de Monti, der Chefkybernetiker des Raumschiffes ORION.« »Du hast ihm auch die Karte abgenommen?« »Das habe ich getan.« »Das war ein Fehler. Der Kerl ist mit Sicherheit sofort aufmerksam geworden. Das bedeutet, daß wir mit Gegenmaßnahmen rechnen müssen.« Charles Taylor war sichtlich erregt. Die Erkenntnis, daß das Mädchen neben ihm einen Fehler gemacht hatte, wühlte ihn mehr auf als der Mord an dem Detektiv. Seine Gedanken überschlugen sich. »Ich will wissen, was vorgefallen ist«, sagte er schließlich. »Beschreibe mir, wie du in diesem Fall gearbeitet hast. Schritt für Schritt.« Jeanny Laver berichtete mit ruhiger, fast heiterer Stimme. Sie machte sich keine Sorgen. »Das bedeutet, daß du Fingerabdrücke hinterlassen hast«, sagte Taylor schließlich. Die Flugkabine hatte das Gebiet von Sidney verlassen. Jeanny Laver schaltete das Licht an. »Sicher habe ich das«, erwiderte sie erstaunt. »Waren wir uns nicht darüber einig, daß so etwas keine
Rolle spielt? Niemand kann unsere Identität enträtseln.« »Das ist ein Irrtum«, sagte Taylor. »Ein Privatdetektiv hat zum Beispiel ermittelt, wer ich bin. Ich weiß nicht genau, ob er recht hatte, aber als er mir etwas über mich erzählte, erinnerte ich mich plötzlich wieder an Dinge, die ich längst vergessen hatte. Ich weiß jetzt, daß ich schon im Jahre 1945 gelebt habe.« Sie lächelte ungläubig. »Wie sollte das möglich sein?« »Wir haben geschlafen«, entgegnete er. »Ich ebenso wie du oder die anderen acht, mit denen wir hier sind. Bisher wußte ich nicht, wann und wo ich eingeschlafen bin. Ich wußte nur, wo ich aufgewacht bin, aber noch nicht einmal, wann das genau war. Mir ist klar geworden, daß ich praktisch nichts über mich weiß.« Jeanny krauste die Stirn. Sie strich sich mit der Hand über den Nacken. »Das ist richtig«, sagte sie langsam. »Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Seltsam, aber jetzt, da du es sagst, wird mir das erst klar. Wer bin ich, Charles?« Er hob die Schultern. »Woher soll ich das wissen. Das spielt auch keine Rolle. Wir haben eine Aufgabe, und die werden wir erfüllen, ganz gleich, was geschieht.« Ihre Augen wurden leer und ausdruckslos. »Wir werden tun, was man uns befohlen hat«, sagte sie mit tonloser Stimme. Taylor legte seine Hand auf ihren Arm. Sie zuckte zurück, als habe er ihr einen elektrischen Schlag versetzt. Leben kehrte in ihre Augen zurück. Ihr Gesicht entspannte sich. Sie lächelte, streckte ihre Hand vor-
sichtig wieder aus und berührte seine Wange. Ihre Fingerspitzen wanderten zärtlich bis hin zu seinen Lippen. »Es ist eigenartig«, sagte sie flüsternd. »Zunächst hat es mich völlig kaltgelassen, als die Männer mich berührten. Ich dachte nur an meine Aufgabe. Aber dann geschah etwas, über das ich mir nicht klar geworden bin.« »Was?« fragte Taylor schroff. »Ich empfand etwas«, sagte sie weich. »Die Berührung war angenehm für mich. Sie war mir nicht mehr gleichgültig, und ich erinnerte mich daran, daß es Berührungen zwischen Mann und Frau gibt, die ich vergessen hatte. Ich wäre gern länger mit den Männern zusammengeblieben, um herauszufinden, welche das sind.« »Es gibt keine«, behauptete er kühl. »Empfindungen sind Störfaktoren, die uns nur von unserer Aufgabe ablenken. Wir haben die Pflicht, sie zu unterdrücken und völlig zu eliminieren. Du mußt dich dagegen wehren, daß dein Körper anders reagiert, als er sollte.« »Ich weiß nicht mehr, welche Reaktionen richtig sind, und welche falsch«, antwortete sie und drückte ihre Hand weich gegen seinen Mund. »Ist es wirklich falsch, wenn ich etwas empfinde?« »Es ist falsch.« »Warum darf ich mich nicht freuen, wenn mir jemand etwas sagt, was ich gerne höre?« »Du hast nur an deine Aufgabe zu denken.« Seine Stimme klang eiskalt. Er schlug ihre Hand zur Seite. Jeanny Laver zuckte heftig zusammen. Ihre Hände legten sich auf ihre Knie. Steif wie eine Puppe saß sie
neben dem Gruppenführer der Sabotageeinheit. Seine Blicke fielen auf ihre Hand. An dem Ringfinger ihrer Rechten steckte ein kostbarer, funkelnder Ring. »Was ist das?« fragte er heftig und riß die Hand zu sich herüber. Jeanny schrie vor Schmerz auf. »Ein Ring«, antwortete sie mit gepreßter Stimme. »Ist er nicht schön?« Charles Taylor ließ ihre Hand sinken. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und blickte starr geradeaus. Die Muskeln seiner Wangen arbeiteten heftig. Für einige Zeit hatte er sich aus der Psychofessel lösen können, die ihm eine außerirdische Macht angelegt hatte. Er hatte erkannt, daß ihn etwas Fremdes gegen sein eigenes Volk gestellt hatte, ohne sich dagegen wehren zu können. Immerhin hatte er einen Anfang gemacht und sein Sklavendasein erkannt. Der Vorwurf des Privatdetektivs, ein biologischer Roboter ohne eigenen Willen zu sein, hatte ihn getroffen. Er hatte eine Wunde in ihm bloßgelegt und tief verborgene Kräfte in ihm mobilisiert. Doch dann war er wieder in seine Abhängigkeit zurückgefallen, und es war ihm nicht wieder gelungen, sich aus ihr zu befreien. Schuld daran war Jeanny und ihr Verhalten. Hätte sie sich wie ein biologischer Roboter benommen, hätte sie sich wie eine Marionette bewegt, dann hätte sie fraglos einen weiteren Schock bei ihm hervorgerufen und ihm die Wahrheit deutlich gemacht. Jeanny aber zeigte sich menschlich. Sie verhielt sich so, wie sie nicht durfte. Damit aber verstieß sie gegen
alle Bestimmungen, die ihnen auferlegt worden waren. Damit mobilisierte sie den ihm mit den überlegenen Mitteln der Rudraja auferlegten Ordnungszwang. Seine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, daß die Mitglieder der Sabotageexpedition so funktionierten, wie die fernen Lenker im All es wollten. Trat eine Panne ein, dann mußte er handeln. So verhielt sich der ihm auferlegte Ordnungsbefehl wie ein Sicherheitsventil. In seinem Gehirn wurde durch das Verhalten Jeannys eine chemische Reaktion provoziert, gegen die Charles Taylor absolut machtlos war. »Gib mir die Zentralkarte«, forderte er. Das Mädchen gehorchte. Aus einer Tasche holte es eine Kreditkarte hervor. »Ich habe sämtliche Gelder auf ein Konto gesammelt, so wie du es befohlen hattest«, erläuterte sie. »Mit dieser Karte kannst du die Kreditpoints abrufen.« »Das ist mir klar«, antwortete er kühl. »Öffne die Tür.« Sie gehorchte. Die Schiebetür glitt nach hinten. Der Wind fauchte in die enge Kabine und wirbelte ihr blondes Haar durcheinander. »Spring«, befahl er. Sie blickte ihn mit geweiteten Augen an und schüttelte den Kopf. »Nein, Charles«, rief sie stammelnd. »Ich möchte leben. Bitte, nicht.« »Du hast den Befehl gehört, Jeanny. Also spring!« »Ich möchte leben«, sagte sie schluchzend. »Ich will nicht sterben. Ich werde alles tun, um meine Fehler wieder gutzumachen.«
»Du gibst dich deinen Emotionen hin. Du hast sogar einen Ring gekauft, weil du dich über so etwas freust. Darüber hast du deine Aufgabe vergessen. Du bist zu einem Sicherheitsrisiko für die ganze Gruppe geworden. Du hast den Befehl gehört.« Er blickte sie starr an. Sein Gesicht war regungslos, als wäre es aus Stein. Seine Hände lagen ruhig auf seinen Oberschenkeln. Jeanny Laver saß neben ihm. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie rutschte langsam auf die offene Tür zu. Ihre Hände krallten sich in die Polster ihres Sitzes, aber es schien, als habe sie eine unsichtbare Kraft von außen gepackt, die sie mit unwiderstehlicher Gewalt aus der Flugkabine zerrte. »Nein, Charles, bitte, nicht. Ich will alles tun, was ich kann, damit der Plan gelingt.« Er antwortete nicht, sondern blickte sie nur an. »Bitte, Charles«, flüsterte sie wimmernd. Er schwieg auch weiterhin unerbittlich. Jeanny kämpfte mit aller Kraft gegen den Befehl der fremden Macht, die sie zwang zu gehorchen, Sie stemmte sich gegen das Ende. Sie klammerte sich an den Sitz und konnte sich doch nicht halten. Sie rutschte über die Kante des Sitzes hinweg. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, und sie schrie gellend auf. »Du verrätst die Menschen«, schrie sie. Dann stürzte sie in die Tiefe. Charley Taylor hob die Hände und schlug sie vor die Augen. Er hörte ihre Schreie, bis sie tief unter ihm irgendwo verstummten. Unwillkürlich blickte er auf den Höhenmesser, als er die Hände wieder herunternahm.
Der Gleiter flog in einer Höhe von fünftausend Metern. Jeanny hatte keine Chance gehabt. Er schloß die Tür und rutschte auf ihren Sitz hinüber. Die Polster fühlten sich noch warm an, als ob eigenständiges Leben in ihnen sei. Charles Taylor erschauerte. Er begriff plötzlich nicht mehr, was er getan hatte. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Du bist wie ein Roboter«, sagte er mit erstickter Stimme. »Du bist nichts als ein Roboter aus Fleisch und Blut, eine Maschine, die Befehle ausführt. Sonst nichts.« Seine Hände tasteten sich zur Tür. Er wollte sie aufreißen und dem Mädchen nachspringen, um sein Leben zu beenden. Doch seine Hand zuckte zurück. Seine Gestalt erstarrte. Aus seinen Augen wich jegliches Leben. Charles Taylor saß regungslos in der Kabine des Gleiters, und eine Glocke psychischer Gewalt legte sich über ihn und lähmte ihn. Sein eigener Wille und seine Gefühle erstickten im Nichts. * »Ich verbiete mir derartige Anspielungen«, sagte Murdonom Kahindra erzürnt. »Wollen Sie ernsthaft unterstellen, daß wir drei Chefprogrammierer gemeinsam gegen die Interessen der Menschheit arbeiten?« fragte Melia Chang-Fu heftig. »Das geht zu weit«, fügte Veit Holocek kopfschüttelnd hinzu. »Irgendwo muß eine Grenze sein.«
»Warum so empfindlich?« fragte McLane. »Weil die drei Chefprogrammierer über jeden Verdacht erhaben sind«, erklärte Basil Astiriakos energisch. »Wir wollen uns gar nicht erst bei solchen Überlegungen aufhalten. Sie bringen nichts ein, höchstens einen Vorteil für unsere Gegenspieler.« »Einverstanden«, sagte Mario de Monti. »Da seid ihr ja endlich«, sagte Hasso Sigbjörnson, als Helga Legrelle und Atan Shubashi in die Zentrale kamen. Die Funkerin der ORION und der Astrogator begrüßten Astiriakos und die Chefprogrammierer. Cliff McLane übernahm es, sie mit kurzen Worten zu informieren. Währenddessen machte Mario de Monti mit Melia Chang-Fu einen Rundgang. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wo die schwache Stelle ist«, erklärte der Kybernetiker, als er zu der Gruppe zurückkehrte. Cliff McLane hatte seinen Bericht gerade beendet. »Dann heraus damit«, forderte Basil Astiriakos. »Es muß eine Möglichkeit geben, die Manipulationsblockade auszuschalten«, sagte Mario. »Andernfalls kann überhaupt keine mißbräuchliche Manipulation durchgeführt werden.« »Ausgeschlossen«, erwiderte Veit Holocek erregt. »Das ist einfach unmöglich, was Sie da sagen. Meinen Sie nicht, wir hätten über eine solche schwache Stelle nicht schon oft diskutiert. Es gibt sie nicht.« »Befragen Sie TECOM«, forderte McLane. »Das ist doch ein naheliegender Gedanke. Oder nicht?« »TECOM ist so programmiert, daß er auf diese Frage keine Antwort gibt«, erläuterte Melia Chang-Fu. »Ich fordere Sie dennoch auf, TECOM zu befragen«, sagte Basil Astiriakos.
»Das bedeutet, daß Sie uns doch mißtrauen«, erwiderte Melia Chang-Fu beleidigt. »Allerdings«, fügte Veit Holocek bestürzt hinzu. »Unsinn«, wehrte sich der Minister. »Ich will lediglich Klarheit. Fragen Sie TECOM, und seien Sie nicht so verdammt empfindlich.« »Dann bitte ich Mister de Monti, mich dabei zu kontrollieren«, sagte Murdonom Kahindra. »Genau das hatte ich vor«, entgegnete Mario grinsend. Er folgte dem Ersten Chefprogrammierer, der einige Schaltungen an TECOM vornahm und dann laut die geforderte Frage stellte. TECOM antwortete nicht. »Antworte«, forderte der Chefprogrammierer energisch. TECOM schwieg. »Dann gibt es nur einen Ausweg«, stellte Mario fest. »Die betreffende Grundprogrammierung für TECOM muß geändert werden. Wir müssen TECOM zwingen, auf diese Frage zu antworten.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, erwiderte Murdonom Kahindra heftig. »Die Forderung de Montis erscheint mir logisch«, sagte Basil Astiriakos. »Warum sträuben Sie sich dagegen.« »Weil eine solche Änderung einen grundlegenden Eingriff in die Sicherheitsstruktur von TECOM bedeuten würde«, antwortete Kahindra. »Sie können alles von uns verlangen, das jedoch nicht. In unseren gesetzlich verankerten Arbeitsbestimmungen ist festgelegt, daß wir einer Forderung dieser Art überhaupt nicht nachgeben dürfen.«
»Sie müßten uns schon zum Rücktritt zwingen, wenn Sie damit durchkommen wollen«, erklärte Melia Chang-Fu. Basil Astiriakos hob abwehrend die Hände. Er lächelte beschwichtigend. »Nur nicht so aufgeregt«, bat er. »Mir geht es einzig und allein um die Sache. Es geht um das Schicksal der Menschheit, und es geht darum, einen Feind ausfindig zu machen, von dem wir kaum mehr wissen, als daß er existiert.« Mario de Monti schob die Hände in die Hosentaschen, spitzte die Lippen und pfiff ein paar Takte eines Hits. »Dann bin ich dafür, daß wir diese Konferenz zunächst einmal abbrechen und neue Überlegungen anstellen«, sagte er dann. »Gibt es hier irgendwo einen anständigen Whisky?« Basil Astiriakos schüttelte den Kopf. »Es gefällt mir nicht, daß Sie Zeit vertun wollen«, sagte er. McLane hatte das heimliche Blinzeln Marios bemerkt. »Ich brauche Zeit, um meine Gedanken zu ordnen«, behauptete er. »Hier ist ein wenig zu viel auf mich eingestürmt. Ich spüre, daß irgendwo eine Lükke sein muß, aber ich muß sie allein finden. Lassen Sie uns eine Pause machen.« »Also gut, dann bin ich einverstanden«, erwiderte der Politiker zögernd. »Ich auch«, sagte Murdonom Kahindra widerstrebend. *
»Warum wolltest du, daß wir allein miteinander reden können?« fragte Cliff McLane, als die ORIONCrew in einer Kantine des Computerzentrums zusammensaß. Die Chefprogrammierer und Basil Astiriakos hatten sich zu einer Besprechung über ein Problem zurückgezogen, das die Crew nicht tangierte. »Weil ich eine Idee habe, mit der die drei Programm-Muffel wahrscheinlich nicht einverstanden sind«, erwiderte Mario de Monti und nippte ungewohnt bescheiden an seinem mit Wasser verdünnten Whisky. »Es ist kaum anzunehmen, daß sich diese Idee dann auch verwirklichen läßt«, sagte Helga. »Es wäre ein Experiment«, erklärte Mario. »Und das läßt sich bestimmt durchführen, HelgaMädchen.« »Laß hören«, forderte Atan Shubashi ungeduldig. »Ich möchte an die Simultan-Kupplung angeschlossen werden.« »Was ist das?« fragte Hasso Sigbjörnson. »Eine Vorrichtung in TECOM, die früher dazu diente, Computer-Psychologen mit dem Bewußtsein von TECOM zu verbinden«, erklärte der Kybernetiker. »Genauer, das Bewußtsein der Psychologen wurde mit dem Pseudobewußtsein von TECOM verbunden.« »Und was soll das?« fragte Arlene. »Dadurch konnten sie die inneren Vorgänge von TECOM erforschen«, antwortete Mario. »Irgendwann später hat Orcuna aus verständlichen Gründen diese Vorrichtungen gesperrt. Seit Orcunas Ende aber sind sie wieder offen.« McLane nickte.
»Fabelhaft«, sagte er. »Jetzt möchte ich nur noch wissen, warum die Chefprogrammierer damit nicht einverstanden sein sollten.« »Es könnte sein, daß ich auf Informationen stoße, die geheim sind.« »Ich werde mit Basil darüber reden und ihn davon überzeugen, daß wir nur so weiterkommen«, versprach McLane. »Wenn die Regierung wirklich will, daß wir der Situation Herr werden, dann muß er seine Zustimmung geben.« »Und was ist, wenn die Chefprogrammierer sich querlegen?« fragte Mario. »Zum Teufel«, entgegnete Cliff ärgerlich. »Dann soll er sie eben feuern.«
5. Charles Taylor landete auf dem Hauptparkplatz von TECOM. Er verließ den Gleiter, und nun hatte er Jeanny Laver vergessen. Es war, als habe irgend jemand die Erinnerung an sie in ihm ausgelöscht. Charles Taylor konzentrierte sich ganz auf die Aufgabe, die ihm gestellt worden war. Er fuhr mit dem Lift in die Tiefe, jedoch nicht bis zur Hauptsohle mit der Schaltzentrale. Er verließ die Kabine schon einige Etagen vorher und eilte in einen kleinen Raum, in dem sein Arbeitsplatz war. Die persönliche Kreditkarte, die mit seinen Individualdaten versehen war, reichte auch hier völlig aus, um ihm sämtliche Türen zu öffnen. Er erreichte seinen Arbeitsplatz, an dem ihn niemand stören durfte, und er begann augenblicklich mit seiner Arbeit, so wie es der Dienstplan vorschrieb. Doch schon bald ging er zu anderen Arbeiten über, zu denen er nicht befugt war. Da er eine Spezialausbildung und eine künstliche Intelligenzaufstokkung genossen hatte, überspielte er alle Kontrollen und Sicherheitsschranken mühelos. Schließlich schaltete er einen Videorecorder an. Ein Bildschirm erhellte sich vor ihm, und nur wenige Minuten vergingen, bis Taylor alles wußte, was Cliff McLane mit den drei Chefprogrammierern besprochen hatte. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, als er sah, wie die Gruppe den Zentralraum verließ. »Verdammt«, sagte er leise. »Warum haben sie nicht dort unten besprochen, was sie vorhaben?«
Enttäuscht schaltete er das Gerät ab und überlegte, welche Schritte er einleiten mußte, um einen bevorstehenden Angriff abzuwehren. Einige Minuten verstrichen, dann hatte er einen Beschluß gefaßt. Er tippte eine Zahlenkombination in die Tastatur des Videogeräts. Der Bildschirm erhellte sich, und nach einigen Sekunden erschien das scharfkantige Gesicht eines schwarzhaarigen Mannes im Projektionsfeld. Stahlblaue Augen blickten ihn forschend an. * Helga Legrelle bog in Gedanken versunken um die Gangecke und prallte unversehens mit einem hochgewachsenen Mann zusammen. »Entschuldigen Sie, bitte«, sagte er nicht weniger erschreckt als sie. Helga blickte auf. Der Mann hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht. Das tiefschwarze Haar reichte ihm bis auf die Schultern und stand in auffälligem Kontrast zu den stahlblauen Augen. Er lächelte linkisch. »Es tut mir leid. Ich habe überhaupt nicht aufgepaßt.« Er schob sich an ihr vorbei und eilte weiter, blieb jedoch nach einigen Schritten stehen und griff sich suchend ans Handgelenk. »Hier liegt es«, sagte Helga Legrelle. Sie bückte sich nach einem Chronometer. Der Mann kehrte zurück und beugte sich ebenfalls herab, aber die Funkerin der ORION hatte das Chronometer bereits aufgenommen. »Danke«, sagte er schüchtern. »Das ist sehr nett.« Sie lächelte und beobachtete, wie er das Chrono-
meter prüfte und es sich danach wieder um das Handgelenk legte. Er blickte auf und lächelte ebenfalls. »Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht weh getan.« Sie schüttelte den Kopf. »So schlimm war es ja nun wirklich nicht«, entgegnete sie. »Ich habe nur einen Schreck bekommen. Das war alles.« »Dann ist es ja gut«, sagte er aufatmend. Er machte Anstalten weiterzugehen, zögerte dann jedoch und blickte ihr suchend in die Augen. »Sie wollten nicht zufällig in die D-Kantine?« Helga lachte, weil er so ungeschickt und schwerfällig war. »Nein«, erwiderte sie amüsiert. »Ich wollte überhaupt nicht dorthin, wenn Sie aber dorthin gehen sollten, wird mir zweifellos einfallen, daß ich Appetit auf eine Tasse Kaffee habe.« »Ich will in die D-Kantine«, antwortete erleichtert. »Dann laden Sie mich, bitte, zu einer Tasse Kaffee ein«, bat sie, wobei sie sich förmlich gab. »Mit dem größten Vergnügen«, sagte er ebenfalls übertreibend. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Dann lachte Helga auf. »Sie sind ein eigenartiger Mensch«, sagte sie. »Aber Sie gefallen mir. Wie heißen Sie?« »Harold«, erwiderte er. »Harold Brighton. Ich bin Simultan-Techniker. Und Sie?« »Helga.« Sie betraten die D-Kantine, und er führte sie zu seinem Tisch. »Aber Sie sind nicht hier in TECOM tätig«, be-
merkte er. »Ich habe Sie hier noch nie gesehen.« Die Funkerin merkte nicht, wie raffiniert und geschickt Brighton vorging. Sie ging ihm arglos in die Falle. Sie, die sonst so frostig sein konnte, fühlte sich sicher und glaubte sich ihm überlegen. Seine linkische und scheinbar so naive Art täuschte sie. Harold Brighton war allerdings ebenso wie Charles Taylor ein perfekt geschulter Mann, der es wie kein anderer verstand, Frauen ganz nach seinen Absichten zu führen. So merkte Helga Legrelle erst, daß sie alles ausgeplaudert hatte, als es viel zu spät war. Sie hatte den Plan verraten, den Mario de Monti gefaßt hatte. Erschreckt blickte sie Harold Brighton an, als ihr die entscheidenden Worte entglitten waren. »Du meine Güte«, sagte sie. »Das alles hätte ich niemals erzählen dürfen.« »Ich habe schon wieder alles vergessen, was Sie gesagt haben«, beteuerte er. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin ein Mensch, und ich hasse alles, was die Menschheit in ihrer Existenz bedroht. Ich werde schweigen wie ein Grab. Großes Ehrenwort.« »Sie dürfen niemandem etwas verraten. Auch nicht Ihren Freunden. Das ist wichtig.« Er nickte lächelnd, legte scherzhaft Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand an die Lippen und danach ans Herz und antwortete: »Ich schwöre, daß ich schweigen werde.« Helga Legrelle war dennoch nicht beruhigt. Sie wußte, daß sie einen schwerwiegenden Fehler gemacht hatte, aber sie redete sich ein, daß sie diesem Mann vertrauen durfte. Dabei war sie sich dessen bewußt, daß sie nur gegen ihre Schuldgefühle ankämpfte. Sie wußte, daß sie Harold Brighton sofort
hätte isolieren lassen müssen, aber sie brachte es nicht übers Herz, so etwas zu veranlassen. Er erschien ihr vertrauenswürdig. Sie blickte verstört auf ihr Chronometer. »Ich muß unbedingt gehen«, sagte sie und stand auf. Er erhob sich sofort, doch sie wies ihn mit beschwichtigend ausgestreckter Hand zurück. »Bitte, Sie brauchen mich nicht zu begleiten. Im Gegenteil. Es wäre mir lieber, wenn Sie hier blieben. Sie haben auch Ihren Kaffee noch nicht ausgetrunken.« Er sank auf seinen Stuhl zurück. »Sehen wir uns wieder?« fragte er schüchtern. »Ich melde mich«, versprach sie und eilte davon. Er blickte ihr nach. Ein verächtliches Lächeln glitt über seine Lippen, als sie die Kantine verlassen hatte. Zufrieden rührte er seinen Kaffee um und trank ihn aus. Er hatte alles erreicht, was möglich war. Er wartete noch einige Minuten, dann erhob er sich und begab sich zu einer kleinen Kabine, in der Charles Taylor auf ihn wartete. * Mario de Monti unterbrach seine vorbereitenden Arbeiten an der Simultan-Kupplung, als die drei Chefprogrammierer eintraten. »Aha«, sagte er ironisch, »die drei Hemmschuhe der Nation.« »Ihre Bemerkung ist weder witzig noch originell«, erwiderte Murdonom Kahindra verletzt. »Wir haben
eine bessere Übersicht über die Gesamtanlage TECOM, und wir wissen, was wir verantworten können und was nicht.« »Im Gegensatz zu Ihnen verschwinden wir nach dieser Geschichte nicht einfach irgendwo im Weltraum, sondern wir bleiben hier und müssen uns stellen, egal wie alles ausgegangen ist«, fügte Melia Chang-Fu abweisend hinzu. Mario de Monti grinste. »Beleidigt ist in den meisten Fällen eigentlich nur, wer sich irgendwo zu Recht getroffen fühlt«, erwiderte er. Basil Astiriakos, der die Worte gehört hatte, obwohl er erst später in den Raum gekommen war, griff beschwichtigend ein. »Die Chefprogrammierer haben sich trotz aller Bedenken einverstanden erklärt«, sagte er. »Sie sehen also, daß Ihre Vorwürfe unberechtigt waren. Aber auch Ihre Vermutung, Melia, daß sich die ORIONCrew einfach durch einen Start in den Weltraum der Verantwortung entziehen könne, ist falsch.« »Ach, tatsächlich?« fragte sie wütend. »Allerdings«, bemerkte Cliff McLane. »Wenn wir keinen Erfolg haben, wird es für niemanden noch Weltraumstarts geben, weil wir dann alle am Ende sind.« Helga Legrelle räusperte sich. Als Cliff McLane sie jedoch anblickte, preßte sie die Lippen zusammen und schwieg. Sie wollte dem Commander berichten, was sie getan hatte, brachte aber dann doch kein Wort heraus. »Also gut«, sagte Astiriakos. »Dann können wir wohl endlich beginnen.«
»Wir können«, bestätigte der Kybernetiker und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Mir wäre es am liebsten, wenn Sie mich allein lassen würden. Es genügt, wenn Cliff bei mir bleibt.« »Einverstanden«, sagte der Politiker und führte die Chef Programmierer und die anderen Mitglieder der ORION-Crew hinaus. Mario de Monti legte sich auf eine gepolsterte Bank und stülpte sich eine Kupplungshaube über den Kopf. Damit geriet sein Hirn in ein energetisches Spannungsfeld, das eine direkte Verbindung zu TECOM herstellte, sobald einprogrammierte Spannungsveränderungen eingeleitet wurden. Der Kybernetiker blickte McLane an. »Die Sache ist nicht ganz ungefährlich«, bemerkte er in einem fast gleichgültig klingenden Ton. »Es könnte notwendig sein, daß du mich von TECOM abtrennst.« »Moment mal«, sagte der Commander. »Davon hast du bisher nichts gesagt.« »Sonst hättest du nicht zugelassen, daß ich mich hierher lege.« »Ich kann immer noch verhindern, daß du Selbstmord begehst.« »Übertreibe nicht so maßlos«, erwiderte Mario mit zuckenden Lippen. »Alles, was passieren kann, ist, daß sich mein Bewußtsein irgendwo in den zahllosen Informationsbahnen von TECOM verliert. Und über so eine Kleinigkeit wirst du dich wohl kaum aufregen.« »Über Kleinigkeiten kann man unterschiedlicher Meinung sein.« Die Augen des Kybernetikers verdunkelten sich.
»Beobachte mich«, bat er. »Falls du Anzeichen einer Krise siehst, schalte das Ding ab und hole mich zurück.« Cliff McLane zögerte. Er wollte sich gegen das Experiment entscheiden, doch dann schaltete Mario de Monti die Kupplungshaube ein. Seine Augen schlossen sich, und sein Körper wurde starr. * »Ausgezeichnete Arbeit«, sagte Charles Taylor zufrieden, als er den Bericht von Harold Brighton gehört hatte. Er rieb sich die Hände und wunderte sich zugleich über das Erfolgsgefühl, das ihn durchströmte. Derartige Gefühle waren neu für ihn. In solcher Intensität hatte er sie zuvor nie erlebt. Sonst pflegte er Erfolge zu registrieren und dann zu anderen Arbeiten überzugehen. Er drehte sich um und nahm einige Schaltungen vor. Dann erschien das Bild eines kleinen Raumes vor ihm auf dem Bildschirm. »Da sind sie«, sagte er. »McLane und de Monti. Der Kybernetiker hat die Kupplungshaube eingeschaltet. Wir müssen etwas tun.« Harold Brighton nickte. »Das war gerade noch zur rechten Zeit«, sagte er. »Wenn die Funkerin der ORION nicht sogleich mit den Informationen herausgerückt wäre, hätten wir den Ereignissen hinterherlaufen müssen.« Charles Taylor musterte sein Gegenüber. »Uns bleibt keine andere Wahl«, sagte er. »Du mußt 'ran.« »Was soll ich tun?« fragte Brighton leidenschaftslos. »Ich werde dich ebenfalls an eine Kupplungshaube
anschließen. Du wirst de Montis Bewußtsein in TECOM aufspüren und vernichten. Komm mit.« Harold Brighton erhob sich und folgte Taylor gehorsam. Die beiden Männer eilten über einen Gang und verschwanden in einer kleinen Kabine, ohne aufgehalten zu werden. Niemand mißtraute ihnen, da sie alle Sicherheitsprüfungen überstanden hatten. TECOM überwachte sich jedoch auch selbst. Andere, weniger gut ausgebildete Feindagenten wären daher rasch entlarvt worden. Der hervorragend ausgebildete Taylor hatte jedoch Sonderprogramme in TECOM eingeschleust, aufgrund derer er sich ganz nach Belieben verhalten konnte, ohne von TECOM daran gehindert zu werden. Aus einem Schrank holte Taylor eine Kupplungshaube hervor. Er arbeitete in fliegender Eile, weil er nicht wußte, wann Mario de Monti sein Experiment beenden würde. Brighton legte sich auf eine Bank. Taylor stülpte ihm den Helm über und sagte: »Wenn du ihn findest, vernichte ihn. Sofort und ohne zu zögern, ganz gleich, was sonst noch geschieht.« Brighton nickte nur. Er schloß die Augen und wartete ruhig und entspannt darauf, daß Taylor die Kupplung aktivierte. * »Wieso kaust du auf deinen Fingernägeln herum, Helga-Mädchen?« fragte Hasso Sigbjörnson. »Das ist ja etwas völlig Neues bei dir. Was ist los?« Die Funkerin ließ die Hände auf den Tisch sinken und griff nach ihrer Kaffeetasse.
»Nichts ist los«, erwiderte sie und blickte flüchtig auf. »Du machst dir Sorgen um Mario«, stellte der Ingenieur fest. »Natürlich«, gab sie zu. »Wir machen uns doch alle Sorgen.« Sie erhob sich und verließ die Kantine. Ihr schlechtes Gewissen trieb sie hinaus. Sie brachte es nicht fertig, den anderen Mitgliedern der Crew oder gar Basil Astiriakos zu gestehen, daß sie über geheime Dinge mit einem ihr fremden Menschen gesprochen hatte. Sie war jedoch entschlossen, ihren Fehler so weit wie möglich wieder auszubügeln. Ziellos und nachdenklich wanderte sie zunächst durch die Gänge der Anlage. Schließlich faßte sie einen Entschluß und fuhr in das Hauptpersonalbüro von TECOM hoch. Ein junges Mädchen arbeitete allein in dieser Abteilung. »Ich suche Harold Brighton«, erklärte Helga. »Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?« »Sie sind Helga Legrelle«, sagte das Mädchen. »Ich habe Ihre Unterlagen gesehen. Sie sind mir zugegangen, nachdem Sie in den Lift gestiegen sind. Das ist immer so bei uns.« »Ja, ich bin Helga Legrelle«, erwiderte die Funkerin ungeduldig. »Wo finde ich Brighton?« »Ich muß wissen, was Sie von ihm wollen. Ich könnte ihn auch ausrufen.« »Ich muß ihn in seiner Abteilung sprechen«, erklärte die Funkerin. »Es ist wichtig.« »Das müssen Sie mir erklären.« Helga schüttelte ungeduldig den Kopf. »Hören Sie zu«, sagte sie nervös. »Wir von der ORION sind hier, weil sich gefährliche Dinge tun, mit
denen wir fertig werden müssen. Wollen Sie sich querlegen und uns behindern?« »Nein. Das will ich nicht«, entgegnete das Mädchen und lächelte. »Ich muß mich aber an die Bestimmungen halten, und die besagen, daß ich derartige Auskünfte nicht geben darf. Warum wenden Sie sich nicht an Mr. Kahindra? Wenn es wichtig ist, wird er Ihnen helfen.« »Mr. Kahindra hat zuviel zu tun, und er weiß auch gar nicht, wo Brighton zu finden ist.« Das Mädchen lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Nachdenklich blickte sie auf die Tastatur der Personalkartei. »Es ist wirklich wichtig«, betonte Helga. »Und ich denke doch, daß wir von der ORION über jeden Verdacht erhaben sind. Oder nicht?« »Das sind Sie«, antwortete das Mädchen seufzend. »Also gut. Ich will Ihnen sagen, wo Brighton ist. Sie finden ihn in der Abteilung von Mr. Taylor. Hier ist ein Plan, an dem Sie sich orientieren können.« Sie reichte Helga eine kleine Karte, auf der sie die Abteilung angekreuzt hatte, in der Brighton zu finden war. Die Funkerin dankte mit einem freundlichen Lächeln und zog sich eilig aus dem Büro zurück. Sie lief zum nächsten Lift und wartete ungeduldig, bis die Kabine kam. Die Zeit drängte. Sie wußte Mario unter der Simultankupplungshaube, und sie fürchtete, daß irgend etwas geschehen könnte, womit niemand aus der Crew rechnete. Die Kabine kam. Die Funkerin stieg ein und tippte die Etage hastig ein. Sie atmete unwillkürlich auf, als die Kabine schnell in die Tiefe sank. Sie hatte das Gefühl, daß sie nun endlich etwas tat, was Mario nützen konnte.
Als sie die Liftkabine wenig später jedoch verließ, wußte sie nicht mehr, was sie tun sollte. Plötzlich war sie sich dessen nicht mehr sicher, daß es richtig war, mit Brighton zu sprechen. Was soll ich ihm sagen? fragte sie sich verwirrt. Unschlüssig schritt sie über den Gang. Vielleicht genügt es, wenn ich bei ihm bin, während Mario unter der Haube ist, dachte sie. Wenn ich bei ihm bin, kann er nichts gegen Mario tun. Dieser Gedanke erschien ihr am besten und am überzeugendsten. Sie blieb vor einer Tür stehen, an der ein Schild mit dem Namen »Taylor« befestigt war, nachdem sie keine Tür gefunden hatte, an der »Brighton« stand. Sie klopfte an und trat ein. Ratlos sah sie sich in dem leeren Raum um. Auf einem Tisch stand ein Becher mit Kaffee. Sie ging zu ihm hin und faßte das Gefäß an. Es war noch warm. Das bedeutete, daß Taylor noch nicht lange fort sein konnte. Sie wartete einige Minuten, als Taylor dann jedoch noch nicht kam, verließ sie den Raum wieder, da sie nicht wußte, wie lange sie warten mußte. Ratlos ging sie an den Türen entlang, blieb hier und da stehen und kämpfte mit einer immer stärker werdenden Nervosität. Sie spürte fast körperlich, daß etwas nicht in Ordnung war, ohne sagen zu können, was es war. Immer wieder redete sie sich ein, daß Mario de Monti durch ihren Leichtsinn gefährdet war, bis sie sich schließlich so über sich selber ärgerte, daß sie sich laut eine »dumme Gans« nannte. Sie blieb stehen. »Du machst dich selbst verrückt«, sagte sie. »Wahrscheinlich ist alles in Ordnung, und Mario sitzt be-
reits mit den anderen in der Kantine zusammen und macht seine üblichen Witze.« Sie preßte die Lippen zusammen und ärgerte sich darüber, daß sie anfing, Selbstgespräche zu führen. Das war ganz gegen ihre Gewohnheit. Sie beschloß, umzukehren und ein offenes Wort mit Cliff McLane zu sprechen. Das erschien ihr nun doch wesentlich besser, als blind nach einer Gefahrenquelle zu suchen, die vielleicht gar nicht vorhanden war. Sie wandte sich um. In diesem Moment hörte sie hinter einer Tür eine Stimme. Neugierig trat sie etwas dichter an die Tür heran. Sie konnte nicht verstehen, was in dem Raum dahinter gesprochen wurde. Ohne nachzudenken, legte sie ihre Hand gegen den elektronischen Öffnungskontakt. Das Türschott glitt zischend zur Seite, und Helga blickte auf Harold Brighton, der wie Mario de Monti unter einer Kupplungshaube lag. Der Mann, der neben der gepolsterten Bank stand, fuhr erschreckt herum. Seine Augen fixierten sie. Eine ungeheure Drohung ging von ihnen aus. Helga Legrelle erkannte schlagartig die tödliche Gefahr, in der sie sich befand, aber auch die Bedrohung für Mario de Monti. Sie begriff zwar nicht, in welcher Weise der Angriff auf den Chefkybernetiker der ORION erfolgte, aber jetzt wußte sie, daß ihr Gefühl sie nicht getrogen hatte. Sie war einem raffiniert eingefädelten Spiel zum Opfer gefallen. Nicht zufällig hatte sie Harold Brighton getroffen, sondern exakt nach Plan. Er war nicht linkisch, sondern er hatte sich nur so benommen, weil er gewußt hatte, daß er sie auf diese Weise am besten täuschen konnte.
Helga Legrelle fuhr herum und floh den Gang entlang. Der Mann an der Bank rannte hinter ihr her. Es war Charles Taylor. Daran zweifelte die Funkerin nicht. »Bleiben Sie stehen«, rief er. Sie lief weiter und blickte über die Schulter zurück. Sie hatte einen Vorsprung von etwa zwanzig Metern, als sie den Lift erreichte. Voller Angst drückte sie den Rufknopf. Charles Taylor raste heran. Er war noch zehn Meter von ihr entfernt, als sich die Doppeltüren der Liftkabine öffneten. Helga wollte in den Fahrstuhlkorb springen, doch da packte Taylor sie und riß sie brutal herum. Die Funkerin schrie auf. In ihrer Angst besann sie sich auf die Kampftechniken, die sie gelernt hatte. Sie versuchte, sich mit einigen gezielten Hieben Luft zu verschaffen, doch Taylor steckte sie ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Schließlich packte er sie an beiden Handgelenken. »Jetzt ist Schluß«, sagte er. Sie stöhnte vor Schmerz auf. Zugleich versuchte sie, ihn mit dem Knie zu treffen, aber er wirbelte sie mühelos herum und legte ihr die Hand ins Genick. »Ganz ruhig«, sagte er drohend. »Sonst ist es vorbei mit dir.« Helga Legrelle erkannte voller Entsetzen, daß sie wehrlos war. Er konnte sie mit einer einzigen Handbewegung töten, wenn er wollte. »Wir kehren zu Brighton zurück«, erklärte er und führte sie über den Gang, wobei er sie ständig am Genick hielt. Helga ließ sich widerstandslos in den Raum drängen. Hier erst ließ er sie los.
Sie blickte auf Harold Brighton. »Warum liegt er unter der Haube?« fragte sie, doch sie erhielt keine Antwort. Charles Taylor lächelte nur. Er deutete auf einen Hocker, und sie setzte sich. Aus einer Schublade holte er ein paar Drähte hervor. Damit fesselte er sie an den Hocker. »Warum töten Sie mich nicht?« fragte sie. »Dazu wäre es zu früh«, antwortete er. »Erst ist Mario de Monti dran. Solange wir ihn nicht erledigt haben, brauchen wir dich als Geisel. Wenn wir ihn erwischen, ist es immer noch Zeit, dich verschwinden zu lassen.« Helga Legrelle lief es kalt über den Rücken. Sie begriff. Sie hatte keine Überlebenschance. Charles Taylor wollte sie töten, und er würde sich davon auch nicht abhalten lassen. Ihr Leben war zu Ende, wenn Mario tot war. Sie blickte auf Harold Brighton. Ihre Augen weiteten sich. »Sehen Sie doch«, rief sie atemlos. »Was ist mit ihm los?«
6. Cliff McLane hielt unwillkürlich den Atem an. Er beugte sich vor und blickte forschend in das Gesicht des Kybernetikers, das sich in den letzten Minuten auf seltsame Weise verändert hatte. »Mario«, rief er, »was ist los?« Dann erst wurde er sich dessen bewußt, daß der Kybernetiker ihn nicht hören konnte. Er griff nach dem Arm de Montis und fühlte den Puls. Das Herz ging schwach und ungewöhnlich langsam. Das Gesicht war bleich. Unter den Augen bildeten sich eigenartige Flecke, und die Lider zuckten. McLane sprang auf und eilte zu dem nächsten Kommunikationsgerät. Einige Sekunden verstrichen, bis sich endlich ein junges Mädchen meldete. »Was kann ich für Sie tun?« fragte sie freundlich lächelnd. Der Commander ließ sie nicht aussprechen. Er fuhr ihr mit den Worten dazwischen: »Ich brauche einen Arzt. Auch Kahindra und die anderen Chefprogrammierer müssen kommen. Verlieren Sie keine Zeit. Geben Sie Alarm.« »Sofort«, antwortete sie erschrocken. McLane hörte, wie sie einen Arzt anforderte und dann die drei Chefprogrammierer ausrief. Er wandte sich ab und kehrte zu Mario zurück, dessen Gesicht feuerrot geworden war. Er griff nach dem Arm und fühlte den Puls. Dieses Mal mußte er lange Sekunden suchen, bis er ihn gefunden hatte. Während dieser Zeit wich das Blut wieder aus dem Gesicht des Kybernetikers, und die Wangen fielen tief ein.
Zwei Ärzte und die Chefprogrammierer stürmten in den Raum. »Was ist los?« rief Kahindra. »Mit Mario stimmt etwas nicht«, erwiderte der Commander. »Kümmern Sie sich um ihn. Schnell.« Die beiden Ärzte und der Erste Chefprogrammierer beugten sich über Mario de Monti und untersuchten ihn. Sekunden nur vergingen, bis einer der Ärzte sich aufrichtete und McLane ansah. »Sie müssen das Experiment sofort abbrechen«, sagte er. »Der Mann stirbt.« McLane wollte die Schaltungen betätigen, aber Murdonom Kahindra griff nach seinem Arm und hielt ihn fest. »Auf keinen Fall dürfen Sie jetzt eingreifen«, sagte er energisch. »Das Spannungsfeld, in dem das Gehirn jetzt eingebettet ist, muß langsam abgebaut werden.« »Mario stirbt«, schrie McLane. »Das weiß ich«, erwiderte der Chefprogrammierer. »Sie retten ihn jedoch nicht, wenn Sie das Spannungsfeld jetzt abschalten. Damit würden Sie einen Schock im Gehirn Marios auslösen, der ihn auf der Stelle töten würde.« »Aber ...«, begann Cliff stammelnd. Hilflos ließ er die Arme sinken. »Kahindra hat recht«, sagte einer der Ärzte, während der andere davoneilte. »Sie würden ihn umbringen.« McLane zwang sich zur Ruhe. »Schlagen Sie vor, was ich tun soll«, sagte er mühsam. »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit«, antwortete der Arzt und blickte flüchtig zu Kahindra hinüber. Dieser nickte.
»Explodieren Sie nicht gleich, McLane, wenn Sie hören, was ich zu sagen habe. Warten Sie, bis ich fertig bin«, bat er. »Wir müssen Mario sterben lassen.« »Niemals«, rief der Commander heftig. »Warten Sie doch ab«, sagte der Arzt. »Der Körper muß zur Ruhe kommen. Wir benötigen einige Minuten, bis wir das Spannungsfeld so weit abgebaut haben, daß Mario eine Chance hat. Bis dahin wird das Herz aufgehört haben zu schlagen. Das ist jedoch bedeutungslos. Mein Kollege ist bereits auf dem Weg zur Intensivstation. Er bereitet alles für eine Wiederbelebung vor.« »Wie tröstlich«, sagte Cliff wütend. Kahindra hob abwehrend die Arme. »Machen Sie mich nicht für diesen Zwischenfall verantwortlich«, bat er. »Ich kann nichts dafür. Wir wissen nicht, auf was Mario gestoßen ist. Nur er kann es uns erklären. Wir haben einfach keine andere Möglichkeit, sein Leben zu retten. Finden Sie sich damit ab.« Cliff McLane schluckte. Ihm gefiel nicht, daß er hilflos zusehen mußte, wie sich andere um das Leben des Freundes bemühten. Er wäre viel lieber selbst aktiv geworden, hätte die Initiative viel lieber an sich gerissen, um dann Zug um Zug selbst entscheiden zu können. Jetzt aber blieb ihm lediglich eine passive Rolle. »Also gut«, sagte er einlenkend. »Ich kann ja wohl doch nichts machen.« »So ist es«, erwiderte der Arzt. »Ich bin einverstanden«, sagte der Commander. Er beobachtete Mario de Monti, und er glaubte, verfolgen zu können, wie das Leben in seinem Körper
erlosch. Schließlich nickte der Arzt dem Chefprogrammierer zu, und dieser baute vorsichtig das Spannungsfeld ab. Der Körper Marios zuckte einige Male zusammen. Der Arzt verabreichte ihm mehrere Injektionen. Dann gab er dem Chefprogrammierer ein Zeichen. Kahindra riß die Kupplungshaube ab. Im gleichen Moment raste der zweite Arzt mit einer Rettungstrage herein. Zwei weitere Ärzte begleiteten ihn. Sie packten Mario, legten ihn auf die fahrbare Trage, die mit zahlreichen Rettungsgeräten versehen war, und rollten ihn hinaus. Dabei begannen sie bereits mit Wiederbelebungsbemühungen. Cliff McLane folgte Mario. Er war wie betäubt. Die Furcht lähmte ihm die Zunge. Er hatte tausend Fragen zu stellen, brachte aber keine einzige über die Lippen. Er drängte sich zusammen mit den Ärzten in die Liftkabine. Die Mediziner arbeiteten konzentriert und wortlos. Sie schienen sich blind zu verstehen, doch ihre Bemühungen blieben vorläufig erfolglos. »Warum atmet er noch immer nicht?« fragte McLane, als sie die Intensivstation erreichten. »Es wird gleich soweit sein«, erwiderte einer der Ärzte, während er der Trage, die hinausgerollt wurde, folgte. »Bitte, bleiben Sie hier. Sie dürfen die Station nicht betreten.« Ein Schott öffnete sich, die Trage rollte hindurch, und dann war Cliff McLane mit Murdonom Kahindra allein. »Hoffentlich geht das gut«, sagte der Inder. Cliff wandte sich ihm zu. »Sie sind von dem Zwischenfall ebenso überrascht worden wie ich«, stellte er fest. »Ist das richtig?«
»Das stimmt«, antwortete der Chefprogrammierer. »Was ist passiert?« »Mario muß in TECOM auf irgend etwas gestoßen sein«, erwiderte Kahindra vorsichtig. »Was es war, weiß ich natürlich nicht, aber es muß irgendwie mit dem fraglos vorhandenen Bewußtsein von TECOM zusammenhängen.« McLane schüttelte den Kopf und schwieg. Ihm war jetzt nicht nach Erörterungen zumute. Voller Ungeduld blickte er auf die Tür, hinter der Mario verschwunden war. Doch er brauchte nicht lange zu warten. Schon bald öffnete sich die Tür und Mario de Monti kam heraus. Er war blaß und sah erschöpft aus, aber er ging, ohne daß ihn jemand stützten mußte. Ein Arzt begleitete ihn. »Das gibt es doch gar nicht«, sagte Cliff und eilte dem Kybernetiker entgegen. »Mario, wie geht es dir?« »Ich fühle mich wie ein ausgewrungenes Handtuch«, erwiderte de Monti. »Teufel, das war nicht besonders angenehm.« »Ich möchte gerne wissen, was vorgefallen ist«, sagte McLane. »Das weiß ich selbst nicht«, erwiderte der Kybernetiker. »Da war etwas, aber ich weiß nicht, was.« »Hast du etwas herausgefunden? Ich meine, weißt du, wer wo mißbräuchlich manipuliert hat? Wer ist für den Angriff auf TECOM verantwortlich?« Mario de Monti schüttelte den Kopf. »Vorläufig weiß ich überhaupt nichts«, entgegnete er. »Ich muß den Versuch wiederholen.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage.« »Ich muß«, erklärte der Kybernetiker entschlossen.
»Es gibt nur diesen einen Weg. Beim ersten Versuch habe ich nicht aufgepaßt, deshalb hat es wohl eine kleine Panne gegeben. Dieses Mal wird mir das nicht wieder passieren.« »Weißt du überhaupt, was für eine Panne das war?« fragte McLane. Er blickte den Arzt fragend an. »Doch, durchaus«, antwortete der Kybernetiker heiter. »Mein Leben hat eine kurze Unterbrechung erfahren. Nun gut, das ist beim heutigen Stand der Medizin kein Problem, wie wir alle wissen. Hier oben ist alles okay. Die kleinen grauen Zellen sind nicht durch Sauerstoffmangel eingegangen. Also, was soll's? Warum diese Katastrophenstimmung?« Cliff McLane lächelte. Er boxte Mario freundschaftlich gegen die Brust. »Du bist also wieder ganz der Alte«, sagte er. »Eben deshalb muß ich das Experiment wiederholen, oder sagen wir lieber, ich muß es fortsetzen«, sagte der Kybernetiker. »Wenn es dich beruhigt, kann ja das ganze Ärzteteam dabei sein.« »Es beruhigt mich.« »Dann bitte ich um die Begleitung der Grünkittel.« Der Commander wandte sich an den Arzt, der noch immer neben Mario stand. »Hält er das überhaupt körperlich durch?« fragte er. »Geben Sie als Mediziner Ihre Genehmigung?« »Ich habe keine Bedenken«, erwiderte der Arzt. »Mr. de Monti hat eine ungewöhnlich gute Konstitution.« »Also, dann bin ich einverstanden«, sagte McLane seufzend. »Wir beginnen jetzt gleich«, entschied der Kybernetiker. »Komm. Wir wollen keine Zeit verlieren.« »Wäre es nicht besser, vorher genau zu ermitteln,
was überhaupt passiert ist?« fragte der Commander. »Nein. Wichtig ist allein der Zeitgewinn.« * Charles Taylor fuhr herum. Seine Blicke richteten sich auf Harold Brighton. Helga Legrelle würgte. Die Kehle schnürte sich ihr zu, und sie wandte sich zur Seite, während Taylor sich über Brighton beugte. Aus dem Mund und aus der Nase stieg Rauch auf, und ein unangenehmer Geruch nach verbranntem Fleisch verbreitete sich im Raum. Taylor schaltete die Kupplungshaube ab. Er fluchte laut. Helga erholte sich rasch wieder. »Ihr Plan war wohl doch nicht so perfekt, wie Sie angenommen haben, wie?« fragte sie spöttisch, wobei sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was sie wirklich empfand. »Seien Sie still«, erwiderte er kühl. »Ich habe einen Fehler gemacht, das ist bedauerlich, aber noch lange keine Katastrophe.« »Sie sind eiskalt«, sagte sie. Er antwortete nicht. Er zog den toten Harold Brighton von der Bank und legte ihn achtlos in einer Ecke des Raumes ab. Aus einer Lade holte er ein kastenförmiges Gerät, das er mit Hilfe von einigen Drähten mit der Kupplungshaube verband. Dann legte er sich ruhig auf die Bank und stülpte sich selbst den Helm über den Kopf. »Was ist das?« fragte die Funkerin. »Eine Selbstverbrennungsanlage?«
»Versuchen Sie nicht, zynisch zu sein«, entgegnete er abfällig. »Das paßt nicht zu Ihnen. Außerdem wissen Sie recht gut, was das für eine Maschine ist.« Er nahm den Helm wieder ab, erhob sich, ging zu einem Videogerät und schaltete es ein. Bestürzt beobachtete Helga, was auf dem Bildschirm erschien. Sie sah Mario de Monti, der sich der SimultanKupplungshaube näherte. Bei ihm war Cliff McLane. »Cliff!« rief sie. »Mario!« Charles Taylor lachte. »Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?« fragte er. »Glaubten Sie wirklich, ich sei so leichtsinnig, eine Zweibahnleitung zu benutzen?« Er wartete vor dem Gerät ab und verfolgte, wie Mario sich mit der Kupplungshaube beschäftigte. Als er sicher war, daß der Kybernetiker ein zweites Experiment beginnen wollte, schaltete er ab und kehrte zur Bank zurück. »Machen Sie keinen Unsinn«, riet er. »Versuchen Sie nicht, sich aus Ihren Fesseln zu befreien. Das schaffen Sie doch nicht. Sie würden sich nur Unannehmlichkeiten bereiten.« »Es hat wohl wenig Sinn, Ihnen ebenfalls ein von der Vernunft bestimmtes Verhalten zu empfehlen, oder?« Er lachte. »Nein«, erwiderte er und schüttelte den Kopf. »Das hätte wirklich keinen Sinn. Sehen Sie, wir beide definieren den Begriff der Vernunft völlig anders.« Er stülpte sich den Helm erneut über, rückte ein wenig hin und her, bis er bequem lag, und dann schaltete er das Gerät mit einem Griff zum Helm ein. Seine Lider schlossen sich. Das Gesicht wurde starr.
Es schien, als sei jegliches Leben aus ihm gewichen. Helga Legrelle beobachtete ihn noch einige Minuten lang, dann versuchte sie, ihre Hände aus den Drahtfesseln zu befreien. Die Drähte schnitten sich ihr tief ins Fleisch. * Mario de Monti nickte Cliff McLane zuversichtlich zu. »Ich habe mir alles genau überlegt«, sagte er. »Dieses Mal gibt es keine Panne, sonst würde ich es bestimmt nicht riskieren.« »Davon bin ich auch überzeugt«, erwiderte der Kommandant. »Wäre ich es nicht, würde ich nicht stillhalten.« Der Kybernetiker grinste, legte sich auf die Bank und stülpte sich den Kupplungshelm über den Kopf. »Dann kann es ja losgehen«, sagte er und schloß die Augen. Er gab McLane ein Zeichen mit der Hand, und der Commander schaltete das Gerät ein, mit dem Mario mit TECOM in unmittelbaren Kontakt treten konnte. Für Mario de Monti war es, als ob in einem holographischen Film eine Szene endete und die neue schlagartig beginne. Dennoch erschrak er nicht über den abrupten Szenenwechsel. Er war darauf vorbereitet, und er erlebte ihn nicht zum erstenmal. Während er zunächst jedoch noch Wirklichkeit von einer elektronischen Scheinwelt zu unterscheiden wußte, ignorierte er diese Unterschiede schon bald, weil sie unwichtig für ihn waren. Wichtig war nur für ihn, sich in dieser neuen Welt zu orientieren.
Mario de Monti fand sich in einer endlos erscheinenden, feuerrot glühenden Röhre wieder, die nach seinem Empfinden etwa zwanzig Meter durchmaß. Er bewegte sich darin voran, ohne daß er die Beine bewegte. Seine Füße schwebten einige Zentimeter über dem Boden. Sie schienen auf einem grünlich schimmernden Energiefeld zu stehen. Die Szene war neu für Mario. Bei seinem ersten Experiment war alles anders gewesen, aber daran erinnerte er sich nur noch dunkel. Er versuchte auch gar nicht, sich zu erinnern, weil die Vergangenheit bedeutungslos war. Er klatschte die Hände zusammen. Funken sprühten zwischen seinen Fingern hervor und stoben nach allen Seiten davon, und die Szene wechselte. Er geriet in ein riesiges Gebilde aus wirr durcheinander führenden farbigen Stangen, die ein unübersehbares Geflecht bildeten. Nunmehr verlor sich das Gefühl für die Wirklichkeit vollends. Mario sah nur, daß er sich in einer Welt vollkommener Harmonie befand. Wohin er auch blickte, überall sah er Formen und Farben, die in einzigartiger Weise zueinander paßten. Gerade für ihn als Kybernetiker war unübersehbar, daß es nirgendwo Disharmonien in den Systemen gab, die das Gebilde darstellten. Im gleichen Moment, als ihm das bewußt wurde, wurde er sich auch darüber klar, wie er finden konnte, was er suchte. Irgendwo in dem riesigen TECOMKomplex mußte es Disharmonien geben, die verursacht worden waren durch unerlaubte und heimliche Manipulationen. Es mußte möglich sein, sie aufzuspüren.
Er ging weiter, indem er versuchte, die Füße zu bewegen. Er hatte das Gefühl, daß sie sich auch wirklich bewegten, aber als er an sich herabblickte, sah er sich ruhig stehen. Dennoch bewegte er sich vorwärts. Ihm schien, als senke sich etwas Dunkles auf ihn herab, ohne ihn zunächst zu erreichen. Geisterhafte Finger schienen sich nach ihm auszustrecken, und er glaubte, jemanden flüstern zu hören. Furcht stieg in ihm auf. Meldete sich das Pseudo-Bewußtsein von TECOM? Wehrte es sich gegen sein Eindringen? Kannte das Pseudo-Bewußtsein überhaupt so etwas wie einen Abwehrwillen gegen Ereignisse in seinem Innern? Ließ sich so etwas einprogrammieren? Mario de Monti eilte schneller voran. Er wollte das Gewirr der farbigen Gestänge erreichen oder doch zumindest näher heran an die so harmonisch wirkenden Gebilde. Doch es gelang ihm nicht. Ein Blitz zuckte aus dem Nichts heraus auf ihn herab und zerschnitt die Szene in unendlich viele Teile, die funkensprühend nach allen Seiten auseinanderstrebten, ihn selbst durchdrangen und zu zersprengen drohten, und dann fand sich der Kybernetiker in einer Alptraumwelt wieder, die ihn erschreckte. Er erkannte augenblicklich, daß dies nicht die technifizierte Bewußtseinswelt von TECOM sein konnte, sondern daß ein Bewußtsein, das sich außerhalb der Kontrolle der Programmierer befand, diese Welt projizierte. Doch damit war noch nichts gewonnen. Mario de Monti suchte dieses freigewordene Bewußtsein im Pseudo-Bewußtsein von TECOM. Ihm kam noch
nicht der Gedanke, daß sich ein zweiter Intellekt, ebenso wie er, an TECOM angekuppelt haben könnte. Die Welt, in der er sich befand, war düster. Schroffe Berge, die von bizarr geformten Pflanzen überwuchert wurden, bestimmten sie. Nebelfetzen behinderten die Sicht, so daß Mario nur erkennen konnte, was sich jeweils wenige Meter von ihm zu befinden schien. Er war sich zunächst klar darüber, daß dies keine wirkliche Welt war, daß also auch nicht wirklich vorhanden war, was er sah. Dennoch spürte er die Drohung, die von ihr ausging. Ihm war kalt. Ein stechender Geruch schlug ihm entgegen, und als ein Insekt aus dem Nebel heraus auf ihn herabfiel, schrie er vor Schmerz auf. Er schlug das Tier mit der Hand von seiner Schulter und stellte dabei fest, daß es ihm einen Stachel durch die Kombination in die Haut gebohrt hatte. Für eine lange Sekunden war seine rechte Seite nahezu gelähmt, so daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Dies ist keine Projektion mehr! sagte er sich voller Entsetzen. Der Wunsch kam in ihm auf, so schnell wie möglich in die Realität der ORION-Welt zurückzufliehen. Doch so sehr er sich auch darauf konzentrierte, es gelang ihm nicht. Plötzlich wich das Feld unter ihm, das ihn bisher getragen hatte. Es löste sich auf, und er stürzte etwa einen Meter tief auf den Boden. Weil er nicht damit gerechnet hatte, daß so etwas eintreten könnte, reagierte er zu spät und rutschte aus. Der Boden war schmierig. Er fuhr mit den Händen darüber hinweg und hatte Mühe, sich wieder aufzurichten. Keuchend blieb er auf der Stelle stehen. Seine
Kehle brannte, weil irgend etwas in der Luft vorhanden war, das seine Schleimhäute in fast unerträglicher Weise reizte. Doch er achtete nicht darauf, denn plötzlich rissen die Nebelbänke auseinander, und er sah eine männliche Gestalt, die langsam und würdevoll über die Felsen schritt. Sie war etwa fünfzig Meter von ihm entfernt. »Hallo«, rief er mit aller Stimmenkraft. »Hallo, so warten Sie doch.« Der Fremde blieb stehen und wandte ihm das bleiche Gesicht zu. Im nächsten Moment schlossen sich die Nebelbänke wieder. Mario rannte los. Er hatte das Gefühl, sich durch einen zähen Brei hindurchkämpfen zu müssen. Der Nebel schien ihm einen hartnäkkigen Widerstand entgegenzustellen. »Hallo, hören Sie. Ich muß mit Ihnen reden«, schrie er. Wieder wich der Nebel, und Mario stand an der Stelle, an der eben noch der Fremde gewesen war. Der Boden unter seinen Füßen war hell und durchsichtig. Der Kybernetiker glaubte, durch transparentes Material bis in den brodelnden Mittelpunkt des Planeten sehen zu können, doch er interessierte sich nur am Rande für diesen seltsamen Effekt. »Wo sind Sie denn?« fragte er laut. Seine Stimme verlor sich in der Ferne, kehrte jedoch nach geraumer Zeit als verzerrtes Echo zurück. Mario de Monti drehte sich um sich selbst. Er wußte nicht mehr, wo er war. Irgendwo tief in ihm war noch eine schwache Erinnerung daran, daß dies nicht die Wirklichkeit war, aber sie schwand immer mehr, bis nur noch eine Ahnung blieb, die aber nicht
ausreichte, ihm eine gewisse Sicherheit zu geben. Seine Hände glitten über seine Hüften. Er stellte fest, daß er waffenlos war. Die Kombination, die er zu Beginn seiner Reise durch diese Welt getragen hatte, hatte sich verwandelt. Sie war weit und leicht geworden. Sie fühlte sich angenehm an, aber nirgendwo in ihr war eine Waffe verborgen. Mario fluchte leise. Er wußte nicht, was er von der Erscheinung halten sollte. War der Fremde wirklich da gewesen, oder hatte er sich geirrt? Er beugte sich vor und verengte die Augen, weil er glaubte, dann besser sehen zu können. Etwa hundert Meter von ihm entfernt bewegte sich etwas. »Das ist der Kerl«, sagte der Kybernetiker, strich sich die Hände an seiner Kleidung trocken und lief los. Dabei setzte er die Füße vorsichtig auf, weil er immer wieder ausrutschte, und achtete sorgfältig auf Hindernisse, wie Löcher oder aus dem Boden hervorragende Felsspitzen. Irgend etwas blitzte neben ihm auf, und ein winziger Gegenstand schoß pfeifend an ihm vorbei. Erschrocken fuhr er zurück und entging durch diese Reaktion einem zweiten Etwas, das surrend an ihm vorbei wirbelte. Mario duckte sich und lief weiter, bis er sich durch einige Felsen geschützter fühlte. Dann aber blieb er abrupt stehen. Er hatte geglaubt, den Fremden vor sich zu sehen. Jetzt erkannte er, daß er sich geirrt hatte. Zwischen den Felsen lauerte ein Geschöpf, das einem ins Gigantische vergrößerten Zerrbild einer Gottesanbeterin glich.
Mario fühlte sich wie gelähmt. Plötzlich gehorchten ihm Arme und Beine nicht mehr. Er wollte fliehen, aber er konnte nicht. Von den mächtigen Facettenaugen ging ein Funkeln und Leuchten aus, das ihn in einen hypnotischen Bann schlug.
7. Helga Legrelle riß und zerrte an den Drähten, mit denen sie an den Stuhl gefesselt war, ohne sich daraus befreien zu können. Die Drähte schnitten sich ihr tief ins Fleisch, bewegten sich jedoch nicht. Vor Schmerz stöhnend, unterbrach sie ihre Bemühungen nach einigen Minuten und überlegte. Verzweifelt sagte sie sich, daß es eine Möglichkeit geben mußte, die Situation zu meistern. Sie sah sich im Raum um, wurde jedoch für kurze Zeit abgelenkt, weil sich Charles Taylor wimmernd bewegte. Sein Gesicht verzerrte sich, als ob das Bewußtsein unter Qualen zurückkehre, entspannte sich dann jedoch sogleich wieder. Helga wandte sich wieder ihren Fesseln zu. Sie rutschte auf dem Stuhl zur Seite, bis sie über ihre Schulter hinweg auf ihre Hände hinabsehen konnte. Sie studierte sorgfältig, wie die Drähte zusammengedreht waren und versuchte dann, die Enden mit den Fingern zu erreichen. Das ging besser, als sie erwartet hatte. Mühsam blieb es dennoch, die Drähte nach und nach auseinanderzudrehen. Helga mußte immer wieder Pausen einlegen, weil sie Krämpfe im Arm und in den Fingern bekam. Schließlich aber gelang es ihr, wenigstens eine Hand freizubekommen. Sie war davon überzeugt, es nunmehr geschafft zu haben, als sie sich aber fast zehn Minuten lang vergeblich abgemüht hatte, auch die andere zu befreien, gab sie ihre Bemühungen auf. Sie konnte nicht mehr, da die Krämpfe in den Fingern immer häufiger kamen und die dadurch notwendigen Entspannungspausen immer länger wurden.
Sie arbeitete sich nun an das Videogerät heran, indem sie mit dem Stuhl hüpfte. Sie kam nur zentimeterweise voran, schaffte es jedoch dennoch recht schnell, an das Gerät zu kommen. Danach aber war sie so erschöpft, daß sie eine kurze Atempause einlegen mußte. Dann tippte sie einige Zahlen in die Tastatur. Kurz darauf erschien das Gesicht eines Mannes auf dem Bildschirm. »Geben Sie mir die Videonummer von Kahindra. Schnell«, bat sie. »Sie brauchen doch nur in der Registratur nachzusehen«, erwiderte der Mann erstaunt. »Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert«, rief Helga. »Helfen Sie mir doch. Es ist wichtig.« »Sagen Sie mir erst einmal, wer Sie überhaupt sind«, forderte der Mann argwöhnisch. »Verdammt noch mal«, schrie die Funkerin verzweifelt. »Dies ist eine Notsituation. Ich muß Kahindra sofort sprechen. Verstehen Sie? Sofort.« »Ich benachrichtige die Zentrale«, erklärte der Mann und schaltete ab. Helga Legrelle stöhnte enttäuscht auf. Sie war nicht in der Lage, Verständnis für den Mann und sein Mißtrauen aufzubringen, das ihr in einer anderen Situation als durchaus verständlich erschienen wäre. Aufgeregt suchte sie nach der Taste für die Registratur. Es waren nur zwei Wahlmöglichkeiten vorhanden. Sie versuchte eine blaue Taste und hatte Glück. Die Nummern leuchteten vor ihr auf dem Bildschirm auf. Kahindras Nummer war dabei. Sie wählte hastig und wartete fiebernd, bis er sich meldete. Fast zwei Minuten verstrichen, dann endlich erschien das Gesicht des Inders im Projektionsfeld.
»Miß Legrelle«, sagte er überrascht. »Wo sind Sie?« »Ich befinde mich in einem Raum auf der Station von Taylor«, erwiderte sie erleichtert. »Ich glaube jedenfalls, daß er Taylor heißt. Er hat sich eine Haube über den Kopf gestülpt. Ich vermute, daß es eine Kupplungshaube ist. Ich bin gefesselt. Bitte, helfen Sie mir. Kommen Sie schnell.« Der Inder verfärbte sich. »Wir kommen sofort«, antwortete er und vergaß in seiner Aufregung, das Gerät auszuschalten. Helga Legrelle sank aufstöhnend in sich zusammen. Jetzt, da sie es überstanden hatte, verließen sie die Kräfte. Die außerordentlichen Anstrengungen der letzten Stunde machten sich bemerkbar. Als Cliff McLane, Hasso Sigbjörnson, Atan Shubashi und Murdonom Kahindra jedoch in den Raum kamen, hatte sie sich schon wieder etwas erholt. »Gott sei Dank«, sagte sie. »Ich dachte schon, ihr kommt überhaupt nicht mehr.« »Wir haben dich erst in einigen anderen Räumen gesucht«, entgegnete Cliff McLane. »Wir konnten nicht wissen, wo du bist.« Er drehte die Drähte auf, während Kahindra sich über Charles Taylor beugte. »Taylor ist also ein Verräter«, sagte er. »Wer hätte das gedacht.« Er berichtete McLane mit knappen Worten, was er über diesen Mann wußte. Währenddessen untersuchte der Commander den Toten flüchtig. Helga Legrelle berichtete, was sie getan hatte, und erklärte, warum sie überhaupt in diese Abteilung gegangen war. »Schalten Sie die Haube ab«, forderte McLane.
»Mir ist nicht ganz klar, ob ich das darf«, erwiderte der Chefprogrammierer nachdenklich. »Damit würde ich Taylor fraglos umbringen.« »Seien Sie sich doch darüber klar, daß Taylor in dieser Sekunde mit Mario kämpft«, rief Cliff. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann befinden sich die Egos von Mario und von Taylor in diesem Moment in TECOM. Mario ist auf der Suche nach der Fehlschaltung, und Taylor ist auf der Suche nach dem Bewußtsein von Mario. Wahrscheinlich hat er die Möglichkeit, Mario zu töten.« »Taylor verfügt wahrscheinlich über ein wesentlich höheres Fachwissen, als er bisher zu erkennen gegeben hat«, sagte Kahindra. »Er hätte von seiner Position aus sonst gar nicht die Möglichkeit gehabt, sich an die Simultan-Kupplung anzuschließen. Daß er es getan hat, ist für mich der Beweis dafür, daß er ein Experte auf dem Gebiet der Manipulation sein muß.« »Er ist ein Agent der Rudraja«, sagte Cliff McLane. »Wie kommst du darauf?« fragte Atan Shubashi überrascht. »Denken wir doch an die Hypnobasis der Rudraja auf dem Planeten Vyamar«, erwiderte der Commander. »Wir wissen, daß dort Menschen von der Erde durch Zwangsimpulse von Impulssendern dazu gezwungen worden sind, eine Art militärische und geheimdienstliche Ausbildung zu absolvieren. Wir selbst sind ja vorübergehend unter den Einfluß dieser Zwangsimpulse geraten.« »Das ist allerdings richtig«, gab Atan zu. »Aber was hat das mit Taylor zu tun?« »Ich bin davon überzeugt, daß Taylor auch auf Vyamar gewesen ist und daß er auf noch ungeklärte
Weise zur Erde zurückgekehrt ist, um hier für die Rudraja gegen die Menschheit zu kämpfen. Wie Helga vor einiger Zeit schon sagte, wäre es doch sinnlos für die Installateure der Hypnobasis gewesen, wenn sie nur für eine Ausbildung der Entführten gesorgt, sie aber nicht irgendwo auch zum Einsatz gebracht hätten.« »Auch richtig«, stimmte Atan zu. »Verdammt noch mal wie lange wollt ihr Mario eigentlich schmoren lassen?« fragte Hasso Sigbjörnson ungeduldig. »Es kann auf jede Sekunde ankommen.« »Schalten Sie ab«, forderte Cliff. Murdonom Kahindra stand neben Charles Taylor. Seine Hand lag am Schalter, doch sie bewegte sich nicht. Schweiß trat dem Inder auf die Stirn. »Ich kann es nicht«, sagte er. »Ich käme mir vor wie ein Mörder.« Cliff McLane schob Atan zur Seite, der ihm im Weg stand, trat an Taylor heran und griff zum Schalter. Doch dann stutzte er. »Was ist mit ihm?« fragte er und deutete mit der linken Hand auf Taylor. Murdonom Kahindra beugte sich über den Rudraja-Agenten. Er legte ihm die Hand an den Hals, schob sie zu den Augen hoch und drückte die Lider auf. »Er ist tot«, sagte er mit belegter Stimme. »Tot?« fragte McLane unwillkürlich. Er untersuchte Taylor und kam zu dem gleichen Ergebnis. »Was bedeutet das?« fragte Hasso. »Ist damit auch das Bewußtsein von Taylor erloschen? Ich meine, ist Mario damit vor diesem Kerl in Sicherheit? Oder lebt das Bewußtsein in TECOM weiter und richtet dort Unheil an?«
Murdonom Kahindra hob unsicher die Hände. »Ich fürchte, daß Taylor in TECOM weiterlebt«, entgegnete er dann. »Er hat sich uns damit entzogen.« »Bedeutet es ein Risiko für Mario, wenn ich die Haube abschalte?« fragte Cliff. Murdonom Kahindra schüttelte den Kopf. Er sagte: »Das ist jetzt bedeutungslos geworden.« Der Commander schaltete ab. Anschließend untersuchte er Taylor noch einmal, konnte jedoch keine Lebenszeichen mehr an ihm feststellen. »Und jetzt?« fragte er ratlos. »Was machen wir jetzt?« »Wir müssen Mario zurückholen, bevor es zu spät ist«, rief Helga erregt. »Wir können ihn doch nicht ebenfalls unter der Haube sterben lassen.« »Er wird nicht sterben«, erklärte Kahindra. »Wir müssen zu ihm zurück«, sagte Cliff. »Schnell. Er ist schon viel zu lange allein.« Die ORION-Crew und der Chefprogrammierer verließen den Raum überhastet. Auf dem Gang trafen sie mit den beiden anderen Chefprogrammierern zusammen, die erst jetzt eintrafen. Kahindra berichtete in aller Eile, während sich die Crew nicht aufhalten ließ. Cliff McLane bemühte sich, nicht daran zu denken, daß es Mario so ergangen sein konnte wie Charles Taylor. * Mario wich langsam zurück. Er fühlte, daß eine seltsame Schwäche in seinen Beinen aufstieg. Von den Facettenaugen des gigantischen Insekts ging eine
Kraft aus, der er sich nicht gewachsen fühlte. In diesen Sekunden verwischten sich Wirklichkeit und Computerwelt endgültig. Mario de Monti vergaß, daß er nur mit seinem Bewußtsein in dieser Welt war. Er wähnte sich auf einer Existenzebene, die mit allen ihren Gelegenheiten so war, wie er sie sah. Er konnte seine Augen nicht von dem Insekt abwenden, während er Schritt um Schritt zurückwich, wobei er die Hände tastend nach hinten ausstreckte. Nach etwa zwanzig Metern berührte seine linke Hand etwas Pelziges. Er zuckte zusammen und wandte langsam den Kopf. Zugleich erstarrte er. Hinter ihm kauerte ein spinnenähnliches Wesen, das etwa so groß war wie er. Die acht winzigen Augen funkelten in einem eigenartigen, drohenden Licht. Aus dem Spinnenpelz ragten Zangen und Scheren hervor, aus denen eine grüne Flüssigkeit tropfte. Unwillkürlich schrie Mario auf. Sein Kopf flog hin und her. Er blickte zu dem Wesen, das einer Gottesanbeterin glich, und dann zu dem spinnenähnlichen Geschöpf. Von beiden ging eine tödliche Drohung aus. Er warf sich zur Seite, als er es in den Spinnenaugen aufblitzen sah, stürzte und rollte sich über den Boden. Die Scheren schossen auf ihn zu, verfehlten ihn jedoch knapp. Ein grüner Giftstrahl fuhr zischend aus der Schere und traf den Boden. Von Grauen geschüttelt, beobachtete der Kybernetiker, daß sich das Gestein brodelnd auflöste. Er rannte wie von Furien gehetzt über den schlüpfrigen Boden, rutschte aus, stürzte, raffte sich wieder auf, flüchtete weiter, warf sich hin und her, um den
Angriffen der beiden Bestien zu entgehen. Die ätzenden Gase brannten auf seinen Schleimhäuten. Er rang keuchend nach Luft und suchte vergeblich nach einem Ausweg aus seiner Lage. Als er einige lose herumliegende Steine sah, bückte er sich, nahm einige Steine auf und schleuderte sie mit voller Wucht gegen die Spinne, die ihn hartnäkkig verfolgte. Er traf sie mitten zwischen den Augen. Mit einem Geräusch, das ihm einen Schauer des Entsetzens über den Rücken jagte, zerbrach der Chitinpanzer. Gelbliches Blut quoll aus der Wunde hervor. Die Spinne eilte mit zitternden Beinen noch einige Meter weiter auf ihn zu. Dann knickten die Beine zusammen, und das häßliche Tier sank sterbend zu Boden. Mario de Monti atmete auf. Diese Gefahr war behoben, doch damit war er noch lange nicht in Sicherheit. Das Geschöpf, das einer Gottesanbeterin glich, hatte sich nicht bewegt. Es war jetzt etwa hundertfünfzig Meter weit entfernt und kaum noch zu erkennen. Es schien, als habe es nur auf den Tod der Spinne gewartet, denn jetzt schob sie mit unglaublich langsam wirkender Bewegung die vorderen beiden Beine vor. Mario wich stöhnend zurück. Die Beine kamen näher und näher. Sie schienen sich mehr und mehr zu strecken, und dann erkannte er, daß das Wesen mit einem einzigen Schritt fast fünfzig Meter zurückgelegt hatte. Dabei schien es immer länger und größer zu werden. Der dreifach eingeschnürte Insektenkörper kroch
hinterher. Mario sah, daß er am Ende aus einem riesigen, grünen Ovalkörper bestand, der kreischend über das Gestein schabte. Der Kybernetiker legte die Hände an die Ohren. Er konnte dieses Kreischen nicht ertragen. Ihm schien, als brächte dieses Geräusch seinen ganzen Körper zum Schwingen. Er drehte sich um und rannte würgend weiter. Jetzt spürte er, daß seine Kräfte nachließen. Der Boden war zu schwer und zu tückisch. Jeder Schritt erforderte einen hohen Kraftaufwand. Immer wieder blickte er über die Schulter zurück. Das Gigantinsekt folgte ihm mit zeitlupenhaften, aber unglaublich raumgreifenden Bewegungen. Der Abstand schmolz zusammen, ohne daß Mario eine Möglichkeit sah, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen. Er fand keine Höhle oder etwas Ähnliches, wo er sich hätte verkriechen können. Da jedoch Nebelschwaden immer wieder die Sicht versperrten, erlosch die Hoffnung in ihm nicht, irgendwo doch noch einen Unterschlupf zu finden. Plötzlich aber fiel das Land ab. Mario rutschte eine Schräge hinab, fing sich mühsam ab und richtete sich wieder auf, als der Boden wieder eben wurde. Er blickte nach oben. Der dreieckige Kopf des Insekts schob sich über die Felskante. Er fuhr herum und rannte weiter. Der Nebel vor ihm wurde so dicht, daß er nur noch zwei oder drei Meter weit sehen konnte. So kam es, daß er den Abgrund erst bemerkte, als er nur noch einen einzigen Schritt davon entfernt war. *
Cliff McLane stürzte in den Raum, in dem der Körper von Mario de Monti lag. Seine Blicke richteten sich auf den Freund. Er hastete zu ihm hin und griff nach seinem Handgelenk. Erst als er den Pulsschlag fühlte, atmete er auf. Doch dann bemerkte er, daß Mario seltsam blaß war, und daß sein Gesicht ständig zuckte, als rasten elektrische Impulse durch die Muskeln. »Kahindra«, schrie er. Ungeduldig blickte er auf die Tür. Die anderen Mitglieder der Crew waren bereits da. Murdonom Kahindra trat erst jetzt ein. »Alles in Ordnung?« fragte er. »Ich weiß nicht«, antwortete der Commander unsicher. »Ich glaube nicht. Sehen Sie selbst. Was halten Sie davon?« Der Inder nahm den Arm Marios auf und fühlte den Puls. »Das ganze Gesicht zuckt«, bemerkte Helga. »Es ist, als ob er Angst hätte«, sagte Hasso. »Wir müssen etwas tun«, sagte McLane. »Wir dürfen nicht weiter zusehen.« »Aber was?« fragte Arlene. Kahindra ging zu einem Gerät an der Wand, klappte es auf und legte damit einen Bildschirm frei. Er schaltete es ein, und ein tanzender Leuchtpunkt erschien auf der Bildfläche. Er hüpfte in unregelmäßigen Bewegungen auf und ab. »Es sieht schlecht aus«, erklärte der Inder. »Was ist das?« fragte Cliff. »Es sind Bewußtseinsimpulse aus dem Gehirn Ihres Freundes«, erläuterte der Chefprogrammierer. »Sie sollten eigentlich so groß wie eine Faust sein.«
»Dann sind sie viel zu klein«, sagte Cliff. »Allerdings. Das bedeutet, daß sich das Bewußtsein Ihres Freundes in TECOM zu verlieren droht. Für mich steht jetzt fest, daß Taylor de Monti gefunden hat und daß er ihn bedroht. Ich könnte mir vorstellen, daß er eine Alptraumwelt für ihn geschaffen hat, wie es etwa unter Hypnose möglich ist.« »Sie meinen, Mario könnte glauben, daß er sich in einer Schreckenswelt befindet?« fragte Arlene. »So ist es«, bestätigte der Chefprogrammierer. »Er sieht Gefahren, flüchtet vor ihnen oder kämpft mit ihnen und verbraucht dabei seine Kräfte.« »Sind die Gefahren echt für ihn?« erkundigte sich Cliff. »Ich meine, was passiert, wenn er in dieser Pseudowelt einem Feind begegnet, sagen wir einem Raubtier?« »Wenn das Tier ihn angreift und ihn so verletzt, daß Mario glaubt, diese Verletzung müsse tödlich sein, dann ist sie tödlich«, erklärte Kahindra. »Das ist doch nicht möglich«, entgegnete Hasso Sigbjörnson. »Es ist aber so«, erwiderte der Inder. »Entscheidend ist, daß sich das Bewußtsein Marios in TECOM befindet, nicht der Körper. Wenn das Bewußtsein zu der Überzeugung kommt, daß es stirbt, dann löst es sich auf und geht in TECOM auf. Es ist dann für immer verloren.« »Was geschieht dann mit dem Körper?« fragte Atan Shubashi. »Er stirbt«, antwortete Kahindra. »Ich nehme an, so etwas ist mit Taylor passiert, nur unter umgekehrtem Vorzeichen. Taylor hat seihen Körper bewußt verlassen, um in TECOM weiterzuleben. Er wird versu-
chen, Marios Bewußtsein zu vernichten, weil er damit zum absoluten Herrscher von TECOM aufsteigen würde.« »Dann hätte er sein Ziel erreicht«, stellte Cliff McLane erbittert fest. »Er hätte die Macht über TECOM und könnte damit die Menschheit in ein unvorstellbares Chaos stürzen.« »Dann bleibt nur noch eine Möglichkeit«, bemerkte Arlene. »Wir müssen TECOM abschalten.« »Das hätte verheerende Folgen«, sagte Murdonom Kahindra. »Erstens würden Sie Mario de Monti dabei töten. Natürlich würde auch Charles Taylor sterben, aber damit wäre das Problem nicht gelöst. Denn wenn wir TECOM abschalten, stürzen wir die Menschheit ebenfalls in ein Chaos. Unsere gesamte Zivilisation ist von TECOM abhängig. Sie kann ohne TECOM nicht existieren. Wäre TECOM auch nur für einen einzigen Tag abgeschaltet, wären die Folgen einfach katastrophal.« »Dann bleibt wirklich nur noch eine Möglichkeit«, erklärte Cliff. »Wir müssen Mario zurückholen.« »Wie wollen Sie das anstellen?« fragte Kahindra. »Ich werde ihm folgen«, sagte Cliff McLane. * Mario de Monti warf sich zurück und rollte sich zugleich auf den Bauch herum. Er stürzte auf den schmierigen Boden und rutschte haltlos auf den Abhang zu. Er glitt über die Felskante hinweg, als aus der Tiefe ein eigenartiges Röhren kam. Mario achtete nicht bewußt darauf, sondern schloß aus der Art des Geräusches und dem Hall, daß es hinter der Kante
mehrere hundert Meter in die Tiefe ging. Er krallte sich mit gekrümmten Fingern in den Boden, durchwühlte eine schlammige Schicht und faßte einige winzige Vorsprünge im Fels. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Er hatte das Gefühl, ihm würden die Arme aus den Schultergelenken gerissen. Dann war der Sturz zu Ende. Der Kybernetiker baumelte über dem tiefschwarzen Abgrund. Mit letzter Kraft hielt er sich an der Felskante. Er blickte nach oben, während erneut jenes eigenartige Röhren von unten heraufklang und ihm bestätigte, daß er wirklich in einer tödlichen Gefahr schwebte. Er erwartete, den häßlichen Kopf der gigantischen Gottesanbeterin über den Felsen aufsteigen zu sehen, aber er irrte sich. Plötzlich stand wenige Meter von ihm entfernt eine dunkle Gestalt. Ein Mensch, der sich in einen weiten Umhang gehüllt hatte. Dort, wo das Gesicht sein sollte, war nur ein verwaschener Fleck. »Helfen Sie mir«, rief Mario verzweifelt. »Bitte.« Er versuchte, sich nach oben zu ziehen, aber er war bereits zu schwach. Er konnte seine Arme nicht einmal krümmen. Die Muskeln versagten ihm den Dienst. Er schaffte es gerade noch, sich zu halten. Der Fremde schritt langsam auf ihn zu, und jetzt formte sich ein hageres Gesicht mit übergroßen, dunklen Augen aus dem Fleck. »Helfen Sie mir«, flehte der Kybernetiker erneut. »Warum sollte ich das tun?« fragte der Mann. Er trat so nahe an Mario heran, daß seine Fußspitzen seine Finger berührten. »Sie kommen hierher und stören mich. Dies ist meine Welt, in der ich Sie noch nicht einmal als Gast begrüßen möchte.«
Mario warf sich mit aller Kraft nach oben. Er schaffte es, die Kinnspitze über die Felskante zu heben, aber dann trat ihm der Fremde auf die Finger. »Ich wünsche Ihnen einen guten Flug in die Tiefe«, sagte der Mann zynisch. »Die Landung wird, um in ihrer Terminologie zu bleiben, etwas hart werden.« »Sie sind ja wahnsinnig«, sagte Mario keuchend. »Was hätten Sie schon davon, wenn Sie mich umbrächten?« Der Fremde lachte. »Gerade das werde ich Ihnen nicht verraten«, erwiderte er und trat mit aller Kraft zu. Mario de Monti schrie gellend auf. Seine Finger krallten sich noch fester in die Felsen, doch dann schlug der Fremde die linke Hand mit dem Fuß weg. Mario rutschte einige Zentimeter weiter ab. Vergeblich bemühte er sich, die Hand wieder an die Felsen zu bringen. Der Fremde lachte schrill auf. Sein Gelächter hallte von den Felsen wider. »Es ist zu Ende«, rief er und trat abermals zu. Marios Hand rutschte Zentimeter um Zentimeter ab. Was er auch tat, es genügte nicht. Er konnte sich nicht mehr halten. Seine Augen weiteten sich. Er wollte etwas sagen, doch nur ein unverständliches Krächzen kam über seine Lippen. Da ertönte plötzlich ein Ruf. »Mario!« hallte es durch die Schlucht. »Mario de Monti! Mario!« »Hier bin ich«, brüllte der Kybernetiker zurück. »Hier oben.« »Mario«, rief jemand, und plötzlich erkannte de Monti, wer es war. »Cliff«, schrie er. »Cliff McLane, wo bist du?«
Es war seltsam und fiel ihm zunächst gar nicht auf, aber seine Hand war zur Ruhe gekommen. Nur noch mit den Fingerspitzen hielt er sich an der Felskante, und es strengte ihn noch nicht einmal so sehr an. »Mario«, rief der Commander. »Ich bin bei dir. Hab keine Angst. Dies ist nicht die Wirklichkeit. Erinnere dich daran, daß dies nur die Pseudowelt von TECOM ist!« Mario de Monti zuckte zusammen. Sein Kopf fuhr herum. Er blickte nach oben. Noch immer stand der Fremde vor ihm auf den Felsen, aber er wich langsam zurück. »Die Pseudowelt von TECOM?« fragte Maria de Monti röchelnd. Er warf seinen linken Arm nach oben und legte die Hand fest um die Kante. Dann zog er sich mit einem Ruck hoch und brachte sich in Sicherheit. Als er vor dem Mann im Umhang auf dem Boden kauerte, drehte dieser sich um und rannte einige Meter weit davon. »Vorsicht«, rief er. »Da kommt die Gottesanbeterin. Sie wird dich fressen, Mario de Monti.« »Cliff«, brüllte der Kybernetiker. »Komm zu mir. Hilf mir.« »Es ist zu spät«, sagte der Fremde beschwörend. »Niemand kann dir helfen. TECOM hat beschlossen, dich zu töten.« Das Wort TECOM rüttelte Mario de Monti durch. Es war wie eine belebende Dusche. Er sprang auf und preßte die Hände an die Schläfen. »Jetzt weiß ich, wo ich bin«, sagte er, während es um ihn allmählich heller und heller wurde. Vereinzelte Blitze schienen durch die Landschaft zu zucken.
Er glaubte zunächst wenigstens, welche zu sehen. Nach einigen Minuten, in denen er dem Fremden schweigend gegenüberstand, erkannte er, daß es jene stabförmigen Gebilde waren, die er schon vorher gesehen hatte. Er ging auf den Fremden zu. »Jetzt muß sich entscheiden, wer stärker von uns beiden ist«, sagte er grimmig. »Das steht schon jetzt fest«, erwiderte der andere ruhig. »Ich bin es, denn ich habe nichts zu verlieren. Ich habe meinen Körper zurückgelassen. Er war unnötiger Ballast.« »Das spielt keine Rolle«, sagte Mario. »Oh, doch«, entgegnete der Fremde. »Denn das bedeutet, daß du nicht mit mir kämpfen kannst. Wenn du mit mir kämpfst, tötest du deinen eigenen Körper und mußt für immer hier in TECOM bleiben. Hier aber bin ich ohnehin stärker. Ich würde dich früher oder später ins Nichts verschwinden lassen. Dir bleibt nur die Flucht.« »Ich werde kämpfen«, sagte Mario de Monti. Im gleichen Moment schien sich der Kopf des anderen in einen dreieckigen Insektenkopf zu verwandeln. Mario de Monti glaubte, erneut in die funkelnden Facettenaugen der Gottesanbeterin zu sehen.
8. Cliff McLane glaubte, durch das All zu schweben. Ihm war, als fliege er durch ein Meer von Sternen auf das Zentrum der Galaxis zu. Doch der Eindruck blieb nur für eine kurze, aber nicht genau bestimmbare Zeit. Danach fühlte er festen Boden unter den Füßen. Die Sterne kamen zur Ruhe und begannen, rötlich zu glimmen. Weit vor sich erkannte er ein flackerndes Licht. Er eilte darauf zu, kam ihm allmählich näher und bemerkte endlich, daß dieses Licht eine menschliche Gestalt hatte. »Mario«, schrie er. Fast schlagartig nahm die Gestalt festere und schärfere Konturen an. Cliff McLane glaubte sogar, sehen zu können, daß sie sich ihm zuwandte. Er eilte auf sie zu, während er wieder und wieder den Namen des Freundes rief. Bald war klar, daß er sich nicht geirrt hatte. Mario de Monti, dessen Bewußtsein im Begriff gewesen war, sich aufzulösen, kehrte zurück. »Mario«, rief Cliff McLane noch einmal, und dann glaubte er, deutlich hören zu können, daß der Kybernetiker antwortete. Zugleich wuchs eine düstere Gestalt über der Szene auf, die alles überschattete. »Charles Taylor«, sagte der Commander. »Mario hat Sie also gefunden.« Aus dem Nichts heraus entstand Mario de Monti. Wo eben nur ein schattenhafter, flackernder Umriß war, der sich zu einer Gestalt formen wollte, wurde plötzlich das völlig normal wirkende Bild des Kybernetikers.
Mario de Monti sah erschöpft aus. Seine Wangen waren hohl, und die Augen lagen tief in den Höhlen. »Es wurde Zeit, daß du kommst, Cliff«, sagte er mit schleppender Stimme, in der die Mühen der letzten Stunden mitklangen. »Lange hätte ich nicht mehr durchgehalten.« Die beiden Männer standen voreinander. Cliff McLane streckte die Hand aus, obwohl er wußte, daß er den Kybernetiker nicht wirklich berühren konnte. Dennoch hatte er das Gefühl, körperlichen Kontakt zu ihm zu bekommen. Die beiden Männer drehten sich um. Vor ihnen tanzte wie eine gigantische, schwarze Flamme die Gestalt von Charles Taylor. Wortlos konzentrierten sie sich auf ihn, während sie langsam vorwärts schritten. Der Raum veränderte sich. Er wurde kleiner und enger. Von allen Seiten ragten blaue Spitzen wie scharfkantige Kristalle in ihn hinein. Taylor wich zurück. Immer wieder gingen harte Impulswellen von ihm aus, die die beiden Männer von der ORION hemmten, aber nicht aufhalten konnten. »Nein, nicht«, wimmerte es dort, wo sie Taylor vermuteten. Sie ließen sich nicht aufhalten, und dann gellte ein fürchterlicher Schrei durch die Pseudowelt von TECOM. Aus der flackernden Flamme formte sich eine menschliche Gestalt. Sie sank vor Cliff McLane auf die Knie. »Helfen Sie mir«, sagte Taylor wimmernd. »Ich kann nicht mehr.« »Nicht nachlassen«, forderte Mario de Monti. »Wir dürfen ihn nicht freigeben.«
Beide Männer konzentrierten sich völlig auf Taylor. Sie trieben ihn in die Enge, verwehrten ihm seinen Einfluß auf TECOM, indem sie sich mit ihrem ganzen Willen gegen ihn stemmten. Taylor fuhr auf, kurz bevor sie ihn erreichten. Etwas Leuchtendes entfernte sich von ihm und löste sich zu konturenlosen Nebelschwaden auf, die irgendwohin verwehten. »Es ist vorbei«, sagte Charles Taylor mühsam. »Sie brauchen nicht mehr gegen mich zu kämpfen.« Cliff McLane spürte, daß er die Wahrheit sagte. Plötzlich war alles ganz anders geworden. Die Pseudowelt von TECOM war nicht mehr von Feindseligkeit und Abwehr erfüllt. Das Gefühl, daß überall tödliche Gefahren lauerten, war vorbei. Der Commander sah nur noch eine geschlagene, gebrochene Gestalt vor sich, die sich kraftlos seinem Willen beugte. »Wer sind Sie wirklich?« fragte er. Er sah nichts als zwei übergroße, von tiefer Trauer erfüllte Augen. »Ich war Charles Taylor«, erwiderte er mit matter Stimme. »Ich habe die Erde am 5. Dezember 1945 verlassen. Damals war ich Schwarmführer einer Gruppe von Torpedobombern der amerikanischen Marine. Ich stand im Rang eines Lieutenants und befand mich mit meiner Gruppe im Einsatz im Bermuda-Gebiet. Ich erinnere mich wieder daran. Außerirdische haben mich entführt. Ich weiß nicht mehr, wohin. Ich weiß nur noch, daß da Maschinen waren und daß ich lernen mußte. Ich wurde vorbereitet für den Einsatz auf einem fremden Planeten. Auf dem Planeten Vritru. Aber ich kam nicht dorthin, sondern hierher auf die Erde, nachdem ich geschlafen hatte.
Lange geschlafen hatte. Die Verhältnisse waren ganz anders, als sie auf Vritru sein sollten, und doch kannte ich sie. Jetzt weiß ich, warum.« Charles Taylor schwieg. Um seine Augen, die wie eigenständige Lebewesen vor Cliff und Mario in der Luft schwebten, bildeten sich düstere Höfe. »Sie sind nicht allein hier auf der Erde, Charles Taylor«, sagte Cliff McLane. »Sie sind nicht allein gekommen, um hier ein Chaos anzurichten.« »Nein, ich bin nicht allein. Zwei von uns sind tot.« »Wer?« fragte Mario. »Jeanny und Harold«, antwortete der Agent der Rudraja bereitwillig. Mario fluchte lautlos. Er brauchte keine weiteren Fragen zu stellen. Er wußte auch so, wer gemeint war. »Wieviel sind es noch?« erkundigte sich Cliff. »Außer mir noch neun«, erwiderte Taylor. »Wo sind sie?« Die beiden Augen waren kaum noch zu erkennen. Nur noch zwei nebelhafte, schwarze Flecken schwebten vor dem Kommandanten der ORION und seinem Kybernetiker. »Wo sind sie?« fragte McLane drängend. »Wir müssen es wissen, Taylor! Bedenken Sie, Sie sind ein Mensch dieser Erde, Sie müssen uns helfen.« »Tötet sie nicht«, bat Taylor. »Sie können nichts dafür, daß sie so sind. Sie wurden dazu gezwungen.« »Wenn Sie uns sagen, wo wir sie finden können, dann können wir sie retten«, sagte Cliff. »Wenn Sie jedoch schweigen, dann müssen wir sie mühsam aufspüren, und dann wird es nicht ohne Kampf abgehen.«
»Sie finden sie in einer stillgelegten Silbermine in der Nähe des Mount Isa in Queensland«, antwortete Charles Taylor mit kaum verständlicher Stimme. »Laßt sie leben. Rettet sie. Laßt sie wieder Menschen sein.« »Taylor, warten Sie ...«, rief Mario. Er streckte die Arme aus und trat zwei Schritte vor, doch Taylor war nicht mehr. Die schwarzen Nebelflecken verwehten. McLane und de Monti glaubten bereits, daß nun alles vorbei war. Doch noch einmal spürten sie den Willen Taylors, der sich mit letzter Kraft meldete, ohne daß etwas von ihm oder seinem Bewußtsein sichtbar wurde. »Meine Arbeit war nur Vorbereitung«, teilte er mit. »Sie sollte die wirkliche Invasion vorbereiten, die vom vierten Planeten kommen wird.« »Vom vierten Planeten?« rief Cliff McLane. »Taylor, ich ...« Er spürte, daß Taylor ihn nicht mehr hören konnte. Taylor war nicht mehr da. Sein Bewußtsein war erloschen. Es hatte sich im Nichts verloren. Taylor war seinem toten Körper gefolgt. »Komm«, sagte der Commander. »Wir kehren zurück.« Diese Willenserklärung genügte. Die beiden Männer glitten zurück. Die Räume, die sie zu durchschweben schienen, änderten sich fortlaufend, bis übergangslos Murdonom Kahindra, Melia Chang-Fu, Veit Holocek und die Mitglieder der ORION-Crew vor ihren Augen erschienen. Cliff McLane befreite sich stöhnend von der Kupplungshaube. Er hatte Mühe, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Es gelang ihm zunächst nicht zu
unterscheiden, was die Realität war. War es die Welt, aus der er gekommen war, oder war es jene, in der er sich nun befand? Und befand er sich tatsächlich in ihr, oder glaubte er es nur? Er hörte Arlene aufgeregt sprechen, spürte ihre Lippen auf seinen Wangen, aber er verstand sie zunächst nicht. Erst als Murdonom Kahindra sich über ihn beugte und ihn spöttisch fragte: »Wieder auf der Erde, Commander?« fuhr er hoch. Er wischte sich ein Staubkorn aus dem Auge. »Machen Sie sich keine Sorgen um mich«, sagte er. »Ich bin in Ordnung.« * Das Gebiet war unübersichtlich, und es schien, als seien in ihm schon seit Jahrzehnten keine Menschen mehr gewesen. Heiß brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab, als Cliff McLane sich mit der ORION-Crew und einer von Basil Astiriakos geleiteten Kampfeinheit dem Schlupfwinkel der neun noch lebenden Agenten der Rudraja näherte. Unter einigen halbverdorrten Bäumen blieb der Commander liegen und spähte durch ein elektronisches Fernglas, zu einem vielfach zerklüfteten Berg hinüber. »Wenn der Inspektor uns richtig informiert hat«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »dann liegt die alte Silbermine dort drüben.« »Da ist ja auch eine alte Hütte«, bemerkte Mario de Monti. »Dort könnte es sein.« Cliff McLane blickte blin-
zelnd nach oben. Dann hielt er sich das Armbandfunkgerät vor die Lippen und befahl: »Fliegen Sie los, und passen Sie genau auf.« »Verstanden«, meldete sich eine ruhige Stimme. Einige Minuten verstrichen, dann flog in etwa zweitausend Meter Höhe lautlos ein Gleiter über die Gruppe hinweg. »Glaubst du, daß der da oben die Agenten wirklich mit Hilfe von Infrarotortung findet?« fragte der Kybernetiker. »Mensch, Cliff, die ganze Gegend kocht ja förmlich in der Sonne. Wo sollen da noch Wärmedifferenzen auszumachen sein, zumal da die Burschen bestimmt tief unter der Erde stecken?« »Abwarten«, erwiderte McLane. »Ich glaube daran, daß sich auf diese Weise etwas bestimmen läßt. Aber du hast natürlich recht. Die Bedingungen sind schlecht für uns! Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir nachts angegriffen hätten. Dann sind die Felsen kälter, und es ist wesentlich leichter, ein paar Menschen mit Hilfe von Infrarot auszumachen.« »Zumal man damit rechnen kann, daß auch mal einer von ihnen herauskommt, um frische Luft zu schnappen.« »Du hast vollkommen recht, aber in diesem Fall müssen wir uns Basil Astiriakos beugen. Er will es so. Wenn es nicht klappt, geht das auf seine Kappe. Aber vielleicht sind seine Überlegungen richtig. Wir müssen die Agenten so schnell wie möglich schnappen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können.« Mario de Monti nickte. Er sah, daß ein Licht am Armbandfunkgerät McLanes aufleuchtete. Er wollte nicht stören. »Nichts, Sir«, tönte es aus dem winzigen Lautspre-
cher. »Selbst die Computerauswertung erbringt nichts. Ich kehre um und überfliege das Gebiet noch einmal.« »Dadurch wird's auch nicht besser«, sagte Mario. »Vielleicht doch«, wandte der Commander ein. »Nehmen wir an, daß sich einer von den Agenten dort unten in der Mine bewegt. Sagen wir, er geht einige Schritte auf und ab. Dann verschieben sich die Wärmepunkte auf den Infrarotaufnahmen. Der Computer wird den Unterschied augenblicklich feststellen, und wir haben das Versteck.« Mario de Monti kratzte sich hinter dem Ohr. »Darauf hätte ich natürlich auch kommen können«, sagte er verlegen grinsend. Er blickte zum Himmel hinauf. »Es ist so verdammt heiß heute.« »Du bist entschuldigt«, erwiderte McLane spöttisch. »Du hast ja soviel durchgemacht!« »Du willst doch wohl nicht sagen, daß meine Geisteskräfte darunter gelitten haben?« »Überhaupt nicht«, sagte Cliff lächelnd. »Im Gegenteil. Du kommst mir jetzt noch viel schlauer vor als vorher.« Mario blickte ihn zweifelnd an. Er wollte etwas erwidern, doch der Pilot des Gleiters meldete sich erneut. Cliff schaltete das Armbandfunkgerät ein. »Wir haben sie gefunden«, meldete der Pilot. »Sie sind in der Mine, vor der Sie liegen.« »Kein Zweifel möglich?« »Kein Zweifel möglich, Sir. Auch die Computerauswertung ist eindeutig. In der Mine befinden sich mehrere Menschen.« »Also doch«, sagte Cliff zufrieden. Er griff in seine Brusttasche und holte den vergilbten Plan der Mine
hervor, die er von einem Mitarbeiter der in Bedeutungslosigkeit versunkenen australischen Bergbaubehörde erhalten hatte. Der Mann war geradezu glücklich gewesen, endlich einmal etwas tun zu können, was sinnvoll war. »Wir schwärmen aus und schließen die beiden Haupteingänge ein«, befahl McLane. Er hatte sich vorbehalten, erst vor Ort die letzten Entscheidungen zu treffen. Er richtete sich auf und eilte geduckt zusammen mit Mario de Monti weiter. Die anderen folgten in größerem Abstand, wobei sie seitlich ausschwärmten, bis beide Zugänge zur Mine abgedeckt waren. Als Cliff McLane einen auffallend steil aufragenden Felsen erreichte, blitzte es bei dem südlichen Eingang der Mine auf, und der Energiestrahl einer HM 4 raste zischend an ihm vorbei. Der Commander warf sich in Deckung und blickte sich gleichzeitig nach dem Kybernetiker um, der dicht hinter ihm war. Bleich sank Mario de Monti auf die Knie. »Mann«, sagte er erschrocken. »Beinahe hätte es mich erwischt.« Er kroch zu McLane hinüber. »Und nun?« fragte er. »Was machen wir nun? Man hat uns offenbar entdeckt. Mit einem Überraschungsangriff ist es also nichts mehr.« McLane nickte. »Stell dir vor«, sagte er sarkastisch. »Das ist mir auch bereits aufgegangen.« Er richtete sich vorsichtig am Felsen auf und blickte durch eine Einkerbung zur Mine hinüber. Wieder blitzte es dort auf. McLane ließ sich fallen. Der Ener-
giestrahl schlug über ihm ein, und ein Regen von rotglühenden Gesteinstropfen sprühte über ihn und de Monti hinweg. Die beiden Männer rollten sich vom Felsen weg und suchten hinter einem Baum Schutz. »Hast du etwas abbekommen?« fragte Mario. »Nur ein winziges Stückchen«, antwortete der Commander und zeigte seine linke Hand. Auf der Handoberfläche befand sich eine Brandwunde. Cliff hob das Armbandfunkgerät an die Lippen. »Basil, hören Sie?« flüsterte er. Astiriakos meldete sich augenblicklich. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen, McLane?« fragte er. »Allerdings«, antwortete der Commander. »Wir liegen hier gemütlich im Gras und sonnen uns. Sie können also nicht mehr damit rechnen, daß wir den ursprünglichen Plan verfolgen. Jetzt sind Sie dran.« »Ich habe verstanden.« McLane schaltete ab und blickte zu der Stelle zurück, an der er den Politiker vermutete. Von dort hallte eine Megaphonstimme herüber. »Achtung«, brüllte Astiriakos. »Wir wissen, daß Sie dort in der Silbermine sind. Wir haben den Hinweis von Charles Taylor, Ihrem Gruppenleiter, bekommen. Er hat aufgegeben und erteilt Ihnen hiermit den Befehl, den Kampf ebenfalls zu beenden.« »Der ist aber reichlich optimistisch«, kommentierte Mario. »Soll das der ganze Trick sein?« McLane schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist«, erwiderte er. »Damit können wir sie nicht aus dem Berg locken. Sie sind bestimmt so programmiert, daß sie nicht sofort aufgeben.«
»Einige von den Männern Basils umgehen die Eingänge. Sie sind da oben.« McLane folgte den Hinweisen des Kybernetikers, und jetzt entdeckte er die Männer aus der Kampfeinheit ebenfalls, die die Zugänge in weitem Bogen umlaufen hatten und jetzt am Berg herabkletterten. »Kommen Sie heraus«, brüllte Astiriakos. »Sie haben keine andere Möglichkeit, wenn Sie überleben wollen. Geben Sie auf. Charles Taylor befiehlt es Ihnen.« Eine HM 4 blitzte auf, und der Energiestrahl schlug dort ein, wo Astiriakos war. McLane glaubte bereits, daß der Minister getötet worden war, als dieser sich erneut meldete. »Sie haben keine Chance. Der Berg ist umstellt. Wenn wir wollten, könnten wir Sie für eine unbegrenzte Zeit belagern, aber das wollen wir nicht. Wir wollen die Entscheidung jetzt!« Das Licht am Arm McLanes leuchtete wieder auf. »Was ist?« fragte der Commander. »Es wäre Wahnsinn, auch nur das Leben eines einzigen Mannes zu riskieren«, sagte Astiriakos. »Ich schlage daher vor, daß wir von einem Gleiter aus Kampfgas in die Eingänge schießen. Damit schalten wir die Agenten schlagartig aus, ohne jemanden zu gefährden.« McLane überlegte kurz, dann stimmte er zu. »Einverstanden«, entgegnete er. »Sorgen Sie aber auch dafür, daß die Einsatzgruppe schnell genug in den Berg eindringt. Sie wissen, daß das Gas eine gefährliche Wirkung hat, wenn die Rudraja-Agenten ihm länger als fünf Minuten ausgesetzt sind.« »Wir machen das schon«, sagte Astiriakos.
Eine Minute später jagte ein Kampfgleiter über die Felsen heran. Aus seinem Bug schossen zwei Raketen. Sie explodierten direkt vor den beiden Zugängen zur Mine. Einer der Agenten, der sich dort befand, schoß mit der HM 4, verfehlte die Maschine jedoch, da diese mit hoher Geschwindigkeit weiterflog. Sekunden darauf stürmten die Männer der Kampfeinheit, mit Gasschutzmasken versehen, die Mine. Sie holten insgesamt neun Agenten aus den Gängen heraus, vier Frauen und fünf Männer. Ein medizinischer Behandlungsgleiter landete vor der Mine, und vier Ärzte nahmen sich der Agenten an, die bewußtlos auf dem Boden lagen. »Bringen Sie sie sofort in eine Klinik«, befahl McLane. »Sie müssen medizinisch und psychologisch behandelt werden.« * Basil Astiriakos sah erschöpft aus, als Cliff McLane ihn wiedersah. Das war genau vierundzwanzig Stunden nach dem Angriff auf die verlassene Silbermine. Der Politiker befand sich in einer Klinik in Sidney. »Wie sieht es aus?« fragte Mario de Monti, der den Kommandanten der ORION begleitete. Astiriakos hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Die Ärzte haben mir noch keine exakte Auskunft gegeben.« »Soll das heißen, daß die Agenten noch immer bewußtlos sind?« fragte McLane. »Es scheint so.« Die drei Männer gingen über einen Flur zu einem
Empfangsraum. Als sie diesen betraten, kam ein etwa sechzigjähriger Arzt durch eine Tür herein. »Dr. Hammy«, sagte Astiriakos. »Ich denke, es wird Zeit, daß Sie mir endlich eine klare Auskunft geben.« Dr. Hammy hob abwehrend die Hände. Er lächelte. »Es ist alles in Ordnung«, berichtete er. »Alle neun sind wach, und alle haben die Gaskrise überwunden. Sie befinden sich nun bereits in psychologischer Behandlung.« »Und wie sieht es damit aus?« fragte McLane. »Können Sie schon etwas sagen?« Dr. Hammy lächelte erneut. »Ich kann«, sagte er. »Wir haben die besten Psychologen der Erde hier. Sie sind auf Anweisung von Han Tsu-Gol gekommen. Sie sind fest davon überzeugt, daß es ihnen gelingen wird, den Hypnobann zu brechen.« Der Mediziner ließ noch eine Reihe von medizinischen und psychologischen Erläuterungen folgen, die so mit Spezialausdrücken aus den beiden wissenschaftlichen Disziplinen durchsetzt waren, daß weder die beiden Männer von der ORION noch Astiriakos viel verstanden. Daher brach der Politiker bald das Gespräch ab und verabschiedete sich von dem Arzt. Als er zusammen mit McLane und de Monti die Klinik verließ, sagte er: »Ich habe inzwischen mit Han Tsu-Gol gesprochen und ihm beschrieben, was geschehen ist.« »Was sagt er dazu?« fragte McLane. »Han Tsu-Gol scheint sehr pessimistisch zu sein. Als ich ihm andeutete, daß eine Invasion bevorstehen könnte, war er ziemlich erschrocken. Er meinte, wenn
diese Invasion tatsächlich stattfindet, dann ist die Erde verloren.« McLane und Mario de Monti schwiegen betroffen. Erst als sie ihren Gleiter erreichten, fanden sie ihre Sprache wieder. »Meinen Sie, daß Han Tsu-Gol noch mehr Informationen hat als wir?« fragte de Monti. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Astiriakos. Er lächelte gequält. »Und ich will es auch gar nicht wissen, wenn ich ehrlich sein soll.« ENDE