Kommissar X - Du quatscht dich noch ins nasse Grab! von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1112-5
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Kommissar X - Du quatscht dich noch ins nasse Grab! von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1112-5
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Jennifer George fühlte sich elend. Sie wäre bereit gewesen, für einen Schuß Heroin alles zu tun. Ihr Körper rebellierte. Sie hatte Schmerzen in allen Teilen ihres Körpers, und Schüttelfrost ließ sie mit den Zähnen klappern. Auf ihrer Stirn glitzerten zahlreiche Schweißperlen. "Ich halte es nicht mehr aus", stöhnte das hübsche rothaarige Mädchen. Tränen traten in ihre meergrünen Augen. Sie rannte aus dem Living-room, trat in die geräumige Diele und blieb plötzlich abrupt stehen. Motorlärm erschreckte sie. Sie zog die Luft geräuschvoll ein. Tony Lane kam soeben nach Hause. Sie war mit ihm verlobt. Tony versuchte alles, um ihr zu helfen, vom Rauschgift wieder loszukommen. Doch nun zeigte sich, daß seine Hilfe nicht ausreichte, um den Suchtteufel, der sich in Jennifers makellosen Körper eingenistet hatte, zu besiegen. Das Mädchen fuhr sich mit zitternden Fingern an die Lippen. Tony Lanes Wagen stoppte vor dem Haus. "Er darf mich nicht aufhalten!" entfuhr es Jennifer. "Ich werde mit diesen entsetzlichen Schmerzen nicht mehr fertig!" Tony Lane zog den Zündschlüssel ab. Das Motorengeräusch verstummte. Jennifer George sah sich aufgeregt um. Wo sollte sie sich verstecken? Lane verließ den Wagen. Er warf die Tür zu. Jennifer hatte das Gefühl, ihr Herz würde hoch oben im Hals schlagen. Welch grausame Ironie des Schicksals! Ausgerechnet Tony Lane war Leiter der Narcotic Squad von Manhattan-Süd. Ausgerechnet er machte täglich Jagd auf Rauschgifthändler und Dealer - und oft blieben auch Süchtige von ihm nicht ungeschoren. Und dabei hatte er selbst eine vom Rauschgift Abhängige in seinem Haus. Lieutenant Tony Lane erreichte die Haustür. Er schellte und rechnete damit, daß Jennifer ihm öffnen würde. Doch das Mädchen rührte sich nicht von der Stelle. Tony Lane läutete erneut. Das Schrillen der Glocke hallte unangenehm laut durch das Haus. Es erschreckte Jennifer. Endlich kam wieder Leben in sie. Ihr Blick fiel auf einen Messingschirmständer. Er stand gleich neben der Tür. Hastig eilte sie zu ihm und hob ihn mit beiden Händen hoch. Sie wußte, daß es falsch war, was sie vorhatte, doch die schmerzhafte Sucht ließ ihr keine andere Wahl. Tony klingelte zum drittenmal. Anschließend hämmerte er mit der Faust gegen die Tür und rief: "Jennifer! Hallo, Jennifer! Warum öffnest du nicht?" Sorge um die Verlobte schwang in seiner kräftigen Stimme mit. Jennifer George trat neben die Tür. Sie hörte, wie Tony Lane seine Schlüssel aus der Hosentasche holte und aufschloß. Als die Tür aufschwang, hob Jennifer den Schirmständer. Gleichzeitig hielt sie den Atem an, um sich mit keinem Geräusch zu verraten. Verzweiflung verzerrte ihr hübsches Gesicht. Copyright 2001 by readersplanet
Sie wollte es nicht tun - aber sie mußte... Tony trat ein. Jetzt sah sie ihn. Er trug ein dunkelbraunes Kordjackett mit Lederflicken an den Ellenbogen, war blond, groß und breitschultrig. Jennifer hatte seinen Rücken vor sich. Und seinen Hinterkopf! "Jennifer?" rief er beunruhigt ins Haus. Dabei griff er hinter sich, um die Tür zu schließen. Da versagten die Nerven des Mädchens. Obwohl es ihr widerstrebte, schlug sie zu. Lieutenant Tony Lane wurde von der Wucht des Schlages nach vorn geworfen. Er ächzte, fiel auf die Knie und kippte ohnmächtig zur Seite. Daraufhin ließ Jennifer George den Schirmständer fallen. Sie war von sich selbst angewidert. Sie sah Blut an Tonys Hinterkopf, und sofort stieg Übelkeit in ihr hoch. Sie wußte nicht, ob Tony nur bewußtlos war, oder ob sie ihn erschlagen hatte. Es war ihr nicht möglich, sich davon zu überzeugen. Eine unbeschreibliche Hysterie jagte sie aus dem Haus...
* Ächzend kam Lieutenant Lane zu sich. Sein Schädel brummte, und als er sich erhob, begann ein schmerzhaftes Pochen zwischen den Schläfen. Er hatte Gleichgewichtsstörungen, als er aufstand, und konnte sich nur mühsam auf den Beinen halten. Seine Knie waren weich wie Gummi. Sie gaben bei jedem Schritt nach, und der Boden schien unter seinen Füßen stark zu schaukeln. Mühsam schleppte sich Tony Lane ins Badezimmer. Er hielt den Kopf unter den kalten Wasserstrahl und merkte, daß Blut in den Abfluß gespült wurde. Vorsichtig tastete er nach der Verletzung. Er fragte sich, wer sie ihm zugefügt hatte, denn er hatte nicht gesehen, wer ihn hinter der Tür erwartet hatte. Mit einemmal war ihm, als würde ihm ein Eissplitter ins Herz fahren. Jennifer! schoß es ihm durch den Kopf. Sie hatte auf sein mehrmaliges Läuten nicht geöffnet. Sie hatte aber auch auf sein Rufen nicht geantwortet. Hatte jemand sie daran gehindert? Mit triefnassen Haaren verließ Tony Lane das Badezimmer. Er stolperte aufgeregt durch das Haus, blickte in jeden Raum, hoffte Kampfspuren zu entdecken. Er wußte, daß er sich etwas vormachte. Er ahnte es nicht nur, er wußte es! Er hatte befürchtet, daß es eines Tages dazu kommen würde, daß Jennifer mit diesen qualvollen Entzugserscheinungen nicht mehr fertigwerden und sich gegen ihn wenden würde, weil sie es leid war, gegen die Schmerzen anzukämpfen. Kein Gangster, der ihm irgend etwas heimzahlen wollte, hatte ihn niedergeschlagen. Kein Verbrecher war hiergewesen, um Jennifer zu kidnappen. Jennifer George hatte ihn mit dem Schirmständer ausgeschaltet, damit er sie nicht daran hindern konnte, das Haus zu verlassen und sich das zu holen, wonach ihr süchtiger Körper so sehr gierte. Zähneknirschend goß sich Lieutenant Lane einen Whisky ein. Er trank ihn auf einen Zug aus. Seine Miene drückte Besorgnis und Bitterkeit aus. Haß loderte in seinen Augen. Er wünschte alle zum Teufel, die ihre Mitmenschen mit Rauschgift ins Unglück rissen. Copyright 2001 by readersplanet
Gleichzeitig wußte er aber auch, daß es verdammt gefährlich für einen Polizisten war, so zu denken. Verzweifelt schüttelte Tony Lane den Kopf. "Mein Gott, Jenny, warum tust du mir das an?" murmelte er heiser vor sich hin. "Warum bist du fortgelaufen? Wir hatten einander doch fest versprochen, zusammenzustehen, diese schwierigen Zeiten gemeinsam zu meistern. Warum bist du mir in den Rücken gefallen, Jenny?" Lanes Kehle war wie zugeschnürt. Er fragte sich, ob er Jennifer jemals wiedersehen würde und wenn ja, in welchem Zustand sie sein würde. Und plötzlich wußte er, daß er mit diesem Problem nicht allein fertigwerden konnte. Er brauchte Hilfe. Die Hilfe eines Mannes, der clever und mit allen Wassern gewaschen war - und der wußte, was in einer solchen Situation zu tun war. Er brauchte die Hilfe von Jo Walker, der auch unter dem Namen Kommissar X bekannt war. Nachdem Tony Lane flüchtig seine Wunde versorgt, und sich das Haar getrocknet hatte, verließ er Hals über Kopf sein Haus, um KX in dessen Büro-Apartment in der 7th Avenue aufzusuchen.
* Etwa zur selben Zeit herrschte in Jo Walkers Büro mal wieder dicke Luft. April Bondy schüttelte ihre blonde Löwenmähne. Ihre veilchenblauen Augen funkelten streitlustig. "O nein, Jo Walker!" sagte sie heftig. "Über die Brücke gehe ich nicht mehr." "So nimm doch Vernunft an, April", sagte Jo und seufzte. "Ich will doch nur dein Bestes." "Es muß ein Ende haben mit dieser ewigen Bevormundung, Jo. Ich darf dies nicht tun. Ich darf das nicht tun. Du erwartest von mir, daß ich immer erst um Erlaubnis bitte, bevor ich etwas unternehme, das möglicherweise gefährlich werden kann." "Du solltest mir dafür dankbar sein." "Bin ich aber nicht." Jo drehte die Augen nach oben. "Unvernunft, dein Name ist Weib!" "Ich verlange von dir, daß du in mir einen gleichberechtigten Partner siehst, Jo!" "Und ich dachte, der Himmel hätte mich erhört, als ich ihn bat, er möge mich vor den Emanzen bewahren", ächzte Jo. Er sah April ernst in die Augen. "Okay, Mädchen. Dann wollen wir jetzt ein für allemal klarstellen, daß dies meine Detektei ist und daß ich dich als Detektiv-Volontärin angestellt habe. Partnerschaft auf einigen Gebieten, ja. Aber nicht um jeden Preis. Wenn's gefährlich wird, hast du den Kopf einzuziehen. Dabei bleibe ich, und wenn dir das nicht paßt..." In April Bondys Augen funkelte es leidenschaftlich. Sie stemmte die Fäuste in die Seiten. "Was ist dann?" fragte sie schneidend. "Dann mußt du eine eigene Detektei aufmachen. In dieser hier gilt in erster Linie mein Wort!" "Weißt du, was du bist. Jo?" »Was?« "Du bist ein unleidliches, herrschsüchtiges Scheusal!" Kommissar X schmunzelte. "Sonst noch was, was du mir an den Kopf werfen möchtest, April?" "Ja. Wie wär's mit dem Telefon?" Es wird wohl ewig ein Rätsel bleiben, ob April es wirklich getan hätte. Ihre Hand war allerdings auf dem Weg zum Apparat, als es klopfte. Copyright 2001 by readersplanet
April drehte sich abrupt um und begab sich ins Vorzimmer. Die Tür öffnete sich. Ein Mann von etwa dreißig Jahren trat ein. Er war groß, sah gut aus, hatte markante Züge, wirkte sportlich und konnte gewiß an jedem Finger zehn Frauen haben, wenn er wollte. April sah ihn nicht zum erstenmal. Sie wußte, wen sie vor sich hatte, und sie nutzte die Gelegenheit, um Jos Eifersucht zu schüren, indem sie sich träge in die Frisur griff und sagte: "Hallo, Tony. Nett, daß Sie sich mal wieder bei uns blicken lassen. Wenn Sie möchten, dürfen Sie mich zum Essen einladen." Doch Tony Lane ging auf Aprils Angebot nicht ein. Er warf einen kummervollen Blick an April vorbei auf Kommissar X, der in diesem Moment in der Tür erschien. Lanes Gesichtsausdruck gefiel Jo nicht. "Ist etwas passiert, Tony?" fragte er. "Das kann man wohl sagen, Jo. Ich brauche Ihre Hilfe." Lieutenant Lane trabte an April Bondy vorbei. Jos Augen richteten sich auf April. "Darf ich dich bitten, uns Kaffee zu kochen?" "Natürlich", sagte April. Vergessen war der Streit. April hatte erkannt, daß die Situation ernst war. Persönliche Ressentiments hatten jetzt zu unterbleiben. Tony Lane schien Jo Walkers Hilfe tatsächlich dringend nötig zu haben. April brannte darauf, zu erfahren, was den Lieutenant so schwer angeschlagen hatte. Jo wies auf den Besucherstuhl und sagte: "Setzen Sie sich, Tony." Der Lieutenant ließ sich seufzend auf den Stuhl fallen. Jo zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück. Er holte seine Pall-Mall-Packung aus der Jackettasche und bot Lane ein Stäbchen an. Sie rauchten. "Was haben Sie auf dem Herzen?" erkundigte sich Kommissar X nach dem ersten Zug. Tony Lane knetete seine Finger und nagte an der Unterlippe. Jo kannte ihn schon ein paar Jahre, aber in diesem Zustand hatte er ihn noch nicht erlebt. "Jo, Sie kennen Jennifer..." "Ein nettes Mädchen. Sehr hübsch. Intelligent..." "Sie wissen, was mit ihr los ist." "Ja." "Sie kam in schlechte Gesellschaft. Zuerst war es nur Haschisch, das sie aus Neugierde versuchte. Dann probierte sie Marihuana. Und dann...Heroin..." Die Stimme des Lieutenants wurde brüchig. Er schüttelte den Kopf. "Gott, wie ich dieses verdammte Teufelszeug und alle, die damit Geschäfte machen, hasse. Es war ein furchtbarer Schock für mich, als ich feststellte, daß Jennifer süchtig ist." "Das ist verständlich, Tony." "Ich bin Leiter der Narcotic Squad von Manhattan-Süd. Und ausgerechnet meine Verlobte ist dem Heroin verfallen", ächzte Tony Lane. April brachte den Kaffee. Sie blieb in Jo Walkers Allerheiligstem, um zuzuhören, was der Lieutenant weiter zu berichten hatte. Tony Lane nahm von April die Tasse in Empfang. "Danke", sagte er leise. Dann nahm er einen Schluck. Anschließend wandte er sich wieder an Jo. "Ich wollte Jennifer die Tortur, der man sie in einer Anstalt unterzogen hätte, ersparen. Ich sagte ihr, daß sie auch so wieder vom Rauschgift loskommen würde, wenn sie es nur ganz fest wolle. Ich versprach ihr, zu helfen, wo es mir möglich ist. Ich sagte, wenn sie mich wirklich lieben würde, würde sie es schaffen, die Finger vom Stoff zu lassen. Jo, wir waren zuversichtlich, auf dem richtigen Weg zu sein. Jennifer hat sich darüber wie ein Kind gefreut. Sie war voller Hoffnung und Copyright 2001 by readersplanet
Optimismus. Und nun dieser Rückschlag..." "Sie hat wieder zur Spritze gegriffen?" fragte Jo. "Sie wird es tun. Ich bin davon überzeugt. Mein Beruf läßt es nicht zu, Jennifer ständig zu beaufsichtigen. Wahrscheinlich war es falsch, ihr die Anstalt ersparen zu wollen. Aber daran ist nun nichts mehr zu ändern. Wenn ich sie wiedergefunden habe, kommt sie um eine Entziehungskur nicht mehr herum, das steht fest...Als ich heute nach Hause kam, hat Jennifer mich mit dem Schirmständer niedergeschlagen. Danach hat sie mein Haus verlassen. Und sie hat das ganze Geld mitgenommen, das sie finden konnte." "Wieviel war es?" fragte Jo. "Sechshundert Dollar. Sie wird sich damit Heroin kaufen, Jo. Mein Gott, man wird sie wahrscheinlich irgendwann irgendwo auflesen und sie wird so high sein, daß sie nicht einmal mehr ihren Namen weiß." Jo nickte. "Das ist zu befürchten." Lieutenant Lane preßte die Kiefer fest zusammen. Es funkelte in seinen Augen. "Seit Wochen bin ich hinter dem Rauschgift-Hai Milt Mulligan her. Eines Tages werde ich ihn kriegen, davon bin ich überzeugt. Ich habe noch kein Ziel so verbissen verfolgt wie dieses. Milt Mulligan ist indirekt Schuld an der Sucht meiner Verlobten. Er beliefert Süd-Manhattan mit seinem Mistzeug..." Jo sah den Haß in Tony Lanes Blick und erschrak. "Sie dürfen Ihren Job nicht zu Ihrer Privatsache machen, Tony!" warnte KX. "Das kann sowohl für Milt Mulligan als auch für Sie gefährlich werden." "Ich mache das Schwein fertig, Jo, darauf können Sie Gift nehmen. Milt Mulligan betreibt sein Geschäft am rücksichtslosesten von allen Rauschgifthändlern. Er läßt den Stoff gratis an Jugendliche verteilen, damit sie davon abhängig werden. Wenn er diese halben Kinder dann sicher an der Angel hat, quetscht er den letzten Cent aus ihnen heraus. Er ist ein erbarmungsloses Dreckschwein, Jo. Aber ich bin nicht hier, um Sie zu bitten, mir zu helfen, diesem Teufelsbraten das Handwerk zu legen. Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich möchte, daß Sie mich bei der Suche nach Jennifer unterstützen. Dazu darf ich den Polizeiapparat nicht mißbrauchen. Ich möchte auch nicht, daß Jennifer wie eine Verbrecherin gejagt wird. Das Mädchen ist krank. Jenny braucht schnellstens Hilfe, sonst geht sie vor die Hunde." Jo nickte. "Sie können mit mir rechnen, Tony,« "Ich werde Sie engagieren." "Das brauchen Sie nicht..." "Ich will aber. Aus der Sache soll Ihnen kein Schaden erwachsen. Es ist mir lieber so, Jo." "Na schön. Wenn Sie so großen Wert darauf legen, dann sind Sie ab sofort mein Klient." Lieutenant Lane nickte zufrieden, und dann erläuterte er hastig, wie er sich vorstellte, daß man vorgehen sollte.
* Milt Mulligan war ein kleiner Mann mit abstehenden Ohren, rotblonden Haaren und litt an einer übersteigerten Geltungssucht. Er war der einzige seiner großen Familie, der es "geschafft" hatte, und er stellte dies auch ständig unter Beweis. Er kaufte sich die teuersten Anzüge, besaß mehrere Wagen, ein Haus auf Long Island und ein Penthouse hoch über dem Battery Park.
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Er spielte den großen Mann und kaufte Männer, die wichtige Positionen bekleideten und ihm helfen mußten, noch größer zu werden als er ohnedies schon war. Er handelte zwar mit Rauschgift, aber er brachte es längst nicht mehr selbst unters Volk. Das tat für ihn eine ständig größer werdende Truppe von Dealern, die er fest im Griff hatte. Tanzte einer aus der Reihe, dann bekam er Mulligans grausame Härte zu spüren. Zumeist sorgten ein paar professionelle Schläger dafür. Aber in besonderen Fällen schreckte Milt Mulligan auch vor Mord nicht zurück. Dafür hatte er sich Zach Bolek zugelegt. Bolek stammte aus Prag. Er hatte die Tschechoslowakei während des Prager Frühlings verlassen und war dann in die Staaten ausgewandert. Der Tscheche hatte sehr schnell Anschluß an die richtigen Kreise gefunden. Und als Milt Mulligan von ihm erfuhr, wußte der Rauschgift-Hai, daß er mit diesem Mann ein höchst brauchbares Instrument in die Hände bekam. Seither arbeitete Zach Bolek für Mulligan. Er erledigte seine Jobs stets so, daß nicht der geringste Verdacht auf den Rauschgift-Hai fiel. Und Milt Mulligan wußte dies mit vielen Dollars zu honorieren. Im Augenblick stand der Rauschgifthändler am Panoramafenster seines Penthouses. Er blickte in Richtung Südspitze von Manhattan und machte sich seine Gedanken, wie er es anstellen sollte, um auch weiter nördlich im Heroingeschäft Fuß zu fassen. Selbstverständlich würde dies nicht ohne Köpferollen abgehen. Es fragte sich nur, wessen Kopf zuerst drankommen sollte. Das Telefon schlug an und riß den Rauschgift-Hai aus seinen Überlegungen. Er wandte sich um und griff sich den Hörer. "Ja." "Zach Bolek ist soeben eingetroffen, Boß", meldete der Gorilla, der unten in der Halle den Penthouse-Lift bewachte. "Danke", sagte Milt Mulligan und versenkte den Telefonhörer wieder in die Gabel. Er richtete den Blick auf die Fahrstuhltür. Wer den Aufzug unten in der Halle betrat, der gelangte ohne Zwischenstation in diesen großen Living-room des Penthouse. Das Licht der Etagenanzeige raste von links nach rechts. Ein leises Summen war zu hören. Augenblicke später glitten die Türen auseinander, und ein koloßhafter Mann betrat die Szene. Er war ein Kraftpaket. Man sah ihm an, daß er ungemein brutal sein konnte, und daß es ihm nicht das geringste ausmachte, über Leichen zu gehen. Sein Vollbart war struppig. Er trug einen Trenchcoat, der nicht zugeknöpft war. Niemand hätte diesem Burschen zugetraut, daß er schnell und wendig sein konnte. "Sie wollten, daß ich zu Ihnen komme", sagte Zach Bolek mit einer dröhnenden Stimme. Seine Aussprache war weit davon entfernt, akzentfrei zu sein. "Ja", sagte Milt Mulligan gedehnt. "Ein Problem, das ich für Sie lösen soll?" "Richtig, Zach." "Und zwar?" "Du weißt, daß Tidy O'Neill nicht richtig tickt, nicht wahr?" "Immer noch nicht?" fragte Zach Bolek verwundert. Ihm war bekannt, daß Tidy O'Neill so verrückt gewesen war, den Stoff, den er als Dealer verhökerte, aus einer billigeren Quelle zu beziehen, damit sich seine Verdienstspanne erhöhte. Milt Mulligans Augen verengten sich. "Ich hatte eine ernsthafte Aussprache mit ihm." "Das ist mir bekannt." Copyright 2001 by readersplanet
"Er hat natürlich bestritten, anderswo zu kaufen. Daraufhin fragte ich ihn, warum er plötzlich weit weniger Stoff von mir kaufe als früher. Er begründete dies damit, daß einige seiner Kunden entweder weggezogen oder tot seien. Ich nahm ihm diese Lügengeschichte natürlich nicht ab und sagte ihm, daß ich ihn künftig wieder mit derselben Menge wie früher beliefern würde. Ein paar Wochen klappte das Geschäft wieder. Doch nun kam mir zu Ohren, daß mein Dealer in der Bronx einen größeren Heroinposten aufgekauft hat. Damit will mir dieser Idiot Konkurrenz machen. Was sagst du dazu?" Zach Bolek grinste. "Das darf er nicht." "Genau das ist auch meine Meinung. Aber wie hindert man einen Mann wie Tidy O'Neill daran, sein eigenes Geschäft aufzubauen?" "Ich sehe dafür nur eine Lösung, Boß: Man muß O'Neill zu einem Holzpyjama verhelfen." Das war es, was Milt Mulligan hören wollte. Er nickte zufrieden. "Okay, Zach. Ich erwarte von dir, daß du das für mich umgehend erledigst." Der Killer strich sich mit der linken Tatze über den Vollbart. "Tidy O'Neill ist schon tot, Boß. Er weiß es nur noch nicht."
* Gleich nach Tony Lanes Besuch bei Kommissar X waren sie im südlichen Manhattan ausgeschwärmt, um jene Dealer abzuklappern, die Jennifer George kannte und bei denen sie möglicherweise Stoff zu kaufen versuchte. Neben dem Lieutenant und Jo Walker war auch April Bondy im Einsatz, und sie versah die ihr übertragene Aufgabe wie stets mit großem Eifer. Der Mann, den April Bondy suchte, hieß Oliver Grimes. Kein großes Licht in der Rauschgiftszene, aber einer, von dem Jennifer George schon mal Stoff gekauft hatte. Er "arbeitete" häufig in einer Spielhalle in der Pearl Street. Dorthin kamen die Süchtigen, wenn sie wieder dringend etwas in die Adern brauchten. Oliver Grimes war ein Geheimtip der Junkies. Die Fassade der Spielhalle leuchtete in knalligen Schockfarben. Neben dem Eingang lehnte ein ausgemergelter Junge. Er trug Jeans und ein schwarzes Hemd. Kein Wunder, daß ihm kalt war. Es war immerhin November. Zähneklappernd beobachtete er April Bondy mit Augen, die in tiefen, dunkelgrauen Höhlen lagen. Er gehörte zu jenen, die sich auf dem Weg ins Jenseits befanden, die keiner mehr aufhalten konnte. April wich seinem gierigen Blick aus. Sie betrat die Spielhalle. Ein ohrenbetäubender Lärm empfing sie. Irgendwo dröhnte eine Musikbox. Auf dem elektronischen Schießstand brüllte ein Bär jedesmal wenn er getroffen wurde. Abgeschossene UFOs zerplatzten mit Getöse. Simulierte Panzerschlachten in der Arktis ließen den Boden unter April Bondys Füßen beben. Dazwischen klingelten Flipperglocken, und an den Fußballtischen schrien sich die Spieler ihre inneren Spannungen von der Seele. Es stank nach Rauch, Schweiß und Schnaps. In einem etwas erhöhten Glaskäfig saß der Spielhallenbesitzer, und April fragte sich, wie der Mann inmitten dieser nervtötenden Lärmorgie existieren konnte. Die Detektivin hielt Ausschau nach einem rotgesichtigen Burschen mit deformiertem Nasenbein, denn so sah Oliver Grimes aus.
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Sie entdeckte den Dealer neben einem Rennwagencockpit, in dem ein dunkelhaariger Jugendlicher saß und mit angespannten Zügen auf den riesigen Bildschirm starrte, auf dem eine kurvenreiche Rennstrecke zu sehen war, die man meistern mußte. Ein nervöser Typ schlich sich soeben an Grimes heran. Er raunte dem Dealer etwas ins Ohr. April wußte, was der Nervöse von Grimes wollte. Der Dealer strich sich mit der Hand über den Hinterkopf, blickte sich kurz um, nickte dann kaum merklich und bedeutete dem Kunden sodann, er möge reinkommen. Die beiden verschwanden durch eine Pendeltür. April Bondy folgte ihnen. Ein häßlicher Kerl mit langen Nagetierzähnen pfiff ihr anerkennend nach und rief: "He, Puppe. Hier gäb's ein Freispiel für dich!" April schenkte ihm nicht einmal einen Blick. Sie schob den ledernen Tragriemen ihrer Handtasche entschlossen über die Schulter und visierte die Pendeltür an. "Donnerwetter, ist das 'n schnuckeliger Käfer!" rief ein anderer begeistert aus. "Für die ließe ich glatt die vier Miezen sausen, die mich ernähren." April Bondy stieß die Pendeltür auf und verließ die Spielhalle. Der Lärm blieb hinter ihr. Sie blickte sich um. Vor ihr lag ein schmutziger Hinterhof. Von Oliver Grimes und seinem Kunden keine Spur. Dennoch war der Hinterhof nicht menschenleer. Vier schwarz gekleidete Rocker würfelten um einen mit blitzenden Metalldornen besetzten Schlagring. Als sie April erblickten, verloren sie am Würfeln jegliches Interesse. Zwei der Kerle kamen grinsend angeschlendert. Die hohen Schaftstiefel des einen quietschten bei jedem Schritt. Die beiden Typen waren groß und schlank. Und was sie im Sinn hatten, war unschwer an ihrem Blick zu erkennen. "Hallo, Baby", sagte der eine durch die Nase. "Sieht sie nicht aus wie ein Engel, der sich verlaufen hat?" sagte der andere. "Quatsch. Die hat sich nicht verlaufen. Die will zu mir." Im Hintergrund lachten die beiden anderen Rocker. Der mit der nasalen Stimme zog einen Aluminiumkamm aus der Gesäßtasche und bearbeitete damit seine schwarzen Öllocken. April war auf der Hut. Sie traute sich zu, mit den beiden fertigzuwerden, deshalb trat sie vorläufig noch nicht den Rückzug an. "Ich suche Oliver Grimes", sagte die Detektivin. Sie versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. "Was willst du denn von dem, Baby?" näselte der Rocker. "Halt dich lieber an uns. Wir können dir mehr bieten", lachte der andere. "Grimes hat die Spielhalle vor einer Minute verlassen. Ihr müßt ihn gesehen haben", sagte April unbeirrt. "Wohin ist er gegangen?" Die beiden Rocker grinsten und warfen sich belustigte Blicke zu. "Grimes?" näselte der eine. "Oliver Grimes? Kennst du den, Jim?" "Nee. Ich kenne nur dich und mich und unsere beiden Kumpels dort hinten, und ich weiß, daß wir alle furchtbar happy wären, wenn die Puppe ein bißchen nett zu uns wäre." "Wir können das blonde Kind ja mal testen", schlug der näselnde Rocker vor. "Das würde ich an eurer Stelle lieber bleiben lassen", zischte April Bondy. "Ich bin Privatdetektivin..." "Besser hätte ich es gar nicht treffen können!" jubelte Jim. "Es war seit jeher mein Traum, mal eine richtige Privatdetektivin zu vernaschen."
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Er machte einen schnellen Schritt auf April Bondy zu. Seine Hände versuchten das Mädchen zu packen. Doch er erlebte im selben Augenblick eine unliebsame Überraschung. April rammte ihm die Schuhspitze gegen das Schienbein. Jims Gesicht verzerrte sich. Seine Hände fuhren ins Leere, denn April Bondy nahm den Oberkörper blitzschnell zur Seite. Ihre Handkante lädierte Jims Selbstbewußtsein so sehr, daß er einen ordinären Fluch ausstieß. Daraufhin griff der Näselnde ein. Er wollte es besser machen als Jim und versprach sich von seiner angeborenen Brutalität einen raschen Erfolg über das Mädchen. Doch April war durch eine harte Karateschule gegangen, und sie trainierte zweimal wöchentlich. Sie war bei weitem nicht so zierlich und schutzbedürftig, wie sie aussah. Das machte sie dem Näsler nun mit einem Schlagwirbel klar. Der Bursche versuchte sie mit seiner Faust zu stoppen, doch April steppte rasant zur Seite und konterte schmerzhaft.. Die beiden Rocker befürchteten, ihr Image einzubüßen, deshalb riefen sie ihre Kumpels herbei.. Jetzt wurde es kritisch für April. Die Detektivin wich zwei Schritte zurück. Der Näselnde bleckte die Zähne. "Jetzt bist du fällig, Engelchen!" Zu viert wollten die Rocker über das blonde Mädchen herfallen, doch April bewies, daß sie selbst jetzt noch in der Lage war, die gefährliche Situation souverän zu beherrschen. Augenblicklich öffnete sie ihre Handtasche. Mit einer fließenden Handbewegung holte sie ihre kleine Astra-Pistole heraus, die man auf diese Entfernung verdammt ernst nehmen mußte. Die Rocker schienen gegen eine unsichtbare Wand zu prallen. Sie rissen Mund und Augen auf und starrten auf die entsicherte Waffe, mit der April Bondy sie zur Vernunft brachte. "Ihr seid lange genug auf meiner Geduld herumgetrampelt, Freunde!" sagte sie kalt. "Jetzt ist das Maß voll!" "Verdammt", knurrte Jim. "Das wird ein Nachspiel haben, Kleine, verlaß dich drauf." "Wo ist Oliver Grimes?" fragte April ungerührt. "Ist mit 'nem Junkie weggegangen." "Das weiß ich. Wohin?" "Keine Ahnung. Grimes pflegt sich nicht bei uns abzumelden." "Kennt einer von euch Grimes' Adresse?" "Nein", antwortete Jim für alle. Wut loderte in seinen Augen. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er sich trotz der Pistole auf April stürzen. Die Detektivin schüttelte langsam ihre blonde Mähne. "Ich würd's nicht tun, Jim!" "Du würdest nicht wirklich abdrücken!" sagte der Rocker heiser. "Wer kann schon im voraus sagen, wie ein Mensch in einer Notwehrsituation reagiert", gab April Bondy trocken zurück. Sie hoffte, daß sich der Rocker zu keiner Verrücktheit hinreißen ließ, denn es hätte ihr widerstrebt, sich mit einer Kugel verteidigen zu müssen. Eine Sekunden lang passierte nichts. Endlich ließ Jim Dampf ab. "Wenn du wieder in diese Gegend kommst, werden wir dafür sorgen, daß du nicht mehr so schnell an deinen Knaller kommst. Und dann geht's rund, Baby." Jim nickte seinen Freunden zu. Es ärgerte sie, das Feld auf diese beschämende Weise räumen zu müssen, aber Aprils Astra ließ keine Wendung des schlechten Blattes zu. Copyright 2001 by readersplanet
Geschlagen trotteten sie davon. Sie verließen den Hinterhof. April hörte die kräftigen Motoren von vier Maschinen losbrüllen. Nun reagierten die Rocker ihre Wut an den Feuerstühlen ab. Sie rasten mit donnernden Motoren davon. April atmete erleichtert auf. Sie ließ die Pistole in der Handtasche verschwinden und dachte: .. Ein Glück, daß Jo davon nichts mitbekommen hat. Es wäre Wasser auf seine Mühlen gewesen. Die blonde Detektivin machte kehrt und betrat die Spielhalle wieder. Sie steuerte den Glaskasten an, in dem der Besitzer der Halle saß. Der Mann war schwammig und hatte eine Ausdünstung, die eine Beleidigung für jede feine Nase war. Er musterte April mit seinen schwarzen Frettchenaugen, dachte wohl, sie habe die Absicht, bei ihm Geld zu wechseln. Aber sie sagte: "Sind Sie an einer Menge Ärger interessiert?" Der Schwammige schluckte erschrocken. "Ich? Ich fürchte, ich verstehe nicht, was Sie meinen, Miß..." "Mein Name ist Bondy. April Bondy. Ich bin Privatdetektivin." April wies sich aus. "Ja? Und?" "Eben wurde ich im Hinterhof von vier Rockern überfallen!" "Dafür kann ich doch nichts." "Glauben Sie? Mein Lieber, ich verfüge über ausgezeichnete Beziehungen zur City Police. Captain Tom Rowland zählt zu meinen besten Freunden. Wenn ich ihm berichte, was passiert ist, macht er Ihnen die Hölle heiß, darauf können Sie sich verlassen. Für Tom ist es eine Klackssache, diese Halle schließen zu lassen und Ihnen die Lizenz wegzunehmen." "Großer Gott, warum wollen Sie mich denn ruinieren, Miß Bondy? Man hat Sie doch nicht in meiner Spielhalle überfallen. Was draußen passiert, dafür können Sie mich doch nicht verantwortlich machen." "Wetten ich kann?" Der Mann im Glaskäfig begann zu schwitzen. Große Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. "Liebe Güte, was haben Sie gegen mich, Miß Bondy? Warum wollen Sie mich meiner Existenz berauben?" "Das kann ich Ihnen verraten: Weil Sie es dulden, daß Kerle wie Oliver Grimes in Ihrer Spielhalle Geschäfte machen." Der Schwammige schüttelte heftig den Kopf. "Das ist nicht wahr! Grimes macht hier keine Geschäfte!" "Wo macht er sie denn?" "Das weiß ich nicht." "Wo wohnt Oliver Grimes?" fragte April. "Keine Ahnung. Er kommt hin und wieder auf ein Spielchen vorbei. Ich kümmere mich um ihn genausowenig wie um alle anderen, die sich in meiner Spielhalle entspannen wollen." "Wo kann ich telefonieren?" wollte April hart wissen. Der Dicke riß die Augen bestürzt auf. "Wen wollen Sie anrufen?" "Captain Tom P. Rowland." "Hören Sie, Miß Bondy, warum können Sie denn nicht vergessen, was im Hinterhof gelaufen ist?" "Vielleicht würde ich es vergessen..." "Ja? Ja?" stieß der Schwammige krächzend hervor. Copyright 2001 by readersplanet
"Wenn Sie mir Grimes' Anschrift geben würden", sagte April. "Pine Street 2134", kam es aus dem Schwammigen wie aus der Pistole geschossen. April lächelte zufrieden. "Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt. Damit hätten Sie sich eine Menge Aufregung erspart." "Ich hoffe, Sie vergessen, daß ich Ihnen Grimes' Adresse gegeben habe", ächzte der Dicke. "Aber klar doch - vorausgesetzt, Sie versprechen mir, Grimes keine Warnung zukommen zu lassen." "Ich werde mich hüten", sagte der Schwammige, und er begrüßte es aufatmend, als April Bondy auf den Hacken kehrt machte und die Spielhalle verließ.
* Mit hochgeschlagenem Kragen, die Hände in den Hosentaschen vergraben, trat der Junkie aus dem Haus Nummer 2134 in der Pine Street, als April Bondy dort eintraf. Oliver Grimes hatte wieder eines seiner unsauberen Geschäfte getätigt. April fand es widerlich, womit sich dieser Mann seinen Lebensunterhalt verdiente. Der Süchtige eilte die Straße entlang. Er würde sich an einen Ort zurückziehen, wo er ungestört war, und würde sich dort das Teufelszeug in die Vene jagen, das er von Oliver Grimes für viel Geld gekauft hatte. Diese Süchtigen wußten, daß sie sich mit jeder Spritze näher an den Tod heranpushten. Doch sie hatten nicht die Kraft, dem Dämon Rauschgift zu widerstehen. Sie begingen auf eine langwierige, kostspielige und häufig schmerzvolle Art Selbstmord. April Bondy schauderte. Sie dachte an Jennifer George, die sich ebenfalls am Beginn dieser tödlichen Talfahrt befand. Es würde nicht leicht sein, das Mädchen zu retten. Doch April wollte genau wie Jo Walker und Tony Lane ihr Bestes geben, um dieses Ziel zu erreichen. Die hübsche Detektivin überquerte die Fahrbahn. Der Junkie war inzwischen aus ihren Augen verschwunden. April orientierte sich mit Hilfe der Postkästchen. An allen klebten Namensschildchen. Nur an einem nicht. Das mußte Grimes' Box sein. Er wohnte im ersten Stock. April begab sich hinauf. Die Tür war zerkratzt. Es gab keine Klingel. Die Detektivin klopfte. Schritte. Dann rasselte die Vorlegekette. Augenblicke später öffnete sich die Tür einen Spalt breit. April lächelte entwaffnend. "Hallo, Grimes." "Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wenn Sie die Absicht haben, mir ein Zeitschriftenabonnement anzudrehen, haben Sie Pech. Ich kann nicht lesen." "Das sieht man Ihnen an." "Werden Sie bloß nicht unverschämt, ja?" "Ich habe mit Ihnen ein ernstes Wort zu reden, Grimes." "Machen Sie 'ne Flitze! Lassen Sie mich in Ruhe!" "Für einen Dealer sind Sie ganz schön abweisend. Schadet das denn nicht Ihrem Geschäft? Sie könnten es mit einer potentiellen Kundin zu tun haben." "Sagen Sie mal, sind Sie aus einer geschlossenen Anstalt entwichen? Ich bin kein Dealer. Nie gewesen." Er wollte die Tür zuknallen. Copyright 2001 by readersplanet
Da sagte April schnell: "Ich komme im Auftrag von Kommissar X. Sie wissen, wer das ist, Grimes. Lassen Sie mich nun rein, oder ist es Ihnen lieber, wenn Ihnen Jo Walker auf die Hühneraugen tritt?" Grimes dachte fieberhaft nach. Er wollte keinen Fehler machen. April konnte fast seine Denkmaschine arbeiten hören. Endlich entschied er sich, April Bondy einzulassen. Er führte sie ins Wohnzimmer. Der Raum wirkte ordentlich aufgeräumt und gediegen eingerichtet. Die Möbel lagen in der oberen Preiskategorie. Grimes verdiente gut mit dem Leid und dem Elend anderer Menschen. Oliver Grimes bot April keinen Platz an. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sagte nervös: "Hören Sie, Miß, was Sie vorhin gesagt haben, können Sie unmöglich ernst gemeint haben. Ich deale nicht..." "Sie haben mit einem Junkie die Spielhalle verlassen." "Das stimmt nicht." "Ich habe Sie gesehen. Und vor wenigen Minuten kam dieser Süchtige aus dem Haus, in dem Sie wohnen." "Woher wollen Sie denn wissen, daß der Junge ein Fixer ist?" "Dem würde es sogar ein Blinder ansehen, Grimes. Ich bin davon überzeugt, daß sich in Ihrer Wohnung eine Menge Stoff finden ließe. Heroin, das Sie von Milt Mulligan beziehen." Der Dealer zuckte zusammen. April lächelte. "Wie Sie sehen, bin ich gut informiert." "Haben Sie die Absicht, meine Wohnung auf den Kopf zu stellen? Das dürfen Sie nicht. Das darf nicht einmal die Polizei ohne richterlichen Befehl." "Im Moment bin ich daran nicht interessiert, ihnen einen Strick zu drehen, Grimes", erwiderte April Bondy. "Obgleich die Versuchung, das muß ich zugeben, sehr groß wäre..." Oliver Grimes zog die Brauen zusammen. "Was wollen Sie konkret von mir?" "Sie kennen Jennifer George." "Flüchtig." "Das genügt. Wir suchen sie. Sie ist ausgerückt, um sich einen Schuß zu verschaffen. Sollte sie bei Ihnen auftauchen, werden Sie ihr von Ihrem verdammten Zeug kein Milligramm verkaufen, haben wir uns verstanden? Jennifer George bekommt von Ihnen nicht ein einziges Staubkörnchen Heroin! Statt dessen werden Sie unverzüglich diese Nummer anrufen." April entnahm ihrer Handtasche eine Visitenkarte, auf der die Telefonnummer von Jo Walkers Detektei stand. Grimes nahm das Kärtchen in die Hand. Er drehte es hin und her, als wüßte er damit nichts Rechtes anzufangen. Es hatte den Anschein, als wollte er es liebend gern wegwerfen, doch dazu fehlte ihm der Mut. "Es wäre von Vorteil für Sie, wenn Sie sich an meine Weisung halten würden", sagte April ernst. "Jo Walker würde es Ihnen sehr übelnehmen, wenn Sie seinen Interessen entgegenhandeln würden. Ich könnte mir vorstellen, daß KX in diesem Fall alles daransetzen würde, um Sie für viele Jahre ins Gefängnis zu bringen. Noch irgendwelche Fragen?" "Nein", knurrte Oliver Grimes. "Sie waren deutlich genug." "Das lag in meiner Absicht", sagte April Bondy und ging.
* Während sich April Bondy mit Oliver Grimes befaßte, war Kommissar X auf dem Weg zu jenem Dealer, der auf seiner Wunschliste ganz oben stand: Tidy O'Neill. Auch mit ihm hatte Copyright 2001 by readersplanet
Jennifer George schon mal zu tun gehabt. Als Jo Jennifers Name einfiel, verhärteten sich seine Züge. Er saß in seinem silbergrauen Mercedes 450 SEL und war zur Morris Street unterwegs. Jennifer. . Jo war dabeigewesen, als Tony Lane das hübsche rothaarige Mädchen kennengelernt hatte. Jo hatte mit seinen Freunden Captain Rowland und Lieutenant Myers den erfolgreichen Abschluß eines vertrackten Falles begossen. Lieutenant Lane hatte sich später hinzugesellt. Tom schlug damals einen Tapetenwechsel vor, und im nächsten Lokal hatte das Schicksal dann für Tony Lane kräftig zugeschlagen. Liebe auf den ersten Blick. Lane und das Mädchen hatten die halbe Nacht miteinander getanzt. Irgendwann waren die beiden dann verschwunden. Bald darauf hatten sich Tony Lane und Jennifer George verlobt. Und dann war die Bombe geplatzt...Lieutenant Lane hatte erfahren, daß Jennifer süchtig war. Dieser Schock hätte den aufrechten, korrekten Polizeibeamten damals beinahe aus der Bahn geworfen. Er machte noch erbitterter Jagd auf Dealer und Rauschgifthändler als je zuvor. Und er schwor sich, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um Jennifer aus den Klauen des mörderischen Gifts zu befreien. Kurze Zeit später hatte es danach ausgesehen, als ob Tony Lane und Jennifer George Glück haben würden. Und nun dieser Rückschlag. Jo Walker hoffte für die beiden, daß die Ereignisse doch noch eine Wendung zum Guten nehmen würden. Vor Kommissar X ragte das World Trade Center auf. Es war nicht mehr weit bis zur Morris Street. Jo war neugierig, wie er mit Tidy O'Neill klarkommen würde. Er hatte mit dem Mann schon einmal zu tun gehabt. Im allgemeinen war O'Neill verschlossen wie eine Auster. Vielleicht würde es nötig sein, ihm kräftig auf die Zehen zu treten. Jo war entschlossen, auch das zu tun, wenn O'Neill sich nicht kooperativ zeigte. Schließlich ging es möglicherweise um Jennifer Georges Leben. Auf der Höhe der Rector Street mußte Kommissar X vor einer Ampel kurz anhalten. Der Querverkehr rollte träge an ihm vorbei. Nachdenklich starrte Jo die Wand der Blechlawine an, und er fragte sich, ob sich Jennifer bereits den Schuß verpaßt hatte, der sie wieder zurückstoßen würde. Alles, was Tony Lane für sie getan hatte, würde dann vergebens gewesen sein. Man müßte bei Jennifer in diesem Fall wieder ganz von vorn beginnen. Die Ampel zeigte Grün, kurz nachdem der Querverkehr abgerissen war. Jo setzte die Fahrt fort. Er ahnte nicht, daß sich die Ereignisse überstürzen würden, sobald er die Morris Street erreicht hatte. Noch war Jos Blutdruck normal. Aber das sollte sich in wenigen Minuten schlagartig ändern...
* Zach Bolek erreichte das alte Haus, in dem Tidy O'Neill wohnte, zehn Minuten vor Kommissar X.
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Der Tscheche parkte seinen Wagen um die Ecke, öffnete das Handschuhfach und entnahm diesem einen schwarzen, zylindrischen Gegenstand. Es handelte sich um einen Schalldämpfer. Der Killer nahm das klobige Ding in die linke Hand, angelte mit der rechten seine Luger aus dem Schulterhalfter und schraubte den Schalldämpfer mit wenigen Drehungen auf die Waffe. Bevor Zach Bolek seinen Wagen verließ, peilte er schnell nach beiden Seiten. Dann stieß er die Tür auf und stieg aus dem Fahrzeug. Die Pistole verschwand in seinem Hosenbund. Bolek zog den Reißverschluß seiner wattierten Windjacke hoch. Mit weit ausgreifenden Schritten bog der Tscheche um die Ecke. Er blickte an der Fassade hoch. Das Gebäude hatte nur drei Stockwerke. Tidy O'Neill wohnte im obersten Geschoß. Darüber gab es nur noch einen kleinen Wintergarten, der von einem schrägen Glasdach geschützt wurde. Mit finsterer Miene betrat Zach Bolek das Haus. Er mochte diese alten Gebäude nicht. Allein ihr Geruch störte ihn schon. Nie im Leben hätte er sich in einem solchen Gebäude wohlfühlen können. Er brauchte helle Wände und großzügige, trockene Räume. Alles andere war Mist. Er lief die abgetretenen Stufen hinauf. Als er den ersten Stock erreichte, öffnete sich im zweiten Stock eine Tür. Schritte. Zach Bolek wollte niemandem begegnen, deshalb blickte er sich hastig nach einer Möglichkeit um, sich zu verstecken. Ein Mann kam die Treppe herunter. Der Tscheche zog sich in eine Mauernische zurück. Vorsichtig spähte er um die Ecke. Der Mann holte sich mit dem Finger Speisereste aus den Zähnen und rülpste anschließend kräftig. Gleich darauf war er aus Zach Boleks Blickfeld verschwunden. Wenig später hörte der Killer die Haustür zuklappen. Stille folgte. Der Tscheche setzte seinen Weg fort. Niemand kam ihm mehr in die Quere. Er erreichte die dritte Etage. Bevor er an Tidy O'Neills Tür klopfte, zog er den Reißverschluß seiner olivfarbenen Windjacke einige Zoll nach unten. Aber nicht so weit, daß man den Griff der Luger sehen konnte. Dann klopfte er. Laut und kräftig. "Einen Augenblick!" rief O'Neill. Gleich darauf öffnete sich die Tür. Tidy O'Neill war schmal und drahtig. Sein Haar war zerzaust. Er schien im Wohnzimmer auf dem Sofa ein Nickerchen gemacht zu haben. Als er Zach Bolek erkannte, schluckte er nervös. "Zach", würgte er mühsam hervor. Der Killer ging auf den Dealer zu. Der gab die Tür frei, indem er zur Seite wich. "Hallo, Tidy", sagte der Bärtige. Was willst du denn hier?" fragte O'Neill beunruhigt. Der Tscheche grinste. "Siehst du mich nicht gern?" "Doch. Doch, nur..." Zach Bolek schloß die Tür hinter sich. Tidy O'Neill musterte den Koloß erregt. Er wußte nicht genau, was er von Boleks Erscheinen halten sollte. Normalerweise bedeutete ein Besuch von Zach Bolek nichts Gutes. Der Mann war bekannt dafür, daß ihn der Hauch des Todes einhüllte. Copyright 2001 by readersplanet
Aber Tidy O'Neill wollte nicht glauben, daß ihm Milt Mulligan den Killer ins Haus geschickt hatte. Der Dealer wich bis ins Wohnzimmer zurück. Der Raum war klein und nicht besonders attraktiv eingerichtet. O'Neill hielt nichts von gemütlicher Wohnkultur. Er steckte das Geld, das er im Rauschgifthandel verdiente, lieber gleich wieder ins Geschäft, um den Profit zu erhöhen. Mit einer nervösen Handbewegung wies O'Neill auf einen Sessel. "Möchtest du dich setzen, Zach? Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?" fragte O'Neill. Der Tscheche schüttelte den Kopf. "Was...was führt dich zu mir?" "Milt Mulligan will dich sehen", sagte Zach Bolek ernst. "Weswegen?" "Das hat er mir nicht verraten. Er hat mir lediglich aufgetragen, dich zu holen." "Ist ja ganz was Neues", sagte Tidy O'Neill mißtrauisch. "Früher hat mich Mulligan einfach angerufen und zu sich bestellt, wenn er mit mir reden wollte. Warum läßt er mich plötzlich abholen?" Der Tscheche grinste. "Vielleicht hat er Angst, daß du diesmal auf dem Weg zu ihm verlorengehst." Bolek hatte sich vorgenommen, O'Neill in seinem Wagen aus der Stadt zu bringen und in einer Kiesgrube zu erledigen. Dort konnte er O'Neills Leiche auch gleich verschwinden lassen. Aber der Killer zwar flexibel. Sollte sich O'Neill weigern, mit ihm zu gehen, dann würde er nicht zögern, den Mann gleich hier in seiner Wohnung fertigzumachen. "Bist du soweit?" fragte Zach Bolek kalt. "Können wir gehen?" "Sollst du mich wirklich nur zu Mulligan bringen?" "Aber ja doch -- wenn ich's sage." "Hast du was dagegen, wenn ich kurz mit Milt Mulligan telefoniere?" fragte Tidy O'Neill. Er wartete nicht auf Boleks Antwort, sondern begab sich zum Telefon. Das war der Moment, wo der Tscheche umdisponierte. Tidy O'Neill mißtraute ihm. Der Mann würde ihm auf der Fahrt möglicherweise Schwierigkeiten machen. Es war besser, ihn nicht erst in der Kiesgrube, sondern gleich hier in seiner Wohnung umzubringen. Als der Dealer den Hörer abhob, zog Zach Bolek den Reißverschluß seiner Jacke vollends nach unten. O'Neill vernahm das kurze Geräusch. Er zuckte herum. Sein Blick fiel auf den Lugergriff, der aus dem Hosenbund des Killers ragte. Ein heiserer Schrei entrang sich seiner Kehle. "Ich hab's gewußt!" krächzte er entsetzt. "Ich hab's gewußt!" Gleichzeitig schleuderte er den Hörer nach Zach Bolek. Das außergewöhnliche Geschoß traf das Jochbein des Killers in dem Augenblick, wo er seine Waffe packte und hochriß. Für einen winzigen Moment war Zach Bolek irritiert. In dieser geringen Zeitspanne warf sich Tidy O'Neill mit dem Mut des Verzweifelten auf den Tschechen. Er schlug mit beiden Fäusten gleichzeitig zu. Die Linke landete in Boleks struppigem Vollbart. Die Rechte traf die Pistolenhand des Killers. Was noch nie geschehen war, passierte jetzt: Boleks Finger schnappten auf. Die Luger polterte zu Boden. Tidy O'Neill versetzte der Waffe geistesgegenwärtig einen Tritt. Sie kreiselte über den Holzboden und schlitterte unter den Schleiflackschrank.
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Zach Bolek nahm sich nicht die Zeit, sich die Kanone wiederzuholen. Er war kräftig genug, um mit O'Neill auch ohne Schießeisen fertigzuwerden. Seine großen Hände zuckten vorwärts. Der Tscheche wollte O'Neills dünnen Hals packen und zudrücken. Doch die Todesangst machte den Dealer wendig und kräftig. Atemlos schlug O'Neill die Hände des Killers zur Seite. Bolek griff daneben. Tidy O'Neill drehte sich hastig um und flitzte davon. Er stürmte aus dem Wohnzimmer, riß die Wohnungstür auf, jagte auf den Gang hinaus. Zach Bolek folgte ihm. Eiskalt stellte der Killer ihm ein Bein. Tidy O'Neill verlor das Gleichgewicht. Er riß die Arme hoch, ruderte durch die Luft, fiel auf die Treppe, die zum Wintergarten hinaufführte. Er hörte das Keuchen des Tschechen hinter sich. Seine panische Furcht ließ ihn den Schmerz vergessen, den der Sturz zur Folge gehabt hatte. Er rollte, auf der Treppe liegend, herum, zog die Beine an und rammte sie dem Killer ins Gesicht. Zach Bolek flog zurück und krachte gegen die Wand. Tidy O'Neill kämpfte sich gehetzt wieder auf die Beine und setzte seine Flucht fort. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde hoch oben im Hals klopfen. "Na warte, du Mistkerl!" knurrte Zach Bolek wütend. Die Angst beflügelte Tidy O'Neill. Er rannte die Stufen hinauf. Seine Beine bewegten sich so schnell, daß kaum zu sehen war, wie sie die Stufen berührten. Als er das Ende der Treppe erreicht hatte, stieß er die Tür auf, durch die man in den Wintergarten gelangte. Er sprang in den mit Pflanzen aller Art angefüllten Raum, warf die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel herum, der im Schloß steckte. Sekunden später prallte der Tscheche mit großer Wucht gegen das Holz. Schweiß glänzte auf Tidy O'Neills Gesicht. Er gab sich keiner falschen Illusion hin. Noch war er nicht sicher vor Zach Bolek. Er blickte sich gehetzt um. Wo sollte er sich verkriechen? Am liebsten hätte sich der Dealer in Luft aufgelöst. Aber welcher Mensch bringt dieses Kunststück schon zuwege? Soeben warf sich der Tscheche vehement gegen die Tür. Sie würde dem Ansturm des schweren Brockens bestimmt nicht lange standhalten. O'Neill wischte sich mit der Hand nervös über die Augen. Größte Eile war geboten - und er wußte nicht, was er unternehmen sollte. Auf keinen Fall durfte er sich dem Kampf stellen. Daß er vorhin so glimpflich davongekommen war, hatte er einer gehörigen Portion Glück zu verdanken. So etwas ließ sich nicht beliebig oft wiederholen. Abermals hatte sich Zach Bolek gegen die abgeschlossene Tür geworfen. Das Holz hatte besorgniserregend geknirscht. "Nein!" stöhnte Tidy O'Neill verzweifelt. "Um Himmels willen..." In fiebernder Hast wich er von der Tür zurück. Er stieß gegen Blumentöpfe und Pflanzen. Einige davon fielen um: Zimmerpalmen. Schwarze Erde häufte sich auf dem Bretterboden. O'Neill fegte mit einer heftigen Handbewegung einige weitere Töpfe von einem wackeligen Tisch. Er schleppte diesen unter das Fenster des gläsernen Schrägdaches, sprang hinauf, öffnete das Fenster und kletterte nach draußen. Im selben Augenblick besiegte Zach Bolek die abgeschlossene Tür. Krachend flog sie auf. Sie schwang zur Seite und knallte gegen die Wand. Tidy O'Neill hatte gerade noch Zeit, die Beine hochzuziehen. Nun lag er flach auf dem Glas des Daches und hoffte, von Bolek nicht gesehen zu werden. Copyright 2001 by readersplanet
Doch diese Hoffnung konnte sich unmöglich erfüllen. Es war hellichter Tag, und Tidy O'Neills Körper hob sich konturenscharf vom Glasdach ab. Zach Bolek mußte den Mann einfach sehen. Das bärtige Gesicht des Killers verzog sich zu einem hämischen Grinsen. "Es hat keinen Zweck!" brummte er. "Du entkommst mir nicht, Tidy!" Dann sprang auch er auf den wackeligen Tisch und schickte sich an, aus dem Fenster auf das Glasdach zu klettern. Tidy O'Neill verlor in dieser Sekunde vor Angst beinahe den Verstand.
* Jo Walker bog in die Morris Street ein und ließ den Mercedes schon nach wenigen Yards ausrollen. Er öffnete den Wagenschlag und verließ den Silbergrauen. Plötzlich lenkte eine Bewegung seine Aufmerksamkeit auf sich. Zwei Männer! Oben auf dem Glasdach des Hauses. Der eine war Tidy O'Neill. Von dem anderen konnte Jo im Moment nur den Rücken sehen. Der Dealer setzte sich auf. Der andere versuchte O'Neills Beine zu erfassen. Was der Mann vorhatte, war unschwer zu erraten. Tidy O'Neill sollte sterben. Der Fremde wollte ihn mit einem kraftvollen Ruck vom Glasdach herunterreißen. Ein Sturz aus dieser Höhe wäre für den Dealer garantiert tödlich gewesen. Verzweifelt zog O'Neill die Beine immer wieder an. Aber da das Dach geneigt war, rutschte er immer näher an den Killer heran. Jo zog die 38er Automatic aus der Schulterhalfter. O'Neill erblickte ihn in diesem Augenblick. "Walker!" brüllte er. "Walker, helfen Sie mir!" Jo startete. Er hoffte, daß er noch zurechtkommen würde. Die Situation, in der sich der Dealer befand, war mehr als kritisch. Sobald der Killer ihn zu fassen kriegte, ging es mit ihm drei Etagen abwärts. Daran würde Jo dann nichts mehr ändern können. Jo stürmte in das alte Haus. Er jagte den Korridor entlang und nahm auf seinem Weg nach oben immer zwei Stufen auf einmal. Die Automatic lag schußbereit in seiner Rechten. Er war gespannt, zu erfahren, wer dem Dealer nach dem Leben trachtete. Dritte Etage. Weiter gings - hinauf zum Wintergarten. Auf dem Boden lagen Pflanzen und Töpfe. Erde knirschte unter Jos Schuhen. Sein Blick war nach oben gerichtet. Zum Glasdach hinauf. Dort oben hockte Tidy O'Neill. Der Mann zitterte wie Espenlaub. Aber wo war der andere? Wo war der Killer geblieben? Jo sah sich mißtrauisch um. Er traute dem Frieden nicht. Seine Automatic bewegte sich im Halbkreis mit. Erst als Jo sicher sein konnte, daß der Kerl, der Tidy O'Neill vom Dach reißen wollte, nicht im Wintergarten war, schob er die 38er in die Schulterhalfter zurück und sprang auf den Tisch, um sich um den Dealer zu kümmern. Copyright 2001 by readersplanet
Als sein Oberkörper in der Fensteröffnung auftauchte, zuckte Tidy O'Neill heftig zusammen. Der Mann war leichenblaß. "Wo ist er?" fragte Jo. "Abgehauen. Als ich Sie rief, hat er das Weite gesucht." "Ich hätte ihm im Treppenhaus begegnen müssen." "Vermutlich hat er sich kurz versteckt. Sie rannten an ihm vorbei, und er setzte seine Flucht fort." O'Neills Stimme bebte. Der Dealer war in Schweiß gebadet. Er wagte sich nicht zu bewegen, hatte Angst, abzurutschen und doch noch in die Tiefe zu fallen. Er hatte nicht den Mut, sich zu bewegen. Gebannt starrte er auf die Straße hinunter. "Ich hätte nicht mehr lange die Kraft gehabt, mich zur Wehr zu setzen. Wenn Sie nicht gekommen wären, KX..." "Hätte es verdammt schlimm für Sie ausgesehen", ergänzte Jo. "Kommen Sie herunter." O'Neill schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht." "Sie können nicht ewig auf dem Glasdach sitzen bleiben. Der Winter steht vor der Tür." "Ich bin nicht schwindelfrei. Wenn ich nicht so viel Angst gehabt hätte, wäre ich nie hier raufgeklettert." Jo streckte dem Mann beide Hände entgegen. "Ich helfe Ihnen." Zögernd ergriff Tidy O'Neill Jo Walkers Hände. Seine Finger waren eiskalt. Langsam rutschte er auf die Dachluke zu. Seine Züge waren angespannt. Er biß sich auf die Unterlippe und klammerte sich immer fester an Jo. "Nicht hinuntersehen", sagte KX. "Sie dürfen nicht hinuntersehen, O'Neill." Jo spürte, wie der Mann zitterte. Es war nicht leicht, den Dealer sicher vom Dach herunterzuholen. Als Tidy O'Neill endlich den Bretterboden des Wintergartens unter seinen Füßen hatte, atmete er erleichtert auf. "Dem Himmel sei Dank." "Sie könnten auch mir danken", sagte Jo lächelnd. "Danke", murmelte der Dealer. Allmählich kam wieder seine angeborene Abneigung gegen Schnüffler an die Oberfläche. "Jetzt brauche ich dringend einen großen Schluck Whisky", sagte er heiser. Jo begab sich mit dem Dealer in O'Neills Wohnung. Tidy O'Neill stürzte sich förmlich auf die Whiskyflasche. Er fragte, ob Jo auch einen Drink haben wolle, doch KX lehnte ab. O'Neill trank gleich aus der Flasche. Er schien nicht mehr aufhören zu wollen. Jo ging zu ihm. "He. He. Nicht so viel, sonst sind Sie hinterher blau." "Habe ich nicht allen Grund, mich zu besaufen? Ich bin soeben zum zweitenmal auf die Welt gekommen, Walker." "Warum wollte der Mann Sie umbringen, O'Neill?" "Er..." Der Dealer brach ab. "Ja?" fragte Jo drängend. Tidy O'Neill schüttelte den Kopf. "Ich möchte nicht darüber sprechen." "Wer war der Kerl? Kannten Sie ihn?" "Ich bitte Sie, stellen Sie mir keine weiteren Fragen, KX. Ich kann sie Ihnen nicht beantworten", sagte O'Neill. Seine Denkmaschine funktionierte inzwischen wieder Copyright 2001 by readersplanet
einigermaßen gut. Milt Mulligan hatte ihm den Killer ins Haus geschickt. Also mußte er, O'Neill, sich so schnell wie möglich mit Mulligan ins Einvernehmen setzen und mit allen Mitteln versuchen, den Heroin-Hai zu beeinflussen, den Mordauftrag rückgängig zu machen. Sonst kam Zach Bolek vielleicht schon in ein paar Stunden wieder. Und es gab, in der ganzen Stadt kein Versteck, in dem ihn Zach Bolek nicht früher oder später aufgestöbert hätte. Wenn O'Neill mit Milt Mulligan zu einem Arrangement kommen wollte, durfte er sich weder der Polizei noch Jo Walker anvertrauen. Jo hob die Schultern. "Ich kann Sie nicht zwingen zu reden, O'Neill." "Das ist richtig." "Dann will ich mal auf den Grund meines Besuches zu sprechen kommen", sagte Kommissar X. "Ich bin nämlich nicht zufällig hier aufgekreuzt, wie Sie sich denken können." Tidy O'Neills Miene wurde noch verschlossener. "Was wollen Sie?" Jo grinste. "Hören Sie, ein bißchen freundlicher könnten Sie schon zu mir sein. Ich habe Ihnen immerhin das Leben gerettet." "Was wollen Sie?" "Ich will Jennifer George. War sie bei Ihnen?" "Nein." "Sie sollten nicht so schnell antworten, O'Neill. Denken Sie lieber erst gründlich nach." "Sie war nicht hier." "Das Mädchen hat sich aus dem Staub gemacht um bei irgend jemand Heroin zu kaufen. Ich würde Jennifer George gern wiederhaben, bevor sie ihren Tanz auf der Nadel absolviert." "Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen, KX." "Ich denke doch, daß Sie das können, O'Neill. Sie sind mir jetzt einiges schuldig. Deshalb werden Sie sich für mich in Ihren Kreisen umhören. Lassen Sie Ihre Freunde und Bekannten wissen, daß ich es demjenigen sehr übelnehmen würde, der dem Mädchen verkauft, was es haben will. Und sollte Ihnen zu Ohren kommen, wo sich Jennifer zur Zeit aufhält, wählen Sie umgehend die Nummer 774-3321. Dann kriegen Sie mich an die Strippe." O'Neill nickte. "Na schön, KX. Ich kann's ja mal versuchen." "Ich warte auf Ihren Anruf." O'Neill hob abwehrend beide Hände. "Ich kann nichts versprechen." "Sie sollten versuchen, das Unmögliche möglich zu machen, O'Neill, sonst befasse ich mich mal eingehend mit Ihren Geschäften. Und wenn ich Ihnen mal den Gashahn zudrehe, werden Sie sich wünschen, daß der Killer Sie erwischt hätte." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ Kommissar X die Wohnung des Dealers. Tidy O'Neill griff noch einmal zur Flasche und trank. Anschließend fing er an, sich Sorgen zu machen, denn wenn es ihm nicht gelang, sich mit Milt Mulligan zu arrangieren, würde er Zach Bolek wiedersehen. Nichts wäre für ihn entsetzlicher gewesen als das.
* Auf diese Weise klapperten April Bondy, Jo Walker und Tony Lane nacheinander sämtliche Dealer ab, mit denen Jennifer George schon einmal zu tun gehabt hatte. Copyright 2001 by readersplanet
Der Tag ging zur Neige. Ein neuer begann. Sie machten sich wieder auf die Socken, um eine Spur von Jennifer zu finden. Doch so sehr sie sich auch bemühten, das Mädchen wiederzufinden, es war ihnen kein Erfolg beschieden. Kurz vor Mitternacht trafen sie alle in Jo Walkers Büro ein. Lieutenant Lane sah aus wie sein eigener Schatten. Er setzte sich auf die Kante von April Bondys Schreibtisch, Seine Schultern sanken nach vorn. Er starrte Löcher in den Teppich. "Niemand will sie gesehen haben", murmelte Tony Lane. "Das gibt es doch nicht. Sie ist von zu Hause weggelaufen, weil sie es ohne das Rauschgift nicht mehr ausgehalten hat. Sie muß mit einem der Dealer, der sie kennt, Kontakt aufgenommen haben." "Vielleicht ist sie an einen neuen Mann geraten", meinte April Bondy. "Das wäre natürlich auch möglich", sagte Jo. "Haben Sie alle ihre Freunde und Bekannten angerufen?" "Gestern schon, und bei keinem hat sie sich blicken lassen", seufzte der Lieutenant. Er sah Jo an. "Ich bin mit meinen Kräften fast am Ende. Es quält mich, nicht zu wissen, wo Jenny steckt und wie es ihr geht. Es macht mich krank, daß ich ihr nicht helfen kann, obwohl erschreckend klar ist, daß sie meine Hilfe noch nie so sehr gebraucht hat wie gerade jetzt." "Wir werden sie finden, Tony", sagte Jo zuversichtlich. Lieutenant Lane nickte langsam. "Ja, Jo. Wir werden sie finden. Aber auch davor habe ich Angst. In welchem Zustand wird sie sein...?" "Sie dürfen nicht allzu schwarz sehen", sagte April. "Vielleicht gelingt es Jennifer nicht, an den Stoff ranzukommen." "Sie scheinen nicht zu wissen, wie erfinderisch Süchtige sein können, um ihr Ziel zu erreichen, April", sagte Tony Lane. Er warf einen Blick auf seine Uhr und erhob sich. "Ich muß meinen Dienst antreten." "Wäre es nicht besser, Sie würden Urlaub nehmen?" fragte Jo. "Soll ich zu Hause sitzen und darauf warten, bis ich vor Sorge um Jenny überschnappe?" Der Lieutenant ballte die Hände zu Fäusten. "So wahr ich Tony Lane heiße, für all das werde ich Milt Mulligan eines Tages zur Rechenschaft ziehen! Der kriegt, was ihm zusteht. Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich das geschafft habe." "Sie werden doch wohl über Ihrem Leid nicht vergessen, daß Sie Polizist sind und sich an das Gesetz halten müssen", sagte Jo besorgt. "Niemand kann mir nachsagen, ich hätte das Gesetz jemals mißachtet, Jo." "Das weiß ich. Aber wird das auch in Zukunft so bleiben?" "Wir werden es sehen. Ich gebe zu, manchmal habe ich das Gesetz, das mir die Hände bindet, schon verflucht. Milt Mulligan säße längst im Zuchthaus, wenn ich meine Vorschriften etwas weniger genau nehmen würde." "Daran sollte sich auch künftighin nichts ändern", sagte Jo. "Haltet mich auf dem Laufenden", bat Tony Lane. "Selbstverständlich", sagte Jo. Der Lieutenant verließ die Detektei. Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte April Bondy seufzend: "Er tut mir schrecklich leid." "Mir auch", sagte Jo. "Ich wollte, wir könnten mehr für ihn und Jennifer tun." Er zündete sich eine Pall Mall an. Als er die Zigarette fertiggeraucht hatte, schlug das Telefon auf April Bondys Schreibtisch an. Die blonde Detektivin griff nach dem Hörer. "Detektei Walker. Büro für private Ermittlungen..." Copyright 2001 by readersplanet
"Grimes", kam es aus dem Hörer. Aprils Körper straffte sich augenblicklich. Sie legte das Gespräch auf Lautsprecher um, damit Kommissar X mithören konnte. "Was gibt's, Grimes?" fragte das Mädchen. "Sie waren doch gestern bei mir und haben mir so eindrucksvoll ins Gewissen geredet..." "Ich hoffe, es hat genützt." "Ich glaube schon. Sonst würde ich Sie jetzt wohl kaum anrufen." "War Jennifer George bei Ihnen?" "Nein. Aber ich habe erfahren, wo sie sich versteckt hat. Natürlich kann ich nicht garantieren, daß sie sich dort immer noch aufhält." "Die Adresse", verlangte April. Sie griff nach einem Kugelschreiber, und Jo schob ihr den Notizblock hin. "Beaver Street 4123. Es soll ein schäbiges Abbruchhaus sein. Geben Sie acht, daß Ihnen nichts auf den Kopf fällt. wenn Sie hineingehen; Miß Bondy. Wäre jammerschade um Sie." "Wirklich rührend, wie Sie um mich besorgt sind", erwiderte April hart und legte auf, ohne sich für die Information zu bedanken. Sie erachtete es als Oliver Grimes' Pflicht, daß er angerufen hatte. "Beaver Street", sagte Jo Walker und verließ sein Büro. Er brauchte April nicht aufzufordern, mitzukommen. Sie begleitete ihn auch so. Im Vorbeigehen schnappte sie sich ihre Handtasche. Dann verließen sie die Detektei. Der Expreßlift brachte sie in wenigen Sekunden vom 14. Stock zur Tiefgarage hinunter. Jo schwang sich hinter das Lenkrad seines 450 SEL. Während er startete, warf April die Tür auf der Beifahrerseite zu. Augenblicke später rollte der silbergraue Exote die Auffahrt hoch und fädelte sich in den Verkehr ein, der träge durch die 7th Avenue floß. Auf der Höhe der City Hall gerieten sie in einen enervierenden Verkehrsstau. Die Verkehrspolizei mühte sich redlich ab, den dicken Knoten zu lösen. Es kam Jo und April wie eine Ewigkeit vor, bis sie die Fahrt endlich fortsetzen konnten. Fulton Street. Wall Street. Eine Minute später bog Jo Walker in die Beaver Street ein. Auf den Gehsteigen lag Müll, um den sich keiner kümmerte. Der Wind trieb Zeitungsfetzen vor sich her und wirbelte mehligen Staub aus der Gosse hoch. Das Haus Nummer 4123 war leicht zu finden. Es war das mieseste von allen. EINSTURZGEFAHR! stand auf einer Tafel, die neben dem Eingang hing. BETRETEN VERBOTEN! Aprils rosige Zungenspitze huschte über die vollen Lippen. Sie betrachtete das Gebäude unangenehm berührt und stellte eine Frage, auf die sie eigentlich keine Antwort haben wollte: "Ob Jennifer wirklich da drinnen ist?" Jo stieg aus. Er prüfte den Sitz seiner Automatic. Es war immerhin denkbar, daß dieses Haus ein Zufluchtsort für mehrere Junkies war, die die günstige Gelegenheit beim Schopf packten und wegen ihrer chronischen Geldnot über Jo herfallen konnten. "Warte hier auf mich", sagte Jo zu seiner Assistentin. Doch April ließ es sich nicht nehmen, mitzukommen, und es war keine Zeit, um jetzt ein Machtwort zu sprechen. Gemeinsam betraten sie das Gebäude. Es stank nach Exkrementen und Urin. An den Wänden fehlte teilweise der Verputz. Copyright 2001 by readersplanet
Im Erdgeschoß gab es vier Wohnungen. Alle waren leer. Sowohl April Bondy als auch Jo Walker trachteten., sich so lautlos wie möglich vorwärtszutasten. Niemand sollte vorzeitig von ihrer Anwesenheit Kenntnis haben. Jo zog die Automatic, als er ein leises Klappern vernahm. Gleich darauf zuckte April Bondy heftig zusammen. Der Schrei einer davonlaufenden Katze hatte sie erschreckt. "Sehen wir uns auch im Keller um?" fragte April flüsternd. "Wenn sich Jennifer in diesem Haus versteckt, dann bestimmt nicht dort unten", gab Jo ebenso leise zurück. Sie schlichen zur Treppe. Einige Stufen wackelten. Das ließ sich nicht vermeiden. April hielt sich am Geländer fest, um nicht umzukippen. Das rostige Eisen brach aus der Mauer. Jo fing seine Mitarbeiterin auf und schob sie zur Seite. "Es wäre besser gewesen, im Wagen zu warten", sagte er kopfschüttelnd. "Stattdessen zerlegst du dieses Haus." April verzog ihr Gesicht. Aber sie blieb Jo dicht auf den Fersen, als er seinen Weg nach oben fortsetzte. Im ersten Stock war die Decke mit dicken Pfosten gestützt. Jo fand ein Matratzenlager in der ersten Wohnung, die er betrat. In der zweiten Wohnung lagen Töpfe und Pfannen auf dem Boden. Und in der dritten lag - Jennifer George!
* Jo stockte der Atem. Er lief zu dem Mädchen. Jennifer George lehnte mit dem Oberkörper in der Ecke. Ihr linkes Bein war angezogen. In ihrem Schoß lag eine leere Spritze. Das hübsche rothaarige Mädchen hatte die Augen weit offen und starrte zur gegenüberliegenden Zimmerdecke hinüber. April trat ein. Jo legte seine Finger auf die Halsschlagader des Mädchens. April blieb stehen und regte sich nicht. Erst als Jo die Hand sinken ließ, kam April näher. "Was ist mit ihr?" fragte sie heiser. "Sie lebt nicht mehr", antwortete Jo zähneknirschend. "Tot?" platzte es erschrocken aus April Bondy heraus. "Sie ist wirklich tot, Jo? Irrst du dich auch nicht?" "Ich habe in meinem Leben schon viele tote Menschen gesehen, April..." "Aber...Aber sie sitzt da, als würde sie noch leben. Woran ist sie...?" "Vermutlich hat sie sich eine Überdosis gespritzt. Sie mußte lange auf das Rauschgift verzichten. Ihre Gier war zu groß. Sie wollte so viel wie möglich pushen - und hat es nicht vertragen." April schüttelte den Kopf und drehte sich erschüttert um. "O mein Gott." Sie hatten Jennifer George gefunden, aber es gab keinen Grund, sich darüber zu freuen. Jo blickte verbittert auf den Gummischlauch, mit dessen Hilfe Jennifer das Blut in ihrer Ader gestaut hatte. Seit langem war ihm der Tod eines Menschen schon nicht mehr so sehr an die Nieren gegangen. Er hatte immer ein unangenehmes Würgen im Hals, wenn er mit einem Toten konfrontiert wurde. Daran würde er sich wohl nie gewöhnen.
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Aber diesmal war dieses Gefühl besonders schlimm. KX mußte mehrmals tief Luft holen, um sich wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen. "Jo", sagte April mit belegter Stimme. "Wie lange ist sie schon tot?" "Ihr Körper ist nicht mehr warm. Den genauen Zeitpunkt ihres Todes wird der Gerichtsmediziner feststellen." "Sie kann schon seit gestern tot sein, nicht wahr?" "Es wäre möglich." "Sie lebte schon nicht mehr, als wir sie noch wie eine Stecknadel im Heuhaufen suchten." Jo senkte den Blick. "Ich hab's befürchtet." "Wir müssen Tony Lane verständigen." Jo nickte kaum merklich. "Ja. Aber ich weiß nicht, wie ich ihm das beibringen soll."
* Es grenzte an ein Wunder, daß Milt Mulligan den Mordauftrag zurückzog. Zwischen dem Rauschgift-Hai und seinem Dealer waren sämtliche Ärgernisse ausgeräumt. Tidy O'Neill hatte von Zach Bolek nichts mehr zu befürchten. Das war zwischen Mulligan und O'Neill mit Handschlag besiegelt worden. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte sich Tidy O'Neill einen gewagten Schachzug einfallen lassen. Gleich nach Jo Walkers Besuch hatte sich O'Neill in seinen Wagen gesetzt und hatte sich umgehend in die Höhle des Löwen begeben: Er hatte Milt Mulligan in dessen Penthouse aufgesucht. Da ihm bekannt war, daß Mulligan ein habgieriger, profitorientierter Mensch war, bettelte Tidy O'Neill nicht um sein Leben, sondern er brachte das anderweitig gekaufte Heroin mit und machte es dem Rauschgift-Hai zum Geschenk. Außerdem versicherte er ihm hoch und heilig, nie wieder auf Abwegen zu wandeln. So gelang es ihm mit. vielen Worten, Mulligan herumzukriegen und die Gefahr, die wie ein Damoklesschwert über ihm schwebte, zu bannen. Es gab keine Differenzen mehr zwischen O'Neill und Mulligan. Der Mordauftrag brauchte von Zach Bolek nicht mehr ausgeführt werden. Aber dennoch blieb für den Tschechen in dieser Angelegenheit ein bitterer Wermutstropfen zurück. Und dieser bittere Tropfen hieß Kommissar X. Bolek konnte es nicht verwinden, daß er vor Jo Walker Reißaus nehmen mußte. KX hatte ihn daran gehindert, seinen Job zu tun. Das wollte Zach Bolek nicht auf sich beruhen lassen. Mit finsterer Miene stand er in Milt Mulligans Penthouse und stierte vor sich hin. "Woran denkst du?" wollte der Rauschgift-Hai wissen. "An Jo Walker. Wäre er nicht dazwischengekommen, hätte ich meine Arbeit so wie immer erledigt." "Ich trage Tidy O'Neill nichts mehr nach. Du solltest die Sache vergessen, Zach." "Dieser Walker ist gefährlich, Boß." "Er kann uns nichts anhaben. O'Neill hat ihm kein Sterbenswort gesagt." "KX ist hartnäckig, Boß. Vielleicht taucht er wieder bei O'Neill auf." "Tidy wird sich hüten, dem Schnüffler etwas zu verraten, was meinen Zorn erregen könnte", sagte Milt Mulligan zuversichtlich. Copyright 2001 by readersplanet
"Walker könnte mich erkannt haben." Mulligan schüttelte den Kopf. "Ausgeschlossen. Wenn KX wüßte, wer O'Neill umbringen wollte, wäre er längst bei uns aufgetaucht." Der Tscheche kratzte sich verdrossen im Bart. "Mir wäre trotzdem wohler, wenn Sie mir erlauben würden, den Schnüffler abzuservieren. Er könnte jederzeit zu Ihrem gefährlichsten Gegner heranwachsen." Der Rauschgift-Hai zündete sich eine Havanna an. Nachdenklich betrachtete er die Glutkrone. "Was du da sagst, ist nicht so einfach unter den Teppich zu kehren; Zach. Walker ist in meinen Einflußbereich eingedrungen. Er könnte früher oder später mal Kurs auf mich nehmen. Vielleicht wäre es wirklich das beste, diesen Mann rechtzeitig auszuschalten." "Ich mach' das mit Vergnügen für Sie, Boß", beeilte sich Zach Bolek zu sagen. Milt Mulligan musterte den Killer amüsiert. Er nickte. "Okay, Zach. Nimm dich des Schnüfflers an. Ich werde dir zwei kräftige Männer zur Verfügung stellen, damit die Sache auch ganz sicher klappt, denn ein Jo Walker, der bloß angeschlagen ist, wäre so gefährlich wie ein angeschossener Tiger. Dieses Risiko sollten wir lieber nicht auf uns nehmen." Zach Bolek zog die Brauen grimmig zusammen. Er widersprach dem Boß nicht, aber er hätte die Angelegenheit lieber allein geregelt. Wie immer. Hatte Milt Mulligan kein Zutrauen mehr zu ihm, weil er bei Tidy O'Neill Pech gehabt hatte? Der Tscheche preßte wütend die Zähne zusammen. Na warte, Walker! dachte er erregt. Das wirst du mir büßen!
* Der Dienst-Chevrolet bog mit großer Geschwindigkeit um die Ecke. Die Pneus quietschten. Das Wagenheck schwänzelte kurz, aber Tony Lane fing das Fahrzeug sofort geschickt ab. Er stoppte den Chevy neben Jo Walkers Mercedes. Er war kreideweiß, als er aus dem Fahrzeug stieg. Er sah April Bondy und Jo Walker. Sie standen auf dem Bürgersteig vor dem Abbruchhaus. Lane sah die beiden, schien durch sie jedoch gleichzeitig hindurchzusehen. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Jo und April hörten ihn auf geregt schnaufen. Jo trat dem Lieutenant entgegen. Er legte Lane die Hand auf die Schulter. "Es tut mir leid, Tony." "Wo ist sie?" fragte Lieutenant Lane krächzend. "In einer Wohnung im ersten Stock." "Ich will sie sehen." "Tony, sie bietet keinen schönen Anblick. Es würde Sie furchtbar schmerzlich treffen, wenn Sie sie in diesem Zustand sehen würden." Jetzt schien Lieutenant Lane KX zum erstenmal bewußt anzusehen "Geh' mir aus dem Weg, Jo", sagte er leise. Es klang drohend, aggressiv. Er hatte Jo geduzt. Deshalb duzte ihn auch KX, als er erwiderte: "Was es nicht besser, du würdest sie lebend in Erinnerung behalten?" "Ich bin Polizist, Jo..." "Du warst auch Jennifers Verlobter!" gab Jo zu bedenken. Lieutenant Lane bebte innerlich Er ließ sich von Jo nicht abhalten das Abbruchhaus zu betreten. KX ging mit ihm. April Bondy verzichtete darauf sich die Tote noch einmal anzusehen. Copyright 2001 by readersplanet
Mit großen Schritten eilte Tony Lane auf die Treppe zu. Er lief die Stufen hinauf. Jo blieb dicht hinter ihm. Im ersten Stock angekommen, blieb der Lieutenant kurz stehen und warf KX einen fragenden Blick zu. "Diese Tür", sagte Jo. Er wies auf die Wohnung, in der Jennifer George lag. Lane ging weiter. In der Diele wandte er sich um und sagte zu Kommissar X: "Laß mich mit ihr allein, Jo. Bitte." KX hob die Schultern. "Okay." Tony Lane setzte seinen Weg fort. Er betrat das Zimmer, in dem sich seine tote Verlobte befand. Und dann wurde es unheimlich still. Jo wartete geduldig auf Lanes Rückkehr. Er hätte gern eine Pall Mall geraucht, doch er holte die Packung nicht aus der Tasche. Nahm er Rücksicht auf die Tote? Jo wußte es nicht. Endlich regte sich in der Wohnung wieder etwas. Gleich darauf erschien Tony Lane. Jo erschrak beim Anblick des Lieutenant. Der Mann war aschfahl, und es schien an ein Wunder zu grenzen, daß er noch nicht umgekippt war. Noch mehr als Tony Lanes Aussehen beunruhigte Jo die Eiseskälte, die die Augen des Lieutenant nunmehr ausstrahlten. Lane hatte in der Wohnung weder geschrien noch getobt noch geweint. Er hatte nichts getan, hatte die Tote lediglich angestarrt. Keinerlei Gefühlsausbruch. Der Haß schien sich in Tony Lane verkapselt zu haben. Irgendwann würde dieser Keim aufbrechen - und das war gefährlich...vor allem für Tony Lane selbst! "Wenn ich dir irgendwie helfen kann, Tony", sagte Jo leise. Der Lieutenant schüttelte langsam den Kopf. "Du kannst nichts für mich tun, Jo." Sie verließen das Abbruchhaus. Auch April erschrak, als sie den Lieutenant wiedersah. Aber sie sagte kein Wort. Lane wandte sich an Kommissar X. "Der Fall ist für dich abgeschlossen, Jo. Ich habe dich engagiert, damit du mir hilfst, Jennifer zu finden. Du hast sie gefunden. Ich werde dir morgen dein Honorar überweisen.." Jo schauderte. "Zum Teufel mit dem Geld, Tony. Wie kannst du jetzt nur daran denken?" "Es muß alles seine Ordnung haben. Das Leben geht weiter." "Tony, ich hoffe, ich kann mich auf dich verlassen", sagte Jo eindringlich. "Versprich mir, keine Dummheiten zu machen!" Lane blickte KX mit seinen eiskalten Augen an und sagte: "Okay, Jo. Ich verspreche es dir. Ich werde keine Dummheiten machen." Der Lieutenant nickte April kurz zu, ging zu seinem Chevrolet und fuhr zum Police Headquarter zurück. "Wird er sein Versprechen halten?" fragte April Bondy unsicher.
* Jo hob die Schultern. "Ich hoffe es." Die Dinge nahmen ihren Lauf. Jennifer George wurde aus dem Abbruchhaus in der Beaver Street geholt und ins Leichenhaus gebracht. Copyright 2001 by readersplanet
Jo Walker und April Bondy machten ihre Aussagen im zuständigen Polizeirevier. Nachdem sie das Protokoll unterschrieben hatten, durften sie gehen. Zwei Stunden später setzte die Dämmerung ein. Lieutenant Tony Lane saß in sich zusammengesunken in seinem Büro. Ein Kippenberg türmte sich im Aschenbecher. Lane trank Kaffee, war unfähig, an etwas anderes zu denken als an Jennifer - und daran, wie er sie wiedergefunden hatte. Eine eiskalte Wut zirkulierte durch seine Adern. Er haßte nichts mehr auf der Welt als den Mann, dem er die Schuld daran gab, daß Jennifer nun nicht mehr lebte: Milt Mulligan. Er hatte Jo Walker ein Versprechen gegeben, aber er wußte im Augenblick noch nicht, ob er es auch tatsächlich würde halten können. Wenn er dem Mann gegenüberstand, der für Jennifers Tod verantwortlich war, würde er wohl für nichts mehr garantieren können. Tony Lane griff wieder nach dem Papierbecher und nippte vom heißen Kaffee, den ihm ein Kollege gebracht hatte. Es klopfte. Der Lieutenant reagierte nicht. Die Tür öffnete sich. Ein mittelgroßer Mann mit lustigen Augen und fliehendem Kinn trat ein. Sein Name war Gary Allentuck. Er hatte Tony den Kaffee gebracht "Na", sagte er gepreßt. "Tut dir der Negerschweiß gut, Tony?" "Ja. Danke, Gary." "Hör mal, warum quälst du dich hier in deinem Büro? Warum gehst du nicht nach Hause und schluckst zwei Schlaftabletten?" "Ich habe hier meinen Job zu tun Gary." "Aber doch nicht in diesem Zustand. Jedermann wird verstehen...." "Hör auf damit, Gary", fiel Tone Lane dem Kollegen ins Wort. Sein Ton war barsch. "Ich versehe meinen Dienst genauso wie bisher. Was ich privat am Hals habe, darf hier nicht ins Gewicht fallen." Allentuck nickte. "Okay. Okay, Tony. Du müßt selbst wissen, was du tust. Ich wollte dir nur helfen. Als Freund." "Das weiß ich. Entschuldige, daß ich dich vorhin so angefahren habe." "Ist schon in Ordnung", winkte Allentuck ab. Das Telefon läutete. Lieutenant Lane griff nicht sofort nach dem Hörer. Deshalb tat Gary Allentuck es für ihn. Lanes Kollege hob ab und meldet sich mit: "Ja? Hier Allentuck." Plötzlich weiteten sich seine Au gen. Sein Pulsschlag beschleunigte. Die Aufregung trieb ihm das Blut in Gesicht. "Wann?" fragte Allentuck scharf. Er bellte es geradezu. "Wo?" Er lauschte mit angespannten Zügen. "Danke", sagte er dann. "Ja, natürlich bezahlen wir für diese Information. Oder waren wir schon mal wortbrüchig? Na also." Gary Allentuck legte den Hörer sachte in die Gabel. Er blickte Lieutenant Lane mit glitzernden Augen an. "Was ist los?" fragte Tony Lane. "Wer war das?" "Ich glaube, heute ist für uns der Tag der großen Bescherung, Tony." "Wieso?" "Ich sprach soeben mit einem unserer Spitzel." ,,Und?" Copyright 2001 by readersplanet
"Milt Mulligan wird in einer halben Stunde zwei Dealer im ,Silvermoon' beliefern. Persönlich!" Lieutenant Lane sprang auf. Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. "Verdammt, auf diesen Augenblick habe ich sehnsüchtig gewartet. Jetzt kriegen wir das Schwein. Verständige Jerry Conant. Er soll zum ,Silvermoon' mitkommen." "Geht klar, Tony. Fühlst du dich jetzt wieder besser?" "Mach dir um mich keine Sorgen, Gary. Wenn ich Milt Mulligan kriege, bin ich wieder ganz obenauf."
* Sie rasten mit Rotlicht und Sirene durch Manhattan. Kurz vor dem Tompkins Square schaltete Jerry Conant Lichtspiel und Musik ab. Das ,Silvermoon' befand sich in der achten Straße Ost, nahe den Jacobs Riis Houses. Conant warf dem Lieutenant einen kurzen Blick zu. Tony Lanes Gesichtsausdruck gefiel ihm nicht. Vor allem der eiskalte Blick des Lieutenants machte ihm Sorgen. Tony Lane schlug immer wieder mit der Faust ungeduldig auf das Armaturenbrett. "Endlich!" murmelte er mehrmals. "Endlich! Endlich!" "Wir versuchen doch, ihn lebend zu kriegen, nicht wahr?" fragte Conant. "Das ist klar", erwiderte Gary Allentuck statt Lane. "Schließlich sind wir keine Killer. Von der Waffe darf nur im Notfall Gebrauch gemacht werden. Oder wenn Mulligan trotz des Befehls, stehenzubleiben, zu türmen versucht." Tony Lane preßte zwischen den Zähnen hervor: "Wir werden ihn vor Gericht schleppen, und man wird ihn einsperren, bis er schwarz wird." Aber es klang so, als wäre Tony Lane das zuwenig. Es hörte sich an, als wäre das Gefängnis für Milt Mulligan nicht Strafe genug. Sie erreichten die achte Straße. "Stop!" befahl Lieutenant Lane. Jerry Conants Fuß wechselte vom Gaspedal zur Bremse. Er brachte den Dienstwagen zum Stehen und sah, wie Tony Lane seinen Smith & Wesson aus dem Gürtelholster zog. Die Züge des Lieutenants wirkten dabei wie aus Granit gehauen. Conant hatte bei diesem Einsatz kein gutes Gefühl. Er wußte, daß Tony Lane erst vor wenigen Stunden seine Verlobte verloren hatte. Er wußte auch, daß Lane Milt Mulligan für den Tod von Jennifer George verantwortlich machte. Und ihm war außerdem bekannt, wie verdammt scharf Tony Lane schon seit langem auf den Rauschgift-Hai war. Hoffentlich gehen die Nerven nicht mit ihm durch, dachte Jerry Conant. Dann verließ er wie seine Kollegen den Wagen. Sie legten den Rest des Weges zu Fuß zurück. Das ,Silvermoon' war ein Nightclub, in dem die schärfsten Strip-Nummern von New York geboten wurden. Deshalb bestand das Publikum zu fünfundsiebzig Prozent aus Männern, die gern viel nacktes Fleisch sahen. Das Portal des Nightclubs bestand aus einer riesigen Silberscheibe, die den Vollmond darstellen sollte. Lichtstarke Scheinwerfer strahlten die Mondlandschaft grell an. Links neben dem Lokal gab es einen schmalen Durchlaß, der zum Hinterhof führte.
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Lieutenant Lane blieb stehen, als sie den Durchlaß erreichten. "Hört zu", sagte er zu seinen Kollegen. "Wir gehen vor wie bei einer Treibjagd. Ihr stürmt durch die Vordertür hinein. Milt Mulligan wird versuchen, sich durch die Hintertür abzusetzen - und da werde ich ihn erwarten." "Okay, Tony", sagte Gary Allentuck. "Mach's gut. Komm, Jerry." "Sorgt für ein bißchen Wind im Lokal. Ihr müßt Mulligan aufscheuchen." "Kein Problem", sagte Jerry Conant. Dann entfernte er sich mit Gary Allentuck. Lieutenant Lane sah die beiden im Nightclub verschwinden. Seine Züge verkanteten. Sein größter Wunsch würde sich in wenigen Augenblicken erfüllen. Er würde Milt Mulligan kriegen, und er würde dem Rauschgift-Hai eine verdammt hohe Rechnung präsentieren. Hastig entsicherte Lane seinen Revolver. Dann eilte er durch die Dunkelheit des Durchlasses. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Finsternis. Er erkannte die Umrisse der Hintertür, durch die ihm seine Kollegen Milt Mulligan in die Arme treiben würden. Er legte sich mit angespannten Nerven auf die Lauer. Es juckte ihn im Zeigefinger, und es würde ihm wohl sehr schwerfallen, den Mann, der schuld an Jennys Tod war, nicht über den Haufen zu schießen. Er konnte nur hoffen, daß er es irgendwie schaffte, Herr über sich selbst zu bleiben.
* Jo Walker und April Bondy aßen in Musis Bar & Grill zu Abend. Der kleine Armenier/Türke mit dem gewaltigen schwarzen Dschingis Khan-Bart bediente sie persönlich. Nachdem abserviert war, kam Musi, um sich zu erkundigen, wie es seinen Gästen geschmeckt hatte. Jo verkniff sich ein Grinsen und antwortete todernst: "An Aprils Apfeltorte war zuviel Knoblauch dran, und in meiner fand ich zwei Gräten. Aber ansonsten war alles wieder bestens." "Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun, Jo? Soll ich den Küchenchef oder meine. Gäste feuern?" "Was für eine Frage. Deine Gäste selbstverständlich", gab Jo schmunzelnd zurück. "Am besten, bevor sie bezahlt haben." "Das würde dir so passen", grinste Musi. Auf Jo's Einladung setzte er sich zu den beiden und trank mit ihnen ein Glas Rotwein. Wenig später zeichnete KX die Rechnung ab und verabschiedete sich mit April von Musi. Jo brachte seine Mitarbeiterin mit dem Mercedes zur 123rd Street hoch, wo April ein kleines Apartment hatte. Als KX den 450 SEL vor dem modernen Apartmenthaus anhielt, sagte April Bondy: "Ich muß immerzu an Tony Lane denken." "Ich auch", gab Jo zu. "Der Mann tut mir leid. Er hat mein ganzes Mitgefühl." "Und ich mache mir Sorgen um ihn. Er ist so schrecklich verbittert. Wenn es zwischen ihm und Milt Mulligan in den nächsten vierundzwanzig Stunden zu einer Konfrontation käme; könnte sich Tony zu einer nicht wiedergutzumachenden Unbesonnenheit hinreißen lassen. Er befindet sich, glaube ich, in einer schlimmen Krise." "Können wir ihm da nicht heraushelfen, Jo?" "Leider nein. Damit muß Tony allein fertigwerden." Copyright 2001 by readersplanet
April rutschte näher an KX heran. "Gute Nacht, Jo", sagte sie leise. Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. "Bis morgen, Partner", sagte Kommissar X schmunzelnd. April hob die Brauen. "Wer weiß. Vielleicht werd' ich's wirklich noch mal." Sie stieg aus. Jo wartete, bis sich das Haustor hinter ihr geschlossen hatte, dann ließ er den Silbergrauen wieder anrollen. Wenige Minuten später bog er wieder in die 7th Avenue ein. Er schielte zu Musis Bar & Grill hinüber und überlegte, ob er da noch einen Schlummertrunk am Tresen kippen sollte. Doch dann sagte er sich, daß er seinen Whisky auch zu Hause trinken könnte und lenkte den Mercedes zur Tiefgarage hinunter. Er stellte das Fahrzeug in der gemieteten Box ab und schlenderte zum Fahrstuhl. Sanft hob der Aufzug ab. Jo schwebte in höhere Regionen. Er hatte dabei ständig ein Bild vor sich, das bei ihm eine unangenehme Gänsehaut hervorrief: Jennifer George tot in diesem Abbruchhaus in der Beaver Street. Die Lifttüren öffneten sich. Jo verließ den Fahrstuhl. Und im selben Moment passierte es! Zwei vierschrötige Kerle stürzten sich auf Kommissar X. "Na endlich!" zischte der eine. "Wir mußten verdammt lange auf dich warten!"
* Jo wollte in den Fahrstuhl zurückspringen, doch die beiden Gangster ließen es nicht zu. Sie packten KX und zerrten ihn vom Aufzug weg. Der Detektiv riß sich los und verpaßte dem einen Gegner einen schmerzhaften Karatetritt. Dem anderen pflanzte er die Faust unters Kinn. Jetzt hatte er einen Augenblick Luft. Er wollte seine Automatic ziehen, doch bevor ihm das möglich war, stürmten die Schläger erneut auf ihn ein. Den Angriff des einen konnte Jo mit einem Schwinger stoppen. Aber im selben Moment brachte der zweite einen matt schimmernden Totschläger ins Spiel. Das Ding raste auf Jo zu. KX nahm im allerletzten Augenblick den Kopf zur Seite. Ein höllischer Schmerz explodierte in seiner getroffenen Schulter. Er konnte den linken Arm kaum noch gebrauchen. Einarmig hatte er gegen die beiden Profis nur noch verschwindend geringe Chancen. Er versuchte alles, um sich die Kerle vom Hals zu schaffen. Doch dann traf ihn ein kraftvoller Schlag. Er wurde zurückgerissen und prallte gegen die Wand. Er sah den Totschläger durch die Luft fegen und begriff im selben Moment, daß er diesen ungleichen Kampf nicht mehr gewinnen konnte. Und dann kam der Treffer. Jo sah tatsächlich Sterne. In allen Farben. Ihnen folgte eine Schwärze und das große Vergessen. Als Kommissar X wieder zu sich kam, lag er im Kofferraum eines fahrenden Wagens. Die Schläger hatten ihm die Arme auf den Rücken gebunden. Seine Lage war mehr als unbequem. Dennoch tastete Jo mit den gefesselten Händen seine Umgebung ab. Er war auf der Suche nach einem Gegenstand, der scharf genug war, um damit den Strick durchscheuern zu können.
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Aber er fand nichts weiter als einen Kreuzschlüssel und einen Wagenheber. Beides eignete sich nicht für seine Zwecke. Das Fahrzeug verlangsamte die Fahrt. Jo glaubte, Meerwasser zu riechen. Augenblicke später hielt der Wagen. Die Türen wurden geöffnet und klappten wieder zu. Das Auto schaukelte. Jo hörte Stimmengemurmel und Schritte. Die Schläger öffneten den Kofferraumdeckel. Der eine sagte: "Er weilt schon wieder unter den Lebenden." "Denkst du, der tut uns den Gefallen und kratzt ab?" sagte der andere Gangster. Harte Hände packten Kommissar X. Sie hievten ihn aus dem Kofferraum und stellten ihn auf die Beine. Jo blickte sich um. Sie befanden sich in einer finsteren Gegend in der Nähe des Downtown Heliport von Manhattan. Hinter den Schlägern entdeckte KX einen bunkerähnlichen Bau. "Alles bestens, Kommissar?" fragte einer der beiden höhnisch. "Nimm mir die Fesseln ab, und ich beweise dir, daß ich noch auf dem Posten bin", erwiderte Jo. "Du willst wohl noch was auf deine verdammte Matschbirne, wie?" "Für wen arbeitet ihr?" wollte Jo wissen. "Was ist schon ein Name? Doch nur Schall und Rauch. Du hast so viele Feinde in dieser Stadt, KX. Jeder könnte unser Auftraggeber sein." "Und wer ist es tatsächlich?" "Vielleicht erfährst du's kurz vor deinem Tod. Ende der Fragestunde. Hier geht's lang." Der Schläger ergriff Jos Schulter und zog ihn mit sich auf den bunkerähnlichen Bau zu. Sein Komplize schloß die Eisentür mit einem Dietrich auf. Dann trat er zur Seite und sagte grinsend: "Hereinspaziert in die gute Stube, Kommissar." Der Mann, der Jo an der Schulter hielt, versetzte dem Detektiv daraufhin einen brutalen Stoß. KX wurde förmlich durch die Tür katapultiert. Schon nach wenigen Schritten trat er ins Leere. Er verlor das Gleichgewicht und kippte nach vorn. Instinktiv krümmte er den Rücken. Jetzt kam ihm sein jahrelanges Karatetraining zugute. Man hatte ihm beizeiten beigebracht, aus allen möglichen Stürzen das Optimum herauszuholen. Jo konnte sehr gut fallen. Er kugelte eine steile Betontreppe hinunter, ohne sich bei diesem rasanten Sturz das Genick zu brechen. Natürlich, war das Gepolter nicht ohne Schmerzen und blaue Flecken abgegangen. Aber es war schon als Gewinn anzusehen, daß Kommissar X nicht neuerlich die Besinnung verlor. Oben schnickte einer der Gangster sein Feuerzeug an. "He, KX!" "Der Teufel soll euch holen!" gab Jo zurück. "Wir wünschen dir eine gute Nacht. Es ist die letzte in deinem Leben. Denn morgen wartet ein nasses Grab auf dich!" Die Kerle warfen die Tür zu und schlossen sie ab. Jo hörte den Wagen wegfahren. Dann war er allein.
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Lieutenant Lanes Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Er hockte hinter einer Mülltonne und wartete voll brennender Ungeduld. Wieviel Zeit war vergangen, seit Allentuck und Conant den Nightclub betreten hatten? Hätte Milt Mulligan nicht schon längst zur Hintertür herausgestürmt kommen müssen? Tony Lane nahm seine Dienstwaffe in die linke Hand. Mit der rechten fuhr er sich nervös über die Augen. Seine Geduld wurde hier auf eine verdammt harte Probe gestellt. Seine Nerven waren dieser enormen Belastung kaum noch gewachsen. War im ,Silvermoon' irgend etwas schiefgegangen? Wartete er hier vergebens auf den Heroin-Hai? Tony Lane nagte an seiner Unterlippe. Er konnte nicht mehr länger in der Hocke bleiben. Knie und Oberschenkel schmerzten ihn. Er stand auf und schüttelte die Beine. Sein Blick war unentwegt auf das Rechteck der Tür gerichtet. "Komm!" knurrte der Lieutenant leise. "Nun komm schon, Mulligan!" Die Dunkelheit war im Hinterhof so perfekt, daß man nicht einmal zwei Schritte weit sehen konnte. Tony Lane überlegte, ob er sich ebenfalls in den Nightclub begeben sollte. Er konnte das Lokal durch die Hintertür betreten. Als er diesen Gedanken in die Tat umsetzen wollte, vernahm er plötzlich schnelle Schritte, die sich der Tür näherten. Lieutenant Lane zuckte zurück. Sein Revolver wechselte wieder von der Linken in die Rechte. Jetzt kam Mulligan! Lane hob die Waffe. Im selben Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Eine eiskalte Woge überflutete Tony Lane. Er erblickte eine schemenhafte Gestalt. Das konnte nur Milt Mulligan sein. Für Lieutenant Lane gab es keinen Zweifel, daß er den Rauschgift-Hai vor sich hatte. Er konnte den Mann nicht erkennen. Er wußte einfach, daß das Milt Mulligan war. Im Combat-Anschlag zielte er auf die Gestalt. "Hände hoch, Mulligan!" brüllte er. Er bildete sich ein, so scharf wie ein Luchs zu sehen, und er sah, wie Milt Mulligan herumwirbelte und mit einer Waffe auf ihn zielte. Er mußte in dieser Notwehrsituation schneller sein als der Verbrecher, wenn er diese Begegnung überleben wollte. Tony Lane brauchte nichts zu tun. Es geschah alles wie von selbst. Sein Finger krümmte sich. Krachend entlud sich die Waffe. Milt Mulligan wurde von der Kugel zurückgestoßen, herumgerissen und zu Boden geschleudert. Der Mann blieb liegen, rührte sich nicht mehr. Lane ließ die Waffe jedoch noch nicht sinken. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Mulligan war ein gerissener Schurke. Nach wie vor war höchste Vorsicht geboten. Mit vibrierenden Nerven erreichte Tony Lane die auf dem Boden liegende Gestalt. Er beugte sich zu dem Reglosen hinunter, setzte ihm den Revolver an den Körper, fühlte den Puls. Der Mann war tot. Tony Lane drohte keine Gefahr von ihm. Der Lieutenant steckte den Smith & Wesson weg. Er brauchte die Waffe im Augenblick nicht mehr.
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Er hatte keinerlei Gewissensbisse wegen des Toten. Im Gegenteil. Er war in gewisser Weise erleichtert, ja er war geradezu froh darüber, daß Milt Mulligan ihn gezwungen hatte, von der Waffe Gebrauch zu machen. Jetzt war Jennifer Georges Tod wenigstens so gesühnt, wie Tony Lane es sich tief in seinem Inneren gewünscht hatte. Rasch griff der Lieutenant nach der Schulter des mit dem Gesicht nach unten Liegenden. Er drehte den Mann um. Und dann traf ihn der Schock mit der Wucht eines Keulenschlages! Vor ihm lag nicht Milt Mulligan, sondern Jerry Conant, sein Kollege. Und er - Lieutenant Tony Lane - hatte ihn erschossen!
* Kommissar X erhob sich ächzend. Es roch übel in dem bunkerähnlichen Bau. Jos Rücken und der Brustkorb schmerzten. Bei jedem Atemzug taten ihm die Rippen weh. Er durchmaß sein Gefängnis. Es war nicht größer als sechs Schritte im Quadrat. Jo fielen die Worte des Schlägers ein. Ein nasses Grab wartete morgen auf ihn. Das bedeutete, daß man ihn im Atlantic versenken wollte. Schon tot? Oder noch lebendig? KX fragte sich, warum die Kerle das nicht gleich getan hatten. Die einzige Antwort, die ihm darauf einfiel, war, daß nicht die Schläger, sondern jemand anders sich das Vergnügen vorbehielt, den bekannten Kommissar X um die Ecke zu bringen. Jo fand einen rauhen Mauervorsprung. Er fing sofort an, die Fesseln daran zu scheuern. Wie es aussah, konnte das zu einer Lebensaufgabe werden. Aber soviel Zeit stand ihm nicht zur Verfügung. Er ließ von der Mauer ab und stieg die steile Treppe hinauf. Darauf hoffend, daß sich irgendein Penner in der Nähe für diese Nacht einquartiert hatte, schlug er mit den Füßen kräftig gegen die Eisentür. Die Schläge mußten weithin zu hören sein. Doch niemand kam, um sich um Jo zu kümmern. Daraufhin warf er sich so lange gegen die Tür, bis ihn beide Schultern schmerzten. Das war aber auch alles, was er damit erreichte. Die Eisentür gab nicht nach. Deshalb schrie sich KX eine Viertelstunde lang die Seele aus dem Leib, und als er auch damit nichts erreichte, kehrte er zu dem rauhen Mauervorsprung zurück und begann die Stricke wieder daran zu schaben. Der Morgen war noch weit. Vielleicht schaffte er es, freizukommen. Wenn es Jo nicht gelang, sich selbst aus dieser verteufelten Lage herauszuhauen, würde ihm das nasse Grab im Atlantic nicht erspart bleiben. Dessen war er sich vollkommen bewußt. Deshalb zog er die Stricke immer wieder verbissen über die rauhe Kante. Unermüdlich. Eine andere Chance hatte er nicht, mit heiler Haut davonzukommen.
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"Mulligan ist durch den Keller abgehauen. Mit dem Heroin!" keuchte Gary Allentuck. Er trat aus der Tür. Plötzlich stoppte er und zog die Luft geräuschvoll ein. "Um Himmels willen, Tony!" stieß er entsetzt hervor. "Was hast du getan?" Lane erwiderte mit krächzender Stimme: "Ich habe ihn für Milt Mulligan gehalten..." "Verdammt, in deinem Zustand mußtest du einfach jeden für Milt Mulligan halten!" "Warum hat er sich nicht zu erkennen gegeben? Ich habe ihn gerufen. Er drehte sich um. Ich hatte den Eindruck, er würde seine Waffe auf mich richten. Ich war gezwungen, schneller zu sein." "Das hast du dir eingebildet; Tony. Du wolltest Mulligan sehen, deshalb hast du ihn auch gesehen. Du wolltest ihn in Notwehr erschießen. Deshalb hast du gesehen, wie er mit seiner Waffe auf dich zielte. Oh, Mann, was ist das bloß für eine verdammte Scheiße, Tony! Du weißt, daß kein Polizist auf einen nicht identifizierten Gegner schießen darf!" Tony Lane richtete sich steif auf. "Ich hätte auf dich hören und nach Hause gehen sollen, Gary." "Verflucht, ja, das hättest du tun sollen, dann wäre Jerry jetzt noch am Leben." "Ich kann nicht ausdrücken, wie leid es mir tut..." Gary Allentuck streckte die Hand aus. "Gib mir deine Waffe, Tony. Du weißt, was jetzt auf dich zukommt." "Ja, Gary. Und es geschieht mir recht." "Nun gib die Kanone schon her. Ich tu's nicht gern, aber ich bin gezwungen, dich in Anbetracht der Lage festzunehmen." Wortlos drückte Tony Lane dem Kollegen den Smith & Wesson in die Hand. Er hatte das Gefühl, jeden Augenblick müsse die Welt aus ihren Fugen platzen. Jennifer George war tot, und Jerry Conant lebte nicht mehr. Und der Mann, dessentwegen diese beiden Menschen ihr Leben verloren hatten, lief immer noch frei herum. So verkehrt konnte die Gerechtigkeit doch nicht sein! Tony Lane verfiel in Apathie. Er merkte kaum noch, was mit ihm passierte. Erst eine Stunde später kam er halbwegs wieder zu sich. Da befand er sich im Büro seines Vorgesetzten. Der hagere Mann mit den ernsten Augen schüttelte langsam den Kopf. "Ich habe noch nie erlebt, daß einen Mann das Schicksal so schwer getroffen hat wie Sie, Tony. Ich bin gezwungen, Sie um Ihren Dienstausweis zu bitten. Glauben Sie mir, es fällt mir nicht leicht..." "Das geht schon in Ordnung, Captain", erwiderte Lane. Seine Stimme klang fremd. Er legte den Ausweis auf den Schreibtisch. "Ich muß Sie bis auf weiteres vom Dienst suspendieren." "Ist mir klar, Captain." Der hagere Mann schüttelte wieder den Kopf. "Und das passiert dem besten Mann, den die Narcotic Squad je zur Verfügung hatte. Ich versteh's nicht. Ich versteh's einfach nicht." Tony Lane erhob sich. "Kann ich jetzt gehen, Captain?" "Was haben Sie vor?" "Nichts. Ich will nur nach Hause, mich ins Bett legen, zwei Schlaftabletten nehmen und...vergessen." Der hagere Vorgesetzte legte Tony Lane die Hand auf die Schulter. "Ich werde alles in meiner Macht Stehende für Sie tun, Tony. Die gesamte Abteilung steht auch weiterhin hinter Ihnen. Ein Verfahren läßt sich selbstverständlich nicht vermeiden, aber ich verspreche Ihnen, daß wir uns alle mit ganzer Kraft dafür einsetzen werden, damit Sie uns erhalten bleiben." Der Lieutenant nickte müde. "Ich danke Ihnen, Captain." Copyright 2001 by readersplanet
Mit schleppenden Schritten verließ er das Büro seines Vorgesetzten. Ein gebrochener Mann, der daran zweifelte, sich jemals wieder aufrichten zu können.
* Als der Morgen anbrach, waren die Stricke immer noch nicht durchgeschabt. Aber sie schnitten nicht mehr ganz so schmerzhaft ins Fleisch. Jo hörte das Brummen eines Automotors. Als das Fahrzeug stoppte, wußte Kommissar X, daß er gleich Besuch bekommen würde. Er setzte sich auf die unterste Stufe und wartete. Schwere Schritte näherten sich oben der Eisentür. Das Schloß klackte. Ächzend schwang die Tür auf. Jo kniff geblendet die Augen zusammen. Er sah drei Männer. Sie kamen die Treppe herunter. Jo Walker kannte sie alle drei. Mit zweien hatte er in der vergangenen Nacht Bekanntschaft gemacht. Der dritte war Zach Bolek, Milt Mulligans Killer. Nun erübrigte sich die Frage, für wen die beiden Schläger ihre Fäuste geschwungen hatten. Der Tscheche trug wieder seine olivfarbene Windjacke. Jo erinnerte sich, die Jacke schon einmal gesehen zu haben. Ein Mann hatte sie getragen, der drauf und dran gewesen war, den Dealer Tidy O'Neill vom Glasdach herunterzureißen. "Aufstehen!" befahl Bolek, und als Jo seinem Befehl nicht sofort Folge leistete, versetzte ihm der Tscheche einen Tritt. KX erhob sich. "Hier sieht man sich also wieder." "Wieso wieder?" "Hast du deinen Besuch bei Tidy O'Neill schon vergessen?" Es funkelte eiskalt in den Augen des Killers. Jo bleckte die Zähne. "Es wäre mir lieber gewesen, wenn du nicht vor mir davongelaufen wärst, Bolek. Dann würdest du heute schon gesiebte Luft atmen." Die Augen des Tschechen verengten sich. "Ich laufe vor niemanden davon, Walker. Merk' dir das!" "Okay. Es war eine taktische Maßnahme - nicht Feigheit, nicht wahr?" Bolek schlug ansatzlos zu. Jo spannte die Bauchmuskeln, deshalb fiel der Schlag nicht so schmerzhaft aus, wie er beabsichtigt gewesen war. "Du verdammter Schnüffler! Ich werde dir dein großkotziges Maul schon stopfen!" fluchte der Killer. "Hat Mulligan dir dazu den Auftrag gegeben?" "Es gelang mir, ihn davon zu überzeugen, daß nur ein toter Walker ein guter Walker für uns ist." "Was hast du mit mir vor?" "Du gehst baden. In den großen Teich. Und zwar für immer. Es war hoch an der Zeit, daß sich jemand findet, der dich aus dem Verkehr zieht. Du bist in den Kreisen, in denen ich verkehre, verdammt unbeliebt." "Das weiß ich, und das ehrt mich." "Bringt ihn hinauf!" verlangte Zach Bolek von seinen Männern.
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Wie Stahlklammern schlossen sich die Finger der Schläger um Jo Walkers Arme. Sie schleppten ihn aus dem bunkerähnlichen Bau. Über New York spannte sich ein strahlendblauer Himmel. Die Sonne schien hell. Lichtreflexe tanzten auf dem Wasser. "Ist das nicht ein herrlicher Tag zum Abschiednehmen von der Welt?" höhnte Zach Bolek. "Ich würde dir liebend gern den Vortritt lassen", gab Jo frostig zurück. Bolek lachte schnarrend. "Das kann ich mir denken. Aber ich habe die Absicht, mein Leben noch ein Weilchen zu genießen. Das kann ich um so besser, je weniger Typen von deiner Sorte es in unserer Stadt gibt." Die Schläger erreichten mit Jo den Kai. Sie schleppten ihn Stufen hinunter. Zwei Motorboote dümpelten an der Mauer. Jo wurde an Bord gehievt. Zach Bolek gesellte sich zu ihm. Der Killer zog seine Luger aus dem Hosenbund. Er richtete die Waffe auf KX. "Runter in die Kajüte, Walker!" Jo stolperte den Niedergang hinunter. Er mußte sich auf eine Polyesterbank setzen, und einer der beiden Schläger band die Beine des Detektivs an das Bein der mit dem Schiffsboden verschraubten Bank. "Abfahren", verlangte Zach Bolek. Daraufhin verließ der Vierschrötige die Kajüte und ließ die Zwillingsmotoren an. Zach Bolek setzte sich Jo gegenüber. Immer noch hielt er seine Luger in der Hand. Unter Jos Füßen begann der Boden zu vibrieren. Das Boot legte ab. Und das zweite Motorboot - gesteuert vom zweiten Schläger - folgte ihnen in einem Abstand von etwa zwanzig Yards. "Wir fahren deinem Ende entgegen, Walker", sagte Zach Bolek. Er genoß die Situation sichtlich. "Wie fühlt man sich in einer solchen Situation? Beschissen?" "Du sagst es", gab Jo trocken zurück. "Du wirst sterben, wie es für den großen Kommissar X würdig ist: mit einem Paukenschlag. Nicht durch eine Kugel. Nein, das würde deinem Format nicht gerecht werden. Du bist ein Mann, vor dem die Unterwelt New Yorks gezittert hat. Dein Abgang soll dementsprechend spektakulär sein." "Was hat sich dein krankes Gehirn einfallen lassen?" Zach Bolek grinste. "Gib dir keine Mühe, Walker. Ich lasse mich von dir nicht provozieren. Wir befinden uns auf einem geklauten Boot." "Und?" "Deshalb fällt es mir nicht schwer, das Schiff zu opfern." "Ich verstehe, du willst mich mitsamt dem Kahn versenken." "Ja. Aber nicht auf die simple Tour", sagte der Tscheche. Er steckte endlich die Luger weg, griff hinter sich und zog die Schiebetür eines Kästchens zur Seite, das an der Wand hing. Jo überlief es eiskalt, als er sah, was sich in dem Kästchen befand: Ein großer Wecker war es. Sein Ticken konnte man wegen des Motorenlärms nicht hören. Der Anblick des Weckers hätte jedoch nicht gereicht, um Jo zu erschrecken. Was ihn erschreckte, waren die acht Dynamitstangen, die hinter dem Wecker lagen und die mit bunten Drähten mit der Uhr verbunden waren. "Eine primitive Bombe nur", sagte Zach Bolek grinsend. "Aber die Wirkung wird sich sehen lassen können." "Du bist ein Teufel!" knirschte Kommissar X. Copyright 2001 by readersplanet
"Ich werte das als Kompliment" erwiderte der Tscheche. "Meine Bombe wird dich und das Schiff in kleine Stücke zerreißen. Sie wird dich zum mundgerechten Fischfutter machen, Jo Walker. Schade, daß ich nicht dabeisein kann, wenn nur noch wenige Sekunden bis zum großen Knall fehlen. Ich würde gern sehen, was du dann für ein Gesicht machst." "Meinetwegen brauchst du nicht wegzugehen", erwiderte Jo eisig. "Die Ladung reicht auch für uns beide." Das Boot fuhr plötzlich mit gedrosselten Motoren. Augenblicke später verstummte das Gebrumm. Jetzt war das Ticken der Uhr zu hören. Überdeutlich! Zach Bolek erhob sich. "Wie viele Minuten Todesangst kann ein Mann wie du wohl aushalten, Walker? Ich denke, daß dich zehn Minuten in den Wahnsinn treiben können." "Mistkerl!" Der Tscheche überhörte die Beleidigung. Er stellte die Uhr und wandte sich dann wieder an Jo. "In genau zehn Minuten bricht für dich die Hölle auf, Walker. Sie wird dich mit Haut und Haaren verschlingen. Ich habe dafür gesorgt, daß du die Uhr ständig vor Augen hast. Du siehst, ich habe mir mit dir die größte Mühe gegeben. Nun trage du das deine dazu bei, daß das Ganze zu einem großartigen Erfolg wird." Lachend verließ der Tscheche die Kajüte. Inzwischen war das zweite Motorboot herangekommen. Bolek und der Mann, der das geklaute Schiff gesteuert hatte, sprangen nach drüben. Das Motorboot legte sofort wieder ab und fuhr in Richtung Manhattan zurück. Man überließ Kommissar X einfach seinem Schicksal, das sich in zehn Minuten erfüllen sollte.
* Jo stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Das Ticken des Weckers war eine Marter für ihn, denn jedes Ticken war eine wertvolle Sekunde, die verlorenging. Unwiederbringlich! Fünf Minuten waren bereits vergangen. Jo keuchte vor Anstrengung. Er versuchte die Fesseln zu sprengen, doch seine Kraft schien dafür nicht auszureichen. Von Zach Bolek und den beiden Schlägern war nichts mehr zu hören und zu sehen. Sie hatten Manhattan bestimmt schon fast wieder erreicht. Ihr Boot war schneller als das, was sie geklaut hatten. Das, auf dem sich Jo befand, brauchte nicht schnell zu sein. Es war ein schwimmender Sarg, der in . . fünf Minuten in die Luft fliegen würde. Jo kannte die Wirkung einer einzigen hochgehenden Dynamitpatrone. Sie hätte völlig ausgereicht, um sein Leben auszulöschen. Doch Zach Bolek bewies, daß er großzügig war und hatte die Sprengkraft der Bombe verachtfacht. Viereinhalb Minuten. Ein höllischer Countdown. Und das Ticken der Uhr schien immer lauter zu werden. Aufdringlich laut, so daß Jo immerzu zu ihr hinsehen mußte. Er konnte förmlich beobachten, wie sich der große Zeiger bewegte. Dieser verdammte Zeiger stahl ihm die Zeit, schien davon nicht genug kriegen zu können.
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Jo bäumte sich auf. Er versuchte sich vom Bein der Sitzbank loszureißen, merkte aber sehr schnell, daß er dabei nur wertvolle Kraft vergeudete. Seine einzige Chance waren die fusseligen Handfesseln. Es mußte ihm gelingen, sie loszuwerden. Er mußte sie sprengen. Drei Minuten nur noch bis zur losbrechenden Hölle. Jo schloß die Augen. Er konzentrierte sich. Er versuchte tief und regelmäßig zu atmen. Und während er dies tat, trachtete er, nicht an die drohende tödliche Gefahr zu denken, die mit jeder Sekunde näherrückte. Der Schweiß rann ihm von der Stirn über die Augen. Große Tropfen rannen ihm auch an den Schläfen und über die Wangen hinunter. Er nahm seinen ganzen Willen zusammen, bot die gesamte Kraft auf, die in ihm steckte. Er wußte, daß er nur einen einzigen Versuch hatte. Wenn der mißlang, war er verloren. Als er die Augen wieder öffnete, stellte er erschrocken fest, daß die letzten zwei Minuten angebrochen waren. Jetzt übermannte ihn die Todesangst, die er so lange unterdrücken konnte. Er spannte die Muskeln. Die Adern traten ihm weit aus dem Hals. Er kämpfte verbissen gegen die Fesseln. Die Angst verlieh ihm zusätzliche Kräfte. Ohne sie hätte er es wohl nicht mehr geschafft. Aber da war plötzlich ein unerwarteter Ruck. Und dann konnte Jo die Hände auseinandernehmen. Eilig bückte sich Kommissar X. In fieberhafter Hast löste er die Beinfesseln. Er sprang auf. Fünfzehn Sekunden! Jo griff nach dem Wecker. Gehetzt löste er einen Draht nach dem anderen. Der letzte Draht! Und dann war die Minute um. Aber der tödliche Knall blieb aus. Jo atmete erleichtert auf und setzte sich auf die Bank, auf der Zach Bolek vor zehn Minuten gesessen hatte. Er blickte auf seine Hände und sah, wie sie zitterten. War es ein Wunder nach diesen schrecklichen zehn Minuten, die er hinter sich hatte? Er gönnte sich weitere fünf Minuten, um sich zu erholen. Jetzt spürte er, daß er in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan hatte. Er war müde, abgeschlafft. Er fühlte sich dreckig, hätte gern ein Bad genommen, sich rasiert und für mindestens zwei Stunden aufs Ohr gelegt. Nach den fünf Minuten ging es ihm etwas besser. Er kletterte aus der Kajüte und ließ die Zwillingsmotoren an. Gleich darauf nahm er Kurs auf Manhattan. Jo grinste hart. Zach Bolek hätte bis zum Knall bleiben sollen, aber der Killer war sich seiner Sache zu sicher gewesen. Das sollte für den Tschechen nun zum Bumerang werden. Jo hatte die Absicht, sich den Mann noch in dieser Stunde zu kaufen. Vielleicht gelang es ihm, Milt Mulligan dabei gleich mit zu kassieren. Immerhin hatte der Tscheche in Mulligans Auftrag gehandelt. Jo fuhr zwischen Brooklyn und Richmond unter der Verrazano-Narrows-Bridge durch. Er erreichte die Upper New York Bay und ging kurz darauf ungefähr dort wieder an Land, wo ihn die Gangster auf das gestohlene Boot verfrachtet hatten. Von der nächsten Telefonzelle aus rief er sein Büro an. April Bondy hob ab. "Jo!" rief sie aufgeregt, als er sich meldete. "Wo warst du die ganze Nacht? Ganz bestimmt nicht in deinem eigenen Bett, davon habe ich mich überzeugt." Jo grinste. "Hör mal, was soll ich denn davon halten? Du spionierst mir nach?" Copyright 2001 by readersplanet
"Ich finde, als deine Mitarbeiterin steht mir das zu, und ich habe das Recht, zu fragen, wo du die Nacht verbracht hast." "Ich war allein..." "Das kannst du deiner Großmutter erzählen!" "Darf ich jetzt auch mal was sagen?" "Okay. Aber ich warne dich, Jo. Ich laß mich von dir nicht verkohlen." "Also: Nachdem ich dich nach Hause gebracht habe, fuhr ich geradewegs heim." "Ich glaube dir kein Wort." "Unterbrich mich bitte nicht, April. Als ich zu Hause im vierzehnten Stock aus dem Lift stieg, warteten zwei Kerle auf mich..." "O mein Gott, Jo!" Kommissar X berichtete seiner Sekretärin in Schlagworten, was sich dann alles ereignet hatte. Als er geendet hatte, sagte April kleinlaut: "Ich glaube, ich habe dir diesmal unrecht getan, Jo. Verzeih mir." "Na schön", sagte Kommissar X schmunzelnd. "Aber es ist das letzte Mal..." "Himmel", platzte es aus April Bondy heraus. "Dann weißt du ja noch gar nicht, was für ein großes Pech Tony Lane gehabt hat." "Tony? Noch ein Schicksalsschlag?" "Die Polizei bekam einen Tip, wonach Milt Mulligan im ,Silvermoon' zwei Dealer mit Stoff versorgen würde. Tony Lane machte sich mit zwei Kollegen unverzüglich auf den Weg zum Nightclub. Während die beiden Beamten durch die Vordertür in das Lokal stürmten, wartete Lane an der Hintertür auf Mulligan. Dann erschoß er einen seiner beiden Kollegen, den er für Mulligan gehalten hatte." Jo merkte, wie sein Mund austrocknete. "Hatte der arme Teufel denn nicht schon genug am Hals?" krächzte er. "Man hat ihn vom Dienst suspendiert, Jo." "Das ist ganz verständlich." "Er ist mit Leib und Seele Polizist. Muß ihn eine solche Maßnahme nicht vollends aus der Bahn werfen?" "Er wird einsehen, daß er unter diesen Umständen seinen Job vorläufig nicht weiter ausüben darf." "Besteht nicht die Gefahr, daß er nun privat Jagd auf Milt Mulligan machen wird, Jo?" fragte April Bondy besorgt. "Er macht doch Mulligan für das ganze Unglück verantwortlich." April hatte recht. Der Polizist befand sich zur Zeit auf einer gefährlichen Kippe. Wenn er seelisch nicht stark genug war, konnte es zur Katastrophe kommen. Tony Lane brauchte jetzt jemanden, der sich um ihn kümmerte, der ihm jenen Halt gab, den er nötig hatte, um nicht abzurutschen. "Ich kümmere mich um ihn", entschied Kommissar X und hängte den Hörer an den Haken. Er verließ die Telefonbox. Das erste freie Taxi, das vorbeikam, hielt er auf. Er nannte dem Fahrer Tony Lanes Adresse und sank dann mit besorgter Miene in die Polster.
* Seit dem Zwischenfall im ,Silvermoon' ging Milt Mulligan keinen Schritt mehr ohne Leibwächter. Der Mann war jung und optimal durchtrainiert. Er konnte mit seiner Bleispritze umgehen wie kein zweiter. Copyright 2001 by readersplanet
Seine Nähe vermittelte dem Rauschgift-Hai ein angenehmes Gefühl der Sicherheit, das er in dieser für ihn so gefährlichen Zeit nicht mehr missen wollte. Sie waren mit einem von Mulligans Autos unterwegs. Der Leibwächter lenkte das Fahrzeug, während sein Boß ein Geschäftsgespräch über das Autotelefon abwickelte. "Zwanzig Pfund", sagte der Rauschgift-Hai. "Qualität wie gehabt. Ich kaufe nur erstklassige Ware, das ist bekannt." "Über unsere Waren hatten Sie sich noch nie zu beklagen", erwiderte sein Gesprächspartner. "Das ist richtig. Aber mit dem Preis war ich nie zufrieden." "Tja, was soll man machen? Wir sind an den hohen Preisen nicht schuld. Wir sind gezwungen, teuer einzukaufen. Qualität hat eben ihren Preis. Und ein bißchen was möchten wir verständlicherweise auch verdienen, das werden Sie uns doch zubilligen, Mulligan." "Wann kann ich mit der Lieferung rechnen?" "Übermorgen." "Ich brauche das Zeug schon morgen, und ich zahle in bar." "Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann, Mulligan." "Strengen Sie sich an. Ich bin schließlich nicht einer eurer kleinen Kunden. Bei den Mengen, die ich euch im letzten Halbjahr abgenommen habe, sollte eigentlich auch ein kleiner Rabatt für mich drin sein." "Also, daran ist beim besten Willen nicht zu denken, Mulligan. Wir wissen Sie als Kunden zwar zu schätzen..." "Habt ihr keine Angst, daß ich zur Konkurrenz gehen könnte?" fragte der Rauschgift-Hai. "Man würde mich da bestimmt mit offenen Armen aufnehmen." "Das mag sein. Aber Sie wären mit der Qualität der Ware, die man Ihnen da anbieten würde, garantiert nicht zufrieden." "Na schön. Zwanzig Pfund zu den üblichen Bedingungen", sagte Milt Mulligan zufrieden. "Ich erwarte Ihren Mann morgen abend." Sein Leibwächter warf ihm einen kurzen Blick zu. Mulligan grinste. "Hast du gehört? So macht man Geschäfte. Ich wußte, daß der Bursche mir keinen Rabatt einräumen würde. Aber ich habe mit meiner Forderung immerhin erreicht, daß er seinen Preis nicht erhöhte, was er bestimmt im Sinn hatte," "Sie sind ein gerissener Geschäftsmann, Mr. Mulligan." "O ja", sagte der Heroin-Hai. Er lächelte selbstgefällig. "Das bin ich in der Tat. Soll ich dir mal meinen nächsten Schachzug verraten?" "Sie können mir vertrauen." "Das weiß ich, sonst hätte ich dich nicht zu meinem Schutzengel auserkoren", sagte Milt Mulligan. "Als nächstes lasse ich Lieutenant Tony Lane über die Klinge springen. Der Kerl hätte mich gestern abend beinahe erwischt. Er ist so scharf auf mich, wie es noch nie ein Bulle war." ,,Von dem haben Sie vorläufig meiner Ansicht nach nichts zu befürchten. Er hat bei der gestrigen Aktion seinen Kollegen umgenietet und wurde vom Dienst suspendiert." "Ist mir bekannt. Er hatte am selben Tag gleich zweimal Pech. Du kannst dir vorstellen, wie das in Lane nagt. Er macht für all das mich verantwortlich. Er will mich um jeden Preis kriegen. Daß er vom Dienst suspendiert ist, stört den bestimmt nicht. Im Gegenteil, wenn er nicht mehr Polizist ist, kann er so loslegen, wie es ihm am effektvollsten erscheint. Er braucht auf keine Vorschriften mehr Rücksicht zu nehmen..." "Er ist trotz allem noch ein Bulle", entgegnete der Leibwächter. "Yeah", meinte der Rauschgift-Hai. "Ein Bulle, der mich wie die Pest haßt. Und dieser Haß wird ihn eines Tages über seinen eigenen Schatten springen lassen. Dann setzt er sich über Copyright 2001 by readersplanet
alles hinweg, was ihn daran hindert, mich zu erwischen. So weit lasse ich es erst gar nicht kommen. Ich schlage früher zu. ich werde Zach Bolek beauftragen, mir diesen lästigen Bullen vom Hals zu schaffen. Man muß vorausschauen können, wenn man überleben will. Der Existenzkampf ist verdammt hart, mein Lieber." Sie erreichten den Battery Park. Der Leibwächter hielt den Wagen vor dem hohen Gebäude an, in dem Milt Mulligan wohnte. Augenblicke später durchschritten sie die große Halle, deren Decke von Marmorsäulen gestützt wurde. Der Gorilla vor dem Penthouse-Lift nahm so etwas wie Haltung an, als er Mulligan erblickte. Der Rauschgift-Hai boxte den Mann grinsend in den Bauch. "Alles in Ordnung, Jim?" "Ja, Boß. Alles bestens." "Halt auf jeden Fall heute mehr als sonst die Augen offen." "Das mach' ich, Boß, Sie können sich auf mich verlassen. Ein ungebetener Typ gelangt nur über meine Leiche ins Penthouse." "So ist's richtig", Mulligan nickte zufrieden. Während er mit seinem Leibwächter dann den Fahrstuhl betrat, rümpfte er kaum merklich die Nase, als könne er riechen, daß etwas Unangenehmes in der Luft lag.
* Lieutenant Tony Lane wohnte in der 34. Straße West, nahe dem 30th Street Terminal. Jo Walker stieg aus dem Yellow Cab, nachdem er die Fahrt bezahlt hatte. Vom Hudson River her wehte eine kühle Brise durch die Straßenschlucht. Kommissar X betrat ein vierstöckiges Gebäude, das sich zwischen den riesigen Betonklötzen wohl nicht mehr allzu lange behaupten würde. Tony Lanes Wohnung befand sich in der zweiten Etage. Auf dem Weg nach oben roch es nach Blumenkohl, Kaffee und Wirsing. Im zweiten Stock drückte KX auf den Klingelknopf. Er erwartete, daß Tony Lane ihm öffnen würde, doch die Tür blieb geschlossen. Das beunruhigte Jo Walker. Er läutete noch einmal, versuchte sich einzureden, Lane habe ein stark wirkendes Barbiturat eingenommen und würde immer noch unter dessen Wirkung stehen. Doch als ihm Tony Lane auch nicht auf sein Sturmläuten öffnete, war es für Kommissar X gewiß, daß der Lieutenant nicht zu Hause war. Das konnte gewiß vielerlei Gründe haben, doch Jo wollte nur einen gelten lassen: Tony Lane war auf dem Weg zu Milt Mulligan, um mit dem Rauschgift-Hai auf privater Basis abzurechnen! Jo verließ in großer Eile das Gebäude. Schräg gegenüber stand eine Telefonbox. Kommissar X fütterte den Automaten mit einem Dime und wählte anschließend die Nummer seines Büros. April hob sofort ab. "Tony ist nicht zu Hause", sagte Jo. "Was wirst du jetzt unternehmen? Wirst du ihn suchen?" ,,Das ist nicht nötig. Ich denke, daß ich sein Ziel kenne. Er ist entweder schon bei Milt Mulligan, oder er wird demnächst dort auftauchen. In jedem Fall werde ich versuchen, zu verhindern, daß es in Mulligans Penthouse zur Katastrophe kommt." "Viel Glück, Jo." "Danke. Das kann vor allem Tony Lane brauchen." Copyright 2001 by readersplanet
* Robert Rossiter liebte Waffen über alles. Waffen und Mädchen. Für beides opferte er seinen letzten Cent, und er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn jemand ein Mädchen oder eine Waffe schlecht behandelte. Als das Girl in Rossiters Stammlokal die Ohrfeige bekam und schrill quietschte, wandte sich Robert Rossiter mit einem ärgerlichen Ruck um. Er war ein grober Klotz, der seine Finger in allen möglichen illegalen Geschäften hatte. Es fiel ihm nicht schwer, immer neue Einnahmequellen aufzureißen. Er hatte gepflegte Hände und manikürte Fingernägel, doch selbst der elegante Anzug konnte nicht kaschieren, daß dieser Mann aus der finstersten Gosse hochgekommen war. Rossiter kniff die Augen unwillig zusammen. Er starrte den Fettsack an, der die Schwarzhaarige geschlagen hatte. Sie rieb sich die Wange und schluchzte leise, war ein hübsches Mädchen, nur ein bißchen zu ordinär geschminkt. "Dir werde ich noch klarmachen, nach wessen Pfeife getanzt wird!" knurrte der Fette. "Nelly", sagte Rossiter eisig. "Komm her." Die Schwarzhaarige blickte ihn mit tränenverhangenem Blick an. "Du bleibst!" forderte der Dicke. "Komm her", wiederholte Robert Rossiter. Es klang gelassen. Aber irgendwo in seiner Stimme schwang etwas mit, das den Dicken hätte warnen müssen. Nelly wußte nicht, wie sie sich entscheiden sollte. "Er wird dir nichts tun", versicherte ihr Rossiter. Daraufhin begab sich das Mädchen zu ihm. Der Fettsack kam angeschnauft. Seine Augen, die zwischen dicken Lidwülsten glitzerten, versuchten Rossiter zu durchbohren. "Verdammt, was mischst du dich in meine Angelegenheiten, Rossiter?" "Du wirst dich bei Nelly entschuldigen", sagte Rossiter ernst. Der andere begann schallend zu lachen. "Bei der Nutte? Du spinnst wohl." "Sag, daß es dir leid tut, sie geschlagen zu haben, und gib ihr zwanzig Dollar Schmerzensgeld." "Sag mal, für wen hältst du dich?" schrie der Dicke zornig. "Wieso spielst du dich als Nellys Beschützer auf? Sie schafft für mich an, und sie hat die Backpfeife schon lange verdient!" Rossiter preßte zwischen den Zähren hervor: "Sag, daß es dir leid tut!" "Ich denke nicht daran!" Der Mann hinter dem Tresen brachte sich ängstlich in Sicherheit. Er kannte Rossiter und wußte, was gleich passieren würde. Und da explodierte Robert Rossiter auch schon. Seine Faust traf den Dicken schmerzhaft. Er schickte eine Gerade hinterher. Eine Schlagdoublette warf den Fetten auf einen der leeren Tische. Ehe der Mann zu Boden gehen konnte, packte ihn Rossiter mit beiden Händen. Er riß den Dicken mit sich, stieß mit dem Fuß die Tür auf und warf ihn aus dem Lokal. "Laß dich hier nicht wieder blicken!" sagte Robert Rossiter frostig. "Sonst zerlege ich dich in deine Bestandteile und baue dich verkehrt wieder zusammen!" Der Fette lehnte angeschlagen an einem schiefergrauen Cadillac Fleetwood. Rossiter streckte ihm die Hand entgegen: "Das Schmerzensgeld für Nelly!" verlangte er. Der Mann kramte in seinen Taschen herum und gab Rossiter einen Zwanzigdollarschein. "Verdammt!" keuchte er wütend. "Das wirst du mir büßen!" Copyright 2001 by readersplanet
"Verschwinde, bevor der Gong zur zweiten Runde ertönt!" sagte Rossiter. Der Dicke stemmte sich vom Cadillac ab und machte sich mit unsicheren Schritten aus dem Staub. Robert Rossiter kehrte in sein Stammlokal zurück. "Er ist weg", sagte er zu Nelly und drückte ihr die zwanzig Dollar in die Hand. "Danke, Bob", sagte das Mädchen und wischte sich die Tränen ab. "Wenn er dich noch mal anfaßt, sagst du's mir, dann breche ich ihm beide Arme." Nelly schob ihre schlanke Hand in Rossiters Jackett. "Ich würde mich für deine Hilfe gern erkenntlich zeigen, Bob." "Ein andermal", sagte Rossiter lächelnd. "Ich weiß ja, wo du wohnst." Er bezahlte seine Drinks und verließ das Lokal. Sein Wagen stand gleich um die Ecke auf einem bewachten Parkplatz. Er trabte los. Doch als er wenig später die Straße überqueren wollte, stutzte er plötzlich. Auf dem gegenüberliegenden Gehsteig stand Lieutenant Tony Lane, der schärfste Bulle der Narcotic Squad. Es war nicht gut Kirschen essen mit dem Mann. Vor allem dann nicht, wenn man zwei Briefchen Heroin in seinen Taschen hatte. Deshalb machte Robert Rossiter blitzschnell auf den Hacken kehrt. Er wollte sich absetzen. Doch Tony Lane ließ das nicht zu. Der Lieutenant nahm augenblicklich die Verfolgung auf. Lane rannte mit weit ausgreifenden Beinen über die Fahrbahn. Er sah Rossiter in einer schmalen Gasse verschwinden. Sekunden später befand er sich gleichfalls dort. Zu beiden Seiten ragten graue, fensterlose Wände auf. Rossiters Absätze knallten auf das schmutzige Kopfsteinpflaster. Lane hetzte an verbeulten Blechtonnen mit Müll vorbei. Verbissen kämpfte er um jeden Meter, der ihn näher an den Gangster heranbrachte. Er war schneller als Rossiter. Der Verbrecher erreichte einen hohen Maschendrahtzaun, der die Gasse in zwei Hälften teilte. Er schnellte daran hoch, doch ehe er den Zaun überklettern konnte, war Tony Lane bei ihm. Der Lieutenant packte Rossiter und riß ihn kraftvoll herunter. "Hiergeblieben, Freundchen!" keuchte er. "Verdammt, was wollen Sie von mir? Ich hab' nichts ausgefressen, Lieutenant!" Lane drückte den Mann gegen das Gitter. Robert Rossiter hätte es kräftemäßig mit Tony Lane aufnehmen können, aber er wußte aus Erfahrung, daß es unklug war, sich mit einem Polizeibeamten anzulegen. Flink tastete Lane den Verbrecher ab. Er fand eine Beretta in Rossiters Gürtelholster, nahm sie an sich, durchsuchte den Mann weiter. Als er die Briefchen entdeckte, knurrte er: "Unerlaubter Rauschgiftbesitz..." "Es sind doch nur zwei..." "Das reicht, Rossiter." "Wollen Sie mir deshalb wirklich Schwierigkeiten machen, Lieutenant? Teufel, ihr Bullen geht immer nur auf die Kleinen los. Die Großen laßt ihr ungeschoren, weil ihr an die nicht herankommt." "Okay, Rossiter. Ich bin ausnahmsweise mal bereit, ein Geschäft mit dir zu machen." "Tatsächlich? Das glaube ich nicht. Nicht Sie, Lieutnant Lane." "Ich laß dich ungeschoren, wenn du mir deine Waffensammlung zeigst." "Daran ist doch ein Haken." Copyright 2001 by readersplanet
"Was ist? Bist du einverstanden, oder soll ich dich festnehmen?" "Sie sind wie immer der Stärkere", sagte Robert Rossiter. "Darf ich mich jetzt umdrehen?" "Wir fahren mit deinem Wagen", sagte Tony Lane. "Keine Mätzchen. Du würdest deine Lage damit nur verschlimmern." "Ist mir klar." Sie verließen die schmale Gasse, begaben sich zum Parkplatz, setzten sich in Rossiters Fahrzeug und fuhren vier Blocks weit. Dann waren sie am Ziel. Rossiter setzte seinen Wagen geschickt in eine enge Parklücke zurück. Sie stiegen aus und verschwanden kurz darauf in Robert Rossiters Kellerwohnung. Rossiter führte ihn in einen Raum, an dessen Wände unzählige Waffen hingen. Gewehre, Revolver, Säbel, Messer, Dolche. Es gab außerdem Pfeil und Bogen, eine Armbrust, einen uralten Vorderlader, zwei Musketen. "Ein richtiges kleines Museum", sagte Tony Lane. "Ich bin sehr stolz darauf." "Funktionieren diese Waffen auch alle noch?" "Selbstverständlich. Einige davon habe ich selber instandgesetzt." Rossiter warf dem Lieutenant einen verwirrten Blick zu. "Offengestanden, ich verstehe Ihr Interesse für meine Sammlung nicht, Lane." Tony Lane holte die Beretta hervor, die er dem Gangster abgenommen hatte. "Die gehört bis auf weiteres mir." "Meinetwegen. Haben Sie denn keine eigene Kanone mehr?" Lane überging die Frage. Er griff nach einer Luftdruckpistole. "Was verschießt man damit?" "Betäubungsbolzen." "Besitzt du welche?" '"N-ja." "Wie viele?" "Vier Stück." "Her damit." Rossiter brachte die Bolzen. Lane verlangte von ihm, daß er die Luftdruckpistole lud. Rossiter tat es wortlos. Danach sagte der Gangster kopfschüttelnd: "Ich versteh' die Welt nicht mehr. Ein Bulle kommt zu mir, um sich mit meinen Waffen auszurüsten. Was hat das zu bedeuten?" "Du solltest nicht zuviel darüber nachdenken!" riet ihm Tony Lane. "Besser du vergißt meinen Besuch, sobald ich deine Wohnung verlassen habe." "Verdammt, ich möchte in nichts hineingezogen werden!" "Das wirst du nicht. Ich verspreche es dir", sagte Lieutenant Lane ernst. Dann ging er. Und Robert Rossiter hörte nicht auf, verwundert den Kopf zu schütteln.
* Jo Walker hängte den Hörer an den Haken. Er stieß die Glastür der Telefonbox auf und verließ sie. Im nächsten Augenblick sträubten sich seine Nackenhaare. Er hatte mit einem kurzen Blick noch einmal den Eingang des Hauses gestreift, in dem Lieutenant Lane wohnte. Dabei war ihm ein vierschrötiger, vollbärtiger Mann aufgefallen. Copyright 2001 by readersplanet
Zach Bolek! Soeben betrat Milt Mulligans Killer das Gebäude. Der Tscheche war gekommen, um sich um Tony Lane zu kümmern. Milt Mulligan schien rechtzeitig alle Steine aus dem Weg räumen zu wollen, über die er in Zukunft möglicherweise hätte stolpern können. Kommissar X griff zur Schulterhalfter. Erfreut stellte er fest, daß ihm Bolek und die beiden Schläger die Automatic nicht abgenommen hatten. Jo überquerte die Straße. Zach Bolek würde Augen machen, wenn ihm KX in wenigen Minuten quicklebendig gegenübertreten würde. Der Killer würde aus allen Wolken fallen, und ehe er sich wieder gefaßt hatte, würde er überrumpelt sein. Jo betrat das Haus. Er hörte Zack Bolek die Stufen hinaufsteigen. Der Tscheche bemühte sich nicht, leise zu sein. Erst als er die zweite Etage fast erreicht hatte, setzte er seine Schritte vorsichtiger. Vor Lanes Wohnungstür blieb er stehen. Er legte das Ohr ans Holz und lauschte. Dann entnahm er seiner Windjacke einen schlanken Drahtbürstenschlüssel, schob ihn behutsam ins Schlüsselloch und sperrte ohne Schwierigkeiten auf. Langsam öffnete er die Tür. Seine Rechte zog die Luger aus dem Hosenbund. Bolek hatte wieder den Schalldämpfer auf die Waffe aufgesetzt. Tony Lane sollte die Welt ohne jedes Aufsehen verlassen. Jo erreichte die zweite Etage, als Zach Bolek durch die Diele huschte. Er zog die .38er und entsicherte sie. Er vergewisserte sich, daß man ihm das Magazin nicht aus der Kanone genommen hatte, ehe er seinen Weg fortsetzte. Als er vor der offenstehenden Wohnungstür anlangte, hielt er den Atem an. Zack Bolek war kein Gegner, den man auf die leichte Schulter nehmen durfte. Der Tscheche war bekannt dafür, daß er selbst aus einem Minimum von einer Chance noch einen Sieg herauszuschinden imstande war. Jo trat ein. Bolek öffnete die Living-room-Tür. Mit vier schnellen Schritten war Kommissar X bei dem Killer. "Wenn du mich suchst, ich bin hier!" sagte er kalt, und er rammte dem Tschechen die Automatic in den Rücken. Jo spürte, wie sich Zach Boleks Körper versteifte. "Walker!" preßte der Killer verdattert hervor. Er hatte Jo an der Stimme erkannt. "Ich bin es in der Tat - und nicht mein Geist." "Verdammt, wie hast du's geschafft...?" "Du hättest bleiben sollen, Bolek. Nimm die Flossen hoch. Aber ganz langsam. Wenn du dich zu einer Dummheit hinreißen läßt, war es deine letzte." Zach Bolek hob langsam die Hände. "Sag mal, Walker, wie viele Leben hast du eigentlich?" "Nur eines. Darum hänge ich ja so sehr daran", erwiderte Jo. Er nahm dem Tschechen die Luger aus der Hand. Bolek trennte sich ungern von der Waffe, aber er hatte keine andere Wahl. "Übrigens", sagte Kommissar X, "mein Freund Lane ist nicht zu Hause. Du hättest nicht so leise zu sein brauchen." "Ich wollte die Nachbarn nicht stören." "Das ist sehr rücksichtsvoll von dir." "Weißt du, wo Lane ist?"
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"Wenn er noch nicht bei deinem Boß ist, dann ist er ganz bestimmt schon auf dem Weg zu ihm. Deshalb kann ich mich auch nicht in dem Ausmaß mit dir beschäftigen, wie es mir gefallen würde." "Was hast du mit mir vor?" "Ich mach'n schönes Paket aus dir und übergebe dich den Bullen." Jo stieß den Killer ins Wohnzimmer. Zach Bolek tat so, als würde er stolpern. Er neigte sich dabei nach vorn, drehte sich dann aber blitzschnell um und schickte seine Faust auf die Reise. Doch Jo hatte mit diesem Angriff gerechnet. Er reagierte darauf mit einem Sidestep. Die Faust verfehlte ihn. Dafür traf seine Automatic. Hart landete sie auf Zach Boleks Kopf. Der Tscheche fiel wie ein gefällter Baum zu Boden. Kommissar X riß eine Gardinenschnur ab und fesselte damit den Killer fachgerecht. Dann eilte er zum Telefon und rief seinen Freund Captain Tom Rowland an. In Schlagworten informierte er den Leiter der Mordkommission über die Lage. "Für eine Aussage stehe ich zu einem späteren Zeitpunkt selbstredend zur Verfügung", sagte KX abschließend. "Im Augenblick habe ich jedoch keine Zeit, auf das Eintreffen deiner Kollegen zu warten. Du wirst das sicher vorstehen und mir deshalb keine Schwierigkeiten machen. Du hörst wieder von mir, Häuptling. Ciao." Damit legte Jo auf und verließ in großer Hast Tony Lanes Wohnung, in der Zach Bolek abholbereit auf dem Teppich lag.
* Die riesige dunkle Sonnenbrille machte Lieutenant Lane zwar nicht unkenntlich, aber es war nicht gleich auf Anhieb zu sehen, wer sich dahinter verbarg, und das war für Tony Lane wichtig. Im Schutz einer Marmorsäule näherte er sich dem Gorilla, der den Penthouse-Lift bewachte. Der koloßhafte Mann sah ihn erst, als er hinter der Säule hervortrat. Die Luftdruckpistole, mit der Lane den Wächter auszuschalten gedachte, steckte in der Gesäßtasche seiner Blue-jeans. Lane gab sich den Anschein,, als achte er nicht darauf, welchen Fahrstuhl er ansteuerte. Er ging mit der größten Selbstverständlichkeit auf den Penthouse-Lift zu und blieb erst stehen, als der Gorilla knurrte: "Wohin?" "Zum einundzwanzigsten Stock." "Da müssen Sie einen der anderen Aufzüge nehmen." "Warum denn das?" "Weil dies hier ein Direktlift ist. Er führt geradewegs zum Penthouse hoch." "Ach so." "He!" stieß der Gorilla plötzlich mißtrauisch hervor. "Sie kenne ich doch! Würden Sie mal die Sonnenbrille abnehmen?" "Warum nicht?" Tony Lane nahm die Brille mit der linken Hand ab. "Lane!" krächzte der Gorilla. Gleichzeitig zuckte seine Hand zur Waffe. Doch Tony Lane war schneller als der Wächter. Während er die Sonnenbrille abnahm, faßte er mit der rechten Hand nach dem Kolben der Luftdruckpistole und schoß. Der Gorilla faßte sich erschrocken an die Brust und ging im selben Moment ächzend zu Boden. Der Betäubungsbolzen hatte ganze Arbeit geleistet. Copyright 2001 by readersplanet
Ungehindert betrat Tony Lane den Penthouse-Lift, der ihn zu jenem Mann hinaufbringen würde, den er wie nichts sonst auf der Welt haßte und den er umzubringen beschlossen hatte. Eiskalt war Lanes Miene, als er auf den Knopf drückte. Die Türen schlossen sich. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Der Lieutenant rechnete damit, daß Milt Mulligan nicht allein in seinem Penthouse war. Deshalb blieb er auch nicht in der Liftkabine, sondern kletterte auf deren Dach. Ein federnder Sprung. Mit hochgestreckten Armen stieß Tony Lane einen Deckel auf. Durch diesen verließ er die Kabine. Der Liftschacht, in dem er sich nun unmittelbar befand, war von einem dumpfen Summen erfüllt. Es ging rasend schnell nach oben. Kurz bevor das Ende des finsteren Schachts erreicht war, wurde das Tempo vom Automaten sanft abgebremst. Wenige Sekunden später hielt der Aufzug. Geduckt lag Tony Lane auf der Lauer. Er hatte das Gefühl, Eiswasser würde durch seine Adern fließen. In diesem Moment war ihm gleichgültig, was aus ihm werden würde. Im Augenblick zählte für ihn nur eines: Er wollte Milt Mulligan stellen. Keine Gewissensbisse plagten ihn. Im Gegenteil, er war davon überzeugt, das einzig Richtige zu tun. Die Lifttüren öffneten sich. Tony Lane wartete gespannt. Was würde jetzt geschehen? Er vernahm Schritte. Mit festem Griff hielt er den Kolben der Luftdruckpistole in der Hand. Nun tauchte Mulligans junger Leibwächter in Lanes Blickfeld auf. Der Lieutenant zielte auf den Mann, drückte aber noch nicht ab. Mulligans Body-Guard war erstaunt, daß der hochkommende Fahrstuhl leer war. Der Gorilla, der die Lifttür unten in der Halle bewachte, hatte keinen Besucher avisiert. Irgend etwas stimmte da nicht. Der Leibwächter des Rauschgift-Hais griff sicherheitshalber zur Kanone. Er kam einen weiteren Schritt näher. Im selben Moment entdeckte er die offene Luke und den Mann, der auf ihn angelegt hatte. Der Leibwächter wollte schneller sein als Tony Lanes Finger am Abzug. Das gelang ihm natürlich nicht. Der Betäubungsbolzen schaltete auch ihn innerhalb eines Sekundenbruchteils aus. Er riß die Augen geschockt auf, als er getroffen wurde, ließ die Pistole fallen, machte einen unsicheren, tappenden Schritt zurück und fiel dann ohnmächtig rücklings zu Boden. Der Lieutenant bleckte die Zähne. "So einfach geht das!" murmelte er. Dann schlüpfte er durch die Luke und landete gleich darauf fast lautlos auf dem Kabinenboden. Der Weg zu Milt Mulligan war frei. Es gab keine Hindernisse mehr. Lane hatte sie alle aus dem Weg geräumt.
* "Hören Sie, können Sie nicht schneller fahren", sagte Kommissar X ungeduldig zu dem Cab Driver. "Ich habe Ihnen doch erklärt, daß ich es eilig habe."
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"Ihretwegen breche ich mir nicht das Genick, Mann!" gab der Taxifahrer ärgerlich zurück. "Mit euch Fahrgästen ist es immer dasselbe. Zuerst könnt ihr euch von zu Hause nicht losreißen, und dann verlangt ihr von uns, daß wir wie Tiefflieger durch die Stadt rasen. Aber nicht mit mir. Gehen Sie nächstens früher von daheim weg, und das Problem ist gelöst." "Es geht um Leben und Tod!" "Ein alter Hut. Was glauben Sie, wie oft ich den Satz schon gehört habe." "Ich bin Privatdetektiv..." "Das kann jeder behaupten." Jo zückte seine Lizenz, und warf dem sturen Fahrer fünfzig Dollar in den Schoß. "Außerdem übernehme ich jedes Strafmandat", sagte KX. "Bringen Sie Ihre lahme Kiste jetzt endlich auf Touren?" Die Geldspritze wirkte Wunder. Der Cab Driver zog seinen gelben Wagen auf die Überholspur. Er lehnte sich mit dem Ellenbogen auf den Hupring und raste los, als wäre der Teufel hinter seiner Seele her. Geschickt wechselte er die Fahrspuren, fand im träge dahinfließenden Verkehr immer wieder Lücken, die er gekonnt zu seinem Vorteil nützte. Selbst Jo, der sich aufs Schnellfahren verstand, hätte die Strecke nicht in kürzerer Zeit zurücklegen können. Beim Battery Park stoppte das Yellow Cab. Der Fahrer grinste Jo an. "Zufrieden?" ,Ja. Danke." "Geht's wirklich um Leben und Tod?" "Das kann man wohl sagen", erwiderte Jo. Er rundete den Fahrpreis auf, gab das Geld dem Driver und sprang aus dem Fahrzeug. Er verschwand in dem Hochhaus, in dem Milt Mulligan wohnte. Hastig durchquerte er die Halle. Als er den bewußtlosen Gorilla entdeckte, wußte er, daß Tony Lane bereits da war. Da der Liftwächter noch nicht entdeckt worden war, nahm Jo an, daß Tony Lane erst vor kurzem hier eingetroffen war. Kommissar X drückte nervös auf den Rufknopf. Ungeduldig wartete er auf den Aufzug. Er konnte nur hoffen, daß er nicht zu spät kommen würde.
* Milt Mulligan hielt sich im Bad auf. Tony Lane hörte den verhaßten Rauschgift-Hai summen. Schreckliche Bilder zogen an Lanes geistigem Augen vorüber: Jennifer George tot in jenem schäbigen Abbruchhaus. Jerry Conant - ebenfalls tot... In diesen Minuten sah Lanes Gesicht aus, als wäre es aus Granit gehauen. Mulligan sollte dafür büßen. Die Badezimmertür öffnete sich. Lane schaffte, es gerade noch, sich hinter der schweren Übergardine zu verstecken. Er schob die Luftdruckpistole in die Gesäßtasche und bewaffnete sich mit der Beretta, die er Robert Rossiter abgenommen hatte. Er hatte nicht die Absicht, Mulligan zu betäuben. Der Heroin-Hai sollte sein Leben verlieren, wie es Jennifer George und Jerry Conant seinetwegen verloren hatten. Mulligan trug einen taubengrauen Bademantel. Seine Füße steckten in gleichfarbigen Frotteepantoffeln.
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Neben dem Lift gab es ein kleines, mit Natursteinen eingefaßtes Pflanzenarrangement. Es verdeckte im Augenblick noch die Sicht auf den betäubten Leibwächter. Doch als Mulligan den nächsten Schritt tat, sah er den Mann reglos auf dem Boden liegen. Panik befiel den Rauschgift-Hai. Er beugte sich über den Bewußtlosen und sah sich dann gehetzt um. Er suchte die Person, die den Leibwächter ausgeschaltet hatte, doch der riesige Living-room wirkte gespenstisch leer. Aufgeregt wollte Milt Mulligan den Raum verlassen, doch da trat ihm Lieutenant Lane entschlossen entgegen. Mulligan stoppte, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Er riß abwehrend die Arme hoch. Seiner Kehle entrang sich ein erschrockener Schrei. "Lane!" stieß er heiser hervor. "Wie kommen Sie hier herauf?" "Mit dem Lift." "Aber..." "Es hätten nicht einmal zehn Mann ausgereicht, um mich daran zu hindern, zu Ihnen zu kommen, Mulligan." Der Rauschgift-Hai starrte entsetzt auf die Beretta in Lanes Hand. "Sie wurden vom Dienst suspendiert, Lane. Sie handeln gegen das Gesetz!" "Tun Sie das nicht auch - seit vielen Jahren schon?" "Sie werden noch mehr Schwierigkeiten kriegen, als Sie ohnedies schon am Hals haben, Lane!" Der Lieutenant hob die Schultern. "Egal. Ich habe einen Punkt erreicht, wo mir nichts mehr wichtig ist. Daran sind Sie schuld, Mulligan. Es wird Zeit, daß ich Ihnen das Handwerk lege. Sie haben genug Schaden angerichtet. Das Maß ist voll!" Mit zitternder Hand wies Milt Mulligan auf die Beretta. "Hören Sie, Lane, das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein." "Es ist mein Ernst." "Sie...Sie wollen mich erschießen?" "Es ist kein Platz für Sie auf dieser Welt, Mulligan." "Aber Sie sind doch kein Killer, Lane. Sie dürfen das nicht tun." "Sie sind ein Alpdruck für mich. Ich muß mich davon befreien." Mulligan schüttelte verzweifelt den Kopf. "Warten Sie, Lane. Man kann über alles reden. Ich mache Ihnen ein -Angebot. Sie sollten es annehmen. Ich gebe Ihnen Geld. Soviel Sie wollen. Ich zahle jede Summe. Nennen Sie mir Ihren Preis!" "Ich bin nicht käuflich, Mulligan!" sagte Tony Lane hart. "Geld kann jeder gebrauchen." "In Ihrem Geld kleben das Blut und die Tränen vieler unglücklicher Menschen, Mulligan. Ich bin daran nicht interessiert. Ich will nur eines, und das werde ich auch kriegen: Sie!" Langsam hob Lieutenant Lane die Beretta. Ein Blick in seine Augen verriet Milt Mulligan, daß er mit seinem Leben abschließen mußte.
* Jo stand mit entsicherter Automatic im Fahrstuhl. Obwohl es ein Expreßlift war, kam KX die Fahrt zum Penthouse endlos lange vor. Er fragte sich, was er dort oben antreffen würde. Den toten Rauschgift-Hai? Und Tony Lane, der sich mit diesem Mord zu Jos Gegner machte? Copyright 2001 by readersplanet
Kommissar X preßte die Lippen fest zusammen. Er hoffte, daß er in Mulligans Penthouse das schlimmste noch verhindern konnte. Endlich wurde die Kabine sanft gebremst. Voll brennender Ungeduld wartete Jo darauf, bis die Türen auseinanderglitten. Endlich geschah es. Jo sah den betäubten Leibwächter, und er sah Milt Mulligan und Tony Lane, der eine Beretta auf den Heroin-Hai gerichtet hatte. "Tony!" rief Jo erregt. Er verließ die Kabine. "Halt dich da raus, Jo!" verlangte der Lieutenant, ohne Kommissar X anzusehen. "Das ist eine Sache zwischen dieser Ratte und mir!" "O nein", widersprach KX kopfschüttelnd. "Das ist es nicht. Denkst du, ich lasse es zu, daß du diesen Mann kaltblütig umlegst?" "Du hättest nicht herkommen dürfen, Jo!" "Ich mußte, weil du meine Hilfe brauchst, Tony. Laß die Waffe fallen. Du darfst hier nicht privat Rache nehmen. Du bist noch immer Polizist. Du weißt, daß niemand das Recht hat, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Mulligan kriegt seine Strafe, das verspreche ich dir. Ich habe Zach Bolek erwischt. Mulligan hat ihm aufgetragen, dich umzulegen. Der Tscheche sollte auch mich in Mulligans Auftrag killen. Daraus wird man diesem Mistkerl einen festen Strick drehen." Lane stand reglos da. Immer noch bedrohte er Milt Mulligan mit der Beretta. Der Rauschgift-Hai schwitzte Blut und Wasser. "Die Beretta!" sagte Kommissar X eindringlich. "Wirf sie weg. Stürz dich nicht noch tiefer ins Unglück, Tony!" Jo setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Langsam näherte er sich den beiden Männern. "Wenn du versuchst, Mulligan zu töten, würdest du mich zwingen, auf dich zu schießen, Tony", sagte Jo ernst. "Erspar' uns beiden das. Ich bitte dich..." Der Lieutenant tat in diesem Moment einen tiefen Atemzug. Langsam ließ er die Beretta sinken und schüttelte beschämt den Kopf. "Ich glaube, ich hätte es ohnedies nicht gekonnt. Ich bin kein Mörder. Ich hätte diesen Mann nicht töten können. Trotz allem, was er mir angetan hat." Lane ließ die Pistole fallen. Jo atmete erleichtert auf. "Junge, du hast soeben die weiseste Entscheidung deines Lebens getroffen." Kaum hatte Kommissar X das gesagt, da schien Milt Mulligan den Verstand zu verlieren. "Du verdammter Bastard!" brüllte der Rauschgift-Hai. Blitzschnell hob er die Beretta auf. Errichtete die Waffe auf Tony Lane. Dieser machte einen schnellen Schritt zur Seite und stand nun genau in Jo Walkers Schußlinie. Die Waffe krachte. Jo sah, wie der Lieutenant zusammenzuckte. Aber Lane war nicht tödlich getroffen. Er stürzte sich auf Mulligan. Ein erbittertes Ringen um die Waffe begann. Todfeinde, die sich nichts schenkten. Sie verbissen sich geradezu ineinander. Jo stockte der Atem, als er sah, was mit den beiden passieren würde. Er rannte los, doch er konnte es nicht mehr verhindern. Die Kämpfenden prallten gegen das Glas der großen Panoramascheibe. Ihre ineinander verkrallten Körper durchstießen das Fenster und kippten nach draußen. Selbst das meterhohe Metallgitter hielt sie nicht auf. Begleitet von einer glitzernden Glaskaskade stürzten sie in die Tiefe. Copyright 2001 by readersplanet
Als Kommissar X das Fenster erreichte, fielen sie noch. Jo drehte sich rasch um. Er konnte den Anblick nicht ertragen. Mit matten Bewegungen begab er sich zum Telefon. Er wählte die Nummer seines Büros und teilte April Bondy mit: "Ich habe Tony Lane gefunden..." Und April erkannte an seiner kratzenden Stimme, daß etwas Schreckliches geschehen war... Ende
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