Dreî l\{onare ln Sowj et-Rußland von t
Arthur Holitscher
S.Fisc her i Ver lu e I B erlin
I .,1
rl
,:;l
:.,..
.,.
i; ¡i ¡'
\
l1'
'
:.1,
Inhalt
oDie \üahrheit über Sowjet-Rußlancl" Das Arbeiter-Yolk .
Subbotnik Das Rote Heer Propagancla
{ ù
lì
î,
t
'I
Von ile¡ Arbeitsschuie
õÐ
P¡oletkult Chaos der Künste Der Untergang der Intellektuellen (nebst einem Anhang: Schaljapin) Das teben der Städte
96
Bourgeois
Der weiße Terror und der role
t¡:.
Religion
l\Ielt-Revolution . . Völker hört tlie Signalel
1. bis 1á. Auflage
Alle Rechte, . iasbesonclere das der Übersetzung, vorbehalten. top¡right 1921 by Unitetl Telegraph Co. Lttl. Zärich.
1¡
2L 48 59 lÐt
109
139 IÐÐ
180 .
t94 270 227
243
' Gattaæ aageich eloilr: Lagset
,Die Wahrheit uber Sowjet'Rußland"
b¡re¡r-Ist der Rgt otlar
Septemberwoche des vorigen Jah' I res schickte Kärl Ractek, der damals im Ge' fängnis Mo¿bit saß, einen Sendboten zu mir mit der, Ftage, ob ich mich einer Kommission an' schließen wolle, die zusammen mit ihm nach RußIaniL reisen würde. Diese Kommission be' stand aus Sachversüiniligen für clie Lanclwirt-
ab ç¿a iliæa .!{ensehetr' En'l Ieme¿ ¡ie
ile ff.ert âus äEIi
ìf,eneohen,
.eo
.rirr['e uaùergPhea;
lgfs sbar ¿Es Goúú' €o kötrnet *t'" o¡"6¡ ¡mdeo; auf doß ihr ¡iebt ed¡¡ilen wertlet, aJ.e tlie çi¿ec goüü streiteu wollen.
ÁpostelgesoLioht€ ó. 8s,
8'Ð'
T
n der €rsten
schaJt, ttie Industrie, einem ehemaligen Sta¿ts' sekretär als Fachkuntligen für clas Verwaltungswesen, einem Vertreter der Berliner radikalen Arbeiterschaft untl dem Polizeipiäsidenten einer großen Schweizer Siadt. Ich sollte tlie Ergeb' nisse dieser Reise in einem Buche niederlegen' Ich sagte s'ofort zu uncl tra^t ilann im Laufe des Herbsies wieclerholt mit Mitgliedern tlieser Kommission im Empfangszimmer des Moabiter Gefåingnisses zusammen, wo wir mit Radek unter Aufsicht eines Inspektors sprechen tlurften. Die Abreise cler Kommission, die Radek von seiten der deutschen Regierung gewährleistet zu sein schien, verzögerte sich von Woche zu Woche. Radek wurde dann im Januar des laufentlen Jah' res allein und heimlich über tlie Grenze gebracht.
Je. weiter unsere Abreise hinausgeschoben wurcle, um so enttäuschter wurde ich in bezug auf clie Mögtichkeit, den Bolschewismus in sei' ner ulspitinglichen, wie mir scbien stärksten und
,ilefiniåiren Form. in Wirksamkeit zù sehen. Die ,,È&{itte aach reehts", die in Lenins Broschüro ssn dee ,,3{áchsten Aufgaben der Sowjet-ilIacht" aasftihrlich behandeli sind, wurden getan; das Taylorsystem., rlas Prämiensystem in das Pro. grårnry des wirtschaftlichen Aufbaus aufgenommen; úie Stellung der Bolschewiki zum Bauern' staa{ zumal zu den Mittelbauern, gab uns zs.-"denken; es kamen Nachrichten über die A.¡beitsarmee und den Arbeitszw¿ulg, Naçhrichten, die uns verstimmten, und ich fragte Rarleh
,,'n
beiur Abschied, ob es denn überhaupt noch Zweck babe, für mich wie für uns alle, nach Rußlanal zu reisen, da di,'6 vielen Kompromisse und l(on. zessionen das Bild des Bolschewismus cloch schon, wenn auch nicht unkenntlich gemacht, iloch in verhängnisvoller Weise gefälscht hätten. Ratlek'beruhigie mich mit seinem hellen, sarkastischen Lächeln uncl sagte, wenn ich nicht irre: es komrire wenig clarauf an, daß man Kompromisse schließe, alles darauf, daß man es veÏstehe, sie im geeigneten Augenblick wiecler rüðkgängig zu machen, und daß er cler llberzeugung sei, dies würde geschehen-' Meines Wissens bin ich rlas einzige lgitglied dieser Kommission, das seit Radeks .A.bschiecl von Berlin den Boden Rußlantls betreten hat, und awar auf rlen Tag genau ein Jahr nach dem Erscheinen jenes Senrlboten in meiner Wohnung. In diesem Jahre hatte sich das Bilct rtes Bohchãwismus, tl.h. der praktischen Durchführung der Eommunistischen Prinzipien in Rußland fortwährend gewantlelt und verschoben. Die Todesstrafo' z. B, wurile abgeschafft, dann infolge eines versucbÞE Aascblags der Gegenrevolution wieder x
eingeführt. Lawinen von Lügen, bewuSten Fälschungen und phantastischen Verzerrungen stürzten vor den Augen der Welt über das lVerk der Kommunisten in Rußland nieder. Schließlich
4i
tl
t
ul
:
f
I
t
al
i
kannte sich in dem trVust der Widersprüche, Ge rüchte und Dementis, der Behauptungen und Manifeste niemand mehr aus. Der zweite Kongreß der Dritten Internationale, die Delegationen, die ihn besuchten, und die über das, was sie gesehen hatten, Bericht gaben, halfen nichf den Nebei zu zerstreuen. Auf manchem qualmenden Scheiterhaufen, der den Männern der SowjetRegierung errichtet wurde, brodelte brenzlich das eigene heimische Parteisüppchen. Ich war ziemlich entmutigt, wankencl und unsicher geworden, als mich im Sommer dieses Jahres ein Zeitungs. konzern aufforderte, nach Rußland zu fahren und über meine Erfahrungen ein Buch zu schreiben. lVie sincl die Berichterstatter )eschaffen, die clie Welt in das belagerte, vielverleumdete und vielgepriesene Land. entsendet? Untl auf welche Art und Weise kann man in Rußlaud das Wesentliche erfahren? Das l\[itglied der Partei kommt hier nicht in Frage uncl verläßt Rußlantl - es betritt natürlich mit gebundener Marschroute. Ich kenne 'êinige Bücher, eine Reihe von Aufsätzen über Sowjet-Rußland, bin auch mit einem und dern anderen Berichterstatter persönlich bekannt und infolgedessen fähig, den Mann mit seiner Mei. nung wie mit rlen tatsächlichen Verhältnissen zu
\r
'1i 1
l:
I
.il
I I I
.t
j
;] ì
,ll
ll
konfrontieren. Allerhancl ehrgeizige Gesellen, heimliche Geschäftemacher, tückische Verräter tummeln sich auf dem heißen und bunten Boden herum. Der Wahrheitsbegierigen, der in gutern Sinne Wissensdurstigen, der Befugton und 8e"
,itr i
l
I ,t
t'
It I
ri
g
.::ii ì
jiì
i,,,
'i
i! :..
:,,,::llA
rufeeeu, tler Ernsten und Getreuen gibt es nicht' dem wüsten Chaos gröblicher gar viele-.{Voo ¡gakt¡laË.rlr stechen da tlie Bücher einiger Englåin' iter'u-cit eines Ðeutschen, Alfons Paquet, aus ites eleteÊ Zeit :der bolschewistischen Revolution
erfreuiich ab.) Es läßi sich kaum beschreiben,
mit çetreher Verachtung die führenden
Männer
Ra8lands über jene spekulativ Verzückten ur' teilea, die in ihn-en herrliche Heroen ohne Makel rileise erblicken, auf speichelleckerische Art untl jeno Für heräuchern. ih¡ Werk bewedeln und RußIancl in Angst anileren, die aus schlotteriger Begeislerung sinfulieren, um dann, über clie Greøze zuräck, in ihrer Heimat vor Verleumdung uncl Geifer überzufließen, hat man in Rußlandselbstverständlich n-ichts weiter als das Vier-
'tellächein iler Geringschåitzung, wie sich's
ge-
btihrt.
'Wahr ist es, daßrjeder, cler im Auftrage bürger'
Zeiturfuen, Zeitschriften' otler Verbäncle nach Rußlanù kommt, ohne sonclerliche Liebe, ilagegen mit unverhohlenem Argwohn empfangen wli¿. Bine gewisse, in entscheidenden Situationen erprobte Gõsinnung gegenüber clem Sozialismus kaìn als Gruntlþedingung für ttie Gewährung tler Eisreise'gelten. Aber ich habe es selber erfahren, auf welche'Weise sich einer und der andere diese ' Einreiseerlaubnis erschlichen hat, der dann,,kaum Éber elie Grenze geraten, von den Russen erkannt aad. mii heftigem Griff in Gewahrsam genommen warde. Besoúãers einigen mir gut betannten Leu' bu, ãerrçn und Dar.nen, darunter Amerikanern, wä¡ €s sÐ ergaûgen. Ich war entsetzt, als ich bald' eae& des. Bãtreten russischen Bodens voq ihrer 'Featsah@e unterrichtet rvurcle. Ku¡z tlarauf er-
licher
1ü
hielt ich untriigliche Bev¡eise für tlas Doppets^qiel, ¿u. Siu getriebãn batten, untl tlessen sie überführt worden waren. ßs kann wohl nur eine Meinung' nur ein Urteil geben über Mensohen, die sich mit sorgfãftif verheimlichten Aufträgul il ein blockiertes, îon inneren Kråirnpfen und erbarmungslosem ,außerett Krieg durchscñütteltes Land, in dem eine neue Welt siõh vorbereitet, in tlem 150 Millionen jahr' Menschen geistig befreit worden sind von einschleiUnwissenheit, bunrlertelañger ãumpfer cherq um ihre kleinen privaten Interessen zu befriãdigen. Zèhnf.acb, aber, hunde{qt! muß man ,solches ireiben verurteilen, wenn sich Publizisten seiner schulctig machen. Die Publizistik tlieser
Zett hat ctie iufgabe, Klarheit zu verbreiten, 'schonungslos und-getreu das Sublime wie das Entsetzliihe, aus clem diese Zeit sich zusammen-
setzt, darzustellen und zu verkünden' Wer heute nichi wahr und klar zu reden weiß, mit geheimen Plänen und Instruktionen in der Tasche lächeln' den Mundes sich unter ein geq,uäItes Volk mengt, begeht clas Verbrechen wider 'den Geist, für tlas Keiker nur eine getincle Strafe ist' Alt dies muß ich voraussender¡ weil ich selbst im Auftrage eines bürgerlichen Konze'rns, des ,,Unitetl Teie' graph", tlõr,der großen amerikanischen Zeitungs' ãrgaoisation ,,Uñited Pressi' a-ffiliiert isf nach Rüßland kam und die Zweideutigkeit, in die manche Vorgänger uns Nachfolgenden versetzt hatten, tang"Zeltzu spüren bekar,n und zu büßen hatie. Hindernisse anderer Art türmten sich mir noch in ilen Weg. Ich will eines kurz schildern, weil es cha¡akteriJtisch ist für ctie unvorhergesehenen 11
)
lerqnickungen unrl Verstrickungen, in die der a¡¡slãadische Publizist gerät, dei seinen recbten trt1ry geheo möchte. Mancher Schriftsteller gibt
eiae¡a æohlfeilen f eu ille tonis ti schen S piettrieb äll_ rulwi}}ig aach, würzt seinen Bericht mii kleinen int@u*. Anekdoten, Witzen oder Seitenhieben, die de¡ eiae 4{ann im Kreml über den ande¡en Mann
inl Krem-l dem Journalistenohr in einem Augenbtrick tler guten Laune preisgegeben hat. "Ich hõante ein Liecl davon singen] ir welche KaJaaritäten mich noch vor deñ Betreten Rußlanrls acd. dann in den ersten Moskauer Wochen die
scharfgespitzte Zunge Radeks gebracht hat. Rarlek hatte qinem meiner entfernteren Vorgänger, einern Engländer gegenüber sich über eio'g.ine, fie"
im .russischen Auswärtigen Amt níher ausgeÌassen; er hatte dieses fier unter die Langoh"rigen eingereiht. Der Vorgänger brachte clie i,uß+ rung wortgetreu und mit Nennung aller Namen !n ¡9in vielgelesenes Buch, und ¿ä icn als aus-
ländischer Publizist Çem Auswärtigen Amt unterstellt war, hatte ich' als, ,,protégð Ruduks,, outü1fcn die.Folgen qu- trg.Sefl gìcht ich ailein.) .ûlanch' einer hat sich eine Woche lanq in peters. b_urg oder Moskau aufgehalten, ist dann nach Eause gefahren und hai ein Buãh tber Rußtancl gescbrieben. Es muß gesagt werden, daß die wenigsten un-ter uns, ¿ie güóner über Rußlancl ge_ scfuieben haben, der Sprache des Landes mäeh_ iig sincl. Wie viele waren imstande, ihre E¡fahrungea ilirekt aus dem Verkehr mif dem Volk zu s$gpteo f Offizielle Vertreter der StaatsgewaJt liniL es zumeist, die den Fremrlling nbe! das Systeno, die Zusammenhänge betehren-'. Oiu Vott*_ ko¡asissåire sincl fast ausn¿åmslos ehemaligs gei-
t2
granten und beherrschen tlie europäischen Spra' chen glänzend. Sie sind mit Arbeit überbürdet, und man dringt nur zu kurzen Unterredungen bis zu ihnen vor. Der nächste Kreis um diese Führer ist aus verläßlichen Kommunisten gebildet, die zum überwiegenden Teil nur russisch sprechen. Marr gerät nicht selten, und dies trifft besonders auf Ämter zu, die die sogenannten ,,Spezialisten" beherbergen, an wortkarge, mißtrauische und un' willige Funktionäre, aber auch an solche, die die Anwesenheit des Fremden gerne dazu benutzen, ihrenr Groll gegen das System, dem sie sich, um leben nJ \önnen, zur Verfügung gestellt haben, einmal freien Lauf zu lassen. Viele unter diesen baben im Ausland gelebt und schweifen gerne vom Thema, das zu erörtern man zu ihnen þam, ab, um gierig Nachricht über das ,¡erschlos' sene Europa zu fordern. Lenkt man sie dann an die zurück, von der rnan ausgegangen -iar, Stelle da öffnet sich zuweilen ein Ventil, durch das lange zurückgepreßter Ðampf zischend hervorspringt. Aber dieses Ventil.bleibt nicht lange offen. Die erschrockene Seele klappt es bald zu, und, man erhåilt au-s angstvoll verzerrtgm Gesicht nichtssagende vagä Reáensarten. Solche Psychose verfehlt nicht ihre \trirkung auf den Fremdling, der sich, wenn auch nur ftir kurze Zeit, in Rußlancl aufhält. [n diesem von Not, Begeisterung und Verzweiflung geschüttelten Land erlebt jeder einzelne das Schicksal der unsicheren Zukunft, der brennend gefährlichen Gegenwart. Gleich nach dem Überschreilen der Grenze spürt man eine gewissermaßen aimosphä' rische Last der Unfreiheit und des Mißtratréns sich tlrückentl auf clie Seele niedersenken. lVie gerecht' 13
.. ..':...
4/ ::i'..
.....
.::."'
i: i't:,
.:.,
:..
.:'. ,',. '1.'.,
t'ttt
':.
::: .a,,:
:.,.,
:: 'i::1, ::::.,
'.:..:,
'1,,
,:. :r.:
P"{iS ûieses ã{iôtrauen is! welch' guten Grüncle flie Ksatrq3]e hat, erwähnte ich be-¡eits. Immerhiû fuË der Zustand, in dem zu leben man ge. sg{ragÐe ist, oft schwer, nJ Zeiten voilkommen
uaerffignieh- Uncl das liegt nicht aÍr der Kontrollen de,n Scharen,der zu-m. Teil gane zweifelhaften Elemente, deren sie sich b*ûient, um die nötige Kontrolle auszuüben. Leute de¡ Gchrana befinden sich unter ihnen; aber aueb ¡oanchem neugebaekenen Sptir- uná- Bluthu-ntl hin ich hegegnet. Der Publizist mit ausländischem Auftrag lebt in Tläusern unter militärischer Bewachung. fiUpantofflige Schufte schleichen d.urch die Korridore, und um das Schlüsselloch sammelt sich der fettige Abtlruck ungewaschener Ohren. Man ist irgendwelchen Win-keltorquemadas ausgelie. fe¡i.-Einmaì hatte ich im Zimmer einer Damã ein Lehrbuch für erwachsene Analpbabãten ninterlassen. Als dÍe Dame verhaftet, ìhr Zimmer.versiegelt wurde, reklamierte ich bei der mir unmittelbar vorgesetzten Behörde, nämlich dem,sogen¿uinten Hauskommandanten, dieses Buch, rlas ich zu meiner Arbeit benötigte. Tags clarauf wurde das Zimmer durch rlie Beâmten jener Kontroll. behörclg der.,,Allrussischen Außerordenflichen Kommission zur Bekämpfung der Gegenrevolutioar ugd d-es Wuchers" (nach den Anfangsbuchstaben 'Wetscheka_ genannt), geöffnet, die Hãbseligkeiten der Dame durchkramt, und als ich mein Lehrbuch fiIrückforderte, wurde mir mit höhnischer Mieno erklärt: daß die Dame das ,,Buch für Anaichisten", das ich ihr gegeben hatte, sehr sicher verw?h¡t habe, denn man könne es nicht finclen. Dies ist nur ein kleines tr{ißve¡stänrtnis, ¿þs¡ fueÞö¡ée aål"ein, sondern
1:::.
14
a.n solchem Haken
ist sichon m^anch' einer håingen
geblieben.
-
Da ailes, was man an Geschriebenem uncl Getlrucktem bei sich fúhrt, vor dem Verlassen 'les Landes der Wetscheka zur Kontrolle vorgelegt Material diesem mit cla man uncl muß, werden clann tlrei Grenzen zu passieren hat, ehe marl wiecler, tlaheim ist, stellãn ttie Notizbücher, úie man bei sich trägt, natürlich hohle Attrappen vor' 'Wesentliche, ob es nun günstig oder unDas günstig für eines der clrei Länder lautet, verbirgt man ängstlich im Geclächtnis, um es vor lVlißverstänttnis, Unverstand, Spitzoln und Grenz' behörclen zu schützen. Dieser Zustand tler gei stigen Notwehr,ist es, cler allmåihlich jenen seelisõhen Druck, jene spezifische Moskauer Psychose erzeugt, clie schwerer zu ertragen ist als álle anderen Nöte, clie man in Rußlancl am eigenen Leibe erfährt. Der bare Setbsterhaltungstrieb, die Revolte des guten Gewissens fälscht und entstellt tlir das gila der Wahrheit, clas zu enthüllen tlu unter tlas große, räiselhaJte Volk cles Oster¡þ gehommen bist.
.
'Was wir hier Immet wieder erklärtè man mir: kleinen keine Phantasie; mit Leute sind brauchen, Horizont deren Matter-of-fact-Gehirne, klebrigen auf dõn Dunstkreis um ihre Nase beschränkt ist. Ich rnachte den einen und tlen ancleren, der 'so' zu mir sprach, darauf aufmerksam, daß clie Führer clèr Bolschewiki es ja heftig leugneten, ihr tlaß tlieser oft wieder' Ziel sei clie Utopie - unil phantasiebegabtern FremclpnanrasleDegaDterr nach holte'Wunsch holte Wunscn nacn lingen doch die Suggestion einschließe: der Betrach' ter möge tlurch das Gegenwärtige, das Gegebene, cturch dâs Wertlencle hinilurch des leuchtenden 15
Zieles cler Tltopie gewahr werden, es nie aus den rerlieren. Und so ist es auch. Aus den Theeries de¡ Füh¡enden, der Gläubigen, der sich tpfereden, durch all den entsetzlichen ÏVust der &alb uad ganz ysrnishteten l{öglicbkeiten, durch Ëlas uasãgliche Wirrsal der Widersprüche, des ProEisorischen wie des überhaupt nie zu Verwirhliehenden, den Widerstreit von papierner Verordcung und blutigem Daseinskampf, durch die Resultate iler erbarmungslosen Kriege, . cler Bloekade, der Sabotage durch die inne¡en Feinde bindurch das schon Verwirklichte und in einei helleren Zukunft zu Verwirklichencle zu e¡fühlen und zu'erblicken - dies ist und bleibt das lYesentliche in Sowjet-Rußlancl. Was man erfährf sind indes Bruchteile von Bruchteilen
tiefsten unter der Nqtwendigkeit leiden, nun wiederum ihr,erseits aridere unterdrücken zu müssen. Wie verhält es sich mit dem, der, 'ohne einer Partei anzugehören, aus ilIenschheitsdrang, auq
-å.ugea
suchte in Rußlancl eine Religion und fand fch I eine Partei. Eine Partei aber, d.ie allerdings
eine groQe Idee, die größte vielleicht, diè ilIenschen je gedacht haben, mit allen Mitteln der politischen Macht und sogar der diplomatischen Schlauheit durchzusetzen bestrebt ist. Bin Fran-
zose sagte mir: ,,Wir leben bier. im Zeitalter der ersten Ch'iistenverfolgungen." Ein Engländer sagte mir: ,,Wir in England, in Amerika, wi¡ mutigen und energischen Menschen håitten den Kampf gegen derartige Hindernisse längst aufgegeben." Wer aus den Bolschewiki Teu-fel macht, isl ein Verbrecher, wer aus ihnen Engel macht, ein Narr. Bs sind lebendige Menschen, in Gefängnissen, im Exil hart geschmieilete Gehirne, geståhlt durch Gefahren, gewaltige, für das Leiilen iler lJnterclrückten offene Herzen, die selber am
'16
innerer Bedrängnis wenn auch mii áusgesprochen bürgerlichem Auftrag nach Rußlanct fährt? Mein seelisch gerichteter Kommunismus ist durch die ruBsische Prüfung unversehrL mit mir nachDeutschland zurückgekõmmen. So wenig der iÌfensch vor der Revolution beim Bamñ anfing, sci weñig fängt er heute beim Kommunisten an. Da mein Menschheitsideal das herischaftlose Beisammenleben in voller Freiheit auf Erden bedeutet, darf ich, aus diesem Gesichtswinkel gesehen, den Kommunismus wohl als eine' Stufe zu diesem Ziel, mehr noch seiner Ðurch-, führbãrkeit als seiner baren Theorie nach, einer Kritik unterwerfen. Und in diesem Sinne hatte der , ,,Kommand.ant" meines Haus,es in Moskau wohl recht, weruì- er cla¡i Lehrbuch für Analphabeten mit einem Handbuch für Anarchisten ver,
.
L
r ,.
t :
i
t i T;
wechselte.
,,Freiheit ist ein Vorurteil der Intellektuellen.,, Dies steht irgenclwo bei Lenin zu lesen. Werur man nun, in einem Zustand der äußersten persönlichen Unfreiheit von einer übergangszeit sprechen hört, einer zeitlich beschränkten Di[tatur des proletariats, die eine zeitlich abgeschl,ossone Diktaiurperiode der imperialistiscLeo, kapitalistischen Bourgeoisie ablösen soll und nach der sich alles in eitel Liebe unrl Gleichheit auflösen wird _wenn man clie abgestandene Sentimentalität von den Enkeln, ,,die es einst besser haben werd.en,t. aus dem Munde tler konsequent und konkret clen. kenden Führer cler Bolschewiki zu hören he_ 9 IIolit¡o-her,
Dreì. Ifonaúo
in Sowjet-Ilußtancl
1n lt
,"
kcmgt: iila¡a' kann man darauf ruhig erwicle.rn: ihr,getrlraueht, hier die Phrasen von lgt¿. Es'gibt keilre {3b'ergangszeit, -weil eine Zeit eine andere, kei¡¡e' Ëhergangsaktion, weil eine Aktion eine a4dere åktion,gebiert und so forb. Bbensowenig gibË es *lakel; denn jeder Enkel ist seinerseits wieder Großvater. Es gibt nur,einen ewigen FIuß ,der Binge, und es gibt jawohl eine verhängnis':vslïe Terantwortung für die Gegenwart, den-blut soll sch.ecklichen Augenblick. Ihr selbst-willt es,. besten, welche S chlagf er ti gkei t des G e wis; sens yonnöten ist, will man die Herrschafl einer Idee auÍrichten. Es ist also nich[ am Platze, von der allumfasÞenden Wahrheit zu sprechen, die rtnr aus den opalnen Fernen der Utopie herüber. scËimmert,, und'die nur das\phantasiebegabte Âuge zu erkennen vermag. 'Dasselbe Auge, das' ilas Brreichbare betrachtet, muß hart und kühl die U¡sache der Widerstände ergründen ^r im l¡Iusse suchen. WÞnn sich cler Bolschewismus befindet, so giht es eherne Hindernisse, welche sich,aus seinem éigenen lVesen emporrecken und seiuen Lauf behindern. In den letzten Tagen vor meiner Abreise erzählto man mir, daß Trotzki eine Artikelreihe cles lnhaltes vor'bereite: auf welche Weise. den lokalen Sowjets wieder mehr Macht zugewipsen werden könne, tlie ihnen durch die übertriebene Zentra¡]isation zu. entschwinden angefangen hat. \ïçnn diese Artikelreihe geschrieben worden ist, rvird sie yon ungéheurer Tragweite fûr die BntwickIun-g des'Kommunismus in Rußlancl wie in der 'Welt sein. Unter allem Vorbehalt und mit größter tr¡orsieåi gebe ich ein Ge¡ücht wieder, das um dieselbe. Zeit in Petersburg aplgetaucbt war, und a--------------
18
ilas, auch weür es sich nichi bewahrheitet haben dollte, den Berùeis dafür lielert, daß der Bolschewismus ein lebendes Gebilde ist und seine Führer als kluge und den Notwentligkeiten des Tages gervachsene Menschen gelten dürfen. Der Anarchist Machnow, von den Bolschewiki als wilder Räuberhauptmann und Partisanenanführer zuerst in Acht und Bann erklärt, später freilich zum Bündnis aufgefordert, hat einen wichtigen, ja, wie es heißt, einen entscheidenden Anteil an tlem Niederringen und der' Ilrledigung Wrangels in Südrußland gehabt. Als Entgelt für seine llilfe forderte er und wurde ihm gewährt: die Belreiung der um ihrer Gesinnung wiúen eingekerkerfen Anarchisten untl die Wiederherstellung tler lìedeund Pressefreiheit in näher bezeichnetenGebieben Südrußlantls. Ein Gerücht, wie gesagt.
Tìie l-,,
'trVa-hrheit
I
Wer es sich leicht
machen
wollte. könnte Zilï.ern an Ziffern reihen. Aber stülpe die ganze Statistik um du in - finclest dem Haulen auch nur ein Körnchen \{ahrheit? Die Naphthaproduhtion bildet tlie Grunrllage des russischen Verkehrswesens, aller inneren Möglichkeiten für den wirtschaltlichen Aufbau Rußlands. Räckte-.Wrangel in den letzten Monaten 100 Werst vorwärts, ,so versiegte tlie Quelle; wurde er 2.00lYerst zurückgeworfen, triumphierte der Statistiker. llhnlich ging es mit der Baumwollproddktion und der Belieferung der Textilzentren durch Turkestan. Wir fuhren, durch die Statistik deprimiert, eines Tages aus Moskau nacbi dem Fabrikort lwanowo-Wosnessensk im Gouvernement Wlatlimir. lVir wußten, daß dort die 1.9
Fabrikea eben rl'ied.er geöffnet waren, rm vor Begina des Krieges aufgestapelte Rohstoffe zu verarbeiten. Á.Is ich eine Woche später nach Mos. kau s&rü.ckkehrte, berichteten mir Delegierte der Turkest¿ner Sowjets, clie in meinem Hause untergebracht rvaren, daß tags zu\¡or einige hundert lliaggons nit Baumwolle aus Turkestan nach den sördlichen Gouvernements abgegangen seien. In den offiziellen Zeitungen Rußlantls begegnet man irnmer hãufiger Aufsätzen, die gegen die Lügenwissenschaft cler Statistik zu Felcle ziehen, allen Ernstes die Einstellung statistischer Untersuchungen beaatragen, nicht etwa, weil man d-ie Not des Landes verschleiern müsse, sondern im Gegenteil, weil die Not den Menschen durch die A{ittel der Statistik nicht als ein bald vorübergehender Zustantl clargestellt werden dtirfe. Eine merkwürdige Talel wircl mir stets vor Augen stehen, lvenn ich mich jemals noch an pathetische Zahlen stoßen werde im Leben.' Diese Tafel war im Garten des Narkomproß, il. h. des Volkskommissariats für Volksaufklärung uncl Erziehung aufgestellt. Mit dieser Holztafel würcle ich, ginge es nach tair, sofort in dem kalten Empfangszim.mer Lunatschars' kis, tles Volkskommissärs, einheizen. Eine graphische Darstellung wies in schwaizen, clann in roten Strichen und Säulen Rubelmengen, nämIich für Zwecke cler Volkserziehung ausgeworfene Rubel in den Jahre¡r von 1900 bis 1920 aufo Das Erziehungsbudget von 1900 war ein kleiner wagelechter Strich von der Dicke eines Fingers. 1904 war's der linger eines kleinenKindes,geworden, so wenig war für den Zweck im Staatsbuclget vorgesehen. 1910 war der Finger, wenn ich mich
recht enl.si,nne, der Finger eines nôrmalen Bauern¡ aber immelhin noch ein Finger. 1918 schoß plötzlich eine rote Säule bis zur Mitte tler Ta^fel in die Höhe, das war schon nach der Oktoberrevolul.ion. Eine zweite rote Säule vom Jahre 1920 erreichte aber bereits den höchsten Rand der Ta-fel. Kein Mensch, der sich im Narkomproß auch nur eine
Stundc aufgehalten hat, wird das Ungeheure¡ das über clie Jahrhunderte hinaus Gültige und Wirkencle leugnen, das die Bolschewiki Íir die
Erziehung des russischen Volkes'geleistet haben. W,ozu dieser veraltete schwinclelhaJte Behelf tler graphischen Darstellung von Rubelauslagen? Jeiles Kind weiß ja, tlaß die Kaufhraft einer Million Rubel 1920 der Kaufkra^ft von 1000 oder gar 500 unter dem letzten Zarcn entspricht. Fort mit der Staiistik. . . Aus Gegenwärtigem, Künftigem, aus der Ge' sinnung und der Leiclensfähigkeit der Massen, au$ meinem Gefähl, meinem Verstand, der, Erfahrung meines gùîzew Lebens, clie mir Theorie,n, Menschen, Ergebnisse durchleuchtet, muß mir die Wahrheit über Sowjet-Rußlanil erstehen. Ich setze mich hin, um mein Buch zu schreiben. Gott
mir'
l
.-h,1lfe
Das ,4¡'beiter-Volk ist oft gesagt worden, claß der Ausspruch Ës l---t
von Marx: das Land mit dem höchst ent'wickelten Kapitalismus sei berufen, zuerst die proletarische Revolution siegreich durchzuführen, sich nicht bewahrheitet habe. Denn serade Ruß21
land,
-A.grartanil
mit einem,nur in 'den
ersten Stacliea befinrlüChen Inclustriekapitalismus'hat dio til
d"as
proletarische Diktatur zum Siege geführt. Ein , anderer Ausspruch aber von Marx hat sich als wahr und folgerichtig erwiesen: rlaß nämlich das organisierfe städtische Proletariat vor allem berufen sei, ilas Rückgrat jeder antikapitalistischen Revolution zu bilclen. (In Deutschlantl haben die Kieler Matrosen, cl. h. organisierte Met¿llarbeiter clas Gebäude des Imperialismus zu Falle gebrach.t.) Der organisierte Arbeiter, den Marx meint, ist aóer nicht nur der Teil des klassenbewußüen Proletariats, der den Sinn des Sozialismus erfaßt hat uud das proletarische Wirtschafts- und Verwaltungssystem begreifen, stützen unrl ihm zum Siege verhelfen muß, sondern vor allen Dingen ruht auf ihm ilie Pflicht, einen eben zertrümmerten Appai"at lclurch eisernen Fleiß aufzubauen uirrl alle nichtorganisierten, nicht klassenbewußten, alle unwilligen,Elemente, die die neu aufzubauencle Organi-_ ' safion auf clie Dauer nicht entbehren und von sich ,abhalten kann, zu kontrollieren, zu disziplinieren, anzufeuern, wenn es sein rhuß zu unterdrücken. : Ðas Froblem tles Kommunismus ist: arbeiten; mit vollster Hingabe, unter Anstrengung aller Kräfte auf eine nicht mehr tlem kapitalistischen Zwang tler Selbsierhaltung, sondern dem freien menscllichen Streben nach Hingabe an die Ge'Weise meinschaft unterworfene arbeiten. Das Problám des bolschewistischen Aufbaues, cter Dik-
,tatur des Proletariats beruht ilarauf, daß mit einem .wuchtigen Griff, einem harten Zupacken, Umbieget unrl Abbrecherr zugleich rnit dem Kapitalis. mus der Trieb des Eigennutzes, der Habgier verryichtet wercle und die Produktion, clie Arbeits-
ilittigteit dabei nicht 'nur keinen Scharlen er'
leirte, sondern durch unerhörte Opferwilligkeit,
angespanntes Pflichtbewußtsein âuf tlem eben zer' trümmerten Gebäucle der neue Zustand auferstehe.
Eù ist also, wie man sieht, ein psychologisches Problem. Es ist kein rein ökonomisches, s'onclern ein Gesinnungsproblem. Bs ist ein Probler4, bei ttern tlie Psychologie iler Massen wie cles Indivi' iluums eine große Rolle zu spielen hat, eine entscheidendere Rolle vieÌleicht als die Routine. Unter welchen Bedingungen nun hat der rus' siÉche Kommunismus dieses verhängnisvolle Ex-
periment begonnen? Er fancl eine durch 16Jahrs Krieg geschwächte, verwahrloste und demorali' sierte Menschenmasse vor, einen total verlotterten Protluktionsapparaf, einen erschrecklichen Mangel an den notwendigsten Rohstoflen. Fortwâhrende Bedrohung durqh tlen an clen Grenzen tles Landes sich düster zusammenballenclen lVelt' kapitalismus, der, der ungeheuren Gefahr bewußt, immer neue Heere vorwärts schob, clen ganzen papierenen Apparat tler Feinclseligkeit, der Verleumdung, tler Verrlüchtigungen in ein rasende¡ Tempo vèrsetzte, tler durch tausend unterirdische Kandle Zwietracht, Verrat untl Ãrgeres in das harü geschlagene, wie eine Festung blockierte Lantl ãandte. Aber schlimmere Hinclernisse noch als cliese rein äußerlichen erwuchsen dem Bolsche' wismus untl seinen Führern aus dlen seelischen Vorbeclingungen der Menschen, tlie sie fanden, ttm mit ihnen ihre lileale aufzuricht9n. Ein Volks'kommissar erklärte mir mit traurigem Lächeln: der russische Arbeiter habe in tlen Zeiten vor der Oktoherrevolution zu iwenig kapitalistische Prügel erbalten, sei also niemals für eine angestrengte 23
22 I
systematische Produktion vorgebildet gewesen. Þie besten unil ve¡läßlichsten Árbeiier seien die
Litauer, die Polen und die Juden. Es gibt Leute, die den Bolschewiki den Vorwu¡f nachbn, daß sie mit einem ungeeigneten Yolkskörper ein so radikales Experiment gemacht hätten. Und es sincl nicht zuletzt die aufrìchtigen Sozialisten, die diesen Vorwurf erheben; denn-sie befürchien beim Scheitern dessen. w¿¿s sie das bolschewistische Experiment o"rrn.o, ein weltweites Erstarken ttes Kapitalismus und éine Diskretlitierung des sozialistischen Gedanhens auf un: absehbare Zeit.
Nach drei Monaten, rlie ich in Rußland verbracht habe, hann ich ein ähnliches, wenn auch viel leichteres Bedenken nicht von mir rn¡eison. Das Volk ist müde, der Arbeiter entnerr,,t. der Kapitalismus hat an der Gesinnung der Menschen, ¿n dem Trieb zur Gemeinschaft jahrtausenclelang gesündigt, und d,er treu ergebenen opferwilligeñ Genossen sind verhältnismäßig wenige. Ðie Opferwilligkeit dieser Treuen und Gerechten führ[ sie ihres - an den roten Fronten - zur p¡eisgabe Lebens und damit zur Vernichtuns der wesentlichen uncl wichtigen StÍitze der desinnung bei elen schwankenden Massen unrl der KontroilJaller der Disziplin Unfähigen, bewu-ßt das Getriebe Zerstörenden.
feh habe einige Fabriken besichtigt, in denen Å ich die Produktionsweise des heutigen RußIands, fragmentarisch zwar, wie es sich von selbst
verstehf aber doch
in seinen Konturen zu ver-
folgen vermochte. Es waren dies: eine Textiifabrik in der Nåiåe Moskaus, eine Kattunfábrik in lwa-
nowo-'Wosnessensk, außerdem Fabriken versohie dener Art in Petelsburg, lVerkstätten, Beklei-
clungsindustrien, Brotfabriken usw. In mancher Fabrik fanden wir Rohstolfe vor. die noch aus tler Zeii; vor dem l(rieee stammten. In anderen lag schôn neues lVlateiial aus den unerschöpflichen Vortatskammern des weiten Landes bereit, jedoch wurden da auch Verarbeitungsstoffe verwendet, die clie Blockade nicht herein ließ, z. B. Farben für den iVlusteraufdruck des Kat[uns, die im Frieden aus Bayern importiert rvurden, undr deren Versiegen die Fabrikation wieder vor ein schwieriges Problem stellen rvird. Die Fabriken, clie wir sahen, \ryaren bereits in der Zeit vor dem Kriese erbaut und eingerichtet worden' Alles, was- wir zu beobacirten hatten, um das Wirken des neuen Arbeitssystems zu erkennen, war: in welchem Zustancl sich die Fabrik befand, auf welche Weise man die vorhandenen Maschinen und Sioffe behandelte, seit der Arbeiter solber ltre'rr d.e,s Betriebes geworden war, und. ztietzt das Wichtigste: auf welche Art man den zugrunde gehenden Apparat, die abgenutzten Maschinen, die unersetzbaren Maschinenbestanclteile arbeiLsfähig erhielt, durch sorgfâltige .Behandlung, durch Erfindungsgabe, durch Hingabe und Verständnis für die Notwendigkeit der -.Froduktion, nicht nur ftir die äußeren Bedürfnisse des Volkes, sond.ern für die Stärkung und Aufrechterhaltung d,er großen politischen ldee. . Ich bedaure es sehr, daß wir keinen I(odak zur Hand hatten, als wir die große Tuchfabrik in de.r Nähe von Moslcau besuchten. Sie fabrizierte I'Iilitärtuch, außerdem Tuche für Månnerbeklei-
1).á,
,25
/
dung untt tlas sogenannte ,;technische Fi]ztuch"
fiir dic Papierfabrikation. Die Herstellung tlieseq'
eines schweren ryeißen Filzes von letzteren - Ðicke, der eine endlose Rolle darzwei Finger erforuert eine bestimmte Mascbine zum stetl[ des Stoffes. Diese tfaschine heißt , Aulrauhen Bolikardenmaschine untl stellt einen' Zylintler aus ÏIelqü dar, att dem distelförmige biegsame St¿chel- spulen befestigt sinct. Das Tuch wird über diese Ðisteln gezogen, die die Fasern des Tuchos 4ufrauhen. Die Maschinen, die aus Bury in Englancl bezogen worden waren" waren nicht mehr zu"' , gebrauchen. Die Arbeiter in tler Fabrik zim' : merten nun aus Holz ähnliche Zylincler zusammen , und befestigten an ihnen wirkliche Dis(eln, clie aus einem entfernten Gouvernement herbeige' .:sehafft und natürlich einer raschen Abnutzung ausgesetzt waren. Diese Maschine, primitiv, naiv, -. ,wie von irgencleinem Robinson Crusoe zusammengesetzt, kãm mir . als rührendes_ Symbol der Not untl der Tugencl des neuen Rußlands vofIch besuchte diese Fabrik mit dem ehemaligen Volkskommissar der iungarischeh kommunistischen Regierung, dem ausgezeichneten Volkswirt:' " schaftslehrer Professor. Varga. Wir fuhren un' angemeldet tlort hinaus und konnten einen ge"'tnauen Einblick in das Getriebe so der Arbeit wie ' iler Verwaltung gewinnen. Von 6100 Spindeln ar' .beiteten zutzeit nur 3000. 1600 Arbeiter lebten mit ihren Familien auf clem Gebiet um dieFabrik.
'
zeugen mangelte, tlie fehlentlen Bestandteile zu ärnêuern. So z. B. mußte der endlose Filz, von dem ich sprach, tla die Maschinen zum Zusam' menrveben tles Filzes nicht funktionierten und 26
nicht zu ersetzen waren, von Ilunclerten
von
Arbeiterinnen zusammengewebt werden. Da saßen sie nun au,f langen Bänken in einer Reihe und fügten r,nühselig Faden um Faden tler beiden Entlen des Tuches zusammen. Eine unendlich monotone und mühselige Arbeit, bei der es zu ver' meiden war, daß lfuotèn in das Tuch gelangten, weil dann das Papier, das über cliese Tuche laufen muß, natürlich zerrissen wäre. Mir fiel bei clieser Verrichtung ein Wort ein, das ich in Moskau gehört hatte: ,,Wenig llfaschinen, viel viel l\{aschinen, wenig Menschen. Mènschen ist einfach: wir" haben enorme Problem Unser Mengen l\{enschen, wir brauchen clie Maschinen nicht." Die Arbeiterinnen tlieser Fabrik hatten pro Tag ein ]lfinirn'um von TrlzArschin Gewebe abzulief ern, erhielten daJür einen l\{inimallagelohn von 121 Rubeln 20 Kopeken. Um clie Produktion zu heben, wurde ein Prämiensystem eingeführt, welches diê Bezüge bis zu 400 Pùozent tles Lohnes steigern konnte. Zu Zeiten der erhöhten Procluktionsnotwentligkeil wurden 40 Überstunden monatlich bei 25 monatlichen Achts[undentagen geleistot' Vor tter Binführung des Prämiensystems hatte bei tlen måinnlichen Arbeitern die tägliche Procluktion
einen Durchschnitt von 12 Arschin betragen, nach der Binführung des Prämiensysteitrs betrug rler Du¡chschnitt 15 bis 17 Arschin. Jeder Beamte und Arbêiter hat pro l(opf seiner Familie Anspruch auf 11 Szazn 'Lancles zur eigenen Be' bauung im nächsten Umkreis tler Fabrikniecler' lassung. Das hatte seine Vorzüge und Nachteile-Da die Lebensmittelbelieferung oft eine' gänzlich ungenügencle wàr uncl zumal clie Arbeiterinnen
s'or ü-n¿erernä.hrung und Müdigkeit kaum mehr zu arheiten vermochibn, ilurfte man nichts ctagegCn haben, daß sich ein Teil'des Betriebspersõnats baibe Tage lang unentschuld.igt auf ¿en petAein
nmhs¡{¡igþ, um Rüben, Kartoffeln und andere Erdfrächie anzubauen, zu pflegen und- einzuheirrlsen. Gegen cliese notgedrungene Sabotago der Produktion half nur das mechanisch erhöhte Prämiensystem. Doch war die Stimmung unter der A¡beiterschaft eine vorzügliche. Sie wußten ja daß etw'ai sich geändert hatte, cl¿ß sie für sich arbeiteten, und das half ihnen über manche Entbehrung, Müdigkeit und Kummer hinweg. Eine Schar hübscher, gut gehleicieter und fröhlicher Kinder stand um u4ser Auiomobil, als wir kamen und gingen. Im Klubzimmer, inden Speisesälen, in dem I(inderklub der Arbeiterheime hingen Bilder und Fahnen mit Wahlsprüchen an den lVänden; ein Theater sah man, dessen Dekorationen von den Arbeitern selbst gemalt worden waren, Das Programm der leizten Aufführungen zeigte Stücke von Tschechow und Tolsioi. In einem kleinen Atelier standen naive Ton- und Holzskulpturen, die begabte Arbeiter in ihren Mußestunden ausgeführt hatten. Ein Sanatorium mit vorztglich gehaltenen Räumen für Operationen, Wöchnerinnenstuben und Apotheke wies ers-taunlich gut funktionierende Einrichtungen auf, der Oberarzt verfügte sogar über chirurgisché Geräte;_wie uns im Vertrauen mitgeteilt ùurde,
waren diese tlurch den Schleichhandel erstandenj 1g9h war, was in B.ußland noch seltener ist, Cåloroform vorhanden. . In Betriebsrat saßen nur .A.rbeiter; kein Beamter. Der Vorsitzencle,'wal Kommunist. Doch gB
ist das nicht unbedingte Regel. Es gibt Fahriken,
in denen kein Kommunist im Betriebsrab sitzt; nur war diese eben eine der wichtigsten in tler Nähe Moskaus und stand in clirektem Zu-
sammenhang mit d,er Tentralsteile lür Texiilversorgung des Landes. Uns hatten zwei Genossen begleitet, ein åilterer, mit der Kontrolle dieser Fabrik im Moskauer Textilkomitee beauftragt, uncl ein jüngerer, der im Zentrotextil, der obersten Stelle für clie gesamte Produhtion des Reiches, die verantwortungsvolle Stelle des Leiters der gesamten Wollabteilwrg innehatte. Beitle Genossen waren ehemalige Angestellte der großen Fabrik und stanrlen noch in einem freundschaftlichen uncl
von' seiten des alten, expropriierien
Besitz,ers
patriarchalischen Verhä.ltnis zu ihrem ehernaligen Arbeitgeber. Weniger günstige Eindrücke hatten wir, als gir im Bureau der Fabrik mit den ftihrenden Beêmten zu spréchen anfingen. Der Leiter des Bureaus, ehemaliger Direktor der Fabrik, seit zwanzig Jahren in derselben Tåitigkeit, gab ohne weiteres zu, daß seine Eücher nicht ordentlich geführt seien; außerdem konnte er über clie Pro' duktionsmengen, die Rohstoffe, die Quantitäten der Verarbeiiung nur vollkomrnen vage und verlegene Auskunft erteilen. Nach lwanowo-Wosnessensk fuhr ich als Mitgliêcl einer kleinen Gruppe, die unsere wunderbare Klara Zetkin begleitete. Iwanowo-Wosnessensk ist eine der größten Industriestädte RußIancls, das Herz cles revolutionären proletarischen Rußlands. Hier herrschte unter der Arbeiterschaft Jubel ob des Besuches cler seltenen Frau. Auch Angelika Balabanoff befa¡rd sich in urserer 29
Gesellsc;haJå' ,lVir wurden mit mititärischen Ehren empfaagea. Ðie l{ote Armee stand auf tlem Bahn-
ho{, die &liliüirkapelle spieltç die lnternationale, und wir aahmen eine Art P¿i'¡ade ab. lVeine¡rde Frauen begrälJten und kQßten Klara und Angeüka, die vom lrittbrett'des Waggons Ànsprachen an.die Versammeiten' hielten. Die Fabrik, die wir am nächsten Tage besich. tig[en, hatte im Frieden enorme Mengen von Kattunstoffen nàch dern näheren und _weiterer¡ Orient geliefert. Die Musterbücher der Fabrik wiesen eine schier unglaubliche l.ülie von buntdsteu l)rucken auf. Alle UrÍormen indischer, chine sischer, persischer Dekoration fanden sich iu diesen Musterbüchern verei4igt. Jetzt wurden natürlich Vaiianten von nur ganz geringer Zahll ausgefährt. Doch fanden wir schon neue Zeich.nungen in einem sauberen, volkstümlichen Stile, cler $em Geschmack des Proletariers angemessen scliien. trm Hofe der Fabrik, die seit zwei Wochen erst wieder in Gang ,gesetzt worden war; iûr Frieden-4500, jetzt nur 2000 Arbeiter beschtiltigte, lagen noch Berge von G¡anaten. Die Fabrik ,war nämlich im Kriege auf diesen angenehmen Produktionszweiþ umgestellt worden. Das ganze Teufelszeug rostete nun unter cler dreimal wiederholten Schneeschicht. Iwanowo'Wo$nessensk besitzt 210 Fabriken und ist,'wie gesagt, das Zentrum der Katlunfabrikation Rußlancls. Durcb tlie neue Produktionsweise sind jetzt alle ftir die Fabrikation von Textilw¿¡sa þss[immenden'BearbeitungsstéIlen vereinigt, während früher der unsinnige Zustand herrschte, daß man einen Stoff, der an einem. Ort gewebt wurde, 'Iausende von Meilen weit an eingn anderen Ort zur weiberen
3t
Bearbeitung, tlann wieder guer durchs Lancl zum 'Dekatieren usw. herumschicken muljte. Von den 210 l-abriken sind es zwanzig grolìe, die gegenwärtig in Betrieb s[ehen. Kleine Betriebe sinci natürlich gesperrt, da die Konkurrenz der lîabrikanten und die Privalinitiative mib dem Privat'eigentum aufgehört haben. Auch hier sahen wir viel Heroismus der Arbeit und viel rüLhrencles Blenrl. Blasse Frauert stürzten auf unsere ZeLkin zu, zeigten ihre Bash schuhe : draußen hatþn gerade die ersten Winterfröste eingeÀetzl und baien die Freuntlin und Füt¡rerin, den -Genossen Lenin zu veranlassen, daß er mehr Brot und mehr Schuhe nach Iwanowo schicke. (Der: Ort galt von jeher als ein Hungerzentrum.) ' Gegen welche Schäden moralischer Art das meines Erachtens die tr[oral nicht minder schädigentle -Prämiensystem anzukämpfen hat, lehrto uns der Besuch einer großen Mäntelnåiherei in Petersburg. Als wir ankamen, war eine kleine Gruppe von jungen Arbeiterinnen im Zimmer des Betriebsleiters versammelt. Auf Stüþlen lagen, sorgfältig hingebreitet, hübsche, aus gutem Tuch verfertigte und mit Seirle gefütterte Blusen und Jacken, Röcke, sogar einige schöne u¡arrne Mäntel aus Plüsch untl mit Pelzwerk. Alldies wurde an Arbeiterinnen für gutes Verhalten, ernsige Arbeit uncl pünktl.ich eingehaltene Arbeitszeit verteilt. Wir erfuhren, daß viele von den Arbeiterinnen sich den.hårtesten Strafen für Verletzung dèr Arbeitspflicht aussetzten, halbe Tage lang fortblieben, ,um für die Bhegattinnen irgendwo verÈteckter ieicher Schieber M¿intel zu nähen, {leicler anzufeitigen, wobei die Löhne für solche 31
heimlich fertiggesiellte Kleirler zwischen 60- und 8û0tû Rubei schwankten. Hier hatten wir einen wtisten Ànsturm von großstädtisch demoralisierten, keifenilen und. fuchtelnden Frauen zu bestehen. Dieser Ansturm galt clem Abteilungsleiter
platzt. Ein ekler Bach von Urin ergoß sich gelb durch tlen Schnee und clas Eis hundert Meter rveil über die Straße. Die Röhren waren nicht zu ersetzen. Üilerall auf Schritt uncl Tritt Verwüstung, Unersetzbarkeit, Ruin. Damit zugleich F.esignation, Gehenlassen, Verlotterung, Sich-Hinlegenund
äer Pete¡sburger zentralen Kommunalbehörde, der
'IVerkstätten
uns die zeigte. Der NIann, einer der tüchtigsten, gewissenhaf testen und arbeitsfreudig-
Sterben.
sten Beamten des großen Stabes der Petrokommun
war ehemals selbst Schneider gev/esen. Die
Be-
schwe¡den der Arbeiterinnen v/aren: mangelhaftes, Schuhrverk und ungerechte Bevorzugung irgendwelcher Kolleginnen bei der Verteilung der Prämien.
p I\
./
ußland, das blockierte, vorn Krieg beclrängte, vor_ innere'n Feinden sich nur ungenügend schützenáe Rußlancl krankt an einer Untõrproäuktion des Notwendigsten, Das traurigste Wort, das icL- in Rußlantl gehört habe, war das Wort: Remont. Remont bedeutet Reparatur, uncl wenn man Remont hört, bedeutet es, daß etwas kaput ist, das nicht repariert werden kann. Im iäglichen Leben bemerkt man dasselbe wie in den großen Dingen der öffentlichen Einrichtungen'und Notwendigkeiten. Ging in clem sehönen Hause, in dem ich in'Moskau wohnte, eine Schraube von der Klinke meiner Zimmertür v€tloren, so konnte ich meine Tür nicht mehr schließen, d.enn es waren ein-fach keine Schrauben ru beschaffen. Mein Weg in die Stadt führte mich ilurch eine der belebtesten Verkehrsadern, eine abschüssige Straße entlang. Mitte Oktober hatten wir 15 Grad Kälte. In einem vierstöckigen Hause w¿¡ allem Anschein nach ein Leitungsrohr ge32
---
Und doch - im Frühjahr 1920 gab es zwischen derErledigungDenikins und. d.em neueinsetzenden Polenkrieg einen Zeitraum von ungefàhr drei Motaten, in dern tlie Industrie mit einem Ruck erhöhte Procluktion aufwies, dadurch rlie Beliefe. rung vom Lancle einen Aufschwung nahm, die allgemeine Stimmung sich hob, das System erstarkte uncl an Anhängern gewann. Aber dann kam Polen, clann kam lVrangel, dann kam tlie Fesetzung tles Donjetzbeckens, die Verwüstung und ilie Abschneidung der ukrainischen Felder, die Wegnahme tler Naphthaquellen, Müdigkeii, Ver" zweiflung. Trotzdem ließ man den Mut nicht sinken. Die Lebetsmittelration der Kinder wurde erhöht (tlie bösen Kommunisten erhöhten sogar die Lebensmittelration für clie Kinder der verhaßten Bourgeoisie), uncl rlie wenigen Monate Waffenstillstand. an der Front bewirkten, daß rler Winter I920|I92L minder hart und gefährlich auf tlie leiclentle Bevölkerung tler großen Städte aiecler{ällt. Als ich Rußlanct verließ, war Wrangei in clie Flucht geschlagen, und wir atmeten auf" Eine Zeitspanne von mindestens vier Monaíen Ruhe an den Fronten stancl Rußland bevor. Rußland, ilas ein bewunderungswürdig aufgebauies }Ieer ron Arbeþrn und Bauern hesitzt, wird imstan
DreitrlonateiuSowjei-Rußland
B$',
scheÊ,
rreil für d¿s Recht känpfenden MÈinner zur
fubeit in ilen wichtigen, für Leben und
nächstô
Zukunft entscheiclenclen Protluktionszweigen un" zustellen. l$enn rler Krieg, wie ich später ausfü.h¡en wercle, hilft: die Iclee tles Kommunismus ia der.å¡mee uncl clamit in den breitesten Masseer des russischen Volkes auf entscheidende Weise zu verbreiten, so hilJt der'Waffenstillstantl, die Atempause zwischen zwei Kriegen, die Inclustrie zu stiirken. So bewirkt der Kampf der Entente genau ilas Entgegengesetzte von dem, was Sie sich von der Bekåi.mpfung cles Bolschewismus verspricht. Die Zukunft wircl es lehren, ob cler Weltkapitalis. mus sich nicht in einem nutzlosen Ansturm gegen tl^ie lclee tler Befreiung der Massen aufreibt und verausgabt.
Diese Befreiung der Massen ist nicht wörtlich zu nehmen. Denn wenn man unterFreiheitSelbstbestimmung, Leichtigkeii tler Bewegung, ein ge. mütliches Hinvegetieren versteht so ka¡rn ma¡r tliese Freiheit in Rußlantl allerdings nicht finrlen. An ihrem Mangel leitlet jedermann (nicht allein cler Intellektuellel), a^rn allermeisten aber der russische Arbeiter. Einige Bemerkungen über clie Art cler Arbeits. øuteilung uncl die Bedingungen der Arbeit selbst seierr hier eingef.trochten: Die Freizügigkeit rles -å.rbeiters besteht nicht mehr. DieYermiftelung der Arbeitskräfte geschielrt nicht clurch Arbeitsbörsen, ¡yie noch vor kurzem, sontlenr rlurch ttas Yolkslbmmissariat ftir Arbeit (Kommissar Schmirlt), itâs in engerFählung uqd bei tlen höherenStellen auch in persönlicher Union mit clen Gewerkschaften uncl ihren Führern steht. Arbeitspflieht besteht für jetlen Mann vom 16. bis qr J=
50. Jalia fär jeclo Frau bis zun 40. Jahre. Der Maximalarbeitstag d,auert I Stunclen. trn man" chen Betrieben, die schwere, gefährliche oder gesundheitsschädigende Formen tler Arbeit beclingen, wie in Züntlholzfabriken, in Bergwerken usw., reduziert sich clie Arbeitszeit um 2 bis 2t/¡ Stun'ilen u-ntl um garì.ze Arbeitstage in cler Woche. Frauen haben acht Wochen vo¡ rxrcl acht Wochen nach ihrer Nierlerkunft Anspruch auf v-ollstäntlige Ruhe, vollstänclige Bezahlung ihrer Bezüge und, auf eine Belieferung an Leinwantlstoffen und allem Nötigen für die erste Versorgung des Kintles. Außerdem wircl ctie Milchration, auch wenn die Frau.ihr Kinil nicht selbst stillt, erhöht. SchwanHungen bei cler Durchführung all' tlieser VLorschriften sind. noch zu beobachten. Ich selbst habe in .manchen Betrieben jungo Mäclchen gesehen, tlis offenbar das 16. Jahrnoch rricht err.eichthatten.r Intles mag das auf einen lrrtum zurückzuführÞn sein ; verktiLrnmerte, armselige Proletarierkinder sind ja im Wachstum gehemmt worden von je, und der traurige Zustancl des gequälten Landes vermochte daran im Zeitraum von drei Jahren trotz der ungeheuersten Anstrengung nichts Entscheitlencles zu åintlenr.
i
T T- d.as, was ich über die geistige Arbeit im L./ Dienste des Staatswesens zu sagen habe, gleich in. clas richtigo Gleichgewicht zu búngen, will ich 'zwci Sätze aus Lenins Broschüre ,,Staat unrt Revolution" zitieren. Der erste Satz lautet: ,,Beantentum uncl stÌindiges Heer, das sincl die Para. siten a,m Körper rler bürgerlichen Geseltschaft"" Der zweite Satz lautet: ,,Von einer plötzlicb rest-
losen Bessitigung tles Bearntenhrms- an a"llen Orten 35
I
ka¡n keine Red.e sein. Dies wÌire [itopie; aber deu alten Bæmtenapparat sofort zertrümmern und gleichzeitig lnit ilem Bau eines neuen beginnen, der die ailnãhliche Beseitigung jeglichen Be amtentu-ms ermöglicht, das ist keine Utopieì" Tfèiter fäh¡t Lenin aus: Mit der Beseitiguag des speziüschen Vorgesetztentums der Staatsbeamten kann uncl muß sofort von heute auf morgen be goûnen werden, und an deren Stelle mtissen die einlachen Funktionen von Aufsehenr uncl- Buchhaltern treten. Was ich in Rußlanrl gesehen, erfahren, und ich tlarf ruhig sagen, erliiten habe, läßt sich auf das System der ungeheuerlichsten Zentra^lisierung des
gaûzen Produktions-, und. Verwaltungsapparates zurúckfiihren, den diese an Schreckni sse gewohnte Welt jemals erlebt hat. Die Privatinitiative ist zugunsten der Staatsinitiative ausgeschaJtet, aber die Menschen sintl clie alten geblieben. Das Beamtentum ist eine in allen Formen der Gesellschafts. orclnung wiederkehrende Belastuog tles prorluk" tiven Arbeiters, des tlie Schätze der Natur, sei es dnrch den Pflug, sei es durch den Spaten hebenilen Arbeiters, des die Schätze des Landes verarbeitenden und. zum Gebrauch ftir tlie Gemeinschaft herrichtenclen Arbeiters. Ein'Wort an Alle, an alle Arbeitêr, an die sich vereinigenden Proletarier aller Länder I Im Augèn" blick, in dem ihr die Herren cler Staaisgewalt ge" worden seid, im Augenblick, in dem ihr tlie Klasse de¡ Ausbeuter unterdrückt und vernichtet habt, beginnt für euch eine Zeit der ungeheuersten K¡alta.nstrengung, die Notwendigkeit unerhõrtesüer
å¡beitsleistung, die Zeit einer selbstauferlegbn äu-&ersten Sklaverei, die nur bei den Klassenbe 8€
rvußtêsten,, beí den Zuku¡Jtsbewußtesteu untar eucb ein Gegengewicht in tler in¡eren Befreiung. in clem Bewußtsein der inJreren Freiheit find.en
kannl
Die Zentralisierung des politischen ur.d wirtschaÍtlichen Verwaltungsapparates gebiert eine so maßlose, aJle Begriffe überschreitende, jeder l(ontrolle allmåihlich entschlüpfencle Beamienscha^ft, itaß ihr wiederum für eine Schar mehr oder minder untätigen parasitärqn Inclivid.uen angestrepgt zu arbeiten habt, maßIos zu arbeiten habt, nur daß oiese auf eurem Buckel hockende Schar euch ietzt nicht mehr ausbeutet, s,ondern das verwaltet, was ihr mit eurer Hände untl Hirne Arbeit' aus dena Drclbotlen herr"orstampft, in den \üerkstätten verarbeitet.
\
tr Jenn unter dem kapitalistischen Systern nur
V die Hälfte cler tsevöIkerung rein produhlive Arbeit leistet, so weiß ich nicht, welcher Bruchteil tler Bevölkerung unter dem kommunistischen System rein procluktive Arbeit leisten wircl und kann. Die erste Notwencligkeit, die erste Tat nach der Ergreifung der Macht durch clas Froletariat wav: die kapitalisiischen Führer und Beamten auß ilem Staats- und Wirtscha^ftskörper völlig auszuschalten. Sofort tlarauf ergab sich als nächste ilringendste Notwendigkeit die Aufgabe: unler iliesen A.usgeschalteten vorerst ilie Spezialisten in den einzelnen Fächern wieder in den Beamtenkörper aufzunehmen. Diese Notwentligkeit birgt eine maßlose Gefahr in sich, wie ich es gleicb ausführen will'. Sieht man sich das Diagramm eines großen Verwaltungskörpers, z. B. cles Obersten Wirüschaftsr¿tes, im Zusamrnerrha^ng @it V
37
'€
allen den ih¡a untergeordneten Zweigen. der:pr,odukti¡oa r und verteilirng ân, so wii¿ man an, diese* Schema des Verh¿ingnisvollen rles Systoms genarl gewa&r werden. Zuerst befinctet sich im fnnern. diæes Diagramms; in cler Mitte ttes Blattes. auf dem das Schema eines Kommissa¡iats odeí eines ZentraJ¡ats pufgezeichnet ist, ein kleiner Kreis. In d.iesem Kreise steht der Volkskommissar fär .A.rbeit, fü¡ Volksauft[ärung, fär Auswärtige
Angelegenheiten, für Gesqclheitspflege, ocler w.ãs er sonst ist. Diese Männer, soweit ioh sie kennen .gelemt habe, soweit ich ihre Arbeit beobachten . uncl mich über ihre Arbeit informiere¡. konnte. sind Persönlichkeiten von absoluter, keiner Ver_ leumtlung zugänglichen Integrität, clurch das Leben u¡tl rlas Schicksal erprobte, gehärtete, aufopferu_ngsvollste, für unsere gemäßigten Zonen der Pftichterfüllung unbegreifliche Arbeiter, Verantwortungsträger, zum TeiI rsahie Apoitel und 'He¡olde einer neuen Zeit. : Um diesen innersten Kreiq der entwecler einen Namen ,ode,r die Namen eines ganz engen l(omi'tees von clrei bis fünJ Menschen umfißt, zieht sich ein Kreis mit schon etwas breiterem Rad.ius. In diesem Radius sincl. die Leiter der ober. sten .Verw¿ltungsstellen des Kommissariats ge. ¡a¡nt, meist ebenso erprobte, zum großen Tãil ebenso opferwillige, mit Arbeit überl-adtete uu.ct ihrer Vera¡twortung bewußle Kommunisten. Die K¡eise weiten sich irqmer mehr. Jedem Leite¡ eines Verwaltungs- oder procluktions- ocler. Verteilungszweiges unterstehen Abteilunssleiter. die ihrerseits wieder einen weiteren Kreis-und imme¡ rveitere Kreise von Untergebenen mit spezialisierfen Funktionon besitzen. Je weiùer diäse Kreise 38
sich von tlem Mittelptrnkt entternen, um so weni'(lie ihh ausfüllen¿ gor können ttie Fu¡ktioniire, kontrolliert - irh ha^be wertlen. cten Volkskommissa¡ für Auswärtige Angelegenheiten, Tschitscherin; hennengelernt nf"Ë" nitgetahr zu sehen bekommen, wie sein Kommissäriat arbeitet. Außerttem habe ich auch neben antleren Kommissariaten tlas Kommissa¡iat für Volkserziehung des Genosse¡r Lunatscharski zv beobachten Gelegenheit gehabt' Ich kann
,
nicht sâ€Ð, daß' ein tli¡ekter Zusammenhang zwilchen der Tüchtigkeit . ,,des . inne'rn Kreíses und. tler äußersten Kreise" ein untl
I
desselben Kommissariats besteht, und ich wilt .nicht sagen, welches von clen erwähnten Kommissariaíen mir ctiese Überzeugung beigebracht hh,t. Ich weiß trur, daß Tschitscherin, ein khänklicher, hästelhcter Asket, von den achtzehn Arbeitsstuntten, die er täglich leistgt, reichlich zebn an Organisationsfehlern irunorhal'b seines
Kommissarials einbüßen muß. Lunatscb¿rski mag ein Mann vòn grarrctiose,n ldeen sein, und matrches, was in seinem Kommissariat durchgosetzt 'ist, wirtl clie Ti¡elt in stärkere Erschütüerung ver,"ir"o, als sie clas Kommissariat tl'sr Arbeit otler irgendãines wirtschaltlichen Departements hervorztlofeo verma,g - aber er ist tler typische In" . tellektuelle, veischwinilet von Zeit zu Zeit, um Koìrratl Fertli:mntl Meyer zu übersetzen oder um ein Dra,ma zu scbreiben, in dem Ma¡x mit Faust untl Bakunin mit Mephisto uncl anclere upzüch" tige Paarungen statffinclen, und tlie Arbeit cles Kommissariats trägt tlie Folgen" Je stärker sich ãer Kommunism\rs e'inwurzelt, im Maße, in denr ilas System in tlem gaFzetl
.39
u-ngeheurea La¡d.e erstarkt,
im illaße, in dem Tentralorganisation gehöreuden Zweige *:,?ot üet,t'er¡saitung und der produktion in den Bä¡eich de¡ Zentralisierung einbezogen werd,en, nnacht sich die l{otwendigkeit der Aritttittung des Be. amtenkörpers, der Zaziehung von Masìen neue¡ ¡rad irnmer neuel Mitarbeitei bemerkbar. Es läßt .sicb" aicht vermeiden, daß sich Dlemente i, di;f sen Scharen ein-finden, die durch Faulheit, I(orruption, durch bewußt feinclliche
Gesinnung
gegenüber dem System den ganzen Tfppaiai schrvächen unct diskreditieren.' óì-u---,,iooerenl., trrorkämpfer der revolutionären klee foí¿ern von ih'ien Untergebenen mit mehr oder minderer Ener_ qi. dj,u.uf.g. {.gt9nierqng, denselben ldeatismus, dreselbe Gläubigkeit, die sie in sich hegen, und
ùte letzten Grundes clie Ursachi d¿für ist, daß der ¡ussische I(ommunismus sich seit drei Jahren siegreich in lRußIand behauptet hai und elne uie mehr gängliche Umwandlung der Geisterverin ùet ganzen Weli be*irkt..
Aber diesem seelischen Druck geben nur jene naeh, die die Vorbedlngungea aei .lutopf.räog, des.Ideahsmus, d.er Ctauni[neit in ihren Herzen besitzen. Bei den anderen, ãie, um zu lebenr'sich dem Sowjet-Aþparat freiwillig, aufgefordert oder not_gedrungen Verfügung [estelli haben, tuiml -zur s._c.!r1;tli mächtig oñ¿ i-"*u",macUìiger UaS. 11A Böswilligkeit und Vernichtungssucht an.' W.enn es die Dig_enschaft ães Staates isf daß er ernen enotmen Beamtenapparat nötig haf so frägt -der Staat sei¡reñ lfuankheits- o"ã foa.r_ keim in sich; untl es ist fraglich,. wie sich aus dem ror}iufig allmächtigen Gebilde ães Staates jemals
4A\
unser utopischer Trau¡n der freien Gemeinschalt kleiner Ifueise entwickeln soll" trn Rußlancl habe ich das unerhörteste, ungemessenste Leiden in fast allen Schichten tler BevöIkerung gefunden" fröhlich aber und guter Dinge habe ich (außer tlen Ifindern) nur eine Schicht gesehen, nämlich eine im wirklichen Sinne des Wortes para" sitäre, bürgerliche Mittelschicht von neuem Beamt€ntum, die sich weiß Golt woher zusammen gefunden hat, sich über den wißbegierigen und ernst untl eifrig clen Zusammen-hängen nachforschenden Fremdling lustig macht, ihn durch fgnoranz oder bewußte lrreftihrung bei seiner Arbeit behinclert. Ich sprach schon vorhin von der Schwìerigkeit, durch InJormationen clie \üahrhelt tiber clie innere Struktur des Apparates zu erhalten. Diese Schicht einer, man ka.nn es ruhig so r¡ennen, neuen Bourge.oisie, der sogenannten Sowjet-Bourgeoisie, ehrgeizige, zyrlisch unzuverlässige Menschen, werden durch Maulwurfsarbeit ilen Staatskörper unterminieren und würdeÌl ver'mutlich die ersten sein, die auf d.en Trümmern, wenn es jemals Trümmer geben könnte, clie weiße Fahne oder irgendeine andere hißten. Die inneren Kreise kennen iliese Zustände, kennen ctiesè Leute ganz gena;rr. Von Zeit zu Zelf, ,,kämmen sie sie aus", d. h. sie schüiteln sie ab unter Hinweis auf die Notwendigkeit, daß die Front junger Mânner bedarf, claß in einern ,entfernten Ort des weiten Landes ein Posten vakant geworden ist, auch wird der kommunistische Samstag oft aJs willkommener An-laß d.azu ersehen, die zu geistiger wie zu körperlicher DienstIeistung Unwilligen zu entlarven, sich ihrer zu entlecligen. Aher es fragt sich, oh der Ersaiz, de,r 41
ftir diese ,{usgekãmmten geschaffen wirtl, nicht aus noeh fo{iberen Elementen besüeht. Es ist in den Rasland feiacllich gesorurc,nen Låintlero immer 'wieder die Rede davon, daß die Rote Armee es seiû würi, die letzten Enrles die Bolschewjki stä¡z€n wird. Dieser Hoffnung muß sie,h die vereinte kapitatistische \{'elt entschlagen. Die neue Sowjettsourgeoisie schemkt ihrerseits diæe¡ kapitalistischen Welt eine erneute. wenn auch beträchtlich geringeie Hoffnung. Es ist unwahrscheinlich, daß itie Sowjet-Fäh¡er diesen Krebsschaden friiher oder später vollkom¡ne,n auszu,F,cbneiden fiihi'g
-
'zu ersetzen.
Eine Vereinfachung des Beamtenktirpers wäre indes wohl durchfä-hrbar, gncl daclurchkön¡rte
sein werden. ,Die K,ommunistischb
eine trngeheure Schar überflüssigery
Parbi Rußlands ist zaHen-
herum-
lungelnden, Witze uncl Zoten reißenden Gelichters ausìden Ãmtern entferni werden. Sie tun ja iloch
mäßig gering. Sie betråigt nach neuesberSchätzung
dreiviertel Millionen bei einer gesa.mten Volksza,hìi von 150 Millionen, und von dieser clreiviertel Million ist, gering bemessen ein Drittd! und .an'ar ggrade das wertvollste, verläßlichste unrl opferwilligste Drittèt an den Flonten, wo es in clen vordersten Gräben die Sache tler Sowjets verficht. lVelches Maß von Heroismus: an diesen Fronten von den überzeugungstreuen, opferwiltrigen Kommuniste-n stäncllich bezeugt wird, kommt nie ans Tageslicht. Die [etzte Woche des Wrangelabenteuers, die ich in Rußlancl verleht lia,bg weist auf eine Epopoe hin, Kèimen diese verl?ißlichen, erprobten Menschen zuräck, ttas übel wäre über Nacht ii nichts velg¿ìngen. Es ist unzweifelhaÍt, ilaß eine Schwäche, nicht der Fährer allein, sondera des ganzen Systems d¿'in liegt, tlaß die konterrevolutionären, die sa^botierenclen, faulen und korrupten Elemente nicht rarlikal beseitigt we¡dên können. Schwierig tlürfte es ja sein, die ,rSpez" hinaus,zuwerfen. ,,Spez"
ist ein ebensolches Schimpfwort nrie ,,Spek". ,,Spezl' ist tler Spezialis[ ,,Spek'l cler Spekulant. Beicle zugleich Spekulanüen uncl Spezialisien tler alten, nur unvollkqmmeo vernichteten Wirtschaft untl Gesinnung. Der Spez ist ehemaliger KauJmann, Fabrikanl Kapitalist Ausbeuter, aber grtintllicher Keinrrer seinesr P¡otluktions- oder Verteilungsgebiekjs. Er ist nicht leicht durch Måinner tler gera.den Gesinnung, aber mangelnclen Sachkenntnis
nichts. Man gerät in gelincle Wut, wenn man au.t sie angewiese,n ist. I-Insereiner, der nur wenige
-
Wochen tmcl Monate in den großen Zentren der Arbeit und Verwaltung verweilen kann, leidet Höllenqualen. Die Ämter sind in Villen ocler Palästen untergebracht, tlie ehemals reichen Leuten gehört haben und so ziemlich an der Peripherie der Staclt gelegen sind, nur wenige im Zentrum. Telephon funktioniert nicht, ocler, wenn es funktioniert, nur einseitig. Eine Maschine, il. h. eirr Automobil¡ das einem nebst Sekretär, Übersetzer uncl antleren schönen Dingen versprochen wor' den ist, tritt nicht in Erscheinung. l\Ian ist alst-r gez\il'ungen, entweder zu Fuß zwölf lYerst zu laufen ocler sich in eine Droschke zu setzen, rleren Lenker ftir eine Strecke wie vom Brandenburger Tor nach clem Anhalter Bahnhof 5000Ru" bel ve/llangt uncl auch bekommt. Der Monats' gehalt eines Sowjet-Beamten, Arztes oder anderen , lrunktionärs macht selten mehr als diese Summe
,12 *e)
aus; daher k¡nn sich nur
ei¡
Spekulant eine
ÐroschLe leisten; infolgedessen entãieht sich der Ð:osehkenienker, der früher 10 bis 15 Kopeken fûr die Faårt hekommen hat, der irdischen Gerech" tigkeit.
Man hat fest ein Stelklichein verabredet mit einem Funktionär zweiten, dritten oder fünften Grades; rast mit dem Iswostschik durch cLie Stadt. Der Funktionär ist nicht zugegen, ver_ reist, noch nicht ins Bu¡eau gekommen" kommt wah¡scheinlich auch nicht, hat vergessen oder * ist nicht aufgelegt. Aber das isi es nicht, wds einem die heilige Wut gegen das Beamtentum all. mählich in den Adern gerinnen låßt. Es sind. nicht ryr dig Einzelnen, auch nicht Gruppen, wie jene Chemiker im Gouvernement WiatÉ-(?), die sich ¿n die Zentralstelle in Moskau mit rlem scba.rn_ losen Ersuchdn gewendet haben, keine Kommunisl,en zu schicken, sondern Leute, die Chemie verstehen; es ist auch nicht einel(reatur wie jene Oberärztin in dem Petersburger Geftingnis, die uns mit sarlistischer Wollust in ihrem Berãich herum_ füÌrrte, cla¡n mit unverhohlenem Zynismus ihrs Vorgesetzten wegen ihrer kommunistischen Ge. sinnung verhöhnte und uns, als wirih¡ausunseret Gesinnung kein Hehl machten, mit naiver Miene fragte: wie kann man nur? Es hann passieren, daß einem, nachdem ma¡ in einem Amt mehr oder weniger sichere und erschöpfende Auskunft bekommen hat uncl hoch befriedigt das Zimmer verläßt, ein kleines verðächtiges Lachen nachgesandl wircl. Man wendet, sichdan¡i um, sieht eineGruppe vonvollkommenen anwissendeñ Leuten, die sich soeben eine Menge
Lügen aus den Fingern gesogçn haben und jetlt
u
iten Baueh halten riber die NaivitäÍ des Fremdlings, der wirkliches Wissen vorausgesetzt ltat uncl mit wirklichem Wissen abzuziehen verrneint. Gogolsche Revisorstimm'ung. All' das sincl wohl Geringfùgigkeite¡, ,obzwar sie sich traurig genug an-a-ören.
Aber durch solche Unzuverlässigl<eiten
geschieht es, was ich einmal in einer mìr interessant untl wertvoll clünkenden Bildungsstä[te in Moskau erlebt habe. Dort war eine Reihe von
Werkstätten geschlossen, einfach, weil aus Nachlässigkeit der vorgesetzten Behörde tlie Grenzfrage tler Belieferung mit Nlaterialien durch das eine oder das andere Komlrnissariat, das Kommissariat fär professionelle Arbeit oder das tr(ommissariat für Volksaufk'lärung ungefähr fünfviertel Jahr lang unentschieden geblieben 'war. Man wundert und ärgert sich schließlich nicht rnehr, zieht seine Schlüsse und geht seiner lVege, d. h. man geht, wenn man überhaupt noch zu gehen imsta¡lclo ist. Als ich infolge totaler Brschöpfung und des erbärmlichen Pflasters von Moskau in einer Nacht a'uf der St¡a$e hingellogen war und mir l{nie und Ellenbogen blutig geschlagen hatte, war ich ge. zwungen, mich nach einem Stock ocler irgendeiner Stütze umzusehen. Der normale TVeg wäre gewesen, ein Gesuch an clie mir übergeordnete Behörcle, rlas Auswäriige Amt, einzureichen und zu begrtinden, weshalb ich einen Stock benölige, Dieser Instanzenweg hätte, wenn es an den st¿idti" schen Verteilungsstellen wirklich so etwas wie einen Stock gegeben håitte, was man mir aber
soforf vernointe, ungefähr zwei Wochen gerlauert . . . . Bbenso ilie Besohlung von Amts wegen meines zweiten Paares total tlnrchgelau. fener Stiefel. Ich zog es vor" auf d.en l\{arkt su 45
I
lt
r1;
'/
l::a)
)
gehen" !'8Ê d€nr ich später ausftihrlich sptechen Ferde, wo aber keine Stöcke, sondenr nur Beseil zm ?¡a.hea rva.ren. Ein. Bessr hostete 12000 Rubel.' trch bätte deer Besenstiel entzwei såigen müssen, und^ er wäre nur eine notdtirftige Stätze gewes€rn. Infolgedessen brach ich von meinem Regenschi'rrr d.a-q Ðûtere Holz ab uncl ging so mit einer etwas breiteren Basis wochenfa"rrg in Rußla¡tL spazieren.
Kleine Fehler der Organjsation, aber man spärf sie am eigenen Leibe. 'lVas soll nun aus dieser maßlosen Z,enftalísation, aus cliesem weiter und immer weiter überwuchernclen Bea^urtenkörper, .diesem parasitlireri wilclen Fleisch an clen gesund@l Leib eineg'At beitervolkes werden? Oft fuhr ich nachts ¿us einem Alptraum atrf. Ich sah tlie Menschheit cler ZukunJt in zwei Lagergespalten" Die eine H?ilfte saß in
:
zimmer, in dem ich auJ meinen Paß wart,ete, drei Stuntlen lang wartete * es gtngen tlerweil junge' Bea.mte und Beamtinnen aus und ein, saßen auf cleu hübschen Empiremöbeln, erhielten von Leuten, clie Anliegen hatt¡en, Bonbonpakete, Blumen in diesem schönen Vor. und ancleres zugesleckt zimmer habe ich eine- Quaste von einom den Empiremöbel abgeclreht. All' die Empiresessel und Fauteuils hatten seidene Borten, clie von nervösen, stuntlenlang warbentlen Vo¡zimmerkreaturen in unzählige Fasern zerpflückt und zerrissen über die Lehnen und Beine herunterhingen. Meine . Verzweiflungstat vollendete nur das Zerstörungswerk .ungezählter Vorgänger in tlen Empirefauteuils. Wenn ich nachher im Laule tler Monate in limtern zu tun und zu warten hatüe, zupfte ich in der Tasche an dieser ersten Quastq fühlte, tlachte uncl betete. Ich beteie: lieber Gott, man hat tlich abgeschafft; ehe du aber vollkommen von der Erde verschwindest, erlöse uns von tliesem Übel'. Ich kenne keinen anderen Weg. An wen sol} ich mich wenclen? An einen Volkskommissar? Und dann dachte ich an \4riltiam Morris uncl mein Lieblingsbuch ,,Márchen von Nirgendwo". An den wunderbaren Traum, den vorMorris schon Fourier geträumt hat von dem Schmetterlingstrieb im Menschen, d€m Trieb, sich nicht in einer einzigen Beschäftigung zu verhöchern, kein Spezialist zu Sein, sondern aus tlem Leben an AbwechS' lungsmöglichkeiten all' clas herausz'uschlagen, was es enthält unrl freiwillig hergibt, ohne geschlagen zu werden, wenn clie Menschen sich nur ein bißchen heHen wollen, statt sich zu unterclrücken. Ich dachte an tlie,,kléinenHorden", tlieKintler, rlieso gernim Sclmutz wühlen, rlie daher in der Gessllschaft der 47
'1,.,:
i,r
'11
,t
4
i:
::: :
il tl
\,
1, i;.
::. ji, I'.i
tl 11.
,t'
11 .
if.
lt.
li'
],
i" i l
tl
.
1l
,l :.1
:
lil l:,',
:1.:,
Zuknnft die Kloaken reinigen werden. Wel'ch'e in der Gesellschaft det Zu. k¡rnfl {is Ämter anfüllen? Gibt es denn Menschec, die das Brot des Bureaukraten aus andern Gränden als aus der absoluten Notwentligkeit, zu leben, die es aus dern Trieb, dem Mitm=enschen das Leben so sauer wie möglich au machen, verb{ensehenkiasse wird.
zeh¡en
?
Subbotnik lglg: Arbeiten revolutionäre auf Art" ,,Das åus der Moskauer,,Prawda" vom 1?. Mai (Kommunistische
S
a,rnstage)
Tlas Schreiben des Zentralexekutivkomitees Ll der l(ommunistischen Partei über clas Arbei,
ten auf revolutionäre Art hat den Kommunisten uncl ihre,n Organisationen einen mächtigen A,nsporn gegeben. 'Die allgemeine Begeisterung hat viele Eisenbahner unter den Kommunisten naeh d.er Front geführt. Doch die meisten durften ihre verantwortlichen Posten nicht verlassen, um neue Methoclen der Revolutionsarbeit zu suôhen. Die lohalen Berichte über clie Langsarnkeit cler Demo. bilisierung und den bureaukratischen Schlendrian veranlaßten tlie Untersektion der Eisenbahn Moskau-I(asan, ihre Aufmerksamkeit dem Mechanismus des Bisenbahnbetriebs zuzuwenden. Es siellte sich heraus, daß aus Mangel an Arbeits.kräften unrl infolge geringer Arbeifsintensität dringende Bestellungen und eilige Lokomotivreparaturen verzögert wurden. Am 7. Mai wurde in der üeneralversammiung der Kommunisten uncl ihrer F¡eunde in der üntersektion d.er Eisenbabn Mosk¿u-
{8
Kasan die Frage aufgeworfen, wie rnan solr Worten zu Taten übergehen könne, um den Sieg äber l(olischak zu ,erringen. Die angenommene Resolution lautete folgendermaßen:
In Anbetracht der schweren inneren und äußeren Lage, die von rler Notwencligkeit geschaffen wird, den KlassenJeind niederzuringen"o haben die Kommunisten und ihre Freunde eich von neuern aufzuraffen und ihre Ruhezeit um
noch eine Stunde zu verkürzen, d" h" ihren Arbeitstag unn eine Stunde zu verlängern. Die ül¡erstunden sind zusammenzulegen, unrl- a¡n Samstag sind hintereinander sechs Stunden kör.perlicher Arbeit zu leisten, um unmittelbar ' einen realen Wert zu schaffen. In der Meinung, claß l(ommunisten wetler ihre Gesundheit noch ihr Leben für die Errungenschaften der trìeyolution schonen dürfen, wollen wir die Arbeit unentgeltlich tun. Der Kommunistisclio Samstag soll in iler glûzen Untersehtion bis zum vollständigen Sieg über l(oltschak dnrch"
geführt rverden" Nach einigem Hin und Her wurde dieser Vorschlag einstimmíg angenommen. Äm Samstag, den L0. Mai, traten um sechb Uhr nachmitiags die Kommunisten und ihre Freunde wÍe Solclalen zur Arbeit an, stellten sich in Reih uncl Glied und bekamen ohne Umståinde von de,n Meistern ihre Arbeitsplätze angewiesen. (Bs folgü ilie Tabelle der hier und anderweitig geleisteten Arbeit.) Die Gesamtkosten der Arbeit hätten beí normalem Tarif fün-f Millionen Rubel betragen" Da iliese in Überstunden geleistet wurde, hätte sie eineinhalbmal so hoch beiechnet werden mtissen. + ãolitsoher,
Drei l[onate ia Sowjet-Bo3land
il i.: '):
1 ,
t:
ì.
:' 'I
ì
il i.
l. t' l
I
ì. a
.l t.
i
t' l
49
a,',
,:jtt
ûie .årbeitsleistung beim Verlacl.en äberstieg die !{orm qm,ü0 PT ozgnt. Ðie übrigen Ar. beiten weisen ungefä\ ilieselbe Mebrlei, stung auf.
So wurilen Verzögerungen clringender ,AuJhäge von sieben Tagen bis zu cl¡ei tr{onaten rermieclen, rlie infolge Arbeitermangel und sehleppender Arbeit eingefueüen wäretr:
,
zeuge verrichtet, die zwar leicht ausuubessern
war€û, dgren Instanclsetzung aber einzelne, Gruppen 30 bis 40 Minuten aufhielt."
-
seiner B¡oschäre ,,Die gloße Initiative", aus Ifncler der vorstehonde ,,Prawda"-BBricht wörtlich abgetlruckt ist, nennt Lenin cle¡r freiwilligen Arbeitsentschluß der J\{oskau.Kasaner Eisenbahner die Keimzelle der neuen sozialistischen Geìellschaft, einen neuen gesellschaftlichen Zusarnmenhang, eine neue Arbeitstlisziplin, einerr Siq des russi scheer Arbeiters über den kleinbärgerlichen Egoismus und clie eigeno Träghbit, de¡r erstear Schritt zu einer wirklich, revolutiolären Tat, zum faktischen Anfang des Kommunismus. ,Ðas Beispiel iler Moskau-Kasaner Eisenbalner fantl begeister. ten Wiclerhall uncl enthusiastische Nacha.hmung in allen Teilen cles weiten Landes, wo der kom. munistische.'Grunclgedanke tler Arbeit fä¡ die Gemeinschaft bereits Fuß gefaßt hatte untl in seinep tiefen'Wesen begriffen iorden wa¡. $rfu ie \üesd. horchten auf. Für uns wa¡ der 1S. l{ai 1919 ein geschichtliches Datum, d.a.S uns mäcbtig erschütúerte, fast so mäsþtig wie der Ss{enks an den 25. Okt'ober 1917, åri dem.clas Proletariat'ilie Macht ergriffen hatte. ]!Vjr s¿hen 50
die Tat der Kasaner Genossen von oiner blenclenden, die Jahrhunclerte überglä,nzeuden Schönhoit i¡mflosse,n. Wir achteten at'emlos auf d.ie Brandung, den Glanz, der aus tlem Norcllicht herüberr schwellen sollte zu den Proleta¡iern der andereri Läncler; wir hofften, glaubten uncl warteten. .Als ein Jahr später Genosse Schtjapnikow, der Führer der russischen Gewerkschaften vor denl VorStand der U. S. P. Deutschlanrls in Berlin eineu Vortrag Ìiber Rußlands ökonomische Lage und. Arbeitsproble'pe hiòIt, fragte ich ihn in der Dis. kussion, rv¿rum er es ve¡ãbsäumt habe, über di,o " lommunistischer.r Sarnstage zu sprechen. Ich bekafn eine Antwort, die mich verwirr.to und verstummen ließ; sie war ungenügencL und vage und ' schien mir auf den lü.eserrskern nicht einzugehen. Stanct tloch tler kommu¡istische Samsta-g vor meiqem Gewissen alq etwab Leuchtendes, ileroi'sches, alg einBeispieX von antiker Größg denn ich wußte ja, was es ftir arme, hungrÍge und über. müdete, 4abei tråige geborene unO ¡-a"nrnunderbe þng mißhandelte Menscheu heißt, fieiwiltig nbch Bärrlen auJ sich zu laclen, clas einzige hinzugeben, was sie besitzen, ihre Arbeitskraft, und immei rvierler Arbeit * fm eine lclee, für die Icleet Als ich Anfa^ng September lg20 nach Moskau kåu, erkuntligüe ich mich nach dem Subbotnik l¡¡rd nahm auch bald darauf an dem.hor,rrrr*unistis9h_9n Sa,mstag der Beamten, Arbeiter und Angestellton des Auswärtigen.A.mtes, clem ich zugeteilt war, téil, NachmittagJum drei llhr.begab icÈmicn Zum Hotel Metropol; dem zweiten Sowjet-Haus; in d,essen das Auswä"rtige Amt enter-Seitenflüge;n . gebracht ist, UTnterwegs hielt micL ein Sihau. spiel; eine kleine Episorüe auf. Auf dem p-latze
*57
r'or dÐ Oper, vor clem Blumenbeet, in dem aus buste¡r Bltibn uncl Gräsern in naiver Zeichaung d.er Kopf von l(a¡l Marx zusaûrmengestellt ist, sland ein alter Kerli von riesigem Wuchs, mit einem Bocksgesicht und einer Rohrflöte vor ilen Lippen. Zu seinen Füßen lag sein Hut, und ia den Hut uncl um ihn'herum hatte man Rubel" seheine,' Hunderter únd Tausender, außerdem aoch .Ãpfel, Stücke Brot geworfen, sogar ein Ei,
eine kostbare Seltenleit, eine fast, unerschwingliche Kostbarkeit, hatte jemand vorsichtig aut den Haufen zerknüllter Scheine gelegt. Der Alte Ilötete mit zusammengekniffenen Augen, wie es mir schien, wunderbar und mit erstannlicher Leidenschaft tlie wikllieblichen, herzzorreißencl melancholischen Weisen Rußlancls. Ich hatte mich über Gebühr lang im kleinen Park vor dem Theater aufgehalten und t¡af unten vor dern Hotel Metropol schon fast sämtliche Be, arnte, Arbeiter und Angestellten des Auswärtigen Amtes an. Ich stellte mich in Reih uncl Glied; wir waren etwa 80 an der Zahl, Männer u-nd Frauen, ältere unrl jüngere Leute. Unter uns waren l(orresponclenten vieler Nationen, Stenotypistinnen¡ ein Staatssekretär (octer von ähnlichem Rang), Delegierte cler Internationale, Diener., Beamte aller Kategorien und auch unser Freund,
iler
Qu?iker, war gekommen. Bs ging militärisch zu, unsere Namen wurden {'on einer.großen Liste abgelesen, unrl'hinter die Namen, die sicb nicht meldeten, ein Zeichen gemacht. Wir formten uns zu Reihen, zu viert, dann auf offene'r Straße zu Zweien und. zogen in scharfem Marschschritt nach dem Petersburger Bahnhof im Norden tler Statlt. 58
Es war ein ôtwa halbsti:ndiger lMeg, den wír in gutem Tempo zuräcklegten. Ich ging neben einem ästemeichischen Genossen, der mich von Berlin
her kannte, wo er mich sprechen gehört haite' Wenn wir nicht sange,n, unterhielten wir uns über den Subbotnik. 'Wir sangen nämlich viel und herzbaft. Es war ein schöner Herbsttag, sonnig uncl glasklar. Aus tlen Seitengassen der Mjasnitz' kaja strömten uns ähnliche Züge von Subbot nikern entgegen. Einer von ihnen hatte seine eigeno Musikkapelle mit, uncl balcl marschierten wir unter clen Klängen der Kapelle, die unser Gesang überbrauste, vorwärts. Ðie Warschawianka, der Rotgarclistenmarsch. \ilunilerbare Rhythmen, wie belebtet ihr meine alten Füßel In'den 2wischenpausen gab mir der Genosse Auskunft. Der Subbotnik ist längst keine frei' willige Hancllung mehr, sontlern ist Pflicht geworden, so für die Kommuuisten wie für alle Arbeiter unil Angestellten der Sowjet-Behördeu'r, der Regierungsãmter, der Betriebsbelegschaften. Es werden Listen geführt, und wessen Name das zweite oder dritte MaJ einen Haken angestrichen bekommt, d.er wirtl erst gelintle verwarnto darur e,rnÉthaJt zur Recle gestellt unil schließlich ,,ausgekämmt". \il'as auch in der Form gescheherr kann, tlaß tler Saumselige, Arbeitsunwillige in gesperrt wird, das geilas Konzentrationslager 'Wucherer, Diebq Gegenrevo' für Lager. fürchtete lutionäre und anclere ungetreue Mitgliecler dev Gesellschaft. Ðer Subbotnik ist 'also gewissermaßen ein prtifstein für clie Gesiürrrng gewordon wie etwa tler Ruf an die Front. Auf tlem Bahnhof, so hieß es, sollten wir IIoÌz aus Waggons abladen; als wir abel angekonmê¡ì õ3
.uns d€i Betriebsleiter des Bahrreiaeq Schuppen, wo wj:r Spaten urrcl lofr "o aus Eisen Schaufeln und Hõtz vortànden; wir geplaaté Trambahnlinie låings cles ktut |tu 1i"" w-â¡en, : wies
Eiryq+ngleises eine Strecke,,von ?0 Mete:nL?inge psd lûMeternBreite von zä.hem, seit sechs Jahñn angætautem unaL verH¿irtetem, Schmutz und Scblanm zu säubern. Wii stelltenluns nun in eine_ Reihe auf, entletligten uns unseter O!er_ kleide¡ und begannen zu schaufeln. Frd.und $u1ker machüe rasch ein paar, Koclakaufnahmen unrl qtand dann in herrlichem grauleinenen Overl all; dem amerikanischen Arbãitsgewand, Hose, Weste und Hosenträger aus einðrn .Stück, de; Zukunftskleiclung cler Kommunisten,,,Internatio_ nalka" genanht, cla; er arbeitete ftir:'vier. Ich erkannte viele aus dem Amt, rlie mich in clieser Ietzten Woche mürrisch und ohne Freundlichkeit be.!1ndelf die an mir vorübergeblickt ;i;;willig Auskunft gegeben haiten. .Ietzt ""d nicktern wir einander .zv, waten freundlich zueinandei.
alles Mißtrauen schien geschwunclen; wir standeú -gemeinschaftiich i1 da und schaufelten knochel, tief in clemselben zähen Dreck. per Tag war so heiter uncl glasklar. Hinter urrs
auf'einem Gldse stanal ein langer Zug mit heim-' k'ehrentlen öste¡,reichisrchên, tichecniichen untl ungaris chen Krieg s gef a.ngenen, die uns verwund.ert anblickten. Wir arbeiteten, unrl hier und ttor[ çlrcle auch gesungen. Wenn'auch nicht überalll unrl von allen. Neben mir stand eine junge litauische Arbeiterin, çttie ihre Spatenhiebe in ¿õn Kot æit kleinen AusruÏen begleitõte. Einmal sagte st, *-eT" nur_jeder vor seinä Tür clen Mist wãgsoha¡¡feln wollte, wir brauchten nicht hier z,î b4
?t,
stehen. Ihre Nachba^rin, Sowjet-Bourgeoisq leicht geschminkt untt mit Spuren ehemals gewellben ÍIaares seufzte: man lebt zum GIück nur einmal. Der kleine junge Staatssekretär, dünn untl za¡t' ¡vie ein Knabe, mähte sich mit einem im Schlarqm festgebackenen'Wurzelstamm ab. Unsero Arbeit wai ziemlich schwer, sie', war auf 4 Stunclen berechnet, aber in 2t/2 Stunden hatten wir sie getan" ?0 ÛIetrer weit w¿r cler zätre Schlamm von Jahre,n weggeräumt, die Trambahnlinie konnte morgeilt gebaut werclen. - Ein Signal: wir marschierten zur Stationzurück, stellten uns in'Reih unct Gliecl auf und bekamen, jetler untl jeclg tten Schwera¡beiterpajok, tl. h' die Lebensmittelzulage eingehänctigt: ein halbes Pfuntl Brot untl eine Tüte mit Körnerzucker. Im rotctunklen Nebe} tles Abencls zogen wir an d.en phantastischen Türmen Moskaus vorbei rlurch die Statlt zurück. Aus anderen Straßen ltrOmten uns Züge entgegen, clie Arbeiter uncl Angestellten cler Bekleiclungszentralstelle, eine Abteilung roter Soltlaten, clie Genossen aus dem Kommissariat für Volkswohlfahrt. Hier und. da scllüpfte ein Pärchen von kùeinen Sowjet-B_ourgeoisen, leicht geschminkt unil kokett bebänilert, àus unserem militärisch stramm übur clas holprige Pflaster clahin stapfentlen Ztg aul clas glattere Trottoir hinüber. Mit hurtigemGrifrhatte 'ein hinzuspringender, Genosse die Ausreißer beim'Wickel und zog sie in unsero geordnete Kolonne zurück. Die \ryarschawianka, clas Lietl .von der Roten wir sangen sie alle Fahne, clie Internationale an den Türrne'n Abendnebel, den braruren in *Ioskaus vorbei. Der alte Faú?i mit cler Pansflôte hatte sich jetzt vor tlem Denkma.tr Feodorows. 55
des emten.Buchdruckèrs. am Fuße der Cbinesi, scben À{auer der geschlossenen Inneren Stadt, Kitai Gorod, aufgepflanzt. Lockentl und leiden" scha-ftlich klangen die hellen trockenen Töne des Rohrs durch den Abend. lVir stapften vorbei. tssr dem Auswärtigen Arnt schüttelten wir uns die
Ëände, urtd jeder trottete naeh Haus. Beine
und Arme taten mir weh, mein Herz aber warfroh. ïeh wünschte . . . ich wünschte, ein Zwang kãme irgendwoher, und jeder von uns alten und jungen geistigen Arbeitern in Deutschland, Amerika,'der gaÐzeu Weli r4üßte einmal in der Woche mit I(a,' meraden nätzliche und harte körperliche Arbeír leisien. Um cler Arbeit willen, der einen unteilbaren Arbeit der Hand und des Kopfes willeà, der guten, lächelnclen, helläugigen Kameradschaft witlen, ftir die Idee der Gemeinschaft und der Zu, kunft verhärtefen Schlamm aus dem Wege râumen
mit harten Spatenhieben. Aber wenn es nach mir ginge, es ilürfte kein lJnlustiger, kein Widerstrebender dazu gezwungen werden, nicht mit Namenlisten, nicht mit Verwarnung, rricht rnit Konzentrationslagern. Um der Arbeit willen.unrl clie heilise Gemeinschalt. Todmüde trottete ich clurch cliJhereinbrechende Nacht in mein entferntes Quartier heim. Plötz. lich bemerkte ich, ctaß ich meinen ,,pajok.i noch in der Hand hielt. Ein Arbeiter kam mir entgegen, mit ihnr ein Roter Soldat. Dem Arbeiter gáb-ich das Brot, dem Solclaten den Zucker.
Tì¡u rlritte Phase des Subbotnik heißt Wosktes. L-f sennik, das ist die Sonntagsarbeit. Bei
Winlera¡bruch, wenn die Tage kurã werden, verlegt man den Subt¡otnik au-t den Sonntagmorgen.
Aus der freien samstägigen ÜberstuncleÈa,rbeit dèr Kasaner ist eine alirussisehe allsonntägliche seehs^ stüntlige Zwangsarbeit geworclen. UnsAuslândern
folgte der Woskressennik in unser Haus nach. Am, ersten Wintersonnlag waren die Ben'ohner unseres Hauses verpflichiet, von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags im Hofe unseres Hauses Holz zu sä.gen, zu spalfe,n untl ln die Kellerråiume zum Zentraiofen zu befördern" Diese
Arbeit hatte einen leicht humoristischen
Beige-
schmack der Parodie an sich. Die im }lause ansässigen Arbeiter nämlich leisteüen in zehn Minuten dieselbe Arbeii, clie wir anderen Ðilettanten in zwei Stunclen zusammenstümperten, mit verrenhten Schulterblåi,ttern, blutig geschlage"
:
nen Daumennägeln und. angesägten llos,enschäf ten" Immerhin hatten wir Holzhacken gelernt, auch war das Holz in den Kellerraum befördert, und. es begab sich jerter in sein Zimmer, um nach dern Mittagessen: Krautsuppe, Grütze rrnd Tee, seine gute Müclìgkeit auszuschlafen.
er Zweck
cles Subbotnik-Woskressennik Íst erhöhte Arbeitsleistung. Wie eingangs erwähnt wurclq förde¡t tlas psychische Moment der freiwilligen, aber auch cler notgedrungenen Arbeit in einer guten, freucligen Gemeinschaft die l,eistung in beträchtlichem Maße. Immerhin dart man Bedenken gegen diese Umwancllung und Vergewaltigung eines ursprünglich wahrhafj religiösen Triebes in Zwang äußern., Die Heiligkeil tler Arbeit alle äußere Not isi nicht fähig, kann - gemacht werden zur Rechtfertigung nicht geltond clgr Entheiligung cler Arbeit. Die noue Justiz oder Rtrßlancls hat die Gelctstrafe aufsehoben
-
ó6
-n7
l
ír
') J
l
I .l
rl
:li
tA
docl*: ia fasf aJlen Fåillen aufgehòben _. r¡Id F¡eiheits¡l¡aSen vervandeln sich, imme¡ .me.h¡ unüer dqn Ðrnck der Notwendigheit eine¡ mit all'en Mitteln forcierten Procluktion in Zwâ.r'rgsa¡beif Die .A¡beit für die Gemeinschaft,'Wesens. kern uad Sinn des Kommunismus, verlie¡t mehT uail mehr rlie ihr innewohnende ethische Be-
rleutuq. ps niS noch gesagt werd,efir, claß cler Subbot¡ik im K¡eml genâ,Il so eingehalten wircl wie_ in iler Staalt, wie im. ganzen Lancle. Lenin¡ Trotzki schleppen und sägen Holz uncl ,schaufeln, Dreck, " wenn es sein muß, und vermutlich mit größerer Lust, als rlie Méhrzahl von u¡s Narkominortelteuten es getan hat.' Denn unter wrs wa¡en nicht wenige, die mit wirlerstrebentlem Gefähl untl. unüberzeugt von dei Einheit der Arbeit im Schla¡m an den Eisenbahngleisen stande,n. Dôr Kommunist aber arbeitet mit Hanrl unrl Gehirn, frei. willig untl opfermutig unrl weiß es nicht, wann und wo die Iïberstunclen in seinenr' Tagewerk beginnen.
Rarlek eruãhlte mir von seinem Woskressennik. Er, hatte mit ancleren Volkshommissa¡en Holz tlurch das Borowitzkajatnr in den Kreml hinaufgdschleppt, trncl seine" alte Köchin, eine simple bäurische Analphabetin, halte ihn bei dieser Verrichìung gesehen., Die Atte war entgeistert: sie vrußte doch, ihr Herr unrl Genosse stellte irgenrl etwas in der Regierung vor,, jetzt leistete er diese entehrende körperliche Albeit, wie ein beliebigér Bauernbursche bei ihr zu Hause im Dorf. Raclek' hielt ihr daraufhin einen populären Vortrag über den Kommunismus uncl clas Problem tler A¡beit in der kómmunistischen Gesellschaft. Uralter
Nebel wuùd€ forigeräumt aus alem Bauerrhirn; 'Dor ,Ileri hatte gearbeitetl rilirklich uncl wahr" haftig:gearbeitet Die Arbeit war also iloch nichts Entehrendes, Ernieclrigeûales . . . . . Gesa,ng tler Panllöte, berzrætreißentler Gesang cles Volkes der Steppen, cles weiten, weißen, russischen Lantles in-rler Winternachtl
i
Das Rote Heer Geburtstag der Roten Armoe ist
ñer I-l p¡¡s¿rn von Brest-Litowsk.
der
Der stupitle Götze auf den fisch. tlem SäbeI lmperialismus hieb mit cla eine Faust sich Betlächtig und stark streckte aus ulcl zog Tisches' cles von tler anderen Seite tlen Säbel zu sich hinüber. Der Säbeil wurde zlrm -Schwert. Eines Tages wircl es clem Götzen tlen Scbätlel spalten. Dann wird d.ie Faust es in Stücke zerschlagen untl wegwerfen. Uritl tler Arbeiter wirtl aufhören, Soldat zu sein. Rußlanrl steht seif 16 Jahren im Krieg. Die Kriege der letzterr clrei Jahre waren tlie erba¡rqungslosesten, die furchtba^rsten dieser ganzen furchtbaren Epoche. Unil doch kann man sagen: zlrm ersten Male ist tler Krieg in Rußlancl populär. Der Kri,eg, clen clie Bolsche'rriki gegen clas W'eltkapitat führen, ist eine russische Angelegenheit. Die-Wurzeln, cles Krieges stecken iliesma.l' tiefer im Volke als jea Dies liegt an iler- Beschaffenheit cles Heeres, tlas tlas Heer eines Proletariervolkes ist, ,url¿ tlas liegt auch vor allen Dingen an der neuen Gestaltung der Disziplin, die clie Truppen mit ihren Führeur untl ilie Mannschaften unter-
58
59
r:-1ì.
¿t;;Æffi;"i;;l!,)...
.)
ebaad.Ð rerbhllêt. Diese neue Disziplin ist sinn. {älliger und fär tten primitiven Ma-nn aus de¡ ifasse leichter verständlich, als es die tiefe uncl in dea å{assen noch nicht zurn .entschiecterren Ðu¡eblruch gelangte klee cles Kampfes isf des
þsnle¡rnistischen Karnpfes gegen clen Weltfeind Kapitd. ÂuJ meiner Reise nach Rußlanrl hinein, wir hatten hinter Narwa soeben die Grenzs überschritten, hielt der Zag in einem Dörfchen mitten im Wald. In unserem Zage fuhren junge B+. a.mte und Beamtinnen der Revaler Sowjet-Expositur mit, die sargen. Alle die Liecler dei Revolution Bangen sie; es war ein singerncler Zug. Er g+ mahnte mich an einen andere,n, in ¿em ich vi¡ {_ahreq gefahren war, einen Kolonistenzug in I(anada, in dem an einem Sonntagnacnñitøg Psalmen gesungen wurden. Auch ñien fuhreñ yir it Neues Land, auch hier war And.acht, die den Hörer ergriff. Als der Zug über die Grenie gefa.hren war und.'in dem rätselhafte,n heiligen stillstand, stieg ein junger Mann, hOhõre¡ !11t Olfizier der Roten Armee, wie úns gesagt wurde, hinunter zu den Grenzsoldaten, die-sich" sogleicú um ihn scharten, untt hielt eine Ansprachó. Er stancl da und sprach über clie Armee, über den Krieg- gegen die Folen, über clen gegenwärtigen Stanil der Operationen an clen Fronteir. Er stãnd f3 -und¡prach mit den Solclaten, solange der Zug hielt. Einer stellte Fragen, die der dftizier bel antwortete. Von einem wurcle er um Feuer ge_ beten. Zum Schluß schüttelte er allen die Hañit. T"d 9"r_ Zltg setzte sich in Bewegung. Wir fuhreú ür¡rcä den lValtl vor Jamburg, rlen-schrecllicben Wald, in dem die Verhaue Judenitschs noch star¡-
ton, datrn über tlie schwanhende Holzblücke del Luga. Unct jetzt war es die Internationale, die brausend durch unsern Wagen hallte"
I¡r i\{oskau erz?ihlte mir ein Schauspieler von dem greulichsten Abend seines Lebens. An diesern Abend war der Stab uncl waren die Mannschalten eines Moskauer Regimentes in das Große Theater befohlen gewesen, wo ein zarentreues patriotisches
Stück gegeben wurde. Nach den Aktschlässen tönte aus den Logen, wo die Offiziere saßeno Apþlaus. Die Solclaten saßen stochsteif auf ihren Plätzen, tlie Augen wie hypnotisiert auf die Logen gerichtet und rührten sich nicht. Es wäre ihnen wah¡scheinlich übd. bekommen, hätten sie's ge[an. Der Schauspieler siigte rnir: uns auf cler Btihne
schnürten sich tlie l(ehlen zu. Wir spielten wie nnter einer kalten Dusche, uncl iiefen nach dem letzten, Wort betäubt nach Hause. I¡l clem Arbeiterheer, d.ern Bauernheer, hat sích bereits eine neue Disziplin, nicht von oben herab, sondem aus innen sozusagen, aus der Freiheit und Freude der Gemeinschaft heraus, entwickeitJa sogar ein neuer Paratleschritt, tler aber mit tlem zaristischen Drillschritl nichts gernein hat. Icl¡ babe diesen Schritt bei einer Parade auf dem Roten Platz vor clem Kreml staunend beobach[etl Er sieht wie das energische Stapfen eines jungen Riesen,aus, der das Gehen eben erst erlernt hat. Der Russe ist vom 18" bis zum 40. Jahre militärilienstpflichtig. Die aktir¡e Ausbiltlungszeit und Dienstpflicht beträgt ein halbes Jahr. Die Arbeitspflicht tler rnännlichen tsevölkerung Sowjet-Ruß^ lantls beginnt mit denn 16. Jahre" Vom 16" bis zum 18. Jahre nimmt der Russe an den l(urseul
60
61
-'
j:r--
feincl, urterstätzen sie darum mit aller Kraft das Roto Heer, das Heer des Kommunismusr.. festigen tlamit tlas Regime der Bolschewiki, clas sie auf ilel anderen Seite durch boshaftes Zurückhalten ih¡er Korn- urd Lebensmittelvorräte zu schwiichen und zu sabolieren s'uchen. Übrigens verhÊilt es sich mit diesem .Wiclerstantl seit einiger Zeit etwas besser; Ursache dieser Besserung qintl aber wiederum die Siege cler Roten Armee nicht etw¿, tlaß dio Bauern jetzt ttir ihre Lebensmittrel mehr Industrieproclukte bekommen als fräher es ist vielmehr eine tlurch tlie Erfahrung bestätigte Tatsacbe. daß clie Bzuern jede Regie¡¡r'ng untêrstützon, die obne ihr Hinzutun untl viell.eicht sogar gegen ihren- Wi[en erstarkt und sich befestigt. (Es mag,hier allerdings neben Grünclen der Vernunft auch die Angst vor den MalSnâhmen der Requisition mitsprechen) Die neuen ùncl imner neuen Denikius und. Petljuras sollen daher mit tler Ein-
-
-
berufrtng zr''m Dienst in ihre Heere unter den Bauern wenig ErIotg mehr zu verzeichnen ha.ben. . ,!Yie bercits erwä,hnt, stehen ungefähr ?5O bis 30000Q Mitgliecler der Kommunistrschen Pa¡te¡ $u3lantts an den Roten Fmnten. Diese haben nicht nur die Kontrolle über die nicht verlåißlichen, aus der aJten Armee stammenclen Offiziere, mitritiirische ,rSpez", auszuüben, nicht nur die P¡opaga.rrcla [n Wort und Schrüt unte¡ deo breiten Maesen dþr Soltlaten, die noch nicht erfaßt haben¿ rrm was os geht, wofür und gegen. lren sie kämp. fpn, zu, orga,nisierren uncl clurchzulühren --- ihr P-latz ist in tlen vordersten Schützengräben; sie haben vor allem die Aufgabe,. das große Beispiel zu; gebepn sich zu opfern. Dies ist ihre hopa, 63
gaßtle darch die Tat, Erziehrurgsarbeit höchster Gaiiung. Ðie Kommunisten werclen rlurch die Partei mo. bilisiert. Sie werden nach Bedarf zurArinee komnand.iert, nicht als Offiziere, sondern als Mann^ ,scbaften. Die Mitglieder der Gewerkschaften Ferden durch clie Gewerkschaft mobilisiert. Die Geserkschaften, die viele Millionen Mitglieder zählen, unter d.enen tlie l(ommunisten nur einen geringen Prozentsatz ausmachen, stellenr-was. d.ie Verwendbarkeit ihrer Mitglieder fär clie Zwecke der Armee anbelangt, tlie nachste Stufe nach deri Kommunisten vor. Ich erkundigte mich nach der Art der Strafen. ilie. an der Front üblich sincl. Das zaristische Heer kannte Strafen grausams[er Art, für Vergehen a.n der Front und in der Arrnee im allseméinen. Die Strafen, die in der Roten Armee tibìich sind, sind_durchweg moralische Strafen. Demütigung vor.derFront die strengste. Auf plünderung Áteft der Tocl. Kommunist an der Front eileidet - Der für_geringere Vergehen gegen die Diszipliir hertere Strâfen, als sie über den Nichtkommunis[en im gleichen Falle verhängt würrlen.., Da sein Beruf es ist, rlas Beispiel zu geben, wuchtet die Strafe mit äußerster Strenge über ihn nieder. Der Tag, an dem T¡otzki zum ersten Male Mìtgtieder der Kommunistischen Paxbei an der Fronf fäsilieren ließ, war der Tag, an dem dem Roten Heer seine Iïnlesiegbarkeit u'urde. Es war ein furchtbares Experiment, über clas rlie Partei hätte in die Brüche gehen können. Trotzki wußte das. Das Experiment gelang'l{ieclerholt war ich mit Kursanten beisammen, n*Ërn ¿3 den Vorträgen.teil, die vor ihneor gÈ 64
halten wurden. Kursanten sinrl junga militärisch schon vorgebilclete, organisierte Arbeiter, die einen halbjährigen Lehrkurs durchmachen, um darauf zu Offizieren befördert zu werd.en. Auch junge intelligente Bauern. Am besten eignen sich zu dieser Ausbildung clie Metallarbeit'er; immerhin ist die Anforderung an den Kursanten, der in kurzem Zeitraum die Elemenúe der Mathematik, Ballistik, Strategie zu bewältigen hat, ungeheuer. Die erstaunlichen Resultate sincl nicht anders zu erklären als durch die Kralt cler Begabung, die in diesen Menschen aus dem Volke geschlummert untl durch dip Schwungkraft, die die soziale Ren volution diesen aus jahrhundertelanger Dumpfheit und, unerhörter Bedrückung erwachten Seelen verliehen hat. 150 Schulen zu 600 Hörern soll es für tlie Ausbildung von Roten Offizieren geben indes schwankt diese Ziffer ebenso wie die- Monatezahl, die mir für die Ausbildung der Kursanten angegeben wurde; einmal rñ¡aren es sechs, einmal acht Monato. In Kursen für den Generalstab wËihri die Ausbitdung tliei Jahre. über jeder Armeeclivision stehen Kornmiss are, w ie zw Zeit' der f ranzö sischen Revolution Konventsoffizi,ere ctieArmee befehligten. Eines der merkwürcligsten Erlebnisse meiner an Erlebnissen reichen Moskauer Zeit wa¡ jene Parade auf clem Roten Platz vor der Kremlmauer. An einem farbigen Herbstmorgen zogen Truppenteile aller Art vor tler Tribüne der.Volkskomis. sare vorbei, von dei' herab Trotzki an rli,e 500 neuausgebildeten Kursanten-Offiziere eine lr/2stünclige Alsprache hielt. Infanterie, Maschinengewehrabteilungen, Kosa.ken in braun-blaueh Mäná IIoliúsoher, Drei
Monate
in Sowjet-Rtß'laod
65
teln zogen vorüber, alle mit dem roten Stern,der Sowjets auf Kappen und Hel¡nen. Auch Panzerautomsbile unrl Tanks in kriegerischer Bemalung. Jede .A.bteilung schrie beim Vorbeimarsch ¿n der ?rotzkit¡ibü¡e begeistert Hurra. Trotzki unrl die Kommissa¡e hoben die Hand zu ihren Mützen u¡d Hüte.n und salutierten . . . Die Armee ist gut genåihrt untl gekleiclet - im Verhältnis zu den Möglichkeiten der allgemeinen Notlage selbstverständlich. Der Soltlat im Lande erhält um ein Geringes mehr als der Schwerarbeiter der Klas,se A, der höchstbewerteüen Stufs in bezug auÍ die Lebensmittelversorgung. An der Front aber erhält er das Doppelte. Ich sah während der drei Monate meines.Aufenthaltes wiederholt eben eingekleiclete Truppen in neuen guten Tuchmänteln, Anfang September solche in f unkelnagelneuen Regenmänteln. Das Schuhwerk ist zum TeiI ganz ungenügencl. Es ist ein G.lück zu
nennen, daß Wrangel noch vor Anbruch tler härtesten Winterszeit geschlagen wurde. Ansätze zu neuen Uniformqn kann man bei der Roten Armee auch schon konstatieren. So tlen neu€{n Spitzhelm. Nimmt man solch einen Helm in d.ie Hand. so sieht man allerdings, daß es kein Pickelhelm mit Stoffüberzug ist, sondern ein Stoffüberzug ohne Helm, eine Tuchnachahmung des historischeq Kalmückenhelms. Die Kavallerie zeichnet sich zun Teil durch Operettenhaftigkeit tler Slaffierung aus. (Wieweit diese auf das Konto dei zaristischen Bestäntle zu *tzen ist, weiß ich nicht.) Währencl clie Fußtruppen und tlie Artillerie in Khaki mit Purpurstreifen (ilie Offiziere tragen ih¡e Distinktion auf den A,rmel genåiht) gékleictet sind, spielt clie Reiterei alle Fa,rben, hat zum Teil 4ñ
oo
gar Federtschakos auf clen Kopfen. Man spricht von ei¡¡er ga"nz exzentrischen neuen Uniform, weiß, blau, Silber uncl Gold, unrl ich weiß nicht was noch für tlas nâchste Frühjahr.
ps gint eine Anzahl aus dem Volke hervorJ--lgegangener und. emporgeworfener militärischer Genies, d.eren Namen in jedermarurs Munde sincl. Solche Namen sinct: Buctjonny, Gay, Soholnikoff und außerdem das größte strategische Genie, clas die Russ,en je besessen haben so sagte man mir Tuchatschewsky. Dieser ist ein ehemaliger Offizier der Zarenarmee, noch sehr jung, Kriegsgefangener in Magdeburg, der sich nach seiner gelungenen Flucht den Bolschewiki zur Verfügung gestelit hai und bei ihnen in hohem Ansehen steht. Im letzten Polenfelclzug sol er einen schweren Fehler begangen haben, der mit Schìild an dem verhängnisvotleu Rückzug der Russen getragen þat. Di,e Bolschewiki indes sagen: ,,Gut, Tuchatsbhewsky hat geternt. Das nächste Mal wird er es besser mach€n." Der populäre Heltl der Roten Armee und des russischen Volkes ,a.ber ist cler Reiterseneral
t'$l"uïl;,
**
isr ein Donkosak. s.io vutl, Pächter in einem kleinen Dorf am unteren Lauf des Don: Budjonny hatte den großen Krieg ohne Begeisterung mitgemachi und. dachte daran, nach dem Kriege heimzukehren, das Pachtgut seineg Vaters zu übernehmen und. zu bewirtschaften, er gedachte zu heiraten und ein friedlich beschauliches Leben zu führ,en. Daran, daß er Soldat bleiben würde, tlachte er nicht im entferntesten. Bei seiner Rückkehr ins Dörfchen fand er den tlt
Vater wie auc,E alf clie antleien Fächter eingesperrt. AJs er fragte: wer das getan habe? ant. Ftrfefe man: der General MamontofT. Budjorury sammelte ein paar Dutzend seiner Reiterbrtider ¡'nd scàlug sich dorthinüber d.urch, wo ftl.amontolf mittlerweile ein Heer gegen die Bolschewiki aufzustellen suchte. Das sind die Ursprünge der bisher unbesiegten Reiterarmee Budjonnys. Bucljonny ist ein-tac-her Bauer geblieben. Sein Generalstabschef ist ein alter bewährter kommunistischer Agitator. In seinem Eisenbahnwagen haust Budjontry mit seiner Frau und seinãni Generalstabschef. Nachts bei einem Glas Schnaps entwerfen sie ihre strategischen Plåine. Zuweilen kommen Kommissare aus Moskau zu Besuch. Zuweilen kommt auch Schaljapin untl singt Budjonny und seiner Frau A¡ien aus Opern rind" alte Volkslieder. Zuweilen korhmen auch Ballet ttànzer und tanzen Budjonny in seinern Wagen eJwas vor. Budjonny ist dann bes,orgt, daß sie ihm mit ihren FuSspitzen seine Truhe kaptit m¿chen könnten.
fch erwähnte am Anfang tlieses Kapitels rlie I neue Disziplin, die sozusagen durch Anschauungsunûerricht einer neuen Kameradscha_ft den beigebrachte Pflicht, dem Einziger¡ {+.F Großen, Gemeinsamen zu gehorchen. Kein ùôrgesetzter ¡nehr und kein Untergebener ältero - ärmere und jüngere, an Kenntniss,en reichere und Ka.meraden nur. Und der Ältere, an Kenntnissen Reiehere macht dem Jü!¡geren und Unerfahrenen begreiflic\ 'was mur z'u geschehen hat, zu weL cbem Zwecke er, wenn's sein muß, sein Lebep e-iaz¡¡setzen hat. Ein lebender Mensch mit Ver6S
stantl unal Getühl ,,gehoreht", kein abgerichte" ter Kadaver, keine Maschine. Es sintl aber nocb andere Hanclhaben zur Förclerung cles Einvei-tlie
tuns Europä,ern, la mir ehemaligem Pazifisten eine rrimmer- versiegencle Quelle d.es Erstaunens, der Bewunclerung ernehmens,
schließen.
Man erzählte mir von d,en Methoden, die die Bolschewiki anwenilen, um an Stellen, \Mo einTruppenkörper in Ruhe und Erwartung neuer Befehle zu erlahmen droht, den Geist unil die Disziplin aufzufrischen uncl anzufeuern. Es hommen zu solchen Abschnitten cler Front AgitatorBn, Gelehrte, Fachleutq Lehrer, Dichter und Rezitatoren, Schauspieler, Kinokurbler uncl TànzerDer. Klub,' die Lesehalle, das Theater in der Scheune wircl neu belebt durch Vorträge über wissenschaftliche Gegenstände, durch alle Mittel der Belehrung und Unlerhaltung - plötzlich zieht u'ietler Lebensfreude, Zusammengehörigkeitsgefühl, Disziplin unter tlie Ermatteten und llfißmutigen ein. Jerle Armee besitzt ihre politische Abteiltrng, ihre Presse, ihren Klub, ihre Schule, ihr Theater. Was rlie Bolsôhewihi zur Behebung des Analphabetentuns unter der Masse der Bauern uncl Arbeiter an den Fronten leisten, ist staunenswert. Was clie rednerisch begabten, seelisch hochstehenden; des Überz,eugens fähigen Genossen an den
Fronten erreicht haben, ist von größter Becleufung für tlie Geschichte der nächsten Jahr-
hunclerte. Je länger der stupicle Götze Hekatomben armer
irregeführter Sklaven gegen das Rote Heer vorw?irtsstoßen wird, um so länger wifcl die Rote 69
Front bestehen, um so intensivsr wird. ùie AuJ_ kläruagsarbeit und rlie Erziehung zu'rn Kommu_ 3r*o:- der organisierten und ãusammengehal-
tenen &fassen des russischen Volkes clurchgãffihrt werd.en können. Maa faselte bei uns 1g14 bis 1g1g von dem so-
¿!¿lsn_lus_gleich, von der Annäherung der Klas. sen, die de_r gemeinsame Schützengiabendienst :"J9"_ den _heterogensten Individueñ aus allen ¡jchrcbt€n der Bevölkerung bewirkt haben sollte. Dre Verschärfung, die cler"Kla.J;;;;i'ilü; seit 1918 erfahren hat, beweist das Gegenteil, wilÌ ich meinen. Die Befreiung durch die soziale Revolution des russischisn O"ktoberS hat einen ganz arrderen Zusammenhar¡g unte,r den Mil_ lionen des Volksheeres g"sõhafferr l Wissensdtgns ist erwacht unter dãn Stumpfsten. Men. ::h* aus Gegenden, in die nie einä Zeitung ge_
ß.ommen war, lernen an derFront dieZeitung nur lesen, sondern auch verstehen. Men"schen, "iõlrt denen niemals dieschöneHeiterkeit durch denGe_
nuß eines erhabenen Kunstwerkes ins Leben ge_ lacht hat, wohnen jetzt in Schounen Aufführungen bei, die von den besten Künsflern der Mos_ k^?""1 und Petersburger Theater veranstaltet sincl. ò_re eüahren, was Tolstoj, was Gogol; waS Tsche_ chow war. Sehen bei áO Grad Kîlí,e und spär_ lichem Rampenlicht ein elfisches Wesen mit un_ begreiflich zarten Bewegungen auf der Scheunen_ bühne einen Augernblich lang schmetterlinghaft an 'füren traumoffenen Augen vorüberflattern. Bfo¡gen werden auf derselberi Btinne Kameraden in Uniform wie sie, Studenten oder durch dio P¡oletkult ausgebiklete Arbeiter ihnen Vorträge über Dinge, rlie sie angehen, Fragen der Strategie, 70
ites Ackerbaus; der Völherkunde, des Kommu" nismus halten. Ûbermorgen werden Schauspieler ihnen tlie neuesten politischen Nachrichten aus atler Welt mit verteilten Rollen vorspielen - sie werclep sich tlen Bauch halten, wenn Mr. Churchill, Herr Ebert oder der Völkerbuntl die Bühno betritt untl seineAbsichten gegenSowjet'Rußlantl in wütenden 'Worten ins Parkett hinunter brüllt' Die stärkste und wesentlichste Arbeit, clie tlas Kommissariat für Volksaufklärung gegenwärtig ?u leisten' imstancle ist, wircl an clen Fronterl letan. Berichte besagen, daß in Truppenteilen áer Analphabet immer mehr zum verachteten Ge' schöpf gew"ortlen ist. Daß tler Ruf nach Bntsen' dung- geiitdeter uncl reclegwandter Genossen, Lehter.iiñd Künstler immer nachttrücklicher ertönt' Dieses Erlebnis des Roten Solclaten an cler Front sollte tlem Weltimperialismus r"-È9q!Pq geben.
Not tles beclrëingten Lancles wirft clen Roten solduüen. sobatctìein schweres ll'erk an cler Front getan iÁt, in Bezirke, wo man s'einer Kralt bitter betlarf. Es ist vorgehommen, daß in einem sehr entfemten Gouvernement Arbeitstruppen .tlie Eisenbahnschienen aufreißen untl sie an einen neuen Frontabschnitt beförttern mußten, weil tlie Eisenwerke rricht imstande waren, Schienen zu protluzieren. Notstanttsarbeiten, die clringentl auszuführen \il'aren, wurclen währencl einer Pause an
.T\ie 'I-/
einer Abteilung tler Front erledigi. Alles frißt der Krieg, Leben, Wohlstantl uncl Wohlergehen' ' Eines aber frißt er in Rußland nicht, uncl das ist die Seele tles Volkes. Der Arbeitszwang, tler für die Solttaten cler kämpfenden Armee im RuheY1
sþnrl eingefiihrt
l*Þ"", härter
isf sieht sich, vom W.esten ge.
uncl grausamer an, als man ihn in RußIanrl selbst erheonen lernt. Die ¿.¡uit*-
À
umsùellung geeignet befundenen Truppenteile haben an cler Front die lclee uncl mit ihr'die Erkenntuis von der Notwendigkeit d;; A;uii.i"geimpft erhalten. Zudem Ëaben tlie- Organisatoren de¡ Armee ein kluges System der Ver_
wendung cler Arbejtersolcla"tenmassen aufgebaut.
Za spezialisierten Zweigen ¿er f,a¡¡tarb-eit kann
'i! l:l
i¡ i.r!'
man geschlossene militälische Formationen natü¡lieh nicht gebrauchen, rta dieso sicn j, uos nr¡ãi: tenr der vers chiedensten Metiers Aber zum Bahnbau, zu der tär^*r,,*-*rrsetzen. ¿ie Ete¡rtrifizie. überaus wichrigen 11lg _llft*d*...s".q.pwärrig lonarbelt, zu ähnlichen Tåtigkeiten tassen sich lotcfg Truppenkörper gut vefoerten. Áuch sind oererts, wle Trotzki in einem Bericht ausführte, qualifizierte Àrbeiter_ zu Reparaturkolonnen g* eint, in Gruppen unrt Komm*¿". ä- verschieoen-e werke abgefertigt worden. Eine becleutenrlé R.olle splelt bei-dieseñ Arbeitsformationen ¿ie er_ tillerie. Landwirtschafiliche Wernr*"gl, .Wagen, Schlitten und Geräte aller Art *ur-¿*" âorch sie re.p?rigú: _Der organisierte Arbeiter-Èoìdat ent_ w¡ctelt dabei auf dem Lande eine intensive Aufklärungstätigkeit. Rußlancl ist für den _Krieg wohl gewappnet. Es artet auf den Frieden. iU"r, *i" ein^ giißes Land zum Leben und. zum Gedeihen be, nptigt, ruht in dem Bodon,.ruht in den-Sáeten. Be. siegt erst der Frieden díe MrdigÈãit,-ãiu heute pie eine schwere W.o_ltq u¡e" n""gúã ùstet, be_ siegt er die Not, erhellt aen norizont¡ann ist dieses Land. in zehn Jahren das mächtiiste-ãe nr¿e.
B
Propaganda
Tlet Propagancla für clie ltlee und die P¿rtei L., ,cles Kommunismus begegnet man in RuB-
lancl auf Schritt uncl Tritt. Sie ist diffus, man kann sie nirgend.s'fasse,n. Es cla¡f nicht wundernehrnen, daß sie allgegenwåi.rtig ist. Denn clie Massen müssen allmtihlich lem,en, wofär an den gekämpft und im Lancle gelitten wircl; ,Grenzen "welche Ursache d-ie gewaltigste Anstrengung, die tlie Geschichte ken:rt, hat uncl welches Ziel. Es darf auch niemand wundernehm,en, daß in Rußlancl die ethisch-politische Prupaganda bis ztr einer an Virtuosität streifenden Vollendung getrieben ist. Die Männer, rlie heute die Macht in Häncle4 halten, haben ja in de.n Jahrzehnten ihres Exils, in ,offener unrl illogaler Arbeit Anhänger für ihre Idee geworben, ihre ldeen mit allen Mitteln zu verbreiten und zu festigen ge. sucht. Mit allen Fasern ihres Seins waren sie Verkünder, Agitatoren, und somit ist ihnen der Apparat der Propaganda wohl vertraut. Auf cler ersten'Station, durch d.ie man, nach Rußlancl gekommen, hinclurchfährt, stehen Wagen mit Aufschriften wie diese:.,,'Wir sinrl stark. Keine Macht cler Welt wird uns stürzen." Darunter die Initialen der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik. Auf einem anderen lYagen sieht man ein durch Fenster uncl Schiebetü¡ unten brochenes krasses Gernåilde: einen Roten Soldaten, der einen Weißen General mit clem Bajonett einen Hügel hinabstößt. In cler Bahnhofshalle jerler Rußlands, auch des - in OrtesBahnhofshalle kleinsten ist die Tür eines Holzverschlags offen, uncl über- diesom Verschlag ist das Wort: 7Ã
,,Âgit-Punkf" -zu lesen, .hn Verschlag verkauft untl verteilt ein Mann AgÍtationsbroschúren, Flugblätter unil die offiziellen Zeitungen. Die-Halie ist, wie die Þfauern allei Stäclte, mit plakaten und Zeituagen beklebt. Da die Privatkonkurrenz aufgehört hat, sind alls diese- Plakate, sofern sie niiht Anzeigen von Meetings und Theater usw. enthalten, natürlich auf, die einzige Note gestimmt, nämlich auf die Propagancla fün clie gegenwärtig notwe4digsten Taten: die Siärkung der. Fronten an clen Gren_ zen und. der Arbeitsfront im Lande. Á.n den Fronten platzen über den feincllichen LinÍen Granaten und schütten Tausende dünner
Flugblättêr nieclor, in denen kurze Darstel_ iungen der Ziele, für clie die Rote Armeo kåi.rnpft, enthalten sind, aber auch satirische Gerlichte _Slggn den Pan Schlachzizen und gegen tlen baltischen Baron.
In den Straßen sieht man Schaufenster, die einzigen, hinter denen noch Leben ist, rlas sind die Schaufenster des Zentropetschat, 'rler Buchverteilung unrl der Rosta, des offiziellen Tele_ graphenbureaus¡ In diesen l'etzteren kannst du große amüsant gezeichr¡ete Karikaturen sehen. clie mit-Tagesereignissen beschäftigen, poii-sich tische untl militärische Feincle verhöhneñ uncl-clen Schleichhändler, den Kulaken, den Großbauern, iler mit den Lebensmitteln nicht he¡ausrtickt, wie auch den faulen Arbeiter, dem die Son¡ré anJ den Bauch scheint; an den pranger stellen. Man könnüe fast sagen, daß auch áie Zeitun-. gen der Bolschewiki, die ,,Frawda.,, d.ie ,,fswestia,, vor allem, ausschließlich cler propaganda dienen: Zuw'eilen habe ich mir einzelne Nummern über71
sËtzen laseen. Diese offizielle P¡esse verfügt ûber
einige geniale Mitarbeiter, Sosnosky, Ratlek, Bucharin, Stjeklow - sie ist schon bunt untl, unterhaltsam, aber man erfährt aus ihr so gut wie nichts. Sie ist zu clrei Vierteln mit Polemik einer Polemik geger Gegner, clie sich angefüllt nicht verteicligen können, weil ihnen das papierne Maul gewehrt ist, das letzte Viertel aber enthält Neuigkeiten aus dem In- und Auslande, clie ausschließlich auf Fortschriite der'Weltrevolution Bezug haben und clem Passanten mit äußerstem Nachdruck ins Gehirn gehämmert werden, 'Wut und gegen die man allmählich eine gelintle untl Revolte in sich aufsteigen fühlt. Denn schließlich ist ein l50-Millionen-Reich auf clie Dauer nicht in solcher Form von cler übrigen Menschheit abzusperren. Die Bolschewiki beantworten
ttie wirtschaftliche Blockacle mit einer tlankenblockade
Ge-
sehr zum Schaclen tles Passan-
jetlermann ist diesqr ten. Des Passante'n Passant, clenn tlie Zeitungen haben zu wenig
Papier zur Verfügung, kleben an den Mauenr und haben infolgedessen einen weiteren Leserkreis als welbhes 'Weltblatt immer, das nummerweis verkauft wirtl. Züge mit Propagandamaterial werden allmonatlich von den Bahnhöfen Moskaus nach allen
Richtungen ins weite Lancl hinausgesandt. Nicht nur politische Propaganclazüge uncl die bekannten Propagandazüge Trotzkizüge cler Roten Armee den Unterricht, clie für für ctie Lantlwirtschaft, das Material Ich sah Proletkult. clie Volkshygiene, für einen Propaganclazug, der na'ch Samara, in die Erntegebiete, abgefertigt werden sollte. Auf großen TaÍeln war tla tlie Entstehungsgeschichie 7í)
eiaer Btirsþ beginnend mit einem Holzklotz und einer Borsþ bis zur Vollenclung des komplizieiten ûebildes: Besen-, Toþf-, Kläiaer- und Haar_
bä*te ia all' clen zur_H-erÁtellorrg notwendigerr *fate¡ialien.dargestellt. Mit dem Zu"g sólten t einwandweberinnen an einJach gezi"mmerten und Ieicñt herstellbaren Webstühlenl g"r.hi.ttu Vor_ arbeiter für die Herstellung landäirtschafilicher Geräte und außerdem redegeïandte Cenlssen mitfahren, die den Bauern ùorhäge über alle pro_ bleme der Bodenkultur rrnd dei Bewirtschaftung halten solltdh. Chemische Substanzen unct Geräte füllten einen Schrank.^Tafeln zeigtén in graphi_ aile Stadien Au.i
harter,
erbftterrer Kampf F-r_t:1 *oßJyd."in r-J gegen die Vereinigung .oder die Verschmel_
I.opg_qTga mii dem Schutwesen se:.Tlg runrf 1"" worden. Nicht zuletzt innerhalb der l(om
7E
munistischen Partei selbst. Hier ging ailerrlings tler Kampf nicht ausschließlich um das Prinzip, sondern er hatt¡e einen Beigeschmack des Streites um die Organisation und Kompetenz, wie clas bei einem so wenig gefesteten Apparat wie rlie SowjetVerwaltung entschuldbar und erklärlich ist. Die lokalen politischen Behörrlen s'ollten sich nämlich in ihre Agitationsarbeit nicht vom Kommissariat ftir Votksaufklärung dreinreden ocler hineinpfuschen lass,en. Es handelt sich im wesentlichen um folgendes .Problem: wie r,veit ist die Aufklärung über clas politische, cI. h. tlas ethische Ziel.tles Kommunismus identisch mit der wissenschaftlichen Aufklärung der Massen ? Die Physik,
tlie
Mathematik kann natürlich niemals zrr
Zwecken der politischen Propaganda benutzt werrlen. Aber wie steht es um solche S/issenszweige IMie clie Weltgeschichte, tlie Geographie, die Hygiene
?
Lunatscharsky formuliert clie Kernfrage: ob rlas Kornmissariat für Volksaufklärung ein Werkzeug cler Aufklärungsarbeit für die Ziele der Kommunistischen Partei sein dürfe oder nicht, in diesen ,Worten: ,,Wie könnte es in einem proletarischen Staat einenVolksunterricht ohne kommunistische Propagancla geben? Haben wir, die wir kommunistische Propaganrla treiben, uns jemals mit etwas anderem beschäftigt als mit der Volksaufklärung ? Ist denn clie ¡'evolutionäre Propaganda nicht clie einzig wahre Volksau-tklärung auf clem Gebiete, das dem Vollce am meisten notwendig ist, das zu seinen dringenclsten iäglichen Bedürfnissen gehört? W,enn wir aus Erwägungen der proletarischen Taktik fordern, claß der Schul- und der Fortbildwrssunterricht vom Geiste 77
clès wissenschaltlichen Sozialismus beseelt sein
wir mit gutem Gewissen d,ie gleiche Forderung aus Gründen cler höchsten mtissen, so könnten
wissenschaftlichen Objektivität süellen." Das ersehütterndste Erlebnis, das der nach Ru-ßland kommende Fremdling erfährt, ist: bisher in grausamster Weise unterdrückte Schichten des russischen Volkes sind, man kann sagen über Nacht,. zu stärkstem Selbstgefühl erwacht. Dabei sincl Instin-kte entbunden worden, die durch ilie Sklaverei Jahrhunderte hindurch zurückgedämmt uncl gepreßt gewesen sincl. Wer sonst' als der Lehrer wäre befugt uncl berufen, diese wilcl emporschießenden Instinkte nach der Seite hin zu lenken, wo sie für ttie Gemeinschaft nutzbar gemacht werden können? Die Verwilderung cles Triebes in baren Egoismus zu verhindern ond hintanzuhalten? Zwnal clie Sinnesverfassung cles Arbeiters und des Bauem beclarf iqfolge der radikal veränd.erten wirtschÈrftlichen Basis dér Produktion einer sicheren und energischen Führung: Yon all' den vielen Propaganclaheften und Schriftchen, die ich durchgesehen habe, ist mir eines das Bemerkenswerteste geblieben. über tlieses Heft will ich ausführlichen Berichi geben, weil es mir als vollendetes Werkzeug in den Hänclen cler bolschewisti3chen Lfachthaber erscheint, zugleich aber die vollständige Rechtfertigung cler uns gewaltsam erscheinend.en Verbindung: propa.gancla und Unterricht da¡tut. Dieses Heft ist vom ,,Allrussischen Verband zur Liquiclierung des Analphabetentums" herausgegeben" stellt eine Fibel für cles Lesens uncl Schreibêns unkundige Erwachsene vor und. enthält, mit einer kleinãn Anthologie pop¡Jä"rer klassischer und mode¡ner Ge, 78
tlicbte trnd einem Kalencter Anleitungen für clen Lehrer zum Gebrauch der Fibel selbst. Auf tlem Heff das die Aufschrift ,,Niecler mit tlem Analphabetentuml" trägt, sieht man ein primitives Bilclchen: ein verwundeter Soldat lehrt einen alten Bauer die ,,Prawda" lesen. Auf dem Tisch rler Bauernstube steht ein Tintenfaß. Eine junge Bäuerin lehrt eine and.ere, die ihr IfintI stillt, in einem Buche lesen. -'Hier sieht man also Lehrer uncl Schüler beisammen. Die Lehrer sind Soldaten,. Arbeiter, Bauern und Btiueriruren, die vor'kurzen noch selber nicht schreiben und lesen konnte,n. Jetzt lernen sie sozusagen die zweite Iilasse der Wissenschaft, indem sie andere in cler unterstuen ersten unterweisen. [n diesem Sinne sincl ilie Instruktionen fär den Lehrer in dem Heftcheo verfaßt: für primitive, aus der Lethargie der Unwissenheit eben erst erwachte Intelligenzen. Die Freude an dem Lernen entfacht sich an der Freude,, anderen das mitteilen zu können, was man selber weiß, und zwar seit kurzem erst weiß. So zieht tlas große, tlurch die Bolschewiki erweckte Volk RußIantls ieLzt in enge aufeinander folgenclen Staffeln in das Gefild einer werdenclen Kultur ein. Wer wollte es den Måinnern cler Oktoberrevolution verd.enken, daß sie bei dem Buchstaben F statt Fisch, Fliege, Fuhrmann tlie trVorte ,,Fabrik, Front, Flagge, Fackel" hinsetzen? Daß für fortgeschrittene Schäler der Name ,,Friedrich Engels" und das Wort ,,Föderative Republik" genannt ist?.. Der Konsonant R und iler Vokal A sollen in einem W:ort zusammengestellt werden. Der Satz, rler dieses lVort enthåiJt, Iartet:
]
'79
l' I
,..1 ,,Muj nje ra^bi.,' ,,'Tfir siacl keine Sklayen.,. Die Va¡iaúte: ,Muj nje bari." ,,Wir siniL keine Herren.,, Ein Satz mit den Vokalen I, O, U. ,,Miri swobodu.,. ,,19ir bringen cler Welt die Freiheit.,. Åndere Sätze heißen: ,,Alle Macht deú Räten.,. ,,IInsere Armee ist eine Armee dcr Arbeiter und. Bauern." ,,Der Kommunismus ist die-Fackel unseres Glaubens." Das erste Lesestück ist. eine Rede Trotzkis. -Die erste übung für Fort_ geschrittene enthält für den Lehrer fõlgende An_ weisung: ,,Das Dekrut über die Liquidiérung des Analphabetentums , erschien am 26. Deze¡nb-er 19f9. Gib dieses Datum in kürzester Form wieder. wieviel Zeit seit jenem Datum - istSugu, vergangen ? rras man bei euch im - Erzåihlg Dorf, in der Fabrik getan hat, um d,i:ixes Dekret zu verwirklichen ? S"g*, was dein persön_ .licher Anteil an der Verwirklichune dieses De_ kretes ist."
-
Tìiu I-, aller Gouvernernents
in größeren und kleinerefi Orten werden von Zeit zv Zeit mobilisiert, cl. h. sie werden in die Dörfer geschickt, qm ihre unwissenden Brücler unrl Sehwestern in der Kunst des Lesens und Schreibens zu'unterrichten. In den Fabriken werden Eefte verteilt, in denen zum Beispiel ein Dialog zwischen einer Kommunistin und-einer politiscñ, þ{ittelentg in großer leserlicher Schrift gerlruckt .tù-tt der Front, um ein Beispiel zu-neonen, 4" Propagandaheft wiril ein verteilt-: ,,Warum soli Gebilcleten
80
clas Fußvolk ttie Reiterei nicht ftirchten ?" DiE Fabrikarbeiterin lernt erken¡en, wofür sie schuftet, der simple Soldat lernt Strategie" Dies ist Aufklärungsarbeit, Propagancla .und Unterricht ln
rl
l
:
einem.
Es wircl den Bolschewiki vorgeworfen, daß sio zu' viel Papier für ihre Propaganclaschriften ver' wenden, viel zu wenig für den Druck ihrerSchul-
bücher. Uncl wirklich - die prunkvollen, luxuriösen Monatshefte in Großquartformat der ,,I(orn' munisiischen Internationale" stellen einen Unfug vor. Das Analphabetenhelt haben sie in einer vorlåiufigen Aullage von drei Millionen'auf mittlerem Papier gedruckt. ,
Tlie Kintler Rußlands, die l(inder der llrrnsten I-l sind glticklich und heiter. Für sie sorgt die Regierung mit ailen l\litteln, rlie das verelendete Land gegenwärtig aufbringen kann. Über das \¡ersagen der Schule, über das verhängnisvolle Pro' ,blem der Volksernährung berichte ich in anderem "Zusammenhang. Hier nur so viel: Villen, Schlösser und PàIäste der enteigneten Reichen sind in den Städten und auf dem Lairde in Kinderheime; Kindersanatorien, Fröbelgärten verwandelt. Die notwendige Zahl von l(alorien, die zur vollkommenen Brhaltung der Gesundheil erfortlerliche Zahl ist inRußland bei derVerteilung'der Lebensmittel auf den Kopf der Bevölkerung in kei' nem Falle erreicht (vielleicht bei dem Frontbei irgenil anderen [ndi" soldaten - gewiß nicht und außerhalb des l(reml l), viduen innerhalb tler höchsterzielbare Prozentsatz aber entfällt auf die Kinder. Viele Güter, darunter Jassnaja-Poljana, Tolstojs Wohnsitz, beherbergen jetzt Kincler' g Eoiitscher, Drei Moaate ia Sowjet-Ru3land 81
I I
I
l
; I
:.
l
'j
:
l
i
l
.l
.1
t'
i
:'| .i
',i.r
1'l
mir nie'ht vergönnttla'c"b *uI: €s :", Ï:i:i:î;;i*sariat für r'b:i Iåh,¿li'i,'T#: H:- ïsi ¿n¿i -
kolonien. Leitler
iää;: " * Volksa¡rlklåirÌo.g
Htr'ffit'î*$r,'*'r-"Ë'gi*¡$1 der BolscherviKr, "ru'm
Fe' {r¿qgon zur verrugulq schea Pubiizisten-t'ä,Jläñi?wect¡ einã kleino alles stellt *9td,P _u11,,
unrer Kindetn uotI,iïù.iå" erwachsene" jÎ-1tpiï;;ãu,
iT äX; angeschl,ossen;ganzo ;i"'i y,.''$: das "i'ii"tiuttilt"it iËåt^" Jitj:r":'Ë'ui;; Proiekt clurcb o'"
.1
Dies 'tï' ""utttt"t --,.'lY:"'t.
". re Arbeit wiil ich nocl r{ ,,.Ìåf '.llä,1'To"'^åi'*"u'i4lïli:,ilu¿i"#J
ìionen-Volkes'
ri#'ff ï-'å'*å'--få-i:i'-"J-;1-"',H{'ï.:*¡iu xi;*k"-.ruff ä,ï'i:Ë."Ë':"';1;}"';'qf
l"Y¿",',,ï;
"ff-fuif eineerichtetes' von
"1ïd..î"[]þ,*S"*:'i ";1,1'fi äï sådt: D'-"'-l"l:*t' Arbeit
iàffi,.iä"ff#f;
derVolksautra'u'îgîaltuif
ong*it-l't'*Petersburg
:
îäo a*, 9*:T:{iiÍ'f3;;k.T'tïof '::-ti'ffi geleitet' :", *tïo"*lîã- *tog""al Ausstellungs' Skulpräume, an dte Ð zimmer, i".
turen und
¿"n*"äiî"Juiutn lgichllnren' der i(inder nett
*"*o'i#"wffiiö*:l: ti"'$' BtihnlljÏitTl.iii;
arrangiert'rl'.nä;'für Übungen' oes aufführungen und' i""p"t"tt¡urg rhvthmisch" cvänuiiiil-
wurden
"î*ïiþ,ri¡r-+"1**Ïru.#-"rî'f,"*#i;,åll sahe-n "t":,K:Îj Fru", lJbung* o""o ã"m Syst-em åä:H""ll.'ii ;"I; ;; ã'd-" Pl'l"läTfffi:;
"X*r+*ttl:f"*{:if
ü";*i*=i#l '*;;-amerikanische unterncnr S2
.i.n,
"* -::..t, $:l geistig Lö-'^p-:';îî;tJ^ärassen de¡ ""* untero ät*"tt und
îåiit-Ï'-;ii'T,lJ;.;;iãi'i"t üäf,ì äe"
Botsche-
-*1,în verhält
ro wiki geistig o"t'.'h,åi'îq. a*
natürlich onne gntscuîü*g Kinder' zum endlost" o"päärîl-'ñotäittn" -i3ter"' +f'*t Provinz Àber ich r'un" ooit "i'ö!*'"' t';"ä;t? *tli,^l'"t heime in Moskau, g"r.* besichtisen kön' b*ko*-Jo"î"í zu sehen
il*:õ¡;trto*i.;"*fu
g.r"*^l +i. o*.u
äîr-änãør':.:'*,Ti:.Tf Wassili
K' 3Y: "-î''"vîrur¡eiters, $f;:?:"åi,ïi"f Bt gefallen
"i#i.
volution
rallsinderu""J'inJ'i'eJ"it"'";"1r.^qiJSi¡tä:t;
$JJsä:iåfl*, H:' î'å s+ö'tt
s;''.*;i.;xn äthfabrikanten ää
tiå
'Tlt^lß wassili
b:lt"'fi:ji Krieg fertig geworden '
an
äd;"#;;iî'ñ*""i.3;1îx1å:",^ii*d'"!i:fi å:
. Hiff,,ïËi:f ii#ä; *r: iiiåh5'ii,'i$' -lîï;
;* ïriîåü'* f;*î'Ï:' irþ;*i "r'.î{H.îl'"Ëîîlïî'lff -;ffi :L5;rrr"$'Jrt uttô negann#Tunou, Konsertrat er artig zu uns .å,*bf"i*iti,:ååu "in* oo't äo.,ot,ng,'' {ilî ser' v! Y*-. vatorium besteut 83
.
eine Stuclentenstelle verschaffen könne
ì
? Nach.
tlings ein ernstes, begabtes und leidcnschaftliches Kintl seine Ansprache gehalten hat, klingt sie um- einen Grad noch unterhaltsamer.
her fragte er unsere Zetki.n: welchen Einclruck sie von ltußland habe, ob sie den Genossen Lenin und Trolzki schon begegnet sei, wie es mit dem Musikunterricht in Deutschlanrl aussehe, ob Z,ctkin glaube, er könnte sich an einer der großen ÙIusikakademie,n Deutschlands in seiner l(unsb besser vervollkommnen, als das in Rußlancl möglich 'wäre ? Wir erkläiten Wassili clurch eineln
Dolmetscher
Indes, sie sollte uns allen, uns und euch, zu dentlie Bolschewiki für die l(inder R-ußlancls tun, geistig und materiell, ist nicht auf ,Kinderwohlfahrt, I(örper- und Geistespflege allein beschränkt" Die Stürkung cles Selbstgefühls in den bisher unterdrückten Schichten vervielfäl. tigt sich in den jungen Intelligcnzen der befreiten I tlassen. Hier erziehen sich die Bolschewiki mit den reinsten und einfachsten Mitteln eine ungeheure Zukunftskraft, eine Waffe, mit der die lVelt wohl erobert werclen könnte. Der Frohsinn. und Aufschwung, die die l(inder der iirmsten Sou'jet-Rußlands erleben, wird sie befähigen, die Zeit rler furchtbaren Not, unter der die Brwachsenen seufzen und der sie zu erliegen clrohen, zu ken. geben. Was
den Unterschied zwischen den
Lebensbedingungen für die Kinder der Armen in Rußland und in Deutschland, I(onservatoriums-' unterricht usw. Worauf Wassili mit unerschütterlichem Ernst, klarem Blick uncl einer,ruhigen lVürde, die sich in s,einen kleinen gemessenen, IlandLrewegungen wie auch in der ganzen Art' und \\reise kundgab, wie er zu uns Erwachsenen
völlig gleich einem Erwachsenen und Gleichberechtiglen sprach, rlie Notwendigkeit zu er-
örtern begann: Daß die politischen Verhältnisse Deutschlands umzuwälzen seien, wie das in Ruß; land geschehen wäre. trVenn die' Bildungsmöglichkeiten für die Kinder der lirmsten in Deutschland, dem kultivierten Land, schwerer seien als in Sowjet-Rußlantl * dapn sei es pflicht der deutschen Arbeiterschaft, hier Wandlung zv. schaffen, die Bourgeoisie davonzujagen und von der Staatsgewalt Besitz,za ergreiten. Er trug der Genossin ZeLkin auf, diesen Wunsch der ãeutschen Arbeiterschaf.t za übermifteln untl gab der Iloffnùng Ausdruck, tlaß er in absehbarer Zeit ein Konservatorium,,in clem befreiten Deutschland,, werde beziehen können... Dies isl bloß eine amüsante Episode und durch die kindliche Naivität, mit rler tff_assiti * aller84
überstehen.
t¡
lt
, I
'lr.
:tl
,; ,:a)
t, l.:
t: :,
N iemals, niemals werden die kleinen befreiten Intelligenzen, tlie kleinen, zur Freiheit erzogenen Seelen und I(örper der russischen l(inder vergessen, wem sie ihre Freiheit verdanken! Bs ist nicht Agitation und nicht Propaganda allein, was die Bolschewiki bis zur Virtuosität ausgebildet haben. Es ist etwas mehr, etwas anderes, etwas Unvergüngliches. Hier, wenn irgenclwo in dieser heutigen lVelt, ist ein
Sa¡nen gesät.
Von der Arbeitsschule 'r leder Bericht über die Schule, das Unterrichts'
J :
;. ¡t
wesen des neuen Rußlands, über die Bestreburu gen der Bolschewiki, die brcitesten llassen des russischen Volkes auf eine höhere geistige Stufe l!il
zu bebeo, muß mit einer Anklage begin:ren einer furchtbaren Anklage gegen tlie imperiali stisch-kapitalistisch regierten Völker, tlie die unerhõrte, in der Geschichte der Menschheit beispiel: lose Anstrengung einer Handvoll enthusiastischer, vom höchsten Pflichtgefühl gegen clie Kultur clurch-
drungenen Männer, ihr Werk zu schaffen, behindern. Die dieses Werk im Keime zu zerstören drohen Namen der Kulturl Welcher? - im derselben, Wahrscheinlich die es im Sommer 1914 zu verteidigen galt. Wollten die Machthaber jener" Yölker einen Blick in das Gefüge des Kulturwerks der Bolschewiki tun, wollten sich rlie großen Massen cler sowjetfeincllichen Welt Rechenschaft ablegen über die Motive des Kampfes, der an den weißen Fronten mit allen Mitteln tiefster mittelalterlicher Barbarei gegen die Armeen der Sowjets gefochten wircl wozu viel Worte verlieren: - aber an diesen Frontiln kämpft rtas Kapital gegen ctie Kultur, uncl damit genug. - ein Intellektueller, Diese Anklago erhebe ich, der es weiß, daß seine Tage gezåihlt sind. Daß mit clem Aufstieg, dem Empordringen der tiefen Schichten des Volkes, rlie Oberschicht der Intellektuellen sozusagen an der Decke zerquetscht wertlen wird; daß dem, was wir als Blüte cler Kultur anzusprechen gewohnt waren, in Rußland heute schon rlas Zügenglöcklein läutet. UnrI rlaß die Bolschewiki es sind, die an dem Strang des Glöckleins mit äußerster Energie ziehen und zerren. Betrachtet man das Schema des Volkskommissariats für Volksaufklärung mit Aufmerksamkeit, liest man nur die Titôlbezeichnungen der Sektionen, der Betätigungsgebiete, über die sicb' tlie Kompetænz rlieses Kommissariatsr erstreckt: 86
Gêbiete deS Unterrichts, cler Pmpagantla, tles Kunst-
schaffens uncl der Verwaltung, der Fürsorge für die Kintler (sogar tler Kinclergerichtshof untersteht merkwürtligerweise dem Narkomproß l), so tst
ma¡r förmlich betäubt. Ma¡ weiß ja, tlaß .tlas Schema tler heutigen Volkskommissariate bis zu einem gewissòn Grade dem der Ministerien unter rtem Zaren nachgebiltlet ist. Mit clem Schema des Narkomproß aber verhält es sich anclers, weil ja clie Volkserziehung im zaristischen Rußlantl tlas am verbrecherischsten vernachlässigte Gebiet tler Fürsorge des Staates fär die Untertanen war. Die Bolschewiki haben sich in Dingen tler Volksaufklärung uncl Erziehung Aufgaben gestellt, tlie das zar,istische Regime niemals erkannt, nie' mals ìn sein Programm aufgenommen hat, untl tleren Nichtbeachtung vietleicht clie tiefste Ursache des Unterganges der Zarenherrschaft iù sich schließt. Um den Umriß cler Gebiete, die das Narkbmproß zu bewältigen sucht, ungefähr zu. veranschaulichen, will ich ein paar Überschriften von Verwaltungsabteilungen hierhersetzen: Volksuni' versität. Ausbildung politischer Agitatoren. Telegraphischer Auslantlstlienst tl'er Rosta. Schulevl. für Erwachsene. Unterrichtskurse für Analphabeten, an der Fr'ont, in Fabrikbetri'êben. (Hier unterrichten spezietl ausgebiltlete Lehre.r zwei Stunden lang täglich. Der Schül'er-Arbeiter erhält für diese zwei Stuntlen seinen Lohn wie für orclnungsgemäß geleistete Arbeit ausgezahlt') Untenicht im Kunsþewerbe. Exk\rrsionsinstitut' (Pruvinzschuten besuchen die Stätlte, stätltische Schulen werilen aufs Lancl gesantlt, solche Ex8?
&ursionea, ea denen Gruppen bis zu 400 Schülern teilnehmen, dauern oft Monate. Jede Bisenbahn. Iiaie süellË. fûr diesen Zweek allwöchen[ich einen tr4¡aggon .zur Yerfügung.) Kurzfristiger Vorschul.
uaüercichil Die Proletkult mit all' ihren Vereweigungen. Unterricht der kleinen, über Ruß-
land verstreuten fremdsprachigen Völker, mit zwei .ïinieral¡beilungen: Völker des Westens und Völker des Ostens. Administrati,on der papierindustrie. 9olksverlag. Les,estuben auf dem Lãnde." Volksbibliotheken. Proletarische Meetings. proletarische . Bildungsarbeit in I(lubs. Verbinrlung des Statis [i
schen Am tes
mi
t den l(omm issari atsabtei]ungen.
I(onservierung der l(unstschätze aus MuseLi sund ehem.,aligem Piivatbesitz. Kinoindustrie. Bauerntheater usw.
Es ist gesagt worden, claß seit der Oktober. revolution der materielle Standard Rußlands se,sunken, der kulturelle aber unerhört gestiegen sãi. Und dies,habe ich bestätigt gefunden. IndeJdachte ich, alS ich nach Rußland fuhr, die lntentionen der Bolschewiki auf dem Gebiete der Volkserziehung in klarerer und intensiverer Weise durchgeführt zu sehen, als dies in all clen Gebiel,en der Wirtschaft möglich ist, da ja das Erbe der zaristischen Mißwirtschaft und deÀ Wettkrieges sich in der Zerrüttung der produktion bis znr vollständigen Auflösung manifestieren mußte. Ich kam an pnd sah bald meinen lrrtum ein. Die Not I Die furchtbarg alles verschlingende ?fo[ des Landes hat sich mit ihrem nte¡g;wichl aueh auf die Schule nieclgrgesenkt. Solt.man den Bofschewiki einen Vorwurf daraus machen, daß
'88
'sogndso viele ,Schulgebäude in Schlafstätten fü¡ tlie Rote Armee umsewandelt haben? Hütten sie ihre Arm'ee nicht, es-säße låingst irgentlein Denikin oder Koltschak auf rasch wiederhergestelltem
Zarenthron. Immerhin bleibt Lunatscharsky cler Vorwurf mangelnder Widerstandskrafi in diesen Dingen iicht erspart" Not. Es gibt zu wenig - Die Schulbücher, zu wenig Papier für Schreibhefte; vier Schulkinder rnüssen sich mit einem uleistift behelfenì Es mangelt an Heizmaterial. An Schuhen. ' VielecHunderttausende armer Kinder haben kein Schuhwerk und können nicht zur Schule gehen. Trotz allen $nstrengungen, gerade das Lebcn der Kleinsten heiter und glücklich zu gestalten, versagt der Apparat a¡ entscheidenden Stellen. * Die Lehrer sind, zumal in den entlegenen OrLen, ungenügend besoldet, unrl ihre Naturalentlohnung reicht nicht zum Notdürftigsten aus. Viele gehen als Schreiber an die Fronten. l\rme junge be" geisterte Lehrerinnen verkaufen ihr Haar um ein Stück Brot, verdingen sich als Måigde in die ,. Häuser wohlhabender Bauersleute, Eltern ihrer Schriiler, waschen die Dielen in l(ulakenhüusern. Und doch macht trotz allen Blends und trotz aller Vernachlässigung tler Lehrerschaft die kommunistische Idee unter den Lehrern, die sich vor Jahresfrist noch in heltigem Widerstand zum Bolschewismus befunden haben, entschiedene Fort" schritte. Die LehrerschafL Rußlands betreigt eine Viertelmillion, von dieser sol1, dies wurde mir von verschiedenen Seilen bestätigt, ein Dri[te] kommunistisch sein.
89
Die .A,¡beit i¡.der Schule nuß miù der Produ-Hion verbud.sn werd.en, clam wiril sie eino ulgeheure erzieherisché Berieutu¡g h¿bón, Nw die enge Yerbindug rlee Untenichts mit cler Proiluktionsa¡bsit tler Gesellschaft baÐn denKlasssnchorokte¡ der jetzigen Schule beseitigen,u
ñiese Worte Karl Marx' aus alem Kommunistil-l ssþs¿ Manifest gründen das eherne Gesetz, aul dem die Bolschewiki ihr Schulwesen, die
Prinzipien des Unterrichts frir clas ganze Volk Rußlanrls aufgebaut haben. Die Einhei¡5sc,h,ule k¡nn natürlich nicht genügen. Sie ist ja in Länilern mit bürgerlich-kapitalisti schem System durchgeführL, Die Einheitsarbeitsschule aber bilclet rlie Errungenscha-ft und bedeutsarne Neuerung, die vorerct nur noch in vagen und experime4tierenden Vprsuchen vorwärts sich tastend, doch immer sicherer das alto Schulwesen verdrängt und von ilen Bolschewiki, wenn die Not sie daran, wie an so vielem anderen, nicht hinclerl bis zum vollen Siege cles Gedankens flu¡c,hgssetzt werden wird. Rußlancls neue Schule ist kostenfrei untl obli: gatorisch. Koedukation. Dio erste Stufe des Unterrichts umfaßt das 8. bis 13. Lebensjahr. Dis zweite tlas 13. bis 17. Das Somme,rsemester wird vom lanclwirtschaftlichen Unterricht im Freien bestimmt im Wintersemester tritt ctie hanrlwerkliihe Erziehung in derWerkstatt in ihreRechte. Lehrer unil Schüler verkphren kameradschaftlich mit. einander. Der Lehrer ist der ältere Genosse des Kindes, der etwas mehr weiß als das Kincl, sich aber darauf nichts einbildet. Er ist so wenig der Yorgesetzte des Kindes, wie cler Rote Offizier ry'grgesetzter des orler Befehlshaber über den Rate¡r Solilaten ist. In diesem Sinne ist rlie Schule, die der Selbstverwaltung der Schüler 90
im Einvernehrnen mit ihren Lehrern untersteht, eher eine Kinclerkommune als eine Schule im hergebrachten Sinne zu nennen. Der Unterricht wird nach Möglichkeit den Fähigkeiten jedes einzelnen Schülers angepaßt, indivitlualisiert. Das gleiche Prinzip gilt ja bei cler Arbeitszuweisung in späteren Jahren. Die neuen wissenschafblichen I\[ethoclen Amerikas zur Erkenntnis der Arbeitsfähigkeit und Eignung zu körperlicher uncl geistiger Arbeit werden somit schon in dèn ersten untersten Stu-fen des Unterrichts angewantlt. Eine cler interessantesten Schulen, man könnte auch sagen, Versuchswerkstätten fúr clie Arbeitsschule habe ich in Moskau besucht. Es ist clie im ,,Katharineninstitut", einem von herrlichem Park umgebenen ehemaligen Erziehungspensionat für adeligo Töchter untergebrachte Schule, die der Genosse Livintin uncl die Genossin Balkaschina leiten. Sie hat gegenwärtig ungefåihr 300 SchüIer. Eine große Anzahl Kursanten nimmt an dem Unterricht teil, das heißt organisierte Arbeifer, dio hier ihre Ausbildung zu Instruktoren für die Arbeitsschule erhalten. Die Kursanten unterrichten clie Kinder in ihrem eigenen Handwerk, das sie vollstänrlig beherrschen. Die Kintler lernen von ihren proletarischen Lehrern nicht nur Werkzevge, Moclelle oder bestimmte Gegenstände herzustellen, sondern sie lernen auch den gùylzen Prozeß der Erzeugung, die Gesetze der Physik, clet Chemie kennen, die derartige Brzeugungsprozesse bestimmen. Die Schüler dürfen dabei ihrer eigenen Eingebung folgen untl ziehen aus den Fehl' schlägen ebensolche Lehren wie aus clem Gelingen. Livintin verwahrt sich energisch dagegen, .daß ma¡n seine Methocle mit Handfertigkeits- oder 9X
Slöjiluaterricbt verwechsle. Seine Schule gibt
Årl¡eiÉsusierricht und Unterweisung in den Gruln¿prinzipien des reellen Handwerks. \Yas an diesen Methoden richtig, was falsch, sas dilettantisch genannt werden dár! erhelle ein
Beispiel: die Kinder sollen in den \{erkståitten ucfer der Leitung der Lehrer und Kursanten einen Schuh herstellen. Da ist zunächst eine Zeichnung des Fußes zu machen, der beschuht werden sol[ Ðie -q.natomie des Fußes wirrl erörtert, der Knochenbau aufgezeichnet. Nun soll ein Leisten" fabr-izier[ werden, über den das Leder geschlagen wircl. Draußen im Park wird ein Ast lon einãm BloT gesägt, aus d.essen Holz der Leisten geschnitzt werden soll. Der Lehrer erklåirt dõm Schüle¡ die Beschaffenheit des Holzes: ob hartes oder weiches Holz sich für den Leisten besser eigne. Das Holz wird unter dem Baumbestanrl mit großer Sorgfalt untl Umsicht aqsgesucht und der Schüler auf diese Art in cler Bo'Íanik unterwiesen. Nun muß eine Feile hersestellt werrlendamit der Leisten, poliert werrlen ïönrre. ,,Bcsser eine schlechte Fbile, die ich selber hãrsblle, als eine gute, die ich irgendwo kaufe oder mii leihe", sagt Livintin und läßt von dem Kinde nun eine Feile herstellen. Was ist einc Feile ? lVarum &ann eine Feile nur dadurch hergestllt wertlen, tlaß Eisen von einem bestimmten llelesrad Disen von geringerer Härte angreift und foñntt Nun folgt ein Bxkurs über Eisenfabrikation und die Fabrikation von Stahl. Der Stiel der Feile ist von Holzo untl auch dieser Stiel verursacht eine ErõrtgrTlg, wenn auch geringfügigerer Art. Ilierauf mu8 das Leder ausgesucht weiden. Der p¡ozeß des ûerbens, das Problem des Oberleders, des
Sohlenletlers, die Qualifikation bestimmter T,etlersorten usw. Wie clas Kapitel Eisen zu GespråicheÈ über die Geologie, über die Naturschåitze Rußlands geführt hat, so führt tlas l(apilel Leder zu Gesprächen über Gebiete der Zoologie, Viehzucht, Völkerkuncle u. dergl. Daß bei all' diesen Erörferungen Brfahrungen über rlas Problem der körperlichen Arbeit, Drmüdung des Körpcrs und
Mittel zur Bezwingung dieser Brmüdung gesammelt uncl besprochen werden, versteht sich von sclbst. Auch erweitert sich der Kreis der Beobachtungen durch die Notwendigkeit, die !Verkstati sell¡er einzurichterí" Zaletzt versammeln siclr, am Abend Schüler, Kursanten und tehrer in einem Saal des großen Gebäudes und referieren in knapper, sachlicher Form über ihre Tagesarbeit, ihre Brfahrungen und die Erfolge ihrer Bernühung. Die Referate werden, falls sie von grundlegender Bedeutung und rilichtigkeit für die Arbeitsschule
sind, im Druck niedergelegt. Ich habe solche gerlrucktc Referate mitbekommen, sie stehen in kleinen Büchlein, die im Institut selbst von den I(indern gesetzt und gedruckt worden sind. In einem dieser Referate berichbet ein Kind über tlie I{crstellung eines Topfes. Bin Abschnitt des Refe¡ales hat folgenden lVortlaut: oA,ufzeichnrrng à"r Wissenschaften. mit rìenen ich während der He"stcllung eines Topfes in Berùhrung'gekomnren bin. (! !) L
Geomotrie. Was fùr Linien es gibt, und ¡¡yoraus sie
best'hen,
Was für Formen haben'fuiukel unù wie viele Gratlc mesgon sie.
über den Kreis und seine Teile. über den Erdgtobus und die Linien, die auI ihn zeich¡iet sind.
2. l{atu¡kunde. 1}ber das Eisen, Lehm, Holø, 93
ge-
3. Ieh habe , die Metermaße wiederholt. die ich bei a¡deren llethoden der Arbeit gelernt habe.u .å.uch die Berichte der Kursanten über die prinzipien "und das Material des Unter¡ichts sincl saehtrich, anschaulich uncl rlirekt abgefaßt. Ðie Not wütet auch in diesem Heim cler neuen é.rbeit. Instrumente von größter Schlichtheit müssen zur AusfüLhrung komplizierter Arbeit herhâlten. Gerätschaften, die ich in einer und der anderen Werkstatt gesehen habe, waren so primitiv, daß sie mich an rlie Hanclwerkszeuge ãer. Steinzeit erinnerten, an die Urformen ménschlicher Handwerksbetätigung. Manche Werkstätte war nicht in Gang zu bringen es fehlte an dem - riesigen Notwendigsten. Man fror*in den Räumen. Fensterscheiben fehlten und waren durch pappstücke ersetzt. Aber in dem Saal für clie übungen in rhythmischer -Gymnastik, im Speisesaal, im kleinen Museu.msaal für clie Ma,l- unrl Schnitzarbeiten der Schule hatten die Kinder Girlanden und rote Fa-hnen aufgehängt, clie sie mit selbsterfundenen Sprüchen geziert hatten. Diese rührenden Inschriften besagten: ' nKindert Wir wollen nicht 'die \4¡aff'en streckent W-ir __
wollen kãmpfen, und wir werden siegen trotz a,llemlu
Und:
nHeil den Kindern, den küuftigen Kã,mpf ern f ür die Fïeiheit
!
u
Und:
.Kinder, arbeitet, lernt u¡d tiebet einander! Dannwerdet ihr glùcklich sein.u
R/t* singt viel in den kaltenschulenRußlands. .LYI Auch
inLivintinsSchule hörten wir schönen Gesang.. Wunclerbar abgestimmte Kinderchöre
sangen uns
tlie Internationale, dann tlas schWer'
mütige uralte Liect der Wolgaschiffer, d.as Arbeits-
lied der Schiffzieher über den Wolgastrom,
das
so etwas wie eine NationaJhymne des russischen Arbeitervolkes geworden ist. Manchen unter uns wollte Rührung beschleichen, wie wir da saßen, am Anfang eines harten Winters, der schon durch clie bröckelnden \{ände fror, und die zarten Kintler die Lieder cles großen leidenden Volkes singen hörten. Hier waren noch Kinder iler ehemaligen Aristokratie, dio sich mit ihren Kameraden aus cl.ern Proletariat schon vorzüglich vertrugen, die si'bh bereits eingelebt hatten in das Neue, dio gute Kameratlschaft hielten mit ihren Alters' genoss€n, ihren Schicksalsgenossen. Über diesen rährenden Abschluß unseres'Besuches vergaßen wir und verstummte in uns manches Bedenken. Das Kintl ist, während es den Topf auf der Drehscheibe clrehte, mit verschiede' nen Wissenschaften ,,in Berührung gekommen". Diese Berührung oder Bekanntschaft konnte natlirlich nur eine äußerst flüchtige untl von dem Lehrer, der sie vermittelüe, nur auf höchst oberflächliche, tlilettantische, um nicht zu sagen leicht' fertige \üeise vollzogen worden sein. Denn jedes Gebiet, tlas hie¡ gestreift wurtlq sei es nun die Geologie, clie Bereitung des Stahls, die Verwendbarkeit von Holzarlen für bestimmte Zwecke der Industrie, setzt grünclliches Stutlium voraus, soll der Produktionsprozeß nicht zur Spielerei entarten. Die rasche, fragmentarische. Aufeinander' folge tler heterogensten Wissensgebiete aber kann tlas junge Gehirn natürlich nur verwirren, nicht
l
ll lI l I
lt I
anregen.
Das Problem cler .A.rbeitsschule ist noch bei wei.
I
1r Ì
9{
,95
Ii I
i ;
I
i
tery nicst geTðst, wie man sieht. Die Arbeitsschule steckt noch in den Anfüngen des Versuches. Aber ihr $runclgedanke ist richtig unil für das SchulB¡essn der ganzen zivilisierten Welt von Bedeu-
tung. Ðie Verbindung geistiger und körperlicher årbeiü lvird eine neue G,esinnung in den Menschea hervorrufen. Der Widersinn der Einseitigkeit unserer Tåitigkeiten kam uns ja anlôßlich dei Sr¡bbotnik so recht zum Bewußtsein. Bine Gesundung der in Spezialisierung verästelten- geisti gen und physischen Arbeit kann allein tlurch clie
Arbeil.sschule vorbereitet perden. Sollte sich in' iler Arbeitsschule nicht der l(eim für eine höherq die Fabrikarbeit allmählich ausschaltend.e, den Kunsttrieb nährendê Produktionsweise d.er Zu, kunft ankündigen?
.¡ Prolerkulr
f\JJnter diesem Wort, einer Abkürzung derlYoÞte ,,Proletarische Kultur" faßt man alle jcne Bildungsorganisationen zusammen, welche gegen-
wärtig in Rußland sich das Ziel gesetzt haben, tlaß das Proletariat' sich selber seine Kultur, eine neue Kultur schaffe, wie ja das Prol* tariat aus sich selber heraus eine neue ökonomie' und Produktionsweise ar schaffen bestrebt ist. Die Organisationen tler Proletkult sind, wie aus dem Schema des Narkomproß er. sichuich, einer Sektion dieses Kornmissariates, d.er Sektion ,,Bildung außerhalb der Schule", untergeordnet. Diese Unterordnung vollzieht sich nieht ohne Spannung und Reibungen. Ja, es war æiederholt ilie Rede davon, daß die Proietkult96
Organisationen ihre Autonomie erhalten müßten,
was sich aus den recht chaotischen Verltält" nissen erklärt, in denen die Bildungsorganisationen Rußlands sich im allgemeinen befrn" den - aber vor allen Dingen und in erster Reihe aus dem noch im Zustande des Nebelflecks befindlichen Gebiltl der Proletkult selbst. Denn wenn es heute 'in Rußland eine Organisation gibt, die sich noch im Staclium eines völlig phantastischen utopischen Wollens befintlet, so ist es die Proletkult-Organisation.
Grundideen der Proletkult sind: es soll eine Kritik rler bürgerlichen Kultur gegeben werden.Es soll aus dem Schatze desseq was die Kultur der vergangenen Zeit hervorgebracht hat, das zur Verwcndung ausgesucht werden, was für eine auf vollkommen neuer Basis erstehende proletarische Kultur verwendbar erscheint" Schönheit. soll überall, wie das Bewußtsein der Menschenwürde und die Genugtuung an den Früchtcn der eigenen Betätigung, aus der Arbeit und der Gemeinschaft der Arbeitendcn erblühen" Sie soll nicht dort hineingetragen werden, wo gearbeitet wird, sondern aus der Arbeit selber erwachsen,und die Seelen der Arbeitenden erheben
und
beschwingen. Die Schöpfer der Proletkult-Bewegung verneinen
nicht rlas Hohe und Gute verflossener Kulturepochen. Aber wprum hat tlie erdrückende Mehrheit des Volkes ad cten,,Segnungen" dieser I(ulturepochen bisher bolch armseligen Anteil gehabt?
Warum war sie, man kann es ruhig sagen, von dem Genusse dieser l(ultur? 'Warum durfte sie nur, gleichsam auf der Straße stehend, die beleuchteten Fenster des Palastes ausgeschlossen
? lIolitsoher,
Drei Monate ia
Sowjet-Ra3laad
g7
,sehen? Das kommt.daher, sagen die Schöpfer der Proietkult, daß der Dichter, I(ünstler, dei Selehrte, der die Kultur der vergangenen Zeiten schuf, auch wenn er aus dem Proletariat hervorkam, für den Kaiser, den Papst, den Adel, zuletzt für den bürgerlichen Mäzen und [Jnternehmer, für das Publil
Darstellung des Zusammenhangs aller \Vissensgebiete, sozusagen das Schema der Organisation aller Wissenschaften gegeben werilen. Mit anderen Worten: das aus wenig uncl
ganz unyorbereiteten Hörern bestehentle Auditorium soll sozusagen im Schnellzugtempo einen A¡lfriß der gesamten Wissenschaft vorgeführt behommen.
Darstellung"utler Theo¡ien untl Erörterung des Komurunismus bilclen den Kern dieser Vorträge. 98
'Wenn
also der Hörer, der.den Knrsus jungfrâu" lichen Geistes betrat, die Universität, wieder verläßt, nimmt er wohl einen unsicheren und ich färchte gar bald sich verflüchtigenden :Begriff von allen Gebieten menschlicher Erkenntnis mit, aber er geht, und das scheint ja die Hauptsache zu sein, als wissender, überzeugter und sattel' fester l(ommunist von dannen. Die Vorträge an der proletarischen Hochschule stellen sich nicht als das dar, was sonst Vorträge an gewöhnlichen Hochschulen sind. Der Lehrer pflanzt sich r¡icht auf dcm Katheder auf, um dem' Schüler- etwas beizubringen, was d.er Schüler noch nicht ahnt, der Lehrer aber bereits mit Iöffeln gefressen hat,'sondern derLehrer ist ganz einfachVorsitzender derVersammlung und Leiter ,der Diskussion, die sich an sein Referat anschließt. Es wircl ein beliebiges Wissensgebiet clargestellt, erörtert, besprochen" Der Lehrer unterhält sich mit dem Schüler, lrnd wo es der begabte Schüler kraft seines unverdorbenen und urs.prünglich funktionierenden Denkapparates vermag, belehrt und unterrichtet er den Lehrer. Ein Seminar, wie man sieht. Der Leiter der Aus' sprache hat lediglich clie Pflicht und den Beruf, die Hörer und Mitschaffenden dorthin zu lenken, wo er, im Besitze seines höheren Wissens und seiner tieferen Erfahrung, sie hin haben will" Vielleicht verhilft ihm seine Zuhörerschaft zu einem neuen Standpunkt, den er am Anfang der Aussp,rache noch gar nícht ahnen-konnte - nurl, unì so besser für ihn uncl für die lVissenschaft" Werden durch die naive und gerade Denkfähig' keit des Arbeitergehirns neue GËsichtspunkte in die aliskutierte Materie gebracht, so haù sich das 99
nnd gefiihrliche Gebilcle rler proletarischen ]r_age Hochsehule bewährt und gefestigt. In solehen Kursen werden Instruktoren ausgebililet, die organisierte Arbeiter'sind und bleiben. Alle nröglichen Betriebe des weiten Landes schicken besonders befähigte und der großen Âufgabe gewachsene junge Arbeiter unâ Arbeiterinnen nach Moshau, Petersburg oder in eincs der vielen Zentren der Proletkult, wo sie ausgebildet werden, dabei aber ihre Fabriktåltig.keit nicht aufgeben, sondern in der neuen Um-. gebung weiter zu leisten haben. Dics über clie proletarische Hochschule. Sie z_eigt genau, \¡yas clie Froletkult eigentlich will: Kultur nicht von oben herab, sondern aus den Tiefen aufwlirts schaffen unil bilden. Nun rrrm zweiteq dem weiten Gebiet der Künste.
flunst soll... hier stocke ich schon. I\ Nein, so kann ich das nicht anfangen. Die
neue I(unst, die neue Kultur der künftigen proletarischen \\relt,soll aus der neuen Gemeinichaft entstehen. Die Arbeit soll Grundlage und Nährboden und Zicl dieser neuen Kunst ìein, so wie sic ja Grundlage tler Ethik der neuen Zukunfts-. gemeinschaft sein muß. Immer wieder betont der Ethiker der proletarischen Zukunft diese Notwendiekeit dei Auflösryg des Individualismus, des Ãufgehens des Individuums in die Gemeinschaft. Sogai ineinesosnsagen mystische, dom mitielalterlichen Kirchenkonzil gar nicht so unähnliche Körperschaft. Ja sogar in ein Gebild, wie es der antike Chor war ! - Ðie Dichter der Proletkult , sincl orthodoxe iUU
.
Marxisten. Ginge es nach ihnen, die Dichtkunst rlürfte nur dem Ausdruck der reinen proletarischen kommunistischen Klassenitleologie dienen" Also wiederholen wir ganz einfach: kommunisti' sches ocler kollektivistisches Fühlen und ebensolche Produktionsweise statt der bisher geltenden indivitlualistischen. - In cliesem Sinne soll die Itunst der Zukunft aus dem proletarischen Geiste der Gemeinschaft, welcher sich am stärksten in ilen großen Fabrikbetrieben ausbildet und werclen, anzutreffen ist, erblühen - organisïert urenn man das so nennen,.darf. Eine Genossin erklärte mir einmal: tlaß dec Säemann, der auf dem Felcle einsam unter der Sonne geht uncl sein,Lied im Rhythmus seiner Schritte und der Armbewegungen, mit denen er die l(örner auswirft, singi, keinesv/egs iene DicÏr" tung produzieren kann, auf die es der Gemein' schaft der Zukunft ankommt. Seine Art, sich zu bewegen, zu tlichten uncl zu singen sei eine im höchsten Grade indiviclualistische. Die Dichtungsform, tlie das Liecl abzulösen berufen sei, sei der Gesa.ng: tler Gesang iler Masse, aus dem Ma,rschschrift gemeinschaftlich vorgehender SoÏdaten geboren 'oder aus tlem rhythmischen Stampfen untl Schwingen, von dem ietler mit' gerissen wird, cler längere Zeitin der Maschinen' halle einer großen arbeitenden Fabrik verweilt. Das Zusammenleben untl Arbeitetl im Betrieb, im Takt der surrenclen Transmissionen und schlagen' rlen Kolben, mít gleichbeschäftigten und gleichgestimmten Kameraden soll also den Rhythmus rler Dichtwerke tler Zukunft bestimmen, wie es heute tlen Geist der Organisation -- und mit dem t01
Siege der Revolution das Schicksal der'Mensch. heii bestimmt hat.
Ztur Zeil meines Aufenhaltes in Moskau war zwischen den proleüarischen Dichtern' und iden aaderea, den ,,Intellektuellen", ein heftiger Streit -rn ein neues Buch Valerian Brjussoffs, desDich. ters, entbrannt. In diesem Buchô wurden Gesetze der Metrik wieder verkündet und aufgestellt, ger. râale als ob nichts geschehen wiire, als hätte rlie Revolution gar nicht die Gesetze und Grundbed.in$rngcn aller menschlichen Betåitigung und jeder ilie Gemeinschaft angehenden Produktion umgestoßen. Brjussoff und die hinter ihm verteidigten erbittert die Gesetze der Dichtkunst, die ihnen solide genug vorkamen, um etliche Revolutionen zu überdauern, sie verteitligten die Dichh kunst hartnäbkig und todesmutig gãgen die wild austürmende Schar tler proletarischen Dichter, die die Metrik samt allen anderen überlebten Formen einer bürgerlichgn lVeltanschauung in den Orkus geschleudert haben wollte. Es gibt übrigens, und nicht erst seit Erschaffung der Proletkult, einen Rhyl,hmus der Art, wie ihn das Gestampfe, der Fabrik hervorzurufen imstande isf. Das isi der Rhyl,hmus, den man im RuBsischen ,,Tschastuschka" nennt. ein deni Gassenhauer eigener oder ähnlicher Rhythmus, der aber doch nicht ordinär wirken muß, sondern. eher populär, wild und kraftvoll. Bs ist ein abgehackter Rhythmus, der sehr wohl das vorstellen kann, was die proletarischen Dichter o.der die ïheoretiker der Proletkult, die mit den prolefarischen Dichtern o[.t ganz und gar nicht einig sind, sich unter der neuen Ausdrucksform vorsùellen" Ich will, um die Tschastuschka de¡n deuir.02
schen Leser r'asch durch ein Beispiel zu erlä'utern"
ei'n þaar Zeilen hersetzen: nGleich muß ich in die Fabrik" Komm, begleite mich ein Stùck' Seit im Land der Burschui scbweig{' rWird bei uns nicht mehr gestroilet'"
Man sïeht, clie Zeiten cler Verse: ,,Die Rose, die Lilie, clie Taube, die Sonne-.." sind vqrüber' -*
- bét
populärsie Dichter, der Volksclichter des ¡otscnewiÉtischen Rußlancls, Demian Bjedny, haL áie Tschastuschka zu großer Wirkung erhoben'
Bjeclnys Geflichte, Agitationsgetlichte, Anfeuerungs-
nå¿i"ftt* sind an tlen Fronten in Ñlillionen Exem' iiut.n verbreitet; sie kleben auch, wenn sie sich äut alttuetle Breignisse der inneren Folitik be' ziehen, an atlen Straßenecken tler Ståiclle'
T\ie Dichter tlcr proletarischen Ï(unstbewegunþ lJ ftiht"o die Linie, die vonWhitman ausgeht und
überVerhaercn zu denBxpressionisten leitet, eine große Strecke weiter. Narnentlich Verhaeren ver' ñerrli.cht, 'wenn man der Meinung der jungen -Rnssen dlauben schenken darf, woi clie Fabrik, ;bJ * so sagen sie * er besingt' in bürgerlicher Weise bloß tlãs Proclukt der Arbeit, die der Ar' beiter in tler Fabrik hervorbringt, und er meint áiut.* Proclukt, wenn er die Arbeit besingt" Br besingt nicht die Fabrik selbst, nicht den Arbeiter' áut iñ der Fabrik steht, nlcht clas l{aterial, das er handhabt, mit tlem er zu f,un hat, ehe es noch eine Traverse, ein Automobil, ei'ne Turbine ge' worclen ist. Der proletarische Dichter aber tut pantheistisch leracle tlieses. Er "¿erherrlicht in der Ma" Binswerden das änmutentlen Hymnen
tfls
schi¡re mit dem Arbeiter, dem Körper und dern Geisü des -A.rheiters. Br verherrlicl¡t'den prozeß der .4-rbeit, und.außer dem Arbeiter gehört seine u¡eingeschråinkte Liebe dem Materia[ Der wertvo.ltste Dichter dieser neuen proletarischen Dichtergeneration oder -schule ist Àfichael Gerassimoff. Bin junges, von Leiilenschait, und Güte durchstrõmtãs Gesicht. eine wû,rme, überzeugte Stimme. Gerassimoff spricht som Fabrikschornstein, der den Himmelsirogen entzweireißen will, vom eisernen Takt d-er 'Ar_
Die Asche tliegt v'io Silbc¡staub binauf, erlischt Der Hochofen schútte'lt von seinen Flü¡¿eln der Funken . goldig.roten Flaum.-
Zentral-Proletkult, der in Moskau in der I{mVilla Morossoff untersebracht ist cliese Vilta ist ein Alp, ein Monslrum an geschmackloser; protzenhafter überladenheit, Kopie eines spanischen Schlosses in die nüchterne Wostlwischenka hinein gesetzt, Gotik und Maurisch und Renaissance durch- und übereinander, nachgemachte Muscheln, Taue und Schneclçen aus Stein Morossoffs einsl sehr gut - man soll bei q¡o steckt ihr, meine tieben, gegessen haben ich hoffe, es geht- euch gut, irgendwo in Europa, G¡uß von eurer Villa ! - Aber ich muß von vorn
beite¡welle. IIr verherrlicht Lenin, in dem er ilen .{rbeiter sieht, dessen Herz irn gleichen Rhythmus mit der Masse pulst; die Oktoberrevolution, die das große Rußland zur gcmeinschaftlichen Aktion hingerissen hat, und" deren Schwingungen clie Welt in Bewefung gesetzt haben. Âus einem seiner Geclichbl ¿õr l,nrütrlingsfabrik", setze ich ein paar, dém Woi.ilaut, nicht_ dem Rhythmus entsprechend übersetzte Strophen her: olm Eisen ist Zartheit, snielorischs Schneeickeit. lm goschliffenen leuchtet Lrebe., .tberrJrot, iìotqr*
J:îliili:'it
anfángen.
Im Zenftù-Proletkult kann man also zu sehen bekommen, was von den Intentionen der Prolet" kult momentan nt verwirklichen ist und zum Teil bereits verwirklicht wurde. Ich sah hier eine Auf-
führungsreihe des Proletkult.Klubs, und ích sah hier und. anderswo Ateliers für Malerei und Skulptur tler Proletkult. Hier läßt sich die Spannweite zwischen der ldee und der Durchführbarkeit genau verfolgen. Die ldee Ìresagt: es sollen keine Künstler mehr den zur tr(unstübung befåihigten Arbeiter im Malen, in der Skulptur unterweisen, dcnn es käme dabei ja doch nur eine schlechi und recht zusammenseschusterte Schul. arbeit, nachgeahmte und uoo-r.lor_ llichtung des Lehrers becinflullte Atelierkunst her¿us. Sondern der cinfache Arbeitcr soll in seinen Mußestunden tlie Proletkult-Werkstiitte aufsuchen, dort bekommt er Farbe, Pinsel und teinwand, und dann soll
und
des schrars
r¡lr ve*osreten Bruch Im Ei¡en ist Kraft, dénn mit seinem Fos,tigen SaJt ! o--
Hat d¿s Erz Giganten großgozogen.*
Dann: ,'Weißo Lohe, reifer Flachs, Schueeiser Dampf in_Krrgelsehwaden wie Schaum, wte e.rn brennorrder Haufen Heu .\T'iril der Hochoten von hehrem Licht beschienenl
I¡
ihrem Erkalten knetet die Schlacke
Traur¡en aus rosigem Korall, Ðer kleinen Lichilr Mohnkörner zittern In.dem schwarzsteinernen Kristall L0;4
105 ' ':ti:t :'::'t
'
.i¡,,, i&i::;, ..
':: er sich züechtstellerL was er malen will,
otler seinen Freund, tlen Soldaten, oder seine Geliebte, ilie -Àrbeiterin, auffordern, ihm zu sitzen, und ¿lann in Gottes Namen drauflos. Abe¡ da die Aus' 'Werken' der modernen, bildenden stellungen von Kunst allen zugângtich sintl, und der unverdorbene
schaffen; cle¡ Metallarbeiter aus dem Eisen oder Messing, aus d.em er Nägel und Zahnräder, der Holzarbeiter aus dem Holz, aus dem er Türen otler Stuhlbeine macht; auf diese Weise spll in clem Arbeiter ein neuès Interesse an seinem NIa' terial, das er doch besser kennt als alle anderen, erweckt werden und aus der Kenntnis tles Ma-
årbeiter in ihnen alle Kapriolen der Bx' pressionisten, Futuristen untl Suprematisten nach Herzenslust studieren kann, so wimmelt dietrVerk-
stålte der Proletkult auch ohne rlirekte Unter' weisung von seiten tler Künstler- von Bildein, ilie schiefe Tischptatten mit einem Teller Ilering und einer im Dreiviertelprofil dargestelltenFlasche zeigen, r¡on pythagoreisch als Tangenten mit tler Spitze in ilie Luft an quer durchschnittene Holztahmen hingewehten, vierfach verknüllten
Papiertüten in absoluter Farbe. Aber auch mancher brave, ehrliche akademische Porträt'
kitsçh, mühsam hingepinselt und zu E4tle gebrachtbefindet sich in der Reihe der ausgestelltenl(unstwe¡ke.
D¿bei macht sich der bittere ll{angel an Material auch hier spürbar; es gibt keine Farbe, keine Leinwand, wenig Kreide oder l(ohle, keinen Gips. IIin Gipsmotfell muß gleich wieder zerschlagen werden, um für ein neues clas Material zu liefern, I(artons sind vo¡n und hinten über untl übermalt tlieWerkstätten stehen jetlermannfrei* der Lust und Mut hat, bei 30 Grail Kälte und fehlenden Fensterscheiben Kunst zu produzieren. Eine interessante uncl, wie mir scheint, fruchtbare ldee der Kunstberaüer tler Proletkult-Bewegrng ist: der Arbeiter soll versuchen und angehalten werden, aup dem Materïal, das er am Tage in seiner Fabrik verarbeitet, Kunstwerke zu
rs6
'
terials und der Liebe zum Material eine neue Form der Kunstbetätigung und, wenn möglich, Gebikle von künstlerischer Vollkommenheit erwaihsen. Denn das weiß ja jeder Künstler, wieviel Freude und Anregung zum Schaffen das Material selber gibt, sei es nun der Stein, Ton, die Farbe otler das Wort. Hier. - so denke ich * weist clie Proletkult, ohne es zu wissen und'zu wollen, einen Weg zu den elysåiischen Gefiltlen Morris'. Die Klubarbeit cler Proletkult ist eines ihrer hauptsächlichen und erfolgreichsten Betátigungs', gebiete. Überall, auch in den kleinsten Orten :proRußlancls, in Dörfeln und Flecken, gibt es letarische Klubs, in denen junge Bauern, Arbeiter uncl Arbeiterinnen zusammenlcommen, Vorträge anhören, diskutieren, in denen Theater gespielt; improvisiert, gesungen und getanzt wird und cine neue Geselligkeit sich bildet. Der Klubabend in i der Villa Morossoff bot Darstellungen von un' gleichem \üert. Es wurde cla ein kleiner allegorischer Einakter von einem iungen Arbeiter gespielt, in dem vorgeführt wurde, wie tlie Entente den armen, unwissenden polnischen Arbeiter gegen tlen Roten Soldaten, der sein Brucler ist, vorwärts hetzt, und wie zuletzt der Rote und cler Pole tlie Entente samt ihrem polnischen \ Schlachzizenlakaien über den Haufen rennen. Die 1"07
rhyihmischenTlbungen nach derA¡t desDalcroze, die an untl fär sich wunderschönen Chorgesänge, wiecler ttas \Yolgalied, wieder die Internãtionaie, boten eigentlich auch weniges, was mit derProletkult und ausschließlich mit dieser zu tun gehâbt hätte. Junge Arbeiter untl Arbeiterinnen ¡ezitierten Geclichte, clie sie selbst verfaßt hatten. .'Tüirklich schön und. neu schien mir bloß eine übung gesprochener Chöre zu sein, in denen aus Stimmwirkungen, Stimmklang und aus musikaliscben, aber den W'ortsinn nie verletzend.en sondein heraushebenden Motiven Wirkungen erziel| wurd.gn, die ein völlig'neues Kunstgebilde aus eineni neuen ansprêchenden Massengefühl erstehen ließen. Das Gedicht, das auf solche Art rezitiert wurde, war eine Verherrlichung des populären Instrumentes der Ziehharmonika. Der Dirigent,'der, wie mir gesagt wurde, diese neue Kunstgattung bis in ihre letzten Möglichkeiten erprobt uncl vervollkommnet hat, hieß Sergesnikoff.
Oktober tagte in Moskau der alljährliche IJm Kongreß der Proletkult die oberste Behörrle - wurde der Bewegung selber. Es da die Not-
wendigkeit erörtert, Klubs untl Sektionen der P:oletkult zu aktiverer Beteiligung an den großen offiziellen Festlichkei,ten der Sowjets zu veranlassen. Die Kunst soll mit allen Mitteln zur Massenkunst und auf diesem Wege zur Monu, nentalkunst werden. D. h.: es sollen durch die ilÍasse Wirkungen auf clie Massen geübt werilen. Ich sah dann eine solche Massenaufführung, aa der sich die Proletkult mit Sprechchören beteiligi hatte, am dritten Revolutionsfeiertage in
tog
n
Petersburg. Hierüber berichte ich sogleich. Vieles andere noch, eine Unmasse von Anregungen ging von diesem l(ongreß der Prolethult aus" Ich habe es selber erfahren, wie schwer Orgam" sationen zur Schaffung proletarischer Kultúr auf' zubauen sind, ehe das Proletariat noch die poli-
tische Macht erobert hat. Aber auch in Rußland" wo das Proletariat die Machi bereits in Häntlen hält, bleibt tlie ProletkulL von all' den schönen qnd hohen Dingen, die heute clie Seelen desVolkes bewegen, das Schmerzens- und Sorgenkincl cle¡ tverdenden neuen \Melt.
Chaos der Kunste Augenblick, in clem du den Fuß auf russische Brde setzest nehmen wir an, tlies geschieht - Petersburger Nikolai-Bahnhofes am Ausgang des siehst rlu clich bereits gierig nach der Kunst - neuen Rußlands um. .Denn, nicht wahr, du des :weißt es: hier hat clas'trVeltratl eine Drehung beschrieben, ein neues Volk bewegt sich tlurch ilie Straßen, da möchtest du doch sehen, wie die KünsUer die veränderten Gezeiten empfuntlen, miterlebt, gestaltet haben, und wie das äußere Bilcl Rußlands, das durch clie Revolution so gründlich veränclerte, durch die Begeisterung der Künst" ler verschönt worden ist ? Das erste, was du auf dem Newski-Prospekt erblickst, ist eine riesige Holzbaracke, eine Estrade und Rednertribüne, die Holzverschalung des mont strösen Trubetzkoischen Pfertles mit dem Zaren .*,"Arlgxancler III" clarauf" Dieses Denkmal, so wurde
fm
I
109
,.]
I
dir
gesagt, stellt ein Nonplusultra an Flumpheit uad Àbgeschmacktheit dar, und tlu beklagsü es darnm nicht allzusehr, daß die blauweiße EolzÈoasúruktion clen Prinzipien der Ästhetik aucl¡ nicht ganz entspricht. In Klammern stehe hier die Bemerkung; eine der erfreulichsten Veränderungen des Moskauer wie des Petersburger Stadtbildes wurde dadurch hervorgerufen, daß die Bolschewilci eine Unzahl schlecht empfunclener und schlecht gestalteter Denkmäler einfach weggeputzt, zertrümmert, von den Piedestalen und Postamenten fortgesprengt haben, Zaren, Feldherren, Adler usw. Das Ðenkmal Peters des Großen, Katharinas in Petersburg, Minin uncl Posharskis in l\{oskau ist stehen geblieben. An Stelle des Skobeleff erhebt sich jetzt rler Obelisk der, Oktoberrevolution. TVeiter oben auf clem Newski gewahrt man, an die winkligeTreppe desehemaligenStadthauses geschmiegt, eine riesige Stele, die von dem überIebensgroßen Kopf Lassalles gekrönt ist. Dieser Lassallel:opf, der rnehr an Brutus als an Lassalle gemahnt und aus dunkelgrün getöntem Gips ist, ist eigentlich * außer denbeidenMarmortafeln mit iler eingravierten Sowjet-Verfassung im Smolnll .- dasSchönste, was ich an neuerKunst in Rußlantl übe¡haupt zu sehen bekommen habe. Indes, so stark und bedeuiend er aueh erfaßt. so wildmonumental die Dämonie des Tribunen in ihm auch zum Ausdruck gebracht ist, als Kunstwerk sfellt er , nichts Außerordentliches dar; mein Freund Totila Albert macht rlies weit besser. Ðer Kopf ist aus Gips und clie Stele aus gips" bestricheûem [Iolz. Sonderbar: rliese steile Stele, *lie vier übereinander gettirmte Quadern vor-
llt
-
_
täuscht, scheint ín ihren Bestandteilen gar nicht rfest gefügt, die oberste Quader hat einen Stoß abbekommen und ist sicbtlich verschoben. Wenn man annimmt, daß diese Verschobenheit durch Inkonsistenz des Maferials oder durch einen gegenrevolutionären Faustschlag verursacht sei, neuen geht man fehl - der¡n man wird an vielen Denkmälern dasselbe sich wiederholen sehen: die Postamente, auf denen sich cliese Denkmäler er" heben, sind verschoben und aus tlem Gleichgewicht gerückt, womit ausgedrückt werden soll; tlaß überhaupt tlie Grundlagen dessen, was wir als Ruhm, Ewigkeit, Menschengröße anzusprechen gewohnt waren, in den letzten Jahren einen Stoß erhhlten haben wie von einem moralischen Erd* beben, unrl daß sich unterdiesem atmosphäri' schen Druck die Quadern, die den Gedanken stützten, verschoben haben.
- Marxclenkn'iü1":Unendlich viele Büsten, Köpfe, Profilg in Lebensgröße, i r riesigen Proportionen I \{as haben sie aus oir ge" Marx.
macht, armer l\{arx, die Künstler des kommunisti-
schen Rußlands. Einmal stehst du da, ein eben vorgerückter Kanzleirai mit von Regenwasser bis an den Rand gefülltem Zylintler an der Braten' rockhüfte. Das andere Mal bist du ein kleiner beleidigter rechthaberischer Bourgeois, der sich auf die ,Spitzen seiner polierten Stiefelchen reckt, um clie Wichtigkeit seiner Person augenfällig zuni .Ausdruck zu bringen. Aber auch als assyrischen Löwenkopf, als Sonnengott mit-zerflatternder Mähne und Fächerbart kann man l\{arx dargestellt sehen. Das.Absurdeste, was ich an Darstellungen Marxens zu sehen bekam, war ein riesiges Bild, das auf dem Kongreß der professionellen Schu111
len hinter dem Rerlnerpult an tlie Wand genagelt hier war Marx buchstä,blich auf seinen w&r er hatte seinen f,orbaeren ruhentl clargestellt gewunden, Gesåtß um das spifzen Lorbeerkranz der Künstler hatte sein bißchen Grün nicht mehr oben anzubringen vermocht, so brachte er es nnten an. 'Wo sincl denn die wirklichen Künstler geblieben, die das Stadtbild zu verschönern, die es auf ilen Grundton des neuen brausenden Lebensstromes zu bringen vermöchten? Hat die Revolution die Künstler nicht zu brüllender Bkstase angefacht unrl aufgepeitscht, so tlaß sie sich in rasendem Ungestüm auf die Staclt zu werfen, sie mit den Farben ihres Begeisterungsrausches zu überschütten, sie in clie t-ormen ihres übe¡schäumenden Dranges zu pressen und neu zu modeln versuchten ? Ich habe Denkmäler gesehen, die, wie das des ermordeten Wolodarsky, von einem Dachdecker hätten herrühren können. Andere ïvaren auf Bestellung in zweimal vierundzwanzig Stunden zusammengeschustert. Eines allerdings rührte von einem echten l(tinstler her, aber ich muß seinc Entstehungsgeschicbte erwähnen, sie scheint mir charakteristisch. Das Werk war ursprünglich auf dem Roten Platz vor dem Kreml aufgestellt gewesen und ist jetzt im ,,Brsten'Proletarischen. Museurn" aufbewahrt. Sein Schöpfer ist Konjen" kow und es stellt clen Volkshelclen und Ataman Stenka Rasin mit seinen sechs Gesellen nebst der ,rpersischen Fürstin" tlar. Auch dieses Denkmal ist nicht aus der überschäumenden Begeiste'
rung für das Volk und seine wirklichen Heldea, für clie Legende des befreiten Volkes, die jetzt statt der Zarengeschichte auf den 11?
Thron des Gewissens gehoben woiden
íst, entstanden, sondern auf Bestellung der Kosaken, clie zu ihrem Fest auf dem Platz vor dem Ifueml ihren Stenka haben wollten senau an der Stelle, wo Stenka und seine -Heli*ershelfer hin-
gerichtet worden waren, der ,,Lobnoje h{jesto.,, einer kreisrunden, von Gitter umgebenen Steinestrade vor der Kathedrale Wasliti Blashenni. Dje Kosaken gingen zu Konjenkow und sagten: ,,1(onjenkow, Ìì.ußlancl ist frei, mache uns den Stenka und die Sechs um ihn herum, und vergiß tlie persische Fürstin nicht", sagten áie t(osatén. ,,Wir wollen dann das Ganze auf der Lobnoje Mjesto aufstellen zu ewigem Ged.enken." ,,Gut,,. sagtc- Konjenkow, ,,bringt mir ein Faß Schnaps und rich mache euch den Stenka." Die l{osaken braihten den Schnaps und warteten auf ihren Stenka. Ein paar Tage vor dem KosakenTest ging_en sie zu Konjenkow und fragten nach Stenka. Konjenhow hatte noch nichtJ gemacht, wecler !!enka, noch die Helfershelfer, geschweige denn clie l-ürstin. ,,Ich brauche Schnaps, sonst karur ich nicht',,Hundes,ohnt" arbeiten", sagte l(onjenkow zu den Kosaken. iagtel dìe Kosaken, ,,du hast das Fäßchen leergesoffen und nichts gemacht?" Aber sie brachten cloch wiecler Schnaps, und nun machte Konjenkow ¡asch aus einem Baumstamm, d€n er ¡ôh zu¡echtzimmerte, den Stenka und bestrich die Ritzen mit eilicher Farbe, nahm dann einen anderen Holzklotz und. setzte sechs kleine viereckige Iilötze, grob zurechtgezimmert und bemalt, auf ihn hinauf : das waren die Köpfe der Helfershelfer. Unten aber, zu Füßen des Baumes Stenka, des Baumstammes" der Stenka, den Ataman, immerhin mit einer geniulett 8 Eolitsch er, Droi Monate ia Sowjet.Rnslancl 118
1:
i.
il i i.r
Erutalitåii und gewaltsannen, Etwas ausdrück+:.r-, clen Koloristik it¿rstellt, untæ.n liegt aus Gips, weiß snd rosafarbig, àierlich geformt, die persische Fürstin in naturalistischer Brunst hingegossen. Ðas. ûanze steht jetzt; wie gesagt, in jenem ,,Proletarischen Museum", einer Villa, in der alle¡hand wunderschöne Bilder, Porzellane, i\Iöbel und Kunstgegenstände aus dem Besitz geflohener Aristokraten und Bourgeois zusammengetragen sind. Wenn man zum Tor hereink'ommt, sieht man in einer magisch panoptikumhaflen Beleuch[ung," von oben herunter bqschienen, die persische Prinzessin in gipsener Anmut hingestreckt - man h4t einen Bffekt zu überwinden, so als ob man da in das Haus irgendeiner l\Iadame lllelanie geraten wäre aber dann bemerkt man den -, hinter tter Gipsfigur und sieht, hölzernen Stenka daß das hier wahrhaftig ein repräsentatives \{erk cler neuen revolutionären Volkskunst Rußlanrls darf. genannt - Etwaswerden Ä.hnliches, barbarisch gewalttätig groß
muß am Anfang der Revolution auf tlem Ochotni Rjad zwischen dem Theaterplatz und der Universität in Moskau zu sehen gewesen sein. Man entdeckt noch Spuren. Auf diesem langgestreckten Platz steht eine Reihe ebenerdiger und stockhoher Gebëiude, Verkaufsbuclen, in denen ehemals W'ürste, Tee, Honigkuchen untl nallerlei Leckerwerk zr kaufen gewesen war. Als zugleich mit dem Privateigeritum all' ilies mit einem Knall zertritnmert in clie Lufi ging, kamen tlie Futuristen mit breiten Pinseln daher, löschten oder strichen den'ganz,en Platz Geclachtes
ans, bemalten einfach all' clieseBuden undHäuser' ehes kreuz tnd.quer mit lVellenlinien, farbigen 114
und Kurven von oben bis unten" von rechts nach links untl zurück. Da die Farben leidei schlecht waren, sieht man heuLe nur noch der Länge nach über drei Buden weg eine gifh blaue \Velle sich aùfbäumen, anderswo eîne rote zickzackf.örmig zum Pflaster niedersiürzen. Die Bolschewiki, Lunatscharsky an tle,r Spitze, haben in der Bile des Umsturzes die Fuii;r.tten, Kubisten und all' die anderen Atelierrebellen mit richtigen Iì.evolutionären verwechselt, nämlich mit solchen, in denen der Ðrang, sich gegen tiberholte und verknöcherte Gesetze aufzulehnen, tiefer und bedeutsarner lebt als bloß im ilandgelenk, womit sie ihre Pinsel, uncl clen Kinnbacken, mit denen sie ihre F.eden gegen den unverständigen Ïrürgerlichen l(äufer führen. Erst nach ungeführ anderthalb Jahren sahen die Bol. schewiki ihren lrrturn ein; sie wurden gewahr, claß zwischen den extremen l(unst¡icht,ung'un ooá dem Empfinden des Volkes gar keine Verbindung bestand, und daß das Volk sich sturnpf gaffend_ aber gleichgültig, wohl die Purzelhäume an clen Straßeneclren gefallen ließ, in seinem revolutionären Trieb aber durch all' diese Kapriolen nicht im. geringsten bekråiftigt und angefeuert wurde. Da kamen dann die Dachdecker und Maurerpoliere an Stelle der Kubisten und Futuristen und verübten Kunstwerke auf ihre Art. Jetzt sieht man auf öffenilichen Plätzen und in ölfenilichen Gebäuden eine biedere, nichtssagende Dutzendkunst sich breitmachen und fühlt sãhnærzlich. daß hier eine Gelegenheit versäumt worden ist. _. Ausstellungen,sah ich in Moskau, in de,nen Kantlinsky bereits als akademischer Klassiker tiberholt war. In soleh' einer Auss-tellung .war ein SaaJ Bogenr: Zachen
.
[15
einem Känstler eingeräumt, dessen Namen ich vergesse& habe, der aber Gemälde wie dreses m¿rL: eine 'Iafel, schwarz, in der Mitte ein schrva¡z lackierter Kreis, glàinzend schwarz, der von einem maltschwarz laclcierten durchschniit'en rri¡d. Eine andere lafel zeigt aul blauem Grund einen.geraden Strich von gelber Farbe.quer von -links nach oben rechts. Fünfzig andere ürüer îaleln einer neuen Kunstn die das Primrtive, rvie mau sieht, mit Erfolg suchl und ?u finden gewußt ha[, beclecken die WAnde' An der lVlitt'elwand', 5lsþen.en$ .aber hängt das Manifest des KünstJ.t5; .
beschr:ietierne Schreibmaschinenseiten, lJurch tliesq ;Ausslellung führte an einern Sonntag, als ich sie besuchte, ein junger Volkskommissari¿tsbeamter die das mit bewegter Stiuune eine Arbeiterg*ppe, -.Vtairite st ehrlurch ts v o^l auhö I te und vor gelrag ene wie der oine schwarze Kreis zusah, darur ser¡et clen anderen durchschnitt.
I lTan wirft denBolschewiiri überhitzten Drang IVI u"i der Eriüllung ih,r'er Erziehungsbest'rebun'
vor. Man ruft ihnenzu: ihrübertùltertdas Volk Das Volk schatft sich sein Brot selber, ihr aber stopft i,trm Schaumkuchen in den ltachen, bis es sich übergibtt In Pelersburg leiLete, als ioh zuleLzL dort war, eine Ausstellung irn ehemeligen tilinterpalais eine für den Winter und die kommèn¿eu Jahreszeiten geplante Ausstellungsreihe ein. ln dieser ersten war alles E¡denklicne zu' sannrengetrage'n: Lheaterkunst, Kinokunst, ein Propa gauda w ag gon f är erw aç-þsene Anal p habe ten, Ge¡ìauchs- unrl Luxustöpferèien mit deu SowjetHmblemeo, eine Nlode¡rschau (l) mit neue¡r I(o" stiLsaeu und Hüten aus $amb, aut denen der
geu
irit Kunstt
r1Ë
'Ifammêr und tlie Sichel der Sówjets in eher áb' scheulichen als anmutigen Omamenten angebracht waren * tür die Sowjet'Bourgeoisie er' sonnen unrl angeferïigi * ein Sammelsurium aus moderner Malerei, Plastik, Schularbeiten, Buchdruckausstellung, Hertrarien, primitivem Ï{aus' gerät, außerilem ein Saal mit Entwürfen für ilas geplante Liebknecht Luxemburg-DenkmaJ. All' clies sozusagen inkrustieri in das Museum der Revolutioru zu dem die Prunksiile tles ehemaligen Zarenpaìastes jetzt umgewanrìelt sind. Aus all' tliesem Tohuv¡abohu habe ich mir zwei Dinge gemerkt und herausgefischt: das e¡sto isf rtaß Ín tlie Akattemien ieclermann aufgenommen werden kann untl fnuß, der von der Straße hereinkommt uncl l(unstübung orlangen ocler er" Iernen wilt. Es meltlen sich in der Tat ÏIunclqrte von junþen untl älteren Leuten, Arbeitern, Studenten, Angehörigen cler Sowjet-tsehörrlen rrsw" ; von all' diesen aber erscheinen in der Klasse
kaum vier ocler fünf, denn wer hätte nach tler täglichen Arbeitszeit uncl der Last und Qual der Lebensmitteleinholung noch Lust untl Spannkraft zur Kgnstübung ? ist ein Das andere aber war Tatlin. - Tatlin junger Künstler, Professor an der PetBrsburger Akademie, der clie in wahrer Bedeutung des Wortes geniale ltlee gehabt hat: ilaß in einem Zeit' alter, in tlem die Maschine den Menschen .überflügelt, vernichtet, zertreten untl zllsammenkartätscht hat, eigentliòh die Maschine als Motlell viel interessanter sei als der Mensch selbst. Tatlin schafft infolgetlessen Denkriräler für,l{aschinen t¡ntl nicht mehr Akte. Die Struktur tles menschlichen Körpers erleidet, durch clas Temperament 1.X7
eines æooilem.en Kürrstlers .gesehen, gewisse Verä'nderuagen darf man es Tatlin nicht ver- somit â#ø, rvearì seine Maschinendenkmäler auch keine l{aschinenkörper, sondern Quintessenzen con &{ascåinen vorstellen. Tatlin konstruiert diese K¡¡sstwe¡ke, die man in Moskauer Schaufenstern sie is Petersburger Akademiehallen anstaunen
tann; natürlich nicht aus dem
herkömmlicheur
&faterial Ton, l\Iarmor, Bronze, sondern aus Latåen; ausgedienten Wasserleifungshähnen, Blechbüchsen, Gummischnullerrr, Mikroskoplinsen, Schürhaken, geborstenen Treppengeländern, Ich traf ihn im Winterpalais, wo er vor eirter seiner Kompositionen, -die er,,Konterreliefs" nennt, einer Schar zusammengeströmter Soldaten, Arbeiter unrl Arbeiterinnefi aus der Sowjet-Eourgeoisie ginen Vortrag überldas Prinzip der M¿terialkunst hielt. Oscar Witde hältte 'sicher den größten Genuß beim Betrachten der I(unst Tatlins gehabt, denn Tal.lin bestätigt ja sein Par¿dox: daß nicht die Natu¡ die Kunst schafte, sondern die l(unst clie Natur. Mich hat Tatlin von der Stichhaltigkeit rlieserMeinung vollständig überzeugt. Denn wo icb seit dem Tage, an dem ich sein Werk zuerst vereinigt sah, ein,em Haufen von zerbrochenen Geblauchsgegenständen, ausrangierten LokornotÍven, vor Müdigkeit umgesunkenen T¡,ambahnrvagen, in ihre.Bestandteile zerfallenen Bretterbuden begeg= net bin, sagte ich mir sofort: Tatlin. TaUin ist ia'der Tat der repråisentative Künstler .diese¡ Zeitepoche und über dem Tempel seine¡ Kunsf *teht das rudsische Wort: Remont. Er hat.jetzt in Petersburg ein Denkmal für rlie Сifte Internaiionale,. rl.b. den En[wurf zu diesem r1E
DgAkmaI ausgeste,llt" Das Denkmal soll an die 300'Mete¡ hoch v¡erden und an seiner Basis etwa 100 Quarlratmeter- messen. Man stelle sich vor, claß irgenilein Titan tlen Eiffelturm beim Nacken ggpackt uncl ihn mit einer Armwindung zur Spirale um- untl umgedreht hat, In den Raum, den tlie Spiralkreise offen lassen, hängt nun Tatlin .mit übereínantler vier riesige Gebilde aus Glas Rippgq aus. Bisen und Beton. Ðas unterste größte ist ein Zylinder von etwa 80I\{etern Durchmesser, in dem sich der Kongreßsaal iler Dritien Internationale, außeldem Säle für Schreibmaschinisten, Leseräume, ein Theater uncl ein Restaurant be' finden sollen" Etliche 30 Meter über tliesem Zylin' cler ist eine Pyramide anggbracht: in ihr finclen clie Sitzungen der Exekutive statt. Darüber wieder ein schon etwas schrnälerer Zylincler, in dem die Radiostation, ein Ifinosa¿l und ähnliche Lqkatitäten untergebracht sind.' Iloch oben aber eine Hathkugel: die Licht' und Kraftst¿tion. Diese vier Gebilde aus Glas, Eisen und Beton drehen sich unaufhörlich um ihre Achsen. Der Sitzungssaal der Dritien Internationale einmal irn Jahr, tlie Exekutive einmal im Monat,'die Radio" station einmal am Tase und die oberste Halbkngel einmal in cler Minute. Alle vier Gebilde werden nach dem Prinzip der Thermosflasche ge" heizt. Die Drehbewegung erklåirl sich aus dern Gedanken, tlaß clie Dritte Internationale ein Orga" nismus ist, der sich in fortwährender Bewegung befinclet, nichts Stabiles vorstellt, eher einem Himmelskörper vergleichbar. Dahei ist auch hocb oben die Spitze des Turmes mit den Antennen wie ein Tel,eskop schief nach den Sternen umgedreht u¡rl weist ins Unentlliche. Ich fragte einen Aposteül 1_1$
Tatlins, dg¡ arir das Modell erläutertè, nach der' Krafi, dierdas Monument in Bewegung setzen
sollte. tr)er junge Mann kroch sogleich unter das Podium und begann eine l(urbel ar drehen, .¡rorauË oben die lnternationale in clie eewünschte Rotation geriet. der Stätlte hai wenig zu essen, also Tìursoll!-olk I-l es wenigstens an Zft zenses keinen Mringel
Ieiden In den Opernhäusern entfalteÍ sich
all-
abendlich Poinp und Farbenpracht der ehemalig kaiserlichen Opernausstattungen. In dem wunderbaren blau und silbernen MarientheaterPetersburgs, in clem nicht minder wunderbaren rot und goltlenen Großen 0pernhaus Moskaus sah ich nnanch' eino meisterhafte Aufführung rler populärsten Werke von Rimsky-Korsakoff, Borodin, Seroff, Glinka, den ,rPrinzen Igor", ,,Sadko" uncl ,,Die Macht des Feindes", dann auth den ,,Barbier" von Rossini, ,,Lakmé" von Delibes und anderes. Das Orchester ist vorzüglich, zum Teil spielen die Solisten auf kostbaren, der ehemaligen Bourgeoisie weggenommenen Instrumenten. Der Kapellmeister sitzt im Frack da, seine Schar in ilerBuntscheckigkeit ihrer übriggebliebenen Garilerobe. SängerundSängerinnen erfüllen ihreAuf. gaben augehscheinlich mit großer Hingabe, von dem inbrünstigen Enthusi¿smus der neuen Zuhörerschaft mitgerissen. Denn clas Publikum der Oper ist ein ganz neuartiges: Soldaten, Arbeiter, Kinder von Kindern, Tausende von Kindern - ScharenRängel füllenralle Nach tlen Aktschlüssen hallen ilie prächtigen Håuser vom Jubel der entzückten Zehörer wider, Kintlerjubel mischt sich in die. brauseaden Rufe, die-die beliebten Sänger uncl
u0
Såingerinuen hervorlocken. Zum Paroxysmus àber
steigeri sich tli,e Freucle nach den Ballelten. Ich kann es wohl sagen, ilaß ich in meinern gùnzen Leben nicht so viel habe Ballett lanzen sehen wie im ersten Monat meines Aufenthaltes in Moskau. Und zwar waren dies gar nicht die Ballette, tlie wir in Europa als russische Ballette bestaunt haben, sondern clie guten alten ,,Divertissernents", in denen 50 Damen in Tüllröckchen, mit rosa.tarbigerr Trikotfüßchen uncl das çontleu"
in seidenen Höschenr vor der Rampe wirbelrrden Beinen Sprünge. mit beschreiben. Aucb hier kannst clu die Namen der meistbewunderten Künstler aus tausend enibu" sia,siischer Kehlen Geschrei erfahren, und w¿s Gott, ich muß den Heumehr ist - nein,Bsweiß gang erzählen: war nach dem ,,Schwanen' teieh" Glinkas, da erschie,n auf der Btihne plötz' lich ein in der altøn Zaremlivree steckender Theaterdiener unil schleppie aus den l(ulissen einen riesigen Korb mit Orchideen und Chry' santhemen heraus. Oben in der linken Bcke war mit einem Seidenmäschchen ein Biiefchen an den Henkel befestigt. Aus der entgegengesetzten Ku" lisse hüpfte Katharina Geltzer zum Korb herbei unil bedankte sich mit Kußhändchen. IiVir in unserer Loge, ich saß mit clen Türken, Öster¡eichern und. Amerikanern da, vergaßen den Muncl offen vor dieser voroktoberlichen Ehren" bezeigung, oder wie man es nennen wil! I Der Metallarbeiterverband Peterqburgs hat sich in seiner letzten Jahresversammlung darüber be' schwert, claß die Regierung der Sowjets mehr Gekl für Ballette ausgebe als für clen Verband der'Metallarbeiter Rußlands. Unct ich hörte Künstbare Wesen: Ballettåinzer
1åt
ler Klage fthaen tlarübor, daß tunatscharsky-in unbegreiflicher Ve¡irrung Ballettgesellschaf ten im ganzel Lanrle herumhetze, wo tloch die Bauern' weiber sich vor den nackten Beinen bekreuzigten und davonliefen . . ", so veistehe rler Volkskommissar für Volksaufklärung die Verbreitqng cle¡ Kultur untl die Erweckung tles Bildungs, triebes in tlem kunsthungrigen Volk I Dies stellt natürlich eine böswillige Verclrehung rler Tat.sachen vor. Wa,hr ist, claß das russiscbe Volk q¡ie 'kein zweitps der ltVplf den Tanz pflegt, daß bei den Russen die' F'reucle an der,Körperbewegung, an wilden und an gernessenen Rhythmen ,der Glieclmaßen als ein Element der Volkskunst gel=. ten kann. Daran hat der Ernst der.Zeit unel der * Hunger nichts geäntlert. Im Gegenteil * æ. ist jetzt vielleicht eine Wildheit und Zügellosigkeit wach, clie es einem begreiflich macht, daß tlem Volk eine immerhin zur l(unst erhobene Form tler Bewegung gebändigter l(örper vorgeführt werden muß, um es'zu entzücken. Eine andeie Frage ist es, ob die Regierung nicht b,esser daran täte, ihr Augenmerk liebevoller auÍ das Schauspiel zu richten als auf das Ballett" Staunend las ich tlas Repertoire der Moskauer Bühnen rlurch. In den Monaten meiner An wesenheit spielte man folgbnde Stücke: ' ,,Was lhr wollt" von Shakespeâre; ,,Locandiera" von Golcloni'; ,,König Harlekin" von Lothar; ;,Sintflut" von Berger; ,,Cyrano de Ber.gerac" von Rostand; ,,Adrienne Lecouvreur" von Scribe; ,,Ein Gtas Waiser" von demselben; ,,Das Heimchen am Herd" von Dickens; ,rDie Hoffnung auf ,Segen" von Heyermans und den ,rRevisor'Í. von Gogol. L22
Iõh'wa¡ einigemal in Stanisl¿wskis ,,Künst: lerischem Theater" 'an der Kamergerski uncl in seinem ,,Ersten Studio" auf dem Platze an dev Twerskaja, wo er seine jungen Künstler spielen läß1,. An einem Nachmittag setzte ich mich dann mit ibm selber, dem scharmanten Menschen und großen Künstler, diesem wahrhaftigen Erneuerer des modernen The¿ters zusammen untl ließ mich über die Nöíe und Hoffnungen des russischen Theaters 'belehren.
Stanislawski (der politisch als wenig zuver' lässig gilt) hat den Mut verloren. Er erklärte mir lriurig:, das neue proletarische .Pubtikum komme ebensowenig in sein Theater, wie tlie proletarischen Dichter brauchbare Stücke ein" reichten. Bei.-des gebe es also nicht. Dio Kunst wate wie das private uncl öffentliche Leben durch einen Sumpf; durch die A,uflösung, und es sei nicht ab¿usehen, wann es zu einer Konsolidie' rung kommen könnte. Ðaß die Konzentrationsl möglichkeit für die Künstler der nächsten Genera' tionen.verschwunden sei, und daß es nun nur gälte, zu vegetieren und ano Leben zu bleiben" Ich konnte StaniSlawski den Vorwurf nicht er' sparen, tlaß er sein Publikum nicht erziehe, es nicht in sein Theater.ziehe dadurch, daß er ihm ernste untl ¡vichtige Stücke biete, wie zum Beispiel Strintlbergs,,Damaskus"-Drama oder Tol' stojs Alterswerke, die wir jetzt in Berlin hätten' Erschütterntl tirach da die Bitterkeit aus Stanis' lawski hervor: ich muß ja meirten.,Schauspielern trnr den Hals fallen, sagte er, wenn sie überhaupt zu den Vorstellungen kommen; zebn Werst zu Fuß ins Theater und durch die Nacht zurücky hungrig und frierend uncl erschöpft. * Byrons 1-2S
,,Kain" wollúen wir jüngst aufführen: der Dar. steller rles Kain fiel bei den proberr vor Er. schöpfung einfach um _- wir können nur Stücke spielen, in denen die Lebensgeister der Schaus_pieler wie der Hörer durch das leichte Spiel der Phantasie beschwingt, heiter gestimmt wer, {qn Darum spielen wir ,,WaJ lhr wollt,,, Dickens, Goldoni, Man gibt uns ja au.ch gar keinen S_toff zu Kulissen; Kostümen. Die KonËt, .unsere Kunsi, soll wohl zugrundegehen, von den J(üngtleru- nicht zu sprechen.
Im ,,Ersten Studioif sah ich dann, wie Stanis" lawskis Erfinrlungsgabe aus dem Erreichbaren, uncl Möglichen sogleich neue Wege der Bühne. Janel und feststellte. Dieses ,,Erste Étud¡o,, ist ein langgestreckter Saal niit aufstcigenden Stuhl" 'yeihen. Es hat wohl einen Vorhang, aber keine Büåne, keine Rampe; der Schauipieler liiuft, wenn die Laune ihn treibt, mitten ins parke,ii binein. fn ,,Was Ihr wollt,t spielten sich ganze Szenen auf der Bühne, irn ZusðtrauerrAuïr¡, Ja sogar draußen im Vestibül und in dcr Garderobe
ab." In der Zweikampfszene jagten sich clic Schauspieler buchstäblich durchs ganze Haus und das Publikum raste vor Vergntigõn, als von draußen, weit von der Treppe her der Wortwechsej zwischen Junker Bleichwang und Sir' Toby in den Saal herein scholl. Von einer Drehbúhne konnte hier natürlich keine Rede sein dieser - von Not half Stanislawski durch ein Systcrn an cler Decke angebrachten halb- und viertelkreisförmigen llisenstangen ab, über clie bei Szcnenwechsel in voller Beleuchtung Rupfenvorhlinge an Ringen sich schoben untl dadurcli eirr Segnrcál cler Bühne verhüllten - ohne daß die lllusiõn für
124
eiñen Augenblick gestört worden wäre. Hier sah ich einen Malvolio, der, wenn.er am teben bleibt, der erste Schauspieler ßußlands wer{en könnte, ein junger Chargenspieler Tschechow, ein ltirtrrn" lisch erschütterndes Geschöpf votl tiefstermenschlicher Trágikomik, in einer tr{aske, die allertlitrgs tlie Natur ihm für diese eine Rolle verliehen zt¡ haben schien. Es gibt in all den,größeren Stättten ßußlands Theater, die ausschließlich clie politische Satire pflegen. In Petersburg sah ich solch eine poli'
tische Satire in einem l(ellertheater, das den Namen ,,Der räudige Hund" führt. Auch hier spielte sich die Fl¿ilfte des Stückes im Zuschauer' raum ab. Auf tler Bühne sah man eine Art Börsenhollegium, das mit Menschenfleisch hanclelte. Der Fabrikherr, der General mit pltos' phoreszierendem Totenkopf erschienen naclteinande¡ und bestellten Arbeiterheere und Kanonen' stürzten sogleich ins Publikum hinunter und holten einen Prachtkerl, eiñen jungen Proletarier herauf, der als Muster für die zu liefernden }lel
futter. Die I'Iäscher der Börsenkönige
lqF. i
il
l':
schì¡6 von ilen Börsenkönigen einstrich., Madame bfelanie erschien, mit - Federn, Schmuck und' Seidenkleial angetan, und unterwarf mit einem Opernglas von der Bühne herab die anwesendenСrnen näherem Augenschein. Bndlich hatte sie ilie Richtige erspäht. Die Schergen stürzten auf einen Wink der Börsenkönige ins parkett hinunte¡ und holten ein junges, reizendes, schrill
schreiendes und verzweifelt zappelndes deschöpf auJ die Bühne hinauf, das-dann von Madame einf¿c-h unter den Arm genommen wurde und hinter
ilen Kulissen verschwand. Am Ende
"
versagte Donnerschiag
plötzlich das elektrische Licht, ein schättelte die Kulissen durcheinander und blut_ rot, zwischen feuerspeienden Fabrikschlöten stieg der fünfzackige Stern der Sowjet-Revoiution tiber dem Trümme¡felde der Börse in die Höhe. Das Publikum dieses Theaters bestand. zum grö0ten Teil aus Matrosen der lì.oten Flotte. Oben .abe¡, über diesem l(ellertheater, irn Ertlgeschoß des. H¿uses,- spielte man derweilen einã phan-. tastisch herrlich kostbar ausgestattete Spielàperi ;,Den goldenen Drachen,, von Âuber, uld zwar vor einem Publikum, das an Bürgerlichkeit des Aussehens, Geschmacks und Belneh¡nens gar keinen Zweifù in bezug auf seine versteckten Spekulantenverdienste zutieß.
_
'fch
muß hier noch über das Massentheatpr beÅ richten. EinerAufführung unter freiemHimmel
,nach den neuen Prinzipien der politischen Àtassen,knnst wohnte ich am Re volutionsfeierüag petersin barg bei. Es war die Aufführung des hiîtorischen Sch.aæpiels :,,Die Erstürmung des Winterpalais... Wir hatten uns; eine kleilne Gesellscûaft, in
'
der,sich auch Alexantlra Kcillontai und ihr-Sohn befanden, gegen zehn Uhr in das Gebäude des ehemaligen Staatsarchivs begeben und salten aus einem Fenster das Drama rror unseren , Augen abrollen. Ich wilt über dieses Brlebnis ausfülrrlich berichten, denn was ich ila zu sehen bekam, war nicht allein etwas in seiner Ungeheuerlichkeit, seiner wilden Monstrosi[äi Unvergeßliches, zugleich Scha,uder und Bewunderung Brregen" des, sondern auch darum, weil in dieser "Ari des Theaterspielens sich zweifellos etwas Zukünf.unsere Vorstellungen tiges ankündigt, ilas alle vom Theater umwälzen muß. An diesem lìevolutionsabencl wurde ich auch der Ursache inne, warum bisher alle Versuche des Massentheaters scheitern und, nachdem sie Schaden die Fíille angestiftet haben und es jetzt noch tu4, ver' schwinden müssen. Im Mittelpunkt des Lebens tler Stadt stand im Mittelalter die Religion. Die Schauspiele, die auf den'Brettergefügen der Marktplätze Engel, Dämonen, Bischöfe, Kaiser, Bürgersloute, Huren und Landsknechte in Aktionen mtt- und gegeneinander zeigten, waren religiöse Mysterien. Heute steht im l\{ittelpunkte des Lebens der Siadt, des Erlebens cles Volkes die Politik. Das Schauspiel am Revolutionsfeiertag ctarf mit Fug ein politisches Mysterium genannt werden" (Engel und Dämonen waren hier tlas Volk.) Der nach dem ermordeten Volkskommissar Uritzky benannte Platz vor dem Winterpalais ist der ehemals Dwortzowy-Ploschtschatl, d. h. Schloßplatz benannte, mit der von Nikolaus I" zum Andenken an Alexancler L errichteten, von einem Kreuz schwingenclen Engel gekrönten .ein
126
127
'
Säule. Der Fassade cles Winterpalais gegenüber
ist cler weite Platz von einem rie-sigen, hall¡kreis. förmigen Gebäude,' dem Oberkommando, ab. geschlosSen. Das Archir, aus dem wir zusahen, befindet sich zwischen Palais und, Kommando auf der Millionnaja-Seite. Zwei große Bühnen rvaren vor d.em Oberhommando aufgeschlagen, rechts eine weiße, links eine rote, in der Mitte verband sie ein hoch geschwungener Brückenbogen. 15000 Menschen waren Akteure, einige Berufsschauspieler dar-_ unter, die anderen Eleven der Theaterschulen, Mitgliecler derPnoletkult-KlubE der Theatervereine cler Roten Armee und der Baltischen Flotte. Am Schluß des Schauspiels spieiten aber etwa 100000 Menschen mit, die aus allen Seitenstraßen, von den Tribünen und aus den Häusern hervorströmten.
Bin leichter Regen beeinträchtigte die\Yirkung; man achtete seiner nicht. Als wir nach zehn unsere Plùtze am Fenster einnahmen, hatie das Schauspiel eben begonnen. Der hoch oben an cler Alexandersäule klebenrle Scheinwerfer beler''chtete taghell die rechts liegende weiße Bühne,
auf der soeben die
provisorische Regierung Kerenskis eine Sitzung abhielt. Von drüben, von iler unsichtbaÌen roten Bühne her, drang ein undeutliches Gemurmel herüber: es war tlie leise murrende Menge, die genug vom Kriege hatte, aber sich l(erenskis Machtwo¡t fügen mußte, weil der-Ministerrat drüben unter dem Vorsitz des Tribunen soeben die Fortsetzung des Krieges bis eum siegreichen Fnde beschlossen hatte. Der Seheinwerfer flog auf clie ¡ote Eühne hinüber ela sah man Arbeiter unrl W'eiber, Kinder und 128
Iküppel mücle aus rlen Fabriken wanken; verstümrnelte Soiclaten schleppten sich hinüber zur Brücke, weil das Aufgebot erfolgt war und neue Ileerscharen zqsammengestellt werden sollten. Auf der weißen Bühne schoben Kapitalisten indessen mit ihren Wänsten Geldsäcke vor den Thron Kerenskis hin, Minister sprangen von der Ministerbank unrl scharrten die Herrlichkeiten zu einem Haufen zusammen, währenrl drüben von der dunklen Seite her einzelne wilde Schreie sich über rlas Murren erhoben und der Ruf ,,Lenin ! Lenin l" und.eutlich erst, dann aber schon lautes emporflackerte" Nun sah man Kerenski auf seinem Th¡òn zu Håiupten tler Ministerbank große Gebärclen beschreiben, energisch fuchteln und auf , die Geldsäcke weisen. Die Ulinister aber waren in eine sonderbare, pendelnde Unruhe geraten. Sie schoben sich auf ihrer Bank hin und her, denn von der unsichtbaren roten Bühne tönte der Tumult schbn rhythmischer herüber, gesammelt, man konnte sogar Gesang hçiren, Akkorde, die tlie ,,Internationale" sein mochten oder auch nicht. Immer noch sprach und gestikulierte Kerenski. Der Ministerbank aber hatte sich allmählich eine einheitlich schwankende Bewegung bemächtigt. Man s4,h die ganze graugekleidete Reihe gleichförmig nach rechts, dann mit einem Ruck nach links sich biegen. Einigemal wiederholte sich rlies in immer heftigerer Bewegung. Da kamenmitparodistischemWackeln tlie berühmten Kerenskischen Frauenbataillone auf tlie Bühne,'schwangèn ihret Flinten ùnd riefen Kerenski ihr ,,Moriturae te salutant l" zu. Wåi^hrenrl rlie weiße Bi.ihne erlosch, "flammte plötzlich die rote auf" Um eine riesige rote Fahne 9 Eolitscher,
I)rei Monate in Sowjet-Rr3la.nd
1Zg
ilrängten sich dort Arbeiter, Frauen und Kind.er, Soldaten mit Waffen, Volk aller Art, zusammen Die Fab¡iken, die Gefängnisse; große rote Kulissen mit vergitterten, von innen grell beleuchtetes Fenstern hatten ihre Tore weit aufgetan. rmmer neue Scharen entshömten ihnen, um sich um die rote Fahne zu ballen. Aus dem wililen Du¡cheinandergewoge hob sich die ,,Internationale" in mächtigem artikulierten Chor empor. Ðas Wort ,,Lenin" stieg, vom Unisono t¿userider Kehlen emporgeschleudert, zum Himmel auf ; daweil formierten sich um die Fahne die Batailloné zum Marsch nach jener Brücke hin, die die Bülnen miteinander verband. Hinüber flog der Scheinwerfef nach der weißen Seite: wie vom Sturm geschüttelt, schwankte bereits'tlie Ministerbanli hin und her. Eine Salve von drüben ilie
teibwache um Ke¡enski stürzt mit geschwungenen Gewehren zum Brückenbogen clie - den Ministerbank fällt mit einem Krach unter
Tisch - aus einer Seitengasse tles Uritzkyplatzes schießen wilden, Getutes zwei Automobile zur weißen Bühne heran, Kerenski schwingt sich mit einem Saltomortale von seinem Thron über die Ministerbank zu den Stufen, die von der Bühne aufs Pflaster hinunterführen, die Automobile schlucken ihn mitsamt seinen Ministern uncl jagen in rasender Fahrt quer über den Platz an der Säule vorbei zum \ryinbrpalais hinüber, dessen Tor sich blitzgleich öffnet und tlie Automobile aufnimmt. , Ietzt begann tlas Winterpalais mitzuspielen: im ersten Stockwerk erglommen mit eineur-Êchlag sãintliche Fenster in hellstem Licht - ttaweii ging die Aktion auf der, Brücke weiter. Unter 130
Maschinengewehrgeknatter unrl wilclem Schießen entwickelte sich dort: oben um lausend rote F¿hnen ein Gefecht und,Handgemenge uwischen der Roten Armee uncl den übriggebliebeneu Weißen. Tote untl Verwundete kollerten über die Stufen, fielen über die Brüstung tler Brücke auf das Pflaster des Platzes hinunter. ImlVinter-
palais erloschen daweil die Lichter, flammten wieder auf, erloschen wieder. Minutenlang tobte rlie Schlacht auf rlem Brückenbogen, endlich war sie entschieden. Nun war die garze kti"rnpfencle Masse der Roten Armee zu einer einzigen geeint unrl machtvoll strömte cliese Masse, die ,,Internationale" singend, über clie Treppe hinunter rlem \{inte¡palais zu. Aus den Seitenstraßen des Uritzkyplatzes marschierten Regimenter hetvor, schlossen sich jenen von iler Bühne Kommenden an, Zehntausende und Zehntausende
-
aber was
war das ? Von tlort hinten, hinter dem Winter" palais, von der Newa her erdröhnte plötzlich furchtbarer Donner
!
Die ,,Aurora", das historische Kriegsschift
im Oktober 1917 das Winterpalais bombartliert.hatte, feuerte jetzt, auf demselben lrleck der Newa verankeit, zur Mitwirkung an diesem Schauspiel bestellt, seine Kanonen ab, um das Mysterium zum 'Erlebnrs der Revolution selbst zn erhöhen. . . Das Winterpalais lag schon seit einer Weile stockfinster da. Eip Torftügel tai sich halb auf, und aus ihm flitzten die Automobile mit Kerenski untl den Seinen im Hui zur Millionnaja hinunter und weg. Ietzt waren es bereits Hunrlerttausenil, die zum Winterpalais zogen. Der ganze riesige Platz war rlas
.131
erfüIlt vorl schreitenden, laufenilen, singend.en, brülleaclen :Massen, die alle dem Winterpalais zust¡elrten. Gewehrschüsse, Maschinengewehrgeratter, das furchtbare Gedröhn von der ,,.å.urora"
regencl..
her,. . grauenhaf,t, entsetzener-
.
' Wir hinter unserem Fenster Ìilaren ein wenig
.llejch geworden. Wir wußten
es ja genau: solchõ Gelegenheiten pflegte tlie GegenrevoÍution nicht
Êtwa eine von Schauspielern gestellte, -sond.ern tlie wirkliche, in ihren- Schlupfwinkeln auf ihre Stuntle lauernde Gegenrevolution - abzuwarten, um unter der Decke cles Theaterdonners und iler Aufregung Putsche und Aktionen zu inszenìeren ünd auch zu vollführen: Es gab hierfür Anhaltspunkte, Präzedenzfåille. A-ber alsbald stiegen werk1,_. das
die Raketen des Feuerdas Schauspiel beschließen sollte, _
zum Himmel_auf; die ,,Au¡ora., verstummte, die Massen verteilten sich, verliefen sich in der ñacht und wir kehrten srchweigend in unser Haus am peter-pauls-Festung, JYeyaufer, gegenüber der heim. .über den künÉtlerischen \{'erf tlie historische .unrl ethische Berechtigung solciien Schauspiels kann man seine Ansicht fãrmen, wie man mag. Packencl und tollkü-hn, aufrütteind. uncl in de-n innersten Fibern erschütternd war es. Unvergeßlieh durch seine Unmittelbarkeit, Licht, Beìregung, durch die Idee der Masse, d.ie es trug. Eier sehien tdem Theater der. Zukunft - aeñ ã{¿ssentheater, das einer politischen ldee, der klee gehorcht unrl dientl-- in Wahrheil eine
þ¡hn
gebrochen.
_
:
erhtrngert, ausgehungert das ist ilas lV'ort. Die biklenclen Künstler, die Dichter, rlie Musikèr,.tlie ich in Rußland'sprach, leiden fast stärker noch als unter ihrem materiellen Ruin unter der Unmöglichkeit, mit der Kunst des Auslandes Fühlirng zu gewinnen - trotz aller Anstrengungen, tlie das Volkskommissariat für Volksaufklärung mabht, um die Blockade wenigstens in dieser Hinsicht aufzuheben oder zu lindern. DieStrömungen derKunst, die ehemals dieWelt durchflu[et hatten,
brechen sich an clem lVall, der um Rußlantl gezogen ist, fließen an ihm ab und zurück" Die Künstler, rlie Dichter R.ußlands sitzen auf dem Trockenen und verdursten nach der Kultur der
Außenwelt. Vergebliche Mühe, ihnen
zv
be-
weisen, was es mit dieser Kultur auf sich habe daß mancher Künstler Europas vor Sehnsucht nach dem in Rußland. springenden Quell neuer Kultur krank sei - sie verstehen es nicht I -" Als ich in Petersburg einem jungen llaler, der noch bei,der zweiten Manier Picassos stchen geblieben war; erzählte, daß der Spanier jetzt schon wieder
wie'Ingres male und der junge Künstler mir,erbleichencl: und entgeistert ins A.uge starrte * tla hatte ich die Gewißheit gewonnen: claß ich der Kunst Rußlanils soeben einen Stoß vorwärts versetzt hatte. Dasselbe erfuhr ich beiGesprächen mit den Dichtern im Moskauer ,,Dom Petschat", hinter tlen Kulissen von Stanislawskis ,;Erstem Studio". W:ie in einem luftleeren Raum"schießen und rennen clie jungen Dichterschulen Rußlancls durcheinander und schlagen sich Beulen, wissen keinen Ausgang zu finden. Expressionisten, Futuristen, tnaginisten, Suprematisten, ja Zenfui-
L321"33
.-
jede Schule überbietet die'anclere in Ge¡ingechätzung sämilicher übrigen. Die !9rBicåþ¡-Astheten verachten die proletariichen als Stümper und talentlose Horde, die. proletarischen e¡&lären sie wiede¡ fär Akaclemiker unct Gegenrerolutionäre. Von einer entzückenden úolmetscherin begleitet, erschien eines Tages eine der Iloffnungen der jungrussischen íyrik in ineiner Behausung, um mir über die Literatur des hettigen Rußlanrls Auskunft zu geben. -Der juqge Dichter spielte offenkuntlig voi rler llber"setzerin den grimmigen Recken; aber auch sonst reagierte . er auf meine Erwähnung anderer Dichterpersönlichkeiten als der seinen -rlurch Zerschlagen meiner Möbel. Von ihm erfuhr ich. daß die proletarischen Dichter samt und sonderé verkapptes bürgerliches Gesinrlel seieq das in tlem Augenblick, in dem es clen Erfolg von fern gercichen hattg mit dem Ansinnen an rlie Sowjets herangetreten sei: es möchte ein Haus in der Krim zur Verfügung gestellt bekommen, nebst entsprecbendem Pajok natürlich, um dor! fern von der Not des Landes, idyllisch und nach Herzensltrst seine miserablen Gerlichte produzieren zu können. {fs -ich den jungen Dichteì nach seiner eigenen Stellung zum Problem der proletarischen ptUik befragt-e, erklärte er mir, daß er in einigen Wochen einen Gedichtbanrl anonym herausgebãn werde so fasse er den Dienst für die Gemeinschaft auf. Er unterließ es nicht, mir Titel uncl fnhalt sei.nes Werkes mitzuteilen - und entwich auf ¡neine Bemerkung hin, daß rlaínit die Anonvmität rloch uarettbar'tlurchbrochen sei, zornig aus meinem ãiæme¡. Ich las dann eines seinei Geclichte aus dem spãter erschienenen Band, in einer der von fugÍsùen
134
der literarischen Abteilung des Narkomproß herausgegebenen ZeitBchriften - nun ja; es war ödester Futurismus.
Ich fragte einmal einen Mann im lfueml; der es wissen mußte: wer (außer Biedny) von den neuen DichternRußlands dasOhr tlerMenge habe? Wie clas Publikum, nein, clas Volk sich gegenüber den jungen Dichtern, besonders tlen proletarisclten, verhalte ? Der Mann im Kreml sah mich groß an: die Dichter? das Publikum? das Volk? die proletarischen Dichter ? Zehn hysterische Weiberclas ist clas Publikum der heutigen russischen Dichter. Dies ist gewiß übertrieben, denn ich weiß es uncl habe es erfahren, wieviel ernstes uncl heiliges Wollen in mancher dieser vor¡ der Zeit gewaltig mitgerissenen Seelen ein' beschlossen ist, und wie sehr es sich auch ohne Mittun uncl Förtletung von seiten der SowjetLeute der großen Menge cles Volkes schon allein durch die Arbeit der Proletkult-Klubs mitgeteilt hat. Freilich trennen den russischen Dichter noch Mauern rings von seiner natürlichen Familie, ilem Volke. Es sintl nicht nur Hindernisse seelischer Art, es sincl ganz banale und darum ge' fährlichste Hintlernisse materieller Natur".. Für Schulbücher, geschweige denn für literarische, ist zu wenig Papier vorhanden. Die Kunst- uncl Literaturzeitschriften des Narkomproß, einseitig redigierte und kontrollierte Publikaiionen, bleiben nach den ersten Nummern stecken. Und auch rliese sincl schwer erhältlich, so daß wieder nur Literaten von ihrem Inhalt Kenntnis erlangen. Um diesem Notstand abzuhelfen, veranstalten tlie jungen Dichter, aber auch die älteren, berühmten, Vortragsabende, damit der Kontakt mit 135
ihrem entschrpindenclen, vielleicht nicht mehr vorhandenen Publikum erhalten bleibe. Ða ist ,,die gesprochene Zeitung.; sie fägt sich aus einer fteihe von Rezita[ionen zusammen. y _d.r .A,rt, wie die typographierte aus einer $eihe von gedruckten Aufsätzeñ, Versen, Dramenfragmenten und vielleicht noch einem Bssay über eine hervorragendere oder interessante Dichterpersönlichkeit zusammengesetzt ist. Zum Schluß schießt dann ein junger Kritiker seine pfeile gegen rlie eben gehörten Lyriker, Dramatiker unaL Essayisten ab; auch wircl angekändigt' u¡as sich in der nächsten Zeit ereignen wird.: eine Art Büchereinlauf wird vorgelesen. Zuweilen wird ein ,,Literarny Sud,., d. h. literarisches Volksgericht veranstaltet. Der literari. sche Gerichtshof ist ganz dem Volksgericht nachgebildet, hat einenVorsitzenden, Schöffen, Staats, anwalt, Verteirliger, Publikum und natürlich einen Angeklagten sowie Zeugen. In Moskau wurde solch ein literarisches Gericht über das Oberhaupt der Imaginisten abgehalten, das mit tlem Fr-eispruch des Angeklagten endetô. Es geschah ihm nichts. Im parkett riesige ùn_ - derwar geheiztn Saal des Konservatoriums Schauplatz saßen rlie zehn hysterischen Frauens- und klatschten. Beifall. Es war eino personen klbine Familienangelegenheit; das Volk kümmerü sich um solche Affenstreiche natürlich nicht irn geringsten, und das alte bürgerliche publikum, rfas über Zeit uncl Muße veiftigende, aus Un_ beschäftigtheit hinter rter Ästhetik unrl noch mehr &inter den Ästheten herjagende, existiert nicht meh¡: es leidet, arbeitet oclei halt sich verborgen; eÍ¡ muß auf offenen oder ebenso mühselilen¡ 136
gefährlicher,en Schleichwegen der täglichen Nahrung nachlaufen oder schleichen - auch sind Bücher natürlich, nicht mehr im Ilanclel, der dosh
nur
aufgehört hat, erhältlich, sondern rnan muß vor tlen Autoritäten des Narkomproß und Z'entro' petschat den Nachweis fähren, daß man irgendein bestimmtes Buch zû irgendeinem bestimmten Zwecke bedötige, und wenn man dann sein Bu' maschka, al. h" Papierchen ausgefertigt in der Tasche hat, ist das Buch meistens vergriffen'
fn Deutschlancl kennt tnan von tten Heutigen I Remisow, Brjussow, Bjäly, Kusmin. Man weiß aber wenig von zweien der wertvollsten Dichter cler älteren und der jtingsten Generation: Alexander, Block und dern tsauerndichter Kljujew aus {lem Olonetzgebiet im nördlichen Murmansk. Block hat unter den Schauern der ersten Zeit nach jenen Oktobertagen ein Getlicht verfaßt das bis heute als der vollendetste Ausdruck jener Epoche Geltung bewahrt hat. Es ist die ,,Ballade cler Zwölf". Ein kleiner Trupp Soldaten, Matrosen, durch rlie Woge der Revolution plötzlich in ilie Höhe geschäumtes Lumpenproletariat und ver' wilderte Bourgeoissöhnchen, trabt, liebt, schießt, baut um sich, taumelt durch clie aufgelöste lVinter' stadt Petersburg. Die R-hythmen dieses außer' ordentlichen Gedichtes jagen und schlagen sich gegenseitig tot wie tlie Zwö\|. Nie knallten Schüsse durch Strophen wie hier, in diesen 'W,ortfolgen. Gewenigen, oft nur angedeuteten fährliche Raserei überschlägt sich und zerpufft in wüster Leidenschaft; als es nichts mehr zu räóhen und zu morden gibt, wankt die Schar mit bleichem Gesicht, den Finger auf dem Ge' t3?
t|:,
ii' i¿
webrhåhp, du¡ch ilen Winternebel tler echim. me¡sdes. lffolke nach, in der sie Christos, den atrlea çstt eler Menschenliebe aufsteigen sieht unil erhegot wie vor einer Vision letiter \tahrheit zençüiebt-da der wilde Spuk in Nichts. -å.us den ,,Isba-Liedern" Kljujews aber --Içba .ist ilas tlörfliche Bauernhaus, die ,,Stuþs., strömt wunderbarstes Naturempfinden, eine sehmerzensreiche Liebe zum Müiterchen Erde, zur kargen, innigen Natur rles nördlichen Rußlands. Iiljujew findet unnachahmliche lVorte zum" Preis seines armen Dorfes. Untl mit derselben verliebten Inbrunst, mit der er die Natur als ein von Urelementen erbebender, mit ihrem Geheim. nis unbewußt schwingender Mensch betrachtet, singt er ,,flote Gesänge", die ,,Rosen der Kommune" zum Preis der Revolution. sein Naturem_pfinden auf den nicht minrler geheimnisvoll ' bedeuternrlen Vorgang der proleta¡ischen Erhebung übertragencl. leben rlie Künstler, rlie Dichter, wie lebt ..lM_ie die Kunst in Rußland, und. was wird ihr Schicksal sein? Es wäre leicht und billig, zu iagr, rlaß die Künstler das ewig störrische, hoffnuneslos inrliviilualistische Element, jenes Blement ães Volkes vorstellen, clas sich durch die Lehren der Geschichte am wenigsten belehren und seine Gevon clem geistigen Gebot des Kommunis"il.oog qm weni gsten b eirren läßt. Man könnte meinen, qru^s ,da$,_wenn ein ganzes Volk jn rlen SchmelztiegeÍ des Kommunismus fliegt uncl der große Ltiffel ãie Elemeate durcheinander rührt und wirbelt, auf de.re Gruntl noch immer ein unlösbarer Klumpen L38
iil
zu fioaten sein wird, untt tlaß tlies die Känstler
lil
slnd.
lil
Es geschieht'clen Känstlern, den-Dichtern, tlen Intclte-ktuellen trotz ihrer UnbeËhrbarkeit, deren Ursache vielleicht in tler Biologie des künstlerischen Schaffens begrünclet ist, Unrecht im heutigen Rußlantt cler Sowiets; das ist unleugbar' I[an ñrüßte Klage führen deswegen, da8 Komitees bestimmen, wei als Künstler anzusehen sei und wer nicht.. AII' cliese Dinge aber lösen ja tloch nur eine Bevormundung des Künstlers, Bedrückung seiner Freiheit ab, clié im kapilalistischen Zeitalter bestanclen hat und weiter besteht, wo der
Geschmack tles zahlun gsfähi gen Pöbels die Lebensbeclingungen cles Intellektuellen nach seinem Gut-
oünkõ u-nit schlechten Instìnkten regelt und bestiinmt. Aber es bestehen noch andere Grünile, aus denen die Intellektuellen unter tler Herrschaft des Kommunismus zum Untergang verurteilt sincl. Andere Grüncle, tiefere; schwere, tlüstere Schicksale.
ilj
ìt,i
il
fi
f
liri,
.it:
ìl
ri ìi
ii
,iÌ
1
i
der In^tellektuellen :Der Unter6ang -Anhang: (nebst eiñem
Schaljapin)
¡/- orki bin ich in Rußlanct nicht begegnet'
Lj
S.nudt, ewig schade. Ein
gemeinsamer
Freuntl hatte in ùoskao bereits eine Zus¿mmen' kunft verabreclet, aber tlann wollte Gorki plötz' lic.h nicht mehr. Er stantl wieder in einer seiner Krisen mitten inne, wár von zwiesþältigen. Ge' itihl"o, tlem 'Widerstreit von Pfticht unil Überbitter beclrängt; man erzählte sich, er
"*gong
.ì ,l
t
.i j
139 .1
.j
,.]
habe
çredet und d,ort ande¡s; es solle -hier._so ihm und Lenin widder einmal-zu einem zwisehen Zerwû¡fuis gekommen sein; auch h;ffi" ::1rt-"YtE"i so schien es, zu weit eingelassen, und, lFelXs hatte von dem; was er ztl hriren ¡ékam,
;;i.h
aTTT ausgiebigen Gebrauch gemacht, A,uch war vor kurzem ein. neues satirisches $me=k von Gqrki in Petêrsburg,aufgeführt worden. Ia diesem Stück waren eiliche Verkehrtheiten tles bolscbewistischen Systems und Schwächen gewisser führender, aber schlechter Kommunisten verspottet. Zur Drstaufführung war die ganze übriggebliebene Bourgeoisie aus ihren Hóhlen hervorgekrochen und hatte dem Stück durchru.uoden Applaus einen ganz unerwünschten Erfolg bereitet. lilorauf das-konterrevolutionäre Schaul spiel sogleich _spurlos in der Versenkung verschwand. Gorki pendelt nun ruhelos zwlschen Pgfersburg und Moskau hin und her, will fort, lehnt sich nach den entschwundenen'Zeiien von Capú zuräck und ist für den Ausländer nichü mehr zu sprechen. - luil -Werk -aber, das ,,Haus der'Gelehrten,.¡ habe ich gesehen. Ts ist zwei Iläuser weit vom palais Narischkin, T dg1 ich wohne, im Doppelpalasi derehem*igãi Großfürsten Wladimir Alexanàrowitsch und fyiiil, mit.den Fronten zum Newakai und zur Millionnajá wohl ein dutzendmal bei Tag unil bäi - ichanbindiesem palast vorbeigewandelt"und l{acht habe daß das das HauÉ der Geleh¡ten sei, ryehlgeahnt, ein Ziel cler Sehnsucht so vieler, die von Hörensagen Kenntnis von seiner Existenz besitzen. An Sonntagnachmittag besuchen wir das,,Haus ?"-T der Geleh¡ten". Um drei Uhr nachmittags iieffen Í4û
,wir' tlen Kornmandanten 'des Hauses in 'tiefsten¡ Negligé an. Notdtirftig bekleiclet er sich mit Panüoffeln und Flauschmantel; und wir machen uns auf tlen Weg durch tlie Speise', Empfangs-, Vortrags- r¡nd Klubräume, die vorn im Palais
Wlaclimir, untl tlie \{ohnräume der Gelehrten, clie hinten im Palais Kyrill sich befinden" Ðer Kornmandant, ehemaliger Impresario und Besitzer eines Theaterchens, in dem französische C,ochonnerien auf gef ührt wurden untl nach' der Auf-
führung die goltlene Jugend und' das lasterhafte Alter der Aristokratie und der Kaufmannsgiltlen mit Dämchen,in verschwiegenen Zimmern Cham' .pagnerpfropfen knallen ließ ein jovialer Fal" uns Komma¡rdant clieser staff übrigens, - fährt die von in tlen kalten Prunkräumen herum, Schmutz und Vernachlässigung starren uncl übel riechen. Das Provisorische dieser öden, lieblosen Räume, in denen ein paar alte, stehen gebliebene Prachtmöbel ihr zerschlissenes Dasein neben allerr hand weiß Gott, woher zusammengetragenem Gees besteht ja die Absicht, rümpel fristen - denn 4000 Menschen zu speisen " ' ' hier so allmählich ' Tags zuvor hatten wir das Gewerkschaftshaus, das ,lHaus der Arbeit" besichtigt und tlor't auch ttie neu eingerichtete Bibliothek zu sehen bekommen. Im ,,Haus der Gelehrten" befand sich auch so etwas wie ein Bibliotheksraum-ineínem tlüstem Lichtschacht st¿nden staubige Bäncle auf einer Brüstung; wir sahen s'ie oben stehen, als wir tlie Treppe zum Palast des Großfürsten Kyrill hinuntergingen . . Auf der ll{illionnajaseite hausen tlie Gelehrten. .'Ich hatte mir unter cliesem Gelehrtenhaus so etwas wie ein weltliches Kloster, ein Refugium vor den 141
Nðten und Eattäuschungen des harteu Daseins vorgæåellf, ein geistiges Asyl etwa von der .[,rt¡ wie es Strildberg in den ,,Schwarzen Fahnen.l sc;hitrdert: d.as Landhaus des Grajen Max auf der SikXa-Insel, oder wie Goethe es geträrimt hat unit Eqysmans uncl eigentlich in eineioder deranderen Pe¡iode seines Lebens ein jeder von uns allen. Wie wir die Zimmerflucht betreten, erhebt sieh
çon einem kleinen, halbkreisförmigen Seitlensofa, das früher in irgendeiner Sdõnnisçhe ge. .standen haben mochte¡ ein kleiner, blasser Gre-is, iler dort geschlafen hat, stellt sich besche[den voi uns Þin und Führer Falstaff präsentiert mit einer Hanäbewegung den 'bertihmien physiker. Wir gehen vorüber.' In nächsten Zimmer, das in bemerkenswer[er Unordnung ist, denn der Besitzer soll nach einern be_sser heizbaren gebracht werden, haust der bet,lTtu Geograph, Mitgliect vieler europåiischer gelehrter Gesellschaften. Er breitet vor -uns dio großen Landkarten aus, die er gezeichnet, und aufclenen er seine Theorie der G:olfströmgngen des Meeres unrl derluft durch farbige Linierl anschaulich gemacht hat. Ein italienischer Genosse befindet sich in unserer Gesellschaft. Der Geograph ergeht sich in Lobpreisungen der alten Ze-it ãer Èongresse, er hat in Rom, in Florenz gesprochen, grah kennt ihn tlort, gewiß, man fragt sich, was ist aus X.,geworclen, lebt er noch? Er veri¡iumü es nicht, zwei Zitate aus der ,,Götflichen Komödie" mit betontern Nachrlruck vorzutragen: ,,tasciate ogni speranza, voi ch'e4.tratel.. uarl jenes andere, schreckliche: ,n*æsun maggiol dolore, che ricordarsi dei tempi ' felici nella miseria,,. ,tr"42
Wir Eehen vorüber. Tür an Tür hausen clíe größten Gelehrten des Landes, Ist ilies ein Heim, ein Gasthof zu kurzem Verweilen, oder ein Gefängnis? 'Aber clas ist tlie gleiche Frage, die ich mir währencl dieser Monate so oft scbon gestellt habe, wenn ich irgencl ier-nantl im Krernl, in der SLatlt, auf dern Lantle besucht habe. Hier hausen sie Zimmer an Zimmer, Biologen, Mediziner, Juristen. Gierig werden wir nach dem Neuen befragt, tlas sich in Deutschland, in tler Welt dort tlraußen abspielt. Was cliese Bewohner des ,,Hauses der Gelehrten" am schwersten betlrückt, ist der Mangel an Büchern,; 'an Zeitschriften, an Briefen aus dem Auslanrl" Bei einem von ihnen, einem noch jungen Manne,
-
finden wir die Vorhänge vor den Fenstern eng geschlossen. Licht brennt in der Stube und der Bewohqer geht mit großen Schritten von Ecke zu Ecke. Es dauert eine lffeile, ehe er uns, die wir bei ihm eingetreten sind," bernerkt" Wir gehen vorüber .. . Unten im Vestibul tles Palastes kleben Dutzencle Maschine geschriebener Verordnungen an der'Wantl: Vqrteilungsmaßregeln für die Vier' tausend; tlie hier gespeist wêr{en, die sich die so' genannte akatlemisehe Lebensmi[lelzulage, dann 'Wäsche, Schuhe, Kleitlungsstücke abholen sollen.
mit tler
Das meiste bleibt wohl auf dem Papier stelten, denn es herrscht ja Noi, schreckliche Not im Lande ... Dies also war das Haus'¿ler Geleþrten, am Kai zwischen unsetern Hause untl dem in ein Revo" lutionsmuseum verwandelten Winterpalais ge' legen. Kalt und knirschend schieben sich die Schollen tles Latlogaeises übereinander, clas ilie L43
dt¡rkle Flewa hinunter zum baltischen'' t¡eibtGeb Yartlber, es ist nichts . . .
Meere
.
Tli" Künstler und Dichter Rußlancls, die zu IJsprechen ich Gelegenheit fand, rilaren unglück.lieh. Manchem schrie der Kummer und Zorn aus tler Kehle heraus, andere würgten ihn hinunter, aber ihre Augen flossen vor Verzweiflung über. Daran ¿ber waren nicht die äußeren Lebensumstäncle allein schuld, nicht der Umstancl allein, daß die Künstler, clie Dichter Rußlands gezwungen siqd, Bureaudienst zu tun, Stunden in den ilmtern d.er Sowjets abzusitzen, untl daß dieschöneLiederlichkeit, der Nährboden so mancber blühenden Kunst, aus dem Bereiche des Sowjet-Staates fortgefegt is!. Das Unglück cler Intellektuellen Rußlands ist in der unüberbrückbaren Kluft begrtindet, tlie rsich zwischen.ihnen und' tlen Führern de¡ koinmunistischen Regierung aufgetan hat.
\J[/arum sinrt,die russischen Intellektuellen V V Stiefkinder Her Bolschewiki ? Warum hört man.im Kreml von den ,rverfluchten", den ,,yettlamhrten Intellektuellen" sprechen ? Warum höri man dort Ausrufe wie diese: r,Die verdammt,en Intellektuellen mit ihrem Geschrei nach Freiheit t" ,,Der verdammte Gerechtigkeitsfimmel dieser Intellektuellen l" l{an muß sich vergegenwärtigen, ctaß die Väter iles sozialen Gerlankens so gut, wie tles Kommunismus oder der russischen Revolution Intellektuelle waren und sind. Die Wurzel clessen, was heute in Rußlancl aufgeblüht ist untl die Welt beschattet, heißt Rousseau. Die Dekabristen, 1¿4
Vorläufer des Soziâlismus in Rußlancl, waren ge" biltlet,e; vomehrne Offiziere, die sich an den Quellen iles europäischen Hrrmanismus gestä.rkt hatten, untl ihre Bewegung trägt unverkennbar tlie Züge der Aufklärungszeit, aus der- die französischeRevolutiongewachsenist. Die ungeheure unterirdischo Arbeit, die im letzten Jahrhundert in Rußlantl selbst wie in ilen großen revolutionären Zentren der Asyllåinrler England, Schweiz untl Frankreich geleistet worden ist, war aus' schließlich das Werk von Intellektuellen. Zum großen Teil clas Werk von Intellektuellen jener Richtung, die heute unter dem Namen Sozialrevolutionäre von den Bolschewiki so arg befehdet werdþn. sitzen ausschließlich tntelleki - Im Kreml tuelle. Wollte man boshaft sein, ohne indes von tlem Gebote der Wahrhaftigkeit allzusehr abzu. wciclren, man müßte sagen : geratle dieser Umstand sei die Ursache des Unglücks, der Not und derVerfolgung der.Intellektuellen außerhalb des Kremls. Die Bolschewiki sind eine Partei. Eine sozialistische Farüei stellt eine Sekte vor. Es gibt außer tler Wolfsfeindschaft des Intellektuellen gegen den Intellektuellen keine e¡bitterüere und unauslöschlichere Feindschaft als jene, mit der eine religiöse Sekte clie Nachbarsekte, eine politische die benachbarte verfolgt. Heute sitzen in russischen Gefärignissen Kadetten, Menschewiki und Sozialievolutionäre; die die russische Revôlution geschaflen haben, clieselben Nlänner und .Frauen, tlie die zaristische Regierung verfolgt, eingesperrt und verbannt hat; zum Teil sitzen sie, denen die Revolution für kurze Zeit clas Tor ihres Gefängnisses geöffnet hat, in denselben Zellen wie ehernals. 10 Eolitsoher, Drei Monate
h Sowjot-Rußlend 14b
'Bïes wårs eine schier unerklärliche Grausam' heit de¡ Regielenclen, ein Hohn auf tlas Wort Ksemuûismus, wenn es letzten Endes nicht tiefr begründet und sogar unvermeidlich erscheineu würde.
Ðie Intellektuellen, clie tlie Revolution ersehnt; uatl die ihr den Weg gebahnt haben, sind von der Revolution überraScht, überrumpelt und ent' setzt wordsr. Daß das Zarentum fiel, war ihnen recht; aber daß zugleich mit dem Zarentum der Kapitalismus durch tlie Bolschewiki über clen Haufen gerannt worden war, daß mit dem Offizier untl dem Tschinownik auch der Bourgeois ent' thront und vernichtet wertlen sollte, tlas ging diesen im Grunde ihrer Natur von bärgerlich'' evolutionistischen Ideen erfüllteü, vor den letzten Konsequ,enzen und Notwendigkeiten der Machtentfaltung untl des Sichbehauptenmüssens zurück' Unterrlräckung und Entrechtung schreckenclen und erbleichenclen Getlankenrnenschen nicht eln. Sie hatten fär clie Menschhei! für ihr Volk gelitten; sic hatten tlie Ilücke untl Grausamkeit tles Beclrückerþ geftihlf aber tldr Krcis der Betlrückung war bei ihnen nicht so weit gezogen wie bei der in ihrem Denken viel schärfe" ren und in ihrer Energie weit konsequenteren Gruppe cler Bolschewiki. Daß Kerenski und mit ihm alle, die im Miírz L917, in clem Augenblick, in tlem der Zarismus gestürzt wa4 einen Pakt mit clem Kapital und dern Bntente-Imperialismus zu schließen suchten, so rasch ihre Machü an clie Bslschewiki abgeben mußten, clarf als historischer Berçeis für die Rapidität gelten, mit tler sich iler Gerlanke des Klassenkampfes entwickelt hat. Im kleinen Park am Fuße ttes Kreml, dem ehe146
maligen,,Alexander-Garten", hãben clie Bolsche" wiki den geistigen Vätern des kommunistischen GetlankenJ einen marmornen Obelisk errichtet. Vor diesem Obelisk und um diesen Obelisk habe ich manchen erregten Redestreit ausfechten hören. Denn es fehlen gewichtige Namen in der kurzen Nomenklatur. Uncl es kann sie jeder auf seige Artr aus tlem Schatze seines lYissens oder seiner Überzeugung ergänzen. Hier sintl die Namen, die auf der Säule eingegraben stehen: Marx - Lassalle - Engels - Liebknecht Winstan' Melje (?) Bebel Campanella ley Morus - Vaillant - Fou" - St. Simon Bakunin rier-- Jaurès Prouclhon Tschernischewskij Lawrow * Michajlow; sky Plekhanoff. Die-Intellektuellen, die heute in Rußlancl untl in den kapitalistischen tändern der l{elt leben, sind, wenn man den Bolschewiki Glauben schen' ken darf, vom Kapitalismus angefressen, korrum' piert, und ruiniert. Im besten Fall sind sie un' persönlich uncl passiv. Am liebsten möchten sie aus Lauheit und Halbheit mit ilem Kapitel ein Kompromiß schließen, dem Kapitalismus wo; möglich mit Argumenten der Mcnschlichkeit tlas Portemonnaie und clie Maschinengewehre abschmeicheln - sie sincl die typischen Bvolu' tionisten uncl Schreibtischicleologen. Zum Kampfe für' das untl an iler Seite des P¡oletariats, das selber von kleinbürgerlichenldeologien und klein' kapitalistischem Ehrgeiz nur zu se.þr angefressen und korrumpiert ist, sincl sie nicht zu gebrauchcn; sie müssen von ihm energisch weggeschoben werden. Die Bolschewiki sehen somit in den Menschewiki unj den Sozialrevolutionären, die 147
d^em Ecolutionismus und der Kompiomißsucht ergehe sinrl,ärgereFeinde als in den geknebelten Baargeois und der expropriierten ünd gefltichüeten A-risüokratie. Die Bolschewiki sehen auch in dea programmlosen und des Aufbaus unfähigen
Aharehisþp'wie in 'den sozialistisch gesinnten verwasehenen Parteilosen (unter die sich immer meh¡ allerlei konierrevolutionåire und sabotie: ¡ende Elemente einschleichen) die ärgsten Schärllinge der sozialen Bntwicklung. Zum Thema: Evolutionismus untl Kompromiß" könnte man allerdings die Frage wagen: ob denn tlie Bòlschewiki am- Ende niõht au-ch Evolutionisten genannt werden müßtcn, allerdings nicht Evolutionisten von unten aufwärts, sondern sozusagen von oben hinab ? Die mannigfaltigen Kompromisse, tlie Konzdssionen, die sie dgm Bauernst¿nd und .zuletzt dem ausländischen Kapital, namentlich dem amerikanischen, zu machen sich bemüßigt sahen, stellen doch auch eine Art Evolutionismus vor - r¡enn auch, wie gesagt, êinen von oben nach uirten gerichteten. Wobei zugegeben sei, daß die brennende Notlage des Landes die U¡sache der Verminderung ihrer Maximalforderungen ist untl nicht laue Furchtsamkeit der Gesinnung. Lunatscharsky selbst, Maximalist rles Geistes, scheint sich einmal, es soll ganz zn Beginn der bolschewistischen Machtergreifung gewesen sein, ií einer Sitzung der Exekutive ,,bloßgestellt" zu haben. Als tlie Notwendigkeit erörtert wurde, eine historische Kathedrale, das Monumentalwerlc altrussischer Baukunst, za bombardieren und w'ena nõtig, dem Erdbotlen gleich zu macheo, w.eil sich in ihr Gegenrevolutionäre mit Ma148
qChïnengewehren untl Munition verschanzt batten,
für Volksaufklärqng eine Nervenkrise erlitten: er b¡ach in Tränen aus
haü rter Volkskommissar
und drohfe, tten Kollágen seine Bestallung vor die Füße zu werfen, weil er sich an dem Untergang rler Kathedrale nicht mitschultlig machen' wollte. Gorki. Gorki lehnte es zu Beginn iler bolschewistischen Zeit, als er von Lenin zum Ein' tritt in die Regierung aufgefordert wurde, ab, mit den Bolschewiki gemeinsame Sache zu machen' Er begründete seine Absage mit clen \üorlen: er wolle nicht ,,Kalif für einen Tag" sein. Durch seine Schwankungen währencl tler letzten Jahre untl noch in allerletzter Zelt hat er tlen berech' tigten Vorwurf des Opportunismus und der mangelnden politischen Charakterfestigkeit nicht zu entkräften vermocht. Totstoj - es ist nicht nur tlas Schicksal seiner Anhänger, über das ich in anderem Zusammen' hange berichte, das einem clie Augen öffnet. Totstoj gilt tten Bolschewiki als Dichter seiner Meisterwerke; als ethische Persönlichkeit ist er unproiluktiver Schwärmer, als politische aber Gegenrevolution?ir. Sie drucken seine Romane in kostbaren Bänden, aber seinen Namen, tlen Namen des gewaltigsten Revolutionärs der Neuzeit, suchst tlu gleicbwie jenen anderen erlauchten des sterbenden Krapotkin, umsonst auf jener Ahnen' säule, jenem Totempfahl cler bolschewistischen Revolution. Durch seinen Tocl hat Tolstoj den Bolschewiki einen unschätzbaren Liebesdienst erwiesen. Prosagetlicht des Poeten Ein charakteristisch'es Atexej Remisorv will ich im Auszug hierher setzen. Es gibt die Sinnesverfassung des russi" L&g
schen Inüelloktuellen, wie micb tlünken wìll, gebeu wietler. Es singt unrl schluchzt die Klage des unterdräckten Geistes und der verhallenden, íernicùùeten Hoffnung jener, die clie neue Zeit in ihre¡ schrecklichen Glorie nicht zu erkennen vermögen, mit vor clem Erlöschen wikl noch einm¿1 aufflackernrler Kraft in tlie Welt hinaus. Es ist ,,Das W'ort vom Untergang der russischen Erde" (tibersetzt von 'Woldemar Hartrnann). ,
nZerlumpt und stumm stehe ich in der Wüste, wo oinst ' mir Ileimat rrar. Versiegelt meine Seele. Was ich besaß sie haben êË g€nomñen; die Kleitler haþen sie.mir- vom Leibo gerissen' Was tut mir not? Ich weiß es'uieht. Nichts tut mir not,-und ohne Ziel ist all' mein Leben. 'Zo¡n kocht in meiner S"elo. kraftloser Zorn: war doch ein Menschènalter aufþelqdert für dies lrand, das sich in nichts verwandelt bat und alles hätte sein kõnnen. 'Werktag
'
J__
war, Schaffen und Leiden, doch war auch
der
Festtag mit langer Messe, Predigten, lautem Reigen; Lã,rm und Schaukeln: Eunger war doch auch Fülle.. Eochgericht war doch auch Gnade.
-
O heimgesuchte Heimaú, du wankst nun, Ifnerschü.tterlichrí, und dein Kaiserpurpur sank dir von deu Schultern. ûm welcher Süude willen? (!) Knecbtung will ich -. btatt - statt Freiheit;'Sklaverei statt der Gewalt. (! l) der Brüd¿rlichkeit, K€tten
-
Râsçnder Bruder
.
- unselige Stunrle! Die rossische Erde verdarb. [Ìin Kuckuck, echreie ich durch õden lVald , u¡d tslåtte¡fãulnis; unterging méine russische Erde.'
Tìie
Nöte der Intellektuellen Rúßlands, rlie,kör-
I-fperlichen uncl geistigen Nöte, die Unwillig-. &eit tler Bolschewiki, cliese Nöte abzustellen, ihr 150
starrer'Wille, tlie Klasse cle¡ Intellektuellen eher zu,vernichten uncl verenden zu sehen,'als .sicli miù inr auseinan¿lerzusetzen' führt den Beweis, tlaß in' iler kommunistischen Gesellschaft tlerZu' 'kunft ilas Gebil{e des Intellektualismus überhaupt fehlen wirtl. Daß, so wig es fortan keine
Grenze mehr zdischen körper'licher uncl geistiger
Arbeit, zwischen Hanrli'úerk untl l(unstiihnng
geben, auch keine Trennung zwischen Arbeiter,
äuou" untl Intellektuellem mehr bestehen wird" Der Intellektuêlle war untl ist Gegenpol desstttmp' fen, tierischen Analphabeten iler entrechteten Klasse. Letzlen Bndes müssen tlie Tntellektne'llen jetzt mit ihrem Sein tlie Sünclenschultl begleichen, äie sie in den Jahrzehnten uncl Jahrhuntlerten als Klasse oder Kaste ¿uf sich gelatlen haben, intlem sie nicht gemeinsame Sache machten mit dem großen leidenden unterdrückten Vollc und iñdem sie, als Indivitlnen, ia auch als revo" lutionäre Sozialisten nicht tlen Mut untl ttie Logik
iles Herzens uncl Verstaniles besessen haben, das Übel bis in seine lVurzel zu erkennen, es bei der lVurzel zu packen untl auszureißen' - *
Tî\am'+ tliesem tristen Kapitel tlas Satírspiel I'y'nicht fehle. witt ich übei Schaljapin Bericht eêben, um zu zeigen, wie im kommunistischen
õbuttto wie im kapitalistischen Staai dler Tenor auch rvenn er ein Barifon ist - tt' h' tler iuproattriutentle uncl nieht tler schaffenile Ï(iinsþ Ier verhätschelter Liebling der Götter untl Gebleibt; wie er in dãm Meere tler Not.und "ort"l des Hungers auf der letzten, obersten, kleinen Araratspiize ein fröllich pantagruelisches Dasein L61
der FüIIe unil Völlerei weiterführen dart urh zu zeigen.. " Ifun, es sei vorweg gesagt, daß.dieser.schatjapin .allerdings einer der. wunrlerbársten, bã-
k¡ümmen. * Schaljapin tlarf clrei Wohnungên haben im rationierten Landé - warum nicht
achtzehn?
- Schaljapin in Ich habe
gaadetsten Künstler unter den heute Lebenden ist,
ein KerI, cler breitbeinig und mit
sonnenwärts gewandtem _Kopf eines Eddahelden vor einem schmerzdurchwühlten und freurleUegierigen' tãi[ l$t, das seine Qual vergißt und lãcht -unil den
$bg-ott bejubelt. Die
tles Feindes" von Seroff, und ich kann
im Kreml grollen und
und
_nächsten Tag schickt ihm der Krãml Laché au1 d3r Wolga, Kaviar aus rlem Ladogasee, Ilonig und Rosinen aus Turkestan, und clär FießsacË
!9dan! sich nicht einmal, nimmt,es als schul-
digen Tribut tlahin.
daß er ohne passierschein, . S:Ir"f;"pi" --"tt:t rm Kostüm des Zaren Boris Godunoff aus rler Oper.von 1ÌÍoussorgski an dem Troitzkytor rles
erscheinen, und rlaß ihn der vierfache rote ltgpl sold¿tenposten durchlassen
wird, vergessend, daß - Scfruïjupin läufet
ja die Zeit.dæ Zarcn um ist.
iu
de¡__Neujahrsnacht die Zarenglockä
ïnd
euch
sagen, daß, als Schaljapin auf die Bühne kam, und noch ehe er den IIÍunfl auftat, ein Strom von f.ebensfreurle untl Herzenstrost tlurch die Logen und das Parkett lief ja lief, es war zu spüren I Das andere Mal aber sang er in einem großen I(onzert im Volkshaus. Wir saßen in der ersten Reihe, wejl uns rlie Regierung die Billette geschenkt hatte ein Bitlet kostete nämlich 25000 Rubel und die erste Reihe wa¡. da es gefährlich -isf als ein Mensch zu gelten, der so viel Gekl airsgeben kann, nicht ganz besetzt" Ein paar Sitze weit von uns .saßen zwei kleine zefietzte Gassenjungen. Sie waren einfach in tlen Saal hereingekommen und hatten sich auf zwei. leerstehende Plàlze gesetzt. Niemandem fiel bs ein, sie zu verjagen" Sie saßen da untl bohrten in ihren Nasen, während Schaljapinsang. Als er aber geendet, hatte, sptangen sie herum und brüllten sich heiser vor Entzücken und Be-
f1-u9h9n daß -rtieser Fresser und S;hür;;"¡_gä leden Ton, den er zu singen hat, mit Säck]en ¡ic! Mehl, Zucker und Kaffee bãzahleí läßt; aber la11r singt Schatjapin vor den Oetegiertén ãer Dritten Internationaie das Lied von Duîinuschka,
Iwan Weliki, der Strick reißL
Petersbung zw'eimal
gehört und möchte blutige Tränen weinen, daß es nicht zwei dutzendmal gewesen ist. Das erstemal sang er den besoffenen Schmieil, eine Bpisodenrolle in der volkstümlichen Oper ,,Die Macht
im.Turm
Schaljapin
stürzt zehn Meter tief, ohne sióh Scha¿ en ztatr.frggl. - Siþljapin hat unter Nikotaus U. ¿en be¡ü.hmten Fußfali vor der Zarcnloiilet¿n und Szene,,!oje tzara tr-ari;,'gì.onguo. l1i_g-flener rs¡ also ein ausgemachterGegenrevolutionar; aber ü¡e wetscheka würde_ morgen in die Luft fliegen, gestatteüe sie es sich, SChaljapin ein Haar" zú
geisterung. Schaljapin sang Lieder von Glazounoff unrl der alte, verhungerte Komponist begleitete am Flügel. Nach dem letzten Lied von Glazoûnoff fiel der' Sänger tlem Komponisten um den Ilals, und es gab einen Schmàtz, den die.anwesenden vier- oder fünftausend Menschen schallen hörten. Es war eine sþontane Huldi-
t5¡2
1.5$
,¿
gel&.wie jene-anclere vor d.em Zarcnpaare. Dann aaag $ehaljapin Lieclqr von Schumann., Beim: çweîÌlæls mante tlas Publikum, schneuzte sich *il¡i[ scbarrte mit den Füßen, um seine Geringsúätznug fü.r die deutsche Musik auszuclrücken, Ebr hãttet sehen sollen, mit welcl¡er Tierbündigergeste Schaljapin rtie Menge vor seine Füße hinkuschen ließ. Aber er verschluckte vom ,,Nuß" ,ban&'o tloch tlie letzte Strophe untl sang rlafür .Es blinkt der Tau'r von dem,Rrrssen Rubinstein, tler ja nur ein mit Zuckerwaçser vBrdünnter Schumann ist. , Keiner, der heute über Rußlanrl schreibl tlarf ilas Phänornen. Sch¿ljapin unerwühnt lassen. Dieser Mensch ist eine Ârznei. Er singt von der Zarenhymne bis zur Internationale alles, was den Ausdruck der'Begeistenrng großer Volks. massen'wiedergibt, was Begeisterung bei großen Volksmassen erregen kann. Dr bleibt .im beilrängten Lanrle uncl rlie Bolschewiki sagen stolz: er ist unser ! (Allerdings verweigerten sie ihm schon einmal rlen Paß ins Audlantl.) Sie lassen ihn tun und treiben, was er will, die Gesetze umstoßen, er soll nur singen. Er ist rler populäre Künstler Rußlancls. Er hat d¿s Ohr der Menge, und darum ist ihm nicht,beizukommen. Er hält, im Frack, diamantengeknöpftem Plastron und Lackschuhen ein zerrissenes Notenblatt mit zwei Fingerspitzen vor sich, zieht eine Grimasse und drückt damit arrs:,seht her, ilieses Elentl; baltl wircl mein Notenblatt ganz zer'. ¡issen sein untl dann,ist es aus uúd vorbei, denn ' Ieiiler,'leiclèr, es gibt kein Papier fär tlie Kunstt Er zieht sein'Lorgnon aus der Tasche und,minit. Er beniæmt sich wie einer, rler überall zu flatise 154
ist. Er'bat sich im Palast Narischkin nicht anclers benommen, als noch fürstliche Gnaden dort wohnten untl nicbt ich uncl Genossen. Bogenlang könnte man so von Schaljapin weiter erzählen. Er ist tler populäre Künstler der Russen. Dqs Sàhicksat der anderen geht an ihm vorbei, auf Zehenspitzen, und grüßt ihn' \
Das Leben deÞ Stadte micb vom BaånE in rasentles SowjeLAuto holt -D not ab; im Aúto sitzt .die Sekretåirin aus
Smolny, eine kluge, elegante Sowjet-Katze, die mir
im
Vórbeifliegeñ ttie Sehenswürdigkeiten tles NewsklProspekts erklärt. Dieser heißt jetzt übrigens Straße tles 25. Oktober.untl auch clie anderen Sehenswtirdigkeiten sind neu benannt, sincl ándere, als die; über die mein Baedeker zu be' richten weiß. Ich stecke daher das biedere rote Buch'in die Tasche untl" werde es nur wietler hervorziehen, wenn es mich nach einer Stuncle ungetrübter Heiterkeii gelüsten sollte. Es tut gut, sich zuweilen die Vergängtichkeit alles lrtlischen aus einem so ernsthaften uncl aus sichersten Quellen gespeisten Werk, wie der Baetleker eines ist, zu Gemüte zu ftihren. Hier, auf dem Platze hinter dem Katbarinenrlenkmal ist tlas Alexandratheater: aber die junge Sekretärin weiß nur zu berichten, daß in jenem großen Gebäutle die erste Sitzung unter Kerendki äbgehalten wurde; nun fahren wir.an der Kasankatheclrale vorbei - die erhäit ihre Betleutung erst durch den Umstancl, tlaß vor ihr tlie ersten großen Versàmmlungen unter freiem Himmel. slattroo
gefunileln' &aben mit einem Schlag ist die EatåeilËle im .Nebe} tler Zeit¿n verschwunden
-
auf, man hört Schreie, man seraimmt bereits tlieKlänge des heiligenGesanges, dar futernationale - ünd weiter, an jener IV[orFk'aiaecke, wo einst clie Stutzer und Dämchen des vornehmen Petersburg zu ihrem Konditor, íh¡er Putzmacherin, ihrem Klub und ihren Rendezsous einzubiegen pflegten, tobte einer der entscheitlende¡ Straßenk?impfe zwisc-hen den Anh?insern Lenins und der Piovisorischen Regierung. , .Da ic! Petersburg z,a Zarcnzeiten nicht gekannt babe, will ich keine weiteren vergleichenden Geschichtsstudien und topographiscbãn Experimente ¡nit dem Baedeker unternehmen, um etwa dem Leser, der Petersburg aus eigeherAnschauung kennü und zu erfahren wünscht, was aus dieser Stadt geworden ist, Seufzer des Abscheus und der Verzweiflung zu entpressen. Ich will vielmehr versuchen,_ darzustellen, welchen Eindruck Petersburg auf mich gemacht haf diese allem Anschein nach qgsüéuropäisch zugeschnittene Großstadt auf den Inseln; keine spezifisch russische Starlt wie Mostau, das einen Tag später in seiner barbarischen Herrlichkeit vor mir. aufstehen wird, s,ondern eher eine nach der Scbablone von Berlin, Paris, Stockholm zurechtgezimmert,e Metropole mit tiberhitz, tem Luxus und depravierendstem Elenrl in ihren verschiedenen Vierteln Ðas erste, was einem auffäl[ wenn man, wie ieh, auf der Durchreise 24 Stunclen in peüersÞurg verbring! ist dies: es ist Sonntag, tl. h. die Geschäfte sincl samt und sonders geschlossen. Es ist wahrscheinlich Sommer, d. -h.: die so, gæaaate ,rtote Jahreszeiti', denn von der ele, F-alksgewü&tr steht
15ü
ganten lVett ist nieht viel zu sehen. Arbeiter, Solilaten zirkulieren in den Straßen - es ist eine Proletarierstadt mit verlassenen Palästen und zu' gesperrten Lätlen. Erst wenn man an der Admira' lität vorbei die Schloßbrücke am Newakai passieft und das Winterpalais cles Zarcn vor sich erblickf èrst da merkt man, daß sieh in clieser Staclt etwas Außergewöhnliches zugetraget haben muß: hier sieht man nämlich Spuren; Spuren von Verwüstung und auch noch andere Spuren. Die letzte Zarin tler Russen, Alix von Flessen, hatte es für gut befunden, ein paar hundert Wag' gons aus ihrer Heimat nach ihrem neuen Wohnort mitzubringen, als sie das Darmstätlter ldyll mit dem Petersburger Pulverfaß vertauschte" In diesen Waggons kamen rote Sandsteinblöcke, eine hessische Gesteinsart, nach dem Newakai,wo siesauber behauen zu einer einige Meter hohen Mauer um das Gärtchen vor rlerSeitenfront desWinterpalais aufgeschichtet wurden, gegen die draußen vorüherwandelnden Menschen, vor deren Anblick tlie heimische Gesteinsart die Zann bewahren sqllte. Ihr Auge wollte auf rotes Gemäuer fallen, wenn sie in ihrem Gärtchen ging otler aus. tlen Fenstem schaute untl nicht auf den vorbeiwandelnden Untertan. An einem der ersten Sonntage nach der siegreichen Oktoberrevoiution haben tlie Peters' burger Arbeiter, Solclaten und Matrosen cliese Mauer nietlergerissen. Sehr glimpflicb uncl akkurat scheint sich diese Angelegenheit nicht abgespielt zu haben, der hessische Sanclstein liegt in wirren Trümmern verstreut vor dem Winterpalais und am Newakai umher, und das Gras wächst zwi' schen den Steinen. Es ist, rein vom koloristischen Standpunkt, ein erfreulicher Farbenfleck. An der
t57
Sfeb €úebt s-icb jetzt'ein Reclnerpult aus Bretxeeå den'Emblemen der Sowjets, indes aucb diffi Bretiergerüst,ist sehon verwittert und halb
kra
¡ærfallra-
Gras wächst in,tlen Straßen Petersburgsl Ja. wohI, alter Pet6rsburger, d.er clu in Berliñ, Paris l¡nil Genf emsig in die gegenrevolutionåiren Klubs Iãufst um die Rücker,oberung Rußlands vorzubereiten Straßen und. zwischen - in Petersburgs clen Pflastersteinen del Zarentesidenz wüchst Gras; es ist ziemlich hoch und sieht saftig grlin aus. Untl auf den großen Uferzeilen der Newa, die vom Winterpalais links hinunter an tler Admiralität vorbei zum Hafen, rechts aber an den Palästen ehemaliger Großfürsten und weiterer höchsten Herrschaften vorbei bis zum I![ars. feld sich hinziehen, liegen zwei Stockwerke'hoch geschichüet Holzblöcke, denn der Winter steht vor der Tür. Hübsche junge Mädchen in guten Mänteln unrl Schuhen, fußfreien Knöchelchen und ganz niecllichen Hütchen auf den frisierten Köpfen bewachen tlie Holzhaufen. Diese Frauen haben Gewehrti umgeschnallt (stochern zuweilen mit tlem Bajonett in der Glut), und es ist wahrscheinlich, ilaß sie schießen werden, wenn jemand einen Holzstamm aus dem Haufen davontråigt. Indes, es kommt auch vor, daß sie am rechten Enrle des Haufens ein kleines Stelldichein feiern und derweil am linken Encle jemand ungestraft mit einigen Scheiten clavonläuft. Das lÌ{arsfeltl wircl ebenfallS von einer grim. migen Solclatin mit Gewehr und Gamasehen an elen fußfrcien Knöcheln bewacht. Dieses lllarsfeld, ein ehemaliger Bxerzierpla tz, anf. dem einst zaæeilen Spießrutenlaufen uncl ähnliche militåi. 158
rische Festlichkþiten stattzufinclen pflegten, ist ietzü in einen grandiosen Frieclhof rrmgewandelt: in den Mitte des Platzes, der riesige Ausrnaße hat, erhebt
sich tlüster und schwer ein Viereck von rn:ulns; hohen Mauern. Innerhalb dieser Mauern ruhen Ílie Kämpfer für tlie Freiheit Rußlands. An den vier Ecken liest man die Namen Urilzky, Lichtenstatlt-Masin, Wolodarsky, Nachimson. - - zu Als ich zwei Monate später aus Moskau Iängerem Aufentha.lt nach Petersburg zurückkehrte, hatte ich mich an den neuen Zuslancl scbon einigermaßen gewöhnt. Es fiel mir nicht mehr so schmerzlich auf, daß ganze Straßen cler Stadt von cler Länge etwa der Leipziger Straße vollhommen leer und unbewohnt schienen, daß die dhemals vornehmsten Quartiere um die Mojka und ltalianka ebe,nfalls verödet und verlassen dalagen, und man sich wundern mußte, wenn aus einem Fenster ein Mensch schaute oder hinter einern anderen Gardinen hingen - die Volks" quartiere um das Taurische Palais und Smolny, wie auch jene auf der ,,Petersburger Insel" scheinen übrigens auch einen großen Teil ihrer Bewohner eingebäßt zu haben. Von clen Holz' haufen waren, da der Winter eingesetzt hatle, bereits die obersten Lagen verschvüunden. Der hessische Stein lag noch immer, wo er gelegen hatte, nur stachen die Spitzen des Grases jetzt aus einer tlicken Schneeschicht in tlie l{öhe. Es nützt kein Leugnen: Petersburg ist eine erschlagene Staclt. Dies ist nichi-mehr die von raffiniertester Üppigkeit und Verclerbtheit durch' parfümierte Residenz, an die sich seufzende 'Frauen.uncl knirschentle Männer in allen llaupt' städten Europas erinnern. Es ist eine erschlagene
I
159
il
gåadå"
eder besser lesagt eine tief eingeschlafeneo tler Føqåa-cka siad. lroße Holzbarken versenkt; das ãelz liegt nqch über dem Eise, aber die Barke i-sË blsg mehr ein Geripp die HandelÈreihen, - allen einst znm Bersten voll von Kostbarkeiten Ðkziclents und Orients, verwittern und verfallen... -å,i¡er wie sonderbar: hinter den grau verstaubten ,Schaufenstern sieht ¡nan noch alles, wie es vor jenem Oktober gewesen sein mag I In dieser Stadt, "in diesem Lande der Not unil des herzzerreißenilen Mangels sieht man hinter Schaufenstem feine Hemdchen, Spitzenhåiubchen aus zartem Stoff, Pyjamas und allerhand kostspielige trIotlestücke, tausend andere nützliche Sachen noch außerdem. Die Seheiben sind grau, aber sie sincl heil. \Yie sonderbar : hier scheinen keine Einbrüche stattzufinden, wie in Städten, in deneu tler Kapitalismus Waren und Waren auf tlen Markt schleppt uncl clie Schaufenster, vor denen der Arme sich füglich den Mund wischen darf, blitzblank geputzt sincl: Arr diesem und anderem, ¿Ln diesen verlassenen, aber noch von früherem Leben zeugenden Verkaufslärlen, an den langen stockfinsteren Straßenzügen, clie doch noch Spuren ehemaligen intensivsten Verkehrs tragen, kann man erkennen, daß dieser um ein Drittel ihrer Bevölkerung reduzierten Proletarierstadt mit nur hier und dort versprengten und zurückgebliebenen Nestern scheuen Bürgertums ein Dornröschenschicksal bes€hietlen wurde. Fraglich bleibt es nur: wer der Mãrchenprinz sein wird, der dieses Dornröschen einst ¿ufweckt. Prinz Kapihalismus etwa? Ach aei4 ein forscher Proletarierprinø.
die asf Erwachen kaum noch hofft. In
160
J\ foskau liebe ich inniger a;ls Petersburg. Urvar .LYl in Petersburg laufen noch tlìe Tramþahnen, klingeln noch dieTelephone ; clas Pfl aster ist ebener und menschlich; auch kanLn ich, wentr ich im Srnolny bin, Tür an Ttir alles beisammen fintlen, wonach ich mir in Moskau, in d.en Volkskommissariaten an allen vier Ecken tler Staclt clie Füße wuntl uncl dio Lunge aus dem Halge rennen muß. Aber diese Marchenlshdt Moskau, clieses unerhörüe orientalische Märchenclorf mit seinen vierzigmal vierzig Kirchen ist ein chimåi¡ischer Zauber, in des sen
Bann man tief und schmerzhaf t noch
m
onate:
lang fiebern möchte. Habt ihr schon einmal Kirchen gesehen, die mitten auf der Straße stehenuntl nicht höher sind als ein Stockwerk hoch vom Fundament bis zur Turmspitze ? Aber es ist nicht eine Spitze, sondem es sind ihrer fün-f. Wie Pilze sitzen rlie Türme auf den bunten Dächern. .Da seht ihr Helme mit;.goldenen Sternem auf himmelblauem Grund und rote mit Stacheln wie der Rücken tles Basilisk uncl schneeweiße Pilzköpfo mit kleinen silbernen Ornamenten und. schwergoltlen gleißencle, deren Licht in der prallen auf all' Wintersonne die Augen aussticht - und diesen Pilzen, Hauben, Helmen stehen n¿ch Oste,n gerichtet große Kreuze, die'mitt'els zarter golclener Filigranketten an die Türme angekettet sind, Die Kirchen, tlie Klöster, die Dome Moskaus I Die vierzigmal vierzig Kirchenl UnrL vor allem clieses nie erhörte, nie erträumúe, in Scharlachfiebenn ausgebrüteûe, zusammenphantasierte Winkelwerk, tlie. göttliche Berserkerei dieser besessen ineinantlergewühlten, durcheinandergekneteten, mit einem Krach auf den Platz, vor dern Kremlt hingeknallten Basiliuskatherlrale I Man fätlt auf 11 Eoliúsohsr, Drei Monate in Sowjet-3u6lane1 161
xïær Rüe&en, wenn ma.lt sie an einem farbigen ãerbsåabesil zum erstenmal erblickt, wie' sie im. Seheiae der untergehenden Sonne sprtibt uncl f,larr¡r-nt uad aufglüht uncl erlischtl Wie soll ich 4iesen asiatischen Götterspuk schilclern? Iluntlert $ehritte führen einen um die ganze Kirchè herum, aber sie hat eine unzählbare Menge Tüffne, kleine, große. Sio scheinen aus dem verwinkelten Ge baude' hervorzuwachsen, zu schießerq während man um es leru¡ngeht. Immer noch ist ein Turm da, ein Turmhelm, ein Knauf, den man nicht ge-" e'r muß also sehen hat uncl eben erst bemerkt sein I hervorgowachsen soeben aus dern Ges¡inkel haben., Ananas einer Form die Türme, tlie Da sind rotbraun untl mit golclfarbigen Rhomben auÏ der, Oberfläche. Dane6en sieht man eine verdrehfe Zwiébel, aus gelb uncl grünen Korkzieherwülsten. Ein Turm ist ein Stacb,elschwein mit gemeinen Wehrvorrichtung,en auf der Hornhaut. g'Da gibt es Turbane untt Göttermäntel. Man ist schwindlig vor Bewunderung, wenn man einigemal um tlieso byzantinische Orgie herumgelaufen ist und der Blick sucht, um für einen Augenblick Zü Yêlr weilen, einen Ruhepunkt. Er finclet ihn auf cler Senatskuppel im Kreml, jenseits derMauer, drüben hinter je'ner Mauer, die einst weiß war und jetzt es rot ist - und auch von dieser Kuppel weht rot seht, dort flattert im Abentlwincl die Purpurfa.hne der Sowjets I Der Kreml. Von Mauern umfrietlete Hochburg der Zaren, geheiligter Ort unheilvoller Traclitionen, Hort'der Tyrannei einsf nun Wiege des neuen Glaubens, einer jungen Freiheit, Hirn cler Weltgeschichte; ehemals von Heiligenbiltlern über jedem Tor behütet, heuüe von rasende,n Auto' ,
162
mobilen durchøuckt unri *iclerhallenri vom Litrm unrl Kommandorufen der marschbereiten Roten Armee. Zwischen den Türmen, die nach dem Roten, d.h, dem Schönen Platz gegenüber tlen ebenJalls erschlagenen Handelsreihen weisen, trägt die Kremknauer Spuren von GeÉehr- und Artilleriefeuer. Das Senatsgebäude hat tausend Pockennarben abbekommen, die Mauer berieselte Ziegelblut. In Petersburg haben die GeburJswehen nur drei Tage gedauert, in Moskau tobte der Kampf zehn Tage hindurch, und in dieser Frist entschietl sich tlas Schicksal der Welt. Moskau lebt sein zähes Leben, während. Petersburg tot ist. Die Zusammenziehung sämtliche¡ Ämter des Landes hat eine Hochflut von Menschen über Moskau ausgegossen, die zwischen den Mauern branrlet und nicht zur Ruhe kommt. Ein anderur Menschenschlag ist es, der einem in Moskau begegnet, als der von Petersburg es ist. Plätze, Straß,en, Theater, Versammlunge,n haben ein anderes Gesicht. Hier sprenkeln nicht überreste der ehemaligen B'ourgeoisie das Arbeitervolk, s,ondern es macht sich ein stark bärgerlicher Einschlag bernerkbar, ein Blement, das sich mit sicherem Nachdruck zu regen und geltend zu machen strebt und dessen Dominieren zuweilen dem Grundcharakter des sozialistischen Staatswesens Hohn spricht. Man leidet in Petersburg wie in lVfoskau - aber ich glaube, in Moskau voilzieht sich das Leiden insgeheim doch in wütenderen Formen, widerspruchsvoller, erbitterter und gefährlicher. DieKleide,r, die dieMenschen abtragen, sincl noch gut; sieben Jahro otler drei haben sie nicht zu Fetzen zerrissen. Auf clen Promenaden, den Boulevards, die in kon169
Eæk'åsrhæ.'SreÍsen um tleu. Kremlhügel an,ds: Me.cewa- gei€gt .sintl, sieht man,noch harmlose 5g**ziergãnger, ilie weiß Gott auf welche Art,über Eeiå uad. Muße zu verfügen scheinen;.wenn rnalr nlcht wúßte, u{n was es in dieser Staclt, diesem Laade geht, m¿n müßte zuweilen ,baß erstaunt sein. Doch ist. clie Twerskãja," clie berähmte Straße .der Fla.neure, .jetzt eine Arbeiterstraße geworden, Arbeitervolk flutet an dem Rèvoltitionsobelisken vorbei, der' an Stelle , tles Skobeleff seinen Kunststeinkörper mit der Carpeaur schlecht nachgeahmte,n Freiheitsgöttin schwerfällig über rlie Häuser hebt. Prostitutiqn gibt es nicht mehr in der Form, wie sie vor de¡ Rer¡olution bestantlen haben mag, frech unrl zynisch am hellen T4ge. Indes, sie ist, ist geblieben, unterirdisch, tliffus und unkontrolIiert, und es gibt s'ogar, eq ist schaurig zu sageo, Kinderprostitution. Fragt ihr mich nach dem Alkohol;,so s4ge lch euch: ich habe in den drei Mogaten.in Rußlantl keinen betrunkenen Menschen gesehen. Es.gibt Betru¡kene, das ist sicher, aber sie sind auf.den Straßen uncl in der Öffentlichkeit nicht,,mehr.zu sehen. , Darf man Rußlandkennern, cler Literatur, den . Fachkundigen, Ethnographep, R.eisenden Giauben schenken, so lagen ehemals die Rinnsteine cler Städte voll von betrunkenem Volk, Männern uÍtl Weibern, ûrâ,n stolperte . über: ekle Tiere von nur entfernt ,an Menschen gemahnendgr Gestalt. Die Jahre des Krieges'haben dem Alkobalismus Rußlaqds einen, stõß. versetzt, die, Jahre seit der Revoltrti'on aber haben den Gott Wodka ætthront uncl verjagt, und das Volk'der Ertle, das am tiefsten ernieclrigt w¿rr vor allen, durch das x64
Staatsmonopol für Branntwein, wie rlurch alle anderen Monöpole zur Verdummung, Bestialisierüng rler Màssen, ãur Gefügigmachung tles einzelnên wie der Gesamtheit zu Zwecken der Staalsinfpmie, heute trinkt es Tee, wenn es seinen armen verhungerten Körper gegen clie Unbilclen tler :Ïf¡¡¡stong' schützen will. Mit eineur--Juristen und einem höheren Beamten tles Volkskommissariats für Rechtspflege wohnto ich einer Sitzung des ,,Narodny Sud", des Volksgerichts, bei. 'Volksge¡ichte gibt es in allen Straßen; iþre Zusammensel,zung ist eine höchst einfache: clen Vorsitz führt ein verläßlicher, gerê'cht€r untl ehrlicher Mann mit gesundem Menschenverstantl und erprobter sozialistischer Gesinnung, der auch irgenrleine Funktion im Volkshommissariat innehaben mag; Beisitzer sind zwei 'als arnstänrlig angesehene Arbeiter von einwand. freier Lebensführung, ein Mann und eine Frau. Iin'Volksgericht, in dem ich Zeuge einer Verhandlung.war, hatte tlie Gewerkschaft tler Postbeamten ,bieide Beisitzer gestellt. Jedermann ist der Zu" t¡itt zr¡'den Verhandlungen frei, auch kann jeder von'tlgr Straßo Heraufgekommene sich von der Bank der Zutrörer erheben und den Angeklagten verteidigen. ,, Der Fall, den ich mit meinen Freunden zu hören bekam, betraf einen Zahnarut, det unter Alkohol einem Kutscher ein paar' Zähne eingeschlagen hatté. Es hanclelte sich bei diesem Straffall aber nicht allein um die wenig mensclienfreundliche, dern innersten Berufe diðses Gerect#n einiger. ma ßen widersprechenrle Betätigung, soñdern haupt sächlich um penetranten Fuselgeruch. Der miß'hantlelte Iswostschik ein Schuft übrigens, ich
-
1"66
wette, clenn ich k'enne jetzt clie Moskauer Kutscher: sie verlangen ,,Pitiorka", d.h. 5000, wenn tlu sie anrufst, geben sich dann mi[ 3 znfrieden¡ aber wenn du am Ziel angekommen bist, leugnen sie es hartnäckig ab und beharren weiter bei 5l -, tlieser wohl rechtens mißhandelte Kutscher also rief rlie Miliz herbei, und auch rlie Miliz konstatierüe intensiven Fuselgeruch aus dem Munde des schimpfenden Zahnarztes, cler sich dazu nicht allzu sicher auf s,einen Beinen hielt. Draußen im'Wartezimmer erlitt währenrl der Verhandlung" die schwangere Ehefrau des Arztes einen schaurigen Schrei- und Weinkrampf. Die geringste Strafe für das Delikt, nach Schnaps zu riechen, beträgt ein Jahr Gefängnis. Mit solchen drakonischen Maßnahmen hat clie Sowjet-Regierung die Trunk'sucht, clas Urlaster des,Russen irinerhalb dreier Jahre fast vollkommen ausgerottet. Man zog uns zur Verhanrllung über das U¡teil zu. Die Genossin Postbeamtin war fü¡ Verurteilung des Arztes, wio überhaupt die Frauen in solchen Gerichtshöfen, zumal wenn es sich um Trunkenheit hanclelt, immer di,e unerbittlichsten Richterinnen zu sein pflegen. Wir erwirkten es nach langer Debatte, hauptsächlich unter Hinweis auf den Zustancl tler Ehefralr, tlaß der Arzt zu einer befristeten Zwangsarbeit verurteilt wurde: er mußte 6 Wochen lang in ciner zwei Stunden von Moskau entfernten IJVaklstelle täglich 6 Stunclen lang Holz fällen unct spalten, clurfte übrigens zu Hause wohnen und an¡ Abencl Zäl¡nre ziehen er war, als ihm dieses - wurde, mikle Urteûl verkündet sichttich üherrascht und'erfreut und zog unter Dankbezeigungen ab. Der folgende FaJl verlief etwas'bitterer: Ëin 166
junges Mäclchen aus der entthrrcnten Bourgeoisie,
zurzeit Aufseherin in einer öffentlichen Speisehalle, hatte die Bezugskärtchen, clie ihr drei arme Dienerinnen-Kolleginnen zum Bezuge von .Kleiders[offen aus dern Magazin der Verteilungsstelle anvertraut hatüen, angeblich verloren. Sie ver' wickelte sich beim Verhör in Widersprüche. Es wa"r' offenkunclig, daß sie clie Kärtchen otler dio Stoffe für sich verwencfet hatte" Sie wurtle ver' urteilt, innerhalb vier Wochen W'aren oder I(ürtchen zurückzuerstatten oder auf 6 Monate in dirs Konzentrati'onslager zu wandern.
fn i\{oskau sieht man viel Lantlbevölkenrng. Sie I strömt nicht nur in tlie Stadt, um hi'er Schleichhandel mit tlen verhungerten Einwohnern zLl treiben, sonclern im Gegenteil: cler Hunger ist i'n die Statlt jagt' In clieselbe Statlt, die sie, wenn claheim tlie Ernte gut untl üppig ausgefall,en ist, gern verelentlen iäßt" Dieses Jahr hat manchem Gouvernement furchtbaren Mißwachs gebracht, tlamit clistriktweise Hungers' niite, wie sie clas' arme Land seit Jahrzehnten nicht erlitten hat. Staatliche Musterfarmen haben
,es, d,e'r sie
Saatkorn unter tlie Bauern notleiclencler Provinzen verteilt, aber statt es zu sâen, haben es tlie Bauern, man weiß nicht r,echt, aus Bosheitoder Dummheit, gemahlen und verzehrt. Die Bolschewiki haben einen harten Kampf zu führen : . . Gegen den unsinnigen Ansturm der verelendeten Bauernschaft wehren sich die hungernden Städte, wie sie können. In einem Moskauer Kintlergerichtshof wohnte ich einer unvergeßlichen Szene bei: Eine Bäuerin aus Tula, eine schöne' stattliche Frau, war mit ihren zwei kleinen Kindern
'
16?
I¿¡rd: efuenÊr K{rb *pfe}, ,ihrem einzig,en BeSitz, aa*& Moskau gekommen. Äls tlie Äpf.el verkauft TFäm und iler Erlös verzehrt, hatto clie Miliz *lie amen,Menschen in clen Pa¡ks rles nörcllichen Âdoskau umheri¡rentl angetroffen. Das älteío ivon iles beiÌlen Kinclern, ein siebenjåihriger Knabe, hielt sich mit Mähe aufrecht; das jüngere, ein zweijäbriger, schien rosig und rund - v/enn man näher hinsah, bemerkte man-rlie unnatürlich ge. d.unsenen Gelenke, Arme, Being Bauch, _Gesiðht æie Kü¡bisse angeschwollen Der Frau - Oeclem.Sie stü¡züen dio Trtinen aus clen,Augen. heulte. vor Scbmerz und Angst; man mußte sie heim nach Tula schicken, ein Exempel.war zu statuieren; mein Leben lang werde ich mich an d.en Ton ,erinnern, tlen Laut eines armen verendenden Tieres. ' Im selbe,n Gerichtshof waren, zwisçhen Bajo4etten, einige kleine Spekulanten, er$chienen, Schulkintler, di,e ihre Schule sar nicht zu sehwänzen: braucbtnn, denn sie wai ja wegen Maogels an Bren¡holz geschlrossen. Einem -von' diesenr Kleinen, einem zehnjåihrigen geweckten Knaben, dem das Verh¿lten vor Gericht schon vertraut zu sein Bchien, wurden mit einer Schachtel .Z;igareften 80000 Rubel abgenommen.
e¡ Winter war gekommen uurl das Leben wurde härter. In den Kommissariaten sah
man Hã,nrle, die wie Humnrerscheren aus dünnen Ärmeln hervorstachen. Die verdorbenen Hèizungsrðhren gestatteten oft keine, wenn auch noch so g!1ipge Durchwärmung der riesigen Häuser. Viele Ðolzhäuser würden abgebrochen, man passiertê
pitte¡r-
in
d,er Staclt verwüstete Gassdn. Das
Bauholz wurcle verheizt. Abencls, sobaltt es 168
du¡¡,-
kelüe, konnte rna¿ gutgekleiclete Frauen auf diesen
Trümmerstätten Holz, Tapeten-fetzen und Ziege!' steine sarnmeln sehen. Ziegelsteine braucht man in den.Zimmern, um das eiserne Öfchen auf sis zu stellen. Ich fragte auf dem Markte nach d€,m Preis eineb solchen Öfchèns, clas nicht größer als ein Zylinrlerhut war: ?0000 Rubel. Dies war noch spottbillig im Vergleich zu der so nötigen Röhre. Der Preis einer solchen stieg ins Unglaubwürrlige I Schon konnte man in tlen Straßen Menschen beobachten, die, vor kleine }lantlschlitten ge' spannt, tlen Strick um Hüfüen oder Schultern gewunclen, tlurch tlie Starlt nach den weit tlraußen Iiegentlen Frieclhöfen trotteten. .A.uf clen Schlittchen waren Särge festgebunden; tlie Leitltragen' rlen hatten sich ihrer Mutter ocler ihrer Ehefrau vorgespannt, ni,ernand regte sich weiter darüber auf. Ehemals waren es festliche weißlackierte Fourgons, tlie clie Leichen an' ihre Ruhestatt brachten. Man sah noch viele von diesen weißen 'Wagen durch rlie Straßen rollen, intles sie tlienlen jetzt clen Lebenden: auf ihnen häuften sich Säcke, Kisten, Fåisser. - Es versteht sich von selbst ilaß mao über clerartige Dinge nicht viel Tränen vergießen rlarf. Wohin käme man, wollte man an Derartiges viel Gefühl uncl Lebensenergien verzetteln ? Die unbegreiflicbe Fähigkeit des Russen, zu dulden, zu ertragen, manifestiert sieh ja auf Schritt untl Tritt. Sie zeigt sich bei diesem gottgläubigen und nach Göttlichem hungerndgn unrl dürstenden Volke auch in'der namenlosen Gleichgiiltigkeit gegen fremdes wie gegen eigenesLeiden. Ich erzählüe bereits, wie ich in einer Nacht, in der peitschencler, ätzender Frost clie schneebe. 169
in Eis verwandelü hatte. hinfiel a¡fl Knie uncl Armgelenk verletzte. Bei clieser deskåen Stra$en
Êelegeoheit habe ich eine kleine Stuttie für. mein
' Ð*r& gemacht. Mit geringer Energie hätte ich pich aämlich sofort erheben können, blieb inrles liegen, und,zwar etwa vier Minuten lang, um zu sehen, ob jemantl mir zu Hilfe kommeñ würcle. Ich lag mitten auf der Stra3e da, als hätte mich tler-Sch]ag gerührt, oder als sei ich gestorben: eine rechtschaffene Leiche mitten auf - einer der belebte¡en Straßen des nächtlichen Moskau. Aus $em ^A,ugenwinkel vorsichtig in clie Höhe lugencl, bemerkte ich ungefähr clreißig Paar Stiefet, aio an_ mir v_orbeistapften, schlurften, stiegen uncl stelzten. Keinem dieser etwa dreißis l\fenschen fiel es ein, sich zu mir niederzubäckeñ, mich aufzu-heben. Ich sagte: Gu! ihr Schurken, das kommt in mein Buchl Als ich mich dann aufrappelte untl beim nächsten Schlitterrstand, zum ersúenmal ohne zu handeln, in ein Gefährt hineinwar aber mein Groll bereits verflogen. _sc-hleppüe; Ich konnte es mir ja ausmalen, was d.as bedeutãte: sich mit einem Toten auf der Straße abzuseben. Da mußte die Miliz gerufen werden; da gañ's Begegnungen mit den Behörden, am Ende mußte rnan gar noch der Auß,erordentlichen Kommission Namen und Wohnung angeben - da ließ man besser clie Toten ihre Toten begraben.
¡ jm. Nacht wurden in Sowjet-Rußtand die GeL,/ schäJtsläden, Magazine, Warenhäuser zuge-
sperrt, Wie man Revolutionen nicht ansagen -darf, so darf man auch rlie Torlesstunde áes Priratkapitals nicht vorher umstänrllich bekanntgeben. Håtten die Sowjets verkündet: am pB.
werden wir dem Kapitalismus den Garaus machen
hätte angehoben, wä,re im
- ein riesenhaftes Hamstern der kapitalkräftige Teil cler Bevölkerung
Hantlumtlrehen Herr über alle in Lëtden, Warenhäusern und Magazinen aufgestapelten Vorråite geworden, der Staat abei hatte zusehen clürfen, áuf welche Weise er die Arbeiterschaft mit clem verfügbaren Nötigsten jahrelang beliefern könnte. So hat man dem Hantlel ohne viel Federlesens einfach clen Hals umgedreht, Lebensmittel, Waren, alles Rohmaterial mit Beschlag belegt. Trohz tlieser energisch untl zielbewußt clurchgeführten Maßregel ist noch genug verschwunclen, versteckt und über die Grenzen gbtragen wortlen. trl'tangel an dem Nötigsten hat auch hier untl dort schon ein gewisses Schwachwertlen des Frinzips tler Zentralisation gezeitigt; es gibt Straßenmärkte, clie ilie Regierung .tluldet, uncl in verkehrsreichen Straßen stæhen sogar Läden offen, in denen man wiede¡ Lebensmittel und auch noch alles mögliche antlere. kaufen kann. Daß clie Behörden gegen cliese Verletzung einer der fundamentalen Gebote tler Gemeinwirtschaft nicht mit Feuer und Schwert losziehen, ist wunclerlich untl kann nur aufrichtig betlauert werden. Korruption korrumpiert weiter, ich habe tlas an mir bemerkt' ' In Moskau habe ich einige von diesen postkommunistischen Verkaufslätlen gesehen, in Peters' burg einen. In cliesem letzteren waren merkwürdigerweise Kompasse, Ziga.rrenspitzen aus Meerschaum untl Benzinfeuerzeuge zu kaufen währentl in tlen Moskauern zierliche, nach cler letzteri Pariser Motle entworfene Damenhütchen, 10000 rlann frisctre Blumen - Chrysanthemen zu Rubel * uncl andçre Beclürfnisse tler alten otler
1?8 i,
arrc&'' ile,r Ðenen Bouryeoisie
befúedigt werden bnaten-* In'rlem, Latún, der mein -Gewissen,
ary belastet hat, gab es Kuchen, Speck, Käse uncl tfoü¡srren zu kaufen. unil ich habe dort meine Kest züweilen aufgebessert, indem ich,aJle paar Tage e_inmal ein gebratenes Huhn für ?500 Rubet e¡stand.. Dieser, gegenrevolutionären Hancllung machte ich mich nicht ohne Not schutclig. \Iri; bekamen in unserem Hause; in dern wir, alärdings fri.enend, aber in sehr sctö¡en Räurien_untergebracht waren, tagaus, tagein nichts anderes zu. úorfartiges Brot, sehr wenig Butter,: ::::i .ilr Zucke,rstäckchen, d.ie sich Àeit Aus. -schmutzige
bn¡ch.des Krieges an allen Fronten herumgewälzt nah€n mochten, uncl die man in die Backesõhiebenr
rlußte, r¡m den dünnen Tee über sislzu spülen, einmal am Tage gan_z durchsichtige Gemtiseìuppé unct außerrlem Kãscha, raec¡f '1;."íä. x*.n" 'ist Grütze. Ich weiß,nicht, uG'*"r:är Ilülsen die Kascha ne"gesteilt lwu;i I1-o_IlrúlYjrü.chten ole wtr rn Moskau monatelang zu essen bekamen. Früchte waren es nicht, sondern Hülsen; es mag aber auc,h Baumrinde gewesen sein. Unsere Kaschã -Färbung,
deren-U"*p*ng latte zuweilen eine in'rler'Botanik nur schwer ," totil¡rieren sein dtirfte:. Fleisch unct Kartoffet" g"U es ,äußerst lglt'en, noch seltener eine Konseivenbti.hr;;; Fisch ocler ein Stück Käse. (Ging mauìndes mit Kommissaren auf B,eisen, uo uinr* oom -,iraãKommandanten auffallend reichlicher mundvonat
Mein Zimmernachfotger winl ver_ $Qegglen.) steckt im untersten Schiebfach eines f,rächtige.n Ro-
kokoschrankes
si eben, sau
ber unrl in åiler lteï
Eert. a bgen a_gte Hühnergeripp e vorgefu
n
den
Eirrge Worüe, über.fue'Beliefeñrng alór t72
ml i¿n, ha
ben.
St¿idte
nit lebensmitteln. lffie leben tlie'Ståiltp,
da-tler doch nur Bauer deo Kommunismus.gar nicht oder sieht, gezwuug€n anerkennt, keine.Veranlassnng für den Staat mit Begeisterung zu pflügen, zu säen, zu ernten, Vieh.zu züchten, zu melken und herzugeben -:- zlrmaL er für seine Prod.ukte Sowjot' Geld erhält, daran ihm nichts gelegen ist, .uncl kei4.e Schuhe, Kleitlersûoff e, Mützen, lanclwirtscha"f tliche Geräte, ja nicht einmal Heiligenbilcler und Lämpe,hen davorzuhängen.. , . 'Die BauernJrage ist, soweit man' das aus d.enschweren uncl fortgesetzten Kämpfen, rdie sich.in
tlen'soqjets und der Exekutive rug sie abspielen, eine der brennendsten, im Zustantl cler tåiglichen W,antllung begriffenen Angelegenheiten Rußlantls und, des'ganzen Systems .der bolschewistischen Wirtschaft. Das Problem klärt sich', wenn man die Ursachen cler Not des Landes nennt utld wiederholt: zari' stische Mißwirtschaft, Weltkrieg, Blockade uncl wiecle,rum Krieg. Der Bauer gibt lange nicht genug her von,dem, was die Regierung ihm notgeilruogen als sqin eigen äberlassen hat, und es ist nicht gut möglich, seine Procluktion.zu kontrollieren. ('In der ersten Phase der bolschewistischen Wirtschaft. geschah dies clurch clie-.Kontrollbehörtlen tler 'Dorfarrnen.) Gäbe es keÏnen Krieg, keine Blockacle, das Übet wäre über Nacht behoben; die Industrie funktionierte, uncl derBauer erhielte statt de6 .unbeliebten uncl wertlosen Sowjet'Gelcles, auf dem in noun,sprachen die Mahnung: ,,Proletarior ailerLänder¡ -vereinigteuch l" aufgedruckt steht (der Bauer aber hält sich keineswegs für einen Proletarier;,er,besitzt, er,sitzt auf seinem Sfück Landl), Sohuhe, Kleicter, Mützen uncl Gerät. Gäbe es keine .1?3
ll
i
t)
digReglerung $q$a43, Rr¡SiaÃats
könnre tlie Elektrisierung du¡chführen, Gasolinmotore impori
ukrainischer Lebrer auf tlem Moskauer Kongreß cler prrrfessionellen Schulen über tlie Arboit uncl clie Erfolge seiner Sehule vorbrachte: dieser Lehrer kam aus einer Gegencl tler Ukraine, die innerhalb von2lz Jahren die Regierung zweiundrlreißigmal gewechselt hatte . . . ; EbenJalls aus dem statistischen Material der Petrokomrnun stammt eine Notiz über die er.reichten Kalorienziffern bei der Belieferung versch,ié¿et er Bevölkerungskategorien. Bei tler Be' lieferuns der Kinder war von dem zur normalen ErnAhrung des menschlichen Körpers nötigen Qrfantum das Maximum von unge[ähr 68 Prozent
tågæa-cd91bauen, die sie großen Komplexen land-
çirtshafiticher Kooperati vgemeinschaften z ur Verfñgung stellen wtirde, so ãaß nicht jeiler kleine Bauer sein eigen_es bißch,e¡r Lancl mühselig mit zu bestellen (oder brach liegä zu -Ðompflügen lassen) brauchte, sondern, wie das z. B. -in Kanada gescbieht, ein riesiges Territorium von Tauselden- von -Quadratwerst in kürzester Zeit ge'meinschaftlich umbroihe,n uncl gemeinschafili"ch, abgeerntet werden könnte. So ungern ich mich des Hilfsmittels der Shatistik bediene," bleibt mir doch nichts übrig, .als hierher au ,setzen, was mir in der petersburger Kommunalbehörd'o zu diesem wichtigen undverhängnisvollen Kapitel mitgeteitt wurae, uncl was ici mir sdrgfältig aufgeschrieben habe. Der Bauer darf monatlich 40 pud Mehl uncl ein gering'es Quantum anderer Produkte behalten. Es-ist iñm vorgeschrieben, welche Mengen Getreide unct sonstiger Proclukte er abzuliefe.rn habe.. Im ersten Ja.hr der Revolution sollen B0 Millionen pud Getleicle abgeliefert wo¡den sein, im zweiten 150 Millionen, im dritten 250 Millionen. Der Voranlchlug für tlas Jarþr tgA\l1921 ist 450 Milionen. Im ersten Jahr clei Revolution mußten g0 prozent der ziffernmäßig eingeforderüen Vorrätemit Anwen-
dung von Gewalt den Bauern abgenommen werden. ent. úer G¡üncl'e, die den Baner'gefügþer nnachten,.tat ich im Kapiiel vom Roten Heer Erwåihnung. Besonders die^Ukrainer Bauern, die zu Aufstäñden nur zu geneigt sind, sera¡s¿chen der Sowjet-Regierung héUische Sorts*i dieser Gelegenheit sei eiwähnf wasein Im: dri tten nur mehr Z0 pr oz
ry.
174
erreiçht. Das Minimum bei cler
erforderlichen Gesa,rntkalorien war nicht glau-bwürdig.) .. .,.d¿gbensmittet- untl sonstige Belieferungskarten we¡Aen durch Hauskomitees auf Grund einer Registration nach dem indivitluellen Arbeitsbuch ver' teilt. Dem Hauskomitee ist das Rayonbureau, das Zentralkomitee übergeordnet' Der
:
, '
tselieferung
[ei Bourgeoisie .betrug etwa 47 Prozent. (Die mf ,'angegebene sehr niedere Gruntlziffer der
'diesem lSt:hwerarbeiter,
nach der
Art seiner Beschäftigung
,- Irebensmittelzulage von seine¡ Gewerkschaft, nicht nlurch das Hauskomitee zugewiesen. Die oberste /fätqeorie, A, bilden Eisen- (Putil'ow), Ertl' uncl '7 Transportarbeiter. Von 400000 Petersburger Ar, 'beitern gehören dieser Gruppe etwa 12? 000 an. t Als ich mich nach den zur Erbaltung tles Lebens eiaeis Intellektuellen nötigen untl d.en ihm zu'gdbittigten Kalorien erkundigte, antwortete man mir nit dgm ,,akademischen Pajok", einer, wie ich e{'{uhr, recht fragwärdigen Zula4e.
'.
\' \, rl \
.
Ll6
'
W¡n.siçh im.Laufu dieser Darstelluugen übpr _. die Þier u¡lil ilort verstreuten exorbitantlen Sunraæ,empört . hat, die ,als preise ftir LebensmiüÊt gena,nnt sincl, möge bedenken, d"ß di; reguläre Karten erhåi.luióhen ""f Quantíøten *o"àipg-f insge¡amr erwa 800 bis ¿õO no¡er; àrr"-*r_ YtFrq$ig äußerst wenig noster,, w¿i,nrend ðie qþl.hu llenge im Schleichúandel ó,rstanderi etwa 100000 Rubel kosten würde. ns geschienilãdit lich aus Gründen der Venecnnüng, w_enn. rlio rationierten Lebensmittel oder Cegenófünae über_ noch nach Rubeln bewerËt *"r¿ã".iãit þgpt dem l.Januar. LïZL ist ja das Gelcl in nuntan¿ 1b-gesghafft. Auf Grund seines Arbeitsbuches sind
Hering, einem Stückchen Gurke urrd einer kaffeeartigen Ersatzbrähe. In clen Kinclerspeisehallen war die Nahrung reichlicher, es gab cla Gemäse, auch schienen die Speisen besser zubereitet. Auch diese Anstalten sincl in Petersburg orclentlicher geführt als in Moskau, wo asiatisehe Nachlässigkeit mit einer fröhliehen Unbekümmertheit um das Erdulden in Gestalt cler bertihmten ,,schirokaja natur¿'i, der ,,breiten Natur" des Russe¡r dich anlacht otler angrinst, wie du wills! sei es aus' breitknochigem sarmatischen Gesicht, sei es aus grimmig verzerrtem Totenschärlel.
lgd.em Arbeit¿nden __Le.bensmittet, W;h;;"€, G;;; elektris_cher Sfurcm, Heizmaterial;-Telephonjt
bahnfahrt., Eisenbahnbi[ette usw. kostenlos "rozu_ gesichert diese Reform soll durchãen Nationalisator, der Banken und Finanzinstitute RußLarin, durchgeführt worden ,.io ._ uio la1dl, weitpr auf {e.m Wege zur neinilung ããì lchritt Arbeit von dem Odium de-r zahlerunaßigeñ ney_e-rh-rng. Es bleibt zu hoffen, daß günstig"ereV,er_ bältnisse die Durchführung Al' ¿iËre, entschi:e. {enen Reformen zulassen üol au*lïãrrüä-äeSystems nicht, ,wie schon so oft, SchleicÉhanileù ---i un$ Kgrruption fördert. .. fn {en städtischen Speisehallen, die seleqent-\r.' lioh. Schmutz auffallen oo¿ H.?¿ã'aur', -durch Infgktion ggy.nnt werden müssen, hrü i.h ;- I weilen zu Mittag_gegessen oder áugesenee, *ie .: andere es taten. Es gihl verschiedeni Kategorien
sotcher
r,olovaj as,
i Io ã;; -g.*öh"ìì;h"î- i-*
-,,S srând das llssen aus einer dti¡nen Suppe n¡it irgendwelchen gralren Klößche;, ;tne;..'hdtÞ, 1?6
I
s gibt in rlen Stäclten wohl keine Massendua"rtiere mehr, aber cler Begriff des Heims existiert nur noch auf dem Lancle.bei den Bauern. Die Wohnungen der Städte¡ sinrl'r¿tioniert; man lebt in Stuben, willkürlich zusammengepferchte Menschen nebbneinander. (Bei der ehemals ,,höheren'.
Bourgeoisie fañtt ich Ausnahmen von diese¡ Regell) IJbersiealelt man, so bleiben tlie Möbel, die Gemeingut sintl, in rler alten Wohnung stehen; in der neue,n muß m4n sich mit den vorhandenen behelfen, wie es eben geht. Straßenzüge stehen verödet, bewohnte Häuse¡ ¿ber sintl zumeist überfúllr. . I,n tlen W'ohnungen werden bei Winteranbruch die Fenster und Ritzen verkittet. Man schlåift, . atmet, lebt sechs Monate lang in einer Ausdünstung, tlie sich nie verzieht. Dio alten Pelze kommen aus den Schränken, wie sie'im Frühting hineingehängt wurden, tlie alten Läuse haben sich vermehrt, uncl mit ihnen halten Epitlemien ihren Einzug, a.m ersten kalten Tage sChießt Tocl und Verderbe,n wiecler in die Höhe. Es gibt zu wenig f2 Eolitschorr Drôi Monato in Sowjot-Rußtanct L77
Seife, viel øu wenigMedikamente. DieÄrzte haÞen wahsianige .A.rbeit zu bewältigen, die Besuchsaa&n fär den einzelnen Patienten ist daher auf zwei festgesetzt worden. überlebt der l(ranke den zweiten Besuch, so hat er die WahI zwischen Gesundwerden oder Sterben. (Natürlich gibt es
wie einen Schleichhandel auch gutbezahlte Privat-
praxis.) Die Besorgung von Medikamenten ist äußerst. umständlich De¡n: Fremden erscheint das Leben des-Russen mitunter als ein grauenhaftes Rätsel; für das er, keine Lösung za finclen vermag. Geht er herum uncl beobachtet, wie der russische Mensch lebt, so wird ihn bald ein Schauder erfassen angesichts der unbegreiflichen Vernachlässigung, in der sich auch der kultivierte Stäctter zu gefallen scheint.
(Ein Charakterzug dbs Russen, der sich nicht in der Revoluti,on gezeigt hat, aber sicherlich
erqt
duùch das zunehmentle Elencl entwickelt worden i*st.) Ich habe in Wohnhäuserrr der ehemals wohl. Éabenden Klasse, Dinge mitangesehen, Zustände aufgecleckt, die jeder Beschreibung spotten. Auf meiner Reise nach Rußlancl gab mìr ein Amerikaner, der in Reval ansässig war und mir
einen Gefallen geleistet hatbe, ein Säckchen mit Reis für einen Verwandben mit. Ich gab dieses Säckchen in Petersburg ab. Der Verwandte des Amerikaners. war ein ehemaliger Ìlandelsagent, tler mit seinem Sohne uncl seiner Wirh schafterin im Hinterhause eines vierstöckigen, in eine¡. vornehmen Straße cler Stadt gelegenen Gebäudes wohnte. Er war aus seiner Wohnung nicht :rertrieben worden, und auch seine Möbel standen
eoch in den Zimmern. Als ich rlen Eof durchquerte, der das Hinterhaus von der S[raßenfront 1?8
trennte, mußte ich mich an dieMauer lehnen. . . Im Quergebäucle stand ein Scheunentor offen, hinter
clem einst wohl ein Automobil verwahrt worden war. Es war vorn Boclen bis an den oberen Rand mit einem riesigen Hauien menschlichen Kotes angefällt. Die Ahtrittröhren des Hauses waren, wie mir der Hanrlelsagent, ein gebikleter und wolerzogener Mann, auf mein Befragen berichtete, vor zwei.Jahren im harten Winter geborsten und die Bewohner des Hinterhauses mußten seither jeclen Morgen den Inhalt der Abtritte in Käbeln aus ihren Wohnungen entfernen. Die Wohnung, in der ich das Säckchen abzugeben hatte, lag im tlritten Stockwerk. Die Treppen wiesen die Spuren tler Abfälle auf, die Monate, Jahre hindurch über tliese Treppen hinuntergebracht worden waren. Remont I Aber nicht der Industrie allein. will mich bedü'nken.
-
ie Nacht in Fetersburg
is:f;
schwarz. In Mos.
kau ist sie hell. In Moskau brennt nachts viel Licht in den Straßen bis zum hellen Morgen. Es geschehen wenig Verbrechen. Man kann ohne Ge-
fahr stundenlang durch das nächtige Moskau
gehen. lVir, tlie wir, Tschitscherirrs Arbeitsstunden folgencl, allnächtlich um drei oder um vier Uhr aus dem Auswåirtigen Amt nach Hause gehen mußten, können es bekunden, d.aß rliesicherheit inMoskau
eine vollendete ist. In vielen Häusern sieht man - beleuchtete bis spät in die Nâcht Fenster, dahinter tlrängl, sich Kopf an Kopf. Das sind die Klubs der jungen Arbeiter, rler Proletkull; ihrer gibt es viele in allen gr'oßen Straßen der Stadt. Riesige Go.
bäude erstrahlen die Nacht hindurch glanz aus allen Fenstern: Ämter.
in Lichter1?9
Kommst du. am Kreml vorbei, so:, siehst du Nacht ftir Nacht ilie Fassatle zur, Glinnaja übe¡ dem Alexandergarten hell beleuchtet., Dort .sitit . al ¡nächtlich das Exekutivkomitee beiSammen. Eine geringe ZahI von MenscËen håilt dort d.iø ZúgeL der,Macht in eisernen Håinden. Dort vollendet sieh r
ilas,Geschick eines großen Volkos.
'' Bourgeois s versteht sich von selbst, daß mit tlerMachL ergreifung durch das Proletariat clie Auflösung cler Klassen nur angefangen hat, nicht vollzogen ist. Das Proletariat, das das Selbstbewußtsãin der herrschenden Klasse erlangt hat, ist"proletariat geblieben, das entrechtete Bü¡gertum, clas seinem Machttrieb nicht wie ehemals Genäge schaffen k'qnn, ist Bürgertum geblieben - sein ihm innewohnenderlVesenszug ist aber nicht geschwunden, sondern hat sich unler dem Druck s o gär in verhängnisyoller Weise entwickelt, wie ich das bei der Erörterung des überraschenden Gebildes der.s ogenannten rrSowjet-Bourgéoisie" darzustellen versucht habe. Die ohersten Sçhichten der alten Gesellschaftsform: Dynastie uncl Adel sind, soweit sie nicht lanclesflüchtig geworden, auf den Standard derr entrechteten Boufgeoisie hinab. geclrückt, teilen das Los de¡ ihnen ehemals unter.worfenen Klassg, sind aber im allgemeinen noch schlechter daran als diese, nämliðh zurir Vegetieren, und zur Agonie,verurteilt. 'Was ich in Rußland erfahren habe. kann ich ¡lahi¿ formulieren: die Mächtigen voá ehemals,
I-z
18û
die Herrun über große Güter, W'ald, Gruben, Fabriken, Hä,user, sind expropriieri; clie Mitileren leben in,'Angst untl Gefahrvon dem, was sie :beiseite geschafft,'verborgen haben uncl nun auf Schleichwegen veikaufen; das clem Proletariat benachbarte Kleinbtirgertum isi vernichtet untl ,schlimmer dran als welche leiclende Klasse immer. wenn es bei den Voraussetzungen seiner ät.*uiig"n Lebensfübrung bebarrt' Der Arbeiter, tler Soltlat aber kämpft hart uncl aufopfernd um den Sieg des Systems. Wie lebt die Bourgeoisie, wie bringt sie es zurwege,' ihre Existenz, unter den' ihr auferlegten Betlingungen weiterzufristen? Man kann, wenn man sich über tliese Frage von Leuten aus der ehemaligen Bourgeoisie belehren läßi, das Wort ,;Koschmar" mindestens so oft hören, wie man sonst das W'ort ,,Remont" zÐ hören bekommt. Koschmar ist ein russisches \{'ort; es beileutet so viel'wie tlas französische ,,Cauchemal", d. h. Æ1. Dle Bourgeoisie bezeichnet ihren Blsen,wdrtigen Zusta.ntl mit tliesern \{'ort unil jeder Tag, der vergeht und das System des Kommunis' mui befestigen hilff stößt sie tiefer in'ihren schauerlichen Traum hinunier, denn sie sieht die Zeit nahen oder hat qie bereits erreicht, in der nichts mehr in'den Kellern vergraben, in den Schrânken eingesperrt sein wird oder ist. Ich habe,'zumelst bei Nacht uncl Nebel, Briefe untl P¿kete aus Deutschlantl, Õsteueich untl Estland,an Petersburger und Moskauer Bürger ab' gegeben, tlie mir von Verw'anilten tlieser Leute ãnvertraut worden sincl. Dabei habe icb tlÍe ehemalige Bourgeoisie 'in ihren Behausungen, Lebensgewohnheiten untl ihrer Gesinnungsprt 18L
kecaeegelenrl Zufâlle kamen hinzu, dis mich mit Meosehea a¡rs den höchsten Schichten rles ehe æaãigea Bürgertums zusarnmenführten. Außer. de,m habe ich bei hellem Tagesticht Leimruten
ausgelegt.
Diese Leimrufen waren clie in meinen Baeilek'er eiagehefteten Starltpläne. Ich legte sie an schönen Septembermorgen auf dem plalze vor dem Moskauer Großen Theater aus, und. balil fingen sich auf meiner Bank beschäftigungslose Bür[erliche,
-¿ber auch schwänzende Beañrte und iapyros_ rauchende,,,pausierende., Arbeiter. Einö Èég.gn¡ng unter freiem Himmel ist gefährlicher -ais eine zwischen vier \Iränrlen; ,ñuo darf dem ehrlichen Gesicht nicht ohne weiteres Vertrauen schenken; es kann einem passieren, daß, wenn man clen Hut lüftet und siòh in ctie Anonymität -zurückbegeben will, aus der man einen Áogenblick lang aufg-etaucht ist, der ,,Fremdling..ïit dem Baedekerplan sich als Gehéimaeent .zu er_ ke_nnen gibt unrt die Beichte dem Ëeichtenden schlecht bekommt. Aber der \ü'unsch, mit jemanrl zu sprèchen, der von ,,draugèn.. kommt, schlägt, wie ich mich überzeugen konnte, Êogar d"i; mahnende Stimme cler Vorsicht niede{ die ja besonders in Moskau laut genug ertönt.. . Der erste, der sich auf dem Thãaterplat z zu mir setzte, war ein Kleinbürger. Er hatie vor dem Krieq dig gutËezahlte St"lluog Enes Bleichmeisters in Glogau -inne gehabt, *a, dann als Spezialist in seinem Fach áach Rußlanrl zurückgekehrt und hat in einer Leinwandweberei bis sar Revolution 1000 Rubel monaflich verclient; Gegeawärtig gehört er Aer franspã¡üarbeiter_ gewerkschaft an, verclient monaflich Z000Rubel, Læ
rl. b. um 1000 Rubel weniger, als ein Pfund Butter auf der ,,Suchatewka" kostet, hat trVeib
unrl Kinct untl muß aus seinem kargen Besitz clies uncl das verkaufen, Leinwand, Pelzwerk, kleinen bescheidenen Hausrat einer kargen Bequemlichkeit; auch eine Postka¡tensammlung, die er sich in óeutschlantl angelegt hat, gilt als Notpfennig' Ich fragte den Bleichmeister, wieso s", iler ehe' malige organisierte Sozialclemokrat der Partei Deut-schlanäs, sich dem Kommunismus gegenüber so âblehnená verhalten könne ? Er antwortete mir: ,,Seit ich verheiratet bin, gehe ich-mitmeiner
Frau'in clie Kirche." Von ihm erfuhr ich Methoden, die einer beobachten muß, um
die am
Leben zu bleiben, wenn der ,,Pajoh" nicht ausreicht. Von ihm hörte ich auch zuerst tlas Wort war, ,,Sucharewka", das mir noch unbekannt índ clas ich ín den nächsten Monaten häufiger zu hören bekommen sollte als die Worte lìemont untl Koschmar zusammen genommen. tlen ich Sucharewka heißt der l\Iarkt, auf rffeise hinbisher tles öfteren in geheimnisvoller gewiesen habe. Bs ist ein ehemaliger Sonntagsiröclelmarkt uncl befinclet sich auf dem äußere'n Boulevartlgürtel Moskaus in cler Nähe des Roten Tores. Hiãr kann man von früh bis späi eine rlicht geclrängte Menge, Tausende tauschen, feilschen, kaufen, verkaufen, sich gegenseitig bewuchern uncl bestehlen sehen. Es igt tler ge' rlulttète Markt der großen Staclt, der, da ja alle Läden zugesperrt sintl, die Verteilung vonLebens-
mitteln oîd- Gubtuuchsgegenstähden aber bei weitem nicht tlen Betlarf des verarmten Städt'ers decken kann; unter den Augen cler Sowjets besüeht undl blüht
-
wenn aucb zuweilen grirnmige ,tr83
Razzien uad }-erhafiungen
von Kåiufern und.\¡srHF"T yorgenommen -u¡erden oo¿- ¿i. Außer-.
o¡deniliche Kommissi,on Gefänjnis.i noster on¿
Kln"enhationslager
füIlenkann.
mit Sp.t'otãnt.r, neu auf_ : i;,lj ii,¡l Èffi
Bauera kommen aus der Umgebung hierher u1f ]{ten Lebensmiter atrer Àî;;tÌ,'B;;_i mit Gebrauchsseeenst?iroden *irÉ uinigã Werst.lalg unõinänder; S.nui.nfr'en¿f", "einãï stopferr
sich clie Taschen mit Gegenstenãen-'von, die die Bourgeoisie, an einem geschtitzteo Teil
*r.k? in
deriSucha-
Doppelreihen aufgestellt,-an den zu b_ringen sucht. Als ich ,ü* .rriuo-Male Mann. dieses klägliche Spatier betrat, *"r"n áìã".Tsien, die ich
verhärmt. F;;; i" ã"* Arm gelegt, ein altes-Ballkleid aus Tüil uncl auf ae, 'Spitä ìf,i"* .mit gereckten Zeieefingers einen "*por_ itioo.o' ning giogrn kleinen Stein den passanten zum hinhielt. Neben ihr stancl ¡n, ,nti¡s.lerVerkauf lockiger l!1abe, der in seinen ;ã-"i". blondSchale ausgestreckten Händchen einen Gummiba[ den
;ll[:Íj:',9io'...longu, Ä.le.toung, ctre, über_den
Passanten zum Verkart ninlillt.-'f;, diesen ersten Tag hatte ich damit eigenttich g"ìog. Aber cla die Sucharewha ["ñ;."h, Minuten von meiner \ü'ohnung in der M;ry b#üonjewsky Pereulok entfernt war, besuehte ich Markt noch cles öfteron. Icii ging gegei den iiparti"k. ybo¡ ziemtich abgesrum[ft"¿oi.i-¿iJ Spatiere der Bourgeois hin ùn¿ wiËaer, k;;ft";;", úiçhts, sontlern sah.zu, wie anderela;-
ïã**gten.,Es
w¿ren zumeist Bauern, rlie ihre Lebensmittel
-vorteilhaft losgeworden \Maren ,;J "il;it h¿nd_ Sgk-"? rauseñdruberbünd;i;;- ãi"* J¡ä"*, Stiefeln zogþD, von einem ,oi.-uiJ"rî ¡r,r.¡ girrgea, 1&¿
Stanrluhren, Parfümfläschchen, Ringe, Seirlen'schals, Operngläser, Samoware und emaillierte
Löffel, kurzum alles, was zu ëiner
erhöhten
Lebensführung unerläßlich ist, erstanrlen. Zu 'beiden Seiten dieser bürgerlichen Doppebeihe standen und saßen Verkäufer von Eiern, Obst, Speck, Weißbrot (von dessen Beschaffenheit sich Tausende im Vortibergehen durch einen Fingerabdruck zu überzeu_gen suchten), Zucke¿, Hefei Käse, Fleisch; Buden mit Wurststückän, geschmorten Gurken, prasselten unrl zischten in der 'Wintersonne; da gab's Grammophone, Stiefel,
Kinderwagen, Mantlolinen, Lehrbücher der Chemie, Gounods'Faust", Banrlzeug, Bleistifte, altes Papier,' Fahrräder, Küchengerät, Heiligenbiltler; auch konnte man bemalte Schüsseln untl Schöpfkellen, Siebe, Spielzeug und Bürsten erstehen, Zeagen einer heute fast vollståinclig ver-
,schwunclenen Hausindustrie, deren überbleibsel _
abnorm teuer bezahlt werden. Ich selber besitze als Anrlenken,an die Sucharewka einen primitiven hölzernen Hampelmann, der ehemals, wie der Verkäufer mich versicherte, clnei Kopeken gekostet bat, und tlen ich mit 1000 Rube,ln'nicht ä-berrnäßig ,teuer bezahlt habe. . Panik auf rlerSucharewkall Mit einêm Schlage, geheimnisvoll aufflackernd, verbreitei sich tlas Gerücht irgerllwoher: die Roten'seien'im Anmarscbl In wilcler Hast beginnen die Verkäufer, ihre Waren zusammenzuraffen, die Käufer ihre Taschen zuzuhalten; alles duckt sich, um in der Menge möglichst unbemerkt zu verschwinden, schiebt sich, stolpert äbereinander hinweg. Ich stehe neben einem Burschen, der tlrei eiserne Bettstellen in einer Reihe aufgestellt hat unrl auf r85
Kã.uJer warüet.
Der Bursche -hat einen Strick
*JF çËrtel um die Hüften geschlungen: rasch wje cler Blita windet er sich rliesen Strick vom Leibe,
zieht iha wie eine Schlange durch die Gitterstäbé Kgnfencle aller d¡ei Betten, spannt sich dann als Pferd vor dieses sonderbare -Gefährt uncl beglant, in wilder. Hast einer Seitenstraße zuzugaloppieren. Hinter ihm hüpfen clie drei Bettstellen über das- Eis. Einige Minuten später stellt es sich heraus, tlaß die Furcht, die ãie Sucha¡ewka im Hanclumd¡ehen gesäubert und entvölkert hatte, unbegründet wãr, rind bald rlarauf steht alles wieder auf seinem platz, feilscht, handelt, bewuchert und bestiehlt siôh gegenl seitig.. .
ay
_Die blinde Angst vor den Roten, d. h. der Kommissionl Der Bleichmeister sagte mir so: ,,Nun_ ja - er hat das Hünclcheñ, ich aber
habe keines. Darum darf er mich veihaften unil darum darf ich nicht spekulieren. Er hat einen besseren Pajok als sogai der Soldat an der Front. Ich aber habe kein Recht zu leben. Wenn ich meinen letzten Löffel verkauft habe, dann wird mein Koschmar zu Ende sein, dann wercle ich mich nieäerlegen unrl nicht móhr auf die Snchalewïa gehen müssen, auch r.neine Frau nicht. Er hat das Hündchen unil wird weiterleben.., Ich fragte- nach einerWeile, was denn das -chen" ;,Hündsei ? Darauf wies er an seiner HüÍte clie Stelle, wo clie Leute von iler Wetscheka ih¡en Revolver am Gurt tragen. Für den Bleichmeister bestand die Menschheit aus solchen, denen das Eündchen verliehen worden *ar, áiesu hatten ¿Ile Rechte, und aus solchen, ctie iein Hünclchen h,ahen ilu¡fteu und darum im Koschrnar unter-
1S
zugehen verrlammt w¿ren. Ich habe diesem Bleichgesicht als Gegenleistung eine Stunde Unterricht im Kommunismus erteilt; aber außer verzweifeltem Kopfschütteln bemerkte ich keine \Uirkung und gab's auf. Von ihm erfuhr ich dann noch, tlaß es für Arbeitswillige nach clen Amtsstuntlen gutbezahlte Privatarbeit gibt; über die Art clieser Arbeit aber konnte ich wecler von ihm noch von anderen. die auch in der Hauptsache von solchem Extraverclienst lebten, Aufschluß erlangen. Männeruntl Frauen, gebildete uncl sprachenkundige Leute aus der ehemaligen Bürgerklasse arbeiteten in fremdländischen Missionen oder übernahmen literarische Arbéiten für Ausläniler; wie aber lebten tlie Abertausenden, auf welche Weise fristeten sie ihr Leben ? Vielen verschloß Scham und Angst den Mund. Ich stellte schließlich keine Fragen mehr, sondern'gab mich mit clem zufrieclen, was ich sah, ahnte uncl emiet. Mit einem Arzneipäckchen betrat ictr". einmal ein Bürgerhaus, in dem eine größere Teegesellschaft gerade mit Kuchen und Zuckerwerk bewirtet wu¡de. Der Flügel stantl im Salon, die Bikler hingen an den Wänden, die ,,Herrschaft" hielt Dienstmägcle, die den Herrn cles Hauses mit ,,Baxin" anriefen; ein Kindchen in spitzenbesetztem Kleiclchen tummelte sich auf .dem persischen Teppich und lächelte den Besuchsr freundlich und mit rosigen Bäckchen an. Ein paar Hâuser weiter kam ich eines Abenrlç in ein Haus, in dem ehemals wohlhabencle Leute, einlngenieur mit Frau und Tochter wohnten,' tler Herd stanil leer uncl kalt, die Frauen sahen verhärmt und verhungert_rlrein. Die bare Not schrie von Tisch 187
\
,uad Wantl, und wenn Mutter oder Tochter rlen 'krarLen,Táter in' der Klinik besuchen wollto4 &snñté es im¡ner,nur eine tun, weil die anderé ,,denperl, . ohne Schuhe; daheim bleiben mußte. Woher kommt es denn,.daß sblche Vermögens_ ubterschiede, denn anders kann man es;a ñicht nennen, zwischen Individuen der, wie man', an_ nehmen muß, gleichmäßig entréchbten Bourgeoisie klaffen? Ich geberzu, daß cliese Frag6 einigermaßen naiv klingt uncl vielleicht auch mair_ chem ein Lächeln enilocken wird. Es isi aber eine_ Frage an die Apostel des Systems. Wehn die letzfen noch vorhandenen Habieliekeiten dêr nierl_eren Bourgeoisie nämlich gegen Lõbensmittel an.-die abgegeben sein werrlen, wird ein ' -B1u-e1n Teil, vielleicht gerade dér':s6¡¡yollste der eheBourgeoi,siþ wol ;¡proletarisiert,, sdin .'maligen a.ber, Spekulaäten, die, Kapitalkräftigeren der {þ ehemaligen Bouigeoisie wbiden immer noch "obenauf schwimmen und ihre alten Lebensgewohnheiten wie auch die Fotmen ihrer äuße-fen Existe_nz keineswegs aufgegeben haben. W;nn w'ird diese Schicht der Bouigeoisie.und mit wel_ cþen Mitteln zur Kapitulation gezwungenwerclen? Eit_ utopischer Gedanke besagt, daõ, wenn erst _der ehemaligeni Éourgeoisie, {!e Ha}setigkeiten die gegenwärtig bereits zum größeren Teil _sich den Händen der Bauernschaft b""fiod"o, ou"in braucht unil verfallen,soin werden unrl falÍs bis dahin clie Arbeit in den Fabriken und dio Bebauung des Bodens'nicht nach dem prinzip der einander in der großen Gemeinschaft stützenelen Menbchen ilurchgeführt sein wiril die EersteUung tles, Notwénrligsten im Hause-selbst
unil clu¡ch clie'Bewohner 1æ
clãs Hauses
wird
clureh_
geführt werden mtissen - Räckkebr zu dem Wesen mittelalterlicher Hausindustrie, wie man sieht
I
Einmal ,hatte ich Gelegenheit, einen aus der phemals mächtigsten Oberschicht iler Bourgeoisie st¡immenden Patrizier in seinem Heim und bei seinen Beschåiftigungen zu sehen uncl zu beobachten. Da steht vor meiner Erinnerung ein alter, Mann auf, ein Mordskerl, ein, clurçh Er: grbung, Lebensumstänile uncl den bestimmenden Zug der Zeit aú die Höhen cler Macht gehobener, jetzt mit, einem Hieb in die Tiefe geschleuderter Herrennrensch, der auf seine Weise im Kampf mit dem Schicksal sich zu behaupten sucht und es auch zuwege bringt. Erlempfing uns auf dern Gut,rdas ehemals ihm gehört bat, untl als dessen Vervalter er belassen wurcle:' ein, hochgewachsener, kerzengerader Greis von etwa siebzig Jahren, so stand er auf .der.Veranda seines Landhauses, aus dessen Fenstern fremde, dort einquartierte Proletarierfamilien blickten, und um das'das herrliphe Herbstlantl des Moskauer Gebietes sich farbig und warm er: streckte. Der Alte. stancl in seinem abgeschabten, von Ercle und Baumharz fleckigen Kittel, in, Bast' schuhen äbe¡ derben Socken vor uns. E¡ sah mit rasierter Oberlippe aus wie ein Amerikaner. Er er' zfülte uns,auch sogleich, wie er dazu gekommen par, seine Oberlipþe zu rasieren: er war nämlich erst vor kurzem aus dem Gefãngnis entlassen ¡vortlen, in das man ihn - wohl wegen irgentl'' weleher Verabredungen untl Zusamripnkünf te mit þhemaligen,Illillionärsgenosseû und sonstigen Ge: genrevolutionärsn derselben Gesellschaf tsschicht
-
für,vier Monate eingesperrt hatte. Inl' Gefängnis 18Ð
gah's aur Sdachorka zu rauchen, davon färbte sich
ryia fe\urbart.grän, was seiner Frau im höchsÍen ür¿de unerwünscht zu sein schien. Er hatte sich darum ,,kurz entschlossen,, die r**jrtt uncl lief jetzt, wie er sagtg alsOberlifpã ein vollendeter _Pavian herum. Der Alig' ehemals Be_ sitzer der größten Textilfabrik'-im Moskauer Gouvernemenl hat eine Woche nach seiner HaftenJlassung im Zentrotextil einen Vortrag über sein_ eigenes Fach, die Fabrikation von,Männer_ rterdungsstoffen gehalten _ eben vor jenen Kommlssaren, die ihn enteignet und miitelbar ins Gefängnis gesetzt hatten-. (las macne ihm in ¡ iW-esteuropa einer nach!) Samowar untt Gläser, aus denen wir .A,pfelschalentee zu trinken bekamen, waren verbeult gld gesprungen. Ingrirnmig tächelnd ."t.ã¡"i. digte sich der Alte: ein her¡l-iches Teeservice, das ihp einst vom japanischen Botschafter'und sernem Stab verehrt worden war _ er hatte die Her¡en seinerzeit eirie Woche lang ãuf seinei Datsche bewirtet - war vo¡ kurzem"um ein paar Graupen und Kartoff.f" au" 'W"t Y.h], gegangen; ljyd,lrdrschen ¿ues er hatte es einfach aufi gegessen; der Alte klappte seine gelben Zähne aufeinand.er, um zu, zeifen, *ie rñao Þorzellan kaut. Nach der Teestunáu iüt.t" u, on, in den Park, um uns den letzten Trost seines Daseins vorzuführen: den überrest seiner ehemals weit_ be¡tihmten Viehzucht. Wir traten in den-_verödeten Viehstall ein, in de?. eine- bejahrte Kuh und ein eiãnåes falb die. Krippen rieben. Oe, Átu-ging an :l:! 1r"vorüber, cuesen ohne sie eines Blickes zu wür_ diseq einem besonderen Verschlage ro, ¿u190
"or
Prusten uncl Geschnaube zu hören waren. ,,Der Stolz meiner alten Tage l" sagte der Alte uncl wies init dem Finger auf einen jungen Zuchtstier, èin ganz junges Tier von edler Rasse, das bei unserem Anblick mit einem Satz aufsprang. Der Alte zog clie wiclersdrebende Bestie beim Schnauzenstrick ins Freie, hielt sie kurz und scharf, Auge in Auge, und nun begann ein Messen der Kräfüe dieser beiclen Rassetiere, des alten, ungebrochenen Mannes und des jungen gefangenen Stiers. Es war etwas Wunderbares in seiner Grimmigkeit und zugleich in dem versteckten Sinn tlieses Kampfes vonNatur undNatur, Urkraft 'gegen Urkraft. Kurze zärtliche Flüche warf der Alte'zum ungebärdigen, bockenden Tier hinüber. Dazwischen, nach unserer Seite, fortwährendwiltl hingeschriene Brocken tler Anklage und Bmpö' rung über das ihm widerfahrene Schicksal. Wir sollten es uns merken, claß wir im Hause eines Mannes standen, dem Unrecht geschehen war I Auf tlegr Rückweg über die Veranda des Hauses bemerkte ich auf einem Lesepult im offenen Fenster .tles Schlafzimmers des Alten' Chamber' Iains ,,Grundlagen" uncl die ,,Geschichte der fran' zösischen Revolution" von Louis'Blanc. Auch in trwanbwo-Wosnessensk begegnçten wir solch'eir¡em Verwalter seines eigenen Gutes. Diesmal war das Gut ein Museum, und sein Verwalter hatte es im Laufe seines Lebens aus allen fünf Weltteilen an diesen Ort und in seinen Palast zusammengeschleppt. Obzwar dieses Museum eine der reichhaltigsten Sammlungen von Frei,maurerparamenter¡ -geheimbüchern, -emblemen und derartigem mehr enthielt, war es wertlos,
weil es ein von einem
geschmackunsicheren 191
I
i
I
r
j
j
I
ì
I
l
l :
lr
I :
i I
llenschen, der offenbar mit Millionen um sich wedeq honnte, zusammengestoppeltes S;;;1, rysi¡¡æ yon Kunstwerken, ã¡er âücl von Kitsch, e-og^olliscli interessanten, aber auch fü; R;i: *:tg" fabrikmäßig hergestellien,,AndenÈen; ;;;steuæ. Uer ,A,lte, ,rein Närrchen,,, wie ihn die ' lilosnessensker mitieidig-liebevott oarrnten, tette uns. sein Fremdenbucb vor _ das war ,sein Zuchtstierl Im übrigen war er:nicht übel gelaunt¡ zeigte keine Wut gegen clas Schicksal un¿ lobte, sogar die Behördg dlq ihm gestaùtete, in .g, seinem Palast zu verbleiben. und" darüber zu wachen, (laß seine Sammlungen nicht verfielen oder weggeschþpt wurden. Bourgeois, rlie an ihren W.ohnorten und in,
TlqΡh¡en Behausungen I-¡t
verblieben, d.
h.
d.ie
sich im Laufe der Zeiteä mit der Arbeiíerschaft und V"lk überhaupt qut zu stellen gu*oOt haben, *:,T ureck am Kernen Stecken hatten uñd daher uo"ú nicåt zur qgzw.ïnggn waren, ist im großen ltrynl ganzen kein Unheil wicleifahren. Wuoo man aber in Kindergärtea, Klinik"n,-Àtt.rsneime, $..iglrt_ Proletkult-Klubs uñ¿ fómmi*ruriãt"--o*gewan-
delten Villen untl paläste der Geflohenen besuclit oder ¿uch nur von außen betrachtet, Iernt, man bald die Ursachen aes traurigLn, ãler teineswegs unverdienten Sòhicksals äer.Bourgeoisie, zúmal dieser ösflicbsteg verstehen. Iwanolo, ein Riesengrt, von Holzhütíen un¿- lal¡"Jå¡falenen Bara'cken, mit entsetzlich ungetflelh; ;;ä;; losen Straßen, besitzt, seinern- Fabr"itøeotut ¡unacb.oart, eine Villenstadt' mit Millionärsheimen, $e, aus.kostbarstem Material mit fabelhaftm Råumen und rororiosào "rricÀ-tet, ntñrîil,ü.enîä,
192
Besucher. den ûbermut rler. Bèsitzenden uncl die
Entrechtung des Arbeitssklavenvolkes so recht greifbar vor Augen führen. Dieser in Rußland be. sonders zynisch demonstrierte Kontrast von tiefsüem Elencl und verbrecherischem überfluß beschwichtigt clen berüchtigten,,Gerechtigkeitssinn der Intellektuellen", einigermaßen denn man - dieser kann sich füglich fragen, wo denn Gerechtigkeitssinn sich verkrocþen hatte, als das alte Regime seine Schandtaten auf solche Art verüben tlurfte" Auch wo keiàe barbarische überladenheit, kein sin¡l,oser Prunk von Marmor. Malachit, vergoldeler Bronze und Rosenholz den Besucher ärgert, sondern ein scheinbar an den besten Mustern geschulter Geschmack besticht, kann. rnan bei näherem Hinschauen seine entscheidenden Beobachtungen anstellen. In Moskau "wohnte ich in d.em Hause eines ehemaligen Fabrikanten. Es war mit erlesenem Geschmack er" baut und eingerichtet; da war nichts, was das Auge oder den Kunstsinn stören konnte. Aber im 'Wohnzimrner des Bbsitzers hing ein Bilcl, das einen betrunkenen Fettwanst im Frack darstelltq wie er sich mit blöden Augen im Salon eines Bortlells unter dem anwesenden Damenflor umsieht. Man kann clas Sprichwort vom Russen, der, leise geschabt, den Tartaren durchschimmern läßt, füglich auf den Bourgeois anwend.en, um clem Plebejer auf den Grund zu kommen und. inne zu.werd.en, welche Schr¡ld gegen das Proletariat rlie russische Bourgeoisie jetzt sühnen
muß..:
ines der wichtigsten Ç l-..r
Probleme des neuen Ge* wie überhaupt jerler hommunistischen Diktatur - ist dieses: 13 Eolit¡cher, Drei Monote iu Sowjoú.Bußtend 193 sellschaftsau-fbaues
in Rußland
¿u-f welche W'eise s,ollen
die nur unvollHommen unterdrückten, -vielmehr bis zum Bersten zusadnmengepreßten Energien unrl Instinkls cler besiegten Bourgeoisie im Schach gehalten, benutzt und gelenkt werden ? Der Bourgeoisie und gerade ihier klassen bewußten Schicht wurde mit einem Schlage genommen, was Machttrieb und Machtentfal-
tulS^ ihr ungezählte Generationen hindurch ge. schafft hat. Aber dieser Verlust hat ihren Machttrieb vervielfältigt, nicht gebrochen. Vermuilich lebt ein revolutionärer (d. h. gegenrevolutipnärer) _Wille von wesentlich größeieiSprengkraft in derBourgeoisie, clie alles verloren hàt, als sio tlem positiv gerichteten revolutionären Trieb des Proletariats, das zur Macht gelangt ist und alles gewonnen hat, innewohnil Ein Ventil hat sich tler Machthunger der Rourgeoisie bereits durch das Eindringen- der Sp-ezialisten in clen Sowjet-Körper gebohrt. Mögen dio Führer cles 'BolscLewismug zusehen, wie sie die Auflösung der Bourgeoisie restlos vollenden, und auf welche \4reise Àie aie Eutrechteten für den Gedanken gefägig machen, tler den Massen, durch d.ie sie eñtrecirát worden sind, wesenttich istt
Der weiße Terror und der rote Petersburger Winterpalais fährt,e mich ein I]m Freuncl in den Frivatgemächern Nikolaus II.
herum. Das Eckzimmer im ersten
Stockwerk, die Brücke zur Wassili-Insel gelegen, diento dem Zaren, besser gesagt den Zarðn als Arbeits.kabinett. NikolausII. hat dieses Gdmach mit einer A-nzall kostbar gerahmter .speisekarten im vollsten Sinne des Wortes austapezierL Hier ka¡rn geg,en
_
194
man von ilen Wänden herab leqen, was der Zar im Laufe seiner Regierungszeit in Offiziersmessen, bei Liebesmåihlern seiner Regimenter, in den Kaiser- uncl Königspalästen zu Berlin, Potsdann, Rom, London und Lissabon verzehrt hat" Nikolaus.II. scheint den Tafelfreurlen mit Hingabe gehuldigt zu haben, håingt - (I* Badezimmer Frauenkopf mit über der lVanne ein sentimentaler veilchenblauem Augenaufschlag.) Was ich jedoch am bemerkenswertesten fand in diesem Arbeitsraum, 'war clie Aussicht aus dem Eokfenster. Ihm gegenüber liegt, jenseits der
breiten Newa, nicht nur die Börse auf der Wassili-Insel, s'ondern auch, an die östliche Spitze der Insel gelagert, die Peter-Pauls-Festung mit.ihrem vergoldeten Kirchturm, ihren Kasernen, ihren ober- und. unterirdischen Kasematten und Verließen. Aus der Umfassungsmauer der Festungn nach der Newa zu, und gerade gegenüber dem Eckfenster des Zaren ist ein Stück herausgekerbt sieht man im Bereich der - ,clort Fêstung ein kleines braun gestrichenes Haus mit spitzem Dachgiebel. Dieses Haus ist dadurch be" merkenswert, daß in ihm ehemals tlie A.ttentäter gegen das Leben der Zaren, auf frischer Tat ertappte, dann jene, clie an einer Verschwörung teilgenommen hatten untl nicht zuletz|jene, denen man es zutrauen konnte, claß sie an êiner Verschwörung beteiligi wären, jahr+, jahrzehnte, zumeist lebenslang eingekerkert geseõsen haben. Wöchentlich einmal wurde dem jeweiligen Zaren, so erzåihlte mir mein Freuncl, ein Rapport vor' gelegt, der über ilas Befinden und die Taten jener Eingeherkerten genauen Bericht erstattete. Es Ï¡ieß d.a trnter anderem:'X. hat am vergangenen Sonn195
tag aefuea sc&aoiedet
Sch?trlel
,an,der Mauer, an die .e.r
isf einzurennen
,ge"
versucht, .hat sich' aËer y. hat einen .Tobsuchts.
bereits wieder erholt. anf,ail erlitten, . diesmal erklärt der Arzt. daß der Anfall nicht simuliert sei, y. habe nunmehr als unheilbar wahnsinnig zu gelter¡, Z. hat sich bereit erklärt clie.Teilhabìr anãe" Verschwörung, ileren Bestehen er bisher geleugnet hat, zu nennen, falls ihm 2¿ s,einer blsherigen Geiangenenkost,eine Zulage von ZuckerwerÈ uncl kandlierten Früchton bewilligt wirrl. Der jeweilige Zar setzte unter diese Dokul mente seinen Namenszug, blickte wohl einerr :Augenblick lang nach clern"Lraunen Häuschen hinüber. uncl ging dann, sich zum Ball umzukleiden, der in den Prunksälen auf der Dworzowy-Seid seinen Anfang genommen hatte. In anderen Zatenpalästen, dem Revaler Schloß B:_- verrichtet gegenwärtig die Spitzhacke 7. ihr Werk. Dort iif *ein tðil ¿es .schlosses bereits niedergerissen vergitterten Fenstir - rliekolleiten in,der zerbrochenen Mauer gerade den Bergabhang hinunter, während ich d'ruben auf dem Damm stand. uncl zuschaute. Dieser Flügel tles Schlosses war nämlich ehemals Gefängnis [eyes1: Im_ gleichen engsten Zusammenhãog ,üit dem l{achtbewußtsein dõr Herrschenden, in é"inem fär uns Westeuropäer schier unbegreifúch engen zusammeniang stancl überall in diesem Lañde die tiefste Erniedrigung der geknebelten Kreatur. Pgtersburger Winterpalais hat zurzeit . ?u. erTuge serner pompösesten Räume dem neugeschaffenen Museum der Revolution überlassen miissen. Hier sind tlie Taten der Denikin, Judenitsch und Koltschak durch photographien, schrift_ 196
liche Dokumente, Reliquien und etliche . Kuriosa veranschaulicht; der weiße Terror, den diese Bekämpfer der Kommunisten wie einen eiLerigen Schimmel koruentrisch um die Kapitale Moskau gezogen und. verbreitet haben, zur Erinnerung spåiter Geschlechter festgehalten. Man sieht Photo-
graphien aus der Ukraine, Estlancl, Sibirien; Photographien zerstückelter, zu Brei zerstampfter Menschenkörper zu grauenhafl um Einzel- vielsein heiten zu erwähnen, Leben Ìang vergißb sie nicht, wer sich einen Augenblick lang in ihren Anblick vertieft hat. . .. Man sieht hier unter anderen Raritäten auch den berühmten Tan¡renast
aus dem schrecklichen Waltl bei Jamburg, Judenitschs Wald, mit tler vom Strick des Henkers ausgescheuerten Narbenspur in cler rötlichen Rincle -- darunter d"en Baumstamm, in den der Schreibens untl Zählens unkundige Henker mitsei nem Messer eine Rune nach cler antleren eingeschnitten hat * nach jeder Gruppe von l(ommunisten, die er oben auf jenem Ast vom Leben zum Tode befördert hai eine. Im Holz sinrl siebzehn Einschnitte zu ithlen. Aber ¿uch Seltenheiten harmloserer Art bewa.hrt jenes erst im Zustancl der Entwicklung befinclliche Museum, interessantes M-aterial aus den Archiven zaristischer Geheimpolizei. So einen sorgfältig durchgepausten Briefv/echsel zwischen Haase urrl Leclebour aus dem Jahr 1916. Daneben eine'Anzahl Seiten aus tlem Aibum der Fetersburger politischen Polizei: Porträts, im Profil unrl en face aufgenommen, von Ï,enin,
seinêr Frau, Kamdew, Sinowjew und ancloren, nebst genauer Beschreibung. Untl cla¡ru eine große Anz.ahl bis ins letzte Detail minutiös 19?
ac$ezeichaeter Situationsplä,ne r"on revolutio. sãrea Gruppen in großen Städten unil kleinsten Frovineflecken Rußlantls. Solch' ein Blatt, das mit kleinen blauen unit gelben. Vierecken, sich kreuzenden Strichen zwischen einem Viereck und, clem anderen einer strategischen übersichtskarte gleicht, behanclelt den ehemalisen Revolutionår, jetaigen Gegenrevolutionär bai'inkow und seinen Kreis. Hier finclet man Sawinkow nebst seiner Familie, dann seine Freunde, Gesinnungsgenossen, niiheren und ferneren Bekannten, ja" sogar die entferntesten Bekannten iedes ein-' zelnen seiner Familienmitglieder mitiamt den
DatengegenseitigerBesuche, empfangener und abgesandter Briefo usw. iir einem kalligraphisch .notierten, mit haarrlünnen Pfeillinien aufgezeichnèten Netzwerk. Dieses Btatt kann als Beweis für die Vollenclung gelten, clie der Spitzeldienst des zaristischen Rußlancls bei der Verfolgung aller mißliebigen Persönlichkeiten erreicht.hat. Die selben Archive bewahren in sauber seführten Re, gistern auch die Namensverzeichnisõe jener Hekatomben, die vom 22. Janaa¡ 1905, rlem blutigen Geburtstag der ersten Revolution bis zur Einberufung der Reichscluma im Mai des folsentlen Jahres dem Zarismus geopfert wurden. -Nach" unparùeiischen Schätzungen belief sich die Zahl dei in clidbem Zeitabschnitt von tlqr Regierung Hingerichteten auf 1000, tler Getöteten auf 14 000, rler Verwundeten auf 20000, der Eingekerkerten und" Deportierten auf ?0 000.
hat sich da¡an gewöhn! das aus dem jak'o
R fut ÅYI bini schen Wortsch atz der französischen
Revo-
Iution st¿mmende Wort ,,Terror" auf Handlungeu 198
uncl Maßregeln revolutionãrer Körperschaften und Regierungeî. anzuwenden. Diese in tlemagogisch"er AbËicht geweckte Vorstellung verträgt eine
Revision. Sis ãrscheint clurch d'ie neuerlich ge bräuchliche, nur mit einer ancleren Farbe be'
,tri"h*ou Bãzeichnung für Vergeltungsmaßregeln aufgewogen' der Gegenseil,e nur unvollkommen '\T-ort ttas ,,weißer Terrot" im Denn das besagt
Gebrauch btirgeilicher ltleologie anderes als: hät' tet ihr mit item roten nicht begonnen, unser weißer Terror wäre nicht in Erscheinung getreten' Der Be
aber kann, ohne claß d'ielVahrheit äadurch zu Schaclen käme, füglich verallgemeinert und auch zeitlich ausgedehnt werden' Es sintl immer kleine Gruppen, die, wenrr sie-die Macht in UenAen halt'en, clie erctrUckenile Mehrzahl durch Zwang untl Géwalt im Zaum zu halten suchen' m Wä"t'erbeitgeber steckt Terror, wie im'Wort Kâpitalitsmus üËerhaupt. Die Selbsths¡¡llshkeit der Anstifter cles Weltkriegs, um nur erne selner letzten geschichtlighen Phasen zu neruren, hat' tten Terõr der Zwangsmaßnahmen gegen Leben, Freiheit und Gewissen der Völker in einem bisher ungekannten Maßstab untl Zynismu-s gebraucht' IfJf,tt die Hortybanden Unganns, die. finnischen \ileißgartlisten sich auf Vergeltunq - .die OÍfizierscliquõn des ebertinischen Deutschlantls; die Hen,ker Liebknechts, Luxemburgs und tausend ancle' ¡er, die Unterctrücker des amerikanischen Sozia' lismus in dem bisher ,,freiesten aller Konti' nente" sich auf Vorbeugung berufen, s'o verbreitern sie tloch bloß das Strombett ihrer eigenen Schreckensherrschaft, in clem die noch irnperialistisch-kapitalistisch regierte lYelt ihrem Encle
grit aesterrors
zutreibt"
rgg
'
-Diese Zeit scheint ftil Vergeburg, Einkehr, Christlichkeit weniger reif, als welche uns'aus der.Geschichte bekanute immer;andere somit handetr es sich im Gr-unde ;Ëtr-á;;, ã;ß l.* Gerneinschaft,' die das Reich ãiî
Menschheitsiclee
"einsten *l¡- Aun Verder_ di":-WJtr" r* ã;; H1n* .r.!tuge. Das-abe" u.rÀfr-*iå,'", ist ent,setzlic\ dies auszusprechen, *i;il;; nur durch Anwendung von G.ewalt. 'Es ñ à;; FJuch der noch nicht götilich errichûen
b_ern des Menschengeschlechts-
gewor¿enen,- Ãìi i.¿ir.nu, altzusãhr tetasþten c-eli;irä;fr, er triffl !''esgn den Menschen dieser.Tag" *iñ;;;ñ;rer Hä,rte, weil dieser Mensch sich-zu tiet inãËWahnidee von dern Werte seiner Kultur vãr,strickt hat. Auf tlem Kirchturm der peter-p"rìr-i;i*i6" _-n""rh, unser Haus Narischkin hatte ..inu a* jv.gqatai qegenüber, dieser rlt1ch;;'Hàu uorgem blinkte mir ihr hettig vergoldeter Turmspeer _- ist ganz obãn u" ae, Spitze in $g.Aogqo eine Wetterfahne angeb-racht. Sie Jurfi- uiåen, fogut y_95 _der ein Schwert schwingt. De¡ unerhOrte Windstoß, der über aaiiìgefegt hat, ließ diesen Engel eine |_r¡ßfand" lVenrl".s;"'ià0 Graden beschreiben -l das Sct weil Teü.t ,i.r, genau ..gegen jene, die es für ewige Zeiten in ihrer^ udverbrüchlichen Besitz #h"il. -'
Die Kasoqatten, Käfige, Verließe des ¡."o*o Håius. chens; der peter-pauls-Festu"S, S.hürselburgs u¡d all' der anderen- Folterkañi*"*'äu, - Zaren
gind,,4erbrochen, geschleift,
:
abet.l.--
. . . dlß- das Monopol rler Gewalt- und in ¡edem rnormalu funktioniereudon Staarswesen, una bhãngþ. lã¡ãr-ãoôäiå"no.^, ar. "o_o
^
¡Ich- weiß es
RepressivmaBregeln
Regieru.og.+gehõrr. DaÁ"ist
ihr-;;;";Lkiires" Recht
und dieses Recht behütet sie mit eifersüchtiger Sorgfalt, darúbor wacbend, daß keine privateKorporation ihrMono-
pol antaste. Die ¡taatliche Organisarion kåmpft auf diese Årt um ihre Existenz. Es genügt, sich die moderno Gesollsohaft, diese komplizierte, widerspruchsvolle Kooperation wir in solch einem ungeheuren Lande - sagen zu wie Ru8land vergegenwãrtigen, um solort zur Erkenntnis zu gelangen, da8 bei der jetzigen, von inneren aoziâlen Widersprüchen zerrÍsse¡en Orduung Ropressalion
ganz unvermeidlich eind!"
(Aus cler Yerteitliguagsrerle Trotrk¡zs ia rler Sitøuig tler Beeonalersn l)elegeüion tles Peterebuger Obergerichtsholes ân 1?. OLtoboÌ 1908.) '
is zum Sommer 1918 haben tlie BolSsbewiki von der TodesstraJe keinen Gebrauch gemacht. Sie war ja durch die ersten Dekrete rler Fötlerativen Republik abgeschafft. Die Bolscbe-
wiki haben sogar ihre politischeñ Feincle, obschon ihre Absichten klar zttuge lagen, shatt
sie einzusperren, laufen lassen, weil es mit d.em Grundgerlanken des Kommunisrnus unvereigrbar schiøn, aus Gränden politischer Ge-gnerschaft Menschen ihrer Freiheit zu berauben. Dies erwies sich als verhängnisvoller lr¡tum. überaJl, wo solche gegenrevolutionär gesinnte Inrlivitluen in F¡eiheit gesetzt rrorden warên, bilde,te sich sofort ein $erd der Verschwörung, und die 'Komrnunistische Partei hatte gar baltl ihre Toten, wo sie selber keine Toten auf dem Gewissen haben v'ollte. lï'enn man also rlen Bolschewiki vorwirft tlaß sie heute, statt tlen Terror in seinen ,,mildeû" Formen auszuüben uncl sich mit der Einkerkerung und Verweisung in Konzentrationslager ihrer politischen Witlersacher, dann noch armseliger Spekulanten uncl Saboteure zu begni,igen, zuweilen Menschen ftisilieren und mitunter sogar
200 901
in
großer Zahl, so rlarf man d.arauf füglich mit dem französischen Spruch antworten: ,,Qu€ Messieurs les assassins commencentl"
Ich für mein Teil gestehe, claß ich die Arbeit, die eine rasche Kugel verrichtet, menschq.nfreundlicher erachte, als clie -Arbeit, die lebenslåingliche Einzelhaft an einern Individuum voltbringt auch wenn nach zehn Jahren Amnestie ihr ein Ende bereitet. Tausentlmal höher als das Leben ist clie Freiheit zu achten, auch die physische F.reiheit cler Bewegung, des Atmens, des Schweifenclürfens tiber clie weite Ercte . . . navigare necesse I Der Terror, tlen die Kommunisten Rußlands ausüben, trennt demokratisch fühlenrle Sozialisten von ihnen (wie der von'ihnen eingeführte verschärfte Arbeitszwang auch jene undogmatischen, die in ihm nicht die vorübergehende durch Not gerechtfertigte Maßirahme erkennen) - Terror aber stellt gewiß eines der notwendigsten Mittel erhöhten Selbstschutzes einer belagerten Gemeinschaft vor, die sich gegen den eigenen Feintl be haupten will. Sogar Kautsky, rler Kritiker der Diktatur, d.er von denBolschewiki alsRenegat inAcht und Bann getaneTheoretikerKautsky hat, wie ihm Trotzky das in seinerBroschüre,,Terrorismus und. Kommunismus" nachweist, in einer älteren Studie tlenWietlertäufern rlas Recht zur Ausübung terrorislischer Maßnahmen zugestanden, weil diese Maßnahmen unter dem Druck der Belagerung Berechtigung besaßen. Nun ist ja Rußland, wie Kautsky wissen muß, eine aufs furchtbarste belagerte Festung und muß sich wohl oder übel vor inneren Feinden der klee zu schützen suchen. Das aberr was der ethisch gerichtete l(ommunist den be202
drânsten F{rhrern mit allem Nachdruck vorwerfen
daß sie bei der Wahl cter Exekutiv' otn*u ihrer Außerordentlichen Kommission nicht iuisichtig, vorsichtig genug verfahren untl darum Wittttit ï"d Uttuuistãncl oft genug waltet' wo n"ànUi.ttt.it und Einsicht die Energie in der ffunAn"¡tng tles Apparates kontrollieren müßLen' niutu Au-"ßerorctentliche Kommission ist' man ruhig behaupten, heute tlie oberste' niefann
;;ß; i.tt
ãtuntåortlichô Behörcle Sowjel-Rußlands' **¿ ". ver' ü" f*" einen der fübrenden Kommissare irgentl-'
ohne wem áattir Rette stehen zu müssen' Bei Erkläübernimmt der nrng des Belagerungszustandes . 'Wetscheka clas ober' loJfi.to**issai dei Garnison' tiber Stattt uncl komnrando --ilãt V"rtskommissar iler Wetscheka - cler Fou" q"lut-fi"ølf" der russischen Revolution - heißt Ë.S.Ot"tt.hinsky uncl ist ein etwa vierzig Jahre altet Mann von sanften, ja schüchternen Umgangsformen. Er hat, so su.gi man, längere Zeit im Ausiu*l.g"f"¡t, solt in-lYien, Berlin .u-ntl Zürich -t-¿iàT haúen und gilt als ein gebitdeter Ñtann ó" pttitttischer Úenku4gsart - unil..ihnclurchaus ich ùi"*"ïtAfteiem Charakter. Man hat es *éiß nitht meb4, wer, aber ich bin sicher' Assisi selesen zu haben - mit Franziskus von iãtlti"n"o. Es ist bekannt, daß er im-.Warschauer Glfängnis tlie Unratkübel seiner Mibgefangenen tägücË selber aus den Zellen gelolt uncl ent' iãËtt n"t, ,,weil einer ilas Niedrigste für alle besorgen muß, tlamit diese anderen vom ,anderen 'Ñi.atiittot bõfreit seien"' Ein Sadist tut cler' gl.ì.n,;o sicher nicht. Als oberster Kommissar äor gefürchteten und wilct gehaßten Behörde tut
n"ft"t, ãhne nahere Begründ'ungn
'
203
Ðeerschinsþ meines Erachüens etwas llhnliehes : 1r bemrgt das Bntset¿liche, aber unumgánglich $õtige íq aler kommunistischen Gemeinschafl der Rqierenilen. Nur sind es, hien wie a^nd.erswo, ç'iederum die _,,Spez'., noch dazu Spezialisten eigener Art in diesem Falle, rlie ttas oh-nehin ver. ru{ene Kommissariat noch tiefer in Verruf b¡in-, Ben, die das ethische Momen! rlas der Terror_ behörde__ebensogut wie der Roten Armeq wie dem Volkskommissariat Rykoffs, das die lixpropriation durchgeführt hat, wie'dem Kommissa. riat Lunatscharskys,, das die Kirche vom St¿at " getrennl, hat, innewohnt, sabotieren und. be, flecken. Diese Spezialisten der W'etscheka _ es solIen sich darunier attbewährte Mitglieclbr der zari. stischen Geheimpolizei oder der Schwarzen Hunder tschalúenbefinden
haben sich rler Kommission
- aus Not, sondern aus wohl nicht ausschließlich algeborener Neigrrng zur Unterdrückung des Ìracnsren angeschlossen, und clie Kommunisten belohnen ihre Fähigkeiten, die sie bei der Ver-
folgulg der Revolutionåre unter dem alten Regime entwjckelt haben, mit doppeltem pajok. Ott iin¿ abgr ganz junge Burschen " die von der _e¡ -auch Wetscheka z.B. zar Beaufsichtigung von Bahnhöfen verwendet werden; diese häbeä zumeist in¡ Krieg ihrenBeruf entdeck! sind indes noch nicht sattelfest denn manhö¡t von Mitteln der Betäubung, Kokain untl åihnlichem, die rlieseFunktionäre zur Beschwichtigung etwa auf steigencler Gewissensnöto
zu gebrauchen pflegen. Meine Erfahrungen mit
untergeordneten Agenten der Wetscheka hãben die e¡süen Wochen meines Aufenthaltes in Moskau, wie ich rlas im Anfangskapitel andeutete, genug,
sam vergiftet. Ich bedaurè es keineswegJ; aoi e84
mir die entscheitlenclen Erlebnisse, ilber ilie mir ão* ¿.t Lubjanka, Butyrka, tlem Àndronewski"
Kloster eûUassene Kollegen mehr oder wemger lf""f*titaige Bericht'e erstatteten, Ilecktyph-us' .mit Einzeþ Verlausung ñaft, Hungóstreik, -uncl ffiehiteä, Zellengenossen untl se'e. lenfolternden
[intersuchungsrichi-ern, erspart geblieben sind" " ' Wenn die Feinde der Bolschewiki behaupten' rler lerror, clen tlie Kommunistei ausüben, habe auch d.arii seine Ursache: daß das jahrhunderte' Proletariat ¡eilem }lachttrieb
ffi
""t"tArückte nunmehr itie Züget schießen ond nucnegefüht
so-ist ilas bare Verleumtlung ! lasse Es sincl keineswegs Pmletarier, clie--im N.anten tles Prcletariats ttie Funktionen der Kommtssron ausüben, sonclern eine bestimmte nichtproleta' rische Éeamtenschicht, der eine starke Beimen' kalt' o** von raffinierten, abenteuerlustigen, Gen tles Perversion Ë"UËt t"* und. sich an der Der ist' eigen i'tints ergotzenden Intellektuellen ¡lierzutañde aos Gefangenerùagern sattsam be["""t" ,,Unteroffizierstypus" spielt in diesem Zu***unhung gar keine hoile' Die Besetzung tl-er so rnotwenAígõt B.hotd" mit geeignet'en Funktio' untl ge' ¡et* ist ge;iß eines der schwierigstenPraktiker zynische alte daß fahrvollsteln Probleme; betraut sind, bleibt ge' -it ¿* Amtshancllungen Verwendung v9n un' clie wie nau so betlauerlich Psychologie ver' der Regeiir tlie gegen fti.higen, Neulingen. stoßenden -
In iler zweiteñ Nacht nach meiner Ankun-ft
in Moskau wurde ich von der 'Auß¡irorclentlichen tf"to*i**ion Dies geschah auf folgoncle gesucht.
W"itãt Zwei Leute traten in einem ganz
"gr4
"¿iml"n
anderen
im H'otel cler Delegierten der Inter20õ
-aa*íoaale
{ich wohnte rlamals am anderen Ende der St¿dt in einem kleinen Gasthof, in dem
asslåndische Gefangenenaustausch-Kommissionen
uatergebracht waren),
in
das Zimmer einos mir
bekannten Genossen ein, weckten ihn aus seinem wohlverdienten Schlummer und fragten ihn, ob er
der Ilerr von der ,,United Press'1 wäre. Nun war dieser Genosse erstens nicht ich; zweitens bin ich nicht der Herr von der Unitecl press, sondern vom Unitecl Telegraph; als der Genosse verneinte, fragten die Besucher, ob er im Zusammenþng mit den deutschen Unabhängigen stände clies beruhte drittens wieder auf einer Verwechslung meiner Person mit der Person eines dritten Genossen, der gleichzeitig mit mir in Moskau eingetroffen war. Als diese Frage abermals verneint wurde, gingen die Beamten fort und nahmen d.ann, um nicht vergeblich mitten in cler Nacht gekommenr zu sein, viertens aus einem and.eren Zimmer die Notizenbücher eines vollkommen einwandfreien Kommunisten zur näheren Durchsicht mit. Dieses Beinahe, diese Unzuverlässigkeit muß ebensoheftig getadelt werden wie die allzugroße SchJauheiÍ älterer erfahrener Inquisitoren, von der andere aus
ihrer Erfahrung zu berichten wissen. Denn, wie immer wieder betont werden muß: ist die Außerordentliche Kommission auch von allergrößter Notwendigkeil so ist sie als kommuniÉtlsche Behörrlo doch nur bis ins Letzte erst gerechtferclurch einwandfreies humanstes Vorgehen und tlurch genauestes Fun-ktionieren des ganzen Justiz.
{gt
apparates.
Bei derWahl desHauses; in dem daßKommissariat Dzerschinskys untergebracht ist, hat der Zufall (oder war es Absicht?) einen grimmigen 206
Scherz gemacht. Der Sitz cler Wetdchoka ist in Bureauhaus an der Lubjanka' in ,i".igen -ehemals "itã* eine Lebensversicherungs' dem sich verschw^inden tãseilschaft befunden hat. Hier weiß' aus kaum man tlenen von îjele Personen, wurden" genommen Haft in sie Gruntle *ãi.n.weil wirtl' veihaftet man daß geschehen, t*" nr tnan zur'Zeit einer Haussuchung bei Bekannben ãã"t f,"tt"*, mit denen man gerade zu tun hatteo ãit4.tt"t"" íst. Ich sagte: verschwinden; clas be' Nimrner' cleu"tet keineswegs Auigeltrschtsein auf Haft; langwierige, *ìã¿utt.¡urr, *o,id"ro hãge uncl mir wurde so die Dekrete der ersten Zõit haben, Frist eine Fälle ¡.tiãftt"t, für clie Erlectigung cler doch geschieht es von 24 dtunden festgesetzt "Verhancllungen gegen Inhafietzt, zuweilen, daß ii.,t.-*."atelang hinausgeschleppt werclen, oft aber gar nicht Átattfinclen, unrl- der Gefangeno A*r, îintuch 'entlassen wird, ohne Entschuldi' natürlich auch ohne Entschädigung' g."g "¿ Ë. Ë*o auch passieren, claß man verhaJtet uncl ãis Spekulant behandelt' wirtl, weil man dem tiãtno^"g".o nahe, im Schleichhanclel ein Stückcheo Käse otter Speck erstanclen hat, ocler weil ein Proletarier, tlessen Pajok auf sich warte'n ließ' .*f¡tt irgenawelchen a¡men Hausrat verkauft hat' wodotch" er das Prinzip des geltllosen Verkehrs ilurchbnochen hat untl unter die Spekulanten ge' Bei besonders eklatanten Fällen von raten ist' Wucher untl natürlich auch, wenn es sich um un' setreue Beamte hantlelt, die von'ihren Befgg" ;iÑ; verbrecherischen Gebrauch gemacht, Ge' *"iog"t zlr eigennätzigen-Zwecken. verwendel habeñ, wircl kurzer Prozeß gemacht' umsichtige, a'usgedehnte l(on' iViá "otwendig
'
207
.l
¡
l
l
l
bøÅÍe Ëber alle ver¡tilchtigen, gegenrerolutionilren Elemente ist, haben wir- während. des Oktobers þ þ_skau erlebt, als an oinem der letzten Ta€e dçs Manats- ein von ehemaligen Oifizieren där Zarenarmee _ausgehecktes Koäplott aufgedeckt wurde. Das Gebäucte rles Generâlsüabs soilte um die Stqncle, zu der eine wichtige Sitzuns fast aller l¡olkskommissare einberaumt ryar, ii ¿ie t uft fliege¡. Die Kontrolle über alle im Zénhum des geplanten Attentates vereinigten rurcl auf wich. tige Punkte der Staclt verteilten Gruppen der stark orgarrjsierten und verzwêigten Verschwörung" funktionierte vollkommen: am Abenrl hatte mai plle,.einige Hundert, in der Hantl. W'as wäre geschehen, hätte die Kommission diese Verscnworung nicht rechtzeitig und resilos aufgecleckt unttt unterdrückt? Ich will es nieht âusmalen. was an jenem Abentt allen Kommunisten ún¿ Nichtkommunisten, jedem Bewohner Moskaus, ja Rußlands, was uns Ausländern in unseren bewachten Häusern widerfahren wäre. In der Nacht des ilenkwürdigen Tages ward der Belagerungszustand über Moskau erklärt, Dzerschinsky tiberñatrm das Oberkommant[o über Stadt und Gärnison, und.um lwei Uhr nach Mitternacht wurde in der ganzen Staclt eine große Zahl vorgemerkter personen ver. haftet, darunter mir gut bekannte Mitbewohner utrseres Hauses. .
man_ in Rußl¿nd gegen die Folgen der fn¡t_.Y Y Not, des wirtschafilichen Niederganges,
gegen das. eigene. und fremde Leiden-,¿uich einen Akt tler Notwehr der Natur abstumpft, so man auch gegen ctie Ereignisse uï,-die *t¡-qft den Teno¡ hervorrufen, und. die ãer Terror in 208
seinem Gefolge hat. Am sc-hwersten gewöhnt sich die Bourgooiõie an diese Ereignisse, weil sie sich
durch tlðn Terror am nächslen betlroht fühlt' die unter den Za¡en clie ltakta Die Bourgeoisie, " Schlússelburg usw. ohne besondere Sibiri.t , jetzt aus gekränktem flucht Aufregung hinnahm,
r de r B olschewiki, nicht den hunclert"
ethi scien"Bewußtsein dem Terro
der in seinen Ergebnissen sten Teil von dem ausmacht, was der 'Ierror cler Weißen an den Grenzen untl in tlen besetzten Gebieten unter dem gesinnungstreuen Proletariat unct nicht l,atletzt' untér der Bourgeoisie anrichtet' Indes, wie ich sagte, man stumpft ab' Gegen den An¡Hôk der Gefañgenentrupps, die man zuweilen anlfrühen Morgeñ in der Nähe tler Bahnhöfe, der großen rotei. Gefängnisse, von wenigen-Be' waffñeten bewacht, tristen Zuges tlurch clie Stra' ßen marschieren sieht. Gegen die Kunde von Verhaftungen uncl Exekutionen von Personen aug tlem weitõren uncl näheren Bekanntenkreis' Dag Fatalistische, das tlem halborientalischen Russen im Blut liegi, teitt sich,.auf tlem Wege tlurch die Vernunft, ãie Aie Notwendigkeit eiserner Maß' regeln erkannt untl einsehen gelemt- hat, gar baÏcl unct in wuchtiger Schwere auch dem West:
europäermit...' Tlesteht ein Unterschiecl zwischen einem Volks" lJ h""t uncl einer terroristischen Regierungs'
behörcle ? Beicle vernichten Menschenleben, besei-
tigen Feintle, clie sich an -der -Itlee-vergreifen; rõholdig.tt Schädlinge im Lande selbst, als an den Grénzen, das ist gewiß. Man l¿sse clie Bol' schewiki in Ruhe ihre großenKulturaufgaben, dio ei,no sittliche Umwälzung cler Welt bedeuten, 14 golitsober, DrelMonateinsowJei'ßnßl*nê 209 1
t.
j i
.----:..'ffi
:.. ..
.:
rnellenrtm. Die Mörcler tler ltlee an cleir Grenzen mail die Heuchelmörder im Hinterland, tlie rlraugæ mit Armeen uncl Blockatle auffahrenden und die ñeimliche Anschlåige schmiedenclen claheim
mõgen doch selber mit cler Humanilåit beginnen t ,,Q.ue Messieurs les ¿ssassins oommencentt.. Rußtand. einer belagerten Festung _ loJange gleicht, kann die Außer.o¡dentlicñe Kommissioñ nicht entbehrt werden. Solange der Kommunismus politischer \{erkzeuge bedarf, um sich zu.beüaupten, ist die Diktatur in jeglicher Form vonnöten. Aber der Terror unabwendbare' - sei-ei auch Notwendigkeit des Kampfes rächt sich früher - an dem System oder später und zwar nicht allein. Der Terror ist es, der den Kommunismus der Bolschewiki daran behindert. aus einer politischen Richtung Religion zu werdent Heilig ist rlas Menschenleben, heiliger die Freiheit tles Menschengeschlechts t In der furchtbaren Zeit, die tlurch unser Verschulden über uns hereingebrochen ist, kehrt jetzt clas Schicksalsw9rt, dal Kam_pfwort: pein uncl Sichbehaupten zu seiner schreckhaft priftiitiven Berleutung iur den Menschen und den Menschheitsgettanken zurück.
Religion Frühjahr und Sommer Lg18 hörten rp"ir in IfmBerlin in geschlossenem Kreise wiederholtVor.
träge russischer Genossen, die uns über die wichtigsten.Fragen der Verwaltung und politik Sowjet-Rußlands .å,ufschluß gaben.- Nach solch' einem Vortrag l*gt* ich einmal einen Genossen, 210
der heute als eîner tler Fûhrer d.es Bolsohewis-
mus grlt, welchen Einfluß clie Lehren,
die Persönlichkeit¡ das religiöse Genie Tolstojs auf das Werden des neuen Rußlantls geübt haben. Ich bat den Genossen, uns über das religiöse Problem zu belehren, das der Bolschewismus zll lösen hat, soll er aus einem politischen und ökonomischen System d.as werden, wofür wir den Kommunismus doch immer gehalten haben, nämlich ein Bekenntnis zur seelischen Gemeinschaft der Menschen, im wahren Sinne Religion. Der Genosse schien über dieses Ansinnen nicht sehr erbaut; er bemerkte kurz, die Passivität Tolstojs, ,,der ja preclige, daß man tlie linke Backe hinhglten soll, wenn man auf die rechte einen Streich bekommen hat", die Lehre, tlem übel nicht mit Gewalt zu widerstreben, hâtte nichts im Gegenmit dem Bolschewismus zu schaffen tei!, sie entspränge ja geratle der- russischen Passivität ilie der Bolschewismus auszurotten uqternommen hat uncl was das religiöse Problem anbelangt, so hätten clie Bolschewiki sogar yor kurzem noch eine kirchliche P¡ozession in Kasan (?) gecluldet; sie seien überhaupt tolerant in bezug auf solche kirchliche Schaustellungen und Umzüge, vorausgesetzt, daß sich mit diesen keine antibqlschewistische Agitation verbincle. Diese Erklåirungen befriedigten . wecler 'mich noch rlen größeren T"it der Hörer; besonders die Verwechslung voû Religion und Ritus hat uns ziemlich vcrwirrt. Erst als"ich in Moskau angelangt war, merkte ich, wie leicht es in Rußland wird, Religion und Prozession miteinander zu Yenflechseln. Die vierzigmal. r'ierzig Kirchen Moskaus und 21t
4
die yielen Tausende von Heiligenbilttem und -åtrtärchen, die an allen ÏIäuserfassaden und. ËtraBenecken angebracht sincl, halten die Bevölkemeg ín einer fortwährenden religiösen Erregung, welche sich sichtbar darin manifestierl. daß die rechte, das Kreuz beschreibende Hantl niemals in die Tasche komm! sondern auf einer fortwährenden Wanderung zwischen Stirn und Brust, rechter und linker Schulter begriffen ist. Ich bin einmal von meinem Hause bis zurn Auswärtigen Amt einem Muschik nachgegangen und habe gezählt, wie oft er auf diesem Wege das Ifteuz ge-" schlagen hat. Vor einzelnen Kirchtürmen und Ikonen zählte ich fünf bis neun Bekreuzigungen; ilie Gesamtzahl anzugeben, bin ich heute nicht mehr imstande. Man kann in den Kirchen uncl Kapellen Ruß. lands Menschen sehen, rlie einhalbhundertmal nacheinander mit derselben Geste vollendeter Hingabe die kotberleckten Fließen, ein paar
dutzendmal rlie flechigen Scheiben an den Stellen,
wo unter dem Glas tlie Hand, die'Füße Stirn**
uncl'Muncl der Madonna und cles Kindleins sich befinden, mit inbrünstigen Küssen bedecken. Dio Kirchen sind heilige Honigwaben, jetle Wabe ist ein in Gold gefaßtes und mit Edelsteinen kostbar geschmücktes Ikon eines der unzähligen Heiligen der byzantinischen Kirche. Und inmitten dieser goldenen lffaben bewegen sich, agieren und zelebrieren goldgewandete Fakire, ertönt das monotone Geleiel tles Vorbeters, der die sakramentaien lilorte z
,rGospodí pomiluj
l"
"ëem, erbaflme dicb unser!" zehnclutzendrhal 2t2
ohne ünte¡brechung herunterhaspelt. Hier ist tlie Religion wahrbaftig zur Maschine degradiert, der Menicb zur Gebettrommel, der Sinn tler Handlung verschwinclet vollkommen unter tler körperhchãn Übung; ttie Heiligkeit der mystischen [Iani['
weicht einem theatraliechen Pomp, der umlung-ye"woncterlicher erscheint, als ja das sicht' so Kirche, der Zar, ilie welt' der bare Oberhaupt cler Synoil, längst öeKirche, der triche Obrigkeii seitigt sind, und zwar ohne clen geringstenlVider' stand uncl ttas Volk bei clen sozialen Voraus' setzungen seiner Existenz gepackt worden ist, .was seine Ânschauungen gewandelt untl in tlen tiefsten Wurzeln seiner Glåiubigkeit erschúttert haben müßte.
'Es wurde mir øwar versicbert,'besser gesagt, mir ilie sfünclige Redensart wiederholt, clio man in Rußland von offizieller Seite immer wietler hört, wenn man nach tlen religiösen Eetlürfnissen cles heutigen Russen fragt: daß es nun ganz ande¡e Menschen seien, ganz andere SchicLten der Bevölkerung, tlie sich vor den Türmen, den Ïleitigenbilclern cler Kapellen bekreuzigten, als ehemals - nicht mehr Froletarier, sondern tler verelentlete und verschüchterte Bourgeois (tleu jetzù wol seinen Herrgott' kennen' gelenrt hat t) '; allein diese Auskunft ist un[enügentt uncl hält bei näherer Prüfung nicht Sticn. In den Kirchen sieht man Bauern in größter Zahl, und wenn hier auch kein Soldat untl wenig Arbeiter angetroffen werden könne,n, so schleicht draußen vor tlen Kirchen und Klä stern doch mancher mit einem schiefen Blick vorbei, in tlem sich so etwas wie schlechtes Ge' wissen verrät. . " Tritt man in ein Bauernhaus ein, es wurde
2L8
ieú .der einzige Flech, der sauber eeha.ltelr u.nal den. hgbea Ðhrengast eingeräumt zu-sein schein! .die Ecke mit den Heiligenbildern. In elenden Eüttea h¿be ich zuweilen neün trkone gezählt: 'alle waren in verhåiltnismäfiig kostbarõ Goldblecbrab_men gefaßt und vor jedem hing ein sil" bernes Lämpchen mit farbigem Glas" -Die Bewohner einzelner. dieser Hütten hatten sich mit rlem System des'Kommunisrqus und den Behörclen der Bolschewiki aufs beste zu stellen.gewgßt,
denn
wir wurden
freundlich und ohne Scheu
empfangen. Aber die,Gepflegtheit jener Heiligen.' ecken bewies, daß die Grundveste des alten GIau-
'bens,
aus dem alles, was die Bolschewiki:vernichten wollen, emporgewachsen ist,r¡esþ {elsenst¿rk in tlen Seelen der Bewohner begründet unrl unerschtittert geblieben ist trotz der drei Jahre" Es sollte.ja doch auch mit dem Teufel ,zugehen, wåire der'alte Gott des RuBsen, des ,,Kristíanin,i * clas ist bezeichnenderweise rlas russischeWort .für Bauer über Nacht Marx und. seiner LehrS geopfert worden. lYierìrals könnte diese Lehrq niemals dêr Bolschewismus sich im Wesen des Rrissen verwurzeln, nie hätte er sich in ihm behaupten können inmitten aller Gefahren und Nöte ohne die Weichheit unrt fatalistische passivität, die dem Slawentum,innewohnt aber auch ohné den diesem mystischen Wesen -rlesJ Slawen merkwürdigerweise beigemengten wildésten und ståirksten Fanatismus, der gerade im Dulden seine innigste Befriedigung sucht und erreichtt Bei allem Maschinellen seines Ritus ist der Russe, çrir ahnen das aus jerler Zeile Dostojewskis, in seilgm religiösen grleben tiefer veranlagt -als welches Kulturvolk des lVestens i-mer. Ich ?L4
slaube. diesem \rolk ist kein religiöser Cant, koine
íIeuchólei, kein Lippenbekennlnis zu Gott nach' zusagen. Ân den"pforten der Kirchen, Kapellon, Klösi'er stehen clie wunde¡lichen, wunrlerbaren Gestalten tler Pilger, reglose, langbaarige,- lolg' bärtige, sanfte úenschenstatuen, rastend fül kurzð Stunden auJ ih¡em ¡astlosen Wanderweg durch tlas immense Land, dwch das sie eine rätselhafte Stimme des B]utes lockt untl treibt' Wissen sie vom Schicksal, das das- Land erlebt hat ? Vernehmen sie clen vibrierentlen Laut der Not uncl Spannung in clen Lüften? In ihnen lebt Gott, tler lJnaustilgbare, laut und brausencl weiter, uncl sie iolgen altein den Schicksalswegen,- die eine unerreichbare Macht ihnen vorgezeichnet hat. An ihnen zerschellt die Wirklichkeit"' Noch rufen dir die Bettleq itie Krüppel uqd die Kranken vom Straßenpflaster mit brechenrler Stimme das lVort Christos hinauf, rrenn du an ihnen vorübergehst - einen jungen Blinclen allein habe ich, só oft ich an ihrll vorüberging; tlas'Wort ' ,,Towarischtschi l" rufen höqen I Er rief sie unzãhlige Mple den Vorder Arme¡ cliese Zauberformel übergehentlen -Neuen zu, Gemeinschaft: ,,Genossqn!" Und der beimste weniger Almosen ein als seine Nachbarn, die ctie Menge im Namen des alten Gottes beschg'oren.
Tmmer wiecter steht mir ein Biicl vor Augen, I *.rr. ich an tlen religiösen Russen und sein
heutiges uncl zukünftiges Schicksal clenke: clie beiden eäporgereckten, tibel die Flarnrne des lodern'
zlb
{up Schelterhaufens in die flöhe stechenden Schwurfinge¡ des Proüoppen Ava.kkrrm, d;.- ñl¡ers der Raskolniken, die sich zum alten Ritus miü tlen beiden Schwurfingern bekannten, während die Neuerer sich mit drei Fingern beÉreuzigten. Dieser Protopp, der unter petei dem Großen-verl"uolt wurde - seine beiclen wilden Finger äber den Flammen ¡ecken sich auch über dem Ëeufigen Russen in die Höhe. Es ist ein Fanatikervolk, äas ilie grõßte Umwälzung, die die Geschichte kãnn[ allen Völkern \¡oran vollbracht hat, und das iler wirkliche Erlöser der Erdenvolker'genanil-*; len darf. Weil dieser Fanatisrnus íeine Wurzel im Glauben besitzt, müssen die Bolschewiki zuwie sie der wunderbegierigen Seele des :,49", Volkes auf clie Dauer oåne Berücksiähtigung ihres Dranges zur übersinnlichen Welt gereeËt werden. Entfernt sich der Bolschewis*o* í**èi:,entschie_ clenei vom mystischen Urgesetz des Kommunis, mus, so stirbt er ab, und die Welt cler Erclenmenbchenr geht Erschütterungen entgegen, di" ;i" zerschmettern werden. An dem Tore, das zwischen der ehemaligen *Duma und dem Historisehen Museum, am Ein_ gang rles Moskauer Rbten platzes erbaut ist, klebt zwischen bóiden Torbogen die kleine Kapelie cler wundertätigen lberischõn Mutter Gottes. Sie bilrlet das Ziel allæ pilger, aber auch der meisten profanen Besucher Moskaus aus dem weiten All. rußland. Djeser Kapelle gegenüber war unter den -trenstern des zweiten Sl,ockwercksjn die Mauer iler ehemaligen Duma bis zur OÉíoÈ"rreuolution ein anderes wunclertätiges Madsnnenbild eingelassen. Die Bolschewitri, die sich an die Klöster und Kirchen (deren Eigentum sie sofort kon2t8
fisziert hatten) nicht recht herangetraut haben, brachen unter vielen anderen Heiligenbitdern auch
tlieses aus der Dumamauer. An seiner Stells haben sie eine Tafel angebracht mit dem Zitat aus Marx: ,,Iìeligion ist d.as Opium der Völker.'. Der brave Muschik, der zur lberischen Mufter Gottes wallfaårtet und von Hörensagen oder frühe. ren Besuchen her weiß, daß es der Kapelle gegen" über, dort oben, ebenfalis etwas Heiliges anzubeten gibt bekreuzigt sich jetzt zwölfmal vo¡ cler Kapelle und zwölfmal vor clem Ausspruch Marxens. Dies ist schon fast ein Svmbol zu nennen. Nicht mintler tler Verkaufsstand unter der blasphemischen Ta.fel: man,kann dort neben Zigaretten, Äpfeln und Heften einer schmutzig pornographischen Schundlileratur in voller Öffentlichkeit uncl kaum zehn Schritte weit vom Kreml Heiligenbilder und Lämpchen in größter Auswahl zurn Ve¡kauf gestellt sehen - und sie werden gekauft. Die Bolschewiki haben retlliche Anstrengungen gernacht, um dem Volke clen alten Wunderglauben auszutreiben unrl damit einen der Grunãpfeiler seiner Verdummung uncl Lethargie zu zerbrechen. Sie haben kurz nach Ergreifung cler Macht die Särge cler Heiligen im Lancle geöffnet, diesen Vorgang kinemalographisch festhalten lassen und dann clie Filme in den Kirchen gezeigt. Außerdem haben sie in einem Propaganclazug diese Särge durch ganz uRußland gejagt. Jawohl; rlie Särge waren offen uncl enthielten zerfallene Mumien, Knochenüberreste, Gewandfetzen, Schmutz. Aus den Dörfem und Weilern strömten die Bauern zu tlen Stationen herbei, um iliese Sárge zu bestaunen. Was aber sa4te der Muschik? Daß die 2L7
Seãfig@ schlauer g€rvesen seion als clie Bolschèç,iH, da& sie sich-nåimlich im Oktober samt untl" senders aus dem Staub gemacht hätten, cl. h. jetzt im Himmel säßen untl in ihren Särgen Mist øurückgelassên hätten. Ebensowenig hat cler Arbeitszwang, der im Oktober 191? der Geistlichkeit auferlegt wurcle, unrl der das große, uferlose Popengesinclel, die parasitären Mönche uncl die Legionen der niederen untl höchsten Geistlich-
keit plötzlich zu produktiver Tätigkeìt
a¡rhalten
sollte, die gewünschte Wirkung gehabt. Als nämlich die Bevölkerung clie bis dahin ziemlich ver-' achteten Popen, die von größerer Ehrerbietung 'umgebenen Mönche und all' clie Geistlichen der verschietlensten Kategorien in bäurischer .oder stäcltischer Tracht die schwersten Arbeiten, Wasserschleppen, Holzhauen, Düngerfahrêo vêr. richten sah, bernächtigte sich ihrer ein großer Schreck. Die Bauern untl clie Stätlter fütterten und kleicleten clie Bedauernswerten, die nun mit einem Male arbeiten mußten, wie sie, die Bauern; clie Städter, es ihr Leben lang gotan hatten untl clie Popen, dio Mönche, die Geistlichkeit sahen nun in tlem allgemeinen Elend ringsurn ihre goldenen Tage I Aus Faulpelzen und Fakiren waren über Nacht Märtyrer geworden. . . Heuto rverden in den Kirchen Messgqimit clem. selben Pomp zelebriert, der yor der Oktoberrevolution gang und gäbo gewesen sein soll. Zwar wertlen Wasserweihen, Fahneneicte, Universitätseröffnungen usw. nicht rnehr unter kirchlicher Assistenz ocler überhaupt nicht gefeiert ist klar, Aber tlaß die vorn Staat getrennte - clas nncl boykottierte Kirche noch immer die wunderì¡ollsten,Chöre bezahlen kann, rlavon habe ich 2L8
mich durch ma,uc,heu unvergeßiichen Ohren'schmaus w?ihrend all' der tlrei Monate dankbar rüberzepgt.' Unerfiucllich bleibt es, wie tlie Re gierung es nicht zuwege bringt, wenigstens die feistliche Sucharewka, a]s die sich so .Fiele 'klrchliche Institutioaear erweisen, diese contra' 'ilictio in acljecto zu den Gruntlprinzipien tles Bolschewismus ilureb einen zwingentlen logischen Willensakt aufzuheben' 'Ì¡¡en[ sie d-ies auf metaphysischem Wege tloch nicht erreichen kann" Die Liturgie entlete unter dem Zaren mit tlem Gebet für die Dynastie, den Synod und tlas christliche Heer; unter Kerenski mii clen lVor' ten: ,rNoch beten wir für tlie russische Großmacht, über tlie Gott seine schützende Hand strecken mögq"; jetzt aber, unter tlen Bolschewiki, lautet 'rlie For:nel: ,,Noch beten wir für:tlie leidencle russische Großmacht, für Vat¿rlantl uncl Heer." Ich möch e wissen, was Generalissimus Trotzky zu diesom Flehen um Hilfe von oben sagtl Das letzte Jahr hat übrigens ein merkwärcliges Schisma gezeitigt, Erzbischof Wlaclimir von Pensa hat den Kommunismus und seine weltliche Behörile, tlio Bolschewiki, öffenilich anerkannt, * Icb fragte herum, welche Betleutung diesem Schisma beizumess,en sei, ob clamit oin Anfang zur Vertiefung ctes Gedankens in clem Bewußtsein tlevVolkes gemacht wäre? Der geistliche Herr, an den icb diese Frage richtête, ging über den Erzbischof uncl seine Wancllung mit einer bezeichnenden Hanclbewegung zur Tagesorclnung * über.
-
2LÐ
.j
ìl
1
1l
i
I Tn Tolstoj rreben l,egendou. Er soll nicht ge' l.J storben sein. Sein riesiger Schatten scbwebo weinenil und ruhelos über clem leidenden Votk, eia tlankler Vogel flügelschlagentl ob den Hütten. Seine Jiingsr kommen nicht zur Ruhe. Viele von ihqen sind tot: jene, die den Dienst in cler Roüen -å,¡mee ,verweigärt haben. In Sama¡a hausen andere verschüchtert in Kolonien; sie sind Vege tarier - ihr Abstinenzlertu.m ist ihnen durch die SIaßregeln der Bolschewihi, tlie den Alkohol abgeschafft haben, leicht gemacht wsrden. Sie sind rler Politik abholcl, aber sie könneri sich andererseits mit den Methoclen und dem System des Bolschewissrus .nicht befreunden wie jegliche Macht, so lehnen sie auch den Zwang ab, der durch tlie Regierung der Bolschewiki ausgeübt wird der heutigen Gemeinschaft wohnt nach ihrem- Empfinden nicht jenes ethische Element, iener sittliche Kern inne, der sie zu freucligen Bejahern machen könnte. Viele wertvollsüe Menscben aus der näheren Umgebung, aus dem nãchsten l(reise u1n Tolstoj sind geflohen, gestorbe.n oder halten sich scheu jetlem, abseits. Einer. von ihnen - sein Nâme isb cler sich mit dem Leben Tolstojs befaßt hat, wo} vertraut * kehrte vor einem Jahr mii seiner Familie nach Rußland zurück, stellte sich mitsamt sein'en Söhnen den Bolschewiki zur Verfügung; heute arbeitet nur noch ein Sohn für ilie Regierung, die anderen haben sich zurücþ gezoge.n. Tschertkow begegnete icb im Vorzimmer Lunatscharskys; er bereitet eine Gesamtausgabe der 'Werke, Briefe, Tagebücher und mündlichen Àufzeichnungen von Gesprächen s'owie tler Biographie Tolstojs vor, hundert Bäncle im ganzen. 220
Auch Duschan Makowitzky, tiolstojs Arzf, trai ich in Moskau; er hat Jassnaja-Poljana verlassen, um in seino alte Heimat in der Slowakei zuräckzukehren.
- setzte unter den deutschen Kolo' Entle 1920 nisten in den südlichen Gouvernements an der \{otga eine panikartige Flucht ein' Dieser alte, von Katharinas Zeiben her ansässige treue Mennonitenstamm verließ seine schönen, reinen, wohl' górdnoten Dörfer, clie reichen Felder verkommen nun, das Vieh verdirbt. In unbegreiflicher Yer" wirrung fliehen die treuen Sietller aus ihrem alten Lancle tlie Bolschewiki haben nichts
getan, um ihnen ihren Irrwahn zu nehmen, daß sie bei, der Ausübung
ihrer B.eligionsbräuche behin-
dert würden. Wohl haben da auch Aushebungs' kommissionen ihr unverständiges \ilerk verrichtet.
ott wurde in Rußlantl durch Lunatscharsky entthront. .A.uf unvollkommene Weise, wie es sich zeigt. Zuweilen gah es, in der elsten Zeit, wie man mir erz¿ihlte, große öffentliche Dispu' tationen im Großen Theater, im Dom Sojusow, dem Haus der Gewerkschaften. Anwälte der Bol' schewiki untl Anwälte Gottes, tl. h. tler in Mos' kau vertretenen Glaubensbekenntnisse aller Völker Groß-Rußlands, lieferten auf den Bühnst Redeschlachten vor tlicht gedrängten S?ilen. Jedes Bekenntnis kam zu \lrorte. tunatscha¡sky schlug auf das Pult untl zieh tlen alten Gott, den vor' oktoberlichen, der Ungerechtigkeit: er sei ein Goit der Klass€n zu nennen, ein Schurkengoftl 'Wie dem auch sei * der Bolschewismus dürfte sicb nicht tlamit beg'nügen, eins politische Sekte zu bleiben, eiae weltlich vorkräppelte Sekte der
gel
&scãer oéer verspä,tete Schwester einer anderen ihm tilte not, tlaß er tz{cpischen Gemeinschaft m seinem Wesenskern, tler Religion ist, zurückfünde.
åuf der Fahrt von Reval nach Moskau
hatte äber Aussprache ich,mit Angelica Balabanoff eine religiösen tiefst der einer diese Frage: Sie sagte niir: all' diese Be' tr{enschen dieser Zeit zur religiösen den Kommunismus strebungen, Angelegenheit zu stempeln, seien in den führen-
-
-
den.Köpfen der Bolschewiki schon um das acht' zehnte otler zwanzigste Lebensjahr überwunden gewesen; die wesentlichen Frageu des Bolschewismus seien wirtschaltliche uncl politische Fra' gen; auf cliese allein müsse'man sich konzen' trieren. Ich erwitlerte:.dies sei schlimm genug; wenn das Religiöse mit dem jugencllichen Über" schwang aus tlen Köpfen der Bolschewiki verschwunden sei, müßten sie in d.ieç,er Beziehung wieder werden wie clie Kintllein, Gibt es im Bolschewismus dieser Tage Ansätze zu einer Binilung mit der Metaphysik, Hinweiso auf tlie Möglichkeii, claß tler Kommunismus der Leùin, Trotzky, Lunatscharsky clurch clen alten verhä¡teten, eingefleischten Aberglauben tles phantastisch hingegebenen Volkes in tlie Tiefe dringe, wo clie Quellen sprucleln, aus denen clie Seelen Nahrung schöpfen? Der Konimunismus hat seine Heiligen: tlio Iläupter der Pariser Kommune von 18?1, De RosaI¡uxem' lescuse, Ferré, Dombrowsky - tlann ilem Marsfeld in burg, Karl Liebknecht" Auf Peiersburg, an der Kremlmauer in Moskau ruhen die Kämpfer der kommunistischen Revolution : hier, wo tlie Spuren der Schiisse noch in' den
n2
Ziegeln des alten lï¿uerwerks und in der weißen Fasiade des Senatspalastes klaffen, hat man auch jene Blptzeugen des Gedankens, die im Dienste der Weltrevolution ihr Leben gelassen haben, zur, Rirhe gebettet. Zur Zeit meines Aufenthaltes in Moskau wurd.en dort an cler Kremlmauer clie junge Norwegerin Ines Armand und der amerikanische Apostet des Kommunismus John Reecl begraben; beid,e waren totlkrank von cler Konferenz der Orieritvolker in Baku nach dem Mekka ihres Glaubens zurückgekehrt. In jenen Marmorobelisk im 'Alexanclergarten stehen die Namen tler Kirchenväter des Kommu^ nismus.. eingemeißelt: sie 'entstammen zum Teil iten, Akten cler Märtyrer des Sozialismus. Der: Subbotnik hatt,e, ehe ihn, wie so viele anclere Funktionen der Bolschewiki, tlie brermende l{ot cles Lantles seiner tiefen Becleutung entklei' dete, sicherlich etwas von religiösem Kult auf' Feiern, Verzuweisen. - Vor und nach den sammlungen und. Sowjet-Sitzungen wircl' clie ,,Intèrnational'e" gesungen, ertönt oft tler wunder' voll ergreifende" ,,Klagegesang auf die Ïoten der Revolution". Das sind Vorläuf,er eines werdenden I(ultes, eines Rituals tler weltlichen Kirche, und sie ström€n aus gläubigen Herzen, sincl noch keineswegs zu leeren GBbräuchen erstarrt. In der Verfassung der Sowjet-Ropublik, clort, wo tlie Wort'e stehen: die Ausbeutung iles Menschen durch den Menschen habe aufgehört, in,einzelnen Dékreten aus der ersten Zeit der .bolschewisti' sphen Herrschaft klingen tlie Glocken der Berg" prerligt über die Menschen cler heutigen zerfallen" den Gesellschaft hinweg" ¡\ut Bräuche stößt man, die an Zeiten und
223^
**-:*-;-¡¡l:
Menschlen über das Feltl zu uns héraus. MÊtnnei r¡nd Frauen trugen in ihren Armen große Holuschüsseln, auf dem.en alles, w¿s' die Gegenil an Nahrungsmitteln hervorbringt, Brot, Fleisch, goråucherte Fischg Honig untl Eier, lagen. Wie ehe mals. mit Brct und Salz, k¡men sie jetzt mit cliesen Leckerbissen heran, Tun lurs Eingeschneite vor dein Hungertocl zu retten. . . Die schönen ernsüem unil ehrfurchtsvollen Mienen dieser Män' àer u¡rtl Frauen, tlie Geste cles Bringens, des vor uus Hinbreitens der Schüsseln, tlas stille Auf' blicken dieser Menschen, ihr Reclen untl ihr Schweigen. . .
der frühen Katakomben-Christenheit gemahnen: bei Begegnungen in Rußland, beim W'iedersehen im Ausland umarmen und küssen sich Genossen auf Muntl untl Wangen. Das ist der übrigens auch nicht rlie alte russische Sitte E*i€&;ea
nicht bereits ein religiöses Element innewohnte Ver' und der Freude Freunclschaft clie Geste über bundensein und Begegnung allein: in diesen Umarmungen gibt sich eine höhere Verbindung kund, im Angesicht des gemeinsamen Ideals und der gemeinsamen Gefahr, in der das Leben jecles Einzelnen sich stündlich befinclet, iler sich zum
Glauben an tlie welterlösende Lehre uncl zrr ihrem Dienste bekennt. Und so bedeutet jecler Kuß, der auf solche Weise gegeben und ernpfangen wird, einen .A,bschiedskuß fürs Leben. Auf der Heimreise von lwanowo nach Moskau blieb unser Zug in cler Nåihe eines kleinen Ortes Jurjew Polski infolge einer Schneeverwehung stecken. Trotz großer Mühe konnten wir aus dem Schnee nicht herausgeschaufelt werden. Da wir im Zuge fast keine Lebensrnittel hatten, litten wir schon am ersten Tage Not. Jurjew Polski ist ein kleines, in einer Talrnultle der russischen Ebene gelegenes kreisrundes Stäcltchen, aus tlem in tlie 'Winterbläue eine Unrnenge bunter Türme empor,ragt. O, die russische :Winterlandschaft, das wunderliche runde Städtchen, umgeben von weitem Weiß _. in unermeßlicher Ferne zwei kleing näher schon langsam tlahinziehentle Gefährte ein Reiter mit etwas Blitzendem- am Gurt, im gtrahlenden Schnee lantleinwärts galoppierendl Aus dem Städtchen, in dem sich tlie Kunde verbreitet hatte, tiaß Klara Zetkin sich in unserem Zuge befinde, bewegte sích eine kleine Gruppo von 224
'"
fn vièlen Seel'en des neuen Rußla¡tls ist hÞutiI gentags ein Glaube w¿ch; cler in Zeiten, wie wir sie
durchmachen, mit starkem Zauber auf tlie Gemüter zu rrirken pflegt: tler Glaube an d.as bevorstehende Erscheinen des Erlösers. knWitler' strebentlsten ist eine Ahnung des gewaltigen Geschebens, tlas sich kundgibt untl für das politische uncl wirtscbaJtliche Gräncle unzulänglichsûe, unbefriecligenclsüe Lösungen zulassen. Die Angst vor dem noch tieferen Eindringen des vertlerblichen Opiats in den Volkskörper läßt die Fährer des Bolschewismus ihre religiöse Mission leugnen. -- âII die sie inbrtinstig glauben. DaJär spricht die Hingaþ itie sie bei der p¡fü|lung ihres Werkes an den Tag legen. Dafür spricht auch das sonst unbegreifliche Feuer, das sich von Moskau aus über den galzen Erdbaltr ver. breitet hat. Wem die Adyar-Bewegung , die Theosophie, die neue aus Deutschlanil stammende Lehre der Anthroposophie unter den verzagüen Intelleki 1á
llolilsoher,
Drei.ü{onote
in
Sowjet-R,ußland }gb
tüdle
irnmer mehr aix Becleutung gewinnt so serbreitet sich clafür unter dem niederen, dem emporgehobenen Volke der Glaube, daß ein Er1õse¡ der Menschheit in de.r Person Lenins, den de¡ Volksmund. mit seinem Vaüersnarnen Il. jitsch liebkosend nennt bereits unter den Menschen weile. Ein Schicksalslicht aus Märtyrertum uncl Menschengläubigkeit webt um Iljilsch, der Hunger, Exil, Verfolgungen aller Art kennt der verwundet worde,n ist von Kugeln und, Flüchen. Die Gestalt Lenins, in dessen Natur der Fanatismus des russischen Bauern mit der Weltklugheit eines Führers der Massen sich auf seltsamste lVeise paart lenkt in Wahrheit zugleich tlie Schicksale tles Volkes, dem er entstamrirt und tlie WeIt zu einer neuen, erst in den nebligen Anfängen erkennbaren Gläubigkeit hin.
u den vier
Kelchen, aus denen die Menschheil, bisher lsss€lung, überirdisches Labsalr getrunken hat: den Feigensaft Buddhas, den Wein Roms, den Honig tles Davids,ohnes Christus, die Milch Mohamineds, fügt sich der fänfte bis - des an den Rand gefüllt vom heilenden Wasser Kommunismus. In diesem von Seufzern und Schreien widerhallenden Tränental, dieser von Not, Begeisterung und Verzweiflung geschüttel' ten Welt lebt ein starker Glaube an die. Zukunft, ohne den kein Wesen auf die Dauer zu bestehon vermag; ein Jenseitsglaube, wie ibn kein Bekenntnis bisher den Menschen zu schenken vermocht hat. Dieser Glaube, cler mit metaphysischer Gewalt von immer größeren Kreisen der Menschheit Besitz ergreift, ist: der Glaube an die Weltrevolution. 226
Welt-Revolution T
I etle Seite dieses Buches trägt mit unsichtbarer,
J
auweilen aber awh mit sichibarer Schrift die Worte,,Zarenregime, lYeltlrieg Blockade, Krieg des Weltkapitals gegen Rußland." aufgerlruckt. Dies sincl die hauptsäehlichen U¡sachen der furchtbaren Nöte der. Soirjet-Macht, gegen die Erfi nrlungsgabe, Opferwilligkeit uncl Begeisterung bei dem Aufbau des Systems ihren harten, v€rzweifelten, zuwèileu ¿ussichtslos scheinenden Kampf durchzukämpfen haben. Die Tragik des russischen Proletariais fügte es, claß die Sowjets in einem Augenblick zur Macht gela.ngt, sind, in'clem'die Wirtschaft des Landes in ihren G¡untlyest€n unterminiert unrl zugleich rlie Wurzeln tler Gesinnung der Menschen durch Müdigkeit, Habgier, Blutlust angefault waren, das tanrl zu einem sozialen Umschwung wenig geeignet erschien. Verhängnis des proletarischen Schicksals: claß die Dikt¿tur automatisch und aus naturnotwendigen Ursachen mit der Zerrüttung des kapitalistischetr Wirtschaftssystems zusammenfallen muß, was danq Weitgehende Unwilligkeit zur Arbeitsleistung unrl damit vollstänclige Desorganisation des gesamten Protluktionsapparates zur Folge hat. Gegen diese moralischen Faktoren füìrt clie Sowjet'Macht einen nicht minder heroischen Kampf, als es jener, ist, den sie gegen viele andere von d.iesen unabhåingige Hindernisse m¿terieller Natur durchficht. Seit drei Jahren leistet Ru8lanrl einem von vierzehn Staaten genährten konzentrischen Waffenangriff erfolgreichen Widerstanrl. Es beantwortet ihn mit einer Offensive der ldee, die in Mosk¿u 'ÐÐ7
Ëort gefunden hat. Ä.therwellen der initiatise zucken von , dieser Metropole der Welt
Éþæn
bis'in
d.ie entferntesten Teile der von Menschen Þewohnten Gebiete. Heute schon kanq man erkennen; wie diese Ströme. von KraIt die indivictuellen nationalen Sonderheiten der Ländor zu irri-. tieren, beeinllussen, stellenweis u¡nzuwandeln beginnen; wie.sich äberall, je nach denäußeren und in neren Leben-sbedingungen und Anlageq. der VöI. ker und ihrer proletarischen Majoritäten eine Unwälzung ankündigt, hier erst, durch leises Krachen imGebälk, ilort bçreits durch unheimlich grollencles Erdbeben. Positive Faktoren dieser Umwälzung sind in den im Weltkrieg besiegten Lëin1 dern: die zusammengebrochene Finanzwirtschaft, damit die offenkundige Krise der Produktion, die Unhaltbarkeit rler Lebensführung der Arbeiterschat! des Mittelstandes und. das bis in die'Tiefen geclemütigie Nationalbewußtsein. Mit, diesem zuletzt genannten Faktor muß eine Politik rechnen, tlie sich des Mittels der Katastrophen zur Erreichung ihres Endziels bedienen will. Die Irretlenta lleutschlands, Österreichs, clie Zerrüttung des Balkans, in den sich Rumänien und Serbien zu teilen haben, die vernichtete Türkei, um die sich- die Entente streitet, sie müßüen einer Politik diesel Art, ebenso sichere Handhaben bieten, wie ilie GÈirung in den vom britischen Imperia]rsmus mißbraucþten Ltindern lrland, Ägypten, Kanada, Indien. Ich sage: ,,rútißte", weil ich weiß, daß sich die Weltrevolution in clen Köpfen jener aktiven Politiker des Bolschewismus, die sich der Sprengkraft cler kommunisiischen Idee auch ohue Kat¿strophengläubigkeit bewußt sind, als ein Ereignis darstellt das auf mehr oder minder
betont mechanischem Wege herbeigefährt werclen kann. Diese Sinnesverfassung zwingt zu einem Verweilen bei d,en materiellen Faktoren tler trVelt' revolution. Tatsachen, daß "Es gehöri pu den oft erörterten wie or sich in Art, der Umsturz ein sozialer sich Länselbstversorgenden in hat, ereignet Rußlantl dern leichtei befestigen kann, als in Länd'ern, die aùf Einfuhr der nötigsien T'ebensmittel angewiesen sincl. Die Bolschewiki häiüen ohne Zuãti-*ottg uncl tätige Unterstützung von sèìten cler 'Båuernschaft nie zur Herrschaft gelangen können, sie befestigen sich trotz cles Verfalls der Industrie, ãeren,Errãognisse erst in zweiter Linie für tlie Erhaltung tlesüerkehrs uncl derExistenz wichtig sìntl ja¡ Irotz cler eigenwilligen Sabotage theser s'elben -BaüernschaJt, 4uî cleren"Gründe hier des ö[téren hingewiesen worden ist. Uiopische Gebilcle soziaier Neuschöpfung können sich, wenn sie in selbstversorgencleñ lan¿etn entstehen, innerhalb einèr feinctliõhen kapitalistischen Umwelt trot'z politi scherlsolietottg behuupten, sie können sich sogar, falls geeignete-'W'ehrkräfte an tlen Grenzen uncl im Inland sie verteicligen' s'o lange untl siegreich behauplen, bis die kapiialistische Umwelt gezwux: gen is! tlurch eine ìmprovisierte äberstaatliche örganisation mit dem blockierten uncl boykottierteri Lantle in Verbindung zlr treten. Dies ist heute schon genau zu beobachten, da untpr der Oberftäche iereits clie Fätten des Verkehrs zwischen Rußlantt und ihm politisch diametral entgegengesetztør Staaten geknüPft sind- Pflicht des' klassenbewußten Proletariats der 'untl tlie Tendenzen Völker wäre es, Rußlantl seines prnleta,rischen Systems aktiv, otler wo dies 229
228 'l
Änclerungen seiues Programms gg-lötigi war und
*ic.ht möglich sein sollte, durch passive Resistenz zn ver[eid.igen. Die Verbinclung Rußlands mit den in_perialistisch-kapitaJistische,n Ländern aber ge"schieht sozusagen hinter tlem Rücken des prolet¿riats, d. h. diese Verbinclung gehen tlie Ru8lanrl belfenclen L?incler zur Stärkung ihres heimischen Kapiiatisrnus ein und benützìn die Noflage des fsincllÍchen Pmletarierlandes, uûr sein innerstes Wesen zu diskierlitieren. Das \{'erk. zeug, dessen sich Rußland zur Herbeiführung der Aktion tles'\{'eltproletariates bedient, -zögernrlen isf die Parüei: tlie Partei mit allem, was in cliesem ìü'o¡t an Zweideutigkeit uncl Unzulålnglichkeit enthalten ist. Die Kommunistische parfei Rußlanrls a^ls mechanisches 'll¡erkzeug operiert sogar auf gefåihrlichere und unzulänglichere Art, als ãas aus pra;htischen, taktischen Gründen zulässig crscheinen sollte. Es hat den Anschein, als wolle diese Partei, die zahlenrnäßig gering, in Rußland !*lb!t sich- einer feintllichen- Umweit im eigenen Lantle zum Tmtz, vermöge ganz besonderer, aus den Verhältnissen Rußlantls lerklä¡lichen Konstelþlo_nen behaupten unrl entwickeln konnte, jetzt all tlen proletarischen Parteien der Welt ein- Revqlutionsschema vorschrêiben, Beclingungen diktieren, tlie ilen inneren Verhältnissen jenei proletariate kaum genügentl Rechnung tragen untl - Ruß. 'die sie selbst, die Kommunistische Þartei lands, gar nicht mehr beobachtet. Man erlebt angesicbts der Moskauer Forderung,das sonderbare Schauspiel, daß itie kommunistischen parteien der fremclen Läncler viet päpstlicher sincl als derpapst, iÌ. h. bei weitem schroffere prinzipien - zu ve{reten baben, als Moskau selbst, tlasf wie ge. r¿de die.letztn Zelt e's wieder bewiesen hat ãu
zu Komiromissen aller Art ge-griffen..hat' Zur Weltrevolution, cleren-Herbeiführung Gesetzesctiktate, Parteiverordnungen'-usw' ermöglichen sollen, wäre eine in ihrer äußeren wirtr"nJtfi.n* Sttott* wie ihrer inneren geistigen Verfassung homogene'Welt notwenclige Voraus' setzung. Ãb"t *un muß gar-nicht weit gehen' um ,o tuËt", wie gefährlich tlas Systeq tliktierter
ge" Ànscilußtedingulngen ist' Rußlancl selbst, tlas z'B' Sibirien In *ãfUgu, ist ia itittlg unhomogen'*iir.ñ1"'d* So¡t*jes neben Menschewikis' So,i"ftutof"t¡""ären, Anarchisten sogar tlie Konstitutionellen Dernokraten, die ,,Katletten" der wei' lancl Dur4a. Dort sind auch Recle- s'owie Pressefreiheit ood Fot*"n tles Privateigentums wieder íeteetteUt. (Japan ist beclrohtich nah l) Wie sollie clas volk ;trf;;;""ìnür ein Beispiel zu nennen, Arbeiter tlqr denen in Staaten, ããt V"ói"igten repräse-n' Mittelsbantl gehobenen einen bürgeilich ä*L i" ."i.er gro"ßenMehrheit ganz-u-nrl gar ni-ch! soziälistisch ,ù dutkuo uncl zu fühten gewohnt ist, zu einem Umsturz im Sinne Moskaus ver' Fehler J.U*r Wo ja sogar Moskau selbst clen ¡*uo*." hat (ttenselben, den es sich gegenüber Shop-Stewartls hat zuschulden ããi "iosri..n"à die syndikalistischen I'W'W'' lassen), to**"ti tatkräftige Reserven der'WeIt, Intlustriearbeiter ¿ut n"oot"tion, nicht in geeigneter Weise {ür clie 2u benutzen' Dritte - ManInternationale clarf clen Bolschewiki tten Vorwurf nicht ersnaren, tlaß sie, inclem sie tlie Psychologie fremá[r'VtiiLlt uncl ihrer Proletariate nicht genüg-end ¡ãtti.t.i.ntigten, über ihr eigeres-Land untl ihre ãig;" A't¡eiterschafi übergroße Not untl Leitlen
I
2W
:
1
{
4
''
â
't
931
ì
fliegen. Das ist kein Zufatl, daß es zqm -qroß,e¡ Intettektuelle jüclischer Rasse sincl, tlie tlie
gÊbr¿eht haben. Daß sie aue demselben Grunde eigenes Sys-tem d.em Zwang funrla,ment"alei ïfirlersprüche untl Veränderungen unterwerfen
iÞr
feii
Sache tler Untertlrückten führen, untl ileren Führer-
æußten, die es in mancher Hinsicht bis an rlen Ranil tles Wiilerrufs gefü-hrt haben. Inrles wirtl ðieser Vorwurf sofort gemildert werden müssên, ìrenn man sich von rler Betrachtung der rein maüeriellen Handhaben für rlie Weltievotution entfernt: die Fehler rlor Bolschewiki ruhen in ihreni" grenzenlosen ldealismus, cler Gläubigkeit ihrer Fübrer, rlie clas treibentle Element dìr ganzen. Weltbowegung ist, und als rle¡eur Ausrlruck clie
fL: i|,,,
'1,
überschätzung der Mens'chen im allgem,pinen zu gelten hat. Unrl es tlarf sich claher
jeder, tler tlen Bolschewiki rlen Vorwurf macht, sio hätten tlas Pmletariat f¡emtter Läntler (unrl ihres eigenenl) für clie,Iclæ des Kommunismus bereits reif untl berufen gehalten, angesichts cles Versagens cler Bewegunþ in ihrer ersten: Phase fügtich eÍgne Brust schlagen und,,Mea culpa 1,, ruf€n. "Litig fndes setzt die Partei es fort, tDogmen aus ¡ Moskau in tlie Pncletariaüe cler westlichen Völker zt¡ schleuclern, worlurch cliese in verhåingnisvoller IVeÍse gospalten uncl zu clirekten Àktionén immer unfähíger werden. Wann wircl es rler lilee gellqgto, das Proletariat, rtie große heilige Masse tler Errlq rliese iin W'eltkriec allein unt! aussctlisfilish, auch in den siõsreichen Länclern rler Entenüe- -:- geschlagene Másse des proleta. riates zu sammeln'uncl geeint vorwärtszufäLhren?
die W-eltrevotution flurch I-f¿¡¡s¡¿en
sollen alle unter-' Klass,en, Rassen uncl Völker der Ertle befreit werrlen, rlas Joch des Kapitalismus zerschmetüert ins Dunkel rler Vergangenheit zurücþ 2æ
f4
scbaft von clem'klassenbewußten Proletariat aller Rassen unit Konfessionen solidarisch anerkannt wircl. - dem Versagen der Weltrevolution im Nach Westen,antwortete dem fast schon triumphierenrten Imperialismusr dÊr fuættichen Regierungen clie enorme Aktion der unisrtlrtickten Völker -A.siens. Als ich nachMoskau kam, war d.ieKonferenz in Baku, ,oines der gnoßen weltbewegentlen Ercignisse der Neuzeit, gerade beelrclet; Fährer uncl Delegierte strömten luräck nach der Kapitrale. Sinowiew hatte tlen Vorsitz in Baku gehabt, und als er den Ileiligen Krieg gegen clen Weltimperialismus ver'künclãte, tla hatten :sicb achtzehnhundertneunzig Dêlegierte fast sä¡ntlicher asiatischen Völker, Stänime untl Nomadengrupþen wie ein Mann er' hoben, ihre Revolver, Säbel und Dolche aus den Gürtela gerissen untl in einem einzigen Aufschrei ih¡ Einvãrstäntlnis zum gemeinsa,mén llleltbefrei' ungsharnpf mit Moskau verküntlet. lm Ostln gibt es kein Proletariat i¡u* Sinrre des \4restens. Die Betlingungen der Erhebung und cler Durchfübrung d.er Revolution sintl clort andere, als ìn ilen Staaten der westlichen Zivilisation. In Asien soll; -wie Raclek das in Baku ausgeftihrt hat, tlie Revoluticn nach der Befreiung tler Ostvölker hauptsächlich vom britischenWeltimperialismus untt der Zerbrechung seiner Kolonialgewaft'den Kampf gegetr ttie inl¿indischen Ausbeuter .durchführen, ilen Feutlalismus beseitigen .unt[ tl-as Werk dlurch eine Agrarrevolution, wie sie in Rußlanct stattgefunclen hai, vollentlen. In '238
wie auch in der diesem kolossalen Projekt 'Wortes vom Heiligen Krieg, Wieilerholung des äas wir 1914 untl in clen folgentlen Jahren des õfþ¡en zu hören bekommen haben - verrät sich eine Gruniltendenz, d.eren die kommunistische Bewegung Rußlancls nicht entraten kann uncl mag, und tlie mit der Bezeichnung Panslavismus, wie mir scheint, nur angetleutet, nicht aber umzirkelt ist. Wie im Geclanken tles Roten Heeres dor Panslavismus mit der Bekä^mpfung tler weltkapitalistisch gerichtelen Feincle des neuen Rußlantls eine Vereinigung erfahren hat, verbintlet sich in der Revolutionierung Asiens cler religiöse Natiolismus des Russen mit clem tler geknebelten und delunentwickelten Völker des Ostens.
Tlie Führer der Bolschewiki, die Emigranten,
die
L) in Genf, Zürich, Berlin, Stuttgart, Paris, Lonclon clie russische Revolution in glühentlen Nachttlebatten und angestrengter Tagesarbeit vorbereitet haben, setzen ihre Tätigkeit jetzt im Ifteml in großartigstem Maßstabe fort. Sie sintl Fanatiker der Weltrevolution, wie sie ehemals tlie Fanatiker der russischen Revolution gewesensind. Pathetische Anlässe, wie cliB Beertligung im Dienste cler Itlee gefallener Führer (Leichenfeier für John Reecl), entflammen religiöse Inbrunst auf bebenden Lippen. In Gesprächen aber, die man mit rlen Leitern cler Weltbewegung zu führen Ge' legenheit findet, kommt zumeist nüchternes Abwägen tler Möglichkeiten uncl Notwentligkeiten des Klassenkampfes in seinem augenblicklichen Stactium zum Ausclruck. Es ist für den keiner Partei'angehörenclen ausl?inclischen Publizisüeu natürlich nicht leicbt, auf alle Fälle unerquick234
nichtrussischen lich, sich mit russischen untl 'Weltrevolution âusThema ttas füÍt.; über Doch bleibt es eine der wichàitt*ã.t "tetzen. zu beobachten, wie sich tlieses ån.î* Aufgaben,
tler Bolschedä1;t""áu"-roptt" der obersten clgn antleren ffiil;il rli"t, ø" auch in all' Partei'
Frasen der inneren Politik, Wirtscha^fts-'
iåtlïk Läpit gtfthtong iãi.äfit"t
uncl Temperament' uni-
Russemturi, Gtaobigk"it__unrl Skepsis
"". untl verhängnisvollster io Ued"otsa¡r,rster
\{'eise
um Methode untl Aktion' ich verbrachte an manchem Nachmittag Stunmit Ratlionach' d;;"ino¿"t im Kreml' Kuriere tlie Klinke gaben.sich ';;úte.n u"*ì"t tun"*tt Welt Borlen tlem Auf uair¿' ;;ì;"; Zimmertãr in clie noch Gehen das clie vera, lËl; F-;ill.i" Sonja Unter umher' Vieren alten nicht ertemt hatte, åuf 'Wege' .clie seine ä""""iãi.u- aet m¿anarischen Ratlek ging beschrieb' Teppich iããlî"t ítt dem sprechentl und ;ìld; Depeschen i" ¿u" Hancl, zwischen Tür untl Schreibtisch "lìtimii#d, Weltpolitik nach' Es war im ¿"' ãä'îiñãuà emihõchsten Gracle te*.tnaåtnswert, wie-clieses einj uns ch Gehirn etle ;"tt -¡"*t";hirgfttfi ge politi ^die sctre PerÄußer"ung irgencleiner naõn¡cnt, ltreltdiplomatis einen irgentlwo tler rãJiî¡t-ü geringste Schwankung ;ffñ;entlen Streik, tlievaluta, einen fingierten der Stanct ilW;t*ärlfe, gegen Rußlantl ãus ireeod*elcher fremtler Mächte Yerar;d;t-;ã;- ft"en b efreuntlete Muiht, sofortAktionsfrãü"ø o"A zur Beurteilung der nächsten sozusagen ñltwendigkeit benutzte' Die stabile' TschiKraft von der lÏ'issenschaft hergeleitete fantg1jgn einer cler iú-ñ ¡esit i in Ratlek, ein Korrelat $er von höch;;;;;ütt." diesei zeit isi, å96
îl
ster Bedeutung. Sicherlich ist Racteki'einer der ersten Faktoren der unablässig vorwåirtstrciben
ilen :Weltbewegung, wichtigster ,Gärstoff cler 'Weltravolution. lVie sein jüngerer Freund, tler ilheôretiker tles Bolschewismus Bucharin, steht Raclek r(mit'Trotzky, Os'sinski-Obolenski u. a.) auf 'dem äuße¡st lin-ken Flügel tler Führerschar. In Zeiten, da die-Bewegung an einer gewissen Raststelle angeldngt ist, verliert rnan elnen und tlen.anderen der bewährteri Führer für eine Weile aus den Augen. In solchen Periotlen ist tler Schmiegsame ,wichtiger als cler Ungestüme, tler Aufbauenrle, der Organisator wichüiger als tler Propagairrlist. Da scheint tlann tlie notwendige Oppositi,on gegen rlie zu Konzessionen uncl Kompromissen geneigten Rechtsstehentleir für eine Zeit paralisiert ott¿ u¿sgeschaltet zu sein. Mit.elnem Ansprung aber stehen plötalich clie.Linken tlann wieder auf tlern Plan, vor aller Au$en auf ihrem Posten.
Die lil'eltrevoltrtion stellt einen steilen'und an
,Kebren trnrl Windungen reichen 'Weg tlar. Mancher, der lricht Schritt,¡u11un uncl rlio Notwencligkeit tles Richtungswechsels nicht einsehen kann, fällt uncl erhebt sich nicht mehr. Es geschieht oft, claß irgencleiner, d.er von Moskau Abschletl nirirmt, .um heimzrireiæn untl ih seinem Lancle rlie Be wegung zu führen, ttaheim plötzlich als ein Abtrünniger otler vom Tempor- der Bewegung Über.rannter sich erweist. Der Zauber Moskaus ist cler Atrnosphäre des gewohnten Mitieus gewiehen, úntl Moskau kann eine seiner Hoffnungen aus tler Liste Étreichen. Zluletzt geschâh'clies mit 'Serrati, clem
Italiener, der in Moskau noch'als starke' Säule tler'lV'eltrevoluti,on'gefeiert'wordei war.
kenaen . Eéia Kun. Ich lbrnte ihn in Mosklu ihnr zu' øããerholt Gelegeuheif mit.
allerNatio"*îîuitu sprechen. Dieser von den Ve-rleumdern
Tyrann Verschriene ist unter die mir beã; K";*unisteã g.oOeo Kaliberq Weltrevolutiory der änJ-;t"d, den Èionieten g ste n, z arte s t f ühlenden gläubi r cle Ëi¿ti"îir.¡-"itt"t -bereit, das Leiden der r"¿-ãtiüg.t"n Mensãhen, lindern' ;ùfdlt*" zu Schaden dekommenen, zu inmitbn scbaffen ¿"t"-lU*t.nlichkeit Gehör zu verããt U¡itt"tt"o Not'wendigkeiten' Im Gruntle Eigen' diese äitt i.Oõt- *ittti"U" Rãvolutionilr Kreatur und ,"n"fi."t Mitleict mit ¿er leidentlen Mitia*-Ji..n"" \{illen, cler Unerträgtichkeit des be2u Ende Lin Leiden ;;ili,*ü-s*, di"r.' das an Glaube reiten., -C"t" Der;ewig unerschütterliche werden' i* MenscËen kann so bezwingend aber übertönt' Gerechtigkeit üil;-ã"t. Gebot tler ä"ãn-ã"i *rhängnisvolle Weiie sich kunclgeben' im ge' äoìän rl".nei.bifx.it ooo' zage Weichheit in Aktion' ftihrlichsten Rugenblick, wodurch die zuweilen ai" ìãn*utste 'Ñot gttu'tutt kann uncl ist. auch"geraten --U"tãi bediesem Gesichtspunkt betrachtet' sintl to"Lt* die weiblichen Fiihrer tler Weltbewegu[g ;;tk*ftdtg. Za¡tlichst'e Mätter uncl zugleich
ri* äTtîr"t.*t-tger
iìl ìl
llr
:l,
lfr
Au-fãrl-ut*""gi"seste Kämpfe1ry9: uT ttie Familie' tter Iösung 'nf* des heute gältigË" Gebildes aus dem Ï.""t die Briãfe Èosa Luxemburgs ^d"ffgttt"; es sind rü-hrende Dokumente einer diese ft-*ilft"ischen Ám.¡* - und dochall'war Notder iü;. ;ilüsequentesæ Verf echterin' armen wa^hrlich¡icht *äailriuiten dér an Härten die unI(ampíbewegung cles Proletariats' A-uf wies Ftibrer Moskauer ;rhdüt lr¡Ëit.ieistoog aut 2'&7
?,¡t6
1,
l
ich schon ôfters hin. Zur maßlosenBewunrlerung steigerte sich mein Gefühl fùr die sich Opfernden eles Kommunismus, wenn ich zuweilen Frauen beobachten konnle, in Moskau, in Petersburg, dig angesichts der Not an geeigneùen Exekutivorganen ihre schwierige Arbeit taten, ihren Platz ausi zufüllen bestrebt \Maren. Klara Zetkin, eine Frau nahe an die Siebzig, fast erblindet hat die b+ scìwerliche Reise nach Moskau um die ungünstigste Jahreszeit unternommen; ihr Tag,. von dessen 24 Stu¡rden der Schlaj nur vier in Anspruch nahm, war ganz ausgefüllt von Arbeit an Broschüren über dio Erziehungsprobleme Iìuß, lands, Berichten über die russische Bewegung an tlie deutscben Frauen, über clie cleutsche Bewegung an die russischen Organisationen. Ein einziger Nachmittag erforderte zuweilen zwei längere Ansprachen an Versammlungen in rlen Sowiets, in Kongressen von Lehrern, vor Frauenvereinigungon; der Abend meist ausführliche Referate vor den verschiedensten Körperschalten. Ich hörte Klara Zetkin einige lage nach ihrer An. kunlt in Moskau vor dem deutschen Soldatenrat über rlie wirtschaftlichen Verhäiltnisse Deutschlands sprechen. Wie fast jeclerFremde, der nachMoskau kommt, litt sie in den ersten Tagen an der Ruhr. Sie sprach über zwei Stunden und fiihrte ihre Recle durcb, obzwa.r sie zweimal ohnmächtig aus clem .SaaI gebracht werden mußí,e. Die staunenswerte Energie d,er revolutionären Frauenl. Sie verursacht auch manches tragische Schicksal - ein solches lernte ioh in Petersbu¡g kennen, als ich dort Em'na CroldmaJxn aufsuchte, tlie ich von Amerika her gut kannüe. Viele geborene Fübrer haben sich in dem trngeheurer
238
Problem Rußl'antls nicht bewährt, nicht zurechtgefunden. Wenn es in Amerika hier und dort so Ët*", wie einen revolutionären Soaialismus gibt ãaut gegelen hat, so hat ihn cliese außerorclentUcle îräu in jalrzehntelangem Ringen und an' gestrengtester Å'rbeit vorbereitet' Ats Anarchistin i¡e. isi sie clem Bolschewismus gegenüber die' rãf¡" t¡ti.che Utopikerin gebliebèn, wie sie es ãàr amerikanischen Ðemoklatie gegenüber sein tlie Bolschewiki wissen mit ihr nichts mußte anzufangen, Emma Golclmann reist mit Alexancler Berkmañ, dlm Anarchisten, jetzt von ih¡emPeterst;t* tt"telzimmer aus-nach Charkow, nach O*Ëf, nach Archangelsk, urn für tlas RevolutionsMat'erial zu sammein -or.ú* im Winteipalais tlie, weltbewegende Kraft liegt brach, verzehrt
-sich .,
.
Bewegung InEs gibt unter den Fäbrern cler l--..^-l'qRfo - denen -r^-^-^ *-:verrraDte verhaßte das wlr wir von lclee, lclee. transigente der jecler iMenschenmaterial, Wettkrieg im tlas Wort
imperialistisòhe Scharlatan und Massenmörtler i¡nMrind gewälzt hat, wieder und wieder zu hören bekomñten. Damit sintl tlie Menschenscharen gemeint, tlie ctie Itlee tles Kommunismus zur siegihres Kampfes benötigt, die reichén Durchführung-wertlen müssen' Aber auch geopfert Idee diur.t bei clerlei Zletoien cler Menschenliebe - ich bin in Rußlantl einem untl dem anderen begegnet ist tler Gruntl tler Härte in einem grenzenlosen, die lÍatur iles Menschen vollsl¿indig beherrschenden Entschluß' zu suchen: daß dieUngerechtigkeit, die allzu la'ng angedauert ha! jetzt eidlich radikal aus der Weit gõschafft werden muß' Zuweilen erzittert solch ãine weithin tragentle metalliscbe Stimrne, 'trnil dann ist tlem Lauschenden eine s39
Sch\uingung vqrn-ehmlich, eine lrnvergeBliche Vibration ertönt clem Ohre, die den verboigenen 'Wesenskern einer hisüorischen Persönlichkeit ent-
hüllt ..
In
.
Augenblicken schlägt tlie.Wucht der ldee, iler Verantwortung, der Not der Gesamtheit das kühnste Herz gleichsam in Stücke. Der Gläubigste, seines Zieles arn sichersten Bewußtg der sta¡ke Führer der geistigen unrl der praktischen Bewegung wircl plötzlich mutlos, weich zuTränen, sehnt und wünscht sich wie ein Schiffskapitän yon qeiner Karawelle auf hoher See im Angesicht fast schon cler begehrten Küste nach dem Land, nach clem Debattierklub in der Züricher Mansardg nach der Zeit cles Elentls, der Verfolgung, nach der alten Zeit. im Exil zurück. Es ist rlie ewige Tragötlie der Macht, und sie spielt, sich in den Seelen der Verneiner der Macht in erschütterntler Weiso ab. Wer rlen Führern der Bolschewiki, den Trägern der Weltrevolution nachsagt, rlaß sie aug clem Trieb zur Machtentfaltung, zur Befrietligungirgendeines Rachegelüstes oder zur Bereicherun$ gehantlelt haben uncl hantleln, der kennt rlas Grun{prinzip des revolutionären Charakters nicht : Verachtung des eigenen Vorteils, tler Sicherrheit cler äußeren Existeqz; des eigenen Lebens und Sterbens. Höher als all' tlies gilt ihm ilas Fortbestehen der'Bewegúng, die Fortfährung cles Kampfes, rlie Propaganrla . .. Einige'Wochen nach meiner Ankirnlt in Moskau; um die Zeit, d,a rlie Kontrulle über mein Kommen und Gehen, über meine Ansch,auungen uncl Ãqße. rungen nicht mehr so übereifrig geführt wurd.e als zu Anfang, habe ich in zwangloserem Verkehr r,nit. einer iurd der anderen der führpnden P.er" 240
sönlichkeiten Einblick in ihre Htiuslichkeit, ilie äußeren Umstände ihrer Lebensbedingungclr ge' winnen können. Über cliese Frage kreise¡r die phantastischsten Vermutungen,. Lügen-urrtl llirngespinsçe in der Welt, ich weiß es" - Im l(apilel õ¡"i ¿i'e Intellektuellen erwühnte ich, daß rnaa sich, tritt man im Krenìl bei einem der l"ülrrer, cler clie höchsten 1\IachtbefLrgnisse in seiner ll¡tnd ein, fragen muß: ob dieser l\lensch in vereint,-Gefängniq einem Absteigequaltier oder einem einer wirklichin Wohnstube hause? Gewiß: hier und tla ißt man sich im l(rernl sat[; es gitrt dort zu$'eilen sogar Lachs, wenn es in tler Stoloivaja unten in ctei Statlt l{ering gibt, und hier urrd da kann man auch eine Blechdose mit Preßkaviar und ein paar Stücke Würfelzucker auf einer l(omtnotle im großen gûnzen aber würde-sich erblìcken in der Schönhauser A llee Groscheñrentier der Heru ihm zumuten wollte, man ìilenn bestens,bedanken, ctasl\{enü Lenins oderRadeks einigeWochen laag zum }luster zu nehmen' Die Bolschewiki lieben es nicht, wenn man sie mit den Pul'itanernvergleiclat, ich weiß es aus den ironischen Rantlbemerkungen der ,,lsruest ja" ztt tlen Berichten Berirand ftussela; tlarúnr nur-die Bemerkung, daß in dem Topf, in den man die Bolseherviki ztlsatnrnen s¡'¡å des Puritanern werfen könnte, oft nieht mehr schmort, als ein wenig Kascha mit KohlsupBe.
T T Tenn man uns zum Gehea zwingen wird, , VV werden wir die Tür hinter ua$ mil einem Krach zuschlagen,"der den Erdbail erschüttern wird." Dieser pittoreske Ausspruch stammt von Trotzky.,Er wuide in einerZeit getan, als es noeh nicht só felsengleich feststand, daß der Bolscbewis^ 16 Eolitseher, Ðrei ìÍonate ia Sowjei'Rußiand 241
l
.¡ .ii i ì 1t
:"1
mus sich behaupten können werde, inmitten tles konzentriscben Angrif f s der vierzehn Nationen, wie ilies heute tler Fali ist. Die Tür steht immer lroch offen. Untl tlu¡ch sie ziehen sogar,wiemandasbeuntl größere Gruppen--von obachten kann, kleihere 'Westen r¡ntl -Osten in eine lVelt Meoschen aus ein, die jenseits der Dünste, Betrübnisse-und Verworten¡äiten des Augenblicks schon in Zukunfts' fernen sichtbar zu w-erden beginnt' Dine furcht' bare Zeit cler Kämpfe, geistiger untl materieller Kämpfe, steht clen Vökérn cler Ertle bevor' In iliesen Kampfen geht es nur scheinbar um clie Macht einer-Klasle; im Grunde hanclelt es sich iun den Triumph 'einer religiösen Vorstellung' Die Kämpfe um^ die Weltrevolutio-n werden Reli gionsfehdin sein, ähnlich jenen, clie sich um das íIeiligo Grab enisponnen haben und' jenen, die clas Zeitatter der Reformation gezeitigt hat' Dem Bolschew.ismus wohnt vieles inne, was an tlie Reformation erinnern könnte: auch er zertrümmert Dogmen, ohzwat er vorerst an ihre Stelle wbithin sicËtUarô uncl der Anfechtung nur zu zugängliche neue Dogmen und. Gesetzestafeln ste'llt, Doch bereitet sich ctie Wantllung in tlen Seelen áuch tler Dogmenungläubigen vor. Sie vollzieht slch sogar vieÏteicnt ín enlscheidenclerer \üeise außerhalb jener Vereinigungen, Pa¡teien untt-Btincle, tlie clen iVlecha¡rismuJ det Weltb ewe gung tliri gieren' Es unterliegt keinem Zwelfel, claß ttie St¡l{" ctes Materialismus als treibender Macht cles \üeltseschehens geschlagen hat. Der Historiker der Z*ooft wird'Aie Efoche, an deren Schwelle wir stehen, uncl deren Eingang Moskau bezeichnet, nicht mehr mit clem Maßstab cles geschichtlichen '
Materialismus messe¡ itri¡fen. 242
Volker hort die Signale! 18. Januar 1919 verbreitete sich in RußUn¿ rlie Nachriehi, daß Ka¡l Liebknecht in Berlin ermordet worden sei. Um die Mittags' stunde des selben Tages begaben sich in einer
Am
lì
kleinen Starlt eines entlegenen östlichen Gouverne ments tlrei bewafÏnete Â.rbeiter in das Haus eines
Bürgers. Der Bürger, ein ältlicher Mann, saß mit seinen Angehörigen im \Tohnzimmer beim Mittagstisch. Die "A.rbeiter blieben im Zimmer stehen und sagten: ,,Karl ist tot. Komm mit." De¡ Bürger verstand nicht, was die Arbeiter mit diesen Worte,n meinten. ,,Wer ist Karl ? Was rneint ihr mit Karl? Wohin soll ich mitkommen?" Die Arbeiier sagten: ,,Karl Liebknecht ist tot" Die Bourgeois haben ihn ermordet. Komm hinaus." Der Bürger fragte noch, was die Mortltat denn mit ihm zu schaffen habe, warum er, gerade er hinaus kommen solle ? Aber er erkannte balcl, tlaß es für ihh kein Entrinnen gab, er erhob sich inmitten seiner. wehklagenden Angehörigen und folgte clen Arbeitern auf den Hof seines l{auses. Baltl darauf fielen rlrei Schüsse. Einige Tage nach meiner Rückkehr aus Rußlancl wohnte ich in Berlin einer politischen Ver' sammlung bei, in der der Retlner vor einem von Bürgern und. Kleinbürgern dicht besetzten Saal es mochten zweitausencl Menschen zu' gegen- sein den Namen Rosa Luxemburg err wåihnte. Er sprach ihn zweimal aus: das erste' mal in einem Zusammenhang, der Lacheu auci löste, das zweitemal erwåi.hnte er ihren Tod, worauf'aus der Sehar der Anwesenden lautes Bravo! ertönte' g4B
Ehe ich Moskau ver\ieß, erfuhr ich von Be' kanntenn clie
in
verschicdenen Kriegsgefangenen-
Austauschmissionen der ehemaligen österrei' chisch ungarischen Nation beschäftigt waren, daß (größtente-ils ungarische) Genossen an den Grenz' Àiationen Rußlaãds aus den Transporten zurück' beförderter österreichisch-ungarischer Kriegsge' fangenen ctie Offiziere ungarischer Nationalitüt herãusheben und entweder an Ort uncl Stelle internieren oder sie nach Moskau oder Petersburg zurückschicken während tlie Mannschaften ordnungsgemäß in die Heimat, die sie seit sechs Jahren
liõht mehr
gesehen hatten, zurückbefördert
wurden. Dieser Akt der Willkür der russischen und ungarischen Genossen erschien mir unmenschtiih und unbegreiflich. Ich nahm rnir vor, nach Kräften Abhilfe zu schaffen. . Ich war erst einige Tage wieder in Berlin, da zirkulierte ein Aufruf, der von den besfen Namen des þeistigen Europa, den bewußþn ,,besten Narne-n" uñterfertigt werden sollte" Bs l¡anrlelte sich in diesem Schriftstück um einen Appell an d,is Menschlichkeit und Binsicht der l{ortyregierung Ungarns, ttie soeben . z.ehn 3hernãtigo Volksbõauftiagte der ungarischen Kom' müné, darunter die Mehrzahl Sozialtlemokraten und nicht Kommunisten, teils zum Tode durch den Strang, teils âu lebenslänglichem Kerkèr verurteil[ hatle. Bald darauf stand in den Ìrürger' lichen Blättern des In- und Auslandes der Appcll de¡ besten Namcn - diese waren gesperrt-ge' ztr lesen. Zur selben Zeit aber saß in rlrue.kt Reval eine ungarische Regierungskommission mit ilem Beauftrag-ten Sowjet-Rußlands Litwinow bei' sarnmen uncÌ unterhandelte. titwinow hatte dEn 2+4
ungarn eíne Liste nrit siebzig Namen vÔn ungatl" scb"en kriegsgefangenen OÎfizieren vorgelegt, die im selben iugenliict füsiliert werden solllen, in dem von den zehn \¡olksbeauftragten auch nur an einem das Urteil vollstreckt würde. In tlen ersten Tagen des Novembers empfing mich Tschitscherin nachts in seinem Arbeits" kabineit im Auswärtigen Amt zu einer Abschiecls' unterredung. Mit seinem blassen Gelehrtengesicht saß er, einãn dicken Schal um den lIais und eine Tasse Tee vor sich, inmitten bis zur Decke gestapelter Zeitungen, Dossiers und. Br'oschüren in ilern ungenügenã geheizten Raum. Er sah'mich mit einõm Ãoge an, das zwischel cl-en gabeÌförmig gespreizten Fingern seiner Hand röntgenscharf den Besucher auf Herz und Nierep zu prüfen schien. (Diese Attitüde, eine von den unLeimlichen Gepflogenheiten der führentlen ['Jolschewiki, sie mögen sie in der Schule der amerikanischen Energieprofessoren oiler bei lgnaz von Loy,ola gelemt haben, habe ich des öfteren bei Voikshommissaren beobachtet, denen ich gegen' über saß.) Was Tschitscherin mir sagle, klang, von dieseí heiseren und gemessenen Theoretiker' stimme gesprochen, tloppelt wunderlich. Er sprach mit offðnkuntligem Nâchilruck, in der Absicht, claß ich von seinen Worten in lrreitesber Öffeni" lichkeit clen ausgiebigsten Gebrauch machen sollte. ,,Bs bleibt uns keine Wa¡l. In Buropa, in Anrerika mordet man unsere Freunde und ,Genossen zu Tausenden, sperrl rnan sie- zu Zehn' tausentlen ein. ìrVir haben gegeû diese Àkte unsererseits nur das lfittel, Yergeltungsmaßregeln walten zu Iassen. Es ist sehr traurig und bedauerlich, daß rvlr auße¡ den in Rußland befindlicüen a4ß
Ängehörigen der Bürgerklasse ,fremder Ländet gerade noch tlie Ärmsten untl Bernitleidenswerte' sten, die Kriegsgefangenen als Geiseln zurück' behalten müssen. Es ist sehr bedauerlich, claß für Schuldlose abermals Schuldlose ha-ftbar gemacht rrerden untl leiden so[en. Aber wir müssen zu diesem mittelalte¡lichen System zurückkehren. EE bleibt uns keine Wa^hl." Ich kenne einzelne unter tlen zehn ungarischen Volhsbeauftragten, habe ihr Leben in Entbehrun-. gen, treuestem Dienst für d.ie größte Sache cler Menschheit, in Treue und Aufopferung abrollen sehen. Litwinows Liste hat sie gerettet. Uncl den Siebzig in Rußlantl,ist kein Haar gekrümmt worden. . Der literarische Erguß der besten Intellektuellen hätte, bei der Mentalitlit tler Hortyleute, sicherlich nicht den Erfolg erzielt den das mittelalterliche System gehabt hat. Die ,,besten Intellektuêllen" haben das tiefe, in seiner Abgrün[igkeit scbauererregende Wesen der Blutsgemeinschaf t allor heute'Lebentlen nocb nicht erfaßt
I
\tr
fas wir bis zum Kriege unter der KulturunseV V rer Welt verstanden haben, ist zum Untergang venrrteilt. Diesen Untergang habe ich einmal, in einer Vision, blitzgleich mein llerz uncl Hirn tlurchzucken gefühlt. lVir 'saßen in einem Petersburger Palast beisammen, einige führende ' Genossen und Genossinnen uncl ich. Es war Nacht, und über unseren Köpfen brannte ein wunder' voller venezianischer Lüster. Papiere uncl Druckschriften lagen auf einem kostbar intarsierten Tisch vor uns. Die Unterhaltung ging um geistige Dinge des kommenden Europas. W¿ihren,tl 24ß
.¿ie anderk sprachen, blickte ich zum Liis'ler Ui""ot, aul den Tisch vor mir nieiler' Leb wohl' Venezíanerlüster, leb wohl, herrlich intarsie'rter Tisch, mit clem Yerschwinden tles Me'hrwerts verschwíndet ihr aucb, Unwierlerbúngliche einer versinteo¿uo Welt. In dieser WeIt cles Scheins seitl ihr ia überhaupt nur noch Mumien der Erinne'
toni mn"r wóidend, abbröckelncl mit jetlem Tag' In ãíeser lilelt der úerwantllung - was bin ich cla, was sintt tliese hier mit mir, liebenswerte'
reine untl hóne Geister und tloch fremrl, wie it-ãÃì, unbegreiflich unsere Beziehungen z"u gin¡ ;d;t; unbe gieifl ich die Zusa,mmenhän ge zwi ggng mii, dit uncl ctir. Wir alle, Seschöpfe tlit "it¿ 2ukünftigen unbegreiflicheur unberden einer segangenen prähistorischen Epoche' ' ' " "-öi""Bolschewiki haben es unternomrnpn, diese alte, inkoherente, aus'Widersprüthen, Grausamkeib untt Gedankenträgheit müh-sam- zusarrlmeng"iuimte TVelt ¿u zertr:üml4ern, die-der Vernunft kann' Sie sind noch Ï" ¿ããn nicht'stantthalten äiftig mit Zerträmmern beschäftigt ---: clem gut;en ' WiUã" uncl geschärften Blick intles zeiohnen sich bereits tlefin-itive Umrisse cler auf Sinn und Ver' nu¡ft besrüntleten besselt'en Welt der Zukunft' ,i* -õie B"olschewiki wantleln die Gesellschalt in ihren Formen vÐn unten auf grtincllich um' Lebens "Ien .* Begriff: Heiligkeit des keimendeq nYille der ist Heiliger bereitet' nu¡u" siã ein Entie b€stimmen' es muß a.ilein sie der Schwangeren; ob sie Muitei werden will otler nicht' Ben Staaf der mit clem Menschen als Steuerzahìer, Katronen' futter, überzåihliger Ä.¡beitsk¡alt bisher tloeh nu¡ S.Uii¿to¿"t getr"ieben hat, sind seine Befugnisso auf dae ricbúge Maß ztrückgeschratbt' In den Ð47
_rs Klisikên Ru6lantls liegen geclruckte Bogen-auf, in itentin,sich werdende Mütter in den ersten Wochen ' ihqer Schrvangerschaft einverstanden erklären da' mit, ¿an der zu diesem Behuf angestellte Arzt ihro Leibesfrucht vernichte. Es soll keine ü-rau mehr .ltutter werden müssen, ttie tlen Instinkt der Mütterlichkei! nicht in sich tqägt. Die Ehe ist im bolschewistischen Rußlantl zur Farce,,ein Scherz geworden '- ich -möchte fasi sagen: wie das Geld" Wer Zeit und Lusb dazuhat, Männlein und Weiblein, kann sich in einer Wocne viermal 'trauen' uni dreimal scheiàen lassen. (Die Woche hat sieben Tage.) Die Amíer, tlie tliese Ptozedur vornehmen, verlangen'an Legi' timation ein Minclestmaß: das Arbeitsbuch undl die Unterfertigung eines Formulars. Im rötlichen Scheine einer an der Wand befestiglen,Irahne der Sowjet-Republik vollzieht sich diese l{andlung luf rapide und rnechanische Art. Es bleibt den Beteiiigten unbenornmen, nachher zum Popen oder Rali-biner zu wandeln. Viele sollen dies tun, wirtt gesagt" Selbs[verständlich hindert keine Ver: ordnu-ng lùenschen, die sich lieb haben, in einenr ilurch das Gefütrl geheiligten Bündnis beisamrnen , zu bleiben. Es ist nur ein llaufen von Lligen, rnateriellem Zw ang, veralteten Vorurteilen, gesellschaftlichen Konventionen und sonstigem Keb' hinaus" , richt aus dem Leben der Gemeinschalt
Proleiariats und fär gewiß äffiääåilutiut, *it dem sie ursprü-nglicheigenen batten, als ry-lt ihrer ;ñF; Fählung lbst'e g e g e n cliese Klasse unrl Kaste, frtu..ä untl Kaste' und kîttür ihrer Ktasse î.ïï"*u" - W;ff die ¿ie Bolschewiki aber Proletariat sagen' sie damit;'die Menschheii' *o'*uitt.o --Sì" ti"A es, die an der Spitze tler.zivilisierten In' n¡.n..¡ftàit marschierenden kommunistischen Gesell' der Formel iãir"r-t"uilun Moskaus, ctie die Welt zertritnmero 9:'t ää, ãi; Kuttun der'atten und Kultur erschaffen ;il;;; -- Gemeinschaft auf einer Gruncllage von Aisher uner' *ãiu* gt"iie, das kaum vorstãltbare Ge-bilde einet üoîi.t sich die l(lassen an' Menschheit, -;;;;b;. in cleraufgelöst' sind' in de-r ""åi"t"t iaben, :ffiä; Abentl' und orients Farben üiã-- no.r.n, alle untl Kulturschichten aller h"d.;-il;- Índividuen sollen' sein qleichberechti;t' Zanen Inteiléktuelle sind ês, clie es lfiIteÌrlommen zu noiluo, ã.o Individualismus dieses Zeitalters ãåttttitn*.tn, ein weites, unabsehbares."frümmer' Anonymität' zwischen dieses ã.r,i-ããtZeitalter "ìtgé*oinen i""tigo ooí ¡"n., ersehnte und geahnte ã,ìîtËitu*, Intellektuelle sind's, itiè ilie Menschheit tlamit sich auf dieses- Trämmerfeld vorwärtsiagen' voll= ;;i th* áiu eono*ong des BinzótJchicksals Schieksal ,iehe und aus dem gt"oß"o àllgemeinen ãtì llutt.n clort' drüÈ'en ein neuer tndividualismus oôt o.uu.¿enhbaret Herrìichkeit ersbele' Die Pole dieses Trümmerfelde¡ sind Egoismus steht Bluts= Ñ nft*i.mus. An seinem Bingang Ausgang seinem an semeinschaft von Geiseln, Dazwisc!'t" Þiliö;;i;schaf t von Brüclern' I:qs á" iËi¿.otrveg, wie iln ttie Gesehichie rJi*'Zívi" kärnnfen ietzt
gefegt.
-
Ftir tlie Kintler sorgt der Staat, der auf solcbê Weise die Familie aufgelöst hat. '-."u. tlie Bol," Ds tlarf nicht vergessen werden, ilaß geringen mit die -L schewiki Intellektuelle sind, Sie
Àusnabmen auÀ dem Bürge¡{'rrm sþ!o{ren.
im Namen
ctes
249
248
..
..,,.".;,,;.;,àä;;,,"-,,,
äsation. ntcht kennt Etappen der Ve¡wüstung, Schlachffelde¡ mii Leichenbergen von Generatignen, Krater von Besessenheiien. In Moskau lernt man es verstehen, warum dem Schicksal des einzelnen heute so geringe Bedeutung beigemessen wirrl.
polschewismus ist clas System zur VerwirkI-f lichung des kommunistischen kleals. lVas jetzt in Rußlanrl wirkt, ist noch nicht Kommunismus; sondern eine Anstrengung, die erste entscheirlenrle Stufe zum kornmunistischen Gemeinwesen zu erklimmen.,In Rußlantl reißt eine revolutionäre P¿rtei ein Volk zu dieser Stufe in die Höhe.
Ver allem besteht rlie Aufgabe tler Kommtrnisten
ilarin: gut zu machen, was êine kapitalisfische Entwicklung an dqr Gruntlidee des Christentnm5 und den Endzielen dieser christlichen Iclee gegefälscht und vernichtet hat. Der Bolschewismus der Moskauer Führer stellt im Grunde eine Empörung des europäischen Gewissens gegen die ungeheure Entwürdigung und Unterdrückung des Menschengeschlechts dar tritt in einem - inerrlem Augenblick in Erscheinung diese Entqürcligung eine Phase des an Paroxysmus streifeqtlen Verbrechens erreicht hat: ir4 Weltkrieg. Seine ungeheuro und verhängnisvolle AuJgabe erwäcùst dem jungen Willen zum Kommunismus in der Bekämpfung all' jener durch rlen Weltkrieg maßlos verhärteten Tendenzen der Gesinnung, die latent und niedergehalten schon immer auf dem Urgruntl dieser Zivilisation gelauert haben unrl sich in diesen letzten Jahren breit entfalten konnten. Die Bolscìewiki gehen den vergifteten Ele, 250
menten dieset Gesinnung mit äußerster Ent' schlossenheit zu Leibe, um sie wegzuräumen aus ãã* W.g zur Utopie. Ihr Versagen-bei mancheno Beeinneñ schichtet tL¿s Trümmerfeld nur zu ge. der Bol' ;;Ïdt;*t Höhe auf. Wo clie Methoden Giftgesiutlie wuchert da scheõiti aber versagen,
uncl Tiefe' ttie Komprornisse' claß fã itt unbestreitbar, Bauern eigentumsfa¡atischen rlie Lenin, mit tlen durch urr{ war' ger*,togãn zu schließen --¿i" 'er Ru.ß" Etektrifizierung ¿ie oiie itittet lúaniastiscne Verzweifder aus gedenkt, i*¿t zu beheben tong ," erklären sìnd" Und tlie Erweckung der lVfuJ."o Asiens stellt eine dn Raserei grenzentle Kampfmethode dar, tlie die Welt in ilen nächst'eu Jahråehnten in unausclenkbares Chaös stlfurzen
nung sofort maßlos
könnte.
in Breite
i Sy:np-
Die Bauernschafi' Schon erwähnte ich Periode iler Völkertome einer beginnenden -sich vorerst in tle-r- Wolgagegend **a.*og,"ttie
*i.t
cterivon Panik ergriffenen Mennoniten be' rrr"t[¡ut gemacht habeñ. Aber auch unter den Bauern tlðv mit Mißernte geschlaggten Souyeq.gtàoiu h¿t sich rlgr Wandertrieb eingestellL' S.iut*."iso ziehen und irren diese Ungläck' IicLen zumeist planlos, tlurch tlie weiten Gebiete quer son des Landes, in- die Stätlte, kreuz und'!Vesüen, und nach Säclen nacb- Norden, von Osten serTruppenkrcrðone die ibnen entgegengesandí'en YÔrzuRi.eseì keinen mögen diesei Auftosoog schieben. An soichen, Elemealarkatastrophea vergiéi.nfnt"tt Ereignissen zersehellt das vcn den Éolschewiki sorgfättig erwogene System des Aufbaus.
Die.Ostvölker. Die ExplosiÛn von Baåu reißt 2ö1
he mißbrauchte untl nieclergehentle Menscbheit Kampfes' des schworen hat. Bs gibt ÀIempausen die in ilenen man wieän unierirdisches Grollen dessen' Vorboten verninmt' ïi.fã-tã"n.fnde Wut was sich' ereignen kön:rte' st'ürzlen- ilemnächst ausgeruht die Klassen mit Ãneuter iYucht und der die-Loslösungschon Wtnrr tos' altenGlau"ùi"i.o.¿.t Kirche vomstaate clurchDekreie dem macht' Garaus den nicht l-" ãa Aberglauben 'Kapitalismu*. uol der Proãi. iãtrotung des aus den d;h$t; wird"tfen Trieb der Habsucht Grõße der AufMenschen nicht exsîirpitt"o' Die wird' erst eviõ;-ãt; ãer golschewiki harrt' seeli' äffi; ;;;. ãi."Ñ"t*""tligk-eit der inneren' steht' Frage in ;;hen'RËvolutioni"t"ng auî Massen Úna Au muß aber unä abermals gesagt Y9t'qto' desVolkes' ãåßr il-aieBolschewiki zur Eildung haben' getan des Analphabetentums Berüekohne "tt'gànu¡tng auch bewunderungswürdig wäre, der alles ;i;it;Ñt cl"er elemintaren' Hindernisse'diese Beo Landes b"*;ì"tg;auo nãl-ã"s - {i" steigern Grenzenlose ins *"ì¿åt,tpg allerttings der' muß. Aber auch- iitt" geistige - Befreiung sich bergen' Massen kann ungeahnte Gefahr inMensehen der Aufbau inot" ìh" ¿ãìil;;it 'särttir ökoao' d'es Schwächen Die n¿rt. ;iäil Erder Resullate hier konnen mischen Systems
die jungen Rassen weitester, :unerforschter Gebieto
xrit einem Anhieb aus dem Urschlaf der Zeiten hinauf auf die höchste Spitze einer Bntwicklung, die. nur durch die Mühle der Weltgeschichte ge gangene Vtllker erreichen, untl auf der sich nur diese behaupten können. .Zwischen dem Kommunismus eines kirgisischen NomatlensLammes und tlem Kommunismus marxistischer Sozialisten liegt doch noch ein gewaltiger Weg" Alte Rassen aber, die Chinesen, Inder, deren Urgeschichte untl sogar noch tlie der neueren Zeiten Auf' hommen uncl Verfall cles Kommunismus kennt, erleben jetzt den Anbruch der zweiten Bpoche ihrer entschwundenen und tlurch die ÙIächte des Westens vollends unterdräckten Kultur.' Indcm die Bolschewiki bewußt gegen die Nutznießer: tler Lethargie dieser alten l(ulturnationen Asiens': ilas imperiaJistische Großbritannien und das west' liche Methoden nachahmende Japan sich wenden, beschwören sie eine Erschütterung herauf, die kaum in Jahrhunderten verebbt sein wird, uncl tlie das \{erden einer neuen Kultur auf der Basis allgenreiner Völkervereinigung fraglich macht. So wird, wer ldee untl Methode der Bolsche' wiki zugleich betrachtet, vom Himmel zur Hölle geschleudert, ein Spielball von Verzweiflung untl Begeisterung. \iliederholt habe ich es aus dern Munde der Führer Moskaus vernommen, daß tler Kampf um den Kommunismus - in seiner heutigen akuten Gestalt ist es' ein Kampf der die Welt in Bolschewiki um ihre Existenz Jahrzeh
n
-
te andauernde Bürgerkriege stü rzen n¡i rd.
Dieser Kampf um die Kultur der Zukunft wird
sicherlich mit all'. der Erbitterung durchgefochten werden, d.ie iler \{eltkrieg über eino 252
teil -- verkebren.
nu, Ergebnis, das man aus Ëußtrand miË nsch II"ts; briîgt, ist:ìús tter Polilik des Bolschewis-
'
Religion des Komryiuaismus er' noL stehen' Solange de'r Bolschern-ismus sich uné oronomisehen Problemen ;;äilgen- tniimuß, kaln er an Sielie der ptagen Grundsätzen
;;;-;uß îíe
?53
hapitalistisch'en Verkehrsmethocle' zwischen Meûrschen und Gütern-nur eine ähnlichg'wenn auch bessere Methocle des Verkehrs zwischen Arbeitsleistun$ untl Güteraustausch setzen. ,Erst wenn
der Bolschewismus dieses erste Starlium überwunden haben wird, hönnen die Beziehungen zwischen Menschen und Menschen aufgeriehtet werden.
Vorderhand sincl die Menschen aber, und. das lernt man in Rußlantl in entscheiclendster Weise verstehen, zu dem notwendigen Fortschreiten auf clemWeg tlesBolschewismus nurdurch einSystem cles eiseiaen Zwanges zu bewegen. Dieses System, das zu sCinem Endziel den Triumph tles be freiten Inrlivitluums gesetzt hat, arbeitet mitäußerster E'ntrechtung, mit einer zeitlich unabsehbaren Unterdrückung der Freiheit cles Individuums,. 'Eines ist aber doch zu beachten: Ein neuer Militarismus ist in Rußl'ancl entstantlen, eine Armee ohne Kadavergehòrsam. Ein neuer Arbeitszwang, aber nicht vom Ausbeuter diktiert, so,ndern von d.er Staatsgemeinschaft. Eine neue innere Polizei, clie aber jetzt im großen ganzen doch clie Schätllinge faßt, wo sie ehemals von den Schädlingen gehanclhabt worden ist. Die Erben rler Despoten sind Lenin, Trotzky, Lunatscharsky. Diese Momente sind wohl zu beachten. Sie beweisen, tlas sich an den Zielen der Macht cloch einiges geändert hat - man sollte clies nicht außer acht lassen in Augenblicken, in clenen die Erkenntnis nieclerdrtickt: claß die Me¡ thoden tler Macht rlie gleichen geblieben sincl, ja stellenweise sieh noch verschärft haben.
TTs ist Sch\reres, was man im Rußlantl der l-. So*¡ets erlebt. Nicht jeder geht heil aus
dieser Piüfung hervor. Schaurig tönen-itie Sig" nale tler Befrõiung tlem Gläubigen ins Ohr' Zu' weilen mit dem Þosauneaton tles Jüngsten Gerichts. Oft wollen sie fast tlie Hoffo'ung auf tlie Zukunft übergellen. Ofi isi es einem, als sollte man sich wünichen, rasch von einer der düsteren Epiclemien, clie wie Wirbelstürme über die rus' sische Erúe fegen, ergriffen und hinweggel€t zu werclen. Abei clann ãrhebt sich vor dem schier .Verzweifelnclen der blutencle, tler mystische hei' lige Mensch Rußlancls, Tolstoj, ttgr -vor tlem Totlq efientlich schon nach seinem irtlischen Tode, von Võrklärung uncl Unsterblichkeit beschienen sich auf dem wlnterlichen Weg ins Ungewisse vorwärts tastet. .. . Es ist cler Weg tler Menschheit, den de'r russische Mensch geht, tibet den er tlie Menschheit vorwärtsführt, tler 'V[eg geht über Trümmer und Not untl Alptraum zui \ryiedergeburt und zur Gemeinschaft der beseelten Vernunft Ist es Begeisterung, ist es Ve-rzweiflung, w€ in cler SeelJ dessen tberwiegt, cler aus Rußlantl zum iibertünchten Abgrunct tler westlichen Zivt' lisaiion zurückkehrt? Ist es clie Heimat, in die er zurückkehrt? Oiler ist ctie Heimat niclrt etwa d.ort, wo gelitten, gekämpft wird, unter dem hungernden, frierentlen, ringentlen Volk? Wo um clas Menscheniecht gekämpft wird' ist ctie Heimat. Von dort her ertönen d-ie Signale'
2út 264
Ðie'Vferke A {,hur Holi 'Weiße Liebe Romût¡
An die Schcinheit ,l,i",i'.'''.,...:;.;::.|.:,i.,',Tr9qø¡tió|....'',';' Von der \ilollusç ünd deT Tode
Der vergiftete Brunnen .
Ronl¡n
Das sentimentale Abenteuer !\ovello
.' ' ,:r.r,
,].
:,,r,,,, .:",
, '
1.
| .i.. i,, ,' '' t I Der Golém , ,
-
.',
,''t
'
Gh-ettólegende-
-\ry'ir"',rf'
'b, ,
r
wartest Du.¡i
, I ¡¡ I4 gland-O tpreußen-Sudostçrreiph ¡-
; ., . .,
Das amerikanische Gesicht ..
Bruder \Murm 'i
'ì, :,1
'
'
,i
Schlafwandler
Adela Bourkes Be8egnung Dtuqk von Jsuqs Rl;;t1'6¡clt ia Leþzig
.i
.,
,. ; i' .; ...r1 ::l::t:
..:: r.:,,,..