Doktor Eisenbart mit Eisenbarts Wappen
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
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Doktor Eisenbart mit Eisenbarts Wappen
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
KARL
HEFTE
BRETHAUER
Dr. Eisenbart Er war anders als sein Ruf
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
M U R N A U • M 0N C H EN • I N N S B R U C K • Ö L T E N
Woher er kam . . .
I
n Hannoversch Münden führt eine Brücke über die \\'err.i, kurz bevor die \\ err.i riefa mit der Fulda zur Weser vereinigt. Diese Brücke wurde schon im Jahre 1329 in Stein errichtet und diente seitdem jahrhundertelang dem starken Handelsverkehr, der sich von altersher hier kreuzte. Vom Lärm des Cberlaiidverkehrs hallte auch die Lange Straße wider, die im Zuge der ehrwürdigen Werrabrflcke vom Unteren zum Oberen Tor durch die alte Stadt Münden führt. Mitten in der sonst SO beschaulichen Stadt steht an dieser unruhigen Straße das Sterbehaus des weltberühmten Doktor Eisenbart. Nicht in seinem Haus in Magdeburg, wo er seßhaft werden wollte, sondern hier an einer der Straßen, auf denen er ruhelos sein ganzes Leben als \\ anderarzt unterwegs gewesen war, wurde er von seinem furchtbaren Gegner, dem Sensenmann, schließlich überwunden. Eisenbart kam von weit her. und es sind für uns vielfach nicht mehr entwirrbare, sehr lange und oft verschlungene \\ ege,
die ihn am Ende ins waldreiche Oben Bergland geführt haben. Eisenbart hat man lange für eine Gestalt der Sage gehalten. Als man dann Urkunden fand, aus denen hervorging, daß er tatsächlich gelebt hatte, ergaben sich die merkwürdigsten Tatsachen. Noch 2
i n d e n z w a n z i g e r J a h r e n b e a n s p r u c h t e n zwei S t ä d t e d e n R u h m , seine Geburtsstadt zu sein: Magdeburg und Viechtach im Bayerischen Wald. Als man in den dreißiger Jahren in Viechtach in der „Eisenbartstraße" wißbegierigen Fremden schon sein Geburtshaus zeigte und „Eisenbart-Festspiele" veranstaltete, konnte eine Taufurkunde vorgewiesen werden, aus der klar hervorgeht, daß Eisenbart weder aus Magdeburg noch aus Viechtach, sondern ausOberriechtaefa im Oberpfälzer Wald stammt. Die Irrtümer hatten Mir Bekanntwerden der Urkunde leicht aufkommen können, nannte sich Eisenbart doch selbst gelegentlich ..aus Magdeburg". Aber auch ..aus Regensburg" wird er oft genannt oder aber: ..aus Viechtach unweit Regeusburg". Wenn Eisenbart den Hinweis ..aus Magdeburg*' niederschrieb, meinte er den Wohnsitz seiner Familie. Die beiden Viechtach aber sind leicht zu verwechseln, da der Zusatz ..Ober-" bei dem einen nicht ursprünglich ist und auch heute noch oft weggelassen wird. Unweit Regensburg aber liegen beide: Viechtach östlich von Regensburg am Schwanen Regen, und Oberviechtach nordöstlich von Regensburg, rund 17 km von Nabburg entfernt. Heute aber kann es keinen Streit mehr darüber geben. Der
Oberviechtacher Eisenbartforscher Porstner hat die Taufurkunde zusammen mit dem Rild Eisenbarts nach dem Leipziger Kupferstich abdrucken lass.-n. Der Text lautet klipp und klar: „Daß Hannfi Andreaß Eisenbarth von ehrl. Christi. Catholischen Eltern, dem Ehrenfesten und Kunstreichen Herrn Mathias Eisenbart hen, Bürgern, Oculist (Augenartt), Stein- und Bruchschneidern allhier zu Obern Vietach, dann auch s< in« r ehel. Haußfrauen Maria Magdalena Gebohren und von dem wohlehrenwert, und wohlgelehrten Herrn Johann Spenger, damaligen Pfarrer. . Anno 1663 im Monat Martii den 27. nach Christi. Cathol. Brauch in allhiesiger Pfarrkirchen. . getauft wurden, wird Graft dieß von eichen (eigen) unterschriebener Handschrift und aufgedrückten gewöhnlichen Petschaft (Siegel) hiermit attestiert und bezeugt./ Geben Obern Vietach den 11. August 1678./ L. S. Johann Jakob Vollherr Pfarrer." Eine Nachfrage Forstners im Bischoflichen Archiv in Regensburg ergab, daß Spenger und Vollherr wirklich damals in Ober\iechtach Pfarrer waren.
.;
Ist auch der Tag der Geburt aus dieser Urkunde nicht zu ersehen, so ist doch durch das Taufzeugnis nicht bloß Oberviechtach als Ort der Geburt gesichert, sondern auch das J a h r 1663 als Geburtsjahr. Denn die Taufe wurde ganz gewiß wenige Tage nach der
Geburt vollzogen. Die Eintragung auf Eisenbarts Grabstein in Münden: ..Gebohrn Anno 1661" kann nicht richtig sein
Seine Lehrjahre Als bisher ältestes Dokument von seiner eignen Hand ist das Gesuch Eisenbarts erhalten, das er im Jahre 1686 an Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg gerichtet hat, um ein Privileg, die Genehmigung des Fürsten zur Ausübung der ärztlichen Kunst, zu erhalten. Darin macht der Schreiber selbst Angaben über Herkunft und Jugend, die manche Lücke in iinserm Wissen ausfüllen. Fassen wir die Tatsachen zusammen, die der Dreiundzwanzigjährige uns aus seinem bisherigen Leben in diesem bisher noch ungedruckten Schreiben vom Jahre 1686 selbst bekanntgibt: Kr ist katholisch geboren und erzogen, sein Vater Matthias Eisenbart war Augenarzt, Bruch- und Steinschneider zu (Ober-)Viechtach, dort ging Johann Andreas auch zur Schule. Nach »lern frühen Tode seines Vaters kam er als Zehnjähriger zu dem Augenarzt, Bruch- und Steinschneider Alexander Biller. seinem Schwager, nach Bamberg in die Lehre. Nach zehn Jahren brachten ihn seine Angehörigen und Freunde ins Kloster, das er nach einem halben Jahre wieder verließ, um evangelisch-lutherisch tu werden und seine erlernte Kunst auszuüben. Aus anderen Quellen wissen wir, daß er 1684 bei seinem Schwager Biller seine Gehilfenprüfung ablegte. Aus mehreren späteren eigenen Zeitangaben Eisenbarts geht ferner hervor, daß er sich 160.3 selbständig gemacht hat. In dem Privileg, das der Herzog Friedrich ihm im Jahre 1686 erteilte, heißt es. er habe nach der Gehilfenprüfung ,.etliche Jahr* 4 seine Kunst an verschiedenen Orten, besonders in Stadt und Amt Altenburg, ausgeübt. Das paßt alles gut zusammen. So dürfen wir wohl an dem Jahre 1663 als Geburtsjahr festhalten und annehmen, daß das 4
Jahr 1661 auf dem Grabstein auf einem Irrtum beruht. Der Stein wurde — wahrscheinlich vom jüngsten Sohn — in Münden bei der Bestattung in Auftrag gegeben und später über die Gruft gedeckt. Wem der Irrtum zur Last zu legen ist, läßt sich schwer sagen. Die Angabe auf dem Stein: gestorben im Alter von 66 Jahren, i-st lediglich errechnet aus dem Todesjahr 1727 und dem vermeintlichen Geburtsjahr 1661. übrigens erscheint der Name auf dem Grabstein nicht in der von Kvsenbarth stets gebrauchte«! Schreibweise mit y und th. sondern in der Schreibweise Eisenbart. So liegt Eisenbarts Werdegang bis zum Beginn der eigenen Praxis in den Umrissen vor uns. Doch zu seiner Ausbildung muß noch ein Wort gesagt werden. ,,Sie entsprach", wie der Mediziner Wilhelm Ebstein urteilt. ..«Jen Anforderungen, welche die damalige Zeit an einen Wandarzt stellte." Bis tief ins IB. Jahrhundert gibt es vom Mittelalter her allenthalben neben den studierten Medizinern und Doktoren die Zunft der W undärzte. die ihren Beruf als „Schneider" oder ..Operateure" handwerklich erlernen und darin meist den Professoren der Medizin an den Universitäten und den Amtsärzten überlegen sind, zumal die Wundärzte fa^t immer nur bestimmte Operationen übernehmen und darin Meister sind. Obwohl dieses Wandergewerbeschon seit der Reformationszeit in Schwänken, Volksdramen und Fastnachtsspielen oft genug als Zielscheibe des Spottes herhalten mußte, ist nichts Anrüchiges daran. Die W undärzte haben, wie jedes andere ehrbare Handwerk, ihr eigenes Standesbewußtsein, ihre Standesehre, ihren Herufsstolz. Für erste Hilfe bei Unfällen und als Zahnbrecher sind außerdem die Bader und Barbiere zuständig. Ferner nibt es als unterste, zeitlose Schicht der Heilkundigen auch damals allerlei Quacksalber, Wunderheilkünstler und weise Frauen. Die Wanderärzte unter den Chirurgen nehmen zumeist in einer Residens ihren festen Sitz, verschaffen sich auf Grund von geglückten Kuren und einer Prüfung das Privileg — die Genehmigung, des betreffenden Landesfürsten zur Berufsausübung im ganzen Land — und ziehen dann von Stadt zu Stadt, schlagen auf den Jahrund Wochenmärkten ihre Bude auf und behandeln, was aus der Stadt und vom Lande zu ihnen geritten und gefahren kommt. 5
Wie er begann und Ircite So ist also auch unser Eisenbart beim Herzog von Sachsen-Altenburg vorstellig geworden mit seiner Bitte, in dessen Landen, amtlich bevorrechtet und gegen Konkurrenz geschützt, seine Kuren <m,sführen /u dürfen. Eine vom Herzog befohlene Prüfung ergibt das Zeugnis: In Augenkuren wie als Stein-, Krebs-. Bruchschneider zur Genüge erfahren. Außerdem hat ihm der Hat der Stadt (in Zeugnis über .'iO glücklich verlaufene Kuren ausgestellt. Das Privileg erlaubt ihm, in Städten und Flecken des Herzogtums mit Bewilligung der jeweiligen Stadtbehörde auf Jahr- und Woohenmirkten seine Kunst auszuüben und \\ undsalbe, Mithridat (eine Latwerge aus "A Stoffen, damals als Universalmitte] und Gegengift gerühmt) und Augenstein feilzuhalten. Untersagt isl es ihm, andere Apothekerwaren zu verkaufen, innere Heilmittel an/u wenden und in die Hechte der angesessenen Bader und Barbiere einzugreifen. Er ist damals 23 Jahre alt. Drei Wochen später führt er die Tochter des Berufskollegen in Altenburg als Frau heim, auf dessen Freundschaft er sich zu Beginn seines Gesuches wie auf einen Bürgen berufen hatte. Im Trauregister der Brüderkirche zu Altenburg lesen wir unter dein Jahre 1686: ..Herr Johann Andreas Eisenbart. Oculist, Stein- und BruchSehneider sllhier, Herrn Matthias Eisenbart, auch Oculistens, Stein- und Bruchschneiders zu Regensburg nachgelassener Sohn, und Jungfer Catherine Elisabetha, Herrn Johan Heinickens Tochter, sind Donnerstag, den 16. Sept. in der Brüderkirche copuliret" (getraut). Alle sind sie Okulisten, Stein- und Bruchschneider: der alte Matthias und sein Sohn, Johann Andreas Eisenbart, der Schwager Alexander Biller. und Johann Heinicken, der Schwiegervater. Johann Andreas Eisenbarts erstgeborener Sohn Johann Michael wird Medizin an der l ni\ersität studieren, und sein Jüngster. Adam Gottfried, wird den Vater später auf seinen Reisen begleiten, um von ihm wiederum das Handwerk zu erlernen. 6
Aul Wanderschaft Bis zum Frühjahr 1688 halt sich Eisenbart im Altenburgis« lun auf und heilt nach seiner eigenen Versicherung 200 Personen von Starblindheit, Bruchschaden, Krebs und Hasenscharten. Von den ungezählten Operationen, die ihm im Laufe seines Leben* gelingen, sind uns nur von sehr wenigen einige dürftige Angaben in den Zeugnissen, sogenannten Attestaten, erhalten, die ihm die Rate der Stldte hie und da ausgestellt haben. Nur von vier Operationen haben wir eingehende Schilderungen eines fachmannischen Augenzeugen. Dabei hat Eisenbart, wie er selbst im Jahre 1716 behauptet, bis dahin allein an Bruchoperationen 2000 ausgeführt, ..ohne die, die er aller Orten ohne Schnitt glücklich curiret."' Von mißglückten Kuren aber erfahren wir nur dann, wenn sie den Tod zur Folge haben und dadurch aktenkundig werden. So traf ihn schon im Oktober 1686 in Gera ein Mißgeschick. Der Vater eines von ihm operierten Knaben, der bei dem Kranken wachen sollte, schlief ein. Der Knabe fiel aus dem Bett und starb an den Folgen dieses Falles. Eisenbart hatte offenbar Gegner. sie zeigten ihn an und forderten sogar den Widerruf des Privilegs. Man verurteilte ihn zur Zahlung einer hohen Strafe, die auf seine Bitte und auf den Beweis hin. daß er schuldlos war. auf die Hälfte herabgesetzt wurde. Im Mai 1688 erteilt ihm Dach mehreren Erfolgen in Weimar und Buttstldt Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar, zugleich Regent über Sachsen-Jena, ein umfangreiches Privileg für diese beiden Ländchen, das der geschäftstüchtige Eisenbart drucken und überall, wohin er kommt, öffentlich anschlagen läßt. Bis zum Februar 1689 erscheint die Ankündigung, soviel wir feststellen können, in 28 Orten: in Weimar, Neumark. Buttstädt, Rastenburg. Suiza, Berka, Tannroda, Ilmenau und zwanzig Dörfern. Er rühmt sich damals über hundert erfolgreicher Kuren, darunter vieler Staroperationen, und seiner Fähigkeit, rasch und ohne große Schmerzen zu operieren. Im nächsten Jahre stellt Fürsterzbischof Anselm Franz von Mainz dem ,,Chirurgen und Operator" Eisenbart ein Pri>ile* aus
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für Erfurt und die andern mainzischen Lande in Thüringen. Vorbedingung: Kr muß in Erfurt Bürger werden. Es heißt in der Urkunde, er habe .'3(30 Patienten geheilt, u. a. „einem 78jährigen Mann und einem 11 jahrigen, blindgeborenen Knaben das Gesicht durch seine Operation wieder zu Wege gebracht'*. — ,,Dr. Eisenbart, ein Bruchschneider, ist 20. Februar 1689 Bürger geworden" lesen wir im Erfurter Hatsprotokoll und stellen hier zum erstenmal den Doktor-Titel fest, der ihm nicht zukommt, den er ,sich aber zum mindesten hat gefallen lassen, wenn sich auch nirgends nachweisen läßt, daß er ihn sich selbst angemaßt hätte. Als er im Februar 1691 auch in Rochlitz vom Hat ein Zeugnis über gelungene Kuren erhält, heißt er darin „der Edle und Kunstreiche, Herr Johann Andreas Eysenparth, auß Regenspurgk gebürtig, Churfürstl. Mainzischer, wie auch Hochfürstl. Sachsen-Gothischer und Alteiiburgischer, ingleichen W eimarischer und Jenischer Hochprivilegirter Oculist undt Wundarzt, Stadt-Arzt in Erfurt". — Welch stolze Titelsammlnng für einen Achtundzwanzigjährigen!
In diesem Rochlitzer Amtszeugnis werden ihm, teilweise unter Nennung von Namen und Wohnung der betreffenden Patienten, vier Augen- und zwei Gehörkuren, ferner sechs Bruchoperationen
als wohlgelungen bescheinigt. Die letzte sei als Beispiel angeführt: „Endtlich noch ein kleines Kindt vom Dorffe, von 8 bis 9 Wochen, so bey der Geor« Bergkmannin (einer Baderin) in der Cur gelegen, an einem großen \\ BSSerbruch, undt zwar ohne Schnitt, durch den also genanten güldenen Stich curiret." Dann heißt es, zusammenfassend für alle zwölf Patienten, über die Art, wie er kuriert: „Welche allerseits er nicht nur glücklich geheylet, sondern auch sehr fleißig, so wohl tages als nachts besuchet undt abgewarttet undt sehr behutsamb mit ihnen umbgegangen, dergleichen Fleiß und Dexterität (Geschicklichkeit) noch keiner allhier erwiesen." In der Folgezeit können wir Bisenbart nicht mehr wie bisher gleichsam auf Schritt und Tritt verfolgen, die zeitlichen wie auch die räumlichen Abstände zwischen den einzelnen greifbaren Stationen seiner Wanderung werden größer. Dresden scheint anfangs der neunziger Jahre Mittelpunkt seiner Wandertätigkeit gewesen zu sein. Kurfürst Johann Georg IV. von 8
OberviediiMfa ha OberpNUzei Wald ist Eisenbart! Geburtsort Sachsen hat den Waoderarzt zuvor durch seinen Leibarzt Dr. Brodel und durch Dr. Scharig vorm Medizinalkollegium prüfen lassen, wobei er sich als ,,kenntnisreich" erweist und besondere \%egen einer von ihm selbst erfundenen Nadel für Staroperationen belobt wird. Bei späterer Gelegenheit Innren wir außerdem von einem besonderen Instrument zur Botferooog von Nasenpolypen, das Eisenbart gleichfalls erfunden hat. Als 1697 Kurfürst August der Starke König von Polen wird, erweitert Eisenbart sein Privilegium auch auf dieses Land. Im Mai 1697 richtet er in Leipzig ein Gesuch an Bürgermeister um! Hat der Stadt, „sie wollen hochgeneigt geruhen, mir zu vergünstigen, kommende Woche noch etzliche Tage auf dem annoch stehenden Theatro auszustehen, meine Sachen noch in etwas zu offerireo (anzubieten), damit ich meiner Unkosten und Mühe in etwas könnte erfreuet werden."
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Sein Bild und Wappen Damals wird auch der bekannte Kupferstich in Leipzig entstanden sein, nach einem verschollenen Bildnis von Christoph Schul/, gestochen von M. Beringeroth. Das Brustbild (vgl. das Bild auf der 2. Umschlagseite), das ihn laut Umschrift als 3Sjihrigen darstellt, zeigt Eisenbart in gewaltiger Allongeperücke, mit kostbarem Gewand angetan, ein Spitzentuch um den Hals geschlungen. Kin eindrucksvoller Kopf mit klugen Augen unter einer hohen Stirn, ein nicht ungeistiges Gesicht. Darunter ist in einem Medaillon sein Wappen wiedergegeben: Im Schild der Vogel Strauß, ein Hufeisen im Schnabel. Aus der Helmzier über dem Schild wachst ein bärtiges Männlein im Eisenpanzer empor: wie das Hufeisen beim Strauß, so sind hier der Bart und das Eisenkleid eine Anspielung auf den Namen Eisenbart. Der Bärtige hält mit jeder der beiden Hände ein ärztliches Instrument wie im Triumph empor, vielleicht die beiden von Eisenbart erfundenen, links die Starnadel, rechts den Polvpenhaken. — Dieses Wappen findet sich ebenso, aber dein Material entsprechend vereinfacht und sehr vergröbert, auf dein
Grabstein in Münden wieder, wo es von zwei Putten hochgehalten wird. — Entsprechend der im ganzen Mittelalter ernsthaft geglaubten Fabel, Eisen sei für den Strauß ein leicht verdauliche-, bekömmliches Leibgericht, wird der Vogel bis ins 18. Jahrhundert gern mit einem Hufeisen im Schnabel abgebildet. In einer Sammlung von Sinnbildern mit dazu passenilen Wahlsprüchen von 1677 von Joachim Kämmerer steht unter dein Strauß mit Hufeisen: Ein Helden-Geist kan ohne scheuen / Die härteste Gefahr verdeuen. Ein dapfrea Herz kan alles Leid und Ungemach e r t r a g e n / Und weiß von keiner Bangigkeit noch Zittern was zu sagen. — In diesem Sinne etwa ist die Wahl des Wappentieres von Eisenbart aufzufassen.
Hic er anfing Um das Jahr 1697 hat ihn wohl auch der spätere Göttinger Professor Dr. Christian Anglist Heumann in Zeitz gesehen. Mehr als fünfzig Jahre später sehreibt Heumann in einein Brief an den Kon10
sistorialrat Dr. Eberhard David Hauber in Lemgo: ..In meiner Jugend lebete ein damals sehr bekannter Marckt-Arzt, welcher auf allen Märckten herumzog. Ich habe ihn am Ende des vorigen Jahrhunderts, da ich zu Zeitz Schüler war. daselbst gesehen, als er mit großer Pracht aufgezogen kam, und, nachdem er auf seine Schaubühne getreten war. seine Hede mit diesen Worten anfing: .Hochgeehrteste Herren! Ich bin der berühmte Eisenbartf' Ich habe aber schon da« Ende seine-. Hubmes erlebet, und glaube, daß nach hundert Jahren niemand mehr wissen wird, dafi ein Marcktschre>cr, Nahmen! Eisenbart, in der Welt gewesen . . ." Wenn Eisenbart gegen die Jahrhundertwende auch noch nicht eine Truppe von 1*20 Menschen mit sich führt, was aus dem zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts von ihm berichtet wird, so dürfen wir uns sein Auftreten auch damals schon recht prunkhaft •OlStellen. Der Marktarzt gehört mit seiner Bude, seinem Stand, Zelt oder ..Theatro" durchaus zu den übrigen ,,Marktschreiern'*, und das Trommeln und Trompeten gehört zu seinem Handwerk. Land«sfür>tliche Verordnungen, die dem seit Ende des Dreißigjährigen Krieges überhandnehmenden Andrang von ..losem Gesindel" auf den Jahrmärkten entgegentreten, sind zahlreich aus der Zeit \on 1650 bis 1750 erhalten. Darin werden: Seiltänzer. RiemenStecher, Spinnen- und Feuerfresser, Landfahrer, Arzte. Bruch- und Steinschneider, Zahiibrecher, Ileilmittelkrämer in einem Atemzug genannt. Aber das in Tönen und Farben schreiend aufdringliche Gebaren ist volkstümlich und lockt die Masse an. Auf die Masse aber kann und will auch Eisenbart nicht verzichten. So trägt er wie seine Kollegen eine auffallende Tracht, etwa einen scharlachroten Rock, dazu einen Umhang und eine großmächt ige Perücke, nebst einem Dreimaster. Andere ziehen ein orientalisches Kostüm mit Turban vor. Ausrufer, mehrere Hanswurst- oder Pickelhäringfiguren sind genau so unentbehrlich wie eine Musikbande, mehrere Heiducken (Boten) und eine Anzahl Handlanger für das Aus- und Einladen, das Auf- und Abschlagen der Bude, für die Verteilung der Reklamezettel und dergl. Selbstverständlich hält sich der Herr Chirurgus auch einen Sekretär für die schriftlichen Arbeiten. 11
Eisenbart ist Meister in der sogenannten „kleinen Chirurgie": Kröpfe, Hasenscharten, Muttermale, Fisteln, sogen. „Speck-Gewachse" beseitigt er rasch und fast schmerzlos, wie er versilbert. Außerdem versteht er die Herstellung von allerlei Heilmitteln: ,,Tincturen*\ Balsame, ,,Augenspiritus** und dergl. Sie werden im großen hergestellt und sogar spater von seinem Wohmdtz Magdeburg aus versandt, wie es scheint. „Aach hat er gar sonderliche Imcntion (Vorrat) curioser Bruchbänder, von Fischbein und Stahl. davon eins kaum 8 oder 9 Loht (ca. Vi Pfund) schwer, welche alle Intestina (Eingeweide) ohne die geringste Incommodite (Unbequemlichkeit) in Leib halten, womit vielen Personen ohn Schnitt, nebst sonderlicher Medicin geholfen worden." Zahnbehandlung nimmt Eisenbart wohl nur selten vor. Kr hat ,,einen geschickten Chirurgen bei sich in Diensten, der in Zahncuren vor (für) alle schadhaften Zahne, Skorbut, Bluten des Zahnfleisches, üblen Geruch des Mundes, Hinreichen vor Brand und Faulung derselben, enriense (berühmte) und approbirte (bewährte Mittel, auch köstliches Englisches Zahnpulver hat. Insonderheit weiß er alle faule und abgebrochene Zähne geschwind und mit wenig Schmerzen herauszunehmen, wie auch mit Säuberung, Befestigung und dauerhafter Einsetzung der Zähne einen jeden um billigen Preis nach St.mdogebühr zu dienen sich ein Plaisir machet.** Eisenbarts Stärke sind außer seinen Gehör- und Augenkuren, die immer besonders gerühmt werden, seine Bruch- und Krcbsoperationen, sowie die Entfernung von Nieren- und Blasensteinen. Auch Frauen hilft er bei ihren mannigfachen Gebresten.
Wie er operiert Aus Prof. H e i s t e r s Tagebuch. Anderthalb Jahrhunderte vor der Erfindung der aseptischen, der keimfreien, Operationsmethode werden Eingriffe aller Art möglichst noch ohne Öffnung der Leibeshöhle und ohne Verletzung des 12
Bauchfells vorgenommen: auch so verlaufen sie oft genug tödlichI Da/u kommt, daß Schmerzdämpfung damals kaum, Schmerzbetäubung überhaupt nicht möglich ist. Denn: Äther, Chloroform, Cocain, Dolantin, Evipan, Lachgas, Morphium, Novocain, Polamidon, Scopolamin, all die vielen Schmerzlinderungs- und Betäubungsmittel von heute sind noch unbekannt, außer dem Opium. In den Jahren 1700 und 1701 können wir nun unseren Eisenbart gewissermaßen bei Minen Operationen belauschen. W ir schließen uns zu diesem Zwecke Dr. Laurentius Heister an, ,,der Arzenei und \\ undarzenei öffentlichem und erstem Lehrer auf der Universität Helmstedt, Herzoglich-Braunst hweigisch-Lüneburgischetn ältesten Leibmedico und Hofrat, auch der Kaiserlich-Königlich Englischen und Preußischen Gesellschaft der Wissenschaften Mitgliede". So stellt sich dieser berühmte Helmstedter Medizinprofessor, Sohn eines Frankfurter Gastwirts, selbst vor auf dem Titelblatt seiner „Medicinitchen, Chirurgischen und Anatomischen Wahrnehmungen", die er 175.*J in Rostock erscheinen läßt. Heister hat in den Jahren 1700/01 dem als .,Bruchschneider und Augenarzt . . . damals sehr berühmten'' Eisenbart zugesehen, wenn dieser auf der Oster- und Herbstmesse in Frankfurt am Main ,,Curen daselbst unternähme und \errichtete". Einige dieser Operationen schildert Heister in seinem medizinischen Tagebuch. Einer der Berichte beginnt folgendermaßen: ,,Eine Bauren Frau von 30 Jahren ohngefehr, die stark und fett gewesen, hatte am linken Backen eine große bewegliche Geschwulst, die bis an das Ohr und Kinn sich erstreckte, unter der Haut, wäre beweglich und sähe scheußlich aus, in der Größe eines kleinen Kinder-Kopfs, und den ihr sonsten Niemand vertreiben noch abnehmen wollte. Diese kam zu eben diesem Arzt oder Operateur, um zu vernehmen, ob er ihr solchen trauete und wollte a b n e h m e n . . . " Diese Operation führt Eisenbart durch ,,und heilete sie glücklich, doch nicht ohne große Narbe". Schließlich beschreibt Heister auch mehrere geglückte oder mißglückte Operationen des grauen Augenstars durch Eisenbart. ,,Eben dieser Arzt als welcher sonderlich auch als Oculist oder 13
Augenarzt berühmt gewesen, nahine in folgendem Jahre an einem armen blinden Mann eine Operation oder Unterdrückung eines grauen Augenstaars auf öffentlichen Theater bei der sogenannten Meelwag für. Kr bediente sich einer runden dünnen Nadel, fast wie eine Nehennadel (Nähnadel), setzte den Blinden auf einen was niedrigen Stuhl, liese ihm den Kopf von einem Bedienten wohl und gewdhnlichermaßeo halten, ingleichen auch die Hände und Füße, verrichtete hierauf die Operation gewühnlichermaßen, wobei der Blinde wohl einen Blick einer Helligkeit und Leute zu sehen verspührete, aber nachdem nichts weiter, hälfe ihm also nichts, sondern der vorher gewesene blinde Mann bliebe blind. Diesen berühmten Eisenbart hatte ich damals noch einen Blinden den Staar auf vorige Art stechen gesehen, er soll aber noch einen andern operiret haben, den ich nicht gesehen, von welchen dreien aber nur einer wieder in so viel ist sehend worden, «laß er seine Wege und Sn-ue hat gehen, auch große Dinge sehen und von andern unterscheiden können." Hierauf folgt eine lange kritische Anmerkung:
Heister hat in mehr als 50 Jahren viele Operationen dieser Art beobachtet. Unter 10 und mehr habe kaum ein einziger „so viel Gesicht wieder bekommen als dieser . . ." Von Bisenbari muß eine besondere Achtbarkeit ausgegangen sein: denn Heister ist im allgemeinen auf die ,.Fahrenden*', die „Ungelehrten" unter den Ärzten, schlecht zu sprechen. Zu Eisenbart aber steht er offensichtlich anders, da er seine Operationen unter die Musterbeispiele seines medizinischen Tagebuchs aufgenommen hat. Fr war 20 Jahre jünger als Bisenbari und schrieb sein Buch 26 Jahre nach dessen Tode. , Hervorzuheben ist noch gegen allerlei Vermutungen in der Eisenbartliteratur. wie sich aus Heisters Berichten klar ergibt, daß Eisenbart schon 1700 nicht bloß auf öffentlichem Markt vor oder in seiner Marktbude, sondern auch in geschlossenen Räumen, in seinem jeweiligen Quartier und wohl auch im Hause manches Patienten seine Kuren durchgeführt hat.
M
Er zieht weiter und kauit ein Haus Folgen wir aber nunmehr weiterhin den Spuren, die unser Wuuderarsl in vielen Archiven, in Akten, Urkunden und sonstigen Dokumenten hinterlassen hat! Noch manches werden wir dabei über seine Wege und sein \\ irken erfahren. Zur Mitfastenmesse des Jahres 1702 weilt er in \\ ürzburg, wo ihm i^uf Ansuchen und ,,vorgewiesene Approbation" (Zulassung) hin vom Amtsarzt erlaubt wurde, seine Medizinen ..auff öffentlichem Theatro die Meßzeit blößlieh hindurch feil zu haben' 1 . Hier in W ürzburg erfolgt aber auch eine Verurteilung durch das Oberschultheißen-Amt. nach der er in eine Strafe von f>() Reichsthalern genommen wurde, weil er über die Meßzeit geblieben sei und sogar nicht zugelassene Arznei ausgegeben habe. Die Anzeige war von der Medizinischen Fakultät, den Apothekern und den Barbieren ausgegangen. Es geht daraus hervor, wie die akademischen Herren Kollegen, aber auch die Apotheker und die Hader dem ungern geduldeten Konkurrenten auf die Finger sahen. Auf ein herzbewegendes Schreiben des Sünders an >Un Fürstbischof ergeht danach ein Dekret, die Hälfte der Strafe sei ihm nachzulassen. His dahin hatte man ihn in Würzburg festgehalten und Bein Gepäck im Gasthaus „Zum Walfisch" beschlagnahmt. So konnte er den Ochsenfurter Markt damals nicht mehr besuchen, wie er vorgehabt hatte. Kr erscheint aber dann auf der Messe in Bamberg, das er 17 Jahre zuvor verlassen hatte. Ob er Alexander Hiller. seinen Schwager und Lehrmeister, noch dort antraf'< Wir wissen es nicht. Im Jahre 1703 muß selbst ein wohlsituierter Bürger, der alle „Fahrenden" als ein Greuel und allenfalls des Mitleides würdig erachtet, vor Eisenbart Respekt bekommen. In der Brandstrafie, der späteren Apfelstraße, in Magdeburg steht ein prächtiges Haus, das nach der damaligen schönen Sitte statt der Nummer einen Namen trägt und ? ,Zum güldenen Apfel" heißt. Es ist eins der stattlichsten Häuser Magdeburgs eine alte Braugerechtigkeit ruht darauf, d. h. der Besitzer hat d.is Vorrecht, sein Hier selbst zu brauen. Bisenbari kostet dies Haus gegen Ende 1703 die Summe von 3100
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Talern, wahrhaftig ein schöner Batzen Geld, zumal er 2890 Taler sogleich in bar anzahlen kann. Hier wird .seine Familie seßhaft. Außer von der Krau, Katharina Elisabeth, geborene Heinicken aus Altenburg, wissen wir von drei Söhnen und einer Tochter, die den Magdeburger Advokaten Johann Friedrich Müller heiratet, der später dort sechs Hluser besitzt. Der Älteste. Johann Michael, wird im Mai 1713 als Lizentiat der Medizin in der Johanniskirche getraut, ein zweiter soll in Wittenberg begraben liegen. Der Jüngste, 1706 in der Johanniskirche getauft, lernt vom Vater das Handwerk und richtet 14 Tage nach dessen Tod von Münden ans ein Gesuch an die Königlich« Regierung in Hannover, ..daß das Privilegium, welches sein nunmehr verstorbener Vater Johann Andreas Eisenbart als hiesiger Landarzt gehabt, auf ihn extendiret (übertragen) werden möge". Es wird dann von der Regierang ein Bericht angefordert, welcherlei Kuren der Sohn als Assistent seines Vaters und während de>sen Krankheit selbständig in Mumien verrichtet habe. Ob er das Privileg je erhalten hat, ist nicht bekannt. Bisenbart ist als wohlhabender Bürger und Besitzer eines „Brauhauses" in Magdeburg ein höchst angesehener Mann geworden. Geringere Bürger besitzen ..Kothhäuser" (Kote = Kate, englisch cot, cot t,ige!).
Aus diesen J.ihren ist eine Beschwerde Eisenbarts beim Magistrat der Statlt erhalten gegen „Operatores und Winkelärzte'', die »ich ..außerhalb der M ä r k t e " in Magdeburg aufgehalten und während seiner Abwesenheit Kuren unternommen und viele arme Leute ins Verderben gestürzt hatten, für die nun keine Hilfe mehr zu hoffen sei. Schon am Qbernfichsteo Tag läßt ihn der Magistrat seines Schutzes versichern und eine Bekanntmachung öffentlich anschlagen, in der auf Fisenbarts Privileg hingewiesen und allen fremden Operatores und W inkelärzten jegliche Praxis bei Strafe untersagt wird. Man beachte, wie Eisenbart auf seine Rechte selbstbewußt pochte und gegen andere genau so vorging, wie man es gelegentlich gegen ihn selber tat. 16
Posse aufs ReidiskammergvridU Ende Mai und im Juni 17(M treffen wir Eisenbart in Kassel. Er schickt von hier zwei Diener voraus nach Wetzlar, um die Krlaubnis für sein Auftreten auf dem Johannis-Markt zu erwirken und im voraus Propaganda zu machen. Hier gab es einen Skandal, der sogar Kaiser Leopold und den Reichstag in Regensburg beschäftigte.
Tom 24. Juni ab führen Kisenbarts Leute auf dem Wetzlarer Buttermarkt, dicht vor dem alten Rathaus, auf seinem Theatro Komödien auf. In dem Gebäude aber ist d.is Reichskammergericht untergebracht. Und an diesem höchsten Gerichtshof ist seit Jahren eine aus Geringfügigkeiten entstandene, immer heftiger uewordene Fehde im Gange zwischen dem „Alteren" und dem ..Jüngeren Präsidenten" des Hohen Gerichts. Verleumderische Beschwerdeschriften, Hingaben und Erwiderungen samt Beilagen und Nebenanlagen füllen die Aktenbfinde in Wetzlar und in Regensburg, wo der Reichstag seinen Sitz hat. Hin besonderer Untersuchungsausschuß ist vom Kaiser Leopold eingesetzt worden. Die ganze Rechtsprechung ist über diesem Papierkrieg ins Stocken geraten. Als der ..Jüngere Präsident" von einer Badereise nach W etalar zurückkehrt, findet er die ZugangSStrafie zum alten Rathaus, dein Sitz des Gerichts, versperrt und vor dem Gebäude Kisenbarts Bühne, auf der gerade eine Posse in Szene geht, in der die vertrottelte und schleppende Verfahrensweise des Gerichte durchdurchgehechelt wird, zum Gaudi des Volks auf dem Markt, aber
auch zum Ergötzen einiger Amtspersonen und Juristen, die von den Penstern der benachbarten Häuser aus susehen. Der Zweite Präsident beschwert sich in einer Eingabe an Kaiser und Reichstag und behauptet, der Altere Präsident habe Eisenbart angestiftet, er zahle ihm täglich einen Gulden, damit er ja vier Wochen spiele. Auch habe sein Gegner Damen und Herren eingeladen und in seiner Kutsche herfahren lassen, damit sie sich an der frechen Komödie ergötzten. Wie die Sache ausgegangen, ist leider nicht deutlich. Eisenbart beruft sich auf die Erlaubnis des Magistrats und das bezahlte 17
Standgeld. Schließlich läßt aber Eisenbart sein Theater abbrechen, bleibt jedoch noch bis in den Juli hinein in Wetzlar. Wahrscheinlich hat er in seinem Quartier und in den Häusern der Patienten »eine Kuren durchgeführt. Der Zulauf ist dabei kaum geringer geworden, denn sicherlich hat diese Begebenheit nur dazu beigetragen, Namen und Huf Bisenbarta weiter zu verbreiten, auch über die Mauern der Stadt Wetzlar hinaus.
Der König gibt ihm ein Privileg Seitdem Eisenbart in Magdeburg sein Haus hat. ist er Bürger im Staate Friedrichs III., des Kurfürsten \on Brandenburg, der rieh seit 1701 als König in Preußen Friedrich I. nennt. Ein Privileg für alle Gebiete dieses aufsteigenden Fürstenhauses muß un-» serem Medikus verlockend erscheinen. Also: auf nach Berlin! Schon seit 1307 ist mit Berlin das frühere Fixherdorf Colin an der Spree zu einem Gemeinwesen vereinigt. Die Stadt hat im 30jährigen Krieg schwer gelitten, ist aber dann vom Großen Kurfürsten wiederaufgebaut worden und besonders seit der Ansiedlung der Hugenotten in den letzten 20 Jahren vor Kisenbarts Eintreffen sichtbar aufgeblüht. Andreas Schlüter, der Baumeister und Bildhauer, ist (Jamals am Werk. Das Schloß, das Zeuj*haus. mehrere Kirchen entstehen, die Friedrichstadt wird angelegt, die Akademie der Künste und die Gesellschaft der \\ issensrhaften werden gegründet. In einem ..Attestat'" des Predigers der P e t r i k i n h e zu Colin an der Spree wird uns von einer öffentlichen Danksagung berichtet, die in diesem Gotteshaus gehalten wurde für die durch Eisenbart vorgenommene Heilung einer Frau Hühner, die ..seit 30 Jahren am Gehör gelitten und seit zehn Jahren ganz taub gewesen." Auf diesen und andere Erfolge seiner Kuren in Colin und Berlin verweist Eisenbart, als er sein Gesuch an den König richtet, ihm den
Titel „Königlicher Landarzt'4 zu verleihen. Das ist damals der
offizielle Titel für einen Arzt, der in dem ganzen betreffenden Land lugelassen ist. nicht zu vergleichen mit dein heutigen Begriff Landarzt. Als Begründung gibt Eisenbart u. a. an: Kr habe lieh im preußischen Magdeburg niederzulassen und dort ein Haus ge18
kauft für 3500 Taler (wobei er die Kaufsuinme offenbar um 400TaKr nach oben abrundet). Er erhalt das Privileg, das sehr gnadig, ja schmeichelhaft ab* gefaßt ist. Ks verleiht ihm zwar den ersehnten Landarzttitel nicht ausdrücklich, räumt ihm aber praktisch die Vorrechte eines solchen ein. Ks bestätigt ihm, daß er sehr vielen Menschen, Vornehmen und Gemeinen, die blind und gehörlos waren oder mit andern ..Zufallen beladen gewesen", durch seine Kuren geholfen habe. Und wie das preußische Privileg ihn „Priviligierten Landarzt über verschiedene Fflrsten-
Dir Wanderarzt hat seine Bühne aufschlagen (Kapientidl des 18. Jahrhunderts)
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tflmer" nennt, obwohl er außer in Hannover nirgends ausdrücklich diesen Titel bekommen hat, so nennt Eisenbart selbst sich gelegentlich ,,von Se. Kgl. Maj. in Preußen . . . zu dero wirklichem Land-Arzt allergnüdigst angenommen." Als Beispiel für die zehn Privilegien, die ihm, soweit wir wissen, im Laufe seines Lebens verliehen worden sind, möge im Auszug der Text des 1708 erneuerten preußischen Zulassungsschreibens stehen, das der König seinem „Lieben getreuen Johannes Bisenbarth" ausgestellt hat: ..Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden König in Preußen . . . privilegiren und begnadigen aus der Uns zustehenden Höchsten Souverainen Königlichen and Churfürstlichen Macht und Gewalt ron Obrigkeit und Landes-Herrschaft wegen dem Johann Andreas Eisenbarten . . .. daß Er so wohl in Unserem Königreich Preußen und Churfürstentum Brandenburg, als allen übrigen Unseren Provint/ien und Landen in Stfidten, Flecken und Dörffern, wenn es ihm gefällig seine wohlerlernte Profession und Medicinische Wissenschaft nach erfordernder Nothdurfft der Patienten exerciren und seine Medicinalia (Arzneien) und Arcana (= Geheimmittel), ohne daß Ihme von denen Medicis, Apothekern und sonsten jemand darunter einige Hinderung geschehe, bey allen denen sich Ihme anvertrauenden Patienten frey und ungehindert innerlich und euserlich auf seine Verantwortung appliciren (verabreichen), auch dieselbige allen jenen, die sie verlangen, verkauften und verschicken möge. Andern Operatoribus oder herum vagirenden (umherziehenden) \\ inckel-Arzten aber, so von Uns nicht Privilegirt oder Zunfftmäßig seyn, dergleichen Medicin zu verkauffen, auch solche Operationcs und Curen zu verrichten, hiermit verbothen, und bey Fiscalischer (= staatlicher) Straffe nicht zulaßen: J e doch . . . Eisenbarth dahingegen schuldig und gehalten seyn solle, Niemanden mit der Belohnung unbillig zu übersetzen (überfordern), auch denen Armen, die es nicht bezahlen können, seinem eigenen Erbieten nach seine Operation und Kunst umsonst mitzutheilen .. . Uhrkundlich unter Unserer Eigenhändigen Unterschrift und anhangendem Königlichem Insigel. So geschehen und gegeben zu Colin 20
an der Spree, den 25tn Martzii (März) 1708. Friderich. Danckelmann." Mit der kostenlosen Behandlung der Armen hatte es die Bewandtnis, daß Eisenbart sicher gelegentlich auch aus christlicher Nächstenliebe einen armen Teufel um Gottes Lohn kurierte. Darüber hinaus aber stand es den Besitzlosen frei, sich täglich anfangs vor der Marktbude Eisenbarts zu melden und sich öffentlich ohne Honorar behandeln zu lassen, wenn die Kuren nach Musik und Komödie neu begannen. Sie machten dadurch andern, noch zögernden Patienten Mut, ebenfalls das Theatrum zu besteigen. 9
Wie er eine Redmung schreibt Von einem Aufenthalt in Hannover stammt ein interessantes Schriftstück, das dort im Staatsarchiv liegt. Ks ist die, soweit wir sehen, einzige erhalteng eigenhändige Rechnung und Quittung Kisenbarts mit folgendem Wortlaut: „Demnach auf gnädigsten Befehl durch Herrn Mehmet bin befraget worden, wafi ich vor gethane Cur des Kochs oder sogenanndte Berg-Junge, auch verrichtete Operation des blinden Invaliden verlangte, als werde vor Pandage (für Verbände), Kmplastra (= Pflaster) und übrige Medicamenten, so dem Koch appliciret, 15 Thaler und wegen verrichteter Operation an dem Invaliden vor (für) meine Mühe und Medicamenten 15 Thaler zu empfangen haben. Sollte der Schnitt künfftighin an dem Koch noch nötig seyif; welches ich doch nicht hoffe, werde mich alle Zeit dazu offeriren (anbieten). / Hannover, den 8. Oktober 1710 / Johann Andreas Eysenbaith." Und die Quittung: „Daß mir Endesgesetzten auff gnädigsten Befehl durch Herrn Mehmet wegen verrichteter Cur und Operation an dem Koch und Invaliden vor (für) meine Bemühung und Medicamenten ,'i0 Thaler richtig sind ausgezahlet worden, solches wird hiermit bescheiniget und gebührend darüber quittiret. / Hannover, den 11. Oktober 1710 / Johann Andreas Bisenbarth." Es handelt sich bei „Herrn Mehmet" um Ludwig Maximilian Mehmet von Königstreu, den Kammertürken König Georgs I., der 1726 starb. 21
„Hanswurst4 muß verschwinden Leider triften wir über die nächsten Jahre nicht allzuviel. Im Frühjahr 1711 taucht Eisenbart wieder in Thüringen auf. Zwischendurch kehrt er bei sich zu Hauae in Magdeburg ein. Im Februar/ März 1713 crrent er in Jena Ärgernis. Im Jenaer Stadtarchiv liegt eine Eingabe der Prorektoren und Professoren der Universität an Herzog Wilhelm von Sachsen-Weimar vom Mai 1713. Darin beklagt sich die Universität darüber, daß sich auf den Jahrmärkten oft Marktschreier und Komödianten einfinden. ..welche zu Erlangung großen Zulaufs der Leute Schalcks-Narren gebrauchet und (tieee durch achandbaVe P<>s>en granaam Argerniß, sonderlich bey der ftttdirenden Jugend und aufwachsenden Kindern gegiftet'*. Pieaam Unweaen muß ein Ende gemacht werden. ..bevorah zu die% sen höch>t geffihrlichen Zeiten, da von Morgen und Abend ( "" Osten und Weeten) schwartze trübe Kriegs-Wolken anfat eigen und unser Teutschland gleichsam als mit einer W asserflutb zu überschwemmen drohen". Die „Kriegiwolken" aber sind die Kämpfe des im März 1714 zu Knde gehenden Spaniachen Erbfoltjekrieges und des gleichzeitigen, bis 1721 weitergehenden Nordischen Kriegea. Eisenbart erhält in der Folge die Erlaubnis, neine erlernte Praxis in Ostfriesland auszuüben, er kuriert in Thüringen und im Coburuer Lindchen. \\ as nnaer Medikus in dieser \\ anderzeit durch gelungene Kuren an Segen gestiftet hat, ist leider vergessen, erhalten hat aich nur die Kunde von diesem oder jenem Mißgeschick. Im Jahre 1714 haben die Arztreisen Kisenbart wieder auf preußisches Gebiet «eführt. nach Salzwedel im magdeburgischen Land. In Preußen regiert seit dem Tode König Friedrichs I., seit 1713, der damals 25jihrige Friedrich Wilhelm I.. den sie spater den Soldatenkönig nennen. An ihn wendet sich Kisenbart von Salzwedel aus und bittet um Erneuerung des von König Friedrich erteilten Pririlega. Natürlich streicht er auch vor Friedrich W ilhelm seine LeiBtungen heraus, daß er manchen ..Stockblinden und mit großen IM Monarchien und Leibesbrüchen beschwerten Untertan ohne Entgelt curiren gemußt habe". Ferner beklagt er sich über die . . \ k %
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zise", die Steuerbehörde, die von ihm überall drei Groschen pro Tag verlange, auch wenn er nicht „öffentlich ausstehe". Er hoffe, daß diesem Obelstand durch einen Zusatz im erneuerten Privileg abgeholfen werde, da er ,,ein von langer Zeit hero bekandtcr und approbirter Arzt'* sei und nicht ,,denen liederlichen Landtleuffern. die viele Patienten verderben und betriegen", gleich geachtet werden dürfe. Der Minister des Königs fertigt die Krneuerung des Privilegs aus, ohne aber die Steuer IU ermäßigen oder gar zu streichen, denn der König braucht viel Geld für seine Soldaten, \ur allem für das Anwerben der ..langen Kerls". Friedrich \\ ilhelm, der sich, im Gegensat/ zu seinem Vater, höchstpersönlich um tausend Kleinigkeiten bekümmert, greift aber noch auf andere Weise in die Berufsarbeit Eisenbarts ein. Im Jahre 1716 ergeht ein Erlaß von ihm für die preußischen Lande, in dem ein Strenges Verbot ausgesprochen wird aller ,,Marktschreyer, Komödianten. Gaukler, Seiltänzer. Hiemenstccher, Glückstöpfer, Taschen-, Marionetten- oder Puppenspieler und dergleichen loses Gesindel mehr" auf den Jahrmärkten. Sie gäben der Jugend schlechte Beispiele, verführten sie zu Müßiggang und liederlichem Leben, brächten ..die Zoschaoer durch ihren Betrug und Gaukelspiel umb ihr Geld, dessen sie bc\ diesen mangelhaften Zeiten selbst höchst benötigt seynd*'. Auch die nicht angelassenen „sogenannten Quacksalber" sollen nicht geduldet werden, nnd die zugelassenen sollen ohne „Narrenteidingen" ihre Arzneien öffentlich verkaufen. Eisenbart ist privilegiert, er braucht seine Tätigkeit natürlich nicht einzustellen, aber er muß sich umstellen und in den preußischen Landen von jetzt ab auf alles Marktschreierische verzichten, auf Musikanten und Komödienspiel, auf Spinnen- und 1-V»;erfresser, ja sogar auf den Spaßmacher.
Ehrenvoller ttclehl dos Königs Eisenbart ist gerade in Münster, als Friedrich W ilhelm I. ihn 1716 nach Preußen ruft. Hat er ins Münsterland, auf bischöfliches Territorium, seinen großen Troß von UM) und mehr Personen noch
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mitführen können, so muß er seinen Stab jetzt sicherlich sehr \ e r ringen). Denn von nun an finden wir ihn im ganzen letzten Jahrzehnt seines Lebens immer wieder und fast ausschließlich auf preueischem Gebiet, wo ..dergleichen Narrenteidinge" untersagt sind. So aber lautete der Befehl des Königs: ,,Seine Königl. Majestät in Preußen etc. Unser allergnfidigster Herr befehlen Dero Magdeburger Regierung hiermit in Gnaden, den dortigen Oeulisien Eisenbarth, sobald Er wieder daselbst wird angelangt seyn, in Dero höchstem Namen anzubefehlen, sich alsofort nach Stargard zu begeben, woselbst Kr sich beym Obristeu Lieutenant von Grabnitz vom Borckschen Regiment, als welcher einen Schaden am Auge bekommen, angeben und seinen äußersten Fleiß anwenden soll, solchem wieder zu helffen. / Signatum (unterzeichnet) Berlin, den 7. Febr. 1716 / Fr. Wilhelm. 1 ' Der Magistrat von Magdeburg übermittelt den königlichen Befehl Eisenbarts Schwiegersohn, dem Advokaten Johann Friedrich Müller, welcher angibt, sein Schwiegervater halte sich zur Zeit in Münster auf, und berichtet hierauf an die Regierung. Das nächste, was wir wissen. ist, daß Eisenbart einige Zeit später in Stargard eingetroffen ist. Daß er ihn Oberstleutnant von Grabnitz operiert hat, ist nirgends ausdrücklich bezeugt.Jm Spanischen Erbfolgekrieg hatte eine Kugel den Oberstleutnant dicht neben dem linken Auge getroffen und mußte herausgeschnitten werden. Vermutlich deutet der Titel Kgl. Hofokulist, den Eisenbart später führt und der auch in der Grabinschrift genannt wird, auf die glückliche Ausführung dieses höchsl ehrenvollen königlichen Auftrags hin.
Falsches Bild vom letzten Jahrzehnt Der Geistliche an St. Jacobi in Stettin, Dr. K. Scipio, entdeckt 1896 ein Bündel der ,.Stettiner Ordinairen Postxeitong" aus den Jahren 1716 bis 1720. liier findet er aus dem Jahre 1716 ausführliche, oft seitenlange Anzeigen, wahrscheinlich von Eisenbarts Sekretär verfaßt und bezahlt, in denen Eisenbarts Ankunft gemeldet, über seine Heilerfolge berichtet und den Leidenden seine Hilfe 24
in Form von Kingriffen und Heilmitteln angeboten wird. Dazu kommen noch gelegentliche Extrabeilagen zur Zeitung von roch größerem Umfang. Es ist die Zeit, in der regelmäßig Zeitungen zu erscheinen beginnen. Damit kommt zu den werbenden Flugblättern und Handzetteln die Zeitungsanzeige hinzu und spricht einen größeren Personenkreis an. Dabei muß man sich hüten vor übereilten Schlüssen aus dem Text dieser Verlautbarungen. Eisenbart steht damals auf der Höhe seiner Wirksamkeit und seines Ansehens. Man wirft ihm nun \or, er habe jetzt mit einem Male seine Fähigkeiten maßlos überschätzt und seine Grenzen den Ärzten und Apothekern gegenüber unbedenklich überschritten; man sagt, er habe von gelungenen Kuren berichtet, die niemand glauben könne, und seinen Arzneien Wandereigenschaften beigelegt, die sie nie haben konnten, so daß man ihn von da ab nicht mehr ernst nehmen dürfe, und es nun wirklich mit ihm bergab gegangen sei. Auch weist man darauf hin, damals seien Schriften gegen Wanderärzte, medizinische Schwindeleien und dergleichen erschienen, Verordnungen gegen dieses Unwesen seien nicht nur in Preußen, sondern nach und nach von allen Landesherren ergangen, die Zeit der Quacksalber sei vorbeigewcM.ii, und auch Biaenbart sei dieser Entwicklung zum Opfer gefallen, während sich die studierten Arzte immer mehr durchgesetzt hätten beim Publikum. Deshalb sei auch über die letzten Lebensjahre Eisenbarts nichts mehr bekannt, außer seinem Ende in Hannoversch Münden. Und nach seinem Tode? Bald sei er völlig vergessen gewesen, so will man wissen. Brat mit dem Eisenbartlied im Göttinger Kommersbuch (1818) sei sein Andenken neu aufgewärmt worden, und der Spott darin sei nicht ganz unverdient. Dieses Bild ist falsch! Der Kampf gegen Schwindelärzte und Kurpfuscher traf unseren Biaenbart gar nicht, er bekämpfte sie selber. Und seine Selbstüberheblichkeit auf der Höhe seines Rahmet? Man muß andere Anpreisungen der damaligen Zeit mit denen Eisenbarts vergleichen, dann erscheinen die seinigen nicht mehr übersteigert. Auf dem Jahrmarkt von damals galt es, den Mund voll zu nehmen, denn die Volksmenge war nur durch laute Töne und starke 2.1
W orte, durch drastische und derbe Redeweise zu packen. Die Gebildeten hörten vergnügt zu, ließen sich aber im Unterschied zur großen Menge eher von den tatsächlichen Leistungen Eisenbarts überzeugen. Die Jahrmarkt-Hede nahm sich freilich in der Zeitung gedruckt anders aus. da man sie beim Lesen kalten Blutes und .scharfen Verstandes Satz für Satz kritisch aufnehmen konnte. Die Stettiner Anzeigen sind aber nichts anderes als Papier gewordene Jahnnarktsreden; deren Verfasser hat vom Jahrmarkt her noch den Ton im Ohr. der dort zündete. Eisenbart wird sie schmunzelnd für gut befunden haben, ohne sich mit ihrer Abfassung Selbst zu beschäftigen. Das Jahrmarktmnßigc hängt seinem Auftreten noch an, wenn er auch nicht mehr auf offenem Markt, sondern nur noch in seinem Quartier, in einem Gasthaus oder Pri-vatquartier. oder in den Häusern der Patienten praktiziert: im ..Güldenen Apfel" in Magdeburg, ,,in Oldehoffs Hause" in Stargard, ..auf dem Haths-W ein-Keller am Kohl-Marckt" in Stettin, ..in der Heilig-Geist-Straße in der Witwen Neumeistern Hause" in Berlin, im „Wilden Mann" beim Gastwirt und Bäckermeister Jobst Barthold Schepeler auf der Langen Straße in Münden. Seine Vorrechte gegenüber Doktoren, Apothekern und Badern waren nie klar abgesteckt. Je größer er wurde, desto häufiger und lauter protestierten jene gegen den Konkurrenten, der sie überflügelte. Es trifft auch nicht zu. daß Eisenbarts letzte Lebensjahre für uns in völliges Dunkel gehüllt sind. Man weiß heute von vielen Stationen aus dieser Zeit. In Preußisch Holland wendet er sich in einem Werbeblatt gegen die Landstreicher, die „in ihren gedruckten Lügenzetteln fast alle Krankheiten curieren können" und sich «il> seine Freunde, Bediente oder gar als er selbst ausgeben. — So wirksam ist also auch jetzt noch der Name Eisenbart. In Königsberg war er in der Herberge „Zorn Güldenen Einhorn" in der vordersten Vorstadt abgestiegen. Dort bat ihn auch der \\ ollmanufakturist Jakob Unfries (Ungefries) aus der Junkergasse um Hilfe für seinen sechsjährigen Sohn, der an Blasensteinen litt. Eisenbart nahm am 22. Oktober 1723 bis spät in die Nacht an einer Hochzeitsfeier teil. Am Tag darauf führte er die Operation durch
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in Beisein des Professors Hartmann, des Hofapothekers Pietsch und seines eigenen Barbiers. Sie verlief unglücklich, ohne daß die erhaltenen ärztlichen Gutachten und der Untersuchungsbefund die Ursache voll klären. Der Knabe verschied am 29. Oktober. Schon an 2. November beantragte der Staatsanwalt die strafrechtliche Verfolgung Eisenbarts. Aber ehe die Strafverfolgung hinausging, war Eisenbart schon am 13. November 172.5 nach Eibina; und. nach zahlreichen weiteren Kuren, von da Dach Preufiisch-Holland gezogen. Noch einmal begegnen wir Eisenbart in Berlin. Die ..Berlinische Privilegirte Zeitung" vom ,'J. 8. 1724 meldet seine Ankunft: Er sei nicht tot and wolle die leidenden Berliner wieder aufsuchen. Am 24. November dieses Jahres erscheint ein weiterer Werbetext mit i\vr Abbildung eines hühnereigrofAen Steins, den ..er von einem 23jihrigen Menschen mit geschwinder Behendigkeit und in presence (im Beisein) vieler Leute, doch ohne groftc Schmertsen . . . gescLnittcn." Das Original könne in seinem Quartier besichtigt werden. Die letzte Spur vor seinem Tode gibt uns die satirische Z'-itschrift ..Der Wetterauische Patriot'* vom Jahre 172> sogar in Form einer Reimerei, in der Eisenbarts Auftreten in diesem Jahre auf der Messe in Frankfurt erwähnt wird. Es beginnt: Da steht Eisenbarth und streicht die War hervor, er hat was \ors (fürs) Gesicht, auch was vors taube Ohr. / Er schneidet den Bruch und Stein recht aus dein Fundamente, / den Zahn reiftl er heraus und braucht fast keine Hände . . .'"
Wie er in München verblieben ist Zwei Jahre splter i>t er in Hannoversch Münden verstorben. D.is Sterberegister \<>n St. Blasii verzeichnet kurz den Todesfall. In der Kirchenrechnung von St. Agidii aber finden wir: ..den 14. November 1727 Weyland .Johann Andreas Eisenbart, Medicinae C<»n-iliarii und Operateurs mitten im Chor consentirtc Ruhestitte — .'10 Thaler." 1). h.: Für das dem ehemaligen Medizinalrat und Operateur Joh. Andreas Eisenbart mitten im Chor vom Patronat zugebilligte Begräbnis wurden am 14. November 1727 dreißig Taler 27
vereinnahmt. — Die Gebühr ist die höchste, die in den Jahren 1726—,'M für ein Begräbnis bezahlt wurde. Der schöne Grabstein, der seit 1825 aufrecht neben der Nordpforte der Kirche an der Mauer steht, trägt unter dem Wappen die barocke Inschrift: ..Alhir ruhet in Gott der weiland Hochedle, Hocherfahrene, Weltberühmte Herr Joh. Andreas Kisenbart, Königl. Grol>britannis< Inr und Churfürstl. Braunschw. Lüneb. Brivilegirte Landartzt, wie auch Königl. Breussischer Raht und Hofoculiste in Magdeburg. Gebohrn Anno 1661. Gestorben 1727, d. 11. Novemb. Aetatis 66 J a h r . " Der Stein war um 1900 beliebtes Ziel für gesellige Ausflüge gelehrter Vereine, dabei habe man oft einen Umzug unter Absingen des Eisenbartlicdes veranstaltet.
Jdi bin der Dokior Eisenbart" Kisenbart wurde im letzten Jahrzehnt seines Lebens und auch; nach seinem Tode keineswegs vergessen — weder im guten noch im abschätzigen Sinne. Anno 1731 dichtet ein Gottfried Benjamin Hancke aus Breslau folgenden Hetzvers gegen den toten Kisenbart: ..Kaum hat ein Kisenbart, der alle Kranken heilt, / Durch offnen Trommelschlag die Zettel ausgeteilt, / So kommen alsobald die Kranken angezogen, / Und doch ist seine Kunst erstunken und erlogen./ In den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts erscheint Wedekinds „Krambambuli" mit der Eisenbart-Strophe: ,,Schlug Eisenbart, der Krankheitsstürmer, noch jetzo seine Bühnen auf, Du wärst sein mächtigster Beschirmer, Halb Deutschland brächtest du in Lauf. Ich wett, er rief cum emphasi (mit Begeisterung): Ihr Leute! Kauft Krambambuli!" „Ein schön weltlich Lied" ist ein 1751 in einer Sammlung „Ernst-, Scherzhafte und Satyrische Gedichte" erschienenes Gedicht überschrieben, \on Picander, der eigentlich Christian Friedrich Henrici hieß. Es beginnt:
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„Cupido schrieb an seine Thüre: Allhier wohnt Doctor E , Er sticht den Star, er heilt Geschwüre Nach einer ganz besondren Art." Aber auch außerhalb der Dichtung hat Eisenbart weitergelebt im einfachen Volk, im Bürgertum, auf Kirmesten und in der Kneipe im Rundgesang, mit von allen Anwesenden gesungenen Kehrreim nach jeder Zeile, der je nach der Landschaft verschieden lautete. Man darf annehmen, daß im Volke vor allem das berühmte Spottlied „Ich bin der Doktor Eisenbart" immer lebendig war und stets erweitert wurde. Man glaubt zw;ir, daß e> erst nach Eisenbarts Tode entstanden sei. Aber vieles deutet darauf hin, daß es zum größten Teil schon zu Lebzeiten Eisenbarts geschaffen und auf den Jahrmärkten von den Komödianten der Konkurrenz gesungen wurde, Eisenbart zum Spott und zum Verdruß. Wie er auf seinem
Spottbild und Spottverse des 19. Jh. aul Doktor LiiCtiburt EID alter Bauer midi zu sidi rief, Der seit zwölf Jahren nioht mehr schlief. I-h hab' ihn gleidi zur Ruh gebracht, Er ist bis beut nidit aufgewacht.
Zu Wien kuriert ich einen Mann, Der hatte einen hohlen Zahn, Ich scholl ihn' raus mit dem Fistol. Ach Gott, wie i.-t dem Mann so wohl! 29
Theatro auftrat und seine Erfolge herausstrich, so erscheint er in diesem Liede, karikiert und übertrieben. So äfften ihn seine Konkurrenten nach, um ihn zu verkleinern, da sie ihn in der Leistung und Popularität nicht erreichen konnten. Gedruckt taucht das Lied zuerst auf in der ,,Auswahl der schönsten Lieder und Gesänge für fröhliche Gesellschaften", herausgegeben von I. M. Bauer, Nürnberg 1815. Dann haben es 1811$ das Liederbuch für den Hanseatischen Verein, Hamburg (9 Strophen) um! das Neue Kommersbuch, Göttingen (12 Strophen). Später bringen es: der Münchener Bilderbogen (15 Strophen) mit Karikaturen von M. Heil und der Neuruppiner (19 Strophen), Druck und Verlag Gustav Kühn. Auch eine alemannisch-schweiserische Fassung des EisenbartLiedes ist bekannt geworden. Sie beginnt: ,,I bin der Toktor Eisahuet . . ." Außerdem gibt es französische Ki>enbart-Lieder. Von dem einen heißt die erste Strophe: ...Je suis le docteur [sembart, / Je connais tous les >>errets de mon art, / Je gueris tous le> temperaments, / Pourvue qu'on me donne de l'argent . . ." Schließlich soll noch ein Vorläufer aus der Zeit angeführt werden, in der Eisenbart das Licht der Welt erblickte. Das Germanische Museum bewahrt ein Flugblatt von etwa 1660 mit Spottversen auf einen Arzt: ..Ich bin der Doktor Calabrien, / Der diu Wurm schneid und destillieren. / Dem die W u r m . Mücken und Hasen plagen, / Will ich ein Remedium bald sagen! / — Auch dieses Blatt ist ein Beweis, dafi es schon zur Zeit der WanderSrzte ähnliche Spottlieder gab wie unser Kisenbart-Lied. und daß dazu der Betroffene also nicht erst gestorben dein mußte.
Er war anders als sein Huf Unser Eisenbari aber ist nicht tot! Er lebt weiter in der Phantasie und im \\ itz des Volkes, in Romnacn, Anekdotensammlungen, Hörspielen, Musikstücken, ebenso etwa wie der Pfeifer von Hameln, der Schalk Ulenspiegel, der Seeräuber Störtebeker, der Lügenbaron Münchhausen, die alle im 20. Jahrhundert noch höchst lebendig sind. 30
Am Tage der zweihundertsten Wiederkehr seines Todes, am 11. November 1927. entstieg Johann Andrea* Eisenbart sogar seiner Gruft in St. Agidii und enthüllte in Gestalt eines Doubles sein eigenes Denkmal an seinem Sterbehanse. Ja, seit 1949 beglückt er alljährlich auf- neue ..seine liebe Stadt'" HannOTerScfa Münden höchstpersönlich zum Eisenbartfest. Nachdem er vom Fenster des Sterbezimmers die Menschenmenge, die sich auf der Langen Straße drfingt, begrüßt hat. rollt er in den Polstern einer altehrwürdigen Kalesche, angetan mit mlchtiger Allongeperücke und prächtigem Gewand, wie der Leipziger Stich von 1697 ihn zeigt, Stürmisch bejubelt zum Hat bau-, voran die Stadtmusikanten, begleitet von seinem getreuesteu Schüler und zwei Stadtsoldaten. Auf der Freitreppe des Rathauses übergibt der Bürgermeister von Münden ihm sodann in einem Pestakt den Schlüssel der Stadt und deren Regiment für die Dauer des Festes. Im Jahre 1953 war erstmalig das Eisenbartfest ".erblinden mit dem wiedererstandenen Schützenfest, das einst in über hundertjähriger Tradition als ..Schüttenhof" «las Mündener Heimatfest gewesen i-t. Eisenbart, der zu Lebzeiten Anfang des 18. Jahrhunderts in Magdeburg Schützenkönig gewesen sein soll, schoß wacker mit und empfing am Nachmittag die Schiitsengilde feierlich am Oberen Tor, um sie zum Festplatz zu geleiten, wiederum über die Lange Straße, an .-einem Sterbehaus vorbei, über dessen Einfahrt die feine, über ein Meter hohe Holzplastik des Mündener Bildhauer- Hermann Klinger ihn mit einer Riesenspritze darstellt. Am Sockel aber stehen die Worte: Er war anders als sein Huf:
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