Das neue Abenteuer 260
Siegfried Fischer
Zwischenfall im Himmelsgebirge
Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 by Dumme P...
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Das neue Abenteuer 260
Siegfried Fischer
Zwischenfall im Himmelsgebirge
Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 by Dumme Pute
Alle Rechte beim Verlag Neues Leben, Berlin 1967 Lizenz Nr. 303 (305/98/67) ES 9 A Umschlag und Illustrationen: Rainer Schwalme Typografie: Walter Leipold Schrift: 8 p Primus Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
Ferienzeit. Sonntag vormittag. Moskau, irgendwo drau ßen am Ufer der Moskwa. Ein junger Mann liegt im Grü nen und starrt in den schürzenblauen, mit blütenweißen Wölkchen betupften Sommerhimmel. Ein bunt bewim peltes Schiff gleitet vorüber, einen glitzernden Kometen schweif aus Schaum hinter sich. Wellen platschen ans Ufer und zerstören die Stille. Der junge Mann heißt Maxim Stepanowitsch Kondra schin und ist Student der geographischen Wissenschaften. Seit einer geschlagenen Stunde schon zerbricht er sich sei nen Jungenkopf mit den kurzen Haaren, wie er wohl ohne größere Umstände und auf schnellstem Wege - hinterher käme, ins sagenhafte Himmelsgebirge. Er sieht dem Schiff nach. Die Sonne blendet. Mißmutig greift er nach der Zei tung neben sich, um seine Augen zu schützen. Er läßt das Schiff davonschwimmen und liest, liest zum wie vieltenmal schon: "Autobahn über den Tienschan ., der sechshundert Kilometer lange Abschnitt von Frunse nach Osch ., höchstgelegene Autostraße der Sowjetunion . zur Hälfte fertig ." Wozu gibt es in Frunse ein Institut, das sich mit der Geographie des Himmelsgebirges befaßt? Man schreibt, es vermittelt: und alle wollen mit, alle, selbst die Wankel mütigen und Zaghaften bersten vor Unternehmungslust, das letzte Praktikum einmal anders, ganz anders zu absol vieren, die Autobahn über das Hochgebirge bauen zu helfen! Es wäre außerdem eine willkommene Gelegenheit, das Studentenbudget mit ein paar Rubeln zu mästen. Ja, und nun liegt er, der er alles eingerührt, hier, hat den Zug verpaßt, und die Seminargruppe ist auf und davon via Tienschan! Schuld ist ., doch davon redet man nicht!
Schließlich hat jeder Student seine Studentenliebe . Kondraschin springt auf, stopft die Zeitung in die Kol legtasche, fährt sich durch die Haarstoppeln, reckt die etwas zu lang geratene Gestalt und hastet mit großen Schritten heim: Sammelfahrschein ist billiger, aber irgend wie muß er hinterher! Seine Siebensachen sind schon gepackt und im Cam pingbeutel verstaut. Was er sonst noch braucht, wird sich unterwegs finden. Er verabschiedet sich von seiner weich herzigen Wirtin, die vor ein paar Tagen, als sie Tienschan hörte, die Hände über dem Kopf zusammenschlug und über die dort vermeintlich hausenden wilden Tiere jam merte. Wer solch eine Reise von Europa nach Mittelasien mit wenig Geld unternehmen will, muß Erfahrung oder Glück haben. Kondraschin hat Glück: Per Anhalter schüt telt er in drei Tagen und Nächten den Staub Europas von den Füßen, als er nördlich des Kaspischen Meeres den Uralfluß quert und das Tiefland von Turan mit seinen Halbwüsten und Trockensteppen vor sich hat. Der unge wohnten Wärme zu entgehen, vielleicht auch dem leise nagenden Zweifel, unüberlegt gehandelt zu haben, reist er das letzte Stück mit der Eisenbahn. Zuerst kommt ihm der schnellfließende SyrDarja, an seinen Ufern Felder mit reifender Baumwolle, riesigen Sträußen gleich, entgegen, dann ziehen unzählige Schafherden im Angesicht ferner Berge und Bergketten neben der Bahnlinie dahin. Es gibt nichts zu bereuen! Fünf Tage und fünf Nächte sind vergangen. In Frunse, der Stadt vor dem Himmelsgebirge, sucht Maxim Stepa nowitsch sogleich das Institut auf und erfährt, daß die Seminargruppe hier Station gemacht hat und dann weiter
geleitet worden ist. "Am besten, Sie halten sich an Katharina Fjodorowna Musselin, das ist eine junge Kollegin, eine Pflanzengeo graphin. Sie fährt heute abend zurück zum Seelager am Sonkul mitten im Gebirge. Vielleicht, daß Sie ihre Leute unterwegs treffen, von ihnen hören. Katharina ist einige Kleinigkeiten einkaufen gegangen und wartet sicher schon an der Straße auf einen Lastwagen, der Material transpor tiert und sie ein Stück mitnehmen soll zu Doktor Balscha now ." "Balschanow?" Maxim, schon im Begriff zu gehen, bleibt überrascht stehen. "Doktor Balschanow ist seit ein paar Wochen der geolo gische Leiter der Abteilung Sonkul, sein Vorgänger wird im Hauptlager gebraucht. Maxim kennt einen Balschanow, einen ehemaligen Stu dienfreund. "Heißt er Valentin Iwanowitsch?" "Das wird er schon sein." Maxim verabschiedet sich hastig. Er soll Balschanow wiedersehen, Balschanow, mit dem er sich stritt, sich wieder vertrug, der immer hochfliegende Plane hatte. Oft war er unnachgiebig, uneinsichtig, aber immer fleißig und klug. Wie wird es ihm gehen, wie wird er jetzt leben ? Draußen, als Maxim durch die breiten, belebten Straßen Frunses eilt, in denen sich Orient und Okzident so mitein ander verbinden, daß die Menschen, die ihm begegnen, sicher schon deswegen fröhlich und guter Dinge sind, ärgert er sich, weil er so davongelaufen ist und nicht nach Näherem gefragt hat. Die schattigen Vorgärten an der Peripherie der Stadt, schließlich die tiefgrünen blumenbe stickten Wiesen der sanften Hänge, die alte Bäume um säumen, beruhigen ihn allmählich, bis er andächtig stehen
bleibt. Die Sonne, eine goldglänzende Scheibe, scheint an den türkisfarbenen Himmel geheftet zu sein. Es ist, als wälze sich ihm unaufhaltsam in steinernen Wogen der Tienschan entgegen. Die Kirgisischen Ketten: grüne Vorberge, dar über zerklüftete Felsen, Quellen der Gletscher, die die Berge umschlingen wie die Arme erstarrter urweltlicher Riesenkraken. Auf den Gipfeln funkelt und sprüht das Eis. Überwältigt tritt Maxim einen Schritt zurück auf die Stra ßenböschung zu. "Passen Sie doch auf!" In der feierlichen Stille eine klirrhelle Mädchenstimme? Erschrocken springt Kondraschin zur Seite und stolpert über einen großen und einen kleinen Koffer - und über ein Paar schwungvolle, perlonbestrumpfte Mädchenbeine. "Sie Mondsüchtiger, am hellichten Tage! Meine neuen Strümpfe!" Ohne das Mädchen anzublicken, sucht Maxim nach Worten. Da lacht sie, und er wagt es, sie anzusehen. Mein Gott, ist die schön! Nichts anderes kann er mehr denken. "Ich heiße Musselin . und Sie? - Ich habe Sie schon zweimal gefragt!" Die anmutigen Bewegungen ihrer Hände! Es sieht aus, als pflücke sie immerzu zarte, unsichtbare Blumen. Kondraschins Herz setzt einmal aus, und das ist ihm bei einem Mädchen noch nie passiert. Sein Mund ist staub trocken. "Sie . Sie sind Katharina Fjodorowna?" Das Mädchen ist erstaunt. Er hat sich wieder gelangen. "Ma xim . Maxim Stepanowitsch Kondraschin. - Entschul digen Sie, ich sollte mich mit Ihnen treffen!" Katharina Fjodorowna ist sprachlos und nicht mehr so selbstsicher. Sie springt auf. Als er ihr helfen will, wehrt
sie ab. Kondraschin versucht alles zu erklären. Hastig erzählt er ihr sein Mißgeschick. Katharina sieht ihn nur zweifelnd an. Seine Geschichte wirkt unter den gegebenen Um ständen beinahe wie eine Räuberpistole.
"Sie glauben mir wohl nicht?" Maxim Stepanowitsch ist ehrlich aufgebracht. Seine braunen Augen blitzen sie an. "Ich kann Ihnen meinen Studentenausweis zeigen! Außer dem kenne ich Ihren Chef, Doktor Balschanow!" Sie stutzt. Er erzählt ihr von ihm, doch das näher kom mende Gebrumm eines Lastkraftwagens läßt ihn ver stummen. Katharina Musselin läuft mit erhobenen Armen auf die Straße. Bremsen quietschen. Der Wagen steht, in eine Staubwolke gehüllt. Der Fahrer, ein Riese von Ge stalt, steckt seinen bemützten Kopf aus dem Fenster und winkt ihr begeistert zu. Während er Maxim Stepanowitsch
einen recht abschätzenden Blick zuwirft, ist sie schon auf dem Wagen und zeigt auf ihr Gepäck. Maxim reicht es ihr, und als sie ihn ein wenig herausfordernd anschaut, sich ihrer wieder sicher, greift er nach seinem Beutel und springt mit einem Satz zu ihr hinauf. Der Fahrer ist aus seinem Häuschen. Protest: Seit wann sei sein Wagen ein öffentliches Verkehrsmittel? Außerdem habe man ihn zu fragen und nicht irgend jemand! - Ka tharina ist empört: Sie sei irgend jemand? Daß sie Kondra schin gar nicht aufgefordert hat mitzukommen - obwohl er, wie er sagt, mit muß -, steht nicht zur Debatte. - Der nicht so ganz selbstlose Riese erschrickt, schiebt sich die Mütze auf die Nase. Kurzer innerer Kampf, dann klettert er, leise, aber mordsmäßig fluchend, hinter sein Lenkrad. Bockig setzt sich der schwere Wagen in Bewegung, während Katharina Maxim verstohlen von der Seite an sieht. Er kriecht in sich zusammen und glaubt noch gar nicht, daß er mitfährt. Ringsum türmt sich die Ladung: Zementsäcke, Seile, Werkzeug. Draußen wird es allmäh lich Nacht. Katharina Musselin war den ganzen Nachmittag in Frun se herumgelaufen. Sie ist müde, fröstelt, schwankt hin und her. Bums! stößt sie Kondraschin an. Sie seufzt zufrieden, kuschelt sich an ihn, als wäre er eine gemütliche Sofaecke, und ist fest eingeschlafen. Maxim Stepanowitsch, auf einem Packen Seile sitzend, macht sich steif: Er nähme sie gern in die Arme, doch sich die Fahrt und das Mädchen verscherzen . Der Wagen bremst scharf. Sie werden gegen die Ladung geworfen, und es ist auch gar kein Kuß, als ihr Mund mit seinen zusammengepreßten Lippen zusammenprallt. Der Fahrer ist wiederum aus seinem Häuschen. Die empörte
Katharina fährt ihn an: ob er sonst Baumstämme kutschie re? Der Fahrer entschuldigt sich, nicht ohne Maxim einen bitterbösen Blick zuzuwerfen. Er will sie nur pflichtgemäß darauf aufmerksam machen: Hinter der nächsten Kurve liegt der gefährlichste Teil der Strecke. "Bitte, bleiben Sie wach!" "Die große Boomschlucht!" informiert Katharina Maxim hellwach und mit merklicher Zurückhaltung. "Sie brau chen aber keine Angst zu haben. Der Fahrer übertreibt!" Der schwere Lastwagen folgt im grauenden Morgen der sich schlangelnden, halsbrecherischen Straße. Katharina sitzt weit weg von Maxim in einer unbequemen Ecke, in des er sich schuldlos schuldig fühlt. Neben dem angestrengt arbeitenden Motor ist immer deutlicher das Brausen und Tosen eines Flusses zu hören, das bald alles übertönt. "Tschu . Das ist der Tschu!" schreit Katharina Fjodo rowna. "Und gleich dahinten ist Issykkul, der große See." Diese sachliche Information hilft Maxim Stepanowitsch das schwierige Frage und Antwortspiel mit sich selber: Ist sie mir böse, ist sie es nicht? lösen. Tief unten, in wogendem Nebel und schäumendem Gischt, tobt der Fluß, der an dieser Stelle die gewaltige Barriere des Tienschan durchbricht und in die Weite des Tieflandes von Turan drängt. Die Berge weichen allmählich, dann immer schneller zurück. Ein weites Tal breitet sich aus, erfüllt von der Strahlenglut der aufgehenden Sonne. Fern und erhaben leuchten die Bunten Berge, blaut Alatau. Gegen Mittag queren sie den Tschu in Richtung Naryn Osch. Für Maxim bleibt alles Gewohnte und Bekannte zurück. Eben noch blitzt und blinkt der seitab liegende Is
sykkul, das "Meer der Kirgisen", schimmern die neuen Hauser von Rybatschie, seiner nördlichen Stadt. Da ver sinkt die Welt in einer Endlosigkeit gewaltiger Berge und Täler. Steil, schroff und karg die einen sanft, lieblich und bewaldet die anderen, einsam und einladend zugleich. Doch hoch oben, unter dem blauen Himmel, wehen weiße Schleier über die glitzernden Firnfelder des sich türmen den Eises. Das ist das Spiel des Todes: tückischer Sturm, grausame Kälte, feindlicher Nebel. Warnung dem vor witzigen Menschen, in diese Gefilde einzudringen! Vom Lastkraftwagen wird alle Kraft gefordert, vom Fah rer große Geschicklichkeit. So gelangen Katharina und Maxim durchgeschüttelt und fast taub noch vor Einbruch der Dunkelheit in eine kleine uralte Kirgisensiedlung, westlich von Kartschago, die der Straßenbau aufgerüttelt hat, um ihre jahrtausendealte Vergessenheit zu vertreiben, die unabänderlich schien. Nach dem Verbleib seiner Studiengruppe brauche Kondraschin gar nicht erst zu fragen, meint Katharina Fjodorowna, welche die Verhältnisse und Dimensionen gewöhnt ist, in denen man hier arbeitet und denkt. Sie vertröstet ihn: Vielleicht könne er im Lager am Hohen Paß etwas erfahren. - Doch Maxim wünscht seine Gruppe nicht nur wegen des geheimnisvollen Balschanow längst sonstwohin. Wenn Katja - so nennt er sie bereits bei sich - seine Gedanken läse! Verstohlen schaut er sie an. Um ihre Lippen huscht ein ganz kleines Lächeln . Hm! Der Fahrer muß nun auch zurückbleiben. Es ist offen sichtlich, daß er das nur widerwillig tut. Er hält Katharinas Hand länger als nötig, die Maxims kürzer als schicklich. Katharina sieht dem davonrumpelnden Wagen nach, dreht sich um und blickt Maxim geradenwegs in die Augen. Sie
geht drei Schritte und will an ihm vorbei. Sie bleibt neben ihm stehen wie er neben ihr. Die Gebirgsnacht zieht herauf. Lärm, Stimmgewirr, ge schäftiges Treiben. Maxim und Katharina stehen den anderen im Wege. Sie merken es nicht. Nachdem die ge ländegängigen Autos beladen sind, werden sie ein wenig ungeduldig und spöttisch auf den ersten besten Wagen geschoben. Los! Die Nächte sind kühl, und weiter oben am Paß ist dicker Nebel gemeldet und hinterlistiger Bo denfrost! Die Motoren heulen auf, die Fahrzeugkolonne setzt sich in Bewegung. Ihre Scheinwerfer durchbohren die Finster nis, der Lärm verhallt, das Licht geht unter. Für das Dorf aber ist es, als wären Katharina und Maxim nie hier gewe sen. Dörfer sind vergeßlich! Im Lager am Hohen Paß, einem großen Stützpunkt, ist schon vor Sonnenaufgang ein Wirbel von Fahrzeugen, ein Gewimmel von Menschen. Die Autokolonne wird unge duldig erwartet. Sie versorgt Lager und Stützpunkte mit Material und Lebensmitteln und bringt die langersehnte Post! Maxim kommt es gerade so vor, als habe man auf ihn gewartet. Nein, nicht wegen der Seminargruppe, von der weiß man nichts . Aber er könne sofort bei der Ar beitsgruppe Balschanow einsteigen. Sie bereitet die Trassenführung durch die Ziegenschlucht, eine wichtige Abzweigung zum Sonkul, geologisch vor. Dringender Fall! Was heißt dringend? Alles ist hier dringend und brandeilig! Kondraschin ist sogleich bereit, Katharina lustig und aufgekratzt. Ihr gefällt diese Lösung ungemein, an der sie still und heimlich wie eine Parze einfädeln half. Sie lobt
Balschanow, ihren Chef, als einen erstklassigen Speziali sten für den Tienschan; aber sie verschweigt, daß er ihr den Hof gemacht, wenn auch vorsichtig und zurückhal tend. Jetzt ist sie froh darüber, ihm nicht entgegengekom men zu sein! Es war etwas an Balschanow, das sie abstieß: sein herrisches Wesen, seine Selbstisolierung. Sie konnte nie verstehen, warum er auch sie zwingen wollte, sich abzusondern. Doch es war schwer, sich seinem Willen zu widersetzen. Kondraschin dagegen ist offen, jungenhaft. Ihm fühlt sie sich verbunden. "Und ich, ich untersuche die Vegetation der Hänge und die damit im Zusammenhang stehenden Kriechbewe gungen der oberen Gesteinsschichten. Die Böschungen der Autobahn müssen mit entsprechenden Pflanzenarten befe stigt werden!" Maxim hört nur halb auf das, was Katharina sagt. Er denkt auch an Balschanow. Sie waren als Studenten be freundet gewesen, wenn auch ein wenig einseitig. Valen tin, dessen Eltern im Krieg umgekommen sind, war zwei Jahre älter. Es fiel ihm schwer, Anschluß zu suchen und zu finden. Ehrgeizig war er, ja fast krankhaft ehrgeizig. Bei den Mädchen hatte er auch nicht viel Glück, weil er sie meist nicht für voll nahm und von oben herab behandelte. Maxim fühlte sich hingezogen zu ihm, weil Valentin sehr klug und zielstrebig sein Studium betrieb, er dagegen einige Mühe hatte. Balschanow besann sich aber nur auf ihn, wenn er enttäuscht war und jemanden brauchte, diese Enttäuschung zu überwinden. Nach sehr erfolgreichem Abschluß verschwand Valentin aus Moskau. Er tat nichts ohne triftigen Grund . "Aber Sie hören mir ja gar nicht zu!" Katharina ist auf gebracht und bekommt dennoch keine Antwort.
"Was ist, unterschreiben Sie? Die Gruppe finden Sie so wieso nicht. Daß Sie sie gesucht haben, werden wir bestä tigen; und wenn Sie gut arbeiten, gibt's ein ordentliches Zeugnis!" Die Kollegin in der Personalabteilung braucht ihn nicht zu drängen. Das Geheimnis Balschanow lockt, neben ihm steht Katja, er unterschreibt. Irgendein Frühstück schlingt er hinunter, kriecht in das empfangene derbe Drillichzeug, und dann sitzt er wahr haftig schon auf dem Rücken eines Yaks, eines zottigen Grunzochsen - letztes Mittel, in dieser Unwegsamkeit voranzukommen. Er blickt sich nach Katharina um. Sie ist unbekümmert, fröhlich, winkt ihm zu, während sich die Karawane, die Medizin, Proviant und Sprengstoff zum See bringen soll, in bedächtige, unaufhaltsame Bewegung setzt. Maxim Stepanowitsch, sonst waghalsig, hält sich am Sattelzeug seines Reittieres fest. Sein Blick gleitet suchend die viele hundert Meter hohen und fast nackten Felswände hinauf und hinab. Wo soll da ein Weg sein? Schließlich starrt er wie gebannt auf das Leittier, auf dem gleichmütig ein alter bärtiger Kirgise hockt, mit einem Gewehr über der Schulter und gekreuzten Patronengurten über der Brust. Seine abenteuerliche Kleidung aus Leder und Fell ist abgewetzt und oft ausgebessert. Der Yak des Kirgisen beginnt den Aufstieg auf einem kaum erkennbaren Saum pfad. Felsbrocken lösen sich unter den Hufen des schwe ren Tieres, poltern in zwielichtige Tiefen, morsches Wur zelwerk birst, mürbes Gestein rinnt wie Sand weg. Der Yak rutscht, macht einen Satz mit allen vieren zugleich, rammt sich steifbeinig fest. Er schüttelt unwillig den zotti gen Schädel und erwartet als selbstverständlich, daß sich der Untergrund seinem Willen fügt. Der alte Kirgise
schnalzt mit der Zunge. Er lacht lautlos. Auf seinem weiß haarigen, strubbligen Kopf balanciert er eine Deckelmütze mit geplatztem Lackschild. Der mächtige Ochs peitscht die Flanken mit seinem seltsamen Roßschweif und brummt. Der Alte hebt zustimmend die Hand. Er versteht den Yak, Nachkomme eines uralten Volkes, das mit den großen Tieren durch die Steppen und Gebirge Asiens zog, bis es hier, dicht unter dem Himmel, seine Heimat fand.
Stunden verrinnen. Der Saumpfad führt auf und ab, scheint zu Ende, taucht ein in einen schäumenden Fluß. In der reißenden Strömung bleiben die erhitzten Yaks zufrie den grunzend stehen. Nichts bewegt sie weiterzugehen, und der Kirgise sitzt auf seinem Tier, starrt ins Wasser und wartet. Kondraschin wird es unheimlich. Er versucht seinen Yak anzutreiben. Der Alte dreht sich um, schüttelt den Kopf, winkt lachend ab.
Einige Zeit vergeht. Maxims Tier macht zwei, drei Schritte - und sackt ab ins Grundlose. Sogleich krümmt es den Rücken und schwimmt in mächtigen Stößen quer durch den Fluß, ohne der Strömung auch nur einen Zenti meter Tribut zu zollen. Maxim klammert sich fest und läßt nunmehr alles wie eine Naturkatastrophe über sich erge hen. Der Yak klettert das steinige Ufer hinauf und bleibt wieder stehen. Während ihm das Wasser aus dem zottligen Fell tropft, schnaubt er ein Grasbüschel an und zermalmt es gemächlich. Die anderen Yaks haben sich noch nicht von der Stelle gerührt. Es dauert eine ganze Weile, ehe sie sich nachein ander auf den Weg machen. Es gleicht einem geheim nisvollen Rituell, dem sich Mensch und Tier mit Gleich mut unterwerfen. Kondraschin, geschüttelt und gestaucht von der schwan kenden Gangart seines Yaks, hat es aufgegeben zu überle gen, wie und wann er ans Ziel gelangen wird, ob und wie er jemals wieder hier herauskommt. Katharina Fjodorowna dagegen ist guter Dinge. Allein zu Balschanow zurückzukehren, hatte sie sich ein wenig gefürchtet. Jetzt ist ihr, als habe sie eine Last abgeschüt telt. Sie reitet hinter dem Alten, und Maxim hört sie lachen und kirgisisch radebrechen. Endlich weitet sich ein Tal. Vor einem großen düsteren See, dem Sonkul, stehen ungefüge Blockhütten. Maxims Tier, das weder überanstrengt noch müde ist, beginnt zu traben. Die Karawane folgt, daß die Erde dröhnt. Das lockt die Besatzung des Lagers herbei, und bald sind sie von Männern aus allen Teilen der Sowjetunion umringt, viele Kirgisen sind darunter. Alle knuffen und drängen sich und wollen Katharina aus dem Sattel helfen. Der alte Kirgise
verscheucht sie: Ihm gebührt die Ehre. Maxim ist zwar auch gleich von seinem Tier gesprungen, doch ihm sind die Knie weich, daß er kaum stehen kann, ohne zu schwanken. Eine Frau taucht auf, eine Frau in den besten Jahren, eine gewaltige, respektheischende Person. Sie schiebt die Männer samt dem alten Kirgisen beiseite, nimmt Kathari na in ihre kräftigen Arme, gibt ihr einen schmatzenden Kuß und mustert Maxim Stepanowitsch über deren Kopf hinweg. Sie scheint mit ihm zufrieden. Mit einer einladen den Handbewegung führt sie beide zur Küche, dem größ ten Blockhaus. Sie sollen erst einmal essen, sich's gemüt lich machen, sagt Nina Petrowna, die Köchin. Von Maxim Stepanowitsch ist alle Spannung gewichen. Der Lärm des Lagers, das Geklapper in der Küche, die gutmütig dröhnende Stimme Ninas, Katharinas fröhliches Lachen - alles scheint weit, weit weg zu sein. Er hat nur noch den Wunsch, sich auszustrecken und zu schlafen, schlafen . Wie er in den Schlafsack geraten ist, das weiß er an derntags nicht mehr. Der Lärm der zur Arbeit aufbrechen den Autobahnbauer vermag ihn nicht zu wecken. Er wird erst munter, als Nina Petrowna nach ihm ruft. Dem mächtigen russischen Frühstück ist nicht anzumer ken, daß es mitten im Tienschan zubereitet wurde. Maxim Stepanowitsch sitzt davor und hält das für selbstver ständlich. Katharina Fjodorowna setzt sich zu ihm. Sie ist der Tag selber: frisch und munter, strahlend und hell, wie dem See entstiegen, der, tief eingesenkt in seine Wald berge, alle Düsterkeit verloren hat. Doch sie scheint sprö de und zurückhaltend. Katharina Fjodorowna - Katja - gibt ihm die Hand. Er
hält sie fest. Sie weiß nicht so recht, ob sie ihm die Hand lassen soll oder nicht. Sie möchte es schon, aber - sie sind nicht mehr allein, und es ist ein Unterschied zwischen der Fahrt hierher und der gemeinsamen Arbeit. Sie ver schweigt sich selber, daß sie ein wenig Angst vor dem ersten Zusammentreffen mit Balschanow hat. Sein Werben hat sie sich doch gefallen lassen . Nina kommt - stört oder rettet die Situation. Sie will beim Frühstück Gesellschaft leisten, sehen, ob es ihnen schmeckt. Das ist ein Vorwand. Sie will wissen, was "draußen" in der Welt vor sich geht. Nur mit Mühe kann Maxim ihr Interesse auf Balschanow lenken. Sogleich zetert sie los. "Der Rumtreiber! Kommt tagelang nicht heim, sucht irgendwelche Steine. Jetzt schleppt er sogar ein Zelt mit, scheucht den Sprengmeister Tag und Nacht, um immer zu irgend etwas in die Luft zu jagen ." Das Wort wird ihr abgeschnitten. Das Blockhaus, aus hundertjährigen Tien schanfichten gezimmert, erzittert. Gleich darauf birst die Luft. "Da, es geht schon wieder los!" Detonation folgt auf Detonation. Über dem See stieben Vogelschwärme auf wie emporgewirbeltes Laub. Vor dem Haus wird es lebendig. Der Alte, der sie gestern geführt hat, treibt seinen Yak auf eins der Zelte zu, die seitab stehen. Zwei jüngere Kirgisen schleppen Packen herbei. "Da seht ihr's, Pulver! Und Te rek, der Räuberhauptmann, der darf dabei natürlich nicht fehlen!" Nina zürnt wohl, aber in ihrer Stimme ist etwas, das spüren läßt, daß sie für Balschanow und den alten Kirgisen etwas übrig hat. Sie liebt tapfere, draufgängeri sche und auch ein wenig eigenwillige Männer. Wäre sie sonst hier? Kondraschin nutzt die Situation. Er weiß jetzt, wie der
Alte heißt und was er für ein Mensch ist. Selbst auf die Gefahr hin, sich Ninas herzhafte Anteilnahme zu verscher zen, sich Katharinas Unwillen einzuhandeln, verläßt er mit einer Ausrede das Blockhaus. Schon von weitem schreit er: "Reiten Sie zu Balscha now? Nehmen Sie mich bitte mit!" Er hofft, daß der Mann russisch spricht. Der Kirgise dreht sich langsam um. Ma xim bleibt erschrocken stehen. Das Gesicht des Alten ist braun gegerbt und so wild zerfurcht wie das Him melsgebirge. Auch weil der Yakführer einen Kopf kleiner ist als er und ihn aus seinen kristallklaren, schräg stehen den Augen durchdringend ansieht, wird er unsicher. "Dokument!" sagt Terek mit Nachdruck. Seine Stimme ist heiser, und er spricht russisch. "Genosse, du mußt die Erlaubnis haben, und ich muß wissen, daß du keinen Unfug vorhast!" Er redet ihn wie alle mit Genosse an. "Aber Sie kennen mich doch, von gestern ." Nervös blickt Maxim sich um. "Ich kenne Balschanow, wir haben zusammen studiert. Sie müssen mich mitnehmen, sonst holt mich Nina zurück, und meine Semesterferien sind rum, und ich habe nichts von der Autobahn gesehen." Als der Alte Ninas Namen hört, wiegt er verständnisvoll und schadenfroh sein weißhaariges Haupt, daß sich die Klappen der alten Pelzmütze, die er heute trägt, hin und her bewegen wie die herabhängenden Ohren seines Yaks. "Nina, das ist ein guter Genosse!" Er sieht Maxim aus fuchslistigen Augen an. "Sie will dich prüfen, ob du es ehrlich meinst mit der Autobahn und kein Taugenichts bist: gut essen, schlafen, bei der Arbeit langsam . und beizeiten wieder verblühen wie eine Anemone!" Terek lacht ein ansteckendes meckerndes Lachen. Der Yak, der geduldig daneben steht und sich den Disput anhört,
brummt begeistert mit. Auch die Bekanntschaft mit Balschanow nützt Maxim nichts. Er muß sich noch einmal zurückschleichen, um seine Zuweisung zu holen. Erst nach gründlicher Prüfung ist Terek umgestimmt. "Hm! - Aber trotzdem mußt du laufen, Genosse. Das Tier soll sich noch ausruhen." Terek zieht die Augenbrauen hoch, daß ihm die Fellmütze nach hinten rutscht, und blickt Maxim aufmerksam an. Der ist froh, daß er nicht zu reiten braucht, und nickt eifrig. Zur rechten Zeit treibt Terek sein hochbeladenes Tier an. Als sie ein Stück entfernt sind, sieht Maxim Ninas Faust aus einem der Küchenfenster drohen. Den Alten freut das ungemein. "Das ist ein Genosse Kommandeur, der hält seine Leute in Zucht!" Auch der Grunzochs legt sogleich ein Schrittchen zu. Der Weg geht zuerst am Seeufer entlang. Die Trassen führung ist hier schon nach zahlreichen Probesprengungen festgelegt Diese Straße soll eine Verbindung zu einem künftigen Baumwollanbaugebiet herstellen. Noch ist die Landschaft von einer düsteren Feierlichkeit: dichter Na delwald, darüber steile Hänge. Maxim meint zu spüren, wie sie sich sträubt, ihre Unberührtheit dem Menschen und seiner Unrast zu opfern. Nach einer Viertelstunde öffnet sich ein tiefes Seitental. Maxim sieht auch hier frische Sprengstellen. Zwischen klobigen Trümmern rötlichen Gesteins klettern Gestalten herum. Gefällte oder herabgestürzte Bäume mit ihren ver schlungenen Wurzeln versperren den Weg. Bald werden Terek und Maxim angehalten, und alle müssen in Deckung gehen. Eine Nachsprengung - eine Korrektur - wird ge zündet. Kondraschin, der sich hinter einem Felsen in Sicherheit gebracht hat, sieht einen einzelnen Mann lau
fen, gedrungen von Gestalt. Wie er mit den Armen in der Luft herumfuchtelt, ehe er sich hinwirft: Das ist Balscha now! Im gleichen Augenblick bäumt sich die Bergwand auf, erhebt sich wie eine schwerfällige Woge, bekommt ein Geflecht von Rissen, um dann in sich zusammenzumi schen, lautlos zu Tale zu gleiten. Jetzt erst bebt die Erde. Ohrenbetäubendes, vom Echo vervielfältigtes Krachen er füllt die Luft, zerschlägt die Stille des Gebirges und seine Ewigkeit. Nichts ist ewig!
Der Staub und die Pulverschwaden verziehen sich. Die Männer stehen herum. Balschanow ist nicht dabei. Er läuft auf die Sprengstelle zu und verschwindet zwischen den Trümmern der zerstörten Wand. Maxim Stepanowitsch will hinterher. Terek und die Arbeiter warnen ihn: Es ist gefährlich, weil noch Gestein herabfallen kann! Nur der
Professor - so nennen sie Balschanow - weiß Bescheid. Er prüft das Knochengerüst des Berges, ob es krank oder gesund, schlecht oder gut für die Straße ist. Maxim läßt sich nicht zurückhalten. Er klettert über Stock und Stein, bis er den oberen Rand der Sprengstelle erreicht hat, wo der Berghang unversehrt scheint, inmitten Brombeer gestrüpp rotblühende Weidenröschen wuchern, sich kleine Birken wiegen, überragt von den Wächtern des Tales, den Tienschanfichten. Kondraschin sieht Balschanow in den Blumen stehen, wie er hier mit dem Fuß einen Stein wegstößt, dort einen zur Seite geschleuderten Brocken in der Hand wiegt, um ihn mit dem Geologenhammer zu spalten. Kondraschin will ihn anrufen, läßt es aber bleiben, voller Bedenken, wie Balschanow, dessen spröder Eigensinn ihm auf einmal wieder gegenwärtig ist, den Überfall aufnehmen wird. Wieder schlägt Balschanow mit dem langstieligen Ham mer einen Gesteinsbrocken entzwei. Sein Gesichtsaus druck ist angespannt. Enttäuscht läßt er das Stück fallen. Maxim Stepanowitsch tritt einen Schritt zurück. Ein sperriger Ast zerbricht. Wie ertappt fährt Valentin Iwano witsch herum. Er stutzt einen Augenblick und erfaßt schnell die Situation. "Kondraschin? - Was treibt denn Sie . dich hierher?" Der falsche Zungenschlag wider spiegelt seine Betroffenheit. "Ich ., ich war wirklich ein wenig erschrocken." Maxim Stepanowitsch schaut in Valentin Iwanowitschs Gesicht. Es hat sich verändert gegenüber früher, ist breiter und härter geworden. Wie von weither, durch Rauschen und Brausen, dringt seine Stimme zu ihm. Er schüttelt den Kopf, taumelt. Valentin Iwanowitsch greift nach seiner Hand, und so begrüßen sie sich . Kondraschin hat sich
das ganz anders vorgestellt, wenn sich zwei alte Freunde in der "Wildnis" begegnen. Er kommt sich vor wie unan gemeldeter Besuch, der in den Sonntagnachmittag anderer Leute einbricht. Balschanow wird aufmerksam. "Die dünne Luft, die bist du nicht gewöhnt! Komm, wir steigen erst mal hinunter, von zweitausend auf eintausendneunhundertfünfzig Me ter!" Er nimmt Maxim am Arm, lacht verlegen, wie früher manchmal, wenn sie etwas ausgefressen hatten. Maxim ist ärgerlich auf sich. Während sie hinabklettern, zürnt eisernem ungerechtfertigten Überschwang. Die Autobahnbauer empfangen sie lächelnd. Sie wissen Be scheid: Berge machen betrunken, ohne Wodka lustig! Man gewöhnt sich aber daran. Balschanow führt Kondraschin zu einer Gruppe alter malerischer Rottannen. Dort steht ein weißes Zelt. Davor ist eine Feuerstelle aufgebaut, von der ein feiner Rauch faden aufsteigt. Mit einer einladenden Handbewegung bittet Valentin Maxim ins Zelt. Es ist höchst spartanisch eingerichtet, typisch für Balschanow: eine große Kiste, drei kleine, anstelle von Tisch und Stühlen, dahinter eine zusammengerollte Schlafstatt, roh zusammengezimmerte Regale, wo immer nur Platz ist, mit einer Unmenge be zettelter Gesteinsproben beladen. Kondraschin genügt ein Blick, um zu begreifen, welche Arbeit da geleistet worden ist. Balschanows Fleiß, seine Ordnungsliebe prägen sich selbst in so bescheidenen Verhältnissen unverkennbar aus. Gewiß, er ist der geologische Sachverständige für die künftige Führung der Trasse durch die Ziegenschlucht; aber da geht es um die Schichtung des Gesteins, den Grad der Verwitterung, die Wirkungsweise der hangabtragenden Kräfte, darum, wo und wie herausgesprengt, planiert,
abgestützt und befestigt werden muß, und dazu ist gewiß das Sammeln von Quarzkristallen und Drusenbildungen nicht nötig. "Also, du wirst mein neuer Assistent! Aber daß du nicht enttäuscht bist. Wir sind nur der Vortrupp. Erst wenn das Gelände, der Aufmarsch gesichert ist, rückt mit großem Getöse, mit Menschen und Maschinen die Hauptmacht vor." Kondraschin wundert sich, daß Balschanow gar nicht neugierig ist, wie er hierhergefunden hat. Aber Valentin ist ja nie neugierig, besonders wenn er von einer Sache beses sen, von einer Arbeit ganz und gar gepackt ist, sich in ihr verliert. Oft und ungerechterweise hält man ihn dann für einen Egoisten . Entschlossen, nicht mehr voreingenommen zu sein, er zählt er von sich aus seine ganze Geschichte. Im letzten Augenblick verschweigt er seine Zuneigung zu Katharina Fjodorowna. Dafür ist Valentin Iwanowitsch plötzlich sehr gesprächig. Er hat sie schon jeden Tag zurückerwartet, und um ihr die Arbeit zu erleichtern, will er noch ein Zelt aufstellen, damit sie ihre Wege hinauf auf die Syrten, die Bergwiesen, abkürzen kann. Doch noch während er das sagt, schießt ihm der Gedanke durch den Kopf, daß Ma xim ihm zuvorgekommen sein könne . Hat Kondraschin keine so feine Witterung? Er vermag kaum seine Erregung zu verbergen. Ist etwas zwischen Valentin und Katharina? Sie kennen sich ja viel länger, vielleicht hat sie nur einen Flirt gesucht, ein wenig Kurzweil auf der langen Fahrt? War sie heute morgen nicht ganz anders zu ihm als noch am Abend zuvor? Eifersucht bedrängt ihn. Valentin wird aus dem Zelt gebeten. Der Sprengmeister will wissen, wieviel Bohrungen an einer kritischen Stelle
angebracht werden sollen. Maxim nimmt sich zusammen und folgt ihnen. Balschanow gibt seine Anweisungen ein wenig nervös und nicht so knapp wie sonst. "Sechs! Drei unten am Fluß. Morgen früh sprengen, dann lassen Sie sofort den Platz säubern, damit wir an das anstehende Ge stein heran können. Der Fels wird bei dieser flachen Hangneigung nicht so tief verwittert sein!" Der Spreng meister entfernt sich. "Das Gelände wird wie ein Patient auf die Operation vorbereitet!" sagt Valentin zu Maxim. Plötzlich stutzt er, hört etwas, das nicht in das emsige Treiben paßt, nicht dazu paßt, daß Gestein zu Tal poltert, daß Metall der Schaufeln und Spitzhacken klirrt, Preßluft bohrer knattern, die Ketten des Greifbaggers quietschen. Ein Yak klettert hinab zum Flüßchen in die Schlucht. Niemand sonst als Katharina Fjodorowna hat hier einen Yak für sich allein. Maxim und Valentin blicken sich um. Oberhalb des Zel tes kommt Katharina mit einem großen Strauß Blumen, Gräser und Gezweig, ihrem Studienmaterial, den Hang herab. Behende, als habe sie es den wilden Bergziegen abgeguckt, überwindet sie Geröll und Dornengestrüpp. Außer Atem bleibt sie vor ihnen stehen. Sie sieht Maxim vorwurfsvoll an. "Sie Ausreißer, lassen Sie sich ja nicht von Nina erwischen! Auch mir haben Sie nichts gesagt!" Valentin beobachtet beide schweigsam. "Ihren Balschanow haben Sie aber nun gefunden, wie ich sehe?" Sie läßt Balsdchanow keine Zeit, sich zu besinnen. Sie hat die Angst verscheucht und ihr Selbstvertrauen wiedergewonnen durch Maxims Gegenwart. "Ich will den Platz auskundschaften, wo das Zelt hin soll!" Sie klemmt den "Blumenstrauß" unter den Arm und steckt die Hände unternehmungslustig in die Taschen ihrer derben Drillich
hose. Jetzt ist es Kondraschin, der scharf beobachtet. So vertraut, wie Valentin es ihn glauben machen wollte, scheinen die beiden nicht miteinander zu sein. Valentin und Maxim laufen hinter Katharina her zum Zelt. Dort erwartet sie der Yak, der sich sattgetrunken hat und nun von ihr abgeliebelt werden will, wie die Hirten und Jäger sagen. Sie fährt ihm derb in sein verfilztes Fell, und er braucht nur seinen Kopf zu wenden, um den "Blu menstrauß" mit seiner langen Zunge zu umschlingen. Katharina will ihre Ausbeute retten, zu spät, der Yak zer malmt das wertvolle Studienmaterial längst zwischen den Zähnen. Schadenfreude ist die reinste Freude. Aber alle, auch Katharina, lachen über den Yak, den sie zu Recht "Brum mer" nennt. Auf Balschanow wirkt das wie erlösend: Noch ist nichts entschieden, und er ist kein Feigling! Als Katharina zum Seelager aufbricht und Maxim ihr folgen will, hält ihn Valentin zurück. Er wird auch mit kommen, hat sowieso Verschiedenes zu erledigen. Unter wegs kann ihm Maxim endlich erzählen, wie er im einzel nen zum Sonkul gefunden hat. Katharina lächelt spitzbübisch und reitet vornweg, veral bert Brummer, singt ihm vor, bis er aufgekratzt brummt. Es wird dunkel. Wind weht. Ein Käuzchen schreit. Der Mond hinter den Bergen gilbt den Himmel . Zwei Tage später. Maxim steckt bis zum Hals in seiner Arbeit. Die Strecke, die jetzt zu erforschen ist, zeigt recht unterschiedliche Gesteinsschichtungen. Es muß heraus gefunden werden, welche bergwärts einfallen. Das erspart komplizierte Stützungen, vor allem aber kostspielige Bauten gegen Steinschlag. Jeder Meter vorwärts dünkt ihm ein Riesenschritt zur Bezwingung des Himmelsgebir
ges. Balschanow ist ihm dabei ziemlich uninteressant geworden, und von Katharina sieht und hört er auch nicht viel. Sie ist allen immer eine Nasenlänge voraus, wenn sie die Flora der Gebirgswelt untersucht und Pflanzen aus wählt, die sich zur Befestigung der Hänge am besten eignen. Abends sinkt er todmüde auf seine Luftmatratze, wie Valentin und Katharina auch, und bislang ist nichts mit romantischem Lagerfeuer . Katharina wohnt nun tatsächlich neben Valentins Behau sung, aber Maxim schläft in dessen Zelt. Zuerst meinte Balschanow zwar, es wäre zu klein und im Seelager genug Platz, doch ein erstaunter Blick Katharinas ließ ihn schnell verstummen. Alles scheint friedlich; da gibt es in der Ziegenschlucht wegen Balschanow, das heißt wegen Anordnungen von ihm, Ärger. Nicht zum erstenmal, hört Kondraschin mun keln. Balschanow hat wieder Sprengungen durchgesetzt, obwohl die Führung der Trasse von der Bauleitung längst festgelegt worden ist. Die Situation spitzt sich böse zu. Maxim wird Zeuge einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Balschanow, Onegin, dem leitenden Ingenieur des Bauabschnittes, und dessen Stellvertreter Sogol. Ob Kondraschin will oder nicht, er muß sich auf die Seite des wenn auch ein wenig jähzornigen leitenden Ingenieurs stellen, vor allem weil er zu beobachten glaubt, daß Va lentin diesen Sprengungen mehr Aufmerksamkeit entge genbringt als den anderen. Er hat vage Vermutungen. Er kennt ja den Ehrgeiz, der in Ehrsucht ausartet, wenn Va lentin ein bestimmtes Ziel erreichen will. Aber er schweigt unsicher: Geologie, das merkt er jetzt, ist keine einfache Sache und Valentin der anerkannte Fachmann! Eine Woche vergeht. Maxim, der Valentin in dieser Sa
che nicht anzusprechen wagt, glaubt, daß Gras über den Vorfall zu wachsen beginnt. Aber es ist wie bei einem unterirdischen Schwelbrand, dem schwer beizukommen ist. Das Verhältnis zwischen den leitenden Genossen, den Meistern und Arbeitern ist gespannt; auf ihre Baustelle fällt ein schlechtes Licht wegen der eigenwilligen Anord nungen Balschanows. Wieder vergehen ein, zwei Tage. Es ist abends, trübe, regnerisch. Die Arbeiter sind abgerückt. Katharina brütet - so sagt sie - über Pflanzenanalysen. Valentin rumort in seiner Gesteinssammlung. Maxim, der dabeisitzt und ein geologisches Werk durcharbeitet, ist nur halb bei der Sache. Da verläßt Valentin wie schon oft nach Feierabend allein das Zelt. Maxim klappt das Buch zu, richtet sich nachdenklich auf. Als Balschanows Schritte nicht mehr zu hören sind, geht er ihm nach. Weil Kondraschin das Gelände noch nicht so gut kennt, verliert er Valentin bald aus den Augen. Ärgerlich setzt er sich auf einen Stein und starrt in den einsetzenden Niesel regen, in die tiefe Schlucht mit ihren steilen Wänden, die in fünfzehn bis zwanzig Meter Höhe unvermittelt in Wäl der, Krüppelhölzer und Matten übergehen. Er hört das eigentümliche Bellen der Bergziegen. Es klingt wie Hohn und Spott. Maxim verspürt Lust, hinaufzuklettern und sie zu vertreiben. Er hat keine rechte Vorstellung vom Leben dieser Tiere, wie durchdringend ihr Gebell auch ist. In drei Meter Höhe bemerkt er einen Vorsprung, darauf stehengebliebenes Buschwerk. Er zieht sich daran hinauf. Durch die Sprengung gelockert, gibt es nach. Maxim rutscht, Blätter und Gras in den Händen, mitsamt Geröll zurück auf die Trasse. Er staubt seine Sachen ab, stutzt, hebt einen Brocken auf, der an einer Seite eine dunkle,
metallisch glänzende Oberfläche zeigt. Bleiglanz! Die weißen Pünktchen, das ist Silber . Er setzt sich, zwingt sich, ruhig und gleichgültig zu bleiben. Wenn das ein Erzvorkommen ist, gilt er da nicht als sein Entdecker, er, Maxim Stepanowitsch Kondraschin, ein simpler Geogra phiestudent, der auszog, die Autobahn über den Tienschan bauen zu helfen? Er ist aufgeregt und ratlos. Bestimmt hat er sich getäuscht. Es ist gewiß nur ein geringes Vorkom men, wie oft bei solchen Funden. "Was treibst du denn hier?" Maxim blickt überrascht auf, in das wütende Gesicht Valentins. "Ich - aber . was schaust du mich denn so an?" Kondraschin weicht vor Balschanow zurück. "Viel leicht habe ich ., ich habe vielleicht ein Bleiglanzvor kommen entdeckt. Bedenke, was das für mich bedeutet!" "So, für dich? Du kommst hierher, setzt dich ins ge machte Nest wie ein Kuckucksjunges, nimmst dir, was dir gefällt, Frauen, Erzadern, und schreist, was du für ein Kerl bist!" Er nimmt Maxim den Erzbrocken aus der Hand. "Glaubst du wirklich, ich suche nur Steine für eine Ge steinssammlung? Wird hier Erz entdeckt, dann von mir!" Maxim ist betroffen und empört. "Ich habe das Erz mit samt dem Busch herausgerissen. Sieh doch, es ist mir förmlich vor die Füße gefallen!" Seine Freude ist immer noch zu groß, als daß er einzuschätzen vermag, was Va lentin empfinden muß. Balschanow kann sich kaum noch beherrschen. "Das ist kein Erzbrocken, hörst du, und du hast nie einen gefunden. Überhaupt könntest du verschwinden!" Kondraschin ist plötzlich nüchtern und über alle Maßen enttäuscht. Er will ihm schon den Erzfund überlassen, da nähern sich Schritte.
"Genauso habe ich mir das gedacht!" Hinter ihnen steht Onegin. "Ich gehe auch gern nach Feierabend spazieren, beobachte Sie schon lange, brauchte nur noch den Beweis. Ich habe ihn, dazu einen Zeugen. Außerdem sind Sie ein Erpresser!" Turbulente Szene: Onegin fordert von Balschanow das Erz, der, außer sich vor Wut, stößt Kondraschin zur Seite, um den Erzbrocken ins Tal hinabzuschleudern. Kondra schin verliert das Gleichgewicht, taumelt und rutscht, in dem noch lockeren Gesteinsschutt sich überschlagend, in die Tiefe. Halb verschüttet, geschunden und verbeult, Mund und Augen voller Sand, hört er über sich die Strei tenden. Katharina Fjodorowna, über ihr Mikroskop gebeugt, schreckt auf. Ein gräßlicher Schrei hallt durch das Tal. Sie läuft hinaus in den Nieselregen, hinüber zu Balschanows Zelt. "Genosse Balschanow!" Nichts rührt sich. "Genosse Kondraschin!" Nichts. "Maxim!" Zuerst zögernd, dann immer hastiger sucht sie den Weg dorthin, woher, wie sie glaubt, der Schrei gekommen ist. Sie bleibt wie gelähmt stehen: Wo die künftige Trasse durch die erste große Sprengung markiert ist, liegt ein Mensch, lang ausgestreckt auf der durchnäßten Erde, und über ihn gebeugt Balschanow! Als er ihre Schritte hört, blickt er sich verstört um, während Katharina mit erhobe nen Fäusten auf ihn eindringt. "Was haben Sie getan? Sie haben ." Sie spricht es nicht aus. Valentin starrt sie an. "Nein! Nein . Es kam den Hang herab! Ich sprang zur Seite. Onegin wurde getroffen!" "Onegin?" Katharina starrt auf den regungslos Liegen den. Wahrhaftig, das ist Onegin - nicht Maxim. Sie atmet erleichtert auf, wird sich dessen bewußt, schämt sich. Es
kostet sie Überwindung, nach Maxim zu fragen. "Kondraschin?" Balschanow fährt sich nervös über das Gesicht, sucht nach einer Antwort. Sie kommt, aber nicht von ihm. "Hier!" Maxim steht am Rande der Böschung, verbeult und beschmutzt. Er brauchte alle Kraft, nach dem Sturz in die tiefe Schlucht wieder heraufzuklettern auf den festen Boden der Sprengstelle. Katharina blickt Onegin ins totenbleiche Gesicht, auf Balschanow, der schnell den Kopf senkt, dann läuft sie zu Kondraschin und umarmt ihn schluchzend. "Maxim!" Sie läßt ihn los. "Einen Arzt! Sofort einen Arzt! Jede Sekunde ist kostbar!" Onegin muß geholfen werden. Während Balschanow dasteht, ein doppelter Verlierer, läuft Maxim davon, ein wenig hinkend noch, bis ins Innerste aufgewühlt. Katharina beugt sich klopfenden Herzens über Onegin, den sonst quicklebendigen Mann. Sie sieht seine klaffende Schädelwunde, Rinnsale von Blut aus Augenhöhlen, Mund und Nase. Sein rundes Kindergesicht ist verfallen, der Atem kaum spürbar. Balschanow, der ihr schuldbe wußt zusieht, sagt immer wieder: "Es kam den Abhang herab . von oben ." Zornig richtet sich Katharina auf. Sie glaubt es besser zu wissen. Sie kann seine Hilflosigkeit nicht mehr mit ansehen, seinen Schock wohl auch nicht begreifen. "Holen Sie Decken! Der Verletzte darf ohne ärztliche Anweisung nicht berührt werden, das bedeutet Lebensgefahr!" Balschanow, froh, etwas tun zu können, läuft zu den Zelten, kommt beladen zurück, um dann - Katharina schaut ihm verwundert zu - Fichtenstämmchen herbeizu schleppen. Daraus baut er ein Schutzdach wie sonst an
steinschlaggefährdeten Stellen. Zum Nieselregen gesellt sich Kühle. Ein böiger Wind hat sich aufgemacht. In den Bergen poltert ein Gewitter. Sie sitzen, stehen, gehen hin und her - und warten, war ten weit weg voneinander und wortlos auf Hilfe. Die Zeit scheint stillzustehen, die Nacht unüberwindlich zu sein, ehe der Tag mühsam zu grauen beginnt und das Gewitter über den Talgründen ermattet. Onegin stöhnt leise. Katharina Fjodorowna legt ihm ein feuchtes Tuch auf die gesprungenen Lippen. Balschanow läuft vor Kälte schlotternd auf und ab: Kann Hilfe so lange auf sich warten lassen? Wer weiß, wo Maxim hingeraten ist? Hätte er nicht, der Weg und Steg viel besser kennt, reiten sollen? Sie hätten ihn nicht fortgelassen: müßig ist jede Geste, jedes Wort . Die Bäume sind farblose Silhouetten. Irgendwo krei schen und zanken sich Häher. Die Berge erheben sich ungerührt. Sie sind aus Stein! Onegin hat plötzlich aufge hört zu stöhnen. Balschanow horcht, bleibt stehen, die Hände abwehrend erhoben. Katharina, die still neben Onegin gesessen, wirft sich über ihn und preßt ihr Ohr an seine Brust. Pocht sein Herz? Sie hört nichts . Sie muß etwas hö ren! Pocht sein Herz, oder ist es der Widerhall des eigenen angstvollen Herzschlags, der in ihr dröhnt . dröhnt . dröhnt . Das Geräusch wird immer lauter, hallt von den Bergen wider. Die Luft erzittert. Sie richtet sich ungläubig auf, starrt gegen das Schutzdach, sieht Valentin, der mit den Armen winkt und fuchtelt. Das Dröhnen ist nicht in ihr, es ist über ihr! Ein Hubschrauber überfliegt das Tal. Sie winken und schreien, schreien und winken . Die metallene Libelle schwebt im aufgehenden Sonnen
licht auf sie zu und bleibt glitzernd und funkelnd über dem Schutzdach stehen. Sie rückt sich ein wenig zurecht, sinkt herab, und behutsam setzt sie auf. Der Motor wird abge stellt, die großen Propellerflügel schwingen aus, als die Tür aufgestoßen wird und ein uniformierter Mann mit weißem Haar und einem altmodischen Klemmer auf der Vogelnase behende aus der Maschine springt. Er schiebt Katharina unwirsch beiseite und verschwindet, eine kleine schwarze Tasche schwenkend, unterm Schutzdach. Von dort aus herrscht er mit einem brummigen Baß, den nie mand bei ihm vermutet hätte, zwei Soldaten an, die einen flachen Sack aus dem Flugzeug zerren: eine Spezialtrage. Katharina will behilflich sein. Der Militärarzt blickt sie nur durchdringend an. Sie tritt zurück und sieht, daß aus dem Flugzeug noch andere Personen gestiegen sind: Ma xim und der Stellvertreter des Genossen Onegin, Sogol. Schon tragen die beiden Soldaten den bewußtlosen Onegin auf der seltsamen Trage - die aus Stangen und Quer bügeln besteht und, ohne den Verletzten zu bewegen, unter ihn geschoben werden kann - vorsichtig zum Hub schrauber. Von geübten Händen wird die Trage in die Ma schine gehoben, dort befestigt. Der Arzt geht an Bord, die Tür wird geschlossen, der Motor angelassen. Die Blätter der Schraube setzen sich langsam in Bewegung, rotieren immer schneller. Das schwere Luftgefährt hebt sich empor wie eine Feder. Wenige Augenblicke, dann ist es den Nachschauenden entschwunden. Das Motorengeräusch verebbt in den Bergen . Onegin wird nach Frunse geflogen. Alle Hoffnung ist auf die berühmten Ärzte gesetzt, die dort tätig sind. Va lentin Iwanowitsch starrt dem Helikopter mit brennenden Augen nach. Von ihm will man wissen, was sich zugetra
gen hat, verlangt man den Beweis seiner Unschuld! Alle schweigen. Maxim Stepanowitsch geht zu Kathari na Fjodorowna, faßt nach ihrer Hand, spürt, wie sie vor Kälte und Aufregung zittert, sieht den unglücklichen Valentin Iwanowitsch, sein kalkweißes Gesicht, die zu sammengepreßten Lippen, die - so kennt er ihn schweigen werden, weil er aus Stolz auch im Unglück nicht nachgibt. Maxim schluckt, es kann und darf nicht wahr sein, was alle denken. Er will, muß etwas sagen: "Genosse Onegin hat Glück gehabt, daß die Luftflotte in der Nähe war. Ein Arzt vom Lager am Hohen Paß hätte bis hierher länger gebraucht!" Sogol winkt ärgerlich ab, wendet sich an Katharina Fjo dorowna. "Der Hang ist doch flach und bewachsen?" Sein hageres Gesicht, durch einen kleinen Spitzbart noch in die Länge gezogen, ist bekümmert. Katharina nickt heftig, Valentin soll sich verteidigen, nicht schweigen. "Und von allein fällt nichts runter?" Sogol, der noch dort steht, wo er aus dem Flugzeug gestiegen ist, geht jetzt zwei, drei Schritte auf die Felswand zu. "Und Jäger? Aber die wissen sich doch zu bewegen!" Er räuspert sich. "Damit können wir uns nicht rausreden, und die Miliz muß ich sowieso anfordern!" Er sieht Balschanow durchdringend an. Der fährt unerwartet und heftig auf Sogol los. "Tun Sie doch, was zu tun ist!" Sogol nickt. "Wer weiß, durch die vielen Sprengereien ." Balschanow ist wütend. "Wollen Sie mir auch noch beruflich Schwierigkeiten machen?" Sogol überhört den Vorwurf. Er ist froh, daß Balschanow sein Schweigen aufgegeben hat. "Valentin Iwanowitsch, ich bin keine Polizei, aber das ist mir klar: Sie sind hinter irgendeiner Sache her! Onegin ist ihnen auf die Spur gekommen, der junge Mann hier in die Quere
- oder umgekehrt!" Balschanow antwortet nicht. Maxim will ihm helfen, sich eine Antwort zurechtzulegen. Er unterbricht Sogol ein wenig zu auffällig. "Er stieß mich zur Seite, weil ., weil Gestein herabkam. Ich stolperte und stürzte den Abhang hinab!" Sogol starrt ihn an, dann lacht er böse. "Und vorher, vorher spieltet ihr dort Karten?" Er besinnt sich. "Alles dummes Gerede, die Miliz wird die Umstände klären!" Balschanow schüttelt den Kopf. "Nur Onegin weiß, ob ich schuldig oder unschuldig bin. Darum geht es, und daß mir niemand glauben wird und glauben kann, wenn One gin ." Balschanow stockt. Verstohlen sieht er Katharina an. Sie spürt, daß er recht hat, daß er dennoch ablenkt, etwas verbirgt. Da peitscht ein Schuß durch das Tal. "Jetzt wird hier auch noch geschossen!" Sogol kommt der Zwischenfall zupaß. Er kann seinen Zorn endlich abreagieren. Vom See her dringt Lärm. Bald ist der erste Yak zu se hen. Wie ein riesiges Urtier stampft er auf sie zu. Zwei andere gleich mächtige Tiere, hochbepackt, folgen ihm, dahinter kommen die Straßenbauer. Es ist Arbeitsbeginn. Ein Mann läuft voraus - Terek. "Hast du geschossen?" Sogol, der in seinem Äußeren eher einem Apotheker als einem Straßenbaufachmann gleicht, erwartet ihn mit den Fäusten in den Hüften. Terek ist keineswegs aufgebracht. "Guten Morgen, Ge nosse Sogol!" Sein Gesicht ist trotz der tausend lustigen Fältchen ernst. "Warum bist du so zornig? Bedenke: ein Pelz läuft dir vor die Flinte, deiner hat Löcher und der Winter guckt schon über die Berge ." Er öffnet seine Felljacke, die nur noch aus gegerbter Tierhaut ohne Fell
besteht, gemustert von notdürftig zusammengezogenen Dreiangeln. Ohne auf eine Antwort zu warten, geht er auf die Unglücksstelle zu. Dort bleibt er nachdenklich stehen. Offensichtlich hat er schon von dem Vorfall erfahren. Schließlich klettert er, von den Blicken der Umstehenden verfolgt, die Felswand hinauf und verschwindet zwischen Gebüsch und Geklüft. Er taucht auch nicht wieder auf. Sogol, den das Verhalten des Kirgisen anscheinend nicht verwundert, zuckt die Schultern. Kurz angebunden be stimmt er, die Arbeit aufzunehmen. Er wird zum Lager am Hohen Paß reiten, um die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten.
Bedrückt und schweigend gehen alle auseinander, su chen nicht wie sonst ein Stück gemeinsamen Weg. Der Tag vergeht, so scheint es, wie jeder andere. Die Spren
gungen hallen, das knirschende Krachen herabpolternden Gesteins ist nicht minder geräuschvoll. Geschrei und Zurufe erfüllen die Luft. Mitternacht. Maxim und Katharina sitzen vor dem fast niedergebrannten Feuer. Valentin ist ins Seelager gerufen worden. Maxim hilft Katharina Pflanzen sortieren, seltene Exemplare, Farne und Moose, die sie von den Syrien mit gebracht hat. Sie sind schweigsam, als lahme sie die un gewöhnliche, ja unheimliche Stille. Ein trockener Zweig birst, ein Steinchen trifft auf ein an deres. Terek steht vor dem fast niedergebrannten Feuer. Er bückt sich, legt umsichtig ein paar Holzstücke auf die Glut. Die Flammen lodern auf, sprengen prasselnd die Scheite. Terek blickt Maxim und Katharina an, horcht hinüber zu Valentins Zelt, dann sagt er: "Es war ein anderer! Ich weiß noch nicht, wer, Genossen; ihr müßt warten, bis ich ihn finde. In zwei Tagen werde ich ihn kennen ." Maxim ist der Unglaube ins Gesicht geschrieben. Er war fast bis zuletzt bei Balschanow und Onegin! Terek küm mert das nicht. Er hält seine kleinen knochigen Hände über die züngelnden Flammen und reibt sie. "Das Feuer ist der Freund des Bergmenschen. Wo es leuchtet, geht er nicht in die Irre. Wenn er sich neben ihm niederlegt, bietet es Schutz und Wärme. - Es ist schon spät, und der Mor gen rüttelt zeitig wach. Legt euch schlafen, Genossen, derweil ich das Feuer bewache!" Maxim geht zögernd zu Balschanows Zelt. Katharina steht unschlüssig vor dem ihren. In ihnen glimmt der Zweifel wie halbersticktes Feuer. Noch ist nichts er wiesen! Aus den Wäldern ist das Geschrei der Bergziegen zu hören, dumpfes Brüllen antwortet. Terek, der in sich zu
sammengesunken vor dem Feuer sitzt, richtet sich auf. Ein schlaues Lächeln glättet seine runzlige Stirn. Am Morgen ist das Feuer niedergebrannt und Tereks Platz leer. Valentin ist in der Nacht zurückgekommen. Als er und Maxim aus dem Zelt treten, kann Maxim sich nicht mehr beherrschen. "Hast du wenigstens den Mund aufge macht?" Valentin, mit dem Waschzeug in der Hand, bleibt nicht stehen. "Ich habe alles gesagt, was zu dem Unfall zu sagen ist, und helfen kann mir nur Onegin." Maxim schleudert die Zahnbürste, die er in der Hand hält, zu Boden. "Dickschädel!" Balschanow hört gar nicht hin. Katharina, die vom Wa schen zurückkommt, vom Flüßchen im Tal, hebt die Zahnbürste auf. "Beherrsch dich! Warte, bis Terek zu rückkommt ." "Der Alte? Du glaubst, der Alte findet etwas?" Maxim hält die Zahnbürste in der Hand wie eine Blume, die er geschenkt bekommen hat. Katharinas Stimme klingt zuversichtlich. "Er ist so alt! Er kennt die Berge besser als wir - und auch die Men schen!" Maxim betrachtet nachdenklich seine Zahnbürste und geht still und in sich gekehrt Valentin nach. Man müßte dem Alten, der Balschanow offensichtlich freundschaftlich gesinnt ist, einmal erzählen, wie Valentin ist, daß er be stimmt kein . kein . Das Wort will ihm nicht einmal in Gedanken über die Lippen. Die Behörden haben sofort die Untersuchung aufge nommen. Zwei Milizionäre waren schon mehrmals am Unglücksort. Wie ein Alpdruck lastet das Unglück über der Ziegenschlucht. Die Autobahnbauer schleichen umher
und machen finstere Gesichter. Sie mögen kein Geflüster, doch fröhliches Lärmen ist jetzt nicht am Platze. Keiner sagt's, aber die Arbeit scheint nicht zu flecken wie sonst, und das nun schon den dritten Tag! Maxim kann auch nicht wissenschaftlich arbeiten. Er hat sich eine Spitzhacke besorgt und tobt seine Unzufrie denheit an den Felstrümmern aus. Die Sonne hat aus dem Tal eine Bratröhre gemacht. Der Schweiß läuft ihm in Strömen über den ganzen Körper. Die Gefährten schmun zeln. Gleich geht alles wieder ein bißchen leichter. Man müßte Valentin wegschicken! denkt Maxim. Er richtet sich ächzend auf. Nur, woher einen anderen Bal schanow nehmen? Außerdem hat Sogol recht: Man kann niemanden für etwas bestrafen, was er nicht erwiesener maßen getan hat! Maxim spuckt aus. Der Alte läßt auch auf sich warten. Erst große Töne reden und jetzt? "Genosse Kondraschin!" Maxim läßt die Hacke fallen, dreht sich um. Wahrhaftig, da steht Terek, klein, krumm, übernächtig, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Sein altes Kirgisengesicht sieht grau aus. Unter dem Arm hält er, eingewickelt in ei nen Fetzen, einen schweren Gegenstand. "Genosse Kon draschin, du mußt mir helfen!" Er legt den Packen behut sam vor sich nieder. "Glaubt dein Freund, daß du ihm Katharina Fjodorowna abspenstig gemacht hast?" Maxim ist, als packe ihn der Alte an der Brust, und dann bricht es aus ihm heraus, und Terek erfährt, was er sich inzwischen zum großen Teil selber zusammengesucht und zusammen gereimt hat. Immer fröhlicher blicken die hellen Augen des Kirgisen, bis er Maxim unterbricht. "Achte und ehre die Freundschaft auch im Unglück. Steh deinem Freunde bei!" Er bückt sich, schlägt die Fetzen vorsichtig zurück.
Zum Vorschein kommt ein Felsbrocken, den Terek nicht mit der Hand berührt. "Das ist der Stein, der Genossen Onegin bei dem Streit um das Erz getroffen hat!"
Maxim starrt Terek und den Brocken an. "Woher .?" Terek legt ihm die Hand auf den Arm. "Laß das jetzt gut sein!" Maxim kann sich nicht beruhigen. "Und womit wollen Sie denn beweisen, daß der Stein der Stein ist, der Onegin getroffen hat und daß er oben vom Berghang kam?" Der Alte schmunzelt. "Solche Steine gibt es dort nicht, wo ihr euch gestritten habt, und in der Stadt werden sie mit Vergrößerungsaugen, Mikroskopen, vielleicht Haar und Hautreste, frische Kratzer finden!" Maxim ist mehr als überrascht. "Bitte, Genosse Kondraschin, pack ihn in eine Holzkiste und bring ihn sofort zur Miliz ins
Seelager. Er muß ganz schnell nach Frunse!" Maxim nimmt den Stein. "Das ist nur ein entlastendes Beweis stück, und Balschanow will, daß man seinen Worten glaubt!" Terek hebt vielsagend die Arme. "Wenn du zu rückkommst, bring Sogol und Balschanow mit, die Mili zionäre, wenn sie wollen. Heute abend steigen wir hinauf in die Berge!" Terek schnalzt mit der Zunge, läuft mit seinen krummen Reiterbeinen zu seinem Yak und kommt mit einem prallen Säckchen zurück. "Pilze! Sie standen an meinem Weg. Genossin Musselin wird sie uns zubereiten, ehe wir auf brechen. Und jetzt nimm mein Tier und reite, ich will unterdessen ein wenig schlafen!" Als die Pilze gar sind, ist Maxim noch nicht zurück. Ter ek setzt sich ans Feuer. Katharina ißt zusammen mit ihm. Sie haben sich kaum niedergelassen, als Maxim kommt. Er bringt Sogol mit, der von Terek über den seltsamen Lokaltermin ärgerlich Aufklärung fordert, während Bal schanow sich lange sträubt, überhaupt mitzuziehen. Die Milizionäre sind gleich nach Frunse gefahren. Ihnen ist der Stein wichtiger, außerdem wollen sie dort versuchen Onegin zu vernehmen. Der Alte ist guter Laune. Er preist die vorzüglich gebra tenen Pilze, und alle müssen davon kosten. Dann treibt er zur Eile. "Die Zeit muß eingehalten werden, wenn wir die Wahrheit finden wollen!" Schnell sattelt er sein Tier, belädt es mit einigen Packen. Es soll sie als geübter Berg steiger und Gepäckträger begleiten. "Die Pfade sind un wegsam. Sie verlangen Kraft und Besonnenheit. Sobald wir den Lagerplatz, die Sprengstellen hinter uns haben, bleibt einer dicht hinter dem anderen!" Das sind für lange Zeit Tereks letzte Worte. Man hört nur das Stampfen und
Schnaufen des Yaks, das Keuchen der Menschen bei der ungewöhnlichen Anstrengung. Vorbei an der Unglücksstelle führt der Weg ein Stück in die Schlucht hinein, dann in verborgenen Kehren und Windungen, Saumpfade und Wildwechsel benutzend und kreuzend, höher hinauf. Die Sonne ist bereits hinter die Berge gesunken, deren Schatten aufeinander zukriechen und die bunten Farben des Tages in das Grau der herauf dämmernden Nacht tauchen. Und es ist gut, daß niemand sehen kann, wie tief das Flüßchen sein Tal in die Berge gegraben hat, wie tief die Felsen abstürzen. Der einzige, dem das alles nichts ausmacht, ist der Grunzochse, der mit Sicherheit über Stock und Stein steigt, als liefe er auf einer breiten Straße. Nach einer Wegstunde, es ist fast dunkel, läßt der Alte anhalten. Er weist Maxim, Valentin, Kathari na und Sogol unter überhängenden Felsen Plätze an und befiehlt, sie wegen der Absturzgefahr ja nicht zu verlas sen. Er selbst nimmt dem Yak das Gepäck ab und kocht dann in der geräumigen Wurzelnische einer uralten Rot tanne auf einem verbeulten Spirituskocher heißen Tee. Während der Kessel summt, sitzt Terek auf einer der Wurzeln und starrt aufmerksam in die im Nebel ertrunkene Schlucht. Die Schwaden wallen, formen sich, tanzen: Reigen der Berggeister . Sonst ist es totenstill. Kein Lüftchen regt sich, nichts bewegt sich. War die An strengung unnütz? Über ihnen ist Bergziegengebell, noch darüber dumpfes Poltern, das rasch näherkommt, über die Schlucht herein bricht - wieder verebbt. Das Ziegengebell ist nicht mehr übermütig und behaglich. Es gellt laut und voller Angst. Das Leittier antwortet dumpf und warnend: Achtung, Gefahr droht! Seitab sucht sich Gestein einen Weg in die
Tiefe. Terek hebt zufrieden den Kopf. Sogol, der aufgesprun gen ist, sagt laut und grimmig: "Aha!" Der Alte verteilt indes in aller Ruhe Tee. Maxim und Katharina schauen sich an: Will Terek beweisen, daß Gestein bewachsene Hänge herabfallen kann, durch Tiere beispielsweise, Bergziegen gelockert? Eine verblüffende, ja auf der Hand liegende Lösung! Daß sie darauf noch nicht selber ge kommen sind . Aber traf der Steinschlag nicht auch die Ziegen? Valentin sitzt gleichgültig da. Er ist mitgezogen, weil er nicht allein zurückbleiben wollte. Er hat keinen Durst. Terek bestimmt, er muß trinken! Sogol hat sich an dem heißen Tee die Zunge verbrannt - und kommt zu einem anderen Schluß. "Fallensteller! Wie in der Steinzeit! Das verstehe ich nicht! Ihr habt doch Gewehre." Tereks Ent gegnung ist heftig, ganz gegen seine Art. "Also wildern wir auch nicht!" Sogol tut erstaunt. "Das habe ich nicht gesagt. Aber Gespenster gibt's auch nicht, und der Stein schlag, wenn es einer war, muß Ursachen haben! Die Ziegen waren es nicht, sie betraf es!" Terek stimmt ihm zu. Er lächelt. "Es ist nicht gut, zu rätseln, und müßig, eine Geschichte erzählen zu wollen, ehe man den Schluß nicht weiß. Legen wir uns schlafen. Wir werden wache Ohren und einen scharfen Blick brauchen!" Sogol kann sich der Denkweise des Alten nicht entziehen. Er hat recht. Nur Katharina und Maxim sind enttäuscht und verwirrt, voll widersprüchlicher Gedanken und Gefühle. Valentin wik kelt sich wortlos in seine Decke. Terek hingegen stellt das Gewehr zwischen die Knie und stützt den Kopf in die Hand. Als der Sonnenaufgang die Erde vom Himmel scheidet,
die Nebelgespenster vergehen, läßt der alte Kirgise die Hand sinken, steht auf und weckt die Schlafenden, indem er sie wortlos an der Schulter berührt. Während sie etwas essen, belädt er seinen Yak, den er erst überreden muß, von einem halsbrecherischen Weideplatz herunterzusteigen. Terek mahnt zur Eile, führt die kleine Expedition zuerst eine kurze Strecke am Berghang entlang, dann lenkt er sein Tier in eine kleine Seitenschlucht. Der einzige Weg bergauf, der noch übrigbleibt. Urweltlicher Wald hindert sie am Vorwärtskommen, als hüte er ein Geheimnis. Wu cherndes Gestrüpp, umgestürzte vermoderte Baumstämme versperren den Blick. Schuttströme, die sich ins Tal er gießen, sind trügerischer Grund. Bizarre Szenerien wech seln ab mit idyllischen Moosplätzen und Blumenwiesen, die zum Ausruhen einladen. Von all dem sehen die fünf Menschen wenig. Der Anstieg ist viel zu anstrengend und nur im Gefolge des Yaks möglich, der jetzt ganz in seinem Element ist. Sein wuchtiger Schädel mit den gedrungenen Hörnern schiebt wie ein Bulldozer das sperrige Geäst bei seite. Die verfilzten Zotteln seines Fells bleiben am Ver hau des Dornengestrüpps hängen. Hindern ihn lockerer Blockschutt, umgestürzte Bäume, bricht er seitwärts aus und bahnt sich und den Nachfolgenden eine Schneise. Das Tal verengt sich, endet in einer von Felsklippen ge schützten Nische. Die Pflanzenwelt wird schütter: Knie, Krüppelholz, dürftige Grasmatten. Gegen Mittag erreichen sie die untere Grenze der Schuttregion. Sie ist wie eine Front: Hier gelingt es der Vegetation, sich zu behaupten, wieder festen Fuß zu fassen, dort wälzt sich der Schutt strom hinab, alles erstickend, begrabend. Es ist, als stemmten sich die Schuttmassen den fünf Menschen und dem zottigen Tier entgegen.
Terek lenkt den Yak noch einmal in eine neue Marschrichtung. Bald bestimmen vom Frost zerfressene Felsbildungen, vom Sturm zerzaustes Gestrüpp das Bild. Mit einem Schnalzlaut bringt er den Yak zum Stehen und nimmt ihm das Gepäck ab. Er soll hierbleiben. Jedes unnütze Geräusch muß fortan vermieden werden. Maxim, Valentin, Katharina und Sogol folgen Terek bergan. Sie nutzen jedes übriggebliebene Gebüsch, jedes Felsstück, um ungesehen eine vom Wasser gegrabene Rinne, in der sich niedriges Gesträuch angesiedelt hat, zu erreichen. Hinter ihr türmt sich wie eine Burg mit ihren Zinnen ein Felsmassiv. Sie dringen in das Gestrüpp ein und finden ein gut ge tarntes Versteck. Terek hat es vorbereitet. Er blickt nicht ohne Stolz in die verdutzten Gesichter seiner Gefährten, dann flüstert er: "Hier habe ich auf der Lauer gelegen und das große Geheimnis entdeckt!" Auf dem Bauch kriecht er aus dem Gebüsch, zerrt unter herabgestürztem Gestein den Kadaver einer Bergziege hervor, läßt ihn liegen und kommt zurück. "Da! Sie wurde zur gleichen Stunde er schlagen, in der Genosse Onegin getroffen wurde. Wir befinden uns wenige huntert Meter über der Unglücks stelle!" "Also doch gemeine Fallenstellerei!" Sogol kann sich nur mühsam beherrschen. Terek spricht ganz ruhig: "Der Fallensteller hat nur ein anderes Gesicht, als du denkst, Genosse Sogol!" Sogol wird ironisch. "Ich glaube immer noch nicht an den Teufel!" Terek ist sehr ernst. "Es ist schlimmer als der Teufel! Doch warum soviel reden? Bevor die Sonne hinter die Berge sinkt, geschieht es. Dann gibt es keine Zweifel mehr." Sogol zuckt schweigend die Schultern.
Maxim, von neuer Hoffnung erfüllt, flüstert mit Kathari na. Valentin, voller Bitterkeit, wendet sich ab. Obwohl er - wie er glaubt - sich Katharina noch in keiner Weise genähert hat, hoffte er immer, sie zu gewinnen durch seine von Erfolg gekrönte Tätigkeit. Was interessiert ihn nun noch die Trasse, der Unglücksfall? Sollen sie ihn an schuldigen, beschuldigen, seine Unschuld beweisen, nachweisen . Er ist um sein eigentliches Ziel betrogen. Der Haß gegen Maxim ist verflogen. Resignation befällt ihn. Die Freundschaft ist welk, und es fehlt nicht mehr viel, daß sie verdorrt. Er nimmt sich zusammen: Wohin läßt er sich treiben? Die Welt ist nicht so klein, daß er nicht einen Platz fände, in Sibirien, im Hohen Norden oder in der Antarktis. Ihn hält nichts, wie ihn noch nie etwas hielt! Terek beobachtet ihn. Ihre Blicke treffen sich. Im Ver halten des Alten ist etwas, das Valentin stutzig macht. Terek hat ihn nicht bloß hier heraufgeführt, um seine Un schuld zu beweisen. Er will mehr, ihm irgendwie ans Leder . Valentin ist auf der Hut! Der Abend kommt mit Wolkentürmen und einem phan tastischen Sonnenabstieg. Ein Windstoß fegt durch das Wäldchen wie Seufzen. Ist davon das Steinchen draußen auf der Berglehne ins Rollen gekommen, das nun zu Tale hüpft? Keiner außer Terek hat bemerkt, daß oben zum Felsmas siv ein mächtiger Schatten huscht, denn unterhalb der Bastion strebt eine große Bergziegenherde zu einer verein zelten grünen Bergmatte. Das Leittier, eine alte erfahrene Ziege, die immer wieder stehenbleibt und nach allen Sei ten sichert, ist mit einem Sprung auf der Schutthalde. Gleich folgt ihr die hungrige Herde. Terek, der wie stets
ruhig bleibt, stößt mit einer gelassenen Bewegung sein Gewehr in Richtung Felsbastion. Was jetzt geschieht, passiert in Sekunden, so schnell, wie jemand zusammenschrickt. Als das Leittier den Platz unterhalb der Felsen erreicht hat, bleibt es wieder miß trauisch stehen, wendet, um umzukehren. Die Herde drängt sich zusammen. Im gleichen Augenblick ruft Terek: "Seht hinauf!" Eine schwerfällige Bewegung, ohne daß man Einzelheiten erkennen kann. Ein Felsbrocken, der eben noch wie eine Zinne die Felsburg krönte, bekommt Übergewicht und poltert, unterwegs andere Steine mitrei ßend, herab. Die Bergziegen, die anscheinend solche Anschläge gewöhnt sind, stutzen nur einen Augenblick, dann laufen sie nach allen Seiten auseinander, dem Stein schlag zu entkommen. Wo aber ein Brocken eine Ziege einholt, überspringt sie ihn in kühnem Fluge. Wie ein Spuk sind sie verschwunden. Nur ein Jungtier ist diesem gefährlichen Spiel nicht gewachsen. Ein durch die Luft pfeifender Splitter streift es am Hinterbein. Kläglich kläffend hinkt es den anderen hinterher, sucht eine Sand strähne im Felsschutt zu erreichen, auf der es besser vor wärtskommen kann. Katharina will dem Tier helfen. Terek legt ihr die Hand auf die Schulter. "Ruhig! Es geschieht ihm ja nichts!" Schon kommt das erfahrene Leittier der Herde zurück, dem Zicklein bellend und knuffend den Weg ins schützen de Gestein zu weisen. Im gleichen Augenblick richtet sich hoch oben über dem Steinwall im letzten Sonnenlicht eine riesige rotbraune Gestalt auf wie ein Lebewesen aus längst verschollener Zeit: ein Bär! Er springt mit einem mächtigen Satz herab, das getroffene Tierlein, noch bevor es in Sicherheit ist, zu
reißen. Es bleibt bei diesem Vorhaben. Terek schießt. Der Bär hält mitten im Sprunge inne, stellt sich wie erstaunt auf die Hinterbeine, streckt sich, sucht sich mit erhobenen Tatzen in der Luft festzukrallen, und dann sinkt das mäch tige Tier lautlos zusammen, rutscht, kollert die Halde herab. Vor dem Versteck bleibt der Bär mit aufgerissenem Maul liegen, während das lebendige Leuchten in seinen Augen verlischt. Die Sonne versinkt bleich hinter fernen Bergen.
Die Ziege hat das Zicklein mit ihrem Gehörn unsanft über die Halde bugsiert. Als der Schuß fällt, stößt sie es aus dem Blickfeld der wie erstarrt Dahockenden, während Terek mit ernstem Gesicht sein Gewehr durchlädt. Nur das erregte Atmen der fünf Menschen in ihrem Versteck und das sich entfernende Gepolter der flüchtenden Ziegen
herde ist zu hören. Noch ist die Spannung nicht von ihnen gewichen, als Terek sie auffordert, ihm zu folgen. Sie klettern an dem toten Bären vorbei, hinauf zu dem Hinterhalt des braunen Räubers. Dort stehen sie voll Verwunderung vor dem fast Unbegreiflichem. Terek wartet, ehe er zu sprechen be ginnt. "Alte Bären sind klug, aber nicht mehr so flink. Das flüchtige Wild erreichen sie immer seltener, und ihre starken Artgenossen machen ihnen die Beute streitig. So sondern sie sich ab, jagen allein: Sie beobachten, wie das Wild zieht, bauen sich Hinterhalte und legen sich auf die Lauer. Damit führen sie auch den Menschen irre, der glaubt, es mit Menschenwerk zu tun zu haben ." Tereks Stimme ist leise, sein zerfurchtes Gesicht betrübt. "Sie sind starke und schöne Tiere, eine Zierde unserer unweg samen Bergwälder, dem weit umherschweifenden Wolf, dem listigen Fuchs und dem behenden Schneeleoparden mächtige Gebieter. Dennoch muß man sie abschießen, wo man sie antrifft. Sie richten zu großen Schaden an. Mehr Wild wird getötet, als sie zur Nahrung brauchen, und wenn es der Zufall will, findet so ein Stein ins Tal zu den Men schen!" Sogol hat zuerst seine Betroffenheit überwunden. "Ich habe aber gelesen, daß der Bär die Nahe der Menschen meidet!" Terek schüttelt den Kopf. "Nicht solch ein altes Tier. Als ich hörte, was Genossen Onegin geschehen war, ahnte ich, was sich dahinter verbarg. Ich zog allein hierher, um mich zu vergewissern. Nun wißt ihr es auch: Genosse Balscha now ist unschuldig!" Bedächtig wählt Terek seine Worte. "Nur, verzeiht den Vorwitz meines Alters: Genosse Bal
schanow ist ein großer Gelehrter. Er kennt das Inwendige der Berge besser als unsereiner. Doch er ist auch ein Ein zelgänger und voller Ehrsucht. Die Menschen, seine Mit arbeiter, sind ihm oft gleichgültig oder gar lästig. Das Unglück, das uns alle erschüttert hat, müßte auch ihn zur Besinnung bringen." Er zögert, weiterzusprechen. "Genos se Balschanow ist wie der Bär. Er wählt seine Sprengplat ze aus, wie das Tier seine Fallen baut: nicht achtend, ob jemand dabei zu Schaden kommt. Ändert er sich nicht bald, schadet er der Gemeinschaft mehr, als er ihr nützt." Der Alte ist selber erschrocken von seinem Vergleich. "Genosse Balschanow liebt die Berge auf andere Art und Weise als der Bergmensch, aber er liebt sie! Deshalb wird er einen Weg finden, Worte, die zu uns sprechen, denn in unserem Land ist keiner ohne den anderen!" Balschanow, der zuerst gar nicht richtig zuhörte, ist be stürzt. Der Vergleich, die Worte des Alten lösen ihm jäh die Zunge. Er faßt Terek am Arm. Der wehrt ab. Seine Stimme ist rauh, doch auch voll verhaltener Herzlichkeit. "Unten! Es ist bald finster, und der Bär muß mir noch seinen Pelz geben, ehe ich ihn, den Herrn der Berge, be grabe." Er hat den Bären getötet, ihm kommt es zu, das Werk zu vollenden. Mit geübten Händen und flinken Bewegungen geschieht das Ausweiden und Abpelzen. Danach türmt er einen Steinhügel, der weithin zu sehen ist, über den Resten des Tierkadavers auf, während er das Fleisch in dem Versteck verbirgt. Bei nächster Gelegenheit wird er es holen. Das noch dampfende Fell über die Schulter geworfen, stapft Terek den anderen voran, bis dorthin, wo sie den Yak verlassen haben. Der ist seiner Einsamkeit längst überdrüssig. Er kommt ihnen entgegen, murrend und
brummend. Schnell haben sie mit prasseldürrem Krüppelholz ein Feuer angezündet. Terek breitet den Bärenpelz auf einer niedrigen Krüppelkiefer aus, er soll schnell abtrocknen. Dann essen sie mit großem Appetit frisch gebratene Bä rentatzen, die der Alte heimlich und ihnen zur Überra schung mitgenommen hat. Valentin ißt wenig. Er würgt Bröckchen um Bröckchen hinunter. Alle ahnen, was in ihm vorgeht, wie in ihm Scham und Stolz miteinander ringen. Aber die Stunde ist gekommen, wo er reden muß und reden wird. Dabei kann ihm niemand helfen. Seine Stimme ist heiser, die Worte stocken. "Seit Jahren arbeite ich an der Geologie des Tienschan, speziell über das Gebiet um den Sonkul. Gewisse Anzei chen deuteten darauf hin, daß hier große Erzvorkommen lagern müßten. Mit dem Bau der Autobahn bot sich mir eine praktische Chance, dieser Vermutung nachzugehen. Ich wollte die Erzgänge erst nachweisen und dann damit an die Öffentlichkeit treten. Ich wollte mich nicht blamie ren, das hätte ich nicht ertragen, und das ist noch nicht einmal der eigentliche Grund ." "Denk nicht, daß wir dir nicht auf der Spur waren, du Bär!" Sogol unterbricht ihn aufgebracht. "Laß ihn ausreden, Genosse Sogol!" beschwichtigt ihn Terek. "Du willst doch die Wahrheit hören, die ganze Wahrheit!" "Ich wollte den Ruhm allein, allein als Entdecker aner kannt werden!" Er stockt, starrt Katharina an. Das Spre chen fällt ihm sichtlich schwer. "Ich studierte fleißig, spürte, daß ich etwas konnte. Aber ich sah nur die Bücher, glaubte, nichts anderes wäre wichtig. Als ich bemerkte,
wie sich die Freunde nach und nach zurückzogen, wurde ich trotzig ., gab ihnen die Schuld . Auch die Mädchen wollten nichts von mir wissen, sie suchten sich lieber einen lustigen jungen Mann, keinen verbitterten Einzel gänger wie mich. Je mehr ich mich absonderte, desto verbissener stürzte ich mich in die Arbeit, jagte fixen Ideen nach, wollte unbedingt berühmt werden, um es allen zu zeigen, wie sehr sie mich verkennen." Valentin hält ein, spricht nicht weiter. "Und dann", beginnt er von neuem, "bietet sich mir die große Chance, nach Frunse zu gehen und von dort an den Sonkul. Hier lerne ich Katharina Fjodorowna kennen ., mache mir Hoffnungen . bin mir manchmal fast sicher ." Er blickt Katharina wiederum starr an, durch sie hindurch und als ob er hinter sie schaue. "Da kommt Katharina mit Maxim zusammen zurück ." Er schweigt lange. "Maxim wird mein Gehilfe, und an dem Unglückstag findet er einen Erzbrocken an einer Stelle, an der ich immer vorübergelaufen bin. Er ist vor Freude wie von Sinnen. Ich bin sehr erregt. Ich schreie ihn an, dringe auf ihn ein, da tritt Onegin dazwischen. Ich entreiße, blind vor Wut, Maxim das Erz und werfe es in die Schlucht. Ich weiß, es ist eine sinnlose Reaktion. Dabei kommt mir Maxim zu nahe. Ich stoße ihn weg, er stolpert, stürzt dem Stein nach in die Tiefe. Onegin aber ." Balschanow unterbricht sich erneut. Feine Schweiß tröpfchen stehen ihm auf der Stirn. "Gepolter kommt vom Berg herab. Ich will zurückspringen, greife nach seinem Arm, ihn von der Wand wegzuzerren. In seiner Erregung versteht er das Gepolter, meine Geste nicht. Er stößt mich zurück. Da schlägt ein Stein ihn nieder!" Im flackernden Feuerschein sucht er erneut Katharina Fjodorownas Blick. Er will, daß sie ihm glaubt, ihn ver
steht, nichts weiter mehr . Katharina senkt den Kopf. Sie glaubt ihm. Terek bemerkt dieses Zwischenspiel. Er lä chelt, sieht hinauf in den sternenbestickten Himmel des Tienschan, dann sagt er: "Ich bin alt, und während ihr die Autobahn baut, habe ich viel Zeit zum Nachdenken. Ge nosse Onegin wird zurückkehren in die Welt der Tage und Nächte. Er wird wieder glücklich sein, wie ihr auch, die ihr die Natur und euch selbst bezwingt." Terek macht eine kleine Pause, um recht umständlich in den Taschen seines phantasievollen Wamses zu suchen. Dann hält er Balscha now und Kondraschin einen Erzbrocken auf der flachen Hand hin. "War das der Zankapfel?" Maxim starrt Valentin, Valentin Maxim, beide Terek an. Sogol ist förmlich erschlagen. In Katharina jubelt es. Am liebsten küßte sie den alten Kirgisen. "Woher wußten Sie das?" stammelt schließlich Valentin. "Oh! Wenn man einem Menschen helfen will, dann sucht man - sucht und findet! Genosse Balschanow, daß du etwas Besonderem nachspürtest, ahnte auch ich; und dein Freund, Genosse Kondraschin, bestätigte es mir später. Nachdem ich die Unglücksstelle gesehen hatte, suchte ich ihre Umgebung ab, stieg, in die Schlucht hinab und fand in der Nähe des Felsbrockens, der Onegin getrof fen haben mußte, das Erz - und weit und breit kein ande res . Der Zufall ist ein unberechenbarer Geselle, aber trifft man ihn, läßt er mit sich reden!" Die kleine Expedition schläft die zweite Nacht irgendwo in den Bergen am Sonkul, in der Gewißheit, daß die noch ausstehenden Untersuchungsergebnisse und Verneh mungen durch die Miliz die gefundene Wahrheit bestäti gen werden. In Valentin jedoch reift die Erkenntnis, daß egoistischer Eigensinn nicht nur der Liebe hinderlich ist,
daß es nicht genügt, den anderen Menschen allein durch persönlichen Erfolg gewinnen zu wollen. Er blickt noch lange in den unendlichen Sternenhimmel über sich. Die Autobahn wächst. Die Straßenbauer am Sonkul sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Auch Sogol, Maxim und Ka tharina; sie warten wie Valentin nur noch auf ein Lebens zeichen von Onegin. Inzwischen ist das Gutachten aus Frunse gekommen. Es bestätigt Tereks Beweisführung: Das von der Bärenburg herabgestürzte Felsstück schlug Onegin nieder. Es fanden sich Spuren von Haar und Hautresten, Kratzer und fremde Gesteinsspuren, die frisch genug waren, daß man ihr Alter und ihren Standort be stimmen konnte. Außerdem - die Recherchen der Miliz an Ort und Stelle ergeben auch keine anderen Anhalts punkte. Drei Wochen nachdem Terek den Bären geschossen hatte, kommt Antwort von Onegin, der einen Schädelbasisbruch überwinden muß. Er bestätigt Balschanows Darstellung des Unglücksfalles - und hält sich selbst nicht für schuldlos. Warum ist er um Balschanow herumgeschlichen, hat ge schwiegen, anstatt reinen Tisch zu machen? Valentin überwindet sich selbst. Er wird nicht die Flucht ergreifen, er wird im Tienschan bleiben, neu und besser beginnen. Ein halbes Jahr später besteht Kondraschin sein Staats examen in den geographischen Wissenschaften mit Aus zeichnung. Kurz darauf - die Autobahn am Sonkul ist be triebsfertig - wird er nach Frunse berufen, um mit Bal schanow zusammen den Aufschluß des Erzlagers vorzube reiten. Er fährt sofort los, wenn auch nicht wie das erste mal als Tramp. Bei dieser Gelegenheit wollen Katharina Fjodorowna - die ihn von dem Tage an liebt, als er ihr im
Angesicht der Bunten Berge auf die Zehen trat - und er gleich heiraten, denn für die Flitterwochen ist das Him melsgebirge viel handgreiflicher als der so oft besungene siebente Himmel. Übrigens: Balschanow, Onegin, Sogol und Terek werden ihre liebsten Gäste sein. Nina ist ver antwortlich für den dreitägigen, echt russischen Hoch zeitsschmaus, weil die Liebe, wie sie meint, auch durch den Magen geht .
Heft 261 R. L Stevenson Das Flaschenteufelchen
Der Seemann Keawe lebt zufrieden in seinem Haus auf einer Insel in der Südsee. Er liebt das Mädchen Kokua, und alles ist zur Hochzeit vorbereitet. Da trifft ihn ein schlimmer Schlag. Sein ganzes Leben scheint vernichtet. Niemand kann ihm helfen. Und doch hilft jemand: Kokua. Sie muß ihr Leben und ihr Glück aufs Spiel setzen. Sie tut es und erringt für sich und den geliebten Mann das Verlo rene zurück.