Wolfgang Genschorek
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Wolfgang Genschorek
Zwanzigtausend Kilometer durch Sahara und Sudan Leben und Leistung des Bahnbrechers der Afrikaforschung Heinrich Barth
VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig Pioniere der Menschheit Hervorragende Forscher und Entdecker Herausgegeben von Dr. Wolfgang Genschorek (Leipzig) und Doz. Dr. habil. Max Linke (Weißenfels)
1. Auflage
VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig, DDR, 1982 Lizenz-Nr. 455115013182, LSV 5008 Lektor: Roland Walter Kartenredaktion: Helmut Sträubig Gesamtgestaltung: Hans-Jörg Sittauer Kartenzeichnung: Helga Paditz Printed in the German Democratic Republic Lichtsatz: INTERDRUCK Graphischer Großbetrieb Leipzig Reproduktionen, Druck und buchbinderische Verarbeitung: Grafische Werke Zwickau 11112911 Redaktionsschluß: 30. 4. 1980 Bestell-Nr. 5871205 DDR 10, 40 M
Inhalt Jahre der Reife Elternhaus und Schulzeit. Als Student in Berlin. Erste Forschungsreise Barths an das Mittelmeer. Enttäuschende Debüts. Die große Afrika-Expedition Wissenschaftler – nicht Handelsagent. Lockende Beute. Historischer Boden. In den Gluthauch der Sahara. Dem Tode nahe. Agades – Stadt der Weisheit. Ereignisreiche Vergangenheit. Auf getrennten Wegen. In Kukawa, seiner afrikanischen Heimat. Vom Stromfieber gepackt. Schrecken des Sklavenhandels. In auswegloser Lage. Auf dem Wege nach Timbuktu. Königin der Wüste. Rückkehr. Kämpfe eines Außenseiters Auf der Suche nach einer Existenzgrundlage. England – ein Ausweg? Erneut in Kleinasien. Bittere Enttäuschungen. Verpflichtendes Erbe. Anhang Literaturverzeichnis Schriften von Heinrich Barth (Auswahl in chronologischer Folge) Schriften über Heinrich Barth. Personen- und Ortsregister Bildquellennachweis
»Auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Humanität sollten alle Nationen vereint einen gemeinsamen Zweck verfolgen.« Heinrich Barth
Jahre der Reife
Elternhaus und Schulzeit. Nur einem glücklichen Umstand konnte es Johann Christoph Heinrich Barth verdanken, daß ihm das schwere Los eines Waisenkindes erspart geblieben war. Nach dem frühen Tode der Eltern hatte ein Onkel den verwaisten Thüringer Bauernsohn bei sich aufgenommen. Wenn er auch in der Großstadt Hamburg, seiner neuen Heimat, die geliebten Berge und Wälder vermißte, hatte er doch hier ein neues Zuhause gefunden. Nach Abschluß der Lehre bei einem Schlachtermeister widmete er sich dem Kaufmannsberuf und brachte es darin durch Fleiß, Sparsamkeit und große Energie zu einem gewissen Wohlstand. Dabei fand er in seiner Frau, die ebenfalls dem Handwerkermilieu entstammte, große Unterstützung. Seine ganze Liebe galt der Familie, die er selbst während der eigenen Kindheit so schmerzlich hatte entbehren müssen. In Erinnerung an sein eigenes schweres Schicksal wollte er alles in seinen Kräften Stehende tun, damit es seine Kinder leichter hätten. Als drittes Kind war am 16. Februar 1821 der Sohn Heinrich zur Welt gekommen. Seine Geburt wurde als ein besonders freudiges Ereignis gefeiert, war doch nun nach zwei Töchtern endlich der lang ersehnte Stammhalter da. Auf seine Entwicklung konzentrierten die Eltern vor allem ihre Aufmerksamkeit. Wichtigste Voraussetzungen für das angestrebte Vorwärtskommen schienen ihnen Ehrlichkeit, Ordnungsliebe, Pflichtbewußtsein und Sparsamkeit sowie ein fundiertes Wissen zu sein. Da der Vater auf Grund seiner eigenen mangelhaften Schulbildung nicht in der Lage war, dem Sohn umfangreiche Kenntnisse zu vermitteln, schickte er ihn, keine Kosten scheuend, zunächst auf eine Privatschule. Hier sollten ihm all die reichen Schätze des Wissens erschlossen werden, die er selbst hatte entbehren müssen. Zu seiner größten Freude verstand es Heinrich, mit großem Interesse und viel Fleiß die gebotenen Möglichkeiten zu nutzen. Ergebnis dieser Erziehung war freilich auch ein gewisser Hang zur Zurückgezogenheit und Eigenbrötlerei. Oft sich selbst und der Welt seiner Bücher überlassen, entwickelte sich der Junge zum Einzelgänger, den die Ge-
schäftigkeit der heimatlichen Handelsstadt zum Träumen in die Ferne anregte. Mit zwölf Jahren trat Heinrich Barth in das, eine traditionsreiche Gelehrtenschule Hamburgs, ein. Leider entsprach hier die Ausbildung in der Mathematik und den Naturwissenschaften bei weitem nicht den Erfordernissen der Zeit ein Umstand, den Barth später oft als sehr behindernd empfand. Großer Fleiß und überdurchschnittliche Intelligenz, insbesondere eine hervorragende Sprachbegabung, ließen ihn bald zum Liebling der Lehrer, allerdings weniger seiner Klassenkameraden werden. Einen Schulfreund hatte er nicht, das fröhliche Treiben der Kinderjahre blieb ihm unbekannt, und einer seiner Mitschüler erinnerte sich: »Wahr ist es, daß B. kein gewöhnlicher Schüler war. Er verkehrte wenig mit dem Gros der Klasse, stand in den Zwischenpausen meist am Ende der Bank, auf der er seinen Platz hatte, eine vornehme Zurückhaltung gegen seine Mitschüler beobachtend und nur mit diesem oder jenem seiner näheren Bekannten, die an ihn herantraten, ein Wort wechselnd. Selten verzog sich seine Miene zu einem vornehmen Lächeln, herzlich lachen habe ich ihn nie hören. Dabei machte er gern allerlei Übungen mit den Armen, brachte dieselben möglichst nahe auf dem Rücken zusammen, um den Brustkasten hervortreten zu lassen und übte so in diesen Pausen eine Zimmergymnastik, weiche ihm als Correctiv für das viele Sitzen in den Unterrichtsstunden dienen sollte, ohne daß er es nötig hätte, sich in die Spiele der Mitschüler auf dem Klassenhofe zu mischen. Er war von Natur kränklich und schwächlich, stärkte aber seinen Körper durch vieles, auch im Winter fortgesetztes kaltes Baden und Schwimmen, sowie durch eifrige Teilnahme an den Turnübungen. Das alles aber offenbar nicht so sehr aus Lust an der Sache, wie man an der ernsten, morösen Miene sehen konnte, mit der er auch diese Dinge betrieb, als vielmehr im Interesse einer damals noch Niemandem, und wohl auch ihm selbst nicht klaren Idee. Er war außerordentlich fleißig; seine Tätigkeit war aber keineswegs nur den Schul-Objekten zugewandt. Er besaß eine für einen Schüler erstaunlich große Menge von Büchern und kaufte deren in allen antiquarischen Auktionen, die in Hamburg, aber auch auswärts, in Berlin und Leipzig namentlich, stattfanden, fortwährend
an, wozu er als Sohn wohlhabender Eltern sehr wohl in Stand gesetzt war. Er studierte aber auch diese Bücher..., wobei ihm sein erstaunliches Gedächtnis vorzügliche Dienste leistete. Daneben trieb er aber auch für sich Gegenstände, die gar nicht in den Bereich der Schule fielen; namentlich hieß es von ihm, daß er sich privatim und ohne alle Anleitung mit dem Arabischen beschäftigte, was uns gedankenlosen Schuljungen denn freilich als der Gipfel aller Verrücktheit erschien, bei Barth aber vielleicht doch in Ahnung der ihm bevorstehenden Mission geschah. Im Allgemeinen hatten wir trotz dem allen keine hohe Meinung von Barth; er galt der Mehrzahl seiner Mitschüler als Pedant.« Entgangen scheint seinem Klassenkameraden zu sein, daß sich Heinrich Barth »nebenbei« auch mit der englischen Sprache beschäftigte, die er bereits mit vierzehn Jahren beherrschte. Anfang Oktober 1893 verließ er das Johanneum, allerdings ohne Abitur, das noch nicht Voraussetzung zum Studium war. Offensichtlich vermochte die Schule seinen Wissensdrang nicht mehr zu befriedigen: »Eingepfercht wurden wir... in gedankenlosen Phrasen, die Sprachen, dieses unergründliche tiefe und staunenswerte Organ des Menschen, allen seinen Gedanken Ausdruck zu geben, seine Teilnahme, seine Liebe seinem Nebenmenschen darzustellen, als ein totes Material, wie ein Stück Holz wurden sie uns eingepaukt, die herrlichsten Schöpfungen des menschlichen Geistes abgetötet wurden sie uns aufgetischt, um sie mit Ekel hinunterzuschlucken. Nicht zu jung habe ich die Schule verlassen – ja wäre ich auch nur kurze Zeit länger dort geblieben, ich wäre gänzlich verkommen, erstorben wäre ich an Geist und Körper – aber zu unreif, zu verdummt durch den geistlosesten, hohlsten Unterricht war ich, um den freien Flug zu erfassen, den die Wissenschaft genommen hat.«
Als Student in Berlin. Ohne Pause wollte Heinrich Barth nun, von den beengenden Fesseln befreit, weiter lernen und begann bereits zwei Wochen nach dem Ausscheiden aus der Schule das Studium in Berlin. Allerdings war er sich über das anzustrebende Ziel noch unschlüssig. Eigentlich war er der geborene Philologe, doch er schwankte zwischen dem Studium der Altertumswissenschaft und historischen Geographie. So belegte er im ersten Semester, um sich einen Überblick zu verschaffen, unterschiedliche Vorlesungen. Dabei zogen ihn als Lehrer der Altertumswissenschaftler August Böckh (1785-1867) und der Geograph Carl Ritter (1779-1859), mit denen er später in enger freundschaftlicher Verbindung stand, besonders in ihren Bann. August Böckh war bereits 1810 bei ihrer Gründung an die Berliner Universität berufen worden. Er war ein ebenso hervorragender Forscher wie Lehrer, der aus seiner oppositionellen Haltung gegenüber dem preußischen Obrigkeitsstaat keinen Hehl machte. Mit seinem Wirken erlebte die griechische Altertumskunde eine Wiedergeburt. Unermüdlich kämpfte er für die Durchsetzung des Neuen. Dabei war ihm sein Freund Barthold Georg Niebuhr (1776-1831), der die römische Altertumswissenschaft vertreten hatte, bis zu seinem Tode ein aktiver Mitstreiter gewesen. Ihr Kontrahent war die in der Person Gottfried Hermanns (1772-1848) vertretene sogenannte »Leipziger Schule«, die im Erforschen der Sprache das Hauptanliegen der Altertumswissenschaft sah. Im Gegensatz dazu betonte Böckh konsequent die Gleichberechtigung von Sprach- und Sachforschung, die sich auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse als Forschungsgegenstand orientieren müsse. Sprachforschung sollte keineswegs als Selbstzweck betrieben, sondern vor allem als Mittel der wissenschaftlichen Erkenntnis historischer Zusammenhänge genutzt werden. Von dieser Grundorientierung wurde der Student Heinrich Barth geleitet. Seine Sprachstudien standen unter dem Einfluß Böckhs stets in enger Beziehung zu den historischen und kulturhistorischen Gegebenheiten.
In ähnlicher Weise anregend waren die Impulse, die ihm von Carl Ritter vermittelt wurden. Er hatte als erster Professor der Geographie in Deutschland seit 1820 in Berlin einen Lehrstuhl inne und setzte in seinem Fach die historische und vergleichende Betrachtungsweise durch. Damit erhob er, beeinflußt durch Alexander von Humboldt (1769-1859), die Geographie von der beschreibenden Erdkunde zur Wissenschaft. Bis zur Anwendung seiner systematischen wissenschaftlichen Arbeitsmethode hatte man sich auf eine deskriptive Darstellung mehr oder weniger zufälliger geographischer Erscheinungen beschränkt. Während seine 1806 erschienenen »Bemerkungen über den methodischen Unterricht in der Geographie« die Prinzipien der neuen Arbeitsmethode theoretisch begründeten, wandte Ritter diese mit aller Konsequenz in seinem seit 1817 erscheinenden Hauptwerk »Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und Geschichte des Menschen«, das bis 1859 auf 19 Bände anwuchs, an. Neben dem Einfluß seiner Lehrer gaben die reichhaltigen Berliner Kunstsammlungen der Entwicklung Heinrich Barths wesentliche Impulse. So oft als möglich war er hier und bewunderte die Denkmäler antiker Kultur, die in ihm immer stärker den Wunsch reifen ließen, die Stätten der Antike zu besuchen, um sie in dem von Ritter gelehrten geographisch-historischen Zusammenhang zu sehen. Trotz fleißigen Lernens befürchtete er immer wieder, die großen Hoffnungen, die seine Eltern in ihn setzten, nicht zu erfüllen. Neben dem eigenen Ehrgeiz war das Verlangen, ihren Erwartungen zu entsprechen, eine große Triebkraft. Mit Unterstützung des Vaters unternahm Heinrich Barth nach Abschluß des 2. Semesters vom Sommer 1840 bis Mitte Mai 1841 die ersehnte Studienreise. Hierbei sollte die unmittelbare Anschauung das erworbene theoretische Wissen vertiefen und schließlich, so hoffte er, auch über das anzustrebende Studienziel endgültig entscheiden. (aber Venedig, Florenz, Rom und Neapel führte ihn die Reise, auf der er intensive Studien trieb, bis nach Sizilien. Barth rechnete unterwegs mit jedem Pfennig, selbst die Portokosten für Briefe sparte er weitgehend ein. Im November 1840 stürzte er sich aber doch in »Unkosten« und schrieb den Eltern aus Rom: »Es ist ungeheuer, wie viel man hier ar-
beiten muß, um rechten Nutzen von den Schätzen zu haben. Ich bin ungemein fleißig, was hierdurch die vielen großen Bibliotheken sehr erleichtert wird... Seitdem mein zweiter Brief von hier abgegangen ist, habe ich natürlich schon ungemein vielmehr gesehen, obgleich es mir nicht so sehr darauf ankommt, vieles zu sehen, als einiges viel zu sehen.« Diese Betrachtungsweise vermittelte zwar tiefere Kenntnisse über Details, verführte jedoch den jungen Studenten dazu, den Blick für größere Zusammenhänge einzuengen. Die Schönheit der Natur und die imposanten antiken Stätten hatten ihn tief beeindruckt. Besonders nachhaltig war das Erlebnis des Mittelmeeres, »das, wie ein großartiger Marktplatz zwischen den drei Ländermassen gelagert, die Völker hier zum friedlichen Verkehr einladet.« Er faßte den für seine weiteren Studien wichtigen Entschluß, »dieses Bassin möglichst in seinem ganzen Umfang zu durchwandern und seine Gestade rund umher aus eigner Anschauung kennenzulernen.« Nach viermonatigem Italienaufenthalt an die Universität zurückgekehrt, war er sich jedoch über die Zielstellung seines Studiums noch immer nicht endgültig klar geworden. Im Gegenteil, nun erhöhte sich sogar noch die thematische Vielfalt der von ihm belegten Vorlesungen und Seminare. Archäologie bei Ernst Curtius (1814-1896), griechische Metrik, lateinische Sprache – hier hörte er bei Jakob Grimm (1785-1863) über die »Germania« des Tacitus auch mit juristischen Studien hatte er begonnen, so daß August Böckh Gefahr sah, der Student könnte sich verzetteln. Er versuchte deshalb, Barth auf die Geographie und naturwissenschaftliche Gebiete wie Botanik, Geologie und Klimatologie zu lenken. In seiner herzlichen, gütigen Art war der bedeutende Gelehrte den Studenten nicht nur ein guter Lehrer, sondern er wurde von ihnen auch als großes Vorbild verehrt. Dem jungen Barth war Böckh besonders zugetan und stand ihm in allen Fragen des Studiums beratend zur Seite. Heinrich Barth nahm an dem feucht-fröhlichen Studentenleben seiner Zeit nicht teil, er hatte kein Verlangen danach, zugleich fehlten ihm aber auch die Mittel; der Vater opferte einen erheblichen Teil seines Vermögens, um dem Sohn das Studium zu ermöglichen. Voller Lie-
be und Dankbarkeit blieb er seinem Elternhaus verbunden: »Meine Stellung zu Euch, geliebte Eltern«, heißt es in einem Brief, »ist wirklich eine eigentümliche. Ihr habt mich mit der größten Bereitwilligkeit studieren lassen, habt mir in allem darauf Bezüglichen freie Hand gelassen, habt mir große Opfer gebracht.« Wenn längere Zeit keine Post von zu Hause eintraf, war er völlig niedergeschlagen und durchforschte gewissenhaft sein Sündenregister, ob er die Eltern verärgert haben könnte. Zu den Semesterferien eilte er nach Hause, doch hatte sich sein Hang zur Eigenbrötlerei noch verstärkt, so daß ihm das Leben im Hause eines Geschäftsmannes zu unruhig erschien, und er stellte für seinen Besuch entsprechende »Bedingungen«, die erneut eine gewisse Neigung zur Pedanterie verraten – »Wenn ich komme, so komme ich nur Euretwegen, um mit Euch zu leben und um mich zu unterhalten, lebe also für alle anderen Menschen dort unbekannt, besuche also Niemanden und muß durchschnittlich täglich acht Stunden zu meinem Studium haben. Wenn Ihr diese Bedingungen eingeht, so bin ich von Ende August bis Mitte Oktober bei Euch so manche Störung es auch erweckt.« Mutters Kuchenpakete – Heinrich Barth war ein leidenschaftlicher Kuchenesser – waren besonders beliebte Heimatgrüße, mit denen die kärgliche Studentenkost aufgebessert wurde. Mit magnetischer Kraft zogen ihn nach der schmalen Berliner Kost die Töpfe der Mutter während der Semesterferien trotz größten Lerneifers letztlich doch immer wieder nach Hause. Das Studium wurde für Heinrich Barth immer mehr zu einer echten Leidenschaft. Lernen war für ihn nicht nur Pflichterfüllung, sondern auch Freude. Einschließlich der Kollegien arbeitete er täglich zwölf Stunden. Es bereitete ihm Genugtuung zu sehen, wie er von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag tiefer, bewußter und klarer in die Wissenschaft eindrang. Dabei arbeitete er ein ganz kleines »spezielles Feld« immer gründlicher durch, versäumte es aber nicht, dieses kleine Teilgebiet im Verhältnis zur ganzen Wissenschaft, zur ganzen Fortentwicklung der menschlichen Erkenntnis zu sehen. Barth sagte selbst dazu: »Je lebendiger man die Wissenschaft in ihrem innersten Wesen erfaßt, um so mehr wird sie Einem auch nach außen hin treiben, an-
treiben, auch anderen Menschen von diesem geistigen Leben mitzuteilen und sie zu kräftigen, zu stärken, ihrer anderen, sinnlichen Seite den Kampf zu erhalten. Diesen Erfolg hat die eigentliche Wissenschaft; wird aber ohne Gesinnung, ohne Herz und Gefühl an den schönsten Geistesprodukten, an den geistigen Äußerungen des Menschen herumgezwackt, herumpedantisiert, da muß die Jugend verkommen. Die lebhaft und übermütig aufwachsende Jugend will entweder frei und unbändig sich in der Natur umhertreiben – da wird sie wenigstens stark, natürlich und gut werden – oder sie will eine lebendige geistige Bildung, ergreifen will sie die Gegenstände des Wissens, die von einem Gedanken durchzogen sind, die nicht allein den Verstand, sondern auch Herz und Seele füllen; wird ihr das zuteil, da wird sie nicht allein kräftig und rüstig, sondern auch gedankenvoll, gelehrt und gebildet aufwachsen.« Barths Zurückgezogenheit war keinesfalls Ausdruck von Egozentrismus oder gar von Menschenverachtung. Seine Devise war: »Man kann ja überall glücklich sein, wenn man nur mit sich selbst einig und zufrieden ist.« Er fühlte sich in seiner Zurückgezogenheit wohl und war nur verstimmt, wenn er glaubte, in den Leistungen nachzulassen oder seine Fehler nicht bekämpfen zu können. Er war äußerst feinfühlig und so schmerzte ihn sehr, wegen seiner Zurückhaltung häufig verkannt zu werden. Ihm ging es nicht um den äußeren Schein, sein Streben galt nicht dem Erwerb materiellen Reichtums: »Mir kommt es allein auf meine innere Ausbildung, auf meine innere Tüchtigkeit an, um so den Menschen so viel wie möglich nützen zu können... Nur das, was man in sich selbst trägt, hat man sicher. Vermögen? in einer Sekunde ist es oft dahin. Äußeres Glück? es bricht wie Glas. Die innere Kräftigung und Geschicklichkeit, die kann einem niemand rauben; nur mit der Aufhebung der persönlichen Existenz, wodurch sie auch überflüssig wird, schwindet sie dahin.« Dank der Unterstützung seines Vaters konnte er auch die Ferien des Jahres 1842 zu einer Urlaubsreise nutzen, die ihn den Rhein entlang in die Schweiz führte. In den folgenden Semestern vertiefte sich unter dem Einfluß Böckhs Barths Interesse für die Altertumswissenschaft. Vorlesungen des Phi-
losophen Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) und des Historikers Leopold von Ranke (1795-1886), insbesondere dessen quellenkritische Arbeitsmethode, erweiterten sein Wissen, so daß er auf solidem Fundament an die Erarbeitung seiner Dissertation gehen konnte. Sie hatte das Thema »Corinthorum commercii et mercaturae historiae particula«, war also den handelspolitischen Beziehungen des antiken Griechenland als mächtigem Welthandelsplatz gewidmet. Am 28. Juni 1844 schloß Heinrich Barth mit der Promotion sein Studium ab. Noch am gleichen Tage teilte er den Eltern überglücklich mit: »Heisajuchhe! Dudeldumda! Das Examen gemacht, nun bin ich ganz frei! Gestern Abend ist dieses große Werk vor sich gegangen, mit Ruhe und großer Heiterkeit angefangen und beendet, mit einigen Ausnahmen alles gut beantwortet. Meine Arbeit hat das Prädikat erhalten doctrina conspicua, heißt zu Deutsch ›durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet‹. Also das wäre geschehen und so möchte ich gern auf Adlersflügeln zu Euch hinüberkommen; dann könnte ich mich aber noch nicht mit Recht Doktor nennen, da ich noch kein Diplom hätte. Also muß ich schnell erst ein paar Bogen meiner Arbeit drucken lassen.« Während des Studiums hatte Heinrich Barth mit zunehmendem Wissen erkennen müssen, daß nicht alles, was als»Gelehrsamkeit« feilgeboten wurde, tatsächlich eine Bereicherung der menschlichen Erkenntnis darstellte, daß das »wissenschaftliche Treiben« auch mancherlei Schattenseiten zeigte. Diese kritische Haltung verhalf ihm zu einer fundierten Vorstellung von der Verantwortung des Wissenschaftlers, besonders gegenüber dem akademischen Nachwuchs. Es bedruckte ihn, nunmehr bereits seit drei Jahren seinen Eltern auf der Tasche zu liegen. Wann würde er endlich sein Brot selbst verdienen? Er wollte alles tun, die Zeit zu nutzen, alles Wissenswerte in sich aufzunehmen, um nach abgeschlossener Ausbildung seinen Mann zu stehen. Wissenschaft war für ihn kein Abstraktum, sie erfüllte nur in Verbindung mit der Gesellschaft und im Dienst für die Gesellschaft ihren Zweck: »Ihr hättet sehn sollen, daß ich nicht allein in der Wissenschaft lebe oder daß ich vielmehr die Wissenschaft so mit dem Leben
zu verschmelzen weiß – daß nur eins im andern da ist«, schrieb er nach Hause. Das mit der Länge der Studienzeit wachsende Wissen, insbesondere die kritische Verarbeitung der erworbenen Kenntnisse, führte ihn über die erlernten Fakten hinaus zu theoretischen Verallgemeinerungen: »Erst jetzt habe ich mich mit Liebe der Philosophie hingegeben, die alles einzelne Wissen mit einem gemeinsamen Gedanken durchdringt und erst zur Wissenschaft macht,« und er ließ auch keinen Zweifel darüber offen, weicher Art von Philosophie er sich zugewandt hatte: »Meine Philosophie ist für diese Welt und aus dieser Welt; erst muß der Mensch hier etwas Tüchtiges leisten – das weitere findet sich von selbst.«
Erste Forschungsreise Barths an das Mittelmeer. Eigentlich hatte er sich nach der intensiven wissenschaftlichen Arbeit eine Erholungspause verdient. Das halbe Jahr, das er bis Anfang des Jahres 1845 zu Hause verbrachte, war jedoch mit Forschungsarbeit ausgefüllt. Vor allem bedruckte den jungen Wissenschaftler die ungewisse Zukunft. Er wollte sich so bald wie möglich eine eigene Existenzgrundlage schaffen. Die angestrebte akademische Laufbahn war kaum realisierbar, da eine Habilitation als Voraussetzung der Lehrtätigkeit in der Regel erst drei Jahre nach der Promotion möglich war. Auch die Versuche, eine Stelle als Hauslehrer zu erhalten, blieben trotz aller guten Empfehlungen erfolglos. Da sprang der hilfsbereite Vater erneut in die Bresche. Selbstlos war er bereit, für das Weiterkommen des Sohnes, wenn es notwendig war, seine Ersparnisse zu opfern. Er kannte dessen großen Wunschtraum, das Mittelmeer und die antiken Kunststätten näher kennenzulernen und ermöglichte ihm die erste große mehrjährige Forschungsreise. Heinrich Barth machte es sich nicht leicht. Das Geld des Vaters sollte nicht unnütz für eine »Touristenfahrt« geopfert werden. Eingehende Studien waren sein Ziel. Das bedurfte intensiver Vorbereitungen. Ende Januar 1845 begab sich Heinrich Barth nach London und lernte hier in zwei Monaten die arabische Sprache in Wort und Schrift. Gleichermaßen wußte er seinen Londonaufenthalt zu nutzen, um die Schätze der Museen kennenzulernen, nicht zuletzt aber auch, um Bekanntschaft mit den englischen Konsuln zu schließen, deren Wirkungsstätten an der Küste des Mittelmeeres lagen und deren Unterstützung ihm gegebenenfalls von großem Nutzen sein konnte. Von großer Tragweite war die Tatsache, daß der preußische Gesandte Christian Karl Josias von Bunsen (1791-1860) auf den begabten jungen Wissenschaftler aufmerksam wurde. Bunsen, selbst ein vorzüglicher Kenner der Antike, sollte ein einflußreicher Förderer Barths werden. Anschließend an den Londonaufenthalt fuhr Barth nach Paris und bereiste danach Südfrankreich und Spanien. Am 7. August 1845 be-
gann schließlich die eigentliche Mittelmeerreise. Nach Durchquerung der Straße von Gibraltar betrat er im marokkanischen Hafen Tanger erstmals afrikanischen Boden. Sein Plan, ins Landesinnere vorzudringen, erwies sich jedoch als undurchführbar. Es war nicht allein das allzu berechtigte Mißtrauen der nordafrikanischen Bevölkerung gegen alle Fremden, das ein solches Unternehmen in Frage stellte, sondern es waren unmittelbare Kampfhandlungen, die es geraten sein ließen, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. Die französische Kolonialmacht war bestrebt, das Erbe des »Kranken Mannes am Bosporus« zu übernehmen. Nachdem bereits Napoleon Bonaparte mit einer militärischen Expedition nach Ägypten 1798 diese Absicht bekundet hatte, streckten seine Nachfolger zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihre Hand auch nach Algerien aus. Gleich den anderen arabischen Ländern war es formal noch eine Provinz des Osmanischen Reiches. Doch der Dey als oberster türkischer Statthalter verstand sich als weitgehend unabhängig von der weit entfernten Zentralgewalt. Allerdings beschränkte sich sein Machtbereich auf das Küstengebiet, während außerhalb der Städte die algerischen Feudalherren und Stammesfürsten die eigentlichen Herren waren. In Frankreich waren mit Ludwig XVIII. nach der Vertreibung Napoleons 1815 die Bourbonen wieder an die Macht gekommen, hatten aber mit erheblichen innenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen, so daß die Öffnung eines außenpolitischen Ventils gerade recht war, zumal damit auch die Gier nach Beute befriedigt werden konnte. Da durch den Machtverfall der Pforte kaum mit einer ernsthaften Gegenwehr zu rechnen war, wurde am 14. Juni 1830 eine Expedition von 37000 Mann nach Algerien geschickt. Der Übermacht der Eindringlinge unterlagen bis 1832 die Küstenstädte und weitere Gebiete. Die feudale Zersplitterung verhinderte eine geschlossene wirksame Gegenwehr des algerischen Volkes; außerdem übten Teile der algerischen Oberschicht Verrat. Am 21. November 1832 erhoben die Stämme des Oran-Gebietes den erst 24jährigen Marabut Abd el-Kader (1807-1883) zum Emir. Er rief im Namen des Islam seine algerischen Glaubensbrüder zum Kampf auf. Da er erkannt hatte, daß nur dies Überwindung der feudalen Zersplitterung Siegeschancen bot, schuf er einen zentralisierten
Staat unorganisierte den einheitlich geführten Volkswiderstand. Bis zum Jahre 1839 gelang es ihm, weite Teile Algeriens unter Kontrolle zu bringen und den Ausbau eines unabhängigen Territoriums weiterzuführen. Frankreich verstärkte seine Kolonialarmee auf mehr als 100000 Mann und führte einen grausamen Vernichtungsfeldzug gegen das algerische Volk. Trotz heldenhafter Gegenwehr mußte Abd el-Kader der Übermacht weichen. Er ging nach Marokko, um von hier aus den Kampf weiterzuführen. Während dieser Zeit des erbitterten Volkswiderstandes war Heinrich Barth in Marokko eingetroffen. Um nicht in die Auseinandersetzungen zu geraten, die von der französischen Kolonialarmee auf das marokkanische Territorium getragen wurden, verließ er alsbald das Land und begab sich am 29. August nach Algerien. Hier verblieb er im relativ »sicheren« Küstengebiet und hielt sich nahezu drei Wochen in Algier auf. Erneut kostete das Unternehmen den Vater viel Geld. Nachdem er bei dem großen Hamburger Brand Anfang Mai 1842 einen großen Teil seines Vermögens verloren hatte und sich die Geschäftseinnahmen verschlechterten, vermochte er die Ausgaben des Sohnes nur mit großer Mühe zu bestreiten. Voller Dankbarkeit war sich Heinrich Barth dieser Opfer bewußt. Eingehende kulturhistorische Studien konnte er erstmals in Tunesien durchfuhren. Barth durchforschte die Ruinen, Tempel und Baudenkmäler des altkarthagischen Gebietes. Nach einem anschließenden kurzen Maltaaufenthalt im Januar 1846 kehrte er nach Tunis zurück, nahm aber am 5. März schweren Herzens erneut Abschied, durchquerte die malerische Landschaft der Kyrenaika und setzte die Reise am Mittelmeer entlang in Richtung Ägypten fort. Unweit der an der Küste der Marmarika gelegenen Hafenstadt Tobruk traf ihn am 7. Juni 1846 ein schweres Mißgeschick. Er wurde von Beduinen, die ihm schon seit zwei Tagen gefolgt waren, überfallen und ausgeraubt. Dabei verlor er nicht nur einen großen Teil seines Besitzes, insbesondere die bisherigen Aufzeichnungen und Notizen, er wurde im Verlaufe der Auseinandersetzungen auch durch zwei Schüsse verwundet. Der weitere Marsch hatte, wie Barth in seinem Reisebericht schilderte, »mehr den Charakter der Flucht eines Menschen, der nur sicher
das Ziel seiner Reise zu erreichen wünscht, als den einer wissenschaftlichen Expedition, auf der man bemüht ist, auf Alles umher zu achten.« Oft war er gezwungen, sich am Tage so gut wie möglich zu verbergen und erst bei Nacht den Marsch fortzusetzen. So konnte er nicht nach Belieben umherstreifen. Durch seine Verwundung war er ohnehin gezwungen, da liegenzubleiben, wo man ihn vom Kamel ablud. Durch diese erschwerenden Bedingungen war es Barth nicht möglich, seinen Reisebericht neu zu beginnen, und die Notizen fielen entgegen seiner Gewohnheit recht spärlich aus. Unter Aufbietung der letzten Kräfte konnte er sich nach Alexandria durchschlagen, wo er am Abend des 17. Juni eintraf. Damit endet die Reiseschilderung Barths. Im Herbst setzte er nach längerer Ruhe- und Genesungspause die Reise fort, und nach einer Nilfahrt bei Assuan durchquerte er die Wüste in Richtung Rotes Meer, um hier die antiken Ruinen von Berenike aufzusuchen. Über die Hafenstadt Kosseir kehrte er am 10. Dezember nach Kairo zurück. Gern wäre er länger geblieben, doch sah er bald ein, nicht alles sehen zu können. Zweifellos gab es am Nil noch viele alte Monumente und der Strom selbst interessierte ihn sehr. Das Bedeutendste aber hatte er gesehen, und das übrige mußte er sich aus der Literatur aneignen. Von Kairo aus führte ihn der Weg durch das Trockengebiet der Sinaihalbinsel nach Gaza. Hier hielt er sich einen Monat auf, um Sprachstudien zu betreiben. Heinrich Barth zog weiter in das Innere des palästinensischen Gebiets, suchte Damaskus sowie die imposanten architektonischen Denkmäler der römischen Kaiserzeit in Baalbek auf. Trotz der vielen interessanten Studien bedruckte ihn der Gedanke an seine völlig ungewisse Zukunft. Er wünschte sich eine gesicherte Stellung, die ihm endlich die finanzielle Unabhängigkeit vom Elternhaus gewährleisten sollte. Seine Ansprüche waren gering, nicht zuletzt war auch die Reise eine Erziehung zur Genügsamkeit: »Was mich anbetrifft, für mein körperliches Wohl bedarf es wenig, ich weiß mir mein Brot selbst zu backen, und meinen Reis selbst zu kochen und draußen auf dem Felde, auf dem Fels oder auf der Erde schlummre ich sanfter als in den weichlichen Flaumen.«
Große Hoffnungen für seine Zukunft knüpfte er an den Hamburger Senatssyndikus Karl Sieveking, einen Bekannten des Vaters. Er informierte ihn regelmäßig über seine Reiseeindrücke und verband diese Schilderungen geschickt mit Informationen, die ihm für den Vertreter der Eigenbrötlerei Geschäftsinteressen bedeutsam erschienen. So schlug er am 9. Juli 1846 vor, in Tripolis ein Handelshaus zu errichten, da von hier aus die Möglichkeit einer direkten Verbindung mit dem Sudan bestünde. Ebenso wie er erfolgversprechende Vorhaben empfahl, riet er von riskanten Unternehmungen ab. Benghasi hielt er für die Hanseaten nicht so wichtig, da der Handel sich nur auf wenige Produkte erstrecken würde. Heinrich Barth verschloß aber auch nicht die Augen vor den Mißständen, die er anprangerte: »Das alte blühende Cyrenaika ist gegenwärtig in einem schauderhaften Zustand und die nur etwa 20000 Familien zählende gesamte Bevölkerung stirbt fast Hungers in diesem fruchtbaren Lande... Die Bewohner sind vollkommen ausgezogen von der Regierung.« Vielleicht mißfiel dem Hanseaten eine solche »verdächtige« Einstellung. Er tat jedenfalls nichts für seinen Mitbürger, der ja ohnehin von wenig standesgemäßer Herkunft war. Schließlich faßte sich Heinrich Barth ein Herz und wurde in einem Brief zum Jahresende 1846 konkreter: »ich bin ein Sohn Hamburgs, je mehr Länder und Städte ich gesehen, je mehr der verschieden gesittetsten Völker ich beobachtet, um so mehr habe ich meine Vaterstadt lieb gewonnen; ich habe aus reinem Interesse für das Große und Schöne, von einem mich über alles liebenden Vater unterstützt, der das seinige der Durchführung meiner Pläne aufgeopfert, diese lange, nicht mühelose Reise unternommen und hoffte zu Gott sie durchzufahren was ich geleistet habe oder vielmehr was ich leisten werde, kann ich nicht sagen; daß ich aber meiner Vaterstadt nützen kann, daß ich ihr keine Schande machen kann, das weiß ich. Ich biete mich meiner Vaterstadt an; gibt man mir bei meiner Rückkehr eine Stellung, wo ich unabhängig mich ausbilden und in meiner Bahn fortschreitend das Begonnene beendigen kann, so gehören alle meine Kräfte Hamburg, über Hamburgs Wege geht mein Wunsch nicht hinaus. Glaubt man aber mich mit leeren Aussichten hinzuhalten, so sehe ich mich gezwungen, meiner Vaterstadt Lebewohl zu sagen und mich in einen anderen Staat ein-
zubürgern, wo ich mit Gottes Hilfe eine nicht ganz ehrlose Laufbahn zu machen gedenke.« Sievekings Antwort war eindeutig, sie enthielt eine in viele freundliche Worte gekleidete Absage. Er verwies Heinrich Barth nach Berlin, das ihn nach Betriebnahme der Eisenbahn ja nur noch 8 Stunden von seiner Vaterstadt trennen würde. Dieser Hinweis auf die neue Eisenbahnverbindung war für den stellungslosen Heinrich Barth angesichts seiner völlig unklaren Zukunft jedoch alles andere als tröstlich. Ende März 1847 begab er sich weiter nach Beirut. Sein Reiseziel waren die an der Küste des Mittelmeeres gelegenen Städte. Nach einem kurzen Exkurs nach Zypern suchte er die an der Südküste Kleinasiens gelegene Halbinsel Lykien und die angrenzende Landschaft Pamphylien auf. Im Ägäischen Meer weilte er auf Rhodos und ging von hier nach der türkischen Hafenstadt Smyrna (Izmir), wo ihn eine Sumpffiebererkrankung mehrere Wochen ans Bett fesselte. Schließlich konnte er Anfang September den abschließenden Teil seiner Reise antreten. Über kurze Aufenthalte in Lydien, das ihn wegen seiner Mittlerrolle zwischen dem Alten Orient und Griechenland besonders interessierte, dem Gebiet um Troja, der antiken Berglandschaft Mysien und der ehemaligen römischen Provinz Bithynien, traf er in Istanbul ein. Er war bestrebt, noch vieles im »Endspurt« zu besichtigen: »Athen will ich denn doch noch sehen«, schrieb er den Eltern, »Korinth und Argos und Sparta und Delphi oben auf dem Parnassos und Olympia am Alpheios, dann geht es heim zum Weihnachtsabend, da will ich mich mit Euch freuen, und drei kleine Tannenbäume voll kleiner Wachskerzen sollt ihr mir auf den Tisch stellen, einen für dieses Jahr und zwei für die beiden letzten licht- und baumlos verlebten Abende.« Mit einiger Verspätung kehrte er am 27. Dezember 1847 nach Hause zurück, das Weihnachtsfest hatte er leider verpaßt. Die nahezu dreijährige Reise hatte nicht weniger als 14000 Taler gekostet, aber das Ziel war erreicht worden. Heinrich Barth hatte eine Fülle archäologischer, historischer, ethnographischer und philologischer Kenntnisse erworben und konnte vor allem auf seinem Hauptarbeitsgebiet der Erforschung der antiken Handelsbeziehungen und Verkehrsverhält-
nisse, wichtige Informationen sammeln. Doch reduzierten sich die Ergebnisse der Reise nicht nur auf deren wissenschaftliche Ausbeute. Von unschätzbarer Bedeutung war die Vielzahl der Eindrücke und Erlebnisse. Barth hatte sich körperlich und geistig entwickelt, sein Selbstvertrauen war spürbar gewachsen, er war selbständig geworden. Während der Expedition hatte er seine Methode, Material und Eindrücke zu sammeln, herausgebildet die er auch später beibehielt. Ob zu Pferde, zu Kamel oder auch zu Fuß, notierte er alles ihm wichtig erscheinende, wie Namen, Bodenbeschaffenheit, Entfernungen, Täler, Flüsse, Berge, Ruinen usw. in seinem Tagebuch. Jeden Abend brachte er dann die kurzen Notizen in ihren Zusammenhang. Sobald er ein wenig mehr Muße fand, begann er mit der Auswertung und systematischen Darstellung. So wurde das Tagebuch sein genaues »Memorandum« dessen, was er gesehen hatte. Hinzu kamen so häufig wie möglich Skizzen oder auch weiter ausgeführte Zeichnungen und zuweilen, wegen der zeitaufwendigen Vorbereitung allerdings relativ selten, auch Daguerreotypien, so daß er alles in allem ausreichend Material hatte, um seine Reiseroute exakt und anschaulich zu beschreiben.
Enttäuschende Debüts. Nach seiner Rückkehr hoffte Heinrich Barth, die angestrebte akademische Lehrtätigkeit in Berlin aufnehmen zu können. Doch August Böckh versuchte ihm unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen abzuraten: »Bei dem großen Andrange zur Habilitation sieht es die Fakultät zwar selten gern, wenn ein neuer Kandidat erscheint; indessen zweifle ich nicht, daß Sie keine Schwierigkeiten haben werden, obwohl Sie noch ein neues gedrucktes oder handschriftliches Specimen werden vorlegen müssen, da auf die Dissertation die Zulassung zu den Habilitationsleistungen nicht gegründet werden darf. Abraten will ich Ihnen von Ihrem Vorhaben nicht; aber ich halte es doch für meine Pflicht, Sie auf die Dornen dieser Bahn aufmerksam zu machen. Wie die Verhältnisse in Preußen und in Deutschland überhaupt jetzt sind, ist es schwer, sich auf der akademischen Laufbahn durchzuschlagen, und es gehört ein Übermaß von Geduld und Ausharrens dazu. Wie glücklich war dagegen die Zeit meiner Jugend! Damals suchte man Professoren zu Stellen; jetzt sucht man Stellen zu Professoren (sic!), und nur der kommt vorwärts, für den ein Mächtiger eine Stelle sucht. Denken Sie sich die Sache also nicht zu leicht und anmutig; und vorzüglich bedenken Sie, daß Sie zwar mit Spezialitäten anfangen können, aber um mit Glück und, wie die Leute sagen, nachhaltig wirken zu können, dabei nicht lange stehen bleiben dürfen, sondern allgemeine Vorlesungen vorbereiten müssen... leider ist der Einfluß des Hofes auf die Besetzung der Stellen der Universität nicht gering.« Böckh läßt in diesem Brief deutlich erkennen, daß er nicht nur Vertreter des Neuen in der Wissenschaft war. Seit seinem mutigen Eintreten für die gemaßregelten »Göttinger Sieben« hatte er sich als Opponent der »Karlsbader Beschlüsse« nachdrücklich gegen die Bevormundung der Wissenschaft durch den feudalbürokratischen Staat gewehrt und auch zu politischen Fragen den Standpunkt der kleinbürgerlich-demokratischen Opposition geteilt
Die Auseinandersetzungen zwischen der bürgerlichen Klasse und der Feudalmacht hatten sich im Verlaufe der vierziger Jahre zugespitzt, da diese nicht bereit war, der wirtschaftlich erstarkten Bourgeoisie einen Anteil an der politischen Macht zu gewähren. Als Ausdruck der sozialökonomischen Entwicklung vertiefte sich die revolutionäre Bewegung, es reifte eine revolutionäre Situation heran, in der die Nachricht von der Februarrevolution in Frankreich wie ein Funke im Pulverfaß wirkte. Heinrich Barth hatte jedoch wenig Beziehung zu den politischen Ereignissen. Zu sehr hatte er sich bisher von dem gesellschaftlichen Geschehen isoliert und in die Wissenschaft zurückgezogen. So zeigte er sich weder von der gut gemeinten Warnung seines Gönners Böckh beeindruckt, noch zog ihn das revolutionäre Geschehen in seinen Bann. Die Versuche seiner ehemaligen Kommilitonen Theodor Mommsen (1817-1884) und Julius Friedlaender (1813-1854), ihn für die demokratische Bewegung zu gewinnen, blieben erfolglos. Barth war zu sehr mit seinen privaten Angelegenheiten beschäftigt. Dazu zählte auch der Versuch, eine Familie zu gründen. Die Abfuhr, die er dabei von der Auserwählten erhielt, ließ ihn sich noch mehr in sich selbst zurückziehen und hat seinem Selbstvertrauen einen argen Stoß versetzt. Er war bestrebt, diese Enttäuschung durch Erfolge in der wissenschaftlichen Arbeit auszugleichen und betrieb mit großer Eile die Vorbereitungen für die Habilitation. Unter Vorlage von zwei Manuskriptbänden des in Vorbereitung befindlichen Reiseberichts bewarb er sich um die Zulassung. An seine Probevorlesung zu einem Thema über die Handelsbeziehungen Karthagos zu den Hellenen, schloß sich ein wissenschaftliches Kolloquium an, das von seinen Lehrern und Freunden Böckh und Ritter geleitet wurde, die auch die Gutachten für die Habilitation vorlegten. Ritter hatte darin zum Ausdruck gebracht: »Unverkennbar bleibt es, daß unser Reisender in Hinsicht klassischer Bildung seinen meisten Vorgängern auf denjenigen mediterranen Ländergebieten... weit überlegen ist, und daher mit weit größerer Besonnenheit, Klarheit und Kritik die Erscheinungen der Gegenwart mit denen des Mittelalters und der karthagisch-punischen, der Barcäer und der Ptolemäer-Periode, wie mit der römischen und byzantinischen Zeit zu vergleichen, von ihnen zu sichten und gegen-
seitig zu erläutern imstande war. Ihm kommt nicht nur die Vertraulichkeit mit griechischer und römischer Sprache und Literatur, sondern auch eine hinreichend erworbene Kenntnis des Arabischen nach seinen dortigen lokalen Redeweisen, die sich nur durch längeren Aufenthalt erwerben ließ, zustatten sowie seine verlässigen, in Italien und Spanien gewonnenen Kunstanschauungen und Studien von Monumenten um den Stil älterer und späterer Zeiten der verschiedenen Völker in den Mauerkonstruktionen und Ornamenten besser beurteilen zu können.« Nach Böckhs Urteil lag das Verdienst der Arbeit Barths »nicht in dem Topographischen, welches«, so schreibt er, »ich allerdings auch für das am wenigsten Wissenschaftliche im Gebiete der Erdkunde halte, sondern vielmehr in der Verbindung der Lokalbetrachtung mit dem Geschichtlichen sowohl im einzelnen als in Beziehung auf Kultur und Zivilisation im allgemeinen, und zwar nicht bloß der altertümlichen, griechischen und römischen und barbarischen, sondern auch der gesamten späteren. Hierdurch erweist sich der Verfasser als ein Gelehrter, der vermöge seines weiten Gesichtskreises als Lehrer der Geschichte und Geographie vorteilhaft zu wirken imstande sein wird.« Ende Oktober 1848 erhielt Heinrich Barth die Zulassung als Privatdozent für »Geographie und alte Geschichte« an der Berliner Universität. Er hatte den Dekan ausdrücklich darum ersucht, seine Habilitation nicht auf alte Geschichte und alte Geographie zu beschränken, sondern sie für Geographie überhaupt auszusprechen. Unverzüglich nahm Heinrich Barth seinen Wohnsitz in Berlin. Nachdem er als Student in der Neuen Friedrichstraße 72 sowie der Dorotheenstraße 31 h und nach der ersten Italienreise in der Mittelstraße 36 ein Zimmer bewohnt hatte, nahm er sich jetzt eine Wohnung in der Louisenstraße 22. Sein erstes Bestreben war es, mit den Fachkollegen engen Kontakt herzustellen, vornehmlich verband ihn mit August Böckh und Carl Ritter ein enges Vertrauensverhältnis. Die Archäologische Gesellschaft und die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin nahm ihn in die Reihen ihrer Mitglieder auf und er hielt eine Reihe Vorträge, in denen er seine Reiseerlebnisse auswertete.
Während dieser Zeit beschäftigte sich Heinrich Barth vornehmlich mit seiner ersten Buchveröffentlichung »Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres, ausgeführt in den Jahren 1845, 1846, und 1847.« Er hatte sich darin die Aufgabe gestellt, die Landschaften nach ihrer topographischen Gestaltung und nach ihren ethnographischen Eigentümlichkeiten zu schildern und »ihre vergangenen Zustände an dem dem Lande eingeprägten Zügen zu veranschaulichen.« Der erste und einzige Band erschien im Juni 1849, er brachte zwar eine Fülle von Informationen, die sich durch große Detailtreue und Zuverlässigkeit auszeichneten und vom Fachmann sehr geschätzt wurden, ein Buch für einen größeren Interessenkreis war es aber wegen seiner ermüdenden inventarisierenden Weitschweifigkeit nicht, obwohl sich diese Erstlingsarbeit noch weitgehend als geschlossenes einheitliches Werk darstellt, das im Gegensatz zu Barths späterem Schaffen nicht durch das Nebeneinander von langen Erörterungen zerstückelt wurde. Als Ergänzung zu dem Buch kann an Stelle des vorgesehenen zweiten Bandes eine Reihe publizistischer Arbeiten Barths angesehen werden. Ein Mißerfolg war Barths Debüt als Dozent. Seine Antrittsvorlesung hatte er zu dem Thema »Über das Moment der Umschiffung Afrikas in der alten Geographie« gehalten. Für das Wintersemester 1848/49 kündigte er folgende Themen an: Alte Geographie, Geographie des nördlichen Afrika, alte Ethnographie und Chorographie, Ethnographie und Chorographie des alten Italien. Es mag sein, daß sich damals ohnehin für die junge geographische Wissenschaft kaum Interessenten fanden. Diese aber vergraulte Barth offensichtlich durch seine wenig anregende und unanschauliche Darstellungsweise auch noch, so daß er sich gezwungen sah, seine Lehrtätigkeit bald einzustellen. Alle diese Fehlschläge und Enttäuschungen blieben nicht ohne Auswirkung. Voller Niedergeschlagenheit sah Heinrich Barth einer völlig ungewissen Zukunft entgegen.
Die große Afrika-Expedition
Wissenschaftler – nicht Handelsagent. Dem väterlichen Freund und Lehrer Carl Ritter war es zu danken, daß ein Ausweg aus der mißlichen Lage gefunden wurde. Der preußische Gesandte in London, Christian Karl Josias von Bunsen, ein Vertrauter Alexander von Humboldts, hatte davon gehört, daß im Auftrage der britischen Regierung eine Afrikaexpedition vorbereitet wurde, an der sich gegebenenfalls auch Ausländer beteiligen könnten. Er sah darin eine Chance, einem deutschen Wissenschaftler die Teilnahme zu ermöglichen. Dank seiner guten Verbindung zum Foreign Office konnte er dafür die Zustimmung erlangen. Der zu dieser Zeit an der Londoner Sternwarte arbeitende Kartograph und Astronom August Petermann (1822-1878), empfahl ihm, sich an Carl Ritter zu wenden, der den besten Überblick über befähigte Geographen besitze. Ritter schlug sofort Heinrich Barth vor. Da sich Bunsen an den jungen Mann erinnerte, der bei seinem Londonaufenthalt einen guten Eindruck auf ihn gemacht hatte, war auch er mit dem Vorschlag einverstanden und informierte den preußischen Minister für Auswärtige Angelegenheiten Graf A. v. Schleinitz über das Vorhaben, der sich am 6. November 1849 an den Kultusminister von Ladenberg wandte, um die Freistellung Barths zu erwirken. Dabei werden auch Barths Bedenken erwähnt, daß eine mehrjährige Abwesenheit seiner angestrebten akademischen Laufbahn abträglich sein könnte. In dem an Ladenberg gerichteten Antrag hatte Barth dazu ausgeführt: »Ich spreche zugleich die Hoffnung aus, daß Euer Excellenz mir die Versicherung geben werden, daß bei meiner glücklichen Rückkehr eine ehrenvolle Anstellung mir zuteil werde, wie ich sie durch so wiederholte Bemühungen um die Wissenschaft denn wohl verdient habe. Um so freudiger und zuversichtlicher werde ich dann den Strapazen trotzen und mit um so größeren Eifer mich um Erforschung noch so wenig bekannter Länder bemühen.
Indem ich die Hoffnung nähre, daß Euer Excellenz meinen Wunsch gewähren werde, versichere ich Euer Excellenz meiner tiefsten Hochachtung und anhänglichster Dankbarkeit.« Da die Antwort auf sich warten ließ, mahnte Barth nachdrücklich zwei Tage vor der vorgesehenen Abreise in einem schnell abgefaßten Schreiben: »Hochverehrter Herr Minister. Das Dringliche der Sache, wo jeder Tag überaus kostbar ist, da die Zeit des Aufbruchs der Expedition herannaht oder vielmehr schon da ist, möge meine Kühnheit entschuldigen, daß ich es wage, Eure Excellenz an mein Gesuch zu mahnen. Nur das Interesse für das Gelingen der Sache, wovon der Ruhm ja Euer Excellenz Ministerium mitbetreffen würde, kann mich zu diesem Schritt bewegen. Auch seine Excellenz der Herr Baron A. v. Humboldt nimmt jetzt den größten Anteil daran und wünscht dem Unternehmen den besten Erfolg, wie gewiß jeder, der für Die Kenntniss des Erdballes und seine Bewohner Sinn und Teilnahme hat. Donnerstag Morgen, also schon übermorgen, müßte ich spätestens von hier aufbrechen, da ich noch Hamburg besuchen muß; Euer Excellenz würde mich also unendlich glücklich machen, wenn ich noch heute die Bewilligung meines Urlaubs erhalten könnte. Unendlich würde Euer Excellenz dem Unternehmen förderlich sein, wenn Eure Excellenz mit einige Worte beifügen wollte, daß ich als in wissenschaftlichen Zwecken reisend die Begünstigung der Behörden wirklich mehr teilhaftig wäre, als das durch einen gewöhnlichen Paß geschieht. Das wäre besonders wichtig für Paris, wo ich mein Verhältnis zum englischen Reisenden feststellen muß. In der Hoffnung, daß Eure Excellenz meine Bitte um Beschleunigung nicht mir übel deuten würde, und in der Erwartung, daß Eure Excellenz auch die Zusage wegen meiner Stellung bei meiner Rückkehr beifügen wird, verbleibe ich Eurer Excellenz untertänigster Diener hochachtungsvoll H. Barth Dr.« Wenige Stunden vor dem Aufbruch gewährte der Minister den beantragten Urlaub und gab zu Barths Beruhigung eine»allgemeine freundliche Zusicherung« für die Anstellung in den Staatsdienst nach der Rückkehr. Welches Gewicht allerdings einem solchen Versprechen gegeben werden konnte, zeigt die gleichzeitig
von Ladenberg an den Außenminister übermittelte Information, »daß dem p. Barth eine bindende Zusage wegen seiner künftigen Anstellung nicht füglich hat gegeben werden können.« Die Teilnahme an der Expedition bot Heinrich Barth unverhofft eine große Chance, die für seine weitere Entwicklung bestimmend sein sollte. Die im Auftrage der britischen Regierung vorgesehene Afrikaexpedition, mit deren Leitung James Richardson betraut wurde, war jedoch auf die kolonialen Bestrebungen Großbritanniens orientiert. Aus dieser Tatsache sollten bald Konflikte entstehen, da der Wissenschaftler und Humanist Heinrich Barth sich von völlig anderen Aspekten leiten ließ. Seit Ende der vierziger Jahre nahm Großbritannien in der industriellen Produktion die führende Position in der Weltwirtschaft ein. So entfielen bereits im Jahre 1850 etwa die Hälfte der Roheisenproduktion, Steinkohlenförderung und der Baumwollverarbeitung in der Welt auf die britische Industrie. Diese Entwicklung hatte die Erweiterung des Außenhandels zur Folge, in dem Großbritannien ebenfalls den ersten Platz einnahm; er wurde durch den Export von Industrieerzeugnissen und den Import von Rohstoffen und Nahrungsmitteln bestimmt. Der wirtschaftliche Aufschwung hatte die Gesellschaftsstruktur verändert. Nach dem Zerfall der alten Tories als lnteressenvertretung der Großagrarier entstanden seit den zwanziger Jahren, neue politische Gruppierungen der herrschenden Klassen, die sich Mitte des Jahrhunderts zu fest organisierten Parteien entwickelten. Die Konservativen bildeten die Partei der Großagrarier, teilweise der Schiffseigner und der in den kolonialen Gebieten ansässigen Kaufleute. Basis der Konservativen waren die von den Großgrundbesitzern abhängigen Farmer. Die liberale Partei war die Interessenvertreterin der Industrie und Handelsbourgeoisie sowie der ehemaligen linken Tories. Sie bildeten Mitte des 19. Jahrhunderts nahezu ausschließlich die Regierung, nur 1852 kam unter A. Stanley, Earl of Derby (1799-1869) für kurze Zeit ein Kabinett der Konservativen an die Macht. Hauptexponent der innen- und Außenpolitik der herrschenden Klassen war Henry John Temple Viscount Palmerston (1784-1865), der
in der Zeit von 1830-1834, 1835-1841, 1846-1851 als Außenminister und von 1852-1855 als Innenminister wirkte. In den Jahren 18551858 und 1858-1865 führte er als Premierminister die Regierungsgeschäfte. Palmerston, der die Aufgaben der von Richardson geleiteten Expedition festlegte, bestimmte in der letzten Phase des vormonopolistischen britischen Kapitalismus die politischen Grundlinien. Dazu zählte der Drang nach kolonialen Eroberungen. In Europa war Palmerston um ein Gleichgewicht bemüht. In dieser Schiedsrichterrolle wollte er die führende Stellung Großbritanniens erhalten. Das große Potential des Handels- und Industriekapitals ermöglichte es, beachtliche Mittel für die kolonialen Eroberungen zur Verfügung zu stellen. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Großbritannien tiefe Breschen in die Einflußsphären der alten Kolonialmächte Spanien, Portugal und Holland geschlagen und nahm den ersten Platz in der Kolonialpolitik ein. Bis 1800 war sie unter anderem durch Raub und Plünderung gekennzeichnet, wobei der Sklavenhandel einen entscheidenden Stellenwert einnahm. Jetzt trieb der industrielle Aufschwung vor allem nach neuen Absatzmärkten und Rohstoffquellen, erforderten die wachsende Ozeanschiffahrt und die Kriegsflotte Stützpunkte in aller Welt. Vorerst richtete sich das koloniale Streben auf den asiatischen Raum. In Afrika, das keinen so unmittelbaren Nutzen versprach, galt es zunächst an den Küsten Brückenköpfe zu bilden, von denen aus Erkundungszüge ins Landesinnere gestartet werden konnten. Einer solchen Untersuchung, speziell von Teilen des Sudan, sollte auch die von Richardson geleitete Expedition dienen. Da die Gefahr bestand, dabei mit den französischen Konkurrenten in Konflikte zu geraten, zumal die Expedition von Nordafrika, der Interessensphäre Frankreichs, ihren Ausgang nehmen sollte, hätte Palmerston eine französische Beteiligung an dem Unternehmen gern gesehen. Doch alle Bemühungen, in Paris dafür zu werben, blieben erfolglos. Die französische Regierung zeigte wenig Interesse, das Alibi für ein Vorhaben zu liefern, das ihre eigenen kolonialen Absichten beeinträchtigen mußte. Da dieser Schachzug fehlgeschlagen war, hatte Palmerston gegen eine »Internationalisierung«, und damit scheinbare »Neutralisierung«
des Vorhabens durch Teilnahme von Deutschen keine Einwände, sie kam im Gegenteil seiner Politik des Ausgleichs sehr entgegen. Den deutschen Territorialstaaten konnte man bis zu diesem Zeitpunkt schwerlich koloniale Bestrebungen anlast en. Das war freilich weniger auf politische Einsicht oder gar humanitäre Haltung als auf die gegebenen innen- und außenpolitischen Realitäten zurückzuführen: Ohne Rückhalt einer starken Zentralgewalt, ohne feste ökonomische Basis, waren koloniale Bestrebungen illusionär. So blieben eine Reihe von Kolonialprojekten, die Spekulanten und Militärs auch in deutschen Landen entworfen hatten, als Luftschlösser zunächst unbeachtet. Bis Ende der siebziger Jahre war keine politische Organisation oder staatliche Institution in Deutschland zur Unterstützung derartiger Vorhaben in der Lage, so sehr man auch neiderfüllt auf die kolonialen Eroberungen Großbritanniens blickte. In gewissem Umfang wurde von hanseatischen Kaufleuten zwar halbkoloniale Handelsexpansion betrieben. Dabei erschacherte man Maximalprofite für die verkaufte Ware und zahlte für die erworbenen Rohstoffe Minimalpreise. Mit territorialer Eroberung und kolonialem Landraub hatte das aber nichts zu tun. Die gemessen an ihren Konkurrenten ökonomisch schwache deutsche Bourgeoisie versprach sich wenig von kolonialer Landnahme. Erst mit dem Übergang zur Schutzzollpolitik und schließlich nach dem Erlaß des Sozialistengesetzes wurde die Kolonialfrage im Zusammenhang mit den wirtschafts- und innenpolitischen Auseinandersetzungen ein wesentliches Element deutscher Innen- und Außenpolitik, die dann allerdings, um gebührend am Raub beteiligt zu sein, mit besonderer Aggressivität betrieben wurde. Nun erkannte man auch den Nutzen, den eine systematische geographische Erforschung für die Kolonialexpansion haben konnte und war zu entsprechenden finanziellen Unterstützungen bereit. Anfang der fünfziger Jahre aber war das noch grundsätzlich anders. Heinrich Barth mußte froh sein, »mitgenommen« zu werden, er hatte einen beträchtlichen Teil der Unkosten selbst zu bestreiten. Die finanzielle Belastung stellte schließlich seine Beteiligung an der Expedition in Frage. Am 5. Oktober 1849 hatte ihn Carl Ritter von der Möglichkeit der Teilnahme unterrichtet. So geeignet Heinrich Barth für diese Aufgabe war – er hatte Expediti-
onserfahrungen, besaß eine solide wissenschaftliche Ausbildung und beherrschte die arabische Sprache in Wort und Schrift – ohne Kostenbeteiligung von 200 Pfund Sterling konnte er die Expedition nicht antreten. Für den preußischen Staat war das Vorhaben eine »private Angelegenheit«, die von dem Teilnehmer selbst finanziert werden sollte. Wider Erwarten zeigte sich der Vater Barths entgegen seiner bisherigen Großzügigkeit unzugänglich. Bislang hatte er freigebig die wissenschaftliche Ausbildung seines Sohnes finanziert. Doch als Geldgeber für eine englische Afrikaexpedition zu wirken, erschien ihm nun doch zu viel verlangt. Weiterhin fürchtete er die mit einer solchen Reise verbundenen großen Gefahren und hegte, wie es sich noch zeigen sollte, nicht unberechtigt, große Bedenken, daß die längere Abwesenheit der angestrebten akademischen Laufbahn seines Sohnes hinderlich sein könnte. Alle Bitten und Überredungsversuche blieben erfolglos, so daß sich Heinrich Barth schließlich schweren Herzens zu einer Absage veranlaßt sah. Selbst in dieser Situation sah sich der Staat außerstande, die geforderten 200 Pfund zu zahlen. So wurde von der geographischen Gesellschaft an Barths Stelle der Geologe und Astronom Adolf Overweg (18221852) vorgeschlagen. Die englische Regierung hatte jedoch bereits die Teilnahme Barths bestätigt. Mit dieser Tatsache konfrontiert, ließ sich sein Vater doch noch umstimmen und Bunsen gelang es, die Beteiligung eines zweiten Deutschen zu erwirken, so daß Heinrich Barth und Adolf Overweg Mitglieder der »English mixed scientific and commercial expedition« (Englische gemischte Wissenschaftsund Handelsexpedition) wurden. James Richardson war schon zweimal in den Jahren 1845 und 1846 von Tripolis aus in die Sahara zu den Oasensiedlungen Ghadames, Ghat und Mursuk vorgedrungen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Reisen waren allerdings äußerst spärlich. Dazu fehlten dem ehemaligen Journalisten, der sich jetzt unter dem Einfluß pietistischreligiöser Kreise auch missionarischen Aufgaben widmen wollte, doch sowohl die wissenschaftlichen Voraussetzungen als auch die persönlichen Interessen. Außerdem hatte er dazu auch keinen Auftrag.
Richardson schlug der Regierung eine erneute Expedition vor, die er bis Bornu führen wollte, um im zentralafrikanischen Gebiet die handelspolitischen Möglichkeiten für das Empire zu klären. So bildeten sich bereits vor Beginn der Expedition zwei grundsätzlich verschiedene Zielstellungen heraus. Ihr Leiter James Richardson stand im Dienste der vom Foreign Office erteilten Aufträge. Heinrich Barth vertrat hingegen den Standpunkt des Forschers und Wissenschaftlers, der auch von Overweg geteilt wurde. Hinzu kamen unvermeidliche nationalistische Divergenzen, die keineswegs durch den »internationalen Charakter« der Expedition behoben werden konnten. Barth wurde in seiner Haltung nachdrücklich von Carl Ritter und vor allem auch von Alexander von Humboldt bestärkt. Freudig gab ihm dieser den erbetenen Rat, der auf der Grundlage reicher persönlicher Erfahrungen viele wertvolle konkrete Hinweise enthielt: »Wie sollte ich mich bei meiner Vorliebe für kühne Entschlüsse, bei meinem Interesse für die verzauberte Kenntnis des inneren Afrika, bei meiner hohen Achtung für Ihr Wissen und Ihre Erfahrung auch nicht ihrer aufopfernden Hingebung erfreuen? Etwas ist es, im Leben Trostgründe zu suchen über etwas, (das) nicht zu Stande hat kommen können, etwas anderes, eine frei gewordene Wahl zu beurteilen. Sie werden erst dieser Expedition eine Wichtigkeit geben und den deutschen Namen verherrlichen, wenn sie vom See Tschad östlich das Gebirgsland aufschließen und den Zusammenhang des Höhenzuges mit dem oberen Nilland, und Völkerkenntnis und Sprachverwandtschaft zwischen entlegenen Stämmen werden wir Ihnen verdanken. Mehr noch als die Gebirgsgipfel interessiert die Höhenbestimmung der Wüste, die südlich von Biskara tiefer als der Meeresspiegel zu sein scheint... An Barometer ist wohl nicht zu denken, und auf jeden Fall muß ein Apparat zur Bestimmung der Siedehitze, und zwar ein wenig zerbrechlicher, angeschafft werden. Er braucht für das, was wir wollen, gar nicht sehr kleine Teile von Fahrenheit’schen Graden anzugeben. Ohne einen solchen Apparat und mehrere Thermometer darf die Reise nicht angetreten werden. – Für geographische Ortsbestimmungen rate ich noch immer Sextanten, keineswegs Theodoliten oder Voltaschen Kreis, deren Aufstellung und Rektifikation so oft die Resultate ungewiß machen. Die größte Wichtigkeit hat der künst-
liche Horizont mit dazu gehörigem Niveau; schwarze Glashorizonte, nicht Quecksilber-Apparate, die auf Reisen gefährlich. Unsichere astronomische Breitenbestimmungen sind für die Wissenschaft schädlicher als gar keine. Ich sehe mit Freude aus Ihrem Briefe, daß Dr. Overweg, der Geognost, Sie begleitet. Ich weiß nichts von den Mitteln, die er zu einer Zeit erlangt, wo die Regierung alle hilflos läßt. Ich darf doch gewiß hoffen, Sie vor Ihrer Abreise zu sehen. Mit der innigsten Hochachtung Ihr A. v. Humboldt« Zweifellos hat die Anerkennung und Achtung des bedeutenden Gelehrten das Selbstvertrauen des jungen Heinrich Barth beträchtlich gestärkt. Er war entschlossen, bei den bevorstehenden Verhandlungen in London seine Auffassung zu vertreten. Um eventuellen Konflikten und Kompetenzstreitigkeiten zu begegnen und sich für die eigene wissenschaftliche Arbeit weitgehende Entscheidungsfreiheit zu wahren, wollte er indem Vertrag unabhängig sein. Anfang November 1845 reisten Barth und Overweg in die britische Metropole, wo sie erstmals mit Richardson zusammentrafen. In den gemeinsamen Beratungen wurden die Bedingungen und Ziele der Expedition eingehend erörtert und Rechte und Pflichten der Expeditionsteilnehmer fixiert. Barth brachte nachdrücklich und konsequent seine wissenschaftlichen Zielstellungen zum Ausdruck und machte letztlich seine Teilnahme davon abhängig, »daß der Erforschung des Innern eine größere Bedeutung und Ausdehnung gegeben würde, während ursprünglich die Abschließung von Handelsbündnissen mit den Häuptlingen der Wüste den fast alleinigen Gesichtspunkt gebildet hatte.« Am 30. November wurde der Vertrag abgeschlossen, in dem die rechtliche Stellung der deutschen Expeditionsteilnehmer festgelegt wurde, die formal Richardson unterstellt waren. Die Reiseroute bis zum Tschadsee sollte nach der Disposition Richardsons erfolgen, der sich in Einzelfragen mit Barth und Overweg beraten wollte. Nach Erreichen des Tschadsees war die Rückkehr Richardsons zum Mittelmeer vorgesehen. Sollten Barth und Overweg sich entschließen, die Expedition weiterzuführen, hatte Richardson den Auftrag, durch den Vizekonsul in Mursuk für sie einen Vorschuß von 200 Pfund Sterling zu erheben.
Sie wurden weiterhin ermächtigt, zusätzlich 200 Pfund bei dem englischen Konsul in Sansibar oder Kairo entgegenzunehmen. Richardson wurde angewiesen, Barth und Overweg in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu unterstützen. Welche Bedeutung die britische Regierung der Expedition beimaß, ergibt sich daraus, daß Außenminister Palmerston Richardson auf der Grundlage der vereinbarten Vertragsbedingungen persönlich folgende Instruktion erteilte: »Sir. Ich habe sie zu benachrichtigen,... daß die kgl. Regierung sich entschlossen hat, nachdem Sie den Wunsch ausgedruckt haben, eine nochmalige und zwar umfänglichere Reise in jenen Teil Afrikas anzutreten, dieses Unternehmen zu genehmigen und Ihnen die nötigen Mittel dazu zu bewilligen. Wir unterrichten Sie, daß die Regierung Sr. Majestät des Königs von Preußen der britischen Regierung Herrn Dr. Barth, einen ausgezeichneten afrikanischen Reisenden und Dozenten an der Berliner Universität, sowie Herrn Dr. Overweg, einem Geologen und Mitglied der Berliner Geographischen Gesellschaft, zur Begleitung auf Ihrer afrikanischen Reise vorgeschlagen, und daß uns unsere Regierung dieses schöne Anerbieten freudig angenommen hat, da sie es für einen wichtigen Vorteil hält, sich den Beistand dieser hervorragenden und ausgezeichneten Männer für die Untersuchungen gesichert zu haben, welche die Expedition zu verfolgen hat. Ihre Erfahrung auf früheren Reisen in das Innere Afrikas und ihre Kenntnis der Sitten und Gebräuche der afrikanischen Araber werden Ihnen große Erleichterungen für den beabsichtigten Zug gewähren und Richtschnur und Winke für Ihre Nachforschungen geben. Die zu durchreisenden Ländergebiete sind den Europäern noch so wenig bekannt, daß jede sie betreffende Erforschung interessant und nützlich sein wird. Aber nächst den politischen und wissenschaftlichen Zwecken, auf die Sie ihre Aufmerksamkeit zu richten haben, hegt die Regierung den Wunsch, durch Sie zu erfahren, durch weiche Mittel die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und Afrika erweitert und entwickelt werden können, ferner: welches die Distrikte und Ver-
kehrslinien jener Gebiete sind, die dem Handel am leichtesten zu öffnen sind, welche europäische Waren von den Eingeborenen am meisten gesucht werden, und endlich, worin die hauptsächlichsten afrikanischen Erzeugnisse bestehen, die am besten an Zahlungsstatt erlangt werden können. Sie werden auch keine Gelegenheit vorüber gehen lassen, den Häuptlingen jener Länder, die Sie besuchen, die großen Vorteile auseinander zu setzen, welche sie und ihre Länder aus der Erweiterung eines legitimen Handelsverkehrs mit den Nationen anderer Teile der Welt ziehen können. Auch wollen Sie Ihnen eröffnen, daß die Kgl. Regierung dem Sklavenhandel ein Ende zu machen, wie auch die Wohlfahrt und das Gedeihen der afrikanischen Völker zu fördern, suchen wird. Obwohl Sie die allgemeine Leitung der Expedition zu führen haben, so wird es doch ihre Pflicht, wie Ihr eigener Wunsch sein, ganz aufrichtig und in herzlichstem Einverständnis mit den preußischen Herren zu verfahren und allen ihren Wünschen und Vorschlägen hinsichtlich des Fortschritts Ihrer gemeinsamen Unternehmung entgegen zu kommen. Sie werden sich, so weit es die Umstände gestatten, in Verbindung mit den Kgl. Konsular-Agenten in Afrika halten, und jene Beamten sind verständigt worden, Ihnen jede mögliche Unterstützung zu gewähren und Ihnen und Ihren Begleitern bei der Ausführung der von Ihnen übernommenen Aufträge zu helfen. Ich bin Sir u.s.w. Palmerston«
Lockende Beute. Obwohl seit dem Altertum dem afrikanischen Kontinent Forschungsfahrten gegolten hatten, war das subsaharische Afrika noch bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert weitgehend eine Terra incognita geblieben. Die ersten Forschungen beschränkten sich auf den Norden des Erdteils oder gingen kaum über die Küstengebiete hinaus. Erste Informationen über die Gebiete südlich der Sahara sind in ägyptischen Kriegsberichten sowie in Schilderungen der Karthager, Griechen und Römer enthalten. Während des Mittelalters bestanden zwar zwischen den Küstenstaaten des Mittelmeeres Handelsverbindungen, die mohammedanischen Staaten wahrten jedoch ihr Handelsmonopol südlich der Küste, und so blieb Europäern aus ökonomischen und religiösen Gründen der Weg ins Landesinnere verschlossen. Erste Kenntnisse wurden von jüdischen Handelsreisenden nach Europa überbracht. So entstand im 14. Jahrhundert in Mallorca eine bedeutende Kartographenschule. Der von Abraham Cresques entwickelte Atlas vermittelte erstmals trotz vieler vager Angaben Informationen über den Kontinent, die durch wertvolle Mitteilungen arabischer Historiker und Geographen sowie maghrebinischer Kaufleute konkretisiert und erweitert wurden. So bereiste Ibn Battuta (13041377) Mitte des 14. Jahrhunderts die zum Mali-Reich gehörenden Gebiete, während der Marokkaner Leo Africanus (1492-1550) auf der Grundlage ausgedehnter Reisen im Sudan 1526 eine »Geschichte und Beschreibung Afrikas« verfaßte. Die Berichte der arabischen Reisenden wurden seit dem 16. Jahrhundert durch zeitgenössische lokale Aufzeichnungen ergänzt. Von besonderer Bedeutung waren die Sudan-Chroniken, wie der Tarikh es Sudan und der Tarikh elFettach. Allerdings blieben diese in Arabisch geschriebenen Werke in Europa unbekannt. Die Erschließung des bedeutsamen Tarikh es Sudan ist das Verdienst Heinrich Barths. Auch im Zeitalter der großen Entdeckungen wurden die Kenntnisse über den »dunklen Erdteil« nur wenig erweitert. Die europäischen
Seemächte ließen ihre Forscher und Entdecker Kurs auf Amerika und Asien nehmen, wo sie reichere Beute vermuteten. Die Gebiete Afrikas, in die erste europäische Schiffe vordrangen, waren weniger Gegenstand geographischer Forschungen als vielmehr Objekte der Ausplünderung. Die Kolonialexpansion hatten im 15. Jahrhundert die Portugiesen eingeleitet. Heinrich der Seefahrer (1394-1460) entsandte seit 1416 Schiffe an die westafrikanische Küste und ließ Stützpunkte errichten. Vasco da Gama (1469-1524) entdeckte auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien die Handelsmetropolen der ostafrikanischen Küste, in denen mit brutaler Gewalt ein Netz von Handelsstützpunkten und Flottenbasen ausgebaut wurde. Portugal sollte nicht lange alleiniger Nutznießer des Kolonialraubes sein. Auch in Spanien, Holland und England drängten die frühkapitalistischen Kräfte zur Kolonialexpansion, durch ihre maritime Lage nicht weniger begünstigt als ihr portugiesischer Konkurrent. England und Holland erzwangen nicht nur eine Neuverteilung der kolonialen Einflußgebiete, sie entwickelten auch neue Formen und Methoden der Kolonialpolitik. Stärker als das bei den spätfeudalfrühbürgerlichen Kolonisatoren Portugal und Spanien der Fall gewesen war, trat nun neben die Übervorteilung im Handel auch der Raub von Rohstoffen und der Drang nach Absatzmärkten für die sich entwickelnden Manufakturen. Ziel war aber dabei zunächst noch nicht der koloniale Landraub und die Errichtung von geschlossenen Kolonialgebieten. Hierzu bedurfte es weiterer Voraussetzungen, zu denen nicht zuletzt auch die geographische Erkundung der Gebiete im Landesinneren zählte. Insofern besteht zwischen der geographischen Erforschung und der weiteren Erschließung des afrikanischen Kontinents und seiner kolonialen Eroberung seit Anbeginn ein Zusammenhang. Als England im Jahre 1783 mit den unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika, eines seiner reichsten Kolonialgebiete verlorengegangen war, suchte die britische Handels- und Industriebourgeoisie in Afrika den notwendigen Ausgleich. Mit ihrer Unterstützung war auf Initiative des Naturforschers Joseph Banks (17431820), der James Cook (1728-1779) auf der ersten Weltreise begleitet hatte, am 9. Juni 1788 die Londoner »African Association« ge-
gründet worden, mit deren Wirksamkeit die planmäßige Afrikaforschung eingeleitet wurde. Zu der gegebenen Lage heißt es im Gründungsdokument: »Während der Kreis unseres Wissens in bezug auf Asien und Amerika sich allmählich erweitert, hat die Entdeckung von Afrika nur in einzelnen Teilen Fortschritte gemacht... Die Karte des Innern ist eine weite weiße Fläche, auf welcher der Geograph, gestützt auf die Autorität des Leo Africanus und des ... Edrisi, mit zögernder Hand einige Namen von unerforschten Flüssen und ungewissen Völkern verzeichnet.« Die neu gebildete britische Geographische Gesellschaft ließ keinen Zweifel offen, daß ihre Bestrebungen keineswegs nur wissenschaftlichen Zielen dienten, sondern vielmehr im Interesse der aufstrebenden Handels- und Industriebourgeoisie standen: »Von allen Vorteilen, die eine bessere Kenntnis der Gegenden im Inneren Afrikas gewähren würde, sind die wichtigsten die Ausbreitung des Handels und die Förderung der britischen Industrie.« In diesem Sinne wurden Expeditionen ausgerüstet, die in erster Linie beauftragt waren, Handelsbeziehungen anzubahnen, Handelswege, insbesondere auf schiffbaren Flüssen zu erforschen und Angaben über die politischen und sozialen Verhältnisse der zu unterwerfenden Gebiete zu machen. Bereits vor Heinrich Barth waren im Auftrag der African Association auch ausländische Forscher nach Afrika gesandt worden, wie der aus Hildesheim stammende erste europäische Saharaforscher Friedrich Konrad Hornemann (1772-1801), der 1796 den Auftrag erhielt, zu klären, ob zwischen Nil und Niger tatsächlich die vermutete Verbindung bestehe. Hornemanns Erstdurchquerung von Sahara und Sudan zählt zu den wissenschaftlichen Glanzleistungen. Ebenfalls im Auftrag der Gesellschaft sollte 1806 der Schweizer Johann Ludwig Burckhardt (1784-1817) dessen Werk fortsetzen. Es war also keineswegs ungewöhnlich, daß mit Heinrich Barth und Overweg zwei Ausländer an der englischen Expedition teilnahmen. Bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren die Afrikaexpeditionen im wesentlichen nur vereinzelte Vorhaben mit spezifischen Zielstellungen gewesen. Von 1800 bis 1820 wurden jährlich zwei sehr bescheidene Expeditionen gestartet. Ihre Zahl stieg in den Jahren 1821 bis 1830 auf acht, sank aber 1831 bis 1840 wieder auf
drei. In der Folge erweiterte sich die Forschungstätigkeit (1851 bis 1860: 27, 1861 bis 1870: 29 Expeditionen) und nahm mit der imperialistischen Phase der Neuaufteilung der Welt größeren Umfang an (1871 bis 1880: 47 und 1881 bis 1890: 84 Expeditionen). Trotz des nicht zu verkennenden Zusammenhangs mit der kapitalistischen Kolonialeroberung hatten die Forschungsreisenden beachtliche geographische aber auch ethnographisch-historische Kenntnisse vermittelt. Das war um so mehr der Fall, wenn sie sich, wie Heinrich Barth, bewußt gegen die Bevormundung ihrer Auftraggeber zur Wehr setzten, um erfüllt vom echten Forscherdrang wissenschaftlich zu arbeiten. Dabei entdeckten sie hervorragende eigenständige historisch-kulturelle Leistungen der subsaharischen Völker, die später entstandenen rassistischen, kolonialapologetischen Theorien Lügen strafen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß ihre Forschungsergebnisse ebenso ignoriert und negiert wurden wie die ökonomische und politisch-kulturelle Entwicklung der Völker Afrikas. So blieb der subsaharische Raum entgegen allen wissenschaftlichen Forschungen weiterhin der »dunkle, geschichtslose Kontinent«. Eine Fälschung, die in extrem reaktionären rassistischen Anschauungen in verschiedenen Variationen fortbesteht. Die Erforschung der Sahara war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur sehr zögernd vorangekommen. In der menschenleeren Öde wurden keine Reichtümer vermutet, so daß die Haupttriebkraft zur Ausrüstung von Expeditionen fehlte. Erste Reisen einzelner Europäer, wie die des französischen Kaufmanns Anselm d’Ysguier, der Anfang des 15. Jahrhunderts bis zum Niger vordrang, oder des Genuesers Antonio Malfante, der 1447 bis zu den Tuatoasen gelangte, blieben unbekannt oder gerieten in Vergessenheit. Die Berichte der Portugiesen ermunterten nicht zu neuen Vorhaben. So informierte Aluise da Cada, er habe auf seiner Fahrt entlang den Küsten ermittelt, daß die Sahara eine unendliche, mit weißem Sand bedeckte Ebene sei. Eine Auffassung, die auch der holländische Seefahrer Jakob Le Maire (1585-1616) bestätigte. Die ersten Forschungsreisenden, die in die Wüste einzudringen versucht hatten, korrigierten diese falsche Darstellung nicht. So blieb die Vielgestal-
tigkeit der Oberflächenformen der Sahara, nur maximal 1/7 ihres Terrains ist mit Sand bedeckt, unbekannt. Bei der Erforschung Innerafrikas hatten zunächst die Flüsse als künftige Schiffahrtswege Vorrang. So stand der Beginn der Saharaforschung in enger Verbindung mit der Klärung des Nigerproblems. Der schottische Arzt Mungo Park(1771 -1806) leitete die Lösung der Frage ein. Er drang von der Gambiamündung zum Niger vor und brachte den Nachweis, daß er in östlicher Richtung verläuft und keine Verbindung mit dem Senegal oder Gambia hat. Hornemann, der von Ägypten aus den Niger erreichen wollte, verstarb bevor er zum Ziel gelangte. Schließlich wurde 1830 im Ergebnis der Forschungen von Hugh Clapperton (1788-1827), Oudney (gest. 1824) und Dixon Denham (1786-1828) das Rätsel des Niger geklärt und sein Verlauf festgelegt. Im selben Jahr war Frankreich in Algerien eingedrungen und dehnte seine Eroberungen nach Süden aus. Das veranlaßte den englischen Konkurrenten, seine ebenso bescheidenen wie ergebnislosen Versuche der Saharaerkundung durch Richardsons Expedition zu aktivieren. Alle bisherigen Ergebnisse der Saharaforschung waren Teilresultate anderer Vorhaben oder bildeten nur Informationen, die während einer Durchquerung der Wüste gesammelt worden waren. Mit Heinrich Barth als Teilnehmer der dritten Richardsonschen Expedition begann die systematische wissenschaftliche Erforschung des Terrains. Ein Prozeß, der sich bis 1960 hinzog. In den Jahren 1958 bis 1960 erschloß Theodore Monod das letzte, bisher unerforschte Areal im Südabschnitt der Westsahara. Die Saharaforschung der Gegenwart trägt anderen Charakter. Ihr Ziel ist die Erkundung von Erdöl und weiterer Bodenschätze. Als im Jahre 1889 die britischen und französischen Regierungen die Sahara als koloniale Beute unter sich aufteilten, vermerkte der britische Premierminister spöttisch: »Wir haben dem gallischen Hahn Sand gegeben, ohne zu knausern. Lassen wir ihn scharren so lange er will.« Erstmals hatte der junge Franzose Conrad Kilian, der als Schatzsucher die Wüste durchzog, grundsätzlich neue Anschauungen über den geologischen Aufbau der Sahara entwickelt und an seine Regierung geschrieben: »Es ist offenkundig, daß die Sahara eine starke
Schicht zersetzter Seetiere aus früheren Zeitaltern birgt, die sich naturgemäß im Laufe der Zeiten in Erdöl umgesetzt haben müssen«. Die von ihm zur näheren Erläuterung beigefügten Pläne und Skizzen fanden jedoch nur mitleidiges Lächeln. Als nach dem 2. Weltkrieg die systematische geologische Erkundung der Sahara eingeleitet wurde, fanden Kilians Angaben volle Bestätigung. Der Wettlauf der Ölkonzerne begann. Am 6. Januar 1956 wurde bei Edjeleh das erste Öl geborgen. Heute zählt die Sahara zu den reichsten Ölvorkommen der Weit.
Historischer Boden. Durch seine bisherigen Forschungen, besonders durch die Dissertation, hatte sich Heinrich Barth auf seine Aufgabe intensiv vorbereitet. Er würde ein Gebiet betreten und erforschen, das in seiner wechselvollen Geschichte und traditionsreichen Vergangenheit einen hervorragenden Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt der Menschheit geleistet hatte. Heinrich Barth hatte sich in seiner Forschung bisher vornehmlich den nordafrikanischen Küstengebieten gewidmet und wandte sich jetzt mit größtem Interesse den Spuren der Vergangenheit zu. Ein kurzer Einblick in die Geschichte dieses Territoriums scheint deshalb zweckmäßig. Zu Beginn des v.u.Z. beherrschten die phönikischen Städte den Mittelmeerhandel, und etwa um 800 v.u.Z. hatten die Phöniker an der Bucht von Tunis die Sklavenhalterrepublik Karthago als Handelsniederlassung gegründet. Sie nannten sie Quart-hadascht (neue Stadt) im Gegensatz zu den älteren phönikischen Kolonien an der nordafrikanischen Küste. Karthago entwickelte sich zur mächtigsten Handels- und Seemacht im \Westlichen Mittelmeer und dehnte schließlich seit 700 v.u.Z. seine Herrschaft über alle phönikischen Niederlassungen im Mittelmeer aus. Der Fernhandel, den zu erforschen sich Heinrich Barth zur Aufgabe gestellt hatte, bildete neben den Plantagenwirtschaften die wichtigste ökonomische Grundlage des Staates. Im Handelsverkehr, der vor allem Sklaven, Elefanten und Elfenbein aus Westafrika, Stoffe und Teppiche aus Vorderasien, Gold und Silber aus Spanien, Zinn aus Britannien, Wachs aus Korsika, Wein von den Balearen und aus Sizilien umfaßte, befuhren die Karthager Mittelmeer und Atlantischen Ozean und drangen auf dem Landwege ins Innere Afrikas vor. Die historische Erforschung ihrer Handelswege gab Heinrich Barth wesentliche Impulse für seine eigenen späteren Expeditionen. Zur Wahrung ihrer Monopolstellung waren die Karthager bestrebt, die Griechen aus dem westlichen Mittelmeer zu verdrängen, und so wurde ein langwieriger, wechselvoller Kampf entfesselt.
Die Sklavenhalterrepublik Karthago entwickelte sich zu einem Welthandelszentrum des Altertums. Ihre Eroberungspolitik mußte mit dem expansiven Streben Roms, das ebenfalls Sizilien als begehrenswerte Beute betrachtete, in Konfliktgeraten. So entbrannte der 1. Punische Krieg (die Römer nannten die Karthager Punier), in dem Karthago alle sizilischen Besitzungen verlor und hohe Kontributionen zu zahlen hatte. Doch noch immer besaß es die absolute Überlegenheit im westlichen Mittelmeer. Als Ausgleich für die erlittenen Verluste sollte das südspanische Hinterland mit seinen reichen Silbergruben erobert werden. Nach Hannibals Plan wurden die eroberten Gebiete zugleich als Aufmarschbasis für einen Revanchekrieg gegen Rom vorgesehen. Er überschritt 218 v.u.Z. die Pyrenäen und stieß mit seinem Heer nach verlustreichem Alpenübergang nach Italien vor. Doch auch der 2. Punische Krieg endete mit einer Niederlage. Karthago verlor alle auswärtigen Besitzungen, mußte alle Kriegsschiffe ausliefern und hohe Entschädigungen zahlen. Jetzt war Rom der unbestrittene Hegemon im Mittelmeer, doch das besiegte Karthago war nicht vernichtet und potentiell noch immer ein gefährlicher Gegner. Während sich Rom nach dem Sieg auf den Osten orientierte, tief in die hellenistischen Länder eindrang und sich Makedonien und Griechenland unterwarf, war Karthago bestrebt, seine Wirtschaft zu festigen. Da nicht mehr wie bisher Unsummen von der expansiven Außenpolitik verschlungen wurden, und man sich auf Investitionen in den Werkstätten des Landes und Handelsunternehmen konzentrierte, erblühte das Wirtschaftsleben, sehr zum Verdrusse des römischen Rivalen. Eine starke und einflußreiche Partei der römischen Ritter und Nobiles forderte deshalb die völlige Vernichtung des unliebsamen Konkurrenten. So endete nach Aussage Plutarchs der ältere Cato grundsätzlich seine Senatsreden mit der Bemerkung: »im übrigen bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß.« Nach einem Anlaß zum Kriege wurde nicht lange gesucht. Rom nahm den Widerstand Karthagos gegen die Übergriffe des Numiderkönigs Masinissa zum Vorwand, den 3. Punischen Krieg (149-146 v.u.Z. ) vom Zaune zu brechen, der mit der völligen Vernichtung Karthagos endete, das nunmehr zur römischen Provinz Africa erklärt wurde. Bald wurden auch Numidia und Mauretania von Rom abhän-
gig, so daß auch sie im 1. Jahrhundert v.u.Z. als Provinzen dem römischen Weltreich einverleibt wurden. Die Provinz Africa war die wichtigste Kornkammer des Reiches. In den afrikanischen Provinzen bildete sich im 1. Jahrhundert v.u.Z. als Übergangsform von der Sklaverei zum Feudalismus das System des Kolonats heraus. Die Kolonen bewirtschafteten das Latifundienland und mußten den Grundbesitzern einen beträchtlichen Teil ihrer Ernte abliefern. Durch die Arbeit Hunderttausender Sklaven und freier Handwerker wurden Wasserreservoire, Deiche, Aquädukte und Kanäle geschaffen, die das Land bewässerten. Es entstanden auch grandiose Tempel, Straßen und Kulturbauten, mit denen sich Heinrich Barth auf seiner späteren Expedition eingehend beschäftigte. Mit brutaler Gewalt unterdrückten die römischen Prokonsuln die Aufstände der Sklaven und abhängigen Stämme, die sich von dem verhaßten römischen Joch befreien wollten. Zur Zeit des Verfalls des Römischen Reiches wurde Nordafrika von dem gemeinsamen Aufstand der libyschen Stämme und Sklaven erfaßt, dabei wurden die Güter des römischen Adels zerstört, die Sklaven befreit und alle Schuldbriefe vernichtet. In der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts fielen die Vandalen und ein Jahrhundert später die Byzantiner in Nordafrika ein. Diese Eroberungen waren vorübergehend, sie hinterließen in der Geschichte Nordafrikas kaum Spuren in der ethnischen Zusammensetzung und Kultur der einheimischen Bevölkerung. Von großem Einfluß waren hingegen die Araber, die im 7. Jahrhundert die byzantinischen Eroberer verdrängten. Zur Zeit der arabischen Expansion waren Teile der einheimischen berberischen Bevölkerung bereits im Prozeß der Klassendifferenzierung fortgeschritten. In ihrer Mehrheit aber standen die nomadischen Stämme in der Sahara sowie die bäuerliche Bevölkerung der unzugänglichen Berggebiete erst am Anfang der gesellschaftlichen Differenzierung. Das Vordringen der Araber erfolgte in Etappen. Zunächst beschränkten sie sich auf die Küstengebiete, um von den reichen byzantinischen Städten Tribut zu fordern. Im Jahre 681 stießen sie bis zum Atlantischen Ozean vor und zu Beginn des 8. Jahrhunderts war die Unterwerfung Nordafrikas abgeschlossen.
Die in den Maghrebländern seßhaft gewordenen Araber vermischten sich mit der einheimischen Bevölkerung, ein Prozeß, der sich nach der Massenübersiedlung von Arabern seit dem 11. Jahrhundert so verstärkte, daß eine Arabisierung vieler Berberstämme erfolgte. Die Araber hatten den Islam nach Nordafrika gebracht. Diese von Mohammed Ibn Abdallah (um 570-632) verkündete Religion hatte im 7. Jahrhundert die Voraussetzung für die Vereinigung der Stämme der arabischen Halbinsel zu einem frühfeudalen Staat gebildet und ein zentralisiertes Staatswesen geschaffen. Von ihm ausgehend weiteten die Anhänger Mohammeds in mehreren Eroberungswellen ihren Machtbereich aus und gelangten auch nach Nordafrika. Der Islam, den Friedrich Engels als eine auf »handel- und gewerbetreibende Städter, andererseits auf nomadisierende Beduinen« des orientalischen Raums zugeschnittene Religion charakterisierte, verbreitete sich rasch unter den nomadisierenden Berberstämmen, die eine ähnliche Kultur und Gesellschaftsstruktur aufwiesen wie die eindringenden Araber, nach und nach aber auch unter der Masse der bäuerlichen Berber. Ihre Gesellschaftsstruktur entsprach den gesellschaftlichen Verhältnissen der bäuerlichen arabischen Bevölkerung in den jemenitischen Gebirgen, in den Küstengebieten Syriens, der türkischen und kurdischen Bevölkerung in den Randgebieten der Türkei und des Iran. Nach der arabischen Eroberung wurden die Maghrebländer dem Kalifat zugeordnet, das sich von Mittelasien bis zur Pyrenäenhalbinsel erstreckte. Diesem gewaltigen Länderkonglomerat fehlten jedoch die objektiven Voraussetzungen, um seinen Bestand zu gewährleisten. Infolge der Instabilität führten der Partikularismus lokaler Feudalherrscher sowie die Unabhängigkeitsbestrebungen und sozialen Aufstandsbewegungen der unterdrückten Massen zur Herausbildung selbständiger Herrschaftsbereiche. Schon im 8. Jahrhundert wurde auf dem Territorium des heutigen Algerien das kharidjitische Fürstentum Tahert mit einem Imam als Oberhaupt gegründet. Wenig später lösten sich Gebiete vom Kalifat, die etwa dem heutigen Marokko entsprechen. Die propagierte Gleichheit aller Muslims erwies sich als Fiktion. Auch der Versuch, das Lehrgebäude des Islam den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen durch eine verstärkte
Orthodoxie und Dogmatik anzupassen, um damit die politische Macht zu festigen, vermochte nicht die sozialen Widersprüche zu überbrücken, die ebenfalls zum Verfall der feudalen Fürstentümer beitrugen. Die erbitterten Kämpfe zwischen den Mariniden, Wattasiden, Hafsiden und Abdalwadiden erleichterten seit dem 14. Jahrhundert das Eindringen der spanischen, portugiesischen und schließlich der osmanischen Eroberer. Die drei Jahrhunderte währende Fremdherrschaft der türkischen Feudaldespotie, die sich auf das Bündnis mit dem einheimischen Feudal- und Stammesadel stützte, führte zu einer Stagnation des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Mit dem Einsetzen eines kontinuierlichen inneren und äußeren Machtverfalls des Osmanischen Reiches wuchs die Aufstandsbewegung in den arabischen Provinzen, bildeten sich Ansätze der nationalen Selbstbestimmung. Gleichzeitig aber begann der Streit der europäischen Großmächte, wer das Erbe des »Kranken Mannes am Bosporus« antreten würde.
In den Gluthauch der Sahara. Gemeinsam mit Overweg betrat Heinrich Barth am 11. Dezember 1849 afrikanischen Boden und traf vier Tage später in Tunis ein. Er war glücklich darüber, täglich zu Pferde zu den nahe gelegenen Stätten des alten Karthago reiten zu können. Inmitten der Ruinen des einstmals so mächtigen Reiches prüfte er nochmals gründlich die Pläne für die bevorstehende große Aufgabe. So gern er sich hier noch verweilt hätte, mußte er doch aufbrechen, um nach Tripolis, dem Ausgangspunkt der Expedition zu gelangen und mit Richardson zusammenzutreffen. Die Silvesternacht verbrachten Barth und Overweg im Maultiersattel. »Ich werde nie diese Nacht vergessen, die Nacht, welche das neue Jahr 1850 anfing, in dessen Verlauf wir so manche schwere Prüfungen bestehen und durch Ausdauer uns des Erfolges würdig machen sollten«, erinnerte sich Heinrich Barth später in seiner Reiseschilderung. Es war empfindlich kalt und die Kleidung, die sie mitführten, schützte sie kaum vor der Kälte. Deshalb plante man, in Tripolis wärmere Sachen zu kaufen, denn in Afrika mußte man offensichtlich nicht nur schwitzen. Zu Mitternacht stiegen die Reisegefährten von ihren Maultieren und beglückwünschten sich zum Anbruch des neuen Jahres. Was würde es ihnen bringen? Barth war glücklich, in Overweg einen zuverlässigen Begleiter gefunden zu haben, mit dem er den bevorstehenden Aufgaben hoffnungsvoll entgegensah. Sie setzten die Reise entlang der Küste fort, wo Heinrich Barth reichlich Gelegenheit hatte, Ruinen antiker Stätten zu bewundern. Bei ihrer Ankunft in Tripolis war Richardson noch nicht eingetroffen. Schon in dieser Zeit, bevor die Expedition überhaupt begonnen hatte, machte sich Heinrich Barth über die künftige Zusammenarbeit mit ihm, wie ein Brief an seinen Schwager Schubert vom 2. Februar 1850 zeigt, keine Illusionen: »Der materielle Leiter unserer Expedition, Mr. Richardson ist leider nicht der nobelste Charakter und er wird dem Unternehmen durch sein ganzes Benehmen nicht eben förderlich sein, aber im Ganzen ist es eine Gelegenheit, mir Verdienste zu erwerben gerade wie ich sie wünsche
und was mich anbetrifft, gehe ich mit vollstem Vertrauen und ganzer Zuversicht daran. Das Feld, was wir vor uns haben, ist ungeheuer, eine ganz neue Welt, die wir der Wissenschaft und vielleicht auch der Menschheit gewinnen können.« Da auch die Instrumente und andere Ausrüstungsgegenstände noch nicht an Ort und Stelle waren, beschlossen Barth und Overweg, die nähere Umgebung zu erforschen. Sie zogen zunächst in westlicher Richtung am Meer entlang, da Barth hier weitere antike Denkmäler zu finden hoffte. Dem Wunsche Overwegs folgend, wandten sie sich dann nach Süden und gelangten durch Steppengebiete bis zum Gharian-Gebirge. Dieser Abstecher war keineswegs nur ein Ausflug zum Überbrücken der Zeit. Er wurde eine Entdeckungsreise, auf der sich die bewährte effektive Arbeitsteilung beider Forscher herausbildete, die für die künftige fruchtbare Zusammenarbeit bestimmend sein sollte. Während Barth sich den historisch-geographischen und philologischen Aufgaben widmete, arbeitete Overweg vornehmlich auf dem Gebiet der physischen Geographie. Gewiß erschlossen sie mit dem Ausflug kein unerforschtes Terrain, doch über die Topographie und Geologie des Gharian-Gebirges lagen kaum Beschreibungen vor, so daß Overwegs geologische Bestimmungen der noch weitverbreiteten Auffassung, die Sahara sei ein großes, weites Tiefland, ja vermutlich sogar auf weiten Strecken eine Senke unterhalb des Meeresspiegels, widerlegten. Bei ihrer Rückkehr von Tripolis waren inzwischen die erwarteten Instrumente eingetroffen, die Vorbereitungen für die Expedition aber noch lange nicht abgeschlossen. Zelte und Waffen fehlten, und die Begleiter mußten noch angeworben werden. Die Zusammenstellung der Karawane erwies sich als äußerst mühsam und zeitraubend, galt es doch neben der Ausrüstung mit wissenschaftlichen Instrumenten und Material an vieles mehr zu denken. Wirtschaftsgeräte, Proviant, Wasserschläuche, Medikamente, Kleidungsstücke, Bücher, Tauschwaren und Geschenke waren mitzunehmen. Allein von dem Marschgepäck der beiden Deutschen wurden acht Kamele beladen. Die Kafla Richardsons hatte nochmals acht Lasttiere, die unter anderem ein großes zerlegbares Boot zur vorgesehenen Erforschung des Tschad-
sees quer durch die Wüste tragen mußte. Dieses »Instrument« erregte unterwegs großes Aufsehen. Zu Barth und Overweg gesellte sich als Dritter der treue Begleiter Mohammed el Gatroni, ein erfahrener Karawanenführer, der Barth als persönlicher Gehilfe zugeteilt wurde und fünf Jahre an seiner Seite blieb. Seinem Vorschlag folgend, nahmen die Expeditionsteilnehmer zur Erleichterung des Kontakts mit den Einheimischen arabische Namen an. So erhielt Barth, der wegen seines vorzüglichen Arabisch und seiner Koranfestigkeit durchaus für einen Marabut gehalten werden konnte, den Namen Abd el Kerim (Diener des Gnadenvollen). Overweg, der sich durch gewisse medizinische Kenntnisse und große Hilfsbereitschaft auszeichnete, den Namen Tahib (Arzt) und Richardson den biblischen Namen Jakub. Endlich war alles zum Aufbruch bereit. Um einen abrupten Übergang vom behaglichen Stadtleben in die Strapazen der Wüste zu vermeiden, schlug Barth vor, noch einige Tage im Zeltlager außerhalb der Stadt zu verbringen. Hier blieb man bis zum 29. März und nahm nun Kurs auf die Sahara. Allerdings zunächst nur für eine kurze Strecke, da sie auf Richardson, der noch einiges zu erledigen hatte, warten mußten. Schließlich erfolgte am 5. April der endgültige Aufbruch. Zunächst war die Landschaft noch abwechslungsreich, Olivenhaine wechselten mit Kornfeldern, bald aber ließ sie die Einöde den Vorgeschmack der Wüste kosten. Auch hier erinnerten eine Reihe verwitterter Meilensteine daran, daß einstmals eine Römerstraße in das Landesinnere geführt hatte. Nach beschwerlichem Marsch erreichten sie hocherfreut am 7. April die Oase Mizda, eine offenbar sehr alte Ansiedlung, die bereits in den Schilderungen des alexandrinischen Gelehrten Ptolemäus (um 90-160) erwähnt wurde. Ein künstlich angelegtes Bewässerungssystem ließ Getreidefelder und Dattelbäume gedeihen. Nach wenigen Tagen wurde die Reise fortgesetzt. Das Land nahm wieder öden, steinigen Charakter an. Ein aufkommender, sich verstärkender Sandwind erschwerte das Vorwärtskommen und ermöglichte es nicht, die am Wege gelegenen Ruinen, eine Burg und ein Grabmal, zu besichtigen. Diese Kulturdenkmäler legten beredtes Zeugnis dafür ab, daß im Altertum hier keineswegs verödete Wüste
war. Von Wadi zu Wadi arbeitete sich die Karawane durch Engpässe und Geröllfelder voran. Am 15. April war der Nordrand der gefürchteten und von den Karawanen gemiedenen Hammada el Hamra, der »Hochebene des Schreckens« erreicht. Bevor sie in diese glühende wasserlose Wüste eindrangen, galt es, die Wasservorräte am Brunnen von Tabonieh zu erneuern. Am 17. April begann der Marsch nach Süden. Bei dem Weg durch die sonst gemiedene Felswüste betraten sie erstmals wissenschaftlich zu erschließendes Neuland. Trotz der nahezu unerträglichen Hitze mußte die Arbeit verrichtet werden. Unermüdlich betrieb Overweg seine astronomischen und geologischen Studien. Bei aller Freundschaft mißfiel dem strengen Systematiker Barth, der gewissenhaft, zuweilen sogar etwas pedantisch, auch die kleinsten Details notierte, die »Nonchalance« seines Begleiters. Er verwendete kaum seine Notizbücher und vertraute seinem Gedächtnis. Auch mit der exakten Orthographie der Ortsbezeichnung nahm er es nicht allzu genau, wußte er doch, daß es Barth dafür um so exakter machte. Die unbewohnte Wüste hatte ihren Namen von den rötlich scheinenden Geröllfeldern (el Hamra – die Rote), die sich etwa 240 km nach Süden erstreckten. In sechs Tagesmärschen sollten sie bezwungen werden. Ein nahezu unmöglich erscheinendes Unterfangen, wenn man bedenkt, daß die Glut der Mittagshitze 60 Grad Celsius erreichte. Am meisten litt Richardson unter der Hitze und entschloß sich deshalb zu Nachtmärschen. Die Nächte waren jedoch derartig kalt, daß die Geröllhügel mit Reif bedeckt wurden. Am 22. April war nach entbehrungsreichem, kräftezehrendem Marsch der heißersehnte Brunnen El Hassi erreicht. Der Schrecken lag hinter ihnen, sie kamen nun in eine Zone, in der sie öfters Oasen antreffen würden. Die Rast konnte nur kurz sein, denn bis nach Mursuk, ihrem ersten Etappenziel, dem Zentrum des noch türkischen Gebiets Fessan, war es noch weit. Erneut lagen ermüdende beschwerliche Märsche über steile Sandhügel vor ihnen. Schließlich kündigte am 5. Mai das Hochland von Mursuk die Nähe des Ziels an. »Wir erreichten die Mauern der Stadt, welche aus einer Art Lehm gebaut ist, der ganz von salzigen Inkrustationen glimmert. Wir umzogen die ganze West-
und Nordseite der Stadt, die beide kein Tor haben, das groß genug für eine Karawane wäre, und machten an der Ostseite halt.« Von dem hier wohnenden englischen Konsul wurden sie schließlich in die Siedlung geführt. Richardson war bereits einen Tag früher eingetroffen. Nun befanden sie sich in Mursuk, dem Sammelpunkt aller Karawanen, die von der Küste des Mittelmeeres aus die Sahara durchquerten. Der Charakter des Ortes wurde vom Zwischenhandel geprägt. Während in anderen an einer Karawanenstraße gelegenen Orten überwiegend ansässige Kaufleute ihren Handel betrieben und ihr Vermögen in Unternehmen anlegten, nahmen hier die auswärtigen Händler das Geld für die verkaufte Ware wieder mit, so daß in Mursuk ständiger Geldmangel herrschte. Die Stadt nahm gemessen an ihren 2 800 Einwohnern eine relativ große Fläche ein. Das Klima war wegen der großen Trockenheit und druckenden Hitze nahezu unerträglich, so daß hier schon manche hoffnungsvoll begonnene Expedition ein vorzeitiges Ende gefunden hatte. Die am Stadtrand gelegenen Salzbecken, in denen faulendes Wasser verdunstete, verpesteten die Luft. Mursuk war auch als Umschlagplatz des Sklavenhandels, von dem etwa zwei Drittel der Bevölkerung sein Einkommen bestritt, ein wahrer Schreckensort. Da Barth hier wenig Ansätze und Möglichkeiten für seine wissenschaftliche Arbeit fand, hätte er am liebsten gleich die Weiterreise angetreten. Diese aber sollte vorsorglich unter Geleitschutz erfolgen. Dafür kamen nur die Herrscher der Wüste, die stolzen kämpferischen Tuareg in Frage. Die Verhandlungen mit ihnen erwiesen sich jedoch als sehr zeitaufwendig. Nach Barths Vorschlag war der weitere Weg in Richtung Westen nach dem Hochland von Ghat und von dort nach Süden zum mittleren Sudan vorgesehen. Ein glücklicher Umstand ergab, daß ein angesehener und einflußreicher Vertreter des Tuareg-Adels, Mohammed Boro, gegen Bezahlung bereit war, die Karawane bis in seine Heimat Aïr zu führen. Zum Entsetzen Barths brüskierte Richardson den selbstbewußten Sohn der Wüste und erteilte, um zu sparen, einem anderen schon betagten Tuareg, der geringere Forderungen stellte,
den Auftrag. Das kennzeichnete sein Unverständnis für Wesen und Charakter jenes stolzen, freien Volkes. Da die Gefahren der Wüste Eindringlinge zurückschreckten und außerdem hier keine Reichtümer vermutet wurden, war den Tuareg ihr Herrschaftsgebiet bisher nicht strittig gemacht worden. Ihre Geschichte ist vielfältig, bewegt und von zahlreichen Legenden umwoben. Ihre Ethnogenese hat sich im Verlauf von Jahrhunderten im Ergebnis mehrerer Einwanderungswellen vollzogen und ist sehr kompliziert. Der Ahaggar ist zwar das Hauptgebiet der Tuareg, doch wäre es falsch, sie als Wüstenbewohner zu betrachten. Sie leben nördlich der Hausaländer, auch am Mittellauf des Niger, westlich von Gao und in den Steppen des Sudan. Im Gegensatz zu anderen berberischen Völkern vermischen sich die Tuareg nicht mit den Arabern. Bei ihnen herrscht eine strenge Rangordnung. Oberster Herrscher ist der Amenokol, ihm gehören Grund und Boden. Die Tuareg-Hierarchie weist ein recht kompliziertes feudales Abhängigkeitsverhältnis auf. An der Spitze stehen die Vertreter des Adels, ihr Werkzeug ist das Schwert; keine Oase, keine Karawane war vor ihnen sicher. Die produktiven Tätigkeiten mußten Tributpflichtige verrichten. Die unterste Stufe bildeten die Haussklaven, die als Beute von Kriegszügen mitgeführt wurden. Sie waren für alle groben Arbeiten zuständig. Zu Unrecht ist der Taguelmust, der Gesichtsschleier der Männer, geheimnisumwittert. Er wird bereits von den römischen Chronisten erwähnt, ist also ein jahrhundertealtes traditionelles Kleidungsstück, das vor allem aus praktischen Erwägungen getragen wird, schützt es doch das Gesicht vor Sand und Hitze. Bei einem Überfall auf eine Karawane verfehlt es kaum seine unheimliche psychologische Wirkung, machte den Überfallenen fügsamer und den Angreifer unkenntlich, was bei zu befürchtenden Vergeltungsaktionen von Nutzen war. Das Schlimmste, was einem Tuareg zugefügt werden konnte, war eine Kränkung. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben, und Heinrich Barth sah mit großen Bedenken der vor ihnen liegenden Strecke entgegen. Der von Richardson Angeworbene stammte aus dem nur etwa 400 km von Mursuk entfernten Ghat und hatte weder Kenntnisse über die
Beschaffenheit des weiter entfernt liegenden und zu durchquerenden Gebietes, noch konnte von einem Einfluß auf die dortigen Bewohner die Rede sein. Auch die Mitteilung, daß er mindestens einen Monat Zeit brauche, um die Vorbereitungen für die Reise abzuschließen, war alles andere als erfreulich. Doch Richardson hatte nach langwierigen Verhandlungen entschieden, daß die Karawane, von Hatita geführt, zunächst bis Ghat gehen sollte. Da er sich noch an den zeitraubenden Festen, die der türkische Statthalter von Mursuk dem Abgesandten der britischen Krone gab, erfreuen wollte, beschlossen Barth und Overweg in einer Vorausabteilung aufzubrechen. Um den Abstand zu dem nachfolgenden Richardson nicht zu groß werden zu lassen, zogen sie nur langsam voran. Nach den ermüdenden Tagesmärschen durch die sonnendurchglühte Steinwüste waren die Nächte der wissenschaftlichen Arbeit gewidmet. Barth hatte bereits von Mursuk aus eine Fülle Material an den britischen Geschäftsträger nach Tripolis abgeschickt. Während des Marsches stellte er an Hand von Uhr und Kompaß die Wegrichtung fest, registrierte den Sonnenstand und führte atmosphärische Beobachtungen aus. Overweg erhob entsprechend ihrer bewährten Arbeitsteilung geologische und astronomische Befunde. Nachts wurde das Material gesichtet, wurden Skizzen angefertigt und der kommende Tag vorbereitet. Trotz ständiger Mahnungen ließ sich Overweg zu Barths Leidwesen nicht zu einer systematischen Darstellung seiner Forschungsergebnisse und Beobachtungen bewegen. Barths wichtigstes Arbeitsmittel war das Tagebuch. Es war sein Gedächtnisspeicher, in dem er mit geradezu protokollarischer Exaktheit alle Gespräche, Beobachtungen und Fragen festhielte Obwohl das Tagebuch vor allem Barths Arbeitsinstrument war, gab es auch Zeiten, wo es ihm zum Gesprächspartner wurde. Ohne sich dabei in subjektiven Problemen zu verlieren und die Beschäftigung mit dem eigenen Ich zum zentralen Anliegen zu erheben, zeichnete er dabei aufschlußreiche Stimmungsbilder. Diese Einkehr zu sich selbst verlor sich jedoch niemals in den eigenen Leiden oder Sorgen, sondern war ein Mittel der Selbstkontrolle, eine Quelle zur Sammlung neuer Kräfte. Auf der Suche nach einem geeigneten Lagerplatz machte Heinrich Barth eine bedeutende kulturhistorische Entdeckung. Er wollte sei-
nen Augen nicht trauen. In einem Felsblock eingemeißelt, sah er wie von Künstlerhand geschaffen, Jahrtausende alte Skulpturen, die eine Rinderherde und sogar eine Gruppe von Schwimmern darstellten. Heute sind Tausende herrlicher Fels- und Höhlenbilder in den Bergen der Zentralsahara als Zeugen der alten hochentwickelten Kultur Afrikas bekannt. Für Barth und seinen Begleiter waren sie eine Sensation, mit der zugleich der Schleier über der Geschichte der Sahara ein Stück gelüftet wurde. Die Zeichnungen waren zwischen 9 000 bis 3 000 vor unserer Zeitrechnung entstanden. In unterschiedlicher Größe, von wenigen Zentimetern bis zu acht Metern Breite bieten sie getreue Abbilder der Vergangenheit, ihrer Vegetation, Lebensweise und klimatischen Verhältnisse. Die erstmals 1847 von Europäern entdeckten Felszeichnungen führten zunächst zu vielerlei Spekulationen, ehe sie als historische Zeugnisse gewertet wurden. Erste Versuche einer Ordnung und Deutung der Petroglyphen erfolgten seit 1932 u. a. durch den Ethnographen Leo Frobenius. Der ursprüngliche monumentale Realismus der frühen Felszeichnungen wich allmählich in der Darstellungsweise einer stärkeren Stilisierung. Auch die Bildmotive wechselten. Die große Fauna (Elefanten, Nilpferde und Giraffen) der Jägerperiode ging über zu der Wiedergabe von Stieren in der Hirtenperiode. Sehr vielfältig sind die Interpretationsmöglichkeiten. Ohne daß bereits eine vollständige Klärung erfolgte, kann festgestellt werden, daß die bisherige Deutung, es handele sich um Jagdrituale, keineswegs die ausschließliche Interpretation sein kann. Wesentlich mehr Motive lassen z. B. vermuten, daß mit ihnen auch Lehr- oder lnformationsabsichten verbunden waren. Neben den Petroglyphen trugen noch eine Vielzahl weiterer archäologischer Funde zur Aufklärung der Geschichte der Sahara bei. Archäologen, Kunsthistoriker und Naturwissenschaftler entwickelten verschiedene Hypothesen. Dabei überwog zunächst die Auffassung, das Gebiet der Sahara sei vor Jahrtausenden von tropischen Urwäldern bedeckt gewesen. Heute wissen wir, daß das nicht zutrifft, sondern daß vielmehr mächtige, von Gebirgen strömende Flüsse das Gebiet durchzogen, deren Ufer von Galeriewäldern umsäumt wurden, in denen sich eine reichhaltige tropische Flora und Fauna entfaltete. Außerhalb der Flußregionen herrschte Steppenland mit Baum-
gruppen vor. In der Zeit vom 8. bis 3. Jahrhundert v.u.Z. bildete das Gebiet der Sahara eine klimatisch für Ackerbau und Viehzucht außerordentlich günstige dicht besiedelte Zone. Wie aus den Felszeichnungen ersichtlich, bildeten sich in dieser Zeit hier die anthropologischen Bevölkerungstypen heraus, die später auf dem afrikanischen Kontinent am häufigsten in Erscheinung traten. Seit dem 3. Jahrtausend v.u.Z. setzte der geologische Prozeß der Austrocknung ein, das Ende der neolithischen Feuchtigkeitsperiode einleitend. In seinem Verlauf verlor das Land seine Fruchtbarkeit. Die Ströme begannen zu versiegen, der Regen wurde immer geringer, das Land trocknete aus. Auf dem Steppenland trugen die Viehherden zur weiteren Vernichtung der Vegetation bei. Systemloser Ackerbau erhöhte die Bodenerosion, so daß schließlich etwa um das Jahr 2000 v.u.Z. die Sahara ihr heutiges Aussehen annahm. Dieser Austrocknungsprozeß ließ einen weitgehend unbewohnten Wüstengürtel entstehen, der eine trennende Barriere innerhalb des afrikanischen Kontinents errichtete. Von den Saharabewohnern zogen die hellhäutigen Viehzüchter überwiegend in nördliche und östliche Gebiete oder dehnten ihr Weideland in die südlich angrenzenden Savannen aus, während die negroiden Ackerbauern in die sudanesischen Zonen auswichen. Die ökonomische und politisch-kulturelle Entwicklung der Völker Nordafrikas, die in enger Wechselbeziehung mit dem Mittleren Osten und den Mittelmeergebieten standen, und des subsaharischen Afrikas verlief fortan in getrennten historischen Entwicklungslinien. Hervorgerufen durch die Zuwanderung der Saharabewohner in den Sudan wurde eine bis ins Mittelalter andauernde, von Norden nach Süden führende, mannigfaltige Wanderungsbewegung ausgelöst, in deren Verlaufe die Völker neues Terrain für Ackerbau, Viehzucht und Jagd suchten. Diese Bevölkerungsverschiebung führte zur Verbreitung wesentlicher Grundnahrungspflanzen, zur Durchsetzung neuer Methoden des Ackerbaus, insbesondere der Bewässerung und des Terrassenbaus, aber auch zur Intensivierung der Gewinnung und Nutzung von Metallen. Im Ergebnis einer kontinuierlichen gesellschaftlichkulturellen Entwicklung bildeten sich regionale Zentren heraus, wo-
bei die einsetzende soziale und ökonomische Differenzierung die urgesellschaftlichen Organisationsformen überwand und zur Herausbildung der Klassengesellschaft, zu Staatengründungen im subsaharischen Raum führte, deren Geschichte Gegenstand der Forschungen Heinrich Barths werden sollte. Der vor Jahrtausenden einsetzende Prozeß der Verwüstung ist ein Phänomen, das bis in die Gegenwart eine Bedrohung für den Menschen darstellt. Mit etwa 800 Millionen ha umfassen die Wüstengebiete 5, 5% der festen Erdoberfläche. Als größte Wüste der Erde bedeckt die Sahara nahezu ein Viertel des afrikanischen Kontinents und umfaßt 77, 3% der Wüstenfläche der Erde. Zählt man zu den sogenannten extremen Wüsten noch die Halbwüsten, Trockensteppen und Trockensavannen hinzu, so besteht die Erdoberfläche zu einem Drittel aus unfruchtbaren Gebieten – und die Verwüstung schreitet weiter fort. Nach UNO-Statistiken verwüsten alljährlich weitere 5 bis 7 Millionen Hektar, das entspricht der landwirtschaftlichen Nutzfläche der DDR. In den letzten fünf Jahrzehnten haben sich am Südrand der Sahara die wüstenähnlichen Gebiete um 65 Millionen ha erweitert, und auch am Nordrand gingen 100000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche verloren. Und doch ist die fortschreitende Deserfikation kein Naturgesetz, sondern vor allem Folge der Einwirkung des Menschen auf die Ökosysteme arider und semiarider Gebiete. Die Variabilität der Niederschläge oder deren völliges Ausbleiben in Dürreperioden sind nur Sekundärfaktoren und keineswegs die Ursache der Verwüstung. Die Dürrekatastrophen, die in der Sahel-Zone entlang den Ufern des Senegal bis zum Tschadsee Not und Elend zur Folge hatten und immer wieder aufs Neue Mensch und Tier bedrohen, haben ihre Hauptursachen in Raubbau und Monokultur sowie in der jahrzehntelangen Vernachlässigung von Maßnahmen gegen die Verkarstung. Noch immer sind weitere Territorien von der Verwüstung bedroht. Die gewachsenen Viehbestände fressen während der Trockenzeit die spärliche Vegetation ab und zerstampfen den Boden. Damit wird die natürliche Regeneration der Pflanzendecke gestört. Gleiche unheilvolle Wirkung hat der zu stark intensivierte Ackerbau, der auch auf das Grasland ausgedehnt wird. Der den ökologischen Bedingungen widersprechende landwirtschaftliche Raubbau bringt den Wasser-
haushalt des Bodens durcheinander und setzt die Humusschicht der Erosion aus. In Afrika verringerte sich in den letzten 25 Jahren der Bestand an tropischen Regenwäldern um 60%. Doch noch immer ist für 90% der Bevölkerung dieser Gebiete Holz die wichtigste Energiequelle. Die Abholzung verstärkt den Austrocknungsprozeß und kann zur Verwüstung von Regionen führen, die ursprünglich nicht gefährdet waren. Die Erkenntnis, daß die weitere Ausbreitung der Wüsten kein Naturgesetz, sondern Folgeerscheinung sozialökonomischer Ursachen ist, ermöglicht es, dagegen einzuschreiten. Sowohl die moderne Wissenschaft als auch die Technik bieten eine Vielfalt verschiedener Maßnahmen zur Wüstenbekämpfung. Mit großem Erfolg wurden in der Sowjetunion, in der mit 210 Millionen ha Land 10% des gesamten Territoriums mit Wüsten bedeckt sind, eine breite Skala von Gegenmaßnahmen erprobt. Ihre Durchführung in allen gefährdeten Gebieten der Erde erfordert erhebliche Mittel, die jedoch relativ leicht aufzubringen wären, würde man dem Vorschlag der Sowjetunion folgen, daß die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ihre Rüstungen. um 10% senken. Mit den dadurch erhaltenen 3 Milliarden Dollar ließe sich der Kampf erfolgreich führen und zum Beispiel durch eine »Grüne Mauer«, einem Baumgürtel um die Sahara, deren weitere Ausbreitung verhindern. Die im September 1977 in Nairobi stattgefundene Weltwüstenkonferenz (UNCOD), an der sich 110 Länder beteiligten, widmete sich einer Erfassung der gegenwärtigen Situation und beschloß einen Aktionsplan zur Bekämpfung der drohenden weiteren Verwüstung der Erde. Danach soll in etwa 10 bis 15 Jahren der verhängnisvolle Prozeß gestoppt werden. Das ist nur der erste Schritt. Wie die sowjetischen Erfahrungen in den Wüstengebieten der mittelasiatischen Republiken bewiesen, ist es möglich, nicht nur die Verwüstung aufzuhalten, sondern auch die Wüsten durch Bewässerung in blühende Gärten zu verwandeln. So wäre es möglich, den Wüsten der Erde Schritt für Schritt Gebiete zu entreißen. Das aber sind Vorhaben der Zukunft. Wenden wir uns wieder der Vergangenheit, der Erforschung des Wüstengebietes zu.
Dem Tode nahe. Etwa Mitte Juli hatte die Karawane die westliche Grenze des FessanHochlandes erreicht. Dem Blick bot sich eine Ebene von malerischem Reiz. Inmitten dieser Ebene türmte sich wie eine steinerne Riesenburg ein Felsenkoloß. Viel Geheimnisvolles und Gespenstisches wußten die Begleiter von dem »Zauberberg« zu berichten, in dem die Geister der Wüste ihre Heimstätte hätten. Niemand würde es wagen, jemals in dieses Felsenlabyrinth einzudringen. Für den Wissenschaftler Barth, der den Berichten mit Spannung gelauscht hatte, war es ein großer Reiz, den Aberglauben zu widerlegen. Am 15. Juli vermerkte er im Tagebuch: »Mein ›dies ater‹ (schwarzer Tag) brach an. Overweg und ich hatten beschlossen, uns zeitig am Morgen nach dem Geisterberg aufzumachen, den wir sowohl in geologischer, als in archäologischer Beziehung nicht seitwärts liegen zu lassen vermochten. Wir hatten uns indes von unseren Begleitern keinen Führer verschaffen können, welcher uns noch mal von dem Berge aus bis zum nächsten Brunnen, wohin sich die Karawane eben auf der geraden Straße zu begeben beabsichtigte, hätte bringen sollen.« Als alle Versuche, eventuell doch noch einen ortskundigen Begleiter zu finden, scheiterten und nur unnötige Zeitverzögerungen zur Folge hatten, machte sich Heinrich Barth, mit einem kleinen Wasservorrat versehen, auf den Weg. Anfangs ging alles gut. Er durchschnitt einige Sandhügel und gelangte in eine große öde mit schwarzen Kieselsteinen bedeckte Ebene. Allmählich begann der Anstieg, der immer beschwerlicher wurde. Es zeigte sich auch, daß die Entfernung viel größer war, als er vermutet hatte. Unvorhergesehene Hindernisse zwangen wiederholt, die Richtung zu ändern. Das kostete viel Kraft und Zeit. Gegen 10 Uhr brannte die Sonne unerträglich, nirgends war ein schattiger Platz zu finden. Völlig entkräftet erreichte Heinrich Barth endlich den schmalen, mauerähnlichen Kamm. Den Abhang bildete ein unübersehbares Geröll herabgefallener Felsmassen. Von Inschriften oder Skulpturen war ebensowenig etwas zu sehen wie von spukenden Palmenhainen.
Obwohl eine vorzügliche Fernsicht möglich war, vermochte Barth keine Spur der Karawane zu entdecken. Die Zeit verging und er mußte befürchten, daß seine kleine Gefolgschaft, in der Annahme er sei bereits vorausgezogen, ihren Weg am Nachmittag fortsetzen würde. So mußte er trotz großer Erschöpfung versuchen, das Lager zu erreichen. Die Hitze wurde immer größer und der Durst unerträglich. So verbrauchte er den letzten kleinen Wasservorrat, der noch geblieben war, mit einem Male. Mittag war längst vorüber und noch immer war niemand zu sehen. Auch ein Pistolenschuß war erfolglos. Der Wind lenkte den Schall in eine andere Richtung. Über den weiteren Verlauf des Abenteuers informiert Barth: »Ich überdachte einen Augenblick meine Lage, und indem ich über den in Hügeln angehäuften Sand fortschritt und eine andere Anhöhe erklomm, tat ich einen zweiten Schuß. Zu der Überzeugung gelangt, daß niemand in dieser Richtung nahe sein könne, gab ich der Vermutung Raum, daß unsere Gesellschaft noch zurück sein möchte, und hielt mich unglücklicherweise mehr ostwärts, während bisher meine Richtung Süd von Ost gewesen war. Das Tal war reich mit ssebót bewachsen und während ich mich umschaute, erblickte ich mit unaussprechlicher Freude in einiger Entfernung kleine runde Hütten, die sich an Ethelbäume anlehnten und mit hohem Grase gedeckt waren. Nach vorn waren sie offen. In höchstem Jubel eilte ich ihnen zu, aber sie waren verlassen. Weder ein lebendiges Wesen war zu sehen, noch ein Tropfen Wasser zu finden. Meine Kraft hatte mich jetzt völlig verlassen. Ich setzte mich nieder, vor mir die volle Aussicht auf das breite Tal. Meine Besorgnis war noch nicht rege. Mit einiger Zuversicht erwartete ich die Karawane, ja einen Augenblick glaubte ich in der Entfernung einen Zug Kamele – vorüberziehen zu sehen. Es erwies sich als Täuschung. Nichts in der Welt ist so voll täuschender Gebilde, als die von der Sonnenglut erhitzten Täler und Flächen der Wüste. Des waren sich selbst die wegkundigen Araber von aller Zeit her bewußt und drückten ihre Empfindungen aus, indem sie diese Wüsteneien mit Geistern füllten, die den einsamen, genossenlosen Wanderer irre machen und seitabwärts leiten. Ich erhob mich endlich wieder, um mich umzusehen, aber ich war jetzt so schwach, daß ich mich kaum auf den Füßen halten konnte. Die Son-
ne neigte sich zum Untergang und ich mußte sehen, wo ich die Nacht zubringen könnte. Es blieb mir die Wahl zwischen einer der Hütten oder einem Ethelbaume, weicher mir in geringer Entfernung zuwinkte und eine Zeitlang als Brunnenschwengel meine durstige Phantasie getäuscht hatte. Ich wählte den Baum, weil er auf einem höheren Platze stand. Mit ungeheurer Anstrengung schleppte ich mich hin. Er war von ehrwürdigem Alter, mit großen, dicken Ästen, aber ohne ein einziges Blatt. Ich hatte die Absicht, ein Feuer anzuzünden, das als Signal fast untrügliche Rettung versprach; aber mir fehlte die Kraft, auch nur ein wenig Holz zusammenzusuchen. Ich war gänzlich zusammengebrochen und fühlte, wie Fieber sich meiner bemächtigte. Nach einer Rast von etwa zwei Stunden, als es völlig dunkel geworden war, erhob ich mich und schaute um mich. Da erblickte ich zu meiner höchsten Wonne in südwestlicher Richtung, abwärts im Tale, ein großes Feuer. Hoffnung lebte in mir auf. Es konnte nur das Feuerzeichen meiner mich suchenden Begleiter sein. Mich hoch emporrichtend, feuerte ich eine meiner Pistolen ab. Wie das das einzige Mittel war, weiches mir zum Verkehr mit ihnen blieb, so schien es mir unfehlbar. Mit fester Zuversicht folgte ich dem gewaltigen Schalle, wie er das Tal hinab der Flamme zurollte. – ich horchte, horchte lange; alles blieb totenstill. Nur die Flamme schlug hoch zum Himmel auf, als ein Zeichen unerreichbarer Hilfe. Ich hatte lange, lange gewartet; da feuerte ich ein zweites Mal, aber auch jetzt kam keine Antwort. Ich legte mich wieder nieder, mich ruhig in mein Schicksal ergebend. An Schlaf war nicht zu denken. Rastlos und in heftigem Fieber warf ich mich auf dem Boden umher und erwartete den nächsten Tag halb sehnsüchtig, halb mit Furcht. Endlich wich die Finsternis und Zwielicht trat ein. Alles war Ruhe und Stille. Ich war überzeugt, daß ich keinen günstigeren Augenblick wählen könne, meinen Freunden ein Zeichen von mir zu geben. Ich sammelte daher alle Kräfte, die mir noch geblieben waren, und lud die Pistole mit einem gewaltigen Schuß. Ich feuerte einmal, zweimal; ich glaubte, der Schall hätte die Toten erwecken können, so mächtig brach er sich am entgegengesetzten Abhange und rollte das Tal hinunter, aber keine Antwort traf mein Ohr. Ich begriff nicht, wie die Entfernung so
groß sein könne, daß meine Begleiter meinen Schuß nicht gehört hätten. Die Sonne stieg auf; obwohl ersehnt, sah ich ihr doch mehr mit Furcht und Schrecken entgegen. Mit der steigenden Hitze ward mein Zustand immer unerträglicher. Ich kroch umher, jeden Augenblick meine Lage verändernd, um ein wenig Schatten, welche die laublosen Äste bildeten zu genießen. Um Mittag wich auch der geringe Schatten; nicht einmal genug blieb, um mein fieberkrankes Haupt zu schützen. Ich litt unsäglich von Durst, obgleich ich an meinem Blute sog. Endlich ward ich besinnungslos und verfiel in eine Art von wahnsinniger Träumerei. Ich kam erst wieder zum Bewußtsein als die Sonne sich hinter die Berge senkte, und indem ich mich aufraffte, kroch ich aus dem Schatten des Baumes hinweg und warf einen trüben schwachen Blick über die Ebene. Da plötzlich traf der Schrei eines Kamels mein Ohr. Der klangreichste Ton, den ich je im Leben gehört! Ich erhob mich etwas vom Boden und sah einen Gargi in einiger Entfernung langsam nach allen Seiten umherspähend, vor mir vorbereiten. Er hatte meine Fußstapfen im Sande bemerkt, und da er die Spur auf dem steinigen Boden verloren, suchte er ängstlich, nach welcher Richtung ich mich wohl gewendet. Ich öffnete meine trockenen Lippen, und mit meiner geschwächten Stimme aman, aman – Wasser, Wasser – rufend, war ich entzückt, zur beruhigenden Antwort das bejahende iwua, iwua zu bekommen. In wenigen Augenblicken saß er an meiner Seite, wusch und besprengte meinen Kopf, während ich unwillkürlich in ein oft wiederholtes el hamdu lillahi, el hamdu lillahi ausbrach.« Es war Rettung in höchster Not. Aufopferungsvoll hatten sich Overweg und Gatroni, begleitet von einigen Helfern, auf die Suche begeben und nach dem verschollenen Freund gefahndet. Schließlich fand ein Tuareg halb verwehte Spuren, die ihn zu dem Vermißten führten. Der treue Helfer hob den völlig Entkräfteten auf sein Kamel und eilte den Zeiten zu. Hier hatte man Heinrich Barth bereits aufgegeben. Die Freude des Wiedersehens war deshalb umso größer. Anfangs konnte Heinrich Barth nur wenig und undeutlich sprechen. Während der ersten drei Tage war er kaum in der Lage, etwas zu essen, doch dank seinem guten Gesundheitszustand wurde die schwere Krise bald
überwunden. Schon am folgenden Tage vermochte er die Anstrengungen des Tagesmarsches wieder auf sich zu nehmen und am 18. Juli traf die Karawane in Ghat, der zweiten großen Station der Expedition ein. Wie ein Lauffeuer hatte sich die, daß Abd el Kerim, der große weiße Mann unerschrocken in die Geisterburg eingedrungen sei und der Macht der Dämonen widerstanden habe. Sie fanden im Hause des Statthalters Hadj Ahmed, der sich als geschickter Kaufmann vom Eintreffen einer englischen Mission mancherlei Vorteile versprach, freundliche Aufnahme. Weniger zugänglich zeigten sich jedoch die Tuareg, mit denen Richardson bestrebt war, einen Vertrag abzuschließen, der die Handelswege durch die Sahara sichern sollte. Die Karawane brach am 25. Juli wieder auf. Dabei schloß sich ihr eine Gruppe an, die nach Agades gehen wollte, so daß die vereinigte Kafla nun die stattliche Zahl von etwa 60 Kamelen aufwies. Nach wenigen Tagen gelangten sie durch Schluchten und Engpässe ins Hochland, dessen Kämme bis zu einer Höhe von 1 500 Metern emporragten. Der Weg führte wieder abwärts in eine weite wasserlose Ebene, die schließlich in Wüstengebiet mündete, das sich bis an die Ausläufer des Gebirges von Aïr erstreckte. Dieses sagenumwobene Gebiet wurde von den Karawanen gemieden. Noch kein Europäer war hier eingedrungen. Es galt, völlig unerforschtes Gebiet zu erschließen. Und gerade jetzt, wo die eigentlichen Gefahren beginnen würden, machten die angeworbenen Tuareg unmißverständlich Anstalten, umzukehren. Nur mit Mühe und vor allem erneuter Bezahlung war es möglich, ihr weiteres Geleit zu erwirken. Wie unklug Richardsons Sparmaßnahmen gewesen waren, sollte sich bald weiter zeigen. Plötzlich tauchte der durch die Brüskierung in seinem Stolz zutiefst verletzte Tuareg Mohammed Boro wieder auf und offensichtlich nicht in bester Absicht. Er sah die Stunde gekommen, sich für das erlittene Unrecht zu rächen. In seiner Begleitung befand sich eine Schar verwegener Gesellen, deren Kriegsrufe und Waffengeklirr über ihr Vorhaben keine Zweifel bestehen ließen. Alle Verteidigungs- und Ausfallversuche waren sinnlos. Die Übermacht war zu groß. Nachts wurden die Kamele entführt, ohne die eine Karawane dem sicheren Tod geweiht ist. Ein Lösegeld von 50 Pfund Sterling bewirkte die Rückgabe. Doch wenige Tage später folgte ein neuer
Überfall. Die Krieger forderten die Auslieferung der drei Ungläubigen. Sie sollten sterben oder ihrem Gott abschwören. Das Schicksal der Expedition schien besiegelt zu sein, zumal die Haltung der Begleiteskorte keineswegs zuverlässig war. Während sich Richardson voller Ergebenheit in die ausweglose Situation fügte und sich für den Weg ins Jenseits rüstetete, gaben sich Barth und Overweg nicht verloren. Unerschrocken trat Barth den Wegelagerern entgegen. Seine Entschlossenheit blieb nicht ohne Wirkung und nach erneuten stundenlangen Beratungen konnte die Karawane nach Zahlung von Waren im Werte von 230 Talern weiterziehen. In dem unwegsamen Gebirgsland lauerten neue Gefahren. Während sie eine enge Schlucht passierten, öffnete der Himmel seine Schleusen. Die anfängliche Freude über die Erfrischung verwandelte sich bald in Schrecken, als die nicht endenden Regenstürze das Tal in einen reißenden Fluß verwandelten. Ihr hoch gelegener Lagerplatz bewahrte sie vor dem Schlimmsten, doch die Fluten stiegen von Stunde zu Stunde. Nur der Versuch, auf den felsigen Klippen höher zu steigen, konnte Rettung bringen. Glücklicherweise hörte der Wolkenguß auf. Obwohl die Gefahr gebannt war, blieb die Stimmung gedrückt. Welches Unheil erwartete sie noch, bevor sie Tintellust, das nächste Reiseziel erreichten? Sie setzten ihre Hoffnungen auf Scheich Annur, der ihnen Geleitschutz entgegenschicken sollte. Anfang September traf die erwartete Begleitmannschaft auch ein, doch ohne angemessene Bezahlung zeigte sie wenig Neigung, den gewünschten Schutz zu bieten. So zog die Karawane arg geprellt am 4. September in Tintellust. ein.
Agades – Stadt der Weisheit. Der Statthalter, Scheich Annur, unterstand zwar dem Sultan von Agades, war aber als einflußreicher Stammesführer der Herrscher von Nord-Asben. Bemerkenswert war auch sein Geschäftssinn als Händler, Viehzüchter und Landbesitzer. Gegen Bezahlung von 1 000 Dollar war er bereit, die Expedition eine Strecke von annähernd 1 000 km bis in das Königreich Bornu zu begleiten – allerdings stünde es ihnen auch frei, auf eigene Gefahr durch das Gebiet der raubenden Nomaden weiterzuziehen. Da der Bedarf an Abenteuern vorerst reichlich gedeckt war, zog man es trotz bedrohlicher Abnahme der Reisekosten vor, das Angebot anzunehmen. Allerdings hieß das, auch eine längere Wartezeit einzulegen, denn Annur wollte die Reise mit einer Salzkarawane verbinden, die nach den großen Handelszentren des Sudan zog, um hier das weiße Gold im Werte von etwa 60000 Dollar gegen Waren oder Geld einzutauschen. Die Salzkarawane aber hatte er erst vor kurzem in das 500 km entfernte Salzgebiet bei der Oase Bilma geschickt. Einige Monate würden bis zu ihrer Rückkehr noch vergehen. Für Heinrich Barth gab es keine verlorene Wartezeit. Er nutzte die Gelegenheit für eine Vielzahl geographischer und völkerkundlicher Forschungen. Bei den Einwohnern, den Tuareg Kelowis war er bald ein gern gesehener Gast. Der enge Kontakt mit den Menschen ermöglichte eingehende Studien der Sitten und Gebräuche, so daß sich die Journale und Skizzenbücher des Forschers füllten. Auch sein Freund Overweg war stark beschäftigt. Ihm war der Ruf des Tahib (Arzt) vorausgeeilt und nun kamen die Patienten in großen Scharen, seine Kunst in Anspruch zu nehmen. Zu den eifrigsten Verehrerinnen zählte die Frau Annurs, die allerdings den großen Tahib gern in den Kreis der Familie aufgenommen hätte und nicht müde wurde, ihm die Vorzüge ihrer Nichte als Ehekandidatin zu preisen. Besonderen Reiz übte auf Heinrich Barth das berühmte Sultanat Agades aus. Er mußte dieses bedeutende kulturelle Zentrum des Mittelalters aufsuchen, das lange Zeit eine weltbekannte Stätte der Ge-
lehrsamkeit gewesen, jetzt aber der Vergessenheit anheimgefallen war. Keine Warnungen vermochten ihn davon abzuhalten, den gefahrenvollen Abstecher von etwa 200 km durch die Felsenwildnis zu machen. Er hoffte, daß ihm das Empfehlungsschreiben Annurs an den Sultan Abdel-Kadiri in der Hauptstadt von Aïr den Weg ebnen würde. Vom 10. bis 30. Oktober, etwa drei Wochen, weilte Barth in der sagenumwobenen Stadt der Weisheit. Er vertiefte sich in eine Fülle von Büchern und Dokumenten aus den Zeiten einstiger Größe in Kunst und Wissenschaft. Das Verhältnis zum Sultan war von Anfang an sehr freundschaftlich. Auch den Einwohnern war der erste Europäer, der ihre Stadt betrat, sehr willkommen. Etwas beunruhigend fand Heinrich Barth hingegen die nach seiner Meinung hier herrschenden »leichten Sitten«: »Fünf oder sechs Mädchen oder Frauen kamen in unser Haus, um mir einen Besuch abzustatten, und luden mich mit großer Einfachheit ein, mit ihnen lustig zu sein. Zwei von ihnen waren leidlich hübsch und gut gebaut,« fährt er fort. Doch die Sünderinnen »gingen in ihrem Übermute jedenfalls etwas zu weit«, was seinen Prinzipien »äußerster Vorsicht und Zurückhaltung in Bezug auf das weibliche Geschlecht«, widersprach, so daß »diese ausgelassenen, keineswegs abstoßenden Personen«, ihn nicht haben »wankend machen können«. Allerdings fügt er dieser Schilderung die Schlußfolgerung an: »Es würde ohne Zweifel für einen Reisenden in diesen Ländern besser sein, wenn er eine Gefährtin mit sich nehmen könnte, sowohl hinsichtlich seiner eigenen Bequemlichkeit, als auch wegen der Achtung, in der er dann bei den Eingeborenen steht, die in ihrer Einfachheit nicht begreifen, wie ein Mann möglicherweise ohne weibliche Gesellschaft leben kann.« Die Stadt war nur noch ein Schatten ihres ehemaligen Glanzes, dessen Spuren man noch überall sehen konnte. Viele Wohnhäuser waren Ruinen, nur noch wenige Moscheen waren erhalten geblieben. Die Zahl der Einwohner war von 30000 während der Blütezeit auf 7000 zurückgegangen. Der liebenswürdige Asben-Herrscher Abd-el-Kadiri ließ seinem Gast bei der Abreise Empfehlungsschreiben an die Statthalter von Kano, Katsina und Daura aushändigen, die ihm noch von großem Nutzen
sein sollten. Im Namen seiner Auftraggeber konnte Heinrich Barth einen Handelsvertrag mit dem Sultan abschließen und damit seine erste offizielle Mission erfüllen. Anfang November traf er nach etwa einwöchiger Rückreise wieder in Tintellust ein, wo man sich wegen seiner langen Abwesenheit bereits große Sorgen gemacht hatte. Die Hoffnung, nun möglichst unverzüglich die Expedition nach Süden fortsetzen zu können, erfüllte sich nicht. Die Salzkarawane von Bilma ließ noch immer auf sich warten. Man bezog ein Standlager im Tale Ofayet, und Heinrich Barth nutzte die erneute Zwangspause, um das in Agades gesammelte Material zu sichten und einen Bericht an die englische Regierung zu schreiben in der Hoffnung, daß diese dann die dringend benötigten finanziellen Zuwendungen übermitteln würde. Anfang Dezember traf endlich die erste Abteilung der Salzkarawane ein und die Vorbereitungen für den lange erwarteten Aufbruch konnten beginnen. Am 12. Dezember konnte endlich die Weiterreise angetreten werden. Es ging Heinrich Barth zu langsam und mit zu vielen Aufenthalten voran. Es war eine wahre Völkerwanderung, die sich da in Richtung Süden in Bewegung setzte. Über 3000 Kamele zählten allein die Lasttiere, die in Tragkörben die grobkörnigen Salzplacken transportierten. »Es war ein ganzer Volksstamm in Bewegung, die Männer zu Fuß oder zu Kamel, die Frauen auf Rindern oder Eseln, mit allem Hausbedarf, ja selbst den leichten Wohnungen, Matten und Stangen, Töpfen und Mörsern, Schüsseln und Trinkschalen, – alles in buntem Gewirre umherhängend. Eine Rinderherde, sowie eine Herde Milch gebender Ziegen und eine Menge junger Kamele liefen nebenher, die letzteren, in ihrer spielenden unsteten Weise, unterbrachen oft störend die Reihen der aneinandergebundenen Lastkamele. Alles war Leben und Rüstigkeit und gewährte einen überaus anregenden Anblick. Der Boden, über den wir dahinzogen, war sehr rauh und felsig; anfänglich jedoch zeigte sich Graswuchs, bis der Sandstein vom Basalt unterbrochen wurde und nun die ganze Landschaft ein überaus kahles und verlassenes Ansehen erhielt.« Die mehrere Kilometer lange Karawane kam wegen ihrer Schwerfälligkeit nur sehr schleppend voran. Sie war in mehr als 30 Abteilun-
gen gegliedert, denen jeweils verschiedene Stammesgenossenschaften angehörten. Der Gesamtwert der Ladung betrug etwa 60000 spanische Taler. Ein knappes Drittel des Salzes ging nach Zinder, der weitaus größte Teil hatte Kano, das Handelszentrum im mittleren Sudan, zum Bestimmungsort. In den ersten Tagen des Jahres 1851 kündigte eine allmählich einsetzende und reicherwerdende Vegetation den Eintritt in eine neue Region an. Die Karawane gelangte aus der unfruchtbaren Hochfläche in eine Steppenlandschaft, die sie an der Schwelle des Sudan in das fruchtbare Gebiet der Provinz Damerghu führen sollte. Am 6. Januar sahen sie die ersten Kornfelder -. »Dies war ohne Zweifel ein wichtiger Abschnitt in unserer Reise«, notierte Barth in sein Tagebuch. »Hier nun hatten wir endlich jene fruchtbare Region des Innern Afrikas erreicht, die nicht allein ihre eigene Bevölkerung ernähren kann, sondern selbst jetzt bei wenig Industrie genug erzeugt, um fremde Länder zu versorgen. – Ich fühlte mich durch diesen Anblick innig erfreut und dankte der Vorsehung, daß sie meine Bemühungen so weit mit Erfolg gekrönt hatte; denn hier war ein reichliches lohnendes Feld für unsere Bemühungen eröffnet, ein Gebiet, das in der zukünftigen Geschichte der Menschheit von höchster Wichtigkeit werden dürfte.« Auch die Bauweise der Dörfer hatte sich gegenüber den bisher durchreisten Orten grundlegend verändert. Die Hütten waren nahezu völlig aus Hirserohr gefertigt und wurden durch die Fasern einer Seidenpflanze (Calotropia gigantea) zusammengehalten. Zwischen den Hütten standen kleine Kornschober. Die veränderte Landschaftsstruktur, die dichtere und reichere Besiedlung, die große Gastfreundschaft der Dorfbewohner ermöglichten es, die Weiterreise in kleineren Gruppen durchzufahren, was das Tempo wesentlich erhöhte.
Ereignisreiche Vergangenheit. In den subsaharischen Gebieten, in die die Expedition jetzt gelangte, war bereits im 1. Jahrtausend u.Z. die Urgemeinschaftsordnung durch höhere gesellschaftliche Entwicklungsformen überwunden worden. Im Prozeß der sich im Ergebnis sozialer und ökonomischer Differenzierungen herausbildenden frühen Klassengesellschaft war die Intensivierung der innerafrikanischen Handelsbeziehungen, auch durch die Sahara, ein wichtiger Faktor. Im Zusammenhang mit diesen Handelsverbindungen konnten die kulturellen Kontakte der afrikanischen Mittelmeergebiete mit dem subsaharischen Afrika belebt werden. Haupthandelsprodukte waren Gold und Salz. Weiterhin wurden aus dem Sudan Felle, Elfenbein, Straußenfedern, Halbedelsteine im Austausch gegen Leinwand, Baumwollwaren, Seide, Handwerkserzeugnisse, Haushaltwaren, Werkzeuge und Waffen exportiert. An den Zielorten der Karawanenstraßen und deren Knotenpunkten bildeten sich städtische Zentren, die gleichzeitig auch die Mittelpunkte der sich bildenden Staaten wurden. Hier hatte die herrschende aristokratische Oberschicht ihren Sitz, übte Kontrolle über den Handel aus und bezog aus Zöllen lukrative Einnahmen, die ihre ökonomische und damit auch soziale und politische Vormachtstellung festigten. Es gab drei transsaharische Karawanenstraßen. Die westliche führte von Marokko nach Timbuktu, die mittlere Route begann in Tripolis und verlief über Ghadames, Ghat, Agades nach Kano, während der östliche Weg vom gleichen Ausgangspunkt über Mursuk, Bilma zum Tschadsee gelangte. Die Erforschung der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie zählte zu Heinrich Barths Hauptanliegen. In den von ihm bereisten Handelszentren, zu denen die wichtigsten Knotenpunkte der Karawanenstraßen zählten, nutzte er dafür ausgiebig jede sich ihm bietende Gelegenheit. Seine Aufzeichnungen enthalten bis ins Detail gehende Beschreibungen über Herkunft, Art, Menge, Qualität und Preise der Handelswaren. Nicht zuletzt interessierten ihn auch die Verkaufsgewohnheiten auf den Märkten. Besonders eingehend
untersuchte er den Salzhandel und die Textilmanufakturen, die in einigen Städten entstanden waren. Seine Untersuchungen beschränkten sich jedoch nicht auf die Ausdehnung und den Umfang des weitverzweigten sudanesischen Handelssystems, er ging auch der Geschichte des Handels nach. Die Salzsteuer bildete eine der wichtigsten Einkünfte der aristokratischen Oberschicht, war aber auch eine willkommene Pfründe des Steuerbeamten, dessen Tätigkeit Heinrich Barth während seiner Reise mit der Salzkarawane interessiert beobachtete. Er hatte nach Barth die Aufgabe, »jährlich die Salzkarawane der Kel-geress, weiche den westlichen Teil des mittleren Sudan mit dem Salze von Bilma versieht, von Agades nach Sokoto zu begleiten und sowohl auf der Straße zu beschützen, als auch gegen übertriebene Erpressungen der Bewohner jener Residenz zu sichern. Für diese Bemühung erhält er im Durchschnitt einen ›Kantu‹, das heißt soviel als den achten Teil von jeder Kamelladung... Dies bildet eine für dieses Land beträchtliche Einnahme im allgemeinen wohl von 8 bis 10000 Spanischen Talern. Die Karawane besteht nämlich immer aus einigen 1 000 Kamelen und gewiß nie weniger als etwa 3000, worin jedoch auch die Reservetiere eingerechnet sind; auch sind nicht alle Tiere gleich schwer beladen, Der ›Kantu‹ Salz bringt im Sudan 5 bis 7000 und 8000 Muscheln ›Kurdi‹- ein, was dem Werte von zwei bis drei spanischen Talern gleichkommt. Unter diesen Umständen versteht es sich von selbst, daß diese Beamten, welche zu gleicher Zeit auf ihre eigene Rechnung handeln, bedeutenden Reichtum ansammeln.« Bei den mit vielen statistischen Daten belegten verkehrsgeographischen Analysen hatte Heinrich Barth, dem Auftrag der britischen Regierung folgend, die Möglichkeiten und Zweckmäßigkeiten des Wirtschaftsverkehrs einzuschätzen. Dabei kam er zu dem Resultat, daß für die beabsichtigte Steigerung des Handelsvolumens die Landwege kaum geeignet seien. Seine weiteren Forschungen waren deshalb schwerpunktmäßig auf die Wasserstraßen orientiert. Mit dem Auffinden und Auswerten historischer Quellen, die bisher unbekannt geblieben waren, hat Heinrich Barth entscheidend zur Erforschung der Geschichte Afrikas beigetragen. Er stützte sich in seiner Arbeit nicht nur auf schriftliche Dokumente, sondern bezog auch
die mündlichen Überlieferungen, die Vielzahl von Mythen und Legenden ein. Damit verließ er das Prinzip bisheriger europäischer Afrikageschichtsschreibung, die sich auf die Frage konzentrierte, was bereits in der Antike über Afrika bekannt war, und die den Spuren der Griechen, Römer, Phönizier und Karthager folgte. Innerafrikanische Quellen wurden erstmals systematisch von Heinrich Barth ausgewertet und damit vom eurozentristischen Standpunkt der Historiographie zugunsten der Anerkennung eigenständiger historischkultureller Leistungen der afrikanischen Völker abgerückt. Die Veränderungen der sozialökonomischen und politischen Verhältnisse hatten auch im subsaharischen Raum während einer längeren Phase des Zerfalls der Urgemeinschaftsordnung zur Staatenbildung geführt. Die früheste Staatengründung in dem von Heinrich Barth erforschten Gebiet war das alte Ghana-Reich, dessen Anfänge bis in das 4. Jahrhundert zurückreichen. Nach schweren Auseinandersetzungen mit dem westafrikanischen Volk der Soninke und den Berbern erlebte es im 9. und 10. Jahrhundert seine Blütezeit, in der sich sein Territorium vom Atlantik bis nahe Timbuktu erstreckte. Im Jahre 1076 wurde das Reich von den Almoraviden unter Abu Bakr erobert und tributpflichtig gemacht. Obwohl Ghana wenige Jahre später die Unabhängigkeit wiedererlangte, konnte es seine frühere Bedeutung nicht wieder erreichen und wurde schließlich 1240 von dem legendären »Löwen von Mali«, Sunddjata zur Provinz seines Reiches gemacht; Das Mali-Reich hatte unter dem von 1307 bis 1332 regierenden Mansa Musa seinen Höhepunkt. Es erstreckte sich von Tekrur im Westen bis Gao im Osten, von dem Sahara-Hochland Aïr im Norden bis zum tropischen Urwald im Süden. Zeitgenössische Chronisten und Reisende, wie der berühmte Ibn Batutta, der den Sudan Mitte des 14. Jahrhunderts bereiste, berichten von bedeutenden kulturellen Leistungen des alten Mali. Besonderes Aufsehen erregte die prunkvolle Pilgerfahrt des Mansa Musa nach Mekka 1324. In seinem, von endlosem Gefolge begleiteten Zug, sollen 500 Sklaven riesige Goldmengen transportiert haben. Doch das Anliegen des Königs war nicht nur die Reise zum Grabe des Propheten. Er wollte Macht und Reichtum demonstrieren und Handelsverbindungen zu seinen nördlichen
und östlichen Nachbarn in Ägypten und der arabischen Halbinsel herstellen. Der Erfolg blieb nicht aus. Unter dem Zustrom der Kaufleute und Gelehrten entwickelten sich die Städte Gao, Timbuktu und Djenne zu bedeutenden wirtschaftlichen und kulturellen Zentren. Es entstanden in dieser Zeit prächtige Bauwerke, insbesondere Moscheen und Paläste. Doch in dem riesigen Reichsgebiet vollzog sich mit dem ausgehenden 14. Jahrhunderte in Prozeß partikularistischer Abspaltungen, der zum Abfall der Vasallen führte. In den Jahren 1465 bis 1500 nahm schließlich Songhai, der dritte bedeutende Staat des mittelalterlichen Sudan, der bis ins 14. Jahrhundert noch ein Vasall Malis gewesen war, einen großen Teil des Reiches in Besitz. Sonni Ali der Große eroberte 1468 Timbuktu und Djenne. Der Höhepunkt der politischen Macht wurde in der Regierungszeit (1493 -1528) von Askia Muhammed Ture I. erreicht, dem es gelang, in den von seinen Vorgängern eroberten Gebieten eine funktionsfähige Zentralgewalt aufzubauen. Unter der von ihm begründeten neuen Dynastie der Askia dehnten sich die Grenzen des Reiches weiter aus, so daß auch die Hausa-Stadtstaaten Zamfara, Katsina, Zaria und Kano einverleibt wurden. Das Gebiet um den Mittellauf des Niger war ein reich bevölkertes, blühendes Land, in dem mehr als siebentausend Dörfer dicht zusammenlegen. Mit der Ausweitung des Reiches fielen neue Reichtümer, insbesondere Salzbergwerke in die Hände der Herrscher von Songhai, die mit Gold, Elfenbein, Sklaven handelten. Bei der Konsolidierung des Großreiches spielte der Islam eine entscheidende Rolle. Er bildete über die Stammesgrenzen hinaus das einigende Band, förderte den wirtschaftlichen Aufschwung und die Handelsbeziehungen. Mit der Herausbildung des monotheistischen Staatskults, der den Herrschern eine besondere religiöse Verehrung sicherte, wurden die Ausbeutungsverhältnisse gefestigt. Die Ausbreitung des Islam vollzog sich im wesentlichen entlang den Handelswegen. Mohammedanische Kaufleute aus Nordafrika, denen die Kleriker folgten, sorgten seit dem 8. Jahrhundert für seine Verbreitung. Die herrschende Klasse erkannte bald seinen Nutzen und förderte nach Kräften seinen Einfluß. Dabei lag die Bedeutung des Islam für sie weniger in dem theologischen System, sondern in den Institutionen und
den für ökonomische und politische Zwecke nützlichen Praktiken, wie die Einführung der islamischen Gerichtsbarkeit und Steuergesetzgebung. Maß- und Gewichtssysteme wurden vereinheitlicht, Handel und Gewerbe durch Privilegien gefördert und der Ackerbau durch neue Techniken und Bewässerungsanlagen intensiviert. Hauptgebiete des Islam waren die städtischen Zentren von Handel und Handwerk. Hier erlangte er auch bei der Förderung des kulturellen Lebens große Bedeutung. Er erleichterte die Einführung der Schriftsprache, die Isiamschulen und höheren Lehranstalten wurden zu Heimstätten der Wissenschaft, an denen man sich keineswegs auf das Studium des Koran beschränkte; gleichermaßen wurden Literatur Geschichte, Geographie, Mathematik und Astronomie gelehrt. Der sudanesische Gelehrte Ahmed Baba hat eine Biographie nahmhafter Wissenschaftler Timbuktus verfaßt und beschreibt darin Leben und Wirken von über hundert Dichtern, Juristen, Mathematikern, die eine Fülle bedeutender Chroniken und wissenschaftlicher Werke vorlegten. Auf Einladung der Herrscher Songhais kamen zahlreiche arabische Gelehrte und Ärzte nach dem Sudan, unter ihnen viele Opfer der vom religiösen Fanatismus der katholischen Kirche aus Spanien vertriebenen Mauren. In der sozialökonomischen Struktur des Reiches Songhai hatten sich die Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse weiterentwickelt und die Arbeitsteilung zwischen Handwerk, Landwirtschaft und Handel herausgebildet. Adel und Geistlichkeit besaßen große Güter, die von Sklaven bearbeitet wurden. Das aufblühende Land weckte die Besitzgier der Sultane von Marokko. Bereits 1584 gelang es ihnen, die Bergwerke von Tag-hazza an sich zu reißen, und sieben Jahre später wurde Timbuktu das Opfer des Überfalls der Armee des Djudar Pascha, der eine barbarische Blutherrschaft errichtete und die Kulturschätze vernichten ließ. Auf Befehl des Sultans Mulei Ahmed al-Mansur mußten alle Gelehrten und deren Familien den Todesmarsch durch die Wüste nach Marokko antreten. Es gelang Marokko jedoch nicht, Songhai völlig niederzuwerfen. Im erbitterten Partisanenkrieg fügte die einheimische Bevölkerung dem marokkanischen Heer schwere Verluste zu. Im ganzen Land brachen Aufstände aus, die trotz marokkanischer Übermacht nicht unter-
drückt werden konnten. Auf die Dauer vermochte der Sultan die annektierten Gebiete nicht zu halten und zog seine Truppen zurück. Songhai war jedoch nicht in der Lage, seine Größe wiederzuerlangen. Die Selbständigkeitsbestrebungen der Vasallen schwächten das zerfallende Land und lieferten es den Einfällen der Tuareg und Fulbe aus. Auch südlich des Nigerbogens war es seit dem 11. Jahrhundert zu Staatenbildungen gekommen. Die hier ansässigen Mossi gründeten die kleinen Königreiche Wagadugu und Yatenga, in die der Islam keinen Eingang fand. Durch Überfälle auf Städte und Handelszentren im Bereich des Niger störten die Mossi die Entwicklung in den islamischen Gebieten empfindlich. Mehr als die Mossi-Königreiche ist die Geschichte der HausaStadtstaaten bekannt, die unmittelbares Reiseziel Heinrich Barths waren. Seit etwa dem 10. Jahrhundert bildeten sich östlich von Songhai die sieben Städte Gobir, Daura, Biram, Kano, Rano, Zaria und Katsina als wirtschaftliche Zentren heraus, in denen sich auch die in den Händen von Adelsdynastien befindliche Macht konzentrierte. In den von breiten Wällen und Gräben geschätzten Städten entfaltete sich die handwerkliche Produktion, deren Erzeugnisse im wesentlichen von Sklaven gefertigt wurden. Zu Hauptexportartikeln zählten Metall- und Lederwaren, sowie Baumwollstoffe in leuchtenden Farben. Nach vorübergehender Eroberung durch den Songhai-Herrscher Askia Muhammed I. errangen die Stadtstaaten Mitte des 16. Jahrhunderts wieder ihre Unabhängigkeit und schlossen sich zum besseren Schutz gegen Eindringlinge trotz aller inneren Differenzen fester zusammen, was die Herausbildung einer gemeinsamen HausaSprache förderte. Nach dem Zerfall des gefürchteten SonghaiReiches führten die wirtschaftlichen Sonderinteressen die Städte wieder zum Zerwürfnis. In dem alten Kulturzentrum des Tschadseegebietes bildeten sich ebenfalls im Ergebnis der Klassenspaltung staatliche Organisationsformen heraus. Etwa im 8. bis 9. Jahrhundert entstand das Reich Kanem, das von der herrschenden SefuwaDynastie durch zahlreiche Eroberungen ständig ausgeweitet wurde. Mit der Übernahme des Islam als Staatsreligion wurde in der 2. Hälf-
te des 11. Jahrhunderts die staatliche Zentralgewalt konsolidiert. Unter Mai (König) Dunama Dibalami erfuhr das Reich seine größte Ausdehnung. Es grenzte im Norden an Fessan, reichte im Süden bis zum heutigen Dikwa, im Osten bis Wadai und im Westen bis zu den Hausa-Stadtstaaten. Der Macht des Reiches entsprachen vielfältige politische und ökonomische Beziehungen, die bis nach Ägypten und Tunis reichten. Ähnlich wie in den anderen Staaten des mittleren und westlichen Sudan untergruben die Autonomiebestrebungen der Vasallen die Einheit des Reiches. Der einsetzende Verfall wurde durch Aufstände einzelner Volksstämme verstärkt. So erzwangen die Bulala Ende des 14. Jahrhunderts ein autonomes Gebiet nordöstlich des Tschadsees. Durch die Auswanderung aus diesem Territorium wurde die Provinz Bornu, ursprünglich Grenzmark des Reiches, zu dessen neuem Machtzentrum. Auch als unter Idris 11. (1 504 -1526) die Reichsteile wieder vereinigt wurden, verblieb der Sitz der SefuwaDynastie in Bornu. Unter Idris Alaoma (1571 -1603) erlebte das Reich eine erneute Blüte und den Höhepunkt seiner Macht, zerfiel jedoch ebenfalls infolge feudaler Zwistigkeiten.
Auf getrennten Wegen. Seit Beginn der Expedition hatte es zwischen Barth und Richardson Unstimmigkeiten gegeben. Sie waren in den unterschiedlichen Charakteren, vor allem aber in den verschiedenen Auffassungen über die Ziele der Expedition begründet. War es zunächst noch möglich gewesen, die Spannungen zu überbrücken, so verstärkte sich der Konflikt mit den zunehmenden Schwierigkeiten. Richardson brachte für die Forschungsarbeiten Barths und Overwegs immer weniger Verständnis auf. Um die unliebsamen und hinderlichen Reibereien, die früher oder später zu einem Zerwürfnis führen mußten, zu vermeiden, faßte Barth den Entschluß, die Expedition nunmehr nach erfolgreicher Durchquerung der Sahara für eine gewisse Wegstrecke getrennt weiterzuführen. Bei der Ortschaft Taghejel setzte er sein Vorhaben, das er mit Overweg beraten hatte, in die Tat um. Barths Entscheidung wurde auch durch die mißliche finanzielle Lage der Expedition motiviert. Das Geld aus dem englischen »Mutterland« war ausgeblieben, und es war zweifellos einfacher, in kleineren Gruppen mit weniger Aufwand den Weg fortzusetzen. Die Expedition teilte sich nach Barths Plan für etwa zwei bis drei Monate in drei Abteilungen: Richardson begab sich, begleitet von Annur, in das etwa nur noch 100 km südlich bereits im Herrschaftsgebiet des Sultans von Bornu gelegene Zinder. Während Annur nach Erreichen des Ziels umkehren würde, beabsichtigte Richardson den Weg bis nach Kukawa (Kuka), der Hauptstadt des Reiches, fortzusetzen. Schwieriger war die Overweg zugedachte Route. Er sollte von dem südwestlich von Damerghu gelegenen Karawanenstützpunkt Tessaoua in das noch unerforschte Gebiet um Maradi vordringen, um ein wichtiges Terrain des mittleren Sudan geologisch zu erschließen und astronomisch zu vermessen. Am kompliziertesten war zweifellos die Aufgabe, die sich Heinrich Barth selbst zugedacht hatte. Sein Ziel war, über Katsina in die geheimnisumwitterte, noch unbekannte Großstadt Kano im mittleren Sudan zu gelangen.
Am 11. Januar 1851 war der Tag der Trennung von Richardson gekommen. Man vereinbarte, Anfang April in dem 700 km entfernten Kukawa am Tschadsee wieder zusammenzutreffen. Barth war glücklich, nun ungehindert und nach eigenem Ermessen die folgende Etappe der Expedition gestalten zu können. Voller Zuversicht sah er der Zukunft und der zu erwartenden reichen wissenschaftlichen Ausbeute entgegen. Mit großem Interesse registrierte er die immer reichhaltiger werdende Vegetation, insbesondere die sich vergrößernde landwirtschaftliche Nutzfläche. Bald sah er die ersten Baumwollfelder und einen in voller Blüte stehenden Tulpenbaum. Am 14. Januar schlug auch Overweg, der Barth noch einige Tage begleitet hatte, einen anderen Weg ein. Treuer und zuverlässiger Reisebegleiter Heinrich Barths war nun Eleidji, der Bruder des Scheichs Annur, dem die Kafla bis zur Trennung der Expedition anvertraut gewesen war. Bereits Mitte des Monats erreichten sie Tessaoua als ersten größeren Ort des Sudan. Die etwa 10000 Einwohner zählende Stadt machte einen freundlichen Eindruck. Heinrich Barth interessierte sich vor allem für die Lebensweise der Bevölkerung. Ihre Wohnstätten wurden von einem, aus hohen Rohrmatten bestehenden Zaun umgeben. Die in einem Hof gelegenen, mit Rohr gedeckten Lehmhütten waren äußerst behaglich. Auffallend viele Kinder tummelten sich inmitten der Haustiere. Wo ein gewisser Wohlstand herrschte, gesellten sich zu den Ziegen, Hühnern und Tauben noch ein Ochse oder gar ein Pferd. Die Liebe zu Geselligkeit, Gesang und Tanz war unverkennbar. Von Polygamie war nichts zu sehen. Den Luxus einer zweiten, jüngeren Frau konnten sich nur sehr wenige leisten. Die übergroße Mehrheit der Männer schien mit einer einzigen Frau und einer großen Kinderschar ein glückliches Familienleben zu führen. Am 22. Januar hatte sich Heinrich Barth bis auf wenige Kilometer dem bedeutenden Handelszentrum Katsina genähert. Er befand sich jetzt im Gebiet der Fulbe. »Es war ein wichtiger Abschnitt in meiner Reise«, vermerkt sein Tagebuch, »hier hatte ich das Gebiet jenes merkwürdigen Stammes erreicht, der in nachweisbarem allmählichen Strome von Westen von den Ufern des Senegal her, sich über das ganze Innere von Zentralafrika verbreitet hat, zuerst still und bescheiden als Waldhirten, fried-
lich in den Waldungen und Triften mit ihren Rinderherden lebend, dem Rinde, das sie in diese Gegend erst einführten, dann immer stärker und stärker werdend und schon im sechzehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung selbst in Bornu als ein bemerklicher Teil der Bevölkerung auftretend, allmählich sich in die politischen Verhältnisse mischend, schon seit dem Fall des Songhay-Reiches, dann aber im Anfange dieses Jahrhunderts von reformatorischem Impuls des Islam ergriffen, siegreich neue Reiche auf den Trümmern der alten gründend. Für den ganzen Erfolg meiner Entdeckungsreise war es von der höchsten Bedeutung, wie ich mich zu diesem herrschenden Stamme stellen sollte. Hier war die erste Provinz jener ausgedehnten Reiche, hier der erste fast unabhängige Statthalter.« Unvoreingenommen erforschte Heinrich Barth an Hand der ihm zur Verfügung stehenden Quellen die Geschichte der Fulbe und gab als erster Europäer eine objektive Darstellung der Entwicklung und Verbreitung dieses Volkes. Barths Schilderungen enthalten nicht die Spur einer rassistischen Überlegenheitstheorie, mit der spätere »Forscher« umfangreiche Werke füllten. Zweifellos weisen die Fulbe mit ihrem unverkennbar europäischen Gesichtsausdruck innerhalb der subsaharischen Völker eine anthropologische Sonderstellung auf. Entgegen der negriden Bevölkerung haben sie schmale Nasen und Lippen, sind hellbraun, schlankwüchsig, relativ groß und haben langes schwarzes Haar. Durch nichts aber wird die von Kolonialapologeten vertretene Rassentheorie belegt, daß die Fulbe, der seßhaften Bevölkerung an Intelligenz weit überlegen, im Rahmen der afrikanischen Wanderbewegung erst die Kultur in den Sudan gebracht hätten und durch besondere Befähigung zur Staatenbildung hier erst die Entwicklung frühfeudaler Staaten ermöglicht hätten. Diese unwissenschaftliche Behauptung erweist sich nicht nur als allzu durchsichtige kolonial-rassistische Apologetik, sie ignoriert zugleich den gesetzmäßigen historischen Prozeß, der auf der Klassendifferenzierung beruhenden Staatenbildung und »übersieht« völlig den bedeutenden gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungsstand, der bereits vor dem Eintreffen der Fulbe im Sudan erzielt worden war.
Die Fulbe, ein Volk der Viehzüchter, waren seit dem 15. Jahrhundert aus ihrem Stammland, der westlichen Sahel, nach Osten gezogen und entwickelten sich hier im Gebiet der bäuerlichen Hausa-Bevölkerung zur herrschenden Schicht in den bereits bestehenden, sich umformenden oder neubildenden Staaten. Doch nicht besondere ethnische oder intellektuelle Eigenschaften ließen sie im Prozeß der »herrschaftlichen Landnahme« diese Stellung erzielen, Grundlage ihres Aufstiegs bildeten vielmehr die sozialökonomischen Verhältnisse. im Verlaufe des Seßhaftwerdens setzte sich auch bei den Fulbe der Prozeß der sozialen Differenzierung fort. Eigentlicher Nutznießer der Eroberungen war die Fulbe-Aristokratie, die zur Festigung ihrer Macht im Verlaufe des 18. Jahrhunderts westlich des Nigerbogens die staatlichen Theokratien Futa Dschalon (Guinea), Futa Toro und Massina (Mali) errichteten. Östlich des Nigerbogens, im Bereich der Hausa-Staaten, dem Gebiet, in das Heinrich Barth im Frühjahr 1851 gelangte, war im Ergebnis der politisch-religiösen Erhebung des islamischen FulbeWanderpredigers Uthmán dan Fodio (1754-1817) gegen den Herrscher von Gobir, der Ende des 18. Jahrhunderts unter den rivalisierenden Hausa-Stadtstaaten eine Vormachtstellung errungen hatte, Anfang des 19. Jahrhunderts das Sokoto-Reich gegründet worden. Von 1805 bis 1807 wurde Kebbi, 1807 Kano und Katsina erobert. Mit dem Fall von Gobir (1810) entstand schließlich aus der Vereinigung der bisher partikulär getrennten Stadtstaaten das Großreich. in den Hausa-Staaten hatte sich innerhalb der hier seit dem 15. Jahrhundert eingewanderten Fulbe eine wohlhabende Aristokratie herausgebildet, deren wachsende ökonomische Stärke im Widerspruch zu der ihr von dem Hausa-Adel vorenthaltenen politischen Macht stand. Der Aufstand Uthmán dan Fodios brachte nun die erstrebte Neuverteilung der politischen Machtverhältnisse zugunsten der Fulbearistokratie. Ihr Sieg wurde auch dadurch begünstigt, daß sich die unterdrückten Hausa-Schichten, die von dem Umsturz eine Verbesserung ihrer sozial-ökonomischen Lage erhofften, dem Aufstand angeschlossen hatten. Uthmán dan Fodio hatte als ideologische Begründung seines »Heiligen Krieges« den Kampf für die reinen Ziele des islamischen Glaubens propagiert, von dem der ungläubige Hau-
sa-Adel abgewichen wäre. Ein Ziel, dem sich die fanatisch islamisierten Fulbe umso mehr anschlossen, da sie sich davon durchaus auch weltlichen Nutzen versprachen. Die propagierten Reformen des sozialen Ausgleichs und menschenwürdiger Behandlung fanden die Unterstützung der ausgebeuteten Hausaschichten. Nach vollzogenem Machtwechsel waren freilich die sozial-revolutionären Zielstellungen vergessen. Ein Umstand, der weniger Uthmán dan Fodio anzutasten ist, dessen subjektive Ehrlichkeit außer Zweifel steht, als vielmehr der Tatsache, daß mit der an die Macht gelangten Fulbe-Aristokratie nur die Nutznießer der Ausbeutung wechselten, die Ausbeutungsverhältnisse selbst jedoch unangetastet blieben. Das allerdings führte dazu, daß die enttäuschten Hausa-Massen sich abwandten und den Aufstandsversuchen des Hausa-Adels, der die politische Macht zurückerobern wollte, ihre Unterstützung gaben. Zweifellos hatte die Gründung des Sokoto-Großreiches positive gesellschaftliche Auswirkungen. Die ständigen verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden HausaStaaten wurden unterbunden. Das führte zu einem Aufschwung von Ackerbau, Handwerk und Handel, die durch ein gut funktionierendes feudales Verwaltungssystem weitergefördert wurden. Auf der Grundlage der gestärkten Wirtschaft entfaltete sich auch ein vielfältiges geistig-kulturelles Leben. Das Sokoto-Reich wurde in Emirate gegliedert, deren Grenzen etwa den ehemaligen Hausa-Staaten entsprachen, doch reichte das Reich über das Kerngebiet der Hausa hinaus bis zum Tschadsee und Adamaua. Die vom Sultan als Oberhaupt des Reiches eingesetzten Emire standen an der Spitze des Hochadels ihres jeweiligen Territoriums. Sie stützten sich auf einen Exekutivrat, dessen privilegierten Mitglieder als Lehnsfürsten die einzelnen Provinzen der Emirate beherrschten. Im Prozeß der Assimilierung verlor sich mehr und mehr die zunächst vordergründige ethnische Differenzierung, während die Trennung in antagonistische Klassen das vorherrschende gesellschaftliche Element wurde. So konnte ein Angehöriger des alten Hausa-Adels bei entsprechender politischer Anpassung durchaus hohe Beamtenstellen mit allen sich daraus ergebenden Vorrechten einnehmen, während
der arme Fulbe-Nomade den herrschenden Ausbeutungsverhältnissen ebenso unterworfen war wie sein Hausa-Klassengenosse. Nach dem Tode Uthmán dan Fodios wurde 1817 das Sultanat aufgeteilt. Sein Sohn Muhammed Beilo erhielt die östlichen Gebiete, einschließlich Adamauas, mit Sitz in Sokoto, dem Zentrum der ehemaligen HausaStaaten. Sein Bruder Abdullahi, der Führer der militärischen Expansion, residierte in den Westprovinzen mit der Hauptstadt Gando. Die Teilung leitete jedoch ein Prozeß der Dezentralisierung ein, der sich in der Folgezeit verstärkte und schließlich wenige Jahrzehnte später die in das Land eindringenden Kolonialmächte in ihrer Expansion begünstigte. Am 24. Januar 1851 hatte Heinrich Barth Audienz bei Sultan Beilo. Er war ein Mann mittleren Alters und äußerst einfach gekleidet. Zu Barths Erleichterung war er trotz allen Mißtrauens Fremden gegenüber jedoch so zugänglich, daß es möglich war, die Stadt ungehindert zu besichtigen. Katsina war während des 17. und 18. Jahrhunderts als bedeutender Knotenpunkt der transsaharischen Karawanenstraße eine blühende Stadt, ein Zentrum des geistigen Lebens der subsaharischen Staaten. Nach der Eroberung durch die Fulbe veränderte sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Lage. Die ausländischen Kaufleute siedelten in das südwestlich gelegene Kano, das sich zum Handelszentrum entwickelte und Katsina verfiel. Am 30. Januar verließ Heinrich Barth mit seinem kleinen Reisetroß die Stadt in Richtung Kano. Die Landschaft, in die sie kamen, zählte, wie er später feststellte, zu den schönsten, anmutigsten Gegenden, die er je gesehen hat. Wie von Künstlerhand gestaltet, erhob sich über dem leicht hügligen Gebiet eine reichhaltige Vegetation, die von unzähligen farbenprächtigen Vögeln belebt wurde. Je mehr sie sich Kano näherten, umso beeindruckender wurden die Schilderungen, die ihnen Reisende von dem »afrikanischen London« gaben, so daß Heinrich Barth mit größter Spannung dem Ort entgegensah, der ihn in seinen Bann gezogen hatte. Als er Anfang Februar in Kano eintraf, lag bereits ein Jahr voller Mühen und Entbehrungen hinter ihm, die jedoch angesichts des erreichten Ziels verflogen.
In Anbetracht der mißlichen materiellen Verhältnisse der Expedition vermochte die Freude über den Erfolg jedoch nicht die Sorgen über die Zukunft zu zerstreuen. Heinrich Barth stand praktisch vor dem Nichts: »Kano war für uns eine wichtige Station, nicht allein in wissenschaftlicher, sondern auch in materieller Hinsicht. Anstatt mit barem Geld waren wir in Mursuk mit Waren versehen worden, denn dies war uns nicht allein sicherer, sondern selbst als ungleich vorteilhafter dargestellt worden. Die erste Angabe erwies sich als der Wahrheit gemäß, aber die zweite war eine Unwahrheit... In der Folge der schweren Erpressungen, denen wir auf der Straße nach Aïr ausgesetzt gewesen, und des langen Aufenthaltes in jenem Lande war unser ganzer Vorrat an kleinen Waren, die leicht und schnell im Verkauf oder Tausch gegen die laufenden Bedürfnisse umzusetzen sind, verbraucht. Alles was mir verblieben war, beschränkte sich auf die kleine Quantität der wertlosesten Waren, die ich mit Singluna, dem Handelsreisenden Annurs nach Kano vorausgesandt hatte. Ihr ganzer Wert mochte sich bei gutem, vorteilhaftem Absatz auf 500000 Kurdi oder 200 Spanische Taler belaufen.« Demgegenüber standen Schulden in Höhe von 112300 Kurdi für Miete, Transportkosten und verauslagte Geschenke, die von den Gläubigern nachdrücklich zurückgefordert wurden. Außerdem erforderten es die Bräuche, daß er dem Statthalter von Kano ein ansehnliches Gastgeschenk zu machen habe. Umso niederschmetternder war deshalb die Mitteilung, daß die Preise für die vorausgesandten Waren stark gefallen waren. »Meine Lage war umso unerfreulicher«, schreibt Barth, »als der Name des Platzes schon seit langer Zeit meine Einbildungskraft in Tätigkeit gesetzt und meine Erwartungen auf das Höchste gesteigert hatte. Ich war in der Tat ein wenig entmutigt und teils aus Besorgnis und Bekümmernis, teils aus Mangel an Bewegung (Barth durfte, so lange ihm keine Audienz bei dem Statthalter gewährt worden war, seine Wohnung nicht verlassen. W. G. ) bekam ich in wenigen Tagen einen heftigen Fieberanfall, der mich auf mein hartes Lager niederwarf und in kurzer Zeit fast aller Kräfte beraubte... Glücklicherweise besaß ich Geisteskraft genug, um mich so weit aufzuraffen, einer Einladung zu einer Audienz bei dem Statthalter auf
den 18. Februar Folge zu leisten. Indem ich da die wenigen wertvollen Sachen, die ich noch besaß, aufopferte, ebnete ich mir den Weg zu fernerem Vordringen. Auch hatte die Anstrengung, welche ich zu ertragen hatte, um den Besuch abzustatten, den guten Erfolg, m ich über meine Schwäche zu erheben, wie das gewöhnlich bei mir der Fall war, und allmählich ein gesunderes Befinden anzubahnen. Denn die Entfernungen der Quartiere sind in Kano sehr bedeutend und mit denen der größten europäischen Hauptstädte wohl zu vergleichen, und die Zeremonien, welche bei einer Audienz durchzumachen sind, geben denen an einem europäischen Hofe an Lästigkeit gewiß nichts nach.« Nach der Audienz hatte Barth die Erlaubnis, die Stadt nach Belieben zu durchstreifen: »Wie wir uns so kreuz und quer durch alle bewohnten Quartiere wandten, konnte ich von meinem Sattel aus all die verschiedenen Szenen des öffentlichen und Privatlebens übersehen, Bilder ruhiger Behaglichkeit und häuslichen Glücks, wie eitler Verschwendung und verzweifelten Elends, rüstiger Tätigkeit und schlaffer Trägheit; hier ein Bild des Gewerbefleißes, dort ein anderes der äußersten Gleichgültigkeit. Alle Seiten des Lebens zeigten sich mir in den Straßen, auf den Marktplätzen und in dem Inneren der Häuser. Es war ein reiches lebendiges Bild einer kleinen Welt für sich, äußerlich durchaus von dem, was man in europäischen Städten zu sehen gewohnt ist, verschieden und doch in seinen vielfachen Triebfedern so ähnlich. Hier war eine Reihe Läden voll einheimischer und fremder Waren, mit Käufern und Verkäufern in allen Abstufungen von Gestalt, Farbe und Kleidung, aber alle auf das eine Ziel bedacht, durch Übervorteilung des anderen sich einen kleinen Gewinn zu machen; dort eine große Schattenbude wie eine Hürde, voll halb nackter, halb verhungerter Sklaven, ihrer Heimat, ihren Weibern oder Männern, ihren Eltern oder Kindern entrissen, wie Vieh in Reihen aufgestellt und verzweifelnd auf die Käufer starrend, ängstlich erwartend, in wessen Hände ihr Schicksal sie führen würde. Ein anderer Teil der Buden war mit Lebensbedürfnissen aller Art angefüllt, wo der Reiche die schmackhaftesten Dinge für sein Haus findet und der Arme anhält und begie-
rig auf ein Stück trockenes Brot schaut, um seinen Hunger zu stillen.« Nach der übersiedlung der Kaufleute von Katsina war Kano seit Beginn des 19. Jahrhunderts wirtschaftlich erstarkt und hatte zur Zeit Barths etwa 30000 Einwohner, deren Zahl sich in den Hauptgeschäftsmonaten Januar bis April nahezu verdoppelte. Kano erlangte nicht nur als Handelszentrum, sondern auch als Sitz von Manufakturen Bedeutung. Es wurden einheimische Produkte verarbeitet, vor allem zu Baumwollerzeugnissen, die man mit selbstgezogenem Indigo färbte. Ein weiteres, in größerem Umfang gefertigtes Produkt waren Sandalen und andere Kleinlederwaren. Als innerafrikanisches Handelsprodukt stand das Salz an erster Stelle. Auch aus Europa wurden Waren eingeführt. Sie bestanden vor allem aus englischem Kattun, französischer Seide, rotem Tuch aus Sachsen, Glasperlen aus Venedig, Spiel- und Kurzwaren aus Nürnberg, Klingen aus Solingen und Zucker aus Marseille. Von größter Bedeutung war auch die landwirtschaftliche Produktion. Die Provinz Kano war außerordentlich fruchtbar. Mit dem geernteten Getreide konnte nicht nur die eigene Bevölkerung ernährt werden, sondern es war auch ein wichtiger Exportartikel. Während des fünfwöchigen Aufenthalts in dem großen Handelszentrum sah Heinrich Barth tiefes Elend. Er ließ es nicht dabei bewenden, die Gegensätze von Reichtum und Armut festzustellen, sie fanden auch seine scharfe Kritik. Da die herrschenden Klassen Preußens in dieser sozialen Anklage mit Recht auch eine Mißbilligung der Verhältnisse im eigenen Lande vermuteten, sollte Heinrich Barth ihre Revanche später noch deutlich zu spüren bekommen. Da sich Barth gerade während der Haupthandelszeit in Kano aufhielt, hatte er reichlich Gelegenheit, seine Forschungen über Handel, Gewerbe und Lebensverhältnisse zu vertiefen. Von den aus allen Teilen des Sudan eintreffenden Händlern konnte er wichtige Informationen über die Wegeverhältnisse des Landes sammeln, die für die Fortsetzung der Expedition eine große Hilfe waren. Dabei erweckte die Mitteilung über eine Straße, die von Sokoto nach der sagenumwobenen Stadt Timbuktu führen sollte, sein besonderes Interesse, und fortan ließ ihn die Absicht, auch in diese Stadt
vorzudringen, nicht mehr los. 1 Zunächst aber galt es, den Anforderungen des Tages gerecht zu werden. Und dazu zählte zu seinem Leidwesen vor allem auch die Notwendigkeit, die Geldangelegenheiten zu klären. Um seine Schulden abzutragen, war er gezwungen, alles was er noch besaß, zu verkaufen. Doch wie sollte er die vorgesehene Reise nach Bornu vorbereiten? Abgesehen von dem notwendigen Proviant, war es ausgeschlossen, ohne Geld Diener anzuwerben. Zu seiner größten Überraschung kam unerwartete Hilfe. Der Statthalter von Kano stellte ihm 60000 Kurdi zur Verfügung. Hatten diese auch nur den Wert von 24 Spanischen Talern und beliefen sich allenfalls auf ein Drittel dessen, was Barth selbst an Geschenken in Kano überreicht hatte, so waren sie in der akuten Notlage die Voraussetzung, um die Expedition überhaupt fortsetzen zu können. Nach dem Kauf von Kamelen wurde die Abreise auf den 9. März festgelegt. Doch nur unter Aufbietung aller Kräfte vermochte Barth, der an einer fiebrigen Krankheit litt, sich erneut auf den Weg ins Ungewisse zu machen: »Der Reisende in diesen Gegenden wird stets mannigfachen Aufenthalt und mannigfache Sorge haben, wenn er einen Ort verläßt, wo er sich längere Zeit niedergelassen hatte. Denn alle Mittel des Fortkommens sind durch seine eigenen Vorkehrungen bedingt und hundertfache Verzögerungen werden ihm von allen Seiten bereitet. Jedoch war meine Lage, als ich am Sonntag, den 9. März 1851 im Begriff stand, Kano zu verlassen, eine besonders beunruhigende. Da war keine Karawane, die Straße wurde von Räubern unsicher gemacht und ich hatte nur einen Diener, auf den ich mich verlassen konnte oder der mir wirklich zugetan war. Dazu war ich am vorhergehenden Tag so krank gewesen, daß ich mein Lager nicht hatte verlassen können. Aber Selbstvertrauen besiegt alle Hindernisse, und das hatte ich, so eilte ich mit demselben Entzücken, mit weichem ein Vogel seinem Käfig entflieht, aus den engen, schmutzigen Lehmmauern hinaus in Gottes freie Schöpfung.« Der Weg führte durch bebautes fruchtbares Land in Richtung Osten. Die Kafla war nur klein. Barth, der getreue Gatroner und zwei Diener ritten auf vier Kamelen Kukawa, der Residenz des Herrschers von Bornu, entgegen. Etwa 600 km waren noch zu bewältigen. Nächtliches Löwengebrüll ließ es geraten erscheinen, die Gewehre
griffbereit zu halten. Der 15. März wird ein wahrer Freudentag. Barth erhielt den Besuch eines Arabers, der mit einer kleinen, aus Mursuk kommenden Karawane eingetroffen war und ihm ein Paket auszuhändigen hatte. Es enthielt eine Vielzahl Briefe von Freunden und Angehörigen, die den allzu schmerzlich entbehrten Kontakt mit der Heimat wieder herstellten. Es war ein herrliches Gefühl, nicht vergessen zu sein und zu wissen, daß man mit großem Interesse und Wohlwollen an der Expedition Anteil nahm. Nicht zuletzt erhielt Barth die Mitteilung über eine kleine Unterstützung, die ihm vom preußischen König gewährt worden sei. Für die Expedition waren auch Waren im Werte von 100 Pfund Sterling zur Verfügung gestellt worden, die sich jedoch auf dem Weg nach Kano befinden sollten. Mit neuem Optimismus setzte Heinrich Barth die Reise fort. Leider wurde die Freude bald getrübt. Ein aus Kukawa entgegenkommender Reitertroß teilte ihm mit, daß Richardson vor etwa zwanzig Tagen, vier Tagesmärsche von Kukawa entfernt, in Nghurutua an Entkräftung verstorben sei. Barth schenkte der Trauernachricht zunächst keinen Glauben, doch als ihm diese wenige Tage später auch andere bestätigten, wurde sie zur Gewißheit. Unverzüglich begab er sich an den Sterbeort seines Gefährten, um Näheres zu erfahren und die Expeditionsausrüstung sicherzustellen. Der Ort Nghurutua war weitgehend verfallen. Man konnte es kaum glauben, daß diese Ruinen einmal zu den Zentren des Königreiches Bornu gehört haben sollten. Am Abend des 28. Februar war Richardson hier eingetroffen und am kommenden Tag verstorben. Die druckende Hitze hatte ihn völlig erschöpft. Mit quälender Furcht hatte er an die bevorstehenden noch größeren Strapazen in den Fieberhöllen des Tschadsees gedacht und wäre am liebsten schon lange nach Tripolis zurückgekehrt, doch es fand sich keine Kafla, der er sich anschließen konnte. Die nach seinem Tode herrenlos gewordene Karawane war inzwischen nach Kukawa weitergezogen. Barth mußte nun die Initiative ergreifen und die Verantwortung für die Expedition übernehmen. Hoffentlich ließ die englische Regierung nicht allzu lange auf ihre offizielle Bestätigung warten.
In Kukawa, seiner afrikanischen Heimat. Am 2. April erreichte Heinrich Barth die Bornu-Metropole Kukawa. Seit nahezu 30 Jahren, als Clapperton, Denham und Oudney auf der Suche nach dem Verlauf des Niger hier gewesen waren, hatte kein Europäer mehr die Stadt betreten. Der Wesir, den Heinrich Barth noch am selben Tag kennenlernte, war sehr freundlich und auch der Scheich, der ihm bald eine Audienz gewährte, zeigte sich äußerst wohlwollend. Weniger erfreulich waren allerdings die Lohnforderungen, die von den Teilnehmern der Richardsonschen Teilexpedition erhoben wurden. Glücklicherweise waren Richardsons Aufzeichnungen und Tagebücher erhalten geblieben, andere in Verlust geratene Gegenstände waren leichter zu ersetzen. Kukawa war eine echte Metropole pulsierenden Lebens. Man glaubte, die 100000 Einwohner wären ständig unterwegs. Ihr Treffpunkt war vor allem der Markt, auf dem eine Fülle Waren auf ihre Käufer wartete. Als ständiges Quartier bekam Heinrich Barth einen geräumigen, landhausartigen Lehmziegelbau zugewiesen. Obwohl die Wände erst kürzlich zum Schutz gegen das Ungeziefer mit Kuhmist frisch getüncht worden waren, herrschte an Wanzen und Flöhen kein Mangel. Eine noch weitaus größere Plage aber waren die großen Ameisen, vor deren Freßgier nichts sicher war. Overweg ließ noch auf sich warten, so daß Heinrich Barth in seinem Standquartier mit der Auswertung seiner bisherigen Expeditionsaufzeichnungen beginnen konnte. Er hatte neuen Mut gefaßt. Als Bettler war er in Kukawa eingezogen. Er hatte weder Geld, noch war er in der Lage, eine Vollmacht vorzuweisen, ein Umstand, der seine Lage geradezu aussichtslos erscheinen ließ. Umso überraschender war es deshalb, daß der Wesir ihm ein hohes Darlehen gewährte, das ihn der drückendsten materiellen Sorgen enthob und die Weiterführung der Expedition sicherte. So sehr das auf das große persönliche Wohlwollen des Ministers zurückzuführen war, so war es doch zugleich auch der
Überzeugungskraft und dem persönlichen Auftreten Heinrich Barths – nicht zuletzt auch dem guten Ruf, der ihm vorauseilte – zu danken. Er wollte die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Die Vermessung des westlichen Tschadufers war seine nächste Aufgabe. Als Scheich Omar am 23. April zu einem Ausflug nach Ngornu und den Ufern des Tschad aufbrach, schloß sich Heinrich Barth freudig seinem Gefolge an. Am Tschad geriet er jedoch in ein Sumpfgebiet, das ihm trotz aller Bemühungen ein weiteres Vordringen verwehrte. Es war nicht einmal möglich, einen Blick aufs offene Wasser zu werfen, geschweige denn, die vorgesehenen Arbeiten durchzufahren. Wohl oder übel mußte er nach Ngornu zurückkehren, um ortskundige Führer zu suchen, die ihn schließlich ans Ziel brachten. Das riesige Binnenmeer, in dem die Wassermassen des Schari aus den Urwäldern oberhalb des Äquators und des Komadugu münden, lag vor ihm. Der Eindruck des gewaltigen Naturschauspiels und des Vogelreichtums war überwältigend. Mit einer Anzahl Skizzen und Notizen kehrte Barth zurück und traf am 27. April gerade rechtzeitig in Kukawa ein, um einer abreisenden Karawane wichtige Nachrichten an die englische Regierung mitgeben zu können. Er unterbreitete den Vorschlag, ihm nach dem Tode Richardsons die Leitung der Expedition zu übertragen mußte aber zugleich dringend um Übermittlung der längst fälligen Geldbeträge ersuchen. Overweg war noch immer nicht eingetroffen. Heinrich Barth arbeitete fieberhaft. Er bereitete Entdeckungsreisen in die Südreiche des Sudan vor, um Overweg mit den neuen Vorhaben vertraut zu machen. Gleichzeitig leistete er intensive wissenschaftliche Arbeiten zur Auswertung des bisher gesammelten Materials. Es entstanden in diesen Wochen geographische Skizzen, historische Studien des Reiches Bornu und der Entwurf eines Wörterbuches der Kanurisprache. Heinrich Barths Forschungen sind noch heute Grundlage unserer historischen Kenntnisse über die Entwicklung Bornus. Während im Westsudan das große Songhai-Reich zerfiel, erlebte Bornu einen Höhepunkt seiner Geschichte. Auch als zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine westlichen Nachbarn von den anstürmenden Fulbe überrannt wurden, vermochte Bornu ihren Siegeszug zu stoppen. Das war allerdings nicht Verdienst des Sultans Ahmed, sondern des Faki Mo-
hammed el Amin el Kanemi, der die Eroberer in der Schlacht bei Ngornu zurückschlug und die besetzten Gebiete befreite. Nach dem Tode des Sultans betrat dessen Sohn Dunama im Jahre 1810 den Thron, die wirkliche Macht aber lag bereits in den Händen des Heerführers Ei Kanemi, der schließlich die schwache Sefuwa-Dynastie besiegte und eine neue Dynastie mit Sitz in Kukawa begründete. Als Scheich EI Kanemi 1835 starb, trat sein ältester Sohn Omar, der spätere Gastgeber Heinrich Barths, die Nachfolge an. Leider vermochte El Kanemi seinem Sohn nicht die Kraft seiner Persönlichkeit zu übertragen. Scheich Omar erwies sich zwar als vorzüglicher Gastgeber, doch fehlte ihm die Energie seines Vaters, um die vielen widerstrebenden Elemente des Großreiches zusammenzuhalten. Mit Argwohn verfolgte sein jüngerer Bruder Abd el Rahman die wachsende Macht des ehrgeizigen Wesirs Hadj Beschir. Zur Bewahrung der Dynastie war er zu einer Palastrevolte gegen seinen Bruder bereit. Der schwelende Konflikt konnte zwar während der Anwesenheit Heinrich Barths noch einmal beigelegt werden, doch die innere Labilität machte auch die äußeren Grenzen unsicher, was zu häufigen Überfällen führte, deren Last das Volk zu tragen hatte. Am 7. Mai traf der seit langem erwartete Overweg in Kukawa ein, so daß Heinrich Barth die geplante Reise nach dem südwestlich gelegenen unerforschten Adamaua antreten konnte. Im Jahre 1817 war der Fulbe-Herrscher Muhammed Bello Oberlehnsherr auch dieser abgelegenen Provinz geworden, in der sein Statthalter Adama 1841 die Hauptstadt Yola gründete und mit Argwohn über die Grenzen wachte, die er von dem angrenzenden Bornu bedroht sah. Heinrich Barth, der aus dem Lande des Kontrahenten kam, mußte Verdacht erregen. Das Risiko, während der Expedition durch verschiedene afrikanische Herrschaftsgebiete zu reisen, war ihm jedoch nicht neu und vermochte ihn auch jetzt nicht von dem Vorhaben abzuhalten, sich mit einer kleinen Mannschaft nach Süden zu begeben. Overweg sollte sich inzwischen der Erforschung des Tschad widmen.
Vom Stromfieber gepackt. Bevor Heinrich Barth am 29. Mai abreiste, unternahm er einen erneuten Versuch, die finanzielle Lage der Expedition zu verbessern, indem er dem Berater der Britischen Afrikagesellschaft, Dr. Beke, einen schonungslos offenen Bericht übermittelte: »Der Tod des Herrn Richardson hat dem Fortschreiten der Expedition eine neue Wendung gegeben. Denn wir armen Deutschen, die wir mit den kümmerlichen Mitteln 200 Pfund Sterling – auskommen müssen, mit denen die Regierung uns ausgestattet hat, wir, die wir unser Vermögen opfern – unser Leben nicht gerechnet -, sind nicht als Mitglieder der Expedition oder Leute vom Stande, sondern fast als Diener betrachtet worden. Die Folge davon ist, daß Herrn Richardsons Tod nicht allein die Fortschritte der Expedition auf kurze Zeit angehalten hat, sondern ihr ganz und gar ein Ende zu machen droht.... Statt Vorbereitungen für eine Reise um den Tschadsee herum vorzufinden, fand ich die ganze Expedition in Verzweiflung und alle bereit, zurückzukehren, statt Unterstützung für mich anzutreffen, fand ich mehr als 300 Dollar Schulden (an die Dienerschaft allein), und um die Ehre der Regierung, in deren Dienst wir reisen, aufrechtzuerhalten, habe ich es für meine Pflicht gehalten, meinen Privatkredit zu erschöpfen, um einen Teil der Schulden, die der Direktor gemacht hat, zu bezahlen, an den ich selbst 91 Dollar zu fordern habe.« Heinrich Barths Weg nach Adamaua führte durch weite fruchtbare Ebenen und dichte Buschwälder. Häufig hinderten ihn Orkane, Gewitter und strömender Regen, der selbst kleine Rinnsale zu reißenden Flüssen anschwellen ließ, am Vorankommen. Bald verwandelte die Hitze nach den Regengüssen das Land mit seiner üppigen Vegetation wieder in ein einziges tropisches Treibhaus. Das Unternehmen, das durch unsichere Gebiete führte, war keineswegs ungefährlich. Es erwies sich als großes Glück, daß Scheich Omar den ortskundigen Offizier Billama als Begleitung mitgeschickt hatte, der bei den Einwohnern in hohem Ansehen stand. Nach vier Tagesmärschen hatte Heinrich Barth das Grenzgebiet zwischen Yarimari, dem letzten
Bornu-Ort und Uba, der ersten Stadt von Adamaua durchquert und befand sich nun auf dem Gebiet des Fulbe-Reiches, dessen ferne südliche Provinzhauptstadt Yola sein Ziel war. Wie ihm berichtet wurde, sollte die Stadt an einem breiten Strom liegen. Barth bewegte die Frage, ob es sich dabei um den »Tschadda« handeln könnte, der nach Angaben des Begleiters von Clapperton, Richard Lander(18041834), eine Verbindung zwischen Tschadsee, dem er entströme und dem Niger herstelle? Oder war es der seit langem vergeblich gesuchte Benué? Barth stellte sich die Aufgabe, nach Kräften zur Klärung des unbekannten Flußsystems in der Äquatorialzone beizutragen. Zunächst aber galt es, sich den Weg weiter nach Süden zu bahnen. Mit Abscheu fand er in den »Heidengebieten« deutliche Spuren brutaler Unterdrückung dieser fleißigen Völker, die in ständiger Furcht vor den mohammedanischen Sklavenjägern lebten. Im Gebiet der Marghi hatte er verödete Gebiete gefunden, deren »frühere Bewohner entweder in Sklaverei geschleppt oder zum Islam bekehrt worden waren... Die Landschaft welche wir nun betraten, trug nur zu klare Beweise des unglücklichen Zustandes, welchem sie verfallen ist, an sich; ein dichter Wald in welchem hie und da die Spuren früheren Anbaues und die verfallenden Reste von Hütten zu sehen waren, bot sich uns dar... Nur ein kleiner isolierter Fleck ließ sich noch sehen, wo der Wald zum Landbau gelichtet war, und gab somit einen Beweis, daß die Eingeborenen der Energie nicht ermangeln würden, wenn ihre Oberherren sie nur menschlich behandelten.« Vom Stromfieber gepackt, trieb es Heinrich Barth vorwärts. Die Anzeichen, daß er sich einem neuen Flußsystem näherte, wurden immer deutlicher. Anstatt wie bisher, in Richtung Norden, bahnten die Wasserläufe sich nun den Weg nach Süden, einem ihm unbekannten Ziel zu. Der 18. Juni sollte einer der glücklichsten Tage seines Lebens werden. Er war zu früher Stunde aufgebrochen: »Es war ein herrlicher Morgen, die ganze Natur erfrischt von dem heftigen nächtlichen Gewittersturm. Mein Geist war aufgeweckter als je und schwelgte in enthusiastischen Gefühlen eines endlich erlangten Triumphes: Sollte ich doch heute den Fluß sehen, nach dem ich so vielfach geforscht,
von dem ich so vieles gehört und nach dem ich so begierig Verlangen getragen... Die Nähe der gewaltigen Wasserader ward zuerst angezeigt durch eine große Menge hoher Ameisenhügel, die hauptsächlich in der Nachbarschaft von Flüssen vorwiegen und hier großartige systematische Bauwerke oder vielmehr ganze Ketten von Bauten bilden.« Bald darauf stand Heinrich Barth am Ufer des Benué, an der Stelle, wo er sich mit dem Faro vereinigte. Damit hatte er den vom Golf von Guinea her natürlichen Zugang nach Zentralafrika gefunden. Das Tagebuch registriert diese glückliche Stunde: »Wer je den schrankenlosen Phantasien eines Jugendtraumes sich überlassen hat, und einem großen Plan nachgegangen ist, wird sich leicht eine Vorstellung von den Gefühlen machen können, die mich bewegen mußten als ich vom Ufer herab meine Blicke über die Flußlandschaft schweifen ließ. Von stummen Entzücken ergriffen, schaute ich sprachlos in das reiche Land hinein. Wie die Natur es geschaffen, ohne die künstliche Hand des Menschen berührt zu sein, lag diese reiche Landschaft da, ein Feld der Tätigkeit kommender Geschlechter... Lange schaute ich in stillem Entzücken auf den Fluß; es war einer der glücklichsten Augenblicke meines Lebens.« Mit Kähnen wurde der Fluß passiert, er hatte an dieser Stelle eine Breite von etwa 900 Metern. Der Benué strömt von Osten nach Westen, um in den 700 km entfernten Niger zu münden. Die Brüder Lander waren im Jahre 1826 bis zu dieser Stelle vorgedrungen. So gerne Heinrich Barth sich länger verweilt hätte, rief die Expedition zu neuen Zielen: Wenige Kilometer vom Fluß entfernt, lag Yoia, die Hauptstadt von Adamaua. Hier erwartete Heinrich Barth eine große Enttäuschung. Der anmaßende tyrannische Machthaber verweigerte ihm den Aufenthalt. In wenigen Tagen mußte er die Stadt, die übrigens mit etwa 9° nördlicher Breite der südlichste von Heinrich Barth in Afrika erreichte Punkt war, wieder verlassen. Allerdings war Barth völlig schuldlos in die Auseinandersetzungen zwischen Bornu und Adamaua geraten. War der Statthalter auch vorher nicht gerade freundlich, so entzündete sich seine Wut erst richtig, als ihm Barths Begleiter Billama im offiziellen Auftrag seines Scheichs ein Schreiben überreichte, das in den strittigen Grenzbereichen Gebietsansprü-
che stellte. Heinrich Barth vermutete, daß er dabei insofern indirekt eine gewisse Rolle spielen sollte, da er als Vertreter einer ausländischen Großmacht und in freundschaftlicher Beziehung zu Bornu stehend, deren Anliegen größeren Nachdruck verleihen sollte. Doch die erhoffte Wirkung trat nicht ein, er mußte den Rückweg antreten, ohne das Gebiet näher erforschen zu können. Nur wenig konnte er über die bisher unbekannte Region in Erfahrung bringen. Die Reise hatte gezeigt, daß Adamaua nicht nur zu den schönsten, sondern auch zu den fruchtbarsten Ländern im Sudan gehörte. Im schrecklichen Kontrast dazu stand die nicht zu übersehende Tatsache, daß sich hier ein Zentrum des Sklavenhandels befand. Das Handwerk war in Yola wenig entwickelt, dafür waren Sklaven der Hauptexportartikei und die wichtigste Einnahmequelle. Trotz fiebriger Erkrankung und Schwächeanfällen mußte Heinrich Barth am 24. Juni 1851 den Rückweg antreten und erreichte Mitte Juli im Zustand völliger Erschöpfung wieder das Bornu-Reich, wo er in seiner »afrikanischen Heimat« Kukawa fürsorgliche Aufnahme fand. Mehr und mehr wurde dieser Ort sein Stützpunkt, das Zentrum, von dem aus er weitere Forschungsreisen antrat. Zu seiner Erleichterung waren inzwischen die für die Expedition bestimmten Waren eingetroffen. Sie hatten zwar theoretisch einen Wert von 100 Pfund Sterling, da er sie jedoch in Bargeld umsetzen mußte, blieben relativ hohe Tauschverluste nicht aus, so daß die eingelöste Summe keineswegs eine beruhigende Rücklage bildete. Heinrich Barth ließ sich von dem Fehlschlag der Yola-Expedition nicht entmutigen, das umso weniger, da er dabei einen der Höhepunkte seines Forscherlebens, die Wiederentdeckung des Benué erlebt hatte. Nach wie vorstellte er sich die Aufgabe, die Gebiete rings um den Tschad zu erforschen. Dazu hatte er sich als nächstes Ziel die nördlich des Sees gelegene Steppenlandschaft Kanem vorgenommen. Inzwischen war auch Overweg nach erfolgreichen Forschungen zurückgekehrt. Mit einem Boot hatte er eine Reihe von Inseln des Tschad aufgesucht und wichtige Messungen und Untersuchungen angestellt. Nun wollten die Freunde das neue Vorhaben gemeinsam durchfuhren. Zunächst aber galt es, in einer etwa einmonatigen Ruhepause neue Kräfte zu sammeln, um für die bevorstehenden Gefahren und Strapazen gerüstet zu sein. Ob es nun die im Nor-
den des Seegebietes ansässigen Kanembu Waren, oder die im Süden lebenden Bergvölker, sie alle waren in Bewegung geraten und es bestand die Gefahr, in kriegerische Auseinandersetzungen einbezogen zu werden. Am 11. September 1851 war es soweit. Heinrich Barth begab sich auf den Weg nach Kanem. Um sich allmählich an die Anstrengungen zu gewöhnen, waren die ersten Tagesmärsche relativ kurz. Nur etwa 80 km wurden in den ersten fünf Tagen zurückgelegt. Es zeigte sich sehr bald, daß die Reise mit vielerlei Gefahren verbunden war. Es verging kaum ein Tag ohne bedrohliche Situationen, doch Kilometer um Kilometer wurden die Geheimnisse des Tschadgebietes erschlossen. Dem Westufer nach Norden folgend, nahm die kleine Gruppe Kurs auf Kanem. Immer undurchdringlicher wurde die Landschaft, immer bedrohlicher auch die Gefahr durch Raubtiere. Doch die Begegnungen der Forscher mit den Kanembu, einem fleißigen, freundlichen Negervolk, waren sehr herzlich. Die Bewohner dieses unglücklichen von ständigen Überfällen heimgesuchten Landes wußten sehr wohl zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Der drohenden Übermacht der bornueser Aristokratie, die ihnen Besitz und Leben nahm, ergaben sie sich nicht kampflos. In Gebieten blutiger Auseinandersetzungen hat der Forscher keinen Raum. Ein weiteres Vordringen in das östliche Kanem war unmöglich geworden. Es galt, den Rückweg einzuschlagen. Als sie am 14. November 1851 wieder in Kukawa eintrafen, hatten Barth und Overweg jedoch keineswegs Veranlassung, enttäuscht zu sein. Weite Gebiete, bisher unerforschten Landes waren erschlossen, eine Anzahl Flüsse, die von Norden und Nordosten dem Tschad zuflossen, markiert, wichtige Informationen zur Geschichte des Landes gesammelt und der Grundstock zu einem Wörterbuch der Kanembuund Wadaisprache gelegt.
Schrecken des Sklavenhandels. Für Heinrich Barth gab es kein Ausruhen. Kaum hatte er seine Kräfte einigermaßen wieder gesammelt, zog es ihn zu neuen Aufgaben. Schon zehn Tage nach der Rückkehr schloß er sich einem Heerzug der Bornuesen in das unbekannte Gebiet der Musgu an. Das gute Verhältnis zu dem Scheich und seinem Wesir brachte auf dieser Reise mancherlei Vorteile und Annehmlichkeiten. Abends fand man sich im engeren Kreis zum Gedankenaustausch zusammen, wobei die Sklavenjäger und die Wissenschaftler eine höchst unterschiedliche Gesellschaft bildeten. Heinrich Barth ließ bei den Gesprächen nichts unversucht, die Machthaber von der Barbarei der Sklavenjagden abzubringen. Wenn sie schon nicht aus Gründen der Humanität ihr blutiges Handwerk ließen, sollten sie es doch wenigstens aus wirtschaftlichen Erwägungen tun. Die verkehrstechnische Nutzung des Benué würde eine Verbindung mit dem Atlantischen Ozean und mit Europa herstellen, so daß ein ökonomischer Aufschwung des Landes, der jedoch von der Arbeitskraft der Bewohner abhänge, größeren Nutzen zur Folge habe als der Sklavenhandel. Er folgte in seiner Argumentation den ökonomischen Auffassungen der liberalen Industrie- und Handelsbourgeoisie des »Viktorianischen Zeitalters«, wobei für ihn als Humanisten die Menschenliebe Triebkraft des Handelns war. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts war der Sklavenhandel für die fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten ökonomisch unattraktiv geworden, so daß man es sich leisten konnte, mehr oder weniger lautstark und konsequent aus »humanitären« Erwägungen der Sklaverei den Kampf anzusagen. Während der Zeit der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals war man freilich weniger zimperlich. Der Menschenhandel war äußerst gewinnbringend und diente der Finanzierung der industriellen Revolution. Portugal hatte bereits Mitte des 15. Jahrhunderts die Epoche des Sklavenhandels eingeleitet. Im Jahre 1562 begann England mit dem blutigen Handwerk und hatte dabei bald seine Mitkonkurrenten überflügelt. Hauptabnehmer der »Ware« bildeten die Plantagenbesit-
zer Amerikas. Allein in die englischen Kolonien wurden im Zeitraum von 1680 bis 1780 mindestens 2, 5 Millionen Menschen verschleppt. Durch den brutalen Sklavenhandel wurden weite Gebiete Afrikas entvölkert und verwüstet; Staaten, in denen sich vor dem Eintreffen der kolonialen Räuber eine eigenständige Kultur entwickelt, hatte. Nach groben Schätzungen verlor der afrikanische Kontinent durch den Sklavenhandel, die Sklavenjagden und die damit im Zusammenhang stehenden Auswirkungen etwa 75 Millionen Menschen. Eine furchtbare Schuldbilanz der europäischen Staaten. Die Schiffseigner erzielten einen hohen Profit. Die zu etwa 50 Dollar in Afrika gekauften Sklaven hatten einen Preis von mindestens 400 Dollar. Da waren die aufgrund der unmenschlichen Behandlung auf den Sklavenschiffen Verstorbenen schon ökonomisch zu verkraften. Ihr Schwund war bereits in dem Verkaufspreis der Überlebenden einkalkuliert. Welche Ausmaße der Menschenhandel angenommen hatte, zeigte die Tatsache, daß um 1800 allein 18400 britische, Seeleute in diesem »Gewerbe« tätig waren. 25% aller Schiffe, die den Hafen Liverpool anliefen, waren Sklaventransporter. Allerdings waren Sklaverei und Sklavenhandel keine »Errungenschaften«, die von den europäischen Ländern auf den afrikanischen Kontinent exportiert worden waren. Bereits im Altertum hatten kriegführende afrikanische Stämme ihre Gefangenen als Sklaven unterworfen und verkauft. Die Araber, die seit etwa 800 weite Gebiete Nordafrikas beherrschten, vervollkommneten den Handel mit den Unfreien, die als Soldaten, Diener oder Haremsdamen sehr gefragt waren. Vereinzelt wurden Negersklaven auch bereits nach Westeuropa verschleppt. Doch das alles waren, verglichen mit dem, was die europäischen Kolonialmächte praktizierten, äußerst bescheidene Vorläufer. Erst der sich entwickelnde kapitalistische Markt bot die ökonomische Grundlage der extensiven und intensiven Ausnutzung der Sklavenarbeit. Das schließt nicht aus, daß wie früher, Sklavenmassen auch in Gebiete gebracht und dort ausgebeutet wurden, in denen die kapitalistische Entwicklung noch nicht, oder erst in Ansätzen zu verzeichnen war. So wurden Hunderttausende von Afrikanern nach Ägypten, Südarabien, dem Irak, dem Iran, nach Afghanistan usw. verkauft. Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert war nicht mehr
das Gold, sondern das »schwarze Elfenbein« Haupthandelsartikel mit Afrika. Allerdings unternahmen die europäischen Sklavenhändler nicht selbst die gefährlichen Sklavenjagden ins Landesinnere. Das ließen für sie die bestochenen Häuptlinge von Küstenstämmen ausfahren, die als Äquivalent für die Gefangenen Alkohol und billige Waren erhielten. Sklaven»exporteure« größeren Stils waren die Herrscher weiter Territorien in Westafrika. Durch die Ausplünderung des Hinterlandes ihrer eigenen Staaten und durch Kriegszüge in Nachbargebiete, bei denen die Gefangenen verkauft wurden, erzielten sie große Gewinne. Als mit der Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaft der Sklavenhandel nicht mehr den gewünschten Profit brachte und sich schließlich hemmend auswirkte, wurde er zunächst von der britischen Regierung im Jahre 1807 für die westindischen Zuckerplantagen und 1834 für das gesamte Empire verboten. Die fahrenden europäischen Mächte schlossen sich an und vereinbarten gemeinsame Antisklavereiabkommen. Diese Entwicklung hatte neben dem Einwirken ökonomischer Gesetze auch politische und ideologische Ursachen. Von großer Bedeutung waren die in der Großen Französischen Revolution verkündeten Menschenrechte. Wenn auch weder die Unabhängigkeitserklärung noch die Verfassung des jungen unabhängigen amerikanischen Bundesstaates die Freisetzung der Negersklaven proklamierten, so leiteten sie doch eine Entwicklung ein, in der die demokratischen, gegen das Sklavenhalterausbeutungssystem gerichteten Kräfte, den Sieg davontrugen. Die britische Flotte war nun eifrig damit beschäftigt, an der afrikanischen Küste Sklavenschiffe kleinerer Nationen aufzubringen und damit zugleich die britische Macht in Westafrika zu festigen. So lukrativ der Sklavenhandel im 18. Jahrhundert auch gewesen war, seiner Einstellung folgte ein noch größeres Geschäft: Solange man mit Sklaven handelte, die man im Küstenbereich erwerben konnte, erübrigten sich Versuche, ins Landesinnere einzudringen. Mit dem Ende des Sklavenhandels nahm die Epoche der kolonialen Eroberung und territorialen Aufteilung Afrikas ihren Anfang. Barth war sich der Problematik seiner Situation, die ihn wohl oder übel in Verbindung mit den einheimischen Sklavenhändlern brachte,
wohl bewußt. Am 28. Dezember notierte er: »Es war ein interessanter Tagemarsch, der uns neue wichtige Züge von Land und Volk dieser Zone enthüllte, aber uns um so mehr bedauern ließ, daß wir diese schöne Landschaft nicht in unserem eigentlichen Charakter als friedliche Reisende durchziehen konnten, sondern uns gezwungen sahen, die Gesellschaft dieses Heeres schonungsloser und blutgieriger Sklavenjäger zu suchen, welche, ohne Gefühl für die Schönheit des Landes und das behagliche Lebensglück seiner Bewohner nur darauf bedacht waren, sich mit dem Raub derselben zu bereichern.« Die furchtbaren Grausamkeiten der Menschenjäger, deren Augenzeuge er werden mußte, wurden voller Abscheu vermerkt: »Eine große Menge Sklaven war heute eingefangen worden und noch am Abend ward nach einem Kampfe, in welchem drei Bornu-Reiter fielen, eine bedeutende Anzahl eingebracht. Im Ganzen sollten an diesem Tage 1 000 Sklaven gefangen worden sein, aber sicherlich belief sich die Beute nicht unter 500. Die erwachsenen Männer, meist hochgewachsene Leute wurden ohne Schonung abgeschlachtet oder man ließ sie sich vielmehr verbluten, indem man ihnen ein Bein abhieb.«Grauenhaft war am Abend die Teilung der Beute. Kleinkinder wurden erbarmungslos aus den Armen ihrer Mütter gerissen. Blut, Elend und Verwüstungen waren die Spuren des Heereszuges, an dem mindestens 10000 Mann beteiligt waren. Am 1. Februar traf man mit mehr als 3000 unglücklichen Sklaven wieder in Kukawa ein.
In auswegloser Lage. Heinrich Barth ließ es keine Ruhe, noch immer nicht, wie vorgesehen, das Land östlich des Tschad erforscht zu haben. Fest entschlossen, erneut alles zu versuchen, auch in diese Gebiete vorzustoßen, war sein neues Ziel Massónya, die Hauptstadt der IslamHierarchie Baghirmi. Durch Unterwerfung gentiler Stämme des südlichen Sudan hatte der hier herrschende Sultan es verstanden, seine Macht zu festigen. Die Erforschung Baghirmis war für Heinrich Barth nicht nur von historischer und ethnologischer Bedeutung. Vor allem wollte er mit der Erkundung des Flußnetzes dazu beitragen, die Frage zu klären, ob eine Querverbindung zwischen dem Schari, dessen Nebenfluß Logone und dem Benué bestand. Eine solche Wasserbrücke war von größter verkehrsgeographischer Bedeutung, da sie das Tschadgebiet mit dem Atlantik verbunden hätte. Um sich für die Expedition die notwendigen Mittel zu verschaffen, war Barth gezwungen, alles auch nur einigermaßen Entbehrliche seiner Habe zu verkaufen. Die am 4. März 1852 startende Gruppe war mehr als armselig. Barths Begleitung bestand nur aus zwei Dienern. Die spärliche Ausrüstung wurde von einem Pferd und einem Kamel transportiert. Der Optimismus mußte sich angesichts dieser Lage in sehr engen Grenzen halten, doch wollte Heinrich Barth vor der Heimkehr, die ihm in Ermangelung jeglicher finanzieller Unterstützung unumgänglich schien, mit dem Mute der Verzweiflung doch noch einen Vorstoß wagen. Mitte März setzte der Logone mit einer Breite von etwa 400m das erste größere natürliche Hindernis, das allerdings eher zu bezwingen war als die vielfältigen Schwierigkeiten, die Heinrich Barth bald darauf von den verschiedenen Ortsgewaltigen bereitet wurden. Der Sultan von Baghirmi befand sich auf dem Kriegszuge und seine Statthalter vermuteten in dem Fremden eine Gefahr für den verwaisten Thron. Ohne ausdrückliche Verhaltensmaßregeln aus der Hauptstadt wollten sie auf keinen Fall aus eigenem Ermessen die Weiterreise gestatten. Die ständigen Zwangsaufenthalte erwiesen sich für
die ohnehin spärliche Expeditionskasse katastrophal. Barths ganzer »Besitz« war inzwischen auf einen spanischen Taler, einen kleinen Vorrat an Glasperlen, einige Spiegel und ein größeres Sortiment Nähnadeln zusammengeschmolzen. Mit den begehrten Nadeln als Tauschobjekt mußte er den täglichen Lebensbedarf bestreiten. Da alle Schikanen Barths Weiterkommen zwar behindern, aber nicht verhindern konnten, wurde er am 19. April sogar gefesselt und mit Gewalt zurückgehalten. Vier Tage blieb er in schrecklicher Ungewißheit über sein weiteres Schicksal. Endlich wurden ihm die Fesseln abgenommen, und er konnte auch den Schari überqueren. Er erinnerte sich an die eindringlichen Warnungen seines Freundes Scheich Omar, diese natürliche Grenze nicht zu überschreiten, aber die Leidenschaft des Forschers kannte keine Furcht. Allen Widerständen zum Trotz stand Heinrich Barth am 27. April 1852 vor den Toren von Massónya, der Hauptstadt Baghirmis. Doch das Dilemma hatte, wie Barths Reiseschilderungen verraten, noch kein Ende gefunden: »Es war mir nicht vergönnt, die heilige Umschlußmauer dieser verödeten Hauptstadt ohne weitere Belästigungen zu betreten; denn indem ich genötigt war, dem Vizestatthalter eine Botschaft zuzusenden, um ihm meine Ankunft anzuzeigen, ließ man mich länger als 1 ½ Stunden vor dem Tore warten, obgleich hier auch nicht der geringste Schatten zu finden war. Nach dieser Demütigung ward es mir gestattet, meinen bescheidenen Einzug zu halten.« Barths Bewegungsfreiheit war auf das Stadtgebiet begrenzt und selbst hier wurden alle seine Wege und Handlungen argwöhnisch überwacht. Da sich der Aufenthalt bereits wieder wochenlang hinzog und von der Rückkehr des Sultans nichts zu hören war, wollte Barth, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, den Rückweg antreten. Aber auch das wurde ihm vom Vizestatthalter verwehrt. Er sollte unter keiner Bedingung vor der Rückkehr des Sultans die Stadt verlassen. So hieß es also wohl oder übel ausharren. Unter welchem Argwohn und Gefahren sich der Aufenthalt gestaltete, soll ein Beispiel zeigen. Infolge großer Trockenheit war das Gras verdorrt und die Aussaat vertrocknet. Sobald sich Regenwolken zeigten, schöpfte man immer wieder aufs neue Hoffnung – doch der heißersehnte Regen blieb aus. Im Rahmen seiner meteorologischen Untersuchungen führte Hein-
rich Barth vor seinem Quartier auch Wetterbeobachtungen durch. Das ließ einen schrecklichen Verdacht aufkommen. Am 21. Juni saß er, mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt, in seiner Unterkunft, als ein Bote des Vizestatthalters mit der Nachricht erschien, »er wünsche zu wissen, ob, wie das Gerücht in der Stadt umginge und wie ihm die Leute hinterbracht hätten, es wahr sei, daß sobald ein Gewitter aufstiege und wenn das Gewölk am Himmel erschiene, ich meine Wohnung verließe und den Wolken geböte, sich zurückzuziehen, denn die Leute hätten ihm versichert, daß sie zu wiederholten Malen bemerkt hätten, wie die Wolken, sobald ich sie mit einer gewissen gebieterischen Miene betrachtete, vorüberzögen, ohne einen einzigen Tropfen Regen zu bringen.« Barth ließ dem Statthalter übermitteln, »daß kein Mensch, weder durch Zauberformeln, noch durch Gebet im Stande sei, Regen herbeizuführen oder zu verhindern«, konnte es jedoch nicht unterlassen hinzuzufügen, daß wenn er der Ansicht sei, seine Gegenwart stifte im Lande Unheil, er ihm erlauben möge, sich zu entfernen, daß er nichts Besseres wünschen könne, als dies, und daß er dann Tag und Nacht ununterbrochen um Regen beten wolle, während er gegenwärtig selbst keineswegs einen großen Überfluß von Regen wünschen könne, da er befürchten müßte, daß er ihm den Rückzug durch zu großes Anschwellen des Flusses abschnitte.« Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Der Statthalter ließ Barth unmißverständlich wissen, daß aus ähnlichem Anlaß unlängst zwei bedeutende Religionshäupter aus der Stadt Bidderi getötet worden waren und auch ihn könne durchaus ein gleiches Schicksal erwarten. Heinrich Barth zog es zukünftig vor, seine Wetterbeobachtungen einzustellen. Der widrige Aufenthalt wurde dadurch erleichtert, daß Heinrich Barth hier eine Anzahl Männer traf, deren Bekanntschaft wesentlich zur Erweiterung seines Wissens beitrug. Vor allem Faki Sambo, ein alter erblindeter Pullo, war nicht nur ein hervorragender Kenner der arabischen Literatur, er war ebenso in der Antike zu Hause und hatte in seiner früheren intensiven Reisetätigkeit umfangreiche Kenntnisse erworben, die für Heinrich Barth außerordentlich interessant und nützlich waren.
Am 3. Juli wurde die lange erwartete Rückkehr des Sultans angekündigt. Barth beschreibt die Zeremonie seines Einzuges: »Es war gegen 9 Uhr Morgens, als sich das Heer der Südseite der Stadt näherte. Schimmernder Pomp und barbarische Pracht ward in Fülle entfaltet, aber die Truppe war keineswegs zahlreich, sondern auf die Anzahl der zur Einwohnerschaft der Hauptstadt Gehörigen beschränkt, indem sich der Rest schon in allen Richtungen zerstreut hatte und nach den bezüglichen Wohnstätten heimgekehrt war. Die Folge davon war, daß sich nur 700-800 Reiter beim Heere befanden, aber mein Freund, der Scherif Sliman, versicherte mich, daß sich selbst auf ihrem Heimmarsche wenigstens 2000 Mann Reiterei beim Heere befunden hätten. – An der Spitze des Zuges ritt der Kadamange (hoher Hofbeamter W. G. ) umgeben von einer Abteilung Reiterei. – Gerade vor dem Sultan ritt der Kriegshauptmann, der die zweite Person im Reiche ist. Der Sultan selbst trug einen gelben Bernus und ritt einen Grauschimmel. Der Kopf des Sultans war kaum sichtbar, nicht allein wegen der vor und neben ihm befindlichen zahlreichen Reiter, sondern ganz besonders wegen zweier Schirme, die ein Paar Sklaven auf jeder Seite neben ihm trugen. Sechs Sklaven, deren rechter Arm in Eisenblech bekleidet war, fächelten ihm mit Straußenfedern, die an langen Stangen befestigt waren, Kühlung zu, um ihn her ritten fünf Häuptlinge, während auf seiner Rechten der Gheletma und andere vornehme Leute des Landes sich zeigten. Diese ganze Gruppe um den Fürsten herum bildete ein so wildes Gewirr, daß es unmöglich war, alle besonderen Züge mit Genauigkeit zu unterscheiden. Dicht hinter dieser Gruppe folgte das Kriegskamel, das der Trommler ritt, der seine Geschicklichkeit auf zwei an jeder Seite des Tieres befestigten Pauken zur Schau stellte; neben ihm ritten drei Musikanten. Gewiß war das Aussehen dieses Teiles des Zuges, der sich um die Person des Königs selbst gruppierte, nicht ohne großartigen Effekt, aber derjenige, weicher hintendrein folgte, war noch charakteristischer in Hinsicht auf die barbarische Pracht und die ganze Lebensweise solcher afrikanischer Höfe. Diese Gruppe bestand aus einer langen, gleichmäßigen Reihe von 45 bevorzugten Sklavinnen oder Konkubinen des Sultans, welche zu Pferde und vom Kopf bis auf den
Fuß in einheimisches schwarzes Baumwolltuch gekleidet waren; jede hatte rechts und links einen Sklaven. Die Prozession endete mit einer Reihe von 11 Kamelen, welche das Gepäck trugen. Auch die Anzahl der Infanterie war etwas beschränkt, da auch der größere Teil von ihr schon nach den bezüglichen Wohnstätten zurückgekehrt war; aber andererseits waren fast alle Städter herausgekommen, um das siegreiche Heer auf seiner Heimkehr zu sehen.« Bald nach seiner Ankunft entbot der Sultan Heinrich Barth seinen Willkommensgruß. Wichtiger noch als dieses scheinbare Vorzeichen einer Besserung seiner Lage war die Nachricht, ein Bote mit zwei großen Paketen befände sich auf dem Wege zu ihm. Er traf am 6. Juli ein und brachte eine Menge Briefe und Nachrichten mit allerdings befand sich darunter noch immer keinerlei finanzielle Unterstützung. Trotz dieser großen Enttäuschung war die Post für Heinrich Barth außerordentlich bedeutungsvoll. Die anerkennenden Schreiben gaben ihm neuen Mut. Während der Reise war Heinrich Barth bestrebt, mit seinen Freunden und Fachkollegen in Europa in Verbindung zu bleiben. So hatte er am 13. August 1851 aus Kukawa einen Brief an Alexander von Humboldt geschickt, der diesen allerdings erst Anfang 1852 erhielt. Dieser Brief bildete den Gegenstand einer Unterhaltung Humboldts mit dem Geographen und Kartographen Heinrich Karl Berghaus (1797-1884), dem wir besondere Aufmerksamkeit widmen möchten, da darin nicht nur grundsätzlich zu der Arbeit Barths Stellung genommen wurde, sondern auch, und das ist aus zeitgenössischer Sicht besonders wichtig, bei aller Anerkennung seiner Leistungen mit Kritik nicht gespart wurde, die sich vornehmlich auf die negativen Auswirkungen der unzureichenden naturwissenschaftlichen, speziell der astronomischen Vorbildung Barths bezog. H. Berghaus berichtet: »Herr von Humboldt war überaus liebenswürdig, wie er es immer ist. Wir verfolgten auf der Karte Barths Ausflüge von Kukaua nach Adamaua usw. und freuten uns über den Unternehmungsgeist des Reisenden, seine eiserne Ausdauer, ein bestimmtes Ziel nicht aus den Augen zu lassen, und über die Menschenkenntnis, die er sich unter den afrikanischen Völkern erworben, kraft deren es ihm möglich geworden, das Vertrauen von Machthabern zu gewinnen, die infolge
ihrer religiösen Vorstellungen einer von der unsrigen total verschiedenen Sphäre der Anschauung und Bildung angehören. Wir wünschten ihm und seinem Reisegefährten Overweg dauernde Gesundheit inmitten des tropischen Klimas und der Gefahren, denen der europäische Mensch unter der Sonne der Äquinoktiallinie und ihrer senkrecht fallenden Strahlen stets ausgesetzt bleibt. ›Was es sagen will‹, bemerkte Humboldt, ›monatelang unter einer Temperatur zu leben, die bei Tag und bei Nacht die nämliche ist, hab’ ich am Orinoco zur Genüge kennengelernt. Und im Innern von Afrika ist es mit der Hitze noch viel ärger. Schade – ewig schade‹ – fuhr er nach einer kurzen Pause fort – ›daß Barth von der ersten Grundlage aller Erdbeschreibung, von der Ortsbestimmung nichts versteht. Durch diesen Mangel erleidet die Geographie von Zentralafrika große Einbuße an positiven Tatsachen... Barth hätte meinem Beispiele folgen sollen. Bei dem Mangel aller Ortsbestimmung schweben Barths Reiserouten, sobald Overweg sich von ihm trennt... rein in der Luft. Wenn er nur auf den Einfall käme, um die Mittagszeit einen Stock senkrecht in die Erde zu stecken und den Schatten desselben zu messen, wie es der wenig unterrichtete Caillié ganz schlauerweise in Timbuktu gemacht, so hätte man wenigstens noch einen Halt, wenn auch noch so rohen, für die Polhöhe wenigstens... Meine Maxime ist es immer gewesen: – Zuerst eine Karte, gegründet auf sichere Beobachtungen, damit man sich orientieren könne. Was hilft alle Erzählung von Merkwürdigkeiten aus den Naturreichen und dem Menschenreiche, wenn nicht der Fleck der Erde, an den diese oder jene Merkwürdigkeit gebunden ist, nachgewiesen werden kann seiner Lage unter dem oder dem Himmelsstriche! Ich bin weit entfernt, Barths Verdienste zu verkennen, ich habe mich schon vorher darüber ausgesprochen; dennoch muß ich seinem Gefährten Overweg darum den Preis einräumen, weil er es versteht, den Ort, wo er sich eben befindet, nach der Entfernung vom Äquator und von irgendeinem als fest angenommenen Mittagskreise zu bestimmen. Bei Barth fällt dies leider aus! Wenn er nur wenigstens genaue Kompaßmessungen zur möglichst richtigen Orientierung seiner Reiserouten macht und den mittleren Schritt der Reittiere in einem gegebenen In-
tervall zu ergründen sucht, um nach diesen Daten eine leidlich genaue Karte zu konstruieren!... › Als ich einschaltete, daß mit Rücksicht auf Ausführlichkeit und Genauigkeit von Kompaßmessungen und auf Entfernungsbestimmungen unter allen Reisenden in Afrika und im Morgenlande Ludwig Burckhardt den ersten Rang behaupte; und als ich hinzufügte, daß Barth die wichtigen Nachrichten über den östlichen Sudan, welcher dieser Reisende, und vor ihm Browne und Seetzen, und nach ihm Lyon, sowie die eigentlichen Eröffner des langverschlossenen Innern von Afrika, Oudney, Denham und Clapperton, gesammelt hätten, scheinbar nicht kenne, da er in seinem Brief nur von Fesnel spreche, erwiderte Humboldt: ›Daß er die von Ihnen genannten Namen nicht erwähnt, müssen Sie ihm nicht anrechnen; er hat sie nur zu schreiben vergessen; soviel ich weiß, hat sich Barth vor seiner Abreise mit den Arbeiten seiner Vorgänger sehr eifrig beschäftigt, er hat alles gelesen, er hat sich Auszüge gemacht oder machen lassen und sich in Historie und Linguistik auf einen Standpunkt gestellt, von dem er nicht so leicht von einem anderen verdrängt werden kann. Wenn er nur ein fließenderes Deutsch schreiben könnte, sein Periodenbau ist doch gar zu verwickelt, in dieser Beziehung ist Barth fast ein anderer Herr Ludwig von Bayern. Sie haben recht, die drei Engländer sind die ersten gewesen, welche die Pforten Nigritiens aufgeschlossen haben. Barths schwarzer Freund, der Wesir von Bornu, hat eine ganz gesunde Ansicht, die ich vollkommen teile: zehn Mann hoch müßte eine wissenschaftliche Expedition ins Innere vorrücken. Wo aber werden sich zehn wissenschaftlich gebildete Männer finden, die bereit sind, ihr Leben für einen Zweck in die Schanze zu schlagen, den der große Haufe der Zeitgenossen, der nur auf materiellen Genuß des Lebens sieht und nicht über die Grenzmarken seines Weichbildes hinausblickt, für einen eingebildeten hält! Das Leben setzt aber jeder ein, der sich unter die afrikanische Tropensonne begibt. Und fände sich auch eine so große Zahl von Männern, wie der Wesir vorgeschlagen hat, wer soll die Kosten einer so ungeheuren Ausrüstung tragen? Unsererseits ist das unmöglich; das Geld wird zu anderen, wie man sagt, wichtigeren Dingen gebraucht; man mag recht haben, besonders seitdem vor vier
Jahren der beschränkte Untertanen-Verstand, wie der lebenslustige Rochow, oder unter seiner Firma einer der Herren wirklichen geheimen Oberregierungsräte, sich ausdrückt, die Kühnheit gehabt zu dem Verlangen, ein Wort wieder mitreden zu wollen über Einnahme und Ausgabe des – demokratischen Geldbeutels! Angenommen, es wäre möglich, den König für die Idee einer so großartigen Expedition ins Innere von Afrika zu gewinnen, was ich aber für... glauben Sie, daß die superklugen Kammern, wenn ihnen vom Finanzminister so ein Vorschlag von ½ Million gemacht würde, in ihrer hochnotpeinlichen Halsgerichtssitzung zunicken werden für Reisen zu den Schwarzen?‹ Ich lachte und meinte, eine derartige Expedition könne nur von England ausgehen, wo man gewohnt sei, mit dem allgemeinen Ziele menschlicher Gesittung naheliegende praktische Gesichtspunkte von Handel und Wandel ins Auge zu fassen, zu deren Erreichung jenseits des Kanals kein Kostenaufwand gescheut würde. Wäre doch die gegenwärtige Expedition von Richardson, Barth und Overweg ebenfalls von diesem Gesichtspunkte ins Leben gerufen worden.« Von besonderer Bedeutung war für Heinrich Barth, daß sich unter der Post, die er in Massónya erhielt, auch ein Schreiben des Auswärtigen Amtes befand, das ihn offiziell als Nachfolger Richardsons benannte und ihn zur Fortsetzung der Expedition ermächtigte. Darin heißt es: »Sie wollen sich demzufolge hierdurch als autorisiert ansehen, die Leitung der Expedition für die Zukunft zu übernehmen und denjenigen Weg zu verfolgen, der Ihnen nach reiflicher Überlegung der passendste zu sein scheint, um die allgemeinen Ziele zu erreichen, welche die Kgl. Regierung im Auge hatte, als die Expedition nach InnerAfrika ins Werk gesetzt wurde. Sie werden diese Ziele in den Original-Instruktionenan Richardson, von denen eine Abschrift als Richtschnur für sie beiliegt, bezeichnet finden.« Für Barth gab es in der Situation, in der er sich befand, keine andere Möglichkeit, als im Auftrage der britischen Regierung die Expedition fortzusetzen. Weitgehend mittellos, erleichterte ihm seine offizielle Stellung wenigstens etwas sein schweres Los. Auch Bunsen hatte diese Auffassung eindeutig in einem Brief vom 5. Januar 1852 unterstrichen, da er wußte, wie schwer es Barth persönlich fiel, unter diesem Status zu reisen: »Sie müssen im Auftrage Englands reisen, da
Sie nur unter englischen Schutze Ihre Reise fortsetzen und vollenden können. Ich bitte Sie, so viel Vertrauen zu mir zu haben, daß ich Sie gewiß nicht an England verkaufen oder zugeben werde, daß man Ihnen irgendwie lästige Bedingungen vorschreibt.« Von der Regierung Ihrer Majestät hatte Heinrich Barth trotz schöner Worte kein Geld erhalten, umso glücklicher war er jedoch, daß sein ebenfalls in finanziellen Nöten lebender Reisegefährte Overweg ihm aus Kukawa die bescheidene Summe von zehn Turkedi übermittelte, mit denen er wenigstens die allergrößte Not beheben konnte, so daß er nicht als Bettler zu leben brauchte. Die Hoffnung, möglichst sofort aufbrechen zu können, erfüllte sich leider nicht. Erst am 10. August erhielt er die Erlaubnis dazu und machte sich voller Freude, endlich wieder seine Freiheit zu haben, sofort reisefertig. Overweg kam ihm entgegen und überbrachte die freudige Nachricht, daß die Fortsetzung der Expedition durch eine Wertsendung von etwa 400 Talern in teils deutschem, teils englischem Geld für eine gewisse Zeit gesichert sei. Der Herrscher von Bornu zeigte sich erneut äußerst gastfreundlich. Es wäre ihm am liebsten gewesen, wenn sich Heinrich Barth, seinem Vorschlag entsprechend, als ständiger Vertreter der englischen Regierung in Kukawa niedergelassen hätte. Da Barth andere Ziele verfolgte, war es dem Sultan eine Freude, ihm wenigstens so weit es möglich war, durch Empfehlungsschreiben das weitere Vorhaben zu erleichtern. Als wichtigstes Dokument seines diplomatischen Wirkens, zu dem ja die englische Regierung in erster Linie Order gegeben hatte, konnte Heinrich Barth einen Handelsvertrag abschließen, den der Herrscher von Bornu nach langem Überlegen kurz vor der Abreise unterzeichnet hatte. Nach Zahlung aller Schulden, die ein beunruhigend großes Loch in die Finanzen rissen, stand einer Fortsetzung der Expedition nichts mehr im Wege. Da schlug das Schicksal unbarmherzig zu. Overweg, dem die klimatischen Bedingungen, die besonders im September sehr ungesund waren, zunehmend zu schaffen machten, war am 19. September auf einer Jagd auf Wasservögel ins Wasser gestiegen und hatte es versäumt, die Kleidung zu trocknen. Sein Zustand verschlechterte sich zusehends, nach wenigen Tagen verstarb der treue Gefähr-
te. Barth schrieb tief ergriffen und zum ersten Male mutlos in sein Tagebuch: »Tief erschüttert und voll von trüben Betrachtungen über meine verlassene Lage kehrte ich am Abend nach der Stadt zurück; aber unsere Wohnung, welche mein Gefährte während meines Aufenthaltes in Baghirmi bedeutend verbessert und durch Übertünchen mit Gips, von dem er im Hofraume eine Schicht vorgefunden, verschönert hatte, erschien mir jetzt gänzlich verödet und überaus trübselig. War es nun gleich ursprünglich mein Vorhaben gewesen, noch einen Versuch zu machen, nach dem Ostufer des Tschad vorzudringen, so kam mir doch jetzt jeder längere Aufenthalt an diesem Orte so unerträglich vor, daß ich mich zur ungesäumten Abreise nach dem großen westlichen Strome entschloß, um neue Länder zu sehen und mit neuen Menschen in Berührung zu kommen.« Mit Overweg hatte Heinrich Barth nicht nur einen treuen, selbstlosen Freund, sondern auch einen bedeutenden Mitarbeiter verloren. Immer mehr hatte sich die seit Beginn der Expedition als zweckmäßig erwiesene Arbeitsteilung der beiden Forscher bewährt und durchgesetzt. Wobei die exakte topographische Bestimmung und geologische Erkundung Overwegs Verdienste waren, während sich Barth den historisch-ethnographischen und philologischen Fragen widmete. Dabei korrigierte er Overweg, dessen Orts- und Höhenbestimmungen wissenschaftlich äußerst exakt waren, der aber bezüglich der geographischen Orthographie große Unbekümmertheit an den Tag legte. Die neuen Vorhaben ließen Heinrich Barth schließlich die psychische Krise, wie ein Brief vom 7. Oktober 1852 an Bunsen zeigt, überwinden: »Anstatt mich durch den Tod meines Reisegefährten niedergebeugt zu fühlen, fühle ich meine ganze Kraft verdoppelt. Im Bewußtsein, daß nun ferner hier nichts geschieht, was ich nicht tue, fühle ich eine Riesenkraft in mir, allen Ansprüchenzu genügen. Mein Schlachtfeld wird der Westen und, so Gott will, der Südwesten werden. Mein erstes Ziel wird hierbei die Erreichung Timbuktus sein, mein zweites Yakoba und die nach Süden angrenzenden Lande mit dem unteren Laufe des Benué.« Vor der Abreise aus Kukawa galt es, sehr gewissenhaft, unter Berücksichtigung der gegebenen Lage, das weitere Ziel der Expedition
zu bestimmen. Der von der englischen Regierung gegebene Auftrag konnte als erfüllt angesehen werden: Die Sahara war auf einer bisher unbekannten Route durchquert und das Gebiet am Tschad erforscht worden. Der angestrebte Handelsvertrag mit dem Sultan von Bornu war abgeschlossen. Ja, es war bereits weitaus mehr erreicht worden als die ursprüngliche Zielstellung vorsah: 1 m Bereich des Zentralsudan war es gelungen, in das bisher unerforschte Gebiet Adamaua vorzudringen, den Benué wiederzuentdecken und wertvolle Schlüsse über die Flüsse Logone und Schari, dessen Mittelläufe von Barth kartographisch erfaßt wurden, zu ziehen. Neben den geographischen und wirtschaftlichen Forschungsergebnissen hatte auch die weitere wissenschaftliche Arbeit Heinrich Barths reiche Früchte getragen.
Auf dem Wege nach Timbuktu. Der Tod seines Gefährten hatte Heinrich Barth veranlaßt, den Plan, nochmals an das Nordufer des Tschad zu gehen, aufzugeben. Er erwog nun alle Möglichkeiten zur Weiterführung der Expedition. Das Vorhaben, die Route in Richtung Osten fortzusetzen, oder gar den Versuch zu wagen, bis an die Ostküste Afrikas in Höhe der Insel Sansibar vorzudringen, mußte wegen der damit verbundenen großen Gefahren aufgegeben werden. Schließlich kam er zu dem Entschluß, sich nach Westen zu begeben, was auch dem Anliegen Palmerstons entsprach, die am Mittellauf des Niger gelegenen Gebiete zu erforschen und hier gegebenenfalls Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Den bereits mit Bornu abgeschlossenen Handelsvertrag sowie die bisherigen Forschungsergebnisse und Aufzeichnungen übersandte Heinrich Barth Mitte Oktober dem englischen Konsul in Tripolis, verbunden mit dem Ersuchen, ihm per Eilboten eine Geldsumme nach Zinder, der nächsten Station seiner Reise, zu schicken. Die Abreise von Kukawa wurde durch den Einfall eines TuaregStammes in das westliche Bornu verzögert. Als der Weg wieder frei war, fand am 19. November 1852 bei Scheich Omar die Abschiedsaudienz statt. Hier fiel Barth die keineswegs leichte Aufgabe zu, seinem Gastgeber mitzuteilen, daß sein nächstes Reiseziel das mit Bornu alles andere als gutnachbarlich verbundene Gebiet der Fulbe sei. Es gelang ihm jedoch, Omar davon zu überzeugen, daß diese Entscheidung von sachlichen Erwägungen diktiert wurde und keineswegs als unfreundliche Handlung zu werten sei. Omar stellte jedoch die Bedingung, daß die Stadt Kano von der Expedition nicht berührt werde. Nach 20monatigem Aufenthalt nahm Heinrich Barth am 25. November 1852 Abschied von seiner »afrikanischen Heimat«. Es war nur eine sehr kleine Gruppe, die mutig ein neues Kapitel der Entdeckungsgeschichte begann. Acht Personen, mit vier Pferden und vier Kamelen begaben sich in Richtung Westen. Das besondere Vertrauen Barths besaß der Gatroner Mohammed, der ihn bereits von Mursuk nach Kukawa begleitet hatte. Der Kafla gehörten auch die
beiden jungen, von Overweg freigekauften Afrikaner, James Henry Dorugu und Frederick Burton Abbega an, die Heinrich Barth später nach Europa begleiteten und hier zum Anlaß großer persönlicher Konflikte wurden. Die Barschaft des Unternehmens war auf 200 Taler zusammengeschmolzen, doch in Zinder hoffte man die möglicherweise bereits getroffene Unterstützung in Empfang nehmen zu können. Nach dreiwöchigem Marsch näherte sich die Kafla der Residenz der westlichsten Provinz des Reiches Bornu. Es war bereits das dritte Weihnachtsfest, das Heinrich Barth in Afrika verbringen mußte. Da die erwartete Geldsendung noch nicht eingetroffen war, mußte er vor der Weiterreise ins Ungewisse etwa einen Monat in Zinder bleiben, obwohl die hier herrschenden Verhältnisse alles andere als einladend waren. Der Statthalter Ibrahim nutzte die Notwendigkeit, sein unmittelbar an das Sokoto-Reich angrenzendes Gebiet vor drohenden Überfällen zu sichern, zum Ausbau seiner Macht, die er bald weniger gegen Übergriffe von außen als vielmehr zur Stärkung seiner eigenen Herrschaft nutzte. Jeder Widerstand wurde brutal unterdrückt. Selbst Scheich Omar, zu dessen Vasallen der Despot zählte, zog es vor, gegen die Gewalttätigkeiten nicht einzuschreiten. So bildete das in Zinder herrschende Terrorregime einen widrigen Kontrast zu der herrlichen landschaftlichen Umgebung. Heinrich Barth war gezwungen, auf das erhoffte Geld zu warten. Die finanzielle Unterstützung durch die britische Regierung blieb aus, doch dafür traf eine unerwartete, aber mit umso größerer Freude empfangene Zuwendung der Berliner Geographischen Gesellschaft ein. Sie setzte Heinrich Barth in die Lage, endlich seine Reise fortzusetzen. Am 1. Februar 1853 überschritt er die Westgrenze von Bornu und gelangte vier Tage später nach Katsina. Da er hier auf dem Wege nach Kukawa auf sehr unliebsam Weise aufgehalten worden war, verbanden sich für Heinrich Barth wenig gute Erinnerungen an die Stadt, und er war heilfroh, sich einer Karawane nach Sokoto, der Hauptstadt des Reiches, anschließen zu können, zumal deutliche Anzeichen die nahende Regenzeit ankündigten. Die Abreise verzögerte sich jedoch, da das Heer der Goberaua einen Kriegszug in das Gebiet
der Fulbe plante. Erst Mitte März war abzusehen, welche Gebiete davon betroffen wurden, so daß man es wagen konnte, eine relativ sichere Route zu wählen. In Katsina vereinbarte Heinrich Barth mit einem Einheimischen am 10. Februar 1853 folgenden »Arbeitsvertrag«, der ein sehr interessantes Dokument darstellt: »Ich bezeuge mit diesem Papier, daß ich heute Aly Laggóren el Mejebryals Dragoman und Makler für meine beabsichtigte Reise nach Timbuktu und Hamd Allahi in meinen Dienst genommen habe und daß sein Lohn 6 Dollars pro Monat und außerdem in 2 Dollars monatlich für seine Unkosten und einen Dollar für seine Konkubine besteht, die für mich waschen und arbeiten soll, und der oben genannte Aly darf selbst Geschäfte machen, aber darf keine Sklaven kaufen oder verkaufen, und mein Geschäft muß immer an erster Stelle stehen und dann erst darf sein eigenes kommen, und ich muß Aly ein Pferd zu seinem Gebrauch geben und ein Tier für seine Frau in Sokoto. Und Aly muß in jeder Hinsicht auf meine Interessen achtgeben und hat sich mit all seiner Kraft darum zu bemühen, daß wir Timbuktu erreichen, und wenn Gott uns sicher von dort zum Gebiet des Scheichs Omar zurückkehren lassen wird, dann werde ich ihm außer dem oben erwähnten Lohn ein Geschenk von 50 (fünfzig) Dollars machen. Was den Vertrag anbetrifft, den Aly Laggóren mit Herrn Gagliuffi, dem Vize-Konsul Ihrer Majestät in Mursuk, abgeschlossen hat, so habe ich alle Verantwortung für die Verzögerung auf mich genommen, die meine beabsichtigte Reise für seinen Kontrakt zur Folge haben wird, aber nach unserer Rückkehr von Timbuktu muß er seine Verpflichtungen aus dem Vertrage mit Herrn Gagliuffi, so wie sie zwischen ihnen vereinbart worden ist, erfüllen. Dieser Vertrag mit Aly tritt heute in Kraft, und ich habe ihm den Lohn von 6 (sechs) Monaten im voraus bezahlt, außer seinen monatlichen Unkosten, die ich ihm monatlich vergüten werde. Und (für den Fall, daß mir irgend etwas zustoßen sollte)werden alle Agenten und Konsuln Ihrer Britischen Majestät meine Verpflichtungen in gebührenden Ehren halten. Dr. Barth, Afrika-Expedition« Nach dem Aufbruch begab man sich zunächst bis zu der Stadt Kuraje in Richtung Süden, um sich dann
westwärts zu halten. Am 1. April traf die Karawane nach 26stündigem Eilmarsch völlig erschöpft in der Nähe des Dorfes Guassu ein, wo ein Treffen mit dem Emir el Muminin, dem Herrscher des mächtigen Fulbe-Reiches, vorgesehen war. Er hatte hier ein Lager bezogen, um gegen die Goberaua zu Felde zu ziehen. Heinrich Barth konnte eine gewisse Erregung nicht verleugnen, hing doch das Wohl und Wehe seines weiteren Unternehmens weitgehend von dessen Wohlwollen ab. Der Emir war äußerst freundlich. Mit großer Anteilnahme hatte er bisher von dem Weg der Expedition Kenntnis genommen und war gern bereit, das weitere Vorhaben nach Kräften zu unterstützen. Allerdings sollte die Weiterreise nach Timbuktu erst erfolgen, nachdem er seinen Heereszug beendet hatte. Die Wartezeit verbrachte Barth in dem damals etwa 150000 Einwohner zählenden Wurno. Von hier aus unternahm er einen Abstecher in das nur 5 km entfernte Sokoto. Ende April traf der Emir glücklicherweise schneller als erwartet wieder ein. Er entsprach nicht nur Barths Bitte nach einer baldigen Abreise, sondern stellte ihm darüber hinaus als Begleitschutz eine kleine Eskorte zur Verfügung. Am 17. Mai erreichte die Kafla die Residenz Gando, wo es darauf ankam, die Gunst des Emirs zu erwerben, dessen Herrschaftsbereich sich über ein weites Gebiet erstreckte, durch das Heinrich Barth in Richtung Timbuktu ziehen wollte. Emir Chalilu lebte von der Not des Volkes kaum berührt in mönchischer Zurückgezogenheit und zeigte sich auch von dem drohenden Verfall des Reiches wenig beeindruckt. In Gando war Barths unermüdlichem Forschen nach historischen Quellen, die er für seine Arbeiten zur Geschichte, besonders zur Kulturgeschichte des afrikanischen Kontinents dringend brauchte, Erfolg beschieden. Es gelang ihm, ein bisher unbekanntes arabisches Manuskript aufzufinden, den sogenannten Tarschisch, die bisher älteste schriftliche Urkunde über Songhai und Timbuktu. In zügigem Westkurs näherte sich die Expedition dem von Heinrich Barth heiß ersehnten Niger. Am 20. Juni war der große Tag gekommen. Barth stellt erleichtert fest: »Nach ruhelos durchträumter Nacht und gehoben von den erhabensten Gefühlen brach ich mit meinem rüstigen Reisetroß in früher Morgenstunde auf, und nach einem Mar-
sche von etwas weniger als 2 Stunden und durch felsige, mit dichtem Buschwerk bedeckte Wildnis traf der erste Schimmer der silbernen Wasserfläche des Niger mein Gesicht. Bald lag der mächtige Strom ganz vor mir und in geringer Entfernung von seinem Ufer ging es entlang. Noch eine Stunde und ich stand mit meinem Rosse auf dem Einschiffungsplatze, der Stadt Sai gegenüber. – So war endlich der berühmte Strom erreicht, der den Europäern seit der Eröffnung der afrikanischen Geographie und Forschung mystisch vor Augen und Sinnen schwebende Niger.« Mit Barth hatten sich eine Anzahl Reisender, auf die Überfahrt wartend, am Ufer eingefunden. Der Statthalter von Sai war über die Ankunft Barths sehr erfreut, da er sich als Folge der mit ihm als Vertreter der englischen Regierung aufgenommenen Kontakte eine Belebung des Handels erhoffte. Nach wenigen Tagen Aufenthalt setzte Barth seine Expedition fort und begab sich nun, im Gegensatz zu den bisher bereisten Gebieten des mittleren Sudan, in die teilweise bereits Forscher vorgedrungen waren, in völlig unerforschte Gebiete. Er litt an Erschöpfungserscheinungen, die ihn in seiner Arbeit stark behinderten. Da die ihm zur Verfügung stehenden Karten nur auf Grund sehr vager Vorstellungen erarbeitet worden waren, wichen die Entfernungsangaben beträchtlich von den tatsächlichen ab. Die Landschaft des Nigerknies, zweifellos der gefahrenreichste Abschnitt auf dem Wege nach Timbuktu, zeigte deutliche Spuren kriegerischer Verwüstungen, die immer wieder den hier ansässigen Fulbe, Songhai und Tuareg das Leben erschwerten. Die üppige tropische Vegetation bot die natürlichen Voraussetzungen für ein zufriedenes Leben für alle. Von Ödland, wie es die geographischen Beschreibungen auswiesen, war keine Spur. In Siedlungen und Dörfern lebten fleißige Bauern, Handwerker und Fischer, die den Fremden und sein Gefolge voller Gastfreundlichkeit aufnahmen und ihm, wenn notwendig, ihre Hilfe anboten. Die Schönheit der Natur und die Herzlichkeit ihrer Bewohner luden zum Bleiben ein. So gern sich Barth eine Erholungspause gegönnt hätte, mußte er doch an die Bewältigung des noch Hunderte Kilometer vor ihm liegenden Weges und der vielen auf ihn wartenden Aufgaben denken.
Der Marsch war alles andere als ein idyllischer Spazierritt. Es galt auf der Hut zu sein, urplötzlich konnten berittene Banden auftauchen, die auch die friedlichen Einwohner tyrannisierten. Als die Kafla unterwegs einen reisenden ortskundigen Araber traf, der seine Hilfe anbot, war Barth hocherfreut. Leider aber sollte es sich bald zeigen, daß er an den Falschen geraten war. Sein Begleiter Walati entpuppte sich als ein durchtriebener Erpresser, der jede sich nur bietende Notlage zu seinen Gunsten zu nutzen verstand. Als am 25. Juli eine Gruppe von etwa 200 Einheimischen der Karawane den Weg versperrte, wirkte Walatis Mitteilung, sein Begleiter sei ein Scherif und ein guter Freund des Scheichs von Timbuktu, el Bakay, dem er eine Anzahl Bücher aus dem Orient brächte, Wunder. Voller Demut baten sie den vermeintlichen Nachkommen Mohammeds ihnen seinen Segen zu erteilen. Der Ruf hoher geistlicher Würde eilt Barth künftig weit voraus. Wehe ihm, wenn diese Lüge entdeckt worden wäre. Er war gezwungen, die ihm auferlegte Rolle weiterzuspielen und Walati wußte sich sein Schweigen durch unverschämte Forderungen zu erkaufen. Mit Ehrfurcht wurde allerorts der von Allah gesandte »heilige Prophet« erwartet. Die drückende Lebenslage ließ die Menschen sehnsüchtig die verheißene Befreiung durch den Mehedi erwarten. »Auf meiner ganzen Reise, seitdem ich Sai hinter mir gelassen hatte, war ich oftmals nachdem Erscheinen des Mehedi befragt worden«, berichtet Barth, »denn die zweite Wiederkehr des Messias, des Erlösers aus aller irdischen Not, von der diese Gegenden in so bedeutendem Maße heimgesucht sind, erwartete man mit Inbrunst, und besonders die armen Landleute sahen mit großen Augen auf mich, den aus dem Osten kommenden weißen Mann. Die Tuareg aber konnten sich kaum enthalten, mich mit diesem ersehnten Propheten zu identifizieren.« Die letzten Zweifel an der prophetischen Kraft des großen Mehedi verflogen, als ihn die Bewohner eines kleinen Städtchens um Fürbitte nach dem lang erwarteten Regen anflehten. Kaum hatte Heinrich Barth, in seine Rolle gezwungen, am Abend seinen frommen Sermon getätigt, entluden sich nachts ganze Regenströme. Der Ruf der Wundertäterei breitete sich wie ein Buschfeuer aus. Ehrwürdige Männer beugten ihre Häupter, Frauen hielten dem muselmanischen Prophe-
ten ihre Kinder entgegen, und Walati kassierte ein Schweigegeld. Am 27. August war der letzte Tag seiner Landreise gekommen. In neun Monaten hatte Heinrich Barth von Kukawa kommend, zweieinhalbtausend Kilometer beschwerlichen Weges zurückgelegt. In dem Städtchen Sarayamo konnte er nun das Boot besteigen und auf einem Arm des Niger dem Ziel entgegenfahren. »Es würde mir schwerfallen, meinen Lesern einen Begriff davon zu geben, welch frohes, beseligendes Gefühl mich belebte, als ich mich auf diesem Flusse oder Nebenarme befand, den ich den ganzen Weg bis zum Hafen von Timbuktu nicht verlassen sollte«, schrieb Barth voller Freude am 1. September 1853. Heftige Gewitterregen, die das Boot zwangen, am Ufer Schutz zu suchen, vermochten das Glück nicht zu stören. Am vierten Tag der Bootsfahrt mündeten sie in der Nähe von Sanyame in das breite Becken des Hauptstromes. »Es war wirklich ein prächtiger Anblick; majestätisch lag der Spiegel des Flusses in der Abenddämmerung ausgebreitet, der Neumond uns gerade gegenüber, seinen schwachen Silberschein in schmalen Streifen über die Landschaft gießend, und dann und wann ein Wetterleuchten, durch den Horizont zuckend. Hocherfreut über dieses herrliche Schauspiel saß ich auf dem gewölbten Mattendache unseres schwächlichen Fahrzeugs und schaute mit forschenden Augen über die gewaltige Wassermasse in nordöstlicher Richtung hinaus, wo das Ziel unserer Reise liegen sollte.« In Kabara, der Hafenstadt von Timbuktu, ging Heinrich Barth an Land. Hier bestätigte sich die wenig erfreuliche Nachricht, daß Scheich el Bakay, auf den Heinrich Barth seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, abwesend sei. Am 7. September 1853 war endlich der Tag gekommen, an dem das unter größten Entbehrungen und Strapazen erstrebte Ziel erreicht wurde. Gegen 10 Uhr morgens war Heinrich Barth mit seiner Begleitung aufgebrochen. Unmittelbar hinter Kabara mußten sie hohe Sanddünen ersteigen, die in eine öde Wüstenlandschaft mündeten, die sich bis nach Timbuktu erstreckte. Der kleinen Schar kam eine Gruppe Stadtbewohner zur Begrüßung entgegen. »Das war ein bedeutungsvoller Augenblick; denn wenn
diese Leute den geringsten Argwohn in Bezug auf meinen Glauben gehegt hätten, würden sie meinen Eintritt in die Stadt leicht ganz und gar verhindert haben und selbst mein Leben wäre in äußerster Gefahr gewesen.« Mit Geistesgegenwart bewältigte Heinrich Barth die heikle Situation und war froh, wohlbehalten sein Quartier zu erreichen, das sich in der gleichen Straße wie das Haus von Scheich el Bakay befand.
Königin der Wüste. Das sagenumwobene Timbuktu gehörte während der Zeit Heinrich Barths zu dem Fulbe-Staat Massina, der bis Ende des 15. Jahrhunderts ein Vasall des Mali-Reiches gewesen war. 1494 kam Massina in Abhängigkeit von Songhai, bis es sich nach blutig niedergeschlagenen Aufständen der Fulbe mit Beginn des 17. Jahrhunderts als relativ selbständiger Staat konstituierte. Im Rahmen der religiösen Erneuerungsbewegungen der Fulbe, die Ende des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts im Sudan zur Herausbildung einer Reihe frühfeudaler Staaten führte, errichtete der Fulbe-Marabut Seku Hamadu sein theokratisches Reich, in das er auch das Handelszentrum Timbuktu einbezog. Auf der Grundlage eines gut funktionierenden Verwaltungssystems verstand er es, durch die Förderung von Handwerk und Handel das Wirtschaftsleben von Massina zu beleben, eine Tendenz, die auch nach seinem Tode von seinem Sohn Ahmadu II. fortgesetzt wurde. In den Provinzen des Landes wirkten Emire und Kadis als Statthalter, die von Ahmadu berufen, aber auch abgesetzt werden konnten. Timbuktu hatte als bedeutendstes Zentrum des Handels- und Geisteslebens im westlichen Sudan eine äußerst bewegte Geschichte, zu deren Aufklärung Heinrich Barth durch seine Handschriftenfunde in Agades wesentlich beigetragen hat. Bereits Ende des 5. Jahrhunderts haben Tuareg-Stämme am Nigerknie eine Niederlassung gegründet, aus der 1087 Timbuktu hervorging. Im Jahre 1330 eroberte Mansa Musa, unter dem der Staat Mali seine größte Ausdehnung und innere Stabilität erreichte, die Stadt, die sich unter seinem Einfluß nicht nur zu einem bedeutenden Handels- und Gewerbezentrum entwickelte, sondern auch zur Stätte hoher Kultur und Bildung wurde. 1434 drangen die Tuareg ein, die aber bereits drei Jahrzehnte später dem Songhaikönig Sonni Ali weichen mußten. Unter ihm und vor allem seinen Nachfolgern, gelangten Wirtschafts- und Geistesleben zu neuer, hoher Blüte. Voller Bewunderung schilderte der arabische Afrikareisende Leo Africanus Tim-
buktu, das er zweimal besucht hatte: »Der Handel blüht. Bis zu 10000 Kamelen zählen die Karawanen. Die Bevölkerung ist sehr reich. Der König heißt Askia. Viele Brunnen unter Palmen mit süßem Wasser gibt es dort. Kanäle ziehen sich zum Nigerstrom. Der König besitzt einen großen Schatz von Gold in Barren, Platten und Blöcken, deren einige 1 300 Pfund schwer sind – wie jener vor seinem Palaste, an dem er sein Pferd anbindet. Alle Sporen, Steigbügel, Zäume, Gebisse der edlen weißen Rosse in seinem Marstall sind von Gold, ja sogar die Ketten der Hunde. Geschriebene Bücher gibt es dort wohl mehr als anderthalbtausend Bände. Der König ehrt die Dichter, die Ärzte, die Priester, die Gelehrten. Als Geld dient Goldstaub. Die Einwohner lieben die Vergnügungen, durchziehen oft unter Musik und Tanz die Stadt und lassen ihre Geschäfte durch Sklaven besorgen. Wenn der Herrscher Audienz erteilt, ist er mit dunklen Halsbinden und Ringen geschmeckt. Hinter dem Throne stehen zehn Sklaven Schilde und goldverzierte Schwerter haltend; zu seiner Seite die vornehmsten Jünglinge in prachtvollen Gewändern, das Haar mit Golddraht durchflochten. Auf ihren Matten zu seinen Füßen aber sitzen die ersten Minister und die Räte. Täglich müssen sich seine Beamten unter Trommelschlag vor dem Palaste versammeln, dann reitet der König an ihrer Spitze durch die Stadt, und jeder Untertan darf sich ihm nahen und frank und frei sein Anliegen vorbringen.« Mag das eine oder andere Detail im Zuge der Begeisterung auch übertrieben worden sein, so zogen Reichtum und Ansehen Timbuktus doch die Blicke der Neider an. Vornehmlich den Sultan von Marokko ließ die Besitzgier nicht ruhen. Mehr als zwanzigtausend Landsknechte wurden durch die Wüste geschickt, um den Juwel seinem Reiche einzuverleiben. Sie fielen dem Sand und der Hitze in einem Massensterben zum Opfer. Doch die lockende Beute war zu verheißungsvoll. Der Sultan sandte ein neues Heer aus, das wesentlich kleiner, aber besser ausgerüstet war. Dank der modernen Waffentechnik, gegen die alle Tapferkeit der heldenmütigen Lanzen- und Schwertkämpfer Songhais vergebens war, siegte Pascha Djudar, und Timbuktu geriet in den Herrschaftsbereich des Sultans von Marokko. Auf die Dauer war aber das 1 700 km vom Machtzentrum entfernte
und durch die Wüste abgetrennte Gebiet nicht zu halten, das umso weniger, da Unruhen im eigenen Lande dem Sultan zu schaffen machten. So entglitt ihm die Beute wieder. Die Zeiten wirtschaftlicher und kultureller Blüte Timbuktus aber waren vorbei. Kriege und Zerstörungen hatten zum Niedergang geführt. Die Einwohnerzahl sank von 60000 auf 13000. Um den Besitz der Stadt, die nur noch ein Schatten ihres früheren Glanzes war, lagen die Fulbe und Tuareg mit wechselndem Erfolg in blutiger Fehde und erstickten damit auch die letzten Möglichkeiten einer Belebung. So war die Lage, als Heinrich Barth nach Timbuktu kam. Jahrhundertelang hatte die sagenumwobene Stadt wie ein Magnet europäische Geschäftsleute und Forscher angezogen. Die einen versprachen sich hohen Profit, die anderen hofften, die Geheimnisse der großen Unbekannten zu enthüllen. Nach den bisherigen Ermittlungen war der erste Europäer, der in Timbuktu weilte, der vom Florentiner Handelshaus Portiuari entsandte Kaufmann Benedetto Dei, der hier eine Geschäftsfiliale für Stoffe aufbaute. Im Jahre 1483 entsandte der König von Portugal eine Delegation, um die Möglichkeit von Handelsbeziehungen zu prüfen. Höchst unfreiwillig wurde der französische Matrose Paul Imbert im Jahre 1630 »Gast« der Stadt. Als Schiffsbrüchiger hatte er die Atlantikküste erreicht, wurde von den Arabern gefangengenommen und als Sklave nach Timbuktu verkauft, ein Schicksal, dem das des amerikanischen Seemanns Robert Adams nahezu gleicht. Diese ersten Kontakte gerieten in Vergessenheit, zumal darüber auch keine schriftlichen Berichte überliefert wurden. So setzte Ende des 18. Jahrhunderts der Wettlauf ein, wer als erster Europäer nach Timbuktu gelange. Auf seinen zwei Reisen zur Erforschung des Niger blieb es Mungo Park in den Jahren 1795 und 1805 versagt, die Stadt zu erreichen. Als erster europäischer Forscher kam 1826 im Auftrage der britischen Regierung der schottische Afrikareisende Alexander Gordon Laing (1793-1826) ans Ziel. Während Mungo Park den Versuch, vom Atlantischen Ozean nach Osten vorzustoßen, unternahm, ging Laing von Tripolis aus über Ghadames durch die Wüste nach Süden.
Im Verdacht, als Spion zu wirken, wurde er getötet, und seine Aufzeichnungen gingen verloren. Erste Schilderungen über den Aufenthalt in dem alten Handelszentrum sind von René Caillié (1799-1838) überliefert. Den Bäckerssohn aus der Vendé lockten die Ferne und auch die von der französischen geographischen Gesellschaft in Aussicht gestellten 10 000 Francs. Ohne Mittel, ohne Vorbildung machte er sich allein auf den Weg nach dem lockenden Ziel. Als angeblicher von den Franzosen entführter mohammedanischer Pilger kam er von der Westküste über Futa Djalon und dem oberen Niger 1828 nach Timbuktu. Unerkannt machte er zahlreiche Aufzeichnungen. Ohne historische und geographische Bildung blieben diese jedoch an Äußerlichkeiten haften, ohne das Wesentliche erfaßt zu haben. Doch zerstörte Cailliés Situationsbericht eindeutig die Fabel von der luxuriösen Märchenstadt. Im Gefolge einer marokkanischen Karawane kehrte er, die Wüste durchquerend, über Tanger nach Frankreich zurück und mußte voller Enttäuschung und Bitterkeit zur Kenntnis nehmen, daß man seinem sensationellen Bericht keinen Glauben schenkte. Erst Heinrich Barth war es vorbehalten, die Schilderungen seines mutigen Vorgängers zu bestätigen: »Es war mir sehr interessant, hier (am Niger) die vom wohlverdienten französischen Reisenden René Caillié auf seiner ruhmvollen und gefährlichen Reise durch den ganzen westlichen Teil von Nordafrika von Sierra Leone nach Marokko verfolgte Straße zu erreichen, und es ist mir eine angenehme Pflicht, die allgemeine Richtigkeit seiner Beschreibung zu bestätigen.« Die von Felix Dubois in seinem Buch »Tombouctou, la mystérieuse« 1892 gegen Heinrich Barth erhobenen Vorwürfe, er habe René Caillié ignoriert, sind ebenso gegenstandslos, wie seine Kritiken an Heinrich Barths Reisewerk insgesamt. Bereits die ersten Tage seines Aufenthaltes in Timbuktu waren für Heinrich Barth wenig erholsam. Zu den erschwerten äußeren Bedingungen kam als Tribut an die durchlittenen Strapazen eine Erkrankung. Heinrich Barth machte sich über seine Lage keine Illusionen: »Es war bestimmt worden, daß während der Abwesenheit des Scheichs el Bakay, als dessen besonderen Gast ich mich ansah, meine Wohnung verschlossen bleiben, und es keinem gestattet werden
sollte, mich zu besuchen. Dessenungeachtet erhielt in dem Augenblick, wo mein Gepäck ins Haus geschafft wurde, während ich in dem zum äußeren Hofe meines Hauses fahrenden Korridor auf einem Teppich saß, eine große Anzahl Leute Zutritt; sie kamen, um mich willkommen zu heißen. So geschah es, daß, während sie die einzelnen Stücke meines Gepäckes, worunter freilich manches ein fremdartiges Aussehen hatte, genau besahen, mehrere von ihnen an meiner Nationalität, wie diese öffentlich proklamiert worden war, zu zweifeln anfingen. Aber die Sache war die: ich hatte selbst nicht einen Augenblick die Absicht gehegt, diese Leute glauben zu machen, ich sei ein Moslem; ich war ja auf der ganzen Länge meines Marsches als Christ gereist... und als solcher auch bekannt gewesen – und so konnte es denn keineswegs ausbleiben, daß meine wahren Verhältnisse bald entdeckt wurden; es war ja ohnehin schon günstig genug, daß uns ungeachtet unseres sehr langsamen Vorrückens und unserer gewundenen Marschrichtung eine solche Nachricht nicht zuvorgekommen war.« Wie Barth erfuhr, hatte Hammadi, der Widersacher seines Gastgebers, den strenggläubigen Fulbe davon Kenntnis gegeben, daß ein Christ, der sich fälschlicherweise als Moslem ausgegeben habe, in der Stadt sei. Barths Leben war in großer Gefahr, doch er kannte keine Furcht und begann sich den Umständen entsprechend einzurichten. Am 10. September erhielt er die Mitteilung, daß die Fulbe beabsichtigten, ihn in seinem Quartier anzugreifen. Angesichts dieser Tatsache nahm er einen Brief des Scheichs el Bakay, der ihn unter seinen persönlichen Schutz stellte, mit großer Erleichterung auf. Am 26. September traf der Scheich in Timbuktu ein und gewährte seinem Gast bereits am nächsten Tag eine Audienz, während der er versicherte, daß er sich von der Erregung der Fulbe über den Ungläubigen keineswegs beeindrucken lasse. Als Haupt des Araberstammes der Kunta und zugleich als geistiger Würdenträger nahm Scheich el Bakay eine einflußreiche Stellung ein, doch seine Gegner waren nicht zu unterschätzen. In den Auseinandersetzungen der Gegenparteien um Heinrich Barth ging es den fahrenden Vertretern weniger um die Person des Fremden als um ein grundsätzliches Kräftemessen. Den von dem Sultan aufgestachelten fanatisierten Fulbe
schlossen sich die reichen Händler aus Ghadames und Marokko an. Sie wußten geschickt ihre eigennützigen ökonomischen Interessen mit religiösen Motiven zu bemänteln. Scheich el Bakay war mit seiner humanitären Grundhaltung Interessenvertreter der von der FulbeOberschicht unterdrückten, alteingesessenen Songhai. Auf seiner Seite standen auch die Tuareg. Diese bekannten sich zwar zum islamischen Glauben, waren aber im Gegensatz zu den Fulbe keine religiösen Eiferer. Die Form ihrer Religionsausübung wich beträchtlich vom orthodoxen Islam ab. Heinrich Barth, der zwischen beiden Gruppierungen stand, empfand es als besonders bedruckend, daß er so gut wie nichts aus eigener Kraft zur Gestaltung seines Schicksals beitragen konnte. Sein Wohl oder Wehe lag in den Händen des Scheichs, der ein aufrichtiger Mann und liebenswürdiger Gastgeber, aber keineswegs ein Freund entschlossener Taten war. Nachdem im September dank der Besonnenheit angesehener Bürger die wachsenden Spannungen so weit unter Kontrolle gehalten wurden, daß es nicht zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen war, brachte der Oktober eine bedrohliche Wende. Der Sultan bestand darauf, daß sein Befehl, den Fremden zu vertreiben, durchgesetzt werde und schickte eine Schar bewaffneter Reiter in die Stadt. El Bakays Widersacher Hammadi nutzte die Situation und erließ an die Einwohner Timbuktus einen Aufruf, dem Gebot des Landesherrn Folge zu leisten. Die sich zuspitzende Lage veranlaßte el Bakay am 11. Oktober mit seinem Schützling sicherheitshalber die Stadt zu verlassen und bei seinen Freunden, den Tuareg, ein Lager zu beziehen. Hier in der freien Wüstensteppe konnten sie einem Überfall besser begegnen. Das Lagerleben war für Heinrich Barth, der sich ja schon seit längerer Zeit in »Schutzhaft« befand, eine angenehme Abwechslung. Doch der Aufenthalt im Lager war nur sehr kurz. Am 13. Oktober kehrten sie wieder in die Stadt zurück. Während einige Mitglieder der Familie des Scheichs Zweifel äußerten, ob es sinnvoll sei, wegen des Fremden weitere Auseinandersetzungen zu provozieren, verharrte el Bakay bei seiner Meinung und empfahl Heinrich Barth sogar, sich künftig bewaffnet zu zeigen, um den Gegnern zu demonstrieren, daß er bereit sei, jeder Gewalt Trotz zu bieten. Die Lage beruhigte sich nicht. Die feindselige Haltung der
Fulbe machte es ratsam, in der zweiten Oktoberhälfte erneut mehrmals das Lager aufzusuchen. Unter den gegebenen Umständen konnte von einer Abreise Barths zunächst keine Rede sein. Auch der Monat November ging vorüber, ohne daß eine Änderung abzusehen war. Erneut mußte im Lager Schutz gesucht werden. Gegen Ende des Monats wurde die Lage noch kritischer, da aus der Hauptstadt eine Schar Bewaffneter eingetroffen war, die alle bedrohten, die sich nicht dem Befehl, den Fremden »tot oder lebendig« dingfest zu machen, beugen würden. Am Morgen des 1. Dezember berichtete ein aus der Stadt kommender Diener, daß hier größte Aufregung herrsche und mit einem baldigen Angriff gerechnet werden müsse. Es war ein trüber Tag, und im Lager herrschte gedruckte Stimmung, die jedoch sofort in Aktivität umschlug, als in der Ferne Reiter gesichtet wurden. Sie überbrachten dem Scheich ein Schreiben, das den Befehl des Sultans enthielt, Heinrich Barth und dessen Eigentum auszuliefern. Die Aufregung in Timbuktu wuchs von Stunde zu Stunde, und es mehrten sich die Stimmen, auch bei den Freunden des Scheichs, die dazu rieten, den offensichtlich sinnlos gewordenen Widerstand aufzugeben. Der Scheich aber ließ sich nicht beeinflussen, sondern bat die Tuareg um Hilfe, die bis zum 8. Dezember 100 bewaffnete Reiter schickten, die in der Nähe der Wohnung des Scheichs und dessen Gästehaus einquartiert wurden. Angesichts des veränderten Kräfteverhältnisses wurden die Hitzköpfe wieder ernüchtert, die Lage entspannte sich und es unterblieben die offenen Angriffe. Barth hatte erkannt, daß eine enge Verbindung mit den Tuareg wichtigste Voraussetzung für seine Sicherheit war. Für die geplante Rückreise gab es nur drei Möglichkeiten: der Weg durch das Gebiet der Fulbe nach der Westküste, der Weg zurück, entlang dem Niger, wie er gekommen war, oder die Reise in Richtung Norden durch das Gebiet der Tuareg, zum Mittelmeer. So sehr er die weitere Erforschung des Niger von Timbuktu abwärts als ein die Expedition abschließendes Programm für die beste Variante ansah, erschien ihm doch nach Lage der Dinge der unmittelbare Rückweg nach Norden das sicherste zu sein. Aber noch war es nicht soweit.
Da ihre bisherigen kriegerischen Attacken wenig Erfolg hatten, versuchten es seine Widersacher nun mit einer anderen Taktik. Sie drohten damit, Timbuktu einzuschließen und von der dringend benötigten Getreidezufuhr auf dem oberen Niger abzuschneiden. Eine solche Maßnahme hätte zur Hungersnot und unweigerlich zu Revolten geführt. Unter dieser bedrohlichen Ungewißheit verlebte Heinrich Barth nun bereits den vierten Jahreswechsel in Afrika. Die ersten Wochen des Jahres 1854 verliefen relativ ruhig. In seinen Kontakten blieb Barth nach wie vor auf den Scheich und dessen nähere Umgebung beschränkt. Immer eindringlicher trug er seinem Gastgeber den Wunsch der möglichst baldigen Abreise vor, doch el Bakay zeigte wenig Bereitschaft zu dem Risiko. Heinrich Barth mußte sich weiter in Geduld fassen. Seit Ende Februar verstärkten die Fulbe erneut ihre Aktivitäten, um ihn zu vertreiben und ihren Einfluß in der Stadt zu festigen. Wiederum schien eine bewaffnete Auseinandersetzung unvermeidlich, obwohl Heinrich Barth, der Anlaß dieser Wirren, selbst nichts sehnlicher herbeiwünschte, als die Stadt endlich verlassen zu können. Er bat den Scheich, alles zu versuchen, eine friedliche Lösung des Konflikts herbeizuführen. Der Gedanke, die Ursache für Tod und Elend anderer sein zu müssen, war ihm unerträglich. Schließlich konnte doch das Schlimmste vermieden und der Streit friedlich beigelegt werden. Während sich die Fulbe verpflichteten, ihre Streitkräfte aus Timbuktu zurückzuziehen, gab der Scheich die Zusicherung, daß Heinrich Barth nicht mehr in die Stadt kommen, sondern nur noch im Zeltlager bleiben sollte. Die erhoffte baldige Abreise verzögerte sich jedoch wegen der Unentschlossenheit des Scheichs weiter. Heinrich Barth nutzte die Zeit, um seine in Timbuktu gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen zu Papier zu bringen. So fiel es ihm auf, daß Timbuktu z. B. im Vergleich zu der Hausa-Residenz Kano kaum eigene Produktionsstätten hatte, sondern nahezu ausschließlich als Handelszentrum diente, in dem die Waren des Nordens gegen die des Südens getauscht wurden. Haupthandelsartikel bildeten Gold, Salz und die Guro- oder Kolanuß. Die in Timbuktu ansässigen Händler waren in der Regel Agenten von Handelsherren aus Marokko und Ghadames. Als Scheidemünze
diente die Kaurischnecke (Cypraea moneta), wie Grabfunde beweisen, ein uraltes Zahlungsmittel. Zur Zeit Barths entsprachen dreitausend Kaurischnecken dem Wert von etwa einem Spanischen Taler. Hauptfundort der Schnecke waren die Malediven. Ihre Verbreitung als Zahlungsmittel erstreckte sich vom Tschadseegebiet im Osten bis zu den Madingostaaten im Westen, von Timbuktu im Norden bis zur Nigermündung im Süden. Über die Möglichkeiten eines Handelsverkehrs mit europäischen Ländern stellte Heinrich Barth fest: »Die Schwierigkeiten, welche ein Platz wie Timbuktu einem freien Handelsverkehr mit den Europäern entgegensetzt, sind unzweifelhaft sehr groß. Die eigentümliche Lage der Stadt an dem Rande der Wüste und an der Grenzlinie verschiedener Rassen – macht in dem gegenwärtigen entarteten Zustande der einheimischen Königreiche eine energische Regierung sehr schwierig, ja fast unmöglich, und die Entfernung sowohl von der Westküste, als auch von der Mündung des Niger ist höchst bedeutend. Aber auf der anderen Seite macht die große Bedeutung der Lage dieser Stadt an der nördlichen Biegung jenes majestätischen Flusses, der in einem gewaltigen Bogen die ganze südliche Hälfte von Nord-Zentral-Afrika umspannt und dicht bevölkerte sowie überaus produktionsfähige Landschaften einschließt, die Eröffnung eines europäischen Handels höchst wünschenswert, und überdies bietet ja der Fluß selbst für einen solchen Zweck große Erleichterung dar.« Er war sich bewußt, daß die eifersüchtige Nebenbuhlerei der Kolonialmächte England und Frankreich eine handelspolitische Entwicklung außerordentlich erschwerte. Unmißverständlich brachte er zum Ausdruck, daß die einheimische Bevölkerung zum Ausbau ihrer Handelsbeziehungen keinerlei ausländischer »Protektionen« bedürfe, sondern daß im Gegenteil unabhängige afrikanische Staaten eine wirtschaftliche Entwicklung gewährleisten könnten, die auf der Grundlage der Gleichberechtigung auch den europäischen Ländern von Nutzen wäre: »Wenn daher der Stadt Timbuktu eine freisinnige Regierung gesichert wäre, indem man hier eine... unabhängige Herrschaft begründete, so möchte ich dem europäischen Handel und Verkehre hier ein ungeheures Feld eröffnen und es könnte dann diese ganze Gegend wieder in den Bereich einer gesunden, kräftigeren Or-
ganisation gebracht werden. Alle Fürsten und Nationalitäten des Inneren sind friedlichem Verkehre freundlich gesinnt und würden sich solchen selbst von Europäern, sobald sie Gerechtigkeit und energische Entschiedenheit bei ihnen finden, gern gefallen lassen.« Handelsbeziehungen zwischen Europa und Afrika aber müßten, so forderte Barth, auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung erfolgen und zur Anbahnung derartiger Beziehungen lud er Verwandte des Scheichs nach Europa ein. »Ein solcher Besuch der aufgeweckten Eingeborenen würde die größten Resultate haben, wenn man wirklich das ernste Bestreben hat, einen freundschaftlichen Verkehr mit jenen Gegenden zu eröffnen; aber an solche weitergehenden Pläne denken gewöhnlich die Regierungen nicht, die ein paar hundert Taler zu solchen Forschungsreisen hergeben und deren Zweck nur darin liegt, für den Augenblick mit einigen glänzenden Resultaten zu prunken.« In einer Zeit, in der die Verfechter des Kolonialismus in den Eingeborenen Barbaren sahen, sind Barths Vorschläge außerordentlich humanitär und weitsichtig. Er machte auch keinen Hehl daraus, was er von den »Segnungen« der europäischen »Kulturbringer« in Afrika hielt: »Seit den Entdeckungen der Portugiesen an den Küsten Afrikas haben die Europäer nichts anderes getan, als den Zerfall dieser Länder zu beschleunigen, so daß gegenwärtig kein Aufschwung, selbst nicht zu einem bloß materiellen Handelsverkehr, möglich ist.« Zu Barths besonderen wissenschaftlichen Leistungen während seines Timbuktuaufenthalts zählen seine Auszüge aus dem »Tarikh es – Sudan«, jener aufschlußreichen Chronik, die ein farbiges Bild der traditionsreichen Geschichte des Landes vermittelt. Scheich el Bakay hatte den 19. April 1854 zum Abreisetag bestimmt, und zu Barths großer Freude setzte sich gegen Mittag die kleine Karawane auch tatsächlich in Bewegung. Man wandte sich in Richtung Niger, um dann dem Nordufer entlang weiterzuziehen. Viel zu langsam ging es Heinrich Barth voran. Er war ein anderes Tempo gewöhnt als das der Karawane des Scheichs, die sich für sein Empfinden allzu gemächlich durch Sumpfgebiete und Dschungel vorwärts bewegte. Sein Vorhaben, in spätestens zwei Monaten in Sokoto zu sein, um von dort aus auf der bereits bekannten Route nach Kano zu
gelangen, war damit in Frage gestellt. Bevor die eigentliche Heimreise angetreten werden konnte, mußte Heinrich Barth nochmals seine alte »afrikanische Heimat«, die Residenz Kukawa am Tschad aufsuchen. Er hoffte, das hier inzwischen eingetroffene, dringend benötigte Geld vorzufinden, das ihn in die Lage versetzen würde, wohl ausgestattet in Begleitung einer Karawane nach Norden zu ziehen. Der 30. April setzte allen Träumen ein jähes Ende. Ein Kurier brachte dem Scheich die Nachricht, daß sein, ihn während der Abwesenheit in Timbuktu vertretender älterer Bruder Sidi Mohammed, in großen Schwierigkeiten sei. Die früheren Bundesgenossen, die Tuareg, hätten sich mit den Fulbe verbindet. EI Bakay sah sich unter diesen Umständen veranlaßt, unverzüglich nach Timbuktu zurückzukehren, ein Entschluß, dem sich Heinrich Barth unter den veränderten Umständen freilich keineswegs anschließen konnte und so bat er um Erlaubnis, die Reise allein fortzusetzen. Doch die Gefahr war zu groß. Die Franzosen hatten auf ihrem Unterdrückungsfeldzug im südlichen Algerien den tapferen Berberstamm der Schaaba heimtückisch überfallen. Noch war ihr Machthunger nicht gestillt, und sie waren weiter nach Süden vorgedrungen. Am 4. Dezember 1852 hatten sie die Oase Laghouat gestürmt und ein furchtbares Massaker veranstaltet. Die Nachricht von dieser Greueltat verbreitete sich im ganzen Sudan. Die friedlichen freien Völker der Wüste erhoben sich gegen ihre Unterdrücker. Es war ausgeschlossen, daß sich Heinrich Barth angesichts dieser Situation in Richtung Tripolis begeben konnte. Auch el Bakay war voller Empörung über die französischen Aggressoren. Sein Plan, mit den Tuaregstämmen des mittleren Niger das weitere Vordringen des Feindes zu verhindern, war leider wegen Feindseligkeiten zwischen den Nachbarstämmen undurchführbar. Wenn damit auch ein bewaffnetes Vorgehen ausgeschlossen war, so wollte der Scheich doch wenigstens in einer Protestnote an die französische Regierung die Invasion verurteilen. Nach einigem Zögern entschloß sich Heinrich Barth, diese Erklärung mit zu unterzeichnen. Bis zur Rückkehr des Scheichs, der sich zur Klärung der Lage nach Timbuktu begab, sollte Heinrich Barth mit Mohammed ben Chottar, einem Neffen seines Gastgebers, bei Ernesse ein Lager beziehen.
Früher als erwartet, wurde bereits Mitte Mai die Rückkunft gemeldet und was ebenso erfreulich war, der Kurier brachte ein Paket Briefe mit, die allerdings 15 Monate unterwegs gewesen waren. Darunter befand sich ein Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 19. Februar 1853. Darin wurde Heinrich Barth mitgeteilt, daß zu seiner Unterstützung ein Assistent, der junge Wissenschaftler Eduard Vogel (1829-1856) nach dem Sudan entsandt werde. Er würde mit Geld und wissenschaftlichen Instrumenten ausgerüstet werden, um den weiteren Erfolg der Expedition zu gewährleisten. Heinrich Barth wurde bevollmächtigt, die Expedition auf den Stand zu bringen, wie er es auf Grund seiner Kenntnis des Landes für notwendig erachtete. Nach Auffassung der britischen Regierung wurde die Expedition vom Tschadsee nach Sansibar weitergeführt. Das Auswärtige Amt hatte demzufolge am 19. Februar 1853 noch nicht die Mitteilung Barths vom Tode seines Gefährten erhalten und konnte sich nicht über die darin enthaltene weitere Orientierung der Expedition in Richtung Timbuktu äußern. Wenige Tage später aber war Barths Brief in London eingetroffen. Ein weiteres, vom 24. Februar datiertes Schreiben des Auswärtigen Amtes nimmt dazu Stellung: »Sir, Mit derselben Gelegenheit, mit welcher Sie diese Depesche erhalten, wird ihnen auch eine von meinem Vorgänger an Sie gerichtete Depesche zugehen, die Ihnen die Genugtuung der Kgl. Regierung über den Erfolg ausdrucken wird, welchen Sie und Ihr verstorbener und betrauerter Genosse Dr. Overweg durch Ihre Enthüllungen erreicht haben. Diese Depesche hatte London kaum verlassen, als ihre Mitteilung aus Kuka vom 10. Oktober (1852) eintraf, in welcher Sie den Tod Dr. Overwegs anzeigen, was mir die traurige Pflicht auferlegt, Ihnen das tiefe Bedauern auszudrücken, mit dem die Kgl. Regierung durch Ihre Anzeige erfüllt worden ist. Es gereicht mir indessen zu einiger Genugtuung, zu wissen, daß den Wünschen und den Bedürfnissen der Expedition durch meinen Vorgänger einigermaßen durch die erfolgte Zusendung eines Gehilfen (Assistent) und durch die Gewährung weiterer Mittel zuvorgekommen ist. Ich habe Ihnen nur zu eröffnen, daß die Kgl. Regierung Ihrer
Absicht beistimmt, den Versuch zu machen bis Timbuktu zu gelangen, und ich hoffe zuversichtlich, daß Ihre Unerschrockenheit mit Erfolg belohnt werde. Die Kgl. Regierung wird nicht ermangeln, Ihren Vorschlag über die Errichtung einer Konsular-Agentur in Kuka in Erwägung zu ziehen, aber die Frage hat ihre besonderen Schwierigkeiten und verlangt viel Überlegungen. Ich bin, Sir, Ihr ganz gehorsamer, ergebener Diener Clarendon.« Nach den aufregenden und teilweise entmutigenden Erlebnissen in Timbuktu verlieh der wiederhergestellte Kontakt mit Europa Heinrich Barth neue Impulse, das umso mehr, als auch sein Freund und Beschützer Scheich el Bakay wieder eingetroffen war. Nur ließ sich dieser zu Barths Leidwesen von seinem Drängen, das Reisetempo zu beschleunigen, wenig beeinflussen. Es ging weiterhin nur recht langsam voran. Zahlreiche Flüsse und Sümpfe versperrten den Weg, so daß Umwege kostbare Zeit in Anspruch nahmen. Am 25. Mai erreichten sie schließlich bei Bamba den nördlichsten Teil des Niger. Nun begab sich die bunt zusammengesetzte Schar in südöstlicher Richtung nach dem Knie von Bourem. Wie seit Beginn der Expedition sammelte Heinrich Barth am Tage mit Hilfe der Meßinstrumente unermüdlich Daten, die er dann in den Stunden der Rast auswertete. Die Abende waren zugleich dem freundschaftlichen Gespräch mit seinem Gastgeber aber auch den einheimischen Tuareg gewidmet. Hierbei kamen ihm seine hervorragenden Sprachkenntnisse zugute, die er als unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Forschertätigkeit ansah. Barth beeindruckte immer wieder die stolze Haltung der Tuareg, die sich aber bei näherem Kontakt als sehr gastfreundlich und umgänglich zeigten. Allerdings war es notwendig, zunächst großes Mißtrauen abzubauen, denn die Tuareg vom Stamme der Tingeredesch hatten mit Mungo Park, der hier bedenkenlos von seiner Waffe Gebrauch gemacht hatte, schlechte Erfahrungen gemacht. »Als sie aber bemerkten, daß ich mit einigen ihrer Landsleute eine lebhafte Unterhaltung angeknüpft hatte, überzeugten sie sich, daß ich nicht zu der Klasse der wilden Tiere gehörte; denn eine solche Vorstellung schienen sie sich nach dem Empfang, der ihnen von Park
Niger bei Horara Dieses Gebiet wurde schließlich Ende des 19. Jahrhunderts durch Hourst erschlossen. Für das Ansehen und die Beliebtheit Heinrich Barths legte die Tatsache Zeugnis ab, daß man sich im Nigergebiet Jahrzehnte nach seiner Anwesenheit noch sehr gut an ihn erinnern konnte, ja, daß das Gerücht, Hourst sei der Neffe des allseits beliebten Abd el-Kerim, seinem Vorhaben äußerst dienlich war. Er schreibt dazu in seinem Reisebericht: »Sobald ich anfing, von meiner Verwandtschaft mit Abdel-Kerim zu sprechen, beeilte man sich, uns Lebensmittel und Führer zu gewähren und erlaubte uns, Abgesandte zu Madidu zu schicken, um ihn zu bitten, daß er das, was sein Vater für Abd-el-Kerim getan hatte, nun auch für seinen Neffen tun möge. Was mich hierbei auch begünstigte, war eine Prophezeiung des Scheich el Bakay, die er bald nach der Abreise Barths ausgesprochen hatte: daß einer seiner Angehörigen eines Tages mit drei Schiffen wiederkommen werde, und da ich nun gerade drei Schiffe mitführte, so unterlag es gar keinem Zweifel: der Nachkomme Abd-el-Kerims – das war ich.« Die Klärung des Nigerverlaufs war 1795 durch den schottischen Arzt und Afrikareisenden Mungo Park eingeleitet worden. Nach monatelangem, strapazenreichem Ritt war er in Höhe von Segou als erster Europäer zum Niger vorgedrungen und hatte entgegen allen bisherigen Angaben festgestellt, daß er nach Osten fließt. Es galt, die seit Jahrhunderten auf den Landkarten enthaltenen Angaben eines westwärtigen Verlaufs zu korrigieren. Noch wenige Jahre zuvor hatte die 1790 gegründete britische Afrikanische Gesellschaft in Zweifel gezogen, ob der Niger überhaupt ein selbständiger Fluß sei. Mit dem Nachweis, daß der Niger nach Osten fließt, war gleichzeitig die Auffassung einer Verbindung mit dem Senegal oder Gambia widerlegt, da diese in den Atlantischen Ozean münden. Friedrich Konrad Hornemann und Johann Ludwig Burckhardt bemühten sich Anfang des 19. Jahrhunderts um die weitere Klärung der Rätsel des Niger, und opferten dabei ihr Leben im Dienste der Wissenschaft. Neue Erkenntnisse brachte die Expedition von Hugh Clapperton. Er stellte fest, daß der majestätische Fluß sich nicht gradlinig nach Osten, sondern in südöstlicher und schließlich südlicher Rich-
tung bewegt. Auf einer zweiten, 1825 begonnenen Reise, drang er von der Mündung aus stromaufwärts vor und erbrachte mit Richard Lander den Nachweis seiner früheren Behauptung. Der Gesamtverlauf des Niger war damit fixiert. Richard Lander hatte beim Befahren seines Unterlaufs die Einmündung des Benué passiert. In der Annahme, es handele sich dabei um einen Abfluß des Tschad, nannte er ihn Tschadda. Ein Irrtum, den Heinrich Barth mit seiner Ermittlung, daß zwischen dem Quellgebiet des Benué und dem Tschadsee eine Wasserscheide liegt, 1852 zu korrigieren vermochte und damit zugleich die Vermutung einer Verbindung von Niger und Tschadsee widerlegte. Während Barth sich in Timbuktu aufhielt, hatte die britische Regierung seine Erforschung des Benué für ihre handelspolitischen Zwecke zu nutzen versucht. Am 24. Mai 1854 wurde eine von Kapitän Becroft und William Balfour Baikie geleitete Schiffsexpedition gestartet, um die Möglichkeit einer schiffbaren Verbindung in das Landesinnere weiter zu erkunden. Dieses Vorhaben wurde Heinrich Barth zwar am 10. Juni 1853 mitgeteilt, doch Eduard Vogel, dem man die Nachricht übergeben hatte, traf erst wesentlich später mit ihm zusammen. Die Information lautete, daß die britische Regierung unter dem Eindruck der Bedeutung von Barths und Overwegs Forschungen beschlossen hat, diese Entdeckungen weiter zu verfolgen und beabsichtige, ein speziell ausgerüstetes Dampfschiff auszusenden, das den Niger bis zum Zusammenfluß mit dem Tschadda hinauffahren sollte. Der Führer dieser Expedition würde angewiesen werden, auf diesem Strom weiter vorzustoßen, um sich zu vergewissern, ob der Tschadda und der von Barth beschriebene, im Südgebiet des Tschadsees ostwärts fließende Strom identisch sind, und sollte das zutreffen, zu ermitteln, wie weit er eine schiffbare Verbindung mit dem Landesinnern gewährt, Von Heinrich Barths Erkundung war zur Zeit der Vorbereitung der Schiffsexpedition im Juni 1853 in London noch nichts bekannt, so daß der Benué noch als Tschadda bezeichnet und der vorstehende Auftrag erteilt wurde. Über die vorgesehene Expedition wurde Barth weiter informiert, daß diese in Anbetracht der fortgeschrittenen Jahreszeit erst im nächsten Jahr England verlassen wird, zu einer Zeit, in der man das Steigen der afrikanischen Flüsse nutzen könne, um so
»ihre Beschiffung mit Dampfschiffen am leichtesten und mit den geringsten Gefahren für die Gesundheit ihrer Mannschaften« zu bewerkstelligen. Sobald die weiteren Vorbereitungen der Expedition abgeschlossen wären, würde Barth das mitgeteilt werden. Er sollte aber in zwischen Maßnahmen treffen, die den Erfolg der Expedition wirksam unterstützen könnten. Heinrich Barth wurde ersucht, der Dampferexpedition einen ortskundigen Eingeborenen entgegenzuschicken und dafür zu sorgen, daß an verschiedenen Stützpunkten am Ufer des Flusses Feuerung für den Dampfer bereitgestellt würde. Bei seinem Eintreffen konnte Heinrich Barth feststellen, daß sich in Sai vieles zum Guten gewandelt hatte. Er hatte den Ort während einer schrecklichen Dürre verlassen. Jetzt erblickte er überall üppige tropische Vegetation. Nach kurzem Aufenthalt setzte die kleine Karawane am 2. August ihren Weg nach Sokoto fort. Man begab sich an das östliche Ufer des Niger und konnte dabei messen, daß die »Flußenge« bei Sai über einen Kilometer breit war. Der neue Abschnitt der Landreise durch das südsaharische Saumland des Sahel war der gleiche Weg wie auf der Hinreise. Die kräftezehrenden Strapazen zermürbten die Gesundheit Barths. Insbesondere machten ihm die Auswirkungen der tückischen Tropenruhr schwer zu schaffen. Nur mit Mühe schleppte er sich bis nach Sokoto, wo er bei einem alten Freunde, Mobido Ali, einem angesehenen Fulbe, freundliche Aufnahme fand. Dankbar, doch auch voller Bitterkeit, stellte Heinrich Barth fest: »So bezeugten mir denn meine schwarzen moslemischen Freunde die größte Liebe und Freundlichkeit und behandelten mich auf die gastlichste Weise. Aber ein Gleiches konnte ich leider nicht rühmen von meinen Freunden in Europa; denn deren Benehmen gegen mich war nur wenig ermutigend und keineswegs dazu geeignet, meinen sinkenden Mut aufzurichten.« Besonders ärgerte ihn, daß er nur ganz nebenbei von einer Expedition erfuhr, die angeblich zu seiner Unterstützung ausgesandt worden sei: »So hörte ich denn rein durch Zufall von einer befreiten Sklavin aus Konstantinopel, die mich bald nach meiner Ankunft besuchte, den mir so unendlich wichtigen Umstand, daß fünf Christen mit einem Packtroß von 40 Kamelen in Kuka angekommen seien. Nur mit größter Mühe konnte
ich dabei die Mitglieder der Expedition, wie sie mir diese Person in ihrem eben nicht offiziellen Berichte beschrieb, mit den Angaben in Lord Russel’s Depesche identifizieren. Die letztere hatte ich, wie ich zu seiner Zeit angegeben, bei Timbuktu erhalten; sie setzte mich davon in Kenntnis, daß eine neue Expedition ausgerüstet sei, um mir zu Hilfe zu kommen, und gab mir einige Details über die sie bildenden Persönlichkeiten. Während ich nun so Nachricht erhielt, daß sie vor geraumer Zeit glücklich in Bornu angekommen wären, konnte es nicht fehlen, daß ich höchst erstaunt und davon unangenehm berührt war, nicht einmal eine einzige Zeile von diesen Herren erhalten zu haben, die doch wenigstens ebenso leicht einen Brief hierher senden konnten, als es jener Person möglich war, ihren Weg hierher zu nehmen. Aus allem diesem zog ich schon damals den Schluß, daß da etwas nicht ganz in Ordnung sei; jedoch hatte ich noch immer keine klare Andeutung von dem Gerücht, das über meinen vermeintlichen Tod in Umlauf gesetzt worden war. Jedenfalls war es von Herrn Vogel nicht ganz umsichtig, daß er es ungeachtet des Gerüchtes, das in Bornu umging, nicht versuchte, sich für den Fall, daß ich noch am Leben wäre, mit mir in Verbindung zu setzen.« Tatsächlich war Barth zu dieser Zeit in Europa, aber auch in Afrika für tot gehalten worden. Nachdem ein Brief von ihm am 29. September 1853 von »gänzlich abschwächenden Fieber« berichtete, hatte er zwar am 23. März 1854 nochmals aus Timbuktu nach Hause geschrieben, doch seitdem war jede Verbindung abgebrochen. Am 18. Juli teilte Eduard Vogel aus Kukawa dem britischen Konsul den Tod Heinrich Barths mit, den dieser am 24. Oktober seiner Regierung meldete. Offensichtlich war es auch in Europa mit der Nachrichtenübermittlung nicht zum besten bestellt, denn in Deutschland wurde der angebliche Tod Heinrich Barths erst am Jahresende bekannt. Wiederum durch einen Brief Eduard Vogels an seinen Vater nach Leipzig. Dieser schrieb am 12. Dezember 1854 an Alexander von Humboldt: »Da ich den innigen Antheil kenne, welchen Sie an dem Fortgange der englischen Expedition nach Central-Afrika stets genommen haben und noch nehmen, achte ich es für meine Pflicht, Sie von dem schweren Verluste in Kenntnis zu setzen, weichen, nach einem heute
hier eingegangenen Briefe meines Sohnes – d. d. Kuka, den 18. Juli – die Wissenschaft und die Menschheit durch den Tod des trefflichen Dr. Barth erlitten. Er starb nach ziemlich zuverlässigen Berichten, zu Merade, bei Socatu, auf seiner Rückreise von Timbuktu nach Bornu.« Auch ein britischer Soldat hatte unabhängig von E. Vogel sein Ministerium über Barths Tod informiert und schließlich übermittelte sogar der Sultan von Bornu der Königin Victoria offiziell Barths Ableben. Da aber niemand die genauen Umstände seines Todes mitteilen konnte und Monat auf Monat verstrich, ohne daß Näheres bekannt wurde, blieben doch Zweifel über die Richtigkeit der Nachricht. Zweifel, die einen letzten Hoffnungsschimmer ließen, daß der Totgesagte, über den E. T. Gumprecht 1855 in der »Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde« bereits einen Nekrolog verfaßt hatte, doch noch am Leben sein könnte. Wiederum war es Eduard Vogel, der die Freudenbotschaft überbrachte. Der Generalkonsul Hermann schrieb am 13. März 1855 aus Tripolis: »Glücklicherweise habe ich nicht umsonst gehofft. Das Gerücht vom Tode des Dr. Barth hat sich als unbegründet erwiesen!« Seinem Schreiben fügte er eine entsprechende Mitteilung Vogels aus Mursuk vom 15. November 1854 bei. Da aber noch immer niemand Heinrich Barth gesehen hatte, konnte auch diese Information wiederum nur ein Gerücht sein. Die endgültige Bestätigung, daß Heinrich Barth am Leben sei, war deshalb ein Brief Vogels an seinen Vater vom 7. Dezember 1854, in dem er ihm von dem unvermuteten Zusammentreffen mit Heinrich Barth am 1. Dezember berichtete. Am 4. April 1855 traf der Brief in Leipzig ein, am 26. April verbreiteten die »Deutsche Allgemeine Zeitung« und die »Speyersche Zeitung« die freudige Nachricht, und am 30. April trafen auch bei der Familie des Totgesagten Briefe vom Herbst 1854 ein. Die Totmeldung. hatte für Heinrich Barth jedoch schwerwiegende Folgen. Man hatte nicht nur seine in Kukawa deponierten Hinterlassenschaften aufzuteilen begonnen, sondern Eduard Vogel unterließ es auch, entsprechend der Anweisung die Barthsche Expedition zu suchen. Barth stellte dazu fest: »Die von Vogel geglaubte Nachricht von meinem Tode, wie die 1854 fast ganz aufgehobene Verbin-
dung mit den Nigerländern hatten den begeisterten, aber noch unerfahrenen Reisenden veranlaßt, von seiner Instruktion abzuweichen und in Bornu zu bleiben.« Doch wir sind den Ereignissen um einige Monate vorausgeeilt. Verfolgen wir die Rückreise Heinrich Barths, die aus den oben genannten Umständen der erhofften Hilfe entbehren mußte, weiter. Keineswegs ausgeheilt, verließ er am 29. August Sokoto und traf am folgenden Tag in Wurno ein, wo er entkräftet zusammenbrach. Sechs Wochen bemühten sich einheimische Naturärzte um das Leben des weißen Mannes. Dank strengster Diät – gestampftem Reis und saurer Milch – kam er langsam wieder zu Kräften und konnte die schwere Krise überwinden. Am 22. September war er erstmals wieder in der Lage, einen kleinen Ritt zu machen, und die Genesung schritt nunmehr voran. Doch nicht nur der Gesundheitszustand machte Barth Sorge. Die finanziellen Mittel waren durch die lange Reise ebenso erschöpft wie seine Kräfte. Der unvorhergesehene wochenlange Aufenthalt hatte ein Übriges zur Verschlechterung seiner Situation beigetragen. Hinzu kam, daß eine Teuerung die Lebensmittelpreise erhöhte. Sein Pferd, das ihn 22 Monate als treuer Begleiter durch Steppen und Wälder getragen hatte, war verendet, ebenso mußte er einige Lastkamele ersetzen. Alles das erforderte wesentlich mehr Mittel als zur Verfügung standen. Wohl oder übel mußte Heinrich Barth den Sultan um Hilfe bitten, zu dessen Tugenden allerdings die Freigebigkeit nicht zählte. Am 5. Oktober konnte der Marsch fortgesetzt und Mitte des Monats die geschäftige Handelsmetropole des Sudan erreicht werden. Die Hoffnung, hier in Kano endlich Geld oder Waren vorzufinden, um die Schulden zu bezahlen, und die Weiterreise finanzieren zu können, erfüllte sich nicht. Voller Enttäuschung notierte Heinrich Barth: »ich fand nämlich auch nicht einen einzigen Brief vor und auch von den erwarteten neuen Hilfsmitteln war nicht das geringste angekommen. Dabei war ich gänzlich von Mitteln entblößt und hatte doch in dieser Stadt eine Menge Schulden zu bezahlen, und zwar besonders den meinen Dienern schuldigen Lohn; denn während der ganzen Reise von Kuka nach Timbuktu und zurück hatte ich ihnen noch nichts bezahlt. Kaum war ich im Stande, mir zu erklären, wie dies alles ha-
be geschehen können, da ich mich völlig darauf verlassen hatte, hier alles zu finden, was ich bedürfte, sowie besonders auch günstige Nachrichten über die Unternehmungen Dr. Vogels und seiner Gefährten.« Der Verzweiflung nahe, schickte er als letzte Hoffnung am nächsten Tag seinen treuen Diener Mohammed, den Gatroner, nach Zinder. Er sollte die hier zurückgelassenen wenigen Habseligkeiten holen, sowie auch die nach hier – wie er hoffte – geschickten Waren oder Gelder. In Kano erfuhr er von einem Augenzeugen erstmals von der britischen Benué-Dampferexpedition. Große Sorge bereitete ihm die ungewisse politische Lage in seiner »afrikanischen Heimat« Kukawa, die sein nächstes Ziel war. Bereits während seiner Anwesenheit war es wegen des wachsenden Einflusses des Wesirs Hadj Beschir zwischen Scheich Omar und seinem Stiefbruder Abd el-Rahman zu Auseinandersetzungen gekommen, die sich weiter zugespitzt hatten, so daß, wie Heinrich Barth mitgeteilt wurde, sein Freund Scheich Omar entmachtet und der Wesir hingerichtet worden seien. Da die fortdauernden Feindseligkeiten es nicht geraten erscheinen ließen, die Stadt aufzusuchen, hatte sich Heinrich Barth gerade entschlossen, unmittelbar durch Aïr den Weg zur Küste einzuschlagen, als er erfuhr, daß es Scheich Omar im Sommer 1854 gelungen sei, den Bruder zu stürzen und die Macht im Lande wieder auszuüben. Das eröffnete die Möglichkeit, die ursprünglich geplante Route weiter zu verfolgen. Noch immer kursierten die widersprüchlichsten Gerüchte über die Lage in Bornu. Erst als am 9. November persönliche Boten Omars in Kano eintrafen, fand die erfreuliche Tatsache Bestätigung. Damit war der Weg nach Kukawa geebnet, doch zur Weiterreise fehlten die Mittel, da der nach Zinder gesandte Diener mit leeren Händen zurückgekehrt war. Die Kiste mit den Waren war gestohlen worden und die hier deponierten Sachen hatte ein Diener Dr. Vogels abgeholt, da Dr. Barth ja »verstorben sei«. So stand Heinrich Barth fassungslos vor schier auswegloser Situation. Er besaß weniger als nichts, denn seine Diener erwarteten mit Recht endlich ihre seit Monaten ausstehende Bezahlung.
Ein Darlehen »enthob« ihn zunächst der äußersten Not. Allerdings wurde es zu einer Wucherzinsrate von 300% gewährt, die ihn darüber hinaus auch noch auferlegte, die Schuld in vier Monaten in Tripolis zu begleichen. Am 23. November 1854 konnte schließlich, mit dem nötigsten ausgerüstet, der letzte Abschnitt der Sudanexpedition angetreten werden. Nach dem Überschreiten der Grenze von Bornu zeigten sich bald die Spuren des verheerenden Bürgerkrieges. Viele Ortschaften waren zerstört und entvölkert. Auf einer Strecke von etwa 50 km ehemals dicht besiedelten Gebietes war kein Mensch zu erblicken. Umso überraschender war es, als die kleine Karawane am 1. Dezember 1854 unweit von Bundi zufällig Dr. Vogel traf. Barth berichtet darüber: »ich selbst hatte in der Tat nicht die entfernteste Ahnung, daß ich ihm begegnen könnte und er seinerseits hatte erst kurz zuvor die Kunde erhalten, daß ich noch am Leben und glücklich aus dem Westen zurückgekehrt sei. Ich hatte ihm von Kano aus einen Brief geschrieben, und der war ihm unterwegs zugekommen; aber wegen der arabischen Adresse, die ich der sicheren Besorgung halber auf den Umschlag gesetzt, hatte er gemeint, es wäre ein Brief von einem Araber, und hatte denselben, ohne ihn zu öffnen, zu sich gesteckt, bis er jemand träfe, der ihn vorlesen konnte. Es war ein unendlich erfreuliches, überraschendes Ereignis. Inmitten dieser ungastlichen Waldung stiegen wir nun vom Pferde und setzten uns nieder. Mittlerweile kamen auch meine Kamele nach und meine Leute waren höchst erstaunt darüber, einen weißen Landsmann neben mir zu finden. Ich holte einen kleinen Vorratssack hervor, wir ließen uns Kaffee kochen und waren ganz wie zu Hause. Seit länger als 2 Jahren hatte ich kein deutsches oder überhaupt europäisches Wort gehört, und es war ein unendlicher Genuß für mich, mich wieder einmal in der heimischen Sprache unterhalten zu können. Aber unser Gespräch wandte sich bald Gegenständen zu, die keineswegs so erfreulich waren. So hörte ich zu meinem großen Entsetzen von Herrn Dr. Vogel, daß in Kuka keine Mittel vorhanden seien und das, was er selbst mitgebracht hätte, verbraucht sei. Der Usurpator Abd el-Rahman, sagte er mir, habe ihn sehr schlecht behandelt und das von mir in Zinder zurückgelassene Eigentum in Besitz genommen.« Nach etwa zwei-
stündiger Unterhaltung nahmen die beiden Forschungsreisenden wieder Abschied. Dr. Vogel setzte seinen Marsch nach Zinderfort, während Heinrich Barth mit seinem Geleit nach Kukawa weiterzog. Dabei kreuzte er mehrmals seinen bereits 1851 benutzten Weg. Als sich die kleine Karawane am 11. Dezember der Hauptstadt Bornus näherte, kam ihr eine Schar von 30 Reitern entgegen, die sie in Barths »afrikanische Heimat« geleiten sollte. So betrat er in stattlichem Aufzug wieder den Ort, von dem aus er vor mehr als zwei Jahren den gefahrvollen Weg nach Westen angetreten hatte. »So hatte ich denn wieder mein altes Standquartier erreicht, und ich konnte glauben, daß ich durch meine glückliche Rückkehr nach Kuka alle Schwierigkeiten, die sich einem vollständigen Erfolg meines Unternehmens in den Weg stellen konnten, besiegt hätte und mich nun an diesem Platze, von wo aus ich meine Forschungsreisen im Sudan begonnen hatte, mit Genuß noch einige Zeitwürde aufhalten können, ehe ich die letzte Strecke meiner Heimreise zurücklegte. Dies war jedoch keineswegs der Fall, vielmehr war es mir bestimmt, vier Monate unter recht unerfreulichen Umständen in dieser Stadt zuzubringen. In der Erwartung, daß ich hier hinreichende Mittel vorfinden würde, hatte ich die Übereinkunft getroffen, die Summe von 200 Thalern, welche mir der Fessaner Kaufmann Chueldi in Kajlo geliehen hatte, hier bezahlen zu wollen; aber wie mir mein neuer Kollege schon im Walde von Bundi zu meinem größten Schrecken mitgeteilt hatte, waren von den Vorräten und Geldern, welche derselbe mitgenommen, nur noch wenige Thaler übrig.« Ende Dezember traf auch Dr. Vogel wieder in Kukawa ein, so daß sie den Jahreswechsel gemeinsam begehen konnten. Hoffnungsvoll sahen beide dem anbrechenden Jahre 1855 entgegen. Die gemeinsamen Tage waren bald zu Ende, denn Dr. Vogel begab sich am 20. Januar nach dem mittleren Benué. Zwei Tage gab ihm Heinrich Barth das Geleit, dann hieß es Abschied nehmen. Abschied, wie es sich zeigen sollte, für immer. Nach der Rückkehr fühlte sich Barth doppelt einsam. Das Tagebuch verrät seine Stimmung: »Man kann sich leicht vorstellen, daß ich bei meiner Rückkehr von diesem Ausfluge, nachdem ich von einem so
aufgeweckten Landsmann, der mir hier plötzlich in dieser Einöde begegnet war, Abschied genommen, in Kuka recht verlassen und einsam fühlte. Dazu kam nun noch, daß ich in Folge einer Erkältung, die ich mir in der Nacht zugezogen hatte, einen heftigen Anfall von Rheumatismus bekam, der mich für lange Zeit darniederwarf und indem er mich des nächtlichen Schlummers beraubte, in außerordentlichem Grade schwächte, so daß ich mich erst gegen Ende des Monats wieder erholte.«
Rückkehr. Da Heinrich Barth befürchtete, daß es einige Zeit in Anspruch nehmen würde, bis er wieder völlig genesen sei, bat er den Scheich immer wieder aufs eindringlichste, ihn abreisen zu lassen. In Anbetracht der zerrütteten Gesundheit mehrten sich seine Bedenken, ob er, falls die Wartezeit, die er mit Studien der Geschichte und des Landes Bornu ausfüllte, noch länger dauerte, überhaupt noch in der Lage sein würde, den strapazenreichen Weg zur Mittelmeerküste zu überstehen, und um die Abreise zu beschleunigen, wollte er nicht auf eine große Karawane warten, sondern sich auch einer kleineren Kafla anschließen. Diese Gelegenheit bot sich mit dem Eintreffen einer Kafla des Tebu-Kaufmanns Kolo, der sich auf dem Wege nach Bilma befand, um Salz zu holen. Mit Zustimmung des Scheichs schloß Heinrich Barth Ende April mit dem Kaufmann einen Vertrag und trat am 10. Mai die lang ersehnte Abreise an. Seine kleine Reisegruppe bestand aus dem treuen Diener Mohammed, der sich ebenfalls freute, bald wieder in seiner Heimat zu sein, den beiden Freigelassenen Abbega und Dorugu und dem Korporal Church. Barth wählte den kürzesten Weg nach Norden, die sogenannte Tibbustraße, auf der Hugh Clapperton und Eduard Vogel nach Süden gezogen waren. Am 19. Mai verließen sie mit der Stadt Yo zugleich das Gebiet von Bornu. Nach kurzer Reise auf bereits bekanntem Weg nahmen sie, N’Guigmi, am Nordufer des Tschadsees verlassend, geraden Nordkurs nach Bilma, durch ein Gebiet, das durch Überfälle der Tuareg verunsichert wurde: »Diese drängende Gefahr, verbunden mit der großen Hitze während der Mittagsstunden in dieser heißesten Jahreszeit, nötigte uns, ohne die geringste Rücksicht auf unsere Bequemlichkeit den größten Teil der Nacht zur Reise zu benutzen.« Das hatte jedoch zur Folge, daß sich Heinrich Barth nur wenig Gelegenheit bot, Beobachtungen, die er in der früheren Expedition gemacht hatte, zu berichtigen oder zu vervollständigen. Der Marsch war äußerst beschwerlich, obwohl sie noch über leicht hügeliges Land mit schönen Tälern zogen; zunehmend wurde der
Boden steiniger und die Vegetation spärlicher. Der heiße Atem der Wüste kündigte sich an. Ende Mai erreichten sie das Sandmeer, dessen schier unendliche Weite die Strapazen der Reise erhöhten. Mitte Juni wurde das Städtchen Anikimma erreicht, wo man sich von dem Reisegefährten Kolo trennte. Es galt nun, ein Wüstengebiet von etwa 750 km Breite zu durchqueren. Hatten sie auf der zurückliegenden Strecke wenigstens noch hin und wieder in kleineren Ortschaften Erholung finden können, so wurde das nun zu bewältigende Terrain immer unbewohnter und unwegsamer. Am 6. Juli gelangten sie nach Tegerri, dem ersten Ort in Fessan. Die Rast war nur kurz, denn der treue Diener Mohammed drängte zum Aufbruch, sein Heimatort Madrussa, wo er von seiner Familie sehnsüchtig erwartet wurde, war nicht mehr weit. So gern Heinrich Barth der Einladung Mohammeds, einige Zeit bei ihm zu verweilen, gefolgt wäre, es zog ihn mit aller Kraft weiter zur Küste, zumal er Nachricht erhalten hatte, daß Volksaufstände gegen die Fremdherrschaft der Türken ausgebrochen und die Karawanenstraßen streckenweise gesperrt seien. Der Gatroner ließ es sich nicht nehmen, seinen Herrn Abd-el-Kerim, der so ganz anders war, als man sich einen Europäer vorgestellt hatte, noch bis Mursuk das Geleit zu geben, wo man am Morgen des 14. Juli eintraf: »So hatte ich denn wieder die Stadt erreicht, wo unter gewöhnlichen Verhältnissen alle Gefahren und Schwierigkeiten zu Ende gewesen sein würden«, vermerkt Barths Tagebuch. »Aber das war zur Zeit nicht der Fall, da in Folge der Unterdrückung der türkischen Regierung ein sehr ernsthafter Aufstand unter den mehr unabhängigen Stämmen des tripolitanischen Baschaliks ausgebrochen war, der sich von Djebel über den gesamten Ghurian ausbreitete, stets weiter um sich greifend und allen Verkehr abschneidend. Der Anstifter dieses Aufstandes war ein Häuptling namens Rhoma, der vor vielen Jahren von den Türken in Gefangenschaft gesetzt worden und nun vor kurzem infolge der Kriegsereignisse in der Krim aus seiner Haft in Trebisond entwichen war. Dieser Umstand setzte denn selbst meinem Zuge durch diese Gegenden ernstliche Schwierigkeiten entgegen, und verursachte mir einen längeren Aufenthalt in Mursuk, als ich mir ihn unter anderen Verhältnissen erlaubt haben würde, da mir unend-
lich viel daran lag, meine Reise so sehr wie möglich zu beschleunigen.« Gemessen an den bisherigen Zwangspausen war der Aufenthalt in Mursuk nur sehr kurz. Doch die wachsende Ungeduld ließ die sechs Tage nun bereits endlos erscheinen. Hier in Mursuk galt es von dem treuen Diener Mohammed Abschied zu nehmen, dessen fünfjährige Begleitung wesentlich zum Gelingen der Expedition beigetragen hatte. Das Angebot des Paschas, der Kafla durch eine Abteilung Soldaten Schutz zu geben, lehnte Heinrich Barth ab. Das würde bei der aufständischen Bevölkerung Argwohn erwecken und im übrigen konnte er mit Recht auf das Ansehen rechnen, das er, Abd-el-Kerim, bei den Arabern, geradezu als einer der ihren anerkannt, genoß. Am 20. Juli trat er mit wenigen Begleitern die letzte Etappe an, die durch das Djebel Soda (Sodagebirge) führte. Es galt, sich den Weg durch Schluchten und felsige Engpässe zu bahnen, die in das Wadi Semsen führten, in dessen Talebene sich ein Lager der Aufständigen befand. Unbehelligt ließ man Abd-el-Kerim, wie er richtig vorausgesehen hatte, in Richtung Küste weiterziehen. Das weite Trockental wurde bald vegetationsreicher. Das Steppenland ging allmählich in Feigenwälder und Dattelhaine über, die das Reiseziel Tripolis ankündigten. Am 23. August traf Heinrich Barth in der kleinen Oase Ain Sara ein, in der er vor Antritt der großen Expedition einige Tage mit letzten Vorbereitungen verbracht hatte. Nach einem angenehm verlebten Abend wurde am folgenden Morgen schließlich der endgültig letzte Marsch auf afrikanischem Boden angetreten, um festlichen Einzug in Tripolis zu halten. »Wie wir uns der Stadt näherten, die ich vor 5 ½ Jahren verlassen hatte und die mir nun als Eingangstor zu Ruhe und Sicherheit erschien, wallte mein Herz vor Freude über und nach einer so langen Reise durch öde Wüsteneien war der Eindruck, den der reiche Pflanzenwuchs in den die Stadt umgebenden Gärten auf mein Gemüt machte, außerordentlich; jedoch bei weitem größer war noch die Wirkung des Anblickes der unermeßlichen Oberfläche des Meeres, das im hellen, dieser mittleren Zone eigentümlichen Sonnenschein im dunkelsten Blau entfaltete. Es war das prächtige, vielgegliederte
Binnenmeer der alten Weit, die Wiege europäischer Bildung, das von früher Zeit an der Gegenstand meiner wärmsten Sehnsucht und meines eifrigsten Forschens gewesen war. – Alles zusammen bildete ein überaus bewegtes, tief ergreifendes Schauspiel: das dichte Menschengewoge in den verschiedensten Charakteren und Gruppierungen, das dunkelblaue, weit offene Meer mit seinen Schiffen, der dichte Saum des Palmenwaldes rings umher, dann die schneeweiß getünchten Mauern der Stadt, alles beleuchtet und erwärmt vom glänzendsten Sonnenschein. So ritt ich dahin, bis in das Innerste meiner Seele erschüttert und betrat die Stadt.« Nur vier rage blieb Heinrich Barth in Tripolis, dann begab er sich in Begleitung der freigelassenen Sklaven Abbega und Dorugu nach Europa. In Malta, der ersten Zwischenstation, hielt er sich nur kurz auf und benutzte, um auf dem kürzesten Wege nach England zu kommen, das nächste Dampfboot nach Marseille. Am 6. September fand mit seinem Eintreffen in London die große Afrika-Expedition Heinrich Barths ihren Abschluß. Der umfangreiche Reisebericht endet mit den Bemerkungen: »So beschloß ich meine lange und erschöpfende Laufbahn als afrikanischer Forscher, von der diese Bände Bericht erstatten. Vorbereitet zu solchen Unternehmen an Geist und Körper, in Studien, Erfahrungen und körperlichen Strapazen, durch eine ausgedehnte, auf eigene Kosten ausgeführte Reise durch Nordafrika und Vorderasien hatte ich mich diesem Unternehmen unter höchst ungünstigen Bedingungen als Freiwilliger angeschlossen. Die ganze Anlage der Expedition war im Anfang äußerst beschränkt und ihre Mittel gering; nur durch den glücklichen Erfolg, der unsere Unternehmen begleitete, konnte ihm eine große Ausdehnung gegeben werden, und dieser Erfolg entsprang wieder insbesondere aus meiner Reise zum Sultan von Agades, die das durch große Unglücksfälle erschütterte Vertrauen in unsere kleine Schar wiederherstellte. Als dann der ursprüngliche Anführer unseres Reiseunternehmens seinen schwierigen Aufgaben unterlegen war, hatte ich, anstatt mich der Verzweiflung hinzugeben, meine Laufbahn unter großen Schwierigkeiten fortgesetzt und ausgedehnt, vorher unbekannte Landschaften fast ganz ohne Mittel erforscht. Nachdem ich mich so eine Zeitlang durchgeschlagen, ward infolge des Vertrauens, das die englische Re-
gierung in mich setzte, die Leitung der Mission mir übertragen, und obgleich die mir bewilligten Mittel keineswegs groß und die mir wirklich zugekommenen selbst gering waren, und obwohl ich den einzigen europäischen Begleiter, der mir noch geblieben war, gerade damals verlor, beschloß ich doch, eine Reise nach dem fernen Westen zu unternehmen und den Versuch zu machen, Timbuktu zu erreichen und denjenigen Teil des Niger zu erforschen, der durch den frühen Tod Mungo Parks der wissenschaftlichen Weit unbekannt geblieben war. Dieses Unternehmen gelang mir über alle Erwartung und so riß ich nicht allein jenen ganzen ungeheuren Länderstrich, der selbst den arabischen Handelsleuten unbekannt geblieben war, als irgend ein anderer Teil Afrikas, aus dem Dunkel der Verborgenheit, sondern es gelang mir auch, mit all’ den mächtigsten Häuptlingen am Flusse entlang bis zu jener mysteriösen Stadt selbst freundschaftliche Verhältnisse anzuknüpfen. Alles dies, mit Einschluß der Bezahlung der von der früheren Expedition hinterlassenen Schulden, führte ich mit ungefähr 10000 Talern aus. Se. Majestät der König von Preußen trug 1 000 Taler und ich selbst 1 400 Taler bei (!). Allerdings ließ ich selbst«, so fügte er voller Bescheidenheit hinzu, »auf der Straße, die ich persönlich erforschte, gar manches meinen Nachfolgern zur Verbesserung; aber immerhin habe ich die Genugtuung, mir bewußt zu sein, daß ich den Blicken des wissenschaftlichen europäischen Publikums eine höchst ausgedehnte Länderstrecke der abgeschlossenen afrikanischen Welt eröffnet habe.«
Kämpfe eines Außenseiters
Auf der Suche nach einer Existenzgrundlage. Die Rückkehr Heinrich Barths fand in ganz Europa größte Beachtung. Den ersten Gruß erhielt er von seinem Förderer Bunsen, der inzwischen bei Heidelberg im Ruhestand lebte: »Willkommen, mein trefflicher, ruhmgekrönter Freund, in Europa und England! Diese Zeilen sollen Sie bei der Rückkehr begrüßen, da ich leider selbst es nicht tun kann. Unterdessen bin ich eines würdigen und dankbaren Empfangs in Europa sicher und weiß außerdem, daß Sie Ihre größte Belohnung in dem Bewußtsein finden, mit Gottes sichtbarer und fühlbarer Hilfe, ein so großes Werk für Europa und die Menschheit zu Stand gebracht zu haben. Ich weiß, daß auch Lord Clarendon und Lord Palmerston, und bei uns die Geographische Gesellschaft, Humboldt und der König so denken und Ihnen Beweise ihrer Achtung und Teilnahme geben werden. Gott gebe nur, daß Ihre Gesundheit nicht dauernd geschwächt ist. Ihr Mut und Ihr Gottvertrauen sind es gewiß nicht. Mein Sohn Ernst und der brave, unermüdete Freund Petermann werden Ihnen das Weitere mitteilen, wie ich darüber denke. Ohne Zweifel wird man Ihnen ein Schiff anbieten nach dem Tschadda und Benué. Wenn Sie Deutschland berühren, dürfen Sie Heidelberg nicht umgehen. Mein ganzes Haus grüßt Sie herzlich. Mit treuester Anhänglichkeit und Hochachtung der ihrige Bunsen.« Als Heinrich Barth am 19. September in London den erfolgreichen Abschluß seiner Expedition meldete, teilte ihm Lord Clarendon mit: »Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer glücklichen Heimkehr in dieses Land, das Ihre Bemühungen gerecht würdigt, und ich bin so glücklich, Ihnen ankündigen zu können, daß die Königin ihre Absicht erklärt hat, Sie in die Genossenschaft des Bath-Ordens aufzunehmen, als Zeugnis der hohen Meinung, der Ihre Majestät über Ihre der Wissenschaft geleisteten Dienste hegt.« Doch die Verleihung des Bath-Ordens, einer bereits im Jahre 1399 von Heinrich IV. gestifteten hohen Auszeichnung, ließ auf sich warten. Auch mit der Entlohnung des verdienten Forschers hatte die bri-
tische Regierung keine Eile. Da Heinrich Barth nicht als Angestellter der Krone gereist war, wurde ihm für die Zeit der Expedition, die also seine »Privatangelegenheit« war, kein Gehalt bewilligt. Es sollten ihm lediglich die Unkosten erstattet werden. Nach Barths Rückkehr wurden nun Berechnungen über seine Entschädigung angestellt. Bunsen, der inzwischen durch Graf A. von Bernstorf in seinem Amt als preußischer Gesandter abgelöst worden war, hatte dazu im Interesse seines Schützlings unter Berücksichtigung seiner Verdienste einen Vorschlag unterbreitet. Dabei legte er ein Jahresgehalt von etwa 500 Pfund zugrunde und schlug den Pauschalbetrag von 3000 Pfund vor. Für die Herausgabe des mehrbändigen Reisewerkes im Verlag Longman sollte Heinrich Barth ein Honorar von 2000 Pfund erhalten. Die Regierung zeigte sich jedoch äußerst kleinlich, sie nahm nur 450 Pfund als Berechnungsgrundlage und die Zahlung sollte erst nach dem Tode Richardsons erfolgen. Danach wurde eine Summe von 2020 Pfund errechnet. Auch das Honorar für die Publikation wurde um 340 Pfund reduziert. Ähnliche Erfahrungen mußte Heinrich Barth mit Preußen machen. Nach seiner Rückkehr trat die Gesellschaft für Erdkunde für eine Sammlung ein, um dem verdienten Forscher einen Erholungsaufenthalt zu ermöglichen. Während Alexander von Humboldt das Vorhaben nach Kräften unterstützte, hatte König Friedrich Wilhelm IV. »Bedenken«. Er hielt es für richtiger, der reichen Hansestadt Hamburg bei der Unterstützung den »Vortritt« zu lassen. Auf Vorschlag Ritters war Barth schließlich gemäß Kabinettsorder vom 17. Dezember 1855 aus dem königlich-preußischen Dispositionsfonds eine befristete jährliche Unterstützung von 1 000 Talern gewährt worden (diese Summe wurde später auf 1 500 Taler erhöht), so daß mit der britischen Unterstützung und dem Honorar zunächst die materielle Sicherheit gegeben war, die Heinrich Barth in die Lage versetzte, seinen Reisebericht zu erarbeiten. Dabei gab ihm der bedeutende Geograph William Desbourough Cooley (gest. 1883) Unterstützung. Auch er machte wie ein Schreiben an Heinrich Barth zeigt, mit den konservativen Mitgliedern der geographischen Gesellschaft schlechte Erfahrungen: »Im Hinblick auf die afrikanische
Geographie ist die Weisheit der Vergangenheit die Senilität der Zukunft; aber leider liegt der Haupteinfluß der Gesellschaft (hier wenigstens) immer bei denjenigen, die dem Fortschritt der Meinungen am wenigsten günstig gesinnt sind. Ich hoffe aber doch, die kommende Generation wird erkennen, daß die Geographie wie ihre Schwester, die Historie, vollkommen gereinigt werden muß von veralteten und irrigen Annahmen.« In Heinrich Barth sah er einen willkommenen Mitstreiter im Kampf für die Wahrheit, deren Verkündung auf »unwillige Ohren« stoße. Voraussetzung für den Durchbruch des Neuen seien wissenschaftliche Leistungen, wobei Heinrich Barth mit in der ersten Reihe stehe: »Sie haben schon so vieles vollbracht im Laufe Ihrer Mission und sind offensichtlich fähig, noch mehr zu tun. Sie haben eine größere Menge von Informationen nach Hause geschickt, als es bis jetzt irgendein Afrikareisender getan hat.« Anfang Oktober konnte Heinrich Barth endlich nach Hamburg zu seiner Familie reisen, die den Totgesagten sehnsüchtig erwartete. Doch er nahm sich kaum Zeit für private Freuden. Bereits Mitte Oktober weilte er wieder in Berlin, wo er vor der Gesellschaft für Erdkunde über die Resultate seiner Expedition berichtete. Auf dem etwa 20000 km langen beschwerlichen Weg hatte er nach eigenen Angaben im Wesentlichen folgende wissenschaftliche Ergebnisse erreicht: Die Klärung des Charakters der Sahara; die geographische Feststellung von Lage und Ausdehnung der Mendif-Gebirgsgruppe; der Nachweis der Unabhängigkeit des östlichen Quellflusses des Niger vom Tschadsee; die Erforschung des Flußsystems von Baghirmi und Adamaua, die Feststellung des Verlaufs des Niger zwischen Timbuktu und Sai. Mit den geographischen Forschungen waren unmittelbar weitere Erkenntnisse verbunden. So erwiesen sich Barths geomorphologische Betrachtungen der Oberflächenformen ebenso bedeutungsvoll wie seine klimakundlichen und hydrographischen Untersuchungen. Immerhin hatte er nicht weniger als 11 Monate in der Wüste und 41/2 Jahre im Sudan verbracht, eine Zeit in der er in der Lage war, signifikante Aussagen über die Auswirkung von Klima und Wetter auf Mensch und Tier zu treffen. Da wichtige Meßinstrumente gefehlt
hatten, waren leider Luftdruck- und Feuchtigkeitsmessungen nicht möglich gewesen. Besondere Berücksichtigung fanden hydrographische Beobachtungen, die über Wasserverhältnisse und Flußwege Aufschluß gaben. Schließlich boten Barths siedlungsgeographische Darstellungen erstmals ein differenziertes unverfälschtes Bild des vorkolonialen afrikanischen Kommunalwesens der von ihm bereisten Gebiete. Im Rahmen der Expedition hat Heinrich Barth auch zur Erforschung der Flora und Fauna Afrikas beigetragen. Da er kein Naturwissenschaftler war, waren ihm exakte Bestimmungen der Objekte nicht möglich, konnte er keine umfangreiche Sammlung anlegen, doch vermitteln seine exakten Beschreibungen ein anschauliches Bild von über 50 tropischen Pflanzenfamilien und etwa 40 Arten von Kultur- und Nutzpflanzen und deren Verbreitung. Heinrich Barths geographische Unternehmungen waren mit historisch-ethnographischen Pionierleistungen verbunden. Er zerstörte die Lüge von der geschichtslosen Vergangenheit des subsaharischen Afrika und erforschte die hochentwickelte Kultur der Sudanvölker. Sein besonderes Interesse galt den Fulbe. Auf sprachwissenschaftlichem Gebiet erfaßte er eine Reihe unbekannter Sprachen und legte zu deren Erforschung umfangreiche Wortlisten an. Alexander von Humboldt charakterisierte treffend Barths Verdienste mit der Feststellung, »er schloß uns einen Erdteil auf -.« Heinrich Barth hatte nicht nur bahnbrechende eigene Forschungsleistungen erzielt, er hatte zugleich die zu Beginn der fünfziger Jahre stagnierende Forschung belebt und mit einem umfangreichen Material Ansporn für weiterführende Forschungen gegeben. Wenn man sich die Frage stellt, wie es möglich war, daß ein Forscher weitgehend ohne Unterstützung eine derartige Großtat vollbringen konnte, ist neben den hervorragenden Fähigkeiten und charakterlichen Eigenschaften auch die Mitwirkung seiner afrikanischen Freunde zu berücksichtigen. Ohne ihre Hilfe hätte Heinrich Barth in Afrika nicht existieren, geschweige denn seine Arbeit verrichten können. Die Afrikaner boten ihm nicht nur die materiellen Voraussetzungen seiner Existenz, sondern gaben ihm auch als Informanten unschätzbare Unterstützung bei den Forschungen. Das wiederum war nur möglich durch Barths
enge persönliche Beziehung zu den Menschen, vom einfachen Träger und Viehtreiber bis zum Emir oder Sultan als Herrscher über Großreiche. Nach seiner Rückkehr wurde Heinrich Barth von allen Seiten mit Ehrungen überhäuft. Die Berliner Akademie der Wissenschaften ernannte ihn zum korrespondierenden Mitglied, seine Vaterstadt Hamburg erhob ihn zum Ehrenbürger, die Jenaer Universität verlieh die Würde des Ehrendoktors, eine Anzahl wissenschaftlicher Gesellschaften des In- und Auslandes ernannte ihn zu ihrem Mitglied. Fürstenhäuser und Gelehrtengesellschaften zeichneten ihn mit Medaillen aus – doch all diese zahlreichen Huldigungen konnten über die Schattenseiten nicht hinwegtäuschen. Es war weniger die Erinnerung an die ausgebliebene Unterstützung durch jene, die ihm jetzt zujubelten, ihn aber während der Expedition zum Bettler degradiert hatten, sondern es gab bereits Stimmen, die nicht nur Barths Expeditionsleitung kritisierten, sondern auch das Vorrecht an seinen Entdeckungen in Anspruch nahmen. So wandte sich Heinrich Barth bereits in seiner Berliner Rede vom 13. Oktober gegen jene Kreise, als deren Sprachrohr er vor allem den Sekretär der Londoner Geographischen Gesellschaft, Norton Shaw, ansah: »Wenn in England einige gemeine Seelen, die unter dem Scheine wissenschaftlicher Fragen nationale Animositäten auszubeuten suchen, sich in verächtlichen Äußerungen gegen die Führung einer englischen Expedition durch einen Deutschen ausgelassen haben, so kann und muß mich dieser Angriff um so mehr bewegen, so schnell wie möglich meine Leistungen dem englischen Publikum vorzulegen, um mich sowohl als die ehrenwerten englischen Staatsmänner, vor allem Lord Palmerston, welche die Deutschen mit ihrem Vertrauen beehrten, zu rechtfertigen.« Barth, der schwer gekränkt, allerdings auch von tiefstem Mißtrauen gegen seine Umwelt befangen war, zeigte sich gegenüber Vermittlungsversuchen unzugänglich. Schroff wies er den in dieser Absicht wirkenden Rear-Admiral Smyth (den späteren Präsidenten der Royal Geographical Society) zurück, lehnte es strikt ab, als Ehrengast an der Eröffnungsfeier der Winterversammlung der Londoner Geographischen Gesellschaft teilzunehmen und wies auch die ihm zugedachte Ehrung durch die große goldene Medaille, die höchste Aus-
zeichnung der Gesellschaft, zurück. Hier zeigten sich bereits Charaktereigenschaften, die sein Schwager und Biograph Gustav von Schubert folgendermaßen kennzeichnete: »Heinrich ist bei allem Gemüt zu schroff, zu unbeugsam und wiederum zu bescheiden und ohne Weltklugheit. Sein Selbstgefühl erlaubt ihm nicht, sich zur rechten Zeit zu beugen. Er ist ein kühner und ausdauernder, aber kein gewandter Schwimmer auf dem Strome des Lebens.« Barth wollte möglichst bald die Ergebnisse seiner Expedition veröffentlichen. Ein wertvoller Freund und erfahrener Ratgeber war ihm dabei August Petermann, der inzwischen von London nach Gotha umgezogen war und die Herausgabe der berühmten »Geographischen Mittheilungen« vorbereitete. Er war bereit, nach Barths Angaben die Bearbeitung der Karten zu dem Reisewerk zu übernehmen. Es war dringend notwendig, für Heinrich Barth eine gesicherte Existenzgrundlage zu schaffen. Darum bemühten sich seine Freunde und Förderer Christian Karl J. Bunsen, Carl Ritter und vor allem der einflußreiche Alexander von Humboldt. Auf Empfehlung Ritters legte Barth am 18. Oktober 1855 seine persönlichen Wünsche und Vorstellungen dazu dar: »Verehrter Herr Professor Ritter! Nachdem ich mir das Verhältnis, in das ich zur hiesigen Universität zu treten wünsche, recht bedacht habe, stelle ich, um der Universität, deren erster und nächster Beruf doch ist, die Jugend durch lebendige Vorträge heranzubilden, nicht lästig zu fallen ehe ich im Stande bin, ihr in Erfüllung dieses Berufs mit allen meinen Kräften dienlich zu sein, meinen Antrag folgendermaßen: Se. Majestät der König bewilligt mir eine Unterstützung von 4000 oder 5000 Talern zur Herausgabe meines Reisewerks, und das Ministerium mit Bewilligung der Kammern sagt mir in bestimmten Ausdrücken eine Anstellung an der Universität zum Sommer- oder Wintersemester 1857 als Professor Ordinarius der Geographie mit 1 500 Talern zu. Auf diese Weise würden der Universität ihre so stark in Anspruch genommenen Mittel nicht unnötig entzogen und ich träte zugleich doch dem englischen Publikum und der englischen Regierung gegenüber in einer Art unabhängige Stellung, wie ich sie zur vollkommenen Ausbeutung meiner dortigen Verhältnisse, zur Förderung wissenschaftlicher Unternehmungen für ersprießlich halte.«
Wenige Tage später übermittelte Carl Ritter, den zweifellos recht selbstbewußten Brief Barths an die Philosophische Fakultät: »Nur erlaube ich mir hier noch die zu beachtenden Worte des Veteranen der gesamten Gelehrtenwelt (vermutlich A. v. Humboldt, W. G. ) auszufahren, wenn derselbe schreibt: )Curtius für Griechenland und die ganze hellenistische Entwicklung, Barth für einen ganzen Weltteil und ein neu entdecktes Völkersystem, welche herrliche Zugabe für den Glanz einer Universität(. Meine Pflicht war es nur, nach spezieller Einsicht von meinem Standpunkte aus, meine innnigste Überzeugung für die Realisierung des mir klar vorschwebenden Ziels und Gewinnes für Menschenwohlfahrt durch diejenige Wissenschaft auszusprechen, deren schwacher Vertreter ich bisher sein sollte.« Ritter verwies auf sein Alter von 77 Jahren und ließ seinen Wunsch, Heinrich Barth als Nachfolger in seinem Amt zu sehen, erkennen. Bei der Beratung seines Antrages war Ritter in den Fakultätssitzungen am 22. Oktober und 15. November 1855 nicht anwesend. Die Fakultät befürwortete die Unterstützung Barths, um die Arbeit an seinem Reisewerk zu sichern, sprach sich aber gegen eine baldige Berufung zum ordentlichen Professor aus, da damit »der Zukunft unnötig vorgegriffen« würde und »viele verdiente Männer verletzt werden.« Kultusminister von Raumer, an den die Stellungnahme der Fakultät weitergeleitet wurde, griff diesen Vorschlag auf und erklärte: »Nach Vollendung des Werkes wird spezieller zu beurteilen sein, inwiefern dem p., Barth neben seinen Leistungen als Forscher, auch als Gelehrter und Universität sieht er eine gleich bedeutende Befähigung zuzuerkennen ist.« Heinrich Barth übermittelte er am 4. Februar 1856 seine Entscheidung, daß er sich die eventuelle Übernahme in den Staatsdienst für später, nach Abschluß des Reisewerkes, vorbehalte.
England – ein Ausweg? Im Gegensatz zu Ritter und Humboldt, die sich für Barths Anstellung in Berlin einsetzten, war Bunsen in Anbetracht der ihm nur allzu bekannten hemmenden preußischen Verhältnisse bestrebt, Barth trotz der eingetretenen Schwierigkeiten in England eine Stellung zu vermitteln. Obwohl Barth zweifellos lieber in der Heimat geblieben wäre, zeigte er sich Bunsens Argumenten zugänglich. Dieser informierte ihn Ende Oktober 1855 über die von ihm bei der englischen Regierung eingeleiteten Maßnahmen. Er empfahl Heinrich Barth, seine Abreise nach England nicht länger als bis gegen Ende des Monats zu verschieben, da er es sonst dem englischen Ministerium erschweren würde, etwas für ihn zu tun. Nachdrücklich hob er hervor: »Sie sind im Namen der englischen Regierung als ihr Beauftragter gereist und Sie müssen es um keinen Preis mit England und dem englischen Volke verderben.« Zur Bekräftigung seiner Argumentation sandte Bunsen wenige Tage später noch folgende wichtige Ergänzungen: »Ich kann mich nicht enthalten, mein hochgeehrter Freund, Ihnen noch einige Zusatzworte zu meiner neulichen Sendung zuzusenden. Sie wünschen meinen Freundesrat, und den bin ich also schuldig, Ihnen zu geben. Je mehr ich über Ihre ganze Stellung nachdenke, desto mehr wird mir klar, daß England vor allem jetzt Ihr Mittelpunkt sein, und in gewisser Hinsicht bleiben muß. Sobald Sie als preußischer Professor dort auftreten, verlieren Sie dreiviertel der Sympathien bei Regierung und Volk. und an eine Remuneration wie die vorgeschlagene ist nicht zu denken. Zweitens: Sie können sich nicht in eine allgemeine Professur der Geographie hineinarbeiten, wobei man sehr vieles von Ihnen erwartet, und zugleich Ihr Werk rasch vollenden. Diese fordert für die ersten Jahre Ihre ganze Kraft. Endlich aber bedenken Sie ja, ob nicht der Reiseberuf der erste ist. Sie können jetzt mit leichter Mühe außerordentliches leisten. Aber das ist mit einer Professur nicht vereinbar.
Ich will dabei nicht in Anschlag bringen, daß Sie den Ansprüchen und Erwartungen Kieperts und seiner zahlreichen Freunde in den Weg treten dürften, und eine große Opposition gegen sich erwecken. – Ich kann das von hier aus nicht übersehen: und deshalb will ich auch nicht davon reden. Aber ich zweifle nicht, daß von dort aus manches wird vorgebracht werden, um Ihnen entgegenzutreten. Also halten Sie sich frei. Freiheit ist das erste Gut; Berlin entgeht Ihnen nicht, so wenig als eine Professur. Allein anderes könnte Ihnen leicht entschlüpfen. Mit treuer Freundschaft der Ihrige Bunsen.« Nach der von Bunsen geratenen Übersiedlung nach London, richtete sich Heinrich Barth Ende November 1855 in einem kleinen Landhaus mit Garten ein behagliches Heim ein. Hier fand er die notwendige Ruhe für seine Arbeit, die er mit großem Eifer betrieb. Obwohl er wenig Neigung und Zeit für größere Geselligkeiten hatte, versäumte er es nicht, mit einigen Fachkollegen, zumeist Afrikaforscher, in freundschaftlichem Kontakt zu stehen. Unter ihnen war auch der Rear-Admiral W. Henry Smyth, mit dem er ja zunächst in Fehde gelegen hatte. Barth war inzwischen 34 Jahre alt, und es wäre naheliegend gewesen, daß er sich eine Lebensgefährtin gesucht hätte. Nach seiner ersten Abfuhr hatte er sich zwar weitgehend vom weiblichen Geschlecht zurückgezogen, doch die Ehe und ein gemütliches Heim erschienen ihm neben seiner wissenschaftlichen Arbeit als erstrebenswertes Ziel. Zunächst hatte er das Vorhaben, wie ein Brief an seine Schwester zeigt, bis nach Abschluß der Expedition zurückgestellt: »Gott segne Euer gemütliches häusliches Dasein, zu dem ich nun einmal nicht früh bestimmt bin, obgleich ich vollkommen geneigt bin, mit Lorbeeren bekränzt und beladen mit Kenntnissen dieser noch unenthüllten Welt, in ehrenvoller Stellung ein höchst liebenswürdiges Fräulein heimzuführen und mich dann ganz einem ruhigen Dasein zu widmen sofern es meine Bestimmung ist.« Als er nach seiner Rückkehr feststellen konnte, daß sich die Familie seiner Schwester erneut vergrößert hatte, bemerkte er: »Wirklich, mit jedem kleinen Neffen mehr fällt mir ein Stein vom Herzen, da ich selbst bis jetzt noch gar nichts für die körperliche Unsterblichkeit unserer Familie getan habe.«
Er zog die Konsequenzen und wollte möglichst bald heiraten: »Eine Genossin, wenn ich glücklich wählte, würde mein ganzes Leben erst zur Entfaltung bringen können. Ich schmachte nach Herzensaustausch und gemütlicher Geselligkeit.« Freilich hatte er über den Verfahrensweg der Partnerwahl höchst unpraktische, illusionäre Vorstellungen: »Kommt mein erster Band nur heraus, so werde ich schon Gelegenheit finden, entsprechende Naturen kennenzulernen.« Doch es erschienen der erste, der zweite und auch der dritte Band, ohne daß sich die Hoffnung erfüllte. Auch nach dem vierten und fünften Band blieben die »Naturen« aus. Es ereignete sich nichts. Offensichtlich funktionierte es nicht mit dem Selbstlaufmechanismus. Der zurückgezogene, mißtrauische Hagestolz war jedoch nicht zu bewegen, aktiv zu werden, um unter den jungen Damen seine Wahl zu treffen. Es fiel ihm überhaupt außerordentlich schwer, sich dem stark konservativ geprägten englischen Lebensstil anzupassen. Wie ein Notschrei ist seine Notiz: »Wie sehne ich mich nach einem freien Nachtlager in der Wüste, in jenem unermeßlichen Raume, wo ohne Ehrgeiz, ohne Sorge um die tausend Kleinigkeiten, die hier den Menschen quälen, ich mich im Hochgenuß der Freiheit nach Beendigung des Tagesmarsches auf meine Matte zu strecken pflegte, um mich meine Habe, meine Kamele, mein Pferd. Fast bereue ich, daß ich mich selbst in diese Ketten gelegt habe.« Allerdings hatte Barths schroffe Haltung und Reizbarkeit nicht wenig zu seiner Isolierung beigetragen. Smyth hatte ihn zwar mit vieler Mühe dazu veranlassen können, die ihm angetragene Mitgliedschaft der Londoner Geographischen Gesellschaft und die Auszeichnung mit der großen Medaille anzunehmen, doch blieben einige Mitglieder dieser bedeutenden Vereinigung wegen Barths weltfremder Haltung verletzt. Streit gab es weiterhin auch mit dem Auswärtigen Amt, das Barth im Gegensatz zu dessen Auffassung noch immer als in seinem Auftrag Handelnden verstand. Erhebliche Schwierigkeiten hatte er auch wegen der beiden mit nach Europa gekommenen freigelassenen Sklaven Dorugu und Abbega. Barth hatte sie mit ihrem Einverständnis als Mitarbeiter für seine linguistischen Arbeiten gewonnen. Es war weiterhin vorgesehen, daß sie die englische Sprache und ein Handwerk erlernen sollten, um
künftigen Expeditionen als Fachkräfte zur Verfügung zu stehen. Nun wurde Heinrich Barth des »Sklavenhandels« beschuldigt, eine wahrhaft absurde Unterstellung. Darüber zutiefst empört, leitete er die sofortige Rückkehr der beiden Afrikaner ein und ließ sie am 5. März 1856 nach Southampton bringen, wo sie an Bord gehen sollten. Von hier aber wurden sie von dem Missionar Schön in die Missionsanstalt Chatham gebracht. Barth vermutete in dieser Aktion wiederum eine Heimtücke des Auswärtigen Amtes und setzte sich zur Wehr. Es stellte sich jedoch später heraus, daß der Missionar völlig selbständig gehandelt hatte. Die Arbeiten an dem großen Reisewerk, das Barth gleichzeitig in englischer und deutscher Sprache verfaßte, gingen zügig voran. Dank der intensiven Vorarbeiten während der Expedition, konnte er bereits im Mal 1857 die ersten Bände vorlegen. Perthes hatte bereits in einem Schreiben vom 5. Oktober 1855 sein Interesse an dem Werk zum Ausdruck gebracht: »... Von Freund Petermann höre ich,... daß Sie beabsichtigen, neben der englischen Ausgabe auch eine deutsche zu veranstalten, und daß Sie den Verlag dieses Werkes mir zu übertragen, nicht abgeneigt sein würden.« Eine zweibändige deutsche Ausgabe erschien 1859/60. Zuvor waren bereits eine holländische, dänische und amerikanische Ausgabe erschienen. 1860/61 wurde auch eine vierbändige französische Fassung vorgelegt, die jedoch fehlerhaft war und von Heinrich Barth nicht autorisiert wurde. Offensichtlich fehlte dem Werk eine durchgehende Gesamtkonzeption. Der rote Faden wurde zwar durch die Reiseroute gegeben, doch ermüdetete das Nebeneinander von nebensächlichen Details und Wichtigem, wobei häufige Einschübe zu Spezialfragen den Handlungsverlauf wegführten. Das Ergebnis war, daß das Buch zwar bei den Fachleuten begeisterte Zustimmung fand, das breitere Lesepublikum aber schreckte, wie bereits bei Barths erstem Buch, vor der breiten Darstellung zurück. Eine im »Spectator« vom 16. Mai 1857 enthaltene Rezension traf das Wesen der Sache: »Das Gebotene ist ohne Zweifel zu umständlich und weitläufig abgefaßt; der Stil hätte gedrängter sein können, und viele alltägliche Dinge und Begebenheiten konnten unerwähnt gelassen werden. Indessen
würde durch Anwendung dieses Verfahrens die Bedeutung des Werkes nicht wesentlich gesteigert worden sein, denn dasselbe zeugt. bis auf die kleinsten Dinge von einer Zuverlässigkeit, wie sie bei Reisen durch unbekannte Länder... nur erwünscht sein kann. Im Allgemeinen ermüdet aber dennoch jedes Buch, wenn es sich über Gegenstände von untergeordneter Bedeutung, die ohne Interesse sind, zu sehr verbreitet. Auch dem vorliegenden Werk wird dadurch eine gewisse Einförmigkeit aufgedrückt, die bei einer veränderten Auflage des Werkes hätte vermieden werden können. Einen großen Unterschied macht es ferner, ob sich ein Mann die Welt ansieht, der nur mit geringen Mitteln ausgerüstet ist oder gar ohne solche reist, oder aber mit großen Mitteln versehen groß und machtvoll aufzutreten vermag, weil beide infolge dessen die Eingeborenen verschieden ansehen und beurteilen. Dr. Barth sah die Dinge mit andern Augen an als unsere Armee- und Marine-Angehörigen. Er war Philolog, Ethnolog und Historiker so gut wie Geograph, und obgleich diese Eigenschaften seine Darstellung hier und da beschweren mögen, so verleihen sie ihr doch Vielseitigkeit und erhöhen also ihren belehrenden Wert. Überdies machte ihn seine Vorliebe für Sprachstudien mit den Landessprachen vertraut und erleichterte ihm die Unterhaltung... Trotz der Mängel in der Anlage des Buches, der übergroßen Peinlichkeit in der Darstellung und der Überhäufung mit Unwesentlichem enthalten Barths Bände dennoch die beste Schilderung über die inneren Verhältnisse des Negerlandes nördlich des neunten Breitengrades, wie er selbst das Muster eines Forschungsreisenden ist: geduldig, beharrlich, entschlossen und zufrieden mit wenigem.« Im Mai 1858 wurden die das Werk abschließenden Bände vorgelegt. Leider wurde das Reisewerk alles andere als ein Bestseller, sondern ein verlegerisches Risiko. Der Verlag Longman, Green u. Co hatte vorsorglich von den ersten drei Bänden nur 1 250 Exemplare gedruckt, erfreulicherweise aber bald einen Nachdruck von weiteren 1 000 Stück veranlassen können. Die Zahl der Käufer aber ging zurück, so daß die letzten Bände nur eine Gesamtauflage von 1 000 Exemplaren hatten. Das lag keineswegs an einem Desinteresse an der Thematik, denn von den Büchern David Livingstones, mit dem Hein-
rich Barth seit Dezember 1856 freundschaftlich verbunden war und der ihm auch sein erstes Reisewerk über Südafrika widmete, fanden 50000 Exemplare reißenden Absatz. Obzwar mit wenig Neigung, so hatte Heinrich Barth doch während seiner Afrikaexpedition im Interesse seiner Auftraggeber auch Handelsbeziehungen eingeleitet. Lord Clarendon hatte nach Auswertung des Reiseberichts im April 1857 an den Scheich von Timbuktu sowie an die Herrscher von Sokoto und Bornu Schreiben gerichtet, in denen er für die Unterstützung der Barthschen Expedition seinen Dank aussprach und die angebahnten Handelsbeziehungen zu konkretisieren versuchte. Entsprechend der in Timbuktu geführten Vorgespräche Barths wurde die Einladung von Mitgliedern der Familie des Scheichs el Bakay erneuert. Die außenpolitischen Positionen kapitalistischer Mächte aber sind äußerst instabil. Sie beruhen kaum auf festen Prinzipien und sind abhängig von der politischen Wetterlage und den jeweiligen ökonomischen Erfordernissen. Wurden alle bisherigen kolonialen Bestrebungen Großbritanniens deutlich von dem Vorsatz bestimmt, dem französischen Konkurrenten zuvorzukommen, um den Löwenanteil der Beute zu erringen, so brachten die mit dem Krimkrieg verbundenen Ereignisse eine gewisse Wende der Außenpolitischen Konstellation. England und Frankreich fanden sich als Verbündete im Entente Cordiale, und vordergründiges koloniales Konkurrenzstreben paßte (vorübergehend) nicht mehr in die politische Landschaft. Doch im Auftrage des Scheichs el Bakay hatte sich inzwischen eine Gesandtschaft auf den Weg begeben. Ihr gehörten der Schwiegersohn und ein Neffe des Scheichs an. Sie trafen am 22. Juni 1857 in Tripolis ein und wollten sich zu Verhandlungen nach London begeben. Nun aber kamen sie ungelegen. So schickte man sie nach mehrmonatiger Hinhaltetaktik unter einem gleichermaßen fadenscheinigen wie beleidigenden Vorwand unverrichteter Dinge wieder zurück. Barth, der die Einladung ausgesprochen hatte, sah sich dadurch brüskiert, das umso mehr, als er 1858 ein persönliches Schreiben seines Freundes Scheich el Bakay erhielt, in dem dieser seiner Entrüstung über das Verhalten der englischen Regierung Ausdruck verlieh. Allerdings zweifelte er nicht an der Aufrichtigkeit Barths und hielt ihn an der
Affäre für unschuldig. Barth schrieb über die Handlungsweise der englischen Regierung an seinen Schwager: »Laß sie es tun, da die Engländer in ihrer Missionar-Hypokrisie doch keinen Verstand dazu haben und das, was ich ihnen mit offenen Händen bot, in den Schmutz geworfen haben. Die Herren am Niger und am Tschad sollen wenigstens wissen, daß ich sie nicht belogen habe.« Die Diskrepanzen Barths mit dem Auswärtigen Amte vertieften sich bis zum völligen Bruch der Beziehungen. So mußte er es als tiefe persönliche Kränkung empfinden, daß er, als am 26. März 1857 eine Schiffsexpedition nach dem Niger und Benué entsandt wurde, die von ihm angeregt worden war, nicht einmal informiert wurde, obwohl er zunächst an den Vorarbeiten beteiligt gewesen war. Allerdings sollte sich diese Böswilligkeit rächen. Das Schiff strandete bei Rabba im Niger, da man den Empfehlungen Barths, zunächst ein Schiff mit geringerem Tiefgang zur Sondierung vorauszuschicken, nicht gefolgt war. Der Leiter der Expedition, W. B. Baikie, mußte nahezu 6 Jahre mit dem festgefahrenen Schiff liegenbleiben, bis er schließlich nach Kano und Sokoto gelangte, um Handelsbeziehungen aufnehmen zu können. Zu den vielen großen und kleinen Ärgernissen, mit denen man dem bedeutenden Forscher das Leben erschwerte, zählte auch, daß man ihm den längst versprochenen Bath-Orden nicht verlieh, die von ihm angebahnten Handelsbeziehungen nicht weiterführte, ja, daß selbst die vielen Warenproben, die er mit großer Mühe durch die Wüste transportiert hatte, ungeöffnet in Kisten lagerten. In einem Schreiben an Bunsen vom 9. Januar 1858 machte Barth seinem Herzen Luft: »Das Interesse, das Sie an meinem Werke nehmen, belebt und erfrischt mich sehr. Im ganzen, bin ich überzeugt, hat man es hier sowohl, wie in Deutschland freundlich aufgenommen, obgleich hier der größere Teil es nicht anerkennt, wenigstens öffentlich nicht. Gerade während dieses Weihnachtsfestes habe ich wieder ein Netz der widerlichsten Intrigen, von denen Sie keine Vorstellung haben, durchschneiden müssen... Bei solchem Zustand der Dinge, wo ich mich kaum in persönlicher Anwesenheit zu halten im Stande bin, wie könnte ich da es wagen, auf fernere Unternehmungen im Regierungsdienste auszugehen?«
Diese Zustände veranlaßten Heinrich Barth, seinen Aufenthalt in England möglichst bald zu beenden. Nach Abschluß seines Reisewerkes begab er sich am 21. August 1858 zurück nach Deutschland. Doch würde sich hier seine Hoffnung auf Unabhängigkeit realisieren lassen? Ja, fand sich überhaupt eine passende Anstellung? Mit der Rückkehr stellte sich erneut die Frage nach seiner Zukunft. Seine dreijährige Abwesenheit hatte alle früheren Verbindungen gelöst und Heinrich Barth zeigte auch wenig Neigung, sich in ein dienstliches Abhängigkeitsverhältnis zu begeben. Am liebsten wäre ihm der Antritt einer möglichst langen Expedition gewesen. Da sich das aber nicht verwirklichen ließ, wollte er wenigstens mit einer ausgedehnten Reise seinen alten Traum, die nähere Erforschung der Küstengebiete des Mittelmeeres, fortsetzen.
Erneut in Kleinasien. Elf Jahre waren seit Heinrich Barths erstem Aufenthalt in Kleinasien vergangen, als er nun im Herbst 1858 erneut Konstantinopel (Istanbul) besuchte, um von hier aus die Reise ins Landesinnere anzutreten. Bereits hier, in der Metropole, war es deutlich zu spüren, daß sich die politische und ökonomische Abhängigkeit der Türken von den Westmächten, insbesondere England, vertieft hatte. Seit den vierziger Jahren waren die kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Fortschreiten, das beschleunigte das Eindringen des westeuropäischen Kapitals und die Unterwerfung des Landes unter die Gesetze des kapitalistischen Weltmarktes. Das Ergebnis der Anlehnung an den Westen war zwiespältig. Von Vorteil war die Übernahme bürgerlich-kapitalistischer Erfahrungen bei der Entwicklung eigener Manufakturen, insbesondere auch im Bereiche des Bildungs-, Verwaltungs- und Rechtswesens. Damit wurden schrittweise die erstarrten Feudaleinrichtungen überwunden. Als nachteilig erwies sich die wachsende halbkoloniale Abhängigkeit von den fahrenden kapitalistischen Ländern, die sich nach dem Aderlaß durch den Krimkrieg zu einer finanziellen Versklavung auswuchs, und im Lande zu einer Teuerungswelle führte. Heinrich Barth stellte während seiner Reise wiederholt die Anzeichen des gesunkenen Lebensstandards der Bevölkerung fest. Am 25. Oktober 1858 begann die Schiffsreise durch den Bosporus, der laut Londoner Konvention von 1841 einem internationalen Statut unterworfen war, in das offene Meer. Nach zwei Tagen war Trapezunt, der eigentliche Ausgangspunkt der Expedition, erreicht. Heinrich Barth hatte sich, begleitet von Dr. Mordtmann, dem hanseatischen Geschäftsträger in Konstantinopel, das Ziel gestellt, eine Vielzahl bedeutsamer Stätten, an denen er bereits geweilt hatte, erneut aufzusuchen, um Einzelheiten, die er bei der ersten Reise nicht erforschen konnte, zu ermitteln. Er bereiste ein kulturhistorisch bedeutsames Gebiet, dessen Zeugnisse großer Vergangenheit noch zu erschließen waren. Bereits im 3.
Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung befand sich hier eine hochentwickelte Kultur. Das Ende des 17. Jahrhunderts v.u.Z. gegründete hethitische Großreich hatte seine Spuren hinterlassen, die auch von lebhaften kulturellen Beziehungen zu den Griechen der mykenischen Periode Zeugnis ablegten. Zu Beginn des 1. Jahrtausends v.u.Z. hatte sich die politische Karte Vorderasiens stark verändert. Im Zentrum Kleinasiens war nach dem Zusammenbruch des Hethiterstaates das Phrygische Reich entstanden. Die Könige und Angehörigen der Aristokratie wurden anfangs in Hügelgräbern bestattet. Durch die Übernahme der höheren handwerklichen Technik der einheimischen Bevölkerung gingen die phrygischen Architekten und Bauleute dazu über, Felsgräber anzulegen. Dabei übertrugen sie die Ornamentik der Holzarchitektur auf die Steinarchitektur und schufen an den Fassaden der Grabstätten imposante Kulturdenkmäler. Neben diesen Werken monumentaler Felsarchitektur, der Barths besonderes Interesse galt, brachte die blühende phrygische Kunst, wie Grabbeigaben zeigen, auch zahlreiche Schätze der Kleinkunst hervor. Die Handelsverbindungen mit den griechischen Stadtstaaten an der Westküste Kleinasiens führten zu wechselseitigen kulturellen Einflüssen. So stellt das altphrygische Alphabet eine Variante des griechischen Alphabets dar. Der phrygische König Midas nimmt eine wichtige Stellung in der Welt der antiken griechischen Sagen ein, die dem Phrygischen Reich unermeßlichen Reichtum zu schreiben. Nach Auseinandersetzungen mit dem Assyrischen Reich unterlag Phrygien den aus den Steppen des nördlichen Schwarzmeergebietes hereinbrechenden Stämmen der Kimmerier (um 675 v.u.Z. ) und kam schließlich 546 unter persische, 334 unter makedonische und 103 v.u.Z. unter römische Herrschaft. Die Römer gliederten das Gebiet in Provinzen auf. Heinrich Barth durchwanderte die Provinzen Pontos, Cappadocia und Galatia. Seit der Teilung des römischen Imperiums (395) gehörte Kleinasien zum Oströmischen Reich (Byzanz), das im 15. Jahrhundert unter die Gewalt der Osmanen fiel. Der Gebirgsmarsch Heinrich Barths durch dieses historisch so bedeutsam Land wurde zu Pferde angetreten. Allerdings waren die Voraussetzungen der Reise, da Barth erneut mit erheblichen ökonomischen Schwierigkeiten fertig werden mußte, sehr ungünstig: »Zum
freien Zeit-Lager war die Jahreszeit schon zu weit vorgerückt und ökonomische Rücksicht verbot mir, mich mit europäischen Bedürfnissen zu versehen, außer guten Kaffee und Tee, so daß wir gänzlich auf das angewiesen waren, was wir an Ort und Stelle finden konnten.« Das freundliche Herbstwetter kam ihm zunächst noch entgegen. Die schöne Berglandschaft lag im herrlichen Sonnenglanz. Bald waren interessante Kulturdenkmäler am Weg zu bewundern. Doch bei allem Interesse für die Schönheiten von Natur und Kultur verlor Heinrich Barth nicht den Blick für die Probleme der Gegenwart. »Auch dieser Ort«, so erzählt er von einem Etappenziel, »ging seiner Verödung und seinem Untergang entgegen in Folge der Erpressungen der Regierung... und in Folge davon waren von 25 Familien alle bis auf fünf schon ausgewandert und auch die übrigen mit unserem Wirt an der Spitze wollten nachfolgen.« Das erste größere Ziel war Kara-Hissár. Wenn der Ort auch kaum Spuren antiker Kultur aufwies, so war doch die mittelalterliche Felsenburg eine interessante Bastei. Am 9. November durchschritten sie das von unzähligen Schluchten zerrissene Scheidegebirge zwischen Lykus und Iris und erreichten schließlich am 14. November Tokat. Zwei Tage später traf die Gruppe bei strömendem Regen in Amasya ein, wo ein deutscher Seidenhändler eine Niederlassung hatte. Er wies ihnen bereitwillig den Weg zu den Kulturstätten. Am beeindruckendsten waren die in den Felsgrotten befindlichen Königsgräber. Die im kleinasiatischen Küstengebirgsland gelegene Stadt erwies sich als wahre Fundgrube für den Archäologen. Nach einigen Tagen Aufenthalt wurde die Reise in die Landschaft Busuk fortgesetzt. Dabei konnte Barth feststellen, daß »diese gesamte Landschaft im Interesse der Altertumskunde eine durchgehende Untersuchung und Aufnahme wünschenswert macht«. In den imposanten Ruinenstädten von Boghas-Koei glaubte er die stark befestigte Hauptstadt des alten Pteria wiederzuerkennen. Leider ermöglichte der kurze Aufenthalt keine systematische Erforschung des Terrains. Über die Höhen des Kapak Tepe gelangten sie nach Yüsghad, dem Zentrum der Militärmacht im Herzen Kleinasiens. Ein Abstecher nach dem malerischen alten Kayseri erwies sich als äußerst lohnend. Allerdings
ließen die hygienischen Bedingungen des neuen Kayseri mehr als zu wünschen übrig. Als um so wohltuender zeigte sich das unweit gelegene kleine Uergyb als schönes sauberes Städtchen, das etwa zu 1/3 von Moslems und zu 1/3 von griechischen Christen bewohnt wurde. Beim Bau der neuen Gebäude hatte man, wie Barths Reisebericht schildert, geschickt die alten Überreste zu nutzen verstanden: »Uergyb wird auf beiden Seiten, der westlichen wie östlichen, von steilen Tuffwänden eingeschlossen, die von alten Höhlenwohnungen nach allen Richtungen durchlöchert sind. Wirklich lehnen sich die neueren Wohnungen nicht allein zum großen Teil an diese Höhlen an, sondern man benutzt diese feuerfesten Behausungen aus dem Altertum selbst zu Magazinen.« Am 2. Dezember traf Heinrich Barth in Kyr-Schehr ein, einer malerischen, belebten Gartenstadt südöstlich von dem Handelszentrum Angora (Ankara). Hier zeigte sich infolge des Eindringens westeuropäischer Fertigerzeugnisse eine deutliche wirtschaftliche Stagnation, was Heinrich Barth zu der Feststellung veranlaßte: »Das Hauptinteresse von Angora liegt für den Europäer, seitdem es aufgehört hat, ein Mittelpunkt europäischer Komptoire im Orient zu sein, in seinem hohen Kastellberg, an dessen westlichen und südlichem Fuße sich die Stadt hinzieht, und in seinen zahlreichen Altertümern.« Nach anderthalbtägigem Aufenthalt wurde die Reise in südwestlicher Richtung fortgesetzt. Es war bereits empfindlich kalt, so daß man sich bemühte, schneller vorwärts zu kommen. Bei Ssidi Ghasi führte ein scharfer Südkurs zu den berühmten Phrygischen Königsgräbern. »An Sonnenbeleuchtung fehlte es glücklicherweise nicht, um diese schönen, denkwürdigen Arbeiten des Altertums in ihrer ganzen Pracht zu sehen und das Einzelne der flachen Eingrabung mittels der Schattenlinien klar zu erkennen, aber zur Erwärmung besaß die Sonne durchaus keine Gewalt und die schneidende Kälte verhinderte eine vollständige Zeichnung.« Trotzdem hat Barth mit seinen Skizzen und Detailbeschreibungen wesentlich dazu bei getragen, die Königsgräber und die monumentreiche Landschaft zu erschließen. Mit starken Schneefällen und sinkenden Temperaturen war der Winter hereingebrochen, und die Reisegruppe zog über Eski Schehr dem Ziel entgegen. Die letzten Etappen waren jedoch noch harte Bewährungs-
proben: »Genug, dieser Marschtag von Issnik nach Kara-Murssal war der beschwerlichste dieser ganzen Reise und wurde mir nur erträglich durch das sich daran knüpfende Interesse des krassesten Gegensatzes gegen meine Reise durch die Sahara im Glutsommer 1855. Dichtes Schneegestöber hielt den ganzen Tag an und war bei der durchdringenden Kälte keineswegs ganz erfreulich; natürlich waren die Wege über den Gebirgskamm abscheulich und selbst gefährlich und nur sehr erfahrene Führer konnten ihre Spur überhaupt erkennen. Wir hofften, daß wir auf dem Kamm das Schlimmste überstanden hätten, aber erst beim Herabsteigen an den Saum des Golfes wurde es fast unerträglich. Wie wir nämlich abwärts stiegen, löste sich der Schnee in halb aufgetaute Eissplitter auf, die, von heftigem Winde getrieben, uns ins Gesicht peitschten. So kamen wir in Kara-Murssal in sehr mitgenommenen Zustande an und fanden leider kein ordentliches Kaminfeuer, sondern mußten uns mit einem Kohlenbecken begnügen. Dabei war es bei den abscheulichen Wegen schon Abend geworden und wir konnten fast nichts zur leiblichen Stärkung auftreiben.« Doch das Ziel war glücklicherweise nahe. Am frühen Morgen ging die Reise weiter und nach Mitternacht trafen sie durchgefroren und durchnäßt in Skutari ein und setzten am folgenden Tage nach Konstantinopel über. Die schöne, wenn auch gegen Ende sehr beschwerliche Reise war beendet. Sie war keine Forschungsexpedition gewesen, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse angestrebt hatte. Heinrich Barth wollte die während der ersten Reise eingeleiteten kulturhistorischen Studien, die sich nur auf das Küstengebiet beschränkt hatten, auf das Landesinnere ausdehnen und dabei vor allem auch das Wirtschaftsleben kennenlernen. Letzten Endes war seine unvermittelt angetretene mehrwöchige Reise ein Fluchtversuch aus der persönlichen Misere, in die Heinrich Barth nach der Rückkehr von dem Englandaufenthalt geraten war. Insgeheim hatte er sogar gehofft, im hanseatischen Konsulat von Konstantinopel eine Anstellung zu finden, doch auch diese Erwartung erfüllte sich nicht.
Bittere Enttäuschungen. Am 4. Januar 1859 war Heinrich Barth wieder in Berlin eingetroffen und hatte, in dem festen Willen, sich jetzt hier niederzulassen, in der Schellingstraße 6 eine Wohnung bezogen. Sein weiterer Werdegang hing jedoch weitgehend von der Unterstützung durch seine Freunde ab. Und er wußte, daß er sich fest auf sie verlassen konnte. So schrieb ihm sein großer Förderer Bunsen zum Jahreswechsel 1856/57: »Sie schreiben mir sehr schön über das, was das letzte Jahr Ihnen gebracht hat. Ich freue mich der Weisheit und Klarheit Ihrer Betrachtungen. Es gibt nun einmal keine höhere Schule für das Leben, als das Leben selbst, und Weisheit wird nie zu teuer erkauft. Gewiß war Ihre Lage eine sehr schwierige; aber Ihr eifriges Streben nach Wahrheit und Ihre Hingabe an den großen Gegenstand, welchem Sie Ihre letzten Jahre in Afrika und Europa gewidmet, haben Ihnen durchgeholfen und werden es auch weiter tun. – Ich wünsche ihnen ebenso Glück zu der Stärkung Ihrer Gesundheit nach solchen fast übermenschlichen Anstrengungen und Entbehrungen. Die Vollendung Ihres großen Reisewerkes ist der beste Beweis dafür.« Im Frühjahr des gleichen Jahres hatte ihn sein Lehrer Böckh wissen lassen: »Haben sich unsere Lebenswege geschieden, so würde doch Ihr Andenken stets in mir das lebhafteste geblieben sein wenn Sie auch nicht durch Ihre gefahrvollen und erfolgreichen Reisen eine weltgeschichtliche Bedeutung erlangt hätten. Die Freundschaft ist eine Sache des Herzens, die Hochachtung fällt größtenteils dem Verstande anheim. Daß mein Herz sich zu Ihnen neigte, seitdem ich Sie kennenlernte, davon kann ich die aufrichtigste Versicherung geben; und haben Sie jemals daran gezweifelt, so kann dies nur dem Verhängnisse, nicht meinem Willen zugeschrieben werden.« Auch der Nestor der Wissenschaft, Alexander von Humboldt, versicherte am 26. Februar 1859: »Ich bin tief beschämt, teurer Reisekollege, daß die Furcht vor Ihren für mich jetzt unersteiglichen drei Treppen in der Philosophenstraße mich so lange gehindert hat, den zu besuchen, den wir das Glück ha-
ben möchten, ganz den Unsrigen zu nennen, und der uns einen Weltteil aufgeschlossen hat. Ich habe in diesen Tagen mit Ritter und dem Regenten sehr ernst über Ihre Wünsche gesprochen und ich hoffe, daß alles nach Ihren Wünschen abzumachen ist.« Das Unglück aber fügte es, daß in kurzen Abständen alle drei Förderer verstorben. Carl Ritter am 28. Februar 1859, Alexander von Humboldt am 6. Mai 1859 und am 28. November 1860 auch Christian Karl Josias Bunsen. Während sich leider die Beziehungen Barths zu Bunsen im Zusammenhang mit den zunehmenden Konflikten mit dem Auswärtigen Amt abgekühlt hatten Heinrich Barth lastete ihm unberechtigterweise eine gewisse Mitschuld an der Misere an, da er ihn nach London vermittelt hatte, berührte der Tod Ritters Barth am tiefsten. Und doch brachte sein Ableben für Barth, der hinsichtlich seiner Zukunft völlig ungewiß war, eine positive Wende. Die Stelle Ritters als Vorsitzender der Geographischen Gesellschaft übernahm Professor Dove, während Barth zum zweiten Vorsitzenden gewählt wurde. Als Dove schließlich im April 1863 seine Funktion wegen Überlastung niederlegte, rückte Barth in dieses Amt auf. Mit besonderem Eifer widmete er sich der von ihm initiierten Carl-RitterStiftung, die er praktisch zu einem Expeditionsfonds zur Förderung von Forschungsreisen gestaltete. Zu den ersten Vorhaben, die mit Hilfe dieses Fonds durchgeführt wurden, zählte die Aufklärung des Schicksals seines seit Mai 1855 in Afrika verschollenen Reisegefährten Eduard Vogel. Dem im Juli 1860 gegründeten Komitee gehörten Heinrich Barth, Justus Perthes und August Petermann an. Heinrich Barth veranlaßte eine Sammelaktion, deren Ergebnis die Durchführung einer Suchexpedition ermöglichte, der Barth folgende Order erteilte: »Die Aufklärung des Schicksals Vogels, die Rettung seiner Papiere und die Vollendung seines wissenschaftlichen Unternehmens, nämlich die Erforschung des Gebietes zwischen dem Nil und dem Tschadsee, sind die Aufgaben, welche der Expedition gestellt sind.« Da die von Theodor von Heuglin (1824-1876) geleitete Expedition sich nicht an die von Barth festgelegte Reiseroute hielt, veranlaßte er ihre Rückberufung. Das führte zu Kontroversen mit Petermann, der die eigenmächtige Änderung des Kurses im Interesse von
Informationen für seine »Geographischen Mittheilungen« begrüßt hatte. Auch eine zweite, direkt von Barth veranlaßte Expedition zur Sicherung des Vogelschen Nachlasses (inzwischen waren die Nachrichten über seinen tragischen Tod bestätigt worden), unter der Leitung von Moritz von Beurmann (1835-1863), führte ebensowenig zum Erfolg wie ein drittes Unternehmen unter Leitung von Karl Klaus von der Decken (1833-1865). Aufgrund seiner reichen praktischen Erfahrungen und Kenntnisse war Heinrich Barth zum entscheidenden Berater und vielfach auch Initiator der Afrikaforschung seiner Zeit geworden. Eine Fülle von Briefen zeugt von der Intensität, mit der er den Forschern zur Seite stand, wie er sich um die Nutzbarmachung ihrer Forschungsergebnisse verdient gemacht hat und wie er vor allem in der sich verstärkenden Phase des Kolonialismus, entgegen der Menschenfeindlichkeit der Geschäftemacher, das humanitäre Anliegen der Wissenschaft zu wahren bestrebt war. Wie die Vielzahl seiner publizierten Arbeiten, vor allem enthalten in der »Zeitschrift für allgemeine Erdkunde« zeigt, entfaltete Heinrich Barth auch eine umfangreiche publizistische Arbeit, in der er wichtige detaillierte Forschungsergebnisse veröffentlichte. Er erwarb sich auch als Herausgeber und Kommentator der Reiseberichte anderer Forscher große Verdienste. Im Rahmen der kleineren Arbeiten nimmt sein Artikel »Neger, Negerstaaten«, den er für das »Deutsche Staatswörterbuch« schrieb, aufgrund seiner Bedeutung eine Sonderstellung ein. Er bietet gewissermaßen das Konzentrat seines Wissens auf diesem Spezialgebiet und charakterisiert eindeutig die humanistische Grundhaltung Heinrich Barths. Nicht nur, daß er 1862 den Afrikaner als gleichberechtigtes »Glied in der großen Menschenfamilie« betrachtete, er unterzog die sogenannten Segnungen der europäischen Kulturbringer einer vernichtenden Kritik: »Die Tätigkeit der übrigen europäischen Nationen beschränkte sich darauf, den Abschaum ihrer Bevölkerung auf jene Küste zu werfen und einerseits jene Naturvölker mit den schlechtesten Seiten des Christentums in Berührung zu bringen, andererseits die uralte heimische Sklaverei in verderblichen Sklavenhandel umzugestalten.«
Die allgemein anerkannte Bedeutung Barths bewirkte auch, nachdem er England verlassen hatte und damit die unmittelbare persönliche Konfrontation nicht mehr gegeben war, eine Verbesserung der Beziehung zu dem Auswärtigen Amt. 1862 empfing er den seit langem versprochenen Bath-Orden. Doch den Bitten, nach England zurückzukehren, die sogar von Lord John Russel persönlich vorgetragen wurden, entsprach er nicht. Das Mißtrauen war, wie ein Brief an seinen Schwager zeigt, zu groß. »Ich traue der englischen Politik nicht. Jetzt, wo in Amerika ein Bürgerkrieg bevorsteht und ihnen die Baumwolle auszugehen droht, suchen sie solche in Afrika, und es wird die Freundschaft mit den mohammedanischen Staaten wieder hervorgesucht. Da müssen wieder einmal die Missionareneinflüsse eine Weile zurücktreten. Es geschieht diesen Baumwollheuchlern ganz recht, die sich nicht geschämt haben, mich der Sklaverei anzuklagen, der ich tausendmal mehr zur wahren Bekehrung der Neger Binnenafrikas getan habe, als alle ihre Missionare zusammengenommen.« In Preußen aber blieb für Heinrich Barth alles beim alten. Er erhielt zwar die ihm zugesicherte Unterstützung, doch die Anstellung als Hochschullehrer und damit ein festes Gehalt ließen noch immer auf sich warten. Obwohl Carl Ritter ihn der philosophischen Fakultät als seinen Nachfolger vorgeschlagen hatte, blieb Barths Berufung auf den Lehrstuhl für Geographie nach dem Tode seines Lehrers aus. Am 27. 10. 1859 hatte die philosophische Fakultät über die Nachfolge Ritters beraten. Als Kandidaten kamen Heinrich Kiepert, Ferdinand Müller und Heinrich Barth in Frage. Man beschloß, die Neubesetzung des Lehrstuhls zu vertagen, doch auf Veranlassung des Kultusministers wurde mit Wirkung des 1. 1. 1860 Kiepert berufen, der den Vorstellungen der preußischen Regierung wesentlich mehr entsprach als Heinrich Barth, der sich durch seine humanitäre Haltung und politische Einstellung verdächtig gemacht hatte. Er konnte aus seinem Herzen keine Mördergrube machen, und wie er dachte, mögen zwei Briefstellen aus dem Jahre 1859 belegen: »Du kannst mir wohl glauben, wenn ich Dir sage, daß es hier zuweilen ganz unerträglich ist, alle die Reden dieser Ultra-Preußen anzuhören, Leuten, die nicht über die Kanten ihrer Schuhe hinüberzusehen im Stande sind«, und
»So endet mit Gottes Hilfe das alte Jahr für Euch segensreich und das neue werdet Ihr mit frischer Hoffnung beginnen. Was es in politischer Hinsicht bringen möge weiß kein Mensch. Für Deutschland gewiß nichts Gutes; Zerrissenheit nach außen und innen, das wird nach meiner Ansicht das Los sein, bis sich der Volkswille Bahn bricht.« Schließlich bemühten sich Barths Freunde um seine Ernennung zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften, deren korrespondierendes Mitglied er seit 1855 war. Die Verleihung der Mitgliedschaft mußte durch drei Mitglieder der philologischhistorischen Klasse beantragt werden. Als Antragsteller wirkten der Altertumswissenschaftler G. Parthey, der Orientalist H. Petermann und der Historiker Leopold von Ranke. Die Anträge wurden den ordentlichen Mitgliedern zur Kenntnis gegeben, die darüber abstimmten. Dabei stieß die Aufnahme Barths auf Widerstand. Acht Akademiemitglieder sprachen sich für und dreizehn gegen ihn aus. Es versteht sich, daß der selbstbewußte, empfindsame Wissenschaftler diese Haltung wiederum als schwere Kränkung empfand. Mögen hierbei Mißgunst und Intrigen eine gewisse Rolle gespielt haben, einen nicht geringen Anteil Schuld hatte sich Heinrich Barth mit seiner schroffen Art, die viele zurückstieß gewiß jedoch auch selbst zuzuschreiben. Er hatte sich seit seiner Rückkehr aus Afrika, wo er nahezu sechs Jahre auf sich allein gestellt leben mußte, der bürgerlichkonservativen Welt nicht mehr anpassen können. Er lebte einsam und verschlossen im ständigen Konflikt mit seiner Umwelt. Gegenüber seinem – allerdings sehr klein gehaltenen – Freundeskreis war er hilfsbereit und aufopferungsvoll. Seine besondere Liebe galt den Eltern und seiner Familie. Allzu gern hätte er selbst eine Familie gegründet, doch noch immer hatte er dafür noch nicht die rechte Methode gefunden. Da die erhoffte Verbindung ausblieb, klingt seine Anfang 1860 getroffene Feststellung schon fast wie eine Resignation: »Jedenfalls aber werde ich nicht heiraten, blos um zu heiraten, sondern nur, wenn entschiedenster Herzensdrang mich zu einem Wesen hinzieht. Darüber also wird erst die Zukunft entscheiden. Diesen Augenblick ist mein Herz völlig frei, wenn ich auch mit warmer Teilnahme an einige weibliche Wesen zurückdenke, mit denen ich in
zeitweilige Berührung gekommen bin und zu denen ich mich augenblicklich stark hingezogen fühlte.« Sein Schwager Gustav von Schubert kennzeichnet einige wesentliche Charakterzüge Heinrich Barths: »Über das Privatleben Barths möchte ich noch Folgendes hinzufügen. Im gewöhnlichen Umgang ernst und zurückhaltend. Gleichgültig gegen Alltägliches, ward er im intimen Verkehr anregend und mitteilsam, sobald es große Fragen der Politik oder Wissenschaft betraf. Seine eigenen Taten berührte er am liebsten gar nicht, und kamen sie zur Sprache, so redete er von ihnen mit größter Bescheidenheit. Infolge seiner Abgeschlossenheit war Barth kein rechter Menschenkenner, und deren Presseerzeugnisse oft einen Wert beilegte, der ihnen nicht gebührte. Im brieflichen Gedankenaustausch war er sehr freimütig und liebte auch ein kräftiges Wort... Besonders beachtete er die Pressestimmen des Auslandes, namentlich Englands und Frankreichs, aber auch Rußlands, der Schweiz und Italiens. Mit vielen wissenschaftlichen Größen stand er in lebhaftem Briefwechsel.« Nachdem er bereits seit Jahren vergeblich auf eine ordentliche Professur gehofft hatte, war die Niederlage bei der Wahl zum Akademiemitglied eine doppelte Enttäuschung. Sie sollte nicht die letzte sein. Auch sein Antrag auf ein festes Gehalt wurde abgelehnt und statt dessen nur die jährliche Unterstützung verlängert. Im Jahre 1862 wurde von der Fakultät wiederum seine Berufung als ordentlicher Professor verweigert. Damit war das Maß der Demütigungen voll. Mit großer Bitterkeit schrieb Heinrich Barth am 5. Januar 1863 an den Kultusminister: »Das alte Jahr ist verflossen und das Neue Jahr hat seinen Anfang genommen. So lange habe ich in Geduld gewartet, daß die mir schriftlich gegebenen Versprechungen sich erfüllen möchten. Nun aber kann ich nicht länger warten und bereite einen Artikel für die Zeitungen vor, um mir eine feste Stellung anderswo zu erbitten, und ich hege die feste Zuversicht, daß man anderswo meine Leistungen zu schätzen weiß, die man hier auf alle erdenkliche Weise zurückgestellt hat. Man hat mich preußischerseits, von wo allein meine Teilnahme an der fast sechsjährigen gefahrvollen und über alle Maßen schwierigen
Erforschung des zentralafrikanischen Binnenlandes ausgegangen und vermittelt worden ist, ganz fremdartigen Interessen in England zum Opfer gebracht und so scheint es auch hier der Fall zu sein, indem man mich von einem Tage zum anderen hinhält. Eine solche unsichere Stellung ohne jedweden Rückhalt kann ich nicht länger ertragen und bitte dringend, ohne längeren Verzug ihr auf die eine oder andere Weise ein Ende zu machen.« Heinrich Barth stand in Verhandlungen mit der Universität Jena, wo der lang ersehnte Lehrstuhl in Aussicht stand. Da erhielt er die Mitteilung, daß ihn das preußische Kultusministerium zum außerordentlichen Professor ernannt hatte. So zog er es vor, in der Metropole zu bleiben. Allerdings war mit dieser Berufung die Gehaltsfrage nicht geregelt, und er war nach wie vor auf die jährlichen Verlängerungen der Unterstützung angewiesen. Doch es war wenigstens ein erster Schritt getan, der freilich lange genug gedauert und viel Kraft gekostet hatte. Froh über das Erreichte schrieb er seinem Schwager: »Trübes muß der Mensch hinnehmen und tut es mit Ruhe, aber ganz gegen den Strom zu schwimmen bricht die beste Kraft. Anstatt entgegenkommende Hilfe zu finden, habe ich bisher nur Widerstand überwinden müssen, um überhaupt etwas zu Stand zu bringen. So habe ich denn, da ich nun auch Vorsitzender der hiesigen )Geographischen( bin, ein hübsches Feld der Wirksamkeit vor mir und wünsche mir nichts als dauernde Gesundheit. Berlin hat unzweifelhaft manche gute Seite, besonders wenn man sich erst Bahn gebrochen hat. Denn das Cliquenwesen hier ist fürchterlich...« Im Wintersemester 1863 hatte er die Vorlesungstätigkeit aufgenommen. Es fanden sich bei den Lehrveranstaltungen bis zu 60 Hörer ein. Das war im Vergleich zu seinem früheren Wirken als Privatdozent ein großer Erfolg. Der von ihm vertretenen Erd- und Völkerkunde maß er neben ihrer wissenschaftlichen auch besondere völkerverbindende Bedeutung zu: »Was ist belehrender für die Jugend als die Erd- und Völkerkunde in allen ihren belebenden und beseligenden Charakterzügen. Für mich selbst in der Tat ist die Wissenschaft der Inbegriff, das einigende Band aller übrigen Disziplinen, und gerade wie die verschiedenen Zweige der Wissenschaft stets größere Bedeutung gewinnen. Selbst in dieser in nacktesten Negation ver-
sunkenen Altstaatsresidenz, die sich erst allmählich zu einer wahren Metropole hervorarbeitet, macht sich dies immer mehr geltend. Möchte es mir beschieden sein, nach dem Maße meiner schwachen Kräfte auch ein kleines Scherflein dazu beizutragen. Jedenfalls bin ich mir bewußt, daß ich nicht für mich allein arbeite.« Nachdem die geographischen Ergebnisse seiner großen Expedition weitgehend ausgewertet waren, wandte sich Heinrich Barthauch philologischen Vorhaben zu. Ein linguistisches Standard Werk sollte die 1862 begonnene »Sammlung und Bearbeitung Central-Afrikanischer Vokabularien« werden. Es blieb aber leider unvollendet. In seinen linguistischen Arbeiten bemerkte Heinrich Barth: »Wie habe ich es nun gemacht? Kannte ich vorher wenigstens die hauptsächlichsten der im Innern Afrikas gebrauchten Sprachen? Mitnichten... Ich hatte mich..., abgesehen von der Berbersprache, mit den Sprachen jener Landschaften keineswegs beschäftigt... Vom volkstümlichen Arabisch also ausgehend, dessen Gebiet wir von Tripolis bis Mursuk zu durchreisen hatten, verschaffte ich mir mit Hilfe der uns von der Küste her begleitenden, jenen inneren Landschaften angehörenden, befreiten Neger-Sklaven durch Niederschreiben und Auswendiglernen eine Kenntnis der gewöhnlichen Ausdrücke in der Hausa- und Kanuri-Sprache.« Barth sammelte intensiv die Vokabularien der ihm unbekannten Sprachen, die er zugleich sorgfältig studierte. Schließlich war er in der Lage, sich in sieben innerafrikanischen Sprachen zu verständigen. Der bedeutende französische Saharaforscher Henri Duveyrier (18401892), der sich vor allem um die Beschreibung der Tuareg verdient gemacht hat, fühlte sich verpflichtet, das von Barth hinterlassene linguistische Werk weiterzuführen. Da sich das Manuskript bei der Firma Justus Perthes befand, setzte er sich mit Dr. Petermann in Verbindung, um über die notwendigen Maßnahmen zu beraten. Dieser erteilte ihm hocherfreut den Auftrag, das Werk zu Ende zu führen und herauszugeben. Noch immer hielt es den Gelehrten nicht am Schreibtisch. Immer wieder zog es ihn hinaus. Nach wie vor bildeten die Mittelmeerländer seine beliebtesten Reise- und Forschungsziele. In Weiterführung
einer 1862 durchgeführten Reise durchquerte er 1865 den westlichen Teil der Türkei. Über die Ergebnisse seiner Wanderungen legte er wie üblich gewissenhaft Berichte vor, die im wachsenden Maße auch die bisher seinen Werken mangelnde Fähigkeit zur Konzentration auf das Wesentliche zeigen. Nach wie vor verfolgte er mit großer innerer Anteilnahme alle Forschungsexpeditionen. Bei der Rückkehr Livingstones hatte er 1857 die Festrede gehalten. Livingstone seinerseits widmete ihm sein Buch mit den Worten »Dr. Heinrich Barth ist dieses Werk gewidmet als ein freundlicher Gruß und als hohe Anerkennung seiner Verdienste bei der Entdeckung Afrikas; von seinem Freund und Mitstreiter David Livingstone. London, 29. Oct. 1857«. Auch mit anderen Forschern, vor allem mit Georg Schweinfurth (1836-1925) und Gerhard Rohlfs (1831-1896), stand er als ihr großer Förderer in engem freundschaftlichen Kontakt. Ebenso wichtig wie die finanzielle Hilfe waren, wie Heinrich Barth aus eigener Erfahrung wußte, Empfehlungsschreiben. Nun war er es, der seinen Jungen Kollegen diese moralische Rückenstärkung geben konnte. Rohlfs bat ihn um solche Schreiben an »alle einflußreichen Männer, namentlich Hamed el Bakay, im Inneren Afrikas... denn man kann nie wissen, wohin man verschlagen wird auf einer solchen Reise und Abd-el-Kerim hat überall einen guten Namen hinterlassen.« Im gleichen Sinne erbat auch Georg Schweinfurth Unterstützung für seine Mitgliedschaft in der Geographischen Gesellschaft. Kernstück des Lebenswerkes Heinrich Barths, zu dem die Ergebnisse seiner Expeditionen und der Einzelreisen die Grundlagen boten, war die Arbeit an einer »physischen und historischen vergleichenden Geographie des Mittelmeerbeckens«. Schon 1860 hatte er sich diese Hauptaufgabe gestellt: »Ich hoffe, daß wenn mir ein hinreichend langes Leben geschenkt wird, es mir gelingen soll einen reichen Einzelstoff auch zu allgemeinen Ideen ganz zu bemeistern. Diese zwei Aufgaben liegen mir wesentlich vor: Eine systematische Geographie von Afrika und eine natur- und kulturhistorische geographische Beschreibung des Beckens des Mittelmeeres. Beide greifen ineinander und beleben sich gegenseitig; das Mittelmeer erfrischt dabei den von Afrikas Einförmigkeit mitunter erschlafften Sinn und greift mit sei-
nen kulturhistorischen Fäden dahin ein. Das zusammen ist die Aufgabe eines langen Lebens.« Wenn auch Afrika und das Mittelmeerbecken das eigentliche Element des großen Forschers blieben, so zögerte er als Präsident der Geographischen Gesellschaft keinen Augenblick, auch dem Ausschuß für die Nordpolforschung beizutreten. Die Fülle der Arbeit ließ ihn die Sorge um die persönlichen Belange vergessen. Während er im Jahre 1865 nochmals das geliebte Mittelmeer auf einer Reise nach Makedonien, Albanien und Montenegro aufsuchte, setzte sich Ohlhausen in einem Gesuch an das Finanzministerium für den Gelehrten ein: »Mit dem Ablaufe dieses Jahres erneuert sich die für mich wie für die gesammte gelehrte Welt äußerst peinliche Situation, daß ein durch Leistungen ganz ungewöhnlicher Art ausgezeichneter, nicht mehr im jugendlichen Alter stehender Forscher genötigt sein wird, Preußens Hauptstadt und die literarische Metropole Deutschlands zu verlassen, um mit der Aussicht auf eine verkümmerte Existenz anderswo ein Unterkommen zu suchen.« Von Bodelschwingh aber lehnte erneut ein Gehalt ab und stellte lediglich eine Verlängerung der Unterstützungssumme in Aussicht. Heinrich Barth hatte die »großzügige« Geste nicht mehr nötig. Seine Tage waren gezählt. Während eines Kuraufenthaltes hatte ihn ein offenbar durch einen Diätfehler hervorgerufenes leichtes Unwohlsein befallen, das zu einer nicht erkannten, gefährlichen Magen- und Darmentzündung führte. Nach nur dreitägigem Krankenlager verschied Heinrich Barth unter großen Schmerzen am 25. November 1865. Da die Todesursache unklar war und sogar Gerüchte über eine Selbstvergiftung kursierten, ließ der berühmte Pathologe Rudolf Virchow (1821-1902) auf Bitte der Angehörigen eine Sektion durchfuhren. Dabei wurde eine Magenperforation festgestellt. In Anwesenheit bedeutender Vertreter der Wissenschaft und Kultur fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung am 29. November 1865 die Beisetzung statt.
Verpflichtendes Erbe. August Petermann widmete Heinrich Barth in seinen »Geographischen Mittheilungen« einen trefflichen Nachruf : »Seine Forschungen über Geschichte, Politik und Sprachen erschlossen ein vollständig neues Gebiet und lieferten eine staunenswerte Masse wichtiger Daten. Dies alles leistete er unter den drückendsten Verhältnissen... Es ist wahrhaft zu bewundern, daß er neben diesen weit umfassenden ethnographischen und geographischen Forschungen Zeit zu der höchst mühevollen, vielleicht von keinem anderen Reisenden jemals mit ähnlicher Genauigkeit und Ausdauer durchgeführten Wege Aufnahme fand, die den festen Anhalt zur Zeichnung seiner Karten gab. Wenn man bedenkt, daß er oft alle fünf Minuten Uhr und Kompaß ablas, die Schnelligkeit des Kamelschrittes in verschiedenen Tagesständen sorgfältig maß, diese auf Richtung und Länge der Wegstrecken bezüglichen Beobachtungen aufnotierte, außerdem alles am Wege Bemerkenswerte in seinem Tagebuch erwähnte, daneben die meist aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzte Begleitung über Nahes und Fernes ausfragte und zur Erlernung der ihm vorher völlig fremden mannigfaltigen Sprachen benutzte, dieses alles aber gegen sechs Jahre hindurch..., so muß man eben so sehr seine Arbeitskraft und Energie bewundern, wie man es begreifen wird, daß ein solches Werk auf lange Zeit hinaus das fundamentale, eigentliche Quellenwerk sein und alles Vorausgegangene unendlich weit hinter sich zurücklassen muß. Barth war unbedingt die erste Autorität über das nördliche Zentralafrika, und seine Reisen daselbst lassen sich in Hinsicht auf die Fülle des Neuerforschten und der fruchtbaren Anregung zu weiteren Reisen und Untersuchungen nur mit denen Cooks nach der Südsee und Alexander von Humboldts nach Amerika vergleichen. In der Tat übte er als einer der größten Reisenden, die je gelebt haben, durch sein Beispiel einen mächtigen Einfluß aus, und eine Reihe bedeutender junger Männer ging aus, seinem Beispiele nacheifernd, angefeuert und geleitet durch seine re-
ge Teilnahme und durch den großen Umfang seiner Erfahrung und seines Wissen.« Doch nach dem Tode des hervorragenden Forschers geriet sein Name mehr und mehr in Vergessenheit. Der Humanist Heinrich Barth ließ sich nicht in die Ahnenreihe kolonialer Sendboten einreihen, seine Werke gaben für kolonialpolitische Theorien und Praktiken keine Rechtfertigung. Im Gegenteil, er hatte gezeigt, daß die afrikanischen Völker keineswegs der »Hilfe« des weißen Mannes bedurften, um »zivilisiert« zu werden. Er hatte in vielen Einzelheiten erstmals nachgewiesen, daß es lange vor dem Eindringen der Kolonialmächte südlich der Sahara zahlreiche hochentwickelte Staaten mit hervorragenden kulturellen Leistungen gegeben hatte. Vorurteilslos, frei von Chauvinismus und Diffamierungsabsichten gegen Menschen anderer Rassen, widmete er sich seinen Zielen, die nicht politischen und ökonomischen Zwecken, sondern der Wissenschaft dienten. So weit er die Anordnungen seiner Auftraggeber, das bereiste Gebiet dem Handel zu erschließen, ausführte, sprach er sich für die Gleichberechtigung im Austausch mit äquivalenten Waren aus. Mit Heinrich Barth beginnt eine neue Epoche der Entdeckungsgeschichte Afrikas. Seine Erkenntnisse waren von einzigartigem Wert für den Geographen, Historiker, Archäologen, Ethnographen, Soziologen und Sprachwissenschaftler. Nicht alles, was er auf diesen Gebieten geschrieben hat, war neu, obwohl er vieles Neue entdeckte, doch er fügte alles zu einem systematischen Gesamtbild zusammen, das eine grundsätzlich höhere Qualität als die bisherige Betrachtungsweise und Interpretation bot. Gewiß konnte sein in den Grenzen des bürgerlichen Humanismus befangenes Denken und Handeln nicht frei von Fehlern sein. Ihm blieben die Klassenverhältnisse verborgen, daraus resultierte seine Orientierung auf die innerafrikanische Aristokratie als Bündnispartner ebenso wie die ungerechtfertigt differenzierte »Bewertung« einiger afrikanischer Stämme als hochentwickelte oder »verwahrloste Völkerschaften«. Barths Reiseschilderungen sind von Zügen des älteren Positivismus geprägt. Er ging von dem »positiv Gegebenem« aus und stellte nicht die Frage nach dem Wesen der Erscheinungen. Dabei überlieferte er
jedoch einen außerordentlich großen Faktenreichtum, eine Fülle von Detailbeschreibungen, insbesondere auch ökonomischer Sachverhalte, die für die gegenwärtige Geschichtsforschung von unschätzbarem Wert sind. Erst in den 50er Jahren wurde die Bedeutung Heinrich Barths wiederentdeckt. Zweifellos erwarben sich R. Italiaander und H. Schiffers Verdienste um die Erschließung und Propagierung seines Werkes, wenn auch ihre undifferenzierte Wertung Barths als apolitischen Humanisten nicht geteilt werden kann. Vor allem begann sich auch die junge afrikanische Geschichtsschreibung mit dem Wirken Heinrich Barths auseinanderzusetzen. So bezeichnete ihn der marxistische Historiker Modelim Achufusi (Nigeria) als den »bemerkenswertesten aller Afrikareisenden«, dessen kartographische Aufzeichnungen und Notizen nach wie vor für die Erforschung der Geschichte des Sudan unentbehrlich sind. Wir würdigen Heinrich Barth als progressiv-bürgerlichen Wissenschaftler, der im Dienste der friedlichen Forschung und des Humanismus den Schleier, der über den »dunklen Kontinent« gelegt wurde, lüftete, und der die Notwendigkeit erkannte, Geographie nicht nur als »reine«, sondern vor allem als völkerverbindende Wissenschaft zu betreiben.
Anhang
Literaturverzeichnis Schriften von Heinrich Barth (Auswahl in chronologischer Folge) • Corinthorum commercii et mercaturae historiae Particula. Berlin 1844 (Dissertation). • Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres ausgeführt in den Jahren 1845, 1846 und 1847. Berlin 1849. • Bd. 1. Wanderungen durch das punische und kyrenäische Küstenland oder Magreb, Afrikia und Bara. (Zugleich Habilitation 1848). • Bd. 2 erschien nicht. • Über Reisen im nördlichen Afrika, in Syrien und Klein-Asien. In: Monatsber. über d. Verhandlungen d. Gesellschaft f. Erdkunde zu Berlin. N. F. Band 6. 1850. S. 43-63. • Nachrichten aus Timbuktu. In: Monatsber. d. Kgl. Preuß. Akademie d. Wiss. 1 854. S. 17l-181. • Beiträge zur Geschichte und Geographie des Sudan. In: Zeitschr. d. Dt. Morgenländ. Gesellschaft. Band 9. 1855. S. 518-594. • Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849 bis 1855. Tagebuch einer Reise im Auftrage d. Britischen Regierung unternommenen Reise. Gotha 1857-1858. Bd. 15. • Kurze Skizze von Timbuktu in der Vergangenheit und Gegenwart. In: Zur Erinnerung an d. Feier des 30jährigen Stiftungsfestes d. Gesellschaft f. Erdkunde zu Berlin am 18. April 1858. Berlin 1858. • Reise von Assuan über Berenike nach Kosser im October und November 1846. In: Zeitschr. f. allgem. Erdkde. N. F. Band 7. 1858. S. 1-31. • Das Becken des Mittelmeeres in natürlicher und kulturhistorischer Beziehung. Hamburg 1860. • Reise von Trapezunt durch die nördliche Hälfte Klein-Asiens nach Scutari im Herbst 1858. Gotha 1860. (Erg. H. 3 zu Petermanns Geogr. Mitteilgn. ).
• Negerund Negerstaaten. In: DeutschesStaatswörterbuch. Hrsg. von J.C. Bluntschli. Stuttgart 1860. Bd. 7. S. 219-247. • Sammlung und Bearbeitung Central-Afrikanischer Vokabularien. Gotha 1862. • Reise durch das innere der Europäischen Türkei von Rustschuk über Philipoppel, Rilo (Monastir), Bitolia und Thessalischen Olymp nach Saloniki im Herbst 1862. Berlin 1864. Auch in: Zeitschr. für allg. Erdkde. N. F. Band 15. 1863. S. 301-358; 457538. Band 1-6. 1864. S. 117-208. Schriften über Heinrich Barth. • Italiaander, Rolf: Heinrich Barths Leben und Wirken. In: Barth, Heinrich: Im Sattel durch Nord- und Zentralafrika. Wiesbaden 1967. S. 283-379. • Keienburg, Ernst: Der Mann, der Abd el Kerim hieß. Heinrich Barths Forscherleben in Wüste und Wildnis. Berlin 1966. • Schubert, Gustav von: Heinrich Barth, der Bahnbrecher der deutschen Afrikaforschung. Berlin 1897.
Personen- und Ortsregister Abbega, Frederick Burton 118, 155, 158, 171 Abd el-Kader 20 Abd el-Kadiri 70 Abd el-Rahman 92, 152, 154 Abdullahi 83 Abu Bakr 74 Adama 92 Adamaua 82, 83, 92, 94, 162 Adams, Robert 130 Agades 66, 68, 70, 73 Ägypten 18 Ahaggar 56 Ahmed Baba 76 Ahmadu 11. 128 Ain Sara 157 Aïr 56, 66, 70, 75 Albanien 192 Alexandria 21 Algerien 18, 20, 44, 48 Algier 20 Amasya 179 Angora (Ankara) 180 Annur 68, 69, 70, 79 Anikimma 156 Argos 23 Askia Muhammed 1. 75, 77 Assuan 21 Athen 23 Baalbek 21 Baghirmi 106, 114, 162 Baikie, William Balfour 146, 175 Bamba 141 Banks, Joseph 42 Barth, Johann Christoph Heinrich 7, 13, 15, 16, 17, 20, 34, 36 Beirut 23 Benghasi 22 Benué 97, 98, 100, 106, 146, 147 Berenike 21 Berghaus, Heinrich Karl 110 Berlin 9, 23, 24, 26, 162, 169, 183 Bernstorf, A. von 161 Beurmann, Moritz von 184 Bidderi 108
Bilma 69, 73 Biram 77 Bithynien 23 Bodelschwingh, von 193 Böckh, August 9, 10, 12, 15, 24, 25, 26, 183 Boghas-Koei 180 Bornu 36, 78, 92, 98, 116, 153 Bosporus 177 Bourem 141, 143 Bundi 153 Bunsen, Christian Karl Josias Freiherr von 18, 29, 36, 113, 115, 160, 161, 166, 169, 170, 183, 184 Burckhardt, Johann Ludwig 43, 111, 146 Busuk 180 Byzanz 179 Cada, Aluise da 44 Caillié, René 111, 130, 131 Cappadocia 179 Cato d. Ä. 47 Chalilu 122 Clapperton, Hugh 44, 89, 112, 146, 155 Clarendon 160, 174 Cook, James 42 Cooley, William Desbourough 161 Cresques, Abraham 41 Curtius, Ernst 12 Damaskus 21 Damerghu 72, 79 Daura 77 Decken, Karl Klaus von der 184 Dei, Benedetto 130 Delphi 23 Denham, Dixon 44, 89, 112 Dikwa 78 Djebel Soda 157 Djenne 75 Djudar Pascha 77, 129 Dorugu, James Henry 118, 155 Dove 184 Dubois, Felix 131 Dunama 92 Dunama Dibalami 78 Duveyrier, Henri 190 d’Ysaguier, Anselm 44 Edjeleh 45 Edrisi, Abu Abdallah Muhammad 42 Ei Bakay 127, 128, 131, 132, 133, 138 139, 140, 142, 143, 174, 178 Eleidji 79 EI Kanemi 92
EI Muminin 121 England 41, 42, 101, 169, 175, 176 Ernesse 139 Eski Schehr 182 Faro 97 Fessan 54, 62, 156 Florenz 12 Frankreich 19, 33, 44, 175 Friedlaender, Julius 25 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 161 Frobenius, Leo 58 Futa Dschalon 81 Futa Toro 81 Gama, Vasco da 41 Gambia 44 Gando 83, 122 Gao 56, 75, 142 Gaza 21 Ghadames 36, 73 Ghana 74 Gharian-Gebirge 51 G hat 36, 56, 67, 66, 73 Glatia 179 Gobir 77, 81 Gotha 166 Griechenland 46 Grimm, Jakob 12 Großbritannien 31, 33, 34, 40 Guassu 121 Hadi, Ahmed 66 Hadj, Beschir 92, 152 Hamburg 7, 22, 30, 162, 164 Hammada el Hamra 54 Hammadi 132, 133 Seku Hamadu 128 Hannibal 46 Hatita 57 Heidelberg 160 Heinrich der Seefahrer 41 Hermann, Gottfried 10 Heuglin, Theodor von 184 Holland 41, 42 Hornemann, Friedrich Konrad 43, 44, 146 Hourst 145 Humboldt, Alexander von 10, 29, 30, 36, 37, 110, 149, 160, 161, 166, 169, 183, 184 Ibn Battuta 41, 75 Ibrahim 118 Idris II. 78 Idris Alaoma 78
lmbert, Paul 130 Iran 48 Iris 179 Issnik 182 Istanbul 23 Jena 164 Kabara 127, 143 Kairo 21 Kanem 78, 99 Kano 72, 73, 75, 77, 79, 81, 83, 84, 86, 87, 116, 152, 153 Kapak Tepe 180 Kara-Hissár 179 Kara Murssal 182 Karthago 45, 46, 47, 49 Katsina 75, 77, 79, 80, 81, 83, 84, 85, 86, 118, 119 Kayseril 80 Kebbi 81 Kiepert, Heinrich 186 Kilian, Conrad 45 Konstantinopel 176, 182 Korinth 23 Kosseir 21 Kukawa 79, 89, 9l, 92, 98, 99, 105, 112, 11 3, 114, 115, 116, 140, 152, 154 Kuraje 121 Kyrenaika 20 Kyr-Schehr 180 Ladenberg, von 29, 30 Laghouat 139 Laing, Alexander Gordon 130 Lander, J. 98 Lander, Richard 94, 98, 143, 146 Le Maire, Jakob 44 Leo Africanus 41, 42, 128 Livingstone, David 174, 190 Logone 106 London 18, 37, 158, 160, 170 Longman 161, 174 Ludwig XVIII., König von Frankreich 19 Lydien 23 Lykien 23 Lykus 179 Madrussa 156 Makedonien 46, 192 Malfante, Antonio 44 Mali 75 Mallorca 41 Malta 20, 158 Mansa Musa 75, 128
Maradi 79 Marmarika 21 Marokko 20, 73, 75, 76, 77 Marseille 158 Masinissa 47 Massónya 105, 107, 113 Massina 81, 128 Mauretania 47 Mendif-Gebirge 162 Midas 178 Mizda 53 Mohammed ben Chottar 139 Mohamed Boro 56, 66 Mohammed el Gatroni 52, 65, 118, 152, 155, 156, 157 Mohammed Ibn Abdallah 48 Mommsen, Theodor 25 Monod, Theodore 44 Montenegro 192 Mordtmann 177 Muhammed Bello 83, 92 Mulei Ahmed al-Mansur 77 Müller, Ferdinand 186 Mursuk 36, 54, 55, 56, 73, 156, 157 Musgu 100 Mysien 23 Napoleon Bonaparte 18, 19 Neapel 12 Nghurutua 88 Ngornu 90, 91 N’Guigmi 155 Sansibar 115, 139 Sarayamo 126 Schari 91, 106 Schelling, Friedrich Wilhelm 15 Schleinitz, A. von 29 Schubert, Gustav von 166, 187 Schweinfurth, Georg 191, 192 Segou 146 Senega 144 Shaw, Norton 165 Sieveking, Karl 22, 23 Sizilien 46 Skutari 182 Smyrna (Izmir) 23 Smyth, W. Henry 166, 170 Sokoto (Reich) 81, 82, 83 Sokoto (Stadt) 118, 122, 148, 151
Sokoto (Fluß) 143 Songhai 75, 76, 77, 92 Sonni All 75, 128 Sowjetunion 61 Spanien 18, 41, 42 Sparta 23 Stanley, A. Earl of Derby 31 Sudan 33, 41, 43, 56, 60, 72, 81 Sundjata 75 Syrien 48 Tabonieh 54 Taghazza 77 Taghelel 78 Tahert 48 Tanger 18 Tegerri 156 Tekrur 75 Tessaoua 79 Timbuktu 73, 75, 77, 127ff., 162 Tintellust 68, 71 Tobruk 21 Tokat 179 Trapezunt 177 Tripolis 22, 36, 49, 51, 73, 157, 158 Troja 23 Tschadsee 61, 73, 78, 79, 82, 90, 162 Tunesien 20 Tunis 20, 45, 49 Uba 94 Uergyb 180 Uthmán dan Fodio 81, 82, 83 Venedig 12 Vereinigte Staaten von Amerika 42, 1 Virchow, Rudolf 193 Vogel, Eduard 139, 146, 149, 151, 15 153, 154, 155, 184 Wadai 78 Wadi Semsen 157 Wagadugu 77 Wurno 122, 151 Yarimari 94 Yatenga 77 Yo 155 Yola 92, 94, 98 Yüsghad 180 Zamfara 75 Zaria 75, 77 Zinder 72, 79, 116, 118, 152 Zypern 23
Bildquellennachweis Werke Heinrich Barths (34), Autor (10), Schubert, G. von: Heinrich Barth. Berlin 1897. (5), Universitätsbibliothek, Leipzig (4), Brockhaus Verlag, Leipzig (1), Deutsche Staatsbibliothek, Berlin (1), Zentralarchiv, Merseburg (2). Das Bild auf dem Schutzumschlag zeigt den Markt von Sokoto