Zärtlich schnappt die Falle zu
Muriel Jensen
Bianca 907 (18-1/94)
Gescannt von Suzi_kay
Korrigiert von almut. K
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Zärtlich schnappt die Falle zu
Muriel Jensen
Bianca 907 (18-1/94)
Gescannt von Suzi_kay
Korrigiert von almut. K
1.KAPITEL
"Mein Leben klingt wie eine Seifenoper." Charlotte Morreaux saß allein in ihrem weißen Duesenberg-Cabriolet und dachte über ihre Situation nach, während sie durch den bewaldeten Canyon nordöstlich von Los Angeles fuhr. "Reiche Erbin verliebt sich in aufstrebenden Manager der Firma ihres Vaters. Manager lässt Erbin am Traualtar stehen. Während Erbin neues Leben beginnt und aus Firma des Vaters aussteigt, um eine Boutique für Brautmode zu eröffnen, verliebt sich Manager in Tochter des Partners des Vaters der Erbin. Kein Problem. Erbin Nummer eins ist nicht nachtragend. Aber Mutter von Erbin Nummer zwei. Sie mag Erbin Nummer eins nicht und macht ihr auf jede erdenkliche Weise das Leben schwer." "Charlotte, du musst mir helfen!" hatte Kendra Farnsworth am Telefon gefleht. "Mein Hochzeitskleid ist einfach grauenhaft. Bitte bring eine Auswahl deiner Kleider von ‚Geliehene r Zauber' mit, wenn du am Sonntag nachmittag zum Polterabend kommst. Ich möchte lieber eins von deinen alten als dieses... dieses Ding." Charlotte hörte, wie im Hintergrund Taft raschelte, und nahm an, dass das ungeliebte Kleid beiseite geschoben wurde. Aber ich wollte gar nicht zum Polterabend kommen, sagte Charlotte sich. Es gibt auf der ganzen Welt nicht genug Geld oder Einfluss oder Amaretto-Trüffel, um mich dazu zu bringen... "Bitsy Tate kommt auch", fügte Kendra mit gespielter Unschuld hinzu. In Wirklichkeit hätte sie Charlotte auch eine Kanone an die Schläfe halten können. "Ich habe ihr gesagt, dass du die einzige bist, die meine Hochzeit noch retten kann." Bitsys Klatschspalte in der Times, die sogenannten Bitsy's Tidbits, verdankte ihre Ruf nicht zuletzt dem Bericht über Charlottes peinlichen Auftritt im Jahr zuvor, als sie einfach vor dem Altar stehengelassen wurde. Als Reporterin war Bitsy gründlich und schonungslos ehrlich. Nichts entging ihrer Aufmerksamkeit - oder ihrer Kolumne. Als Frau neigte sie zur Boshaftigkeit... und sie war eine Freundin von Elizabeth Farnsworth, Kendras Mutter. "Sie findet das alles sehr poetisch", fuhr Kendra fort. Charlotte lächelte grimmig. "Natürlich komme ich", erwiderte sie mit aufgesetzter Begeisterung. "Ich habe ein paar Kleider, die dir gefallen könnten." Sie hatte bereits ein Kleid aus den 1890ern vor Augen, das Kendras blonde Anmut noch betonen würde. Charlotte mochte auf Bitsy Tate einen poetischen und tragischen Eindruck machen, aber Geliehener Za uber würde für Furore sorgen. Mit einem resignierten Seufzer bog Charlotte auf die Seitenstraße zum Anwesen ihres Vaters ein. Es wird helfen, sagte sie sich tapfer, um den Polterabend für mich zu einer Art Heimspiel zu machen. Kendra und Charlottes Vater waren schon Partner im florierenden High-TechGeschäft gewesen, als ihre Töchter noch Kinder waren. Beide Männer schienen absolut nichts von der Feindschaft zu ahnen, die zwischen den Frauen ihrer Familien herrschte. Charlotte mochte Kendra. Sie hatten sich zusammengerauft, als die Partnerschaft ihrer Väter sie zu einer gemeinsamen Kindheit und Jugend zwang. Ihre Mütter hatten es nicht so gut hinbekommen. Elizabeth wählte ihre Freunde nach einer komplizierten Formel aus Herkunft, Status und Bankkonto. Was letzteres betraf, genügte Edward Morreaux selbst höchsten Ansprüchen, aber er war ein Farmersohn aus North Dakota, und bei seinen Freunden kam es darauf an, dass sie intelligent waren und ruhig zuhörten, wenn er ihnen sein neuestes Projekt in allen Einzelheiten erklärte. Caroline, Charlottes Stiefmutter, stammte von einem der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung ab, bildete sich jedoch nichts darauf ein und konnte dünkelhafte Menschen nicht ausstehen. Charlotte dachte gerade lächelnd an ihren Vater und Caroline, als sie den anderen Wagen sah. Er kam aus der Seitenstraße auf sie zu, ein flacher roter Schatten.
Bremsen quietschten, als Charlotte auszuweichen versuchte. Sie wurde nach vorn und wieder zurück geschleudert, Metall knirschte, Glas zerbarst. Dann war plötzlich alles still. Charlotte fragte sich blinzelnd, was geschehen war. Ihre Tür wurde aufgerissen. "Charlie? Charlie!" schrie ihr eine besorgte Stimme ins Ohr, während Hände erst ihre Schultern packten, dann prüfend über ihre Arme und Rippen tasteten. Als eine Hand ihre Brust streifte, schüttelte sie den Schock ab, drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam, und erkannte ein äußerst vertrautes Gesicht. "Oh, nein", stöhnte sie. "Nicht du, nicht heute." Bourbonbraune Augen sahen sie an. Dann lächelte Derek Cabot entwaffnend. "Ich fürchte doch, Charlie. Wie ist es dir ergangen?" Seine Hände legten sich unter ihre Knie und drehten die Beine aus dem Wagen, während er mit der Schulter die Tür weiter öffnete. "Steig aus! Wir sehen mal nach, ob du okay bist." Sie versuchte, seine Hände abzustreifen. "Mir geht es gut." "Davon möchte ich mich überzeugen." Charlotte warf ihm einen eisigen Blick zu, aber er griff nach ihren Handgelenken und zog sie aus dem Wagen. Dann legte er eine Hand an ihre Stirn. "Du siehst etwas durcheinander aus. Ist dir schwindlig?" "Ja", gab sie zu und schob seine Hand weg. "Dich zu sehen regt mich immer auf. Was tust du hier?" "Ich bin zum Polterabend eingeladen." "Wieso?" Er steckte die Hände in die Hosentaschen. "Es gibt Menschen, die mich gern um sich haben. Tut mir leid, wenn dir das nicht passt." Sie ließ eine verkrampfte Schulter kreisen. "Reine Chemie. Ich mag dich nicht... Oh, nein!" Sie hatte sich umgedreht und den wie ein Akkordeon gefalteten Kotflügel ihres klassischen Cabrios entdeckt. Er hatte sich um den Stamm eines duftenden Eukalyptusbaums gewickelt. Wie eine Mutter zu ihrem verletzten Kind eilte sie hinüber. "Sieh dir an, was du mit meinem Duesie gemacht hast!" "Was ich gemacht habe?" erwiderte er entrüstet und stellte sich hinter sie. "Wenn man einen Wagen fährt, der älter ist als man selbst, sollte man langsam an Kreuzungen heranfahren." Sie wirbelte so heftig herum, dass ihr blondes Haar wie ein Wimpel durch die Luft flatterte. "Dies ist keine Kreuzung, sondern eine Einfahrt, in die eine Nebenstraße mündet. Wer rast mit sechzig Meilen über eine so kurvenreiche Nebenstraße?" "Ich", antwortete er. "Ich habe etwas zu tun - im Unterschied zu Leuten, die durch die Gegend gondeln, als hätten sie alle Zeit der Welt." Charlotte rümpfte die Nase. "Oh, Himmel. Nicht das schon wieder. Dies ist ein Polterabend, keine geschäftliche Besprechung." Derek holte sein Funktelefon aus dem Porsche. Er hatte ganz vergessen, wie sehr er es immer genossen hatte, von ihr angeschrien zu werden. Zum Glück, denn sie hatten nie anders diskutiert, während sie damals zusammenarbeiteten. "Canyon Car Gare." "Les, hier ist Derek." Er zwinkerte Charlotte zu, die ihn mit gefurchter Stirn ansah. Offenbar gefiel es ihr nicht, dass er die Abwicklung des Unfalls übernahm. "Ich habe gerade einen alten Duesenberg gerammt... Ein Einunddreißiger?" fragte er Charlotte. "Zweiunddreißiger", verbesserte sie. "La Grande Phaeton." Er gab es an Les durch. "Die rechte Seite ist im Eimer. Vorderer Kotflügel gegen den Reifen gebogen. Kannst du ihn mit dem Anhänger holen? Ich möchte nicht, dass er abgeschleppt wird." "Geht sofort los." "Gut." Er beschrieb ihm den Weg. "Ich komme heute nachmittag zur Werkstatt." "Wie geht es dem Porsche?" fragte Les.
"Großartig", antwortete er. "Charlotte hat einen Baum gerammt, nicht mich." "Glück gehabt." Als Derek sich in den Wagen beugte, um den Hörer aufzulegen, verschränkte Charlotte die Arme und musterte ihn, als wäre sie eine Gutsherrin und er ein ungehorsamer Leibeigener. "Vielleicht sollte ich den Wagen lieber in meine Werkstatt bringen lassen", sagte sie. Er richtete sich wieder auf und nickte. "Aber Canyon Car ist die beste Autowerkstatt. Außerdem ist meine Versicherung daran gewöhnt, mit ihnen zusammenzuarbeiten." Sie zog eine strohblonde Augenbraue auch. "Also gibst du zu, dass du schuld warst?" Derek konnte es nicht bestreiten. Er war zu schnell gefahren, hatte den Duesenberg gesehen, sofort gewusst, wer ihn fuhr, und statt an die Querstraße an die Frau am Steuer gedacht. "Ja", antwortete er. "Komm schon, ich fahre dich zum Haus." Sie betrachtete Derek einen Moment, bevor sie sich umdrehte und zur linken hinteren Tür ihres Autos ging. Er blickte ihr interessiert nach. Für eine Frau, die sich wie eine unnahbare Prinzessin benahm, hatte sie einen äußerst verführerischen Po. Vielleicht ein wenig zu rund, aber trotzdem hinreißend in dem engen Rock im Stil der vierziger Jahre. "Kein Hut heute?" fragte er, um an etwas anderes zu denken. Charlotte nahm drei große Schachteln vom Rücksitz und legte sie ihm auf die Arme. Das gold-weiße Emblem von Geliehener Zauber, ihrer Brautmoden-Boutique, glänzte in der Nachmittagssonne. Dann beugte sie sich noch einmal vor und holte einen Hut in der Farbe ihres Kostüms heraus. Sie setzte ihn auf und gab ihm einen eleganten Sitz, bevor sie Derek zu seinem Porsche folgte. Er legte die Kartons auf den Rücksitz, und ließ sie sich die Beifahrertür öffnen und auf den Sitz helfend "Eins der Kleider, die du mitgebracht hast, wird also die Hochzeit des Jahrzehnts retten", bemerkte er. Überrascht sah sie ihn an. "Woher weißt du das?" "Caroline hat es mir erzählt. Es ist edel von dir, Kendra aus der Klemme zu helfen angesichts der Umstände." Charlotte atmete mehrmals durch. "So edel bin ich gar nicht. Ich sehe es als Geschäft, und sie ist eine Kundin meiner Boutique." "Du bist deine Boutique." "Bitte, fahr doch hinters Haus, dann gehe ich durch den Küchen..." Aber er hielt bereits vor der Säulenfront der im Stil einer Südstaaten-Residenz errichteten Villa. Ein junger Mann in weißer Jacke öffnete Charlotte die Tür, ein anderer nahm von Derek die Wagenschlüssel entgegen. Derek nahm Charlottes Arm und bat den zweiten Diener, die Schachteln ins Haus zu bringen. "Eine Herzogin geht nicht durch die Küche", sagte er zu ihr. "Außerdem hast du einmal hier gelebt. Du gehörst hierher." "Jeder Mann und jede Frau dort drin", erwiderte sie, als sie die breite Veranda überquerten, "weiß, dass Trey Prentiss mich praktisch am Altar stehengelassen hat." "Mir scheint, dann ist er derjenige, der sich schämen müsste, nicht du." Sie schloss die Augen. "Ja, aber so läuft es leider nicht. Die Leute wissen nur, dass Trey attraktiv und brillant ist und ich etwas ziemlich Schlimmes getan haben muss, um ihn so zu verschrecken. Zumal er schon wieder auf dem Weg zum Altar ist, wenn auch mit einer anderen." "Weil kein Mut dazu gehört, Kendra zu heiraten. Bei dir war das anders." Er drückte auf eine Stelle zwischen ihren Schulterblättern, bis sie sich straffte. "Komm schon. Her mit dem frostigen Lächeln, das jeden glauben lässt, dass du über allem stehst und durch nichts zu erschüttern bist."
Sie war nicht sicher, ob ihr diese Einschätzung gefiel, doch in diesem Moment ging die Tür auf, und der Butler Plowright ließ sie lächelnd ein. Sofort war Caroline bei ihnen, füllig und duftend und die warme Großherzigkeit verströmend, die aus ihr und Charlotte gute Freundinnen gemacht hatte. Charlotte wurde umarmt und dann besorgt gemustert. "Geht es dir gut?" fragte ihre Stiefmutter. "Ja", versicherte Charlotte ihr munterer, als sie sich fühlte. "Meinem Wagen leider nicht. Derek hat gerade einen japanischen Fächer daraus gemacht." Derek lächelte, als Caroline auch ihn umarmte. "Sie übertreibt. Zwei Monate bei einem guten Karosseriebauer und ein kleines Vermögen, dann ist der Duesenberg wieder so gut wie neu." "Bis dahin", meinte Charlotte, "werde ich mich auf Rollschuhen durch Los Angeles bewegen." "Charlie!" Der heisere Ruf kam aus dem in Grau und Rose gehaltenen Wohnzimmer, in dem die Gäste sich versammelt hatten. Jeder der etwa hundert Köpfe drehte sich in Charlottes Richtung. Sie hätte ihr gesamtes siebenstelliges Erbe dafür gegeben, irgendwo auf einem einsamen Berggipfel in Tennessee zu sein. Kendra, schlank und puppenhaft in roter Wolle, blieb mitten im Raum stehen und streckte die Arme aus, so dass Charlotte gezwungen war, entweder zwischen den Gästen hindurchzugehen oder als rachsüchtige Verlassene und schlechte Verliererin dazustehen. Sie ging zu Kendra. "Kendra", sagte sie und gab ihrer Stimme Wärme. "Ich freue mich für dich." Charlotte sah, wie ein Blitzlicht zuckte. Sie registrierte, wie Bitsy Täte sich Notizen machte und Darby Grant, der Pressefotograf, sie erneut mit seiner Kamera anvisierte. "Die Kleider sind in der Halle", sagte sie. "Wunderbar." Kendra tastete nach Trey, der neben ihr stand. "Ich probiere sie nachher an, und du sagst mir, wie du sie findest. Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein grauenhaftes Ding dieser Designer Jean Michel für mich entworfen hat." Charlotte konnte nicht glauben, dass er etwas so Schreckliches entworfen haben könnte. Kendra dramatisierte schon wieder einmal. "Liebling." Kendra zog Trey zu sich heran. Es war das erste Mal, dass Charlotte ihn seit der Generalprobe für ihre eigene Trauung wiedersah. Sie straffte die Schultern und lächelte. "Bitte", sagte Kendra zu Trey, "danke Charlotte dafür, dass sie uns vor einer Katastrophe bewahrt hat." Trey Prentiss lächelte verlegen, als er ihr die Hand reichte. "Hi, Charlie", sagte er. "Es ist toll von dir, dass du uns hilfst, nachdem ... nun, ich meine, nachdem ..." Sie hätte ihn liebend gern weiterstammeln lassen. Aber sie wusste, dass jeder im Raum zuhörte, und konnte einfach nicht so grausam sein. Sie gab ihm die Hand. "Tue ich doch gern", sagte sie mit fester, selbstsicherer Stimme. "’Geliehener Zauber' verspricht dir eine wunderschöne Braut." "Da bist du ja!" Edwards Stimme drang laut an ihr Ohr, und sie drehte sich anmutig in die ausgebreiteten Arme ihres Vaters. "Habe gehört, du und Derek hattet einen kleinen Zusammenstoß." Er lachte fröhlich. "Musste ja mal passieren. Er hat es immer eilig, und du weißt nie, wohin du willst." Er nahm einem Kellner zwei Gläser Champagner ab, reichte ihr eins und drückte Derek das andere in die Hand, als er näher kam. Kendra und Trey schlenderten davon. Edward Morreaux strahlte seine Tochter an. "Will verdammt sein, wenn du nicht selbst eine Unternehmerin wirst. Schätze, in all den Jahren als PR-Chefin von Morreaux-Farnsworth haben wir dein Talent verschwendet."
Charlotte warf Derek einen Blick zu. "Komisch, dass uns das erst aufgegangen ist, als Derek auftauchte. Wenn du ihm nicht meine Abteilung gegeben hättest, würden wir vielleicht noch immer glauben, dass ich meinen Job gut mache." "Du warst immer zu spät", sagte Derek leise. "Ich habe versucht, gute Arbeit zu leisten." "PR muss schnell und ganz aktuell sein. Du warst stets eine Träumerin." "Das ist jetzt alles Schnee von gestern", sagte Edward besänftigend. "Es war für alle das Beste. Du machst jetzt dein eigenes Ding, Charlie, und bist glücklich, und PR-Meldungen kommen ohne Verzögerung heraus. Ich bin glücklich." "Charlotte, Liebling!" Elizabeth Farnsworth, groß und elegant in einem Designerkostüm, ließ Charlotte eine ihrer berühmten Umarmungen zukommen, bei denen die Lippen nie die Wangen berührten. "Du siehst gut aus", verkündete sie und wirkte auf sämtliche Umstehenden wie die freundliche Tante. Nur Charlotte sah die Abneigung in ihren Augen. "Was gibt es Neues?" Charlotte begann höflich mit einem Bericht über ihre Boutique. "Nein", unterbrach Elizabeth sie sanft, aber gehässig. "Ich meine, was gibt es in deinem Liebesleben Neues?" Ihr Lächeln wurde noch falscher. "Nur noch wenige Jahre, Liebling, und du bist dreißig. Du solltest Pläne machen." Charlotte war versucht, alle Anwesenden zu schockieren und Elizabeth zu erklären, dass sie das nichts anginge. Oder sie konnte sich ein Märchen über einen türkischen Prinzen ausdenken. Oder zugeben, dass sie sich seit einem Jahr mit keinem Mann mehr verabredet hatte, bei dem sie sich nicht schon nach einer Stunde nach ihrem Fernseher gesehnt hatte. Aber ihr Geschäft ließ das alle nicht zu. Sie wollte gerade zu einer taktvollen Erwiderung ansetzen, als Caroline fröhlich erklärte: "Na los, sag's ihnen schon, Charlie." Der schlichte Satz klang geheimnisvoll und ließ alle im Raum aufhorchen. Edward unterbrach ein Gespräch mit seinen Golfpartnern. Trey und Kendra, die in einer Ecke Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten, drehten sich zu ihr um. Charlotte hatte keine Ahnung, was sie ihnen sagen sollte, aber der vielsagende Blick ihrer Stiefmutter hinderte sie daran, danach zu fragen. Elizabeth tat es für sie. "Was soll sie ihnen sagen?" Charlotte spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam, als ihre Stiefmutter lächelnd kicherte. Das hatte noch nie etwas Gutes bedeutet. "Nun ja..." Caroline legte Charlotte eine Hand auf den Rücken und lächelte den Gästen entgegen, die neugierig herankamen. "Ich fürchte, Kendra und Trey werden ihre Party mit jemandem teilen müssen. Charlotte ist nicht nur gekommen, um Kendra ein Hochzeitskleid zu bringen..." Sie lächelte erst in Kendras, dann in Charlottes Richtung. "Sondern auch, um uns von ihrer Heirat zu erzählen." Alle im Raum schienen kurz den Atem anzuhalten, Charlotte eingeschlossen. Heiraten! Oh, Himmel. Seifenoper zweiter Teil! Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, wie Bitsy hastig schrieb. Der Blitz des Fotografen erhellte ihr Profil. "Sie will heiraten?" fragte Elizabeth, offenkundig entsetzt darüber, dass ihrer Tochter die Schau gestohlen wurde. "Sie hat geheiratet", verbesserte Caroline mit zufriedener Miene. "Wen?" fragte Elizabeth scharf. Selbst Charlotte wartete gespannt auf die Antwort. Caroline hatte bisher so überzeugend geklungen, dass sie bestimmt eine parat hatte. Offenbar doch nicht. So war das eben mit Carolines Katastrophen. Eine geniale Unschuld trieb sie bis zu einem gewissen Punkt, ließ sie dann jedoch im Stich. Ihre Stiefmutter hatte Elizabeth Farnsworth einfach nur klarmachen wollen, dass Charlotte ebenso leicht einen
Mann finden könnte wie Kendra. Leider hatte sie das Drehbuch nicht zu Ende geschrieben. Sie hatte die Rolle des Bräutigams nicht besetzt. Charlotte war einmal mehr kurz davor, vor Scham in den Erdboden zu versinken, doch dann war hinter ihr eine feste, klare Männerstimme zu hören. "Mich", verkündete die Stimme. Ein Arm legte sich um sie. Warme Lippen pressten sich auf ihre Schläfe. "Ladies und Gentlemen", sagte die Stimme. "Darf ich Ihnen Mrs. Derek Cabot vorstellen?"
2. KAPITEL
Blitzlichter grellten auf, als die Gäste sich um Charlotte und Derek drängten, um ihnen zur angeblichen Heirat zu gratulieren. "Was fällt dir ein?" zischte Charlotte, während sie Freunden und Nachbarn zulächelte. "Keine Ahnung", flüsterte er, einen Arm noch immer um ihre Taille, den anderen ausgestreckt, um Caleb Farnsworth die Hand zu schütteln. "Caroline sah aus, als könnte sie Hilfe gebrauchen." Edward stand auf der anderen Seite des Raums, und der Blick, den er seiner Tochter zuwarf, war entschuldigend, aber resigniert. Kopfschüttelnd musterte er seine Frau, die die Fragen der aufgeregten Gäste beantwortete. "Nun ja, kommt das nicht etwas plötzlich?" fragte Elizabeth misstrauisch. "Ich meine, man munkelt, dass Charlotte die Firma verließ, als Edward aus dem New Yorker Büro Derek zurückholte. Die beiden haben sich einfach nicht verstanden." Caroline zuckte lachend mit den Schultern. "Du weißt ja, wie es mit den Funken ist. Manchmal gibt es ein Feuer, manchmal nur ein schönes Feuerwerk." Sie zwinkerte Charlotte und Derek zu. "Wann habt ihr geheiratet?" bohrte Elizabeth nach. "Auf einer Geschäft sreise", antwortete Derek. Er drückte Charlotte an sich. "Ich bat sie, mich zu begleiten, und dann haben wir beschlossen, in Zukunft immer zusammen zu verreisen." "Wie romantisch!" schwärmte jemand. "Ich denke, wir sollten..." begann Charlotte, um die Lüge wieder aus der Welt zu schaffen. "... auf das junge Glück trinken", unterbrach Caroline sie. "Ausgezeichnete Idee. Plowright, mehr Champagner, bitte!" "Caroline, du kannst nicht..." setzte Charlotte an, um das alberne Spiel zu beenden. "Erzähl mir nicht, ich könnte nicht, Liebling", konterte Caroline lächelnd. "Das macht mich wütend, das weißt du. Überlass einfach alles Derek. Er macht es toll." "Er lügt!" flüsterte Charlotte. "Du lügst." Caroline verdrehte die Augen. "Du wiederholst dich, Charlotte." "Entspann" dich", raunte Derek in ihr Ohr. "Hier kommt der Champagner." Sie drehte sich um und schaute in seine dunkelbraunen Augen, die inzwischen belustigt funkelten. "Derek, es wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Morgen steht es in Bitsys Kolumne." "In einigen Tagen wird sich das Interesse gelegt haben", entgegnete er ungerührt. "Im Moment ist nur wichtig, dass wir deine Eltern nicht blamieren." "Du wirst der Blamierte sein, wenn alle Welt herausfindet, dass du gelogen hast." Plowright servierte den Champagner höchstpersönlich. Derek nahm ihm zwei Gläser ab. "Ich bin durch nichts zu blamieren. Das ist das Positive daran, wenn es einem egal ist, was die Leute denken. Und jetzt nimm dich zusammen. Du musst wie eine strahlende Braut aussehen." Als jeder sein Glas hob, lächelte Caroline ihren Mann an, der sich zu ihr stellte. "Ich denke, dies ist die Sache des Brautvaters", sagte sie, und in ihren Augen blitzte der Schalk. Sein Blick versprach, dass sie beide noch ein ernstes Wort reden würden, doch als er sich seinen Freunden zuwandte, wirkte sein Lächeln echt, wie das eines überraschten, aber durch nichts mehr zu erschütternden Vaters. "Auf die Überraschungen des Lebens!" begann er mit einem ironischen Unterton, bei dem Charlotte und Caroline einen vielsagenden Blick wechselten. "Auf die kleinen Wunder des Alltags, die dort Liebe entstehen lassen, wo man sie am wenigsten erwartet. Auf den Zauber, der aus zwei sehr verschiedenen Menschen eine liebende Einheit macht. Auf Mr. und Mrs. Cabot."
Charlotte starrte ihren Vater an. Woher hatte er das? Für einen improvisierten Toast hatten seine Worte gerührt und von Herzen kommend geklungen. "Trink!" drängte Derek leise. "Elizabeth beobachtet uns." Charlotte leerte ihr Glas, nicht aus Gehorsam, sondern weil sie etwas für ihren Magen und das äußerst mulmige Gefühl darin brauchte. Sie war heilfroh, als die allgemeine Aufmerksamkeit sich wieder auf Kendra und Trey richtete. Alle Gäste suchten sich Sitzgelegenheiten oder machten es sic h auf dem Fußboden bequem, während das Brautpaar seine Geschenke auspackte. Charlotte wollte sich unauffällig in eine Ecke zurückziehen, doch Bitsy sprang auf und winkte sie auf den eben geräumten Stuhl mitten im Raum. "Nein, bitte..." protestierte Cha rlotte, aber Bitsy blieb hart und neugierig. "Ich muss unter die Leute", sagte sie und blickte erwartungsvoll von Charlotte zu Derek. "Ist dies eine Geschäftsheirat? Eher eine Verbindung von Aktienpaketen als von Herzen?" Charlotte wusste nicht, was sie antworten sollte. Die Unverblümtheit der Presse erstaunte sie immer wieder. Aber dann wurde ihr klar, womit sie Bitsy loswerden konnten, wenigstens für diesen Nachmittag. Sie warf Derek einen kurzen Blick zu, und er begriff sofort. Mit einer Hand fegte er ihr den Hut vom Kopf, mit der anderen zog er sie an sich. Alle Umstehenden, Bitsy eingeschlossen, beobachteten fasziniert, wie er Charlotte in die Augen schaute. Dann senkte er den Kopf und presste den Mund auf ihre Lippen. Es ist nur Show, sagte Charlotte sich. Die Verführung erfolgte blitzartig und gründlich. Seine Zunge schob sich zwischen ihre Lippen... natürlich nur, um den Zuschauern ihre Leidenschaft füreinander zu demonstrieren, da war sie ganz sicher. Aber er tat es mit einer zärtlichen Finesse, die sie verblüffte und erregte. Ihre Augen schlössen sich, ihr Verstand wurde ausgeschaltet, während sie die Umarmung so deutlich und mit allen Sinnen fühlte, als wäre sie nackt in seinen Armen. Als er den Kopf wieder hob, dauerte es einen Moment, bis sie die Augen öffnen konnte. Derek hielt mit einer Hand ihren Nacken umfasst und lächelte Bitsy zu. "Ja", sagte er, "eindeutig eine geschäftliche Verbindung." Er setzte sich, zog Charlotte auf den Schoß und tätschelte ihre Hüfte. "Eine Fusion, die es in sich hat, das können Sie mir glauben." Alles lachte. Nur Bitsy nicht, und der Blick, mit dem sie Derek bedachte, ließ ihn wissen, dass sie sich nicht so leicht täuschen ließ. Sie hob ihr Glas, wünschte ihnen Glück und ging zu Kendra und Trey. "Oh, Himmel", seufzte Charlotte leise, "sie glaubt uns nicht." "Sie will uns nicht glauben", verbesserte er leise und legte einen Arm über ihre Knie, als hätte er das schon immer getan. "Aber ich glaube, dass tut sie nur, weil wir sie überzeugt haben." "Das ergibt keinen Sinn. Warum sollte sie uns nicht glauben?" "Weil sie ihr Geld mit Skandalen verdient und glückliche Ehen langweilig sind", antwortete er trocken. "Für die Auflage ihres Blattes wäre es viel günstiger, wenn Trey dir das Herz gebrochen oder deine Mutter eine Zweckehe arrangiert hätte, um den Farnsworths eins auszuwischen." "Genau das hat sie ja getan." "Das weiß ich, aber willst du, dass ganz Los Angeles es auch weiß?" "Oh, Himmel!" Charlotte hätte sich am liebsten in Luft aufgelö st. Sie wollte aufstehen, aber Derek hielt sie fest. "Wohin willst du?" "Nach Moskau." Sie stemmte sich gegen ihn. "Ich werde meinen Namen ändern, ein neues Leben beginnen..."
Derek schlang die Arme um ihre Taille. "Wir haben alles im Griff. Entspann dich, und vertrau mir. Du bist hier doch die Romantikerin, oder? Kommst du dir nicht ein wenig vor wie im Märchen?" Sie legte einen Arm um seine Schultern und lächelte, weil der Pressefotograf die Kamera auf sie richtete. "Wie in einem Alptraum. Und es ist alles deine Schuld!" "Du scheinst Carolines Beitrag zu vergessen." "Caroline hätte zugeben müssen, dass sie gelogen hat, wenn du nicht in die Bresche gesprungen wärst und dich zu meinem Ehemann erklärt hättest." Er furchte die Stirn. "Wäre dir das lieber gewesen? Dass Caroline sich blamiert und du die sitzengelassene Braut bleibst?" "Ich bin noch immer eine sitzengelassene Braut. Daran ändert die Show, die wir abgezogen haben, gar nichts." Sie seufzte. "Und natürlich will ich nicht, dass Caroline sich blamiert, aber sie kann sich nicht einfach ihre eigene Wirklichkeit konstruieren." "Sie hat es für dich getan." "Ich weiß", erwiderte Charlotte verärgert. "Aber was jetzt? Morgen wird irgend jemand, vermutlich ich selbst, der Presse beichten müssen, dass alles nur ein Scherz sei." "Warum?" "Weil es nicht wahr ist." "Für eine Frau, die Pressemitteilungen, die sich wie Romane lasen, verfasst und die Fakten bis zur Unkenntnis ausgeschmückt hat, bist du plötzlich sehr pedantisch. Warum entspannst du dich nicht und spielst einfach mit?" "Die Ehe ist kein Spiel", belehrte sie ihn. "Woher weißt du das?" konterte er. "Warst du schon einmal verheiratet?" "Nein", antwortete sie geduldig, "aber wenn ich es wäre, würde ich es nicht als Spiel ansehen." "Vielleicht scheitern die meisten Ehen genau daran", gab er zu bedenken, während die Gäste beim Anblick einer Pastamaschine in Verzückung gerieten. "Die Partner vergessen zu spielen." "Der Punkt ist", beharrte Charlotte, "dass wir die Leute getäuscht haben." "Oh, ich weiß nicht." Derek wurde ernst. "Ich war schon immer der Meinung, dass es unter anderen Umständen mit uns hätte klappen können. Der Kuss eben hat mir recht gegeben." Da war etwas gewesen. Etwas, das sie selbst bei dem Mann, den sie fast geheiratet hätte, nie erlebt hatte. Sie wich Dereks Blick aus und tat so, als würde sie die Gäste betrachten. "Wir haben nur gespielt. Das war nicht echt." "Wir haben gespielt", wiederholte er, "wie ein Mann und eine Frau, die sich etwas Wichtiges mitzuteilen haben." Das hatte sie gespürt. Aber es gefiel ihr nicht. Sie musterte ihn kühl. "Was wir uns zu sagen hatten, haben wir uns an dem Tag gesagt, als ich kündigte." "Das war beruflich", bemerkte er. "Ich rede vom Leben, von Liebe und Sex." "Mir dir will ich nichts davon", erwiderte sie brutal. Aber es war, als hätte sie mit einem Wattebausch auf eine Rüstung eingeschlagen. Derek schien es gar nicht registriert zu haben. "Deine Lippen haben etwas anderes gesagt." "Wenn du nicht damit aufhörst", stieß sie hervor, "werde ich schreien, dich ohrfeigen und entrüstet aus dem Haus marschieren. Dann kann jeder hier glauben, was er will." "Und Bitsy hätte genug Stoff für mehrere Tage." Das stimmte, aber Charlotte zog es vor, nicht darüber nachzudenken. Sie konzentrierte sich auf Kendra und Trey und ignorierte Derek, soweit das möglich war, wo sie doch auf seinem Schoß saß.
Plötzlich verschwamm alles vor ihren Augen. Mehrmals musste sie sich zwingen, wach zu bleiben. Sie hatte aus Nervosität nur drei Stunden geschlafen und hätte das zweite Glas Champagner nicht trinken sollen. Dann strich eine feste, warme Hand in weiten, entspannenden Kreisen über ihren Rücken, und Sekunden später war Charlotte eingeschlafen. Charlotte wusste nicht, wie spät es war, als ihr Kopf von Dereks Schulter rutschte und sie sich verwirrt im dunklen, menschenleeren Raum umsah. "Was ist passiert?" fragte sie. "Du bist eingeschlafen, und ich habe dich in den Armen gehalten. Davon habe ich schon immer geträumt", antwortete er lächelnd. Sie stützte einen Ellbogen auf seine Schulter und sah ihn an. "Dies ist kein Traum, Cabot", sagte sie, "sondern eine Lüge." "Dazwischen besteht kein sehr großer Unterschied." Er schob eine blonde Strähne hinter ihr Ohr. "Ein Traum ist etwas, das nur in unserem Kopf existiert. Eine Lüge ist in den meisten Fällen nur eine kreative Interpretation dessen, was ist. Bei beiden braucht man sich nur etwas Mühe zu geben, um den Traum zur Realität und die Lüge zur Wahrheit zu machen." Charlotte starrte ihn an und schüttelte sich. "Was für eine erschreckende Vorstellung." "Charlie!" rief Caroline und schaltete das Licht im Wohnzimmer an. "Gut, dass du wach bist. Elizabeth hat eine wundervolle Idee." Carolines leicht besorgter Ton passte nicht recht zu dem, was sie sagte. Neben ihr lächelte Elizabeth auf Charlotte und Derek hinunter. Charlotte schmiegte sich wieder an ihren falschen Bräutigam. Zum Teil, weil sie ihre Rolle weiterspielen musste, zum Teil aber auch, weil Elizabeths Miene ahnen ließ, dass das Netz sich noch fester um sie zusammenzog und Dereks Nähe Geborgenheit zu bieten schien. "Wirklich?" fragte Charlotte. "Was für eine?" "Kendra ist von deinen Kleidern begeistert", sagte Elizabeth. "Ich nehme an, sie wird das viktorianische mit dem hohen Kragen und den Schulterrüschen nehmen." Charlotte nickte. "Das Problem ist nur", fuhr Elizabeth fort, "dass alles andere nicht dazu passt - die Kleider der Brautjungfern, die Sträuße, die Tischdekoration für den Empfang. Daher haben Kendra und ich beschlossen, dich zu engagieren, damit du alles entsprechend umgestalten kannst. Du könntest nächste Woche bei uns wohnen, um alles gleich vor Ort zu erledigen. Geld spielt natürlich keine Rolle." Eine Woche mit Elizabeth? Welch grauenhafte Vorstellung. "Aber ihr habt doch alle eure Angehörigen von außerhalb unterzubringen", wandte Charlotte ein. Elizabeth zuckte mit den Schultern. "Wir haben genug Platz." Sie setzte sich auf den Stuhl ihnen gegenüber und lächelte betont verständnisvo ll: "Da ihr gerade erst geheiratet habt, würde ich nicht im Traum daran denken, euch zu trennen. Ihr könnt die beiden kleineren Gästehäuser nehmen. Die Presse wird im größeren wohnen." Charlotte versuchte sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Sie kannte das Anwesen der Farnsworths. Die beiden kleinen Gästehäuser befanden sich hinter dem großen Haus, an den beiden Längsseiten des Rosengartens, mit einem gemeinsamen Weg zum großen Haus. Und das Haus, in dem die Presse untergebracht war, besaß ein großes Fenster mit Blick auf den Garten. Bitsy würde jeden Schritt mitbekommen, den sie und Derek machten. Zu Charlottes Erleichterung lehnte Derek die Einladung ab, bevor sie es musste. "Es tut mir leid", sagte er ernst, "aber ich stecke mitten in Farnsworth-Morreaux' Plänen zur Übernahme von Windsor Tech. Ich habe keine Zeit..." "Unsinn!" Caleb Farnsworth betrat den Raum, gefolgt von Charlottes Vater. "Elizabeth hat so viele Pläne für die nächste Woche, dass ich gar nicht ins Büro kommen kann. Aber wenn du bei uns wohnst und Edward zu uns stößt, könnten wir Windsor Techs Vorschläge durchgehen und in unseren Vertrag einarbeiten."
"Ausgezeichnete Idee", stimmte Edward sofort zu. Er klopfte Caleb auf den Rücken und grinste Derek zu. "Raus aus dem Büroalltag mit seinen Krisen. Fast so gut wie ein Jagdausflug." Elizabeth blinzelte. Caroline warf Edward einen mitleidigen Blick zu. Charlotte fand seinen Vergleich nicht unpassend. Allmählich kam sie sich vor wie ein von Jägern gehetztes, erschöpftes Wild. Sie sah Derek flehend an, doch der zog nur die Augenbrauen hoch. "Nun ja, wir hatten keine Zeit für eine Hochzeitsreise", sagte er. "Was meinst du?" Raffiniert, dachte sie. Wenn sie die Einladung ausschlug, würde es aussehen, als wäre sie Treys wegen noch immer verbittert. Außerdem fanden Dereks Arbeitgeber das Arrangement ideal, und als ihr Angestellter konnte er sich ihnen schlecht verweigern. Doch bevor sie antworten konnte, erschien Kendra im Durchgang. Auf dem Kopf trug sie ein Krönchen aus Kristallblüten und Blättern, und die daran befestigte Schleppe reichte bis zum Boden. "Ist Trey weg?" flüsterte sie. "Ja", antwortete Elizabeth. "Aber ich musste ihm versprechen, dass du ihn nach dem Abendessen anrufst." "Oh, gut." Kendra strahlte. Sie strich am weißen, mit aufwendigen Spitzen verzierten Oberteil ihres Seidenkleids hinab und drehte sich mitten im Raum. "Du siehst atemberaubend aus, Kennie“, bemerkte Caleb. "Wunderschön", pflichtete Caroline ihm bei. "Es ist nur geliehen, Liebling", erinnerte Elizabeth sie prompt. "Bist du ganz sicher?" "Ich bin sicher", behauptete Kendra, bevor sie in ihrem Traum in Weiß vor Derek und Charlotte in die Knie ging. "Aber jetzt müssen wir alles andere entsprechend umarrangieren. Du kommst doch und hilfst mir, nicht wahr? Bitte, Charlotte, du musst!" Charlotte wollte nicht, aber sie verstand Kendras Problem. Es war Kendras Hochzeit, und dass ihre eigene Hochzeit in letzter Minute geplatzt war, änderte nichts daran, dass Kendra ein Recht auf eine perfekte Trauung hatte. "Natürlich helfe ich dir", sagte sie, und fast hätte Derek beide Frauen auf dem Schoß gehabt. Als Kendra raschelnd davonging, kam Bitsy Täte aus der Küche mit einer Kaffeetasse in der Hand, in der sie rührte. Charlotte zuckte zusammen, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Reporterin noch anwesend war. Bitsy schien es bemerkt zu haben und nippte lächelnd an ihrem Kaffee. "Nun ja, ich musste doch sehen, was aus Ihrem hübschen kleinen Auftritt wird. Er kommt garantiert auf die erste Seite meines Teils. Sie beide wollen also bei den Farnsworths bleiben, obwohl Sie noch nicht einmal Zeit für eine Hochzeitsreise hatten?" Charlotte sah ein, dass Widerstand zwecklos war. Aber sie hatte nicht vergessen, wem sie diese ausweglose Situation zu verdanken hatte, und nahm sich fest vor, es ihm heimzuzahlen. Sie schenkte Derek ein verführerisches Lächeln und strich mit dem Zeigefinger über seine Unterlippe. Die Rache konnte beginnen. "Jeder Moment, den wir zusammen verbringen, ist, als wären wir an einem tropischen Strand, nicht wahr, Liebling?" Er biss ihr zärtlich in den Finger. Als sie leise aufschrie und zurückzuckte, lächelte er. "Wie im Paradies", stimmte er ihr zu. "Wann ziehen wir ein?" Elizabeth musterte sie einen Moment. Dann lächelte sie gequält. "Morgen früh. Dann kann ich euch beim Lunch mit allen anderen Gästen bekanntmachen." "Edward und ich brauchen nicht zu kommen", versuchte Caroline sich aus der Affäre zu ziehen. "Wir sind ja nur ein paar Meilen entfernt. Wenn ihr uns braucht, können wir..." "Aber nein", beharrte Elizabeth. "Unser Haus ist größer als dieses." Sie sah sich um, als wäre die Südstaaten-Villa der Morreaux' unter ihrem Niveau. "Wir haben genügend Platz. Und du könntest mir helfen, mich um meine Mutter zu kümmern. Sie hat vor, die ganze Zeit in der
Küche zu verbringen, und ich kann mir kein weiteres Pfund leisten." Ihr Blick ließ erkennen, dass sie Carolines Figur für nicht mehr zu retten hielt. "So, Caleb. Sammeln wir unsere Tochter ein und brechen auf." Alle begleiteten die Farnsworths zur Tür. Derek ignorierte Charlottes warnenden Blick und legte einen Arm um ihre Schultern. Elizabeth verteilte ihre berührungslosen Umarmungen und bedankte sich bei Caroline und Edward. Kaum hatte die Tür sich hinter ihnen geschlossen, da wirbelte Charlotte zu Caroline herum. "Was, um Himmels willen, hast du bloß getan?" fuhr sie ihre Stiefmutter unter dem glitzernden Kronleuchter an. Caroline ließ sich nicht einschüchtern. "Nun ja, irgend jemand musste dir doch zur Hilfe kommen. Elizabeth fragt dich, was es bei dir Neues gibt, und du beginnst mit einem Geschäftsbericht." "Wenigstens war der ehrlich!" entgegnete Charlotte. "Caro, du hast ein Haus voller Gäste und Presseleute angelogen. Morgen wird in der Times stehen, dass Derek und ich verheiratet sind." "Charlie, schrei nicht so!" sagte Edward und legte schützend einen Arm um die Schulter seiner Frau. "Ich bin sicher, Caroline hat es nur gut gemeint." "Dad..." Charlotte bemühte sich, die Stimme zu senken. "Morge n müssen Derek und ich in ihr Gästehaus einziehen und bis zur Kcndras Hochzeit dort zusammen wohnen. Falls du es vergessen hast, wir sind nicht verheiratet. Wir mögen uns nicht einmal." Edward wirkte keineswegs entsetzt, sondern lächelte Derek an. "Gut gemacht, Sohn. Ich dachte schon, Caro wäre erledigt." "Gut gemacht?" wiederholte Charlotte ungläubig. "Gut gemacht! Er hat alles nur noch schlimmer gemacht. Er hat die Lüge bestätigt." Edward verdrehte die Augen und tätschelte ihre Schulter wie bei eine m trotzigen Kind. "Charlie, warum regst du dich auf? Denk doch einmal daran, was das alles für dein Geschäft bedeutet. Wenn die Leute Kendra in deinem Kleid sehen, werden sie dir die Boutique einrennen. Jeder wird so ein Hochzeitskleid bei dir leihen wollen." "Und stell dir vor, was Bitsy Tate daraus machen wird", ergänzte Derek. "Sie wird dich als verlassene Braut darstellen, die so edelmütig ist, ihrem Ex-Verlobter die Hochzeit zu retten." Caroline lächelte aufmunternd. "Man wird sagen, dass du das nur konntest, weil ein attraktiver Draufgänger dein gebrochenes Herz geheilt und es im Sturm erobert hat." Charlotte legte eine Hand auf den Bauch. "Mir ist schlecht." "Du wirst lernen müssen, mit der Berühmtheit zu leben", bemerkte Caroline ungerührt.
3. KAPITEL "Ich nehme die Seite an der Tür", sagte Derek, als er Charlotte ins Schlafzimmer des Gästehauses folgte. Charlotte warf einen Blick auf die pinkfarben geblümte Tapete und das halbe Dutzend Spitzenkissen auf dem Bett und drehte sich um. "Du kannst beide Seiten haben", sagte sie und drängte sich an ihm vorbei in das kleine Wohnzimmer. Sie stellte Kosmetikkoffer, Reisetasche und Kleidersack mitten im Raum ab und ging in die winzige Küche. "Und wo willst du schlafen?" Derek lehnte am Türrahmen und sah zu, wie sie Wasser in einen wie ein Fisch geformten Kessel laufen ließ. "Das Bad sieht chic aus, aber nicht sehr bequem." "Ich schlafe auf dem Sofa." Sie stellte den Kessel auf den Herd und suchte in den Schränken nach einer Tasse. "Es lässt sich nicht ausziehen", sagte er. "Kein Problem." Sie fand getöpferte Becher und machte sich auf die Suche nach Teebeuteln, Pulverkaffee, was auch immer. "Ich bewege mich nicht im Schlaf." "Ich bin Schlafwandler", erwiderte er. "Du bist im Wohnzimmer nicht sicherer als neben mir im Bett," Der Blick, den sie ihm zuwarf, verriet, was sie von seinem Versuch hielt, die Stimmung aufzulockern. Er war zwecklos, denn sie war am Morgen ohne jeden Sinn für Humor aufgewacht. Er hatte sie am Abend zuvor erst zu der Werkstatt gefahren, damit sie nach ihrem geliebten Duesenberg sehen konnte, und sie dann nach Hause gebracht. Als sie sich von ihm verabschiedete, hatte die Aussicht auf die kommende Woche sie zwar nicht gerade begeistert, aber sie hatte sich damit abgefunden. Aber an diesem Morgen war ihr die Vorstellung, eine Woche in diesem winzigen Haus zu verbringen - vor sich die Farnsworths, hinter sich die Presse - einfach unerträglich. Derek betrat die Küche. "Du bist anders als gestern abend. Was ist passiert?"
Sie versuchte vergeblich eine Teedose aufzubekommen. Er nahm sie ihr ab und öffnete sie
mühelos.
"Du hast meine Frage noch nicht beantwortet", erinnerte Derek sie, als er ihr die Dose reichte. "Möchtest du einen Tee?" fragte sie. "Es ist..." Sie starrte aufs Etikett, um Derek bloß nicht ansehen zu müssen. "... eine Mischung aus Oolong und Orange Pekoe." "Gern", erwiderte er und holte einen zweiten Becher aus dem Schrank. "Und eine Antwort möchte ich auch." Sie wickelte zwei Teebeutel aus und tat, als würde sie nachdenken. "Mal sehen. Ich habe ein paar Sachen gepackt, geduscht, Zähne geputzt, meinen Kakao getrunken und bin mit einem Buch ins Bett gegangen." "Sehr lustig." Er warf einen Blick in den kleinen Kühlschrank. "Genau die Verschlossenheit war es, die es so schwierig machte, mit dir zusammenzuarbeiten." Sie wirbelte herum, die Hände an den Hüften. "Es war nicht schwierig, mit mir zusammenzuarbeiten, sondern mit dir. Du wolltest mich herumkommandieren, und zwar nicht nur beruflich." "Das ist nicht wahr. Du bist einfach nur so verwöhnt und starrsinnig, dass du in jedem Vorschlag eine Kritik siehst." "Du wolltest mir vorschreiben, mit wem ich... ausgehe." Er unterbrach die Inspektion des Kühlschranks und lächelte Charlotte an. "Und hatte ich vielleicht nicht recht? Prentiss hat sich als ziemlicher Trottel erwiesen, oder etwa nicht?" "Er ist kein Trottel", verbesserte Charlotte, "sondern ein Feigling. Das ist ein Unterschied."
"Für mich nicht." "Bei Farnsworth-Morreaux musste ich tun, was du wolltest. In meinem Privatleben nicht." "Also bist du abgehauen." "Ich habe gekündigt", korrigierte sie. "Ist dasselbe." "Für mich nicht." Er nahm eine Schachtel mit Blaubeer-Muff ins heraus und stellte sie auf den Tresen. Dann nahm er zwei Teller aus dem Schrank. "Ich will keinen Muffin", sagte sie. Er stellte einen Teller weg und suchte im Kühlschrank nach Butter. "Was glaubst du, warum dein Vater mir die Leitung deiner Abteilung übergeben hat?" fragte er. "W eil ihr um Wochen zurücklagt und Prince Prentiss nichts unternommen hat. Offenbar hatte er im Job ebensoviel Angst vor dir wie im Bett." Charlotte schlug mit einem Geschirrtuch nach ihm. "Wie kannst du es wagen! Wie kannst du es wagen, dich zu einer Sache zu äußern, von der du keine Ahnung hast?" Er warf ihr einen nicht zu enträtselnden Blick zu und bestrich seelenruhig ein Muffin mit Butter. "Du bist nicht sehr gut geliebt worden", sagte er. "Das sehe ich deinen Augen an. Und wenn er dich wirklich glücklich gemacht hätte, würde ich es in seinen Augen sehen. Aber Fehlanzeige." "Oh, natürlich. Man sieht einem Menschen an, was er sexuell erlebt hat." "Genau. Es ist sehr subtil, aber man sieht es." Das Wasser kochte, und Charlotte goss es in die Becher. "Trey hatte keine Angst vor mir", sagte sie so beherrscht wie möglich. Warum reichten schon wenige Minuten in Dereks Gegenwart aus, um sie zum Schreien bringen? "Er hat mich nur so arbeiten lassen, wie ich es für richtig hielt." "Was dazu führte, dass nichts erledigt wurde." Sie griff nach ihrem Becher. "Warum gibst du nicht einfach zu, dass du mich noch nie leiden konntest?" fragte sie und marschierte ins Wohnzimmer. Derek schob sich den letzten Bissen vom Muffin in den Mund und ging hinterher. "Meine persönlichen Gefühle hatten nichts damit zu tun", gab er ihr zu verstehen. Und kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als ihm bewusst wurde, dass er einen Fehler gemacht hatte. Es war eine Lüge, keine Frage, aber nicht so, wie sie glaubte. "Du wolltest mich nicht in der Firma haben", sagte sie, während sie ihren Becher auf den Glastisch stellte und sich in die Mitte des grünen Sofas setzte. "Weil du, schon bevor du mich überhaupt kanntest, wusstest, dass ich die verwöhnte Tochter des Chefs war und meinen Job nicht durch Leistung, sondern durch Beziehungen bekommen hatte. Und das passte dir nicht, weil du nie etwas geschenkt bekommen hast. Du musstest dir immer alles erkämpfen. Also hast du mich bekämpft." Er stellte seinen Becher neben ihren und zog sein Jackett aus. Sie hatte recht. Genau das hatte er gedacht. Sie hatte den Job bekommen, weil ihr Vater sie in seiner Nähe haben wollte. Und als die Firma noch kleiner gewesen war, hatte sie ihre Arbeit auch bewältigen können. Doch die Übernahme anderer Firmen und die Erweiterung der Produktpalette hatten bald eine PR-Abteilung erfordert, die schnell reagieren konnte. Schon nach wenigen Tagen hatte er festgestellt, dass Charlottes lockerer Arbeitsstil damit nicht zurechtkam. "Eigentlich war ich gern mit dir zusammen", sagte er und warf das Jackett über den Schaukelstuhl. "Aber es war nicht der richtige Job für dich." Er setzte sich in eine Ecke des Sofas und schlug die Beine übereinander. "Ich finde, wir sollten nicht übers Büro reden. Schließlich sind wir in den Flitterwochen." Er lächelte. "Von uns wird erwartet, dass wir dieses Haus in das sonnige Tropenparadies verwandeln, von dem du den Farnsworths erzählt hast."
Sie setzte sich auf. Das Sofa war viel zu weich. Eine Nacht darauf, und sie würde den nächsten Monat in einem Stützkorsett verbringen müssen. "Ich habe nur meine Rolle gespielt." "Und zwar sehr gut. Du brauchst nur noch eine Woche durchzuhalten, und wir haben die Sache hinter uns." Charlotte nahm einen Schluck Tee. "Ich mache das hier nur mit, weil ich meinen Eltern nie weh tun würde..." "Ich verstehe." "Und ‚Geliehener Zauber' fängt gerade an zu florieren. Ich kann mir keine schlechte Presse leisten." "Natürlich nicht." Sie seufzte dramatisch. "Sei nicht so herablassend." Derek wandte sich ihr zu. "Musst du an allem Anstoß nehmen? Ich habe dir doch nur zugestimmt. Auch ich möchte Ed und Caroline nicht weh tun, und eine schlechte Presse ist nie gut. Entspann dich, ja? Wenn du so weitermachst, werden alle sich fragen, was ich an dir finde." "Nein, das werden sie nicht. Die Tochter des Chefs zu heiraten, galt schon immer als schlau." Aber sie wusste, dass er alles andere als ein Opportunist war. Er hatte nie versucht, über sie an ihren Vater heranzukommen, aber er hatte dafür gesorgt, dass sie die Firma verließ. Sie musste es wissen. "Warum tust du das hier?" Er trank einen Schluck Kaffee, bevor er antwortete. "Dein Vater erinnert mich an meinen. Nur dass meiner zu früh gestorben ist, um all seine großen Ideen in die Tat umzusetzen." Das überraschte Charlotte. Ihr war nie in den Sinn gekommen, dass auch Derek eine Familie hatte. Er wirkte so einzelgängerhaft. "Was hat dein Vater gemacht?" "Er hat Elektrogeräte verkauft und repariert." Derek lächelte und drehte den Becher zwischen den Händen. "Er besaß ein Geschäft in Salem, Oregon, und eins in Cornvallis. Und er hat immer davon geträumt, in einem Shopping-Center ein großes Möbelgeschäft zu eröffnen, war aber stets zu beschäftigt, um es in Angriff zu nehmen." Sein Lächeln verblasste. "Er ist an einem Herzinfarkt gestorben, als ich im zweiten High School-Jahr war." Charlotte konnte es kaum glauben. Derek Cabot hatte seinen Vater geliebt und vermisste ihn. Plötzlich leuchteten seine Augen. "Außerdem konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, herauszufinden, ob du auch in meinen Armen und in meinem Bett die Winterprinzessin bleibst." "Die was?" "Die Winterprinzessin", wiederholte er und stellte den Becher auf den Tisch. "Du weißt schon, die arrogante, unnahbare Person, zu der du immer wirst, wenn du jemanden nicht magst." Er machte ihre hochgezogenen Augenbrauen nach, den kühlen Blick, die abweisende Kopfbewegung. "Natürlich sieht es mit langem blonden Haar besser aus, aber du weißt, was ich meine." "Das weiß ich nicht!" widersprach sie und wusste nicht, ob sie lachen oder protestieren sollte. Seine Imitation war eher humorvoll als kritisch. "Bitte", sagte er. "Eins von den dreien machst du dauernd. Es gibt noch ein paar typische Gesten, aber die könnte ich nie kopieren, also versuche ich es erst gar nicht. Hast du Angst, deine Würde zu verlieren, wenn du bei einem Mann Herzklopfen bekommst?" "Natürlich nicht", erwiderte sie mit genau dem Blick, den sie angeblich nie einsetzte. "Nichts könnte mich dazu bringen, meine Würde zu verlieren." "Oh..." sagte er gedehnt und musterte sie ernst. "Was für eine Herausforderung. Wollen wir es testen?"
Eine Mischung aus Nervosität und Erregung machte sich in ihr breit. Aber im Moment hatte sie genug von Männern, und sie hatte noch nie gern mit der Gefahr geflirtet oder das Schicksal herausgefordert. "Schönen Dank, aber der letzte Test war vor einem Jahr, als ich in der Kirche nach vorn ging und am Altar niemand auf mich wartete." Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. "Ich war verletzt, aber ungebeugt. Und das werde ich bleiben." Seine Hand wanderte über die Rückenlehne, bis er ihr mit einer Fingerspitze über die Wange streichen konnte. "Das muss unbequem sein. Ich wette, ich könnte dich dazu bringen, dass deine Knie nachgeben." "Dann würde ich hinfallen", erwiderte sie spitz. "Ich würde dich auffangen. Genau darum geht es doch." "Weißt du", sagte sie, denn ihr fiel keine schlagfertige Erwiderung ein, "das Thema langweilt mich. Vergiss es. Ich bin glücklich, wie ich bin, danke." Sie blickte auf die Uhr und stand auf. "Wir sollten uns zum Lunch umziehen." "Umziehen?" Sie sah an ihrem modischen Seidenoverall hinab. "Ich werde ein Kleid anziehen." Er erhob sich gemächlich. "Tut man das noch? Ich dachte, man zieht sich nur noch in Filmen über die bessere Gesellschaft zum Essen um." "Nun ja, wir sind hier bei den Farnsworths", sagte sie und warf den Kleidersack über den Sessel. Derek nahm seine Tasche und steuerte das Bad an. "Du kannst das Schlafzimmer haben", sagte er über die Schulter. "Zieh dich dort um. Ich werde auf dem Sofa schlafen, aber meine Tasche im Schlafzimmer lassen, damit niemand merkt, dass wir getrennt schlafen." "Es macht mir nichts aus, das Sofa zu nehmen." "Wie du willst. Ich würde mich jedenfalls über deine Gesellschaft freuen", erwiderte Derek und drehte sich lächelnd zu ihr um. Jedes Nervenende in ihrem Körper vibrierte. Charlotte legte den Kopf auf die Seite, um sich das Haar zu bürsten und es dann mit einem schwarzen Band am Nacken zusammenzuhalten. Das Kribbeln unter der Haut war ein eigenartiges Gefühl, das sie noch nie erlebt hatte. Nervosität? Nein, Stress und Termine waren ihr nicht fremd. Seit der Geschäftseröffnung hatte sie genügend Hochzeiten arrangiert, um mit allen Problemen fertig zu werden. Dies hier war anders, persönlich. Wieso wundert dich das, fragte sie sich und strich über den Spitzenkragen ihres romantisch geblümten Kleids. Du lebst eine Lüge mit einem Mann, der es darauf abgesehen hat, dich durcheinanderzubringen. Doch kaum öffnete sie die Tür und sah Derek mitten im Wohnzimmer stehen, mit einem frischen blauen Hemd unter dem Tweed-Sakko, da wusste sie, was es war... sexuelles Interesse. Toll, dachte sie. Du sollst hier die Show deines Lebens abziehen, weil du sonst deine Eltern erniedrigst und deinem Geschäft Lebewohl sagen kannst, und was passiert? Deine Hormone gehen mit dir durch. Derek streckte einen Arm nach ihr aus, als sie näher kam. Sie wollte ihn gerade auffordern, sich seine theatralischen Bemühungen für die eventuellen Zuschauer aufzusparen, als ihr aufging, dass sie eine Zuschauerin hatten. Bitsy Tate saß im Schaukelstuhl und wippte sanft vor und zurück. "Bitsy meint, wir können ebensogut zusammen ins große Haus gehen", sagte Derek. Charlotte schmiegte sich anmutig in seinen Arm. "Besteht die Gefahr, dass wir es allein nicht finden?" "Ich dachte nur, wenn Sie beide sich dauernd in die Augen schauen, verlaufen Sie sich am Ende noch." Bitsy stand auf und streifte sich die Umhängetasche über. "Aber ich kann Ihnen einen Vorsprung geben, wenn Sie möchten."
"Schön, dass Sie da sind", sagte Derek und bot ihr den freien Arm an. "Morgens haben wir gern Gesellschaft. Nachts sind wir lieber allein." Kendras zwei Brautjungfern waren schon eingetroffen, die eine ein kleiner Rotschopf aus Boston, die andere eine junge Frau aus Boston mit Harvard-Akzent und dunkler Lockenpracht. Kendra erzählte, dass sie die beiden auf dem College kennengelernt habe und sich jeden Winter in Gstaad und jeden Sommer in Cozumel mit ihnen treffe. "Damit ist jetzt natürlich Schluss", verkündete die buntgekleidete kleine ältere Frau, die in Turnschuhen in den riesigen Salon geschlendert kam, in dem Kendra die Gäste miteinander bekannt machte. "Jetzt musst du zu Hause bei deinem Mann bleiben und dich um die Kinder kümmern." "Mutter", sagte Elizabeth seufzend, "ich dachte, du wolltest in der Küche helfen?" "Tue ich doch", erwiderte die Frau fröhlich. "Ich wollte nur höflich sein und die Freunde meiner Enkelin begrüßen." Elizabeth drehte sie wieder in Richtung Küche. "Wir wollten gerade..." "... essen. Ich weiß." Elizabeths Mutter schüttelte die Hand ihrer Tochter ab und musterte interessiert die Neuankömmlinge. "Hoffe, es schmeckt Ihnen. Es gibt Quiche. Sieht zwar nicht sehr nahrhaft aus, aber Sie kennen ja Lizzie. Sie muss auf ihre Linie achten." Lachend verpasste sie Elizabeth einen Klaps auf den Po. Elizabeth wäre fast nach vorn gekippt, und Caleb fing sie auf. Charlotte musste etwas unternehmen, um nicht laut zu lachen. Hastig streckte sie Kendras Großmutter die Hand entgegen. "Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Charlotte Mo..." Sie verstummte gerade noch rechtzeitig und lächelte entschuldigend. "Cabot. Charlotte Cabot", verbesserte sie. "Ich habe gerade erst geheiratet und vergesse dauernd, dass ich keine Morreaux mehr bin." "Ich bin Babs McGuffy." Elizabeths Mutter schüttelte ihr die Hand und betrachtete Derek interessiert. "Sind Sie der Ehemann?" "Ja, Ma'am", antwortete er und verbeugt sich kurz. "Derek Cabot." "Sie sehen verdammt gut aus, Derek", sagte sie, bevor sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn zu sich herabwinkte. "Aber Sie müssen sich mehr Mühe geben, wenn sie vergisst, dass sie Ihren Namen trägt", flüsterte sie so laut, dass alle es hören konnten. Die Frauen lachten. Bis auf Elizabeth, die sich offenbar noch nicht von Babs' Klaps erholt hatte. Edward und Caleb grinsten sich an. Charlotte spürte, wie sie bis zum Haaransatz errötete. Derek nickte. "Da haben Sie recht. Ich werde Ehren Rat beherzigen." "Aber wie ich höre, haben Elizabeth und Kendra Sie beide aus den Flitterwochen geholt, damit Sie bei dieser Show helfen. Kein Wunder, dass die kleine Lady sich noch unsicher fühlt." Sie wandte sich Charlotte zu. "Sind Sie für das Kleid verantwortlich, das Kendra tragen wird?" Charlotte hob das Kinn. "Ja, das bin ich", antwortete sie auf alles gefasst. Babs nickte und verpasste ihr denselben Klaps, den Elizabeth bekommen hatte, traf sie allerdings am Ellbogen. Charlotte hatte das Gefühl, dass er gebrochen war. "Wunderschönes Kleid. Verleiht der Show etwas Klasse. Das einzig Echte hier, außer meinen Kuchen. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen." Babs griff nach Charlottes und Dereks Handgelenken und zog sie hinter sich her. Charlotte warf den Farnsworths und ihren Gästen einen Blick über die Schulter zu. "Entschuldigen Sie uns", sagte sie. Als sie das Gesicht wieder nach vorn drehte, sah sie, wie sehr Derek sich amüsierte. Nicht weniger als sie. Babs war in dieser Hochburg der guten Manieren eine freudige Überraschung. Die Küche war so groß wie die eines Restaurants und technologisch auf dem allerneuesten Stand. Die Abendessen der Farnsworths waren legendär.
Eine füllige ältere Frau in einer Schürze sah von den Salaten auf, die sie gerade mit Orangenscheiben dekorierte. Sie lächelte Babs freundlich zu, dann erkannte sie Charlotte. "Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit, Miss Morreaux", sagte sie, bevor ihr Blick Derek erfasste. "Guten Morgen, Sir." "Pauline, dies ist mein Mann Derek Cabot", stellte Charlotte ihn vor und war erstaunt, wie leicht die Worte ihr von den Lippen gingen. "Derek, dies ist Pauline Miller, eine der besten Köchinnen in ganz Südkalifornien." Derek winkte ihr mit der freien Hand zu. "Freut mich, Sie kennenzulernen, Pauline. Ich habe schon viele Ihrer Gerichte genießen dürfen." Pauline musterte ihn einen Moment, dann nickte sie Charlotte zu. "Gute Arbeit, Mrs. Cabot." Babs gab ihren Gefangenen frei und riss ein Tuch von einem großen Topf, der eine vanillefarbene teigartige Substanz mit Nüssen, Rosinen und anderen Trockenfrüchten enthielt. "Riechen Sie mal daran!" befahl sie. Charlotte und Derek kamen der Aufforderung nach. "Ich mache ihn mit meinem eigenen Sauerteig. Uraltes Familienrezept", verkündete Babs. Derek beugte sich so weit vor, dass sein Kinn Charlottes Haar berührte. Sie nahm den Duft seines Rasierwassers wahr und spürte den leichten Druck seiner Hand an ihrem Rücken. Alles in ihr schien plötzlich schneller zu werden - Herzschlag, Atem, Blutkreislauf .Hastig richtete sie sich auf und blickte ihn verärgert an. Er setzte eine unschuldige Miene auf. "Eigentlich wollte ich Kennies Hochzeitstorte damit machen", sagte Babs und deckte den Topf sorgfältig wieder zu. "Ich habe den Teig extra aus Bitterroot Valley in Montana mitgebracht. Aber Lizzie meint, ihre Gäste erwarten so einen Riesenturm aus dieser protzigen Konditorei am Rodeo Drive." Sie verdrehte die Auge n. "Mit Kristallvögeln drauf." Sie seufzte. "Komisch, dass die guten alten Sachen nicht mehr in die heutige Welt passen. Deshalb komme ich auch nur noch her, wenn es nicht anders geht." Charlotte legte tröstend einen Arm um sie. "Ich kann kaum abwarten, ihn zu probieren." Babs lächelte. "Wirklich schade, dass ich nicht hier war, um eine Torte für Ihre Hochzeit zu backen." Charlotte beschloss, auf das Angebot zurückzukommen, falls es jemals eine Hochzeit für sie geben sollte. "Nun ja, es ging alles sehr schnell. Wir hatten nicht einmal eine Torte." Babs schien sich darüber zu freuen. "Dann backe ich Ihnen eine, nur für Sie beide. Wissen Sie, all die Nüsse und Früchte sind gut für die Fruchtbarkeit." Sie zwinkerte Charlotte zu. "Und vielleicht helfen Sie Ihnen auch, sich Ihren neuen Namen zu merken." Derek lachte, als Charlotte ihm einen hilflosen Blick zuwarf. "Danke, Babs", sagte er. "Gut zu wissen, dass Sie auf meiner Seite sind." "Mutter? Mutter!" Elizabeths scharfe Stimme drang in die Küc he. "Ich möchte, dass Pauline jetzt den Lunch serviert. Bringst du bitte die Cabots her?" Die Art, wie sie den Namen aussprach, ließ erkennen, dass sie noch immer Zweifel hegte. "Schon gut, schon gut." Babs schob Charlotte und Derek zur Tür. "Gehen wir, bevor sie ganz ausflippt. Ich bin gleich wieder da und helfe Ihnen, Pauline." "Mrs. McGuffy, Sie sind ein Gast", erwiderte Pauline. "Ich komme schon zurecht." Babs half Pauline beim Servieren und Abräumen. Niemand störte sich daran. Nur Elizabeth schien nicht zu wissen, ob sie ihre Mutter ermorden oder in den Erdboden versinken sollte. Nach dem Lunch ging Charlotte in Kendras Zimmer, um sich die Kleider der Brautjungfern anzusehen. Die Männer zogen sich in Ca- lebs Arbeitszimmer zurück. Elizabeth folgte ihrer Mutter in die Küche, vermutlich um ihr eine Standpauke zu halten. Charlotte saß auf der Bettkante, während Kendra sich vor ihr drehte. "Mutter hat es selbst entworfen. Es hat ein Vermögen gekostet und ist so hässlich. Sie und Jean Michel streiten sich noch immer, wer es verbrochen hat."
Charlotte zweifelte nicht daran, dass Elizabeth es erst ihrer Tochter und dann dem bedauernswerten Designer aufgezwungen hatte. Ohne Rücksicht auf den wertvollen Besatz zog Kendra das Kleid aus und warf es hinter Charlotte aufs Bett. Dann streifte sie sich ein wunderschönes viktorianisches Kleid über. Es legte sich wie eine Wolke um sie und ließ sie trotz des zerzausten Haars anmutig und elegant wirken. "Kendra..." begann Charlotte, doch in diesem Moment legte Briane, die rothaarige Brautjungfer aus Boston, den Arm um Kendras Schultern. "Hast du vielleicht ein Glück, eine Hochzeitsexpertin zur Freundin zuhaben." "Stimmt." Denise, die zweite Brautjungfer, wies mit dem Daumen auf das Kleid auf dem Bett. "Du hättest sie fragen sollen, bevor du das da geordert hast." Kendra sah Charlotte an, und für einen Moment lag in ihrem Blick ein Ernsthaftigkeit, die nicht zu dem verwöhnten Mädchen passte, mit dem Charlotte aufgewachsen war. Obwohl sie in der Öffentlichkeit noch immer wie die jüngere Version von Elizabeth wirkte, hatte sich in ihr etwas verändert. Zwischen den beiden Frauen entstand eine neuartige Beziehung, die eher auf Respekt als auf Zuneigung basierte, aber weit tiefer war als die bisherige. "Danke", sagte Kendra, "dass du die Flitterwochen unterbrochen hast, um mir zu helfen." Mir einem Schulterzucken schlüpfte Charlotte in ihre Rolle zurück. "Du weißt ja, wie die Männer bei Farnsworth-Morreaux sind. Ein Leben ohne Arbeit ist undenkbar. Derek ist lieber hier als an einem sonnigen Strand." "Ich werde nicht zulassen, dass Trey so wird", sagte Kendra leise. Charlotte nickte. "Viel Glück. Wenn du mich jetzt entschuldigst, besorge ich, was wir noch brauchen, und berichte dir darüber beim Abendessen." "Gut. Bis dann." Charlotte eilte das mahagonigetäfelte Treppenhaus hinunter. Sie konnte es kaum erwarten, aus dieser Hollywoodkulisse von Haus weg und in die überfüllte, abgasgeschwängerte Innenstadt von Los Angeles zu kommen. Erst auf dem Weg zu den Garagen fiel ihr ein, dass sie keinen Wagen hatte. Sie steuerte Dereks Porsche an. Der Driver kam mit hochgekrempelten Ärmeln aus der Garage. Charlotte kannte ihn gut. Er hatte sie und Kendra oft gefahren, als sie noch Mädchen waren. "Kann ich Ihnen helfen, Miss Morreaux? Mrs. Cabot, meine ich." "Haben Sie Mr. Gabots Wagenschlüssel, Henry?" „Ja " "Geben Sie mir den bitte?" "Natürlich." Er verschwand im Schatten und kehrte mit einem kleinen Messingring zurück, an dem vier oder fünf Schlüssel baumelten. Er reichte ihn ihr, und sie wollte gerade den Zeigefinger durch den Ring schieben, als eine Männerstimme ertönte. "Kommt nicht in Frage!" Charlotte drehte sich um. Hinter ihr stand Derek. "Oh..." begann sie, doch dann fiel ihr gerade noch rechtzeitig ein, welche Rolle sie zu spielen hatte. "Liebling. Ich dachte, du hast eine Besprechung." "Hatte ich." Er nahm Henry die Schlüssel ab. "Willst du weg?" "Ich muss ein paar Sachen für die Kleider der Brautjungfern besorgen. Da mein Wagen noch in der Werkstatt ist, dachte ich mir, du hattest bestimmt nichts dagegen, wenn ich deinen nehme." Sie lächelte Henry zu, um Derek daran zu erinnern, dass sie nicht allein waren. Derek sah Henry an. "Haben Sie Ihre Frau schon einmal Ihren roten Mustang fahren lassen, Henry?" "Noch nie."
"Sehr vernünftig. Ich lasse Mrs. Cabot nie meinen Porsche fahren." Er lächelte. "Denken Sie daran, wenn sie Sie das nächste Mal um meine Schlüssel bittet." Henry nickte. "Ja, Sir." Charlotte verdrehte die Augen. "Ich hatte noch nie einen Unfall." Sie blickte von einem Mann zum anderen. "Kann einer von euch das von sich behaupten?" "Ich hatte mal einen", gab Henry zu. "Als ich einer Frau ausweichen musste, die auf einer Highway-Auffahrt wendete." "Ich bin mal von einer Frau gerammt worden, als sie einzuparken versuchte", berichtete Derek. Charlotte schlug die Hand vors Gesicht. "Ich würde liebend gern hierbleiben und mir anhören, wie ihr euch beweihräuchert, aber ich muss nach Los Angeles. Könnte einer von euch mich fahren?" "Gern, Ma'am", sagte Henry. "Dafür bezahlt Mrs. Farnsworth mich." "Danke, Henry." Derek wog die Schlüssel in der Hand. "Ich fahre. Sie bleiben hier und bewachen die Garagen vor raubgierigen Frauen." Henry lachte herzhaft. "Ich werde mich für die Wagen opfern." Derek öffnete Charlotte die Beifahrertür und lächelte dem Driver zu. "Sie sind ein Mann nach meinem Herzen, Henry Phillips." "Weißt du", sagte Charlotte, als sie rückwärts aus der Garage fuhren und wendeten, "ich bin heilfroh, dass du nicht mein Mann bist." Er strahlte sie an. "Ich weiß. Aber bevor diese Sache vorüber ist, wirst du dir wünschen, ich wäre es. Vielleicht wirst du mir einen Heiratsantrag machen." "Nur in deinen Träumen, Cabot." "Genau da bist du, Charlie", sagte er und gab Gas.
4. KAPITEL
"Puh!" rief Charlotte, als Derek ihr aus dem flachen Porsche half. "Aus deinem Wagen zu steigen ist, als ob man aus dem Keller kommt. Sehe ich aus, als hätte ich an einem Hochofen gearbeitet oder so etwas?" Lächelnd tastete er nach dem Perlmuttknopf, der sich an ihrer Bluse geöffnet hatte. "Nein, aber mir ist heiß", antwortete er und schaute ihr tief in die Augen. Sie hoffte, nicht zu erröten. "Niemand beobachtet uns, Cabot. Du kannst du selbst sein." "Das bin ich", murmelte er. "Derek..." "Eins noch." "Was?" Er zog an dem schwarzen Band, das ihr Haar zusammenhielt. Es löste sich, und die lange blonde Pracht ergoss sich über die Schultern. Er warf das Band in den Wagen und schloss die Tür. "So", sagte er, bevor er die Hand in ihrem Haar vergrub und es mit gespreizten Fingern kämmte. In seinen Augen spiegelte sich etwas, ein Gefühl, ein Ausdruck, den sie nicht analysieren konnte. "Es fühlt sich an wie die Töne eines Cellos", sagte er ernst. Sie starrte zu ihm hoch, gefangen in der samtigen Dunkelheit seiner Augen. Und in der Vorstellung. Sie erinnerte sich an eine Melodie, die sie einmal bei einem Cello-Solo gehört hatte. Sie wusste nicht mehr, wo oder wann es ge wesen war. Aber sie war sanft und weich und herzergreifend gewesen. Er legte den Arm um sie und führte sie in das Geschäft. Ganz ruhig, Sagte Derek sich, während er Charlotte zwischen den unzähligen Stoffballen hindurch folgte. Du kennst dich. Risiko gehört zu deinem Erfolg. Aber das hier ist eine Frau, widersprach er sich selbst, kein geschäftlicher Konkurrent. Aggressivität beeindruckt nicht, sondern schreckt nur ab. Was du hier brauchst, Mann, ist Stil. Charlotte blieb so abrupt stehen, dass er mit ihr kollidierte. Sie lächelte ihm entschuldigend zu, flüchtig, über die Schulter. Seit sie das Geschäft betreten hatten, schien sie sich in eine andere Person verwandelt zu haben. Sie zog einen Ballen purpurroten Stoff vom Tisch und wollte ihn Derek in die Hände drücken. "Könntest du den halten, bitte?" Er sah sich um. "Muss ich?" "Selbstverständlich. Ich musste mich bisher mehr als einmal erniedrigen lassen, weil du meine Stiefmutter retten musstest. Diesen kleinen Gefallen kannst du mir ja wo hl tun." Er nahm ihr den Ballen noch immer nicht ab. "Aber ich erwarte eine Gegenleistung." "Und die wäre?" "Etwas Ehefrauliches", erwiderte er. "Ein Streicheln am Rücken. Ein Kuss, einfach nur so." Sie drehte sich wieder zum Tisch, um den Ballen dort auszurollen und den Stoff zu prüfen, doch dort lagen die anderen Ballen kreuz und quer. Seufzend wandte sie sich um. Sie brauchte seine Hilfe. "Du hast im Gästehaus genügend Zeit dafür", ermutigte er sie. Sie drückte ihm den Ballen in die Hände, sicher, dass sie ihm irgendwie würde ausweichen können. Der Ballen tanzte auf seinen Armen, als sie ihn entrollte. "Perfekt", bemerkte sie, bevor sie ihn wieder aufrollte und einen zweiten hervorzog, dessen Rot noch dunkler war. Charlotte legte ihn zum anderen auf seine ausgestreckten Arme und dirigierte ihn lächelnd zu einer Reihe Einkaufswagen. "Lass uns einen Wagen nehmen", sagte sie lächelnd. "Sonst wird mir dein Preis zu hoch." "Zwei Ballen", sagte er und hielt die Ballen fest, als Charlotte sie in den Wagen legen wollte. "Das bedeutet, ich bekomme das Streicheln und den Kuss."
Charlotte schüttelte den Kopf. "Kein Wunder, dass Daddy dich sämtliche Verträge aushandeln lässt. Komm schon, ich möchte mir die Seidenblumen ansehen." "Oh, nein!" Ein zweiter Raum im hinteren Teil des Geschäfts enthielt Seidenblumen in allen erdenklichen Formen und Farben. "Eine braune Rose?" Derek zog eine aus einem Rankgitter, das die seidigen Kreationen echt wirken lassen sollte. "Ich habe noch nie eine braune Rose gesehen." Sie steckte die Rose zurück und zog ihn zu einem Ständer mit Teerosen. "Ich suche eine lavendelfarbene, die zu diesen Stoff passt." Charlotte zeigte auf die Ballen. "Such du auf der anderen Seite." "Lavendelfarbene Rosen?" wiederholte er skeptisch. "Habe ich auch noch nie gesehen." "Offenbar hast du noch nicht viele Rosen gesehen", sagte sie und griff nach einer betrachtete sie kurz, fand die Schattierung jedoch zu kühl. "Die Sterling Silver, eine wunderhübsche lavendelfarbene Rose, ist schon vor Jahren gezüchtet worden. Ich bin sicher, dass es inzwischen noch mehr gibt." "Wenn ich Rosen schicke", sagte er und verschwand hinter dem Ständer, "dann sind sie rot." "Nicht sehr originell." "Aber persönlich", kam es zurück. "Und sie sagen nicht: ,Ich habe überall nach einer Farbe gesucht, die nicht aus der Natur, sondern aus dem Labor stammt.' Sie sagen..." Sie umrundete den Ständer und stand plötzlich vor ihm. "Sie sagen: ,Diese roten Rosen sind Ausdruck meiner Leidenschaft und haben die Farbe meines Herzens, meines Blutes, meines Feuers.'" Das erregende Gefühl, das sie plötzlich durchströmte, passte nicht in ein Geschäft voller Stoffe und Seidenblumen, aber Derek schien sich seine eigene Atmosphäre, seine eigene Realität zu erschaffen. "Ich würde dir nie eine lavendelfarbene Rose schicken", sagte er, bevor er einen Schritt nach hinten machte und Charlotte endlich wieder atmen konnte. Er zog eine rosefarbene Rose hinter dem Rücken hervor. "Die hier?" "Ja, ich glaube, die kommt hin." Charlotte hielt sie an die Stoffe. "Genau richtig", verkündete sie und lächelte zu ihm auf. "Willst du nicht für mich arbeiten?" Die Rosen steckten so hoch, dass sie die nicht erreichte, und er holte ihr mehrere Dutzend herunter. "Klingt verlockend", antwortete er. "Aber ich brauche die Aufregung, das Risiko, die Herausforderungen, die mein Beruf mit sich bringt." Sie musterte ihn nachdenklich, während er die letzten Rosen in den Wagen legte. "Klingt aber nicht nach einem Mann, der rote Rosen verschickt", erwiderte sie leise und steuerte eine Schale mit winzigen Seidenblüten an. "Ich glaube, du bist vielschichtiger, als du wirkst. Vielleicht sogar vielschichtiger, als dir bewusst ist." "Wo wir schon von vielschichtig reden", entgegnete er und hielt eine Blüte an die, die sie aus der Schale genommen hatte. "Wieso geht eine junge Frau, die vor dem Altar stehengelassen wurde, ausgerechnet in die Hochzeitsbranche? Ist das nicht ziemlich masochistisch?" "Nein." Sie wühlte in der Schale und fand mehrere zusammenhängende Blüten in genau der richtigen Farbe. Derek legte sie in den Wagen. "Die Hochzeiten haben nichts mit mir zu tun. Ich sorge mit meinen Kleidern und Arrangements für romantische Trauungen. Es ist ein Geschäft, mehr nicht. Ich nehme es nicht persönlich." "Charlie", sagte er leise, "das ist Unsinn." Umgeben von Seidenblumen in allen Farben wirbelte sie verärgert zu ihm herum. "Und woher willst du das wissen?" "Ich habe ein Jahr lang mit dir zusammengearbeitet. Du nimmst alles persönlich, was du tust. Und ich weiß noch, wie deine Augen strahlten, wenn Prentiss in den Raum kam. Bei dieser Hochzeit kannst du bestimmt nicht behaupten, dass du alles rein geschäftlich siehst."
Sie machte eine wegwischende Bewegung und nahm ihm den Einkaufswagen ab. "Das bedeutet nicht, dass ,Geliehener Zauber' keine gute Arbeit leistet." "Du bist , Geliehener Zauber'", sagte er auf dem Weg zu einem Ständer mit Perlen, Kränzen und Girlanden. "Vielleicht wäre es gesünder, wenn du zugeben würdest, dass es dich ein wenig schmerzt." "Tut es nicht." Sie griff nach einer Kette, dessen Holzperlen nicht größer als Stecknadelköpfe waren. "Es ist mir nicht mehr wichtig." "Was? Trey oder das Heiraten?" "Beides." "Fällt es dir deshalb so schwer, so zu tun, als wärest du mit mir verheiratet?" Sie nahm die Kette vom Haken. "Es fällt mir schwer, weil es eine Täuschung ist, mit der wir uns noch gewaltig blamieren werden." "Werden wir nicht", beruhigte er sie. Dann schaute er ihr in die Auge n. "Vorausgesetzt, du entkrampfst dich und machst ganz locker mit. Oder kannst du das nicht?" Charlotte seufzte schwer und konterte: "Du hast die Wahl." Sie hob die Kette hoch. "Entweder ich erwürge dich mit diesem Ding hier, oder du hältst den Mund." Erst als sie sein gelassenes Lächeln bemerkte, fiel ihr wieder ein, was er über das Risiko und die Herausforderungen gesagt hatte. Charlotte ließ die Kette sinken. "Du hast keine Angst vor mir", sagte sie. "Ist es das, was du mir beweisen willst?" Derek lachte, fasziniert von dem Temperament, das sich hinter der kühlen Fassade verbarg. "Doch, ich habe Angst vor dir", räumte er ein und legte eine Hand um ihren Kopf. "Auf einer Ebene, die ich gar nicht richtig verstehe." Sein Geständnis verblüffte sie so sehr, dass sie nicht zurückwich, als er den Kopf senkte, um sie zu küssen. Sein Mund war warm, zärtlich, verführerisch, und zwischen ihnen ging etwas vor, ein Austausch, ein zaghaftes Spüren des anderen, körperlich wie emotional. Derek träumte seit Monaten davon, ihren willigen Körper in den Armen zu halten. Und nun war der Traum wahr geworden... mitten in einem Stoffgeschäft. Das Schicksal hatte wirklich einen eigenartigen Sinn für Humor. Als sie sich an ihn lehnte, vergaß er, wo sie waren, und dachte nur daran, wer sie waren: Mann und Frau. Er spürte, wie sich zwischen ihnen mehr anbahnte, als sie seinen Kuss zärtlich erwiderte, wenn auch mit geschlossenem Mund. Derek widerstand der Versuchung, seine Zunge zwischen ihre Lippen zu drängen. Aber es war nicht edle Zurückhaltung, die ihn zögern ließ, sondern das, was er gelernt hatte, als er mit ihr zusammenarbeitete. Wenn man sie drängte, schaltete sie auf stur und verweigerte sich. Und das war das genaue Gegenteil von dem, was er wünschte. Charlotte wollte mehr, aber sie traute sich nicht, die Initiative zu ergreifen. Sie löste sich von Derek und sah ihn an, ein wenig überrascht, dass er sie nicht stärker bedrangt hatte. Und auch ein bisschen enttäuscht. "Wir müssen zumessen zurück sein", sagte sie. "Babs hat Pauline überredet, einen Eintopf zu machen." Derek nickte und biss sich auf die Unterlippe, als hätte er ihren Kuss noch spüren können. "Auf das hier können wir später noch zurückkommen." "Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre", kommentierte sie scharf. Er lächelte nur. Obwohl die Gäste erst seit einem Tag im Haus wohnten, setzte sich bereits die fröhliche und entspannte Atmosphäre einer Hochzeit gegen die Förmlichkeit durch, auf die Elizabeth Farnsworth so großen Wert legte. Kendra saß mit ihren beiden Freundinnen an einer Ecke des langen Tisches, und die drei tuschelten und lachten wie junge Mädchen. Am anderen Ende waren Edward, Caleb und Derek in eine geschäftliche Diskussion vertieft, während Caroline
der eher abwesend wirkenden Elizabeth von den Geschenken vorschwärmte, die dauernd eintrafen und im Salon aufgebaut waren. Trey und Charlotte saßen einander gegenüber und waren gezwungen, ein Thema zu finden, über das sie reden konnten. "Der Eintopf ist köstlich, nicht wahr?" bemerkte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel. Sie klopfte gegen den Rand des Brotlaibs, in dessen ausgehöhlter Mitte sich der Eintopf befand. "Ich habe noch nie gesehen, dass er in einem Brot serviert wird. Warum er wohl nicht ausläuft?" Trey sah sie an und schien zu überlegen, ob die Frage es wert war, beantwortet zu werden. „Ich nehme an, das Brot saugt die Flüssigkeit auf, und die krustige Außenseite lässt sie nicht durch", erklärte er höflich. Gut kombiniert, dachte sie, und sehr logisch. Sie hatte ihn einmal dafür bewundert, dass er zugleich so intelligent und romantisch sein konnte. War das erst ein Jahr her? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. "Womit hast du gerade in der Firma zu tun?" setzte sie das belanglose Gespräch fort. "Windsor Techs Verwaltung sitzt in London", antwortete er. "Wenn die Übernahme klappt, schicken Edward und Caleb mich dorthin, damit ich den Laden umorganisiere. Ich fand schon immer, dass London die Stadt für mich ist." "Meine ist Paris", sagte Charlotte verträumt. "Als ich zwanzig war, habe ich in Paris den schönsten Sommer meines Lebens verbracht. Montparnasse, Notre Dame und der Place du Parvis, Suppe im Bistro Allard." Sie seufzte. "Ich glaube, ich habe es Paris zu verdanken, dass ich mich in die Romantik früherer Zeiten verliebte." "Also hast du dich nicht verändert?" Sie sah sich am Tisch um. Die anderen waren noch in ihre Unterhaltung vertieft. "Nein", antwortete sie. "Du?" "Ja, ich glaube schon." Er blickte zu Kendra hinüber. Sie und Bria-ne hielten sich lachend aneinander fest. "Ich verstehe jetzt besser, was ich brauche." Sie lächelte. "Das freut mich für dich." Wenn ich nur wüsste, was ich brauche, dachte sie. "Und ich mich für dich", sagte er und wies mit dem Kinn auf Derek. Sein Blick verriet, dass er ihn zwar respektierte, aber nicht sonderlich mochte. "Du hast den Mann bekommen, der nie eine Entscheidung überdenken muss." Charlotte folgte Treys Blick. Derek trug einen tadellos sitzenden Nadelstreifenanzug, und das dunkle Haar war ordentlich zurückgekämmt, aber man sah ihm an, dass er gar nicht zu den sogenannten feinen Kreisen gehören wollte. Er war eher ein Mann mit all den Ecken und Kanten, die er brauchte, um den Gefahren zu begegnen, von denen er sich so gern herausfordern ließ. Doch diese Eigenschaften verbarg er geschickt hinter einem Charme, mit dem er den Gegner in Sicherheit wiegte, bevor er mit seiner Intelligenz und Entschlossenheit zuschlug, die selbst Edwards Tochter verblüfft hatte. Charlotte legte eine Hand auf seinen Arm, einmal deshalb, weil sie Trey ihre Zusammengehörigkeit demonstrieren wollte, zum anderen, weil sie das Bedürfnis danach verspürte. Derek drehte sich zu ihr um und zog fragend eine Augenbraue hoch. Dann sah er kurz zu Trey hinüber und begriff. Er legte seine Hand auf ihre und küsste sie auf die Wange. "Nachher werde ich mich nur um dich kümmern", sagte er und lächelte vielsagend. "Ich verspreche es." Dann wandte er sich wieder Edward und Caleb zu. Wären sie wirklich verheiratet gewesen, hätte sie sich darüber geärgert, dass er sie zugunsten einer geschäftlichen Besprechung vernachlässigte. So jedoch hatte der kleine Trick funktioniert. Trey war überzeugt, dass Derek sie begehrte... eine Vorstellung, die ihr alles andere als unangenehm war. Nach dem Essen wollte Kendra mit Briane und Denise in eine Karaoke-Bar. "Ach, kommt doch mit", bat Briane Charlotte und Derek, aber Charlotte schüttelte lächelnd den Kopf.
Derek legte einen Arm um sie. "Wirklich nicht. Wir sind beide vollkommen unmusikalisch. Und ich glaube, Charlotte will heute abend noch an den Kleidern für die Brautjungfern arbeiten." "Du hast alles gefunden, was du brauchst, um sie so umzuarbeiten, dass sie zu meinem Kleid passen?" fragte Kendra begeistert. Charlotte nickte. "Wenn es euch nichts ausmacht, nehme ich sie mit ins Gästehaus. Eins davon müsste bis morgen früh fertig sein und kann anprobiert werden. Dann ist das zweite kein Problem mehr." Denise sah Charlotte bewundernd an. "Wenn ich einmal heirate, hole ich dich nach Boston." Trey folgte Kendra und ihren Freundinnen zur Tür und sah aus, als könnte er sich etwas Schöneres vorstellen, als den Abend mit drei lustigen Frauen in einer Karaoke-Bar zu verbringen. "Dir zwei solltet früh ins Bett gehen", sagte Caroline mit ernster Miene, als Elizabeth Charlotte Brianes in durchsichtige Folie gehülltes Kleid reichte. "Lass sie nicht die ganze Nacht arbeiten, Derek." Er lächelte mild. "Keine Angst", erwiderte er in einem Ton, der Caroline strahlen ließ. Charlotte eilte davon. "Ich wünschte, du würdest so etwas lassen", fuhr sie Derek an, als er sie auf dem Weg zum Gästehaus einholte. "Ich bin nur froh, dass Bitsy Tate nicht dabei war." "Wo steckt die überhaupt?" "In der Karaoke-Bar, um für die Nachwelt festzuhalten, wie das glückliche Paar sich lächerlich macht." Sie trat beiseite, damit er die Tür ihres Gästehauses aufschließen konnte. Er schob den Schlüssel ins Schloss. "Meinst du wirklich?" fragte er skeptisch. "Sicher. Es ist die Hochzeit des Jahrzehnts. Die Presse ist scharf auf jede noch so unwichtige Einzelheit. Die Karaoke-Bar wird eine tolle Story abgeben." "Traust du Bitsy zu, die Gastfreundschaft so zu missbrauchen?" fragte er. Charlotte sah ihn an, als wäre er hoffnungslos naiv. Er grinste schelmisch. "Im Ernst? Dann sollten wir uns vor ihr in acht nehmen. Ich bin nicht wild darauf, auf der Titelseite des .Enquirer' zu landen." Er ließ Charlotte den Vortritt. "Du bist da eher gefährdet", sagte sie. "Ich habe meine Erniedrigung bereits hinter mir. Beim zweiten Mal würde ich es wahrscheinlich kaum bemerken. Also bedränge mich nicht, sonst bekommt die Presse etwas von mir zu hören." Sie wollte an ihm vorbei ins Schlafzimmer gehen, doch er hielt sie am Arm fest, nahm ihr das Kleid ab, warf es aufs Sofa und schaute ihr in die Augen. "Ich möchte dich warnen", flüsterte er. "Mir zu drohen ist gefährlich." Das glaubte sie ihm unbesehen. Aber es war wichtig, dass er es ihr zutraute. "Und du solltest nicht vergessen", konterte sie, "dass ich noch immer Edwards kleines Mädchen bin. Wenn du mir weh tust oder mir angst machst, kannst du deine Karriere auf diesem Kontinent, auf diesem Planeten, vergessen." Sein Griff wurde fester. "Noch eine Drohung." "Eine Warnung. Du bist nicht der einzige, der Druck ausüben kann." "Wenigstens übe ich meinen eigenen aus." Das ärgerte Charlotte, denn es entsprach der Wahrheit. "Stimmt nicht", entgegnete sie wütend. "Du kannst nur deshalb Druck auf mich ausüben, weil du mich in diese unmögliche Situation gebracht hast. Sonst würde ich dir nämlich eine Ohrfeige verpassen und nach Hause gehen." "Weißt du", sagte er und ließ sie los, um die Arme vor der Brust zu verschränken, "du redest immer so gewalttätig mit mir. Schon im Büro hast du mir immer gedroht, mir den Mund zu stopfen oder den Hals umzudrehen. Liest du vor dem Einschlafen immer brutale Krimis, oder
sind deine Gefühle für mich so stark, dass sie immer nur in so stürmischen und heißen Bildern an die Oberfläche kommen?" "Oh, bitte, ich würde nie..." Charlottes zorniger Protest brach ab, als Derek in ihr Haar griff und sie an sich zog. In den Schreck mischte sich Erregung. "Wenn du versuchst mich zu küssen", warnte sie, den Kopf nach hinten gelegt, weil er ihr Haar festhielt, "wirst du eine Lippentransplantation brauchen. Verlass dich darauf." "Bitsy und ihr Fotograf kommen den Weg entlang", flüsterte er und beugte sich über sie wie Rhett über eine wehrlose Scarlett. "Und die Tür ist offen. Falls das mit der zweiten Erniedrigung nicht dein absoluter Ernst war, solltest du lieber mitmachen." Sie starrten sich einen Moment an, zwei willensstarke Persönlichkeiten, zwei Karrieren in Gefahr, Bitsys Klatschspalte zum Opfer zu fallen. Charlotte ergab sich in ihr Schicksal, und als Derek den Kopf senkte, gab sie sich, zwischen Entrüstung und Verlangen schwankend, seinem Kuss hin.
5. KAPITEL
Derek gratulierte sich dazu, dass er wieder einmal das Maximum aus einem minimalen Vorteil herausgeholt hatte. Edward fand, dass das seine große Stärke war. Ihm persönlich war es völlig gleichgültig, was Bitsy Täte dachte oder schrieb, aber sie wurde langsam zu einem guten Mittel, um sich Charlottes Kooperation zu sichern. Und ihre Kooperation war herrlich. Er spürte, wie ihre schlanken Arme sich um seinen Hals legten, dann glitt eine Hand über sein Ohr und ins Haar. Die Berührung löste ein Gefühl aus, das durch die Kopfhaut drang und durch die Wirbelsäule nach unten raste. Als ihre Zungenspitze sich in seinen Mund tastete, vergaß er, wer ihnen zusah. Seine Zunge kam ihrer entgegen, und aus einer zaghaften Begrüßung wurde schnell ein wildes Spiel. Mit heftig klopfendem Herzen erwiderte Charlotte jeden seiner Küsse. Doch irgendwann musste sie die Lippen von seinen lösen, um Luft zu holen. Der tiefe Atemzug drang laut durch die Abendstille. Dann folgte verhalten ein überraschter Aufschrei, als Derek sie auf die Arme hob, sie leidenschaftlich küsste und das Schlafzimmer ansteuerte. Über seine Schulter hinweg sah sie, wie Bitsy mit offenem Mund zu ihnen herüberstarrte. Darby, der Fotograf, blickte geradezu neidisch drein. Das Schlafzimmer war kühl und dunkel, als Derek die Tür mit einem Tritt schloss und sich dagegen lehnte. Dann seufzte er dramatisch, ging zum Bett und legte Charlotte darauf. Einen Moment lang fragte sie sich, ob er sich zu ihr legen würde. Doch er ging zum Stuhl am Fußende des Betts und setzte sich wie ein Mann, den seine Beine nicht mehr trugen. "Entweder warst du schon immer verrückt nach meinem Körper", sagte er. "oder du bist die nächste Meryl Streep." Charlotte blieb liegen, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. "Nun ja", erwiderte sie sanft, "es steht schließlich eine Menge auf dem Spiel." "Du hast doch gesagt, es würde dir nichts ausmachen, ein zweites Mal erniedrigt zu werden." Dass das eine Lüge gewesen war, war leichter einzugestehen als die Tatsache, dass sie sich wirklich schon oft gefragt hatte, wie er wohl als Liebhaber sein mochte. Ganz zu schweigen davon, dass der Wunsch nach einer Antwort auf diese Frage mit jeder seiner Berührungen stärker wurde. "Schon gut. Ich möchte eben, dass Bitsy mich für eine Heilige hält, die so großmütig ist, die Verlobte ihres Ex-Verlobten vor einer Blamage zu bewahren. Es ist mir wichtiger, meine Würde und meinen geschäftlichen Ruf zu wahren, als der Welt zu enthüllen, was für ein hinterhältiger Kerl du bist." "Enthüllen", wiederholte er nachdenklich. "Interessante Wortwahl. Du hast deine Gefühle wirklich unterdrückt, was?" "Hast du nichts zu tun?" fragte sie. "Etwas, weswegen du dieses Zimmer verlassen musst?" "Nein." Er stand auf. "Aber das sollte ich wohl, damit du in Ruhe an dem Kleid arbeiten kannst." Er ging zum Lichtschalter und hob eine Hand. "Nicht!" rief Charlotte. "Warum nicht?" "Wenn Bitsy - was mich nicht wundern würde - das Haus beobachtet, wird sie sich fragen, warum wir Licht machen, nachdem du mich... Na ja, du weißt schon." Derek betätigte den Schalter, und das Schlafzimmer wurde in ungemütliches Kunstlicht getaucht. Charlotte setzte sich entrüstet auf.
"Immer mit der Ruhe", sagte er und ging zum Bett, um ihr mit warmer, zärtlicher Hand das Haar aus dem Gesicht zu streichen. "Sie wird glauben, ich hätte das Licht eingeschaltet, um dich ansehen zu können." Sie starrte zu ihm herauf, unfähig, auch nur ein sinnvolles Wort herauszubekommen. "Und sie hätte recht", fügte er leise hinzu und kniff sie liebevoll in die Wange. Dann ging er wieder zur Tür. "Ich bringe dir das Kleid und mache Kaffee. "Wie sieht es aus?" Derek lag mit einem Krimi auf dem Sofa und blickte hoch. Es war nach Mitternacht. Charlotte hatte Brianes rotes Kleid mit einem Cape versehen, dessen Verschluss sich vorn am Hals unter kunstvoll arrangierten Seidenblumen verbarg. Ihr blondes Haar war hochgesteckt, und Derek starrte fasziniert auf den langen, schlanken Hals und die sanft geschwungenen Schultern. Der Wunsch, ihre Halsgrube mit den Lippen zu berühren, wurde fast übermächtig. Er brauchte einige Sekunden, um seine Stimme wiederzufinden. "Das Cape sieht hübsch aus", antwortete er. "Und du siehst unbeschreiblich schön aus." Sie strich den Rock glatt. "Es ist ein schönes Kleid. Ich habe versucht, ihm einen züchtigen viktorianischen Touch zu geben. Ist mir das gelungen?" Er räusperte sich. "Ehrlich gesagt, ich finde es eher verführerisch als züchtig, aber das liegt wohl daran, dass ich immer hinter die Kulissen schaue." Charlotte musste lachen. "Ich könnte mir vorstellen, dass dir das schon mehr als einmal Ärger eingebracht hat." "Hat es", gab er zu, "aber das war es mir immer wert. Dreh dich um!" Sie tat es, und sein Blick wanderte an ihrem wohlgeformten Rücken hinab. Ich muss unbedingt an etwas anderes denken. "Was hast du mit all den Seidenblumen vor, die wir gekauft haben? Und mit den Perlen?" "Haarschmuck", erwiderte sie, und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. "Sobald ich die Capes fertig habe, fange ich damit an." Derek lächelte. "Du liebst deine Arbeit, was?" Sie zuckte mit den Schultern. "Ich gehe in ihr auf. Ganz die undynamische, altmodische Romantikerin, die du im Büro so verachtet hast." Er legte das Buch hin und stand auf. "Zum letzten Mal: ich habe dich nicht verachtet. Außerdem solltest du mir dankbar sein. Wenn du mich nicht verachtet hättest, wärst du noch immer bei Farnsworth-Morreaux." Sie sah ihn an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann drehte sie sich um und ging. "Was hattest du noch auf dem Herzen?" fragte er. An der Schlafzimmertür wand te sie sich um und lehnte sich gegen den Rahmen, als hätte sie eine Entscheidung getroffen, die ihr eine Last von den Schultern nahm. "Ich habe dich auch nicht verachtet", gab sie zu. "Wenn du mich nicht gerade angeschrieen hast, fand ich dich ziemlich interessant." Er machte einige Schritte auf sie zu. "Möchtest du wissen, wie interessant ich bin?" fragte er. Ihr Blick war Antwort genug. Sein Puls raste. "Ja, das möchte ich", antwortete sie schließlich. "Aber zuerst möchte ich ein paar andere Dinge wissen." Welche, wollte er fragen. Frag mich, was du willst. Aber sie hatte schon die Tür hinter sich geschlossen. Er ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Er würde ohnehin nicht mehr schlafen können. Dafür hatte Charlotte gesorgt. Noch bevor sie die Augen aufschlug, nahm Charlotte den Duft von Dereks Zahnpasta und Rasierwasser wahr. Er lag neben ihr! "Was tust du im Bett?" fragte sie mit geschlossenen Augen. "Bitsy ist im Garten hinter uns, mit einem Fernglas", antwortete er ruhig.
Charlotte öffnete die Augen und drehte den Kopf zur Seite, um Derek anzusehen. "Das soll wohl ein Scherz sein?" flüsterte sie. Er lag neben ihr, ein Handtuch um die Hüften, die Hände auf dem Bauch. "Leider nicht. Ich habe dir eine Tasse Kaffee gebracht, damit du schneller wach wirst und Bitsy durchs Fenster entdeckst. Ziehst du nie die Vorhänge zu, wenn du ins Bett gehst?" Die Frage klang wie ein Tadel. "Doch. Aber da habe ich auch keine Rosen vor dem Fenster. Und was tun wir jetzt?" Er lächelte. "Ich könnte mein Handtuch abnehmen." "Vorschlag Nummer zwei, bitte." "Ach, Charlie", sagte er flehend, "was ist Romantik ohne Phantasie? Vorschlag Nummer zwei sieht vor, dass du mir einen Gutenmorgenkuss gibst, dafür von mir den Kaffee bekommst und mich unter die Decke lässt, damit wir den Tag planen können." "Derek", entgegnete sie, "du nutzt die Situation schamlos aus." "Natürlich." Er beugte sich über Charlotte, und sein Blick hätte sie fast um die Beherrschung gebracht. Doch dann stieg ihr der Kaffeeduft in die Nase. "Der Kaffee duftet herrlich", sagte sie. Derek lächelte wissend. Sie zog eine. Augenbraue hoch. "Ich möchte jetzt wirklich meinen Kaffee." "Sicher. Dann gib mir was dafür." Um Bitsy zu verblüffen und Derek seinen selbstzufriedenen Ausdruck zu nehmen, machte Charlotte sich an das Täuschungsmanöver. Sie legte ihre kleine, aber kräftige Hand auf Dereks nackte Schulter und drückte ihn aufs Bett. Es war nicht einfach, die warme Haut an ihren Fingern zu ignorieren. Und erst recht nicht den athletischen Oberkörper, den sie durch ihr Nachthemd spürte, als sie sich über ihn beugte. Charlotte legte alles, was sie hatte, in den Kuss - und war überrascht, wie viel das war. Kaum hatte ihr Mund seine Lippen berührt, da wurde ihr Verlangen auch schon übermächtig. Die Erinnerung an ihre anderen Küsse steigerte das Bedürfnis, diesen noch mehr auszukosten. Außerdem sollte er merken, dass auch sie Macht über ihn hatte. Derek hätte wetten können, dass er im Paradies war. Als sie sein Gesicht mit Küssen bedeckte, kam es ihm vor, als würde er halluzinieren. Als die Küsse nach unten wanderten, über seine Brust, wusste er, dass er gestorben und in den Himmel gekommen war. Als die Küsse direkt oberhalb des Handtuchs endeten, ahnte er, wie es in der Hölle sein musste. "Hör nicht auf", bat er heiser. "Vielleicht beobachtet sie uns noch." Charlotte richtete sich auf und reckte das Kinn. "Sie ist gerade weggegangen." Es überraschte ihn, dass er ihr Manöver nicht sofort durchschaut hatte, aus einem kleinen Vorteil das meiste herauszuholen. Genau das hatte sie getan. Was ihn noch mehr überraschte, war die Tatsache, dass es ihn nicht wütend machte. Charlotte faszinierte ihn immer mehr, und er war fest entschlossen, die Frau hinter der Winterprinzessin zu entdecken. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und grinste jungenhaft. "Du scheinst den Kaffee ja dringend nötig zu haben." Sie griff über ihn hinweg nach der Tasse, und er widerstand nur mit Mühe der Versuchung, mit den Lippen nach dem zu tasten, was dabei nur wenige Zentimeter über seinem Mund schwebte. "Täuschung ist alles, nicht?" fragte sie und stand vorsichtig auf. "Ist es", rief er ihr nach, als sie im Badezimmer verschwand, "solange man sich nicht selbst täuscht !" Nach dem Frühstück kehrte Charlotte ins Gästehaus zurück, um in Ruhe an dem zweiten Kleid zu arbeiten, während Derek mit Trey, Edward und Caleb über Geschäftliches sprach.
Sonnenschein fiel ins Schlafzimmer, wo sie ihre kleine Nähmaschine aufgestellt hatte. Durch dass offene Fenster drang Vogelgezwitscher, und sie atmete den Duft des Rosengartens ein. Charlotte ließ den Lunch ausfallen und schaffte es, sich trotz der Erinnerungen an das, was sie am Morgen mit Derek erlebt hatte, auf den Saum von Denises Cape zu konzentrieren. Als es an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen, so vertieft war sie in ihre Arbeit. "Ja?" rief sie. "Ich bin es. Trey." Charlotte starrte auf die Tür. Irgend etwas sagte ihr, dass es kein weiser Schritt wäre, ihn hereinzulassen. Doch dann tat sie das Gefühl als unnötige Nervosität ab und öffnete ihm. "Hallo!" grüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln. "Kendra ist nicht hier. Sie scheint mit den anderen zum Rodeo Drive gefahren zu sein." Er nickte, die Hände in den Taschen der Leinenhose. Seine große, schlanke Gestalt hatte einmal bei ihr Herzklopfen ausgelöst. Sie sah ihn an und wartete darauf! Nichts. "Ich weiß", sagte er. "Ich muss mit dir reden." Er warf einen Blick über die Schulter, als befürchtete er, gesehen zu werden. "Möglichst während Bitsy mit Elizabeth das Menü für den Empfang durchgeht." Bitsy zu entgehen schien für alle zu einem wichtigen Teil des Lebens geworden zu sein. "Worüber willst du reden?" "Können wir hineingehen?" "Trey..." begann sie und blieb an der Tür stehen. "Charlie, bitte!" sagte er leise. "Es gibt da ein paar Dinge, die ich loswerden muss." Eine Entschuldigung war das letzte, was sie von ihm hören wollte, aber eigentlich konnte sie es ihm nicht verweigern, seinen Entschluss zu rechtfertigen. Sie führte ihn ins Wohnzimmer. Er setzte sich in den Sessel, und sie ging in die Küche, um den Kaffee und zwei Tassen zu holen. Sie goss ihn ein und nahm auf dem Sofa Platz. Trey ließ seine Tasse auf dem Tisch stehen, beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. "Zunächst möchte ich dir dafür danken, dass du nach allem, was passiert ist, Kendra mit den Kleidern hilfst." Sie tat es mit einer Handbewegung ab. "Unsere Väter sind seit langem befreundet." "Aber du bist noch in den Flitterwochen. Daran hat sie vermutlich gar nicht gedacht. Sie ist verwöhnt." Dass er so über Kendra sprach, störte sie. "Das habe ich auch schon oft zu hören bekommen." "Nein", widersprach er. "Deine Eltern haben viel für dich getan, aber sie haben dich nie verwöhnt. Das ist ein Unterschied. Ich muss sagen, ich finde es nicht richtig von Kendra und ihrer Mutter, dich um Hilfe zu bitten, obwohl wir beide einst zusammen waren. Sie hätten wissen müssen, wie schwer es für dich sein würde." Charlotte schüttelte den Kopf. "Ist es nicht", log sie. "Es macht Spaß, mit Briane und Denise zu arbeiten, und ich freue mich, Babs kennengelernt zu haben." Er richtete sich seufzend auf. "Also bedeute ich dir wirklich nichts mehr?" Dünnes Eis, sagte sie sich, aber auch sie hatte ein paar Dinge, die sie loswerden musste. "Trey, du hast mich in der Kirche stehen lassen, vor vierhundert Leuten. So etwas führt bei einer Frau dazu, dass ihre Gefühle für solch einen Mann sich ändern." Ihr Zorn schien ihn fast zu freuen. "Ich weiß, ich weiß. Ich war eine Ratte, ein Schuft, ein Idiot..." Er sah wieder auf. "Du kannst die Liste fortsetzen." Sein Blick wanderte zur Decke. "Was soll ich sagen? Es gibt kein Wort, das schlimm genug wäre, um zu beschreiben, was ich dir angetan habe. Und keins, das ausdrücken könnte, wie oft und wie sehr ich es schon bereut habe."
"Danke", sagte sie. "Aber es ist vorbei, und du tust uns den größten Gefallen, indem du nicht mehr daran denkst." "Wie könnte ich das?" "Indem du dich auf deine Verlobte konzentrierst." Er seufzte. "Meine Verlobte konzentriert sich auf ihre Freundinnen. Seit die beiden hier sind, bin ich kaum noch allein mit ihr." "Dann denk an deine Beförderung und dein Büro in London", schlug sie ungeduldig vor. "Und gönne Kendra die Zeit mit Briane und Denise. Die beiden sind so erfrischend anders als die Gäste, die sonst hier verkehren." "Du hast nie vergessen, dass es mich gab. Mir war nicht klar, wie wertvoll die ungeteilte Aufmerksamkeit einer Frau ist." Blödmann, dachte sie. "So ist das Leben. Man lernt nie aus." Er stand auf und ging hin und her. "Ich bin sicher, dass du und Kendra sehr glücklich werdet." Charlotte geleitete ihn zur Tür und öffnete sie. Widerwillig ging er hinaus und drehte sich mit traurigem Blick zu Charlotte um. "Aber sie ist nicht du. Uff!" Trey hatte sich wieder umgedreht, um einen bühnenreifen, dramatischen Abgang zu vollziehen, und war mit Derek kollidiert, der in diesem Moment gerade die Treppe hinaufkam. "Entschuldigung", sagte Trey mit schuldbewusster Miene und eilte davon. Derek ging ins Haus und schloss die Tür. Die Eifersucht, die in ihm aufgeflackert war, als er sie mit Trey gesehen hatte, fuhr feuerspuckend in ihn wie ein Blitz in einen ausgedörrten Baum. Er warf seinen Aktenkoffer auf den Sessel und baute sich vor Charlotte auf, die Hände in die Hüften gestemmt. "Warum lädst du nicht gleich Bitsy zum Tee ein und erzählst ihr, dass wir hier nur eine Show abziehen?" "Wir haben nur geredet", erklärte sie ruhig und hatte ein schlechtes Gewissen, obwohl sie sich heftig dagegen wehrte. "Und Bitsy ist mit Elizabeth und Pauline in der Küche." "Bitsy war direkt hinter mir, als ich das Haus verließ." Charlotte demonstrierte Gelassenheit. "Sie ist eine Reporterin und hoffentlich schlau genug, nicht dieselben Schlüsse zu ziehen wie du." "Was wollte er?" "Mit mir reden." "Worüber?" Charlotte hatte genug. Derek stand vor ihr wie ein Großinquisitor und erwartete tatsächlich, dass sie ihm in allen Einzelheiten beschrieb, was in der kurzen Zeit zwischen ihr und Trey passiert war. "Dies ist nur eine Show, vergiss das nicht!" fauchte sie. "Mein Privatleben geht dich nichts an. Und selbst wenn doch, wie kannst du es wagen, mir zu unterstellen, ich würde mit dem Verlobten einer anderen Frau..." Sie schluckte. "Selbst wenn es einmal meiner war." Derek wusste, dass es vernünftiger gewesen wäre, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass Trey Prentiss offenbar einzusehen begann, dass er einen Fehler begangen hatte. Leider wusste weder Trey noch Charlotte, dass die Frau, die Trey sitzengelassen hatte, inzwischen Derek Cabot gehörte. "Wow", sagte er leise und bemühte sich um einen besänftigenden Ton. "Ich habe mir nur Sorgen darum gemacht, wie es wohl auf andere gewirkt haben könnte. Wir werden von allen Seiten beobachtet, weißt du. Vermutlich hängt Elizabeth in diesem Moment an einem Fenster."
"Unsinn!" rief Charlotte. "Ich glaube, du gehst diesen Job als Pseudo-Ehemann so an wie alle Farnsworth-Morreaux-Projekte. Aber dies hier ist nicht dein Büro, und ich bin nicht mehr deine Untergebene!" Sie riss die Tür auf. "Ich bin seit einem Jahr mein eigener Herr", stieß sie wütend hervor, eine Hand auf dem Griff, um die Tür hinter sich zuzuknallen. "Und daran wird sich nichts ändern!" Sie wirbelte herum, das Kinn in der Luft... und entdeckte nicht nur Bitsy und Darby, sondern auch noch andere Presseleute. Allmählich kam sie sich vor wie in einer Bo ulevard-Komödie. Menschen betraten die Bühne, brachten alles durcheinander und traten wieder ab, um Platz für die nächste Katastrophe zu machen. Charlotte erstarrte. Dann hörte sie hinter sich Schritte. Eine starke, zärtliche Hand schob sich in ihr Haar. Derek drehte sie zu sich um, vor den Augen des interessierten Publikums. "Ich meinte doch nicht, dass du dein Geschäft aufgeben sollst", sagte er mit liebevoller, beschwichtigender Stimme. "Ich meinte nur, wir sollten mehr Zeit für uns haben. Deshalb brauchst du mich nicht gleich anzuschreien." Seine Augen waren nur Zentimeter von ihren entfernt, sein Mund noch dichter vor ihrem, und für einen Moment vergaß sie alle Probleme und gab sich seiner verführerischen Anziehungskraft hin. Dann versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. "Ich... du..." "Ich weiß, ich weiß." Er lächelte entwaffnend. "Ich bin ein Dickschädel, und manchmal muss man mich eben anschreien." "Du hast mir unterstellt..." "... ein Workaholic zu sein. Tut mir leid. Es ist nur so, dass ich selbst einmal einer war. Und ich finde, jetzt, wo wir verheiratet sind, ist unsere Zeit viel zu wertvoll, um sie mit Überstunden zu verschwenden. Hör nur auf, an den Wochenenden zu arbeiten, mehr verlange ich nicht." "Die meisten Hochzeiten..." Sie schlüpfte wieder in ihre Rolle. "... finden am Wochenende statt." "Dann müssen wir uns eben in der Woche frei nehmen, damit wir Zusammensein können." Er küsste sie zurückhaltend. "Lass uns wieder hineingehen und..." Der nächste Kuss war schon weniger zurückhaltend. Dann tat er so, als hätte er die Presseleute auf dem Weg erst in dieser Sekunde bemerkt. Sein verlegenes Lächelnd wirkte bewundernswert echt. "Oh, tut mir leid", sagte er. "Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit und versöhnen uns gerade wieder. Entschuldigen Sie uns." Er schob Charlotte ins Haus und schloss die Tür. Schlagartig legte sie ihre Rolle ab. "Und du nennst mich eine gute Schauspielerin", sagte sie mit dem Sarkasmus, für den die Winterprinzessin berühmt war. "Wenn de Niro deinen Auftritt eben gesehen hätte, würde er sich Sorgen um seine weitere Karriere machen. So langsam frage ich mich, wie oft du schon einen Ehemann gespielt hast." "Noch nie." Derek nahm ihren Arm. "Und ich bin nur deshalb so gut, weil die Rolle deines Liebhabers mir auf den Leib geschneidert ist... wie die Rolle meiner Liebhaberin dir." "Deine Liebhaberin würde ich nicht einmal..." Sie kam nicht mehr dazu, es auszusprechen. Sein Kuss brachte sie zum Schweigen. Verwirrt und wütend löste sie sich von ihm. "Glaub ja nicht, dass du mich nur zu..." Derek küsste sie erneut, und diesmal wehrte Charlotte sich nicht. Denn mit einem hatte er recht: Die Liebhaberrolle hatten sie wirklich gut drauf. Als Charlotte die Arme um seinen Hals schlang, wurde ihr etwas Neues bewusst. Das hier war mehr als das sexuelle Dynamit, das in ihnen explodierte, wenn sie einander berührten. Dieser Kuss war eine Botschaft gewesen.
Er hätte es ihr überlassen können, der Presse eine Erklärung für ihren Streit zu liefern. Und wenn man sie als die Lügnerin entlarvt hätte, zu der Caroline sie gemacht hatte, wäre der Skandal an ihr hängen geblieben, nicht an ihm. Dafür hätte die Sache mit Trey schon gesorgt. Charlotte war sicher, dass Derek das wusste. Für ihn stand weit weniger auf dem Spiel als für sie, trotzdem war er ihr zur Hilfe gekommen. Wie ihr überhaupt bewusst wurde, dass er ihr eigentlich schon immer zur Hilfe gekommen war. Wenn Pressemitteilungen nicht rechtzeitig fertig gewesen waren, hatte er die halbe Nacht im Büro verbracht, um ihr dabei zu helfen. Sicher, er war nie sehr begeistert gewesen und hatte sie auch kritisiert, aber er hatte sie nie im Stich gelassen. Weil sie ihm etwas bedeutete? Die Vorstellung erstaunte Charlotte so sehr, dass sie zurückwich und ihn anstarrte. Dann las sie es in seinen Augen. Sie bedeutete ihm tatsächlich etwas. Das hier war kein Spiel, sondern die Wirklichkeit. "Oh, nein", flüsterte sie. Er wusste genau, was sie so entsetzte. Es hatte auch ihn entsetzt. Aber der Trick bestand darin, nur zu fühlen und nicht zu analysieren. "Oh, doch, Charlie", bestätigte er lächelnd. "Du liebst mich." Ungläubig schüttelte sie den Kopf. "Und du mich." "Ja." "Na ja..." Sie seufzte verzweifelt und breitete die Arme aus: "Großartig. Weißt du, es ist alles deine Schuld. Du verwickelst mich in diese Riesenlüge, setzt deinen ganzen Charme ein, damit ich ganz entspannt und realistisch mitspiele, und dann überfällst du mich mit so etwas." "Ich überfalle dich damit?" fragte er. Jetzt nur nicht lachen, hielt er sich vor. "Ich bin es doch nicht allein. Du bist die mit Augen wie ein Sonnenuntergang und einer Kehrseite, die mich um den Verstand bringt. Du bist die, die jedes Mal dahinschmilzt, wenn ich sie berühre, und die mich ansieht, als wäre ich die verbotene Frucht, die du mehr ersehnst als alles andere." Sie brachte kein Wort heraus, denn dies war genau das, was sie empfand. "Du erwartest von einem Mann, dass er darauf nicht reagiert?" Darauf hatte sie keine Antwort. Aber sie musste ihm sagen, wo sie standen. "Nun, ich mache dabei jedenfalls nicht mit." Er zog eine Augenbraue hoch. "Du meinst, du hättest eine Wahl?" "Wir alle haben eine Wahl. Die Menschen verlieben sich und glauben, sie müssten sofort alles stehen- und liegenlassen. Und dann, wenn sie alles aufgegeben haben, werden sie sitzengelassen." Sie musterte ihn noch einen Moment und ging ins Schlafzimmer. Derek folgte ihr, und als sie ihren Koffer unter dem Bett hervorzog, wusste er, dass er eingreifen musste. Er setzte sich aufs Bett und sah zu, wie sie den Koffer öffnete und zur Kommode ging. "Ich steige aus", sagte sie. "Ich bin es leid, mein Leben von Kendras Hochzeit beeinflussen zu lassen." "Du hast etlichen Leuten versprochen, dass du die Sache zu Ende bringst", erinnerte er sie. "Und wenn schon." Sie warf Seiden-Dessous in den Koffer. "Auch andere Leute brechen Versprechen und kommen damit durch. Die Welt bricht nicht zusammen." "Aber nur, weil..." Ein schwarzer Spitzenslip landete auf dem Rand des Koffers. Derek griff danach und betrachtete ihn. "Es gibt Menschen, von denen man erwartet, dass man sich auf sie verlassen kann, und solche, von denen man gar nicht erwartet, dass sie ihr Wort halten. Wenn man die voneinander unterscheiden kann, erspart man sich viel i Schmerz." Sie entriss ihm den Slip und pfefferte ihn in den Koffer. "Höre ich da etwa die männliche Vorliebe heraus, mit zweierlei Maß zu messen?" "Nein. Ich versuche nur, dir so behutsam wie möglich klarzumachen, dass du dich von deiner geplatzten Hochzeit noch nicht erholt hast. Auch wenn du das immer behauptest. Und ich finde, du brauchst etwas zu lange, um dich davon zu erholen."
Sie knallte den Koffer zu. "Was weißt du schon davon!" schrie sie ihn an. "Ich weiß etwas davon", erwiderte er ruhig, "weil ich dich sehr gut kenne. Du dachtest, du hättest einen netten, zärtlichen Mann gefunden, der deinem Ideal des altmodischen Romantikers entspricht. Aber dir war nicht klar, dass er nur wegen seiner mangelnden Entschlusskraft so altmodisch ist. Und er wirkt romantisch, weil ihm die Verführermasche leichter fällt, als einer Frau offen zu sagen, was er geben kann und was er dafür erwartet." Derek hatte absolut recht. Sie hätte es nicht in Worte fassen können, aber genau so war es gewesen. "Ich glaube, ich weiß, was dein Problem ist", fuhr er fort und. stellte sich hinter sie, um ihr die Hände auf die Schultern zu legen. Es würde ihr nicht gefallen, aber es musste gesagt werden. "Ich denke, Trey bedeutet dir wirklich nichts mehr, aber du hast die Tatsache noch nicht überwunden, dass die Winterprinzessin sich so sehr in einem Menschen irren konnte." Charlotte wirbelte herum und funkelte ihn an, Schmerz und Zorn in den glänzenden Augen. Er strich über ihre Schultern. "Und jetzt hast du dir eingeredet, dass man keinem Mann vertrauen kann, mir schon gar nicht. Weil du Angst davor hast, denselben Fehler ein zweites Mal zu machen." Sie schüttelte seine Hände ab und ging ans Fenster, wo sie den Duft der Rosen tief einatmete. Derek hob eine Kosmetiktasche auf, die vom Bett gefallen war. "Trey ist ein Idiot, und du bist ihm nichts schuldig. Und Kendra ist wie eine Figur aus einem Roman von Tennessee Williams. Ganz interessant zu beobachten, aber wer will schon wissen, was aus ihr wird? Doch die beiden sind nicht die einzigen, denen du weh tust, wenn du vier Tage vor der Hochzeit von hier verschwindest und der Skandal losbricht." Stöhnend beugte sie sich vor, legte die Arme auf die Fensterbank und ließ den Kopf darauf sinken. "Ich meine deine Eltern, Caleb, Babs, Kendra..". Charlotte reagierte nicht. "Und was würden die Leute über dich sagen? Man würde glauben, dass du es nicht erträgst, Trey und Kendra glücklich zu sehen. Dass wir uns verkracht haben, weil du mit deinen Beziehungen nicht klarkommst. Und am Ende entlockt Bitsy Caroline noch, was wirklich los war. Wer weiß, was dann noch alles passiert." "Schon gut, schon gut!" Charlotte wirbelte herum und marschierte an ihm vorbei zum Koffer. Sie kippte ihn auf dem Bett aus, knallte den Deckel zu und schob ihn unters Bett. "Du hast recht", sagte sie. "Ich hasse es, Fehler zu machen. Und mir wird nie wieder einer unterlaufen." Er lächelte. "Dessen kann man erst nach seinem Tod sicher sein. Du bist auch nur ein Mensch, Prinzessin. Dein Gefühl hat den Verstand überlagert. Das passiert selbst den Besten." "Dir auch schon einmal?" Derek nickte. "Es passiert mir in diesem Moment. Ich bin ich dich verliebt, seit wir eine ganze Nacht aufgeblieben sind, um die Videophon-Pressemitteilung rechtzeitig herauszugeben." Er seufzte resigniert. "Und diese Verliebtheit wurde unheilbar, als du mich mit deinem klassischen Panzer fast gerammt hast. Ich weiß, es ist unvernünftig, aber ich laufe nicht davor weg." "Natürlich nicht. Du liebst es ja, einer Herausforderung zu begegnen, dein Durchhaltevermögen zu testen, bis an die Grenzen von Geist und Körper zu gehen. Ich dagegen will den Leuten nur zu schönen Hochzeiten verhelfen." "Weil du selbst keine hattest." Charlotte seufzte einmal mehr und ging zu dem Schrank, in den sie das rote Brautjungfernkleid gehängt hatte.
"Wir drehen uns im Kreis", sagte sie und nahm die Plastiktüte heraus, die am Bügel hing. Sie enthielt das halbfertige Cape. "Und ich habe zu tun." "Gut." Derek widerstand der Versuchung, sie aufs Bett zu werfen, um sie erst zum Zuhören zu zwingen und dann mit ihr zu schlafen. Eigentlich war Geduld nicht seine stärkste Seite, aber wenn es nicht anders ging, brachte er genug davon auf. "Ich mache Kaffee." "Nein", sagte Charlotte und setzte sich an die Nähmaschine. Die Abendsonne schien ihr direkt in die Augen, und sie musste blinzeln. "Tu nichts mehr für mich und sei nicht nett zu mir. Lass mich einfach nur in Ruhe." Er ging ans Fenster und zog den Vorhang zu. Als er wieder bei Charlotte war, nahm er ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und hob es an, bis sie ihn anschaute. "Ich tue, was ich will, Prinzessin", flüsterte er. "Und du gehörst zu mir. Daran solltest du dich gewöhnen."
6. KAPITEL
Charlotte erwachte mit grauenhaften Kopfschmerzen. Das zweite Cape war nichts geworden, und sie hatte ein neues nähen müssen. Bis zwei Uhr morgens hatte sie gearbeitet, wachgehalten von dem Kaffee, den Derek ihr hingestellt hatte, bevor er schlafen gegangen war. Sie schlüpfte aus dem Bett und in den mintgrünen Morgenmantel und warf einen Blick ins Wohnzimmer. Derek schlief noch auf dem Sofa. Sie schlich in die Küche, um Teewasser aufzusetzen. Dann ging sie ans Wohnzimmerfenster und blickte in den Garten. Sie wollte gerade in die Küche zurückkehren, als sie Bitsy und Elizabeth bemerkte. Die beiden kamen den Weg entlang, und irgendwie ahnte Charlotte, dass sie nicht zu dem mit Presseleuten belegten Gästehaus wollten. Nein. Bitte, nicht heute morgen. Nicht, wenn Derek auf dem Sofa schläft, anstatt im Bett mit seiner angeblichen Ehefrau. Sie rannte zu ihm, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. Als Derek wach wurde, war er fest davon überzeugt, sich in einem Wäschetrockner zu befinden. Irgend etwas schob ihn hin und her, und als er sich aufsetzen wollte, wurde die Decke weggerissen. "Allmächtiger!" stöhnte er und ließ sich zurückfallen. Sein Kopf prallte gegen die Armlehne des Sofas. Das unheimliche Etwas hatte auc h sein Kissen konfisziert. Benommen, aber fest entschlossen, nicht kampflos aufzugeben, schwang er die Beine vom Sofa. Etwas in grüne Seide Gehülltes landete auf seinem Schoß und drückte ihn wieder nach unten. Arme legten sich um seinen Hals, Lippen fanden seinen Mund und küssten ihn hellwach. Für eine Sekunde glaubte Derek, einen Zeitsprung gemacht zu haben. Das hier ähnelte bis in jede Einzelheit dem Traum, den er fast jede Nacht hatte, als er ungefähr vierzehn war. Dann ging ihm auf, das er in eine m Netz aus glattem blonden Haar und nach Blüten duftendem Parfüm gefangen war. Er hatte keine Erklärung für Charlottes Verhalten, beschloss jedoch blitzschnell, die Situation auszunutzen: Es war ihm egal, warum sie es sich anders überlegt hatte. Sie wollte ihn, allein darauf kam es an. "Charlotte? Derek? Kinder! Huhu!" Mit Deinem schmerzhaften Aufprall kehrte er auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Stimme an der Tür gehörte Bitsy, und Derek begriff, was los war. Charlotte versuchte, von seinem Schoß .zu klettern, um die Tür zu öffnen, durch dessen kleines Fenster die beiden Frauen sie anstarrten. Er ließ sie nicht los, sondern stand auf und warf sie über die Schulter. Dann ging er zur Tür. "Derek!" flüsterte sie wütend und schlug ihm gegen den Rücken. Er ignorierte sie. "Guten Morgen", sagte er in die verblüfften Gesichter hinein und tätschelte die wohlgeformte Kehrseite auf seiner Schulter. "Tut mir leid. Sie wird manchmal etwas schwierig." Er beugte sich vor und ließ Charlotte nach unten gleiten, bis ihre Füße den Boden berührten. "Sieh mal, Charlie, wir haben Besuch. Kommen Sie herein, meine Damen." Charlotte stand wie angewurzelt da, fasziniert nicht nur von seiner Unverfrorenheit, sondern auch von seinem Anblick in nicht mehr als einer Pyjamahose. "Klingt, als würde das Wasser kochen", sagte er. "Gutes Timing." "Ich will nicht lange stören", säuselte Bitsy, und Charlotte sah ihr an, wie sie insgeheim schon die nächste Kolumne schrieb: Cabots lieben es rau hinter verschlossenen Türen. "Ich wusste gar nicht, dass Sie auch die Kleider der Brautjungfern ändern wollten. Ich habe der Moderedaktion versprochen, sie noch einmal zu fotografieren. Elizabeth meinte, sie hätten die Kleider hier."
Charlotte war heilfroh, sich hinter die Fassade der Geschäftsfrau zurückziehen zu können. Sie erzählte von dem angefügten Cape, während sie das Kleid hervorholte. "Der Kopfschmuck besteht aus Blütenkränzen, aber die habe ich noch nicht gemacht." Elizabeth furchte die Stirn. "Was meinst du denn, wann du einen fertig hast, damit Bitsy ihn fotografieren kann?" "Ich muss erst Kendra fragen, ob er ihr gefällt", erwiderte Charlotte. "Aber bis zum Abendessen müsste es klappen." "Gut. Schuhe und Sträuße bleiben unverändert?" Charlotte schüttelte den Kopf. "Die Schuhe ja, aber die Mädchen tragen jetzt farblich auf den Kopfschmuck abgestimmte Biedermeiersträuße." Bitsy machte sich Notizen. Derek kam mit Tassen und einer dampfenden Teekanne aus der Küche. Er hatte sich das Pyjamaoberteil angezogen, und Bitsy wirkte enttäuscht. Derek goss Tee ein, setzte sich mit Charlotte aufs Sofa und zog sie an sich. Selbst Elizabeth entspannte sich ein wenig. Charlotte ging auf, dass er es mit seinem Charme schaffte, die beiden davon zu überzeugen, dass sie wirklich ein liebendes Ehepaar vor sich hatten. Doch als die Gäste sich verabschiedeten, Elizabeth mit dem Kleid über dem Arm; verschwand Dereks Charme. Er half ihr, die Tassen abzuräumen, stellte sich unter die Dusche und zog sich für eine Besprechung mit Caleb um. "Ist etwas nicht in Ordnung?" fragte Charlotte, als er in beiger Hose und hellgrauem Pullover aus dem Schlafzimmer kam. Er warf ihr einen kühlen Blick zu und band sich die Armbanduhr um, die er neben das Sofa gelegt hatte. "Seltsame Frage", antwortete er. "Ich dachte, deiner Ansicht nach ist hier nichts in Ordnung." "Du bist so still." Er zog eine Augenbraue hoch. "Du hast mich gestern abend gebeten, dich in Ruhe zu lassen. Genau das tue ich." Auch wenn sie ihn darum gebeten hatte, es gefiel ihr nicht. "Du hast gesagt, du tust, was du willst." "Vielleicht will ich dich in Ruhe lassen. Jedenfalls ist das leichter, als zu versuchen, aus dir schlau zu werden." "Ich wusste gar nicht, dass ich so kompliziert bin", erwiderte sie spitz. Derek griff nach seinem Schlüsselbund. "Vielleicht bin ich ja kompliziert geworden. Möglicherweise gefällt es mir nicht, mit einer Frau in den Armen aufzuwachen und festzustellen, dass sie nur dort ist, weil das Drehbuch es vorsieht." Er steckte die Schlüssel ein und ging zur Tür. Charlotte sprang auf. "Augenblick mal!" rief sie und versperrte ihm den Weg. Er verdrehte die Augen. "Soll das heißen, du bist wütend, weil ich vorhin die kleine Show abgezogen habe? So wie du es etwa ein halbes Dutzend Mal getan hast, seit wir hier sind. Wäre es dir lieber gewesen, die beiden hätten mitbekommen, dass du auf dem Sofa schläfst? Dass wir gar nicht verheiratet sind und kaum einmal in Ruhe miteinander reden können?" Natürlich hatte sie recht. Aber er hätte nicht zu sagen vermocht, was mit ihm los war. Bisher hatte er sich bei seinen Entscheidungen nie von Gefühlen, sondern nur von der Logik leiten lassen, ob im Beruf oder bei Frauen. Aber bei dieser Frau versagte jede Logik. Er begehrte sie, obwohl er genau wusste, dass er mit ihr vermutlich keinen ruhigen Moment mehr haben würde. Und nun führte er sich auf wie ein trotziger Teenager. Er begriff einfach nicht, was mit ihm los war. Derek öffnete die Tür. "Wir sehen uns beim Abendessen", sagte er und ging hinaus. Am frühen Nachmittag hatten Charlottes Kopfschmerzen kolossale Ausmaße erreicht. Sie probierte es mit einer Tasse Tee, etwas Suppe und mehreren Aspirin, aber nichts half.
Paradoxerweise wurde der Kopfschmuck wunderschön. Die Rosen harmonierten wunderbar mit den fünfblütigen Seidenblumen und dem Schleierkraut und verbanden sich zu einem anmutigen, romantischen Kranz. Die Perlenschnüre verliehen den Blumen einen Hauch von Eleganz. Charlotte setzte den Kranz auf ihren schmerzenden Kopf und blinzelte in den Spiegel. Sie stellte fest, dass die Seide viel zu steif und unnatürlich wirkte. Dampf würde helfen. Das kleine Gerät, mit dem man auf Reisen zerknitterte Sachen glättete, wäre ideal. Aber sie hatte es nicht mit. Und sich mit solchen Kopfschmerzen auf den Freeway zu trauen, war unvorstellbar. Sie sehnte sich nach einem heißen Bad und einem Nickerchen. Plötzlich kam ihr die rettende Idee. Der Dampf, der aus dem heißen Wasser aufstieg, würde wie das Gerät wirken. Charlotte füllte die Wanne, zog den Morgenmantel aus und setzte sich mit dem Blütenkranz auf dem Kopf ins Wasser. Als sich ihre verkrampften Muskeln zu entspannen begannen, legte sie die Arme auf den Rand und die Füße auf den Wasserhahn. Sie schloss die Augen und überlegte, warum Derek und sie solche Probleme miteinander hatten. Vielleicht lag es daran, dass sie vom Temperament her so verschieden waren wie ihre Wagen. Sie suchte ihr Glück in der Vergangenheit, während er immer nach vorn blickte, auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Risiken. Als Derek das Gästehaus betrat, fiel ihm die ungewöhnliche Stille sofort auf. Dann hörte er das leise Plätschern von Wasser und ein zartes Seufzen. Besorgt folgte er den Geräuschen bis zur offenen Badezimmertür. Dort blieb er stehen, wie gelähmt von dem Anblick, der sich ihm bot. Er wusste, dass er nicht träumte, denn die Kante des Türrahmens bohrte sich in seine rechte Hand, und der warme Dampf legte sich feucht auf sein Gesicht. Trotzdem glaubte er seinen Augen nicht trauen zu können. Charlotte lag nackt in der Wanne, und mit dem Blütenkranz auf dem Haar sah sie aus wie eine exotische Nymphe, die in einer Quelle badete. Sie war so makellos, wie er sie sich vorgestellt hatte. Das Wasser schlug gegen die formvollendeten Brüste, die wie zwei rosige Inseln aufragten. Die schmale Taille und die sanft geschwungenen Hüften waren nicht so deutlich zu erkennen, aber an den langen, schlanken Beinen glitzerten Wassertropfen wie Perlen. "Oh, Derek", sagte sie leise, obwohl sie ihn noch nicht bemerkt hatte, und es ging ihm bis ins Mark. Er hörte das Verlangen in ihrer Stimme und spürte, wie sein Körper darauf reagierte. Derek ging hinein, und sie setzte sich erschrocken auf. Als sie sah, dass er es war, verschwand die Angst aus ihrem Blick, wich der Resignation. "Hallo!" murmelte sie. Er setzte sich auf den Rand der Wanne und stützte sich mit einer Hand auf der anderen Seite ab. Sein Blick wanderte von ihrem Kinn über die geröteten Wangen und glänzenden Augen zu den Blüten in ihrem Haar. "So badet also eine Prinzessin?" fragte er, und seine Stimme klang in dem winzigen Raum noch tiefer als sonst. "Das ist der Prototyp für die Hochzeit", antwortete sie. "Die Blumen waren zu steif, und ich dachte, der Dampf würde helfen. Ich hatte kein Gerät und wollte ohnehin baden. Also..." Natürlich. So war sie. Wenn es für irgendein Problem eine harmonische, romantische Lösung gab, dann fand sie die. Der Wunsch, sie zu berühren, war nicht mehr zu unterdrücken. Behutsam strich Derek mit der Fingerspitze über ihre Wange. "Ich habe gehört, wie du meinen Namen ausgesprochen hast", sagte er.
Charlotte nickte, und es faszinierte ihn, wie anmutig die Geste durch die Blüten im Haar wirkte. "Das heute morgen tut mir leid." Ihre Augen schienen dunkler zu werden, und er fühlte sich in ihre verlockenden Tiefen gezogen. "Der Kuss war echt, auch wenn du ihn nur bekommen hast, weil Elizabeth und Bitsy durchs Türfenster schauten." Sie zuckte mit einer schmalen, zarten Schulter. "Irgendwie kommt mir alles so echt vor." Es war echt. Er musste es ihr beweisen. Derek erhob sich, griff nach ihren Händen und zog sie aus dem Wasser. Dann nahm er ein flauschiges graues Handtuch vom Ständer, hüllte sie darin ein und hob sie aus der Wanne. Charlotte konnte kaum noch atmen, so heftig klopfte ihr Herz. Ihre Arme legten sich wie von selbst um seinen Hals. Sie starrte in seine hellbraunen Augen und spürte, wie die Begierde in ihr wuchs. Sie überbrückte die kurze Distanz zwischen ihrer beider Lippen und öffnete den Mund, als er seinen berührte. Derek küsste sie hungrig, ließ seine Zunge mit ihrer spielen, knabberte an ihrer Unterlippe und senkte den Kopf, um die nackte Haut über dem Handtuch zu küssen. "Derek!" hauchte Charlotte in sein Haar. Er hörte die Leidenschaft darin und genoss es, wie sie seine anstachelte. Er nahm das Handtuch, hielt sie mit einem Arm fest und trocknete ihr den Rücken und die Hüften ab. Dann wickelte er es von hinten um sie, zog sie an sich und rieb sanft und zärtlich über die Brüste und den Bauch. Schließlich beugte er sich über ihre Schulter, um die Oberschenkel zu frottieren, und Charlotte drehte sich in seinen Armen zu ihm um. Sie knabberte an seinem Ohrläppchen, küsste ihn auf die Wange und schaute ihm in die Augen. In ihren las er eine Liebe, die nicht zu verbergen war, und tausend Rätsel, die er nicht lösen konnte. In seinen Augen lag eine Leidenschaft, die so unermesslich war, dass Charlotte sie auch gespürt hätte, wenn sie nicht in seinen Armen gewesen wäre. "Dies wird alles zwischen uns verändern", warnte sie ihn leise. Er strich mit dem Daumen über ihre Lippen, und sein Blick folgte der Berührung, bevor er den Kopf hob. "Nein, das wird es nicht", widersprach er. "Es wird nur das bestätigen, was wir längst wissen: Wir gehören zusammen." Dann warf er das Handtuch zur Seite, hob sie auf die Arme und ging ins Schlafzimmer.
7. KAPITEL
Derek legte Charlotte mitten aufs Bett und ging zum offenen Fenster. Vom Pool her drang Lachen ins Gästehaus. Er schloss das Fenster und zog die Vorhänge zu. "Ich habe genug davon, mich beschnüffeln zu lassen. Auf der Bühne geht es ja noch..." Er setzte sich aufs Bett, umfasste Charlottes Gesicht und küsste sie zärtlich. "Aber nicht jetzt, wo wir endlich dazu kommen, das Drehbuch selbst zu verfassen." Sein Lächeln war zugleich liebevoll und verwegen. Sie erwartete lustige, geistreiche Bemerkungen, aber Derek schaute sie nur fasziniert an. "Woran denkst du?" fragte sie. Er küsste ihre Hand. "Dass du im Moment gar nicht wie eine hoheitsvolle Prinzessin aussiehst." Er strich mit der Fingerspitze über ihren Bauch. "Eher wie eine kleine Nymphe." Er nahm ihr den Blütenkranz ab und legte ihn vorsichtig auf den Nachttisch. "Ich bin es nur", flüsterte sie. "Die Frau, die dich ein ganzes Jahr lang frustriert hat, weil sie immer zurück anstatt nach vorn geschaut hat. Und weil sie ständig so langsam gearbeitet hat. Bist du sicher, dass du das hier willst?" Derek schob eine Hand unter ihren Rücken und hob sie an, bis er ihre Stirn küssen konnte. "Jetzt, wo ich gesehen habe, wie du arbeitest, verstehe ich etwas besser, warum die Vergangenheit dich so fasziniert." Er ließ eine Hand über ihre Hüfte gleiten. "Und manche Dinge", fuhr er leiser fort-, "lassen sich am besten langsam erledigen." Und dann begann er mit der genießerischen Erkundung. Charlotte spürte, wie das Verlangen in ihr entflammte, als seine Hände die Geheimnisse ihres Körpers enthüllte. Und, da war sie sicher, auch einige von denen, die ihr Herz in sich barg. "Derek!" flüsterte sie, als sein Mund sich um eine Brustspitze schloss und sie Mühe hatte, die Beherrschung zu wahren, die ihr immer so wichtig gewesen war. Doch seine Lippen wanderten bereits weiter, über den Bauch, dorthin, wo ihre Schenkel sich trafen. Seine Zungenspitze war wie ein Flamme, und Charlottes Finger krallten sich ins Kopfkissen. Ihr kam mit einemmal die überraschende Erkenntnis, dass sie sich nicht ausgeliefert, sondern frei fühlte. Und schließlich wurde ihr bewusst, was diese Freiheit mit sich brachte. Dir Körper schien am Rand der Unendlichkeit zu schweben, bevor sie - befreit von allen Hemmungen - in sie eintauchte. Das hatte sie nie zuvor erlebt. Stets hatte sie noch einen letzten Rest an Boden unter den Füßen gehabt, sich irgendwie mit der Wirklichkeit verbunden gefühlt. Doch diesmal schwebte sie über allem und stieg empor, bis es weder Raum noch Zeit zu geben schien. Aber dann wurde ihr bewusst, dass sie allein dort oben war. "Derek..." Charlotte sprach seinen Namen ganz leise aus, doch er registrierte das Staunen darin. Sie tastete nach ihm, als wüsste sie nicht genau, wo sie sich befand. "Hier", sagte er und legte sich neben sie, um sie an sich zu ziehen. "Hier bin ich." Er hatte erwartet, dass sie einen Moment reglos liegenbleiben würde, bis sie wieder Boden unter den Füßen hatte. Aber statt dessen wollte sie ihn mit sich nach oben nehmen. Sie kniete sich also neben ihn und zog ihm den Sweater mitsamt dem T-Shirt darunter über den Kopf. Er lag reglos da, ohne ihr zu helfen, genoss es, sie zu betrachten, ihre konzentrierte Miene mit den leicht geröteten Wangen. Dann schob sie beide Hände unter seinen Rücken, um ihn aufzurichten, wie er es mit ihr getan hatte. Er rührte sich nicht vom Fleck. . Charlotte warf ihm einen zärtlich tadelnden Blick zu. "Würdest du mir helfen?" Derek lag nur da und dachte, dass er sich noch nie im Leben so wohl gefühlt hatte.
"Ich möchte sehen, was du als nächstes tust", sagte er. Sie setzte sich auf ihn, und als sie sich an ihm rieb, hätte es ihn fast die Selbstbeherrschung gekostet, die er brauchte, um sie zu beobachten. Sie zog eine Augenbraue hoch, wurde für einen Moment wieder zur Winterprinzessin, und er spürte den Reiz der Gefahr, den er so sehr liebte. Sie löste erst seinen Gürtel, dann zog sie an der Hose. Unwillkürlich bog er sich ihren Händen entgegen und gab ihr damit die Chance, die Hose und den Slip darunter über die Hüften zu schieben und an den Beinen hinab. Schließlich kniete Charlotte wieder über ihm und lächelte selbstzufrieden. Sie hatte jedes Recht dazu. "Das ist der Unterschied zwischen uns", sagte sie spöttisch, und ihr Atem strich warm über seine nackte Brust. "Du denkst, alles muss bis in jede Einzelheit so gemacht werden, wie du es willst, wenn aus einem Projekt etwas werden soll. Ich dagegen ziehe es vor, die Alternativen zu erkunden. Es gibt auch andere Methoden als dein Hauruckverfahren." Der Tadel provozierte ihn, und als sie ihm beweisen wollte, wie kreativ sie sein konnte, griff er nach ihr. Seine Hände legten sich um ihre Hüften, und er hob sie an, bis sie genau so auf ihm saß, wie er es wollte. Derek ließ sie auf sich sinken, und ihr Körper hieß ihn willkommen. Es geschah mit der mühelosen Geschmeidigkeit, die es nur gab, wenn zwei Menschen füreinander geschaffen waren. Er bewegte sich unter ihr, und sie beugte sich vor, um ihn zu küssen, während sie sich auf den Weg dorthin machten, wo nur noch sie beide und ihre Liebe füreinander existierten. Charlotte schmiegte sich genießerisch an Derek und ließ ihren Kopf mit einem zufriedenen Seufzer auf seine Brust sinken. "Wir sollten jetzt aufhören", sagte sie. "Wir müssen uns nämlich zum Abendessen umziehen." Sie seufzte noch einmal. "Schade, dass wir nicht im Bett essen können." "Herrliche Vorstellung." "Oder wir packen es in einen Korb, zusammen mit einer Flasche Chardonnay, und fahren mit meinem Duesenberg nach Monterey." "Dein Duesenberg besteht im Moment aus drei Teilen", erinnerte er sie. Sie stöhnte auf. "Richtig. Und in deinen Porsche passt der Korb nicht. Schätze, wir müssen ins große Haus." Derek zog sie an nicht. "Lass uns hierbleiben. Ich wette, sie merken gar nicht, dass wir fehlen." "Ich habe Kendra versprochen, ihr den Kopfschmuck zu zeigen. Und Bitsy will ihn unbedingt fotografieren." "Na gut." Er rollte sich herum und legte Charlotte auf den Rücken. "Aber ich brauche eine Erinnerung an diesen Nachmittag, sonst halte ich das Gekichere der Mädchen, Elizabeths endlose Planung und die sehnsuchtsvollen Blicke, die Trey dir immer zuwirft, nicht aus." Sie schob ihn halbherzig von sich. "Ich glaube, du hast bereits drei Erinnerungen gesammelt. Oder waren es vier? Ich glaube, beim letzten Mal bin ich ohnmächtig geworden." "Eine schmeichelhafte Vorstellung, aber ich fürchte, du bist einfach nur eingeschlafen." "Na ja, ich habe nicht sehr viel gegessen..." Er hob ihre Hüften an. "Je schneller wir es hinter uns bringen, desto früher kannst du essen." Sie seufzte dramatisch. "Na gut. Wenn du unbedingt willst..." Er wollte, und später ging ihr auf, wie sehr auch sie wollte. Elizabeth tadelte sie nicht, als sie mit zwanzig Minuten Verspätung zum Abendessen kamen. Sie wandte sich an den Butler, der neben ihr erschienen war. "Sie können jetzt endlich servieren, Chadwick." "Sehr wohl, Ma'am."
Alle musterten Charlotte und Derek neugierig, als sie das Esszimmer betraten, und Charlotte war sicher, dass man ihr ansah, wie sie und Derek den Nachmittag verbracht hatten. Zum Glück eilte Kendra auf sie zu und zeigte auf die Papiertüte in Charlottes Händen. "Ist das der Kopfschmuck?" fragte sie aufgeregt. "Wie? Ach ja. Briane?" Charlotte, Kendra, Briane und Denise drängten sich vor dem Spiegel, der über dem Queen-Anne-Tisch hing. Charlotte setzte Briane den Kranz auf, und alle waren sich einig, dass er perfekt zu den Kleidern passte. Kendra strahlte. "Ich werde die schönsten Brautjungfern haben, die je eine Braut hatte." Erst als sie am Tisch saßen, bemerkte Charlotte, dass Trey fehlte. "Kommt Trey nicht?" fragte Caleb. "Er fühlte sich ein wenig unwohl", erklärte Kendra und grinste ihren Freundinnen zu. "Ich nehme an, er hat sich noch nicht von den Drinks in der Karaoke-Bar erholt. Er hat sich hingelegt." Zum Nachtisch gab es Babs' Torte. Alle waren begeistert. "Die schmeckt phantastisch", schwärmte Kendra und sah ihre Mutter an. "Könnten wir nicht auf die Torte aus der Konditorei verzichten und Grandmas Torte nehmen? Die würde auch besser zu allem anderen passen." "Die Torte ist bestellt", entgegnete Elizabeth kurz angebunden. "Bitte." Elizabeth seufzte. "Deine Änderungswünsche haben mir schon genug Ärger bereitet. Wenn ich nur an das Theater mit den Kleidern denke." Charlotte sah, wie Carolines Augenbrauen nach oben zuckten, und unterdrückte ein Lächeln. Es war so typisch, dass Elizabeth sich für die Leidtragende hielt. Nach dem Essen ging Kendra mit ihren Brautjungfern nach oben, wo Briane den Kopfschmuck zusammen mit dem Kleid anprobieren wollte. Babs eilte zu Pauline in die Küche, denn dort fühlte sie sich am wohlsten. Elizabeth setzte sich an ihren Schreibtisch im Schlafzimmer, um mit der Vorbereitung des Empfangs weiterzumachen. Caleb, Caroline, Derek, Charlotte und Edward setzten sich ins Wohnzimmer, um Brandy zu trinken und über die Hochzeitsreise nach Tahiti zu reden, die Caleb dem jungen Brautpaar spendiert hatte. Caleb holte einen zweiten Umschlag heraus und reichte ihn Derek, der auf Charlottes Sessellehne saß. Derek stellte sein Glas ab. "Was ist das?" Caleb räusperte sich verlegen. "Nur eine kleine Entschädigung dafür, dass ihr eure Flitterwochen unterbrechen musstet, um bei der Hochzeit meiner Tochter zu helfen." Derek öffnete dem Umschlag und zog zwei Flugtickets heraus. "Tickets nach Paris", sagte er und warf Charlotte einen warnenden Blick zu. "Caleb, das ist wirklich nicht nötig." "Ich wollte euch nicht nach Tahiti schicken", erwiderte er lächelnd. "Habe mir gedacht, ihr wollt nicht dauernd Kendra und Trey über den Weg laufen, wenn ihr das hier hinter euch habt. Caroline hat mir erzählt, dass Charlotte für Paris schwärmt." Charlotte wusste, dass sie alles andere als begeistert aussah. Derek beugte sich zu ihr herüber und umarmte sie. "Nimm dich zusammen", flüsterte er. "Wir kriegen das schon hin." Charlotte rang sich eine Lächeln ab und dankte Caleb mit einer verblüfften Höflichkeit, die er offenbar absolut überzeugend fand. "Ich habe auch ein paar Prospekte", sagte Caleb und klopfte sich auf die Taschen. "Wo habe ich sie denn? Ach ja, im Arbeitszimmer." Stöhnend blickte er an sich herab. Die Vorstellung, seine massive Gestalt aus dem tiefen Sessel zu wuchten, schien ihm in diesem Augenblick gar nicht zu gefallen. Charlotte sprang auf. "Ich hole sie, Caleb", sagte sie, froh über die Chance, einen Moment allein zu sein. "Ich wollte sowieso nachsehen, ob noch Kaffee da ist." Dereks Blick war halb Besorgnis, halb Warnung. Sie streichelte ihm die Wange.
"Bin gleich zurück." "Auf dem Schreibtisch!" rief Caleb ihr nach. Sie überquerte den Flur, betrat das Arbeitszimmer und schloss die schwere Eichentür. Dann legte sie eine Hand dorthin, wo ihr Herz wie wild schlug. Eine Reise nach Paris. Aus Dankbarkeit dafür, dass sie Flitterwochen unterbrochen hatten, die es gar nicht gab. Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Dass das hier zu weit ging? Oder dass sie an genau dem Punkt waren, an den sie gehörten? Schließlich spielten sie und Derek keine Rollen mehr, sondern sie liebten sich wirklich. Aber irgendwie machte das dieses Spiel nicht einfacher, sondern schwieriger. Charlotte tastete über die Wand nach dem Lichtschalter, fand ihn jedoch nicht. Sie versuchte es an der anderen Seite der Tür... und zuckte zusammen, als sie ein leises Geräusch hörte. Ein Rascheln, dann ein Laut, der sich wie unterdrücktes Atmen anhörte. Ein Einbrecher konnte es nicht sein. Das Haus war voller Menschen und noch dazu von einem hohen Zaun umgeben. "Hallo?" sagte sie. Jemand schien sich zu bewegen. "Wer ist da?" fragte sie scharf. "Ich bin es, Charlie", kam eine leise, verführerisch sanfte Stimme aus der Dunkelheit. "Trey!" entfuhr es ihr erleichtert. "Was, um alles auf der Welt, tust du hier?" Dann fiel ihr ein, dass er sich seiner Kopfschmerzen wegen hingelegt hatte. Als er ihre Frage nicht beantwortete, ging ihr auf, wie seine Stimme geklungen hatte - atemlos und erregt. "Oh, Charlie", sagte er, die Stimme noch tiefer, noch belegter. Ein Hand packte ihre und zog sie weiter in den Raum hinein. "Trey!" Endlich begriff sie, was los war, und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. "Trey, hör auf damit! Was ist los mit dir?" "Du weißt genau, was los ist." Plötzlich lagen seine Arme um sie, und sie fühlte feuchte Lippen an der Wange. Sie wusste, dass er ihren Mund nur deshalb verfehlt hatte, weil sie sich hin und her gedreht hatte, um sich aus seiner Umarmung zu befreien. "Hör sofort auf!" zischte sie. "Deine Verlobte ist oben. Und ihr Vater auf der anderen Seite des Flurs - mit meinem Mann!" "Charlie, das hier ist alles falsch, und du weißt es", erwiderte er nach einem weiteren fehlgeschlagenen Kussversuch. "Da hast du verdammt recht! Es ist falsch!" Sie versuchte ihn zu treten, schaffte es nicht, und stemmte sich mit aller Kraft gegen ihn. "Das hier meine ich nicht", sagte er, bevor sein Mund endlich ihren fand und er sie küsste. Sie presste die Lippen aufeinander, während Ekel und Zorn in ihr aufstiegen. "Ich meine das, was aus allem geworden ist. Du mit Cabot, ich mit Kendra. Sie ist hübscher als du, und sie ist auch zugänglicher, aber eben nicht mit dir vergleichbar." "Trey, du wirst sie in zwei Tagen heiraten." "Ich kann nicht." Das war es, was ihr endlich die Kraft gab, ihn von sich zu schieben. Er taumelte nach hinten, und sie schrie entsetzt auf, als er im Fallen nach ihrem Rock griff. Es tat höllisch weh, als erst ihr Bein, dann die Schulter gegen etwas Hartes, Eckiges stießen. Möbel kippten um, Glas zersplitterte. Schließlich landete sie auf etwas, das ein lautes "Uff!" von sich gab. Als Charlotte verwirrt aufzustehen versuchte, krachte es erneut. Die Tür des Arbeitszimmers flog auf, und jemand schaltete das Licht ein. Der Globus war mit seinem hohen Ständer umgekippt, und die Erdkugel drehte sich noch langsam um ihre Achse; Der umstürzende Globus war mit einem Glastisch kollidiert und hatte
ihn umgeworfen. Das Glas war zersplittert, eine Kristallschale hatte ihren Inhalt, in glänzende Folie gewickelte Bonbons, auf den braunen Teppich ergossen. Charlotte und Trey lagen zwischen den Beinen des Couchtisches. Trey unten, den Kopf an einem der Beine, die eigenen Beine zwischen den Tischbeinen am anderen Ende. Charlotte lag quer über ihm. Der Rock war ihr bis zu den Oberschenkeln hochgerutscht. Sie hielt sich an der Tischkante fest, um sich halb aufzurichten, und stellte entsetzt fest, dass fast die gesamte Familie und ihre Gäste im Türrahmen standen. Derek und ihr Vater starrten sie verständnislos und besorgt an, hinter ihnen Caleb und Caroline, ebenfalls mit großen Auge n. Caroline hatte eine Hand vor dem Mund. Kendra und ihre Brautjungfern lugten um sie herum, bis Kendra sich nach vorn drängte und mit offenem Mund auf die kompromittierende Szene blickte. Elizabeth erschien und schrie entgeistert auf. Charlotte hielt sich stöhnend den Kopf. Trey verschlimmerte die Situation noch, indem er nach ihrer Wange tastete. "Bist du okay, Charlie?" fragte er mit liebevoller Besorgnis. Dann lösten sich alle aus der Erstarrung. Derek half Charlotte auf die Beine, Edward und Caleb zogen Trey hoch. Charlotte sah Derek zornig, aber beherrscht. "Ich wollte Licht machen", erklärte sie. "Lichtschalter befinden sich normalerweise an der Wand", bemerkte Elizabeth mit einem bedeutungsvollen Blick auf das Chaos am Boden. Selbst in Charlottes Ohren hörte ihre Erklärung sich wie eine Lüge an. Und als sie errötete, war sie sicher, dass sie wie eine ertappte Lügnerin aussah. Sie drehte sich zu Trey um, irgendwie hoffend, dass er ihr zur Hilfe kommen und alles erklären würde... vergeblich. "Ich war auf dem Sofa eingeschlafen", sagte er und lächelte Kendra zu, die ihn misstrauisch musterte. "Sie ist auf mich gefallen." Mit gespielter Unschuld sah er Charlotte an. "Was wolltest du überhaupt hier?" Charlotte fragte sich, wie sie jemals auf seinen verlegenen Charme hatte hereinfallen können. Sie überlegte, ob sie die Wahrheit sagen sollte. Nein, dachte sie, wenn jemand ehrlich zu sein hat, dann Trey. "Das mit dem Tisch tut mir leid, Elizabeth", sagte sie und wollte nichts anderes mehrmals nach Hause fahren. Sie sehnte sich nach dem simplen Leben, das sie geführt hatte, bevor dies alles begann. "Ich lasse ihn reparieren." „Unsinn", sagte Caleb, während seine Frau den Tisch mit betrübter Miene aufstellte. Caroline legte einen Arm um Charlotte. "Du solltest dich hinsetzen, Charlie. Du siehst nicht gut aus." "Es geht mir gut", entgegnete sie. "Aber wenn ihr mich entschuldigt, möchte ich ins Gästehaus zurück." "Ich mache dir einen Tee", bot Caroline an. Edward furchte die Stirn. "Du siehst wirklich nicht gut aus. Hast du dir den Kopf gestoßen?" "Nein." Doch als sie den Kopf schüttelte, waren die Schmerzen wieder da, schlimmer als zuvor. "Du solltest dich hinlegen", sagte Derek und hob sie auf die Arme. "Ich kümmere mich um sie, Caroline." Charlotte war froh, das Gesicht an seine Schulter schmiegen und die Augen schließen zu können, während er sich durch das noch immer misstrauisch blickende Publikum drängte. Derek trug sie durch den duftenden Garten zum Gästehaus. Als sie die Tür erreichten, zog er ein Knie an, presste es gegen die Wand und legte Charlotte darauf, während er den Schlüssel herausholte und öffnete. Dann waren sie im Haus und er ließ sie behutsam aufs Bett gleiten. "Bleib liegen", sagte er und zog ihr die Schuhe aus. "Ich setze Wasser auf."
Er schaltete nur im Flur das Licht ein, so dass das Schlafzimmer im Halbdunkel lag. Charlotte hörte ihn in der Küche herumhantieren, dann kam er zurück, warf sein Jackett über den Sessel und setzte sich aufs Bett. "Geht es dir wirklich gut?" fragte er und deckte sie zu. "Ja. Abgesehen von ein paar blauen Flecken." "Was, zum Teufel, ist passiert? Ich dachte, es ist aus zwischen euch, aber dauernd finde ich euch zusammen." Sie warf die Decke ab und setzte sich auf. "Es ist auch aus zwischen uns", beteuerte sie wütend und griff nach dem Kissen, um es drohend zu heben. "Und wenn du zu behaupten wagst, das vorhin hatte mit... mit einem heimlichen Rendezvous zu tun, dann..." Er nahm ihr das Kissen ab und warf es hinter sie, bevor er sie behutsam zurück aufs Bett drückte. "Was war es dann?" fragte er. Wütend, enttäuscht und deprimiert zog sie die Decke über sich. "Er hat mich geküsst", sagte sie nur. Derek schaltete die Nachttischleuchte ein. "Wie bitte?" "Er hatte sich wegen seiner Kopfschmerzen hingelegt. Kendra hat es beim Essen erwähnt. Leider hat sie nicht gesagt, dass er im Arbeitszimmer war. Ich habe mich durch die Dunkelheit getastet, er wachte auf und hörte mich, und dann..." Sie suchte nach einer Erklärung. "Wahrscheinlich bekam er so etwas wie Torschlusspanik, vielleicht auch ein schlechtes Gewissen, weil er mich am Altar stehengelassen hat, und..." "Du willst sagen", sagte Derek trocken, "er hat dich geküsst, um es wiedergutzumachen, dass er dich in einer vollbesetzten Kirche stehengelassen hat?" Ihr Blick tadelte ihn dafür, dass er sie absichtlich falsch verstanden hatte. "Nein, ich meine, wenn er in Panik gerät, denkt er nicht mehr klar." "Wenn er in Panik gerät", ergänzte Derek, "denkt er nur noch an sich?" Seufzend ließ sie den Kopf ins Kissen sinken. "Ja, ich weiß. Ich habe ihn weggestoßen, er ist über den Tisch gefallen und hat nach mir gegriffen. Deshalb lagen wir zusammen auf dem Boden." "Kein Mensch hat seine lahme Geschichte geglaubt. ‚Ich habe geschlafen, und sie ist auf mich gefallen.' Genausogut hätte er sagen können: ,Wir sind vom Sofa gefallen, als uns die Leidenschaft packte.' Warum hast du ihm nicht widersprochen?" Ihr Kopfschmerz wurde schlimmer, und sie verzog das Gesicht. "Weil Kendra da war." "Sie hat doch ein Recht zu erfahren, dass ihr Verlobter seine alte Flamme geküsst hat, oder?" "Ich weiß es nicht." Charlotte rieb die Stelle zwischen den Augenbrauen. "Vielleicht liebt er sie wirklich und ist nur dumm. Ich habe mich in ihn verliebt, weil er ein sensibler, liebevoller Mensch in einer Welt voller rücksichtsloser, karrieresüchtiger Männer war." Ihr Blick verriet, dass sie auch Derek zu diesen Männern gezählt hatte. "Und dann, am Morgen der Hochzeit, war das einzige, was von ihm in der Kirche eintraf, ein Bote mit einer Nachricht. Er schrieb, dass er mich nicht heiraten kann, weil er weiß, dass er mich eines Tages enttäuschen wird. Damit hatte er vermutlich recht, denn ich erwartete etwas von ihm. Ich bin nicht sicher, dass Kendra das auch tut. Er sieht gut aus, ist intelligent, und ihre Familie mag ihn... das sind die Maßstäbe, mit denen sie aufgewachsen ist. Für ihr eigenes Ich braucht sie nichts. Vielleicht werden sie sogar glücklich miteinander." Der Kessel flötete, und Derek knurrte eine Verwünschung. Kurz darauf kam er mit zwei dampfenden Bechern zurück. Er reichte Charlotte einen und setzte sich wieder auf die Bettkante. Sie zur rutschte zur Seite und klopfte auf die Stelle neben sich. "Möchtest du bei mir sitzen?" Derek wollte es und auch wieder nicht. Er steckte noch voller zorniger, eifersüchtiger Fragen. Aber Charlotte sah blass und erschöpft aus, und ihre Augen verrieten, wie sehr die
Episode mit Prentiss sie erschüttert hatte. Er stellte seinen Becher ab und setzte sich zu ihr aufs Bett. Sie legte den Kopf an seine Schulter und seufzte. "Bei einem ehrlichen Mann weiß man wenigstens, wo die Beziehung ihre Grenzen hat." Er war nicht sicher, ob ihm die Bemerkung gefiel. "Und bei unserer Beziehung hast du die Grenzen bereits gefunden?" Sie nahm einen Schluck Tee und ließ den Kopf wieder gegen seine Schulter sinken. "Na ja, du weißt schon. Du findest meine Schwärmerei für die Vergangenheit kindisch und ein wenig verrückt. Ich schlendere herum, wo du wie ein Bulldozer vorwärtsstürmst, und dadurch fallen mir hübsche kleine Sachen auf, die du gar nicht wahrnimmst. Es wird viel geben, das wir nicht miteinander teilen können. Aber wenigstens weiß ich das. Du brauchst mir nichts vorzumachen." Er legte die Stirn in Falten. "Gegensätze ziehen sich an, heißt es", entgegnete er. "Zwei sehr verschiedene Menschen können eine gesunde Balance ergeben." Charlotte schwieg einen Moment. Dann stellte sie ihren Becher auf den Tisch und legte Dereks Arm um sich. Sie machte es sich an seiner Brust bequem und schloss die Augen. "Das stimmt", murmelte sie, allerdings zu spät, um ihn davon zu überzeugen, dass sie es auch wirklich meinte.
8. KAPITEL
"Was hast du heute vor?" fragte Derek. Er stand an der Badezimmertür und zog sich einen Pullover über. Charlotte lag im warmen Badewasser und sah lächelnd zu, wie sein Kopf aus dem Ausschnitt auftauchte. "Ich muss den zweiten Kopfschmuck fertig machen", antwortete sie. "Und ich habe Kendra versprochen, ihr ein Paar gemusterter Strümpfe aus der Boutique zu holen. Vorausgesetzt, sie redet überhaupt noch mit mir." Derek fuhr sich mit der Hand durch das Haar und betrat den winzigen Raum. "Wenn du wegen gestern abend Ärger bekommst, erzähle ich allen, was wirklich passiert ist." "Vielleicht glauben sie ja doch, dass ich über ihn gefallen bin und alles ganz harmlos war." "Auf der Suche nach einem Lichtschalter, der gute fünf Meter entfernt ist?" "Du bist nicht sehr hilfreich." Sie setzte sich auf und verzog das Gesicht, als die Blutergüsse an der Schulter schmerzten. "Was ist?" fragte er und beugte sich über sie. "Nichts Ernstes. Nur ein paar blaue Flecken vom Couchtisch." Derek inspizierte den untertassengroßen dunkelroten Fleck an der Schulter und fluchte. "Meine Güte! Ist das der einzige, den du hast?" Ohne Vorwarnung zog er sie aus dem Wasser und ignorierte ihren Protest. Nach kurzer Suche hatte er zwei weitere Blutergüsse gefunden, einen am Oberschenkel, einen am Po. "Das reicht", knurrte er. "Es ist höchste Zeit, dass Prentiss und ich von Mann zu Mann..." Charlotte schlang die Arme um ihn und die Wärme ihres feuchten nackten Körpers drang durch seine Kleidung. "Die sind in ein oder zwei Tagen wieder verblasst." Flehend sah sie ihn an. "Und auch wenn er an ihnen schuld ist, wir sind gefallen, weil ich ihn weggestoßen habe. Bitte verdirb Kendra nicht die Hochzeit." "Charlie, er..." Ihr Blick richtete sich auf seine Lippen und hinderte ihn am Weiterspreche n. "Er bedeutet mir nichts mehr", flüsterte sie und strich mit der Zungenspitze über seine Unterlippe. "Ich will jetzt nur an uns denken." Ihre Zunge schob sich in seinen Mund, und da war es um Derek geschehen. Zur Besprechung in Calebs Büro kam Derek zwanzig Minuten zu spät. Mit Charlotte in meinem Bett, dachte er, werde ich wohl in Zukunft zu allem zwanzig Minuten zu spät kommen. "Sag mal", begann Edward, nachdem sie das Geschäftliche erledigt hatten und Caleb zu Elizabeth gebeten worden war, "Prentiss konnte angeblich nicht kommen, weil er zum Juwelier musste. Ich glaube, er wollte dir nicht begegnen. Was, zum Teufel, ist gestern abend passiert?" Derek wusste, dass es Charlotte nicht gefallen würde, wenn er es ihrem Vater erzählte. Aber es gab Dinge, bei denen sie nicht das letzte Wort haben durfte. "Sie suchte im Dunkeln nach dem Lichtschalter, und Prentiss wurde zudringlich. Sie stieß ihn weg, und beide stürzten über den Couchtisch." Edwards Bemerkung dazu war nicht druckreif. "Ganz genau", sagte Derek. "Ich werde mit ihm reden, sobald er vom Juwelier zurück ist." In einem pinkfarbenen Joggingarizug mit applizierten Rosen ging Charlotte zur Tür, als es laut klopfte. Kaum hatte sie geöffnet, drängte Caroline sich ins Gästehaus, eine Papiertüte mit etwas Duftendem in der Hand. "Wo ist die Küche?" fragte sie. Charlotte zeigte es ihr und folgte ihrer Stiefmutter, die den halbvollen Kessel nahm und zwei Becher Tee aufgoss.
"Dein Vater hat mich hergeschickt", verkündete sie. "Um festzustellen, ob du glücklich bist... Teller?" Charlotte holte zwei heraus. "Was ist in der Tüte?" Caroline zog zwei dicke, lecker duftende Croissants hervor. "Hm!" machte Charlotte. "Und sie sind auch noch mit Himbeere gefüllt. Lassen wir die Butter lieber weg? Ich werde dir ein paar schwierige Fragen stellen", fügte sie warnend hinzu, während Charlotte überlegte. Charlotte nahm die Butter aus dem Kühlschrank und ging zum Sofa. Die Croissants wurden halbiert und mit Butter bestochen. Als ihr Duft den kleinen Raum füllte, biss Caroline hinein und lehnte sich genussvoll zurück. "Okay. Heraus damit!" sagte sie dann. "Erzähl mir alles." "Du meinst gestern abend?" "Ich meine Derek... und dann gestern abend." Charlotte wollte sich nicht ausfragen lassen, auch wenn sie an ihrer Stiefmutter die Direktheit liebte. "Derek", sagte Charlotte nach dem ersten Bissen, "spielt meinen Ehemann. Erinnerst du dich? Du hast das Drehbuch geschrieben." "Schon gut", erwiderte Caroline und legte einen Fuß auf den Korbtisch. "So wie ihr zwei strahlt, kann von Spielen keine Rede mehr sein. Ihr wart miteinander intim, stimmt's?" "Caro!" Ihre Stiefmutter wedelte mit dem Croissant. "Dein Vater will alles wissen." Charlotte warf ihr einen ungläubige n Blick zu und griff nach ihrem Tee. "Du willst alles wissen. Dad hat sich nie in mein Privatleben eingemischt." "Ich auch nicht. Jedenfalls nicht, als du noch auf der High School warst. Aber die Tage sind längst vorüber, Charlie." Charlotte verdrehte die Augen. "Du weißt, was ich meine. Du bist noch jung, aber doch alt genug, um die Vergangenheit zu vergessen und eine solche Gelegenheit beim Schöpf zu fassen." Caroline legte ihr Croissant auf den Teller und musterte Charlotte aufmerksam. "Tust du das?" "Ich glaube ja." "Und, bist du?" "Was?" "Verliebt!" rief Caroline ungeduldig. "Hast du Trey abgehakt? Bist du aus deinem Schneckenhaus gekrochen? Bist du bereit, es noch einmal mit einem Mann zu versuchen, gegen den Trey wie ein Heranwachsender wirkt?" "Ja, ja, ja." Charlotte zählte die Fragen und fügte ein weiteres "Ja" hinzu. "Hallelujah!" Caroline umarmte ihre Stieftochter. "Dem Himmel sei Dank! Ich dachte, du lässt dir diese Chance entgehen. Er ist ideal für dich." Charlotte schüttelte den Kopf. "Eigentlich sind wir in vielen Dingen verschiedener Meinung." Caroline seufzte theatralisch. "Dann seid ihr wie geschaffen füreinander, meine Süße, denn so ist die Ehe nun einmal." Charlotte musste lachen. "Komm schon. Dad tut absolut alles, was du von ihm verlangst." Sie nickte. "Aber nur, nachdem er nein gesagt hat, gezwungen wurde, sich meine Argumente anzuhören, und schließlich meiner Überzeugungskraft nicht widerstehen konnte." "Ich glaube, man nennt das nörgeln." "Ein hässliches Wort. Hat er schon vom Heiraten gesprochen?" "Nein, hat er nicht. Wir sind erst seit vier oder fünf Tagen hier. Und wir haben erst..." Sie verstummte, denn Caroline starrte sie erwartungsvoll an. "Wir haben erst angefangen, uns richtig kennenzulernen."
Caroline schüttelte erstaunt den Kopf. "Er liebt dich, seit dein Vater ihn aus New York zurückgeholt hat. Und ich glaube, du hast dich ebenfalls in ihn verliebt. Leider warst du schon mit Trey verlobt und hast dich verpflichtet gefühlt, ihn auc h zu heiraten, obwohl du für Derek viel mehr empfunden hast." Charlotte lauschte der Analyse jenes schrecklichen Jahres, an dessen Ende sie die Firma ihres Vaters im Zorn verlassen hatte, und kam zu dem Ergebnis, dass Caroline vermutlich der Wahrheit ziemlich nahe kam. "Und jetzt erzähl mir, was gestern abend passiert ist." Charlotte schilderte kurz und undramatisch, was sich zwischen ihr und Trey abgespielt hatte. "Das ist nicht dein Ernst!" rief Caroline schockiert und fasziniert zugleich. "Du glaubst ihm doch nicht etwa? Wie hast du reagiert?" "Ich habe ihn von mir gestoßen, und er zog mich mit sich. Deshalb lagen wir ja auch auf dem umgekippten Couchtisch." Caroline hatte sich wieder beruhigt und trank einen Schluck Tee. "Ich bin sicher, Derek wird sich um ihn kümmern. Das mit dem Tisch hat er ja auch erledigt." "Wie meinst du das?" "Als ich heute morgen hier ankam, wurde gerade ein neuer geliefert." "Das ist nicht seine Sache."" "Natürlich ist es das. Jedenfalls denkt das jeder. Ein verantwortungsbewusster Mann macht wieder gut, was seine Frau an Schaden anrichtet." Caroline warf Charlotte über ihren Teebecher hinweg einen vielsagenden Blick zu. "Und ich könnte mir vorstellen, dass er sich in diesem Moment um Trey Prentiss kümmert." Derek hatte keine Mühe, Trey zu finden. Charlottes Ex-Verlobter traf ein, als der Möbeltransporter mit dem beschädigten Couchtisch abfuhr. Vom Arbeitszimmer aus beobachtete Derek, wie Trey um das Haus herum in den Garten ging, wo gerade die Zelte für den Empfang aufgebaut wurden. Er fand ihn im letzten Zelt, am hinteren Rand des Rasens. Trey saß auf dem Boden und sprang auf, als Derek hereinkam. Er machte unwillkürlich einen Schritt nach hinten, dann riss er sich zusammen. "Guten Morgen", sagte er mit übertriebener Fröhlichkeit. "Ich wollte gerade nach Charlie sehen. Wie geht es ihr?" "Genau darüber wollte ich mit dir reden", antwortete Derek und ging, die Hände in den Hosentaschen, auf ihn zu. "Es geht ihr doch gut, oder?" "Sie hat Blutergüsse", erklärte Derek und blieb dicht vor ihm stehen. "Ich kann nichts..." wollte Trey protestieren. "Charlotte hat mir erzählt, was passiert ist", unterbrach Derek ihn scharf und nahm die Hände aus den Taschen. "Sie hat die Blutergüsse, weil sie dich abwehren musste und du sie mit nach unten gezogen hast, als du hinfielst." "Sie hat mich gestoßen." Allein dafür hätte Derek ihn schon schlagen können. Er hielt nichts von Menschen, die Ursache und Wirkung verwechselten. "Weil du sie geküsst hast, obwohl sie mit mir verheiratet ist und du morgen eine andere heiraten wirst." Treys Augen blitzten zornig, und Derek fragte sich, ob Trey jeden Moment die Beherrschung verlieren würde. Er hoffte es. "Charlotte und ich hatten viel Spaß miteinander. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, zu der du nie gehören wirst, und die kannst du nicht einfach auslöschen, indem du..." Derek machte die letzten zwei Schritte auf Trey zu und widerstand der Versuchung, ihn am Kragen zu packen.
"Jetzt hör mir einmal zu", sagte er, ohne Drohgebärden, aber auf alles gefasst. "Charlottes Vergangenheit interessiert mich nicht. Mich interessiert nur ihre Zukunft, und zu der gehöre ich. Wenn du dich nicht vom Gästehaus fernhältst, Charlotte noch einmal ansprichst oder gar versuchst, sie allein zu treffen, zerschlag ich dir das Nasenbein, Prentiss!" Derek lächelte grimmig. "Und ich würde dir raten, deine Beziehung mit Kendra nicht aufs Spiel zu setzen, denn diese Beziehung ist das einzige, das dir deinen Job bei Farnsworth-Morreaux erhält. Einen schönen Tag noch." Derek ging zum Ausgang, und Trey wollte ihm folgen. Doch als Derek sich umdrehte, blieb er erschrocken stehen. "Du bist ein Bastard, Cabot!" Derek nickte mit grimmiger Miene. "Genau. Und du solltest es nicht vergessen." "Er hat es sich anders überlegt, Henry", sagte Charlotte gerade zum Chauffeur, als Derek um die Garagenecke bog. "Er lässt mich jetzt doch den Porsche fahren. Also geben Sie mir bitte die Schlüssel." Henry war verwirrt und dachte kurz nach. "Davon hat er mir nichts gesagt, Mrs. Cabot", entgegnete er und blieb vor der offenen Tür stehen, die zu dem langgestreckten Garagenbau führte. "Warum nehmen Sie nicht die Limousine? Ich fahre Sie." "Ich muss in mein Geschäft, um ein paar wichtige Sachen für die Hochzeit zu holen. Und auf dem Weg dorthin habe ich noch ein Dutzend andere Dinge zu erledigen. Ich möchte Sie nicht so lange aufhalten, Henry. Und Sie wollen doch sicher nicht dafür verantwortlich sein, dass bei der Hochzeit nicht alles perfekt ist, oder?" Der arme Mann tat Derek leid, und als er zu den beiden trat, sah Henry aus, als wäre er in der Todeszelle begnadigt worden. Charlotte gab sich auf charmante Weise verlegen, aber nur kurz, dann wandte sie ihre interessante Technik auf Derek an. "Wie war's mit Lunch bei Dominick's?" fragte sie, denn sie wusste, dass das zu seinen Lieblingsrestaurants gehörte. "Und danach fahre ich mit dir einkaufen?" Er reichte Henry seinen Aktenkoffer. "Würden Sie bitte den Wagen holen, Henry." "Ja, Sir." Als der Fahrer in der Garage verschwand, sah Charlotte Derek missbilligend an. "Du hast gelauscht." Derek verschränkte die Arme und versuchte, sich das Verlangen nicht anmerken zu lassen, das ihn bei ihrem Anblick überkam. "Sagen wir, ich studiere Taktiken. Deine ist wirklich erstaunlich. Du lügst, ohne zu erröten oder auch nur mit der Wimper zu zucken." Als der Porsche ansprang, ging Charlotte zur Seite. Sie stellte sich neben Derek und lächelte zu ihm auf. "Du hast mir doch beigebracht, so zu schauspielern." Er legte einen Arm um ihre Taille und beugte sich über ihr Gesicht. "Aber jetzt schauspielerst du nicht mehr, oder?" Sie stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn. "Nein", flüsterte sie, als Henry den Porsche ins Freie fuhr. "Das tue ich nicht. Du?" Henry tat, als würde er sie nicht beobachten, während er den Außenspiegel an der Fahrerseite abwischte. Derek küsste Charlotte, um sie an das zu erinnern, was sie am Morgen erlebt hatten. Und an das, was vor ihnen lag, wenn dieser Tag erst zu Ende war. "Hat sich das vielleicht wie Schauspielerei angefühlt?" "Nein." Sie warf einen koketten Blick zu, dann lächelte sie unschuldsvoll. "Du bist mir also nicht mehr böse?" Er drehte sie um und schob sie mit einem Klaps auf den Po zum Porsche. "Doch, das bin ich. Und deshalb darfst du auch fahren." "Aber du sitzt neben mir. Das macht mich nervös." "Tu einfach so, als wäre ich nicht gekommen, und Henry hätte dir die Schüssel gegeben."
Henry bückte Derek besorgt an, als er Charlotte beim Einsteigen half. "Ich hätte ihr um ein Haar die Schlüssel gegeben, Mr. Cabot", gestand er. "Vielleicht sollten Sie Mrs. Cabot eigene Schlüssel geben oder den Porsche bei den Gables parken." Er zeigte zum benachbarten Anwesen hinüber. Derek klopfte ihm auf die Schulter, ging um das Cabrio herum und schwang sich auf den Beifahrersitz, ohne die Tür zu öffnen. "Schon gut, Henry. Heute nachmittag klären wir das Problem ein für allemal. Entweder" fährt sie ihn zu Schrott, oder sie beweist mir, dass sie mit ihm umgehen kann." Henry blickte skeptisch drein. "Ich werde Chadwick bitten, für Sie einen Brandy bereitzuhalten. Nur für alle Fälle, Sir."
9. KAPITEL Charlotte gewöhnte sich rasch an Dereks wendigen Porsche. Sie fuhr schneller als er, wechselte geschickt die Spur und trat das Gaspedal durch, als ein Lastwagen ihnen bedrohlich nahe kam. "Denk daran", sagte Derek so ruhig wie möglich, "dies ist kein Motorrad. Und irgendwo in Beverly Hills gibt's einen Polizisten, der nicht einmal vor Zsa Zsa Respekt hatte." Lachend tätschelte Charlotte ihm das Knie. "Entspann dich, Ehemann. Ich habe alles im Griff." Er ließ sich von der Sorge um den Wagen ablenken, den er von seiner ersten großen Prämie gekauft hatte und der für ihn harte Arbeit und Erfolg symbolisierte, und konzentrierte sich auf Charlottes Profil, hinter dem das blonde Haar im Fahrtwind wehte. "Sollte mein altmodisches Mädchen etwa Geschmack an der Geschwindigkeit entwickelt haben?" fragte er lächelnd. Sie überholte einen Kleinwagen. "Ja, ich glaube schon", antwortete sie und schien es nicht zu bedauern. "Ich finde es faszinierend, sich so schnell fortzubewegen und trotzdem alles unter Kontrolle zu haben." "Was für eine zutiefst philosophische Sichtweise." Er schaffte es, sich nicht die Augen zuzuhalten, als sie wieder auf die rechte Spur einscherte, obwohl die anderen Wagen wegen eines Trucks bremsen mussten. Sie machte es geschickt und zügig, und Derek ahnte, dass er noch längst nicht alles über Charlotte Morreaux wusste. "Genau darum geht es im Leben. Schnell vorwärts kommen, ohne die Kontrolle zu verlieren." "Das sehe ich anders", sagte sie. "Ich finde, man kann das Leben nur genießen, wenn man sich Zeit lässt. Sonst entgehen einem die schönen Dinge... Da kommt meine Abfahrt." Derek blickte über die Schulter. "Da vorn ist ein Pick-up, der sich für einen Ferrari hält. Leg dich nicht mit ihm an." Charlotte grinste schadenfroh. "Für jemanden, dessen Devise ,Lebe schnell und sterbe jung' lautet, bist du ganz schön ängstlich." "Das hast du nicht richtig verstanden." Er hielt sich am Armaturenbrett fest, als sie genau das tat, wovor er sie gewarnt hatte. Mit einem Winken und einem angedeuteten Kuss für den Fahrer des Pick-up raste sie an ihm vorbei in Richtung Ausfahrt. "Das mit dem schnell leben ist in Ordnung, aber ich habe vor, alt zu werden... Charlie... verdammt!" Hinter ihnen quietschen Bremsen. Derek drehte sich um und stellte fest, wie knapp sie dem Tod entronnen Waren. Zu seinem Erstaunen schüttelte der Mann hinter ihnen nur den Kopf und erwiderte Charlottes Kuss. "Siehst du?" sagte sie, als sie den ruhigeren Camden Drive erreichten. "Wenn du nett zu den Leuten bist, sind sie auch nett zu dir. Wollen wir vor dem Einkaufen noch etwas essen? Du siehst ziemlich blass aus." Charlotte saß auf Mrs. Harmonds Schreibtischkante, während Derek die Vertragsentwürfe, die er mit Caleb und Edward überarbeitet hatte, wegschloss. Mrs. Harmond, seine Sekretärin, war eine Intelligenzbestie ohne jeden Sinn für Humor. "Ihr zwei habt euch also endlich vertragen?" fragte sie. "Wieso?" "Also wirklich." Die Sekretärin seufzte. "Nun ja, ich dachte, man muss sich ganz gut verstehen, wenn man sich als Ehepaar ausgibt und in einem winzigen Gästehaus unterbringen lässt." "Woher wissen Sie das?" frage Charlotte entgeistert. "Ginny aus der Buchhaltung hat sich vor ein paar Tagen mit Ihrer Mutter zum Lunch getroffen."
Charlotte schlug stöhnend die Hand vor die Augen. "Oh, nein. Es sollte ein Geheimnis bleiben. Wir haben das doch nur gemacht, weil..." "Ich weiß, ich weiß", unterbrach Mrs. Harmond sie. "Wegen Caroline und Bitsy Tate." Charlotte beugte sich zu ihr vor. "Kein Wort zu irgend jemanden, ist das klar?" Mrs. Harmond strahlte. "Zu spät. KTLA hat mich angerufen. Sie bringen es in den Abendnachrichten." Charlotte traute ihren Ohren nicht. Das war genau das Schlusskapitel, vor dem ihr bei diesem gefährlichen Drehbuch gegraut hatte... öffentlich als Lügnerin entlarvt zu werden. Die Sekretärin lächelte. "War nur ein Scherz. Was ist denn nun mit Ihnen und dem Chef?" "Wir gehen Shopping", antwortete Charlotte. "Das ist alles." „Ringe? Babysachen? Wie ich gehört habe, fliegen Sie zusammen nach Paris." "Sie hören ja eine Menge", bemerkte Derek hinter ihr. Sie drehte den Kopf, als er um sie herumkam. "Wundert Sie das? Wir verkaufen Kommunikationszeug an die NASA." Derek furchte mit gespielter Strenge die Stirn. "Wenn Sie diese Gerüchte anheizen, sind Sie an Bord des nächsten Shuttle - ohne Rückflugticket." Dann lächelte er. "Wir gehen jetzt. Bis nächste Woche, Mrs. Harmond." "Sind Sie nächste Woche nicht in Paris?" fragte sie. Derek warf ihr über die Schulter einen abweisenden Blick zu. "Eigentlich ist es gar keine schlechte Idee", sagte Derek, als Charlotte die Tür ihrer Boutique öffnete. Da sie keine Verkäuferin hatte, war das Geschäft geschlossen, während sie bei den Farnsworths zu Gast war. "Ich fliege nicht nach Paris", erklärte Charlotte. "Und das ist mein letztes Wort." "Das ist engstirnig", verbesserte er und folgte in die klimatisierte Boutique. "Du hast auf unsere ersten Flitterwochen verzichtet, um Kendra zu helfen, und jetzt willst du auch auf die zweiten verzichten?" Charlotte verschloß die Tür und musterte ihn besorgt. "Ich glaube, du nimmst deine Rolle zu ernst, Derek." "Vielleicht nehme ich dich zu ernst, Charlie." Sie hakte sich bei ihm ein und führte ihn über den rosefarbenen Teppich. "Hier entlang", sagte sie und zeigte auf eine aufwendig gearbeitete Treppe, die mit sanftem Schwung zu einer Galerie hinaufführte. Rechts der Treppe befand sich ein großer Raum, der ganz im viktorianischen Stil gehalten war, mit einem eleganten Sofa in der Mitte und Spitzengardinen und Samtvorhängen an den Fenstern. Am anderen Ende stand ein nicht dazu passender, aber praktischer dreiteiliger Spiegel. Links der Treppe lag ein identischer Raum. Hinter ihr befand sich eine breite Doppeltür. "Was ist da drin?" fragte er. "Mein Lager", antwortete sie, "voller klassischer Brautkleider,, Kleider für die Brautjungfern und Anzüge für die männlichen Hochzeitsgäste. Ich setze meine Kundinnen in eins der Zimmer und führe ihnen meine Kollektion vor." Er lächelte respektvoll. Alles wirkte wohldurchdacht, und die Atmosphäre, die sie geschaffen hatte, passte dazu. "Ich wusste gar nicht, dass es einen Bedarf für so etwas gibt." "Vielen Bräuten kommt es in erster Linie darauf an, eine Freundin auszustechen und eine einzigartige Hochzeit zu haben. Andere dagegen suchen wirklich nach einem Kleid und einen Stil, der die romantische Stimmung ausdrückt, in der sie sich befinden. Und in dieser Zeit, in der es auf Macht und Schnelligkeit ankommt..." Sie lächelte Derek an und führte ihn die Treppe hinauf. "Ist es eben leichter, sich die Ro mantik zu leihen." Er blieb auf halber Höhe stehen und sah sie an. "Fehlt dir Romantik?" fragte er. Charlotte überlegte einen Moment. "Ja", antwortete sie schließlich. Überrascht zog er eine Augenbraue hoch. "Nach gestern abend und heute morgen?"
Sie lächelte mild und fragte sich, ob ein Mann wie er den Unterschied begreifen könne. "Das war Leidenschaft. Sie ist stark und tief, und ich bezweifle, ob jemand, der sie nicht kennt, wirklich lebt. Aber Romantik ist etwas anderes." "Steckt in der Leidenschaft nicht immer auch Romantik?" wandte er sichtlich verwirrt ein. "Sicher, aber Romantik existiert auch für sich, und das ist ihre reinste Form. Dann ist sie ein süßer, zärtlicher Zauber." Sie quittierte seinen skeptischen Blick mit einem Seufze r, bevor sie die Arme um seinen Hals legte und sich an ihn schmiegte. "Erinnerst du dich an heute morgen?" "Nein", antwortete Derek. "Warum sollte ich? Ich bin immer verrückt nach dir." "Genau mein Punkt." Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und zog es zu sich herab. "Ich werde dich jetzt küssen", kündigte sie an, die Lippen so dicht an seinen, dass sie sie berührten, als sie die Worte aussprach. "Mal sehen, ob der Kuss in dir etwas von dem weckt, was du heute morgen empfunden hast. Vielleicht sogar noch mehr." Und dann küsste sie ihn - ganz zart, nicht sehr lange, nicht sehr leidenschaftlich. Aber ihre Hände hielten sein Gesicht mit hingebungsvoller Zärtlichkeit umfangen, ihre Lippen waren warm und trocken und sagten tausend stumme Dinge, die er nicht gehört hatte, als er mit ihr schlief. Ihr Körper lehnte sich an seinen, ganz leicht, wie eine Blume im Wind, aber er spürte jede Rundung, als würde sie sich verführerisch an ihm reiben. Derek hatte Angst, Charlotte zu berühren, denn er fürchtete, nicht dieselbe leise, unaufdringliche Zärtlichkeit in sich zu haben. Er spürte es bis in sein Innerstes - wie er gelassener wurde, wie das Tempo, mit dem er sein Leben vorantrieb, sich verlangsamte, wie die Gegenwart die Zukunft zu überlagern begann. Die Macht, mit der dies geschah, erstaunte ihn, und er war überzeugt, diesen Kuss nie im Leben zu vergessen. Hastig und ein wenig beunruhigt löste er sich von Charlotte. Sie erkannte die Besorgnis in seinen Augen, und in ihr stieg eine Vorahnung auf... wie ein Gewitter, dessen Nahen man spürt, ohne sagen zu können, wie das möglich ist. "Komm schon." Sie zog ihn weiter. Am Ende der Treppe blieb er stehen und blickte fasziniert auf das farbenprächtige Sammelsurium aus all jenen Dingen, die zu einer klassischen Hochzeit gehörten. In einer Ecke des Raums stand ein Schreibtisch, der mit Papieren, Stoffmustern, Bändern und Trockenblumen übersät war. Auf Tischen und in Kartons befanden sich Schuhe, Handschuhe, Strumpfbänder, Hüte, Schmuck, Gesangbücher. Derek schlenderte durch den Raum und verharrte an einem Ständer, an dem klassische Cuts für den Bräutigam, den Brautvater und den Trauzeugen hingen. Auf dem Regal darüber lägen die dazugehörigen Zylinder. Eigentlich fand er die Dinger schrecklich steif und altmodisch, aber irgendwie wirkte Charlottes Lektion in Romantik noch in ihm nach, und spontan setzte er einen Zylinder auf. Im Regal daneben lag ein Spazierstock mit Silberknauf, und auch den nahm er heraus. Dann machte er sich auf die Suche nach einem Spiegel. Er fand ein ovales Exemplar mit Goldrahmen, blickte hinein und fand, dass er lächerlich aussah. Er setzte den Zylinder schräg auf. Nun wirkte er wie ein Dandy. Hinter ihm war Charlotte hingerissen. Der alte Zylinder hatte einen sehr modernen Mann in eine Gestalt aus der viktorianischen Zeit verwandelt. Er strahlte den lässigen Charme der Lebenskünstler jener Epoche aus, aber unter dem Hut, in den Augen, sah sie das riskante Draufgängertum, das er so liebte. Charlotte fand, dass das eine unwiderstehliche Kombination war. Er wollte den Zylinder abnehmen, aber sie hielt seine Hand fest, schlang die Arme um ihn und legte das Kinn auf seine Schulter. Derek bemerkte ihren sehnsüchtigen, verträumten Blick und spürte dieselbe Unruhe wie auf der Treppe. Aber er war nicht der Mann, der eine Frau abwies, die ihn anschaute, als hätte sie ihr Leben lang auf ihn gewartet.
"Was ist, Ma'am?" fragte er mit übertrieben britischem Akzent. "Ihr Hut, Sir", antwortete sie lächelnd. "Sie sehen sehr chic aus." Er klemmte sich den Spazierstock unter den Arm. "Natürlich. Wir Lords sehen immer chic aus. Ich habe gerade ein Vermögen gewonnen. Bei... Wie heißt dieser Club noch? Ach ja, Black's." Sie kicherte. "Du meinst White's?" "Was auch immer." Er drehte sich um und legte den freien Arm um sie. "Ich habe den Franzosen Paris mit einem Straight Flush abgenommen, und sie übergeben es mir heute abend im Maxim. Hätten Sie Lust, mich zu begleiten?" Sie presste die Hand an die Stirn und schwankte dramatisch, als drohte sie jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. "Maxim? Aber ich habe nichts anzuziehen." "Sie können meinen Zylinder leihen." Sie lachte, und er beugte sich herunter, um ihren Hals zu küssen. Dann hob er sie auf die Arme und trug sie zur Chaiselongue, die mitten im Raum stand. Charlotte zog ihn aus, während er sie auszog, dann umfing sie ihn, als er sie behutsam auf das altmodische Möbel legte. Daraufhin ging alles ganz schnell. Ihre Leidenschaft war kurz und heftig, geradezu explosiv und ganz anders als die romantische Atmosphäre, die der Raum um sie herum schuf. Doch als sie erschöpft und glücklich nebeneinander lagen und Charlottes Blick voller Zärtlichkeit über Dereks Gesicht wanderte, spürte er es wieder... die innere Ruhe und Gelassenheit, die ihn alles außer Charlotte vergessen ließ. Es gab nur noch sie beide, und jedesmal, wenn er in ihre Augen schaute, erblickte er sich selbst darin. Und obwohl er sich wiedererkannte, hatte er das Gefühl, sich verändert zu haben. Charlotte sah es ihm an, und erneut stieg die beunruhigende Vorahnung in ihm auf. Hastig erhob sie sich und griff nach ihren Sachen. Derek versuchte, sie am Arm festzuhalten, doch sie wich ihm aus. "Wir müssen zurück", sagte sie leise. "Ich habe noch tausend Dinge zu erledigen." Als Derek und Charlotte das Tor zum Anwesen der Farnsworths erreichten, war ihnen sofort klar, dass da etwas nicht stimmte. Das Tor stand weit offen, und in der Einfahrt standen die Limousine, Calebs Cadillac und der Mercedes der Morreaux'. Neben den Wagen die beide Familien. Alle redeten durcheinander. Briane, Denise und Pauline weinten. Als der Porsche hielt, drehten alle sich danach um. "Was ist los?" fragte Derek und öffnete die Tür. Caleb schloss die Tür wieder. "Kendra ist weg", sagte er. "Du musst zu unserem Haus in Newport Beach. Wir anderen teilen uns auf und suchen sie in der Berghütte, dem Tennisclub und bei ihrer Freundin Jackie in Santa Barbara." Charlotte sah zu Caroline hinüber, die tröstend einen Arm um Elizabeth gelegt hatte. "Oh, Himmel", entfuhr es ihr. "Ich wusste es. Sie hat das mit Trey und mir falsch verstanden." "Nein." Edward beugte sich zu ihr herunter. "Briane hat uns erzählt, dass Trey Kendra vorgeschlagen habe, die Hochzeit um ein paar Tage zu verschieben, damit er noch einmal über alles nachdenken kann. Sie hat gesehen, wie Kendra gegen zehn mit der Corvette weggefahren ist, und dachte, dass sie allein sein wollte." "Vielleicht will sie das wirklich", warf Derek ein. "Ein Koffer und einige Sachen fehlen." Caleb reichte Derek die Schlüssel. "Ruf an, wenn du dort bist. Briane und Denise halten hier die Stellung. Wenn Kendra nicht dort ist, bleibt ruhig über Nacht dort. Ich will nicht, dass ihr übermüdet über den Highway rast." Derek schaute auf die Uhr. "Ich melde mich, sobald wir angelangt sind. In höchsten eineinhalb Stunden."
"Fahr" vorsichtig", mahnte Edward. "Eigentlich sollte ich nach Newport fahren", sagte Trey. "Ich bin sicher, dass sie dort ist." Er sah blass und verzweifelt aus, und Charlotte fragte sich, ob er damals, als sie allein vor dem Altar stand, auch so ausgesehen habe. Caleb drehte sich mit feindseliger Miene zu ihm um. "Du bleibst hier! Du bist der letzte, den sie jetzt sehen will." "Aber ich..." "Schon gut, Prentiss", unterbrach Edward ihn leise. "Es ist besser so." Trey drehte sich um und rannte ins Haus. Derek wendete den Wagen und raste die Einfahrt entlang. "Ich ahnte, dass das passieren würde", sagte "Charlotte. "Ich hätte mit ihr reden sollen." Derek hielt an der Straße und tätschelte ihr Knie. "Du kannst nichts dafür." "Bestimmt gibt sie mir die Schuld." Derek bog auf die Straße ein und gab Gas. "Er hat ihr vorgeschlagen, die Hochzeit zu verschieben. Zu deiner Trauung ist er gar nicht erst erschienen. Wie könnte Kendra dir die Schuld geben?" "Sie wird glauben, ich hätte ihn dazu gebracht, wieder um mich zu werben." "Hat er dir gesagt, dass er dich zurückhaben will?" Als sie nickte, schüttelte er den Kopf. Verärgert wandte sie sich ihm zu. "Kannst du dir nicht vorstellen, dass ein Mann mich zurückhaben will?" "Ich hätte dich gar nicht erst gehenlassen", antwortete er lächelnd, während er auf die Zufahrt zum Freeway einbog. "Weißt du, Prentiss ist ein Versager, in jeder Hinsicht. Dein Vater erträgt ihn nur deshalb in der Firma, weil er Calebs Schwiegersohn werden sollte. Und dass er vor einem Jahr nicht gefeuert wurde, hat er nur dir zu verdanken. Du hast deinen Vater gebeten, es nicht zu tun." "Ich dachte mir, es bringt nichts, rachsüchtig zu sein. Er wird jetzt nach London geschickt, nicht?" "Dort kann er nicht viel falsch machen, und wir sind ihn los." "Er hat behauptet, dass Kendra hübscher sei als ich. Aber sie sei eben' nicht ich, meinte er." Derek sah sie an, sein Blick wanderte über ihr Gesicht, dann lachte er mitleidig. "Der Typ ist wirklich ein hoffnungsloser Fall."
10. KAPITEL
Die Sonne ging bereits unter, als das Strandhaus der Farnsworths vor Dereks Porsche auftauchte. Charlotte blickte die von Kübelpalmen gesäumte Einfahrt entlang. Kendras Corvette war nirgends zu entdecken. "Vielleicht steht ihr Wagen in der Garage", sagte Derek. Das war nicht der Fall. Derek betrat das Haus durch die Hintertür und eilte durch die Küche in die Garage. Sie war voller sorgfältig beschrifteter und gestapelter Kartons. In einer Ecke stand ein Fahrrad, und an der Wand lehnte ein Surfbrett. Die Corvette stand nicht darin. "Vielleicht hat sie unterwegs eine Pause eingelegt", sagte er. "Die Fahrt dauert nur anderthalb Stunden", erwiderte Charlotte, vom Schuldgefühl und der Angst um Kendra erschüttert. Sie wusste nur zu gut, wie es war, kurz vor der Trauung zu erfahren, dass man nicht geliebt wurde. Dass die Beziehung, von der man geglaubt hatte, sie sei wundervoll, den Partner abschreckte. Plötzlich fiel ihr der Blick ein, mit dem Derek sie erst auf der Treppe, dann auf der Chaiselongue in der Boutique angesehen hatte. Irgendwie hatte ihre Zärtlichkeit ihm angst gemacht. Mit einemmal hatte sie genug von Männern, die sich vor der Liebe fürchteten. Sie ging in die Küche und suchte nach Kaffee. Obwohl sie die Farnsworths oft in Be l Air besuchte, war sie noch nie im Strandhaus gewesen. "Was suchst du?" fragte Derek von der Tür zur Garage aus. "Kaffee", antwortete sie kurz angebunden. Er ging zu einem hohen Eckschrank, öffnete ihn und reichte ihr den Kaffee. Es überraschte sie nicht, dass er sich hier auskannte. Caleb lud seine Manager oft zu Arbeitswochenenden oder Krisensitzungen hierher ein. "Danke", sagte sie höflich. "Wieso trinken wir keinen Tee?" Derek konnte es sich denken. Sie war in Kaffeestimmung, nervös, verärgert, reizbar. Er sah es an den kleinen Falten zwischen den Augenbrauen. "Wir müssen wach bleiben", erwiderte sie. Er holte Kaffeefilter aus dem Schrank und hielt sie ihr hin. Als sie danach griff, zog er die Hand zurück. "Was ist los mit dir?" fragte er. "Wie meinst du das?" Sie griff erneut nach den Filtern, doch er hielt sie außer Reichweite. "Ich meine deinen urplötzlichen Stimmungswechsel. Was ist los?" "Ich mache mir Sorgen um Kendra", entgegnete sie gereizt. "Du etwa nicht?" "Ein wenig", antwortete er. "Aber ich würde mir mehr Sorgen machen, wenn sie Trey morgen heiratet, ohne ihn wirklich zu kennen. Ich nehme an, dass sie hier irgendwo steckt. Vielleicht ist sie zum Abendessen in den Ort gefahren." Er rieb sich die Stirn. "Hängt dein Stimmungswechsel etwa damit zusammen, dass du plötzlich mir die Schuld an dem hier gibst?" Charlotte bestritt es nicht, sondern hielt ihm die Hand hin. "Ich glaube, es wäre am besten, wenn wir das beim Kaffee besprächen." Er gab ihr die Filter und holte Tassen heraus. Sie machte den Kaffee und schenkte ein. Dann setzten sie sich in den großen Erker und schauten in die Dunkelheit und auf den schwarzen Ozean hinaus. In der Ferne waren die Lichter eines Schiffs zu erkennen. "Was hast du mir gegenüber für Absichten?" fragte sie schließlich und rührte in ihrer Tasse. Derek sah sie erstaunt an. "Mit wem rede ich hier, mir dir oder deinem Vater?" "Mein Vater sieht in dir den Sohn, den er nie hatte", erwiderte Charlotte und zwang sich, ruhig und logisch zu denken, obwohl sie Derek am liebsten angeschrieen hätte. "Es würde ihm nie einfallen, dich das zu fragen. Ich passe nur auf mich auf. Ich bin ein gebranntes Kind, weißt du."
Er brauchte nicht lange, um zu entscheiden, dass sie ihm so nicht gefiel. Diese leise, verschlossene Person war nicht sie. Plötzlich vermisste er die Romantikerin, die immer ein wenig verloren wirkte, wie eine Frau, die in eine andere Zeit und an einen anderen Ort gehörte. "Ich mag es nicht, wenn man mich mit Trey Prentiss verwechselt", sagte er. "Ich dachte, ich hätte dir klargemacht, dass ich ganz anders bin als er." "Das bist du", stimmte sie ihm zu und trank einen Schluck Kaffee. Sie musterte ihn eingehend. "Jedenfalls wirkst du so. Aber du hast etwas mit ihm gemeinsam, nicht?" "Hin und wieder einen Firmenwagen." Charlotte ignorierte seinen trockenen Humor. "Als ich dich auf der Treppe in meiner Boutique küsste", sagte sie leise und starrte aus dem Fenster, "habe ich dir angst gemacht." "Charlie..." "Komm schon, Derek." Sie wandte sich ihm wieder zu, und ihr Blick war ernst und traurig. "Ich weiß, wie Angst aussieht. Trey hatte auch Angst vor mir, vor einem Jahr." Derek stellte seine Tasse zwischen die Sitzpolster auf der Fensterbank. Er wollte nicht lügen, aber er konnte ihr auch nicht erklären, was er selbst nicht verstand. "Jeder Mann, der behauptet, er habe keine Angst vor einer Beziehung, die ihn und sein Leben durcheinander bringt, ist ein Lügner", gestand er. "Aber ich habe keine Angst vor dir, sondern vor der Liebe, nehme ich an. Davor, nicht so romantisch sein zu können, wie du es brauchst." Sie schaute ihm in die Augen, und er nahm einen gewissen Respekt in ihrem Blick wahr. Dann senkte sie den Kopf, wieder kühl und unnahbar. Als sie ihn hob, war ihr Blick wie ein Laserstrahl. "Und was fühlst du, wenn wir zusammen im Bett sind?" fragte sie in fast beiläufigem Ton. "Angst zeigst du dort jedenfalls nicht. Was bin ich dann für dich? Doch bestimmt niemand, der dich und dein Leben durcheinanderbringt. Nur eine Ablenkung, ein Spielzeug, eine Entspannung für den brillanten jungen Manager?" In ihm stieg Zorn auf. "Hast du dich in meinen Armen je als Spielzeug gefühlt?" Ihre Blicke trafen sich. Sie stellte ihre Tasse hin und verschränkte die Arme. "Nein. Aber ich weiß, dass du ein begnadeter Schauspieler bist. Du weißt immer genau, was du tun oder sagen musst. Vielleicht bin ich selbst schuld daran. Vielleicht habe ich meine Rolle einfach zu ernst genommen." "Woran bist du schuld?" fragte er entgeistert. "Soweit ich mich er-. innere, hat sich nichts geändert, seit wir heute nachmittag miteinander geschlafen haben. Und du hast dich absolut nicht so benommen, als hätte ich dich wie eine Frau behandelt, die ich nicht liebe." "Ich habe wieder diesen Ausdruck in deinen Augen gesehen. Den, den du auch auf der Treppe hattest." "Meine Güte!" Derek verlor die Geduld und sprang auf. "Mir scheint, du vergisst einen wichtigen Punkt. Wenn du mich unbedingt mit Trey in einen Topf werfen willst, nimm bitte zur Kenntnis, dass ich noch hier bin." Er hatte erwartet, dass sie das zur Besinnung bringen würde. Doch als sie nicht reagierte, fragte er sich, ob sie sich derselben Sprache bedienten. "Und was passiert morgen, nach der Hochzeit? Falls es eine Hochzeit gibt." "Wie meinst du das?" fragte er. "Du hast nichts davon erwähnt, dass du unsere Beziehung fortführen willst. Ich glaube, du hast mehr Angst, als dir bewusst ist." Derek steckte wütend die Hände tief in die Taschen und marschierte durchs Zimmer. Nach einer Weile baute er sich vor ihr auf. "Siehst du, das ist genau der Grund, warum du fürs Geschäftsleben völlig ungeeignet bist. Vielleicht sogar fürs Leben überhaupt. Du würfelst alles zusammen und ziehst vollkommen falsche Schlüsse daraus."
Charlotte hielt seinem Blick tapfer stand. "Also wolltest du mir einen Heiratsantrag machen?" "Nein, wollte ich nicht", korrigierte er schonungslos. "Denn wenn man versucht, etwas so Nebulöses wie Gefühle in eine m Vertrag festzuschreiben, entsteht genau das, was du mit Trey erlebt hast und was er und Kendra im Moment durchmachen!" "Wirklich? Komisch, dass es seit mehreren tausend Jahren funktioniert." "Stimmt nicht. Der Ehevertrag ist eine relativ neue Erfindung. Und das nennst du funktionieren? Eine Scheidungsrate von fünfzig Prozent?" "Ehen können herrlich sein, wenn die Menschen an sie glauben", erwiderte sie und stand auf. "Ja, im letzten Jahrhundert, als die Menschen die Traditionen noch nicht in Frage stellten. Und das ist die Zeit, für die du schwärmst..." Er zeigte mit dem Finger auf sie. "Weil alles so einfach und vorherbestimmt war. Heute is t alles anders. Wir sind eine Gesellschaft, in der man mehr Möglichkeiten hat. Und es ist schlichtweg unsinnig, Liebe in einen Vertrag zu schreiben. Liebe ist nicht bankfähig." "Bankfähig?" schrie sie und konnte nicht glauben, dass er den Aus-, druck wirklich verwendet hatte. "Bankfähig!" wiederholte sie verächtlich, um sich davon überzeugen, dass sie richtig gehört hatte. "Lieber Himmel, wie kann man nur so denken? Wenn man etwas nicht zur Bank bringen und dafür Zinsen kassieren kann, ist es wertlos, ja? So, jetzt möchte ich dir einmal etwas sagen." Trotzig blickte sie zu ihm auf. "Und zwar eine grundlegende Wahrheit, auf die du offenbar noch nicht gekommen bist. Es gibt im Leben wertvolle Dinge, die einen etwas kosten. Ich weiß, dass kannst du dir nicht vorstellen, aber es ist so. Es sind Dinge, mit denen du keinen Profit machen kannst, denn wenn du das Glück hast, sie zu besitzen, musst du so viel geben, wie du bekommst. Und eins noch..." Charlotte senkte die Stimme, und Derek hing förmlich an ihren Lippen. Sie war faszinierend in dieser aufgebrachten Stimmung. "Die Männer und Frauen des letzten Jahrhunderts waren sich ihrer Möglichkeiten so bewusst, wie wir es heute sind. Aber Feigheit war für sie nie eine." Sie stürmte davon und ließ ihn allein im dunklen Wohnzimmer zurück. "Sie war weder in der Hütte noch im Club", berichtete Briane, als Derek bei den Farnsworths anrief. "Aus Santa Barbara haben wir noch nichts gehört. Wenn sie nicht in Newport ist, ist das unsere letzte Hoffnung." "Wir hoffen, dass sie nur zum Essen gefahren ist und bald zurück kommt", sagte er, obwohl er nicht recht daran glaubte. Wenn Kendra schlau war, saß sie zu diesem Zeitpunkt in einer Boeing 747, um so weit wie möglich von Prentiss und ihrer Mutter wegzukommen. "Wir rufen an, wenn wir etwas hören", versprach Briane. "Danke, Derek." "Ich melde mich." "Neuigkeiten?" ertönte hinter ihm Charlottes Stimme. Er hatte sie nicht von oben herunterkommen gehört und drehte sich überrascht um. "Nein", antwortete er und legte auf. "Aber sie haben noch nichts aus Santa Barbara gehört." Charlotte stellte sich auf die Zehenspitzen, um ins Gefrierfach des Kühlschranks zu schauen. Sie hatte die Schuhe ausgezogen, und ihr Gesicht sah aus, als hätte sie geschlafen - oder geweint. "Ich habe zwei Tiefkühl-Quiches in den Ofen getan", sagte Derek. Charlotte schloss den Kühlschrank und warf einen Blick auf die Schaltuhr am Herd. Die Quiches brauchten noch zwölf Minuten. "Zwei für dich?" fragte sie und öffnete eine Schranktür. "Oder bekomme ich eine? Ich habe hier doch irgendwo eine Dose Spargel gesehen." "Du bekommst beide." Er griff in den Wandschrank über dem Herd. "Du bist die, die alles will. Voilá." Er reichte ihr den Spargel.
"Ich will keineswegs alles. Ich habe nur keine Lust auf eine verlängerte Affäre. Aber wir wollen uns nicht streiten. Ich überlasse dir eine Quiche und die Hälfte vom Spargel." "Danke." "Nicht der Rede wert." ' "Charlie, das ist doch verrückt." Er drehte sie vom Dosenöffner weg und in seine Arme. "Du siehst ein Problem, das es gar nicht gibt. Wir hatten ein paar wundervolle Tage. Der Rest unseres Lebens könnte ebenso wundervoll sein." Behutsam, aber entschlossen schob sie seine Arme weg. "Nicht, wenn du meine Empfindungen dir ge genüber für ‚nicht bankfähig' hältst." "Vielleicht zweifle ich nicht an dir, sondern an mir." Das schien sie zu treffen. "Das wäre noch schlimmer", sagte sie betrübt. "So habe ich das nicht gemeint." Er kam sich vor wie ein Mann, der an seinem eigenen Ast sägte. "Ich meinte, ich handele immer so schnell, dass ich gar nicht zum Nachdenken komme. Meine Liebe zu dir ist echt und tief. Ich kann mir nur nicht vorstellen, einen Vertrag zu unterschreiben, in dem es um meine Gefühle geht. Ich bin lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass selbst der beste Deal noch platzen kann." Charlotte schob ihn auf einen Stuhl. "Dann musst du eben tun, was du für richtig hältst. Und ich auch. Leider ist das nicht..." Sie schluckte. "... dasselbe." Sie holte tief Luft und kehrte zum Spargel zurück. Er deckte den Tisch, sie servierte das Essen, und sie saßen einander am kleinen Küchentisch gegenüber. Außer der Bitte um Salz oder Butter fiel kein Wort zwischen ihnen. Nach dem Essen ging Derek unter die Dusche. Er musste wieder einen klaren Kopf bekommen. War es wirklich erst Stunden her, dass er auf einer Chaiselongue in einem Geschäft wie aus dem letzten Jahrhundert mit dieser Frau geschlafen hatte? Charlotte kochte noch eine Kanne Kaffee, räumte die Küche auf, ging zu der Glaswand im Wohnzimmer und starrte in die Nacht hinaus. Das war knapp, dachte sie, um sich in eine eher philosophische als traurige Stimmung zu versetzen. Fast hätte sie den richtigen Mann gefunden. Sie war sicher, dass sie mit ihren unterschiedlichen Einstellungen zum Leben zurechtgekommen wären. Leider hatte er Angst davor, es ernsthaft zu versuchen. Nun ja. Sie schüttelte den Kopf. Falls sie sich je wieder für einen Mann interessieren sollte, würde sie eben besser aufpassen müssen, um ihn nicht zu verschrecken. Sie schaltete die Tischleuchte aus und ging auf die Terrasse. Die frische Brise duftete nach Herbst. Charlotte fröstelte und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie das Haar mit einer Kopfbewegung aus dem Gesicht nach hinten beförderte. Und genau in dem Moment sah sie es. Der Mond erhellte einen Streifen, der irgendwo draußen auf dem Meer begann und bis an den Strand reichte. Und in diesem Streifen tanzte wie ein Stück Treibholz ein blonder Schöpf auf den Wellen. "Kendra!" flüsterte Charlotte entsetzt und fest davon überzeugt, dass die Freundin ihrem Leben ein Ende bereiten wollte. "Derek!" schrie sie und rannte zur Tür. "Kendra ist im Wasser! Derek!" Dann hastete sie über den steinigen Pfad zum Strand hinunter. Der tiefe Sand bremste sie, und als sie endlich am Wasser war, hatte sie Kendra aus den Augen verloren. Charlotte streifte die Schuhe ab und rannte in die Brandung. Es war eisig kalt. Sie warf sich hinein, schnappte nach Luft und schluckte eine Ladung Wasser. Sie schwamm so schnell sie konnte. Wenn Kendra tatsächlich Selbstmord begangen haben sollte, dachte Charlotte voller Wut, werde ich Trey umbringen - ganz langsam. "Kendra!" rief sie. "Kendra!" In ziemlicher Entfernung vom Wasser schwamm Charlotte auf der Stelle und suchte nach dem blonden Kopf. Doch eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, und vor Charlotte war nichts als Schwärze. Sie ruderte im Kreis, und die Panik machte ihr das Atmen noch schwerer.
"Oh, Kendra", stöhnte sie. Hinter sich sah sie, wie Derek ins Wasser sprang und mit kräftigen, gleichmäßigen Zügen auf sie zuschwamm. Sie wagte sich weiter hinaus, wollte nicht glauben, dass Kendra schon untergegangen war. Plötzlich tauchte direkt vor ihr etwas aus dem Wasser auf. Sie schrie entsetzt, als der Ozean sie zu verschlingen drohte. Vor ihrem geistigen Auge tauchte Bitsy Tates hämischer Nachruf auf... Verlassene Braut von Hai gefressen. "Warum schreist du so?" rief Kendra. "Was tust du überhaupt hier?" Charlotte starrte verblüfft auf die junge Frau, die in den letzten Tagen zu ihrer Freundin geworden war. Kendra schien nichts passiert zu sein. Das Wasser perlte an ihren Lidern, und das nasse Haar klebte am Kopf. Der Mond kam wieder hervor und erhellte ihr anmutiges Gesicht. "Ich dachte, du..." Charlotte zeigte aufs offene Meer hinaus. "Ich meine, es sah aus, als wolltest du..." Kendra furchte die Stirn, dann verdrehte sie die Augen, als ihr aufging, worauf Charlotte hinauswollte. "Oh, Charlie", seufzte sie. "Ich bin stinksauer, aber keine Selbstmörderin." Charlotte wurden vor Erleichterung die Knie weich, und sofort bekam sie eine weitere Ladung Wasser in den Mund. Kendra kam ihr zur Hilfe. "Deine Eltern waren in Panik", berichtete Charlotte prustend. "Briane hat gesehen, wie du nach dem Streit mit Trey mit der Corvette davongerast bist, und alle haben sich auf die Suche nach dir gemacht. Dein Vater hat Derek und mich hergeschickt." Derek erreichte sie, und erneut regnete Wasser auf sie herab. "Alles in Ordnung?" fragte er Kendra. "Klar", versicherte sie und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. "Ich wollte nur allein sein, um zu beschließen, was ich jetzt tun werde. Wundert mich, dass niemand darauf gekommen ist." "Du warst lange fort", erwiderte Charlotte vorwurfsvoll. „Und unter den Umständen mussten wir das Schlimmste befürchten." "Reden wir an Land weiter", schlug Derek vor und schob sie behutsam in Richtung Ufer. "Du hättest eine Nachricht hinterlassen sollen" sagte Charlotte zu Kendra und kam sich allmählich vor wie eine strenge alte Tante. Sie saßen zu dritt um den brennenden Kamin, in dicke Bademäntel gehüllt und mit Cognac versehen. Das Strandhaus war modern eingerichtet und in kühlem Weiß gehalten. Charlotte glaubte sich in eine fremde Welt versetzt. "Dazu war ich zu wütend", sagte Kendra. "Und ich bin erst seit höchsten zwanzig Minuten hier." Derek musterte sie kurz. "Wo ist dein Wagen?" "Kein Benzin mehr", gestand sie verlegen. "Er steht etwa eine Viertelmeile von hier." Sie leerte ihren Schwenker und stellte ihn hin. Plötzlich sah sie erschöpft und verängstigt aus. "Ich bin zu Fuß gelaufen..." "Im Dunkeln?" fragte Charlotte tadelnd. Kendra ignorierte die Frage. "Ich wollte unbedingt schwimmen, bevor ich ins Haus ging. Um mich zu entkrampfen und einen klaren Kopf zu bekommen..." Sie zog die Knie an und stützte das Kinn darauf. "Ich wollte mir einreden, dass alles nur ein böser Traum war." Charlotte saß neben ihr auf dem Fußboden und legte einen Arm um sie. "Es tut mir leid. Und glaube mir, ich kann nachempfinden, wie du dich fühlst." Kendra schluchzte und lächelte grimmig. "Ich weiß noch, wie du aussahst, als du uns in der Kirche sagtest, dass Trey nicht kommt. Erst dachte ich: Warum hat sie nicht ihren Vater oder Caroline geschickt? Jetzt weiß ich, wie tapfer du warst. Und mir ist auch klar, warum du es selbst getan hast. Du wolltest dir beweisen, dass du nicht so feige bist wie er." "Was willst du jetzt unternehmen?" fragte Derek.
"Ich weiß es nicht." Kendra schlang die Arme um die Beine und starrte ins Feuer. "Vielleicht fliege ich nach Europa." Charlotte seufzte sehnsüchtig. "Dazu hätte ich auch gern die Zeit. Ich finde, du solltest es tun. Die Idee ist nicht schlecht." "Ich habe immer daran gedacht, eines Tages mit der Malerei weiterzumachen, hatte aber nie genug Ehrgeiz dafür. Vielleicht fange ich jetzt damit an." Sie wechselte in den Schneidersitz, den Blick noch immer auf die Flammen gerichtet. "Ich werde in einer Dachkammer wohnen, ganz romantisch." Sie lächelte. "Aber Dads monatlicher Scheck wird mich davor bewahren, ganz romantisch zu verhungern." Ihr Lächeln verschwand schlagartig. "Ich liebe ihn... diesen gemeinen Kerl." Charlotte brachte sie nach oben. "Ich weiß, du glaubst es mir im Moment nicht", sagte sie, während sie die Bettdecke zurückschlug, "aber irgendwann wird er dir nichts mehr bedeuten." Kendra nickte, noch immer leise schluchzend. "Ich glaube, das Problem ist, dass du ihm noch immer etwas bedeutest." Charlotte kam ums Bett herum, schob Kendra hinauf und setzte sich neben sie. "Mit mir hat das nichts zu tun", erklärte sie mit Nachdruck. "Es gefällt ihm, verliebt zu sein, aber er hat Angst davor, mehr als das zu versprechen, also zieht er sich zurück. In diesem Fall brauchte er nur noch eine bequeme Ausrede." Kendra hob den Kopf. "Er ist zudringlich geworden, als du an dem Abend ins Arbeitszimmer meines Vaters kamst, nicht wahr?" Charlotte nickte. "Aber nicht, weil er mich liebt. Er wollte alles so inszenieren, damit er einen Grund hatte, dich sitzen zu lassen." "Ich sollte ihn unter Drogen setzen, Vor den Altar schleifen und ihm danach das Leben so zur Hölle machen, wie er es offenbar befürchtet." Charlotte lachte. "Klingt reizvoll. Aber ich glaube, es ist verboten. Europa hört sich für mich positiver an. Warum schläfst du nicht erst einmal? Wir müssen morgen früh aufstehen." "Ich weiß. Hoffentlich schaffe ich es, so gefasst zu sein, wie du es warst." "Als ich aus der Kirche nach Hause kam", erzählte Charlotte, "habe ich alles, was aus Glas war, in den Kamin gepfeffert. Es hat mir gut getan." Kendra schlüpfte unter die Decke, und Charlotte löschte das Licht. An der Tür blieb sie stehen und sah auf die zusammengerollte Gestalt im Bett. "Versuche es als neuen Start zu sehen, als den ersten Tag deiner künstlerischen Karriere." "Ja", sagte Kendra wenig begeistert. "Gute Nacht, Charlie." Charlotte ging nach unten, um die Küche aufzuräumen, und stellte fest, dass Derek das bereits getan hatte. "Wie geht es ihr?" fragte er. Er hatte Jeans und ein weißes T-Shirt angezogen und saß im Wohnzimmererker, ein Knie angezogen, in der Hand einen Cognac. Nur das Kaminfeuer erhellte den Raum. Charlotte blieb stehen, hatte Angst, sich ihm zu nähern. Sie spürte, wie sehr er sie anzog, und wusste, dass es vernünftiger war, auf Distanz zu bleiben. "Sie ist müde und traurig. Aber sie wird darüber hinwegkommen." Derek spürte die Distanz zwischen ihnen und wusste, dass sie größer war als die Meter, die sie räumlich trennten. Dass Charlotte so kühl war, während er innerlich kochte, ärgerte ihn maßlos. "Es war nicht sehr klug von dir, im Dunkeln ins Wasser zu rennen." Derek war überzeugt, dass das sie wütend machen würde. Sie musterte ihn einige Sekunden lang. Ihr schlanker Körper war unter dem weiten Bademantel kaum zu erkennen. Ihr Blick war würdevoll. Die Winterprinzessin war zurück. "Ich habe überlegt, ob ich bis Tagesanbruch warten soll", erwiderte sie gelassen und bissig zugleich, "aber ich war nicht sicher, ob Kendra siebeneinhalb Stunden lang die Luft anhalten kann."
Zornig sprang er auf. "Du hattest mich gerufen. Du hättest zwei Minuten warten können." "Wenn sie kurz vor dem Ertrinken gestanden hätte", entgegnete sie, "wäre sie zwei Minuten später vielleicht schon tot gewesen." "Und du auch! Damit hättest du ihr sehr geholfen." "Damit hätte ich dir geholfen!" schrie sie ihn an. "Meine Lebensversicherung ist ‚bankfähiger' als meine Liebe. Und du hast alle überzeugt, dass du mein Ehemann bist. Vielleicht hättest du die hübsche Summe kassieren können." Ohne zu überlegen griff er nach dem Kragen ihres Bademantels und zog sie an sich. Charlotte sah den Zorn in seinen Augen, und sein Griff war gewalttätig. "Dafür wirst du bezahlen, Charlotte ""sagte er leise und drohend, während seine Hand sich in ihren Bademantel tastete. Ihre Hände legten sich um seine Arme, aber sie konnte ihn nicht daran hindern, mit einer Hand ihre Hüfte zu umfassen und die andere auf ihren Rücken zu legen. "Derek Cabot, wenn du es wagst..." begann sie. "Charlie, halt den Mund!" zischte er und hielt sie fest, während er sich zu ihr herunterbeugte und sie küsste. Sie wand und wehrte sich, und die Art, wie ihre Körper sich dabei berührten, schien seinen Zorn in Verlangen zu verwandeln. Und dieses Verlangen ließ ihn zärtlicher werden... und besänftigte auch sie. Dann lagen ihre Arme plötzlich um seinen Hals, und sie küsste ihn, als hätte es nie eine Distanz zwischen ihnen gegeben. Es war wie vor zwei Tagen im Badezimmer und am Nachmittag in der viktorianischen Boutique. Das Telefon läutete laut und schrill. Derek schien es nicht zu hören, dann läutete es ein zweites Mal, und Charlotte schob ihn von sich. Als er den Kopf hob, wusste er, dass die Unterbrechung sie in die Gegenwart zurückgeholt hatte. Dir blauen Augen blickten vorwurfsvoll. Der Apparat schrillte erneut, und es kam ihm vor wie ein Signal, das vor einer tiefen Schlucht warnte. Vorsicht! Absturzgefahr! Derek hielt Charlottes Hand fest und zog sie in die Küche und zum Wandtelefon. Sie versuchte sich zu befreien, doch er ließ sie nicht los. Es war Trey. "Ich will mit Kendra sprechen", sagte er. Treys Sündenregister war ohnehin lang genug, aber dass er ausgerechnet in diesem Moment angerufen hatte, gab Derek den Rest. "Kendra schläft", stieß er in abweisendem Ton hervor. "Das glaube ich nicht", erwiderte Trey. "Sie hat vor einer halben Stunde mit ihrem Vater gesprochen." "Das war vor einer halben Stunde", entgegnete Derek. "Jetzt schläft sie." "Ich muss mit ihr reden." "Morgen." "Ich muss jetzt mit ihr reden." Derek presste den Hörer an die Brust. "Es ist Trey", erklärte er leise. "Er will mit Kendra sprechen. Er sagt, es kann nicht bis morgen warten." Sie riss ihm den Hörer aus der Hand. "Sie schläft, und zwar nachdem sie deinetwegen fast ertrunken wäre!" Sie wich Dereks Blick aus, als er ihre Flunkerei mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte. "Wenn du vor morgen früh noch einmal anrufst, bringen wir sie gar nicht erst nach Hause, sondern gleich zum Flughafen." "Zum Flughafen? Nein! Charlie, warte! Ich..." Sie knallte den Hörer auf die Gabel. Dann riss sie sich von Derek los und lächelte nachdenklich und ein wenig zufrieden zu ihm hoch. "Vielleicht fliege ich sogar mit. Gute Nacht, Cabot. Schlaf schön!"
11. KAPITEL
Der Florist war gerade dabei, das eiserne Tor mit einer Girlande aus weißen Rosen und Schleierkraut zu schmücken, als Derek den Porsche auf das Anwesen der Farnsworths lenkte. Sie hatten erst die Hälfte der langen Zufahrt hinter sich, als alle aus dem Haus strömten, um sie willkommen zu heißen, Bitsy an der Spitze, Darby mit erhobener Kamera. "Ich fahre ums Haus, und wir gehen durch die Garagen hinein", sagte Derek. "Nein, es geht schon." Kendra strich sich übers Haar und atmete tief durch. Für das, was sie durchgemacht hatte, wirkte sie erstaunlich gelassen. "Was hast du gedacht, als du allein in der vollen Kirche standest?" fragte sie Charlotte, während Derek bremste und alles auf den Wagen zustürmte. "Dass es Treys Problem war, nicht meins", antwortete Charlotte. "Ich war nur die, die damit fertig werden musste." "Das ist gut." Kendra tätschelte ihre Hand und öffnete die Tür. Darbys Kamera klickte, als Elizabeth Kendra in die Arme schloss. "Geht es dir gut?" fragte sie leise. "Ja", antwortete Kendra. Caleb trat vor, um sie ebenfalls zu umarmen. "Oh, Kennie", sagte er mit rauer Stimme. "Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht." "Alles in Ordnung, Daddy." Sie küsste seine Wange. "Ich musste nur eine Weile allein sein." "Kendra. Kendra!" Trey drängte sich nach vorn und schüttelte Babs' Hände ab, als sie ihn zurückhalten wollte. "Kendra, bitte!" "Schon gut; Daddy", sagte sie und schob ihn sanft zur Seite, um Trey mit einem so ausdruckslosen Blick zu empfangen, dass Charlotte sie bewunderte. "Was ist, Trey? Ich dachte, du wolltest weg." Charlotte sah ihm an, wie verloren er sich vorkam. Die Kendra vor ihm war nicht mehr diejenige, die er kannte. "Ich möchte mit dir reden", sagte er. "Und zwar da, wo wir ein paar Minuten allein sein können." "Natürlich", erwiderte sie, und ihr Tonfall war nicht verständnisvoll, sondern herablassend. "Also findet die Hochzeit doch statt?" fragte Bitsy, der die feinen Untertöne offenbar entgangen waren. Kendra lächelte, während die anderen ihr den Weg frei machten. "Nein. Ich fliege heute abend nach Europa." Trey blieb wie angewurzelt stehen. Sie hakte sich bei ihm ein und zog ihn mit sich. "Komm schon. Wie gehen spazieren." Bitsy stellte sich neben Charlotte und blickte den beiden nach. "Das kann sie doch nicht tun!" stieß Elizabeth hervor und sah Caleb entsetzt an. "Ich bringe Trey dazu, sie doch noch zu heiraten, und sie sagt, sie fliegt nach Europa." Caleb musterte sie einen Moment. "Was hast du getan?" fragte er leise. Den Rest des Gesprächs bekam Charlotte nicht mehr mit, denn Bitsy stieß sie mit dem Ellbogen an. "Was ist passiert?" fragte die Reporterin. "Das müssen Sie Kendra fragen", antwortete Charlotte. "Sie will nach Europa?" "Kann sein." "Aber Trey hat es sich anders überlegt." "Na und, Bitsy? Trey überlegt es sich dauernd anders." Edward kam herüber, legte einen Arm um Charlotte und küsste sie auf die Schläfe. "Wie geht es dir, Süße? Du warst gestern abend am Telefon etwas grimmig."
Grimmig? Ja, ein gutes Wort. Sie rang sich ein Lächeln ab. "Ich weiß, was Kendra durchmacht. Ich wünschte, ich könnte mehr für sie tun." Caroline hakte sich bei Derek ein und lächelte mitfühlend. "Und wie hältst du dieses Chaos aus? Nicht sehr angenehm für einen Mann, der Ordnung und Effizienz schätzt, was?" Er zuckte mit den Schultern. "Charlie ist dabei, mich zu ändern." Caroline entging der plötzliche Blick nicht, den Derek und ihre Stieftochter dabei austauschten. Besorgt warf sie ihrem Mann schließlich einen Blick zu. "Wissen Sie..." sagte Bitsy. Alle sahen sie an, erstaunt, dass sie noch da war. "Wenn Sie zwei mir nichts über Kendra sagen wollen, könnten Sie mir ein paar andere Fragen beantworten." Charlotte spürte die drohende Gefahr. Dereks Arm legte sich um sie, und sie staunte, wie selbstverständlich es sich anfühlte. "Welche denn?" fragte er freundlich. "Sie sagten, Sie beide hätten während einer Geschäftsreise geheiratet." Charlotte lief es kalt den Rücken herunter. "Das stimmt", antwortete Derek. Bitsy lachte verwirrt, sah aber kein bisschen verwirrt aus. Sie wirkte vielmehr seltsam zufrieden. "Nun, das verstehe ich nicht. Ich weiß, dass Sie vor zwei Wochen zwei Tage in San Francisco waren und das letzte Wochenende in Denver." "Ja." "Nun..." Schon wieder das Lachen. "Es ist seltsam. An keinem der beiden Orte ist unter Ihrem Namen eine Eheschließung registriert. Wie erklären Sie das?" Damit, dass wir Betrüger sind, dachte Charlotte voller Panik. Ein nervöses Lachen stieg in ihr auf, und sie räusperte sich, um es zu unterdrücken. Und ich bin zum Opfer meiner Rolle geworden, denn ich habe mich in meinen angeblichen Ehemann verliebt. Bevor Derek Bitsys Frage beantworten konnte, ertönte Calebs dröhnende Stimme. "Meine Güte, Elizabeth! Kannst du nicht wenigstens jetzt einmal an andere denken? Wenn sie ihn doch noch nimmt, gibt es zwar eine Hochzeit, aber ich würde sagen, sie braucht einen Psychiater. Wenn nicht, schicken wir sie mit Henry zum Flughafen und geben eine Party, um zu feiern, dass uns ein solcher Schwiegersohn erspart geblieben ist." "Caleb Farnsworth!" fuhr Elizabeth ihn mit weinroten Wangen an. "Was fällt dir ein?" "Ich sage dir, was mir einfällt", entgegnete er und zog sie zum Haus. "Mir ist eingefallen, was ich dir schon vor dreißig Jahren hätte sagen sollen. Und jetzt bekommst du es zu hören, Elizabeth. Komm mit!" Vor den erstaunten Augen der anderen führte der sonst so sanftmütige Hüne Elizabeth ins Haus. Derek und die Morreaux' tauschten amüsierte Blicke aus. "Gut. Das hier entwickelt sich zur Story meines Lebens", bemerkte Bitsy. "Das freut mich", sagte Caroline voller Sarkasmus und hakte sich bei ihrem Mann ein, um ebenfalls ins Haus zu gehen. "Augenblick!" Bitsy hielt Dereks Arm fest, als er den beiden folgen wollte. "Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet." Oh, Himmel! Charlotte hatte gehofft, noch einmal davongekommen zu sein. Dereks Arm legte sich fester um sie. "In Denver und San Francisco ist keine Eheschließung registriert, weil wir in Massachusetts geheiratet haben", ließ er sie wissen. Bitsy zog skeptisch die Brauen zusammen. "Von einer Geschäftsreise dorthin weiß ich nichts." "Hat sich kurzfristig ergeben." Er zog Charlotte an sich. "Entschuldigen Sie uns. Wir haben nicht viel Schlaf bekommen, und was immer heute nachmittag abläuft, ich möchte hellwach sein."
Derek führte Charlotte in Richtung Gästehaus und forderte ihre Eltern mit einer Kopfbewegung auf, sich ihnen anzuschließen. Als sie das Wohnzimmer betraten, sahen sich alle besorgt an. "Sie weiß es", erklärte Charlotte und wanderte zwischen der Tür und der Glaswand hin und her. "Sie ist sich nicht sicher", wandte Derek ein. Charlotte blieb stehen und sah ihn an. "Warst du wirklich in Massachusetts?" Er lächelte und stützte den Ellbogen auf Carolines Stuhllehne. "Nein. Aber ich habe keinen Ort genannt, und sie wird in jedem County nachfragen müssen, bevor sie sicher sein kann. Bis dahin wird dies alles vorüber sein, so oder so." Edward hatte sich aufs Sofa gesetzt und nickte. "Wir dürfen jetzt nicht in Panik geraten. Caleb hat in den letzten beiden Tagen viel durchgemacht. Noch eine Blamage kann er nicht gebrauc hen." "Also musst du noch eine Weile durchhalten, Liebling", sagte Caroline. "Nach der Hochzeit - oder was auch immer - kannst du mir eine Standpauke halten." Charlotte ließ sich aufs Sofa sinken und legte den Kopf nach hinten. Es war erst zehn Uhr vormittags, aber sie hätte sich für die nächsten paar Tage schlafen legen können. Lügen war so anstrengend. "Es sei denn, das Durchhalten fällt ihr heute schwerer als während der letzten Tage", bemerkte ihr Vater. "Ihr zwei habt Krach, stimmt's?" Charlotte ließ die Augen geschlossen. Sie wollte Derek nicht ansehen. Krach? Ja, das konnte man wohl sagen. "Wie machst du das?" fragte sie ihren Vater, wobei sie ihn ansah. "Ich kann in deinen Augen lesen wie in einer Bilanz", erwiderte Edward. "Und Derek und ich arbeiten schon so lange zusammen, dass wir eine Art Antenne füreinander entwickelt haben. Ich weiß, dass es zwischen euch plötzlich nicht mehr stimmt." Charlotte musterte ihren Vater eine Weile nachdenklich. Er war so klug. Am liebsten hätte sie Derek und Caroline gebeten zu gehen und wäre auf seinen Schoß geklettert, um ihm alles zu berichten. Aber sie hatte es vor einem Jahr allein geschafft. Sie würde es auch diesmal schaffen. Sie zwang sich, Dereks Blick nicht mehr auszuweichen. Er wirkte ruhig und distanziert. "Ich kann durchaus die liebende Ehefrau spielen", sagte sie, um ihn aus seiner Gelassenheit zu reißen. "Und zwar so gut, dass ich schon fast selbst daran geglaubt habe." Derek entging die Spitze nicht, aber er ging nicht darauf ein. Seine gewohnte Schlagfertigkeit war verschwunden, und plötzlich verstand er gar nichts mehr. "Ein Kinderspiel", sagte er nur. Edward blickte von einem zum anderen, und als Caroline etwas sagen wollte, brachte er sie mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen. Dann stand er auf und half auch ihr hoch. "Ich hoffe, ihr tut nichts Übereiltes", sagte er. "Tue ich nie", behauptete Derek. "Dich habe ich nicht gemeint", sagte Edward. "Komm schon, Caro." "Aber ich..." Sie zeigte auf Charlotte, die niedergeschlagen auf dem Sofa saß. Edward zog sie zur Tür. "Das ist nicht deine Sache, mein Liebling. Bis später, ihr zwei." "Charlotte ist meine Sache, seit ich dich geheiratet habe", beharrte sie, als er sie ins Freie schob. "Jetzt nicht mehr, Caroline." "Wieso denn? Was soll das..." Ihre Stimmen wurden leiser, als die Tür sich hinter ihnen schloss. Derek drehte den Schlüssel um. "Möchtest du einen Tee?" fragte er auf dem Weg in die Küche. "Für einen Tee könnte ich einen Mord bege hen", flunkerte Charlotte müde. Er lächelte nicht einmal. "Nicht nötig. Ich bringe ihn dir."
Charlotte schloss die Augen wieder und lauschte den so häuslichen Geräuschen, die aus der Küche drangen. Warum war sie so wütend auf ihn gewesen? Zwischen einem Mann, der wie Trey sein Handeln von Angst bestimmen" ließ, und einem, der den Mut hatte, seine Angst zuzugeben, war doch ein gewaltiger Unterschied. Aber zu Trey, der sie verletzt und erniedrigt hatte, war sie höflich gewesen. Derek dagegen hatte sie erst beschimpft und dann mit eisiger Verachtung gestraft. Sie hörte den Kessel pfeifen und setzte sich auf. Es gab zwischen ihnen zwar noch immer ein ernstes Problem, aber er hatte eine Entschuldigung verdient. Derek kam herein und stellte ihr mit regloser Miene den Tee hin. "Wenn es dir hier bequem genug ist", sagte er, "lege ich mich ein oder zwei Stunden ins Bett." "Derek, ich..." Er schaute sie an, und sein Blick war völlig ausdruckslos. Ihr ging auf, dass sie jedes Gefühl in ihm abgetötet haben musste. Wahrscheinlich würde er eine Entschuldigung im Moment gar nicht hören wollen, schon gar nicht akzeptieren. "Sicher", sagte sie. "Tu das. Danke für den Tee." Die Schlafzimmertür schloss sich hinter ihm, und als Charlotte den dampfenden Tee trank, fiel eine einzelne salzige Träne hinein. Im Garten wurde zwar noch alles für die Hochzeit vorbereitet, weil noch nicht feststand, ob sie wirklich abgeblasen war, aber die freudige Erwartung, die zu einem solchen Anlass gehörte, fehlte. Briane und Denise schlenderten zwischen den Arbeitern umher und sahen aus wie zwei Schauspielerinnen, die für ein inzwischen abgesagtes Stück engagiert worden waren. Charlotte war mit ihrem Tee auf die kleine Veranda des Gästehauses gegangen und eilte nun zu den beiden. "Gibt's was Neues?" fragte sie. Briane schüttelte den Kopf. "Sie reden noch." Denise zeigte lächelnd auf einen der Arbeiter. Der Mann war groß, athletisch und hatte etwas längeres Haar. "Wenn Kendra alles abbläst", sagte sie, "heirate ich vielleicht den da, damit nicht alles umsonst aufgebaut wird." Charlotte ging mit den beiden über den sattgrünen Rasen, dessen Pflege hier im subtropischen Südkalifornien eine ganze Armee von Gärtnern erforderte. Briane seufzte. "Ich weiß, es wäre ihrer Familie peinlich, aber ich hoffe trotzdem, dass sie nach Europa fliegt." "Sie behauptet, dass sie Trey noch immer liebt", bemerkte Charlotte. Briane trat unter einen der hohen Rosenbögen und zog die beiden anderen hinter sich her, als hätte sie dort niemand belauschen können. "Ich würde es Kendra nie erzählen", flüsterte sie und sah Denise an, die offenbar schon Bescheid wusste und angewidert den Kopf schüttelte, "aber ich habe gestern am späten Nachmittag zufällig mitbekommen, wie Mrs. Farnsworth mit Trey sprach. Er will Kendra nun doch heiraten, weil Elizabeth ihm Geld angeboten hat. Viel Geld." "Aber er hat doch genug davon", warf Charlotte ein. "Ich rede von einer siebenstelligen Summe, die er außerdem nicht mit vier Geschwistern teilen muss." Charlotte überlegte. Elizabeth hatte Trey buchstäblich für Kendra gekauft. Kendra musste es erfahren - rechtzeitig. "Ich finde, Briane sollte es ihr berichten", flüsterte Denise. "Man stelle sich das vor... deine Mutter kauft dir einen Mann, der dich gar nicht mehr will. Und das nur, weil sie ein paar Stunden Peinlichkeit nicht ertragen kann." Charlotte lächelte. Sie dachte an Caroline, die davon abgehalten werden musste, Trey einen Killer auf den Hals zu hetzen, nachdem er ihrer Stieftochter das angetan hatte. "Nein, das bringe ich nicht fertig", sagte Briane. "Wir sollten abwarten, was sie tut."
"Richtig." Briane legte Charlotte einen Arm um die Schultern. "Begreifst du jetzt, was für ein Glück du hattest, dass dir Trey Prentiss erspart geblieben ist und du deinen tollen Ehemann gefunden hast?" Es fiel Charlotte nicht schwer, sich ein Lächeln abzuringen. Galgenhumor war manchmal ganz nützlich. "Stimmt. Ich muss zu ihm. Wenn ihr etwas Neues hört, lass es mich wissen, ja?" "Mach ich." Briane sah auf die Uhr und stieß einen Pfiff aus. "Es ist schon nach elf." "Auf den Einladungen steht zwei Uhr", fügte Denise überflüssigerweise hinzu. Charlotte eilte zum Gästehaus. Falls Derek noch schlief, wollte sie ihn wecken. Sie musste wissen, was er wirklich für sie empfand. Und sie wollte ihm sagen, dass sie ihn liebte, mehr alles andere auf der Welt. Sie stieß die Haustür auf, stürmte durchs Wohnzimmer und ins Schlafzimmer. Es war leer, das Bett gemacht. Sie ging zum Schrank. Seine Sakkos waren ebenso verschwunden wie die Pullover und sein Kulturbeutel aus dem Bad. Charlotte rannte zur Tür. Sie musste ihn finden, bevor er wegfahren konnte. Bestimmt würde er nicht gehen, ohne sich von den Gastgebern und ihrem Vater zu verabschieden. Vielleicht konnte sie ihn an den Garagen abfangen. Sie eilte aus dem Gästehaus. "Hallo!" Auf der Veranda stand Kendra. Ihre Frisur war zerzaust, und sie selbst sah aus, als drohte sie jeden Moment in Tränen auszubrechen. "Hast du Zeit zum Reden?" fragte sie. Nein! wollte Charlotte schreien. Ich habe keine Zeit. Ich muss Derek aufhalten, bevor er für immer aus meinem Leben verschwindet. Aber sie kannte den Ausdruck auf Kendras Gesicht. So hatte sie vor einem Jahr auch ausgesehen, so tief verle tzt, so erniedrigt, so unfähig, logisch zu denken. Auch sie hatte ihre Trauer mit jemandem teilen müssen. Stundenlang hatte Caroline ihr zugehört. "Natürlich", sagte sie und zog Kendra ins Haus. Vor ihrem geistigen Auge sah Charlotte, wie Henry Derek die Schlüssel für den Porsche gab, wie er einstieg, ohne die Fahrertür zu öffnen, rückwärts aus der Garage fuhr, Henry zuwinkte, wendete und davonraste. Derek suchte nach jemandem, den er kannte, aber er fand nur die Mitarbeiter der diversen Lieferanten. Er hatte im gesamten Erdgeschoß nachgesehen, selbst in Calebs Arbeitszimmer. Erst in der Küche traf er auf Babs, die in einer Ecke saß und missmutig an einem farblosen Getränk nippte. Als sie ihn sah, winkte sie ihn zu sich. Cabot", sagte sie traurig. "Wie geht's Ihnen? Haben Sie das hübsche Mädchen daran erinnern können, dass es mit Ihnen verheiratet ist?" Er nahm ihr gegenüber Platz. "Nur hin und wieder. Sie hat ein sehr wählerisches Gedächtnis." Babs nickte. "Wie wir alle." Sie zeigte auf die Leute vom Partyservice, die das Büfett vorbereiteten und geschäftig durch die Küche eilten. "Es gab Zeiten, da hätten alle Frauen der Familie sich hier eingefunden, um das Essen zu machen. Nicht irgendwelche Fremden, die dafür bezahlt werden." "Stimmt." Er dachte an die Hochzeit seiner Cousine. Seine Mutter hatte tagelang gebacken und sich wochenlang jeden Nachmittag mit seinen Tanten getroffen, um ihr einen Quilt zu nähen. Doch im Moment hatte er wichtigere Dinge im Kopf als die Trauer um... Er suchte nach dem richtigen Wort, verwarf das, was ihm automatisch in den Sinn kam und nahm es dann doch, weil es das einzige war, das passte. Ohne Charlotte fehlte seinem Leben die Romantik.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Babs' Problem seinem eigenen vielleicht doch ähnlicher war, als er gedacht hatte. "Ich suche Caleb", sagte er. "Wissen Sie, wo er steckt? Oder Edward?" Sie nippte wieder an dem kleinen Becher und hielt ihn hoch. "Möchten Sie auch einen? Beste Medizin, die die Natur je geschaffen hat." Derek schüttelte den Kopf. "Nein, danke." Babs zeigte zur Decke. "Caleb und Elizabeth sind in ihrem Schlafzimmer und schreien sich an, und ich glaube, Ihr Schwiegervater führt ein Ferngespräch. Er ist mit dem drahtlosen Telefon nach draußen gegangen." Derek fürchte die Stirn. Die beiden Männer blieben im Moment wohl lieber ungestört. Er hatte Caleb für die Gastfreundschaft danken und Edward erklären wollen, dass er sich mit seiner Tochter zerstritten hatte und sofort nach der Hochzeit gehen würde. Vielleicht konnte er sich wieder nach New York versetzen lassen und Kendra und Charlotte die Flugtickets nach Paris geben. "Sie sehen aus, als wären Sie vom Pferd getreten worden", diagnostizierte Babs. "Schätze, dass Charlotte Ihren Namen vergisst, ist nicht das einzige Problem zwischen Ihnen beiden, was?" Er sah in die leuchtenden, weise blickenden Augen, und es fiel ihm leicht, ehrlich zu sein. "Ja. Manchmal macht es mir angst, was sie in mir auslöst, weil... weil es so anders ist als alles, was ich bisher gefühlt habe. Und das macht ihr angst. Sie befürchtet, dass ich so wie Prentiss bin und sie eines Tages verlassen würde." "Aber Sie haben sie doch geheiratet", wandte Babs verdutzt ein. "Sie haben versprochen, bei ihr zu bleiben. Traut sie Ihrem Versprechen denn nicht?" Weiter konnte Derek nicht gehen. Er wünschte, er hätte den Drink genommen. "Wohl nicht", antwortete er. Babs schüttelte den Kopf über die modernen Ehen. Dann lächelte sie. "Elizabeths Vater und ich haben Schafe gezüchtet. Raues Leben, harte Arbeit. Lizzy erinnert sich nicht gern daran. Sie findet es irgendwie zweitklassig. Aber es war echter und wirklicher als das hier. Wir haben uns geliebt, uns aufeinander verlassen und uns alles gegeben, was wir hatten." Sie berührte den Topf mit dem Sauerteig, den sie aus Montana mitgebracht hatte und der nicht für die Hochzeit verwendet werden würde. "Es ist wie dieser Teig hier. Man fügt etwas hinzu und nimmt etwas ab, und es geht immer so weiter." Sie lächelte Derek an. "In diesen modernen Partnerschaften, in denen jeder für sich lebt, lernt man nicht mehr, worum es im Leben geht. In einer guten Ehe ergänzt man sich das ganze Leben hindurch. Wenn man zueinander passt, hat man das, was dem anderen fehlt, und der andere hat das, was man selbst braucht. Aber man muss wissen, was man damit anfangen soll. Man muß es gut mischen, nichts zurückhalten, nicht zählen, wie oft wer was bekommt. Und wissen Sie was? Die Sache geht auf wie ein Teig und wird so toll und groß, dass man es kaum glauben kann." Konnte es so einfach sein? Derek schob seinen Stuhl zurück. "Ich bin ihr zu schnell. Sie lässt sich lieber Zeit und sieht sich alles ganz genau an. Und wenn ich mich ihr anpasse..." Er zögerte. Es war so schwer zu erklären. "... dann nimmt es mir meine Dynamik, mein Tempo", platzte er schließlich heraus. "Ich weiß nicht, ob ich auf Dauer so sein kann." Babs nickte, als hätte sie ihn verstanden. "Ich weiß. Aber man muss geben, um nehmen zu können. Das ist ein Naturgesetz. Es sei denn, man heißt Trey Prentiss..." Sie zog eine Grimasse. "Er ist einfach zu feige, etwas zu geben, und deshalb bekommt er auch nichts." Derek betrachtete Babs bewundernd und kam sich vor, als hätte er den Himalaja bestiegen und auf dem Gipfel eine weise Frau befragt.
Er stand auf, beugte sich über den Tisch und küsste Babs auf die Wange. Sein Ruf als Mann, der das Risiko liebte, war legendär. Nun war es an der Zeit, diesem Ruf wirklich Ehre zu machen. "Danke, Babs", sagte er schlicht. Sie zwinkerte ihm zu. "Sicher. He, und falls es nicht klappt, sagen Sie es mir. Ich bin auf der Suche nach einem jüngeren Mann."
12. KAPITEL "Ich weiß nicht, was ich machen soll", sagte Kendra, die zusammengekauert auf dem Schaukelstuhl im Gästehaus saß. "Ich will das Richtige tun." Charlotte zwang sich, aufmerksam zuzuhören, obwohl es ihr nach dem, was sie von Briane erfahren hatte, äußerst schwer fiel. "Aber..." Kendra seufzte. „ …ich weiß nicht, was das Richtige ist." Als Charlotte nicht darauf reagierte, sah Kendra auf die Uhr und lächelte grimmig. "Könntest du mir einen weisen Rat geben, bitte? In weniger als einer Stunde wird es hier von Leuten wimmeln, die an einer Hochzeit teilnehmen wollen. Erinnerst du dich noch, wie da ist?" Charlotte lachte und konnte kaum glauben, dass es ihr noch vor wenigen Tagen weh getan hatte, an ihre eigene geplatzte Hochzeit zu denken. Hatte sie sich seitdem so verändert? "Was sagt dir dein Herz?" fragte sie Kendra. "Dein Instinkt?" "Lauf weg, so weit wie möglich", antwortete Kendra wie aus der Pistole geschossen. "Ich weiß nur nicht, ob das ein gesunder Selbsterhaltungstrieb oder Egoismus ist. Trey hat mir weh getan und mich gekränkt, also würde ich es ihm nur zu gern heimzahlen und ihn sitzenlassen. Es ist verlockend, aber auch billig. Ich möchte wie du sein und so etwas nicht nötig haben." Charlotte blinzelte erstaunt. "Wie ich? Ich wollte gerade dafür stimmen, dass du ihn vor dem Altar stehen lässt." Kendra lächelte. Dann wurde sie ernst. "Du hattest es nicht nötig, dich an Trey zu rächen. Du hast dein eigenes Geschäft aufgebaut. Du hast mir geholfen, obwohl ich mit dem Mann verlobt war, der dich so blamiert und gekränkt hat. Du hast sogar deine Flitterwochen unterbrochen, um..." "Hör auf!" sagte Charlotte, denn sie ertrug es nicht mehr. "Hör auf, Kendra!" wiederholte sie, als Kendra mit aufgerissenen Augen verstummte. "Es ist nicht wahr." "Natürlich ist es das." "Nicht das mit den Flitterwochen." Charlotte seufzte und ließ die Last von den Schultern gleiten. "Derek und ich sind nicht verheiratet." Für einen Moment schien alles, sowohl im Gästehaus als auch draußen im Garten, stillzustehen. Dann fragte Kendra leise: "Wie bitte? Ich verstehe nicht." Charlotte erinnerte sie daran, wie sie mit dem Brautkleid zu den Farnsworths gekommen war. "Du weißt doch, dass unsere Mütter irgendwie immer konkurriert haben?" Kendra nickte. "Caroline dachte, deine Mutter wollte mich damit ärgern, dass du meinen alten Verlobten bekommen hattest und ich noch immer ohne einen Neuen dastand. Ich glaube, deine Mutter hat mich nie gemocht." Kendra wiegte den Kopf, widersprach jedoch nicht. "Vielleicht lag das daran, dass in dir immer mehr gesteckt hat als in mir. Ich konnte immer nur schicke Sachen tragen, gut darin aussehen und ein wenig zeichnen. Du warst klüger und reifer. Das hat sie dir wohl übel genommen." Charlotte winkte heftig ab. "In dir steckt weit mehr, als sie ahnt. Sie hat nur immer versucht, aus dir ihr Abbild zu machen, anstatt dich zu dem Menschen werden zu lassen, der du bist. Jedenfalls wollte mir Caroline zur Hilfe kommen, und deshalb hat sie behauptet, dass ich sogar schon verheiratet bin." Sie lachte resigniert. "Du glaubst gar nicht, was mir das an Ärger eingebracht hat. So, ich bin eine Lügnerin, das ist die schlichte Wahrheit. Willst du jetzt immer noch so sein wie ich?" Kendra schien sich plötzlich mehr für Charlottes Problem zu interessieren als für ihr eigenes. "Du meinst, du und Derek habt zusammen im Gästehaus gewohnt, obwohl ihr gar nicht..."
"Genau." Zu ihrem Erstaunen lachte Kendra. "Nun ja, so etwas schockiert heutzutage keinen mehr. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie man so eng mit einen so tollen Mann zusammenleben kann, ohne auch..." Charlotte nahm das Kissen vom Schaukelstuhl und inspizierte die gerüschte Bordüre, als hätte sie noch nie eine gesehen. "Ich auch nicht", gestand sie. "Ich habe mich in ihn verliebt." Kendra sah sie verwirrt an. "Das ist doch gut, oder?" "Nein." Charlotte strich über die Bordüre. "Ich habe Mist gebaut. Es wurde ernst zwischen uns, und er schien es plötzlich mit der Angst zu bekommen. Ich war wütend auf ihn und habe ihm gesagt, dass ich Schluss mache, weil er mich an Trey erinnert." "Wo ist er jetzt?" "Seine Sachen sind weg, er vermutlich auch." "Charlie!" Kendra glitt vom Schaukelstuhl und setzte sich zu ihr. "Das klingt, als wolltest du ihn zurückhaben. Meinst du nicht, du solltest ihm nachfahren?" Charlotte schluckte. "Nein. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass ich nur die Hochzeiten anderer Leute planen sollte, nicht meine eigene. Aber im Moment geht es um deine Hochzeit, Kendra." Charlotte dachte an das, was sie im Garten von Briane erfahren hatte. "Überlege es dir gut, Kendra. Bist du sicher, dass Trey es diesmal wirklich ernst meint? Ich weiß, du liebst ihn, aber wenn er dich nur heiratet, weil..." Sie suchte nach etwas, mit dem sie nicht verraten konnte, was sie wusste. "Weil er ein schlechtes Gewissen hat... oder aus Loyalität zu deinem Vater. Das wäre für keinen von euch gut." Kendra nickte nachdenklich und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, wurde Charlotte erneut bewusst, wie sehr ihre Freundin sich in den letzten vierundzwanzig Stunden verändert hatte. "Ich weiß. Aber ich war bereit, ein Haus zu kaufen, Babys zu bekommen, so zu leben, wie ich es immer wollte." Das konnte Charlotte gut verstehen. Genau daran hatte auch sie während der letzten Tage häufig gedacht. "Doch nicht mit dem falschen Mann." "Trey hat mir gesagt, ich soll vergessen, was er mir gestern vormittag gesagt hat. Er meinte, er habe nur die Nerven verloren." Sie lächelte. "Dazu neigt er, nicht wahr? Aber er hat auch beteuert, dass er mich liebt, und mich angefleht, ihm zu verzeihen und ihn zu heiraten. Er schien es ernst zu meinen." Warum muss ausgerechnet ich es ihr sagen, dachte Charlotte verzweifelt. Es würde rachsüchtig und schadenfroh wirken. Doch dann entschied sie, dass es viel grausamer wäre, Kendra Trey heiraten zu lassen, ohne dass sie die Fakten kannte. "Kendra..." begann sie. Ein lautes Klopfen ließ sie verstummen. Kendra schaute durchs Fenster. "Es ist mein Vater", sagte sie und ging zur Tür. "Aber Kendra..." "Hallo, Kennie!" Caleb umarmte seine Tochter und lächelte Charlotte zu. "Tut mir leid, wenn ich störe, aber es wird langsam Zeit." Charlotte brachte es nicht fertig, das auszusprechen, was sie hätte sagen müssen: Kendra, du solltest wissen, dass dein Verlobter sich von deiner Mutter hat kaufen lassen. Und du, Caleb, bist mit einer Frau verheiratet, der ihre gesellschaftliche Position wichtiger ist als ihre Tochter. "Danke, Charlie." Kendra drückte ihr die Hand, dann ging sie mit ihrem Vater davon - ins große Haus und in eine vermutlich nicht sehr glückliche Zukunft. Charlotte holte den Koffer unter dem Bett hervor und zog die Schublade mit ihrer Wäsche auf. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sie das schon einmal getan hatte. Dann schnürten ihr bittere Tränen die Kehle zu, denn diesmal hielt sie niemand auf.
Sie legte alles in den Koffer, nur das hochgeschlossene, langärmelige viktorianische Spitzenkleid nicht, das sie bei der Hochzeit tragen wollte. Sie hoffte, dass Trey sozusagen der Blitz traf und ihn in einen verantwortungsvollen, treuen Ehemann verwandelte. Derek eilte den Weg zum Gästehaus entlang, als Edward ihn einholte, das Mobiltelefon in der Hand. "Derek, ich brauche dich", sagte er. "Aber ich..." Er zeigte auf das Gästehaus, in dem Charlotte vermutlich schon packte, um sofort nach der Trauung abzureisen. In der Küche wurde gemunkelt, dass die Hochzeit wie geplant stattfinden werde. Am anderen Ende des Anwesens trafen bereits die ersten Gäste ein. Vor dem Haus stauten sich die Limousinen, und er konnte Henry und Naldo zwischen ihnen umhereilen sehen. Edward reichte ihm das Telefon. "Es ist London." "Aber du..." "Ich weiß. Aber er sagt, er mag deinen Stil. Er will mit dir reden." Derek starrte aufs Gästehaus, dann auf den Hörer. Zum erstenmal in seinem Leben war er bereit, ein Millionen-Dollar-Geschä ft seinem Privatleben zu opfern. Er wollte Edward gerade den Apparat zurückgeben, da sah er Charlie über den Rasen laufen, eine schlanke Gestalt in Weiß, das Haar hochgesteckt und von Blüten gekrönt. Briane und Denise waren bei ihr, und ihre purpurroten Kleider bildeten einen warmen Kontrast zu Charlottes Weiß. Derek stöhnte resigniert, warf Edward einen frustrierten Blick zu und hob den Hörer ans Ohr. "Vielleicht sollen wir es ihr alle zusammen sagen", schlug Briane vor, als sie, Charlotte und Denise sich durch die in den Garten strömenden Mitarbeiter des Partyservice ins Haus kämpften. "Jetzt?" flüsterte Denise entsetzt. "Zehn Minuten vor der Trauung? Du hättest es ihr gleich heute morgen sagen sollen." "Ich hab's versucht, aber sie war dauernd mit ihren Eltern zusammen." Charlotte hatte die Veränderung bemerkt, die in Kendra vorgegangen war, und wollte fest daran glauben, dass ihre Freundin die Entscheidung getroffen hätte, mit der sie leben konnte. "Briane! Denise!" rief Elizabeth vo n oben. Mit einem besorgten Blick auf Charlotte eilten die beiden die Treppe hinauf. Charlotte ging zur Terrassentür und blickte hinunter in den Garten, wo Caroline und Edward die Gäste begrüßten. Die Erinnerung an ihre geplatzte Hochzeit kehrte zurück, klar, aber seltsamerweise ohne jeden Schmerz. Was sie an Trauer empfand, hatte mit der Gegenwart zu tun. Derek war fort, und sie war schuld daran. Sie straffte die Schultern, um hinauszugehen. Alle würden sie anstarren. Sie war die tragische Figur, die Frau, die immer nur die Betreuerin der Braut war, nie die Braut selbst. Charlotte schob die Tür auf, doch bevor sie hindurchgehen konnte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Sie wirbelte herum, und blickte direkt in Dereks dunkle Augen. "Derek!" flüsterte sie, von seinem Anblick überwältigt. "Ich dachte, du wärst weg." "Dachtest du?" Er schloss die Tür. "Da siehst du mal, wie sehr auch du dich irren kannst." "Nun ja", erwiderte sie und starrte ihn an. Er trug einen Smoking, und das weiße Hemd unter der schwarzen Jacke ließ ihn wie auf einem Schwarzweiß-Porträt aussehen. "Ich wollte... mit dir über gestern abend reden." "Gut." Er zog sie mit sich. "Ich habe auch ein paar Dinge, die ich dir sagen möchte." Überall lief Personal herum, und erst nach einer Weile fand Derek eine Tür, durch die nicht dauernd jemand eilte. Es war eine Vorratskammer, in der jemand das Licht angelassen hatte.
Derek schloss die Tür hinter ihnen und klemmte einen Hocker unter die Klinke. Dann drehte er sich zu Charlotte um. Irgend etwas in seinen Augen beunruhigte sie. Sie waren dunkel und strahlend und erfüllt von einer Entschlossenheit, die etwas Wildes hatten. Sie wich zurück, vorbei an Regalen mit Dosen und Kartons. Er folgte ihr. "Es tut mir leid, dass ich dich angeschrieen habe", sagte sie. "Mir war nicht klar, dass es ein Unterschied ist, ob man Angst hat oder sich auch noch von ihr leiten lässt. Ich habe nur gemerkt, dass du ängstlich wurdest, und das hat mich erschreckt, weil..." Sie musste stehe nbleiben, weil ein Regal mit Zwiebeln und Kartoffeln ihr den Weg versperrte. „…weil ich dich so sehr liebe. Ich glaube..." Er öffnete sein Jackett und legte eine Hand an das Regal. Charlotte trat zur Seite, und seine zweite Hand legte sich vor eine Reihe von Dosen mit geräucherten Austern. Sie konnte nicht weg. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm die Wahrheit zu sagen. "Ich glaube, ich war so aufgebracht", begann sie und drehte den Kopf zur Seite, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, "weil ich diesmal wirklich eine Hochzeit haben wollte... und alles, was danach kommt, das Haus, die Kinder, die Haustiere, den Kombi mit den Picknickkörben, der Baseball- Ausrüstung und den Kindersitzen..." Er nahm ihr Kinn zwischen zwei Finger und drehte ihr Gesicht zu sich. "Willst du dazu meine Meinung hören?" Es klang zornig. Oh, Himmel! Jetzt kam es. Ohne ihre Antwort abzuwarten, küsste er sie. Derek ließ den Kuss für sich sprechen... mit der Leidenschaft, die sie in ihm auslöste, der Zärtlichkeit, die sie ihn gelehrt hatte, die tiefe Liebe, die so schnell, aber unerschütterlich in ihm gewachsen war. Er liebte sie, er vertraute ihr, er brauchte sie, er begehrte sie. Er würde ihre Liebe erwidern, ihr nie einen Grund geben, an ihm zu zweifeln, und immer für sie da sein, am Tag und in der Nacht. Er hob den Kopf und sah die Tränen und das unbeschreibliche Glück in ihren Augen. Erst als jemand an der Tür rüttelte, lösten sie sich voneinander. Derek sah sich in der Vorratskammer um. "Du wir st unseren Enkeln nicht davon vorschwärmen können, wie romantisch mein Heiratsantrag war." Sie zog ihn an sich. "Romantik ist dort, wo man sie sich schafft, ob in einem Viktorianischen Zimmer oder zwischen Kartoffeln und Knoblauch." Er küsste sie auf den Kopf. "Willst du mich heiraten, Charlie?" "Ja, Derek", antwortete sie und schaute zu ihm hinauf, den Blick voller Freude und Versprechen. "Sobald wir diese hier in Gang gebracht haben, planen wir unsere Heirat." "Dann lass uns von hier verschwinden." "Nur noch einen Kuss." Die Tür wurde aufgestoßen, der Hocker polterte zu Boden. Der Chef des Partyservice und Pauline fielen fast in die enge Kammer. Derek murmelte eine Entschuldigung und zog Charlotte mit sich auf den Flur. "Diebe?" fragte der Mann vom Partyservice Pauline. Die Köchin lächelte hinter den beiden her. "Ein Liebespaar", antwortete sie schmunzelnd. Charlotte und Derek sahen, wie Trey und sein Bruder, der als Trauzeuge fungierte, an der Terrassentür darauf warteten, in den Garten zu gehen, um die Braut in Empfang zu nehmen. Die beiden unterhielten sich leise miteinander, als Charlotte und Derek sich näherten. "Ein Beamer?" fragte Treys Bruder gerade, nicht ahnend, dass man ihn hören konnte. "Oder ein Porsche wie der von Cabot? Das ist ein Wagen." "Ich glaube, ich kaufe mir ein Flugzeug", erwiderte Trey lächelnd. "Eine von diesen neuen 31A von Lear. Hat den besten Autopiloten und das beste Navigationssystem von allen Learjets."
"Du kannst nicht fliegen." "Ich engagiere einen Piloten." "Es wäre billiger, mit Airline zu fliegen." "Aber nicht so cool... Charlie! Cabot!" Trey strahlte, als er die Terrassentür aufschob. "Amüsiert euch, ja? Und danke, dass ihr meine Braut heimgeholt habt." "Sicher", erwid erte Charlotte und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, ihn gegen das Schienbein zu treten - oder sonstwohin. "Wollte nicht, dass sie zu spät zur Anlieferung kommt." Trey zog eine Augenbraue hoch. Derek furchte die Stirn. "Anlieferung?" fragte Trey. Charlotte gab sich verwirrt. "Oder habe ich da etwas verwechselt? Ja. Du bist der, der hier angeliefert wird, gekauft und bezahlt mit der magischen Formel, die alle Ängste verschwinden lässt." Trey errötete bis zum Haaransatz, wie ein Glas, das mit Rotwein gefüllt wurde. Er sah erst seinen Bruder an, der nicht zu verstehen schien, dann Charlotte. "Du hast doch nicht..." "Nein, ich habe es ihr nicht gesagt", ergänzte sie und traf ihre Ent scheidung. Jetzt, wo sie wusste, was wahre Liebe bedeutete, durfte sie nicht zulassen, dass Kendra sich mit weniger zufrieden gab. "Aber ich glaube, ich warte mit euch. Sie wird gleich herunterkommen." "Ich kann alles erklären..." Charlotte hob eine Hand. "Bitte versuche es gar nicht erst." "Könntest du mir sagen, was hier los ist?" fragte Derek. "Gute Frage." Bitsy Tate schlüpfte durch die geöffnete Terrassentür und lächelte triumphierend zu Derek hinauf. "Sie waren in den letzten vier Wochen nicht in Massachusetts", sagte sie. "In keinem der vierzehn Counties ist eine Eheschließung registriert. Sie haben meine Zeit verschwendet." "Das haben Sie selbst getan, Bitsy", erwiderte er gelassen. Als Lügner entlarvt zu werden war ein kleiner Preis für ein ganzes Leben mit Charlotte. "Sie hätten uns glauben können und sich damit viel Mühe erspart." "Aber Sie haben gelogen. Und mein Job ist es, die Wahrheit zu drucken." "Ihr Job ist es", verbesserte er, "auch den leisesten Hauch von Skandal zu erschnüffeln und Ihren Lesern als besonderen Leckerbissen zum Frühstück zu präsentieren." Bitsy öffnete den Mund, wurde erst weiß, dann rot. "Sie zwei sind gar nicht verheiratet, stimmt's? Das hübsche viktorianische Fräulein und der äußerst zeitgemäße Mann haben im kleinen Gästehaus in Sünde gelebt." Derek zog eine Augenbraue hoch. "Glauben Sie, das interessiert jemanden?" Sie lächelte siegessicher. "Natürlich. Meine Leser werden sich freuen zu erfahren, dass die hübsche Charlotte Morreaux auch diesmal nicht verheiratet ist." Charlotte griff nach Dereks Arm, als er einen Schritt auf die Reporterin zumachte. "Mir scheint", sagte Trey ruhig, "das bietet uns eine neue Gelegenheit, uns zu vertragen." Er sah zu den Gästen, von denen viele auch auf ihrer Fast-Hochzeit gewesen waren. Charlotte wusste, dass die meisten sie zwar bedauert, aber sich noch Tage danach die Mäuler zerrissen hatten. Eigenartigerweise störte es sie inzwischen nicht mehr. Sie schenkte Derek ein hinreißendes Lächeln. "Würde es dir etwas ausmachen?" "Absolut nicht", antwortete er. "Aber du..." "Mir auch nicht. Trey Prentiss, du bist ein mieses Stück. Und das sollte Kendra erfahren. Dann kannst du mit Bitsy nach draußen gehen und den Leuten erzählen, was für Betrüger Derek und ich sind." Draußen setzte der Hochzeitsmarsch ein. Oben im Haus wurde eine Tür geöffnet und geschlossen.
"Unser Auftritt." Trey grinste seinen Bruder an und zwinkerte Charlotte zu. "Überleg's dir lieber noch einmal, Charlie." Und dann ging er hinaus, gefolgt von seinem Trauzeugen, um Kendra zu erwarten. Charlotte, Derek und Bitsy drehten sich ganz langsam um, als die Braut die Treppe herunterkam.
13. KAPITEL
Alle machten überrascht einen Schritt nach hinten, als Elizabeth oben an der Treppe erschien, ein Taschentuch an die Lippen gepresst. Langsam kam sie herunter, mit entgeistertem Gesicht, wie benommen, die eine Hand um das Taschentuch gekrampft, die andere auf dem glänzenden Mahagonigeländer, um Halt zu suchen. Die lavendelfarbene Jacke über dem schmalen Rock schmeichelte ihrer Figur, aber ihr Gesicht wirkte darüber fast grün. "Elizabeth?" fragte Bitsy besorgt und eilte zur Treppe. Elizabeth schien sie gar nicht zu bemerken. "Elizabeth, was ist denn?" Elizabeth ging wie in Trance weiter. "Sie können es ebensogut von mir erfahren, Bitsy", ertönte plötzlich Kendras Stimme von oben. Alle starrten hinauf. Was Elizabeth so aus der Fassung gebracht hatte, war nicht schwer zu erraten. Kendra trug nicht das weiße Brautkleid, mit dem diese ganze Scharade begonnen hatte, sondern ein gelbes Kostüm und hatte eine Reisetasche in der Hand. Caleb folgte ihr mit dem restlichen Gepäck, als sie sich in Bewegung setzte. Von draußen drang noch immer der Hochzeitsmarsch herein, ein makabrer Hintergrund für das kleine Drama, das sich abspielte. Aus den Augenwinkeln sah Charlotte, wie Trey besorgt zum Haus herüberstarrte. "Ich werde heute nicht heiraten, Bitsy", verkündete Kendra ruhig. Charlotte sah ihr an, dass sie geweint hatte, aber offenbar hatte die Entscheidung, die sie über ihre Zukunft getroffen hatte, die Tränen versiegen lassen. "Die ganze Geschichte ist eigentlich zu erbärmlich für Ihre Klatschspalte, Bitsy", fuhr Kendra fort. "Aber Sie können ja Mutters Version nehmen. Mir soll es gleichgültig sein. Ich sehe mir Europa an." Bitsy schien es kaum noch abwarten zu können, an ihren Laptop zu kommen. Kendra wandte sich Charlotte zu. "Ich habe gehört, wie du Treys Erpressungsversuch widerstanden hast." Sie umarmte sie. "Danke. Dad hatte mir gerade die Wahrheit gesagt." Caleb stellte das Gepäck ab und schüttelte grimmig den Kopf. "Ich wusste nicht, was Elizabeth getan hat, und habe es erst erfahren, als wir uns heute morgen stritten." Kendra ging zu Tür, hinter der die Gäste allmählich unruhig wurden. "Ich glaube, etwas werden wir ihnen geben müssen", sagte sie über die Schulter, und ein Lächeln umspielte ihren Mund. "Wenn wir nicht aufpassen, könnte es sehr unschön werden." "Was schwebt Ihnen denn vor?" fragte Bitsy neugierig. Ohne zu antworten, schob Kendra wie selbstverständlich die Terrassentür auf und winkte Trey, der inzwischen äußerst betrübt dreinblickte, ein letztes Mal zu. Die Musik verstummte schlagartig. Trey warf seinem Bruder einen Blick zu, schenkte den Gästen sein bekannt charmantes, entschuldigendes Lächeln und rannte über den Rasen zum Haus. "Kendra!" rief er, als er die Tür erreichte. "Warum hast du das Kostüm an? Wieso..." "Trey, bitte!" brachte sie ihn mit würdevoller Stimme zum Schweigen. "Ich weiß alles." Sie musterte ihn, als suchte sie in seinem Gesicht nach einer Spur des Mannes, den sie geliebt hatte, dann seufzte sie und schien zu akzeptieren, dass es ihn in Wirklichkeit nie gegeben hatte. "Der einzige Gefallen, den ich dir im Moment tun kann, besteht darin, dir ein diskretes Verschwinden zu ermöglichen. Mein Vater wird es deiner Familie erklären." Trey blickte ungläubig in die Runde. "Kendra, du hast das alles falsch ver..." "Oder", schlug sie lächelnd vor, "ich könnte Derek und meinen Vater bitten, dich hinauszubegleiten." Die Terrassentür ging wieder auf, und Treys Bruder trat ein. Er registrierte Kendras Kostüm und sah in die feindseligen Mienen der anderen. "Ist die Hochzeit abgeblasen?" fragte er Trey.
Der marschierte zur Haustür. Nach kurzem Zögern folgte sein Bruder ihm. Kendra klopfte sich die Hände ab, als hätte sie sich schmutzig gemacht. Dann wandte sie sich Charlotte und Derek zu. "Ich weiß, womit dieser Tag noch zu retten wäre..." Charlotte wusste nicht, wovon Kendra redete. "Was?" fragte sie verwirrt, viel zu stolz auf Kendra, um klar zu denken. "Wussten Sie, dass die beiden gar nicht verheiratet sind?" fragte Bitsy hämisch. "Dass sie alle hereingelegt haben? Sie und Ihre Familie und meine Leser." Kendra machte eine abfällige Kopfbewegung. "Natürlich wusste ich das." "Sie?" "Ich wusste es", wiederholte, Kendra und bedachte Bitsy mit demselben Lächeln, das auch Trey bekommen hatte. "Aber ich möchte es nicht in Ihrer Klatschspalte lesen. Und wenn Sie versucht sind, trotzdem darüber zu schreiben oder über das, was meine Mutter Ihnen über Trey erzählen wird, dann sollten Sie sich an den Abend erinnern, an dem wir alle zusammen in der Karaoke-Bar waren." "In der Bar?" "Ja. Ich nehme an, Sie erinnern sich nicht mehr an den zweiten Teil des Abends?" "Ich... ich..." "Sie wissen sicher noch, dass Briane uns alle fotografiert hat." Kendra legte einen Arm um Bitsy Schultern und führte sie in die Richtung, die Trey genommen hatte. "Ich besitze Fotos davon, wie Sie zusammen mit dem Schlagzeuger eine äußerst gewagte Interpretation von ‚After the Loving' auf die Bühne gebracht haben." Bitsy gab einen erstickten Laut von sich. "Und obwohl es Donnerstag war, hatten Sie ihre Samstags-Dessous an. Ich bin sicher, der ,Herald' könnte viel damit anfangen." Kend ra lächelte hämisch. "Verstehen wir uns?" Bitsy starrte sie nur an. Kendra drückte sie kurz an sich. "Gut. Danke fürs Kommen." Behutsam schob sie die Reporterin zur Haustür. Dann drehte sie sich zu Derek, Charlotte und Caleb um. "Wo war ich stehengeblieben?" Caleb umarmte sie. "Meine Güte. Ich hatte keine Ahnung, dass du aus so einem Holz geschnitzt bist. Du wolltest den Tag retten." "Ach ja." Sie schob die Terrassentür ganz auf, und alle drehten sich auf ihren Stühlen um und blickten zum Haus hinüber. Kendra hakte sich bei Charlotte und Derek ein. "Komm mit, Daddy! Wir werden dich brauchen." Das Orchester begann wieder mit dem Hochzeitsmarsch. Kendra brachte es mit einer Handbewegung zum Verstummen. "Überlasst mir das Reden", sagte sie und ging mit ihnen nach vorn, Nichts lieber als das, dachte Charlotte. Falls gleich das passierte, was sie bereits ahnte, würde sie ohnehin kein Wort herausbekommen. Kendra blieb vor dem verblüfften Geistlichen stehen, noch immer lächelnd. Sie ließ Charlotte und Derek los, trat zurück und schob sie zusammen, bis sie Arm in Arm vor ihr standen. "So", flüsterte sie, "das wäre geschafft." Dann drehte sie sich zu ihren Gästen um und räusperte sich. "Daran, wie ich gekleidet bin", sagte sie, "sehen Sie alle sicher, dass ich heute nicht heiraten werde." Das Gemurmel, das sie auf dem Weg nach vom begleitet hatte, wurde zu einem erregten Stimmengewirr. Sie wartete, bis es sich wieder legte. "Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich Sie so lange habe warten lassen. Und dafür, dass sich das Programm geändert hat. Trey und ich haben beschlossen, doch nicht zu heiraten", verkündete sie ruhig. "Aber meine Eltern haben einen wunderschönen Nachmittag
arrangiert, und ich möchte, dass Sie ihn genießen. Deshalb habe ich Derek und Charlotte um Hilfe gebeten." Sie zwinkerte den beiden zu. "Da die beiden in aller Heimlichkeit geheiratet haben, dachte ich mir, es ist nur fair, wenn sie ihr Versprechen hier und heute erneuern." Es gab vereinzelten Applaus, angeführt von Caroline und Edward, die in der ersten Reihe saßen. "Gut. Ich freue mich, dass Sie einverstanden seid." Sie sah ihren Vater an. "Daddy, würdest du Dereks Trauzeuge sein?" Caleb nickte lächelnd. "Ich würde mich geehrt fühlen." Sie winkte erst Edward, dann Briane und Denise zu, die am anderen Ende des Rasens auf die Braut gewartet hatten. Die drei eilten nach vorn und nahmen ihre Plätze hinter Charlotte ein, während Edward sich neben Caleb stellte. "Aber ich habe den Text für die Erneuerungszeremonie nicht dabei", flüsterte der Geistliche besorgt. "Er lautet anders als der bei..." "Nehmen Sie einfach den für Hochzeiten", flüsterte Kendra zurück. "Niemand wird den Unterschied merken." Plötzlich herrschte Stille auf dem Rasen. Nur das Summen der Bienen und das leise Wispern einer Brise waren zu hören. Kendra wurde plötzlich ernst und sah unglaublich traurig aus. Dann straffte sie sich. "So", sagte sie und umarmte ihren Vater, bevor sie mit erhobenem Kopf zum Haus ging. Der Geistliche gab den Musikern ein Zeichen, und erneut ertönte der Hochzeitsmarsch. Charlotte blickte Kendra nach, dann drehte sie sich nach vorn, als der Geistliche mit der Trauung begann. Sie sah zu Derek auf, und sein Lächeln war so intim, dass sie das Gefühl hatte, trotz der vielen Zuschauer ganz allein mit ihm zu sein. Es war ein Gefühl, das sie bis tief ins Innerste erwärmte und jede Regung intensivierte. Charlotte war überzeugt, dass man ihr ansah, wie herrlich es war, zu lieben und geliebt zu werden. Charlotte und Derek, die Winterprinzessin und der Mann, der sie zum Auftauen gebracht hatte. Derek fühlte sich, wie in ihren Blick gehüllt, willkommen geheißen, geliebt, und er verstand, wie richtig all das war, an das sie glaubte. Ich gehöre dir, drückte ihr Blick aus, und du gehörst mir... von heute an, für immer. Er registrierte nicht mehr, was der Geistliche sagte, und beugte sich herunter, um sie mit all der Zärtlichkeit zu küssen, die er in ihren Armen gelernt hatte. "Hm..." Der Geistliche räusperte sich und blickte über ihre Köpfe hinweg auf die lächelnden Gäste. "Das kommt später", flüsterte er. "Bitte hören Sie mir zu!" Er setzte die Zeremonie fort und musste sie nach ihren Namen fragen, als er zum Ehegelöbnis kam. Charlotte und Derek sprachen es so laut und deutlich aus, dass die meisten Gäste die Überzeugung in ihren Stimmen darauf zurückführten, dass sie die Worte erst kürzlich schon einmal ausgesprochen hatten. Schließlich erklärte der Geistliche sie zu Mann und Frau, und Charlotte drehte sich in Dereks Arme. Die Nachmittagsbrise ließ ihren Rock rascheln und die dunkle Locke an seiner Stirn flattern. Ein Vogel zwitscherte, die Gäste applaudierten und Charlotte hörte, wie Caroline vor Rührung schluchzte. Sonnenschein fiel durch den Rosenbogen, und zu ihrem Erstaunen nahm Charlotte all diese Einzelheiten viel deutlicher wahr als die romantische Atmosphäre, zu der sie sich verbanden. Derek sah, wie das Schleierkraut in ihrem Haar sich bewegte, sah das Leuchten in ihren Augen, die unendliche Liebe darin, und er wusste, dass er die Romantik ihres Hochzeitstags niemals vergessen würde.
Sie zog seinen Kopf zu sich herab. "Nur ein Romantiker bringt so etwas fertig, Derek", flüsterte sie. "Habe ich dich endlich überzeugt?" Er schaute ihr tief in die Augen, und die Liebe in ihm war so stark, das es fast weh tat. "Bei uns beiden", flüsterte er ganz zärtlich zurück, "ist die Romantik die Wirklichkeit."
EPILOG
"Ich sehe aus wie ein Lastwagen mit schwarzen Strümpfen." Charlotte trat einen Schritt vom Spiegel zurück und hoffte, dann schlanker zu erscheinen. Derek stellte sich hinter sie. Er befestigte die Manschettenknöpfe aus Jade an den Ärmeln seines weißen Hemds und betrachtete Charlotte im Spiegel. Sie trug ein schwarzes Umstandskleid, schwarze Schuhe und die herzförmige Brosche aus Gold und Emaille, die er ihr geschenkt hatte, als sie ihm sagte, dass sie schwanger sei. Sie hatte ihr Haar abschneiden lassen, ein Entschluss, über den sie lange diskutiert hatten. Er hatte geglaubt, sie davon abgebracht zu haben... bis sie mit kurzem Haar nach Hause gekommen war. Im ersten Moment war er entsetzt gewesen. Wie oft hatte er in ihrem Haar gewühlt! Dann hatte er das Funkeln in ihren Augen gesehen, die anmutige Form ihres Gesichts, den schlanken Hals, und er hatte zugeben müssen, dass der Entschluss richtig gewesen war. Derek fand, dass ihm noch nie eine so schöne, aufregende Frau begegnet war. Er schlang die Arme um sie und zog sie an sich. "Du siehst nicht aus wie ein Lastwagen, sondern wie eine Frau im achten Monat." "Ich sehe aus wie ein Lastwagen im achten Monat." Schwerfällig steuerte sie das Badezimmer an. "Ich gehe nicht hin." Er blieb ruhig. Nach eineinhalbjähriger Ehe mit ihr wusste er, wie er mit dieser Stimmung umgehen musste. Er stopfte das Hemd in die Hose und band sich die Schleife um. "Was soll ich denn allen sagen?" "Die Wahrheit." "Dass du meinst, du seist zu dick, um dich in der Öffentlichkeit sehen zulassen?" Charlotte kam an die Tür, einen Lippenstift in der Hand, und furchte die Stirn. "Ich bin sicher, du kannst es diplomatischer formulieren." Er zog die Smoking-Jacke an und schaute über seine Schulter auf das Spiegelbild. "Kendra", probte er, "es tut mir so leid, dass Charlotte nicht zur Eröffnung von Paris Tout Partout kommen kann, obwohl sie es dir versprochen hat. Sie hat zwar allen unseren Freunden von deiner Ausstellung erzählt, aber sie selbst kommt nicht. Weißt du, sie möchte immer makellos aussehen, wie eine viktorianische Lady eben, und jetzt, wo sie meinen Sohn oder meine Tochter unter dem Herzen trägt, genügt sie ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr." Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein und knöpfte die Jacke zu. "Obwohl sie im Moment schöner ist, als ich sie je gesehen habe." Sie kam auf Strümpfen aus dem Bad. "Ich habe kräftig die Werbetrommel gerührt." "Meinst du, deine Freunde werden so kauffreudig sein, wenn du nicht da bist?" "Vielleicht sind wir auch nicht kauffreudig. Wir wissen doch noch gar nicht, ob sie gut ist." Sie trat hinter ihn. "Bist du sicher, dass ich nicht schrecklich aussehe?" Er zog sie um sich herum und umarmte sie. "Du siehst hinreißend aus", sagte er. "Und du hast mir diesen Abend versprochen. Die Butler-Hochzeit war so aufwendig, dass wir uns in diesem Monat kaum gesehen haben." Ihr ein schlechtes Gewissen zu machen war gemein, dass wusste er, aber sie musste sich einfach entspannen. Er küsste ihren Hals. "Wir bleiben nicht zu lange, kaufen etwas, auch wenn es uns nicht gefällt, essen bei Spago's, und wenn wir wieder zu Hause sind, bekommst du meine berühmte Rückenmassage." Derek wusste, dass er gewonnen hatte, als sie sich seufzend an ihn lehnte. "Wenn ich mich recht erinnere", sagte sie verträumt, "habe ich es einer deiner Rückenmassagen zu verdanken, dass ich heute wie ein Lastwagen aussehe." In der Galerie drängten sich Kendras Freunde und Angehörige und alle, die Charlotte zwangsverpflichtet hatte. Und die vielen roten Punkte ließen erkennen, dass die meisten Werke bereits verkauft waren.
Charlotte war nicht überrascht. Fasziniert starrte auf die imponierende Sammlung großstädtischer und ländlicher Szenen. Der Stil konnte als impressionistisch bezeichnet werden, obwohl die Farben kräftiger waren und beim Betrachter starke Gefühle weckten. Kendra begrüßte sie am Eingang. In einem roten Kleid, das ihre tadellose Figur betonte, das Haar zu einer eleganten französischen Frisur hochgesteckt, sah sie aus wie eine Frau, die ihr Leben im Griff hatte und damit zufrieden war. Sie jauchzte vor Freude, als sie Charlottes Bauch sah, und umarmte sie herzlich. "Wie kannst du es wagen, so ein Kleid zu tragen", sagte Charlotte mit gespielter Entrüstung, "wo ich nicht einmal Dereks Sweatshirt über meinen Bauch bekomme." "Sie übertreibt", bemerkte Derek und küsste Kendra auf die Wange. "Wie geht es dir? Du siehst wundervoll aus." "Ich bin wundervoll." Sie winkte jemandem zu. "Wisst ihr, was ich heute morgen gedacht habe? Trey Prentiss war das Beste, was mir und Charlotte passieren konnte." Derek und Charlotte zogen erstaunt die Augenbrauen hoch. "Er hat euch beide zusammengebracht", erklärte Kendra. "Und mich nach Paris... Antoine, hier bin ich!" Ein Mann, so groß wie Kendra, mit dichtem braunen Haar, tauchte aus der Menge auf. Sie begrüßte ihn mit einem zärtlichen Kuss. "Antoine, das sind meine Freunde Derek und Charlotte Cabot. Erinnerst du dich? Die beiden, die an meiner Stelle geheiratet haben. Cabots, dies ist Antoine Badineau, der talentierteste Bildhauer von ganz Paris." Er gab erst Charlotte, dann Derek die Hand. "Ich freue mich, euch kennenzulernen", sagte er mit französischem Akzent. "Die beiden, die an meiner Stelle geheiratet haben", wiederholte er kopfschüttelnd. "So etwas gibt es nur bei ma belle Kendra." Verliebt sah er sie an. Als Kendra sich einem neuen Besucher zuwandte, zog Antoine Derek und Charlotte zur Seite. "Habt ihr die Bilder im Vorraum gesehen?" fragte er und führte sie durch die Menge. "Ich glaube, es ist ein Gemälde von euch beiden darunter." "Ein Gemälde?" wiederholte Charlotte verblüfft, aber Antoine musste sich bereits um einen anderen Gast kümmern. Sie wandte sich wieder den Bildern zu und entdeckte es sofort. Derek war schon dorthin unterwegs. Es war ein großes Gemälde, das einen Sommergarten zeigte, auf dessen Rasen viele Stuhlreihen standen. Darauf saßen Frauen mit Hüten und Männer in hellen Anzügen. Die Hauptfiguren waren eine Frau in einem hochgeschlossenen weißen Kleid, mit zarten Blüten im Haar, und ein Mann im Smoking, der sich zärtlich zu ihr herunterbeugte. Vor ihnen stand ein Geistlicher. Derek zeigte auf den Titel am Rahmen. "Charlottes Hochzeit", las er. Charlotte starrte auf das Bild. Dann drehte sie sich zu ihm um und wollte ihm all das sagen, was sie in diesem Moment empfand. Liebe und Hoffnung und Dankbarkeit dafür, dass alles so gekommen war. Aber sie brauchte es nicht, denn in seinen Augen las sie genau dieselben Gefühle. Er küsste sie, eilte davon und kehrte kurz darauf mit dem Galeristen zurück, der einen roten Punkt auf den Rahmen klebte. Der Galerist verschwand wieder, und Hand in Hand betrachteten sie das Bild. Plötzlich legte sich ein Arm um sie beide. Eine kleine Gestalt mit einem braunen Häkeltuch um die Schultern schob sich zwischen sie. "Babs!" rief Charlotte und zog Kendras Großmutter nach vorn. Babs wies auf Charlottes Bauch. "Wie ich sehe, ist Ihnen Ihr Name doch noch eingefallen." Dann sah sie zu Derek auf. "Und Sie haben meinen Rat befolgt, was? Sie haben sich den Zauber geliehen."
Er schüttelte den Kopf und drückte sie an sich. "Nein, ich glaube, diesmal gehört er mir ganz. -ENDE