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Wurzeln
der
Zukunft
Bernd Isert und Klaus Rentel
Wurzeln der Zukunft Lebensweg-Arbeit, Aufstellungen und systemische Veränderung Geänderte e-book-Version Erscheinungsjahr 2001
Inhaltsverzeichnis: Zum Geleit
4
Einführung
4
TEIL I — BAUSTEINE FÜR DIE ARBEIT MIT MENSCHEN
5
Systemisches Denken
5
Was ist ein System?
5
Formen des Feedbacks
5
Muster und Kreisläufe Der Verstärkungskreislauf Der Stabilisierungskreislauf
7 7 10
Systemisches Denken und Handeln
12
Feedback und Veränderung
13
Die Evolution lebender Systeme
14
Zusammenfassung von Teil I
15
TEIL II — DEN LEBENSWEG GESTALTEN
17
Hintergrundmuster der Lebensweg-Arbeit
17
Stationen der Veränderung
17
Die Arbeitsbeziehung bewusst gestalten
18
Kollektion von Methoden
22
Anliegen für das Lernen aus der Vergangenheit Den Lebensweg "renovieren" Fotoalbum — einmal anders Einen alten Mangel ausgleichen Entscheidungen auf den Grund gehen Die Lernfähigkeit des Kindes Modellieren auf der Zeitlinie
22 24 24 25 26 26 27
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Lösungen in metaphorischen Erfahrungswelten
29
Anliegen für das Lernen in der Gegenwart Tiefste Ressourcen finden Wahlverwandtschaften Held und Dämon Ressourcen austauschen Zwischen Neugier und Erfolg Die ISERT- Strategie
30 31 32 33 34 35 36
Anliegen des Lernens für die Zukunft Ziele und Visionen in Einklang bringen Die Lösung gibt es schon
37 38 39
Zwischen Gestern und Morgen
40
Körpersysteme und Kinesiologie
40
Zur Geschichte der Kinesiologie
40
Das Energiesystem der fünf Elemente
41
Das Chakrensystem
46
Der Muskel als Signalgeber
48
TEIL III — VERÄNDERUNG FÜR SOZIALE SYSTEME
50
Soziale Systeme
50
Das System Familie
50
Genogramme
51
Die Welt der Aufstellungen
52
Ergänzende Arbeitsformen in Aufstellungen
52
Muster des Teamcoaching
55
Bausteine der Veränderung
55
Balance in der Teamentwicklung
60
Ausgewählte Methoden Gruppenbalance Den Erfolg vorbereiten Kern-Ressourcen im Team
61 61 62 64
Das innere Team
66
Die Weisheit der Doppelsignale
66
Prinzipien systemischer Kurzzeit-Therapie
67
Überblick
67
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Die strategische Kurzzeit-Therapie
70
Die lösungsorientierte Kurzzeit-Therapie
71
Mit Sprache Systeme erschließen
72
Arbeit mit Familien, Beziehungen und sozialen Systemen
78
Das reflektierende Team
83
Erweiterungen der systemischen Kurzzeit-Therapie Lebensweg-Arbeit und systemische Kurzzeit-Therapie Neuro-linguistische Methoden und systemische Kurzzeit-Therapie
83 83 84
Visionen in systemischem Zusammenhang
85
Visionen und ihre Quellen
85
Persönliche Visionen herausbilden
87
Visionen und soziale Systeme
93
Visionen von Unternehmen und Gemeinschaften
96
Das große Spiel der Gemeinschaftsbildung
101
Zusammenfassung
103
Prozesse in Großgruppen
104
Open Space
104
Gipfel für wertschätzende Unternehmensentwicklung
104
TEIL IV. ZUSAMMENSCHAU UND ERGÄNZUNG
106
Modelle im Vergleich
106
Das Zusammenspiel der Schulen
109
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Zum Geleit An dieser Stelle veröffentlichen wir Texte zu Themen unseres Buches, die in der gedruckten Ausgabe nicht enthalten sind. Diese Abschnitte und Kapitel können Sie für den persönlichen Gebrauch nutzen. Alle Rechte an den Texten bleiben bei den Autoren. Das vollständige Buch "Wurzeln der Zukunft" gibt es in jeder Buchhandlung und natürlich auch beim Metaforum. Bernd Isert und Klaus Rentel
Einführung Das methodische Rüstzeug, welches wir in diesem Buch vorstellen, ist ebenso vielfältig wie die praktischen Anwendungsbereiche, die sich daraus erschließen. Wir nutzen Arbeitsweisen aus Hypnotherapie, Neuro-Linguistischer Psychotherapie, systemischer Familientherapie und systemischer Kurzzeittherapie. Hinzu kommen viele neue Erkenntnisse, Methoden und Modelle aus Seminaren und der eigenen Praxis, die sich nicht auf bestimmte Fachgebiete beschränken, sondern ihr sinnvolles Zusammenwirken anregen. Zu den Vordenkern und Entwicklern, auf deren Arbeit wir aufbauen, die wir ergänzen, verbinden und auch hinterfragen, gehören Robert Dilts, Paul Watzlawick, Virginia Satir, Bert Hellinger und viele andere. Die Anwendungsbereiche der in den folgenden Kapiteln dargestellten Veränderungsmodelle betreffen Bereiche, wie persönliche Entfaltung, lösungsorientierte Beratung oder Coaching, Prozessbegleitung, Therapie, Training, Führung, Supervision, Gesundheits- und Zukunftsarbeit. Sie reichen von der Arbeit mit Einzelnen bis zu der mit Gruppen, seien es Familien, Teams oder Organisationen. Wir beschreiben wirksame Formen der Lösung von persönlichen und sozialen Problemen oder Blockaden, von traumatischen Erfahrungen, inneren Konflikten und Stress jeder Art. Und wir bieten Modelle für die Arbeit mit systemischen Konflikten, wie sie in der Wechselbeziehung von Menschen in Beziehungen, Familien, Teams und Organisationen auftreten. Unser Augenmerk bleibt nicht auf der Analyse der Defizite und Konflikte haften, sondern richtet sich sehr bald auf Wege der Veränderung, auf Alternativen und Ressourcen. Mit der Lösung von Problemen gewinnen die Verwirklichung von Zielen und Visionen, die Entfaltung von Fähigkeiten und Kreativität sowie die Steigerung von Lebensqualität immer mehr Raum in unserem Leben — und natürlich auch in diesem Buch. Die Herausforderungen der Zukunft erfordern neue Formen des Zusammenwirkens entfalteter, mündiger Menschen, erfordern hohe Fähigkeiten im Erfassen und Verarbeiten unterschiedlichster Informationen, emotionale Intelligenz, systemische Kompetenz und innere Balance. Nicht zuletzt jene Leserinnen und Leser, die als Multiplikatoren besonderen Anteil und besondere Verantwortung bei der Mitgestaltung der Zukunft haben, können einen hohen Nutzen aus den Modellen und Beispielen, welche dieses Buch vermittelt, gewinnen. Wir beschreiben Arbeitsweisen, die nachhaltiger verändern und manchmal auch schneller wirken können als frühere Methoden.
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Teil I — Bausteine für die Arbeit mit Menschen Systemisches Denken Was ist ein System? Der Begriff bezeichnet eine in sich zusammenhängende Ganzheit, die aus verschiedenen Komponenten oder Elementen besteht, welche in einer bestimmten Struktur angeordnet sind, miteinander in Beziehung stehen und zusammenwirken. Ein System kann eine "schwarze Kiste" (black box) sein, ein Organismus, eine Gruppe, ein technisches Gerät, eine Wiese — eben alles, was Informationen und Energie aufnehmen, verarbeiten, speichern oder abgeben kann. Ein offenes System steht mit der Außenwelt über Eingangs- und Ausgangskanäle in Austausch. Der Mensch beispielsweise nimmt die Welt mit seinen Sinnen auf, aber auch sein Magen oder sein Warenkorb im Supermarkt können wir als Eingangskanäle betrachten. Er wirkt auf die Welt mit seinen Bewegungs-, Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten, über die Sprache, über Dinge, die er produziert und jene, die er wegwirft. Als Ausgangskanäle eines Systems könnten wir seine Muskeln und seine Stimme betrachten, aber auch seine Homepage im Internet mag dazugehören. Gemeinsam mit anderen kann ein System größere oder übergeordnete Systeme bilden, im Falle des Menschen beispielsweise Familien, Gruppen, Kulturen — bis hin zur ganzen Welt. Was als System betrachtet wird, bestimmt der Beobachter, denn je nach Sichtweise und Absicht seiner Untersuchung kann er unterschiedliche Ausschnitte der Welt als eine zusammenwirkende Ganzheit sehen. Er legt fest, welche Elemente dazugehören und welche Teil anderer Systeme oder der Außenwelt sind. Wenn es um Menschen geht, kann der Magen oder der Stoffwechsel das betrachtete System sein, vielleicht die Person als Ganzes, aber auch ihre Familie, ein Team. Auch das Wirtschaftssystem, in dem sie tätig ist, oder das System von Werten und Überzeugungen, dem sie zuzuordnen ist, mögen relevant sein. Möglicherweise ist der Beobachter selbst Teil des Systems, indem er auf das System oder das System auf ihn einwirkt. Dann gilt es, diese Wirkungen in die Untersuchungen einzubeziehen. Was im Innern eines Systems geschieht, enthüllt sich oft nur langsam. Allgemein gesagt werden darin Informationen verarbeitet, Energien gespeichert oder verwandelt. Die innere Struktur kann fest oder veränderlich sein, seine Komponenten oder Elemente können ihrerseits aus Untersystemen bestehen. Jede Struktur oder innere Organisation verleiht dem System bestimmte Fähigkeiten und Verarbeitungseigenschaften. Damit reagiert ein System auf das, was es über seine Eingänge aufnimmt und es tut dies im Bereich der Technik hoffentlich stets berechenbar, was dem System Mensch glücklicherweise nicht nachgesagt werden kann. Ein Mensch ist ein nichttriviales System, wie der Kybernetiker Heinz von Foerster es nennt, denn ein lebender Organismus kann seine innere Struktur und seine Verarbeitungseigenschaften durch das, was er erlebt und das, was er tut, auf vielfältige Art verändern.
Formen des Feedbacks Betrachten wir einige Grundformen, wie Systeme aufeinander wirken. Wenn ein System Aktionen, Botschaften oder Output nach außen gibt, wirken diese als Ereignisse, Botschaften oder Input auf die Wahrnehmungskanäle eines oder mehrerer anderen Systeme. Deren Output kann wiederum — meist mit zeitlicher Verzögerung — als Input auf das erste System zurückwirken. So erlebt dieses eine zeitlich versetzten Rückmeldung, ein Feedback über die Wirkung des eigenen Verhaltens auf andere und letztendlich sich selbst. Das Feedback des Steuermanns liegt in der jeweils aktuellen Position des Schiffes als Reaktion auf seine Steuerimpulse. Als Wirkung des Feedbacks — d.h. abhängig davon, wie weit das Schiff der www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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gewünschten Position näher kommt oder nicht — wird er seine Steuerimpulse verstärken, abschwächen oder umkehren. Wenn das empfangene Feedback im System der bisherigen Wirkung, z.B. der Abweichung von einem Mittelwert entgegenwirkt, sprechen wir von "negativem Feedback". Es zieht die Stabilisierung eines Prozesses nach sich. Stabilisierendes Feedback. Die Eingangsereignisse oder -informationen, die auf ein System wirken, beeinflussen sowohl sein Ausgangsverhalten als auch seinen inneren Zustand. Die Art des Einflusses hängt von der inneren Organisation und dem vorausgegangenen Zustand des Systems ab. Mit "Zustand" könnte beim Menschen seine Befindlichkeit oder seine Physiologie gemeint sein, in technischen Systemen geht es möglicherweise um physikalische oder chemische Merkmale. Wenn es wichtig ist, dass ein System einen bestimmten Zustand aufrechterhält, muss es äußere Einwirkungen auszugleichen wissen, d.h. die Fähigkeit der Selbststeuerung besitzen. Um beispielweise die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten, wirken im Menschen komplexe innere Instanzen. Etwas in uns reagiert, wie der Steuermann, auf Abweichungen vom der gewünschten Idealtemperatur, verändert die Durchblutung, den Herzschlag oder lässt uns eine Jacke anziehen. Was für die Körpertemperatur gilt, macht auch im sozialen Verhalten Sinn. Eine Person, die sich nur dann wohl fühlt, wenn sie Anerkennung bekommt, wird ein Verhalten, mit dem sie zuvor auf Ablehnung gestoßen ist, bald ändern. Wir nennen derartige Funktionsmuster Regelkreise. Hier geht es darum, einen erwünschten Zustand aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen, d.h. bei Abweichungen über negatives Feedback gegenzusteuern. Dies geschieht durch Steueraktionen oder Handlungen einer kontrollierenden Einheit oder Instanz, z.B. des Steuermanns, der auf die Bewegung eines zu steuernden Teilsystems, nämlich des Schiffes, reagiert. Beide zusammen erzeugen einen "Stabilisierungskreislauf" oder ein "Kontrollsystem". Verstärkendes Feedback. In anderen Fällen soll der Zustand oder ein Merkmal eines Systems nicht aufrechterhalten werden, sondern immer besser und besser gemacht, d.h. maximiert werden. Dies geschieht, wenn Abweichungen nicht gegengesteuert wird, sondern einfach gute Ergebnisse mit weiteren Aktionen in die gleiche Richtung verstärkt werden. Wir sprechen hier von "positivem Feedback", durch das ein "Verstärkungskreislauf" angetrieben wird. Wenn etwas toll gelingt, gibt uns dies beispielsweise Kraft oder Antrieb mehr in die gleiche Richtung zu tun, wodurch es noch besser wird usw. Umgekehrt können bei einem derartigen Wirkungskreislauf, wenn beispielsweise die Motivation durch Misserfolg sinkt, leider auch schlechte Ergebnisse sehr schnell immer schlechtere nach sich ziehen. Positives Feedback allein kann demnach zur Eskalation auf der einen Seite oder zur Blockade auf der anderen Seite führen. Der Eskalation oder Maximierung sind in der realen Welt natürlich Grenzen gesetzt, weil sie irgendwann von anderen Einflussfaktoren gebremst wird. Auch ein Formel-1-Pilot kann die Geschwindigkeit nicht beliebig steigern, das geht nur, solange er weit genug von technischen Funktionsgrenzen entfernt ist. Erst wenn eine solche, z. B. die Reifenqualität, verändert wird, geht es wieder ein paar Sekunden schneller. Auch im persönlichen Leben ist das so: Wenn wir uns darum bemühen, dass es uns immer besser und besser geht, könnte das schließlich sehr anstrengend werden. Anders als diese Maximierung berücksichtigt die Optimierung auch solche derlei Nebenwirkungen und sucht einen idealen Zustand, in welchem nicht oder kaum negative Effekte eintreten. Hier wird also ein Gleichgewicht aus mehreren Kriterien angestrebt. Optimierung. Oft geht es darum, Systeme zu optimieren, d.h. ihre Struktur und die in ihnen ablaufenden Prozesse so zu gestalten, dass sie bestimmte Eigenschaften bekommen, Verhaltensweisen zeigen, Ziele erreichen und/oder Schwierigkeiten vermeiden. Zu den erwünschten Eigenschaften könnten Anpassung an die Umwelt, Leistungsfähigkeit, Stabilität, Entwicklungsfähigkeit und — wie beim Menschen — die körperliche oder seelische Befindlichkeit gehören. Wir unterscheiden zwischen zwei Grundprinzipien: Die statische Optimierung beschäftigt sich damit, die Struktur des Systems zu untersuchen und sie so zu verändern, dass das System einen möglichst stabilen Gleichgewichtszustand erreicht, der zuwww.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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gleich eine gute Funktionsfähigkeit gewährleistet. Im psychosozialen Bereich entspricht dem die Arbeit mit Familien-, Organisations- und Strukturaufstellungen. Die dynamische Optimierung untersucht das zeitliche Verhalten eines Systems mit einer vorgegebenen Struktur. Die ablaufenden Prozesse sollen so gestaltet oder gesteuert werden, dass erwünschte Entwicklungen oder Zustände bestmöglich erreicht werden. Es kann sich um die Mondlandung einer Rakete, eine optimale Börsenstrategie oder um die Lebensgestaltung eines Menschen handeln. Letztere ist beispielsweise das Anliegen vieler Formen systemischer Kurzzeit-Therapie.
Muster und Kreisläufe Im vorausgegangenen Abschnitt haben wir die Grundtypen möglicher Systeme vorgestellt Abhängig von unterschiedlichen Formen des Feedbacks ermöglichen sie es, Entwicklungen zu stabilisieren (korrigierendes Feedback) oder zu verstärken (verstärkendes Feedback). Alle anderen Systemtypen bestehen aus einem Zusammenspiel dieser Stabilisierungskreisläufe und Verstärkungskreisläufe. Wir haben im Leben die Wahl, derartigen Mustern blind ausgesetzt zu sein oder sie bewusst oder intuitiv zu erkennen, zu nutzen und zu verändern. Manchmal haben wir alles so gut geplant. Dann aber merken wir, dass sich das System anders verhält, als wir es uns wünschten. Als gäbe es Wirkungen und Komponenten, die wir bisher nicht beachtet hatten. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Pete Senge hat sie in seinem Buch Die fünfte Disziplin hervorragend dargestellt und für Anwendungsbereiche in der Wirtschaft und in Organisationen aufbereitet. Er unterteilt Systeme nach ihrer inneren Struktur und ihrem Verhalten in häufig auftretende Grundtypen, auf die wir im folgenden Bezug nehmen. Ergänzend zu Senge beschäftigen wir uns mit dem Erkennen und Anwenden dieser Muster für die Lebensgestaltung und die Arbeit mit Menschen. Der Verstärkungskreislauf Verstärkung durch positives Feedback gibt es, wenn Aktionen positive Wirkungen zeigen, die noch stärkere Aktionen möglich machen und noch positivere Wirkungen zeigen. Das kann sehr wünschenswert sein, wenn wir mit Menschen arbeiten. Es war eines der Prinzipien Milton Ericksons, bei seinen Klienten solche Veränderungen anzustoßen, durch die sie positive Erfahrungen machten, so dass sie in der Lage waren, weitere positive Veränderungen herbeizuführen usw. Ein kleiner Impuls kann ausreichen, um einen solchen positiven Kreislauf in Gang zu setzen. Und das Gute daran ist: die weiteren Schritte kommen von selbst. Denken wir auch an Gruppen und soziale Beziehungen. Ein freundliches Wort kann Kontakt schaffen, daraus kann Offenheit werden und Verständnis, was zu Vertrauen führt, das sich mit jeder positiven Erfahrung vergrößert. Umgekehrt ist es wichtig, gegenteilige Kreisläufe zu stoppen, solche, in denen eine einmal eingetretene Verschlechterung automatisch weiter abwärts führt, weil sie sich negativ auf den Zustand und das daraus folgende Verhalten des Lernenden auswirkt. Wie so etwas stoppen ist? Wenn uns Prozesse bewusst werden, kann dies ein Weg sein, um auszusteigen. Es mag aber auch reichen, durch sinnvolle Interventionen, eine kleine Verbesserung zu erreichen oder nur darauf aufmerksam zu machen. Vielleicht gelingt es den Kreislauf zu verändern, indem neue Wirkungen aus anderen Lebensbereichen hinzukommen, die uns eine Fülle an Ressourcen verfügbar machen. Grenzen des Wachstums. Was immer besser wird, flaut leider, leider auch irgendwann einmal ab. Wir merken es, wenn immer mehr getan werden muss, aber immer weniger dabei herauskommt. Dann haben wir uns den Grenzen des Wachstums genähert, die wie eine stets stärker werdende Bremse wirken. Vieles, was am Anfang wirkt und gute Ergebnisse bringt, verliert, mit eventuell sogar steigender Intensität fortgesetzt, seine Wirkung. Andere Faktoren wurden vernachlässigt und suchen nun ihr Recht. Wer es nie wagte, seine Meinung zu äußern, mag damit am Anfang guten Erfolg haben, wer dann aber nur noch seine Meinung sagt, wird abgelehnt. Wer mehr arbeitet, wird mehr verdienen; wer nur noch arbeitet, wird mit www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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seiner Gesundheit kämpfen. Wer Sport treibt, wird gesünder sein; wer noch mehr Sport treibt, vielleicht noch gesünder — bis die Grenze der Leistungsfähigkeit des Körpers erreicht ist und dieser einfach streikt. Manchmal liegt die Grenze darin, dass Ressourcen sich erschöpfen, seien es unsere Kraft, die Zeit, das Geld, unsere Fähigkeiten. Manchmal liegt sie darin, dass ein Ungleichgewicht entstanden ist, weil andere wichtige Aspekte nicht mehr gelebt werden. Ein wenig abwarten konnten die schon, aber wenn es zu lange dauert, machen sie auf sich aufmerksam. Grenzen, die erreicht werden, können auch Glaubenssysteme oder Werte eines Menschen sein. "Wenn es mir noch besser geht, bin ich nicht mehr der, der ich bin", "Das darf man nicht", "Du darfst nie besser sein als dein Vater". Derlei Überzeugungen haben die Kraft von inneren Sabotage-Programmen. Auch unsere Mitmenschen setzen uns solche Grenzen, wenn wir zu viel Raum einnehmen, ihre Werte verletzen oder durch die Entwicklung unsere Zugehörigkeit in Frage stellen. Wer dennoch weiter in die eingeschlagene Richtung wachsen will, muss vorbeugen, d.h. jene potentiellen Grenzen erkennen und dafür sorgen, dass für das, was sie ausdrücken, vorab Sorge getragen wurde. Das kann heißen, dass man vorab sicher stellt, dass genug Ressourcen vorhanden sind, dass andere vor negativen Auswirkungen geschützt sind, dass innerlich erlaubt ist, was er wirklich will. Wir können also vorinvestieren, so dass alles da ist, was wir im Falle weiteren Wachstums benötigen. Natürlich können wir auch im Nachhinein an der Erweiterung der Grenzen arbeiten. Manche entdecken wir erst, wenn wir da sind. Der einzige Nachteil liegt darin, das wir unseren Weg auf unbestimmte Zeit unterbrechen müssen, denn jede Veränderung braucht ihre Zeit. Es könnte sein, dass wir an mehreren Stellen vorarbeiten oder auch nacharbeiten müssen, denn viele Grenzen können Entwicklungsprozesse behindern. Aber muss es immer weiter in die gleiche Richtung gehen? Der andere Weg ist jener der Balance. Wenn hier sehr viel erreicht ist und dort sehr wenig, lohnt es, die Aufmerksamkeit auf das zu kurz Gekommene zu konzentrieren. Vielleicht ist ohnehin genug erreicht und es lohnt sich, neue Wege einzuschlagen. Es könnte angemessen sein, das Erreichte auf diesem Niveau zu stabilisieren. Nur eines lohnt sich nicht, wenn die Grenzen des Wachstums sich nähern: Immer noch mehr für immer kleinere Ergebnisse gegen den Widerstand durchzusetzen. In der Arbeit mit Menschen erreichen wir nach anfänglichen Verbesserungen oft vorläufige Grenzen des Wachstums. Möglicherweise muss der Lernende etwas in seiner Lebensgestaltung ändern, oder er braucht einfach Zeit, bestimmte Fähigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben, die für weitere Schritte nötig sind. Ich, Bernd, habe einen Typ dieser Begrenzung den "Zimmerpflanzen-Effekt" genannt, der sich einstellt, wenn eine Pflanze, die gut gedieh, nun an die Zimmerdecke stößt. Die Zimmerdecke kann beim Lernenden, wie erwähnt, ein einschränkender Kern-Glaubenssatz sein, aber auch das soziale System, in das er eingebunden ist. Dann gilt es, an diesen Themen zu arbeiten und den Raum zu vergrößern, vielleicht sogar den freien Himmel zu erreichen. Tragödie der Vielen. Manchmal stößt nicht nur ein Einzelner an bestimmte Grenzen, sondern viele zugleich. Alle nahmen von der gleichen Ressource und die ist begrenzt, wird knapper. Es ist eine Tragödie der Vielen. Wenn im Wettbewerb immer mehr Bewerber um immer weniger Konsumenten kämpfen, wenn ein Brunnen zu vielen Bewohnern dient, wenn alle das gleiche wollen ... Was knapp ist, wird umkämpft und jeder, der an die Ressourcen kommt, nimmt sicherheitshalber mehr, als er braucht. Das lässt diese noch schneller zur Neige gehen. Kooperation führt hier weiter als Wettbewerb, bewusstes Haushalten und Einteilen — dann könnte genug für jeden da sein. Vorausgesetzt, alle bleiben vom gleichen Brunnen abhängig. Gibt es wirklich nur den? Möglicherweise steht der Brunnen für Anerkennung, den alle an der gleichen Stelle oder vom gleichen Menschen suchen, möglicherweise verschlingt der Kampf um materielle Güter alle Kraft, die nötig wäre, neue zu erwerben. Auch in Familien ist dies ein Thema. Der Kuchen der Ressourcen ist jedoch keinesfalls endgültig so, er kann täglich neu gebacken werden. Vielleicht ist es Zeit, eigene Wege zu
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gehen, neue Brunnen zu erschließen. Auch gegen den Strom zu schwimmen, sich antizyklisch zu verhalten, ist nicht nur in Politik und Wirtschaft ein Geheimtipp. Erfolg dem Erfolgreichen. Mitunter, im Wettbewerb bei begrenzt verfügbaren Ressourcen, erreicht der Eine einen Vorsprung, wodurch er wie wunderbarerweise mehr von den Ressourcen erhält als die anderen. Jenes Extra kann die Position beim Formel-1-Start sein, ein Begabtenstipendium, die Liebe einer Bezugsperson oder eine besondere soziale Position. Das macht es ihm möglich, weitere Erfolge zu erzielen und noch mehr Ressourcen zu erhalten. Wenn die Ressourcen insgesamt begrenzt sind, bleibt für die anderen allerdings weniger. Erfolg dem Erfolgreichen! heißt das Prinzip, das oft Kooperation untergräbt und viele ausschließt. Wenn Schüler zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, ist da vielleicht ein besonders begabtes Lieblingskind, das mehr erhält, und es entwickelt seine Begabung weiter, erhält noch mehr Unterstützung, während schwache Kinder, die mehr davon brauchten, leer ausgehen. Viele Künstler darben, doch jene wenigen, die "in" sind, erhalten alle Anerkennung und Unterstützung, die man sich denken kann. Ganz zu schweigen vom Geld, das die Reichen immer reicher macht, weil es ihnen neue Verdienstquellen ermöglicht. Die Lösung des Dilemmas liegt in der fairen Verteilung der Ressourcen. Leistung soll belohnt werden, doch für andere soll bleiben, was sie brauchen, um ebenfalls Leistung erbringen zu können. Es geht um Ausgeglichenheit. Dies ist ein Grundthema sozialer Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft, aber auch ein Thema für die Arbeit mit Menschen. Eltern können bei ihren Kindern auf die Verteilung ihrer Zuwendung achten, Führungskräfte bei ihren Mitarbeitern, Kultursenatoren bei der Unterstützung von Projekten. Die Kinder, Mitarbeiter und Künstler werden es danken — mit Liebe, Leistungen und Kunst aus vielen Händen. Auch im Einzelnen gibt es dieses Thema. Wie oft entwickeln wir bestimmte Seiten unserer Persönlichkeit weiter und weiter und lassen andere verkümmern? Was einmal erfolgreich war, erhielt fortan die ganze Energie. Es ist stark genug geworden — nun ist es Zeit, die Energie anders zu verteilen, Vielleicht kann das, was so stark und erfolgreich ist, sogar seine Energie für den Schwachen spenden. Sich behindernde Systeme. Selbst wenn zwei Menschen es miteinander gut meinen, kann die Entwicklung des einen doch jene des anderen sehr behindern. Das passiert in sich behindernden Systemen. Wenn der Gitarrist den ganzen Tag über übt, mag dies dem im Nachbarzimmer Studierenden die Nerven töten. Ersteren wiederum stören das Geräusch des Tippens und nächtliche Besuche, die sein Nachbar erhält. Beide wollen das Beste, doch das ist nicht leicht. Sie könnten sich streiten, wie jene am "Maschendrahtzaun", doch wenn sie Freunde bleiben wollen, tut jedem ein eigener, geschützter Raum gut. Vielleicht ist es möglich, das, was der eine will, so zu verwirklichen, dass es dem anderen gar nicht schadet. Dies erfordert neue Wege und die Bereitschaft, sie zu gehen. Vielleicht kann jeder dem anderen dabei helfen, dies zu tun. Wer den ersten Schritt macht, erhöht auch beim Partner die Bereitschaft, nachzuziehen. "Da ist doch das leerstehende Gartenhaus des Vaters", fällt dem Studenten ein — und er macht dem Nachbarn ein Angebot ... Doch die Erweiterung des Raumes ist nicht die einzige Möglichkeit. Sie könnten Zeiten vereinbaren und sich daran halten. Disziplin zu lernen tut beiden gut. Und dann hat der Gitarrist noch die Idee, mit Kopfhörer zu arbeiten, das wäre ja ganz einfach. Hat nur der gute Wille gefehlt? Vielleicht nur der Anstoß oder das Gespräch. Und der Student empfängt seine Besuche jetzt auch lieber im Gartenhaus. Obwohl die den Musiker gar nicht mehr stören, seit er eine Freundin hat. So geht es also auch. Was das Tippen betrifft, gibt es tatsächlich leise Tastaturen. Eine hat der Musiker dem Studenten geschenkt. In unserer Zeit fällt es vielen Paaren schwer, zusammen zu leben. Doch es lohnt sich, mögliche Beeinflussungen zu klären und sich auf diesen Lernprozess einzulassen, gemeinsam zu wachsen. Der Prozess der Kommunikation und der gemeinsamen Lösungssuche sind der eigentliche Gewinn für die Beziehung. Mit ihm wächst die Bereitschaft für neue Wege. Was wir auf verschiedene Menschen bezogen haben, passiert natürlich auch in uns. Jener Teil, welcher Erfolg will, stört den, der Erholung sucht. Beide brauchen neue Formen, ihre guten Absichten auf bessere Art www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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zu verwirklichen. Eine, die auch dem anderen Teil bekommt. Und jeder kann den anderen Teil unterstützen. Für all diese Fälle gibt es übrigens mehrere gute Verhandlungstechniken, wie sie in Die Kunst schöpferischer Kommunikation (1996, Teil IV, Kapitel 4) beschrieben sind. Der Stabilisierungskreislauf Das einfache System des Regelkreises bewerkstelligt es, Abweichungen von dem, was sein soll, zu erkennen und so darauf ausgleichend zu reagieren. Unser Organismus tut dies in unendlich vielen Bereichen unbewusst rund um die Uhr: ob es um die Körpertemperatur geht, den Blutzucker, das Balancieren auf einem Seil, um Hunger oder Durst, ob ein Virus zum ungeladenen Gast wird ... Wenn etwas nicht mehr im Gleichgewicht ist, reagiert der Körper ganz von selbst. Für andere Abweichungen suchen wir bewusst die richtige Antwort: "Wie kann ich mein Bankkonto wieder füllen?"; "Wie kann ich das Problem lösen?" ; "Wie kann ich abnehmen?" In anderen Fällen geht es um Ziele und auch hier weicht der aktuelle Ist-Zustand vom Ziel-Zustand ab: "Ich will die Prüfung schaffen"; "Ich möchte ein Haus bauen". Wenn wir in unserem Leben Wege kennen und nutzen, das, was uns wichtig ist, auch anzusteuern, hat das viel mit der antiken Steuermannskunst, der Kybernetik, gemein. Es ist eine Form von Glück, zu wissen und darauf vertrauen zu können, dass man das, worauf es ankommt, erreichen wird. Der Weg dahin ist mit viel Übung gepflastert, mit immer neuen Lernerfahrungen, mit Versuch und Irrtum, mit dem Sammeln von Wahlmöglichkeiten und der Entwicklung von Intuition. Befriedigend ist es, wenn ein Klient zum Abschluss einer Therapie oder eines Coachings über neue Wahlmöglichkeiten verfügt, was wichtige Werte in seinem Leben anbelangt. Damit einher geht die Frage, was wirklich lohnend ist, erreicht und bewahrt zu werden, denn nicht für alles gibt es Wege und nicht für alles reicht unsere Kapazität. Eine wichtige Voraussetzung dieser Selbststeuerung besteht darin, sich darüber klar zu sein, was sein soll, und darüber, was ist. Und dies nicht nur einmal, sondern immer wieder während des Prozesses. Des Weiteren brauchen wir Handlungen oder Korrekturen, die uns in die gewünschte Richtung bringen. Wir können sie aus der Erinnerung holen, von anderen erfahren oder einfach ausprobieren, was wirkt. Was es auch sei, es ist wichtig, die Wirkung abzuwarten und dann zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Wenn die bisherige Aktion erfolglos blieb, brauchen wir andere Wahlmöglichkeiten. Je mehr wir davon haben, umso größer die Chance, dass eine davon gut ist. Desto größer aber auch die Gefahr, dass wir sie aufgrund der Vielfalt nicht finden. Zu den Wahlmöglichkeiten gehören auch unsere Modelle der Welt — die Art, wie wir denken und urteilen. Manchmal bringt es uns der Lösung näher, wenn wir hier Änderungen zulassen. Wir können bezogen auf die Veränderungsarbeit also klären, ob der Lernende wirklich weiß, was er will, wo er ist, und ob die Wege, die er zur Verfügung hat, ausreichen. Doch auch wenn all dies klar ist, können neue Hindernisse auftauchen. Wirkung braucht Zeit. Manchmal geht es schnell und eine Handlung zieht sofort das Ergebnis nach sich. Der Autofahrer bemerkt sofort, wie die Bewegung des Lenkrads sich auswirkt und kann sie ebenso schnell korrigieren. Beim Bremsen dauert es etwas länger, bis der Wagen steht. Es ist gut, das Verhalten des Autos zu kennen, um zu wissen, wie stark man aufs Bremspedal treten sollte. Anderes dauert noch länger. Wer die Ernährung ändert, wird nicht gleich gesund und schlank sein. Ein homöopathisches Mittel braucht Zeit, um zu wirken. Manche Arbeit bleibt lange Zeit unbelohnt, bis irgendwann die Früchte kommen. Von der Saat zur Ernte vergeht Zeit. Manchmal wird es, wenn wir uns auf den Weg der Veränderung machen, am Anfang sogar schlimmer. Wer einmal mit dem Rauchen aufgehört hat, kennt das vielleicht. Beginnt man ehrlich zu leben, so kann das zu Anfang erst einmal schmerzhaft sein. Jede Therapie braucht ihre eigene Zeit. Der Faktor Zeit kann zur Falle werden. Was, wenn der Lernende die ferne Wirkung nicht erkennen kann? Er könnte zu früh aufgeben, in der Annahme, dass das alles nichts bringt, vielleicht auch andere Wege www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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einschlagen, die leider in die Irre führen. Wenn es auf dem Weg zur Lösung schlimmer wird, wie beim Entwöhnen von verlockenden, giftigen Dingen, könnte er sogar in der Annahme aufgeben, dass der Weg ins Unglück führt. Der Lernende könnte auch übertreiben, denn da er noch kein Resultat erkennt, tut er "mehr desgleichen" — überarbeitet sich, nimmt zu viel Medizin — setzt täglich neue Saat, statt sie reifen zu lassen. Im Übertreiben liegt eine Gefahr, denn wer zu stark in eine Richtung steuert, kann das Ziel verfehlen, die Überdosis hebt gute Wirkungen wieder auf. Derlei verfrühte Aktionen können dazu führen, dass der Lernende sich immer weiter von seinem Ziel entfernt, den Rückweg nicht mehr findet, sich im Walde verläuft. Er braucht dann einen Begleiter, der den Weg kennt, auch den Weg der Zeit. Wie lange ein System braucht, um auf Aktionen und Impulse zu reagieren, hängt von dessen Komplexität ab. Der erfahrene Begleiter beherrscht die Kunst, schon vor der offenen Wirkung Spuren, Anzeichen zu lesen, die zeigen, in welche Richtung der Prozess verläuft. Und mit steigender Sensibilität nimmt auch der Lernende die subtilen Veränderungen wahr, gewinnt Sicherheit auf seinem Weg. Eine gute Möglichkeit, wenn man nicht heraus bekommen will was wirkt, ist, gleichzeitig vieles zu probieren. Vielleicht war etwas Gutes dabei, wurde aber durch etwas anderes aufgehoben. Oder es klappte tatsächlich, nur wodurch, das beleibt ein Rätsel. Wenn wir etwas über die Reaktionsweise eines Systems erfahren wollen, sollten wir also schrittweise vorgehen, Wirkungen oder deren Vorzeichen abwarten und danach die nächsten Schritte bestimmen. Gut Ding will Weile haben! Als Begleiter mag es unsere Aufgabe sein, den Lernenden durch diese Zeit, die schwer sein kann, zu begleiten. Vielleicht braucht er Unterstützung oder andere Ressourcen, um mit Schwierigkeiten und Schattenseiten umzugehen, die da auftauchen können. Andere brauchen nur Vertrauen und Geduld, damit die Saat wächst. Wenn der Weg lang ist, geben einige Lebensreisende auch das Ziel auf, begnügen sich mit weniger oder tauschen es gegen ein anderes, leichter zu erreichendes Ziel ein. Wenn dieses Ziel aber wirklich wichtig für ihr Leben ist, haben sie sich damit keinen Dienst erwiesen, denn irgendwann müssen sie von vorn anfangen — oder auf etwas Wertvolles verzichten. Negative Auswirkungen. Es gibt Handlungen und Korrekturen, mit denen wir etwas erreichen oder etwas vermeiden wollten, vielleicht sogar konnten, doch irgendwann — und auch hier kann die Zeit eine nicht beachtete Falle sein — schlagen die eigenen Aktionen zurück, zeigen ihre Schattenseiten, negative Auswirkungen, manchmal auf ganz anderen Gebieten, manchmal nehmen sie uns den bereits erreichten Erfolg. Da ist die schnell wirkende Schmerztablette, die nach und nach so gar nicht erwünschte Nebenwirkungen zeigt. Da ist der schnelle Kredit, dessen Zinsen sich sammeln, da ist die allzu simple Lösung der Lebensprobleme, die irgendwann ihren Preis fordert. Nicht immer können wir vorher wissen, ob eine Korrektur derartige Nebenwirkungen haben wird. Allein die Absicht, alles sofort haben zu wollen, lässt Menschen zur Droge greifen. Umgekehrt ist nicht alles, was schnell geht, schlecht. Auch eine unehrlich eingegangene Beziehung oder die falsch gewählte Karriere kann solche Nebenwirkungen auf das Leben eines Menschen haben. Eigentlich ist alles gut, aber... und dieses Aber spricht oft der Körper. Manchmal wirken die eigenen Handlungen und Lösungsversuche sogar so, dass die eigentliche Ursache des Problems, das, worum es wirklich geht, immer weniger erkennbar wird, im Nebel versinkt. Oder es ist so, dass diese Ursache immer tiefer und stärker wirkt. Wer alle Probleme durch Flucht löst, kann damit den Mangel an Heimat nicht heilen, aus dem sie kommen mögen. Wer Lügen mit Lügen korrigiert, verstrickt sich nur tiefer. Ein Problem können wir durch die Art verstärken, in der wir es beheben wollen. Schon Albert Einstein wusste, dass es zur Lösung einer anderen Denkweise bedarf als derjenigen, die zum Problem geführt hat. Andernfalls greift das verstärkende Feedback und wir erhalten ein "mehr desgleichen". Als Begleiter sollten wir darauf achten, dass die Lösungsversuche des Lernenden nicht zu den Mustern gehören, mit denen er das Problem aufrechterhält. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Eskalierende Systeme. Wettbewerb ist gut, kann unsere Entwicklung sehr fördern. Auf die Spitze getrieben aber, kann er sie beenden. Was, wenn da zwei Menschen sind, von denen jener nur das eine will: Besser sein als der andere. Sie werden es schwer haben, Ruhe zu finden, denn kaum hat A einen Vorsprung, setzt B nach und A ist wieder an der Reihe. Was der eine erreicht, ist der Alptraum des anderen und die Aktivitäten der beiden eskalieren, während jede Seite all die unerwünschten Effekte, die wir hier beschrieben haben, erlebt: negative Auswirkungen der immer intensiveren Aktionen, Grenzen, die erreicht und nicht beachtet werden; fehlende Geduld, abzuwarten usw. Hinter dem Verhalten beider steht tiefes Misstrauen, der andere sei ein Feind, hege böse Absichten und sein Vorsprung sei verheerend. Es scheint ums Überleben zu gehen. Geht es auch anders? Vielleicht wäre es besser, etwas ruhiger weiterzugehen, vielleicht sogar, ganz andere Dinge zu tun als der andere. Möglicherweise lohnt es sich, einander kennen zu lernen und langsam zu erkennen, dass beide Seiten die gleiche Angst haben ... Vertrauen bilden, Vielfalt kreieren, sich ergänzen, bis hin zur Kooperation reichen die Möglichkeiten.
Systemisches Denken und Handeln Im Beratungskontext bedeutet systemische Arbeit, dass die Wechselwirkungen zwischen Menschen und die zeitlich versetzten Rückwirkungen ihres Verhaltens auf ihr Leben und ihre Umgebung berücksichtigt werden. Dies betrifft nicht nur die Arbeit mit sozialen Systemen, sondern meint auch die Lebensweg-Arbeit mit Einzelnen. Hier kann beispielsweise der Kreislauf des Zusammenhangs zwischen dem Weltbild des Klienten und seinem Verhalten, zwischen seinem Verhalten und dem erfahrenen Feedback sowie zwischen diesem und seinem Weltbild Bestandteil der Arbeit sein. Wir beschreiben in den weiteren Kapiteln dieses Teils verschiedene Muster systemischer Arbeit, die wir hierzu nutzen können. Stets geht es um die Gestaltung von Beziehungen und Prozessen, die langfristig lebensfördernd verlaufen. Dazu ist es sinnvoll, einige besondere Eigenschaften lebender Systeme genauer kennen zu lernen. Wenn unsere Probleme, sozialen Beziehungen, Lebensprozesse und sogar unser Denken und Fühlen darauf beruhen, dass zahlreiche Elemente, Menschen oder Aspekte des Lebens wechselseitig aufeinander wirken, lohnt es sich, herauszufinden, welche das sind und auf welche Weise sie verbunden sind. Ein System wird dadurch charakterisiert, wie seine Einzelteile in Beziehung stehen, und diese Struktur bestimmt sein Verhalten. Beeinflussen sich zwei Elemente, so durchlaufen sie Feedback-Schleifen. Jedes Feedback ist dabei zugleich ein Ergebnis und Impuls für den nächsten Zyklus oder Schritt. Verändert sich beispielsweise mein Partner, so wird das Veränderungen in meiner Person nach sich ziehen. Ändere ich mich also, so wird dieses Ergebnis wiederum Impuls für eine Veränderung meines Partner sein. Feedback kann die Veränderungen im System verstärken; es bewegt sich im Sinne des Fortschritts kontinuierlich in eine Richtung weiter. Dies ist das Prinzip der Gegenseitigkeit: Je mehr ich gebe, desto mehr erhalte ich zurück. Zinsen treiben die Staatsverschuldung höher und neue Kredite sorgen für höhere Zinslasten. Feedback kann das System auch ausbalancieren, und zwar dann, wenn es einer stattgefundenen Veränderung entgegenwirkt und so den Effekt mildert oder aufhebt. Es drosselt die Veränderungsenergie und hält auf diese Weise. Das ist das Prinzip der Gegenläufigkeit: Struktur, Verhalten und Steuerungsmöglichkeiten von Systemen zu erkennen wird als "systemisches Denken" bezeichnet. Voraussetzung dafür ist es, dass man ein System als solches wahrnimmt, d.h. die Wechselbeziehungen zwischen den beteiligten Elementen, Personen, Ereignissen und Handlungen ins Auge fasst. Was, isoliert betrachtet, manchmal nach "Ursache und Wirkung" aussieht, ist in Wirklichkeit meist viel komplexer, denn Systeme funktionieren nicht linear, sondern in Kreisläufen. Systemisch zu denken bedeutet, das Ganze und damit die Beziehung der Einzelteile oder Subsysteme (Untersysteme) im Blick zu haben, statt sich nur auf einzelne Teile zu konzentrieren. Und dies über längere Zeiträume. Dann wird klar, dass Ergebnisse einer Veränderung gleichzeitig Ursachen einer anderen, vielleicht www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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unerwünschten Veränderung sein können oder Ursachen aus einer anderen Perspektive sich als Auswirkungen entpuppen. Vielleicht tauchen aus dem anfangs diffusen und unvollständigen Bild plötzlich klare Strukturen auf, Zusammenhänge treten ans Licht und zeigen einen Weg, der zu Lösungen und positiven Entwicklungen führt. Joseph O´ Connor fasst in Die Lösung lauert überall verschiedene Aspekte systemischen Denkens praxisnah zusammen.
Feedback und Veränderung Feedback kann, wie wir dargestellt haben, lange Zeit nach der regulierenden Aktion und an einer anderen Stelle als erwartet auftreten. Diese Zeitverzögerung können wir am ehesten berücksichtigen, wenn wir das System und seine Wechselwirkungen mit anderen Systemen genau kennen. Dennoch kann die Dynamik Unerwartetes hervorbringen. Das, was wir heute tun, wird seine Wirkung in der Zukunft haben, doch bis dahin mag sich das System schon wieder geändert haben. Wenn wir uns heute ein mittelfristiges Ziel setzen, sollten wir bedenken, dass wir uns bis zum Zeitpunkt, da wir es erreicht haben werden, so verändert haben könnten, dass uns dieses Ziel nicht mehr oder ganz anders am Herzen liegt. Darum sollten wir unsere Ziele an die Entwicklung anpassen, die wir nehmen. Wir können uns Updates leisten; und nicht bei dem Wunsch bleiben, Porsche zu fahren, wenn sich herausstellt, dass ein Pferd besser zu uns passt. Wir brauchen Feedback, um zu lernen. Das macht es freilich erforderlich, dass wir bereit sind, es als Lehrmeister anzunehmen, so unangenehm es sein mag. Dazu gehört es, dass wir unsere Filter öffnen, die uns für Feedback bestimmter Couleur oder von bestimmten Personen blind machen. Feedback erhalten wir überall in der Welt — und es gleicht oft einem Spiegel. Wir können ihn benutzen, um zu sehen, was wir allein nicht erkennen könnten. Wenn wir sie zu lesen wissen, spiegeln uns viele Reaktionen unserer Mitmenschen, an welcher Stelle in unserer Entwicklung wir uns gerade befinden. Es ist, als reflektierten sie unser Inneres, unsere Sorgen und Defizite, dann wieder unser Glück und unsere Liebe. Und wir merken oft nicht, was dies mit uns zu tun hat. Meist beziehen wir Feedback auf unser Verhalten. Nehmen wir auch unsere Überzeugungen und Vorannahmen in die FeedbackSchleife auf, kann uns das Feedback, das wir zu unseren Handlungen und Äußerungen erhalten, dabei helfen, diese Überzeugungen zu hinterfragen. Dann geht unser Lernen tiefer und wir fragen uns möglicherweise •
Welche Überzeugung steht hinter meinem Verhalten?
•
Welches Feedback erhalte ich über meine Überzeugung?
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Welche Erfahrungen wiederhole ich?
•
Wie ändert sich mein Verhalten, wenn sich meine Überzeugung ändert?
•
Wie muss ich die anderen sehen, damit sie sich ändern?
•
Wie könnte ich noch darüber denken?
•
Was könnte ich verarbeiten und loslassen?
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Systeme generieren sich ständig. Besonders wenn sie komplex sind, ändern sie ihre Struktur oft auf unvorhersagbare Weise — je den Eigenschaften ihrer Elemente. Wir nennen dies "Emergenz" oder auch "Selbstorganisation". So kann es passieren, dass eine Mannschaft mit eher durchschnittlichen Spielern plötzlich um die Meisterschaft, eine mit Stars gespickte Truppe dagegen um den Abstieg spielt. Wie unser Leben ist Emergenz nicht vorhersagbar. Sie ergibt sich aus der Art und Weise, wie die Elemente zusammenwirken, und diese lässt sich dann am besten beobachten und steuern, wenn einer das gesamte System von außen betrachten kann. Noch besser ist es, einen Prozess aus vielen verschiedenen Perspektiven heraus zu erleben. Deshalb macht es sowohl für Unternehmen als auch für den einzelnen Lernenden durchaus Sinn, "externe Berater" zu engagieren — und damit der sogenannten "Betriebsblindheit" entgegenzuwirken. Mancher Berater kann das System gut analysieren. Das heißt, es — zumindest theoretisch — in seine Bestandteile zerlegen. Das mag hilfreich sein, wenn irgendwo etwas in Ordnung zu bringen ist, was nicht mit dem Rest des Systems zusammenhängt. Systemisches Denken aber ist mehr. Hier gilt es, das Zusammenspiel als Ganzes zu erfassen, etwas, das bei der Analyse verloren gehen könnte. Dieses Verstehen erst macht es möglich, Wege für die Veränderung im System zu finden. Manchmal geht es sogar darum, ein neues System zu entwerfen, aus passenden einzelnen Elementen ein Ganzes zu schaffen. Es ist eine Form der Synthese. Und es ist der schöpferische Weg. In jedem System gibt es kritische Punkte, an denen wir mit kleinem Aufwand große Veränderungen bewirken können. Diese Stellen mit der größten Hebelwirkung finden wir am besten, indem wir unsere Aufmerksamkeit der Frage widmen, was genau die gewünschte Veränderung aufhält. Der Hebel muss mit Bedacht und Gefühl gesetzt werden. So wie es gute Berater oder Therapeuten mit ihren Lernenden tun, denen gut gemeinte Ratschläge selten helfen. Immer wieder sind Annahmen und Überzeugungen wert, dass man prüft, ob sie nicht die Stellen mit der größten Hebelwirkung sind. Wenn uns daran liegt, dass ein inneres oder äußeres Team effizienter arbeitet, achten wir ebenfalls auf die Engpässe und Grenzen. Ein System funktioniert gerade so gut wie sein schwächstes Glied. Die Mitglieder des Teams können noch so wunderbar kommunizieren, wenn da einer ist, der unterdrückt wird, leidet das ganze System. Oft zeigt sich, dass Mobbing oder ungelöste Konflikte die Schaffenskraft der ganzen Abteilung oder Firma schwächen. Der Hebel zur Veränderung aber kann in einer ganz anderen Etage der Hierarchie liegen.
Die Evolution lebender Systeme Lebende Systeme existieren mit einem Zweck, mit Absichten oder Intentionen. Sie wollen beispielsweise überleben, sich fortpflanzen und ausbreiten. Menschen wollen ganz bewusst Erfolg haben, glücklich sein, ihre Bedürfnisse erfüllen, sich verwirklichen. Die einen lernen, sich wechselnden Umweltbedingungen anzupassen, beispielsweise die Körpertemperatur bei Wind und Wetter aufrecht zu erhalten, andere lernen, die Umweltbedingungen den eigenen Bedürfnissen anzupassen, etwa durch eine Heizung. Lebende Systeme sind das Produkt einer Evolution, d.h. sie haben sich im Laufe der Zeit vom Einfachen zu Komplexeren hin entwickelt, damit ihre Chance, zu leben und zu überleben, erhöht und neue Stufen der inneren Organisation und der Kommunikation erklommen. Über Evolution gibt es unterschiedliche Modelle. Von der Idee eines göttlichen Planes führt der Weg zu den Darwinschen Prinzipien der ständigen Variation des Bisherigen mit dem Ziel der besseren Anpassung an die Umwelt und der natürlichen Auslese des Tauglichsten. Der Mensch ergänzt diese durch Züchtung um die künstliche Auslese und Produktion der für ihn tauglichten Lebewesen.
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Wettbewerb und Kooperation. Die Auswahl des Tauglichsten beruht auf dem Wettbewerb unterschiedlicher Organismen im Rahmen gegebenen Umweltbedingungen und verfügbaren Ressourcen. Je besser ein Organismus sich an diese anpassen kann, desto höher sind seine Chancen, in der Evolution weiterzukommen. Die Chancen einer Art steigen mit der von ihr geschaffenen Vielfalt, ihrer Flexibilität und Intelligenz. Dazu gehört neben dem Wettbewerb auch ihre Fähigkeit zur Kooperation mit anderen Lebewesen. Doch Kooperation hat noch eine andere Dimension. Die Entwicklung vom Einfachen zum Komplexeren geht einher mit dem Zusammenschluss kleiner Systeme, wie der Einzeller, zu komplexeren Systemen, wie Mehrzellern und höheren Organismen. Auch über die Grenzen des Individuums hinaus setzt sich der Zusammenschluss fort, denken wir an Familien, Kulturen oder das in erreichbare Nähe gerückte globale Bewusstsein. Systeme schließen sich zu Meta-Systemen zusammen. Indem der Einzelne Teil eines größeren Ganzen wird, übernimmt er darin bestimmte Positionen und Funktionen und steht mit den anderen Beteiligten in Austausch. Er repräsentiert sowohl die eigene Rolle wie auch das Bewusstsein des Ganzen, d.h. des übergeordneten Systems. Gleichzeitig erweist sich das höher integrierte System als tauglicher und besser angepasst an die Erfordernisse der Welt. Selbst-Organisation. Hierbei handelt es sich um ein anderes Prinzip der Evolution. Ein System verbessert auf der Basis seiner Erfahrungen und der Interaktion mit der Umwelt den Grad seiner inneren Organisation, der Anordnung und des Austauschs seiner Komponenten. Es lernt und verändert sich innerlich. Dadurch verbessert sich das Zusammenspiel der Anteile des Systems, es erfährt eine höhere Synergie, mehr Sicherheit oder Flexibilität. Ein Prozess, der sich in Gruppen ebenso wie im einzelnen Menschen vollzieht. Dabei werden immer neue Variationen des Zusammenspiels ausprobiert und von den Beteiligten über Feedback bewertet. Das kann unterschiedlich ausfallen. Manche Variationen an bestimmten Stellen werden bestärkt, andere begrenzt. Dies mag unvorhersehbare Muster oder Chaos entstehen lassen, das dann wieder in neue, stabile Konfiguration übergeht.
Zusammenfassung von Teil I Im Teil 1 haben uns damit beschäftigt... •
wie ein Begleiter und ein Lernender gut zusammenwirken,
•
wie wir den Veränderungsprozess mit dem Lernenden strukturieren können,
•
wie wir mit lösungsorientierten Fragen durch den Prozess führen können,
•
mit welchen Fragen wir die innere Erfahrungswelt erforschen können,
•
mit welchen Aussagen wir Erfahrungen umdeuten oder reframen können,
•
wie wir einen Lernenden durch indirekte Sprache begleiten können,
•
welche Bedeutung das Feedback des Lernenden für uns hat,
•
welche Bereiche der Erfahrungswelt von besonderem Interesse sind,
•
wie wir Zeit erleben und wie schnell oder langsam die Zeit vergeht,
•
wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufeinander wirken,
•
dass wir unsere Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen erleben,
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•
wie diese Ebenen auseinander hervorgehen und aufeinander wirken,
•
dass wir unterschiedlichen Wahrnehmungspositionen einnehmen können,
•
dass diese durch unterschiedliche Richtungen der Aufmerksamkeit ergänzt werden,
•
wie sie gemeinsam unseren Wahrnehmungsraum bilden,
•
was wir von anderen aufnehmen und uns zu eigen machen,
•
dass wir Gestaltungsbeiträge für uns und andere kreieren und einbringen,
•
dass unsere Gestaltungsbeiträge im System tiefere positive Absichten haben,
•
wie wir andere verstehen und nicht verstehen können,
•
was andere mit unserer Vergangenheit zu tun haben können,
•
wie wir unseren Wahrnehmungsraum erforschen und aus ihm lernen können,
•
wie wir ihn als Konstellation seiner Teile gestalten können,
•
wie wir Konflikte von Positionen anhand ihrer guten Absichten lösen können,
•
wie Menschen in sozialen Systemen aufeinander wirken
•
welche Defizite hinter Konflikten liegen können,
•
wie Absichten, Wahrnehmungen und Meinungen aufeinander wirken,
•
wie diese das Verhalten und damit die äußeren Erfahrungen beeinflussen,
•
wie wir durch zirkuläres Fragen den Wahrnehmungsraum aller erweitern können,
•
wie wir durch zirkuläres Fragen Veränderungsmöglichkeiten bewusst machen können,
•
was Ressourcen sind und wo wir sie finden,
•
wie wir die passenden Ressourcen finden können,
•
welche typischen Ressourcen es gibt,
•
wie wir die Erfahrungswelt nach Zuständen sortieren können,
•
wie wir Defizite durch Ressourcen ausgleichen können,
•
was zum systemischen Denken gehört,
•
wie korrigierendes und verstärkendes Feedbacks wirken,
•
wie Grenzen des Wachstums entstehen,
•
dass Systeme Meta-Systeme bilden können
•
wie Wettbewerb und Kooperation zur Entwicklung gehören
•
wie Quantität über Schwellen zu neuer Qualität führt
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Teil II — Den Lebensweg gestalten Hintergrundmuster der Lebensweg-Arbeit Stationen der Veränderung Oft ist systematisches Vorgehen angesagt. Gerade, wenn wir uns den größeren Zusammenhang eines Themas erschließen wollen. Lebensweg-Arbeit kennt maßgebliche Erfahrungsstationen, die sich zu erkunden lohnen: die Ist-Situation oder das Symptom, die Ursache, jene Erfahrung, die am Anfang der Entwicklung zum gegenwärtigen hin Symptom stand. Natürlich gehört eine Vorstellung vom Ziel, dem gewünschten Zustand dazu. Darüber hinaus macht es Sinn, den Effekt, den das Erreichen des Ziels auf das Leben des Lernenden haben wird, kennen zu lernen. Wenn sich die Lernende über diese vier Erfahrungsstationen klar geworden ist und sie innerlich erlebt hat, offenbart sich ihr meist von selbst, welche Ressourcen oder Veränderungsprozesse sich anbieten, um die Entwicklung in der gewünschten Weise zu unterstützen. Natürlich können auch andere Stationen, wie die Ursache der Ursache herausgearbeitet werden. Robert Dilts gab diesem System den Namen SCORE-Modell. S steht für symptom, C für cause, O für outcome, R für ressource und E für effekt. Diese Stationen müssen übrigens nicht immer zeitlich aufeinander folgen. Die Ursache eines Symptoms können wir durchaus in systemischen Einflüssen aus der Gegenwart oder in heranziehenden zukünftigen Ereignissen finden. Damit ist dieses Modell für uns ein allgemeingültiges Muster zur Organisation und Darstellung von Veränderungsarbeit. Auch kulturell bedingte Weltmodelle lassen sich anhand des SCORE-Modells gut untersuchen, entwickelt doch jedes Weltmodell ganz eigene Vorstellungen darüber, was die Ursachen bestimmter Leiden und welche Entwicklungsziele und Langzeiteffekte wünschenswert sind. Auch der Weg zum Ziel und die Wahl der Ressourcen unterscheiden sich in verschiedenen Kulturen. Für die Friedensforschung kann es beispielsweise interessant sein, Buddhisten, Christen, Moslems, Sozialwissenschaftler, Kommunisten und Demokraten zum weltweiten Symptom der Kriege zu befragen: Welche Ursachen sieht jede Gruppe, welche Veränderungsmöglichkeiten und Ressourcen empfiehlt sie, welche Ziele und Effekte hält sie für erstrebenswert. Das SCORE-Modell ist natürlich nicht die einzige Art, wie man Veränderungsprozesse organisieren kann. Wir können jede seiner Stationen als Frage betrachten, deren Antwort der Lernende nicht nur hören, sondern erleben will, um weiterzukommen. Von alters her haben überlieferte Beratungssysteme wie das Tarot Fragen und Antworten zu Lebensprozessen angeregt. Wir können Karten befragen oder in uns selbst die Antworten finden. Und uns dabei doch Inspiration von den Karten holen ... Jede Veränderungstechnik des NLP können wir als ein Set von Fragen und Stationen beschreiben. Wir können gar die Buchstaben unseres Namens als Abkürzungen für solche Stationen nehmen: So hat der Autor Bernd das ISERTModell ersonnen, welches den Veränderungsprozess in die Stationen Intention, Struktur, Energie, Ressourcen und Transfer einteilt und organisiert. Es gibt dabei keine feste Abfolge von Schritten, sondern lediglich die Aufgabe, den Lernenden anhand seines Themas durch diese Erfahrungsstationen zu führen und daran zu arbeiten, dass er am Ende all diese "Zutaten" der gewünschten Veränderung ausreichend zur Verfügung hat.
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Die Arbeitsbeziehung bewusst gestalten Stil und Beziehung. Was unterstützt einen Klienten in der Lebensweg-Arbeit? Es muss mehr dazu gehören als die Ressource, die er an einer bestimmten Stelle des Prozesses findet, denn um sie zu finden, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Diese liegen, wenn wir gut arbeiten, im ganzen Prozess: im Stil, in der Methode, der Art der Beziehung zum Begleiter, dem Ort, der Zeit ... Manchmal, wenn wenig Neues herauskommt, sind all diese Dinge nur eine Wiederholung alter Erfahrungen des Lernenden, ein "mehr desgleichen", in anderen Fällen sind sie selbst die Quelle der Veränderung. Allein schon deshalb kann die Wahl des richtigen Begleiters und einer besonderen Arbeitsform der entscheidende Veränderungsschritt sein. Was ist es also, das in Coaching und Therapie zwischen Begleiterin und Klient jenseits der Methode wirkt? Die richtigen Informationen. Die Begleiterin wird — am Anfang aber auch immer wieder im Verlauf des Prozesses — verschiedene Formen haben, Informationen über den Klienten, sein Thema und eventuelle Lösungsoptionen zu sammeln. Sie kann schauen, fühlen, zuhören, Fragen stellen, die Körpersprache wahrnehmen, sie kann ihr inneres Erleben befragen, intuitiv erspüren, worauf es ankommt, oder Menschenkenntnis und Vorerfahrungen zu Rate ziehen. Vielleicht hat sie die Fähigkeit, sofort wahrzunehmen, worum es ihrem Klienten geht. All diese Formen machen Sinn, doch für sich allein genommen garantieren sie keine Verlässlichkeit: die Fragen könnten die falschen sein, der Lernende könnte beständig am eigentlichen Thema vorbeireden oder das innere Erleben könnte vom Mittagessen beeinflusst sein. Menschenkenntnis und Vorerfahrungen führen nicht immer zu richtigen Vorannahmen, weil der Klient letztendlich doch "ganz anders" ist. Der Wert von Rückmeldung. Vergleicht sie die einzelnen Wahrnehmungen und Erfahrungen, wird die Begleiterin sicherer, besonders wenn sie darauf achtet, die gewonnenen Informationen auch zu überprüfen. Das kann sie tun, indem sie rückmeldet, was sie verstanden hat, so dass der Lernende die Chance hat, zu bestätigen, zu korrigieren oder zu ergänzen. Oder indem sie ihrem Klienten aufgrund ihrer Erfahrungen und Informationen Arbeitsangebote macht und darauf achtet, wie sie angenommen werden. Dabei ist sie besonders auf die nonverbalen Reaktionen des Klienten angewiesen. So lernt die Begleiterin in einem Kreislauf von Wahrnehmung, Interpretation und Überprüfung immer mehr über den Klienten und seine Thematik. Sie entwickelt passende Vorstellungen darüber, welche Arbeitsschritte sie dem Lernenden anbieten kann. Diese Schritte überprüft sie, indem sie Feedback erbittet, die Reaktion des Klienten beachtet und nonverbales Einverständnis von Skepsis zu unterscheiden weiß. Ob der Klient sich gefördert oder behindert fühlt, hängt davon ab, welche Aspekte seiner Wirklichkeit die Begleiterin gewahr wird und welche Wahlmöglichkeiten für Veränderungsschritte sie anbieten kann. Niemand kann alles wahrnehmen und alle Methoden und Modelle der Veränderung zur Verfügung haben. Da jeder Lernende seine individuellen Themen und Lernbedürfnisse hat, soll er sorgsam auswählen, von wem er sich begleiten lassen will. Im Idealfall wählt er eine Begleiterin, die über mehr als eine Denk- und Arbeitsweise verfügt. Von Form und Inhalt. Je nachdem, welche Arbeitsweisen der Begleiterin zur Auswahl stehen, wird sie unterschiedliche Informationen benötigen. Der Körpertherapeut wird Haltungsmuster und Muskelspannungen beachten, der Homöopath nach sinnlichen Körperempfindungen im Alltag fragen, der Hypnotherapeut wird auf Reaktionen des Unbewussten achten, der Kinesiologe die Muster des Akupunktursystems testen, der Lebensweg-Arbeiter wird den Fokus auf die innere und äußere Erlebniswelt des Lernenden legen. Wir können Informationen zum Inhalt oder zur Form bzw. Struktur des menschlichen Erlebens sammeln. Mit "Inhalt" meinen wir das Ereignis, z.B. eine bevorstehende Prüfung. "Form" bezeichnet die Art, wie der Lernende dieses Ereignis repräsentiert, welche Bilder, Gefühle, Stimmen beteiligt sind, ob er eher Details wahrnimmt oder das Allgemeine, ob er sich an vergangene www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Prüfungen erinnert oder nicht, ob er darauf achtet, was schief gehen kann, oder darauf, was gut gehen könnte, ob er glaubt, es werde wieder so werden wie damals, oder ob er davon ausgeht, dass es jedes Mal ganz anders kommt. Was wir als Form deklariert haben, können wir aus anderer Sicht natürlich auch als Inhalt auffassen. Beispielsweise gehört es zum Inhalt dieser Stelle unseres Buches. Die Grenzen sind relativ und von den Standpunkten abhängig. Den Veränderungsansatz finden. Welcher Veränderungsform passt zu einem gegebenen Inhalt? Der Inhalt allein gibt uns nicht allzu viele Hinweise auf die beste Veränderungsmöglichkeit. Allenfalls erfahren wir, was der Lernende möchte. Sucht er Trost, Ermutigung, Befähigung oder geht es ihm darum, alte Erfahrungen zu verarbeiten, Selbstvertrauen zu gewinnen, sich nichts vorzumachen, sich hinzusetzen und zu lernen? Es gibt andererseits keinen Inhalt ohne Kontext und ohne Verbindungen mit anderen Inhalten, Mustern, Strukturen. Die weise Begleiterin erforscht deshalb das ganze Terrain. Dann ergibt sich die Chance, Veränderungsschritte einzuleiten, die nicht nur den aktuellen Inhalt, sondern darüber hinausgehende Muster und Lebensbereiche erfassen. Beispielsweise können beide darauf hinarbeiten, chronischen Pessimismus in Realismus oder gar Optimismus zu verwandeln, wenn es angebracht ist. Die Begleiterin kann, ausgehend von einem konkreten Inhalt zusammen mit dem Klienten Verallgemeinerungen auflösen, die sein ganzes Leben betreffen, dadurch Selbstvertrauen aufbauen oder verborgene Fähigkeiten entdecken. Den Inhalt zulassen. Manche Begleiter klammern den Inhalt gänzlich aus, um nicht von der Wahrnehmung der Formen und Strukturen abgelenkt zu werden. Das ist nicht immer förderlich, denn Inhalte und Form stehen in Beziehung und oft können wir das eine erst erkennen und verstehen, wenn uns das andere bekannt ist. Manchmal bemerken wir, dass der vom Klienten eingebrachte Inhalt und die Repräsentation, in der er sich darstellt, kaum zusammenpassen — und das kann bedeuten, dass uns noch wichtige Informationen fehlen. Außerdem hat der Inhalt Auswirkungen auf die Wahl einer angemessenen Arbeitsform, auf die betroffenen Erfahrungsebenen, die Intensität der Gefühle, den Kontakt und das Vertrauen zwischen Begleiterin und Lernendem — wozu das Bedürfnis des Klienten gehören mag, verstanden zu werden. Es scheint so zu sein, dass die Gefühle eines Menschen viel über das Verhältnis zwischen Inhalt und Form aussagen — sie zu erfassen und in der Arbeit zu berücksichtigen ist daher von hohem Wert. Das Passende auswählen. Es kommt darauf an, dass die Arbeitsweise, all das, was zwischen Begleiter und Klient geschieht, dem Inhalt und der Struktur seiner Thematik und seiner Persönlichkeit gerecht wird und möglichst weitreichende Veränderungsoptionen ermöglicht. Dazu gehört nicht nur die ausgewählte Veränderungstechnik, sondern auch die Gestaltung der Beziehung und des Austauschs zwischen diesen beiden Menschen. Grundsätzlich hat ein Begleiter die Wahl, dem Lernenden, der in einem Bereich seines Lebens nicht weiterkommt, die Hand zu reichen oder darauf zu warten, dass er von selbst lernt, sich weiterzubewegen. Natürlich gibt es einige Möglichkeiten dazwischen: mit Landkarten arbeiten, zurückgehen, Wege bauen, üben, anleiten, vormachen, gemeinsam gehen, korrigieren, ermutigen, provozieren, stärken, befähigen, etwas zumuten, es sich an Ort und Stelle gemütlich machen ... Doch zurück zur zuvor genannten Alternative: Im ersten Fall besteht die Gefahr, dass der Klient sich immer wieder sein Unterstützungspaket abholt, aber nicht lernt, den Weg im eigenen Leben unabhängig vom Begleiter zu finden oder zu gehen. Das mag allenfalls für die finanzielle Absicherung des Begleiters hilfreich sein. Im zweiten Fall besteht die Gefahr, dass der Klient keine Orientierung und keinen Zugang zu dem findet, was er benötigt — so dass sich seine Situation keinesfalls bessert. Wir können davon ausgehen, dass eine Lernende ihren Begleiter aufsucht, weil sie etwas Bestimmtes lernen oder erfahren will, etwas, das ihr allein nicht zugänglich ist. Jeder Begleiter hat sein Repertoire, aus dem heraus er Lernerfahrungen anbieten kann. Auch seine Persönlichkeit, seine Ausstrahlung, Gefühle, Absichten und Gedanken gehören dazu. Aus all dem, d. h. aus seinem Repertoire und sogar aus den verschiedenen Seiten seiner Perwww.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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sönlichkeit, kommt es für ihn darauf an, jene Teile zu wählen, die der Klientin langfristig die größtmöglichen Veränderungsperspektiven ermöglichen. Immer wieder geht es um die geeignete Form, wie man sie durch Lernprozesse führt und als Mensch achtet. Durch Austausch lernen. Wenn jemand Hunger hat, so meint Berthold Brecht, sollten wir ihm keinen Fisch geben, sondern ihn lehren zu fischen. Doch auch jemanden das Fischen zu lehren geht nicht ohne Austausch, Hinweise, Feedback, Beispiele, vielleicht Ermutigung oder mehr. Wenn wir vom Geben und Nehmen sprechen, so meinen wir also nicht den zubereiteten Fisch, sondern das, was ein Lehrer zu geben hat: Dazu mögen Anerkennung, Lob und gute Beispiele ebenso gehören wie eine gute menschliche Beziehung, ehrliches Feedback, Ansporn oder Provokation. Denken wir an den Meister heilsamen provokativen Feedbacks, Frank Farelly. Auch der Mut, sich mit Herz und Verstand in seiner ganzen Menschlichkeit einzubringen, in Beziehung zu treten oder sich zum Sprachrohr all dessen zu machen, was verdrängt war, kann zu den Schätzen gehören, die ein Begleiter einbringt. Ein Maßstab guter Veränderungsarbeit ist die weit in sein Leben reichende, generative Wirkung dessen, was der Klient erfährt oder erhält. Wenn ein Veränderungsschritt einen weiteren ermöglicht und dieser einen nächsten, haben wir gute Arbeit geleistet, sind systemisch vorgegangen. Dazu kann es durchaus gehört haben, dem Klienten an kritischen Stellen Ressourcen vermittelt, Hinweise gegeben, die Meinung gesagt oder ihn herausgefordert zu haben. Nicht alles, was wir bekommen, macht uns abhängig oder unmündig. Manches müssen wir erst empfangen, um es später selbst zu finden und weitergeben zu können. Oft brauchen wir das Modell oder eine klärende Begegnung in einem schwierigen Prozess. Was aber gut tut oder auch Not tut, sollte nicht auf Vermutungen beruhen. Es will in einem fortlaufenden Lernprozess anhand der Reaktionen des Klienten überprüft werden. Viele Begleiter achten sehr darauf, ihre Lernenden nicht durch eigene Rückmeldung, Erfahrungen und Gefühle zu beeinflussen. Sie beabsichtigen damit, dass die Klienten alles aus sich heraus finden oder managen. Nun leben wir in einer Gesellschaft, in der Selbstständigkeit ein hohes Gut, oft auch Ausdruck eines Mangels ist. Wer darunter leidet, schon als Kind auf sich und den Fernseher gestellt gewesen zu sein, wird bei einem solch "neutralen" Begleiter möglicherweise ein "mehr desgleichen" erfahren. Wenn ein Mensch nie gelernt hat, zu empfangen, kann gerade das die Pforte zur gewünschten Veränderung sein. Wer sich andererseits nur "füttern" lässt, dem könnte es helfen, diesmal nichts oder etwas völlig Unerwartetes zu bekommen. Geben und Empfangen spielt bei allen alten Heilformen eine große Rolle. Der Mensch suchte und sucht auch heute noch in ursprünglich lebenden Kulturen Heiler auf, um Kraft, Energie oder Reinigung zu erhalten; der Heiler war bzw. ist der Vermittler zwischen ihm und Gott, den Göttern oder der Stammesgemeinschaft. Es gibt verschiedene Formen des Gebens: Hilfe dem Hilflosen, Verantwortung dem Herangewachsenem, Vergebung dem Gestrauchelten. Und es gibt einen Austausch in die andere Richtung: Opfergaben, Rituale oder eine veränderte Lebensgestaltung gehörten zu dem, was die "Klienten" beitrugen. Heiler, Priester oder Schamanen haben die Funktion, aus ihrer Erfahrung, Intuition oder in besonderen Bewussteinszuständen innerlich zu erfahren und äußerlich anzuregen, was dem Suchenden hilft. Sie brauchen dazu nicht viele Fragen und sie handeln im Einklang mit dem gesamten sozialen System, das ihnen einen besonderen Rang zuweist. Ist bzw. war ihre Arbeit schlechter, naiver, unverantwortlicher als die der Profis von heute, machten sie ihre Klienten abhängig und unselbstständig? Schon damals gab es wohl solche und solche — wie heute auch. Irgendwann wurde es wichtig für uns, uns gar nichts mehr von außen sagen zu lassen. Es ging darum, neue Wege zu gehen, sich von Autoritäten alter Zeiten zu befreien, für viele auch von einer älteren Generation, die in ihren Augen versagt hatte. Keiner sollte sich anmaßen, für den anderen zu entscheiden oder das Beste zu wollen. Und dennoch tat sich manch junger www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Suchende nicht immer einen Gefallen damit, irrte umher auf der Suche nach neuer Orientierung, ob bei indischen Gurus, in der Wissenschaft, den Medien, neuen Philosophien, bei Therapeuten oder Beratern. Wie wäre es, wenn wir uns heute wieder beides erlaubten: Ressourcen von innen und Ressourcen von außen, solche, die einander ergänzen, ein Geben und Nehmen, das Verbindung schafft, Führen und Geführt-Werden als Tanz des Lebens. Die Frage ist, welcher Austausch mit welchem Menschen für uns sinnvoll ist. Auch wenn wir kaum darauf geachtet haben, unser Organismus, unser Wesen hat uns schon immer Zeichen gesendet: der ruhige, tiefe Atem, Entspannung, das Gefühl von Lebendigkeit, Wert, Sinn. Es sind Zeichen unseres Körpers und unserer Intuition, die weiterreichen als die oft nur auf Ausschnitte fixierte Vernunft, Zeichen eines tiefen Ja und eines tiefen Nein. Große Heiler und Therapeuten waren stets in der Lage, solche "Wegweiser" wahrzunehmen, die den Lernenden zu dem hinführten, was er wirklich suchte und brauchte. Manche ließen es ihn selbst finden, andere gaben es weiter, ohne dass er es merkte, manche reisten mit ihm und suchten gemeinsam. Wieder andere provozierten und führten ihn in paradoxe Erfahrungen. Der Erfolg war immer jenes Ja zum Leben, ein Zustand, den die Chinesen mit der Lebensenergie Chi in Verbindung bringen, die sich im harmonischen Zusammenspiel von Welt, Körper, Geist und Seele ausdrückt. Wie es scheint, haben/hatten große Therapeuten wie Jesus, Samuel Hahnemann, Moshé Feldenkrais, Milton Erickson oder auch Bert Hellinger Augen, die scharf genug sind bzw. waren, dieses Zusammenspiel wahrzunehmen, zu überprüfen und zu fördern ... von innen, von außen und im Zeitverlauf. Die Wege der Therapeuten sind vielgestaltig: Da ist der "Heilige", der neben Sinn und Richtung auch Liebe, Licht und Energie weitergibt, der Homöopath, der nach genauer Analyse das genau richtige Mittel findet, der Körperbetonte, der die richtige Berührung erspürt, der Intuitive, der sich von einer inneren Stimme führen lässt, der Forschende, der durch Fragen, Antworten und Reaktionen immer mehr herausfindet, der in sich Schauende, der das Bild einer Lösung aufkommen sieht. Die größte Chance mündiger Veränderungsarbeit liegt darin, dass mehrere Herzen und Gehirne zusammenarbeiten und in Austausch treten, um dem Klienten neuen Lernerfahrungen und andere Modelle zu vermitteln, auch solche des sozialen Austauschs. Das kann bedeuten, sie "zum Fischen mitzunehmen", ihnen "Fische zu geben", sie mit anfassen zu lassen oder sie zu ermutigen, selbst die Angel auszuwerfen. Bei dem, der selbst nichts vom Fischen versteht, wird es der Suchende freilich schwer haben, zu lernen. Moderne Veränderungsarbeiter verstehen sich als Bergführer, Forscher, Lernende, Wissenschaftler, Meister, Coach, Reisebegleiter, Künstler, Katalysator, Feedback-Instrument, Kanal, Gärtner, Ratgeber, Partner, Guru. Ähnlich vielfältig sind die Rollen, in denen sie ihre Klienten sehen: Lernende, Partner, einzigartige oder kompetente Menschen, Suchende, Reisende jedenfalls nicht Unmündige, Kranke, Bedürftige oder Hilflose. Wer als Begleiter vielen Menschen individuell gerecht werden will, braucht mehr als eine Methode und mehr als eine Beziehungsrolle. Verschiedene therapeutische Schulen sind das Ergebnis ausgeprägter Persönlichkeiten und Gruppen, die ihre eigenen individuellen Erfahrungen und den Wissensstand ihrer Zeit in ihre Arbeitsform integriert haben. Dahinter stehen ihre persönlichen Lebensthemen; das, was sie erreichen oder vermeiden wollen. Doch nicht selten wurde auf diesem Weg das zur Heilslehre "für alle", was nur für einige zu bestimmten Zeiten gepasst hat. Heute geht es darum, all die Arbeitsformen und Lehren neu zu sichten, sie zu relativieren und zu würdigen, für sie eine angemessene Position in der Landschaft der Wahlmöglichkeiten finden. Es wird immer wichtiger, eine Meta-Ebene zu sichten, die die oft erbittert ausgetragenen Gegensätze der Arbeitsansätze und Theorien integriert. Der Schatzsucher findet die Vollständigkeit in den Gegensätzen. Wenn wir weiterdenken, etwa an Kulturen und Religionen, ist dies eine Form von Globalisierung, die wir als Weg des Zusammenwachens verstehen, nicht als Monokultur. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Zusammenfassend erkennen wir, dass wir kaum anders können, als Einfluss aufeinander zu nehmen und dass auch unsere Neutralität den Klienten höchst förderlich oder hinderlich beeinflussen kann. Die Erfahrungen und Erlebnisse des Klienten sind nicht unabhängig von denen des Begleiters und umgekehrt. Alles, was der Begleiter innerlich erlebt, denkt, fühlt, intendiert ... seine "psychoneurophysiologischen Funktionsmuster" (um noch einmal dieses Wort auszuprobieren) ist wichtige Information und Wirkstoff im Veränderungsprozess und kann für diesen genutzt werden. Allein zu erleben, wie ein Begleiter spielerisch Lösungsmuster für bisherige Probleme aufzeigt, gibt dem Klienten die Chance, dies selbst zu lernen — denn jene Erfahrung dessen, dass es auch anders geht, ist ein zentraler Schritt in seinem Lernprozess, gleich ob er sie innen oder außen findet. Wir wissen noch wenig darüber, wie viel Menschen bewusst und unbewusst wirklich voneinander wahrnehmen und miterleben. Unsere Erfahrung lehrt uns, dass wir unbewusst in kurzer Zeit einen hohen Anteil der inneren Vorgänge und der Befindlichkeit eines Partners erfassen und aufnehmen können. Wer anderen — unabhängig von der verwendeten Methode — weiterhelfen will, tut gut daran, sich den Zugang zu den eigenen Quellen zu erhalten. Er arbeitet umso erfolgreicher, je mehr Ressourcen ihm zur Verfügung stehen, um mit dem umzugehen, was für den Klienten ein Problem darstellt. In welchem Zustand und mit welchem Stil des Begleiters die besten Ergebnisse erzielt werden, ist von Klient zu Klient verschieden. So wird mancher Begleiter der Zukunft lernen, wie ein moderner Schamane viele Geister in sich zur Verfügung zu haben, um einzelnen Klienten auf eine besondere Weise zu begegnen. Andere werden gleichbleibend und stabil ihr eigenes Wesen verkörpern wollen, um genau mit jenen zu arbeiten, die diese Persönlichkeit und diese Art suchen.
Kollektion von Methoden Die in diesem Kapitel enthaltenen Anwendungsbeispiele sind keine realen Fallbeschreibungen , sondern konstruiert und spielerisch überzeichnet, um in kompakter Form das Prinzip bestimmter Methoden zu illustrieren.
Anliegen für das Lernen aus der Vergangenheit "Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen." (Heinrich Heine) Jede Erinnerung ist eine Rückbewegung in unserem Lebensweg. Manchmal kann es darum gehen, sich bisher nicht bewusste Erfahrungen zugänglich zu machen, Verborgenes zu entdecken oder systematisch Lebensabschnitte zu erforschen und zu klären. Dann bietet sich methodisches Vorgehen an Schritt für Schritt. Am häufigsten nutzt der Mensch diese Arbeit dazu, Probleme zu lösen. Denn allzu oft haben die ihren Ursprung in der Vergangenheit; dorthin bricht der Zeitreisende dann auf, um ursprüngliche Erfahrungen zu finden, die mit seinem Thema verbunden sind. Manchmal reicht das Erkennen dieser Vorerfahrungen bereits aus, um ein gegenwärtiges Problem anders als damals lösen zu können. In anderen Fällen ist es hilfreich, die Ursprungserfahrung innerlich so zu verändern, dass daraus ein positives Modell für die zukünftige Entwicklung wird. Es geht hierbei nicht darum, sich dabei etwas vorzumachen oder Unangenehmes zu verdrängen, sondern die damals nicht erlebten Lösungsmöglichkeiten zu erfahren. Deshalb ist es oft wenig hilfreich, problematische Erfahrungen einfach nur innerlich zu wiederholen. Es geht darum, aus unseren Lebenserfahrungen zu lernen, sie zu verarbeiten und zu erweitern. Wir wissen bereits gut genug, was nicht so recht funktioniert oder immer wieder schief geht. Deshalb erweitern wir unseren Erfahrungsschatz es können Möglichkeiten hinzukommen, wie es besser gehen könnte. Auch haben wir Einfluss darauf, wie wir das Geschehene deuten und verarbeiten. Wir können es auch nach Jahren noch abrunden, uns selbst und auch die anderen verstehen und von ihnen lernen, Kreativität ins Spiel bringen, www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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eingerostete Scharniere lockern. Lebensweg-Arbeit, wie wir sie verstehen, soll den Impuls dazu liefern, eine erfüllende Gegenwart und Zukunft gestalten zu können. Beim Lernen aus der Vergangenheit bietet uns das "So-tun-als-ob-Spiel" viele Lernchancen. Hier liegt das Experimentierfeld des Menschen. Warum nicht so tun, als ob ich dies und jenes könnte? Wer so tut als ob er Mut hätte, wird mutiger sein als vorher. Denn im "Als ob" bereiten wir uns auf das "Es ist" vor. Irgendwann schlüpfen wir unmerklich aus der Fiktion in die Realität, so wie ein Schauspieler, der sich mit seiner Rolle mehr und mehr identifiziert. Wir können auch so tun, als ob wir, wie von Robert Dilts dargestellt, anderen Menschen Fähigkeiten, Kraftquellen, Ressourcen für die Verwirklichung ihrer tieferen guten Absichten vermitteln könnten. Oder es tatsächlich tun, wenn wir über das, was ihnen fehlt, verfügen. Aber wird das ankommen? Wenn ich so tue, als hätten andere gute Absichten, werden sie dann besser oder versäume ich nur, mich vor ihnen zu schützen? Wir sind keine Heiligen und die Anderen auch nicht. Jeder benötigt Ressourcen, um mit den Unvollkommenheiten der Mitmenschen umzugehen. Dennoch brauchen wir niemanden dauerhaft zu verdammen, können mit wachsender eigener Reife erkennen, was ein anderer eigentlich will und was ihm fehlt — und uns in aller Weisheit vorstellen, wie und woher ihm das zugänglich werden kann. Denn wer die Fähigkeit braucht, zu Fischen, dem helfen wir nicht, indem wir ihm Fische schenken, um mit Bertold Brecht zu sprechen. Neurologen und Konstruktivisten weisen darauf hin, dass alles scheinbar Äußerliche eine Konstruktionsleistung unseres Hirns und unseres Nervensystems ist. Deshalb profitieren nicht zuletzt wir selbst von den Entwicklungsschritten, die wir anderen zubilligen, bringen sozusagen neue Möglichkeiten und Gefühle in unsere eigenen Entwürfe des Lebens. Möglichkeiten, aus denen heraus wir einem Gegenüber auf neue Art begegnen können. Vielleicht verändern es sich gerade dadurch, vielleicht nur in unserer Wahrnehmung, doch mehr als diese hatten wir auch vorher nicht. Der russische Erzieher Pestalozzi ??? erzog seine Kinder — und es waren die schlimmsten, die bei ihm landeten, indem er ihnen Vertrauen schenkte, tiefer noch: liebevolle Achtung ihres Wesens. In vielen Fällen geht es darum, in aller Achtung ein falsches, d.h. behinderndes Geben und Nehmen aufzulösen, Grenzen zu wahren und Anderen die Verantwortung für ihr Leben zurück zu geben, um mit Bert Hellinger zu sprechen. Und auch dies ist eine Quelle fruchtbaren Wandels und neuen Lernens — für alle Beteiligten. Wer sich leer gegeben hat, sollte lernen, zu empfangen, wer das Leben oder die Sorgen anderer gelebt hat, sollte das Eigene entdecken. Denn ein "mehr desgleichen" verändert nichts — und so bleibt die Wahl und die Abfolge der sinnvollsten Lernschritte individuell an der persönlichen Thematik und Geschichte orientiert. Jeder therapeutische Ansatz eignet sich zur Arbeit mit einer bestimmten Klasse von Themen und Menschen und braucht die Sensibilität, diesen Wirkungsbereich und seine Grenzen zu erkennen. Dann beginnen die unterschiedlichen Ansätze, sich zu ergänzen.
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Den Lebensweg "renovieren" Ziel: Auf spielerische und symbolhafte Art und Weise Ressourcen in den eigenen Lebensweg bringen. Die Lebenslinie verändern, um auf diese intuitive Art den Boden für eine spätere, bewusste Veränderung aufzubereiten. Pit visualisiert seinen Lebensweg und stellt sich vor, wie er darüber schwebt. Wie ein Vogel, der sich sicher ist, dass er nicht abstürzen kann. Er nimmt Helligkeit, Farbgebung, Ausstrahlung, vielleicht auch Klänge der einzelnen Abschnitte wahr. Besonders die dunklen Abschnitte hüllt er in Licht, indem er sich die Sonne oder eine andere Lichtquelle vorstellt, das Licht über den Scheitel in sich hinein fließen und aus der Herzgegend wieder ausströmen lässt. Dann platziert er das für ihn passende Symbole auf die betreffenden Abschnitte: einen Baum, einen Delfin, eine Burg, einmal sogar das Sonnensystem. Manchmal kommt ihm eine Musik in den Sinn, die er mit anderen Abschnitten der Linie verknüpft. Thelma gefällt die gewundene Form der Linie nicht so recht, und sie macht sie ein wenig gerader, verändert sie aber nur so weit, wie es für sie keine Anstrengung bedeutet. Dabei lässt sie sich von einer inneren Beraterin helfen. Sie poliert die Linie an manchen Stellen so lange, bis sie zu leuchten beginnt. Andere Passagen könnten gut und gerne eine frischere Farbe gebrauchen. Nachdem sie sie sorgfältig gestrichen hat, versieht sie einige Stellen mit Blattgold. Ihr gefällt die Vorstellung, die Linie ein- und ausfahren zu können wie eine Feuerwehrleiter. So geht’s: Die Zeitlinie visualisieren oder im Raum darstellen, auf sich wirken lassen und davon ausgehend ihre sinnlichen Qualitäten, wie Form, Helligkeit, Farbgebung, Klänge u.a. auf ressourcevolle Art umgestalten. Fotoalbum — einmal anders Ziel: Über Bilder Zugang zu Ressourcen in der Vergangenheit finden oder seinem jüngeren Selbst und ggf. anderen damals Beteiligten Ressourcen geben. Unsere alten Fotoalben können uns direkt in die Vergangenheit zurückführen. Fotos leiten uns zielsicher zu Ereignissen oder Personen, mit denen wir wichtige Gefühle oder Überzeugungen verknüpfen. Wir können Alben oder alte Filme nutzen, um uns aus der Vergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft mit Ressourcen zu versorgen, es steht uns auch offen, Fotos dazu zu benutzen, etwas in die Vergangenheit zu bringen, was uns damals gefehlt hat. Mehr noch: Auch anderen Personen auf dem Foto können wir nachträglich Ressourcen oder eine Nachricht zukommen lassen. Jeannette blättert im Fotoalbum, das ihre Eltern damals für sie angelegt hatten, langsam in Richtung Vergangenheit zurück. Sie weiß, sie hat als Kind unbeschwert in den Tag hinein gelebt, und diese Fähigkeit fehlt ihr heute als Webdesignerin und Mutter manchmal sehr. Sie blättert so lange, bis sie ein Bild findet, in dem sie sich als unbeschwertes Mädchen wiedererkennt. In Gedanken würdigt sie ihr jüngeres Selbst, ihre Eltern und den längst verstorbenen Hund auf dem Bild, hält das Foto an ihr Herz und stellt sich vor, die Unbeschwertheit und was sie aus jüngeren Jahren sonst noch brauchen könnte flössen in ihr heutiges Leben hinein. Beim Durchschauen ist ihr ein Bild aufgefallen, auf dem sie recht unglücklich aussieht. Sie erinnert sich noch genau: Damals, an ihrem neunten Geburtstag, musste sie in der Schule ein Gedicht aufsagen, das auswendig zu lernen sie vergessen hatte. Weil ihre Hausaufgaben nicht gemacht waren, hatte ihre Lehrerin sehr mit ihr geschimpft. Die kleine Jeannette tut ihr leid, und sie fragt sie, was sie damals gebraucht hätte. Die Antwort: Selbstbewusstsein und www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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mehr sprachliche Möglichkeiten. Also schaut sie, ob sie in ihrem Album nicht Fotos aus Zeiten findet, in denen ihr beides zur Verfügung stand. Selbstbewusstsein findet sie auf einem Bild, das sie mit ihrer Volleyball-Mannschaft bei der Meisterschaftsfeier zeigt. Das und ihr eigenes Selbstbewusstsein erlebt sie innerlich nochmals ganz intensiv, wobei sie sich auch an andere starke Momente erinnert. Über ihr Herz lässt sie die Ressource geistig zu ihrem jüngeren Selbst in dem Foto fließen. Genauso verfährt sie mit ihrer sprachlichen Brillanz, auf die sie heute stolz ist. Ein Foto braucht sie dazu nicht. So geht’s: Sich selbst in einem Zustand auf einem Bild im Fotoalbum sehen, in dem einem eine Fülle an Ressourcen zur Verfügung stehen. Herausfinden, was damals erfüllend war, diese Ressource fühlen und symbolisch aufnehmen. Wenn es darum geht, ein damaliges Defizit auszugleichen: Die fehlende Ressource aus anderen Erfahrungen zugänglich machen, erleben und in das Bild fließen lassen, so dass sie dem jüngeren Selbst oder anderen Personen zugute kommt. Einen alten Mangel ausgleichen Ziel: Einen Mangel in der Vergangenheit nachträglich mit heute vorhandenen Ressourcen ausgleichen und dadurch überliefertes, aber nicht mehr zeitgemäßes Mangelbewusstsein transformieren. Samuel ist Homöopath. Er erinnert sich, wie er in seiner Kindheit häufig an schmerzhafter Mittelohrentzündung litt, und noch heute ist dieser Bereich seines Körpers sehr empfindlich. Er möchte sich nachträglich mit seinem zwischenzeitlich erworbenen Wissen etwas Gutes tun. Heute weiß er genau, als Junge hätte er drei Kügelchen Calcium Carbonicum C 200 gebraucht, und die Entzündung wäre nach eventueller anfänglicher Verschlimmerung für alle Zeiten vergessen gewesen. Er nimmt das Medizinfläschchen, geht mit ihm bis kurz vor die Stelle in seiner Vergangenheit, in der er die Krankheit zum ersten Mal hatte und gibt seinem jüngeren Selbst das Fläschchen mit der Versicherung, alles werde damit gut. Dann versetzt er sich in den kleinen Samuel hinein, nimmt das Fläschchen in die Hand, fühlt dessen Energie und stellt sich vor, jetzt drei Kügelchen aus dem Fläschchen einzunehmen. Dann stellt er es auf diesen Punkt seines Lebensweges. Langsam geht er nun vorwärts und nimmt wahr, dass sich ein damaliges Defizit offenbar ausgeglichen hat. Drei Kügelchen hatten gereicht. Sein Kopf fühlt sich auf dem ganzen Lebensweg frei und gesund an. Es tauchen keine Ereignisse mehr auf, an denen er unter Mittelohrentzündung leidet. Was für die Vergangenheit passt, gilt auch für die Zukunft, sagt er sich und bereitet auf dieselbe Weise ein Ereignis vor, vor dem er Angst hat: einen Vortrag auf der ParacelsusMesse. Wieder weiß er, welches homöopathische Mittel ihm weiterhelfen kann: Argentum Nitricum C30. Das bringt er in die Zukunft seines Lebensweges, an den Zeitpunkt, kurz bevor die Aufregung beginnt. Er versetzt sich in den zukünftigen Samuel hinein und stellt lediglich das Fläschchen an genau diese Stelle auf seinem Lebensweg. Dann geht er einen Schritt weiter und erlebt, wie er den Vortrag souverän und mit einem gesunden, anregenden Lampenfieber meistert. Mit Dank an Hahnemann und die Welt begibt er sich in die Gegenwart zurück und freut sich auf die Messe. Er wird die Methode dort weiterempfehlen. So geht’s: Einen Mangel aus der Vergangenheit erinnern. Die Ressource in der Gegenwart finden. Mit dieser Ressource den Mangel in der Vergangenheit ausgleichen. Erleben, wie dies auf die Gegenwart wirkt. Oder: Einen Mangel in der Zukunft erleben und diesen mit einer Ressource versorgen.
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Entscheidungen auf den Grund gehen Ziel: Ressourcen aus nicht gelebten Alternativen ins das Leben einbauen. Xaver hat vor zwei Jahren ein Angebot ausgeschlagen: er hätte in Marseille arbeiten können. Damit kann er leben, doch manchmal bedauert er seine Entscheidung. Deshalb möchte er ihr jetzt noch einmal auf den Grund gehen. Zu diesem Zweck betritt er seinen Lebensweg und geht an einen Punkt kurz vor der Entscheidung, nicht wegzugehen, zurück. Er vollzieht nach, was ihn damals zu dem Entschluss veranlasst hat. Da waren Freunde, eine Arbeit, die Spaß gemacht hat, Hobbys, die gute Wohnung. Ja, im Grunde hat er die beste Wahl getroffen (von seinem damaligen Standpunkt), doch er denkt, heute würde er es vielleicht anders machen. Er möchte eine Ahnung davon haben, welche Erfahrungen er gemacht hätte, wenn er dem Ruf gefolgt wäre, und stellt sich eine anders gestellte Weiche in seinem Lebensweg vor. Nun geht er langsam das fiktive Stück und erlebt, wie es sein könnte, in Marseille zu wohnen und zu arbeiten, welche Erfahrungen er machen und welche Ressourcen er dadurch gewinnen würde. Da er sich tief in das Als-ob-Erlebnis hineinversetzt, kann er tatsächlich lernen, genießen und Ressourcen wie Selbstvertrauen und Flexibilität mobilisieren, die hier in ihm besonders gut gewachsen wären. Xaver möchte sich diese Erfahrung mit ihren Ressourcen und den schönen Seiten des Lebens in einer Metropole am Mittelmeer auf den real gelebten Teil seines Lebensweges holen. Dafür lässt er sich Symbole einfallen: die Sonne für das süße Leben, eine Boul-Kugel für Selbstvertrauen und ein kleines weißes Boot für Flexibilität. Diese Symbole legt er auf seinen tatsächlichen Lebensweg, und zwar in die entsprechende Phase. Diese Zeit vollzieht er anschließend noch einmal nach und ist mit seiner Entscheidung nachträglich sehr zufrieden, denn er weiß jetzt, dass ihm nichts fehlt. Im Gegenteil: Jetzt hat er immer noch die Wahl, die er mit größerer Freiheit treffen kann, weil ihm der Süden nicht mehr als verpasste Chance oder verklärte Sehnsucht im Nacken sitzt, sondern eine vertraute Geschichte geworden ist. So geht’s: Zu Entscheidungspunkten zurückkehren. Eine Weiche in den Lebensweg einbauen und die Alternative erkunden. Daraus Ressourcen gewinnen und diese in die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft des "echten" Lebens übertragen. Die Lernfähigkeit des Kindes Ziel: Die natürliche Lernfähigkeit nutzen, die in früheren Lebensabschnitten vorhanden war, am Beispiel der Lernfähigkeit für Sprachen (Peter); eine Lernschwierigkeit meistern, indem Ressourcen vor die Zeit ihres ersten Auftretens gepflanzt werden (Mira). Peter versucht sich schon seit einiger Zeit im Lernen der spanischen Sprache. Es geht zwar vorwärts, doch sehr zäh. Ob es am Alter liegt? Nicht eigentlich, seine Frau Ines lernt noch mit vierzig kinderleicht. Peter erzählt das seiner Beraterin Paula, die mit dem Modell der Zeitlinie kreativ umzugehen weiß. Erstaunlich zu hören, dass er die Lösung selbst ausgesprochen hat: kinderleicht wie damals. Peter schwebt über seiner Zeitlinie weit zurück in jene Phase, in der er die deutsche Sprache lernte. Kinderleicht und spielerisch. Eigentlich gibt es keinen plausiblen Grund, Spanisch nicht ebenso schnell und leicht zu lernen. Auf Paulas Vorschlag hin betrachtet er nun sein vertrautes Spielzimmer von damals und läuft darin umher. Er fühlt sich wie ein Dreijähriger und sein Geist scheint auch so zu funktionieren. Jetzt spricht Paula, aber sie ist plötzlich zu seiner großen Schwester geworden. Sie sagt "Hola" zu Peter und gibt den Dingen in seinem Zimmer interessante Namen. Das Ding mit den vier Holzbeinen und dem Tuch darauf lernt Peter jetzt als "mesa" kennen, das zum Sitzen als "silla". Das Spielzeugauto ist jetzt ein "carro". Gern plappert er nach, was er hört. Erste Mängel in der Aussprache sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht, denn das zeigt www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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nur, dass er ein echter Dreijähriger ist und sich die Welt der Dinge erschließt. Peters Hände wollen alles anfassen, wovon sie spricht — und das darf so sein. Irgendwann kommt Peter wieder in die Gegenwart zurück — und siehe da, er hat zwölf neue Worte gelernt, zu denen er Bilder und Gefühle hat. Er beschließt, sich immer, wenn es um neue Vokabeln geht, in dieses Alter zurückzuversetzen. Einmal da gewesen, fällt ihm das leicht. Und alles, was er hört, verbindet er mit alten Erinnerungen. Er erzählt einem Freund, der Englischlehrer ist, von seiner Methode. "Das ist eine revolutionäre Methode", sagt der. "Auch was das Gehirn anbelangt ist es so: Du aktivierst dein Langzeitgedächtnis und bringst das Neue dahin, wo das Vertraute ist." Peter sagt bescheiden, dass es Paulas Idee war. Mira hat Schwierigkeiten mit Mathe. Es will ihr einfach nicht in den Kopf. Zum Glück hat ihr Frank bereits ausgeredet, dass sie zu blöd sei — es gehe nur um eine Fähigkeit, auf die sie momentan nicht so richtig zugreifen könne. Dennoch, das bringt sie nicht so recht weiter. Darum kommt sie auf Franks Angebot zurück. Tags darauf findet sich die Schülerin neben ihrer Lebenslinie und lauscht den Worten ihres Beraters. In die Vergangenheit solle sie gehen, bis kurz vor die Zeit, als diese vermaledeiten Schwierigkeiten in Mathe angefangen haben. Hier die Frage nach Ressourcen: "Was hättest du gebraucht, damit diese Schwierigkeit erst gar keine Chance gehabt hätte? Wenn es eine Farbe wäre, welche Farbe; wenn es eine Pflanze wäre, welche Pflanze; wenn es eine Landschaft wäre, welche Landschaft; wenn es die Eigenschaft eines Tieres wäre, welches Tier müsste es sein; welche Musik, welcher Freund, welche Freundin wäre die richtige?" Wofür sie was am besten brauchen könne, war die nächste Frage, und dann darf Mira erleben, wie sie mit alldem, was sie sich soeben als Ressourcen ausgesucht hatte, nochmals diesen Lebensabschnitt durchläuft: "Sieh dich in der Landschaft, mit diesen Farben, dieser Pflanze, dieser Musik, diesem Tier und diesem Freund, dieser Freundin." Jetzt kommt noch eine neue Überzeugung hinzu: "Ich bin Mira und ich kann locker und leicht Mathe lernen, behalten und jederzeit anwenden und wiedergeben." Eine gute Formulierung, schließlich reicht es ja nicht, nur zu lernen, das Wissen muss auch abrufbar sein. — Zurück in der Gegenwart, erlebt Mira, was sich verändert hat. Ihre Ressource-Symbole wird sie mitnehmen in die Schule und zu den Hausaufgaben. Sie ist sich einigermaßen sicher, dass sie ihr künftig helfen werden. So geht’s: Sich auf dem Lebensweg in jene Zeit zurückbewegen, als das Lernen besonders gut ging. In dieser Erfahrungswelt lernen, was gelernt werden will (Peter). Vor den Beginn einer Lernschwierigkeit gehen und Ressourcen einfügen, die eine andere Entwicklung ermöglichen (Mira). Modellieren auf der Zeitlinie Ziel: Besondere Fähigkeiten von einem Vorbild, d.h. einem Modell erlernen. Claudia wünscht sich manchmal, sie könnte ebenso gut zaubern wie David Copperfield. Oder wenigstens so tun, als ob. Sie möchte, dass die Zuschauer nicht nur einen aufregenden Abend erleben, sondern beginnen, über die Möglichkeiten des Lebens zu sinnieren. Außerdem gefällt ihr die Ausstrahlung des Magiers, und auch etwas von seinem klaren Verstand und seiner bestechenden Fitness könnte sie haben. Deshalb bittet sie ihren Freund und Modellier-Experten Karl, mit ihr ein entsprechendes Lernexperiment zu unternehmen. Karl hat sich damit beschäftigt, wie besonders erfolgreiche Menschen es eigentlich anstellen, so erfolgreich zu sein. Erfolg, wie Karl ihn versteht, hat wenig mit quälender Arbeit zu tun. Es kommt für ihn zuallererst darauf an, herauszufinden, was man tun will, speziell wenn es um beruflichen Erfolg geht. Wobei Erfolg, streng genommen, all das ist, was erfolgt — was nicht in jedem Fall und für alle Seiten etwas Positives ist. Doch Claudia geht es ohnedies nicht ums Weiterkommen im Job. Sie möchte ihr Leben einfach um ein paar Dinge bereichern. Das Modellieren, erklärt ihr Karl noch, geht normalerweise anders, als sie es gleich erfahren wird. Man kann herausfinden, wie das Vorbild seine Umwelt erlebt und welche Strategien es www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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anwendet, um gewissen Dinge zu erreichen. Ein Beispiel: Wie kam Walt Disney eigentlich zu dieser Fülle an Ideen und wie hat er es angestellt, sie so öffentlichkeitswirksam umzusetzen. Karl spricht Claudia aus der Seele, als er sagt, es gehe vielleicht ganz einfach, spielerisch und eher symbolisch. Sie ist damit einverstanden, zwei Zeitlinien nebeneinander auf den Boden zu legen: ihre eigene und die des David Copperfield, und zwar so, dass sie bequem auf beiden gleichzeitig stehen kann. Zuerst erlebt sie in geraffter Form ihr Leben bis in die Gegenwart, indem sie ihre Zeitlinie abläuft. Sie spürt dabei, an welchen Ereignissen oder Phasen sie des Magiers Fähigkeiten gut hätte brauchen können. Einige Erlebnisse kommen ihr glasklar in den Sinn; sie markiert die Stellen auf ihrem Lebensweg mit Bodenankern. Dann betritt sie die Zeitlinie Davids, phantasiert sich dessen Leben und mischt die Phantasie mit dem, was sie von ihm weiß. Sie durchläuft sein Leben auf seiner Zeitlinie. Das wiederholt sie ein zweites Mal und stellt sich vor, sie nähme innerlich von David auf, was sie benötigt: die Zeit erfinderischen Spielens, die Ermutigung durch andere, den scharfen, genauen Blick und die Freude am Außergewöhnlichen gehören dazu. Karl weist sie darauf hin, nur zu kopieren, nichts von Davids Linie herunterzunehmen, rein vorsorglich. Claudia fühlt sich gut in den Schuhen von David Copperfield. Vor allem scheint vieles jetzt leichter, und was sowieso nicht schaden kann: Sie hat nun eine Sicht der Dinge mehr. Die von David nämlich oder wenigstens die, die sie mit ihm verbindet, was aber an dieser Stelle egal ist. Überall dort, wo sie zuvor eine Bodenmarkierung ausgelegt hat, stellt sich Claudia nun mit einem Bein auf ihre Zeitlinie, mit dem anderen auf die von David. Sie stellt sich vor, wie sie über ihren Körper seine Fähigkeiten in ihr Leben herüberfließen lässt. Dabei verändert sich die Situation, die sie markiert hatte, nicht nur für sie selbst, auch die beteiligten Personen scheinen sich plötzlich ein wenig anders zu verhalten. Nicht dass alles auf einmal anders gelaufen wäre, die ganze Szene stellt sich einfach etwas freundlicher dar. Das ist Magie! Das hat sie bei dem einen oder anderen Reimprinting auch schon erlebt, heute ist es freilich noch etwas stärker. Kein Wunder, schließlich hat sie es mit David zu tun. Etwa eine Stunde ist vorbei, Claudia hat fleißig kopiert und neu erlebt. Energiegeladen betritt sie ein letztes Mal ihre Zeitlinie und spürt nach, was in ihrem Leben sich verändert hat. Was sie dazu gelernt hat, wird sie jetzt in die Zukunft bringen. Hier bieten sich einige konkrete Ereignisse an, etwa ihr Ziel, sich selbständig zu machen. Wie einen Schatz bringt sie ihre neuen Fähigkeiten dorthin und erlebt schon mal, dass vermeintlich problematische Begebenheiten sich auch einmal ganz einfach auflösen können. Damit hat sie zugleich eine alte Überzeugung in den Grundfesten erschüttert: "Umstellungen müssen schwer fallen." Das müssen sie nämlich nicht, jedenfalls nicht zwangsläufig. Und weil sie gerade dabei ist, hat Claudia einen neuen Wert für sich entdeckt: Leichtigkeit. Sie beschließt, künftig mehr Leichtigkeit in ihr Leben zu bringen. Das bringt Karl wiederum auf eine Idee: Wie wäre es, wenn man gleichzeitig oder nacheinander sieben Zeitlinien des Vorbildes auslegte: je eine für sein Umfeld, sein Verhalten, seine Fähigkeiten, seine Glauben und Werte, seine Identität, Zugehörigkeit und Spiritualität. Nacheinander könnte Claudia dann jede dieser Linien betreten und erleben: "Wie gefällt mir Davids Umfeld? Wie das, was er tut und lässt? Was lerne ich von seinen Überzeugungen und Werten? Als wer sah er sich? Wo fühle er sich zugehörig? — Was von all dem möchte ich mitnehmen, wie und wo möchte ich es in mein Leben einbringen?" Bei all dem macht es keinen Unterschied, ob und wie viel wir phantasieren. So zu tun, als ob, ist okay und kommt der "Wirklichkeit" oft näher, als wir annehmen. "Wirklichkeit ist, was wirkt, und dazu gehört all das, was wir uns vorstellen und erleben ", sagt Karl im Brustton einer Überzeugung, die Claudia alles andere als einschränkend findet. Für heute hat sie aber genug modelliert. Jetzt geht sie ein paar Fotos machen. Sie erinnert sich an ihr altes Fotoalbum mit Bildern aus einer Zeit, die sie fast vergessen hatte. Und sie stellt sich vor, wie www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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es wäre, David damals als guten Freund gehabt zu haben. In ihrer Phantasie war er es und sie hat viel von ihm gelernt. So geht’s: Die Zeitlinie des Lernenden und jene des Vorbildes nebeneinander legen, beide Zeitlinien begehen, wichtige Erfahrungen nacherleben und Ressourcen aus dem Lebensweg des Vorbildes in den eigenen fließen lassen. Lösungen in metaphorischen Erfahrungswelten Ziel: Muster in früheren Leben als metaphorische Erfahrungswelt bearbeiten und Lernerfahrungen mit ins Hier und Jetzt nehmen. Bertram sucht die Lösung einmal auf andere Weise. Er wundert sich, warum er immer wieder bei seinen Mitmenschen in Fettnäpfe tritt, obwohl er doch eigentlich nur Spaß machen will. Er probiert es mit einer Rückführung in vergangene Leben und ist sich dabei bewusst, dass die Erfahrung, die er gleich machen wird, eine Schöpfung seines Unbewussten sein wird. Seine Begleiterin, Eleonore, führt ihn zurück, indem sie die Jahrzehnte zurück zählt. Bertram vergegenwärtigt sich derweil das Thema, das er bearbeiten will, und wartet auf Bilder, Gefühle, Klänge. In seiner Kindheit angelangt, erhält er erste Hinweise auf die Entstehung des Problems. Er wollte mit Späßen sein ernstes Dasein aufhellen. Die nächste Sensation erhält er im Jahr 1746. Er sieht sich als Narr am Hof eines absolutistischen Herrschers und fühlt sich im Grunde unglücklich, weil ihn niemand ernst nimmt. Bereits jetzt weiß Bertram, dass das Spannungsfeld "Spaß — Ernst" ein Thema ist, das ihn voranbringt. Er lässt sich dennoch weiter in der Zeit zurückführen. 1022 sieht er sich als Mönch, und auch hier fällt er auf, weil er, jedenfalls nach Meinung des Abtes, zu wenig Ernst an den Tag legt. Dabei ist er sich sicher, dass er ein guter und gläubiger Mönch ist, der viel für das Kloster leistet. Ja, auch am Hof des absolutistischen Herrschers, so fällt ihm jetzt ein, wurde sein Tun nicht ausreichend gewürdigt. Und mit diesem Thema trägt er sich noch heute herum, obwohl seine Umwelt, genau besehen, seine Arbeit durchaus angemessen honoriert. Eleonore leitet ihn an, jetzt positive Lernerfahrungen aus der Zeit als Mönch zu sammeln. Für ihn waren da Echtheit, Spaß und Spiritualität. Er imaginiert, dass ihm andere Mönche einige zusätzlich benötigte Ressourcen geben: Tarnung und Freiheit. Diese Erfahrungen und Ressourcen nimmt er mit in die Zeit als Hofnarr. Er fühlt sich dort jetzt schon etwas sicherer. Es könnte sein, dass seine Gedanken und sein Tun am Hofe durchaus geschätzt waren, obwohl sich niemand so äußerte. Auch für diese Zeit nimmt er Lernerfahrungen mit: Freiheit und die Fähigkeiten, querzudenken sowie zwischen Sinnlos von Sinnvoll unterscheiden zu können. Fehlende Ressourcen waren damals Selbstvertrauen und die Fähigkeit, genau wahrzunehmen. Er lässt sie sich vom französischen Koch am Hofe geben, den er als in sich ruhend und mit einem messerscharfem Verstand ausgerüstet repräsentiert. Mit dieser neuen Balance tritt er in sein aktuelles Leben. Er steht jetzt am Anfang seines Lebensweges, den er sich als Zeitlinie vorstellt. Mit all den Ressourcen und Erfahrungen von damals springt er ins Leben, bewegt sich entlang seines Lebensweges und nimmt viele Veränderungen wahr. In der Gegenwart angekommen, hat er das Gefühl, die Reaktionen seiner Mitmenschen besser einschätzen zu können und sich in seinem Verhalten, vor allem was die Späße anbelangt, danach richten zu können. Er fühlt sich echt und selbstbewusst. Er hat es nun mehr nötig, sich durch ihr Lachen bestätigt zu fühlen. So geht's: Ein Thema aktivieren und damit durch Rückführung, chronologisch oder spontan, in vergangene Leben oder metaphorische Erfahrungswelten gelangen. Dort Lernerfahrungen mitnehmen und Defizite ausgleichen. Mit allen Ressourcen und neuen Erfahrungen den "aktuellen" Lebensweg betreten und Veränderungen wahrnehmen.
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Anliegen für das Lernen in der Gegenwart Die Gegenwart zeigt uns, wo wir gerade sind, in ihr leben die Wirkungen der Vergangenheit, sie ist Keimzelle der Wirkungen auf die Zukunft. Alles spielt sich in der Gegenwart ab, auch unsere Erinnerung und unsere Phantasie, denen sie Richtung, Rahmen und Färbung gibt. Sie zeigt uns den aktuellen Zustand, eine Momentaufnahme verschiedenster biologischer und sozialer Prozesse, die in uns und um uns herum ablaufen. Sie ist der Punkt, an dem diese Prozesse neue Impulse, Richtungen, Veränderungen erfahren können, von innen, von außen oder in der Begegnung von Innen und Außen, die nur hier geschieht. Das Zusammentreffen des Bekannten, des Erwarteten und des Neuen bewirkt Stabilisierung oder Veränderung, Lernen, Anpassung, Korrektur, Neuorientierung, erweist sich als Prüfstein für das bisher Gelernte. Obwohl — streng genommen — jede innere Aktivität, also auch die gesamte Arbeit in Vergangenheit und Zukunft Teil der Gegenwart ist, wollen wir hier "althergebracht" jene Aspekte betonen, welche den Austausch mit anderen Menschen und das Verhalten in der Umwelt betreffen. Dann liegt das Entwicklungspotential der Gegenwart darin, über diesen Austausch und durch das eigene physische Verhalten Glück, Erfüllung und unmittelbares Lernen zu ermöglichen. Wenn die Vergangenheit der Ort der Klärung der Ursprünge und der alten Lernerfahrungen ist, ist die Gegenwart der Ort des neuen Lernens. Wo altes Lernen und neues Lernen zusammentreffen entsteht in der Integration wieder neues Lernen oder eine höhere Stufe des Lernens und der Integration, wie sie Gregory Bateson beschrieb. Lebensweg-Arbeit wäre unvollständig, würde sie nicht dieses neue Lernen betonen und Wege beschreiben, wie es gefördert werden kann. Immer da, wo alte Weltbilder und gegenwärtiges Erleben nicht mehr zusammenzupassen scheinen, ist dies ein Anlass, innere Landkarten "upzudaten". Dies setzt voraus, dass wir die Gegenwart als Erfahrungs- und Ressourcequelle nutzen. So gehört es zu den Herausforderungen jedes Menschen, jene Beziehungen, Situationen und Kontexte zu finden, die eine Weiterentwicklung ermöglichen. Viele der berühmten Interventionen von Milton Erickson hatten genau das zum Ziel, so dass seine Klienten in der Gegenwart neue Lebenserfahrungen machen konnten, welche ihnen wirkliche Entwicklungsschritte ermöglichten. Die Gegenwart ist der Ort des Austauschs, auch des Austauschs zwischen Berater, Coach, Therapeut und Klient, Lernendem, Zeitreisendem. Dieser Austausch ist essentiell daran beteiligt, dass in der Erfahrungswelt des Klienten mehr geschieht als eine Wiederholung des Bekannten. All die Interventionsmuster sind Botschafter der Gegenwart, aber der Austausch zwischen den Arbeitenden geht viel tiefer, umfasst Stimmungen, Gefühle, Gedanken, erstreckt sich auf neurologische Funktionen, ist sogar als Angleichen von EKG und EEG messen. Es geschieht mehr als ein "Angleichen und Führen", denn der gesamte Erfahrungsschatz zweier Menschen steht unbewusst in Austausch. Es ist das neu hinzukommende, was die Welt des Klienten verändert. Der Logiker und Therapeut Matthias Varga von Kibed betont immer wieder die Bedeutung dessen, was "ganz anders" ist, für die Veränderung in Systemen. Dies ist die Chance der Gegenwart. Unsere Gegenwart ist auch das Produkt eines Entwicklungsprozesses, d.h. unserer früheren Entscheidungen und Handlungen. Sie stellt sich als Frucht, Ernte, aber auch als "Karma von Gestern" dar. Wenn wir uns durch innere Veränderungen von alten Entscheidungen, Gefühlen und Handlungen befreit haben und in den Alltag zurückkehren, wird das System, dessen Teil wir nach den alten Mustern geworden sind, uns nicht allzu leicht entlassen. Viele Kräfte kann es geben, die uns wieder in alte Rollen, Gefühle und Positionen zurücktreiben wollen. Hier ist die Gegenwart kein unterstützendes, sondern ein festhaltendes Gebilde — und es bedarf einer starken inneren Klarheit und Ausrichtung, um den Weg der Veränderung fortzusetzen. Die einen lösen diese Thematik in Form einer Revolution, beginnen ein neues Leben und haben auch dafür ihren Preis zu zahlen, andere bevorzugen die Evolution, verändern www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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schrittweise ihre Position, ihr Verhalten und letztlich auch ihren gesamten Lebenskontext. Nicht immer macht es uns die Gegenwart schwer. Gerade wenn es um die Lösung sehr alter und heute für niemand mehr nützlicher Verhaltensmuster geht, kann auch unser gesamtes Umfeld befreit und unterstützend aufatmen. Die systemische Kurzzeit-Therapie, insbesondere die auf Gregory Bateson und Paul Watzlawick gegründete Schule von Paolo Also erarbeitet Problemlösungen durch die Untersuchung der inneren und äußeren Abläufe und Wechselwirkungen, die ein Symptom in der Gegenwart aufrechterhalten. Dieses Problemerhaltungs-System wird durch schrittweise gegenläufige Interventionen gestört und entmachtet, so dass Probleme und Symptome in der Gegenwart verschwinden können, ohne dass die Ursachenklärung in der Vergangenheit erforderlich war. Nach einfacheren Konzepten bietet die Verhaltenstherapie dem Klienten in der Gegenwart einfach das Erlernen sinnvoller neuer Verhaltensweisen und das Verlernen der ungebrauchten an. Brauchen wir also keine Arbeit in der Vergangenheit? Manchmal reicht das eine, zieht sogar das andere wie von selbst nach sich. Jeder Mensch hat offene und geschlossene Türen und bietet jene Zugangsweise an, die der Lösung und Verarbeitung seiner Schwierigkeiten entgegenkommt, der Form seiner Aufmerksamkeit und seinen Bedürfnissen nach Wachstum entspricht. In jedem Fall geht es um Bezugserfahrungen eines funktionierenden, glücklichen Lebens, wo auch immer ein Mensch diese Erfahrungen braucht. Manche Erfahrungen braucht das Kind und es ist gut, dies als Kind nach zu erleben, andere braucht der Erwachsene. Der Schweizer Psychotherapeut Professor Klaus Graue fordert mit seinem integrativen Therapieansatz dazu auf, ursachensuchende (analytische) Verfahren und solche, die sich auf neues Lernen (verhaltenstherapeutisch) konzentrieren in gleichem Umfang in Therapieausbildungen zu integrieren und praktiziert dies seit Jahren mit bemerkenswertem Erfolg. Tiefste Ressourcen finden Ziel: Die tiefste positive Absicht hinter einem Problem oder einer schwierigen Situation finden. Dabei Zugang zu wertvollen Ressourcen finden, welche u. a. das Problem transformieren. Dagmar fragt sich, was wohl die gute Absicht hinter ihrem notorischen "Zuspätkommen" ist, und denkt, der Prozess der Kern-Intention, den sie von Helga kennt, wäre eine gute Möglichkeit, dies zu erkunden und zu verändern. Sie erinnert eine typische Situation: Vor zwei Tagen musste ihr Freund eine Stunde auf sie warten, während sie zu dieser Zeit noch alle möglichen Telefonate und Kleinigkeiten erledigte. Sie begrüßt den Teil, der ihr dieses Verhalten —sicherlich aus gutem Grund —beschert, bittet ihn, ihr gleich die positive Absicht zu nennen, die dahinter steckt, macht dann einen Schritt vorwärts und konzentriert sich darauf, an dieser Stelle die Antwort zu erhalten . "Entspannung" lautet diese, und Dagmar dankt dem Teil für die gute Absicht und sein Bemühen darum. Sie erlebt, wie es ist, so richtig entspannt zu sein, und bittet den Teil, ihr doch gleich die Absicht mitzuteilen, die hinter "Entspannung" steht. Mit anderen Worten: "Wenn diese Intention erreicht ist, was möchtest du dann für mich erreichen?" Die Antwort heißt "wichtig sein". Dagmar repräsentiert sie, indem sie sich vorstellt, wie es wäre, wirklich wichtig zu sein. Fragen nach den nächsthöheren und doch tieferen Absichten führen sie über "Selbstbestimmung" und "Freiheit" schließlich zu "Heimat", ihrer Kern-Intention. Dagmar erlebt, wie es ist, sich ganz geborgen und zu Hause zu fühlen, und verknüpft diesen Zustand mit einer Handbewegung. Mit dieser Qualität geht sie Schritt für Schritt zurück, wobei sich die vorhergehenden Stationen "Freiheit", "Selbstbestimmung", "wichtig sein", "Entspannung" noch einmal verwandeln. Schließlich stellt sie sich mit all den Ressourcen auf den Platz, mit dem sie ihre "Unart" des "Zuspätkommens" verknüpft hat und www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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spürt, wie ihr Antrieb, vor der Verabredung plötzlich alles Mögliche zu tun, verflogen ist. Sie fragt sich, wie sie auch in der Gestaltung ihres Lebens mehr von der Erfahrung "Heimat" verwirklichen kann — und entdeckt, dass das gute Gefühl, das ihr Freund ihr gibt, viel damit zu tun hat, nur hatte sie sich dies vorher nicht wirklich erlaubt. So geht’s: Eine problematische Erfahrung erinnern, mit dem dafür "verantwortlichen" Teil Kontakt aufnehmen, die gute Absicht erfragen. Deren Erfüllung repräsentieren und die gute Absicht hinter dieser Absicht erfahren. Auch diese als Erfüllung repräsentieren — so lange, bis die "tiefste Absicht" erreicht ist. Sich diese Erfahrung (Kern-Erfüllung) innerlich erlauben und damit Schritt für Schritt unter Einbeziehung der vorherigen Ressourcen zur Ausgangssituation zurückkehren, mit diesen das Ausgangsproblem transformieren. Arbeiten Sie allein, können Sie die Stationen auf einen Merkzettel schreiben. — Diese Methode basiert auf dem Core-Transformation-Prozess von Connirae Andreas (1995) Wahlverwandtschaften Ziel: Ressourcen über eine reale oder fiktive Person zu einem wichtigen Zeitpunkt im Leben aktivieren. Vera klagt: "Ach, gäbe es nur einen Sigmund Freud in unserer Familie ...". "Warum eigentlich nicht?", sagt sie sich eines Tages. Siegmund könnte doch ihr Bruder sein, und sei es auf metaphorische Art. Eine Wahlverwandtschaft sozusagen. Vera wünschte sich schon immer einen Menschen, der jene Eigenschaften verkörpert, von denen es in der Familie nicht genug gibt, psychologisches Verständnis zum Beispiel. Also fragt Vera in ihrer Vorstellung Sigmund Freud, ob er bereit sei, in ihrem Leben, als sie dreizehn Jahre alt war, als Bruder aufzutauchen. Speziell in diesem Alter hatte sie dringend jemanden gebraucht, der sie versteht und ernst nimmt. Freud findet das gut, denn er würde dabei auch viel erleben und lernen. Vera geht nun zurück in ihre Vergangenheit, wo nun in ihrer Vorstellung Bruder Sigmund aufgetaucht ist. Sie erlebt, wie er ihr zuhört, wenn sie ihm von ihren Sorgen erzählt. Er weiß spannende Erklärungen, Tipps und hat viele gute Ideen, von denen Vera einige sofort (in der damaligen Zeit) umsetzt. Sogar eine kleine Analyse-Sitzung gibt ihr der Bruder, in der sie im Nachhinein viel über die Beziehung zu ihrer Mutter lernt. So wird der verblichene Psychologe eine echte Ressource-Quelle im Leben der Jugendlichen, die längst schon Erwachsene ist. Gustav — auch ein Einzelkind — gefällt diese Idee gut, hat aber nicht Freud im Sinn, sondern meint, Vera wäre eine ideale Schwester für ihn gewesen. Beide malen sich aus, wie das damals gewesen wäre und wie es heute wäre. Daraus gewinnt Gustav viele wertvolle Anregungen und Einsichten. Oft nennt er Vera "Schwesterchen" und beide verstehen sich seither noch besser. So geht's: Ein Zeit finden, in welcher der Austausch mit bestimmten Menschen hilfreich gewesen wären. Einen Menschen finden, der diese Ressourcen, hat oder gehabt haben könnte. Diesen als Wahlverwandten in die eigene Familie einladen. Die Bereicherung erleben.
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Held und Dämon Wer bewusst lebt, kann Held seines Lebens werden. Helden gibt es seit eh und je. In der Wirklichkeit, in Mythen und Sagen, in jeder Kultur. Bevor sie zum Helden werden, leben sie in einem Königreich, sind glücklich und zufrieden — bis sie merken, dass ihnen etwas fehlt: ein Schatz, Weisheit, Erleuchtung, der heilige Gral ... Auf jeden Fall etwas, das im Königreich nicht zu finden ist. Was tun? Ganz klar, der Held verlässt sein trautes Heim und sucht das, was ihn vollständig macht, denn das kann er nur in der Fremde finden. Auf seinem Weg dorthin muss er Grenzen überschreiten und er begegnet einem Dämonen. Genauer gesagt, er muss mit diesem Dämon kämpfen. Das macht ihn stark. Erst jetzt kann er sich in der neuen Weite das holen, was er braucht. Er kehrt als ein veränderter Mensch zurück, der sein Ziel erreicht hat. Ziel: Barrieren und Ängste überwinden mit Herz und Schwert. Pepe hat beschlossen, ein Held zu werden. Helden des Alltags wollen etwas vollbringen. Was nützt schließlich ein Traum, wenn man ihn nicht einmal ausprobiert? Das Königreich, das Pepe verlassen will, ist das Reich seiner einschränkenden Überzeugungen, in dem es ihm langsam, aber sicher zu eng wird. Ihm fehlt das Vertrauen in seine Fähigkeiten, die ihm ein erfülltes und erfolgreiches Leben ermöglichen könnten. Er ringt sich durch, Schauspielunterricht zu nehmen und nach einer Laientruppe Ausschau zu halten. Das war bisher unvorstellbar oder lag zumindest in ganz weiter Ferne. Pepe weiß, er begibt sich aufs Glatteis. Er erfährt von einer Gruppe, der Termin für das erste Treffen nähert sich. Kurz davor bekommt er es mit der Angst zu tun, doch mit diesem Dämon hat er gerechnet. Er schaut ihm ins Gesicht, glaubt ein Gesicht zu sehen, das ihn hochmütig auslacht ... Damit also will der ihn klein machen. Er nähert sich langsam, doch festen Schrittes dem Dämon, bewegt sich durch Wolken von Gefühlen ... Plötzlich spürt er eine in ihm aufsteigende Kraft. In der einen Hand fühlt er ein Schwert, die andere Hand legt er auf sein Herz. Bevor der Kampf beginnt, verwandelt sich der Dämon in das Bild seines jüngeren Selbst. Es lächelt Pepe an und er lacht zurück. Jetzt ist es ihm möglich, weiterzugehen und er findet sich in einer Gruppe experimentierfreudiger Laienschauspieler wieder. Indem er sich ein Herz fasste und sein jüngeres Selbst wiederfand, hat er schon einige Fähigkeiten gewonnen, die er als Schauspieler braucht. Er berichtet den anderen von seinem Erlebnis. Es regnet aufbauendes Feedback. Einige lächeln. Blicke, die er früher als Auslachen oder Ablehnung verstanden hätte, bauen ihn diesmal auf. Er genießt die Veränderung. Jedenfalls so lange, bis die nächste Barriere in Sicht ist, vielleicht der Sprung ins Profilager? So geht’s: Eine Vision wachsen lassen, sich auf den Weg machen, dem Dämon oder der Angst ins Auge schauen, Ressourcen finden (z.B. Herz und Schwert), die Veränderung erleben, mit neuer Befähigung weitergehen. Wir alle haben einen Helden in uns. Es ist der Teil unserer Persönlichkeit, der die Grenzen der Gewohnheit überschreiten will, der Lebendigkeit sucht, der unserer Lust am Leben Raum und Bedeutung geben möchte. Dieser Teil trachtet vielleicht nach einem neuen Beruf, will eine große Reise machen, sich trauen, jemanden anzusprechen, etwas Verrücktes tun. Er will den Ängstlichen mutig machen und den Angeber zur Bescheidenheit bringen. "Dämonen" nennen wir unsere Ängste und Blockaden. Sie sind die Gegenspieler des Helden und werden durch Heldentaten oder allein durch den Gedanken an sie auf den Plan gerufen: "Das klappt nie!"; "Wie lächerlich!"; "Du doch nicht!" Dämonen wollen uns zurückhalten, und das ist einerseits eine wichtige Prüfung: "Stimmt die anvisierte Richtung oder der Zeitpunkt, will ich es wirklich?" Viel Kraft zieht ein Dämon aus unserer Unsicherheit und Gewöhnung. Seine Worte sind gar nicht so absurd, scheint es uns, weil wir schon schlechte Erfahrungen gemacht haben. Die Frage ist nur, ob es wieder so kommen wird. Dämonen haben die www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Vergangenheit auf ihrer Seite. Der Held hat die Zukunft. Vielleicht ist der Dämon ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit und hat eine gute Absicht. Kampf ist dann nicht die einzige Wahl. Wie wäre es, den Dämon als wertvollen Einwand zu begreifen, ihn zu achten und damit zu zähmen. Wem dies gelingt, der wird zum Magier seines Lebens: die Kräfte von Held und Dämon verbünden und potenzieren sich. Ressourcen austauschen Ziel: Untereinander auf ritualisierte oder kreative Weise Ressourcen für Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft austauschen. Vinzenz hat mit Freunden eine Gruppe für symbolischen Austausch gegründet. Das ist bis jetzt noch etwas ziemlich Einmaliges und bringt ihm mehr, als jedes andere Form von Geselligkeit — etwas Ähnliches erlebt er nur noch, wenn er mit seiner Freundin zusammen ist. Am Anfang sitzen alle im Kreis. Jeder achtet darauf, ob ein Teilnehmer Eigenschaften hat oder haben könnte, die ihm gut tun oder in der Vergangenheit gut getan haben könnten. Dann geht er zu dieser Person und teilt es ihr mit. So sagt Udo zu Vinzenz: "Von deiner Fähigkeit querzudenken hätte ich gerne auch etwas." Vinzenz war sich dieser Fähigkeit überhaupt nicht bewusst, umso erfreuter ist er. Gemeinsam ersinnen die beiden, wie Vinzenz sie symbolisch weitergeben könnte; es soll in Form ein Ringes sein, der für einen Tag in Udos Besitz bleibt. Martin wünscht sich etwas von Udos körperlicher Fitness, am besten wäre es, er hätte die schon in jüngeren Jahren erhalten. Beide verabreden sich zum Waldlauf. Sie joggen nebeneinander und stellen sich vor, dass sie dabei ihren Lebensweg vom Anfang bis zur Gegenwart zurückzulegen und sich zu jeder Zeit das austauschen, was ihnen damals gefehlt hat. Martin erhält einen sportlichen Freund. Da Udo von Martins Scharfsinn beeindruckt ist, soll auch er etwas von der Übung haben: Er nimmt sich vor, diese Fähigkeit beim Laufen auf Martins Lebensweg aufzunehmen. Beide haben beschlossen, auf der Zeitlinie des anderen über den linken Fuß das Gewünschte aufzunehmen und über den rechten das, was sich der Partner wünscht, in dessen Lebensweg fließen zu lassen. Andere aus der Gruppen bieten sich Phantasiereisen an, sprechen zueinander oder schenken sich Symbole, die sie an jenen Ort in der Vergangenheit bringen, wo der Empfänger die Ressource besonders gut hätte gebrauchen können. Manche markieren ihren am Boden ausgelegten Lebensweg an dieser Stelle mit einer Schleife, einem farbigen Zettel oder einer Blume. Susanne hat Klaus ausgewählt und sagt ihm, dass er jene Eigenschaften hat, die sie sich so sehr von ihrem Vater gewünscht hätte. Klaus begleitet sie auf ihrem Lebensweg und verhält sich ihr gegenüber so, wie er sich als Vater verhalten hätte. Susanne atmet auf. Udo sagt Susanne später, dass er sich immer eine jüngere Schwester gewünscht hatte, so eine wie sie. Auch dies erleben die beiden nun auf dem Lebensweg nach. Martin hat für die Gruppe jetzt auch eine Austauschmöglichkeit im Internet geschaffen. Aber die Treffen der Gruppe sind doch nicht zu ersetzen ... So geht’s: In einer Gruppe zusammen sein. Zu einer ausgewählten Person gehen und sie um eine Ressource bitten, die sie verkörpert. Gemeinsam eine geeignete Form der Übergabe finden, am besten ein Ritual oder ein Symbol. Die Ressource an die richtige Stelle auf dem Lebensweg bringen.
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Zwischen Neugier und Erfolg Ziel: Eine Strategie für erfolgreiches Denken und Handeln nutzen. Susanne kann es nicht verstehen. Schon so manches Projekt hat sie erfolgreich zum Abschluss gebracht. Doch ausgerechnet dieses, von dem sie sich so viel erhofft hat ... ausgerechnet dieses Projekt ist irgendwie versandet und ihre Mitstreiter haben sich enttäuscht zerstreut. Mit ihrer Beraterin Uschi will sie der Ursache auf den Grund gehen. Uschi legt vier Bodenmarkierungen für verschiedene Phasen einer erfolgreichen Arbeit aus: Neugier, Begeisterung, Durchhalten und Erfolg. Dann leitet sie Susanne in die erste Phase, die durch Neugier geprägt ist. Mit Uschis Fragen erinnert sich Susanne wieder daran, wann und wo sie zum ersten Mal von diesem Projekt gehört hat. Ihr fällt ein, wie sie damals bemerkte, dass das Thema sehr gut zu ihren bisherigen Fähigkeiten und Interessen passen könnte. Sie begann alle Informationen zu dem Thema in sich aufzusaugen. Sie konnte das kribbelige Gefühl erinnern, wenn irgendwo über das Thema gesprochen wurde. Ein typischer Satz für diese Phase war: "Das könnte etwas für mich sein." Mit dem nächsten Schritt, in der Phase der Begeisterung, war sie sich dann sicher, ihr Thema gefunden zu haben. Wo auch immer sie war, dachte sie an das Thema. Sie steckte sogar einige ihrer Kollegen mit der Begeisterung an. Ihr Satz für diese Phase lautete: "Das ist meine Chance!" Schließlich präsentierte sie den ausgearbeiteten Projektvorschlag ihren Vorgesetzten. Auf der dritten Bodenmarkierung ("Durchhalten") sieht sie sich während der Präsentation an der Metaplanwand stehen und aufgeregt argumentieren. Man dankte ihr für die Präsentation und sagte ihr zu, wieder auf sie zuzukommen. Darauf wartet sie eigentlich noch heute. Ihr Satz für diese Phase "Da hab ich mir aber einiges vorgenommen!" Noch heute glaubt sie, dass das Projekt gut gewesen wäre, doch irgendetwas lässt sie nicht mehr weiter daran arbeiten. Uschi geht mit ihr in eine Beobachterposition. Susanne streift den Frust über den nicht gerade zufrieden stellenden Verlauf ab und betrachtet das Ganze nachdenklich von außen. Nach einer Weile bittet Uschi sie, doch einmal an ein rundum erfolgreiches Projekt zu denken. Nachdem Susanne ein solches einfällt, stellt sie sich wieder auf die verschiedenen ausgelegten Bodenmarkierungen. Dort fallen ihr andere motivierenden Sätze ein, die sie während des Projektes begleitet hatten. In der Phase der Neugier hieß es: "Das muss ich rausfinden!"; "Das passt haargenau zu mir. Das möchte ich machen!", sagte sie sich in der Phase der Begeisterung; später in der Durchhaltphase "Wir werden das Kind schon schaukeln!"; und schließlich in der Erfolgsphase: "Toll! Ich hab’s geschafft!" Den Frauen fällt auf, dass der Satz: "Wir werden das Kind schon schaukeln!" Susanne in der Durchhaltephase viel Kraft, aber auch Gelassenheit gegeben hat, nicht von ihrem Projektvorschlag abzulassen und kleine Rückschläge hinnehmen zu können. Wenn ein Weg versperrt war, konnte sie, indem sie einen Schritt zur Seite trat, ganz neue Perspektiven entdecken. Solche Ressourcen fehlten ihr bei der missglückten Projektidee. "Da hab ich mir aber einiges vorgenommen!" drückte Skepsis aus und war nicht gerade beflügelnd. Susanne richtet ihre Aufmerksamkeit nun auf ihre nicht gerade erfolgreiche Präsentation und probiert, ob sich etwas in ihrer Erfahrung verändert, wenn sie an dieser Stelle einfach nur den Glaubenssatz austauscht und sich sagt: "Wir werden das Kind schon schaukeln!" — Das gelingt ihr nicht, die Wörter bleiben ihr förmlich im Halse stecken. Uschi bittet sie nun, sich die Menschen während der Präsentation anzuschauen und sie mit jenen zu vergleichen, die in dem gelungenen Projekt dabei waren. Susanne fällt auf, dass damals viel mehr Offenheit und manches Lächeln auf den Gesichtern zu sehen war. Diesmal sahen die Gesichter unbeteiligt aus und es wurde kaum gesprochen. Gab es verborgene Hindernisse? Uschi hat eine Idee. Sie bittet Susanne, die Phase rund um die Präsentation aus einem Zustand der Neugier heraus zu betrachten, ausgehend von dem Satz: "Das muss ich herausfinden!" Wie eine Detektivin stellt sich Susanne jetzt vor, alle Geheimnisse um die verschlossenen Gesichter www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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der Vorgesetzten zu erkunden, und lässt den Film "Damalige Präsentation" vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Als sie von den Möglichkeiten und Chancen spricht, die sich aus dem Projekt ergeben, scheint es ihr, als ob der anwesende Chef den Kopf schüttelt. Sie fragt sich, ob das Projekt etwas Negatives für ihn bedeuten könnte. Susanne kennt ihn seit langem, versetzt sich in seine Position hinein und bemerkt, dass sie ihn bei den Vorgesprächen zu dem Projekt einfach vergessen hatte, obwohl alles aus seinem Etat finanziert werden sollte. Das war wenig respektvoll. Auch in die anderen Vorgesetzten versetzt sie sich hinein. Dabei hat sie den Eindruck, dass diese im Moment ganz andere Sorgen haben. Susanne merkt, dass ihr wichtigste Aufgabe jetzt die Kommunikation sein muss. Das motiviert sie und sie sagt zu sich: "Kommunizieren passt zu mir, nichts tue ich lieber als das!" In ihrer Vorstellung erklärt sie nun den Beteiligten, dass es noch zu früh sei, einen fertigen Projektentwurf vorzulegen, denn die Meinungen und Erfahrungen ihrer Vorgesetzten seien für das Gelingen sehr wichtig, aber noch unzureichend berücksichtigt. Deshalb habe sie lediglich eine Diskussionsgrundlage erarbeitet, die sie jetzt präsentiere. Anschließend lade sie alle ein, über folgende Fragen zu sprechen: "Was sind die Chancen und Ziele? Was sind die Einwände und Hindernisse? Wer kann was tun?" Als Kommunikatorin weiß Susanne, dass sie damit die Träumer, die Kritiker und die Handelnden im Team anspricht. In der Tat entwickelt sich ihre Präsentation zu einem Gespräch, in dem sich alle austauschen. Wichtige Einwände, wie Finanzierbarkeit, zeitliche Belastung, Wahl des richtigen Zeitpunkts werden vorgebracht. Jetzt ist Susanne von ihrem Vorgehen überzeugt: "Wir werden das Kind schon schaukeln!" Sie würdigt jeden Beitrag und verspricht, all diese Einwände in ihr Konzept einzubeziehen und in drei Woche einen überarbeiteten Entwurf vorzustellen. Entscheidend für sie ist, dass diese Präsentation in einer guten Atmosphäre endet. "Toll, ich hab’s geschafft!", denkt sie, als ihr das gelingt. Zurück in der Gegenwart, fragt sich Susanne, ob sie daran, dass das Projekt nicht angenommen wurde, im Nachhinein noch etwas ändern kann. "Ausprobieren kann nicht schaden", sagt sie sich und nimmt sich vor, ihren Chef bei passender Gelegenheit anzusprechen, Empathie für seine Situation zu zeigen, Einwände zu sammeln und vielleicht einen neuen Präsentationstermin zu erwirken. "Kommunikation ist spannend", sagt sie sich. So geht’s: Einen Arbeits- oder Lernprozess in die Phasen "Neugier, Begeisterung, Durchhalten und Erfolg" unterteilen. Jede Phase einzeln erleben und mit einem Satz umschreiben. Die Phasen erfolgloser und erfolgreicher Prozesse vergleichen. Darauf aufbauend neue Prozesse entwerfen, um auftretende Schwierigkeiten zu meistern. Die ISERT- Strategie Veränderungsprozesse erfordern passende Zutaten. Intention, Struktur, Energie, Ressourcen und Time (Zeit) sind zentrale Voraussetzungen für jede Entwicklung. Die Anfangsbuchstaben dieser Begriffe ergeben das Wort ISERT. Intention, Struktur und Energie bedingen sich gegenseitig. Liegen zwei der Dinge vor, ergibt sich das dritte, die Ressource mit der Zeit quasi von selbst. Habe ich die wohlgeformte Intention, nach Frankreich zu fahren, und steht mir dazu ein Verkehrsmittel (Struktur) zur Verfügung, so wird sich die nötige Energie schon einfinden. Habe ich ein Auto und geht die Gedankenenergie eindeutig in Richtung Ausflug, so wird sich die Intention ergeben. Im Zweifelsfall fahre ich ins Blaue im Vertrauen darauf, dass mein Unterbewusste die richtige Richtung weiß. Stimmt die Energie für eine gut überprüfte Intention, so kann mich von der Reise ohnedies nichts abhalten. Die Struktur folgt, entweder in Form eines Lotteriegewinns, einer Einladung oder einer ganz anderen Strategie. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Wir sind oft versucht zu glauben, dass es im Leben an Struktur mangelt: Hätte ich doch nur mehr Geld, dann könnte ich mir jeden Wunsch erfüllen. In dieser Haltung können wir uns sicher sein, dass die Rechnung nicht aufgeht, wie uns die enorme Quote der seelisch, geistig und materiell gescheiterten Lottogewinner beweist. Ist unsere Intention nicht wirklich echt, stehen wir nicht mit unserer ganzen Person dahinter, wird uns die Energie fehlen. Stellt sich dennoch Struktur ein, kann das schnell in die Katastrophe führen. Sind wir mit unseren Wünschen jedoch eins, kann uns die ISERT - Strategie die ersehnte Leichtigkeit zurück bringen, denn wir setzen damit automatisch die Energie von positiven Gedanken und stimmigen Bildern und Gefühlen frei, die nötige Information, die Struktur entstehen lässt. Lebensweg-Arbeit hilft uns auf dem Weg zu reinen Intentionen, die sich von manchen unbedacht gefassten Zielen dadurch unterscheiden mögen, dass es authentische Entschlüsse sind, denen keine Persönlichkeitsanteile, keine Überzeugungen und keine Blockaden im Herkunftssystem entgegenstehen. Wir müssen nur darauf vertrauen, dass sich die nötigen Ressourcen mit der Zeit einstellen.
Anliegen des Lernens für die Zukunft Neuro-Linguisten haben die Orientierung auf in der Zukunft liegende Ziele oft zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit gemacht und Methoden formuliert, "wohlgeformte" Ziele zu erarbeiten. Darauf aufbauend wurden vielfältige Strategien zum Erreichen dieser Ziele und zum Lösen etwaiger Behinderungen erarbeitet. — Das heißt, der Blick in die Zukunft steht am Anfang der Arbeit. Und an ihrem Ende: Wenn ein Klient oder ein Lernender neue Wahlmöglichkeiten für die Gestaltung seines Lebens gefunden hat, gehört es zu den Prinzipien des NLP, die Auswirkungen dieser Veränderungen auf sein Leben und sein Umfeld zu erforschen, indem er sich in zukünftige Situationen hineinversetzt und dabei erlebt, ob die Auswirkungen ökologisch, d.h. in allen relevanten Bereichen lebensfördernd sind. Falls nicht, ist die Veränderung noch nicht komplett. Unsere Ziele sind Stationen innerhalb größerer Reisen. Immer mehr Bedeutung gewinnt deshalb die langzeitorientierte Arbeit an Visionen sowie die Suche nach überpersönlicher Sinngebung. Werden diese Elemente mit der Lebensweg-Arbeit verbunden, ergeben sich daraus kraftvolle Mittel, eigene Zukunftsentwürfe zu gestalten, miteinander in Einklang zu bringen und buchstäblich in die innere Vorstellungswelt von der Zukunft einzupflanzen. Manchmal ist es von hohem Wert, einfach herauszufinden, was wir — vielleicht unbewusst — von den vor uns liegenden Jahren erwarten, welche Entwürfe wir bereits innerlich geschaffen haben. Es kann sein, dass es heute schon darauf ankommt, ungünstigen Entwicklungen und potentiellen Problemen entgegenzuwirken, oder darauf, sich vorzubereiten auf das, was unserer ganzen Kraft bedarf. Einen Prozess, alle Beteiligten zukünftiger Situationen mit jenen Ressourcen zu versorgen, die sie brauchen werden, haben wir "Proimprinting" genannt. Jedes Vorausdenken ist ein kleines Stück Zukunftsgestaltung. Auch das Träumen und Phantasieren gehört dazu — ebenso das Durchspielen von möglichen Situationen, das sich Hineinversetzen in Rollen — das "als ob" — Spiel, mit dem sich schon Kinder auf das spätere Leben vorbereiten. Zur Arbeit mit der Zukunft gehört dieses Durchspielen innerer Entwürfe ebenso wie das ihm vorausgehende Entwerfen von Zielen, der Zugang zu Visionen, die Entscheidung zwischen Alternativen und die Lösung von sich anbahnenden Konflikten. Mehr noch können wir von der Zukunft lernen. Wie ist es, unser Leben aus der Perspektive des bzw. der Älteren, Gereiften heraus zu betrachten? Was gewinnt an Bedeutung, wenn unsere Zivilisation neue technische Dimensionen aber auch neue Dimensionen des www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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menschlichen Miteinander erschließt? Was wollen wir mitnehmen, was zurücklassen auf dem Weg ins Morgen? Manchmal ist es sehr wichtig, sich klare Ziele zu setzen, manchmal aber sind diese nur Ausdruck veralteter Denkweisen und Weltmodelle, ein "mehr desgleichen". Welche Ziele also lohnen und wie kann der Lebensreisende die einen von den anderen unterscheiden. Verführer gibt es überall, Weise sind nicht ganz so häufig. Es mag also auch darum gehen, Zugang zu der eigenen, inneren Weisheit zu finden, Prinzipien wie Balance, Ausgleich, die unendliche Spirale der Entwicklung zu entdecken — und mit ihnen die Zutaten von seelischer und körperlicher Gesundheit in das eigene Leben fließen zu lassen. Nicht nur für uns selbst, sondern für das ganze soziale System, dessen Teil wir sind. Bei der Arbeit mit der Zukunft geht es, kurz gefasst, darum, •
Visionen zugänglich zu machen,
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Ziele zu klären, sie in die Zukunft zu "pflanzen" und in ihrer ganzen Wirkung sinnlich zu erleben,
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den Weg zu gestalten, Strategien zu entwickeln, manchmal auch einfach darauf zu warten, was "passiert",
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Ressourcen für leichte und schwierige Zeiten aufzubauen,
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Entscheidungsklarheit zu entwickeln.
Ziele und Visionen in Einklang bringen Ziel: Ziele im Hinblick auf Lebensvisionen überprüfen, anpassen und damit ökologisch machen. Wilhelm hat sich ein Symbol für eine Vision, die er für sein Leben hat, ausgedacht. Es ist Licht, ähnlich einer goldgelben Sonne. In ihr verkörpern sich für Wilhelm die Werte Ganzheit, Energie und Glück. Dieses Symbol befindet sich in einer inneren Vorstellung rechts oben über dem Horizont und seine Strahlen erhellen die Zukunft, erreichen ihn auch in der Gegenwart und wärmen sein Herz. Wilhelm möchte herausfinden, ob sein Ziel, das er sich für das nächste Jahr gesetzt hat, zu seiner Lebensvision passt. Wäre dem nicht so, hätte das Ziel möglicherweise nicht genug Kraft zur Verwirklichung. Wilhelm ist Koch und Konditor und möchte gerne ein Restaurant eröffnen. Eines der gehobenen Klasse, am besten mit großer Terrasse. Er stellt sich vor, wie es wäre, das Ziel bereits erreicht zu haben und erlebt es als Beteiligter. Dann zieht er sich aus der Vorstellung zurück, betrachtet sie als Bild und entscheidet intuitiv, an welchem Platz und in welcher Richtung sich dieses Bild in seinem geistigen Zukunftsraum befindet. Nun vergleicht er die Richtung von Ziel und Vision und stellt fest, dass das Ziel von der Richtung, in welcher die goldgelbe Sonne liegt, abweicht; es liegt weiter unten und weiter links als die Vision. Dies nimmt er zum Anlass, nochmals zu überprüfen, ob das Ziel wirklich stimmig ist, denn ideale Ziele liegen mit der Vision auf einer Linie. Da eine Vision in der Regel bedeutsamer ist als ein Ziel, lohnt es sich, das Ziel in Einklang mit der Vision zu bringen, es zu korrigieren, zu hinterfragen oder in einen größeren Rahmen einzuordnen. Wilhelm macht ein Experiment und schiebt das Ziel in seiner Vorstellung etwas nach rechts und dann nach oben, um es auf eine Linie mit seiner Vision zu bringen. Dabei verändert sich seine Wahrnehmung des Ziels: Arbeitete er vorher häufig nachts, sieht er sich nunmehr bei Tageslicht am Werk. Aus dem Restaurant ist ein Café geworden. Auch der Ort hat sich verändert — er sieht wie in einer Urlaubsgegend aus. In der Tat gefällt Wilhelm diese Vorstellung besser als seine erste und er hat das Gefühl, damit seiner größeren Vision näher zu kommen. Er geht noch einmal in sich und erinnert sich, dass er immer wieder für das hervorragende Eis gelobt wurde, das er herstellen konnte. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Wie also wäre es, ein ganz besonderes Eiscafé zu eröffnen? Damit wäre er von Frühjahr bis Herbst beschäftigt und könnte sich in den Wintermonaten anderen Dingen widmen, besonders dem Schreiben, für das er momentan ohnedies zu wenig Zeit hat. Dieses doppelte neue Ziel malt er sich in den passenden Farben und Gefühlen aus und stellt sich erneut die Frage, in welcher Richtung er es wahrnimmt. Dieses Mal liegt es auf einer Linie mit seiner Vision und fühlt sich ausgesprochen gut an. Unklar ist nur noch der Ort. Hamburg erscheint ihm gar nicht mehr so passend. Vielleicht sollte er sich nach Süden orientieren: Freiburg, die Schweiz oder Frankreich. Wilhelm beschließt, diese Frage seinem Unbewussten zu übergeben und auf Hinweise zu warten. So geht's: Die innere Richtung der Lebensvision bestimmen und ein Ziel bewusst machen. Stimmt die Richtung des Zieles nicht mit der Richtung der Vision überein, das Ziel hinterfragen und, so nötig, verändern. Oder das Ziel in Richtung Vision bewegen und auf "automatische" Veränderungen achten. Das Ziel sollte Teil des Weges zur Vision sein. Die Lösung gibt es schon Ziel: Lösungen in der Zukunft finden und die passenden Ressourcen in die Gegenwart transportieren. Siegfried begegnet in seinem Leben einer immer wiederkehrende Schwierigkeit, für die er einfach keine Lösungsmöglichkeit sieht: Es ist seine Schüchternheit und sein Erröten, wenn er vor Menschen spricht. Diesmal will er experimentieren: Wie wäre es, einfach in die Zukunft zu reisen, dorthin, wo sich das Problem hoffentlich irgendwann in Luft aufgelöst haben wird? Siegfried schließt die Augen, stellt sich seine Zeitlinie vor und schwebt über einer hellen Linie in die Zukunft. Er bittet sein Unbewusstes, ihn dorthin zu führen, wo das Problem gelöst sein wird. Nach kurzer Zeit hört eine innere Stimme "Jetzt!" sagen und taucht in seinen Lebensweg ein. Die Schwierigkeit ist weg, nur wie es dazu kam, weiß er nicht. Siegfried bewegt sich innerlich nun wieder auf seiner Zeitlinie rückwärts. Nach einem kurzen Moment schon hat er das Gefühl, den Punkt erreicht zu haben, an welchem sich die Lösung findet. Ihm ist, als stünde er vor vielen Menschen, die streng schauen. In ihrer Mitte aber bemerkt er ein Kind, das herumläuft, laut ist und sich gar nicht um die bedeutungsvolle Situation schert. Siegfried muss lächeln und plötzlich fühlt er sich entspannt und heiter. Ihm wird klar, dass er sich immer gewünscht hatte, so ein unbeschwertes Kind sein zu dürfen, doch seine Eltern waren sehr streng mit ihm. Spontan beschließt er, das freie Kind in seinem Inneren anzunehmen und nicht mehr auf die Erlaubnis seiner Eltern zu warten. Seine Präsentation wird frech, voller Humor und daher einfach unterhaltsam. Nach diesem Ereignis kehrt Siegfried in die Gegenwart zurück — er nimmt das Bild des freien Kindes, die innere Erlaubnis und die ganze gelungene Erfahrung mit. In der Gegenwart angekommen, fühlt er sich selbstbewusst und sicher. Er fragt sich, was er tun kann, um das innere Kind wachsen zu lassen und beschließt, einer Theatergruppe beizutreten und dort Spielgefährten zu finden. Seinen Eltern gibt er in der Vorstellung respektvoll ein geheimnisvolles Paket zurück, ein Symbol für die Dinge, die er nicht von ihnen übernehmen möchte. So geht's: Ein Problem oder eine Schwierigkeit aktivieren und die Zeitlinie visualisieren. Die Zeit aufsuchen, in der das Problem gelöst ist. Von hier aus zum Zeitpunkt der Lösung zurückgehen, diese erleben und als Ressource-Erfahrung in die Gegenwart tragen. Die Gegenwart so gestalten, dass die Lösung gefördert und stabilisiert wird.
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Zwischen Gestern und Morgen Die meisten Themen verlangen es, bei ihrer Bearbeitung Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft mit einzubeziehen. Die Orte unserer Zeitlinie bedingen und ergänzen einander. Viele Schwierigkeiten, die in der Zukunft entstehen werden, lassen sich erst dann lösen, wenn wir ihre potentiellen Ursachen in der Vergangenheit verändern. Und: Sehr viele Ressourcen für die Meisterung künftiger Herausforderungen finden wir in unserer Vergangenheit und in der Gegenwart. Betrachten wir die Gegenwart als Ist-Zustand oder "Symptom", so liegen in der Vergangenheit die "Ursachen" dafür. In der Zukunft hingegen liegt das "Ziel" , der Zustand, den wir erreichen wollen. Fragen wir uns, was möglich wird, wenn wir dort angelangt sind, so sind wir bei den "Auswirkungen", die das Ziel auf unser Leben hat. Zur Bewältigung etwaiger Konflikte, Hindernisse und Herausforderungen benötigen wir auf diesem Weg Ressourcen oder ganze Veränderungsstrategien. So etwa beschreibt Robert Dilts ein allgemeineres Veränderungskonzept (das SCORE-Modell), welches an dieser Stelle die Einbeziehung des ganzen Lebens in die Veränderungsarbeit verdeutlicht. Betrachtet ein Reisender die Entwicklungen seines ganzen Lebens, kann er Muster und Abläufe erkennen, die im Erleben einzelner Situationen nicht deutlich geworden sind. Da werden langfristige Trends, Lebensskripte, Einseitigkeiten erkennbar, die sich zyklisch wiederholen oder graduell fortsetzen, sei es im beruflichen, gesundheitlichen Bereich oder in Liebe und Partnerschaft. Entwicklungsphasen werden sichtbar, auch solche, die scheinbar immer wieder von vorn beginnen. Indem der Reisende diese Muster erkennt, kann er systemische zusammenhänge und Wechselwirkungen, die über Jahre hinaus wirken, erkennen — und erkennen, was über die Alltagsbewältigung hinaus gut tut, um den Lebensweg in eine glückliche Richtung zu lenken, wo sich etwas im Kreise dreht und wo etwas fast unmerklich, aber stetig zu viel geworden ist. Diese Erkenntnisse helfen gegenzusteuern, manchmal in dem Bewusstsein, dass die gute Wirkung erst nach langer Zeitverzögerung eintreten wird, so wie auch der gegenwärtige Zustand eine lange Zeit für seine Entwicklung gebraucht hat. Weitergehend kann der Reisende über das eigene Leben hinaus Muster und Entwicklungsbögen seines ganzen sozialen Systems erkennen, der Familie, der er entstammt, der Familie, in die er ging, die Rollen, die er im Leben einnahm und jene, die er vermied. Hier Ist der Ansatzpunkt für systemische Interventionen, die einseitige Tendenzen im sozialen Erfahrungsfeld aus multiplen Perspektiven heraus balancieren.
Körpersysteme und Kinesiologie An mehreren Stellen des Buches haben wir auf die Möglichkeit der Kommunikation durch Muskeltests aufmerksam gemacht. Von hier aus öffnet sich uns die Möglichkeit, neurologische Prozesse und energetische Zustände eines Menschen auszutesten und sie durch spezifische Berührungen, Bewegungen und andere Mittel in Balance zu bringen. In diesem Kapitel stellen wir grundlegende traditionelle und neue Modelle vor, welche dieser Arbeitsweise zugrunde liegen.
Zur Geschichte der Kinesiologie Eine entscheidende neuro-physiologische Erweiterung der Kommunikation zwischen Therapeut und Klient findet sich in der Angewandten Kinesiologie und ihren Spezialisierungsrichtungen. Kernelement dieser Arbeitsweisen bilden sogenannte Muskelfunktionstests, in welchen der Therapeut durch geeigneten manuellen Druck die Reaktionsfähigkeit und Stärke ausgewählter Muskeln des Klienten testet. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass das menschliche Muskeln sehr sensibel auf neuro-physiologische Veränderungen jeder Art reawww.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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gieren und somit ein hervorragendes Feedback-System zum Erfassen solcher Veränderungen darstellen. Ursprünglich wurde das Muskeltesten im Bereich der Orthopädie, Chiropraktik und der Physiotherapie praktiziert, um funktionale Schwächen des Organismus zu diagnostizieren. Man fand vielfältige Korrelationen zwischen dem Skelettsystem, aber auch zwischen organischen Erkrankungen und der Schwäche bestimmter Muskeln. Stets erwies sich das Stärken der betreffenden Muskeln als wichtiger Beitrag zur Besserung und zum Aktivieren der Selbstheilungskräfte des Klienten. Der amerikanische Chiropraktiker Dr. George Goodheart verband in den sechziger Jahren auf geniale Weise alle bis dahin bekannten Formen des Testens und Stärkens von Muskeln mit dem Gesundheitsmodell der traditionellen chinesischen Medizin und nannte das entstandene therapeutische System "angewandte Kinesiologie". Er zeigte, dass die Funktionsfähigkeit eines schwachen Muskels unmittelbar durch das Berühren oder Reiben bestimmter Reflexpunkte oder Körperzonen wiederhergestellt werden konnte. Zum einen waren dies Areale, welche das der Zellentgiftung dienende Lymphsystem aktivierten (NeuroLymphatische Zonen), zum anderen Punkte, welche die Blutzufuhr zu Geweben, insbesondere zum Hirn, anregten (Neuro-Vaskuläre Punkte), zum dritten handelte es sich um Punkte auf den überlieferten Akupunkturmeridianen der chinesischen Medizin. Auch das Entlangstreichen entlang eines bestimmten Meridians hatte diese stärkende Wirkung. Ein geschwächter Muskel konnte aufgrund dieser Erfahrungen als Ausdruck eines Ungleichgewichts im Organsystem, im Lymphsystem, in der Blutversorgung oder im Akupunktursystem aufgefasst werden. Erstaunlicherweise zeigte sich, dass die Zuordnungen, welche die Fünf-Elemente-Lehre der Chinesischen Medizin von alters her zwischen Organen und Meridianen getroffen hatte, und jene, die Dr. Goodheart zwischen Muskeln und Organen zusammengestellt hatte, eine gemeinsame Schnittstelle besaßen: Die einem Organ zugeordneten Muskeln wurden durch die Punkte des eben diesem Organ zugeordneten Meridians gestärkt. Damit war es möglich, durch das Testen verschiedener Muskeln sowohl die innere Balance des Energiesystems der chinesischen Medizin wie auch der damit verbundenen Organe zu bestimmen. Dies war in der überlieferten Tradition der chinesischen Medizin bisher nur über die in langjährigem Training zu erlernende Pulsdiagnose möglich gewesen.
Das Energiesystem der fünf Elemente Systemisches Denken ist keine Erfindung der Neuzeit. Es manifestiert sich am deutlichsten in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Seit Jahrtausenden kennt die chinesische Philosophie das Chi, die strömende Lebenskraft, die alles durchdringt. Die fünf Elemente oder Wandlungsphasen machen Chi im täglichen Leben erfahrbar. Alles bewegt sich zwischen den Polen Yin und Yang. Die Fünf Elemente bringen unsere Welt immer wieder neu hervor, halten sie aufrecht und lösen sie wieder auf. Sie treten in allen dynamischen Erscheinungen des Kosmos zutage. In der ursprünglichen Darstellung der Fünf Elemente steht Erde im Mittelpunkt, umgeben von den Elementen Holz, Feuer, Metall und Wasser. Das Element Holz entspricht dem jungen Yang, der Expansion, der aufsteigenden Lebenskraft Chi, die sich im Frühjahr und im Beginn des Tages manifestiert; das Yang beginnt sich zu entfalten. Die Tage werden länger und wärmer, das Licht nimmt zu. Die Pflanzen sprießen, Blätter und Triebe bilden sich. Der Höhepunkt der Entfaltung des Yang, die Zeit der Blüte, entspricht dem Element Feuer. Es ist das gereifte Yang, das seine Zeit im Sommer und mittags hat, wenn die Tage am längsten und wärmsten sind. Mit Beginn der Abkühlung ist das Leben vom Element Metall geprägt, das junge Yin. Die Früchte reifen, die Säfte und die Lebenskraft ziehen sich zunehmend zurück. Die Blätter verfärben sich und sterben ab. Das Element Wasser beschließt den Zyklus der Jahreszeiten. Es entspricht dem gereiften Yin, der stärksten Verdichtung, dem Winter und der Nacht. Das Leben zieht sich ins Innere zurück, www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Dunkelheit und Kälte herrschen über die Erde, die von Eis und Schnee bedeckt ist. Erde als das fünfte Element ist in diesem System keine eigene Kraft, Erde entspricht vielmehr der Gravitation, ist Resultat aus Flieh- oder Yang-Kräften und Anziehungs- oder Yin-Kräften. Erde bezeichnet einen Stabilitätszustand zwischen Ausdehnung und Zusammenziehen. Erde erscheint in den Übergangszeiten, also zwischen Winter und Frühjahr, Frühjahr und Sommer, Sommer und Herbst und Herbst und Winter. Sie nimmt jeweils die Eigenschaften der benachbarten Zeiten auf: Die Erde-Zeit zwischen Winter und Frühjahr beispielsweise trägt die Charakteristika von Winter und Frühjahr. Ohne Yang gibt es kein Yin und ohne Yin kein Yang. Mit anderen Worten: Alle Dinge und Erscheinungen tragen ihr Gegenteil in sich und bilden damit eine Einheit. Beide Prinzipien hängen voneinander ab. Yin ernährt Yang, Yang schützt Yin. Das Yang, der aktivere und veränderlichere Aspekt, formt und gestaltet das Yin, das Körperlichere, Materiellere. Yin, als Ausdruck der Materie, bietet den aktiven Kräften des Yang Widerstand und erhält die Kraft des Yang. Beide Prinzipien sorgen für das Wechselspiel des Chi (japanisch: Ki, auch spirit oder prana genannt). Ohne Chi gibt es keinen Gedanken, keine Emotionen und Körperfunktionen, eben kein Leben. Chi lässt sich nicht definieren. Dennoch arbeitet die traditionelle chinesische und japanische Medizin erfolgreich damit; Chi umschreibt eine energetische Wirkung mit bestimmter Zielrichtung. Das Chi zu lenken und zu beherrschen ist zentrales Thema der östlichen Meditations- und Kampftechniken wie Tai Chi, Qi Gong oder Aikido und Judo. In unserem Körper fließt Chi vor allem im Kreislauf der Meridiane (Leitbahnen). Wir spüren es in willkürlicher und unwillkürlicher Bewegung wie Atmen oder dem Herzschlag, geistiger Tätigkeit, Entwicklung, Wachstum, Reifen und Altern. Chi schützt den Körper vor Kälte, Wind, Viren und Bakterien und ist die Quelle harmonischer Transformation. Um Chi zu erfahren, können Sie ein Experiment machen: Bringen Sie beide Arme in Brusthöhe und reiben Sie Ihre Handflächen fest und schnell aneinander, so lange bis die Hände sehr warm werden. Dann halten Sie Ihre offenen Handschalen in einem Abstand von etwa dreißig Zentimeter zueinander und bewegt sie langsam aufeinander zu. Je näher sich die Handflächen kommen, desto deutlicher werden Sie ein Prickeln und Strömen erleben. Manchmal ist die Empfindung so stark, dass die Hände zu zittern beginnen und es schwierig wird, sie zusammen zu bringen. Die fünf Elemente der Wandlungsphasen halten einander im Gleichgewicht, erzeugen sich gegenseitig und dämmen sich gleichzeitig in ihrer Wirkung ein. Harmonie erleben wir, wenn diese Kräfte im Gleichgewicht sind. Die Traditionelle Chinesische Medizin kennt zwei Zyklen, die dieses Gleichgewicht beschreiben: den Nährungszyklus und den Kontrollzyklus. Sie zeigen, wie die Elemente zueinander in Beziehung stehen. •
Der Nährungszyklus (oder "Mutter-Kind-Beziehung") beschreibt den Übergang von einer Wandlungsphase zur nächsten. Das Mutter-Element nährt, fördert, unterstützt sein Kind, das im Zyklus folgende Element: Holz nährt Feuer, Feuer nährt Erde, Erde nährt Metall, Metall nährt Wasser und Wasser nährt Holz.
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Der Kontrollzyklus (oder "Großmutter-Enkel-Beziehung") beschreibt die natürliche Kontrolle und Begrenzung des "Enkels" Wachstums durch die "Großmutter", deren Aufgabe in der chinesischen Großfamilie die Erziehung der Enkel war: Holz kontrolliert Erde, Erde kontrolliert Wasser, Wasser kontrolliert Feuer, Feuer kontrolliert Metall und Metall kontrolliert Holz.
Unter physiologischen Bedingungen sind Nährungs- und Kontrollzyklus gleich stark, die Elemente im Gleichgewicht. Jedes wird von jeweils zwei Kräften aktiv beeinflusst und übt seinerseits Einfluss auf zwei Kräfte aus. Am Beispiel des Holz-Elements: www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Holz nährt Feuer, Holz kontrolliert die Erde, Holz wird kontrolliert durch Metall, Holz wird genährt (erzeugt) durch Wasser.
Diese Kräfte sind ständig wirksam. Erhebt sich aber ein Element über ein anderes (Exzess), dann ist das Gleichgewicht der Elemente untereinander gestört und die physiologischen Kräfte, die die Elemente aufeinander ausüben, machen uns früher oder später krank. Am Beispiel des Holz-Elements: •
Holz unterdrückt die Erde (exzessive Kontrolle = Unterdrückung)
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Holz verachtet das Metall (es entzieht sich der Kontrolle)
•
Holz überfordert die nährende Funktion des Wassers
Ein "Exzess im Holzelement" hat somit Auswirkungen in den Elementen Erde, Metall und Wasser. Um die Auswirkung von "Exzess" und "Unterdrückung" zu verstehen und zu diagnostizieren, unterzieht man die einzelnen Elemente einer Überprüfung. Dabei bedient sich der Heilkundige seit Jahrtausenden dem Meridiansystem, in dem sich die Elemente in der Physiologie des menschlichen Körpers manifestieren. Jedem der fünf Elemente sind jeweils ein Yin- und ein Yang-Meridian zugeordnet, nur das Feuer-Element hat zwei Yin- und zwei Yang-Merdiane. Element-Meridian-Zuordnungen: Element
YIN
YANG
Metall
Lungenmeridian
Dickdarmmeridian
Wasser
Nierenmeridian
Blasenmeridian
Holz
Lebermeridian
Gallenblasenmeridian
Feuer
Herzmeridian Kreislauf-Sexus-Meridian
Dünndarmmeridian Dreifacher Erwärmer
Erde
Milz-Pankreas-Meridian
Magenmeridian
Neben den Meridianen, die auf die 5 Elementen bezogen werden, sind zwei weitere von besonderer Bedeutung: Das Zentralgefäß und das Konzeptionsgefäß. Sie haben Einfluss auf die Regulation des gesamten Energiezirkulation im Körper und auf die Thymusdrüse. Die Regulation des Energieflusses innerhalb und zwischen den Meridianen ist über ein komplexes System von Akupunkturpunkten möglich, die sich entlang der Meridiane auf der Körperoberfläche befinden und auf unterschiedliche Weise stimuliert werden können. Die Angewandte Kinesiologie und das von Dr. John F. Thie Anfang der 70er Jahre entwickelte System zur Selbsthilfe touch for health verbinden die Chinesische Energielehre mit einem eher westlichem Verständnis von Körper und Psychologie. Dies tun andere Richtungen dieser Disziplin wie die Pädagogische Kinesiologie, die Lerngymnastik brain-gym und die mehr auf Körper-Seele-Geist-Integration orientierte Disziplin three in one concepts. Kinesiologen integrieren Wissen und Methoden von Physiotherapeuten, Osteopathen, Ärzten, Pädagogen, Chiropraktikern, Heilpraktikern, Psychologen in ihre Arbeit. Sie gehen von einer Wechselbeziehung zwischen Körper, Geist und Seele aus. "ganzheitlich" heißt hier: In jedem Teil ist das Ganze repräsentiert, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Krankheit oder andere Widerstände im Leben verstehen sie als Aufforderung, etwas zu lernen und zu www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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verändern, - physisch, emotional, mental und seelisch. Über spezifische Fragestellungen (siehe unter...) und über vorsichtiges Sondieren der Muskelreaktion (siehe oben) wird Kontakt und Kommunikation mit der "Inneren Weisheit" hergestellt und herausgefunden, welche Veränderungen Priorität haben und was zur Förderung ganzheitlicher Gesundheit gebraucht wird. Das Meridiansystem ist das Bindeglied zwischen Körper und Geist. Durch seine Diagnose können wir erkennen, welche Bereichen gut mit der Lebensenergie Chi versorgt sind, und wo sie uns fehlt. Um herauszufinden, welche Meridiane geschwächt sind, führen wir Muskeltests durch, wobei wir bestimmte Testpunkte berühren, die den Meridianen zugeordnet sind. Aktivieren wir später die geschwächten Meridiane oder beseitigen dortige Energieblockaden, so können wir auf diesem Weg beispielsweise den emotionalen Stress aus vergangenen Erfahrungen lösen und diese verarbeiten. Eine Schlüsselrolle im Energiesystem des Körpers spielt die Thymusdrüse, deren Namen sich vom griechischen thymos = Lebensenergie herleitet. Sie liegt in der Mitte der Brust und nimmt eine zentrale Funktion im Immunsystem ein. Sie reguliert und harmonisiert den Energiestrom im gesamten Körper und ist als weitere Schnittstelle zwischen Körper und Geist als erstes Organ von seelischen Belastungen betroffen. Pessimismus, negative Gefühle und sogar abweisende Gesten unserer Mitmenschen können die Thymusdrüse schwächen. Solcher Stress wirkt sich zudem nachteilig auf die Zusammenarbeit der beiden Hirnhälften aus, was uns im Allgemeinen daran hindert, kreative Lösungen für das stresserzeugende Problem zu finden. In der Aktivierung der Thymusdrüse liegt bereits ein Schlüssel zur Besserung: Sie können Ihren Energiehaushalt wenigstens ansatzweise ausgleichen, indem Sie leicht und rhythmisch auf den Thymuspunkt in der Mitte der Brust unter dem oberen Teil des Brustbeins klopfen, dabei sich vielleicht positive Affirmationen für die Thymusdrüse sagen.
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Meridiane und Emotionen. Sowohl mit der Thymusdrüse als auch mit jedem einzelnen Meridian und den ihm zugeordneten Organen sind bestimmte positive und negative Gefühle verknüpft. Teils scheinen die einem Meridian zugeordneten Gefühle ganz und gar nicht verwandt, doch die Tabelle ist das Ergebnis langer empirischer Forschung. Meridian
Organe
Negative Gefühle
Positive Erfahrung
Lunge
Lunge
Verachtung, Hochmut, Ich bin demütig, tolefalscher Stolz rant, bescheiden.
Leber
Leber
unglücklich
Ich bin glücklich, habe Glück, bin fröhlich.
Galle
Gallenblase
Wut, Jähzorn
Ich wende mich anderen voller Liebe zu.
Milz-Pankreas
Milz, Bauchspeicheldrüse
Realistische Zukunftsängste
Ich glaube und vertraue auf meine Zukunft. Ich bin sicher.
Niere
Nieren, Augen, Ohren
Sexuelle Unschlüssig- Meine sexuellen keit Energien sind ausgewogen.
Dickdarm
Dickdarm, Blinddarm, Rektum
Schuld
Ich bin innerlich rein und gut. Ich bin es wert, geliebt zu werden.
Kreislauf-Sexus
Nebennieren- und Geschlechtsdrüsen
Bedauern, Eifersucht, sexuelle Spannung, Starrsinn
Ich lasse die Vergangenheit los, bin großzügig und entspannt.
Herz
Herz
Zorn, Ärger
Mein Herz ist voller Vergebung.
Magen
Magen, Nebenhöhlen
Ekel, Enttäuschung, Gier, innere Leere, Entbehrung, Übelkeit
Ich bin zufrieden. Ich bin ruhig.
Schilddrüse (Dreifacher Erwärmer)
Schilddrüse, Herzbeutel
Depression, Trauer, Ich bin hoffnungsfroh, hoffnungslos, einsam, leicht und beschwingt. Verzweiflung
Dünndarm
Dünndarm, Zwölffingerdarm
Traurigkeit, Kummer
Ich bin voller Freude, hüpfe vor Freude.
Blase
Blase, Harnröhre
Ungeduld, Frust, Ruhelosigkeit
Ich bin ausgeglichen. Ich bin friedlich.
Thymusdrüse
Hass, Missgunst, Angst
Ich liebe, ich bin dankbar, ich vertraue.
Die in der rechten Spalte dargestellten positiven Gefühle und Erfahrungen entsprechen einem energetischen Optimum in der entsprechenden Körperregion, das Sie erreichen können, www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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indem Sie bestimmte zugehörige Akupunkturpunkte berühren (lassen) und mit den zugehörigen positiven Affirmationen arbeiten.
Das Chakrensystem Das Wort Chakra kommt aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wie Rad. Chakren sind nach indischer Philosophie Energiezentren im menschlichen Körper. Sie nehmen Energien auf, verarbeiten sie und geben sie ab. In überlieferten Schriften werden bis zu 88.000 Chakren erwähnt. Die meisten davon sind sehr klein und von untergeordneter Bedeutung. Für unsere Arbeit interessierten die sieben Hauptchakren, denen man unterschiedliche Rollen für unsere innere Entwicklung zuschreibt: •
Basis-Chakra: Erdenergie und "Bodenständigkeit"
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Sexual-Chakra: Sinnlichkeit, Ausgewogenheit von Geben und Nehmen
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Nabel-Chakra: Willenskraft
•
Herzchakra: Liebe
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Halschakra: Kommunikationsfähigkeit
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Stirn-Chakra: geistige Fähigkeiten, Visualierungskraft
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Scheitel-Chakra: Spiritualität.
Sind alle Chakren geöffnet und aktiv, erleben wir im Bereich der Wirbelsäule so etwas wie eine stabile Energiesäule. Die Energiezentren speisen sich gegenseitig; ist eines beeinträchtigt, zieht es alle anderen in Mitleidenschaft. Die Bewegung der Energie in den Zentren wird mit dem Pendel sichtbar; es zeigt die Drehrichtung der Energie oder eine Blockade. Ist ein Energiezentrum geöffnet und voll funktionsfähig, dreht es sich trichterförmig im Uhrzeigersinn und transformiert die Energie die der Organismus aus dem universalen Energiefeld braucht. Mit der Drehung im Uhrzeigersinn nimmt das Chakra Energie aus dem universalen Energiefeld auf. Ähnlich den Meridianen hängen die Chakren mit bestimmten Körperorganen zusammen. Jede Störung in einem Chakra wirkt sich zum einen früher oder später auf eines oder mehrere dieser Organe aus, zum anderen deutet ein Ungleichgewicht in einem Chakra auf Schwierigkeiten in jenem Bereich unserer Psyche, mit dem es Beziehung steht. Dabei haben wir einen weiteren Zusammenhang erkannt: Die sieben Hauptchakren korrelieren mit dem Modell der Persönlichkeitsebenen, wie in Teil I beschrieben. Hier stellen wir die überlieferten Merkmale und Bedeutungen der Chakren zusammen. Wurzel- oder Basis-Chakra Lage: Zwischen Kreuz- und Steißbein Farbe: Rot Körper: Nebenniere (Drüse), Wirbelsäule, Nieren Thema: Lebenslust. Das Basis-Chakra steht für unsere Verbindung zur Erde und entspricht damit der Persönlichkeitsebene Umgebung. Mit ihm nehmen wir die erdhafte Energie auf, die von hier aus zu den anderen Chakren fließt. Über ein aktiviertes Wurzel-Chakra freuen sich vorzugsweise "bodenständige" Menschen, mit "beiden Beinen im Leben stehen". Menschen mit einem gut entwickelten Wurzel-Chakra strahlen meist eine vitale Frische aus und sind materiell oft recht erfolgreich. Ist das Basis-Chakra blockiert, fehlt es an Antriebskraft. Da die www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Energie nicht fließt, ist der gesamte Körper energetisch unterversorgt. Psychisch könnte das zu einer undifferenzierten Persönlichkeit führen, die schnell zu beeindrucken ist und wenig Ecken und Kanten zu bieten hat. Sexual- oder Sakral-Chakra Lage: Zwischen dem fünften Lendenwirbel und Kreuzbein Farbe: Orange Körper: Keimdrüsen, Fortpflanzungssystem. Regelung des Flüssigkeitshaushaltes. Thema: Lust, Eroberung und Hingabe, Ernährung, das Spiel der Liebe. Das Hauptthema ist Geben und Nehmen. Nicht nur auf körperlicher sondern auch auf emotionaler und mentaler Ebene. Es korreliert mit der Persönlichkeitsebene Verhalten. Ein aktiviertes Sakral-Chakra bedeutet vitales Sexualleben, allgemein Hingabe an eine Aufgabe und Einlassen auf andere Menschen und Modelle der Welt. Es fördert Kreativität in Kunst und Beruf. Ist das Chakra blockiert, so ist der Fluss des Gebens und Nehmens gestört: Körperlich kann sich das in Fettleibigkeit (alles behalten wollen) oder Magersucht (nichts nehmen wollen) äußern. Oder in Schwierigkeiten darin, die eigenen Gefühle zuzulassen oder mit denen anderer umzugehen. Solarplexus-Chakra Lage: Zwischen dem zwölften Brust- und dem ersten Lendenwirbel Farbe: Gelb Körper: Bauchspeicheldrüse, Magen, Leber, Gallenblase, Nervensystem. Symptome, die mit blockierter, nach innen gerichteter Aggression einhergehen (Tumore, Magenleiden). Thema: Macht und Willen, Verstand, Durchsetzung unserer Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse. Damit verbunden sind Kampf, Aggression und Egoismus in positiver oder negativer Ausprägung. Der Solarplexus gilt nach diesem Modell zudem als Verbindung zwischen Emotionen und Intellekt. Wer über ein energetisch ausgewogenes Solarplexus-Chakra verfügt, dem schreibt man natürliche, positive Aggressivität zu, die wir zum Erreichen unserer Ziele brauchen. Der Fluss zwischen Gefühl und Verstand stimmt. Emotionen bereichern die Gedanken, Gedanken werden emotional überprüft. Deshalb ist es mit der Persönlichkeitsebene Fähigkeiten verschwistert. Die Blockade äußert sich einerseits in Kraftlosigkeit, verzerrtem Machtwillen oder in "Aggressionslosigkeit", die freilich bedeutet, dass sich Ärger oder Wut nach innen richten. Das ist ungesund und führt zwangsläufig zu zwischenmenschlichen Spannungen. Herz-Chakra Lage: Zwischen dem vierten und fünften Brustwirbel. Farbe: Grün Körper: Thymusdrüse, Herz, Blut, Vagus, Kreislauf Thema: Liebe. Soziales Denken, Fühlen und Handeln. Das "offene" Herz fühlt sich mit der Welt verbunden, nimmt die Menschen so an, wie sie innerlich sind. Soziale Verantwortung ist keine Frage äußerlicher Zwänge, sondern innerer Werte. Wer auf sein Herz hört, erfährt die tieferen Zusammenhänge des Lebens. "Das Herz kennt Gründe, von denen der Verstand www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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nichts weiß"(Blaise Pascal). Wir ordnen dem Herz-Chakra die Persönlichkeitsebene Glauben und Werte zu. Hals-Chakra Lage: Zwischen siebten Hals und erstem Brustwirbel. Farbe: Blau Körper: Schilddrüse, Atmung, Bronchien, Stimmbänder, Lungen, Speiseröhre Thema: Kommunikation und Wahrnehmung. Das Hals-Chakra verbindet die emotionalen mit den geistig ausgerichteten Chakren und birgt somit unsere (Persönlichkeitsebene) Identität. Ein aktiviertes Hals-Chakra bedeutet stimmige Kommunikation, weil Fühlen und Denken kongruent sind. Die Aktivität der Chakren kann durch Muskeltests ermittelt werden. Es gibt viele Wege, sie untereinander zu harmonisieren oder einzeln anzuregen. Hierzu gehören Berührungen, Imagination, körperliche Übungen und jede andere Art der Lösung von emotionalem Stress. Stirn- oder Mental-Chakra (Drittes Auge) Lage: im Innern des Kopfes, in der Mitte über den Augen Farbe: Violett Körper: Hypophyse, Kopf, Zwischenhirn, Nervensystem Thema: Intelligenz, Vorstellungskraft, bildhaftes Denken, Konzentration. Das dritte Auge ist Sitz der mentalen Fähigkeiten wie bildhaftes Vorstellen und kreative Imagination. Das aktivierte Dritte Auge hilft einer Idee zur ausgereiften, detaillierten Vorstellung. Ist das MentalChakra blockiert, leiden wir häufig unter Stress und Ängsten, es mangelt an langfristigen Perspektiven und Konzentration. Scheitel- oder Kronen-Chakra Lage: auf der Scheitelmitte des Kopfes Farbe: Perlmutt-Weiß Körper: Zirbeldrüse, Gehirn, rechtes Auge Thema und Persönlichkeitsebene: Spiritualität. Über das Kronen-Chakra nehmen wir Kontakt nach "oben" auf und empfangen Inspiration, Intuition und spirituelle Energie. Es verbindet uns mit dem Ursprung allen Seins. Es integriert alle Chakren und die Aspekte des Göttlichen in uns. Ein aktiviertes Scheitel-Chakra bedeutet Weitsicht und Einsicht in tiefe Lebenszusammenhänge, Blockaden äußern sich häufig in tiefer Orientierungslosigkeit und Sinnkrisen.
Der Muskel als Signalgeber Bestimmte Muskeln lassen sich, belegt durch heutige Forschungsergebnisse der Neurophysiologie, als Indikator dafür verwenden, ob ein Ereignis oder eine Vorstellung auf das Gesamtsystem Körper, Seele, Geist eines Menschen stärkend oder schwächend wirkt. Ob es sich um Nahrungsmittel, Musik, Gedanken, Handlungen oder Heilmethoden handelt - unser Körper kann uns damit Feedback darüber geben, ob uns momentan etwas stärkt oder in www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Stress versetzt. Er ist, wenn wir einige Voraussetzungen beachten, ein unbestechlicher Ratgeber. "Der Körper lügt nicht" heißt denn auch der Titel eines Buches von John Diamond. Das Muskeltesten erlernen wir am besten mit einem Begleiter, der es bereits beherrscht. Bewährt hat es sich, den Deltamuskel im Oberarm als Bote zu nehmen, indem beispielsweise der Entdecker seinen linken Arm bei entspannten Schultern waagrecht oder in einem Winkel von etwa 30° zum Boden hält. Knapp über dem Handgelenk drückt der Begleiter mit sanfter Kraft, nachdem er eine Frage oder Aussage an sein Gegenüber gerichtet hat, die sich mit ja oder nein beantworten lässt. "Ist es in Ordnung, an dem Thema jetzt auf diese Weise zu arbeiten?" "Sie nehmen das Angebot x an?" "Heute ist Donnerstag?"... Mit speziellen Emotionstabellen können wir auf diese Weise genau herausfinden, welche Art emotionalen Stresses unsere Klienten in einer bestimmten Situation behindert. Damit ist es uns leichter möglich, die zugehörige Ursprungserfahrung aufzuspüren und ressourcevoll auszugleichen, so dass sie für den Lernenden in Zukunft eine stärkende Erfahrung wird. So verwirklichen wir den Satz "Probleme sind Ressourcen in Verkleidung." Ist der Prozess abgeschlossen, zum Wohle aller? Der Muskeltest gibt auch hier unmissverständlich Aufschluss, ob das Coaching weiter gehen soll oder nicht. Der Muskeltest bzw. die daraus gewonnenen Erfahrungen helfen uns aber auch auf andere Weise, unser Leben gesünder zu gestalten. In Testreihen hat man heraus gefunden, dass uns beispielsweise natürliche Geräusche wie Vogelgezwitscher oder Wasserplätschern sowie klassische Musik stärken, Neonlicht oder elektrisches Brummen dagegen schwächen. Auch gibt es Symbole, die uns in einen energiereicheren Zustand versetzen, man denke an das "Smile-Gesicht", dessen Umkehrung logischerweise entgegengesetzt wirkt. Nicht anders verhält es sich bei unseren Mitmenschen; schauen wir dem Griesgrämigen ins Gesicht, hat das möglicherweise andere Konsequenzen, als dem Frohgelaunten gegenüber zu stehen. Über reines Wasser als Gesundbrunnen haben schon viele Autoren geschrieben. Kaum bekannt ist freilich, dass es uns helfen kann, momentanen Stress abzubauen. Hier funktionieren ein paar Gläser gleichsam wie ein Kühlsystem fürs strapazierte Nervenkostüm. Geht es ums Lösen von Problemen oder Coaching im Hinblick auf stressig erlebte Situationen, kann frisches Wasser eine zusätzliche Quelle der Balance sein.
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Teil III — Veränderung für soziale Systeme Soziale Systeme Überblick. An nahezu allen wichtigsten Lebenserfahrungen sind mehrere Menschen beteiligt, zumindest innerlich. Die Erfahrungsebene der Zugehörigkeit hat eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeit. Überall, wo mehrere Menschen beteiligt sind, können wir dies als ein soziales System betrachten. Es beginnt bei unserem Ursprungssystem, der Herkunftsfamilie, dann folgen all die anderen Beziehungsgefüge, deren Teil wir sind: Freunde, Gruppen, Partner, die Gegenwartsfamilie, Kollegen, Arbeitsteams, Unternehmen, Parteien, Kulturen etc. Manche Systeme wirken in uns fort, auch wenn wir sie nicht physisch um uns haben, weshalb die Arbeit an Mustern der Ursprungsfamilie eine so große Bedeutung auch für die Gegenwart hat. Andere wirken in uns nur, solange wir uns an ihnen beteiligen. Einige Systeme geben uns Zugehörigkeit und Identität, andere nur temporäre Rollen. Was auch immer in sozialen Systemen geschieht, es beeinflusst das Erleben und die Entwicklung seiner Mitglieder, wirkt wie ein unsichtbares Feld auf jeden und wird zugleich von jedem mitgeformt. Wenn wie die Struktur und die Prozesse innerhalb eines solchen Systems zu erkennen und beeinflussen, wird es möglich, sie auch positiv zu verändern. Später in diesem Buch zeigen wir verschiedene Möglichkeiten, dies zu tun. Hier betrachten wir einige Grundlagen. Jedes soziale System besteht aus Menschen, die in ihm auf eine bestimmte Art zusammenwirken. Dabei kann es sowohl um Ziele als auch um ihre zwischenmenschlichen Beziehungen gehen. Im Idealfall ergänzt sich beides. Es ist leichter, gemeinsam etwas zu vollbringen, wenn die Beteiligten sich achten und gut verstehen. Deshalb wohl werden Familien aus Zuneigung oder Liebe gegründet, bilden sie doch den Rahmen für die Entwicklung der nächsten Generation, sorgen für mehr als das gemeinsame Überleben.
Das System Familie Familien unterscheiden sich von anderen sozialen Systemen durch die vorgegebene und dauerhafte Zugehörigkeit, welche sie bieten sowie durch die lange, gemeinsame Geschichte, die ihre Mitglieder teilen. Die freie Wahl, hinzuzukommen oder auszuscheiden, ist höchst beschränkt. Wir treten ein, indem uns das Leben gegeben wird. Auch gekündigt kann niemand werden. Wenn groß gewordene Kinder aus dem Haus gehen, halten sie innerlich das konstruierte Bild der Familie und mit ihm die Bindungen und Beziehungen aufrecht. Die Positionen und Hierarchien bleiben erhalten. Das Kind der Eltern wird immer das Kind dieser Eltern bleiben. Ändern hingegen kann sich, was die Familienmitglieder tun, wie sie miteinander umgehen, einander achten, ihre Rolle und ihr Schicksal annehmen und meistern. Die Ursprungsfamilie hat von allen Gruppen wohl den stärksten Einfluss auf unser Leben. Kein Wunder, die Bande, die uns verbinden, reichen am weitesten zurück — bis zu unseren Ahnen — und sind am tiefsten verankert — bis in unsere Gene hinein. In der Familie liegen jene Beziehungen, die existentiellen Charakter für uns hatten, uns das Leben gaben und für das Überleben sorgten. Wir haben das von Anfang an gemerkt und Strategien entwickelt, um uns die Zuwendung der wichtigen Bezugspersonen zu sichern. Schließlich ging es um die Existenz. Durch Instinkt, Versuch und Irrtum findet ein Säugling die erfolgreichsten Wege heraus, sich einzubringen; Wege, die Aggression, Lachen, Weinen, Unterordnung oder SichtUnsichtbar-Machen genannt werden können.
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Die Familie umgibt uns physisch am dichtesten in den ersten Jahren des Lebens, der Zeit in der wir am intensivsten lernen. Alles, was wir hier als Kind erleben, wird zum Modell für später, einem Modell, das uns hilft oder hindert, uns zu verwirklichen. Ganz gleich, was es im Elternhaus erlebt — wie bei einem Recorder drückt das Kind auf "Aufnahme" und verarbeitet die Gefühle, Stimmen, Gesichter und Handlungen zu Regeln des Lebens. Das ist für seine freie Entwicklung von Vorteil, wenn die familiären Bande lebensfördernde Muster hervorbrachten, was leider nicht immer der Fall ist: zeigt die Mutter dem Kind die kalte Schulter, so wird das zum Zukunftsmodell für die "richtige" Mutter-Kind-Beziehung; es steht für die weibliche Art, Beziehung auszudrücken. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, wie schmerzhaft es damals war. Setzt der Vater auf Härte, so lernt das Kind: Dies ist die männliche Art, Zuwendung zu geben. Hört es immer wieder, dass es eigentlich dumm und wenig wert ist, verinnerlicht es dieses Urteil. Für manche ist es die nächstliegende Strategie das anzunehmen, was ein Elternteil von ihm wollte, um ihm wenigstens auf diese Weise zu gefallen — oder einfach aus der Liebe des Kindes heraus. Was das Kind gelernt hat, wiederholt der Erwachsene zuweilen ein Leben lang. Er findet genau die richtigen Partner dafür. Oder er kämpft dagegen, will auf keinen Fall so sein, wie jenes Elternteil. Die unbewusst verinnerlichten Modelle wirken indes weiter, bis er sie in der Tiefe verändert und bessere findet. — Einigen Menschen gelingt diese Veränderung intuitiv, andere suchen danach, indem sie ihr Leben bewusst nach neuen Mustern gestalten. Wieder andere verarbeiten negative Erfahrungen auf dem Lebensweg, wo sie neue Ressourcen finden und ausgleichen, was ihnen früher gefehlt hat. Jene, um die es im weiteren Verlauf des Kapitels geht, lösen alte familiäre Verstrickungen auf, klären Positionen und Beziehungen und entwerfen ein neues, stimmiges Modell ihres Ursprungssystems. Ein Bild, in welchem jeder eine angemessene Position innehat, Achtung zwischen den Menschen herrscht und jeder seine Verantwortung erhält, auch die für das eigene Leben. Aus der Vielzahl möglicher Arbeitsformen stellen wir weiter unten das Grundmodell von Bert Hellinger (siehe Abschnitt "Familienaufstellungen nach Bert Hellinger") ausführlicher dar.
Genogramme Wer gehört zur Familie? Systemische Therapeuten haben mit dem Genogramm ein Instrument, das sie dabei unterstützt, das System Familie zu untersuchen. Es zum Einsatz zu bringen ist speziell in solchen Situationen sinnvoll, in denen keine anderen Menschen bereitstehen, um in einer Aufstellung die Rolle der Familienmitglieder zu übernehmen. Manchmal wird das Genogramm in Kleingruppen gemeinsam erarbeitet. Es gleicht einer Ahnentafel. So lassen sich auf einer Tafel beispielsweise unter Verwendung bestimmter Symbole die Strukturen der Herkunftsfamilie des Ratsuchenden aufzeichnen. Die Systematik erleichtert es, tatsächlich allen, die zur Familie gehören, einen Platz auf dem Papier zuzuordnen. Auch Abtreibungen, Fehl- oder Totgeburten, Zwillinge und Adoptionen werden erfragt. Das ist wichtig, denn sie können einen großen Einfluss auf die Kommunikation und das Verhalten in einer Familie haben. Sinnvoll ist es, die Familienbande dreier Generationen festzuhalten. Dabei kann man die Verbindungslinien zwischen den jüngeren Generationen länger und weiter zeichnen, während die der Großelterngeneration enger sein kann, denn das Genogramm bietet Platz, wichtige Fakten über die Familienmitglieder festzuhalten. Häufig sind solche Fakten über die Generation der Großeltern weniger bekannt, deshalb wird dort in der Darstellung weniger Platz gebraucht. Ähnlich der Ahnentafel werden den Symbolen die Namen, Geburtsdaten, Religion und eventuell die Todesdaten zugeordnet, falls bekannt, auch die Daten von Heirat oder Scheidung bzw. Trennung. Interessant könnten Berufe, Krankheiten oder die Todesursachen sein. Wenn die Lernenden ihre Familienmitglieder ganz genau kennen, könnten auch ganz spezifische Eigenschaften einzelner Personen vermerkt werden, ebenso wie Bewertungen der familiären Atmosphäre, glückliche Ehen usw. Das Wichtigste bei der Arbeit mit Genowww.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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grammen ist nicht, wie präzise die Fakten sind, sondern vielmehr die Geschichten und Empfindungen, die mit den Fakten und den Personen verbunden werde. Bei dem Gespräch und seiner Visualisierung in Form des Genogramms können die Beteiligten auf Folgendes stoßen: •
Blinde Flecken: Über wen wissen die Lernenden auffällig wenig und warum?
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Tabus: Wurde in den Familien über Scheidung, außereheliche Verhältnisse, uneheliche Kinder, Adoptionen, Totgeburten u.ä. offen gesprochen?
Das Genogramm kann in Vorbereitung einer Veränderungsarbeit wie Familienaufstellung oder eines sich über Generationen einschließenden Reimprintings erstellt werden, in welchem frühere Generationen in die Ressource-Arbeit einbezogen werden. Es eignet sich auch als Grundlage für andere Arbeitsformen, wie die Kommunikation mit den Vorfahren oder die kinesiologische Arbeit mit Muskeltests. Hier ein illustriertes Beispiel eines Genogramms. Dargestellt ist zudem, wer in einem Haushalt wohnt.
Die Welt der Aufstellungen Ergänzende Arbeitsformen in Aufstellungen Erweitern wir das Aufstellungsmodell in Stil und Arbeitsweise, werden uns Beziehungen zu anderen Verfahren deutlich, seien es jene zur Arbeit mit Wahrnehmungspositionen und Bodenmarkierungen, jene zum Reimprinting, zum Psychodrama und viele mehr. Wir möchten Sie auf einige Wahlmöglichkeiten aufmerksam machen, die wir in unserer Praxis mit Gewinn erprobt haben. Natürlich hängt es vom Einzelfall ab, welche davon in einem gegebenen System die Lösungsarbeit unterstützt: Ressourcen austauschen. Oft ist es sinnvoll, dass im System bestimmte Ressourcen zwischen den Beteiligten weitergegeben werden, ohne dass dies anmaßend wäre oder anderen die eigene Verantwortungen genommen würde. Voraussetzung dafür ist, dass eventuelle Verstrickungen zwischen Gebendem und Nehmendem vorher gelöst sind, dass die gebende Person über die betreffenden Ressourcen verfügt und dass die empfangende bereit ist, sie von ihr oder einem Überbringer anzunehmen. Eltern können Kindern neben dem Segen wertvolle Dinge mit auf den Weg geben, auch Kinder dürfen Eltern aus ihrem Reich heraus ein Geschenk machen, ohne deshalb Verantwortung für sie zu übernehmen. Weitergegebene Ressourcen können ein freiwilliger Ausdruck von Zuneigung, Liebe oder Ehrung sein. Ebenso ist es möglich, dass hinzukommende Personen, eventuell auch der Begleiter oder der inzwischen Erwachsene Klient, von außen Ressourcen in das System bringen. Zu Recht bemerken Sie, liebe Leser, die Gemeinsamkeiten mit dem Reimprinting. Unserer Erfahrung nach sind Lösungsbilder noch wirksamere innere Modelle für einen Lernenden, wenn die darin Beteiligten Zugang zu Ressourcen haben. Ob sie den Zugang ganz aus sich heraus oder durch die Anregung von anderen erhalten, ist eine Frage dessen, wie sie am besten lernen. Der Hypnotherapeut Wolfgang Lenk beschreibt in Weber (1998) die Erfahrung, wie ein Familienmitglied nachträglich mit Ressourcen versorgt wird, als wertvolle Ergänzung zu einer bereits heilsamen Aufstellung bei Bert Hellinger. Überbringer. Die Rolle eines Überbringers oder Botschafters wird entweder zusätzlich in das System gebracht oder von einer anderen Person des Systems übernommen. Der Überbringer verkörpert das Rollenmodell, von welchem der Empfänger den Inhalt besonders gut annehmen kann. Oft ist dies eine ältere Person des gleichen Geschlechts, manchmal auch eine spirituelle Gestalt. Vor dem Weitergeben kann der Inhalt noch in verschiedenen Transformationsprozessen verwandelt werden. Hierfür kann der Überbringer, aber auch der Absender Sorge tragen. Beispielsweise kann er von der Natur (Sonne, Mond, Erde, Pflanzen ...) mit Energie angereichert werden oder in klarem Wasser gereinigt werden. Er kann als www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Dung einer Blume dienen, die dann weitergegeben wird, kann sich zu einem Getränk verflüssigen oder im Feuer gehärtet werden. Der Überbringer und der Empfänger finden dann die geeignetste Form des Weitergebens. Das kann über empfangende Hände gehen, aber ebenso gut über die Berührung an bestimmten Körperstellen. In jedem Fall achtet der Empfänger darauf, wie die Annahme für ihn stimmig ist, wie und wo er das angenommene im Körper oder eventuell auch außerhalb von sich am besten repräsentieren kann. Einmal erlebte ich, Bernd, wie etwas sehr Wertvolles — meine Seele — mir symbolisch zurückgebracht wurde. Ein Familienmitglied hatte sie lange gefangengehalten. In der Art der Schamanen hauchte der Überbringer sie mir in die Stirn, berührte dabei Herz und Kopf. Zusätzliche Personen oder Kräfte können hinzugezogen werden und Defizite ausgleichen, die im System liegen. Häufig deuten Defizite im System aber auch auf ausgeschlossene oder vergessene Systemmitglieder, so dass es zunächst wichtig ist, diese systeminternen Ressourcen zu finden und ihnen einen Platz zu geben. Der Klient oder Lernende kann sowohl als die jüngere, als auch als gegenwärtige oder zukünftige Person, die er verkörpert, in das System hineingehen und einbringen, was er in jeder der jeweiligen Gestalt einzubringen hat. Mehrere Perspektiven. Wenn wir mit sozialen Systemen arbeiten, etwa mit einer Familie, kann die Struktur, die z. B. das 14-jährige Kind wahrnimmt, ein sehr andere sein als die des Vaters. Auch die Fragestellung des Kindes wird eine andere sein. Was liegt näher, als für das Kind eine Aufstellung mit seinem Thema durchzuführen und eine für den Vater. Dies kann parallel geschehen. Jede spiegelt Aspekte der Wirklichkeit, jede trägt zur Lösung einer Thematik bei. Diese mehrperspektivische Aufstellungsarbeit ermöglicht es, für jedes Mitglied in einer Weise zu arbeiten, dass alle davon profitieren und miteinander Stück für Stück neue Seiten des großen Diamanten entdecken, den ihr System darstellt. Nicht nur Familienmitglieder, auch im Konflikt befindliche Parteien werden ihr System und den Lösungsweg unterschiedlich repräsentieren. Dazu gehört es, die gefundenen Lösungen wieder in Beziehung zu setzen. Einzelarbeit. Bis jetzt gab es immer Stellvertreter — doch was tun in der Einzelarbeit? Viele Therapeuten haben darüber bereits ihre Erfahrungen ausgetauscht. Dem NLP-Anwender ist die Arbeit mit Bodenmarkierungen vertraut. Wenn es um Konstellationen geht, ist es hilfreich, durch einen Pfeil auch die Blickrichtung darzustellen. Schuhe zeigen als Bodenmarkierungen für die Systembeteiligten auch ohne Pfeil, wo es langgeht. Der Lernende und der Begleiter können über die Schuhe leichter in die Haut jedes Beteiligten schlüpfen. Der Lernende kann sich auf diese Art die Struktur und die Dynamik des Systems Schritt für Schritt erschließen. Dieser Wechsel der Wahrnehmungspositionen fordert vom ihm einige Flexibilität. Natürlich kann auch der Begleiter nacheinander als Stellvertreter für alle Beteiligten fungieren. Imagination. Mit Systemen können wir nicht nur ohne Stellvertreter, sondern auch ohne Bodenmarkierungen arbeiten. Oft reicht die Imagination des Lernenden. In seinem geistigen Raum haben die Mitglieder des Systems ebenso einen Platz wie im physischen Raum. Hier liegt ja die Quelle der letzteren. Die innere Struktur äußert sich in unterschiedlichen Richtungen und Entfernungen, in welchen der Lernende die Personen seines Systems mental erlebt. Er kann mental und emotional mit den Gestalten seiner Imagination Kontakt aufnehmen, zu ihnen sprechen und Antworten empfangen. Und er kann erleben, wie es ist, wenn Positionen der Beteiligten sich ändern. Eine andere Möglichkeit ist die Arbeit mit Zetteln, mit Knöpfen oder Steinen, kleinen Figuren auf dem Tisch, natürlich auch jene mit Papier und Bleistift ... Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt! Im letzteren Fall muss allerdings für jede Veränderung ein neues Blatt gezeichnet werden. Bei derartigen Arbeitsweisen versetzt sich der Lernende nicht mehr physisch, sondern mental in die einzelnen Positionen. Der Zeigefinger, der auf die jeweiligen Stellen auf dem Tisch zeigt, hilft ihm dabei. Metaphorischer Teamentwurf. Eine spielerische Art, die Positionen und Beziehungen eines Teams räumlich sichtbar machen, besteht darin, den Beteiligten besondere Aufgaben zu geben, z. B. gemeinsam einen Baum oder zu malen, welcher die Gruppe symbolisiert. Später www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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fragen wir, mit welchem Teil des Baumes sich jedes Gruppenmitglied identifiziert: mit den Wurzeln, dem Stamm, den Blättern, dem Himmel darüber oder dem Boden. Die Antworten geben Aufschluss darüber, welche Rollen und Funktionen die Einzelnen für sich in der Gruppe sehen. Neben Bäumen sind viele andere Sinnbilder von Zugehörigkeit denkbar, eine Landschaft etwa, oder die Besatzung eines Schiffes. Alternativ zur bildlichen Darstellung haben wir natürlich auch die Möglichkeit, symbolische Strukturen mit Stellvertretern im Raum darzustellen. Eine andere Arbeitsidee besteht darin, dass jedes Gruppenmitglied von sich selbst ein kleines Bild malt, auf dem es mit Farben und Symbole Aspekte der eigenen Persönlichkeit ausdrückt. Es ist dann die Aufgabe aller, die Einzelbilder zu einem größeren Gesamtbild zu vereinen. Auch hier wird jedem Teil ein sinnvoller Platz gegeben. Archetypische Strukturen. Aus vielen Quellen lassen sich weitere Strukturen für problemlösende Aufstellungen entdecken. Wir können beispielsweise die verschiedenen Legeweisen der Tarot-Karten nutzen. Jede Kartenposition ist mit einer Frage verbunden, doch jede Frage wird diesmal nicht von einer gezogenen Karte, sondern von einem Rollendarsteller oder dem Lernenden selbst repräsentiert. Wer tiefer in alte, mystische Weltmodelle einsteigen will, deren Schönheit und innere Weisheit zu schätzen weiß, mag auch die Positionen der jüdischen Kabbala als Aspekte seines Themas aufstellen. Manchmal tut es gut, dass Kreativität und Ehrfurcht, Ernst und Spiel so dicht beieinander liegen können. Ausdruck. Was geschieht, wenn die Stellvertreter die Möglichkeit haben, in bestimmten Phasen ihre Empfindungen und Gefühle zueinander noch ganz anders als bisher auszudrücken? — Der ganze Körper, die Stimme, die Bewegung steht uns zur Verfügung. Viele Methoden, wie Psychodrama und Rollenimprovisation nutzen die Kraft des Ausdrucks, die als Teil eines Veränderungsprozesses eine neue Funktion gewinnt. Oft wird der Organismus erst dann frei für Neues, wenn lang herangewachsene und womöglich unterdrückte Gefühle ausgedrückt werden konnten. Bewegung. Wie ist es, wenn Die Stellvertreter in bestimmten Phasen selbstständig ihre Positionen zueinander im Raum verändern können? Das darf sogar gleichzeitig geschehen, so dass sich alle gemeinsam zu einer veränderten Anordnung arrangieren — die systemische Intelligenz der Beteiligten wir dabei stärker genutzt, der Begleiter nimmt sich zurück. Eine Alternative: Ein am System Unbeteiligter übernimmt als freies Element die Gestaltung und führt die Beteiligten zu der von ihm wahrgenommenen Lösung. Rollenwechsel. Neue Lösungsmöglichkeiten tauchen auf, wenn die Stellvertreter während einer Aufstellung ihre Rollen tauschen können, so dass sie unterschiedliche Systemmitglieder vertreten. Damit wächst das Verständnis der Systemmitgliedern füreinander. Jede Rolle im System wird zudem mit der Wahrnehmungs- und Ausdrucksvielfalt mehrerer Personen ausgestattet und verfügt damit im Laufe der Arbeit über mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Auch der Lernende oder Klient kann während der Arbeit kurzzeitig in einzelne Rollen hineinversetzt werden, um ihm neben der Sicht von außen auch das System innerlich erlebbar zu machen. Sinnlicher Transfer. Der Austausch, d.h. das Geben und Zurückgeben psychischer Inhalte kann über eine sinnliche Transformation erfolgen. Der Gebende nimmt genau wahr, wo und wie er das, was er geben oder zurückgeben will, im Körper repräsentiert, welche sinnlichen Untereigenschaften damit verbunden sind (Gewicht, Form, Farben, Geruch, Klang, Festigkeit, Namen, Symbol etc.), externalisiert dies, so dass die zuvor innerlich erlebten Qualitäten nun außerhalb des Körpers erlebt werden. Manchmal ist das Externalisieren von Inhalten, die ein Mensch endlich abgeben und zurückgeben will, ein kathartischer, körperlich und emotional intensiver Prozess. Manchmal geschieht es in stiller Sammlung. Die externalisierten Inhalte sollten, falls dies nicht automatisch geschieht, in eine Form oder ein Symbol verwandelt werden. Dieses Symbol kann der Stellvertreter nun direkt oder durch einem geeigneten Überbringer an den Empfänger weitergegeben. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Muster des Teamcoaching Bausteine der Veränderung Welche Grundbausteine können für jegliche Form der Arbeit mit sozialen Systemen genutzt werden? Weiter oben haben wir die Komponenten Persönlichkeit, Position, Austausch und Gemeinschaft genannt. In der Tat sind die unterschiedlichsten Veränderungsansätze darauf angelegt, eine wünschenswerte Ausgestaltung dieser Anteile zu fördern. Wünschenswert mag es aus der Sicht der Mitglieder sein, dass sie innerhalb einer Gemeinschaft jene Positionen finden, die sie gern und gut ausfüllen können. Zunächst aber geht es darum, wahrzunehmen und anzuerkennen, was bereits entstanden ist und in der Gegenwart wirkt. Werte und Regeln drücken aus, was von der großen Mehrheit der Gemeinschaft getragen wird und ihre Zusammenhalt prägt. Sie manifestieren sich in den Zielen, den Umgangsformen und in den Überzeugungen, die in der Gruppe herrschen. Neben dem, was offen bekannt gemacht und angesprochen wird, gibt es viele unausgesprochene Regeln, Werte oder Tabus, die dem Veränderungsarbeiter erst nach einiger Zeit der Beobachtung des nonverbalen Verhaltens deutlich werden. Er tut gut daran, die bestehenden Werte und Regeln zu achten, wenn er in der Gruppe wirksam werden will. Manchmal wird es später nötig, an ihnen zu arbeiten. Dies ist dann der Fall, wenn die herrschenden Werte und Regeln die Gruppe an der Erfüllung ihrer Anliegen hindern. Auch werden nicht alle Werte von der gesamten Gemeinschaft getragen, hier geht es um die Integration unterdrückter Anteile und die Herstellung eines zukunftsfähigen Gleichgewichts zwischen mehreren Werten und Zielen. Durch eine wertschätzende Bestandsaufnahme und neue Vereinbarung dessen, was für alle zählt, wächst die Motivation und damit die Kraft der Gruppe. Andere Regeln betreffen Ordnungen oder Prinzipien, welche den Rahmen für die Entwicklung einer Gruppe bilden und keinesfalls veränderbar zu sein scheinen. Im Gegenteil lassen sich verschiedene Probleme in der Gruppe oder Familie darauf zurückführen, dass ihre Mitglieder einzelne dieser Ordnungen verletzen. Hier ist es das Anliegen des Veränderungsarbeiters, die Gruppe dahin zu führen, ihre Beziehungen und Prozesse in Einklang mit diesen Prinzipien zu leben. Bert Hellinger hat derartige Gesetze für die Entwicklung von Familien als "Ordnungen der Liebe" beschrieben. Im nächsten Kapitel gehen wir darauf ausführlicher ein. Ziele und Visionen können vorgegeben sein, sie können aus einem gemeinsamen Prozess aller Beteiligten wachsen, oder auch fehlen. Vorgegebene Ziele, die nicht von den Beteiligten getragen werden, haben wenig Kraft und sind ein erstes Arbeitsfeld für den Veränderungsarbeiter. Viele Wege sind denkbar, will man an den Zielen eines Systems arbeiten. Oft braucht es Langzeitziele und Zwischenziele, die ihrerseits wieder in Strategien, Pläne und Verantwortlichkeiten umgesetzt werden wollen. Die Beteiligten haben neben den Zielen der Gemeinschaft ganz eigene, persönliche. Wo die gemeinsamen Ziele mit denen von Einzelnen nicht kompatibel sind, werden Einwände spürbar, vielleicht auch Kampf und Dissonanz. Der Veränderungsarbeiter tut gut daran, dies ernst zu nehmen und danach zu suchen, wie er alle Stimmen in die Ausrichtung des Gesamtsystems einbeziehen kann. Möglicherweise entwickeln die Beteiligten eine gemeinsame Vision, in der jeder sich wiederfinden kann, die sowohl in seinem Herzen als auch im Kopf einen Platz hat. Visionen erlauben viele Wege und bleiben über Höhen und Tiefen hinaus ein motivierendes Leitbild. Nicht alle Visionen und Ziele indes unterstützen das System dabei, sinnvoll zu wachsen. Nur was zu den eigenen Potentialen und zu dem, was im nächstgrößeren System möglich ist, macht Sinn. In der Gestaltung von Unternehmenszielen nimmt die Potentialanalyse und die Bedarfsanalyse einen wichtigen Platz ein. Gut, wenn dazu auch die Potentiale und der Entwicklungsbedarf der Mitarbeiter gehören. Moderne Großgruppenprozesse, wie open space und Zukunftskonferenz ermöglichen es, Ziele, Visionen und Strategien von allen Beteiligten gemeinsam entwickeln zu lassen — so dass sie auch von allen getragen werden. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Funktionen und Positionen. Jede Position markiert einen Schwerpunkt der Wirksamkeit in der Gemeinschaft. Sie gibt demjenigen, der sie einnimmt, eine Rolle oder eine Funktion. Diese sollte nicht nur zu den Potentialen des Einzelnen, sondern auch zu den Erfordernissen und Möglichkeiten der Gruppe als Ganzes passen. Die Position einer Person kann in Bezug auf viele Aspekte gesehen werden. Nehmen wir als Beispiel eine Gruppe von Menschen, die eine Wanderung machen. Möglicherweise ist da eine Frau, die darauf achtet, dass niemand zurückbleibt; ein Mann, der auf den Weg schaut und viele Karten bei sich hat; einer, der alle mit Späßen erheitert; eine, welche die Schönheit der Landschaft genießt und alle an besonderen Stellen zum Verweilen auffordert. Oft stellt sich die Frage, welche Funktionen eine Gemeinschaft benötigt oder zulässt. Das ist nicht unabhängig von deren Geschichte, ihren Zielsetzungen und davon, wie welche Positionen bisher ausgefüllt wurden. Es ist die Frage nach der inneren Vielfalt und Ausgewogenheit des Systems. Gibt es hier Raum für bunte Wiesen oder nur für Monokultur, werden unterschiedliche Aspekte des Lebens und auch Gegensätze integriert oder müssen einzelne Seiten unterdrückt werden? Es hat sich erwiesen, dass soziale Systeme langfristig umso stabiler und wachstumsfreudiger sind, je weniger Energie sie für die Unterdrückung einzelner Lebensprinzipien aufwenden müssen. Ihre Weisheit besteht darin, jedem Prinzip eine sinnvolle Position innerhalb des Ganzen zu ermöglichen, in welcher es sich in einer Weise verwirklichen kann, die das System bereichert. Was verboten ist, rächt sich und bringt sich auf eine Art ein, die nicht sehr viel Zustimmung finden wird, wodurch die Verbotsschraube natürlich noch stärker angezogen wird. Denken wir an unterdrückte Minderheiten, die zum Terrorismus greifen oder an das Verbot, offen eigene Bedürfnisse zu vertreten, was zu Intrigen und Schuldzuweisungen führt. Natürlich brauchen nicht in jedem sozialen System alle denkbaren Positionen vertreten zu sein — die Balance findet sich dann im Zusammenwirken mit anderen Systemen, deren Profile sich ergänzen. Je autarker ein System sein will oder muss, desto vielfältiger und innerlich ausgewogener sollte es entwickelt sein. Wer an der Veränderung arbeitet, kann über die in einem System vorhandenen und fehlenden Positionen und Rollen wertvolle Aufschlüsse für mögliche Interventionen zur Bereicherung eines Systems gewinnen. Die Frage, wie Funktionen zwischen den Mitgliedern verteilt werden, auf welche Weise der Einzelne seine Position findet und über welche Veränderungsprozesse ein Wechsel möglich ist, bestimmt die Entwicklungsperspektiven der Systemmitglieder und des Systems. Im Fall der obengenannten Gruppe tut jeder, was er gern tut, und hat damit schon seine Position und seine Rolle gefunden. Wenn mehrere das gleiche wollen, bekommt es im Idealfall der Geeignetere, dafür gibt es schließlich Wettbewerb ... Oft hält der eine Position besetzt, der zuerst da war — manchmal bleibt er lebenslänglich, auch wenn es tausend bessere gäbe. Zur Not wird er Diktator und ruiniert lieber das ganze System, als eine einträgliche Position aufzugeben. Andere erreichen Positionen, indem sie sich zur Wahl stellen. Manche tun sich mit anderen zusammen und füllen gemeinsam die gleiche Position aus. Oft ruft das soziale Feld einen Botschafter und gibt ihm eine Stimme, die in dieser Gemeinschaft gebraucht wird — eine, die das ganze System in ein neues Gleichgewicht bringt. Es kann auch ein Revolutionär sein. Dies ist eine Aufzählung nur einiger Möglichkeiten, wie Positionen verteilt werden können — das Arbeitsamt, die Personalabteilungen, die Karriereberater haben viel mehr. Entwicklungsfördernd ist es für ein System, wenn die Menschen, die eine Sache am besten können, dies auch tun dürfen. Hier kann, wer Veränderung herbeiführen will, eingreifen. Kommunikation und Austausch. Von zentraler Bedeutung ist ein fruchtbarer Austausch zwischen den Mitgliedern, einer, der auf guter, möglichst überprüfter Verständigung beruht — ein Austausch in welchem jede/r das geben kann, was er/sie zu geben hat, und das erhält, was er/sie braucht oder mag. Austausch bezieht sich nicht primär auf materielle Dinge. Es kann um Aspekte gehen, wie Wertschätzung, Sympathie, Anerkennung ebenso aber auch um Lernen, Unterstützung oder um den Dialog, das Zusammenwirken, das Miteinander und www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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um gemeinsame Vereinbarungen. Austausch ist also Kommunikation auf unterschiedlichen Ebenen. Damit Zusammenwirken gelingt, ist es wichtig, etwas voneinander zu wissen, sich kennen zu lernen, vielleicht auch selbst mitzuerleben, was der andere erlebt. Vermutungen über den Nachbarn reichen meist ebenso wenig wie Interpretationen oder das berühmte Gedankenlesen. Vorannahmen wollen überprüft sein, Unverständliches will geklärt werden. Ein gutes Miteinander wird immens gefördert, wenn die Beteiligten sich in andere hineinversetzten können. Anders ausgedrückt ist es von großem Wert, wenn die Mitglieder einer Gemeinschaft lernen, ihre Wahrnehmungspositionen zu wechseln, d.h., die Welt auch mit den Augen des Mitstreiters oder sogar der Gruppe zu erleben. Positionen wechseln. Wer sich in die Erfahrungswelt eines anderen hineinversetzen kann, versteht dessen Sicht der Dinge, erkennt, was er braucht und was er zu geben hat. Besonders gut ist es, wenn das Kennenlernen wechselseitig geschieht, wenn also beide Seiten etwas Relevantes aus der Welt des anderen wissen. Je länger und besser sich die Mitglieder eines Teams kennen, desto selbstverständlicher sollte all das sein, aber Zeit allein garantiert noch nichts: Da leben und arbeiten Menschen über Jahre zusammen und sind sich doch fremd geblieben. Einige in diesem Kapitel des Buches dargestellten Formen des Teamcoaching stellen das Wechseln von Wahrnehmungspositionen in den Mittelpunkt der Arbeit. In vielen Arbeitsgruppen gehört es nicht erst seit der Entwicklung des Lean-Management zum Erfolgsrezept, dass Mitarbeiter in bestimmten Zeitabständen die Arbeitsplätze wechseln, so dass jeder die Aufgaben, Erfordernisse und Belastungen des anderen kennt und darauf Bezug nehmen kann. Hierdurch gewinnt der Einzelne ein tieferes Verständnis für das Zusammenwirken der Teilfunktionen im Gesamtsystem und kann das eigene Handeln so ausrichten, dass dieses Zusammenwirken weiter gefördert wird. Je besser wir die anderen und schließlich die Gemeinschaft als Ganzes kennen, desto leichter fällt es uns, im Sinne der Gemeinschaft zu denken und zu operieren. Wenn jeder Beteiligte im passenden Moment das einbringt, was gerade gebraucht wird, entsteht Synergie, jenes Zusammenspiel das mehr möglich macht, als es die Beteiligten einzeln erreichen könnten. Einbeziehen. Wer die Position des anderen kennt, kann das, was jener eventuell noch nicht einmal ausgesprochen hat, einbeziehen und genau das beitragen, was darauf aufbaut. In einer erfolgreichen Fußballmannschaft kennen die Spieler sich so gut, dass sie aufeinander Bezug nehmen, d.h. die Fähigkeiten, Positionen und möglichen Verhaltensweisen der anderen in die Gestaltung der eigenen Aktionen einbeziehen. Im Wettkampf wie dem Schachspiel hilft das Wissen um die inneren Denkprozesse und Strategien des Gegners auf dem Weg zum Sieg. In der Zusammenarbeit ermöglicht das Wissen voneinander, gemeinsam zu gewinnen. Es kommt also darauf an, welche Intentionen die Beteiligten mit ihrem Austausch verbinden. Geht es um Kampf, lohnt es sich, die eigene Position geheim zu halten, sich nicht zu zeigen. Hier erweckt die Neugier des anderen Argwohn. Geht es um gegenseitige Unterstützung, ist sie willkommen, so, wie wir gern einem Arzt alles mitteilen, was er wissen muss, damit er uns helfen kann. Oft sind uns die Intentionen anderer und vielleicht auch unsere eigenen nicht klar. In sozialen Systemen ist dies die Phase, in der sich Vertrauen bildet. Es entsteht durch positive Erfahrungen, auf die manche Gruppe vielleicht schon aufbauen kann, die oft aber erst in kleinen oder großen Schritten erworben werden wollen. Deshalb ist das wechselseitige Kennenlernen mit dem Prozess der Vertrauensbildung verbunden — es kann nicht schneller fortschreiten als dieser. Jede positive Erfahrung mit anderen und mit der Gruppe erlaubt dem Einzelnen, mehr von sich zu zeigen und mehr Anteil an dem zu nehmen, was andere einbringen. Die Art, wie wir die erhaltenen Informationen nutzen, erweitert oder vermindert das Vertrauen. Dies ist ein Lernprozess in dem es natürlich auch Irrtümer und Verletzungen gibt. Entscheidend ist dann, wie wir damit umgehen, welche Lernschritte wir daraus ableiten: uns verschließen, Schuld verteilen oder etwas klären und beim nächsten Mal besser machen? Betrachten wir einen Aspekte des Austauschs, der besonders wichtig für die Bildung von Vertrauen und die Gruppenbildung ist. Es geht um die Frage, ob Geben und Nehmen letztlich www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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einen Ausgleich finden. Natürlich hat das Schenken ohne erwartete Gegenleistung ebenfalls seinen Platz, doch auch hier gibt es etwas, das zurückkommen darf: Dank. Noch etwas: Austausch ist es auch dann, wenn man das Falsche bekommen oder angenommen hat. Gern wird anderen ein schlechtes Gewissen weitergereicht oder ein Auftrag, der den Empfänger überfordert, ganz zu schweigen von dem, was im Mobbing weitergegeben wird. Hier muss herausgearbeitet werden, worum es den Beteiligten wirklich geht, welche alten Erfahrungen sie eventuell wiederholen. Für die Zukunft brauchen sie neue Lernschritte. Hierfür kann es wichtig sein, etwas zurückzugeben, etwas zurückzunehmen und klare Grenzen zu ziehen. Entwicklung der Einzelnen. Die Zukunftschancen für die Persönlichkeiten der Gruppenmitglieder bestimmen den Grad ihrer Motivation — dazu gehört nicht zuletzt die Chance, an der Gestaltung wichtiger Merkmale der Gemeinschaft teilhaben zu können, die eigene Stimme einbringen zu können und die eigenen Intentionen kompatibel mit denen der Gruppe zu gestalten. Umgekehrt braucht der Einzelne eigene Ressourcen für seine Entwicklung dort, wo die Gruppe nicht unterstützend sein kann. Ressourcen können von innerhalb und von außerhalb eines Systems und auch eines Menschen kommen. Wenn jedoch auf Dauer immer nur Energie von außen eingebracht werden muss, kann der Ausgleich im System nicht stimmen. Fast alle Menschen sind heute Teil verschiedener sozialer Systeme, wie Familie, Beruf, Freundeskreis, Interessengemeinschaft. In jedem haben sie andere Positionen inne, erhalten und geben unterschiedliche Dinge. Im Idealfall ergänzen sich diese unterschiedlichen Zugehörigkeiten, im negativen Fall blockiert eine die andere. Dies zu klären ist Sache der Arbeit mit dem Einzelnen, welche die Gestaltung seines Lebens einschließt. Von hier aus kann jedes beteiligte System gesondert untersucht werden. Ein anderer Bereich der Einzelarbeit betrifft die inneren Modelle, welche die Beteiligten von sich, von den anderen und der Welt haben, ihre Werte, Haltungen und Einsichten. Diese stehen in unmittelbarem Zusammenhang damit, worauf sie als Mitglieder eines Systems ihre Wahrnehmung und ihre Aufmerksamkeit richten. Indem sie Erfahrungen anders verarbeiten und deuten, wird es ihnen möglich, sich anders zu verhalten und positive soziale Erfahrungen zu machen. Ein solcher positiver Kreislauf kann mit einer neuen Erfahrung, mit anderen Reaktionen, einem neuen Verständnis oder veränderter Aufmerksamkeit beginnen. Die Zukunftsfähigkeit einer Gemeinschaft, eines Unternehmens wächst demnach mit der Entwicklung jedes beteiligten Menschen. Dazu gehören: •
das Reifen des "Ich" — Lebenserfahrungen verarbeiten, Persönlichkeitsanteile integrieren;
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die Fähigkeit zum Ausdruck des "Ich", zum Verstehen des "Du" und zum Gestalten des "Wir";
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die Fähigkeit, etwas zu geben und zu empfangen;
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die Fähigkeit, Wahrnehmungspositionen zu wechseln;
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die Fähigkeit größere Systeme mitzugestalten.
In der Einzelarbeit kann der Coach persönliche Veränderungsschritte fördern, durch die der Betreffende dann sinnvoll und befriedigend in dem System agieren kann. Der Coach kann aber auch mit dem ganzen System arbeiten und Austausch- und Klärungsprozesse anregen, durch welche die Beteiligten aus der Interaktion im System lernen, wobei sie neue Einstellungen und Verhaltensmöglichkeiten entdecken. Oft ist beides sinnvoll. Der Begleiter wird sich um die Freisetzung von im System vorhandenen Ressourcen bemühen und jene Ressourcen zugänglich machen, die dem ganzen System zu fehlen scheinen. Er sollte die aktuelle Situation der Gruppe, aber auch den Prozess, dessen Teil sie ist, verstehen. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Lebensweg von Gruppen. Das, was in der Zukunft liegt oder nicht liegt, hat einen hohen Einfluss auf Gruppen. Menschen, die Veränderungsarbeit in Systemen leisten wollen, sollten ihre Wahrnehmung darüber hinaus auf deren Entwicklung von der Vergangenheit bis in die Gegenwart richten. Möglicherweise bedarf manche alte Erfahrung der Verarbeitung, manche Entscheidung der Veränderung. Jedes Gruppenmitglied hat parallel gleichzeitig einen eigenen Lebensweg, der mit dem der Gruppe in Beziehung steht. Mitunter ist es erforderlich, beide Wege zu untersuchen und Überlagerungen oder Verstrickungen zu klären, um die Position des Einzelnen, seinpersönliches Wachstum und den Austausch, den er innerhalb der Gruppe hat, mit den Potentialen der Gruppe in Einklang zu bringen. Systeme, denen wir heute angehören, bieten uns entweder eine Fortsetzung unserer Rollen aus früheren Systemen oder sie geben uns die Chance, in neue Positionen und Rollen hineinzuwachsen. Die Veränderungsmodelle der Lebensweg-Arbeit finden hier eine willkommene Anwendung. Wir haben die Wahl, wo wir uns in welcher Rolle einbringen wollen, und wir können ein System, in dem wir keine Entwicklungsmöglichkeiten finden, auch verlassen. Es zeigt sich, dass in vielen Gruppen die gemeinsamen Vereinbarungen, Ziele und Visionen, das Selbstverständnis der Gruppe, ihre Werte, Grenzen und Tabus sowie ihre Zugehörigkeit innerhalb der Gesellschaft wichtige Veränderungspotentiale bergen. Sie sind das Ergebnis des bisherigen Kommunikation zwischen den Gruppenmitgliedern. Doch mitunter war diese unvollständig, so dass wichtige Themen nicht ausreichend geklärt oder sogar verdrängt sind bzw. Vereinbarungen nicht von der gesamten Gruppe getragen werden. Vielleicht fehlt es an Ausgewogenheit oder es gibt sogar unterdrückte Minderheiten. Vielleicht sind die bisherigen Antworten auch einfach veraltet, bieten keinen ausreichenden Rahmen mehr für das, was nachwachsen will. Nicht nur Computerprogramme brauchen Updates. Vielleicht entspricht die gesamte Verteilung der Positionen und Funktionen nicht mehr dem Entwicklungsstand der Teammitglieder. Dann ist es an der Zeit, dass die Beteiligten eine Chance erhalten, eine andere Position einzunehmen, was friedlich, aber auch kämpferisch verlaufen kann. Wenn es an der Zeit ist, nimmt sich ein System die Chance zur Veränderung auch von selbst. Gruppenaufstellungen. Die Arbeitsformen und Gestaltungsmittel von Gruppenaufstellungen lassen sich in der Arbeit mit Systemen auf vielfältige Weise einsetzen. Wie im vorigen Kapitel beschrieben, basieren sie meist darauf, dass die Beteiligten eine Position im Raum einnehmen, die ihre Stellung und Rolle innerhalb der Gruppe, und meist auch ihr Verhältnis zu anderen Gruppenmitgliedern ausdrückt. Ausgehend von dieser Positionierung kann ein Moderator oder Coach verschiedene Veränderungsoptionen anbieten, die dazu führen sollen, dass es allen Beteiligten in der Gruppe zunehmend besser geht. Dies beginnt damit, dass die Einzelnen ihre Befindlichkeit, ihre Wünsche und auch das, was sie zur Veränderung beitragen können, ausdrücken. Oft reagieren die Beteiligten dabei aufeinander. Davon ausgehend bringt der Moderator passende Angebote für eine Verbesserung und Klärung der Beziehungen und für eine Veränderung der Positionen ein. Damit wird es den Beteiligten möglich, sich besser auszutauschen und jene Positionen und Rollen einzunehmen, die ihnen und ihren Beziehungen gerecht werden. Ausgehend vom Problembild einer Gruppe entsteht so ein Lösungsbild. Selbst-Bewusstsein. Die Handlungsmöglichkeiten eines Veränderungsarbeiters werden dadurch mitbestimmt, in welchem Ausmaß er selbst Teil des Systems ist. Er sollte sich dessen gewahr sein, wie alles, was geschieht, auch mit der eigenen Rolle, dem Rang, den Potentialen und dem eigenen Vermögen zu kommunizieren zusammenhängt. Viele Berufe nutzen und benötigen ein gutes Verständnis systemischer Prozesse: Führungskräfte, Coaches, Berater, Supervisoren, Moderatoren, Politiker u.a. Wenn wir eine sinnvolle KernKompetenz oder auch Grundhaltung dieser Veränderungsarbeiter angeben sollten, würden wir die Wertschätzung sich selbst gegenüber und anderen an erster Stelle nennen. Dazu kommt die Fähigkeit, wahrzunehmen und zu akzeptieren, was ist. Nicht um in Problemen zu wühlen, sondern um aus tieferer Einsicht heraus Lösungen zu suchen und zu finden, die oft www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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genug bereits im Problem verborgen lauern ... Lösungen, die zukunftsfähig sind, denn jedes heutige Problem ist schließlich eine Lösung von gestern.
Balance in der Teamentwicklung Wenn wir davon sprechen, dass eine Gruppe nach Ausgleich strebt, bezieht sich das auf viele Aspekte. Manchmal wollen unterschiedliche Energien gleichzeitig zum Ausdruck kommen, manchmal nacheinander, manchmal verkörpern sich diese Energien in unterschiedlichen Gruppenmitgliedern, dann wieder in allen gemeinsam. Vielfalt in Verhalten und Aufmerksamkeit. Wenn in einem Team alle das Gleiche tun und das Gleiche wahrnehmen, mag das zwar ein großes Gemeinschaftsgefühl erzeugen, sinnvoll ist es aber nur, wenn das Team durch andere ergänzt wird, welche die fehlenden Alternativen liefern. Der Blinde braucht den Sehenden, der Denkende braucht den Fühlenden, der Handelnde braucht den Wahrnehmenden usw. Je mehr lebenswichtige Funktionen ein Organismus in sich verkörpert, desto selbstständiger und vollständiger erlebt er sich. Für den Organismus "Gruppe" ist es deshalb von hohem Wert, all diese Funktionen und noch mehr in sich zu verkörpern. Dafür sorgen in einem demokratischen Team die Gruppenmitglieder ohnehin, die Feldkräfte streben nach dem Ausgleich dessen, was unterrepräsentiert ist. Bezogen auf das Verhalten und die Aufmerksamkeit gibt es bestimmte Kategorien, auch "Meta-Programme" genannt, die in einem leistungsfähigen Team vertreten sein sollten: da sollen Ziele erreicht und Probleme vermieden, Dinge verrändert, andere bewahrt werden, man soll sich auf das Allgemeine, wie auch aufs Detail hin ausrichten, Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede werden wahrgenommen; die Fähigkeit zu führen und jene zu folgen sollte vorhanden sein sowie Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken, Vernunft und Intuition ... all das hat seinen Platz. Auf diese Weise ergänzen sich die Gruppenmitglieder und sorgen gemeinsam für alle Aspekte des Lebens. Ein Moderator oder Coach findet wertvolle Anhaltspunkte für eine bereichernde Arbeit mit dem Team, wenn er feststellt, was unterrepräsentiert ist. Ein Trainer erreicht eine Gruppe dann am besten, wenn er etwas von dem einbringt, was dort bisher zu wenig gelebt wird: das kann Humor sein, die Erlaubnis zu fühlen oder es wird ein Ziel erarbeitet. Was fehlt, fehlt manchmal aus gutem Grund, ist eventuell tabuisiert oder verdrängt aufgrund früherer schlechter Erfahrungen oder situativer Notwendigkeiten. Auf Dauer aber führt dies zu Mangelerscheinungen und es mag ein erstes wichtiges Arbeitsfeld eines Beraters sein, den Raum für alle Erfahrungsformen zu öffnen. Das kann über die Arbeit mit vergangenen Erfahrungen geschehen, durch modellhafte neue positive Erfahrungen, durch das positive Umdeuten dessen, was bisher negativ bewertet wurde, an der falschen Stelle saß oder in seiner wichtigen Funktion unerkannt blieb. Manches Verhalten will neu und auf eine angemessenere Art gelernt werden, als sie bisher zur Verfügung stand. Balance der Erfahrungsebenen. Betrachten wir an dieser Stelle erneut die bereits vorgestellten Erfahrungsebenen nach Robert Dilts: Umgebung, Verhalten, Fähigkeiten, Werte und Überzeugungen, Identität, Zugehörigkeit und Spiritualität. Es ist von Bedeutung, dass in einer Gruppe jede Ebene ihre Aufmerksamkeit und vielleicht auch ihre Stimme erhält. Es ist wichtig, dass die Gruppe ihre Aufmerksamkeit auf die Umgebung lenkt, aber auch darauf, dass etwas getan wird. Ebenso kommt es darauf an, dass intelligente Strukturen geschaffen werden, die ein optimales Zusammenspiel ermöglichen, dass die Fähigkeiten der Gruppe als Ganzes wachsen. Denn es sollte gemeinsame Werte und Überzeugungen geben, für die es sich lohnt, einzustehen. Auch das Selbstbild einer Gruppe ist wichtig. In Firmen wird es "Corporate Identity" genannt — Und dies hängt natürlich damit zusammen, wo die Gruppe ihre Zugehörigkeit innerhalb größerer Systeme sucht und findet. Jedes Thema ist für eine Gruppe in einer unterschiedlichen Phasen wichtig. Meist werden bestimmte Gruppenmitglieder gleichsam zu Vertretern bestimmter Ebenen und dies umso mehr, je weniger ihre Themen von den anderen berücksichtigt werden. So sorgen die Beteiligten durch www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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die von ihnen eingebrachten Themen und Stile über die Zeit hinweg für Ausgleich. Da gibt es Phasen in denen man sich besinnt und andere, in denen man handelt, Phasen in denen man diskutiert oder spielt, in denen man nach dem Sinn sucht oder nur auf das Außen reagiert. Völker haben es oft ihren Priestern und Königen übertragen, die höheren Ebenen der Erfahrung, wie Zugehörigkeit und Spiritualität zu pflegen, wenn auch viele von denen dann die Erwartungen enttäuschten. Das ist auch heute ein Thema: Die wenigsten erwarten noch Sinngebung "von oben" und viele suchen doch nach Motivation, Zugehörigkeit und Visionen. Manche Motivationstrainer, die derlei anbieten, haben indes nicht viel mehr als die Show zu geben. Teamentwicklung. Manche Prinzipien des Gleichgewichts wurden Grundlage der Schulen der Teamentwicklung. Beispielsweise zeigt sich, dass erfolgreiche Teams über eine angemessene Verteilung und ein gutes Zusammenspiel so wichtiger Grundfähigkeiten, wie Träumen, Denken und Handeln verfügen. In der Wirtschaft stehen diese Fähigkeiten für Innovation, Strategie und Produktivität. Unterschiedliche Menschen sind Meister verschiedener Disziplinen. Wenn eine Führungskraft nur solche Menschen in sein Team holt, die seinem Arbeitsstil entsprechen, wird er mit Sicherheit eine Einseitigkeit kreieren und einer Synergie der Stile entgegenwirken. Je mehr wir in uns selbst unterschiedliche Stile zulassen und fördern, umso flexibler werden wir in Teams unterschiedliche Positionen einnehmen können. Wenn wir einzelne Aspekte unseres Wesens unterdrücken, beispielsweise das Träumen, so werden wir mit genau jenen "kreativen Spinnern" Schwierigkeiten bekommen, die uns einen Spiegel dessen zeigen, was wir an uns selbst ablehnen. Deshalb stehen innere Teamarbeit und äußere Teamfähigkeit in enger Beziehung. Das eine unterstützt das andere.
Ausgewählte Methoden Gruppenbalance Das Prinzip: Die Gruppenmitglieder stellen sich innerhalb eine Fläche auf "ihren" Platz und erleben sowohl Balance als auch Austausch mit den anderen. Durch Veränderungen in der Position von einzelnen oder Ausrichtung der Gruppe will eine neue Balance gefunden werden. Ziel: Alle richten sich so aus, bis der Austausch am besten klappt. Wie auf einem Floß geht in einem Team nichts über Balance. Um Austausch und Ausgleich in der Gruppe zu erleben oder sich auf ein Projekt auszurichten, macht die Entwicklungsabteilung eine entsprechende Übung. Innerhalb einer gedachten Fläche begeben sich alle nacheinander an eine Stelle, an der sie sich am wohlsten fühlen: der Eine eher an den Rand, um den Überblick zu haben, die andere mehr ins Zentrum. Die meisten ziehen es vor, zu stehen, manche sitzen. Der Blick geht nach außen, nach innen, auf jemand spezielles oder auf alles. Die Teilnehmer bemerken, dass es in bestimmtem Abstand Nachbarn gibt; manche sind sehr angenehm, andere eher gleichgültig. Bewegt sich ein Floßpassagier in eine andere Position, so hat die Gruppe das Bedürfnis, das Ungleichgewicht auszugleichen; man rückt auf oder dreht sich etwas. Verlässt ein Teammitglied das Floß entsteht eine Lücke, die sich so leicht nicht füllen lässt, stellen sie fest. Jeder sucht sich jemanden aus der nächsten Umgebung, einen Nahestehenden sozusagen. Sie tauschen sich aus, schenken sich, was sie glauben zu brauchen. Die Beschenkte kann auch raten, was der Kollege ihr gegeben hat, und sich dann revanchieren. Das selbe tun die Teilnehmer mit einem weiter entfernt stehenden Kollegen und nehmen die Unterschiede wahr, auch die Bedingungen, unter denen der Austausch fruchtbarer sein könnte. Wer will im Hinblick auf ein Gruppenziel seine Position ändern, fühlt sich vielleicht bereit, mehr Führung zu übernehmen zu unterstützen oder zu kontrollieren? Mit anderen Worten: www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Gibt es jemand, der Steuermann, Kapitän, Heizer, Technischer Offizier oder andere Rollen einnehmen will. Jemanden, der sich in seiner jetzigen Position nicht besonders wohl fühlt, weil er zu sehr am Rande oder im Zentrum steht. Nimmt eine Person gefühlsmäßig eine neue Position ein, lässt das möglicherweise Rückschlüsse zu. Die Gruppe kann sich auch dazu entschließen, längst ausgeschiedene oder verstorbene Kollegen vielleicht als Ressourcepersonen ins Feld zu holen, ihnen einen Platz zuweisen und sie vielleicht dadurch nachträglich zu würdigen. Welche Anregungen hätte diese Person auf Lager? Am Ende der Übung sollte sich jedes Mitglied auf einem angenehmen Platz befinden und sich über seine (neue) Rolle klar geworden sein. Das Team würdigt die Position eines jeden, da es erfahren hat, dass durch seine plötzliche Abwesenheit eine Lücke entsteht, die es ausgleichen muss. Den Erfolg vorbereiten Ziel: Die Ressourcen und Potentiale eines Teams bewusst machen und für zukünftige Entwicklung bündeln. Das Führungsteam des Fernsehsenders ist verunsichert. Die Einschaltquoten sind gesunken und in zwei Wochen erwarten der Aufsichtsrat und die Werbeträger ein neues Konzept von ihnen. Joachim, Giselle und Norman haben Jack, ihren Teamcoach, eingeladen. Sie fragen sich, wie sie das alles schaffen sollen und woher sie ein besseres Konzept nehmen sollen. Jack bittet die drei gleich zu Beginn darum, dass sich jeder seine zwei stärksten Ressourcen, die er für das Team einsetzen kann, bewusst macht und jede Ressource auf eine MetaplanKarte schreibt. Mit Ressourcen, so erklärt Jack, sind hier vor allem Fähigkeiten, aber auch Charaktereigenschaften, die das Team bereichern können, gemeint. Jeder stellt anschließend im Plenum seine Ressourcen vor. Joachim erwähnt Ausdauer und Verlässlichkeit, Giselle Kreativität und Intuition, Norman nennt Intelligenz und Kontaktfreude. Die dazugehörigen Karten hängen sie an die Pinwand. Jack meint, dass alle ziemlich bescheiden waren. Da im Team jeder jeden gut kennt, schlägt er vor, dass nun jeder eine Ressource "besondere Qualität" in den beiden anderen findet, die diese noch nicht genannt haben. Giselle sieht in Joachim viel Mut und in Norman ein Organisationsgenie. Joachim sieht in Giselle eine Visionärin und in Norman einen Mann von hoher Flexibilität. Norman sieht in Giselle Schöpferkraft und in Joachim Power. Auch dies wird auf Karten geschrieben, die an die Wand gepinnt werden — und zwar so, dass die auf eine Person bezogenen Karten an einem Platz hängen. Die Stimmung im Team hat sich inzwischen deutlich verbessert, denn jeder war überrascht, welche Potentiale die anderen in ihm erkannten. Jack fragt die drei nun, welche Ressourcen sie zusätzlich bräuchten, um ihre Herausforderung gut meistern zu können. Giselle meint, Selbstvertrauen, Jack spricht von Standfestigkeit, Norman von Kampfeslust. Sie schreiben auch diese Ressourcen auf Karten und platzieren sie an eine andere Stelle auf der Pinwand. Auf diese Karten klebt Jack einen roten Punkt, was so viel heißt, wie "die Ressourcen müssen wir erst noch finden". Jetzt erklärt ihnen Jack, dass Denk- und Handlungsprozesse in verschiedenen Phasen ablaufen, die symbolisch durch die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft beschrieben werden können. Er beschreibt die Elemente genauer: Element Luft: Es braucht eine klare Perspektive, die Licht ins Dunkel bringt. Gibt es eine Vision, wohin die Reise gehen soll? Luft steht für weite Handlungsspielräume, in denen die Betroffenen Platz zum Atmen haben und Initiativen entfalten können. Element Feuer: Die Betroffenen müssen sich für ein Projekt oder eine Veränderung entflammen können. Bewegt sie ein tieferer Grund für die angestrebte Veränderung? Können sie www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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sich für die Schritte begeistern? — Beginnen wichtige Prozesse mit einem Kaltstart, so laufen sie oft ins Leere. Element Erde: Auf der Erde wächst und gedeiht die Natur. Wir brauchen den Nährboden, um Wurzeln zu schlagen, Nahrung und Struktur für Verfestigung zu finden, um stabil und natürlich um geerdet zu sein. Haben die Beteiligten einen festen Boden unter den Füßen? Gibt es sichere, haltbare Strukturen? Element Wasser: das Element der Bewegung. Dinge müssen in Fluss kommen, denn was nicht fließt, stirbt ab. Wasser bringt Initiativen zur Entfaltung. Es gleicht aus und weicht auf, was zu hart geworden ist. Diesen Elementen, so bittet sie Jack, mögen sie nun ihre Ressourcen, die an der Pinwand hängen, zuordnen. Jack hat Karten mit den Symbolen der Elemente im Raum ausgelegt. Gemeinsam wertet die Gruppe aus, diskutiert und legt, wie nachfolgend zusammengefasst, die Ressourcen zu den Elementen: Luft: Feuer:
Intelligenz, Visionärin sein, Schöpferkraft, Kreativität Mut, Power, Kampfeslust (noch benötigt)
Erde: Ausdauer, Verlässlichkeit, Selbstvertrauen (noch benötigt), Standfestigkeit (noch benötigt) Wasser: Intuition, Organisationsgenie sein, Flexibilität, Kontaktfreude Im Raum liegen nun vier "Häufchen" von Ressource-Karten. Erfreut stellt das Team fest, dass alle Elemente gut mit Ressourcen versorgt sind, d.h. dass die ihnen verfügbaren Potentiale dem Vorhaben ein gutes Gleichgewicht geben werden. Auf Anraten Jacks ordnen sich Joachim, Giselle und Norman nun jeweils dem Element zu, das sie am meisten anspricht. Sie tun dies allerdings erst, nachdem sie herausgefunden haben, wie sich jedes Element anfühlt. Joachim mag Erde, Norman das Feuer und Giselle entscheidet sich für Luft und Wasser. Jeder hinterlässt bei "seinem" Element einen symbolischen Fußabdruck in Form einer Unterschrift, die er auf die Element-Karte setzt. Jetzt fragt sich das Team nach den noch benötigten Ressourcen, deren Karten mit einem roten Punkt markiert sind. Woher können die kommen? Giselle findet, dass sie, nachdem sie sich all die Potentiale in ihrer Gruppe bewusst gemacht hat, über sehr viel Selbstvertrauen verfügt. Joachim meint das Gleiche. Also ist diese Ressource bereits nachgewachsen und Jack entfernt den Aufkleber mit dem roten Punkt. Kampfeslust erscheint ihnen allen jetzt nicht mehr unbedingt nötig zu sein. Im Gegenteil, mit Besonnenheit und Klarheit würden sie weiterkommen. Aber etwas mehr Standfestigkeit wäre schön. Sie erinnern sich an den Gründer ihres Senders, Herrn Kirchdorf. Norman hat ihn noch persönlich gekannt und erlebt, mit wie viel Standfestigkeit er seine Projekte verteidigt hat. Es fällt ihnen ein, dass sie über den "Alten" oft nicht sehr respektvoll geredet hatten. Giselle meint, dass sie ihm viel zu verdanken hätten und sie beschließen, das abgehängte Foto von ihm an einen würdigen Platz zu hängen. Plötzlich ist es ihnen, als zwinkere er ihnen zu und sende ihnen Standfestigkeit in ihr Büro. Nachdem die drei eine derart ausgeglichene Verteilung der Ressourcen vorfinden, sind sie davon überzeugt, dass sie das Ganze aus eigener Kraft bewältigen können. Sie legen eine Zeitlinie von der Gegenwart in Richtung Zukunft aus, wählen einen Zeitraum von drei Wochen. In dieser Projekt-Zeitlinie legen sie die Karten Luft, Feuer, Erde und Wasser an jene Stellen, wo sie ihnen besonders wichtig erscheinen. Sie können nacheinander oder parallel ausgelegt werden. Wenn eine Karte an mehrere Stellen soll, wird sie dupliziert. Anschließend bewegen sich die Beteiligten körperlich auf der Linie in Richtung Zukunft und jeder erlebt auf diese Art, welche Ressourcen zu welchem Zeitpunkt aus seiner Sicht wichtig sind. Er erhält die entsprechenden Ressource-Karten von Jack und legt sie an genau jene Stelle auf der www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Zeitlinie. In der Zukunft, am entscheidenden Termin angekommen, haben Giselle, Norman und Joachim übrigens jetzt schon gute Ideen, wie sie die Aufgabe meistern könnten. Giselle wird Langzeitperspektiven vorlegen, über die der Aufsichtsrat nur staunen wird. Intuitiv erfasst sie den Zeitgeist und die Langzeittrends. Norman wird berichten, wie die Zuschauer über das Internet selbst das Programm mitgestalten können. Das erfordert gute Kommunikation. Joachim denkt an Inhalte, die sich von der Konkurrenz abheben, wie die Wahl einer deutschen Exilregierung, die dann von diesem Sender aus operiert, die Verpflichtung wahrer Talente, wie die Autoren dieses Buches oder Jack, und eine Serie darüber, wie ausgewählte Menschen und Teams die Probleme ihrer Zuschauer beispielhaft in ihrem Leben lösen und das Beste daraus machen. All das erfordert Mut. Joachim, Giselle und Norman betrachten die Zeitlinie noch einmal von außen und gestalten aus dem, was sie bisher spontan erarbeitet haben, nun einen detaillierten Plan, denn es ist viel zu tun: Umfrageergebnisse auswerten, Kosten planen, Ausschau nach Angeboten halten, die Internet-Technik klären und alle Ideen täglich verfeinern oder verändern. Sie wissen, wo sie Erde, Feuer, Wasser und Luft brauchen und welche Ressourcen sie an jeder Stelle zur Verfügung haben. Diese sollen auch zum Einsatz kommen. Deshalb verteilen sie zu guter Letzt Verantwortlichkeiten, die mit dem zuvor gewählten Lieblingselement jedes Teammitglieds korrespondieren. Das Team stimmt ab, wer in dem Prozess wann aktiv wird. Jeder klärt, wie er seine Ressourcen und das von ihm favorisierte Element am besten einbringen kann, und gibt mit einem Handschlag sein Wort, dies zu tun. So geht’s: Die Teilnehmer werden sich ihrer Fähigkeiten und Potentiale bewusst, indem sie bei sich selbst und bei anderen Ressourcen finden, die sie in einem weiteren Schritt den vier Elementen zuordnen. Ist eines der Elemente mit Ressourcen unterversorgt, geht das Team ein weiteres Mal auf Ressourcensuche, auch außerhalb des eigenen Kreises. Mit Hilfe der Zeitlinie werden Ablaufpläne für Projekte oder Veränderungsprozesse erstellt, in welche die Ressourcen einbezogen werden. Daraus kann sich eine Aufgabenverteilung für die Beteiligten ergeben. Die Methode basiert auf einem Konzept der Berliner Trainerin Gabriele Müller. Kern-Ressourcen im Team Ziel: Gemeinsam im Team tiefste Ressourcen finden, sich dabei mit den anderen austauschen und eine neue Form tiefer Arbeit in der Gemeinschaft erleben. Vinzenz’ Gruppe möchte das Format der Kern-Intention, das sie von Helga und Dagmar kennen, gemeinsam erleben. Alle stellen sich in einem Kreis auf, der groß genug ist, damit jeder Platz hat, um fünf oder sechs große Schritte in Richtung Mitte zu tun. Bertolt führt die Gruppe mittels indirekter Sprache durch den Prozess. Jeder Beteiligte macht sich zuerst eine schwierige Situation bewusst, die immer wieder in seinem Leben auftaucht. Er schließt seine Augen und nimmt mit seinem Inneren Kontakt auf. Dann fragt er sein Inneres nach der guten Absicht, die hinter der Schwierigkeit, dem unerwünschten Verhalten oder dem Symptom steht. Um die Antwort zu erhalten, geht jeder einen Schritt vorwärts in Richtung Kreismitte und markiert diesen Punkt mit einem Zettel am Boden. Nun werden sich die Gruppenmitglieder der guten Absichten bewusst, die hinter ihren Schwierigkeiten liegen, auch wenn sich diese auf die bisherige Art nicht erfüllt haben. Die Spanne guter Absichten reicht diesmal vom Wunsch nach Sicherheit, Erfolg, Freiheit, Freude und Ruhe bis zu Anerkennung und Treue zu einem gegebenen Versprechen. Jetzt bittet Bertolt alle, sich die Erfüllung ihres Wunsches vorzustellen, diese in allen Sinnen zu erleben — sei es als Erinnerung oder als Phantasie. Alle schreiben nun die erfüllte gute Absicht auf einen Zettel, den sie unter sich auf den Boden gelegt hatten. Wenn alle Beteiligten die Erfüllung ihrer ersten guten Absicht erlebt haben, besuchen sie reihum die Positionen der anderen Gruppenmitglieder und lernen deren erfüllte Wünsche www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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kennen, welche sie auf den dort liegenden Zetteln finden. Jeder nimmt Anregungen und ergänzende Ressourcen für das eigene Leben mit. Wieder zurück am eigenen Platz, machen die Beteiligten wieder einen Schritt nach vorn und fragen ihr Inneres, was in ihrem Leben möglich wird, wenn die vorausgegangene gute Absicht erfüllt ist. Auch diese nächste gute Absicht erleben alle als bereits erfüllt und schreiben sie auf den nächsten Zettel, den sie an dieser Stelle auslegen. Dann wechseln wieder alle reihum die Positionen, um die Erfahrungen aller anderen anhand der hierfür ausgelegten Zettel kennen zu lernen und Ressourcen von ihnen aufnehmen zu können. Zurück am eigenen Standort geht es einen Schritt vorwärts mit der Frage, was im Leben nun möglich wird. Alles weitere wiederholen die Beteiligten so lange, bis sie die in ihrer Abfolge tiefste gute Absicht, d. h. ihre Kern-Intention und deren Erfüllung erleben. Oft geht es um Zustände wie Einssein, Liebe, Existenz oder Freiheit. Auch an dieser Stelle lernt jeder zusätzlich die Erfahrungen der anderen kennen und lässt sich davon bereichern. Abwechselnd stellen sich nun Einzelne in den Mittelpunkt des Kreises und erleben so die konzentrierte Energie der Kern-Erfüllungen aller Gruppenmitglieder, die diesen Ort umgebenden. Die Teilnehmer erlauben sich, die Erfahrung ihrer erfüllten Intention als Geschenk des Lebens anzunehmen, während sie langsam, jeder auf seinem Pfad, jene Stufen zurückgehen, auf denen sie gekommen sind. Dabei sammeln sie alle ressourcevollen Erfahrungen ein, die sie zuvor erarbeitet haben. Physisch symbolisieren sie das, indem sie die zuvor ausgelegten Bodenmarkierungen aufnehmen. Vor der problematischen Ausgangssituation angekommen, geben sie alle mitgebrachten Ressourcen in diese hinein und transformieren sie damit in eine neue Erfahrung. Wieder am äußeren Rand des Kreises angekommen, markieren die Teilnehmer die Strecke von hier bis zur Mitte mit einer Schnur. Im Kreismittelpunkt, der nun für die Gegenwart steht, werden alle Schnüre miteinander verknotet. Die Schnüre stellen die Zeitlinien der Teilnehmer dar; sie beginnen am Rand des Kreises. Jeder bringt die Ressource der erfüllten Kern-Intention nun entweder an den Beginn seines Lebenswegs oder an eine andere Stelle, wo er sie einst besonders benötigt hatte. Hier betritt er seinen Lebensweg und erlebt, wie sich seine Erfahrung durch die eingebrachte Ressource verändert. Jeder bewegt sich auf seiner Zeitlinie mit der Ressource in Richtung Kreismitte, also zur Gegenwart hin. Da sich die Gruppe in der Nähe der Kreismitte immer näher kommt, können das nicht alle Beteiligten gleichzeitig tun. Auf gemeinsam gegangenem Weg erfährt die Vergangenheit eines jeden eine nachträgliche positive Prägung, die ihm eine Fülle an Ressourcen zur Verfügung stellt. Danach ist es für jeden, der es möchte, möglich, sich in die Kreismitte zu stellen, dorthin, wo alle Lebenslinien sich treffen. Hier kann er oder sie erfahren, wie es ist, die Kraft und die Ressourcen aller Beteiligten in sich hineinfließen zu lassen. Für einige ist dies eine transpersonale Erfahrung, in welcher sie das Ich verlassen und das Wir erleben. In einer weiteren Phase werden die Beteiligten von Bertold dazu ermutigt, andere Gruppenmitglieder als wünschenswerte Ressource-Gestalten in ihren Lebensweg einzuladen. Otto lädt Christina in seine Vergangenheit ein. Mit ihren Ressourcen kann sie seiner Mutter zur Zeit einer familiären Krise eine große Last abnehmen. Selbst ist er als Mentor bei Gustav zu Gast, der sich als Jugendlicher mehr Mut zur Kontaktaufnahme mit Vertreterinnen des anderen Geschlechts gewünscht hätte, wovon Otto genug zu haben scheint. Susanne ist von Paul auf seinen Lebensweg eingeladen worden, der sich immer eine kleine Schwester gewünscht hätte, die Susanne nun für ihn spielerisch darstellt. So geht’s: Ein Kreis von Gruppenteilnehmern. Zuerst eine problematische Situation erinnern, dann mit einem Schritt nach vorn die gute Absicht dahinter finden, deren Erfüllung erleben. Untereinander die Plätze tauschen und die positiven Erfüllungen der anderen in der Gruppe erleben. Dies so lange wiederholen, bis alle ihre tiefste Erfüllung erleben. Sich diese erlauben und mit allen Ressourcen in die Ausgangssituation zurückkehren. Schließlich die Kernwww.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Erfüllung in den eigenen Lebensweg bringen und andere als Ressource-Träger in den eigenen Lebensweg einladen.
Das innere Team Die Weisheit der Doppelsignale Oft denken wir an etwas, sagen ja und schütteln dabei den Kopf — Doppelsignale oder sog. "Inkongruenzen" geben uns wichtige Information und deuten auf Ressourcen, die uns meist gar nicht bewusst sind. Widersprechende verbale oder nonverbale Botschaften können wir als gleichberechtigte Äußerungen von Mitgliedern unseres inneren Teams betrachten, die es wert sind, gewürdigt zu werden. Ziel: Einwände und Doppelsignale berücksichtigen und als Potentiale im Hinblick auf ein Ziel nutzen. Wolfgang wählt ein Ziel, dessen er sich nicht ganz sicher ist und das er trotz einiger Versuche noch nicht erreicht hat. Er formuliert zunächst einen Satz, der dieses Ziel beinhaltet — so, als wäre es bereits erreicht, etwa: "Ich bin Chef meiner eigenen Firma." Seine Begleiterin Angela achtet darauf, ob er Signale aussendet, die darauf schließen lassen, dass sie nicht zum Ziel passen. Sie trennt dabei ihre Wahrnehmung von Interpretationen, benennt präzise, sinnesspezifisch und damit unterscheidbar die verschiedenen Signale in Tonfall, Gestik, Mimik, Atmung und Körperhaltung, die Wolfgang aussendet. Schließlich wandeln beide das deutlichste Sekundärsignal, das nicht zu Wolfgangs Zielsatz passt, in eine Botschaft um. Zu diesem Zweck begibt sich Wolfgang in die Erfüllung seines Ziels; er ist jetzt Chef seiner eigenen Firma oder tut so, als ob er’s wäre. Dann achtet er auf das Sekundärsignal, welches die stärksten Abwehrgefühle hervorruft, und nimmt ganz die Position jenes Persönlichkeitsanteils ein, der dieses Signal ausgesendet hat. Angela heißt diesen Teil und das Signal willkommen und arbeitet zusammen mit Wolfgang die gute Absicht, die verborgene Botschaft des Signals heraus. Die beiden haben mehrere Möglichkeiten, dies zu tun: Sie können den Teil direkt fragen, das Signal in einen anderen Sinneskanal übersetzen — ein Bild in eine Bewegung, einen Ton in ein Bild — oder es willentlich noch weiter verstärken. Nach einer Weile wird der Einwand erhebende Teil für Wolfgang eine innere Gestalt, die sich seiner Zielvorstellung widersetzt. Er sucht nun zwei Freunde aus, die Stellvertreter für die beiden widersprüchlichen Positionen sein sollen. Er kann sich auch entscheiden, die Stellvertreter zu imaginieren. Wolfgang nimmt wahr, welche Blickrichtung beide haben, wie ihre Haltung ist, was sie einander sagen. Er sieht und hört den beiden aus der Nähe und aus der Entfernung zu. Schließlich beginnen die beiden, aus ihren vorgegebenen Rollen auszubrechen, sich zu bewegen: Sie verändern ihre Positionen und Aussagen, spielen mit ihnen, gehen verschiedene Beziehungen zueinander ein, streiten oder vereinigen sich, bis sich bei Wolfgang emotional und/oder körperlich ein Aha-Erlebnis einstellt. Angela "friert" die Szene für einen kurzen Moment "ein" und bittet Wolfgang, diese auf sich wirken zu lassen. Es geht noch nicht um die Lösung, Wolfgang soll einfach die "offene Gestalt" wahrnehmen und sie, vor allem unbewusst, als Wachstumsimpuls nutzen. So geht's: Über ein widersprüchliches Signal Kontakt zu jenem Persönlichkeitsanteil aufnehmen, der Einwände gegen ein Ziel hat. Reale oder fiktive Stellvertreter für diesen Teil und den Anteil, der das Ziel erreichen möchte, benennen und die Interaktion zwischen beiden wahrnehmen. Die Haltung und Kommunikation der beiden zueinander so lange verändern, bis beim Reisenden ein Aha-Erlebnis eintritt. Das "eingefrorene Bild" als Wachstumsimpuls nutzen. — Die Methode basiert auf einem Konzept von Martin Haberzettl.
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Prinzipien systemischer Kurzzeit-Therapie Überblick Systemische Arbeit versteht Probleme und Lösungen als Ausdruck von Prozessen, die ablaufen, indem verschiedene Anteile sozialer Systeme aufeinander wirken. Wir können uns damit beschäftigen, wie Menschen aufeinander wirken, aber auch damit, wie die Aufmerksamkeit einer Person ihre Gedanken beeinflusst, wie diese ihr Handeln bestimmen und jenes sich wiederum darauf auswirkt, was sie erlebt. Dies wirkt über ihre Aufmerksamkeit wiederum auf ihre Gedanken und vielleicht auf ihr ganzes Weltbild zurück. Als Systemelemente kommen also sowohl die Beziehungen von Menschen wie auch ihre Aufmerksamkeit, ihre Gedanken, Handlungen und die gemachten Erfahrungen in Betracht. Wie weiter oben beschrieben, hat in Systemen jedes Element seine Wirkung auf andere und von hier aus wirkt es auf sich selbst zurück. Ursachen und Wirkungen sind nicht trennbare Teile von Kreisläufen und Spiralen. Diese können, um auf die weiter oben beschriebenen Systemtypen Bezug zu nehmen, Stabilisierungs- oder Verstärkungskreisläufe sein, natürlich auch beides. Und sie können wünschenswerte oder unerwünschte Wirkungen auf die Beteiligten haben. Und auch hier: manchmal beides zugleich. Die systemische Aufstellungsarbeit erarbeitet Lösungen zu grundlegenden Beziehungsmustern zwischen Menschen, die sich in ihrer Zugehörigkeit, ihrer Position zueinander, in ihren Rollen, Bindungen und Verantwortlichkeiten zeigen. Und sie arbeitet an der Achtung und Wertschätzung füreinander. Immer wieder wird hier das familiäre Ursprungssystem zum Thema, werden Verstrickungen in diesem System gelöst. Während der Aufstellungsarbeit hat jede Veränderung der Position ihre Auswirkungen und Rückwirkungen auf die Beteiligten — und an der Qualität dieser Effekte wird sie gemessen. Durch schrittweise Veränderung und angemessenen Austausch wird das System für alle Beteiligten in einen optimalen Zustand gebracht. Wer seinen Platz im System gefunden hat, kann von hier aus geben, was er zu geben hat, und empfangen, was er zu empfangen hat. Er kann sich entwickeln, weitergehen und sein eigenes System in der Zukunft aufbauen. Innerlich hat er ein positives Modell dafür, das er zu anderen weiterträgt. Hier wirkt eine Positivspirale, d.h. ein erwünschter Verstärkungskreislauf, der auf einer höheren Ebene in ein neues Gleichgewicht übergeht. Das Grundverständnis wie man das Zusammenspiel von Elementen schrittweise verbessert, findet sich auch in der systemischen Kurzzeit-Therapie wieder, doch die Elemente und Wechselwirkungen, die betrachtet und gestaltet werden, betreffen hier andere Bereiche. Da geht es weniger um die Beziehungsmuster der Ursprungsfamilie, als um solche, die in der Gegenwart und in der Zukunft stattfinden, sei es in der aktuellen Familie, zwischen Paaren, im Arbeitsteam oder zwischen Therapeut und Klient. Auch die Beziehung des Lernenden zu sich selbst ist wesentlich. Untersucht werden beispielsweise die Wechselwirkungen zwischen dem Befinden, den Gedanken, dem Verhalten und der Wahrnehmung der Lernenden. Diese wirken schließlich darauf, wie Beziehungsmuster ablaufen, wie die Beteiligten sich im System austauschen und sich aufstellen. Auch der Arbeitsstil der Kurzzeit-Therapie ist speziell: Der Therapeut interessiert sich nur wenig für die Erforschung der Herkunft und Ursachen von Problemen, die Vergangenheit ist nicht wichtig. Ihm geht es um Lösungsmöglichkeiten im Hier und Jetzt. Er führt längere Gespräche und Interviews mit dem Lernenden, vergibt Aufgaben und nutzt vielfältige Interventionsmöglichkeiten — mit einem Ziel: abzubauen, was dazu dient, das Problem aufrecht zu erhalten; zu fördern, was dabei hilft, Lösungen zu finden. Die Klienten sollen lernen, auf eine Art mit sich und anderen umzugehen, die sicherstellt, dass die Rückmeldung des Lebens ihnen eine weitere positive Entwicklung ermöglicht. Lebensfördernde Wechselwirkungen und Kreisläufe sollen aktiviert, verstärkt und stabilisiert werden, negative sollen abgeschwächt, unterbrochen und durch positive ersetzt werden. Wichtige Vertreter dieser Formen systemischer Kurzzeit-Therapie sind die Schulen von Steve de Shazer, der seine Arbeit "lösungsorientierte Kurzzeit-Therapie" nennt und die www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Schule von Palo Alto um Paul Watzlawick, wo wir die "strategische Kurzzeit-Therapie" finden. Unter Bezugnahme auf die Philosophie des Konstruktivismus werden die Gedanken, das Weltbild, Vorannahmen und Erwartungen des Lernenden als verändernswerte Wirklichkeitskonstruktionen aufgefasst, nicht als originalgetreues Abbild der Wirklichkeit. Sie führen zu bewussten oder emotionalen Folgerungen, die gern Erfahrungen nach sich ziehen, welche die Konstruktionen des Lernenden bestätigen. Wer glaubt, nicht sehr viel wert zu sein, verhält sich dementsprechend und achtet auf alles, was ihm seine Überzeugung bestätigt. Dies wäre nun ein Stabilisierungskreislauf, der im Falle negativer oder schmerzhafter Erfahrungen nicht gerade wünschenswert ist, daher sollte er unterbrochen und verändert werden. Wenn wir das Problem des Lernenden als Ergebnis systemischer Wechselwirkungen zwischen inneren Konstruktionen, Handlungen und Rückwirkungen verstehen, lohnt es sich, diese kennen zu lernen, zu unterbrechen und neu zu gestalten. Die systemische KurzzeitTherapie nutzt dafür eine Auswahl wirksamer Mittel, deren verwandtschaftliche Beziehung zu denen der Ericksonschen Hypnotherapie und des NLP auf den gemeinsamen konstruktivistischen Wurzeln beruht. Betrachten wir zunächst einige Grundprinzipien: Die Lösungsorientierung. Bereits im Kapitel "Richtung und Weg" von Teil I haben wir über das Herausarbeiten von Zielen und Problemen berichtet. Hier kommen wir auf dieses Thema zurück. Wenn es gelingt, jene Muster zu lösen, durch welche der Lernende im Zusammenspiel mit seiner Umwelt ein Problem aufrechterhält, ist es aus der Sicht der systemischen Kurzzeit-Therapie nicht einmal mehr erforderlich, die zurückliegende Ursache des Problems zu suchen und zu bearbeiten. Im Gegenteil, dies könnte kontraproduktiv sein, indem es den Lernenden alte Muster wiederholen lässt und die Aufmerksamkeit und Energie von der Orientierung auf Lösungen ablenkt. Dementsprechend wird die Problembeschreibung nur kurz abgehandelt, oft nur in dem Maße, wie der gute Kontakt zum Lernenden es erfordert. Interessanter ist der verdeckte Nutzen, den ein Problem bietet. Dieser könnte ein Hindernis sein, sich aus alten Mustern zu lösen, wenn dieser verdeckte Gewinn nicht auf irgendeine Art gewürdigt und in der Zukunft auf irgendeine Art gewahrt bleibt. Nicht allein deshalb ist es wichtig, das Ziel des Lernenden zu erforschen und zu vervollständigen. Es sollte sich in konkreten Veränderungen des Erlebens, des Verhaltens und Veränderungen im des Austausch mit anderen beschreiben lassen. Was zunächst als Ziel formuliert wird, könnte Auswirkungen haben, die gar nicht willkommen sind. Besonders im sozialen System des Lernenden hat jede Veränderung ihre Effekte — wünschenswerte oder unerwünschte. Wenn ein Ziel erreicht ist, stellen sich dem Lernenden überdies meist neue Aufgaben. All diese Aspekte wollen überprüft und in positiver Weise in einem immer vollständiger werdenden Zielentwurf berücksichtigt werden. Wir streben nach ökologischer Veränderung, d.h., die positiven Effekte des Problems sollten erhalten bleiben und negative Effekte des Ziels sollten aufgehoben werden. Außerdem sollte das Ziel motivierend sein, nicht zu weit entfernt und nicht als zweiter Schritt vor einem ersten stehen. Wenn all das geklärt ist, haben wir den Weg noch nicht hinter uns. Dort liegt meist noch dieses oder jenes, was der Lernende als Hindernis erlebt. Hindernisse sind etwas, das zu einer lohnenden Herausforderung werden will. Dazu braucht es Ressourcen und neuer Lernerfahrungen, die Schritt für Schritt in der systemischen Therapie erarbeitet werden. Der Weg wird gemeinsam erschlossen. Neue Ausrichtung der Aufmerksamkeit. Es unterstützt den Veränderungsprozess, die Aufmerksamkeit nicht auf die Untersuchung von Problemen, sondern auf das Finden von Lösungen zu lenken. Der Lernende wird angeregt, Fortschritte und Veränderungen wahrnehmen. Indem wir unsere Filter verändern und bisher unbemerkte Unterschiede und Zusammenhänge erkennen, können wir unsere alten Konstruktionen der Welt hinterfragen und korrigieren, Rückwirkungen des eigenen Verhaltens feststellen und herausfinden, was die Situation verbessert und was sie verschlechtert. Veränderungen wahrzunehmen ist wichtiger, www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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als sich auf das zu beschränken, was gerade ist. Wir erkennen Veränderungen durch Vergleiche. Aufmerksamkeit ist das Instrument, mit welchem der Steuermann die aktuelle Position seines Schiffes erfährt, und das wiederum gibt ihm die Möglichkeit, es in kluger Weise in die richtige Richtung zu steuern. Sie ist das Heilmittel für nicht mehr gültige Vermutungen und die Quelle neuen Lernens. Veränderung der Sicht der Welt. Wie wir denken und unser Leben konstruieren, das ist ein wichtiger Bestandteil der Veränderung. Das betrifft nicht zuletzt unsere Erklärungen, wie Probleme entstanden sind, was gut oder schlecht ist und wie Lösungen zu finden sind. Wenn unser Denken und Bewerten sich ändert, wird dies ein anderes Verhalten und Handeln nach sich ziehen — das führt zu neuen Erfahrungen, die auf die Art des Denkens zurückwirken. Das Denken beginnt sich zu ändern, wenn Dinge anders verlaufen, als wir es erwartet haben. Vorausgesetzt, wir haben es bemerkt, d.h. unsere Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Starre Überzeugungen ändern sich durch erlebte Gegenbeispiele oder Ausnahmen, wie wir es schon im Abschnitt "Überzeugungen erkennen und verändern" von Teil II beschrieben haben. Aus diesen Gründen sollten wir als Begleiter den Lernenden darin unterstützen, sein Weltbild im Sinne neuer Lösungen zu erweitern. Wir können neue Erklärungen und Folgerungen anbieten oder ihn selbst danach suchen lassen. Wollen wir eine vielleicht noch unsichere neue Sicht der Dinge fördern und stabilisieren, sollten wir den Lernenden zu weiteren Erfahrungen der ähnlicher Art führen, soweit das Leben dies nicht bereits von selbst tut. Wo es um Fortschritte geht, wollen diese natürlich auch bemerkt werden. Deshalb kann es sehr helfen, den Lernenden stärker für Unterschiede und Veränderungen in seinem Leben zu sensibilisieren. Wo es um den Selbstwert des Lernenden geht, tut Anerkennung gut. Erfahrungen umdeuten. Das Umdeuten oder Reframen ist eine weitere kluge Art, unsere Erklärungen und Bewertungen von Verhaltensweisen und Ereignissen zu ändern. Wenn bestimmte Lebenserfahrungen der Lernenden auf eine immer gleichbleibende, aber leider einschränkende Art interpretiert werden, hilft es ihr oft, sie in neuen Bedeutungszusammenhängen, d.h. mit anderen Augen zu sehen. Der Begleiter kann eine veränderte Sichtweise gezielt anbieten. Eine kurze Darstellung typischer Formen des Umdeutens finden sie in der Tabelle auf Seite XX, eine ausführlichere in Isert (1996). Wir könnten beispielsweise sagen: "Wenn Leute unfreundlich zu dir sind, liegt das daran, dass sie glauben, dass du sie nicht magst, weil du das Gesicht so anspannst. Wenn du freundlich zu ihnen bist, fühlen sie sich wieder sicher und zeigen dir ihre "Sympathie". Umdeutungen, welche sich — oft durch verändertes Handeln und über eine neue Ausrichtung der Aufmerksamkeit — in positiven Erfahrungen bestätigen, sind die wirksamsten. Auch in menschlichen Beziehungen kann das Umdeuten Bewegung und Veränderung bewirken. Wenn wir glauben, den Partner längst zu kennen, und jeder stets auf die gewohnte Weise reagiert, wird neues Leben wach, indem wir hinter seinem gewohntem Verhalten plötzlich eine neue Bedeutung erkennen. Feste Vorannahmen, die jemand über uns hat, können wir ins Wanken bringen, wenn wir uns plötzlich ganz anders verhalten, als es zu diesen Vorannahmen passt. Dann ist der andere aufgerufen, über neue Bedeutungen nachzudenken und sein Bild von uns zu verändern. Aufgaben geben. Mit Aufgaben erreichen wir Veränderung über das Verhalten. Klar, sehen wir die Welt anders, so ändert sich unser Verhalten vielfach von selbst. Was hindert uns aber, nicht mit dem Verhalten zu beginnen — indem wir sorgsam bestimmte Aufgaben oder sog. Verhaltensverschreibungen für den Lernenden auswählen, durch die wir ihn beauftragen, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen. Manchmal richten wir damit "lediglich" seine Aufmerksamkeit auf andere Aspekte seines Lebens und aktivieren ein anderes Denken. Oder wir ermöglichen es ihm, ganz neue Erfahrungen zu machen und Ressourcen zu entwickeln. All dies wirkt zurück auf das Modell, das der Klient von der Welt hat. Wenn wir mit Familiensystemen arbeiten, reicht es oft für den Anfang, dass eine Person anders als bisher auf die anderen reagiert. Das wird Veränderungen für alle anderen nach sich ziehen. Die inneren Vorannahmen darüber, wer auf was wie reagiert, verlieren ihre Allgemeingültigkeit. Was zwischen den Beteiligten geschieht, wird veränder- und beeinflussbar. Kreisläufe www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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werden unterbrochen. Wenn die neuen Verhaltensweisen und Interaktionen zu guten Ergebnissen führen, werden sie im günstigen Fall sofort übernommen und fortgesetzt. Einflussmöglichkeiten verdeutlichen. So, wie ein Steuermann wissen muss, wie sich die Bewegungen des Ruders in unterschiedlichen Situationen auf hoher See auswirken, lernt der Klient, welche Einflussmöglichkeiten er hat, um sein Leben selbst zu gestalten. Oft sind Ausnahmen von scheinbaren Regeln des Lebens wichtige Hinweise darauf, wie der Lernende die Situation beeinflussen kann. Er entdeckt seine Potentiale, indem er experimentiert und manchmal sogar erprobt, wie er ein Problem erzeugen und verschlimmern kann — denn bereits dabei wird er sich seiner Fähigkeit bewusst, Dinge beeinflussen zu können. Was sich verschlechtern lässt, lässt sich schließlich auch verbessern. Das ist etwas deutlich anderes, als nur Opfer der Umstände zu sein. Der Steuermann braucht ständiges Feedback über die Position des Schiffes, der Lernende darüber, welche Fortschritte er in seinem Leben macht, in Abhängigkeit davon, wie er denkt und handelt. So stellt sich mit der Zeit ein neues Denken ein, wie er die Welt konstruiert, verändert sich, und das führt zu besseren Ergebnissen für sein Leben. Er lernt, dass diese dann eintreten, wenn auch andere ihre Bedürfnisse und Intentionen erfüllen können. Und sein neues Verhaltensspektrum unterstützt beides.
Die strategische Kurzzeit-Therapie Für diesen Bereich beschreibt Giorgio Nardone (1997) typische Phasen in der Arbeit mit Zwängen und Phobien, die über mehrere Sitzungen verteilt erreicht werden. Dazu gehören: •
Problembestimmung und Zielvereinbarung;
•
Erkennen der Muster, die das Problems aufrechterhalten;
•
Aufbrechen des Systems von Wahrnehmung, Denkweise und Verhalten sowie bisheriger Lösungsversuche;
•
Nutzen erster Veränderungen als Basis für weitere, weiterführende Schritte;
•
Veränderung der Weltsicht des Klienten;
•
Erfahrung der Problemüberwindung;
•
Konsolidierung der Ergebnisse;
•
Erwerb von Eigenständigkeit und Flexibilität.
Eine Metapher für diese Arbeit ist das Schachspiel, in welchem der Therapeut oder Coach schrittweise geeignete Züge entwirft, die den Klienten zu Autonomie und Flexibilität führen. Er spielt nicht gegen den Klienten, sondern gegen die Problem erhaltenen Kreisläufe und bedient sich dabei einer ganzen Fülle von Interventionsmöglichkeiten, die das Verhalten und das Weltbild des Klienten verändern: •
hypnotische Sprache;
•
Umdeuten des Problems, seiner Ursachen und bisheriger Lösungen;
•
paradoxe Botschaften;
•
Arbeit mit Konfusion;
•
Metaphern;
•
Verhaltensverschreibungen
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•
Suggestionen;
•
Umdeuten von Erfahrungen.
Die lösungsorientierte Kurzzeit-Therapie Der typische Sitzungsverlauf in der lösungsorientierten Kurzzeit-Therapie besteht im ersten Teil aus einer längeren Phase des Interviews, in welchem u.a. folgende Themen behandelt werden: •
das Problem beschreiben — ohne sich darin zu vertiefen;
•
wohlformulierte Ziele entwickeln — verdeckte Gewinne des Problems einbeziehen;
•
Ausnahmen von den Problemmustern finden;
•
Einflussmöglichkeiten des Lernenden finden;
•
Einschätzungen des Fortschritts durch den Lernenden.
Auf das Interview folgt eine Pause, in welcher Klient und Therapeut Zeit zur Besinnung und Reflexion haben. Der Therapeut bereitet sich in dieser Zeit auf seine abschließende Rückmeldung vor. Soweit vorhanden, kann er sich mit einem reflektierenden Team über die Arbeit beraten. Danach gibt er dem Lernenden eine ermutigende, anerkennende Rückmeldung, in welche eine Hausaufgabe eingebettet ist, die ihm neue Erfahrungen in Richtung Lösung ermöglicht. Steve de Shazer (1997) fasst die in diesem Ablauf zu beantwortenden Grundfragen wie folgt zusammen: •
Was möchte der Klient?
•
Was kann der Klient selbst tun?
•
Was soll geschehen?
Der Begleiter arbeitet mit den Lernenden, woran auch immer sie wollen. Während ein Teil der Lernenden bald mit der Veränderungsarbeit beginnen möchte, sind bei anderen zunächst Reflexionen über beabsichtigte Ergebnisse und den bisher eingeschlagenen Weg angesagt. Gibt es typische Klienten? Wer findet den Weg zum Begleiter, Coach oder Therapeuten? Steve De Shazer unterscheidet zwischen Besuchern, Klagenden und Kunden. Helmut wäre nach dieser Einteilung ein Besucher. Sein Vorgesetzter hat den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses an eine Entziehungskur gebunden, denn Helmut ist seit Jahren alkoholkrank. Nur sieht er selbst das ganz anders. Um sich aber nichts vorwerfen zu lassen, geht er regelmäßig und pünktlich zu einer Gruppe, wenn er auch innerlich unbeteiligt ist. Er möchte schlichtweg seine Ruhe — er ist ein Besucher. Hilde sucht nach 14 Jahren Ehe einen Familientherapeuten auf. Sie beklagt die Zustände in ihrer Familie und zählt viele Beispiele auf, mit denen sie dem Berater beweisen möchte, wie ungerecht und rücksichtslos ihr Mann und dessen Familie sie schon seit Jahren behandeln. Sie möchte den Berater gewinnen, ihr Ratschläge zu geben, wie sie es richtig anstellen könnte, dass ihr Mann sich verändert. Hilde ist die Klagende. Denn sie erwartet Veränderungen in erster Linie von anderen. Judith hat wieder einmal den Job gekündigt. Sie sagt von sich selbst, sie sei eine Job-Hopperin, nirgends halte sie es lange aus. Bevor sie sich mit Vorgesetzten auseinander setzt, kündigt sie lieber gleich. Ihr ist klar, dass das so nicht weitergehen kann. Denn auch das Verfallsdatum ihrer Beziehungen ist immer viel zu schnell erreicht. Dem will sie auf den www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Grund gehen. Sie weiß, dass sie sich verändern muss und dass der Abschied von liebgewordenen Gewohnheiten auch weh tun könnte. Gut informiert, entscheidet sie sich für einen in lösungsorientierter Therapie ausgebildeten Berater. Sie begegnet ihm als Kundin.
Mit Sprache Systeme erschließen Ein Kernelement lösungsorientierter Kurzzeit-Therapie bildet, wie bereits erwähnt, das Interview. Es führt die Aufmerksamkeit des Lernenden in neue Bereiche, erschließt ihm eine veränderte Sicht der Welt. In den Fragen sind alle Möglichkeiten für gegenseitiges Verstehen und für die Entwicklung neuer Handlungsmöglichkeiten enthalten. Die aufeinander folgenden Fragen ergeben sich aus der bisherigen Kommunikation. Schritt für Schritt steuert der Begleiter durch Fragen auf Lösungen zu, ganz anders und doch als Suchprozess dem vergleichbar, was in der Familienaufstellung durch die Veränderung von Positionen geschieht. Durch geeignete Fragen erfahren wir etwas über •
Bedürfnisse und bewusste Ziele des Lernenden;
•
Auswirkungen der Ziele auf den Lernenden und andere;
•
Muster, die das bisher Problemaufrechthalten;
•
Ausnahmen dieser Muster und damit Lösungsansätze;
•
Positive Effekte und Nutzen des bisherigen Verhaltens;
•
Bedingungen, die zu Erfolgen und Misserfolgen führten;
•
negative Nebenwirkungen des Ziels;
•
Vorannahmen des Lernenden über die Ursachen des Problems und das Leben;
•
Vorannahmen des Klienten über sich selbst und andere;
•
Einflussmöglichkeiten des Lernenden;
•
Beziehungsmuster und Wechselwirkungen zwischen den Beteiligten;
•
wir was geschehen muss, um das Problem zu verändern.
Was der Begleiter durch die Fragen erfährt, wird natürlich — und noch viel tiefer — dem Lernenden bewusst. Durch Fragen ... •
verändern wir sein Weltbild und initiieren neue Erkenntnisse und Einsichten;
•
machen wir Zusammenhänge und Wechselwirkungen bewusst;
•
aktivieren wir Verstärkungs- und Stabilisierungskreisläufe;
•
lenken wir seine Aufmerksamkeit auf Fortschritte und Unterschiede;
•
lenken wir seine Aufmerksamkeit auf eigene Handlungs- und Einflussmöglichkeiten;
•
lenken wir seine Aufmerksamkeit auf Auswirkungen und Rückwirkungen, die das eigene Denken und Handeln auf ihn selbst und andere hat;
•
lenken wir die Aufmerksamkeit des Lernenden von Problemen weg und auf Lösungen hin.
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Ein besonderes Modell des Fragens. Das zirkuläre Fragen nach Palazzoli wird heute als Teil des systemischen Fragens betrachtet und in einem erweiterten Kontext gebraucht. Für den systemischen Therapeuten oder Berater ist es das wichtigste Instrument im Werkzeugkoffer. Es ermöglicht ihm beispielsweise, etwas über die Logik der Spielregeln von Familien oder Gruppen herauszufinden und den Fokus auf die Lösung zu lenken. Denn mit Fragen will man keineswegs nur Information gewinnen, Fragen enthalten auch Information. Wir können nicht reagieren, und deshalb lösen unsere Fragen beim Gesprächspartner gleichzeitig Ideen aus. So können wir mit einer Frage verschiedene Absichten für den Prozess verfolgen. An der Antwort merken wir, ob die Absicht beim Empfänger angekommen ist. Antworten auf die Fragen nach Ausnahmen beispielsweise enthalten Hinweise darauf, wie die Lösung für den Lernenden und die wichtigen Bezugspersonen aussehen könnten. Antworten auf die WunderFrage geben Signale, was genau dem Lernenden zum Ziel gereicht, so dass Schritte in Richtung Lösung ausgehandelt werden können. Die beste Art, systemische Fragen zu beantworten, ist, dies ohne Verneinungen zu tun, d.h. die Antworten positiv und konkret zu formulieren. Hilfreich ist es außerdem, sich in den Antworten auf Handlungen und konkrete Erlebnisse zu beziehen. Die Fragen wiederum sollten Teil der Konversation sein, diese nicht dominieren, denn Worte des Verstehens, Erläuterungen und Bestätigungen gehören ebenso zum Gespräch. Kenner der neuro-linguistischen Fragetechniken, speziell des Meta-Modells der Sprache (Isert 1996) werden viele Bezüge und Ergänzungen finden. Wir haben nachfolgend — und auch im nächsten Kapitel — einige typische Frageformen nach dem Anliegen gruppiert und in einer solchen Reihenfolge aufgeführt, dass Sie, liebe Leser, sie auch für ein persönliches Thema, das Sie mit sich selbst bearbeiten wollen, nutzen können. Einstiegsfragen: •
Was führt Sie zu mir?
•
Was haben Sie vorher getan?
•
Wie sind Sie zu mir gekommen?
•
Wer hat Sie geschickt, und warum?
•
Können Sie die Art, wie wir arbeiten, akzeptieren?
•
Was erwarten Sie von mir?
Fragen nach dem Problem: •
Wie kann ich helfen?
•
Wie ist Ihre gegenwärtige Situation?
•
Inwieweit ist dies für Sie ein Problem?
•
Was bedeutet das Problem für Sie?
•
Woran erkennen Sie das Problem?
•
Was halten Sie für die Ursache des Problems?
•
Wie hat das angefangen?
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•
Was war, bevor das Problem auftrat?
•
An welchem Problem sollen wir zuerst arbeiten?
•
Was haben Sie bereits versucht?
•
Hat es geholfen?
Fragen zur Zielformulierung mit Wunder-Frage: •
Was möchten Sie statt des Problems erreichen?
•
Woran würden Sie erkennen, dass unsere Arbeit sehr gut verlaufen ist?
•
Was soll anders sein in ihrem Leben?
•
Welches ist ihr Wunschziel für unsere Arbeit?
•
Woran würden Sie erkennen, dass sie es erreicht haben?
•
Was wird dann anders sein in ihrem Leben?
•
Was werden Sie anderes tun?
•
Stellen Sie sich vor, dass ein Wunder geschieht, so dass das Problem plötzlich weg ist (dank Gott, einer Fee, einem neuen Leben) und sich eine vollkommene Lösung zeigt, die allen Beteiligten gut tut:
•
Was wird anders sein, wenn das Wunder geschehen ist?
•
Was werden Sie bemerken? Was noch?
•
Wer wäre am meisten überrascht, wer am wenigsten?
•
Wer wird es noch bemerken?
•
Was wird er/Sie bemerken, was an Ihnen anders ist?
•
Wenn er/Sie das bemerkt, was wird er/Sie anders machen? Was noch?
•
Wenn er/Sie das tut, was wird dann für Sie anders sein?
•
Was würden Sie zuerst tun, wenn das Wunder geschehen ist?
•
Was würden Sie tun, was Sie zur Zeit nicht tun?
•
Was würden Sie vermissen, was überhaupt nicht?
•
In welchem Kontext sind Sie, wenn das Wunder geschehen ist?
Fragen nach den Auswirkungen und positiven Seiten des Problems: •
Was ist die gute Absicht des Problems?
•
Welche Auswirkungen hat das Problem auf jeden Beteiligten?
•
Wer reagiert am meisten darauf, wen stört es nicht?
•
Welchen Vorteil hat das Problem?
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•
Was ist schlechter, wenn es gelöst ist?
•
Was ist gut, was soll so bleiben?
•
Welche Ressourcen kommen in dem zum Ausdruck, was Sie schon gut bewältigt haben und was auch so bleiben soll?
•
Wie könnte man daran Aspekte von Fähigkeiten erkennen?
•
Wie können Sie diese Ressourcen noch mehr würdigen?
•
Woran werden Sie merken, dass das, was erhalten bleiben soll, nach der Veränderung auch noch da ist?
•
Wer würde es noch merken und woran?
•
Was tun Sie gern und gut?
•
Was müssten Sie tun, um mehr davon zu haben?
•
Was könnten für Sie gute Gründe sein, ja oder nein zu sagen?
Fragen zu positiven und negativen Auswirkungen des Ziels: •
Welche Veränderungen ergeben sich dadurch für Sie im Privatleben, im Berufsleben, für Ihre Freunde und Bekannten?
•
Welche Aufgabe stellt sich ihnen, wenn Sie das Ziel erreicht haben?
•
Was ändert sich in Ihren Beziehungen, wenn Sie das Problem gelöst haben?
•
Wofür wäre es gut, noch nicht am Ziel zu sein?
•
Womit müssten Sie fertig werden, wenn Sie ihr Ziel schon erreicht hätten?
•
Mit wem bekämen Sie Schwierigkeiten, wenn Sie damit Erfolg hätten?
•
Ist es nicht zu früh, ihr Ziel jetzt schon zu erreichen?
Fragen nach der Verbesserung und dem, was ihr dient: •
Auf einer Skala zwischen 0 und 10 (10 wäre das Wunder) — wo, würden Sie sagen, befinden Sie sich heute bzgl. der Lösung des Problems?
•
Auf einer Skala von 1 bis 10, wie geht es Ihnen diesmal?
•
Was hat sich seit dem letzten Mal geändert?
•
Was hat sich nach der Verhaltensverschreibung verändert?
•
Wie wäre es, wenn Sie 10 erreicht hätten?
•
Was ist anders zwischen 5 und 4?
•
Was geschah zwischen 0 und 3?
•
Wie haben Sie das gemacht, dass Sie von 0 auf 5 kamen?
•
Woran würden Sie bemerken, das Sie von 5 auf 6 kamen?
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Zukunft
•
Wo auf der Skala werden Sie in einem Jahr wohl sein?
•
Was werden Sie dann tun, was Sie heute noch nicht tun?
•
Ist es eher so oder eher so?
•
Zu wie viel Prozent ist es eher so?
•
Wenn Sie einen Stummfilm aus dieser und einen aus jener Zeit hätten — woran würden Sie erkennen, welcher zu welcher Zeit gehört?
Fragen nach Ausnahmen und Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf das Problem: •
Wann zeigt sich das Problem, wann nicht?
•
Wann trat es weniger oft auf?
•
Wie könnten Sie zuverlässig erreichen, dass das Problem nicht gelöst wird?
•
Was wäre der sicherste Weg, Ihr Problem zu verschlimmern?
•
Wie könnten Sie sich noch unglücklicher machen?
•
Wann haben Sie vermieden, dass das Problem noch schlimmer wird?
•
Wie könnten Sie das gelöste Problem zurückgewinnen?
Fragen nach Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf das Ziel: •
Was ist notwendig, damit ein Teil des Wunders geschieht?
•
Ist das etwas, was passieren könnte?
•
Was könnten Sie dazu beitragen?
•
Was muss geschehen, damit das in Zukunft häufiger geschieht?
•
Wann gibt es jetzt schon Zeiten, in denen Sie Ihre Absicht ein bisschen verwirklicht haben?
•
Was ist in diesen Zeiten anders?
•
Wer tut dann was?
•
Was haben Sie vor dem Auftreten des Problems anders gemacht?
•
Welchen Unterschied wird der Partner an Ihnen beim nächsten Mal bemerken?
•
Welchen Unterschied werden Sie bei sich beim nächsten Mal bemerken?
•
Angenommen, Sie wären das Problem los, was für einen Unterschied würde das machen?
•
Auf welche Weise wäre dieser Unterschied hilfreich für Sie?
•
Was wäre für Sie hilfreich?
•
Wie haben Sie das gemacht?
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Zukunft
•
Wenn Sie sowohl das eine als auch das andere tun könnten, was würden Sie tun?
•
Was wäre das Abwegigste?
•
Für Fans von Star Wars: Was würde ein Jedi-Ritter in diesem Falle tun?
•
Lassen Sie uns doch mal so tun, als ob das gar nicht so abwegig wäre ...
Allgemeine Fragen nach dem Kontext und dem Ablauf von Ereignissen: •
In welcher Situation geschieht das wie stark?
•
Wann ist das anders?
•
Was geschieht davor?
•
Was geschieht als erstes?
•
Wie geschieht das?
•
Wann hat das angefangen?
•
Wie lange dauert das?
"Warum beantworten Sie eigentlich jede Frage mit einer Gegenfrage, Herr Doktor?", könnte der Lernende äußern. — "Warum sollte ich nicht mit einer Gegenfrage antworten?", wäre die Antwort. Schlusskommentar. Immer wieder, doch besonders in der abschließenden Rückmeldung, würdigt der Begleiter die Fähigkeiten, Erfolge und Potentiale des Lernenden, macht ihm "Komplimente" und nutzt die Methoden des Umdeutens (siehe Abschnitt "Erfahrungen im passenden Kontext verarbeiten", von Teil II) um die Erfahrungen des Klienten in einen neuen Bedeutungszusammenhang zu stellen. Zum Schlusskommentar des systemischen Beraters gehört meist eine Hausaufgabe, die der Berater sorgsam aus seinem umfangreichen Repertoire auswählt. Sie soll, auf manchmal sogar paradoxe Weise, den Veränderungsprozess des Lernenden unterstützen oder ihn darauf vorbereiten. Hier eine Auswahl typischer Hausaufgaben: •
Aufgaben zu Wahrnehmung und Aufmerksamkeit:
Bis zu unserem nächsten Treffen beobachten Sie bitte genau, was in Ihrem Leben, Ihrer Firma oder Ihrem Team passiert, von dem Sie wünschen, dass es weiterhin geschieht. Achten Sie in der nächsten Woche auf alles, was Sie in Ihrer Partnerschaft auf jeden Fall erhalten möchten. Beobachten Sie bitte, wann in dieser Woche ein Teil des Wunders von selbst eintritt. •
Wahrnehmungs- und Verhaltensaufgaben:
Wenn das Problem auftaucht, nehmen Sie sich bitte fünf Minuten Zeit und protokollieren Sie alle Wahrnehmungen, die Sie haben. Schreiben Sie alle Schritte auf: Was genau tun Sie, wenn Sie jene Versuchung oder der Zwang überkommt? •
Verhaltensaufgaben:
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Machen Sie es das nächste Mal ganz anders. Viele Menschen in Ihrer Situation hätten Folgendes gemacht ... Was probieren Sie aus? Reagieren Sie auf die Berichte Ihres Partners diesmal ganz anders. Tun Sie mehr von dem, was Sie bisher als erfolgreich und hilfreich auf dem Weg zu einer Lösung empfunden haben. •
Verschreibungen des Problems:
Erzeugen Sie das Problem täglich um 18 Uhr für genau 30 Minuten. Stellen Sie sich einen Wecker. (Wer ein Problem bewusst erzeugen oder sogar verschlimmern kann, lernt daraus, dass er Einfluss hat. Außerdem wird das, was er bisher stets vermeiden wollte, nun gewollt, so dass bisher vermiedene Empfindungen nun oft sogar verarbeitet werden können.) •
"So tun, als ob" - Verschreibung:
Tun Sie bis zur nächsten Sitzung an bestimmten Tagen so, als ob das Wunder bereits eingetroffen wäre, ohne zu verraten, wann Sie es tun. Eine Freundin oder ein Freund könnte herausfinden, wann Sie so tun, als ob. •
Rituale:
Treffen Sie sich als Familie täglich 15 Minuten und würfeln Sie darum, wer das Wort hat. Der Gewinner darf dann reden und soll nicht unterbrochen werden. Er kann alles sagen, was er in der letzten Woche gut fand. Stellen Sie ein Foto der Person auf, um die sie trauern, zünden Sie Kerzen an und sagen Sie ihr, was Sie fühlen. •
Bremsen:
Verändern Sie sich nicht zu schnell. Geben Sie dem alten Verhalten wöchentlich eine Ehrenrunde. Nicht jeder Klient erhält Hausaufgaben. Maßstab ist der Grad seiner aktiven Veränderungsbereitschaft. Besucher erhalten nur Komplimente. Klagende sollen vor allen Dingen das Wunder beobachten. Kunden erhalten auch aktive Handlungsaufgaben, welche ihre Chance erhöhen, dass sie der Verwirklichung des Wunders näher kommen. All diesen Frage- und Interventionsmöglichkeiten führen schrittweise zu einer Veränderung der Aufmerksamkeit, der bisherigen Weltsicht und des Verhaltens des Lernenden. Mit jedem Fortschritt steigt seine Motivation und die Veränderungen werden positiv verstärkt. Neben der Lösung des Problems wird der Lernende darin ausgebildet, das Schiff seines Lebens selbst in die von ihm gewünschte Richtung zu steuern.
Arbeit mit Familien, Beziehungen und sozialen Systemen Verschiedene Beteiligte. Sowohl in der Einzelarbeit als auch in der Arbeit mit Paaren, Familien oder Teams gehört es zu den Kern-Elementen der systemischen Kurzzeit-Therapie, den Nutzen bisheriger Verhaltensweisen und die Auswirkungen von Veränderung in Bezug auf soziale Beziehungen zu untersuchen. Am besten lässt sich dies am Beispiel einer Familie verdeutlichen. Häufig kommt eine Familie erst dann zur Therapie, wenn ein Familienmitglied Verhaltensweisen oder Symptome entwickelt hat, die für es selbst oder das gesamte System destruktiv geworden sind. Zu den Grundprinzipien der Arbeit gehört es, dass der Therapeut neutral oder unparteilich bzgl. der unterschiedlichen Anliegen und Ansichten der www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Familienmitglieder bleibt. Wenn möglich, sollte er sich sogar allparteilich verhalten, d.h. sich gleichzeitig oder nacheinander auf die Seite jedes Familienmitgliedes stellen. Es ist wichtig, dass Lösungen gefunden werden, die für alle Beteiligten annehmbar und richtig sind. Am Anfang der Veränderungsarbeit ist häufig nicht klar, welches Ziel die Einzelnen mit dieser Arbeit verbinden. Im Interview stellt sich oft heraus, dass die Ziele der Beteiligten sehr unterschiedlich sein können. Der Anspruch der Neutralität oder Unparteilichkeit gebietet es dem Begleiter, darauf zu achten, nicht zum Helfer nur einer Seite des Systems zu werden, sondern die unterschiedlichen Ziele und Erartungen der Beteiligten herauszuarbeiten. Nicht nur ihre Ziele und Erwartungen, auch ihre Erklärungen über die Ursachen und die Bedeutung eines Problems sowie über die erforderlichen Lösungswege können höchst unterschiedlich sein. Absichten und Auswirkungen. Im Rahmen eines sozialen Systems hat nicht nur jedes Verhalten und jedes Symptom, sondern auch die Art, wie man darüber denkt und es bewertet, Auswirkungen auf die weitere Entwicklung. Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, was die Einzelnen Familienmitglieder voneinander und über ihre Beziehungen denken. All dies beeinflusst, welche Konsequenzen sich für wen aus einer Situation ergeben und welche Wahlmöglichkeiten dem Einzelnen dabei für eine Veränderung zur Verfügung stehen. Ein wichtiger Aspekt beim Interpretieren von Ereignissen liegt in der Frage, wem die Verantwortung für etwas, das geschieht, zugeschrieben wird. Sieht sich ein Familienmitglied als Opfer eines anderen Menschen, wird es kaum Zugang zu eigenen Einflussmöglichkeiten finden. Wenn der andere sich gleichzeitig als Opfer des ersteren sieht, können sich die Muster weiter verhärten oder eskalieren. Die Ursache einer Schwierigkeit kann auch als völlig außerhalb des Systems liegend angesehen oder höherer Gewalt zugeordnet werden. Bei Krankheiten wird gern so etwas angenommen. Auch schlechte Zeiten, die Vergangenheit oder ein innerer Zwang sind problemstabilisierende Erklärungsmodelle, da sie eine Veränderbarkeit leugnen. Vielleicht soll sich aber nichts ändern, dann hätte diese Stabilisierung zudem eine positive Funktion. Gemeint ist der verborgene Nutzen, den problematische Einstellungen und Verhaltensweisen haben können. Beispielsweise kann Krankheit nützlich sein, um Fürsorge und Aufmerksamkeit zu erhalten oder Probleme an Ärzte und Therapeuten zu delegieren; Alkohol mag als Möglichkeit dienen, aus starren Strukturen auszubrechen, ohne Verantwortung für sich übernehmen zu müssen; Arbeitsüberlastung mag vor zu viel Nähe schützen, Schuldzuweisungen vor den Mühen eigener Veränderung. Viele problematische Muster erweisen sich als Lösungsversuche, Nähe und Distanz oder Eigenständigkeit und Abhängigkeit zu regulieren. Ganz zu schweigen von Aufgaben und Verantwortungen, die ein Familienmitglied für andere angenommen hat: das Kind, das in der Schule versagt, damit die Eltern zusammenbleiben; die Mutter, welche wegen der Kinder eine unglückliche Ehe auf sich nimmt usw. Natürlich gäbe es sinnvollere Wege, aber ein Familienmitglied hat nur das zur Verfügung, was es gelernt hat. Um positive Intentionen von bestimmten Verhaltensweisen aus einer noch anderen Sicht heraus zu verstehen, besinnen wir uns an dieser Stelle auf das oben beschriebene Streben nach Balance und Ausgleich, welches in einem sozialen Feld auftritt. Wenn die Lebenssituation, das Denken und Handeln in einer Familie sehr einseitig verlaufen, indem bestimmte Handlungen, Gefühle oder auch Gedanken tabuisiert werden, finden sich Symptomträger, die das, was fehlt, hereintragen. Wenn alle nach strenger Ordnung und Disziplin leben, verlangt das System nach Ausgleich, und der Empfänglichste wird einen Weg finden, das Chaos zu leben, möglicherweise ohne dafür verantwortlich gemacht werden zu können — dafür sorgt seine Krankheit. Wo nur die Sonnenseiten des Lebens angesprochen werden dürfen, wird der Schatten von verdrängtem Leid sich nicht dauerhaft verbergen lassen. Einseitige Überzeugungen oder verbotene Gefühle, unterdrückte Aspekte des Lebens, suchen nach Ausgleich und erzeugen jene Verhaltensweisen und Bestrebungen, die den Beteiligten als www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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das Problem erscheinen. Manchmal polarisiert sich das Feld, d.h., zwei Seiten einer Medaille, wie Geben und Nehmen, wie das Streben nach Distanz und das Streben nach Nähe, werden von unterschiedlichen Personen gelebt. Die jeweils findet sich externalisiert im Gegenüber — der entstehende Kampf ist nicht ungefährlich, kann er doch zu Eskalation führen, gemäss den Mustern eskalierender Systeme. Problemerhaltende Muster können auch in Verstrickungen innerhalb des Familiensystems ihren Ursprung haben, beispielsweise in der Identifizierung eines Beteiligten mit dem Schicksal anderer, nicht gewürdigter Familienmitglieder, in übernommenen Verpflichtungen und Lasten, darin, sein Wort gegeben zu haben usw. Veränderung. Während in der Aufstellungsarbeit viele dieser Themen durch eine an Rituale erinnerte Würdigung und Klärung der Rollen und Positionen der Familienmitglieder zueinander bearbeitet werden, geht die systemische Kurzzeit-Therapie andere Wege. Hier wird mit den gegenwärtigen Interaktionen und Überzeugungen in der Familie gearbeitet, die hinterfragt und im Sinne ihrer verborgenen Bedeutung für das System interpretiert und umgedeutet werden. Dies bildet die Grundlage für einen Lösungsentwurf, in welchem die Familienmitglieder bessere Wege kennen lernen, wie sie ihre Entwicklungsbedürfnisse erfüllen und miteinander umgehen können, dass ihnen dies gelingt. Das geht nicht ohne Veränderungen im Denken und Urteilen über sich selbst, über die anderen und über die auftretenden Prozesse. Der Gewinn liegt darin, dass man neue, eigene Einflussmöglichkeiten entdeckt und Verantwortung übernimmt, wo man früher einfach ohnmächtig war. Wenn es wichtig ist, dass der Nutzen bisherigen Verhaltens erhalten bleibt, gilt es, Wege zu finden, dies zu gewährleisten. Dann erst können die Beteiligten weitere Klärungs- und Entwicklungsschritte gehen, die für sie "dran" sind: Da gibt es den Sohn, der sich entscheiden muss, ob er auf eigenen Füssen stehen oder sich weiterhin von der Mutter versorgen lassen will, wofür er aber wie ein Kind behandelt wird; da wandelt sich Schuldzuweisung in Eigenverantwortung; da geschieht eine Veränderung in der Partnerschaft, die den Verzicht auf Krankheit ermöglicht; da löst man sich von Verpflichtungen, die nicht mehr stimmen, und da ist praktisches neues Lernen durch Änderungen von Einstellungen und Verhaltensweisen, das durch Feedback über erzielte Unterschiede gesteuert wird. Immer wieder gehört dazu, dass die Beteiligten andere Bilder voneinander erhalten, was es ihnen möglich macht, einander mehr Verständnis und Wertschätzung als bisher entgegenzubringen, was sich wiederum in der Art des Umgangs auswirkt. Zirkuläres Fragen. Grundsätzlich folgt die Arbeit mit Paaren, Familien und Teams in der lösungsorientierten Kurzzeit-Therapie bereits beschriebenen Grundstruktur, bestehend aus Interview, Pause und abschließender Rückmeldung mit Vergabe einer Hausaufgabe. Alle beschriebenen Frageformen und Möglichkeiten, Hausaufgaben zu vergeben, werden auch für die Arbeit mit einem ganzen Klientensystem genutzt. Die Fragen, der Schlusskommentar und die Hausaufgabe beziehen in diesem Fall alle Beteiligten ein. Hinsichtlich des Interviews gewinnt hier eine weitere Art des Fragens an Bedeutung, genau genommen ist sie ein zentraler Teil des zirkulären Fragens und ergänzt die obigen Fragemuster. Sie dient dazu, alle Beteiligten in neue Wahrnehmungspositionen zu führen, um auf dieser Basis wichtige Muster zu erkennen und Lösungswege erarbeiten zu können. Beziehung drückt sich in dem aus, was wir voneinander denken. Menschen repräsentieren nicht nur sich selbst, sondern auch Vorstellungen über die innere Befindlichkeit, die Bedürfnisse, Gedanken und Beweggründe der anderen Mitglieder ihres Systems. Ebenso entwickeln sie ein Abbild der Beziehungen und Wechselwirkungen, welche zwischen ihnen bestehen. Diese Vorstellungen beeinflussen wesentlich das eigene Verhalten, die gegenseitige Akzeptanz und Verständigung, sowie die Einflussmöglichkeiten jedes Mitglieds. Das Anliegen des zirkulären Fragens ist es, Informationen über das Denken, Verhalten und die Wechselbeziehung der Beteiligten aus der Perspektive anderer Mitglieder des Systems
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zu erhalten, so dass dieses sich mehrdimensional erschließt und die Voraussetzungen für Veränderung geschaffen werden. Hier eine Zusammenstellung typischer Fragen: Fragen nach dem Erleben anderer: •
Wie erlebt Ihr Partner das?
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Wie denkt Ihr Sohn darüber?
•
Wie denkt Ihre Mutter in Bezug auf das Thema?
•
Was beschäftigt Ihren Bruder?
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Was hält er für die Ursache seines Problems?
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Was halten Sie für die Ursache des Problems?
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Was würde Ihre Großmutter dazu sagen?
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Was bedeutet es für Sie, wenn er so ist?
•
Wie erklären Sie sich das Symptom Ihrer Schwester?
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Was wünscht sich Ihre Mutter?
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Was bedeutet das für Ihren Bruder?
•
Welche Möglichkeit wird Ihrer Tochter besser gefallen?
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Was bringt Ihren Vater dazu, das zu tun?
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Wer macht was mit wem — und warum?
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Wenn ein Wunder geschehen könnte, welches würde Ihrem Vater gefallen?
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Welches Wunder würde sich Ihr Bruder wünschen?
Fragen nach Wirkungen und Einflussmöglichkeiten: •
Was würde Ihr Bruder dann tun?
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Welche Folgen hat es für Ihre Frau, wenn diese Interpretation zutrifft?
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Welche Folgen hat es für Ihren Mann, wenn die andere Meinung zutrifft?
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Was macht Ihrem Bruder das möglich?
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Wie wirkt sich das auf Ihre Beziehung aus?
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Wie wird Ihr Mann darauf reagieren?
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Werden Sie zusammenbleiben?
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Was können Sie für die beiden anderen tun?
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Was geschieht mit Ihrer Kollegin, wenn Ihr Chef dieses Verhalten zeigt?
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Was tut ihre Frau, wodurch man sagen würde, sie sei depressiv?
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Wurzeln
der
Zukunft
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Was macht er, um als Versager zu gelten?
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Was müsste Ihr Vater tun, damit Ihre Mutter dieses Verhalten öfter zeigt?
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Was können Sie tun, um Ihre Mutter dazu zu bringen, dass sie das noch mehr tut?
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Wie könnten die anderen Sie dazu einladen, es sich schlechter gehen zu lassen?
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Was könnten Sie tun, damit Ihr Sohn das, was Sie nicht wollen, noch mehr tut?
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Was könnten Sie tun, damit Ihre Mutter das, was Sie nicht wollen, noch mehr tut?
Fragen nach Regeln und Werten: •
Was würde Ihr Mann den Kindern nicht erlauben?
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Was ist bei Ihnen verboten?
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Worüber sollte man nach Meinung Ihrer Mutter nicht sprechen?
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Was hebt Ihre Familie am meisten von anderen ab?
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Wer in Ihrer Familie würde die Sicherheit vorziehen, wer das Wagnis?
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Welche Gefühle würden Ihre Mutter nie zeigen?
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Wem ist es am wichtigsten, dass alle zusammenhalten?
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Wie wichtig ist Ihrem Sohn seine Selbstständigkeit?
Fragen nach Beziehungen und Positionen: •
Wer kommt an erster Stelle, wer an zweiter, letzter?
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Welche Personen haben gleiche/gegensätzliche Ziele?
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Welche Personen halten zusammen? Immer?
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Wie sieht die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Mutter aus der Sicht Ihres Vaters aus?
Die Auswahl der Fragen macht deutlich, dass über einen mehrfachen Wechsel von Wahrnehmungspositionen zu jedem Thema unterschiedliche Beschreibungen gewonnen werden können. Auch Personen aus dem System, die nicht körperlich anwesend sind, können und sollten miteinbezogen werden. Jeder gewinnt, was sein Verhalten und seine Wechselbeziehungen mit anderen anbelangt, mindestens eine Perspektive hinzu und begibt sich selbst in die Erfahrungswelt anderer. Wenn das, was eine Person über eine andere sagt, für diese nicht zutrifft, besteht die Möglichkeit, an diese Unterschieden und ihrer Veränderbarkeit zu thematisieren. Die gesamte Erfahrungsbreite des Systems mit ihren Unterschieden relativiert die Absolutheit eigener Vorstellungen. Dabei erschließt sich die kommunikative Bedeutung aller Verhaltenseisen, Symptome und ausgedrückten Gefühle für andere Menschen, ihre Funktion und ihr verdeckter Nutzen. Die Konstruktionen und Meinungen, welche die Beteiligten voneinander und sogar von sich selbst haben, verändern sich, neue Bedeutungen tauchen auf und neue Einflussmöglichkeiten werden sichtbar. Diese werden durch vielfältige Formen des Umdeutens, die auch ein wesentlicher Bestandteil des Schlusskommentars sind, unterstützt. www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Hausaufgaben etablieren neue Kommunikationsmuster, kehren destruktive Prozesse um und schaffen Raum für neue Erfahrungen.
Das reflektierende Team Die Chance für Lösungen und Erkenntnisse steigt, wenn wir eine Angelegenheit aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Zum einen gehören dazu alle Aspekte und Perspektiven, die der Therapeut wahrnimmt und einbringt, zum anderen all das, was andere Menschen dazu beizutragen haben. Wenn diese verfügbar sind, beispielsweise bei der Arbeit in einer Gruppe oder bei Forschungsprojekten, können sie die Arbeit in Form eines reflektierenden Teams unterstützen. Dies ist ein neueres Prinzip der systemischen Therapie, das seine Grundlage im Konstruktivismus hat (siehe Abschnitt "Vom Wissen über das Wissen", Teil IV ). Im Arbeitskontext finden wir zunächst das "festgefahrene System", den Klienten und eventuell andere Beteiligte, und das "helfende System", den Therapeuten oder Berater. Die ersteren lassen sich vom zweiten interviewen. Beide bilden das Interview-System, in welchem der Berater oder Therapeut spezielle Fragen an den oder die Klienten richtet. Hinzu kommt ein "reflektierendes Team", welches das Interview-System beobachtet, ohne auf dieses einzuwirken. Jedes Mitglied des reflektierenden Teams hört schweigend zu. Seine Mitglieder fragen sich, wie man die problematische Situation vor ihren Augen noch beschreiben oder erklären kann. Nach einiger Zeit bieten die Mitglieder des reflektierenden Teams ihre Ideen an. Wenn das Interview-Team grünes Licht gibt, legen sie ihre Eindrücke dar; liefern verschiedene Ideen und Versionen, die sich ergänzen und neue Versionen erschaffen können. Mit diesen Informationen geht das Interview-System in eine neue Runde. Der Interviewer beschränkt sich aufs Fragen, er äußert keine Meinungen, erteilt auch keine Ratschläge. Das Team formuliert seine Reflexionen in der Möglichkeitsform, um zu unterstreichen, dass sie nur subjektive Landkarten von einem Gebiet sind, von dem niemand eine objektive und endgültige Version hat. Früher befand sich das reflektierende Team während der Interviewphase vom Interviewsystem unsichtbar in einiger Entfernung hinter einer Einweg-Glasscheibe, welche den Blick lediglich in die andere Richtung freigibt. Neue Formen, welche die Mündigkeit und Ebenbürtigkeit aller Beteiligten betonen, verzichten auf diese "Unsichtbarkeit". Der oder die Klienten können in diesen Fällen auch die Rückmeldungen und Diskussion des reflektierenden Teams hören, werden sogar miteinbezogen.
Erweiterungen der systemischen Kurzzeit-Therapie Lebensweg-Arbeit und systemische Kurzzeit-Therapie Eine einfache Form, die lösungsorientierte Arbeit zu bereichern und die Tiefe und Klarheit des Erlebens zu erhöhen, besteht darin, die Erfahrungswelt des Lernenden im Interview auch räumlich auf einer Zeitachse, seinem Lebensweg, abzubilden. Der im Raum ausgelegte Lebensweg wird so zum Ort des Interviews, und der Lernende kann sich auf dieser Linie bewegen und die besprochenen Erfahrungen auf dieser Linie positionieren. Er kann bestimmen, aus welchem Abstand heraus er Erfahrungen auf dem Lebensweg betrachten will, oder er kann in sie "hineingehen". Das Ziel, aber auch das Wunder, haben ihren Ort in einer vom Klienten gewählten Entfernung im Bereich der Zukunft. Hindernisse können auf dem Weg zum Ziel liegen. Andere relevante Personen können durch Bodenmarkierungen seitlich der Zeitlinie visualisiert werden. Ins Sparrer beschreibt eine ähnliche Arbeitsweise in Weber (1998). Auf der Lebenslinie kann sich der Lernende seinen Fortschritten entsprechend bei jeder Sitzung zu einem neuen Punkt in Richtung Zukunft bewegen, was ihm seinen
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Wurzeln
der
Zukunft
Veränderungsprozess wie eine Skala bewusst macht. Je nach Fortschritt gibt es kleine oder größere Schritte vorwärts, manchmal vielleicht auch einen Schritt zurück. Außerdem kann sich der Zeitpunkt ändern, wo Ziel und Wunder liegen. Der Lernende kann beide Ereignisse bei Bedarf auf der Zeitlinie aufsuchen, sogar die vollendete Zukunft, zu der Ziel oder Wunder bereits Wirklichkeit geworden sind. Er kann sich zusätzlich in die Positionen anderer Personen hineinversetzen, die in jeder Phase des Prozesses relevant sind. Dies ist nur eine, die Arbeitsweise betreffende Ergänzung. Eine weiterführende Ergänzung liegt in der Aufarbeitung vergangener prägender Erfahrungen, wie sie die Lebensweg-Arbeit anbietet. Der Steuermann mag noch so gut trainiert sein, wenn ihm die Erlaubnis fehlt auszulaufen, kann diese alte Blockade ihn am Fortkommen hindern — einem Gummiband gleich, das ihn zurückzieht. Gleichzeitig ermöglicht es das lösungsorientierte Vorgehen der LebenswegArbeit, frühere, oft traumatische Erfahrungen zu bearbeiten und zu lösen, ohne die alten Muster zu wiederholen oder in schlechte Gefühle eintauchen zu müssen. Im Gegenteil: Das ressourceorientierte Arbeitsprinzip lässt den Lernenden nach vergleichbar kurzer Zeit freier und energievoller in die Zukunft zurückkehren. Was aber, wenn die Veränderungsarbeit in der Vergangenheit, beispielsweise das Reimprinting, mit den Mitteln lösungsorientierten Lernens geschieht, wenn das jüngere Selbst, das erwachsene Selbst und die anderen damals Beteiligten als ein System in der systemischen Kurzzeit-Therapie betrachtet werden. Hier kann das jüngere Selbst lernen und dieser Lernprozess ergänzt das Ressource-Prinzip oder kann als eine weitere Art von Ressource aufgefasst werden. Das Prinzip haben wir im Kapitel "Energiequellen und Ressourcen" bereits angedeutet. Warum aber wird die Interviewtechnik nicht angewandt und warum werden keine Aufgaben in der Imprint-Situation vergeben? Bei jeder Sitzung kann der Lernende über die Fortschritte seines jüngeren Selbst und aller Beteiligten in der früheren Situation berichten, die sich im Laufe der Zeit in seinem Inneren wie eine innere Geschichte immer mehr verändert. Natürlich ist es auch möglich, dies unter stärkerer Nutzung der weitern Wahlmöglichkeiten der Lebensweg-Arbeit auf eine einmalige Arbeit zu verkürzen. Gerade die Kontinuität aber bietet auch dem lernenden jüngeren Selbst die Chance, in kleineren Schritten mehr für die Umsetzung tun zu können. Neuro-linguistische Methoden und systemische Kurzzeit-Therapie Dem Kenner beider Verfahren werden Ähnlichkeiten und auch Unterschiede zwischen der lösungsorientierten Kurzzeit-Therapie und dem NLP aufgefallen sein. In beiden Fällen steht ziel- oder lösungsorientierte Arbeit im Vordergrund, geht es darum, Veränderungen ökologisch zu gestalten, die innere Erfahrungswelt des Lernenden zu erweitern und ihn zu befähigen, neue Dinge zu tun. Sprachmodelle, wie das Hinterfragen, alle Formen des Umdeutens und sowie hypnotherapeutische Sprachmuster spielen in beiden Fällen eine große Rolle. Während in der systemischen Kurzzeit-Therapie die Ressourcen in einem schrittweisen Erkenntnis-, Handlungs- und Erfahrungsprozess erarbeitet und integriert werden, stehen im NLP innere Prozesse im Vordergrund der Ressource-Arbeit. In der Lebensweg-Arbeit werden vergangene behindernde Erfahrungen gelöst, Überzeugungen verändert und in Ressourcen verwandelt. Gelebte und nicht gelebte Lebensalternativen werden zu Ressourcen. Einiges von dem, was das NLP von der systemischen Kurzzeit-Therapie lernen kann, ist die konsequente, systematische Form des Suchens, Hinterfragens und Weiterführens eines Lernprozesses, in welchem der Lernende im Hier und Jetzt gleichsam zum Steuermann seines Lebens ausgebildet wird. Es findet ein kontinuierliches Üben und Korrigieren statt. Umgekehrt verfügt das NLP über sehr wirksame Arbeitsmethoden in der Arbeit mit inneren Themen, emotionalen Blockaden und in der sinnlichen Verdeutlichung und Strukturierung von Lebenserfahrungen. Der nicht immer gute Ruf des NLP hat unserer Meinung nach weniger mit seinen mangelnden inhaltlichen Qualitäten und den entwickelten Modellen zu tun, sondern mit der Art, wie es sich in der Gesellschaft verbreitete. Zum einen ist da der nicht nur aus www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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systemischer Sicht unsägliche Name "Neuro-linguistisches Programmieren", wobei auch für uns der Stein des Anstoßes in dem Wort "Programmieren" liegt. Zum anderen gibt es da die Verbreitung der Modelle als Kommunikationstraining, nicht als therapeutische Ausbildung. Inzwischen gibt es beide Formen der Ausbildung, also auch die psychotherapeutische, doch früher war schwer zu differenzieren, welche Erfahrung und Kompetenz ein NLP-Anwender mitbringt. Zum dritten sind es fragwürdige Wertvorstellungen der Maximierung und des schnellen Erfolges, die ein Gründer der Schule in nicht immer sensibler Weise vertrat. Leider wird dies den vielen kompetenten und verantwortungsvollen NLP-Anwendern nicht gerecht — so dass wir bei aller eigenen Kritik an den genannten Aspekten auch die Werte und das enorme methodische Rüstzeug des NLP würdigen wollen. Ein Rüstzeug, von dem sehr viele andere Schulen dies oder jenes profitieren konnten. Und natürlich hat das NLP in gleicher Weise von anderen profitiert.
Visionen in systemischem Zusammenhang Visionen und ihre Quellen Etwas treibt uns an. Wir hätten Lust, gleich loszulaufen. Weg von Arbeit, Umgebung, Problemen. Die Frage ist nur, wohin. Das Ziel fehlt. Zumindest wissen wir es nicht so ganz genau, was es ist. Dann geht es uns wie am Fahrkartenschalter: Ohne Richtung kein Ticket, kein Zug, kein Weiterkommen, und wenn wir noch so viel Geld in der Tasche haben. Um herauszufinden, was wir wirklich verwirklichen wollen, brauchen wir den Kreativen Träumer in uns. Er kann uns langfristige Orientierung schenken, wenn wir ihm Zeit und Raum geben: eine Vision. Ein Leitbild, an dem sich Denken und Handeln ausrichten kann, das uns hilft, die richtigen Ziele ins Auge zu fassen. Wären unsere Visionen nur reine Phantasie, dann wäre die Richtung, die wir unserem Leben geben, recht zufällig. Quellen in der Vergangenheit. Wären Visionen nur in die Zukunft abgebildete Erinnerungen, würden wir lediglich dorthin streben, wo wir schon waren. Das haben schon viele versucht - um in einer Sackgasse stecken zu bleiben, denn es gibt kein Zurück in vergangene Daseinsformen. Der Preis wäre die Aufgabe all dessen, was wir erreicht haben. Und dennoch gibt es Sehnsüchte nach einer Zeit, in der noch alles gut war: das Paradies, die Urgeborgenheit, der Schoß der Natur. Bilder, wie sie uns Landschaftsmaler oder Werbestrategen aus unterschiedlichen, aber guten Gründen gerne unter die Nase halten. Die Wurzeln unserer Herkunft erinnern uns daran, was uns wirklich wertvoll ist. Es können Bilder, Ahnungen, innere Stimmen, subtile Gefühle, Symbole sein, persönlich, gemeinschaftlich, vielleicht archetypisch. Und natürlich kann es nicht sein, dass unsere warmen Ursprungserfahrungen ein für alle mal hinter uns liegen, ohne Hoffnung auf eine Art Wiederkehr. Es kommt darauf an, sie immer wieder zu integrieren. Entwürfe für die Zukunft. Wie oft meinten wir schon, etwas Liebgewordenes verloren zu haben. Dabei könnte es sein, dass es nur die vertraute Gestalt fehlt, das Prinzip kann sich auf andere Weise manifestieren, auch durch unsere eigenen Gedanken und Taten. Wie, darüber weiß unser Kreativer Träumer mehr als unsere Vernunft. Er kann aus dem verloren geglaubten Garten Eden das Paradies auf Erden machen, wie immer es für uns aussieht: Erlösung, Erleuchtung oder einfach persönliche Vorstellungen von Entfaltung, Freiheit, Liebe, Sicherheit, Harmonie, Reichtum. Die Quellen unserer großen persönlichen und kollektiven Visionen liegen in der Erfahrung dessen, was "damals" wertvoll war. Dazu kommen unsere Zukunftsentwürfe. Mit andern Worten: Wir nehmen unsere ursprünglichen Werte entwerfen ein Design, auf welche Weise sich diese Werte neu manifestieren sollen. Das geht auf unterschiedlichste Art, vielleicht gibt es für jeden mehrere gangbare Wege zum Glück. Wichtig bleibt: Unsere essentiellen Werte www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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haben tiefe Wurzeln. Das wussten wir in unserem tiefsten Inneren schon immer; es ist gut, sich ab und zu daran zu erinnern. Von innerem Erleben und äußerer Manifestation. Glücklich zu sein heißt, innerlich die Erfüllung dessen erleben zu können, was wirklich wertvoll ist. In solchen Momenten empfinden wir Wärme, auch wenn es draußen noch so kalt ist, Freude, auch wenn wir hart arbeiten. Dann sind wir innerlich reich, wie Liebende oder Spirituelle, Menschen, die in sich schon jetzt verkörpern, was sie äußerlich verwirklichen wollen. So als wären sie nicht abgetrennt von der Quellen des Gestern und dem Ufer des Morgen und dabei mitten im Strom des Wassers. Machen sich solche Menschen etwas vor, werden sie irgendwann unsanft aus ihren Träumen geweckt? Kann sein. Nämlich dann, wenn innere Erfüllung keinen Weg in die äußere Realität findet, oder wenn sie ihre Außenwelt gar verleugnen. Wenn wir aber Träumen, Denken und Handeln zu gleichberechtigten Partnern machen, können wir anderen vorleben, was ein altes indisches Sprichwort besagt: "Was wahrhaft getan ist, ist leicht getan." Manchmal verzehren wir uns in unerfüllter Sehnsucht nach weit entfernten Visionen, während die Gegenwart als Jammertal erscheint. Leider hilft uns die Sehnsucht wenig dabei, schon heute die nötige Energie und Ausstrahlungskraft für die Verwirklichung unserer Träume zu mobilisieren. Ohne die Kraftquelle der innerlich erlebten Erfüllung, und sei es nur als Ahnung, wird der Weg steinig und lang. Oder es geht uns wie dem Esel, dem ein Futtertrog unerreichbar vor das Maul gehangen wurde, damit er immer weiter läuft. Besinnung durch Mangel. Die manchmal schmerzhafte Erfahrung eines Mangels kann uns den Kick geben, endlich kehrt zu machen. Wie oft brauchen wir den "Leidensdruck", damit wir uns jener Lebensinhalte bewusst werden, die wirklich zählen. Dann wächst mit jedem Schritt eine neue Motivation. Ein Weg, den immer mehr Menschen angesichts von Umweltbelastungen, existentieller Unsicherheit und Gewalteskalation gehen. Der Wendepunkt, aus dem lebensfördernde Visionen wachsen, liegt freilich weniger im "weg von alldem" als vielmehr in der Antwort auf die Frage: "was wollen wir stattdessen?" Visionen wachsen aus unserer Erfahrung, unseren Bedürfnissen und Anlagen. Damit sind sie einzigartig. Sie können uns nicht verordnet werden. Als Vorstellungen, die aus unserer persönlichen oder gemeinschaftlichen Erfahrung wachsen, haben sie die Kraft, unserem Leben eine Richtung zu geben, mit der unser tiefstes Inneres sehr einverstanden ist. Historische Erfahrungen mit der Zukunft. Unsere Visionen erfüllen uns, treiben uns an. Ziele und Wünsche helfen ihnen zum Durchbruch. Doch es gibt auch Visionen, die nicht zum glücklichen Ende führen, denken wir etwa an die des Nationalsozialismus. Viele Deutsche haben deshalb ein gestörtes Verhältnis zu großen gemeinschaftlichen Visionen. Die jüdische Glaubensgemeinschaft konnte dagegen, wohl vor allem durch die Kraft ihrer kulturellreligiösen Visionen, die eigene Identität und Zusammengehörigkeit wahren. Vielleicht wären ohne die Wirkung kraftvoller, lebensbejahender Visionen heute noch Gewaltherrschaft und Hunger unser Alltag. Andererseits fragen wir uns, warum so viele Menschen in anderen Erdteilen einen solchen Alltag erleben. Hat auch das mit der Unvollkommenheit einiger Visionen zu tun, mit mangelnder Überprüfung? Organisationen, Parteien und Unternehmen sind mit ihren Visionen gewachsen oder gefallen - vorausgesetzt, sie hatten welche. Persönlichkeiten wurden gekrönt oder gestürzt. Scheinbar können Zukunftsvorstellungen in unterschiedlichen Kontexten, Zeiten und Gesellschaften entwicklungsfördernd als auch entwicklungshemmend wirken. In den nächsten Abschnitten werden wir viel darüber erkennen, was den Unterschied ausmacht.
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Persönliche Visionen herausbilden Ein besonderes "System" ist der einzelne Mensch. Mit seiner Wahrnehmung, seinen Überzeugungen und Werten zimmert er sich seine persönliche und damit auch seine gemeinschaftliche Zukunft. Das sind die Rohstoffe, aus denen er sich sein Glück schmiedet. Oder auch nicht. Was immer wir wahrnehmen, was uns bewegt und leitet, erleben wir über unsere Sinne: das Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, den Gleichgewichtssinn. Unsere Sprache hilft uns, darin Orientierung zu finden, die Eindrücke zu ordnen und auszudrücken. Uns und anderen gegenüber. Wir erfahren über unsere Sinne nicht nur, was in unserer Außenwelt geschieht, sondern auch was in unserem Inneren vor sich geht. Wobei nicht immer leicht zu unterscheiden ist, was außen und was innen passiert; manche sagen, es gäbe gar keinen Unterschied. Sei’s drum, nach innen gerichtete Wahrnehmung liefert uns Erinnerungen, Phantasien, Emotionen, Körpersignale - selbst, wenn außen alles still ist und wenn wir die Augen geschlossen haben. Die innere Stimme kommentiert, führt manchmal Streitgespräche. Manchmal wird sie zum Kommandanten. Wie die Wahrnehmung der äußeren Umgebung sind auch unsere Wünsche, Hoffnungen, Überzeugungen, Erinnerungen, und natürlich Visionen Kombinationen von Sinneseindrücken. Wir gestalten und erfahren sie täglich in unserem Inneren, und sie bewegen etwas in uns. Durch das NLP haben wir viel über die sinnliche Repräsentation dieser Erfahrungen und wie wir sie verändern können gelernt. Menschen und Tiere können wir sehen, hören, fühlen zugleich. Die stumme Welt der Dinge wird zu Geräusch und Gefühl, wenn wir sie anfassen und bewegen. Die Erfahrungen, die wir dabei machen, können wir innerlich so oft wiederholen, wie wir wollen. Wir können sie mit anderen vergleichen und schließlich aus bekannten Elementen ganz neue Erfahrungen konstruieren. Diese Fähigkeit hat in der Vollkommenheit, so behaupten wir jetzt einfach mal, nur der Mensch erreicht, und mittels Sprache kann er dieser Fähigkeit Organisation und Struktur geben, kann vielfältige Vorstellungswelten schaffen, aufnehmen und mündlich oder schriftlich weitergeben. Einmal abgesehen von den Möglichkeiten, die Malerei, Musik, Tanz oder Pantomime bieten. Wenn sie für uns Bedeutung haben, finden sinnliche Erfahrungen den Weg nach innen. Nachdem sie diverse Filter passiert haben, speichern wir sie dort, verarbeiten und vergleichen sie. Dann stehen sie uns als Grundsubstanz neuer innerer Konstruktionen und Kreationen zur Verfügung, gerade im Prozess des schöpferischen Träumens. Sich ähnelnde Erfahrungen können wir dabei soweit abstrahieren und extrahieren, dass wir die in ihnen enthaltene Essenz erkennen. Der Entdecker in uns hat längst gelernt, Wahrnehmungspositionen zu wechseln: sich in die Zukunft, in die Vergangenheit, ins Erleben anderer Menschen und in die Sicht des Ganzen hineinzuversetzen. Je größer unserer Erfahrungsschatz, desto leichter fällt es uns, Antworten auf unterschiedlichste Fragen zu finden. Was immer wir bei unseren Entscheidungen, Handlungen, Gedanken an konzentriertem Wissen, aus der Essenz von inneren und äußeren Erfahrungen zuziehen, erleben wir als Intuition. Intuition lässt sich rational kaum nachvollziehen, sie ist komplex, unheimlich komplex. Außerdem können wir Strukturen nutzen, die uns helfen, uns zu orientieren. Wie stellen wir uns unsere Zukunft vor? Denken Sie einmal an einen persönlichen oder beruflichen Wunsch. In welcher der folgenden Kategorien finden Sie ihn wieder? Dimension Zeit: •
Vergangenes soll wiederkehren (Regression)
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Wurzeln
der
Zukunft
•
Gegenwärtiges soll bleiben (Konservierung)
•
Neues soll sich entwickeln (Progression)
Dimension Balance •
Etwas soll so stark oder so viel wie möglich werden (Maximierung)
•
Etwas soll verschwinden (Eliminierung)
•
Zwei sollen zusammenwachsen (Integration)
•
Einseitiges soll ausgeglichen werden (Balance)
•
Fehlendes soll hinzukommen (Vollständigkeit)
•
Überflüssiges soll abgebaut werden (Entlastung)
Dimension Entwicklung •
Leben soll wachsen, blühen, sich entfalten (Freiheit)
•
Was innen angelegt ist, soll außen Wirklichkeit werden (Manifestation)
•
Etwas soll sich umwandeln (Transformation)
Dimension Funktionsweise •
Das Zusammenspiel soll von allen optimal mitgestaltet werden (Synergie)
•
Jemand soll tun, was verlangt wird oder vorgeschrieben ist (Dominanz)
•
Ziele sollen, egal wie, erreicht werden (Zielorientierung)
•
Wege sollen, egal wohin, angenehm sein (Prozessorientierung)
Dimension Selbst - Andere •
etwas nur für sich wollen (Egoist)
•
wissen, was gut ist für Andere (Missionar)
•
etwas von Anderen wollen und ihnen dafür dienen (Opportunist)
•
ganz dem dienen, was Andere erreichen wollen (Altruist)
Vielleicht erkennen Sie schon jetzt, ob Ihr Wunsch (oder das Ziel Ihres Unternehmens) in einen größeren Zusammenhang passt, ob er sich verändert, wenn dieser Zusammenhang deutlich wird. Welche Merkmale kennzeichnen die meisten Ihrer Wünsche und Ziele? Wie unterscheiden sie sich von den Merkmalen ihrer großen Fernziele und Visionen? Denn wenn wir Pläne für unser ganzes Leben machen, brauchen wir sicherlich mehr Weisheit, als wenn es um die Gestaltung der kommenden Woche geht. Fragen, die uns weiterbringen, sind: Worin zeigt sich diese Weisheit? Liegen unsere nahen Wünsche und Ziele auf einem Weg mit unseren Fernzielen und Visionen oder weisen sie in entgegengesetzte Richtungen? Unterstützen oder hindern sie sich? Passt es beispielsweise zur Vision "Frieden", zuerst seinen Gegner auszulöschen? Extrakte der Erfahrung. So oder so ähnlich werten wir also die Erfahrungen unseres Lebens aus und so merken wir, was uns gut tut, was wir brauchen, was uns hindert. Haben wir www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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Wurzeln
der
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erst einmal ein Dach überm Kopf und genug zu essen und zu trinken, geben uns auf die eine oder andere Weise vielleicht noch etwas "Kultur" und sind wir auf dem Weg, unser Selbst zu entdecken, dann werden Austausch, Individualität, Position und Gesamtsystem, je nach Entwicklungsstufe, wichtig. Mit anderen Worten, der Mensch will sich vervollständigen, und deshalb sucht er in jeder Phase seines Lebens nach bestimmten Werte, um sie in sein Leben einzubauen. Mit zunehmendem Alter sind es gemeinschaftliche Werte. Können wir uns indes in manchen Phasen unseres Lebens nicht frei entwickeln, so wirkt sich das oft auf unser inneres Gleichgewicht aus; noch Jahrzehnte später erleben wir dann, wie wir danach streben, das nachzuholen, was uns "damals" gefehlt hat. Wenn es dumm läuft, chronisch erfolglos und mit den Verhaltensweisen des kleinen Kindes von "damals". Motivierend und erfolgreich, wenn wir mit unserem gewachsenen Potential und der Wahrnehmungsfähigkeit des Erwachsenen an die Sache von "damals" herangehen. Unsere Motivation kann uns in verschiedene Richtungen führen: •
weg von der Wiederkehr negativer Erfahrungen,
•
hin zur Wiederkehr guter Erfahrungen,
•
hin zum Ausgleich früherer Defizite,
•
hin zur Befriedigung der aktuellen Bedürfnisse,
•
hin zu neuen Erfahrungen und Entdeckungen,
•
hin zu Eigenständigkeit und Selbstentwicklung,
•
hin zur Zugehörigkeit und Selbst-Transzendenz.
Wir können es so sehen: Ein Teil unserer Persönlichkeit beschäftigt sich damit, schlechte Erfahrungen auszugleichen, ein anderer vermeidet Schlimmeres, ein dritter managt die Gegenwart, ein vierter sucht neue Wege, ein fünfter schüttelt mit dem Kopf und zwei andere machen Pause. Oder anders. Fest steht: Alle bilden ein System, das mehr oder weniger gut funktioniert. Die Hirnforschung beschreibt, wie unser Kopf arbeitet. Vereinfacht gesagt, arbeiten im besten Fall die verschiedenen Sub-Persönlichkeiten auf synergetische Weise zusammen. Die SubPersönlichkeiten hat unser Fühl- und Denkapparat im Laufe unseres Lebens aufgrund von Erfahrungskategorien gebildet. Wie wäre es also mit folgender Vision? Stellen wir uns eine Lebensform vor, in der das, was bisher wertvoll war, in neuer Form wiederkehrt, was bisher fehlte, erfüllt ist, was bisher belastete, fehlt - eine Lebensform, in der sich entfalten kann, was innerlich angelegt ist. Wer will, erschafft sich diese Vorstellung in seinem Inneren, auch wenn sie von äußerer Anregung inspiriert sein mag. Sinnlich können wir diese Vision als ein konkretes oder metaphorisches Bild, aber auch als ein abstraktes Symbol, Licht, eine Naturerfahrung zum Leben erwecken. Vision kommt von visuell. Doch das Bild, das wir uns von ihr machen, ist für die wenigstens alles. Schließlich haben wir noch vier andere Sinne zur Verfügung. Manche kennen noch mehr, und unterscheiden... •
das Plastische (Tastsinn)
•
das Lebendige (Lebenssinn)
•
das Bewegte (Bewegungssinn)
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Wurzeln
der
Zukunft
•
das Symmetrische (Gleichgewichtssinn)
•
den Geruch (Geruchssinn)
•
den Geschmack (Geschmackssinn)
•
das Licht und die Farbe (Sehsinn)
•
das Temperierte (Wärmesinn - psychisch)
•
die Proportion (Proportions- oder Tonsinn)
•
die Gestalt (Gestaltsinn)
•
das Symbol (Gedankensinn)
•
die Identität (Identitätssinn)
Klar, ein Bild allein, ohne Gefühlsregung, ließe uns kalt, kann also nicht motivieren. Für manche von uns sind innere Stimmen, Klänge und Melodien sogar wichtiger als Bilder. Andere fühlen ihre Vision. Als Entspannung, Freude, Motivation. Oder Wärme, Prickeln, Berührung. Der Gleichgewichtssinn reagiert gerne mit Balance, Beweglichkeit und Standhaftigkeit. Denn wenn wir diese Vision schließlich erleben oder auch nur "visualisieren", arbeiten beide Hirnhälften und Körperseiten synchron. Wir merken schnell, dass sich eine echte Vision verschiedener Sinne bedient, um an die Oberfläche zu stoßen. Erfahren können wir die Vision freilich erst, wenn wir all die Informationen verarbeitet und integriert haben, die nötig sind, damit wir uns selbst unseren Wegweiser schaffen können. Unsere Vernunft stört diesen Prozess meist eher, als dass sie ihn fördert. Was es braucht, ist Weisheit, jene in Lebenserfahrung und weite Wahrnehmung getauchte Vernunft. Kinder besitzen oft mehr davon als Erwachsene. Eine Vision entsteht also, wenn wir mit unseren Ursprüngen in Kontakt sind, unsere Werte und Bedürfnisse erkennen, unser gewachsenes Potential einbeziehen, unsere Wahrnehmung über Zeit und Raum erweitern und all das sinnlich erleben. Jetzt erkennen wir auch den Unterschied zu Rückbesinnung und Sehnsucht: Persönliche Erfüllung ist nicht bloße, nostalgische Wiederkehr vergangener Erfahrungen aus der guten alten Zeit, sondern ein Fluss, der seine Quelle in der Vergangenheit hat, von Lebenserfahrung, Fähigkeiten und Potential gespeist wird und in einem Meer von Liebe, Balance und Freiheit endet. Dieser oder anderen Visionen ordnen wir Ziele oder Wünsche unter. Die Vision sagt nichts Konkretes darüber, was wann, wo und wie sein soll, sondern lässt dem Lebens alle guten Wege und Möglichkeiten offen, sie zu ereichen. Nur indirekt bestimmt sie den nächsten Schritt, ansonsten ist sie unser innerer Maßstab, den wir beim Bestimmen unsere konkreten Ziele anlegen können. Wenn die Richtung stimmt, merken wir das am Gefühl von Übereinstimmung und an der Vorfreude über die baldige Erfüllung. Die Vision hilft uns also, intuitiv den richtigen Trittstein zu betreten, um sicher zum richtigen Ziel zu kommen. Von Etappe zu Etappe. Sie wollen wissen, wie Sie merken können, welche Schritte Sie weiter bringen und welche nicht? Denken Sie einmal an etwas, das Sie von ganzem Herzen wollen. Jemand den Sie lieben, ihr Traumhaus, den Superjob. Was für ein Gefühl spüren Sie wo in ihrem Körper? Bewegt es sich, wenn ja, wohin? Welche Temperatur, welche Schwere hat es? Oder ist es mehr eine Farbe, ein Klang, eine Körperbewegung? Ganz gleich, wichtig ist, dass Sie sich diese Wahrnehmung merken.
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Wurzeln
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Denken Sie nun an etwas, was Ihnen überhaupt nicht behagt. Wie unterscheiden sich Gefühle, Bilder, Töne, Bewegungen? Auch diese Repräsentation sollten Sie sich merken. Vielleicht erinnern Sie sich auch an Dinge, die Ihnen einigermaßen egal sind, oder Sie wissen nicht genau, ob ja oder nein. Auch hierfür finden Sie sicherlich eine passende Wahrnehmung. Achten Sie darauf, was Sie wahrnehmen, wenn Sie das nächste Mal mit Ihrem Chef, Ihren Kunden, Ihrem Partner reden, und ob das, was Sie sagen und tun, zu dieser Wahrnehmung passt. Sagen Sie "ja" und fühlen "nein"? Auch beim Einkaufen, Essen, Fernsehen legen wir Ihnen diese Art Check ans Herz. Ansonsten können Sie’s mal mit dem Muskeltest probieren, den wir in Kapitel ... vorstellen. Kaum etwas könnte uns stärker motivieren und uns mehr Kreativität verleihen als eine feine Vision. Denn für den Weg, den unser Inneres gehen will, stellt sie eine Menge Antriebsenergie zur Verfügung, besonders, wenn sie sich mit bewusstem Wollen vereint. Und: Innere Konflikte lieben es, sich im reinen Licht einer Vision aufzulösen. Kennen Sie jemanden, der viele Hürden mit Elan und Leichtigkeit genommen hat, um zu verwirklichen, was ihm wertvoll ist? Mit Sicherheit waren starke Visionen seine Kraftquelle und Wegweiser. Von Innen nach Außen. Wer tief in sich eine Vision schafft, erfährt und erlebt, wird sich kaum von den manchmal zweifelhaften Lebenssinn-Angeboten ablenken lassen. Um so besser aber, wenn unser Umfeld mit unserer inneren Ausrichtung harmoniert oder sich beides ergänzt. Daran erkennen wir, ob unsere persönliche Vision in größeren gemeinschaftlichen Visionen ihr Zuhause hat. Suchende probieren, was ihnen auf irgendeine Weise interessant erscheint. Doch letztlich nehmen wir nur jenen Teil des Angebots an Worten oder Bilder in unsere innere Vorstellungswelt auf, die unser Inneres berühren: ein Gedicht, ein Film, die verstehenden Worte eines Freundes, ein Naturerlebnis, Denkweisen einer Gemeinschaft. Was Resonanz in uns findet, ist ein Angebot für unseren inneren Findungsprozess. Doch vorschnelles Annehmen kann uns später Konflikte und Abhängigkeiten bescheren. Zum Beispiel dann, wenn wir Verpflichtungen eingegangen sind und sich zeigt, dass der eingeschlagene Weg nicht in die Richtung Erfüllung weist. Andererseits lernen wir daraus, Schein und Sein zu unterscheiden, Form und Inhalt in Einklang zu bringen und innere Maßstäbe zu schaffen, denen wir vertrauen können. Bei allen äußeren Reizen. (Diese Fähigkeit steckt in jedem von uns - vielleicht haben deshalb auch die grandiosesten Werbespots manchmal verhältnismäßig wenig Erfolg.) Werbung und Heilsverkünder haben freilich dort leichtes Spiel, wo persönliche Unerfülltheit und Leidensdruck groß sind, ohne dass der Suchende die Wege zur Veränderung erkennt, ohne dass sein inneres Potential gereift ist, das Leben in die gewünschte Richtung zu lenken. Wo schnelle Hilfe nötig ist, werden Angebote leicht angenommen. Ohne auf den Preis zu achten. Und der ist oft hoch: finanzielle, körperliche oder seelische Abhängigkeit, Krankheit, Unselbständigkeit, die sich nur noch vergrößert. Weil solche "Abkürzungen" einen für unsere Entwicklung wichtigen Teil des Weges aussparen (vielleicht in den Bereichen Persönlichkeit, Austausch, Finden der eigenen Position oder in der Gestaltung des Gesamtsystems). Kurzzeit-Erfolg bringt dann Langzeit-Behinderung. Wir träumen nun mal nicht von den Gegenständen selbst, sondern davon, was wir uns von ihnen versprechen. Was sich hinter Symbolen verbirgt. Natürlich gibt es auch das: Der neue Wagen macht uns in der Tat zufriedener. In der anderen Wohnung lebt es sich wirklich ruhiger. Mit dem neuen Partner klappt es tatsächlich besser. Doch wir können auch alles mögliche haben, ohne etwas entsprechendes zu sein. Millionen besitzen und unsicher sein. Ruhm haben und einsam sein. Familie haben und Distanz erleben. Der Absturz in das Ziel, genannt Enttäuschung oder Sinnlosigkeit. Wer allgemein anerkannte Ziele erreicht, wird nicht automatisch froh, sondern Held der Gesellschaft, verehrt und beneidet. Einer, der es geschafft hat, ein Gewinner. Er hat sich den www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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vermeintlichen Traum vieler seiner Zeitgenossen erfüllt. Früher oder später wird er sich fragen, ob es sein eigener Traum war, ob sein Leben die ersehnte Qualität gewonnen hat. Ob er äußerlich und innerlich reicher geworden ist. Mit der nötigen Weitsicht verstehen wir das, was von außen kommt, als Inspiration. Dann sind die Worte und Bilder aus unserer Umwelt Katalysatoren, Stimulatoren, Probierpackungen, Metaphern. Und wir werden sie so lange in unsere Vorstellungswelt aufnehmen, wie es uns dient. Der Werbespot kann durchaus eine nette Lifestyle-Anregung sein, die angebotene Mogelpackung (wenn sie eine ist) bleibt außen vor. War die Anregung durch den Werbespot aber so gut, dass sie das Leben bereichert hat, kaufen wir seinen Schöpfern das Produkt gerne einmal ab, wenn’s passt. Mit zunehmender Reife lenken wir unser Leben von innen heraus. Äußere Einflüsse verlieren an Macht. Fragen, die uns in diese Richtung bringen: Wofür lebe ich, Was ist wichtig in meinem Leben? Und besonders: Was würde ich anders machen, wenn ich wüsste, dass ich nur noch kurze Zeit leben kann? Dann fallen uns die wirklich wichtigen Dinge des Lebens ein: Kontakt zu Menschen, jemanden lieben, sich endlich mal was trauen, gerade stehen, den eigenen Träumen zu folgen, Mut zu Visionen und hohen Zielen haben. Echtheit Mit etwas Übung erkennen wir Übereinstimmung und Diskrepanz: von Wort und Erscheinung, Form und Inhalt, Denken und Handeln, Anspruch und Realität. Wir merken, was zusammenpasst und was nicht. Das ist unser Maßstab für Glaubwürdigkeit und Echtheit. Damit entwickeln wir eine Fähigkeit, die heute mehr denn je zählt. Denken Sie nur einmal an den Verkauf. Der mit allen Wassern der Kommunikation gewaschene Typ des manipulativen, glatten Verkäufers ist auf der Verliererstraße, wenn seine Kunden oder die, die er dafür hält, sensibel zwischen Übereinstimmung und Diskrepanz unterscheiden können. Was Politiker angeht, wollen wir Ihnen das Suchen von Beispielen selbst überlassen. Echtheit wird immer wertvoller im Umgang mit anderen. Denn wertvoll ist das, woran es objektiv hapert; das Ziel ist Balance. Was aber sind die Bausteine der Echtheit? Wir meinen, so etwas wie der "Einklang" verschiedener Ebenen der Persönlichkeit. Im Modell der Entwicklungsebenen nach Robert Dilts klingt das wie folgt. Passt unser Verhalten, was wir tun, zu unserer Umgebung? Wie verhält sich das, was wir können, unsere Fähigkeiten, zu dem was wir tun? Wie passen unsere Werte und Überzeugungen, also das, was wir wollen und woran wir glauben, zu unseren Fähigkeiten und unserem Verhalten? Wie verhält sich unsere Identität, wer wir sind oder meinen zu sein, zu unseren Wertvorstellungen und Überzeugungen? Und schließlich: Wie passt unsere Identität zu unserer sozialen, kulturellen und, wenn Sie wollen, spirituellen Zugehörigkeit? Mit Zugehörigkeit meinen wir übergeordnete Systemen, in denen wir bestimmte Positionen und Funktionen einnehmen, die uns Energie und Sinn geben. Wenn wir diese Ebenen miteinander in Einklang bringen, haben wir unser Leben balanciert. Denken und Handeln, Innen und Außen, Haben und Sein, Ich und Wir. Diese Balance ist eine Quelle der Kraft und die Basis für Wirksamkeit. Was wir sagen, hat Überzeugungskraft, weil wir zu hundert Prozent so denken und fühlen. Unser Handeln ist glaubwürdig, weil unsere ganze Person, bewusst und unbewusst, dahinter steht. Echte Visionen haben die Kraft, diese Stimmigkeit in uns wachsen zu lassen. Sie sind gleichzeitig Ausdruck dieser Stimmigkeit.
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Visionen und soziale Systeme Unsere Wünsche und Ideale zeigen, dass wir uns seit eh und je gerne so wie ideale Systeme entwickelt hätten. Die moderne Demokratie, der freie Markt, das Bildungssystem, die Fußballmannschaft könnten Entwicklungsstadien sein, die auf dieser Absicht beruhen. Auch, wenn sie in Wirklichkeit oft mit dieser guten Absicht wenig gemein haben. Was uns schon immer wichtig war: Persönlichkeit. Sich entwickeln und entfalten - so wie es unserem Wesen und seinen Potentialen entspricht. Die Flexibilität und Kraft, sich echte Bedürfnisse aus eigener Kraft erfüllen zu können. Typische Werte sind Freiheit, Wachstum, Ausdruck, Macht, Größe, Kompetenz, Lernen, Selbstwert, Würde, Toleranz Position. Den richtigen Platz in der Gemeinschaft zu finden, dort, wo wir am meisten bewirken und das erhalten, was wir brauchen. Typische Werte sind Zugehörigkeit, Beruf, Heimat, soziale Rolle, das Zuhause, Lebensaufgaben, Position, Karriere Austausch. Geben - den eigenen Stärken gemäß. Empfangen - den eigenen Bedürfnissen gemäß. Typische Werte sind Kommunikation, Verständnis, Miteinander, Unterstützung, Liebe, WinWin, Brüderlichkeit, Handel, Synergie Gemeinschaft. Das Ideal von der vollkommenen Ausprägung des Ganzen. Typische Werte sind Gemeinschaft, Volk, Gerechtigkeit, Verbundenheit, Identifikation Familie, Unternehmen, Kultur, Markt, Natur, Ökologie, Spiritualität Jede große Vision hat ihren Wurzeln in einem dieser vier Bereiche. Jeder dieser Bereiche kann sich freilich nur im Zusammenspiel mit den drei anderen entwickeln. Wieder einmal geht es um Balance. Was nützt uns schon Selbstentfaltung, wenn wir uns keiner Gemeinschaft zugehörig fühlen, wenn wir uns nicht mit anderen austauschen können, unseren Platz nicht finden. Vielleicht ist "Ego-Trip" dann ohnedies das treffendere Wort. Fest steht, das Glück auf Erden sieht so nicht aus. Eine gereifte Persönlichkeit hat das längst erkannt, weiß, dass auch Austausch ein beliebiges Spiel mit dem Zufall bleibt, solange es keine persönliche Entwicklung, den eigenen Platz in der sich selbst organisierenden Gemeinschaft gibt. Was habe ich schon zu geben, wenn ich mich nicht selbst entwickeln konnte? Reines Suchen nach Positionen gerät zum Gerangel, wenn wir nicht sehen, was das Ganze braucht und wie sich der Einzelne entwickelt. Die alleinige Betonung der Gemeinschaft führt schließlich zu Gleichmacherei, hemmt die Entfaltung der Persönlichkeit und bremst die Antriebsenergie der persönlichen Motivation. Die Gemeinschaft ermöglicht uns persönliche Entwicklung. Das wiederum gibt uns die Kraft, unsere Individualität und Fähigkeiten leben zu lassen. Damit dienen wir dem Gemeinwohl; wir tun genau das, was die Gemeinschaft die für die Meisterung der Zukunft braucht. Nun ist es nicht immer leicht, den richtigen Platz innerhalb eines Systems zu finden. Häufig stellen sich vermeintliche Konkurrenten in den Weg. Konkurrenz kann freilich zur Selbstregulierung von Systemen beitragen, sorgt sie doch häufig dafür, dass Positionen innerhalb des Ganzen von
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denen besetzt werden, die sich entsprechend entwickelt haben oder sich den Vernehmen nach optimal weiterentwickeln werden. Im Idealfall. Nahezu unbegrenzt sind die möglichen Positionen innerhalb unserer Gesellschaft. Denn sie entwickelt und differenziert sich, schafft ständig neue Funktionen. Kreativität wird deshalb wichtiger als Konkurrenz auf dem Weg, ein sinnvoller Teil des Ganzen zu werden. Das Optimum dieses Prozesses ist eine Vision wert: Es gibt keine Verlierer mehr, jeder Beteiligte hat die für ihn und die Gemeinschaft sinnvolle Position gefunden. Persönliche Vorlieben und Potentiale decken sich immer wieder mit dem, was die Gemeinschaft braucht die perfekte Balance. Das setzt natürlich voraus, dass jeder weiß, was in ihm steckt und es auf seine persönliche Weise zum Wohle aller lebt. Wie das Prinzip des Austauschs zu wechselseitigem Nutzen. Egal ob totalitäres Regime oder machthungriger Egomane - wer dieses Prinzip zugunsten rücksichtsloser Bereicherung ablehnt, wird langfristig Gegenkräfte ins Feld rufen, die die eigene Größe auflösen, wenn es sein muss, das ganze Land. Gesellschaftliche Selbstregulation. Wird eine der Grundfunktionen zu Lasten der anderen überbetont, wird das System krank; die Balance fehlt. So wie ein Mensch, der ständig an die selbe Sache auf die immergleiche Art und Weise denkt, irgendwann einmal Kopf- oder Magenschmerzen bekommen könnte. Balance bedeutet nun aber nicht, dass jeder Teil alle Funktionen wahrnimmt: Im Gegenteil: Subsysteme (Mitarbeiter, Organe Persönlichkeitsanteile..) werden sich so gerade weit spezialisieren, wie die anderen ergänzende Funktionen verwirklichen. Bleibt ein Bereich unseres Gemeinwesens unerfüllt, so werden wir Wünsche und Visionen entwickeln, mit anderen Worten Energie in nötige Prozesse der Veränderung stecken. Energie, die evolutionär oder revolutionär sein kann. Oder zur Abspaltung oder Herausbildung neuer Subsysteme führen können, um im größeren Maßstab wieder Balance zu schaffen. Das ist der Grund, warum Subkulturen, Sekten, neue Parteien oder Moden entstehen. Stellt sich heraus, dass das Gesamtsystem nicht fähig ist, sich zu ändern, können die Kräfte zu seiner Zerstörung oder zum kompletten Neuaufbau führen, ein Prozess, den noch immer viele osteuropäische Länder durchlaufen. Ihre Vision war das vollkommene Gesamtsystem. Die Werte der Selbstentfaltung, des freien Austauschs und der optimalen Positionierung des Einzelnen fehlten jedoch völlig. Schließlich wirkte die Energie, die die Bürger jahrzehntelang zur Wiedergewinnung des verlorenen Gleichgewichts einsetzten: Sie zersprengte die politischen Strukturen - und noch ist kein neues Gleichgewicht in Sicht. Globale Prozesse "regeln" das entstandene Chaos in unvorhersehbarer Weise mit. Auf der anderen Seite der amerikanische Traum von freier Entwicklung, Konkurrenz, Wettbewerb, Expansion. Der Stärkere gewinnt. Auch diese Vision steht auf wackligen Beinen, denn es fehlt die Einsicht, dass sich diese Werte in größere Systeme einzugliedern haben. Weltwirtschaft und das Ökosystem Erde schenken dem Einzelnen nur dann Entwicklung und Freiheit, wenn er dem Wohl des Großen Ganzen dient. Wo eine Mentalität des Raubzugs die Balance von Geben und Nehmen außer Kraft gesetzt hat, wird der vermeintlich Überlegene in Zukunft verlieren. Wir erinnern an den sang- und klanglosen Verfall Nazi-Deutschlands oder des Römischen Reiches. Zukunftsfähigkeit und Balance. Unternehmen, Parteien und Vereine "funktionieren" ganz ähnlich wie jeder einzelne von uns. Auch wir bestehen aus verschiedenen "Teilen", haben eine Kreativabteilung, einen inneren Kritiker, Teile, die Einwände haben, andere, die das eine können, und welche, die auf einem anderen Gebiet die Spezialisten sind. Wie in Teams oder Firmen harmonieren diese Teile besser oder schlechter. Egal, ob Mensch, Abteilung, Firma, Partei oder Gesellschaft, wir bezeichnen soziale Organismen als System.
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Angenommen, ein Forscherteam fände heraus, welche Visionen zu welchen Epochen und unter welchen Bedingungen die Entwicklung unserer Spezies bestimmten und wohin das kurz- und langfristig führte. Vielleicht gewännen wir Erkenntnisse darüber, wie Visionen beschaffen sein müssen, damit sich eine Gemeinschaft auf lebensbejahende Weise entwickelt. Wir denken, auch die Systemtheorie kann solche Aussagen ableiten. Stabile Systeme, die sich stetig entwickeln, lernen aus jedem Entwicklungsschritt und bewegen sich zu immer höheren Formen von Balance: •
zwischen Kurzzeitzielen und Langzeitvisionen,
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zwischen Orientierung auf den Weg und Orientierung auf das Ziel,
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zwischen Geben und Nehmen
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zwischen Verändern und Bewahren
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zwischen Abstraktion und Konkretisierung
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zwischen Selbstbestimmung und Anpassung
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zwischen Konkurrenz und Kooperation
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zwischen Struktur und Funktion
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zwischen Form und Inhalt
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zwischen Stolz und Demut
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zwischen Teil und Ganzem
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zwischen Eigenständigkeit und Zugehörigkeit........
Dieses Prinzip kennen wir aus der chinesischen Philosophie des Taoismus, die den Ausgleich der Kräfte des Yin und Yang in ihren Mittelpunkt stellt. Die Kunst besteht darin, in jedem (historischen) Zusammenhang die Wegweiser zur Balance zu erkennen. Visionen fördern unsere Entwicklung nur so lange, wie sie diesem Ausgleich dienen. Sie sind verbraucht, sobald ein neues Ungleichgewicht entsteht. Jedenfalls dann, wenn wir sie nicht so modifizieren, dass sie dieses neue Ungleichgewicht balancieren könnten. Auch eine neue Schieflage im übergeordneten System kann das Ende einer Vision sein. Was uns gestern weiterhalf, kann uns heute ein Bein stellen. Entwicklungen vollziehen sich schneller denn je, längst sind Individuum, Gesellschaft, Politik und Ökologie weltweit eng miteinander verflochten. Zukunft kann sich nicht mehr nur auf Teilbereiche beschränken. Das Bedürfnis nach Visionen. So gut wie alles ist technisch machbar, die Auswahl an Produkten, Lebenskonzepten und Information ins Unüberschaubare gewachsen. Was brauche ich davon? Woher nehme ich’s? Orientierungslosigkeit macht sich breit. Wo der Sinn fehlt, wird das Bedürfnis nach Richtungsgebung wichtiger als die Beliebigkeit der Freiheit. Weder Staat, Wissenschaft noch Kirche haben derzeit handfeste Antworten auf Lager. Drum wetteifern andere um Sinngebungs-Marktanteile: Zigaretten, alles, was das Leben schön macht, Rockstars, Sport, Links- und Rechtsradikale, Anbieter von Heilslehren, Seminaranbieter. Und sie haben gelernt, wie sie ihre Botschaft, unabhängig vom Inhalt, überzeugend rüberbringen. Wer Sinn sucht (Sucht?) erliegt gerne der Versuchung, zu nehmen, was kommt. Besonders nach Enttäuschungen, nach dem Wegfall bisheriger Werte. In den neuen Bundesländern zum Beispiel, wo nach dem Zusammenbrechen der realsozialistischen Fassade die lang ersehnten Werte der westlichen Welt schnell die Erwartungen enttäuschten. Die Vision der "Einheit" hat sich ratz-fatz verbraucht und neue Ungleichgewww.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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wichte geschaffen. Kein Wunder, fällt das rechtsradikale Sinngebungsunkraut dort auf besonders fruchtbarem Boden. Unsere Nachkommen werden über die heutigen Wachstumsvisionen nur müde lächeln können, haben sie doch Umweltverschmutzung sowie soziales und wirtschaftliches Ungleichgewicht im Schlepptau. Immer klarer wird, dass unser gegenwärtiges Denken nicht zur Lösung der globalen Probleme taugt, Staat, Wissenschaft und Kirche längst kein glaubwürdiger Wegweiser für junge Generationen mehr sind. Allenfalls Hightech - Visionen faszinieren noch den einen oder anderen Hoffnungssucher, vielleicht weil hier noch am ehesten qualitatives und funktionales vor rein quantitativem Wachstum steht.??? Einige der "guten alten Werte" scheinen heute wertlos oder zweifelhaft. In Werbespots geht es plötzlich um Völkerverständigung, Umwelterhaltung, Zukunft. Und es gibt sie, Menschen, die tragfähige Visionen gefunden haben. Sie folgen den Wegweisern, häufig unter Verzicht auf Bequemlichkeit, Geld, Freizeit, Position; Sinn macht mehr Sinn als Genuss und Egozentrik. Sinngebung scheint freilich mehr ins überpersönliche, gesellschaftliche gerückt zu sein, weniger ins Private. Die bedürftige Erde bahnt sich Wege in die Hirne und Herzen der Menschen. Manche Idee, die vor Jahren noch belächelt wurde, ist heute salonfähig. Andere Arten zu denken, zu heilen, das Leben zu verstehen, gewinnen an Einfluss; was bisher in unserer Orientierung gefehlt hat, gewinnt an Bedeutung. Aber das war eigentlich immer so. Die Ökologie einer Vision. Visionen haben Macht. Was die Folgen für andere oder die Umwelt sind, spüren die ihre Träger stärker und schneller denn je. Im Zeitalter der Globalisierung denken wir, dass das größte System, das es zu schützen und zu entwickeln gilt, heute nicht mehr die Familie, das Unternehmen oder der Staat ist, sondern das Ökosystem Erde, eigentlich der ganze Kosmos. Wobei es uns selbstredend nicht "nur" auf den Umweltschutz ankommt, sondern auf alles, was ist. Visionen sollten daher ganzheitlich zu sein. Das schließt die Maximierung eines Anteils auf Kosten des anderen aus. Es geht um das Zusammenwirken und die Balance im Sinne des "sowohl als auch". Erster Schritt: Erkennen, was aus dem Gleichgewicht geraten ist, um die Aufmerksamkeit und damit die Energie dorthin fließen zu lassen, wo das Defizit liegt. Unser Defizit scheint gegenwärtig weniger in der Betonung des "Ich", der "Maximierung", der "Eigenentfaltung" zu liegen, als im Gestalten des "Wir", als in Kooperation, Synergie und der Fähigkeit, sich so zu positionieren, wie es sich und der Entwicklung des Ganzen zugute kommt. "Einzelkämpfer haben heute keine Chance". Da hat er Recht, der Kaiser. Und wenn’s Franz Beckenbauer in der Werbung war.
Visionen von Unternehmen und Gemeinschaften Was für jeden Einzelnen gilt, gilt auch für Gruppen und für Unternehmen. Freilich kommt hier eine neue Dimension ins Spiel, denn es braucht Visionen, die sowohl den persönlichen als auch den gemeinschaftlichen Belangen gerecht werden. Und zwar auf lange Sicht, jedenfalls was das Gesamtsystem angeht. Zu oft wird vergessen, dass jedes Team, jede Abteilung, jede Firma, jeder Konzern schließlich zu einem übergeordneter System gehört. Darin schafft sich die Organisation einen Platz und leistet ihren Beitrag für das Wachstum dieses System nächsthöherer Ordnung. Das hat wiederum die selben Aufgaben, nur auf einem höheren Niveau. Es gibt eine Ideallinie, auf der sich Organisationen bewegen, um sich letztlich ins größte uns bekannte System, das Universum einfügen. Stellvertretend werden wir uns auf Unternehmen konzentrieren. Von Individuen zu Unternehmen. Was für den Einzelnen gilt, trifft wie gesagt auch auf Unternehmen zu. Es reicht nicht, mal eben eine beliebige Vision oder Corporate Identity hinzustellen, um sie sich wie einen Anzug überzuziehen, wenn das, was gewachsen ist, was gelebt und angestrebt wird, nicht im Einklang damit steht. Auch ein Unternehmen wird www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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unglaubwürdig, wenn es nach außen zeigen will, was innen nicht da ist. Innen, das sind die Arbeiter, Angestellten, Manager. Das Gesamtsystem Unternehmen besteht schließlich aus Menschen, in diesem Fall Subsysteme. Sie arbeiten im Idealfall zum Wohle aller zusammen, schaffen Nutzen für sich, das Unternehmen und seine Außenwelt. Wieder tun sie das nach den vier Prinzipien. •
Persönlichkeit: Innerhalb und außerhalb des Gesamtsystems Unternehmen entwickelt sich jeder Mitarbeiter seinen persönlichen Visionen gemäß.
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Position: Jeder Mitarbeiter arbeitet auf der Position, die seiner Entwicklung entspricht und dem Unternehmen nutzt.
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Austausch: Jeder Mitarbeiter erhält vom Unternehmen und den Kollegen das, was er benötigt, und gibt, was von ihm benötigt wird.
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Gesamtsystem: Das Unternehmen entwickelt sich so, dass es die Win-Win-orientierte Zusammenarbeit seiner Mitarbeiter, ihren optimalen Austausch und Positionierung fördert.
Findet das Unternehmen auf diesen Weg, wird es auf seine Außenwelt direkt charismatisch wirken. Auch auf übergeordnete Systeme, denken Sie etwa an das System "Firma - Kunde", die ganze Branche oder die Wirtschaft des Heimatlandes. •
Persönlichkeit Wieder sind es die Potentiale; das, was in ihm und seinen Mitarbeitern steckt, führt das Unternehmen zu seinem unverwechselbaren Profil. Corporate Identity ergibt sich aus diesem Prozess wie von selbst.
•
Positionierung Sorgfältig positioniert es sich am Markt und in der Gesellschaft, ganz wie es seinen Potentialen und dem Bedarf seiner Zielgruppen entspricht.
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Austausch Hand in Hand mit der Außenwelt sorgt das Unternehmen für optimalen Austausch, was Bereiche wie Forschung, Einkauf, Angebot oder Marketing angeht.
•
Gesamtsystem Es wirkt mitgestaltend und fördernd auf übergeordnete wirtschaftliche, politische und ökologische Systeme, deren Infrastruktur und Ressourcen es zugleich nutzt und pflegt.
Wie beim einzelnen Menschen finden wir in Unternehmen Funktionen, die nach innen gerichtet sind und das Zusammenwirken der Subsysteme (Mitarbeiter) betreffen. Ihnen stehen nach außen gerichtete Funktionen gegenüber, bei denen es um das Eingebundensein in größere Systeme geht. Beide Bereiche sind gleich wichtig und bedürfen der Balance. Wirken sie gegeneinander, ist die Entwicklung des Unternehmens sowohl innen als auch außen blockiert. Innere und äußere Kommunikation. In seiner Vision hegt und pflegt das Unternehmen seine Idealvorstellungen, wie es sich nach innen und außen auf lange Zeit präsentiert. Selbstredend reicht es nicht, wenn nur die Führungskräfte etwas von dieser Vision wissen sie kommunizieren diese Ideale im gesamten Unternehmen, besser noch, die Mitarbeiter www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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basteln an ihnen mit. Ziele und Strategien wachsen aus dieser Vision heraus, da eine unterstützt das andere. Wir beobachten mitunter, dass sich Unternehmen in einer Weise präsentieren, die kaum etwas mit einer tragfähigen Vision zu tun hat. Das bedeutet im allgemeinen, dass sie unstimmig kommunizieren. Das hält auf Dauer kein Image der Welt aus. Drum wird die Führung zur Imagepflege viel in Werbung und PR investieren, was es möglicherweise nur noch schlimmer macht. Eine Vision ist dann tragfähig, wenn sie alle Mitarbeiter guten Gefühls nach außen tragen können, wenn ihre Inhalte in Werbung und PR einfließen, kurz wenn das Unternehmen ausstrahlt, was seine Mentalität ist. So dürfte klar sein: Visionen sind keine Lösungen für Probleme. Denn wenn das Problem gelöst ist, ist auch die Vision weg. Vielmehr ist sie umfassend, positiv formuliert und zukunftsweisend. So bringt sie das Unternehmen auf einen langen, sicheren Weg. Sie ist eine Bank, wenn es darum geht, Lang- und Kurzzeit-Strategien zu entwickeln. Ganz zu schweigen von Motivation und Synergie unter den Mitarbeiter. Nach innen wie außen wirksame Visionen wachsen immer aus dem Unternehmen heraus unter Beteiligung der Mitarbeiter. Drum leben sie in der Kultur des Unternehmens sowie in seinem Wirken am Markt und in der Gesellschaft. Früher waren es charismatische GründerPersönlichkeiten mit starken persönlichen Visionen, die für Langzeit-Ausrichtung und Ausstrahlungskraft sorgten; die Vision kam "von oben". In einem solchen Fall muss sie groß genug sein, um den Mitarbeitern eine sinnvolle Entwicklung und Positionierung in ihrem Rahmen zu ermöglichen, so dass sich ihre Entwicklungswünsche damit verbinden können. Je besser sich persönliche und Unternehmensvisionen ergänzen, um so eher engagieren sich die Mitarbeiter dafür. In den "Volkseigenen Betrieben" der DDR war von solchem Engagement mit dem Ganzen kaum etwas zu spüren. Die Visionen der Mitarbeiter gingen in eine andere Himmels-Richtung - und die war im Betrieb nicht vertreten. Authentizität und Balance. Auch für ein Unternehmen sind Echtheit und Ausgewogenheit wichtige Werte für die Langzeitwirkung seiner Vision. Hier wie beim Einzelnen erkennen wir Echtheit daran, dass die verschiedenen Entwicklungsebenen miteinander in Einklang sind. •
Umgebung:
Standort, Gebäude, Material, Finanzen, Maschinen
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Verhalten:
Produzieren, Organisieren, Verkaufen, Kommunizieren
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Fähigkeiten:
Spezialitäten, Kapazitäten, Knowhow
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Werte, Überzeugungen: Ziele, Strategien, mentale Modelle
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Identität:
Corporate Identity, Unternehmenskultur
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Zugehörigkeit: Ethik
Kunden, Lieferanten, Zielgruppen, Gesamtwirtschaft, Natur,
Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied - in jeder Ebene können Defizite und Stärken liegen, dazwischen kann es Widersprüche geben. Sensible Wahrnehmung ist gefordert, dann kann das Unternehmen daran gehen, sein Inneres auszubalancieren. Das Leitbild dazu liefert die Vision, die so formuliert ist, dass sie auf all diesen Ebenen wirkt. Wenn sich diese Ebenen ergänzen und miteinander wachsen, wirkt die Vision und entwickelt sich weiter. Das Unternehmen strahlt Echtheit aus, nach innen und außen. Schritte der Visionsfindung. Die Vision ist die Leitidee, wie sich das Unternehmen im Gesamtsystem der Wirtschaft entwickeln und ausrichten will. Diese Leitidee motiviert nach innen und außen, gibt der Arbeit einen Sinn. Kein Wunder tragen sie die Mitarbeiter mit. Sie www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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enthält sowohl die Werte als auch das eigene Potential berücksichtigt die gegenwärtige Position am Markt und den Bedarf des Marktes als übergeordnetes System. Die Wertanalyse betrifft Produktqualität, Produktphilosophie, Umgang mit Mitarbeitern und Kunden, Nutzen und Nebenwirkungen der Produktion. Die Analyse der Potentiale und des Bedarfs bringt Erkenntnisse darüber, wo und wie das Unternehmen optimal wirken kann. Jeder Einwand, der im während der Visionsfindung auftritt, hat seine Berechtigung, sonst wäre er nicht da. Aus diesem Grund kann sich das Unternehmen darauf einstellen, dass es den Prozess bis zur Klärung aller Einwände mehrfach durchläuft. Steht die Vision schließlich, macht sich das Unternehmen daran, sie zu kommunizieren. Und zwar so, wie es authentischer nicht sein könnte. Dazu gehört, sie positiv und essentiell sprachlich zu formulieren, sie symbolhaft, sichtbar, vielleicht auch hör- und spürbar darzustellen. Sie wird Teil der Corporate Identity. Auf diese Weise wird sie für alle Beteiligten gleich erlebbar. Umsetzung von Visionen. Umsetzung ist der Weg vom Träumen (der Idee) zum Denken und von dort zum Handeln. Wenn die gefundene Vision passt, ist das schon die halbe Miete. Das Unternehmen kann eigene Schritte gehen, wenn die in der Zukunft liegende Vision in konkrete und realistische Unternehmensziele und Strategien zu ihrer Erreichung mündet. Ziele sind Zwischenschritte auf dem Weg in Richtung zur Vision. Es sind messbare Ergebnisse und zugleich Maßstab der Planung und Kontrolle. Im Unterschied zur Vision formuliert man sie ganz konkret: wer, wann, wo, wie viel, wie lange, womit... Sie lassen sich in Pläne und Strategien umsetzen. Strategien sind Wege zum Ziel und dann tauglich, wenn dank ihnen der gewünschte Effekt mit möglichst wenig Aufwand an Energie auf elegante Art und Weise erreicht wird. Bei der Umsetzung sammelt das Unternehmen laufend Informationen, vergleicht Ist- mit Soll-Zuständen, analysiert, bewertet, entscheidet, kontrolliert die einzelnen Arbeitsschritte. Schließlich sind alle mehr oder weniger daran beteiligt, und deshalb ist es so wertvoll, wenn sich alle zum Träger der Vision machen. Dann wissen sie, dass sie einen gemeinsamen Weg gehen, der sich lohnt. Ahnen Sie den Unterschied zur herkömmlichen Art der Umsetzung, in der "nur" die Bezahlung motiviert? So schafft das Unternehmen den Rahmen, in dem Menschen zu ihrem und zum Nutzen des Ganzen zusammenarbeiten. Das Boot fährt mit dem Strom. Alle Teile des Boots und seine Besatzung bewegen sich im Einklang auf ein großes Ziel hin. Alles geht Hand in Hand; Maschinenraum, Kommandobrücke, Küche, Funk, Navigation arbeiten in Synergie. Oder eben Organisation, Produktion, Finanzen, Innovation, Einkauf, Marketing. Sind die Mitarbeiter erst einmal Beteiligte geworden, bleiben dennoch Fragen. Haben sie ihren Fähigkeiten und den Erfordernissen angemessene Aufgaben? Tauschen sie sich aus? Und vielleicht noch wichtiger: Akzeptieren, achten und unterstützen sie sich? Oder gibt es Kommunikationsbarrieren? Warum, meinen Sie, reichen Mitarbeiter japanischer Firmen eine zehnfach höhere Rate an Verbesserungsvorschlägen ein als das bei europäischen Unternehmen der Fall ist? Prämien sind es nicht. Individuen wie auch Unternehmen nutzen am besten eine Schrittfolge, um eine passende Vision zu finden. •
Gehe davon aus, woher du kommst, was gewachsen ist.
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Erkenne, was in dir steckt , was sich entfalten kann und will.
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Entdecke, wonach du strebst - für dich, andere und die Gemeinschaft.
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Tausche dich mit ihnen aus.
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Entdecke, was du geben kannst und willst.
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Finde deine Position im größeren System.
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Fördere das Ganze, denn du bist ein Teil davon. Lass dich vom Ganzen fördern.
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Träume, Denke, Handle.
Auswahl und Veränderung. Wenn wir mit anderen zusammen kommen, gibt es häufig einen vorgegebenen Anlass, vielleicht gemeinsame Ziele, Aufgaben. Es kann auch sein, dass uns eine bereits gewachsene Vision zusammen ruft, denn Visionen sind attraktiv. Die Praxis zeigt, ob unsere Erwartungen realistisch waren, erfüllt werden können und wir mit den anderen zusammen arbeiten. Wenn alles organisiert ist, brauchen wir nur unseren Platz einzunehmen und das unsere tun. Erhalten, was es zu erhalten gibt, wenn das Unternehmen uns für feste Aufgaben zu festen Bedingungen einstellt. Solange sich unsere Erwartungen mit denen des Chefs decken, ist alles okay. Es ist an der Tagesordnung, dass Unternehmen Mitarbeiter für bestimmte Tätigkeiten suchen, damit sie ihnen helfen, bereits definierte Visionen und Ziele zu erreichen. Sie setzen darauf, dass die Neuen aus ihren persönlichen Zielen oder Visionen heraus motiviert sind. Ob es schließlich passt, hängt nicht nur von der Bezahlung, sondern auch von der Unternehmensvision ab: Hat sie genug Anziehungskraft, ist sie "in Ordnung"? Umgekehrt sorgen Kündigungen dafür, dass Positionen passender besetzt werden. Im Idealfall. Hier erleben wir jedenfalls "Gestaltung von oben". Diese Art Herrschaft klappt jedoch nur so lange, wie das System problemlos Menschen einbeziehen oder ausschließen kann. Sie ist theoretisch nur so weit stabil, wie sie den Interessen der Beteiligten entspricht. Extremes Beispiel: Staaten weisen unliebsame Bürger aus oder schalten sie im eigenen Land aus. Druck erzeugt Gegendruck, und zwar solchen der das System von innen oder außen verändern wird. Anders als das scheinbar passive "ausgewählt werden" ist das Zusammenfinden aus gegenseitigem Interesse. Alle wählen aktiv, was für sie passt. Der Rest "ergibt sich". Keine Frage, die Beteiligten stehen voll und ganz hinter dem, wofür sie sich entschieden haben. Wahrscheinlich tun sie es mit Begeisterung oder mit Liebe. Liebe kann Gemeinschaft schaffen und mit neuem Leben erfüllen, nähren, wachsen lassen. Liebe ist das ursprüngliche Prinzip zur Verwirklichung unserer Visionen, der Visionen des Systems "Menschheit". Liebe schafft eine großartige und reine Ethik, wo es um Sinn- oder Zielfindung geht. Stabilität und kreatives Potential einer Gemeinschaft wachsen und fallen mit dem Maß an Liebe, das wir hinein geben. Was aber, wenn sich die Erwartungen nicht erfüllen, oder sich Beteiligte so verändert haben, dass weder Austausch noch eingenommene Position zusammenpassen? Wenn also, was war, nicht mehr gilt. Dagegen ist kein Kraut gewachsen, und möglicherweise gilt es sich zu verabschieden. Und wenn alles ein großer Irrtum war? Irrtümer sind eine Folge unklarer Kommunikation und nicht überprüfter Vermutungen. Wir können dieses Risiko von Anfang an reduzieren, wenn wir genau wahrnehmen. Was denken und fühlen wir, gibt es irgendwelche Einwände, warnt uns jemand? Was kommunizieren uns diejenigen, mit denen wir zusammen arbeiten wollen? Sind ihre Aussagen zu hundert Prozent glaubwürdig oder haben wir "so ein komisches Gefühl"? Erst wenn das Gesendete beim Empfänger "richtig" ankommt, wenn das Verstandene wiederholt und überprüft wurde, stehen die Chancen auf eine hoffnungsvolle gemeinsame Zukunft gut.
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Dennoch, vor Veränderungen sind wir nie sicher, und das ist gut. Beständig ist bekanntlich nur der Wandel. Leben löst Altes auf und schafft Neues. Die Basis unserer Zusammenarbeit hat sich schon verändert, wenn neue Fähigkeiten, Intentionen oder Visionen ins Leben auch nur eines Beteiligten treten, denn sie ziehen das Streben nach neuer Position im selben oder einem anderen System nach sich. Auch in die andere Richtung kann’s gehen. Was anfangs zäh lief, kann bei entsprechender Entwicklung der Beteiligten zur locker-leichten Angelegenheit werden. Dazu bedarf es freilich kreativer Kommunikation, wie wir sie bereits beschrieben haben: Klarer Ausdruck, Wechsel von Wahrnehmungspositionen, Hinterfragen unrealistischer Erwartungen, Würdigung von Einwänden. Veränderung der Beteiligten heißt oft Veränderung des Gesamtsystems, bis hin zu Visionen, Zielen und Strategien. Sie geht dann gut, wenn die Gemeinschaft erkennt, wie sie sich fortan anders austauscht und wenn sie fragliche Positionen neu vergibt. Im eigenen und im Interesse der Einzelnen. So ist die Fähigkeit, Veränderungen nicht nur auszuhalten sondern sinnvoll zu unterstützen, Voraussetzung für einen langen, sicheren Weg jedes Gesamtsystems. Werden Positionen und Austausch "von oben" verfügt und zementiert, kann sich die Gemeinschaft nicht aus eigener Kraft neu organisieren. Die Beteiligten haben die Wahl zwischen schwarz oder weiß: Entweder sie lassen alles unverändert oder machen nichts mehr mit. Ihre Motivation wird sich entweder auf die Jobsuche außerhalb oder das Aussitzen der Zeit bis zur Rente beschränken. Wie schön dagegen, wenn Mitarbeiter Mit-Entwickler sind. Wie die kleine Geschichte im Anschluss zeigt, können Situationen, aus denen es so schnell kein Entrinnen gibt, ein ganz guter Katalysator sein. Zum Beispiel die einsame Insel. Oder: Wir haben Leute gefunden, mit denen wir zusammen arbeiten müssen. So ähnlich sind die Visionen, so gut der gegenseitige Draht: Wir können nicht anders.
Das große Spiel der Gemeinschaftsbildung Ein Flugzeug landet not. In einer menschenverlassenen Gegend. Meinen jedenfalls Passagiere und Besatzung. Sie hatten bis dato nur ein gemeinsames Ziel, und das war Frankfurt. Könnte aber auch Paris gewesen sein. Oder Chicago. Nicht einmal alle sprechen die selbe Sprache. Jeder hat seine persönlichen Bedürfnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten, mit denen er sich und Andere unterstützen kann. Oder könnte. Im Moment sitzen alle im selben Boot, ungewollt; fortlaufen geht nicht. Denn in der einen Richtung ist das Meer, in der anderen die Wüste. Hier gibt es zudem alles, was man zum Leben braucht: Wasser, Früchte und warmes Klima. Kein Wunder sind die weisen Metas nicht weit. Verdutzt und amüsiert beobachten sie, wie (sich) die weißen Eindringlinge zusammen raufen. Orientierung und Kommunikation (10. bis 17. Juni) Wie das so üblich ist, wissen die Flugzeuginsassen nichts voneinander. Sie sind mehr oder weniger auf ihre Vermutungen angewiesen. Diese Vermutungen sind Erinnerungen; sie haben viel mit der Heimat zu tun. Hier treffen die wenigsten davon zu, jedenfalls solche nicht, die darauf hinaus laufen, die Menschen zu kategorisieren. Das führt zu Missverständnissen und einiger Überraschung. Der Mensch wird ent-täuscht, wenn er merkt, dass er von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Die anderen sind also anders, als vermutet. Aber wie? Sie haben die Erwartungen nicht erfüllt. Drum stellt sich die Frage: Sind sie noch bei Trost oder gar der Feind? Eine Annahme, die sich schnell bestätigt, wenn sie in Verhalten umgesetzt wird. Hier endet die Entwicklung einer Gemeinschaft, bevor sie überhaupt begonnen hat. Es sei denn, alle sind derart www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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aufeinander angewiesen, dass sie sich gezwungen sehen, einander mit offenen Augen zu betrachten. Da nehmen wir lieber an, alle Passagiere haben zufällig eben erst an einem guten Kommunikationstraining teilgenommen und gelernt, dass Andersartigkeit vor allem eins ist: interessant Andere spiegeln uns nicht gelebte Seiten unserer Selbst. Wenn wir mit ihnen auskommen wollen, müssen wir wenigstens so tun, als ob wir ihnen gegenüber aufgeschlossen sind und bereit, uns etwas einzufühlen. Also werden sie wie die Wilden Wege ausprobieren, wie sie einander kennen lernen und sich ein einigermaßen realistisches Bild malen zu können. Die Gemeinschaft kann sich entwickeln, der Prozess beginnt. Gegenseitiger Ausdruck, Kommunikation, ständiges Überprüfen von Vermutungen, Übersetzen. Annahmen und Wirklichkeit passen immer besser zusammen, Interpretationen halten jeder Überprüfung stand. Die Metas nicken anerkennend. Austausch: Teil-Gemeinsamkeiten bilden, Positionieren (30. Juni) Jeder kennt seine Reisebegleiter jetzt schon etwas besser. Nun findet er einige Menschen, mit denen er sich gerne näher beschäftigen möchte. Austauschen, was man erlebt und fühlt, reden über Gott und die Welt. Und natürlich, wie man etwas enger zusammen arbeiten möchte, um die Situation gemeinsam besser zu meistern. Oder einfach das auszutauschen, was nicht mit allen geht. Eine Frau, ein Mann, Hauptsache, auf eine bestimmte Weise sympathisch, nach dem Motto "Gleich und gleich gesellt sich gern" oder: "Gegensätze ziehen sich an" — beides ist weise. Man hilft einander. Es werden Aufgaben verteilt, man probiert, bis jeder tut, was ihm und den anderen gut tut. Bis alle mehr ereichen, als alleine möglich ist. Win-Win. Systeme im System (7. Juli) Die Notgelandeten haben sich mehr als arrangiert. Innerhalb der gesamten Gruppe haben sich kleine Gruppen gebildet. Manche bleiben manchmal alleine, jeder sorgt für sich und die anderen. Alle merken, dass es mit Unterstützung der anderen besser geht, bilden größere Gruppen, die sich auf gemeinsame Ziele und Unternehmungen verständigen. Man lernt sich besser kennen, korrigiert bereitwillig falsche Vermutungen. Es ist, als würden sich die Teile eines Puzzle zu einem stimmigen Bild vereinen, in dem jeder seinen Platz gefunden hat und dazu beiträgt, dass sich der Inhalt des Bildes zeigt. Das Zusammen erhält Auftrieb durch die Entdeckung, dass da noch andere Menschen von denselben Früchten essen. "Und uns wahrscheinlich längst ausfindig gemacht haben". Gruppen — Synergie (21. Juli) Hier geschieht etwas Merkwürdiges: Wie von Geisterhand hat sich eine neue Empfindung breit gemacht, der eine nennt es Mitgefühl, der andere Nächstenliebe: Wenn jemand etwas braucht, macht es den anderen Freude, ihn zu unterstützen. Da ist ein tiefes Gefühl von Zugehörigkeit, von Verbundenheit. Es ist, als würden alle Handlungen von einem höheren Wesen aufeinander abgestimmt. Unterstützung kommt genau dann, wenn sie gebraucht wird. Denn jeder ist immer da, wo ihn die Gemeinschaft braucht. Längst haben sich die anfänglichen Positionen aufgelöst, Kapitän, Stewardess, Business Class Passagiere, Pauschaltouristen haben ihre persönliche Rolle unter den neuen Bedingungen gefunden. Ganz wie es seinem Potential und gegenwärtigem Entwicklungsstand entspricht. "Das hat nix mehr mit dem Arbeitsalltag zu tun", spricht eine. Ein anderer wundert sich: Das wollte ich auch gerade sagen. "Experten" nennen es Synergie, viele haben’s aber im Gegensatz zu den Metas bislang noch gar nicht erlebt.
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Jeder nimmt die Welt mit seinen eigenen Augen wahr, kann sich aber auch in die Schuhe anderer hinein denken. Auch die Position "Wir" lässt sich auf diese Weise erfahren. Unbewusst all diese Standpunkte gleichzeitig verfügbar zu haben ist ein gutes Gefühl. Harmonischer Pluralismus. Gruppen — Identität (14. August) Das Flugzeug, mit dem keiner mehr fliegen will, hat jede Menge Percussion-Instrumente hergegeben. Eines Abends sitzt die ganze Gruppe zusammen, jeder träumt seine Träume, einer beginnt auf der Kaffeekanne einen Rhythmus zu spielen. Black Box, Sitzverkleidung, Verbandskasten, Felge und Sauerstoffmaske folgen, alle improvisieren und halten sich doch an den gemeinsamen Groove. Wer will, singt. Mit den Wochen ist so etwas wie ein gemeinsames Lied entstanden. Wenn sie es singen, fühlen sie ihre Zusammengehörigkeit noch stärker. Manchmal hört es sich so an, als würden in der Ferne andere mittrommeln, aber das wird wohl nur Einbildung sein. Gruppen — Vision (24. September) Das Überleben ist zum lebenswerten Leben geworden, man spricht von Zukunft, tauscht Pläne aus und Visionen. Zurück will niemand. Und wenn, dann nur in eine Gemeinschaft, in der für die Visionen jedes Einzelnen Platz ist. Es sind andere Träume als die aus der Zeit kurz nach der Notlandung. Notlandung? Die neue Umgebung ist das Paradies. Egal, welches Verhalten man an den Tag legt, man tut es entspannt und mit Bedacht, denn ungeahnte Fähigkeiten haben sich entwickelt. Völlig neu der Glaube an eine reiche Zukunft, was wirklich wertvoll ist, sind gute Beziehungen. Die Gruppe fördert jede Person darin, ihre eigene Identität zu bewahren und entwickeln. Und weil das so ist, fühlt sich jeder zugehörig. Gerne tauscht man sich über Religion und Spiritualität aus, wer damit nichts am Hut hat, lässt es eben sein. Doch dass da noch etwas anderes sein muss, ist hier jedem klar. Schließlich gibt es weder Fernsehen noch Zeitung, niemanden, der einen unterhält. Unter was eigentlich? Eines Abends sitzen alle wieder zusammen, trommeln, singen, reden, irgendwann ist es still. Über der Runde schwebt ein Gefühl von Freude und Kraft. Einer sagt, wenn ich an die Zukunft denke, ist das wie ein Garten, den wir pflanzen und hegen. Und da gibt es Blumen, Gras und starke Bäume, ergänzt seine Platznachbarin. Und ich sehe Tiere, Vögel, Schmetterlinge. Ein alter Mann, der sich schon lange nicht mehr rasiert hat: Neue Nachbarn vielleicht. Ein Kind: Und da ist eine Sonne, dort hinten! Jetzt schauen alle da hinüber. Und haben das Gefühl, eine Sonne zu sehen. Am nächsten Tag beginnen die ersten, Beete anzulegen. Die Vision ist Garten geworden, der gedeiht und sich verändert. Die Gemeinschaft ist unterwegs und gleichzeitig angekommen.
Zusammenfassung Menschen, Gemeinschaften, Unternehmens haben eine große Zukunft, wenn sie ihre Potentiale zum eigenen und zum Wohle des größeren Ganzen entwickeln. Dabei denken wir an •
das Reifen des "Ich"; die Balance innerer und äußerer Lebensaspekte,
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die Fähigkeit zum Ausdruck des "Ich", zum Verstehen des "Du" und zum Gestalten des "Wir", was viel mit kreativer Kommunikation zu tun hat,
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die Fähigkeit zum Austausch - Geben und Empfangen.
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die Fähigkeit, Wahrnehmungspositionen zu wechseln.
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die Fähigkeit, Ziele und Visionen in größere Visionen zu integrieren.
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die Fähigkeit, größere Systeme mitzugestalten.
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die Fähigkeit, Visionen in Ziele, Strategien, Strukturen umzusetzen
Prozesse in Großgruppen Open Space Hier ein weiterer Erfahrungsbericht aus einer Open — Space - Veranstaltung: Dolores ist Ärztin. Sie vertritt nebenberuflich eine Gruppe von Ärzten, die sich alternativen Behandlungsmethoden verschrieben haben. In dieser Funktion gehört es zu Dolores Aufgaben, sich bei Medizinerkongressen zu zeigen und immer wieder auf die Vorzüge alternativer Behandlungsmethoden zu verweisen. Anfangs waren diese Tagungen noch spannend. Doch bald hatte sie den Eindruck, dass die Veranstaltungen immer nach dem gleichen Schema abliefen: zunächst diverse Grußworte, dann ein Vorreferat, das Hauptreferat und anschließend war noch eine Stunde für Workshops vorgesehen. Die aber kamen meistens zu kurz, denn oft waren die Referate viel zu lang, so dass die Zeit für die Workshops dann gekürzt wurde. Außerdem reisten viele auswärtige Teilnehmer früher ab. So gingen von vornherein wenige Kollegen in die Arbeitsgruppe und dazu verabschiedeten sich zwischendurch immer mehr von ihnen — so dass am Ende nur noch ein kleines Häufchen übrig blieb. Was für eine Zeitverschwendung, dahin zu gehen! Denn das wichtigste, die Diskussion mit anderen Ärzten, kam immer zu kurz. Meistens fanden genau diese wichtigen Gespräche auf den Gängen außerhalb der Tagungsräume und vor den Infoständen der pharmazeutischen Industrie statt. Bei einem Informationstag der Hypnotherapeuten macht sie eines Tages eine ganz neue Erfahrung. Gleich als sie den Tagungsraum betritt, merkt sie, dass diesmal alles ganz anders ist: Keine Konferenztische in geraden Reihen, statt dessen ein großer Stuhlkreis. Ohne Tische war alles offen, jeder konnte schon vor Beginn der Veranstaltung an jeden herantreten, ohne große Umwege zu machen. So offen wie die Sitzordnung ist auch die Tagesordnung. Eine Moderatorin erklärt das Prinzip. Die eigentlichen Organisatoren dieser Veranstaltung sind die Teilnehmer selbst. Jeder, der gerade ein bestimmtes Problem hat oder eine neue Entdeckung gemacht hat, kann das Thema kurz auf einem Blatt Papier beschreiben und dann an einer Pinwand der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Moderatoren müssen nur die Übersicht haben, damit sich die Themen nicht überschneiden, und vergeben dann die Zimmer, in denen die Gruppen arbeiten können. Die anderen Teilnehmer gehen in jene Gruppen, deren Themen sie am meisten interessieren, möglicherweise finden sich für manche Themen auch keine Interessenten. Im Plenum werden anschließend die Ergebnisse aller Arbeitsgruppen kurz vorgestellt und später gibt es sogar für jeden Teilnehmer einen Stapel Kopien, auf denen die Arbeitsergebnisse jeder Gruppe zusammengefasst waren. Am Ende des Tages denkt Dolores zufrieden: "Eigentlich haben in diesen Arbeitsgruppen genau jene wichtigen Gespräche im Mittelpunkt gestanden, die bei dem üblichen Konferenzmarathon eher beiläufig stattfinden."
Gipfel für wertschätzende Unternehmensentwicklung Simultaner Wandel heißt für Großgruppenmoderator Matthias zur Bonsen das Ziel des Prozesses mit dem englischen Namen appreciative inquiry summit, der deutsch auch "Zukunftsgipfel" genannt wird. Das Prinzip wertschätzender Unternehmensentwicklung basiert auf den Arbeiten des Amerikaners David Cooperrider aus den achtziger Jahren. Es meint die wertschätzende Untersuchung (inquiry) der Kraftquellen und Erfolgsmechanismen einer Organisation. Heute integriert der Prozess Bausteine aus anderen Großgruppenmodellen zu einer zwei- bis viertägigen Veranstaltung. 50 bis über 2000 Menschen treffen sich hierzu in www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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einem Saal, um sich auf den Wandel zu einzustimmen. Ein solcher Gipfel ist naturgemäß lebendig und mobilisiert Kreativität, Wir-Gefühl und Motivation, indem er bewusst werden lässt, was an Positivem bereits vorhanden ist, um es für die Zukunft noch besser zu machen. Die Teilnehmer sitzen an Achtertischen und tauschen in den ersten zwei Stunden paarweise bewegende und erfolgreiche Erfahrungen aus. Sie unterstützen sich mit vorbereiteten Fragen wie "Erzählen Sie mir von einer Zeit bei uns, die für Sie etwas ganz besonderes war, eine Zeit, in der Sie sich voll einbringen und Sinnvolles bewirken konnten. Wer war dabei? Warum war das wichtig für Sie? Wodurch wurde dieser Erfolg möglich? Was können wir daraus lernen?" Damit erforschen die Beteiligten, was das Beste ist von dem, was ist, und von dem, was sie gemeinsam sind. Sie versetzen sich zugleich in einen ressourcevollen Zustand voller Lebensenergie. Die Erfahrungen zeigen in der Regel allen, dass das Unternehmen und seine Mitarbeiter viele Stärken hat und bereits besondere Leistungen hervor gebracht haben. Der Gipfel findet in vier Phasen statt: 1. Den bisherigen Erfolg verstehen: Die Phase beginnt, wie erwähnt, mit dem Erinnern von Beispielen exzellenter Leistungen. An den Achtertischen werden anschließend jene Faktoren festgehalten, die Bestleistungen ermöglichen und unterstützen. Wer eine herausragende Geschichte weiß, erzählt sie später dem Plenum. 2. Die Vision entwickeln: Aufbauend auf dem Erreichten entwickeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine weiterführende Vision zum Thema des Gipfels. 3. Die Vision gestalten: Hier geht es um die Konkretisierung der Vision durch Fragen wie "Woran erkennen wir, unsere Kunden und unsere Wettbewerber, dass unsere Vision Wirklichkeit geworden ist?" Die Kleingruppen entwerfen Prozesse, Strukturen und Systeme, die helfen, die Vision zu erreichen 4 .Die Vision verwirklichen: Abschließend suchen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Möglichkeiten, die positiven Energien auszubauen und ihre Erfolge zu kommunizieren. Sie planen und konkretisieren Projekte. Ablauf und Philosophie des Zukunftsgipfels erinnert an Prinzipien der Lösungsorientierten Kurzzeit-Therapie, indem sich die Beteiligten die Strategien ihres Erfolgs und die Potentiale ihrer Veränderung bewusst machen. Die Frage nach der Vision der Gemeinschaft korreliert mit der Wunder-Frage und die Bestärkung und Würdigung von Erfolgen ist auf Lösungen orientiert, statt auf Probleme. Zukunftsgipfel eignen sich für strategische Planung, Kulturwandel, die Verbesserung des Kundenservice, Stadtplanung und vieles mehr — sie sind zugleich eine gut geeignet als Ergänzung oder Folgeveranstaltung von Zukunftskonferenzen.
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Teil IV. Zusammenschau und Ergänzung Modelle im Vergleich Aus der Vielzahl der Modelle und Methoden, die uns für Therapie, Lernen und persönliches Wachstum zur Verfügung stehen, möchten wir drei betrachten und in Beziehung setzen, die direkt oder indirekt in unsere Arbeit und in dieses Buch eingeflossen sind. Unser Anliegen war und ist es, sie als Teil eines größerer Ganzes zu verstehen, sie in ergänzender Weise zu verknüpfen, aber auch getrennt nutzen zu können. Die lösungsorientierte Kurzzeittherapie nach Steve de Shazer konzentriert sich auf die Wechselwirkungen zwischen der persönlichen Sicht der Welt, dem Verhalten und den Erfahrungen, die ein Lernender in seinem Leben, nicht zuletzt im Austausch mit anderen macht. Sie basiert auf der Philosophie des Konstruktivismus, dem hypnotherapeutischen Ansatz Milton Ericksons und ist aus anderen Zweigen systemischer Therapie hervorgegangen. Lösungsorientierte Arbeit interessiert sich weniger dafür, wie ein Problem entstanden ist, sondern dafür, wie es lösbar ist und was der Lernende wirklich will. Dazu gehört es, herauszufinden, welche positiven Nebeneffekte ein Problem hat und wie es durch das Verhalten, Erleben und Denken des Lernenden und seines sozialen Systems aufrechterhalten wird. Davon ausgehend werden dem Lernenden Veränderungsschritte angeboten, durch die er eigene Einfluss- und Lösungsmöglichkeiten entdeckt und festgefahrene Kreisläufe verlassen kann. Dies geschieht durch besondere Formen des Fragens und Kommentierens. Es gehört dazu, Ziele und neue Lebensentwürfe schon vorab innerlich erleben zu können. Über die Arbeit mit seiner inneren Vorstellungswelt werden dem Lernenden neue Deutungen und Erkenntnisse vermittelt, durch sorgsam gewählte Verhaltensaufgaben, macht er neue Erfahrungen. Gleichzeitig lenkt er seine Aufmerksamkeit auf Veränderungen, die im Zusammenhang damit stehen. So erkennt er die eigenen Einflussmöglichkeiten und erkundet die Landschaft, einem Entdecker gleich, der in einem zunächst unübersichtlichen Dschungel seinen Weg findet. Der Schwerpunkt der Veränderung liegt bei dieser Arbeit in der Gegenwart, der Lernende entwickelt in Zusammenhang mit dem Begleiter jene Fähigkeiten und Ressourcen, die er bisher nicht zur Verfügung hatte und gestaltet sein Leben und seine sozialen Beziehungen anders. In ähnlicher Weise wird mit sozialen Systemen, Familien oder Teams gearbeitet, wobei hier alle Beteiligten zu neuen Denk- und Verhaltenseisen geführt werden und lernen, auf eine andere Art miteinander umzugehen. Eine große Rolle spielt stets das Herausarbeiten und Berücksichtigen positiver Absichten, welche in oft unerkannter Weise hinter den Verhaltensweisen der Einzelnen stehen. Die systemische Kurzzeittherapie ist besonders wirksam, wenn der Schlüssel in der Veränderung der gegenwärtigen Lebensgestaltung, in gegenwärtigen Einstellungen und Verhaltensweisen liegt. Sie ist auch dann wichtig, wenn der Lernende bisher keine positiven Modelle und Erfahrungen für ein glückliches Leben gesammelt hat und sich seine Potentiale und Ressourcen im Hier und Jetzt erschließen muss. Sie stößt unserer Erfahrung nach dann an Grenzen, wenn vergangene Erfahrungen, Bindungen und Verstrickungen neue Lernschritte in der Gegenwart blockieren, da die systemische Verbindung von Erfahrungen über die Lebenszeit des Klienten hinweg nicht untersucht wird. Auch die Rückwirkung der neuen Erfahrungen auf das jüngere Selbst wird nicht bewusst aktiviert, so dass Lernchancen, die in der versöhnenden Verarbeitung der Vergangenheit liegen, eher im Hintergrund stehen. Auf der anderen Seite wird damit der Tendenz mancher Therapieformen und Klienten entgegengewirkt, alte Erfahrungen zu beklagen und damit die Beibehaltung von Leid zu rechtfertigen. Ursachenorientierung ohne Veränderungsschritte halten auch wir für wenig produktiv. Beide schließen sich unserer Erfahrung nach aber nicht aus und ergänzen sich wechselseitig. Demzufolge können wir veränderungsorientierte Vorgehensweisen nicht nur www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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auf gegenwärtige Erfahrungen, sondern auch auf Ursprungserfahrungen anwenden und schon das jüngere Selbst Lernerfahrungen machen lassen, die dann das erwachsene Selbst unterstützen. Umgekehrt können wir die in der Gegenwart gewonnen Ressourcen in die Verarbeitung noch ungelöster vergangener Erfahrungen einfließen lassen. Alte familiäre Verstrickungen, die den Lernenden daran hindern, neue Wege zu gehen, werden oft erst nur durch Rückkehr zum Ursprungssystem geklärt — wie dies in der systemischen Aufstellungsarbeit oder auch im Reimprinting geschieht. Hier stehen uns Wege zur Verfügung, die Lebensgestaltung in der Gegenwart aus einer ganz andren Perspektive heraus zu bereichern. Mit diesen Erweiterungen sehen wir die systemische Kurzzeittherapie als einen hervorragender Weg, sich ein positives Lebensmodell im Hier und Jetzt zu erarbeiten, sich gleichsam frei zu schwimmen, um von hier aus weiter gestalten zu können. Neuro-Linguistisches Programmieren. Aus ähnlichen Wurzeln wie die systemische Kurzzeittherapie kommend, wurde das NLP als Kommunikationstraining weltweit vielen Anwendern zugänglich. In unserem Buch fließt es in die Arbeit mit Ressourcen und in viele Formen der Lebensweg-Arbeit ein. Wir können es als Bausteinsystem verschiedener Kommunikationsmuster verstanden verstehen, die zu Lösungsmustern für die Einzelarbeit zusammengefasst und als solche weitervermittelt wurden. Der erheblichen Verbreitung und Nutzung im nichttherapeutischen Bereich und der von seinem Mitbegründer Bandler nicht nur über den Namen NLP ins Spiel gebrachten Vorstellung des schnellen Beeinflussens anderer Menschen verdankt NLP einen nicht immer guten Ruf. Dieser bezieht sich nicht auf sein inhaltliches Potential, sondern auf eine manchmal zu unbescheidene oder zu technische Art, es darzustellen und zu nutzen. Wo logische Fähigkeiten durch emotionale Intelligenz ergänzt werden und wo, Einfluss zu nehmen, eine Sache des Herzens ist, werden die methodischen Möglichkeiten zur gestalterischen Kraft. Robert Dilts hat diese Seite stets in den Mittelpunkt gestellt. Aus systemischer Sicht mag es für die Folgegeneration an der Zeit sein, einzelnen Gründern das zurückzugeben, was das Ihre ist, und das Eigene einzubringen. Hinter dem verfremdenden Namen finden wir heute eine Vielfalt von Werten, Stilen und Erfahrungen, die differenziert erkannt werden will. NLP bietet engagierten Therapeuten und Kommunikatoren wertvolle Gestaltungsmittel für positive Entwicklungen. Gerade deshalb benötigt es einen systemischen Rahmen, der die sinnvolle Platzierung der Bausteine und Techniken innerhalb eines größeren Zusammenspiels ermöglicht. Inhaltlich besitzt es viele Schnittstellen zur Hypnotherapie und zur systemischen Kurzzeittherapie. Als Veränderungsmodell konzentriert es sich auf das Erschließen, Organisieren und Gestalten der inneren Erfahrungswelt. Hierzu gehört die Arbeit mit dem Lebensweg und das Verarbeiten einschränkender Ereignisse und Lebensabschnitte durch Ressourcen und neue Sichtweisen. Als Kommunikationsmodell untersucht Prozesse von Verständigung, Wahrnehmung, Feedback, Kontakt und Motivation. Es nutzt verschiedene Sprachmodelle, nicht zuletzt die Kunst des kreativen Umdeutens. Eine ausführliche Darstellung dieser Sprachmodelle und des Gesamtsystems des NLP sowie des NLP in kritischer Sicht finden sie im ersten Buch des Autors Bernd (Isert, 1996). NLP dient uns Reisebegleiter in unsere innere Welt. Gleichzeitig hilft es uns, deren Landschaften zu gestalten. Seine Stärke liegt darin, die verborgenen Wirkungen und Beziehungen unserer Erfahrungswelt herauszuarbeiten und Defiziterfahrungen mit Ressourceerfahrungen zu verknüpfen, so dass neue Lebensmodelle und neues Lernen entstehen. Dies geht nur dann, wenn der Lernende Zugang zu Ressourcen hat, andernfalls müssen diese gefunden, erlernt, erschaffen oder von außen hinzugegeben werden. Die Bewegung durch seine Erlebniswelt schließt neben Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit auch das Wechseln der Wahrnehmungspositionen, die Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen und die von Robert Dilts eingeführte Bewegung über verschiedene Ebenen persönlicher Erfahrung. Auch indem sich mit Hilfe des Umdeutens neue Bedeutungszusammenhänge erschließt, erweitert der Lernende seine innere Landkarte des Lebens. Mit all dem www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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ist es möglich, die innere Erfahrung auf vielfältige Art zu bereichern, Defizite auszugleichen und neue Lebensentwürfe zu gestalten, einem Zaubergarten gleich, oder einem Modellbaukasten. Neue, möglichst nützliche Landkarten von der Welt zu schaffen, ist ein zentrales Anliegen des NLP. In dieser Stärke liegt zugleich ein potentieller Mangel, denn Wachstum vollzieht sich nicht beliebig. Aus der Vielzahl der Möglichkeiten sind es ganz bestimmte Erfahrungen, die ein Mensch braucht, um sich zu entwickeln oder gesund zu werden. Gerade für diese Auswahl braucht es Erfahrung, Intuition und Reife, denn wir könnten die Arbeit ebenso gut nutzen, um Entwicklungsschritten aus dem Weg zu gehen und in Narzissmus zu verfallen. Zum einen benötigen wir die Orientierung auf relevante Themen und Entwicklungsschritte, zum anderen das Feedback der Praxis, das Überprüfen der Veränderungen im täglichen Leben, im Verhalten und in den sozialen Beziehungen. Welche innere Landkarte wir auch gestalten, sie soll es uns möglich machen, unser Leben in dieser Welt besser und glücklicher zu gestalten — ohne an der Welt vorbeizuschauen. Darin wird NLP durch die eher handlungsorientierte systemische Kurzzeittherapie ergänzt, die zur ständigen Überprüfung von Verbesserungen und Verschlechterungen in der Gegenwart anhält und auf Verhaltensänderungen achtet. Im Idealfall ist die mit Mitteln des NLP gewonnene neue innere Landkarte genau jene, mit welcher der Lernende bereits die Gegenwart und die Zukunft meistern kann. Eventuell hat er die Karte, muss aber noch üben und lernen, sich zu bewegen. Oder aber das innerlich erarbeitete Bild erwies sich nicht als der geeignete Wegweiser. Wie findet ein Begleiter einen Wegweiser dafür, was für den Lernenden relevant und entwicklungsfördernd ist? Zum einen gehört ein ständiger Feedbackprozess dazu, in welchem er lernt, die Physiologie seines Partners zu lesen und auf das, was dessen ganzer Organismus sagt, zu reagieren. Der Lernende sollte es sein, welcher seinen Weg anhand verschiedener Angebote wählt. Zum zweiten geht es um das Herausarbeiten der Themen, die ihn wirklich bewegen — und der Themen hinter den Themen. Zum dritten findet das NLP zahlreiche Anregungen und Ergänzung in der Arbeit mit sozialen Systemen, welche die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten auf das reduzieren, was für alle Beteiligten stimmig ist. Im Modell des Reimprinting ist dies ebenso der Fall, wie in der Arbeit mit Familienaufstellungen. Die dort behandelten Formen der Lösung von Verstrickungen und der Herstellung einer neuen Balance können hervorragend in die NLP-Arbeit einfließen und der Ressourcearbeit eine weitere Dimension der Tiefe geben. Wurde die innere Erfahrungswelt im NLP bisher meist auf Ereignisse bezogen, wird sie nun um die Arbeit mit Konstellationen bereichert. Systemische Aufstellungen arbeiten mit der Struktur und dem Prozess sozialer Systeme. Von den Familienskulpturen Virginia Satirs über die phänomenologischen Aufstellungen Bert Helligers bis zu systemischen Strukturaufstellungen von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibeds geben in dieser oder jener Form allen am System Beteiligten Stimme und Gewicht. Informationsquelle ist nicht mehr eine einzelne Person, sondern viele. Erst, wenn alle Beteiligten ihre Position und ihre Beziehung zu den anderen gefunden haben, war die Arbeit erfolgreich. Die Stärke dieser Arbeit liegt also auf ihrer Allparteilichkeit und auf der Neugestaltung der grundlegenden Struktur eines Systems, was ein gutes Fundament für eine positive Entwicklung bietet. Es geht zudem darum, die eigene Verantwortung zu tragen und anderen ihre Verantwortung für ihr Leben zu lassen. Das Schaffen von Wahlmöglichkeiten steht demgegenüber weniger im Vordergrund, auch einzelne Ereignisse oder neue Lebensmodelle sind selten das Thema. Gerade dies aber wird durch Lebensweg-Arbeit ergänzt, sei es die Aufarbeitung einer unterbrochenen Annäherung von Mutter und Kind, seien es einzelne traumatische Erfahrungen oder auch neue Wahlmöglichkeiten, das, was die Eltern nicht geben konnten, in seinem Leben dennoch zu erfahren. Anzunehmen, was ist, ist die Voraussetzung dafür, Neues gestalten zu können. Aufstellungsarbeit macht deutlich, was ist und lädt die Beteiligten dazu ein, dies liebevoll und respektvoll anzunehmen. Darauf aufbauend kann nun Lebensweg-Arbeit wirksam werden, www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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indem sie dem Lernenden vermittelt, was sein könnte und was dazu gehört, sein Leben in eine selbst gewählte Richtung zu bewegen. Er gestaltet positive Modelle dessen, was bisher anders verlief. Nachdem ein Familienmitglied ein trauriges Schicksal in Würde angenommen hat, bleibt da ein ungelebtes Potential. In der Lebensweg-Arbeit ist es erlaubt, auch dieses zu befreien und zu erleben, wie das eigene Leben und das anderer erfüllt verlaufen kann. Es ist erlaubt, dass der heute erwachsene Proband seinem jüngeren Selbst oder anderen Familienmitgliedern neben Achtung und Respekt auch andere Ressourcen anbietet. Nachdem in der Aufstellungsarbeit ein wohlgestalteter Garten entstanden ist, in welchem jedes Gewächs seinen Ort hat, ist Kreativität und Veränderung eine gute Ergänzung. Sie baut jetzt auf einem sicheren, festen Boden auf. So kann daraus ein fundierter Zaubergarten werden. Wie auch immer ein System sich neu organisiert hat. Irgendwann kommt der Alltag und mit ihm all der tägliche Umgang miteinander. Auch hier ist begleitende Unterstützung oft wichtig, denn miteinander umzugehen, will auch im Alltag gelernt werden. Systemische Kurzzeittherapie kann dies unterstützen, den oder die Einzelnen in einem längeren Prozess sozialen Lernens begleiten. Aufstellungen sind nicht der einzige Weg, ein neues Gleichgewicht für soziale Systeme zu finden. Die Kommunikationsmodelle des NLP bieten Möglichkeiten, den Ausdruck und Austausch der Beteiligten besser zu gestalten. Manchmal ist es nötig, den Lebensweg der Gruppe oder des Teams zu klären oder mit bestimmten Beteiligten einzeln zu arbeiten. Es mag sogar sinnvoll sein, schwierige Beziehungen, auch solche aus der Ursprungsfamilie, mit ungewöhnlichen Mitteln zu klären: Wir können sie als metaphorische Erfahrungen oder Begegnungen im früheren Leben darstellen und hier die Lösung für Muster finden, die wir dort nicht erklären konnten. Zusammenwirken als Lernprozess. Wer eine Methode neu lernt, sollte dabei bleiben, bis er sicher ist. Wir können uns nicht alle Instrumente auf einmal aneignen, wenngleich ihr Zusammenklang für die Musik wichtig sein mag. Wer aber in einer Arbeitsform bereits zu Hause ist, kann kleine Schritte machen und mit Übungspartnern diese oder jene Ergänzung probieren, sei sie auch ketzerisch: In der Systemischen Kurzzeittherapie Ursprungsereignisse aufsuchen und lösungsorientiert bearbeiten, im NLP mit Demut sein Schicksal annehmen, in einer Aufstellung heutige Ressourcen an jene geben, denen sie damals fehlten. Er sollte derartige Probeschritte ankündigen und das Einverständnis des Lernenden hierfür einholen. Wenn das Ergebnis nicht nützlich war, sollte der Probeschritt wieder zurückgenommen werden. Dieses Forschungsprinzip heißt: Finden, was wirkt — und es war schon immer das Prinzip großer Entwickler und Therapeuten. Es ist — in aller Bescheidenheit auch das unsere. Meist wirkt das am wenigsten, was der Lernende stets tut und das besonders, was er noch gar nicht kennengelernt hat. Sicher gehört der Ausgleich des Einseitigen zu den Meta-Prinzipien der Veränderung.
Das Zusammenspiel der Schulen Indem wir glauben, dass jedes Veränderungsmodell einen sinnvollen, natürlichen Anwendungsbereich hat, stellt sich uns nicht die Frage, welche Arbeitsweise richtig oder falsch ist, sondern nur welche unter welchen Bedingungen für welchen Zweck geeigneter ist. Es ist immer wieder bereichernd zu erkennen, wie sich Modelle ergänzen, und so der Vielfalt menschlicher Situationen und Entwicklungsbedürfnisse gerecht werden. Gleichzeitig sollte die Anzahl und die Komplexität des Werkzeugs überschaubar bleiben, was dann geschieht, wenn wir die verwendeten Techniken auf Grundmuster reduzieren und eine Sprache wählen, welche die Modelle verbindet. Indem ähnliches von unterschiedlichen Schulen, Richtungen und Autoren unterschiedlich benannt wird, erfährt der Anwender erfährt oft nicht, was andere Schulen an Ähnlichem, oft sogar Weiterführendem entwickelt haben. Es fehlt eine die Ideen verbindende und ordnende Instanz, eine gestaltende Meta-Instanz. Wir haben uns oft darüber www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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gewundert, wie Schulen so getrennt voneinander mit dem Thema "Mensch" umgehen. Einst war es der Anspruch des NLP, verschiedenste Formen der Veränderung und Entwicklung aus jener Meta-Position heraus zu modellieren und in einer allen zugänglichen Form weiterzuvermitteln. Doch auf dem Weg dahin ist NLP selbst zu einer Schule geworden, die, von anderen abgegrenzt, ihre vorläufige Lehre vermittelt. Denn jede Lehre ist vorläufig und wer glaubt, den Schlüssel zum Erfolg gefunden zu haben, hat ihn schon verloren. Da aber im NLP so viel Wertvolles zusammengetragen wurde, sollt es nicht "im eigenen Saft schmoren", sondern in Austausch mit dem treten, was es ergänzt.. Auch andere Schulen laufen Gefahr, dass sie, indem sie sich auf die Verfeinerung immer speziellerer Arbeitsweisen beschränken, die Fähigkeit einer breiten Grundversorgung suchender und lernender Menschen verlieren. Deshalb war es ein Anliegen der Autoren, eine gestaltende Zusammenschau anzuregen. Wir haben einen Anfang gemacht und wir sind höchst unvollkommen, denn auch wir kennen nur Ausschnitte des Lebens und der Welt. Wir hoffen aber, über uns hinaus einen Prozess des Sichtens und des Verbindens von Ideen und Erfahrungen zu inspirieren, vielleicht etwas, was das NLP in den 70er Jahren des alten Jahrhunderts tat, bevor es die Ergebnissen festschrieb und eine eigene Schule mit einem mechanistischen Namen wurde. Als Schule organisiert es sich in Verbänden und strebt nach Anerkennung und nach Umsätzen. Dadurch verliert es die Kraft des freien Beobachters, einer Meta-Position, die Prozesse erkennen und zwischen Methoden und Schulen vermitteln kann. Wenn wir an die Herausforderungen dieses Jahrhunderts denken, allen voran die Globalisierung, gewinnt die Kunst, Ideen zu verbinden, an Bedeutung und wird zu einer Grundlage für alle wichtigen Prozesse der Zukunft. Wir können uns weder Monokultur noch Provinzialismus leisten, auch nicht das Abwerten oder Verdammen der anderen Seite. Das Entweder-Oder funktioniert nur aus der Festlegung auf einen Teil des Ganzen heraus. Wie also können Abtreibungsgegner und -befürworter eine gemeinsame Basis finden, wie Moslems, Buddhisten und Christen, wie Ostdeutsche und Westdeutsche, Wissenschaftler und Esoteriker, Opfer und Täter, Regierungen und Terroristen — um nur einige sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen. Sie alle sind Teil eines größeren Systems, besetzten verschiedene Positionen in ihm und verteidigen sie. Doch diese Positionen können sie nur besetzen, weil andere die übrigen besetzt haben. Mit ihnen zusammen bilden sie das Ganzes — und doch würde jede Seite die andere so gern loswerden und den ganzen Raum allein ausfüllen. Je mehr sie das versucht, um so härter wird es auf der anderen Seite zugehen, bis hin zur wechselseitigen Zerstörung. Wäre es aber geschafft, wäre die andere Seite fort, so gäbe es auch die eigene Position nicht mehr und mit ihr wäre die eigene Gestalt und die eigene Identität aufgelöst. Wohl deshalb sorgt jede Seite dafür, das die andere immer wieder nachwächst. Der andere Weg, den ganzen Raum zu erfüllen, besteht darin, all die übrigen Anteile, die darin ihren Platz haben, in sich aufzunehmen, also der ganze Raum zu werden. Und auch dann ist die frühere Identität verloren. Es gibt natürliche Formen gemeinsamer Zugehörigkeit: Mann und Frau, die aneinander Freude haben, zwei Schachspieler vor ihrem Brett; ein Team, das gut zusammenspielt; eine Familie, deren Mitglieder sich respektieren, Völker in guter Nachbarschaft. Worin liegt der Unterschied zu den ersteren? Für letztere scheint es okay zu sein, dass da noch jemand ist, nicht nur okay, sondern wünschens- oder sogar begrüßenswert. Denn da ist Austausch, und die andere Seite ist eine Quelle der Freude oder zumindest ein von Nutzen. Das lässt sie weniger hart und verschlossen werden, ermöglicht ihnen Brücken und lässt jeder Seite Raum, sich in wohltuender Weise zu entwickeln und einzubringen. Oft scheint jede Seite in sich auch etwas von der anderen aufgenommen zu haben, so dass diese sich darin erkennen kann. Und vieles ist da, was beide gemeinsam haben. Das schafft Vertrauen. Und die verhärteten Fronten in Beziehungen? Der erste Schritt für sie mag darin liegen, die andere Seite zu achten — nicht unbedingt das Erscheinungsbild und das Verhalten, welches sie entwickelt hat, wohl aber ihre tiefsten Anliegen und ihre Potentiale und ihre Not. Dann kann www.active-books.de • www.junfermann.de • www.e-works.de
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ein Wunder geschehen, das Wunder der Verwandlung einer solchen Seite in etwas, das sich öffnet und seine natürliche Form entfaltet. Leider geht das nur, wenn beide es tun, und nicht immer folgt der Partner, wenn einer anfängt. Gerade der vermeintlich Stärkere hat doch keine Veränderung nötig ... das macht es so schwer. Eines aber tut gut: Wenn von außen jemand kommt, der beide Seiten zu würdigen weiß. Das ist die Grundfähigkeit guter Verhandlungsführer, Mediatoren und großer Integrationsfiguren. Wenn zwei Geschwister streiten, fehlt es vielleicht beiden an Liebe von den Eltern. Unterschiedlichkeit bedeutet, dass jedes einen anderen Platz hat und dass genug da ist für alle. Erst wenn alle gleich sind, wird es eng. Einmaligkeit schafft eigenen Raum. Dies gilt auch für Kommunikatoren, Therapeuten, Coaches, und es ist die Antwort der Weisen auf gleichmachende Diplome, Zertifikate und Studiengänge. Die Sicherheit der Stereotype ist trügerisch. Was die verschiedenen Schulen und Veränderungsmodelle betrifft, so haben wir in diesem Buch erste Schritte getan: Wir haben einige von ihnen vorgestellt und gewürdigt. Auch jene, die sich untereinander nicht so mögen. Wir haben die Konzepte und Ideen miteinander arbeiten lassen. Was neu ist, ist natürlich auch beunruhigend. Viele therapeutische Schulen sind aus der Lebenserfahrung ihrer Entwickler gewachsen, manifestieren deren Werte und Überzeugungen. Wann also macht eine Lehre Sinn und für wen gilt sie? Und wir wagen es, die unterschiedlichen Arten von Lebenshelfern, die sich um ihre Mitmenschen kümmern, in gleicher Weise zu respektieren: die staatlich anerkannten Psychotherapeuten und die nicht staatlich Anerkannten, die Analytiker, die Verhaltenstherapeuten, die systemischen Therapeuten, die Neuro-Linguisten, die Esoteriker und Geistheiler, die Mediziner, die Körpertherapeuten, die Heilpraktiker, die Meister chinesischer Heilkunst — jene, die neu sind, wie auch die alten Hasen, die Etablierten und die "armen Schlucker", die Wissenschaftler, die Studierten, die Autodidakten. Unter all denen gibt es "Gute" und "weniger Gute", das ist klar. Die einen verdanken den anderen ihre soziale und fachliche Position, auch ihr Überlegenheitsgefühl, ihre Marktnische, ihre Ideen und ihre Besonderheit. Wie wäre es wohl, wenn jede Schule in einer Organisationsaufstellung ihren richtigen Platz finden sollte und wenn es darum ginge, die anderen Beteiligten im Feld zu würdigen? Und wie wäre es, wenn die Einzelnen voneinander zu lernen begännen? Wenn die, welche bisher mit dem Kopf gearbeitet haben, lernten, Gefühl und Intuition wertzuschätzen — und wenn jene, die dies immer nur taten, nun einem klaren analytischen Verstand Respekt erweisen könnten? Haben wir nicht gelernt, dass die schlimmen anderen oft auch Repräsentanten eigener unterdrückten Anteile sind? Also kann Wertschätzung nach außen innerlich nur gut tun.
© Bernd Isert und Klaus Rentel Berlin 2000
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