Ren Dhark Wunder des blauen Planeten Die große SF-Saga von Kurt Brand
Band 11
Bereits erschienen: (1) Sternendschunge...
23 downloads
723 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ren Dhark Wunder des blauen Planeten Die große SF-Saga von Kurt Brand
Band 11
Bereits erschienen: (1) Sternendschungel Galaxis (2) Das Rätsel des Ringraumers (2) Zielpunkt Terra (4) Todeszone T-XXX (5) Die Hüter des Alls (6) Botschaß aus dem Gestern (7) Im Zentrum der Galaxis (8) Die Meister des Chaos (9) Das Nor-ex greift an! (10) Gehetzte Cyborgs sowie die Sonderbände: Die Legende der Nogk Gestrandet aufBittan Sollte Ihre Bezugsquelle nicht alle REN-DHARK-Bände verfügbar haben, können Sie fehlende Bände direkt beim Verlag nachbestellen. l. Auflage Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22 56544 Neuwied Telefon: 02631-356100 Fax:02631-356102 Internet: http://www.bernt.de © REN DHARK: Brand Erben Buchbearbeitung: Gerd Rottenecker Beratung: Heinz Mohlberg Cover: Ralph Voltz Illustrationen: Hubert Schweizer Druckvorlagenherstellung: TYPO-Schlick GmbH, 56566 Neuwied © 1998 H. Bernt Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930515-21-0
Vorwort Nachdem bereits in Band 10 der Ren-Dhark-Buchausgabe mit den Utaren ein neues Fremdvolk aufgetaucht ist, haben im vorliegenden Band die Rateken einen ersten >Kurzauftritt<. Doch bereits im nächsten Buch werden sie wieder mit von der Partie sein, und außerdem wird Ren Dhark dann auch auf das dritte - für die Zukunft vielleicht wichtigste >neue< Fremdvolk stoßen. Bis dahin gilt es für Ren Dhark & Co. jedoch noch, das >Wunder des blauen Planeten< zu erforschen, sich den Mächten zu stellen, die nach langem Schlaf plötzlich erwachen, und ein weiteres Rätsel in Sachen POINT OF zu lösen. Apropos POINT OF: Unser Modell des Ringraumers, von dem nur noch ein knappes halbes Dutzend Exemplare lieferbar sind, hat ein - allerdings unverkäufliches Schwesterschiff bekommen, das in Zukunft bei den Con-Auftritten des HJB-Verlags über unserem Stand >schweben< und mit einem Ringdurchmesser von 1,26 Metern für Aufsehen sorgen wird. Gleichzeitig mit diesem Buch wird an alle Vorbesteller und Abonnenten der zweite Ren-Dhark-Sonderband ausgeliefert. In dem Roman mit dem Titel >Gestrandet auf Bittan< schildert der bekannte SF-Autor Werner Kurt Giesa - der auch schon an den neugeschriebenen Ren-Dhark-Büchem 6-8 mitgearbeitet hat - die Abenteuer des Prospektoren-Ehepaars Art und Jane Hooker auf einer urtümlichen Dschungelwelt, die mehr als ein Geheimnis unter ihrem dichten Laubdach verbirgt. Mit Band 12 der regulären Buchausgabe, der voraussichtlich Ende Oktober erscheinen wird, werden wir unser jüngstes >Baby< präsentieren: Das Ren Dhark Magazin! Wie der Name schon sagt, wird sich in diesem Magazin vieles - aber nicht alles - um Ren Dhark drehen. So wird unter anderem in einem Werkstattbericht geschildert werden, wie ein Ren-Dhark-Buch entsteht; außerdem werden wir exclusiv eine Rißzeichnung von Hartmut Klages - einen 400m-Raumer der Giants - und eine Kurzgeschichte von PR- und RD-Autor Hubert Haensel mit dem Titel >Im Ring der Mysterious< präsentieren. Weitere Beiträge sind Perry Rhodan (PR-Kenner Michael Thiesen beleuchtet die Ära William Voltz) und dem amerikanischen SF-Autor David Brin gewidmet - aber das ist noch längst nicht alles... Nachzutragen blieben noch die Titel und Verfasser der Originalromane, die überarbeitet und teilweise gekürzt in dieses Buch eingeflossen sind: Singu der Rateken, Transmitterdrohung, Terra im Würgegriff, Inferno zwischen Ruinen und Die Planetenbombe von Kurt Brand sowie Auf den Spuren der Mysterious? von Tensor McDyke (alias Dieter Ueckermann). Hohberg, im Frühjahr 1998 Gerd Rottenecker
Prolog Auf der Erde und den Welten des terranischen Einflußbereichs neigt sich das Jahr 2056 seinem Ende zu. Die Gefahr, die von den überraschend wieder aufgetauchten, nicht >rückgeschalteten< Robonen unter ihrem Anführer Allon Sawall ausging, und die in der Entführung Ren Dharks und Dan Rikers gipfelte, scheint fürs erste gebannt. Sawall und seine Anhänger haben sich auf einen unbekannten Planeten zurückgezogen, und die kleine Gruppe Robonen, die dem Befehl ihres Anführers nicht gefolgt ist und sich noch immer auf Terra befindet, sollte zwar nicht unterschätzt werden, ist jedoch jetzt auf sich allein gestellt und hat sicherlich einiges an Gefährlichkeit eingebüßt. Auch die Bedrohung durch das Nor-ex, jene unbegreifliche Wesenheit aus einem fremden Universum, die Raumschiffe und ganze Städte verschlang, konnte durch den mutigen Einsatz Ren Dharks zunächst einmal beseitigt werden. Immerhin hat die Nor-ex-Krise die Völker der Milchstraße teilweise enger zusammenrücken lassen. So haben die Utaren, die Bewohner Esmaladans, mittlerweile Kontakt mit den Terranern aufgenommen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Beziehungen zwischen den beiden Völkern weiter entwickeln werden, doch bestehen auf Seiten der terranischen Führungsspitze wenig Zweifel, daß sich der Kontakt generell positiv auswirken dürfte. Zunächst einmal bleibt der Menschheit jedoch kaum Zeit, Atem zu holen. Kaum aus dem Karmin-Universum zurückgekehrt, wartet auf Ren Dhark bereits die nächste Herausforderung in Form eines Doppelwulst-Raumers, der plötzlich und unerwartet auf Terra landet, und dessen Besatzung sich nicht nur in ihrem Äußeren deutlich von den zwergenhaften Utaren unterscheidet. Als noch weitaus schwieriger erweist sich die Aufgabe, die wenig später ein rätselhaftes Artefakt dem Commander der Planeten stellt, als er mit den >Wundern des blauen Planeten< konfrontiert wird. Auch auf Hope, im Industriedom im Höhlensystem unter dem Inselkontinent Deluge, geschehen merkwürdige Dinge, die schließlich in einer ganz besonderen >Erscheinung< gipfeln. Doch alles, was bis dahin geschehen ist, verblaßt zur Bedeutungslosigkeit, als der ehrgeizige Kommandant eines terranischen Forschungsraumers einen fatalen Fehler begeht - und plötzlich steht die Existenz Terras auf dem Spiel...
1. Das unbekannte Raumschiff hätte sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können, um am Rande des Sol-Systems zu rematerialisieren. Auf sämtlichen Planetenforts, Ast-Stationen und Einheiten der Flotte herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Im Raum zwischen den Planeten sammelten sich große Raumerverbände, die auf ihren Einsatzbefehl warteten um aufzubrechen, Ren Dhark und die POINT OF zu suchen. Ein Einsatzbefehl, der nur deswegen noch nicht erteilt worden war, weil die Raum-Radarstationen auf Pluto ein Abflauen der Kämpfe in den umliegenden Raumsektoren gemeldet hatten. Doch mit jeder Minute, die verstrich, ohne daß eine Nachricht von Ren Dhark kam, stieg die Wahrscheinlichkeit, daß Marschall Bulton die Flotte aussenden würde, um nach dem Commander der Planeten und dem Flaggschiff der TF zu suchen. »Vielleicht hatte Dhark ja Erfolg - zumindest scheinen sich die Nor-ex aus diesem Raumsektor zurückgezogen zu haben«, gab einer der Stabsoffiziere zu bedenken. Er bewies Mut mit dieser Bemerkung, denn Marschall Bulton, in Abwesenheit Dan Rikers Oberbefehlshaber der TF und für sein cholerisches Temperament berühmt und berüchtigt, wurde von Minute zu Minute nervöser und schien kurz vor der Explosion zu stehen. Aber Bulton explodierte nicht. »Anfrage an die Raum-Radarstationen: Sind im umliegenden Raumsektor die Kämpfe wieder aufgeflackert, oder ist es immer noch ruhig?« blaffte er statt dessen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Keinerlei ungewöhnliche energetische Aktivitäten in den umliegenden Raumsektoren. Bulton atmete tief durch. Doch bevor er noch irgend etwas sagen konnte, meldete sich Raum-Radarstation II erneut. »Unbekanntes Raumschiff neun Millionen Kilometer jenseits der Plutobahn rematerialisiert. Typ Kugelraumer mit zwei Ringwulsten. Bewegt sich mit 0,1 Licht Kurs Terra. Wir versuchen, Funkkontakt aufzunehmen... Keine Reaktion - Achtung, Raumschiff beschleunigt jetzt auf 0,2 Licht.« Bulton handelte schneller, als er denken konnte - er preßte die Daumenkuppe auf dem Alarmknopf. Gleichzeitig erging der Befehl an die sich dem Eindringling am nächsten befindlichen Schiffe, die Position des unbekannten Raumers anzufliegen und ihn unter Einsatz aller Mittel zu stoppen! Doch die jenem Punkt jenseits der Plutobahn zujagenden Schiffe der TF stießen ins Leere. Das Raumschiff entmaterialisierte - um mitten im Sol-System wieder aufzutauchen! Meldung von Ast-15! »Kugelraumer mit zwei Ringwulsten 3400 Kilometer vor Ast-15 auf Grün 56:22,09 rematerialisiert. Durchmesser 250 Meter. Fliegt mit 0,3 Licht Kurs Terra. Antwortet nicht auf Funkanrufe; beschleunigt jetzt auf 0,5 Licht.« Auf Ast-15 saßen der Kommandant der Asteroiden-Station und sein Feuerleitoffizier nebeneinander. Gemeinsam sahen sie die Diagramme auf den Oszillos, gemeinsam sahen sie auf ihren Bildschirmen den unbekannten Raumer, der auf Funkanrufe nicht reagierte und mit immer größerer Fahrt Terra anflog. »Feuer frei?« erklang die Frage des Feuerleitoffiziers. »Wir sind kein Raumschiff, Prokin. Wir können diesem verdammten Kahn nicht nachsetzen.« Mittlerweile hatte Marschall Bulton in Cent Field seinen Befehl wiederholt. Unbekannten Raumer mit allen Mitteln stoppen! Im gleichen Moment drückte Leutnant Prokin auf Ast-15 den Feuerknopf. Die gigantischen Antennen der Asteroidenstation jagten ihre Energie dem Raumer
hinterher, der nur noch 56 Millionen Kilometer von Terra entfernt war. »Volltreffer!« knurrte Prokin nach einem Blick auf die Oszillos. Aber der Strahlschuß prallte am energetischen Schirm des Fremdraumers ab. Grelle Flammenkaskaden schossen nach allen Seiten, und der Prallschirm glühte blutrot auf. Dann glaubten die Männer in Ast-15 ihren Augen nicht zu trauen. »Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte der Kommandant, aber was er sah, veränderte sich nicht. Der Prallschirm des Fremdschiffes strahlte in grellem Weiß. Und dieses Weiß flackerte im feststehenden Rhythmus. »Kurz - lang - lang - kurz - lang - lang - kurz...« »Ein Zeichen!« Der Kommandant verstand es nicht. Dennoch schlug er hart auf den Feuerknopf. Schlagartig stellten alle Strahlgeschütze der Station ihr Feuer ein. »Acht Raumer im Anflug auf unbekanntes Schiff!« meldete der Ortungsoffizier. Der Kommandant brüllte: »Unsere Schiffe darauf aufmerksam machen, daß der Kahn über seinen Prallschirm Zeichen abstrahlt.« Doch auf Terra war es schon bemerkt worden. Marschall Bulton änderte seinen Befehl! Geleit des unbekannten Schiffes übernehmen, aber von allen Waffen Gebrauch machen, wenn Angriff von der anderen Seite erfolgen sollte. Sechs Kreuzer der Planeten-Klasse und zwei Jäger rasten mit grell aufleuchtenden As-Onen-Triebwerken heran. Ihre optischen Systeme hatten den DoppelwulstRaumer erfaßt. Sein rhythmisch flackernder, weiß leuchtender Schirm war nicht zu übersehen. Unverändert hielt das Schiff Kurs auf Terra. Daß es von einer achtfachen Übermacht geleitet wurde, machte der Besatzung wohl nichts aus. War Weiß nicht die Farbe der Übergabe und der friedlichen Verhandlungen? Doch kannte die Besatzung des unbekannten Schiffs die Gepflogenheiten der Terraner? Im Stab der TF starrte Marschall Bulton nachdenklich ins Leere. Er wagte nicht, seine Offiziere anzusehen. Auf diesen Augenblick hatte man auf Terra seit Wochen und Monaten gewartet, sich in ununterbrochenen Planspielen und Manövern darauf vorbereitet - doch jetzt, da der Fall eingetreten war, fühlte der Oberkommandierende der TF sich nicht wohl in seiner Haut. Man hatte schon öfter mit den Doppelwulst-Raumern zu tun gehabt - es waren größtenteils unangenehme Begegnungen gewesen, wie Bulton sich erinnerte -, man wußte, daß ihre Heimatwelt 3219 Lichtjahre von der Erde entfernt war - aber wie die Wesen aussahen, die diesen Raumschifftyp flogen, wußte niemand. »Distanz noch 35 Millionen Kilometer, Marschall!« Bulton nickte. Und dann schreckte er plötzlich hoch - er und alle seine Offiziere. Die POINT OF war dicht über Terra aus der Transition gekommen und flog mit hoher Fahrt dem Raumhafen Cent Field zu. Auf einem Monitor war plötzlich das Gesicht des Commanders zu sehen. Marschall Bulton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Plötzlich wirkte er entspannt. Es war ihm egal, daß alle sahen, wie tief und erleichtert er aufatmete. Ren Dhark war zurück. Er hätte in keinem besseren Augenblick nach Terra kommen können. Die Menschen in Alamo Gordo schreckten auf. Ein Überschallknall noch nie erlebter Stärke erschütterte die gigantischen Stielbauten, die der Stadt ihr unverwechselbares Gesicht gaben. Die POINT OF war im Anflug! Sie war mit Höchstfahrt in die dichten Luftschichten der Erde hineingestoßen, um im Sturzflug Cent Field anzufliegen.
Den Männern im Tower trat der kalte Schweiß auf die Stirn, als sie auf ihren Instrumenten die Landegeschwindigkeit der POINT OF ablasen. »Sind die denn verrückt geworden? Bei dem Tempo wird der Kahn einen schönen Schrotthaufen abgeben!« Aber es gab keine Bruchlandung. Elegant setzte der Ringraumer auf. Kaum schwiegen die Triebwerke, raste schon Flash 001 durch die Unitallwandung des Schiffs und nahm Kurs auf das Gebäude, in dem sich der Stab der TF befand. Ren Dhark flog den Flash selbst. Dicht vor dem Haupteingang landete er das plump aussehende Beiboot. Noch bevor die Wachposten reagieren konnten, hatte der Commander das Gebäude schon betreten. Er stürmte den breiten Gang entlang und stand Augenblicke später vor Marschall Bulton. Dem war seine Erleichterung überdeutlich anzumerken, als er seinen Platz hinter dem breiten Schreibtisch räumte. Ren Dhark hatte noch während des Landeanflugs alles Wichtige erfahren und seinerseits dem Marschall stichwortartig von den Geschehnissen im Karmin-Universum berichtet. Dhark beugte sich zum Vipho und tastete blitzschnell die Verbindung zur Ortungszentrale des Raumhafens ein. »Hier Commander Dhark! Wo steht das Schiff?« Sie verstanden ihn. Zur Zeit gab es im Sol-System nur ein Schiff, von dem man sprach. Er erhielt die Distanzangabe. »Verbindung mit der Hyperfunkstation.« Die Hyperfunkstation meldete sich. »Den Doppelwulst-Raumer mit höchster Sendeleistung im gleichen Rhythmus anfunken, in dem er sein Prallfeld aufleuchten läßt.« Er unterbrach die Verbindung. »Bulton, wir haben noch ein paar Minuten Zeit, bis der fremde Raumer zur Landung ansetzt. Welche Einheiten stehen bereit, um die Delegation einer fremden Rasse zu empfangen?« Marschall Bulton lief rot an. Dhark sah darüber hinweg. Offiziere erhielten Befehle. Zwei der drei Viphos waren ununterbrochen in Betrieb. Der Raum schwirrte vor Aktivität. Nur der Commander saß gelassen hinter dem Schreibtisch des Marschalls. Dharks Ruhe schien auch auf Bulton überzugehen, denn der Marschall zeigte in Anwesenheit des Commanders nichts von seinem cholerischen Temperament. Bulton hatte seine Order erteilt. Eine Anzahl Offiziere war fluchtartig aus dem Raum gestürmt. Die Delegation einer unbekannten Rasse, die allem Anschein nach in friedlicher Mission nach Terra kam, sollte mit allem Pomp empfangen werden. Der Commander aber war mit seinen Gedanken ganz woanders. Er dachte an das Nor-ex, jenes unbegreifliche Wesen aus einem fremden Universum, mit dem er erst vor wenigen Stunden einen Pakt geschlossen hatte. Würde die fremde Wesenheit sich an die Abmachungen mit den Terranern halten? Und wenn nicht - würden sie dann die Möglichkeit haben, das Nor-ex erneut zu bezwingen? Auf einmal spürte Ren Dhark, daß der Marschall ihn gespannt musterte. Er blickte auf und fragte: »Was gibt es, Bulton?« »Sie wollen es doch wohl nicht bei ein paar Stichworten belassen, Commander? Mittlerweile ist nicht nur die POINT OF wieder aufgetaucht, sondern auch die übrigen verschollenen Schiffe! Die FO-1 mit Huxley und Prewitt, die CAESAR, die YAMID und all die anderen... Was ist dort draußen wirklich geschehen?« Ren Dhark lächelte. »Das, mein lieber Bulton, werde ich Ihnen und Ihren Offizieren ebenso wie den Wissenschaftlern erzählen, wenn die Lage sich wieder entspannt hat. Doch zunächst, denke ich, sollten wir all unsere Konzentration unseren >Gästen< widmen. Oder was meinen Sie?«
In diesem Augenblick meldete die Ortungszentrale, daß der unbekannte Raumer den äußeren Luftmantel der Erde erreicht habe und noch immer Kurs auf Cent Field halte. Ren Dhark wurde nachdenklich. Etwas machte ihm Sorgen. Er erinnerte sich einiger dramatischer Erlebnisse. Jedesmal, wenn die POINT OF im überlichtschnellen Flug unterwegs von Hope nach Terra - oder in Gegenrichtung - einen bestimmten Sektor der Galaxis durchflogen hatte, war sie auf unerklärliche Art geortet und immer wieder von vielen Schiffen angegriffen worden - darunter auch von Doppelwulst-Raumern! Diese Ortung hatte es eines Tages nicht mehr gegeben! Wer hatte veranlaßt, daß der Ringraumer nicht mehr mit allen verfügbaren Mitteln bekämpft wurde? Was war der Anlaß zum Einstellen dieser Aktionen gewesen? Die Besatzungen der Doppelwulst-Raumer hatten mit einer geradezu unbeschreiblichen Hartnäckigkeit versucht, die POINT OF in eine kleine Sonne zu verwandeln. Und jetzt kam ein Schiff dieser Rasse in friedlicher Absicht? Mit einer Hand fuhr sich Ren Dhark über die Stirn. Von allen Seiten fühlte er Unheil auf sich zukommen. Unwillkürlich blickte er auf, aber außer einigen Offizieren und Marschall Bulton konnte er nichts entdecken. »Commander, die GSO ist benachrichtigt.« Daran hatte Dhark wirklich nicht gedacht. Er gehörte zu dem Typ Menschen, der erst dann mißtrauisch wurde, wenn er Grund dazu hatte. An erster Stelle stand bei ihm der Glaube, daß jede Kreatur, wie sie auch beschaffen sein mochte, von Natur aus gut war. Er mußte an die Giants und ihren CAL denken, er erinnerte sich, wie sie auf der Erde gehaust hatten, was sie aus den Menschen gemacht hatten, die man inzwischen als Robonen bezeichnete. War das Verhalten der Giants menschlich gewesen? Das große Vipho vor ihm leuchtete auf. Ein Offizier aus dem Tower meldete: »Commander, der Doppelwulst-Raumer setzt auf G-56 zur Landung an.« Der Vorgang war auch in der POINT OF beobachtet worden. Vollkommen ruhig teilte Dan Riker aus dem Leitstand des Ringraumers mit: »Wir scannen den Kahn ununterbrochen. Scheint friedlich zu sein. Unsere Energieortung bestätigt, daß nur die Energieerzeuger laufen, die er für das Landemanöver benötigt. Sonst nichts Neues.« Die Verbindung zur POINT OF erlosch. Ren Dhark erhob sich. Auffordernd blickte er Bulton an. »Ich glaube, es wird Zeit, daß wir uns auch auf den Weg machen.« Der Commander der Planeten wollte die fremden Intelligenzen, die zum ersten Male die Erde angeflogen hatten, begrüßen. Der Doppelwulst-Raumer stand auf Landeplatz G-56. Achtzehn stationäre Gravitationsschleudern waren genau auf das 250-Meter-Schiff justiert. Die Gruppenführer der einzelnen Forts hatten den Befehl erhalten, auf einen bestimmten Funkimpuls hin den Landeplatz unter 3,5 Gravos zu setzen, selbst wenn sich Terraner in diesem Bereich befinden sollten. Für diesen Fall standen sieben Cyborgs bereit. Ihre Order lautete, unter Einsatz aller Mittel jeden Mann, der sich vor oder in dem unbekannten Schiff aufhielt, herauszuholen. Arc Doorn, der mittlerweile ebenfalls von der POINT OF herübergekommen war, hatte in einer kurzen Anweisung von Ren Dhark erfahren, daß er gemeinsam mit Jos Aachten van Haag den gesamten Einsatz zu leiten hatte. »Okay«, hatte der wortkarge Sibirier gebrummt und es sich mit Jos in dem kleinen Nebenraum nahe der Vipho-Zentrale bequem gemacht.
Nur Bram Sass und Jes Yello, die beiden Cyborgs, begleiteten den Commander und Marschall Bulton. Vor dem Stab der TF wartete ein Spezial-Jett der GSO, um sie nach G-56 zu fliegen. Über drei Viphos, die auf Dauerempfang standen, waren sie mit den wichtigsten Stellen in Cent Field und Alamo Gordo verbunden. Aber die Bildschirme blieben grau. »Nervös?« fragte Dhark den Marschall, kurz bevor sie ihr Ziel erreicht hatten. Bulton war so ehrlich wie immer. »Ein bißchen. Sie nicht?« »Doch«, erwiderte Dhark, »sehr.« »Ein ungutes Gefühl, Commander?« »Das nicht, aber innerlich bin ich auf so ziemlich alle bösen Überraschungen vorbereitet.« Der Marschall nickte und murmelte dann mehr zu sich selbst: »Ich bin gespannt, wie die Wesen aussehen, die diese Raumer fliegen.« Ihr Spezial-Jett setzte auf. Langsam gingen sie auf das fremde Schiff zu, das auf wuchtigen, aber erstaunlich kurzen Teleskopbeinen mit auffallend groß dimensionierten Landeplatten stand. Eine Polschleuse besaß dieser Raumer nicht, der im Licht der Sonne hellbraun schimmerte. Erst in gut fünfzig Meter Höhe befand sich eine halbbogenförmige Öffnung, von der jetzt eine schmale Rampe heruntergefahren wurde, die augenscheinlich über Transportbänder verfügte. In gleichmäßigen Abständen waren auf der sonst glatten kugelförmigen Hülle leicht plattgedrückte Höcker verteilt, die sich anscheinend in alle Richtungen bewegen ließen. Strahlgeschütze? Auch der Ringwulst, der das Schiff von Pol zu Pol umlief, gab dem Raumer ein seltsames Aussehen. Gut fünfundzwanzig Meter breit, aber über vierzig Meter dick, verfügte dieser Ring, ebenso wie der horizontal um den Schiffsäquator verlaufende, über ein anomal großes Volumen. Wenn der Platz in den beiden Wülsten vollständig ausgenutzt war, dann mußten sich darin überaus leistungsfähige Triebwerke verbergen. Ren Dhark, Marschall Bulton und die beiden Cyborgs blickten zur Schleuse hinauf. Dort war keinerlei Bewegung auszumachen. Von der Besatzung ließ sich bisher niemand sehen. Kein gutes Zeichen, dachte Ren Dhark, der sich vergeblich bemühte, seine Nervosität zu unterdrücken. Ein fremdes Schiff landete auf einem fremden Planeten, und seine Besatzung dachte nicht daran, sich freiwillig dem Gastgeber zu zeigen. Bulton blickte die beiden Cyborgs fragend an. Sass grinste schwach. »Wir haben umgeschaltet.« Dicht vor der kleinen Gruppe berührte die Rampe aus silbergrauem Material den Boden. Im gleichen Augenblick begannen vier Transportbänder in Richtung auf die Schleuse anzulaufen. Ohne zu zögern betrat der Commander eines der Bänder. Bulton und die Cyborgs folgten seinem Beispiel. In gleichmäßigem, nicht besonders schnellem Tempo wurden sie hinaufgefahren und näherten sich der Schleuse, einem dunklen Raum, dessen Ausmaße sich im Hintergrund verloren. Die Schleuse war leer. »Eine unhöfliche Gesellschaft«, murmelte Marschall Bulton, der sich vergeblich nach einem fremden Wesen umgesehen hatte - und zuckte zusammen. Licht flutete aus allen Wänden. Grelles, grünes Licht, und in diesem grünen Licht standen Riesen vor ihnen - mehr als drei Meter groß, breitschultrig, von humanoider Gestalt; nur der Kopf war nicht
menschlich. Grau die lederartige Haut der sechsfingrigen Hände, grau das Gesicht. Aber was für ein Gesicht...! Im oberen Drittel zog sich unter der leicht schillernden Glatze ein Facettenkranz über die vordere Hälfte herum. Eine Handbreit darunter befanden sich in gleichbleibendem Abstand fingerlange ovale Öffnungen. Sollte das die Nase sein? Und der Mund? Es gab ihn gleich viermal. Er befand sich dort, wo bei Menschen die Kinnspitze war - ein lippenloser, schmaler Strich, der im grellen, grüngetönten Licht leicht bläulich schimmerte. Der Kopf erinnerte an eine überdimensionierte Birne, die man mit dem Stielende auf einen klobigen Körper gestellt hatte. Die graue Lederhaut saß völlig straff, schien weder Falten noch Poren aufzuweisen; sie zeigte auch keine Bewegung, als das Wesen, das sich in der Mitte der siebenköpfigen Gruppe befand, den Mund öffnete, der den Terranern zugewandt war, und sagte: »Rateka, wrass songna bal dorin ka do!« Es klang rauh, tief und befehlend. Im Kranz der Facettenaugen glühten Lichter in vielen Farben auf. Das fremde Wesen im hellgrauen Overall, der viel zu weit wirkte und in hundert Falten um den Riesenkörper hing, winkelte schenkeldicke Arme an, kreuzte sie vor der breiten Brust und trat auf Ren Dhark zu, der einen Schritt vor seinen Begleitern stand. »Ich verstehe Sie nicht!« erwiderte Dhark, der nicht einmal mit der Wimper zuckte, als der Riese dicht vor ihm halt machte. »Rateka, ronn sgi do angnokar?« Viel zu laut sprach der Riese. Seine Stimme dröhnte durch die Schleuse, die zwanzig Meter tief und ebenso hoch war. »Ich kann Sie nicht verstehen. Ich beherrsche Ihre Sprache nicht!« erwiderte Dhark mit fester Stimme, ohne die Lautstärke zu verändern. Ren Dhark, Bulton und die Cyborgs verbargen ihr Erstaunen, als sich das obere Drittel des Kopfes über den Kranz aus Facettenaugen schob und ihn verdeckte. Hatte dieser Riese jetzt das getan, was man bei einem Menschen als Schließen der Augen bezeichnet hätte? Im nächsten Moment sprach der Fremde mit dem Mund, der sich in seinem >Nacken< befand. Scharf und rauh klang seine Stimme. In einen der übrigen Riesen kam Bewegung. Mit gewaltigen Schritten eilte er in den Hintergrund der Schleuse, kehrte jedoch gleich darauf zurück, einen vielleicht 30 mal 30 Zentimeter messenden, quadratischen Kasten vor der Brust. Hände, die rechts und links je einen Daumen und vier gleichlange nagellose Finger besaßen, glitten über Sensortasten und Schieberegler. Ein Summen klang auf, dann ein Brummton, der schnell nachließ. Schließlich schien der Riese zufrieden zu sein und reichte das Gerät mit einer angedeuteten Verbeugung dem Sprecher. Der nahm es entgegen und scheuchte seinen Untergebenen mit einer herrischen Handbewegung zur Seite. Ren Dharks Gesicht zeigte nichts von dem, was er dachte. Er war auf der Hut. Diese Riesen gefielen ihm nicht. Sie waren als ungebetene Gäste gekommen, und sie benahmen sich in einer Art und Weise, die für die Zukunft nichts Gutes ahnen ließ. Der mittlere Riese hatte sich das Gerät umgehängt und nochmals einige Tasten angetippt. Der Glatzenteil seines Birnenkopfes bewegte sich nach oben. Der Ring aus Facettenaugen lag wieder frei. Wieso hat er dann sehen können, daß der andere ihm das Gerät übergeben wollte? fragte sich Dhark unwillkürlich.
Die Stimme des Riesen war wieder zu hören; Worte in einer unbekannten Sprache. Doch noch während er sprach, klang eine metallisch klingende Stimme auf, die das Terranische verwendete. »Rateka, Singu der Rateken, wird den Schutz dieses Planeten übernehmen und verlangt als Tribut die Waffe, mit der das Urk aus dem anderen Gefüge verjagt werden kann.« Bei dem Kasten mußte es sich um ein Übersetzungsgerät, einen Translator, handeln! Ren Dhark verspürte plötzlich keine Nervosität mehr. Jetzt wußte er, warum die Erde diesen unerwünschten Besuch bekommen hatte. Im Spiralarm mußte es sich herumgesprochen haben, daß die Terraner über eine Waffe verfügten, mit der man das Nor-ex vertreiben konnte! Und sie können natürlich nicht ahnen, daß die Gefahr für's erste beseitigt ist und wir einen Vertrag mit dem Nor-ex geschlossen haben, dachte Dhark. Er ahmte die Haltung Ratekas nach, der sich als Singu der Rateken bezeichnet hatte und damit wahrscheinlich auf seinen Titel oder seine Stellung hinweisen wollte. »Mein Name ist Ren Dhark«, sagte der Commander der Planeten bescheiden, »und im Namen dieses Planeten heiße ich Sie willkommen.« Rateka brüllte ihn an. Farbige Lichter huschten über den Facettenring. Der Translator übernahm die Lautstärke, und Dhark wurde mit den Worten angefahren: »Weißt du nicht, wie man dem Singu der Rateken zu antworten hat?« Hinter dem Rücken des Commanders flüsterte Marschall Bulton: »Genauso habe ich mir diese Begegnung vorgestellt.« Unbemerkt von den Riesen kontrollierten die beiden Cyborgs, ob ihre Viphos noch klar und nicht durch einen technischen Trick der Rateken ausgeschaltet worden waren. Ren Dhark dachte nicht daran, auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen. Sein ganzes Interesse galt dem Ziel, diese Begegnung friedlich verlaufen zu lassen. Aber er sah es als einen psychologischen Fehler an, sich dem herrischen Verlangen dieses Rateka zu unterwerfen. Jetzt verwendete auch er das Du. »Rateka, du befindest dich auf einer Welt, die deines Schutzes weder bedarf, noch dir Tribute...« Der Translator hatte erst die Hälfte seines Satzes in die Sprache der Rateken übertragen, als die sechsfingrigen Pranken des Riesen vorzuckten, als ob sie nach Ren Dhark greifen wollten. Zwei Cyborgs standen plötzlich einen Schritt vor dem Commander, und der Riese führte die Bewegung nicht zu Ende. Ein wütendes Grollen dröhnte durch die Schleuse. Zwei der Rateken im Hintergrund wollten sich auf die Cyborgs stürzen, doch eine knappe Handbewegung ihres Anführers hielt sie zurück. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen; langsam und gemächlich stemmte Rateka die Pranken in die Hüften, knickte leicht nach hinten ab - und dann rollten dumpf glucksende Laute durch die Schleuse. Konnte ein Rateke lachen? »Ihr habt Mut, Zwerge von Terra, aber Mut allein wird euch nicht helfen - schon gar nicht in der Zeit der wrossnal« Die metallisch klingende Stimme war immer noch viel zu laut. Ren Dhark ließ sich nicht beeindrucken. Sein ganzes Sinnen und Trachten galt der Möglichkeit, mit diesem Riesen zu einer friedlichen Einigung zu kommen. Die Überheblichkeit der Fremden machte seine Aufgabe nicht leichter, aber auch nicht unmöglich. Er winkte Sass und Yello zurück und warf Bulton einen aufmunternden Blick zu.
Schweißtropfen glitzerten auf der Stirn des Marschalls, seine Fingerspitzen schwebten nur Zentimeter über den Blasterkolben. Ren Dhark schüttelte unmerklich den Kopf, dann wandte er sich wieder an den Riesen. »Es gibt keinen Grund für Streitigkeiten, Rateka. Terra benötigt den Schutz des Singu der Rateken und seines Volkes nicht. Doch wir sind jederzeit dazu bereit, diplomatische Beziehungen mit dem Volk der Rateken aufzunehmen, und ich bin sicher, daß unsere beiden Völker...« Wieder ließ Rateka ihn nicht ausreden. »Ich höre deine Worte, Dhark, doch sie bedeuten mir nicht mehr als das Plappern der Qarrn in der Abenddämmerung.« Die metallische Stimme schien mit jedem Wort lauter und drohender zu werden. »Dhark, ich stelle diesem Planeten ein Ultimatum. In unserem Heimatsystem sind acht Fados unserer Flotte in Bereitschaft. Du hast eine Frist von zwei Normstunden deiner Zeitrechnung. Bist du bis dahin nicht bereit, mir die Waffe auszuhändigen, mit der man das Urk vertreiben kann, werde ich die Schiffe rufen, und sie werden eine zweite Sonne aus dieser Welt machen!« Ren Dhark zuckte mit keiner Wimper. »Du hast vergessen, daß du dich mit deinem Schiff auf einer fremden Welt befindest.« »Nichts wird mich hindern, diesen Raumhafen zu verlassen, wann immer ich es will. Keine Macht kann dich aus meinem Schiff holen. Vergiß nicht, daß nach Ablauf der Frist acht Fados - das sind mehr als 8000 Raumschiffe - aufbrechen werden, um aus deiner Heimatwelt eine Sonne zu machen. Mehr habe ich dir nicht zu sagen.« Und mit diesen Worten verließen alle Rateken die Schleuse durch ein an der Stirnwand gelegenes Schott. Marschall Bulton schätzte ihre Lage vollkommen falsch ein. »Dieser Rateke ist größenwahnsinnig, Commander.« »Da!« Dhark hielt ihm sein Spezial-Vipho hin. Es arbeitete nicht mehr, genau wie die Geräte der anderen. Es gab keine Verbindung mit Cent Field und Alamo Gordo mehr. Die Rateken hatten sie durch einen technischen Kunstgriff unterbrochen. Zwei Flash landeten im Brana-Tal, dicht neben der Cyborg-Station. Sie waren angemeldet, und es war auch nichts Besonderes mehr, daß hier ab und zu Blitze landeten. Aber daß gleich vier der ersten Cyborgs, die in dieser Station entwickelt worden waren, zusammen ankamen, war überaus ungewöhnlich. Echri Ezbal, in mehr als nur einer Hinsicht das Herz dieser gigantischen medizinischen Anlage, empfing seine Schützlinge in seinem einfach eingerichteten Privatraum. Immer wieder glitt sein Blick über die Snide-Zwillinge. Stolz lag in diesem Blick, Stolz und ehrliche Freude. Der Genetiker und Biochemiker war stolz darauf, zwei Menschen aus dem Grau eines Daseins als Schwachsinnige herausgerissen zu haben. Charly und George Snide wußten, daß sie von Geburt an geistig zurückgeblieben gewesen waren. Es machte ihnen nichts aus, darüber zu sprechen, weil sie nicht die kleinste Erinnerung an jene Zeit zurückbehalten hatten. »Gibt es Fortschritte in Sachen Cyborgs, Ezbal?« fragte Holger Alsop, der der erste cybernetic organism Terras gewesen war. Der Brahmane strich sich durch seinen silberweißen Bart. »Es gibt Fortschritte, besonders auf dem Gebiet des Phanten. Wenn es euch interessiert, dann könnt ihr in einer Stunde zusehen, wie ein Mensch zum Cyborg gemacht wird - und zwar zu einem Cyborg, der kein Steuergerät mehr benötigen wird, um phanten zu können.« »Kein Steuergerät?« fragte Jan Burton interessiert. »Dann sind Injektionen durch das Phant-Adhesive nicht mehr erforderlich?« »Lassen Sie sich überraschen«, erwiderte der greise Wissenschaftler und lächelte
dabei, als sei er seiner Sache sicher. Die Stunde des Wartens verging schneller als sie gedacht hatten. Der Cyborg-OP war ein großer, weißgekachelter Saal, der an drei Seiten mit Unmengen medizinischer Spezialgeräte vollgestopft war. Die vierte Seite war durch eine energetische Sperre abgeteilt. Dahinter saßen die vier Männer und konnten über ein halbes Dutzend Bildschirme alles aus nächster Nähe beobachten. Mark Carrell hieß der junge, knabenhaft schlanke Mann auf dem OP-Tisch. Er lag in tiefer Narkose und wußte nicht, was mit ihm geschah. Aufmerksam hatten die vier Cyborgs die Vorbereitungen verfolgt: Großes Gehirnstrommuster; Schichtaufnahmen des Gehirns, der Organe, der Sehnen, Muskeln und Nerven. Jetzt wurde die Bohrhaube herangefahren, ein im Brana-Tal entwickeltes Gerät. Die Bohrhaube wurde über Mark Carrells Kopf gestülpt, sensorisch eingestellt, über Verbindungen mit den Schichtaufnahmen des Gehirns verbunden, und dann drückte einer der Mediziner den rotleuchtenden Knopf am Steuerpult. An mehr als dreihundert Stellen wurde Mark Carrells Schädeldecke durchbohrt. Unsichtbar, nur an den Instrumenten zu verfolgen, spritzten anschließend aus den Bohrdüsen mikrodünne Strahlen, die an feinstes Plastikgewebe erinnerten, aber in Wirklichkeit damit nichts gemein hatten. Diese Strahlmasse traf haargenau jene Stellen im Gehirn, die sie zu erreichen hatte. Dabei spielte es keine Rolle, ob vorher andere Partien durchbohrt werden mußten. Diese Eingriffe auf andere Gehirnteile waren so winzig, daß der Organismus darauf nicht reagierte. Hatte die Strahlmasse das vorgeschriebene Ziel erreicht, wurde sie im gleichen Moment steif, ohne jedoch etwas von ihrer Elastizität zu verlieren. Über eine Kette von Enzephal-Oszillos wurde dieser gewagte Eingriff mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt. Er war der risikoreichste Abschnitt der gesamten Operation. »Aufbau der Rückschaltungs-Phase«, hörten sie und konnten sich selbst - obwohl schon seit vielen Wochen Cyborgs - endlich einen Begriff davon machen, was sie darunter zu verstehen hatten. Dann wurde die Bohrhaube von Carrells Kopf genommen; nicht die kleinste Wunde oder Bohröffnung war zu entdecken. Einer der Wissenschaftler erklärte: »Die Bohröffnungen sind ein Hundertstel Millimeter stark. Alle sind durch Med-Plastik gekittet und in gut einer Stunde auch verheilt.« Unwillkürlich strich sich Charly Snide über den Kopf, aber so behutsam er auch tastete, nirgendwo konnte er so etwas wie eine Narbe entdecken. Die nächste Bemerkung aus dem OP galt ihnen. »Achtung, wir schließen jetzt das Cyborg-Nerven-System an.« Verdutzt sahen sich die faszinierten Zuschauer an. Bis gerade eben hatten sie nicht einmal gewußt, daß sie ein zweites Nervensystem besaßen, wenn sie umgeschaltet hatten. »Anschluß der Not-Sauerstoffversorgung des Gehirns.« »Achtung, Einbau des Programm-Gehirns.« »Was?« platzte Jan Burton heraus. »So klein ist das Ding? Nicht mal so groß wie eine Erbse?« Dreißig, manchmal vierzig medizinische Spezialisten waren tätig. Oft nur zwei oder drei, aber in keiner Phase des Umbaus war auch nur die kleinste Unsicherheit zu beobachten. Jeder Handgriff saß. Es gab keine Pannen. Es gab kein lautes Wort, keine Hektik. »Verändern der Muskulatur.« Es ging Schlag auf Schlag, und das alles praktisch ohne Blut, bis auf den Einbau des Programm-Gehirns und der Pseudolunge. »Erster Klein-Test.«
Mark Carrell lag immer noch in tiefer Narkose und ahnte nicht, daß er den ersten Beweis zu erbringen hatte, jetzt ein Cyborg zu sein. »Test läuft!« In diesem Augenblick schlugen die Viphos der Cyborgs an. Arc Doorn rief von Cent Field. »Hier gibt es Probleme. Kommen Sie so schnell wie möglich und fliegen Sie ins Flash-Depot der POINT OF ein. Ende!« Sie erhoben sich gleichzeitig, wie ein Mann. Ein kurzer Abschiedsblick galt dem OP und den Menschen darin, dann verließen sie den Raum. Cent Field hatte gerufen. Sie kamen.
2. Wie ein gereizter Tiger marschierte Dan Riker in der Kommandozentrale der POINT OF auf und ab. Seit mehr als einer halben Stunde war die Verbindung zu Ren Dhark, Marschall Bulton und den beiden Cyborgs abgerissen. Immer wieder wanderten Rikers Blicke zu den Bildschirmen, die den Doppelwulstraumer zeigten, der friedlich und unbehelligt im Licht der Sonne auf seinem Landeplatz stand. Der Anblick schien ihn zu verhöhnen. Riker hätte das Raumschiff am liebsten mit der POINT OF angegriffen, doch Arc Doorn hatte ihm diese Schnapsidee - wie er sie in seiner respektlosen Weise genannt hatte - ausgeredet. »Warum mit dem großen Hammer zuschlagen, wenn es Nadelstiche genausogut tun, Riker«, hatte er gesagt, »ganz zu schweigen von der Gefahr, die ein Angriff mit dem Ringraumer für den Commander und seine Begleiter bedeuten könnte. Ich habe noch ein paar Cyborgs mehr angefordert; sie müßten bald hier sein - und dann können wir uns etwas überlegen...« Doch die Zeit bis zum Eintreffen der galaktischen Feuerwehr verstrich quälend langsam. »Zwei Flash im Anflug«, meldete Tino Grappa plötzlich. »Na, endlich!« seufzte Riker. Im gleichen Augenblick erklang die Stimme von Glenn Morris aus der Funk-Z: »Riker, ich habe Doorn in der Leitung...« »Stellen Sie durch, Morris!« Doch noch bevor Arc Doorns Gesicht auf dem kleinen Bildschirm erschien, mischte sich erneut Tino Grappa ein. »Zwei Jetts nähern sich vom Tower her der POINT OF.« »Hallo, Riker!« Das war jetzt endlich Arc Doorn. »Ich habe unsere Supermänner dabei. Wir sollten uns kurz zusammensetzen und Kriegsrat halten.« Die Verbindung erlosch. Kopfschüttelnd betrachtete Dan Riker den grau gewordenen Bildschirm. »Manchmal frage ich mich wirklich, wer hier eigentlich das Kommando hat«, murmelte er leise vor sich hin. Dann gab er sich einen Ruck. »Ich bin in der Messe. Wenn es zu irgendwelchen dramatischen Entwicklungen kommen sollte, möchte ich unverzüglich benachrichtigt werden. Falluta, Sie übernehmen solange das Kommando.« Und mit diesen Worten verließ er die Zentrale des Ringraumers. »Nadelstiche«, dozierte Arc Doorn. »Ich schlage vor, wir pieken diese Fremden mit Nadeln aus Unitall.« Alsop, Burton und die übrigen Cyborgs nickten stumm. Sie hatten verstanden, was der Sibirier vorhatte. »Und was ist mit den Gravoschleudern?« fragte Dan Riker. Unwillig schüttelte Doorn den Kopf. »Blödsinn.« Jan Burton mischte sich ein. »Ich rate vom Einsatz der Gravoschleudern dringend ab. Der Commander und Marschall Bulton würden bei 3,5 Gravos praktisch
handlungsunfähig werden, und wir wissen nichts über die Konstitution der Fremden. Möglicherweise sind sie sehr viel kräftiger als der Durchschnittsterraner, dann können wir ihnen mit derartigen Mitteln ohnehin nicht beikommen...« »Oder sie kleben als Matsch auf dem Fußboden!« Das war unverkennbar wieder Arc Doorn. Dan Riker zuckte die Schultern. »Da Sie sich ohnehin anscheinend alle einig sind... Bleibt die Frage, wie viele Flash einfliegen sollen.« Doorn blickte sich um. »Acht.« Auf Rikers fragenden Blick erklärte Jan Burton: »Da wir nicht wissen, was uns an Bord des fremden Raumschiffs erwartet, sollten nur Cyborgs an diesem Einsatz teilnehmen. Aber es ist sicher sinnvoll, wenn drei von uns als Eingreifreserve zurückbleiben.« Wenige Augenblicke später war Dan Riker auf dem Rückweg zur Zentrale. »Was ist schlimmer als Arc Doorn oder eine Horde neunmalkluger Cyborgs?« brummte er vor sich hin. »Arc Doorn und eine Horde neunmalkluger Cyborgs!« gab er sich selbst die Antwort.
Seit knapp einer Stunde waren Ren Dhark und seine Begleiter in der für menschliche Begriffe viel zu großen Schleuse des Doppelwulst-Raumers sich selbst überlassen. Der Commander war davon überzeugt, daß die Rateken sie beobachteten, und er
hatte mehrfach laut zu ihren unsichtbaren Gastgebern < gesprochen und Rateka aufgefordert, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Doch es war nichts geschehen. Fragende Blicke der beiden Cyborgs, die sich gewaltsam Zugang ins Innere des Raumers verschaffen wollten, hatte er mit einem abschlägigen Kopfschütteln beschieden. Dhark wollte die Situation nicht noch weiter verkomplizieren - und er war sich sicher, daß Arc Doorn und Dan Riker etwas unternehmen würden. Gerade die Tatsache, daß anscheinend nichts geschah, bestärkte ihn in dieser Überzeugung. Während die Cyborgs eine stoische Ruhe zeigten und es sich mittlerweile auf dem Boden der Schleuse bequem gemacht hatten, wanderte Marschall Bulton unruhig auf und ab. Er war noch immer hochgradig nervös und schwitzte stark. »All die Jahre hinter dem Schreibtisch haben anscheinend meinem Nervenkostüm geschadet«, meinte er entschuldigend zu Ren Dhark, als er wieder einmal am Commander vorbei stapfte. Ren Dhark setzte zu einer Antwort an - doch in diesem Moment schob sich ein stumpfnasiger Zylinder durch das geschlossene äußere Schleusenschott! Ein Flash! Fast gleichzeitig wummerte ein tiefer, schmerzhaft lauter Ton, der den Terranern bis in den Magen fuhr, durch die Schleuse. »Die Sirenen unserer neuen Freunde passen zu ihrem sonstigen Auftreten«, murmelte Ren Dhark halblaut und verzog gequält das Gesicht, als die Lautstärke noch zunahm. Der Flash befand sich kaum zur Gänze innerhalb der Schleuse, als das innere Schleusenschott aufsprang und eine Horde Rateken hereinstürmte. In ihren gewaltigen Pranken trugen sie klobige, aber nichtdestotrotz bedrohlich wirkende Strahlwaffen. Ren Dhark wußte, daß er jetzt handeln mußte, wenn aus dieser Situation nicht ein Krieg zwischen den Terranern und den birnenköpfigen Riesen erwachsen sollte. Entschlossen trat er den Rateken entgegegen. Bram Sass und Jes Yello waren blitzschnell aufgesprungen und flankierten ihn auf beiden Seiten. Marschall Bulton stand wie vom Blitz getroffen und starrte auf das Szenario, das sich ihm bot. Hier Ren Dhark und die beiden Cyborgs, zwergenhaft klein gegenüber den anstürmenden Rateken; hinter ihnen der in doppelter Mannshöhe schwebende Flash. Dort die Rateken, deren Aufmarsch jetzt allerdings ins Stocken zu geraten schien, als Ren Dhark weit die Arme ausbreitete und »Stop!« brüllte. Zumindest vermutete Bulton, daß Dhark etwas Derartiges rief; verstehen konnte der Marschall angesichts der immer noch wummernden Sirenen nichts. Die Rateken blieben jetzt endgültig stehen, und während das Dröhnen der Sirenen in einem letzten Winseln erstarb, traten sie beiseite und bildeten eine Gasse, um Rateka durchzulassen. Ren Dhark und seine Begleiter nahmen jedenfalls an, daß es sich bei dem Riesen, der jetzt ganz allein auf sie zuschritt, um Rateka handelte; vor seiner Brust hing immer noch der Translator. Laut und grollend rollten die Laute der fremdartigen ratekischen Sprache durch die Schleuse, und Augenblicke später ertönte es aus dem Translator: »Dhark! Ich verlange, daß Sie Ihren Leuten sofort befehlen, ihre Aktion abzubrechen. Schon jetzt hat dieses Raumschiff Beschädigungen erlitten, und...« Diesmal ließ Ren Dhark den Rateken nicht ausreden. Doch er hatte auch registriert, daß der Singu zwar immer noch viel zu laut brüllte, sein Tonfall jedoch trotzdem höflicher geworden war. »Das kann ich erst, wenn Sie damit aufhören, unsere Funkgeräte zu stören, Rateka«. »Das ist schon längst geschehen!« Ein schneller Blick auf sein Vipho zeigte Ren Dhark, daß der Rateke nicht gelogen
hatte. »Dhark hier«, sagte er. »An die eingeflogenen Flash-Piloten: Brechen Sie die Aktion ab. Fliegen Sie wieder aus und bleiben Sie außerhalb des Raumschiffs in Bereitschaft. - Und versuchen Sie, das Ausmaß der Zerstörungen beim Ausfliegen gering zu halten«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu. Auf dem kleinen Vipho-Bildschirm erschien das Gesicht von Jan Burton. Der Logistiker unter den Cyborgs blickte Ren Dhark nachdenklich an. »Commander, ich befinde mich mit der 009 hier in der Schleuse. Sollte nicht ich zumindest...« »Der Befehl gilt auch für Sie, Burton«, unterbrach ihn Dhark. »Fliegen Sie aus und warten Sie draußen!« Fast lautlos schwebte der Flash durch das noch immer geschlossene äußere Schleusenschott wieder hinaus. Ren Dhark richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Anführer der Riesen. »Ich hoffe, daß wir jetzt endlich wie zwei vernunftbegabte intelligente Wesen miteinander verhandeln können, Rateka«, begann er schneidend. In den Reihen der Riesen entstand bei diesen Worten Bewegung, nur Rateka selbst blieb reglos stehen. »Ich nehme an, Sie haben mittlerweile Kontakt mit Ihrer Heimatwelt aufgenommen und erfahren, daß das Urk aus dem fremden Universum verschwunden ist... Das hätte ich Ihnen auch selbst sagen können, wenn Sie mich vorhin hätten ausreden lassen, Rateka. Schließlich...« Ren Dhark machte eine bedeutungsvolle Pause, »schließlich habe ich einen Vertrag mit dem Urk geschlossen, in dem es sich verpflichtet hat, die bewohnten Planeten dieser Galaxis in Zukunft zu verschonen!«. Diese Worte riefen erneut Unruhe unter den Rateken hervor. Eine Unruhe, die sich soweit steigerte, daß sich Rateka schließlich gezwungen sah, mit ein paar derben Fausthieben für Ruhe unter seinen Untergebenen zu sorgen. »Sie haben recht, Dhark. Der Dhara hat mir mitgeteilt, daß das Urk plötzlich verschwunden ist... und daß ich mit Ihnen verhandeln soll.« Die letzten Worte schienen dem Riesen nicht ganz leicht über die Lippen zu gehen. Er trat einen Schritt näher an Ren Dhark heran. Aus den Augenwinkeln erkannte der Commander, daß auch die Cyborgs zu ihm aufschlossen. »Wir brauchen noch immer diese Waffe, Dhark - oder können Sie uns garantieren, daß das Urk niemals zurückkehren wird?« begann der Rateke erneut. »Aber wenn es zurückkehrt, müssen wir gewappnet sein!« Ren Dhark seufzte innerlich. Das dürften interessante Verhandlungen werden, dachte er. »Wie ich bereits gesagt habe, bin ich jederzeit zu Gesprächen bereit, Rateka. Aber ich würde vorschlagen, daß wir uns in einem etwas... angenehmeren Rahmen zusammensetzen. Ich lade Sie - und so viele Ihrer Leute, wie Sie mitbringen wollen ein, sich in einer Stunde unserer Zeitrechnung in dem großen Gebäude am Rande dieses Raumhafens mit mir und meinen Beratern zu treffen. Dort können wir dann versuchen, zu einer Einigung zu kommen.« Es dauerte mehrere Sekunden, ehe Rateka antwortete. Wieder klangen seine Worte widerstrebend. »Ich werde kommen, Dhark!« Im gleichen Moment glitt das äußere Schleusenschott auf. Sanftes Sonnenlicht fiel von draußen in die Schleuse, vor der zwei Flash in vielleicht zwanzig Metern Entfernung in der Luft hingen. Ohne einen weiteren Laut drehte Rateka sich um und kehrte mit seinen Leuten ins Innere des Raumschiffs zurück. Ren Dhark sah seine Begleiter schulterzuckend an. »Es scheint, als wären wir entlassen. Na, dann, meine Herren - zurück zum Stab der TF.« Und ohne darauf zu warten, ob Bulton und die Cyborgs ihm folgten, trat er hinaus auf
die Rampe und das abwärts führende Transportband. Seine Gedanken kreisten um die fremdartigen Riesen - oder, genauer gesagt, um ihr merkwürdiges Verhalten. Entweder sind diese Burschen furchtbar sprunghaft, oder Sie sind uns fremder, als es den Anschein hat. Oder es stimmt sonst irgend etwas nicht mit ihnen. Nun gut, warten wir ab, wie sich die Verhandlungen entwickeln... Doch soweit sollte es nicht kommen. Kurz vor Ablauf der Stundenfrist, während Ren Dhark zusammen mit Dan Riker, Arc Doorn, Marschall Bulton und einem Stab von Beratern in Bultons riesigem Büro saß, die Geschehnisse diskutierte, und sich alle gemeinsam Gedanken über die weitere Vorgehensweise machten, meldete sich Dharks Vipho. Der Anruf kam von Bord der POINT OF, von Tino Grappa. »Commander, an Bord des Doppelwulstraumers werden die Energie-Erzeuger hochgefahren. Es sieht ganz so aus, als ob diese Rateken Startvorbereitungen treffen!« Noch bevor Ren Dhark dem Ortungsspezialisten antworten konnte, erschien auf dem Monitor des großen Stand-Viphos in Bultons Büro das Gesicht eines unbekannten Funkers. »Marschall Bulton - wir empfangen einen Funkspruch von dem Doppelwulstraumer auf Landeplatz G-56, Sir. Ein gewisser Rateka möchte den Commander sprechen...« »Stellen Sie unverzüglich durch, Mann, der Commander ist hier!« brüllte Bulton. Sein Gesicht war schon wieder rot angelaufen. Für Sekundenbruchteile wurde der Monitor grau - dann erschien der birnenförmige Schädel mit dem beeindruckenden Facettenkranz, über den vielfarbige Lichter huschten. »Dhark, wir werden ein andermal verhandeln. Der Dhara hat mich gerufen, ich muß zurück nach Oorch... Die Zeit der wrossna nähert sich ihrer Vollendung...« »Rateka, warten Sie!« unterbrach ihn Ren Dhark. »Was ist mit den Schäden an Ihrem Raumschiff? Wollen Sie nicht...« Dumpfe, glucksende Laute klangen aus dem Lautsprecher. Der Rateke schien Dharks Einwand witzig zu finden. »Es bedarf mehr als einiger Schmelzspuren, um eines unserer Raumschiffe ernsthaft zu beschädigen, Dhark! Wir fliegen nach Hause - aber wir werden uns wiedersehen!« Das Bild erlosch. »War das jetzt ein Versprechen - oder eine Drohung?« murmelte Ren Dhark halblaut vor sich hin. Doch er erwartete keine Antwort auf seine Frage. Statt dessen verlangte er eine Verbindung mit dem Tower. »Ist Colonel Szardak schon gelandet?« »Noch nicht, Commander! Die COL ist gerade im Landeanflug.« »Dann stellen Sie eine Verbindung mit dem Kreuzer her!« Wenige Augenblicke später erschien Szardaks Pokerface auf dem Monitor. »Janos, auf Landeplatz G-56 steht ein Doppelwulstraumer, der gleich starten wird. Ich möchte, daß Sie ihm Geleit geben - zumindest, bis er in Transition geht«, begann Dhark, noch bevor Szardak einen Ton sagen konnte. »Doppelwulst-Raumer hebt ab, steigt... Junge, Junge, jetzt sackt er aber durch... steigt wieder...« klang Grappas Stimme aus Dharks Armband-Vipho. Janos Szardak hatte sofort begriffen, worum es ging. »Wird erledigt, Commander.« Der Bildschirm des Stand-Viphos wurde grau. Mit einem unhörbaren Seufzer lehnte Ren Dhark sich zurück. Diese Gefahr schien zunächst einmal beseitigt. »Es scheint, als wäre jetzt endlich einmal Zeit, daß Sie uns von Ihren Erlebnissen im Karmin-Universum erzählen, Commander.« Marschall Bulton wollte die günstige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Dan Riker verdrehte die Augen, während Ren Dhark sich bequemer hinsetzte. Es
nützte nichts, einmal mußte er die Geschichte ja doch erzählen. Er hatte gerade erst mit seinem Bericht begonnen, als er schon wieder unterbrochen wurde. Die große To-Funkzentrale meldete einen Funkspruch von der POLLUX an Marschall Bulton. »Die POLLUX... ah, Captain Gutmundsson! Was mag der wollen?« brummte Bulton überrascht. Das Gesicht des Isländers erschien auf dem Monitor. »Wie ich sehe, haben Sie Besuch, Marschall«, begann Gutmundsson in seiner typischen schleppenden Sprechweise. »Das trifft sich ja hervorragend, daß der Commander und der Flottenchef bei Ihnen sind. Ich bin sicher, was Sie gleich sehen werden, wird Sie brennend interessieren, Commander.« Das Bild auf dem Monitor wechselte. Alle Anwesenden in Bultons Büro hielten für einen Augenblick den Atem an. »Gutmundsson, geben Sie bitte die Koordinaten durch«, sagte Dhark heiser. Er hob sein Vipho. »Falluta, Dhark hier. Machen Sie die POINT OF startklar, wir sind in fünf Minuten an Bord. Ende. - Dan, Arc... kommt!« Und mit diesen Worten verließ er Bultons Büro. Dan Riker und Arc Doorn folgten ihm auf dem Fuß. Zurück blieben ein konsternierter Marschall und seine Berater. »Aber da soll doch...« murmelte Bulton und widmete sich wieder dem Bild auf dem Monitor. Knapp einen Tag zuvor... Die POLLUX rematerialisierte. Captain Sigurdur Gutmundsson reckte seine rund zwei Meter Körperlänge und versuchte das Gefühl der Übelkeit abzuschütteln, das Transitionen an Bord von Kugelraumern so unangenehm machte. »Stellen Sie unsere Position fest, McDuffy!« Der Mann am Ortungspult reagierte schnell. »Abweichung vom errechneten Zielpunkt 0,002 Prozent.« Gutmundsson warf einen Blick auf den Monitor der Bordverständigung, von dem Chief Orloffs vollbärtiges Gesicht heruntergrinste. »Gratuliere, Chief. Drei Transitionen mit minimalen Abweichungen. Diesmal hat sich unser Dockaufenthalt tatsächlich gelohnt.« Er wandte sich an Vendricks, seinen I.O.: »Programmieren Sie schon mal den Kurs zurück ins Sol-System. Ich glaube nicht, daß wir noch weitere Testsprünge durchführen müssen.« Vendricks nickte, doch da mischte sich McDuffy, der Ortungsspezialist ein. »Ich würde gerne die neuen Tasteranlagen noch ein bißchen ausprobieren, Captain!« »Meinetwegen«, erwiderte Gutmundsson gutgelaunt. »Tasten Sie, soviel Sie wollen. Ich werde mich für ein paar Stunden in meine Kabine zurückziehen. Vendricks, Sie übernehmen!« »Da geht er hin, um in seiner Kabine wieder diesem Gewimmer zu lauschen«, sagte Vendricks halblaut, als sich das Zentrale-Schott hinter Gutmundsson geschlossen hatte. »Und Ihretwegen hängen wir jetzt noch ein bißchen länger im Nichts herum«, fuhr er mit einem Seitenblick auf McDuffy fort. »Nur, weil Sie unbedingt ein zweiter Tino Grappa werden wollen...« McDuffy antwortete nicht. Seine Finger huschten über Sensortasten und Regler, als er Reichweite und Empfindlichkeit seiner Ortungsanlage erhöhte. Plötzlich stieß er einen leisen Pfiff aus. Sigurdur Gutmundsson brauchte einige Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzufinden, als die Bordverständigung losplärrte. Langgezogene, getragene und seltsam klagende Laute erfüllten die Kabine. Dazwischen Vendricks' aufgeregte Stimme. »Captain Gutmundsson, kommen Sie bitte in die Zentrale!«
Eine Handbewegung stoppte die Disc; die Gesänge der Buckelwale verstummten. »Was gibt es denn, Vendricks?« »Das sollten Sie sich vielleicht selbst ansehen, Captain!« »Und was soll das sein?« fragte Gutmundsson wenig später, während er sich in der Zentrale über McDuffys Ortungsdiagramme beugte. McDuffy zuckte die Schultern. »Eine, nein eigentlich mehrere Wolken aus kleinsten Metall-Partikeln... Es könnten Raumschiffe sein, die von einer uns unbekannten Waffe förmlich zermahlen worden sind.« »Hm.« Gutmundsson blickte seinen Ortungsspezialisten zweifelnd an. Doch er mußte zugeben, daß er auch keine bessere Idee hatte. »Vendricks hat Dorff mit einer Linse 'rübergeschickt, um ein paar Partikel einzusammeln. Die Metallurgen müßten eigentlich schon an der Arbeit sein«, fuhr McDuffy fort. »Ich... ich habe versucht, den Kurs der Metallwolken zu rekonstruieren. Sie könnten von dort gekommen sein.« Bei diesen Worten wies er auf einen Monitor, der eine kleine, fast kugelförmige Dunkelwolke zeigte. »Hm«, machte Gutmundsson erneut. »Und Sie meinen, wir sollten mal kurz hinfliegen und uns diese Dunkelwolke etwas genauer ansehen?« »Es sind nur 300 Lichtjahre, Captain...« »Meinetwegen«, entschied Gutmundsson. Vielleicht bringt dieser langweilige Testflug ja doch noch etwas, dachte er. Die Dunkelwolke war eigentlich keine richtige Dunkelwolke, sondern eher ein hauchdünner Schleier aus kosmischem Staub, der sich halbschalenförmig um ein Sonnensystem gelegt hatte. Aber was für ein Sonnensystem! Drei blaue Sonnen, die sich auf verschiedenen Bahnen um einen gemeinsamen Mittelpunkt bewegten und ihrerseits von einundzwanzig Planeten umkreist wurden. Langsam flog die POLLUX in das System ein. Acht Planeten waren Riesenkugeln, deren Oberflächen aus glühender Lava bestand. Zwölf weitere waren kalte Gasriesen oder öde Steinklumpen, die schon in der Fernortung wenig vielversprechend wirkten. Ganz anders die einundzwanzigste Welt. Sie war klein, ihr Durchmesser betrug nur 5000 Kilometer. Doch sie besaß ein außergewöhnlich starkes elektromagnetisches Feld - und eine Schwerkraft von 1,1 Gravos! »Ein Irrläufer, der von diesem Sonnensystem eingefangen wurde«, behauptete McDuffy. Die überaus exzentrische Umlaufbahn schien dem Ortungsspezialisten recht zu geben, und wenig später bestätigte der Suprasensor McDuffy‘s Vermutung: Diese Welt mußte vor Tausenden von Jahren vom System der drei blauen Sonnen eingefangen worden sein. »Dann wollen wir uns diesen Planeten doch einmal etwas näher ansehen«, entschied Gutmundsson spontan. Kurze Zeit später schwebte die POLLUX über eine Wüste aus blauem Sand. War es Zufall - oder Schicksal? Auf alle Fälle hatte der Kugelraumer den unbekannten Planeten noch nicht einmal zu einem Viertel umkreist, da sahen sie es! Mehrere Herzschläge lang herrschte in der Zentrale überraschte Stille, dann redeten plötzlich alle durcheinander. »Ruhe!« brüllte Sigurdur Gutmundsson plötzlich. Das Gemurmel verebbte. »Nein, wir werden vorerst nicht landen«, fuhr der Captain fort. »Statt dessen werden wir einen To-Funkspruch nach Terra schicken. Marschall Bulton sollte zu sehen bekommen, was wir hier gefunden haben.« Noch lieber wäre mir allerdings, fügte er in Gedanken hinzu, der Commander würde
es sehen...
3. Sie schwiegen. Kaum jemand wagte laut zu atmen. Ergriffenheit hielt sie gefangen. Ein würziger Wind umfächelte ihre Gesichter. Ein leichtes Säuseln lag in der Luft. Es kam von allen Seiten. Niemand achtete darauf. Um die Männer bei Ren Dhark herrschte Totenstille. Das Licht von drei blauen Sonnen ergoß sich über die Landschaft einer fremden Welt. Doch war es nicht diese Fremdartigkeit, die die Männer beeindruckte. Nicht die zerrissenen Bergzacken, die aus der Ferne violett herüberschimmerten. Auch nicht das bläuliche Schimmern des sandigen Bodens, auf dem sie standen. Sie alle starrten in eine Richtung. Vor ihnen erhob sich ein gewaltiges Monument. Ein Torso! Ohne Kopf und ohne Arme. Unzweifelhaft eine Menschengestalt, in Metall modelliert. Ein Lendenschurz bedeckte seine Nacktheit. Die kraftvolle Darstellung eines Menschen, der sich zum Herrscher erhoben hatte. Herrscher über einen Planeten - Herrscher über das Universum! Man glaubte, das Spiel seiner modellierten Muskeln an Armen und Beinen zu sehen, das Dehnen seiner Brust beim Atmen. Die Gestalt schimmerte in einem warmen Bronzeton. Mehr als dreihundert Meter ragte sie über den Männern empor. Auf den Gesichtern der Betrachter spiegelten sich ihre Gefühle. Unglaube. Verwunderung. Ehrfurcht. »Ein Mirakel«, flüsterte Dan Riker so leise, daß nur Ren Dhark es hören konnte. Diese Worte brachten den Commander der Planeten wieder in die Wirklichkeit zurück. Er räusperte sich. »Dan Riker hat diesem Planeten soeben einen Namen gegeben. Mirac. Ich glaube, kein anderer Name würde besser passen.« Sie konnten den Blick nicht von dem Standbild wenden. Es schien magische Anziehungskraft zu besitzen. Wer hatte hier dem Menschen ein Denkmal gesetzt? War es das Abbild eines lebenden Wesens - oder eines Gottes? Die Plastik mußte schon seit Jahrtausenden vom Licht der drei blauen Sonnen bestrahlt werden. Trotzdem zeigte sie keine Anzeichen von Verfall. Nur Kopf und Arme fehlten. »Männer!« Ren Dhark riß sich gewaltsam von dem Anblick los. Seine Stimme klang unnatürlich weich. »Ich möchte das Geheimnis dieser Statue ergründen.« Leise, an Dan Riker gewandt, fügte er hinzu: »Das Universum ist wirklich voller Wunder!« »Ich möchte, daß du an Bord bleibst, Dan!« Ren Dharks Stimme klang ungewohnt bestimmt. Auf Dan Rikers Kinn bildete sich ein roter Fleck. »Aber ich will dabeisein, wenn ihr...« versuchte er zu protestieren. »Dan«, unterbrach Dhark ihn leise, aber eindringlich, »du weißt genau, daß immer und überall etwas Unvorhergesehenes geschehen kann. Du hast ja selbst den Ausdruck >Mirakel< gebraucht. Mirakel heißt Wunder. Mirakel heißt aber auch Unerklärliches, Geheimnisvolles. Und deshalb, Dan, brauche ich jemanden an Bord der POINT OF, auf den ich mich hundertprozentig verlassen kann.« Sekundenlang sahen sie sich schweigend an. Bis Dan Riker plötzlich nickte. »Wenn du die Sache so siehst, Ren...«
Ren Dhark grinste. Dan Riker hielt mit, aber sein Grinsen wirkte etwas gequält, nicht ganz überzeugt. Dhark klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und wandte sich zum Schott. Er verließ die Kommandozentrale des Ringraumers, um die Untersuchung des Standbilds und des Sockels, auf dem es stand, zu beaufsichtigen. Draußen herrschte bereits Hochbetrieb. Die Wissenschaftler und Spezialisten der POINT OF - verstärkt um die der POLLUX - hatten kleine Gruppen gebildet. Jede Gruppe war mit den verschiedensten Instrumenten und Geräten bewaffnet, um dem Geheimnis der Statue auf die Spur zu kommen. Eine hektische Atmosphäre empfing den Commander. Dhark wandte sich noch einmal voller Ehrfurcht dem Monument zu, dann leuchtete es in seinen braunen Augen entschlossen auf. »Sie alle kennen Ihre Aufgabe. Ich brauche also nicht mehr viel zu sagen. Nur eines noch: Jede Beschädigung der Plastik ist zu vermeiden. Außerdem erwarte ich von Ihnen, daß Sie mit besonderer Vorsicht zu Werke gehen und den Anweisungen Arc Doorns unbedingt Folge leisten. Soweit alles klar?« Die Wissenschaftler nickten zustimmend. Ren Dhark suchte Arc Doorn. Der rothaarige Sibirier kehrte ihm den Rücken zu. Er stand etwas nach vorn gebeugt und schien noch immer die Statue anzustarren, die hoch in den blauen Himmel ragte. Doorn schien Dharks Blick gespürt zu haben. Er drehte sich langsam um. Wer diesen bulligen Mann nicht kannte, mochte ihn für einen Boxer halten, aber nie und nimmer glauben, daß er einen Supertechniker vor sich hatte. Hinter dem ewig mürrischen Gesicht verbarg sich ein Genie, das selbst Ren Dhark schon oft in grenzenloses Erstaunen versetzt hatte. Die Augen des Sibiriers leuchteten. »Kann es endlich losgehen?« fragte er barsch. »Bitte!« Doorn drehte sich um und marschierte auf die Statue zu. Die anderen zögerten, sahen der einsamen Gestalt nach; nur langsam folgten sie ihm. Ren Dhark blieb noch einen Moment stehen. Welch ein Bild! Der erhabene Anblick eines zum Götzen erhobenen Menschen, aus Metall gegossen. Und dort unten die winzige Gestalt eines rothaarigen Mannes. David und Goliath? Nein. Ameisen waren sie im Vergleich zu dieser Statue... Welch einem Geheimnis würden sie jetzt auf die Spur kommen? Was würden sie finden? Ein leichtes Unbehagen beschlich Ren Dhark. Sie entdeckten immer neue Rätsel in der unermeßlichen Weite des Alls. Immer neue Gefahren umlauerten sie. Barg vielleicht auch diese Statue ein tödliches Geheimnis? Die Stunden verrannen. Ein Test nach dem anderen lief ab. Ohne Ergebnis. Sie konnten die Zusammensetzung des Metalls nicht analysieren. Weder das der Statue, noch des Sockels. Dieser Sockel, ein Quader von 86 Metern Höhe und einer Grundfläche von 183 mal 194 Metern, schien aus einem Guß zu sein. Das Metall schimmerte silbern. Ren Dhark strich mit den Fingerspitzen darüber. Keine Unebenheit, keine Korrosionsschäden. Glatt und warm fühlte sich die Oberfläche an. Allein das war schon ein Wunder. »Sie bleiben bei Ihrer Meinung, Doktor?« Der Kosmobiologe Dr. John Glennard sog scharf die Luft ein. »Wenn ich es Ihnen doch sage, Dhark«, schnappte er, ein wenig beleidigt. »Es mag aussehen, als wäre es soeben erst gegossen. Aber die Mikrountersuchungen ergeben einwandfrei, daß dieses Metall den Sonnenstrahlen bereits Jahrtausende
ausgesetzt sein muß.« Dhark hob den Blick. Das kopflose Oberteil der Statue verlor sich im intensiven Blau des fremden Himmels. »Es ist kaum zu glauben«, murmelte er abwesend. Der Wissenschaftler folgte Dharks Blick. Zwei Flash umkreisten den oberen Teil der Figur. Mike Doraner und Arly Scott flogen die Blitze. An Bord befanden sich zwei Archäologen, die ebenfalls seit Stunden keinen Schritt weiterkamen. »Dabei hätte ich gewettet, daß Professor Tschu Hin schneller zu einem Ergebnis kommt«, murmelte Dhark. Dr. Glennard wollte antworten, aber in dem Augenblick wurden Schritte laut. Arc Doorn kam auf sie zu. Er stapfte durch den Sand wie ein wütender Stier, den Kopf zur Seite, zum Sockel der Statue gewandt. Dr. Glennard lachte auf. »Und wenn Sie tausendmal um den Sockel herumlaufen, Doorn, werden Sie dabei nichts Neues erfahren.« Doorn blieb stehen und sah den Kosmobiologen an, als sähe er ihn zum allererstenmal. Er leckte sich einmal mit der Zunge über die rissigen Lippen und schüttelte verwirrt den Kopf. »Nichts«, sagte er. In seiner Stimme lag ein grollender Unterton. »Absolut nichts. Wir wissen weder, wie alt dieser Klotz ist, noch warum man dem Kerl Kopf und Arme abgeschlagen hat.« »Läßt sich wenigstens feststellen, wie alt die Bruchstellen sind?« fragte Dhark eindringlich. Arc Doorn schüttelte bedächtig den Kopf. Er öffnete die Lippen, kam aber nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Ein Schrei ließ sie herumfahren. Noch ehe sie sich in Bewegung setzen konnten, kam eine Gestalt um die Ecke des Sockels gehetzt. »Commander! Doorn! Kommen Sie schnell!« Der Mann ruderte wild mit den Armen durch die Luft. »Was ist geschehen, Küster?« schrie Doorn ihn an. »Ein Ton... ein Impuls... der Sockel sendet...« Weiter hörten Dhark und Doorn nicht zu. Sie wechselten einen raschen Blick und begannen zu laufen. Dr. Glennard stand noch einen Augenblick wie festgewurzelt, dann hetzte er hinter dem Commander und seinem Begleiter her. Alle Männer, die sich im Umkreis der Staue befanden, rannten in dieser Minute auf einen bestimmten Punkt zu: die Stelle, an der Tino Grappa hinter einem tragbaren Ortungsgerät kauerte. »Was gibt es?« Ren Dhark drängte sich durch den dichten Ring der Zuschauer, Arc Doorn im Schlepptau. Schweratmend stand er schließlich vor Grappa. Der dunkelhaarige Ortungsspezialist starrte von Dhark zu Doorn, dann blickte er kopfschüttelnd auf sein Ortungsgerät, das verloren und unscheinbar im bläulich schimmernden Sand stand. »Ich verstehe es selbst noch nicht ganz. Sehen Sie her, Commander. Das Gerät fängt einen Dauerimpuls auf.« Dhark schob Grappa beiseite und beugte sich über das Ortungsgerät. Als er sich wieder aufrichtete, glänzten einige Schweißperlen auf seiner Stirn. Er machte keinen Versuch, sie wegzuwischen. »Morris!« Leutnant Morris, der Cheffunker der POINT OF, trat durch den Ring der Umstehenden. »Sehen Sie sich das an, Morris!«
Glenn Morris gehorchte. Stille ringsum. Nur der Wind säuselte um die hohe Plastik, so, wie er es schon seit Jahrtausenden tat. »Nun?« fragte Dhark ungeduldig. Glenn Morris zuckte die Schultern. »Wenn man es so betrachtet, könnte man meinen, einen Funkimpuls aufzufangen. Aber...« »Aber?« »Wir haben um den ganzen Sockel herum Funkgeräte aufgestellt, und wir haben nichts, absolut nichts empfangen. Es könnte höchstens sein, daß Dan Riker von der POINT OF aus...« Ren Dhark griff zu seinem Vipho. Es dauerte einen Augenblick, ehe Riker sich meldete. »Ja? Was ist denn bei euch los? Schwierigkeiten, Ren?« »Was hast du laufen, Dan?« »Bitte?« »Ich fragte, welche Aggregate du an Bord der POINT OF laufen hast«, wiederholte Ren Dhark seine Frage etwas präziser. »Ich verstehe nicht... gar nichts läuft. Hier in der Kommandozentrale ist es so still wie... wie auf einem Friedhof bei Windstille.« »Überprüfe bitte die Instrumente. Ich muß Gewißheit haben, daß kein Gerät des Ringraumers Impulse abgibt.« Dan Riker spürte die Eindringlichkeit in den Worten Ren Dharks. Seine Antwort war knapp. »Sofort!« Ren Dhark wartete eine volle Minute. »Ren? Ich habe alles überprüft. Hier an Bord läuft kein Gerät, das irgendwelche Impulse ausstrahlt. Was immer ihr dort auffangt, es kann auf keinen Fall vom Ringraumer kommen.« »Danke, Dan!« Mit einem schnellen Blick stellte Ren Dhark fest, daß der Dauerimpuls nach wie vor empfangen wurde. »Versuchen Sie, den Ausgangspunkt des Impulses zu finden, Grappa. Verdammt, Morris, warum streiken selbst die Hyperfunkgeräte?« Leutnant Glenn Morris strich sich nachdenklich übers Kinn. Er wußte keine Antwort. Dharks Blick glitt von einem Wissenschaftler zum anderen. Sie senkten Blicke. Eine Antwort wußte nur Arc Doorn. Der Sibirier schob Morris beiseite, beugte sich über das Gerät, studierte es eine Weile, schüttelte den Kopf und sah die Plastik an. »Nun, Arc?« Ungeduldig trat Dhark neben den Techniker. Arc Doorn ließ sich Zeit. Als er sich umdrehte, grinste er. Das geschah selten genug. »Eigentlich ist es ganz einfach, Dhark. Unsere Hyperfunkgeräte haben den Impuls deshalb nicht empfangen, weil er am alleräußersten Rand des von uns benutzten SD-Spektrums liegt.« Ren Dhark sah den Sibirier erstaunt an. Ein Murmeln ging durch die Reihen. Glenn Morris hob resigniert die Schultern, als wollte er sagen: Wer kann das schon wissen! Arc Doorn brummte ein paar Worte. »Was haben Sie gesagt, Doorn?« fragte Dhark. »...wir brauchen einen Sender, der auf der gleichen Frequenz arbeitet.« »Einen Sender - keinen Empfänger?« »Richtig. Einen Sender. Wir werden diesem Dingsda auch eine Botschaft senden. Vielleicht kommen wir mit ihm ins Gespräch. Hätten Sie etwas dagegen?« Trotz der Situation mußte Ren Dhark lächeln. »Nur zu, versuchen Sie Ihr Glück, Doorn.«
»Da bin ich aber gespannt«, murmelte Glenn Morris, während Arc Doorn in der Schleuse der POINT OF verschwand. Dhark sah noch einmal zur Plastik auf. Die drei blauen Sonnen schickten sich eben, hinter dem Horizont zu verschwinden. Bald mußte die Nacht hereinbrechen. Die erste Nacht auf Mirac. Die letzten Sonnenstrahlen badeten das Monument in violettem Licht. Die Statue warf über die fremde Landschaft einen langen Schatten, der fast zum Ringraumer reichte. Irgendein Geheimnis steckte in diesem Monument. Vielleicht gab es jetzt einen Weg, diesem Geheimnis etwas näher zu kommen. Niemand schlief in dieser Nacht. Ren Dhark ließ ununterbrochen heißen Kaffee ausschenken. Immer wieder trafen sich die Gruppen, um über ihre Erfolge oder Mißerfolge zu sprechen. Nur - es gab keine Erfolge! Die Statue stand nach wie vor unberührt in der Nacht und schimmerte silbern im Licht zweier Monde. Dharks ganze Hoffnung ruhte nun auf Arc Doorn. Sein Sender mußte es schaffen, das Rätsel zu lösen. Arc Doorn wischte sich mit einer müden Handbewegung über die Augen. Seufzend richtete er sich auf. »Meinetwegen kann's losgehen!« Ren Dhark sah den Sibirier durchdringend an. »Wenn Sie sich nicht absolut sicher sind, warten wir lieber noch, Doorn. Ich möchte keine Panne erleben.« Doorn maß Dhark wortlos von oben bis unten, dann drehte er sich brüsk um. Er empfand diese Worte sichtlich als Zumutung. »Also los, Leute. Nach draußen mit dem Sender!« Vier Männer packten den von Arc Doorn improvisierten Sender und brachten ihn zur Hauptschleuse der POINT OF. Niemand hatte Schlaf gefunden in dieser Nacht. Niemand dachte jetzt an Schlaf, obwohl sie sich nur mit Kaffee und Zigaretten wachgehalten hatten. Niemand wollte sich dieses Ereignis entgehen lassen. Der Sockel sendete. Sie wollten antworten. Arc Doorn stapfte mürrisch durch die Nacht auf die Statue zu. Blasse Gesichter sahen der kleinen Gruppe entgegen. Rotumränderte Augen folgten dem Sender. Doorn baute sich breitbeinig vor dem mächtigen Sockel der Statue auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Hierher«, befahl er. Dhark nickte zustimmend. Das kastenförmige Gerät wurde in den bläulichen Sand gestellt. Langsam traten die anderen Männer heran. Ren Dhark wurde allmählich ungeduldig. »Worauf warten wir noch?« Doorn schwieg. Er starrte den Sockel an, dessen Metall das Licht der Scheinwerfer kalt reflektierte. »Wir warten«, knurrte er mürrisch. Dhark wechselte einen schnellen Blick mit Tino Grappa. Der dunkelhaarige Ortungsspezialist nickte in Richtung auf das Gerät, mit dem die Impulse aufgefangen werden konnten. Der Sockel sendete also immer noch. »Gleich müssen die Sonnen aufgehen!«
Ren Dhark drehte sich einmal im Kreis. Wahrhaftig. Hinter ihnen funkelte der Himmel in violettem Licht. In kurzer Zeit mußten die drei blauen Sonnen über den Horizont klettern. »Gut. Warten wir noch ein paar Minuten. Inzwischen können Sie mir erzählen, ob Sie noch etwas herausgefunden haben, Doraner!« Der Flashpilot trat vor. Ihm sah man die durchwachte Nacht nicht an, als er einen Blick in die Höhe, hinauf zu der mächtigen Gestalt aus Metall warf. »Leider nichts von Bedeutung, Commander. Alles, was wir mittlerweile ziemlich genau kennen, sind die Abmessungen des Monuments.« Als Doraner geendet hatte, begann um die Männer herum der Himmel aufzuflammen. Drei blaue Scheiben stiegen über den Horizont. Das Monument blitzte strahlend auf. Auch die POINT OF und die knapp zwei Kilometer entfernt gelandete POLLUX schienen in blauen Flammen zu stehen. Der Anblick war überwältigend. Auf Arc Doorn hatte er jedoch nicht die geringste Wirkung. »Kann losgehen«, knurrte er. Seine Stimme brachte Dhark in die Wirklichkeit zurück. »Treten Sie bitte alle zurück. Sie wissen, welche Aufgabe Sie haben. Jeder beobachtet seine Instrumente. Ich möchte sofort informiert werden, wenn irgend etwas Unerwartetes festgestellt wird.« Der große Augenblick stand unmittelbar bevor. Ren Dhark rief seinen Freund an Bord der POINT OF. »Hallo, Dan?« »Auf Empfang, Ren.« Dan Rikers Stimme vibrierte etwas. »Aufgeregt, alter Junge?« Bei diesen Worten glitt ein flüchtiges Lächeln über Ren Dharks Gesicht. Seine Augen blitzten unternehmungslustig. Riker gab auf die Frage keine Antwort. »Hier an Bord ist alles vorbereitet, Ren. Der Checkmaster wird sofort reagieren.« »In Ordnung, Dan!« Ren Dhark wollte die Unterhaltung schon wieder beenden. »Halt! Noch etwas, Ren.« »Ja?« »Viel Erfolg!« Erfolg! Den konnten sie gebrauchen. Arc Doorn beugte sich über das Gerät, drehte sich noch einmal um und warf dem Commander einen fragenden Blick zu. Dhark nickte aufmunternd. Arc Doorn ließ seine Hände sanft über die Knöpfe gleiten. Dhark hatte den Eindruck, einem Pianisten zuzusehen. Die Sendung lief. Niemand wagte zu atmen. Jeder hatte das Gefühl, als sei die Luft dieses Planeten plötzlich voller Elektrizität, die sich jeden Moment entladen konnte. Blicke glitten von Arc Don und seinem Sendegerät hinüber zum Sockel des Monuments. Sekundenlang schien selbst der Wind den Atem anzuhalten. Obwohl fast jeder mit etwas Außerordentlichem rechnete, waren doch alle verblüfft, als es geschah. Arc Doorn stand noch immer halb über den Sender gebeugt, die Hände auf den Tasten. Hinter ihm, in angespannter Haltung, stand Ren Dhark, der den Sockel nicht aus den Augen ließ. Zuerst erklang ein seltsames Rumoren, das an irdische Beben erinnerte. Sanft zuerst, dann immer stärker werdend, zuletzt fast schon donnernd.
Ren Dhark sah zu der Metallfigur auf. Er glaubte sie wanken zu sehen, und einen Augenblick lang machte er sich fast schon Vorwürfe, den Sender eingesetzt zu haben. Dann begann ein Kreischen das Grollen zu übertönen; es schien von einem Punkt in der Mitte des Sockels auszugehen. Fasziniert richteten sich Dharks Blicke auf diese Stelle. Er fühlte eine Berührung an der Schulter, und ohne hinzusehen wußte er, daß Arc Doorn neben ihm stand. Ein Geysir schien zu erwachen. Eine Sandfontäne wurde in die Luft geschleudert. Das Fundament der Statue ächzte und stöhnte. Dharks Rechte klammerte sich um den Griff der Strahlwaffe. Er wußte nicht, daß er in diesem Augenblick totenbleich war. Arc Doorn hingegen stand trotzig da, den Unterkiefer aggressiv nach vorn geschoben, seine Augen nur noch schmale Schlitze. Keiner der beiden Männer sprach. Dhark verspürte den Drang, zu fliehen. Aber gleichzeitig hielt ihn irgend etwas Unerklärliches hier fest, zwang ihn, den Sockel anzusehen. Tief im Innern wußte er, daß ihnen nichts geschehen würde. Und dann - öffnete sich der Sockel des Monuments! Bis zu einer Höhe von acht Metern wurde das Erdreich, das im Laufe der Jahrtausende angeweht worden war, einfach zur Seite geschoben. Zwei mächtige Türflügel von gewaltigen Ausmaßen schwangen nach außen auf. Abrupt herrschte wieder Stille. Arc Doorn und Ren Dhark standen keine zehn Meter von der dunklen Öffnung entfernt. Staubbedeckt. Hinter ihnen, dicht zusammengedrängt, warteten die anderen Terraner. Auch dort Verwirrung, Staunen, ungläubige Gesichter. Dhark fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er brauchte nicht laut zu sprechen. Sie alle hörten ihn. Seine Stimme klang heiser, und eine Spur grenzenlosen Staunens schwang in seinen Worten mit. »Wir nehmen die Einladung an!« Die beiden riesigen Torflügel besaßen unglaubliche Ausmaße: Rund zwanzig Meter breit und achtunddreißig Meter hoch waren sie. Das Material hatte eine Stärke von mehr als eineinhalb Metern. Dhark und Doorn, die noch immer nebeneinander standen, wechselten einen schnellen Blick. In den Augen des Sibiriers stand das Leuchten, das bei jedem Abenteurer beobachtet werden kann, wenn er eine Entdeckung macht. »Männer!« Dharks Stimme vibrierte leicht. »Ich rufe jetzt ein paar Namen auf. Diese Leute werden mich und Doorn begleiten. Niemand sonst.« »Sie wollen wirklich in dieses... dieses Loch hineingehen?« fragte einer der Wissenschaftler. »Ich will!« Dharks Entschluß stand fest. Er informierte Dan Riker, der noch immer in der Kommandozentrale des Ringraumers saß und nun ebenfalls vor übereilten Handlungen warnte. Dhark achtete nicht auf seine Einwände. »Dr. Glennard! Grappa! Dr. Getrup! Leutnant Morris! Leutnant Scott! Alle anderen bleiben hier, bis sie von mir den ausdrücklichen Befehl bekommen, uns zu folgen. Haben Sie verstanden?« Die aufgerufenen Männer traten vor und beeilten sich, Arc Doorn zu folgen. Der Sibirier marschierte bereits auf den Eingang zu. Dhark schritt hinterher. Er fieberte vor Spannung und Erregung. Vielleicht fand sich
hier im Innern des Sockels ein Hinweis auf die Erbauer des Monuments. Bevor er die dunkle Öffnung betrat, warf er noch einen letzten Blick in die Runde. Die drei blauen Sonnen waren inzwischen weitergewandert. Sie standen schräg über dem Ringraumer und ergossen ihr kaltes, fast violettes Licht auf die Unitallhülle. Dhark schloß geblendet die Augen und drehte sich entschlossen um. Dumpfe, modrige Luft schlug ihm entgegen. Vor ihm erklangen die Schritte der Vorausgeeilten. Dr. Getrups geräuschvolle Atemzüge waren zu hören. Der junge Experte für Kybernetik und Grundlagenforschung drehte sich nach Dhark um. »Wie in einem Mausoleum«, flüsterte er erregt. Dhark huschte an ihm vorbei, passierte die anderen und stand plötzlich neben Arc Doorn, der beide Arme ausgestreckt hielt. In der absoluten Finsternis vor ihnen erschien ein Licht. Es schien zu flackern, zu vergehen, um dann wiederzukommen. Man konnte nichts erkennen. Aber irgendwie hatte Ren Dhark das Gefühl, in einem riesigen Saal zu stehen und von tausend Augen beobachtet zu werden. »Licht«, sagte er leise. Ein metallisches Klicken ertönte hinter ihm. Aber noch ehe Tino Grappa seinen Scheinwerfer aufblitzen lassen konnte, wurde es taghell um sie. Dhark wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie befanden sich in einem gigantischen Hohlraum. Wände und Decke leuchteten in kaltem Licht. Niemand vermochte eine Lichtquelle zu erkennen, aber diese Helligkeit war da. Überall. Dhark wußte nicht genau, was er eigentlich erwartet hatte. Aber im ersten Moment war er maßlos enttäuscht. Den anderen erging es wie ihm. Der Hohlraum war leer. Fast. In der Mitte des riesigen Raums befand sich ein merkwürdiges Gebilde, das langsam in kräftigem Blau zu leuchten begann. Arc Doorn und Ren Dhark wechselten einen schnellen Blick. Beide dachten dasselbe. Sie hatten solch ein Gebilde schon einmal gesehen. Damals. Auf Hope. Im Höhlensystem von Deluge. Oder nicht? Dharks Schritte wurden schneller. Unmittelbar vor dem kaum fußhohen Gebilde blieb er stehen. Sein Blick glitt über die Anlage. Er versuchte sich daran zu erinnern, was sie damals auf Deluge gesehen hatten. Das Symbol einer Galaxis. Einer Spiralgalaxis. Wenn dieses Gebilde hier nicht genau das gleiche war, dann besaß es doch eine ziemliche Ähnlichkeit. Langsam traten auch die anderen näher. Umringten das mit dem Boden verbundene Gebilde, das etwa acht Meter lang und fünf Meter breit war. Das blaue Leuchten verfremdete ihre Gesichter. Maßlose Enttäuschung war in diesen Gesichtern zu erkennen. Nur Arc Doorn schien zufrieden zu sein. Er grinste schwach vor sich hin. »Sehen Sie nach oben, Dhark!« Dr. Glennard wies mit dem ausgestreckten Arm zur leicht gewölbten Decke empor. Köpfe ruckten herum. Mit einiger Phantasie konnte man erkennen, daß sich unter dem Gleißen der Decke fremdartige Spruchbänder abzeichneten. Fremde Wesen mochten hier vor Tausenden von Jahren ihre Geschichte eingegraben haben. Zur Unterrichtung der Nachwelt.
Die Wissenschaftler versuchten sogleich, Sinn und Bedeutung der fremden Zeichen zu enträtseln. Dhark griff zum Vipho. »Professor Tschu Hin, wir brauchen einen Archäologen. Und bringen Sie Ihre Leute mit.« Wenig später erschien der Archäologe mit seinem Stab. In der Gruft des Sockels begann es lebendig zu werden. Ren Dhark und Arc Doorn versuchten inzwischen herauszufinden, wo und vor allem warum der SD-Dauerimpuls ausgestrahlt worden war. »Können Sie den Impuls noch empfangen, Grappa?« »Nein, Dhark. Wie abgeschnitten.« Ren Dhark ging wie ein gereizter Tiger im Hohlraum auf und ab. Inzwischen hatte sich der modrige Geruch dank der Frischluft, die hereingeströmt war, verloren. Arc Doorn und einige Männer stellten Experimente an, um den Ausgangspunkt des Dauerimpulses zu finden. Umsonst. Stunden vergingen. Nichts geschah. Die Decken und Wände des Hohlraums strahlten weiterhin kalt auf die Männer herab, und die Nachbildung der Galaxis verbreitete ihr intensives blaues Licht. Nichts änderte sich. Man kam keinen Schritt vorwärts. Unbehagen beschlich die Männer. Sie fühlten sich irgendwie genarrt. Ren Dhark spürte die Unruhe. »Schluß, Leute. Es hat keinen Sinn mehr, kostbare Zeit zu opfern. Geben wir die Versuche auf. Wir haben keinen Erfolg.« Dhark irrte sich. Er wußte es nicht. Niemand wußte es.
4. Seit Monaten befanden sich die Astrophysiker Yve Ossorn, Spence Bentheim und Wren Craig auf Hope, um dem Industriedom endlich seine Geheimnisse zu entreißen. Bisher ohne jeden Erfolg. Ossorn nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. »Ich glaube, wir schaffen es nie«, murmelte er. Bentheim lachte. »Sie sind ein Pessimist, Ossorn. Sie werden sehen, eines Tages finden wir eine Erklärung, und wir alle werden uns an den Kopf fassen und sagen: Warum sind wir nicht längst darauf gekommen?« »Sie sehen die Sache ein wenig zu einfach...« »Unsinn. Sehen Sie sich um. Überall wird gearbeitet. Den Leuten macht es Spaß, die fremde Technik zu studieren. Einer wird es eines Tages schaffen, hinter das Geheimnis zu kommen. Vielleicht ist er heute noch nicht geboren. Aber einer schafft es. Ich bin sicher.« »Ihren Optimismus möchte ich haben«, stöhnte Ossorn, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und griff nach seinem Vipho. »Möchte wissen, wo Craig steckt.« »Vielleicht hat er das Geheimnis schon gefunden«, witzelte Bentheim. Ossorn warf ihm einen schrägen Blick zu und drückte die Sprechtaste. »Craig! Wo stecken Sie denn? Es wird Zeit!« Bentheim trat an eines der Mammutaggregate heran. Ein paar Techniker unterzogen es einer genauen Kontrolle. Bentheim sah ihnen einen Moment zu, dann ging er zu Ossorn zurück.
»Craig glaubt immer noch, den Riesentransmitter in Betrieb setzen zu können. Er ist ein Narr - genau wie Sie! Ich habe die Hoffnung längst aufgegeben«, meinte Ossorn. »Warum bleiben Sie eigentlich immer noch auf Hope? Ich an Ihrer Stelle hätte mich längst wieder nach Terra begeben. Wenn Sie schon nicht mehr an Ihr Glück glauben wollen, dann verderben Sie uns nicht auch noch die Laune«, erwiderte Bentheim. »Vielleicht sollte ich wirklich nach Alamo Gordo zurückgehen«, murmelte Ossorn und wandte sich ab. Bentheim folgte seinem Kollegen. Ossorns Schritte verrieten, wie niedergeschlagen er war. Seit Monaten waren sie nun schon hier. Voller Enthusiasmus hatten sie angefangen, aber sie waren nicht einen einzigen Schritt weitergekommen. Der Industriedom gab seine Geheimnisse nicht preis. Ossorn und Bentheim näherten sich dem Zentrum der Halle. Die Aggregate und Maschinen, die hier in scheinbar wahllosem Durcheinander aufgestellt waren, steckten in blauvioletter, fugendichter Verkleidung. Unitall. Das härteste Metall, dem die terranische Wissenschaft bisher begegnet war. Das Material, aus dem auch der Ringraumer bestand, der irgendwo zwischen den Sternen unterwegs war. Bentheims Gedanken wanderten einen Augenblick zu Ren Dhark. »Und wenn Jahre vergehen«, hatte der junge Commander irgendwann gesagt, »einmal wird es uns gelingen.« Spence Bentheim glaubte ganz fest daran. Er gehörte nicht zu jenen Wissenschaftlern, die meinten, für alles sofort eine plausible Erklärung finden zu müssen. Daß die Mysterious den Terranern technisch weit voraus waren, wurde von niemandem bestritten. Bentheim fand es daher ganz natürlich, daß man Jahre brauchte, um hinter das Geheimnis der Anlage auf Deluge zu kommen. Er lehnte sich gegen die kühle Verkleidung eines Aggregats und wartete, bis Ossorn seine Unterhaltung mit einem Techniker beendet hatte. Seine Hand strich beinahe liebevoll über das Material. Es besaß einen merkwürdigen seidigen Glanz. Bentheim grübelte darüber nach, ob sie alle womöglich von ganz falschen Voraussetzungen ausgingen. Vielleicht denken wir falsch. Vielleicht können wir unsere eingefahrenen Denkstrukturen, unsere geistigen Einbahnstraßen nicht mehr verlassen, sehen nicht mehr, was rechts und links zum Greifen nahe am Wegrand liegt. Er horchte auf die Geräusche, die von den Technikern verursacht wurden. Ansonsten war es totenstill in der Mammuthalle. Ein Koloß schlief... Der Koloß erwachte! Urplötzlich. Sinnverwirrend. Explosionsartig. Bentheim zuckte erschreckt zurück. Die Augen traten ihm fast aus den Höhlen. Geradeeben hatte sich das Unitall noch kühl, glatt und seidig angefühlt. Plötzlich schien es voller Elektrizität zu stecken. Bentheim starrte seine Hand an und glaubte zuerst an einen Spuk. Aber dann horchte er verwirrt auf. Schreie erklangen um ihn. Menschen in Not schrien so. Menschen in Todesangst. Panik erfaßte die Techniker. Die ersten Männer rannten, als ginge es um ihr Leben. Auch Ossorn rannte. Bentheim sah sein verzerrtes Gesicht, die wild durch die Luft rudernden Arme. Ossorn schrie ihm etwas zu. Bentheim sah, daß der Kollege die Lippen bewegte. Aber er konnte nichts hören. Er schien taub geworden zu sein. Doch dann gewöhnte sich sein Gehör langsam an die Geräusche.
Geräusche? Das waren keine Geräusche mehr. Das war Chaos! Die Totenstille war nur noch eine Erinnerung. Ein Gigant war erwacht. Die Aggregate summten, brummten, heulten. Von den vorher so toten Verkleidungen ging ein Vibrieren aus, das Bentheim fast von den Beinen riß. Der Astrophysiker kannte keine Angst. Gedankenfetzen jagten durch sein Hirn. Während die Männer um ihn herum ihr Heil in der Flucht suchten, stand Bentheim neben einem wie irrsinnig kreischenden Aggregat und starrte die matt schimmernde Verkleidung an. Irgend jemand hat auf einen richtigen Knopf gedrückt! Immer wieder dachte er es. Und plötzlich lachte er, bis ihm die Tränen die Wangen hinunterliefen. Er beruhigte sich erst wieder, als Wren Craig plötzlich von irgendwoher auftauchte und sich erregt durch das kurzgeschorene graue Haar strich. »Sehen Sie! Dort!« Verstehen konnte Bentheim bei dem Getöse kein Wort, aber sein Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Kollegen. Die im Zentrum des Industriedoms schwebende Ringröhre leuchtete hell. Es handelte sich um eine gigantische Konstruktion, deren fugenlose Verkleidung das Licht reflektierte. Eine leuchtende ringförmige Röhre. Eine Röhre von mehr als hundert Metern Durchmesser. Sie schwebte genau im Zentrum der gigantischen Halle in etwa hundert Metern Höhe, als hielte sie eine mächtige Faust dort fest. Es gab offensichtlich keine Verbindung zum Boden oder zur Decke. Die Röhre leuchtete in einem ultrahellen Blau. Etwas Unfaßbares, Unerklärliches ging von ihr aus. Etwas, das mit dem normalen Verstand nicht zu begreifen war. Jetzt begann sie zu leben. Langsam gingen Wren Craig und Spence Bentheim auf den freien Platz unterhalb der Ringröhre zu. Die Geräusche schienen hinter ihnen zurückzubleiben, als hätte jemand um sie herum einen Schutzwall errichtet. Je näher sie dem Zentrum kamen, desto stiller wurde es. Nur der Boden unter ihren Füßen schien zu singen. »Wer hat die Maschinen angestellt, Craig?« Bentheim mußte seine Frage zweimal wiederholen, ehe der grauhaarige Kollege sie verstand. Er war mit seinen Gedanken in einer anderen Welt. Craig zuckte hilflos die Schultern. »Sie können mich vierteilen, Bentheim - ich weiß es nicht.« Minutenlang verweilten die beiden unterhalb der Ringröhre, schwiegen andächtig in bewundernder Anerkennung der Erbauer dieser Anlage. Bentheim löste sich als erster aus der Beklemmung. Er griff nach Craigs Schulter und zog ihn sanft zum Ausgang. Professor Ingen nahm sie in Empfang, ein kleiner Mann mit ledrigem Gesicht. Ein Forscher, der bis zum Umfallen arbeiten konnte, ohne sich und seinen Leuten eine Pause zu gönnen. Aber er stand genau wie alle anderen vor einem Rätsel. »Sie sind die letzten«, seufzte er resigniert. »Haben Sie die Maschinerie in Bewegung gesetzt?« Bentheim schüttelte den Kopf, Craig zuckte hilflos die Schultern.
»Verdammt«, murmelte Professor Ingen. Und dann noch einmal: »Verdammt!« Er drehte sich um; seine herabgesunkenen Schultern zeugten von tiefer Müdigkeit. »Wir müssen Terra informieren. Geben Sie einen Bericht über To-Funk, Bentheim. Denken Sie sich was Nettes aus. Wir brauchen mehr Unterstützung. Und noch etwas.« Ingen sah über die Schulter und schien in jedem einzelnen Gesicht zu forschen. »Der Riesentransmitter ist zum Leben erwacht. In Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen, nicht zu nahe 'ranzugehen. Kann sein, daß Sie plötzlich in der Hölle wieder aufwachen. Vielleicht auch im Himmel. Fragt sich nur, wie die freundlichen Erbauer der Anlage diese feinen Unterschiede markiert haben.« Bentheim schüttelte sich. Da hatten sie monatelang versucht, diesen Transmitter in Tätigkeit zu setzen - und plötzlich stand ihnen der Weg ins Unbekannte frei. Spence Bentheim sah sich sorgfältig um. Niemand folgte ihm. Er versuchte, möglichst leise aufzutreten, damit die von Professor Ingen aufgestellten Wachen nicht aufmerksam wurden. Der mörderische Lärm kam ihm zu Hilfe. Bentheim hatte es längst aufgegeben, sich darüber Gedanken zu machen, warum diese Anlage überhaupt lief. Nur noch ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Der Materietransmitter! Irgendwie mußte dieses Gerät den Schlüssel liefern. Hunderte von Blicken hatte er dem Transmitter bereits zugeworfen. Nachgedacht. Gerechnet. Kombiniert. Bentheim glaubte, jedes einzelne Schaltelement im Schlaf zeichnen zu können. Das Fremdartige kam ihm überhaupt nicht mehr fremd vor. Nur in Betrieb setzen hatte er den Transmitter ebensowenig gekonnt wie alle anderen. Jetzt lief der Transmitter. Bentheims Schritte wurden langsamer. Die Kreisfläche innerhalb der grauen Ringantenne flimmerte fluoreszierend. Die Instrumente an der Wand zeigten Maximalwerte. Bentheim fühlte sich von dem Leuchten wie hypnotisiert. Eine innere Stimme versuchte, ihn zur Umkehr zu bewegen. Zurück! Keinen Schritt weiter! Es ist dein Untergang! Ein Schritt zuviel - und du landest in der Hölle! Bentheim biß die Zähne zusammen, bis seine Kiefer schmerzten. Schweiß rann in Bächen von seiner Stirn. Bentheim merkte es nicht. Diese Gelegenheit kommt nie wieder! Bentheim sah nicht mehr, was rechts und links lag. Er sah nur noch dieses Leuchten. Was lag dahinter? Eine andere Welt? Ein anderes Leben? Himmel oder Hölle? Wenn du nicht hineinsteigst, wirst du es nie erfahren, Spence! Bentheim keuchte vor Aufregung. Jetzt oder nie! Ein einziger Schritt noch. Das Fluoreszieren hüllte ihn schon ein, ließ keinen Platz mehr für andere Wahrnehmungen. Ein feines Singen schien ihn zu umfangen. Ein einlullendes Geräusch, das die Nerven zu beruhigen schien. Der rasende Herzschlag beruhigte sich. Ein verzerrtes Lächeln glitt über Bentheims Gesicht. Ich komme! Er fühlte sich plötzlich leicht wie eine Feder. Die Bleigewichte waren von seinen Füßen abgefallen. Sein Entschluß stand fest. Er streckte die Arme aus... Da packte ihn eine Faust. Riß ihn zurück, warf ihn zu Boden. Ein Schrei hallte durch den Industriedom. Ein Wutschrei!
Bentheim starrte wütend in ein schweißnasses Gesicht mit dunklen Augen. Er kannte diese Augen. Die Augen Wren Craigs. Craig bewegte die Lippen, sagte etwas. Bentheim verstand kein Wort. Er verstand überhaupt nichts. In seinen Ohren klang immer noch dieses lockende Singen, das jetzt von einem rauschenden Brausen übertönt wurde. Das Blut stieg Bentheim in den Kopf. Er ballte die Fäuste und schnellte sich hoch. Craig reagierte blitzschnell, wich dem Schlag geschickt aus und schlug seinerseits zu. Bentheim schnappte irritiert nach Luft - und da begann sein Gehör wieder zu arbeiten. Sein eigenes Keuchen und der rasselnde Atem des Kollegen existierten wieder. »Sie verdammter Idiot... Kommen Sie endlich zu sich!« Craig packte zu, griff nach Bentheims Arm und zerrte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt weg von dem Leuchten und Fluoreszieren. Erschöpft sank der junge Wissenschaftler zu Boden. Er schloß die Augen. Ein dumpfes Pochen dröhnte in seinem Kopf. Ich habe den Verstand verloren, dachte er immer wieder. Es wurde übermächtig. Wie ein Befehl! Eine Suggestion! Langsam begriff Bentheim. Er sah auf und nickte Wren Craig zu. Der stand etwas abseits, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Und er war nicht allein. Sie standen alle um ihn herum. Ingen, Ossorn, all die anderen. Sie starrten ihn an wie ein Studienobjekt. Sie müssen mich für wahnsinnig halten, durchzuckte es ihn. Langsam begriff er. Er versuchte zu lächeln, aber dieses Lächeln wurde zu einer Grimasse. »Versteht ihr denn nicht? Ich weiß nicht, wie es über mich kam. Ach, zum Teufel. Laßt mich in Ruhe. Ich werde mich hüten, diese Teufelei auch nur auszuprobieren. Gebt mir eine Zigarette!« Craig gab ihm eine Zigarette. Dabei sprach er auf Bentheim ein, als hätte er es mit einem Schwerkranken zu tun. Inzwischen diskutierten die anderen über die neue Situation. »Kann sein, daß dieses Leuchten eine Art Wunschtraum im Menschen weckt, wenn man zu nahe herangeht.« »Unsinn! Manchmal überkommt es einfach jeden von uns, einmal etwas ganz Verrücktes zu tun. Wir sind Menschen, von Gefühlen beherrscht. Bentheim bildet da keine Ausnahme. In Zukunft werden wir hier eine starke Wache zurücklassen. Mindestens drei Mann. Ich hoffe, die können wenigstens aufeinander aufpassen«, fügte Ingen mit einem müden Lächeln hinzu. Bentheim erholte sich überraschend schnell. Er stand auf und schob Craig von sich. »Hören Sie auf, mich wie ein Kind zu behandeln«, knurrte er ärgerlich. Dann sah er an der Gruppe diskutierender Wissenschaftler vorbei auf das Flimmern, das die Transmitter-Antenne einhüllte. »Aber wissen möchte ich doch, wohin die Reise gehen würde«, murmelte er. »Das wollen wir alle wissen, Bentheim. Wir haben auch bereits einen Plan entwickelt. Kommen Sie.« Craig schien die Aufgabe übernommen zu haben, Bentheim nicht aus den Augen zu lassen. Er hielt sich immer in unmittelbarer Nähe des jungen Wissenschaftlers auf. Bentheim bemerkte es wohl, sagte aber nichts dazu. Er fand es selbst unerklärlich, daß er sich wie ein Narr benommen hatte. Als Versuchskaninchen war er sich denn doch zu schade. Vorsichtig näherten sie sich der Transmitter-Antenne.
Halb erwartete Bentheim, daß ihn dieser Wunsch wieder packen würde. Aber nichts geschah. Völlig nüchtern konnte er Schritt um Schritt näher an das intensive Leuchten herangehen, ohne loslaufen zu wollen. »Sehen Sie mich doch nicht immer so komisch an, Craig. Ich bin ganz normal. Merken Sie das immer noch nicht?« »Möglich - vielleicht«, brummte Craig. Mehr nicht. »So, meine Herren!« Professor Ingen streckte die Arme aus und hielt seine Mitarbeiter zurück. Sie starrten in das Fluoreszieren hinein. Jeder von ihnen vernahm das feine Singen, das von ihm ausging. Sie horchten einen Augenblick auf dieses Geräusch. Dann schüttelte Ingen den Kopf. »Merkwürdig. Sehr merkwürdig.« Er hielt plötzlich einen winzigen Gegenstand in der Hand, betrachtete ihn eingehend und nickte schließlich. »Hier sehen Sie meinen Elektroschreiber, meine Herren. Er soll den Versuch einleiten.« Ingen wog den Schreiber noch einmal nachdenklich in der Hand, dann machte er einen Schritt auf die graue Transmitter-Antenne zu. Das Leuchten schien ihn verschlingen zu wollen. Die übrigen Wissenschaftler hielten entsetzt den Atem an. Da trat Ingen jedoch schon wieder zurück. Seine Stirn glänzte feucht. »Verschwunden«, sagte er verwirrt. »Einfach verschwunden. Haben Sie etwas gemerkt?« Niemand bewegte sich. Alle blickten entgeistert auf das Flimmern. Nichts hatte sich daran geändert. Kein Flackern; kein Geräusch war laut geworden. Der Elektroschreiber jedoch war verschwunden. Einer der Männer stieß plötzlich ein Lachen aus. Es klang ein wenig verzweifelt. »Wir sollten einen größeren Gegenstand nehmen.« Craig löste seinen Scheinwerfer von der Brust. »Hier, Professor.« Doch Ingen schüttelte mißmutig den Kopf. »Versuchen Sie es selbst, Craig.« Der grauhaarige Wissenschaftler leckte sich einmal mit der Zunge über die Lippen, sah Bentheim an und trat vor. So weit wie Ingen traute er sich nicht. Er hob den Arm, warf die Lampe in das Fluoreszieren hinein, glaubte, ein kurzes Aufleuchten erkennen zu können - und die Lampe war verschwunden. Das Singen blieb. Auch das Leuchten. Sonst nichts. »So werden wir nie etwas erfahren!« Die Männer drehten sich nach dem Sprecher um. Bentheim starrte nachdenklich auf den Transmitter. »Ich bin sicher, daß der Weg irgendwo hinführen muß. Reden Sie mir nicht von Hölle. Das ist Unsinn. Die Mysterious werden diese Maschine benutzt haben, um schnell weite Strecken zu überbrücken. Das heißt, sie haben irgendwo eine Empfangsstation gebaut, wo sie sich ebenfalls sicher fühlten.« »Richtig. Spinnen Sie Ihren Faden weiter«, ermunterte ihn Ingen, als Bentheim stockte. »Wenn wir also annehmen, daß wir auf einem anderen Planeten ankommen werden, auf dem wir vielleicht weitere technische Anlagen der Mysterious finden, besteht die Möglichkeit, mit unseren Forschungen viel schneller voranzukommen.« Eine Minute Schweigen.
»Bevor keine absolute Sicherheit besteht, lehne ich jede freiwillige Meldung ab«, brummte Ingen. Bentheim lächelte gequält. »Na schön«, lenkte er ein. »Dann sollten wir aber folgenden Versuch machen: Wir stecken ein paar Hyperfunk-Sender in den Transmitter und lassen uns berichten, wohin die Reise ging.« Der Vorschlag fand allgemeine Anerkennung. In aller Eile ließ Professor Ingen einige automatisch arbeitende Sender herbeischaffen. »Jetzt brauchen wir nur noch festzustellen, in welchem Teil der Galaxis der erste Sender wieder zu arbeiten beginnt.« Selbst Ingen konnte seine Erregung kaum verbergen. Bentheim nahm den ersten Sender auf. Entschlossen trat er auf die kreisrunde Antenne zu. Noch einmal drehte er sich um. »Alles klar?« »Alles klar!« Eine schwungvolle Bewegung - und der Sender verschwand in der fluoreszierenden Kreisfläche. Ein Blitz schien aus der Feuerwand zu brechen. Abwehrend hob Bentheim die Hände, aber der Spuk war so schnell vorbei, als hätte er eine optische Täuschung erlebt. Bentheims Herz klopfte bis zum Hals. Vorsichtig trat er zurück zu den anderen. Dort herrschte tiefes Schweigen. Alle Blicke blieben auf die Skala des Empfängers gerichtet. Sie starrten die Nadel an. Sie rührte sich nicht. Fehlschlag! Bentheim begann, leise in sich hinein zu fluchen. Bange Minuten vergingen. Was die terranische Wissenschaft über Materietransmitter wußte, ließ die Männer vermuten, das auch für diese Anlage das gleiche Prinzip galt. Entmaterialisierung im Augenblick des Eintretens in die Transmitter-Antenne Rematerialisierung im selben Augenblick in der Empfangsanlage. Aber der Sender schwieg. »Neuer Versuch!« So leicht ließ sich ein Mann wie Ingen nicht entmutigen. Ein neuer Sender. Das alte Spiel. Sendefrequenz gemessen, reguliert, geprüft, für ausreichend befunden. Diesmal nahm sich Wren Craig der Sache an. Bentheim blieb neben dem Empfangsgerät stehen und beobachtete das ständige Spiel der Skala. Ein Zeiger pendelte ziemlich konstant auf dem eingestellten Bereich. Während alle anderen Craig beobachteten, der mit grimmigem Gesicht auf die Zone zuschritt, saugte sich Bentheims Blick an dem Zeiger fest. Ingen sprach leise mit sich selbst. Er zählte Craigs Schritte. »...sieben... acht... halt... Achtung - fertig - jetzt!« Der Sender verschwand. Bentheim schien es, als wollte die Skala vor seinen Augen verschwimmen. Aber er sah es ganz deutlich. Der Zeiger kam urplötzlich zum Stillstand. Begann zu zittern. Schlug wie wahnsinnig nach rechts und links. Und mit einemmal stand er im Bereich negativer Zahlen. Völlig verrückt, durchzuckte es Bentheim. Dann war Schluß. Die Kontrolleuchte erlosch. Der Zeiger sank zurück und berührte den Nullpunkt.
Aus. Ende der Sendung. »Teufel, Teufel«, brummte Professor Ingen. Nachdenklich massierte er seine Schläfen und schüttelte wiederholt den Kopf. »Es gibt eine Möglichkeit: Der Sender hat den Geist aufgegeben.« An diese Möglichkeit wollte Ingen nicht so recht glauben. Er legte Bentheim die Hand auf die Schulter. »Ihnen würde es nicht besser ergehen, Bentheim. Also versuchen Sie es lieber nicht. Es sei denn, Sie suchten eine neue Methode des Selbstmords. Garantiert schmerzlos, könnte ich mir vorstellen. Mir will die Sache nicht so recht gefallen.« Niemandem wollte sie gefallen. Noch zwei Stunden lang versuchten sie, einen Sender durch den Transmitter zu schicken, aber es gelang immer nur der erste Teil. Schließlich brach Professor Ingen das Experiment ab. Ärgerlich kratzte er sich am Kopf. »Nach dem Motto: Operation geglückt - Patient tot«, knurrte er erbost. »Ich bin sicher, die Sender gehen durch, nur arbeiten können sie nicht mehr. Hat jetzt noch jemand Lust, sich selbst als Versuchskaninchen zu betätigen?« Niemand verspürte Lust. Nicht einmal Bentheim. Als die ersten Blicke ihn trafen, drehte er sich brüsk um und begab sich zum Ausgang. In der Funkstation trafen sie sich alle wieder. Professor Ingen blieb keine andere Wahl, als Henner Trawisheim von dem Mißerfolg zu berichten. Aber eine gute Nachricht konnte er dennoch nach Terra durchgeben: »Die totgeglaubte Mysterious-Anlage auf Hope lebt!« 5. Dan Riker saß vor dem Checkmaster. Er drehte sich um und warf einen Blick über die Schulter. Er wirkte müde, überreizt. »Ruh dich aus, Dan, ich löse dich ab.« Riker schüttelte unwillig den Kopf. »Ich könnte jetzt nicht schlafen, Ren.« Dhark sah den Freund durchdringend an. »Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich meinen Anordnungen widersetzen«, brummte er mit leichtem Spott. Riker starrte ihn einen Augenblick sprachlos an. »Du meinst...« »Ich meine, du sollst jetzt verschwinden und dich ausschlafen. Also los. In acht Stunden kannst du mich wieder ablösen.« Dan Riker stemmte sich müde aus seinem Sitz. Er massierte seinen Nacken und gähnte herzhaft. »Die beiden Flash mit Doraner und Scott sind wie verabredet auf Entdeckungsflug über dem Planeten.« »Und die wissenschaftliche Abteilung?« »Professor Tschu Hin versucht, mit Hilfe einer Türck-Analyse das Alter dieses Monuments zu erfahren.« »Schon etwas dabei herausgekommen?« Dan Riker schüttelte unwillig den Kopf. »Noch nicht. Was soll's auch? Glaubst du, wenn wir das Alter dieser Statue kennen, kommen wir einen Schritt weiter?« »Eine ganze Meile weiter sind wir dann, Dan. Los, verschwinde jetzt. Ich übernehme!« Dan Riker ging mit müden Schritten zum Schott, drehte sich noch einmal um, als wollte er noch etwas sagen, verließ dann aber ohne ein weiteres Wort die Zentrale. Ren Dhark nahm Verbindung mit Professor Tschu Hin und seiner Gruppe auf. »Wie weit sind Sie?« »Einen Moment, Commander. Wir sind gerade fertig.«
Tschu Hin, sonst die Ruhe in Person, war aufgeregt. Dieses Gefühl war ansteckend. Der Türck-Analysator würde eine exakte Altersbestimmung treffen können. Dhark hielt es plötzlich in der Zentrale nicht mehr aus. Er mußte nach draußen und sich selbst vom Ergebnis der Analyse überzeugen. Er rief Leon Bebir, den Zweiten Offizier, herein und übergab ihm die POINT OF. Dann ging er hinaus ins Freie. Aufs neue beeindruckte ihn der Anblick des gewaltigen Monuments. Nichts schien sich verändert zu haben. Noch immer standen die drei blauen Sonnen am Himmel, übergossen die beiden Raumschiffe und den bläulichen Sand mit ihrer intensiven Strahlung. Gegen das kolossale Bauwerk wirkten die Männer um Professor Tschu Hin wie Ameisen. Dhark eilte auf sie zu. Ihre Gesichter glühten vor Aufregung. »Geschafft, Commander«, jubelte Tschu Hin, der sonst seine Gefühle unter Kontrolle zu halten wußte. Das runzlige Gesicht mit den ausgeprägten Schlitzaugen strahlte. »Das Monument ist mehr als 42000 Jahre alt«, sagte er und deutete auf die Anzeigetafel des Analysators. Dhark sah ungläubig an dem Monument empor. »Zweiundvierzigtausend Jahre«, sagte er ehrfürchtig. Welch ein Alter! Er wollte es fast nicht glauben. Aber der Türck-Analysator konnte nicht lügen. »Commander!« klang es aus seinem Vipho. Elis Yogan aus der Funk-Z. »Ich habe Doraner in der Leitung... Er glaubt eine Stadt entdeckt zuhaben...« »Übergeben!« Das Bild auf dem kleinen Bildschirm wechselte. »Doraner! Dhark hier! Was ist los?« Doraners Stimme kam nur undeutlich aus dem Vipho. Dennoch merkte man ihm an, daß er verblüfft war. »Eine Stadt, Commander. Ich habe eine Stadt gefunden.« »Holen Sie mich sofort hier ab!« Mike Doraner besaß alle die Eigenschaften, die Ren Dhark an einem Flash-Piloten schätzte. Er war intelligent, verantwortungsbewußt, entschlossen und mutig manchmal vielleicht sogar ein bißchen zu mutig. Doraner landete den Flash vor der Statue, stieg aus und strich sich über die kurzgeschorenen Haare. »Eine Stadt«, sagte er. »Es ist unglaublich. Ich...« »Halten wir uns nicht lange mit Vorreden auf«, unterbrach Dhark den Flash-Piloten, schob ihn beiseite und stieg in den Blitz. Sekunden später lag der Landeplatz bereits unter ihnen. Ren Dhark legte den Kopf in den Nacken und blickte zur Bildprojektion empor. Über ihnen standen die drei blauen Sonnen. Unter ihnen, immer kleiner werdend, die Statue. Daneben die POINT OF, und - etwas abseits - die POLLUX. »Wie weit haben wir zu fliegen?« Doraner übergab an die Gedankensteuerung und lehnte sich zurück. »In drei, vier Minuten«, antwortete er, »werden Sie eine Überraschung erleben, Commander.« Der Flash raste über eine bläulich schimmernde Sandwüste hinweg. Es gab keine einzige Erhebung, an der das Auge hängenblieb. So weit der Blick reichte, war alles flach. Flach und blau. Doraner drehte sich halb um. »Jetzt müßten Sie es schon sehen können. Da...« Aus der flachen Ebene erhob sich plötzlich ein Hügel. Aber auch dieser Hügel war blau - Sand, nichts als Sand. Ren Dhark zog die Brauen zusammen. »Ich dachte...« »Warten Sie einen Augenblick. Sehen Sie auf den Masse-Orter!« Dharks Kopf flog herum. Tatsächlich. Masse. Viel Masse.
»Runter!« Doraner reagierte prompt wie immer. Sanft glitt der Flash in die Tiefe. Der blaue Sandhügel kam schnell auf sie zu. Die sechs spinnbeindünnen Teleskopbeine fuhren aus. Federnd landete der Blitz. Die beiden Männer kletterten ins Freie. Auch hier sang der Wind sein ewiges monotones Lied. Bläulich schimmernde Sandschleier wehten über den Hügel. Dhark rieb sich die Augen. »Verdammter Sand«, murmelte er. Nun spürte Doraner es auch. Der Wind trieb ihnen den Sand in die Gesichter. Es prickelte. »Wenn die Statue mehr als zweiundvierzigtausend Jahre alt ist«, sagte Ren Dhark nachdenklich, »müssen wir annehmen, daß auch die Stadt unter diesem Sandhügel so alt ist. In zweiundvierzigtausend Jahren kann eine ganze Menge Sand vom Wind herangetragen werden. Wir müssen sehen, was unter dem Sand steckt, Mike.« Der Flashpilot grinste. »Für uns doch kein Problem, oder...?« »Allerdings, Mike. Kein Problem für uns.« Dharks Blick flog zwischen dem Flash und dem Sandhügel hin und her. »Also?« Doraner sah Dhark fragend an. »Okay, Doraner. Aber nur in den Raumanzügen. Und langsam. Wir wollen dabei gleich die Dicke der Sanddecke messen.« Sie zogen die leichten M-Raumanzüge an und stiegen wieder ein. Doraner spuckte, fluchte ein paarmal und schaltete dann das Intervallfeld ein. Rücken an Rücken saßen die beiden Männer in der engen Kabine und schauten zur Bildprojektion empor. Einen Augenblick sahen sie noch die drei blauen Sonnen, die endlos erscheinende Sandwüste. Dann plötzlich - nichts mehr. Langsam schob sich der zylinderförmige Rumpf durch den Sand. Der Bildschirm blieb grau. Ein bläuliches Grau. Meter um Meter arbeitete sich der Flash durch den Hügel. Hin und wieder sah Mike Doraner auf die Anzeigetafel. »Sieben Meter«, gab er bekannt. Flugsand von mehr als zweiundvierzigtausend Jahren. »Zwölf Meter.« Und immer noch Sand. Herangeweht von einem Wind, dem sich nichts entgegenstellen konnte. »Zwanzig Meter.« Doraners Stimme klang fast unbeteiligt. Der Sand wollte kein Ende nehmen. Die Minuten dehnten sich endlos. Die bläulichgraue Räche des Bildschirms erschien Ren Dhark auf einmal wie ein höhnisch grinsendes Auge. »Dreißig Meter. Wenn das so weitergeht, kommen wir auf der anderen Seite wieder heraus.« Weitere Minuten vergingen. Plötzlich kam Bewegung in Doraner. »Achtung!« Auf dem Bildschirm hatte sich etwas verändert Das bläuliche Grau war einer rötlichen Färbung gewichen. »Jetzt müßte man etwas sehen können, Commander.« »Gehen Sie noch ein Stück tiefer! Eine Stadt muß aus Häusern bestehen. Und Häuser müssen Räume haben. Wenn wir in einen dieser Räume kommen...« Doraner ließ den Flash weiter absinken. Dharks Augen hingen am Bildschirm. Als sie knapp 40 Meter erreicht hatten, zuckte er zusammen. »Halt!« Der Flash verharrte. Der Bildschirm war nicht mehr grau, auch nicht mehr rötlichgrau. Der Bildschirm war braun. Ein tiefes, sattes Braun, in dem es kein Licht gab. »Scheinwerfer an!« Die Scheinwerfer des Flash blitzten auf. Geblendet schlossen beide Männer die
Augen. Nur langsam gewöhnten sie sich an die neuen Lichtverhältnisse. Dann betrachteten sie fasziniert die Wände eines Raumes, die mit Zeichnungen übersät waren und aus einer Art Kunststoffmasse zu bestehen schienen. »Wollen wir aussteigen?« Doraners Stimme klang plötzlich ein wenig rauh. »Einverstanden«, entschloß sich Ren Dhark. Er trat hinaus in den Scheinwerferkegel. Sein Schatten hob sich groß und wuchtig von der braunen Wand ab. Doraner folgte ihm. Der Flashpilot ging sofort auf eine Wand zu und ließ seine Finger darübergleiten. »Glatt«, sagte er. »Anscheinend unangetastet. Seit zweiundvierzigtausend Jahren nicht berührt. Und das Zeug sieht aus, als sei es erst gestern angefertigt worden...« Ren Dhark interessierte sich weniger für das Material der Wände, sondern vielmehr für die Zeichnungen. Er runzelte die Stirn. Doraner trat neben ihn. Minutenlang betrachteten sie die fremdartigen Darstellungen. Doraner legte den Kopf zur Seite und versuchte, ein klares Bild zu bekommen. Was sie hier zu sehen bekamen, waren keine Darstellungen von Menschen oder überhaupt humanoiden Wesen, wie man es vielleicht nach der Entdeckung der Riesenstatue erwartet hätte. »Spinnen«, sagte Dhark plötzlich leise, »Spinnen mit zwei Köpfen. Oder können Sie etwas anderes erkennen?« Doraner schüttelte den Kopf. »Ich bin froh, daß uns diese Hausgenossen nicht in Empfang genommen haben. Ein Glück, daß wir zweiundvierzigtausend Jahre zu spät kommen.« Doraners trockener Humor war nicht totzukriegen. Aber er hatte recht. Ren Dhark fröstelte plötzlich. Wenn diese Wesen noch hier unten leben würden... Er erschauerte. Es handelte sich unzweifelhaft um Spinnen mit zwei Köpfen. Ein Teil der Glieder war mit sechsfingrigen Greifklauen ausgestattet. An jeder Wand das gleiche Bild: Spinnenwesen mit zwei Köpfen in verschiedenen Haltungen, verschiedene Arbeiten ausführend. Aber immer nur diese Spinnen. »Ich glaube, wir haben genug gesehen. Am besten, wir machen uns auf den Rückweg und sehen zu, daß wir die Sanddecke irgendwie abtragen können. Unsere Wissenschaftler werden begeistert sein, wenn sie das zu sehen bekommen.« Doraner ließ die Gedankensteuerung den Rückflug übernehmen. Die vierzig Meter dicke Sandschicht war schnell durchquert. Dann standen die drei blauen Sonnen wieder am Himmel. Sie schwiegen, bis sie das Monument wieder erreicht hatten. Voller Spannung warteten die Wissenschaftler auf Dharks Bericht. Was er ihnen zu sagen hatte, war für sie eine Sensation. Nur eine Frage mußte noch geklärt werden: Wie konnte man die fremde Stadt freilegen? Arc Doorn wußte eine Antwort. Die POINT OF schwebte unbeweglich über der bläulich flimmernden Sandwüste, neben ihr die POLLUX, viel zu nah. In der Kommandozentrale des Ringraumers stand Arc Doorn und gab mit leiser Stimme Anweisungen. Der Sibirier wollte Duststrahlen einsetzen. Aber eine vierzig Meter dicke Sandschicht in amorphen Staub zu verwandeln, genügte nicht. Deshalb beteiligte sich Gutmundssons POLLUX an diesem Unternehmen. Sie sollte den Staub mit Pressorstrahlen >beiseiteblasen<. »Hier Zentrale! WS-West, WS-Ost! Sind Sie bereit?« Die Bestätigungen von Bud Clifton und Jean Rochard kamen wie aus einem Mund. »Gutmundsson, sind Sie auch so weit?« Das ernste Gesicht des Isländers erschien auf einem der Monitore. »Wir sind bereit,
Doorn!« »WS-West, WS-Ost, Duststrahl... Los!« Alle Blicke flogen zu den Schirmen. Clifton und Rochard traten in Aktion. In das allgegenwärtige Blau der Umwelt mischte sich ein neuer Farbton: Grün. Zwei olivgrüne Energiebahnen fauchten zu Boden. Staub wirbelte auf. Olivgrünes Leuchten füllte die Schirme. Wie ein General auf dem Feldherrenhügel stand Arc Doom in der Mitte der Zentrale. »Gutmundsson! Pressorstrahlen... Jetzt!« Ein feines Rauschen wurde laut. Zuerst in dunklen Tönen, dann heller werdend, schrill, heulend. Das olivgrüne Leuchten verblaßte. »Stop!« Das schrille Heulen ebbte ab. Die Energiebahnen erloschen. Das Bild auf den Schirmen wurde wieder klar. Die Duststrahlen hatten einen tiefen Krater in den Sandhügel gerissen. Sand, der durch die Energie zu amorphem Staub verwandelt worden war. In der Ferne stand noch eine graue Wolke, die sich rasch entfernte. Vom Wind durcheinandergewirbelt und verweht. Der Sibirier sah sich grinsend um. »Na?« fragte er ironisch. »Wie haben wir das gemacht?« Sigurdur Gutmundsson gestattete sich ein dünnes Lächeln. Er schien großen Spaß an der Sache zu finden. Ren Dhark warf Arc Doorn einen anerkennenden Blick zu, dann wandte er sich an seinen Ortungsspezialisten. »Grappa! Messungen anstellen!« Wenig später bekam er die Resultate: zwölf Meter Grube! »Okay, Doorn! Machen Sie weiter!« Doorn machte weiter. Er ging recht feinfühlig dabei vor, um zu verhindern, daß die Stadt von den Duststrahlen beschädigt wurde. Es dauerte eine halbe Stunde, dann lag die Stadt endlich frei. Aber was für eine Stadt! Kein Ort, wie man ihn auf Terra oder anderen Planeten kannte. Keine Einzelbauten, keine Hütten, keine Häuser, keine Bunker und auch keine Straßen oder Wege oder sonst etwas, das an herkömmliche Städte erinnerte. Was dort unter der POINT OF und der POLLUX lag, war einmalig: ein riesiges, austernschalenförmiges Dach, braun, dunkelbraun. Und häßlich, voller Buckel und Warzen. Verwundert blickten die Männer auf dieses Bild. Der Ausdruck >Stadt< schien überhaupt nicht zu passen. Aber wie sollte man es anders nennen? Daß es sich um eine ehemalige Ansiedlung handelte, war allen klar. Fremdartige Lebewesen - fremde Technologie. »Ich schlage vor, wir gehen runter und stellen Untersuchungen an. Dan, du könntest doch auch eine Gruppe übernehmen.« »Wie schön, daß du auch mal wieder an mich denkst«, brummte Dan Riker. Ren Dhark ging nicht darauf ein. Er teilte drei Gruppen ein. Die erste Gruppe - die Archäologen - sollte Dan Riker führen. Die zweite Gruppe mit Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen übernahm Arc Doorn. Eine dritte Gruppe blieb als Reserve zurück. Die wollte der Commander im Bedarfsfall selbst führen. Von verschiedenen Seiten drangen die ersten beiden Gruppen in die fremde Stadt ein. Unter dem austernförmigen Dach lagen unterschiedlich große Räume, in scheinbar wahlloser Anordnung aneinandergereiht und durch kleine und große Öffnungen miteinander verbunden. Fast alle Wände trugen die Zeichnungen, die Ren Dhark und Mike Doraner schon vorher entdeckt hatten. Ren Dhark, der an Bord der POINT OF geblieben war, ließ sich alle zehn Minuten
von den beiden Gruppen Bericht erstatten. Nichts als Wände, Zeichnungen, Räume mit runden und viereckigen Türöffnungen, berichtete Dan Riker einmal erbost. »Weitersuchen«, befahl Ren Dhark. »Es müssen doch technische Anlagen zu finden sein.« Es gab keine technischen Anlagen. Weder Arc Doorns Gruppe noch die von Dan Riker fand irgendwelche Anlagen, die man als Maschinen bezeichnen konnte. »Ich verstehe das nicht. Wer diese Konstruktionen errichtet hat, muß auch eine großartige Technik besessen haben. Weitersuchen!« Doch so sehr die Männer auch suchten, das Ergebnis blieb das gleiche: Es gab in der Austerndach-Stadt keinerlei technische Anlagen. In diesen Tagen schien es auf Hope nur noch Rätsel zu geben. Die Aufnahmegeräte wiesen ganz eindeutig aus, daß die Mammutaggregate im Industriedom in einem bestimmten Rhythmus arbeiteten. Als würden sie von Geisterhand gesteuert. Das Rauschen und Dröhnen wurde den Wissenschaftlern langsam unheimlich. Es schwoll an, hielt sich einige Stunden, um dann wieder abzusinken und einem leisen Brummen Platz zu machen. Niemand wagte, die Unitallverkleidungen anzufassen. Bentheim hatte es zweimal versucht. Aber immer wie elektrisiert seine Hand zurückgerissen. Rätsel über Rätsel. Das größte Rätsel jedoch stand den Männern erst noch bevor... Sie waren alle im Industriedom versammelt. Um Ingen und seine engsten Mitarbeiter hatte sich ein Kreis gebildet. Einige schauten zu der scheinbar schwerelosen schimmernden Ringröhre empor. Im Kreis unterhalb der Ringröhre war es still. Kein Laut, kein Maschinengeräusch drang bis hierher. Langsam wanderte die gesamte Gruppe durch die Mammutanlage. Das Summen und Heulen der Aggregate schmerzte in den Ohren. Wenn die Männer sich verständigen wollten, mußten sie sich anschreien. Und dann, plötzlich, war alles vorbei. Als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt, schwieg die gesamte Anlage. Totenstille breitete sich in der riesigen Halle aus. »Ich drehe gleich durch«, schrie Professor Ingen in die Stille hinein. Den anderen erging es kaum besser. Sie fühlten sich, als würden sie gleich wahnsinnig werden. Irgendwo mußte es eine unbekannte Kommandostelle geben, die die Mammutaggregate ein- und abschaltete. Doch wo befand sich diese Kommandostelle? Wer drückte auf den Knopf? War es ein Lebewesen? Oder ein Roboter? Schlagartig dachten die Wissenschaftler an den Großtransmitter. Die Versuche damit waren abgebrochen worden. Ingen hatte kein Menschenleben aufs Spiel setzen wollen. Unwillkürlich lenkten die Männer ihre Schritte zum Riesentransmitter. Wenn sie jedoch geglaubt hätten, mit dem Abschalten der Aggregate sei auch das fluoreszierende Leuchten der Kreisfläche vergangen, so sahen sie sich getäuscht. Es war noch immer da. Auch das leise Singen war noch da. Kaum hörbar zwar, aber es existierte. Niemand traute sich so recht, auf die graue Ringantenne zuzugehen. Irgend etwas hielt die Männer davon ab. Eine gewisse Scheu, die sie sich selbst nicht erklären konnten. Spence Bentheim stand dicht hinter Professor Ingen.
Fast kam es ihm so vor, als stellte dieses Flimmern eine Lockung dar. Als forderte irgend jemand ihn und die anderen auf, näherzutreten und den Versuch zu wagen. Plötzlich sprach der kleine Professor. Eigentlich mehr zu sich selbst - aber alle hörten es. »Ich brauche jemanden, der das Wagnis unternimmt... Jemanden, der sich der Wissenschaft zur Verfügung stellt.« Etwas gequält fuhr er fort: »Aber wer würde sich dafür schon zur Verfügung stellen? Wer?« An Bord der POINT OF herrschte Ruhe. Ren Dhark saß in der Kommandozentrale. Er dachte nach. Niemand störte ihn. Auch nicht Dan Riker, der etwas entfernt in einem Sessel hockte und nachdenklich an seiner Unterlippe nagte. Aufgeben kam für Ren Dhark nicht in Frage. Niemals! Er wollte dieser Welt ihre Geheimnisse entreißen. »Wir verfügen über acht Flash... Wo ist Doraner?« Wenig später stand Mike Doraner in der Kommandozentrale. »Was sollen wir tun, Commander?« »Dan Riker hat diesem Planeten einen treffenden Namen gegeben. Mirac, Normalerweise versuche ich nicht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, aber ich will das Unerklärliche, Geheimnisvolle, Rätselhafte von Mirac enträtseln. Sie und die anderen Flash-Piloten werden ausschwärmen und den Planeten aus jeder erdenklichen Himmelsrichtung zu analysieren versuchen. Ich wünsche bei dieser Aktion aber kein Draufgängertum. Safety first. Haben Sie mich verstanden, Doraner?« Doraner verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Verstanden, Commander.« »Dann viel Glück, Doraner.« Der Flashpilot wandte sich auf dem Weg zum Schott noch einmal um und grinste. Wenig später verließen acht Flash den Ringraumer und verloren sich bald im bläulichen Flimmern des Sonnenlichts. Ren Dhark wartete, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. »Und für dich, Dan«, wandte er sich dann an seinen Freund Dan Riker, »habe ich auch einen besonderen Auftrag. Stelle dir eine zuverlässige Truppe zusammen und mache dich noch einmal an die Untersuchung der Austernstadt. Der Checkmaster hat inzwischen die bisherigen Ergebnisse verarbeitet. In der Stadt dort unten haben seiner Meinung nach dreihunderttausend Einwohner gelebt. Da Doraner jedoch vorher festgestellt hatte, daß es mehrere Städte geben soll, werden wir auch diese Austernansiedlungen einer genauen Untersuchung unterziehen.« Dan Riker erhob sich, um seine Leute zusammenzusuchen. Kurz darauf verließ er mit seinen Männern das Schiff. Er hatte - ebenso wie die Flash-Piloten - die Anweisung erhalten, sich alle fünf Minuten zu melden. »Wir werden jetzt die restlichen Städte vom Sand der Jahrtausende befreien. Außerdem möchte ich Mirac genau kennenlernen. Also bitte, Falluta - Start frei«, teilte Ren Dhark anschließend den verbliebenen verantwortlichen Offizieren in der Kommandozentrale der POINT OF mit. Der Ringraumer hob ab, dicht gefolgt von der POLLUX. Gutmundsson war natürlich ebenfalls von ihrem Vorhaben unterrichtet worden. Langsam schwebten die beiden Raumschiffe über die bläulich schimmernde Sandpiste. Bud Clifton, Jean Rochard und das Team an den Pressorstrahlern der POLLUX bekamen alle Hände voll zu tun, immer neue Städte freizulegen. Sieben fanden sie insgesamt. Sieben Städte, die von kleinen Spezialtrupps schnell untersucht wurden, und deren Einwohnerzahlen man auf zweihundertfünfzigtausend
bis vierhunderttausend schätzte. Städte, die mindestens zweiundvierzigtausend Jahre alt waren. Und überall die gleichen Zeichnungen an den Wänden der Gebäude. Spinnen mit zwei Köpfen... Allein flog die POINT OF der Nachtseite des Planeten entgegen. Mirac, so fand Ren Dhark, besaß eine gewisse Ähnlichkeit mit Terra. Es gab Meere, es gab Sandwüsten, und es gab blauschimmernde Gebirgsketten. Hin und wieder tauchten auch Flüsse auf, umgeben vom dunklen, schattigen Grün alter Wälder. Auch die sieben Städte mußten einmal an Flußufern gelegen haben. Dunkelheit hüllte nun die POINT OF ein. Der Ringraumer raste weiter um den Planeten herum. Die Fünf-Minuten-Meldungen der acht Flash-Kommandanten und der Untersuchungstrupps liefen regelmäßig ein. Es gab keinerlei nennenswerte Neuigkeiten. Über die Planetenkrümmung kroch der Lichtschein der drei blauen Sonnen. Die POINT OF jagte dem Morgen entgegen. Bald mußte wieder die goldschimmernde Plastik in Sicht kommen. Um diesen Torso kreisten Dharks Gedanken. Er fragte sich, ob sie das Rätsel, das über dieser Statue lag, jemals lösen würden. Tino Grappa gähnte lautstark hinter seinem Ortungspult. Aber dann verging ihm das Gähnen. Er wirbelte herum und starrte betroffen die Masse-Ortung an. »Masse«, sagte er verwirrt. »Viel Masse. Zum Teufel, was ist das!« Dhark wurde ebenfalls aufmerksam. Rasch trat er zu seinem Ortungsspezialisten. Diese Massewerte? Diese Massewerte kamen ihm merkwürdig bekannt vor. Tino Grappa schien es ähnlich zu gehen. Langsam wandte er den Kopf und sah Ren Dhark verstört an. »Verstehen Sie das?« »Ich verstehe nur eins«, erwiderte Dhark. »Es kann sich um keine Stadt handeln. Dazu ist die Masse zu klein. Wir gehen runter - und zwar sofort.« Langsam veränderte sich das Bild. Die ersten gleißenden Lichtstrahlen krochen über den Horizont. Gespannt starrten die Männer auf die Bildkugel. »Rot 42:02,11 und Grün 02:13,02!« erklang plötzlich die Stimme von Arc Doorn. Alle Blicke suchten den bezeichneten Punkt. Es schien, als würden dort die Sonnenstrahlen von einem Spiegel reflektiert. Zwischen zwei bizarren Felserhebungen blitzte es auf. Die POINT OF kroch förmlich auf die Stelle zu. Eine riesige Bergwand wanderte über den Schirm. Danach folgte eine breite Felsschlucht, und dort... Ren Dhark hatte plötzlich das Gefühl, von einer riesigen Faust gepackt und geschüttelt zu werden. Ungläubig starrte er auf die Masse schimmernden Metalls. Er mußte wahnsinnig geworden sein. Dort unten lag - die POINT OF! Der Ringraumer stand plötzlich still in der Luft. Dhark wollte sichergehen, nicht in eine Falle zu geraten. Aber je länger er und seine Offiziere auf das erstaunliche Bild blickten, desto klarer wurde ihnen, daß dort unten nicht die POINT OF, sondern das Wrack eines anderen Ringraumers lag. Das Ebenbild der POINT OF. Ein Schwesterschiff. »Unglaublich«, hauchte Ren Dhark. »Wie nannte Riker diesen Planeten noch einmal?« knurrte Arc Doorn. »Mirakel? Er ist anscheinend unter die Hellseher gegangen.«
Und dann schwiegen alle, staunten einfach nur fassungslos. Ren Dhark faßte sich zuerst. »Wir landen!« Wenig später standen sie vor dem Wrack, bei dem es sich tatsächlich um ein Schwesterschiff der POINT OF handelte. Die Türck-Analyse ergab eindeutig, daß auch dieses Schiff vor nur eintausend Jahren gebaut - und zerstört worden war. Eine fieberhafte Tätigkeit setzte ein. Einzelne Gruppen untersuchten jeden Winkel des Wracks. Als sie schließlich wieder zusammentrafen, gab es noch immer keine Erklärung. Das Schiff war zerstört worden. Doch welche gigantische Kraft konnte diesen Ringraumer vernichtet haben? »Leergeplündert hat man das Schiff«, erboste sich Arc Doorn. Dhark sah zu den drei Sonnen empor. Hier stand er, auf einem Planeten, der einmal von diesen drei blauen Sonnen eingefangen worden war... Hier stand er vor der ersten neuen Spur der Mysterious seit der Entdeckung der Kometenstation. Was mochte auf diesem Planeten vor tausend Jahren geschehen sein? Würde er jemals eine Antwort auf diese Frage erhalten? Ren Dharks Gedanken wanderten zurück. Die Mysterious! Wie hatten die Utaren sie genannt? Grakos! Teufel! Ausgeburten der Hölle! Sollten die Mysterious tatsächlich mit den Grakos identisch sein?
6. Diese Mysterious...! In dieser Form konnte man auch fluchen; und auf Hope, im Höhlensystem des Kontinents Deluge, wurde kräftig geflucht. Auch von den Wissenschaftlern, die sich sonst gut beherrschen konnten. Und man verwünschte das Archiv in einem Nebenraum der Ringraumerhöhle in Grund und Boden. Nach wie vor warf es auf konzentrierten Gedankenbefehl seine Mentcaps aus - nur hatten alle Mentcaps einen Fehler: Sie enthielten kein Wissen über den gigantischen Industriedom. Sie waren leer. Henner Trawisheim las den letzten Bericht, der gerade von Hope hereingekommen war. Kein Fortschritt! Im Industriedom trat man buchstäblich auf der Stelle. In unregelmäßigen Abständen sperrte sich der Riesentransmitter automatisch ab. Kein Mensch wußte, was dann in dem großen Raum mit der grauschimmernden Ringantenne geschah. Wurden in diesen Sperrzeiten Industrieerzeugnisse, die von den gigantischen Aggregaten produziert worden waren, per Transmitter verfrachtet? Aber welchen Sinn sollten diese Vorgänge haben, wenn die Mysterious nicht mehr existierten? Trawisheim, der einzige Cyborg auf geistiger Basis, stellte sachlich fest, daß selbst er in diesem Punkt nicht weiterkam. Aber wir können uns doch nicht nur auf den Zufall verlassen, dachte er entmutigt; er versuchte sich vorzustellen, wie mißgelaunt die Experten im Höhlensystem waren, die mit ihren Forschungen keinen Schritt vorankamen. Er konnte nicht ahnen, daß sein Vorstellungsvermögen dafür nicht ausreichte. Tim Acker sagte aus vollem Herzen: »Ich hab's endgültig satt! Das ist ja zum Davonlaufen. Ich versorg' mich mit allem Nötigen und bleib' im Transmitter-Raum, wenn der wieder seine Energiesperre errichtet.«
Tim Acker war zweifacher Professor und führte gleich drei Doktortitel. Allerdings wurde er fuchsteufelswild, wenn man ihn mit Professor anredete. Und daß er über Temperament im Übermaß verfügte, ließ sich angeblich schon an seinen roten Haaren ablesen. »Die rotesten Haare im terranischen Interessenbereich«, wie er selbst behauptete. Acker gehörte dem Expertenteam an, das vor drei Tagen seine Arbeit auf Deluge begonnen hatte und sich inzwischen eingestehen mußte, nichts herausgefunden zu haben. Tim Acker wirkte nicht gerade wie ein Held. Mittlerweile 47 Jahre alt, hatte er es seit gut zehn Jahren aufgegeben, sich über seinen dicken Bauch und seine Hängebacken zu ärgern. Die Ärzte hatten von Freßsucht gesprochen. Er hatte sie ausgelacht, ihre Warnungen in den Wind geschlagen und - wenn es ihm Spaß machte - achtmal am Tag gegessen. Bisher hatte er es noch nicht bereuen müssen. Vor dem Abflug nach Hope war er wieder einmal gründlich untersucht worden. Er verstand, daß die Ärzte danach ein etwas säuerliches Gesicht gemacht hatten. Aber sie mußten auch ihn und seine diebische Freude verstehen, als sie ihm erklären mußten, daß er zwar ein hemmungsloser Fresser - aber auch kerngesund sei. Rings um ihn herum lachten jetzt seine Kollegen schallend, weil er gesagt hatte: »Ich versorge mich mit allem Nötigen.« Damit konnte er schließlich nur ein überdimensionales Freßpaket meinen. Tim Acker ließ sie lachen. Doch im stillen ärgerte er sich darüber. Wartet, ich werde es euch noch zeigen, dachte er, aber wenn er geahnt hätte, was ihm bevorstand, wäre er selbst in seinen Gedanken zurückhaltender gewesen. Es war nicht leicht, einen passenden Raumanzug für ihn zu finden. Der Leiter des Verpflegungsdepots war schon unterrichtet und unterzeichnete Ackers Anforderungsfolie, ohne einen Blick darauf zu werfen. Doch als der Professor mit einer Schwebeplatte ankam und sie im Transmitter-Raum hinter der grauschimmernden Ringantenne entlud, machten seine Kollegen große Augen. Acker hatte die Ausrüstung eines erstklassigen Labors angefahren. Und er benötigte keine Hilfe, um die Geräte untereinander zu verbinden und sie betriebsbereit zu schalten. Plötzlich sahen die Kollegen diesen dicken Mann mit dem runden Gesicht mit anderen Augen. Er beschämte sie alle. Er hatte es satt, noch länger auf der Stelle zu treten. Er wollte einen hohen Einsatz wagen und erfahren, was im Transmitter-Raum geschah, wenn der sich durch eine Energiewand sperrte. Ob es ihm gelingen würde, blieb abzuwarten. Bisher waren alle Versuche, im Raum zu bleiben, gescheitert, doch bisher hatte auch noch niemand versucht, sich hinter der Antenne aufzuhalten. Tim Acker wollte der erste sein. Er sah seine Kollegen kurz an, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief. »Es ist Zeit, daß Sie verschwinden!« Man hatte bis jetzt noch keine exakten Voraussagen treffen können, wann der Raum sich sperrte, aber man konnte so ungefähr alle drei Stunden Normzeit damit rechnen. Und die dritte Stunde ging ihrem Ende zu. Acker sah seine Kollegen gehen. Noch einmal wurde er gewarnt. Er schlug diese Warnungen ebenso in den Wind wie seinerzeit die der Ärzte, die ihm Appetitzügler verschreiben wollten. Tim Acker machte es sich bequem. Er hatte Appetit. Und er hatte jetzt Zeit, bis die Sperre kam, die im Gegensatz zu allen bisher bekannten energetischen Sperren undurchsichtig war. Die große graue Ringantenne, von deren Innenseiten ununterbrochen ein kaum
sichtbares Flimmern ausging, flößte ihm keine Furcht mehr ein. Er ließ den Verschluß einer Plastikdose aufspringen, schnupperte den delikaten Geruch einer Forro-Pastete und schluckte voller Vorfreude. Aber der gabelfertige Hummer in kleinen Happen war auch nicht zu verachten, ebensowenig wie die dreihundert Gramm Räucheraal - Besonders fett! stand auf der Dose. Das würde eine Stunde vorhalten. Davon war er überzeugt, und schließlich gab es auch noch die Flasche mit dem drittel Liter Napoleon. Den benötigte er, um anschließend zu gurgeln. Manche behaupteten hinter vorgehaltener Hand, Tim Acker sei ein Trinker, aber bis zum heutigen Tag hatte ihn noch niemand betrunken gesehen. Weil er es einfach noch nie geschafft hatte, diesen Zustand zu erreichen! Er aß langsam und mit Genuß. Vom gabelfertigen Hummer war nichts mehr zu sehen, von sechs Scheiben Toast nur noch eine vorhanden - und er wollte sich gerade dem besonders fetten Aal zuwenden, als er jenes Summen hörte, das bisher noch jeden Terraner aus dem Transmitter-Raum vertrieben hatte. Tim Acker schloß blitzschnell den Helm seines M-Raumanzuges. Ein wehmütiger Blick galt dem mundfertigen Aal - doch in der nächsten Sekunde dachte er nicht mehr daran. Das Summen drang durch den Klarsichthelm an sein Ohr! Die Schwingungen lagen in einem Frequenzbereich, der bei jedem Menschen unerträgliche Schmerzen auslösen mußte. Tim Ackers rundes, verfettetes Gesicht verzerrte sich. Ich bleibe, dachte er mit wilder Entschlossenheit, ich lasse mich hier nicht vertreiben! Aber das Summen wurde stärker und stärker. Es kam aus allen Richtungen - wie eine Flut, die alles mit sich fortzureißen drohte. Tim Acker stöhnte; er krümmte sich. Die Schmerzen in seinem Körper wurden unerträglich. Ein Mann mit schwächerer Willenskraft hätte den Transmitter-Raum längst verlassen. Doch der Wissenschaftler war ein einziges Bündel geballter Energie. Er stöhnte lauter. Er wand sich, als würde er unter Koliken leiden - aber er verließ seinen Platz nicht. Und dann - endlich! - brach das infernalische Summen ab. Mitgenommen richtete Acker sich auf, öffnete seinen Klarsichthelm und atmete tief durch. Er befand sich im Transmitter-Raum. Niemand konnte zu ihm herein; niemand konnte ihn sehen. Die undurchsichtige energetische Sperre trennte ihn von seinen Kollegen. Er achtete nicht darauf, wie die letzten Beschwerden in seinem Körper abklangen. Er hatte zu tun. Ein kleiner tragbarer Konverter wurde hochgefahren. Einschalten der Kontrollgeräte. Eine letzte Überprüfung ihrer Funktionen. Tim Acker verstand sein Handwerk. Er tat keinen Fehlgriff, übersah nichts. Sein geschulter Verstand nahm alle Klarmeldungen auf. Von ihm aus konnte es losgehen! Er wußte nicht, was er eigentlich erwartete. Und es war ihm noch gleichgültig. Er glaubte, auf alle Überraschungen vorbereitet zu sein. Die Ringantenne, die oben und unten mit Decke und Boden verbunden war, strahlte von allen Seiten zum Mittelpunkt hin ihr irisierendes Flimmern aus. So deutlich und faszinierend hatte er es noch nie gesehen. Der T-Taster blinkte. Die Leistung des Transmitters war sprunghaft hochgeschnellt. Acker konnte sich auf sein Gerät verlassen. Es war eine terranische Konstruktion und nach dem Studium
des ersten Mysterious-Transmitters entwickelt worden. Die Leistung lag schon bei T90, und die Leuchtdioden des Meßinstrumentes zeigten fast schon den höchsten theoretisch erfaßbaren Wert. Experten hatten behauptet, daß jeder Transmitter, der über T100 geschaltet würde, sich selbst zerstören müsse. Tim Ackers Blick war überall. Auf den Instrumenten ebenso wie auf dem leicht flimmernden Leerraum der Ringantenne. Sein hochempfindliches r-Gerät maß nicht die geringste Strahlung an. Drei kurz aufeinanderfolgende, schrille, sich in Abständen wiederholende Pieptöne schreckte ihn auf. Die Leuchtanzeige des T-Tasters blinkte im Rhythmus mit den schrillen Tönen, und auf dem Display flimmerte der Wert 888. Das Gerät mußte völlig überlastet worden sein. Schlagartig erstarben die Pieptöne, das Blinken hörte auf - Error meldete der TTaster, bevor auch die letzte Leuchtdiode erlosch. Acker befürchtete nichts, obwohl ihm klargeworden war, daß sich der Riesentransmitter weit über T100 hinauf geschaltet hatte. Er bereitete sich innerlich auf alles vor. Und doch traf es ihn wie ein Schock! Die blauschimmernde, fugenlose Unitallwand links von ihm öffnete sich lautlos. Ein Energieband schwang in weichem Bogen aus dem dunklen, riesigen Loch hervor und endete im Mittelpunkt der Ringantenne. »Also doch«, flüsterte Acker; er konnte das Zittern seiner Hände nicht mehr unterdrücken. Ihre Vermutungen schienen zu stimmen. In den Zeitabschnitten, in denen ihnen das Betreten dieses gewaltigen Transmitter-Raumes verboten war, wurden über diese Anlage die Erzeugnisse der Mammut-Aggregate verschickt. Aber wohin bloß? Ein Dutzend Aufnahmegeräte dokumentierten aus allen nur möglichen Blickwinkeln jede Phase der Entwicklung. Und in Tim Ackers Gehirn brannte sich zusätzlich noch alles fest. Und dann wurde der Blick des freßsüchtigen Mannes starr. Von unsichtbaren A-Grav-Kräften getragen, durch einen Traktorstrahl transportiert, trieb ein gewaltiges Aggregat lautlos auf die Mitte der Transmitter-Antenne zu. Weder sein fremdartiges Aussehen, noch seine unglaubliche Größe hatte Acker einen Schock versetzt - sondern einzig und allein seine Farbe! Es leuchtete rot; es schimmerte wie ein Rubin! Ein Aggregat aus Tofirit wurde zum Transmitter geschafft und verschwand im Mittelpunkt der Antenne! Ein weiterer Beweis dafür, daß die Mysterious vor rund tausend Jahren, bevor sie spurlos von Hope verschwunden waren, bereits ein Tofirit-Vorkommen ausgebeutet haben mußten. Tim Acker kam nicht mehr dazu, seine Überlegungen weiter zu spinnen. Ein gewaltiger Stoß schleuderte ihn zur Seite. Seine Geräte wirbelten davon. Der Konverter krachte gegen eine Wand. Er selbst rutschte über den Boden, bis ihn eine Ecke aufhielt! Rundherum hatten sich die Unitallwände geöffnet. Von allen Seiten schwangen sich Energiebänder zur Transmitter-Antenne. Aus allen Richtungen wurden rubinrot schimmernde Maschinen aller Größenordnungen zum grauen Ring befördert, um darin zu verschwinden. Zehn, zwanzig, fünfzig und mehr Aggregate auf einmal! Der Riesentransmitter war ein unersättliches Maul, das man mit den größten Mengen nicht stopfen konnte. Tim Acker rührte sich nicht. Atemlos verfolgte er dieses unheimliche, lautlose
Schauspiel. Er hatte seine Wünsche mittlerweile etwas heruntergeschraubt, und es beruhigte ihn, daß zumindest drei Aufnahmegeräte weiterhin im Einsatz waren und alles festhielten. Ein Strom von Maschinen kam schneller und schneller aus allen Öffnungen, aus allen Richtungen, und Ackers Blicke konnten kaum noch folgen. Aber nicht ein einziges Mal störten sich die Maschinenströme gegenseitig. Eine hochentwickelte Steuerung verhinderte jede Kollision. »Ein Sender! Großer Gott, ein Sender!« stöhnte der dicke Mann und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, als eine weitere gigantische Anlage im Transmitterkreis verschwunden war. Er kannte die Funk-Z der POINT OF. Sie war in ihrer Größe und Leistung das Nonplusultra der Funktechnik, aber sie war ein Nichts gegen diese Anlage, die soeben per Transmitter zu einem unbekannten Ziel geschafft worden war. Wozu hatten die Mysterious diese gigantischen Funkanlagen benutzt? Hatten sie vielleicht schon vor tausend Jahren Kontakt mit anderen Galaxien gehabt? Unwillkürlich richtete der dicke Mann sich etwas auf. Er lag genau unter einem Energieband, aber er fürchtete keineswegs, daß ihm dieses Band gefährlich werden könne. Er rechnete. Er dachte an die Größe des Industriedoms. Seine Bodenfläche umfaßte 900 Quadratkilometer. Seine Mammutaggregate, die gleich Wolkenkratzern bis zur neunhundert Meter hohen Decke reichten, mußten hunderttausendmal mehr produzieren, als hier durch diese Anlage fortgeschafft wurde. Das ließ nur eine Schlußfolgerung zu: Im Industriedom mußte es Hunderte von Transmittern dieser Größenordnung geben, und wahrscheinlich wurden zur selben Sekunde Abertausende von Aggregaten transportiert! Acker warf einen Blick auf sein Chrono. Seit einer Viertelstunde lag er auf dem kalten Unitallboden in der Ecke und beobachtete. Wenn alles so wie immer verlief, hatte er noch gut fünfzig Minuten Normzeit zu warten, bis die energetische Sperre wieder aufgehoben wurde und hier alles wieder so aussah, wie man es bisher gewohnt gewesen war: fugenlose blauschimmernde Unitallwände, und in der Mitte des großen Raums die gewaltige graue Transmitter-Antenne. Abrupt brach der Strom der Maschinen ab. Tim Acker richtete sich noch höher auf, drehte den Kopf und vermißte über sich das Energieband. Sollte alles schon zu Ende sein? Im freien Feld innerhalb der Antenne irisierte es nach wie vor. Ackers Gedanken kreisten erneut um das Tofirit. An welcher Stelle auf Hope konnten die Mysterious ein Tofirit-Vorkommen ausgebeutet haben? Wieso war den terranischen Planetologen diese Fundstelle entgangen - selbst wenn sie inzwischen erschöpft sein sollte? Noch immer lag der Blick des Wissenschaftlers auf dem Innenraum der Antenne. Er sah wohl das plötzlich stärker werdende irisierende Flimmern, aber dann geschah alles so unerwartet und schnell, daß er überhaupt nicht mitkam. Er erschrak nicht einmal! Tim Acker sah es nur, und konnte es einfach nicht begreifen. Plötzlich war es da! Ein Roboter! Ein Roboter, der keine Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte. Ein aufrecht stehender, von fünf Stützen getragener Zylinder, der den Boden nicht berührte. Ein Zylinder, der ganz langsam auf eine der gewaltigen Öffnungen in den Wänden zuschwebte.
Ein Roboter aus blau violettem Unitall, der fünf Armglieder gegen seinen Zylinderrumpf gepreßt hielt, dabei aber die vier Fingerglieder abgespreizt hatte. Dort, wo bei einem Menschen der Kopf saß, befand sich ein Linsensystem, das das Licht aus den Wänden des Transmitter-Raumes stark reflektierte. Nach oben lief der Zylinder in einer flachen Wölbung aus. Roboter im Industriedom! Und sie alle, die hier geforscht und gearbeitet hatten, hatten davon nichts geahnt! Roboter, die sich vom Transmitter-Raum direkt in die Mammutaggregate begeben konnten, ohne eine der langen Maschinenstraßen zu benutzen! Roboter aus Unitall! Nach den Vermutungen der Menschen waren die Mysterious die Schöpfer dieses Metalls. Roboter und Mysterious! Roboter, die tausend Jahre nach dem Verschwinden der Geheimnisvollen noch aktiv waren! Hatten die Mysterious sie geschickt? Sollten sie im Industriedom nach dem Rechten sehen? Dann mußten die Mysterious doch noch existieren! Oder...? Als Tim Acker drei neue Roboter gleichzeitig aus dem Transmitter treten sah, beobachtete er sie mit wissenschaftlicher Akribie. Er war sich seiner Sache sicher. Wie der erste, der inzwischen in einer der riesigen Öffnungen verschwunden war, würden auch sie, ihrem Programm gehorchend, ihre Aufgabe erfüllen. Die drei Maschinen waren nicht voneinander zu unterscheiden. Sie besaßen keinerlei Unterscheidungsmerkmale. Sie schwebten davon. Jeder auf eine andere Öffnung zu. Doch dann glaubte Tim Acker, aus einem der Linsensysteme angesehen zu werden. Sein Verstand sagte ihm, daß er sich etwas einbildete. Aber daß dieser Roboter, der plötzlich abgestoppt hatte, nun auf ihn zukam, war keine Einbildung. Tim Acker griff nach seinem Blaster. Er zog ihn nicht. Unitall war nicht so leicht zu zerstören. Erst nach einem intensiven Nadelstrahlbeschuß von mehr als zweihundertzehn Sekunden Dauer zerfiel es in einer überaus heftigen atomaren Reaktion. Doch dazu kam es nicht. Drei der fünf Armglieder griffen nach dem Wissenschaftler - und bevor er begriff, welches Schicksal ihm drohte, wurde er in hohem Bogen in den Transmitter geschleudert. Tim Acker verschwand im Leerbereich der grauschimmernden Ringantenne, genau wie vor ihm die rubinrot leuchtenden Aggregate verschwunden waren. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, einen Schrei auszustoßen. Der Roboter, der ihn aus diesem Raum entfernt hatte, räumte auf. Alle Geräte, die Acker hier abgestellt hatte, verschwanden im Antennenbereich. Auch die Filmkameras! Zum Schluß das Freßpaket des Wissenschaftlers. Und dann war der Transmitter-Raum wieder so, wie ihn damals Ren Dhark als erster gesehen hatte. Leer bis auf die Ringantenne, die zu ihrem Mittelpunkt hin ein leichtes irisierendes Leuchten ausstrahlte. Auch der dritte Roboter war in einer der großen Öffnungen verschwunden. Graue Wolkenfetzen jagten am Himmel dahin. Der Sturm brüllte über Mirac. Von den drei blauen Sonnen des Systems war nichts mehr zu sehen. Außerhalb der
Sichtweite lag der zerstörte und leergeplünderte Ringraumer der Mysterious. Ren Dhark und seine Männer warteten auf das Ende des Unwetters; sie hatten sich auf eine lange Wartezeit eingerichtet. Die Meteorologen hatten erklärt, daß man erst am nächsten Mirac-Tag wieder ins Freie könnte. Nicht, daß das irgend jemanden gestört hätte. Jeder war froh, sich endlich wieder einmal ausschlafen zu können. Der Commander ließ Funkkontakt zu der kleinen Gruppe herstellen, die eine der Austerndach-Städte untersuchte, und gab durch, daß man so bald nicht mit der Rückkehr der POINT OF zu rechnen habe. Die Nacht senkte sich auf Mirac herab. Leutnant Posson hatte in der Kommandozentrale Sitzwache. Die übrigen Hauptstellen im Schiff waren auch nur mit je einem Mann besetzt. Wer wollte der POINT OF schon etwas anhaben? Posson warf zum zehntenmal einen Blick auf das Chrono. Noch drei Stunden Normzeit; dann würde er abgelöst werden und könnte sich auch hinlegen. Er verließ den Pilotsitz und trat zum Ortungspult. Alle Ortungen arbeiteten mit schwacher Leistung. Die Verbindung zum Bordgehirn bestand. Es würde unverzüglich reagieren, wenn etwas Ungewöhnliches geschehen sollte. Posson döste mit offenen Augen. Und zuckte dennoch nicht einmal zusammen, als er den nebelartigen Fleck auf dem Schirm sah. Automatisch, ohne zu überlegen, schaltete er Energie- und Distanzortung auf maximale Leistung. Die Distanzortung zeigte Null, genau wie die Energieortung. Aber da draußen war etwas! Er sah es zweifelsfrei auf dem Schirm des Oszillos! Das Aufblinken einer Reihe von Kontrollen am Checkmaster ließ seine Aufmerksamkeit für Sekunden nachlassen. Als Posson wieder auf den von innen beleuchteten Schirm des Oszillos sah, konnte er keinen Fleck mehr entdecken. Dafür zeigte die Energieortung jetzt einen Wert an. Strahlung in nächster Nähe der POINT OF! Eine Strahlung, die auf die POINT OF gerichtet war! Mit einem Satz war Posson am Instrumentenpult, drückte die Alarmtaste, und riß den Commander mit seiner Durchsage aus dem Schlaf. »Beobachten Sie weiter, Posson. Ich komme sofort.« Er kam nicht allein. Dan Riker begleitete ihn. Sie stellten sich hinter die Ortungen. »Alles unverändert«, berichtete Posson. Aufmerksam hörten die beiden Männer zu. Keine Distanzortung! Die Quelle der harten Strahlung war nicht zu erfassen. Aber warum warf die Energieortung keine Reihenwerte aus, sondern nur eine einzige Angabe? »3,36...« murmelte Dan Riker und schüttelte den Kopf. »Hart... sehr hart...« Posson verstand den Commander und dessen Freund nicht. Sie sich dafür um so besser. Sie hatten nie viele Worte gebrauchen müssen, um sich miteinander zu verständigen. »Wir sollten uns das einmal draußen ansehen...« Posson starrte die beiden an, als wären Sie fremdartige Lebewesen von einem anderen Planeten. Draußen wütete ein Orkan mit Stärke 11, und er würde sich in gut einer Mirac-Stunde zum Hurrikan entwickelt haben; und diese beiden Männer wollten hinausgehen! »Okay«, sagte Dan Riker, ohne zu zögern. »Posson, beobachten Sie weiter. Wir bleiben über Vipho mit Ihnen in Verbindung.« Das Schott zur Zentrale krachte hinter Dhark und Riker zu. Posson war wieder allein.
Er verstand gar nichts mehr. Draußen wütete nicht nur ein Sturm, auch die Temperatur war auf minus 53 Grad Celsius gefallen. Polare Kälte peitschte diesen Teil des Planeten - ein Kälteeinbruch, wie er auf Terra unbekannt war. Ren Dhark und Dan Riker dachten nicht daran, ihr Leben leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Im Flash-Depot meldeten sie ihren Ausflug, wie es für jeden Beiboot-Piloten Vorschrift war. Am erstaunten Blick des Sergeanten störten sie sich nicht. Mit der 022 flogen sie nach draußen. Was kümmeren den Blitz die entfesselten Naturgewalten? An seinem Intervallfeld prallte alles ab. Dhark flog die 022, stand über Funk mit Posson in der Zentrale in Verbindung. Nach wie vor erfaßte die Energieortung die auf das Schiff gerichtete harte Strahlung. Langsam flog der Commander den Flash an diesen Bereich heran. Dan Riker saß Rücken an Rücken mit ihm. Wieder einmal verwünschte er den Standort der Bildprojektion über seinem Kopf. Sie war auch eine Zumutung. Jeden Menschen mußten nach zehnminütigem Hinaufsehen alle Nackenwirbel und Muskeln schmerzen. Einen unpraktischeren Platz hätten die Mysterious sich dafür nicht aussuchen können. »Strahlung erfaßt...« »Ich auch«, bestätigte Riker, der seine Instrumente beobachtete. »Aber auch hier keine Reihenwerte. Verstehe ich nicht.« Über Vipho korrigierte Posson den Kurs des Flash. Dann lag das Beiboot genau im Strahlungsbereich. Dan Riker stieß einen überraschten Pfiff aus. Der Strahlungswert war gestiegen: 8,47! »Wir sollten Alarm für die Besatzung geben, Ren...« Überrascht verstummte er. Der Strahlungswert fiel auf 1,06 - und kletterte unverzüglich wieder in die Höhe. Der Flash näherte sich dem zerstörten Ringraumer. In geringer Höhe überflogen sie das Wrack. Dann lag es hinter ihnen. Irgendwo voraus mußte sich die Strahlungsquelle befinden. Das Schwanken der unbekannten Strahlung gab ihnen Rätsel auf. Offen gestand Ren Dhark: »Da komme ich nicht mehr mit. Ich schalte auf den Checkmaster, Dan.« »Großer Himmel!« Das war Riker. Ren Dhark wußte, was seinen Freund so aus der Fassung gebracht hatte. Antwort aus der POINT OF! Antwort vom Checkmaster. Er nahm das Kommando nicht an! Er ließ sich nicht mit den Instrumenten des Flash zusammenschalten! Das Bordgehirn der POINT OF meuterte gegen seinen Kommandanten! So etwas war noch nie vorgekommen. Schweigen im Flash. Unter dem Beiboot glitt die vom Sturm gepeitschte Oberfläche Miracs dahin. Das Wrack des Ringraumers lag schon fünf Kilometer hinter ihnen. Aber noch immer war die Quelle der harten Strahlung nicht erreicht, die auch weiterhin vollkommen arhythmisch schwankte. Und dann beschlich den Commander plötzlich eine Ahnung. Eine Energiequelle, dicht vor dem Erlöschen, rief sie mit harter Strahlung. Aber hieß das nicht, daß die Energiequelle intelligent sein mußte? Das Tal machte einen leichten Bogen. Die Infrarotscheinwerfer des Flash durchdrangen die wild durcheinander gewirbelten Staubmassen und ließen selbst kleinste Einzelheiten erkennen. Plötzlich schnellte der Strahlungswert auf eine bisher nie beobachtete Höhe: 12,67! Sle auf negative Beschleunigung! Der Flash befand sich jetzt in achtzehn Metern Höhe über der Strahlungsquelle aber sie war nicht zu sehen!
Unter dem Beiboot befand sich nichts als Fels, kahler, nackter Fels. Endlich warf die Energieortung Reihenwerte aus. »Ohne Intervallfeld würden wir hübsch gegrillt werden!« stellte Dan Riker sarkastisch fest. Ren Dhark nickte nur. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, sah er zur Bildprojektion hinauf. Achtzehn Meter unter ihnen gab es nur Felsen ohne jeden Spalt. Aber aus dem Felsen kam die Strahlung. Einen Augenblick zögerte der Commander, dann hatte er sich entschieden - und langsam, von A-Grav-Kräften gehalten, sank der Flash zu Boden. »Strahlungswert fällt wieder!« Dan Riker mußte gespürt haben, daß sein Freund ununterbrochen die Bildprojektion beobachtete. Der Flash näherte sich dem felsigen Boden und tauchte im Schutz seines Intervalls langsam in ihn ein, als ob er im Bereich des künstlich erzeugten Miniweltraumes gar nicht existent sei. »Strahlung unter eins, Ren.« Sie steckten schon mehr als zehn Meter tief im Felsen. Der Durchflug ging weiter. Tiefe fünfundzwanzig Meter. »Strahlung bei 0,47 konstant! Mag der Teufel wissen, was das zu bedeuten hat«, meldete Dan Riker. Ren Dhark grübelte immer noch. Gab es unter ihnen tatsächlich eine intelligente Energiequelle, die dicht vor dem Versiegen stand und ihnen mit letzter Kraft Signale zugefunkt hatte, um Hilfe zu bekommen? Tiefe achtunddreißig Meter. Die Distanzortung sprach an. Sechs Meter tiefer befand sich ein Metallkörper! Der Flash brauchte seinen Kurs um keinen Zentimeter zu verändern. Wie ein Peilstrahl hatte die harte Strahlung sie heruntergeholt. »Ich mache die Strahlantennen klar, Ren.« »Okay.« Auch der Commander fühlte sich unbehaglich. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß es Energiequellen geben könnte, die intelligent sein sollten. Der Flash wurde noch langsamer. Nur knapp ein Meter trennte sie noch von ihrem Ziel. »Da... Strahlung aus!« rief Riker verblüfft; Dhark hörte, wie sein Freund schwer schluckte. Um sie herum Fels. Nur über ihnen ein Loch: die Spuren des Sle. »Dan!« Ren Dhark schrie auf. Er hatte in der Bildprojektion endlich erkannt, was sie entdeckt hatten! Einen Flash! Ihre 022 bewegte sich nicht mehr. Der Sle war ausgeschaltet. Nur noch das Intervall stand um das Beiboot. Vor ihnen - auch in sein Intervall gehüllt - ein Flash... ein Duplikat ihres Blitzes! Ein Flash, der nur zu dem zerstörten Ringraumer gehören konnte! Die beiden Männer in dem kleinen Raumfahrzeug schwiegen. Ganz leise liefen die Aggregate ihres Blitzes. Diese Geräusche störten sie nicht beim Nachdenken. Ren Dhark brach das Schweigen: »Ob wir hier zum erstenmal erfahren, wie die Mysterious ausgesehen haben, Dan?« Der Optimist in ihm kam wieder einmal zum Vorschein. »Erwarte nicht zuviel, Ren«, versuchte Riker den Freund zu warnen. »Wenn es sich um die Mysterious und ihr Aussehen handelte, sind wir noch immer enttäuscht worden.«
Damit hatte er eine Tatsache erwähnt. Nirgendwo hatten Terraner bisher eine Abbildung entdeckt, die einen der Geheimnisvollen darstellte. »Wie kriegen wir das Ding nach oben?« Dhark lachte kurz auf. »Kein Problem. Wir verwenden Duststrahlen. Das kostet uns eine halbe Stunde Arbeit, und wenn die Röhre breit genug ist, unterfliegen wir den Flash, packen ihn auf den Rücken unseres Beibootes und tragen ihn nach oben. Nur fangen dann die Schwierigkeiten an: Kannst du mir verraten, wie wir an das Ding herankommen sollen, wenn es nicht daran denkt, sein Intervallfeld abzuschalten?« »Gedankensteuerung«, platzte Riker heraus, um sofort einzuschränken, »wenn im Flash noch genug Energiereserven sind, um sie einsetzen zu können.« Sie benötigten achtzehn Minuten, um mit Duststrahlen einen weiten Tunnel durch den Felsen bis zur Oberfläche zu bohren. Der Orkan half ihnen dabei, einen Teil der amorphen Staubmassen aus der Röhre zu schaffen. Dann lag das Beiboot des zerstörten Ringschiffs auf dem Rücken der 022. Langsam ging es zur Oberfläche hinauf. Der Orkan konnte den beiden kleinen Raumschiffen nichts anhaben. »Versuchst du es?« drängte Riker seinen Freund, als der andere Flash dicht neben dem ihren lag. Drei Infrarotscheinwerfer waren auf den Flash gerichtet, der aller Wahrscheinlichkeit nach rund tausend Jahre verborgen in kompaktem Fels gesteckt hatte. Unwillkürlich mußte Ren Dhark an das gigantische Standbild denken, an das grandiose Denkmal für... ja, für wen eigentlich? Gewaltsam konzentrierte er sich auf die selbstgestellte Aufgabe. Er hatte seine Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als er sah, wie sturmgepeitschte Staubmassen auf der Unitallhülle des fremden Flash einschlugen. Das Intervall um ihn herum bestand nicht mehr! Die Gedankensteuerung hatte nicht versagt. Gleich würden sie erfahren, was dieser Blitz, der gewiß nicht grundlos versteckt worden war, in seinem Innern bewahrte. Aber hier im Freien waren diese Untersuchungen unmöglich anzustellen. »Dan, wir schaffen den Flash in die POINT OF!« Wenige Augenblicke später glitt der >Beuteflash<, nun wieder im Schutz seines Intervallfelds, getragen von der 022 durch die Unitallwandung. Und während kein Mensch im Ringraumer ahnte, mit welcher Beute sie von ihrer kleinen Expedition zurückgekommen waren, standen die beiden Männer vor ihrem Fund. »Wollen wir?« drängte Riker, der seine Ungeduld und Neugier kaum noch zügeln konnte. »Hm...« Sie schlossen ihre Klarsichthelme, die sofort halbstabil wurden. Automatisch schaltete sich ihr Helmfunk ein. Kurz, aber sorgfältig waren die Kontrollen an ihren Raumanzügen - eine Tätigkeit, die ihnen in Fleisch und Blut übergegangen war. »Hoffentlich erleben wir keine Überraschungen«, sagte der Commander und trat dicht an den fremden Flash heran.
7. Tim Ackers Kollegen konnten kaum erwarten, daß sich die Sperre zum TransmitterRaum wieder abschaltete. Andauernd sah irgend jemand auf sein Chrono. Die Zeit schien in dieser Stunde dahinzuschleichen. Überall verebbten die Gespräche. Man fand nichts mehr, über das es sich zu reden lohnte. Auch nicht über Tim Acker. Doch die Bewunderung für ihn stieg von Minute zu Minute.
Sie wußten schließlich nur zu gut, welches Risiko Acker eingegangen war. Daß er sich bisher kein einziges Mal über Vipho gemeldet hatte, trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Es war nicht ausgeschlossen, daß es grundsätzlich unmöglich war, aus dem gesperrten Transmitter-Raum einen Funkspruch abzustrahlen. Was wußte man denn über die technischen Mittel der Mysterious? Plötzlich und unerwartet wie immer, jedoch innerhalb des geschätzten Zeitrahmens, hob sich die lichtundurchlässige, energetische Sperre. Der Zutritt zum Transmitter-Raum war wieder frei. Doch der Raum war leer! Man brauchte nicht nach Tim Acker zu suchen. Hier gab es keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Er war verschwunden - und mit ihm alle Geräte, die er mitgenommen hatte. »Großer Himmel!« flüsterte ein Wissenschaftler und machte einen großen Bogen um die Transmitter-Antenne, die ihm plötzlich Furcht einflößte. »Keine Kameras mehr... Ackers Freßpaket ist auch verschwunden. Könnte er einen Selbstversuch unternommen haben?« Doch Acker hatte vor seinem Experiment ausdrücklich erklärt, dieses Risiko nicht eingehen zu wollen. Ratlos glitten die Blicke der Wissenschaftler über die fugenlosen Unitallwände. »Wir müssen Ackers Verschwinden nach Terra melden...« Jos Aachten van Haag wußte aus langjähriger Erfahrung, daß es nur Ärger bedeuten konnte, wenn er frühmorgens zu Bernd Eylers gerufen wurde. Entsprechend mißmutig war sein Gesichtsausdruck, als er das Büro des GSO-Chefs betrat. »Schön, daß Sie so schnell gekommen sind, Jos«, begrüßte Eylers ihn leutselig. »Möchten Sie einen Kaffee?« In Jos' Gehirn begann eine Alarmglocke zu schrillen. »Sie haben mich doch wohl kaum um diese Zeit aus dem Bett geworfen, um einen Kaffee mit mir zu trinken, Chef«, entgegnete er. Eylers lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Natürlich nicht«, sagte er, »aber Sie sehen so aus, als ob Ihnen ein Kaffee nicht schaden würde... Also?« Van Haag schüttelte den Kopf. »Keinen Kaffee, Chef. Erzählen Sie mir lieber, wo Sie der Schuh drückt.« Bernd Eylers wühlte in dem Folienstapel auf seinem Schreibtisch, fischte schließlich ein einzelnes Blatt heraus und schob es Jos zu. »Tim Acker ist aus dem Industriedom verschwunden. Er hat anscheinend einen Selbstversuch mit dem Transmitter durchgeführt. Ich möchte, daß Sie zusammen mit Manu Tschobe nach Hope fliegen und ein paar Nachforschungen anstellen.« Jos runzelte die Stirn. »Ist Tschobe denn nicht mit Dhark und der POINT OF unterwegs?« »Nein, Tschobe befindet sich auf Terra, im Forschungszentrum unter Alamo Gordo. Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Er ist praktisch abflugbereit. Sie beide können in einer halben Stunde an Bord der KOMET gehen und...« »Moment, Chef, nun mal langsam«. Jos setzte sich aufrecht hin. Plötzlich wirkte er hellwach. »Sie erzählen mir hier doch nur die halbe Geschichte... Ich meine, es mag vielleicht noch einen Sinn ergeben, daß Tschobe nach Hope fliegt, schließlich besitzt er nach dem Commander und Arc Doorn wahrscheinlich die größten Kenntnisse in Sachen Mysterious-Technik - aber ich? Was soll ich im Industriedom?« »Sie sollen auf Tschobe aufpassen!« Eylers' Stimme klang vollkommen ruhig. Jos Aachten van Haag zwinkerte mit den Augen. »Habe ich das gerade richtig verstanden? Manu Tschobe braucht ein Kindermädchen, und das soll ich sein?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe das Gefühl, Sie
haben mir bis jetzt noch nicht einmal ein Viertel der Geschichte erzählt!« Eylers seufzte. »Stimmt, van Haag. Aber...« Er stand auf, trat ans Fenster und blickte hinaus auf die beeindruckende Silhouette von Alamo Gordo. Die Spitzen und die gewaltigen Wohnkugeln der Stielbauten wurden von den ersten Sonnenstrahlen mit goldenem Glanz übergossen, während der Rest der Stadt noch im Grau der Morgendämmerung verschwamm. »Wir haben vor einigen Tagen Informationen erhalten, daß Manu Tschobe einem Attentat zum Opfer fallen soll«, begann der GSO-Chef plötzlich. Noch immer drehte er Jos den Rücken zu. »Unsere Informationen besagen weiterhin, daß dieses Attentat von... von zwei Cyborgs der letzten Serie durchgeführt werden soll!« Mit diesen Worten drehte er sich um und sah seinen Staragenten an. »Moment mal, Chef, das... das ist doch vollkommen unmöglich!« Jos war halb aufgesprungen. Eylers machte eine beruhigende Handbewegung. »Unmöglich ist ein Wort, daß wir allmählich aus unserem Sprachschatz streichen sollten«, sagte er. »Aber Sie haben natürlich recht, das Ganze klingt einfach unglaublich.« »Ich nehme an, Sie haben sich sofort mit Echri Ezbal in Verbindung gesetzt?« Eylers nickte. »Mit Ezbal, mit Trawisheim, mit Bulton... Sie wissen ja selbst, wie das läuft.« »Und?« »Ezbal hat genauso reagiert wie Sie... so heftig, wie ein abgeklärter Mann von seinem Format überhaupt reagieren kann«. Bei der Erinnerung an das Gespräch mit dem Leiter der Cyborg-Station huschte ein schwaches Lächeln über Eylers' Gesicht. »Natürlich hat er trotzdem sämtliche Testergebnisse der in Frage kommenden Cyborgs noch einmal überprüft. Er hat die Männer aus dem Einsatz zurückgerufen und weitere Tests durchgeführt...« »Und was ist dabei herausgekommen?« Selbst der sonst so abgeklärte Jos Aachten van Haag wirkte jetzt aufs Äußerste gespannt. »Nichts!« erklärte Eylers düster und ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. »Überhaupt nichts. Es gibt in den ganzen Testergebnissen nicht den geringsten Hinweis, der unsere Information, zwei Cyborgs der letzten Serie seien entartet, in irgendeiner Weise bestätigt...« Jos schwieg einen Moment. In seinem Kopf jagten sich die Gedanken. Er brauchte Eylers' nicht zu fragen, ob die Glaubwürdigkeit der Information überprüft worden war. Das gehörte zu den Standards der Geheimdienstarbeit. Und wenn Eylers die Information ernst nahm - was er anscheinend tat - und Ezbal mit seinen Tests nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, dann hatten sie tatsächlich ein Problem - ein verdammt ernstes Problem. »Ich ziehe Sie nur ungern von Ihren Nachforschungen die Gruppe Scholf betreffend ab, Jos, aber wenn jemand ein Auge auf Tschobe haben kann, dann Sie!« sagte der GSO-Chef unvermittelt. Er spielte damit auf jenes kleine Häuflein Robonen an, das der Aufforderung ihres Anführers Allon Sawall, die Erde zu verlassen, nicht gefolgt war, und noch immer mit gelegentlichen Sabotageaktionen für Unruhe sorgte. Auch wenn diese Dinge angesichts der Geschehnisse um das Nor-ex und die Landung des Doppelwulstraumers in den Hintergrund getreten waren, so wußten zumindest die Männer und Frauen der GSO, daß diese kleine Gruppe von Fanatikern eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellte. »Auf Hope müßte es zumindest leichter sein, Tschobe zu beschützen, als auf Terra«, fügte Eylers nach einer kurzen Pause hinzu. Jos lächelte dünn. »Ihr Vertrauen ehrt mich, Eylers - aber wir sind uns doch beide darüber im klaren, daß auch ich ganz schön alt aussehe, wenn sich wirklich zwei Cyborgs auf Tschobe stürzen sollten. Ich meine, ich bin kein Schwächling, aber...« »Das ist mir natürlich bewußt, Jos«, unterbrach ihn Eylers, »daher bekommen Sie für
die Dauer dieses Auftrags einen Partner zugeteilt, der Sie im Notfall unterstützen wird.« »Einen Partner?« echote Jos. Hinter ihm öffnete sich die Tür zu Eylers' Büro. Jos drehte sich um. Für einen Augenblick war er sprachlos, starrte nur abwechselnd auf seinen Chef und den Neuankömmling. »Das ist nicht Ihr Ernst, Eylers... das können Sie mir nicht zumuten«, brachte er schließlich hervor. »Und ob ich das kann, van Haag«, erwiderte Eylers. Dann wandte er sich an den Neuankömmling: »Na, komm schon rein, Jimmy!« Nachdem Jos Aachten van Haag und sein ungeliebter Partner Eylers' Büro verlassen hatten, um Manu Tschobe im Forschungszentrum abzuholen und sich anschließend zum Raumhafen zu begeben, trat der GSO-Chef wieder ans Fenster und sah hinaus. Friedlich und unschuldig lag Alamo Gordo im Sonnenlicht. Eylers sog den Anblick in sich auf, dann wischte er sich über die Augen und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Er hatte van Haag nicht gesagt, woher er die Information über die entarteten Cyborgs erhalten hatte. Das war nicht weiter ungewöhnlich, denn Agenten im Einsatz sollten gar nicht über alle Hintergründe Bescheid wissen, um im Falle einer Gefangennahme nicht unfreiwillig zu Verrätern zu werden. Und nach außen gab die GSO ihre Informationsquellen ohnehin niemals preis. Diesmal hätte Eylers allerdings auch niemandem sagen können, woher er die Information hatte. Er öffnete eine Schublade und betrachtete den Gegenstand, der darin lag: eine milchig weiße, von bläulichen Adern durchzogene Kugel aus einem unbekannten, kristallinen Material. Eylers nahm die Kugel in die Hand - und wieder überfiel ihn die mentale Botschaft mit voller Wucht! Der Mann, der sich Manu Tschobe nennt, befindet sich in höchster Gefahr. Zwei von denen, die erst vor kurzem in eurer Geheimstation im Himalaya zu Cyborgs gemacht wurden, sind entartet. Man hat sie umgedreht, und jetzt wollen sie Tschobe töten. Sie werden unter allen Umständen versuchen, ihren Auftrag auszuführen. Du, Bernd Eylers, mußt alles tun, um das zu verhindern - und je eher du herausfindest, was hinter dieser Sache steckt, desto besser für dich und die Menschheit... Es folgten noch ein paar weitere Angaben. Eylers blickte auf sein Chrono. Es wurde Zeit. Wenige Minuten später saß der GSO-Chef in seinem Spezial-Jett und flog Richtung Norden. Er hätte später nicht mehr sagen können, wie lange er geflogen war, und wo sich die kleine Lichtung befand, auf der er landete. Ein kleiner Mann mit zerknittertem Gesicht erwartete ihn, lässig gegen einen Schweber älterer Bauart gelehnt. Eylers trat zu dem Fremden und reichte ihm die Kugel. Wortlos nahm der Mann sie entgegen und blieb reglos stehen, bis Eylers wieder in seinen Jett gestiegen und gestartet war. Augenblicke später war er nur noch ein kleiner schwarzer Punkt am Horizont. Nachdenklich wog der kleine Mann die Kugel in seiner Hand. Für ihn blieb sie stumm; nur wenn Eylers sie berührte, sendete sie die ihr aufgeprägte Botschaft. »Ich hoffe, Marek weiß, was er tut«, murmelte der Mann, als er in seinen Schweber kletterte. Er startete das Fluggerät und lenkte es dorthin, wo nur wenige Kilometer entfernt sein Raumschiff im Schutz eines fast perfekten Anti-Ortungsschirms auf ihn wartete. Er erwartete keinerlei Probleme für den Rückflug, auch wenn Marek diesmal - im Gegensatz zu ihrem letzten Anflug auf Terra - nicht an Bord war. Aber dafür hätte es auch gar keinen Grund gegeben. Schließlich war es diesmal nicht nötig gewesen, Eylers hierher zu locken. Die Botschaft der Kugel hatte ihn geführt.
Ein Jett brachte Jos Aachten van Haag, Manu Tschobe und Jimmy zum Landeplatz der Sternschnuppe, mit der sie nach Hope fliegen sollten. Jos hatte Tschobe reinen Wein eingeschenkt - schließlich hatte er Jimmy‘s Anwesenheit erklären müssen. Der Afrikaner hatte zunächst ungläubig reagiert, war dann aber immer stiller geworden. Jetzt war er geradezu beängstigend still. »Das ist also die KOMET - dann kann Captain Future auch nicht weit sein«, flachste Jos in dem Versuch, die Stimmung zu heben. Tschobe warf ihm einen schrägen Blick zu, sagte jedoch keinen Ton. »Ich gehe davon aus, daß Captain Future uns in der Zentrale erwartet?« wandte sich Jos an den jungen Fähnrich, der neben einer der Teleskop-Landestützen stand. »Äh... der Captain der KOMET... heißt Newton, Sir«, stotterte der Fähnrich. »Sag' ich doch«, meinte Jos grinsend. Captain Newton entpuppte sich als schlanker, rothaariger Mann mit sehr hellblauen, überaus wachen Augen. »Irgend jemand im Flottenkommando muß über eine merkwürdige Art von Humor verfügen«, brummte Jos leise vor sich hin. Und dann mußte er sich zusammenreißen, um nicht laut loszuwiehern, als Newton den bulligen, zu kurz geratenen blassen Mann im Copiloten-Sessel als seinen ersten Offizier, Leutnant Otto, vorstellte. Vor sich hinglucksend verließ Jos überstürzt die Zentrale, verfolgt von den mißbilligenden Blicken Tschobes. »Was hat Ihr Kollege denn?« fragte Captain Newton arglos. »Er ist Geheimdienstler«, erwiderte Tschobe als wäre damit alles gesagt. »Ich nehme an, Sie werden mir Ihren seltsamen Auftritt von gerade eben erklären«, forderte Manu Tschobe Jos ungehalten auf. Der GSO-Agent zuckte die Schultern. »Sehen Sie sich gelegentlich Bildkonserven aus dem 20. Jahrhundert an, Tschobe? Ich meine Filme, auch Animationsfilme...« Tschobes Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Ah, ja, verstehe... Wahrscheinlich kennen Sie dann auch keine Meisterwerke der Populärliteratur aus dieser Epoche...« Tschobes Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Ist auch egal«, meinte Jos leichthin, »nur - wenn Sie Captain Futures Abenteuer nicht kennen, macht es auch keinen Sinn, Ihnen irgend etwas zu erklären... Es ist wirklich nicht wichtig.« Schlagartig kehrte Tschobes düstere Stimmung zurück. »Sind Sie eigentlich sicher, daß sich zur Zeit keine Cyborgs aus der fraglichen Serie auf Hope befinden?« »Das hat die GSO überprüft«, erwiderte Jos. Und hoffentlich haben unsere Jungs so zuverlässig wie immer gearbeitet, fügte er in Gedanken hinzu. Langsam öffnete Ren Dhark den Einstieg des fremden Flash. »Leer...« sagte er. Es klang enttäuscht. »Beide Sitze sind leer.« Für einen kurzen Augenblick hatte er wirklich gehofft, in dem kleinen Beiboot mumifizierte Mysterious vorzufinden - tote Angehörige jener geheimnisvollen Rasse, die nicht nur die POINT OF erbaut hatte, sondern nach den Überlieferungen der Utaren einmal gleich Sklavenhaltern die Galaxis beherrscht haben sollte. Grakos hatten die Utaren sie genannt. Ein Name, der hart klang, der voller Haß war. Grakos! Als Dhark durch Major Neep zum erstenmal davon gehört hatte, hatte sich alles in ihm gegen diese Vorstellung gesträubt. Das Bild, das er sich von den Mysterious gemacht hatte, stimmte ganz und gar nicht mit dem aus den Überlieferungen der Utaren überein. Es konnte nicht - nein, es durfte nicht sein! Ren Dhark beugte sich so weit vor, daß er den Innenraum vollständig überblicken
konnte. Der Flash war nicht ganz leer. Auf dem Boden, vor dem engen Sitz, lag das im Goldton schimmernde Emblem einer Spiralgalaxis! Es glich jenem Emblem, das er zum erstenmal an einem Gebäude der toten Stadt auf dem Inselkontinent Deluge entdeckt hatte. Später hatten er und seine Freunde ein zweites Emblem in einer der Höhlen unter der Decke rotieren sehen. Das alles gab es längst nicht mehr... Die Spirale schimmerte in einem warmen Goldton - galt dies nicht auch für die riesige Plastik? Neben Ren Dhark zuckte Dan Riker zusammen. »Ren! Ren!« rief er, im höchsten Maße überrascht, und griff blitzschnell in den Flash. Und dann hielt er in beiden Händen einen Stapel Folien aus einem unbekannten Material. »Ren... Sternkarten!« Es mußten Sternkarten sein! Was sonst sollten die vielen kleinen und kleinsten Punkte darstellen, von denen außerdem einige Trabanten besaßen? »Große Galaxis, Ren! Sieh dir das an!« Riker hielt nur noch eine Karte in der Hand, die anderen hatte er zur Seite gelegt. Sein Zeigefinger deutete auf ein klar erkennbares Zeichen: das Symbol einer Spiralgalaxis, das in der linken unteren Ecke im Goldton schimmerte. »Ja«, kam es schwer über Dharks Lippen. Er glaubte jetzt zu wissen, warum die Besatzung des zerstörten Ringraumers diesen Flash versteckt hatte. Wahrscheinlich hatten sie vor der Vernichtung ihres Schiffes noch einen Notruf abgestrahlt. Vielleicht hatten sie noch auf Entsatz gehofft und darum alles getan, um zu verhindern, daß dem Gegner ihre Sternkarten in die Hände fielen. Aber warum hatten sie auch jenes Emblem in den Flash gepackt? Wortlos gab Ren seinem Freund die Folie wieder zurück. Nun griff auch er ins Innere des Beiboots und hielt Augenblicke später das Emblem in der Hand, das jenem glich, das sich - fest mit dem Boden verbunden - auch im Sockelraum der Statue befand. Dan Riker war nicht fähig, ein Wort zu sagen. Sein Blick pendelte zwischen dem kaum zwanzig Zentimeter langen Symbol und dem Gesicht seines Freundes hin und her. War das, was Ren Dhark hier in den Händen hielt, für die Mysterious womöglich so etwas wie ein heiliges Zeichen gewesen? Etwas Weihevolles schien von dem golden schimmernden Symbol auszugehen, das Dan Riker jetzt probeweise selbst in die Hand nahm. »Das wiegt noch nicht einmal ein Kilo!« Die profane Feststellung erschien Ren Dhark merkwürdig unpassend. Er nahm Riker das Emblem wieder ab, drehte es um und entdeckte, daß die Rückseite nicht nur ein anderes Aussehen hatte, sondern die Galaxis auch in einer anderen Form zeigte. »Hast du etwas?« fragte Riker, dem die Veränderung von Dharks Gesichtsausdruck nicht entgangen war. »Ach... nichts...« Plötzlich wollte Dhark seine Gedanken nicht mehr preisgeben; nicht weil er glaubte, etwas Unsinniges gedacht zu haben, sondern weil sich seine Gedanken in utopischen Bahnen bewegt hatten. Schnell fügte er hinzu: »Wir sollten uns die Sternkarten einmal genauer ansehen. Wenn wir Glück haben, können unsere Astronomen vielleicht herausfinden, aus welchem System der zerstörte Raumer gekommen ist. Oder gibt es einen anderen Grund, Sternkarten vor einem Gegner zu verstecken?« Sie streiften die Raumanzüge ab und verließen mit ihren Funden das Flash-Depot, um die astronomische Abteilung aufzusuchen.
Erstaunt sah Jens Lionel den Commander und den Chef der Flotte seine Abteilung betreten. Er glaubte an einen Routinebesuch und achtete nicht darauf, was sie in den Händen trugen. »Wollen Sie uns einen kleinen Gefallen tun, Lionel, und sich diese Sternkarten einmal ansehen?« Dan Rikers Frage klang völlig harmlos. Das Wort Sternkarte elektrisierte den Astronomen. Seine Augen verengten sich, als er die erste Karte zwischen den Fingern hin und her drehte. Der Blick, den er seinen Besuchern zuwarf, war forschend, doch er sagte nichts. Lionel zwang sich, zur Bildprojektion zu gehen und nicht zu laufen. Dann erschien mitten im Raum die erste Wiedergabe der Sternkarte, die eine unbekannte Rasse angefertigt hatte. Doch was war auf der Projektion zu sehen? Keineswegs unzählige kleine und kleinste Punkte - sondern die Zeichen einer unbekannten, ineinanderfließenden Schrift! Um das Hundertfache vergrößert standen sie vor den fassungslosen Männern. »Eine Sternkarte soll das sein?« Lionels Frage hing im Raum. Ren Dhark schüttelte leicht den Kopf. Er konnte nicht verstehen, wieso sie diese unbekannte Schrift sahen, wo die Folie doch etwas ganz anderes zeigte: Sternkonstellationen. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. »Lionel, drehen sie die Folie einmal herum. Vielleicht besitzt sie Zwei-WegCharakter, und die Schrift ist nur eine Erklärung zu dem Bereich, den die Karte zeigt.« »Von mir aus... warum nicht?« murmelte der Astronom, der sich von diesem Versuch nicht viel versprach. Die Wiedergabe verschwand, die Folie wurde gedreht, und dann stand die Projektion erneut. Jetzt sahen sie Sternbilder, Kugelhaufen, Dunkelwolken, und sie sahen viele Sonnen mit ihren Trabanten. Lionel schnaufte vor Überraschung. »Kenn' ich nicht. Vollkommen unbekannte Region...« Das war die erste Enttäuschung, die ihnen der Astronom bereitete. Die nächsten kamen Schlag auf Schlag, bei der Durchsicht der anderen Karten. Jens Lionel wurde allmählich ungehalten, weil er keinen einzigen Bereich lokalisieren konnte. »Commander, ich gebe es auf. Aber wenn wir in den letzten zwölf Monaten mehr Zeit darauf verwendet hätten, unsere Milchstraße kartographisch zu erfassen, dann könnte ich Ihnen jetzt bestimmt zumindest in einem Fall sagen, welchen Bereich die Karte zeigt.« Dieses Argument war Ren Dhark nicht neu. Immer wieder hatten ihm die Astronomen in den Ohren gelegen, mehr Schiffe für eine derartige Aufgabe abzustellen. Aber die Umstände hatten es einfach nicht zugelassen. Dan Riker mischte sich ein. »Lionel, jetzt schnappen sie bloß nicht ein. Wir befinden uns doch hier in einer bislang nicht kartographisch erfaßten Region. Aber in den letzten Tagen haben Sie Sternenkarten von unserer Umgebung erstellt. Warum vergleichen Sie die nicht mit diesen hier?« Jens Lionel schnappte doch ein. »Da Sie es anscheinend nicht für erforderlich halten, mir freiwillig zu sagen, woher die Karten stammen, möchte ich Sie eines fragen: Wo und wie sind Sie an diese Folien gekommen?« Dan Riker grinste. »Gefunden, in einem Flash, der über vierzig Meter tief in kompaktem Fels steckte - seit rund tausend Jahren! Und der aus dem zerstörten
Ringschiff stammt. Das nehmen wir zumindest an. Und wenn...« Jens Lionel explodierte! Er brüllte die beiden Männer an, die vor ihm standen, und es war ihm gleichgültig, daß es sich dabei um den Commander der Planeten und den Chef der Terranischen Rotte handelte. »Das ist doch... also das ist wirklich prächtig! Und verdammt unfair! Das hätte ich von Ihnen, meine Herren, nie erwartet! Ja, zum Donnerwetter, das ändert doch den Fall! Das macht ihn zu einer einmaligen Sensation!« Für Sensationen hatte Dhark noch nie viel übrig gehabt. »Machen Sie lieber einen Erfolg daraus, Lionel. Spannen Sie Ihre Kollegen ein. Denken Sie daran, daß vielleicht Sie es sind, der das Heimatsystem der Mysterious auf einer dieser Karten findet.« So blitzartig der Astronom an die Decke gegangen war, so schnell wurde er wieder ruhiger. »Wir werden alles versuchen, Commander. Hoffentlich können wir Ihnen bald einen Erfolg melden. Aber was haben Sie denn da in der Hand?« Ren Dhark zeigte ihm das Emblem. Der Astronom wußte natürlich von den Geschehnissen im Höhlensystem Deluges. Nie war die Frage geklärt worden, ob diese Wiedergabe die heimatliche Milchstraße darstellte, oder ob es sich um eine andere Spiralgalaxis handelte - oder nur um ein Symbol. Lionel betrachtete den Fund, studierte Ober- und Unterseite und bemerkte ebenfalls, wie stark sich beide Seiten unterschieden. »Ihr Aussehen gleicht dem Emblem im Sockelraum... zumindest von dieser Seite betrachtet. Und wie leicht es ist, Commander...« Dhark nickte. Dann merkte er auf. Lionel schüttelte den Kopf. Zunächst zögernd, dann immer bestimmter. »Ich könnte schwören, kein Abbild unserer Milchstraße in der Hand zu haben. Auf dieser Seite, auf der unser Sonnensystem liegt, fehlen nach meiner Kenntnis drei oder vier Spiralarme; sie sind noch nicht einmal angedeutet Und wenn ich mir die Unterseite ansehe, Commander... so dick ist unsere Galaxis nicht. Diese hier - wenn es sich denn um die Darstellung einer real existierenden Galaxis handelt - besitzt fünfhundert Millionen bis eine Milliarde Sonnen mehr als unsere... Haben Sie auch schon die kleinen Erhebungen an den Spiralen bemerkt?« Er strich weich mit den Fingerkuppen darüber und machte durch diese Bewegung deutlich, was er gemeint hatte. »Nein. Zeigen Sie mal«, bat Ren Dhark. Und ebenso weich ließ er nun seine Fingerspitzen darüber gleiten. Nach ihm war Dan Riker an der Reihe. »Was Sie schon wieder bemerkt haben wollen, Lionel...?« stellte er beinahe vorwurfsvoll fest. Der Astronom ließ sich nicht verunsichern. Er nahm das Emblem wieder in die Hand, hielt es hochkant, tastete vorsichtig das Ende eines kaum angedeuteten Spiralarms ab, bewegte den Finger an einer bestimmten Stelle nicht mehr und sagte einfach: »Hier!« Dhark legte seine Hand auf die des Astronomen, der langsam seinen Finger zurückzog. Erwartungsvoll blickte Lionel den Commander an. Und tatsächlich fühlte Dhark eine kleine, markante Erhebung. Hatte er sie nicht gerade ganz leicht verschoben? Er war sich seiner Sache nicht sicher. Er versuchte, die vermutete Bewegung rückgängig zu machen, doch sie gab auch nicht um den Bruchteil eines Millimeters nach. Schulterzuckend, nachdem auch Riker den winzigen Vorsprung ertastet hatte, nahm Dhark das fremdartige Gebilde wieder an sich und meinte dann: »Wir lassen sie jetzt am besten mit Ihrer Arbeit allein, Lionel. Sie können Riker und mich jederzeit in
unseren Kabinen erreichen. Wir wollen endlich einmal wieder eine Handvoll Schlaf nehmen. Gute Nacht.« Draußen heulte der Hurrikan über Mirac; auf der Rückfront seines rotierenden Zentrums brachte er unvorstellbare Wassermassen mit, die jetzt gleich Sturzbächen zu Boden prasselten. Die Menschen in der POINT OF bemerkten nichts davon. Problemlos widerstand das Flaggschiff der TF den Gewalten, die tonnenschwere Felsblöcke in die Höhe rissen und sie viele Meter weit davonschleuderten. Ren Dhark mußte wieder an den zerstörten Ringraumer denken, der nicht weit von seinem Schiff entfernt lag. Selbst Dan Riker ahnte nicht, wie stark ihn der Anblick des Wracks erschüttert hatte. Sein Glaube, die POINT OF sei praktisch unzerstörbar, war beim Anblick des Wracks erheblich ins Wanken geraten. Vor rund tausend Jahren mußte es in der Milchstraße eine Rasse gegeben haben, die den Geheimnisvollen auf technischem Gebiet zumindest gleichwertig gewesen war. Eine Rasse, die selbst mit dem unvorstellbar widerstandsfähigen Unitall fertig geworden war. Kurz bevor sie ihre Kabinen errreichten, sprach die Bordverständigung an. Walt Brugg, der in der Funk-Z Sitzwache hatte, suchte per dringendem Rundruf den Commander. »Commander... ich empfange einen Ruf auf einer Hyperfrequenz, die normalerweise nie benutzt wird. Einen Dauerruf. Kommen Sie bitte. Kommen Sie schnell!« Man konnte Brugg ansehen, wie verwirrt und erregt er war. Sein Gesicht war rot, und seine Augen flackerten. »Commander, hören Sie sich das an!« Im gleichen Moment hatte er umgeschaltet und übertrug mittels der Bordverständigung die Sendung, die ihn in solche Aufregung versetzt hatte. Ren Dhark und Dan Riker hörten einen Dauerruf! Sie hörten eine tiefe Stimme, die in einer Sprache, in der es keine Kehllaute zu geben schien, ununterbrochen einen einzigen Satz wiederholte. Sie hörten einen Ruf, den jeder verstand, auch wenn er diese Sprache nicht kannte. Ein intelligentes Wesen rief um Hilfe; es rief um Hilfe in höchster Not! »Komm!« stieß Dhark aus, als sie den Satz etwa zehnmal gehört hatten. Und dann rannten die beiden mächtigsten Männer Terras auf die Funk-Z der POINT OF zu.
8. Die KOMET war auf dem Inselkontinent Deluge auf Hope gelandet. Jos Aachten van Haag, Manu Tschobe und Jimmy hatten die Sternschnuppe verlassen und über die A-Grav-Röhre die ehemalige Ringraumerhöhle erreicht. Pan-The, ein schweigsamer Tibetaner, der sich erst in Höhen von mehr als viertausend Metern körperlich richtig wohl fühlte, empfing sie. »Wo befindet sich das Team, zu dem Tim Acker gehört hat, Pan-The?« fragte der GSO-Mann. »Im Industriedom, van Haag. Sie benutzen am besten eine Schwebeplatte, um dorthin zu kommen.« Tschobe lächelte. Der Tibetaner hatte wohl vergessen, daß er zu Ren Dharks Gruppe gehört hatte, als diese unterirdische Anlage der Mysterious entdeckt worden war, er sich also darin hervorragend auskannte. Schnell erreichten sie ihr Ziel. Die viereckige Höhle, die eine Ausdehnung von dreißig mal dreißig Kilometern besaß und neunhundert Meter hoch war, empfing sie mit ihrem saphirblauem Licht. Mit grau schimmerndem Metall verkleidete Mammutaggregate, die fast alle bis zur Decke reichten, bildeten Maschinenstraßen, die sich im Zentrum der Anlage sternförmig auf einem kreisrunden Platz trafen.
Tschobe landete die Schwebeplatte weich vor den geöffneten Toren des Raums mit dem Großtransmitter. Während Jimmy auf der Platte hocken blieb, traten die beiden Männer zu den wartenden Wissenschaftlern und Technikern. Deren Bericht enthielt nicht viel Neues. Tim Acker war und blieb verschwunden. Jos hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Unter den Transmitter-Experten hatte er zwei Männer entdeckt, die ihm vage bekannt vorkamen. In Gedanken verglich er sie mit 3D-Fotos in den Dossiers über die neu erschaffenen Cyborgs, die ihm in regelmäßigen Abständen zugingen. Ja, die beiden müssen Cyborgs einer relativ neuen Serie sein. Aber ist einer von ihnen ein entarteter Cyborg? fragte er sich und beschloß, schleunigst auf Terra nachzufragen Unwillkürlich drehte er sich nach Jimmy um. Der Scotchterrier saß bewegungslos auf der Schwebeplatte und betrachtete gelangweilt die Männer. Vielleicht dachte sein Programmgehirn in diesem Augenblick darüber nach, warum es im Höhlensystem nur Männer gab und weshalb Terra nicht auch das Milliardenheer der Frauen zur Lösung seiner Probleme an exponierten Punkten einsetzte. Jimmys gelangweilte Haltung beruhigte den GSO-Mann, doch als er hörte, was Manu Tschobe gerade vorschlug, sträubten sich ihm die Haare. »...und darum muß ich Tim Ackers Versuch wiederholen. Wir können den Professor doch nicht irgendwo sitzen und bis zum Jüngsten Tag auf uns warten lassen.« Jos legte dem Arzt und Funkspezialisten begütigend die Hand auf die Schulter. »Das halte ich für keine besonders gute Idee, Tschobe; das sollten Sie sich noch einmal überlegen!« Der grinste, sah aber dabei an dem GSO-Mann vorbei, wie es seine Art war. »Ich hatte Zeit genug, mir meine Vorgehensweise zu überlegen, mein Lieber. Und ich bin zu dem einzig logischen Schluß gekommen: Ich muß Ackers Versuch wiederholen! In einer Stunde, wenn die energetische Sperre wieder auftritt, wird es soweit sein.« »Sie wissen, daß ich nicht nur zum Spaß hier bin, Tschobe«, versuchte Jos es noch einmal. Er trat ganz dicht an den Afrikaner heran und senkte die Stimme. »Verdammt, reicht es nicht, daß ich Sie vor irgendwelchen entarteten Cyborgs beschützen soll - muß ich Sie jetzt auch noch vor sich selbst beschützen?!« Unwillig schüttelte Manu Tschobe die Hand des GSO-Mannes ab. »Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen, van Haag. Außerdem haben Sie wohl nicht richtig zugehört. Ich werde den Versuch naturlich nicht allein riskieren, sondern Jimmy mitnehmen. Schließlich bin ich kein Selbstmörder. Und noch etwas«, seine Stimme wurde lauter. »Glauben Sie etwa, Dhark würde anders handeln, wenn er an meiner Stelle wäre? Wir können doch den Professor nicht einfach im Stich lassen.« Langsam aber sicher wurde Jos Aachten van Haag die Sache zu dumm. »Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Tschobe! Acker muß durch den Transmitter verschwunden sein - wohin, das weiß kein Mensch. Wir wissen nichts über die Umweltverhältnisse an jenem Ort, an dem die Gegenstation steht. Vielleicht ist Acker längst tot... erstickt, verglüht, was weiß ich! Also, seien Sie vernünftig, Tschobe.« Aus der Gruppe der Experten erhielt der GSO-Mann Schützenhilfe. Warnend riet man von einem zweiten Versuch ab. »Wir haben bisher noch nicht entdeckt, ob die Transmitter-Anlage auch umzuschalten ist. Vielleicht arbeitet sie nur in eine Richtung!« »Tim Acker ist niemals freiwillig durch die Antenne gegangen. Nie! Acker war kein leichtsinniger Abenteurer!« Das war die Stimme eines anderen Wissenschaftlers. Manu Tschobes Augen begannen zu glühen. Er war wütend, wütend über diese Männer, die kein Risiko eingehen wollten. Schneidend scharf war seine Stimme, als er erklärte: »Meine Herren, wenn wir als
Kolonisten auf Hope immer so gehandelt hätten, dann wären Ren Dhark und seine Gruppe aus diesem Bergmassiv niemals lebend herausgekommen, und Roccos Rollkommando hätte uns eine wunderschöne Himmelfahrt bereitet! Es ehrt Sie, daß Sie versucht haben, mich von meinem Plan abzubringen, aber nun haben Sie auch zu akzeptieren, daß ich mich nicht abbringen lasse! Wann ist wieder mit dem Auftauchen der energetischen Sperre zu rechnen?« Jos zupfte ihn am Ärmel. Verärgert drehte sich Tschobe um. Er ließ den GSO-Mann nicht zu Wort kommen. »Jos, für Sie gilt das gleiche! Rufen Sie meinetwegen Terra und konferieren Sie mit Trawisheim oder Eylers. Na los, warum zögern Sie noch?« »Weil es vielleicht gar nicht erforderlich ist. Seien Sie doch nicht so ein Dickschädel, Tschobe. Bedenken Sie, daß Jimmy Chris Shantons privates Eigentum ist. Sie können nicht einfach so über das Eigentum anderer verfügen. Also - Jimmy bleibt hier, und demnach können Sie Ihr leichtsinniges Experiment auch nicht durchführen!« Tschobe starrte seinen Begleiter durchdringend an. Dann zuckte er plötzlich die Schultern und sagte wesentlich ruhiger: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, van Haag. Wir lassen Jimmy selbst entscheiden. Wenn er mich auf meinen Befehl in den Transmitter-Raum begleitet, werde ich den Versuch wagen - wenn nicht, haben Sie gewonnen und ich bleibe hier.« Der Afrikaner grinste tatsächlich schon wieder. Jos dachte einige Augenblicke fieberhaft nach, aber er fand keinen triftigen Grund, Tschobes Vorschlag abzulehnen. Schließlich nickte er zustimmend. Tschobe rief dem Robot-Hund, der ihrer Auseinandersetzung aufmerksam gefolgt zu sein schien, einen Befehl zu - und Jimmy sauste mit weiten Sprüngen in den Transmitter-Raum. »Na?« fragte Tschobe und rieb sich voller Genugtuung die Hände. Jetzt war Jos an der Reihe. Er rief den Robot-Hund zurück - doch der reagierte nicht. Und schlagartig begriff Jos, welche Kleinigkeit er übersehen hatte: Jimmy mochte zwar sein >Partner< sein, aber vor allem war er Manu Tschobes Bewacher - und somit hatten die Befehle des Afrikaners momentan oberste Prorität. »Jimmy!« rief der Afrikaner die Robotkonstruktion. Brav kam der Scotchterrier herangetrottet. Tschobe lächelte triumphierend. »Damit wäre diese Angelegenheit wohl endlich geklärt«, sagte er an die Adresse von Jos. Der GSO-Mann war wütend. Allerdings in erster Linie auf sich selbst, daß er sich so leicht von Tschobe hatte übertölpeln lassen. Er erwog ganz kurz, den Afrikaner mit Waffengewalt aufzuhalten, entschied sich jedoch dagegen. Wenn die Sache schiefging, würde er sich eben vor Eylers verantworten müssen. Er nickte. »Na, Jimmy, dann wollen wir mal...« sagte Tschobe leise. Niemand hielt sie zurück, als sie den Transmitter-Raum betraten, in dem Tim Acker spurlos verschwunden war. Würden auch sie darin auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Echri Ezbal war nur selten in Alamo Gordo anzutreffen. In der Cyborg-Station im Brana-Tal fühlte er sich weit wohler. Im Augenblick saß er Henner Trawisheim gegenüber. Ezbal, der bedeutendste Genetiker und Biochemiker der Erde, hatte schon um 2000 einen guten Namen gehabt, doch von den meisten Kollegen war er wegen seiner ungewöhnlichen Versuche und unkonventionellen Denkansätze nicht ernst genommen worden. Für viele hatte er mehr als dreißig Jahre lang als verschollen gegolten; nur wenige hatten gewußt, daß er sich im Himalayagebiet aufgehalten hatte und in aller Weltabgeschiedenheit zum Virusforscher par excellence geworden war. Terra hatte diesem Mann den cybernetic organism zu verdanken.
Im Brana-Tal war die größte und modernste medizinische Station aufgebaut worden, um diesen Cyborg zu entwickeln. Nachdem Holger Alsop, Bram Sass und Lati Oshuta ihre Feuertaufe bestanden hatten - ohne Sass und Oshuta wäre die Entführung von Dhark und Riker durch die Robonen wohl kaum so glimpflich abgelaufen -, hatten die Wissenschaftler im Himalaya grünes Licht erhalten. Alles schien normal zu verlaufen; jede neue Generation, die aus zwölf ausgesuchten Männern bestand, war gegenüber der letzten verbessert worden. Und noch immer schien kein Ende der Entwicklung absehbar. Und jetzt sollte es zu einer Panne gekommen sein! Einer rätselhaften, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus unerklärlichen Panne, die es einfach nicht geben durfte! Zwei Cyborgs aus der letzten Serie sollten entartet sein! Zwei Cyborgs, die alle Tests im Brana-Tal ohne Auffälligkeiten oder gar Beanstandungen durchlaufen hatten, sollten zu Verbrechern werden, wenn sie auf ihr zweites System schalteten. Zumindest war das die Kernaussage der Botschaft, die Bernd Eylers, dem Chef der Galaktischen Sicherheitsorganisation, zugespielt worden war! Bernd Eylers, der Mann mit dem Alltagsgesicht, das man so schnell wieder vergaß, saß am Fenster und hörte aufmerksam zu. Er wirkte keineswegs wie der Chef eines mächtigen Geheimdienstes, doch hinter seinem unscheinbaren Äußeren verbarg sich eine dynamische Persönlichkeit, die die GSO zu einem fast perfekten Instrument geformt hatte. Echri Ezbal wirkte müde. Seine blauen Augen schienen in die Ferne zu blicken, die Wände des Arbeitszimmers zu durchdringen. Aber dieser Eindruck täuschte. Er war höchst konzentriert. Auch Henner Trawisheim war als Cyborg auf geistiger Basis sein Produkt. Der einzige seiner Art! Ob es jemals einen zweiten Menschen mit diesen Fähigkeiten geben würde, stand in den Sternen. Bis heute hatte sich der greise Experte geweigert, das Verfahren mit einem weiteren Menschen durchzuführen, weil er erkannt hatte, welche unwägbaren Gefahren dadurch heraufbeschworen werden konnten. »Ezbal, sie müssen die beiden entarteten Cyborgs finden! Sie und Ihre Mitarbeiter! Nur Sie können es. Es muß doch einen Weg geben, sie aus der Serie herauszufischen.« Der Nachdruck in Trawisheims Stimme spiegelte den Ernst der Situation. »Sie haben den richtigen Ausdruck gewählt, Trawisheim: herausfischen! Das ist, als würde man mit verbundenen Augen nach einem bestimmten Gegenstand tasten. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Mein Kommen war umsonst. Ich hatte es Ihnen bereits über Vipho mitgeteilt: Wir verfügen über keine Methode, die Entarteten zu finden, solange wir nicht mehr exakte Anhaltspunkte haben.« Er sah zu Eylers hinüber, als erwarte er vom Chef der GSO Hilfe. Eylers, der links eine Unterarmprothese trug, obwohl er sich im Brana-Tal dieses verlorene Glied längst hätte nachwachsen lassen können, zuckte mit den Schultern. »Was wir in Erfahrung bringen konnten, Ezbal, haben wir Ihnen vorgelegt. Niemand kann sich erklären, warum diese beiden Entarteten sich gerade Manu Tschobe als Opfer ausgesucht haben. Wir wissen über das Leben der Männer aus der letzten Serie besser Bescheid als jeder von ihnen selbst. Wir haben ihre Vergangenheit mit einer Akribie überprüft wie bei kaum einem anderen Menschen zuvor. Wir haben jede noch so kleine Schwäche zusätzlich gesondert analysiert. Das Resultat all dieser Nachforschungen kennen Sie. Jeder einzelne von ihnen ist ein charakterfester, verantwortungsbewußter Mann, dem ich mein Leben anvertrauen würde. Aber, war-
um zum Teufel, können zwei davon zu den gefährlichsten Verbrechern werden, die die Menschheit jemals hervorgebracht hat, wenn sie auf ihr zweites System umschalten! Das muß sich doch herausfinden lassen, Ezbal! Der Fehler muß im Brana-Tal begangen worden sein. Ich begreife nicht, warum Sie das nicht einsehen wollen - warum Sie sich gegen diese Tatsache immer noch sträuben!« »Beweisen Sie mir, daß Ihre Behauptung wirklich eine Tatsache ist, Eylers!« Echri Ezbal war über hundert Jahre alt, aber noch lange kein alter Mann. Sein Augen strahlten in jugendlichem Feuer, und sein gepflegter schneeweißer Bart war alles andere als ein Zeichen seines Alters. »Wir bewegen uns im Kreis...« erwiderte Eylers lustlos. »Nein, das tun wir nicht!« mischte Henner Trawisheim sich ein. »Ezbals Forderungen, daß Sie Ihre Behauptungen beweisen sollen, sind begründet. Daß er sich gegen die Unterstellung wehrt, den Fehler bei der Entwicklung begangen zu haben, ist logisch. Sie haben in Ihren Persönlichkeitsbewertungen der Männer aus der letzten Serie einen Unsicherheitsfaktor von 0,06 Prozent, beziehungsweise von 0,08 Prozent gefunden; bei allen! Ich kenne die Suprasensor-Auswertungen. Aber dürfen wir uns in diesem Fall absolut auf die Suprasensoren verlassen?« Eylers hob beide Hände; es war eine Geste, die Hilflosigkeit ausdrückte. »Der GSO soll wieder der schwarze Peter zugeschoben werden, aber wir können ihn nicht annehmen, Trawisheim. Wir haben alles getan, was wir tun konnten. Nun ist Ezbal am Zug.« »Nein, sondern immer noch Sie und Ihre GSO, Eylers. Sie haben über Kanäle, die uns anderen unbekannt geblieben sind, Informationen über zwei Cyborgs erhalten, die angeblich Manu Tschobe ermorden wollen. Was mir daran nicht gefällt, Eylers: Der verbrecherische Trieb, Tschobe umzubringen, kommt mir so entartet menschlich vor. Er hat Leben! Verstehen Sie mich! Er hat meinem Gefühl nach ganz und gar nichts mit der eiskalten Logik eines Programm-Gehirns zu tun; vielmehr mit einem menschlichen Gehirn, das so raffiniert ist, seine verbrecherischen Neigungen auch in den extremsten Tests zu verbergen.« Eylers setzte zu einer Erwiderung an, als das Vipho auf Trawisheims Schreibtisch sich meldete. Echri Ezbal und Bernd Eylers hörten mit. Die Hyperfunkstation in Cent Field empfing seit einigen Minuten auf einer normalerweise absolut ungebräuchlichen Frequenz einen Dauerruf in einer unbekannten Sprache. Trawisheim, Ezbal und Eylers lauschten der Wiedergabe. Die baßtiefen Laute einer unbekannten Sprache erklangen. Sie verstanden den Satz nicht, der immer wieder wiederholt wurde, aber sie verstanden seinen Sinn. Es war ein Hilferuf in höchster Not! Plötzlich war die Stimme eines Offiziers aus der Hyperfunkstation zu hören. »Wir haben den Ruf durch den größten Suprasensor laufen lassen. Resultat negativ. Diese Sprache ist noch nie aufgenommen worden.« »Aus welcher Richtung kommt der Ruf?« unterbrach Trawisheim den Offizier. Der Gefragte räusperte sich verlegen. »Wir können es noch nicht sagen. Wir fangen ihn aus sieben verschiedenen Richtungen auf. Als ob sieben gigantische Sender, die quer über die Galaxis verteilt sind, diesen Notruf synchron abstrahlten. Aber auch die genauen Koordinaten der sieben Stationen sind nicht zu erfassen... als ob sie sich im Hyperspace befänden und daraus sendeten. Wir haben so etwas noch nie beobachtet.« Der Vipho-Schirm wurde wieder grau. Die Verbindung bestand nicht mehr. Sofort kam Trawisheim zum Thema zurück. Der unbekannte Dauerruf schien ihn nicht weiter zu interessieren.
»Eylers, ich schlage vor, alle Cyborgs der letzten Serie in Schutzhaft zu nehmen, und empfehle, den Männern zu sagen, warum sie von der GSO festgenommen werden.« Verärgert lachte der Chef der Galaktischen Sicherheitsorganisation auf. »Wie Sie wünschen, Trawisheim. Wie Sie wü...« Das Vipho unterbrach sie schon wieder. Eine wichtige Nachricht aus dem ColSystem, vom Planeten Hope. Pan-The, der Tibetaner, meldete lakonisch: »Manu Tschobe hat entgegen den Warnungen von Jos Aachten van Haag den Versuch von Tim Acker wiederholt. Zusammen mit dem Robot-Hund Jimmy ist er im Transmitter-Raum verschwunden. Die Experten haben von beiden ebensowenig eine Spur feststellen können wie vorher von Professor Acker.« Echri Ezbal konnte diese Nachricht nicht glauben. Er wollte sie nicht glauben. »Das sieht ihm ähnlich«, knurrte Bernd Eylers vom Fenster her. »Er mußte ja einmal auf die Nase fallen. Aber, großer Himmel, wenn Dhark davon hört...« Sie verstanden sich. Manu Tschobe gehörte zum engsten Kreis um den Commander. Dhark würde alles daran setzen, eine Spur des Afrikaners zu finden. »Hoffentlich taucht er so schnell nicht wieder auf...« Das war kein frommer Wunsch, den Eylers da geäußert hatte, aber Trawisheim und Ezbal konnten ihn verstehen. Mochte der Commander mit der POINT OF im Moment noch irgendwo in der Milchstraße unterwegs sein, mochte selbst Eylers wieder einmal nicht so genau wissen, wo zwischen den Sternen der Ringraumer sich befand - allen drei Männern in diesem Arbeitszimmer war das lieber, als daß der Commander sich auf die Suche nach Tschobe begab. »...denn Dhark steigt dann als Nächster in den Transmitter. Darauf wette ich meinen Kopf.« Niemand widersprach dem GSO-Chef. Im Industriedom von Deluge spielten sich zur gleichen Zeit Vorgänge ab, die außerhalb jeden Begreifens lagen. Die Experten in der unterirdischen Anlage der Mysterious hatten den Schock noch nicht ganz überwunden, daß Manu Tschobe ebenfalls im Transmitter-Raum verschwunden war, als nun auch der Teil der Mammutaggregate zu arbeiten begann, der bisher immer noch stillgelegen hatte. Ein Brüllen, Heulen, Donnern und Tosen raste durch die Maschinenstraßen. Energiebänder von nie gesehener Stärke und unbeschreiblicher Leuchtkraft stellten Verbindungen von einem wolkenkratzergroßen Maschinensatz zum anderen her. Ein leichtes, dennoch deutlich zu spürendes Zittern lief durch den Unitallboden. Lichtquellen, die nicht zu erkennen waren, überlagerten auf weit gefächerten Bahnen das saphirblaue Leuchten und machten den Industriedom taghell. Eine Frage stand im Vordergrund: Wer hatte diese Maschinensätze eingeschaltet? Automatisch kamen mit dieser Frage wieder Manu Tschobe und Tim Acker ins Spiel. Hatten sie auf einer fernen Gegenstation die Schaltzentrale gefunden, von der aus dieses gewaltige Industriepotential gesteuert wurde? Oder wollten sie mit ihrem Vorgehen nur ein Zeichen geben, daß sie noch existierten? Welchen Zweck hatten die Energiebänder, die die einzelnen Aggregatsätze miteinander verbanden? In dreihundert Meter Höhe, in vierhundert, fünfhundert, achthundert Meter standen sie in der Luft und leuchteten - wie kompakte Straßen; aber die Straßen waren leer. Wissenschaftler beobachteten die Bänder, bis ihnen die Augen schmerzten. Niemand konnte das entdecken, wonach jeder suchte. Sie sahen kein einziges Produkt, das den brüllenden, donnernden und heulenden Maschinen entstammte.
Alles wirkte wie ein gigantischer, technischer Spuk. Pan-The, der niemals zuvor Anzeichen von Nervosität gezeigt hatte, blieb fassungslos auf der A-Grav-Platte sitzen, mit der er hergeflogen war. Sein Blick kreuzte sich mit dem von Jos, aber der GSO-Mann konnte nur mit den Schultern zucken. Langsam ging er auf den Tibetaner zu und blieb wortlos vor ihm stehen. Immer wieder sahen alle die Straßenschluchten entlang. Jeder erwartete irgendeine Überraschung. Manch ängstlicher Blick galt den Energiebändern oder dem weit geöffneten doppelflügeligen Tor zum Transmitterraum. Der Raum war nicht mehr betreten worden, seit feststand, daß nun auch Tschobe und Jimmy verschwunden waren. Pan-The stand neben van Haag. Der Tibetaner machte dem GSO-Agenten keinen Vorwurf, Tschobes selbstmörderischen Versuch nicht nachdrücklicher unterbunden zu haben. Als Fatalist fand er sich schnell mit den Tatsachen ab. Der peitschende Knall eines Energiebogens, der sich gerade neu gebildet hatte, löste Schreckensrufe aus. Knapp hundert Meter über dem Tor zum Transmitterraum stand eine energetische Bahn, die im ständigen Wechsel rot und blau pulsierte! Das Pulsieren war von einem bedrohlichen Rauschen begleitet, und die Bahn war nicht stabil, sondern sie schwang, mal stärker, mal schwächer, wie die Kurve eines Diagramms nach oben und unten aus. Allein ihre Längsrichtung blieb unverändert. »Große Milchstraße...« Jos, dem man unbegreifliche Kaltblütigkeit nachsagte, hielt sich an Pan-The fest und deutete mit der freien Hand auf das Transmitter-Tor. Es schloß sich im Zeitlupentempo! Die Frequenz des Farbwechsels bei dem pulsierenden Energieband stieg; die Schwingungsweite nach oben und unten vergrößerte sich. Unwillkürlich hatten die Männer den Eindruck, in den nächsten Sekunden von dem pulsierenden, rauschenden Band getroffen zu werden. Die ersten wichen schon zurück, suchten ihre Rettung in der Flucht. Jos und der Tibetaner achteten kaum darauf. Die Transmitter-Antenne hielt ihren Blick gefesselt. Die Antenne strahlte nach innen. Die kreisrunde Fläche fluoreszierte in einmaliger Intensität. »Halt! Stehenbleiben!« Jos' Befehl kam zu spät. Einer der beiden Männer, die sich nach Rückfrage tatsächlich als Cyborgs entpuppt hatten, war losgespurtet und schaffte es gerade noch, durch die beiden sich langsam schließenden Flügeltore den Transmitterraum zu erreichen! Dann konnten die zurückgebliebenen Männer nur noch die blaue, für ihre Augen fugenlose Unitallwand anstarren. Ein dritter Mann - ein Cyborg - steckte im geschlossenen Transmitterraum. War er der dritte Selbstmörder? Pan-Thes Schlitzaugen waren ungewohnt rund. Er blickte starr nach oben. Die pulsierende, rauschende Energiebahn existierte nicht mehr. Als sich das Tor des Transmitterraums geschlossen hatte, war auch sie verschwunden. Das Vipho des Tibetaners sprach an. Die Funkzentrale des Höhlensystems verlangte ihn zu sprechen. Jos sah ihm über die Schulter; auf dem Bildschirm des kleinen Geräts erschien der Kopf eines jungen Mannes. Aber dann drehte Pan-The die Lautstärke seines Geräts zu weit herunter. Von der Nachricht war kein Wort zu verstehen. Daß sie wichtig war, stand außer Frage. Der junge Mann hatte nach der letzten Silbe schon wieder abgeschaltet. »Was kann denn da los sein?« fragte der GSO-Mann. Die Ingenieure und Techniker waren ratlos. Aus sieben verschiedenen Richtungen fingen sie einen sich immer wiederholenden Ruf in einer unbekannten Sprache auf. Es mußte ein Notruf sein. Aber wieso konnte
er gleichzeitig von sieben Hyperfunk-Sendern abgestrahlt werden, die weit voneinander entfernt in der Galaxis standen,? »Spielt denn heute unsere Funkortung total verrückt?« brüllte einer der Ingenieure und zeigte damit seine Ratlosigkeit. Den Technikern erging es nicht besser. »Die Instrumente spielen uns einen Streich nach dem anderen... Großer Himmel, eine Station muß demnach ja über 40 000 Lichtjahre entfernt stehen. Und die andere... verdammter Höllenspuk, über 52 000 Lichtjahre! Und mit welcher Energie die Sendungen hereinkommen! So stark wären ja noch nicht einmal alle Hyperfunk-Sender der POINT OF, wenn man sie zusammenschließen würde...« Männer standen vor den Oszillos und den Instrumenten, fuhren Prüfanlagen heran, machten Blitz-Kontrollen - aber keine einzige Kontrolle deutete auch nur an, daß eines der Geräte nicht einwandfrei arbeitete. Die sieben quer über die Galaxis verstreuten Sender existierten! Alle sieben strahlten auf eine millionstel Sekunde genau zur gleichen Zeit denselben Notruf ab. Sieben Sender - und jeder mit einer Leistung, die alle Erfahrungswerte sprengte. Ein siebenfacher Notruf in unbekannter Sprache. Der Ruf wurde ununterbrochen durch den Hyperspace in das normale Raum-ZeitGefüge abgestrahlt. Er lief schon in der zehnten Minute, Norm-Zeit. Und dieser Notruf öffnete jeder Phantasie alle Türen und Tore! Wer rief da? Wer rief wen? Lebten zwischen den Sternen Wesen, die über eine Technik verfügten, der gegenüber auch die Wunderwerke der Mysterious verblaßten? »Wir müssen Cent Field anrufen«, bestimmte der Leitende Ingenieur, der immer verzweifelter wurde, je länger er die Resultate der Auswertungen studierte. »Cent Field muß die Rufe ja auch empfangen. Vielleicht wissen die mehr als wir.« Cent Field meldete sich. Cent Field bestätigte. Aber Cent Field war so ratlos wie die Männer im Höhlensystem von Deluge auf dem Planeten Hope. Die Besatzung der Funk-Z war informiert worden. Der Commander hatte die Männer über die Bordverständigung aus dem Bett geholt. Schlaftrunken waren sie hereingestürmt. Der schlaftrunkene Zustand verging ihnen, als sie einen Blick auf die Funkortung und Echokontrolle geworfen hatten. Sieben gigantische Hyperfunk-Sender in sieben weit voneinander entfernt liegenden Sektoren im galaktischen Bereich! Ein siebenfacher Notruf jagte durch die Milchstraße! Ein Schrei! Immer wieder dieselben Worte! Immer wieder nur dieser eine Satz! Und unverändert alle Meßwerte! Draußen raste der Hurrikan über den Planeten Mirac. Und dort draußen stand die im Bronzeton schimmernde Plastik eines Menschen ohne Kopf und Arme auf einem Sockel, der hohl war, und in dessen Hohlraum es die symbolhafte Darstellung einer Spiralgalaxis gab. Mirac... Verdiente dieser Planet, der vor Äonen von den drei blauen Sonnen einmal eingefangen worden war, wirklich den Namen Wunderplanet? Dan Riker fühlte, daß sein Freund mit seinen Gedanken ganz weit weg war. Prüfend musterte er ihn, sprach ihn aber nicht an.
Neben Ren Dhark lag das Emblem, das sie in dem Flash gefunden hatten, der zu dem zerstörten Ringraumer gehören mußte. Mit seiner rechten Hand deckte Dhark es teilweise ab. Sein Blick schien die Unitallwände der POINT OF zu durchdringen. Sein Blick schien weiter zu reichen, als sich die Galaxis mit ihren Abermilliarden Sternen erstreckte. Walt Brugg wollte eine Frage an den Commander richten, doch auf Rikers Handzeichen hin schwieg er. »Dan...« Während aus den Lautsprechern weiterhin ununterbrochen der Notruf erklang, wandte sich Ren Dhark unvermittelt an seinen Freund. »Dan... hast du diese Sprache wirklich noch nie gehört?« Träumte er? Dan Riker schüttelte den Kopf. Er weiß es nicht mehr, dachte Dhark, aber vielleicht erinnert sich jemand anders daran. Drei Schritte waren es bis zur Bordverständigung. Mit seinem Anruf riß er Arc Doorn aus dem Schlaf. »Ich komme«, hörte man den Sibirier unfreundlich und verschlafen brummen. Doorn blinzelte wegen der Helligkeit, als er die Funk-Z betrat. Und dann erstarrte er mitten im Schritt. Fassungsloses Staunen stand in seinen weit aufgerissenen Augen.
»Dhark...« Seine Lippen flüsterten diesen Namen, aber er sah den Commander nicht an. »Dhark...« Bei seinem Eintritt hatten die anderen sich unwillkürlich umgedreht. Sie alle wurden Zeuge, wie erschüttert der bullige, untersetzte Mann war. Doch woran erinnerte er sich? Und der Commander benahm sich genauso eigenartig. Es schien, als habe ihm Doorn schon alles gesagt. Wieso konnte Ren Dhark sonst diesem Mann verstehend zunicken? »Ja!« Es klang rauh und heiser. Und noch einmal. »Ja!« Noch immer kam der Notruf in steter Folge herein. Unverändert. Abgestrahlt von sieben Stationen. »Sieben Symbole!« sagte Ren Dhark plötzlich halblaut. Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Dan Riker zusammen. Nur er. Für alle anderen, mit Ausnahme von Dhark und Doorn, konnten diese beiden Worte nichts bedeuten. Sie waren damals im Höhlensystem auf dem Planeten Hope nicht vor Roccos Rollkommandos geflohen! Sie hatten jene sieben Symbole nie zu Gesicht bekommen. Aber er und Ren und Arc Doorn! Glenn Morris konnte die Spannung und Ungewißheit nicht länger ertragen. »Sieben Symbole? Was haben Sie damit gemeint, Commander?« Seine Frage brachte die drei Männer in die Wirklichkeit zurück, aber noch wurde Morris' Wissensdurst nicht befriedigt. »Dan, erinnerst du dich jetzt?« fragte Dhark seinen Freund eindringlich. »Ja... ja, Ren! Ich erinnere mich. Damals, als Doorn mit dem kleinen Gigant-Sender experimentierte, den Amer Wilkins zwischen dem Höhleneingang und der toten Stadt gefunden hatte. Einmal kam doch ein Ruf aus Raumtiefen zu uns. Eine beschwörende, baßtiefe Männerstimme, die uns in unbekannter Sprache wohl warnen wollte. Großer Gott, wie konnte ich das vergessen! Was wir jetzt hören... das sind doch Worte der gleichen Sprache. Das sind doch...« Die Überraschung angesichts dieser Erkenntnis verschloß ihm den Mund. »Ja«, sagte Ren Dhark und nickte, »wir hören jetzt einen siebenfachen Hilferuf der Mysterious. Sie leben also doch noch! Oder...« Elis Yogan hörte Dharks Worte - und sah gleichzeitig eine neue Anzeige auf seinem Instrumentenpult. Die Behauptung des Commanders, die Mysterious könnten doch noch existieren und sie empfingen gerade einen Notruf dieser Wesen, hätte ihn unter normalen Umständen sprachlos gemacht; aber jetzt hatte er etwas bemerkt, das einen noch stärkeren Eindruck auf ihn machte als Dharks Aussage. »Wir senden ja auch! Wir senden - aber mit welchem Sender bloß?« Er schrie regelrecht. Er deutete auf das Drei-Zwei-Gerät, Über dessen Funktion und Wirkungsweise niemand an Bord Bescheid wußte. Zwei Skalen des Drei-Zwei-Gerätes standen im Grün-Bereich! Die anderen drei, die fingerbreit darunter zu sehen waren, wiesen Blau aus. Aber Grün und Blau paßten nicht zusammen. Sie waren ein Widerspruch in sich. Grün bedeutete Sendung mit einem Hyperfunkgerät! Blau hieß, daß die Anlage abgeschaltet war! Und in der POINT OF waren alle Sender abgeschaltet. Nur die NormalfunkEmpfänger liefen. Sie hielten Kontakt mit den Gruppen, die sich um die Erforschung der Austerndach-Städte und der Plastik bemühten. »Das muß doch herauszukriegen sein!« behauptete Dan Riker, nachdem sie sich alle
davon überzeugt hatten, daß Yogan keiner Fata Morgana zum Opfer gefallen war. Von der POINT OF ging eine Sendung aus. Daran konnte kein Zweifel bestehen! Aber wo im Schiff befand sich der Sender? Seine Lage war nicht zu lokalisieren! Ren Dhark erinnerte sich, was die Utaren auf Esmaladan zu Major Neep gesagt hatten: »Kennt ihr wirklich das Schiff, das ihr POINTOF nennt?« Wurde ihnen jetzt der Beweis erbracht, daß sie ein Raumschiff flogen, das nach wie vor Rätsel in sich barg? Die drei erfahrenen Funkspezialisten begannen zu schwitzen. Die Ortungen des Ringraumers wurden strapaziert, aber sie gaben nicht preis, wo im Schiff der Sender stand. Über Normalfunk rief Dhark die Funkstelle einer der Forschungsgruppen an. »Versuchen Sie eine Peilung. Unser Schiff sendet, aber wir haben keine Ahnung, in welchem Teil der POINT OF der Sender steht. Wir wissen auch nicht, auf welcher Hyperfrequenz die Sendung erfolgt. Wir erwarten Ihren Rückruf!« Der kam nach wenigen Minuten. »Commander, wir haben den gesamten Hyperfrequenzbereich abgetastet. Von der POINT OF geht keine Sendung aus.« Elis Yogan stöhnte: »Das ist genauso verrückt wie die Angaben dieses Drei-ZweiGerätes!« »Vielleicht narrt es uns...« Dan Riker unterbrach sich, als er bemerkte, daß Arc Doorn verschwinden wollte. »Wohin, Doorn?« rief er ihm nach. »Zum Störsender.« Der war auch eins der vielen Rätsel im Schiff. Weitab von der Funk-Z, auf einem anderen Deck und nahe einer der vier Schleusen, stand der Störsender, der einwandfrei ein separates Dasein führte und niemals preisgegeben hatte, warum die Erbauer des Ringschiffes ihm diesen abgelegenen Platz gegeben hatten. Doorn kam wieder zurück. »Das Ding ist abgeschaltet. Daher kommt die Sendung also auch nicht.« »Weiter forschen!« ordnete Dhark an. »Ach so«, sagte er dann, als er Glenn Morris' fragenden Blick sah. »Sie wollten wissen, was es mit den Sieben Symbolen auf sich hat?« Mit wenigen Sätzen gab er seine Erklärung ab. »...und dann stießen wir während unserer Flucht auf sieben Symbole. Wir fanden sie auch noch an anderen Stellen. Aber nicht mehr in der POINT OF. Nur in den Höhlen, in denen zum Teil zu Staub verfallene Maschinen standen. Wir entdeckten auch das Emblem einer Galaxis als rotierendes Etwas unter einer Höhlendecke. Das alles existiert nicht mehr. Dieser Teil der Höhlen von Deluge wurde mitsamt der toten Stadt durch eine unverantwortliche Sprengung vernichtet. Ja, und dann haben Riker und ich dieses Emblem in dem Flash gefunden, der aller Wahrscheinlichkeit nach zu dem zerstörten Ringraumer dort draußen gehört.« Er packte das Emblem an einem der nicht besonders stark ausgearbeiteten Spiralarme und hob es hoch, achtete dabei nicht darauf, daß er irgendwo anstieß; er wurde erst aufmerksam, als ein metallischer heller Klang ertönte und ein Stoß durch seine Hand ging. Er kam nicht dazu, darüber einen Gedanken zu verlieren. In der Funk-Z war es schlagartig still geworden. Der Notruf einer unbekannten Rasse, zeitgleich von sieben weit auseinander liegenden Hyperfunk-Sendern abgestrahlt, war nicht mehr zu hören. Das Drei-Zwei-Gerät warf keine Werte mehr aus. Mitten in einem Wort war der Ruf verstummt. »Dauer des Rufs: achtunddreißig Minuten!« stellte Walt Brugg fest; seine Stimme
klang so unbewegt, als ob ihn der ganze Vorfall nicht im geringsten berührt habe. Ren Dhark rieb sich das Kinn; in der anderen Hand hielt er seinen Fund, mit dem er nicht viel anfangen konnte. »Junge, Junge«, sagte er zu Dan, »heute hat man uns mal wieder allerhand zugemutet.« »Mir reicht's«, knurrte Dan Riker, dem man ansah, wie müde er war. Er drehte sich um, als das Schott der Funk-Z aufsprang. Und erstarrte! Er sah Gespenster die Funk-Z betreten! Grinsende Gespenster! Gespenster, die gar nicht wie Gespenster aussahen. Er war nicht der einzige, der vor ihnen zurückwich; auch die anderen, Ren Dhark, Arc Doorn, Walt Brugg, Glenn Morris, Elis Yo-gan und die beiden Sergeanten, sie alle traten einen Schritt zurück. Und die Gespenster kamen unaufhaltsam auf sie zu!
9. Manu Tschobe war es im Transmitter-Raum nicht anders ergangen als Professor Tim Acker. Er hatte die Roboter aus der Antenne heraussteigen sehen, und er hatte sich über Jimmy gewundert, der keine Notiz von ihnen genommen hatte. Auch dann nicht, als einer der vier Roboter auf sie zugekommen war und Jimmy gepackt und in Richtung der Ringantenne geschleudert hatte. Der Robot-Hund hatte sich nicht gewehrt, und Manu Tschobe hatte sich nicht wehren können, weil er gegen die Metallglieder der Maschine hilflos wie ein kleines Kind gewesen war. Aus! hatte er gedacht, als auch er auf die freie Kreisfläche zugeflogen war, die vom grauen Ring der Antenne begrenzt wurde. »Au! Verdammt noch mal!« schrie er, als er zu Boden krachte. Im ersten Moment glaubte er, sich alle Knochen gebrochen zu haben. Er befand sich ja noch immer im Großtransmitter-Raum! Vor der Antenne! Neben Jimmy! Und dieser Köter blinzelte ihn an, als wolle er sagen: Na, tun dir auch alle Knochen weh? »So was«, knurrte der Afrikaner und richtete sich auf. Jede Bewegung schmerzte. Er war ziemlich unglücklich gefallen. Besonders seine linke Kniescheibe hatte einiges abbekommen. Aber wo waren dann die vier Roboter? Tschobe stand mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und drehte sich langsam um die eigene Achse; dabei kniff er seine dunklen Augen immer stärker zusammen. Allmählich dämmerte ihm die Erkenntnis, daß er sich doch in einem anderen Transmitter-Raum befand. Er war kleiner und nicht so hoch wie der Raum im Höhlensystem, sämtliche Unitallwände waren geschlossen, nicht eine einzige Energiebahn war zu sehen. »Du Blindgänger«, knurrte er, als Jimmy ihn anstieß. In der nächsten Sekunde gab er sich selbst das Versprechen, so etwas so schnell nicht wieder zu sagen. Aus dem Stand war Jimmy in die kreisrunde Leerfläche der fluoreszierenden Antenne gesprungen und verschwunden. Manu Tschobe war das Schimpfen vergangen. Ohne den Robot-Hund fühlte er sich verloren. Das Brikett auf vier Beinen mochte zwar nur eine technische Spielerei des dicken Chris Shanton sein, in dieser Lage war es aber so etwas wie ein verläßlicher Freund. »Soll ich?« fragte er sich laut. Sein Bedarf, fremde Transmitter-Anlagen zu benutzen, war eigentlich schon gedeckt. Und es behagte ihm nicht, Jimmy einfach zu folgen.
Der Scotchterrier kam ohne Atemluft, Wasser und Essen aus; er war funktionsfähig, solange sein kleiner Konverter Energie lieferte. Doch er - Manu Tschobe - konnte sich leicht an fünf Fingern abzählen, was ihm geschah, wenn die dritte oder vierte Anlage sich in einem luftleeren Raum befand. »Soll ich auch...?« fragte er sich abermals. Und dann ertappte er sich dabei, wie leicht er Versprechen brechen konnte. »Du Miststück.« Das kam aus vollem Herzen. Er folgte dem Miststück! Diesmal kam er nicht zu Fall. Er war wiederum an einem anderen Platz angekommen. Und er brach in schallendes Gelächter aus, als ihm klar wurde, was er gerade gefragt worden war: »Haben Sie wenigstens was Anständiges zu essen bei sich, Tschobe?« Ziemlich giftig fuhr Professor Acker fort: »Ihr ordinäres Lachen können Sie sich sparen; das wird Ihnen schnell vergehen.« Der Raum war kahl und leer - bis auf die Antenne - und dabei so groß wie vier Fußballfelder zusammen und so hoch wie ein Dom. Und eine Antennenkonstruktion dieser Ausmaße hatte Tschobe auch noch nie zuvor gesehen. Beruhigt stellte er fest, daß es warm war; die Luft schien stark mit Ozon angereichert. Das Licht aus Wänden und Decken war angenehm; weniger beruhigend empfand er, daß alle Unitallwände eine geschlossene, fugenlose Einheit bildeten. Einen anderen Mann als Manu Tschobe hätte es vielleicht nervös gemacht, Professor Tim Acker mitten in einem Schrotthaufen sitzen zu sehen. Die Geräte, die er im Großtransmitter-Raum von Deluge sorgfältig aufgestellt hatte, sahen reichlich demoliert aus. Tim Acker auch. Er hatte Schürfwunden an den Händen und eine Platzwunde am Kopf. Und er hatte Hunger. Verächtlich deutete der Wissenschaftler auf Tschobes Spezial-Vipho. »Das Ding können Sie wegschmeißen. Auch wenn seine Reichweite über hundert Lichtjahre beträgt! Sie bekommen damit keinen Empfang herein... Sagen Sie mal, Sie sind doch wohl nicht so närrisch gewesen, mich zu suchen?« Tschobe konnte ihn beruhigen. Acker nickte zufrieden, als er hörte, daß der Afrikaner auch von einem Roboter wie ein Paket in die Transmitter-Antenne geschleudert worden war. »Gemeinsames Pech verbindet, Tschobe!« »Sie haben einen verdrehten Humor, Acker. Ich...« »Da kommen sie. Jetzt sind Sie dran! Lügen Sie unter keinen Umständen, Tschobe. Hier hilft nur eins: die volle Wahrheit sagen, sonst werden Sie von den Blechkameraden psychisch auseinandergenommen.« Mehr konnte Tim Acker seinem Leidensgefährten nicht mit auf den Weg geben. Zwei Roboter nahmen die Neuzugänge in Empfang; Jimmy rührte kein Glied, wahrscheinlich konnte er es so wenig wie Tschobe. Der glaubte zwischen zwei Schraubstöcken zu stecken. Ein schwebender zylinderförmiger Roboter trug ihn auf eine der Unitallwände zu, die sich erst kurz vor ihnen wie eine Blende öffnete und einen Einlaß von knapp drei Metern Durchmesser freigab. Er konnte noch einmal zurückblicken und sah den Professor, der auf einem demolierten Gerät hockte und ihm zunickte. Der Schwebeflug dauerte ein paar Sekunden, dann hatten sie anscheinend ihr Ziel erreicht. Tschobe sah abermals eine gewaltige Halle, deren Decke leicht nach außen gewölbt war. Sie schien transparent zu sein und das Leuchten einer rötlichen Lichtquelle hereinzulassen. Doch der Afrikaner konnte nur einen Augenblick nach oben blicken. Dann drehte sich sein Roboter, und Tschobe betrachtete den Boden, in
dem sich lange Reihen unterschiedlich geformter Vertiefungen befanden. Die Maschine mit Jimmy schwebte schon weit links und senkte sich langsam zu Boden. Tschobe überflog die Hälfte der großen Halle und bemerkte, als sein Träger langsam tiefer sank, daß sie sich einer Vertiefung näherten, in die sein Körper hineinpaßte. Der Roboter stand. Tschobe wurde herumgeschwenkt, hing kurz zwischen zwei metallenen Pranken mit dem Rücken zum Boden in der Luft und wurde dann in die Vertiefung gedrückt. Er hörte weder ein Klicken noch verspürte er Druck, doch als er einen Arm bewegen wollte, konnte er es nicht mehr. Unsichtbare Kräfte hielten seinen Körper umfaßt und ließen ihm nicht mehr den geringsten Spielraum. Der Roboter schwebte davon. Nicht einmal ein leises Summen war zu hören. Da erst wurde Tschobe bewußt, wie still es in der großen Halle war. Das Licht, das durch die transparente Decke fiel, wurde heller. Der rötliche Schimmer verschwand mehr und mehr. Ich kann meine Augen nicht mehr bewegen, stellte Manu Tschobe mit der wissenschaftlichen Neugier des forschenden Arztes fest. Dann war er nicht einmal mehr in der Lage, eigene Gedanken zu entwickeln. Etwas Fremdartiges begann, seine Sinne zu beherrschen. Er gab dem Drängen von außen einfach nach. Er hatte vergessen, daß er Manu Tschobe war, dachte weder an Professor Acker noch an Jimmy. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Er war zum Nichts geworden. Verriet er etwas? Er hätte in diesem unbeschreiblichen Zustand alles verraten - auch sich selbst. Und er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Daß er allein war, was spielte es für eine Rolle? Licht! Dunkelheit! Farben! Schatten! Wärme, dann Kälte. Traf ihn ein Luftstoß? Dachte er etwas? Fühlte er etwas? Gab es tatsächlich Licht um ihn her? Oder Dunkelheit? Sah er Farben? Und waren die Schatten wirklich Schatten? Er war immer noch ein Nichts; er war nicht mehr er selbst. Was floß aus ihm heraus? Was floß in ihn hinein? Übergangslos der Wechsel von einem Zustand zum anderen. Er war wieder Herr seiner Gedanken, aber die Gedanken waren noch nicht seine eigenen. Sie wurden von außen her in ihn hineingetragen. Er sah Ren Dhark, so, wie er ihn immer gesehen hatte; er sah ihn mit seinen Augen. Und er sah Dan Riker, Miles Congollon, Ralf Larsen, den CAL, einen Nogk, einen G'Loorn, ein paar Utaren und Rateka, den Singu. Er sah sich! In seinen Gedanken entstanden alle diese Bilder. Gedankenkontrolle! Wahrheitsprüfung! Wie Blitze zuckten diese Erkenntnisse durch seine Gehirnwindungen. Doch auch diese Erkenntnisse kamen nicht aus ihm, sondern von außen! Letzte Wahrheitsprüfung... Es war eine Ankündigung und eine Drohung zugleich. Plötzlich bäumte er sich auf, als er sich abermals sah. Nein, so war er nicht. Niemals so ehrgeizlos! Nicht so bescheiden! Nicht so selbstlos. Das Egoistische fehlte. Der Hochmut! Seine Arroganz, die er immer zu verstecken versuchte. Er schrie, weil er sich selbst so verlogen gezeichnet hatte.
Er hatte diesen Abschnitt der letzten Wahrheitsprüfung nicht bestanden! Er verbesserte sein Bild. Er zeichnete es wahr. Und erneut sah er sich, aber diesmal mußte er nicht schreien; diesmal hatte er an sich nichts zu verbessern, wenngleich er längst nicht so gut aussah wie eben. Dann war er wieder er selbst - der Terraner Manu Tschobe, Arzt und Funkspezialist. Er lag noch immer unbeweglich in der Vertiefung, in die sein Körper so genau hineinpaßte. Er konnte nach wie vor kein Glied rühren. Aber denken. Und er begriff jetzt, was Professor Tim Acker gemeint hatte, als er ihm den Rat gegeben hatte, die volle Wahrheit zu sagen, sonst würden ihn die Blechkameraden psychisch auseinandernehmen! Acker hatte nicht zuviel versprochen. Tschobe war psychisch auseinandergenommen worden, als er ein geschöntes Bild von sich gezeichnet hatte. Und das sollten diese Roboter vollbracht haben, diese seelenlosen Konstruktionen? Eine neue Überraschung wartete auf ihn. Er konnte sich erheben. Weit und breit war kein Roboter zu sehen, nur diese gewaltige Halle mit ihren Tausenden von Vertiefungen in allen nur erdenklichen Formen. Als Manu Tschobe wieder stand, wurde ihm schlagartig bewußt, daß er sein gesamtes Wissen preisgegeben hatte. Er hatte alles und jeden verraten! Auch die Rätsel, die ihnen die Mysterious, die Giants, die Nogk und die anderen Rassen bis heute aufgegeben hatten. Er hatte Terra verraten, die galaktische Position des Sol-Systems, die Geheimnisse auf dem Inselkontinent Deluge, die Schwäche der Terranischen Flotte. Er hatte Ren Dhark verraten, hatte preisgegeben, daß er ein Schiff flog, das die Mysterious vor rund tausend Jahren auf Hope fast fertiggestellt hatten. Manu Tschobe schluckte. Er sah sich als Verräter, aber er konnte seinen Verrat nicht verstehen. Bewußt hatte er ihn nicht geübt. Entschuldigte das nicht alles? Prüfend blickte er an sich herunter. Er wollte sich davon überzeugen, ob er tatsächlich existent war. Dann tastete er sich zusätzlich noch ab. Er war vorhanden! Er war nach wie vor ein Mensch aus Fleisch und Blut - aber wieso fürchtete er sich dann nicht vor dem, was die Zukunft für ihn bereithielt? Die Roboter waren doch die reinsten Schreckenskonstruktionen, ihr Verhalten bar jeder Menschlichkeit! Dennoch flößten sie ihm keine Furcht ein. Tschobe bückte sich und untersuchte die Vertiefung, in der er gelegen hatte. Er untersuchte sie mit der Ruhe eines Wissenschaftlers, der gewohnt war, auch auf die kleinste Kleinigkeit zu achten. Die Vertiefung war glatt, ohne jede Bearbeitungsspur, und sie zeigte nichts weiter als geschwungene und gewölbte Flächen. Kein Loch, keinen Kontakt - nicht die geringste Spur, die auf eine versteckte, technische Anlage hinwies. Hastig legte er den Kopf in den Nacken und blickte zur transparenten Decke empor. Rötliches Licht drang hindurch... Hatte dieses Licht nicht zeitweilig in einem anderen Farbton geleuchtet? Hilflos zuckte er die Schultern. Er mußte an Tim Acker denken, den Professor mit dem gesegneten Appetit. Hatte der Wissenschaftler das gleiche durchstehen müssen wie er - und war er genauso zum Verräter geworden? Tschobe sah sich um. Dieser gewaltige Raum, diente er einzig und allein dem Zweck, fremde Wesen ihres gesamten Wissens zu berauben? Und was wurde mit dem erbeuteten Wissen gemacht? Wer stand hinter dieser teuflischen Maschine? Die Grakos...? Manu Tschobe kannte natürlich Major Neeps Bericht. Er wußte, wie die Utaren die
Mysterious nannten, und welchen Haß sie den ehemaligen Unterdrückern der Galaxis entgegenbrachten. Die Grakos, die Geißel der Galaxis! Unwillkürlich setzte Tschobe sie mit den Mysterious gleich - aber im nächsten Moment sagte ihm sein Gefühl, daß das nicht sein konnte. Die Mysterious konnten einfach nicht mit den Grakos identisch sein. Ohne es bewußt wahrzunehmen, hatte er sich langsam in Bewegung gesetzt. Er ging an den langen Reihen der Vertiefungen vorbei und auf jene Ecke zu, an der er den Roboter mit Jimmy hatte zu Boden gehen sehen. Jimmy lag in einer Vertiefung, die für seinen Körper paßte. Der Robothund war weder abgeschaltet noch auf Stand-by. Er war zwar anscheinend nicht in der Lage, eines seiner Beine oder den Kopf zu bewegen, doch seine Augen standen nicht still. Tschobe betrachtete sich alles ganz genau. Aber es gab nichts zu sehen, bis auf das, was er bereits auf den ersten Blick gesehen hatte. Die Untersuchungsmethoden der Roboter und ihrer Erbauer wurden ebenso sorgsam verborgen wie die Technik, mit der diese Untersuchungen durchgeführt wurden. War Jimmy für die Unbekannten ein Problem? Sie waren doch wohl in der Lage, zu erkennen, daß der vermeintliche Scotchterrier kein Wesen aus Fleisch und Blut war? Tschobes Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt. Plötzlich schnellte Jimmy hoch, landete weich wie ein Hund neben dem Afrikaner und schmiegte sich an ihn. Tschobe wollte ihn streicheln, doch das Brikett auf vier Beinen ließ ihm keine Zeit dazu. Es drängte sich gegen seinen linken Fuß, versuchte ihn vorzuschieben und zwang ihn damit, in eine andere Richtung zu blicken. Ein Mann kam auf ihn zu! Er - Manu Tschobe! Und neben dem Mann lief - Jimmy! Kaltes Entsetzen packte den Afrikaner. Plötzlich quälte ihn die Angst, im TransmitterRaum gar nicht mit Professor Acker, sondern mit seinem Double gesprochen zu haben! Einem Double, das von einem echten Menschen nicht zu unterscheiden war! »Jimmy!« flüsterte Tschobe. Er wollte den Hund streicheln, zog jedoch, kaum daß er das synthetische Fell berührt hatte, seine Hand hastig zurück. Eine verrückte Frage war ihm durch den Kopf geschossen. Eine Frage, die er sich stellen mußte. Schließlich sah er sich selbst näherkommen! Und er konnte nicht sagen, daß sein zweites Ich unecht war! War er also wirklich der echte Manu Tschobe? Konnte nicht ebensogut der andere Manu Tschobe der echte sein? Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erinnerung daran, daß er sich vorhin abgetastet hatte, um den Beweis zu erhalten, existent zu sein! Hatte er nicht schon mit diesem Versuch an seinem eigenen Ich gezweifelt? »Tschobe, man erwartet Sie. Sie und Jimmy.« Sein zweites Ich hatte zu ihm gesprochen. Unverkennbar mit seiner Stimme, echt bis auf die winzigste Kleinigkeit. Jede Bewegung, jedes Muskelzucken stimmte. Manu Tschobe war kein Schwächling. Er schlug blitzschnell einen sauberen trockenen Haken. Und er traf sein zweites Ich mit voller Kraft. Als er wieder zu sich kam, kniete Tim Acker neben ihm und sah ihn besorgt an. Manu Tschobe glaubte, unter seinem Schädeldach würden ein paar tausend Hornissen herumsurren. So miserabel wie in diesem Moment hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Tim Acker atmete erlöst auf. »Na, endlich, Tschobe; mußten Sie denn so hart zuschlagen?«
»Schlagen...? Zuschlagen?« Dunkel begann der Afrikaner, sich zu erinnern, daß er sein zweites Ich hatte niederschlagen wollen. »Ja, Sie haben sich genauso dämlich angestellt wie ich, Tschobe. Nur besitze ich nicht Ihre Bärenkräfte. Deshalb habe ich mir nur wehgetan und konnte feststellen, daß es einen zweiten Tim Acker nie gegeben hat, weil er sich auflöste. Aber ich möchte zu gern wissen, wie man Ihnen und mir diese Duplikate so wirklichkeitsecht präsentieren konnte.« Tim Acker redete zuviel. Tschobe konnte ihm kaum folgen. Und das Sprechen fiel ihm schwer. Sein Kinn schmerzte. »Hier!« Acker hielt ihm eine Plastikflasche an die Lippen. »Trinken sie einen Schluck. Viel ist nicht mehr drin.« Wie Feuer rann der Whisky die Kehle hinunter, aber das Getränk tat Manu Tschobe gut. »Wo ist Jimmy?« fragte er, als er sich mit Ackers Hilfe aufrichtete. »Durch den Transmitter auf und davon. Vor zehn Minuten.« Tschobe unterdrückte eine Verwünschung. Sein finsteres Gesicht verriet seine Gedanken. »Ich habe nur darauf gewartet, daß sie aufwachen würden, Tschobe. Ich verschwinde ebenfalls von hier. Haben Sie Lust, zu verdursten oder zu verhungern? Seit ich mich hier aufhalte, hat man mir weder zu essen noch zu trinken angeboten.« Manu Tschobe begann sich zu wundern, wie dieser Mann an seine Doktortitel gekommen war. Der wurde doch von nichts anderem als seiner Freßsucht beherrscht. »Und wenn Sie im freien Raum ankommen, Acker?« Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. »Die Roboter, die uns in der Höhle in den Transmitter geworfen haben, sind über diesen Weg gekommen. Warum sollten wir nicht versuchen, den gleichen Weg zu benutzen?« Tschobe starrte die gewaltige Antenne an. »Ich verstehe das alles nicht, Acker. Bestimmt übersehen wir irgend etwas Wichtiges. Wozu hat man diese Transmitter-Verbindung geschaffen? Wo sind die Wesen, die sie benutzen? Wo die Waren, die damit befördert werden? Wo bleiben die Erzeugnisse aus dem Industriedom?« Ackers Kichern unterbrach ihn. »Haben Sie immer noch nicht begriffen, daß der Großtransmitter im Industriedom einer von ein paar hundert sein muß? Einen haben wir bisher entdeckt und uns auf diese Entdeckung so viel eingebildet, daß wir es einfach versäumt haben weiterzusuchen. Ich will Ihnen einmal sagen, was ich vermute, Tschobe, auch wenn das in Ihren Ohren vielleicht phantastisch klingen mag: Wir haben es hier mit einem Transmittersystem zu tun, das weite Teile der Galaxis umfaßt. Irgendwo gibt es eine Zentrale, in der alles zusammenläuft. Von dort aus wird das ganze System abgesehen von automatisch arbeitenden Knotenpunkten - gesteuert. Wir befinden uns auf einem dieser Knotenpunkte. Die Roboter haben wahrscheinlich nur die Aufgabe, die gelegentlich erforderlichen Reparaturen durchzuführen. Und wer Anlagen dieser Größenordnung bauen kann, mein Lieber - glauben Sie, der käme so leicht hinter'm Ofen hervor? Der bleibt da hocken, wo es schön warm und gemütlich ist. Der hat's doch gar nicht mehr nötig, sich weit herauszuwagen.« »Das ist mir ein bißchen zu unwahrscheinlich, Acker!« wandte Manu Tschobe ein. »Ach ja? Auch daß Sie und ich alles verraten haben? Ist das immer noch unwahrscheinlich - oder die bittere Wahrheit?« ereiferte sich Acker. »Stellen Sie sich einmal vor, unser gesamtes Wissen wäre inzwischen ausgewertet und wir unfreiwillig zu den Totengräbern unserer Rasse geworden. Es könnte doch sein, daß die anderen sich sagen: Der Happen kommt uns gerade recht, den schlucken wir gleich einmal.« Tschobe brauste auf. Ackers Schwarzmalerei war ihm zuwider. »Das sind ja
kindische Vorstellungen...« »Tschobe!« Acker blickte ihn durchdringend an. »Haben Sie vergessen, was Sie selbst in Sachen Giant-Forschung alles postuliert und zum Teil auch bewiesen haben?« Tschobe holte tief Luft. »Okay«, gab er schließlich klein bei, »ich bin einverstanden, daß wir so schnell wie möglich verschwinden. Hoffentlich kommen wir nicht vom Regen in die Traufe.« Er nahm die Zigarettenpackung aus der Tasche und schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Aber sie schmeckte ihm nicht. Nach ein paar Zügen warf er sie achtlos zu Boden und vergaß, sie auszutreten. Eine Minute später hatten die beiden Männer den Raum durch die TransmitterAntenne verlassen. Etwas zu früh... Der Cyborg, der sich im Großtransmitter-Raum im Höhlensystem hatte einschließen lassen, trat durch die Antenne heraus. Er sah die demolierten Geräte, die einmal zu Tim Ackers Ausrüstung gehört hatten. Eine der Kameras nahm er an sich. Dann sah er die langsam verglimmende Zigarette am Boden. Er trat sie aus, sah sich noch einmal um und schritt wieder durch die Antenne. So gering die Wahrscheinlichkeit prinzipiell auch sein mochte - er hatte Glück. Der Rückweg war klar. Nach abermaligem Umsteigen befand er sich wieder an seinem Ausgangspunkt, und mit Genugtuung beobachtete er, wie sich kurz nach seiner Ankunft das doppel-flügelige Portal des Großtransmitter-Raumes wieder öffnete. Langsam setzte er sich in Bewegung. Die Zigarette, die er gefunden hatte, hielt er wie einen Schatz in der Hand. In der anderen trug er Tim Ackers Kamera. Zehn Minuten später lief das Videoband! Die Menschen sahen zum erstenmal Roboter aus dem Transmitter kommen; sie sahen aber auch, auf welchen Wegen die Erzeugnisse des Industriedoms verschwanden. Und dann wurde Tim Ackers Verschwinden verständlich. »Stop! Zurücklaufen lassen. Alles noch einmal!« gellte ein Ruf aus der Menge. Proteste wurden laut, aber der Rufer beharrte auf seiner Forderung. »Ich glaube... ich denke... Ach, alles noch einmal. Die letzten drei, vier Minuten!« Der Mann war so aufgeregt, daß er kaum einen zusammenhängenden Satz sagen konnte. »Stop! Da... Da war's wieder!« Ein älterer, grauhaariger Mann drängte sich nach vorn. Ein Techniker. Seine engsten Kollegen kannten ihn als einen stillen, zuverlässigen Menschen, der es eigentlich stets vermied, irgendwo im Mittelpunkt zu stehen. »Bitte lassen Sie die letzte Szene ganz langsam ablaufen. Oder, noch besser wäre es, Sie würden mir die Fernbedienung geben.« Man gab sie ihm. Erneut wurde das Band abgefahren. Der Techniker ging mit der Vergrößerung herunter. Stille im Vorführraum, in dem die Männer atemlos standen und mit Spannung darauf warteten, ob einer von ihnen etwas beobachtet hatte, was ihnen allen entgangen war. »Da!« Das Band stoppte. »Ich spule zehn Sekunden zurück, schalte auf Standbilder.« Auf dem Monitor erschien ein Kreis, der einen Bereich auf der linken Seite des Transmitter-Raums markierte. »Achten Sie auf diese Stelle. Noch ist nichts zu sehen... Und nun die nächsten Bilder...« Wieder Stop! Der Techniker erhöhte die Vergrößerung des kreisförmigen
Bildausschnitts. »Sehen Sie jetzt bitte genau hin! Da...« Unter einem der Instrumente war ein Steuerschalter, der sich bisher nie hatte bewegen lassen, in eine andere Position gekippt! Automatisch! »Achten Sie bitte darauf... in ein paar Sekunden tritt der erste Roboter aus der Ringantenne. Das, werte Kollegen, ist die Schaltung, dem Großtransmitter und seiner Gegenstation eine andere Einbahnrichtung zu geben. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich wollte mich nur selbst davon überzeugen, keiner Täuschung zum Opfer gefallen zu sein. Entschuldigen Sie mich.« Er gab die Fernbedienung des Videorecorders zurück und tauchte wieder in der Menge seiner Kollegen unter. Einer der vielen Unbekannten, die einmal eine Sternstunde hatten und dann in ihrem ganzen Leben nie mehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit traten. Der Großtransmitter und seine Gegenstation im Irgendwo ließen sich umschalten. Der Film, der noch auf seine Feinauswertung wartete, hatte es bewiesen. Noch einmal mußte der Cyborg seine Erlebnisse berichten, aber er konnte nicht den geringsten Hinweis liefern, wo die anderen Stationen liegen mochten. Die Teamchefs standen um Pan-The herum. Sie erwarteten seine Entscheidung. Doch Pan-The dachte nicht daran, in diesem Stadium der Entdeckungen ein Risiko einzugehen. »Wir schicken den stärksten tragbaren Hyperfunk-Sender durch den Transmitter und schalten die Gegenrichtung ein, wenn er in der Antenne verschwunden ist. Solange wir nicht wissen, wo sich die Gegenstation befindet, verbiete ich alle Versuche a la Acker und Tschobe. Ebenso den Einsatz der Cyborgs. Ich mache Sie als Teamchefs verantwortlich, wenn meinen Anordnungen zuwider gehandelt wird. Ich darf Ihnen versichern, daß Sie mit Ihrer Gruppe nach Terra zurückgeschickt werden, wenn es dennoch zu Zwischenfällen der genannten Art kommen sollte.« Aus der Funkzentrale wurde ein Hyperfunk-Sender zum Großtransmitter-Raum geschafft. Knapp zwanzig Ingenieure und Techniker untersuchten die Schaltung, die mit Hilfe des Films entdeckt worden war. Die Gesichter der Männer drückten immer größere Enttäuschung aus. Der Steuerschalter ließ sich nicht bewegen! Er saß so fest, als sei er angeschmiedet. Die graue Antenne in der Mitte des großen Raumes stand auf Empfang und nahm keinen einzigen Gegenstand an. Die fluoreszierende Fläche konnte gefahrlos durchschritten werden. Nutzlos stand der tragbare Sender vor der Anlage. »Es ist zwecklos«, meinte Bernard Brissier, ein schlaksiger Gascogner. »Wir verplempern hier nur kostbare Zeit.« Er warf der grauen Antenne einen abfälligen Blick zu. Unwillkürlich sah er zum Ausgang und entdeckte die leichte Veränderung. Er fühlte, wie sich seine Haare sträubten. Lautlos war die undurchsichtige, energetische Sperre aufgebaut worden. Siebzehn Techniker und Wissenschaftler waren im Großtransmitter-Raum eingeschlossen!
10. Auf Terra gab es Alarm für die Cyborgs! Die LAKA, ein Kugelraumer der 100-Meter-Klasse, war startklar und wartete nur noch auf die Starterlaubnis. Zwischen der Funk-Z des Schiffes, das erst vor einem Monat vom Band gelaufen war, und dem Stab der TF herrschte ungewöhnlich lebhafter Viphoverkehr. Drei der bekanntesten Cyborgs hielten sich im Funkraum der LAKA auf, aber nur
Holger Alsop führte das lebhafte Wechselgespräch; Jan Burton, der Logistiker, und Bram Sass standen unauffällig im Hintergrund. Marschall Bulton gab der Einsatzgruppe die letzten Nachrichten vom Planeten Hope durch: »...seit acht Stunden besteht die energetische Sperre am GroßtransmitterRaum. Im Höhlensystem ist man verzweifelt. Selbst Pan-The rät davon ab, Cyborgs einzusetzen. Nicht einmal Funkkontakt mit den Eingeschlossenen ist möglich. Alsop, ich weiß nicht, ob ich es in dieser Lage verantworten kann, der LAKA die Startfreigabe zu erteilen.« Holger Alsop, der erste Cyborg, der je entwickelt worden war, schüttelte den Kopf. »Der Commander hätte die LAKA schon längst auf die Reise geschickt, Marschall.« »Der Commander... Aber der Commander ist nicht da. Das wissen Sie so gut wie...« Bulton mußte in seinem Büro gestört worden sein. Sein Kopf verschwand vom ViphoSchirm. In der Funk-Z der LAKA hörte man jedoch immer noch seine Stimme. »Keine Meldungen. Ich habe doch ausdrücklich untersagt, daß...« Es war wohl nicht sein Tag. Marschall Bulton wurde von dritter Stelle unterbrochen. Von der Hyperfunkstation Cent Field, der größten Anlage dieser Art auf Terra. »Marschall, ich glaube, daß es von Wichtigkeit ist, Ihnen einen Funkspruch von der POINT OF durchzugeben.« Die Cyborgs im Funkraum der LAKA horchten auf. Commander Dhark hatte sich wieder einmal gemeldet! Die Cyborgs hörten den Marschall in seinem Büro schnaufen, dann polterte er los: »Nun geben Sie schon den Spruch herein! Oder muß ich noch ausdrücklich darum bitten?« Überall, wo die Nachricht gehört wurde, sahen Männer unwillkürlich zur großen SDSternkarte. Wer es verstand, Koordinaten zu lesen, erfaßte sofort, warum diese Koordinaten-Werte fremd in den Ohren klangen. Grün minus 34:54,56! Rot minus 03:10,67! Blau minus 16:70,06! Minus...? Der gesamte Minus-Bereich lag doch hinter dem Zentrum der Milchstraße! Dort sollte die POINT OF stecken? Hinter dem galaktischen Zentrum, das auf Jahre hinaus nicht beflogen werden konnte, weil dort durch den Untergang der Chronosphäre der G'Loorn eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes stattgefunden hatte. Hinzu kamen die elektromagnetischen Stürme, die im Zentrumsbereich noch weit heftiger wüteten als in den Randzonen der Milchstraße. Das galaktische Zentrum mußte auf absehbare Zeit die reinste Hölle sein. Während viele Blicke die Position des Ringraumers auf der Sternkarte festlegen wollten, gab es die nächste Überraschung. Die Hyperfunkstation in Cent Field berichtigte ihre Angaben! Die Minus-Werte waren zu streichen! Man erklärte diese Berichtigung mit dem schlechten Empfang der Sendung. Über Vipho war das Grollen des cholerischen Marschalls zu hören. »Was?« brüllte er. »Das soll ich glauben? Major!« Bultons Stimme schnarrte. »Ich empfehle Ihnen, noch einmal genauestens zu überprüfen, ob dieser Spruch tatsächlich von der POINT OF gekommen ist, oder ob das ein übler Scherz ist. Mann, sagen Sie mal, glauben Sie denn diesen Unsinn?« Der Major in der Hyperfunkstation glaubte ihn. Er nickte. Und dann sagte er: »Der Spruch ist eindeutig von der POINT OF gekommen. Wir haben die Hyperfrequenz analysiert.« Die drei Cyborgs in der Funk-Z der LAKA erlebten an ihrem Vipho-Schirm alles mit. Sie konnten ebenfalls nicht glauben, was dem Marschall durchgegeben worden war.
Es konnte einfach nicht stimmen. Diese Nachricht mußte ein übler Scherz sein. Jan Burton, der Logistiker, hatte sein Zweitgehirn eingeschaltet und blitzschnell alles durchgerechnet. Er kam auf eine Wahrscheinlichkeit von zweiundachtzig Prozent, daß diese Meldung den Tatsachen entsprach. Dennoch hütete sich Burton, Alsop und Sass zu informieren. Er wollte nicht ausgelacht werden Marschall Bulton wandte sich wieder den Cyborgs zu. »Der geplante Flug nach Hope wird verschoben. Bleiben Sie aber an Bord der LAKA. Sollte im Laufe der nächsten Stunden eine andere Entscheidung gefällt werden, dann wird Sie der Stab der TF umgehend benachrichtigen.« »Na ja...« sagte Holger Alsop. Stumm blickte Bram Sass vor sich hin. Er war durch Überraschungen so leicht nicht zu erschüttern, doch als er Jan Burton einen Blick zuwarf und dessen nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkte, erwachte sein Mißtrauen. Sollte die Meldung von der POINT OF womöglich doch stimmen? Unsinn, dachte er, völliger Blödsinn. So etwas gibt's doch gar nicht! Das gleiche dachte auch Marschall Bulton. Immer wieder mußte er an die Meldung von der POINT OF denken. Gedankenverloren betrachtete er die Sternkarte, auf der der Standort des Flaggschiffs eingetragen worden war. Der Ringraumer befand sich also doch noch immer in jenem Sonnensystem, in dem die POLLUX dieses merkwürdige Monument entdeckt hatte. Chris Shanton, komplett mit Prachtbauch und ungepflegtem Backenbart, schob sich in Bultons Büro. Er wollte seinen Jimmy wiederhaben, seine Robotkonstruktion und sein Steckenpferd. Seine Stimme orgelte, als er an Manu Tschobe kein gutes Haar ließ und den Arzt und Funkspezialisten einen unverantwortlichen Burschen nannte, dem er noch nie über den Weg getraut habe. »Da!« preßte Bulton über die Lippen und schob Chris Shanton die Folie mit der Nachricht zu. Der dicke Mann, der so gern andere auf den Arm nahm, warf einen Blick darauf, betrachtete den Marschall, schleuderte die Folie wieder auf den Schreibtisch und zischte: »Diesen Blödsinn können Sie mir doch nicht weismachen, Bulton! Aber ich zahl's Ihnen bei passender Gelegenheit heim. Humbug, verdammter!« Und mit schweren Schritten stapfte er wieder hinaus. »Der glaubt's auch nicht«, murmelte der Marschall. Ein Stabsoffizier kam zum Zug. Seine Meldung war kurz. Marschall Bulton hörte nur mit halbem Ohr zu. Er betrachtete unschlüssig die Folie in seinen Händen. »Saros, glauben Sie diesen Blödsinn?« Der Stabsoffizier schüttelte energisch den Kopf. »Keiner im Stab nimmt die Meldung ernst - aber wieso konnte der Commander davon wissen?« Der Marschall starrte ihn an, als sähe er ein Gespenst! In der Funk-Z der POINT OF starrten Ren Dhark und seine Leute gebannt den drei Gestalten entgegen, die da langsam auf sie zukamen. Manu Tschobe, Professor Tim Acker und Jimmy, der Robot-Hund! Aber diese drei konnten sich doch gar nicht auf dem Ringraumer befinden! »Große Milchstraße«, keuchte Glenn Morris, »jetzt bin ich wirklich drauf und dran durchzudrehen.« Ren Dhark erholte sich am schnellsten von seiner Überraschung. Für das Auftauchen der drei mußte es eine normale Erklärung geben. »Tschobe - wo kommen Sie denn so plötzlich her?« stellte er dem Afrikaner die naheliegende Frage. Der blickte an dem jungen Commander wie üblich vorbei.
»Aus einem Transmitter, der irgendwo auf irgendeinem Planeten der Milchstraße steht... ursprünglich natürlich aus dem Industriedom, dessen Aggregate zu arbeiten begonnen haben... und jetzt sind wir in der POINT OF gelandet...« Von allen Seiten wurden die beiden Männer und Chris Shantons Robot-Hund angestarrt. Tschobe wurde dieses Anstarren unangenehm. »Na ja«, sagte er, »aber wir sind nun mal hier, und wir sind es wirklich. Wir...« Er brach ab, als ihm plötzlich das Duplikat einfiel, dem er in jener Transmitterstation begegnet war. Bin ich wirklich der echte Manu Tschobe? fragte er sich einmal mehr in Gedanken. Nur Tim Acker deutete Tschobes auffallendes Verstummen richtig. Aber die nächsten Worte des Wissenschaftlers - die eigentlich dazu gedacht gewesen waren, den Afrikaner zu beruhigen - sorgten in der Funk-Z für einige Unruhe: »Tschobe, Sie sind echt. Ich auch! Mann, wir können doch gar nicht unsere Doppelgänger sein.« Instinktiv griff Ren Dhark zu seinem Blaster. Er richtete den Abstrahlpol auf die kleine Gruppe und befahl in scharfem Tonfall: »Stehenbleiben! Keinen Schritt weiter. Morris, Yogan und Brugg, halten Sie die beiden in Schach!« Die Funker hatten endlich ihren Schock überwunden. Aber der Schrecken steckte ihnen noch in den Gliedern, und sie eliminierten ihn dadurch, daß sie mit verbissenem Gesicht ihre Strahlwaffen schußbereit auf Tschobe und Acker richteten. Walt Brugg hatte die Aufgabe übernommen, auf Jimmy aufzupassen. Die dunklen Augen Tschobes blitzten den Professor wütend an. »Mit Ihrer Quasselei haben Sie was angerichtet...« »Ruhe!« befahl Ren Dhark, der erst einmal Ordnung in diese ganze, unglaubliche Geschichte bringen wollte. »Jetzt bin ich an der Reihe, und Sie beide antworten nur, wenn Sie gefragt werden. Bleiben Sie unter allen Umständen stehen, sonst kann ich für nichts mehr garantieren!« Tim Acker gab in diesem Augenblick eine unglückliche Figur ab. Kaum verständlich flüsterte er Tschobe zu: »Sie hatten recht! Hätte ich bloß meinen Mund gehalten.« Dhark übernahm das Verhör. Hin und wieder schaltete sich Dan Riker mit gezielten Fragen ein. Doch als Tschobe berichtete, er habe in einer Transmitter-Anlage seinen Doppelgänger vor sich stehen sehen - und dieses Duplikat mit seiner eigenen Stimme sprechen gehört - trat auch Ren Dhark unwillkürlich einen Schritt zurück. Professor Acker, der sich bisher auffallend zurückgehalten hatte, wurde plötzlich lebhaft und übernahm jetzt die Aufgabe, weiter Bericht zu erstatten. »Ich lag in der Vertiefung und konnte mich nicht mehr rühren. Beinahe unmerklich verlor ich die Kontrolle über meine Gedanken. In dieser Phase gab ich mein gesamtes Wissen an eine unbekannte Macht preis. Ich mußte einfach alles verraten, sogar mich selbst. Aber genauso wie nach mir Manu Tschobe hatte ich ein viel besseres Bild von mir erstellt, das natürlich mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte. Und diesem Ebenbild stand ich etwas später gegenüber. Es war der unheimlichste Augenblick meines Lebens. Auch ich wußte einen Moment lang nicht, ob ich der echte Tim Acker war oder der, der vor mir stand.« Ren Dhark, der Manu Tschobe schon seit der wilden Zeit auf Hope kannte, beobachtete nur ihn. Immer stärker wurde seine Überzeugung, es mit dem echten Manu Tschobe zu tun zu haben, doch sein Mißtrauen war noch nicht vollständig beseitigt. Wer auch immer in der Lage war, Doppelgänger zu erstellen, die so echt wirkten, daß das Original an seiner eigenen Identität zu zweifeln begann, dem fiel es gewiß nicht schwer, auch alle anderen mit einem solchen Doppelgänger zu düpieren. Doch was könnte dahinterstecken, fragte sich Dhark; welchen Sinn soll so etwas haben? Eine Macht, die in der Lage war, jedem Intelligenzwesen die geheimsten
Gedanken zu entreißen, müßte doch eigentlich auf diesen billigen Effekt verzichten können. Entscheidend war doch, das sie aus dem Wissen ihrer Opfer bereits alles über die Stärken und Schwächen der anderen Rassen erfahren hatte. Zwangsläufig stellte er sich die Frage, ob die Mysterious die Schöpfer der Anlagen waren, die Tschobe und Acker kennengelernt hatten. Befanden sie sich wirklich auf den Spuren der Mysterious? Und stellte die Metallplastik auf Mirac einen der Geheimnisvollen dar? Der Commander mußte seine Gedanken über diesen Komplex zurückstellen. Manu Tschobe berichtete weiter. »...Jimmy zwang uns mit seinem Verschwinden durch die Transmitter-Antenne, ihm zu folgen. Zweimal stiegen wir um. Als wir durch die dritte Ringantenne traten, kamen wir im zweiten Deck, Raum 458 B der POINT OF aus der Unitallwand heraus. Und der Köter saß vor uns und wedelte mit dem Schwanz.« Ren Dhark hatte vergessen, daß Tschobe und Acker unter Bewachung standen. Er trat vor den Afrikaner, zwang ihn, ihm fest in die Augen zu sehen, und sagte: »Tschobe, Sie kennen die POINT OF so gut wie ich. Bleiben Sie bei Ihrer Angabe, in 458 B auf dem zweiten Deck aus der Unitallwand herausgetreten zu sein?« »Wir bleiben dabei«, mischte sich der Professor hastig ein. »Aber wir werden es nie beweisen können, Commander. Wir haben die Wand, aus der wir getreten sind, sofort untersucht. Nicht soviel« - er schnippste mit Daumen und Mittelfinger - »haben wir entdecken können. Die Unitallwandung ist glatt, fugenlos und ohne den kleinsten Kratzer.« Tim Acker sah den Commander bestätigend nicken. »Hm...« Dhark drehte sich zu seinem Freund Dan um. »Erinnerst du dich, Dan?« »Und ob! Wir haben die Geschichte doch über die Gedankensteuerung abstellen müssen, weil fast alle, die durch die Unitallwandung die POINT OF verließen, unter starken Kopfschmerzen zu leiden hatten. Aber ich glaube, daß wir jetzt erst entdeckt haben, daß unser Ringraumer nicht nur ein Raumschiff, sondern auch eine einzige großartige Transmitter-Anlage ist.« Das wiederum überstieg das Vorstellungsvermögen des Professors. Sein mißtrauischer Seitenblick galt dem Afrikaner, der zu Boden starrte und leise vor sich hinmurmelte: »Manchmal müssen wir es mit dem Holzhammer serviert bekommen, um es zu verstehen.« Ren Dhark ließ seine Waffe sinken. »Tschobe, wir beide sehen uns 458 B mal an. Dan, du koppelst Jimmy in der Zwischenzeit an den Checkmaster und rufst dann die von ihm gespeicherten Daten ab. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.« Danach erhielt Elis Yogan den Auftrag, noch einmal zu versuchen, Verbindung mit Terra zu bekommen und die Meldung abzustrahlen, daß sich Tschobe, Acker und Jimmy an Bord der POINT OF befänden. Die Untersuchung von Kabine 458 B im zweiten Deck neben der Schleuse erbrachte keine Resultate. »Hier bin ich herausgetreten, Dhark«, sagte Tschobe und umriß mit einer Handbewegung die Stelle an der Unitallwand. Es wäre Zeitverschwendung gewesen, diesen Wandteil zu untersuchen. Auch damals, als Anja Field entdeckt hatte, daß man mit konzentriertem Wunschdenken den Ringraumer durch seine Unitallwände verlassen konnte, war in der Zelle der POINT OF nicht der kleinste Hinweis darauf gefunden worden, daß sich im halbmeterdicken Material technische Anlagen befanden. Und doch mußten welche darin sein! »Weiß der Kuckuck, was Jimmy veranlaßte, plötzlich durch die Transmitter-Antenne zu verschwinden, Dhark. Unheimlich wurde mir das Robotvieh aber in dem Augenblick, als wir hier herauskamen und er uns schweifwedelnd ansah...«
»Hm...« Ren Dhark war nachdenklich geworden. »Welchen Eindruck haben die einzelnen Transmitter-Stationen auf Sie gemacht, Tschobe? Was empfanden Sie, als Sie die Roboter bemerkten? Glauben Sie, daß alles - Transmitter und Roboter - seit Ewigkeiten in Betrieb gewesen ist?« Unzufrieden mit sich selbst schüttelte der Afrikaner den Kopf. »Das ist schwer zu sagen. Wo Acker und ich auch waren, alles wirkte fast schon steril. Ich habe nirgends Staub gesehen. Sie denken jetzt bestimmt an die Mysterious. Ich auch. Und ich werde nie vergessen, wie man mich gezwungen hat, mein gesamtes Wissen preiszugeben. Aber - und nun kommt meiner Ansicht nach der springende Punkt: Wenn die Mysterious noch existieren, warum haben sie sich Acker und mir nicht gezeigt? Auf Grund ihrer Transmitter-Kontrolle mußten sie doch wissen, daß wir aus dem Höhlensystem von Deluge kamen...« »Mit anderen Worten, Sie glauben nicht mehr daran, daß die Mysterious als Rasse noch existieren?« »Ich weiß es nicht... ich weiß beim besten Willen nicht mehr, was ich glauben soll...« Ren Dhark atmete schwer. Er durchschaute sich selbst. Er wollte nicht wahrhaben, daß die Mysterious vor rund tausend Jahren terranischer Zeitrechnung von einem Tag zum anderen aufgehört hatten zu existieren, auch wenn er natürlich nicht vergessen hatte, daß es sogar auf Terra genügend Beispiele dafür gab, daß hochentwickelte Völker im Lauf der Geschichte plötzlich vom Erdboden verschwanden und nie wieder auftauchten. Um sich abzulenken, berichtete Dhark dem mit immer größerer Spannung lauschenden Tschobe, wo sich die POINT OF befand und was die Besatzung auf dem Planeten Mirac entdeckt hatte. »...und schließlich haben Riker und ich vor einigen Stunden unweit des zerstörten Ringraumers einen Flash gefunden - versteckt in massivem Fels -, der aller Wahrscheinlichkeit nach ein Beiboot dieses zerstörten Schiffes gewesen ist. Dieser Flash hielt eine weitere Überraschung für uns bereit: Er hatte Sternkarten und das Emblem einer Spiralgalaxis an Bord!« Manu Tschobe hielt sich den Kopf. »Das ist fast ein bißchen viel auf einmal, Dhark, aber alle diese Tatsachen sind kein Beweis dafür, daß die Geheimnisvollen noch existieren. Das Standbild steht seit rund 42 000 Jahren auf diesem Planeten, der zerstörte Ringraumer hingegen ist erst tausend Jahre alt; unsere POINT OF ist nicht jünger. - Das alles ist vor tausend Jahren konstruiert, gebaut oder zerstört worden... und was danach gekommen ist... ist für uns ein einziges großes Fragezeichen; aber nirgendwo eine Spur, daß danach noch ein Mysterious existiert hat. Hin und wieder drängt sich mir der Verdacht auf, daß dieses Volk einer unvorstellbaren Katastrophe zum Opfer gefallen ist. Dhark, ich erinnere mich, wie wir in den Höhlen dieses Schiff gefunden haben. Fast fertiggestellt. Nur ein paar Aggregate mußten noch eingebaut werden. Aber vor rund tausend Jahren ließen die Mysterious sogar dieses Schiff zurück. Waren sie durch einen Befehl zu ihrer Heimatwelt gerufen worden, um dort mit ihrem Volk unterzugehen?« Vor ihnen flammte die Bildscheibe der Bordsprechanlage auf. Sergeant Briks, der in der Zentrale Sitzwache hatte, suchte per Rundruf den Commander. »Commander, Flottenchef Riker liegt bewußtlos vor dem Checkmaster... und ich glaube, Jimmy ist explodiert!« Über den A-Grav-Schacht erreichten Dhark und Tschobe das Hauptdeck. Aus Richtung der Medo-Station eilten einige Ärzte heran. Sergeant Briks erwartete die Hilfe am geöffneten Schott der Zentrale. Rechts kniete Ren Dhark, links Tschobe, jetzt nur Arzt.
Dan Rikers Augen blickten starr zur Decke. Sein Gesicht war kalkweiß. Ob er atmete, konnte der Commander nicht feststellen. Ihm war es unbegreiflich, wie sein Freund in diesen Zustand gekommen sein konnte. Den Ärzten auch. Und Jimmy schien explodiert zu sein. Der Sergeant hatte nur einen dumpfen Knall gehört, dann ein Poltern, und als er sich umgedreht hatte, hatten der Flottenchef und Jimmy am Boden gelegen. Ren Dhark war einen Schritt beiseite getreten. Er wollte die Ärzte bei ihrer Arbeit nicht behindern. Aber seine Unruhe steigerte sich, je länger sie sich um Riker bemühten, der keinerlei Lebenszeichen von sich gab. Hanfstick, der leitende Arzt, ordnete den Transport in die Medo-Station an. »Hier kommen wir nicht weiter.« Tschobe trat zu Ren Dhark. Dessen Gesicht wirkte kühl, unbeteiligt, aber wer ihn gut kannte, wußte, daß das alles nur Maske war. Commander Ren Dhark, der mächtigste Mann Terras, besaß nur einen einzigen Freund, der ihm seit den Tagen seiner Ausbildung treu zur Seite gestanden hatte; und dieser Freund wurde jetzt in einem Zustand, den die Ärzte nicht diagnostizieren konnten, zur Medo-Station geschafft. »Commander, ich...« »Schon gut, Tschobe...« Tschobe drehte sich um und wandte sich Jimmy, dem Scotchterrier, zu. Der Verschluß auf dessen Bauchdecke war aufgerissen und legte einen Teil der technischen Eingeweide frei. Im Einflußbereich Terras gab es nur einen Mann, der sich mit den Schaltungen in Jimmy auskannte - Chris Shanton, der Konstrukteur des Robot-Hundes. Shanton hatte schon vor geraumer Zeit einsehen müssen, daß sein Brikett auf Beinen viel mehr als eine Spielerei war. Schon oft war Jimmy der Faktor gewesen, der in turbulenten Geschehnissen die endgültige Entscheidung herbeigeführt hatte. Ren Dhark drehte sich um, betrachtete gedankenverloren den Checkmaster - und kniff auf einmal die Lider zusammen. Im nächsten Moment klang seine Stimme scharf durch die Zentrale: »Briks, wer hat diese beiden Geror-Sicherungen durch Terr-Brücken umgangen?« Tschobe hörte die Ausdrücke Geror und Terr - Begriffe, die es nur in der Technologie der Mysterious gab, wenngleich sie von den Terranern geschaffen worden waren. Mit einem Satz stand er neben Ren Dhark, der einen Schachtelsatz aus der ersten Geror-Sicherung herauszog und in die Tasche steckte. »Vorsicht!« warnte Tschobe, als er sah, mit welcher Lässigkeit der Commander an der sechsten Sicherung hantierte. Sein Warnruf kam zu spät. Er hörte einen dumpfen Knall, der aus dem Checkmaster zu kommen schien, und sah gleichzeitig Ren Dhark zu Boden stürzen. Dhark war nicht besinnungslos, aber dennoch nicht Herr seiner Sinne. Er vernahm die Stimme der Gedankensteuerung in seinem Kopf. Ununterbrochen wiederholte sie einen einzigen Satz: Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Mit jeder Wiederholung brannte sich diese Nachricht tiefer in Ren Dharks Gehirnwindungen fest. Dabei begriff er nicht, daß nur er diesen Satz erfaßte. Er wußte auch nicht, daß er auf dem Boden lag, mit starrem Blick zur Decke sah und Manu Tschobe sich verzweifelt um ihn bemühte. »Briks, alarmieren Sie die Medo-Station! Der Commander zeigt die gleichen Symptome wie Riker. Geben Sie das ebenfalls durch.« Fünf Minuten später wurde auch der Kommandant des Flaggschiffs ins Lazarett geschafft. Wie bei Dan Riker waren weder Herzschlag noch Puls feststellbar!
Kein Mensch ahnte, daß sowohl Riker wie Dhark ununterbrochen den einen Satz in ihrem Kopf aufklingen hörten: Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Jos Aachten van Haag drehte im Industriedom Däumchen. Genau wie die Wissenschaftler. Was hätten sie sonst auch tun sollen? Sie kamen an die eingeschlossenen Männer im Großtransmitter-Raum nicht heran. Die undurchsichtige energetische Wand hielt alles und alle ab. Seit Stunden währte dieser Zustand, und kein Mensch konnte voraussagen, wann er sich ändern würde. Seitdem man wußte, daß es in den Mammut-Aggregaten dieser Industrie-Zentrale Roboter gab, die aller Wahrscheinlichkeit nach Reparaturen durchführten oder Teile nach einer bestimmten Lebensdauer auswechselten, glaubten die Männer, die helfen wollten und dennoch nicht helfen konnten, nicht mehr daran, ihre Kollegen wiederzusehen. Der Cyborg Frek Mildan hatte einfach unvorstellbares Glück gehabt. Seine Chance, nach dem Transmitter-Durchgang wieder an den Ausgangspunkt zurückzukehren, mochte eins zu hundert Millionen betragen haben - aber er war zurückgekehrt! Jos hatte nicht vergessen, warum er nach Hope gekommen war. Und wenn er auch gelangweilt die Maschinenstraße entlangblickte - er sah, wie die zwei Cyborgs, die sich in seiner Nähe aufhielten, reagierten. Wie Menschen! Und sie waren auch Menschen, solange sie nicht auf ihr zweites System umgeschaltet hatten. Pan-The muß sie als Cyborgs einsetzen, beschloß Jos in Gedanken, als über den großen Nachrichtenlautsprecher die Meldung verbreitet wurde: Manu Tschobe, Tim Acker und Jimmy befinden sich laut einem Hyperfunkspruch, der in Cent Field aufgefangen wurde, auf der POINT OF! Jos war einer der besten Männer - nach seiner eigenen, unmaßgeblichen Einschätzung der beste - der über zehntausend Köpfe zählenden GSO. Auch er wurde von dieser Nachricht überrascht, und seine erste Reaktion bestand darin, sie als Ente anzusehen. Aber ihm entging nicht, wie jene zwei Männer sich verhielten, die im Brana-Tal zu Cyborgs gemacht worden waren. Beide hatten sofort nach der Durchsage auf ihr zweites System umgeschaltet! Mehr nicht. Wer mit dem leicht veränderten Aussehen eines umgeschalteten Cyborgs nicht vertraut war, hätte es nicht bemerkt. Aber warum hatten sie umgeschaltet? Nur wenige Minuten verblieben sie in dem Zustand, der sie physisch zu Übermenschen machte, dann schalteten sie wieder zurück und verschwanden kurz darauf aus Jos' Blickfeld. Eine halbe Stunde später ging ein To-Funkspruch in der Funkzentrale von Cent Field ein. Er war mit der höchsten Dringlichkeitsstufe gekennzeichnet und wurde sofort an Bernd Eylers weitergegeben. Die Vergangenheit von Frek Mildan und Per Paavo Dordig nochmals durchleuchten! Eylers, der zunächst annahm, auch Jos würde allmählich Gespenster sehen, wollte die Meldung schon zur Seite wischen, als sich ein Gefühl in ihm meldete, das ihn schon manches Mal vor unüberlegten Handlungen bewahrt hatte. Verbindung zu den Ressortleitern 3 C und 5 FF. Eylers forderte sie auf, ihn in seinem Arbeitszimmer aufzusuchen. »Aber wir haben doch alles getan, was nur getan werden konnte!« Eylers bestand darauf, daß die Vergangenheit dieser beiden Cyborgs noch einmal
kontrolliert werden sollte. »Wir müssen bei zwei Cyborgs der letzten Serie etwas Wichtiges übersehen haben - und Sie, meine Herren, haben es aufzuspüren. Oder soll ich mir noch einmal von Trawisheim sagen lassen, die GSO sei das Geld, das sie kostet, nicht wert?« Eylers übertrieb nur ganz leicht; so hatte Henner Trawisheim das nie gesagt... »Ich erwarte täglich Berichte über den Stand der Nachforschungen. Setzen Sie die besten und verschwiegensten Leute ein. Um diesen die Arbeit zu erleichtern, werden die großen Nachrichtenstationen heute abend noch melden, daß die nächste CyborgSerie kurz vor der Entlassung aus dem Brana-Tal steht!« Kaum daß er wieder allein war, unterrichtete er Echri Ezbal und Henner Trawisheim. Beide stimmten seinem Vorschlag zu. Eylers war nachdenklich geworden. Jos Aachten van Haags Forderung, die Cyborgs Mildan und Dordig noch einmal zu überprüfen, mußte ihren Grund haben, denn Jos war nicht der Mann, der auf eine vage Vermutung hin den gewaltigen Apparat der GSO in Bewegung setzte. Haben meine Leute womöglich doch etwas übersehen? fragte sich der Chef der Galaktischen Sicherheitsorganisation und begann sich auszumalen, welch eine Gefahr entartete Cyborgs für die gesamte Menschheit darstellen könnten. Er murmelte vor sich hin: »Ezbal oder mir wird der Schwarze Peter zugeschoben werden. Ich bin gespannt, wer von uns beiden ihn eines Tages in der Hand halten wird...«
11. Auf dem Planeten Hope im Col-System waren noch immer siebzehn Techniker und Wissenschaftler im Großtransmitter-Raum eingeschlossen. Sie hatten keinen Versuch unternommen, die energetische Sperre zu durchbrechen, weil jeder einzelne von ihnen wußte, daß das ein lebensgefährliches Unterfangen wäre und doch zu keinem Resultat führen würde. Die durch die graue Ringantenne begrenzte Kreisfläche fluoreszierte immer stärker. Die Männer hatten sich so weit wie möglich von der Anlage entfernt. Ihnen kam zugute, daß sie den Film gesehen hatten, den Tim Acker bei seinem verunglückten Versuch aufgenommen hatte. Als die blauschimmernden Unitallwände sich lautlos öffneten und Energiebahnen herausschwangen, die alle im Transmitter-Bereich endeten, wußten die Experten, daß sie nun Augenzeugen werden würden, wie große Produktmengen aus den Mammut-Aggregaten des Industriedoms verschickt wurden. Aber sie sahen keine einzige Maschine einer ihnen unbekannten Technik. Sie hörten auch nicht jenes infernalische Summen, das sonst jeden Menschen aus diesem Raum vertrieben hatte. Statt dessen sahen sie deaktivierte Roboter aus allen Öffnungen quellen. Ein unheimliches Bild, weil die Zahl der Roboter von Minute zu Minute größer wurde. Eine Roboterarmee wurde unter den Blicken von siebzehn Männern per Transmitter verschickt. Ihr T-Taster zeigte nur noch Error, als er einen höheren Wert als T100 anzeigen sollte. Das nicht mehr funktionsfähige Gerät bewies den Ingenieuren, daß ihre Theorie, nach der sich jeder Transmitter selbst zerstören mußte, wenn seine Leistung den Wert T100 überstieg, nicht stimmen konnte. Hier war der Gegenbeweis! Aber sie hatten sich auch noch mit einer anderen Tatsache vertraut zu machen: Im Industriedom auf dem Inselkontinent Deluge wurden Roboter produziert - zu Abertausenden! Tausende von Zylindern, die von allen Seiten durch Energiebänder herangebracht
wurden... Tausende von Zylindern, die nebeneinander lagen, ihre metallenen Armglieder nicht bewegten und die fünf Beinstützen wie Scherengitter zusammengefaltet hatten. Roboter, die nicht aktiviert waren! Arbeitsmaschinen der Mysterious! Das Schauspiel faszinierte die eingeschlossenen Männer, die darüber fast ihre prekäre Situation vergaßen. Ein paar versuchten zu schätzen, wie viele Roboter unter ihren Blicken im Transmitter verschwunden waren; sie kamen auf die Zahl 25000! Plötzlich brach der Strom ab. Die Energiebänder verschwanden. Das Fluoreszieren der Kreisfläche im Innern der Ringantenne wurde unaufhaltsam schwächer. Und dann sahen ein paar Wissenschaftler, wie jener Steuerschalter in der Unitallwand, der dicht unter einem Meßinstrument lag, wie von Geisterhand bewegt eine andere Stellung einnahm. Die unbekannte Sperre, die ihn in seiner Lage festgehalten hatte, war wahrscheinlich für einen Augenblick aufgehoben worden. Und dann jagte das Entsetzen auf sie zu! Ein unbeschreibliches Monstrum schob sich aus dem Transmitter und glitt der letzten in der Unitallwand verbliebenen Öffnung entgegen. Ein Schlangenmonstrum ohne Kopf, mit gelbschimmernder schuppiger Oberfläche, über zwanzig Meter lang und mit mehr als zwei Metern Durchmesser, schwebte auf seinen vielen Händen oder Füßen mit gleichmäßiger Geschwindigkeit der dunklen Öffnung zu. Ein Techniker schrie unterdrückt auf, als er voller Entsetzen zusah, wie sich dieses Monstrum dicht vor der Öffnung teilte. Drei Arme oder Beine bildeten mit einer ringförmigen Scheibe eine Einheit - eine Arbeitseinheit! Und alle Einheiten schwebten, wie auch schon die Gesamtkonstruktion auf die Öffnung zugeschwebt war. Es mußte sich um ein Roboter-Modell handeln, das sich von denen, die sie bisher kennengelernt hatten, grundlegend unterschied! Es mußten Roboter sein, denn sie leuchteten plötzlich hell auf, als sie die dunkle Öffnung in der Unitallwand erreicht hatten. »Über hundert Stück sind aus dem Monstrum entstanden - über hundert!« flüsterte ein Ingenieur, der nicht wußte, ob er sich an diesem Schauspiel begeistern oder sich davor fürchten sollte. »Die Scheiben sind höchstens zwanzig Zentimeter dick...« Und dann war im Transmitter-Raum wieder alles wie sonst. Nur die energetische Sperre bestand nach wie vor. Die Unitallwände waren fugenlos und zeigten nicht die geringsten Spuren versteckter Öffnungen, und die Transmitter-Antenne sah nur grau aus; die Kreisfläche fluoreszierte nicht mehr. Manch ein Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Warum hat man uns das gezeigt?« Diese Frage hatten sich viele in Gedanken auch schon gestellt. Weshalb waren sie diesmal nicht durch das infernalische Summen, das früher jeden Menschen aus diesem Raum vertrieben hatte, nach draußen auf die Maschinenstraße gejagt worden? »Die Mysterious! - Bald muß ich glauben, daß sie mit den Grakos der Utaren identisch sind!« »Und sie leben«, behauptete ein anderer Wissenschaftler. »Wie viele Milliarden Roboter mögen die Mysterious in den letzten Jahren allein im Industriedom produziert haben?« Doch mit dieser Frage kamen wieder die Zweifel! Hatte Ren Dhark mit seinen Freunden diesen Industriedom nicht dunkel und lautlos
angetroffen, als sie vor Rocco und dessen Kommandos auf der Flucht gewesen waren? Und hatten die Mammut-Aggregate nicht stillgelegen, als die elektromagnetischen Werte des galaktischen Magnetfelds in bisher nie beobachtete Höhen geschnellt waren? »Über die Giants haben wir uns schon den Kopf zerbrochen... aber die Mysterious mit ihren Geheimnissen und Rätseln sind tausendmal rätselhafter. Zum Teufel, warum läßt sich kein Mysterious sehen? Sie müssen doch wissen, daß inzwischen Wesen einer anderen Rasse ihr Erbe hier auf Hope angetreten haben. Ich könnte sie in die tiefste Hölle verwünschen.« Der Techniker hatte recht. Die meisten dachten genauso wie er. Nachdem der Schock abgeklungen war, litten nur ganz wenige der Experten unter irgendwelchen Angstgefühlen. Im Gegenteil: Neugier, die weit über das wissenschaftliche Interesse hinausging, beherrschte sie. So warfen sie der undurchlässigen energetischen Sperre, die sie daran hinderte, wieder zu ihren Kollegen zu gelangen, immer wieder forschende Blicke zu. Wollten die Mysterious sie in diesem kahlen Raum verhungern und verdursten lassen, oder sollten sie, sobald der Transmitter wieder arbeitete, gezwungen werden, durch die Kreisfläche zu schreiten, um wer weiß wo wieder herauszukommen? Ein Gedanke, der die meisten nun doch etwas frösteln ließ; und es war natürlich, daß die Angst vor der Macht der Mysterious sich wie Gift in ihrem Körper ausbreitete. Noch immer zeigte die graue Transmitter-Antenne im Bereich der Kreisfläche keinerlei fluoreszierendes Leuchten. Irgendwer hatte sie abgeschaltet. Sie war nichts anderes als ein dicker, massiver Ring aus einem unbekannten grauschimmernden Material. Der Hurrikan war über den Landstrich hinweggerast, den die POINT OF sich als Landeplatz ausgesucht hatte. Aber die Wasserfluten, die er auf seiner Rückfront herangeführt hatte, prasselten immer noch zu Boden und spülten quadratmeterweise die letzten Reste des Erdbodens hinweg. Die Männer im Ringraumer bemerkten nichts davon. Selbst ein Hurrikan von hundertfacher Stärke hätte ihrem Flaggschiff nichts anhaben können. In seinem Innern waren sie sicher. Aber nicht absolut! Das bewies das Schicksal des Commanders und des Flottenchefs drastisch genug! Ren Dhark und Dan Riker lagen noch immer als klinisch Tote in der Medo-Station, und die Ärzte standen um die beiden Körper herum und wußten nicht mehr, was sie tun sollten. Die Nachricht, daß Dhark und sein Freund Riker in der Kommandozentrale wie vom Schlag getroffen zusammengebrochen waren, hatte sich schnell im Schiff verbreitet und auch den müdesten Mann aus seiner Kabine getrieben. Die Meldungen aus der Medo-Station klangen immer deprimierender. Zustand der beiden unverändert ernst! Keine Fortschritte bei irgendeiner Behandlung! Keine Reaktionen! Und dann: Es muß damit gerechnet werden, daß der Commander und der Flottenchef im Moment des Zusammenbruchs schon klinisch tot waren. Die Beschickung ihres Gehirns mit Sauerstoff scheint keinen Erfolg zu haben. Manu Tschobe hielt sich seit mehr als einer Stunde in der Funk-Z auf. Walt Brugg hatte noch Sitzwache. Brugg war froh, daß der Afrikaner ihm Gesellschaft leistete; Tschobe hatte ihm sehr ausführlich von seinem Transmitter-Abenteuer erzählt. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele tausend Lichtjahre zwischen uns und Hope liegen, Tschobe?« »Nicht auf Anhieb. Woher sollte ich das auch wissen? Aber wie ist es mit dem
Funkverkehr? Klappt er immer noch nicht einwandfrei?« »Ausgesprochen miserabel. Wir konnten mit Mühe und Not verstehen, daß Terra endlich eine Meldung von uns aufgefangen hat; aber seit der Zeit ist wieder alles ruhig. Dabei sah es, bevor sie mit dem Professor auftauchten, hier etwas anders aus.« Manu Tschobe horchte auf, als er von dem Dauernotruf in der unbekannten Sprache hörte, der von sieben weit voneinander entfernt liegenden Sendern in die Milchstraße ausgestrahlt worden war. »Als ob die ganze Sache mit Ihrem Erscheinen hier ihr Ende gefunden hätte«, sagte Walt Brugg und dachte sich nicht viel dabei. »Aus dem Schiff soll auch gesendet worden sein. Auf einer Hyperfrequenz, die noch nie benutzt wurde. Aber wir konnten nicht herausfinden, wo im Schiff der Sender stand. Und... komisch...« Walt Bniggs Blick war nachdenklich geworden, und leiser als bisher fügte er hinzu: »Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist die Sendung aus der POINT OF auch in dem Moment eingestellt worden, als sie, der Professor und Jimmy hier aus der Unitallwand traten. Ob die Sendung, die wir nicht lokalisieren konnten, nicht die Ausstrahlung des Transmitters im Ringraumer gewesen sein kann?« »Donnerwetter!« rief Manu Tschobe und nickte Brugg bewundernd zu. »Das müßte einmal untersucht werden, denn echte Transmitter-Impulse konnten bisher noch nie aufgezeichnet werden, selbst wenn die Anlage arbeitete. Man versuchte es stets mit der faulen und lahmen Ausrede zu erklären, Transmitter würden in einem noch höherdimensionalen Bereich arbeiten. Nur habe ich bis heute keinen einzigen Experten getroffen, der selbst daran geglaubt hätte. Es ist schon schwer genug, seine Gedanken im SD-Bereich zu bewegen. Nein, ich...« Die Bordverständigung plärrte dazwischen. Hanfstick bat ihn, in die Medo-Station zu kommen. Als Tschobe eintrat, machte man ihm an dem Tisch, auf dem Ren Dhark lag, wortlos Platz. Wortlos! Kaum hatte Tschobe einen forschenden Blick auf den leblosen Commander geworfen, als er verblüfft zusammenfuhr. Sein Blick machte die Runde. Seine Kollegen waren immer noch am Ende ihrer medizinischen Kunst. In diesem Augenblick verstand er ihre Hilflosigkeit. Ren Dhark und Dan Riker waren kein medizinischer Fall. Beide gehörten in die Hände von Para-Experten. In dem Zustand, in dem sie sich befanden, waren sie weder tot, noch lebten sie. Die gesamten Körperfunktionen einschließlich der lebensnotwendigen Sauerstoffversorgung des Gehirns waren durch einen paranormalen Block lahmgelegt und durch jene undefinierbaren Kräfte und Mittel des Zwischenbereichs ersetzt worden. »Hm...« Manu Tschobe besaß schwache hypnotische Kräfte. Wieder sah er der Reihe nach seine ihn schweigend umstehenden Kollegen an. Von ihnen war keine Unterstützung zu erwarten. Er durfte ihnen nicht einmal sagen, daß Dhark und Riker keine medizinischen Fälle wären. Sie hätten ihn bei seinen Versuchen nur gestört, oder ihn sogar daran gehindert, es zu probieren. »Lassen Sie mich mit Dhark und Riker allein.« Es kam, wie er es erwartet hatte. Man wollte eine Erklärung von ihm. Er lehnte ab. Hanfstick ergriff Partei für Tschobe. Murrend verließen die übrigen Ärzte den OPRaum. Zwischen Dhark und Riker stand mit geschlossenen Augen der große dunkelhäutige Mann und versuchte, seine schwachen Parakräfte zu aktivieren. Er hatte keine Ahnung, ob sein Versuch Erfolg haben könnte. Er wußte schließlich noch nicht einmal, von welcher Para-Kraft die Männer erfaßt worden waren. Hypnose
und Suggestion waren doch nur zwei von vielen! Er erinnerte sich noch einmal, was er selbst miterlebt hatte. Viel war es nicht gewesen. Jimmy hatte hinterher auch keine Auskunft geben können. Alle Daten, die er während seiner Transmitter-Sprünge gespeichert hatte, waren in ihm gelöscht worden. Und der Checkmaster hatte auf Anfragen nur mit Rot geantwortet - also jede Aussage abgelehnt. »Wie kann ich in dieser Angelegenheit bloß weiterkommen?« fragte sich Tschobe und versuchte, sich erneut zu konzentrieren. Riker war bewußtlos aufgefunden worden. Jimmy‘s Bauchdecke war aufgeplatzt, als ob die Robotkonstruktion explodiert sei; und dann war etwas später mit einem dumpfen Knall der Commander bewußtlos zu Boden gegangen. Ich muß es versuchen, und wenn es nicht klappt, dann... In Gedanken sah er die POINT OF schon Cent Field anfliegen - mit den Leichen von Ren Dhark und Dan Riker an Bord. Dann rührte sich der große, dunkelhäutige Mann mit den ausgeprägten Wulstlippen nicht mehr. Seine Gedanken versanken, seine Sinne begannen einzuschlafen, und dennoch war dieser Mann hellwach - aber nur auf dem Gebiet seiner Parakräfte. Er zuckte nicht einmal zusammen, als er plötzlich in seinem Kopf eine Stimme vernahm, die ihm in ihrer Unpersönlichkeit vertraut erschien. Er hörte die Gedankensteuerung sagen: Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Dieser Satz war wie eine Brücke über einen Fluß, der einen Moment vorher noch unpassierbar gewesen war. Dieser Satz schuf jene Para-Verbindung zu Dhark und Riker, die Tschobe mit seinen schwachen Kräften nie hätte erzwingen können. Aufwachen! Aufstehen! Ihr sollt aufstehen! Wacht auf! Lautlos hämmerten diese Befehle auf die zwei Menschen ein, die reglos auf dem OPTisch lagen. Aufwachen! Ihr sollt aufstehen...! Und ununterbrochen klang auch in Tschobes Kopf jene Stimme, die wie ein lebloser Automat wiederholte. Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Die Geheimnisvollen hatten sich mit ihrer Aktion gegen Ren Dhark und Dan Riker gewehrt; sie wollten nicht entdeckt werden! Nicht durch die Menschen. Nicht einmal die Positionen der einzelnen Großtransmitter-Stationen sollten in den Besitz der Terraner gelangen! Steht auf! Aufwachen! Steht doch auf! Dhark, du sollst aufstehen... Manu Tschobe registrierte nicht, daß er sich schon nach wenigen Minuten am Rand der körperlichen Erschöpfung bewegte. Alle Energien, die er irgendwie aufbringen konnte, flossen in seine paranormalen Kräfte. Er mußte Dhark und Riker einfach aus ihrer katatonischen Starre herausholen! Ein Schleier zerriß vor seinen Augen. Er hörte Stimmen. Er fühlte Hände, die ihn an den Schultern schüttelten. Die Stimmen, die er kannte...? »Tschobe! Tschobe... Manu...« Seine Beine trugen ihn nicht mehr, und sein Kopf war leer; er schien zu keinem einzigen Gedanken mehr fähig zu sein. Er nahm gar nicht wahr, daß er von kräftigen Händen gepackt und auf den Boden gelegt wurde. Etwas Nasses, Kaltes fuhr durch sein Gesicht. Wasser lief ihm den Hals hinunter.
Und dann schlug er nach mehrfachen vergeblichen Versuchen endlich die Augen auf. Commander Ren Dhark und Flottenchef Dan Riker knieten neben ihm und sahen ihn besorgt an. Ein kaum angedeutetes Lachen flog über das von Anstrengungen gezeichnete Gesicht des Afrikaners. Er wollte sprechen, aber wiederum verließen ihn die Kräfte. Daß seine Kollegen ihn umringten, nahm er überhaupt nicht wahr. Ein Getränk wurde ihm an die Lippen gesetzt. Ein halbes Dutzend Injektionen sollten seine fast vollständig verbrauchten Kräfte schnell regenerieren, aber alles, was normalerweise gute Resultate erzielte, erwies sich bei ihm als nutzlos. Manu Tschobe legte den Kopf zur Seite und schlief ein. »Er hat's verdient!« Damit unterband der Commander jede weitere Aktion. »Und Ihnen, meine Herren, kann ich keine Erklärung abgeben. Sie müssen sich gedulden, bis Tschobe in der Lage ist, zu berichten. Ich bestehe darauf, daß er ununterbrochen durch zwei Ärzte beobachtet wird.« Mit kurzem Kopfnicken forderte er Dan Riker auf, ihm zu folgen. Sie ließen die ratlosen Ärzte der POINT OF hinter sich zurück. Die Mediziner glaubten zu träumen. Sie zweifelten an ihrem Wissen und an ihren Erfahrungen. Jeder von ihnen hatte Ren Dhark und Dan Riker untersucht, und jeder hatte den klinischen Tod dieser beiden Männer befürchtet - und eben waren diese beiden aus der Medo-Station gekommen, als ob sie nie auf einem OP-Tisch gelegen hätten. Nicht das kleinste Merkmal an ihnen wies darauf hin, daß sie über eine Stunde wie Tote, blaß und ohne jedes Lebenszeichen, dagelegen hatten. Klar und deutlich empfing die große Hyperfunkstation in Cent Field den Spruch der POINT OF: Verlassen Blue-Star-System mit Kurs auf Hope. gez. Ren Dhark Der Spruch war im offenen Textmodus, weder gerafft noch zerhackt, abgestrahlt worden. Die Auswertung in Cent Field ergab, daß sich der Ringraumer zur Zeit der Sendung schon im freien Raum befand und mit 0,6 Licht flog. Bernd Eylers bekam die Nachricht ebenso direkt zugespielt wie Henner Trawisheim. Ein paar Minuten darauf mußte Jos Aachten van Haag im Industriedom sein SpezialVipho aus der Tasche ziehen. Ihm wurde eine wichtige Meldung seiner GSOZentrale übermittelt. Auf dem kleinen Bildschirm erkannte er Bernd Eylers und hörte ihn sagen: »Jos, die POINT OF ist nach Hope unterwegs. Jetzt müssen wir fast glauben, daß sich Tschobe an Bord des Ringraumers befindet. Behalten Sie Ihre verdächtigen Cyborgs im Auge, und verhindern Sie unter allen Umständen, daß Tschobe auch nur ein Haar gekrümmt wird.« Jos bewegte sich auf einer der endlos langen Maschinenstraßen, die von den bis zu neunhundert Meter hohen Mammut-Aggregaten gebildet wurden. Ein Filter an seinem Vipho verhinderte, daß die Maschinengeräusche mit übertragen wurden. Flüchtig sah er sich um, bevor er antwortete: »Ich werde mein Bestes tun, Eylers. Doch was hat die Überprüfung unserer Sorgenkinder erbracht?« »Noch nichts. Warum sollen wir gerade diese beiden überhaupt nochmals überprüfen?« »Weil sie auf ihr zweites System umgeschaltet haben, als eigentlich keine Veranlassung dazu bestand. Diese Umschaltung ist meines Erachtens nicht normal. Sie sollten deswegen mal mit Ezbal sprechen. Sonst noch etwas?« »Ich werde Ihren Rat befolgen und mich mit Ezbal unterhalten. Sonst gibt's hier
nichts Neues. Ende, Jos!« Auch der GSO-Mann schaltete ab und steckte sein handliches Vipho wieder ein. Kurz darauf erfuhr er, daß mit der Landung der POINT OF in der Ringraumerhöhle gegen 20:40 Uhr Hope-Zeit zu rechnen war. Das Flaggschiff der Terranischen Flotte kehrte zu dem Ort zurück, an dem es vor tausend Jahren von den Mysterious gebaut worden war. Als Ren Dhark und Dan Riker mit ihren Begleitern den Industriedom erreichten und auf Schwebeplatten dem Großtransmitter-Raum zuflogen, wurden sie einmal mehr von der imposanten Größe dieses gewaltigen Industrie-Zentrums beeindruckt. Einige der in sich geschlossenen Bauten beanspruchten mehr als drei oder vier Quadratkilometer Grundfläche, und es bedurfte keiner ausschweifenden Phantasie, um sich vorzustellen, was alles hinter der fugendichten Verkleidung stecken konnte. Nach wie vor war der Transmitter-Raum durch die energetische Sperre blockiert. Nach wie vor bestand kein Kontakt zu den siebzehn Technikern und Ingenieuren. Der Commander war mit wenigen Begleitern gekommen; außer Dan Riker waren nur noch Manu Tschobe, Miles Congollon und Arc Doorn bei ihm. Im Hintergrund bewegte sich Jos Aachten van Haag zwischen den Experten, die die undankbare Aufgabe hatten, die Geheimnisse der Höhlen zu erforschen. Unter diesen Leuten befanden sich auch die Cyborgs Per Paavo Dordig und Frek Mildan, denen Jos nicht mehr traute. Sie hatten aber anscheinend noch nicht bemerkt, daß er sie pausenlos unauffällig beobachtete. Er hatte sich geschworen, daß es ihnen nicht gelingen würde, einen Mordanschlag auf Tschobe auszuführen, solange er in der Nähe war. Ren Dhark betrachtete die Sperre. Sein kantiges Kinn trat in diesem Augenblick stärker als sonst hervor. Leicht schüttelte er den Kopf. Wie so oft kreisten seine Gedanken um die Mysterious - und wieder einmal um die eine Frage: Leben die Mysterious noch - oder sind sie vor tausend Jahren vernichtet worden? Konnten das Auftauchen der Sperre und ihr Verschwinden nicht ebensogut durch eine automatische Steuerung ausgelöst werden, wie hier im Industriedom wahrscheinlich alles durch den schwebenden Ring über dem Zentralplatz gesteuert wurde? Unmerklich bewegte er sich, als er die Veränderung an der energetischen Wand bemerkte. Die Sperre verschwand. Der Blick in den Großtransmitter-Raum, den in genau diesem Augenblick siebzehn Männer fluchtartig verließen, war wieder frei. Die wenigsten erkannten den Commander der Planeten; jeder war glücklich, die Maschinenstraße und die Kollegen wiederzusehen. Jos Aachten van Haag ließ sich nicht ablenken. Seine Arbeit bestand darin, die beiden Cyborgs keine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Da gellte ein Schrei zwischen den Mammut-Aggregaten auf. Auch die siebzehn Mann, die gerade ihr Gefängnis verlassen hatten, wirbelten herum... und plötzlich stand das Entsetzen wieder in ihrem Blick. Der Transmitter arbeitete. Die Kreisfläche fluoreszierte! Dieses Fluoreszieren beherrschte den großen Raum mit seinen blauschimmernden Unitallwänden. Aber das war nichts Neues mehr. Das kannte fast jeder, der in einer der drei Höhlen arbeitete. Doch so etwas wie das Gesicht in der Kreisfläche war noch nie zuvor gesehen worden! Das zerfurchte Gesicht eines uralten Mannes, dessen graue Augen die teils überraschten, teils entsetzten Menschen starr anblickten. Es war ein unbarmherziges, ein bedrohliches Gesicht. Ren Dhark musterte das Gesicht neugierig. Er studierte es mit beinahe wissenschaftlicher Akribie; er sog die vielen Falten des Alten regelrecht in sich auf,
um keine einzige zu vergessen. Dieses Gesicht mußte einem Menschen gehören! Einem Mysterious? Warum muß ich auf einmal an die Plastik auf Mirac denken? fragte sich Dhark, während er darauf wartete, daß das Gesicht in der Kreisfläche der TransmitterAntenne irgendeine Gemütsregung offenbarte. Aber es blieb starr, der Blick aus den grauen, uralten Augen mitleidlos. Und dann begann das Gesicht ganz langsam zu verblassen. Was hatte diese Erscheinung zu bedeuten? War es eine Drohung? Oder eine Warnung? Oder gar ein unerbittliches Stop für die Terraner, nicht länger auf Gebieten zu forschen, die sie nichts angingen? Jos zuckte zusammen. Er hatte seinen Auftrag vergessen. Er hatte die beiden Cyborgs nicht mehr beobachtet. Das zerfurchte, alte Gesicht hatte ihn abgelenkt! Dann war es zu spät, zum Blaster zu greifen. Die beiden Cyborgs hatten auf ihr zweites System umgeschaltet und wollten Manu Tschobe ermorden. Nur Jos Aachten van Haag beobachtete die Katastrophe, und auch er konnte sie nicht mehr verhindern! Niemand konnte ahnen, daß sich in diesem Augenblick viele Lichtjahre weit entfernt noch eine andere Katastrophe ereignete, eine Katastrophe, die Folgen haben sollte...
12. FO-23 ruft TERRA! FO-23 ruft TERRA! Cent Field bitte kommen! Cent Field bitte kommen! Der zweihundert Meter durchmessende Forschungsraumer hatte eine Notlandung hinter sich. Captain Jon Bradock, der Kommandant der FO-23, hatte mit dieser Landung auf dem Gipfel eines nackten Dreitausenders eine Meisterleistung vollbracht. Wenn es mit normalen Dingen zugegangen wäre, hätte die FO-23 zwischen den Felsspitzen wie ein rohes Ei zerplatzen müssen. Und jetzt meldete sich Cent Field nicht! Seit zehn Minuten rief die FO-23. Der Hypersender des Raumers war klar. Cent Field mußte den Spruch empfangen. »Zum Teufel, warum melden die sich nicht?« knurrte der Captain, ein schlanker Mann, der manchmal unmenschliche Anforderungen an seine Besatzung stellte, sich aber nie scheute, seinen Männern selbst das vorzumachen, was er ihnen abverlangte. Für Bradock gingen seine Männer durchs Feuer, auch wenn sie ihn hin und wieder >Sklavenhalter< nannten. Jon Bradock wußte, wie man über ihn sprach. Es machte ihm herzlich wenig aus, weil er wußte, wie es gemeint war. Jetzt ging er in der Funk-Z seines Schiffes auf und ab. Schneller, immer schneller. Immer öfter sah er auf sein Chrono. Seine Ungeduld wuchs. Schließlich hatte er sein Schiff auf einem unbekannten Planeten, mitten in einem Hochgebirge landen müssen. Und wieder dachte er daran, wie es zu dieser verzweifelten Notlandung gekommen war. Bradock blieb stehen, starrte ein Oszillo an und sah die von innen beleuchtete Scheibe doch nicht.
Seine Gedanken wanderten um zwei Stunden in die Vergangenheit zurück... Zwei Stunden zuvor... Die FO-23 flog ein unbekanntes System an; einen S-Stern mit starkem Lichtwechsel und auffallenden Zirkon-Absorptionslinien. Das war an sich nichts Besonderes, auch nicht, daß dieser Stern elf Planeten besaß, von denen drei Zwillinge waren. Daß die Astronomen darüber in einen Freudentaumel ausbrachen, störte Captain Bradock nicht. Für ihn war der Anflug auf dieses System eine Routine-Angelegenheit. Immer wieder das gleiche, dachte er. Eine stinklangweilige Sache, bis unsere Schlauberger alle Daten im Kasten haben. Neben ihm brummte Oberleutnant Mett Cham, neunundzwanzig Jahre alt und I.O. der FO-23. Er war mit der Wiedergabe auf dem Bildschirm nicht zufrieden. »Drei Planetenpaare in einem System...? Und das bei dieser Sonne...?« Bradock fragte ihn nicht, warum ihm das nicht paßte. Distanz zum äußersten Planeten noch knapp eine Lichtstunde. Die FO-23 würde die Umlaufbahn in einer Stunde und achtundvierzig Minuten erreichen. Die Ortungen waren alle klar. Sie lieferten soviel Daten, daß die Wissenschaftler daran erstickt wären, wenn sie sie nicht einfach den Suprasensoren hätten zuführen können. Und die zeigten ununterbrochen Grün. Die sonnennächsten Trabanten waren Zwillinge. Jedes Paar hatte einen gemeinsamen Schwerpunkt. Eine selbstverständliche Sache - für Captain Bradock und seine Besatzung. Aber nicht für die Astronomen und Astrophysiker an Bord. Die machten eine Sensation daraus. Anruf aus der Astro-Abteilung. Jon Bradock wurde nicht einmal neugierig. Auch wenn die Astronomen versuchten, aus den vorliegenden Tatsachen etwas zu machen, das eigentlich die Galaxis hätte erschüttern müssen. »Captain, alle drei Zwillinge bewegen sich im gleichen Abstand um ihren gemeinsamen Mittelpunkt. Alle drei Zwillinge umlaufen in der gleichen Zeit die SSonne. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Captain, können wir nicht mit höherer Fahrt in dieses System einfliegen?« Jon Bradock hörte es gern. Je schneller sein Raumer an Ort und Stelle war, um so schneller waren sie auch wieder draußen, und die Untersuchung dieses Systems war die letzte Aufgabe der FO-23. Dann ging es Kurs Terra. Nach drei Monaten Forschungsflug und stupidem Katalogisieren des Sektors NN/45 sehnte auch er sich danach, Terra wiederzusehen. Dazu drängte ihn noch etwas anderes: Seine Frau erwartete ein Kind. Das erste. Er wollte bei ihr sein, wenn es soweit war. Darum sagte er: »Okay«. Die As-Onen-Triebwerke der FO-23 wurden hochgefahren, und die Zelle des Raumers begann wie eine schlecht gestimmte Glocke zu dröhnen. Bei 0,78 Licht blieb die Geschwindigkeit des Forschungsschiffes konstant. Mett Cham hatte wieder einen Grund zum Meckern gefunden. »Unsere Energieortung zeigt Null. Das gefällt mir bei diesen drei Zwillingen nicht. Captain, da ist was faul!« Bradock dachte an seine Frau, an Terra, und er dachte, daß er seinem Ersten das Nörgeln wohl nie abgewöhnen können würde. Vorbeiflug an den äußeren Planeten. Hübsche Eiskugeln, und alle nicht einmal erdgroß. Die S-Sonne wurde auf dem Bildschirm größer und größer. Sie befand sich in ihrer maximalen Helligkeitsperiode. Die Dauer ihres Pulsationszyklus betrug 42,06 Stunden Norm-Zeit. Diese Informationen hatten die Astronomen dem Captain geliefert. Er registrierte, daß die Rotationszeit der drei Zwillinge 21,03 Stunden Norm-
Zeit betrug. Solche Zufälle waren im Sternenmeer keine Seltenheit; niemals hatte etwas Besonderes dahintergesteckt. »Gehen Sie mit der Fahrt 'runter«, sagte Bradock zu seinem I.O., als auf seinem Instrumentenpult eine Warnkontrolle aufleuchtete. »Warum schalten Sie nicht um? Haben Sie die Nase immer noch nicht voll vom Manuell-Fliegen?« »Nee!« So antwortete ein Mann, der sich belästigt fühlte. Bradock überhörte es. Er hatte seinen guten Tag. Morgen oder übermorgen würde sein Kahn auf dem Raumhafen von Cent Field liegen, und er würde in einem Jett unterwegs zu seiner Frau sein. Das Orgeln, Donnern und Brüllen der As-Onen-Triebwerke ließ nach. Im Schiff wurde die Verständigung bedeutend leichter. Vorbei an fünf Planeten. Anflug auf die Zwillinge, die sich auf drei Bahnen um ihre Pulsations-Sonne bewegten. Distanz zum nächsten Zwilling 127 Millionen Kilometer bei nur noch 0,25 Licht. »Sauerstoffplaneten... Hübsch. Bei 0,7 Gravos muß es ein Vergnügen sein, da Holz zu hacken...« Jon Bradock hatte hin und wieder Wünsche, die in Ururgroßvaters Zeiten auf Terra zu den täglichen Pflichten gehört hatten. Aber wer wäre so verrückt, heutzutage diesen wertvollen Stoff zu verbrennen? In der nächsten Sekunde waren derartige Fragen vergessen. Die Energieortung des Raumers warf einen Wert aus, der von den Instrumenten nicht mehr klar zu erfassen war. Zeitgleich mit dem Heulen der Sirenen und dem abrupt einsetzenden Vibrationsalarm brüllten die Andruckabsorber des Schiffes auf, verstummte das Orgeln der As-Onen-Triebwerke - und dann schien eine unsichtbare Riesenhand das Zweihundert-Meter-Schiff zu packen und so drastisch abzustoppen, daß die Schweißnähte zu platzen drohten. Die FO-23 stand relativ zum Sonnensystem still im Raum! Die Besatzung und die Wissenschaftler an Bord hatten alle nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich in die Raumanzüge zu kommen. Jon Bradock dachte nicht daran. Seine Stimme klirrte, als sie über die Bordverständigung in den wichtigsten Zentralen des Raumers erklang. »Bringen Sie mir die Triebwerke wieder in Schwung, Chief! Und zwar ein bißchen plötzlich, verstanden!?« Er ließ nicht gelten, daß ihm der Chef der Waffensteuerung stockend mitteilte, sämtliche Geschützantennen seien unklar. Er stauchte sie zusammen. Der Anpfiff kam nicht mehr an. Die Energieversorgung im Schiff brach zusammen. Auch in der Zentrale gab es nicht einmal mehr die Notbeleuchtung. Die FO-23 war ein dunkler Sarg geworden, in dem keine einzige Funktion mehr aktiv war. Die Stille in der Kommandozentrale war unheimlich. Da bewies Jon Bradock fast so etwas wie Humor. »Cham, haben wir vielleicht eine Kerze hier?« Er erwartete nicht wirklich, daß dem so wäre. Was geschah mit seinem Schiff? Was stand ihnen bevor? Wer hatte den Raumer angegriffen und ihn aller Funktionen beraubt? »Diese verdammten Zwillinge«, murmelte er und erkannte, daß er diesem Phänomen zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Das war kein Wunder der Natur; hier waren intelligente Wesen am Werk gewesen, die sechs Planeten zu Paaren vereinigt hatten, um sie auf verschiedenen Bahnen mit der gleichen Umlaufzeit um ihre Sonne kreisen zu lassen! Und das alles ziemlich genau 10 000 Lichtjahre vom Sol-System entfernt! Aber nicht
in Richtung auf das galaktische Zentrum, sondern am Ende des benachbarten Spiralarms! Auch Jon Bradock stöhnte unter Schmerzen auf, als ein mörderischer Andruck durch das Schiff lief. Seine FO-23 wurde aus dem Stand heraus radikal beschleunigt, Hinter Bradocks Stirn jagten sich die Gedanken. Er konnte sich nicht erklären, wie man alle Konverter im Schiff lahmlegen konnte. Das gab es doch nicht! Aber wieso hatte dann auch der Chef der Waffensteuerung alle Geschützantennen unklar gemeldet? Die hingen doch im Normalfall an separaten Konvertern und Speicherbänken! Und auch die letzteren sollten kein einziges Quant Energie mehr besitzen? Das wollte Jon Bradock einfach nicht wahrhaben. »Los, Cham, rasen Sie zur Triebwerkszentrale. Wir müssen irgendwie wieder Saft in die As-Onen-Triebwerke kriegen. Ab mit Ihnen!« »Zustände wie im alten Rom...« Noch nicht einmal in einer solchen Situation konnte Mett Cham das Nörgeln lassen. Er machte sich auf den Weg. Nicht schnell. Um ihn herum war es stockdunkel. Nicht ein Lichtstrahl war zu sehen. Ein Königreich für eine Kerze! Auch der Scheinwerfer an seinem Raumanzug brannte nicht. Und den Klarsichthelm des Anzugs zu schließen, hätte Selbstmord bedeutet. Die Lufterneuerungsanlage darin arbeitete ebenfalls nicht. Jon Bradock wartete. Der Andruck, der einmal durchgekommen war, hatte ebensoschnell wieder nachgelassen. Dennoch war der Kommandant überzeugt, daß sein Schiff sich ohne eigene Kraft bewegte. Nur den Kurs konnte er sich nicht vorstellen. »Ruhe!« brüllte er durch die Dunkelheit, als einige seiner Offiziere sich zu unterhalten begannen. »Absolute Ruhe!« Warum er diesen sinnlosen Befehl gab, wußte er auch nicht. Plötzlich war das Arbeiten eines As-Onen-Triebwerks zu hören. Jetzt setzte ein zweites ein, ein drittes... weitere kamen hinzu. Sie liefen nur mit minimaler Leistung. Aber sie liefen! Das war vorerst einmal die Hauptsache. Der 1. Ingenieur mußte ein Wunder vollbracht haben. Wo hat der Bursche bloß den Saft her? fragte sich Bradock. Die Notbeleuchtung flackerte auf, ganz kurz nur. Dann war es in allen Räumen der FO-23 wieder stockdunkel. Doch wenig später flackerte sie ein zweites Mal auf - und blieb. Licht! Wenn auch ein müdes, düsteres Licht. Aber man konnte wieder etwas sehen. Die Bordverständigung funktionierte auch wieder. Ausfall aller Ortungen! Kein Bildschirm klar! Keine Geschützantenne! Die Hauptkonverter im Raumer lagen still! Die Speicherbänke gaben keine Energie ab, obwohl sie laut Anzeige bis zu fünfundsiebzig Prozent aufgeladen waren. »Captain, etwas blockiert alles, aber warum ein paar Not-Konverter wieder arbeiten... der Teufel mag's wissen, wir leider nicht.« »Mit dem habe ich im Moment ungern zu tun.« Bradock beugte sich vor. Die Notenergieversorgung reichte jetzt aus, um ein paar Instrumente an seinem Pult wieder aktiv werden zu lassen. »Hübsche Fahrt«, brummte er. Seine FO-23 bewegte sich mit 0,32 Licht. Diese Geschwindigkeit konnten sie mit einer Handvoll schwach arbeitender As-Onen-Tnebwerke niemals erreichen! Also...
Er machte sich nichts vor. Eine unbekannte Macht hatte sein Schiff in der Gewalt und spielte im Leerraum zwischen den Zwillingsplaneten damit Fußball. Keine schöne Vorstellung. Sein Blick brannte sich am großen Bildschirm fest. Der stand immer noch auf maximale Vergrößerung. Sie rasten an der S-Sonne vorbei! Sie wurden aus diesem System mit den drei Zwillingsplaneten regelrecht hinausgeworfen! Man wollte sie nicht haben! Da hatte Bradock die Idee seines Lebens. Über die Bordverständigung brüllte er den leitenden Offizier in der Funk-Z an: »Mann, jagen Sie auf allen Frequenzen, die Sie aktivieren können, einen Bildspruch raus, daß wir die harmlosesten Subjekte der Milchstraße sind. Nur lassen Sie sich bei der Sendung das Richtige einfallen. Nicht, daß die anderen auf die Idee kommen, wir könnten eine Abwechslung für ihre Speisekarte sein...« »Spruch läuft, Captain... Ich strahle gerade die Bergung eines havarierten Raumers ab«, kam die Meldung aus der Funk-Z. »Hoffentlich...« Die As-Onen-Triebwerke der FO-23 sprangen alle wieder an. Die Notbeleuchtung wurde überflüssig. Im Schiff herrschten wieder normale Zustände. Bis auf eine Ausnahme: Die As-Onen-Triebwerke ließen sich nicht steuern! Der Raumer war gezwungen, seinen Kurs beizubehalten! Kurs aus dem System der S-Sonne heraus! Geschwindigkeit steigend. Schon über 0,5 Licht! Neben dem Kommandanten ließ sich sein 1. Offizier in den Copiloten-Sitz fallen. »Ein prachtvoller Rausschmiß!« John Bradock dachte dasselbe. Und er wollte sich diesen Rausschmiß nicht bieten lassen. Aber warum kam keine Meldung aus der Funk-Z? Die Unbekannten mußten doch auf die Bildsendung reagieren. Aber sie schienen der Friedfertigkeit der unbekannten Besucher immer noch zu mißtrauen, sonst hätten sie eine Landung der FO-23 auf einem ihrer Zwillings-Sauerstoff-Planeten zugelassen. »Freunde«, versprach ihnen Jon Bradock, »wir sind gleich wieder da! - Hallo, Ortungen! Ich benötige jetzt hundertprozentig exakte Werte. Distanz, Magnetfelder, Rotationszeiten und so weiter und so weiter. Aber alle Werte. Und alle Werte gleich dreimal durch die Suprasensorkontrolle. Ich benötige sie für einen kleinen Sprung. Für eine Kurztransition auf eine dieser Zwillingswelten. Ist das klar?« Das war mehr, als einfach nur ein Risiko einzugehen! Das bedeutete, daß Captain Jon Bradock das Leben aller seiner Männer aufs Spiel setzen wollte! Aber es gab an Bord seines Schiffes niemanden, der gegen sein Vorhaben protestierte. Nicht einmal von den Ortungen kam Widerspruch, nur ein gepreßtes Okay. Und die FO-23 raste inzwischen mit 0,73 Licht aus dem System einer PulsationsSonne heraus, die elf Planeten besaß, von denen sechs Zwillinge waren. »Himmel und Hölle, jetzt könnte ich einen Cognac gebrauchen«, flüsterte Mett Cham. »Hier wird nicht gesoffen!« fauchte der Kommandant ihn an. »Trinker sind auf Raumschiffen eine Gefahr für alle!« Cham sah seinen Vorgesetzten entgeistert an. »Captain... Sie... Sie trinken...« Jon Bradock wußte, was sein Stellvertreter sagen wollte. »Aber ich weiß, wann ich trinken darf und wann nicht. Das unterscheidet uns voneinander!« Die FO-23 näherte sich der Lichtgeschwindigkeit. Darauf hatte Jon Bradock gewartet. Noch einmal Fragen an die Ortungen. Noch einmal Rückfragen an die Experten, die
das Bordgehirn der FO-23 bedienten. Dann kam der Befehl: »X-Zeit für Kurztransition in drei Minuten anlaufen lassen; Dauer der X-Zeit eine Minute!« Das Ziel des Sprungs lag fest: Der größere Planet des dritten, äußeren Zwillingspaars! John Bradock wollte mit diesem Trick herausbekommen, welche Macht ihn und sein Schiff daran gehindert hatte, einen Planeten dieses Systems anzufliegen. Er glaubte, es sich und Terra schuldig zu sein, diese Nachforschungen anzustellen. In der FO-23 lief die X-Zeit! Das Bordgehirn zeigte Grün. Der große Suprasensor der FO-23 war seit einigen Sekunden bei unveränderten Endwerten. Dennoch war das Risiko immer noch riesengroß. Denn bei einem solchen Sprung konnte ein winziger Fehler von einigen hundert Kilometern eine Katastrophe herbeiführen. Captain Jon Bradock wollte nur ganz knapp außerhalb der Atmosphäre des Planeten mit geringer Restfahrt aus der Transition kommen und binnen kürzester Zeit gelandet sein. Die Ortungsgeräte der Unbekannten sollten so gut wie keine Gelegenheit erhalten, die As-Onen-Triebwerke und die Masse der FO-23 anmessen zu können. »Raumanzüge schließen...!« Bradocks letzter Befehl vor dem Sprung. Die As-Onen-Triebwerke des Forschungsraumers brüllten auf. Ungeheure Energiemengen wurden freigegeben, um die Voraussetzungen für die Transition zu schaffen. Angst und Übelkeit, die üblichen Begleiterscheinungen von Transitionen an Bord der Kugelraumer, brachen über die Männer herein, als das Schiff das Raum-ZeitKontinuum verließ, dabei eine - nur mathematisch erfaßbare - Kehrtwendung von hundertachtzig Grad machte und über dem größeren Planeten des dritten Zwillingspaars wieder ins normale Gefüge zurückehrte. Jon Bradock krümmte sich noch unter dem unbeherrschbaren Angstgefühl, als Kollisionsalarm gegeben wurde. Die Distanzberechnung war fehlerhaft gewesen! Direkt unter der FO-23 befand sich ein Gebirge! Das zweihundert Meter durchmessende Schiff raste viel zu schnell auf die felsigen Grate nackter Dreitausender zu! Jon Bradock reagierte, ohne nachzudenken. Seine Hände flogen zur Steuerung. Blitzschaltung für alle As-Onen-Triebwerke! Sperrung der Sicherungen für die Andruckabsorber. Vollast aller Konverter! Emissionswinkel aller As-Onen-Triebwerke auf minimale Steigleistung! Volle Schubkraft! Und das alles achttausend Meter über einem Meer aus zackigen, zerfransten Gipfeln, zwischen denen dunkle Abgründe gähnten - tief eingeschnittene Täler, die so schmal waren, daß Bradock glaubte, den Grand Canyon gleich mehrfach unter sich zu sehen. Ein Kreischen ging durch den Raumer. Es kam aus dem Ringwulst, der im Äquatorialbereich der FO-23 gleich einem halbierten Schlauch gegen die Innenwandung der Zelle lag. Die nebeneinander installierten Triebwerke, alle zugleich auf maximale Leistung geschaltet, drohten aus ihren Bettungen zu fliegen. Vollast! Aber die FO-23 raste weiter wie ein Stein in die Tiefe! Teleskopbeine ausfahren! Es ging um Sekundenbruchteile. Der große Bildschirm zeigte es.
Der Prallschirm des Forschungsraumers verwandelte sich in weißglühende Lohe, als die mit Brachialgewalt zur Seite gedrückte Luft sich mehr und mehr erhitzte... »Wir krachen auf...« flüsterte Jon Bradock; er brauchte den Höhenmesser nicht mehr abzulesen. Ihm blieb nur noch die Hoffnung, daß die Andruckabsorber die größte Wucht des Aufpralls abfangen und so seinen Männern eine Chance zum Überleben geben würden. »Wir schaffen es...« keuchte neben ihm Mett Cham. Dieser Narr, dacht der Kommandant, wir sind ja kaum noch tausend Meter über dem Gipfel. Und dieser Gipfel war viel zu klein... »Wo bleibt denn der A-Grav?« gellte es durch die Zentrale. Bradock wußte es. Jeder Mann an Bord wußte es. Der A-Grav konnte nicht kommen. Um die As-Onen-Triebwerke über die Katastrophenschaltung so schnell hochzufahren, waren alle Energiereserven erforderlich, die das Schiff besaß. Für A-Grav-Kräfte blieb da nichts mehr übrig. Ein blauer Himmel. Unter ihnen ein Gebirge, braun und grau und schwarz. Um die FO-23 herum heulende, glühende Luftmassen. Und unter ihnen ein schmaler, langer Grat, zerrissen, zerfranst und voller nadelspitzer Zacken. Zacken, die die Zelle des Forschungsraumers wie eine Konservendose aufschlitzten würden! »Jetzt...« Der Aufprall kam. Die Teleskopbeine des Raumers konnten den Stoß nicht ausgleichen. Die Andruckabsorber wurden über ihre maximale Leistung belastet. Ein dumpfer, dröhnender Schlag erschütterte die Zelle. Die FO-23 hüpfte, sprang hoch, während zugleich ein teuflisches Knirschen und Krachen durch alle Räume lief. Und dann ging ein letzter Schlag durch das Schiff, das sich langsam zur Seite neigte. War die FO-23 doch einigermaßen glatt gelandet? Aber sie krängte immer stärker über! Und warum liefen die Triebwerke nicht mehr? Jon Bradock fühlte, wie der Druck auf der rechten Seite seines Pilotensitzes immer stärker wurde. »A-Grav, komm! Komm...!« Er stieß es wie ein Stoßgebet aus. »Komm, bevor das Schiff in den Abgrund stürzt...!« Der A-Grav kam! Die Neigungsbewegung der FO-23 hörte auf. Das Knirschen und Krachen draußen, dort, wo sich die Teleskopbeine befanden, wurde leiser. Das dumpfe Brummen und durchdringende Pfeifen von Transformern und Speicherbänken ließ nach. Die FO-23 war auf einem Planeten eines unbekannten Systems gelandet, aber zu welchem Preis! Eine Viertelstunde später sahen zwölf Mann die Zerstörungen. Zwei Dutzend größtenteils schwerbeschädigte Teleskopbeine hingen verbogen und verdreht an der Zelle des Kugelraumers. Dennoch flogen bewundernde Blicke zum Kommandanten, der mit verkniffenem Gesicht die Schäden musterte. Jon Bradock hatte mit dieser Landung etwas Unglaubliches vollbracht. Und jeder, der einen Blick in die Tiefe und dann auf die Schieflage des Schiffes warf, erschauerte. Drei Grad mehr Neigung hätten genügt, den Kugelraumer in die Schlucht stürzen zu lassen, aus der es dunkelblau zu ihnen heraufschimmerte. Jon Bradock atmete tief durch.
All das war ihm in der Funk-Z seines Schiffes noch einmal durch den Kopf gegangen. Er bereute nichts, aber seine Frau tat ihm leid. Sie würde allein sein, wenn sie ihr erstes Kind zur Welt brachte. Bradock machte sich nichts vor. Die zerstörten Teleskopbeine waren nicht so wichtig. Viel schlimmer waren die irreparablen Schäden im Schiff. Die FO-23 konnte nicht mehr transitieren! Rund 10 000 Lichtjahre vom Sol-System entfernt. Darum wurde ja Terra mit maximaler Sendeleistung angerufen. Aber Terra meldete sich nicht. »Kommandant, wir haben Empfang!« rief ihm der 1. Funkoffizier zu und wies auf die Amplitude, die auf einem der Oszillos in ununterbrochener Folge kam und ging. »Auf welcher Hyperfrequenz?« fragte Bradock. Die Antwort gab der Bildschirm des Empfangsgerätes. Drei Roboter sahen die Terraner in der Funk-Z der FO-23 an! Jos Aachten van Haag sah die Katastrophe kommen. Aber er konnte sie nicht mehr aufhalten. Es war zu spät, zum Blaster zu greifen. Die beiden Cyborgs standen schon dicht hinter dem Arzt und Funkspezialisten Manu Tschobe. Tschobe! wollte Jos schreien, aber das Wort blieb ihm im Mund stecken. Die Kreisfläche der Transmitter-Antenne war nicht mehr leer. Dort stand ein Roboter des Typs, den Professor Acker und Tschobe schon kennengelernt hatten - ein Zylinder mit fünf Gehgliedern und fünf Armen. Nur lagen die Arme nicht gegen den zylindrischen Rumpf gepreßt. Sie waren auf den Eingang gerichtet, vor dem Ren Dhark mit seinen Begleitern stand. Und diese Arme mit den Greifklauen waren Strahlwaffen. Ren Dhark warf sich zur Seite, als die nadeldünne Energiebahn dicht an seinem Kopf vorbeizischte. Voller Entsetzen dachte er an die Menschen, die hinter ihm standen und in den Bereich dieses Strahls gekommen waren. Doch er hörte keinen Schrei. Er hörte Dan Riker unterdrückt stöhnen, und dann stand Jos Aachten van Haag bei ihnen. Sein Gesicht war grau. Der GSO-Mann, dem viele nachsagten, er sei abgebrüht und ihn könne nichts erschüttern, schien in diesem Moment die Sprache verloren zu haben. Er konnte einfach nicht begreifen, was er gesehen hatte. Während er vergeblich nach Worten suchte und mit beiden Armen gestikulierte, erlebte er alles noch einmal. In der Kreisfläche des Transmitters tauchte der Roboter auf. Aber wieso waren seine fünf Arme schon auf die Menschen ausgerichtet, die am Eingang standen? Und aus zwei seiner Greifklauen waren Strahlen emittiert worden, und diese Strahlen hatten die beiden Cyborgs, die auf ihr zweites System geschaltet hatten, getroffen. Hatten die Strahlen tatsächlich getroffen? Jos Aachten van Haag drehte sich noch einmal um. Sein Blick suchte die Cyborgs. Andere taten es ihm gleich. Auch Ren Dhark. Drei Schritte vor der Kreisfläche des Transmitters schwebte der Roboter fußhoch über dem Unitallboden; er bewegte sich nicht mehr. Die fünf Armglieder hatte er gegen seinen zylindrischen Rumpf gepreßt, die Greifklauen der Extremitäten waren geschlossen. Nur die beiden Cyborgs Mildan und Dordig waren und blieben verschwunden. »Was sagen Sie, Jos?« unterbrach ihn Ren Dhark verblüfft, und sein markantes Gesicht spiegelte Erschrecken wider. »Was sagen Sie?« fragte er noch einmal, obwohl ihm seine Augen sagten, daß die beiden Cyborgs weit und breit nicht mehr
zu sehen waren. »Ja, sie verschwanden im gleichen Moment, in dem sie von den Strahlen getroffen wurden. Aber es war kein Verschwinden im eigentlichen Sinn. Es war so, als ob sie ihre körperliche Existenz verloren hätten. So, so...« Jos suchte nach Worten, zuckte hilflos mit den Schultern und meinte dann: »Vielleicht haben andere hier den Vorgang besser als ich beobachtet. Ich bleibe bei meiner Behauptung, daß sie nicht tot sind. Wir können sie deshalb nicht mehr sehen, weil sie das Existentielle verloren haben.« »Mahlzeit!« sagte neben ihm der Afrikaner, der sich den Schweiß von der Stirn wischte und immer noch sehr blaß war. »Mein Bedarf an Abenteuern ist für heute gedeckt. Große Milchstraße, Jos, wie konnte das passieren?« In seiner Stimme schwang ein leichter Vorwurf mit. Jos nickte, als wollte er Tschobe recht geben. »Wie es passieren konnte? Auch ich war von diesem zerfurchten alten Gesicht in der Ringantenne fasziniert. Ich habe mich ablenken lassen und die Cyborgs vielleicht eine halbe Minute lang nicht beobachtet. Hm...« Er bedachte den Roboter mit einem Blick, der eine einzige Frage war. »Ich möchte auch wissen, wie der dazu kam, meinen Schutz zu übernehmen«, sagte Tschobe und setzte sich in Richtung auf den Roboter in Bewegung. Riker wollte ihn zurückhalten, doch Ren Dhark mischte sich ein. »Laß ihn. Er hat Erfahrung mit diesen Maschinenwesen.« Tschobe hatte den Roboter erreicht und wunderte sich, wie sehr er sich in der kurzen Zeit auf einer fernen Transmitter-Station an das Aussehen dieser Gestalten gewöhnt hatte. »Hallo«, sagte er laut und tippte den Roboter leicht an. Der Automat schwebte, ohne sich dabei zu drehen, auf die Antenne zu. Langsam. Und dann starrte nicht nur Manu Tschobe verblüfft auf die leere Kreisfläche. »Jetzt sind wir so klug wie zuvor«, stellte Ren Dhark sachlich fest. »Diese Vorfälle sollten uns allen zu denken geben. Das Gesicht des alten Mannes hat uns etwas sagen wollen. Ein Roboter hat verhindert, daß Tschobe umgebracht wurde. Ist dieser letzte Fall nicht viel rätselhafter als alle anderen? Denn - wie soll ein Roboter die Gedanken eines Cyborgs lesen können, der doch im zweiten System nur im Bereich seines Programm-Gehirns denkt?« Damit hatte Dhark die wichtigsten Punkte herausgestellt. Dennoch hatte er ein leicht schadenfrohes Lächeln für Manu Tschobe übrig, als dieser wieder zu ihnen trat. »Sie haben gut lachen«, knurrte der Afrikaner unzufrieden, »dabei habe ich den Blechkameraden nur angetippt, ihm nicht einmal einen Stoß gegeben. Besonders kontaktfreudig sind diese Burschen nicht.« Ren Dharks Augen blitzten, als er Tschobe beide Hände auf die Schultern legte. »Manu, haben Sie immer noch nicht begriffen, warum der Roboter Sie gerettet hat?« Die Menschenmenge um sie herum war größer geworden. Die Wissenschaftler wollten sich kein Wort entgehen lassen. »Ich bin heute ziemlich strapaziert worden«, meinte Tschobe, »aber auch wenn dem nicht so wäre, wüßte ich immer noch nicht, wieso da ein Roboter auftaucht und...« Professor Tim Acker war der zweite, der die Zusammenhänge erkannte. »Tschobe«, mischte er sich ein, »haben Sie vergessen, daß Sie und ich in einem Saal neben einer Transmitter-Station all unser Wissen preisgeben mußten? Und wenn Sie gewußt haben, daß Cyborgs Ihnen an den Kragen wollten, dann haben es dadurch auch unsere lieben Roboter gewußt!« »Nein!« sagte Tschobe voller Überzeugung zu Dhark und Acker. »Nein, so einfach kann der Fall nicht sein. Diese Erklärung ist zu simpel. Und Sie, Dhark, Sie trauen diesen Robotern mehr zu als sie wirklich können...«
»So?« fragte der Commander gedehnt, »und wer hat die beiden Cyborgs verschwinden lassen?« Wie immer konnte der Afrikaner auch jetzt dem Commander nicht in die Augen sehen. »Weiß ich es? Haben Sie eine physikalische Erklärung dafür?« Abrupt machte er eine Bewegung mit dem rechten Arm, riß dabei seine Augen weit auf, packte auch noch mit der anderen Hand zu und schrie wie ein Mensch voller Todeangst: »Ich hab' einen! Ich hab' einen!« Aber seine Hände waren leer. Und zwischen ihm und Dan Riker, zu dem er sich umgedreht hatte, befand sich - nichts! Ren Dhark sah die Veränderung in Tschobes Gesicht. Er hörte ihn rufen. Er sah, daß der Afrikaner etwas gepackt hielt, das nicht vorhanden war. Er wollte hinüberlaufen, wollte Tschobe helfen, und er sah aus dem Augenwinkel, daß auch Jos Aachten van Haag sich in Bewegung setzte. Da stieß Tschobe ein unterdrücktes Keuchen aus, taumelte rückwärts. Seine Arme fielen herunter... Ren Dhark hatte jetzt den Afrikaner erreicht, fing ihn auf, stützte ihn. Tschobe atmete einmal tief durch. Ein Schauer schien ihn zu überlaufen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er sich zu Ren Dhark beugte und sagte: »Dhark, wir haben es jetzt mit zwei unsichtbaren und zugleich entarteten Cyborgs zu tun! Gute Nacht, Mutter Erde!« Noch bevor Ren Dhark irgend etwas erwidern konnte, meldete sich sein SpezialVipho. »Commander, Cent Field - Marschall Bulton verlangt Sie dringend in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen. Soll ich verbinden?« Natürlich nahm der Commander das Gespräch entgegen. Nur konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, wie wichtig dieser Funkspruch wirklich war - und wie wichtig die Entscheidung, die er gleich zu treffen hatte... Durch Marschall Bulton hörte Ren Dhark von der Notlandung der FO-23 in einem unbekannten System, dessen Position nicht klar auszumachen war, weil der Notruf des Forschungsraumers von einer halb defekten, automatisch arbeitenden Relaisstation nach Terra weitergefunkt worden war. »...Wir haben nur einen Satz klar empfangen: Alarm für Terra! Alarm für alle Intelligenzen im... dann bricht der Ruf ab. Ich habe vorsorglich Bereitschaftsstufe III angeordnet, Commander. Leider ist Captain Jon Bradock der Kommandant der FO23.« »Was soll das heißen, Bulton?« »Nun, Bradock ist ein erstklassiger Kommandant, aber bedauerlicherweise auch ein Mann, der Gefahren immer zu gering bewertet. Gerade weil ausgerechnet Bradock diesen Warnruf abgesetzt hat, wollte ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen. Ich kenne Bradock gut; schließlich ist er mein Stiefbruder!« Dhark entschied sich sofort. »Ich habe hier noch ein bißchen was zu erledigen, Bulton. Rechnen Sie mit der Rückkehr der POINT OF für morgen gegen 18 Uhr Norm-Zeit. Sollte sich inzwischen etwas Wichtiges ereignen - ich bin jederzeit erreichbar. Ich danke Ihnen. Ende!« Damit waren die Würfel gefallen. Der Abgrund unter den Menschen der Erde öffnete sich weiter.
13. Jens Lionel, der Bordastronom der POINT OF, dachte nicht an Schlaf. Er war auch nicht müde. Seine Kollegen, die er aus ihren Kabinen geholt hatte, ebenfalls nicht. Sie hatten sich mit Begeisterung in ihre Aufgabe verbissen. Sie wollten das Geheimnis der Sternkarten, die der Commander in dem fremden Flash gefunden
hatte, unter allen Umständen lösen. Und sie wollten endlich erfahren, in welchem Teil der Galaxis die Heimatwelt der sagenhaften Mysterious lag, die vor tausend Jahren von der galaktischen Bühne verschwunden waren. Eine neue Projektion. Wie immer wurde sie von einem halben Dutzend Experten geprüft. »Wir kommen keinen Schritt weiter«, murmelte Lionel, »wenn wir nicht endlich herausbekommen, welches System als Bezugspunkt für diese Karten verwendet wurde.« Im Projektionsraum herrschte Ruhe. Der kleine Suprasensor arbeitete nicht. Die Verbindung zum Checkmaster der POINT OF war unterbrochen, weil er bisher auf alle Fragen die Antwort schuldig geblieben war. »Das Ding ist mir von Anfang an unheimlich gewesen«, meinte Lossow, der ziemlich neu an Bord war, »aber jetzt möchte ich sogar behaupten, daß es ein Biest ist. Ein Ding mit gemeinem Intellekt.« »Reden Sie kein Blech«, erwiderte Lionel grob. »Der Checkmaster ist nichts anderes als ein großartiges Bordgehirn, wie wir es vielleicht in hundert oder tausend Jahren konstruieren können. Allein der Gedanke, es könnte auf biologischer Basis arbeiten, macht mir eine Gänsehaut...« Er wischte sich über die Augen, betrachtete stirnrunzelnd die Projektion und murmelte: »Im Rotsektor... schon bei der ersten Durchmusterung... jetzt fällt's mir wieder auf... da kommt mir was bekannt vor!« Solche Worte waren schon mehrfach gefallen, aber damit war auch alles gesagt. Man kam einfach nicht weiter. Diese Karten der Mysterious mußten Sterngebiete zeigen, die den Terranern fremd waren. Wahrscheinlich lagen sie weit hinter dem Zentrum der Galaxis. Nach der Dichte zu schließen, mußte sich dieses Gebiet irgendwo in einem Randgebiet der Milchstraße befinden. Aber wo? Die Astronomen schreckten auf. In der POINT OF liefen ein paar Konverter an. Trotz der erstklassigen Schallisolationen kamen immer noch schwache Geräusche durch. Und dann wurde über die Bordverständigung die Nachricht verbreitet: Die POINT OF startet in drei Minuten mit Kurs auf Terra! »Dann kommen wir doch noch mal nach Hause«, sagte Lossow, und es klang erleichtert. »Ich habe andere Sorgen«, erwiderte Lionel bissig, »und es wäre mir sympathischer, wenn Sie die gleichen hätten. Verdammt, welchen Abschnitt der Milchstraße zeigen bloß diese Karten?« Mit dieser Frage startete die POINT OF. Als Ballast nahm sie noch viele andere Fragen mit. Die Sender der FO-23 schwiegen. Nur der Empfang lief. Die Tonphase rührte sich nicht. Die großen Bildschirme zeigten nach wie vor diese unheimlichen Roboter. Roboter mit zylindrischem Körper; Roboter, die fünf Metallarme mit Greifklauenhänden und fünf Beinglieder besaßen; Roboter, die in ihrem Aussehen nichts Menschliches hatten. »Captain, wir haben den Standort ihres Senders...« Bradock winkte ab. Vor diesem Augenblick hatte er sich schon lange gefürchtet, ohne den Grund seiner Furcht erklären zu können. Jetzt war dieser Augenblick da. Sie hatten, wenn auch vorerst nur als Bildverbindung, Kontakt mit Robotern. Und hinter diesen Robotern mußten intelligente Wesen stecken - Lebewesen, die diesen seelenlosen Maschinen ihre Befehle gaben. Dann flackerte das Bild auf den Schirmen. Einen Moment später waren die Roboter nicht mehr zu sehen. »Ende«, sagte der Funker. »Oder der Anfang vom Ende!« Jon Bradock war ungewohnt pessimistisch. »Ich
danke Ihnen, meine Herren!« Er kümmerte sich nicht darum, daß man ihm überrascht nachsah, als er die Funk-Z verließ. Im Leitstand beriet er mit seinem Ersten, wie sie weiter vorgehen sollten. »Abwarten«, meinte Mett Cham. »Ja, wenn unsere Konservendose nicht flügellahm wäre, mein Bester«, widersprach der Kommandant. »So aber befinden wir uns auf dem Präsentierteller und können jederzeit weggeputzt werden. Nein, wir müssen die Initiative ergreifen. Wir müssen den Bewohnern dieses Planeten beweisen, daß wir erstens friedfertig sind und uns zweitens in einer Notlage befinden. Wir müssen uns dazu etwas Überzeugendes einfallen lassen, wieso wir plötzlich trotz Rausschmiß auf ihrer Welt gelandet sind. Haben Sie vielleicht eine vernünftige Erklärung zur Hand, Cham?« »Ich muß Sie leider enttäuschen...« Bradock grinste kurz. »Das hab' ich fast erwartet. Okay, Cham, dann überlegen Sie mal, wen ich mitnehmen soll!« »Sie wollen nach draußen, Captain? Sie wollen diese Roboter aufsuchen? Ich halte das für ziemlich riskant...« »Sie vielleicht...« sagte Bradock gedehnt, »aber ich nicht. Also, wen schlagen Sie vor?« Mett Cham kannte den Kommandanten lange genug, um zu wissen, wie zwecklos es war, ihm seinen Plan ausreden zu wollen. Was sich Jon Bradock einmal in den Kopf gesetzt hatte, zog er auch durch - koste es was es wolle! »Nun... ich würde Leutnant Ville, Leutnant King, Sergeant Lyrs und mich empfehlen.« »Sie bleiben in diesem Sessel sitzen, Cham. Sie halten die FO-23 unter Dampf. Wenn ich mit den drei Männern draußen bin, will ich ununterbrochen Vipho- oder Hyperfunkkontakt mit Ihnen. Und jetzt geben Sie den dreien Bescheid. In einer halben Stunde will ich mit einem Jett ausfliegen...« Er flog aus. Die Leutnants Allan Ville und Epher King sowie Sergeant Manny Lyrs begleiteten ihn. Bradock hatte es energisch abgelehnt, einen Wissenschaftler mitzunehmen. Besonders viel hatte er für die >Eierköpfe<, wie er sie abfällig titulierte, noch nie übrig gehabt. Jon Bradock flog den Spezial-Jett selbst. Die Funkverbindung war gut. Messungen hatten ergeben, daß die nächste Energiequelle in einem Abstand von 423 Kilometern auf 18° West und 44,3° Süd lag. Die Sicht war wunderbar. Nicht der kleinste Dunstschleier versuchte die Ferne zu verhüllen. Der unbekannte Planet hatte aus dreitausend Meter Höhe ein phantastisches Aussehen. Das Gebirge, das die vier Männer überflogen, endete knapp dreißig Kilometer vor ihnen. Ihm zu Füßen lag eine wellige, in sattem Grün leuchtende Landschaft, die von glitzernden, breiten, mäandernden Flüssen aufgelockert wurde. Ein paar niedrige Höhenzüge, die kreuz und quer verliefen, gaben diesem Teil der unbekannten Welt das Aussehen einer grandiosen Parklandschaft. Sergeant Lyrs sagte das, was die anderen dachten, aber nicht auszusprechen wagten, weil es einfach zu phantastisch klang: »Das ist doch nicht natürlich. Das ist gemacht.« Jon Bradock starrte durch die transparente Kuppel des Jett. In Gedanken gab er dem Sergeanten recht - aber warum, zum Kuckuck, sah er nirgendwo die Spur einer Siedlung oder Stadt, keinen Weg, keine Straße und keine einzige Brücke, die über die Flüsse führte? Und der Luftraum vor ihnen war leer, wenn man davon absah, daß gelegentlich große Vögel mit schwerem Schwingenschlag an ihnen vorbeiflogen, ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Leutnant Ville kontrollierte die Ortungen, die mit maximaler Leistung arbeiteten. In
gleichmäßigen Abständen hatte er nur zu sagen: »Nichts!... Nichts!... Nichts...« Leutnant Epher King, an Bord der FO-23 für die Tremble-Schock-Antennen verantwortlich, hockte hinter dem tragbaren, vierzig Kilogramm schweren KombiStrahler, der als Schocker oder Blaster eingesetzt werden konnte. Der Jett überflog einen der Flüsse, dessen kristallklares Wasser wie flüssiges Silber blitzte. Sergeant Lyrs, der neben dem Kommandanten saß, spähte in die Ferne. Eine kleine, runde Erhöhung hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Sie paßte seinem Gefühl nach nicht in das Landschaftsbild. Sie wirkte wie ein Fremdkörper. Doch bevor er den Kommandanten darauf aufmerksam machen konnte, meldete sich Mett Cham aus der FO-23 mit einer Warnung. Die Energieortung des Forschungsraumers hatte festgestellt, daß die 423 Kilometer vom Schiff entfernt liegende Energiequelle in den letzten zehn Sekunden um ein Drittel stärker geworden war. »...Captain, da braut sich einiges zusammen!« »Sie sehen mal wieder Gespenster, Cham«, polterte Bradock. »Halten Sie die Augen offen und den Kahn unter Dampf. Was machen die Reparaturkommandos?« Auf der kleinen Bildscheibe des Viphos war zu sehen, wie Cham verärgert abwinkte. »Die Männer sind doch erst seit einer Stunde dabei, zunächst einmal die größten Schäden festzustellen. Ich habe noch nichts zu melden...« Leutnant Ville mischte sich plötzlich ein. »Captain, wir liegen in einem Peilstrahl, und der Strahl kommt genau aus der Ecke, die meine Energieortung anzeigt. Aber schwach ist die Peilung. So schwach, daß ich sie gerade noch erfassen kann.« »Dann halten Sie sie mal schön fest...« nuschelte Bradock, der sich auch durch diese Meldung nicht erschüttern ließ. »Wie weit haben wir es denn noch?« »Hundertachtzehn Kilometer...« »Na, dann sind wir ja gleich da!« Der Kontrollstand unter der Rano-Kuppel war normal besetzt. An der halbkreisförmigen Instrumentenwand flammten ununterbrochen Lämpchen auf, die ein fast farbloses Licht abstrahlten. Fünf Roboter, fest mit dem Boden verbunden, erhielten pausenlos Ortungs- und weitere Daten von Tastern und Sensoren übermittelt. Fünf Zylinder, die weder Arme noch Beine besaßen, aber die Kommandanten der Station waren. Der mittlere war fast doppelt so groß wie die anderen vier. Seine Linsenkonstruktion war auf eine ovale, von innen heraus gelblich leuchtende Scheibe gerichtet, die ein sich rhythmisch bewegendes Gittermuster zeigte. Die einzelnen Dreiecke, Vierecke und Fünfecke waren mit den verschiedensten Farben ausgefüllt, die sich ebenfalls ständig änderten. Einem terranischen Beobachter wäre das alles wie ein sinnloser Wirrwarr erschienen, doch der große Roboter las die Aussage des Rasters, wie Terraner ein Buch lasen. Im Südbereich der ovalen Scheibe tauchte mitten in einem grünen Dreieck ein grell leuchtender Punkt auf, der eine Lichtkugel absetzte. Sie entfernte sich in immer größeren Spiralbahnen von ihm, und mit der Entfernung wuchs ihre Umlaufgeschwindigkeit. Die verschiedenfarbigen Felder der Gitterkonstruktion bildeten kein Hindernis. Die Lichtkugel berührte ein blaues Feld, wechselte in ein orangefarbenes über und blieb plötzlich in einem titanblauen stehen. Im Innern des festmontierten großen Roboters hatten sich einige tausend Impulskreise geschlossen, und über viele Phasen liefen die Impulse zu bestimmten Knotenpunkten, wo sie von Rhin-Relais in die richtigen Bahnen gelenkt wurden. Die Lichtkugel befand sich nach wie vor im titanblauen Fünfeck. Unmerklich langsam bewegte sie sich. Sie steuerte genau 18° West und 44,3° Süd an. Der Kurs, den der Jett mit Bradock und seinem Team flog!
Einer der Hauptimpulse erreichte sein Ziel. Mehrere tausend Meter tief im Urgestein, abgesichert durch starke Rano-Platten, die fugendicht zusammensaßen, wurde ein Hypersender eingeschaltet. Sechs kleine Antennenkugeln schnellten gleichzeitig aus der grauen Grundplatte heraus, nahmen verschiedene Winkelstellungen ein und begannen wie Diamanten zu blitzen und zu funkeln. Unter der Verkleidung des Hypersenders wurde aus mehr als zwei Milliarden vorbereiteter Orders eine bestimmte angeregt. Sie gab ihren Inhalt an den ersten Kreis der Sendeanlage ab. Zwei kleine Gehirne überprüften noch einmal den Text des Befehls, verglichen ihn mit dem des Hauptimpulses und hoben die Sperre des ersten Sendekreises auf. Der Hyperfunk-Sender konnte arbeiten. Er funkte für die Dauer einer Zehntausendstelsekunde. Er übermittelte in diesem Zeitabschnitt mehr als siebenhundertfünfzig Befehle, von denen jeder mindestens acht bis zwölf Unterpunkte enthielt. In sechsfacher Ausführung war die Order hinausgegangen. Sechs große Hyperfunk-Empfänger auf den drei Zwillingspaaren des S-SonnenSystems fingen die Order auf und gaben sie entschlüsselt an den großen Verteiler weiter. Der größere Planet des dritten Zwillingspaars, auf dem die unerlaubte Landung eines fremden Raumschiffs stattgefunden hatte, schloß damit die erste Stufe seines Gegenschlags ab. Zu diesem Zeitpunkt war der Jett mit Jon Bradock und seinen drei Begleitern noch etwa zweihundert Kilometer von jenem Punkt entfernt, den die terranischen Energieortungen angemessen hatten. Im Kontrollstand unter der Rano-Kuppel hatten auch die anderen vier Roboter ihre Aufgaben erledigt. Kommandoimpulse nach 6, 5, 4, 3, 2 und 1: Alle Raumer startbereit machen! Auf den sechs inneren Planeten des S-Sonnen-Systems liefen zum erstenmal seit vielen hundert Jahren wieder die Hauptkonverter in Abertausenden Raumschiffen an. Die Order an die Strahlstellungen betraf nur Planet 5, aber 6, 4, 3, 2 und 1 hatten Feuerbereitschaft zum Kontrollstand zu melden. Bergkuppen von einigen Quadratkilometern Ausdehnung wurden angehoben. In den Spalten, in die kein Erdreich stürzen konnte, erschienen schwere ranoverkleidete Strahlantennen, die von komplizierten Steuergeräten noch im getarnten Zustand justiert wurden, um jeden Moment feuerbereit zu sein. Die zimmergroßen Zentralen in den Depots I bis IV schalteten die gewaltigen Energieerzeuger hoch, und binnen Sekundenbruchteilen wurden einige Millionen eingelagerte Roboter aktiviert. Ihnen allen fehlte nur noch der Einsatz-Befehl. Die achtundzwanzig A-Grav-Schächte, die jedes Depot mit der Oberfläche von Planet 5 verbanden, wiesen einen Durchmesser von dreiundsiebzig Metern auf. Durch sie konnten binnen drei Sekunden viertausend Maschinenwaffen nach oben gelangen. Jedes Depot war laut Programmplan binnen 13,7 Minuten geleert. Einer der fünf Roboter unter der Rano-Kuppel hatte nur eine einzige Aufgabe: die Invasion des unbekannten Raumschiffs sofort zu melden! Er benutzte dazu den Hyperfunk-Sender, der sich - geschützt durch eine gewaltige Rano-Schale - in 32 Kilometer Tiefe auf Planet 1 befand. Ein Ungetüm, mehr als hundert Meter lang, achtundsechzig Meter breit und sechsundvierzig Meter hoch, stand allein für diese Aufgabe auf Planet 1 bereit! Die Antenne war Planet 1! Und da die S-Sonne immer einen winzigen Bereich seines Abstrahlungsraumes abdeckte, hatten die Planeten 3 und 4 laut Programm diese Lücke zu beseitigen; Teile ihrer Oberfläche erfüllten ebenfalls die Aufgabe einer Hyperfunk-Antenne.
Die Nachricht von der Invasion im S-System ging hinaus. Im Programm des Roboters war nicht der Auftrag enthalten, Bestätigung zu verlangen. Er hatte seine Pflicht getan und schaltete sich selbst wieder auf Wartestellung. Die mittlere Maschine jedoch kam nicht zur Ruhe. Sie ließ das anfliegende kleine Objekt mit einem schwachen Peilstrahl erfassen. Ebenso den unbekannten Raumer, der auf einem Gipfel gelandet war und gemessen an dem von ihm emittierten Energiespektrum die letzten Vorbereitungen zu einem Start traf. Ein Impuls erreichte den großen Roboter. Anfliegendes Objekt zu klein, um Strahlwaffen einzusetzen! Er gab ihn sofort an zwei kleinere Roboter weiter und handelte entsprechend seinem Programm. Der Peilstrahl blieb stehen, aber die Feuerbereitschaft der nächstliegenden getarnten Strahlgeschütze wurde um drei Stufen herabgesetzt. Einige hundert Konverter schalteten automatisch herunter und gaben nur noch ein Minimum an die Eggess ab - Speicherbänke, die in Stoßimpulsen den gesamten Vorrat freisetzen konnten. Der Jett mit Captain Bradock und seinem Team war zu diesem Zeitpunkt noch vierzig Kilometer entfernt. Auf der ovalen, von innen heraus gelblich leuchtenden Scheibe, war sein Standort deutlich zu erkennen. Fünf weit auseinanderliegende Erfassungsstellen verfolgten den kleinen Flugkörper auf optischer Basis, hielten Kurs, Geschwindigkeit und Höhe ununterbrochen fest und gaben alle Daten unverzüglich an die Roboter unter der Rano-Kuppel weiter, deren Aufgabe es war, die übrigen Zentralen mit den sich ständig ändernden Werten zu versorgen. Nach wie vor waren die sechs Planeten des S-Sonnen-Systems bereit, den unbekannten Invasor mit einem einzigen Feuerschlag zu vernichten. Der tastende zweite Peilstrahl, der das Raumschiff auf dem Berggrat festhielt, gab eine Meldung durch. Startbereitschaft erreicht; die Konverter im Schiff laufen seit vier Zeiteinheiten mit unverminderter Kraft. Start unter diesen Bedingungen unmöglich. Das Robotgehirn konnte für das Verhalten der Fremden keine vernünftige Erklärung finden. Die nutzlose Energieverschwendung stand in keinem Verhältnis zur Startbereitschaft des Raumers. Der große Roboter handelte jetzt nach eigenem Ermessen. Seine Funkorder aktivierte drei getarnte Stellungen im Gebirge. Zwei nackte Bergspitzen wurden um einige Meter angehoben, eine Felswand rollte etwas zur Seite, und die gewaltigen Rundungen schwarz schimmernder Kugelantennen wurden sichtbar. In den Tiefen der Stellungen setzte ein leises, aber durchdringendes Knistern ein. Die Kugelantennen, die auf massiven Metallstangen saßen, öffneten an einigen Stellen, die alle in Richtung des fremden Schiffes zeigten, ihre schalenartigen Blenden. Ein kompliziert geschliffenes Prismenwerk aus graufarbigem Metall begann aufzuglühen. Unweigerlich entstand der Eindruck hoher Hitzegrade, tatsächlich jedoch strahlte das Prismenwerk Kälte ab, die jedes höhere Lebewesen in Sekundenbruchteilen töten mußte. Als das Knistern in den Tiefen der drei Stellungen zu einem hellen Singen wurde, wechselte das Prismenwerk sein Aussehen, strahlte jetzt in kräftigem Blau und erfüllte damit die Order, die ihm von dem großen Roboter aus dem Kontrollstand unter der Rano-Kuppel zugefunkt worden war. In diesem Augenblick setzte der Jett, der von Captain Jon Bradock geflogen wurde, zur Landung an. Auf einer leichten Bodenwelle, mitten zwischen blühenden Sträuchern, deren Blätter sich im leichten, warmen Wind bewegten. Bradock und seine drei Begleiter hatten jenen Punkt erreicht, von dem ihre Ortungen behaupteten, daß hier die angemessene Energiequelle liegen müsse.
Von ihrem Kontrollstand unter der Rano-Kuppel aus beobachteten fünf festmontierte Roboter das Tun der unbekannten Invasoren. Mit steigender Beschleunigung jagte die POINT OF aus dem Col-System und ihrem Transitionspunkt zu, um im zeitlosen Ablauf vor Sol und ihren Planeten wieder existent zu werden. Wie gewohnt flog Ren Dhark sein Schiff selbst; im Copiloten-Sitz saß Dan Riker. Hin und wieder warf Riker dem Commander einen fragenden Blick zu. Dhark hatte in den letzten zehn Minuten kein einziges Wort mehr gesprochen. Irgend etwas schien ihn stark zu beschäftigen. Ruckartig bewegte er plötzlich den Kopf. »Dan..?!« »Ja?« Wieder ein kontrollierender Blick des Commanders über die Instrumente seines Pultes; eine Arbeit, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Im Schiff war alles okay; der Sle arbeitete mit Vollast, und in ein paar Minuten würde der Checkmaster auf Sternensog umschalten. Aber erst wenn die beiden Intervalle, die die POINT OF umgaben, nicht mehr existierten, war eine Transition möglich. Warum die Mysterious ihrem Schiff eine derartige Transitions-Technik mitgegeben hatten, war nicht zu erklären. Denn im Augenblick vor der Transition war der Ringraumer - bar seiner Mini-Welträume - schutzloser und gefährdeter als jeder Kugelraumer. Die Sicherheit, die ihm das Unitall verlieh, war nur relativ. Auch Unitall konnte durch Dauerstrahlbeschuß zerstört werden, und sein atomarer Zerfall war in seiner Wirkung der simultanen Explosion von einigen hundert schwersten Atombomben gleichzusetzen. Dan Riker staunte über sich selbst, weil er daran denken mußte, wahrend er darauf wartete, was sein Freund ihm sagen wollte. Wie lange habe ich mir über diesen Punkt schon keine Gedanken mehr gemacht, fragte er sich - und wurde durch Dharks Frage abgelenkt. »Dan, weißt du noch, daß wir bei jedem Flug in Richtung Erde, in einem bestimmten Sektor der Milchstraße, immer wieder auf rätselhafte Weise geortet und dann von allen möglichen Intelligenzen angegriffen wurden?« Riker richtete sich überrascht auf, holte tief Luft, schüttelte den Kopf, stieß ein langgezogenes Puhhh aus und erwiderte: »Andere Sorgen hast du nicht, Ren?« »Sorgen?« Das Lachen klang nicht besonders froh. »Ganze Sorgenpakete! Was haben wir auf dem Planeten Mirac zurückgelassen? Was haben wir in dem fremden Flash gefunden? Dann dieser Dauerruf von sieben unbekannten Stationen in der Galaxis. Unsere POINT OF ist ein Transmitter, und wir haben keine Ahnung davon, wie er arbeitet. Aber mir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß eines Tages womöglich eine Armee von Mysterious-Robotern im Schiff steckt. Du...« Er machte eine Pause und strich sich über die Stirn. »Dan, wenn ich mir das alles der Reihe nach überlege, dann haben wir in den letzten Monaten und Jahren zwar immer wieder winzige Rätsel gelöst, aber mit jeder Rätsellösung ein neues, noch größeres Rätselpaket zugeschoben bekommen. Es ist wie eine Kettenreaktion. Wie ein verteufeltes Schneeballsystem. Manchmal ist mir schon der Verdacht gekommen, daß wir alles anfangen, aber keine Sache zu Ende führen und...« Riker protestierte. Sie waren einfach durch neue, unerwartete Ereignisse nie dazu gekommen, einen einzigen Fall so gründlich aufzuklären, wie er es erfordert hätte. »Ren, du hast deine pessimistische Stunde. Hat Bultons Schwarzmalerei über Bradock dich stärker getroffen als du es zunächst selbst empfunden hast?«
»Bradock...« Der Commander winkte ab. Er wollte noch mehr sagen, aber ein Anruf aus der Funk-Z hinderte ihn daran. Elis Yogan meldete sich. »Commander, eine Nachricht aus Cent Field. Dort hat man einen unwahrscheinlich kurzen, aber ebenso starken Hyperfunkimpuls aufgefangen, so stark komprimiert, daß er bisher nicht in Klartext zu bringen war. Der Impuls ist aus dem Spiralarm Il/a gekommen, Ausgangspunkt im zweiten Drittel. Die benutzte Frequenz hat im Bereich der Wellenlänge gelegen, auf der die sieben Stationen ihren Dauerspruch abgestrahlt haben. - Commander, interessiert Sie diese Nachricht? Dann gebe ich Sie Ihnen im vollen Wortlaut herein.« »Nein, danke, Yogan. So wichtig scheint die Meldung aus Cent Field doch nicht zu sein. Ende, Yogan.« Niemand konnte ahnen, daß Ren Dhark damit einen zweiten schweren Fehler begangen hatte. Die Lawine, die aus dem Raum auf Terra zuraste, war nicht mehr aufzuhalten. Dhark nahm sein Gespräch mit Riker wieder auf. »Bradock... nein, dessen verstümmelter Ruf hat mich wohl etwas beunruhigt, doch nicht so, daß ich allein deswegen nach Terra zurückfliege. Alles, was uns seit Wochen und Monaten wie eine unübersteigbare Mauer umgibt - und diese Mauer ist höher und höher geworden -, läßt mir keine Ruhe mehr. Dan, ich kann es dir kaum erklären, aber seit dem Augenblick, da ich in dem Flash dieses Emblem einer Galaxis gefunden habe, bin ich unruhig wie noch nie in meinem Leben. Dan... ich habe zum erstenmal Angst vor der Zukunft. Ich habe Angst vor dem, was auf uns zukommt!« »Spinnst du?« »Es wäre schön, Dan.« Ren Dhark hatte Riker die respektlose Frage nicht übelgenommen. Die Offiziere im Leitstand der POINT OF konnten nicht verstehen, worüber sie sich unterhielten. »Aber ich glaube nicht, daß ich Gespenster sehe. Wenn ich mir nur erklären könnte, warum ich auch die Untersuchungen der Transmitter-Anlage im Höhlensystem nicht zu Ende geführt habe. Dan, was ist mit uns los?« Er sah seinen Freund so herausfordernd an, daß es Riker unter dem durchdringenden Blick eigenartig wurde. Von dieser Seite hatte er Ren Dhark selten erlebt. »Wir haben uns übernommen, Ren. Wir haben uns einfach zuviel zugemutet. Wahrscheinlich steckt uns die Aktion Nor-ex noch in den Gliedern. Oder der Aufenthalt im Karmin-Universum war strapaziöser als wir glaubten. Du schüttelst den Kopf?« Ren Dhark gab ihm keine Antwort. Er wußte nicht, was er Dan Riker sagen sollte. »Ertobit...« murmelte er, aber Dan hatte ihn dennoch verstanden. »Mein Gott!« stieß er wie vom Schlag getroffen aus. »Ertobite Konverter!« Ertobite Konverter waren Energieerzeuger, die nicht mehr angefahren werden konnten, weil sie leergebrannt waren. Einige der dreiundzwanzig Konverter des Ringraumers waren ertobit geworden! Und kein Mensch wußte, wie diese halbkugelförmigen, nahtlos geschlossenen Aggregate wieder beschickt werden konnten! »Ja, mein Gott!« wiederholte Ren Dhark. »Sind wir nicht bodenlos leichtsinnig, Abertausende Lichtjahre weit durch die Galaxis zu fliegen und dabei keine Ahnung zu haben, wie lange die Konverter noch Energie liefern?« Der Checkmaster des Ringraumers schaltete von Sle auf Sternensog um. Der blauschimmernde Unitallring hatte die Lichtmauer durchbrochen und raste nun überlichtschnell auf seinem alten Kurs weiter, ohne das Raum-Zeit-Gefüge zu verlassen. »Noch keine Transition?« fragte Dan seinen Freund, um ihn auf andere Gedanken zu
bringen. »Wir müssen Energie sparen...« Der Commander versank ins Grübeln. Spürte wieder einmal die Verantwortung, die auf seinen Schultern ruhte. Ist das ein Leben? fragte er sich. Immer wieder zu neuen Aufgaben eilen, vor neuen Problemen stehen, und immer wieder alles zu wagen? Was bin ich denn? Commander der Planeten? Ein verdammter Job! Andere - in Gedanken seufzte er schwer - andere haben eine Frau, Kinder, ein Heim... Ich habe ein paar Zimmer in Alamo Gordo, und wenn ich mich darin aufhalte, fühle ich mich wie ein Fremder, der nirgendwo zu Hause ist. Er sah die Instrumente auf dem langgestreckten Pult. Er sah die Bildkugel, das Auge der POINT OF, darüber stehen. Er sah den Weltraum mit seiner tödlichen Schwärze und die punktscharfen Lichtquellen - nahe und ferne Sonnen. Er sah jene Sterne, nach denen er sich als Junge gesehnt hatte. Sie waren sein Traum gewesen. Sie hatte er einmal erreichen wollen. Und nun brauchte er nur nach ihnen zu greifen. Er konnte befehlen, diesen oder jenen Stern anzufliegen, und seine Befehle wurden ausgeführt. Aber befriedigte ihn die Erfüllung seiner Wünsche? Dan Riker störte ihn nicht, und Ren war dem Freund dankbar, daß er ungehindert seinen Grübeleien nachgehen konnte. Waren nicht die Mysterious der Punkt, um den sich seit der Entdeckung des Ringraumers alles drehte? Warum waren sie vor tausend Jahren spurlos verschwunden? Warum gab es keine Abbildungen von ihnen? Warum konnte sich keine einzige der Rassen, die die Menschheit inzwischen kennengelernt hatte, an das Aussehen der Geheimnisvollen erinnern? Durfte man den unklaren Aussagen der Utaren glauben, die in den Mysterious die Grakos sahen und sie als die Geißel der Galaxis bezeichneten? Ren Dhark hatte auch die schwarzen Weißen nicht vergessen - Roboter, denen er und seine Gefährten auf der Flucht vor den Schergen Allon Sawalls begegnet waren, und die das Aussehen von schwarzhäutigen Menschen ohne jeden negroiden Einschlag hatten. Er glaubte, die riesengroße Plastik auf dem Planeten Mirac vor sich zu sehen: das Standbild eines Menschen - ein Mensch ohne Kopf und Arme, aber unverkennbar ein Mensch! Und den zerstörten Ringraumer, das Gegenstück zur POINT OF! Seine Gedanken sprangen nach Hope, zum Kontinent Deluge, mitten hinein in den Industriedom! Neunhundert Quadratkilometer groß. Vollgepackt mit meist neunhundert Meter hohen, fugendicht verkleideten Mammut-Aggregaten. Sie gaben nicht preis, was sie produzierten, hatten bis zum heutigen Tag nicht verraten, woher die Grundstoffe kamen, wohin die Produkte geschafft wurden. Aber daß sie produzierten, stand fest. War damit nicht der Beweis erbracht, daß es noch immer Mysterious geben mußte? Ihre Roboter waren noch aktiv. Tausend Jahre nach ihrem Verschwinden von Hope. War das nicht auch ein Beweis, daß die Geheimnisvollen noch immer irgendwo in der Milchstraße lebten? Aber warum hatten sie dann plötzlich ihre Rolle als Beherrscher der Galaxis abgegeben? »Nein, die Mysterious können nicht die Grakos sein!« Ren Dhark hatte seinen letzten Gedanken laut ausgesprochen. Er begriff es erst, als er bemerkte, daß Dan Riker ihn prüfend musterte. »Schluß damit!« sagte er energisch und richtete sich auf. »Es führt zu nichts. Dan,
übernimm das Schiff, ja?« Er gab keine Erklärung ab. Sein Weg führte ihn in die Funk-Z. Elis Yogan saß lässig vor einem Oszillo. Der Commander trat neben ihn. »Da«, sagte Yogan, »das beobachten wir seit einer Viertelstunde. Mal wieder Blips, wie man sie vorher nie gesehen hat. Die kommen alle aus der gleichen Richtung. Spiralarm Il/a, wie jener komprimierte Kurzimpuls, den Cent Field aufgefangen hat.« Ren Dhark ließ sich die Diagramme geben und studierte sie. Als er die Meßwerte las, die die Energie angab, mit der der unbekannte Sender arbeitete, zog er die Augenbrauen hoch. »Donnerwetter...« murmelte er und versuchte sich vorzustellen, wie groß jener Sender sein mußte, wenn er als Maßstab das Hyperfunkgerät der POINT OF nahm. Elis Yogan hatte seine Bemerkung verstanden. »So ein Ding müßten wir im Schiff haben, Commander. Damit könnten wir von einer Milchstraße zur anderen funken. Andromeda würde damit vor unserer Haustür liegen.« Yogans Augen leuchteten auch noch voller Begeisterung, als der Commander sagte: »Glauben Sie, daß dieses unbekannte Funkgerät in der POINT OF Platz hätte?« »Warum nicht, Commander? Hat es auf Hope nicht einmal einen Minisender gegeben, der alle anderen an Leistung übertraf? Ich meine jenes siebeneckige Gerät, das zerstört wurde, als Arc Doorn damit experimentierte, und das uns nun hier in der Funk-Z fehlt...« Damit hatte Elis Yogan auf eines der vielen Rätsel angespielt, die ungelöst geblieben waren. Auf der Flucht vor Roccos Häschern hatte Amer Wilkins jenen Sender gefunden, draußen, zwischen dem Gebirge und der toten Stadt auf Deluge; ein Gerät von unvorstellbarer Leistung, aber erst als es unter ungeklärten Umständen zerstört worden war, hatte sich herausgestellt, daß es zum Inventar der Funk-Z gehört haben mußte. Das Schott zur Funk-Z flog auf. Arc Doorn und Manu Tschobe standen vor dem Commander. Der Sibirier sagte nur: »Dhark, kommen Sie doch mal mit!« Und schon waren sie zu dritt unterwegs, doch weder Doorn noch Tschobe wollten ihm sagen, wohin sie ihn führten. Als sie das Deck wechselten, begriff Dhark alles. Eine Kabinentür wurde aufgestoßen. »Bitte«, sagte Tschobe und ließ Dhark den Vortritt. Er betrat die Kabine nicht. Er blieb an der Schwelle stehen. Er sah auf die gegenüberliegende Wand. Sah die Öffnung darin. Sie war viereckig, aber die Ringantenne, die den gesamten viereckigen, verhältnismäßig kleinen Hohlraum beherrschte, war im Gegensatz zum Unitall grau. Der Transmitter, durch den Manu Tschobe, Tim Acker und Jimmy von einer fernen Gegenstation auf die POINT OF gefunden hatten, lag vor ihnen! »Moment«, sagte Doorn und zwängte sich an Dhark vorbei. Er trat bis dicht an die Wand, blieb rechts stehen und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen bestimmten Punkt. »Hier...« Er berührte den Punkt mit der Fingerspitze, und aus beiden Seiten der viereckigen Öffnung rollten zwei rechteckige Unitallplatten, um den Transmitterraum wieder zu schließen. Danach suchte Dhark vergeblich nach einem Haarriß in der Wand. Er suchte jene Stelle, auf die Arc Doorn gedeutet hatte. Aber seine tastende, über die Unitallfläche gleitende Hand fühlte nur kaltes Metall. »Hier!« sagte Doorn abermals, drückte seine Fingerkuppe auf einen Punkt, und lautlos rollten die beiden rechteckigen Unitallteile wieder zur Seite. »Raffinierte Bande, diese Mysterious. Jetzt bin ich doch neugierig, was wir in den Wänden der
POINT OF noch alles finden...« Ren Dhark hatte Doorns Worte nicht aufgenommen. Er studierte die TransmitterAntenne, die eine verkleinerte Wiedergabe der großen Anlage im Industriedom war. Über sie hatten Tschobe, Acker und Jimmy die POINT OF erreicht. Aber woher waren sie gekommen? Auf welchem Planeten stand die Gegenstation? Und wie viele Lichtjahre weit war das nächste System entfernt gewesen, als sie gleich Gespenstern in der Funk-Z des Ringraumers aufgetaucht waren? Hatten die Astronomen nicht behauptet, die nächste Sonne sei 5,3 Lichtjahre entfernt gewesen? Und der nächstfolgende Stern hatte in einer Entfernung von 6,01 Lichtjahren seine Bahn gezogen. Also über Lichtjahrdistanzen arbeiteten diese über tausend Jahre alten Anlagen der Geheimnisvollen. Mußte es über diese Kanäle nicht auch einen Weg geben, der direkt zu ihrem Heimatplaneten führte? Ren Dhark sah die narrensichere Anlage, mit der man von einer Einbahnrichtung auf die andere schalten konnte. Dieses Schema war jenem ähnlich, das den terranischen Wissenschaftlern bekannt war, seit man die Transmitterverbindung zwischen dem Tofirit-Vorkommen auf Kontinent 4 und dem Industriedom entdeckt hatte. Dennoch war diese Schaltung anders. Sie war umfangreicher. Mehr als hundert mögliche Ziele konnten damit eingestellt werden. Mit anderen Worten: Um das Col-System herum mußte es mehr als hundert TransmitterStationen geben! Und alle - bis auf die in der POINT OF - wurden durch die Roboter der Mysterious kontrolliert und instand gehalten. Seit tausend oder seit einigen tausend Jahren! Unbewußt schüttelte Dhark den Kopf, nachdem er die Schaltung noch einmal überprüft hatte. Hundertundsechs verschiedene Ziele konnte er damit einstellen. Die Versuchung überfiel ihn, wenigstens eine Einstellung vorzunehmen. »Doorn... Tschobe... bitte, treten Sie zurück!« Arc Doorn dachte nicht daran, der Aufforderung zu folgen »Dhark, riskieren Sie nichts! Lassen Sie mich das machen!« Seine Worte unterstrich er, indem er versuchte, den Commander zur Seite zu schieben. »Verschwinden Sie, Arc!« schnaubte Dhark, den das Forschungsfieber erfaßt hatte. Mit dem Ellbogen verschaffte er sich Platz. Doorn knurrte: »Ich denke nicht daran. Nachher haben wir wieder die Arbeit, Sie aus Teufels Küche herauszuholen!« Beide sahen sich an. Keiner wollte dem anderen den Vortritt lassen. Plötzlich lachte Ren Dhark schallend auf. Er knallte Doorn die Hand auf die Schulter. »Okay, Arc, dann übertrage ich Ihnen die Aufgabe, gut auf mich aufzupassen, damit mich kein Roboter in die Antenne zieht. Aber jetzt bitte einen halben Schritt zurück, sonst trete ich Ihnen derart kräftig auf die Zehen, daß Sie freiwillig die Stellung räumen.« Der Sibirier mußte das letzte Wort haben. »Schade, daß Sie der Commander der Planeten sind. Wirklich schade...« Sie verstanden sich prachtvoll. Das war nicht immer so gewesen. Ren Dhark schob seinen rechten Arm in den winzigen Transmitter-Raum; die Antenne hatte einen Durchmesser von etwas mehr als zwei Meter fünfzig und war genauso angebracht wie die große im Industriedom. Er überflog noch einmal die Mysterious-Zahlensymbole. »Ich werde Weg 36 aktivieren...« Zwei Schalter mit den Werten drei und sechs rasteten ein. Lautlos. Zwei Kontrollen leuchteten auf. Rot!
Die Gegenstation sprach nicht an. Wahllos drückte Dhark die Tasten fünf und neun. Neunundfünfzig! Abermals rot! Auch bei elf. Dhark betrieb seine Versuche jetzt systematisch. Er begann bei eins. Bis zweiundsiebzig verlief alles negativ. Als Ren Dhark Weg dreiundsiebzig eingeschaltet hatte, kam zum erstenmal das Freizeichen. Die Transmitter-Anlage der POINT OF arbeitete. Aber wohin führte der Weg? Manu Tschobe, der hinter den beiden anderen stand, fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. In leicht bissigem Ton sagte er: »Dhark, wenn Sie das zweifelhafte Vergnügen gehabt hätten, über ein paar Transmitter-Stationen von System zu System befördert zu werden - ich glaube, dann würden Sie auch nicht mehr mit dem Gedanken liebäugeln, durch die Antenne zu treten...« »Mit diesem Gedanken spiele ich nicht, Manu. Etwas anderes ist mir wichtiger: Wie können wir diese Schaltung blockieren? Ich habe keine Lust, eines Tages in der POINT OF einigen Mysterious-Robotern, die uns über diese Anlage besucht haben, die Hand schütteln zu müssen...« »Oh, verdammt noch mal«, kam es über die wulstigen Lippen des Afrikaners. »Zwei von diesen Blechkameraden genügen, um sich in den Besitz des Ringraumers zu setzen!« »Ich hab's«, mischte sich Doorn ein, der jetzt den Commander zur Seite schob. »Hier...« Und dann rasselte er eine Anzahl von Spezialausdrücken herunter, die alle die Technik der Mysterious betrafen und von Normalterranern nicht verstanden werden konnten. Arc Doorns unerklärliches Einfühlungsvermögen in technische Geräte, deren Funktionen ihm nicht klar waren, kam wieder einmal zum Vorschein. Einige Experten hielten ihn wegen seines Könnens für einen Mutanten, doch der Sibirier hatte bis heute nur darüber gelacht. Manchmal war es ihm selbst unverständlich, warum andere nicht genauso empfanden wie er. Aufmerksam hörte Ren Dhark zu. Schließlich unterbrach er den Sibirier: »Und wie kommen wir an die Schaltung heran, Doorn?« Sie war unitallverkleidet. Die Verkleidung war fugendicht. Über Doorns grobporiges Gesicht flog ein leichtes Grinsen. »So...« sagte er, und bevor Dhark ihn daran hindern konnte, hatte er einen Schachtelsatz herausgezogen und in die Tasche gesteckt. Die Kontrollen des Transmitters erloschen. Die Tasten sieben und drei waren lautlos aus der Arretierung gesprungen. Betroffen sagte Ren Dhark: »Doorn, Sie hätten ein Haufen Asche sein können...« Doorn griff schon wieder zu. Ein anderer Schachtelsatz lag in seiner Hand. »Nur für den Fall, daß das Ding einen Not-Konverter hat oder von der Gegenstation mit Energie beschickt werden kann. Trau einer den Mysterious!« Er sprach manchmal nicht besonders nett über sie, und er hatte sie schon oft verwünscht; dennoch war seine Achtung vor ihrer Technik groß. Es machte ihm nichts aus, deswegen von Ingenieuren oder Wissenschaftlern gelegentlich gehänselt zu werden. Er war neben dem Commander der Mann mit den besten Kenntnissen über die Technik der POINT OF, und er war so ehrlich, zuzugeben, daß sie alle, die sie mit ihr flogen, so viel von dem Schiff verstanden wie eine Hausfrau von ihrem
Kühlschrank, den sie jeden Tag benutzt. Tschobe war nach wie vor mißtrauisch. »Hoffentlich reicht das aus, uns die Roboter vom Hals zu halten. Bis ich sie kennenlernte, habe ich nie gewußt, wie unsympathisch sie mir sind.« »Das reicht...« Über die Bordverständigung erklang die Stimme von Dan Riker. »Ren, Marschall Bulton wünscht dich zu sprechen. Er hat eine unglaubliche Meldung von Major Caruso vorliegen...« »Caruso...? Der müßte doch unterwegs zu Martell sein...« »Das war er wohl auch. Aber darüber später mehr. Ich gebe dir Bulton...« Die Umschaltung erfolgte. Auf dem kleinen Schirm erschien das Gesicht des cholerischen Marschalls. Bulton wirkte alt, und seine Augen blickten müde. »Commander, Caruso hat uns über To-Funk eine unglaubliche Nachricht zukommen lassen. Ich lese sie Ihnen im Wortlaut vor: Major P.A. Caruso, SIRIUS II, an den Stab der TF, Cent Field, und an die Regierung in Alamo Gordo. Drei große Raumschiffverbände, etwa 4000 Lichtjahre zwischen den Spiralarmen I/a und II/a, könnten aufgrund ihrer Transitionsorte das Sol-System zum Ziel haben. Das Bordgehirn der SIRIUS behauptet mit einer Wahrscheinlichkeit von 81,3 Prozent, daß Terra das Ziel der Räumerverbände ist. Mit der nächsten Transition ist gegen 14:50 Uhr Normzeit zu rechnen. gez. Major P.A. Caruso Wir haben sofort versucht, mit Caruso Verbindung aufzunehmen, aber bis zur Minute keine bekommen. Es ist uns unverständlich, warum er auf unsere dringenden Anfragen nicht reagiert.« Ungewollt mußte Dhark an die FO-23 denken. »Bulton, haben Sie inzwischen neue Nachrichten von Ihrem Stiefbruder?« »Nein. Ich...« Bulton begriff plötzlich. Seine Augen weiteten sich. »Commander, Sie bringen die Warnung von Bradock mit der von Caruso in Verbindung? Aber die FO23... Große Milchstraße, ja! Die FO-23 sollte den Sektor Il/a, speziell den Randstreifen, der unserem Spiralarm gegenüberliegt, kartographisch erfassen und katalogisieren!« Ren Dhark ging nicht darauf ein. Er hatte begriffen, warum es ihn getrieben hatte, Hope zu verlassen und Terra anzufliegen. Er nahm die verstümmelte Warnung von Captain Bradock so ernst wie die Meldung von Major Caruso. Es war wenig wahrscheinlich, daß beide Nachrichten aus dem gleichen Grund abgegeben worden waren, aber diese Duplizität mußte auch einem einfältigen Menschen zu denken geben. »Bulton, welche Befehle hat die Flotte?« Im Stab der TF, in seinem Büro, richtete sich Marschall Bulton unwillkürlich auf, als er antwortete: »Commander, die Flotte verläßt zur Stunde das System, um weit vor der Plutobahn Position zu beziehen. Alle Ast-Stationen sind in höchster Alarmbereitschaft. In einer halben Stunde unterbrechen die wichtigsten Nachrichtensender Terras ihr Programm und werden mitteilen, daß wir mit einer Invasion zu rechnen haben. Ich hoffe, daß Sie mit meinen Anordnungen einverstanden sind...« »Haben Sie Trawisheim konsultiert, Bulton?« »Ja, er sitzt neben mir. Wollen Sie ihn sprechen, Commander?« »Ich nehme an, daß er gut zuhört. Bulton, ich habe nicht viel Zeit.« Leider sagte er nicht, daß die POINT OF kurz vor der Transition stand. »Wir müssen damit rechnen, daß Terra von einer Invasion...« In diesem Augenblick sprang der Ringraumer, und die To-Funkverbindung mit Cent Field riß ab.
Henner Trawisheim und Marschall Bulton waren der Ansicht, daß Commander Ren Dhark viel mehr Einzelheiten über den Anflug der fremden Flotten wußte, als er ihnen noch hatte sagen können - und daß der Erde eine Invasion drohte. Henner Trawisheim nickte, als Marschall Bulton Alarmstufe l für die TF gab.
14. Oberleutnant Mett Cham wurde immer ungeduldiger und gereizter. Seine Stimmung griff auf die anderen Offiziere über. Sie steckte die gesamte Mannschaft der FO-23 an. Gerüchte liefen durch das Schiff. Eins schlimmer als das andere. Captain Jon Bradock tot! Der Jett mit Ville, King und Lyrs abgeschossen, nur Bradock gerettet! Die FO-23 kann nicht mehr starten! Achtzig Prozent der As-Onen-Triebwerke sind irreparabel! Cham hat einen Tobsuchtsanfall bekommen! Er bekam ihn, als er von den haltlosen Gerüchten erfuhr. Aber dann wurde er zum Offizier, der andere zu fuhren hatte. Über die Bordverständigung sprach er auch zum letzten Mann. Er beschönigte nichts, aber er war auch kein Schwarzmaler. »...Und nun noch ein Wort an die Reparaturkommandos. Je schneller die FO-23 wieder in der Lage ist, zu transitieren, um so größer ist unsere Chance, Terra wiederzusehen. Und damit, Männer, hätte ich alles gesagt!« Er hatte allen etwas verschwiegen. Er hatte nicht gesagt, daß seit zehn Minuten die Verbindung zu Bradock abgerissen war, und er hatte der Besatzung verschwiegen, daß die FO-23 in einem Peilstrahl lag, der so schwach war, daß die Geräte ihn kaum feststellen konnten. Er konnte starten. Er konnte die FO-23 bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Aber dann war alles zu Ende. Der Kugelraumer war kein Sprungschiff mehr. Bradocks Notlandung hatte so große Schäden im Schiff angerichtet, daß man von einem Transitionsraumer nicht mehr sprechen konnte. Und Mett Cham hatte die Order des Captains nicht vergessen, bei der geringsten Gefahr zu starten und ihn und seine drei Begleiter einfach zu vergessen. Mett Cham dachte nicht daran, diesen Befehl auszuführen. Aber er wollte sich vergewissern, ob die FO-23 tatsächlich in der Lage war zu starten. Der 1. Ingenieur wurde unterrichtet. Der gab sein Einverständnis, bat aber darum, den Versuch so kurz wie möglich zu halten. »Denn für die Dauer des Startversuchs haben die meisten Reparaturkommandos ihre Arbeit zu unterbrechen...« Gillwick war Chams Co-Pilot. Die As-Onen-Triebwerke gingen mit ihren Leistungen hoch. A-Grav war klar. Ein Start damit brauchte nicht erprobt zu werden. Aber ob alle As-Onen-Triebwerke genügend Schub brachten, das mußte in der Praxis ausprobiert werden. Die FO-23 sollte nur vom Boden abheben und dann sofort wieder auf dem schmalen Grat aufsetzen. Eine stärkere Belastung durfte Cham den teilweise schwer beschädigten Teleskopbeinen nicht zumuten. Instrumente und Kontrollen gaben den Start frei. Das Brüllen der Triebwerke steigerte sich. Die Schubwerte jagten in die Höhe. Ein Zeiger erreichte die Markierung seiner Skala, in deren Bereich die FO-23 bisher immer ihren Startplatz verlassen hatte. Sie rührte sich nicht. Mett Cham glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Auch den Angaben der
Meßinstrumente glaubte er nicht mehr. Blitzverbindung zum Triebwerksleitstand. Der l. Ingenieur meldete alles klar. »Nein... auch das nicht. Die Triebwerke, die ausgefallen sind, sind über den gesamten Ringwulst fast gleichmäßig verteilt. Der Kahn hängt also nicht auf einer Seite durch. Das müßten Ihnen doch Ihre Instrumente eigentlich auch sagen!« Wortlos schaltete Mett Cham aus. Mit seinem Co-Piloten war nicht viel los. Der Mann schwitzte, dabei hatte er erst vor drei Monaten das Große Patent erworben. »Der Kahn muß doch hochkommen«, knurrte Cham und schaltete die dritte Sperre aus. In der FO-23 war kein Wort mehr zu verstehen. Die As-Onen-Triebwerke des Forschungsraumers brüllten. Die zweihundert Meter durchmessende Kugelzelle zitterte und bebte. Die FO-23 hob nicht ab. »Vollast!« brüllte Cham, um sich selbst Mut zu machen. Er ging das Risiko ein, daß der innenliegende Ringwulst abriß, der durch die Notlandung an einigen Stellen beschädigt worden war. Er riß nicht ab. Seine Schäden wurden auch nicht größer! Die FO-23 startete immer noch nicht. Mett Chams Gesicht war schweißüberströmt. Haupthebel auf Aus. Das Brüllen der As-Onen-Triebwerke verstummte abrupt. Im Leitstand sahen ihn seine Kameraden ratlos an. Er konnte ihnen nichts sagen. Er begriff nicht, warum das Schiff nicht abhob. Seine Stimme krächzte, als er zu Gillwick, dem Co-Piloten, sagte: »Startversuch mit A-Grav...« Gillwick konnte die Aufgabe, die FO-23 mittels A-Grav zu starten, nicht lösen. Auch Mett Cham nicht, der ihn wütend aufgefordert hatte, ihm den Copiloten-Sitz zur Verfügung zu stellen. Dann wurde der A-Grav auf Null geschaltet. Er war nicht mehr erforderlich, die FO-23 davor zu bewahren, sich noch weiter zur Seite zu neigen und in die Tiefe zu stürzen. Eine andere, unbekannte Kraft hatte diese Aufgabe übernommen. Es war dieselbe Kraft, die die FO-23 daran hinderte zu starten. »Wir werden festgehalten«, murmelte Mett Cham und gab den Copiloten-Sitz frei. »Wir werden festgehalten! Bradock, dein Entschluß, hier doch zu landen...« Dann stand er hinter der Lehne seines Sitzes, betrachtete die Instrumente und schüttelte den Kopf. Langsam begann ihm zu dämmern, warum die Verbindung zum Captain abgerissen war. Wahrscheinlich war sie unterbrochen worden, als ein Fesselstrahl unbekannter Art nach dem Forschungsraumer gegriffen hatte. Als er kurz darauf von den Ortungen zurückkam und sich schwer in den Pilotensitz fallen ließ, sagte er zu seinen Kameraden: »Jetzt können wir nur noch auf ein Wunder hoffen.« Im Hintergrund des Leitstandes meinte ein blutjunger Leutnant: »Hoffentlich gelingt es dem Captain, Verbindung aufzunehmen und die anderen davon zu überzeugen, daß wir friedfertig sind...« Oberleutnant Mett Cham erhoffte sich gar nichts mehr. Auch nicht von seinem Captain. »Gillwick, übernehmen Sie das Schiff!« Er kam sich im Leitstand der FO-23 so überflüssig vor, und doch durfte er in dieser Situation die Zentrale nicht verlassen. Es war immerhin möglich, daß es dem Captain doch noch gelang, auf einer ausgefallenen Frequenz zum Schiff durchzudringen. Kaum war Cham dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, als er über die Funk-Z
aus dem Lautsprecher Bradocks Stimme hörte: »Na, endlich, Cham! Wie sieht's bei Ihnen aus? Ist das Schiff startklar?« »Nein!« bellte Cham, dessen Ratlosigkeit aus ihm herausbrach. »Die FO-23 kann nicht starten. Ein Fesselfeld hält das Schiff fest. Wir kommen keinen Zentimeter hoch.« »Ein Fesselfeld?« echote Bradock. »Verdammt, diese Burschen können ein bißchen mehr als wir. Cham, haben Sie die Orte erfaßt, von denen die Fesselfelder ausgehen?« »Wir sind dabei...« »Dann legen Sie etwas mehr Tempo vor. Ich glaube, man läßt uns hier nur noch wenig Zeit. Und dann, Cham, wenn Sie die Stellen geortet haben... mit allen verfügbaren Gravitationsschleudern drauf! Mann, Sie müssen jetzt mehr als sonst riskieren, sonst kommen Sie von diesem Planeten nie mehr weg. Aber der Teufel hole Sie, wenn Sie auf meine drei Männer und mich Rücksicht nehmen. Sowie Sie merken, daß Sie mit Ihren Gravitationsschleudern Erfolg haben, starten...! Einen Blitzstart hinzaubern. Ich an Ihrer Stelle würde in ein paar tausend Metern Höhe eine Transition versuchen. Einfach ins Blaue hinein. Haben wir uns verstanden?« Der Erste hatte seinen Kommandanten verstanden, aber er war mit dessen Plan nicht einverstanden. Denn noch konnte die FO-23 nicht transitieren. Ein Teil der Schäden mußte noch beseitigt werden. Außerdem enthielt Bradocks Plan zu viele unberechenbare Faktoren, und Mett Cham war nicht der Mann, der Fortuna allzusehr traute. Aber die Idee, die Gravitationsschleudern gegen die Stellen einzusetzen, von denen die Fesselfelder ausgingen, war verlockend. »Okay, Captain, ich habe verstanden!« sagte Mett Cham. »Wir bleiben aber in ununterbrochener Vipho-Verbindung...« »Einverstanden«, erwiderte Bradock, »wenn nicht einer von den Burschen hier wieder auf eine Phase tritt. Wir sehen uns jetzt mal die Umgebung ein bißchen genauer an. Und Sie bringen das Schiff aus diesem Sonnensystem raus. Cham, ich halte Ihnen und den Männern die Daumen. Ende!« Mett Cham stemmte in der Zentrale der FO-23 die Hände in die Hüften und blickte mit verbissenem Gesicht von einem Offizier zum anderen. »Mir schmeckt es nicht, den Kommandanten und sein Team im Stich zu lassen.« Rundherum Zustimmung, aber da war auch Bradocks Warnung, daß ihnen nur noch wenig Zeit zu einer Gegenaktion blieb. »Also...!« Cham hatte seinen Entschluß getroffen, als er die Koordinaten der Stellungen erhielt, von denen die Fesselstrahlen ausgingen. Der Erste hatte vergessen, daß der Captain alle Vorgänge im Leitstand der FO-23 über sein Vipho beobachten konnte. Jon Bradock war beruhigt. Er nickte Leutnant Ville unternehmungslustig zu und meinte: »Jetzt wollen wir uns mal diese Ecke genauer ansehen. Alles klar, Ville?« Der Angesprochene überprüfte noch einmal seine beiden tragbaren Geräte, blickte kurz auf und nickte. Epher King und Manny Lyrs wartetet schon darauf, daß sie endlich vom Fleck kamen. Immer wieder musterte der Sergeant mißtrauisch die Umgebung. Er merkte kaum auf, als Bradock, der seine Unruhe festgestellt hatte, ihn fragte: »Wo drückt denn der Schuh, Lyrs?« »Überall, Captain. Dieser Planet mit seiner gepflegten Landschaft hat es in sich. Weshalb zeigt sich uns niemand, obwohl unser Jett in einem Ortungsstrahl gelegen hat?« Jon Bradock fühlte sich nicht besonders wohl, aber er war auch nicht bereit, Lyrs' Unbehagen zu übernehmen. »Wenn die Bewohner dieses Planeten nicht zu uns
kommen, dann müssen wir sie eben besuchen.« Er warf Leutnant Ville einen fragenden Blick zu. »Genau vor uns, knapp dreihundert Meter. Unter dem kleinen Hügel, Captain. Aber alles steckt ziemlich tief im Boden. Bis zu vier Kilometer unter der Oberfläche messe ich starke Konverter, oder was es sonst sein mag, an. Da...« Er hielt ihm die kleine Scheibe hin, über die ein Gewirr von Blips zuckte. »Jetzt haben sie noch weitere Stromerzeuger angefahren. Großer Himmel, das müssen ja Riesenaggregate sein...« Interessiert beobachtete Bradock das Gerät und erinnerte sich daran, wie unbekannte energetische Kräfte seine FO-23 beim Einflug ins System gestoppt und dann regelrecht hinausgeworfen hatten. Er wunderte sich über die phantastischen Leistungen dieser unbekannten Energieerzeuger nicht mehr. Plötzlich drängte er, den Hügel genauer anzusehen. »Wir müssen den Eingang finden. So schnell wie möglich, Männer!« In der FO-23 hatte Mett Cham seine Befehle gegeben. Der 1. Ingenieur im Triebwerksraum hatte seine Bedenken geäußert. »Cham, das Schiff ist nur zu siebzig Prozent klar. Was Sie vorhaben, ist ein Himmelfahrtskommando...« »Ich weiß!« hatte Cham knapp erwidert. »Aber haben Sie vielleicht eine andere Idee, wie wir aus den Fesselfeldern frei kommen könnten?« Der 1. Ingenieur hatte keine. Die Mannschaften hinter den Gravitationsschleudern meldeten ihre Aggregate einsatzklar. Cham stand hinter Gillwick, der die FO-23 übernommen hatte. »Sie wissen, um was es geht, Gillwick. Bringen Sie den Kahn hoch, sowie Sie merken, daß die Fesselfelder zusammenbrechen. Ich glaube, wir haben dann nur ein paar Sekunden Zeit, um von diesem Höllenplaneten zu verschwinden.« Gillwick lächelte verkrampft. Er würde sein bestes geben. Doch lieber hätte er es gesehen, wenn Cham die FO-23 gestartet hätte. Der Erste versuchte, noch einmal mit dem Captain zu sprechen. Jon Bradock meldete sich sofort. Die Verständigung war ausgezeichnet. »Okay, Cham. Mit allem einverstanden. Epher King wird von hier aus versuchen, den Start des Schiffes zu beobachten. Wir stehen im Augenblick vor einem verschlossenen Eingang, der uns den Weg in den Hügel versperrt. Nochmals, Cham, Halsund Beinbruch!« Der Bildschirm wurde grau. Cham schüttelte den Kopf und murmelte: »Der Captain hat sich und seine drei Männer abgeschrieben. Ein verfluchtes Gefühl, sie einfach im Stich zu lassen...« Dann erinnerte er sich seiner Aufgabe. Er beugte sich zur Bordverständigung vor. Mit einem Schalterdruck bekam er Verbindung zu den Mannschaften, die die Gravitationsschleudern betätigten. »Leistung auf Maximum?« vergewisserte er sich nochmals. »Auf Maximum...« Mit elf Gravitationsschleudern waren drei Stellen zu erreichen, von denen die Fesselfelder ausgingen, die den Raumer am Start hinderten. »Achtung, X-Zeit läuft«, schnarrte Mett Cham. Nur noch die Katastrophenblockierung hätte jetzt die Einsatz der Schleudern verhindern können. In der FO-23 stieg die Leistung der einsatzklaren Konverter drei Sekunden vor X minus Null auf Maximum. Von der Energieortung kam die letzte Meldung: »Position der Fesselfeld-Quellen unverändert!« Und dann war es soweit!
Einsatz der Gravitationsschleudern! In der FO-23 heulten ein halbes Hundert Aggregate. Dem 1. Ingenieur in der Triebwerkszentrale brach der kalte Schweiß aus, als er feststellte, daß drei provisorisch reparierte Konverter hochzugehen drohten. Dennoch wagte er nicht, sie abzuschalten. Die FO-23 benötigte jedes Quentchen Energie... Zwei Offiziere hockten voller fiebernder Spannung hinter der Energieortung. Und worauf die beiden Männer seit Sekunden warteten, trat ein. Schlagartig verschwanden die Fesselfeld-Blips vom Oszillo! Meldung an Mett Cham! Ein einziger Aufschrei. »Starten!« brüllte der Erste Gillwick zu. Blitzschnelles Umschalten aller Konverter auf die As-Onen-Triebwerke! Von Titanenkräften gehoben, löste sich der Raumer vom Gipfelgrat. Die FO-23 startete! Terraner hatten die unbekannten Bewohner dieses Planeten überlistet! Das Kugelschiff jagte, immer schneller werdend, in den Himmel hinein. Wir starten! Wir verschwinden! Jeder an Bord dachte es - und wünschte es. Die wenigsten dachten an Jon Bradock und seine drei Männer. Aber Mett Cham dachte an sie, während Gillwick die FO-23 wie ein erfahrener Kommandant in den Raum jagte. »Cham...!« Aus dem Lautsprecher brüllte Jon Bradocks Stimme. So hatte noch kein Mensch den Captain schreien hören. »Ja, Captain...« Auf dem Bildschirm war Bradocks verzerrtes Gesicht zu sehen. Seine Augen glühten, als ob er dem Wahnsinn nahe sei. »Cham, setzen Sie einen Spruch nach Terra ab; der Spruch muß in Cent Field ankommen! Los, geben Sie mir die Funk-Z...« Bei Captain Bradock und seinen drei Begleitern hatte sich alles so prachtvoll angelassen. Nach ein paar hundert Schritten waren sie auf das energetisch versperrte schwere Tor gestoßen, das kümmerlich durch ein paar Sträucher getarnt war. Sie hatten den Eingang zu der Anlage erreicht, aber weiter kamen sie nicht. »Wenn wir den Schalter für die Energiesperre nicht finden, können wir hier bis zum Jüngsten Tag stehen!« hatte Bradock geknurrt und angefangen, den Schalter zu suchen. Wie befohlen, beteiligte sich Epher King nicht an der Suche. Er hatte den Auftrag, den Start der FO-23 zu beobachten. Gleichzeitig sollte er die tragbare Energieortung kontrollieren. Er wußte, was von dieser Aufgabe abhängen konnte. Aber weder in Richtung des Gebirges ereignete sich etwas, noch auf dem kleinen Oszillo der Ortung. Die Blips darauf kamen und gingen in einer wunderbaren Gleichmäßigkeit, und ihr Aussehen blieb bis auf ein paar Ausnahmen unverändert. Woher sollte Epher King auch wissen, daß diese Veränderungen jedesmal einem Befehlsimpuls des großen Roboters unter der Rano-Kuppel in der Tiefe entsprachen? Aus verkniffenen Augen betrachtete Jon Bradock die klar erkennbare Sperre. Direkt dahinter und doch unerreichbar weit: das graue Portal. Rechts und links davon ein paar Sträucher. Fremdartig, mit gelben und roten gezackten Lederblättern, die sich im leichten Wind kaum bewegten.
Eine erbärmliche Tarnung. Das Portal konnte nicht übersehen werden. Die haben es gar nicht nötig, etwas zu tarnen, dachte Bradock. Voller Enttäuschung trat er kräftig gegen einen knapp faustgroßen Stein. Der Stein flog unter seinem Tritt davon. Seine Stiefelspitze hatte sich etwas ins weiche Erdreich gebohrt, einige Brocken flogen nach rechts und links. Noch einmal trat er zu, legte seinen ganzen Frust und seine Enttäuschung in den Tritt. Er hörte Villes Aufschrei, und er hörte gleichzeitig das durchdringende metallische Knacken. Er drehte sich um. Die Sperre bestand nicht mehr. Als es geknackt hatte, war auch die Energiewand verschwunden. Und dann glitt das Portal in den Boden. Lautlos! Über zwanzig Zentimeter dick war das Material. Mit gleichbleibender Geschwindigkeit versank es. Die Strahlen der S-Sonne fielen in einen Gang. In eine Metallröhre. Sie war blank und leicht oval, ohne jeden Zierrat und schien bis in die Unendlichkeit waagerecht zu verlaufen. Leutnant Ville und Sergeant Lyrs lauschten in die Röhre hinein. Jon Bradock wagte sich nicht zu rühren. Leutnant King vergaß für Momente seine Doppelaufgabe. Langsam drehten sich Ville und Lyrs zu ihrem Kommandanten um. Sie zuckten mit den Schultern. Sprachen kein Wort. Bradock ging auf sie zu. Lauschte ebenfalls. Schob sich weiter vor als seine beiden Männer, stand jetzt einen Schritt weit in der metallenen, ovalen Röhre und erschrak über die unheimliche Stille, die ihn umgab. Nicht der schwächste Laut war zu hören. Nicht einmal das leichte Säuseln des Windes drang von draußen herein. Dicht hinter ihm mußte sich eine akustische Sperre befinden, die jeden Ton abschirmte. Sein Körper warf Schatten. Schatten und Dunkelheit vermischten sich vor ihm. Er achtete nicht darauf. Er betrachtete den Boden. Staubfrei. Nicht ein Kratzer war darauf zu sehen. Nicht die kleinste Spur, daß dieser Gang intelligenten Wesen gedient hatte, ihre Energiezentrale in der Tiefe zu besuchen. Intelligente Wesen? Diese Frage weckte den Kommandanten. Warum zeigten sie sich nicht? Warum traten sie den Terranern nicht gegenüber. Sie mit ihren unvorstellbaren Machtmitteln hatten doch nichts zu befürchten. Warum dann dieses Versteckspiel? Er überhörte Epher Kings überraschten Ausruf: »Die FO-23 versucht zu starten! Sie startet... Sie hebt ab! Sie kommt ja auf uns zu.« King hatte sich plötzlich wieder seiner Doppelaufgabe erinnert. Das tragbare Ortungsgerät zeigte ihm die charakteristischen Amplituden der Gravitationsschleudern, und einen Moment später die der anfahrenden As-OnenTriebwerke. Aber King sah noch eine andere Kurve zwischen den As-Onen-Blips. Sie kam einwandfrei aus der Tiefe. Ein starker, hochenergetischer Blip. Er ahnte nicht, daß dieser Blip den Anfang vom Ende ankündigte. King hatte sich in Richtung Gebirge umgedreht und versuchte die startende FO-23 mit bloßem Auge zu erkennen. Sergeant Lyrs stand mittlerweile dicht hinter dem Kommandanten, legte ihm die Hand auf die Schulter. Überrascht wirbelte Bradock herum.
»Captain, die FO-23 startet!« »Gott sei Dank!« stieß Bradock aus. Sein Blick glitt an Lyrs vorbei. Über die leicht wellige Ebene. Vorbei an ihrem Jett, mit dem sie gekommen waren. Und dann sah er etwas, das Leutnant King übersehen hatte. Er sah über dem Horizont eine riesige Raumerflotte herankommen. Ganz tief. Als ob sie gerade gestartet sei. Als ob sie aus dem Boden ans Tageslicht gekommen sei! John Bradock glaubte eine Fata Morgana zu sehen! Er wollte es nicht wahr haben! Das durfte nicht wahr sein! Die Beherrscher dieses Planeten hatten es doch gar nicht nötig, mit einer gigantischen Flotte gegen ein havariertes Schiff der Terraner anzutreten. Ein einziger von ihnen hätte genügt, um alles klarzustellen! Warum zeigte sich dieser Eine nicht? King jubelte: »Da kommt sie! Die FO-23 kommt. Und wie sie steigt! Verdammt noch mal, sie steigt ja phantastisch!« Er sah nur ihren Forschungsraumer. Er sah nicht die riesige Flotte, die von rechts heranschoß und an Höhe gewann, dabei schneller und schneller wurde. »Captain...« röchelte Sergeant Lyrs wie ein Mensch, der dicht vor dem Ersticken steht. Er deutete auf den nächsten Höhenzug. Bradock riß sich vom Anblick der Flotte los. Seine Augen weiteten sich ein zweites Mal. Der Boden spie Roboter aus! Zu Tausenden! Und Epher King, dieser ausgewachsene Narr, starrte zur FO-23 hinüber, die als kleiner Punkt zu erkennen war. Sah der Mann nicht auf seiner Energieortung, was sich hinter ihm und an seiner Seite abspielte? »King...« Bradock brüllte ihn an. King starrte auf seine Energieortung. Er drehte sich um, sah wieder auf den kleinen Oszillo. Verzweifelt schüttelte er den Kopf. Seine Energieortung zeigte keine Emissionen an! Nicht eine einzige! Ortungsschutz! hämmerten die Gedanken hinter seiner Stirn! Diese Schiffe fliegen unter einem Schutz, der ihre Emissionen nicht anmessen läßt! Die Roboter hatte er immer noch nicht gesehen! Verzweifelt sagte sich der Captain in Gedanken: Das kann doch nicht wahr sein! Das darf nicht wahr sein! Aber sowohl die Raumerflotte wie die Roboter, die immer mehr wurden, waren unzweifelhafte Wirklichkeit. Jon Bradock riß sein Vipho hoch. Verbindung mit der FO-23. Er schrie Mett Chams Namen! Verlangte eine Verbindung mit der Funk-Z. »Setzen Sie über To-Funk mit größter Sendeleistung einen Spruch in Richtung Terra ab. Vielleicht fängt ihn eine der Relaisstationen im Raum auf. Dreimal hintereinander unsere Koordinaten geben. Der Text lautet: Haben System mit hochentwickelter Technik entdeckt. Hunderttausende Roboter, riesige Raumschiff-Flotte. Versuchen weiterhin, mit den Bewohnern dieser Welt Kontakt zu bekommen. FO-23 versucht im Alarmstart den Planeten zu verlassen... Gezeichnet... Und sofort 'raus mit dem Spruch! Sofort!« Aus der Funk-Z der FO-23 kam die Bestätigung. Sergeant Lyrs hielt sich an Bradock fest. In seinen Augen lag das Staunen eines
Kindes, das mit den Tatsachen nicht fertig wd. »Captain, das sind doch... das sind doch...!« »Ja!« bellte Bradock, »das sind...! Das sind ihre Schiffe! Und das sind ihre Roboter. Nur wo sie sind, das wissen wir immer noch nicht...« Über sein Vipho meldete sich die Funk-Z. »Spruch ist abgestrahlt. Cham gibt durch, daß er die fremde Flotte nicht mit der Ortung erfassen kann.« »Wir auch nicht!« rief Bradock zurück, und seine Hand, die das kleine Vipho hielt, zitterte. »Heizen Sie Cham ein, daß er alle Speicherdaten über die Position des SolSystems vernichtet! Sofort! Jede Karte! Alles...« Es war ihm egal, daß Sergeant Lyrs ihn wie ein Weltwunder anstarrte, daß seine drei Begleiter ihn für übergeschnappt hielten. Wichtig war allein, daß man seine Befehle befolgte. Warum er diese Order gegeben hatte? Er hatte Angst. Er hatte Angst vor den Konsequenzen seines Handelns! Das alles wäre nie passiert, wenn er sich mit der FO-23 aus diesem System hätte hinauswerfen lassen! Die FO-23 zog mit brüllenden Triebwerken davon. Sie war so groß wie ein Tennisball. Sie schimmerte im Licht der S-Sonne. Sie stand ein paar Kilometer höher als die fremde, gewaltige Flotte, die unverändert ihren Kurs beibehielt. Da riß der Tag auf! Der Planet schlug zu! Aus allen Richtungen! Energiebahnen, greller als das grellste Leuchten einer weißblauen Sonne, jagten aus allen Richtungen auf die FO-23 zu. Weder Bradock noch seine Männer sahen, wie der Forschungsraumer buchstäblich auseinandergeschnitten wurde. Die Kugel zerfiel in zwei Teile, zwei Halbkugeln, die rettungslos in die Tiefe jagten. Jon Bradock und seine Männer sahen auch die Energiebahn nicht herankommen, die ihren Jett auflöste und ihnen das Leben nahm. Innerhalb weniger Sekunden gab es im System der S-Sonne keinen einzigen Terraner mehr. Nur noch die Trümmer eines Kugelraumschiffs, die sich zum Teil tief in den Boden eingegraben hatten. Der größte der fünf Roboter unter der Rano-Kuppel strahlte einen neuen Impuls ab. Mehr als zweihundert Roboter erhielten den Befehl, die Trümmer des unbekannten Schiffes zu bergen. In dem Befehl war mit keinem Impuls erwähnt worden, nach Überlebenden zu suchen! Es ging ausschließlich um das Bordgehirn des zerstörten Schiffs...
15. Die fünf Roboter unter der Rano-Kuppel waren zu einer Einheit geworden. Der leistungsfähigste Hyperfunk-Sender des S-Sonnen-Systems strahlte einen verschlüsselten Impuls ab. Abermals enthielt das Programm der fünf Automaten keine Aufforderung, eine Bestätigung des Koderufes zu verlangen. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt. Das Sonnensystem, aus dem der fremde, zerstörte Raumer gekommen war, lag im benachbarten Spiralarm. Seine Position war nicht nur bekannt, sondern inzwischen auch exakt in alle Sternkarten eingetragen worden. Diese Koordinaten waren ein Teil des verschlüsselten und gerafften Spruches gewesen, der über den stärksten Sender abgestrahlt worden war. Der linke Roboter unter der Rano-Kuppel nahm die Meldung der Reparatureinheiten
auf, die den Auftrag zu erfüllen hatten, jene drei Stationen wiederherzustellen, die minutenlang unter hohen Gravoswerten gelegen hatten und teilweise defekt geworden waren. Ihre Fesselfeld-Projektoren sollten in sieben Zeiteinheiten wieder einsatzklar sein. Eine Zeiteinheit, nachdem der Kodespruch hinausgejagt worden war, lief Programm D-674-ft-2 an. Der Faden, an dem das Schicksal Terras hing, wurde dünner und dünner. Zwischen zwei Spiralarmen war die POINT OF wieder aus dem Hyperspace ins Raum-Zeit-Kontinuum zurückgekommen. In den Waffensteuerungen Ost und West war alles klar, Miles Congollon meldete aus dem Triebwerksraum nichts Neues. Bis auf zwei Mann saßen alle Flash-Piloten in ihren Blitzen und warteten auf den Einsatzbefehl. Aber weder eine der beiden Waffensteuerungen, noch die Flash-Piloten bekamen eine Order. In der Kommandozentrale des Ringraumers hielten unerschrockene Offiziere den Atem an. Auch Commander Ren Dhark! Auch Dan Riker, der als Co-Pilot füngierte. Die beiden Intervalle der POINT OF pulsierten. Sie standen dicht vor dem Zusammenbruch. Die Erklärung gab ihnen die Massen- und Energieortung, hinter der Tino Grappa hockte - und die Bildkugel. Die POINT OF raste auf tangentialem Kurs mit 0,73 Licht durch die Korona eines Sterns vom Sol-Typ! Sie streifte die Korona! Dharks Blick galt nur der Belastungsanzeige der Intervallfelder. Und den M-Konvertern! Miles Congollon im Triebwerksraum hatte keinen Finger rühren müssen. MysteriousTechnik verließ sich niemals auf langsam reagierende biologische Konstruktionen der Natur. Sie vertraute mehr der von ihr entwickelten Automatik. Ren Dhark beugte sich nach vorn. Irgend etwas stimmte nicht. Der Sle fiel ab. Die Geschwindigkeit der POINT OF sank rapide. Nur noch 0,47 Licht. Dann schon unter 0,4! Dreiundzwanzig Sekunden sollte der Flug durch die Korona dauern. Er währte schon über eine Minute, und die tiefste Stelle des Eintauchpunktes war noch längst nicht erreicht. Ren Dhark warf seinem Freund einen Blick zu. Dan starrte das Feuerauge an, das fast die gesamte Fläche der Bildkugel ausfüllte. Aber Riker zeigte noch keine Besorgnis. Auch nicht über die Verfassung der beiden labil gewordenen Intervalle. Da meldete sich Miles Congollon über die Bord Verständigung. »Dhark, drei weitere Konverter sind ertobit geworden!« Der Eurasier gewöhnte sich mehr und mehr Arc Doorns mundfaules Reden an. Er hatte gerade eine Katastrophe gemeldet und sie mit einem Satz abgetan. Wenn Ren Dhark die POINT OF flog, lagen seine Hände auf der Kante des Instrumentenpultes, seine Fingerspitzen auf den wichtigsten Steuerschaltern. Kaum hatte Congollon seine Hiobsmeldung durchgegeben, als Dhark zwei Steuerschalter mit leichtem Fingerdruck in eine andere Stellung brachte. Im Schiff setzte ein durchdringendes Pfeifen ein. Das untrügliche Zeichen für eine bevorstehende Transition. Das jagte Riker beinahe aus seinem Sitz. »Jetzt...? Jetzt einen Sprung, Ren?« Seine Stimme überschlug sich. Die Sonne vom Sol-Typ war knapp 23 Millionen Kilometer von ihnen entfernt! Ein atomarer Hochofen, der mit seinen geballten Energien auch den Unitallwänden der
POINT OF zusetzen konnte, wenn die Intervallfelder, die Transitionsbremsen des Schiffs, abgeschaltet wurden. »Ja, jetzt, mein Lieber!« Ren Dhark hatte sich ihre Chancen ausgerechnet. Nur noch eine Transition konnte die POINT OF vor diesem Moloch retten. Durch die hohe Belastung der Intervalle und den Ausfall von drei weiteren M-Konvertern erhielten die Flächenprojektoren des Ringraumers nicht mehr genügend Energie, um den Sle ausreichend zu versorgen. »An alle!« Dharks Ruf ging über die Bordverständigung. »Sprung in einer Minute Norm-Zeit. Raumanzüge schließen. Ende!« Er selbst kam nicht mehr dazu, seinen Klarsichthelm zu schließen. Tino Grappa meldete eine schwere Strukturerschütterung in relativer Nähe. In Ren Dhark war jeder Nerv angespannt. Es kam ihm vor, als ob er auf diese Meldung gewartet hätte. Strukturerschütterung! Das bedeutete, daß ganz in der Nähe Raumschiffe wieder ins Normalkontinuum eingetaucht waren! Und die POINT OF befand sich in der Korona einer Sonne! Einen besseren Ortungsschutz gab es für den Ringraumer nicht. Eine größere Gefahr auch nicht! Ein Steuerschalter veränderte seine Lage. Das durchdringende Pfeifen brach ab. Die Intervalle bekamen wieder alle zur Verfügung stehenden Energiemengen zugeschickt. Ren Dhark kümmerte sich nicht um den besorgten Blick Dan Rikers. Plötzlich fühlte er sich wie ein Spieler, der mit kleinstem Einsatz viel wagt, aber das Risikolimit dabei nicht überschreitet. »Grappa...« Der beste Ortungsspezialist, den Terra besaß. Ein junger Mann aus Mailand mit Fingerspitzengefühl. »4,2 Lichtstunden, Commander!« Das war die Distanz, in welcher der unbekannte Verband im Einstein-Raum rematerialisiert war. Dhark nickte nur. Grappa hatte dieses Nicken gesehen. Sein Blick flog über die Massenortung. »Etwa 5000 bis 15 000 Schiffe, Commander!« Im gleichen Moment schnappte Grappa laut nach Luft. Alle in der Kommandozentrale hörten es. Auch Ren Dhark. Doch er drehte sich nicht um. Die Belastung der pulsierenden Intervalle erreichte fast hundert Prozent. Sie standen kurz vor dem Zusammenbruch. Sie durften nicht zusammenbrechen! Unter gar keinen Umständen. Die POINT OF mußte in diesem energetischen Trommelfeuer weiterfliegen. Sie durfte die Sonnenkorona nicht verlassen, solange es diesen fremden Raumerpulk in der Nähe gab. Was waren schon 4,2 Lichtstunden Entfernung? »Commander, zwei weitere Pulks sind gerade eingetroffen!« Die Bordverständigung knackte. Auf dem kleinen Bildschirm war Arc Doorn grobporiges Gesicht zu sehen. »Dhark, wir sollten den Sle wegnehmen und nur AGrav benutzen!« Mehr hatte der wortkarge Bursche mal wieder nicht zu sagen. »Der Teufel soll ihn holen...« knurrte Dan Riker. Ren Dhark grinste flüchtig. Doorn hatte keinen schlechten Einfall gehabt. Sollte er es wagen, dem Schiff den Sub-Licht-Effekt zu nehmen? Das Gefühl, ein Spieler zu sein, wurde stärker. »Dhark, fremde Tasterstrahlen! Aber sie gelten der Sonne, nicht uns. Dieser
Hochofen scheint für die anderen ein Leuchtfeuer von galaktischem Format zu sein...« Das war wieder Grappa. Er hatte recht. Niemand hatte erwartet, hier, zwischen den Spiralarmen, auf ein Sonnensystem zu stoßen. Doch die unbekannten Raumerverbände hatten sich diesen Stern ausgesucht, um von hier aus in die nächste Transition zu gehen. Miles Congollon meldete sich aus dem Triebwerksraum. Sein Gesicht drückte größte Sorge aus. »Dhark, wenn mich nicht alles täuscht, dann werden gleich wieder einige Konverter ertobit!« Das Pulsieren der Intervallfelder kam der Hundert-Prozent-Grenze näher und näher. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis die beiden Mini-Welträume um die POINT OF zusammenbrachen. Ren Dhark mußte sich entscheiden: Sle oder A-Grav! »Commander, wir haben es mit mindestens zwanzigtausend Schiffen zu tun!« Zwanzigtausend Raumer! Ren Dhark mußte an Major Carusos Warnung denken. Und an die verstümmelte Meldung der FO-23. Aber es kam ihm nicht in den Sinn, daß beide Meldungen miteinander zu tun hatten. Noch weniger konnte er ahnen, daß Captain Jon Bradock, der längst nicht mehr unter den Lebenden weilte, diese Aktion einer fremden Flotte gegen die Erde ausgelöst haben könnte. Sle aus! A-Grav einschalten! »Grappa, Distanzmessung zur Sonnenoberfläche! Aber...« »Okay, Commander, genaueste Werte. Kommen...« Der A-Grav reichte nicht aus, um dem Schwerkraftsog der G-Sonne zu widerstehen. Aus dem tangentialen Kurs der POINT OF wurde eine schwache Kurve, deren Ende nach einem Umlauf auf der Sonne lag! »Commander, die anderen... Ich weiß nicht... Ich weiß wirklich nicht...« Tino Grappas Stimme klang hilflos. Auch die Stimme von Miles Congollon klang hilflos. »Noch zwei M-Konverter ertobit, Dhark...« Die POINT OF fiel langsam zur Sonne hinunter. »Wenn wir wenigstens die Höhe halten und zum Satelliten werden könnten...« murmelte Ren Dhark und zerbrach sich den Kopf nach einem Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Lage. Im nächsten Augenblick richtete er sich auf. Eine Kontrolle war an seinem Instrumentenpult aufgeflammt. Grappa gab ihm die Aussagen seiner Distanz- und Massenortung herein! Eins der unbekannten Schiffe flog die POINT OF an! Man hatte sie also doch entdeckt, obwohl sie sich in der Korona der Sonne aufhielten und ihre Existenz aufs Spiel gesetzt hatten! Trotz der energetischen Hölle arbeiten die Taster des Ringraumers mit der gleichen Präzision wie im sternenarmen Leerraum. Ren Dhark beugte sich vor und nahm über die Bordverständigung Verbindung zu den beiden Waffensteuerungen auf. »Clifton... Rochard... Alle Antennen auf Nadel schalten. Feuerbefehl erfolgt getrennt. Haben Sie das Ziel erfaßt?« Bud Clifton, der Chef des WS-West, war eine Idee schneller als sein Kollege aus der WS-Ost. Wie meistens. »Erfaßt! Der Kahn hat aber Dampf drauf!« Das hatte Ren Dhark auch schon stutzig gemacht.
Der anfliegende Raumer hatte die Lichtmauer überschritten und blieb dabei doch im Normalkontinuum! Ein Kunststück, das bisher nur die POINT OF fertiggebracht hatte! Der Commander machte sich wegen der ertobiten Konverter Sorgen. Unter keinen Umständen durften noch andere ausfallen. Geschah es dennoch, dann konnte keine Macht der Galaxis den Ringraumer noch retten. Kurz spielte Dhark mit dem Gedanken, der Gedankensteuerung das Kommando zu übergeben, aber in der nächsten Sekunde verwarf er den Einfall wieder. Er war davon überzeugt, daß nur der Mensch diese Lage noch meistern konnte, kein noch so gut auf alle möglichen Eventualitäten vorbereitetes Rechengehirn. »Dhark, wir liegen jetzt eindeutig in einem Taster-Strahl!« meldete Grappa. Der Ringraumer war seit dem Augenblick, als Dhark den Sle weggenommen und den A-Grav eingeschaltet hatte, um 2,4 Millionen Kilometer tiefer in die Korona eingetaucht. Doch das interessierte ihn nur am Rande. Dieses anfliegende, unbekannte Schiff bereitete ihm Kopfzerbrechen. Es flog überlichtschnell und blieb dennoch im Normalraum! »Grappa...« Aus der Funk-Z wurde Ren Dhark unterbrochen. Morris meldete sich. So erregt wie selten. »Commander, wir bekommen gerade einen Anruf herein... Aber hören Sie sich das einmal an!« Laute, wie sie noch nie von Menschen gehört worden waren, erklangen in der Zentrale! Laute...? Wörter...? War das überhaupt mit Sprache zu bezeichnen? Krack-krickkrickkrack... kradt - krackkrack-krick... in ununterbrochener Folge. Alle Zeichen gleich kurz oder gleich lang, auch die Pausen zwischen den einzelnen Gruppen. Nicht ein Offizier in der Zentrale des Ringraumers kam auf den Gedanken, es mit einer Abart von Morsezeichen zu tun zu haben. Es konnten keine sein! Aber was war es denn? »Morris, ist dieser Funkruf eindeutig für uns bestimmt?« vergewisserte sich Dhark. »Ganz sicher! Der fremde Sender steckt auf dem Kahn, der uns anfliegt. Er sendet mit immer größerer Leistung. Als ob die Angst hätten, unsere Sendeanlage sei defekt!« »Phantasie hat der...« murmelte Dan Riker, der bisher erstaunlich ruhig geblieben war. »Die uns allen fehlt...!« platzte Ren Dhark heraus. Fast ärgerlich, weil er etwas Wichtiges übersehen hatte. Die Bildkugel arbeitete auch in der Korona einwandfrei. Über die Gedankensteuerung schaltete er die Wiedergabe auf maximale Tele-Leistung. Er wollte sich diesen fremden Raumer, der es wagte, die POINT OF im Strahlenkranz einer Sonne anzufliegen, einmal genauer ansehen. Die Sonne, die bisher die Bildkugel ausgefüllt hatte, verschwand. Der dunkle Raum tauchte auf. In unendlicher Weite die Bänder der beiden Spiralarme. Nicht mehr als dekorativer Hintergrund. In der Mitte der Bildkugel aber stand der Ringraumer! Eine zweite POINT OF! Und im Kommandostand des Flaggschiffs der Terranischen Flotte war kein Mensch mehr fähig, sich zu rühren. Auch Ren Dhark starrte dieses Ringschiff an, das mit Überlicht auf die POINT OF
zujagte und sie mittels eines Senders anrief. Die Mysterious...! Das dachte der letzte Mann im Flaggschiff. Auch Commander Ren Dhark! Und ein Lächeln, das seine Erleichterung widerspiegelte, umflog seinen Mund und wischte die scharfen Falten aus seinem Gesicht. Ein Ringraumer der Mysterious flog sie an! Was konnte ihnen da schon passieren? Professor Tim Acker war nicht der Mann, der sich wegen seines gesegneten Appetits von seinen Kollegen hänseln ließ. Ihre gutmütigen Sticheleien glitten an ihm ab. Seine Gedanken kreisten um die Transmitterreise, die er mit Manu Tschobe und dem Robot-Hund Jimmy erlebt hatte. Und er konnte das alte, zerfurchte Gesicht in der Ringantenne des Transmitters nicht vergessen - und nicht den Einsatz des Roboters, der dem Afrikaner das Leben gerettet hatte. Es kümmerte ihn herzlich wenig, daß das galaktische Magnetfeld wieder einmal mit Katastrophenwerten aufzuwarten hatte. Er vertraute dem Intervall, das um Deluge lag, auch wenn mit dem Aufbau des Miniweltraums - wie schön einmal erlebt - alle Funktionen im Industriedom abgeschaltet worden waren. Acker sah seinem Kollegen Ingen nach, der zur Funk-Zentrale hinüberstiefelte. Dort hatte man auch Sorgen. Der To-Funkverkehr mit Terra war zusammengebrochen. Die elektromagnetischen Stürme benutzten den Hyperraum und lösten Störungen aus, die auch den Funkkontakt mit anderen Planeten in Mitleidenschaft zogen. Aber es war gewiß nur eine Frage von Stunden, bis auch diese Angelegenheit wieder auf ihren alten Stand zurückgeführt wurde. Acker bemerkte, daß sich vor dem Eingang zur Funk-Zentrale eine Menschenmenge angesammelt hatte. Ganz frei von Neugier war auch er nicht. Er ignorierte das leuchtende transparente Schild Zutritt verboten! und betrat den Funkraum. So wurde er Ohrenzeuge einer To-Funkunterhaltung mit Captain Grieg, dem Kommandanten des 200-Meter-Raumers WOLF. Captain Grieg wirkte hochgradig nervös. »...Ich habe die Giants erlebt und auch ihre Strukturerschütterungen, aber was wir eben feststellen mußten, übertrifft alles. Als ob das Einstein-Gefüge zusammenbrechen wollte. Und das zwischen den beiden Spiralarmen I/a und Il/a. Mir soll bloß keiner mehr erzählen, dieser Sektor sei sternenarm. Hier wimmelt es von Sonnensystemen. Und keine 500 Lichtjahre von der WOLF entfernt hat ein unvorstellbar großer Raumschiffverband rematerialisiert!« Pan-The, dem das gesamte Höhlensystem unterstand, war Tim Ackers Nebenmann. Zufällig sah er den dickbauchigen Experten mit den Hängebacken und dem fuchsroten Haar an. Acker las in dem Blick des anderen einen stummen Vorwurf - und er betrachtete Angriff als die beste Verteidigung. »Pan-The, wenn Sie wie Ingen der Ansicht sind, wir hätten mit unserer Transmitterreise eine Lawine von Ereignissen ausgelöst, die wir nicht mehr unter Kontrolle...« Pan-The zischte ihm zu: »Halten Sie den Mund. Hören Sie zu!« Acker hörte zu. Seine fuchsroten Haare sträubten sich. Dieser Captain Grieg war ja krank! Geisteskrank! Der Mann sprach von Ringraumern, von Unitallschiffen wie der POINT OF! Von Hunderten, von Tausenden von POINT OFs! Er wollte ihr charakteristisches Energiespektrum geortet haben. »Dem bekommen die Störungen des galaktischen Magnetfeldes nicht«, sagte eine Stimme hinter Acker.
Rücksichtslos drängte sich jetzt Professor Ingen durch die Menge und zwängte sich zwischen Pan-The und Acker. »Habe ich es nicht gesagt, Kollege? Sie... Sie mit Ihrem Transmitter-Versuch haben die Mysterious herausgelockt...« Pan-The forderte auch Ingen auf zu schweigen. Griegs Ausführungen waren auch zu interessant. Was dieser Captain behauptete, überstieg das Vorstellungsvermögen der atemlos lauschenden Männer in der Funk-Zentrale. »...Der Ringraumer-Pulk nahm von uns kaum Notiz. Wir wurden geortet, aber nicht weiter beachtet. Dann verschwand der Pulk unter den gleichen charakteristischen Energie-Emissionen wie die POINT OF, wenn sie in Transition geht. Meine Herren, wir haben die Energiespektren hier vorliegen. Wir haben es mit den Mysterious zu tun. Einwandfrei. Und weil wir mit Terra keine Verbindung bekommen können, frage ich Sie, wie wir uns verhalten sollen...« Pan-The kniff die Augen leicht zusammen, und mit Blick auf die farbige Scheibe der To-Funkanlage fragte er: »Captain, ist noch eins dieser Mysterious-Schiffe in der Nähe?« »Nein«, erwiderte der Kommandant der WOLF. »Unsere Ortungen behaupten es wenigstens.« »Gut! Dann gehen Sie mit der WOLF auf Transitionskurs Terra. Melden Sie sich bei Marschall Bulton und sagen Sie ihm, daß Sie auf meine Verantwortung Ihren Flug unterbrochen haben. Was Sie sonst noch dem Stab der TF zu berichten haben, wissen Sie besser als ich. Ich hoffe, daß Sie unser Gespräch aufgezeichnet haben.« »Ist schon fixiert, Pan-The. Okay, die WOLF nimmt Kurs Erde.« Der Bildschirm in der Funkzentrale der Höhle wurde grau. Die Verbindung zur WOLF bestand nicht mehr. Langsam drehte Pan-The sich zu Ingen um. »Ich glaube nicht, daß dieser Captain Grieg von den Störungen des galaktischen Magnetfeldes beeinflußt worden ist, und...« er machte eine winzige Pause, in der sein Blick zwischen Ingen und Acker hin und her pendelte, »und ich empfinde es als unfair, Ihrem Kollegen den Vorwurf zu machen, mit seinem Versuch im TransmitterRaum eine Lawine ausgelöst zu haben. Das wollte ich Ihnen einmal sagen, Ingen.« Nickte ihm noch einmal zu und ging. Gelassen. Wie ein Mann aus der Abgeschiedenheit des tibetanischen Hochlandes, dem Erregung ein unbekannter Begriff ist. Verärgert blickte Ingen ihm nach. Noch mehr ärgerte ihn, daß ihn der dicke Acker angrinste. Schadenfroh. Wütend platzte er heraus: »Und Sie haben doch die Mysterious-Lawine ins Rollen gebracht...« Ackers Grinsen blieb. »Und? Suchen wir nicht alle händeringend nach den Geheimnisvollen, seit wir dieses Höhlensystem kennen? Kollege, warum giften Sie mich eigentlich an? Wir sollten doch froh sein, wenn wir den Mysterious bald die Hände schütteln können.« »Wissen Sie denn, ob die Mysterious überhaupt Hände haben? Mir graut's, wenn ich an die Geheimnisvollen denke! Da sind mir die unerklärlichen Veränderungen im galaktischen Magnetfeld hundertmal lieber!« fauchte Ingen, drehte seinem Kollegen den Rücken zu und stiefelte davon. Tim Acker grinste nicht mehr. Ingens Worte hatten ihn jetzt doch nachdenklich gemacht. Er mußte an das dritte Auge der Mysterious denken, das sie oben auf dem Kopf tragen sollten. Doch dann erinnerte er sich des zerfurchten alten Gesichts, das sie in der Kreisfläche des Transmitters gesehen hatten. Es war das Gesicht eines Wesens gewesen, das wie ein Mensch ausgesehen hatte nur konnte niemand sagen, ob dieses alte Gesicht einem Mysterious gehörte.
Vielleicht war es nur eine Maske gewesen, um die Terraner nicht zu erschrecken. Und diese Maske zu erstellen, mußte den Mysterious nicht viel Arbeit gekostet haben, denn durch Tim Ackers und Manu Tschobes Verrat auf einer unbekannten Transmitter-Station hatten sie doch ein verhältnismäßig umfangreiches Wissen über die Menschheit erhalten, und bei dem Verhör bestimmt auch erfahren, wie die Terraner im Durchschnitt aussahen. Hatten sie alle in der Kreisfläche des Transmitters etwas gesehen, das nur Fiktion war? Ein Ringraumer der Mysterious flog die POINT OF an! Was konnte Ren Dhark und seinen Männern also schon passieren? Die Vergrößerung der Bildkugel zeigte ein unbekanntes, in seinen Formen jedoch allen vertrautes Schiff. Ein Raumschiff der Geheimnisvollen! Mit halbem Ohr hörte Ren Dhark die Distanzangaben. Über die Bordverständigung klang Miles Congollons Stimme auf. »Dhark, die Intervallfeld-Werfer zeigen seit einigen Minuten unklare Blips...« Kein Mensch wußte, was man unter einem Intervallfeld-Werfer zu verstehen hatte. Nur eine Mentcap im Archiv der Ringraumer-Höhle hatte ihnen verraten, daß ein Deck tiefer in einem bestimmten Raum die Intervallfeld-Werfer montiert seien. Dhark hörte an seiner Seite Dan Riker sagen: »Hast du gehört, was Congollon durchgegeben hat, Ren?« In Ren Dhark verkrampfte sich etwas. Er bekam Angst. Nur wußte er nicht, vor wem er Angst hatte! Vor dieser Sonne, auf die seine POINT OF hinunterstürzte, vor dem anfliegenden Ringraumer - oder vor der Situation der Energieversorgung in seinem Schiff? Arc Doorn, schoß ihm eine Hoffnung durch den Kopf. Dan Riker erhielt keine Antwort. Statt dessen nahm Ren Dhark Verbindung zu Doorn auf. Der saß neben Miles Congollon im Triebwerksraum. »Doorn, wir müssen ein paar der M-Konverter wieder klar bekommen. In den nächsten zehn Minuten! Doorn, ich erwarte ein Wunder!« Ren Dharks Offiziere sahen sich schweigend an. Der Chef gab für die POINT OF keinen Cent mehr. Und dem heranrasenden Ringraumer schien er auch zu mißtrauen. Dhark war plötzlich argwöhnisch geworden. Er konzentrierte seine Gedanken. Niemand erriet sein Vorhaben. Erleichtert atmete er durch, als er die unpersönlich klingende Stimme der Gedankensteuerung in seinem Kopf hörte. Sie gab ihm nach einer knappen Sekunde die Auswertung des Checkmasters durch. Gefahr durch anfliegenden Ringraumer null Prozent! Gefahr, in die Sonne zu stürzen, hundert Prozent! Von den ertobiten Konvertern sprach der Checkmaster nicht! Der Commander warf seinem Freund einen unauffälligen, dennoch forschenden Blick zu. Riker saß angespannt im Copiloten-Sitz und kontrollierte seine Instrumente. Er ahnte nichts. Ren Dhark dachte an die riesige Ringraumer-Flotte, die sie geortet hatten, und an das eigenartige Knacken, das der Hyperfunkempfänger aufgenommen hatte. Das eine paßte nicht zum anderen. Warum hatten die Mysterious auf diese primitive Methode zurückgegriffen, sich über Krächzgeräusche mit ihnen in Verbindung zu setzen? Ihnen hatten doch schon vor rund tausend Jahren andere Mittel zur Verfügung gestanden. Auf Hope war es den Menschen doch demonstrativ gezeigt worden! »Commander, Fremdschiff fliegt uns direkt an!« meldete Grappa hinter den Ortungen.
Über die Bordverständigung kam Miles Congollons Fluch. »Und in die IntervallfeldWerfer ist der Teufel gefahren!« Er hatte recht. Auf dem Instrumentenpult flackerten drei Rotkontrollen. Beide Intervalle standen vor dem Zusammenbruch! »Da!« stöhnte Dan Riker. Er hatte sich auch vorgebeugt. Einmal mehr wurde ihm klar, wie hilflos der Mensch manchmal sein konnte. Die POINT OF war kaum noch zu manövrieren. Sie konnte sich nicht einmal mit ihren Strahlantennen wehren, wenn es erforderlich sein sollte. Mein Gott, welchen Irrsinn denke ich nur, schoß es Dhark durch den Kopf. Wer soll hier wen angreifen? Die Mysterious ein Schiff, das sie selbst einmal gebaut haben? In diesem Augenblick schlugen die Astrophysiker Alarm! »Commander, die POINT OF wird zu einem heißen Ofen, wenn in den nächsten Minuten nicht wenigstens ein Intervall wieder aufgebaut wird...« Ren Dhark antwortete nicht. Über die Bildkugel beobachtete er gemeinsam mit seinen Offizieren den anfliegenden Ringraumer. Das andere Schiff kam näher. Immer näher! Distanz 5000 Meter! Keine Kilometer! Meter..,! Der andere Ringraumer bremste fast auf Null herunter. 4200 Meter Entfernung. Die Vergrößerung der Bildkugel war zu stark. Das fremde Schiff hatte in der Wiedergabe keinen Platz mehr. Dennoch veränderte Ren Dhark sie nicht. Immer noch keine Erfolgsnachricht von Arc Doorn, der ertobite M-Konverter wieder aktiv machen sollte! War es nicht närrisch, an einen Erfolg zu glauben? »Dhark, von Ortungen erfaßt. Nur kenne ich diese Ortungsstrahlen nicht. Mal wieder was Neues!« Das hatte weder ironisch noch angeberisch geklungen. Grappa war nach beidem nicht zumute. Dhark zuckte zusammen. Eine der drei flackernden Rotkontrollen erlosch. Das Instrument für die Belastungswerte des oberen Intervalls zeigte plötzlich achtzehn Prozent an! Und Miles Congollons Flüche waren wieder zu hören. »...Ich gebe auf... Ich passe... Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr! Aber auch rein gar nichts mehr! Und Doorn... der leidet an Veitstanz! Der... Der...« Ende! Nichts mehr aus dem Triebwerksraum! Dafür überstürzten sich draußen die Ereignisse! Die POINT OF war in ein Intervall-Schlepp genommen worden. Genauso wie seinerzeit einer der Pyramidenraumer der Utaren, der nach einem Transitionsdefekt im Sol-System aufgetaucht war. Auf Befehl der Synties hatte Dan Riker das Schiff nach Esmaladan schleppen müssen! »Na, was denn...« sagte Dan Riker und lehnte sich bequem in seinem Copiloten-Sitz zurück. Dhark konnte sich über die Hilfsaktion der Mysterious nicht freuen. Er fühlte, daß hier einiges nicht stimmte, aber er hätte nicht sagen können, was ihn so mißtrauisch werden ließ. »Dhark, unser Fall wird gestoppt...« »Ist gut, Grappa«, rief Dhark ihm zu. Er hatte jetzt Zeit, alles an den Instrumenten seines Pultes abzulesen, auch die Ortungsresultate. Aber sie interessierten ihn kaum. Die POINT OF wurde aus dem Schwerkraftbereich der Sonne herausgeholt. Von einem Mysterious-Schiff, das so blauviolett schimmerte wie der Ringraumer. Plötzlich fuhr Ren Dhark zusammen. Wie hilfesuchend griff er zu Riker hinüber. »Dan... Wir selbst haben die Mysterious gerufen! Wir...«
Dan Riker musterte ihn besorgt. »Nein, ich bin nicht...« Er schluckte. »Dan, erinnere dich der Sendung, die von unserem Schiff ausging, bevor Manu Tschobe und Tim Acker über den Transmitter in der Funk-Z auftauchten! Erinnere dich, daß wir die Quelle der Sendung nicht ausmachen konnten. Mit diesen Funkrufen haben wir sie herbeigeholt. Wir.« »Glaub ich nicht, weil sie sich uns nicht zeigen! Mein Gott, warum sprechen sie nicht mit uns über Bildfunk? Etwas Einfacheres gibt's doch nicht!« »Und weil sie das nicht tun, fliege ich zu ihnen!« schnarrte Ren Dhark! Es gab im Leitstand der POINT OF niemanden, der den Commander nicht fassungslos angeblickt hätte. Jeder hatte begriffen, was Ren Dhark vorhatte. Aber jeder wußte auch, daß es selbstmörderisch war. »Nein«, widersprach Dan Riker, »das tust du unter keinen Umständen! Du kannst jetzt die POINT OF nicht verlassen, Ren. Nicht in dieser Lage. Unmöglich...« »Nein?« fragte Dhark und deutete auf ein Instrument, das deutlich angab, mit welcher Geschwindigkeit das Schiff aus dem Schwerkraftbereich der Sonne geschleppt wurde. »Wirklich nicht, Dan?« Er erhob sich, nickte Dan zu. Ein paar Minuten später stand er vor Flash 002. Als sich über ihm der Einstieg schloß, kontrollierte er die Funkverbindung mit der Zentrale. Dan Riker versuchte ein letztes Mal, seinen Freund umzustimmen. »Ren, tue es nicht. Ich habe plötzlich Angst...« »Die habe ich wahrscheinlich schon viel länger als ihr. Und weil ich diese verfluchte Angst loswerden will, starte ich jetzt. Ende!« Er flog aus. Durch die Unitallwand der POINT OF. Er flog durch den leeren Raum auf den fremden Ringraumer zu, in dessen Intervallfeld die POINT OF im Schlepp hing. Er flog in den fremden Raumer ein. Er wollte den Flash punktgenau auf die Halterung eines Depots bringen. Im gleichen Moment, als er die Unitallhülle des anderen Schiffes widerstandslos durchdrang, brach die Verbindung zur POINT OF ab. Und in der 002 setzten alle Funktionen aus. Ren Dhark nahm es wenigsten an. Blitzartig saß er im Dunkeln. Die Bildprojektion über seinem Kopf war schwarz geworden; so schwarz, wie es um ihn herum war. Lief der Sle noch? Er konnte es nicht sagen. Schnell schaltete er die Scheinwerfer seines M-Raumanzuges an. Alle Geräte, außer der Anzeige von Sle und Intervall, lagen still! Die Scheinwerfer seines Blitzes versagten! Der Andruckabsorber auch. Er wurde herumgewirbelt. Sein Flash mußte einen Salto geschlagen haben. Plötzlich hörte er etwas! Eine Sirene in seinem Flash! Ein Knacken, wie er es noch nie vernommen hatte... Oder doch schon einmal? Vor nicht langer Zeit? Krackkrickkrack... Dhark riß die Augen auf, während ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Der Funkempfang lief! Aber diese Hyperfrequenz...?! Auf dieser Frequenz hatte doch die POINT OF diesen unverständlichen Ruf empfangen! Was hatte das zu bedeuten?
Der Commander der Planeten, der alles eingesetzt hatte, um den Mysterious entgegenzutreten, riß die Augen weit auf, als über die Bildprojektion wieder die POINT OF zu sehen war, auf die er in seiner 002 zuflog! Die Sirene war verstummt. Der fremde Raumer hatte ihn nicht aufgenommen! Die Mysterious wollten ihn nicht begrüßen! Sie hatten ihn buchstäblich wieder hinausgeworfen! Mitsamt seinem Flash! Kommentarlos. Woher sollte er wissen, daß es der FO-23 unter Captain Jon Bradock ähnlich ergangen war? Nur war Commander Ren Dhark nicht Captain Bradock! Er ließ sich hinauswerfen. Er schaltete nicht auf stur. Er flog zur POINT OF zurück. Kurz danach saß er wieder im Pilotsitz und hatte das Kommando über sein Schiff übernommen. Seine Offiziere wußten, daß er nichts erreicht hatte. »Aber wir... oder vielmehr Arc Doorn!« konnte sich Dan Riker nicht verkneifen zu sagen. Schließlich hatte ihm sein Freund mal wieder einige höllische Minuten besorgt. Trotz des gerade erlebten Fehlschlags fragte Dhark fast unbeteiligt: »Und was, Dan?« »Doorn hat die Konverter wieder klar! Nur muß er dabei einen geistigen Knacks abbekommen haben! Er behauptet nämlich steif und fest, gar nichts gemacht zu haben. Die Konverter seien alle von allein wieder angelaufen. Aber auch Congollon glaubt dem mundfaulen Burschen kein Wort!« Ren Dhark kniff die Augen zusammen. Er übersah auch scheinbar nebensächliche Einzelheiten nicht. Eine Rückfrage folgte der anderen. Immer klarer wurde das Bild. Der Checkmaster, der alle Daten automatisch aufnahm, wurde befragt. Sein Antwort war eindeutig. In dem Moment, in dem Tino Grappa erkannt hatte, daß die POINT OF in unbekannten Ortungsstrahlen lag, hatte Arc Doorn vor einem M-Konverter die Beobachtung gemacht, daß dieser wieder zu arbeiten begann. Und dazu kam die Aussage des Checkmasters: Ertobite Konverter sind durch Beschickung wieder tobit! Ob die Beschickung tatsächlich von dem fremden Ringraumer durchgeführt worden war, ließ sich dem Checkmaster nicht entlocken. Ren Dhark machte die Probe aufs Exempel. Er versuchte die beiden Intervalle der POINT OF einzuschalten. Sie kamen! Auch der Sle! Im gleichen Moment wurde der Ringraumer aus dem Schlepp des anderen Schiffes entlassen. Das fremde Schiff beschleunigte mit maximaler Leistung und raste wieder auf den gigantischen Pulk zu, der in der Ferne im Raum stand. »Sollten wir nicht...?« begann Dan Riker. »Ja!« sagte Dhark knapp. Auch er war für eine schnelle Rückkehr zur Erde. Ihm war diese Ansammlung von Abertausenden Ringraumern unheimlich; ihm waren die Mysterious zum Alpdruck geworden. Die POINT OF beschleunigte. Die Vorbereitungen zur Transition nach Terra liefen. Im Schiff war das für einen Sprung typische Pfeifen wieder zu hören. Die kaum erstellten Intervalle wurden erneut abgeschaltet. Dann erfolgte die Transition. In Nullzeit wurde die POINT OF quer durch den Hyperspace um Tausende von Lichtjahren versetzt. 31 Lichtminuten vor der Plutobahn kam sie wieder ins normale Raum-Zeit-Gefüge. Sie war ein wenig zu kurz gesprungen. Ein gigantischer Verband aus blauviolett schimmernden Ringraumern war mitten im Sol-System hinter der Venusbahn
rematerialisiert. Kaum wieder existent geworden, teilte sich die Flotte in große Pulks auf, um über dem blauen Planeten Position zu beziehen. Auf der Erde breitete sich Entsetzen aus; auch der einfältigste Mann erkannte, daß Terra sich im Würgegriff einer fremden Macht befand. Und auf Terra glaubte niemand, daß die Mysterious als Freunde zu ihnen kommen wollten. Wer achtete noch darauf, daß der Commander der Planeten seine Ankunft auf Cent Field für 22:46 Uhr Norm-Zeit angekündigt hatte? Bis dahin konnte die Erde unter dem Strahlbeschuß von Abertausenden von Ringraumern zu einer neuen Sonne geworden sein.
16. Ast-17 verglühte! Die kampfstarke Station, 120 000 Kilometer über Luna, war nicht mehr zum Schuß gekommen. Acht Ringraumer hatten den siebzig Meter durchmessenden Planetoiden gleichzeitig von verschiedenen Seiten angegriffen und ihn in eine winzige Sonne verwandelt. Das war der erste Schritt zur Vernichtung Terras! Im Kontrollraum A des Stabes der TF zeigte ein Bildschirm den Untergang von Ast17. Im gleichen Moment lief die Meldung bei Marschall Bulton ein. Er zögerte keine Sekunde. Während er die verschiedenen Lagemeldungen hörte, zerdrückte sein rechter Mittelfinger die Plastiksicherung über dem roten Knopf. Der Impuls jagte über Hyperfunk an alle Ast-Stationen, Mond- und Planetenforts und an alle Schiffe der TF. Gegenschlag! Im Nahbereich der Venus flogen die Ast-Stationen 166 und 167 auseinander. Mehr als hundert Ringraumer hatten leichtes Spiel mit ihnen gehabt. Drei gigantische Pulks rasten auf Terra zu! Der große Suprasensor im Stab der TF spie das Resultat aus: Anfliegende Verbände werden in 13:14 Minuten in 10 000 Metern Höhe über Terra stehen! Aus dem Lautsprecher kam die Nachricht: »Unsere Ast-Stationen haben das Feuer eröffnet! In diesem Augenblick unterbrachen alle Nachrichtensender der Erde ihr Programm. Sprecher, denen die Angst schier die Kehle zuschnürte, gaben mit zitternder Stimme die Nachricht von der bevorstehenden Invasion bekannt. Aber sie selbst glaubten an keine Invasion mehr. Auch sie befürchteten, daß Terra in einem gewaltigen Strahlangriff vernichtet werden würde. Die Bildschirme in Kontrollraum A, die in vier langen Reihen übereinander standen, zeigten ein unbeschreibliches Drama. Die anfliegenden Ringraumer, jeder ein Ebenbild der POINT OF, schenkten dem Feuer der Ast-Stationen keine Beachtung. Die Pulks, die Terra als Ziel hatten, flogen durch das Gewirr der Strahlbahnen, als wären die hochenergetischen Strahlen nicht existent. Der große Suprasensor spie das nächste Resultat aus. Anfliegende Verbände werden in 12:58 Minuten in 10 000 Metern Höhe über Terra stehen! Die ersten Schiffe der TF warfen sich dem übermächtigen Gegner mit dem Mut der Verzweiflung entgegen. Fünf Sekunden später gab es sechs Schiff der Wolf-Klasse nicht mehr. Die 100-
Meter-Raumer waren in Energie umgewandelt worden. Zwei Kreuzer der Planetenklasse trieben mit zerfetzten As-Onen-Triebwerken durch den Raum. Im Bereich des Planeten Jupiter hatte ein weiterer Verband aus 5000 bis 6000 Ringraumern Fahrt aufgenommen - Kurs Terra! Und jeder Ringraumer flog im Schutz seiner Intervalle! Jedes angreifende Schiff war so gut geschützt wie die POINT OF! Die hochenergetischen, zum Teil überlichtschnellen Strahlbahnen der Terraner kamen nicht durch! In wilden Flammenkaskaden prallten die Energien an den MiniWelträumen ab. Die Offiziere im Kontrollraum A sahen über die Bildschirme den Untergang Terras voraus! In knapp zwölf Minuten war alles zu Ende! Diese gewaltige Übermacht war nicht aufzuhalten! Anfliegende Verbände haben Terra in 11:32 Minuten erreicht! Ast-94, 100, 123, 124 und 137 existierten nicht mehr. Im Verteidigungsring um Terra klaffte eine gewaltige Lücke, durch die die Pulks der Mysterious hindurchrasten! Bulton warf seinen Stabsoffizieren einen forschenden Blick zu. Einigen Männern stand der Schweiß auf der Stirn; andere hatten regelrecht graue Gesichter. Aber allen war eines gemeinsam: sie hatten keine Hoffnung mehr. Dieser Sturmflut von Ringraumern, die aus den Tiefen der Galaxis über das Sol-System hereingebrochen war, konnte niemand mehr Einhalt gebieten. Auch in der großen Hyperfunkstation Cent Fields gab es nichts mehr zu tun. Alle Frequenzen waren belegt! Über alle Frequenzen kamen Notrufe herein, die oft mitten im Wort abbrachen! Die Kommandanten der Ast-Stationen funkten ununterbrochen: Wir können die Ringraumer nicht aufhalten! Olje Hanussa, zur praktischen Ausbildung an die Hyperfunkstation abkommandiert, saß hinter einem kleinen Oszillo der Serie F/o und ließ sich nicht ablenken. Trotz seiner Angst. Oder weil er Riesenangst hatte. Seit der gewaltigen Strukturerschütterung mitten im Sol-System beobachtete er einen Blip, der alle anderen überlagerte. Ein Super-Blip! Die Schwingungsweite der Amplitude sprengte alle Maßstäbe. Der Oszillo konnte die Ausschläge nicht mehr komplett erfassen. Hanussa konnte sich nicht erinnern, auf der Funkakademie jemals etwas von Blips dieser Art gehört zu haben. Hastig drehte sich der junge Mann um. Bald, in knapp zehn Minuten, würde für Terra das Ende beginnen. Lohnte es sich überhaupt noch, eine Frage an die HauptFunkortung zu richten? »Großer Himmel!« Der Schrei gellte durch die Hyperfunkstation. Auf dem mehrere Quadratmeter großen Bildschirm waren drei gewaltige Ringraumerpulks zu sehen, die plötzlich ihre Formation veränderten, einen riesigen Halbkreis bildeten, aber unverändert Kurs auf Terra hielten. Auch Olje Hanussa hatte die Formationsänderung gesehen, dennoch wollte er die Funkortung anrufen. Und wenn es die letzte Frage seines Lebens war. Er wollte wissen, was dieser Super-Blip zu bedeuten hatte. Er streckte die rechte Hand zur Verständigung aus. Plötzlich sank sein Arm kraftlos hinunter. Und Olje Hanussas Augen waren unnatürlich groß geworden. Er starrte auf die von innen beleuchtet Scheibe seines Oszillos und sein Blick suchte vergeblich nach dem Super-Blip.
Es gab ihn nicht mehr. Aber es gab immer noch die Riesenflotte der angreifenden Ringraumer. Einunddreißig Lichtminuten vor der Plutobahn war die POINT OF wieder ins normale Raum-Zeit-Gefüge zurückgekehrt. »Das hätten wir geschafft«, stieß Ren Dhark erleichtert aus, als der Checkmaster die genaue Position des Flaggschiffs bestimmt hatte. Über die Bordverständigung wandte er sich an Glenn Morris in der Funk-Z und gab ihm die Order, die Ankunft der POINT OF für 22:46 Uhr Norm-Zeit in Cent Field anzukündigen. Dan Riker rührte sich nicht. Sein Gesicht drückte Sorge aus. Er mußte an die gewaltigen Flottenverbände zwischen den Spiralarmen denken, die laut einer Warnung von Major Caruso wahrscheinlich das Sol-System zum Ziel haben sollten. »Commander, Spruch ist 'raus!« meldete Morris lakonisch. Dhark schaltete den Sle hoch. Die Kursregulierung überließ er dem Bordgehirn. Der Sub-Licht-Effekt kam sofort. Alle M-Konverter des Raumers waren wieder tobit. Ren Dhark zuckte leicht zusammen, als er routinemäßig seinen Blick über die Kontrollgeräte seines Instrumentenpultes gleiten ließ. Die Hauptwerte aller Ortungen kamen automatisch zu ihm herein. Und als er den linken Instrumententeil seines Pultes betrachtete, sah er an einem Gerät den ungewöhnlichen starken Ausschlag! Grappa hatte nicht geschlafen. Gellend klang sein Ruf durch die Zentrale. Lauter als sonst. Ein Schrei fast. »Strukturerschütterung!« Dan Riker fuhr aus seinem Grübeln auf. Die beiden Offiziere auf der Galerie des Leitstandes drehten sich auf der Stelle um und starrten zum Commander herunter. Ren Dhark glaubte, in seinem Kopf würde etwas bersten. Unwillkürlich schoß ihm Carusos Warnung durch den Kopf, und er erinnerte sich der großen Ringraumerverbände zwischen den Spiralarmen I/a und Il/a. Es waren Schiffe der Mysterious gewesen - Schiffe ihrer unfreiwilligen Gönner. Aber die Gefügeerschütterung, die er gerade an den Instrumenten hatte beobachten können... Er wagte seinen Gedanken nicht zu Ende zu denken. Er wagte nicht einmal, eine Frage an Tino Grappa zu richten. Es war auch nicht erforderlich. Der junge Ortungsspezialist, der beste, den Terra besaß, gab schon seine Meldung ab. »Dhark, die Ringraumer... die Ringraumerverbände sind mitten im Sol-System aus dem Hyperspace gekommen! Commander, sie fliegen... sie fliegen mit größter Wahrscheinlichkeit Kurs Terra!« Neben Dhark fuhr sich Riker mit beiden Händen übers Gesicht, als müsse er Spinnweben wegwischen. Dabei murmelte er kaum vernehmbar vor sich hin. Die drei Offiziere, die am Checkmaster Dienst machten, glaubten Grappa kein Wort. Aber der Commander. Eine andere Erinnerung war in ihm wach geworden. Major Neeps Bericht über die Erzählungen der Utaren, die in den Mysterious die Geißel der Galaxis sahen - die Grakos! Ein häßlich klingendes Wort: Grakos! Ein Wort aus Haß, Angst und verzweifelter Ohnmacht geboren! Hinter Ren Dharks Stirn hämmerte eine Vorstellung: Die Grakos sind ins Sol-System eingebrochen! Seine braunen Augen waren zu Schlitzen geworden. Die leicht gebogene Nase trat stärker als sonst hervor. Er war sich nicht bewußt, daß er die Fäuste geballt hatte
und die Knöchel weiß wurden. Kantig, wie gemeißelt, wirkte sein ausgeprägtes Kinn. Über der Nasenwurzel standen zwei steile, tiefe Falten. Fest aufeinander lagen die Lippen, die dadurch wie blutleer wirkten. Plötzlich löste sich seine verkrampfte rechte Hand. Der Zeigefinger kippte einen Steuerschalter in eine andere Lage. Umschalten auf Sternensog. Die Flächenprojektoren des Ringraumers emittierten ein Maximum an Energie zum Brennkreis im Leerraum der Ringröhre. Titanische Antriebskräfte rissen das Schiff in Richtung auf das Sonnensystem. Gleichzeitig gellte der Alarm durch die Decks. Mit einem einzigen Griff zog auch Dhark seinen Klarsichthelm, der gefaltet in seinem Nacken gelegen hatte, über den Kopf. Über das eingebaute Funkgerät stand Dhark nach wie vor ungehindert mit allen wichtigen Zentralen seines Schiffes in Verbindung. »Feinortungen!« Dieser Befehl galt Tino Grappa wie Glenn Morris. Im Schiff waren die hochgeschalteten M-Konverter zu hören. Aus dem Triebwerksraum kam Miles Congollons Klarmeldung. Nach ihm meldeten sich die beiden Waffensteuerungen. Noch ahnte Ren Dhark nicht, was wirklich im Sol-System geschehen war. Er konnte sich nicht vorstellen, daß jener gewaltige Verband an Ringraumern, den sie zwischen den Spiralarmen bemerkt hatten, sich ausgerechnet das Sol-System als Ziel ausgesucht haben könnte. In der Funk-Z rief Elis Yogan seinen Kollegen Walt Brugg herbei. Der betrachte den Super-Blip nur einen Augenblick lang, und dann mußte Glenn Morris sich diese Mammut-Amplitude ansehen, die alle anderen Amplituden überlagerte. »Nein!« stieß Morris aus, aber sein Nein half nichts. Der Super-Blip blieb. »Das muß ich mir näher ansehen!« Der Sergeant, der hinter der Funkortung saß, mußte seinen Platz räumen. Feinortung einschalten! Sechs Antennen in der Unitallhaut der POINT OF wurden dafür in Anspruch genommen. Drei Zusatzaggregate fuhren an. Walt Brugg mußte Morris assistieren! Knapp waren die Anweisungen, die Morris gab. Noch knapper Bruggs Kopfnicken. Aber dann warf er Morris einen fragenden Blick zu, als dieser auf den Checkmaster schaltete. Dieser Super-Blip wurde unter der Feinortung noch unheimlicher. Glenn Morris rief sämtliche Ortungswerte bei Tino Grappa ab. Erst in einer halben Minute würde der Befehl von Commander Dhark kommen: Feinortungen! Diagramme tauchten vor Morris und Brugg auf der Bildscheibe auf. Darunter ein Gewirr aus Kurven und Linien. Rechts Zahlen der Mysterious. Sie lasen sie wie arabische Zahlen. Und darüber wurde es den beiden Männern heiß und kalt. »Ein Monstrum«, hauchte Walt Brugg. »Und das Ding steckt mitten im mittleren Pulk. Mitten drin!« Da kam Ren Dharks Befehl, Feinortungen vorzunehmen. »Himmel noch mal, hat der Commander eine Nase!« sagte Glenn Morris und pfiff anerkennend. Ihr Commander war nicht nur ein großer Könner; er hatte auch sehr oft zur richtigen Zeit den richtigen Einfall. Mit seinem Befehl hatte er es erneut bewiesen. Und Glenn Morris konnte ihm jetzt beweisen, mit welchen Männern er flog: Er konnte Vollzug melden. Er gab alle erfaßten Werte seiner Feinortung an das Instrumenten-
pult in der Zentrale. Er ließ sich auch nicht durch die Meldung unterbrechen, daß im Sonnensystem, zwischen den Planetenbahnen, starke Energie-Emissionen zu beobachten seien. Das hieß Krieg im Sonnensystem! Das hieß, Marschall Bulton hatte den Befehl zum Gegenangriff gegeben! Glenn Morris hörte vom Commander keine Antwort. Dhark hatte keine Zeit dazu. »Dan, übernehmen!« Er trat das Kommando über die POINT OF an seinen Freund ab. Die Bordverständigung zum Triebwerksraum stand. »Doorn, schnellstens zur 002!« Dhark federte aus dem Pilotensitz. Am Waffenschrank stoppte er, riß ihn auf, kümmerte sich nicht um das Erstaunen seiner Offiziere, sondern stopfte so viele Blaster wie möglich in seine Taschen. Dann krachte hinter ihm das Schott des Leitstandes wieder zu. Er rannte über das Deck, jagte zum Depot, in dem Flash 002 lag. Aus der anderen Richtung sprintete Arc Doorn heran. Der konnte keine Ahnung haben, was sein Commander vorhatte, dennoch stellte er keine Frage. Vielleicht gab es dafür später Gelegenheit. Sie standen vor dem Flash. Einsteigen! Einstieg schließen! Keine Zeit, um eine einzige Kontrolle vorzunehmen. Sie kam. Das Intervallfeld stand. Der Flash jagte durch die fünfzig Zentimeter starke Unitallwandung der POINT OF und stieß in den freien Raum. Ren Dhark schaltete den Hyperfunk ein. Er rief Grappa und Morris an. Alles andere interessierte ihn nicht. Und von seinem Flash aus schaltete er auf den Checkmaster. Nur kurz spielte er mit der Idee, die Gedankensteuerung zu benutzen. »Morris, ich benötige die exaktesten Daten, die zu erbringen sind. Kontrolle über Checkmaster, Verbindung steht! Kommen! Ende!« Die beiden Männer im Flash 002 saßen Rücken an Rücken. Arc Doorn rührte sich nicht. Er war überzeugt, daß ihm der Commander sobald es möglich war seinen Plan mitteilen würde. Daß er zu einem Himmelfahrtskommando befohlen war, störte ihn nicht. Von seinem Commander war er nichts anderes gewohnt. Über Helmfunk hörte er mit. Und da kroch es ihm doch kalt über den Rücken. Er hatte erfahren, was das Ziel ihres überstürzten Fluges mit der 002 war! Und dann begriff er auch, welchen verwegenen Plan Dhark hatte. »Arc, Transition in zehn Sekunden!« »Okay!« Die zehn Sekunden schleppten sich dahin. Die 002 raste auf das Sonnensystem zu. Vom Planeten Pluto war auf der Bildprojektion über dem Kopf nichts zu sehen. Er stand in Opposition. »Nadelstrahl-Antennen klarmachen, Arc! Wenn wir...« Die 002 transitierte! Sprung durch den Hyperspace! Rematerialisation! Sie mit maximaler Leistung auf negative Beschleunigung! Dhark erkannte nicht, was er seinem Partner und sich selbst abverlangte. Er erkannte nicht, daß er seinem Reaktionsvermögen die Leistung eines perfekten Roboters zumutete! »Drauf!« schrie Ren Dhark, der den Kopf weit in den Nacken gelegt hatte und auf dem Bildschirm an der Decke erkannte, wo der Flash rematerialisiert hatte. Mit auf Vollast arbeitendem Sle, mit heulenden Andruckabsorbern schwebte das kleine Beiboot der POINT OF in die Funk-Zentrale eines Ringraumers, die sich von der Funk-Z des terranischen Flaggschiffs nur durch eine Winzigkeit unterschied.
Sie war leer! »Doorn...« Der Commander verstummte abrupt. Der Sibirier hatte den Ausstieg aufgestoßen und schwang sich nach draußen. Dhark sah, wie er sich kräftig abdrückte, um nicht in den tödlichen Brennkreis des Sle zu kommen, und mit federndem Sprung den Boden erreichte. Dhark hatte das Ziel seines Begleiters erkannt. Der Gigant-Sender! Das Duplikat jenes Senders, der auf der POINT OF fehlte, weil er sich bei einem Versuch vor langer Zeit selbst zerstört hatte! Der Sender saß als Schachtelsatz in dieser Funk-Zentrale an der gleichen Stelle, wo in der POINT OF ein viereckiges Loch gähnte. Ren Dhark hatte keine Zeit, Doorns Vorgehen noch länger zu beobachten. Er schaltete alle Antennen seines Beibootes auf Nadelstrahl und wartete nur noch darauf, daß Arc Doorn zurückkam. Sle ausschalten! Ausfahren der sechs dünnen Auslegerbeine. Weich setzte der Flash auf. Immer wieder wanderte Dharks Blick zum Schott. Er wunderte sich, daß man sie immer noch ungestört ließ. Die Energie- und Massenortung dieses Ringschiffes mußte der Besatzung ihre Anwesenheit längst verraten haben. »Hab' ihn!« hörte er über Helmfunk Arc Doorn sagen. Zu einer Antwort kam Dhark nicht mehr. Das Schott sprang auf! Drei Roboter standen in der Öffnung! Ohne jede Gefühlsregung drückte Ren Dhark den Kontakt. Drei Antennen waren auf die Roboter gerichtet. Konstruktionen, deren Aussehen ihm seit seinem letzten Besuch des TransmitterRaums im Industriedom nicht mehr fremd war! Der überlichtschnelle blaßrosa Nadelstrahl traf sein Ziel. Roboterarme fielen herunter. Linsensysteme am oberen Ende des zylindrischen Rumpfes wurden blind und begannen zu glühen. Augenblicke später gab es eine Explosion. Drei Roboter verwandelten sich unter Nadelstrahlbeschuß in Energie. Ren Dhark sah nur noch die grelle Stichflamme. Daß er sein Augenlicht nicht verlor, verdankte er der automatischen Abblendung seines Klarsichtshelms. Dennoch war er geblendet. Die Roboter der Mysterious waren vernichtet. Die ersten drei! Er war überzeugt, daß es Roboter der Geheimnisvollen gewesen waren. Und er war überzeugt, daß dieser Ringraumer aus ihren Werften stammte. Die Druckwelle der Explosion traf den Flash. Er lag seit dem Augenblick nicht mehr im Schutz seines Intervalls, in dem Arc Doorn den Ausstieg aufgestoßen hatte. Wie von Riesenfäusten gepackt, begann das unförmige Beiboot der POINT OF auf seinen spinnbein-dünnen Auslegern quer durch die Funk-Zentrale zu rutschen, bis es an einem schweren Aggregat hängenblieb. Der Commander dachte nicht an sich, nicht an die Strahlenflut, die sich in diesem Raum austobte. Davor schützte ihn der Raumanzug der Mysterious. Dhark dachte an den bulligen, wortkargen Sibirier - an Arc Doorn. »Doorn...« keuchte er über Helmfunk und lauschte auf Antwort. Es blieb still. Es blieb dunkel um ihn. Seinen Augen tränten unaufhörlich. Er beachtete es nicht. »Doorn...«
Wieder nur Schweigen im Empfang. »Mein Gott«, flüsterte Dhark. War der Sibirier von einem der Teleskopbeine zerquetscht worden? Doorn mußte doch ebenso stark geblendet worden sein wie er! Der Commander preßte eine Hand gegen die Augen. Die dünne Folie des Klarsichtshelms gab unter dem Druck nach. Schwarze Flecken begannen vor ihm zu kreisen. Die ersten Anzeichen, daß die Blendung langsam nachließ. Da erst wurde ihm bewußt, daß er keinerlei Sirenengeheul hörte, dabei mußte das Hauptdeck dieses Ringraumers durch die atomare Explosion der drei Roboter strahlenverseucht sein. Die Außenmikrophone seines Anzuges erfaßten nicht das geringste Geräusch. Unheimlich still war es, und die Zeit verrann. Eine Sekunde nach der anderen raste dahin, und in diesen Sekunden konnte sich das Schicksal des Sonnensystems und der Menschheit entschieden haben. Nadelstrahl einsetzen...! Nadelstrahl einsetzen...! hämmerte ein Befehl hinter seiner Stirn. Ununterbrochen! Nadelstrahl einsetzen...! Aber er sah doch nichts! Und er wußte nicht, was mit Arc Doorn geschehen war. Seine Intuition kannte keine menschlichen Rücksichten. Nadelstrahl einsetzen...! Du mußt den Nadelstrahl benutzen...! Er war doch von der POINT OF mit der 002 herübergeflogen, um die Funk-Zentrale dieses Ringraumers restlos zu zerstören. Von dieser Funk-Zentrale aus wurde der gigantische Verband der Mysterious-Schiffe kommandiert! Der Super-Blip und die Daten, die ihm Glenn Morris geliefert hatte, hatten es ihm verraten. Und jetzt...? Jetzt steckte er mit seinem Flash im Flaggschiff der Mysterious-Flotte und konnte nichts tun - weil er Rücksicht auf ein einziges Menschenleben nahm! Aber brachte er mit dieser Rücksichtnahme nicht Milliarden anderen Menschen den Tod und Terra den Untergang? Dhark hörte sich keuchen. Er hielt immer noch eine Hand gegen die Augen gepreßt. Die tanzenden Flecken rotierten schneller und schneller, aber die Blendung wich nicht schnell genug. Plötzlich horchte er auf. Das Dröhnen schwerer Schritte war zu hören! Roboter-Schritte! Die Mysterious hatten erneut Maschinenwesen eingesetzt! Die Schritte wurden lauter und kamen schnell näher. Roboter, die über das Hauptdeck des Ringschiffes rasten! Und er sah immer noch nichts - auch von Arc Doorn keine Spur! Wo war das Schott? Genau hinter ihm, oder hatte sich sein Flash, als er quer durch die Funkzentrale rutschte, gedreht? Ren Dhark, du mußt...! Er riß die Hand herunter, die er gegen seine Augen gedrückt hatte. Mit beiden Händen griff er blind zu. Zögerte nicht eine Sekunde, als er die beiden Steuerschalter betätigte. Alle Antennen auf Nadelstrahl geschaltet! Alle Antennen Feuer frei! Zweihundertzehn Sekunden Dauerbeschuß waren erforderlich, um Unitall unter Nadelstrahlbeschuß in Energie zu verwandeln. »Und wenn dieses Schiff dabei in Atome zerrissen wird!« keuchte er und dachte keinen Augenblick lang daran, daß auch er dabei ums Leben kommen würde.
Dieser Ringraumer mußte vernichtet werden. Das Kommandoschiff der Geheimnisvollen. Er hatte die Aufgabe zu erfüllen, den Angriff der Mysterious auf Terra zu stoppen. Die Menschheit mußte die Chance bekommen, sich mit den Angreifern in Verbindung setzen zu können. Hier lag doch ein Mißverständnis vor. Hier mußte ein Mißverständnis vorliegen! Aber wenn die Mysterious nun tatsächlich die Grakos sind, wie die Utaren behaupten? schoß es Dhark durch den Kopf. Alles in ihm sträubte sich gegen diese Annahme. Selbst in diesem Moment konnte er es nicht glauben. »Dhark...« hörte er Arc Doorns Schrei. »Dhark, Nadelstrahl aus! Aus! Verdammt, ausschalten, ich kann sonst nicht zurück!« Aber die Roboter auf dem Deck hatten das offenstehende Schott zur Funkzentrale fast erreicht. Zwei Steuerschalter kippten in andere Stellung. Hinter Ren Dhark krachte etwas auf den zweiten Sitz. Dröhnende Schritte über die Außenmikrophone. Metallschritte. Und dann waren die Geräusche, mit denen sich der Einstieg schloß, schöner als die herrlichste Musik. Automatisch stand das Intervall um die 002. »Dhark, können Sie nicht sehen?« »Nichts...« »Ich übernehme... Großer Himmel, da sind sie ja...!« Und Ren Dhark sah die ersten Schatten, sah, daß diese Schatten immer schärfere Umrisse bekamen, daß sie sich bewegten. Er sah das Schott. Über die Bildprojektion. Seine Sehkraft kam zurück. Roboter stürmten auf den Flash zu. Ihre Metallarme waren Strahlwaffen. Sie versuchten das Beiboot der POINT OF anzugreifen. Wieder handelte Ren Dhark intuitiv. Sle einschalten! Teleskopbeine einfahren! Dhark konnte inzwischen wieder Einzelheiten erkennen. Der Sibirier hatte die Roboter unter Nadelstrahlbeschuß. Der Commander handelte. Die gesamte Einrichtung dieser Funkzentrale mußte zerstört werden. »Arc, Nadelstrahl auf die Funkeinrichtung!« »Nicht mehr nötig, Dhark. Die liegt lahm...« Das war eine typische Bemerkung des Sibiriers. Manchmal fiel er mit seiner Wortkargheit anderen Menschen auf die Nerven. Dem Commander nicht. Der glaubte ihm jedes Wort. Nur wie sein Partner es angestellt hatte, konnte er sich nicht einmal vorstellen. »Dann zum Leitstand!« Hinter seinem Rücken grunzte Doorn. »Werden die Mysterious sich über unseren Besuch wundern!« Das Intervall ließ die 002 durch die Unitallwände des Ringschiffs fliegen. Der Brennkreis des Sle hinterließ auch hier keine Schmelzspuren. Eine Tatsache, die terranische Metallurgen bis zum heutigen Tag noch nicht hatten erklären können. »Achtung!« Dharks Fingerspitzen lagen auf den wichtigsten Steuerschaltern. Auf seinen Partner konnte er sich verlassen. Auch für Arc Doorn war ein Flash ein Instrument, das er meisterhaft beherrschte. Der Flash durchflog die letzte Wandung, die sie noch von der Kommandozentrale des Ringschiffs trennte. Sie flogen in eine menschenleere Zentrale ein! Hier gab es nicht einmal einen Roboter. Aber auch keinen Checkmaster!
Der Platz, den er auf der POINT OF einnahm, war hier leer! Vor dem langgestreckten Instrumentenpult gab es keine Pilotensessel, und über dem Pult keine Bildkugel! Und in der 002 gab es zwei Männer, die sprachlos waren. Auf erneut ausgefahrenen Teleskopbeinen setzte das Beiboot der POINT OF auf. Die Nachricht hatte trotz der dramatischen Entwicklung wie eine Bombe im Stab der TF eingeschlagen. Commander Dhark hat gemeinsam mit Arc Doorn POINT OF mit Flash 002 verlassen! »Ja...« sagte Marschall Bulton, als er die Nachricht gelesen hatte. Mehr nicht. Es war doch alles egal. Die Flotte hatte sich zurückgezogen. Die Ast-Stationen rührten sich nicht mehr. Jeder Kommandant konnte nach eigenem Ermessen handeln, wenn es die Lage erforderte. Ein Fall in der TF, der nicht vorgesehen war. Bulton und seine Stabsoffiziere beobachteten das Geschehen auf dem großen Bildschirm. Die Ringraumer-Flotte hatte überall Position bezogen und den Ring um Terra bis auf eine winzige Lücke geschlossen. Leise sagte Bulton: »Das Schicksal sei uns gnädig, wenn die Mysterious doch die Grakos sind!« Er mußte an Colonel Neep denken, den Kommandanten der BERNHARDTS STAR, der diese Angaben von den Utaren mit nach Terra gebracht hatte. Plötzlich flammte es im Bereich der Flotte grell auf. Grelle Blitze sprangen vom großen Bildschirm in den Raum. Kam jetzt das Ende? Auf der Erde gab es ein paar Männer, die sich nicht von ihrer Arbeit abhalten ließen, als die Alarmnachrichten über die drohende Invasion einliefen. Der Astrophysiker Professor Monty Bell gehörte zu ihnen. In seinen Händen lag die wissenschaftliche Leitung des unter Alamo Gordo liegenden Forschungskomplexes, aber er drückte sich an dieser Aufgabe, so gut er konnte, vorbei und überließ meist dem Verwaltungsapparat die Entscheidung. Doch in seine Arbeit konnte ihm kein Mensch hineinreden. Nicht einmal eine drohende Invasion. Die Gefahr aus der Galaxis war viel größer als diese lächerliche Ringraumer-Flotte über Terra. Spence Bentheim und Yve Ossorn, die als Astrophysiker eigentlich zur Besatzung der POINT OF gehörten, waren auf Hope umgestiegen und hatten die Erde mit einem Kugelraumer erreicht, um hier ihren Jahresurlaub zu nehmen. Das galaktische Magnetfeld hatte sich um ihre Urlaubspläne nicht gekümmert und sie mit seinen hochschnellenden Werten zunichte gemacht. Seit zwei Tagen und zwei Nächten saßen sie siebenhundert Meter tief unter Alamo Gordo, hatten zwischendurch einmal eine Handvoll Schlaf genommen und hockten jetzt wieder vor ihren Diagrammen, Berichten und Meßtabellen. Was in der Milchstraße los war, übertraf in seiner Katastrophenwirkung jede Invasion. Es betraf alle. Es traf jeden - jeden biologischen Organismus. Die Vipho-Verbindung zum Brana-Tal stand seit Stunden. Dort gab es ebenfalls Experten, die sich durch die Invasionsgefahr nicht hatten aus der Ruhe bringen lassen. Echri Ezbal zählte dazu. Sein Gesicht Gesicht war jetzt auf der Bildscheibe zu sehen. Bell, Ossorn und Bentheim hörten aufmerksam zu, was er ihnen als Arzt zu sagen
hatte. »Wenn diese elektromagnetische Sturmflut noch achtzig bis hundert Stunden anhält, haben wir mit epidemisch auftretenden Mutationen zu rechnen. Wir können nur hoffen, daß die zur Zeit festgestellten Maximalwerte innerhalb der nächsten zehn Stunden wieder absinken...« Monty Bell verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Sie Optimist, Ezbal. Wir haben das Maximum noch nicht erreicht. Noch längst nicht. Haben Sie denn vergessen, daß die Störungseinbrüche stärker denn je über den Hyperraum zu uns hereinkommen? Sie haben doch vor sieben Stunden unsere letzte umfassende Zusammenstellung erhalten. Ich will Ihnen mal verraten, wie hoch der Wert auf Kappa-05 inzwischen gestiegen ist - auf 156! Na, gefällt der Ihnen auch nicht?« Echri Ezbals eindrucksvolle blaue Augen verrieten Bestürzung. »Vielleicht interessiert uns das alles bald nicht mehr.« Er spielte auf die bevorstehende Invasion an. Aber diese Anspielung zeigte deutlich, wie ratlos er als Mediziner war. Die drei Astrophysiker wußten schon seit vielen Stunden nicht mehr ein und aus. »Möglich«, gab Monty Bell zu, »aber dann sollten sich diese Mysterious nur nicht einbilden, sie bekämen nichts ab. Auch die werden von Mutationen nicht verschont bleiben. Was sagten Sie, Ezbal - die elektromagnetische Sturmflut würde bei anhaltenden Höchstwerten die Pryo-Kette in C4-Bereich verändern?« »Sie muß sie verändern, aber das darf nicht geschehen, Bell. Kennen Sie denn auf der ganzen Erde keinen einzigen Menschen, der uns vor diesem Strahlorkan und seinen Folgen schützen kann? Ich...« Spence Bentheim unterbrach ihn. Er deutete auf die Fernanzeige des sensorischen Magnetometers, das 1068 Lichtjahre von Terra entfernt auf dem atmosphärelosen Planeten TR-107 stand. Über To-Funk hatte es gerade die neuesten Meßdaten durchgegeben. Kappa-05 hatte dort den Wert 182 erreicht. Bell teilte es Ezbal mit. »Aber der Planet TR-107 hat doch keine Atmosphäre«, warf Ezbal mit deutlich erkennbarer Erregung ein. »Das macht ungefähr 20 Einheiten aus...« »Würde es ausmachen, Ezbal, wenn der Einbruch nicht über den Hyperspace käme. Wollen Sie mir mal erklären, welche Rolle da ein Luftmantel spielt?« »Aber Terra liegt noch nicht im Bereich dieser hohen Werte?« »Noch nicht...« In diesem Augenblick kam die Meldung aus dem Stab der TF, daß sich die Ringraumer-Flotte zum Zangenangriff auf die Erde formieren würde. Die drei Astrophysiker waren wie gelähmt. Die Nachricht hatte sie wie ein Schock getroffen. Voll und ganz mit ihrer Arbeit beschäftigt, hatten sie die Tatsache, daß eine gewaltige Raumerflotte ins Sol-System eingebrochen war, völlig vergessen. Jetzt waren sie daran erinnert worden. Laut stieß Yve Ossorn den Atem aus, lehnte sich zurück und sagte in schleppendem Tonfall: »Na, dann werden wir wohl bald alle keine Sorgen mehr haben. Zum Teufel, den Besuch der Mysterious hatte ich mir doch etwas anders vorgestellt.« »Wem sagen Sie das?« knurrte Bentheim. Als sie der Bildscheibe des großen Viphos wieder einen Blick zuwarfen, bestand die Verbindung zum Brana-Tal nicht mehr. Echri Ezbal hatte abgeschaltet. »Machen wir weiter?« fragte Monty Bell in die Stille hinein. Ossorn und Bentheim nickten. Es war das beste, was sie tun konnten.
17. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Ren Dhark und Arc Doorn sich von ihrer Überraschung und Enttäuschung erholt hatten. »Leer! Kein Mysterious hier? Großer Himmel, Dhark, wo im Schiff stecken sie denn?« Der Flash hatte seine sechs Ausleger weit zur Seite geschoben und befand sich knapp einen Meter über dem blauschimmernden Unitallboden der Kommandozentrale. Ren Dhark rührte sich nicht. Hinter seiner Stirn jagten sich Gedanken, Fragen und Vermutungen. Während sein Blick durch die leere Zentrale schweifte, wurde er sich klar, mit seinem Handeln alles auf eine Karte gesetzt zu haben. In diesem Ringraumer hatte er das Kommandoschiff der riesigen Flotte gesehen. Er hatte geglaubt, der Super-Blip sei nichts anderes gewesen als der Einsatzbefehl an alle anderen Schiffe. Und damit, daß er diese Zentrale hatte lahmlegen wollen, sollte der Angriff auf Terra wenigstens gestoppt werden. Die Menschen mußten doch Gelegenheit bekommen, ein entsetzliches Mißverständnis aus der Welt zu schaffen ein Mißverständnis, das an den Grundlagen ihrer Existenz rüttelte. Und das war alles falsch gewesen? Es mußte falsch sein. Wo waren denn die Mysterious? Warum war kein einziger in dieser Zentrale zu sehen? »Komisch«, sagte Arc Doorn. Die Antennen der 002 waren auf das Schott gerichtet. Ren Dharks Zeigefinger lag auf dem Steuerschalter, um ohne Verzögerung das Feuer eröffnen zu können, falls es erforderlich werden sollte. »Keine Bordverständigung.« Wieder eine Bemerkung von Doorn. Wieder stellte der Commander keine Frage, aber seine Wachsamkeit wurde noch größer. Er kannte die einzigartigen Fähigkeiten des Sibiriers wie kein zweiter. Und Doorn hatte entdeckt, daß es in dieser Zentrale ohne Pilotensessel, ohne Checkmaster und Bildkugel, auch keine Einrichtung gab, mit der man sich mit allen wichtigen Zentralen des Raumers in Verbindung setzen konnte. »Arc, übernehmen«, sagte Dhark, der sich entschlossen hatte, auszusteigen, um sich gründlicher im Leitstand umzusehen. »Wir halten uns schon fünf Minuten in diesem Schiff auf, Dhark«, machte Doorn ihn aufmerksam. Erst fünf Minuten? Dhark war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Aber was hatten sie in diesen fünf Minuten erreicht? Nichts! Er stieß den Ausstieg auf, schwang sich nach draußen und ging an den dünnen Teleskopbeinen vorbei auf das Instrumentenpult zu. Ein einziger Blick über die Instrumente bestätigte ihm alles. Sie hielten sich in einem Ringraumer der Geheimnisvollen auf! Die Instrumente auf dem Pult waren die gleichen wie auf der POINT OF! Doch dann beugte er sich vor, als sei er kurzsichtig. Über seine Lippen kam ein Schrei. »Doorn, dieses Schiff steht im freien Fall!« Arc Doorn antwortete nicht. Er hatte die Bemerkung des Commanders wohl gehört, im Augenblick aber keine Zeit, ihm zu antworten. Auf seinem Schoß lag der nur drei Kilo schwere Gigant-Sender des Ringschiffs. Wie gut er dieses Gerät kannte! Er und Hadrum Ismaran hatten auf Hope mit einem solchen Modell Versuche gemacht, und bei einem dieser Versuche hatte sich das
Wunderwerk der Mysterious-Technik selbst zerstört. Er hatte diesen Sender und Empfänger wie einen großen Schachtelsatz aus der Wand der Funk-Zentrale herausgerissen. Mit einem Griff. Und damit gleichzeitig alle seine Funktionen stillgelegt. Jetzt wollte er den Sender einschalten. Er wollte versuchen mit der POINT OF oder mit Cent Field Kontakt zu bekommen. Warum er in dieser Situation, in der jede Sekunde kostbar war, diesen Versuch machte, hätte er auch nicht erklären können. Einschalten! Er wußte noch, wo der winzige Schalter für den Sender zu finden war. Sendung und Empfang standen. Urplötzlich erstarrte er. Irgend etwas an dieser Ausführung war doch anders als er es kannte. Als ihm klar wurde, was er getan hatte, schaltete er alles wieder auf Null. Kaum eine Sekunde war der Sender in Betrieb gewesen. »Doorn, hier gibt es ja auch keine Ortungen!« Der Sibirier horchte jetzt auf. »Ich...« Er hatte alle Funktionen übernehmen sollen, und er ließ sich dennoch überraschen. Als das Zentrale-Schott krachend aufsprang, war er nicht in der Lage, sofort das Nadel-Strahlfeuer zu eröffnen. Ren Dhark wirbelte auf der Stelle herum. Seine Hände flogen zu den Waffen - aber sie griffen nicht zu. Im geöffneten Schott stand ein Roboter! Ein Maschinenmensch, der sie mit seinem Linsensystem betrachtete, sich aber nicht bewegte. Es war das gleiche Modell, das im Industriedom aus der Ringantenne des Transmitters herausgetreten war, um Manu Tschobe vor dem Mordanschlag durch die entarteten Cyborgs zu retten. »Ich hab' ihn im Visier«, meldete sich Doorn über Helmfunk. Jetzt drehte der Roboter seinen zylinderförmigen Rumpf und ging langsam, mit klirrenden Schritten auf Ren Dhark zu. Den Flash mit Arc Doorn beachtete er nicht. Oder hatte er mit seinem Weitwinkel-Augensystem alles mit einem Blick bemerkt? Der Sibirier ließ die Konstruktion nicht aus den Augen. Ihm war diese Begegnung unheimlich. Zu frisch war die Erinnerung, welchen Ärger sie in der Funk-Z mit diesen Robotern gehabt hatten. Ren Dhark verspürte keine Unruhe, als er das seelenlose Wesen auf sich zukommen sah. Er mußte an Tschobes Bericht denken, der auf einer fernen Transmitter-Station seine Abenteuer mit Robotern erlebt hatte; er mußte daran denken, daß der Afrikaner einem Roboter sein Leben verdankte. Warum sollte gerade er von einem Roboter angegriffen werden? Vielleicht war der Roboter von den Mysterious geschickt worden, ihn zu dem Kommandanten dieses Schiffes zu bringen. Vielleicht war dieser Ringraumer trotz seiner Ähnlichkeit mit der POINT OF ein viel moderneres Modell und voll automatisiert - und nur von ein paar Robotern kontrolliert. Vielleicht war der Checkmaster ein Aggregat, das völlig veraltet war?! Ren Dhark drehte langsam den Kopf. Der Roboter ging an ihm vorbei, beachtete ihn nicht. Kein halber Meter trennte sie. Gleichmäßig langsam bewegte der Maschinenmensch seine fünf Gehwerkzeuge; eng an den Zylinderrumpf gepreßt waren die fünf Arme, und an jeder Greifhand die vier Metallfmger ausgestreckt. Über zwei Meter war der Roboter groß, aber er war nicht aus Unitall, wenngleich das Material auch blauviolett schimmerte. Das war eine Erklärung dafür, wie schnell die Maschinenwesen in der Funk-Z durch Nadelbeschuß hatten vernichtet werden können.
Dennoch war die sture Zielstrebigkeit des Roboters unheimlich. Er kontrollierte eindeutig die Steuerschalter! Sterne und Boliden, dachte der Commander ratlos, wieso gibt es in dieser Zentrale Steuerschalter, wenn sich hier nicht einmal ein Roboter aufhält? »Dhark, passen Sie auf. Ich trau dem Blechkameraden nicht über den Weg!« warnte ihn Doorn über Helmfunk. Dhark traute ihm auch nicht. In Gedanken schalt er sich einen Narren. Roboter konnten nicht heimtückisch sein. Sie hatten es an Tschobe, Acker und Jimmy bewiesen. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, als das Ungetüm sich erstaunlich schnell umdrehte und auf ihn zuschwebte! Antischwerkraft! Ein genau gesteuerter Antrieb! Der Sibirier stieß einen Fluch in seiner Heimatsprache aus. Jetzt konnte er nicht mehr schießen, ohne den Commander in Lebensgefahr zu bringen. Dhark wich Schritt um Schritt zurück. Der Roboter trieb ihn zum offenstehenden Schott. Sein Linsensystem funkelte leicht. Unheimlich war dieses sture Weiterschweben. Und nun bewegten sich drei seiner fünf Armglieder. Alle drei zeigten auf die Brust des Commanders! In Dharks Augen glitzerte es kalt und abwägend. Langsam näherten sich seine Hände den Kolben der beiden Strahlwaffen, noch langsamer schraubten sich seine Finger darum. Über Helmfunk hörte er Arc Doorn in allen Tonarten fluchen. Der Sibirier tobte, weil er nicht zum Schuß kam. »Diese verdammte Blechkiste scheint zu wittern, was ich vorhabe! Neunfach geschwänzte Sternteufel, krieg' ich den Brocken denn keine Sekunde lang in die Zielerfassung...?!« Nur noch ein paar Meter trennten Dhark vom geöffneten Schott, als ihm eine Idee durch den Kopf schoß. »Arc, Flash schließen. Intervall auf und mir folgen. Verstanden?« »Und wie«, knurrte der und ließ den Einstieg zufallen. »Intervall ein! Sle kommen lassen! Teleskopbeine einfahren! Und immer dicht hinter dieser kleinen Gruppe bleiben!« Doorn merkte gar nicht, daß er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Der Brennkreis des Sle konnte das Unitall des Ringschiffs nicht beschädigen. Doorn hätte sich auch herzlich wenig daraus macht. Er kannte nur eine Aufgabe: Den Commander aus dieser Lage wieder herauszubringen! Aber ihm bot sich keine Chance - und Ren Dhark sah auch keine. Er hatte das Hauptdeck erreicht. Weiter bis zum A-Grav-Schacht! Minus-Sphäre. Stop bei Deck l! Dicht hinter ihm und dem Roboter Arc Doorn im Flash. Dhark hatte beide Strahlwaffen gezogen, den Schocker wie den Blaster, und die Abstrahlpole genau auf das Linsensystem seines seelenlosen Bewachers gerichtet. Nach den wenigen Erfahrungen, die er mit Robotern bisher hatte sammeln können, war das Linsensystem ihr schwacher Punkt. Doch ein unbestimmtes Gefühl hinderte ihn schon die ganze Zeit daran, den vernichtenden Blasterstrahl auf den schwebenden Metallkörper abzufeuern. Als sie Deck l erreichten, wurde dieses Gefühl so stark, daß er Doorn regelrecht untersagte, die Waffen des Flash einzusetzen. »Dhark, Sie verlangen ein bißchen viel von mir«, knurrte der Sibirier unzufrieden, als
er bemerkte, daß Dhark ruckartig den Kopf drehte und zur Seite sah. Der Commander hatte eine Beobachtung gemacht, die ihn beunruhigte. Dieser Ringraumer war nur äußerlich ein Abbild der POINT OF. Er fand sich plötzlich auf Deck l nicht mehr zurecht. Hier gab es keine Kabinentüren. Hier gab es zu beiden Seiten nur glatte, blauschimmernde Unitallwände, so weit er den schwach gekrümmten Gang entlangsehen konnte. Plötzlich schwebte der Roboter an ihm vorbei, blockte ihn ab und drückte ihn förmlich gegen die Wandung. »Zum Heulen«, fluchte Doorn, der hinter der Zielerfassung hockte und nicht wagte, den Roboter in Energie zu verwandeln. Er hatte einfach Angst, dabei Dharks Leben aufs Spiel zu setzen, wenngleich der Commander einen M-Raumanzug trug. Aber ob der Raumanzug die zigtausend Hitzegrade bei einer solchen Explosion aushielt, wußte niemand. Ren Dhark fühlte einen schwachen Druck. Das Verlangen, den Kontakt seines Blasters zu betätigen, wurde übermächtig. Dieser Metallkoloß brauchte nur eine Bewegung zu machen, und ihm wurden alle Knochen im Leib zerbrochen. Plötzlich gab die Wand hinter seinem Rücken nach! Er verlor das Gleichgewicht, fiel rückwärts! Er hörte Arc Doorn einen unartikulierten Ruf ausstoßen - und trat auf der Galerie der POINT OF aus der Wand heraus. Die beiden Offiziere, die auf der Galerie Dienst machten, wichen zurück, als hätten sie ein Gespenst vor sich. Ren Dhark atmete langsam und tief durch. Er drehte sich um und öffnete seinen Klarsichthelm. Die Wand, aus der er herausgetreten war, war glatt und fugenlos! Er mußte an Manu Tschobe, Tim Acker und Jimmy denken. Sie waren doch auch von einer fernen Transmitter-Station auf die gleiche Weise zur POINT OF gekommen - auch sie waren durch eine geschlossene Wand einfach nach draußen getreten! »Commander«, stieß einer der beiden Offiziere aus. Aus dem Lautsprecher war Arc Doorns Stimme zu hören. Arc Doorn, der sich mit der 002 in einem unbekannten Ringraumer befand. Und der gerade voller Aufregung meldete, daß Ren Dhark vor seinen Augen von einem Roboter durch die Unitallwandung von Deck l gedrückt worden sei. »...Er ist verschwunden. Spurlos. Er ist...« Ren Dhark kam kaum noch mit. Die Handlungsweise des Roboters war nicht zu verstehen, doch Arc Doorn mußte daran gehindert werden, die Konstruktion durch Nadelstrahlbeschuß zu vernichten. Laut, fast brüllend, rief er: »Doorn, ich bin auf der POINT OF! Kommen Sie zurück!« Er achtete nicht darauf, wie ihn die Offiziere auf der Galerie anstarrten. Er sah nicht, wie Dan Riker im Pilotsessel hochsprang und zu ihm hinaufblickte. Er hörte nur das Gurgeln des Sibiriers, der unter einem Erstickungsanfall zu leiden schien. Der Anfall dauerte nur Sekunden. Wieder war Doorns Stimme zu hören. »Tut mir leid, Dhark, aber ich bin im Moment unabkömmlich. Hier wird's jetzt interessant. Ich melde mich wieder.« Dann hatte Doorn die To-Funkverbindung zum Flaggschiff der TF unterbrochen. Niemand in der Zentrale wunderte sich darüber, weil niemand dafür Zeit hatte - weil jeder, auch Dan Riker, den Commander anstarrte, als sei dieser ein Gespenst. Das Gespenst ging gelassen auf Dan Riker zu. »Ren?!« hauchte Riker; sein Blick flackerte. Dhark nickte kurz, sagte aber nichts. Er betrachtete die Bildkugel. Er begriff nicht,
was er sah. Wo war die gewaltige Ringraumer-Flotte geblieben? Er sah nur ein paar tausend Schiffe. Vielleicht drei- oder viertausend. Mehr waren es auf keinen Fall. Irgend jemand muß die Vergrößerung der Bildkugel verstellt haben, dachte er und kontrollierte die beiden Instrumente, die die Einstellungswerte anzeigten. Aber der Erfassungsbereich war nicht verstellt. Er stand auf Maximum. Dhark fühlte sich plötzlich so hilflos wie selten in seinem turbulenten Leben. Sein Blick verriet, wie es um ihn stand. »Dan«, sagte er und seine Lippen zuckten, »wo sind die Schiffe geblieben? Stehen sie alle hinter der Erde?« Riker packte ihn, schüttelte ihn. »Ren, du mutest uns allen zuviel zu! Du verschwindest aus dem Schiff mit einem Flash und kommst dann durch eine Wand wieder zurück. In der Zwischenzeit hat die fremde Flotte nicht nur ihren Angriff abgebrochen, sondern ist zum größten Teil per Transition auf und davon. Willst du uns nicht erklären...« Er verstummte. Dharks fassungsloses Gesicht riet ihm, den Freund nicht mit weiteren Tatsachen zu belasten. Der Commander hielt sich an der Rücklehne des Pilotensessels fest. Sein Blick pendelte zwischen Riker und der Bildkugel hin und her. Die übrigen Offiziere im Leitstand der POINT OF sah er nicht. Was ist hier geschehen? fragte er sich immer wieder. Wer hat der Flotte den Befehl zum Abdrehen gegeben? Dan Riker dauerte das Warten zu lange. Auch seine Nerven waren durch die Ereignisse der letzten halben Stunde bis zum Zerreißen gespannt. »Ren, wir haben ein Recht zu erfahren...« Ruckartig bewegte Ren Dhark den Kopf. In seinen braunen Augen blitzte es auf. Scharf fiel er Riker ins Wort: »Ich darf auch für mich das Recht in Anspruch nehmen, erst einmal mit den Tatsachen fertig werden zu dürfen!« Er ließ sich in den Pilotensitz fallen. Es kostete ihn Kraft, alle Instrumente abzulesen und ihre Angaben zu verarbeiten. Es war eine unumstößliche Tatsache, daß der größte Teil der Ringraumer-Flotte sich nicht mehr im Sol-System befand. Und der Rest des Verbandes stand im freien Fall über Terra. Nichts deutete auf einen Angriff hin. »Das ist doch zum Verrücktwerden!« murmelte er und strich sich über die Stirn. Hinter ihm stand Riker, ungeduldig, übernervös. »Hast du mit einem Mysterious gesprochen, Ren?« »Mysterious?« wiederholte Ren Dhark und sah den Freund an, als würde er den Begriff zum erstenmal in seinem Leben hören. »Mysterious? Gesprochen? Ich? Wo?« Dan Riker holte tief Luft. Hinter seinem Rücken wurde das Flüstern der Offiziere lauter. Ihre Unruhe steigerte sich. In dieser Verfassung hatten sie ihren Commander noch niemals erlebt. »Dan, was macht der Super-Blip?« Rikers Lachen klang verzerrt. »Das fragt du uns!« Ren Dhark hatte in diesem Moment das Gefühl, in seinem Kopf würde etwas auseinandergerissen. Er wurde sich bewußt, daß er sich von den Ereignissen hatte beherrschen lassen. Er öffnete den Mund zu einer Bemerkung, als sich Arc Doorn über To-Funk meldete. Sein grobporiges Gesicht mit der breiten Nase wirkte grimmig. »Commander, der Roboter existiert nicht mehr. Aber jetzt besitze ich den zweiten Gigant-Sender. Der Blechfreund wollte in der Funk-Zentrale ein Ersatzaggregat einsetzen! Ich sehe mir das Schiff noch etwas genauer an und denke, daß ich in einer Stunde zurück bin,
wenn ich bis dahin keinen Mysterious getroffen habe.« Eine lange Rede für den sonst so wortkargen Sibirier, der erst gar nicht abwartete, ob Dhark ihm noch etwas zu sagen hatte, sondern mit dem letzten Wort seiner Meldung abschaltete. Das Wort Gigant-Sender hatte bei Dhark eine Erinnerung geweckt. Sein Verstand begann plötzlich wieder exakt zu arbeiten. »Dan, bitte, alle Vorgänge der zeitlichen Reihenfolge nach!« Diesen Ton kannte man. Hier und da atmete ein Offizier erleichtert auf. Die Bordverständigung zur Funk-Z stand. Die Männer dort hörten mit. Dan Riker erstattete Bericht. »...Und im gleichen Moment, als der Super-Blip vom Oszillo verschwand, stoppte der Ringraumer-Verband seinen Angriffskurs ab, trieb im freien Fall...« »Wie lange waren Doorn und ich da schon unterwegs, Dan?« unterbrach ihn Dhark, in dem ein ganz bestimmter Verdacht immer stärker wurde. »Vielleicht drei oder vier Minuten. Moment, Grappa...« »Sie befanden sich nach Ihrer Transition etwa eine Minute im anderen Ringraumer, als der Super-Blip verschwand, Commander.« Dhark nickte. Ein flüchtiges Lächeln flog über sein Gesicht. Sein Einsatz hatte sich also doch gelohnt. Seine Vermutung war richtig gewesen. Das Raumschiff, das er mit Doorn aufgesucht hatte, war das Kommandoschiff der gewaltigen Ringraumer-Flotte gewesen, und seine Kommandos waren über den Gigant-Sender an die anderen Schiffe abgestrahlt worden. Riker setzte seinen Bericht fort. »Dann aber gab es den Super-Blip, allerdings in stark verändertem Aussehen, noch einmal, etwas mehr als eine Sekunde lang. Und dann ereignete sich das, was niemand von uns versteht. Der größte Teil der Ringraumer-Flotte ging gemeinsam in Transition und verschwand aus dem Sol-System.« »Der Super-Blip war noch einmal zu sehen?« fragte Dhark mißtrauisch, weil diese Aussage schlecht zu seiner Theorie paßte. Grappa unterstützte Rikers Aussagen. Ebenso die Männer in der Funk-Z. »Konnte dieser Super-Blip geortet werden?« Glenn Morris meldete sich über die Bordverständigung. »Er wurde von uns genau lokalisiert. Wenn die räumliche Aufteilung in dem fremden Ringraumer die gleiche ist wie auf der POINT OF, dann kam dieser Blip aus der Kommandozentrale, Commander...« Hastig fiel ihm Dhark ins Wort. »Verbindung mit Doorn, aber sofort, Morris!« Arc Doorn meldete sich. Über die Störung war er nicht begeistert. »Ja, was gibt's denn?« Dhark überhörte den mürrischen Ton. »Doorn, haben Sie in der Komrnandozentrale an dem Gigant-Sender manipuliert?« »Donnerwetter, Dhark, woher wissen Sie das denn?« fragte der Sibirier überrascht zurück. »Ja, habe ich, aber ich habe es ebenso schnell wieder gelassen, weil dieses Aggregat irgendwie doch anders ist als das Gerät, das auf Hope zerstört wurde. Es war vielleicht eine Sekunde lang eingeschaltet. Wieso, ist denn was?« Dieser dickfellige Bursche war so schnell nicht aus der Ruhe zu bringen. Gewiß konnte er sich vorstellen, daß der Commander ihn nicht nur zum Zeitvertreib gefragt hatte. Wortlos schaltete Dhark ab. Er sagte nichts, rieb sich nur das markante Kinn. War seine Vermutung vielleicht zu phantastisch, in Arc Doorns Manipulation am ausgebauten Gigant-Sender die Ursache für die Massen-Transition der Ringraumer zu sehen? Sollte Arc Doorn mit seinem Experiment vielleicht den Kommandoimpuls an die
fremde Flotte ausgestrahlt haben, den Angriff abzubrechen und auf Heimatkurs zu gehen? Konnte es solch einen glücklichen Zufall geben? Warum waren dann aber nicht alle Schiffe der fremden Flotte verschwunden? Warum hatte der Befehl nicht für die Raumer gegolten, die noch immer im freien Fall über Terra standen? »Ist was?« fragte jetzt auch Dan Riker. »Ich weiß es nicht«, wich Ren Dhark aus. Selbst seinem Freund wagte er nichts von seiner phantastischen Vermutung zu erzählen. Solch einen Zufall konnte es nicht geben. Er wollte Gewißheit haben. Erneut stellte Glenn Morris eine Verbindung mit Arc Doorn und der 002 her. Das Bordgehirn des Blitzes wurde über To-Funk mit dem Checkmaster verbunden. Knapp eine Minute später lag das Resultat vor: Alle Kommandoimpulse sind vom Gigant-Sender ausgegangen. Aus großen Augen starrte Ren Dhark die Bildkugel an. »Doorn!« Der Sibirier meldete sich sofort. »Ja?« »Achten Sie darauf, daß unter keinen Umständen ein Ersatzsender in der FunkZentrale eingesetzt wird. Gerade hat der Checkmaster erklärt, daß alle Kommandoimpulse an die Invasionsflotte von dem Gerät ausgegangen sind, das Sie ausgebaut haben.« »Hm«, brummte Doorn und sein Gesicht auf der Bildscheibe verzog sich kaum. »Aber wir haben nichts mehr zu befürchten. Auf diesem Kahn gibt's keinen einzigen Rob mehr. Den letzten habe ich ein bißchen... verändert.« Das Wort zerstören hatte er nicht benutzen wollen. Ren Dhark krauste die Stirn. »Im Schiff befindet sich bestimmt kein Mysterious, Doorn?« »Nicht einmal ein Roboter! Die waren einmal.« »Kontrollieren Sie alle Decks, alle Kabinen und Räume. Kontrollieren Sie, wie Sie in Ihrem ganzen Leben noch nie etwas kontrolliert haben, Doorn!« »Okay. Ich melde mich wieder.« »Doorn!« Ren Dhark hatte zu spät gerufen. Der Sibirier hatte bereits die Verbindung zum Flaggschiff der TF unterbrochen. Der Commander betrachtete erneut die Bildkugel. Der schwarze Raum. Darin die blau schimmernde Erde. Der Mond. Und als scharf gezeichnete, schwach reflektierende Punkte die Ringraumer, die im freien Fall standen. Ihr Abstand zu Terra veränderte sich nicht. Dhark nahm im Pilotsitz Platz. Über die Verständigung befahl er Morris in den Leitstand. »Grappa, lassen Sie sich an Ihren Ortungen vertreten.« Er sah Dan Riker an. »Ich benötige jetzt ein paar klare Köpfe, Dan, die mir gute Ratschläge geben. Allein wage ich in diesem Moment keine Entscheidung zu treffen.« Er sollte nicht dazu kommen. Marschall Bulton verlangte ihn dringend zu sprechen. Arc Doorn nahm den Befehl des Commanders, sich jeden Raum in diesem Schiff anzusehen, sehr genau. Mit dem Flash kein allzu großes Problem. Das Intervall erlaubte es ihm, alle Wände und Decken zu durchfliegen. Alle Waffen der 002 waren feuerbereit. Und es war typisch für Arc Doorn, daß er darauf verzichtete, die Gedankensteuerung einzusetzen, die viel schneller und präziser arbeitete als der reaktionsschnellste Mensch. Doorn ließ alle Aufzeichnungsgeräte laufen. Was er in den Depots und Räumen dieses Schiffs zu sehen bekam, konnte sich kein Mensch merken. Je mehr Decks er
kontrollierte, um so sicherer wurde er, es mit einem robotisch gesteuerten Schiff zu tun zu haben. Und er verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß mit diesem Ringraumer noch nie ein Lebewesen geflogen war. Ren Dhark hatte sich seit einiger Zeit nicht mehr gemeldet. Doorn hatte auch keinen Wunsch, sich mit dem Commander zu unterhalten. Seine ganze Aufmerksamkeit galt den Depots dieses Ringraumers, der von außen betrachtet ein Duplikat der POINT OF war. »Nur drinnen nicht«, hatte Doorn ein paarmal geknurrt und über die Bildprojektion die zigtausend Roboter betrachtet, die in langen Reihen übereinander bis zur Decke gestapelt waren. »Wenn die über Terra marschieren«, murmelte er, während er das zwanzigste Depot dieser Art durchflog und es aufgegeben hatte, die Zahl der Metallkonstruktionen zu schätzen. Daß er all das, was er zusammen mit dem Commander erlebt hatte, auf keinen Nenner bringen konnte, bereitete ihm noch keine Beschwerden. Zu viele Eindrücke stürzten auf ihn ein. Sein Flash durchflog Deck 7! Ein einziges Roboter-Depot! Der gesamte Ring war in acht große Lagerräume unterteilt, und es gab auch nur acht breite Tore, durch die diese Robs, wenn sie einmal aktiviert waren, die Lager verlassen konnten. Zu jeder Sekunde war Doorn darauf vorbereitet, erneut auf einen Roboter zu treffen, der ihm Schwierigkeiten machen könnte - wie jener letzte, der den Commander per Transmitter zur POINT OF zurückgeschickt hatte, ohne von seinem Flash Notiz zu nehmen. Der Ärger war erst entstanden, als der Roboter mit einem Ersatz-Gigant-Sender aufgetaucht war und sich auf den Weg zur Funk-Z gemacht hatte. Doorn hatte versucht, ihm mit der 002 den Weg zu verlegen. Der Roboter hatte versucht, dem Flash auszuweichen, und - als das nicht gelingen wollte - ihn durch Strahlbeschuß zu vernichten. Daraufhin hatte Doorn aus zwei Antennen das Feuer eröffnet. Sein größtes Interesse galt dabei dem Ersatz-Gigant-Sender, den der Roboter unter einem seiner Metallarme trug. Nun lag auch dieser Gigant-Sender neben dem Gerät, das er in der Funk-Z dieses Schiffes ausgebaut hatte. Hin und wieder warf Doorn einen Blick auf die Energieortung. Die Werte veränderten sich nicht. Das beruhigte ihn, weil er immer noch eine weitere Begegnung mit einem aktiven Roboter befürchtete. Als er auch das letzte Deck kontrolliert hatte, flog er auf kürzestem Weg zum Triebwerksraum, seiner Domäne auf der POINT OF. Er wollte das Triebwerk dieses Schiffes studieren und überprüfen, in welcher Beziehung es sich von der Anlage auf dem Flaggschiff unterschied. Mit abgeschaltetem Sle, nur von schwachen A-Grav-Kräften gehalten, schwebte die 002 in dem großen Raum, der fast die gesamte Höhe der Ringröhre für sich in Anspruch nahm. Professor Monty Bell schob die Arbeit zur Seite. Nacheinander sah er seine Kollegen Bentheim und Ossorn an. Sie nickten. Ihnen erging es nicht anders. Auch sie waren unruhig geworden, weil seit gut einer Stunde keine Lageberichte mehr durchgekommen waren. Dieses ständige, halb unbewußte Warten auf Meldungen hatte ihre Arbeitswut im Lauf der Stunde gelähmt. »Wir aber haben etwas zu melden«, sagte Monty Bell mit sarkastischem Unterton
und deutete auf die letzte Auswertung, die sie vor zehn Minuten von einem Suprasensor erhalten hatten. »Und ob es Bulton recht ist oder nicht - ich rufe ihn jetzt an.« Bentheim und Ossorn waren einverstanden. Sie schauten zu, wie Bell das Vipho einschaltete und den Stab der TF anrief. Er verlangte den Marschall der Terranischen Flotte zu sprechen. Dringend. Die drei Männer, die ein paar hundert Meter tief unter Alamo Gordo im größten wissenschaftlichen Forschungszentrum der Erde saßen, erwarteten nicht, daß sich der Marschall ans Vipho holen lassen würde. Bulton meldete sich sofort. Er sah müde, aber auch entspannt aus. Und Bulton konnte sogar ein winziges Lächeln aufbringen, als er den Astrophysiker Monty Bell erkannte. »Sie warten auf Nachrichten, Bell? Wir auf die Ihren!« Die Experten horchten unwillkürlich auf. Das Militär Terras hatte plötzlich Zeit, sich für wissenschaftliche Resultate zu interessieren? »Ich will Sie nicht auf die Folter spannen«, begann Bulton leutselig. »Der größte Teil der Ringraumer-Flotte hat sich in einer Transition, die fast das Gefüge unseres Sonnensystems zerrissen hat, abgesetzt. Erster Eintauchpunkt einwandfrei zwischen den Spiralarmen I/a und Il/a. 3782 Ringraumer befinden sich nach wie vor im freien Fall über Terra, aber auf den Schiffen tut sich nichts. Der Commander weiß auch nichts Genaues. Unsere Flotte hat neue Positionen bezogen und wartet ab. Was aus uns wird, steht nach wie vor in den Sternen. Das ist zur Stunde unsere Lage. Und nun zu Ihnen. Wie sieht es um uns herum aus?« »Schlecht! So schlecht wie noch nie!« konnte ihm Monty Bell nur sagen, und dann bemühte er sich, seine Ausführungen so zu formulieren, daß der Marschall sie auch verstand. Auf dem Bildschirm des Viphos wurde Bultons Gesicht immer strenger. Jetzt spiegelte es auch die physischen Anstrengungen wider, die dieser Mann in den letzten Tagen und Stunden hatte durchstehen müssen. Dennoch hörte er aufmerksam zu. Er begann mit den Fingern auf seinem Schreibtisch zu trommeln und hob einmal ruckartig den Kopf, als Bell von der Mutationsgefahr sprach. Dann schloß er die Augen und schien zu schlafen, während ihm der Astrophysiker zu erklären versuchte, warum gerade dieser Orkan elektromagnetischer Störungen eine Bedrohung für jedes biologische Leben darstellte. »Die Durchschlagskraft dieser Strahlen ist so enorm, Marschall, daß wir mit einigen sehr empfindlichen Meßgeräten selbst hier unten schon Schwierigkeiten hatten. Es ist noch zu früh, daraus Schlüsse zu ziehen, aber diese Erscheinung öffnet den Hypothesen Tür und Tor, daß der rätselhafte Abzug der Ringraumer-Flotte vielleicht auf die Störungen im elektromagnetischen Feld der Milchstraße zurückzuführen ist.« Bulton winkte ab. »Nonsens«, sagte er und sah Monty Bell kopfschüttelnd an. »Deshalb Nonsens, weil der Checkmaster der POINT OF eindeutig erklärt hat, der Abzug des größten Teils der Flotte beruhe auf Kommandoimpulsen eines ganz bestimmten, kaum drei Kilo schweren Gigant-Senders, den Arc Doorn ausgebaut hat.« »Wie bitte?!« warf Ossorn fassungslos ein. »Sie dürfen meinen Worten schon Glauben schenken«, sagte Bulton und erklärte den Wissenschaftlern in groben Zügen, was an Bord des fremden Ringraumers geschehen war. »Übrigens, meine Herren, soweit bisher festgestellt werden konnte, haben wir es mit robotischen Ringraumern zu tun, die alle nur von ein paar Robotern an Bord überwacht werden. In den Depots der Schiffe jedoch liegen zigtausend nicht aktivierte Roboter, die ganz gewiß einsatzbereit sind. Damit ist aber das Rätsel nicht
gelöst, warum der größte Teil der Flotte abgezogen ist und der Rest aus 3782 Schiffen nach wie vor im freien Fall über Terra steht.« »Und was geschieht nun?« fragte Bentheim, der über den Auslassungen des Marschall vergessen hatte, daß die gesamte Galaxis von einer Gefahr bedroht wurde, die viel größer war als eine noch so große Flotte es jemals sein könnte. »Wir wissen es nicht«, gab Bulton unumwunden zu. »Ich weiß, daß der Commander dieser Situation ratlos gegenübersteht. Und ich kann es ihm nachempfinden. Noch sind die Beiboote der POINT OF damit beschäftigt, zu kontrollieren, ob wir es ausschließlich mit Robot-Schiffen zu tun haben oder auf einigen Schiffen nicht doch Mysterious anzutreffen sind. Doch zurück zu Ihrem Arbeitsgebiet: Was werden Sie Trawisheim berichten?« »Das gleiche!« erklärte Monty Bell. »Mit der Empfehlung, der Bevölkerung nichts über die Störungen im Galaktischen Magnetfeld mitzuteilen. Man würde die Menschen damit nur beunruhigen. Ein Abwehrmittel gegen diese Strahlung gibt es nicht, es sei denn, man würde an Bord eines Raumschiffes hinter einem energetischen Schutzschirm leben.« »Wann werden Sie Trawisheim benachrichtigen?« fragte Bulton. »In fünfzig Minuten, Marschall.« »Okay, ich werde versuchen, um diese Zeit bei Trawisheim zu sein. Sollte sich an unserer Lage irgend etwas ändern, lasse ich Sie unverzüglich informieren.« Er war zu diesem Zeitpunkt selbst schlecht informiert! Unter jedem Arm einen Gigant-Sender, betrat Arc Doorn die Kabine des Commanders mit reichlicher Verspätung. Dhark saß mit Riker, Grappa und Morris um den runden Schwebetisch. Doorn legte erst einmal mit äußerster Sorgfalt die beiden Sender zu Boden. Er hatte sich dafür einen Platz ausgesucht, wo sie keinem Menschen im Weg liegen konnten. Dann streifte er seinen M-Raumanzug ab, nahm Platz und legte ihn über seinen Schoß. Gelassen erwiderte er den durchdringenden Blick des Commanders. »Kommen wir zu unserer Lage zurück«, nahm Ren Dhark den Faden wieder auf. Er verzichtete darauf, den Sibirier zu informieren, worüber sie vorher gesprochen hatten. »Wir müssen uns Klarheit verschaffen, warum der Rest von rund viertausend Schiffen im System geblieben ist. Wenn mein Verdacht sich bewahrheitet, dann kann der Grund dazu nur in einem dieser beiden Gigant-Sender liegen, die Doorn mitgebracht hat. Als der Sender in der Funk-Z des Kommandoschiffes aus seiner Schachtelung herausgenommen wurde, verschwand der Super-Blip. Alle Schiffe der Ringraumer-Flotte waren von diesem Moment an ohne Kommandoimpulse. Die Flotte stoppte ihren Angriffskurs auf Terra. Und dann...« Er sah Doorn an. »Was dann durch Ihre Manipulationen am Gigant-Sender geschah, während wir uns im Leitstand aufhielten, haben Sie mir noch zu berichten!« Ren Dhark hatte sich ungenau ausgedrückt. Den anderen war es nicht aufgefallen, wohl aber Doorn. »In welcher Form ich am Sender hantierte, Dhark? Das ist schnell gesagt. Ich schaltete ein, aber beim Einschalten überkam mich das Gefühl, daß dieser Sender anders war als das Ding, das Amer Wilkins auf Deluge gefunden hatte. Was sind aber Gefühle? Auch ich gab nicht viel darauf, bis mir plötzlich heiß wurde. Ich hatte einfach Angst - Angst, dieses Gerät ebenso zu zerstören wie seinerzeit auf Hope, als Ismaran und ich unsere Versuche anstellten. Deshalb schaltete ich wieder ab.« »Sie haben also den gleichen Schalter betätigt, mit dem man auch das Gerät auf Hope betriebsbereit machte, Doorn?« vergewisserte sich Dhark. »Ja. Und doch ist an dem Ding etwas anders.« Doorn drehte sich um und warf den beiden Geräten in der Ecke einen mißtrauischen Blick zu. »Der zweite Sender, den ich dem zerstörten Rob abgenommen habe - ich hatte ja kaum Zeit, ihn mir genauer
anzusehen -, dem trau ich auch nicht.« Glenn Morris räusperte sich. Dhark warf ihm einen aufmunternden Blick zu, aber der Funkoffizier zögerte. »Morris, reden Sie schon. Wir tasten alle wie Blinde herum.« »Na, gut«, sagte Morris. »Also dieser Super-Blip. Wir sprechen in diesem Fall immer in Einzahl, müßten aber exakt von Amplituden reden. Dieses Monstrum also...« Jetzt war er es, der den beiden Gigant-Sendern einen mißtrauischen Blick zuwarf. »Wie schwer sind die Dinger, Doorn?« »Drei Kilo pro Stück. Warum?« »Weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, daß ein Gerät von dieser Größenordnung eine Leistung haben soll, die alle Hypersender, über die wir verfügen - stationäre wie bewegliche - übertrifft.« »Sie müssen es sich aber vorstellen!« warf Dhark ein und nickte dazu. »Wir haben auf Hope unsere Erfahrungen damit gemacht. Doch Sie wollten uns etwas sagen, Morris. Bitte.« »Als nach der Pause der Super-Blip für etwa eine Sekunde wieder auf dem Oszillo zu sehen war«, begann er zögernd, »erfaßte unsere Funkortung einen Richtstrahl, der genau in die Richtung wies, aus der die Ringraumer-Flotte gekommen war.« »Zum anderen Spiralarm, Morris?« fragte Dhark und sah ihn gespannt an. »Ja, aber das war auch alles, was unsere Funkortung feststellen konnte. Und dann, als der Super-Blip nicht mehr zu beobachten war, verschwand ja der größte Teil der Ringraumer-Flotte.« Jetzt erst erkannte Arc Doorn, um welche Punkte sich dieses Gespräch in der Kabine des Commanders drehte. Er stieß vor Überraschung ein Grunzen aus, kümmerte sich nicht um die fragenden Blicke, die die anderen ihm zuwarfen, schüttelte den Kopf und sagte: »Das glaub' ich nicht. Ich soll mit dem Einschalten des GigantSenders die Flotte der Mysterious nach Hause geschickt haben?« Nachdenklich blickte der Commander ihn an, nickte unmerklich. »Doorn, als Sie den Sender in der Funk-Z des Kommando-Raumers aus der Schachtelung rissen, stoppte die Flotte. Als Sie den ausgebauten Sender in der Zentrale des Ringraumers für rund eine Sekunde einschalteten, war der Super-Blip wieder auf allen Oszillos der POINT OF zu sehen Als er verschwand, verschwand auch der größte Teil der Flotte. Ich glaube, wir müssen uns daran gewöhnen, daß dieser Gigant-Sender zugleich auch ein programmiertes Gerät ist, das bestimmte Kommandoimpulse ausstrahlt, wenn es auf einem bestimmten Sektor aktiviert worden ist. Und Sie haben wahrscheinlich den Sektor aktiviert, der unter anderem den Befehl für die Flotte enthielt, sich mittels Transition abzusetzen.« »Zum Teufel«, brauste Arc Doorn auf, der so selten die Ruhe verlor, »warum sind denn dann nicht alle Ringraumer verschwunden? Draußen stehen doch noch vieroder fünftausend im freien Fall über Terra!« »Man hat sie inzwischen gezählt«, entgegnete Ren Dhark gelassen. »Es sind genau 3782 Schiffe vom Typ POINT OF. Aber warum sie nicht auch transitiert haben, wissen wir natürlich nicht. Vielleicht gibt uns einer der beiden Sender darüber Auskunft, wenn Sie sich die Geräte etwas genauer angesehen haben.« »Ohne mich!« erklärte Doorn kategorisch. »Man kreidet mir heute noch an, daß ich den Gigant-Sender der POINT OF zerstört hätte. Und dann, wenn das Malheur geschehen ist, soll ich auch noch schuldig sein, die gesamte Ringraumer-Flotte wieder nach Terra geholt zu haben, Commander? Sie können meine Weigerung auffassen wie Sie wollen - suchen Sie sich jemand anderen, der sich der beiden Sende- und Empfangsgeräte annimmt. Meine Aufgabe hat sich damit erledigt, daß ich sie zur POINT OF brachte.« Er redete im Gegensatz zu seinem sonstigen Verhalten erstaunlich viel.
»Von dieser Seite kenne ich Sie gar nicht«, spottete Riker und grinste. Doorn blieb die Antwort schuldig. Die Arme vor der Brust gekreuzt, demonstrierte er, daß er es ernst meinte. Die Störung kam wieder von Terra. Monty Bells Kopf war auf der Bildscheibe zu sehen. Der Astrophysiker, ein Freund von Ren Dhark aus früheren Zeiten, hatte nichts Gutes zu berichten. Die Werte des galaktischen Magnetfeldes hatten eine einmalige Höhe erreicht. »Ren«, sagte der Wissenschaftler, »ich habe bisher zu den Beschwerden meiner Kollegen geschwiegen, aber nun komme ich nicht mehr umhin, in ihren Chor einzustimmen. Du hast uns jede Möglichkeit verwehrt, nachzuforschen, was der Grund dieser katastrophalen Magnetfeldschwankungen sein könnte...« »Und?« unterbrach ihn Ren Dhark. Monty Bell ließ sich nicht erschüttern. »Erinnere dich unseres Gespräches kurz vor dem Start der GALAXIS, Ren. Damals saßen wir im Kasino des wissenschaftlichen Traktes. Schon damals sagte ich dir, daß das galaktische Magnetfeld eine Entwicklung genommen habe, die bestürzend sei. Die Ablenkungen elektrischer Ladungen stiegen von Tag zu Tag, und daß an den interstellaren Teilchen ein ungeheurer Energiezuwachs - unerklärlich und beunruhigend zugleich - festzustellen sei. Was ich dir damals im Kasino sagte, habe ich heute in einem Punkt zu berichtigen. Ren, die Ablenkungen der elektrischen Ladungen steigen von Stunde zu Stunde! Und du hast mit deinem stereotypen Nein in den letzten Jahren immer wieder verhindert, daß uns Astrophysikern nur ein einziges Raumschiff zur Verfügung gestellt wurde, damit wir der Ursache dieser Schwankungen auf den Grund gehen konnten!« Ren Dhark verlor die Beherrschung. Zuviel war in den letzten Stunden auf ihn eingestürmt. Zu groß war die Verantwortung, die auf seinen Schultern lag. Er brüllte Monty Bell über einige hunderttausend Kilometer Entfernung aus der POINT OF an: »Hätte das etwas an dem heutigen Zustand geändert? Verschone mich mit deinen Vorhaltungen. Geh mit deinen Sorgen zu Trawisheim!« »Von dem komme ich!« erwiderte Bell, keineswegs überrascht über den Gefühlsausbruch. »Trawisheim teilt meine Ansicht!« »Aber ich seine nicht. Ende, Professor! Brugg, unterbrechen Sie das...« Walt Brugg in der Funk-Z hatte schon gehandelt. Die Verbindung zu Professor Monty Bell bestand nicht mehr. Nacheinander sah Ren Dhark seine Berater an. Ihre Blicke wichen dem seinen aus. Die also auch, dachte er verbittert, die vertreten also auch die Meinung der Astrophysiker. Wie schon so oft, kam er sich verraten und verkauft vor. Jeder wich der letzten Verantwortung aus. Jeder erwartete von ihm, daß er die Entscheidung traf. »Zum Teufel«, murmelte er, der so selten fluchte, schlug die Taste des Viphos in die Arretierung und hatte damit die Funk-Z in der Verbindung. »Brugg, geben Sie mir Bulton!« »Was willst du denn vom Marschall?« fragte Dan Riker. Ein wütender Blick traf ihn; das war Dharks Antwort. Er konnte seinem Freund Dan Riker nicht verzeihen, daß er sich mit seinem Schweigen vorhin auch auf die Seite der Astrophysiker gestellt hatte. Bultons Kopf tauchte auf dem Bildschirm auf. »Wie sieht es aus?« fragte der Commander. »Die Zerstörungskommandos entwickeln Routine. Nach der letzten Meldung sind auf 206 Ringraumern die Reparaturroboter außer Gefecht gesetzt. Flash 017 landet gleich zum drittenmal auf Cent Field, um weitere 81 Gigant-Sender abzuliefern. Wenn es zu keinen Zwischenfällen kommt, können wir die Aktion in etwa sechs Stun
den als abgeschlossen betrachten.« Arc Doorn verstand kein Wort, aber er war auch nicht neugierig genug, um Aufklärung zu bitten. Nach wie vor saß er unbeweglich im Sessel. Der Streit zwischen Dhark und Riker hatte ihn kaum berührt. Seiner Meinung nach war eine scharfe Auseinandersetzung zwischen den beiden Freunden schon längst überfällig gewesen. »Beim kleinsten Zwischenfall unterrichten Sie mich sofort, Bulton!« »Aber selbstverständlich«, versicherte der Marschall. »Gut. Leutnant Morris wird sich gleich mit der Hyperfunkstation in Cent Field in Verbindung setzen. Veranlassen Sie, daß ihm jede Unterstützung gewährt wird. Ich rufe Sie in etwa einer halben Stunde an. Bis dahin habe ich das erste Kommando zusammengestellt.« Wieder einmal hatte Ren Dhark einen seiner einsamen Entschlüsse gefaßt. Auch Marschall Bulton wußte nicht, was er unter diesem Kommando zu verstehen hatte. Dhark vertröstete ihn auf später. Er sah Glenn Morris an. »Sie haben mitgehört. Suchen Sie Ihre Funk-Z auf, und auch Sie, Grappa, gehen wieder zu Ihren Ortungen. Die Hyperfunkstation in Cent Field hat Ihnen bei der Aufklärung zu helfen, ob die Blips und die Transitionsorte der Ringraumer-Flotte auf der gleichen Linie liegen. Ich weiß, daß ich fast zuviel verlange, aber...« Er stampfte hinaus und achtete nicht darauf, ob die anderen auch seine Kabine verließen. Betroffen blieb Dan Riker allein zurück. Er war sich keiner Schuld bewußt. Er hatte nur eindeutig Partei ergriffen - für die Astrophysiker und ihre berechtigten Forderungen. Dann sah er die beiden Gigant-Sender in der Ecke liegen. Doorn hatte seine Ankündigung wahr gemacht und sich um die Aggregate nicht mehr gekümmert. Aber wen außer ihm gab es, der etwas von der Technik dieser ungeheuer leistungsstarken Sende- und Empfangsanlagen verstand? Ich werde heute noch ein ernstes und offenes Wort mit Ren sprechen, nahm sich Dan Riker vor, als er endlich die Kabine des Commanders verließ, um den Leitstand des Flaggschiffs aufzusuchen.
18. Der erste Teil einer improvisierten Aktion war sechs Stunden später abgeschlossen, genau wie Marschall Bulton es vermutet hatte. Kein einziger der 3782 Ringraumer verfügte noch über einen einsatzklaren Reparatur-Rob oder einen in der Funk-Zentrale installierten Gigant-Sender. Sämtliche aktiven Roboter waren mehr oder weniger zerstört worden. 3782 Gigant-Sender befanden sich hinter einem energetischen Schutzschirm unter der Kontrolle der Terranischen Flotte. Über den zweiten Teil der improvisierten Aktion war Marschall Bulton nicht unterrichtet. Auch nicht Dan Riker, der die Kommandogewalt über die POINT OF übernommen hatte. Niemand außer den zweiundzwanzig Männern, mit denen Ren Dhark allein in der Messe des Schiffes gesprochen hatte. Als der Kurs der Flash anlag und die Ortungen der POINT OF die Blitze verfolgten, begriffen die Offiziere in der Kommandozentrale des Ringraumers, warum der Commander zweiundzwanzig Mann in die Messe gerufen hatte. Ren Dhark war mit dieser Gruppe zum Kommando-Raumer der Ringraumer-Flotte unterwegs. Dan Riker fühlte sich im Pilotensessel der POINT OF nicht besonders wohl. Er rief Bulton an. Der wußte von nichts, hielt Rikers Verdacht jedoch für absurd. »Dieses unnötige Wagnis wird der Commander nie eingehen!« behauptete er.
Doch Ren Dhark ging das Wagnis ein. Er wollte das Kommandoschiff der Ringraumer-Flotte nach Cent Field bringen. Mit seinen zweiundzwanzig Männern. Als die Blitze wieder auf dem Rückweg zum Flaggschiff der TF waren, hatte der kleine Trupp schon die entscheidenden Positionen besetzt. Verständigung war nur über Funk möglich. Die Klarsichthelme der Raumanzüge konnten nicht geöffnet werden, weil die Luft im Schiff unbeschreiblich stank. Dhark, der eine Nase voll eingesogen hatte, würgte immer noch. Er hatte sich nie vorstellen können, daß atembare Luft derartig stinken konnte. »Große Kontrolle!« befahl er über Helmfunk. Jeder Mann, der an diesem Unternehmen teilnahm, war in der Lage, die POINT OF zu fliegen, aber auch in fast allen Unter-Zentralen wichtige Aufgaben zu erledigen. Eine Klarmeldung nach der anderen kam. Dhark stand vor dem langgestreckten Instrumentenpult. Ihn irritierte, daß es darüber keine Bildkugel gab. »Triebwerksraum-Kontrolle!« Dort steckte Arc Doorn mit drei weiteren Männern. »Alles klar, Dhark, soweit man es kontrollieren kann. Die Burschen sind sehr sparsam mit Kontrollinstrumenten umgegangen; immerhin sind die Hauptanzeigen vorhanden.« Auf Doorns Angaben konnte er sich verlassen. In einigen anderen Fällen verlangte er sicherheitshalber doppelte und dreifache Kontrollen. Er drehte sich um, während seine Fingerspitzen auf den Steuerschaltern lagen. »Hergett, nehmen Sie Verbindung mit der Hyperfunkstation auf!« Der Mann hockte vor einem tragbaren Funkgerät, über dessen kleinen Oszillo der Erkennungs-Blip der großen terranischen Station wanderte. Er rief Cent Field. Und Cent Field meldete sich sofort. »Holen Sie uns mit einem Peilstrahl zum Raumhafen runter!« befahl Ren Dhark, der den Sle langsam kommen ließ und an den Instrumenten erkannte, daß sein Beuteschiff beschleunigte. »Ich möchte wissen, warum es dieses Schaltpult gibt, aber keinen Checkmaster und keine Bordverständigung«, murmelte er halblaut vor sich hin, ohne sich darum zu kümmern, wer seine Worte vielleicht hören konnte. Der Raumer beschleunigte wie die POINT OF. Hergett gab ununterbrochen die leicht veränderten Kursdaten durch. Dhark ließ sie sich kein einziges Mal wiederholen. »Hier alles so klar wie auf der POINT OF!« Das war noch einmal Doorn aus dem Triebwerksraum. Das Beuteschiff traf auf die ersten dünnen Luftschichten der Erde. »Achtung!« rief Dhark über Helmfunk. »Ich gehe für drei Sekunden auf negative Beschleunigung.« Er wollte überprüfen, ob die Andruckabsorber in diesem Ringraumer ebenso präzise arbeiteten wie in der POINT OF. Doch er führte sein Experiment nicht sofort durch. Wie erstarrt stand er plötzlich vor seinem Instrumentenpult. Erst jetzt war ihm bewußt geworden, daß auf diesem Schiff eine Schwerkraft von einem Gravo herrschte. Wer hatte diesen Wert eingestellt? War das der allgemeine Wert auf allen Ringraumern? Demnach mußten die Mysterious ja auch unter 1g leben oder gelebt haben?! Und damit stand wieder jene Frage vor dem Commander, die die Menschen nicht mehr verlassen hatte, seit sie das Höhlensystem auf Deluge entdeckt hatten: Lebten die vor rund tausend Jahren von Hope verschwundenen Mysterious noch, oder waren sie damals alle Opfer einer unvorstellbar großen Katastrophe geworden? Dhark riß sich zusammen. Er durfte es sich nicht erlauben, jetzt über Probleme zu
grübeln, die zweitrangig waren. »Achtung, Abbremsmanöver!« Die Andruckabsorber arbeiteten hervorragend. Nicht der kleinste Gravitationsstoß kam durch, als das Schiff radikal abgebremst wurde. Hergett rief Dhark die neuesten Kurswerte zu. Wie ein Virtuose schaltete der Commander. Auf einmal glaubte er, einer der Steuerschalter würde stärkeren Widerstand zeigen, als er es gewohnt war. Die Instrumente verrieten ihm die Wahrheit! Der Sle war abgeschaltet und gleichzeitig blockiert! Das war anders als auf der POINT OF! Der Sternensog kam nicht! Kein Steuerschalter ließ sich bewegen! Ahnungslos fragte Doorn aus dem Triebwerksraum an: »Fliegen wir neuerdings ohne Energieverbrauch?« Ren Dhark fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Die Werte der Höhenanzeige rasten in die Tiefe - genau wie dieser Ringraumer. Er versuchte die gesamte Steuerschaltung auf Null zu bringen! Kein einziger Schalter rührte sich. Mit einem Blick überflog Ren Dhark die Instrumente. Was hatte er falsch gemacht? Hergett hinter seinem tragbaren Hyperfunkgerät schaffte es nicht mehr, die Kursdaten vernünftig durchzugeben. Ihre Werte veränderten sich in einem Tempo, das ihm als erstem die beginnende Katastrophe anzeigte. Absturz! Und den Ringraumer herum brüllten und tobten die zur Seite gedrängten, dichter werdenden Luftmassen. Die beiden Intervalle des Ringschiffs wirkten bei dieser Geschwindigkeit wie die Faust eines Giganten, die alles zur Seite wirbelt und keinen Widerstand kennt. Noch einmal kontrollierte Ren Dhark alle Instrumente. Sein Verstand sagte ihm, daß er durch falsches Schalten den Absturz selbst herbeigeführt haben könnte. Aber wo lag der Fehler? Er preßte die Lippen aufeinander, kniff die Augen zusammen. Er konnte Hergetts mißlungene Versuche, ihm die allerneuesten Kursdaten durchzugeben, nicht mehr mitanhören. »Halten Sie Ihren Mund, Hergett!« sagte er viel grober als beabsichtigt. Hergett schwieg und fand endlich Zeit, seinen Kollegen in der Zentrale einen forschenden Blick zuzuwerfen, aber sie ahnten noch nichts von der Katastrophe. Das Brüllen und Heulen der zur Seite gedrängten Luftmassen drang nicht bis zur Zentrale herein. Ren Dhark fühlte, wie seine Beine zitterten. Er hörte Arc Doorn über Helmfunk brüllen. Der Mann fluchte in der Sprache seiner Heimat. Und die verstand kein Mensch außer dem Commander. Ren Dhark lachte, obwohl er im allgemeinen kein Freund von besonders kräftigen Flüchen war. Und dann fluchte er auch. Höhe 6200 Meter! In drei Sekunden mußte die Ringröhre auf die Erde treffen und dann im Schutz ihres Intervallfelds den Erdball durchfliegen. Da kam der Sle von selbst! Er sprach wieder an, weil Arc Doorn im Triebwerksraum einen gravierenden Fehler seiner Kollegen entdeckt hatte. Alle M-Konverter waren abgeschaltet gewesen! Automatisch waren damit auch alle Steuerschalter an Dharks Instrumentenpult blockiert worden.
Das eine wie das andere war ein Novum; so etwas war auf der POINT OF nicht möglich. Aber dieses Schiff war ja auch nicht die Zweitausgabe der POTNT OF, sondern ein Ringraumer, der normalerweise von Robotern geflogen wurde. In 390 Metern Höhe wurde der Sturz des Raumschiffs gestoppt. Die Andruckabsorber hatten keinen Ton von sich gegeben. Spielend leicht waren sie mit den Verzögerungswerten fertig geworden. »Hergett, neue Kursdaten!« Sie standen achtzig Kilometer westlich von Cent Field. Dhark hielt das Schiff auf Höhe. Jetzt mußte er die Kursdaten ohne Verzögerung erfahren. »Hergett, schalten Sie auf Helmfunk um. Sie sind bis zur Landung ohne Arbeit.« Ren Dhark flog die hundertachtzig Meter durchmessende Ringröhre blind zum größten Raumhafen der Erde. Und dann setzte das blauviolett schimmernde Schiff weich auf seinen fünfundvierzig Paar Teleskopbeinen auf. Der erste von 3782 Raumern war auf Terra gelandet! Der dritte Teil der Aktion war nicht mehr improvisiert. Ren Dhark unterstellte Marschall Bulton die Männer seiner Gruppe - mit Ausnahme von Arc Doorn. Sie avancierten zum ersten Sonderkommando innerhalb der TF, wenn man von der eigenartigen Stellung der Besatzung des Flaggschiffs absah, die es gewohnt war, Befehle nur vom Commander oder von Dan Riker zu erhalten. Diese einundzwanzig Männer hatten die schier unmöglich zu bewältigende Aufgabe, alle im freien Fall über Terra stehenden Ringraumer auf Cent Field oder einem der anderen Raumhäfen der TF zu landen. Während sie die ersten Bergungsmanöver durchführten, bildeten sie gleichzeitig weitere Männer aus, damit diese so schnell wie möglich ebenfalls Robotschiffe zur Erde bringen konnten. Die großen Nachrichtensender Terras zeigten eines dieser Bergungsmanöver, und sie sparten dabei nicht an Tricks, um die Zuschauer in Bann zu schlagen. Trawisheim war auf die Idee gekommen, sich der Massenmedien zu bedienen, um von jenen Gerüchten abzulenken, die keine Gerüchte waren, sondern nackte Tatsachen: Alles Leben auf der Erde ist bedroht! Vor den Höchstwerten der galaktischen Magnetfeldstrahlung gibt es keinen Schutz! Colonel Neep, der erste Terraner, der nicht ganz freiwillig auf Esmaladan, dem Planeten der Utaren gelandet war, hatte von dieser Gefahr gehört und den Stab der TF mit Eingaben regelrecht bombardiert. Die Utaren sind in der Lage, einen planetaren Energieschirm um ihre Welt zu legen. Warum versuchen wir nicht, uns ihrer Technik zu bedienen? Die Utaren werden nicht vergessen haben, daß wir alles versuchten, um sie vor der Nor-ex-Gefahr zu schützen! Dhark hatte von Neeps Eingaben gehört und entschieden: »Neep soll mit der BERNHARDTS STAR nach Esmaladan fliegen!« Das Unternehmen drohte schon im Anfangsstadium zu scheitern. Wieder einmal, wie häufig bei Störungen des galaktischen Magnetfelds, war Esmaladan auch über To-Funk nicht zu erreichen. Die Stabsoffiziere zögerten, der BERNHARDTS STAR Starterlaubnis zu geben. Aber Neep verlor keine Minute. Er setzte sich direkt mit Marschall Bulton in Verbindung. »Marschall, meine Mannschaft hat sich komplett freiwillig zu dem geplanten Einsatz gemeldet. Haben wir auf der Erde eigentlich so viel Zeit, daß wir stundenlang überlegen können, ob etwas getan werden soll oder nicht?« Verbissen knurrte Bulton: »Wollen Sie schon wieder mit Ihrem sturen Kopf durch die Wand? Okay, fliegen Sie in drei Teufels Namen, aber bringen Sie mir alle Männer wieder gesund zurück!«
Neep grinste vergnügt. »Okay, Marschall, ich werde meinen Leuten sagen, mit welchem Segen Sie uns nach Esmaladan schicken!« Mit diesen Worten schaltete er ab. Verdutzt betrachtete Bulton den grau gewordenen Bildschirm und murmelte dabei pausenlos vor sich hin. »Das bringt dieser sture Kommißkopf bestimmt fertig. Der erzählt seinen Männern, was ich gesagt habe!« Marschall Bulton irrte sich nicht. Doch in keiner einzigen Meldung wurde bekanntgegeben, daß sich der Commander der Planeten mit seiner POINT OF nicht mehr im Sol-System befand. Wie so oft hielt der Stab der TF es nicht für nötig, die Menschen darüber zu unterrichten. Und in diesem Fall gab es dafür gute Gründe. Trawisheim, Bulton, Szardak und Larsen hatten Ren Dhark gewarnt, seinen Plan in die Tat umzusetzen. »Dhark«, hatte Larsen gesagt, »Sie gehen das größte Risiko Ihres Lebens ein. Sie haben oft Glück gehabt. Manchmal unglaubliches Glück. Aber Glück ist kein treuer Freund. Und wer auf sein Glück hofft, der wird von ihm verraten. Und Sie wissen doch auch, daß es keine Hilfe für Sie gibt, wenn Sie in Not geraten. Dhark, warten Sie wenigstens ab, bis hundert Ringraumer einsatzbereit sind!« Dhark hatte gelacht. »Hundert Ringraumer, Ralf? Was wollen Sie denn damit erreichen? Die werden in einem einzigen Angriff zu kleinen Sonnen, und dafür sind mir diese kostbaren Schiffe zu schade. Meine Herren, versuchen Sie nicht, mich umzustimmen. Es bleibt bei meinem Plan!« Die POINT OF befand sich im Leerraum zwischen den Spiralarmen I/a und Il/a und raste mit hoher Überlichtgeschwindigkeit an einem System vorbei, das elf Planeten hatte. Die nächste Sonne war 1,3 Lichtjahre entfernt, zwei weitere standen in 2,2 Lj Entfernung. Innerhalb dieses Raumabschnittes war der größte Teil der Ringraumer-Flotte wieder ins Einstein-Kontinuum zurückgekehrt, um sich von hier aus durch eine zweite Transition in Richtung auf Spiralarm Il/a weiter abzusetzen. Glenn Morris, Tino Grappa und die Experten in der großen Hyperfunkstation von Cent Field hatten mit Hilfe der Suprasensoren bis auf eine Mißweisung von plus/minus drei Lichtjahren angeben können, in welchem Teil der Galaxis die Flotte rematerialisiert war. Die Tasteranlagen der POINT OF liefen mit maximaler Leistung, als der Ringraumer das System mit seinen elf Planeten anflog und dann durchquerte. Der Checkmaster wurde wie gewohnt mit der ihm auferlegten Aufgabe schnell fertig. Im Bereich dieses Systems gab es nicht den kleinsten Hinweis, daß eine RaumschiffFlotte hier ins Normalkontinuum zurückgekommen war. Der Raum war im weiten Umkreis frei von jeder langsam zerfallenden Energiefahne. Das Flaggschiff der TF änderte seinen Kurs und flog bei gleichbleibender Überlichtgeschwindigkeit den nächsten Stern an - eine weiße Sonne vom Typ B, deren Spektrum dunkle Wasserstofflinien zeigte. In Masse und Größe hatte diese Sonne Ähnlichkeit mit Rigel im Orion. In den astronomischen und astrophysikalischen Abteilungen der POINT OF herrschte Hochspannung. Es war nicht nur äußerst interessant, daß die Werte des galaktischen Magnetfelds hier mit denen im Bereich des Sol-Systems identisch waren, sondern der Erkundungsflug des Ringraumers führte ein für allemal die Behauptung ad absurdum, der Raum zwischen den Spiralarmen sei sternenarm! Davon konnte keine Rede sein. Hier gab es hundertmal mehr Sonnen als im Bereich des Kalos. Auffallend war die verblüffend große Zahl an weißen Sternen der Klasse B. Und den ersten Stern dieses Typs flogen sie gerade an. Die Massenortung hatte
Schwierigkeiten wegen der galaktischen Magnetfeldstörungen. Vier oder fünf Planeten, behauptete sie, als die POINT OF noch 1,04 Lichtjahre von der weißen Sonne entfernt war. Die Zahl der Planeten lag erst fest, als Ren Dhark sein Schiff abbremste und mit Sle weiterflog. Der vierte, äußere Planet war nicht nur eine Sauerstoffwelt, sondern im Bereich seiner Umlaufbahn waren zigtausend langsam zerfallende Energiebahnen festzustellen, die erst ein oder zwei Tage Norm-Zeit alt sein konnten. Der Commander drehte sich zu Grappa um und nickte ihm anerkennend zu. Walt Brugg meldete sich aus der Funk-Z. »Echokontrolle aktiv, Commander. Auf dem vierten Planeten steht ein starker Hypersender, der Impulse in Richtung ll/a abstrahlt!« Dem Sle wurde weniger Energie zugeführt. In der Bildkugel war eine leicht rötlich strahlende Weltkugel zu sehen, die stellenweise unter einer geschlossenen Wolkendecke lag. Daher schaltete Dhark um auf Infrarotbeobachtung. Die Männer im Leitstand sahen eine fremde Welt, auf der die Landmassen dominierten. Dhark wunderte sich, daß Grappa seit einigen Minuten nichts mehr gemeldet hatte. Sollte er nichts Neues erfassen können? Genau in diesem Moment hörte der Commander seinen Ortungsspezialisten aufstöhnen. Aber Dhark verzichtete darauf, sich nach ihm umzudrehen. Die Wiedergabe in der Bildkugel interessierte ihn zu sehr. Er sah einen pulsierenden Fleck! In jeder Sekunde schrumpfte die Entfernung zwischen der POINT OF und dem Planeten. Das machte sich auch an der Wiedergabe in der Bildkugel bemerkbar. Der pulsierende Fleck begann mehr Einzelheiten zu zeigen. So war er im Maximum orange, im Minimum grellrot. Die Pulsationsfrequenz betrug 30,6 Sekunden. Der Fleck befand sich auf dem größten Kontinent des unbekannten Sauerstoffplaneten mitten in einer Landschaft mit ausgeprägtem Wüstencharakter. Grappa hatte den Feintaster der Energieortung eingeschaltet. Im stillen verzweifelte er. Seine sonst so empfindliche Apparatur verriet nichts vom Charakter des pulsierenden Flecks. Unmut zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er in der Atmosphäre des Planeten Energiebahnen entdeckte, deren Partikel die gleiche Zerfallszeit aufwiesen wie die Bahnen im freien Raum. Er drehte den Kopf leicht zur Seite und rief dem Commander zu: »Dhark, etwa hundert bis zweihundert Schiffe sind vor kurzem auf diesem Planeten gelandet und wieder gestartet. Aber dem pulsierenden Fleck ist auch mit der Feinortung nicht beizukommen.« Die Geschwindigkeit der POINT OF blieb konstant. Der rötlich leuchtende Planet mit den vielen Kontinenten wurde in der Bildkugel langsam größer und füllte sie bald ganz aus. »Starke energetische Quellen auf und unter der Oberfläche! Alle in relativer Nähe des pulsierenden Punktes«, erklang erneut Grappas aufgeregte Stimme. Von einem Punkt zu sprechen war Untertreibung. Der >Punkt< hatte eine Ausdehnung von mehr als sechzig Quadratkilometern. Die Funk-Z hatte nichts Neues zu berichten. Die astronomische Abteilung meldete: »Durchmesser des Planeten 9168 Kilometer; Schwerkraft 1,201 Gravos; mittlere Temperatur 16,2 Grad Celsius; Rotationszeit 24,01:42 Stunden Norm-Zeit; Umlauf zeit 1639 Tage; Luftmantel ähnlich Terras, aber auffallend hoher Argongehalt von 0,3 Prozent.« Noch während der Durchsage hatte sich das Aussehen des pulsierenden Flecks
schlagartig verändert. Er pulsierte nicht mehr! Er hatte die Farbe gewechselt. Er strahlte stetig in Blauweiß! »Fremdortung!« schrie Grappa auf. »Fremde Funkortung!« meldete im gleichen Moment Elis Yogan aus der Funk-Z. Über die Bildkugel zog sich ein Schleier; die scharf gezeichneten Konturen der Kontinente des Planeten verwischten. Nebelte der Planet sich ein? »Energetischer Schutzschirm von planetarem Format!« meldete Grappa lakonisch. Ren Dhark drückte eine Taste. In den beiden Waffensteuerungen der POINT OF flammte eine nicht zu übersehende Gelbkontrolle auf: Höchste Feuerbereitschaft! Und dann traute er seinen Augen nicht, als er die Belastungsanzeige der beiden Intervalle überprüfte. Belastung 78,4 Prozent! Aber warum meldete Grappa nicht, aus welcher Richtung dieser Angriff auf den Ringraumer erfolgte? Ren Dhark kam nicht mehr dazu, bei Grappa rückzufragen. Die Belastung der beiden Intervallfelder fiel unter ein Prozent. Der Schleier um den Planeten verschwand schlagartig. Sämtliche Kontinente waren wieder klar zu erkennen. Nur der pulsierende Punkt, der zum Schluß blauweiß gestrahlt hatte, war nicht mehr zu finden! »Großer Himmel«, stöhnte Grappa verzweifelt, »war das für ein paar Sekunden ein Ortungssalat!« Ren Dhark zuckte zusammen. Er erinnerte sich eines unerklärlichen Vorgangs, in dem Fremdortung auch eine wichtige Rolle gespielt hatte. Bei der ersten Begegnung mit der Ringraumer-Flotte zwischen den beiden Spiralarmen war die POINT OF geortet worden. Und dann war das Flaggschiff der TF nicht nur vor dem Sturz in die Sonne bewahrt worden, sondern die ertobiten MKonverter hatten auch wieder Energie liefern können. Eindeutig war das erneute Arbeiten der Konverter einem Eingriff aus dem Robot-Schiff zuzuschreiben, aber wie Konverter in einer nahtlos geschlossenen Unitallhülle neu beschickt werden konnten, war mit den physikalischen Erkenntnissen der Terraner nicht zu erklären. War eben die POINT OF als ein Schiff der Mysterious identifiziert worden? Hatte man aus diesem Grund den planetaren Schutzschirm wieder abgeschaltet? »Sind auf diesem Planeten zweifelsfrei Schiffe gelandet und wieder gestartet?« lautete Dharks Frage an Grappa. »Ja, hundert bis zweihundert Einheiten, Commander!« Grappa blieb bei seinen Angaben. In Dharks braunen Augen leuchtete es kurz und unternehmungslustig auf. »Wir sehen uns den Planeten einmal näher an!« Die POINT OF beschleunigte wieder. Sie überflog den Planeten, der beinahe fünf Jahre benötigte, um sein Muttergestirn, dieses weiße Sonnenungeheuer, zu umlaufen. Nur seine riesige Distanz zu diesem Stern hatte ihn davor bewahrt, zu einer ebensolchen Gluthölle zu werden wie die drei anderen Planeten des Systems. Als die POINT OF die Welt zum drittenmal überflog, entdeckten sie die Stadt! Eine Ruinenstadt - aber Ruinen, deren gewaltige Größe die Menschen im Ringraumer den Atem anhalten ließ. Zehn Kilometer vor dem Stadtrand, zwischen einer rötlich schimmernden Wüste und der Ruinenstadt, setzte die POINT OF auf. Dhark hatte das Kommando über sein Schiff an Dan Riker abgegeben. Jetzt stand er hinter Grappa, hatte noch drei weitere Offiziere hinzugerufen, und gemeinsam
beobachteten sie die Instrumente der Energieortung. In der Stadt gab es ein halbes Hundert starke Energiequellen! Aus der kartographischen Abteilung kam ein Sergeant und brachte die ersten Karten der Ruinenstadt. »Darin müssen ja einmal ein paar hundert Millionen gelebt haben«, sagte ein Offizier überrascht. Die Ruinenstadt umfaßte ein Areal von mehr als fünfhundert Quadratkilometern. Die weiße Sonne stand hoch am Himmel, als Ren Dhark nach Stunden intensiven Scannens mit acht Mann die POINT OF verließ, um die riesige Trümmerstadt zu erforschen. Bewußt verzichtete er darauf, die beiden einzigen Flash zu benutzen, über die das Flaggschiff zur Zeit verfügte. Sie sollten erst in eventuellen Katastrophenfällen eingesetzt werden. Zwei Schwebeplatten setzten sich in Richtung Stadt in Bewegung. Arc Doorn flog die zweite Platte. Wie verabredet blieb er dicht hinter Dhark. Ungehindert fiel der Blick auf die gewaltigen Hochbauten der Stadt. Wolkenkratzer, deren Etagenblocks immer wieder versetzt waren und den Gebäuden ein bizarres Aussehen gaben, ragten oft über fünfhundert Meter hoch in den grünblauen Himmel - und das, obwohl ihre oberen Stockwerke zerstört waren. Die Straßen, die aus der Stadt führten, lagen unter Sand begraben oder waren von fremdartigem Unkraut überwuchert. Dennoch zeichneten sie sich unter der Vegetation deutlich ab. Je näher die Gruppe der Peripherie kam, um so intensiver mußte Ren Dhark an die Mysterious denken, und ununterbrochen fragte er sich, warum auf diesem Planeten Robot-Raumer gelandet und nach kurzem Aufenthalt wieder gestartet waren. Hatten sie vielleicht, kaum aus der Transition herausgekommen, von einem anderen Planeten aus den Befehl erhalten, sich diese Stadt genau anzusehen? Wollten die Mysterious vielleicht in Erfahrung bringen, wie weit der Zerfall vorgeschritten war? Doch warum sahen sie nicht selbst nach? Sie flogen die ersten Gebäude an. Dhark drosselte die Geschwindigkeit und setzte die Schwebeplatte weich auf. Dicht hinter ihm landete Doorn die zweite Platte. Der gedrungene Sibirier stampfte mit seinen drei Begleitern heran. Das tragbare Ortungsgerät, das über seiner Schulter hing, arbeitete mit maximaler Leistung. »Vor uns ist nichts.« »Wir bleiben zusammen«, ordnete Dhark an. »Das heißt, Doorn, Sie gehen mit Ihren Leuten auf der linken Straßenseite an der Häuserfront entlang, und ich bleibe mit meiner Gruppe auf der rechten. Die eine Gruppe darf die andere unter keinen Umständen aus den Augen verlieren. Alle Viphos einschalten, aber auch auf die Hyperfrequenz der POINT OF!« Glenn Morris in der Funk-Z bestätigte einwandfreien Empfang. Der kleine Trupp teilte sich. Sie gingen an den ersten Hochbauten vorbei - Gebäude in einem supermodernen Stil, die den Männern keinen Moment fremdartig vorkamen, weil die Hausfronten quadratische Fenster und noch intakte transparente Türen besaßen, wenngleich einige im Laufe der Zeit fast bis zur Hälfte zugeweht waren. Die Straße, die sie entlanggingen, war achtzig Meter breit und mit fremdartigen Sträuchern und Büschen bewachsen. Seit vielen Jahrhunderten mußte diese gewaltige Stadt verlassen sein, wenn auch die Fronten der Häuser aussahen, als ob sie erst vor kurzem errichtet worden wären. Hin und wieder machte einer der Männer über Vipho Bemerkungen, regelmäßig gab Arc Doorn die Werte durch, die ihm sein Ortungsgerät lieferte. Nach wie vor blieb alles unverändert. Die nächste energetische Quelle lag noch gut zwei Kilometer vor ihnen. Plötzlich blieb Ren Dhark, der seiner Gruppe vorausging, abrupt stehen. Er deutete
nach vorn, und seine Männer, die sich zu ihm heranschoben, staunten genau wie er. Ein paar hundert Meter weiter war die Straße frei von jeder Verwehung. Im hellen Licht der weißen Sonne leuchtete der Straßenbelag leicht gelblich, und die Farbe der Hausfronten wechselte vom bisherigen eintönigen Grau zu einem freundlichen Lindgrün. Langsam wanderte der Blick der Männer höher und höher und dabei immer weiter die Straße entlang. Die Hochbauten standen nicht mehr in einer Reihe. Mal waren sie weit zurückgesetzt, mal schob sich ein Wolkenkratzer bis zur Mitte der Straße vor, die dann durch einen leichten Bogen zur anderen Seite hin auswich. Mit Absicht schienen die Erbauer dieser Stadt schnurgerade Straßen vermieden zu haben. Auch mit Brücken waren sie sehr sparsam gewesen. Nur in weiter Ferne war eine zu entdecken. Zwei Drittel des zierlichen, weitgespannten Bogens fehlten, als ob eine Riesenfaust das filigrane Gebilde zerschmettert hätte. Dhark gab das Zeichen zum Weitergehen. Die Luft war frisch, die Temperatur erträglich. Wie an einem Frühlingstag auf Terra. Die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Sie erreichten das von jeder Verwehung freie Straßenstück. Trümmer, die von den zerstörten oberen Etagen der Hochhäuser in die Tiefe gestürzt waren, lagen überall herum. Und darunter nicht eine Handvoll Sand oder vom Wind herangetragene Erde. »Das verstehe, wer will«, sagte Ren Dhark nachdenklich, als er sich wieder einmal bückte und in eine Höhlung hineingriff, um nach angewehtem Erdreich zu suchen. Seine Finger konnten nur den staubfreien Straßenboden fühlen. Wieder blieben die Männer stehen. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, blickten sie an der Hausfront entlang in die Höhe. Sechshundert Meter hoch. Eine unbeschädigte Hausfront von sechshundert Metern, aber dann - zerfetzte Etagen, geschmolzenes Baumaterial und Risse, die dreißig oder vierzig Meter breit waren und sich hundert Meter tief erstreckten. Alle Hochbauten waren in ihrem oberen Bereich zerstört. So weit die Männer sehen konnten, nirgendwo entdeckten sie eine Ausnahme. Plötzlich gab Arc Doorn über Vipho Alarm. »Dhark, meine Energieortung spielt plötzlich verrückt! Meine Massenortung... große Milchstraße, wir bekommen Besuch. Da kommt etwas auf uns zu, das Hunderte von Tonnen... das sind ja Tausende von Tonnen! Sterne und Boliden, was kann das sein?« Kein einziger Mann hatte den Klarsichthelm seines Raumanzugs geschlossen. Auch Ren Dhark hielt es nicht für nötig, den Befehl dazu zu geben. Er spähte die breite, mit Trümmern übersäte Straße entlang, konnte aber nichts entdecken. »Doorn, irren Sie sich auch nicht?« »Nein!« kam es knapp zurück. Der Sibirier saß auf einem Trümmerstück und beobachtete aufmerksam sein Ortungsgerät. In offenkundiger Ratlosigkeit schüttelte er den Kopf. »Doorn, was verrät Ihnen denn die Energieortung?« fragte Dhark. »Das ist es ja... Gehören die kleinen Energiequellen nun zu den schweren Brocken, die auf uns zukommen oder nicht?« Auch mit dieser Auskunft konnte Ren Dhark nichts anfangen. »Doorn, kommen Sie 'rüber!« befahl er. Im gleichen Augenblick brüllte der Sibirier mit Stentorstimme los: »Deckung! Deckung nehmen! Sterne und Boliden, das sind ja Panzer! Panzeralarm!« Ren Dhark zuckte zusammen. Er drehte den Kopf nach allen Seiten. Er blickte hinter sich, vor sich, die Straße entlang, in die Höhe, aber nirgendwo sah er etwas, das auch nur eine schwache Ähnlichkeit mit einem Panzer hatte. Alles war unverändert! Nur der Sibirier lief in weiten Sätzen auf die nächste transparente Tür eines
Hochhauses zu und brüllte dabei ununterbrochen in sein Vipho: »Geht doch endlich in Deckung! Verdammt, ihr Strohköpfe, Deckung! Panzer kommen! Niedliche Hundert-Tonnen-Brocken!« Arc Doorn mußte unter einer geistigen Störung leiden. In dieser Ruinenstadt gab es keine Panzer - nicht einen einzigen! Und es war auch kein fremder Ton zu hören. Über den Ruinen lag die Stille vieler Jahrhunderte! Da tauchte rechts zwischen zwei Hochhäusern ein Schatten auf! Und dem Schatten folgte - ein Panzer! Ein Panzermonstrum! Eine blauschimmernde Unitallkuppel mit Antennen und Reflektoren - Antennen und Reflektoren in der Unitallschicht, jedoch anders angebracht als die Antennen der POINT OF! Und der Panzer schwebte dicht über dem Boden! Dennoch besaß er Laufketten - die gleiche Art von Laufketten, wie sie bei terranischen Panzern vor hundert Jahren gebräuchlich gewesen waren. Aber diese Ketten bewegten sich nicht. »Deckung!« brüllte Ren Dhark, der jetzt erkannte, in welcher Gefahr sie schwebten. Nun war es zu spät, sich Vorwürfe zu machen, den Alarm des Sibiriers nicht ernst genommen zu haben. »Deckung! Raumhelme schließen!« Aus einem Panzer war schon eine Handvoll geworden! »Angriff von der Wüste her!« schrie jemand über Helmfunk. Dhark wirbelte herum. Seine Augen weiteten sich. Entsetzen spiegelte sich darin. Panzermonstren schwebten von der Peripherie her heran. Es waren Modelle, die mit den blauschimmernden Ungetümen keine Ähnlichkeit hatten; Panzer, die aus drei ineinander verschachtelten Kuppeln bestanden, keine Laufketten besaßen, keine Antennen und Reflektoren, dafür aber warzenartige Erhebungen überall auf dem Kuppelrund - die Abstrahlpole ihrer Energiegeschütze! Die ersten Strahlbahnen heulten durch die Straßenschlucht! »Deckung!« schrie Ren Dhark noch einmal und schloß krampfhaft die Augen. Er konnte nichts mehr sehen. Seinen Begleitern erging es nicht anders. Deckung hinter den Trümmern, die überall auf der Straße herumlagen! Die erbärmlichste Deckung, die es gab! Und um sie herum das Heulen und Zischen der energetischen Vernichtungsstrahlen. Jetzt waren auch die Geräusche zu hören, die die Panzer erzeugten! Sie summten! Ein helles, scheußliches Summen. Neben Ren Dhark lag ein Offizier. Der Commander hörte das erregte Atmen des anderen. Er fühlte auch seine Angst. Und er fühlte seine eigene Angst! In seinem Helmfunk meldete sich die POINT OF. Glenn Morris in der Funk-Z hatte alles mitgehört. »Sollen wir mit dem Schiff kommen und Sie herausholen, Commander?« Dhark versuchte durch einen Schlitz seiner Deckung zu spähen. Die Blendung seiner Augen hatte nachgelassen. Die Filterwirkung des Klarsichthelms verhütete, daß er nun abermals kurzfristig nichts sehen konnte. »Nein! Nicht kommen! Nicht kommen!« Ihm war nicht bewußt, daß er diese Anordnung geschrien hatte. Er wußte nur, was er sah! Die Ruinenstadt wehrte sich! Die Ruinenstadt war nicht tot! Zumindest ihre Abwehr lebte! Eine Abwehr aus blauschimmernden Unitall-Panzern und Strahlgeschützstellungen, die hoch oben in vielen Wolkenkratzern eingebaut waren! Aber wer griff diese Ruinenstadt an? Wer hatte die anderen Panzer, die von draußen
gekommen waren, in Marsch gesetzt? Die ersten Unitall-Ungetüme schwebten aus allen Antennen feuernd an Dhark und seinen Männern vorbei! Wenige Meter vor ihnen verwandelte sich ein Trümmerstück unter einem Volltreffer in Energie. Nur der M-Anzug bewahrte die Männer davor, in der harten r-Strahlung den Tod zu finden. Aber das war erst der Anfang. Eine Kette angreifender Panzer stieg senkrecht in die Höhe. Sie besaßen energetische Schutzschirme, an denen die Energiestrahlen der verzweifelt schießenden Unitall-Panzer und der schweren Geschütze in den oberen Etagen der Hochbauten zerplatzten. Keiner der Panzer nahm von den Männern Notiz, die hinter den Trümmern Schutz gesucht hatten und dieses Inferno über sich ergehen lassen mußten. Dan Riker meldete sich aus der POINT OF. »Mein Gott, was ist in der Stadt los? Unsere Energieortung meldet überall freigewordene Quellen.« »Nicht kommen!« rief Dhark zurück, der jetzt trotz des Filters in seinem Klarsichtheim die Augen schließen mußte. Als er wieder in die Höhe blickte, blieb ihm der Schrei im Hals stecken. Es war zu spät, seine Kameraden zu warnen! Vier der hochgestiegenen Monsterpanzer hatten eine Strahlgeschützstellung in einem Wolkenkratzer vernichtet. Die Ruinenspitze flog auseinander. Aus der Höhe kamen die Trümmer mit pfeifendem Heulen heruntergejagt! Um sie herum schlug es ein. Der Boden zitterte, als würde er von einem Erdbeben geschüttelt. Und dann kam die Sintflut! Von rechts und links! Aus den Hausfronten der Wolkenkratzer. Schenkeldicke Wasserstrahlen, die genau justiert waren. In allen Regenbogenfarben leuchtende Wasserbahnen, deren Aufgabe es zu sein schien, die Straße von den Trümmern zu säubern! Die Wasserstrahlen zerplatzten an den Brocken, die gerade erst herabgekracht waren. Und die Wassermassen verschonten auch Ren Dhark und seine Männer nicht. Auch sie waren als Fremdkörper identifiziert worden! »Das ist doch ein Irrenhaus!« brüllte ein Sergeant, der sich nicht mehr festhalten konnte und vom Druck des Strahls zur Seite gefegt wurde. Heranschwebende Unitall-Panzer! Zischende, heulende Energiebahnen aus den Strahlgeschützstellungen. Und die in immer größerer Zahl senkrecht hochsteigenden Panzerungeheuer von >draußen
Höhe operierte, nahmen sie allem Anschein nach nicht wahr. »Ruhe, Männer! Ruhe bewahren!« Etwas anderes fiel selbst Ren Dhark in dieser Situation nicht ein. Er hatte erkannt, daß die angreifende Panzerarmee sich über kurz oder lang dieser Ruinenstadt bemächtigen würde. Und er und seine Männer wurden unfreiwillig Zeugen ihres Unterganges. Aber wieso war es dem Gegner nicht schon in den Jahrhunderten vorher gelungen, diese Riesenstadt in seinen Besitz zu bringen? Dhark hatte den Kopf leicht gehoben und spähte über seine Deckung in die Ferne. Auch dort waren die feindlichen Panzer schon. Dort, wo die zerstörte Brücke nutzlos in den Himmel ragte. Und in diesem Gebiet kreuzten sich plötzlich Strahlbahnen, von allen Seiten kommend. Sie leuchteten rot, blau, grün und gelb. Eine Farbe giftiger und tödlicher als die andere. Und dann blitzte es in der Ferne auf, als ob es dort ein paar neue winzige Sonnen geben würde. Wie von Geisterhand beiseitegefegt verschwand der Rest des Brückenbogens. Und in nächster Nähe? Drei Unitall-Panzer schwebten summend und aus allen Antennen feuernd heran. Wie auf ein Kommando krachten sie auf die Straße. Im gleichen Moment begannen ihre Laufketten sich zu bewegen. Die viele hundert Tonnen schweren Kampfmaschinen rollten noch ein paar Meter und blieben dann stehen. »Sie schalten ab! Sie schalten ab!« rief Arc Doorn, der als einziger Deckung im Erdgeschoß eines Hochhauses gefunden hatte. »Die Unitall-Kästen erzeugen keine Energie mehr. Ihre Konverter liegen still!« Kein einziger Unitall-Panzer bewegte sich mehr. Sie hatten auch ihr Strahlfeuer eingestellt. Und die Geschütze in den Hochhäusern schwiegen ebenfalls. Gab die Stadt auf?
Wer hatte den Befehl zur Aufgabe gegeben? Lebten hier doch noch intelligente Wesen, die Befehle erteilten? Den Männern um Dhark erging es nicht anders als ihrem Commander. Jeder stellte sich die gleichen Fragen. Dhark sah einen Schatten - einen angreifenden Warzenpanzer! Aus der Höhe stieß der Koloß auf sie herunter, eröffnete aus allen Strahlantennen das Feuer auf die Menschen. Ein Teil des Brockens, hinter dem Dhark mit einem Offizier lag, verschwand. Nur noch zehn Meter hoch schwebte das viele hundert Tonnen schwere Monstrum, das sich noch zusätzlich mit einem Schutzschirm gesichert hatte. Um Dhark herum bildete sich eine Wolke aus glühenden Gasen. Und dann glaubte er in eine Sonne zu sehen, in einen weiß leuchtenden, riesengroßen Stern. Die Filtereinrichtung in seinem Klarsichthelm kam gegen diese grelle Lichtflut nicht schnell genug an. Vorbei, schoß es Dhark durch den Kopf. »Commander!« Die Nachricht aus der Funk-Z der POINT OF ging in einem ohrenbetäubenden Krachen unter. Der Panzer war hinter ihnen eingeschlagen! Hundert Meter hinter ihnen! Dabei hatte er sich genau über ihnen befunden! Dhark warf den Kopf in den Nacken. Er sprang auf, riß die Arme hoch und wiederholte ständig: »Pressorstrahlen! Pressorstrahlen!« Die Ruinenstadt hatte ihr Strahlfeuer eingestellt! Sie griff jetzt mit Pressorstrahlen an. Sie schleuderte die Mammut-Panzer zigtausend Meter hoch, jagte die Kampfmaschinen dem Stadtrand zu! Viele Punkte waren am grünblauen Himmel zu sehen, die immer kleiner und kleiner wurden, bis sie den Blicken der Männer entschwanden. Und dann gab es auf der Straße nur noch die blauschimmernden Unitallpanzer, die gleichzeitig vorn Boden abhoben und in Richtung auf das Zentrum der Stadt davonschwebten. Minuten später war alles wie ein Spuk verflogen. Arc Doorn war wieder bei ihnen. Arc Doorn, der erregt auf sein tragbares Ortungsgerät wies und über die Aussage der Energiekontrolle ununterbrochen den Kopf schüttelte. »Sie müßten doch wieder herunterkommen! Alles kommt doch mal wieder 'runter, aber ich kann nicht einmal mehr einen einzigen Pressor-Strahl feststellen.« »Lassen Sie sehen«, forderte Dhark ihn auf, warf einen Blick auf die Instrumente und schüttelte vor Erstaunen den Kopf. »Aber was ist das, Doorn?« Die Energieortung wies eine starke Emissionsquelle aus, die gar nicht weit von ihnen entfernt sein konnte. »Die war zu sehen, als die Anzeige über die Pressorstrahlen auf Null absackte«, erklärte der Sibirier. Dhark nahm über Vipho Verbindung mit Tino Grappa auf. Der Ortungsspezialist war aufgeregt. »Commander, Sie sitzen mit Ihren Männern in der Falle. Die Stadt hat sich abgeschirmt. Um die Stadt liegt ein Intervallfeld!« »Ein was?!« fragte Ren Dhark nach, und sein Herz begann in diesem Augenblick stärker zu klopfen. »Ein Intervallfeld. Eindeutig, Commander! Seine Höhe reicht über 13 000 Meter!« Neben Dhark stöhnte ein Offizier auf. »Kein Wunder, daß keiner der nach oben geschleuderten Panzer wieder herunterkommt. Sie sind längst am Intervallfeld zerschellt!« Dhark beachtete die Zwischenbemerkung nicht. »Grappa, können Sie nur genau
angeben, in welchem Planquadrat unserer Stadtkarte die Emissionsquelle zu finden ist, die das Intervallfeld erzeugt?« »Liegt schon fest, Commander. Haben Sie die Karte zur Hand? Planquadrat G, genau auf der Linie zu 48 und 49 im unteren Fünftel. Von Ihrem Standort aus knapp zwei Kilometer.« Unwillkürlich blickten die Männer und Dhark auf. In zwei Kilometer Entfernung lag eins der höchsten Gebäude dieser Ruinenstadt. Das Gebäude war im Gegensatz zu allen anderen blau gestrichen. Es war aber auch eines der am stärksten zerstörten Hochhäuser. Ursprünglich ein Wolkenkratzer mit rechteckiger Grundfläche, fehlte nun der gesamte Mittelteil. Die Ruinen, die rechts und links aufragten, waren unterschiedlich hoch. »Gut, Grappa. Teilen Sie Riker mit, daß wir uns den Bau einmal aus der Nähe ansehen. Wir melden uns wieder.« Hastig warf Grappa ein: »Commander, im Leitstand ist man der Ansicht, daß Sie besser zurückkehren sollten, weil noch ungeklärt ist, woher die Panzer kamen, die in die Stadt eindrangen.« »Ach?« stieß Dhark aus und sah der Reihe nach seine Männer an. Einer wie der andere schüttelte den Kopf. Sie waren mit dem Vorschlag aus der Kommandozentrale des Flaggschiffs nicht einverstanden. Sie wollten sich zusammen mit ihrem Commander jenen Bau ansehen, von dem aus das Intervallfeld erzeugt wurde. Deutete die Existenz eines Miniweltraums um diese Ruinenstadt nicht direkt auf die Mysterious? Gelassen erklärte Dhark über sein Vipho: »Ich stelle es der Besatzung anheim, herauszufinden, woher die gegnerischen Panzer gekommen sind. Wir bewegen uns weiter in die Stadt hinein, bleiben aber nach wie vor mit dem Schiff in Funkverbindung.« Von Grappa kam kein Echo mehr, und Dan Riker in der Kommandozentrale der POINT OF schwieg sich aus. Die kleine Gruppe stand eng zusammen. Erwartungsvoll blickte jeder den Commander an. Die Bemerkung, die dann gemacht wurde, überraschte sie alle. »Die Düsen spucken ja keine Wasserstrahlen mehr aus!« Über Dharks Gesicht flog ein Lächeln. »Wer hat darauf geachtet, wann diese Straßenreinigung eingestellt wurde?« »In diesem Tohuwabohu?« stellte einer der Offiziere die Gegenfrage und packte im gleichen Moment den Arm des Commanders. Er wollte noch etwas sagen, doch er konnte nur mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung deuten. Die Männer drehten sich um. Während des Gesprächs zwischen Dhark und Grappa hatte sich hinter ihrem Rücken eine neue Situation entwickelt. Der hundert Meter entfernt liegende feindliche Panzer wurde fortgeschafft. Eine kreisrunde unitallblaue Platte, die in der Mitte einen ausgeprägten Buckel aufwies, schwebte in einigen Metern Höhe über dem zerstörten Monstrum. Sie konnte unmöglich die Straßenschlucht benutzt haben, denn sonst wäre sie schon vorher von einem der Männer bemerkt worden. Zwischen der Unterseite der vielleicht zwanzig Meter durchmessenden Platte und dem zerstörten Panzer flimmerte die Luft. Dieses Flimmern wurde stärker, und gleichzeitig veränderte sich das Aussehen des demolierten Kampffahrzeuges. Es begann zu glühen. Es begann zu schmelzen, und dennoch waren keine Schmelzbahnen zu erkennen. Aber ein nicht zu übersehender, dennoch fast farbloser Strom, der vom Panzer zur Unterseite der schwebenden Fläche lief und im Buckel verschwand. Dhark feuchtete mehrmals seine Lippe mit der Zunge an, bevor er sagen konnte:
»Diese Methode, Schrott zu beseitigen, beherrschen wir noch nicht - Auflösung der Materie in Energie, um dann die freigewordene Energie auch noch zu speichern.« Sie rührten sich nicht vom Fleck. Wie gebannt verfolgten sie den unerklärlichen Auflösungsprozeß, und als von dem zerstörten Panzer nichts mehr vorhanden war, setzte sich die Platte in Bewegung, flog auf die Gruppe zu, über sie hinweg und verschwand irgendwo zwischen den Hochbauten. »Menschen scheint sie nicht zu kennen«, murmelte Arc Doorn. »Diesen Eindruck hatte ich schon von den Panzern beider Parteien«, fügte Dhark hinzu, »und deshalb interessiert es mich brennend, was es in dieser Stadt noch alles zu sehen gibt. Nur eine Hoffnung habe ich inzwischen begraben. Ich glaube nicht, daß wir auf ein intelligentes Wesen stoßen werden.« »Aber doch wenigstens auf Spuren von Mysterious!« warf ein Sergeant ein. Commander Ren Dhark hatte dafür nur ein Achselzucken übrig. Langsam setzte er sich in Bewegung, und die Männer folgten ihm.
19. Der große dunkelhaarige Mann saß bewegungslos im Pilotensessel. Sein leicht vorspringendes Kinn zeigte einen roten Fleck - das unverkennbare Zeichen, daß er stark erregt war. In der Kommandozentrale der POINT OF herrschte nervenzerreißende Spannung. Die Verbindung zur Gruppe Dhark war abgerissen! Mitten im Wort! Im gleichen Moment hatte Tino Grappa den pulsierenden Fleck, der etwas über achthundert Kilometer östlich mitten in der roten Wüste lag, wieder mit seiner Energieortung erfaßt. Alle seine Ortungen arbeiteten. Auch Distanz- und Massentaster zeigten Höchstwerte an. In der Funk-Z schwitzten Morris, Brugg und Yogan. Riker hatte ihnen den Auftrag erteilt, unter allen Umständen wieder Vipho-Verbindung zu Ren Dhark herzustellen. Im Hyperfunk war nur Rauschen zu hören. Die Frequenz, auf der das Vipho des Commanders arbeitete, zeigte nicht den kleinsten Blip. Die Sekunden rasten dahin. Aus Sekunden wurden Minuten. Vor vierundsiebzig Minuten war die Verbindung mit dem Commander abgerissen. Seit einer Stunde befand sich Rul Warren im Flash 003 in Sitzbereitschaft. Als er Rikers Einsatzbefehl hörte, sagte er nur: »Okay!« Flash 003 flog aus. Richtung Ruinenstadt. Warrens Auftrag lautete, Dhark und seine Männer zu finden, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und über den Sender des Blitzes die Funkverbindung mit der POINT OF wiederherzustellen. Niemand machte sich Gedanken über das Intervallfeld, das um die Ruinenstadt aufgebaut war. Auch Rul Warren nicht, der gelassen in seinem Flash saß, die kalte Stummelpfeife zwischen den Zähnen, und in niedriger Höhe der Ausfallstraße zuflog, die der Commander mit seinen Männern benutzt hatte. Die Entfernung zum Intervallfeld schmolz zusammen. Nach wie vor arbeitete die Bild-Funk-Verbindung zur POINT OF einwandfrei. Warren war direkt mit Dan Riker verbunden. Schlagartig wurde die 003 aus dem Kurs gerissen, gerade so, als ob sie gegen ein Hindernis geprallt sei. Der Andruckabsorber eliminierte den Schock des abrupten Kurswechsels. Der Blitz nahm die platte Nase hoch und stieg senkrecht in den grünblauen Himmel. Vor Überraschung fiel Warren beinahe die Stummelpfeife aus dem Mund. Sein rundes Gesicht rötete sich leicht; seine grauen Augen waren zu Schlitzen geworden. Über seine Lippen kam ein bösartiges Grunzen. Was er dann sagte, war nicht zu
verstehen. Aber Dan Riker im Leitstand des Flaggschiffes war aufmerksam geworden. »Was gibt es, Warren?« »Das Intervall der Stadt läßt mich nicht durch. Ich versuche es noch einmal.« Auf seinem kleinen Bildschirm erkannte er, welche Überraschung und Bestürzung seine Meldung ausgelöst hatte. Dann hörte er über Funk die Stimme Tino Grappas, der Riker aufgeregt etwas zurief. Rul Warren hatte in der Zwischenzeit seinen Flash auf Gegenkurs gebracht und erhöhte gleichzeitig die Leistung des Sle. Erneuter Anflug auf das Intervallfeld der Ruinenstadt. Seine Geschwindigkeit lag bei fünfhundertzwanzig Stundenkilometern, als er abermals mit seinem Blitz nicht durchkam, und wiederum senkrecht in den grünblauen Himmel stieg. »Geben Sie es auf, Warren«, hörte er Sekunden später Dan Rikers Anweisung. »Sie kommen niemals durch. Das Intervall der Ruinenstadt unterscheidet sich in seinem Konstantenaufbau deutlich von dem der POINT OF und der Flash!« »Wie war das?« fragte Rul Warren überrascht. Riker wiederholte seine Angaben nicht. »Kommen Sie zurück. Es hat keinen Zweck!« Warren zuckte mit den Schultern. »Okay, ich fliege wieder ein.« Als sein Flash wieder im Depot der POINT OF lag und er den Ausstieg aufgestoßen hatte, wartete er auf neue Befehle aus der Kommandozentrale. Aber ihn erreichte kein Anruf. Er nahm seine Pfeife wieder hervor, stopfte sie umständlich und setzte den Tabak in Brand. Nur rauchte er nicht lange. Die Pfeife schmeckte ihm nicht, und noch weniger schmeckte es ihm, daß Dan Riker ihn so schnell zurückgerufen hatte. Es mußte doch einen Weg in die Stadt geben. Man konnte den Commander mit seinen Leuten doch nicht einfach im Stich lassen! Das gleiche dachte auch Riker, während er hinter Grappa stand und die Instrumente der Energieortung kontrollierte. Das Amplitudenbild des Intervalls um die Stadt unterschied sich in drei charakteristischen Schwingungsweiten von dem der PülNT OF; die Differenz zwischen den einzelnen Weiten war nicht einmal besonders groß, doch in diesem Fall bedeutete schon die kleinste Abweichung ein unüberwindbares Hindernis. Nachdenklich nahm Riker wieder im Pilotensessel Platz. Er rief Miles Congollon, den Chefingenieur der POINT OF. »Was machen unsere M-Konverter?« Der manchmal melancholisch wirkende Eurasier zuckte mit den Schultern. »Was sollen sie schon machen, Riker? Sie arbeiten alle wieder einwandfrei, nachdem die ertobiten von dem fremden Ringraumer in Ordnung gebracht wurden. Was ist, machen Ihnen diese Aggregate Sorgen?« »Danke, Congollon.« Riker war der Frage des Ingenieurs ausgewichen und beendete die Verbindung zum Triebwerksraum. Auf seinem Kinn war immer noch der rote Fleck deutlich zu sehen. Es fiel ihm schwer, eine Entscheidung zu treffen. Er hatte nicht vergessen, daß Dhark einmal vor einem ähnlichen Problem gestanden hatte; damals, als aufgrund schwerer Störungen des galaktischen Magnetfeldes der gesamte Kontinent Deluge auf Hope durch ein Intervallfeld abgeschirmt worden war. Ren Dhark hatte es seinerzeit durch konzentrierten Nadelstrahlbeschuß zum Zusammenbruch gebracht. Und nun hatte Riker vor, den Miniweltraum um die Ruinenstadt auf die gleiche Weise zu öffnen. In der WS-Ost horchte Jean Rochard auf; in der WS-West Bud Clifton. Rochard nickte zustimmend. »Okay, Riker, wir schalten alle Antennen auf Nadel um!« erklärte er gelassen. »Nur was passiert mit dem Commander und seinen Männern, wenn sie sich hinter dem
Intervall im Bereich unserer Nadelstrahlen aufhalten?« Jedes Wort betonend erwiderte Riker: »Glauben Sie, daran hätte ich nicht gedacht?« Bud Clifton mischte sich ein. »Ich möchte von dem Versuch abraten. Diese Spukstadt ist mir nicht geheuer. Erklären kann ich es nicht. Es ist nur ein Gefühl.« Er konnte nicht ahnen, daß Riker aus genau diesem Gefühl so lange gezögert hatte, etwas zu unternehmen. Spukstadt hatte Clifton die gigantische Gebäudeansammlung genannt. Und sie hatte wirklich etwas Spukhaftes an sich. Woher waren die angreifenden Panzer gekommen? Wer hatte sie in Marsch gesetzt? Und warum hatte sich die Stadt, in der es nach den Angaben des Commanders keine Lebewesen gab, erst so spät durch den Aufbau eines Intervallfeldes abgesichert? Warum erst so spät Pressorstrahlen eingesetzt, um einen Teil der angreifenden Panzer wie Papierfetzen in den Himmel zu jagen? Über diese Fragen hatte sich Riker den Kopf zerbrochen, aber sie waren alle mehr oder weniger zweitrangig. Was hätte er darum gegeben, zu wissen, weshalb der Funkkontakt plötzlich abgerissen war. Dhark hatte doch in seinem Bericht ein paar Sätze vorher noch betont, daß es in der Stadt vollkommen ruhig geworden sei und sie sich dem großen Wolkenkratzer bis auf zwanzig Meter genähert hätten. In dem Gebäude, dessen Mittelteil bis auf die Grundmauern zerstört war, vermuteten sie eine der Hauptzentralen, und die wollten sie sich einmal etwas näher ansehen. Bud Clifton deutete Dan Rikers Schweigen als Unsicherheit. Er riet noch einmal davon ab, das fremde Intervallfeld durch Nadelstrahlbeschuß zu öffnen. »Geben Sie mir einen anderen Rat«, meinte Riker. »Wenn wir das Intervallfeld in zehntausend Metern Höhe anfliegen und unter Beschuß nehmen, verringert sich die Gefahr für den Commander und seine Gruppe.« Jetzt setzte auch Jean Rochard ein unzufriedenes Gesicht auf. Grappa hatte neue Ortungsergebnisse. Der strahlende Fleck in der Wüste hatte seine Pulsationszeit von 30,6 Sekunden auf 21,03 Sekunden verändert, und im Maximum sollte seine Farbe nicht mehr Orange, sondern Blauweiß sein. Fast gleichzeitig meldete sich Elis Yogan aus der Funk-Z, und seine Meldung hatte sensationellen Charakter. »Wir hatten den Standort des starken Hypersenders lokalisiert, bevor uns das Intervall die Arbeit schwer machte. Jetzt aber arbeiten im Innern des Planeten fünf ebenso starke Sender, deren Aufgabe es wohl ist, die Sendung des ersten zu stören. Und das schaffen sie hundertprozentig! Nach unseren Messungen kann kein gerichteter Spruch mehr hinausgehen. Der wird schon am Antennenausgang zur Unkenntlichkeit verstümmelt!« Riker strich sich übers Haar und stöhnte unterdrückt. Diese neuen Meldungen verwirrten das Bild noch mehr. Viel lieber hätte er eine Meldung über Ren Dhark gehört. Er warf dem Chrono wieder einen Blick zu. Seit 2 Stunden und 12 Minuten Normzeit war kein Lebenszeichen mehr vom Commander und seiner Gruppe gekommen. Die Bildschirme über dem Instrumentenpult zeigten ihm die Silhouette der Ruinenstadt mit ihren zerstörten Wolkenkratzerspitzen. Darüber wölbte sich der fast wolkenlose Himmel, an dem eine weiße Sonne stand. Um die POINT OF herum lagen Vegetation und Wüste im Kampf. Das gesamte Bild vermittelte den Eindruck, daß es in diesem Bereich des Planeten seit vielen Jahrhunderten kein intelligentes Leben mehr gab.
Aber warum waren dann hundert bis zweihundert Ringraumer in der Nähe dieser Stadt gelandet und nach kurzem Aufenthalt wieder gestartet? Was hatten diese Schiffe hier zu suchen gehabt? Diese Fragen wirbelten hinter Dan Rikers Stirn, doch sie gaben ihm auch die Kraft zu einem endgültigen Entschluß. »Wir fliegen das Intervall in zwölftausend Meter Höhe an und nehmen es unter Beschuß. Vorher aber drehen wir drei Kreise über dem Komplex. Wenn der Commander die POINT OF sieht - und er muß das Schiff sehen, falls ihm nichts zugestoßen ist -, dann wird er ahnen, was wir vorhaben, und versuchen, Deckung zu finden.« Als schwache A-Grav-Kräfte den Ringraumer sanft vom Boden lösten und die fünfundvierzig Paar Teleskopbeine in die Unitallhaut eingefahren wurden, erinnerte sich Riker des Flash-Piloten Warren. Der meldete sich sofort. Er hatte seine Sitzwache in der 003 nicht aufgegeben. Riker informierte ihn über seinen Plan. »Halten Sie sich bereit, daß Sie auf ein Stichwort sofort ausfliegen können, Warren.« Auf den Mann mit den abstehenden Ohren und dem Bürstenhaarschnitt war Verlaß. Neben Pjetr Wonzeff und Mike Doraner gehörte er zu den zuverlässigsten FlashPiloten. In zweitausend Meter Höhe schaltete Riker den Sle ein. Die blauschimmernde Ringröhre flog so elegant und leicht wie ein Ballon. Der Abstand zum Intervall veränderte sich kaum. Das Flaggschiff der TF stieg senkrecht hoch. Aus den beiden Waffensteuerungen kamen die letzten Klarmeldungen. Auch Rul Warren hatte sich noch einmal gemeldet. Er war bereit, jederzeit auszufliegen. Plötzlich zuckte Dan Riker zusammen. Seinem Copiloten erging es nicht anders. Im Leitstand wurde kein Wort mehr gesprochen. Die POINT OF zitterte. Der Ringraumer lag nicht mehr ruhig. Er schwankte leicht, pendelte, sackte durch. Das Zittern wurde stärker. Es kam aus dem Boden, aus den Wänden und Decken. Es war überall. Und dann hörte Dan Riker die Gedankensteuerung. Habe Schiff übernommen! Im gleichen Moment waren sämtliche Steuerschalter blockiert. Die terranische Besatzung wurde geflogen; sie konnte über ihr Schiff nicht mehr bestimmen. »Riker«, ertönte Grappas aufgeregte Stimme, »der pulsierende Fleck ist zu einer superdimensionalen Ortungsanlage geworden. Ich möchte sagen, daß er die POINT OF buchstäblich auseinandernimmt. Als ob jemand genau wissen wollte, mit wem er es zu tun hat!« »Sie sind verrückt!« platzte Riker heraus. »Schön war's«, erwiderte Grappa schlagfertig. Die neuen Ereignisse verschlossen ihm den Mund. Wie ein Lift ging die POINT OF hinunter. Die Gedankensteuerung verfuhr nicht besonders behutsam mit dem Ringraumer. Aber sie landete ihn butterweich an der alten Stelle. Dann emittierten die Flächenprojektoren auf der Innenseite der Ringröhre keine Energie mehr. Die M-Konverter wurden auf Null geschaltet, und Dan Riker war wieder in der Lage, seine Steuerschalter zu betätigen. In der Bildkugel über dem Instrumentenpult war unverändert die Ruinenstadt zu sehen, die unter dem undurchdringlichen Schutz eines Intervallfelds lag. Doch die Vipho-Frequenz, auf der das Gerät des Commanders arbeitete, zeigte
keinen einzigen Blip. Langsam drehte sich Riker im Pilotensessel, sah der Reihe nach seine Offiziere im Leitstand an; von Falluta bis Grappa wich einer wie der andere entweder seinem Blick aus oder zuckte hilflos mit den Schultern. Niemand konnte ihm sagen, wie es jetzt weitergehen sollte. Ren Dhark sah die Bildscheibe seines Viphos grau werden. Die Funkverbindung zur POINT OF war abgerissen. Am Gerät konnte es nicht liegen. Als er die Kontrollen drückte, kam jedesmal Grün. »Keinen Kontakt mehr«, murmelte er verblüfft und drehte sich zur Seite zu seinem Nebenmann: »Geben Sie mir Ihr Vipho.« Auch damit war die POINT OF nicht mehr zu erreichen. »Schöne Aussichten«, meinte er mit sarkastischem Unterton. Er warf dem Hochhaus, dessen Mitteltrakt bis auf die Grundmauern zerstört war, einen mißtrauischen Blick zu. Seine Männer schauten ihn fragend an. Er zuckte die Schultern. »Wenn ich eine Ahnung hätte - aber wir lassen uns trotzdem nicht aufhalten.« Im Gegensatz zu allen anderen Gebäuden der riesigen Stadt war dieser Bau in einem einheitlichen Blau gehalten. Gleich zwei - in ihrem Aussehen sehr unterschiedlichen - Türmen ragten die beiden Seitentrakte in den Himmel. Zerrissene, zerschmolzene Decken, die stellenweise noch Zwischenwände trugen, verbanden diese immer noch imposant aussehenden Gebäudeteile. Dhark und seinen Männern war es unerklärlich, wie man ein Bauwerk auf diese Weise zerstören konnte, ohne dabei die Außenteile auch zu vernichten. Arc Doorn hängte die tragbare Ortungsanlage wieder über seine Schulter. »Die tut's auch nicht mehr!« knurrte er und blieb auf Dharks fragenden Blick die Antwort schuldig. Langsam setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Die Freifläche vor dem Hochhaus war mit Trümmern übersät, sonst jedoch so sauber, als ob sie gerade wieder geduscht worden wäre. Sie näherten sich der breiten Treppe, die in niedrigen Stufen zum halbkreisförmigen, dunkel schimmernden Portal führte, das weit geöffnet war. »Commander, wird man sich auf der POINT OF keine Sorgen machen, wenn wir uns über Funk nicht melden?« fragte ein Sergeant. »Hoffentlich nicht«, gab Dhark zur Antwort. Die Treppen waren aus schallschluckendem Material gefertigt. Lautlos stiegen die Männer nach oben. Immer wieder kontrollierten sie dabei ihre Umgebung. Aber wo vor knapp einer Stunde noch eine Panzerschlacht getobt hatte, war jetzt alles so still, daß es fast schon unheimlich wirkte. Auf der obersten Stufe, dem Anfang einer breiten Plattform, blieben alle stehen. Ihr Blick glitt über den weiten Platz, über die Front der gegenüberstehenden Hochhäuser, und unwillkürlich verglichen sie diese Bauten mit Gebäuden auf Terra. »Allein in dieser Stadt könnten ein paar hundert Millionen Menschen wohnen«, sagte ein Offizier. »Dieses Objekt würde dem Plan, fremde Planeten zu kolonisieren, eine große Hilfe sein.« Nachdenklich sah Dhark den Mann an. Er war verwundert, daß man so leichtsinnig sein konnte. »Wissen wir denn, aus welchem Grund diese Stadt von ihren Bewohnern aufgegeben wurde? Haben Sie sich alles genau angesehen? Haben Sie einen einzigen Hinweis entdeckt, daß diese Stadt ganz langsam entvölkert wurde?« »Weder das eine noch das andere, Commander!« gab der Leutnant erstaunt zur Antwort. »Dann haben Sie nicht gut aufgepaßt. Ich möchte schwören, daß diese Stadt innerhalb kürzester Frist von ihren Bewohnern verlassen wurde, und sie keine Zeit
mehr fanden, die technischen Einrichtungen mitzunehmen. Überall im Universum kostet der Aufbau von Städten Geld. Überall hat man das Bestreben, das Aufgebaute zu behalten. Wie Doorn uns vorhin berichtet hat, sind noch nicht einmal die Wohnungseinrichtungen mitgenommen worden. Das deutet auf eine überstürzte Flucht hin. Und dann die Panzerschlacht, die wir erlebt haben - Maschinen, die sich aufgrund ihrer Programmierung bis zur Vernichtung bekämpfen. Glauben Sie, diese Panzer seien von selbst auf die Idee gekommen, hier Krieg zu führen? Ich würde diesen Planeten niemals zur Besiedlung freigeben, solange nicht geklärt ist, weshalb die ehemaligen Bewohner diese Millionenstadt verlassen haben.« Die Plattform, die sich im Halbkreis vor dem Portal erstreckte, bestand ebenfalls aus schallschluckendem Material. Langsam näherten sich die Männer dem Eingang. Unterwegs warf Doorn einen Blick auf seine Ortungs-Instrumente und schüttelte dann unzufrieden den Kopf. Sie arbeiteten nicht mehr. Wie ihre Viphos. »Vorsicht!« warnte Ren Dhark seine Männer, als sie vor dem geöffneten Portal standen. Der hohe, weite Innenraum war beleuchtet. Sie konnten bis in die letzte Ecke sehen. »Wie die Eingangshalle der Terranischen Bank in Alamo Gordo!« sagte jemand überrascht und bestürzt zugleich. Auch Ren Dhark hatte diesen Eindruck. Es fiel ihm schwer, nicht die Hände zu einem Trichter geformt vor den Mund zu legen und laut Hallo! zu rufen. Unwillkürlich drängte sich den Männern der Eindruck auf, gleich müsse jemand auf sie zukommen, eine höfliche Verbeugung machen und freundlich nach ihren Wünschen fragen. Aber es kam niemand. Und in der Eingangshalle klangen ihre Schritte dumpf und laut, je tiefer sie sich hineinbegaben. Rechts und links zwei lange Reihen, die an Schalter erinnerten. Der leicht rötlich schimmernde Boden war staubfrei; die Luft in der Halle frisch und kühl. Das Licht kam aus den hohen Wänden und war leicht blau gefärbt. Wie im Industriedom auf Deluge. Die Männer unterhielten sich halblaut. Ihre Unsicherheit verschwand, je näher sie dem Ende der Halle kamen, wo drei große Türen weit offenstanden. »Doorn?« Der wußte, was der Commander gern hören wollte. Er konnte ihm den Gefallen nicht tun. »Die Ortung rührt sich nicht. Als ob wir absolut abgeschirmt wären.« »Das vermute ich schon, seit mein Vipho aussetzte.« Die drei großen Türen entpuppten sich als Eingänge zu A-Grav-Liften. Der mittlere führte nach unten, die beiden äußeren nach oben. Aber nirgendwo ein Hinweis, ob sie noch arbeiteten. Doorn dauerte das alles zu lange. Bevor man ihn daran hindern konnte, betrat er den rechten Liftschacht. Langsam sahen ihn die anderen nach oben schweben. Der Sergeant neben Ren Dhark glaubte dem Beispiel des Sibiriers folgen zu müssen. »Stop!« schrie Dhark hinter dem jungen Mann her, aber da gellte auch schon ein Aufschrei aus dem Schacht. Der Schrei war noch ein paar Sekunden lang zu hören. Er wurde immer schwächer, bis er abrupt endete. Die Ruinenstadt hatte ihr erstes Opfer gefordert! Arc Doorn hatte unterwegs die Sphäre gewechselt und kam auf der Minusseite langsam wieder herunter. Bestürzt vernahm er von dem Zwischenfall. Wortlos nahm er Ren Dharks Vorwürfe hin. Durch sein Beispiel hatte er den Sergeanten veranlaßt, den risikoreichen Versuch zu unternehmen.
Der Weg nach unten war versperrt. Nach einer halben Stunde gaben sie die Suche nach einer Treppe auf. Doorn konnte den Schaltkontakt zum abwärts führenden Schacht nicht finden. Ren Dhark ließ sich von seinem Gefühl beherrschen, daß sie hier nichts erreichen würden. Er ging ein Stück in die Halle zurück, betrachtete die lange Schalterreihe und blieb wie angewurzelt stehen, als er in der Frontfläche eines Schalters schattenhaft das Emblem einer Galaxis-Spirale zu sehen glaubte. Die Mysterious, schoß es ihm durch den Kopf. Das hier ist eine Stadt der Geheimnisvollen gewesen! »Commander!« gellte die Stimme des Sibiriers durch die Halle. »Ich habe den Schalter gefunden!« Dhark mußte zurück. Seine Entdeckung konnte er auch später noch genauer untersuchen. Wichtiger als alles andere war zunächst, die Anlage zur Erstellung des Intervallfelds zu finden. »Da!« rief Doorn ihm zu und warf sein tragbares Ortungsgerät in den nach unten führenden A-Grav-Schacht. Langsam verschwand das Aggregat. Wortlos deutete der Sibirier auf die leicht ornamentierte Säule zwischen dem linken und dem mittleren Schacht. Wie gebannt verhielt Ren Dhark im Schritt. »Doorn, haben Sie nicht erkannt...?« »Doch«, unterbrach ihn dieser gelassen. »Leider zu spät. Ich habe die Mysterious schon oft verwünscht, aber hier haben sie mit ihrer Geheimniskrämerei den Vogel abgeschossen. Der Teufel soll diese Galaxis-Spirale holen. Da...« Er nahm Dharks Zeigefinger und ließ ihn mitten im Ornament die winzige Erhebung fühlen. »Und so wird die Sache ausgeschaltet... Oh, verdammt, mein Ortungsgerät!« Er reagierte blitzschnell, und bediente sich dabei Dharks Fingerkuppe. »Hoffentlich ist jetzt mein Aggregat nicht Schrott«, murmelte Arc Doorn. »Wollen wir nach unten?« Die Benutzung des A-Grav-Lifts stellte nun kein Risiko mehr dar. Langsam schwebten die Männer nach unten. Ein paar Meter unter ihnen flammte es in den Wänden auf, um die Röhre zu beleuchten, und ein paar Meter über dem Letzten wurde alles wieder dunkel. Dhark und Doorn befanden sich dicht nebeneinander. Ihrem Blick entging nichts, aber der Schacht zeigte nur seine fugenlose graue Wandung. Sie wußten nicht, in welcher Tiefe sie sich befanden, als sie unter sich das Ende des Liftschachts sahen - und die Leiche des Sergeanten. Er mußte sofort tot gewesen sein. Dharks Scheinwerfer flammte auf. Plötzlich schlug ihm der Sibirier mit aller Kraft auf die Finger und brüllte: »Ausschalten!« Das hatte er mit seinem Schlag schon besorgt. Nur war es zu spät gewesen. Man hatte sie als Fremde erkannt! Man... Und aus den sieben breiten, hohen Gängen, die strahlenförmig nach allen Seiten führten, kamen kalt fluoreszierende Wände heran, die sich vereinigten, kaum daß sie den Schacht erreicht hatten. Dahinter aber stand vor jedem Ganganfang eine zweite, rotstrahlende Energiemauer. »Jetzt wird's gefährlich«, knurrte Doorn. Wie ein Ring, der immer enger wurde, näherte sich ihnen von allen Seiten die fluoreszierende Wand, die in allen Regenbogenfarben schillerte. Sie näherte sich sehr langsam. Darin sah Ren Dhark ihre einzige Chance, dem Verderben zu entkommen. »Die Plus-Sphäre benutzen!« befahl er, doch der A-Grav-Lift arbeitete nicht mehr.
Der Ring aus Energie wurde enger. Im Durchmesser maß er keine drei Meter mehr. Schulter an Schulter, Rücken an Rücken standen die Männer zusammen. Da berührte ein Teil der Energiewand den toten Sergeanten. Sie stoppte ab. Nahm sie nur den Toten wahr, aber nicht die Männer, denen das Herz bis zum Hals klopfte? Um den toten Mann wurde etwas lebendig, das an Elmsfeuer erinnerte. Sie liefen über ihn hinweg, verschwanden unter einem verdrehten Arm, tauchten auf der anderen Seite wieder auf und huschten dann ins Innere des Raumanzugs. Ein Toter wurde aufgelöst. Ein Vorgang, der nichts Schreckliches an sich hatte, weil die Leiche gleichmäßig weniger wurde - und dabei auch gar nicht mehr wie eine aussah. Sein Begräbnis, dachte Ren Dhark, und gleich auch unser Begräbnis? Er erinnerte sich, vor wenigen Sekunden gesehen zu haben, wie diese kaum daumendicken Elmsfeuer zuerst etwas ratlos über den Raumanzug gelaufen waren, bis sie den Weg ins Innere gefunden hatten und dabei auf den Toten gestoßen waren. »Männer«, flüsterte er aus Angst, die fluoreszierende Wand könne sein Sprechen hören, »sofort die Raumhelme schließen, und unter keinen Umständen den Helmfunk einschalten!« In dieser aussichtslosen Lage war ihnen jeder Strohhalm recht. Sie schlossen ihre Raumanzüge und sahen dabei zu, wie ihr toter Kamerad verging. Dann holte die Energiewand ihre Elmsfeuer wieder zurück und setzte sich lautlos erneut in Bewegung - auf die Menschen zu. Das Fluoreszieren erreichte sie und traf auf die Raumanzüge, die alle von Deluge, aus dem großen Depot in der Ringraumerhöhle stammten. Elmsfeuer krochen über die Anzüge. Sie suchten und suchten, kehrten zur Energiemauer zurück und wurden wieder von ihr ausgeschickt. Die Männer glaubten von unnatürlich goldgelbem Licht abgetastet zu werden, aber sie fühlten nichts; nicht einmal den leisesten Druck. Aber sie sahen genug. Vor ihrem Gesicht die spannenlangen goldgelben Strahlen, daumendick, die sich so schnell und auch so langsam bewegen konnten, und die immer öfter wieder in der Mauer aus Energie verschwanden. Ab und zu hatte man den Eindruck, als wären die Elmsfeuer nur die sichtbaren Teile einer langen, dünnen Strahlbahn, denn einige Male war ein schwaches irisierendes Leuchten zu sehen, das in der Energiemauer endete. Arc Doorn hielt den Atem an. Ein Dutzend Feuer interessierten sich für sein tragbares Ortungsgerät, und drei oder vier davon verschwanden hinter der Verkleidung, um an ganz anderen Stellen wieder aufzutauchen. Niemand bewegte sich. Jeder stand steif und starr; jeder versuchte so flach wie möglich zu atmen. Auch Ren Dhark. Sein Blick ging nach rechts und links, nach oben und unten und landete immer wieder an der Mauer aus Energie, die nicht mehr nähergekommen war. Wurden sie identifiziert? Versuchte man sie zu erkennen? Er wußte es nicht. Nur aus einer Ahnung heraus hatte er den Befehl gegeben, die Raumhelme zu schließen. Die goldgelben, kalten Feuer schienen sich zurückzuziehen. Sie verschwanden in der Energiemauer, aus der sie gekommen waren. Die Energiewand wich zurück. Der Durchmesser des Kreises wurde wieder größer. Die Energiemauer erreichte die Wandung und teilte sich dort auf. Im gleichen Moment verschwanden die rotstrahlenden Sperren, die vor jeder Gangmündung errichtet worden waren.
Dann war alles vorbei. Ein paar Schritte neben ihnen lag der leere M-Raumanzug, in dem der zerschmetterte Körper des Sergeanten gesteckt hatte. Dhark erlebte diesen Vorgang noch einmal. Je länger er darüber nachdachte, um so größer wurde sein Grauen. Er hatte sich nur die Frage gestellt: Ist die Bevölkerung dieser Hundert-Millionen-Stadt ein Opfer dieser goldgelben, kalten Feuer geworden? Die Beleuchtung flammte wieder auf. Dhark erwachte wie aus einem Traum. Jemand bückte sich nach dem am Boden liegenden leeren Raumanzug. Er drehte ihn hin und her, und es war deutlich zu erkennen, daß er bestürzt den Kopf schüttelte. Dann legte er sich den leichten Anzug über den Arm und warf dem Commander einen fragenden Blick zu. Der wagte noch nicht, den Helmfunk anzuschalten. Die fluoreszierende Ringmauer konnte jeden Augenblick zurückkommen. Aber ebenso konnten sie hier noch stundenlang stehen und abwarten. Er dachte an Dan Riker und dessen Unruhe. Vielleicht hatte der Freund schon die Geduld verloren und versuchte mit der POINT OF durch das Intervallfeld in die Ruinenstadt einzufliegen. Bewegung kam in die immer noch dicht zusammenstehende Gruppe. Arc Doorn machte sich bemerkbar. Er deutete mit unmißverständlicher Geste auf sein Ortungsgerät. Es arbeitete wieder. Es zeigte exakt an, in welcher Richtung die stärksten energetischen Quellen lagen. Nach einem Kontrollblick nach allen Seiten gab der Commander das Zeichen, den Helmfunk einzuschalten. »Aber sofort wieder ausschalten, wenn wir in Schwierigkeiten geraten!« Es geschah nichts mehr. Daß auch der A-Grav-Lift wieder arbeitete, wunderte keinen mehr. »Unter keinen Umständen den Raumhelm öffnen!« ordnete Dhark an. Die Männer nickten. Sie hatten nicht vergessen, wie die Leiche ihres Kameraden aufgelöst worden war. Noch nie hatte ein Mensch ein Begräbnis dieser Art erhalten. Der Gang, den sie benutzten, hatte das gleiche Aussehen wie der Liftschacht und das gleiche Beleuchtungssystem. Er war nicht besonders lang. Ein dunkles Schott stoppte die Männer. Sie beachteten es kaum. Rechts an der Wand, einen halben Meter vor dem Schott in Augenhöhe, leuchteten drei Zahlensymbole der Mysterious! Plus! Minus! Neutral! »Also doch!« stieß Ren Dhark aus. Seine braunen Augen blitzten. Wir sind in einer Stadt der Mysterious! Endlich haben wir eine Spur gefunden, auf der man weitergehen kann. Die uns vielleicht schon hinter diesem Schott zeigt, wie ein Mysterious aussieht. Er lachte Doorn an, und dieser grinste breit. »Soll ich?« fragte er und legte seine durch den hauchdünnen Raumanzug geschützte Daumenkuppe auf das Plussymbol. Dhark nickte. Er mußte an ihre Flucht vor Roccos Verfolgern denken - damals, auf Hope, im Höhlensystem von Deluge. Dort, lange vor Entdeckung der gigantischen Maschinenanlagen, waren sie erstmals mit den Symbolen der Mysterious konfrontiert worden. Dort hatten sie auch zum erstenmal Bekanntschaft mit einer Trennwand gemacht, die aus Energie bestand. Die Außenmikrophone der Raumanzüge übermittelten das Summen, mit dem sich das Schott zur Seite bewegte. Blaues Licht schlug ihnen entgegen! Wie im Industriedom! »Achtung, Strahlkontrolle!« warnte Doorn über Funk und deutete auf sein Ortungsgerät. Die Kontrolle kam aus dem großen Maschinensaal, in dessen Eingang sie standen.
Unitallverkleidete niedrige, aber langgestreckte Aggregate! Klein im Verhältnis zu den Mammuts im Industriedom. »Tast-Strahl wandert nach links!« meldete Doorn nach ein paar Sekunden, in denen kein Mann gewagt hatte, sich zu bewegen. Und dann kam die Abschlußmeldung: »Kontrolle beendet. Aber was das für ein Tast-Strahl war, mag der Himmel wissen.« Vier Maschinenstraßen, keine länger als fünfzig Meter, lagen vor ihnen. In sieben oder acht Metern Höhe befand sich die leicht gewölbte Decke, die blaues Licht emittierte. Diese Anlage hatte keine Ähnlichkeit mit denen auf Deluge oder in der POINT OF. »Lassen Sie mal sehen«, forderte Dhark den Sibirier auf und ließ sich das Ortungsgerät reichen. In diesem Saal liefen Konverter mit höchster Leistung. Doch die stärkste Energiequelle lag am anderen Ende. Aufmerksam und angespannt durchschritten sie die Maschinenstraße. Die Aggregate sahen in ihrer fugenlosen Verkleidung fast alle gleich aus. Nirgendwo ergaben sich Ähnlichkeiten mit Einrichtungen in den Höhlen von Deluge. Obwohl ihnen das blaue Schimmern des Unitalls vertraut war, bewegten sie sich in einer vollkommen fremden Umgebung. Ren Dhark war enttäuscht. Er hatte etwas anderes erwartet: Hinweise auf die Mysterious. Aber waren die in einem Maschinenzentrum zu finden? Sie erreichten die andere Seite - aber nicht das Ende des Saals. Vor ihnen fiel der Boden senkrecht in die Tiefe. Über zwanzig Meter. Und gut dreißig Meter war die Wand entfernt... »Sessel!« stieß ein Offizier überrascht aus. »Sessel und eine Bildkugel. Wie in der POINT OF!« Die Sessel waren leer. Alle fünf. Im Halbkreis waren sie um die gut zehn Meter durchmessende Bildkugel aufgestellt. Rechts und links neben der Bildkugel gab es meterlange Instrumentenwände! »Wie kommen wir nach unten?« fragte Ren Dhark leicht deprimiert; er suchte nach einer Treppe. Schulter an Schulter mit seinen Männern lag er auf dem Boden, und sie alle streckten den Kopf so weit vor, wie es die Sicherheit erlaubte. Jeder wollte mit einem Blick so viel wie möglich von dem technischen Wunder in der Tiefe sehen. Doorn hockte sich hin, legte das Ortungsgerät in seinen Schoß und aktivierte die Feinmessung. »Hm«, brummte er, »wenn Grappas Angaben stimmen, befinden wir uns an der Stelle, wo das Intervallfeld erzeugt wird.« Seine Angaben wurden von der Wiedergabe in der Bildkugel unterstrichen. Sie zeigte die Ruinenstadt in ihrer gesamten Ausdehnung. Sie zeigte aber auch das Intervallfeld, das alles umschloß. Jetzt richtete sich auch Dhark auf. »Doorn, wir beide müssen nach unten. Die anderen bleiben hier. Wer übernimmt das Ortungsgerät?« Ein junger Leutnant meldete sich. Der Commander und der Sibirier gingen nach rechts. Sie wechselten kein Wort. Plötzlich lachte Doorn verärgert auf. »Dhark, erinnern Sie sich, wie wir im Industriedom einmal verzweifelt nach einem Ausgang suchten, weil manche von uns schon vor Durst durchdrehten?« »Daran habe ich die ganze Zeit gedacht. Und daß wir immer noch in alten Maßstäben denken. Wir haben eine Treppe gesucht, die nach unten führt - wir sollten lieber nach einem A-Grav-Lift Ausschau...«
Der Boden unter ihren Füßen existierte nicht mehr. Ein dunkles Loch hatte sich im Unitallboden aufgetan, und sie schwebten mit gleichbleibender Geschwindigkeit nach unten. Drei Meter von der Kante entfernt befand sich der Lift, der sie zum Ziel ihrer Wünsche brachte. Sie sahen sich nur an und schüttelten den Kopf. Die Mysterious mit ihrer Technik überraschten sie immer wieder. Als sie auf die Sesselreihe zugingen, winkte Dhark ihren oben zurückgebliebenen Begleitern kurz zu. Er nahm im mittleren Sessel Platz; Doorn setzte sich rechts neben ihn. Vor ihnen schwebte die grandiose Bildkugel; dagegen wirkte die Ausgabe in der Zentrale der POINT OF wie ein Spielzeug. Dhark und Doorn sahen von ihren Sesseln aus die Wiedergabe der Bildkugel nicht besser als ihre Männer, die oben an der Kante lagen und zu ihnen herabblickten. Noch kein Experte hatte dieses Phänomen, von allen Standpunkten aus genausogut zu sehen, erklären können. Sie blickten auf die Stadt; sie erkannten die undeutliche Begrenzung durch das Intervallfeld, unter dessen Schutz alles lag. Dhark schaute nach rechts zu den Instrumenten hinüber und richtete sich vor Überraschung unwillkürlich auf. Ein Teil der Zahlensymbole war ihm fremd! Hatten sie es hier mit Zeichen einer Hypermathematik zu tun, über die ihnen die Mentcaps im Archiv der Ringraumerhöhle keine Auskunft gegeben hatten? In diesem Moment fragte Doorn in seiner brummigen Art: »Ich möchte gern wissen, was die Anlage in dieser Zentrale hier soll?« Er wollte sich schon erheben, als der Commander ihn festhielt. Er hatte das Transmitterzeichen entdeckt! Zwei Blips, die im Winkel von neunzig Grad zueinander standen. Als er sie Doorn zeigte, machte der ein Gesicht wie ein Kind, das zum erstenmal Licht erkennt und eine zuckende Flamme bewundert. »Nein«, stieß er irritiert aus. »Nein, das ist kein Transmitterzeichen, Dhark. Das ist was anderes. Ich trau' dem Ding nicht! Nur weiß ich nicht, warum es mir so unheimlich ist. Sehen Sie denn nicht, daß die waagerechte Amplitude kaum angedeutet ist?« Das Zeichen leuchtete gelb. Bei der Groß-Transmitteranlage in der Maschinenhöhle von Deluge strahlte es an der Instrumentenwand in sanftem Blau. Was hatte Gelb als Signalfarbe zu bedeuten? Beide Männer hatten sich erhoben. Langsam gingen sie an der Instrumentenwand entlang. Vieles war ihnen vertraut, aber noch mehr ein Buch mit sieben Siegeln. »Unheimlich!« gab der Sibirier zu. »Ich würde mich nicht trauen, hier etwas zu schalten.« Spöttisch musterte Ren Dhark seinen Begleiter. Von dieser zurückhaltenden Seite kannte er ihn gar nicht. Aber die Worte gaben ihm zu denken. Doorns Einfühlungsvermögen in fremde Technik war zwar nicht zu begreifen, aber schon oft bewiesen worden. »Vielleicht bringt uns auf der anderen Seite etwas weiter, Doorn.« Sie kontrollierten den zweiten Teil der langen Instrumentenwand mit ihren vielen Steuerschaltern. »Durften wir denn etwas anderes erwarten?« fragte Doorn, als sie ziemlich hilflos ihren Kontrollgang beendeten. »Wir haben doch bis heute keine Ahnung, wie unsere POINT OF ihre Intervalle erstellt. Und hier wollen wir mit dem kleinen Finger der linken Hand das Rätsel lösen oder das Intervall über der Ruinenstadt manipulieren?« Dhark schüttelte ungehalten den Kopf. Seine Gedanken bewegten sich in eine andere Richtung. Es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, blindlings hier zu schalten,
aber diese Zentrale mit ihren fünf Sesseln, der überdimensionalen Bildkugel und den vielen Steuerschaltern mußte doch einen speziellen Zweck haben. »Doorn, versuchen Sie, ob wir jetzt nicht wieder Verbindung mit der POINT OF bekommen.« »Und wenn das von unseren Freunden hier geortet wird?« warnte der Sibirier. »Wir müssen das Risiko eingehen. Ich glaube, daß unsere Raumanzüge ein hundertprozentiger Schutz sind. Bitte!« Er achtete nicht weiter auf Doorns Bemühungen. Ihn faszinierte ein zwei Meter breiter Teil der Instrumentenwand. Er war ihm mit all seinen Instrumenten und Steuerschaltern vertraut, obwohl es diese Anlage weder auf der POINT OF noch im Höhlensystem von Deluge gab. Sollte ihm das Wissen, das er jetzt nicht wachbekam, seinerzeit von einer Mentcap übermittelt worden sein? Wieder kontrollierte sein suchender Blick die Geräte, als er entdeckte, daß mehr als die Hälfte andere Werte anzeigte. Gleichzeitig flammten Kontrollen in verschiedenen Farben auf, erloschen wieder, um an anderer Stelle aufzuleuchten. »Doorn, sehen Sie nach, was die Bildkugel zeigt!« rief er seinem Begleiter zu. Doorn, von Dharks erregt klingender Stimme aufgeschreckt, wirbelte herum - und dann öffnete sich sein Mund, aber er bekam keinen Laut über die Lippen. Er sah die POINT OF! Eine schwankende POINT OF! Und dann sah er die POINT OF zur Landung ansetzen! Und nur diese letzte Phase erlebte der endlich von Doorn alarmierte Commander mit.
20. In Alamo Gordo und Cent Field machte man sich kaum Sorgen, daß die Funkverbindung zur POINT OF abgerissen war. Die physikalischen Verhältnisse im Bereich der Milchstraße waren derart gestört, daß selbst im Sol-System To-Funk nur noch unter Schwierigkeiten möglich war. Aus diesem Grund wurde das Schweigen des Flaggschiffs als etwas Normales angesehen. Im Stab der TF hatte man alle Hände voll zu tun. 3782 Ringraumer zur Erde zu bringen und sie auf den verschiedenen Raumhäfen zu landen, war eine Arbeit, die ein Höchstmaß an Koordination verlangte. Cent Field erwies sich schlagartig als zu klein. Der Raumhafen mußte vergrößert werden. Aus diesem Grund nahm Marschall Bulton Verbindung mit Henner Trawisheim auf. »Bulton«, wich dieser aus, »wir haben im Augenblick andere Sorgen. Ihnen sind die vertraulichen Berichte des astrophysikalischen Gremiums doch ebenfalls bekannt. Wenn die Störungen des galaktischen Magnetfelds weiterhin unvermindert anhalten...« Davon wollte Bulton nichts hören. »Ich weiß, wir sind in Gefahr, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Cent Field zu klein sein wird, wenn wir alle Ringraumer unten haben. Sagen Sie mal, wie stellen Sie sich das eigentlich vor - alle Ringraumer in einem Einsatz klar für die TF zu machen?« Henner Trawisheim, der einzige Cyborg auf geistiger Basis, hatte sich mit diesem Problem bereits befaßt. Die technischen Schwierigkeiten, alle Beuteschiffe für die Anforderungen der TF umzubauen, waren allein schon deshalb fast unüberwindlich, weil es immer noch keine Methode gab, Unitall zu bearbeiten. Unitall besaß eine hochkomprimierte Molekularstruktur und war ein Kunstprodukt der Mysterious. Mit 143 750° Celsius lag sein Schmelzpunkt ungewöhnlich hoch. Eine Hypothese behauptete, daß es nur innerhalb eines Intervallfelds verarbeitet werden könnte - nur war Terra bisher nicht in der Lage, ein Intervall zu erstellen. Trawisheim unterstrich Bultons Hinweise durch sein Nicken.
»Echri Ezbal hat uns einen Weg gewiesen...« »Ezbal?« unterbrach ihn Bulton spöttisch. »Soweit ich unterrichtet bin, baut Ezbal im Brana-Tal Cyborgs. Seit wann beschäftigt er sich mit Metallurgie?« Trawisheim ließ sich auch vom cholerischen Marschall Bulton nicht aus der Ruhe bringen. »Sein Interesse an Raumschiffen ist nicht besonders groß, um so größer sein Wissen über Adhesive.« »Über Kleber? Klebstoffe?« Bultons Lachen klang verärgert. »Bulton, vielleicht erzähle ich Ihnen etwas Neues. Seit gut hundert Jahren werden in der terranischen Industrie Kleber aller Arten benutzt. Und im Fall der Ringraumer können wir nur mit Adhesiven arbeiten, wenn wir Installationen vornehmen wollen, die unbedingt erforderlich sind. Als die Experten mit ihren Überlegungen so weit gekommen waren, zeigte sich die nächste Schwierigkeit. Es gibt noch keinen Kleber, der dem Anforderungsprofil der Ingenieure entspricht.« »Aber auf der POINT OF hat man doch schon...« »Moment«, unterbrach ihn Trawisheim. »Ja, man hat! Aber als in der POINT OF zusätzlich Installationen vorgenommen wurden, liefen diese Anlagen nie Gefahr, besonders hoch belastet zu werden. Bitte, stellen Sie sich einen großen Suprasensor vor, der angeklebt in der Zentrale eines Ringraumers steht, und dieses Schiff muß eine Notlandung bei Ausfall aller Andruckabsorber durchführen. Was glauben Sie, was passiert? Die Männer werden von dem Suprasensor, der bei der Notlandung durch die Gegend fliegt, zerquetscht.« Erst jetzt stellte Bulton überrascht fest, wie geschickt ihn Trawisheim auf ein anderes Thema gelockt hatte. Er hatte ihn angerufen, um eine Vergrößerung des Raumhafens von Cent Field durchzudrücken, und Trawisheim sprach mit ihm über Kleber. Darum ging er in seiner Antwort nicht auf die Frage ein. »Trawisheim, in dieser Stunde wird der achthundertste Ringraumer gelandet. Über zweitausendneunhundert sind noch oben, und schon stöhnt jede Raumhafenverwaltung, nicht zu wissen, wohin mit dem überreichlichen Segen, der noch zu erwarten ist. Und ich weiß auch nicht, wo wir die Schiffe landen sollen. Vielleicht im Otero Basin? Trawisheim, Sie haben die Vollmachten, eine Entscheidung zu treffen. Die TF hat die Maschinenparks, um binnen zwei Wochen den Raumhafen auf die doppelte Größe bringen zu können. Geben Sie grünes Licht, und ich...« »Ich werde darüber nachdenken«, wurde er von Ren Dharks Stellvertreter unterbrochen. »Eine Frage noch, Marschall«, fuhr Trawisheim nach einer kurzen Pause fort. »Gibt es immer noch keine Nachricht von Captain Bradock und der FO23?« Bultons Gesicht verdüsterte sich. »Nein, und ich habe auch keine Hoffnung mehr, daß wir das Schiff noch einmal wiedersehen. Das ist aber meine persönliche Meinung. Nach wie vor wird die FO-23 in der Liste der vermißten Schiffe geführt. Aber jetzt muß ich mich wieder um die Ringraumer-Flotte kümmern. Ich rufe Sie später noch einmal an.« Und mit diesen Worten unterbrach er die Verbindung. Nachdenklich sagte Dan Riker: »Wir sind von der Gedankensteuerung regelrecht überfahren worden. Ob zu unseren Gunsten oder zu unserem Nachteil, bleibt offen. Der Flash ist nicht in der Lage, das Intervall über der Ruinenstadt zu durchfliegen. Der Funkkontakt zum Commander ist abgerissen. Frage: Was tun wir jetzt?« »Nicht zu vergessen der strahlende Fleck in der Wüste, der seine Pulsationszeit verändert hat«, erklärte Grappa. »Und die Störsender, die den gerichteten Hyperimpuls nach Il/a zerhacken. Ein Verfahren, das wir nicht beherrschen«, warf Glenn Morris ein.
»Doch!« widersprach Dan Riker. »Wir können das auch. Neben Schleuse eins, in einer verschlossenen Kabine, steht ein Störsender. Doorn kann wie kein zweiter mit dem Ding umgehen. Ob die Mysterious seinerzeit vergessen haben, ihn in der FunkZ einzubauen - die Mentcaps haben darüber nie Auskunft gegeben. Und soweit man die Verschachtelung der POINT OF kennt, steht dieser Störsender mit keinem anderen Gerät im Schiff in Verbindung. Er hat seine eigene Energieversorgung.« Etwas irritiert blickte Riker dem Ortungsspezialisten hinterher, der aufgestanden war, um wieder einmal seine Geräte zu kontrollieren. »Grappa, Sie sind wirklich mit dem Tastergerät verheiratet!« bemerkte er spöttisch, um dann aufzumerken. Grappa nahm hinter den Ortungen Platz. Der Offizier, der ihn seit zwei Stunden abgelöst hatte, mußte zur Seite rutschen. »Riker, dieser Planet wird immer aktiver. In ihm tut sich einiges! Wollen Sie sich das einmal ansehen?!« Alle sahen es sich an. Grappa brauchte ihnen nichts zu erklären. »Was ist nur unter dieser Wüste los?« murmelte Dan Riker. »Und in der Stadt. Genauer: unter der Stadt!« Grappa deutete auf den EnergieOszillo. Der registrierte zwei starke Energiequellen. Eine mitten in der Wüste, in mehr als 3000 Metern Tiefe, in der Nähe des pulsierenden Punktes; die zweite überlagerte jene Stelle, die er als den Erstellungsort des Intervalls ausgemacht hatte, unter dessen Schutz die Stadt lag. Die Massenortung zeigte viele mehrfarbige Punkte. Relativ kleine Gewichtseinheiten. Keine einzige über 1000 Tonnen schwer. Sie befanden sich ebenfalls in mehr als 3000 Meter Tiefe,. »Sie könnten Kurs auf uns haben«, sagte Glenn Morris arglos. Riker befragte den Checkmaster. Verblüfft vernahmen die Männer die Antwort des Bordgehirns. Mit 89,57 Prozent Wahrscheinlichkeit ist mit einem Angriff auf die POINT OF zu rechnen! Wann? wollte Riker wissen. Angriff erfolgt mit 92,01 Prozent Wahrscheinlichkeit in 2:30 Stunden Norm-Zeit, falls sich die erste Angabe als richtig erweist. »Wunderbar!« stöhnte Riker und warf der Leuchtscheibe der Massenortung einen abfälligen Blick zu. »Auf der einen Seite ein bevorstehender Angriff auf die POINT OF, auf der anderen keine Spur von Dhark und seinen Männern. Ich muß zugeben, daß mir dieser Planet allmählich unheimlich wird. Er scheint kein intelligentes Leben mehr zu tragen, aber dafür robotisch gesteuerte Anlagen, die mit einer uns unbegreiflichen Perfektion arbeiten.« »Kann man von den Mysterious etwas anderes erwarten?« machte Glenn Morris seine zweite arglose Bemerkung. Verblüfft lehnte sich Riker zurück. »Mann«, stieß er aus, »jetzt haben Sie mich aber mißtrauisch gemacht! Wenn sich das als Tatsache herausstellen sollte, dann haben wir noch allerlei von den robotischen Einrichtungen zu erwarten.« »Was denn?« fragte Grappa. Sie verstanden seine Bemerkung nicht. Dan Riker traute seiner Gedankenkombination selbst nicht recht. »Wir haben das Gros der Ringraumer-Flotte bis in diesen Teil der Galaxis verfolgt robotisch geflogene Schiffe, wenn nicht doch auf einigen Kähnen Mysterious gesteckt haben. Angenommen, diese Flotte hat die Verfolgung durch die POINT OF bemerkt. Was würden wir an ihrer Stelle tun, um den Verfolger abzulenken? Na?« Sie verstanden ihn immer noch nicht.
»Wir würden einen Köder auslegen. Und uns hat man einen Köder ausgelegt. Ohne klar erkennbaren Grund sind auf diesem Planeten hundert oder zweihundert Ringraumer gelandet und nach kurzem Aufenthalt wieder gestartet. Wir haben das festgestellt. Wir stehen mit unserem Schiff über einem unbekannten Sauerstoffplaneten. Wir entdecken diese Ruinenstadt - und wir haben den Köder geschluckt, sind hiergeblieben und sitzen nun fest, weil ein Intervall uns von der Gruppe des Commanders trennt. Wir haben viele Stunden vertrödelt. Die Zerfallszeit der Energiefahnen im Raum hilft dem verschwundenen Flottenverband, seine Spuren zu verwischen, und um uns noch länger hier festzunageln, wird auch noch ein Angriff auf unser Schiff gestartet!« Er konnte es seinen Männern nicht übelnehmen, daß sie mit seiner Hypothese nicht einverstanden waren. »Roboter«, sagte Glenn Morris, »und die sollen diese Raffinesse besitzen, Riker? Ziemlich unglaubwürdig.« »So?« Riker deutete angriffslustig auf den Checkmaster. »Was ist das denn für ein Ding? Irgendwie auch eine Art Roboter, oder? Wir trauen ihm fast alles zu, aber anderen Konstruktionen der Mysterious gar nichts. Das ist ein Widerspruch in sich. Oh... beinahe hätte ich es vergessen! Waren die Giants nicht auch Roboter? Wir aber hielten sie für eine humanoide Rasse. Meine Herren, wir müssen endgültig begreifen, daß Maschinen intelligent sein können. Dabei spielt es keine Rolle, ob so ein Roboter die Form unseres Ringraumers hat.« Glenn Morris strich über sein Kinn. »Ein Ringraumer könnte ein Roboter sein?« Die Frage blieb unbeantwortet. Aus der Bordverständigung tönte es: »Wir haben gerade Verbindung mit dem Commander gehabt, aber nach den ersten Worten ist sie schon wieder abgerissen.« »Was hat er gesagt?« wollte Dan Riker wissen. Die Erleichterung darüber, daß sein Freund noch lebte, war ihm deutlich anzumerken. Walt Bruggs Auskunft enttäuschte alle. »Der Commander konnte nur drei Worte sagen: Wir sind in... dann war schon wieder Schluß!« »Was hat Ren nur sagen wollen?« murmelte Riker. »Brugg, spielen Sie uns den gesamten Vorgang in die Zentrale.« Es knackte, dann flammte die Projektion auf. Ren Dharks gelassenes Gesicht war zu sehen. Er bewegte die Lippen und sagte: Wir sind in... Dann zerflatterte das Bild, und auf der Tonphase wurde es still. »Brugg, haben Sie schon versucht, herauszufinden, durch welche Störung die Sendung unterbrochen wurde?« »Resultat kommt gerade.« Gesteuerter Eingriff, meldete der Checkmaster, und dahinter standen Koordinaten. »Das ist doch nicht zu fassen!« sagte Tino Grappa verblüfft. »Das sind dieselben Koordinaten, die ich dem Commander durchgegeben habe. An dieser Stelle wird das Intervallfeld erzeugt!« »Warum sich da noch wundern?« knurrte Riker. »Er hat's mal wieder geschafft. Er kommt immer dahin, wo er hinkommen will.« »Hoffentlich trifft der Commander noch vor dem Angriff ein!« meinte Grappa. Riker trommelte mit den Fingern auf der Verkleidung des Ortungsgeräts herum. »Wie können wir rechtzeitig in Erfahrung bringen, was uns angreift?« »In die Wüste fliegen und über der Stelle, wo sich in dreitausend Meter Tiefe viel bewegt, mit Duststrahlen einen Schacht graben.« »Zu gewagt!« erklärte Riker auf Grappas Vorschlag. Seit er den Verdacht hatte, daß dieser Planet womöglich nur als Köder dienen sollte, wurde er ihm von Minute zu Minute unheimlicher.
»Möglich«, erwiderte Grappa, »aber was tun wir, wenn der Angriff auf die POINT OF läuft und der Commander gerade eine Chance gefunden hat, aus der Stadt herauszukommen? Verbauen wir ihm damit nicht den Rückweg?« »Ich muß es mir überlegen«, wich Riker der Entscheidung aus. Das aufgleitende Schott schreckte sie alle auf. Jens Lionel, der Bordastronom, trat ein. Er strahlte, und die Plastikmappe in seinen Händen trug er so behutsam, als ob sie zerbrechlich sei. »Riker, wir haben eine Sternkarte entziffern können!« »Großer Himmel!« brachte Riker hervor, als Lionel ihm die Folie reichte. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Das alles lag schon so weit zurück! In der Zwischenzeit war so viel passiert. Dhark und er hatten diese Sternkarten zusammen mit der stilisierten Darstellung einer Spiralgalaxis auf Mirac in einem Flash gefunden. »Und welche Region unserer Milchstraße zeigte diese Karte?« Er fragte aus Höflichkeit; lieber hätte er von Lionel einen Hinweis gehört, wie der Commander mit seinen Männern aus der Stadt geholt werden konnte. »Sie zeigt den anderen Rand des Spiralarms Il/a, Riker. Aber diese Sternkarte ist aus einer Perspektive heraus angelegt worden, die alles verschleiern sollte. Erst mit Hilfe der Pry-Positionsformel der Mysteriousmathematik sind wir zu einem Resultat gekommen. Riker, Sie halten die entzifferte Karte in den Händen. Meine Kollegen und ich sind aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, als wir mit der Durchmusterung begannen. Schauen Sie sich das an...« Der Astronom war nicht mehr zu bremsen. Wenig interessiert hörte Dan Riker zu. »Diese Sonne gehört zum Typ S. Starker Lichtwechsel, auffallende Absorptionslinien des Zirkons. Elf Planeten. Nichts Weltbewegendes. Aber dann diese sechs inneren Planeten! Hier können Sie es erkennen. Es sind drei Zwillingspaare! Jedes Paar auf eigener Bahn. Doch jedes Paar umläuft sich in der gleichen Zeit wie die beiden anderen Paare. Und alle drei Paare umlaufen die S-Sonne in der gleichen Zeit!« »Das alles haben Sie aus der Sternkarte herausgelesen?« fragte Riker voller Zweifel. »Noch mehr!« trumpfte der Astronom auf. »Der Pulsationszyklus der S-Sonne beträgt 42,06 Stunden Norm-Zeit, die Rotationszeit der drei Zwillinge aber 21,03 Stunden. Das ist ungeheuerlich. Das ist niemals natürlich entstanden. Das ist das Produkt einer alles überragenden Technik!« Solche Superlative war Dan Riker von Jens Lionel überhaupt nicht gewohnt. »Riker, wir haben auf der chiffrierten Sternkarte auch die Farbzeichen entziffern können. Diese drei Zwillinge sind Sauerstoffplaneten. Ihr Abstand zur Sonne läßt vermuten, daß auf allen dreien ein für Menschen erträgliches Klima herrscht. Wenn...« »Stop, Lionel«, unterbrach Dan Riker den Redefluß des Experten, »Sie sind mir nicht böse, wenn ich mißtrauisch bleibe. Das alles wollen Sie mit Ihren Kollegen aus einer einzigen Sternkarte herausgelesen haben?« »Viele Zeichen haben wir noch nicht entziffern können, Riker. Unsere SensorMikroskope schaffen keine lesbare Vergrößerung.« »Schaffen keine...? Mein lieber Lionel, hören Sie...« Es klang ungläubig. An Bord der POINT OF befanden sich modernste Sensor-Mikroskope, mit denen selbst atomare Partikel sichtbar zu machen waren. »Nein, Riker, sie schaffen es nicht. Doch zum Schluß noch eine Überraschung. Sie wissen doch, daß die FO-23 vermißt wird?« »Und?« Grappa mischte sich ein. »Riker, die Geschwindigkeit der Einheiten in dreitausend Meter Tiefe hat sich um rund 25 Prozent erhöht. Nach wie vor zeigt die Stoßrichtung auf die POINT OF.« Riker wirkte plötzlich energiegeladen. »Okay. Dann hätten wir den Angriff in gut...
eineinhalb Stunden zu erwarten.« Er warf einen Blick auf Hen Falluta, den Ersten Offizier, der Sitzwache im Copilotensessel schob. »Ich bin in einer der beiden Waffensteuerungen.« Er sah Jens Lionel bedauernd an und gab ihm die Folie zurück. »Tut mir leid, mein Lieber, aber wie Sie sehen, habe ich jetzt wirklich keine Zeit mehr.« Das Schott der Zentrale schloß sich hinter ihm. »Was mag Riker in den Waffensteuerungen wollen?« fragte Glenn Morris, der unterwegs in seine Funk-Z war. Niemand in der Zentrale konnte ihm darauf eine Antwort geben. Arc Doorn blieb bei seiner Behauptung, in der großen Bildkugel die schwankende POINT OF gesehen zu haben. Ren Dhark mußte ihm glauben. Auf die Angaben des Sibiriers konnte man sich verlassen. Unwillkürlich betrachtete er wieder jene Instrumente, die vorher neue Werte angezeigt hatten. Jetzt rührten sie sich nicht mehr. Verwirrt schüttelte der Commander den Kopf. »Hat zwischen dem Schwanken der POINT OF und der Aktivität dieser Geräte ein Zusammenhang bestanden?« Doorn schien geistesabwesend. »Das alles ist schlimmer als eine komplizierte Schnitzeljagd. Auf einmal treffen wir überall auf Spuren der Mysterious, finden sogar ihre Wohnungen, aber von ihnen selbst nicht eine einzige Darstellung«, murmelte er vor sich hin. Sind sie doch die Grakos gewesen? schoß es Ren Dhark durch den Kopf. Nicht zum ersten Mal in diesen Tagen erinnerte er sich des Berichts, den Colonel Neep von Esmaladan mitgebracht hatte. Nach den Überlieferungen der Utaren hatten die Grakos vor tausend und mehr Jahren Ringraumer geflogen. Sie waren die Geißel der Galaxis gewesen, hatten Planeten entvölkert, intelligente Rassen entführt, sich aber niemals gezeigt! Wenn in diesem Bericht ein Körnchen Wahrheit steckte, dann drängte sich die Frage auf, warum sich die Grakos so verhalten hatten. Normalerweise zeigte sich der Überlegene doch stets dem Besiegten. Warum war das damals nie der Fall gewesen? Zu seiner Überraschung fragte Doorn: »Dhark, denken Sie jetzt vielleicht auch an diese komischen Grakos, die mir noch weniger sympathisch sind als die Mysterious mit ihrer unverständlichen Versteckspielerei?« »Ja, Arc. Ich habe an sie gedacht, aber alles Kopfzerbrechen führt zu nichts. Was ist das hier? Warum gibt es in einer vollautomatisch arbeitenden Zentrale diese Steuereinrichtung mit fünf Sesseln? Und was bedeutet dieses Transmitterzeichen mit der waagrechten Amplitude? Doorn, wir müssen irgend etwas tun, sonst treten wir bis zum Jüngsten Tag auf der Stelle. Haben Sie denn nirgendwo etwas entdeckt, das Ihnen vertraut vorkam?« »Das hier, Dhark. Diese sieben Instrumente mit den drei Steuerschaltern.« Sie waren dem Commander so fremd wie irgend etwas Unbekanntes, das er zum erstenmal sah. »Und was soll das sein?« »Das weiß ich nicht genau. Aber wenn ich etwas Zeit bekomme, steige ich schon noch dahinter.« »Haben wir noch Zeit? Doorn, warum hat die POINT OF den Startversuch unternommen, und warum ist sie schwankend wieder gelandet? Das muß doch etwas zu bedeuten haben.« Arc Doorn beantwortete die Fragen auf seine Art. »Ich versuche noch einmal, Funkkontakt mit dem Schiff zu bekommen. Vielleicht erfahren wir, was Riker zu dem Startversuch...« Er schwieg, weil der Commander ihm die Hand auf die Schulter legte. »Doorn, es gibt nur eine Erklärung. Riker hat uns aus der Stadt holen wollen, und dieser Versuch
ist fehlgeschlagen!« »Warum hat er dann nicht vorher einen Flash geschickt? Das wäre doch viel einfacher gewesen.« »Vielleicht hat er es getan. Und wenn der Flash das Intervallfeld nicht durchfliegen konnte? Doorn, warum ist der Funkkontakt zum Schiff abgerissen? Warum hören wir den starken To-Funksender der POINT OF nicht?« »Commander, wenn das stimmt, was Sie befürchten, dann sieht's nicht gut für uns aus. Aber irgendwie ist diese Geschichte doch verdreht. Erst schweben UnitallPanzer durch die Stadt, dann kommen andere von draußen herein. Dann werden die obersten Stockwerke der Hochhäuser in Fetzen geschossen. Und erst nachdem diese Zerstörungen erfolgt sind, setzt irgendeine Superautomatik die Pressorstrahlen ein, schleudert die feindlichen Panzer davon, und erstellt ein Intervallfeld. Commander, können Sie mir die Preisfrage beantworten, warum man nicht bei Ortung der fremden Panzer sofort das Intervall eingeschaltet hat? Warum mußten erst ein halbes Hundert Hochhäuser beschädigt werden? Das widerspricht doch jeder Logik - auch der robotischen.« Je länger der Sibirier gesprochen hatte, um so erregter war er geworden. Zum Schluß hatte er seine Worte mit weit ausholenden Gesten unterstrichen. Nachdenklich sah Ren Dhark seinen Begleiter an. Doorn hatte ihn auf einen Gedanken gebracht, der ihm gar nicht mehr so abwegig erschien, je länger er darüber nachdachte. »Doorn, technische Anlagen, die tausend Jahre - oder mehr - in Betrieb sind, unterliegen normalem Verschleiß, wenn man sie nicht ständig wartet. Nehmen wir an, all dies ist hier der Fall gewesen. Als die Bewohner ihre Stadt verließen, nahmen sie die Reparaturroboter mit, weil sie sie an anderer Stelle erneut einsetzen wollten. Hier aber trat im Laufe der Zeit der Verschleiß ein...« »Gut, Commander, und die fremden Panzer, die wir gesehen haben?« Dhark nickte. Auf diesen Einwand hatte er gewartet. »Die Mysterious sind vor ihrem Verschwinden bestimmt ein mächtiges Volk gewesen. Jeder Starke hat viele Feinde. Können die schlimmsten Feinde der Geheimnisvollen nicht die Grakos gewesen sein? Und können die Panzer, die in die Stadt einbrachen, um sie zu zerstören, nicht Panzer dieser Grakos gewesen sein? Leider reagiert die automatische Abwehr nicht mehr so exakt wie in früheren Zeiten. Ist das keine Erklärung?« »Nur bringt sie uns nicht wieder zum Schiff!« Ren Dhark reagierte nicht. Er sah über Doorns Schulter, weit hinüber zum anderen Ende der Schaltwand. Dort leuchtete auf der blauschimmernden Verkleidung das Transmitterzeichen: zwei Blips, die sich um neunzig Grad versetzt kreuzten. Die Amplituden wuchsen, und um sie herum zeichnete sich ein leuchtender Kreis in blassem Rot ab. Auch der Kreis wurde größer. »Was haben Sie?« fragte Doorn, als er den starren Blick des Commanders bemerkte. Er drehte sich um. Dharks Hand rutschte von seiner Schulter. Sie griff zum schweren Blaster. Instinktiv. Plötzlich wurde die Kreisfläche der Unitallverkleidung transparent, existierte einfach nicht mehr. »Keine Aktion, Männer«, flüsterte Dhark über Helmfunk. Die mannshohe Kreisfläche wirkte wie ein dunkles Loch. In diesem Loch entstand ein blasses Licht. Etwas schwebte heraus. Zwei Roboter, wie man sie von den erbeuteten Ringraumern und aus dem Transmitter-Raum im Industriedom kannte. Im gleichen Moment warfen sich Dhark und Doorn hinter die Sesselreihe, während
dort, wo sie gerade noch gestanden hatten, vier Strahlenbahnen durch die Luft zischten und weit hinter ihnen gegen die Unitallverkleidung schlugen. Dhark hatte eine der Metallkonstruktionen in der Zielerfassung seines Blasters. Er wußte selbst nicht, wie schnell er reagierte. Als der Abstrahlpol seiner Waffe die Energiebahn losjagte, drückte auch Arc Doorn den Kontakt. Der Schuß des Commanders war ein Volltreffer. Doorn hatte nicht so genau getroffen. Dhark unterstützte seinen Partner, als er seinen Gegner der Länge nach zu Boden stürzen sah. Wieder traf er genau ins Linsensystem. Wieder zerstörte sein Blasterstrahl das wichtige Schaltzentrum der Konstruktion. Während Doorns Energiebahn ein häßliches Loch in den Metallrumpf brannte, flog die abgeplattete Spitze in einem scharfen Knall und mehreren Energiefontänen auseinander. Ren Dhark richtete sich auf. Doorn folgte ihm. Wortlos nahm der Sibirier die Bemerkung des Commanders hin: »Wenn wir hier heil herauskommen, kommandiere ich Sie zu Zielübungen unter extremen Bedingungen ab!« Wieder schimmerte es in dem dunklen Loch. In einigen Metern Tiefe mußte sich dort eine Transmitter-Antenne befinden. Ren Dhark ging kein Risiko ein. Er schoß - und er traf ein drittes Mal. Besser als vorher. In der Röhre gab es eine donnernde Explosion, und eine grelle Stichflamme fuhr fauchend aus der Öffnung. Er ließ den Strahl stehen, bewegte den schweren Blaster kreisförmig. Er wartete auf ein Ereignis. Plötzlich brüllte und fauchte eine grellrote Stichflamme in den Maschinensaal. Der Luftdruck der Explosion riß Dhark und Doorn von den Beinen. Es grollte, als ob der Planet auseinanderbrechen wollte, und ein leichtes Zittern lief durch den Boden. Krampfhaft hielt Dhark die Augen geschlossen. Dennoch sah er durch die Augenlider Energieblitze aufleuchten. Noch einmal ging ein harter Schlag durch den Boden, dann ließ der Sturm der entfesselten Gewalten nach. Dhark richtete sich wieder auf. In der Röhre schmorte etwas. Rauch wälzte sich heraus, der an der Unitallwand hochstieg und von der versteckt angebrachten Entlüftung erfaßt und abgesaugt wurde. »Das hätte ins Auge gehen können«, stellte Dhark mit sarkastischem Unterton fest. »Ich möchte nur wissen, woran uns diese Roboter als Fremde erkannt haben.« »Mußten sie doch - schließlich haben wir kein drittes Auge auf dem Kopf wie die Mysterious.« Ein tiefes Brummen setzte ein, das schnell lauter wurde. An der Instrumentenwand flammten Kontrollen in strahlendem Blau. »Ich hab's! Großer Gott!« brüllte Arc Doorn plötzlich und schob Ren Dhark zur Seite. »Commander, das muß die Sendeanlage sein. Ich versuche, die Hauptfrequenz der POINT OF einzustellen. Verdammt, daß ich das übersehen konnte... Achtung, ich schalte ein!« Blauschimmernde Unitallverkleidung veränderte sich. Ein Bildschirm, der leicht im Grauton flackerte, wurde sichtbar. Der Commander sah das Gesicht von Walt Brugg in der Funk-Z der POINT OF. Arc Doorn hatte es tatsächlich wieder einmal geschafft. »Wir sind in der Stadt, und...« Dhark verstummte. Vor ihm gab es keinen Bildschirm mehr, nur noch die blauschimmernde Unitallverkleidung. »Blockiert!« fauchte der Sibirier »Da hat irgendwer dran gedreht. Aus! Alle Instrumente sind auf Null.« »Weg von hier!« entschied Dhark. »Hoffentlich schaffen wir es noch, ins Freie zu kommen, denn jetzt weiß man, daß Fremde in dieser Zentrale stecken, wenn die Roboter sich nicht schon vorher gefragt haben, was ihren Transmitter hier in die Luft gejagt hat. - Habt ihr mitgehört, Männer?«
Sie hatten mitgehört. Sie warteten nur noch darauf, daß der Commander und Doorn über den A-Grav-Lift zu ihnen hochkamen. Dhark hetzte zwischen Instrumentenwand und Sesselreihe entlang. Abrupt stoppte er seinen Lauf. Eines der Instrumente hatte er erkannt. Er stand vor einem Gerät, das die Belastungswerte eines Intervallfelds anzeigte! Doch dieses Intervall war ungewöhnlich klein. Sein Durchmesser betrug nur ein paar hundert Meter! Hatten die Roboter diesen Wolkenkratzer abgesichert, in dessen Keller sie sich aufhielten? Dhark rief Doorn zurück, der den A-Grav-Lift fast schon erreicht hatte. »Arc, haben Sie eine Ahnung, wo der Steuerschalter dafür ist?« »Nein!« Auf dem linken Teil der Instrumentenwand wurden Kontrollen lebendig, leuchteten auf und erloschen, leuchteten erneut auf... Die Zentrale erwachte zum Leben! Wie mit dem Boden verwachsen stand Ren Dhark vor den Instrumenten. Neben ihm, ohne die geringste Unruhe zu zeigen, Arc Doorn. Sie wußten, daß Sekunden ihr Schicksal entscheiden konnten, aber sie wußten auch, daß sie es in der Hand hatten, ihr Leben zu retten, wenn sie den richtigen Steuerschalter fanden und ihn in die richtige Stellung brachten. Hunderte Steuerschalter. Noch mehr Instrumente. Der größte Teil war ihnen fremd. Ein Teil der Zeichen auch. »Hier ist es noch schlimmer als damals in der POINT OF!« Dhark nickte. Damals, als sie den Ringraumer im Höhlensystem entdeckt hatten, war es jedem schwergefallen, sich vorzustellen, daß man dieses Schiff einmal sicher durch die Galaxis fliegen würde. Aber damals waren sie nicht unmittelbar bedroht gewesen. Hier hingegen wurde ihre Vernichtung vorbereitet. Zumindest konnte das Aufleuchten und Verlöschen der Kontrollen so gedeutet werden. Die Ruinenstadt hatte sie als Eindringlinge identifiziert! »Commander, wir werden beobachtet!« rief der Mann, der Doorns tragbares Ortungsgerät übernommen hatte, über Helmfunk. »Infrarotstrahlen tasten uns ab!« Das war noch harmlos. Solange sie nicht unter Strahlbeschuß genommen wurden... Dhark vergaß die Meldung. Er suchte nach Instrumenten, deren Bedeutung er kannte. Doch hier befand er sich nicht auf seiner POINT OF, sondern in der Zentrale einer Ruinenstadt, in der es außer Robotern nichts mehr gab. Oder doch? Dhark begriff nicht, wie er sich in dieser angespannten Lage Gedanken darüber machen konnte. Im gleichen Moment zerriß ein Schleier vor seinen Augen. Blitzschnell brachte er drei Steuerschalter in eine andere Lage. Neun Kontrollen leuchteten auf. Neunmal Grün! »Großer Himmel, was haben Sie geschaltet, Dhark?« fragte der Sibirier fassungslos. »Erst mal raus hier! Ich erzähl's Ihnen unterwegs! Hoffentlich geht das gut!« Sie rannten erneut zum A-Grav-Lift. Über Helmfunk rief Dhark seiner Gruppe zu: »Fertigmachen zum fluchtartigen Absetzen!« Sie erreichten den A-Grav. Viel zu langsam - so glaubten beide - trug die PlusSphäre sie nach oben. Dort wurden sie schon von den anderen erwartet. Vorbei an den niedrigen, unitallverkleideten Maschinen. Sie erreichten den Gang, der zum großen Schacht führte, der Verbindung zur Eingangshalle des teilzerstörten Gebäudes. Keine Energiemauer, die sie aufhielt? Keine goldgelb zuckenden Strahlen, die an Elmsfeuer erinnerten?
Der Schacht tauchte vor ihnen auf. Die Männer keuchten. Niemand sagte ein Wort. Ihr Blick war nur nach vorn gerichtet. Auch Ren Dhark drehte sich nicht um. Dann schwebten sie im A-Grav-Schacht nach oben. Eng zusammengedrängt, in jeder Hand einen Blaster. Jeder war bereit, sein Leben zu verteidigen. »Commander?« »Später, Doorn«, wehrte Ren Dhark ab. Er zitterte innerlich und hatte Angst, seine Begleiter könnten sein Zittern bemerken. Er versuchte sich auf das Wissen zu konzentrieren, das er seinerzeit durch Einnahme der Mentcaps erhalten hatte. Konzentriert stürzte er sich in die Hypermathematik der Mysterious, benutzte ihre Formeln, um noch einmal alles durchzurechnen. Es war so einfach, wenn man die Formeln beherrschte. Es war noch einfacher, die Hypermathematik zu benutzen, wenn man ihren logischen Aufbau kannte. Hoffentlich spricht mich jetzt niemand an, dachte Ren Dhark, während er im Kopf mit den Formeln jonglierte. Es mußte klappen. Wenigstens für ein paar Minuten. Aber würden sie es in der Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, bis zum kleinen Intervallfeld schaffen? Sie erreichten die große Empfangshalle des Hochhauses. Auch hier keine Roboter, die ihnen den Weg zu verlegen versuchten. Keine Strahlbahnen, die sie vernichten wollten. Alles sah so aus wie vorhin, als sie die große Halle zum erstenmal betreten hatten. »Schneller, Männer!« Er spurtete. Sein Ruf riß sie mit. Die Gruppe blieb dicht zusammen, jagte auf das große Portal zu. Draußen stand die weiße Sonne am Himmel. Tiefer als zuvor. Das brachte ihnen zum Bewußtsein, wie lange sie sich in der Zentrale im Keller aufgehalten hatten. Die Freitreppe hinunter! »Jetzt aufpassen!« keuchte Ren Dhark. Sein Blick suchte das kleine Intervallfeld. Existierte es womöglich gar nicht? War er ein Opfer seiner Einbildung geworden? Sie liefen nicht mehr, weil er nur noch tastend, mit weit ausgestreckten Händen vorwärts ging. Wie ein Blinder, der jedes Hindernis vor dem Zusammenstoß fühlen will. Ein hochenergetisches Intervallfeld war in seinem Grenzbereich wie eine undurchdringliche, unsichtbare Mauer, die eigenartigerweise so stabil war, daß damit wracke Raumschiffe aller Größenklassen abgeschleppt werden konnten. Plötzlich stieß Dhark gegen ein Hindernis, das niemand sah. »Stop!« Seine Stimme klang erregt. Kamen sie zu spät? War alles schon vorüber? Seine Männer starrten ihn an. Er verstand sie gut. Sie wußten nicht, welches Experiment er durchgefühlt hatte, und er konnte es höchstens einem von ihnen erklären - Arc Doorn. Alle anderen würden ihn niemals verstehen, denn keiner von ihnen beherrschte die Supermathematik der Mysterious. Er sah Doorns unterdrücktes Grinsen. Der Sibirier ahnte, was er getan hatte. Das Grinsen sollte ihm vergehen. Dicht vor ihnen flammte es auf. Es rauschte und heulte. Irisierende, leicht gekrümmte Flächen prasselten und knisterten, daß es ihnen allen unter die Haut ging. Dhark verfolgte mit brennendem Blick die turbulente Entwicklung. Unwillkürlich war auch er immer weiter vor der instabil gewordenen Zone zurückgewichen, bis ihm klar wurde, daß sie sich schon viel zu weit entfernt hatten. Gelang sein Experiment, blieben ihnen nur ein paar Sekunden. Sie mußten diese kurze Zeitspanne nutzen. Aber er hatte vergessen, sie darauf vorzubereiten. Hastig holte er es nach.
»...und wenn ich schreie: Los! dann rennt jeder, so schnell...« Er schrie: »Los!« Vor ihnen leuchtete eine gekrümmte Fläche plötzlich orangerot auf - und zerbarst wie eine Glasscheibe der alten Art in viele tausend Bruchstücke. Die Männer rannten! Um sie herum ein Getöse, als ob die Ruinenstadt zusammenfallen würde. Sie kannten nur eins: Laufen, laufen, laufen! Diese Stadt war ihnen allen unheimlich geworden. Sie begannen sich vor ihr zu fürchten. Und sie erhielten noch einmal Grund dazu. Wieder begann es hinter ihnen zu prasseln und zu knistern. Um sie herum leuchtete es auf, und für Sekunden wurde das Licht der weißen Sonne von einem anderen Feuerwerk übertrumpft. Grelle orangerote Farbspiele, die in einem krachenden Donnerschlag urplötzlich zu Ende waren. »Geschafft!« keuchte Ren Dhark, und sein Schritt wurde langsamer, bis er stehenblieb. Er streifte den Klarsichthelm zurück und atmete die frische Luft tief ein. Lachend sah er Arc Doorn an, der nachdenklich den Kopf wiegte. In Dharks braunen Augen war der Schalk zu sehen. Er wußte, daß er gleich mit seiner Bemerkung den Männern viel zumuten würde, aber ihnen konnte er nichts erklären. Er sagte nur: »Wenn man in einem Intervallbereich ein zweites, gleich großes aufbaut, brechen beide kurzfristig zusammen, um sich dann laut Tri-KonFormel der dritten Stufe erneut zu einem Intervall zu vereinigen.« »Dritte Stufe Tri-Kon?« Doorn schüttelte den Kopf. »Daran habe ich nicht gedacht. Aber sie hatten das zweite Intervall doch schon eingeschaltet, als wir uns noch in der Zentrale befanden...?!« Der Commander sah ihn mitleidig an. »Doorn, haben Sie denn die halbe MysteriousMathematik vergessen?« Der Sibirier klatschte sich die flache Hand an die Stirn. »Stimmt, unter bestimmten Voraussetzungen erfolgt der kurzfristige Zusammenbruch beider Intervalle erst nach etwa acht bis elf Minuten Norm-Zeit!« »Genau. Und diese unsichere Zeitspanne hat mir viel Kopfzerbrechen bereitet. Ich mußte alles auf eine Karte setzen. Entweder wir würden innerhalb dieser Zeit nach draußen kommen - oder wir hätten verloren.« »Leider haben wir noch nicht die ganze Partie gewonnen! Die Ruinenstadt liegt nach wie vor unter dem großen Intervall.« »Das bezweifle ich, Doorn. Wir werden mit der POINT OF sprechen können!« erklärte Dhark gelassen. Und die Funk-Z meldete sich! Glenn Morris schaltete zur WS-West durch, wo sich Dan Riker aufhielt. Der ließ Dhark nicht zu Wort kommen. »Auf die POINT OF wird ein Angriff vorbereitet. In dreitausend Meter Tiefe unter der Wüste nähern sich mit großer Geschwindigkeit einige tausend schwere Gewichtseinheiten dem Landeplatz. Mit dem Angriff haben wir in gut einer Stunde zu rechnen, wenn...« »Wir sind in einer halben Stunde im Schiff«, wurde er von Dhark unterbrochen. »Unter keinen Umständen darf uns ein Flash entgegengeschickt werden. Das könnte irgend etwas veranlassen, erneut ein Intervall um die Stadt zu legen...« Überrascht fragte Riker: »Das Intervall besteht nicht mehr?« »Wir hoffen es«, erwiderte Dhark und schaltete sein Vipho ab. Dreiundzwanzig Minuten später flogen die beiden Schwebeplatten in die Schleusen 1 und 2 ein. Eine Minute danach betrat Ren Dhark die Kommandozentrale.
21. »Nun?« fragte der Commander, der sich kaum die Zeit nahm, Dan Riker und die
übrigen Offiziere zu begrüßen, sondern sofort hinter Grappa trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. »Wie sieht's aus?« Alle Ortungssysteme arbeiteten. »In den letzten paar Minuten ist viel geschehen«, erwiderte Grappa beunruhigt. »Die Einheiten in der Tiefe der Wüste sind vor knapp zwanzig Minuten zum Stillstand gekommen. Dafür gibt es jetzt im gesamten Peripheriebereich der Ruinenstadt Kraftwerke oder Konverter der Kategorie 2 bis 3. Aber die Energie wird überall nur gespeichert. Ich kann mir noch keinen Reim darauf machen.« Dhark rief den zwei Offizieren auf der Galerie zu: »Schalten Sie die große Projektion ein und zeigen Sie den Stadtplan.« Augenblicke später stand ein Hologramm von drei mal drei Meter in der Zentrale. Der Plan der Ruinenstadt. Die breiten Straßenzüge waren als dünne Linien zu erkennen, die verschieden hohen Wolkenkratzer durch Farben gekennzeichnet. Grappa schaltete an seinem Pult; überall dort, wo die Energieortung Konverter festgestellt hatte, flammten auf dem Stadtplan rote Leuchtpunkte auf. Aufmerksam studierten Ren Dhark und die übrigen Männer in der Zentrale die Projektion. Zwei bis zweieinhalb Kilometer lagen die Konverter voneinander entfernt, aber nicht direkt am Stadtrand, sondern etwa vierhundert Meter tief in der Stadt. Das hellste Rot ging von der Stelle aus, an der sich das Hochhaus mit dem zerstörten Mittelteil befand. In seinen Kellern mußten alle verfügbaren Energieerzeuger mit maximaler Leistung laufen. Das Bild hatte etwas Beunruhigendes an sich. Dan Riker hielt mit seiner Meinung nicht zurück. »Ren, ich bin glücklich, wenn ich diesen Planeten ein paar tausend Lichtjahre hinter uns weiß.« »Ja«, gab Dhark zu, »auch mir ist dieser Planet unheimlich. Doch gerade das reizt mich, W-4 - wie Doorn und ich ihn mittlerweile getauft haben - zu erforschen. Wir werden uns morgen die Stadt noch einmal ansehen. Bis dahin bleibt die Alarmbereitschaft bestehen. Ich werde mich jetzt erst 'mal ausruhen. Irgendwelche Einwände, Dan?« Dan Riker hatte ein ganzes Bündel von Einwänden. Aber er spürte auch, daß er den Freund nicht von seinem einmal gefaßten Entschluß würde abbringen können. Deshalb meinte er nur: »Es hat wahrscheinlich wenig Sinn, dich noch einmal auf die Einheiten unter der Wüste hinzuweisen, die sich jederzeit wieder in Bewegung setzen können...« Dhark zuckte die Schultern. Seit er sich wieder an Bord der POINT OF befand, war er vollkommen ruhig geworden. Weder das, was unter der Wüste geschah, noch die Veränderungen auf dem Energiesektor in der Ruinenstadt beunruhigten ihn sonderlich. »Was kann der POINT OF im Schutze ihrer Intervallfelder schon geschehen?« fragte er und verließ dann die Zentrale, um seine Kabine aufzusuchen und zu schlafen. Kopfschüttelnd blickte Dan Riker ihm nach, bis das Trennschott wieder zufuhr. Manchmal war es schwer, Ren Dhark zu verstehen. Vor allem dann, wenn sie auf Spuren der Mysterious stießen. Wie von einer Sucht wurde Ren Dhark jedesmal von dem Ehrgeiz befallen, ihre Geheimnisse zu enträtseln. Doch was war bisher dabei herausgekommen? Aus einem Berg von ungelösten Rätseln war inzwischen ein kleines Gebirge geworden, und das Geheimnis, hinter dem sich die Geheimnisvollen verbargen, schien bis in alle Ewigkeiten ein Geheimnis zu bleiben. Riker verstand den Ehrgeiz - oder die Besessenheit? - seines Freundes, aber er konnte nicht verstehen, daß Ren, der sonst so vorsichtig war, immer wenn es um die Mysterious ging, bereit schien, jedes Risiko einzugehen. Dan Riker nickte den Offizieren zu und verließ dann ebenfalls die Zentrale, um sich in
seiner Kabine auszuruhen. Die Unitallwand wurde transparent. Es geschah lautlos. Dennoch drehte sich Ren Dhark in seinem Sessel um, weil ihn ein unerklärliches Gefühl dazu getrieben hatte. Er sah durch die Unitallwand. Niemand sagte es ihm, aber er wußte, daß er Abertausende Lichtjahre weit sah. Auf einen Planeten! Auf die Heimatwelt der Mysterious! Auf eine smaragdgrün schimmernde Weltenkugel. Unwillkürlich hielt der Commander den Atem an. Er bereitete sich auf jede Überraschung vor. Alles hatte er in seinen Spekulationen erwartet, aber niemals diese Demonstration eines unvorstellbaren technischen Könnens. Die Weltenkugel vor dem dunklen Hintergrund des Universums, in dessen samtener Schwärze Millionen Sonnen als stecknadelkleine Leuchtpunkte zu sehen waren, begann zu wachsen. Sie wurde immer deutlicher; nirgendwo war eine Wolkenbank, die die Sicht auf die Oberfläche versperrte. Drei große, zusammenhängende Kontinente, von Meeren umgeben. Grüne Erdteile mit einem leichten Blaustich. Die Kugel wuchs lautlos. Sie sprengte den Rahmen der transparenten Unitallfläche. Ein Erdteil schob sich hervor. Vier Fünftel seiner Masse lagen auf der Nordhalbkugel. Nur ein kleiner Teil ragte über die Äquatorlinie hinaus. Die Landmasse wuchs fast in Ren Dharks Kabine hinein. Mehr und mehr verschwand hinter dem nicht transparenten Teil der Unitallwand. Zum Schluß blieb eine in westlicher Richtung liegende Halbinsel übrig. Unwillkürlich richtete sich Dhark auf. Das Gefühl, jetzt die größte Überraschung zu erleben, beherrschte ihn völlig. Auch die Halbinsel verschwand. Er sah eine Stadt! Nein, keine Stadt. Es war ein schier unendlicher Park, in dem verstreut kleine halbkugelige Bauten lagen, die in allen möglichen Farben leuchteten. Mitten im herrlichsten Grün. Er sah nur Fußwege, keine einzige Straße. Er sah kein Fahrzeug, weder auf der Erde noch in der Luft. Und dann sah er die ersten Mysterious - einen Mann, eine Frau und drei Kinder. Dharks Blick wurde starr. Er glaubte, mit Eiswasser übergossen zu werden. Kalkweiß und flach waren die Gesichter der Geheimnisvollen. Ihre Nase kaum angedeutet, die Ohren verkümmert, das Kinn selbst bei den Kindern schon eine fette, weiche Fleischmasse, die wie Gallert bei der kleinsten Bewegung hin und her schwabbelte. »Großer Himmel, nein!« stöhnte Ren Dhark, dessen Blick Widerwillen und Ekel spiegelte. Ein Mund ohne Lippen. Augen ohne Wimpern und Augenbrauen. Augen, so wäßrig wie die Hautfarbe der Mysterious. Und auf den haarlosen Köpfen in einer leichten Mulde - das dritte Auge! Aber sie liebten Farben. Er konnte sich nicht erinnern, selbst auf einem närrischen Fest jemals Kleider in diesen schreienden Farben gesehen zu haben. Nun verstand er auch, warum die halbkugeligen Bungalows solch einen grellen Anstrich hatten. Ihre Kleidung lag eng wie Trikots am Körper an. Die Frau unterschied sich vom Mann nur durch einige wenige Haare. Die Kinder bewegten sich langsam wie Greise, denen das Gehen schwerfällt.
Der Mann berührte die Frau an der Schulter. Seine Hand war menschlich. Vier Finger und ein Daumen, aber die Finger besaßen keine Nägel. Dafür waren die Fingerkuppen schwarz gefärbt. Eine Modetorheit oder Natur? Dhark konnte es nicht feststellen. Die Mysterious waren nicht größer als Terraner. Das hatten ja schon die Raumanzüge verraten, die sie in einem Depot der Ringraumerhöhle gefunden hatten. Langsam gingen der Mann und die Frau auf das knallgelb gestrichene Kugelhaus zu, das keine Tür besaß. Sie gingen durch die Wand, als ob sie nicht vorhanden wäre. Nur die drei Kinder befanden sich noch draußen. Sollte das vielleicht Spielen sein, was sie taten? Einen Gegenstand zu Boden werfen, sich langsam herumdrehen, ihm den Rücken kehren und dann warten, wo die graue Kugel, die sich in den braunen Boden bohrte, vor ihnen wieder auftauchte? Und dieser stupide Ausdruck ihrer Gesichter! Nicht den Anflug eines Lächelns konnte Dhark entdecken. Jetzt tauchte die Kugel vor dem größten der drei Kinder auf. Es bückte sich, nahm sie an sich, bewegte den lippenlosen Mund, und die beiden anderen traten zu ihm, sahen zu, wie es die Kugel wieder fallen ließ, um dem verschwindenden Objekt erneut den Rücken zu kehren. Grauenhaft, dachte Ren Dhark, und seine Enttäuschung wuchs ins Unendliche. Er verglich sie mit terranischen Kindern - ihrem lauten Lachen, ihrem Herumtollen, wie sie manchmal weinend nach ihrer Mutter riefen oder mit dem Mut der Verzweiflung auf ihren Freund, mit dem sie gerade Streit bekommen hatten, eindroschen. Diese drei Mysterious-Kinder bewegten sich kaum, zeigten nicht die kleinste Gemütsbewegung. Sie unterhielten sich auch nicht. Nur ab und zu wurde eine kurze Bemerkung gemacht, die die anderen widerspruchslos hinnahmen. Erschreckend nichtmenschlich wirkten sie, wenn sie den Kopf senkten und ihr drittes Auge in der kleinen Mulde des Schädeldachs sichtbar wurde. Eigenartigerweise war diese flache Mulde von einem grellfarbigen, zentimeterbreiten Ring begrenzt. Ren Dhark mußte an das Gesicht des Alten denken, das er in der Kreisfläche des Transmitters gesehen hatte. Sein menschliches Aussehen und sein ausdrucksvolles Antlitz hatten alle fasziniert. Diese Gesichter aber stießen ihn ab. Da platzte das Bild lautlos auseinander. Aber in seiner Kabine war es nicht mehr ruhig. Eine Sirene brüllte. Sein Vipho gab Alarm. Ruckartig richtete sich Ren Dhark auf. Er saß nicht im Sessel. Er lag auf seinem Bett und hatte geträumt. Es hatte niemals eine transparente Unitallwand in seiner Kabine gegeben. Er drückte die Taste am Vipho. Auf dem Schirm erschien das Gesicht Hen Fallutas. »Cornmander... die Stadt... der Planet...« stammelte er. »Ich komme!« stieß Dhark aus, griff nach seinem Raumanzug und streifte ihn schnell, aber sicher über. Als er der Kommandozentrale zujagte, war er nicht der einzige Mann, der zu seiner Station lief. Ununterbrochen heulte der Alarm durch die POINT OF. Höchste Alarmstufe! Größte Gefahr! Aber welche? Der Kontrollstand unter der Rano-Kuppel war normal besetzt. An der halbkreisförmigen Instrumentenwand flammten ununterbrochen Kontrollen auf, die fast farbloses Licht abstrahlten. Fünf zylindrische Roboter, fest mit dem Boden verbunden, registrierten die Anzeigen der Instrumente. Der mittlere war fast doppelt so groß wie die anderen vier. Seine Linsenkonstruktion war auf eine ovale, von innen heraus leuchtende, gelblich getönte Scheibe gerichtet,
die ein sich rhythmisch bewegendes Gittermuster aufwies. Die Felder der vielen Drei, Vier-und Fünfecke waren mit den verschiedensten Farben ausgefüllt, die sich ständig veränderten. Unbeirrt kreisten drei Zwillingswelten auf verschiedenen Bahnen bei gleichen Umlaufzeiten um ihre Sonne. Sie nahmen keine Notiz davon, was in der Station unter der Rano-Kuppel geschah. Aber auf einem dieser Planeten, tief in seinem Innern, neben einem gewaltigen Hangar, in dem mehr als tausend Ringraumer lagen, die vor Tagen erst von einem langen Flug zurückgekommen waren, liefen gigantische Aggregate an. Überlichtschnelle Tasterstrahlen griffen nach einem viele Lichtjahre entfernten Sonnensystem, das zwischen zwei Spiralarmen im sternenarmen Raum lag. Die Sonne vom Typ B besaß vier Planeten. Der vierte war eine Sauerstoffwelt. Dieses System erschien auf der ovalen Scheibe unter der Rano-Kuppel. Im Moment seines Erscheinens veränderten sich die Wertangaben auf der halbkreisförmigen Instrumentenwand. Die Geräte zeigten kurz Null an und schlugen dann wieder aus. Alle fünf Roboter waren gleichzeitig auf die neue Aufgabe geschaltet worden. Drei wechselten ihre Programmierung aus. Order 563/hh! Irgendwo tief im Urgestein lief nach vielen Jahrhunderten wieder ein Hypersender an. Seine Programmierung war auch auf 563/hh umgeschaltet worden. In der gleichen Sekunde strahlte er die vorbereiteten Impulse ab. Das Bild auf der ovalen Scheibe unter der Rano-Kuppel zerriß. Der leistungsstärkste aller Hypersender auf den drei Zwillingswelten wurde aktiv. In der Station unter der Rano-Kuppel warteten fünf Roboter in seelenloser Geduld gemäß Order 563/hh auf neue Befehlsimpulse, die aus der Tiefe des Raumes kommen mußten. Sie trafen nie ein. Im großen Roboter schlossen sich nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne hundert Impulskreise. Die Instrumente auf der halbkreisförmigen Schaltwand schlugen wieder bis zu den Werten aus, die sie seit der Rückkehr der Flotte ununterbrochen angezeigt hatten. Auf der gelblich leuchtenden ovalen Scheibe erschien erneut das Gittermuster mit den farbigen Drei-, Vier- und Fünfecken. Das System, dessen Hauptmerkmal die drei Zwillingswelten waren, lag wieder im Schutz seiner robotischen Hüter. Ein anderes System war aus ihrem Schutz entlassen worden. Nach Order 563/hh hatten sie nur auf exakte Impulse aktiv zu werden. Diese Impulse waren nicht eingetroffen. Im Kontrollstand unter der Rano-Kuppel war wieder alles wie vorher. Ren Dhark preßte die Lippen zusammen. Sein Blick flog über die Instrumente. Neben ihm saß Dan Riker. Kein Laut war in der Kommandozentrale zu hören. Die Bildschirme zeigten die Ruinenstadt und einen Teil der Wüste. Stadt und Wüste waren unverändert. Doch es war ein trügerisches Bild. In der Stadt waren alle Konverter über eine Ringverbindung zusammengeschaltet worden. Und nicht nur in der Stadt allein. Überall auf dem Planeten waren mehr als zehntausend Konverter, hundertmal leistungsstärker als die in der Stadt, aktiviert worden! Wer benötigte diese unvorstellbar großen Energiemengen? Ren Dhark ahnte es. Er hatte nicht vergessen, daß W-4 einen planetaren Schutzschirm besaß, hinter dem diese Welt sich verstecken konnte. Sie hatten es beim Anflug erlebt. Hatte der Planet sie mit dieser Demonstration seiner Macht davor warnen wollen, auf ihm zu landen? Aber warum waren dann die Robot-Ringraumer auf W-4 gelandet, um sich nach
kurzem Aufenthalt wieder mit dem Gros der Flotte zu vereinigen? Hinter Dharks Stirn erwachte ein bohrender Schmerz. Er hatte die Amphis erlebt, die Synties, Giants und Nogk, die Rateken und Utaren, aber nur in der Quiet Zone der G'Loorn war ihm bisher eine ähnliche Ballung technischer Macht wie auf dieser Welt begegnet. Warum diese Demonstration? Über der Ruinenstadt stand ein wolkenloser grünlichblauer Himmel. Der frühe Morgen ließ die Luft über der Wüste flimmern. Die zerstörten oberen Bereiche der Wolkenkratzer wirkten wie eine stumme Drohung. So weit der Blick auch reichte - es gab kein einziges Hochhaus, dessen höchste Etagen nicht zerstört waren. Grappas Ruf schreckte sie auf. »Fremdortung! Großer Himmel, sie kommt aus dem Hyperraum!« Verzweiflung lag in Grappas Stimme, als er fortfuhr: »Ich kann die Richtung, aus der die Fremdortung kommt, nicht bestimmen. Diese Störungen des galaktischen Magnetfeldes machen mich noch verrückt!« Ein gemurmelter Fluch schloß seine Meldung ab. Ren Dhark sah, wie sich Dan Riker zu ihm herüberbeugte. »Ren, sollen wir nicht starten? Noch können wir es.« Dhark schüttelte den Kopf. »Jetzt noch nicht.« »Fremdortung unverändert stark. Unheimlich stark. So etwas habe ich noch nie erlebt.« Grappa war ganz aus dem Häuschen. »Ren, worauf wartest du denn noch?« fragte Riker ungeduldig. »Auf die anderen, die die Stadt mit ihren Panzern angegriffen haben. Und die nach dem abgeschlagenen Angriff unterirdisch Angriffskeile auf den Landeplatz der POINT OF vortrieben. Hier gibt es zwei sich erbittert bekämpfende Parteien. Wir zählen doch gar nicht!« »Phantasie hast du«, murmelte Dan Riker, keineswegs freundlich. »Aber hast du dir schon einmal vorgestellt, was mit uns passiert, wenn wir zwischen diese beiden Parteien geraten?« »Ich hoffe, daß wir uns rechtzeitig absetzen können...« Plötzlich drehte sich die Farbscheibe eines Instruments. Grün - grün - rot - blau! Bei Blau blieb sie stehen! Blau aus...? Dharks Gedanken rasten. »Grappa, das sind doch die Koordinaten des pulsierenden Flecks!« Sein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte ihn nicht im Stich gelassen. Der pulsierende Fleck in der Wüste war wieder da! Abermals hatte sich seine Pulsationszeit verändert. Zwischen den beiden Maxima lagen konstant 4,67 Sekunden! »Was hat das bloß zu bedeuten?« fragte Riker, dem dieser Planet immer unheimlicher wurde. Dhark hatte keine Zeit, ihm zu antworten. Er rief die beiden Waffensteuerungen. »Versuchen Sie mit einigen auf Nadel geschalteten Antennen den pulsierenden Fleck in die Zielerfassung zu bekommen. Für alle Fälle!« Ihm war warm geworden. Warum, konnte er nicht sagen. »Commander!« meldete sich Glenn Morris über die Bord Verständigung. »Das darf's gar nicht geben! Gerade hat irgendwo in der Milchstraße ein Hypersender mit einer Leistung gefunkt, daß uns hier in der Funk-Z fast die Empfänger um die Ohren geflogen sind!« Nur Captain Jon Bradock hätte ihnen verraten können, in welchem Teil der Galaxis es solche Mammut-Hypersender gab. Aber Captain Bradock und seine Besatzung lebten nicht mehr... Wieder waren die schweren Störungen aus dem galaktischen Magnetfeld schuld, daß die Funkortung der POINT OF den fernen Sender nicht lokalisieren konnte.
Dhark wollte gerade aufstehen, um sich auf Grappas Oszillos die verschiedenen Diagramme und Blips anzusehen, als dicht vor dem Landeplatz der POINT OF die Wüste aufbrach. Sie öffnete sich, wie Blenden sich öffnen. Tonnenweise wirbelten roter Staub und Sand durch die Morgenluft und vernebelten alles. Auf zwei Bildschirmen war nichts mehr zu erkennen. »Massenortung! Energieortung! Distanz...« Es verschlug Grappa die Sprache. »Commander, erbitten Feuerfreigabe!« brüllte es über die Bordverständigung aus der WS-Ost. »Das sind Panzer!« Wie wildgewordene Wespen tauchten die unheimlich massiv wirkenden Panzer aus der Sandwolke auf. Sie mußten sich unter einem absolut sicheren Ortungsschutz herangeschoben haben. Zu Hunderten! Und es wurden immer mehr. Die Wüste schien sie regelrecht auszuspucken. Ihr Ziel war eindeutig der Ringraumer. Und dann verschlug es auch Ren Dhark den Atem. In den halbzerfetzten höchsten Etage der Wolkenkratzer blitzte es auf. Strahlbahnen zischten durch die Luft. Manche turmdick, andere kaum zwanzig Zentimeter durchmessend. Doch diese energetischen Gewalten hatten nicht die heranjagenden Panzer zum Ziel - sie fuhren fauchend in die Öffnungen im Erdboden, aus denen die Kampfkolosse ausgeschwärmt waren. Ungeheure Hitzegrade verwandelten den rötlichen Sand in Gaswolken und breite Ströme aus geschmolzenem, verglastem Sand, die sich träge wie Lava in die immer größer werdenden Öffnungen ergossen. Die Panzer reagierten auf den konzentrierten Strahlangriff der Ruinenstadt nicht. Unbeirrt hielten sie ihren Kurs. Die Spitzen der vier Formationen, die sich die POINT OF als Ziel ausgesucht hatten, waren nicht einmal mehr fünf Kilometer entfernt. Dharks Lippen waren blutleer, so fest preßte er sie zusammen. Sein Blick lag auf dem Bildschirm, der ihm die Hauptmasse der Kampfwagen zeigte. Seine braunen Augen glühten, seine Kiefermuskeln zuckten. Er dachte noch nicht daran, Feuerfreigabe zu erteilen. Er vertraute auf die Intervallfelder des Ringraumers. »Commander!« Er sah es auch, aber nicht so deutlich wie Grappa auf seinem Ortungspult. »Dan, Schiff übernehmen!« Er sprang auf, hetzte zu seinem Ortungsspezialisten und nahm neben ihm Platz. W-4 wurde zur Hölle! Der pulsierende Fleck in der Wüste war um das Dreifache gewachsen. Seine Pulsationszeit war auf 1,02 Sekunden heruntergegangen. Er leuchtete in grellem Weißblau. Die über ganz W-4 verteilten Konverter flogen reihenweise in die Luft, vergingen in atomaren Explosionen, die auf Jahre hinaus die Atmosphäre dieses Sauerstoffplaneten vergiften würden. Auf dem Energie-Oszillo leuchteten immer mehr grelle Punkte auf. Der Angriff der Panzer gegen die POINT OF brach los! Strahlfeuer aus schweren Geschützen. Energiekaskaden, die am Intervallfeld abprallten und nach allen Seiten verspritzten. »Belastung minimal!« informierte Riker den Commander. Die astrophysikalische Abteilung schlug Alarm: »Commander, dieser pulsierende Fleck hat die Aufgabe, die Atmosphäre von W-4 mit radioaktiven Isotopen zu übersättigen! Wir kennen diese Isotope allerdings nicht! Aber in einer Stunde wird die gesamte Atmosphäre hochgradig radioaktiv verseucht sein!« Ren Dhark beugte sich vor und erteilte den beiden Waffensteuerungen den Befehl, den pulsierenden Fleck mit konzentriertem Nadelstrahlbeschuß zu vernichten! »Endlich!« stieß Bud Clifton in der WS-West aus und drückte den Hauptkontakt.
Sieben Antennen in der Unitallhaut der POINT OF emittierten blaßrosa Nadelstrahlen. Die überlichtschnellen Strahlen trafen ihr Ziel! Mitten hinein in den gleißenden, pulsierenden Punkt! Das Gleißen blieb, wenn auch der rötliche Sand in Energie umgewandelt wurde und Energiekaskaden in bizarren Leuchterscheinungen nach allen Seiten jagten! Die Quelle des Punktes lag nicht auf der Oberfläche! Sie lag in der Tiefe von W-4! »Großer Himmel, Feuer einstellen!« gab sich Bud Clifton selbst den Befehl und wischte sich verzweifelt über das Gesicht, als die Antennen der POINT OF keine Nadelstrahlen mehr emittierten. Gegen die Intervallfelder des Ringraumers prallten die Strahlbahnen der schweren Panzer des unbekannten Gegners. Von allen Seiten griffen sie an. Sie waren überall. Am Boden, in der Luft und über dem Flaggschiff der TF! Aus der Ruinenstadt fauchten noch immer Energiebahnen aus den Geschützen in den oberen Etagen der Hochhäuser heran. »Verdammt, warum nehmen sie nicht diese lästigen Wespen aufs Korn?« fragte Dan Riker wütend. Ren Dhark ließ sich von Rikers Wut nicht anstecken. Er rief die WS-West: »Clifton, es könnte trotz allem sein, daß sich intelligente Wesen in den Panzern befinden. Vergessen Sie das nicht, aber geben Sie den Burschen einen ordentlichen Denkzettel!« Jetzt schlug die POINT OF zum erstenmal zurück. Ein Panzer in dreihundert Metern Höhe zerfiel in mehrere Teile. Ein zweiter brach wie eine reife Nuß auseinander. Der dritte war auf diese Weise nicht mehr zu vernichten. Alle Panzer hatten sich mit hochenergetischen Schutzschirmen umgeben, an denen die Kampfstrahlen der POINT OF abprallten. »Roboter! Zwei Roboter stürzen heraus!« Mit drei Sätzen stand Ren Dhark hinter seinem Freund, betrachtete den vierten Bildschirm und sah aus dem geborstenen, abstürzenden Panzer zwei Roboter in hohem Bogen durch die Luft wirbeln und dann zu Boden rasen! »Das habe ich mir gedacht! Also doch eine Roboterwelt! Waffensteuerungen... Panzer vernichten! Aber unter keinen Umständen auf die Stadt feuern!« Um den Landeplatz der POINT OF tobte das Chaos. Alles vernichtende Energiebahnen ließen die Atmosphäre aufflammen - und mitten in diesem Tohuwabohu flogen die angreifenden Panzermonstren in grellen Stichflammen auseinander. Die Astrophysiker meldeten sich. »Commander, dieser pulsierende Fleck muß noch eine andere Eigenschaft haben, als die Atmosphäre von W-4 zu verseuchen. Wir haben soeben zwei schwache, aber deutliche Gravitationsstöße aus dem Zentrumsbereich des Planeten beobachtet!« Dan Riker klatschte eine Hand auf die Verkleidung des Instrumentenpultes. »Ren, warum starten wir nicht endlich? Siehst du denn nicht, daß dieser Planet die Hölle ist?« Hatte die unbekannte Macht auf W-4 seine Frage gehört? Sie schlug zu! Ein Schwerkraftstoß ungewöhnlicher Stärke erschütterte den Planeten. Weit schlugen die Instrumente aus, doch an Bord der POINT OF blieb der Wert von einem Gravo unverändert. »Starten, Ren!« brüllte Dan Riker. Aber Dhark reagierte nicht. Sein Blick hing an dem Bildschirm, der die Ruinenstadt zeigte. Der Schwerkraftstoß hatte schlimmer in ihr gehaust als jeder Strahlbeschuß
zuvor! Wohin der Blick fiel, überall fehlten vor allem die größten Hochhäuser. Staubwolken markierten die Stellen, an denen sie einmal gestanden hatten. Wer war dieser Gegner, der unbarmherzig solche Waffen einsetzte? Die Ruinenstadt wehrte sich mit der Verzweiflung eines waidwund geschossenen Tieres. Hatten ihre Beherrscher erkannt, welches Schicksal ihr drohte? Aber konnten sie mit ihrem Strahlfeuer, das jetzt den fernen, immer noch pulsierenden Punkt als Ziel hatte, etwas am Ausgang der Tragödie ändern? »Alarmstart!« Mit A-Grav und Sle hob die POINT OF ab und jagte dem freien Raum zu, ließ W-4 immer weiter hinter sich zurück. Noch einmal ging ein Schwerkraftstoß durch den Planeten - ein Stoß, der kein Ende nehmen wollte. »Großer Gott!« stöhnte Dhark auf, der in der Bildkugel verfolgte, wie die Ruinenstadt gleich einem Kartenhaus zusammenbrach und in einer gigantischen Staubwolke verschwand. Doch dann weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. W-4 brach auseinander. Zuerst war nur ein dunkler Strich zu sehen, der quer durch die rote Wüste verlief. Aus dem Strich wurde ein Spalt - und nun war der Spalt schon eine viele Kilometer breite, tiefe und viele tausend Kilometer lange Schlucht. »Sie haben die Planetenbombe eingesetzt. Sie zerreißen W-4 mit Gravitationskräften!« flüsterte Ren Dhark. »Aber wer hat den Robotern diesen Irrsinns-Befehl gegeben?« W-4 mit dem Wunder der Ruinenstadt zerbrach wie ein morscher Stein! Immer schneller! Unaufhaltsam! Der Untergang war nicht mehr aufzuhalten. Und dann bestand W-4 plötzlich aus drei ungleich großen Teilen, die sich mehr und mehr in Flammen hüllten. Flammen, die aus den Tiefen der Bruchstücke schlugen und sich im Raum verloren. Mit rasender Geschwindigkeit entfernte sich die POINT OF von einem Planeten, der seine letzte Stunde hinter sich gebracht hatte. Ein Planet, der gemordet worden war. »Von wem?« murmelte Ren Dhark. Schon wieder mußte er an die Grakos denken. Unwillig schüttelte er diesen Gedanken ab. Es gab Wichtigeres. Zunächst einmal galt es, der Ringraumerflotte auf der Spur zu bleiben. Mit einem Ruck drehte Ren Dhark sich um, riß sich förmlich von dem Anblick in der Bildkugel los. »Grappa, suchen Sie nach Ernergiefahnen der Ringraumerflotte. Wenn die Schiffe hier nur Zwischenstation gemacht haben...« Er ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen. Der Ortungsspezialist enttäuschte seinen Commander auch diesmal nicht. Nach einigen Sekunden bangen Schweigens hob Grappa den Kopf und blickte Ren Dhark triumphierend an. »Ich hab' sie! Und sie sind immer noch deutlich genug, um eine Ziel-Vektorierung zu ermöglichen.« »Dann los, Grappa, übergeben Sie die Daten dem Checkmaster. Wir haben in diesem Sonnensystem schon genug Zeit verloren.« Dharks Blick suchte wieder die Bildkugel. Seine Augen glänzten. Dan Riker gestattete sich einen lautlosen Seufzer. Ren ist schon wieder süchtig geworden, dachte er, süchtig nach den Mysterious. Doch wohin wird uns unsere Suche diesmal führen?
REN DHARK Band 12 Die Sternenbrücke erscheint im November 1998
Ren Dhark Sonderband "Gestrandet auf Bittan" Der zweite REN DHARK SONDERBAND ist erschienen! Auf 192 Seiten erzählt der Autor Werner Kurt Giesa eine spannende Episode um die Entdeckung des Phant-Virus. Der Inhalt: Die fünfdimensionale Strahlung der Sonne 404 ist einzigartig im bekannten Universum. Das wissen auch die „dunklen Götter der Verdammnis" - und lassen Art und Jane Hooker auf Bittan stranden... Gehen Sie mit auf die Reise, denn in den Tiefen des Alls sind noch immer Geheimnisse zu lösen... Bereits erschienen und lieferbar:
Hardcover, 192 Seiten REN DHARK SONDERBAND "Gestrandet auf Bittan" HJB Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Tel. 0 26 31 - 35 61 00, Fax 0 26 31 - 35 61 02 Internet: http://www.bernt.de
Ren Dhark MAGAZIN Mitte Oktober erscheint gleichzeitig mit REN DHARK Buch 12 die erste Ausgabe des REN DHARK Magazins! Auf insgesamt 48 Seiten unterhält das Magazin die REN DHARK Leser u. a. in den Rubriken: • RD - Kurzgeschichte von Hubert Haensel • Hintergrundartikel zur Entstehung der Serie • Aktuelle News zur Buchausgabe • Die William Voltz - Ära in PERRY RHODAN • Wie ein Modell entsteht • Astronomie und Raumfahrt • Rißzeichnung In Vorbereitung: Ren Dhark Magazin 1: Oktober 1998 Ren Dhark Magazin 2: April 1999 Weitere Ausgaben erscheinen halbjährlich Heft, Format A4, 48 Seiten HJB Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Tel. 0 26 31 - 35 61 00, Fax 0 26 31 - 35 61 02 Internet: http://www.bernt.de
"POINT OF" - Modell Für die 98 besten Freunde von REN DHARK Sehr geehrter Leser, wir verfügen nun über die Modellversion des legendären Ringraumers POINT OF, die wir fertig montiert und unitallfarben bemalt anbieten. Der Sockel (Mondlandschaft) ist grau. Beide Elemente sind mit Schattierungen versehen. Die Auflage beträgt 98 Exemplare. Die POINT OF ist im Maßstab 1:1000 aus gehärtetem Kunststoff gefertigt (Ringdurchmesser 18 cm). Sie können ganz unverbindlich ein Farbfoto des Modells beim HJB Bernt Verlag anfordern! HJB Hansjoachim Bernt Verlag, Abt. PO Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Tel. 0 26 31 - 35 61 00, Fax 0 26 31 - 35 61 02 Internet: http://www.bernt.de