Wie heiratet man einen Millionär? Laura Martin Julia 1411 17 2/2000
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1. KAPITEL "Mummy, erzähl mir...
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Wie heiratet man einen Millionär? Laura Martin Julia 1411 17 2/2000
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1. KAPITEL "Mummy, erzähl mir mehr über unser neues Haus!" Cathy kam eine kleine Pause nicht ungelegen. Sie packte die restlichen Küchengeräte in den Karton und setzte sich dann auf den Boden. Wegen des heutigen Umzugs war sie bereits seit dem Morgengrauen auf den Beinen und fühlte sich völlig erschöpft, obwohl es gerade mal drei Uhr nachmittags war. "Nun, es ist alt und hat auf der Vorderseite vier Fenster, durch die man auf eine enge Gasse hinaussieht, und es steht in einem Garten, der vorn schmal und hinten etwas breiter ist." Robbie setzte sich auf ihren Schoß und kuschelte sich an sie. "Erzähl mir von dem Apfelbaum!" Lächelnd legte Cathy die Arme um ihn. "Er steht im vorderen Teil des Gartens direkt unter dem Fenster deines Zimmers und wird bald duftige weiße Blüten tragen. Später werden daraus Äpfel, die wir ernten können, wann immer wir wollen." "Und niemand wird mit uns schimpfen?" "Nein, niemand", bestätigte Cathy. "Auch nicht, wenn wir die Äpfel in der Dunkelheit pflücken?" Cathy lachte und gab ihrem Sohn einen zärtlichen Kuss auf die Wange. "Nein, auch dann nicht." "Ich möchte auf dem Baum bis ganz nach oben klettern!" "Wir werden sehen." Ein Schatten huschte über Robbies kleines Gesicht. "Glaubst du, ich finde dort Freunde zum Spielen?" "Aber ja!" versicherte Cathy im Brustton der Überzeugung, da dies mit ein Grund war, weshalb ihr Sohn dem Umzug eher skeptisch
gegenüberstand. "Ganz bestimmt besuchen viele Kinder die hübsche kleine Dorfschule mit dem nagelneuen Spielplatz ..." "Und wenn es mir nicht gefällt, ziehen wir dann wieder hierher zurück?" Cathy strich sich eine widerspenstige rote Locke aus dem Gesicht und ließ den Blick über die feuchten Wände und billigen Plastikeinbauschränke der winzigen Küche schweifen. Keinen Tag länger würde sie es mehr in dieser Schuhschachtel aushalten! Sie blickte aus dem Fenster. Von ihrem momentanen Platz am Küchenboden konnte sie nur dichte, graue Wolken und die oberen Stockwerke anderer hässlicher Mietskasernen sehen. Manche Bauherren meinten wohl, die Wohnungsknappheit in den Städten ließe sich aus der Welt schaffen, wenn man möglichst viele Leute in Hochhäusern zusammenpferchte, doch letztendlich war dies keine Lösung, sondern nur eine Verlagerung der Probleme. Cathy hatte ihr ganzes Leben in solchen Großstadtsilos verbracht. Wenn sie es jetzt nicht schaffte, hier herauszukommen, würde ihr Sohn ebenfalls in diesem sozialen Elend aufwachsen und wenig Zukunftschancen haben. Sie dachte an die Schmierereien in der Eingangshalle und im Aufzug, an den unerträglichen Schmutz und Gestank, dem sie sich jedes Mal aussetzen musste, wenn sie ihre Wohnung im zwölften Stock verließ. Bald würde ihr Sohn die obszönen Sprüche an den Wänden lesen können und viel zu früh seine herzerfrischende, lausbubenhafte Unschuld verlieren. "Dale sagt, es ist schrecklich langweilig auf dem Land", erklärte Robbie weiter. "Es gibt dort keine Geschäfte, und wenn man etwas Süßes will, muss man meilenweit gehen! Er sagt..." "Sobald wir uns ein wenig eingewöhnt haben, lädst du Dale ein und zeigst ihm, wie schön es auf dem Land wirklich ist", unterbrach Cathy ihren Sohn, ehe er noch mehr Nachteile des Landlebens aus Sicht seines Freundes aufzählte. "Keine Angst, mein Schatz, es wird dir dort prima gefallen", versicherte sie mit fröhlichem Lächeln. "Wir werden beide viel Spaß haben."
Daniel schlug den Kragen seines Jacketts hoch. Teufel noch mal, war das kalt! Er musste endlich die Heizung seines Landrovers reparieren lassen. Drei Wochen bei eisigem Märzwind im ungeheizten Auto herumzukurven reichte ihm. Gleich morgen früh werde ich in der Werkstatt anrufen, nahm er sich vor, während er den Wagen aus der Garage fuhr, die mit ihrer altmodischen Benzinpumpe und den noch aus der Vorkriegszeit stammenden Reklameschildern geradezu vorsintflutlich anmutete. Im Ort war es an diesem Abend ruhig. Zwar brannte in den meisten Häusern rund um den Dorfplatz Licht, doch nur wenige Leute wagten sich bei diesem kalten Regen nach draußen. Verdammt! Die Bremsen mussten ebenfalls überprüft werden. Er trat mit voller Wucht auf das Bremspedal und brachte den Landrover schließlich zum Stehen. Wenige Meter vor ihm blockierte ein Lastwagen die enge Gasse. Daniel bemerkte, dass es sich um einen Leihwagen handelte. Die hinteren Planen waren zurückgeschlagen, und auf der Ladefläche standen einige Möbel. Nicht unbedingt das ideale Wetter für einen Umzug. Er blickte zu dem kleinen Cottage, dessen Vorderzimmer im Erdgeschoss durch eine von der Decke baumelnde Glühbirne erhellt wurde. Er kannte das Haus, so wie er jedes Gebäude im Dorf kannte. Es wirkte reichlich heruntergekommen, besaß jedoch einen gewissen Charme - falls man die morschen Fensterstöcke, das moosüberwachsene Dach und etliche andere Schäden übersah, die dringend der Reparatur bedurften. Ungeduldig betrachtete Daniel den Lkw. Bestimmt würde es noch eine Weile dauern, bis alle Möbel abgeladen waren. Ihm blieb wohl nichts weiter übrig, als umzukehren und eine andere Route zu fahren, was ärgerlich war, da ihn nur noch eine knappe halbe Meile von seinem Ziel trennte. Während Daniel noch überlegte, trat ein Mann aus dem Haus und eilte den schmalen Pfad entlang, der durch den Vorgarten zur Straße führte. Er trug eine Baseballmütze, zerschlissene Jeans und eine kurze Lederjacke, die ihn nur unzureichend vor dem starken Regen schützte.
Er war jung, höchstens zwanzig, schätzte Daniel, als der Mann näher kam und direkt auf den Landrover zusteuerte. Daniel kurbelte das Fenster herunter. "Bis wir hier fertig sind, dauert es noch einige Zeit, Kumpel. Am besten drehst du wieder um." Ein harter, abschätzender Blick traf Daniel. "Oder du packst mit an." Der junge Mann sah zum Haus. "Ehrlich gesagt, ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen." "So?" Daniels Blick folgte dem des jungen Mannes. Eine Gestalt in einem langen gelben Regenmantel mit hochgezogener Kapuze war an der Haustür aufgetaucht und hastete nun zu dem Lkw. "Ja, mich hat nämlich ein Kumpel im Stich gelassen." Der junge Mann wischte sich den Regen aus den Augen und schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch. "Das kleinere Zeugs haben wir schon abgeladen, aber nun kommt das Bett, und ich weiß wirklich nicht, wie wir es allein ins Haus schaffen sollen." Daniel beobachtete, wie die Gestalt im Regenmantel auf die Ladefläche kletterte und dann versuchte, ein Bett zur Rampe zu ziehen. "He, lass den Blödsinn, du tust dir doch nur weh!" rief der junge Mann und wandte sich dann wieder an Daniel. "Verstehst du jetzt, was ich meine?" Er stieß einen wilden Fluch aus, rannte zum Lkw, zog sich mit einem Klimmzug nach oben und begann laut zu schimpfen. Daniel seufzte. Wohl oder übel musste er mit anpacken, wenn er nicht Zeuge werden wollte, wie das Bett zu Bruch ging. Er drehte sich um und zog aus dem Durcheinander auf dem Rücksitz einen langen Regenmantel hervor, der schon bessere Tage gesehen hatte. Das Bett war gar nicht sonderlich schwer, jedoch sperrig, und der sichtlich bemühte Helfer im gelben Regenmantel stand eher im Weg, als dass er eine Hilfe war. Daniel schob das Bett bis zur Rampe, sprang auf die Straße und half dem Mann in der Lederjacke, das gute Stück vom Lkw zu hieven und ins Haus zu tragen. Drinnen war es düster und kalt, aber auf alle Fälle angenehmer als draußen im Regen. Wie ein gelbes Leuchtfeuer wandelte die Gestalt im Regenmantel voraus, hinter ihr trugen Daniel und der junge Mann
das Bett durch eine enge Diele und dann eine kleine Treppe hinauf in ein geräumiges Zimmer mit verblichener Rosentapete und vereinzelten feuchten Flecken an den Wänden. "Vielen herzlichen Dank. Stellen Sie es einfach hierhin." Ihre Stimme klang jung ,und außerordentlich dankbar. Wieso hatte er nicht bemerkt, dass es sich um eine Frau handelte? Interessiert beobachtete Daniel, wie sie die Kapuze abstreifte und eine kastanienrote Lockenmähne zum Vorschein kam, die sich kontrastvoll vom Gelb des Regenmantels abhob. Mit dem makellos hellen Teint und den leuchtend grünen Augen wirkte die junge Frau in der düsteren Umgebung wie eine exotische Erscheinung. Daniel musste sich zwingen, sie nicht einfach anzustarren. Er lächelte überrascht, und sie erwiderte sein Lächeln zögernd. "Ich glaube nicht, dass wir es ohne Ihre Hilfe geschafft hätten", sagte sie leise. "Nicht wahr, Gary?" "Stimmt. Leider sind wir noch nicht fertig." Gary zog fragend die Brauen hoch. "Was ist, Kumpel, hilfst du uns auch noch, die restlichen Sachen ins Haus zu tragen?" "Klar." Daniel nickte und ließ den Blick wieder zurück zu der jungen Frau schweifen. Sie sah erschöpft aus. "Sie bleiben besser hier", meinte er. "Es nützt keinem, wenn Sie unnötig nass werden." "Danke." Mit sichtlicher Anstrengung rang sie sich ein weiteres Lächeln ab. "Dann werde ich jetzt nachsehen, was Robbie macht. Er wird sich fürchten, wenn er aufwacht und ich nicht da bin." "Robbie?" Die Frage war Daniel unfreiwillig entschlüpft. "Mein Sohn." Ruhig erwiderte sie seinen Blick. "Er schläft unten in einem Sessel. Gary", wandte sie sich an den jungen Mann, "könntest du als Nächstes sein Bett abladen?" "Ich werde es versuchen", gab er missmutig zur Antwort. "Versprechen kann ich nichts." Es dauerte noch weitere dreißig Minuten, ehe der Lkw ganz leer geräumt war. Sie hatten nicht allzu sehr schleppen müssen, da sich unter den kunterbunt zusammengewürfelten Möbeln nur wenig schwere Stücke befanden.
"Danke, Kumpel. Ohne dich hätte ich es kaum geschafft." Gary stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und hielt Daniel eine nicht sehr saubere Hand hin. "Ich würde dir gern ein Glas spendieren, aber hier scheint es ja nirgendwo einen Pub zu geben." "Es gibt einen." Daniel drückte ihm freundlich lächelnd die Hand. "Ich muss jedoch gleich weiter, da ich verabredet bin." "Sie sind ganz nass geworden. Es tut mir schrecklich Leid, dass wir Ihnen solche Mühe gemacht haben." Daniel drehte sich um, als er hinter sich ihre Stimme vernahm. Sie hatte den Regenmantel abgelegt und trug darunter ausgebeulte Jeans und einen weiten Pullover, dessen Rot so ganz und gar nicht mit ihrer Haarfarbe harmonierte. In ihren Armen lag ein Kind von fünf oder sechs Jahren, mit seidigem braunem Haar und einem engelhaften Gesicht. "Er scheint fest zu schlafen", stellte Daniel lächelnd fest. "Ja, zum Glück!" Liebevoll ruhte ihr Blick auf ihrem Sohn, dann schweifte er zurück zu Daniel. "Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Darf ich Ihnen vielleicht eine Tasse Tee anbieten? Es ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann, nachdem Sie uns so sehr geholfen haben." Er fand ihre Stimme ungemein anziehend: sanft und melodisch und ein ganz klein wenig heiser. Eine Stimme, die man nicht so leicht vergaß. Daniel betrachtete Mutter und Kind einen Moment lang, bis ihm bewusst wurde, dass er sie gerade regelrecht anstarrte. "Danke für die Einladung, doch Sie haben jetzt bestimmt Wichtigeres zu tun." Er lächelte kurz. "Deshalb lasse ich Sie beide jetzt besser allein." "Und ich werde den Lkw ein Stück weiter fahren." Garys laute Stimme hallte in dem leeren Zimmer. Das Kind bewegte sich in den Armen der jungen Frau. "Er ist sehr müde. Es war ein anstrengender Tag für ihn," Sie zog die Decke enger um ihren Sohn und küsste ihn auf das seidige braune Haar. "Dann also auf Wiedersehen." Ihre Lider waren schwer vor Müdigkeit. "Und nochmals vielen Dank."
Wirklich sonderbar, überlegte Daniel, als er durch den strömenden Regen zu seinem Wagen eilte. Wieso hatte er plötzlich den Wunsch zum Bleiben verspürt? Eröffnete die Tür seines Landrovers und stieg ein. Während er darauf wartete, dass Gary den Lkw beiseite fuhr, sah er nochmals durch das gardinenlose Fenster zu der an der Decke baumelnden Glühbirne. Wie ungemütlich und kalt es in dem Haus war! Hoffentlich hatten die beiden wenigstens etwas zum Heizen. Der Lkw bewegte sich. Daniel ließ den Motor an und genehmigte sich einen letzten Blick zu dem Cottage. Ich kenne nicht einmal ihren Namen, kam es ihm unvermittelt in den Sinn, als er den Gang einlegte und davonfuhr. Cathy sehnte sich im Moment nur noch nach einigen Stunden Schlaf, doch natürlich war daran nicht zu denken. Sie fühlte sich erschöpft, da sie in letzter Zeit so manche schlaflose Nacht verbracht und darüber gegrübelt hatte, ob sie mit diesem Umzug nicht einen schweren Fehler beging. Die Matratze von Robbies Bett fühlte sich klamm an. Cathy wollte auf keinen Fall eine Erkältung ihres Sohnes riskieren, und so legte sie ihn auf die Couch und deckte ihn mit einem Stapel Decken zu. Dann berührte sie sanft seine rosige Wange. Wenigstens ihm war mollig warm, was sie von sich nicht behaupten konnte. Irgendwie zieht es hier, dachte sie und ging in die kleine Diele, um nachzusehen, woher der kalte Luftstrom kam. Typisch Gary. Er hatte die Haustür offen gelassen. Als er nun durch den Vorgarten zum Haus lief, bemerkte sie, dass seine vormals weißen Turnschuhe schmutzig waren, was seine ohnehin schon schlechte Laune sicher nicht verbessern würde. "Ich wollte mich nur verabschieden", teilte er ihr mit. "Möchtest du nicht noch etwas essen oder trinken, bevor du fährst?" fragte sie der Höflichkeit halber, war jedoch erleichtert, als er den Kopf schüttelte.
"Nein, ich muss den Lkw zurückbringen." Er schob den Ärmel seiner Lederjacke zurück und sah auf die Uhr. "Ich sollte ihn bis neun bei Marty abliefern und bin sowieso schon zu spät dran." "Gut." Cathy beugte sich vor und küsste ihn freundschaftlich auf die Wange. "Du warst mir eine große Hilfe, Gary. Besuch uns doch, sobald wir uns hier ein wenig eingerichtet haben." "Mach ich, wenn ich mal nichts Besseres vorhabe." Er zögerte und sah in die dunkle Nacht hinaus. "Ehrlich gesagt, mir ist schleierhaft, wie jemand in diese gottverlassene Wildnis ziehen kann!" "Es ist ein hübsches Dorf und keine Wildnis", verbesserte Cathy ihn lächelnd. "Mit einem Ententeich, einer Kirche und einem gemütlichen Tante-Emma-Laden." "Nun, du musst es hier ja aushalten." Gary zuckte die schmalen Schultern. "Ich würde hier wahnsinnig werden. Was sagt Robbie zu dem Umzug?" "Ihm wird es hier gut gefallen", versicherte Cathy mit mehr Überzeugung, als sie empfand. "Wenn er sich erst ein wenig eingewöhnt hat, wird er die Vorteile des Landlebens zu schätzen lernen." "Du musst es ja wissen." Gary schien dieses Thema nicht sonderlich zu interessieren. "Also, ich verschwinde jetzt. Bis irgendwann einmal." "Ja, auf Wiedersehen!" Cathy fand, dass ihre Stimme verloren klang. Sie wartete, bis der Lkw aus ihrem Blickfeld verschwunden war, und schloss dann die Tür hinter sich ab. Stille umfing sie, und jäh wurde ihr bewusst, dass nun der Moment gekommen war, den sie so sehr herbeigesehnt hatte. Sie ging in ihr neues Wohnzimmer und ließ den Blick von der verblichenen Tapete zu dem schmutzigen Fußboden schweifen. Bei Sonnenschein und Vogelgezwitscher hatte alles viel besser ausgesehen als an diesem regnerischen Märzabend. Lauschend blieb sie in der Mitte des Zimmers stehen. Es war geradezu beängstigend still. Kein entfernter Verkehrslärm war zu hören, nicht das Rumpeln des Aufzugs oder Geschrei im Treppenhaus.
An diese völlige Ruhe musste sie sich erst gewöhnen. Cathy atmete tief durch. Gary hatte Recht. Robbie würde seine Freunde sicher vermissen. Er war erst vor kurzem eingeschult worden, hatte sich gerade an alles gewöhnt und wurde nun aus seiner vertrauten Umgebung gerissen, weil seine Mutter sich den lang gehegten Traum von einem Leben auf dem Land erfüllen wollte. Sie dachte an die wundervolle Abschiedsparty, mit der Freunde und Nachbarn sie überrascht hatten. Alle hatten sich solche Mühe gegeben, sogar einen Kuchen gebacken, Salate und andere Speisen vorbereitet, Robbie und sie mit kleinen Geschenken bedacht und ihnen versichert, dass man sie beide sehr vermissen werde. Für Reue ist es jetzt zu spät, sagte sich Cathy energisch und machte sich in der Küche auf die Suche nach Eimer und Schrubber. Geistesabwesend leerte sie den mit Schwämmen und Putzlappen gefüllten Eimer. Der Fremde hatte unglaublich gut ausgesehen ... groß und muskulös ... kein Vergleich mit dem spindeldürren Gary ... dunkle Augen, warmes Lächeln, zupackende Hände ... etwas älter als sie ... ungefähr dreißig ... Cathy holte aus einem Karton ein Reinigungsmittel. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet, als Gary ohne seinen Freund gekommen war. Doch dann war wie durch ein Wunder der Fremde aufgetaucht. Er war auf dem Weg zu einer Verabredung gewesen. Vielleicht mit einer Freundin? Oder zum Abendessen mit seiner Frau in einem Restaurant? Am Dorfplatz gab es ein Lokal. Sie hatte es bei ihrem ersten Besuch hier gesehen, doch es lag außerhalb ihrer Preisklasse. Sie konnte sich höchstens mal eine Tüte Pommes leisten. Künftig würde sie sogar noch mehr sparen müssen. Das störte sie nicht. Geld bedeutete ihr nichts. Hauptsache, sie konnte ihre Rechnungen bezahlen und Robbie gesund ernähren und anständig kleiden. Zugegeben, in der alten Wohnung wäre es ihr finanziell besser gegangen, aber hatte eine höhere Lebensqualität nicht auch einen Wert?
Cathy drehte den Warmwasserhahn auf und ließ Wasser in den Eimer laufen. Es war eiskalt. Mit grimmiger Miene betrachtete sie die auf dem Reinigungsmittel abgebildeten blitzenden Böden und Kacheln und machte sich dann seufzend auf die Suche nach dem Wasserkessel. Es war schon spät. Wegen der nassen Straße fuhr Daniel langsam, obwohl er viel lieber Gas gegeben hätte, um sich abzureagieren. So ging es ihm stets nach einem mit seinen Eltern verbrachten Abend, und daran war allein seine Mutter schuld! Wann würde sie es endlich einmal begreifen? Oder vielmehr, wieso tappte er immer wieder in dieselbe Falle? "Nur ein kleines Abendessen unter Freunden, mein Schätz. Nichts Besonderes. Es wäre schön, wenn du auch kommen könntest." Dann folgte noch "Du warst schon so lange nicht mehr bei uns", und schon bekam er Gewissensbisse und sagte zu. Es regnete noch immer, und das trübe Wetter passte zu seiner Stimmung. Das "kleine Abendessen" hatte sich wieder einmal als mehrgängiges Dinner entpuppt, und der Tisch war mit kostbarem Porzellan so überladen gewesen, dass man damit mindestens drei Antiquitätenläden hätte bestücken können. Obendrein hatte Daniels Mutter sich recht unverblümt als Kupplerin versucht. Arme Lucy. Ein nettes Mädchen, solange man gewillt war, sich den ganzen Abend lang über Pferde und die Entwicklungen in der Modebranche zu unterhalten. Daniel jedenfalls hatte beide Themen zum Gähnen langweilig gefunden. Aus unerfindlichen Gründen glaubte seine Mutter, er habe ein Faible für langes blondes Haar und blaue Augen. Nichts gegen Blondinen, doch man durfte von einer Frau doch wohl etwas mehr erwarten, als dass sie gut aussah. Unwillkürlich dachte Daniel an die junge Frau im gelben Regenmantel. Irgendwie war sie ihm den ganzen Abend über nicht aus dem Sinn gegangen. Wie alt sie wohl sein mochte? Er schätzte sie auf dreiundzwanzig, jedenfalls war sie älter als ihr Freund oder Ehemann, oder in welcher Beziehung auch immer sie zu dem jungen Mann stand. Sie war keine klassische Schönheit wie Lucy oder die anderen
Mädchen, die ihm in seinem bisherigen Junggesellenleben über den Weg gelaufen waren. Aber sie hatte etwas an sich, das ihn fesselte, eine Klasse, die nicht an Herkunft oder Vermögen gebunden war. Wie sie wohl heißt? fragte er sich, als ihr Haus in Sicht kam. Wenigstens versperrte ihm diesmal kein Lkw den Weg. Im Cottage brannte Licht. Arbeitete sie etwa noch? Er erinnerte sich, wie müde sie ausgesehen hatte, und warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Schon fast Mitternacht. Ohne zu wissen, wieso, trat er auf die Bremse. Er überlegte, ob er aussteigen, bei ihr klopfen und ihr seine Hilfe anbieten sollte. Schnell verwarf er den Gedanken wieder. Falls sie allein war, was er wegen des fehlenden Lkw annahm, würde sie ihm womöglich unlautere Absichten unterstellen, wenn er noch so spät bei ihr aufkreuzte. Sie kannte ja nicht einmal seinen Namen. Weshalb verspürte er überhaupt das Bedürfnis, ihr zu helfen? Hatte das rührende Bild von der Mutter mit dem schlafenden Sohn auf den Armen sentimentale Gefühle in ihm geweckt? Oder war er einfach nur von ihrem ungewöhnlichen Aussehen fasziniert, diesem Kontrast von flammend rotem Haar, hellem Teint und leuchtend grünen Augen? Im oberen Stockwerk flammte Licht auf, und er konnte sie durchs Fenster sehen. Sie trug einen Eimer. Sonderbarerweise wirkte sie jetzt gar nicht mehr müde, sondern tatkräftig und entschlossen. Plötzlich wurde Daniel bewusst, was er tat. Er saß nachts im Wagen vor dem Haus einer fremden Frau und beobachtete sie heimlich durchs Fenster. Seit wann betätigte er sich als Voyeur? Er ließ den Motor an und fuhr davon.
2. KAPITEL "Kaufst du mir Gummibärchen, Mummy?" "Wollen wir nicht erst die Enten füttern?" Cathy ging neben ihrem Sohn in die Hocke und zeigte auf das schimmernde Wasser am anderen Ende des Dorfplatzes. "Sieh mal, sie schwimmen dort drüben im Teich." Sie holte aus ihrer Einkaufstasche einen Plastikbeutel. "Hier in der Tüte sind alte Brötchen." "Ich mag keine Enten füttern! Sie sind doof und machen immer nur ,quak'. Ich möchte lieber Gummibärchen!" "Robbie, bitte!" Cathy zog ihrem Sohn die Mütze zurecht. "Wie kannst du an einem so herrlichen Frühlingstag nur so brummig sein. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, und dort hinten auf der Wiese sehe ich sogar ein Pferd. Wollen wir es uns einmal näher ansehen?" "Nein!" Cathy stand auf. Aus leidvoller Erfahrung wusste sie, dass alle erzieherischen Maßnahmen versagten, wenn ihr Sohn bockig war. Er fühlte sich unglücklich und verwirrt und war in seiner momentanen Stimmung nicht empfänglich für die Schönheit der Natur, die Weite und die frische Luft. Mit trotziger Miene stapfte er neben ihr her und sah sie weder an, noch wollte er ihre Hand halten. Sie durfte ihn nicht überfordern, musste ihm Zeit lassen, sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. "Weißt du was? Wir füttern erst die Enten, und dann kaufe ich dir Gummibärchen. Einverstanden?" "Okay!" Es klang brummig.
Lächelnd betrachtete sie seinen schmollend verzogenen Mund. "Keine Angst, Robbie, sobald du dich hier eingewöhnt hast, wird es dir prima gefallen", versuchte sie ihn aufzumuntern. "Das verspreche ich dir!" Das Füttern der Enten brachte leider nicht den erhofften Erfolg. Robbie nahm die Tüte mit den Brötchen, kippte den Inhalt kurzerhand in den Teich und verlangte dann, nun endlich die Gummibärchen zu besorgen. Cathy war drauf und dran, ihm zur Strafe gar nichts zu kaufen, aber mit Strenge kam sie jetzt nicht weiter. Im Grunde wusste sie ja, dass ihr Sohn sich zutiefst verunsichert fühlte und nur deshalb so quengelig war. Der kleine Dorfladen war bis obenhin mit allen möglichen Waren voll gestopft. Außer der Tüte Gummibärchen kaufte Cathy noch ein paar Dinge fürs Mittagessen und bezahlte dann. "Wollen Sie nicht auch noch ein Los mitnehmen, meine Liebe?" fragte die Frau hinter der Ladentheke mit freundlichem Lächeln. "Der Erlös kommt einem wohltätigen Zweck zugute, und wenn Sie Glück haben, gewinnen Sie damit sogar noch eine Eintrittskarte für den Frühlingsball." Sie wies auf ein Plakat, auf dem ein großer Ball und ein Dorffest angekündigt wurden, die beide am selben Wochenende stattfanden. "Oh ..." Cathy zögerte und warf einen Blick in ihr Portemonnaie. "Was kostet so ein Los denn?" "Drei Pfund. Ich weiß, es ist nicht billig", fuhr die Frau hastig fort, "aber falls Sie gewinnen, erleben Sie einen einzigartigen Abend. Der Ball findet auf dem Gutshof statt und ist in unserer Gegend das gesellschaftliche Ereignis schlechthin, mit erstklassiger Musik und einem kalten Büfett vom Feinsten." Die Frau holte aus einer Schublade ein Bündel Lose. "Sie sind neu im Dorf, nicht wahr?" fragte sie, und als Cathy nickte, fügte sie hinzu: "Es wäre eine gute Gelegenheit, Ihre Nachbarn kennen zu lernen, denn praktisch jeder aus dem Dorf geht zum Ball im
Herrenhaus. Alle Karten sind schon ausverkauft. Sie können sich also nur noch über ein Los Eintritt verschaffen." "Gut, ich nehme eines." Cathy holte das Geld aus ihrem Portemonnaie. Sie wollte es sich nicht gleich zu Anfang mit der Besitzerin des Dorfladens verscherzen, und drei Pfund waren schließlich nicht die Welt. "Wunderbar." Sichtlich erfreut, riss die Frau von einem Los einen nummerierten Abschnitt ab, reichte ihr das Los und kassierte das Geld. "Heben Sie es gut auf", rief sie, als Cathy schon an der Tür war. "Vielleicht gewinnen Sie ja." Wohl kaum, dachte Cathy, während sie den Laden verließ. Wann hatte sie in ihrem Leben schon jemals etwas gewonnen? "Cathy? Cathy Taylor?" Cathy drehte sich überrascht um, als jemand ihren Namen rief. Eine junge Frau kam auf sie zu. "Du bist es tatsächlich! Dass ich ausgerechnet dich hier treffen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen!" Sie verzog die korallenroten Lippen zu einem erfreuten Lächeln. "Gut siehst du aus!" "Findest du?" fragte Cathy, um Zeit zu gewinnen, und lächelte ebenfalls. "Wetten, dass du keine Ahnung hast, wer ich bin?" Die junge Frau lachte fröhlich. "Ich sehe es dir am Gesicht an." "Nun, ich ...", begann Cathy zögernd und durchforstete ihr Gedächtnis, um wen es sich bei dieser eleganten jungen Frau handeln könnte. "Keine Sorge, ich bin nicht beleidigt. Das wäre ich höchstens, wenn du mich erkannt hättest. Als wir noch zur Schule gingen, war ich dick, hatte eine Brille und mausgraues Haar!" Diese Beschreibung half Cathys Erinnerungsvermögen auf die Sprünge. Forschend musterte sie das perfekt geschminkte Gesicht der jungen Frau. "Sandra Beale? Wir haben in Mathe nebeneinander gesessen." "Richtig. Es ist eine Ewigkeit her, dass wir uns zuletzt gesehen haben. Wie geht es dir?"
"Danke, gut." Cathy hatte sich von ihrer Überraschung noch nicht erholt und lächelte schwach. Kaum zu glauben, dass sich das stille, unscheinbare Mädchen von früher zu einer so attraktiven Frau gemausert hatte. "Ich weiß, was du denkst." Die blendend weißen Zähne der jungen Frau blitzten, als sie vergnügt lachte. "Ich bin nicht wieder zu erkennen, stimmt's?" Sandra breitete die Arme aus, um ihre elegante Erscheinung voll zur Geltung zu bringen. Sie trug eine perfekt sitzende braune Reithose, einen beigefarbenen Rollkragenpullover und einen sündhaft teuer aussehenden Tweedblazer sowie braune Reitstiefel. "Und wie ist es zu dieser Verwandlung gekommen?" fragte Cathy und versuchte sich erst gar nicht vorzustellen, wie ärmlich sie im Vergleich dazu in ihren ausgebeulten Jeans und dem dicken, weiten Pullover aussehen musste. "Oh, ich hatte das Aschenputteldasein einfach satt. Du glaubst gar nicht, welche Veränderung man mit einem Blondierungsmittel, Kontaktlinsen, einer sorgfältig zusammengestellten Garderobe und etwas Make-up bewirken kann." "Du siehst einfach ... umwerfend aus!" stellte Cathy mit aufrichtiger Bewunderung fest. "Danke!" Sandra lächelte geschmeichelt. "Bist du zu Besuch hier?" "Nein, ich ... wir sind gerade erst hierher umgezogen." "Tatsächlich?" Sandra verhehlte ihre Überraschung nicht. "Wohin?" "In das Stanway Cottage. Es befindet sich südlich vom Dorfplatz in der ersten Nebenstraße links. In der Nähe steht ein alter, schief gewachsener Baum. "Doch nicht etwa in Mrs. Paynes Haus?" "Doch", bestätigte Cathy und hob ein wenig das Kinn, da in Sandras Stimme leichtes Entsetzen mitgeschwungen hatte. "Ach, du meine Güte! Hast du es gekauft?" "Nein, gemietet."
"Soweit ich weiß, ist sie ins Altersheim gezogen. Ihre Familie wird das Haus wohl irgendwann verkaufen." Cathy nickte. "Wahrscheinlich ja." "Du hast vorhin von ,wir' gesprochen. Bist du verheiratet?" "Nein, aber ich wohne nicht allein dort." Cathy wandte sich zu Robbie um, der gerade den Gummibärchen die Köpfe abbiss. "Das hier ist mein Sohn Robbie." Sie berührte ihn an der Schulter. "Sag ,hallo' zu Sandra, Robbie. Sie ist mit mir zur Schule gegangen." "Hallo." Er blickte kurz auf, machte artig einen Diener und konzentrierte dann seine Aufmerksamkeit wieder ausschließlich auf die Tüte mit den Gummibärchen. "Normalerweise ist er nicht so wortkarg", erklärte Cathy, "aber er ist ein wenig müde. Wir sind erst seit gestern Abend hier." "Oh, er ist ein süßer Junge!" Sandra lächelte strahlend - vielleicht ein wenig zu strahlend, dachte Cathy, denn das Lächeln wirkte nicht ganz echt. "Wie alt ist er denn?" "Er wird in wenigen Wochen sechs." "Und ihr zwei wohnt... allein?" fragte Sandra nach einer kleinen Pause. Cathy nickte. "Ja. Und du? Wohnst du hier in der Nähe?" "Ja. Jemand, den ich ... kannte, ist vor einiger Zeit gestorben und hat mir sein kleines Haus vererbt. Er war ein Freund der Familie." "Du Glückliche!" Cathy lächelte. "Ich hatte bisher keinerlei Verbindung zum Dorf, obwohl es ja nur wenige Meilen von unserer Stadt entfernt liegt. Als ich jedoch vor einigen Wochen die Anzeige in der Zeitung las, erinnerte ich mich plötzlich an einen Schulausflug hierher und ..." Jäh verstummte Cathy, da Sandra ihr offenbar gar nicht mehr zuhörte. "Ich möchte gehen", drängelte Robbie. "Gleich, mein Schatz." Neugierig wandte Cathy den Kopf, um zu sehen, was Sandras Aufmerksamkeit so sehr fesselte. Sie konnte nichts Außergewöhnliches entdecken. Eine ältere Frau bog soeben mit dem Fahrrad von der Hauptstraße auf den Dorfplatz, ein junges Mädchen fuhr eine Frau im Rollstuhl spazieren, und
wenige Meter hinter den beiden ging ein Mann. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Cathy sah genauer hin, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. "Ich mag nicht mehr warten!" Ungeduldig zog Robbie an der Hand seiner Mutter. "Hör auf zu reden!" "Robbie!" Mit zusammengezogenen Brauen musterte Cathy ihren Sohn, der seine Gummibärchen aufgegessen hatte und sie trotzig ansah. "Sei nicht so ungezogen!" "Ich möchte aber nach Hause!" Er riss sich von ihrer Hand los. "Komm doch einfach mal bei uns vorbei, wenn du Zeit hast", lud sie Sandra ein, doch diese hatte nur noch Augen und Ohren für das Objekt ihrer Begierde, das mit schnellen Schritten näher kam. "Gut, Sandra, wir gehen dann", meinte Cathy schließlich. "Komm, Robbie, sehen wir uns noch das Pferd an - Robbie?" Cathy bekam einen Riesenschreck, als sie ihn nirgendwo entdeckte. Suchend sah sie sich um, und ihr Blick blieb am Teich hängen. "O nein!" Sie ließ die Einkaufstasche fallen und begann zu laufen. "Robbie, bleib stehen!" Er hatte den schmalen Uferpfad verlassen und ging vorsichtig ans Wasser. Da es die ganze Nacht geregnet hatte, war der Boden sehr glitschig. Cathy rannte, so schnell sie konnte, doch da hörte sie Robbie bereits aufschreien und sah, wie er den Halt verlor und ins Wasser rutschte. Als sie bei ihm ankam, war es ihm bereits gelungen, wieder auf die Beine zu kommen. Er stand knöcheltief im Wasser und heulte. Sie streckte ihm die Hand hin und bemühte sich, möglichst ruhig zu klingen. "Komm, Robbie, nimm meine Hand." "Ich kann nicht." "Keine Angst, ich schimpfe nicht mit dir. Nun komm schon, mein Schatz." Er begann weiter zu versinken. Entsetzt sah sie, wie seine Gummistiefel sich mit Wasser füllten. "Robbie, steh ganz still!" befahl sie. "Ich komme dich holen." Das Wasser war kalt und schmutzig, doch das kümmerte Cathy nicht. Sie streckte die Arme nach Robbie aus und hob ihn hoch. Einen
schrecklichen Moment lang verlor sie den Halt, schwankte, fing sich dann aber wieder. "Würdest du mir Robbie abnehmen?" sagte sie zu Sandra, die ihr ans Ufer gefolgt war. "Ich stecke im Schlamm fest." "Ich kann dich nicht erreichen." Sandra machte einen zaghaften Schritt vorwärts und blieb dann stehen. "Meine Stiefel sind ganz neu. Kannst du nicht ein kleines bisschen näher kommen?" "Nein!" Cathy, die ihren Sohn mit gestreckten Armen über Wasser hielt, taten bereits die Muskeln weh. "Um Himmels willen, Sandra ..." "Geben Sie ihn mir." Cathy blickte nach rechts und erkannte den Mann vom vergangenen Abend. Ohne auf seine Stiefel zu achten, kam er ihr im Wasser entgegen und nahm ihr Robbie ab. "Vielen Dank!" Nie zuvor war Cathy so erleichtert gewesen, jemanden zu sehen, dem sie ihren Sohn übergeben konnte. Der Mann setzte den weinenden Robbie in sicherer Entfernung am Ufer ab und strich ihm sanft übers Haar. "Ist ja schon gut", versuchte er den Kleinen zu trösten. "Was ist mit meiner Mummy?" schluchzte Robbie. "Ich bin in Ordnung, Darling!" rief Cathy. "Ich stecke nur ein wenig fest, doch das ist nicht weiter schlimm." Während sie ihrem Sohn aufmunternd zulächelte, fragte sie sich gleichzeitig, wie, um alles in der Welt, sie nur in eine derart idiotische Situation hatte geraten können. "Können Sie die Füße bewegen?" Sie versuchte es. "Nein." Voller Entsetzen bemerkte sie, dass sich am Ufer bereits Zuschauer anzusammeln begannen. Noch nie in ihrem Leben hatte Cathy sich so lächerlich gefühlt. Um Robbie nicht noch mehr zu ängstigen, bemühte sie sich um eine fröhliche Miene und hoffte, damit ihre Verlegenheit zu überspielen. "Keine Angst, mein Junge." Der Mann ging vor Robbie in die Hocke. "Gleich wird deine Mummy wieder bei dir sein." "Sie machen sich ja ganz schmutzig", wandte Cathy ein, als ihr Retter festen Schrittes durch das Wasser watete.
"Schmutz kann man abwaschen", meinte er lächelnd. "Geben Sie mir Ihre Hand." Er bewegte sich mit einer Sicherheit, um die Cathy ihn beneidete. Sie legte ihre Hand in seine und spürte, wie seine Finger ihre mit festem Griff umschlossen, und im nächsten Moment hatte er Cathy auch schon aus dem Schlamm und ans Ufer gezogen. Wie der sprichwörtliche edle Ritter in schimmernder Rüstung, ging es Cathy durch den Kopf, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Es war schon das zweite Mal, dass er ihr zu Hilfe kam und... "Alles in Ordnung?" Was für ein wundervolles Lächeln er hatte! Cathy atmete tief durch und nickte. "Ja, danke. Vielen herzlichen Dank", wiederholte sie. "Ich weiß nicht, was wir ohne Sie getan hätten. Es ist mir schon richtig peinlich, dass wir Ihnen ständig Mühe machen. Gestern Abend sind Sie unseretwegen nass geworden, und heute ..." Schuldbewusst blickte sie auf seine schmutzigen Stiefel und die mit Schlamm bespritzte Hose. "Ihre ganze Kleidung ist ruiniert", sagte sie. "Es tut mir schrecklich Leid ..." "Ach was! Ich bin froh, dass ich gerade in der Nähe war und Ihnen behilflich sein konnte." Seine Augen funkelten amüsiert. "Außerdem hat das Ganze diesen langweiligen Samstagmorgen etwas belebt, und Ihnen wird der erste Morgen in Langforde sicher ebenfalls in unvergesslicher Erinnerung bleiben." Sein Blick ließ sie erschauern. Er sah wirklich außerordentlich gut aus: dunkle, von langen, dichten Wimpern umrahmte Augen, ein energisches Kinn und ein Mund, der viel Humor verriet. Unwillkürlich erwiderte Cathy sein Lächeln. Sie war erleichtert, dass er ausgebleichte Jeans und eine abgewetzte Lederjacke trug. Offenbar legte er wie sie keinen besonderen Wert auf Kleidung - oder konnte es sich nicht leisten. "Ihr beide kennt euch?" meldete sich unvermittelt Sandra zu Wort, die das Geschehen mit zunehmendem Unmut verfolgt hatte. "Nun ja, gewissermaßen ..." Cathy spürte, wie sie rot wurde. "Ich habe gestern geholfen, einige Möbel ins Haus zu tragen."
"Oh! Ich verstehe." Sandra schien darüber nicht gerade erfreut zu sein. "Ich denke, Robbie und ich sollten uns jetzt besser auf den Weg machen", sagte Cathy. "O verflixt!" Sie blickte zum Dorfladen. "Beinahe hätte ich meine Einkaufstasche vergessen." "Warte, ich hol' sie dir", bot Sandra an. Sichtlich bestrebt, sich wenigstens jetzt nützlich zu machen, eilte sie davon. "Nun ..." Fieberhaft überlegte Cathy, was sie sagen könnte, um nicht erneut in den Bann dieser faszinierenden dunklen Augen zu geraten. "Robbie scheint sein Abenteuer gut überstanden zu haben", meinte sie schließlich mit Blick auf ihren Sohn, der längst zu weinen aufgehört hatte. Er stand in Socken auf dem Kiesweg und schüttete mit andächtiger Miene das Wasser aus seinen Stiefeln. "Ich heiße übrigens Cathy", platzte sie unfreiwillig heraus. Notgedrungen, musste sie nun auch ihren Sohn vorstellen. "Und das ist Robbie." "Daniel." Lächelnd reichte er ihr die Hand. "Ich freue mich, Sie kennen zu lernen." "Ganz meinerseits." Cathy spürte ein sonderbares Prickeln auf der Haut, als ihre Hände sich berührten. Schnell sah sie weg und richtete den Blick auf Sandra, die inzwischen Cathys Einkaufstasche aufgelesen hatte. "Sie ist eine sehr attraktive Frau, nicht wahr?" Er folgte ihrem Blick. "Ja, sehr." Cathy fragte sich, ob sie vielleicht neuerdings einen Hang zum Masochismus hatte. Anders konnte sie sich nicht erklären, weshalb sie extra auf Sandras blendende Erscheinung hinwies, neben der sie wahrscheinlich wie eine Vogelscheuche aussah. Cathy bedankte sich, als Sandra ihr nun die Einkaufstasche reichte. Aufatmend stellte sie fest, dass niemand ihr Portemonnaie gestohlen hatte, das ihre ganze momentane Barschaft enthielt. "Ich begleite Sie beide nach Hause." "Aber das ist doch nicht nötig!" mischte sich Sandra ungefragt ein. "Ich meine", fügte sie mit einem entschuldigenden Blick zu Daniel hinzu, "ich kann die beiden ja in meinem Wagen heimfahren."
"Das ist sehr nett von dir", bedankte sich Cathy, "aber wir würden dir nur das Auto schmutzig machen. Außerdem müsstest du es erst holen." "Sandra wohnt nur wenige Meter entfernt", erklärte Daniel. "Es macht ihr sicher keine Umstände, den Wagen zu holen." "Na ja, eigentlich ..." Die Aussicht, zwei Schmutzfinken in ihrem Auto nach Hause chauffieren zu müssen, schien Sandra nicht gerade zu begeistern. "Ich wollte gerade weggehen." "Gut, dann gehen wir zu Fuß." Cathy wollte keine Hilf e in Anspruch nehmen, die nur widerwillig gegeben wurde. "Es ist ja nicht weit." "Ich komme mit." Cathy sah Daniel an. Sein entschlossener Gesichtsausdruck verriet, dass er sie notfalls auch ohne ihre Zustimmung begleiten würde. Er nahm ihr die Tasche ab. "Vielleicht macht es Robbie ja Spaß, wenn ich ihn auf den Schultern trage? Dann braucht er seine nassen Stiefel nicht mehr anzuziehen." Sofort hellte sich Robbies Miene auf. "O ja, Mummy, darf ich? Bitte!" Er legte die Arme um ihre Beine. "Ich werde auch nie mehr wieder so nah an den Teich gehen!" Cathy zögerte. "Dann wird Daniel ja noch schmutziger." Dieser lächelte. "Duschen muss ich so oder so." Auf dem Heimweg kamen Cathy plötzlich höchst sonderbare Gedanken in den Sinn. Wir sehen aus wie eine richtige ... sie wagte das Wort kaum zu denken. Unter "Familie" hatte sie immer nur Robbie und sich verstanden. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Daniel, der sich angeregt mit ihrem auf einmal recht redseligen Sohn unterhielt. Kein Wunder, dass Sandra in diesen Mann verliebt war. Ob die beiden wohl eng befreundet waren? Jedenfalls hatte Sandra sehr niedergeschlagen ausgesehen, als sie sich vorhin von ihr verabschiedet hatten. Nach Daniels Meinung war der Weg zum Cottage viel zu kurz. Er stellte Robbie behutsam auf den Boden und wartete dann, bis Cathy
die Tür aufgeschlossen hatte. "Nochmals vielen Dank für Ihre Mühe", sagte sie mit einem Lächeln, als er ihr die Tasche reichte. "Gern geschehen." Er hätte sie stundenlang ansehen können. Sie war so ... nein, nicht direkt schön, aber dieser Kontrast von heller Haut, rotem Haar und leuchtend grünen Augen raubte ihm förmlich den Atem. Sie würde ihn doch wohl nicht an der Tür abfertigen? "Falls Sie jemals wieder Hilfe brauchen ..." Er lächelte. Warum nur fühlte er sich plötzlich befangen? Bisher hatte er noch nie Schwierigkeiten gehabt, sich mit einer Frau zu unterhalten. "Das hoffe ich nicht! Obwohl man bei Robbie mit allem rechnen muss!" Sie lachte. "Dabei sieht er so unschuldig aus - nicht wahr, du kleiner Racker?" "Er ist ein großartiger Bursche." Daniel blickte zu dem kleinen Jungen, der auf dem Boden kniete und fasziniert beobachtete, wie eine Hummel in einem von Unkraut überwucherten Beet mit Narzissen von Blüte zu Blüte flog. "Wird er hier zur Schule gehen?" "Ja, ab Montag." Schweigen. "Wohnen Sie hier allein?" "Allein?" Er sah, wie sie irritiert die Stirn runzelte, hakte aber trotzdem nach. "Natürlich ist Robbie bei Ihnen, doch ..." "Ich denke nicht, dass Sie das etwas angeht!" Sie errötete und wirkte verärgert, gleichzeitig aber auch sehr verletzlich. "Bitte, verzeihen Sie. Ich wollte nicht neugierig sein." Er hob mit einer entschuldigenden Geste die Hand. "Sie haben Hecht. Es geht mich wirklich nichts an." "Nein, ich muss mich entschuldigen! Tut mir Leid, ich wollte nicht unfreundlich sein. Nochmals vielen Dank ... Sie waren sehr hilfsbereit." "Nun, dann lasse ich Sie jetzt beide am besten allein." Er bemerkte ihre Verlegenheit und hielt es für besser, zu gehen. "Wir werden uns sicher noch öfter über den Weg laufen."
"Das ... nehme ich an." Sie hatte nicht gesagt, dass sie es hoffte. Daniel verabschiedete sich von Robbie und nickte ihr dann kurz zu. Als er durch den kleinen Vorgarten zur Straße ging, hatte er das unangenehme Gefühl, dass mit ihm etwas geschah, wogegen er wehrlos war. Kurz nachdem Cathy ihren Sohn ins Bett gebracht hatte, klingelte es an der Tür. Sie zögerte einen Moment und hoffte, es wäre Daniel. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie heute Morgen so ausfallend geworden war, und hätte sich gern noch einmal in aller Form bei ihm entschuldigt. Mit zittriger Hand fuhr sie sich durchs Haar und ging dann entschlossen zur Tür. "Sandra!" Wie hatte sie nur glauben können, Daniel würde sich jemals wieder hier blicken lassen? "Hallo, Cathy! Ich war zufällig hier in der Nähe und habe Licht bei dir gesehen." Sandra blickte an ihr vorbei in die Diele. "Störe ich?" "Nein", erwiderte Cathy nicht ganz wahrheitsgemäß, da sie noch immer am Einräumen war. "Komm herein!" Sie hielt ihr die Tür auf. Mit ihrem schicken dunkelblauen Kostüm und den hochhackigen Schuhen wirkte Sandra in dem alten Haus völlig fehl am Platz. "Pass auf, dass du dich nicht schmutzig machst", warnte Cathy. "Ich bin erst gestern Abend eingezogen und noch am Saubermachen." Sandra zeigte unverhülltes Entsetzen, als sie ihr durch die enge Diele zur Küche folgte. So schlimm sieht es nun wirklich nicht aus, dachte Cathy leicht irritiert. Vielleicht ein wenig schäbig, aber zumindest die Küche hatte sie bereits blitzsauber geschrubbt. Argwöhnisch beäugte Sandra einen Stuhl, ehe sie sich vorsichtig darauf niederließ. "Nun, hat dein Sohn das kleine Missgeschick von heute Morgen gut überstanden?" "O ja", antwortete Cathy lächelnd. "Mittlerweile betrachtet er seinen Ausflug ins Wasser als großes Abenteuer. Wie wäre es mit einer Tasse Tee?" "Vielen Dank, aber ich muss gleich wieder weg, da ich verabredet bin."
"Du siehst toll aus", sagte Cathy mit aufrichtiger Bewunderung. "Ein sehr hübsches Kostüm." "Danke." Sandra zögerte. "Als Daniel euch heute Morgen nach Hause begleitet hat... ist er da noch lange geblieben?" Daher weht also der Wind! dachte Cathy und musterte mit heimlicher Belustigung Sandras betont gleichgültige Miene. "Nein, er hat sich gleich an der Tür verabschiedet." "Oh!" Es klang erleichtert. "Er sieht sehr gut aus, nicht wahr?" bemerkte Cathy in beiläufigem Ton. "Ja." "Ist er verheiratet?" "Nein." Sandra schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass er bisher jemals daran gedacht hat, sich zu binden." "Aber er ist sicher in festen Händen." Cathy lächelte. "Schwer vorstellbar, dass ihn sich noch keine Frau geangelt hat." "Im Moment hat er jedenfalls keine feste Freundin", erklärte Sandra und fügte mit einem bedeutungsvollen Blick auf Cathy hinzu: "Was nicht heißt, dass er wie ein Mönch lebt. Er hat so seine Affären, ist aber sehr wählerisch, wenn es um eine längerfristige Beziehung geht. Sicher würde er sich nicht an jemanden binden, der seinen Ansprüchen nicht genügt." "Durchaus verständlich." Diesmal gab sich Cathy keine Mühe, ihre Belustigung zu verbergen. "Du scheinst gut über ihn Bescheid zu wissen. Seid ihr beide etwa ...?" "Nein!" gab Sandra unumwunden zu. "Leider nicht. Aber ich hoffe, das wird sich ändern." "Er kann sehr gut mit Kindern umgehen", meinte Cathy, die nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. "Robbie hat ihn sofort gemocht. Obwohl er sonst Fremden gegenüber eher zurückhaltend ist, hat er sich mit ihm wie mit einem alten Bekannten unterhalten." "Ja, Daniel ist sehr ... sozial veranlagt und immer bereit zu helfen, wenn man ihn braucht." Das ist wohl auf mich gemünzt, dachte Cathy.
Sandra warf einen Blick auf ihre Uhr. "Tja, ich muss los, da ich mit jemandem zum Dinner verabredet bin. Natürlich kann er Daniel nicht das Wasser reichen, aber warum sollte ich ablehnen, wenn man mir ein Essen spendiert?" Cathy enthielt sich einer Bemerkung, doch ihr dämmerte, dass Sandras Verwandlung vom hässlichen Entlein zur verführerischen Schönen sich offenbar rein auf das Äußere beschränkte. An der Haustür blieb Sandra kurz stehen. "Daniel ist ein sehr netter Mensch", betonte sie erneut. "Und natürlich hat sein Verhalten auch ein wenig etwas mit Rebellion zu tun." "Eine interessante Mischung", erwiderte Cathy lächelnd, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Sandra meinte. "Genau. Ich wollte nur, dass du dir darüber von Anfang an im Klaren bist. Nichts ist schlimmer, als wenn eine Frau sich wegen eines Mannes zur Närrin macht." Sandra nickte Cathy noch einmal huldvoll zu und entfernte sich dann mit klappernden Absätzen.
3. KAPITEL In tiefen Zügen atmete Cathy die frische Luft ein, als sie sich nach einem arbeitsreichen Vormittag im Haus auf den Weg zur Schule machte, um ihren Sohn abzuholen. Was für ein herrlicher Tag! Der Himmel war tiefblau, in den Gärten sprießte das erste Grün, blühten Krokusse und Osterglocken. Es war genau so, wie Cathy es sich immer erträumt hatte. Als die Schule in Sicht kam, erhielt ihre Hochstimmung einen leichten Dämpfer. Robbie fühlte sich in seiner neuen Klasse nicht wohl, und das machte ihr zu schaffen. Vor den Schultoren warteten bereits einige Mütter, die Cathys Gruß freundlich erwiderten. Man kannte sich mittlerweile vom Sehen. Dann schrillte auch schon die Glocke. Wenige Minuten später stürmten Kinder verschiedenen Alters aus dem Gebäude. Erwartungsvoll hielt sie nach Robbies frechem Lausbubengesicht Ausschau. Jeden Morgen gab es einen Kampf, weil er nicht zur Schule gehen wollte. Da es früher in dieser Beziehung nie Schwierigkeiten gegeben hatte, quälten sie manchmal Zweifel, ob sie ihren Sohn nicht besser in der gewohnten Umgebung hätte lassen sollen. Das lebhafte Treiben auf dem Schulhof dauerte nicht lange. Kinder und Mütter strömten nach Hause, und bald stand Cathy allein da und wartete, dass Robbie endlich auftauchte. Sie hatte ein ungutes Gefühl, da er sonst meistens einer der Ersten war. Gerade wollte sie sich auf die Suche nach ihm machen, da sah sie ihn. Das Herz wurde ihr schwer, denn alle Anzeichen deuteten darauf
hin, dass etwas passiert war. Warum sonst kam er in Begleitung seiner Lehrerin? "Mummy! Mummy!" Er begann zu laufen und streckte die Arme nach ihr aus - wie ein Gefangener, den man in die Freiheit entließ. "Hallo, mein Schatz!" Sie hob ihn hoch und schwang ihn durch die Luft. "Na, wie geht es meinem Liebling?" Sie gab ihm einen Kuss und drückte ihn zärtlich an sich. "Alles in Ordnung?" "Ja", murmelte er, blickte kurz zu Miss Stubbs und barg dann das Gesicht an Cathys Schulter. "Lass uns schnell nach Hause gehen." "Ich würde gern mit Ihnen sprechen, Miss Taylor. Haben Sie einen Moment Zeit?" Die Miene der ältlichen Lehrerin war alles andere als freundlich, und Cathy spürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. "Ja, natürlich." Sie schluckte. "Ist etwas ... passiert?" "Ich schlage vor, wir gehen hinein. Ich bespreche solche Dinge nicht gern auf dem Schulhof." Das klang ja wenig erfreulich. "Robbie, ich unterhalte mich noch kurz mit Miss Stubbs." Cathy bemühte sich, möglichst unbeschwert zu klingen. "Dann gehen wir nach Hause, ja?" Robbie hob den Kopf und sah sie ernst an. "Ich habe die Farbe nicht absichtlich verschüttet, Mummy. Ich bin nur versehentlich mit dem Ellbogen dagegengestoßen." "Schon gut, Liebling", versuchte sie ihn zu beruhigen und drückte ihn fest an sich, ehe sie ihn aus ihren Armen entließ. Sie nahm ihn an der Hand und folgte mit ihm Miss Stubbs ins Schulgebäude. "Ich bin sicher, dass du nichts Böses getan hast, mein Schatz", sagte sie leise. Ohne Kinder war es in der Schule ungewohnt still. "Ich schlage vor, du spielst ein wenig im Sandkasten dort in der Ecke, Robbie, während ich mich mit deiner Mutter unterhalte", sagte Miss Stubbs beim Betreten des Klassenzimmers. "Ja, mach das, mein Schatz." Cathy gab ihrem Sohn einen liebevollen Klaps, als er bockig stehen blieb. "Es dauert nicht lange."
"Genau darüber möchte ich mit Ihnen sprechen, Miss Taylor", meinte die Lehrerin, sobald sich Robbie außer Hörweite befand. "Ich hatte mit Ihrem Sohn in dieser Woche große Probleme." "Verstehe." Cathy bemühte sich, ruhig zu bleiben. "Nun, ich weiß, dass er jeden Morgen nur sehr widerwillig ..." "Es geht nicht nur darum!" unterbrach die Lehrerin sie scharf. "Es tut mir Leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihr Sohn ist sehr aufsässig und übt auf die Klasse einen schlechten Einfluss aus!" "Oh!" Cathy wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. "Ich weiß, dass er sich nur schwer eingewöhnt", versuchte sie Robbie zu entschuldigen. "Mitten im Schuljahr zu wechseln ist nicht einfach." "Daran hätten Sie vor dem Umzug denken, müssen!" rügte Miss Stubbs streng. "Doch ich glaube, die Hauptursache für sein Benehmen liegt woanders", fuhr sie fort. "Ich habe den Eindruck, dass ihm zu Hause keine Disziplin vermittelt wird." "Disziplin?" wiederholte Cathy und dachte an Robbies frühere Lehrerin, eine fröhliche junge Frau, die wundervoll mit Kindern umzugehen verstand. "Zu Hause ist er eigentlich selten ungezogen.« "Sie sind allein erziehend, nicht wahr?" Jetzt reicht es aber! dachte Cathy und zwang sich, Miss Stubbs direkt in die Augen zu sehen. "Ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat?" "Meiner Meinung nach besteht da durchaus ein Zusammenhang", beharrte Miss Stubbs mit dünnem Lächeln. "Immer wieder erlebe ich, dass ich mit meinen Bemühungen scheitere, den Kindern Disziplin und bestimmte Wertvorstellungen zu vermitteln. Und schuld daran ist das Elternhaus. Ich bin sicher, dass Sie Ihr Bestes versuchen", kam sie Cathys Protest zuvor, "aber Jungen brauchen eine starke Hand. Hier im Dorf haben wir natürlich noch wenig Familien mit nur einem Elternteil. Soweit ich weiß, haben Sie vorher in einem Stadtteil mit gewissen ... sozialen Brennpunkten gewohnt." "Mein Sohn hat sich in der dortigen Schule sehr wohl gefühlt!" "Ja, das hat er mir bereits erzählt. Hoffen wir, dass er sich hier schnell eingewöhnt. Allerdings zeigt er wenig Interesse an der
schönen Umgebung. Als ich heute den Kindern auftrug, etwas aus dem Dorf zu zeichnen, hat er das Haus gemalt, in dem er vor seinem Umzug gewohnt hat." "Er vermisst eben sein altes Zuhause. Das ist doch verständlich!" entgegnete Cathy, von Schuldgefühlen gepeinigt. "Meine Güte, er ist doch erst fünf und ..." "Miss Stubbs, habe ich vielleicht meine Aktentasche bei Ihnen gelassen?" Beim Klang der vertrauten tiefen Stimme fuhr Cathy herum. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie an Wunschdenken, sich nur einzubilden, ihr Retter wäre wieder einmal in höchster Not zur Stelle. Doch er war es tatsächlich und füllte in seiner ganzen imponierenden Größe den Türrahmen. "O Verzeihung! Ich wusste nicht, dass noch jemand hier ist." Sein Lächeln vertiefte sich, als er Cathy erkannte. "Hallo, wie geht's?" Er bemerkte ihre niedergeschlagene Miene, und sein Blick schweifte zu Miss Stubbs und zurück zu Cathy. "Alles in Ordnung?" "Miss Taylor und ich unterhalten uns nur ein wenig über Robbie", erklärte die Lehrerin in überraschend freundlichem Ton. "Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Sie suchen Ihre Aktentasche, sagten Sie?" Sie ließ den Blick durchs Klassenzimmer schweifen. "Da drüben ist sie ja. Links neben meinem Pult." "Ach ja, danke." Raschen Schrittes durchquerte er das Zimmer, um sie zu holen. Auch heute trug er wieder ausgebleichte Jeans, dazu ein einfaches weißes T-Shirt, in dem sein athletischer Körperbau besonders gut zur Geltung kam. "Tut mir Leid für die Störung." "Das macht doch nichts." Wie strahlend Miss Stubbs auf einmal lächeln konnte - bis ihr Blick auf Robbie fiel. "Um Himmels willen, Robbie, du machst ja alles schmutzig!" schimpfte sie. Cathy hielt es hier keinen Moment mehr länger aus. "Komm, Robbie, wir gehen." "Aber Miss Taylor, wir haben unser Gespräch noch nicht beendet." "Ich denke doch, Miss Stubbs. Meiner Meinung nach haben Sie alles gesagt, was zu sagen war." Zwar konnte Cathy nicht verhindern,
dass ihre Stimme leicht zitterte, aber zumindest vermochte sie die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. "Klopf dir den Sand ab, Liebling." "Miss Taylor! Wir sind noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gelangt und müssen miteinander reden." "Worüber denn? Über Ihre Vorbehalte gegenüber allein erziehenden Müttern?" Irgendwie fühlte Cathy sich durch Daniels Anwesenheit ermutigt, und sie musterte die Lehrerin mit unverhohlener Abneigung. "Ich versuche, meinen Sohn nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen, Miss Stubbs. Mehr kann ich leider nicht tun. Komm, Robbie, wir gehen nach Hause." Sie nahm ihren Sohn an der Hand und ging mit ihm zur Tür. "Miss Taylor...!" Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ Cathy mit Robbie das Klassenzimmer und machte die Tür hinter sich zu. Draußen auf dem Gang kam jäh die Ernüchterung. Hätte sie sich ihrem Sohn zuliebe nicht besser beherrschen sollen? Armer Robbie! Der Gedanke, dass er diese griesgrämige Frau täglich mehrere Stunden ertragen müsste, verstärkte noch Cathys Gewissensbisse. Als könnte er Gedanken lesen, sagte er: "Sie ist nicht nett, Mummy! Warum kann sie nicht lachen und lustig sein wie Miss Collins?" Cathy unterdrückte einen Seufzer. "Ich weiß es nicht, mein Schatz." Sie hörte Stimmen hinter der Tür und hätte gern gewusst, worüber Daniel und Miss Stubbs sich unterhielten. "Daniel mag ich", erklärte ihr Sohn auf dem Weg zum Ausgang. "Wir haben bei ihm Häuser gemalt. Das hat riesigen Spaß gemacht. Daniel hat mein Bild gefallen. Wenn du willst, zeige ich es dir noch schnell." "Ich glaube, ich sehe es mir lieber am Montag an. Einverstanden?" "Montag haben wir schulfrei!" verkündete Robbie fröhlich. "Und Dienstag auch." Er zog einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche und reichte ihn seiner Mutter. "Es steht alles hier drauf."
Cathy glättete das Papier und las, dass die Schule wegen dringender Reparaturarbeiten am Dach montags und dienstags geschlossen sein würde. Sie blickte lächelnd zu Robbie hinunter. "Da können wir zwei ja ein schönes langes Wochenende miteinander feiern. Lass uns überlegen, was wir alles machen wollen." "Cathy, warten Sie!" hörte sie plötzlich Daniel hinter sich rufen. Robbie und sie blieben stehen und drehten sich um. Unwillkürlich begann Cathys Herz schneller zu klopfen. "Alles in Ordnung?" fragte er, sobald er sie eingeholt hatte. Cathy rang sich ein schwaches Lächeln ab. "Nun ja, es ist nicht sehr angenehm, wenn einem gesagt wird, man sei als Mutter unzulänglich." "Das hat sie gesagt?" Er schüttelte den Kopf. "Sie sollten es nicht so ernst nehmen. Sie ist ein alter Drachen und außerdem ein schrecklicher Snob." Sein Blick fiel auf Robbie. "Was hältst du davon, wenn ich euch in meinem Landrover nach Hause fahre, Sportsfreund?" "O ja!" rief Robbie und begann aufgeregt zu hüpfen. "Wir fahren mit dem Landrover! Wir fahren mit dem Landrover!" sang er. Cathy lachte. "Was machen Sie eigentlich hier? Sind Sie Lehrer?" "Du lieber Himmel, nein!" Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. "Ich helfe nur einen Tag in der Woche aus. Es gibt hier niemanden für den Kunstunterricht, und da habe ich eben", er zuckte die breiten Schultern, "meine Hilfe angeboten." "Vermutlich werden Sie dafür nicht einmal bezahlt." "Nein." Daniel hielt Cathy und Robbie die Eingangstür auf, und die beiden traten in die frische Frühlingsluft hinaus. "Ich mache das aus reiner Liebe für Leute wie Miss Stubbs", fügte er trocken hinzu. "Vorsicht!" flüsterte Cathy und sah über seine Schulter. Rasch blickte er sich um. "Ertappt!" rief sie lachend. "Mir erzählen Sie, ich soll Miss Stubbs nicht ernst nehmen, dabei fürchten Sie sie ebenfalls." Er folgte ihr nach draußen. "Okay, ich gebe zu, dass ich entsetzliche Angst vor ihr habe." Seine Augen funkelten belustigt. "Ganz schön hinterhältig von Ihnen, mir einen solchen Schrecken
einzujagen. Mein Herz schlägt wie verrückt." Er griff spontan nach ihrer Hand. "Fühlen Sie selbst." Die Berührung wirkte wie ein Stromschlag auf Cathy. Sie spürte unter ihren gespreizten Fingern seine harten Muskeln, und ihr Puls begann zu rasen. Was war plötzlich mit ihr los? Wahrscheinlich sind nach dem Gespräch mit Miss Stubbs nur meine Nerven ein wenig überreizt, versuchte sie sich einzureden. "Merken Sie jetzt, was Sie mir angetan haben?" Daniels dunkle Augen glitzerten. "Tut mir Leid." Sie vermochte den Blick nicht von seinem zu lösen. "Oh, ich kann damit leben." Er lächelte. "Mummy?" Jemand zupfte Cathy am Ärmel. Jäh ließ sie die Hand sinken und sah zu ihrem Sohn hinunter. "Lass uns doch endlich in den Landrover steigen!" drängelte er. "Macht es Ihnen auch wirklich keine Umstände?" fragte Cathy, als sie vor dem alles andere als blitzsauberen Wagen standen. "Falls ja, hätte ich es Ihnen nicht angeboten", tat Daniel ihren Einwand ab. "Warten Sie, die Tür klemmt." Er zog die Beifahrertür mit einem kräftigen Ruck auf und lächelte schuldbewusst. "Ich sollte den Wagen wirklich einmal in die Werkstatt bringen, weil alles Mögliche nicht mehr richtig funktioniert." Er hob Robbie auf den Beifahrersitz und trat dann beiseite, um Cathy einsteigen zu lassen. "Aber Sie wissen ja, wie das ist." "Und ob!" bestätigte Cathy und seufzte. Vermutlich musste er wie sie jeden Penny umdrehen. "Immer Ärger mit dem Geld, stimmt's?" Sie lächelte. "Vor allem, wenn man keines hat! Wie kommen Sie eigentlich zurecht, da Sie auch noch einen Tag pro Woche der Schule opfern?" "Oh, das geht schon. Ich kann mir meine Zeit frei einteilen." "Sind Sie arbeitslos?" Er runzelte die Stirn, und Cathy wurde feuerrot. "Tut mir Leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten." Wie hatte sie nur so taktlos sein können!
"Arbeitslos?" wiederholte er bestürzt, doch dann hellte sich seine Miene auf. "Nein, nein, das bin ich nicht." Er lächelte. "Obgleich manche es vielleicht so nennen würden. Ich versuche mich als Maler." "Außenanstrich oder Zimmerwände?" fragte Cathy. Um seine Mundwinkel zuckte es. "Aquarelle und Ölgemälde." "Sie sind richtiger Künstler?" Cathy war begeistert. "Das ist ja wundervoll! Was für Bilder malen Sie?" "Porträts, Landschaften - alles, was mein Interesse weckt." Daniel lenkte den Wagen von dem kleinen Parkplatz der Schule auf die Straße. "Und Sie können davon leben?" Cathy sah, wie er die Brauen zusammenzog. "Bitte, verzeihen Sie, dass ich ständig die falschen Fragen stelle", entschuldigte sie sich schnell. "Ich bin nur so froh, mit jemandem reden zu können, der weiß, was es heißt, wenig Geld zu haben." Ihr Blick fiel auf die gepflegten Villen, an denen sie soeben vorbeifuhren. "Den Leuten hier in der Gegend scheint es finanziell sehr gut zu gehen." "Das stimmt. Langforde ist ein recht wohlhabender Ort mit vielen reichen Pensionären." "Verkaufen sich Ihre Bilder gut?" "Es geht so", antwortete Daniel. "Der Umsatz schwankt. Das liegt auch daran, dass ich mich nur ungern von ihnen trenne. Um wirklich voranzukommen, musste ich mehr Zeit in alles investieren." "So ähnlich geht es mir auch mit meinen kleinen Basteleien", sagte Cathy. "Bisher habe ich mich nur halbherzig damit beschäftigt, doch das soll sich in Zukunft ändern." "Was für Basteleien?" Er warf ihr einen neugierigen Blick zu. "Klingt interessant." Cathy spürte, wie sie errötete. "Ach, es sind nur kleine Dinge für den Garten." Normalerweise sprach sie mit niemandem darüber. "Futterhäuschen für Vögel, Pflanzentöpfe, Briefkästen und dergleichen. Nichts Besonderes." "Und Sie verkaufen diese Sachen?"
"Im Moment verdiene ich damit nur hin und wieder ein paar Pfund." Sie zögerte. "Deshalb haben Miss Stubbs' abfällige Bemerkungen mich ja auch so getroffen. Ich fühle mich selbst oft so ... unzulänglich." Unwillkürlich blickte sie an ihrem verwaschenen Overall hinunter. "Haben Sie auch manchmal das Gefühl, dass die Leute auf Sie herabsehen, weil Sie arm sind?" Daniel runzelte die Stirn. "Nein ... nein, das könnte ich nicht sagen", erwiderte er zögernd. Wie, zum Teufel, war sie nur auf die Idee verfallen, er habe kein Geld? Zugegeben, wie meistens trug er auch heute nicht gerade die edelsten Stücke aus seiner Garderobe, und auch sein Landrover war nicht unbedingt das neueste Modell - aber erweckte er deshalb schon den Eindruck von Armut? "Natürlich war ich darauf gefasst, dass ich mich in dieser wohlbehüteten Dorfidylle ein wenig als Außenseitern! fühlen würde, doch nie hätte ich geglaubt..." "Was Miss Stubbs sagt, braucht Sie nun wirklich nicht zu kümmern", unterbrach Daniel sie. "Sie vermag nicht über den Tellerrand ihrer kleinen Welt hinauszusehen." Während er den Landrover um eine scharfe Kurve lenkte, überlegte er, ob er Cathy jetzt gleich über seine Vermögensverhältnisse aufklären sollte. Sie schien in dieser Beziehung sehr empfindlich zu sein. Wie sollte er ihr nur beibringen, dass er reich genug war, tun und lassen zu können, was er wollte? "Was ist?" "Wie bitte?" Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Trotz ihres Lächelns wirkte sie ungemein verletzlich, und er wusste in diesem Moment, dass er alles daransetzen würde, um sie besser kennen zu lernen. "Sie schienen auf einmal so nachdenklich zu sein." "Ach, das sah nur so aus", meinte er lächelnd. "Was macht übrigens das Cottage? Haben Sie sich schon häuslich eingerichtet?" "Ja, so allmählich wird es dort ganz wohnlich. Wie Sie sehen, habe ich alles andere sträflich vernachlässigt und mich ganz auf die Verschönerung unseres neuen Heims konzentriert."
"Was haben Sie denn sträflich vernachlässigt?" "Mich." Sie verzog das Gesicht. "Ich hätte mich umziehen sollen, bevor ich aus dem Haus ging. Unter Miss Stubbs' strenger Musterung kam ich mir wie eine Pennerin vor. Wahrscheinlich habe ich auch noch Farbe im Gesicht." "Sie sehen ..." Daniel suchte nach den passenden Worten. Er konnte ihr schlecht sagen, dass er sie mit ihren leuchtend grünen Augen und dem zerzausten Haar einfach hinreißend fand. "Keine Angst, ich weiß selbst, was ich für einen Anblick biete", kam Cathy ihm zuvor. "Als hätte man mich rückwärts durch eine Hecke geschleift!" "Mir gefällt, wie Sie aussehen", versicherte er in lockerem Ton. "Es passt zur Landschaft." "Mummy, sieh nur die vielen Schafe!" rief Robbie aufgeregt. "O ja!" Cathy legte Robbie den Arm um die Schultern und streichelte seinen Nacken. "Sind sie nicht süß?" Er strahlte über das ganze Gesicht, blickte mal aus diesem und mal aus jenem Fenster, damit ihm ja nichts entging. "Sie haben übrigens keine Farbe im Gesicht", sagte Daniel leise. "Falls Sie das beruhigt." "Es ist immerhin etwas." Cathy betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Er sah nicht nur umwerfend attraktiv aus, sondern war auch so selbstsicher, so humorvoll... Unvermittelt wandte er den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Cathy errötete und sah rasch weg, weil sie Angst hatte, er könnte ihre Gedanken lesen. Man brauchte wenig Fantasie, um sich vorzustellen, welche Wirkung er auf das weibliche Geschlecht hatte. Hier in der Gegend gab es sicher viele schöne, elegante und gebildete Frauen, die ein Auge auf ihn geworfen hatten. Verglichen mit ihnen, kam sie sich noch armseliger als sonst vor. Aber weshalb machte sie sich darüber Gedanken? Wichtig war für sie doch nur, dass Daniel ein netter und einfühlsamer Mensch war, der wundersamerweise immer dann auftauchte, wenn sie Unterstützung benötigte. Dass er außerdem außergewöhnlich gut aussah und den Körper eines Adonis hatte, war ohne jede Bedeutung.
"Haben Sie schon immer hier gelebt?" Sie riskierte einen kurzen Blick auf seine muskulösen Arme und sah dann schnell wieder nach vorn durch die Windschutzscheibe. "Ja. Merkt man mir das an?" Er lächelte. "Nur als junger Kerl bin ich ein paar Jahre mit dem Rucksack durch die Welt gereist, wie das eben unter Studenten so üblich ist. Sie kennen das sicher." Sein Blick fiel auf Robbie, der zwischen ihnen saß. "Das heißt, wahrscheinlich hatten Sie mit zwanzig Wichtigeres zu tun, als durch die Welt zu gondeln?" "Ja." Liebevoll zerzauste Cathy ihrem Sohn das Haar. "So könnte man sagen." Sie wandte den Kopf und sah durch das Seitenfenster auf die vorbeiziehenden Felder hinaus. Wieso war ihr plötzlich zum Weinen zu Mute? Etwa, weil Daniel von Erfahrungen sprach, die Sie nie würde machen können? Selbstverständlich hatte Robbies Geburt ihrem Leben eine bestimmte Wendung gegeben, doch bisher hatte sie das noch keine Sekunde bereut. Ich bin einfach nur erschöpft, sagte sie sich. Seit Jahren versuchte sie sich gegen Armut und soziales Elend zu behaupten, und das zehrte natürlich an ihren Kräften. Daniel machte sich Vorwürfe, das Thema "Reisen" überhaupt angesprochen zu haben. Wie alt mochte Cathy wohl gewesen sein, als sie Robbie bekommen hatte? Achtzehn vielleicht? Höchstens neunzehn. Was für einen schönen Mund sie hat, dachte er zusammenhanglos. Und erst ihre Augen. Smaragdgrün und von dichten dunklen Wimpern umrahmt. Sie war völlig ungeschminkt, und ihm gefiel ihre Frische und Natürlichkeit - und seltsamerweise fand er auch ihre Unsicherheit reizvoll! "Robbie hat heute ein tolles Bild gemalt, nicht wahr, Sportsfreund?" "Ich habe unser früheres Haus gezeichnet", erzählte Robbie stolz seiner Mutter. "Mit Amy und Mrs. Brownfield und Mr. Peters. Sie winken aus den Fenstern." Lächelnd blickte Cathy auf ihren Sohn. "Vielleicht sollten wir es Amy schicken. Sie würde sich bestimmt freuen."
Ich könnte ihr stundenlang zuhören, dachte Daniel. Vermutlich ahnte sie nicht einmal, was für eine sinnliche Stimme sie hatte. "In der nächsten Malstunde kleben wir das Bild auf einen festen Karton, dann kann deine Freundin es an die Wand hängen", sagte er zu Robbie, der begeistert nickte. Sie hielten vor dem Cottage. Daniel verspürte Unbehagen, als er durch die Windschutzscheibe das windschiefe Dach und die undichten Fenster betrachtete. "Darf ich Sie noch zu einer Tasse Tee einladen?" fragte Cathy und beeilte sich hinzuzufügen: "Natürlich nur, wenn Sie nichts Besseres vorhaben." "Nein, habe ich nicht! Vielen Dank!" Er lachte. "Ich befürchtete schon, Sie würden mich nicht fragen!" In der frisch gestrichenen Küche blickte Daniel sich bewundernd um. "Dieses Gelb sieht großartig aus! Kaum zu glauben, was Sie aus diesem trübseligen Raum gemacht haben." Er musterte Cathy in ihrem farbbespritzen Overall. Sie sah so frisch und energiegeladen aus - und geradezu zum Anbeißen mit ihren nun vor Freude strahlenden Augen und dem bezaubernden Lächeln. "Wie haben Sie das in so kurzer Zeit nur geschafft?" "Ach, ich weiß nicht." Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie an Lob nicht gewöhnt war. "Sicher, es ist jetzt hübscher als vorher, aber dazu gehörte nicht viel", meinte sie trocken. "Warum so bescheiden? Sie haben wahre Wunder vollbracht!" Er runzelte die Stirn, als er bei näherem Hinsehen in ihren noch immer strahlenden Augen einen Ausdruck von Erschöpfung wahrnahm. "Sie müssen völlig fertig sein, nach dieser Schufterei." "Nur ein wenig müde. In den letzten Tagen bin ich sogar manchmal beim Dinner eingeschlafen. Das ist mir noch nie zuvor passiert." Daniel hätte ihr gern helfend unter die Arme gegriffen. Sollte er ihr die Dienste seiner erfahrenen Putzfrau anbieten? Oder einen Maler bezahlen, der die restliche Renovierung übernahm? Obwohl er sie noch nicht sonderlich gut kannte, wusste er instinktiv, dass sie zu stolz war, um von anderen Unterstützung anzunehmen.
"Irgendwie kommt es mir vor, als hätten Sie sich mit diesem Haus einen lang gehegten Traum erfüllt." Er suchte ihren Blick und hielt ihn fest. "Woher ... wissen Sie das?" Der atemlose Klang ihrer Stimme ließ Daniels Herz schneller schlagen. "Man sieht es Ihnen an. Sie strahlen über das ganze Gesicht." "Ich bin ja auch unglaublich froh, hier zu sein." Tatsächlich hatte Cathy sich schon lange nicht mehr so glücklich gefühlt wie in diesem Augenblick. Die helle Küche war von Sonnenlicht durchflutet, Robbie summte fröhlich vor sich hin und sie unterhielt sich mit einem Mann, den es tatsächlich zu interessieren schien, was sie dachte, fühlte ... Sie riss sich von seinem Blick los, griff nach dem Wasserkessel und ging zu dem nunmehr vor Sauberkeit nur so blitzenden Spülbecken. Noch immer summend, öffnete Robbie die Tür zum Wohnzimmer. "Darf ich einen Blick hineinwerfen?" fragte Daniel. Sie zuckte gleichmütig die Schultern, vermochte jedoch ihre Freude über sein Interesse nicht ganz zu verbergen. "Aber gern." Nachdem sie Wasser aufgesetzt hatte, folgte sie ihm ins Wohnzimmer. Während sie von der Tür aus seine Reaktion auf ihre Verschönerungskünste beobachtete, konnte sie es noch immer nicht fassen, einen Mann wie Daniel getroffen zu haben, selbst wenn ihre Beziehung sicher niemals über eine flüchtige Bekanntschaft hinausgehen würde. Wann hatte sie schon jemals einen Mann kennen gelernt, der weder egoistisch noch hinterhältig war, oder, wie in einem ganz bestimmten Fall, richtiggehend grausam? "Hier ist die Verwandlung ja sogar noch beeindruckender!" Cathy verdrängte jeden weiteren Gedanken an Steve. "Es sind alles nur oberflächliche Verschönerungen", wandte sie ein und betrachtete die beigefarbenen Wände und duftigen Musselinvorhänge. Letztere verbargen ein wenig die verrotteten Fensterstöcke. "Nur ein neuer Anstrich und alles sauber geschrubbt." "Sagen Sie bloß, das ist die alte Truhe?" Vorsichtig strich Daniel über die frisch gestrichene Oberfläche.
"Ja." "Sie ist nicht wieder zu erkennen?" Sein Blick drückte echtes Interesse aus. "Wie erzielt man einen solchen Farbeffekt?" Es fiel Cathy schwer, sich dem Bann seiner dunklen Augen zu entziehen. Sie verlockten zu allerlei Träumen, die jedoch ins Land der Fantasie gehörten und niemals wahr werden wurden. "Oh, es sind nur mehrere Lagen Farbe, die man dann mit Sandpapier bearbeitet, so dass ... verschiedene Schattierungen ... entstehen." Cathy hatte Mühe, sich unter Daniels forschendem Blick zu konzentrieren. "Das alles kostet so gut wie nichts", fuhr sie rasch fort. "Korbmöbel sind spottbillig, genau ..." Robbie hatte zu summen aufgehört und ahmte jetzt das Geräusch eines hochtourigen Motors nach. Autos schlitterten über den frisch gebohnerten Holzfußboden. "... wie dieser Flickenteppich", beendete Cathy lächelnd den Satz. "Er ist leicht zu pflegen und macht das Zimmer gemütlicher. " Sie verstummte, da ihr jäh bewusst wurde, dass sie wie ein Wasserfall redete. Aber nachdem sie die ganze Woche so hart gearbeitet hatte, freute sie sich natürlich, wenn jemand ihre Bemühungen würdigte. "Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen gern einmal, wie man diesen Farbeffekt erreicht", bot sie an. "Danke. Ich werde auf Ihr Angebot zurückkommen." Daniel erwiderte ihr Lächeln voller Wärme. "Möbel sind so entsetzlich teuer, nicht wahr? Ich kaufe fast alles beim Trödler und richte es neu her. Sie auch?" "Nein." Er schüttelte den Kopf. "Eigentlich nicht." "Sie sollten es aber tun. Man kann damit ein Vermögen sparen! Nicht weit von hier gibt es einen Altwarenhändler ..." Wie ihre Augen blitzten! Daniel fand sie einfach entzückend in ihrer Begeisterung. Aber er konnte ihr jetzt unmöglich gestehen, dass er einer der reichsten Männer in der ganzen Grafschaft war. "Meinen Sie den in der Cranton Road?" "Ja, genau den." Sie schien erfreut, dass er ihn kannte. "Vielleicht könnten wir ...?" Er beobachtete, wie sie zögerte und ihre schönen
grünen Augen plötzlich Unsicherheit ausdrückten. "Aber wahrscheinlich sind Sie viel zu beschäftigt..." "Durchaus nicht." Er dachte an die sich auf seinem Schreibtisch stapelnde Arbeit für die familieneigene Wohltätigkeitsstiftung. "Ich würde mich dort gern einmal umsehen." "Und da Sie einen Landrover besitzen, würde es auch kein Transportproblem geben." "Nein." Daniel lächelte. "Falls ich für Sie etwas abholen soll..." "So habe ich das nicht gemeint", unterbrach Cathy ihn errötend. "Ich wollte auf keinen Fall..." "Das weiß ich doch", versicherte er. "Aber mein Angebot steht." Er sah ihr direkt in die Augen. "Bitte, zögern Sie nicht, mich zu fragen, wenn Sie jemals Hilfe brauchen." Er überlegte einen Moment. "Wie wäre es, wenn wir gleich am Montag hinfahren würden?" schlug er vor. "Soweit ich weiß, hat der Laden täglich geöffnet. Als ich das letzte Mal vorbeikam, standen viele Möbel vor der Tür." "Und Sie wollen wirklich ...?" "Ja, wirklich." Sie hatte das wundervollste Lächeln, das Daniel je gesehen hatte. "Am besten fahren wir gleich morgens hin." "Montag?" Sie runzelte die Stirn. "Da hat die Schule geschlossen, und ich kann Robbie nicht..." "Kein Problem. Wir nehmen ihn mit." "Nun, in diesem Fall nehme ich Ihr Angebot gern an", sagte sie mit strahlendem Lächeln. Ich sollte nun wirklich gehen, dachte Daniel. Er hatte jede Menge zu tun. "Würden Sie mir auch noch den Rest des Hauses zeigen?" fragte er unvermittelt. "... und das ist mein Schlafzimmer. Wie Sie sehen, habe ich hier noch nichts gemacht, außer es geputzt, natürlich." Auf Daniel wirkte der Raum äußerst deprimierend. An den Wänden waren Wasserflecken, und an manchen Stellen begann sich die Tapete zu lösen. Er musste sich beherrschen, sich nichts anmerken zu lassen. Die Vorstellung, dass Cathy hier schlief, war ihm unerträglich. "Was wollen Sie hier alles verändern?" fragte er und konnte nicht
verhindern, dass seine Stimme skeptisch klang. Ob Cathy das auch mitbekommen hatte? Sie hatte. Ihre Miene verriet es. "Oh, bisher war ich viel zu beschäftigt, um mir darüber Gedanken zu machen. Und als Nächstes kommt erst einmal meine künftige Werkstatt an die Reihe." "Ihre Werkstatt?" wiederholte Daniel. "Ja, Ich habe Ihnen doch von meinen Bastelarbeiten erzählt, nicht wahr?" Cathy ging zum Fenster und sah hinaus. "Ist die Aussicht hier nicht herrlich? Ich kann es kaum glauben, dass ich von meinem Schlafzimmer aus", sie zählte schweigend, "vier Pferde und einundzwanzig, nein, zweiundzwanzig Schafe sehen kann!" Als Daniel nun neben sie ans Fenster trat, verspürte er den unwiderstehlichen Drang, sie in die Arme zu nehmen. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf, erstaunt über das starke Verlangen, das sie in ihm weckte. ' "Was ist?" Fragend sah sie ihn an. "Nichts." Sie schien wirklich nicht zu ahnen, was in ihm vorging. Er blickte aus dem Fenster und betrachtete die Wiesen und Felder plötzlich mit ganz anderen Augen - den Augen der Frau, die neben ihm stand. "Ich habe mich nur gefragt, ob ich das alles wirklich zu schätzen weiß." "Ganz bestimmt. Wahrscheinlich bin eher ich ein wenig zu überschwänglich, weil sich mein Traum vom Leben auf dem Land endlich erfüllt hat." Daniel sah sie an und lächelte. "Und ich freue mich, dass Sie hierher gezogen sind." "Ist das Ihr Ernst?" Es schien sie tatsächlich zu überraschen. "Ja." "Soll ich Ihnen mal zeigen, was ich so bastle?" fragte sie plötzlich. Er nickte. Sie ging ihm voraus ins andere Zimmer, öffnete einen großen Umzugskarton und zog ein Futterhäuschen heraus. "Voila!" Daniel nahm es in die Hand und betrachtete es eingehend. "Sehr hübsch", meinte er schließlich. "Nächste Woche findet in Langforde
das jährliche Dorffest mit einem Flohmarkt statt. Sie könnten einen Stand mieten und Ihre Sachen dort verkaufen." "Im Moment habe ich noch nicht genügend Artikel beisammen. Vielleicht versuche ich es nächstes Jahr. Man hat mir erzählt, dass das Fest bei der Bevölkerung sehr beliebt sei." "O ja", bestätigte Daniel. "Vor allem der Ball am Freitag." "Er soll immer sehr glanzvoll sein." Vorsichtig stellte Daniel das Futterhäuschen auf den Boden und nahm einen sehr hübsch bemalten Blumentopf in Augenschein. "Ja, so sagt man. Da wir gerade davon sprechen ..." "Mummy, ist es schon Zeit für meine Kindersendung im Fernsehen?" Robbie stürmte atemlos ins Zimmer. "Ich kann die Fernbedienung nicht finden." Cathy sah auf ihr Uhr. "Ja, es geht gleich los. Wahrscheinlich ist die Fernbedienung wieder zwischen die Couchpolster gerutscht. Sehen wir mal nach." Sie blickte mit einem entschuldigenden Lächeln zu Daniel. "Tut mir Leid." "Das macht doch nichts." Gerade hatte er einen Anlauf genommen, ihr zu erklären, welcher Zusammenhang zwischen seiner Familie und dem Fest bestand. Doch er hatte den richtigen Moment verpasst. Vielleicht bot sich ja am Montag eine bessere Gelegenheit. "Ich muss mich sowieso auf den Weg machen." "Hoffentlich habe ich Sie nicht aufgehalten?" fragte sie besorgt. "Ich schwätze Ihnen hier die Ohren voll und ..." "Sie schwätzen überhaupt nicht", widersprach der lächelnd. "Ich würde gern noch bleiben, aber ich muss wirklich los." "Nochmals vielen Dank fürs Mitnehmen. Das war sehr nett von Ihnen - ebenso wie Ihre Würdigung meiner Verschönerungsversuche." Cathy begann die Treppe hinunterzugehen, gefolgt von Daniel, der feststellte, dass er sich höchst ungern von ihr trennte. "Dann also bis Montag." Wie gern hätte er sie zum Abschied geküsst! Stattdessen hielt er sich brav an die Regeln höflichen Benehmens und reichte ihr artig die Hand. "Danke für den Tee." "Sie waren sehr freundlich."
"So?" Er lächelte trocken. "Ob Sie es glauben oder nicht, aber mit Freundlichkeit hatte das sehr wenig zu tun."
4. KAPITEL Als es am Abend desselben Tages gegen sieben an der Tür klingelte, war Cathy sicher, dass es nur Daniel sein konnte. Sie legte das Buch weg, in dem sie und Robbie gelesen hatten, und stand rasch auf. "Sehe ich einigermaßen okay aus, Robbie?" Nervös strich sie sich übers Haar und war froh, statt des Overalls wenigstens saubere Jeans angezogen zu haben. "Ja, du siehst sehr hübsch aus, Mummy." Die Gedanken ihres Sohnes schienen auf gleicher Wellenlänge mit ihren zu liegen. "Glaubst du, es ist Daniel? Soll ich ihm ein Sandwich mit Erdnussbutter machen?" Cathy lächelte. "Mal sehen. Vielleicht hat er ja bereits zu Abend gegessen." Die Frage erübrigte sich, da nicht er, sondern Sandra vor der Tür stand. Nur mühsam verbarg Cathy ihre Enttäuschung, "Cathy! Hallo! Bitte entschuldige, dass ich unangemeldet hereinplatze, aber ich bin gerade vorbeigefahren und habe Licht bei dir gesehen." "Hallo!" Cathy rang sich ein Lächeln ab. "Hattest du eine angenehme Woche?" "Wie immer viel Stress im Büro." Sandra machte sich nicht die Mühe zu fragen, wie es Cathy ergangen war. Sie stöckelte an ihr vorbei in die Diele. "Meine Güte, wie hältst du es hier nur aus?" rief sie wenig zartfühlend und blickte sich voller Abscheu um.
Cathy versuchte, auf Sandras kränkende Bemerkung gelassen zu reagieren. "Wer arm ist, kann nicht wählerisch sein. Ich habe schon Schlimmeres gesehen." "So?" Es schien Sandra schwer zu fallen, sich nicht vor Entsetzen zu schütteln. "Wo denn?" "Nun ja, ich habe vor dem Umzug nicht gerade im Ritz gewohnt", erwiderte Cathy ironisch. "Komm mit ins Wohnzimmer, dort ist es nicht ganz so schlimm." Falls sie geglaubt hatte, Sandra würde die sichtbaren Fortschritte im Wohnzimmer lobend zur Kenntnis nehmen, wurde sie enttäuscht. ,;Robbie, sag ,hallo' zu Sandra." Er lächelte breit und zeigte seine Zahnlücke. "Wir dachten, Daniel hätte geklingelt", erklärte er sichtlich enttäuscht. "Ich wollte ihm ein Sandwich mit Erdnussbutter machen." "Tatsächlich?" In Sandras Gesicht zeigte sich eine Spur von Überraschung. Fragend blickte sie zu Cathy. Das ist das Problem mit Fünfjährigen, dachte diese. Sie sagen immer, was sie denken. "Erwartet ihr ihn heute noch?" "Nein, nein! Wir haben ihn nur heute Mittag zufällig in der Schule getroffen. Robbie mag ihn sehr gern." "Ach so." Es sah aus, als wäre Sandra erleichtert. "Tja, Robbie, du wirst dich wohl in die Schlange einreihen müssen." "Welche Schlange?" Er schien zu überlegen. "Etwa wie an der Kasse im Supermarkt?" "Nein, nicht wie im Supermarkt." Hilfe suchend blickte Sandra zu Cathy. "Möchtest du eine Tasse Tee?" fragte diese. "Danke, nein. Ich bin in Eile, da ich gerade vom Büro komme und zu Hause noch viel Arbeit auf mich wartet. Ich wollte dich nur zu meiner Party einladen." "Deiner Party?" wiederholte Cathy so verwundert, als würde sie nicht wissen, was das sei. "Ja. Es ist ewig lange her, dass ich zuletzt Leute zu mir eingeladen habe. Ich dachte, es wäre für dich eine gute Gelegenheit, mit den Dörflern in Kontakt zu kommen."
"Das ist sehr nett von dir." In Gedanken korrigierte Cathy ihre nicht sehr schmeichelhafte Meinung über Sandra etwas. "Aber ich bin nicht sicher ..." "Bitte, komm doch!" Es klang, als wäre ohne Cathys Anwesenheit Sandra der ganze Abend verdorben. "Kannst du nicht einen Babysitter finden?" "Ich bin kein Baby mehr!" protestierte Robbie lautstark. "Das ist doch nur so eine Redensart", versuchte Sandra zu erklären, und da der Junge sie verständnislos ansah, fügte sie ungeduldig hinzu: "Man sagt eben so." "Es hat nichts zu bedeuten, mein Schatz", beruhigte Cathy ihn. "Nun, ich hätte schon jemanden, der bei Robbie bleibt", wandte sie sich wieder an Sandra und war insgeheim erstaunt, dass sie immerhin erwog, die Einladung anzunehmen. "Mrs. Barnet, meine Nachbarin, ist sehr hilfsbereit und hat mir schon angeboten, jederzeit gern auf Robbie aufzupassen." "Dann kommst du also?" Cathy zögerte. "Wann?" "Wieso, hast du bereits andere Verabredungen?" Sandras Lächeln wirkte ein wenig herablassend. "Zugegeben, der Termin ist recht kurzfristig, nämlich schon übermorgen, am Sonntagabend." Sie hob in einer entschuldigenden Geste ihre gepflegten Hände. "Aber ich bin sehr impulsiv und habe mich ganz spontan dazu entschlossen." "Natürlich muss ich erst einmal mit Mrs. Barnet sprechen." Cathy blickte zu Robbie, der sich wieder in das Buch vertieft hatte und halblaut Wörter buchstabierte. "Doch wenn es ihm nichts ausmacht und Mrs. Barnet einverstanden ist..." "Verbleiben wir doch einfach so: Falls ich nichts mehr von dir höre, gehe ich davon aus, dass du kommst", kam Sandra weiteren Einwänden zuvor. Sie ließ den Blick durchs Wohnzimmer schweifen, das nun noch gemütlicher wirkte als bei vollem Tageslicht. "Du und Daniel kennt euch also inzwischen ganz gut?" fragte sie unvermittelt. "Natürlich solltest du dieser kleinen Freundschaft nicht zu viel Bedeutung beimessen, sonst könnte das in einer Enttäuschung enden.
Bitte versteh mich nicht falsch", fuhr sie mit liebenswürdigem Lächeln fort, "ich möchte dich keineswegs kränken, aber dir wird doch klar sein, dass du und Daniel nicht ... in einer Liga spielt ... wie man so schön sagt." Cathy wusste selbst, dass sie weder von ihrer Figur noch ihrer sonstigen Aufmachung her auch nur die geringste Chance bei einem so gut aussehenden und offenbar von Frauen umschwärmten Mann wie Daniel hatte. "Aber sicher weiß ich das", gab sie Sandra mit bemerkenswert ruhig klingender Stimme Recht. "Kommt er auch zu deiner Party?" "Leider nein." Sandra seufzte. "Ich habe ihn telefonisch eingeladen, doch er sagte, er habe bereits etwas vor. Er ist eben ein viel beschäftigter Mann. Du weißt ja, nächste Woche findet der Ball im Herrenhaus statt, und ich hatte vor, Daniel zu fragen ... Na ja, ist ja auch egal." Sandra stand auf. "Ich muss los. Du weißt ja nun Bescheid, wegen der Party." Cathy folgte ihrer Besucherin in die Diele. "Dann sehen wir uns also am Sonntag. Sagen wir so gegen acht Uhr? Ich wohne in dem reetgedeckten Cottage rechts vom Dorfladen. Ach ja." Sandra blieb stehen und drehte sich zu Cathy um. "Zu meinen Partys ziehen die Leute sich immer besonders schick an. Das macht dir doch nichts aus, oder?" "Also ..." Was sie anziehen sollte, hatte Cathy sich noch gar nicht überlegt, und sie ging in Gedanken ihre spärliche Garderobe durch. "Ich habe da so ein rotes Seidenkleid, das mir vor Jahren eine Freundin geschenkt hat. Glaubst du ...?" "Ich denke, das ist genau richtig", meinte Sandra. "Ich schätze es, wenn meine Gäste sich mit ihrem Aussehen Mühe geben." "Bist du sicher, dass alle anderen sich ebenfalls in Schale werfen?" fragte Cathy zweifelnd. "Das Kleid ist ziemlich ... auffallend." "Dann passt es perfekt", erwiderte Sandra zuversichtlich. "Zieh es an. Nichts ist peinlicher, als bei einer Party falsch angezogen zu sein, nicht wahr? Wir sehen uns dann also am Sonntagabend! " verabschiedete sie sich mit strahlendem Lächeln.
Cathy blickte ihr nach, als sie mit klappernden Absätzen durch den Vorgarten stöckelte, in einen roten Sportwagen stieg, ihr nochmals huldvoll zuwinkte und davonbrauste. In den nächsten achtundvierzig Stunden durchlebte Cathy alle Stadien der Unentschlossenheit. Wollte sie in der einen Minute zur Party gehen, so suchte sie in der nächsten nach einem Grund, Sandra anzurufen und abzusagen. Sie versuchte ihre Feigheit damit zu entschuldigen, dass sie noch nie auf einer richtigen Party gewesen war. Ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet beschränkten sich auf Einladungen zu einem Videoabend mit Speisen vom chinesischen Imbiss um die Ecke. "Wie gefällt dir deine Mummy in diesem Kleid?" Robbie, der bäuchlings auf ihrem Bett lag und malte, blickte kurz hoch. "Prima." "Findest du es nicht ein wenig zu ... auffallend?" "Nein." Er hob erneut den Kopf und betrachtete das rote Seidenkleid mit dem leicht gebauschten Rock einen Moment lang. "Mir gefällt es. Du siehst wie eine Prinzessin aus." Cathy lächelte. "Das hast du sehr schön gesagt, mein Schatz." Sie strich über die weiche Seide und begutachtete sieh unschlüssig im Spiegel. Sie hatte das Kleid vor Jahren von einer Freundin bekommen und es nur behalten, weil ihr die Farbe so gut gefiel. Das Problem war nur, dass es auf dem Kleiderbügel ganz anders aussah als an ihr. Aber was hatte sie schon für Alternativen? Sie ging nochmals die wenigen Kleidungsstücke durch und hoffte, wie durch ein Wunder noch auf etwas Passenderes zu stoßen. Vergebens. Es gab nichts, was sie sonst hätte anziehen können. Um die Taille herum war das Kleid ziemlich eng. Nur mit Mühe brachte Cathy den Reißverschluss zu. Wahrscheinlich würde sie den ganzen Abend über kaum zu atmen wagen, damit keine Naht platzte. Das nächste Problem waren die Schuhe. Am besten hätten hochhackige schwarze Sandaletten dazu gepasst, doch das einzige Paar anständige Schuhe, das sie besaß, waren blaue Wildlederpumps mit einem etwas klobigen Absatz. Besser die als gar keine.
Und nun zur Krönung des Ganzen. Zu dem Kleid gehörte eine rote Federboa, die Cathy sich nun aus Jux um die Schultern legte. "Robbie?" Sie brach in Gelächter aus. "Was sagst du dazu?" "Was ist das?" Er sprang vom Bett und zupfte an dem einen Ende der Federboa. "Das sieht ja klasse aus. Darf ich es mal anprobieren?" Ganz offensichtlich hatte er ein neues Spielzeug entdeckt! Cathy versuchte inzwischen, ihre Lockenmähne mit Hilfe von Haarnadeln zu einer lockeren Nackenrolle zu bändigen. "Hier, Mummy." Robbie legte ihr die Federboa behutsam um die Schultern. "Danke, mein Schatz, aber ich trage sie heute nicht." "Warum nicht?" Er schmiegte sich an sie. "Du siehst damit so hübsch aus!" "Findest du?" Lächelnd betrachtete Cathy Mutter und Sohn im Spiegel und gab Robbie dann einen Kuss. "Hast du wirklich nichts dagegen, dass ich heute Abend ausgehe?" fragte sie, in der leisen Hoffnung, er würde seine Meinung noch in letzter Minute ändern. "Nein!" Er verdrehte die Augen. "Das habe ich dir doch schon hundertmal gesagt!" Er zog ihr die Federboa zurecht. "Aber du musst das hier tragen. Es sieht so witzig aus." "Frechdachs!" Liebevoll zerzauste sie ihm das Haar. "Vor einigen Minuten hast du noch gesagt, ich würde damit hübsch aussehen." Sie hatte ihn kurz vorher gebadet, und er roch so frisch und sauber. "Du bist so knuddelig", sagte sie und drückte ihn an sich. "Soll ich nicht doch hier bleiben?" Am liebsten hätte sie sich wieder umgezogen und mit ihrem Sohn gespielt, statt auf diese Party zu gehen. "Nein, geh zur Party." Er sah sie mit geradezu rührendem Ernst an. "Du hast dich fein gemacht, außerdem machen Partys großen Spaß. Gibt es dort auch Gummibärchen und Kakao und Schokokekse?" "Nein." Cathy fand es erheiternd, sich Sandra und ihre Gäste Gummibärchen kauend vorzustellen. Seufzend blickte sie erneut in den Spiegel und betrachtete sich kritisch. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, schick auszusehen, aber irgendwie schienen Lidstriche und Lipgloss nicht zu ihr zu passen.
Die Türklingel läutete. "Das wird Mrs. Barnet sein", sagte Cathy gespielt fröhlich. "Glaubst du, ich darf bei ihr noch ein wenig aufbleiben?" fragte Robbie hoffnungsvoll. "Da du morgen schulfrei hast, reicht es, wenn du um acht ins Bett gehst." Cathy nahm die Boa von den Schultern und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Da sie keinen Schmuck trug, fehlte plötzlich etwas. Ach, zum Teufel, dachte sie. Warum soll ich mir nicht ein wenig Extravaganz gestatten! Schließlich gehörte die Federboa zum Kleid. Cathy stand auf. "Komm, Robbie, gehen wir nach unten, und lassen wir Mrs. Barnet herein." Vor Sandras Cottage parkten bereits mehrere Autos. Es kostete Cathy allerhand Mut, das Tor zum Vorgarten zu öffnen. Nach dem langen Fußmarsch hatte sie an einer Ferse bereits eine Blase, und nun wusste sie auch wieder, weshalb sie diese Schuhe so gut wie nie anzog. Das ganze Haus war hell erleuchtet. Cathy blieb vor dem Eingang stehen und zupfte unter dem Mantel ihr Kleid zurecht. Durch ein Fenster im Erdgeschoss erblickte sie einen Mann mittleren Alters mit Brille und Ponyfrisur. Er hielt ein Glas in der Hand und wirkte leicht gelangweilt. Sie musterte seinen gestreiften Golfpullover und die dunkelbraune Kordhose und entschied, dass er sich wahrscheinlich wegen seiner etwas zu legeren Kleidung unwohl fühlte. Dann kam Sandra in Sicht, die mit ihrem schulterlangen blonden Haar fantastisch wie immer aussah, aber ... Cathy runzelte die Stirn. Von schickem Cocktailkleid oder kleinem Schwarzen keine Spur. Stattdessen trug Sandra eine elegante Hose und einen beigefarbenen Pullover. Zwei weitere Gäste kamen in Sicht, beides Männer, dann eine Frau. Alle drei waren in normaler Straßenkleidung. Cathy packte Entsetzen. O nein! Wenn sie in ihrem jetzigen Aufzug dort erschien, machte sie sich zum Gespött aller.
Sie hörte hinter sich Stimmen und drehte sich um. Ein Mann und eine Frau hatten den Vorgarten betreten. Cathy wand sich innerlich vor Scham, als sie sah, dass die beiden ebenfalls ganz normal angezogen waren. "Hallo! Wollten Sie gerade hineingehen?" Der Mann lächelte ihr zu und drückte auf die Klingel. "Ziemlich kalt hier draußen, nicht wahr?" Die beiden standen dicht beieinander und nahmen Cathy jede Möglichkeit zur Flucht. "Sind Sie eine Freundin von Sandra?" "Ich ... ja ...", sagte Cathy stockend, die an nichts anderes denken konnte als an ihr abscheuliches rotes Kleid. Die beiden stellten sich vor, aber Cathy hörte gar nicht richtig hin, sondern lächelte nur, während sie fieberhaft überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, ihren Mantel den ganzen Abend über anzubehalten. Sandra öffnete die Tür, und Cathy hatte Gelegenheit, die schlichte Eleganz ihrer Kleidung aus der Nähe zu bewundern. "Ah, weitere Gäste! Was für ein Andrang in meiner bescheidenen Hütte. Schön, euch alle zu sehen." Ihr Blick streifte kurz Cathy. "Herein mit euch." Cathy trat ins Haus und folgte Sandra in ein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer, das bereits voller Gäste war. "Gebt mir euere Mäntel." "Ich ... ich behalte meinen lieber an", sagte Cathy. "Aber wieso denn?" Sandra zog fragend die Brauen hoch. "Du schwitzt dich hier drinnen ja zu Tode." "Mein Kleid...!" "Was ist mit deinem Kleid?" Sandra lächelte süffisant und streckte die Hand nach Cathys Mantel aus. "Du hast gesagt, es sei eine Party." "Ist es ja auch", entgegnete Sandra und blickte sich mit einem etwas zu strahlenden Lächeln unter ihren Gästen um. "Hab keine Hemmungen, und gib mir deinen Mantel. Ich werde dich dann mit allen .bekannt machen." Nun kann dich nichts mehr retten, sagte sich Cathy und fühlte sich wie ein Lamm auf der Schlachtbank, während sie langsam den Mantel aufknöpfte. Sie spürte förmlich, wie die Blicke aller sich auf sie
richteten, als unter dem schwarzen Wollstoff rote Seide und Federn zum Vorschein kamen. "Ach, du meine Güte!" In Sandras Augen war pures Entzücken zu lesen. "Jetzt verstehe ich." Ihre perfekt geschminkten Lippen umspielte ein Lächeln. "Es ist ziemlich ... extravagant." Cathy beschloss, einfach alles ins Lächerliche zu ziehen. "Ja, es ist der reinste Witz. Mir blieb nur die Wahl zwischen Jeans oder diesem einzigartigen Gebilde, und da dachte ich ..." Sie vermochte nicht weiterzusprechen, weil sie sich so entsetzlich schämte. "Nun, ich dachte ..." "Dass Sie uns allen zeigen, was für eine aufregend schöne Frau Sie sind." Cathy wusste, nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, als sie hinter sich die vertraute tiefe Stimme vernahm. Daniel! Sie fuhr herum und sah in warme braune Augen. Er lächelte. Erleichtert bemerkte sie, dass in seinem Blick keine Spur von Spott lag. "Ich bin sicher, alle hier fühlen sich im Vergleich mit Ihnen unbeschreiblich fad und langweilig. Mir jedenfalls geht es so." Du siehst ganz bestimmt nicht langweilig aus, dachte Cathy. Er trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Sie atmete tief ein. "Hallo, Daniel", sagte sie leise. "Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu sehen." "Ich habe kurzfristig umdisponiert." Er ließ den Blick über sie gleiten und lächelte belustigt. "Alle Achtung! Ihnen ist ein spektakulärer Auftritt gelungen!" Cathy ging auf seinen scherzhaften Ton ein. "Jedenfalls habe ich mein Bestes versucht!" "Da wir nun alle Cathys außerordentlich geschmackvolle Aufmachung...", Sandras Stimme triefte nur so vor Ironie, "... gebührend bewundert haben, würde ich euch gern mit Drinks versorgen." Cathy wünschte, sie hätte Sandra nicht vertraut und wäre nicht hierher gekommen. Vor allem aber wünschte sie, dass Daniel nicht
Zeuge ihrer Demütigung geworden wäre. Sie hatte sich vor aller Augen unsterblich blamiert. "Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen." Daniel reichte ihr ein Glas Weißwein. "Was? Dass ich mich bis auf die Knochen blamiert habe?" Sie hob das Glas und trank es in einem Zug aus. Nur mühsam hielt sie die Tränen zurück, entschlossen, Sandra nicht auch noch diesen Triumph zu gönnen. Was hatte sie ihr eigentlich getan? War sie etwa eifersüchtig wegen Daniel? "Fühlen Sie sich jetzt besser?" "Eigentlich nicht." Cathy strich sich mit der Hand über die heiße Stirn. "Ist es Ihnen nicht peinlich, hier bei mir zu stehen und sich mit mir zu unterhalten?" "Aber wieso denn?" Daniel zog verärgert die dunklen Brauen zusammen. "Mich kümmert nicht, was andere denken!" Ruhig blickte er sie an. Er sieht anders aus heute, ging es Cathy durch den Kopf. Irgendwie feiner und kultivierter. Noch immer hatte er eine sehr männliche Ausstrahlung, doch zum ersten Mal nahm sie an ihm eine natürliche Vornehmheit wahr, die sie bisher nicht bemerkt hatte. "Ich unterhalte mich gern mit Ihnen", fuhr er fort und lächelte sein hinreißendes Lächeln, bei dem Cathy sofort wieder das vertraute Kribbeln im Bauch spürte. "Und ich bin froh, dass Sie hier sind." "Sind Sie es nicht allmählich leid, mich ständig aus unangenehmen Situationen retten zu müssen?" fragte sie. "Keineswegs." Sie blickte an sich hinunter. "Ich hätte lieber meine alten Jeans anziehen sollen. Alles wäre besser gewesen als dieses scheußliche Kleid." "Nun ja, es hätte vielleicht mehr zu einer Party unter Bohemiens gepasst", meinte Daniel scherzhaft und hob das eine Ende der Federboa hoch. "Hat Sandra Ihnen gegenüber nicht erwähnt, wie ihre Partys so verlaufen?" "Doch ... sie hat gesagt ..." Cathy seufzte. "Ach, was soll's? Es ist jetzt sowieso egal." Sie schüttelte den Kopf und spürte, wie einige
Haarnadeln sich zu lösen begannen. Sie versuchte sie mit der freien Hand wieder festzustecken. "Soll ich Ihnen helfen?" fragte Daniel mit Blick auf ihr Haar. "Nein!" entgegnete sie scharf. "Tut mir Leid, ich wollte Sie nicht so anfahren!" Sie gab ihm ihr leeres Glas und begann, mit beiden Händen ihre Frisur zu ordnen. "Möchten Sie lieber gehen?" "Ja, aber ich werde es nicht tun." In Cathy erwachte plötzlich so etwas wie Kampfgeist. "Diese Genugtuung soll Sandra nicht haben." Bestürzt sah Daniel sie an. "Ich dachte, Sie beide seien miteinander befreundet?" "Vielleicht nicht direkt befreundet, aber immerhin sind wir zusammen zur Schule gegangen", sagte Cathy und blickte zu Sandra hinüber. "Sie hat getan, als würde es sich um eine Party großen Stils handeln. Als ich ihr das Kleid hier kurz beschrieb, meinte sie, es sei genau richtig. Vielleicht hatte sie ja ursprünglich eine andere Party geplant und nur vergessen, mir Bescheid zugeben." "Das glauben Sie doch selbst nicht." "Nein", gab Cathy ihm Recht und bemerkte, dass Sandra auf sie zukam. "Ich glaube, ich hole mir noch ein Glas Wein und misch mich ein wenig unter die Leute." Sie rang sich ein fröhliches Lächeln ab. "Nachdem ich mich vor aller Augen zur Närrin gemacht habe, kann mir ja nicht mehr viel passieren." "Sie sollten sich wirklich keine Gedanken über die Meinung anderer machen." "Das können Sie leicht sagen", erwiderte Cathy missmutig. "Wissen Sie eigentlich, wie gut Sie aussehen?" Daniel lachte. "Darf ich das als Kompliment auffassen?" "Natürlich!" Gerade der heutige Abend hatte Cathy endgültig bewiesen, dass sie mit Daniel nie mehr als Freundschaft verbinden würde. Mochte Sandra auch intrigant und hinterhältig sein, so hatte sie doch in einem absolut Recht: Sie, Cathy, hatte bei einem so gebildeten und offenbar auch gesellschaftlich anerkannten Mann wie Daniel nicht die geringste Chance. "Wieso sind Sie hier nicht im farbbeklecksten
Kittel und mit Baskenmütze erschienen, wie man es von einem armen Künstler erwartet?" versuchte sie zu scherzen. Sonderbarerweise fand er das nicht lustig, sondern runzelte vielmehr die Stirn. "Um ehrlich zu sein, Cathy, es gibt da etwas..." "Daniel!" unterbrach Sandra ihn mit gurrender Stimme. "Wie reizend von Ihnen, Cathy Gesellschaft zu leisten!" "Bitte, entschuldigt mich, aber mir ist ein wenig kalt." Cathy, die sich in ihrer momentanen Verfassung einer Unterhaltung zu dritt nicht gewachsen fühlte, wich Sandras Blick aus. "Ich werde mich am Kamin etwas aufwärmen." "Ja, tu das Cathy", flötete Sandra. "Nun, Daniel..." Mehr bekam Cathy nicht mit. Während sie das niedrige Zimmer durchquerte und sich im Vorbeigehen ein neues Glas Wein nahm, stellte sie fest, dass Sandras Haus zwar alt, aber von Grund auf renoviert und mit Mrs. Paynes heruntergekommenem Cottage in nichts vergleichbar war. Cathy setzte das Glas an die Lippen und trank in schnellen Schlucken den kühlen Wein. Da sie den ganzen Abend noch nichts gegessen hatte, begann der Alkohol rasch zu wirken. Sie fühlte sich leicht benommen - und weniger verlegen. Immerhin etwas. Kein Wunder, dass Menschen zu Alkoholikern wurden. An den Kaminsims gelehnt, blickte sie in die Flammen und sann darüber nach, weshalb sie seit Jahren immer nur in alten Jeans herumlief. Sicher lag es nicht nur an Geldmangel... "Cathy!" Sie hob den Kopf und sah Daniel mit besorgter Miene auf sich zueilen. Ihr Herz begann schneller zu klopfen. "Was ist?" "Um Himmels willen!" Er packte sie am Arm und zog sie vom Kamin weg. "Sie haben Feuer gefangen!" Es war kein Scherz. Beißender Geruch stieg ihr in die Nase. Sie blickte an sich hinunter und bemerkte entsetzt, dass die Federboa an einem Ende brannte. "Schnell!" Daniel riss ihr das unselige Ding von den Schultern und warf es in den offenen Kamin. Starr vor Schreck, beobachtete Cathy,
wie er mit dem Schürhaken die Flammen erstickte. Ein unerträglicher Gestank breitete sich im Raum aus. Dann nahte auch schon Sandra, gefolgt von den meisten ihrer Gäste. "Was, um alles in der Welt, ist passiert?" Alle starrten Cathy an. "Nur ein kleiner Unfall", spielte Daniel den Vorfall herunter. "Alles nur halb so schlimm." "Das stinkt ja abscheulich!" beschwerte sich Sandra und hielt sich mit theatralischer Geste die Nase zu. "Öffnen Sie doch einfach die Fenster", entgegnete Daniel barsch. "Davon geht doch nicht gleich die Welt unter." Für mich schon, dachte Cathy und schloss für einen Moment die Augen, um nicht in Tränen auszubrechen. "Tut mir schrecklich Leid", sagte sie. "Ich wollte nicht ..." Sie war mit ihren Nerven am Ende. Daniel redete beruhigend auf sie ein, aber das machte alles nur noch schlimmer. "Bitte, entschuldigt mich!" Sie bahnte sich einen Weg durch die sie umringenden Gäste und rannte aus dem Zimmer, riss die Tür auf und verließ das Haus. Draußen war es kalt. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie durch den Vorgarten ging. Sie hatte sich bis auf die Knochen blamiert! Hinter ihr waren Schritte zu hören, und gleich darauf holte Daniel sie ein. Er hielt ihren Mantel in der Hand und legte ihn ihr fürsorglich um die Schultern. "Sie erkälten sich sonst." "Danke." Cathy wagte nicht, ihn anzusehen. Die Meinung der anderen war ihr nicht so wichtig, aber vor ihm schämte sie sich zutiefst. "Möchten Sie nach Hause?" "Sie glauben doch wohl nicht, ich würde mich nach diesem Fiasko nochmals da drinnen blicken lassen!" entgegnete sie gereizt, entschuldigte sich jedoch sofort wieder. "Tut mir Leid, ich wollte Sie nicht anfahren. Ohne Ihre schnelle Reaktion wäre alles noch viel schlimmer gekommen." Er legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern. "Ich fahre Sie jetzt nach Hause."
Es war ein wunderbares Gefühl, ihm so nah zu sein. Cathy musste all ihre Willenskraft aufbieten, um sich nicht einfach an ihn zu lehnen. Sie versteifte sich. "Wird Sandra Sie nicht vermissen?" "Sie wird mich sicher verstehen." "Wohl kaum." Cathy blickte zu ihm auf und bemerkte, dass er lächelte. "Sie wird mir nicht verzeihen, dass ich Sie von ihrer Party weggeholt habe." "Das haben Sie nicht. Vielmehr ziehe ich es vor, zu gehen." Seine Augen funkelten mutwillig. "Allerdings wird sie darüber tatsächlich nicht erfreut sein. So ist es schon besser", fuhr er fort, als Cathy zaghaft lächelte. "Morgen früh werden Sie über alles lachen." "Glauben Sie?" Sie seufzte. "Hoffen wir es. Robbie jedenfalls wird alles sehr aufregend finden." Daniel zog sie mit sich und öffnete das Gartentor. In diesem Augenblick erschien Sandra an der Eingangstür. "Wo wollt ihr hin?" fragte sie gebieterisch. Daniel blickte kurz über die Schulter. "Ich bringe Cathy nach Hause." "Aber..." "Gute Nacht, Sandra." Seine Stimme klang kühl. "Danke für die Einladung." Draußen auf der Straße blickte Cathy sich suchend um. "Wo steht Ihr Landrover?" "Nun ich ..." Daniel ging zu einem sehr teuer aussehenden Sportwagen. "Ich bin zu Fuß gekommen, aber ... Colin, ein Freund von mir, der auch auf der Party ist, hat mir angeboten, Sie in seinem Wagen heimzufahren." Bewundernd betrachtete Cathy das schicke Auto. "Das ist sehr nett von Ihrem Freund." Daniel entriegelte die Türen, und sie stieg ein. "In so einem Wagen habe ich ja noch nie gesessen." Sie lehnte sich in die bequemen Polster zurück und seufzte. "Können Sie sich vorstellen, wie fabelhaft es sein muss, sich ein solches Luxusauto leisten zu können?" "Wären Sie gern reich?" Daniel ließ den Motor an.
"Wer würde sich das nicht wünschen? Das Leben wäre so viel einfacher." Das ist dein Stichwort, sagte sich Daniel, während er um den Dorfplatz fuhr. Eine günstigere Gelegenheit, Cathy endlich die Wahrheit über sich zu erzählen, würde er so schnell nicht wieder finden. Wieso zögerte er dann noch? Er musterte sie kurz von der Seite. Sie hatte die Augen geschlossen und sah erschöpft aus. Es wäre grausam, ihr heute noch mehr zuzumuten. Auf einen Tag mehr oder weniger kam es nun auch nicht mehr an. "Cathy ... Liebling." Daniel ging neben dem Beifahrersitz in die Hocke. "Cathy, wir sind da", sagte er leise. "Hm?" Sie blinzelte. "Wir sind bei Ihrem Cottage angekommen. Schaffen Sie es ins Haus, oder soll ich Sie tragen?" Schlaftrunken rieb sie sich die Augen. "Ich bin nicht betrunken", sagte sie, "nur müde." Sie setzte sich auf, schwang die Beine aus dem Auto und stieg aus. "Ach herrje!" Sie schwankte leicht und fühlte sich im nächsten Moment von Daniels starken Armen umfangen. "Vielleicht habe ich doch ein bisschen zu viel Alkohol erwischt." "Es liegt an der frischen Luft." Daniel warf die Autotür zu. Es war schön, Cathy im Arm zu halten. Sie duftete wundervoll, ihr weiches Haar kitzelte seine Wange. Er bemühte sich, ruhig zu atmen. "Kommen Sie, gehen wir ins Haus. Wer ist bei Robbie?" Cathy hörte, dass er etwas sagte, aber irgendwie fiel ihr das Sprechen schwer. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Sein Körper war stark und warm, und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich beschützt und geborgen. Er stützte sie beim Gehen, doch schon nach wenigen Schritten stolperte sie, und er hob sie hoch und trug sie. Kaum hatte Daniel gegen die Tür geklopft, da wurde sie auch schon aufgerissen. Er lächelte, als Mrs. Barnet ihn mit offenem Mund anstarrte, murmelte etwas von einem langen Abend und trug Cathy ins Haus.
"Schläft Robbie?" fragte er leise, während er die mittlerweile schlafende Cathy behutsam auf die Couch legte. "O ja, Sir. Schon seit mehr als einer Stunde." Daniel war erleichtert, dass Cathy die respektvolle Anrede der alten Frau nicht mitbekommen hatte. "Mrs. Barnet, würden Sie mir einen großen Gefallen erweisen?" "Wenn ich kann, gern." "Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ..." Er zögerte. "Falls Sie zufällig mit Cathy über mich sprechen, möchte ich Sie bitten,..." "Sie hat keine Ahnung, wer Sie sind, Sir?" "Bitte." Daniel berührte ihren Arm. "Es besteht wirklich kein Grund, mich ,Sir' zu nennen. Ich verdiene diese respektvolle Anrede nicht." "Versuchen Sie nicht, mir Ihre liberalen Ansichten aufzudrängen, junger Mann!" widersprach sie flüsternd. "Meine Mutter und Großmutter haben in Langforde Hall gedient, und ich bin erzogen worden, Ihrer Familie meinen Respekt zu erweisen. Daran können auch Sie nichts ändern." Sie warf einen Blick auf die schlafende Cathy. "Sie hat gestern Ihren Namen erwähnt, und ich dachte bei mir, sieh an, sie ist über den jungen Mr. Hamilton nicht ganz im Bild." "Aber Sie haben sie nicht aufgeklärt?" "Warum sollte ich mich da einmischen? Es ist allein Ihre Angelegenheit." "Danke, Mrs. Barnet." "Sie ist ein so nettes Mädchen", fuhr Mrs. Barnet fort. "Aber arm wie eine Kirchenmaus!" Der Blick, mit dem die alte Frau Daniel musterte, sprach Bände. "Sie fühlt sich in Ihrer Gesellschaft so wohl, weil sie glaubt, Sie müssten wie sie jeden Penny zweimal umdrehen. Als ich gestern zu ihr sagte: ,Sie und ich, Mädchen, sind wahrscheinlich die Einzigen in diesem verflixten Dorf, die kein Jahreseinkommen von mindestens fünfzigtausend Pfund haben', nannte sie Ihren Namen und meinte, Sie würden finanziell ebenfalls zu kämpfen haben." Impulsiv legte Mrs. Barnet Daniel die Hand auf den Arm. "Das arme Ding schämt sich ihrer Armut."
Daniel seufzte. "Ja, ich weiß." "Nun, ich muss jetzt gehen." Daniel half der alten Frau in den Mantel. Dann holte er aus seiner Hosentasche einige Geldscheine und gab sie ihr. "Bitte, nehmen Sie das", sagte er und fügte, als sie zögerte, hinzu: "Cathy würde sich bestimmt ebenfalls für Ihre Mühe erkenntlich zeigen wollen." Er lächelte, als sie das Geld schließlich einsteckte. "Ich bringe Sie noch zur Tür." Nachdenklich kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Zweifellos hatte Mrs. Barnet Recht. Andererseits entbehrte die Situation nicht einer gewissen Komik. Bisher hatte er sich weiblicher Gunst vor allem auch wegen seines Geldes erfreut - nicht weil er keines hatte! Cathy schlief noch immer. Er kniete sich neben sie und betrachtete ihr Gesicht. Ihre Frisur hatte sich völlig aufgelöst, und die roten Locken fielen ihr wirr in die Stirn und umschmeichelten eine halb nackte Schulter. Jäh durchzuckte Daniel heißes Verlangen. Er konnte nicht länger verdrängen, dass er sie begehrte, sich von ihr angezogen fühlte wie noch von keiner Frau zuvor. Nicht nur körperlich, sondern in jeder Hinsicht. Sie gefiel ihm, und er mochte auch ihren kleinen Sohn. Daniel atmete tief durch. Er musste sich nun genau überlegen, wie er weiter vorgehen wollte.
5. KAPITEL "Daniel? Sind Sie das?" Cathy stützte sich auf einen Ellbogen und sah ihn verschlafen an. Das Zimmer lag im Halbdunkel, nur die kleine Lampe neben dem Fernseher war eingeschaltet. "Ja, ich bin hier." Daniel saß ihr gegenüber in dem einzigen Polstersessel. "Bin ich ... eingeschlafen?" "Ja." Er hörte, dass seine Stimme heiser klang. Kein Wunder, denn Cathy sah mit ihrem zerwühlten Haar ungemein sexy aus. Wie nach einer Liebesnacht. Als sie sich nun aufsetzte, spannte sich der rote Stoff über ihren Brüsten, eine Schulter war halb entblößt und zeigte schimmernde, blasse Haut. Während sie schlief, hatte er bereits eine Skizze von ihr angefertigt. Nun juckte es ihm in den Fingern, diesen sinnlichen Gesichtsausdruck auf Papier zu bannen. Verstohlen steckte er Blatt und Bleistift in die Tasche. Sicher würde es noch mehr Gelegenheiten geben, sie zu zeichnen. "Wie spät ist es?" Cathy kämmte sich mit den Fingern das Haar. Er beobachtete, wie sich die letzten Haarnadeln lösten und zu Boden fielen. "Ist Mrs. Barnet noch hier?" "Es ist beinahe elf. Mrs. Barnet ist schon vor Stunden gegangen." "Ach, du liebe Zeit! Ich dachte ... ich wäre nur für einige Minuten eingenickt", sagte Cathy unsicher. "Sie hätten mich wecken sollen? Robbie ...?" "Schläft fest. Ich habe gerade erst nach ihm gesehen."
Sie schwieg. "Was ist mit dem Auto?" fragte sie schließlich. "Hätten Sie es nicht längst zurückbringen müssen? Dir Freund, wie heißt er doch gleich ...?" Daniel zögerte. Er wusste nicht mehr, welchen Namen er ihr genannt hatte. "Das geht in Ordnung." "Aber es ist ein so teurer Wagen, und Ihr Freund wird ..." "Cathy, das ist allein mein Problem." Sein warmes Lächeln nahm den Worten die Schärfe. Wie unglaublich breit seine Schultern waren! Cathys Blick glitt zu dem offenen Kragen seines weißen Hemdes, der ein Stückchen sonnengebräunte Haut freigab. Sie rieb sich die Augen, und erst dann fiel ihr ein, dass sie sich geschminkt hatte. "Ich muss schrecklich aussehen." "Das finde ich nicht." "Sie sind sehr freundlich." "Das behaupten Sie ständig." Seine dunklen Augen glänzten, und Cathy fühlte sich von ihnen magisch angezogen. War es nur ein Traum? Sie schluckte. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, vermutlich vom Wein, aber sie war nicht betrunken. Das alles geschah wirklich. Daniel war noch immer hier. Er hatte sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. "Ja ... ich weiß." Was sonst hätte sie ihm darauf antworten sollen? "Sie haben in Ihrem Leben noch nicht viel Freundlichkeit erfahren, stimmt's?" fragte er ruhig. Cathy errötete und senkte den Blick, aus Angst, in seinen Augen pures Mitleid zu lesen. "Daniel, bitte ..." Sie stand auf. "Ich muss dieses lächerliche Kleid loswerden", sagte sie, ohne ihn anzusehen. "Bestimmt sehe ich wie eine Vogelscheuche aus." Er stand ebenfalls auf und vertrat ihr den Weg. Cathy fiel das Atmen schwer. Noch nie war sie sich seiner männlichen Ausstrahlung so bewusst gewesen wie in diesem Moment, "Sie sind wunderschön, Cathy, wissen Sie das?" "Bitte ... nicht. Ich weiß, Sie wollen mein Selbstbewusstsein stärken, und das ist sehr nett..."
"Mit Nettigkeit hat das nicht das Geringste zu tun! Sehen Sie denn nie in den Spiegel?" "Wieso sollte ich?" Ihre Stimme klang wütend. "Um mir eine dicke und unansehnliche Frau anzuschauen, eine ewige Verliererin, wie man so sagt?" Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. "Glauben Sie, das würde mir helfen?" "Cathy, Liebling...!" "Diese Unterhaltung führt doch zu nichts!" unterbrach sie ihn, da sie seine zwar gut gemeinten, aber unwahren Komplimente nicht länger ertragen konnte. "Außerdem bin ich sehr müde." Sie tat, als müsste sie gähnen, wenngleich sie sich noch nie wacher gefühlt hatte und mit jedem ihrer Sinne auf seine Nähe reagierte. Aber sie hatte gelernt, ihre Gefühle hinter einer unsichtbaren Mauer zu verbergen, die sie davor schützte, verletzt zu werden. "Wollen Sie, dass ich gehe?" Daniel erwartete Widerspruch, obwohl ihre Augen das Gegenteil ausdrückten. Sie schwieg, und das verunsicherte ihn. Bei jeder anderen Frau hätte er es nun mit seinen Verführungskünsten versucht, nicht aber bei ihr. "Ich denke, es wäre das Beste", beantwortete sie schließlich leise seine Frage. Sie atmete tief durch. "Ja", wiederholte sie mit fester Stimme. "Bitte, gehen Sie." Was würde geschehen, wenn er bliebe? Unwillkürlich malte Daniel sich aus, wie es wäre, ihren warmen, weichen Körper in seinen Armen zu spüren, die zarte Haut zu liebkosen ... Er verfluchte seine ausschweifende Fantasie. Sicher wäre es wundervoll, sie zu verführen und zu lieben. Er zögerte. In ihren schönen Augen las er Unsicherheit und auch ein wenig Angst. Wenn er die Situation jetzt ausnutzte, würde Cathy ihm morgen früh Vorwürfe machen, vielleicht sogar glauben, er hätte nur aus Mitleid mit ihr geschlafen, oder um sie zu trösten. "Dann gute Nacht." Nur mühsam hatte er sich zu dieser Entscheidung durchgerungen, und so klang seine Stimme hart. Er sah, wie Cathy zusammenzuckte. Verdammt! "Es tut mir Leid", fügte er sanft hinzu. "Ich wollte Ihnen die Dinge nicht noch schwieriger
machen." Er konnte an ihren Augen erkennen, wie sie innerlich auf Distanz zu ihm ging. "Schon gut." Sie klang kühl, und ihre Miene war ausdruckslos. Es reizte ihn, dass sie ihn plötzlich wie einen Fremden behandelte. Wie würde sie reagieren, wenn er sie jetzt küsste? Ohne zu überlegen, neigte er den Kopf. Beherrsch dich, ermahnte er sich, doch wie unter Zwang senkte er langsam den Mund auf ihren. Nur einen Kuss, mehr nicht... Seine Lippen waren sanft und tastend, berührten ihre nur ganz leicht. Er ließ eine Hand zu ihrem Nacken gleiten und streichelte die zarte Haut. Jäh flammte heißes Verlangen in ihm auf, und er presste den Mund fester auf ihren und drängte ihre Lippen auseinander. Er war nahe daran, die Kontrolle über sich zu verlieren, und hätte ihr am liebsten das rote Kleid vom Leib gerissen und sie wild und leidenschaftlich geliebt. Ernüchtert hob er den Kopf, als er spürte, dass sie völlig verkrampft war und ihre Lippen zitterten. Sie wollte ihn nicht, hatte vielmehr Angst vor ihm. Ihr Gesicht war maskenhaft starr geworden. Er verwünschte seine Ungeduld und schämte sich der mangelnden Beherrschung. Sie begehrte ihn nicht. War das so schwer zu verstehen? Cathy hatte nicht gewusst, wie sie auf seinen Kuss reagieren sollte. Nein, das stimmte nicht. Sie hatte sich vor den Konsequenzen gefürchtet. Wenn sie miteinander geschlafen hätten, einander näher gekommen wären ... Sie sah ihm ins Gesicht und schalt sich eine Närrin. Wie hatte sie auch nur eine Sekunde glauben können, er würde sie begehren? Er fand sie höchstens sympathisch, hatte nett zu ihr sein wollen, und dafür liebte sie ihn - nein, nicht dieses Wort. Ihre Miene verhärtete sich. Sie empfand für ihn Respekt und Zuneigung, mehr nicht. "Daniel, tut mir Leid!" Es gab es ihr einen Stich ins Herz, denn in seinem Blick lag - Abscheu. Hatte er sich deshalb so jäh von ihr zurückgezogen? "Ich weiß, ich bin nicht..." Sie wusste plötzlich nicht mehr weiter. Der Gedanke, dass sie nun auch noch seine Freundschaft,
ja selbst sein ihr vorhin noch verhasstes Mitleid verlieren wurde, machte sie ganz krank. "Sie müssen sich nicht entschuldigen. Es war allein mein Fehler." Seine Stimme klang barsch. "Ich habe etwas angefangen, das..." "Können wir nicht trotzdem Freunde bleiben?" unterbrach sie ihn schnell. Wahrscheinlich verachtete er sie jetzt, weil sie so wenig Stolz besaß. "Freunde?" wiederholte er. Es klang, als hörte er das Wort zum ersten Mal. Er wirkte leicht irritiert. "Wenn Sie das möchten." Sein Lächeln hatte etwas Gequältes. "Warum nicht?" "Robbie mag Sie sehr." "Und Sie?" "Ich auch." Cathy bemühte sich um einen betont lockeren Ton. "Ich mag Sie auch." "Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich Sie durch mein Verhalten verletzt habe." Er musterte sie mit einem unergründlichen Blick und hielt ihr die Hand hin. Zögernd schlug Cathy ein. Ihr Herz klopfte wie wild, als Daniels Finger ihre umspannten und drückten. "Bleibt es bei unserer Verabredung morgen? Ich meine bei unserer Fahrt zum Trödler?" "O ja!" Cathy vermochte ihre Freude und Überraschung nicht zu verbergen. "Daniel", sie runzelte die Stirn, "was vorhin passiert ist..." "Vergessen Sie es!" Seine Miene verfinsterte sich. "Es war allein meine Schuld." Er schüttelte den Kopf, und ihm war anzusehen, dass er den Vorfall bedauerte. "Alles in allem war es ein sehr ungewöhnlicher Abend, nicht wahr?" versuchte er zu scherzen und ließ ihre Hand los. "Wir sehen uns dann morgen früh." Die Haustür fiel ins Schloss. Cathy rührte sich nicht. Sie hätte gern geweint, aber es kamen keine Tränen. Dabei hätte sie doch eigentlich erleichtert sein müssen, da ihr Daniels Freundschaft ja erhalten blieb. Mehr hatte sie von ihm sowieso nie zu erwarten gehofft. Wieso fühlte sie sich dann plötzlich so einsam und verlassen? "Mum! Mum! Wach auf! Daniel ist gekommen!"
"Wie?" Cathy fuhr aus dem Schlaf hoch und setzte sich im Bett auf. "Robbie, schrei doch nicht so." Sie rieb sich schlaftrunken die Augen. "Was hast du gesagt?" "Daniel ist unten." Robbie setzte sich aufs Bett. "Ich habe erst durchs Fenster gesehen, ehe ich ihm aufgemacht habe." "Wie spät ist es denn?" Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und bemerkte entsetzt, dass es schon nach neun war. "Ach herrje!" "Soll ich ihm Tee kochen, während du im Bad bist?" bot Robbie an. "Das wäre sehr lieb von dir, mein Schatz." Cathy drückte ihn kurz an sich. "Aber versprich mir, dass du den heißen Teekessel nicht anfasst. Sag Daniel, ich würde gleich nach unten kommen, und bitte ihn, dir mit dem heißen Wasser zu helfen. Okay?" "Okay!" Robbie stürmte begeistert davon. "Daniel!" hörte Cathy ihn rufen. "Mummy sagt..." Von unten drang Daniels tiefe Stimme durch die offene Schlafzimmertür. Cathy sprang aus dem Bett, schnappte sich ein frisches Handtuch und rannte ins Bad. Ihr blieb keine Zeit, sich besonders zurechtzumachen. Bei meinen mangelnden Schminkkünsten kann das nur von Vorteil sein, dachte sie ironisch, als sie fünf Minuten später saubere Jeans und einen beigefarbenen Pullover anzog. "Tut mir Leid!" Cathy betrat die Küche, ohne sich Zeit zum Überlegen zu geben. Es war müßig, jetzt noch über das nachzugrübeln, was gestern geschehen war. "Ich habe verschlafen." Daniel saß mit Robbie am Tisch, in der schlanken Hand eine Tasse Tee. Er trug heute wieder Jeans, dazu einen dicken dunkelgrauen Pullover, und sah attraktiver denn je aus. Wieder einmal verspürte Cathy bei seinem Anblick das ihr mittlerweile schon vertraute Kribbeln im Bauch, und sie beschäftigte sich angelegentlich mit der Teekanne. "Hat Robbie gut für Sie gesorgt?" "Bestens. Wir haben gemeinsam Tee gekocht. Tut mir Leid, Sie geweckt zu haben."
"Nein, ich bin froh, dass Sie schon da sind." Ihr Haar war noch feucht, und sie strich sich mit einer Hand eine rote Locke aus dem Gesicht, während sie sich mit der anderen Tee eingoss. "Je früher wir dort sind, desto größer ist die Auswahl. Wonach suchen Sie denn?" Daniel zögerte. "Ich denke, ich sehe mir einfach mal alles an. Und Sie?" "Nun ..." Cathy überschlug in Gedanken den spärlichen Inhalt ihres Portemonnaies, hatte jedoch nicht den Mut, Daniel zu gestehen, dass sie sich nichts leisten könne. "Robbie könnte einen Schreibtisch und einen Stuhl gebrauchen, aber ich möchte Ihr Auto nicht mit meinen Einkäufen voll stopfen. Wir wollten doch für Sie Möbel aussuchen." Sie setzte sich mit ihrer Tasse ihm gegenüber. Sein dunkles Haar war frisch gewaschen, doch er hatte sich nicht rasiert, was seine männliche Ausstrahlung noch erhöhte. "Apropos Auto. Haben Sie den anderen Wagen zurückgebracht?" Daniel nickte. "Ja." "Hoffentlich war Ihr Freund nicht böse? Daniel hat sich gestern ein tolles Auto ausgeliehen, mit dem er mich von der Party nach Hause gefahren hat, Robbie", erklärte sie ihrem Sohn. "Es war ein ...?" "Jaguar", ergänzte Daniel. Seine Stimme klang seltsam flach, und Cathy bereute, dieses Thema angeschnitten zu haben, da er offenbar nicht gern darüber sprach. Vielleicht wollte er generell nicht mehr an den gestrigen Abend erinnert werden. "Ein Jaguar?" wiederholte Robbie ehrfurchtsvoll und bestürmte Daniel mit Fragen. "Welche Farbe? Mit Ledersitzen? Seid ihr damit richtig schnell gefahren?" Er sprang auf. "Ich habe auch einige Autos. Sie sind dort drüben." Eifrig rannte er ins Wohnzimmer. "Er ist sehr lebhaft", entschuldigte Cathy ihren Sohn. Daniel beobachtete durch die offene Tür, wie Robbie in seinen Spielsachen wühlte. "Er ist ein großartiger Junge. Dank Ihnen." "Miss Stubbs ist da anderer Meinung." "Das sollte Sie nicht kümmern. Die Frau ist schon zu lange in ihrem Beruf."
"Sind Sie ebenfalls bei ihr zur Schule gegangen?" erkundigte sich Cathy interessiert. "Nein, ich ... hatte jemand anders." Unvermittelt wechselte er das Thema. "Falls Sie noch nichts anderes vorhaben, würde ich gern den ganzen Tag mit Ihnen beiden verbringen. Nach dem Besuch beim Trödler könnten wir einen Spaziergang machen und später irgendwo zu Mittag essen." Aus dem Wohnzimmer kam lautstarke Zustimmung von Robbie. "Jetzt fehlt nur noch Ihre Zusage", meinte Daniel lächelnd. "Einen Spaziergang würde ich gern machen, aber irgendwo essen ..." Cathy biss sich auf die Lippe. Es war ihr unangenehm, das Thema zur Sprache zu bringen. "Die Sache ist die ... ich bin knapp bei Kasse und ..." "Cathy, ich hatte nicht vor, Sie zahlen zu lassen!" Daniels Lächeln drückte milde Verzweiflung aus. "Mein Vorschlag war als Einladung gedacht!" Robbie eilte aus dem Wohnzimmer herbei. "Bekomme ich dann Würstchen und Pommes?" Er sah, wie seine Mutter die Stirn runzelte. "Bii-tte!" fügte er hinzu und strahlte Daniel an. "Das ist nämlich meine Leibspeise." "Du kannst essen, was immer du willst, junger Mann." "Vanilleeis mit Schokoladensoße?" fragte Robbie hoffnungsvoll. "Ja, auch das." Robbies Kindergesicht drückte reines Entzücken aus. "Super!" "Vielen Dank!" Cathys Miene war ernst. Sie sieht aus, als müsste sie die Sorgen der ganzen Welt auf ihren jungen Schultern tragen, dachte Daniel und schwor sich, alles zu tun, um sie wenigstens heute aufzuheitern und ein fröhliches Lächeln auf ihr hübsches Gesicht zu zaubern. Sie lächeln zu sehen verschaffte Daniel ein richtiges Glücksgefühl. Zwar hatte sich der Besuch beim Trödler als Reinfall erwiesen, da unter der Masse von billigen, hässlichen Möbeln kein Juwel zu entdecken gewesen war, doch der übrige Verlauf des Tages hatte ihn für alles entschädigt.
Sie waren spazieren gegangen, hatten herumgealbert und mit Robbie Fangen gespielt - und manchmal war er wirklich versucht gewesen, Cathy einfach in den Arm zu nehmen und zu küssen. Unwillkürlich umspielte ein Lächeln Daniels Lippen, als er daran dachte. "Warum lächeln Sie?" Wie entspannt und fröhlich ihre Stimme klang! Und sehr sexy! "Ich freue mich nur über den gelungenen Tag." Cathy zog belustigt die Brauen hoch. "Etwa, weil Robbie im Pub sich wie ein Verhungernder auf das Essen gestürzt hat? Man könnte meinen, er müsste zu Hause hungern!" Sie lächelte. "Aber ich gebe zu, dass ich diesen Tag auch sehr genossen habe." Sie schlenderten durch eine versteckt liegende kleine Dorfgasse, die Cathy sicher nicht allein gefunden hätte. Als sie um die Ecke bogen, kam ein wunderschönes Fachwerkhaus in Sicht. "Es sieht wie aus dem Bilderbuch aus!" rief Cathy begeistert. "Sogar ein kleiner Bach fließt an dem Grundstück vorbei." Mit leuchtenden Augen sah sie Daniel an. "Ist das schön hier! Und so friedlich!" Sie atmete tief durch. "Und was für eine klare Luft!" Sie blieb stehen und blickte sich entzückt um. "Nun weiß ich, dass es richtig war, umzuziehen. Sicher, die Miete ist fast unerschwinglich, aber dafür bekomme ich das alles hier umsonst." Cathy war sich bewusst, dass die zwei Glas Wein zum Lunch ihr die Zunge gelöst hatten, aber das war ihr im Moment egal. "Sie ahnen ja nicht, welcher Umgebung Robbie und ich entflohen sind!" "Entflohen?" wiederholte Daniel stirnrunzelnd. "Das hört sich an, als hätten Sie in einem Gefängnis gelebt." "So ähnlich habe ich es ja auch empfunden. Im Fernsehen werden solche Wohnsilos immer als abschreckendes Beispiel für verfehlte Wohnungsbaupolitik gezeigt. Sicher, ich hatte dort gute Freunde, doch sie sind das Einzige, was ich hier vermisse." "Etwa den Mann, der Ihnen beim Umzug geholfen hat?" "Gary?" Cathy nickte, aber sie schien zu zögern. "Ja." Plötzlich wirkte ihre Miene verschlossen, und sie begann weiterzugehen. "Oh,
sehen Sie nur, da drüben!" Sie wies auf das Loch in einer hohen Hecke auf der anderen Straßenseite. "So stelle ich mir ein Märchenschloss vor." Daniel blickte erst gar nicht hin. Er hatte ganz vergessen, dass man das Haus von hier aus sehen konnte - zumindest jetzt, im April, wenn die Hecke noch keine Blätter hatte. "Das ist Langforde Hall." "Können Sie sich vorstellen, in einem so riesigen Gebäude zu wohnen?" fragte Cathy lachend. Nun aber heraus mit der Sprache, redete Daniel sich gut zu. "Ehrlich gesagt..." "Ist es nicht fast schon obszön, dass nur eine einzige Familie dort lebt?" meinte Cathy. "Oder gibt es in dem Gebäude mehrere Wohnungen?" "Noch nicht." Um Daniels Mundwinkel zuckte es. "Sollte man das Ihrer Meinung nach tun?" Er beobachtete, wie Cathy das georgianische Herrenhaus genauer in Augenschein nahm. "Nein, dadurch würde man seine Schönheit zerstören, nicht wahr?" Sie lächelte. "Ich gebe ja zu, dass ich einfach nur neidisch bin", bekannte sie scherzhaft. Obszön? fragte sich Daniel in Gedanken. Unter diesem Aspekt hatte er sein Elternhaus noch nie betrachtet. "Ich möchte Ihnen jetzt zeigen, wo ich wohne." Der kleine Rundgang durchs Dorf, den er ihr nach dem Essen vorgeschlagen hatte, war von ihm schon tags zuvor Schritt für Schritt geplant worden. Er fasste nach ihrer Hand. "Kommen Sie." "Hier wohnen Sie?" fragte sie erstaunt, als er sie zu dem von ihr vorhin so bewunderten Fachwerkhaus führte. "Das ist ja unglaublich ..." Fassungslos schüttelte sie den Kopf. "Es ist wunderschön. Und es scheint sehr alt zu sein." "Dreihundert Jahre." Daniel öffnete das rostige Gartentor und trat beiseite, um ihr den Vortritt zu lassen. "Ich hatte ja keine Ahnung." Cathy wirkte etwas verunsichert. "Wovon?"
"Nun, ich dachte, Sie wären ....", verlegen zuckte sie die Schultern, "Sie würden sich als Künstler durchs Leben schlagen." "Das versuche ich ja auch", erwiderte Daniel, und zumindest das war nicht gelogen. Wenn sie hier schon Hemmungen hat, wie wird sie dann erst auf alles andere reagieren? fragte er sich besorgt, während er den von Lavendelbüschen gesäumten Pfad entlangging. Er schloss die Haustür auf. "Hereinspaziert", forderte er sie betont locker auf. Zögernd trat sie über die Schwelle. "Es ist hübsch hier. Und so hell und luftig." Sie hatte ein mit altem Kram voll gestopftes Haus erwartet, stattdessen führte Daniel sie in ein sehr gepflegt aussehendes Wohnzimmer mit wenigen, aber sehr geschmackvollen und sicher nicht billigen Möbeln. "Ich hatte keine Ahnung!" wiederholte sie ein wenig hilflos. "Bist du reich, weil du ein so schönes Haus hast?" fragte hingegen Robbie unverblümt und beugte sich interessiert über einen Tisch, auf dem ein angefangenes Puzzlespiel ausgebreitet war. "Robbie!" Cathy schoss das Blut ins Gesicht. "So etwas fragt man nicht!" "Das Haus hat meiner Tante gehört", erwiderte Daniel und bemerkte erleichtert, wie sich Cathys Miene aufhellte. "Sie ist vor einigen Jahren gestorben und hat es mir vererbt. Mit allem Drum und Dran." Lächelnd folgte Cathy ihm in die Küche. "Es ist alles perfekt eingerichtet. Geben Sie zu, dass Sie gar nichts vom Trödler gebraucht haben." Daniel lachte. "Eigentlich nicht, aber es war eine sehr lehrreiche Erfahrung." Interessiert blickte sie sich in der Küche um. "Haben Sie alles so gelassen, wie es vorher war?" "Nein, es war mir zu voll. Meine Tante hat nie etwas weggeworfen, sondern alles gehortet. Ich habe etliche Möbel verkauft, manche davon waren sogar recht wertvoll." "Haben wir auch eine reiche Tante, die uns ihr Haus vererbt?" wollte Robbie wissen.
Cathy lachte. "Leider nicht." "Und wenn wir eine suchen?" Robbie kletterte auf einen Stuhl. "Da werden wir wenig Erfolg haben", meinte Cathy lächelnd. "Meine Eltern hatten keine Geschwister, und selbst wenn ..." Sie zuckte die Schultern. l "Und was ist mit meinem Daddy? Hatte er welche?" Cathy schwieg. Schließlich räusperte sie sich und sagte: "Nein, er ... hatte auch keine." Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht bebte. Es war das erste Mal, dass Robbie ihr über seinen Vater Fragen stellte. Ausgerechnet hier und jetzt. Sie bemerkte, dass Daniel sie scharf musterte. "Kann ich Ihnen mit irgendwas helfen?" fragte sie schnell, als er sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte. "Nein, vielen Dank." Er öffnete eine Packung Kekse. "Wie wäre es mit einem Schokokeks, Robbie?" "O ja, danke!" Voller Unbehagen beobachtete Cathy, wie ihr Sohn sich bediente und dabei strahlte. "Wenn du weiter mit dem Puzzle spielen willst, kannst du dir die Packung gern ins Wohnzimmer mitnehmen", schlug Daniel vor. "Ich bringe dir auch gleich noch etwas zu trinken." Er wartete, bis der Kleine abgezogen war. "Sie schienen vorhin sehr überrascht gewesen zu sein", wandte er sich dann an Cathy. "Hat Robbie noch nie nach seinem Vater gefragt?" Als sie den Kopf schüttelte, verfingen sich einige Sonnenstrahlen in ihrem kastanienroten Haar. "Er war nie Teil seines Lebens." "Aber Ihres?" Sie nickte widerstrebend. "Ja." "Wie lange?" "Daniel ..." Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit. "Ich möchte nicht darüber reden. Nicht jetzt." "Halten Sie mich für zu neugierig?" fragte er leise. "Nein, das nicht. Ich kann nur einfach nicht über ihn sprechen." Sie schluckte. "Es ... es macht mich ganz krank." Daniel zog die Brauen zusammen. "Hat er Sie so sehr verletzt?"
"Bitte! Können wir nicht das Thema wechseln?" Mit weichen Knien ging sie zum Tisch und nahm sich einen Becher Kaffee. Vorsichtig trank sie einige Schlucke und fragte dann steif: "Ist der Unterhalt eines so großen Hauses nicht sehr kostspielig?" "Kostspielig?" wiederholte Daniel zerstreut. "Nein, ich ... lebe sehr bescheiden, veranstalte keine lukullischen Orgien und halte auch nichts von überheizten Räumen." Seine Mundwinkel umspielte ein Lächeln, das jedoch nicht seine Augen erreichte. Wieso packte er die Gelegenheit nicht beim Schöpf und erzählte Cathy endlich die Wahrheit? Nachdenklich betrachtete er ihr so bezaubernd frisches Gesicht. Pure Angst hielt ihn zurück, ihr alles zu gestehen. Angst, sie zu verlieren. Er war überzeugt, dass sie sich von ihm zurückziehen würde, wenn sie erfuhr, dass er nicht nur ungeheuer reich, sondern auch noch aristokratischer Abstammung war. Sie war so stolz und verletzlich und würde die gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen für unüberbrückbar halten. Deshalb wollte er noch warten, bis sie ihm genügend vertraute. "Wenn Sie es gern kalt haben, würden Sie sich in meinem Haus sehr wohl fühlen", sagte sie mit etwas aufgesetzt klingender Fröhlichkeit. "Die sanitären Anlagen sind dort noch reichlich antiquiert." Bewundernd ließ sie den Blick durch die Küche schweifen. "Hier ist alles auf dem neuesten technischen Stand, trotzdem ist es ein wunderschönes altes Haus. Das freut mich für Sie." "Danke." Er hatte den Blick unverwandt auf sie gerichtet. "Sie sind wirklich eine bemerkenswerte Frau, Cathy." "Weil ich ständig in der Klemme sitze?" "Machen Sie das immer?" "Was?" "Komplimente ins Lächerliche ziehen?" "Niemand hat mir je ein richtiges ..." Sie erwiderte seinen Blick offen und lächelte schüchtern. "Sie sind der erste Mensch, der so etwas zu mir sagt, und ich bin ja auch eine ganz durchschnittliche Frau."
"Wohl kaum." Er beobachtete, wie eine zarte Röte ihre Wangen überzog. Hatte jemals zuvor sich jemand die Mühe gemacht, ihr unter die Haut zu gehen, Fragen zu stellen und nachzuhaken? "Gehen wir ins Wohnzimmer." Daniel nahm das Tablett und trug es ins andere Zimmer zu einer Nische am Fenster, in der zwei bequeme Sessel und ein Tisch standen. Man hatte von dort einen herrlichen Blick auf die Landschaft. "Bleiben Sie und Robbie zum Dinner?" fragte Daniel, nachdem sie Platz genommen hatten. "Zum Dinner?" Sie lächelte, doch ihre Augen glänzten feucht, und es gab Daniel einen Stich ins Herz, weil sie so erfreut und überrascht aussah - und so verdammt dankbar! "Wagen Sie nicht, meine Einladung abzulehnen", warnte er sie. "Ich möchte mich nicht selbst loben, aber mein Pfeffersteak mit Pilzen findet in Gourmetkreisen durchaus Anerkennung." "Hört sich großartig an." Sie lächelte so hinreißend, dass sein Herz einen Schlag aussetzte. "Sie sollten sich unseretwegen keine solche Mühe machen." Er hielt ihren Blick fest. "Es ist keine Mühe. Absolut nicht!"
6. KAPITEL "Das hat toll geschmeckt!" Robbie stützte die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn auf die verschränkten Hände. "Gibt es als Nachtisch noch Eiscreme?" Daniel lächelte. "Keine Eiscreme, aber Joghurteis." "Was ist denn das?" "Gefrorener Joghurt", erklärte Cathy. "Probier ihn doch einfach." Robbie überlegte einen Moment und nickte dann gnädig. "Okay." Cathy stand auf und begann, das Geschirr zusammenzustellen. "Ich werde abräumen." "Kommt nicht infrage!" widersprach Daniel und zwinkerte Robbie verschwörerisch zu, als er seinen leeren Teller nahm. "Schließlich ist das hier mein Haus." "Aber ich tue es gern. Außerdem haben Sie ja gekocht." Cathy hatte sowieso schon ein schlechtes Gewissen wegen der teuren Steaks. Vielleicht hatte Daniel ja mit dem kostspieligen Essen den Verkauf eines Bildes gefeiert? Oder war sein Kühlschrank immer so gut gefüllt? "Es ist Daniels Haus", wiederholte Robbie mit breitem Grinsen. "Du musst tun, was er sagt, Mummy." "Danke für deine Unterstützung, mein Junge." Daniel lächelte amüsiert. "Sie sind mein Gast und rühren hier keinen Finger", fügte er, an Cathy gewandt, hinzu. Robbie kicherte vergnügt. "Mich kommandiert sie ständig herum, aber ihr sagt nie jemand, was sie tun soll."
"Wegen dieser Bemerkung wirst du jetzt Daniel beim Abräumen helfen", erwiderte Cathy lachend. "Nur zu", befahl sie, als Robbie das Gesicht verzog. "Wenn du mitkommst, kannst du dir das Joghurteis je nach Geschmack selbst aussuchen", schlug Daniel vor. "Wie steht's mit Ihnen, Cathy." "Für mich kein Eis, danke." "Kaffee?" "O ja, gern. Soll ich Ihnen nicht doch helfen?" Daniel verdrehte gespielt verzweifelt die Augen. "Was glauben Sie wohl?" Sie war zu müde, um noch weitere Einwände vorzubringen. Abgesehen davon fühlte sie sich rundum wohl und glücklich. Das Dinner war außerordentlich harmonisch verlaufen. Robbie hatte sich von seiner besten Seite gezeigt und mit großem Appetit gegessen, was bei seiner sonstigen Vorliebe für Fischstäbchen und Pommes frites einiges hieß. Cathy unterdrückte ein Gähnen. Im Essbereich zwischen Küche und dem großen Wohnzimmer war es sehr gemütlich, und das knisternde Feuer im offenen Kamin verstärkte diese behagliche Atmosphäre. Mit Rücksicht auf Robbie hatten sie früh gegessen. Es war kurz nach sieben, und allmählich begann es, draußen dunkel zu werden. "Wir sollten uns auf den Heimweg machen", meinte Cathy, als Daniel und ihr Sohn, der seine Nachspeise selbst trug, aus der Küche zurückkamen. "Ach Mummy!" Robbie klang alles andere als begeistert. "Da wir zu Fuß gehen müssen, sollten wir nicht warten, bis es völlig dunkel ist", sagte Cathy. "Aber ich fahre Sie doch zurück." Daniel stellte das Tablett mit dem Kaffee auf den Tisch. "Womit denn?" fragte Cathy stirnrunzelnd. "Ihr Landrover steht noch auf dem Parkplatz des Pubs."
Verdammt! Wieso sage ich ihr nicht einfach, dass der brandneue Jaguar von gestern nicht einem Freund, sondern mir gehört und nebenan in der Garage steht? überlegte Daniel, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Er war schon froh, dass Cathy sein ihr sicher sehr luxuriös erscheinendes Haus akzeptiert hatte. "Ich habe ein Fahrrad." Er hatte tatsächlich eines - aber wo? "Damit könnte ich in wenigen Minuten zum Pub radeln und den Landrover holen." "Ich möchte Ihnen nicht noch mehr Mühe machen, nachdem Sie uns heute schon zum Lunch eingeladen und abends für uns gekocht haben", wehrte sie ab. "Das habe ich doch gern getan." Er hob ihr Kinn an und zwang sie, ihn anzusehen. Und dann beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie. Als ihre Lippen sich berührten, schloss er genießerisch die Augen und gab sich ganz diesem kostbaren Augenblick hin. "Ihr küsst euch!" Cathy fuhr zurück, und als Daniel die Augen 'öffnete, sah er, dass ihre Wangen glühten. Sie wirkte bestürzt und blickte zu Robbie, der ihr gegenübersaß und über das ganze Gesicht strahlte. Daniel zwinkerte ihm zu. "Magst du meine Mummy?" Robbie schob sich einen Löffel voll Erdbeerjoghurteis in den Mund. "Ich weiß, dass sie dich auch mag. Sie sieht jetzt dauernd in den Spiegel. Das hat sie früher nie getan." Er zog die Brauen hoch und schnitt eine Grimasse. "Und sie schmiert sich jetzt immer so schwarzes Zeugs um die Augen!" "Robbie!" Cathys Gesicht war feuerrot geworden. "Du kleiner Teufel!" Er kicherte. "Und sie hätte gern, dass du uns oft besuchst", fuhr er fort und blickte Daniel hoffnungsvoll an. "Am liebsten jeden Tag!" "Also wirklich, Robbie ...", begann Cathy. "Schon gut." Daniels braune Augen funkelten belustigt. "Was Ihr Sohn mir da erzählt, ist Balsam für mein Ego. Jeden Tag, hast du gesagt?" wandte er sich an Robbie und tat, als müsste er überlegen. "Ich denke, das lässt sich machen."
Daniel blickte zu Cathy. "Ich schlage vor, wir trinken unseren Kaffee im Wohnzimmer, Dort ist es gemütlicher." "Robbie mag Sie", erklärte sie, nachdem sie auf dem cremefarbenen Sofa Platz genommen hatte. "Ich habe ihn noch nie so redselig erlebt bei einem ..." Sie verstummte verlegen. "Fremden?" ergänzte Daniel. "Sprechen Sie ruhig weiter, ich bin nicht beleidigt." "Sie sind für uns kein Fremder mehr", sagte sie leise. "Das hoffe ich." Daniel suchte ihren Blick. "Ich wünsche mir, sehr viel mehr für Sie zu sein." Sie hatten zum Essen köstlich schmeckenden roten Burgunder getrunken, und Cathy schrieb es der Wirkung des Alkohols zu, dass Daniels Bemerkung diesmal kein Unbehagen bei ihr auslöste, sondern sie vielmehr erregte. "Oh!" Eine heiße Welle des Verlangens durchflutete sie. Solche Gefühle waren ihr bisher fremd gewesen. Konnte es tatsächlich sein, dass er sie begehrenswert fand? Sie wünschte es sich so sehr. "Sie klingen überrascht." Er lächelte trocken. "Dabei habe ich mir bisher nicht gerade Mühe gegeben, meine Gefühle vor Ihnen zu verbergen." "Aber gestern Abend ..." Cathy biss sich auf die Lippe. "Ja?" "Da dachte ich ..." Sie schüttelte den Kopf. "Sind Sie sicher, dass es nicht einfach nur am Wein liegt?" fragte sie allen Ernstes. "Falls ja, verstehe ich ..." "Soll das ein Witz sein? Ich habe den ganzen Abend nur ein Glas getrunken und bin stocknüchtern! Warum fällt es Ihnen so schwer, zu glauben, dass ich Sie attraktiv finde, Cathy?" "Weil... weil so etwas Leuten wie mir nicht passiert." "Was soll denn das nun wieder heißen?" "Sie können ... jede Frau haben, die Sie wollen", sagte sie stockend. "Sie sehen gut aus, sind intelligent, witzig - Sandra ist ganz verrückt nach Ihnen."
"Sandra?" Daniel runzelte die Stirn. "Was, zum Teufel, hat Sandra mit uns zu tun? Weshalb versuchen Sie sich immer kleiner zu machen, als Sie sind, Cathy?" "Ich bin nur realistisch!" "Sie sind eine kluge, tatkräftige und schöne Frau, Cathy!" versicherte er und sah sie dabei unverwandt an. Seine Augen glänzten dunkler denn je, zogen sie in ihren Bann und vermittelten eine Botschaft, die eindringlicher war als alle Worte. "Daniel, kannst du mir helfen? Bitte!" Robbie zupfte ihn sanft am Ärmel. "Irgendwie scheint ein Puzzlestück zu fehlen." "So?" Daniel stand auf. Er schien keineswegs ungehalten über die Störung zu sein. "Ah, das sieht ja wirklich recht schwierig aus. Versuchen wir es doch mal so ..." Cathy wurde ganz warm ums Herz, als sie die beiden beobachtete. Robbie lag der Länge nach auf dem Teppich, Daniel kniete neben ihm, und sie unterhielten sich leise und freundschaftlich. Sie lehnte sich bequem auf dem Sofa zurück und zog die Beine hoch. Es war wundervoll, sich in dieser entspannten Atmosphäre auszuruhen und Tagträumen nachhängen zu können... "Sieh mal!" Robbie blinzelte Daniel verschwörerisch zu. "Mummy schläft." Daniel drehte sich zu Cathy um. Ein zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen. "Tatsächlich. Sie muss sehr müde gewesen sein." Robbie nickte ernst. "O ja, sie arbeitet furchtbar viel. Als Grandma noch lebte und wir alle drei zusammenwohnten, hat Mummy jeden Abend bis spät in die Nacht im Supermarkt gearbeitet. Da war sie auch immer schrecklich müde." "Jeden Abend?" Wieder nickte Robbie. "Ich habe bei Grandma in dem großen Bett geschlafen." "Am besten lassen wir deine Mummy ein wenig schlafen und sind ganz leise", schlug Daniel vor. Er warf einen Blick auf seine Uhr. "Oh, es ist schon nach acht. Ich habe über unserem Puzzle ganz die Zeit vergessen. Wann gehst du gewöhnlich ins Bett?"
"Ach, noch lange nicht!" Robbie unterdrückte ein Gähnen. "Ich kann aufbleiben, solange ich will!" "So?" "Ja, sogar bis Mitternacht!" bekräftigte der Kleine mit unschuldiger Miene. "Allerdings trinke ich um diese Zeit meistens Kakao und esse dazu einige Schokokekse. Solche, wie ich sie heute Nachmittag hatte." "Verstehe." Daniel stand auf. "Dann mach' ich uns mal was zu trinken. In Ordnung?" Robbie nickte. "Und ich baue ganz leise weiter an dem Puzzle, damit Mummy nicht aufwacht." Als Daniel nach einer Viertelstunde mit einem Becher Kakao in der einen Hand und einem Teller mit Schokoladenkeksen in der anderen ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag Robbie selig schlummernd auf dem Teppich. Nach kurzer Überlegung stellte Daniel die Sachen auf den Tisch, hob Robbie vom Boden hoch und trug ihn in das kleine Mansardenzimmer, in dem auch er als kleiner Junge immer geschlafen hatte, wenn er bei seiner Tante übernachtet hatte. Es war in Blau und Beige gehalten, auf einer Kommode in der Ecke stand ein Segelboot aus Holz, und auf dem Bett lag eine bunte Patchworkdecke. Daniel schlug sie mit einer Hand zurück und legte Robbie behutsam auf das Bett. Er verspürte richtiggehend väterliche Gefühle, als er dem Jungen die Schuhe auszog und ihn dann sanft zudeckte. Als Daniel ins Wohnzimmer zurückkam, schlief Cathy noch immer. Er kniete sich neben das Sofa und betrachtete ihr Gesicht. Kaum zu glauben, welche Gefühle sie in ihm weckte. Wann hatte er bei einer Frau schon jemals ein so starkes Bedürfnis verspürt, sie zu beschützen? Gleichzeitig empfand er große Zärtlichkeit für sie - und ein geradezu schmerzliches Verlangen. War das die viel gerühmte große Liebe? Konnte es sein, dass man sich verliebte, wenn man es am wenigsten erwartete?
"Ich habe mich schon gewundert, wo Sie abgeblieben sind." Mit dem zerzausten Haar und dem verschlafenen Blick sah sie wie ein kleines Mädchen aus. Lächelnd legte Daniel den Pinsel aus der Hand. "Jetzt haben Sie mich ja gefunden." Er griff nach einem Tuch und warf es über das Bild, an dem er gerade gearbeitet hatte. "Haben Sie gut geschlafen?" "Tut mir Leid, dass ich eingenickt bin." Verlegen strich sie sich über das zerzauste Haar. "Ich scheine es mir zur Gewohnheit zu machen, in den unpassendsten Momenten einzuschlafen." "Eigentlich hatte ich ja gehofft, meine Gesellschaft würde bei Frauen eher das Gegenteil bewirken!" "O nein! Ich meine, es liegt nicht an Ihnen ..." Er lächelte, und seine Augen funkelten mutwillig. "Das sollte nur ein Scherz sein", beruhigte er sie. "Offensichtlich waren Sie einfach müde." Er ging zur Tür und knipste das Licht im Atelier aus. "Sie und Robbie sind mir vielleicht ein Paar!" "Wo ist er?" fragte Cathy stirnrunzelnd. "Ich habe hier Licht gesehen und dachte, er wäre bei Ihnen." "Keine Angst, ihm geht es gut." Daniel ging ihr voran die kleine Treppe hinauf, öffnete eine Tür und trat beiseite, um Cathy ins Zimmer zu lassen. Das Licht der Murlampe schien auf Robbies engelhaftes Gesicht. "Er ist auf dem Teppich eingeschlafen. Ich dachte, hier hat er es bequemer." "Ist er nicht ein süßer Bengel?" flüsterte Cathy und drehte sich zu Daniel um. "Natürlich bin ich voreingenommen." Sie beugte sich über ihren Sohn und küsste ihn zart auf die Wange. "Jammerschade, ihn jetzt wecken zu müssen." "Müssen Sie?" "Nun ja, von selber wacht er bestimmt nicht vor morgen früh auf." "Dann lassen wir ihn doch schlafen." Daniel lächelte einladend. "Warum übernachten Sie nicht beide hier?" "Das ... es ist..." Während sie nach einer plausiblen Ausrede suchte, war sie sich nur allzu sehr Daniels starker männlicher Ausstrahlung bewusst. "Es ist schon spät."
"Ein Grund mehr, zu bleiben." Er machte einen Schritt auf sie zu und berührte sanft ihre Wange. "Keine Angst, mein Angebot ist ohne jeden Hintergedanken." Seine Stimme klang warm und herzlich. "Nichts liegt mir ferner, als Sie unter Druck zu setzen und etwas zu verlangen, wozu Sie nicht bereit sind." "Wirklich nicht?" "Nein." Er nahm sie an der Hand und führte sie hinaus auf den Flur. "Dieses Haus hat hochmoderne sanitäre Anlagen. Es gibt unbegrenzte Mengen heißes Wasser, und ich habe einen großen Vorrat an flauschigen Badetüchern." Er öffnete eine Tür und knipste das Licht an. "Na, wie gefällt es Ihnen?" Es war ein sehr großes Bad, weiß gekachelt und mit dunkelblauen Badematten und Handtüchern ausgestattet - und es war wohlig warm. "Hier würde wohl jeder in Versuchung kommen." Cathy seufzte. "Ich habe noch nie in einer Eckwanne gebadet." "Dann sollten Sie diese einmalige Chance nutzen", sagte Daniel betont locker. Du musst langsam vorgehen, darfst sie zu nichts drängen, ermahnte er sich. "Ich mache dieses Angebot nicht jedem." Er sah ihr direkt in die Augen. "Cathy..." Mit jeder Minute fiel es ihm schwerer, sie nicht einfach in die Arme zu nehmen, doch er hatte Angst, alles zu verderben. Früher hatte er oft ohne Rücksicht auf spätere Konsequenzen gehandelt. Diesmal war es anders. Cathy sah so ... verletzlich aus, quälte sich völlig unnötig ... "Bitte, verstehen Sie die Situation nicht falsch. Ich versuche, Sie nicht zu überrumpeln. Sie sollen einen entspannten, erholsamen Abend verbringen, das ist alles, was ich mir wünsche." Hehre Worte, sagte sich Daniel spöttisch, aber er war tatsächlich entschlossen, sich daran zu halten. Cathy ließ Wasser in die Wanne laufen und gab duftendes Badeöl dazu. Unwillkürlich musste sie lächeln. Noch nie hatte sie jemanden wie Daniel getroffen, der ihre geheimsten Gedanken und Ängste erriet und sie ernst nahm. Es gab also auf dieser Welt doch noch Männer, die ehrlich und anständig waren.
Ungefähr eine Stunde später verließ sie in einem viel zu großen Frotteemantel das Bad. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass Robbie noch tief und fest schlief, machte sie sich auf den Weg nach unten. Erst auf halber Treppe bemerkte sie, dass Daniel an der offenen Haustür stand und mit jemandem sprach, der ihr nur allzu bekannt war. . Es war zu spät, um umzukehren. Sandra hatte sie bereits entdeckt und würde nun sicher die falschen Schlüsse ziehen. Notgedrungen ging Cathy weiter und verschwand im Wohnzimmer. Unfreiwillig bekam sie dabei einiges von der Unterhaltung der beiden mit. "Nun, dann werde ich Sie nicht länger aufhalten", sagte Sandra. "Wie ich sehe, sind Sie nicht allein." Es folgte eine bedeutungsvolle Pause. "Ich hoffe, Sie verübeln mir nicht, dass ich Sie gefragt habe, Daniel, aber schließlich leben wir in modernen Zeiten und ... Nun ja, ich dachte, fragen kostet nichts." Sandras sonst so melodische Stimme klang ein wenig gequält. "Selbstverständlich hatte ich keine Ahnung, dass Sie dieses Jahr nicht teilnehmen würden." "Schon gut, Sandra." Daniels Stimme klang gelassen. "Dass Sie eine moderne Frau sind, bezweifelt sicher niemand." "Vielleicht könnten wir ja irgendwann mal... ein Glas zusammen trinken?" "Vielleicht." Cathy stand am Kamin, als Daniel ins Wohnzimmer kam. Er schien über Sandras Besuch nicht im Geringsten beunruhigt zu sein. "Nun, hat Ihnen das Bad gut getan?" erkundigte er sich in bester Laune. "Ja, sehr. Vielen Dank." Es gelang ihr nicht, den Vorfall einfach zu übergehen. "Sie hat mich gesehen." "Wer?" Er runzelte die Stirn. "Ach so, Sie meinen Sandra. Na und?" "Sie denkt jetzt bestimmt ..." Cathy blickte an sich hinunter und seufzte tief auf. "Da ich Ihren Bademantel anhabe, hat sie wahrscheinlich die falschen Schlüsse gezogen." Er zog eine Braue hoch. "Stört Sie das?"
Obwohl seine Stimme leise war, entdeckte Cathy in ihr einen stählernen Unterton. "Natürlich habe ich einen Schreck bekommen." "Stört es Sie?" wiederholte er ruhig. "Ich weiß es nicht." Cathy zuckte nervös die Schultern. "Ich bin solche Situationen nicht gewohnt. Was wollte sie?" "Nichts Besonderes." Er strich sich durch das dunkle Haar und schien Schwierigkeiten zu haben, sich zu konzentrieren. "Sie hat mich gefragt, ob ich sie auf den ... Ball begleiten will. Erinnern Sie sich an das Plakat, das wir heute im Pub gesehen haben?" "Ja. Sie meinen das vom Frühlingsball, stimmt's?" Cathy schluckte. "Und? Haben Sie Ja gesagt?" Langsam schüttelte er den Kopf und sah sie an, als hätte sie eine überaus dumme Frage gestellt. "Nein, Sandra wäre die Letzte, die ich auf dem Ball an meiner Seite haben möchte. Abgesehen davon gehe ich dieses Jahr sowieso nicht hin. Kommen Sie, setzen wir uns." Er fasste nach ihrer Hand und führte sie zu dem cremefarbenen Sofa. "Ich möchte jetzt nicht weiter über Sandra oder den Ball reden, sondern über Sie." Sanft drückte er sie auf das Sofa, setzte sich neben sie und sah ihr forschend ins Gesicht. "Erzählen Sie mir von Robbies Vater." "Er ist tot", antwortete Cathy nach einem Moment des Zögerns. Sie sah Daniel mit verschleiertem Blick an. "Mehr gibt es dazu ... nicht zu sagen. Er ist weg und kann nicht mehr ..." "Kann Ihnen nicht mehr wehtun?" Cathy nickte. Sie bemerkte, wie er die Lippen zusammenpresste und seine Miene sich verfinsterte. Es tat ihr unendlich gut, dass jemand so völlig auf ihrer Seite stand. "Weiß es Robbie?" "Ja. Ich habe ihm erzählt, dass sein ... Vater gestorben ist, bevor er geboren wurde." "Vor seiner Geburt?" Daniel runzelte die Stirn. "Das muss eine sehr harte Zeit für Sie gewesen sein." "Ja ...", bestätigte sie stockend. "Aber nicht aus den Gründen, die Sie annehmen." Sie schüttelte den Kopf. "Falls Sie eine tragische Geschichte von unglücklicher junger Liebe erwarten, muss ich Sie
enttäuschen!" Cathy war bewusst, dass ihre Stimme ungewöhnlich bitter klang. "Ich war jung und naiv und ... eines Abends ... passierte es ..." Sie hatte nicht geplant, vor Daniel ihre Fehler aus der Vergangenheit auszubreiten, aber nun fand sie es plötzlich richtig, sich ihm anzuvertrauen. "Steve trank an jenem Abend sehr viel ... Wodka, glaube ich, oder Gin. Ich trank nur Cola, aber ..." Cathy blickte starr in die Flammen, während sie die quälenden Erinnerungen wieder aufleben ließ. "Erst hinterher wurde mir klar, dass er heimlich Wodka in meine Cola getan hatte. Ich verstand nicht, was er vorhatte, und... als er begann..." Sie legte eine Hand über die Augen. "Nie hätte ich gedacht, dass er mir so etwas antun würde. Ich wollte, dass mein erstes Mal etwas ganz Besonderes wird ..." Sie machte eine längere Pause, ehe sie die Hand von den Augen nahm und Daniel ansah. "War Dir erstes Mal etwas Besonderes?" "Nein, eigentlich nicht." Seine tiefe Stimme hatte einen besänftigenden Klang. "Unvergesslich vielleicht, aber aus den falschen Gründen. Ich war zu jung und zu betrunken und hatte von nichts eine Ahnung." Zart berührte er mit einer Fingerspitze ihre Wange. "Doch wir sprechen jetzt nicht von mir, sondern von Ihnen. Was geschah dann?" "Später ... als der Arzt mir mitteilte, ich sei schwanger ... wollte Steve nichts davon wissen. Er sagte ..." Allein die Erinnerung an die erlittene Demütigung trieb ihr Tränen in die Augen. "Er sagte, er hätte nie ... mit mir geschlafen, wenn er nicht betrunken gewesen wäre. Ich war damals noch dicker und hässlicher als jetzt", fügte sie erklärend hinzu. "Es war schrecklich erniedrigend." "Der Schuft darf froh sein, dass er nicht mehr lebt!" stieß Daniel zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Sie fragen sich natürlich, wieso ich mich mit so jemandem überhaupt abgegeben habe", fuhr sie hastig fort. "Heute verstehe ich das selbst nicht mehr, doch mit meinem Selbstbewusstsein war es noch nie weit her, und vermutlich war ich damals ... dankbar, dass er von mir Notiz nahm. Ich war erst siebzehn, war ohne Vater
aufgewachsen und hatte mit meiner Mutter immer in sehr ärmlichen Verhältnissen gelebt. Ich wusste nicht, was ich vom Leben erwarten durfte, und hatte absolut keine Erfahrung mit Männern. Die habe ich auch heute noch nicht", fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu. "Steve hat mein ohnehin schon geringes Selbstvertrauen systematisch zerstört, doch das wurde mir erst nach seinem Tod bewusst, als ich über alles nachzudenken begann." "Woran ist er gestorben?" "Wenige Wochen nachdem er mir gesagt hatte, dass ihn das Baby nichts angehe, ist er mit dem Auto tödlich verunglückt." Cathys Stimme klang ausdruckslos. "Und Robbie weiß von seinem Vater nur, dass er tot ist?" "Ja. Ich hatte ein Foto von Steve, das ich jedoch zerrissen habe, als er meinte, ich solle mir das Baby in der Klinik wegmachen lassen." "Das hat er gesagt?" "Unter anderem. Den Rest erspare ich Ihnen lieber." Cathy lächelte schwach. "Was soll ich Robbie von einem solchen Vater erzählen? Natürlich mache ich mir immer noch Vorwürfe, dass ich mich mit diesem Mann überhaupt eingelassen ..." "Wenn nicht, würde es jetzt keinen Robbie geben", unterbrach Daniel sie sanft. "Er ist der beste Beweis dafür, dass auch aus einer Untat etwas Gutes entstehen kann." "Ja." In Cathys Augen schimmerten Tränen. "Er bedeutet alles für mich." "Das ist nicht zu übersehen." Daniel legte eine Hand auf ihre Wange. Seine dunklen Augen waren voller Mitgefühl. "Sie sehen müde aus." "Das bin ich auch." Die Berührung seiner warmen Finger tat Cathy gut, und am liebsten hätte sie den Kopf an seine starke männliche Brust geschmiegt. "In letzter Zeit fühle ich mich oft erschöpft. Anscheinend hat mich der Umzug mehr Kraft gekostet, als ich dachte."
"Wollen Sie ins Bett?" fragte Daniel mit zärtlichem Lächeln. "Sie brauchen nicht rot zu werden. Ich muss noch arbeiten und werde im Atelier übernachten. Sie können in meinem Zimmer schlafen." Cathy zögerte. "Es macht Ihnen wirklich nichts aus?" Die Lüge kam ihm nicht leicht über die Lippen. "Nein." Sie legte ihre Hand auf seine. "Sie ahnen nicht, was es mir bedeutet, so ... respektvoll behandelt zu werden, obwohl ich mich wie ein dummes, kleines Mädchen benehme." "Das tun Sie doch gar nicht", widersprach er. "Sie haben eine schwere Zeit hinter sich, fühlen sich verletzlich ..." "Ich möchte mich aber lieber mutig und tapfer fühlen!" "Klingt aufregend!" Er lächelte, wurde aber schnell wieder ernst, als ihr Tränen über die Wangen rollten. "Cathy, Liebling, das ist doch kein Grund zum Weinen." Sie entzog sich seinem Griff und wischte sich die Tränen ab. "Ich komme mir so erbärmlich vor." "So etwas darfst du nicht einmal denken!" Unwillkürlich duzte er sie und zog sie an sich. "Du bist eine tapfere, schöne Frau, die harte Jahre hinter sich und ein besseres Leben verdient hat." "Ich bin ein Feigling", bekannte sie verlegen. "Jede andere Frau..." "Weil du nicht mit mir schlafen willst?" Er klang aufrichtig erstaunt. "Cathy, setz dich nicht selbst unter Druck. Ich kann warten." Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Na schön, Geduld ist nicht unbedingt meine Stärke, aber wenn es um dich geht, übe ich mich gern in Langmut." Cathy schüttelte verwirrt den Kopf und sah zur Tür. "Vielleicht sollte ich doch besser gehen." "Wenn du das möchtest, bringe ich dich nach Hause." Er hielt sie noch immer in den Armen und strich ihr beruhigend übers Haar. "Aber du solltest wissen, dass du mir in jeder Hinsicht vertrauen kannst, Cathy." Er hob ihr Kinn an und zwang sie, ihn anzusehen. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn der Blick in ihre grünen Augen stachelte sein Verlangen erneut an. Er riss sich zusammen und verdrängte seine Wünsche und Sehnsüchte sogleich. "Im Übrigen
muss ich sowieso noch arbeiten", fügte er hinzu, doch leider klang seine Stimme nicht so locker wie von ihm beabsichtigt. Er hoffte, Cathy würde es nicht bemerken. "Sie ... du willst noch malen?" fragte sie. "Malen?" Es fiel ihm schwer, seine Gedanken beisammenzuhalten. "Nein, nein ... das heißt ..." Später würde er natürlich noch an ihrem Porträt arbeiten. "Es handelt sich um Schriftkram für verschiedene Wohltätigkeitseinrichtungen, für die ich tätig bin." Cathy lächelte. "Du bist hier im Dorf offenbar der gute Samariter." "Nenn mich doch einfach Sankt Daniel von Langforde", scherzte er. Sie war ihm viel zu nah und duftete verführerisch nach wilden Rosen, was seine heldenhaften Vorsätze ins Schwanken brachte. Er ließ Cathy los und stand auf. "Ich zeige dir mein Zimmer. Schräg gegenüber liegt das von Robbie." Auf dem Weg nach oben blieb Daniel auf Distanz, um nicht noch in letzter Minute schwach zu werden. "Falls du etwas brauchst, ich bin in meinem Arbeitszimmer." Als er sich zum Gehen wandte, hielt Cathy ihn am Arm fest. "Danke, Daniel", sagte sie leise, und ihr vertrauensvoller, offener Blick entschädigte ihn für alle Qualen, die ihm seine selbst auferlegte Zurückhaltung bereitete.
7. KAPITEL Daniel kratzte mit dem Palettenmesser etwas Farbe ab, fügte dann der das Porträt dominierenden Lockenmähne noch einen Hauch dunkles Rot hinzu und trat zurück, um sein Werk zu betrachten. Er hatte Cathys Unschuld und Verletzlichkeit auf die Leinwand bannen wollen, und das schien ihm tatsächlich gelungen zu sein. Kritisch nahm er das Bild unter die Lupe. Zweifellos war es eine seiner besten Arbeiten - vielleicht sogar seine bisher beste. Er atmete tief durch, um etwas von seiner inneren Anspannung abzubauen. Er fühlte sich so vital und lebendig wie schon seit langem nicht mehr. Anscheinend brachte Cathy das Beste in ihm zum Vorschein, und er konnte nur hoffen, dass er auf sie einen ähnlich erfreulichen Einfluss ausübte. Während er sich mit einer Hand den schmerzenden Nacken massierte, sah er auf seine Uhr. Kaum zu glauben, dass es schon fast drei Uhr morgens war. Höchste Zeit, ins Bett zu gehen. Als er wenig später auf dem Weg zum Bad die Halle durchquerte, hörte er von oben den Schrei einer Frau. Er rannte die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu Cathys Zimmer. Sie wälzte sich ruhelos im Bett, ruderte wild mit den Armen und wimmerte. Als sie erneut einen Schrei ausstieß, schloss er die Tür, damit Robbie von dem Lärm nicht wach wurde, ging zum Bett und knipste die Nachttischlampe an. "Cathy ... Liebling :.." Er setzte sich aufs Bett und rüttelte sie sanft an der Schulter. "Wach auf, Liebling. Es ist ja nur ein Traum." Sie wimmerte und murmelte etwas Unverständliches. Daniel zog sie hoch und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. "Cathy, du träumst nur",
redete er beruhigend auf sie ein und strich ihr eine feuchte Strähne aus dem Gesicht. "Ist ja gut, Liebling ... du träumst nur ..." Cathy erwachte. Sie wusste sofort, wo sie war und dass Daniels Arme sie umfangen hielten. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem beruhigenden Klang seiner tiefen Stimme und fühlte sich nach dem schrecklichen Albtraum in seinen Armen sicher und geborgen. "Mein süßer Liebling ..." Seine Worte klangen wie Musik in ihren Ohren, und sie schmiegte sich an ihn, spürte an ihrer Wange seinen Herzschlag und war sich plötzlich bewusst, dass nur der dünne Stoff seines T-Shirts sie von der Berührung mit seiner Haut trennte. "Ich ... ich habe geträumt, dass man mir Robbie weggenommen hat", flüsterte sie. "Und als ich ihn suchen wollte ...", ihr Atem ging stoßweise, "haben sich mir Männer mit ... Narbengesichtern und ... klauenhaften Händen ... in den Weg ..." "Denk nicht mehr daran." Er streichelte sanft ihren Rücken. "Es war nur ein Albtraum. Robbie schläft tief und fest nebenan." "Ja." Cathys Atem ging schwer. Daniels männlicher Duft erregte sie, weckte verdrängte Sehnsüchte in ihr, die sie aus dem Gleichgewicht brachten. "Daniel..." "Ja?" Sie schluckte, hob den Kopf und sah Daniel an. "Bitte ... küss mich." Schweigen erfüllte den Raum. Einen Moment lang befürchtete Cathy, dass er sie nicht küssen wollte und sie sich zur Närrin gemacht hatte, aber gleich darauf neigte er den Kopf. Seine Lippen waren fest und warm, und sein Kuss war von sinnverwirrender Zärtlichkeit. Cathy klammerte sich an seine Schultern und öffnete willig den Mund. Ein Strudel unbekannter, wonnevoller Gefühle ergriff sie, eine Mischung aus spannungsvoller Erwartung, Vorfreude und Lust. Sie spürte, wie ihre Brüste sich gegen seinen muskulösen Oberkörper pressten, und drängte sich noch enger an ihn.
"Cathy ..." Der heisere Klang seiner Stimme erregte sie nur noch mehr. "Bist du dir sicher, dass du es willst?" "Ja ..." Sie stöhnte lustvoll auf, als er die Lippen liebkosend über ihren Hals gleiten ließ. Sanft drückte er sie in die Kissen zurück. "Weißt du, dass ich dich vom ersten Augenblick an gewollt habe?" fragte er rau und blickte ihr tief in die dunkel glänzenden Augen. "Du hast etwas an dir, das mir den Atem raubt und in mir die unglaublichsten Gefühle weckt ..." Er schüttelte den Kopf, als könnte er es nicht mit Worten erklären. "Lass mich dir zeigen, was ich für dich empfinde." Als Cathy am nächsten Morgen erwachte, wusste sie erst nicht, wo sie war. Ihr Blick fiel auf einen Stoß Bücher und einen kleinen silbernen Reisewecker, auf dem es kurz nach acht war. Jäh erinnerte sie sich wieder, und ein wonnevoller Schauer überlief sie beim Gedanken an die zurückliegende Nacht, die sich vom makabren Albtraum zur wundervollsten Erfahrung ihres Lebens verwandelt hatte. Mit glücklichem Lächeln rief sie sich intime Einzelheiten in Erinnerungen, wie behutsam und einfühlsam Daniel ihre Leidenschaft geweckt hatte und wie sie sich dann wild und leidenschaftlich geliebt hatten. Von draußen drang eine vertraute Stimme an ihr Ohr. Cathy stand auf, schlüpfte in den auf einem Stuhl liegenden Bademantel und ging barfuß zum offenen Fenster. Sie lächelte, als sie Robbie im Garten mit einem Ball spielen sah, und beobachtete, wie ihr Sohn mit dem Ball nicht nur über den Rasen, sondern auch durch die vernachlässigt aussehenden Blumenbeete dribbelte. Er blieb stehen und rief: "Daniel! Spielst du noch ein wenig mit mir?" Cathy beugte sich aus dem Fenster. "Nicht so laut, Robbie! Du schreist ja das ganze Dorf zusammen!" "Hallo, Mummy!" Robbie strahlte über das ganze Gesicht. "Ich hab' heute schon mit Daniel Fußball gespielt! Er hat mir gezeigt, wie man Tore schießt." "Das ist ja prima, mein Schatz."
"Und ich kann jetzt auch schon dribbeln", erklärte Robbie eifrig. "Du hast ganz schön lange geschlafen. Ich wollte dich wecken, aber Daniel hat gemeint, wir sollten dich ausschlafen lassen." "Das war sehr nett von ..." Cathy verstummte, als es an der Tür klopfte. Schnell fuhr sie sich über die zerwühlten Locken. "Herein!" Daniel trat ein. Er trug nur Shorts und ein eng anliegendes T-Shirt und sah so umwerfend sexy aus, dass Cathy der Atem stockte. "Ich dachte, du möchtest vielleicht gern in deinem Zimmer frühstücken." "Deinem Zimmer", verbesserte sie ihn und blickte auf das Tablett in seinen Händen, auf dem ein Krug mit frisch gepresstem Orangensaft, eine Kanne Kaffee, ein Korb mit warmem Toast sowie zwei Tassen und zwei Gläser standen. "Das sieht ja alles köstlich aus!" Sie lächelte scheu. "Vielen Dank." "Gern geschehen." Er stellte das Tablett auf den kleinen Tisch am Fenster, beugte sich über sie und küsste sie. "Wir haben einen wundervollen Tag vor uns", raunte er ihr ins Ohr. Sie lächelte strahlend. "Ja, das glaube ich auch." Draußen im Garten ertönte ein Jubelschrei. Widerstrebend löste Cathy den Blick von Daniels Gesicht und sah aus dem Fenster. Robbie übte jetzt offenbar das Toreschießen. "Wie lange ist er schon auf?" "Seit sechs." "Leider war er schon immer ein Frühaufsteher." Sie dachte an die leidenschaftlichen Stunden der vergangenen Nacht. "Du Armer hast so gut wie keinen Schlaf bekommen!" "Welch ein Opfer!" Er umfasste ihr Gesicht und küsste sie erneut. "Ich bin sowieso früh aufgestanden, da ich nicht wusste, wie Robbie reagieren würde, wenn er uns zusammen im Bett findet." Zögernd fügte er hinzu: "Mein Versprechen von gestern Abend..." Cathy runzelte die Stirn. "Bedauerst du etwa, was geschehen ist?" "Wie kommst du denn darauf?" Forschend sah er sie an. "Bedauerst du es denn?" "O nein!" Cathy hatte den Atem angehalten und lächelte nun erleichtert. "Wenngleich ich noch immer nicht glauben kann, dass es tatsächlich passiert ist."
"Sogar mehr als einmal." Seine dunklen Augen drückten männlichen Besitzerstolz aus. "Eigentlich sollten wir zur Feier des Tages mit Champagner anstoßen", meinte er, als er nun die beiden Gläser mit Orangensaft füllte. "Lieber nicht." Cathy trank etwas Saft. "Ich habe erst einmal Champagner getrunken, und er hat so scharf und trocken geschmeckt und mich in der Nase gekitzelt." Daniel lachte. "Du solltest es nicht bei einem Versuch belassen. Wenn man etwas mehr Geld dafür ausgibt, kann er sehr gut schmecken." "Du klingst ja wie ein Experte", zog sie ihn auf. "So, und nun erzähl mir, was du und Robbie heute Morgen so gemacht habt. Er sagte, du hättest mit ihm Fußball gespielt." "Stimmt. Er hat für sein Alter erstaunlich viel Ballgefühl. Außerdem haben wir noch in meinem Atelier gearbeitet." "Gemalt?" "Ja." Daniels Lippen umspielte ein Lächeln. "Robbie hat mir seine Meinung zu einem Bild mitgeteilt, an dem ich zur Zeit arbeite. Er hat sehr strenge Ansichten." "Weißt du, dass du ein Heiliger bist? Du hast so gut wie nicht geschlafen, trotzdem meinen Sohn beschäftigt, bringst mir das Frühstück..." "Ich bin alles andere als ein Heiliger", unterbrach er sie. "Wenn du nur wüsstest..." Die Tür wurde aufgerissen, und Robbie stürmte ins Zimmer. Er hielt ein großes Blatt Papier in der Hand. "Mummy, sieh mal, was ich gemalt habe. Daniel hat mir nur beim Mischen der Farben geholfen. Alles andere habe ich allein gemacht." Cathy legte ihrem Sohn einen Arm um die Taille. "Wunderschön!" lobte sie nach einem Blick auf die roten und orangefarbenen Linien. "Was stellt es dar?" "Einen Sonnenuntergang natürlich!" Robbie schien erstaunt, dass sie es nicht selbst erkannt hatte. "Genauso sah er heute Morgen aus."
Cathy, die sich nur mühsam das Lachen verbiss, wollte ihn zuerst korrigieren, ließ es dann aber sein. "Was für ein kluger Junge du bist!" "Das sagt Daniel auch." Robbies Miene wurde plötzlich ernst. "Er sagt, ich soll mir nichts draus machen, wenn mich die anderen Kinder in der Klasse ärgern." Cathy runzelte die Stirn. "Sie ärgern dich?" Liebevoll strich sie ihrem Sohn eine braune Haarsträhne aus der Stirn und sah ihm forschend ins Gesicht. "Aber wieso denn?" Er blickte zu Boden. "Oh ... nur so." "Sag es mir, Liebling." Sie zog ihn an sich. "Sind die anderen Kinder böse zu dir? Bist du deshalb letzte Woche so ungern zur Schule gegangen?" "Ich spiele noch ein wenig draußen Fußball!" Er versuchte, sich ihrem Griff zu entziehen. "Robbie, was hast du denn!" "Lass mich los!" Da er unbedingt wegwollte, gab sie ihn frei und beobachtete irritiert, wie er förmlich aus dem Zimmer floh. "Ich glaube, du lässt ihn jetzt besser in Ruhe", meinte Daniel. Sie sah ihn an. "Hast du davon gewusst?" "Erst seit heute Morgen. Wir haben uns beim Malen über die Schule unterhalten, und da hat er es mir plötzlich erzählt." "Um was genau geht es denn?" Cathy konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme scharf klang. Daniel setzte sich neben sie auf die kleine Couch am Fenster und legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern. "Anscheinend haben ihn einige Mitschüler gehänselt, weil er keinen Vater hat. Du weißt ja, wie grausam Kinder sein können." Cathy schwieg entsetzt. Wie sehr musste Robbie unter dem Spott der anderen gelitten haben! Sie seufzte. "Es ist schwer, allein gegen solche Vorurteile anzukämpfen." "Du bist nicht allein", sagte er fast beschwörend und zog sie enger an sich. "Ich werde mit Miss Stubbs sprechen und die Sache regeln."
"Das würdest du tun?" Cathy sah ihn an. Ihre Augen schimmerten feucht. "Natürlich werde ich auch mit ihr reden, aber meine Worte haben bei ihr wenig Gewicht." "O doch", widersprach Daniel grimmig. Schließlich war er der Vorsitzende des Elternbeirats. "Dafür werde ich sorgen." "Danke." Cathy küsste ihn auf den Mund. "Womit habe ich das verdient?" fragte er heiser. "Ich bin einfach nur froh, dass es dich gibt", platzte sie heraus und ergänzte errötend: "Weil du dich so rührend um Robbie kümmerst." "Du liegst mir ebenso am Herzen, das weißt du doch hoffentlich?" "Ja." Sie lächelte glücklich, genoss es, wie er sie ansah. Ich benehme mich wie ein schwärmerischer Teenager, dachte sie. Was sie mit Daniel erlebte, war so neu und aufregend, dass es ihr fast ein wenig Angst machte. Er berührte ihre Wange und zog mit dem Finger die Linie ihres Kinns nach. Dann küsste er sie sanft und verführerisch und doch auch unbeschreiblich erregend. "Du machst mich ganz verrückt", flüsterte er heiser und küsste sie erneut, diesmal fordernd und besitzergreifend. "Wir beide ergänzen uns perfekt, Cathy..." "Getroffen!" jubelte Robbie im Garten und stimmte ein Triumphgeheul an. Daniel hob den Kopf und seufzte. Seine Lippen umspielte ein sinnliches Lächeln. "Kein sehr günstiger Zeitpunkt." "Nein." Schwer atmend lösten sie sich voneinander und sahen sich mit brennenden Augen an. "Wann?" flüsterte Cathy und erschrak vor der überwältigenden Macht ihrer Gefühle. "Heute Abend bei dir", sagte Daniel heiser. "Ich bringe etwas zu essen mit." Eine Woge des Verlangens durchlief Cathy. "Bring einfach nur dich mit, das genügt." Während des restlichen Vormittags hatte Cathy das Gefühl, auf Wolken zu schweben. An einen Baumstamm gelehnt, sah sie zu, wie Daniel hinter ihrem fröhlich kreischenden Sohn herlief, ihn schließlich fing und hochhob. Robbies ansteckendem Lachen war nicht anzumerken, dass er eine schlimme Woche hinter sich hatte.
Gleich morgen früh werde ich mit Miss Stubbs sprechen, nahm Cathy sich vor. Komisch, dass sie auf einmal keine Angst mehr vor der gestrengen Lehrerin hatte. Es war das Verdienst des atemberaubend attraktiven, klugen und humorvollen Mannes, der wenige Meter entfernt ihren jauchzenden Sohn durch die Luft wirbelte. Seit sie ihn kannte, hatte ihr Leben eine so wundersame Wendung genommen, dass sie manchmal befürchtete, alles nur zu träumen. "Und nun werden wir deiner Mummy Beine machen!" Daniel stellte Robbie auf den Boden und fasste nach seiner kleinen Hand. "Nimm dich in Acht, Cathy, du entkommst uns nicht." Das hoffte sie, begann jedoch anstandshalber zu laufen und schlug einige Haken, um die Jagd für ihren Sohn spannend zu machen. "Ich hab' dich, Mummy!" Robbie erwischte sie am Bein und klammerte sich mit aller Kraft an sie. Daniel legte ihr einen Arm um die Taille. "Gefangen!" raunte er ihr ins Ohr und lächelte verwegen. "Du wirst nur gegen Bezahlung freigelassen." "An was hast du da gedacht?" "Rate mal?" Er beugte sich über sie, und ihre Lippen fanden sich zu einem leidenschaftlichen Kuss. Später spazierten sie gemächlich ins Dorf, aßen im Pub zu Mittag und fuhren dann mit dem Landrover zu Cathys Haus. "Danke für ... alles", flüsterte Cathy beim Abschied und lächelte schüchtern. "Das hier ist keineswegs das Ende!" Sein heißer Blick verursachte ihr ein angenehmes Kribbeln im Bauch. "Ich würde gern bleiben, aber ich habe dringend einiges zu erledigen." Sanft strich er ihr eine Locke aus der Stirn. "Ich komme so gegen acht." Er küsste sie noch einmal. "Acht Uhr also", wiederholte er heiser. Erst als er weg war, entdeckte Cathy den Zettel in ihrem Briefkasten. "Du siehst so glücklich aus, mein Lieber. Hast du etwa ein Bild verkauft?"
"Tu nicht so, als würde das nur alle Ewigkeiten mal vorkommen, Mutter", konterte Daniel, während er durch das riesige und mit erlesenem Geschmack eingerichtete Wohnzimmer zu seiner Mutter ging. "Immerhin habe ich von Zeit zu Zeit sogar Ausstellungen in Paris und London laufen." "Entschuldige, mein Lieber." Lady Hamilton legte letzte Hand an das vor ihr stehende Blumenarrangement und betrachtete dann ihren Sohn mit einem forschenden Blick. "Also kein Bild. Was ist es dann?" "Muss denn immer gleich etwas sein?" Daniel griff nach einer auf einem kleinen Tisch liegenden Zeitung und überflog die Schlagzeilen. "Du hast dich seit Tagen nicht mehr bei uns sehen lassen", hakte seine Mutter nach. "Anscheinend bist du momentan sehr beschäftigt." "Nicht mehr als sonst." Daniel blätterte um und warf einen Blick auf den Sportteil. "Ist Vater in seinem Arbeitszimmer?" "Ja, er sitzt schon seit heute Morgen über der letzten Jahresbilanz der Stiftung." Es folgte eine kurze Pause. "Jemand hat dich gestern mit einer jungen Frau und einem kleinen Jungen gesehen," "So?" erwiderte Daniel, ohne von der Zeitung aufzublicken. "Anscheinend haben die Leute im Dorf zu wenig zu tun, sonst würden sie nicht anderen nachspionieren." "So ist es doch gar nicht! Wenn du es genau wissen willst, Martha hat es nur kurz erwähnt, als wir heute Morgen in der Küche das Büfett für den Ball besprochen haben. Es ist übrigens das erste Mal, dass du am Ball nicht teilnimmst." "Ja, ich weiß." In Daniel regte sich Mitleid, als er das enttäuschte Gesicht seiner Mutter sah. Er drückte ihr einen Kuss auf das perfekt frisierte graue Haar. "Aber ich muss morgen unbedingt an dieser Sitzung in London teilnehmen, tags darauf will ich mir die beiden neuen Jugendherbergen näher ansehen, und am nächsten Tag steht die Besichtigung mehrerer moderner Kindergärten auf dem Programm, da wir hier doch ebenfalls einen bauen wollen." "Falls du aber doch früher zurückkommst..."
Daniel schüttelte den Kopf. "Ich kann nichts versprechen. Abgesehen davon weißt du ja, dass mir dieser ganze Zirkus ziemlich zuwider ist." "Ja, schon, aber wir haben als Gastgeber auch gewisse Verpflichtungen. Besser, du kommst spät als gar nicht", fügte sie hoffnungsvoll hinzu. Er seufzte. "Ich werde sehen, was ich tun kann. Als Daniel durch den kleinen Vorgarten ging, fühlte er sich wie ein Schuljunge vor dem ersten Rendezvous. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, und er war sogar ein wenig nervös. So etwas hatte er noch nie an sich erlebt! Im Wohnzimmer brannte Licht, und er konnte durch die dünnen Vorhänge Cathys Umrisse erkennen. Unwillkürlich ging ihm durch den Kopf, wie energisch sie sich an die Verschönerung des Hauses gemacht hatte. Er bewunderte diese Tatkraft und ihr Talent, praktisch aus nichts etwas zu schaffen. Verglichen mit ihr waren Leute wie er und die verwöhnten Töchter aus guter Familie, mit denen seine Mutter ihn zu verkuppeln suchte, in geradezu paradiesischen Verhältnissen aufgewachsen. Als er an die Haustür klopfte, bemerkte er im Nachbarhaus Mrs. Barnet, die aus dem Fenster blickte. Er hob grüßend die Hand. Cathy riss die Tür auf. "Hallo!" Es klang ein wenig atemlos. "Ebenfalls hallo!" Er beugte sich vor und küsste sie. "Du siehst bezaubernd wie immer aus." "Nein, das stimmt nicht!" Sie schüttelte heftig den Kopf und fuhr sich mit einer fahrigen Geste durchs Haar. "Ich bin aufgehalten worden und hatte keine 'Zeit mehr, mich zurechtzumachen." "Sprichst du etwa von dem schwarzen Zeug, das Robbie erwähnt hat?" neckte Daniel sie mit zärtlichem Lächeln. "Keine Angst, du gefällst mir natürlich und ungeschminkt am allerbesten." Er wartete einen Moment und sah sie dann leicht irritiert an. "Willst du mich nicht hereinlassen?" "Ach so, ja, natürlich." Sie trat beiseite.
Irgendwie kam sie Daniel verändert vor. "Ist etwas passiert?" fragte er besorgt. "Du wirkst nervös." "Nein, nein! Es ist nur ..." Sie schüttelte hilflos den Kopf, als könnte sie es ihm nicht erklären, und sah ihn mit glänzenden Augen an. "Es ist wunderbar, dich zu sehen. Die Stunden ohne dich sind mir endlos lang vorgekommen." "Mir auch." Daniel zog sie eng an sich und küsste sie voller Verlangen. Schließlich löste sich Cathy widerstrebend von ihm. "Robbie wartet oben im Bett auf dich. Er wollte dich unbedingt noch sehen. Würdest du ihm kurz gute Nacht sagen?" "Natürlich." Daniel gab ihr die große Tragetüte, die er in der Hand hielt. "Ich habe eine Flasche Wein und chinesisches Essen mitgebracht. Hoffentlich magst du so etwas." "Sehr gern sogar. Chinesisch habe ich schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gegessen." Sie nahm die Tüte mit einem so strahlenden Lächeln entgegen, dass Daniels Besorgnis schwand. "Ich werde inzwischen alles herrichten." "Mach dir bitte keine Umstände." Er hielt sie fest, zog sie noch einmal an sich und küsste sie erneut. Als er den Kopf hob, sah er sie verträumt lächeln. "Ich bin gleich wieder da", versprach er. " Leise öffnete Daniel die Tür zu Robbies Zimmer und blickte zum Bett. Als er ihn, umringt von Bilderbüchern und mit einem verwaschenen Teddy im Arm, sah, dachte er zuerst, der Kleine würde schon schlafen, doch dann öffnete Robbie ein Auge und grinste. "Ich warte schon ewig auf dich!" "Hallo, Sportsfreund!" Daniel sammelte einige auf dem Bett liegende Bücher ein und legte sie auf den Nachttisch. "Alles in Ordnung?" "Geht so." "Was ist los?" Daniel setzte sich auf den Bettrand. "Hast du etwas angestellt?" "Ich nicht. Es war Gary." "Gary?"
"Ja. Mummy dachte, ich hätte es nicht gemerkt, aber ich weiß, dass sein Besuch ihr nicht gefallen hat." "Gary ist doch der Mann, der euch beim Umzug geholfen hat?" "Ja. Manchmal kann er ganz nett sein, aber ich mag es nicht, wenn er schimpft!" Daniel runzelte de Stirn. "Er hat geschimpft?" "Nein, heute nicht. Aber manchmal tut er das und sagt schlimme Wörter." Nachdenklich betrachtete Daniel das bedrückte Gesicht des Kiemen und verstand nun, weshalb Cathy ihm vorhin so verändert vorgekommen war. "Keine Angst, mein Junge. Ich werde mit deiner Mummy reden." "Nein, bitte nicht", bat Robbie. "Ich glaube, sie will nicht, dass ich mit dir darüber spreche. Warte lieber, bis sie es dir selbst erzählt." "Alles in Ordnung mit Robbie?" fragte Cathy, als Daniel wenig später die Küche betrat. Daniel entging ihre sorgenvolle Miene nicht. Er griff nach der auf dem Tisch stehenden Flasche und schenkte ihnen beiden Wein ein. "Ja. Er war schon sehr müde." "Gut." Cathy sah Daniel an und wünschte, sie könnte Gary aus ihren Gedanken verbannen. Schon als sie seinen Zettel im Briefkasten gefunden hatte, hatte sie nichts Gutes geahnt und damit Recht behalten. Gary brauchte wieder einmal Geld. Wie oft hatten sie und andere ihn schon vor diesen Spielautomaten gewarnt, die nicht ohne Grund vom Volksmund einarmige Banditen genannt wurden. Doch Gary war unbelehrbar und hatte wieder einmal seinen letzten Penny verspielt. Natürlich war ihr klar, dass er nun seine übliche Runde bei Freunden und Bekannten machte. Sie hatte ihm das Wenige, das sie entbehren konnte, gegeben und dafür kaum ein Wort des Dankes geerntet. Es hatte ihr wehgetan, ihn in einem solchen Zustand zu sehen. Vermutlich war er spielsüchtig und benötigte eine Therapie... "Du siehst angespannt aus."
"Findest du?" Sie wich Daniels Blick aus. "Ich bin ... das alles einfach nicht gewohnt." "Das alles?" Er zog die Brauen hoch. "Meinst du uns ... diesen Abend?" "Du kannst sicher nicht verstehen, wie unbegreiflich alles für mich ist", erklärte sie. "Noch vor zwei Wochen habe ich in einer heruntergekommenen Großstadtsiedlung gewohnt und mich schrecklich unglücklich gefühlt, und nun ..." "War es so schlimm?" Daniels Miene verfinsterte sich. "Ich wünschte, wir wären uns schon früher begegnet." "Du bist nun hier bei mir", erwiderte sie. "Das allein zählt." Sie zögerte kurz. "Ich hatte heute Besuch von Gary, dem Mann der mir beim Umzug geholfen hat", sagte sie dann. "Hast du dich über ihn geärgert?" "Nein, nein", versicherte sie rasch und hoffte, dass ihre Lüge einigermaßen glaubhaft klang. "Ich wurde durch ihn nur wieder daran erinnert, welchem Elend ich durch meinen Umzug entflohen bin." Mit schüchternem Lächeln blickte sie Daniel an. "Ich konnte kaum erwarten, bis du endlich kamst!" Daniel spürte, dass sie ihm nicht alles über Garys Besuch erzählt hatte, aber er wollte keinen Druck auf sie ausüben. "Wie sehr hast du mich denn vermisst?" Sanft zog er sie an sich. "Etwa so?" Cathy schloss die Augen und überließ sich ganz seinem Kuss. Jetzt war keine Zeit mehr für Worte. Sie sehnte sich nach Hingabe, wollte das Wunder der vergangenen Nacht noch einmal erleben. Es war nicht nur körperliches Verlangen, das sie zu Daniel hinzog. Sie liebte ihn. Er verkörperte alles, was sie sich bei einem Mann je erträumt und erhofft hatte. Ganz abgesehen von seinem guten Aussehen und seiner starken männlichen Ausstrahlung, liebte sie auch seinen Humor, seine Güte und Klugheit. "Ich will dich", flüsterte Daniel heiser. "Mehr als ich je eine Frau gewollt habe." Als Daniel erwachte, verspürte er ein tiefes Glücksgefühl. Er wusste plötzlich genau, was er wollte und worauf er die ganzen Jahre
gewartet hatte. Wie bei einem Puzzlespiel hatte sich alles zusammengefügt. Er stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete Cathy, die tief und fest neben ihm schlief. Vorsichtig strich er ihr eine seidig schimmernde Locke aus der Stirn und studierte jeden Zug ihres schönen Gesichtes. Sie war die Frau, die er liebte und mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte. Wie schade, dass er die Reise nach London nicht verschieben konnte. Hatte er Cathy überhaupt davon erzählt? Er war sich nicht mehr sicher. Zweifellos hatte er in den letzten beiden Tagen anderes im Kopf gehabt, als mit ihr irgendwelche Termine zu besprechen. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Verdammt! Wenn er den Frühzug noch erwischen wollte, musste er sich beeilen. Sollte er Cathy noch wecken? Besser nicht, da er ihr zu viel hätte erklären müssen. Es fiel ihm schwer, sich ausgerechnet jetzt von ihr zu trennen. Andererseits war er jedoch auch der Stiftung verpflichtet, deren Leitung sein Vater ihm vor kurzem übertragen hatte. Er durfte sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Er hätte Cathy und Robbie gern mit nach London genommen, doch der Junge musste heute wieder zur Schule. Es war wohl am vernünftigsten, wenn er Cathy einen Zettel schrieb und ihr mitteilte, dass er beruflich für drei Tage nach London musste. Unversehens fiel sein Blick auf ihre Hände, und ein Gedanke durchzuckte ihn. Wie würde sie reagieren, wenn er aus London einen Verlobungsring mitbringen und ihr einen Antrag machen würde? Sofort begann sein Herz, schneller zu schlagen. "Mein süßer Liebling", flüsterte er und küsste sie ganz zart auf die Mulde an ihrem Hals. Die Versuchung war groß, sie mit Liebkosungen zu wecken und sie noch einmal leidenschaftlich zu lieben, ehe er sich auf den Weg machte. Er tröstete sich damit, dass sie alles nachholen würden, wenn er ihr den Ring an den Finger steckte. Lautlos glitt Daniel aus dem Bett. Während er sich anzog, ließ er den Blick durch das schäbige Zimmer gleiten, blickte dann wieder zu
Cathy und schwor sich, sie und ihren Sohn sobald wie möglich in sein Haus zu holen.
8. KAPITEL "Mummy. Unten im Wohnzimmer sieht es vielleicht aus!" Cathy hob den Kopf. "So?" "Ich habe deine Bluse gefunden." Robbie setzte sich zu seiner Mutter aufs Bett und gab ihr die Bluse. "Was ist das?" "Eine Nachricht von Daniel. Er musste nach London fahren und kommt am Samstag zurück." "Was steht sonst noch drauf?" Wohl zum zwanzigsten Mal las Cathy den Zettel und gab Daniels Botschaft leicht zensiert an ihren Sohn weiter. "Nun, Daniel schreibt, dass er uns vermissen wird und dass der gestrige Abend ... sehr schön war und dass er es kaum erwarten kann, wieder zu uns zurückzukommen." Sie faltete den Zettel zusammen und legte ihn in ihre Nachttischschublade. "Üben wir uns also in Geduld. Was sind schon drei Tage?" Cathy wusste, dass sie damit weniger ihren Sohn als sich trösten wollte. Es war schrecklich gewesen, aufzuwachen und den Platz neben sich im Bett leer zu finden. Angst und Verzweiflung hatten sie überkommen, die auch der Zettel nicht ganz hatte vertreiben können, den Daniel ihr auf dem Kopfkissen hinterlassen hatte. Nach der vergangenen Nacht hätte sie eigentlich nicht mehr an ihm zweifeln dürfen. So unfassbar es für sie auch gewesen war, er hatte ihr mit jedem Kuss, jeder Berührung und Liebkosung gezeigt, wie sehr er sie begehrte. Nie hätte sie geglaubt, dass ein Mann ihr solche Lust bereiten, sie derart in Ekstase versetzen konnte. Sie wünschte, er wäre jetzt hier und würde ihr erneut beweisen, dass sie nicht nur geträumt
hatte. Falls alles nur schöne Worte und leere Gesten gewesen waren ...? Cathy wagte diesen Gedanken nicht zu Ende zu denken. "Oh, schon so spät!" Sie schlug die Bettdecke zurück. "Wenn ich jetzt nicht aufstehe, kommst du nicht rechtzeitig zur Schule." "Ich will heute nicht zur Schule gehen!" Robbie schob trotzig die Unterlippe vor. "Mein kleiner Liebling!" Cathy umarmte ihn. "Ich weiß, wie ungern du hingehst, aber hast du Daniel gestern nicht versprochen, tapfer und stark zu sein?" "So wie er?" "Ja", antwortete Cathy und drückte ihren Sohn noch fester an sich. "So wie er." "Na, wenn das kein strahlendes Gesicht am frühen Morgen ist!" Cathy lächelte der Inhaberin des Dorfladens zu und nahm sich einen Einkaufskorb. Soeben hatte sie Robbie zur Schule gebracht, und im Gegensatz zu sonst hatte es heute keinen Kampf und keine Tränen gegeben. Und was die Hänseleien durch Robbies Mitschüler betraf, so war das Gespräch mit Miss Stubbs sehr viel angenehmer als befürchtet verlaufen. Die Lehrerin hatte versprochen, die Sache in die Hand zu nehmen. "Ich freue mich für Sie", fuhr die Frau fort. "Eine bessere Gelegenheit, mit den Leuten aus dem Dorf in Kontakt zu kommen, gibt es gar nicht." Cathy runzelte die Stirn. "Ich verstehe nicht ganz?" "Haben Sie etwa die Liste im Schaufenster noch nicht gelesen? Sie sind einer der glücklichen Gewinner." "Ich?" Es kostete Cathy Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. "Was habe ich denn gewonnen?" Die Frau hinter der Ladentheke lächelte nachsichtig. "Eine Eintrittskarte für den Frühlingsball übermorgen Abend." "Das ist ja eine Überraschung!" Cathy lächelte erfreut, doch dann fiel ein Schatten über ihr Gesicht. "Aber bestimmt muss man sich dazu entsprechend anziehen? Ehrlich gesagt, ich habe weder ein passendes Kleid noch jemanden, der mich begleitet."
"Von solchen Kleinigkeiten sollten Sie sich nicht abhalten lassen!" Die Frau öffnete die Zugangstür in der altmodischen Holztheke. "Viele Leute gehen allein hin, und was das Kleid betrifft", sie zwinkerte Cathy mit ihren blauen Augen freundlich zu, "so kommen Sie am besten mit nach oben." "Nach oben?" wiederholte Cathy verblüfft. "Meine Güte, ich habe ganz vergessen, dass Sie ja noch neu im Dorf sind", entschuldigte sich die Frau lächelnd. "Nun, ich betreibe nebenbei noch einen Verleih von Kostümen, Abendkleidern und dergleichen. Sie würden sich wundern, wer alles zu mir kommt. Absolute Hochsaison habe ich natürlich zu Silvester, aber auch der Frühlingsball kurbelt das Geschäft an. Und jetzt kommen Sie mal mit. Vielleicht finden wir ja was Passendes für Sie." Neugierig folgte Cathy der Frau eine schmale Treppe hinauf. "So, da wären wir." Der Raum lag direkt über dem Laden und machte einen gepflegten Eindruck. Übersichtlich geordnet hingen an den langen Garderobenstangen Kleidungsstücke für jeden Anlass und zu jeder Gelegenheit. Cathy entdeckte in einer Ecke Karnevalskostüme sowie Hüte mit Federn und andere witzige Kreationen. Gleich rechts von ihr hingen Abendkleider aus Tüll und Goldlame, bei deren Anblick sie sich schaudernd an ihr rotes Kleid erinnerte. "Wie Sie sehen, haben sich die Reihen wegen des bevorstehenden Frühlingsballs schon erheblich gelichtet", sagte die Frau. "Aber vielleicht finden Sie noch etwas, das Ihnen gefällt." Sie blickte Cathy ermutigend an. "Sehen Sie sich nur alles in Ruhe an." "Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich daran teilnehmen soll." "Sie wollen sich doch diesen wunderbaren Ball nicht entgehen lassen!" rief die Frau entrüstet. Sie durchforstete die Abendkleider und nahm eines von der Stange. "Wie wäre es denn damit?" Cathy schüttelte sich insgeheim. Eine rassige Flamencotänzerin würde in dem rotschwarzen Spitzenkleid vielleicht ganz gut aussehen, aber sie mit Sicherheit nicht. "Nein, das ist nichts für mich. Um
ehrlich zu sein, eigentlich kann ich es mir gar nicht leisten, ein Kleid auszuleihen." "Oh, meine Preise sind durchaus erschwinglich." "Mag sein, aber..." "Ich würde Ihnen einen Spezialpreis machen", meinte die Frau mit einem verständnisvollen Blick auf Cathys verwaschene Jeans und den ausgeleierten Pullover. "Die meisten Leute haben sich bereits für den Ball eingedeckt, und mir ist es lieber, meine Sachen werden getragen, als dass sie hier hängen." "Wie hoch wäre die Leihgebühr denn?" fragte Cathy und überschlug in Gedanken den Inhalt ihrer Geldbörse. "Ich wollte auch noch einige Lebensmittel kaufen." Die Frau nannte einen beschämend niedrigen Preis. "Das ist wirklich sehr nett von Ihnen", meinte Cathy mit einem warmen Lächeln. "Trotzdem ..." "Oh, ich habe Kundschaft", unterbrach die Frau sie, als unten die Ladenglocke klingelte. "Sehen Sie sich alles in Ruhe an. Selbstverständlich können Sie die Kleider auch anprobieren." Ohne Cathys Antwort abzuwarten, eilte sie nach unten. Vielleicht wäre es doch nicht schlecht, zu diesem Ball zu gehen? überlegte Cathy. Es würde sie ein wenig ablenken und ihr die Zeit bis zu Daniels Rückkehr überbrücken helfen. Wäre es nicht jammerschade, die Eintrittskarte einfach verfallen zu lassen? Sie entschied, ihre Teilnahme davon abhängig zu machen, ob sie etwas Passendes zum Anziehen fand. Systematisch nahm Cathy sich Kleid für Kleid vor, doch irgendwie waren sie ihr alle zu auffallend. Schon wollte sie resignieren, da stieß sie auf ein schlichtes dunkelbraunes Kleid ohne Pailletten oder Rüschen oder sonstige Verzierungen. Sie hielt es hoch und betrachtete es nüchtern. Verständlich, dass niemand es genommen hatte, denn es wirkte ein wenig fade. Suchend sah sie sich um und entdeckte in einer Ecke eine Umkleidekabine. Als sie sich wenig später im Spiegel betrachtete, erlebte sie eine echte Überraschung. Das Kleid schien ihr wie auf den Leib
geschneidert zu sein. Das dunkle Braun bot einen wirkungsvollen Kontrast zu ihrem roten Haar und dem hellen Teint, und der eckige Ausschnitt, die schulterüberschnittenen Träger und der leicht ausgestellte Rock ließen sie ungewöhnlich schlank erscheinen. Kaum zu fassen, aber sie sah richtig elegant aus, ja geradezu vornehm. Cathy sah sich unter den Schuhen um und fand beige Pumps mit einem halbhohen Absatz. "Nun, haben Sie etwas gefunden, meine Liebe?" erkundigte sich die Ladeninhaberin freundlich, als Cathy nach unten kam. "Ja", bestätigte Cathy lächelnd und legte die Sachen auf die Ladentheke. Wenigstens hielt der bevorstehende Ballbesuch Cathy davon ab, ständig über Daniel nachzugrübeln. Seit drei Tagen hatte sie nichts mehr von ihm gehört, und das nach einer Nacht, in der sie sich leidenschaftlich geliebt und einander höchste Erfüllung geschenkt hatten. Wohl fünfzigmal am Tag fragte sie sich, wo er jetzt wohl gerade sein mochte und ob er vielleicht ebenfalls in diesem Moment an sie dachte. Hätte sie doch nur ein Telefon besessen! Er hatte auf seinem Zettel eine Nummer angegeben, unter der er erreichbar war. Als sie ihn gestern von der Telefonzelle aus anrufen wollte, hatte sie keinen Anschluss bekommen, wofür es sicher hunderterlei Gründe gab. Trotzdem hatten sie sofort wieder leise Zweifel beschlichen. "Nun, wie gefalle ich dir, Robbie? Besser als beim letzten Mal?" "Viel besser!" Robbie musterte sie kritisch. "Du siehst aus wie die Frauen im Fernsehen!" Wenn das kein Kompliment ist, dachte Cathy belustigt, fand aber ebenfalls, dass sie keinen schlechten Eindruck machte. Diesmal hatte sie auf Make-up völlig verzichtet und die roten Locken nur gut gebürstet, so dass sie ihr seidig glänzend über die Schultern fielen. "Da du morgen nicht zur Schule musst, darfst du noch ein wenig aufbleiben, mein Schatz. Und nun komm. Gehen wir nach unten zu Mrs. Barnet." Cathy fühlte sich ein wenig verloren, als sie die gewundene Straße zum Gutshaus entlangmarschierte. Neue Erfahrungen bereichern das
Leben, sagte sie sich tapfer, während ein Wagen nach dem anderen an ihr vorbeifuhr. Offenbar kam sie als Einzige zu Fuß. Das Herrenhaus erstrahlte in hellem Glanz, sogar zwischen den die Auffahrt säumenden Bäumen hingen bunte Lichterketten. Leise Musik erfüllte die Nacht. Cathy atmete noch einmal tief durch, ehe sie entschlossen die große Eingangshalle betrat. Als sie die in kleinen Gruppen beieinander stehenden Menschen sah, fühlte sie sich leicht verunsichert - und sehr, sehr einsam. Hatte sie sich vielleicht doch überschätzt? Noch konnte sie umkehren. Niemand würde es bemerken, da keiner sie kannte. "Nun, ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich überrascht bin, dich hier zu sehen!" wurde sie von einer ihr leider nur allzu bekannten spöttischen Stimme aus ihren Überlegungen gerissen. Sandra trug ein Kleid aus mitternachtsblauer Seide und sah strahlend schön wie immer aus. "Wo ist Daniel?" Ungeduldig blickte sie sich um. "Eigentlich hatte ich ihn hier gar nicht erwartet." "Er ist ja auch nicht hier, sondern in London." Cathy bereute, bereits ihren Mantel ausgezogen zu haben, da Sandras Blick geringschätzig über ihr Kleid glitt. "Aus dem Dorfladen, nicht wahr? Es ist zwar nicht so scheußlich wie manches, was heute hier so getragen wird, aber natürlich sieht jeder sofort, dass es geliehen ist. Daniel ist also in London? Sicher hat es mit der Stiftung zu tun." Cathy nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Sandra meinte. "Bist du in Begleitung hier?" fragte sie höflich. "Ja. Er parkt noch den Wagen." Sandra musterte einige Neuankömmlinge abschätzend. "Manche Leute haben wirklich absolut keinen Geschmack!" sagte sie leise, als eine Frau in einem rosaorangefarbenen Kleid an ihnen vorbeiging. "Daniel kommt also erst später?" Cathy schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe dir doch gesagt, dass er in London ist." "Nicht sehr nett von ihm, dich allein auf den Ball gehen zu lassen", bemerkte Sandra spitz. Es kostete sie sichtlich Mühe, ein Mindestmaß
an Höflichkeit zu wahren. "Offen gestanden, ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich dich neulich in seinem Haus gesehen habe. Ihr beide seid euch ja in der kurzen Zeit schon recht nahe gekommen." Cathy lächelte gelassen. "Findest du?" "Andererseits ist Daniel ja bekannt dafür, dass er schnell Feuer fängt, aber ebenso rasch wieder abkühlt." "Sandra, es hat wenig Sinn, wenn wir uns hier ..." "Ich rate dir, das alles zu genießen, solange du kannst." Sandra wies mit einer ausladenden Handbewegung auf die prunkvolle Umgebung und fügte mit zuckersüßem Lächeln hinzu: "Der Reiz des Neuen hält bei Daniel nämlich nicht lange an." "Dann werde ich jetzt deinen Rat befolgen und den Abend genießen", erwiderte Cathy, selbst erstaunt, wie wenig Sandras Häme sie berührte. "Ich wünsche dir ebenfalls viel Spaß!" Cathy ging rasch weiter und atmete erleichtert auf, als sie sich in sicherer Entfernung vor den gehässigen Blicken ihrer ehemaligen Klassenkameradin wusste. Immerhin hatte sie ihr diesmal Paroli geboten, was sie mit einer gewissen Genugtuung erfüllte: Zögernd betrat Cathy wenig später den Ballsaal. Das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein. Einige Paare wirbelten bereits zu dem von einem Streichquartett gespielten Walzer über das Parkett. Cathy nahm sich ein Glas Wein und blickte sich etwas verunsichert um. Alles war so prachtvoll und luxuriös. Sie hatte das Gefühl, mitten in eine Filmszene geraten zu sein. Funkelnde Kronleuchter, festliche Musik, schwarzbefrackte Kellner mit weißen Handschuhen, die auf silbernen Tabletts Getränke servierten. Sie wünschte, Daniel wäre hier, um mit ihr diesen glanzvollen Abend zu genießen. Mit leiser Wehmut beobachtete sie ein verliebt tanzendes junges Pärchen. "Darf ich bitten?" Cathy wandte sich um und erkannte einen der Gäste von Sandras Party. Vergeblich versuchte sie, sich an seinen Namen zu erinnern. "Colin", stellte er sich lächelnd vor. "Heute ohne Federn?"
Sie errötete, lachte dann aber. "Ja, von Federn habe ich vorerst genug." Nun, da das Eis gebrochen war, fand Cathy schnell Kontakt und brauchte sich über mangelnde Beachtung nicht zu beklagen. Nachdem sie einige Stunden buchstäblich keinen Tanz ausgelassen hatte, fühlte sie sich erhitzt und erschöpft, vor allem aber war sie hungrig. Sie bahnte sich einen Weg durch das Menschengewühl zu dem langen Korridor, der vom Ballsaal zu dem Raum mit dem kalten Büfett führte. An den holzgetäfelten Wänden hingen in einer langen Reihe die Porträts früherer Generationen von Hamiltons, und Cathy ging langsam von Bild zu Bild und betrachtete interessiert die stolzen Gesichter der Männer. Allein sich auszumalen, wie es war, an einem solchen Ort aufzuwachsen und zu leben, überstieg bereits ihre Vorstellungskraft. Daniel warf seine Reisetasche auf einen Stuhl in der Diele und eilte in die Küche. Er brauchte jetzt erst einmal etwas zu essen. In London hatte er sich abgehetzt, um noch den Abendzug zu erwischen, und dieser war dann wenige Meilen hinter Reading auf freier Strecke stehen geblieben. Sie hatten neunzig Minuten auf einen Entlastungszug warten müssen, und einen Speisewagen hatte es natürlich auch keinen gegeben. Das Telefon klingelte. Daniel holte aus dem Kühlschrank Schinken und Butter und griff dann nach dem Hörer. "Ja?" "Du bist schon zurück, Liebling? Wieso kommst du dann nicht zum Ball?" "Hallo, Mutter." Er klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr, zog eine Scheibe Brot aus der Packung und begann sie mit Butter zu bestreichen. "Ich bin gerade zur Tür hereingekommen..." "Aber du lässt uns doch nicht im Stich?" Seufzend legte er das Messer aus der Hand und sah auf die Uhr. Es war kurz vor halb zwölf. Dieser verdammte Zug! "Soll ich jetzt noch kommen?" "Du weißt doch, wie viel es mir bedeutet, dich hier zu haben. Zahllose Leute haben mich schon gefragt, wo du steckst!"
Daniel überlegte kurz. Obwohl er sich schrecklich nach Cathy sehnte, wollte er nicht rücksichtslos sein und sie so spät noch wecken. Besser, er ging morgen früh hin. Unwillkürlich tastete er nach dem kleinen Schmucketui in seiner Jackentasche. Er durfte nicht vergessen, den Ring in den Tresor zu sperren. "Na schön, ich komme noch auf einen Sprung rüber." "Du ziehst doch deinen Smoking an, mein Lieber?" "Ja, Mutter. Um dich glücklich zu machen, ist mir kein Opfer zu groß. Bis gleich." Der Andrang am kalten Büfett war groß gewesen, doch das Warten hatte sich gelohnt. Den Teller mit verschiedenen Köstlichkeiten beladen, kehrte Cathy nun in den Ballsaal zurück und suchte nach einem Platz, wo sie in Ruhe essen konnte. "Sagtest du nicht, Daniel sei in London? Oder habt ihr beide euch etwa schon verkracht?" O nein, nicht schon wieder Sandra! Ungehalten drehte Cathy sich um. "Ich habe keine Ahnung, wovon du redest." "Mir scheint eher, du hältst mit der Wahrheit hinterm Berg." Sandra lächelte triumphierend. "Es ist längst wieder aus zwischen euch, stimmt's?" Sie schüttelte den Kopf. "Wie konnte ich auch nur annehmen, es sei mehr als ein Abenteuer für eine Nacht!" "Sandra, ich habe keine Lust, mir dieses Gerede noch länger anzuhören", entgegnete Cathy leise. Rings um sie her standen dicht gedrängt Menschen, und sie wollte kein Aufsehen erregen. "Mein Privatleben geht dich nichts an. Und nun entschuldige ..." Cathy erstarrte mitten in der Bewegung und blickte den dunkelhaarigen Mann im eleganten Smoking wie eine Erscheinung an. Daniel war hier! Er stand auf dem kleinen Podium auf der gegenüberliegenden Seite des Saals und unterhielt sich angeregt mit den beiden Gastgebern. Was hatte das zu bedeuten? "Er sieht wirklich unverschämt gut aus!" Sandra seufzte. "In gewisser Weise beneide ich dich sogar. Eine Nacht mit ihm ist immerhin besser als gar nichts."
Cathy hörte kaum, was Sandra sagte. Tausend Fragen schössen, ihr durch den Kopf, während sie wie gebannt zu Daniel hinsah, der nun fast gelangweilt den Blick über die tanzenden Paare schweifen ließ. Er sah so anders aus als der Mann, den sie kannte. "Natürlich weiß jeder hier, dass er ein Frauenheld ist, und behaupte jetzt nicht, ich hätte dich nicht vor ihm gewarnt", fuhr Sandra gehässig fort. "Neuerdings leitet er ja die Wohltätigkeitsstiftung der Familie und scheint da wohl das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden." Sie blickte Cathy viel sagend an. "Seine Mutter ist sichtlich erfreut, dass er noch gekommen ist. Er hätte dich zumindest seinen Eltern vorstellen können, findest du nicht? Nun ja, seine Mutter ist sehr standesbewusst, und es war ihm vielleicht peinlich ..." "Sei doch endlich still!" stieß Cathy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als sie den Sinn von Sandras Worten zu begreifen begann. Plötzlich hatte sie das Gefühl, in dieser Menschenmenge ersticken. Sie brauchte Luft, musste der sie umgebenden Fröhlichkeit und dem Lärm entfliehen, wenn sie nicht inmitten all dieser Menschen und vor Sandras boshaften Blicken in Tränen ausbrechen wollte. Zuerst glaubte Daniel, seinen Augen nicht zu trauen. Konnte es sein, dass er in seiner Verliebtheit überall nur noch Cathy sah? Nein, sie war es wirklich! Aber was machte sie hier? Und warum sah sie so verstört und unglücklich aus? Verdammt! Er musste sofort zu ihr... "Daniel! Wo willst du hin?" "Später, Mutter!" Er stürzte sich in das Gewühl, doch ausgerechnet jetzt endete die Musik, und die Leute strömten von der Tanzfläche zu dem kleinen Podium, auf dem seine Eltern standen. Nun kam der Teil des Abends, den er am wenigsten mochte. Sein Vater würde die jedes Jahr mehr oder weniger gleiche Rede halten, in der er die Verbundenheit der Hamiltons mit den Dorfbewohnern betonte und sich in wohl gesetzten Worten für die rege Beteiligung am Ball bedankte.
Als Daniel sich zu der Ecke durchgekämpft hatte, in der er Cathy vorhin entdeckt hatte, war sie verschwunden. Warum» zum Teufel, hatte er sie nur vor seiner Abreise nicht über alles aufgeklärt? Unvermittelt kam sie wieder in sein Blickfeld. Sie war jetzt schon dicht an der Tür und sah völlig verändert aus. Ihr Gesicht war kreidebleich, die Augen wirkten unnatürlich groß. Daniel eilte um eine Gruppe von Leuten und zwängte sich zwischen zwei weiteren durch, ohne die neugierigen Blicke wahrzunehmen, die ihm folgten. Cathy war es gelungen, aus dem Ballsaal zu entwischen. Nicht um alles in der Welt hätte sie jetzt mit Daniel sprechen können. Da die Eingangshalle voller Menschen war, lief sie die Ahnengalerie entlang und hatte dabei das Gefühl, als folgten ihr die spöttischen Blicke der auf den Bildern porträtierten Männer. Hatte Daniel sich ebenfalls heimlich über sie lustig gemacht, während er sie mit Komplimenten überhäufte und seinen Charme auf sie wirken ließ? Vor dem Raum mit dem Büfett bog sie links in einen weiteren Korridor ab, zu dessen beiden Seiten sich Türen befanden. Jäh blieb sie stehen und drückte, ohne zu überlegen, eine Klinke hinunter, riss die Tür auf und flüchtete in das Zimmer. "Wer ist sie?" "Eine Freundin." "Wusstest du, dass sie heute Abend hier sein würde?" "Nein." Daniel schüttelte den Kopf. "Und du hast sie wirklich nirgendwo gesehen?" "Wohnt sie hier im Dorf?" "Ja." Daniel versuchte, nach außen hin Gelassenheit vorzutäuschen, was ihm sehr schwer fiel. "Sie ist vor einigen Wochen hierher gezogen." "Und ihr steht euch ...", sein Vater zögerte, "nahe?" Sie standen beide oben im ersten Stock am Geländer. Schweigend ließ Daniel den Blick über die in der Eingangshalle in Gruppen beieinander stehenden Menschen schweifen und sah dann seinen Vater an. "Ja, sehr nahe."
"Verstehe." Lord Hamilton nickte bedächtig. "Nun, dann werde ich jetzt wieder hinuntergehen und deiner Mutter alles erklären. Sie war über dein plötzliches Verschwinden sehr beunruhigt." "Cathy so heißt sie - kann sich doch nicht Luft aufgelöst haben! " Wieder glitt Daniels Blick suchend über die Menge. "Carter, der am Haupteingang steht, ist sich sicher, dass keine rothaarige Frau das Haus verlassen hat." "Alle anderen Eingänge sind abgeschlossen, um ungebetene Gäste fern zu halten." Lord Hamilton musterte seinen Sohn nachdenklich. "Warum sollte deine ... Freundin überhaupt gegangen sein? Oder ist dir diese Frage zu persönlich?" "Darüber lass uns später reden, Vater." Daniel wandte sich zur Treppe. "Erst muss ich sie finden, damit ich ihr alles erklären kann." Der Teppich, auf dem Cathy ruhelos hin und her ging, war dick und weich und ganz offensichtlich sehr wertvoll. Tränen strömten ihr über die Wangen, während sie sich immer wieder fragte, wie Daniel ihr das hatte antun können. Alle ihre Hoffnungen und Träume hatten sich von einem Moment zum anderen in nichts aufgelöst. Ich war ja verrückt, mir einzubilden, jemand wie Daniel sei ernsthaft an mir interessiert, schalt sie sich und schluchzte laut auf. Träume wurden nur im Märchen wahr, aber doch nicht im wirklichen Leben. Sie erinnerte sich an seine Besuche in ihrem Haus. Kein Wunder, dass er beim Anblick der schadhaften Tapeten in ihrem Schlafzimmer sein Entsetzen nicht hatte verbergen können. Es war reines Mitleid, sagte sie sich. Mitleid und Begierde. So ziemlich die schlimmste Kombination, die sie sich vorstellen konnte. Die Tür wurde aufgerissen, Cathy blieb wie angewurzelt stehen und blickte wütend und verzweifelt zugleich zu dem großen dunkelhaarigen Mann, der in dem schwarzen Smoking eine so überaus gute Figur machte. "Cathy!" Daniel war die Erleichterung anzumerken. Er kam ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. "Ich habe dich schon überall gesucht, Liebling!" "Komm mir nicht zu nahe!" rief sie und hob abwehrend die Hand.
Er runzelte die Stirn. "Aber wir müssen miteinander reden!" "So?" Mit grimmiger Miene sah Cathy sich in dem prunkvoll mit Seidentapeten, Samtvorhängen, Gobelins und kostbaren Antiquitäten ausgestatteten Schlafzimmer um. "Mir steht jetzt nicht der Sinn nach einer Unterhaltung. Ich will nur noch nach Hause."
9. KAPITEL "Cathy, bitte!" Daniel stellte sich ihr in den Weg. "Lass mich dir alles erklären." "Dafür ist es jetzt zu spät!" Ihre Stimme klang hart, und nicht ohne Genugtuung las Cathy in seinen Augen Fassungslosigkeit. Offenbar hatte noch nie jemand so mit ihm gesprochen. Keine der zahllosen Frauen, die er vor ihr mit Charme und süßen Worten bezirzt und in sein Bett gelockt hatte. "Ich möchte nach Hause", wiederholte sie. Er schüttelte leicht den Kopf und legte ihr eine Hand auf den Arm. "Bitte, glaub mir, ich wollte dich nicht täuschen!" "Du hast es aber getan." Seltsam, wie leicht es ihr fiel, jedes Gefühl aus ihrer Stimme zu verbannen. Anscheinend funktionierten ihre Abwehrmechanismen perfekt, wenn sie sich verletzt und gedemütigt fühlte. "Cathy...!" "Würdest du mich bitte loslassen!" 'Er zögerte einen Moment, blickte ihr forschend ins Gesicht und ließ die Hand sinken. "Warum bist du so unversöhnlich?" fragte er rau. "Weil ich mit Männern, die lügen und betrügen, nichts zu tun haben will", entgegnete sie kalt. "Das habe ich mir schon vor langer Zeit geschworen." "Ich habe dich nicht betrogen!" "Wie würdest du es dann nennen, dass du mir von alledem hier", sie ließ den Blick durchs Zimmer schweifen, "nie etwas erzählt hast?" "Ich wollte die Dinge nicht... komplizieren."
Cathy dachte an das, was sie heute Abend von Sandra über ihn erfahren hatte. "Das glaube ich dir aufs Wort." Sie blickte ihm direkt in die Augen, sah dann aber rasch wieder weg, weil sie ihn selbst jetzt noch anziehend fand. "Darf ich nun gehen?" "Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst?" sagte er ruhig. "Zwischen uns hat sich nichts geändert. Meine Gefühle für dich sind noch immer dieselben." "Du meinst, der reiche Prinz möchte noch ein wenig Spaß mit Aschenputtel haben?" stieß Cathy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Um Himmels willen, Cathy ... Liebling ...!" "Nenn mich nicht so!" Ihre Selbstbeherrschung geriet ins Wanken, als er sie mit diesem Kosenamen anredete. Um nicht erneut in Tränen auszubrechen, heftete sie den Blick auf das Gemälde eines Pferdes an der ihr gegenüberliegenden Wand. "Ich möchte mit dir nichts mehr zu tun haben, Daniel. Du hast alles kaputtgemacht. Alles!" Aus der Ferne drangen romantische Walzerklänge an ihr Ohr. Unwillkürlich stellte Cathy sich vor, wie es hätte sein müssen: Daniel würde sie gebeten haben, ihn auf den Ball zu begleiten, hätte sie seinen Eltern vorgestellt und den ganzen Abend nur mit ihr getanzt. Und statt sich zu streiten, würden sie sich nun in einer lauschigen Ecke auf der Terrasse küssen, und er würde ihr ewige Liebe schwören und ... "Cathy, das kann doch nicht dein Ernst sein!" Sie bemühte sich, ruhig durchzuatmen. "Lord und Lady Hamilton sind deine Eltern, stimmt's?" "Ja, aber das hat nichts mit uns ..." "Das bedeutet, dass du eines Tages den Titel erben wirst", fuhr sie unbeirrt fort und fügte, den affektierten Akzent der oberen Klassen nachahmend, hinzu: "Wie schrecklich aufregend!" "Du machst es einem aber auch wirklich schwer, Cathy!" Er schien nun ebenfalls wütend zu werden. Hatte sie nicht genau das mit ihrem Verhalten bezweckt? "Nenn mir einen Grund, warum ich es dir leicht machen sollte."
Seine grimmige Miene verriet, dass er nicht vorhatte, sie um Verzeihung zu bitten. Es hätte ihm sowieso nichts genützt. Cathy biss sich auf die Lippe. Wie hart und kalt er sie plötzlich musterte! Er war wie verwandelt. "Ich fahre dich nach Hause. Bist du im Mantel gekommen?" "Ja." Sie rang sich ein spöttisches Lächeln ab. "Du kennst ihn ja bereits. Er ist schwarz und schäbig und der Einzige, den ich besitze." Die Fahrt nach Hause dauerte zum Glück nur wenige Minuten. Keiner von beiden sagte ein Wort. Was auch? Cathy war klar, dass sie in ihrer keineswegs unermesslichen Weisheit den Bogen überspannt hatte und von Daniel keine Erklärung mehr erwarten durfte. Sie musterte ihn verstohlen von der Seite, als er den schicken Sportwagen vor dem Cottage anhielt. Er sah müde und erschöpft aus. Genauso fühlte auch sie sich. Sekundenlang kämpfte sie gegen den Impuls an, sich in seine Arme zu werfen und so zu tun, als wäre zwischen ihnen alles so wie früher. "Gute Nacht." "Gute Nacht, Cathy", sagte Daniel brüsk. So hatte er sich sein Wiedersehen mit ihr nun wirklich nicht vorgestellt. Aus ihrem Blick sprach offene Feindschaft, und das verwirrte ihn so sehr, dass er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. "Ich rufe dich an." "Ich habe kein Telefon, falls du es vergessen hast. Wolltest du überhaupt, dass ich dich anrufe, oder war die auf deinem Zettel angegebene Telefonnummer ebenfalls fingiert?" "Du bist nicht durchgekommen?" Cathy verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln. "Überrascht dich das?" "Cathy, warum bist du nur auf einmal so verdammt schwierig?" "Schwierig?" Das war doch nun wirklich der Gipfel der Unverschämtheit. "Was hattest du denn erwartet?" "Ich komme morgen vorbei, und dann ..." "Nein!" widersprach sie scharf. "Es ist zwecklos!" "Das kannst du unmöglich ernst meinen." Die Atmosphäre zwischen ihnen wurde zusehends gespannter.
"Doch." Cathy öffnete den Sicherheitsgurt und machte die Tür auf. "Für uns beide gibt es keine Zukunft, Daniel. Das müsste dir doch klar sein." "Zum Teufel, wir haben miteinander geschlafen, Cathy! Bedeutet dir das denn gar nichts mehr?" Wütend streckte Daniel den Arm aus und knallte die Beifahrertür wieder zu. "Zugegeben, ich habe dir verschwiegen, dass ich reich bin, aber ..." "Du hast mich belogen!" Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn mit zornfunkelnden Augen an. "Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe, als ich dich heute Abend oben auf dem Podium mit deinen Eltern sah? Ich hatte doch von allem keine Ahnung! Und nun verlangst du, ich soll so etwas in süßer Demut hinnehmen?" "In süßer Demut?" wiederholte er mit gerunzelter Stirn. "Du hast vielleicht Ausdrücke! Es handelt sich doch nur um ein Missverständnis, das leicht aus der Welt zu schaffen ist." Seine Uneinsichtigkeit brachte Cathy immer mehr in Rage. "Du bist ein Lügner und Betrüger, und ich möchte dich nie wieder sehen, hörst du? Ich ..." Er erstickte jedes weitere Wort mit einem Kuss. O ja, Daniel hatte sie durchaus verstanden, aber es änderte nichts daran, dass er sie noch immer begehrte und liebte. Sein Kuss war eine quälende Mischung aus Bestrafung und Verlangen. Diese Frau ging ihm wie keine andere unter die Haut, forderte ihn heraus und raubte ihm den letzten Rest seiner Beherrschung. Er zog sie enger an sich, zwängte ihre Lippen auseinander und liebkoste mit der Zunge ihren Mund. Als er spürte, wie ihr Körper in seinen Armen weich und anschmiegsam wurde, vergaß er für einen Moment alles andere und küsste sie wild und leidenschaftlich. Dann wurde ihm jäh bewusst, was er tat, und er schob Cathy von sich. War er wahnsinnig geworden? Wahrscheinlich hatte er sich nun endgültig alles verscherzt, das bestätigte ihm ein Blick in ihr Gesicht. "Tut mir Leid", entschuldigte er sich mit ausdrucksloser Stimme. "Das wollte ich nicht." Er presste die Lippen aufeinander und fragte
sich entsetzt, wie dieser Abend so absolut katastrophal hatte enden können. "Ich muss jetzt gehen." Cathy öffnete die Beifahrertür und stieg aus. "Ich bring' dich noch zur Tür." "Nein!" Daniel entschied, sie nicht weiter zu bedrängen. Er beobachtete, wie sie durch den Vorgarten zum Haus ging. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, trat er aufs Gaspedal und fuhr mit aufheulendem Motor davon. Cathy zog den Mantel aus und hängte ihn an den Garderobenhaken in der Diele. Unversehens tauchte Gary auf. "Alles klar?" Er musterte sie kurz und grinste. "Netter Schlitten. Ich schwärme zwar mehr für Mercedes, aber gegen einen Jaguar hätte ich auch nichts einzuwenden." "Wo ist Mrs. Barnet?" fragte Cathy scharf. "Die alte Frau? Keine Angst, sie ist noch da. Wollte mich hier nicht allein lassen, obwohl ich ihr gesagt habe, dass ich ein alter Freund der Familie bin." "Mrs. Barnet?" Cathy atmete erleichtert auf, als sie ihre Nachbarin vor dem Fernseher sitzen sah. "Ist alles in Ordnung? Robbie...?" "Schläft tief und fest." Die alte Dame erhob sich schwerfällig aus dem Sessel. "Er hat sich den ganzen Abend nicht gerührt. "Ich habe diesen", sie bedachte Gary mit einem argwöhnischen Blick, "jungen Mann vor zehn Minuten hereingelassen. Er hat mich zu Tode erschreckt, als er mit dem Motorrad durch den Vorgarten fuhr und dann mit der Faust gegen die Haustür hämmerte. Er hat mir versichert, dass er ein Freund von Ihnen sei, und ich konnte mich erinnern, dass er Ihnen beim Umzug geholfen hat." Mrs. Barnet runzelte besorgt die faltige Stirn. "Hoffentlich habe ich nichts falsch gemacht." "Nein, nein, das geht schon in Ordnung." Cathy rang sich ein Lächeln ab und überlegte sich, was sie von Garys erneutem Auftauchen halten sollte.
"Komische Alte", sagte Gary, nachdem Mrs. Barnet gegangen war. "Wer war übrigens der Typ, der dich nach Hause gebracht hat?" "Das geht dich nichts an, Gary." "Du solltest ihn dir auf alle Fälle warm halten", riet er ihr. "Wer ein solches Auto besitzt, hat sicher jede Menge Kohle." Er verzog die schmalen Lippen zu einem Grinsen. "Glaubst du, er könnte einem armen Teufel wie mir mit einigen Scheinen aushelfen?" . "Soll das ein Witz sein?" "Nun tu doch nicht so. Was sind für einen Mann wie ihn schon ein paar Hunderter? Du brauchst ihm doch nur zu sagen, du seist momentan ein bisschen knapp bei Kasse." Gary ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. "Das nimmt er dir sicher ab, wenn er sich hier umsieht." Nach allem, was sie heute Abend erlebt hatte, platzte Cathy nun endgültig der Kragen. "Für wen hältst du mich eigentlich? Glaubst du wirklich, dass mich Geld auch nur im Geringsten interessiert?" Sie schüttelte heftig den Kopf, und unversehens verwandelte sich ihre Wut in Verzweiflung. "Ich wünschte, er wäre arm wie ich, und wir könnten uns gegenseitig helfen!" Sie musste sich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. "Du meine Güte, beruhige dich." Gary sank auf einen Sessel. "Was hat er denn verbrochen? Dir etwa ein Essen bezahlt?" "Ich habe keine Lust, mich mit dir darüber zu unterhalten," Cathy zog die Schuhe aus und wandte sich zur Treppe. "Das darf nicht wahr sein!" Ungläubig schüttelte Gary den Kopf. "Der Kerl hat offenbar massig Geld, aber du hättest ihn lieber gern arm. Jede Frau würde sich nach einem solchen Mann die Finger lecken, doch nicht Cathy Taylor. Sie hat ihre festen Grundsätze!" "Immerhin besser, als keine zu haben!" Cathy versuchte, die aufsteigenden Tränen wegzublinzeln. Nie würde sie Daniels letzten Blick vergessen. Traurig und schuldbewusst hatte er sie angesehen, nicht kalt und hasserfüllt, wie von ihr erwartet. "Ich hole dir eine Decke, Gary. Aber wenn du auch nur einen Moment glaubst..." Sie schüttelte heftig den Kopf. "Ach, vergiss es!"
"Mummy, im Wohnzimmer stinkt es nach Rauch." "Komm zu mir ins Bett, mein Schatz." Robbie schlüpfte zu seiner Mutter unter die Decke. Er fühlte sich kalt an, und Cathy legte wärmend die Arme um ihn. "Wieso ist Gary hier?" Das hätte auch Cathy gern gewusst. "Wahrscheinlich wollte er uns einfach nur besuchen." "Daniel ist viel netter als er. Glaubst du, er ist schon aus London zurück und kommt heute zu uns?" "Nein, nicht heute." "Wann dann?" "Bitte, Robbie, lass uns noch ein wenig schlafen. Es ist noch so früh, und ich bin schrecklich müde." Eine vergebliche Bitte. Robbie war in ausgesprochen redseliger Stimmung. "Weißt du, dass Daniels Mummy und Daddy in dem großen Haus mit dem riesigen Garten wohnen? Denkst du, er wird uns einmal dorthin mitnehmen? Ich würde so gern auf einen der hohen Bäume klettern." Cathy stockte der Atem. "Woher weißt du das?" Der Schmerz, Daniel verloren zu haben, schnitt ihr wie ein Messer ins Herz. "Von Tom. Er geht mit mir zur Schule." Robbie kuschelte sich eng an sie. "Daniel ist sicher sehr reich, weil er einen Garten hat, der fast so groß wie die ganze Welt ist, nicht wahr, Mummy?" Später, nachdem Robbie eingeschlafen war, löste sich Cathy sachte von ihm und stieg aus dem Bett. Sie war noch einmal kurz eingenickt und hatte von Daniel geträumt. Umso schlimmer war dann das Erwachen gewesen. Wieso habe ich mir seine Erklärungen nicht wenigstens angehört? machte sie sich nun Vorwürfe. Sie fühlte sich wie gerädert, und Garys Anwesenheit war nicht dazu angetan, ihre Stimmung zu heben. Er lag auf der Couch im Wohnzimmer, rauchte und sah fern. Neben ihm auf dem Boden stand ein Becher Kaffee, und die Untertasse auf seinem Bauch benutzte er als Aschenbecher. Die Luft im Zimmer war zum Schneiden dick.
"Gary, so geht das nicht." Cathy öffnete die beiden Fenster. "Du kannst hier gern übernachten, aber ich kann dich nicht für längere Zeit aufnehmen." "Du hast gesagt, ich sei dir jederzeit willkommen." "So?" Cathy konnte sich nicht daran erinnern. Aber vielleicht hatte sie in ihrer Begeisterung beim Einzug tatsächlich so etwas gesagt hatte. "Nun, das war vor deinem letzten Besuch." "Nicht sehr nett von dir, jemanden hängen zu lassen, der dir beim Umzug geholfen hat." Sein Ton gefiel ihr nicht. Überhaupt hatte Gary sich in letzter Zeit nicht gerade zu seinem Vorteil verändert. Sie musterte ihn scharf. "Du steckst doch nicht etwa in ernsthaften Schwierigkeiten? Hast du wieder Schulden gemacht?" Jäh überfiel sie eine Ahnung. "Ist jemand hinter dir her? Das würde erklären, weshalb du gestern Abend dein Motorrad hinter dem Haus versteckt hast." Nervös fuhr sie sich durchs Haar. "Nun sag schon, was los ist." "Keine Panik! Sie werden mich hier nicht suchen." "Sie?" rief Cathy entsetzt. "Es sind gleich mehrere? Du kannst hier unmöglich bleiben, sonst bringst du auch noch Robbie in Gefahr. Das verstehst du doch, oder?" Sie holte ihr Portemonnaie. "Hier sind noch einmal zehn Pfund." Sie hielt ihm das Geld hin. "Tut mir Leid, aber mehr kann ich dir wirklich nicht geben." "Was soll ich damit?" fragte er verächtlich, doch als Cathy so tat, als würde sie den Schein wieder ins Portemonnaie stecken» schnappte er ihn sich. "Das deckt nicht einmal die Zinsen für eine Woche. Du hast ja keine Ahnung, wie viel ich diesen Typen schulde." "Gary ..." Sie verstummte, als Robbie ins Zimmer kam. Er hatte sich selbst angezogen und trug das Sweatshirt verkehrt herum. "Ich kann dir in dieser Sache nicht weiterhelfen. Letztendlich kann das nur eine Therapie. Du weißt ja, wie ich über deine Spielsucht denke." "Erspar mir deine weisen Ratschläge. Keine Angst, nach dem Frühstück verschwinde ich." Seit zwei Nächten hatte Daniel so gut wie kein Auge zugetan. Er konnte auch morgens den farbenprächtigen Sonnenaufgang nicht
genießen, da ihm ohne Cathy das Leben freudlos und leer erschien. Ich benehme mich wie ein liebeskranker Narr, dachte er, während er quer über die Felder nach Langforde Hall ging. Im rötlichen Licht der Morgensonne bot sein Elternhaus einen majestätischen Anblick. Die strenge Symmetrie des Gebäudes bildete einen reizvollen Kontrast zu dem saftigen Grün des weitläufigen Parks. Der wolkenlose Himmel versprach einen sonnigen Frühlingstag, doch das machte für Daniel alles nur noch schlimmer. Er seufzte tief auf. Gestern hatte er Cathys Porträt beendet und war hinterher in Selbstmitleid zerflossen. Er hatte den Verlobungsring aus dem Safe genommen, ihn lange betrachtet und sich dabei ausgemalt, wie es hätte sein können, wenn er Cathy von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte. Wer weiß, ob sie den Ring überhaupt genommen hätte? dachte er nun in einem Anflug von Galgenhumor. Womöglich hätte sie ihm das kostbare Schmuckstück nach einem Blick auf den ihr vielleicht zu protzig erscheinenden Diamanten ins Gesicht geworfen. War es obszön, reich zu sein? Diese Frage hatte er sich in den letzten beiden Tagen schon x-mal gestellt, doch im Grunde seines Herzens wusste er, dass Cathy ihn nicht wegen seines Reichtums zurückgewiesen hatte, sondern weil er sie belogen hatte. Im Park herrschte bereits rege Geschäftigkeit. Die Männer bauten gerade die bunten Festzelte auf. Falls das Wetter hielt, und alles sprach dafür, würden die Leute heute in Scharen zum Dorffest strömen. Bestimmt würden es wieder Tausende sein - aber diejenige, nach der er sich sehnte, würde nicht unter ihnen sein.
10. KAPITEL "Mummy? Warum machst du ein so trauriges Gesicht?" Hastig stellte Cathy die kleine Blechbüchse in ihren Kleiderschrank zurück. "Das bildest du dir nur ein, mein Schatz." Sie rang sich ein Lächeln ab. "Hast du dir nach dem Frühstück ordentlich die Zähne geputzt?" Robbie öffnete den Mund und zeigte ihr stolz zwei Reihen weißer Zähne. "Blitzblank!" "Braver Junge", lobte sie ihn und schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. "Dann gibt es jetzt die versprochene Belohnung. Versteck dich, während ich laut zähle." Robbie zupfte sie am Arm und blickte besorgt zu ihr auf. "Ist wirklich alles in Ordnung, Mummy?" Sein frisches Kindergesicht hätte auf einmal einen unangemessen ernsten Ausdruck. Das war mehr, als Cathy im Moment ertragen konnte, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Sie strich ihrem Sohn liebevoll übers Haar. "Ja, mein Liebling. Und nun versteck dich." Sie hielt sich die Augen zu und begann, laut von fünfundzwanzig rückwärts zu zählen. Als sie hörte, wie Robbie auf den Flur lief, holte sie, noch immer laut zählend, die Büchse wieder aus dem Schrank. Sehr großzügig von Gary, mir wenigstens die Münzen zu lassen, dachte sie bitter. Erst heute Morgen hatte sie entdeckt, dass Gary das Geld für Robbies Geburtstagsgeschenk gestohlen hatte, das sie sich seit einem Jahr mühsam zusammengespart hatte. Offenbar hatte er kaltblütig ihren
Kleiderschrank durchsucht, während sie unten Frühstück machte und ihn oben ihm Bad wähnte. "Neun!" zählte sie laut. In zehn Tagen hatte Robbie Geburtstag. Da sie von ihrem ohnehin knappen Monatsbudget bereits zwanzig Pfund Gary gegeben hatte, war es ihr beim besten Willen nicht möglich, auch nur zwei oder drei Pfund für ein Geburtstagsgeschenk ihres Sohnes abzuzweigen. Was sollte sie nur tun? "Null! Ich komme!" rief sie laut, damit Robbie es hören konnte, und begann mit ihrer Suche in der Werkstatt. Während sie den Blick über die von ihr angefertigten Gegenstände gleiten ließ, kam ihr unversehens eine Idee. Wie spät war es? Noch sehr früh. Sie erinnerte sich, was Daniel ihr über den Flohmarkt beim Dorffest erzählt hatte. Natürlich hatte sie damals nicht gewusst, welche Verbindung er zu diesem Fest hatte, doch darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Ihre einzige Chance, noch etwas Geld aufzutreiben, war dieser Markt. "Wo hast du kleiner Schlingel dich nur versteckt?" rief sie und setzte ihre Suche nach Robbie fort. "Ein ideales Wetter!" Lord Hamilton klang sehr zufrieden. "Das lässt auf rege Beteiligung hoffen. Weißt du, ob Samuel sich dieses Schaf angesehen hat?" Es folgte eine Pause. "Daniel?" "Entschuldige, Vater. Was hast du gesagt?" "Oh, es war nicht weiter wichtig." Mit seiner Tweedjacke und den Knickerbockern sah Lord Hamilton wie die Bilderbuchversion eines typisch englischen Landedelmannes aus. Die beiden Männer gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. "Alles in Ordnung mit dir? Du wirkst etwas ... abwesend." "Ich habe nur die letzten beiden Nächte zu wenig Schlaf bekommen." Daniels Blick schweifte über die Marktstände. Noch war es überall ruhig, da die Tore erst in einer knappen Stunde für die Bevölkerung geöffnet würden. Nur die Händler durften bereits jetzt ihre Waren aufbauen.
"Klingt nicht gut. Hat deine ... Schlaflosigkeit vielleicht etwas mit diesem rothaarigen Mädchen vom Ball zu tun? Deine Mutter glaubt, ihr beide hättet eine ... Beziehung, wie man das neuerdings so nennt." "Hatten wir", bestätigte Daniel kühl. "Doch nun will sie nichts mehr mit mir zu tun haben." "Verstehe." Lord Hamilton betrachtete angelegentlich den blauen Himmel. "Hat sie nicht auch einen kleinen Sohn?" "Du brauchst nicht um den heißen Brei herumzureden, Vater. Wie ich Mutter kenne, hat sie durch ihren Nachrichtendienst schon alles Wissenswerte über Cathy erfahren." "Du bist ungerecht, Daniel. Deine Mutter meint es doch nur gut mit dir." Daniel lächelte grimmig. "Dann wird sie ja aufatmen, wenn sie hört, dass Cathy mit mir Schluss gemacht hat." "Sie heißt also Cathy. Und was ist euer ... Problem?" Lord Hamilton lächelte verlegen. "Natürlich musst du es mir nicht erzählen, wenn du darüber nicht reden willst", fügte er hastig hinzu. Daniel war über das Interesse seines Vaters überrascht. "Geld ist das Problem", erwiderte er ausdruckslos. "Aber anders, als du jetzt vielleicht denkst!" "Anders?" Daniel nickte. "Cathy mochte mich nur, solange sie glaubte, ich sei ein hungernder Künstler." Er flüchtete sich in Spott, um nicht ins Jammern zu verfallen. "Wie kam sie denn darauf?" Verblüfft sah Lord Hamilton seinen Sohn an und entdeckte in dessen Gesicht einen Ausdruck von schlechtem Gewissen. "Durch dich?" Daniel seufzte. "Ich hatte das nicht geplant. Cathy muss mit sehr wenig Geld auskommen, und als wir uns kennen lernten ..." Er schüttelte den Kopf. "Nun ja, sie dachte, mir ginge es wie ihr, und ich habe sie in diesem Glauben gelassen." "Ziemlich gefährlich, bei dem Klatsch im Dorf." "Mir ist klar, dass ich mich wie ein kompletter Idiot benommen habe", gab Daniel ihm Recht. "Anfangs erschien es mir nicht so
wichtig, und dann war es auf einmal zu spät. Ich ahnte ja nicht, dass ich mich Hals über Kopf in sie verlieben würde." Wieder schüttelte er den Kopf. "Sie ist so tapfer ... so stark und entschlossen ..." "Und sie hat ihren Stolz", ergänzte sein Vater trocken. Daniel sah ihn erstaunt an. "Ja, sie ist die stolzeste Frau, die ich jemals kennen gelernt habe." "Und nun will keiner von euch über seinen Schatten springen", mutmaßte Lord Hamilton mit erstaunlicher Einfühlsamkeit. "Daniel, du warst immer eine Kämpfernatur und hast dich nie geschlagen gegeben. Wenn diese Frau dir wirklich wichtig ist, dann vergiss deinen Stolz, und kämpf um sie!" Als Cathy ihn entdeckte, musste sie all ihre Willenskraft aufbieten, um nicht schon wieder in Tränen auszubrechen. Wie sehr hatte sie sich vor diesem Wiedersehen gefürchtet, es aber zugleich auch herbeigesehnt, und da war er nun, stand nur etwa zwanzig Meter von ihr entfernt und sah in seiner schwarzen Reithose und dem moosgrünen Pullover überwältigend gut aus. Sie vermochte den Blick nicht von seiner schlanken, muskulösen Gestalt zu lösen. Er unterhielt sich gerade mit seinem Vater, wandte aber plötzlich den Kopf. Rasch blickte Cathy weg. Sie steckte die Quittung in ihre Hosentasche und bedankte sich bei dem Mann am Tor, der ihr die Richtung zu ihrem Stand gewiesen hatte. "Cathy!" Daniel ließ den Blick über sie gleiten. Sie fragte sich, wieso er nicht laut lachte, da sie, beladen wie ein Sherpa, einen höchst lächerlichen Anblick bot. "Warte, ich helfe dir." Er wollte nach ihrer Reisetasche greifen, doch Cathy umklammerte den Griff nur noch fester. "Danke, ich komme allein zurecht", erwiderte sie steif. "Da ich die Sachen von zu Hause hierher getragen habe, werde ich auch noch die letzten Meter schaffen." Er schwieg, doch sein Blick sprach Bände. Cathy war wütend auf sich. Weshalb hatte sie seine Hilfe nicht einfach angenommen? "Was machst du hier? Dumme Frage, entschuldige bitte." Er betrachtete die Schachteln und Tüten, mit denen sie sich abschleppte.
"Ich dachte, du wolltest diesmal noch nicht am Flohmarkt teilnehmen? Hast du dich in letzter Minute doch noch dazu entschlossen?" "So ähnlich wie du, als du plötzlich auf dem Ball aufgetaucht bist!" erwiderte Cathy scharf. "Im eleganten Smoking und jeder Zoll ein Aristokrat!" Sie sah, wie es in seinen Augen zornig aufblitzte. Umso besser, dann würde er sie jetzt wenigstens in Ruhe lassen. "Ich habe nicht vor, mich mit dir zu streiten!" sagte er brüsk und griff entschlossen nach ihrer Reisetasche. Cathy überließ sie ihm. "Der Mann a» Tor sagte, mein Stand sei irgendwo da drüben." "Zeig mir deine Quittung." Er wartete, bis sie sie umständlich aus der Hosentasche gezogen hatte, und warf einen Blick auf die Standnummer. "Zu abgelegen", sagte er kurz angebunden. "Du verkaufst dort nichts. Komm mit." Ohne ihre Antwort abzuwarten, eilte er davon, und sie folgte ihm notgedrungen, da er ihre Tasche trug. Er führte sie die von Händlern gesäumte breite Allee entlang und blieb vor einem leeren Stand stehen. "Hier ist es besser." Es war ein idealer Platz, an dem jeder vorbeimusste, der durch das Tor kam. "Ich war ziemlich spät dran", wandte Cathy ein. "Vielleicht ist dieser Stand schon vergeben." "Darum kümmere ich mich schon." Daniels Blick war kühl. "Du akzeptierst also meine Hilfe?" Cathy dachte an die leere Blechbüchse und nickte. "Ja." Sie riskierte ein Lächeln, merkte aber schnell, dass dies gefährlich war, da es ihren unsichtbaren Schutzpanzer ins Wanken brachte. "Vielen Dank", sagte sie steif. "Gern geschehen." Wider Erwarten schwang in seiner Stimme nicht einmal ein Hauch von Ironie mit. "Soll ich dir beim Auspacken helfen?" Cathy schüttelte den Kopf und war erleichtert, dass Daniel sich damit zufrieden gab. "Wie geht es Robbie?" fragte er stattdessen. "Danke, gut. Er kommt später mit Mrs. Barnet nach." "Prima." Daniel lächelte aufrichtig erfreut. "Wir haben einen Streichelzoo für die kleineren Kinder. Die größeren können auf Ponys
reiten, an einem Hindernisrennen teilnehmen und ..." Er verstummte und fragte dann leise: "Weshalb bist du hier, Cathy?" "Um zu verkaufen natürlich." Sie zwang sich, ihn anzusehen. "Ich brauche Platz in meiner Werkstatt und dachte, warum soll ich diese Gelegenheit nicht nutzen?" "Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du ein Problem hast." "Wieso sollte ich ein Problem haben?" Sie erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Auf keinen Fall durfte Daniel ahnen, dass sie dringend Geld benötigte. "Du würdest es mir doch sagen, wenn du Hilfe brauchst?" hakte er nach. Konnte er jetzt schon ihre Gedanken lesen? "Denkst du dabei an Geld?" fragte sie kühl. "Man kann auch anders helfen." Er blieb geradezu bewundernswert gelassen, obwohl sie es darauf angelegt hatte, ihn herauszufordern. "Du hast also nicht vor, mir jemals zu verzeihen?" Es kostete sie große Mühe, nicht einfach nachzugeben, aber er hatte sie zu sehr verletzt. Viel sagend blickte sie über seine Schulter zum Haus. "Euer Familiensitz ist wirklich sehr beeindruckend. Wurde dort auch schon mal ein Film gedreht?" Nun schien Daniel allmählich der Geduldsfaden zu reißen. "Was verlangst du eigentlich von mir?" fragte er barsch. "Dass ich mich für meinen Reichtum entschuldige? Falls ja, solltest du dasselbe für deine Armut tun." "Mach dich nicht lächerlich!" entgegnete sie hitzig. "Ich habe dich schließlich nicht belogen und dir vorgespielt, jemand anders zu sein!" "Du willst wirklich alles zwischen uns kaputtmachen, stimmt's?" sagte er leise und lächelte bitter. "Und ich hatte gedacht..." Cathy erfuhr nicht, was er gedacht hatte. Ganz offensichtlich hatte sie ihr Ziel erreicht und ihn für immer abgeschreckt. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, sah er sie geradezu hasserfüllt an, drehte sich schweigend um und ging.
Zwei Stunden später befand sich Cathys Stimmung auf einem absoluten Tiefpunkt. Bisher hatte sich ihre Hoffnung auf einen guten Absatz ihrer Sachen nicht erfüllt. Den Leuten saß das Geld keineswegs locker in der Tasche, und sie kauften nur billige kleine Dinge. Wenn das so weiterging, würde Robbies Geburtstagsgeschenk sehr bescheiden ausfallen. Daniel schien jegliches Interesse an ihr verloren zu haben und hatte sich nicht mehr an ihrem Stand blicken lassen. Gegen ihren Willen beobachtete sie heimlich, wie er hin und wieder mit Besuchern auftauchte und sie herumführte. Dass es sich dabei häufig um schöne junge Frauen handelte, die ihn offen anhimmelten, verbesserte ihre Laune nicht gerade. "Wie teuer sind diese Futterhäuschen?" fragte eine Frau mittleren Alters, die sich schon seit einigen Minuten an Cathys Stand aufhielt und sich sehr interessiert an allem zeigte. "Sie sehen sehr hübsch aus", sagte sie, nachdem Cathy ihr den Preis genannt hatte. "Ich nehme drei davon. Und dann ...", sie ließ den Blick über die Sachen gleiten, "noch eine von diesen ... es sind Schürzen, nicht wahr?" "Sie sind als eine Art Ordnungssystem für Scheune oder Werkstatt gedacht", erklärte Cathy und breitete eine aus. "Überall sind kleine Taschen, in die man alles Mögliche stecken kann, seien es Schrauben, Nägel oder Werkzeuge oder was auch immer." "Sehr praktisch", meinte die Frau lächelnd. "Geben Sie mir doch bitte zwei. Das wäre dann alles." Sie bezahlte fast sechzig Pfund, was Cathy wieder etwas Auftrieb gab. Seltsamerweise schien sich von da an das Blatt zu wenden. In der folgenden Stunde verkaufte sie ungefähr drei Viertel ihrer Sachen und hatte damit sogar mehr eingenommen, als Gary ihr gestohlen hatte. "Hetty, würden Sie so nett sein, für einige Augenblicke auf meinen Stand mit aufzupassen?" fragte sie die sympathische Frau neben ihr, die selbst gestrickte Babykleidung verkaufte und mit der sie sich zwischendurch unterhalten hatte. "Ich habe meinem Sohn und meiner Nachbarin versprochen, sie um ein Uhr am Imbissstand zu treffen." "Mach ich, Cathy. Gehen Sie nur, und lassen Sie sich ruhig Zeit."
Vor dem Grill mit Würstchen, Hamburgern und Koteletts hatte sich eine lange Schlange gebildet. Cathy entdeckte Robbie und Mrs. Barnet in der vordersten Reihe. Sie wurden bereits bedient, und Mrs. Barnet reichte dem Jungen gerade einen Hamburger. "Mummy!" Robbie winkte heftig und rannte zu ihr hin. "Darf ich nachher auf einem Pony reiten?" Sein Gesicht strahlte vor Begeisterung. "Natürlich." Cathy gab ihm einen Kuss und begrüßte lächelnd Mrs. Barnet, die Robbie in einem etwas gemächlicheren Tempo gefolgt war. "Aber zuerst suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen, wo du deinen Hamburger essen kannst." Sie folgten einem Weg, der hinter das Haus führte, und erblickten eine von Bäumen überschattete und etwas versteckt stehende Bank. Da es mittlerweile sehr warm geworden war, zog Cathy ihre Jacke aus und setzte sich dann neben Robbie. Obwohl sie nicht mehr an Daniel denken wollte, konnte sie nicht ganz verdrängen, dass er hier aufgewachsen war und das alles einmal erben würde. Sie schirmte mit der Hand ihre Augen gegen die Sonne ab, ließ den Blick über die weite Rasenfläche zu einem in der Ferne glitzernden See und dann nach rechts zu den Stallgebäuden schweifen. War das nicht Daniel? Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, als sie ihn erkannte. Er stand nicht weit von dem Seil entfernt, das den Stallbereich vom übrigen Park abgrenzte, und sprach mit einer Frau. Ihr gelbes Kostüm kam Cathy bekannt vor. Tatsächlich handelte es sich um jene Kundin, die als Erste etwas von den teureren Sachen gekauft hatte. Aber wieso gab sie jetzt Daniel die Tüte? Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte Cathy. Warum hatte es sie nicht stutzig gemacht, als ihre Bastelarbeiten plötzlich so reißenden Absatz fanden? Vierzig Pfund da, sechzig dort - so etwas hatte sie doch noch nie erlebt! Wütend sprang sie auf. "Mrs. Barnet, darf ich Sie kurz mit Robbie allein lassen?" sagte sie mühsam beherrscht. "Ich möchte nur schnell mit jemandem sprechen."
Mit zittrigen Knien und heftig klopfendem Herzen marschierte sie quer über den gepflegten Rasen auf Daniel zu. "Zu fein, um selbst einzukaufen?" fragte sie spöttisch und warf einen viel sagenden Blick auf die Tüte in seiner Hand. "Ich nehme an, da drin sind meine Futterhäuschen?" Er musterte sie kühl und gelassen. "Richtig." "Willst du damit einen Handel eröffnen?" "Bitte verzeihen Sie Cathys ruppige Manieren", wandte Daniel sich liebenswürdig an die Frau im gelben Kostüm, der das Ganze unendlich peinlich zu sein schien. "Ich habe auch erst kürzlich entdeckt, dass sich hinter ihrem süßen Lächeln ein sehr heftiges Temperament verbirgt." "Hör gefälligst auf, mich so gönnerhaft zu behandeln!" stieß Cathy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er blieb noch immer bewundernswert ruhig. "Würden Sie uns bitte entschuldigen, Martha?" sagte er zu der Frau, die daraufhin sichtlich erleichtert das Weite suchte. "Wie konntest du mir das antun!" rief Cathy, sobald sie allein waren. "Du hast dieser Frau Geld gegeben, damit sie mir etwas abkauft? Bestimmt war sie nicht die Einzige, oder?" "Ich wollte dir doch nur helfen. Und mir hättest du ja doch nichts verkauft." "Ich pfeife auf deine Wohltätigkeit!" Cathys grüne Augen sprühten Funken, "Denkst du, nur weil ich arm bin, habe ich keinen Stolz?" "O ja, dein Stolz!" Nun war es auch mit Daniels Beherrschung vorbei, und er packte Cathy unsanft am Handgelenk. "Diese kostbarste aller deiner Eigenschaften!" spottete er. "Hält sie dich davon ab, deine Gefühle zuzugeben? Ich vermag einfach nicht zu glauben, dass du tatsächlich so kalt und herzlos bist, wie du dich gibst!" Er kümmerte sieh nicht um die neugierigen Blicke der Vorbeigehenden, sondern zog sie enger an sich. "Zu gut erinnere ich mich noch, wie leidenschaftlich du warst, als wir uns geliebt haben", sagte er heiser.
Bei seinen Worten durchflutete Cathy eine Welle des Verlangens. Wie sollte sie ohne diesen Mann leben? Sie liebte ihn doch so sehr. "Das ... das ist nicht fair", erwiderte sie stockend. "Fair?" Er zog spöttisch die Brauen hoch. "Warum sollte ich dich nicht daran erinnern, was für eine hemmungslose und leidenschaftliche Geliebte du warst?" Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden? Ohne zu überlegen, schlug sie ihm ins Gesicht und erschrak, als sie den roten Fleck auf seiner Wange sah. "Fühlst du dich jetzt besser?" Seine braunen Augen blitzten gefährlich. "Das wollte ich nicht." "Vielleicht sollten wir unsere Unterhaltung an einem stilleren Ort fortsetzen." "Ich gehe nirgendwo mit dir hin!" protestierte Cathy aufgebracht. "Daniel!" Er hatte sie hochgehoben und eilte mit ihr auf den Armen zum Haus. "Lass mich sofort herunter!" zischte sie. "Falls du glaubst, mir mit diesem Machogehabe zu imponieren ..." "Machogehabe?" Er schüttelte den Kopf. "Wer hat hier wen geschlagen?" Verunsichert fuhr sie sich über die Stirn. "Du hast mich provoziert!" verteidigte sie sich und blickte entsetzt zu dem georgianischen Herrensitz, "Ich weigere mich, dieses Haus noch einmal zu betreten!" "Das musst du nicht, da ich dich trage. Und jetzt sei ruhig, und spar dir deine Kräfte für später auf." Drinnen war es kühl und still. In Cathy tobten die widersprüchlichsten Gefühle, während Daniel sie durch die marmorgeflieste Eingangshalle trug. Er öffnete mit dem Ellbogen eine Tür. Cathy sah sich nervös um. Es war ein sehr elegantes Zimmer in Minzgrün und Beige. Vorhänge und Tapeten, die zierliche Chaiselongue und das breite Sofa waren farblich fein aufeinander
abgestimmt. "So." Daniel stieß mit dem Fuß die Tür zu und entließ Cathy aus seinen Armen. "Jetzt kannst du mir offen die Meinung sagen. Nur zu." "Denk ja nicht, du könntest mich unter Druck setzen!" Sie schluckte trocken. "Ich möchte nicht, dass alles so endet." "Aber du möchtest, dass es endet?" Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ein schlichtes Ja hätte genügt, aber sie brachte das Wort nicht heraus, sondern sagte stattdessen: "Du warst nur nett zu mir, weil du Mitleid mit mir hattest." Seine Miene verfinsterte sich. "Wer behauptet das?" "Niemand. Ich ... weiß es eben." "Sandra?" Er sah, wie Cathy rot wurde, und begann, wütend im Zimmer auf und ab zu gehen. "Ich hätte wissen müssen, dass sie dir irgendwelche Lügen erzählt hat. Diese Frau ist doch nur eifersüchtig. Sie ist scharf auf mein Geld ..." "Und vor solchen Leuten bist du auf der Hut, stimmt's?" sagte Cathy leise. Daniel blieb stehen und sah sie an. "Das denkst du von mir?" "Ich bin nur realistisch!" Cathys Stimme klang gequält. "Verstehst du denn nicht? Ich versuche mich nur in deine Lage zu versetzen." "Das solltest du lieber bleiben lassen!" Daniel ging zu ihr und packte sie an den Schultern. "Hast du tatsächlich eine so schlechte Meinung von mir? Als wir uns geliebt haben... hast du da nicht gespürt, wie sehr ich dich wollte?" "Ja, schon ... aber ..." Cathy war völlig durcheinander. "Aber jetzt hasst du mich?" "Nein, das stimmt nicht", widersprach sie leise und senkte den Kopf. "Eher ... das Gegenteil. Doch es würde nicht funktionieren", fuhr sie hastig fort. "Selbst wenn du wie durch ein Wunder ebenso wie ich empfinden würdest, trennen uns Welten ..." "Cathy, sieh mich an!" Er umfasste ihr Gesicht und blickte sie wortlos an. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme tief und rau. "Ich liebe dich, verstehst du das denn nicht?"
In ihren Augen spiegelte sich Fassungslosigkeit. "Aber ich bin doch nur..." "Die Frau meiner Träume." Zärtlich strich er ihr eine rote Locke aus dem Gesicht. "Ich liebe alles an dir. Wie du dich bewegst, lächelst", seine Augen funkelten mutwillig, "ja sogar, wenn du wie vorhin wütend auf mich losgehst, finde ich dich hinreißend!" Cathy fühlte sich wie von einer schweren Last befreit. "Ich habe mich wie eine Furie benommen", gestand sie beschämt. "Als ich auf dem Ball herausfand, wer du wirklich bist, dachte ich, du wolltest nur ein kurzes Abenteuer mit mir und hättest mir deshalb deine wahre Identität verschwiegen." "Nein, so war es nicht", erklärte Daniel. "Es ging nur alles so schnell zwischen uns. Gerade noch war ich ein normaler Junggeselle, dem nichts mehr bedeutete als seine Kunst, und dann", er lächelte voller Wärme, "bist plötzlich du in mein Leben geplatzt. Du und Robbie!" "Wir haben dein friedliches Dasein gestört." "Du ahnst nicht, wie froh ich darüber bin." Er neigte den Kopf und berührte ihre Lippen. Der Kuss war zuerst sanft und voller Sehnsucht, wurde dann aber leidenschaftlich und fordernd. Sie rangen beide nach Atem, als sie sich schließlich voneinander lösten. "Cathy, dies ist keine Affäre für mich", sagte Daniel. "Davon hatte ich in den letzten Jahren mehr als genug, wie ich zu meiner Schande gestehen muss." Er blickte ihr voller Wärme in die Augen. "Dich aber liebe ich von ganzem Herzen." Er nahm ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. "Ich hatte nach meiner Rückkehr andere Pläne für uns, doch dann ging alles schief. Zuerst hatte mein Zug Verspätung, dann rief meine Mutter an und bat mich, doch noch zum Ball zu kommen ..." Daniel zuckte die Schultern. "Irgendwie schien sich alles gegen mich verschworen zu haben. Natürlich wäre mir viel erspart geblieben, wenn ich von Anfang an die Karten auf den Tisch gelegt hätte." "Wieso hast du es nicht getan?"
"Um dich nicht von vornherein abzuschrecken. Du hattest offenbar wenig Geld, und da wollte ich nicht noch Salz in deine Wunden streuen. Ich hatte mir jedoch vorgenommen, dir nach meiner Rückkehr von London die Wahrheit zu sagen." "Wirklich?" Cathys Augen leuchteten auf. Wieder folgte ein langer Kuss, bis Cathy sich jäh von Daniel löste. "Ach, du meine Güte!" "Was ist?" "Ich habe Robbie und Mrs. Barnet ganz vergessen. Sie warten beide draußen auf mich. Und Hetty wird sich auch schon wundem, wo ich bleibe." "Hetty?" "Meine Standnachbarin." Daniel lächelte. "Fühlst du dich jetzt wenigstens besser?" Cathy sah ihn verliebt an. "Was glaubst du?" Viele Stunden später, als sie längst in Daniels Haus zurückgekehrt waren und Robbie nach einem aufregenden Tag selig schlummernd oben in dem kleinen Mansardenzimmer lag, nahm Daniel Cathy an der Hand. "Ich möchte dir etwas zeigen. Komm mit." "Wohin?" "In mein Atelier." Er führte sie in den hellen Raum, an dessen verglaster Nordseite eine verhüllte Staffelei stand. "Das ist für dich." Er entfernte das Tuch und beobachtete gespannt Cathys Reaktion auf das Bild. "Daniel! Das bin ja ich!" "Gefällt es dir?" Er legte von hinten die Arme um sie und zog sie fest an sich. Verwundert betrachtete Cathy ihr Porträt. Sie wusste nicht, wie Daniel dieses Wunder gelungen war, aber mit dieser roten Lockenmähne und den leuchtend grünen Augen sah sie auf dem Bild tatsächlich schön aus, "Siehst du nun, wie wunderschön du bist?" fragte er rau. "Heirate mich, Cathy."
Sie drehte sich zu ihm um. Er zog aus seiner Hosentasche ein kleines Lederetui und hielt es ihr hin. Zögernd nahm sie es und öffnete mit zittrigen Fingern den Deckel. "Oh." "Ist das alles, was dir dazu einfällt?" fragte Daniel scherzhaft. "Ich ... weiß nicht, was ich sagen soll." "Sag einfach Ja", drängte er. "Wenn dir der Ring nicht gefällt, können wir ihn umtauschen." "Nein, er ist wundervoll." Cathy blickte Daniel mit leuchtenden Augen an. "Du willst mich wirklich heiraten?" Er zog ihre Hand an seine Lippen und küsste jeden Finger einzeln. "Wirklich", bestätigte er heiser. "Bekomme ich nun endlich eine Antwort?" "O Daniel", sagte sie atemlos. "Ja! Ja! Ja!" "Das war das beste Picknick, das ich jemals hatte!" verkündete Cathy. Sie lehnte den Kopf an Daniels Schulter und seufzte zufrieden. "Marthas Sandwiches sind einfach köstlich!" "Wahrscheinlich deshalb, weil wir sie nicht selber zubereiten mussten", scherzte Daniel und massierte ihr sanft den Nacken. "Ist dir nicht kalt?" "Nein." Cathy schmiegte sich enger an ihn. "Du weißt, ich liebe solche Sonnenuntergänge im Park von Langforde Hall." "Und ich liebe dich." Daniel küsste seine Frau zärtlich auf die Nasenspitze. "Robbie hat mir erzählt, dass heute Nachmittag meine Mutter da war." "Ja, sie hat mir von deinen früheren Lausbubenstreichen erzählt." "Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ihre beide euch so gut versteht. Du hast das Herz meiner Mutter im Sturm erobert." "Und sie meines." "Ich finde Granny auch prima", meldete sich Robbie zu Wort, dessen Kopf auf Cathys fülligem Schoß lag. "Heute hat sie mir alte Zeichnungen von Daniel mitgebracht, die sie auf dem Speicher gefunden hat." Robbies Blick schweifte zum Herrenhaus. "Es muss ein riesiger Speicher sein."
Daniel zerzauste dem Jungen liebevoll den braunen Haarschopf. "Wenn du willst, sehen wir ihn uns beide mal genauer an. Es gibt viel Interessantes und Kurioses zu sehen." "Tom hat gestern ein Schwesterchen bekommen", sagte Robbie unvermutet. "Wann kommt endlich unser Baby, Mummy?" Cathy wechselte einen zärtlichen Blick mit ihrem Mann. "Bald, mein Schatz. Sehr bald." Die Sonne versank rot hinter den Bäumen. "Es beginnt kühl zu werden. Wir gehen jetzt doch besser nach Hause." Zu dritt schlenderten sie Hand in Hand über den Rasen von Langforde Hall. So viel ist in diesem Jahr geschehen; dachte Cathy. In wenigen Wochen würde ihr Kind zur Welt kommen und von Anfang an in der Geborgenheit einer glücklichen Familie aufwachsen. Ich habe tatsächlich keine Sorgen mehr, stellte sie erstaunt fest. Selbst mit Gary ging es aufwärts, nachdem Daniel seine Schulden bezahlt und ihm einen Job verschafft hatte. "Kaum zu glauben, dass wir schon ein Jahr verheiratet sind", sagte sie zu ihrem Mann. "Wir sind verheiratet?" Er zog erstaunt die Brauen hoch, und in seinen braunen Augen blitzte es belustigt auf. "Das würde doch bei dem großen Standesunterschied nie gut gehen!" Cathy blieb stehen. "Mach dich nur lustig! Ich zeige dir gleich, wie gut es funktioniert." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hatte keine Schwierigkeiten, ihren Mann zu überzeugen. -ENDE -