War Mose ein Analphabet? Die Entstehung des Alphabets, der ersten Schriftdokumente und der Bibel Vortrag von Dr. Martin ...
4 downloads
542 Views
78KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
War Mose ein Analphabet? Die Entstehung des Alphabets, der ersten Schriftdokumente und der Bibel Vortrag von Dr. Martin Heide, Germering, vom Regionaltreffen Böblingen am 23.2.2002 Schrift entsteht im Gefolge von “Hochkulturen”. Diese können dort entstehen, wo - zumindest wirtschaftlich gesehen - durch die natürlichen Gegebenheiten so viel Mittel des natürlichen Lebens (“Lebensmittel”, Kleidung etc.) produziert werden, dass man dazu übergehen kann, die Arbeit aufzuteilen. Sind zum Beispiel in primitiven Kulturen alle Menschen mit Ackerbau und Jagd beschäftigt, so braucht dieses in einer Hochkultur nur noch ein bestimmter Prozentsatz zu tun, etwa die Hälfte oder sogar nur ein Drittel. Die Felder bzw. Viehherden werfen jedenfalls auch dann genügend Nahrung für alle ab, wenn sich nur ein Teil der Bevölkerung darum kümmert. Die übrigen Arbeitskräfte verdienen dann ihren Lebensunterhalt anders: mit Arbeiten, die nicht zu den unmittelbar lebensnotwendigen Dingen gehören, aber in jeder Gesellschaft gern gesehen sind. Aus Zelten werden anspruchsvolle Holz- und Lehmbauten, aus einfachen Altären große Tempel, die von Ingenieuren entworfen werden müssen. Aus einfachen Kleidern werden kostbare, mit Gold- und Purpur durchwirkte Gewänder (dafür muss der Schneiderberuf geschaffen und erlernt werden). Schließlich hat man auch einen Bedarf an Edelmetallen - welche Dame schmückt sich nicht gerne mit Gold, Silber oder Edelsteinen? Und immer nur Haferflocken oder Roggenbrot spricht auch nicht gerade für Lebensqualität; zuerst auf Eseln und Kamelen, dann auch auf Schiffen werden bessere, schönere oder exotischere Nahrungsmittel, Kleider, Edelsteine, Baumaterialien und anderes mehr herbeigebracht, um die materiellen Bedürfnisse einer immer größer werdenden und anspruchsvolleren Gesellschaft zu decken. Und Verwaltungsbeamte müssen beschäftigt werden, damit die öffentlichen Einrichtungen - Straßenbau, Bewässerungsanlagen und so weiter - funktionieren. Die ersten Hochkulturen dieser Art finden wir in der Andenregion, in Mittelamerika, in Nordchina, im Niltal und im “fruchtbaren Halbmond“, der Gegend zwischen dem Euphrat und Tigris bis hin zum damaligen Kanaan, dem heutigen Israel und Palästina. Dort, im fruchtbaren Halbmond, entstanden die ersten großen Hochkulturen und die frühesten und am besten erforschten, etwa um die Zeit 3200 vor Christus. Inzwischen gibt man die Zeit noch etwas früher an: für Mesopotamien ist 3300 vor Christus als wahrscheinlich anzusetzen. Nach den Grabungsergebnissen hat sich dort sehr schnell eine Hochkultur entwickelt.
Schriftentstehung Es gibt keine Evolution von einer primitiven zu einer Hochkultur. Diese ist plötzlich da. Bei archäologischen Grabungen in Ägypten staunt man, dass man bei Ausgrabungen plötzlich auf die ägyptische Hochkultur mit ihren Tempeln, Pyramiden, Pharaonen und ihrer Hieroglyphenschrift stößt. Niemand kann das erklären. Ebenso ist es in Mesopotamien. Da kann man ganz plötzlich ab etwa 3000 vor Christus nur noch die weitere Entwicklung einer Hochkultur verfolgen. Dinge des täglichen Lebens sind auf einmal selbstverständlich, und man betreibt Welthandel mit den Mittelmeergebieten.
Aber wozu benötigt eine hochstehende Kultur die Schrift oder, genauer gesagt, die schriftliche Fixierung der Sprache? Nehmen wir an, ein Viehhändler erwirbt 100 Schafe in einer benachbarten Siedlung und bezahlt sie mit dem damals noch üblichen Zahlungsmittel, nämlich Gerste. Kurze Zeit später erscheint der Verkäufer, von dem er die Schafe erworben hatte, und beschuldigt ihn: “Du hast mir 100 Schafe gestohlen”. Wie kann er nun beweisen, dass er sie doch gekauft hat? Oder der Bürgermeister der Stadt wundert sich plötzlich: “Woher hat er denn die 100 Schafe?“ Außerdem mussten die Bürger schon sehr früh für die öffentlichen Bauten wie Stadtmauern, Straßen, Tempel, Polizei und anderes mehr Abgaben zahlen - wie konnten sie beweisen, dass sie diese Abgaben schon bezahlt hatten? Man benötigte für solche Käufe und Verkäufe Zeugen. Das war solange kein Problem, wie die Kultur und ihr geographischer Bereich relativ klein waren. Aber Zeugen kann man ja nicht überallhin mitnehmen; sie sind auch nicht ständig verfügbar und können lügen, bestochen werden oder sterben. Und so kam man zuerst im alten Mesopotamien, genauer im südlichen Zweistromland, auf die Idee, einen Verkauf oder Kauf durch eine Urkunde zu dokumentieren. Nach allem, was man aus den archäologischen Funden rekonstruieren kann, sahen diese “Urkunden” um 3200 vor Christus, also vor etwa 5200 Jahren, zunächst so aus, wie sie die Abbildung 1 zeigt. Diese fünf Zählsteine verwendete man als Stellvertreter oder “tokens“ (amerik. Begriff) für zu registrierende Güter. Die Steine (2 x 1,5cm) haben kleine Löcher und waren wahrscheinlich durch eine Schnur verbunden. Der Beamte oder Kaufmann, der für einen Warentransport zuständig war, trug diese Steine an einer Schnur aufgereiht bei sich. Die Form der Zählsteine gab über den Gegenstand Aufschluss, ob es sich etwa um Vieh, Wolle oder Oliven handelte (manchmal schwierig zu identifizieren), die eingeritzten Striche bezeichneten die Anzahl der gelieferten Gegenstände. Bei der Übergabe der Handelsware wurden diese Zählsteine sozusagen als Besitzurkunde dem Empfänger übergeben. In der Tonkugel von Abbildung 2 waren Zählsteine ohne Löcher; außen wurde an Hand von Einkerbungen das angegeben, was drinnen war - eben die Zählsteine. Zusätzlich wurde die Tonkugel mit Rollsiegeln versehen, also versiegelt. Dieses System einer doppelten Urkunde, auf der also sowohl durch die Kerben außen als auch innen durch die Zählsteine ablesbar war, um welches Geschäft es ging, wurde bis in viel spätere Zeiten aufrechterhalten. In unserer Zeit ist dies vergleichbar mit dem Besitz von Fahrzeugschein und KFZ-Brief. Auch für das Verschließen aller möglicher Gefäße verwendete man Siegel. Damit konnte der Besitzer den Inhalt geheim halten oder ein unbefugtes Verändern verhindern. Man bedeckte zum Beispiel ein Steingefäß mit einer Lehmschicht, auf die man sogar mehrere Siegelungen aufbringen konnte. In ähnlicher Weise hat man auch die abgebildete Kugel mit den Zählsteinen darinnen von außen versiegelt. Aus dem “Steine-in-der-Kugel-und-außen-Kerben”-System entwickelte man bald eine vereinfachte Methode. Statt dass man mit Kerben von außen auf den Inhalt der Kugel hinwies und in ihrem Inneren Zählsteine die Warenmenge angaben, was natürlich sehr urkundensicher war, hat man einfach eine flache Tontafel genommen, oben auf ihr die Kerben angebracht und sie dann mit Stempelsiegeln versehen. Da die Kerben aber nicht die Art der Gegenstände verraten, hat der mesopotamische Händler diese Tafel wohl unmittelbar mit der Ware zusammen übergeben.
In dieser Zeit trifft man noch häufiger Tafeln an, auf denen nicht nur die Anzahl der gehandelten Gegenstände eingekerbt, sondern diese mit feinen Bildzeichen selbst dargestellt waren (Abbildung 3). Diese Tontafel sollte einen Verkaufsvorgang beschreiben. Zwar war das kein doppeltes Urkundensystem mehr, aber dafür eine Art Kunstwerk. Man musste zu einem öffentlich anerkannten Schreiber gehen, um eine solche Urkunde anfertigen zu lassen, und der Schreiber beziehungsweise das Kunstwerk bürgte für die Echtheit. Es ging im Vorfeld der Schrift um Dokumentation von Tausch- oder Handelsvorgängen.
Schriftentwicklung Allmählich wurden die Zahlen durch abstrakte Keile ersetzt. Zuerst waren diese noch als “tokens“ im Lehm eingedrückt, dann aber machten auch die “tokens“-Eindrücke völlig abstrakten Keilen Platz. Man hat die Keile nicht mehr auf den Ton gemalt, sondern in den Ton eingedrückt. Schließlich hat man die kunstvollen Keile “digitalisiert“, nämlich immer mehr abstrahiert. Bei den Babyloniern gab es sehr viel Lehm. Daraus fertigte man Tafeln, und auf diese wurden die Keile eingedrückt. Ein geübter Schreiber konnte das sehr schnell. Anfangs konnte man nur Urkunden fertigen, später aber hat man das immer weiter verfeinert. Nicht nur Verkaufsvorgänge, sondern auch anderes wurde aufgeschrieben. Man kann anhand der archäologischen Funde verfolgen, wie sich die Keilschrift innerhalb kürzester Zeit entwickelt hat. In der neuassyrischen Schrift gibt es zum Beispiel ganze Feldzugsberichte der assyrischen und babylonischen Könige, auch darüber, wie sie Israel besiegt haben. Nur wenig bekannt ist: Fast alle jüdischen Könige sind von den Assyrern und Babyloniern irgendwann erwähnt worden. Die Abbildung 4 zeigt für die Schriftentwicklung in einem Zeitraum von etwa 2000 Jahren sechs Zeitabschnitte: um 3000 v.Chr. bestand die piktographische oder bildzeichenhafte Phase. 2800 v.Chr. man verwendet kleinere Tafeln; die Bilder sind leichter in den Ton zu ritzen, wenn sie um 90° gedreht werden. 2800-2600 v.Chr. zunehmende Abstrahierung findet statt, wie bei “Mund“ oder “Fisch“. 2600-2200 v.Chr. 2100-1700 v.Chr. Gesetzestexte. 1000-700 v.Chr.
ist die Zeit des klassischen Sumerisch. ist die Zeit des Königs Hammurapi; hier die Schrift seiner hier ist die Zeit der neuassyrischen Schrift.
Einerseits haben sich also die Bilder abstrahiert, andererseits aber auch die Bedeutungen. Anfangs malte man einen “Fisch“ und las auch “Fisch“ = “cha“. Später schrieb man nur noch “cha“ und las auch nur noch “cha“. Das bedeutete nicht mehr “Fisch“, sondern war nur noch eine bestimmte Silbe. “Wasser“ hieß früher “a“, nachher stellte dieses Zeichen nur noch der Vokal “a“ dar, den man benutzte, um neue Wörter zu kreieren. Die Keilschrift hat sich im zweiten Jahrtausend im ganzen Alten Orient durchgesetzt. Zuerst haben die Sumerer diese Schrift erfunden und für ihre agglutinierende Sprache verwendet. Dann haben die Babylonier dieselbe Schrift für ihren ganz anderen Sprachtypus (semitisch) verwendet, ebenfalls die Assyrer. Sogar die Hethiter schrieben ihre indogermanische Sprache in Keilschrift. Das lag
vor allem an ihren Vorteilen: Durch die Handhabung des “Keils“ funktionierte das Schreiben ähnlich wie eine Schreibmaschine; sie war schnell einzudrücken - auch Abstraktes konnte festgehalten werden; sie war mit billigem Material möglich und trotzdem dokumentenecht und langlebig. Etwas problematisch ist bei dieser Silbenschrift, dass man bis an die 500 Zeichen für die volle Ausschöpfung der Sprache benötigt; für den Alltags-Sprachgebrauch sind etwa 170 Zeichen nötig. Auch ist die Silbenschrift mehrdeutig; einer Silbe oder einem Wortzeichen können bis zu 20 Bedeutungen unterliegen. Nur ein geübter Schreiber hat die Schrift beherrscht. Auch das Entziffern hat sehr viel Mühe gekostet. Das hat ein Gymnasiallehrer in Deutschland geschafft, dessen Hobby es war, Kreuzworträtsel zu lösen. Er hat angefangen mit einer Gedenktafel des Königs Darius, die in babylonisch, elamitisch und persisch auf einem Felsen geschrieben worden war. Aber nachher brauchte man noch viele Jahre, um alle Feinheiten herauszubekommen.
Ein Schritt zurück Die älteste Hochkultur, die schon im dritten Jahrtausend eine Schriftkultur entwickelte, die fast 3000 Jahre andauern sollte, entstand also im Zweistromland, zwischen Euphrat und Tigris. Das ist dem Bibelleser nichts Neues, denn er liest: “Und Kusch zeugte Nimrod; der war der erste Gewaltige auf der Erde. Er war ein gewaltiger Jäger vor dem HERRN; darum sagt man: Wie Nimrod, ein gewaltiger Jäger vor dem HERRN! Und der Anfang seines Königreiches war Babel und Erech und Akkad und Kalne im Land Schinear. Von diesem Land zog er aus nach Assur und baute Ninive und Rehobot-Ir und Kelach und Resen zwischen Ninive und Kelach: das ist die große Stadt“ (1. Mose 10, 8 - 12). Nimrod baute Städte, und die frühe Hochkultur, in der diese Schrift entstand, war eine Städtezivilisation. Es gab Stadtstaaten, und jeder hatte eine gewisse Eigenständigkeit. Erst später zur Zeit Hammurapis haben sich diese Städte dann zu größeren Reichen vereinigt. Die Tafel der Abbildung 5 macht deutlich, wie vielfältig die sumerisch-babylonische Schriftkultur war. Die abgebildete Urkunde aus der Zeit Hammurapis steckt in einem Umschlag. Mit diesem Brief wurde der Verkauf eines Grundstücks geregelt. Der Vertrag wurde auf eine Tafel geschrieben und danach in einen Umschlag gesteckt, auf dem der Vertragstext noch einmal stand. Auf der Rückseite (hier sichtbar) wurden mit einem Rollsiegel die Siegelabdrücke der Zeugen angebracht. Die Abbildung 6 zeigt eine Tafel in einem geöffneten Umschlag. Auch der Inhalt dieser Tontafel, eine Gerichtsurkunde aus dem 14. Jahrhundert vor Christus, wurde auf dem Umschlag nochmals abgedruckt. Falls eine Partei die andere verdächtigte, Abmachungen verfälscht zu haben, konnte ein Richter den Umschlag öffnen, um die Abkommensklauseln auf der Tafel mit denen auf dem Umschlag zu vergleichen. Das ist der Sinn dieser doppelten Niederschrift des Vertragstextes. Dieses System bei Vertragsabschlüssen kennen wir übrigens auch aus der Bibel: Da ist von dem Propheten Jeremia die Rede, der von seinem Vetter Hanamel günstig ein Grundstück erwerben kann: “Und ich gab den Kaufbrief Baruch, dem Sohn Nerijas... vor den Augen meines Vetters Hanamel und vor den Augen der Zeugen, die den Kaufbrief unterschrieben hatten... Und ich befahl Baruch vor ihren Augen: So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Nimm diese Briefe, diesen Kaufbrief, sowohl den versiegelten
als auch diesen offenen Brief, und lege sie in ein Tongefäß, damit sie viele Tage erhalten bleiben!“ (Jer. 32, 12 - 14). Neben Urkunden, Briefen, Bierrezepten, ganzen Büchern und Literaturwerken hat man übrigens auch Musiknoten in Keilschrift aufgezeichnet. Das bezeugt eine Tafel, auf der unterhalb der Musiknoten ein sechszeiliger Text auf Akkadisch die Namen der Intervalle wiedergibt, gefolgt von einer Zahl. Es herrscht jedoch keine Einigkeit über die Interpretation der Zahlen und die Art, wie die Intervalle in ein Notensystem zu übertragen sind.
Das altägyptische Schriftsystem Die ägyptischen Hieroglyphen zählen ebenfalls zu den ältesten Schriftsystemen der Welt. Etwa 200 Jahre später als das Keilschriftsystem - also um 3000 vor Christus - finden wir in Ägypten bereits ein fast vollständig ausgebildetes Hieroglyphensystem. Die Abbildung 7 zeigt einen etwa 60 cm hohen Schild, der mit einer Kombination aus Bildern, wirklichen Hieroglyphen-Zeichen und Piktogrammen versehen ist, die irgendwo zwischen Bildern und Hieroglyphen anzusiedeln sind. Auf der Vorderseite (links) wird Pharao Narmer (auch unter dem Namen Menes bekannt), der legendäre Einiger des ägypt. Nord- und Südreiches dargestellt. Er trägt die rote Krone Unterägyptens und inspiziert die Leichname seiner zehn geköpften Feinde. Auf der Rückseite führt der Horus-Falke an einem Nasenring einen Feind, der mit dem Hieroglyphenzeichen “Sha” verbunden ist, dem Papyrus-Sumpf, dem Zeichen Unterägyptens beziehungsweise des Deltas. Dies wird als erste Hieroglyphen-ähnliche schriftliche Darstellung gewertet, etwa in der Bedeutung: “Der Horusfalke (der vergöttlichte König) hält den Feind aus dem Papyrus-Sumpf (Unterägypten) gefangen“. Ferner erscheint jeweils ganz oben in der Mitte zwischen den Thronstühlen die Hieroglyphe “na´ar-mer“ (na´ar = Fisch, Wels; mer = Meißel), zusammen “Narmer”, jener Pharao. Außerdem erscheinen über den 10 geköpften Feinden die Hieroglyphe einer Schwalbe = “wer“ in der Bedeutung “groß” und einer Tür oder eines Türflügels = “ach“. Es geht hier nämlich um ein Fest, das den Namen “die große Pforte” trägt. Das ägyptische Hieroglyphenalphabet funktioniert ähnlich wie das frühe sumerische Alphabet aus Mesopotamien. Es ist aber bei den Bildern stehen geblieben; abstrahiert wurden nicht die Bildzeichen, sondern höchstens deren Bedeutung. Daneben hat das Ägyptische auch schon eine Art Alphabet mit 24 Konsonanten. Aber selten werden Worte mit diesem Alphabet alleine geschrieben; die meisten Texte enthalten Einkonsonantenzeichen aus dem ägyptischen Alphabet, Zweikonsonantenzeichen wie die Schwalbe hier und Dreikonsonantenzeichen sowie manche Zeichen, die ein ganzes Wort bezeichnen (ähnlich wie im Chinesischen), dazu dann noch Determinative, die die Wortklassen angeben. Wenn man zum Beispiel irgendetwas aus Holz beschreibt, etwa einen Stuhl, steht vorher ein Zeichen, das den Leser darauf hinweist: “Achtung, jetzt kommt etwas aus Holz!“ Fremdworte oder Orts- und Personennamen fremdländischer Herkunft wurden allerdings in der Regel nur mit Einkonsonantenzeichen geschrieben, also dem ägyptischen Alphabet entnommen. Das erst ermöglichte es auch, die ägyptischen Hieroglyphen zu entschlüsseln.
Der Franzose Champollion wurde auf den “Rosetta-Stein” (Abbildung 8, Seite 11) aufmerksam, den die napoleonischen Truppen in Ägypten zuerst entdeckt haben und der später ins “British Museum“ gelangte. Dieser Stein ist 196 vor Christus von ägyptischen Priestern geschrieben worden, zur Zeit Ptolemäus V. Epiphanes, und zwar in ägyptischer Hieroglyphenschrift, demotischer Schrift und Griechisch. Champollion begann nun, solche Wörter, die im ägyptischen Text besonders gekennzeichnet waren und die er korrekterweise für die Königsnamen hielt, mit den entsprechenden ägyptischen Königsnamen zu vergleichen. Seine Grundfrage war: “Warum setzten die Ägypter manche Namen in einen Rahmen (“Kartusche“) hinein?“ Er vermutete, dass dies besonders bedeutende Personen waren, vielleicht sogar Götter. Und weil diese Annahme stimmte, konnte er die ägyptischen mit den griechischen Namen vergleichen, und damit das ägyptische Alphabet entziffern. Auf der Abbildung 9 kann man noch deutlicher sehen, wie das ägyptische Alphabet funktioniert. Wie schreibt man beispielsweise “Isis“? Da wird ein Thron geschrieben, dann ein Brotlaib, dann ein Ei und dann eine sitzende Göttin. Das alles zusammen liest man “Aset“, und das ist der ägyptische Name der Göttin Isis. Die Abbildung 10 regt zu einem einfachen Lesetest an: Auf diesem Siegel ist der Name eines Herrschers der sogenannten ägyptischen Hyksosdynastie eingeritzt. Dieser Name ist mit ägyptischen Einkonsonantenzeichen (also sozusagen aus dem ägyptischen Alphabet, nicht aus dem Silbenschatz) geschrieben und ist auch aus der Bibel bekannt: Ya‘qob-Hr. Natürlich ist es nicht der Jakob der Bibel. Aber er hat denselben Namen und stammt aus etwa derselben Zeitepoche. Der Name Jakob war nämlich nur zu einer bestimmten Zeit im Alten Orient in Mode, etwa zwischen 2000 und 1500 vor Christus. Sogar in der Bibel kommt er außer in der Genesis erst wieder in neutestamentlicher Zeit vor, nämlich bei dem Vater Josefs, des Mannes der Maria (Mt. 1, 16). Das abgebildete Siegel stammt aus der Zeit um 1500 vor Christus, nicht lange nachdem Jakob in Ägypten war. Die Vorteile des ägyptischen Alphabets sind also: Die Zeichen der Monumentalschrift sind gut erkennbar, nicht abstrakt, und man kann sich besser an eine bestimmte Bedeutung erinnern als bei der Keilschrift, die sich ja bewusst von der bildlichen Darstellung zur abstrakten Darstellung weiterentwickelt hat, um schneller schreiben zu können. Die Nachteile bestehen darin: Auch hier gibt es wie im Akkadischen Mehrfachbedeutungen, und wegen der vielen hundert Zwei- und Dreikonsonantenzeichen müssen gelehrte Schreiber erst über längere Zeit ausgebildet werden. Vor allem aber ist die Hieroglyphenschrift deswegen umständlich, weil diese Figuren ja erst einmal gemalt werden müssen. Versuchen Sie einmal, diese Zeichen schnell und sauber nachzuziehen, so dass sie für jeden erkennbar sind! Deswegen haben die Ägypter auch eine Kursivschrift entwickelt, die man auf Papyrus schreiben konnte. Manche der ägyptischen Papyri haben die Jahrtausende überlebt, weil sie in den ägyptischen Gräbern gleichsam mumifiziert wurden und in dem außerordentlich trockenen Klima kaum zerfallen sind. Aber man kann unschwer erkennen, dass diese Schrift für den ägyptischen Bürger noch schwieriger zu entziffern sein musste als die in Fels geritzten, sauberen Hieroglyphenzeichen. Übrigens hat sich die Hieroglyphenschrift kaum international ausgebreitet - im Gegensatz zur akkadisch-sumerisch-babylonischen Schrift. Beide Schriftsysteme haben Ähnlichkeiten: sie sind ursprünglich von Bildzeichen ausgegangen, die teilweise Platzhalter für mehrere Bedeutungen waren. Das Akkadische hat allerdings durch seine zunehmende Abstrahierung (“Digitalisierung”) und die Möglichkeit, zum Schreiben einen einfachen Keil zu benutzen, die
Erstellung von Urkunden, Briefen und anderem mehr gegenüber dem zwar gut lesbaren, aber schwerfälligen Ägyptischen wesentlich vereinfacht.
Konnte Mose schreiben? Die Israeliten sind ungefähr um 1900 vor Christus nach Ägypten gekommen. Damals war eine schwere Hungersnot in Ägypten, und Jakob sah sich gezwungen, mit seinem ganzen Clan nach Ägypten zu ziehen. Dort war inzwischen ein Sohn Jakobs, nämlich Joseph, zum Großwesir aufgestiegen und verwaltete die Nahrungsmittelaufteilung im ägyptischen Großreich. Etwa 400 Jahre später - die Patriarchen (das heißt Jakob, Joseph und seine Brüder) sind inzwischen längst verstorben - bahnen sich in Ägypten ganz neue Machtverhältnisse an. Auch der um diese Zeit regierende Pharao (wahrscheinlich Thutmosis III, etwa 1500 vor Christus) hat längst die Verdienste des ehemaligen Großwesirs Joseph vergessen. Durch verschiedene Missgeschicke werden die Israeliten schließlich wie ein Sklavenvolk behandelt. In ihrer Not erinnern sie sich an den einzig wahren Gott, den bereits ihre Väter, die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, angebetet haben. Gott hört ihre Gebete, er antwortet ihnen und erweckt ihnen einen Befreier. Dieser Befreier hieß Mose. Er wurde am Hof des Pharao ausgebildet und kannte sicherlich die großen Schriftsysteme seiner Zeit, nämlich die ägyptische Hieroglyphenschrift und die akkadische Keilschrift. Noch bevor die Israeliten unter der Führung Moses Ägypten verließen, musste Mose vorübergehend aus Ägypten fliehen und hat sich bei einem Priester in Midian aufgehalten. Von dort aus hat er auch öfters als Schafhirte die Halbwüste des Sinaigebietes besucht. Dies alles geschah nach der biblischen Chronologie etwa um 1500 vor Christus.
Echte Alphabetschrift Etwa aus dieser Zeit, vielleicht sogar zwei- bis dreihundert Jahre früher, stammen die im Sinai-Gebiet gefundenen ersten echten Alphabet-Buchstaben, die zuerst in Kanaan, dann in Griechenland, schließlich in Rom und heute auf der ganzen Welt verbindlich sind. Dieses Alphabet hat man nach dem “akrophonen Prinzip“ entwickelt. In der Hieroglyphenschrift gab es zum Beispiel die Buchstaben “alef“ (Stier) oder “kaf“. Das akrophone System ging dazu über, dass man diese Zeichen sowohl bildlich abstrahierte als auch in ihrer Bedeutung. Man las also bei “Stier“ nur noch “a“; nicht mehr “kaf“ für “Hand“, sondern nur noch “k“ und so weiter. “Akrophon“ heißt also, dass von diesen Wörtern nur noch der jeweilige Anfangsbuchstabe genommen wird und nur der - nicht, wie im Ägyptischen, manchmal einer, zwei oder drei. Auch werden keine umständlichen Bildchen mehr verwendet. Die Übersichtstabelle des akrophonischen Prinzips (Abbildung 11) zeigt die Schritte von der phönizischen zur hebräischen Kultur auf bis hin zu unserem Alphabet. Woher kommt der Name “Alphabet“? Von den beiden Zeichen “alef“ = Stier und “bet“ = Haus. Die Griechen haben das übernommen, und aus dem Altgriechischen ist es auch ins Lateinische gekommen. Also kommt unser heutiges Alphabet aus Kanaan und aus dem SinaiGebiet und ist letzten Endes eine geniale Weiterentwicklung der Hieroglyphenschrift. Es erfolgte eine Abstrahierung auf der Bild- und Bedeutungsebene. Die Genialität des kanaanäischen Alphabets ist selbstredend. Demgegenüber ist man in China seit alter Zeit bei
dem System der Bildzeichen geblieben. Man hat es nie weiterentwickelt. Es gibt auch viele Theorien darüber, woher die Chinesen ihre Schrift haben. Ob Zusammenhänge mit Mesopotamien bestehen, ist möglich, aber man kann dies nicht schlüssig beweisen. Mose kann durchaus schon in Ägypten mit dem ABC, wie wir es heute nennen, vertraut gewesen sein. Das geht aus Funden im Wadi el-Hol in Ägypten hervor. Erst vor wenigen Jahren wurde eine Inschrift entdeckt, die etwa aus der Zeit um 1800 vor Christus stammt. Dass das Alphabet im Sinaigebiet verwendet wurde, belegt außerdem eine Felsinschrift in einer Höhle der Türkis-Bergwerke der Ägypter (Abbildung 12). Dort arbeiteten Sklaven semitischer Herkunft. Auch Mose, selbst ein Semit, hielt sich ja zeitweise im Sinaigebiet auf. Er hat dort mit Leuten, die diese Schrift verwendeten, Kontakt gehabt. Erst vor kurzer Zeit haben Fachleute die abgebildete Inschrift besser als bisher deuten können. Es ging da um Widmungen, wo jemand in den Türkisbergwerken sowohl seiner Herrin (“Ba´alat“) etwas gewidmet hat als auch für ein gutes Gelingen der Bergwerksarbeit eine Art Glückwunsch niedergeschrieben hat. Hier steht: “El, der in Ewigkeit ist” oder “der ewige Gott”. Es gibt auch längere Texte mit Widmungen. Noch während des sogenannten Exodus, auf dem Weg von Ägypten nach Kanaan, hat Mose dann das alttestamentliche Gesetz so niedergeschrieben, wie Gott es ihm mitgeteilt hat. Unsere heutige Bibel ist letzten Endes eine sehr getreue Abschrift dieses alttestamentlichen Gesetzes, auch wenn wir leider das Original nicht in Händen halten. Die folgenden Ausführungen zeigen, warum wir ziemlich sicher davon ausgehen können, dass die fünf Bücher Mose letzten Endes wirklich auf diese Zeit zurückgehen, in der das Alphabet gerade erst entstanden ist. Das `Izbet Sartha Ostrakon (Abbildung 13) bezeugt die frühe Alphabetschrift (=protosinaitische oder protokanaanäische Schrift). Sie hat sich sehr bald noch etwas weiter vereinfacht und sich dann etwa im 12. Jahrhundert vor Christus in ihrer Form verfestigt. In dieser Form blieb sie mit wenigen Änderungen etwa bis zum 6. Jahrhundert vor Christus; erst nach dem Exil haben die Hebräer eine neue Schrift angenommen, die aber auf dieser alten aufbaut. Letztere ist im ganzen kanaanäischen Raum schon vor der Zeit, als die Israeliten ins Land kamen, bekannt gewesen. Außerdem war diese Schrift auch schon in Ägypten bekannt.
Leichte Erlernbarkeit Mose wusste, wohin er das Volk führen sollte, und hat sicherlich diese frühe Alphabetschrift für seine fünf Bücher gewählt, allein schon aus dem Gedanken, dass diese Schrift die eigentliche Schrift des Landes Kanaan war, also weder die Keilschrift noch die Hieroglyphenschrift, sondern die revolutionär einfache Alphabetschrift. Außerdem war sie einfach zu handhaben, praktisch unabhängig vom Material, konnte leicht und schnell erlernt werden und war selbst bei ungeübter Hand immer noch lesbar. Eins der am weitverbreitetsten Schreibmaterialien im kanaanäischen Raum waren Tonscherben. Unter ihnen fand man auch solche mit Schreibübungen. Auf einer besteht die untere Zeile aus dem protokanaanäischen Alphabet, und zwar schon in einer etwas vereinfachten Form. Auch die übrigen Zeilen sind teilweise Bruchstücke aus einem Alphabet, und manche ergeben gar keinen Sinn; sie stellen also praktisch Schülerübungen dar. Das ganze Alphabet passte auf eine solche Scheibe. Zum Vergleich: die Keilschrift hat mindestens 150 Zeichen, zum Teil sehr komplexe Zeichen für den Standardbedarf, aber bis zu
1200, zum Teil mehrdeutige Zeichen für den gesamten Sprachumfang. Die Hieroglyphenschrift umfasst mindestens etwa 250 Zeichen, kann aber, um Feinheiten, Schreiberbesonderheiten und anderes mehr auszudrücken, bis zu 3000 verschiedene Zeichen haben. Die zuletzt genannten features (Merkmale) machen plausibel, warum sich diese AlphabetSchrift durchgesetzt hat. Mit ihr konnte man in der Bronzezeit zum Beispiel auch metallische Gegenstände beschriften. Man hat eine Menge Pfeilspitzen gefunden, die etwa die Größe eines Zeigefingers haben. Eine davon ist auf der Abbildung 14 zu sehen. Sie hatten ganz verschiedene Formen, wurden schon zur Zeit der Richter erstellt, wobei ihre Herstellung sehr aufwendig war, und jeder Besitzer wollte sie nach einem Kampf schnell wiederfinden. Die gezeigte Pfeil-Inschrift aus dem 12.Jahrhundert vor Christus lautet: “hes ´abdilabi´at“ = “Pfeilspitze des Abdilabiat“ (senkrecht zu lesen). Dazu passt übrigens der Hinweis in den Samuelbüchern (1. Sa. 13,19ff), dass die gesamte High-Tech der damaligen Zeit, die Eisenherstellung und der Eisenverkauf, von den Philistern an der Küste betrieben wurde. Auch Pfeilspitzen aus Bronze waren also besonders wertvolle “High-Tech“-Produkte. Darum hat man sie auch beschriftet. Pfeilspitzen mit Hieroglyphenoder Keilschrift hätten nur von besonders geschulten Schreibern gelesen werden können - und welcher Schreiber wäre schon gerne auf dem Schlachtfeld umhergerannt, um mühsam die winzigen Hieroglyphen auf einer Pfeilspitze zu entziffern? Die Alphabetschrift dagegen konnte jeder erlernen und schreiben.
Öffentlicher Gebrauch Etwa aus der Zeit Salomos, also nur knapp 200 Jahre später, hat man diese Schülerübung gefunden (Abbildung 15). Da werden die Monate des Jahres aufgezählt; es heißt am Anfang jeweils “jarach ...“ (Monat) - “ein Monat Flachsschnitt”, “ein Monat Gerstenernte” und “ein Monat Getreideernte und Abmessen”. Die Alphabetschrift hatte also das ganze öffentliche Leben in Kanaan erfasst. Das bezeugen noch weitere Funde, zum Beispiel auch Tonscherben, auf denen der Empfang eines Schlauches besonders rein gepressten Olivenöls quittiert wird. Dieser Fund stammt aus der Palastregistratur in Samaria. Tonkrüge zerbrechen leicht, und außerdem mussten nach den jüdischen Vorschriften kultisch verunreinigte Tonkrüge zertrümmert werden. Die Scherben konnte man leicht zur Beschriftung nutzen. Mit ihnen hat man Kurznotizen festgehalten. Man kann sich das so vorstellen: Leute bringen ihre Abgaben für den Tempel oder für den König zum Palast. Dort steht ein Mann bereit und schreibt den Wareneingang kurz auf eine Tonscherbe. Abends nimmt er den Sack voll Tonscherben und geht damit zu einem Schreiber, der dann noch einmal alles sauber auf einen Papyrus abschreibt. Diese Tonscherben waren also nur kurze Zeit in Gebrauch. Später wurden die Tonscherben zum Pflastern eines Hofes oder als Füllschutt benutzt. Das zeigt, dass die Alphabetisierungsrate im Land sehr hoch war. Nicht nur solche Quittungen, auch andere Inschriften zeigen, dass die Israeliten eine besonders Vorliebe zur Schrift, zum Schreiben und Lesen hatten. So ist zum Beispiel die Anzahl der Siegel, die für alle Urkunden und Kaufverträge notwendig waren, nicht nur unter angesehenen Leuten mit Titeln besonders hoch, sondern auch unter den einfachen Bürgern. Herr Jedermann in Israel
konnte nicht nur Siegel mit seinem Namen anfertigen, sondern auch Gegenstände wie Besteck, Becher, Weinkrüge und anderes mehr beschriften. In der Bibel lesen wir von großen Wasservorkommen bei Gibeon (1. Sam. 2, 13; Jer. 41,12). Bei Ausgrabungen hat man bei Gibeon viele Wasser- und Weinkrüge entdeckt. Der Wein wurde in Krüge abgefüllt, von denen nur noch die Henkel erhalten sind, nach dem Herkunftsort etikettiert. Abbildung 16 zeigt eine solche Kruginschrift. Insgesamt hat man 62 beschriftete Krughenkel aus dem 7. Jahrhundert vor Christus in Gibeon gefunden, die im Wesentlichen die 2 Typen von Aufschriften haben: “Gibeon-Distrikt: von Amarjahu” oder “Gibeon-Distrikt: von Ezerjahu”. Manche dieser Kruginschriften zeigen auch Schreibfehler, so etwa die Verwechslung von d und r oder ein spiegelbildlich verkehrter Buchstabe. Die hier ihre Namen eingeritzt haben, waren also keine berufsmäßig ausgebildeten Schreiber, sondern haben Lesen und Schreiben vielleicht in einer Art Schule gelernt und dann so geschrieben, wie sie es für angemessen hielten. Außerdem haben sie die Namen eingeritzt, nachdem die Krüge gebrannt worden waren, und nicht, wie es bei einem königlichen Auftrag zu erwarten wäre, vorher. Auch der König hat seine Weinkrüge sämtlich beschriftet, was natürlich nur Sinn ergibt, wenn es auch viele lesen können und wissen: “Aha, das gehört ins Königshaus” - , allerdings vor dem Brennen: er hat also sozusagen eine hohe Auflage solcher Krüge in Auftrag gegeben. Die Alphabetisierung war im Land also ziemlich weit fortgeschritten. Ein relativ hoher Prozentsatz der Bevölkerung konnte schreiben und lesen. Aber wie sieht es denn nun mit den Bibelhandschriften aus?
Biblische Einflüsse Während die ältesten Funde von Bibelteilen aus dem 7. - 8. Jahrhundert vor Christus stammen (vorexilisch) - ältere haben leider nicht überlebt - , können wir jedoch einen frühen Einfluss der Bibel nachweisen: Von den etwa 1200 hebräischen Personennamen (PN) sind in den vielen gefundenen Inschriften und Siegeln nur etwa 5-6% mit Gottesnamen heidnischer Herkunft belegt (zum Beispiel Ischbaal, Meribbaal oder Paschchur). Die übrigen sind größtenteils mit dem aus dem Alten Testament bekannten Gottesnamen Jahwe gebildet worden. Die Bildung solcher PN fing übrigens nach der Bibel erst etwa mit dem Auszug der Israeliten aus Ägypten an; vorher hat man seinen Kindern noch keine PN gegeben, in denen der Gottesname des Gottes Jahwe vergeben wurde. Beispiele solcher Namen sind Jirmiyahu, Josaphat, Jochanan, Ahazjahu. Es gibt auch PN, die nicht im Alten Testament vorkommen. Einige dieser PN können nur erklärt werden, wenn das AT bereits bekannt war und die Leute dieses gelesen haben; auch kommen diese Namen nicht im Kontext heidnischer Gottheiten vor. Das bezeugt etwa der Name “Dalatyahu“ (Abbildung 17). Er heißt übersetzt: “Du hast mich emporgezogen, Jahweh”. Dieser Vers steht in einem Psalm: “Ich will dich erheben, Jahwe, denn du hast mich emporgezogen ...“ (Ps. 30, 2). Diesen Namenstyp gibt es im ganzen Alten Orient nicht, aber in Israel hat man solche Namenstypen gefunden. Auch den Namen “Yachmolyahu“, übersetzt “Jahweh hat Mitleid”. Das führt zurück auf den Satz: “Und der HERR eiferte für sein Land, und er hatte Mitleid mit seinem Volk“ (Joel 2,18).
Als drittes Beispiel soll ein weiblicher Name gelten, der auf einem Siegel steht. Es gibt nur sehr wenige Siegel von moabitischen, ammonitischen oder Frauen aus den Nachbarländern Israels. Hier ist ein jüdisches Siegel mit dem Namen “Immadiyahu“, der Tochter des “Azaryahu“ (Abbildung 18). “Immadiyahu“(= “Yahweh ist mit mir“) ist ein ähnlicher Name wie “Immanuel“ (=“Gott ist mit uns“). Das leitet sich von der Ankündigung ab: “Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und wird seinen Namen Immanuel heißen“ (Jes. 7, 14). In diesen PN zeigt sich also eine traditionelle Verehrung Gottes. Denn wir wissen aus der Bibel ja auch, wie oft die Leute ihre Götzen angebetet haben. Solche “yahwistischen“ PN finden sich auch in den Grußformeln der präexilischen althebräischen Briefe (7. Jahrhundert vor Christus). In Lachisch beginnen sieben Briefe so oder ähnlich: “Es möge hören lassen Jahwe meinen Herrn jetzt und heute Nachrichten des Guten....“. Oder eine andere Inschrift heißt: “An meinen Herrn, Elyaschib: Jahwe sehe nach deinem Wohlergehen.“ Solche Briefe zeigen doch, dass nicht nur der wahre Gott des Alten Testamentes, der sich den Israeliten mit seinem Namen Jahwe kundgetan hatte, im öffentlichen Leben eine große Rolle spielte, sondern dass dieses Volk als ein Volk gelten muss, das Sprache, Schrift, Redewendungen und Begriffe aus dem AT übernommen hat. Man kann auch sagen: Manche Namen und Redewendungen des AT haben sich verselbständigt; man findet sie sogar auf Schülerübungen, um die Briefe in der rechten Weise schreiben zu können. Eine schöne Scherbe mit Alphabetübungen aus dem 8. Jahrhundert vor Christus ist die in Abbildung 19 gezeigte. Den oberen Teil hat der Lehrer, den unteren der Schüler geschrieben. Das Eigenartige an diesem Alphabet ist, dass seine Reihenfolge an einer Stelle anders ist. Hier kommt nämlich p vor o. Diesen Umtausch kannte man bisher nur aus den Klageliedern 2, 16; 3, 46. 48 und noch aus anderen Stellen. Da ist das Alphabet enthalten, und zwar beginnt jeder Vers mit einem anderen Buchstaben des Alphabets. Aber auch da sind o und p vertauscht. Während die einen behaupteten, es sei falsch überliefert, und andere einen Redaktor verantwortlich machten, findet man nun auf einmal diese Tonscherben. Damit sind die oben genannten Theorien hinfällig geworden. Offenkundig gab es eine bestimmte Zeit oder Gegend in Israel, in der das o mit dem p vertauscht wurde. Auch Weihinschriften auf Steintöpfen zeigen den Einfluss der Bibel. Da stehen Segenswünsche drauf wie “Möge Jahwe dich segnen”. Eine andere Inschrift auf einem Steintopf lautet: “Von Obadyahu, dem Sohn Adnahs: Möge er von Jahwe gesegnet sein!“
Einfluss auf die Bibel Die bisher betrachteten Inschriften haben gezeigt, wie die Bibel das öffentliche Leben in Israel beeinflusst hat, wenn vielleicht auch nur traditionell oder formell. Aber auch umgekehrt geschah ein Einfluss damaliger Inschriften auf die Bibel, so dass diese die Kultur der damaligen Zeit widerspiegelt. Wenn nämlich die Bibel schon teilweise in vorexilischer Zeit geschrieben worden sein muss, dann muss das auch an ihrer Sprache ablesbar sein, also an der Art und Weise, wie Sätze formuliert wurden. Jeder von uns kennt sicherlich die Redewendung “vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobt der Name des Herrn” (Ps. 113, 3). Diese Redewendung - nämlich “vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang” als eine Bezeichnung der ganzen Erde - ist nichts Neues, sondern war schon in den Inschriften des 9. Jahrhunderts vor Christus geläufig. Dass wir diese Redewendung noch heute haben,
zeigt aber, wie im AT uralte Redewendungen korrekt aufgezeichnet und wiedergegeben wurden. Zu einem solchen Vergleich benötigen wir also Inschriften aus der Frühzeit Israels. Dazu bieten sich besonders die phönizischen Inschriften aus dem 10. - 8. Jahrhundert vor Christus . an. Die folgenden kanaanäischen, genauer phönizischen Inschriften zeigen, dass viele biblische Redewendungen uralt sind und seit jeher im Nahen Osten beheimatet waren.
Die Kilamuwa-Inschrift Die Kilamuwa-Inschrift aus dem 8. Jahrhundert vor Christus. (Abbildung 20) zeigt eine erstaunliche Parallelität zu biblischer Geschichte auf. Die Inschrift wurde 1902 in Nordsyrien entdeckt und steht heute in Berlin; sie hat 16 Zeilen, unterteilt in zwei Achtzeiler. Links oben steht König Kilamuwa, in assyrischer Königskleidung, der König des Königreichs von Yaudi in Nordsyrien. Er verweist auf vier Symbole am oberen Rand der Inschrift, nämlich auf 1. einen gehörnten Helm, 2. einen Bogen, 3. eine geflügelte Darstellung der Sonne und 4. einen Halbmond. Die Inschrift wurde in einem besonderen literarischen Stil verfasst, der damals in Kanaan üblich war. Die verwendeten Stilmittel sind AT-Lesern geläufig, besonders solchen, die eine wörtliche Übersetzung benutzen. Ihr Inhalt lautet wie folgt: 1 Ich bin Kilamuwa, der Sohn des Hayya 2 Gabbar war König über Yaudi, aber er tat nichts; 3 es gab auch Bamah, und er tat nichts, und es gab auch meinen Vater Hayya, und er tat nichts, und es gab meinen Bruder 4 Saul, und er tat nichts. Aber ich, Kilamuwa, der Sohn Hayyas - was ich tat, 5 taten diejenigen, die vor mir waren, nicht. Das Haus meines Vaters war inmitten mächtiger Könige. 6 Und jeder streckte seine Hand aus zum Kämpfen, aber ich war in der Hand der Könige wie ein Feuer, das verzehrt 7 den Bart und wie ein Feuer, das die Hand verzehrt. Und der König der Danunäer überwältigte mich, 8
aber ich mietete gegen ihn den Kö nig von Assyrien; da wurde eine Jungfrau für ein Schaf gegeben und ein Mann für ein Gewand. 9 Ich bin Kilamuwa, der Sohn des Hayya, ich habe mich auf den Thron meines Vaters gesetzt. Diese Redewendungen vergleichen wir mit biblischen Berichten: Der Königssohn Mephiboseth aus dem Haus Sauls sagte zu David: “Denn das ganze Haus meines Vaters war nichts anderes als Männer des Todes vor meinem Herrn“ (2. Sam. 19, 28).
Oder David rief Abisai zu: Verderbe ihn nicht! Denn wer streckte seine Hand gegen den Gesalbten Jahwes aus und bliebe schuldlos?“ (1. Sam. 26, 9). Mose schärfte seinem Volk ein: “Denn Jahwe, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer, ein eifersüchtiger Gott!“ (5. Mose 4, 23). Mehrere Berichte geben über die Kriegstaktik von Ahas Auskunft, als der König des Nordreiches, Pekach, und der König von Syrien Jerusalem belagerten: “Da sandte Ahas Boten an Tiglath-Pileser, den König von Assyrien, und ließ ihm sagen: Ich bin dein Knecht und dein Sohn; komm herauf und rette mich aus der Hand des Königs von Syrien und aus der Hand des Königs von Israel, die sich wider mich erhoben haben“ (2. Kön.16, 7). Ahas hat also genau dasselbe wie jener Kilamuwa getan, nämlich einfach eine fremde Macht gemietet. Die Assyrer waren damals die stärkste Militärmacht, ähnlich den heutigen USA, und man konnte sie mieten, allerdings nicht ganz billig. Diese Supermacht hat Jesaja als ein “gemietetes Schermesser“ bezeichnet (Jes. 7, 20). Dabei sagte er Ahas voraus, dass dieser sich mit diesem Schermesser selbst rasieren (das heißt verletzen) werde. Auch die Redewendung “Ich habe mich auf den Thron meines Vaters gesetzt“ kommt in der Bibel vor, nämlich als Antwort Salomos an Batseba: “Und nun, so wahr Jahwe lebt, der mich befestigt hat und mich hat sitzen lassen auf dem Thron meines Vaters David und der mir ein Haus gemacht, so wie er geredet hat ...“ (1.Kön. 2, 24).
Die Azatiwada-Inschrift Die Azatiwada-Inschrift gibt ebenfalls Aufschluss über die Redewendungen im Altertum (Abbildung 21). Sie wurde 1947 bei Ausgrabungen der Universität Istanbul gefunden. Dort, wo die Stadttore gestanden hatten, wurden verschiedene Monumental-Inschriften gefunden, darunter die hier vorgestellte Inschrift in Phönizisch, die gegen Ende des 8. Jahrhunderts vor Christus aufgerichtet wurde und aus drei Orthostaten A-C und einem beschrifteten Löwen besteht. Zu Beginn berichtet Azatiwada aus seinem Leben, danach weist er auf all das Gute hin, das er für sein Volk getan hat, auf Feldzüge, Bauvorhaben und anderes mehr. Die Inschrift lautet: 1 Ich bin Azatiwada, der Abarakku des Baal, der Diener 2 Baals, den Urikku, der König der Danunäer, mächtig machte. 3 Baal machte mich den Danunäern zum Vater und zur Mutter. 4 Ich erweiterte das Land der Ebene Adana vom Aufgang der Sonne 5 bis zu ihrem Niedergang. Und in meinen Tagen hatten die Danunäer alles Gute 6
und Sättigung und Wohlfahrt. Und ich füllte die Kornspeicher von Pahar. Und ich
7 8 9 10
fügte Pferd auf Pferd, Schild auf Schild, Heer auf Heer, durch die Gnade Baals und der Götter. ..... Ich handelte freundlich mit den Nachkommen (wörtlich: “der Wurzel“) meines Herrn
11 12 13 14
und ich ließ ihn auf dem Thron seines Vaters sitzen ..... ... Und ich baute starke Befestigungen in allen entfernten Gegenden an den Grenzen, überall dort, wo
15 16
böse Leute waren ... ... Aber ich, Azatiwada, legte sie unter meine Füße
Einige Redewendungen sind Bibellesern bekannt, nämlich: “Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang ...“ (Ps. 50, 1); oder “... der Wurzelspross Isais, nach ihm werden die Völker fragen“ (Jes. 11,10); oder “ Er hat mich sitzen lassen auf dem Thron meines Vaters David“ (1.Kön.2, 24); oder “... bis Jahwe sie unter seine Fußsohlen legte“ (1. Kön. 5, 17 / Ps. 8, 7 / Mal. 4, 3). Alles das sind gängige Begriffe und Redewendungen im Alten Orient. Wenn man noch mehr Funde macht, werden noch mehr solcher Dinge ans Licht kommen, die davon reden, wie selbstverständlich die Welt des Alten Testamentes gewesen ist. Auf einem weiteren Orthostat (Abbildung 22) spricht Azatiwada einen Fluch über alle aus, die seine Stadt und die Stadttore zerstören. Die Inschrift lautet (Umschrift und Übersetzung): 3 ... möge Baal(-Kirnatrysch) 4 Azatiwada segnen mit Leben und Frieden 5 und alle Götter der Stadt mögen Azatiwada Länge der Tage und zahlreiche Jahre geben. 12 Wenn aber ein König unter Königen oder ein Prinz unter Prinzen, oder 13 irgendein Mann, der Mensch heißt, den Namen Azatiwadas auslöscht von diesem 14 15 16
Tor und seinen eigenen Namen einsetzt oder mehr als das begehrt und dieses Tor niederreißt, das gemacht hat Azatiwada, und ein anderes stattdessen anfertigt...
... dann werde ihm Schlimmes passieren. Azatiwada warnt also abschließend davor, die Inschrift auszukratzen. Auch in dieser Inschrift finden wir Redewendungen, die dem Bibelleser vertraut sein dürften. Begriffe wie “Länge der Tage“, “Jahre des Lebens und Friedens“ stehen zum Beispiel in Sprüche 3,2 oder “Ich will meinen Namen einsetzen ewiglich“ in 1. Kön. 21, 7.
Überlieferungsspuren des Alten Testamentes Es folgen einige Funde, welche die hohe Schreibkultur des damaligen Orients bestätigen. Zum Beispiel waren im Volk Amulette oder Gebetsriemen verbreitet, von denen man in einem Grab in der Nähe Jerusalems eines gefunden hat (Abbildung 23). Nachdem dieses Silber-Amulett 1980 entdeckt worden war, nahm man sich zweieinhalb Jahre Zeit, um es zu öffnen; Experten aus aller Welt haben das Israel-Museum dabei beraten, wie diese Rolle am besten geöffnet werden kann, ohne ihren Inhalt zu beschädigen. Es wurde zuerst in einer speziellen Alkali-Salzlauge gereinigt, um das korrodierte Silber abzulösen. Dann wurde die äußere Schicht in einer Emulsion aus Acryllack gebadet, so dass sie sowohl konserviert wurde als auch nach dem Erhärten elastisch blieb. Nun konnte das Amulett aufgerollt werden: zuerst die äußere Schicht, dann alle weiteren Schichten. Die ausgerollte Länge der Rolle beträgt insgesamt knapp 10 cm. Es ist die “Knetef Hinnom“-Silberrolle (Priestersegen) aus dem Jahre ca. 580 vor Christus. Der Text stimmt vollständig mit dem masoretischen Text überein: “Es segne dich Jahwe und behüte dich ! Es lasse Jahwe sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Es erhebe Jahwe sein Angesicht über dich und setze dir Frieden!“ (4. Mose 6, 24 - 26). Ob das eine Art
Amulett war oder eher ein Gebetsriemen, darüber gehen die Ansichten der Gelehrten auseinander. Für diesen Segen wird die genaue Befolgung des Gesetzes auf Gebetsriemen angemahnt: “Diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen auf deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzest, und wenn du auf dem Wege gehst, und wenn du dich niederlegst, und wenn du aufstehst. Und du sollst sie zum Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen zu Stirnbändern sein zwischen deinen Augen; und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben“ (5. Mose 6, 6 - 8). Man hat diese Gebetsriemen immer weiter miniaturisiert, vor allem in der nachexilischen Zeit. Denn manche Könige haben den Juden verboten, diese “Tefillin“ zu tragen oder dafür Steuern verlangt. Da haben sie die Gebetsriemen so klein gemacht, dass man sie nicht mehr sehen konnte. Manche bestehen aus einer Fläche von nur 2 x 2 Zentimetern und tragen in Miniaturschrift fast ein ganzes Kapitel. Als dann schließlich in der Nachkriegszeit Qumran entdeckt wurde, kam eine Fülle von Bibelhandschriften zutage, die belegten, dass es eine bestimmte, verbindliche Bibeltradition gab, die den als ursprünglich geltenden Text wiedergab. Daneben fand man auch verschiedene Bibelhandschriften, die mit den Zeitbedürfnissen angepasster Rechtschreibung versehen waren und in der schwierige Stellen “geglättet“ worden sind. Vergleichbar ist das mit unserer heutigen Situation, in der wir einerseits sehr wörtliche, wenn auch holprige Übersetzungen besitzen (etwa die alte Elberfelder Übersetzung), andererseits “geglättete“ Übersetzungen, in denen schwierige Stellen so übersetzt werden, als seien sie nie schwierig gewesen (wie etwa die Übertragung “Hoffnung für alle“). Der “Jerusalem Central Text“, wie ihn einige israelische Forscher nennen, ist der Text, den später die Masoreten bis in unsere Zeit hin überliefert haben. Dort in Qumran fand man solche Handschriften des “Jerusalem Central Text“, die von heute aus gesehen 2200 Jahre alt sind, also 500 Jahre jünger als dieser Silberstreifen. Sie stellen die ersten Handschriften dar, die wir aus dem Altertum haben. Vor wenigen Jahren wurden übrigens auch die Ausgrabungen in Masada abgeschlossen; die Bibelhandschriften, die man dort gefunden hat, gehören überwiegend dem “Jerusalem Central Text” an, also dem genauen Normtext der Juden. Untersuchungen an der Orthographie dieser Masadaschrift im Vergleich mit der Orthographie der Knetef-Hinnom Silberrolle und anderen Inschriften aus der frühen Zeit zeigen, dass um etwa 400 vor Christus also in der Zeit des Schriftgelehrten Esras, die Bücher des AT aus der Zeit vor dem Exil orthographisch überarbeitet bzw. angepasst wurden und von da an praktisch nur noch kopiert wurden. Nur die bereits erwähnten vereinfachten Bibelausgaben, von denen man in Qumran auch Kopien gefunden hat, sind nach der Zeit Esras nochmals orthographisch überarbeitet und an einigen Stellen vereinfacht worden. Die Jesaja-Rolle 1QIsab geht auf eine solche Kopie aus der Zeit Esras zurück. Ein Fragment von ihr enthält den Aufruf: “Hört doch auf mich und esst das Gute, und eure Seele labe sich am Fetten! Neigt euer Ohr und kommt zu mir! Hört, und eure Seele wird leben! Und ich will einen ewigen Bund mit euch schließen, getreu den unverbrüchlichen Gnadenerweisen an David“ (Jes. 55, 2 - 5). Die Abbildung 24 zeigt den 1200 Jahre späteren Kronzeugen der heutigen hebräischen Bibelausgabe, der von der hebräischen Universität in Jerusalem vorbereitet wird: Den Codex Aleppo, der von 1478 bis 1947 in der Mustaribah Synagoge in Aleppo aufbewahrt wurde. Im Verlauf der militanten Aufstände gegen die jüdische Bevölkerung brach 1947 in dieser
Synagoge ein Feuer aus, und der Codex wurde schwer beschädigt. Aber die Teile, die erhalten sind, etwa der Prophet Jesaja oder Jeremia, zeigen ihre hohe Überlieferungstreue und wortwörtliche Übereinstimmung mit dem Text aus Qumran. Was geändert wurde, ist erstens die Schrift - sie hat sich noch etwas an den aramäischen Schreibstil angepasst - , und zweitens die Vokale. Denn alle hebräischen Texte bestehen eigentlich nur aus Konsonanten; die Vokale (im Wesentlichen a,e,i,o,u) haben die Hebräer im Sinne einer Datenreduktion gar nicht erst mitgeschrieben, da sowieso jeder wusste, wie ein Wort auszusprechen war, wenn das Konsonantengerüst dastand. Nur an schwierigen Stellen hat man Fußnoten hinzugefügt. Erst die Masoreten haben, um auch den letzten Zweifel an der Deutung des Textes auszuschließen, etwa nach dem 3. Jahrhundert vor Christus begonnen, den hebräischen Text mit Vokalen zu versehen. Sie haben auch unter die Konsonanten (um diese unberührt zu lassen) Interpunktionszeichen wie Kommata, Semikolon, Punkte und Betonungszeichen gesetzt. Darüber hinaus haben sie schwierige Worte vermerkt und die Worte oder Buchstaben gezählt. Dazu sei ein anekdotenhaftes Beispiel gebracht, nämlich die harschen Worte des assyrischen Obermundschenks (Rabschake), eines engen Vertrauten des assyrischen Königs. Gegen Ende des 8. Jahrhundert vor Christus war das gewaltige assyrische Reich zu seiner vollen Größe aufgestiegen, und hatte auch Feldzüge gegen Israel, Juda und seine Nachbarstaaten unternommen. Dabei wurde Juda weitgehend verschont mit der Auflage, jährlich soundsoviele Tonnen an Silber und Gold abzuliefern. Verständlicherweise versuchte nun der jüdische König Hiskia, aus dieser eisernen Zange zu entkommen und verbündete sich mit Ägypten gegen die assyrische Unterdrückung. Der assyrische König merkte das aber recht bald, unternahm einen Feldzug gegen Juda, schnitt dem heranrückenden ägyptischen Heer den Weg ab und stand nun vor den Toren Jerusalems. Auf der Stadtmauer saßen viele der Jerusalemer Bürger, um nun der KapitulationsAufforderung des assyrischen Befehlshabers zu lauschen. Den hohen jüdischen Beamten war aber peinlich, dass der assyrische Gesandte so gut Hebräisch konnte und ihn alle Bürger der Stadt verstehen konnten. So forderte er ihn auf, doch lieber Aramäisch zu wählen, die internationale Diplomatensprache der damaligen Zeit, die nur die hohen Regierungsbeamten verstanden. Darauf antwortete der Rabschake ihnen: “Hat mein Herr (ass. König) mich zu deinem Herrn (jüd. König Hiskia) und zu dir gesandt, um diese Worte zu reden? Nicht zu den Männern, die auf der Mauer sitzen, um mit euch ihren Kot (Qere: ihren Abfall) zu essen und ihren Urin (Qere: das Wasser ihrer Beine) zu trinken?“ (Jes. 36, 12). Mit anderen Worten: Der assyrische Gesandte wollte, dass jedermann mitbekam, worum es ging. Wenn der jüdische König Hiskia sich nämlich nicht freiwillig dem assyrischen Heer unterwerfe, werde er die Stadt solange belagern, bis die einfachen Leute in ihrer Verzweiflung Kot essen und Urin trinken. Diese harten und wenig höflichen Worte haben nun die Masoreten - die Schreiber des hebräischen Textes in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten - etwas gemildert. Sie haben an der Stelle, wo der hebräische Text die besagten vulgären Ausdrücke enthält, zwei Randnotizen gemacht und darauf hingewiesen, dass man hier nicht “Kot” und “Urin” lesen solle, sondern “Abfall” und “Wasser der Beine”. Sie ließen aber den urprünglichen hebräischen Text unberührt stehen. Dieser ursprüngliche hebräische Text steht aber genauso in den Schriftrollen von Qumran, ist also über 1000 Jahre unverändert geblieben; ja selbst, als man meinte, ihn etwas glätten zu müssen (was man nur an einigen wenigen pikanten Stellen wie dieser hier getan hat), hat man noch den ursprünglichen, uralten Text stehen gelassen und den neuen beziehungsweise geänderten Text praktisch nur am Rande vermerkt.
Fazit Somit bleibt das AT ein bis in unsere Zeit äußerst glaubwürdig und sorgfältig überliefertes Dokument, und zwar von den ältesten Büchern, die Mose etwa um 1500 vor Christus niedergeschrieben hat, bis zu den Büchern Maleachi, Daniel-Esra-Nehemia-Chronika, die etwa im 5. Jahrhundert vor Christus verfasst wurden. Das gilt auch, wenn wir leider aus der Zeit Mose oder aus der Zeit der Propheten selbst keine Manuskripte haben: Aber wir haben gesehen: 1) Die Israeliten hatten von Anfang ihrer Geschichte an eine äußerst niedrige Analphabetenrate, ohne Beispiel im Alten Orient, begünstigt durch die Erfindung der phänomenal einfachen Alphabetschrift. 2) Schon vor dem babylonischen Exil, also vor 600 vor Christus, muss die Bibel und ihr Inhalt bekannt gewesen sein, sonst hätte man sich nicht solche Personennamen ausgedacht und auch nicht kleine Bibelröllchen an Hand und Stirn gebunden oder ins Grab gelegt oder solche Briefköpfe geschrieben. 3) Die Überlieferung der ältesten Manuskripte von Qumran, ungefähr 200 vor Christus, bis ins Mittelalter, ungefähr 1000 nach Christus, verlief praktisch ohne Fehler. Die Bibel, die wir heute haben, ist ohnehin eine exakte Reproduktion des Textes, der um 1000 nach Christus vorlag. Somit können wir 2200 Jahre Bibelüberlieferung überschauen. Anhand der KetefHinnom Silberrolle mit dem Priestersegen können wir sogar, wenn wir wollen, 2600 Jahre Bibelüberlieferung überschauen - ohne Veränderung. 4) Das alles geschah trotz des babylonischen Exils, trotz der Eroberung Jerusalems durch die Römer und des Endes des jüdischen Staatswesens von 70 nach Christus bis 1948, als die Juden trotz des Holocausts wieder einen nationalen Staat gründen konnten. Das ist in der Weltgeschichte ohne Beispiel; selbst die nordamerkanischen Indianer sind nicht wie die Juden in aller Herren Länder zerstreut worden, aber haben trotzdem keinen eigenen Staat. Somit besteht kein Zweifel daran, dass die Heiligen Schriften des Alten Testamentes wortgetreu von Mose und den Propheten an bis in unsere Zeit überliefert wurden. Die Bibel ist Menschenwort - und zugleich Gotteswort. Meinen Sie etwa, die Juden hätten die Bibel allein aus nationalem Interesse so genau überliefert? Wo doch in dieser Bibel selbst zum Beispiel geweissagt wurde, dass die Juden selbst in aller Herren Länder zerstreut werden? Nein, hier liegt ein unerklärliches Phänomen vor, das nur mit der jüdischen und christlichen Überzeugung einer übernatürlichen Eingebung dieses Wortes, eines Verschmelzens des Wortes Gottes und der Worte der Propheten, erklärt werden kann. Ich lade Sie ein, dieses uralte, bis auf unsere Zeit bewahrte Wort zu lesen und es als Gottes Wort auf Ihr Leben anzuwenden. Denn was für die Form dieses Wortes gilt, gilt umso mehr für den Inhalt: Es ist Gottes Wort, “wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt” (Jer. 23, 29). Dieses Wort, das letzten Endes aus Gottes Mund hervorgegangen ist, wird nicht leer dorthin zurückkehren, wie der Prophet Jesaja schon vor 2700 Jahren gesagt hat (Jes. 55, 11). Gottes Prophezeiungen werden zustande kommen, und sein Angebot der Errettung gilt allen Menschen, damals wie heute.
DAS FUNDAMENT 4/2002