Vorsicht! Frisch gestrichen Nancy Warren
Tiffany 978
2/1 2002
gescannt von suzi_kay korrigiert von Dodoree
1. KAP...
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Vorsicht! Frisch gestrichen Nancy Warren
Tiffany 978
2/1 2002
gescannt von suzi_kay korrigiert von Dodoree
1. KAPITEL
"Du hast Angst vor Nähe, Laura."
Laura Kincaide verdrehte die Augen. "Stan, ich brauche Möbelwachs,
keinen Vortrag über meine gestörte Psyche." Als ob Stan Stukowksky
der seit dreißig Jahren verheiratet war, auch nur eine Ahnung davon
hätte, was es hieß, heutzutage Single zu sein.
Stan schüttelte den kahlen Kopf und begann die mit Dosen und Tuben
voll gestopften Regale zu durchsuchen. "Wie lange hast du es mit
deinem letzten Typ - wie hieß er doch noch gleich? - ausgehalten?"
"Peter? Ich habe mich etwa drei Monate mit ihm getroffen." Laura
trommelte mit den Fingerspitzen auf Stans Arbeitstisch. "Hör mal, ich
bin nur vorbeigekommen, um das Wachs zu holen. Ich habe keine Zeit
zum Plaudern. Ich möchte die Wohnung der Gibsons heute noch
beenden."
"Drei volle Monate!" spottete Stan und bückte sich, um die unteren
Regale zu durchsuchen.
Laura hütete sich, auf Stans Bemerkung einzugehen.
"Und wie lange warst du mit dem Typ davor zusammen?"
"Zwölf Wochen."
"Und mit dem davor?"
Laura starrte auf Stans Rücken. Wenn er nicht der beste Lieferant
wäre, den sie kannte, würde sie sich das nicht bieten lassen. "Ein
Vierteljahr."
"Egal, wie du es ausdrückst, Liebes, es sind trotzdem nur drei Monate.
Walnuss oder Kiefer?"
"Was?"
"Das Möbelwachs, wofür brauchst du es?" Stan erhob sich, zwei
Dosen in den Händen.
"Oh." Laura musste erst nachdenken. "Der Schlafzimmerschrank ist
aus Walnuss, und nachdem ich die alten Farbschichten entfernt habe,
möchte ich ihm jetzt wieder ein bisschen Glanz verleihen.",
Er nickte und reichte ihr das entsprechende Wachs. "Und was hast du
vor, wenn die Gibson-Wohnung fertig ist?"
Sie bewegte ihre schmerzenden Schultern. "Dann mache ich Urlaub."
"Und wieso hast du mit diesem Peter Schluss gemacht?"
Verflixt, jetzt fing er schon wieder damit an! "Woher willst du wissen, dass ich Schluss gemacht habe? Vielleicht hat er sich ja von mir getrennt." Stan schnaubte nur. Laura seufzte und bemühte sich, nicht zu defensiv zu wirken. "Er kaute an seinen Nägeln." Stan nickte, als hätte er eine solche Antwort schon erwartet. "Du gibst also einen netten Mann mit einer gut gehenden Anwaltspraxis auf, nur weil er an den Nägeln kaut? Und da wagst du es, zu behaupten, du hättest keine Angst vor Nähe?" "Ich glaube kaum, dass du dir ein Urteil darüber erlauben kannst, Stan. Als du dein letztes Date hattest, waren die Beatles noch zusammen, und die meisten dieser Sachen ...", sie deutete auf das Sammelsurium alter Möbel, die seine Werkstatt wie einen Trödelmarkt aussehen ließen, "... waren noch brandneu. Glaub mir, die Zeiten haben sich seitdem geändert." "Du wirst also schon wieder allein in den Urlaub fahren?" Aus dem Laden von "Vintage Restoration", in dem Stans Frau Pinsel, Schablonen, Farben und Sachbücher für Heimwerker verkaufte, drangen gedämpfte Stimmen, dann ein Lachen und das Klingeln der altmodischen Ladenkasse. "Was soll ich im Urlaub mit einem Mann anfangen, der an den Nägeln kaut? Wir Frauen von heute sind unabhängig. Wir brauchen keine männlichen Begleiter." "Wenn du so weitermachst, Laura, wirst du bis Weihnachten alle männlichen Singles in Seattle ausprobiert haben." Sie blickte ihn scharf an. "Willst du damit sagen, dass du mich für ein Flittchen hältst?" Stan brach in brüllendes Gelächter aus. "Wenn du öfter Sex mit diesen Männern hättest, würdest du gar nicht bemerken, dass sie an den Nägeln kauen, die falschen Filme sehen oder blöde Witze machen." Er beugte sich vor und tätschelte ihre Hand. "Den perfekten Mann wirst du sowieso nie finden. Du suchst nur Vorwände, um Nähe zu vermeiden." "Ich habe genug Sex, keine Sorge", versetzte Laura ärgerlich. "Sie Glückliche", bemerkte eine weiche, tiefe Männerstimme hinter ihr.
Laura erschrak und spürte, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie und Stan waren allein gewesen. Wie war dieser Mann so unbemerkt hereingekommen? Der Fremde hatte mit seiner sexy Stimme einen heißen Schauer in ihr hervorgerufen. Es gab nur einen Mann, der das bisher geschafft hatte. Dieser Mann hier hatte nur zwei Worte gesagt. Nein, er konnte nicht Jack sein. Langsam drehte sie sich um. "Hallo, Laura." "Jack ..." Für eine Sekunde war Laura wieder das verliebte junge Mädchen, das zu seinem Helden aufschaute. Dann registrierte sie die Veränderungen, die die Zeit bei ihm bewirkt hatte. Die Jahre hatten die Züge des jungen Mannes, den sie einst geliebt hatte, härter gemacht. Seine Augen waren noch genauso strahlend blau, wiesen nun aber einige Fältchen an den Augenwinkeln auf, und sein welliges Haar war zu einem tiefen Mittelblond nachgedunkelt. Er hatte die gleiche sportliche Figur wie früher, aber Brust und Schultern waren breiter geworden, und er trat auch selbstbewusster auf. Alles an ihm wirkte kraftvoller und reifer. Seine Lippen schienen allerdings etwas schmaler geworden zu sein, als würde er nicht mehr so viel lachen wie früher. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte, wandte Laura rasch den Blick ab. "Was tust du hier?" Ihre Stimme klang rau, ihr Herz pochte fast schmerzhaft hart gegen ihre Rippen. "Deine Großmutter bat mich, das hier für dich abzugeben. Sie sagte, du bekämst hier deine Post." Jack hielt ihr einen großen braunen Umschlag hin. "Die Dame im Laden hat mich nach hinten in die Werkstatt geschickt." Er musterte sie auf eine Art, die Laura wünschen ließ, in den Spiegel geblickt zu haben, bevor sie hergekommen war. Sie war ziemlich sicher, überall grüne Farbspritzer zu haben - auf jeden Fall sah sie welche auf ihrer Hand, die sie widerstrebend nach dem Umschlag ausstreckte. Wahrscheinlich sah sie aus, als wäre sie diejenige, die eine Restaurierung brauchte - als wäre sie genau am richtigen Platz zwischen all den alten ramponierten Teilen in Stans Werkstatt. "Warum hat sie ihn nicht einfach mit der Post geschickt?" fragte sie.
Jack zuckte mit den breiten Schultern. "Weil sie wollte, dass du ihn schnell bekommst und ich zufällig nach Seattle musste." Er lächelte. "Du weißt ja selbst, wie sparsam deine Gran ist." Laura erwiderte das Lächeln. Sie hatten so viele gemeinsame Erinnerungen. Jack kannte ihre Großmutter beinahe so gut wie sie und wusste natürlich, wie sehr sie Verschwendung hasste. Sie nahm ihm den Umschlag ab und versuchte dabei, nicht darauf zu achten, wie kräftig seine Hand aussah. Die Nägel waren kurz, aber nicht abgekaut, sondern ordentlich gefeilt. "Danke fürs Mitbringen." Sie spürte Stans forschenden Blick. Wenn er nicht so etwas wie ein zweiter Vater für Sie wäre, würde die Neugier dieses Mannes sie noch in den Wahnsinn treiben. Seufzend stellte sie die beiden einander vor. "Stan Stukowsky, Jack Thomas." Die Männer schüttelten sich die Hände und taxierten sich. Jack war einen Kopf größer als Stan, wirkte selbstbewusst und ungezwungen und strahlte eine ungemeine Energie aus. "Laura und ich sind zusammen auf Whidbey Island aufgewachsen", sagte er. "Nun, jeder Freund von ..." Sie unterbrach ihn. "Wir sind nicht ..." "Wir haben uns lange nicht mehr gesehen", fuhr Jack fort. "Laura kommt nur noch selten nach Laroche." Er sah sie an. War das Missbilligung, was sie in seinen Augen las? Dabei war er doch der Anlass gewesen, warum sie die Stadt verlassen hatte. "Es muss etwas Wichtiges sein, wenn deine Gran den Brief nicht mit der Post schicken wollte." Stan deutete auf den Umschlag. Oh, nein! Er konnte warten, bis er alt und grau wurde, bevor sie dieses Päckchen öffnete. Wie sie Gran kannte, hatte die sie vermutlich bei einer Heiratsagentur angemeldet. Laura zuckte mit den Schultern. "Es sind sicher Börsentipps. Gran hat viel Zeit zum Lesen und hält mich ständig auf dem Laufenden." "Deine Großmutter sagte, du seist sehr erfolgreich." Jack lehnte sich an die Werkbank neben Laura und war ihr nun so nah, dass sie seine Wärme spüren konnte. Sein Brustkorb war jetzt fast auf ihrer Augenhöhe, und das blond gelockte Haar im Ausschnitt seines offenen Jeanshemds zog ihren Blick an. Rasch zwang sie sich, woandershin zu schauen.
"Ich komme gut zurecht", antwortete sie. "Laura ist die beste Restauratorin für viktorianische Gebäude in der Branche", verkündete Stan stolz. Ihr war noch nie aufgefallen, wie viele Wachs- und Ölflecke den Fußboden bedeckten. Die Werkstatt war ein absolutes Feuerrisiko. Mit der Schuhspitze kratzte sie an einem gelben Wachsknubbel. "Ist dieser Spiegel dort ein Chippendale?" fragte Jack. Laura blickte auf. Von Football verstand Jack Thomas etwas, aber von Stilrichtungen? Sie wäre jede Wette eingegangen, dass er Chippendale für einen männlichen Stripper gehalten hätte - oder für eine DisneyFigur. Ganz sicher hätte sie nicht erwartet, dass er mit untrüglicher Sicherheit das Meisterwerk in Stans derzeitiger Sammlung erkennen würde. "Wir können seine Echtheit nicht bestätigen", sagte Stan und ging zu dem Marmortisch, auf dem der Spiegel lag, um ihn zu holen. "Ich habe ihn auf einer Auktion erstanden, um ihn zu restaurieren und zu verkaufen. Aber ich glaube, ich behalte ihn." Jack nickte und berührte den antiken Rahmen. "Er ist wundervoll." Im Spiegel sah Laura, wie er mit seinen kraftvollen Fingern so zärtlich über das zerkratzte Holz strich, als wäre es das Gesicht einer Geliebten. Sie konnte den Blick nicht von ihm lösen, und für einen Moment begegneten ihre Blicke sich im Spiegel. Laura vergaß zu atmen. Sie hatte ihre damaligen Gefühle für Jack später als mädchenhafte Vernarrtheit abgetan. Nun wünschte sie, sie würde nach all den Jahren nicht immer noch eine derartige Verbundenheit mit ihm fühlen. "Arbeiten Sie auch in der Branche?" Stans Stimme brach den Bann, und Laura atmete auf. "Ich bin Tischler", antwortete Jack und hatte den Blick immer noch auf sie gerichtet. "Hier und da habe ich ein bisschen über antike Möbel aufgeschnappt." Es folgte eine Pause. Laura erwartete, dass er fortfahren würde, über seine Arbeit zu sprechen, aber dann sagte er nur: "Nun, es war nett, dich wieder zu sehen, Laura. Schön, dass wir uns kennen gelernt haben, Stan." Er hob grüßend die Hand und schlenderte hinaus. Laura starrte ihm nach, als er hinausging. Erst jetzt merkte sie, dass sie mit ihrem ganzen Gewicht an der Werkbank lehnte, als könnte sie
sich sonst kaum noch auf den Beinen halten. Verflixt, wie kam es nur,
dass Jack noch immer eine solche Wirkung auf sie hatte?
Ihre Reaktion war Stan natürlich nicht entgangen. Vergnügt rieb er
sich die Hände und plante schon Ersatz für Peter. "Es wird dich
freuen, zu hören, dass er mich verlassen hat." Stan machte große
Augen. "Ich erinnere mich an keinen Jack, sollte ich?"
"Das war, als ich sechzehn war." Laura zuckte mit den Schultern.
"Wir sind eine Zeit lang miteinander gegangen. Dann hat er Schluss
gemacht. Es war nichts Ernstes."
Stan strahlte, als wäre ihm plötzlich ein Licht aufgegangen. "Aha!"
rief er. "So ist das also!" Und er warf triumphierend die Hände in die
Luft.
Laura rieb stöhnend ihre verkrampften Nackenmuskeln. Sie lag auf
der Couch in ihrem Wohnzimmer und war zu müde, um auch nur zu
duschen. Der Schlafzimmerschrank der Gibsons hatte jetzt zwar eine
sehr edle Patina bekommen, aber so verbissen sie auch das Wachs in
die markante Holzstruktur gerieben hatte, es war ihr trotzdem nicht
gelungen, die demütigende Szene in Stans Werkstatt zu vergessen.
Es war fast zwölf Jahre her, seit sie und Jack sich so nah gewesen
waren und mehr als einen flüchtigen Gruß im Vorübergehen
ausgetauscht hatten. Und da hatte er sie ausgerechnet in diesem
fleckigen Overall antreffen müssen, mit zerzaustem Haar und voller
Farbe, während Stan ihr sagte, sie habe nicht genügend Sex.
Es war wirklich keiner ihrer besseren Tage.
Obwohl er zugegebenermaßen etwas besser geworden war, als sie ihr
elegantes Goldrandkuvert auf den Esszimmertisch der Gibsons gelegt
hatte. Das Kuvert enthielt ihre Rechnung - die hoch genug war, um ihr
einen anständigen Urlaub zu finanzieren.
An dem dicken braunen Umschlag, den Gran Jack mitgegeben hatte,
war dagegen nichts Elegantes. Seit ihre Großmutter dazu
übergegangen war, die "Financial Times" zu lesen, hatte sie Laura
schon des Öfteren Ratschläge und ausgeschnittene Zeitungsartikel
geschickt. Und da es Laura Leid getan hätte, wenn all die Mühe
umsonst gewesen wäre, befolgte sie Grans Ratschläge sogar
gelegentlich und investierte kleinere Beträge in die Aktien, die ihre
Großmutter ihr empfahl.
Es hatte als eine Art gute Tat begonnen, doch dann stellte sich heraus, dass ihre Großmutter einen ausgezeichneten Riecher für profitable Anlagen hatte, und Laura hatte sich von ihrem Gewinn einen neuen Computer zugelegt. Während sie sich nun fragte, ob sie diesmal in Schweinehälften oder in ein weiteres Mittel gegen Impotenz investieren sollte, riss Laura den Umschlag auf. Einige zusammengeheftete Blätter und ein großes Farbfoto kamen zum Vorschein. Sie stieß einen bekümmerten kleinen Seufzer aus, als sie das heruntergekommene Gebäude auf dem Foto sah. Dies war nicht mehr ihr Traumhaus. Die einst so elegante Viktorianische Villa war nach jahrzehntelanger Vernachlässigung vollkommen verwahrlost. Der Anstrich war mit Rissen übersät und großflächig abgeblättert. Die schönen, zum Teil bunten Bleiglasfenster waren mit Brettern zugenagelt oder übermalt und blind gemacht. Teile der Simse fehlten, und Teile der schmiedeeisernen Gitter waren verschwunden. Moos überwucherte die Türmchen auf dem Dach. Man konnte fast den Modergeruch im Innern des Hauses riechen. Es tat weh, das Haus so zu sehen. Laura berührte vorsichtig das Foto und fuhr mit der Fingerspitze die Umrisse des Hauses nach. In den drei Jahren, die seit ihrem letzten Besuch in ihrer Heimatstadt Laroche auf Whidbey Island vergangen waren, war das Haus wirklich sehr verkommen. Irgendwie betrachtete Laura es immer noch als "ihr" Haus, das alte McNair-Haus, das ein so wichtiger Bestandteil ihrer Kindheit und Jugend gewesen war. Sie legte das Foto auf den Schoß und nahm die Papiere. Der Brief, der obenauf lag, war auf offiziellem Briefpapier geschrieben. Sehr geehrte MISS Kincaide, Sie sind dem Komitee zur Rettung des McNair-Hauses empfohlen worden, um dieses historische Gebäude wieder in Stand zu setzen. Es ist der Wunsch des Komitees, das McNair-Haus ab Beginn der nächsten Sommersaison als Museum und Touristenattraktion zu eröffnen. Wir bitten Sie, ein Angebot für die Restaurierung der Innenräume des Hauses einzureichen, die dem Stil der Entstehungszeit des Hauses (1886) entsprechen sollte.
Mit freundlichen Grüßen
Delores Walters
Vorsitzende des Komitees zur Rettung des McNair-Hauses
Freudige Erregung erfasste Laura. Sie nahm die beigefügten Papiere,
die noch einige Sachangaben zum Haus enthielten, schaltete ihren
Computer ein und schob mit dem Ellbogen einen Stapel
Reiseprospekte vom Schreibtisch.
Schon ein paar Minuten später griff sie zum Telefon.
"Hi, Stan, ich bin's, Laura. Hast du noch diese alten Velourstapeten?
Die kastanienbraunen, meine ich? ... Wunderbar, dann leg sie mir
zurück. Ich werde dir eine vorläufige Bestellliste zufaxen, für ein
fabelhaftes Projekt, um das ich mich bewerbe, also mach mir bitte
deinen allerbesten Preis für alles."
"Das tue ich doch immer, Liebes", gab Stan zurück. "Aber was ist mit
deinem Urlaub?"
"Dieses Haus ist eine einmalige Gelegenheit. Die Restaurierung wird
mein Meisterwerk sein. Außerdem liegt es auf der schönen Whidbey-
Insel", fügte sie leichthin hinzu. "Und die ist ein idealer Ferienort."
"Whidbey? Dann hat dieses neue Projekt also etwas mit dem dicken
braunen Brief zu tun, den du heute bekommen hast?"
"Ja!"
"Und der Herzensbrecher? Lebt er auch noch dort?"
"Vergiss es, Stan. Ich werde an dem Haus arbeiten und Jack Thomas
wahrscheinlich nicht einmal sehen."
Als Nächstes rief Laura in Laroche an.
"Laura! Was für eine nette Überraschung, wieder einmal etwas von dir
zu hören!" schallte Grans Stimme durch die Leitung.
Laura hielt den Hörer etwas weiter von ihrem Ohr ab. Gran passte ihre
Stimmlage immer der Entfernung des Gesprächsteilnehmers an.
Bisher hatte sie ihre Großmutter noch nicht davon überzeugen können,
dass die Telefone seit ihrer Kindheit sehr viel besser geworden waren.
"Das ist die dreisteste Lüge, die du dir einfallen lassen konntest",
erwiderte Laura und widerstand der Versuchung, ebenfalls zu
schreien. "Du wusstest, dass ich anrufen würde. Ich habe deinen
Namen auf der Komiteeliste gesehen."
"Ich werde dein Zimmer vorbereiten, Liebes. Wann beginnst du mit
der Arbeit?"
"Ich habe den Auftrag noch nicht, Gran." "Keine Sorge, den bekommst du schon. Ich lebe schließlich nicht umsonst seit zweiundachtzig Jahren hier in dieser Stadt. Dem Bürgermeister habe ich sogar schon mal mitten auf der Hauptstraße den Po versohlt, als ich ihn beim Apfelklauen erwischt habe." Gran lachte bei der Erinnerung daran. "Aber natürlich war er da noch nicht der Bürgermeister ..." "Ich bin sicher, dass er sich seitdem gebessert hat", gab Laura trocken zurück. Und sie war auch sicher, dass er sich den Wünschen ihrer Großmutter nicht widersetzen würde, falls die ihn freundlich darauf hinwies, dass man mit dieser Geschichte auch Öffentlichkeitsarbeit machen könnte. "Weißt du, dass man wegen Erpressung ins Gefängnis kommen kann?" "Äpfelklauen ist auch verboten. Unsere Politiker in Laroche mögen zwar nicht ganz so schlimm sein wie andere, aber auch sie haben ihre schmutzigen Geheimnisse. Und ich kenne sie alle." "Das glaub ich dir aufs Wort." Laura lächelte. "Komm am Sonntag, Laura. Ich mache uns einen Schmorbraten. Und am Montag kannst du dann gleich mit der Arbeit beginnen." Eine kurze Pause folgte, dann senkte Gran die Stimme um ein, zwei Dezibel und erklärte: "Es wird höchste Zeit, dass du nach Hause kommst. Wir vermissen dich."
2. KAPITEL
Laura saß im Schneidersitz auf dem Fußboden des großen Schlafzimmers des McNair-Hauses und war noch immer sehr verblüfft, dass ihre Großmutter es wieder einmal geschafft hatte. Gleich am nächsten Tag, nachdem sie ihr Angebot gefaxt hatte, hatte sie einen vom Bürgermeister unterschriebenen Vertrag erhalten. Einen Zeichenblock auf den Knien, betrachtete sie das riesige Himmelbett aus Mahagoni, das mit zerlumptem Baldachin in einer Ecke des heruntergekommenen Raumes stand. Die Morgensonne und eine kühle Frühlingsbrise kamen durch die offenen Fenster, aber Laura war warm angezogen und trug einen dicken Pullover unter ihrem Overall. Der Raum bot fantastische Möglichkeiten mit seinen drei Meter hohen Decken, der Turmnische, dem großen Kamin und dem fabelhaften Bett. Andere Möbel gab es nicht im Raum, und die Tapete mit dem Rosenmuster war beinahe völlig abgeblättert. Offenbar war das Bett nur noch deshalb hier, weil es zu schwer gewesen war, um es zu bewegen. Aber egal, aus welchem Grund, Laura war froh, dass es noch da war. Es war ein exzellentes Beispiel für den Einrichtungsstil in Amerika gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts und würde einen Ehrenplatz in dem fertig gestellten Zimmer einnehmen. Das Bett und die Tapete mit dem Rosenmuster ... Laura kamen mehrere Ideen und sie begann nun fieberhaft zu skizzieren und sich Notizen zu machen. Sie klebte Reste der alten Tapete und der Bettvorhänge an ihre erste Skizze und fing dann an, Farbkombinationen auszuprobieren. Als sie merkte, dass sie kein Gefühl mehr in den Beinen hatte, setzte sie sich, ohne lange nachzudenken, auf das Bett. Die Matratze roch muffig und war voller Dellen. Laura streckte sich vorsichtig darauf aus, schaute zu dem zerschlissenen Baldachin auf und versuchte sich vorzustellen, wie er aussehen würde, falls es ihr gelang, einen Stoff zu finden, der dem ursprünglichen Material entsprach.
"Das nennst du Arbeit?" Die vertraute tiefe Stimme klang belustigt. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. "Ist das eine neue charmante Angewohnheit von dir, dich so an mich heranzuschleichen?" Sie wandte den Kopf. Lächelnd stand Jack in der Tür. "Willkommen daheim." Sie hätte ihn nicht ansehen dürfen. Ihr Herz schlug sofort wieder wie verrückt. Es war nicht fair, dass Jack mit den Jahren sogar noch attraktiver geworden war. "Wie bist du hereingekommen?" Sie war sicher, dass sie die Haustür abgeschlossen hatte. Er lächelte unbekümmert und wirkte kein bisschen wie ein Mann, der unerlaubt ein fremdes Haus betreten hatte. "Du wirst also mit dem großen Schlafzimmer beginnen?" Ein gewisser Unterton in seiner Stimme brachte ihr zu Bewusstsein, wo sie war - ausgestreckt auf dem größten Bett, das sie je gesehen hatte - wie eine Frau, die ihren Liebhaber erwartete. Ihre Kleidung war die falsche, aber Jack schaffte es dennoch, dass sie sich so verwundbar fühlte, als trüge sie ein durchsichtiges Neglige. Er bewegte sich, und sie sprang auf, als hätte irgendetwas sie gestochen. "Ja, ich werde mit diesem Raum beginnen. Aber vorher muss ich noch einige Sachen aus dem Wagen holen." Als sie zur Tür ging, hatte sie das seltsame Gefühl, sich wie in Zeitlupe zu bewegen. Ihre Blicke trafen sich. Die Art, wie er sie ansah, löste einen heißen Schauer in ihr aus. So hatte er sie nie angesehen, als sie noch sechzehn gewesen war und sich nichts mehr ersehnt hatte als seine Liebe. Warum musste er es jetzt tun - nachdem sie ihn endlich überwunden hatte und wollte, dass es auch so blieb? "Ich habe auch noch zu tun", sagte er. "Dann tu es woanders." Jack tat erstaunt. "Dies ist doch das McNair-Haus, nicht?" Laura blieb stehen. Eine böse Vorahnung beschlich sie. "O nein! Du machst hier die Schreinerarbeiten?" Er nickte lächelnd. "Aber ich habe bereits begonnen, deshalb wirst du dem Komitee mitteilen müssen, dass du kündigst."
"Und ich habe letzte Woche schon begonnen", entgegnete er. "Sieh dir die Fensterbretter an." Jack deutete auf eines der Fensterbretter, das einen verräterisch hellen Fleck aus neuem Holz hatte. "Und ich habe auch ein paar Rattennester aus der Matratze entfernt, auf der du gerade lagst." Nachdenklich blickte er zu der Matratze. "Ich hoffe nur, dass ich alle erwischt habe." "Aber ich kann nicht mit dir im selben Haus arbeiten", protestierte Laura, während sie beunruhigt ihren Po abklopfte. "Warum nicht?" Es waren zu viele Gründe, aber sie hatte keine Lust, auch nur einen zu nennen. "Ich ... ich kann einfach nicht." "Hör zu, es tut mir Leid, dass ich auf der High School so ein Blödmann war. Aber das ist lange her. Warum sollten wir heute nicht zusammenarbeiten können?" War das seine Vorstellung von einer Entschuldigung dafür, dass er beinahe ihr Leben ruiniert hatte? Doch sie hatte nicht die Absicht, mit ihm über die Vergangenheit zu reden - weder jetzt noch irgendwann sonst. "Es ist nichts Persönliches, nur etwas rein Berufliches. Ich arbeite nur mit Leuten, die ich kenne - und denen ich vertraue." Sein Gesichtsausdruck wurde hart. "Ich kann dir Referenzen zeigen." "Von in dich vernarrten Kundinnen? Nein, vielen Dank." Sie wollte hinausgehen, doch er blockierte nun die Tür. "Es hat nichts mit deiner verdammten Berufsehre zu tun, sondern nur mit Cory. Das kannst du ruhig zugeben." "Überschätz dich nur nicht, Jack. Das ist alles Jahre her." Ein Ausdruck des Bedauerns huschte über sein Gesicht. "Ich wollte dir immer erklären ..." "Eine andere wurde von dir schwanger, während wir miteinander gingen. Was gibt es da zu erklären?" "Das konnte man nicht ,miteinander gehen nennen - du warst erst sechzehn, Laura." In einem Anfall von Wut fuhr sie ihn an: "Und Cory war gerade mal achtzehn, als sie ihre Cheerleader-Pompons vor dir wackeln ließ zusammen mit noch ein paar anderen Dingen." Als er etwas entgegnen wollte, hob sie die Hand, um ihn daran zu hindern. Sie konnte darauf verzichten, längst verheilte Wunden wieder aufzureißen. "Aber wir alle haben uns seitdem verändert", fuhr sie mit erzwungener Ruhe fort. "Wie geht es Cory übrigens?"
Jack presste die Lippen zusammen. "Gut. Sie ist sehr erfolgreich und arbeitet als Moderatorin bei irgendeinem Fernsehsender in Kalifornien." "Ich bin beeindruckt. Sie kriegt also noch immer, was sie will." Es war ein Schlag unter die Gürtellinie, aber es verschaffte Laura eine gewisse Genugtuung, das Aufflackern von Wut in seinen Augen zu sehen. Jack hasste es, als Lustobjekt betrachtet zu werden, aber mehr war er für Cory Sutherland in ihrem letzten High-School-Jahr nicht gewesen. Wenn sie nicht schwanger geworden wäre, hätte Cory Jack auf ihrem Weg in die große Stadt ebenso achtlos fallen gelassen wie ihre abgenutzten Cheerleader-Pompons. Jack war bei ihren Worten einen Schritt zurückgewichen, und Laura war sicher, ihn vertrieben zu haben. "Kommt Cory oft nach Laroche?" fragte sie. Er zuckte die Schultern und trat noch einen Schritt zurück. "Nicht allzu oft." "Und euer Kind?" Was Laura anging, hätte Cory auf dem Grund des Ozeans liegen können und Jack gleich neben ihr, aber ein unschuldiges kleines Kind sollte unter den Fehlern seiner Eltern nicht leiden müssen. Jack lachte. "Das Baby ist inzwischen elf. Sara lebt seit unserer Scheidung bei mir. Sie ist ein wunderbares Mädchen." Es klang nicht übertrieben, sondern warm und auch etwas stolz. "Wann sieht sie ihre Mutter?" fragte Laura leise. Mit abwesenden Müttern kannte sie sich aus. "Ich schenke ihr jedes Jahr zu ihrem Geburtstag einen Flug zu ihrer Mutter." "Dann kann man Cory nur wünschen, dass sie als Redakteurin eine bessere Figur macht als damals auf der Schule." Jack stand mittlerweile schon im Flur. "Cory ist kein mütterlicher Typ." "Und was ist mit dir? Bist du ein guter Vater?" "Wir kommen zurecht." Sein Ton ließ erkennen, dass das Thema damit für ihn abgeschlossen war. Laura beobachtete ihn von der Tür aus. "Das freut mich für dich, Jack. Aber wir können trotzdem nicht zusammenarbeiten." "Warum nicht?"
Sie suchte nach einem Grund, der sich für ihn nicht so anhören würde, als läge ihr noch etwas an ihm. "Weil es meinem Freund nicht recht wäre", antwortete sie zu ihrem eigenen Erstaunen. "Ach ja, natürlich. Der, mit dem du so tollen Sex hast." Laura reckte das Kinn. "Peter ist eifersüchtig." Was sogar stimmte und ein weiterer Grund war, warum sie mit ihm Schluss gemacht hatte. "Sieh an." "Ja. Du wirst von dem Projekt also zurücktreten müssen." Jack schüttelte den Kopf. "Dein Freund ist dein Problem. Ich denke nicht daran, zurückzutreten." Damit wandte er sich zum Gehen, und sie hörte nur noch seine Schritte verhallen. Verdrossen hockte Laura sich wieder auf den Boden und starrte auf das Bett. Einerseits war sie versucht, von diesem Auftrag zurückzutreten, andererseits wollte sie Jack auf keinen Fall die Genugtuung verschaffen, dass sie zum zweiten Mal seinetwegen die Insel verließ. Warum sollte sie auch? Sie war sehr gern auf der Insel. Außerdem hatten Jack und sie hier im Haus so unterschiedliche Arbeiten zu tun, dass sie es gut so einrichten konnte, praktisch nichts mit ihm zu tun zu haben. Nach diesem tröstlichen Gedanken stand Laura auf, um ihre Sachen zu holen. Als sie die Treppe hinunterging, roch sie den Duft von frischem Holz. Jack schleppte einen Stapel Bretter in das Esszimmer, in dem er sich eine provisorische Werkstatt eingerichtet hatte. Er trug Arbeitshandschuhe, hatte Jackett und Hemd ausgezogen und war jetzt im T-Shirt. Er mochte zwar kein Footballstar mehr sein, aber die Muskeln an seinen Oberarmen verrieten, dass er in Form geblieben war. Diese starken Arme hatten sie gehalten, wenn sie sich geküsst hatten ... Plötzlich stellte Laura sich vor, dass Jack sie noch einmal in den Armen halten würde und mit diesen groben Lederhandschuhen die zarte Haut ihrer Brüste streichelte. Dass es sie bei diesem Gedanken augenblicklich heiß durchzuckte und ihre Brustspitzen sich aufrichteten, schockierte sie. Sein Charakter mochte sehr zu wünschen übrig lassen, aber ansonsten war Jack leider so unwiderstehlich, dass es sie schon nervös machte, ihn einfach nur anzusehen.
Jack sah auf und blickte sie mit einer stummen Frage in den Augen an. "Nein, ich kündige nicht", sagte sie. "Ich habe vorhin ein bisschen überreagiert. Ich hatte vergessen, dass die Tischlerarbeiten ja schon beendet sein werden, wenn ich mit einem Raum beginne, so dass wir uns sowieso kaum sehen werden." Sie zwang sich zu einem Lächeln und ließ ihre nächsten Worte halb wie eine Drohung und halb wie ein Versprechen klingen. "Peter wird keinen Grund zur Eifersucht bekommen." Laura hatte eine zustimmende Antwort erwartet, oder zumindest doch ein Nicken, und war daher überrascht, als Jack sie viel sagend angrinste und konterte, "Das klingt wie eine Herausforderung, der kein Mann widerstehen könnte." Wider Willen musste Laura lächeln. "Ich bin nicht mehr so leicht zu beeindrucken wie mit sechzehn, Jack." "Ohne Fleiß kein Preis", gab er zurück. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Jack verfluchte seine eigene Dummheit, nachdem Laura ohne ein weiteres Wort das Haus verlassen hatte. Er hatte gehofft, die Zusammenarbeit würde ihnen die Gelegenheit geben, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und ihre einstige Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Statt dessen hatte er so heftig mit ihr geflirtet, dass es wie ein Auftakt zur Verführung war. Aber wie hätte er auch ahnen können, dass Laura derart sexy geworden war? Woher ihr Sex-Appeal rührte, verstand er selbst nicht ganz, denn sie hatte das Modebewusstsein einer Vogelscheuche, mit ihren dicken Pullovern, den Overalls und ihrem kurzen Haar. Aber all das vermochte nicht das warme Braun ihrer Augen zu verbergen; die makellose Haut, die kein Make-up benötigte, oder ihre sinnlichen Lippen, die zum Küssen wie geschaffen schienen. Und falls sie glaubte, mit diesen Pullovern und Overalls ihre Figur verbergen zu können, war sie sehr im Irrtum. Die Sachen deuteten auf so ungezwungene Weise verführerische Kurven an, dass er wünschte, einen Blick auf den nackten Körper unter all dem Stoff werfen zu können. Aber wie sollte er ihr näher kommen, wenn sie nicht einmal im selben Stockwerk arbeiteten?
Als Laura einige Stunden später zurückkam, machte Jack gerade
Feierabend. In einer Hand eine Leiter, in der anderen einen großen
Eimer Farbe, versuchte Laura, sich durch die Tür zu zwängen.
"Lass dir helfen."
"Nicht nötig", sagte sie, aber er hatte ihr schon den schweren Eimer
aus der Hand genommen.
Etwas vor sich hinmurmelnd, ging sie voran nach oben. Jack glaubte,
das Wort "Neandertaler" zu hören, war sich aber nicht ganz sicher.
Als sie ihre jeweiligen Lasten im Schlafzimmer abgesetzt hatten,
drehte Laura sich mit einem streitlustigen Ausdruck in den Augen zu
ihm um. "Ich trage meine Sachen selbst, Jack. Merk dir das."
Er grinste. "Vergiss nicht, dass ich so gut wie meine ganze Erziehung
von deinen Großeltern genossen habe. Deine Gran würde mir die
Ohren lang ziehen, wenn ich eine Frau einen Fünfundzwanzig-Liter-
Eimer Farbe schleppen ließe."
Die Trittleiter quietschte, als Laura sie aufklappte. "Wenn du privat
einer Frau eine Tür aufhältst oder einen Stuhl für sie heranziehst, ist
das in Ordnung. Aber dies hier ist geschäftlich - also keine
Vorzugsbehandlung von Frauen, ist das klar?"
"Oh, Pardon. Es war gewiss nicht meine Absicht, dich zu beleidigen."
Ganz gleich, weshalb sie sich beleidigt fühlte.
Ihr Blick wurde etwas versöhnlicher. "Du müsstest mich gut genug
kennen, um zu wissen, dass ich wie jeder andere Handwerker
behandelt werden möchte."
"Ich weiß fast gar nichts mehr von dir", protestierte er. "Ich habe dich
praktisch nicht mehr gesehen, seit du das Stipendium für die
Kunstakademie bekommen hast und von hier weggegangen bist."
"Du hast mich gesehen, wenn ich hier war, um Gran zu besuchen."
"Nicht, wenn du mich zuerst gesehen hast."
"Was soll das heißen?"
"Dass du mir aus dem Weg gegangen bist."
Sie errötete. "Warum sollte ich?"
Er trat näher. "Ja, warum? Vielleicht weil du wegen der damaligen
Ereignisse immer noch wütend auf mich bist?"
"Jack." Sie ging zu ihm und schaute ihn aus großen braunen Augen
an. "Ich sage es dir jetzt klar und deutlich: ich habe dir verziehen.
Mich für Cory zu verlassen war das Beste, was du für mich tun
konntest."
"Was?" Jack war so daran gewöhnt, sich schuldig zu fühlen, weil er
Laura als Teenager das Herz gebrochen hatte, dass es ihn schockierte,
nun zu erfahren, ihr damit einen Gefallen getan zu haben.
"Du hast mir damit geholfen, erwachsen zu werden."
"Stan sagte, du hättest Angst vor Nähe."
Ihre Augen schossen Blitze. "Stan liest zu viele Selbsthilfebücher. Ich
habe ganz und gar keine Angst vor Nähe."
"Dann beweis es."
"Wie?" fragte sie scharf zurück. Sie hatte noch nie einer
Herausforderung widerstehen können.
"Küss mich." Hatte er das gesagt? Er war darüber fast ebenso
schockiert wie Laura. Aber die Idee war nicht ohne Reiz.
"Sei nicht albern."
"Ich glaube, Stan hat Recht. Du hast wirklich Angst vor Nähe."
Laura sah ihn einen Moment verärgert an. Doch dann nahm sie sein
Gesicht zwischen die Hände und zog seinen Kopf zu sich herab.
Protestierend öffnete Jack den Mund, aber da bedeckte sie ihn schon
mit ihren Lippen.
Sie waren weich und warm.
Sein Schock schlug in Begeisterung um. Er schlang die Arme um
Laura und zog sie an sich - und fühlte ihre fantastischen Kurven unter
den weiten Sachen.
Einen Augenblick ließ Laura sich von ihm halten, dann entzog sie sich
ihm wieder.
Während Jack noch dastand und um Atem rang, trug sie den schweren
Farbeimer durchs Zimmer, als wäre nichts geschehen.
"Hast du noch andere Theorien, die du gern beweisen würdest?" fragte
sie freundlich.
3. KAPITEL
Wie so häufig bekam Jack ein schlechtes Gewissen, als er in die Küche trat und seine Tochter an der Spüle stehen sah. Sie goss gerade Spaghetti in ein Sieb ab. Ihr Gesicht war vom Wasserdampf gerötet, ihr blondes Haar mit einem Haarclip aufgesteckt. Obwohl sie erst elf war, war bereits deutlich, dass sie ihre Mutter in puncto Schönheit übertreffen würde. Das Einzige, was sie von Jack geerbt hatte, waren die Augen, die nicht grün und rund wie Corys waren, sondern blau und mandelförmig. "Hi, Daddy!" Sie lächelte. "Es riecht köstlich, Sara", sagte er. "Aber ich war doch heute mit dem Kochen an der Reihe." "Es hat mir nichts ausgemacht, Dad. Dafür kannst du nachher das Geschirr abwaschen." Er sah zu, wie sie die Sauce auffüllte. Der Tisch war bereits gedeckt. Sara war schon so erwachsen und verantwortungsbewusst - viel zu verantwortungsbewusst für ihr junges Alter. "Wie war dein Tag, Liebes?" "Es geht. Für meine Biologiearbeit habe ich eine Eins bekommen. Ich hätte sie mitgebracht, aber Ryan Bailey hat sie aus dem Fenster geworfen. Dafür musste er dann zum Rektor." Sie verdrehte die Augen. "Schon wieder mal." "Ich wette, er ist verliebt in dich." Sara sah ihren Vater an, als hätte er den Verstand verloren. "Ryan Bailey? Ihhh!" Sie verzog angewidert das Gesicht. "Und warum sollte er meine Arbeit aus dem Fenster werfen, wenn er in mich verliebt wäre?" Jack zuckte mit den Schultern. "Männer tun so etwas." "Wie unreif." "Ja." Er dachte an Laura und wie er sie herausgefordert hatte, ihn zu küssen. Aber immerhin hatte er damit ihr Interesse geweckt - was ihm einen kurzen, aber schönen Kuss beschert hatte. Er fragte sich, was es erfordern mochte, sie dazu zu bringen, ihn noch einmal zu küssen.
"Kommst du weiter in dem alten Haus?" unterbrach Sara seine Gedanken. "Es ist noch viel zu tun, aber es wird fantastisch, wenn es fertig ist." Davon war er überzeugt. Schließlich sah er die Beweise für Lauras Talent bei jedem seiner Besuche bei ihrer Großmutter. Die Lokalzeitung hatte sogar einen Artikel über Laura gebracht und Fotos von einigen ihrer Restaurierungen in Seattle veröffentlicht. Da er wusste, wie sehr sie das McNair-Haus liebte, war er sicher, dass es ihre bisher beste Arbeit werden würde. Und er würde dafür sorgen, dass die Aufgaben, für die er selbst verantwortlich war, genauso gut erledigt wurden. Ohne den grünen Pick-up vor der Tür auch nur eines Blicks zu würdigen, betrat Laura am nächsten Morgen das Haus und trug ihren Karton mit Materialien geradewegs zum Schlafzimmer. An der Tür blieb sie jedoch wie angewurzelt stehen. Ein knackiger Po in schmuddeligen Jeans schien mitten im Zimmer wie ein fester glatter Pilz aus dem Parkett zu wachsen. Jacks Oberkörper steckte in einem Loch des Schlafzimmerbodens, während der untere Teil von ihm ... Ihr Herz begann zu rasen; ihr stockte der Atem. Was immer er dort unten tat, brachte die prallen Muskeln unter dem abgewetzten Stoff in Bewegung. Der verrückte Impuls, ihre Hände in die Gesäßtaschen dieser alten Jeans zu stecken, überkam sie. Die engen Taschen würden warm von seiner Körperwärme sein ... Den Blick zu heben nützte nichts. Sein kariertes Hemd rutschte gerade aus dem Hosenbund und entblößte ein Stück braun gebrannter Haut über seiner rechten Hüfte. Fasziniert beobachtete Laura, wie es sich vergrößerte - und wurde von jäher Wut über ihre eigene Idiotie erfasst. "Was machst du da?" fragte sie und setzte den Karton mit den Materialien so heftig ab, dass es krachte. Fast augenblicklich folgte ein weiteres Krachen und dann ein Schmerzensschrei. Jacks obere Hälfte tauchte aus dem Loch auf, und er rieb sich mit der Hand den Nacken. "Guten Morgen", knurrte er. Laura verschränkte die Arme vor der Brust. "Was tust du hier?" Er verzog das Gesicht und kehrte ihr den Rücken zu. "Kannst du irgendwo Blut sehen?"
"In einer Minute wird es fließen", entgegnete sie grimmig. "Ganze Ströme davon, wenn du meine Frage nicht beantwortest." Er drehte sich wieder um. "Holzschwamm", entgegnete er knapp. "Aber er ist zum Glück nicht allzu schlimm. Trotzdem muss ich alle Böden hier oben noch einmal gründlich überprüfen." "Na wunderbar. Dann soll ich zwischen herumfliegendem Sägemehl streichen?" Jack zog die Schultern hoch. "Ich dachte, ich wäre mit den Tischlerarbeiten hier oben bereits fertig, aber dann habe ich im Erdgeschoss an der Zimmerdecke einen Fleck entdeckt und gemerkt, dass auch die Böden hier oben vom Schwamm befallen sind. Tut mir Leid. Ich werde sie ausbessern, so schnell ich kann." Verdrossen schaute sie ihn an. "Ich arbeite oben und du unten, hast du das vergessen? Dies ist mein Zimmer. Solange ich hier beschäftigt bin, darf niemand anderer hier arbeiten. Ist das klar?" "Du meinst, ich muss über deine Fortschritte auf dem Laufenden bleiben, um meine Arbeit erledigen zu können? Das ist ja lächerlich." Er pflanzte sich vor ihr auf und bedachte sie mit einem ärgerlichen Blick. Es gefiel ihr gar nicht, wie sehr sie sich seiner Nähe bewusst war. Sie wünschte, er würde sein verflixtes Hemd wieder in die Hose stecken. "Ich werde es dir erleichtern", sagte sie und holte eine Rolle blaues Klebeband. Damit ging sie zur Tür und klebte zwei lange, sich kreuzende Streifen zwischen die beiden Türpfosten. "Siehst du das? Dieses X markiert meinen Bereich. Wo du ein blaues X siehst, darfst du nicht hinein. Hast du das verstanden, Jack?" Er ging an ihr vorbei zur Tür. "Klar und deutlich." Sie rechnete damit, dass er das Klebeband beim Hinausgehen zerreißen würde, aber da blieb er plötzlich stehen und wandte sich langsam zu ihr um. Seine eben noch so aufgebrachte Stimme klang jetzt verdächtig heiter. "Und ich finde, es ist eine großartige Idee. Ich werde gelbes Band benutzen, um meine Arbeitsplätze zu markieren." Sein Lächeln erinnerte sie an eine Schlange, die ein nicht sehr aufgewecktes Kaninchen vor sich hatte. Dieses Lächeln kannte sie. Sie war also gewarnt.
Sich bückend, um das Klebeband nicht zu beschädigen, trat er vorsichtig durch die Tür. Von der anderen Seite grinste er sie an. "Fall nur nicht in das Loch." Zu spät erkannte sie das Problem, das er ihr hinterlassen hatte. "O nein, du kommst sofort zurück und machst das Loch hier zu. Jack!" schrie sie ihm nach, aber die einzige Antwort war das Geräusch seiner sich entfernenden Schritte auf dem Korridor. Wütend holte sie Klebebandrolle und versah sämtliche Türen im ersten Stock mit einem blauen X. Sicherheitshalber klebte sie auch eins zwischen Wand und Treppenabsatz. Zufrieden kehrte sie ins Schlafzimmer zurück, stellte Kartons um das Loch im Boden und hoffte, dass sie nicht darüber stolperte und in Jacks ‚Ausgrabungsstätte' fiel. Vor dem lästigen Zimmermann einstweilen sicher, machte Laura sich an die Arbeit und verließ den Raum nicht eher, bis Hunger sie zwang, wieder durch ihr blaues Klebeband zu steigen. Auf halbem Weg hinunter blieb sie stehen. Am Fuß der Treppe klebte ein riesiges gelbes X, auf dem in großen schwarzen Buchstaben "Vorsicht Bauarbeiten" stand. "Oh!" Glühend vor Entrüstung wollte sie das Band abreißen, da tauchte plötzlich Jack vor ihr auf. "Fass das Band nicht an. Das ist Baugelände hier", erklärte er und tippte sich vielsagend an den Schutzhelm, den er trug. "Und wie komme ich aus dem Haus?" fuhr sie ihn an. Er zuckte mit den Schultern. "Es war deine Idee, nicht meine." Sie sah, dass er die Lippen zusammenkniff, um nicht zu lachen. Seine Augen funkelten vor Belustigung. Er glaubte also, diese Runde hätte er gewonnen? Nun, sie würde ihm zeigen, dass sie so leicht nicht zu schlagen war. Und wenn sie aus alten Laken ein Seil knüpfen musste, um in das Haus hinein- und wieder hinauszukommen! "Gut", fauchte sie, fuhr herum und dachte fieberhaft nach, während sie die Treppe wieder hinaufstapfte Unter dem Schlafzimmerfenster stand ein Baum ... Sie lehnte sich hinaus, so weit sie konnte, aber der Kirschbaum war zu weit entfernt. Sie würde sich den Hals brechen, wenn sie da hinabzuklettern versuchte.
Rasch durchsuchte sie die anderen Zimmer, fand aber nichts, was sich als Ausweg anbot. Vielleicht sollte sie "Feuer!" schreien und sich von der Feuerwehr herunterholen lassen? Laura schnippte mit den Fingern. Die Feuerleiter! Sie lief zurück in das große Schlafzimmer und in den angrenzenden Ankleideraum. Am Fenster war eine Strickleiter befestigt, die verstaubt am Boden lag. Das sollte wohl eine Art Feuerleiter sein. Laura warf sie aus dem Fenster und stieg dann vorsichtig hinaus. Die Seile waren alt, schienen aber noch stark genug zu sein. Sie kratzten und scheuerten, als sie sie mit beiden Händen umklammerte. Ihre Füße baumelten in der Luft, bevor sie eine Sprosse fanden. Laura erinnerte sich aus ihrer Kindheit, dass man nicht nach unten schauen durfte, und prüfte bei jedem Schritt, ob die nächste Sprosse ihr Gewicht trug, bevor sie die letzte losließ. Sehr stolz auf sich hielt sie auf halbem Weg nach unten inne, um den Ausblick auf den Hafen von Laroche zu bewundern und um in dem Gefühl ihrer eigenen Schlauheit zu baden, da gab die Sprosse unter ihr plötzlich nach. "Oh, mein Gott!" schrie Laura, während sie hilflos an den Seilen baumelte. Sie vergaß, dass sie nicht hinabschauen durfte, und wurde vor Schreck beinahe ohnmächtig, als sie sah, dass zwischen dem Boden und ihren Füßen noch gut drei Meter lagen. Ein gemurmeltes Gebet auf den Lippen und die Augen geschlossen, lockerte sie ihren Griff und ließ sich hinab gleiten - aber schneller als geplant, so dass sie sich die Handflächen aufscheuerte, bis sie mit den Füßen an die nächste Sprosse stieß. Auch die riss. Wieder schrie Laura auf und war überzeugt, dass sie sich nun sämtliche Knochen brechen würde. Aber die dritte Sprosse hielt, und Laura verschwendete keine Zeit mehr und kletterte so schnell sie konnte hinunter. Als die Leiter endete, waren ihre Füße aber immer noch etwa einen Meter über dem Boden. Laura lockerte ihre Knie, wie Jack es sie vor vielen Jahren gelehrt hatte, schloss die Augen und ließ sich fallen. Zwei starke Hände ergriffen und stützten sie, als sie mit den Füßen auf dem Boden aufkam. Sie riss die Augen auf - und starrte in Jacks Gesicht. Er hatte die Stirn gerunzelt, aber seine blauen Augen blitzten vor Lachen und
Bewunderung. Eine Sekunde lang war er wieder der alte Jack, der
Held ihrer Kindheit, und sie war stolz darauf, ihn überlistet zu haben.
Er hatte sie rechtzeitig aufgefangen, bevor sie sich verletzen konnte,
so wie er es früher auch immer getan hatte. Sie begann sein Lächeln
zu erwidern und wollte sich an seine starke Brust lehnen und die Arme
um ihn schlingen und ihre Lippen auf seinen Mund pressen.
War sie verrückt geworden? Rasch wollte sie ihn loslassen, aber er
nahm ihre Hände, drehte sie um und strich mit den Fingerspitzen über
die wunde Haut.
"Du solltest sie eincremen", riet er ihr.
Sie wollte ihm ihre Hände gerade entziehen, da merkte Laura
plötzlich, dass Jack und sie nicht allein waren.
Das verduzte Gesicht der Vorsitzenden des Komitees zur Rettung des
McNair-Hauses tauchte über Jacks Schulter auf.
"Ist mit der Haustür etwas nicht in Ordnung, meine Liebe?" fragte
Delores Walters.
"Ja, Laura", stimmte Jack vergnügt ein, "sag uns, warum du die
Strickleiter hinab gestiegen bist."
Laura warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Ich wollte nur sehen,
ob es im Notfall noch einen anderen Weg hinaus gibt - zum Beispiel
falls unten im Haus ein Geisteskranker auftauchen sollte."
"Nun, das ist sehr vernünftig, meine Liebe, obwohl ich sicher bin, dass
unser Jack mit jedem Eindringling fertig werden würde, falls es hier
Geisteskranke gäbe. Aber die nächste psychiatrische Klinik ist
ziemlich weit entfernt." Delores Walters blickte zwischen Jack zu
Laura hin und her. "Eigentlich bin ich vorbeigekommen, um Ihnen zu
sagen, dass wir nächsten Mittwochabend eine Sondersitzung haben
und uns freuen würden, wenn Sie beide kämen und uns von Ihren
Fortschritten berichten würden."
"Selbstverständlich", erwiderte Laura.
"Wir kommen gern", erwiderte Jack.
Die Vorsitzende des Komitees lächelte sie beide an. Erst da bemerkte
Laura, dass Jack noch immer ihre Hände hielt. Rasch zog sie sie
zurück.
"Vielleicht erfahren wir dann, wer der mysteriöse Spender ist",
bemerkte Delores Walters.
"Der mysteriöse Spender?" fragte Laura nach.
"Hat Jack es Ihnen nicht gesagt?"
"Nein." So, wie sie ihn bisher behandelt hatte, überraschte es Laura auch nicht, dass er über die Finanzierung des Projekts nicht mit ihr gesprochen hatte. "Das Haus wäre längst abgerissen, wenn nicht dieser geheimnisvolle Wohltäter erschienen wäre." Laura unterdrückte ein Lächeln. "Wirklich?" "O ja. Nun, Sie wissen ja, wie kostspielig es ist, ein Haus wie dieses hier zu restaurieren. Wir haben Bingo-Abende, Wohltätigkeitsbasare und sogar einen Kasino-Abend veranstaltet, aber es gelang uns einfach nicht, die nötigen Mittel aufzubringen - zumindest nicht schnell genug, um das Haus zu retten." Traurig schüttelte Delores Walters den Kopf. "Ich sage Ihnen, meine Liebe, das waren schlimme Tage für das Komitee. Dann kam plötzlich aus heiterem Himmel der Bürgermeister zu einer unserer Versammlungen und verkündete, das McNair-Haus habe einen Wohltäter gefunden, der jedoch anonym zu bleiben wünsche. Dieser mysteriöse Gönner stellt die Hälfte der Mittel für die Restaurierung zur Verfügung." Sie hielt einen Moment inne. "Natürlich wüssten wir alle gern, wer es ist, aber das wird streng geheim gehalten. Nicht einmal Ihre Großmutter weiß es, dabei weiß sie doch sonst immer alles, was hier in unserer Stadt vorgeht." Delores Walters zuckte mit den Schultern. "Aber ich muss jetzt weiter. Bis nächste Woche also", sagte sie und ging zu ihrem Wagen. Laura drehte sich zu Jack, der sie mit einem Grinsen ansah, das mehr als nur ihre Handflächen kribbeln ließ. "Wie wäre es mit einem Waffenstillstand?" fragte er. "Warum?" "Weil das Projekt, wenn du dir beim Zurückklettern ins Haus den Hals brichst, erst einmal gestoppt werden muss, und meine Termine sind sehr eng." Sie erwiderte sein Grinsen. "Feigling - aber okay. Aber ich mach es dir nur leichter, weil du ein Kind zu ernähren hast. Vergiss das nicht, Jack." Sein Wecker riss Jack aus dem Schlaf. Stöhnend richtete er sich auf, um das Klingeln abzustellen. Fünf Uhr morgens! Er musste komplett verrückt geworden sein.
Auf dem Weg durch die Küche sah er sehnsüchtig zur Kaffeekanne, doch dazu war jetzt keine Zeit, wenn er zum Frühstück mit Sara wieder zurück sein wollte. Leise verließ er das Haus und ging die wenigen Häuserblocks bis zum McNair-Haus. Er hatte Laura gestern mit diesem verflixten Loch im Boden in Gefahr gebracht und den ganzen Tag lang Angst gehabt, sie könnte hineinfallen und sich verletzen. Aber nun würde er die Gefahr beheben, und wenn er mit dem Boden fertig war, würde niemand sehen, dass das Parkett je ausgebessert worden war. Jack wünschte nur, er könne auch den Kummer, den er Laura einmal bereitet hatte, so einfach beheben. Sie hatte nie geheiratet. Von irgendwelchen Freunden hatte Gran ihm nichts erzählt, und er hatte auch nicht danach gefragt. Aber er hätte gern gewusst, wer dieser Peter war. Eigentlich musste er es wissen. Er hätte teilhaben müssen an Lauras Leben, seit sie von hier fortgezogen war, nachdem sie zusammen hier aufgewachsen waren. Jack fragte sich, warum alles so schrecklich schief gelaufen war. Für ihn war sie ein wunderbares kleines Mädchen gewesen, die kleine Schwester, die er nie gehabt hatte. Sie hatte ihn angehimmelt, und er hatte es zugelassen. Dann, eines Tages, waren sie im Obstgarten des McNair-Hauses gewesen. Er war damals neunzehn, Laura sechzehn gewesen. Er hatte seinen Schulabschluss und ein Football-Stipendium in der Tasche und arbeitete als Tischlerlehrling, um Geld fürs College zu verdienen. Die ganze Welt hatte ihm offen gestanden. In dem Obstgarten hatte Laura zu ihm aufgeschaut, mit unverhohlener Verehrung in den Augen, wie er es bei ihr gewohnt war, und das war zu einem machtvollen Aphrodisiakum geworden. Zum ersten Mal hatte er die Frau in ihr gesehen. Und ohne zu überlegen, was er tat, hatte er sich vorgebeugt und sie geküsst. Anfangs hatte sie sich total versteift und die Lippen zusammengepresst. Dann hatte sie sich an ihn geschmiegt, und unter ihrer Jeans und dem weiten Hemd hatte er den Körper einer Frau entdeckt - einer Frau, deren schwelende Leidenschaft nur darauf wartete, entfacht zu werden. Sie hatte nicht viel Erfahrung im Küssen gehabt, doch was ihr an Technik fehlte, hatte sie durch Enthusiasmus ausgeglichen.
Wenn er an seine Teenagerjahre in dieser kleinen Stadt zurückdachte, in der jeder jeden kannte, erinnerte er sich, in einem Zustand permanenter Unruhe und ebenso permanenter Frustration gewesen zu sein. Er hatte kein Recht gehabt, mit Laura herumzuspielen. Sie war zu jung gewesen, und er hatte das gewusst. An einem regnerischen Nachmittag, als seine Eltern nicht zu Hause gewesen waren, hatten sie im Partykeller herumgeschmust, und Laura hatte ihn aus unschuldigen Augen verträumt angesehen und "Ich liebe dich" geflüstert. "Hey, nicht so schnell", war seine großartige Antwort gewesen. "Wirklich. Ich liebe dich. Und ich möchte ... du weißt schon ... Ich möchte ... es tun." Sie war feuerrot geworden. "Au, verdammt!" schrie Jack auf. Er war so in Erinnerungen vertieft gewesen, dass er sich mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen hatte. Wie schon so oft fragte Jack sich auch jetzt, was geschehen wäre, wenn sie damals miteinander geschlafen hätten. Wahrscheinlich wäre alles ganz anders gekommen. Aber in Bezug auf Laura war er immer seltsam ritterlich gewesen. Deshalb hatte er sie nur sanft geküsst und sie vertröstet. "Noch nicht, Laura. Warte, bis du älter und dir ganz sicher bist, dass du es wirklich willst." Tränen hatten in ihren Augen gestanden, als sie sagte: "Ich bin mir sicher, Jack. Ich liebe dich und werde dich mein ganzes Leben lieben." "Ich warte auf dich", hatte er versprochen, und es in jenem Augenblick auch wirklich ernst gemeint. Diesmal parkte kein grüner Pick-up vor dem Haus, als Laura kam was eine Begegnung weniger mit Jack bedeutete. Sie entspannte sich und ging mit ihrem tragbaren Kassettenrekorder in der Hand hinein. Jack hatte das große gelbe X vor der Treppe entfernt. Als sie das große Schlafzimmer im Obergeschoss durchquerte, um den Rekorder anzuschließen, bemerkte sie die sauber geschlossene Stelle, wo gestern noch ein großes Loch gewesen war. Mit einem überraschten Ausruf ließ sie sich auf die Knie sinken und strich mit den Fingern über die haarfeinen Fugen. Sie wusste nicht, wann er hier gewesen war, um den Boden zu reparieren, ahnte aber, dass sie das Ergebnis mehrerer Stunden Arbeit vor sich hatte. Laura biss sich auf die Lippe, als sie begriff, was Jack
ihr mit dieser Geste sagen wollte: wir wollen die Vergangenheit ruhen lassen. Aber vielleicht war sie noch nicht so weit. Bald hockte Laura auf der Leiter, und klassische Musik spielte im Hintergrund, als sie die mühsame Aufgabe begann, mit Hilfe einer Schablone eine schmale Girlande aus Rosenblüten und verschlungenen grünen Stängeln auf die Tapete zu malen. Langsam arbeitete sie sich durch das Zimmer und ließ sich von Vivaldis sanften Tönen begleiten, während sie versuchte, nicht allzu gerührt darüber zu sein, dass Jack über Nacht den Boden repariert hatte. Wahrscheinlich hat er es für sich selbst getan. Oder vielleicht auch nur, um mich zu ärgern, sagte sie sich, aber das warme Gefühl in ihrer Brust hielt an - bis das Klappern und Poltern von unten andeutete, dass sie nicht mehr allein im Haus war. Dann begann das Hämmern, und sie stellte die Musik ein wenig lauter. Plötzlich drang laute Rockmusik zu ihr hinauf. Wütend stieg Laura von der Leiter und stellte ihren Vivaldi ganz laut. Vivaldi und Bruce Springsteen führten nun in voller Lautstärke ein Duett auf. Von oben kamen die italienisch anmutenden "Vier Jahreszeiten", von unten Rock, made in the USA. Eine Motorsäge rundete das Ganze ab. Lauras Hand zuckte, und der Pinsel verteilte Rosa, wo ein grüner Stängel hätte sein müssen. Sie öffnete den Mund, um wütend aufzuschreien, als plötzlich absolute Stille herrschte - und sämtliche Lichter ausgingen. Das Haus hatte sich an dem Musikwettbewerb beteiligt und die Sicherungen durchbrennen lassen. Beschämt stieg Laura von der Leiter und schaltete ihren Kassettenrekorder aus. Nachdem die Lichter wieder angegangen waren, war nur noch das Geräusch der Motorsäge zu vernehmen.
4. KAPITEL
"Möchtest du einen Kaffee?" Laura fuhr zusammen. Zwei Keramikbecher und eine Thermoskanne in den Händen, stand Jack in der Tür und sah Laura hoffnungsvoll an. "Ein Friedensangebot?" Sie blickte von der Leiter auf ihn herab. Beim Gedanken an Kaffee lief ihr das Wasser im Mund zusammen, und ihrem Nacken würde eine Pause auch sehr gut tun. "Ja, so könnte man es nennen." Er kam mit dem Kaffee herein. Laura zögerte, weil sie wusste, welche Gefahr es für ihre Willenskraft bedeutete, Jack zu nahe zu kommen. Aber er hatte das Loch im Boden geschlossen, und der Kaffee roch so gut. "Ich komme gleich. Lass mich nur rasch dieses Stück hier fertig machen." Hinter sich hörte sie ihn den Kaffee einschenken, und dann herrschte Stille. Jack schien sie zu beobachten. Um das Schweigen zu überbrücken, stellte sie ihm eine Frage, die sie schon seit geraumer Zeit beschäftigte. "Wie kommt es, dass Laroche dieses Haus nach all den Jahren plötzlich restaurieren will?" "Ein Bauunternehmer hat ein Angebot für den Besitz gemacht. Er wollte das Haus abreißen und Apartments auf dem Grundstück bauen." Laura fuhr verblüfft herum. "Apartments?" Jack lachte. "Deinem Tonfall nach zu urteilen, findest du das gar nicht gut." "Natürlich nicht. Und du?" Er zuckte mit den Schultern. "Das ist der Fortschritt, Laura. Es würde viele neue Leute herbringen, was wirtschaftlich von Vorteil für Laroche wäre." "Ach, hör auf. Du liebst dieses Haus doch genauso sehr wie ich. Weißt du noch, wie wir früher immer darum herumgeschlichen sind?" Er hatte einige der Bretter beiseite geschoben, mit denen die Fenster schon damals zugenagelt gewesen waren, so dass sie in die leeren Zimmer im Erdgeschoss hatten hineinspähen können. Es wäre leicht
gewesen, sich Einlass ins Haus zu verschaffen, aber in stillschweigendem Übereinkommen hatten sie das nie getan. "Wieso liebst du es eigentlich so sehr?" hatte Jack sie einmal gefragt, als sie vor einem der Fenster standen und hineinsahen. Überrascht hatte sie geantwortet: "Fühlst du nicht das Glück in diesem Haus? Es ist ein Haus, das mit Liebe gebaut wurde." Er hatte in männlicher Überlegenheit abgewinkt. "Liebe? Es ist aus Holz erbaut worden, das ist das Außergewöhnliche daran. Dein Großvater hat mir erzählt, die Balken seien richtige Bäume, einige sogar noch mit der Rinde dran. Und die Wandtäfelung im Esszimmer ist aus ein Meter vierzig breiten Paneelen. Kannst du dir Baumstämme vorstellen, die so dick sind, dass man so breite Paneele daraus schneiden kann?" Sie hatte ihm gar nicht richtig zugehört und sich weiter ihren romantischen Fantasien hingegeben. Aber sie hatte noch genau im Ohr, wie er arrogant gesagt hatte: "Eines Tages wird dieses Haus hier mir gehören." Uns, hatte sie sich im Stillen geschworen. Die Räume wirkten leer und traurig ohne eine Familie, die ein Heim daraus machte. Aber in ihrer Fantasie hatte sie alles wieder in seinem alten Glanz und voller Leben und Lachen gesehen. "Ich glaube, damals habe ich zum ersten Mal daran gedacht, Innendekorateurin zu werden", sagte sie nun. "Das ist sehr, sehr lange her." Es klang ein bisschen traurig. Vielleicht vermisste er ihre alte Freundschaft genauso wie sie. "Ja. Und es ist fast ein Wunder, dass wir nun ausgerechnet dieses Haus gemeinsam restaurieren." Laura legte ihren Pinsel hin, stieg von der Leiter und rieb sich den steifen Nacken. Jack hatte sich auf den Fußboden gesetzt, die langen Beine ausgestreckt und sich an die Wand gelehnt. Er reichte Laura einen Becher dampfenden Kaffee, sie nahm ihn dankend und hockte sich neben ihn. "Wie kommst du unten voran?" fragte sie. "Das Rosenmuster sieht fantastisch aus", sagte er im selben Augenblick. Lächelnd sah er sie an, und sie konnte gar nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern.
"Wenn du deine klassische Musik wieder anstellen willst, habe ich nichts dagegen." Als er sich nun über sie beugte, um ihren Kassettenrekorder wieder einzuschalten, streifte er sie ganz leicht mit dem Arm. Sanfte Klänge von Vivaldi erfüllten den Raum. Laura umfasste mit beiden Händen ihren Becher und tat, als käme die Wärme, die sie durchflutete, vom Kaffee und nicht von Jacks zufälliger Berührung. Ihr Becher war gelb und trug den Namen einer Baumaterialfirma. Jacks Becher war rot und mit einer Art Medaille versehen, auf der "Der beste aller Dads" stand. Laura lächelte. Jack, der ihrem Blick gefolgt war, erklärte: "Sara hat ihn mir vor ein paar Jahren zum Vatertag geschenkt." "Sie liebt dich offenbar sehr." "Es ist ja auch nicht so, als gäbe es jemanden, der mir ihre Zuneigung streitig machte", entgegnete er bitter. Als sie ihn daraufhin überrascht ansah, nahm er sich zusammen und fügte hinzu: "Aber wir kommen schon zurecht." "Es ist bestimmt nicht leicht, allein erziehender Vater zu sein." Es fiel Laura schwer, sich Jack überhaupt als Vater vorzustellen. In Gedanken sah sie wieder den jungen Jack mit einem Football unter dem Arm über den Sportplatz ihrer High School rennen. "Bereust du eigentlich, dein Sportstipendium damals nicht in Anspruch genommen zu haben?" "Jeden Tag." Mit einem Ruck drehte er sich zu ihr. "Du weißt nicht, wie es ist. Du bist aus dieser Kleinstadt herausgekommen. Fast alle, die wir kannten, sind herausgekommen. Selbst Cory ist nach fünf Jahren weggegangen. Alle konnten weg - außer mir." Er wandte den Blick ab und runzelte die Stirn. "Aber, Jack, ich dachte immer, dir gefällt es hier." "Sicher, aber das heißt noch lange nicht, dass man an einem Ort bleiben will, wo jeder deinen Namen kennt und weiß, welches Gemüse du magst, und sogar deine Wäscheleine überprüft, um festzustellen, was für Unterhosen du am liebsten trägst." Laura lachte. "So schlimm kann es nicht sein." "Und ob. Schließlich bin ich derjenige, der die Wäsche wäscht und die Unterhosen kauft. Während andere Männer sich fragen, welches Hemd sie zu einer Konferenz anziehen sollen, überlege ich, was ich fürs Abendessen kaufen soll, sehe mir Saras Hausaufgaben an und
spüle das Geschirr, damit wir abends etwas haben, wovon wir essen können, und versuche, trotz allem pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Es müsste eine Gewerkschaft für so etwas geben." "Du bist ja ein Feminist, Jack!" Er hätte nicht schockierter aussehen können. "Bin ich nicht!" "Klar bist du das. Du hast deinen Traumberuf aufgegeben, um dich um dein Kind zu kümmern, und ärgerst dich nun über verlorene Gelegenheiten. Du hast dir sämtliche Bürden einer berufstätigen Frau aufgelastet: Kinder, Hausarbeit und Job. Jetzt weißt du, worüber Frauen sich beschweren. Vielleicht solltest du einige deiner Unterhosen zum Protest verbrennen." Er bedachte sie mit einem herablassenden Blick. "Was weißt du denn schon davon?" "Genug, um Single zu bleiben." Er zuckte nur mit den Schultern, aber Laura spürte seinen Schmerz dahinter und wollte Jack ein wenig trösten. "Könntest du denn nicht zusammen mit Sara von hier weggehen, wenn du das so gern möchtest?" "Und ihr ihre Freunde rauben? Ihr Zuhause? Gerade du müsstest doch verstehen, wie wichtig Stabilität für sie ist, nachdem sie sich von ihrer Mom im Stich gelassen fühlt." Laura dachte an ihre eigene Mutter, die eine begeisterte Anhängerin der Hippie-Philosophie gewesen war - vor allem in Bezug auf freie Liebe. So war sie in einer Vollmondnacht in einem Kleinbus gezeugt worden, und ihr Vater hatte sie Moonbeam - Mondstrahl -nennen wollen. Gran hatte dem natürlich einen Riegel vorgeschoben. Tatsächlich hatte sie ihre Hippie-Eltern sogar dazu gebracht, zu heiraten, und dann hatten sie und Grandpa sie aufgezogen, während ihre Mutter hin und wieder auf einen Besuch hereinschaute. Sie war ein liebenswerter und amüsanter Hausgast, aber nicht gerade das, was man sich unter einer typischen Mutter vorstellte. Ob Sara ihre Mutter genauso sehr vermisste wie sie früher ihre? Es fiel ihr schwer, sich Sara als heranwachsenden Teenager vorzustellen, wenn sie an das Baby dachte, das Cory damals erwartet hatte. Ein Baby, das beim Vater aufgewachsen war, der seine Träume dann nicht mehr hatte verwirklichen können. "Es tut mir Leid, Jack." Er schien sich bei ihren Worten noch unbehaglicher zu fühlen. "Man muss die Verantwortung für seine Fehler übernehmen." Jack starrte in
seinen Becher. "Aber was sage ich denn da? Sara ist kein Fehler, sondern das Beste, was mir je geschehen ist." Laura nickte. "Sie kam nur zu früh", sagte sie leise. Jack trank einen Schluck Kaffee. "Ja", murmelte er. Nach einem Moment fuhr Laura fort: "Weißt du, selbst wir Feministinnen sind uns einig, dass beide Elternteile die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen sollten." "Als Cory und ich uns scheiden ließen, beschlossen wir, dass Sara hier bleiben sollte", entgegnete er heftig. "Laroche ist ihr Zuhause. Und bis sie achtzehn ist, ist es auch mein Zuhause. Ich denke nicht daran, sie die Hälfte des Jahres mit ihrer Mutter von einem Fernsehstudio zum anderen ziehen zu lassen." Schweigend tranken sie ihren Kaffee. Laura wusste, wann sie gegen eine Mauer stieß, und sein Ton war eindeutig abweisend gewesen. Da berührte Jack so unerwartet ihre Hand, mit der sie sich gerade den Nacken rieb, dass sie verblüfft zusammenfuhr. "Dreh dich um", befahl er. "Es ist nichts, bloß ein steifer Nacken." "Es wird noch schlimmer werden, wenn du nichts dagegen tust." Sie drehte den Kopf, um Jack einen ärgerlichen Blick zuzuwerfen, und schrie dabei auf vor Schmerz. "Glaub mir, ich kann das wieder in Ordnung bringen." Jack bewegte wie ein Magier seine Hände vor ihr. "Ich bin Handwerker, vergiss das nicht." Mit einem resignierten Seufzer kehrte Laura ihm den Rücken zu. Er legte die Hände auf ihren Nacken und führte sie langsam tiefer, bis er eine verkrampfte Stelle fand und Laura leise aufstöhnte. Ausgehend von ihrem Halswirbel knetete er mit kraftvollen, warmen Fingern ihre Muskeln. Es war ungemein wohltuend. Als er die Hände schließlich unter ihren weiten Pullover schob und sie massierend über ihre nackten Schultern gleiten ließ, war sie nicht mehr in der Lage, Einspruch zu erheben. Laura merkte regelrecht, wie sich die verkrampften Muskeln unter Jacks geschickten Händen lockerten. Sie versuchte, nur an diese Hände zu denken und alles andere von ihm zu vergessen. Aber das war ausgeschlossen. Sie spürte die Nähe seines Körpers und seinen Atem an ihrem Nacken. Es fühlte sich so gut an, so warm und so
beruhigend. Was wäre, wenn sie sich nun einfach zurücklehnen würde? Erschrocken fuhr sie auf. Was sollte das? "Habe ich einen wunden Punkt getroffen?" murmelte Jack hinter ihr. "Nein, nein. Es ist schon viel besser, vielen Dank." Sie hörte die falsche Fröhlichkeit in ihrer Stimme. "Aber jetzt mache ich mich besser wieder an die Arbeit." Damit stand sie auf, und er auch. "Wenn du vor und nach der Arbeit ein paar Streckübungen machst, müsste es besser werden mit den Verspannungen. Und vergiss nicht, dass du einen begnadeten Handwerker hier im Haus hast." "Der sein Können besser in den übrigen Zimmern unter Beweis stellen sollte. Mit diesem hier werde ich Ende der Woche fertig sein." Laura drehte sich um und schwenkte drohend einen Finger. "Sollte ich dein Hinterteil noch einmal aus einem Loch in einem Zimmer ragen sehen, in dem ich gerade arbeite, werde ich es als Zielscheibe für einen meiner Farbeimer benutzen." "Überarbeitet und unterbezahlt", brummte Jack auf dem Weg hinaus. Aber sie hörte an seiner Stimme, dass er lächelte, und konnte gar nicht anders, als es auch zu tun. Laura stand schon wieder auf der Leiter, als er noch einmal hereinschaute. "Ich muss heute Nachmittag in die Stadt, um mir eine neue Baustelle anzusehen. Brauchst du irgendwas hier oben, was nicht bis morgen warten kann?" "Ich glaube nicht ..." Ihr Blick fiel auf das riesige Bett, das immer noch an der Wand stand, und schnell stieg sie von der Leiter. "Doch, da wäre noch etwas. Jack, kannst du mir helfen, das Bett dort fortzurücken?" "O nein, auf keinen Fall. Mit deinem Nacken wirst du keine schweren Möbel verrücken." Als sie protestieren wollte, schüttelte er den Kopf. "Bevor ich gehe, hole ich jemanden, der mir hilft." "Das ist ja lächerlich, Jack - von wegen schwaches Geschlecht und so." Sie machte einen Schritt in Richtung Bett. Er verstellte ihr den Weg und sah sie finster an. "Das hat nichts damit zu tun. Aber wenn du dir einen Bruch hebst und deine Arbeit nicht beenden kannst, wird das Haus nicht rechtzeitig fertig. Und das ist schlecht für meinen Ruf. Ich muss mir meinen Lebensunterhalt an diesem Ort verdienen, wo jeder alles über jeden weiß. Verstehst du
das? Ich tue es nicht aus Ritterlichkeit, sondern nur in meinem
ureigenen Interesse. Und Möbel zu verrücken ist mein Job, Laura."
"Nun, dann sorg dafür, dass das Ding verrückt wird, bevor ich zu der
Wand dort komme."
Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus.
Sie folgte ihm. "Früher warst du nicht so herrschsüchtig."
Er wandte sich um und maß sie mit einem ärgerlichen Blick. "Und du
gingst einem früher nicht so auf den ..."
"Jack?" brüllte von unten eine Männerstimme.
"Ich bin hier oben!" brüllte Jack zurück.
Schritte polterten die Treppe hinauf, ein dunkler Kopf erschien in der
Tür. "Hi, Jacko!"
"He, Chipper!" Ein bizarres Begrüßungsritual folgte. "Ich wusste gar
nicht, dass du in der Stadt bist."
"Bloß für ein paar Tage, um das Häuschen für den Sommer
einzurichten."
Der Spitzname "Chipper" passte zu Jacks Freund. Er war der
munterste, vitalste Mensch, den Laura je gesehen hatte. Chip war
ständig in Bewegung, und sein beträchtlicher Bauch unterstrich noch
den Eindruck eines Kreisels.
"Du erinnerst dich an Laura Kincaide?" fragte Jack.
"Laura aus der High School, meinst du? Wow, du bist ja eine richtig
tolle Frau geworden, Laura!"
"Nur wenn ich Farbe in den Haaren habe."
Er zog sie zu einer kräftigen Umarmung an sich.
"Hi, Chip", keuchte sie, als sie wieder atmen konnte.
"Schön, dich wieder zu sehen. Das passt ja wirklich wunderbar. Ich
bin vorbeigekommen, um Jack zum Barbecue einzuladen, das erste
der Saison, in meinem Sommerhäuschen, an diesem Samstag. Jetzt
könnt ihr beide kommen."
"O nein, ich ... ich kann nicht", stammelte Laura. Das Letzte, was sie
jetzt gebrauchen konnte, war eine Art Klassentreffen.
"Erzähl mir nicht, du hättest ein heißes Date, denn alle netten Männer
sind am Samstag bei mir - wirklich. Es wird ganz wie in alten Zeiten
sein."
Genau das befürchtete sie ja. "Ich kann Gran nicht allein lassen ..."
"Kein Problem, bring sie mit. Jack kann euch abholen, dann braucht du mein Haus nicht erst zu suchen." Seine runden Augen funkelten vor Aufregung. "Oh, das wird toll!" Chip strahlte, als er zur Treppe zurückging. "Aber, Chip ...", begann Laura noch einmal. "Ja, genau. Chip, wir haben einen kleinen Job für dich, bevor du gehst. Das Bett hier drinnen muss verschoben werden." Während die Männer keuchend das schwere Möbelstück verrückten, suchte Laura fieberhaft nach einer glaubwürdigen Ausrede für den Samstag, hatte aber das Gefühl, dass Chip keinen Einwand akzeptieren würde. Deshalb würde der feigeste Ausweg wohl der beste sein: eine kurze Krankheit, die sie gerade zum Wochenende befiele. "Dann kommt ihr am Samstag also beide, nicht?" Schnaufend wischte Chip sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. "Worauf du dich verlassen kannst", sagte Jack. "Ich freue mich schon", sagte Laura. Als sie Jacks überraschten Blick auffing, setzte sie ihr unschuldigstes Lächeln auf. Am Nachmittag kam es Laura im Haus sehr still vor ohne das Klopfen und Hämmern von Jack. Chopin löste Vivaldi ab, und irgendwann herrschte dann wieder Stille. Laura begann den Anblick von Rosenknospen allmählich zu hassen. Die Schmerzen in ihrem Nacken wurden schlimmer, aber sie würde nicht eher aufgeben, bis sie die letzte Rose aufgemalt hatte. Sie hielt gerade einen Moment inne, um ihren Nacken zu massieren, als sie plötzlich das unheimliche Gefühl hatte, leise Schritte zu hören. Laura überlegte, ob sie je von Gespenstern im McNair-Haus gehört hatte, um dann den Kopf über ihre eigene Dummheit zu schütteln. Nein, sie würde jetzt nicht durch die leeren Zimmer streichen und nachsehen. Doch nun waren die Schritte plötzlich ganz nah zu hören. Erschrocken fuhr sie herum, und da stand Cory Sutherland im Zimmer und sah sogar noch jünger und hübscher aus als früher. Es war zwölf Jahre her, seit sie Cory das letzte Mal gesehen hatte. Cory konnte also unmöglich jünger geworden sein, nicht einmal beim Fernsehen. Laura tat, was jeder normale Mensch angesichts einer solch schrecklichen Erscheinung getan hätte. Sie schrie.
Die Erscheinung zuckte zusammen und wich zurück zur Wand. Einen
Moment lang starrten die beiden weiblichen Wesen sich mit
unverhohlenem Entsetzen an.
Mit zitternden Beinen stieg Laura dann von der Leiter. "Cory?" Ihre
Stimme klang dünn und unsicher.
"Ich ... ich suche meinen Dad." Die Stimme des jungen Mädchens
schwankte.
"Ich dachte, er sei tot." Mr. Sutherland hatte schon nicht mehr gelebt,
als Cory mit ihrer Mutter nach Laroche gezogen war. Wie war das
möglich ...
"Tot?" schrie das Mädchen fassungslos. "Aber ich habe ihn doch
heute Morgen noch gesehen, hier unten, durch das Fenster."
O Gott! Ich muss hier raus aus diesem Spukhaus, dachte Laura, und
zwar schnell. "Mr. Sutherland war unten?" Sie lehnte sich an die
Wand, um sich zu stützen.
"Nein, mein Dad - Jack Thomas!"
Nicht einmal die Wand vermochte Laura noch zu halten. Kraftlos ließ
sie sich auf die Fersen sinken, als sie erkannte, dass es Corys Tochter
war, die sie anstarrte, als hätte sie den Verstand verloren.
"O mein Gott, das tut mir Leid. Jack geht es gut, er ist nur
weggefahren, um sich irgendeine Baustelle anzusehen. Ich ... Moment,
mir ist ein bisschen schwindlig." Laura steckte den Kopf zwischen die
Knie und atmete tief durch, bis der Boden aufhörte, sich zu drehen,
und das Dröhnen in ihrem Kopf nachließ. Vorsichtig schaute sie auf.
Das Mädchen war noch da und blickte noch genauso misstrauisch wie
vorher.
"Du musst Sara sein", sagte Laura schließlich.
"Ja."
"Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich. Ich habe euch verwechselt."
Das Mädchen war jetzt nicht mehr ganz so bleich. "Sie hielten mich
für meine Mutter? Aber weshalb sollte meine Mutter ihren Vater
suchen? Er ist tot."
"Ich weiß."
"Dachten Sie, ich wäre ein Gespenst?"
"Ja."
"Oh." Sara kicherte.
"Ich bin übrigens Laura Kincaide." Die Feststellung hörte sich aus irgendeinem Grund wie die Pointe an, und beide brachen sie in schallendes Gelächter aus. "Du siehst deiner Mutter wirklich sehr ähnlich", sagte Laura, als sie wieder sprechen konnte. "Dad findet sie hübsch", erwiderte Sara wehmütig und errötete dann plötzlich. "Oh, ich wollte nicht..." Hilflos brach sie ab. Sara hatte ein sehr viel bescheideneres Wesen, als Cory es je besessen hatte. Und als Laura in ihre Augen blickte, erkannte sie, dass es auch nicht Corys Augen waren, sondern Jacks. Vielleicht hatte sie unbewusst Angst vor der Begegnung mit diesem Kind gehabt - dem lebenden Beweis dafür, dass Jack sich einer anderen zugewandt hatte. Aber das schüchterne, verwundbare junge Mädchen, das nun vor ihr stand, hatte seine eigene Geschichte, die mit ihrer nichts zu tun hatte. "Ja, sie ist hübsch", erwiderte Laura. "Aber du bist hübscher." Sara sah aus, als würde sie das gern glauben, wagte es aber nicht. Diese Unsicherheit brachte bei Laura eine Saite zum Klingen. Auch sie hatte sich einst linkisch und unattraktiv gefühlt. "Ist es in Ordnung, wenn ich warte, bis Dad zurück kommt?" Die Einsamkeit, die aus der Frage klang, berührte Laura. "Wer hier warten will, muss helfen. Ich jedenfalls könnte mit den Schablonen Hilfe gut gebrauchen. Außerdem bist du mir etwas schuldig für den Schreck, den du mir eingejagt hast." "Aber ich weiß nicht, wie ..." "Wenn du einen Stift halten, auf einer Leiter stehen und sehen kannst, hast du alles, was du brauchst." Zögernd trat Sara vor und strich in einer nervösen Geste ihr langes blondes Haar hinter die Ohren. "Aber Sie sind ... na ja, berühmt. Mein Dad hat mir einen Zeitungsartikel über Sie gezeigt, mit Fotos von Ihnen und einigen der alten Häuser, die Sie renoviert haben. Ich kann Ihnen doch gar nicht helfen." Der Artikel war vor über einem Jahr erschienen. Laura hätte nicht gedacht, dass Jack ihn überhaupt gelesen hatte. Dabei hatte er ihn all die Zeit aufbewahrt und ihn sogar seiner Tochter gezeigt! Laura strahlte und beruhigte Sara. "Natürlich kannst du das. Es ist gar nicht so schwierig. Und falls du einen Fehler machst, übermalst du ihn einfach wieder - kein Problem." "Okay. Ich werde mich bemühen."
Laura musterte besorgt Saras zerfranste Jeans und das weite T-Shirt.
"Ich habe noch einen Kittel, falls du einen brauchst..."
Sara sah sie an, als zweifelte sie erneut an ihrem Verstand. "Das sind
doch nur uralte zerrissene Jeans."
"Nun ja, ich dachte, möglicherweise hätte irgendein Designer sie
zerrissen, und sie hätten vielleicht Hunderte von Dollar gekostet."
Sara musterte nun Laura von oben bis unten, und es war ziemlich
offensichtlich, was sie von Lauras Modebewusstsein hielt, angesichts
des farbbespritzten T-Shirts und des Overalls.
"Gut, dann zeige ich dir jetzt, wie man mit den Schablonen arbeitet."
Sara hörte aufmerksam zu, als Laura es ihr erklärte, und wenige
Minuten später arbeiteten sie zusammen - Sara auf der Leiter und
Laura auf einem Stuhl, den sie von unten geholt hatte - und plauderten
dabei wie alte Freundinnen.
"Welche Fächer magst du am liebsten?" fragte Laura.
"Ich weiß nicht, die naturwissenschaftlichen, glaube ich. Aber
vergangene Woche hat ein Junge meine Biologiearbeit aus dem
Fenster geworfen."
"Wahrscheinlich ist er verliebt in dich."
"Das hat Dad auch gesagt. Aber ich verstehe nicht, wieso ein Junge
meine Klassenarbeit aus dem Fenster wirft, wenn er in mich verliebt
ist."
"Falls du je herausfindest, was in dem Kopf eines Mannes vorgeht,
Sara, lass es mich doch bitte wissen."
5. KAPITEL
"Da fahre ich also mit offenem Verdeck die Straße hinunter, um die alte Corvette für den Sommer fit zu machen ...", Chip stellte es pantomimisch dar und bewegte mit seinen plumpen Händen ein imaginäres Lenkrad, "... und diese Superfrau fährt vorbei und macht mir schöne Augen. Sie sieht sich um und schaut mir nach - ich meine, so richtig mit verliebten Blicken." "Noch ein Corvette-Fan", entgegnete Jack trocken. Die einzige Kneipe der Stadt füllte sich allmählich. Ständig musste er seinen Bierkrug heben, um den einen oder anderen Gast zu grüßen. Einen Moment lang wünschte er, er sei in irgendeiner Bar in New York, wo neun Millionen Menschen ihn nicht kannten. "He, was ist los mit dir?" fragte Chip. "Hast du Probleme mit Frauen?" "Ich halte mich von Frauen fern. Das erspart mir die Probleme." "Oho. Das hört sich für mich an, als brauchtest du dringend einen Ölwechsel, falls du verstehst, was ich meine." Chip zwinkerte vielsagend. "Weißt du was? Das nächste Mal, wenn du nach Seattle kommst, mache ich dich mit ein paar netten Frauen bekannt." Jack konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen. "Danke, Chip, aber ich brauche keinen Ölwechsel." Er zwinkerte zurück. Er hatte keinen "Ölwechsel" mehr gehabt, seit Laroches einzige Apotheke den Besitzer gewechselt hatte. Sonja, die geschiedene Pharmazeutin, die ebenso viel Wert auf Diskretion und Unkompliziertheit gelegt hatte wie er selbst, war kurz nach Verkauf der Apotheke fortgezogen. Das war vor über zwei Jahren gewesen, aber das würde er Chip natürlich nicht auf die Nase binden. "Wie läuft's mit Laura?" "Gut." Jacks Ton verbot weitere Fragen. "Ich erinnere mich, dass sie ganz schön verknallt in dich war", sinnierte Chip, der subtile Hinweise noch nie verstanden hatte. "Ich glaube, das hat sie überwunden." Und wie.
Chip beugte sich vor. "Wenn du eine alte Flamme wieder anfachst, wird sie manchmal wieder richtig heiß. Aber das weißt du erst, wenn du's versuchst." "Ich glaube nicht. Außerdem ist sie G.u." Chip winkte bei ihrem alten Code ab. "Geographisch ungeeignet ist sie, wenn sie in Seattle ist. Aber jetzt arbeitet sie mit dir unter einem Dach. Besser könnte es also gar nicht sein." Bis auf den kleinen Schönheitsfehler, dass sie nach erledigtem Auftrag nach Seattle zurückkehren würde und er, Jack, weiterhin hier in Laroche festsaß. "Sie ist doch auch Malerin", fuhr Chip fort. "Stell doch mal fest, was sie mit essbarer Körperfarbe anfangen kann." Jack verschluckte sich fast an seinem Bier. "Was für Farbe?" "Essbare Körperfarbe. Oh, das ist was Tolles! Es gibt sie in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Bananengelb mag ich am liebsten." Chip grinste anzüglich. "So ganz allein mit ihr in diesem großen Haus zu arbeiten, könnte dem Wort Raumgestaltung doch eine ganz neue Bedeutung geben, nicht?" Jack war versucht, irgendetwas, seine Faust zum Beispiel, in Chips grinsendes Gesicht zu platzieren. „Wir arbeiten zusammen. Das ist alles." Etwas von seinen Mordgedanken musste sich in seinem Ton verraten haben, denn Chip hob abwehrend die Hände. "Nun hab dich doch nicht so, Jack. Es war doch nur ein Scherz. Wenn ich acht Stunden am Tag in einem unbewohnten Haus mit Laura wäre, würde ich ..." "Du bist es aber nicht!" brauste Jack auf. "Ich muss jetzt gehen." "Bis Samstag!" rief Chip ihm unbeeindruckt nach, als Jack sich einen Weg zum Ausgang bahnte. Nach dem Lärm und der Wärme des Lokals kam es Jack auf der Straße still und kalt vor. Er machte sich auf den Heimweg, überlegte es sich dann aber anders und ging zum McNair-Haus weiter. Oben brannte noch Licht. Er schaute auf die Uhr. Fünf Uhr fünfzehn. Eilig trat er ins Haus. Er wollte nicht, dass Laura ihn für einen Faulpelz hielt. Er betrat das Haus und war erstaunt, von oben weibliche Stimmen zu hören. Neugierig stieg er die Treppe hinauf. Als er über den Korridor zum Schlafzimmer ging, unterschied er Lauras Stimme und war sicher, dass die zweite Saras war. Sie klang
ungewöhnlich lebhaft, und er ging langsamer und näherte sich lautlos der Schlafzimmertür. Sie waren beide dort drinnen und plauderten wie alte Freundinnen. Sara hielt einen Stift und ein Lineal in der Hand und maß die Wand ab, während Laura mit ihrer Schablone nicht weit von ihr entfernt arbeitete. Sie sprachen über nichts Besonderes. Sara erzählte irgendeine Anekdote aus der Schule. Aber es war ungewohnt für ihn, seine Tochter so kichernd und unbefangen zu erleben. Und Laura, die allen Grund gehabt hätte, Sara abzulehnen, hörte ihr zu und lachte ein paar Mal fröhlich auf. Während Jack sie unbemerkt beobachtete, zog ein seltsames Gefühl ihm die Brust zusammen. Er wollte sich so leise, wie er gekommen war, wieder entfernen. Aber vermutlich hatte er ein Geräusch verursacht, denn Laura drehte sich auf einmal um. Ihre Blicke begegneten sich, während Sara, die nichts bemerkt hatte, weiterplauderte. Lauras volle Lippen teilten sich ein wenig - Lippen, die so weich und rosig waren wie die Rosenblüten, die sie auf die Wände malte. Der Moment schien eine kleine Ewigkeit zu währen, und es war, als würden sie sich auf den Grund ihrer Seele schauen. Dann unterbrach Laura den Blickkontakt und sagte: "Dein Dad ist hier, Sara." "Dad!" Sara strahlte ihn an. "Sieh mal, ich helfe Laura. Darf ich bleiben, bis wir fertig sind? Bitte." "Sie ist mir eine große Hilfe", fügte Laura hinzu, vermied es aber, Jack noch einmal anzusehen. Er atmete tief ein. "Ich habe unten noch etwas zu erledigen. Hol mich ab, Sara, wenn du hier bei Miss Kincaide fertig bist." Jack hörte ein leises Lachen hinter sich. "Laura ist mir lieber, falls du nichts dagegen hast, Jack." Er hatte das Gefühl, dass sie schon den ganzen Nachmittag "Laura" für seine Tochter war. "Klar. Aber lass dich von Sara nicht bei der Arbeit stören." Damit ging er und versuchte, nicht eifersüchtig zu sein, weil Sara lieber mit einer Fremden zusammen war als mit ihm, ihrem Vater. Jack fragte sich, was seit Lauras Ankunft auf der Insel bloß los war. Seine stille, pflichtbewusste Tochter kicherte plötzlich und schnatterte wie eine Gans, und sein alter Freund Chip redete über essbare
Körperfarben und Laura in einem Atemzug. Offenbar war er selber der Einzige, der in Bezug auf Laura vernünftig blieb. Die ganze Angelegenheit verdross ihn sehr - ganz im Gegensatz zu Sara und Laura, die bester Stimmung zu sein schienen, als sie schließlich die Treppe hinunter kamen. Immer noch lachten sie ungezwungen wie zwei gute Freundinnen beim Kaffeeklatsch, und das trotz des enormen Altersunterschieds. "Okay", sagte Jack mürrisch. "Lass uns heimgehen, damit wir vor Mitternacht noch etwas zu essen kriegen und deine Hausaufgaben machen können." Seine Stimmung trübte augenblicklich ihre, was ihm die fragwürdige Genugtuung verschaffte, seine übersprudelnde Tochter wieder zu ihrer gewohnten stillen Art zurückkehren zu sehen. "Tut mir Leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe, Sara", murmelte Laura. "Es hat aber wirklich Spaß gemacht. Vielleicht, wenn dein Dad es dir erlaubt, können wir ja noch mal zusammen arbeiten." Sara strahlte Laura an, und sie erwiderte das Lächeln. "Gute Nacht, Sara - und Jack", sagte Laura und ging zur Tür. Jack brummte nur etwas. Auch während des Abendessens blieb Jack schlecht gelaunt. Sara floh mit ihren Hausaufgaben in ihr Zimmer, so bald sie konnte, und überließ ihn seinen eigenen Gedanken. Jack fand, dass alles viel einfacher gewesen war, bevor Laura aufgetaucht war. Jetzt, wo er sie jeden Tag sah, ihr Lachen und ihre weiche Stimme hörte und ihre Kurven bemerkte - die nicht einmal die weitesten Overalls verbergen konnten -, erkannte er, wie sehr ihm eine Frau in seinem Leben fehlte. Schon lange hatte er sich nicht mehr so rastlos und so einsam gefühlt. Cory war keine ideale Partnerin für ihn gewesen. Tatsächlich hätten sie gar nicht schlechter zusammenpassen können, aber sie war wenigstens da gewesen, wenn er abends heimkam. Und in den ersten Jahren, als Sara noch klein gewesen war, war es ihnen sogar gelungen, so zu tun, als wären sie glücklich miteinander. Aber seit Cory fort war, hatte Sara ihn sozusagen auf dem Pfad der Tugend gehalten. Mehr als flüchtige Affären hatte er seither nicht gehabt. Die bloße Vorstellung, Sara könnte eine fremde Frau in seinem Bett vorfinden, genügte, um seine Libido in Schach zu halten.
Wenn Sonja nicht die Nachtschicht in der Apotheke gehabt hätte, was ihnen die Möglichkeit gegeben hatte, morgens zusammen zu sein, während Sara in der Schule gewesen war, hätte er ganz auf Sex verzichtet. Aber diese Affäre war nur zu Anfang leidenschaftlich und gegen Ende freundschaftlich gewesen, und sie hatten sich mit angenehmen Erinnerungen und ohne Bedauern getrennt. Seit Sonja fortgezogen war, hatten Frauen ihn nicht weiter interessiert - bis Laura gekommen war. Und mit einem Mal erkannte er den Grund für seine schlechte Laune erkannte ihn mit einer Klarheit, die eindeutig war. Er begehrte Laura. Er hatte sie begehrt, als er ihren Nacken massiert und ihre Haut, warm und weich und seidig, unter seinen Fingern gespürt hatte. Mit ungeahnter Heftigkeit harte er sich danach gesehnt, seine Hände ihre Schultern hinab gleiten zu lassen, um ihre Brüste zu liebkosen - und mehr. Dann hatte Chip ihm die Idee mit der essbaren Körperfarbe in den Kopf gesetzt, die ihn jetzt nicht mehr losließ und sich zu einer sehr heißen Fantasie entwickelt hatte. Die bittere Wahrheit war, er brauchte nicht nur irgendeine Frau. Es war Laura, die er wollte. Laura, die normalerweise meilenweit entfernt lebte und ihre eigene Welt, ihre Arbeit und ihren Freund hatte. Laura, die ihm einst alles gegeben hätte und die er abgewiesen hatte. Doch selbst wenn er all diese Hindernisse irgendwie überwinden könnte, würde er Laura nur für eine kurze Weile bei sich haben. Denn Laura würde nicht nach Laroche zurückziehen. Und er konnte nicht weg von hier. Das würde er Sara nie antun. Stöhnend vor Frustration, zog Jack Shorts und Turnschuhe an und rannte aus dem Haus - direkt in Laura. Erschrocken schrie sie auf und sprang zurück, während er erschrocken stehen blieb. Die Kollision selbst war nicht so schlimm, aber ihn umwehte dabei der Duft von Mandelshampoo ihrer frisch gewaschenen kastanienbraunen Locken. Instinktiv ergriff er ihre Arme, als er mit ihr zusammenprallte. "Ein sehr effektives Sicherheitssystem", meinte Laura keuchend. "Erinnere mich daran, beim nächsten Mal vorher anzurufen."
Jack lachte leise und ließ sie los. Seine schlechte Laune war verschwunden. "Entschuldige. Wolltest du zu Sara? Ich sag ihr, dass du da bist." Mit einer Hand hielt Laura ihn zurück. "Nein. Ich bin gekommen, um mit dir zu reden." Sie musterte ihn von oben bis unten. "Aber offensichtlich ist es nicht der richtige Moment. Wir können auch morgen darüber reden." Sie wandte sich zum Gehen. "Nein, warte." Er war begierig, zu hören, was auch immer sie ihm sagen wollte. "Ich wollte gerade ein bisschen joggen. Wenn du mir fünf Minuten gibst, um mir etwas Wärmeres anzuziehen, können wir stattdessen einen Spaziergang machen." Laura war einverstanden, und wenig später gingen sie in stillschweigender Übereinstimmung zu den Grünanlagen am Strand hinunter. Das Rauschen des Meeres und das gelegentliche Bellen eines Hundes waren die einzigen Geräusche. Jack überließ es Laura, die Unterhaltung zu eröffnen. Während sie einen der schmalen Wege entlanggingen, hörte er sie tief einatmen, als hätte sie ihm eine schlechte Nachrichten zu überbringen. Sein Herz sank. Vielleicht reiste sie ab, jetzt, wo sie sich gerade wieder kennen lernten - und wo Sara in ihr eine wirkliche Gesprächspartnerin gefunden zu haben schien. "Jack, entschuldige bitte, falls ich heute etwas falsch gemacht habe mit Sara, meine ich. Aber ich kenne mich mit Kindern nicht aus. Wahrscheinlich hätte ich dich zuerst fragen sollen, ob sie mir helfen darf." Im schwachen Licht sah er, dass Laura sich auf die Lippen biss. "Nein, ich war unmöglich heute. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Du hast überhaupt nichts falsch gemacht." Er blieb stehen und drehte Laura am Arm zu sich herum. "Du warst wunderbar mit Sara. Sie braucht jemanden wie dich. Ich meine, eine Frau, mit der sie reden kann." Im Mondschein glänzte Lauras Haar, und ihre Lippen schimmerten, als sie sichtbar erleichtert zu ihm aufschaute. "Sie ist einsam, sie braucht eine Freundin ..." Die Kehle wurde ihm eng. Jack sprach jetzt nicht mehr nur von den Bedürfnissen seiner Tochter. Die Vernunft riet ihm, es sein zu lassen, solange er noch konnte, aber seine Sehnsucht war stärker. Langsam beugte er sich zu Laura, um ihr
seine Absicht klarzumachen und ihr die Chance zu geben, sich ihm zu
entziehen.
Sie tat es nicht, sondern sah ihn mit Augen, die wie geheimnisvolle
dunkle Seen waren, unverwandt an. Als ihre Lippen dann seine
berührten, überließ er sich völlig seinen Empfindungen.
Ihre Lippen waren feucht und zunächst ein wenig kühl. Aber als sie
sich nun an ihn schmiegte, wurden sie schnell warm. Es war ein sehr
sanfter, vorsichtiger Kuss, doch er spürte ihn bis in die Zehenspitzen.
Laura trat als Erste zurück und atmete tief ein.
"Es tut mir Leid", sagte Jack rau. Er war nicht sicher, ob er sich für
seine Ruppigkeit vom Nachmittag entschuldigte oder für den Kuss.
Vielleicht für beides.
Sie schwiegen auf dem Heimweg, als wären sie verlegen, nachdem sie
sich geküsst hatten.
Vor seiner Haustür zögerten sie.
"Möchtest du noch auf einen Kaffee mit hereinkommen?" fragte Jack,
unsicher, ob er wollte, dass sie blieb oder nach Hause ging.
Laura antwortete nicht sofort, als wäre sie genauso unsicher wie er.
"Nein, ich gehe besser."
Er sah sie gehen und wünschte nun, sie bliebe. Einmal drehte sie sich
um, und sie schauten sich im Mondschein an. Sie hob die Hand und
winkte, und er erwiderte den Gruß, ging aber nicht ins Haus.
Reglos stand er da und schaute ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen
war.
6. KAPITEL
Laura kämpfte mit einem Ballen gelb und blau gemusterten Brokats und versuchte, etwas davon über die Gardinenstange zu drapieren, um zu sehen, ob die Farben passten. Aber jedes Mal, wenn sie zurücktrat, rutschte der Stoff wieder hinunter. Sie schwitzte und war ärgerlich. Jack war schon wieder irgendwohin gefahren, obwohl sie seine Hilfe gut hätte gebrauchen können. Auf der anderen Seite war ihr dadurch erspart geblieben, ihm heute Morgen zu begegnen. Jedes Mal, wenn sie an Jacks überraschenden Kuss von gestern Abend dachte, prickelten ihre Lippen von neuem. Sie hätte ihn als freundschaftliches kleines Küsschen abtun können, mit dem Jack sich für sein unfreundliches Benehmen ihr und Sara gegenüber hatte entschuldigen wollen. Das aber ließ ihre Reaktion auf diesen Kuss nicht zu. Denn während sie seinen Mund gespürt hatte, hatte ein so heißes Verlangen nach Jack sie erfasst, dass sie ihn am liebsten in den weichen Sand hinab gezogen und die Möwen in Verlegenheit gebracht hätte. Es war nicht fair, dass er noch immer solche Empfindungen in ihr wecken konnte, aber eins stand fest. Sie würde sich nicht anmerken lassen, welche Gefühle er in ihr wachrief - und ihn auch nie wieder so nah an sich heranlassen, dass er es noch einmal versuchen konnte. Sie bemühte sich gerade erneut, den Brokat um die Gardinenstange zu drapieren, als sie ein Geräusch hinter sich hörte. In Erinnerung an ihren absurden Auftritt mit Sara, die sie im ersten Moment für Corys Geist gehalten hatte, drehte Laura sich lächelnd um - und erstarrte. Der Brokat rutschte ihr aus den Händen. Diesmal konnte die Frau, die ihr gegenüberstand, tatsächlich keine andere sein als Cory Sutherland. Und sie war bestimmt nicht zu einem Gespenst geworden. Die einst perfekte Cheerleaderin hatte sich zur perfekten Fernsehmoderatorin entwickelt. Sie trug ein elegantes, hellgrünes Chanelkostüm, das ihre unglaublich grünen Augen unterstrich. Ihr glänzendes blondes Haar war zu einem raffinierten Chignon
aufgesteckt. Ihr Körper sah noch genauso perfekt aus wie früher auf dem Footballfeld; nichts an ihrer schlanken, sexy Figur ließ darauf schließen, dass sie ein Kind geboren hatte. Angesichts all dieser damenhaften Perfektion kam Laura sich wie ein wildes kleines Mädchen vor mit ihren kurzen, krausen Locken und ihrem ungeschminkten, staubigen Gesicht. Und heute trug sie nicht einmal ihren besten Overall. "Na so was, das ist ja Laura Kincaide!" Überraschung klang aus Corys wohlmodulierter Stimme. "Dich hätte ich überall erkannt." War das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung? "Hi, Cory", erwiderte Laura matt und wünschte, Cory wäre tatsächlich ein Geist, den man zur ewigen Ruhe betten, exorzieren oder was auch immer könnte. "Ich suche Jack. Man sagte mir, er würde hier arbeiten." "Er arbeitet im Erdgeschoss und ich hier oben." Laura machte die Unterscheidung ganz bewusst, damit Cory gar nicht erst auf die Idee kam, zwischen Jack und ihr würde irgendetwas laufen. "Aber ich glaube, im Moment ist er nicht da." "Nun, falls ihr euch auf der Treppe begegnen solltet, dann sag ihm bitte, dass ich in der Stadt bin. Ich wohne im ,Seabreeze'." Corys grüne Augen glitzerten belustigt. "Freut mich, dich wieder gesehen zu haben, Laura." "Mich auch", log Laura. Dieser nette kleine Auftrag in ihrer Heimatstadt sah immer mehr nach einem Klassentreffen aus. Zuerst Jack, dann Chip, nun Cory. "Ich weiß wirklich nicht, ob du das wert bist, Haus", sagte sie, als Cory weg war, und blickte sich verstimmt im Zimmer um. Ihre Verdrossenheit verwandelte sich jedoch in freudige Erregung, als ihr wieder zu Bewusstsein kam, dass sie ja endlich an ihrem Traumhaus arbeitete - trotz der schrecklichen Vorhänge. "Also gut, du bist es wert", gestand sie seufzend. "Und du hast Recht, der Brokat passt überhaupt nicht." Achtlos raffte sie den schweren Stoff zusammen und schleifte ihn zur Tür. Als sie aufschaute, stöhnte sie, denn in der Tür stand Jack und grinste. "Ja", sagte sie, bevor er eine spöttische Bemerkung machen konnte, "ich rede mit mir selbst. Oder vielmehr mit dem Haus. Wir beide
waren in letzter Zeit so oft allein, dass wir uns sehr miteinander angefreundet haben." Ihr Ton war schärfer als beabsichtigt. Aber sie war noch ziemlich durcheinander von den Ereignissen des Abends und dem Wiedersehen mit Cory. "Tut mir Leid. Ich werde den Zeitverlust aufholen." Jack klang zerknirscht. "He, es ist nicht meine Sache, wie viele Stunden du arbeitest - solange du mein Vorankommen damit nicht behinderst." "Ich wollte mit dir reden, falls du nicht zu beschäftigt bist." "Für eine kleine Pause nie." Würde er den Kuss erwähnen? Oder sie gar bitten, mit ihm auszugehen? Ihr Herz begann zu rasen. Was sollte sie erwidern? Jack nahm ihr den Brokat ab und trug den Ballen auf den Korridor. Sie strich über ihr wirres Haar. "Bist du Cory auf dem Weg hierher begegnet?" "Wem?" Der Brokat landete wieder auf dem Boden. "Cory Sutherland, deiner Frau und Mutter deines Kindes." "Exfrau", berichtigte er. "Cory ist hier? Hier in Laroche?" "Im Seabreeze." Ganz gleich, worüber er mit ihr hatte sprechen wollen, es war vergessen. Abrupt drehte er sich um, stieg gegen den misshandelten Stoffballen und polterte die Treppe hinunter. Es war, als ob sich die Geschichte wiederholte. Cory pfiff, und Jack sprang. Und sie, Laura, blieb zurück und kam sich vor wie eine Närrin. Jack überschritt drei Mal die Geschwindigkeitsbegrenzung, als er zum Seabreeze hinüberbrauste. Seine Hände auf dem Lenkrad waren feucht, sein Magen zog sich vor Anspannung zusammen. Fünf, nein, sechs Jahre hatte er mit der Angst gelebt, dass Cory eines Tages erkennen könnte, was für einen Fehler sie gemacht hatte, und versuchen würde, ihm Sara wegzunehmen. Jack war kein Jurist, wusste aber, dass Väter nur selten das Sorgerecht für ihre Kinder erhielten. Er und Cory hatten ihre Vereinbarung nie offziell gemacht, sondern nur ihren finanziellen Besitz geteilt und beschlossen, es sei besser für Sara, wenn sie in Laroche blieb. Seither schickte Cory gelegentlich Geld, das Jack bis auf den letzten Cent auf ein Sparkonto für Saras Collegeausbildung einzahlte, und einmal im Jahr ein Flugticket für ihre Tochter. Sie selbst war erst drei Mal nach
Laroche gekommen in all den Jahren, seit sie fort gegangen war - und nie unangekündigt. Auf dem kurzen Weg zu Laroches bestem Hotel versuchte Jack, sich Argumente zurechtzulegen, obwohl er sich jetzt schon wie ein Verlierer vorkam. Er konnte sich sehr gut Corys Gründe, Sara jetzt zu sich zu nehmen, vorstellen, und Angst erfasste ihn, wenn er über diese Gründe nachdachte. Sara kam bald in die Pubertät, und er wusste praktisch nichts über die Veränderungen, die sie dann erwarteten. Er hatte ein Buch mit dem ominösen Titel "Jetzt bist du eine Frau" gekauft, das nun im Schrank lag, weil er zu feige war, es Sara zu geben, und sich auch nicht traute, es selbst zu lesen. Und dann die Sache mit den Dates. Er konnte sich noch zu gut an seine eigene Teenagerzeit erinnern, um Sara mit einem Jungen ausgehen zu lassen. Als er Laura und Sara gestern zusammen gesehen hatte, hatte er sich ein paar Minuten lang die Fantasie erlaubt, Laura könne vielleicht die Frau sein, die er suchte. Die Frau, die Sara während der Pubertät mit Rat und Tat zur Seite stehen würde. Aber er musste den Tatsachen ins Auge sehen. In ein paar Wochen kehrte Laura nach Seattle zurück, und Sara würde nach wie vor weibliche Unterstützung brauchen. "Herein", rief eine vertraute Stimme, als Jack das Seabreeze erreicht hatte und an Corys Zimmertür klopfte. Den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, saß Cory in einem Sessel, hatte ein Bein angewinkelt und lackierte sich die Fußnägel. Sie trug ein weißes Seidentop, das ihr wundervolles hellblondes Haar betonte und das in dieser vorgebeugten Haltung eine Menge von ihren Brüsten zeigte. Ihr grüner Rock war weit über das Knie hinaufgerutscht und gab einen braun gebrannten Schenkel frei. Cory bewegte die Zehen ihres linken Fußes, damit der Lack schneller trocknete, während sie nun den rechten Fuß lackierte. Der Geruch des Nagellacks und das Bild, das sich ihm bot, riefen Erinnerungen an ihre Ehe in Jack wach. Für ihn symbolisierte dieses Ritual des Lackierens der Zehennägel Corys Besessenheit mit ihrem Aussehen. Ihre Schönheit und ihre Karriere waren die einzigen Dinge, die sie wirklich interessierten.
Was immer er auch tun oder gegen wen er kämpfen musste, er würde
Sara auf gar keinen Fall bei dieser Frau aufwachsen lassen, die sie
schon einmal im Stich gelassen hatte.
Cory hob in einem lässigen Gruß die Hand und schenkte ihm ein
schwaches Lächeln.
"Nein, nein, nur übers Wochenende", sagte sie in den Hörer. "Ja, ja.
Du kannst sie mir hierher faxen. Bis Montag werde ich es wissen ...
Ja, ja, natürlich. Ich muss jetzt Schluss machen." Sie schraubte das
Nagellackfläschchen zu und bewegte nun die Zehen beider Füße.
"Überrascht?" fragte sie Jack lächelnd.
"Wie vor den Kopf geschlagen."
Cory lachte ihr Ein-Millionen-Dollar-Lachen und entblößte eine Reihe
perfekter, strahlend weißer Zähne. Jack erinnerte sich, dass sie früher
wie ein preisgekröntes Huhn gegackert hatte. Dieses bühnenreife
Lachen musste man ihr beim Fernsehen beigebracht haben. Die
Zeiten, in denen sie gegackert hatte, lagen hinter ihr - so wie ihre
Zeiten in Laroche.
Sie musterte ihn prüfend. "Du siehst gut aus, Jack. Bekomme ich
keinen Begrüßungskuss?"
Jack rührte sich nicht und überlegte, was für ein Fax Cory erwarten
mochte. Einen Gerichtsbeschluss, um Sara zurückzubekommen?
Wahrscheinlich hatte sie eine Menge einflussreicher Freunde. "Nicht,
bis du mir sagst, wozu du hergekommen bist", entgegnete er ruhig.
Sie zuckte mit den Schultern. "Ich wollte Sara sehen, und dich
natürlich."
"Warum hast du vorher nicht angerufen? Das tust du sonst doch
immer." Er steckte die Hände in die Hosentaschen.
"Was ist los, Jack?" Ihre Stimme war nun kühler.
Typisch Reporter, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.
"Nichts. Ich dachte nur ... Selbstverständlich kannst du sie sehen."
Wenn er Cory nicht verärgerte, konnten sie vielleicht eine Einigung
erzielen.
Sie lehnte sich zurück. "Ich dachte, wir könnten heute Abend zum
Essen ausgehen - wir alle drei."
Jack ertrug die Spannung fast nicht mehr; er musste wissen, was Cory
plante. Aber er hatte lange genug mit ihr zusammengelebt, um zu
wissen, dass sie es ihm nicht eher sagen würde, bis sie selbst es für
richtig hielt. Und wenn er sie ein Abendessen lang ertragen musste, um seine Tochter zu retten, würde er das tun. Er nickte kurz. "Hm. Ich hätte Appetit auf frische Austern. Warum fahren wir nicht zum ‚Captain Whidbey'?" Sie hatten ihre kurzen Flitterwochen in diesem rustikalen Landgasthof verbracht. Ging es ihr wirklich nur um die Austern, oder wollte sie dorthin, um Erinnerungen an frühere, zugegeben leidenschaftliche gemeinsame Zeiten wachzurufen? Oder erinnerte sie sich gar nicht mehr daran, wo sie auf ihrer Hochzeitsreise gewesen waren? "Ich beuge mich deinen Wünschen", hörte er sich antworten. "Gut, dann reserviere ich für acht Uhr einen Tisch. Hol mich um sieben ab." Ärger packte ihn. "Das ist zu spät für Sara. Wie wäre es mit einem nicht ganz so schicken Dinner gegen sechs? Wir holen dich um fünf ab." Cory strich sich übers Haar und wirkte einen Moment etwas verunsichert. "Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Entschuldige. Ich erwarte euch um fünf." Ihre ungewohnte Reue stimmte Jack ein wenig milder. "Sara wird sich freuen, wenn sie hört, dass du hier bist", sagte er. Um fünf knallte Laura die Haustür zu. Sie war ärgerlich, obwohl sie eigentlich gar nicht damit gerechnet harte, dass Jack noch einmal zurückkommen würde, nachdem er wie ein Tornado aus dem Haus gestürmt war, um zu Cory zu kommen. Was zwei erwachsene Menschen in einem Hotelzimmer taten, interessierte sie nicht. Sie war bloß wütend, weil sie und Jack mit dem McNair-Haus unter Termindruck standen und sie die Einzige zu sein schien, die überhaupt noch etwas tat. Es war rein beruflicher Ärger, der ihre Hände so sehr zittern ließ, dass sie den Wagenschlüssel kaum ins Zündschloss stecken konnte. Mit übertriebener Vorsicht fuhr sie zu Gran und beherrschte den Impuls, Gas zu geben und durch die stille Stadt zu jagen. Sie erkannte den grünen Pick-up schon von weitem. Jack fuhr, aber seine Aufmerksamkeit galt eindeutig seinen Begleiterinnen. Corys blonder Kopf war ihm zugewandt, und Sara beugte sich vom Rücksitz vor. Laura kämpfte gegen die Versuchung an, Jacks Wagen zu rammen. Sie umklammerte das Lenkrad und atmete tief durch, während das
fröhliche Trio unbeschadet vorüber fuhr und keiner von ihnen auch
nur ahnte, in welch tödlicher Gefahr sie sich befunden hatten.
Tatsächlich hatten sie sie nicht einmal gesehen.
Als Laura heimkam, saß Gran in eine ihrer Börsenzeitungen vertieft
im Sessel. "Wie war dein Tag, Liebes?" fragte sie, ohne auch nur
aufzuschauen.
Lauras unverständliches Murmeln schien ihr als Antwort zu genügen.
Gran hatte anderes im Kopf.
"Ich sollte eine Tiefkühltruhe kaufen", bemerkte Gran, als sie eine
Seite umblätterte.
"Wozu brauchst du eine Tiefkühltruhe, wo du doch allein lebst?"
"Für den gefrorenen Orangensaft. Wir sollten uns einen großen Vorrat
davon anlegen. Die Preise für Orangen werden astronomisch sein im
nächsten Jahr." Abwesend tätschelte Gran ihr die Hand. "Komm und
iss einen Teller Suppe. Ich habe sie heute Morgen gekocht."
Laura schnupperte anerkennend. "Brokkolicreme? Hm. Heißt das,
dass auch die Brokkolipreise steigen werden?"
Als sie an dem alten Eichentisch saßen und Suppe, Salat und
knusprige Brötchen aßen, meinte Gran: "Ich habe gehört, dass Chip
dich zu einer Party eingeladen hat."
"Wer hat dir das gesagt?" Laura hatte Gran nichts davon erzählt, weil
sie nicht die Absicht hatte hinzugehen.
"Chip natürlich. Ich bin ihm im Supermarkt begegnet. Dieser junge
Mann wird es noch weit bringen."
"Das hat er schon, Gran. Er hat als Börsenmakler Millionen gemacht,
und nun hat er seine eigene Investmentfirma."
Gran nickte zustimmend. "Er versteht etwas von Geschäften, aber für
meinen Geschmack ist er viel zu leichtsinnig. Eine
Konjunkturschwankung könnte eine schwere Belastung für ihn sein."
Laura stöhnte innerlich. "Du hast doch nicht etwa über Orangensaft
mit ihm gesprochen, oder?"
Gran lächelte hintergründig. "Das werde ich dir nicht auf die Nase
binden. Er erwähnte übrigens, dass er noch ledig ist."
"Zum x-ten Mal." Laura schnitt ein Brötchen auf.
"Was wirst du anziehen zu der Party?"
Laura blickte in die klugen Augen ihrer Großmutter und wusste, dass
sie Gran unmöglich belügen ko nnte. "Ich gehe gar nicht hin."
"Warum nicht?"
"Ich bin müde. Ich habe die ganze Woche hart gearbeitet. Außerdem möchte ich ein bisschen Zeit mit dir verbringen." "Ich fühle mich geschmeichelt." Aber es klang weniger dankbar als scharfzüngig. "Du hast vergessen zu erwähnen, dass Cory wieder da ist." "Das hat nichts damit zu tun." Eine Antwort, die sogar in ihren Ohren lahm klang. "Ich sag dir, was wir am Samstag tun. Wir gehen einkaufen. Wir kaufen dir ein neues Kleid und essen mittags irgendwo etwas. Wir verbringen den ganzen Tag zusammen. Und dann gehst du zu der Party und siehst absolut umwerfend aus." "Aber, Gran ..." "Du läufst in der Stadt herum wie eine Farmarbeiterin in diesen unmöglichen Overalls. Es wird Zeit, dass du dich mal von deiner wahren Seite zeigst und die Leute merken, was für eine schöne Frau meine Enkelin ist." "Schönheit ist ein geistiger Zustand", erklärte Laura. "Und nichts vermag den Geist mehr zu heben als ein neues Kleid", entgegnete Gran augenzwinkernd. Laura mochte gar nicht daran denken, in Corys Anwesenheit ihren alten Schulkameraden gegenüberzutreten. Es würde zu viele schmerzliche Erinnerungen wecken. Aber Gran hatte Recht, sie musste langsam damit aufhören, vor der Vergangenheit davonzulaufen. Und nachdem Cory sie heute Morgen in ihrem alten Arbeitsoverall gesehen hatte, wollte sie ihr zeigen, dass sie auch gut aussehen konnte, wenn die Gelegenheit es erforderte. "Hm ... köstlich", gurrte Cory, während sie ihre Austern aß. Jack hatte Mühe mit seinem Steak. Jeder Bissen schien ihm im Hals stecken zu bleiben. Er wünschte, Cory würde endlich damit herausrücken, was sie wollte. Er boxte nicht gern ins Leere. Saras Gesicht glühte, während sie staunend, als hätte eine Märchenprinzessin sich dazu herabgelassen, ihr drei Wünsche zu erfüllen, ihre Mutter ansah. Cory erzählte ihr von ihrer Arbeit und von einem Interview mit einem Kinderstar in Saras Alter. Sie fragte ihre Tochter nach der Schule und ihren Freundinnen, und Jack fiel auf, wie sorgfältig Sara ihre Worte wählte und wie sie sich bemühte, ihre Mutter zu beeindrucken. Es
stimmte ihn traurig, wie wenig Mutter und Tochter, die sich so
verblüffend ähnlich sahen, voneinander wussten.
Nach dem Essen fuhr Jack seine Exfrau zum Hotel zurück. Die
Bombe hatte sie immer noch nicht fallen lassen.
Cory berührte seine Hand. "Jack, ich würde gern auf einen Kaffee mit
euch nach Hause kommen." Als spürte sie, dass er im Begriff war,
ihren Vorschlag abzulehnen, fügte sie hinzu: "Sara hat versprochen,
mir ihr Zimmer zu zeigen, nicht wahr, Liebling?"
Jack hatte nichts dergleichen gehört, und Saras verblüfftes Gesicht im
Rückspiegel bestätigte ihm, dass auch sie nichts davon wusste.
"O ja. Natürlich", sagte sie dennoch.
Zu Hause brühte er Kaffee auf, während Cory und Sara nach oben
gingen.
Gegen neun Uhr hatte er drei Tassen getrunken, was seine Nerven
nicht gerade beruhigte, und Cory war noch immer oben. Entschlossen
sprang er auf und rief vom Fuß der Treppe: "Sara, Liebling, du hast
morgen Schule. Du kannst deine Mom morgen Nachmittag wieder
sehen."
Danach ging er zurück in die Küche und trank seinen vierten Kaffee.
Kurz darauf kam Cory, schenkte sich ebenfalls einen Kaffee ein und
gab Milch aus dem Kühlschrank dazu. Auch diesen Ablauf kannte er.
Was würde jetzt kommen?
Cory lächelte ihn an, als sie sich setzte. "Wie in alten Zeiten, nicht?
Wie in den guten Zeiten, meine ich." Wieder lächelte sie. "Es war
nicht alles schlecht."
Jack erwiderte das Lächeln. "Nein, alles nicht."
Sie trank einen Schluck und verzog dann das Gesicht. "Aber dein
Kaffee war immer schlecht."
Er dachte nicht daran, über Kaffee zu streiten. "Du bist doch sicher
nicht hergekommen, um mir das zu sagen."
"Nein." Cory atmete tief ein und schien nach Worten zu suchen,
Jack wagte kaum zu atmen und wartete ab.
"Sara ist ein wunderbares Kind. Ich bin stolz darauf, ihre Mutter zu
sein."
Er nickte. Seine Anspannung wuchs.
"Jack, ich mache mir Sorgen um Sara. Sie kommt jetzt in ein Alter,
wo sie eine Frau in ihrem Leben braucht. Jemanden, der ihr die
Veränderungen erklären kann, die sie erfahren wird ..."
Mit einem Triumphschrei sprang Jack auf und lief in sein Büro, um sein Nachschlagewerk für junge Mädchen zu holen. "Ich bin dir weit voraus", verkündete er, als er in die Küche zurückkam und Cory das Buch in die Hand drückte. "Jetzt bist du eine Frau", las sie den Titel laut vor und schlug das Buch auf. Nachdem Cory ein paar Seiten umgeblättert hatte, hob sie den Blick, und Jack sah ein beunruhigendes Funkeln in ihren Augen. "Wie viel von diesem Buch hast du gelesen, Jack?" "Ich hatte noch keine Zeit, es ganz zu lesen. Aber ich bin vorbereitet, falls Sara Fragen hat." Cory reichte ihm das Buch. "Gut, ich bin jetzt Sara. Ich habe gerade meine erste Periode bekommen. Ich verstehe nicht, was mit mir passiert. Erklär es mir." Jack gab sich gelassen. "Klar, kein Problem." Er schlug das Inhaltsverzeichnis auf. "Lass sehen ... ah, da ist es: ,Die Menstruation', Seite vierhundertachtundneunzig." Er räusperte sich und begann zu lesen. "Der Menstruationszyklus hat insgesamt vier Phasen: die prämenstruelle, die menstruelle, die postmenstruelle, die intermenstruelle." Tapfer las er weiter: "Wenn die Hirnanhangdrüse Follikel stimulierende Hormone ausschüttet ..." Hartnäckig kämpfte er sich durch Litaneien von Hormonen, komplexen Drüsenfunktionen und Mechanismen weiblicher Anatomie. Das Schlimmste waren die Diagramme. Sie waren noch peinlicher als diese grässlichen Werbespots für Slipeinlagen. Er verstummte. "Nun, das müsste ihre Fragen ja beantworten", bemerkte Cory spöttisch. "Okay, okay, hör auf zu lachen. Dann kaufe ich eben noch ein Buch", knurrte er. "Du brauchst kein Buch, Jack, sondern eine Mutter für Sara." Ein schrecklicher Verdacht kam Jack. Cory dachte doch hoffentlich nicht daran ... Sie hatte doch bestimmt nicht vor, zu ihm zurückzukommen? Aber wieso hatte sie ihn in den Landgasthof geschleppt, in dem sie ihre Flitterwochen verbracht hatten? Und warum redete sie von Familie und so? "Erinnerst du dich an das Interview mit diesem Kinderstar, von dem ich Sara erzählt habe?" fuhr Cory fort. "Die Mutter dieses Mädchens
ist eine berühmte Schauspielerin und so beschäftigt, dass sie sich fast nie sehen. Das Mädchen wirkte schrecklich hilflos und verwirrt." Cory zog eine Haarsträhne aus ihrem Chignon und wickelte sie um ihren Finger. "Der Vater des Mädchens kümmert sich um ihre Karriere, aber sie hat keine Frau, mit der sie reden kann." Ihre Stimme zitterte. "Ich möchte nicht, dass es Sara auch so geht." Jack konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als Sara an Cory zu verlieren. Aber mit Cory wieder zusammenzuleben, wäre eine fast genauso große Katastrophe. Sie waren schon einmal gescheitert als Familie, und das, als sogar noch Leidenschaft sie verband. Heute verspürte er überhaupt nichts mehr für Cory, außer vielleicht einem leichten Groll, weil sie ihre Karriere über alles andere gestellt hatte. Doch sosehr er Sara auch liebte, er würde andere Wege finden müssen, um ihr ein richtiges Familienleben zu verschaffen. Dazu müsste er Corys Idee im Keim ersticken - und zwar auf der Stelle. "Ich weiß, dass du dir jetzt Vorwürfe machst", begann er sanft, "aber es würde nie funktionieren mit uns beiden ..." Cory machte große Augen. "Wovon redest du?" "Dass du zurückgekommen bist, um Saras Mom zu sein. Und du?" "O nein, Jack." Sie streckte eine blasse Hand mit grün lackierten Fingernägeln aus und berührte seinen Arm. "Du bist ein wunderbarer Mann, Jack, aber ich spreche davon, eine neue Frau für dich zu finden - jemanden, der für Sara da sein kann." Er blinzelte und fragte sich, ob zu viel Kaffee seinem Gehirn geschadet hatte. "Eine neue Frau?" "Ich bin dreißig, Jack. Ich habe eine großartige Karriere, alles, was ich immer wollte. Ich heirate sogar wieder - einen Produzenten mit erwachsenen Kindern. Er will keine weiteren Kinder mehr und ich auch nicht. Aber ich muss sicher sein können, dass Sara glücklich ist. Deshalb suche ich einen Ersatz für mich." "Eine Zweitbesetzung? Wie im Fernsehen?" Sie spielte nervös mit ihrem Haar. "Ich habe euch enttäuscht, das weiß ich. Ich hatte gehofft, du hättest inzwischen jemanden gefunden." Er starrte sie nur an. "Ich will nicht unhöflich sein, Jack, aber du wirst deine Ansprüche natürlich etwas senken müssen. Ich denke, ich könnte einiges wieder gutmachen, wenn ich dir helfe, jemanden anderen zu finden. Ich bin eine erfahrene Reporterin. Ich kann die richtigen Fragen stellen und
mit Körpersprache und anderen Signalen arbeiten, um ehrliche Antworten von den Leuten zu bekommen. Wir werden eine Liste mit Kriterien für deine neue Frau und Saras Mutter erstellen. Saras Ersatzmutter, meine ich." Ein brennender Schmerz in seinem Schoß ließ Jack aufspringen. Seine Kaffeetasse hing schief und leer in seinen schlaffen Händen. "Ausgerechnet du willst mir eine Ehefrau suchen?" "Na ja", räumte Cory ein, "du musst sie ja nicht heiraten, oder zumindest doch nicht gleich. Ich weiß, die Auswahl ist nicht groß auf einer so kleinen Insel, aber wir werden hier anfangen und dann weitersehen. Chips Party am Samstagabend kommt gerade richtig. Die meisten der allein stehenden Frauen werden dort sein. Es ist der ideale Augenblick, um mit der Suche zu beginnen." Jacks Schock hatte nachgelassen, und erleichtert, dass er nicht Gefahr lief, Sara zu verlieren, sah er nun den Humor der Situation. Seine Exfrau wollte eine Ehefrau für ihn suchen. Wer hätte das gedacht?
7. KAPITEL
"Es ist zu kurz, Gran." Laura zog den Saum des roten Minikleides in Richtung Knie, die jedoch noch weit entfernt waren. Als sie sich vorbeugte, rutschten ihre Brüste beinahe aus dem Ausschnitt, und sechs Hände zogen das Oberteil zurück, was den Saum des Kleids wieder an seinen alten Platz hoch oben auf ihren Oberschenkeln brachte. "Steh still", befahl Gran. "Und dreh dich um." Laura tat es, ein wenig verlegen, aber insgeheim auch entzückt darüber, wie hervorragend das Kleid ihre Figur zur Geltung brachte. "Du siehst bezaubernd aus, Liebes", erklärte Gran. "Wir nehmen es", sagte sie zu der Verkäuferin. "Aber, Gran, hast du den Preis gesehen?" zischte Laura. "Ja. Es ist mein Geschenk an dich, weil du zurückgekommen bist und das McNair-Haus restaurierst." "Aber kannst du dir das denn leisten?" "Keine Angst, ich brauche kein Katzenfutter zu essen, bis du wieder weg bist." Als Laura dann die elegante Einkaufstüte in der Hand hielt, begann sie sich auf die Party zu freuen. Sie war aber auch froh, dass der Einkaufsbummel beendet war. "Ich bin todmüde. Ich kann es kaum erwarten, heimzukommen." "Der Lunch wird dich beleben, und dann kümmern wir uns um dein Haar und dein Make-up." Mit zweiundachtzig hatte ihre Großmutter mehr Energie als viele Frauen, die nur halb so alt waren. "Aber ..." Laura spreizte hilflos ihre Finger. Gran nahm ihre Hände und blickte missbilligend auf die Farbflecken an den Knöcheln und auf die abgebrochenen Nägel. "Und eine Maniküre brauchst du auch."
"Gut, hier sind meine Fragen. Was meinst du?" fragte Cory. Widerstrebend nahm Jack das Blatt, das sie ihm reichte. Darauf standen zehn Fragen, die Cory einigen der Frauen auf Chips Party stellen wollte. "Ich gehe zwischen den Interviews ins Bad und mache mir Notizen, die ich später im Hotel auf meinen Laptop übertrage. Morgen können wir uns dann zusammen die Ergebnisse ansehen." "Wie willst du entscheiden, welche Frauen du interviewen willst?" "Nun, du zeigst mir die, die dir gefallen, und ich ergänze die Liste mit einigen anderen, die du vielleicht übersehen hast. Vergiss nicht, dass wir jemanden suchen, der Sara eine gute Mutter wäre. Du könntest dich von anderen Attributen ablenken lassen." Er las die Fragen, machte große Augen und las sie noch einmal. "Ich kann verstehen, dass du fragst, ob sie Kinder mögen, aber warum musst du über Sex mit diesen Frauen reden?" "Also spiel jetzt nicht den Schüchternen, Jack. Hast du vergessen, dass wir einmal verheiratet waren? Du warst in sexueller Hinsicht immer sehr aktiv." Cory lächelte zufrieden. "Das war ein Aspekt unserer Ehe, der mir immer sehr ..." "Ja, ja, schon gut, zurück zu deiner Liste. Du kannst eine Frau doch nicht fragen, wie oft sie Sex will. Sie wird glauben, du wolltest was von ihr." "Beruhige dich, Jack, ich bin Reporterin. Ich kann sehr subtil sein, wenn es sein muss." Jack war hin- und hergerissen zwischen Schadenfreude und Entsetzen. Er hatte das Gefühl, als würde es ein unvergessliches Barbecue werden. Eigentlich hätte er es verhindern müssen. Wenn er ein edlerer Mann wäre, hätte er das auch getan. Aber wenn seine Exfrau sich unbedingt zum Narren machen wollte, gab es kein Gesetz, das ihm befahl, es zu verhindern. Am liebsten wäre er zu Gran hinüber gelaufen, um es Laura zu erzählen. Sie würde die ganze Sache genauso lustig finden wie er. In Gedanken sah er sie den Kopf zurücklegen und herzlich lachen. Ihr Lachen war natürlich, die Art von Lachen, das ansteckend auf andere wirkte. Ihr hatte niemand beigebracht, wie man es tat. Ja, Laura war eine nette Frau, die ihn glücklich machen könnte. Er musste unbedingt dafür sorgen, dass ihr Name auf Corys Liste stand. Dieses Interview wollte er sich nicht entgehen lassen.
"Ich wünschte, ich hätte für heute Abend einen Teleprompter", sagte
Cory. "Ich möchte keine der Fragen vergessen."
"Oder die Antworten."
"Oh, dafür bin ich präpariert", beruhigte sie ihn und zeigte ihm ein
winziges Aufnahmegerät.
"Nun, warum schreibst du die Fragen dann nicht auf Karteikarten, und
ich fertige ein Flipchart an. Ich stehe hinter der Frau, während du sie
interviewst, und wenn du nickst, klappe ich die nächste Karte um."
"Sehr witzig, Jack."
"Du könntest die Fragen aber auch auf deinen Arm schreiben, so wie
du es früher vor den Prüfungen getan hast."
Cory erröte. "Ich werde mir etwas überlegen", erklärte sie streng und
ging zu ihrem Mietwagen.
"Soll ich dich heute Abend abholen?"
"Besser nicht. Wir möchten doch nicht, dass die möglichen
Kandidatinnen denken, du wärst nicht allein. Wir sehen uns bei Chip."
Cory winkte kurz, dann war sie fort.
Jack rief Gran McMurtry an. Da Sara der Ansicht war, sie sei zu alt
für einen Babysitter, fuhr er sie für gewöhnlich zu Gran, wenn er
abends ausging. Sobald die Angelegenheit nun geregelt war, bat er
Gran, ihn mit Laura zu verbinden.
"Ja?" Ihr Ton war eisig.
"Laura? Ich bin's, Jack."
"Ich weiß."
"Ich wollte nur fragen, ob ich dich heute Abend zu Chip mitnehmen
soll. Sein Haus ist schwer zu finden."
"Danke." Die Stimme taute ein wenig auf. "Aber er hat mir den Weg
erklärt. Bis heute Abend."
"Warte, ich ..." Aber sie hatte schon aufgelegt, bevor er ihr von Corys
absurdem Plan erzählen konnte.
Jack hatte gehofft, Laura noch zu sehen, wenn er Sara bei Gran
absetzte, doch die sagte, Laura sei schon fort, und so fuhr er direkt
weiter.
Als er in Chips Einfahrt einbog, hörte er, dass die Party bereits in
vollem Gang war. Chips "Sommerhäuschen", wie er es zu nennen
pflegte, hätte eine vierzehnköpfige Familie beherbergen können und
es wäre immer noch für Gäste Platz gewesen.
Jack begann sich plötzlich Vorwürfe zu machen. Er hatte nicht daran gedacht, Laura zu warnen, dass nicht jeder Chips Vorstellung von einem zwanglosen Barbecue teilen würde. Bisher hatte er Laura nur in Pullover und Jeans oder Overall gesehen und wusste nicht, ob sie noch etwas anderes mitgebracht hatte. Aber jetzt war es zu spät, um sie zu warnen. Früher war sie Fremden gegenüber ziemlich schüchtern gewesen, deshalb würde er einfach den ganzen Abend an ihrer Seite bleiben und sie allen vorstellen, die er kannte. Er klingelte, doch niemand schien es bei dem Partylärm zu hören, und so öffnete er die Tür und ging hinein. Sein Blick glitt rasch über die Menge. Schriftsteller, Künstler, Töpfer und Geschäftsleute von der Insel mischten sich mit Unbekannten, die aussahen, als gehörten sie in die Wall Street oder in die Madison Avenue statt nach Laroche. Alle Frauen waren elegant gekleidet. Verdammt, er hätte Laura warnen sollen! Suchend sah er sich nach schlichten Jeans zwischen all den schicken Outfits um. So wie er seine Jugendfreundin kannte, verbarg sie sich vermutlich hinter irgendeiner Zimmerpflanze und fühlte sich vollkommen fehl am Platz hier. Als er den Blick über die Menge gleiten ließ, fiel ihm die aufregende Figur einer dunkelhaarigen Frau in einem engen roten Kleid auf, die der lebhafte Mittelpunkt einer Gruppe von Chips Yuppiefreunden zu sein schien. Wer immer diese Frau war, er wollte dafür sorgen, dass sie auf Corys Liste kam. Apropos Cory. Sie in einer Ecke bei einer der Lehrerinnen aus Saras Schule stehen zu sehen, ließ Jack alles andere vergessen. Die Lehrerin stand mit dem Rücken am Fenster und wirkte, als sei sie kurz davor, in die aufgewühlte See zu springen. Cory blickte in ihre offene Handtasche und schien ihr Make-up zu überprüfen, während sie mit der Lehrerin redete, die jetzt empört nach Luft schnappte und sich abrupt zum Gehen wandte. Cory murmelte etwas in ihr Revers. Bevor sie ihn entdecken konnte, tauchte Jack in einer Gruppe unter und fragte sich, was er tun sollte. Dass Cory sich zum Narren machen würde, damit hatte er gerechnet, aber er hatte nicht daran gedacht, dass sie auch eine Menge netter Frauen kränken könnte. Wo steckte Laura nur? Vielleicht hatte sie eine Idee, wie sie die Pläne seiner Ex durchkreuzen könnten.
Chips Wohnbereich war ein riesiger offener Raum auf zwei Ebenen unter einem kuppelähnlichen Dach. Jack begann sich auf die höchste Ebene und blickte stirnrunzelnd hinab. Er hätte darauf bestehen sollen, Laura mitzunehmen. Vielleicht hatte sie sich ja auf dem Weg verfahren ... "Laura, Schatz, du siehst zum Anbeißen aus!" dröhnte Chips Stimme durch den Raum. Der und seine essbare Körperfarbe, dachte Jack sofort und stürzte hinunter, um Chip zuvorzukommen, erkannte dann aber, dass Chip auf die umwerfende Brünette zusteuerte, die ihm bei seiner Ankunft aufgefallen war. Verblüfft blieb er stehen, als sie sich Chip zuwandte, um ihn lächelnd zu umarmen. Und nun sah er auch ihr Gesicht. Laura! Als Chip weiterschlenderte, sah Laura Jack. Der stand da wie vom Schlag getroffen und starrte sie entgeistert an. Jack hatte zwar geahnt, dass ihr Overall einiges verbarg, aber das hatte er nicht erwartet. Lauras Figur war schlank, aber nicht ohne Kurven an den richtigen Stellen, die das enge rote Kleid noch hervorragend zur Geltung brachte. Ihre Brüste, fest und rund, boten einen sehr sexy Anblick, und Jack hätte liebend gern mehr getan, als sie nur anzuschauen. Sie hatte lange, wohlgeformte Beine und eine Taille, die er mit zwei Händen umspannen könnte. Aber es war nicht nur ihre Figur, die ihn so faszinierte, sondern ihre ganze Ausstrahlung heute Abend. Lauras kurzes Haar glänzte; ihre Wangen waren leicht gerötet; zartes Make-up betonte ihre vollen Lippen und ihre wundervollen braunen Augen. Sie hatte sich Grans Rubine ausgeliehen, und der antike Schmuck glitzerte verführerisch auf ihrer Haut. Sie sah umwerfend aus - und wusste es. Das verrieten ihre funkelnden Augen, als sie langsam auf ihn zukam. Jack fühlte sich schrecklich dumm - wie ein Teenager beim ersten Date. "Du siehst bezaubernd aus", stammelte er. Sie lächelte. "Diese Schuhe bringen mich noch um." Er senkte den Blick und sah, wie sie aus ihren hochhackigen Pumps stieg. Ohne sie war Laura wieder etwas kleiner, so wie er es von ihr gewohnt war. "Cory ist hier", bemerkte sie. "Ich weiß."
"Ihr seid nicht zusammen gekommen." Sie klang überrascht. Er zuckte mit den Schultern. "Sie ist eine emanzipierte Frau." "Du wirst Laura nicht mit Beschlag belegen, Jack", tönte Chip nun wieder. "Schließlich hast du sie den ganzen Tag für dich in diesem leeren Haus", sagte er augenzwinkernd. "Gib jemand anderem eine Chance." Damit zog er einen ernst aussehenden Wallstreet-Typ mit Brille heran. "Laura, das ist der Freund, von dem ich dir erzählt habe, Albert Ferris. Er ist Produzent. Albert, wäre sie nicht die perfekte Moderatorin für ein Heimwerker-Programm? Schönheit, Intelligenz, Persönlichkeit, Talent. Ich sage dir, die Kamera würde sie geradezu verschlingen." Chip hatte sein Vermögen nicht mit Nichtstun verdient. Er arrangierte ständig irgendwelche Deals. Andere Leute spielten Golf oder Schach; Chip brachte Leute und Geld zusammen. Manchmal erfolgreich, manchmal nicht. Laura wandte sich verblüfft zu ihm. "Nun, danke, Chip, aber ich glaube nicht..." "Erzähl Albert etwas über dich. Ich entführe dir solange Jack; da ist jemand, den ich ihm gern vorstellen möchte." Laura warf Jack einen Hilfe suchenden Blick zu, doch Chip zog ihn unerbittlich weiter. "Das ist der Mann, von dem ich dir erzählt habe, Slim. Jack Thomas ist der beste Bauunternehmer der Insel. Er hat auch dieses Haus gebaut, und ich könnte nicht zufriedener damit sein. Slim möchte sich hier auch ein Ferienhäuschen bauen, Jack. Ich sagte ihm, er sollte mit dir reden." Chip schlenderte zur nächsten Gruppe weiter und überließ es Jack und Slim, den Kontakt auszubauen. Slim sah aus, als litte er unter Verdauungsstörungen. "Sie wollen auf Whidbey bauen?" fragte Jack nach kurzem Schweigen höflich. "Nein." Slim schüttelte den Kopf und machte ein noch unglücklicheres Gesicht. "In der Karibik. Ich habe eine Insel dort." "Aber sollten Sie dann nicht besser in der Karibik ein Bauunternehmen suchen?" Slim nickte. "Ich habe Chip schon tausendmal gesagt, dass ich nicht Whidbey meine, wenn ich ,Insel' sage, aber ..." Seufzend brach er ab. Jack lachte leise. "Ich weiß. Er ist ein großartiger Redner, aber kein besonders guter Zuhörer."
Aus den Augenwinkeln sah er, dass Cory sich nun die Filialleiterin
seiner Bank vornahm. Mary war gerade glücklich geschieden und eine
der nettesten Frauen, die er kannte. Aber sie hatte auch ein legendäres
Temperament. Wenn Cory sie über ihre finanzielle Situation
ausfragte, würde sie in die Luft gehen.
Und Marys Blick und ihren schmalen Lippen nach zu urteilen, konnte
das jeden Augenblick passieren.
"Slim, da ist jemand, den ich Ihnen vorstellen möchte." Er packte den
überraschten Mann am Arm und zog ihn in Corys Richtung. "Cory,
ich möchte dich mit Slim bekannt machen. Er hat dich aus dem
Fernsehen erkannt und wollte dich gern kennen lernen."
Mary sprang auf, und Jack platzierte den armen Slim neben Cory.
Dann nahm er die überraschte Filialleiterin am Arm und sagte:
"Lassen Sie mich Ihnen etwas zu trinken holen, Mary."
"Fernsehen? Dreht diese Frau hier etwa für die ‚Versteckte Kamera'?"
flüsterte Mary aufgebracht.
"Das glaube ich nicht."
"Sie wollte gerade von mir wissen, wie ich ohne Sex auskomme, jetzt,
wo ich geschieden bin. Und sie hatte eine Liste mit Fragen in ihrer
Handtasche ..."
"Sie kennen doch die Fernsehleute", versuchte er, Mary zu beruhigen.
"Cory ist sehr ehrgeizig, und deshalb übt sie ständig, weil sie das für
ein gutes Training hält."
Jack steuerte Mary zur Bar hinüber, wo sie sich auf einem Hocker
niederließ. "Was möchten Sie trinken, Mary?"
"Einen doppelten Martini."
"Prost!" sagte die Lehrerin, die schwankend auf dem Hocker neben
Mary saß. Als die beiden Frauen ein Gespräch begannen, überließ
Jack sie sich selbst und ging zurück, um Laura beizustehen.
Aber Laura war gar nicht mehr da, als er zurückkam. Und Slim war
auch entkommen, wie er bemerkte. Cory hatte ein neues Opfer, eine
Frau, die er nur vom Sehen kannte, aber recht sympathisch fand - zu
sympathisch, um sie Cory und ihren Fragen zu überlassen.
Jack begann zu schwitzen. Er musste Laura finden. Wenn er Cory
dazu bringen konnte, seine Jugendfreundin zu interviewen, gewann er
Zeit, um zu überlegen, wie er seine Exfrau von hier fortbringen
konnte.
Nach langer Suche hörte er Lauras und Chips Stimmen im Schlafzimmer des Hausherrn. Als hätte er nicht schon genug Sorgen mit Cory, musste er nun auch noch auf Laura aufpassen, die ausgerechnet heute Abend zum Anbeißen sexy aussah. Er stöhnte innerlich. Verdammt, jetzt dachte er schon wie Chip! Grimmig stürmte Jack in das Schlafzimmer und entdeckte Laura mitten auf dem extrabreiten Doppelbett, wo sie mit einem rotlackierten Finger auf die Wände zeigte. "Verstehst du, welche Blickrichtung ich meine?" fragte sie über die Schulter. "Aber sicher", stimmte Chip ihr anerkennend zu. Seine Blickrichtung war allerdings nicht einmal annähernd die, die Laura ihm zeigen wollte, sondern ging zu dem Saum ihres roten Minikleids, der durch ihre Verrenkungen noch höher gerutscht war. "He, Jack! Wir sprachen gerade über dich", sagte Chip nun vollkommen ungeniert. "Laura wird das Haus ein wenig umgestalten. Ist das nicht großartig?" "Ja", stimmte Jack ohne allzu großen Enthusiasmus zu. Laura musste es bemerkt haben, denn sie zwinkerte ihm zu. "Wir dachten an etwas Orientalisches mit Seidenkissen, Bögen und so weiter. Du weißt schon, so was wie ein Harem-Look." Chip lachte glucksend. "Laura." Jack drehte sich so, dass Chip sein Gesicht nicht sehen konnte. "Dieser Produzent möchte noch ein paar Details mit dir besprechen. Die Idee gefällt ihm." "Wunderbar!" dröhnte Chip. "Die Gelegenheit darfst du nicht verpassen, Laura. Wir können später weiterreden. Oder vielleicht an einem der nächsten Abende ..." "Der Mann wartet, Laura." Lächelnd hob Laura ihre Pumps auf, winkte Chip zu und folgte Jack hinaus. "Wolltest du mich retten?" fragte sie belustigt, als sie auf dem Korridor die Schuhe anzog. In dieser gebückten Haltung bot sie ihm einen so betörenden Blick in ihren Ausschnitt, dass Jack sich schwor, seine Verführungspläne zu beschleunigen. "Komm mit nach draußen", drängte er und zog sie in den Patio und zum Strand hinunter. "Das sind keine Wanderschuhe, die ich trage, Jack. Wo willst du hin?"
"Ich will nicht, dass uns jemand hört." Er blickte sich um, aber sie waren allein. "Du musst mir helfen. Cory wird mir alle meine Freunde madig machen." "Ja, darin hat sie Übung", erwiderte Laura grimmig. "Bitte. Sie führt dort oben Interviews, um eine Frau für mich zu finden." Laura schüttelte den Kopf. "Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe." Ihr Haar wehte sanft um ihr Gesicht. Jack wünschte, er könne eine Weile allein mit ihr hier draußen bleiben, statt zu dieser albtraumhaften Party zurückzukehren. Aber das Albtraumhafte daran war in erster Linie seine Schuld. Er hätte es verhindern sollen, als er noch die Möglichkeit dazu gehabt hatte. "Ich dachte, es würde lustig", gab er zu. "Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie sich so zum Narren machen würde. Stell dir vor, sie hat eine Liste mit Fragen und ein Aufnahmegerät in ihrer Handtasche." Er stocherte mit der Schuhspitze im Sand. "Und sie stellt den Frauen Fragen über ihr Liebesleben." Ein ausgedehntes Schweigen folgte. "Und was kann ich dagegen tun? Ihr die Handtasche wegnehmen?" "Ich möchte, dass du dich von ihr interviewen lässt." Als er aufschaute, sah Laura ihn an, als hätte er den Verstand verloren. "Du willst, dass ich eine Art Bewerbungsgespräch mit deiner Exfrau führe, um zu sehen, ob sie mich als deine nächste Frau auswählt?" Jack nickte. "Worüber du mit ihr sprichst, ist mir egal, solange du sie nur beschäftigst, während ich mir etwas überlege, um sie hier herauszuschaffen. Bitte, Laura, ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Sie ist die zielstrebigste Frau, die ich kenne, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat." "Ich weiß." Laura blickte zu dem erleuchteten Fenster auf. "Sieh sie dir an. Sie ist wie ein Hai, der kleine Fische jagt." Jack folgte ihrem Blick und sah Cory mit geöffneter Handtasche vor einer blassen Frau stehen. "Ach du lieber Himmel. Das ist kein kleiner Fisch, sondern eine Pfarrerin. Das ist ein Notfall, Laura. Tu etwas!" Laura lachte plötzlich. "Gut, aber vielleicht solltest du dir die Aufnahme lieber nicht anhören, Jack." Er folgte ihr, als sie die Stufen zur Terrasse hinaufging, und trotz seiner Panik konnte er sich am Anblick des herrlichen Pos vor ihm erfreuen. Einige gute Seiten hatte dieser Abend wenigstens.
Im Wohnzimmer gingen sie schnurstracks auf Cory zu. "Reverend Eldred! Wie schön, Sie zu sehen", sagte Jack zu der verdutzten Pfarrerin und schenkte ihr sein wärmstes Lächeln. "Haben Sie schon die herrliche Aussicht vom Esszimmer gesehen?" Im Vertrauen darauf, dass Laura ihm aus der Patsche half, nahm er die sprachlose Pfarrerin am Arm u nd führte sie von Cory fort.
8. KAPITEL
"Hi, Cory."
"Na, wenn das nicht Laura Kincaide ist", sagte Cory, den Mund
verdächtig nah an ihrem Revers, wo sie vermutlich ein winziges
Mikrofon versteckt hatte.
Laura biss sich auf die Lippen, um nicht loszulachen. "Ich habe
neulich deine Tochter kennen gelernt. Ein nettes Mädchen."
Cory lächelte. "Danke. Ich bin sehr stolz auf sie. Jack hat sie gut
erzogen."
"Ja, das hat er. Und er wäre bestimmt auch ein sehr guter Ehemann."
"Ist mein Lippenstift in Ordnung?" fragte Cory plötzlich und klappte
ihre Handtasche auf.
Laura sah sie die Liste mit den Fragen überfliegen, während sie ihre
Lippen nachzog.
"Du lebst jetzt also in Seattle, Laura. Und bist eine erfolgreiche
Innendekorateurin geworden, wie ich hörte. Denkst du eigentlich
manchmal daran, nach Laroche zurückzuziehen?"
Laura lehnte sich zurück und lächelte im Stillen. "Das würde ich
vielleicht tun, wenn ich einen Grund dazu besäße."
"Wie einen Mann zum Beispiel?" Cory beugte sich eifrig vor.
"Zum Beispiel."
"Du hast also keinen festen Freund in Seattle?"
"Wir haben uns kürzlich getrennt." Laura seufzte und hoffte, dass sie
deprimiert und einsam klang. "Ich finde einfach nicht den Richtigen in
Seattle. Im Grunde meines Herzens bin ich wohl doch eine
Provinzlerin."
"Der Verzicht auf Sex ist doch bestimmt das Schwierigste, wenn man
allein ist, nicht?"
Laura vergewisserte sich, dass niemand zuhörte. Auf der anderen
Seite des Raums stand Jack und lächelte ihr aufmunternd zu. "Wenn
ich ehrlich sein soll ... von Frau zu Frau ..."
Cory nickte eifrig.
"... dann muss ich zugeben, dass ich Sex so sehr vermisse, dass ich
fast die Wände hochgehe."
Cory schien zufrieden und warf einen Blick auf ihre Liste. "Und
welche Religion ...?"
"Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich das sage, da du ja mit Jack
verheiratet warst und so, aber ich habe die unglaublichsten erotischen
Fantasien über ihn." Laura sprach klar und deutlich, damit nicht ein
einziges ihrer Worte unterging. "Den ganzen Tag mit ihm unter einem
Dach zu sein, regt meine Fantasie so an, dass es mich schon
durchzuckt, wenn ich ihn nur ansehe." Sie tat, als wäre ihr heiß und
fächelte sich Luft zu. "Hast du je einen Mann mit einem knackigeren
Po gesehen?"
"Ich ... äh ...." Cory kramte in ihrer Tasche und schien die Reihenfolge
ihrer Fragen zu vergessen.
"Weißt du, ich frage mich andauernd, wie war es eigentlich für dich,
Sex mit Jack zu haben?"
Cory errötete und spielte nervös mit ihrem Haar. "Nicht schlecht. Ich
... äh ... Sag mal, kochst du eigentlich gern?"
"Nicht schlecht? Ist das alles?" Laura bemühte sich, enttäuscht zu
klingen.
Jack beobachtete sie besorgt.
Laura warf ihm eine Kusshand zu. "Ist er kein guter Liebhaber?"
"Also wirklich, Laura, das ist..."
"Das hatte ich befürchtet." Traurig schüttelte Laura den Kopf. "Gut
aussehende Männer sind im Bett oft eine riesige Enttäuschung. Du
weißt schon, was ich meine. Viel Rauch, aber kein Feuer."
"O nein. Jack war stets bereit, was das betraf. Ich meine ... Du liebe
Güte, wie spät es schon ist. Ich muss morgen sehr früh raus." Cory
sprang so hastig auf, dass ihre Tasche auf den Boden fiel.
"So schlecht war er?" Laura seufzte und reichte Cory ihre Tasche.
"Kein Wunder, dass du ihn verlassen hast."
Cory floh zur Tür wie ein gejagtes Tier.
Laura blickte zu Jack hinüber, der die Faust in die Luft streckte und
triumphierend grinste.
Sekunden später saß er neben ihr.
"Gute Arbeit, Partner. Wie hast du das geschafft?"
"Ich habe ihr nur gesagt, was sie hören wollte." Laura lächelte sanft.
"Und es ein bisschen ausgeschmückt."
"Danke." Jack seufzte vor Erleichterung und streckte seine langen Beine aus. "Ich dachte schon, ich müsste aus der Stadt verschwinden, weil eine Meute aufgebrachter Frauen mich lynchen will." Laura lachte und stellte ihm die Frage, die sie schon die ganze Zeit beschäftigte. "Warum tut sie das, Jack?" Er zuckte mit den Schultern. "Weil sie eine Art Ersatzmutter für Sara sucht. Zumindest sagte sie das." "Und ich dachte, sie wollte dich zurückhaben", gestand Laura. "Ich auch, bis sie mir ins Gesicht gelacht hat und mir riet, meine Ansprüche zu senken." Impulsiv berührte Laura seine Hand. Sie wusste, wie es war, jemanden zu lieben und zu verlieren. "Das tut mir Leid, Jack." Überrascht hob Jack die Brauen. "Du bedauerst mich? Wieder mit Cory leben zu müssen wäre für mich fast genauso schlimm, wie Sara zu verlieren." Er schüttelte den Kopf. "Ich hoffe nur, dass sie diese verrückte Idee aufgibt, bevor es Ärger gibt." Laura schwieg verblüfft. Er wollte Cory gar nicht zurückhaben? Sie war so sicher gewesen, dass das elegante blonde Ex-Cheerleader-Girl nur mit dem kleinen Finger zu winken brauchte, damit ihr abgelegter Ehemann zu ihr zurückgelaufen kam. Eine wundervolle Wärme breitete sich in ihr aus, nachdem Laura nun die Wahrheit wusste. Danach wurde der Abend von Minute zu Minute besser. Jack wich nicht von Lauras Seite. Sie schwebte wie auf Wolken, seit sie wusste, dass Cory ihm gleichgültig war. Dagegen, wenn sie sich nicht sehr irrte, reagierte er mit ein bisschen Eifersucht auf Chips plötzliches Interesse an ihr, Laura. Sie erinnerte sich nicht, je eine unterhaltsamere Party erlebt zu haben. Nach dem Abendessen wurde getanzt. Doch wann immer Chip in Lauras Richtung steuerte, brachte Jacks finsterer Blick ihn dazu, auf der Stelle wieder umzukehren. Bruce Springsteens "Dancing in the Dark" erklang, was Laura an den Morgen des Musik-Duells erinnerte. Sie schaute zu Jack. Er lächelte, und etwas in seinen Augen löste ein erwartungsvolles Kribbeln in ihr aus. "Möchtest du tanzen?" fragte er und reichte ihr die Hand. Sie legte ihre Hand in seine, und er führte sie zur Tanzfläche. Als er sie an sich zog, spürte sie seine raue Wange an ihrer, die Wärme seiner muskulösen Brust, die Bewegung seiner Beine, der sie sich
instinktiv anpasste. Es war das erste Mal, dass sie zusammen tanzten, und zwar mit jedem Schritt besser. Sie bildeten ein perfektes Paar. Es erschien ihr so natürlich, so vollkommen, dass ihr das Herz überging vor Gefühl. Stan hatte nicht Recht. Das Problem war nicht ihre Angst vor Nähe. Das Problem war, dass ihr Herz nicht frei gewesen war für die Männer, mit denen sie es in den letzten Jahren versucht hatte. Und das war ihr Herz schon sehr, sehr lange nicht mehr. Seufzend schmiegte sie sich an Jack, legte den Kopf an seine Schulter und genoss es, ihn zu spüren. Jack flüsterte ihr etwas ins Ohr, das sie nicht verstand, weil er so leise sprach, aber sein warmer Atem löste einen wohligen Schauer in ihr aus. Sie tanzten zu diesem Song und noch zu einem anderen. Als dann etwas Schnelleres gespielt wurde, blieb Jack stehen und sagte verdrossen: "Lass uns von hier verschwinden. Chip steuert schon wieder auf dich zu." Laura nickte und ließ sich von ihm zur Tür ziehen. "Hattest du einen Mantel an?" fragte Jack. Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte nicht die Wirkung ihres roten Kleids mit der einzigen warmen Jacke ruinieren wollen, die sie nach Laroche mitgebracht hatte. Lieber frieren als eine Bomberjacke über diesem Kleid. Die Luft draußen war kühl an ihren nackten Armen, und Laura fröstelte. Sofort legte Jack ihr seine Lederjacke um die Schultern. "Aber die brauchst du doch selbst", protestierte Laura "Wir teilen sie uns", erwiderte er und schlang den Arm um ihre Taille. Laura lehnte sich an ihn und war wie elektrisiert von seiner Nähe und der perfekten Übereinstimmung, mit der sie sich bewegten. Jack brachte sie zu ihrem Wagen und wartete, bis sie die Tür aufschloss. Als sie ihm die Jacke zurückgeben wollte, hielt er sie an den Armen fest, und als sie die Lippen öffnete, um zu protestieren, verschloss er ihr den Mund mit einem Kuss. Es war, als hätte Jack den ganzen Abend darauf gewartet, sie zu küssen, und würde es nicht länger ertragen. Es war auch kein freundschaftlicher kleiner Kuss wie neulich nachts am Strand, sondern ein hungriger, fordernder Kuss, der ihre Zungen zu einem sinnlichen Tanz vereinte.
Laura merkte nun, dass auch sie sich den ganzen Abend nach Jack gesehnt hatte, und sie erwiderte seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft. So begeistert sie als Teenager geschmust hatten, dieser Kuss war etwas völlig anderes. Flüchtig kam ihr der Gedanke, wie sehr Jacks Technik sich verbessert hatte und dass ihr sein Körper jetzt viel besser gefiel als damals. Es war wundervoll, Jack zu berühren und seine streichelnden Hände auf ihrem Rücken und den Hüften zu fühlen. Jack lehnte sich nun etwas zurück, um seinen Händen mehr Spielraum zu verschaffen, und Laura seufzte zufrieden, als seine Finger ihre Brüste umschlossen. Auch sie blieb nicht passiv. Sie strich ihm über den Rücken, seine Schultern, seine Brust, und sie war wie berauscht von der Kraft und Wärme seines Körpers, die das schwelende Verlangen in ihr zu einem regelrechten Feuer des Begehrens entfachten. Als Jack seine Hände über ihren Ausschnitt gleiten ließ, lösten die Schwielen an seinen Fingerspitzen ein feines Prickeln auf ihrer empfindsamen Haut aus. Der Kies unter Jacks Füßen knirschte, als er seine Position veränderte. Zärtlich strich er mit den Lippen über ihre Halsbeuge, und Laura bog sich ihm impulsiv entgegen. Im nächsten Moment spürte sie, dass Jack den Reißverschluss im Rücken ihres Kleides öffnete, während er mit den Zähnen das Oberteil herunterzog und ihre Brüste in der kühlen Abendluft entblößte. Ein Wohlgefühl durchströmte sie bei dem Gedanken, dass sie die Frau war, die Jack in den Armen hielt - dass er sich für sie, Laura, entschieden hatte und dass Cory die Party allein verlassen hatte. Als Jack eine ihrer Brustspitzen zwischen die Lippen nahm, legte Laura den Kopf zurück, lehnte sich zitternd an ihren Wagen und gab sich ganz den überwältigenden Empfindungen hin, die sie bei seinen Liebkosungen erfassten. Sie begehrte Jack mit einer Intensität, die sie nicht länger verleugnen konnte. Jahrelang hatte sie sich vorgemacht, es sei vorbei mit ihm. Aber das war es nicht und würde es auch nie sein. Als er seinen Mund nun zu einem weiteren leidenschaftlichen Kuss auf ihre Lippen presste, schlang sie die Arme um seine Hüften und zog ihn in einer stummen Einladung fest an sich. Er stöhnte auf, und sie spürte, wie erregt er war. Aber dann trat er abrupt zurück.
"Steig ein", flüsterte er. "Im Wagen?" Schon auf der High School hatte sie für Jack geschwärmt, aber sie war kein Teenager mehr und würde bestimmt nicht auf dem Rücksitz ihres Wagens vor Chips Haus mit ihm knutschen. Während Laura noch nach einer Alternative suchte, schob Jack sie entschieden auf den Fahrersitz. Erst da merkte sie, dass Chips Haustür offen stand und Leute herauskamen. Stimmen durchbrachen die nächtliche Stille, Kies knirschte, und fröhliche Kommentare wurden laut. Fluchend schloss Jack die Lederjacke über ihrem Kleid und schaute Laura prüfend ins Gesicht. "Glaubst du, du kannst fahren?" Sie nickte nur. "Dann treffen wir uns bei mir. Sara ist noch bei deiner Gran", flüsterte er. Aber Vernunft verdrängte bereits Lauras Fantasien, und sie schüttelte den Kopf. "Nein, das ..." Wie könnte sie die gefährliche Mischung aus süßer Sehnsucht und heißer Lust erklären, die wie ein Fieber in ihr tobte? Sie war zu verwundbar, zu verletzlich. Eine innere Stimme warnte sie, während ihr Gefühl ihr sagte, dass sie sich Jack rückhaltlos hingeben sollte. Die Stimme, die zur Vorsicht riet, gewann. "Ich kann nicht", antwortete Laura leise und zwang sich, den Zündschlüssel ins Schloss zu stecken. Jack atmete schwer. "Ich kann nicht behaupten, dass ich es bereuen würde, denn das tue ich nicht. Wenn dieser Narr, mit dem du gehst, auch nur einen Funken Verstand besäße, wäre er hier, um auf dich aufzupassen." Laura fuhr herum, als hätte er sie geschlagen. "Was soll denn das schon wieder heißen?" Wortlos legte er die Hände um ihr Gesicht und küsste sie hart. "Es wäre wunderbar mit uns, und das weißt du", sagte er. Danach richtete Jack sich auf und stapfte über den gekiesten Weg zu seinem Wagen.
"Du läufst also schon wieder weg." Grans scharfe Worte trafen Laura. Schuldbewusst schaute sie von ihrem geöffneten Koffer auf und sah, dass ihre Großmutter mit frostiger Miene in der Zimmertür stand. "Nein, ich ..." Laura brach ab und senkte den Blick. "Ich muss hier weg, Gran. Nenn es reine Selbsterhaltung, wenn du willst." "Feigheit nenne ich das." Grans nüchterner Tonfall schmerzte Laura mehr, als wenn sie sie angeschrieen hätte. "Du liebst diesen Mann. Finde dich endlich damit ab, Laura. Vor ihm wegzulaufen wird nicht das Geringste daran ändern." Nein, aber es würde sie wenigstens davor bewahren, noch einmal so verletzt zu werden wie vor Jahren. "Bitte versuch mich zu verstehen, Gran." Laura setzte sich aufs Bett. "Ich kann nicht anders." Gran schüttelte betrübt den Kopf. "Und was soll aus dem McNairHaus werden?" "Sie werden schon jemand anderen finden. Ich könnte ihnen sogar jemanden empfehlen." Wortlos wandte Gran sich um und ging in die Küche hinunter, aus der kurz darauf das laute Klappern von Geschirr erklang. Es war unüberhörbar, dass Gran sehr ärgerlich war. Als Laura den Koffer zu Ende gepackt hatte und ihn die Treppe hinunterschleppte, schlug ihr der Duft von Blaubeerpfannkuchen entgegen. Es war ein Duft, der sie an ihre Kindheit erinnerte, und obwohl sie so unglücklich war, musste sie lächeln. Zu besonderen Gelegenheiten - oder um sie nach einer Enttäuschung aufzuheitern hatte Gran früher immer Blaubeerpfannkuchen gemacht. Nachdem Laura den ersten köstlichen Bissen gegessen hatte, kam ihr die Welt schon nicht mehr ganz so schrecklich vor. Dankbar schaute sie auf zu Gran. "Fahr heute noch nicht, Liebes. Es ist Sonntag. Du würdest sowieso nicht arbeiten. Ruh dich aus und denk in Ruhe nach. Wenn du morgen noch genauso denkst, kannst du Delores Walters anrufen und ihr persönlich sagen, dass du deine Arbeit niederlegst." Laura überlegte kurz und nickte. "Gut. Aber versuch nicht, mich morgen wieder aufzuhalten." Sie schleppte ihren Koffer wieder hinauf und half Gran, das Mittagessen vorzubereiten. "Gehst du mit mir in die Kirche?"
"Nein. Ich werde zum McNair-Haus hinübergehen und sehen, ob ich dort etwas vergessen habe." Gran nickte. "Dann kannst du gleich das alte Bettzeug mitnehmen, das ich dem Museum vorübergehend zur Verfügung stelle." Das "alte Bettzeug" war eine kostbare Steppdecke, auf die zwei verschlungene Eheringe gestickt waren. Die ursprünglich kräftigen Farben, Rot und Blau, waren mit den Jahren zu sanften Pastelltönen verblasst. Laura strich über die Ringe. "Diese Decke habe ich noch nie gesehen. Sie ist wunderschön." "Einige Nachbarinnen haben sie als Hochzeitsgeschenk für meine Mutter angefertigt. Auf der Rückseite kannst du ihre eingestickten Namen sehen. Meine Mutter hat sie mir überlassen, als ich heiratete. Ich wollte sie deiner Mutter geben, aber ...", Gran zog vielsagend die Schultern hoch, "... ihr Ehebett war hinten in einem Bus. Und sehr häuslich war sie sowieso nie. Deshalb habe ich die Decke für dich aufgehoben." Gran schüttelte den Kopf. "Aber wenn du so weitermachst, wird es noch Jahre dauern, bis du sie brauchst. Es wäre eine Schande, sie so lange im Schrank herumliegen zu lassen, statt sie den Besuchern von Laroche als eine echtes Stück Geschichte vorzuführen. Ich habe die Namen der Frauen, die sie gemacht haben, abgetippt - die Liste liegt auch in der Schachtel. Vielleicht könnte das Komitee eine Plakette mit den Namen über dem Bett anbringen. Ich werde es am Mittwoch bei der Sitzung vorschlagen." Die Sitzung, an der ich nicht mehr teilnehmen werde, dachte Laura. Beinahe ehrfürchtig berührte sie die Decke. Dabei lagen eine Garnitur bestickter Laken und Kopfkissenbezüge. Gran hatte sogar für zwei Federkissen gesorgt. "Ich möchte, dass du das Bett beziehst und siehst, ob alles passt", erklärte Gran. "Vielleicht müssen wir ja noch etwas ändern." Während Laura dann schweren Herzens den nach Lavendel duftenden Karton zum McNair-Haus trug, dachte sie, dass sie den Auftrag auf der Stelle hätte niederlegen sollen, gleich nachdem sie erfahren hatte, dass Jack mit ihr an dem Haus arbeiten würde. Nun enttäuschte sie Gran, Delores Walters, die Vorsitzende des Komitees, und all die anderen Frauen.
Laura nahm sich Zeit, das Bett zu machen. Die alte Matratze war nicht mehr zu retten gewesen, aber die neue lag schon auf dem Bett. Tränen standen in Lauras Augen, als sie die Laken glatt strich und die Kissen bezog. Dann breitete sie liebevoll die Decke darüber aus. Laura wurde ganz melancholisch, als sie an die beiden Bräute dachte, die sich unter dieser Decke zum ersten Mal einen Mann hingegeben hatten. Beide hatten glückliche Ehen geführt. Plötzlich sah sie sich und Jack in diesem Bett, unter dieser Decke, und musste sich auf die Lippen beißen, um nicht in Tränen auszubrechen, als die Sehnsucht sie fast überwältigte. Entschieden wandte sie sich ab und ging zur anderen Seite des Raums, wo noch die Schablone für die Rosen an der Wand lehnte. Während sie sich daran erinnerte, wie gut Sara und sie zusammengearbeitet hatten, dachte Laura unwillkürlich an den Moment, als Jack plötzlich aufgetaucht war und sie sich quer durchs Zimmer angesehen hatten und sich auf eine Art verständigt hatten, wie es ihnen mit Worten nie gelungen war. Ihre Schritte hallten durchs Haus, als sie durch die oberen Räume ging und einen vergessenen Pinsel, ein Lineal und ein Tapetenmesser aufhob. Laura fühlte sich schuldbewusst. Sie hasste es, eine Arbeit nicht zu vollenden. Und dieses Haus bedeutete ihr so viel. Aber ihr seelisches Gleichgewicht bedeutete ihr noch mehr. Zwischen ihr und Jack war ebenfalls noch vieles nicht erledigt, aber wenn sie ihr Herz nicht verlieren wollte, musste das auch so bleiben. Deshalb wollte sie die Insel so schnell wie möglich verlassen. Denn jetzt wusste sie wieder, wie es war, von Jack geküsst und liebkost zu werden. Sie erschauerte bei der Erinnerung an die Leidenschaft, die er in ihr entfacht hatte. Eine Leidenschaft, die so brennend heiß war, dass sie Angst hatte, von ihr verzehrt zu werden, falls sie ihrem Herzen folgte und ihr nachgab. Bedrückt ging sie die Treppe hinunter und wünschte, sie wäre nie zurückgekommen. Laura spürte Jacks Anwesenheit, noch bevor sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, und wandte sich instinktiv zum Wohnzimmer, wo er vor dem Kamin hockte und an einem neuen Kaminsims schnitzte. Langsam drehte er sich zu ihr um, obwohl sie sicher war, dass sie kein Geräusch verursacht hatte, und blickte sie schweigend an. In seinen
Augen standen all die Fragen, die sie nicht beantworten wollte. Aber sie war wie gelähmt und außer Stande, ihrem Impuls zu folgen und davonzulaufen. Jack kam nun zu ihr und blieb ein paar Schritte vor ihr stehen. "Hi." Sein Blick lag unverwandt auf ihrem Gesicht. "Hi." Sie trat einen Schritt zurück. "Das mit gestern Abend tut mir Leid." Er blickte auf den Meißel in seiner Hand und strich über die Schnittflächen, als wolle er ihre Schärfe prüfen. "Ich hoffe, wir können trotzdem weiter zusammenarbeiten. Aber falls es dir lieber ist, gebe ich den Auftrag ab." Er wirkte unbehaglich, als wünschte er, er könnte den gestrigen Abend ungeschehen machen. Laura bemühte sich, wieder zu Verstand zu kommen. Jack war nicht der Einzige, der wünschte, es wäre nie zu diesem Kuss gekommen. Aber hielt er sie etwa immer noch für eine naive Sechzehnjährige, die sich nach jedem kleinen Kuss verliebte? Okay, sie war es, aber das brauchte er ja nicht zu wissen. Dass er offenbar davon ausging, sie könnten jetzt nicht mehr zusammenarbeiten, verstimmte sie. Sie hatte ihre bisher anspruchsvollste und schönste Arbeit noch nicht vollendet. Warum nicht? Wegen Jack? O nein. Vielleicht sollte sie doch nicht abreisen ... "Sei unbesorgt, Jack." Ihre Stimme klang fest und ruhig. "Es war doch nur ein Kuss." Laura sah seinen erstaunten Blick und dass Jack etwas einwenden wollte, und sie fuhr hastig fort: "Ein Kuss, der ein bisschen außer Kontrolle geraten ist. Ein dummer Fehler, der nicht wieder vorkommen wird - vollkommen bedeutungslos", betonte sie und lächelte, als sie merkte, dass ihre Worte ihn ernüchterten. "Bis morgen also, Jack."
9. KAPITEL
"Vollkommen bedeutungslos." Lauras Worte beschäftigten Jack so sehr, dass er Mühe hatte, sich auf die Schnitzerei zu konzentrieren, die er rekonstruieren musste. Er hatte kaum geschlafen in der Nacht zuvor, sein fast schmerzhaftes Verlangen nach Laura hatte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt wie sie. Er hatte versucht, es als die Frustration eines Mannes abzutun, der zu lange keine Frau mehr gehabt hatte, doch in den frühen Morgenstunden war ihm klar geworden, dass es das nicht war. Es war nicht nur körperliches Verlangen nach Laura. Er sehnte sich nach einer viel umfassenderen Vereinigung mit ihr. Der Kuss auf dem Parkplatz hatte ihn für immer verändert. Und für sie war der Kuss "vollkommen bedeutungslos"? Er erinnerte sich an ihr Gesicht, als sie das heute Morgen gesagt hatte. Es war angespannt und blass gewesen, mit dunklen Schatten unter den Augen. Laura hatte ausgesehen, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan - ebenso wie er. Er lächelte. Sie log. Von wegen "vollkommen bedeutungslos." Er würde Laura zeigen, was der Kuss zu bedeuten hatte! Nachdenklich rieb Jack sich das Kinn. Ihr Freund Peter, oder wie er hieß, hatte sich kein einziges Mal hier blicken lassen, seit Laura zurück war, und sie sprach auch nie von ihm. Mehr noch, er würde jede Wette eingehen, dass Laura ihm, Jack, gegenüber nicht so cool war, wie sie tat. Jacks Stimmung hob sich. Wenn Laura seinetwegen schlaflose Nächte hatte, hatte sie einen schwachen Punkt. Beim Football war er stets unter den Angreifern gewesen, hatte die Schwächen seiner Gegner genutzt und Strategien entwickelt, um ihre Verteidigung zu durchbrechen und Punkte zu machen. Natürlich war dies hier kein Footballspiel, aber er gedachte dennoch zu gewinnen. Und wie bei jedem Spiel, in dem es um den Sieg ging, brauchte man einen sorgfältig durchdachten Plan.
Jack wollte Champagner und romantische Musik besorgen. Außerdem brauchte er einen ruhigen Ort, an dem Laura und er ungestört sein würden. Das war schon schwieriger. Sein Haus kam wegen Sara nicht in Frage, und bei Laura war es wegen Gran ebenfalls unmöglich. Das McNair-Haus! Welcher Ort könnte idealer sein? Erregung packte ihn, als Jack sein Notizbuch zur Hand nahm und "Champagner" und "Gläser" eintrug. Nach kurzer Überlegung fügte er "Eiskübel, Eis, Kerzen" hinzu und schrieb auch "Kondome" auf. In Gedanken stellte er sich die Verführung vor und fragte sich, was sie vielleicht sonst noch brauchen mochten. Snacks. Sex machte ihn immer hungrig. Nachdem er alle Punkte notiert hatte, lief er pfeifend die Treppe hinauf, um die Räumlichkeiten noch einmal in Augenschein zu nehmen. Fast hätte er laut gelacht, als er sah, dass das Bett im großen Schlafzimmer bereits bezogen war. Jack fühlte sich schon sehr viel besser, als er wieder hinunterging, um nun konzentriert weiterzuarbeiten. Am späten Nachmittag ging er nach Hause, um sich dort wie versprochen mit Cory zu treffen, die die Ergebnisse ihrer Interviews mit ihm durchgehen wollte. Er konnte es kaum erwarten, zu hören, was Laura ihr gesagt hatte. Als er heimkam, saßen Cory und Sara vor dem Fernseher und aßen Popcorn. Hatten Mutter und Tochter sich schon jetzt nichts mehr zu sagen? Kaum sah Cory ihn, ließ sie Sara allein und kam mit einem braunen Ordner in die Küche. Jack nahm sich eine Limonade und bot auch Cory eine an, doch sie schüttelte den Kopf. "Hast du eine neue Frau für mich gefunden?" fragte er schmunzelnd. "Es war sehr enttäuschend gestern Abend", antwortete Cory. "Ich befürchte, unsere Arbeit ist noch lange nicht beendet." "Wieso? Es waren doch eine Menge netter Frauen dort. Wie findest du zum Beispiel Mary, die Zweigstellenleiterin der Bank?" "Zu feindselig." "Und die Lehrerin?" Cory warf einen Blick in ihre Aufzeichnungen. "Zu nervös." "Und Laura?" Cory starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren. "Diese Frau ist sexbesessen, Jack. Das ist unnatürlich."
Er verschluckte sich fast an seiner Limonade. "Hat sie dir von diesem
... Problem erzählt?"
"Sie hat von nichts anderem geredet." Corys Wangen glühten. "Sie
hatte sogar den Nerv, zu fragen, ob du ein guter Liebhaber gewesen
seist."
Jack kippte seinen Stuhl zurück und grinste. "Und, war ich es?"
"Ich bin nicht hier, um dein männliches Ego zu stärken, Jack.
Außerdem hatte ich den Eindruck, dass Laura glaubt, du seist nicht
Manns genug für sie."
"Was?" Der Stuhl fiel krachend um, als Jack aufsprang.
"Ehrlich gesagt, ich glaube, sie ist eine Nymphomanin." Cory klappte
ihre Akte zu. "Wir müssen weiter suchen. Vielleicht sollten wir ein
Inserat aufgeben."
"Was ist mit ihrem Freund in Seattle? Ist sie mit dem zufrieden?"
"Wessen Freund?"
"Lauras!"
Cory verzog geringschätzig den Mund und blätterte wieder in ihren
Notizen. "Sie hat keinen Freund. Sie haben sich getrennt, bevor sie
den Auftrag hier angenommen hat."
Jacks Herz schlug schneller. "Bist du dir sicher? Du hast sie nicht mit
jemand anderem verwechselt?"
"Ganz bestimmt nicht. Sie sagte, das Alleinsein mache sie verrückt,
weil sie jetzt ohne Sex auskommen muss. Laura kannst du jedenfalls
vergessen. Diese Frau ist krank. Möchtest du, dass ich das Inserat für
dich aufgebe?"
Die Ausgangslage hatte sich erheblich verbessert. Ohne Freund war
das Feld frei. Und Laura hatte ihn sogar herausgefordert. Sie glaubte,
er sei nicht Manns genug für sie? Er erinnerte sich, wie sie ihm
während des Interviews zugewinkt und ihn angelächelt hatte. Sie hielt
sich nicht an die Regeln, wenn sie ihn derart verspottete. Er würde
sich eine spezielle Bestrafung für sie ausdenken.
Jack merkte, dass seine Exfrau noch auf eine Antwort wartete. "Lass
mir Zeit, darüber nachzudenken. Erst mal vielen Dank für alles,
Cory."
Sie bedachte ihn mit einem strengen Blick. "Sara wird täglich älter
und du auch." Sie schob ihren Stuhl zurück. "Am Wochenende rufe
ich dich an, dann sehen wir weiter."
"Oh, da ist noch etwas, was ich dich fragen wollte. Was für ein Fax erwartetest du im Hotel?" "Nur ein paar Interviewfragen für eine Sendung, die ich nächste Woche habe." Jack ging ein Licht auf. "Interviewfragen? Soll das heißen, andere Leute denken sich die Fragen für dich aus?" Cory schien verwirrt über sein unverhofftes Interesse. "Na klar, wir haben Leute, die die Recherche machen und Informationen über unsere Gäste sammeln und die Fragen formulieren." Sie merkte, wie belustigt er war. "Natürlich könnte ich das auch selbst, wenn ich nichts Wichtigeres zu tun hätte." Es klang verteidigend, und sie errötete unter ihrem Make-up. Sie benutzt also immer noch Schummelzettel, dachte Jack und lächelte im Stillen. Einige Dinge änderten sich doch nie. Jack war schon bei der Arbeit, als Laura am Montagmorgen kam. Er schenkte ihr ein ganz breites Lächeln. "Du solltest deine gute Laune in Flaschen abfüllen und verkaufen. Du würdest ein Vermögen damit machen", sagte Laura unwirsch. Und ich wäre die Erste, die sich anstellen würde, um eine zu kaufen, dachte sie. Jack hatte ihre kleine Szene neulich abends offenbar bereits vergessen. Das tat weh. Aber da lächelte er sie von neuem an, und etwas an diesem Lächeln ließ ihr Herz schneller schlagen. Irgendeine beunruhigende Botschaft, irgendetwas gefährlich Aufreizendes, lag in seinen blauen Augen. Laura wusste nicht, ob sie ihn attackieren oder lieber die Flucht ergreifen sollte. Sie straffte die Schultern und wandte sich zur Treppe. "Arbeitest du heute im großen Schlafzimmer?" fragte Jack beiläufig "Nein, dort bin ich fast fertig. Ich fange heute mit dem Dienstmädchenzimmer im Dachgeschoss an." "Oh." Er klang enttäuscht. Nach den Nachforschungen, die Laura angestellt hatte, war sie froh, kein Dienstmädchen des neunzehnten Jahrhunderts zu sein. Sie strich die Wände und die Decke in der winzigen Dachkammer schlicht hellgrün; elegante Tapeten oder kunstvolle Zierleisten wären nicht historisch. Sie hoffte, ein Einzelbett und eine schlichte Kommode für den Raum zu finden. Ein paar Haken hingen an den Wänden, an denen das arme Dienstmädchen seine wenigen Sachen aufgehängt hatte.
Laura hatte sich überall mit Farbe bekleckert, war verschwitzt vom
Streichen und benommen von den Farbdämpfen, als eine Stimme sie
zusammenfahren ließ.
"O Schreck, das ist ja das Ungeheuer aus der schwarzen Lagune!" rief
Jack in gespieltem Entsetzen von der Tür aus.
"Ha! Mein nächstes Opfer!" Laura fauchte ihn an und richtete ihre
farbtriefende Rolle wie eine Waffe auf ihn.
"Ich komme in Frieden und bringe Geschenke", entgegnete er und
hielt die Thermosflasche hoch. Dann trat Jack vor und berührte ihre
Nasenspitze. Er zeigte ihr seine grün gefärbte Fingerspitze und
lächelte Laura mit strahlenden Augen an.
Ihr Herz machte einen Satz.
Es war nur eine simple Berührung, als Jack seinen Finger an ihrem
bereits verschmierten Overall abwischte, dennoch wurde ihr sehr heiß
dabei.
"Warum gehen wir nicht in eins der fertigen Zimmer, um Kaffee zu
trinken?" meinte er.
"Ich bin voller Farbe und würde überall Kleckse hinterlassen. Aber
geh ruhig, ich trinke meinen Kaffee hier."
"Nein, ich bleibe bei dir." Er sah sich um. "Können wir uns irgendwo
anlehnen?"
"Die Tür ist noch nicht gestrichen."
"Wie sollen wir hier Luft kriegen, wenn ich sie schließe?"
"Hör mal, du brauchst nicht hier zu bleiben."
Jack schloss die Tür und setzte sich auf den Boden.
Laura lächelte auf ihn herab. "Das Fenster ist offen." Sie deutete nach
oben auf ein kleines Dachfenster.
Jack reichte ihr einen Becher. Zu spät merkte Laura nun, dass sie sich
entweder dicht neben Jack setzen musste oder mitten ins Zimmer.
Doch weil ihr Nacken vom ständigen Hinauf schauen schmerzte,
brauchte sie etwas, um sich anzulehnen. Widerstrebend setzte sie sich
neben Jack.
"Vorsicht mit deinen Ellbogen", warnte sie. Die Wände waren frisch
gestrichen, und die Tür war nicht sehr breit, so dass es sich gar nicht
vermeiden ließ, zusammenzurücken. Sein Körper war warm und
kraftvoll und löste ein Kribbeln in ihr aus, wo er ihren berührte.
Laura nippte an ihrem Kaffee und versuchte, Jacks Nähe zu
ignorieren. "Der Kaffee ist gut."
Überrascht wandte er sich zu ihr. "Findest du?" "Hm." Sie rollte ihre Schultern. "Du solltest das Streichen verschieben, bis es deinem Nacken wieder besser geht", bemerkte Jack. Er stellte seinen Becher weg, und bevor Laura ihn daran hindern konnte, hatte er sie hochgehoben und auf seinen Schoß gezogen. "Lass mich runter, Jack. Du beschmierst dich ja überall mit Farbe." Er spreizte seine Beine, und sie glitt zwischen ihnen auf den Boden. "Und nun halt still", sagte er. Wie schon einmal fing er an, mit seinen magischen Finger ihren Nacken zu massieren, so dass ihr Widerstand erlahmte und sie sich entspannte. Jack so nah zu sein, die Hitze seiner Schenkel an ihren zu spüren, die Wärme seiner Hände - all das erschien ihr so vertraut, so richtig. Wohlig lehnte Laura sich an ihn und schloss die Augen. Seine Finger und seine Sachen rochen nach Holz, und sein Atem strich sanft über ihren Nacken. Laura wusste nicht, wann die Atmosphäre sich verändert hatte, wann aus den Bewegungen von Jacks Händen ein Streicheln wurde, aber plötzlich war sie gar nicht mehr entspannt. Eine neue, andere Art von Spannung begann sich in ihr aufzubauen. Sie wollte sich Jack entziehen, doch trotz ihrer guten Vorsätze, Distanz zu ihm zu wahren, war sie jetzt nicht dazu fähig. Mehr noch, sie empfand sogar freudige Erwartung. Seine Lippen strichen über ihren Nacken und lösten ein Erschauern in ihr aus. Er küsste die zarte Haut unter ihrem rechten Ohrläppchen und ließ seine Zunge darüber kreisen. Wogen des Verlangens durchströmten sie. Etwas schnappte auf. Im nächsten Moment hatte Jack ihr die Träger ihres Overalls über die Schultern gestreift. Mit klopfenden Herzen umklammerte Laura seine Knie, als gäbe ihr das Halt. Als Jack daraufhin eine Hand um ihre Brust legte, pochte ihr Herz nur noch wilder. Da Laura nie einen BH unter dem Overall trug, war nur ein bisschen Baumwolle zwischen ihren Brüsten und seinen Händen. Ihre Brustspitzen richteten sich sofort auf und drängten sich ihm buchstäblich entgegen. Aber Jack nahm sich Zeit, und nachdem er
seine Hand unter ihr T-Shirt geschoben hatte, strich er erst quälend langsam über ihren Bauch, bevor er endlich ihre Brüste umfasste. Sie stöhnte vor Erregung auf, als er eine der Spitzen zwischen zwei Finger nahm, und wandte sich zu ihm und küsste ihn. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie über und über mit Farbe bekleckert war, denn er erwiderte den Kuss mit einer Leidenschaft, die sie erschauern ließ. Jack zog die Hände unter ihrem T-Shirt hervor, und Laura hörte das Aufschnappen der anderen Verschlüsse ihres Overalls. Bei jedem Klick lief ihr ein weiterer Schauer über den Rücken. Laura war voller Sehnsucht. Es war, als hätte sie zwölf Jahre auf diesen Augenblick gewartet und hielte es keine Sekunde länger aus. Sie drehte sich nun ganz zu Jack herum, schlang die Arme um ihn, küsste ihn und schob dabei die Finger in sein dichtes Haar. Jack verstand die Botschaft, die Laura ihm mit ihren weichen Lippen übermittelte, denn er unterbrach den Kuss für einen winzigen Moment, um ihr das T-Shirt auszuziehen. Dann schloss er sie wieder in die Arme, und ihre nackten Brüste pressten sich an sein Hemd, als er den Kuss nun fortsetzte. Laura rieb sich an dem rauen Stoff an ihrer Haut, während Jack mit der Zunge ihren Mund erkundete. Als er sich schließlich etwas zurücklehnte und ihren nackten Oberkörper betrachtete, gab ihr sein glühender Blick das Gefühl, unendlich schön und verführerisch zu sein. Spontan kniete Laura sich vor ihn, knöpfte sein Hemd auf und strich mit ihren farbverschmierten Fingern über seine muskulöse Brust, während Jack sein Hemd abstreifte und es achtlos irgendwo ins Zimmer warf. Sie knieten nun voreinander, als sie sich erneut umarmten und küssten. Die Arme um ihn geschlungen, presste Laura ihn an sich und bog sich Jack entgegen. Mit jeder Faser ihres Körpers sehnte sie sich nach ihm, und mit Lippen, Zunge und Händen zeigte sie ihm ihr Verlangen. Sie dachte an nichts mehr und wollte sich nur noch ihren wundervollen Empfindungen überlassen. "Warte, meine Stiefel", murmelte sie, als Jack ihr den Overall weiter herunter schob, und setzte sich. Der Overall bauschte sich um ihre Knöchel, während Jack ihr die groben Arbeitsstiefel aufschnürte, und sie ihr so behutsam von den Füßen zog, als wären es feine Tanzschuhe.
Es folgten ihre grauen Wollsocken und der Overall. Viel sagend richtete Laura den Blick auf seine Jeans, und Jack kam ihrer stummen Bitte nach und hatte die Hose in Windeseile abgestreift, während Laura ihm Stiefel und Socken auszog. Danach beugte er sich vor, und sie beobachtete das Spiel seiner Muskeln, als er die Segeltuchplane heranzog, mit der sie die Dachkammer ausgelegt hatte, und sie sanft darauf drückte. Das Material kratzte an ihrer nackten Haut und war kühl und klebrig, wo ein paar dicke Farbkleckser darauf gefallen waren. "Ich komme mir vor wie bei einer Schlammschlacht", murmelte sie und stöhnte. Jacks Augen funkelten vor Lachen, als er sich über sie beugte. "Ich glaube, die verlierst du, Liebling." Laura erwiderte sein Lächeln. Sie fühlte sich herrlich verrückt und lebendiger als je zuvor in ihrem Leben. Mit einer Hand tastete sie nach dem Farbeimer und tauchte einen Finger in die grüne Farbe. "Sei dir nicht zu sicher", sagte sie, während sie die Farbe auf seiner Brust verstrich. "Ich würde mich ja revanchieren, aber ich will mir den Geschmack nicht verderben, wenn ich deine Brüste küsse", flüsterte Jack. Damit hauchte er heiße Küsse auf ihre Brüste und liebkoste die Spitzen, bis Laura vor Verlangen keuchend seinen Kopf an sich presste. Mit den Lippen glitt er über ihren Bauch, und als er das Gummiband ihres Slips zwischen die Zähne nahm, hob sie leise lachend die Hüften an, damit er ihr den Slip zügig ausziehen konnte. Sekunden später lag sie nackt vor ihm, und er kniete neben ihr und betrachtete sie bewundernd. "Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe", murmelte er, und seine Hand zitterte ein wenig, als er das weiche Haar zwischen ihren Schenkeln berührte. Sie hielt den Atem an, als er nun mit einem Finger sanft in sie eindrang. Neben ihr liegend, liebkoste Jack sie mit der Hand, bis Laura sich stöhnend vor Erregung hin und her wand. "Warte", keuchte sie. "Ich möchte dich ganz in mir spüren." Rasch streifte Jack seinen Slip ab und holte ein Kondom aus seiner Jeans. Nachdem er es übergezogen hatte, glitt er zwischen Lauras einladend geöffnete Beine. Dann hielt er ganz still und schaute ihr tief in die Augen.
Laura erwiderte den Blick, sah sein Verlangen und wusste, dass Jack ebenso ihres sehen konnte. Es war ein Augenblick von fast schmerzlicher Intimität. Es war ein Augenblick, in dem die Zeit stillzustehen schien. Als Laura es schließlich nicht mehr aushielt, seinen Kopf zu sich zog und ihre Lippen sich fanden, drang Jack im gleichen Moment in sie ein. Sie glaubte, vor Entzücken zu vergehen. Arme und Beine um ihn geschlungen, küsste sie ihn und streichelte ihn mit der Zunge. Bei jedem Stoß war es, als käme er noch tiefer zu ihr, und sie öffnete sich ihm in unbändiger Freude und Lust. Er füllte sie vollständig aus, steigerte ihre Erregung mehr und mehr, bis ihre Gefühle sie überwältigten und mitrissen. Sie schrie auf, als Wellen der Ekstase sie durchzuckten. Wie ein Echo auf ihren ekstatischen Schrei folgte Jacks raues Stöhnen, als sie auf den Gipfel kamen. Danach blieben sie ermattet liegen und warteten, dass ihr Atem sich beruhigte. "Von jetzt an", sagte Jack, "werde ich immer dich vor Augen haben, wenn ich Farbe rieche - deinen nackten, wunderschönen Körper." "Wir werden in Terpentin baden müssen", erwiderte Laura lachend. Er glitt mit der Hand über die grünen Farbstreifen auf ihrer Haut. "Du gefällst mir so. Du bist ein Kunstwerk, ein Gemälde." Ihr Herz schwoll an vor Liebe, und sie zog ihn an sich und versuchte, sich auf ihn zu rollen, doch die Segeltuchplane, die ihr am Rücken klebte, hinderte sie daran. "Au!" rief sie, als Jack den groben Stoff vorsichtig entfernte. "Komm", sagte Jack und zog Laura auf die Beine. "Lass uns zu mir nach Hause fahren, um zu baden." Als Laura wenig später neben ihm im Wagen saß, erlaubte sie sich für einen Augenblick, sich vorzustellen, dass der Traum aus ihrer Teenagerzeit wahr geworden sei und Jack ihr Mann sei. Obwohl sie auf der Fahrt nicht redeten, hörten sie nicht auf, sich zu berühren. Seine Hand lag Besitz ergreifend auf ihrem Schenkel, während sie mit der Fingerspitze seine Schulter streichelte. In seinem Haus schickte Jack sie ins Badezimmer. "Ich hole Terpentin", sagte er mit diesem ganz speziellen Lächeln, das Laura jetzt schon kannte und bei dem ihr immer ganz heiß wurde.
In all den Jahren ihrer Arbeit als Restauratorin wäre sie nie auf die Idee gekommen, wie sexy Terpentin sein konnte. Nicht, bis Jack sie auszog, einen Waschlappen mit der Flüssigkeit befeuchtete und vorsichtig begann, die Farbe von ihrem Körper abzutupfen - und das in einer Weise, die ihr Verlangen neu entfachte. Sie revanchierte sich, als sie mit dem Waschlappen an der Reihe war, und erklärte Jack nicht eher für gesäubert, bis er vor Erregung stöhnte. Er drehte die Dusche auf, und sie traten unter den dampfend heißen Strahl, seiften sich gegenseitig ein und pressten sich mit ihren nassen Körpern aneinander, während sie sich leidenschaftlich küssten. Laura strich mit der Seife in den Händen über seinen Rücken, seinen Po und schloss dann die Finger um den Beweis seiner Begierde. "Ich glaube, hier war ich noch nicht", flüsterte sie und widmete sich auch diesem Körperteil ausgiebig. Nach der Dusche trocknete Jack sie entnervend langsam ab. Als er sie dann auf den Rand des Waschbeckens hob und ihre Schenkel spreizte, ließ sie den Kopf an den Spiegel zurücksinken und atmete tief die feuchte Luft ein, die nach Zitronenshampoo und einem Hauch Terpentin roch. Als Jack dann den Kopf senkte, nahm sie nur noch seine Lippen wahr, die er genießerisch über die Innenseiten ihrer Schenkel gleiten ließ. Er berührte sie mit der Zunge, liebkoste und reizte sie, bis sie hilflos vor Erregung, die Beine über seinen Schultern, die Finger in sein nasses Haar grub. Jack trocknete sich rasch ab, hob Laura auf die Arme und trug sie zu seinem Bett. Die Einrichtung seines Zimmers war sehr schlicht - eine Kommode und ein breites Bett aus Kiefernholz und ein einzelner Nachttisch. Die Wände waren weiß, die Vorhänge und die Tagesdecke blau. Alles war so sauber und ordentlich, dass es schon fast unpersönlich wirkte. Jack legte sich zu Laura, und sie kuschelte sich an ihn, als sie sagte: "Das ist keine gute Idee. Wir sollten uns lieber wieder an die Arbeit machen." "Du hast Recht, das sollten wir", stimmte Jack ihr zu, während er sie auf sich zog.
10. KAPITEL
Es war schon nach zwei, als der Hunger Laura weckte. Sie blieb jedoch noch einen Moment liegen, um das Gefühl von Jacks warmem Körper neben ihrem auszukosten, seinen Atem an ihrem Haar und dass Jack zumindest für diesen kurzen Augenblick ihr gehörte. "Jack", sagte sie dann leise und berührte seine Schulter. Er murmelte etwas und drehte sich um. Sie nahm sich noch einen Moment Zeit, ihn zu betrachten, bevor sie sich zwang, aufzustehen und ins Bad zu gehen. Nach einem Blick auf ihre schmutzigen Sachen auf dem Boden zog sie Jacks Bademantel an. Er war wunderbar flauschig und roch nach Jack. Sie kuschelte sich hinein, als sie auf bloßen Füßen in die Küche ging, um Kaffee zu kochen. Mit einem Becher Kaffee für Jack kehrte sie dann ins Schlafzimmer zurück. "Jack, es ist halb drei. Sara wird bald heimkommen." Das weckte ihn. Er brummte wie ein Bär, den man aus dem Winterschlaf gerissen hatte, stand aber auf und zog sich an. "Glaubst du, Sara schöpft Verdacht, wenn ich etwas von dir anziehe?" fragte Laura. Er richtete einen amüsierten Blick auf sie. "Falls du meinen Bademantel meinst, ganz sicher." "Na gut." Laura öffnete den Gürtel und ließ den Bademantel von den Schultern gleiten. "He, so war das nicht gemeint", protestierte Jack und zog rasch ein TShirt und eine Jogginghose aus der Kommode. Nach kurzem Zögern warf er ihr noch einen Baumwollslip zu. Es war intim und erotisch, seinen Slip überzustreifen. Als sie Jacks begehrlichen Blick sah, beeilte Laura sich, auch das T-Shirt und die Jogginghose anzuziehen. Wenig später, während sie an Jacks Küchentisch saßen und Schinkenbrote aßen, erinnerte Laura sich an das Interview, das Cory mit ihr geführt hatte. "Wie habe ich bei Corys Interviews abgeschnitten?" fragte sie lächelnd..
Jack schüttelte den Kopf. "Gar nicht gut. Sie hält dich für eine
Nymphomanin."
Laura lachte. "Und was denkst du?"
Er legte eine Hand auf ihren Schenkel. "Dass Triebhaftigkeit
ansteckend sein muss."
Laura hörte auf zu kauen, denn er schob seine Hand höher und unter
das Gummiband der Jogginghose. Vielleicht bin ich tatsächlich eine
Nymphomanin, dachte sie, als heißes Verlangen sie durchströmte.
Die Haustür schlug zu, und Jack zog rasch die Hand zurück.
"Hallo, Schatz, wie war es in der Schule?" rief er.
"Dad, du bist zu Hause?" Sara betrat die Küche. "Hi, Laura. Wie
kommt es, dass dein Haar nass ist?"
"Laura hatte beim Streichen einen kleinen Unfall und ist
hergekommen, um zu duschen. Ich habe ihr etwas Sauberes zum
Anziehen geliehen."
Sara schenkte sich ein Glas Milch ein und setzte sich zu ihnen an den
Tisch. Sie sprachen über ihren Schultag und die Fortschritte am
McNair-Haus.
"Warum kommst du nicht mit und hilfst Laura ein bisschen?" schlug
Jack vor.
"Heute kann ich leider nicht. Ich muss zu Jennifer und für eine
Mathearbeit mit ihr lernen. Ich bin nur hergekommen, um dir eine
Nachricht zu hinterlassen, falls du heute Abend früher
heimgekommen wärst."
"Wie wäre es, wenn ich dich nach der Arbeit abhole und wir dann eine
Pizza essen gehen?"
"Gute Idee. Kann Laura mitkommen?"
Jack lächelte Laura an. "Hast du Lust?"
Sie erwiderte das Lächeln. "Klar."
"Ich werde hinaufgehen und nachsehen, ob die Farbe in der
Dachkammer schon trocken ist", sagte Laura und bemühte sich, nicht
zu erröten, als sie und Jack in das McNair-Haus zurückgekehrt waren,
um weiterzuarbeiten.
"Zum Teufel mit der Dachkammer. Warum fängst du nicht in den
Zimmern unten an? Ich bin mit der Schmutzarbeit dort fertig und
werde höchstens noch ein bisschen schnitzen."
Laura fragte sich, ob sie überhaupt zum Arbeiten kämen, wenn sie im selben Raum waren. "Ich weiß nicht..." Er sah sie lächelnd an. "Ich verspreche dir, dich von jetzt an nicht mehr außerhalb der Pausen zu verführen." Ihr wurde es ganz warm ums Herz bei seinem Blick. Sie hatte viel zu viel Energie damit verschwendet, möglichst weit entfernt von Jack zu arbeiten. Sie nickte zustimmend. "Ich werde dir meine Ideen für diesen Raum hier zeigen." Laura holte ihre Entwürfe aus dem Wagen und breitete sie auf dem Boden aus. "Rot fürs Esszimmer?" fragte Jack, während er einen Arm um ihre Taille legte und mit der anderen Hand auf die Pläne zeigte. "Kastanienbraun", berichtigte sie, "Der Ton war Ende des neunzehnten Jahrhunderts sehr beliebt." Sie löste sich aus seinem Arm und entfernte sich etwas von Jack, als sie ihn schmunzeln sah. "Was ist? Was grinst du so?" "Ich glaube, in Rot würdest du mir auch sehr gefallen." Bei seinen Worten erinnerte sie sich an alles, was oben geschehen war. Als ihr besonders ein Detail wieder einfiel, warf sie Jack einen scharfen Blick zu. "Was ist?" fragte er. "Hast du immer Kondome bei dir?" stieß sie hervor, bevor sie es verhindern konnte. Jack sah schockiert aus. "Nein, natürlich nicht." Sie beäugte ihn misstrauisch, bis er lächelte und ihr die Hände auf die Schultern legte. "Ich hatte gestern nur die ganze Nacht lang überlegt, wie ich dich ins Bett kriegen könnte", gab er zu. Laura errötete vor Freude. "Du hast die ganze Nacht überlegt, und da ist dir nichts Besseres eingefallen, als es auf einer Segeltuchplane zu treiben?" Seine Augen funkelten. "Komm mit", sagte Jack, nahm ihre Hand und führte Laura die Treppe hinauf. Sie war ein bisschen verwirrt, bis sie das große Schlafzimmer erreichten. Er zog sie durch die Tür und ließ sie neben dem Bett stehen, während er eine große Einkaufstüte aufhob, die er in diesem Raum abgestellt hatte.
"Es war ein Fehler von dir, in der Dachkammer zu bleiben.
Beweisstück A." Er zog zwei Kerzen aus der Tüte. "Beweisstück B."
Er schwenkte eine Flasche Champagner. "Sektkübel und Eis sind in
meinem Wagen, falls du sie sehen möchtest. Beweisstück C, frisch
gekauft." An der Schachtel mit den Kondomen hing noch das
zerrissene Zellophanpapier.
Laura biss sich auf die Lippe. "Tut mir Leid, dass ich dir die
Überraschung verdorben habe."
"Du hast gar nichts verdorben", sagte er und schloss sie in die Arme.
"Es war wunderschön." Er sah zum Bett. "Nicht ganz so bequem wie
in einem frisch gemachten Bett, aber trotzdem wunderschön."
Laura lehnte sich an ihn. "Ich bin froh, dass es auf der Segeltuchplane
passiert ist und nicht in diesem Bett. Gran hat mir dieses Bettzeug als
Hochzeitsgeschenk versprochen. Ich würde es nur ungern unter
Vorspiegelung falscher Tatsachen benutzen."
Daraufhin trat Jack einen Schritt zurück. "Wenn dir nach Champagner
zu Mute ist, brauchst du nur Bescheid zu sagen."
Er klang nicht verärgert, aber Laura spürte, dass er sich innerlich von
ihr zurückzog. Sie hätte ihn gern gefragt, warum, aber er war schon
auf dem Weg zur Treppe und ordnete sein Werkzeug, als sie das
Erdgeschoss erreichte.
Während sie dann im selben Zimmer arbeiteten, unterhielten sie sich
über alles Mögliche. Es war ein entspanntes Arbeiten, doch die
Vertrautheit zwischen ihnen hatte merklich nachgelassen.
Als Laura, Jack und Sara abends im "Collosseum" Pizza aßen,
schlenderten einige Jungen in ausgebeulten schwarzen Hosen und
verkehrt herum aufgesetzten Baseballmützen herein.
"Hey, Sara", grüßte einer der Jungen sie im Vorübergehen lässig.
"Hey, Ryan." Errötend erwiderte Sara den Gruß.
Laura sah Jacks verdrossenen Gesichtsausdruck und lächelte im
Stillen.
"Wer war das?" fragte Jack.
"Ryan Bailey", antwortete Sara.
"Der Ryan Bailey, der sein halbes Leben im Büro des Schulleiters
verbringt?" Jack verdrehte die Augen. "Das passt."
Sara zuckte nur die Schultern und ging zu einem anderen Thema über,
das sie mehr zu interessieren schien. "Ach, übrigens, Dad, Jennifers
Familie fährt übers Wochenende in ihre Hütte nach Mount Baker. Sie haben mich eingeladen. Darf ich mitfahren?" "Übers Wochenende?" Jack warf Laura einen ähnlichen Blick zu wie vorher Ryan Bailey Sara. "Aber klar doch", sagte er zu seiner Tochter, griff unter dem Tisch nach Lauras Hand und drückte sie. Er sah so glücklich auf, dass Laura es nicht übers Herz brachte, ihm zu sagen, sie müsse sich am Wochenende in Seattle ein Rosshaarsofa ansehen. Als Sara kurz in den Waschraum ging, sah Jack Laura mit einem viel sagenden Lächeln an. "Ich habe sehr viel vor mit dir an diesem Wochenende." "Ich muss nach Seattle zu einer Auktion", erklärte sie bedrückt. "Warum kommst du nicht einfach mit, Jack?" schlug sie dann spontan vor. Sein Gesicht hellte sich auf. "Ich bringe Champagner mit." Am nächsten Morgen, als Jack ins McNair-Haus kam, rief Laura ihn von oben. "Jack, kannst du einen Moment hinaufkommen?" Ihre Stimme war leise, rau und zitterte ein wenig. Während einer langen kalten Dusche heute Morgen hatte Jack sich fest vorgenommen, sich heute ausschließlich auf seine Arbeit zu konzentrieren - kein Techtelmechtel im Dienstmädchenzimmer oder sonst wo im Haus. Doch allein der verführerisch raue Tonfall von Lauras Stimme machte seine guten Vorsätze zunichte. Als er die Treppe hinauf eilte, hatte er Visionen von Laura in frivolen schwarzen Dessous auf dem großen alten Bett im Schlafzimmer. Oder vielleicht war ihre Stimme auch aus der Dachkammer gekommen. Der Gedanke weckte ein neues Bild in ihm - Laura, gekleidet wie ein Dienstmädchen, mit Spitzenhäubchen, Schürze und schwarzen Seidenstrümpfen. Im ersten Stock hielt er einen Moment inne, unsicher, wohin er sich jetzt wenden sollte. Dann hörte er sie wieder leise seinen Namen rufen und war nun sicher, dass die Stimme aus dem Schlafzimmer kam. Gut. Sie sollte sich auch besser an die Vorstellung gewöhnen, dass er der Mann in ihrem Leben war, in diesem Bett und zwischen den kostbaren Laken, die Gran ihr als Hochzeitsgeschenk zugedacht hatte. Denn sonst würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als diese Laken
dazu zu benutzen, Laura am Bett festzubinden und sie mit Mund und Händen zu verwöhnen, bis sie in lustvoller Ekstase aufschrie und ihn anflehte, zu ihr zu kommen. Mit diesen erotischen Gedanken trat er ein. Ein leises Knurren hielt ihn im letzten Augenblick davon ab, sich auf das Bett zu stürzen - und damit auf das Tier, das dort statt Laura saß. Im ersten Moment hielt er es für eine Katze, die sich irgendwie ins Haus verirrt hatte. Aber dann sah er die schwarze Maske um die Augen, die gefährlich glitzerten. "Ein Waschbär!" rief er überrascht. "Danke, Sherlock Holmes." Laura stand reglos auf der anderen Seite des Bettes. Jack tat einen Schritt näher, und der Waschbär stellte sich auf die Hinterbeine und knurrte ihn böse an. Jack hatte schon viele Waschbären gesehen, aber dieser hier erschien ihm reichlich angriffslustig. Trotzdem war es nur ein Waschbär, und diese Tiere waren keine Seltenheit hier. Lauras ängstlichem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie jedoch schon lange keine Waschbären mehr gesehen. "Jack, ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich mich bewege, zeigt er mir die Krallen und knurrt mich an." Er fand, dass sie eine kleine Strafe verdient hatte, nachdem sie ihn gestern nicht für gut genug erachtet hatte, um mit ihm dieses Bettzeug einzuweihen. "Dir wird schon etwas einfallen." "Warte!" zischte sie. "Du musst mir helfen." "Ich möchte mich nicht der Begünstigung von Frauen schuldig machen. Wenn du der Elektriker, der Dachdecker oder der Maurer wärst, würde ich einfach wieder hinuntergehen und weiterarbeiten." Er trat einen Schritt zurück zur Tür. Der Blick, den sie ihm zuwarf, hätte Steine erweichen können. "Mit dem Elektriker, dem Dachdecker oder dem Maurer hast du auch nicht getan, was wir gestern getan haben. Und falls du das je wiederholen willst, solltest du schleunigst etwas unternehmen." Ihre Nervosität schien den Waschbären noch mehr aufzuregen, denn er begann nun knurrend hin und her zu laufen. "Okay. Beruhige dich. Ich frage mich, wie er hereingekommen sein mag." "Das ist mir egal. Schaff ihn raus."
"Aber alle Türen waren zu und ..." "Schaff ihn heraus!" Lauras Stimme wurde schriller, was nicht gerade beruhigend auf den Waschbären wirkte. Der kleine Kerl sah aus, als sei er im Begriff, ihr ins Gesicht zu springen. "Er fühlt sich in die Enge getrieben", sagte Jack. "Ich werde die Tür etwas weiter öffnen und hinuntergehen, um auch die Eingangstür zu öffnen." "Beeil dich", flüsterte Laura. Als Jack zurückkam, hielt er einen Besen in der Hand und hatte seine Arbeitshandschuhe angezogen. "Ich komme jetzt zu dir, damit unser kleiner Freund hier freie Bahn hat", sagte er und schob sich an der Wand entlang zu Laura vor. Als er sie erreichte, legte er den Arm um sie und war verblüfft, wie verzweifelt sie sich an ihn klammerte. "Er rührt sich nicht", wisperte sie. "Warte." Den Besen in der Hand, ging er langsam auf den Waschbären zu, der nun wieder böse knurrte. Mit abgewandtem Kopf, um sein Gesicht zu schützen, stieß Jack den Waschbären mit dem Besen an. Das Tier stieß eine Art Brüllen aus, und Jack hörte es vom Bett springen und die Flucht ergreifen. Da ertönte hinter ihm ein schriller Schrei, und Laura stürzte an ihm vorbei aufs Bett. Der Waschbär hatte nicht die Flucht ergriffen, sondern war unter dem Bett entlang geflitzt, genau auf Laura zu. Waschbären hatten nicht nur scharfe Krallen und Zähne, sondern konnten auch Tollwut übertragen. Jack stürzte zu Laura aufs Bett, während das Tier sie feindselig betrachtete. Jack hatte nicht mehr erreicht als einen Stellungswechsel. Nun hockten sie auf dem Bett und der Waschbär dort, wo Laura eben noch gestanden hatte. "Hast du noch einen anderen Plan?" fragte Laura. "Ja. Wir schließen den kleinen Kerl hier ein und holen bei mir zu Hause eine Falle. Dann lassen wir ihn irgendwo weit entfernt von hier in den Wäldern wieder frei." Aber als sie sich vom Bett erheben wollten, machte der Waschbär einen Satz, schlug die Krallen in die neuen Vorhänge, zog sich daran hoch und sprang aus dem Fenster. "So muss er hereingekommen sein", murmelte Jack.
Laura stand auf, um das Fenster zu schließen. "Ja, aber er ist kein Er, sondern eine Sie." Jack trat zu ihr ans Fenster und sah das Tier gerade noch vom Kirschbaum in eine nahe Tanne springen, wo drei kleinere Versionen des gleichen maskierten Gesichts aus einem Nest herausspähten. "Kein Wunder, dass sie so aufgeregt war. Sie musste heim zu ihren Jungen." "Der Drang, die zu beschützen, die man liebt, ist stark", stimmte Jack ihr zu und spürte, dass sein Herz sich zusammenzog. Obwohl sie nicht wirklich in Gefahr gewesen war, hatte Lauras Furcht genügt, um seinen Beschützerinstinkt zu wecken. "Jack?" "Hm?" "Ich bin ausnahmsweise einmal froh, dass du Frauen begünstigst." Er blickte in ihre wundervollen braunen Augen, und all seine erotischen Fantasien kehrten zurück. Jack drehte Laura mit dem Rücken zum Fenster und legte ihr die Hände auf die Schultern. "Das ist gut, denn ich werde dieser Frau vor mir noch sehr oft eine Vorzugsbehandlung gewähren", flüsterte er verheißungsvoll. "Und ich werde es so lange tun, bis sie um Gnade fleht." "Das werde ich nicht", erwiderte sie mit einem sinnlichen Lächeln. "O doch", versprach er und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Ihre weichen Lippen zitterten ein wenig unter seinen. Sie hat wirklich Angst gehabt, dachte er mitfühlend. Ein leiser Seufzer entrang sich ihrer Kehle, ihre Lippen öffneten sich, und er schob seine Zunge in ihren warmen Mund. Ihr Zittern wurde stärker, je länger sie sich küssten, und es erfüllte ihn mit Stolz, dass er es war, der Laura zum Zittern brachte. Ihre Zunge begann einen sinnlichen Tanz mit seiner, und innerhalb von Sekunden war Jack noch erregter als vor der kleinen Episode mit dem Waschbär. Er nestelte an den Schnallen des Overalls, aber Laura war nicht die Einzige, die zitterte. Er hatte Mühe, die lächerlich kleinen Metallknöpfe zu öffnen. "Von jetzt an solltest du Röcke zur Arbeit tragen."
"Röcke ..." Ihre Stimme war heiser, ihr Blick verschwommen, ihre Lippen waren sehnsüchtig geöffnet. Sie legte die Hand zwischen seine Lenden und fing an, ihn durch die Hose zu liebkosen. Jack stöhnte auf und merkte, dass er immer mehr die Kontrolle über sich verlor. Widerstrebend schob er Lauras Hand fort, streifte ihr den Overall über die Schultern und zog ihr das T-Shirt über den Kopf. Ihre Brüste waren fest und üppig, die dunklen Spitzen richteten sich verlangend auf, als er mit der flachen Hand darüber strich. Laura bog sich ihm entgegen, und beinahe ehrfürchtig nahm er eine der zarten Knospen zwischen seine Lippen. Ein Schauer rann durch Lauras Körper. Nachdem er ihre Brüste liebkost hatte, beschrieb er mit dem Mund einen aufreizenden Pfad ihren Bauch hinunter und streifte ihr mit einer einzigen geschickten Bewegung Overall und Slip ab. Danach setzte er sie auf das Fensterbrett, schob ihre Knie auseinander und hockte sich dazwischen. Laura legte den Kopf zurück und stöhnte in unverhohlenem Entzücken auf, als Jack seine Lippen über die Innenseite ihrer Schenkel gleiten ließ und es sich anfühlte, als entfachte er tausend kleine Feuer auf ihrer Haut. Sanft teilte er das weiche Haar über ihrem Venushügel, und dann spürte sie die rhythmischen Bewegungen seiner Zunge an ihrer empfindsamsten Stelle. "Bitte ... bitte", flehte Laura und bog sich ihm entgegen. Nachdem Jack sich in Rekordzeit ausgezogen hatte, weil auch er es kaum noch erwarten konnte, und ein Kondom übergestreift hatte, trat er zwischen Lauras weit geöffnete Beine, umfasste mit beiden Händen ihre Hüften und tat, was sie beide wollten. Mit einer kraftvollen Bewegung drang er gleich ganz in sie ein. Es war eine so überwältigend intensive Erfahrung, dass Laura laut aufschrie. Halt suchend griff sie nach den schweren Vorhängen, als eine heiße Woge höchster Lust sie durchströmte, die gar nicht mehr aufzuhören schien. Jack küsste Laura und ließ sie einen Moment zu Atem kommen, bevor er sich aufreizend langsam wieder in ihr zu bewegen begann. "Noch einmal", flüsterte er. "Ich kann nicht", keuchte sie. Aber er glaubte ihr nicht, denn er spürte sie vor Erregung erschauern, während er seinen Rhythmus beschleunigte. Als sie dann ein zweites
Mal aufschrie und sich bebend vor Verzückung aufbäumte, hielt Jack
sich nicht länger zurück und folgte Laura auf den Gipfel der Ekstase.
11. KAPITEL
"Die Sitzung ist hiermit eröffnet", begann Delores Walters. "Anders als die meisten Komitees, in denen ich im Lauf der Jahre war, hat unser Komitee erreicht, was es sich vorgenommen hatte." Sie hielt kurz inne, als die anderen Mitglieder lachten. "Wir werden später den Bericht der beiden Hauptverantwortlichen für die Restaurierung hören, und danach besichtigen wir das Haus." Jack fielen fast die Augen zu. Er wusste, es war wichtig, zuzuhören, und hatte es auch versucht. Aber solche Sitzungen wirkten auf ihn wie Schlaftabletten. Er saß im hinteren Teil des Klassenraums und tat, als interessierte ihn das, was vorn geredet wurde. Als Erste sprach Mary, die Zweigstellenleiterin seiner Bank, und beschrieb die finanzielle Situation. Jack horchte auf, als er erkannte, dass die Finanzierung des Projektes in Gefahr war. Eine Subvention, die ihnen ursprünglich bewilligt worden war, war wegen irgendwelcher Einsparungen wieder gestrichen worden. Auf ihre ruhige Art versuchte Mary ihnen klarzumachen, dass nicht mehr genügend Geld vorhanden sei. "Ich fürchte, dass uns das Geld ausgehen wird, bevor das McNairHaus vollständig restauriert ist", schloss sie traurig. Zwei Stunden später war das zwölfköpfige Komitee der Lösung des Problems nicht einen Schritt näher gekommen. "Ich schlage vor, wir sehen uns nun trotzdem das Haus an", meinte Delores Walters schließlich. Die anderen stimmten zu, und während sie schweigend und bedrückt hinübergingen, stellte Jack in Gedanken einige rasche Kalkulationen an. Wenn er unentgeltlich arbeitete, würde das die Kosten natürlich deutlich senken. Außerdem könnte sein Beispiel bei einigen seiner Lieferanten Schule machen - vor allem dann, wenn sie dafür irgendeine Anerkennung von der Stadt erhielten. Neben ihm sagte Laura etwas, aber er war so mit seiner Idee beschäftigt, dass er sie bitten musste, es zu wiederholen.
"Ich fragte, wie es finanziell bei dir aussieht." Sie sprach schnell und nervös. "Ich überlege nämlich, ob ich nicht umsonst arbeiten soll. Aber ich kann mir das auch leisten - oder vielmehr meine Firma kann es. Ich kann es ohne weiteres als Spende absetzen. Ich dachte, wir könnten dem Komitee vielleicht vorschlagen, dass es nur die Hälfte unserer Arbeitszeit bezahlt. Was du dadurch verlierst, würde ich dir selbstverständlich erstatten." Jack warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. Glaubte sie etwa, er sei arm? Er mochte zwar nicht auf so großem Fuß leben wie ihre Freunde aus Seattle, aber was seine Finanzen betraf, so stand er sehr gut da und brauchte keine Almosen. "Das ist sehr großzügig von dir." Er bemühte sich, nicht grimmig zu klingen. "Ich habe auch schon daran gedacht, unentgeltlich zu arbeiten. Und ich kann es mir auch leisten, Laura." Um sie an ihr erotisches Zwischenspiel vom Morgen zu erinnern, beugte er sich zu ihr vor und flüsterte ihr ins Ohr: "Ich finde, wir sind dem alten Haus etwas schuldig." Laura schaute auf und biss sich auf die Lippe. "Bist du dir sicher?" "Absolut." Die Besichtigung fand in sehr gedrückter Stimmung statt. Als sie sich danach alle im Salon versammelten, fragte Jack Laura leise: "Sollen wir es ihnen jetzt sagen?" Er spürte, dass sie erschauerte, als sein Atem ihre Haut streifte. Wenn sie jetzt allein wären ... Sie nickte lächelnd. "Sag du es ihnen." Er schaute sie noch einen Moment prüfend an, bevor er sich an die anderen wandte. "Bevor ihr geht, haben Laura und ich noch etwas anzukündigen." "Oh, ich wusste es!" Delores Walters strahlte. "Ihr ahnt ja nicht, wie froh ich bin!" Wie konnte sie es wissen? Jack sah fragend Laura an, aber sie zog nur die Brauen hoch. "Laura und ich haben beschlossen, unentgeltlich zu arbeiten", erklärte er. Aus irgendeinem Grund sah Delores Walters sehr enttäuscht aus. Mary hingegen trat vor und strahlte Jack und Laura an. "Das sind wunderbare Neuigkeiten. Ich muss es zwar noch durchrechnen, aber ich denke, unser Budget wird ausreichen für die Materialkosten, solange wir uns auf das Notwendige beschränken."
Nachdem alle sich bedankt hatten, gingen sie und überließen es Jack und Laura, das Haus zu schließen. Laura war während des letzten Teils der Besichtigungstour sehr still gewesen. Jack ging zu ihr, legte einen Arm um sie und sah ihr prüfend ins Gesicht. "Bereust du deine Großzügigkeit?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich bereue, dass aus unserem Wochenende in Seattle nichts wird", sagte sie und schmiegte sich an ihn. "Wieso wird daraus nichts?" "Ich glaube kaum, dass Mary ein Rosshaarsofa für notwendig hält. Ich fürchte, wir werden die Auktion vergessen müssen." Laura biss sich auf die Lippen, wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. Jack war enttäuscht. Er hatte sich so auf dieses Wochenende mit Laura gefreut. "Was ist? Warum siehst du mich so an?" fragte sie. Er blickte auf ihre feucht schimmernden Lippen, und dann folgte er seinem Impuls und küsste sie. Und das tat er so gründlich, dass Laura danach vor Verlangen glühte. Auch ihm war heiß vor Begehren, und er war versucht, Laura auf den Fußboden hinabzuziehen und sie hier und jetzt zu nehmen. Das geradezu barbarisches Bedürfnis, sie für immer in Besitz zu nehmen, ihr in irgendeiner Weise seinen Stempel aufzudrücken, hatte ihn erfasst. Er war nicht wie der Geliebte Lady Chatterleys, der sich mit ein paar wenigen Liebesstunden in aller Heimlichkeit zufrieden gab, weil Mylady es so wollte. Er, Jack, wollte Lauras Herr und Meister sein. Er wollte alle Welt wissen lassen, dass Laura ihm gehörte - und vor allem sie selber sollte es wissen. Ihre Augen waren dunkel vor Leidenschaft und zogen ihn magisch an. Ein raues Stöhnen entrang sich seiner Kehle, als er seinem Verlangen nachgab und erneut seinen Mund auf ihren presste, ihr mit Lippen und Zunge zeigte, dass sie ihm gehörte. Mit einer Hand schaltete er die Lichter aus, bis nur noch das Mondlicht durch die Bleiglasfenster in die Halle fiel. Laura zog Jack mit unverhohlener Begierde an sich, was ihn nur noch mehr erregte und vor Verlangen verrückt machte.
Er streifte seine Jacke ab und ließ sie fallen. Lauras folgte. In fieberhafter Eile zogen sie sich gegenseitig aus und ließen sich auf den Kleiderberg sinken. Mit einem kraftvollen Stoß drang er in sie ein, und ihm entgegen kommend nahm sie ihn tief in sich auf. Zusammen rollten sie sich herum, bis sie rittlings auf ihm saß. Ihr nackter Körper schimmerte im Mondlicht wie in Silber getaucht, als sie sich wollüstig auf und ab bewegte. Sie sah wie eine antike Liebesgöttin aus, wild und unbezähmbar. Keuchend passte er sich ihrem aufreizenden Rhythmus an. Von Lust überwältigt, konnte er gar nicht anders, als sich Laura zu unterwerfen. Ein Schrei stieg tief aus ihrer Kehle auf und vermische sich mit seinem, als ein heftiges Beben ihre Körper erfasste und sie gemeinsam einen machtvollen Höhepunkt erlebten. Mit einem leisen Stöhnen ließ Laura sich ermattet auf ihn sinken, und er empfand eine solche Zärtlichkeit für diese Frau in seinen Armen, dass seine Hände zitterten, während er ihren Rücken streichelte. In seinem Versuch, die Herrschaft über sie zu gewinnen, hatte er sich in gewisser Weise erst recht zu ihrem Sklaven gemacht. Er lächelte im Stillen über seine Narrheit. "Ich friere", sagte Laura nach einer Weile, und Jack stand widerstrebend auf. Im Mondschein zogen sie sich wieder an. Als Jack in seine Jeans schlüpfte, kam ihm ein schrecklicher Gedanke. "Oh, verdammt! Ich hab das Kondom vergessen." Bestürzt ließ er sich auf die Treppe sinken. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können? "Es tut mir Leid, Laura", sagte er rau. Es konnte nicht passiert sein, nicht noch einmal. Jack rieb sich die Stirn, als könnte er damit das Entsetzen, das ihn gepackt hatte, vertreiben. "Nimmst du irgendwas?" "Nein." Laura sagte es ganz ruhig, ohne Ärger. "Ich kann nicht glauben, dass ich so dumm war!" Er fühlte sich schrecklich, als er an die Tage und Wochen dachte, nachdem er und Cory den gleichen Fehler gemacht hatten. Cory war wütend und verbittert gewesen und hatte ihm vorgeworfen, ihr Leben ruiniert zu haben. Er hatte sich bemüht, verständnisvoll zu sein. Doch nachts war er zum Footballplatz gegangen, hatte dort stundenlang auf einer Bank gesessen und schließlich erkannt, dass er auch seinen eigenen Traum zerstört hatte.
Erst seit Laura wieder hier war, hatte er das Gefühl gehabt, eine neue Chance zu bekommen. Die Chance, es richtig zu machen. Doch nun sah es so aus, als wiederholte die Geschichte sich. Falls Laura ihm Vorwürfe machte, könnte er es ihr nicht übel nehmen. Aber tief in seinem Innern regte sich auch Hoffnung. Denn falls sie von ihm schwanger geworden war, würde sie ein fester Bestandteil seines Lebens werden. "Es tut dir Leid?" Lauras Stimme klang seltsam hohl. Ein langes Schweigen folgte. Jack wusste nicht, was er erwidern sollte. "Ich bin eine erwachsene Frau, Jack, und trage die Verantwortung für mich." Jetzt klang sie aufgebracht. Sie wollte sein Kind nicht. Was hatte er anderes erwartet? Ein Abgrund schien sich zwischen ihnen aufzutun, während sie ihre Kleider einsammelte. Er hätte Laura gern in die Arme genommen, aber ihr Zorn war Abweisung genug. "Lass uns darüber reden, Laura. Bitte ..." Sie fuhr zu ihm herum. "Es gibt nichts zu bereden." "Aber was ist, wenn du schwanger bist?" Er hatte all das schon einmal erlebt. Er dachte an die Wut, die Vorwürfe, die Tränen. An die lausige, fünfjährige Mussehe. Er wollte, dass es mit Laura anders war. Aber was musste er dazu tun? "Hast du noch nie etwas von der Pille danach gehört? Wenn man sie früh genug nimmt, verhindert sie eine Schwangerschaft." Plötzlich wurde Jack selbst zornig. Es kam ihm fast so vor, als versuchte Laura, ihn zusammen mit dem unerwünschten Baby loszuwerden. "Woher weißt du das?" "Ich habe davon gelesen. Benutzen musste ich sie noch nie", fauchte Laura. "Meine Freunde sind vorsichtiger. In deinem Fall hätte ich jedoch damit rechnen müssen." Das schmerzte. Er hatte gedacht, Corys Schwangerschaft hätte sein Leben ruiniert. Doch nun erkannte er, dass das nichts gewesen war im Vergleich dazu, Laura zu verlieren. Und dass er sie verlor, das spürte er. Ein kühler Luftzug streifte ihn. Laura hatte bereits die Haustür geöffnet. "Warte, Laura, bitte ..."
Krachend fiel die Tür ins Schloss. Tränen rannen Laura über die Wangen, als sie an dem menschenleeren Strand saß und dem Rauschen der Wellen lauschte, die gegen die Klippen schlugen. Auf der Liste ihrer Dummheiten war der heutige Tag durch nichts zu überbieten. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ungeschützten Sex gehabt, und das mit einem Mann, dessen Leben aus dem gleichen Grund schon einmal vom Kurs abgekommen war. Wie hatte sie so dumm sein können? Aber ihr war natürlich klar, warum. Sie liebte Jack. Selbst im Strudel ihrer Leidenschaft war es Laura die ganze Zeit bewusst gewesen, dass Jack kein Kondom übergezogen hatte. Aber das war ihr egal gewesen; sie hatte alles von ihm spüren wollen. Sie war achtundzwanzig und somit alt genug, um zu wissen, was sie wollte. Dummerweise hatte sie geglaubt, er dächte auch so. Sie wollte Jack, und sie wollte Kinder mit ihm. Endlich hatte sie den Mann gefunden, bei dem sie keine Angst vor Nähe hatte. Dagegen hatte er gerade mit schonungsloser Offenheit klargestellt, dass er weder sie noch ein weiteres Kind wolle. Sie schlang die Arme um sich, als könnte sie sich so vor Schmerz schützen. In der Ferne zuckten Blitze über den schwarzen Himmel. Unwillkürlich zählte sie und war bei elf angelangt, als Donnergrollen die Stille der Nacht zerriss. Das Gewitter war schon ziemlich nah. Eins stand fest für Laura, als sie aufstand, um zurückzugehen. Selbst wenn sie ein Kind von Jack bekommen sollte, würde sie ihn nicht heiraten. Sowohl in emotioneller als auch in finanzieller Hinsicht war sie durchaus in der Lage, allein für ein Kind zu sorgen. Sie brauchte keinen Mann, der sie nur aus Schuldbewusstsein heiraten würde. Etwas hatte Laura geweckt, doch sie wusste nicht, was. Dann erhellte ein Blitz ihr Zimmer, und fast unmittelbar darauf ertönte der Donner. Sie erschrak und blickte auf die Nachttischuhr. Es war kurz nach zwei. Stöhnend zog sie das Kissen über den Kopf, als ein neues, anderes Geräusch in ihr Bewusstsein drang. Das Geheul einer Sirene. Laura stand auf und ging zum Fenster. Sturmgepeitschte Zedern schwenkten ihre zerfransten Äste. Die Sirene verstummte, aber Lauras ungutes Gefühl blieb. Wieder blitzte und donnerte es.
Laura wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht in Ordnung war. Da sie ohnehin nicht weiterschlafen könnte, zog sie sich an und ging hinunter. Sie musste nach dem McNair-Haus sehen. Als sie den Hügel zum Haus hinauf eilte, fielen die ersten Regentropfen. Schon von weitem sah sie den Feuerwehrwagen. "Nein", flüsterte sie und begann zu laufen. Es war wie in einem Albtraum. Je schneller sie rannte, desto weiter schien ihr Ziel sich zu entfernen. Aus ihrer Richtung sah das Haus unbeschädigt aus. Aber der Feuerwehrwagen, der davor stand, verhieß nichts Gutes. Erst als sie an dem Wagen vorbei war, sah sie, dass der alte Kirschbaum vom Blitz getroffen worden war und seine Äste bis ins Schlafzimmerfenster ragten. Das verkohlte Holz dampfte noch im Regen. Als der Baum umgestürzt war, hatte er auch einen großen Teil des Daches zum Einstürzen gebracht. Ihr Haus, ihr geliebtes Haus war ebenso verwundet worden wie ihr Herz. Sie sah, dass ein Feuerwehrmann den Schlauch auf den Baum, das Dach und dann in das so liebevoll restaurierte Schlafzimmer hielt. "Sorry, Ma'am, aber Sie müssen dort hinübergehen." Ein anderer Feuerwehrmann zeigte auf die Straße. Als sie ihn traurig anblickte, wurde seine Stimme freundlicher. "Keine Sorge. Das Feuer ist gelöscht. Es ist vorbei." Laura nickte. Aber sie wusste aus Erfahrung, dass das Löschen eines Brandes oft ebenso viel Schaden anrichtete wie das Feuer selbst. Mit bleiernen Füßen ging sie zur anderen Straßenseite, wo ein halbes Dutzend Leute standen. Auch Jack war dort, und instinktiv ging sie zu ihm. Sie sagte nichts, blieb einfach nur im strömenden Regen neben ihm stehen. Er legte einen Arm um sie, und sie war zu unglücklich, um zu protestieren. "Sobald sie mich hereinlassen, ziehe ich eine Persenning über das Loch im Dach", sagte er. "Wozu?" "Um wenigstens zu versuchen, noch etwas zu retten." Laura zog die Schultern hoch und wandte sich zum Gehen. Dann drehte sie sich noch einmal um. "Kann ich mitkommen?"
Jack schüttelte den Kopf. "Sie lassen mich nur herein, weil ich eine
Ausbildung als freiwilliger Feuerwehrmann habe."
"Kannst du versuchen, das Bettzeug zu retten?" Sie dachte an die
kostbare Steppdecke ihrer Großmutter und ihre eigenen damit
verbundenen absurden Hoffnungen und hatte einen Kloß im Hals.
Jack nickte.
Wortlos wandte Laura sich ab und ging, weil sie nicht länger
zuschauen konnte - und weil sie es auch nicht mehr ertrug, Jack so nah
zu sein und ihn nicht bitten zu können, sie so zu lieben, wie sie ihn
liebte.
Es war aus und vorbei.
Alles war vorbei.
12. KAPITEL
Nachdem Jack eine Plastikplane über dem beschädigten Dach und dem Schlafzimmerfenster befestigt hatte, stellte er drinnen eine Reihe Industrieventilatoren auf, die er zusammen mit einem Notstromaggregat gemietet hatte. Als die Ventilatoren liefen, nahm Jack sich einen Moment Zeit, sich umzuschauen. Alles in allem war der Schaden nicht ganz so schlimm, wie er befürchtet hatte. Glücklicherweise hatten Nachbarn den Blitz einschlagen sehen und sofort die Feuerwehr gerufen. Der Wasserschaden war schlimmer, aber er war sicher, dass das Projekt gerettet werden könnte, wenn mehr Geld hineingesteckt wurde. Er nahm sein Notizbuch heraus und begann durchzurechnen, was es in etwa kosten würde, den Schaden zu beheben. Es war vermutlich hoffnungslos, aber er musste es versuchen. Außerdem beschäftigte es ihn und lenkte ihn von dem bedrückenden Gefühl ab, dass er hatte, seit Laura ihn am Abend zuvor einfach auf der Straße hatte stehen lassen. Er hatte sie schon früh am nächsten Morgen angerufen, Gran seine Handynummer hinterlassen und sie gebeten, Laura auszurichten, dass sie ihn zurückrufen solle. Aber sie hatte es nicht getan. Zwei Mal hatte er begonnen, ihre Nummer zu wählen, doch jedes Mal wieder aufgehört, aus Angst, wo Laura sein könnte - in irgendeiner Klinik, um die "Pille danach" zu nehmen. Vermutlich wäre es das Vernünftigste, aber er hätte dabei das Gefühl, seine Liebe sei nichts weiter als eine Unannehmlichkeit für Laura, die mit einer Pille leicht zu beheben war. Das offene Notizbuch in der Hand, ging er unruhig durch das Haus, als er plötzlich stolperte. "Was zum ..." Verwundert senkte er den Blick und sah, dass sich zwei Bodendielen gelockert hatten. Wie seltsam, dass sich der Boden gerade hier gelockert hatte. Überrascht kniete er sich hin und bewegte eine der Dielen, die sich zu seiner noch größeren Überraschung ohne Weiteres herausziehen ließ und eine Öffnung freigab.
Seine Überraschung verwandelte sich in Spannung, als er in das dunkle Loch schaute und an verborgene Schätze dachte. Er legte sich flach auf den Boden und steckte den Arm in die Öffnung, bis seine Finger etwas Hartes berührten. Ein Schauer der Erwartung durchrann ihn, als er einen in ein Tuch eingeschlagenen Gegenstand herauszog. Jack kam sich wie Indiana Jones vor, als er das Tuch aufschlug. Es enthielt aber keinen Schmuckkasten mit Juwelen, sondern nur ein kleines, in schwarzes Leder gebundenes Buch. Die Handschrift auf dem Deckblatt war verblasst, aber noch lesbar. "Elizabeth McNair, 1886." Ein Tagebuch. Laura wird staunen, wenn sie das sieht! dachte er. Die schnörkelige Schrift versetzte ihn in die Welt Elizabeth McNairs von vor über einem Jahrhundert. Das alte Papier knisterte, als er vorsichtig die Seite umblätterte und den ersten Eintrag las. Ich beginne dieses Tagebuch, um über mein Leben als Frau meines geliebten Alberts zu berichten. Etwas sagt mir, dass eine solche Liebe für die Nachwelt dokumentiert werden sollte, was ich mit diesem Buch versuchen werde. Ich fühle, dass sich neues Leben in mir regt, und hoffe, dass meine Kinder und ihre Kinder diese Seiten eines Tages lesen werden und wissen, dass ihre Ursprünge glücklich waren. Ich wählte den heutigen Tag, um mein Tagebuch zu beginnen, weil unser Haus beinahe fertig ist. Ich bin schrecklich aufgeregt und ungeheuer stolz auf meinen Albert, der mir dieses wundervolle Heim gebaut hat. Er ließ den Steinmetz "Haus der Liebe" in einen großen Granitstein schnitzen, den er am Tor anbringen lassen wollte, damit ihn alle sehen. Natürlich lachte ich darüber und sagte, es sei Unsinn, obwohl ich insgeheim entzückt darüber war. Albert benutzte den Stein dann stattdessen als Eckpfeiler des Fundaments. Der Stein ist unser Geheimnis, und das stimmt mich froh. Jack lief ein Schauer über die Haut. Also hatte Laura Recht gehabt, als sie damals, vor vielen Jahren, sagte: "Dieses Haus wurde mit Liebe gebaut, fühlst du das nicht, Jack?" "Haus der Liebe". Was für eine verrückte Idee. Aber noch weitaus verrückter war, dass ein Teenager diese Liebe noch ein Jahrhundert später fühlen konnte. Jack blätterte ein paar Seiten weiter. Fast hätten wir unsere Köchin gestern Nacht verloren, als sie auf dem Weg zum Klosett draußen einem Bären begegnete. Sie ist eine so gute Köchin, ich wünschte wirklich, sie würde sich an dieses neue Land
gewöhnen, aber ich fürchte, eines Tages wird sie nach Boston zurückkehren, trotz unserer Bitten und des ungeheuerlichen Lohns, den Albert ihr zahlt. Jack machte es sich bequemer und las noch ein paar Seiten weiter. Als er schließlich von dem Buch aufsah, glaubte er, Elizabeths und Alberts Geist im Haus zu spüren. Ein gespenstisches Gefühl beschlich ihn, als hätten sie ihr Zuhause an zwei Menschen einer späteren Generation übergeben, die ebenso empfanden wie sie. Laura und er und das Haus. Sie gehörten zusammen. Was für ein absurder Gedanke. Das Haus war eine Ruine. Die Idee war verrückt. Er war verrückt. Versonnen strich er über den rissigen Ledereinband. Er glaubte nicht an Zeichen, Geister oder Botschaften aus einer anderen Welt, aber als er das Buch so in den Händen hielt, wusste er auf einmal, was er zu tun hatte. Er musste dieses Haus für Laura kaufen, für sie und ihr Kind, falls sie ein Kind erwartete. Vielleicht konnte er ihr beweisen - so wie Albert es seiner Elizabeth bewiesen hatte -, dass sein Herz ihr gehörte. Vielleicht würde sie ihm dann verzeihen und ihn mit der Zeit lieben lernen. Er musste es versuchen, denn seit Laura wieder auf der Insel war, hatte er mehr Energie und Lebensfreude. Wenn sie wieder wegging, würde ihm etwas Wesentliches und Schönes in seinem Leben fehlen. Laura wanderte rastlos durch Grans Haus und wusste nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Jede Aktivität erschien ihr irgendwie leer und sinnlos. Schließlich fuhr sie Gran zu einer Sitzung des Komitees in der Stadthalle. Während Gran dort war, bereitete Laura eine Blätterteigpastete und einen Salat fürs Abendessen zu. Sie hatte ihre Koffer packen wollen, brachte es aber nicht übers Herz. Wie könnte sie abreisen, wenn noch so viel unerledigt war? Sie fragte sich, ob sie Jack noch einmal sehen würde. Er hatte heute nicht versucht, sie zu treffen, und nur die Nachricht hinterlassen, dass sie ihn anrufen solle. Vielleicht war es auch besser so. Ihr dummer Traum war ausgeträumt. Je eher sie das akzeptierte und ihr altes Leben wieder aufnahm, desto besser. Draußen fuhr ein Wagen vor, und Laura dachte unwillkürlich, es sei Jack. Ihr Herz begann wild zu klopfen, als sie nach oben lief, um ihre Lippen nachzuziehen und ihr Haar zu kämmen.
Dann hörte sie unten Stimmen und erkannte, dass es Gran und Delores Walters waren. Laura ging sehr viel langsamer hinunter, als sie hinaufgelaufen war. "Ich dachte, du würdest mich anrufen, Gran. Ich hätte dich doch abgeholt." "Es war keine Mühe, Laura", sagte Delores Walters. "Deine Großmutter und ich wollten sowieso noch ein paar Minuten plaudern, ohne all die Zappelphilipps." Laura lächelte über die Bezeichnung für die anderen Komiteemitglieder. "Soll ich euch Tee oder Kaffee bringen?" erkundigte sie sich höflich. "Whiskey, Liebes", sagte Gran, als sie sich setzte. "Wir brauchen alle einen Whiskey." Sie saßen mit ihren Drinks am Küchentisch, während Delores Walters Lauras schlimmste Befürchtungen bestätigte. Es blieb weder genügend Geld noch Zeit, um das Haus vor Beginn der Sommersaison fertig zu stellen. "Es tut mir so Leid, Laura", erklärte Delores Walters. "Der Stadtrat wird sich wegen einer Abfindung mit dir in Verbindung setzen, da wir deinen Vertrag kündigen müssen." "Mir tut es nur Leid um das Haus", sagte Laura. "Es wäre schrecklich, nach all unserer harten Arbeit dieses wunderschöne alte Haus in Apartments verwandelt zu sehen. Der Bauunternehmer ist nicht einmal hier von der Insel. Er muss hier aber eine Informationsquelle haben, denn er hat ein neues Angebot für den Besitz gemacht - erheblich niedriger natürlich, nachdem er von dem Schaden weiß. Das Angebot gilt bis nächsten Freitag." "Aber das ist ja schon in einer Woche! Die Stadt muss das Angebot doch nicht akzeptieren, oder?" "Es ist das einzige Kaufangebot, das in dreißig Jahren für den Besitz gemacht wurde. Wenn bis Freitag kein anderes eingeht, wird das McNair-Haus abgerissen." Delores Walters verbarg ihre Emotionen hinter einem großen Schluck Whiskey. Einen zweiten Drink lehnte sie jedoch ab, als sie ihr Glas geleert hatte. "Das erinnert mich zu sehr an ein Begräbnis. Außerdem muss ich noch fahren." "Wir brauchen nicht zu fahren", sagte Gran, nachdem die Vorsitzende des Komitees gegangen war, und füllte ihre Gläser auf.
Die Flasche war erheblich leerer, als Laura die Quiche und den Salat servierte. "Hast du es sehr eilig, nach Seattle zurückzukehren, Liebes?" fragte Gran, während beide in ihrem Salat stocherten und so taten, als äßen sie etwas von der Pastete. "Warum?" murmelte Laura geistesabwesend. "Ich dachte, vielleicht könntest du noch eine Woche bleiben und mein Schlafzimmer neu streichen." Gran seufzte. "Du hattest Recht, als du sagtest, ich würde diesen Pinkton bald satt haben. Ich weiß, es ist erst drei Jahre her, seit du es gestrichen hast, und eigentlich ist es eine Schande ..." Laura hasste den Gedanken, in Laroche zu bleiben, jetzt, wo es mit ihr und Jack vorbei war. Es schmerzte, mit ihm auf derselben Insel zu sein, ohne ihm wirklich nah zu kommen. Verdrossen bedachte sie ihre Optionen. Grans Wunsch zu erfüllen war das, was eine gute Enkelin tun würde. Sie konnte aber auch liegen gebliebene Arbeit in Seattle vorschützen, was noch nicht einmal gelogen wäre, und jemanden von hier damit beauftragen, Grans Schlafzimmer zu renovieren. Gran nieste. Wie gefühllos musste man sein, um eine bejahrte Großmutter allein zu lassen, wenn sie krank war? Laura nickte. "Das ist eine großartige Idee, Gran. Dann haben wir auch noch ein bisschen Zeit für uns." Sie lächelte. "Mach dir keine Sorgen. Ich kaufe die Farbe im Großhandel, und meine Arbeit ist umsonst. Es wird fast überhaupt nichts kosten." Außer einem gebrochenen Herzen natürlich. Laura stand am nächsten Morgen schon früh auf, um ihr Werkzeug aus dem McNair-Haus zu holen. Es war erst kurz vor sieben, als sie aufschloss und in der Halle trat. Das letzte Mal, als sie hier gewesen war ... Sie erschauerte bei der Erinnerung daran, wie leidenschaftlich Jack und sie sich hier auf dem Boden geliebt hatten. Die Erinnerung an die Momente danach war dagegen bitter. Ebenso hatte es sie deprimiert, als sie heute Morgen festgestellt hatte, dass sie nicht schwanger war. Seufzend rieb sie ihre müden Augen und war entschlossen, ihre Sachen zu holen und so schnell wie möglich wieder zu verschwinden.
Als sie zur Treppe ging, sah sie ein Buch auf einer der Stufen liegen, und hob es verwundert auf. Ihre Augen weiteten sich vor Staunen, und sie setzte sich auf die nächste Stufe und begann zu lesen. Ihr kamen die Tränen. Elizabeth McNair schrieb über ihr erstes Jahr in diesem Haus, über ihre Liebe zu ihrem Mann und Alberts Liebe zu ihr, über die Geburt ihres ersten Kindes, eines Sohnes, oben in einem Bett, das zu groß war, um es hinauszuschaffen, weil Albert es an Ort und Stelle hatte bauen lassen und das Haus darum herum beendet hatte. Laura las von Picknicks am Strand und den Sorgen junger Eltern, vom Einlegen, Dörren und Einmachen für den Winter. Sie las von Elizabeth McNairs Hoffnungen, dass ihr zweites Kind ein Mädchen würde. Der letzte Eintrag sprach von einer bevorstehenden Reise nach Boston, wo Albert geschäftlich zu tun hatte. Ich sehne mich nach dem gesellschaftlichen Leben in der Stadt und danach, meine Freunde und meine Familie wieder zu sehen. Ich kann es kaum erwarten, ihnen allen meinen hübschen kleinen Sohn John vorzustellen. Ich bedaure nur, dass mein zweites Kind nicht in unserem eigenen Heim geboren werden wird. Aber ich darf nicht mit dem Schicksal hadern. Albert hätte mich hier gelassen, wenn ich das gewollt hätte. Doch wie soll ich den langen Winter und die Geburt eines Kindes ohne meinen Albert neben mir ertragen? Ich glaube nicht, dass ich mein Tagebuch fortsetzen werde, solange ich nicht zu Hause bin. Ich werde dieses kleine Buch an einem geheimen Ort verstecken und nach meiner Rückkehr weiter schreiben. Wie viel ich dann zu erzählen haben werde! Die restlichen Seiten waren leer, aber Laura wusste aus den Archiven der Stadt, dass Elizabeth und Albert zurückgekommen waren. Sie wusste sogar, dass das zweite Kind ein Mädchen gewesen war und die McNairs noch drei weitere Kinder bekommen hatten. Vielleicht war Elizabeth zu beschäftigt gewesen, um ihr Tagebuch nach ihrer Rückkehr fortzusetzen, oder sie hatte es vielleicht auch nur vergessen. Laura drückte das Buch an ihre Brust. "Ich werde nicht zulassen, dass sie dieses Haus abreißen", wisperte sie.
Dann legte sie das Buch dorthin zurück, wo es gelegen hatte, weil sie das Gefühl hatte, es wäre nicht richtig, es mitzunehmen. Dieses Buch gehörte in dieses Haus. Versonnen strich sie über den rissigen alten Ledereinband und fragte sich, wie sie das McNair-Haus retten könnte. Sie erinnerte sich, dass Delores Walters gesagt hatte, das Angebot gelte bis zum nächsten Freitag. Was konnte sie in einer knappen Woche tun, um das Haus zu retten, nachdem ihr Vertrag bereits gekündigt war? Plötzlich schnippte sie mit den Fingern. Es war eigentlich ganz einfach - sie selbst würde das Haus kaufen! Vielleicht konnte sie nicht ihren ganzen Traum haben, aber doch zumindest einen Teil davon. Wenn sie Jack nicht haben konnte, dann doch das Haus. Sie hatte etwas Geld gespart, das für eine Anzahlung genügen würde, und Seattle war nah genug, um weiterhin dort zu arbeiten. Laura begann vor Aufregung zu zittern. Es könnte funktionieren. Irgendwie schien das Haus all die Jahre nur auf sie gewartet zu haben. Elizabeths Tagebuch war gewissermaßen der Beweis dafür. Sie lief heim zu Gran, aber die war nicht da. Komisch. Ihre Großmutter hatte nichts davon erwähnt, dass sie weg müsse. Laura hätte ihr gern erst von ihrer Idee erzählt, aber sie durfte keine Zeit verschwenden. Sie zog sich rasch um, und wenige Minuten später betrat sie lächelnd die einzige Immobilienagentur in ganz Laroche. "Guten Tag. Ich bin Laura Kincaide. Ich möchte das McNair-Haus kaufen", teilte sie dem weißhaarigen Mann am Schreibtisch mit. "Wer nicht?" murmelte er und kratzte sich am Kopf. Sein weißer Schnurrbart zuckte, als er Laura schmunzelnd einen Stuhl anbot. "Ich weiß, dass ein Bauunternehmer ein Angebot gemacht hat, das bis nächsten Freitag gilt. Deshalb möchte ich meins so schnell wie möglich unterbreiten." Die Augen des alten Mannes funkelten. Vermutlich dachte er schon an die Provision, die er erhalten würde, falls er ihr den Besitz verschaffte. "Verstehe. Und Sie möchten den Besitz allein erwerben?" Mit immer noch funkelnden Augen sah er sie an. "Ja", erwiderte sie knapp. "Ich habe ein ziemlich gut gehendes Geschäft, einen exzellenten Kreditrahmen und habe außerdem Geld in
Aktien angelegt. Einen Teil davon könnte ich für die Anzahlung
verkaufen."
"Verstehe." Der Mann reichte ihr die Hand. "Jed Hansen. Ich kenne
Ihre Großmutter. Haben Sie schon mit ihr darüber gesprochen?"
"Nein, ich habe es heute Morgen erst entschieden."
Sein Schnurrbart zuckte, als Jed Hansen leise lachte. "Sie kaufen
keinen Hut, junge Frau. Möchten Sie es sich nicht in Ruhe überlegen?
Und vielleicht mit jemandem darüber reden?"
Die Einstellung dieses Manns war wirklich unerträglich. Laura
errötete vor Ärger. "Sollten Sie mich nicht zum Kaufen überreden,
statt es mir auszureden?"
Wieder lachte er. "Ich möchte nur meine Kunden zufrieden stellen,
Miss Kincaide. Sie könnten einen Fehler machen, wenn Sie eine
derartige Entscheidung überstürzen."
"Danke. Aber mein Entschluss steht fest."
Jed Hansen seufzte. "Also gut. Ich werde den Papierkram für Sie
erledigen. Sie besorgen fünftausend Dollar für die Anzahlung und
einen Brief von Ihrer Bank, in dem sie bestätigt, dass sie Ihnen für die
restliche Summe einen Kredit gibt. Dann, falls Sie das Haus noch
immer kaufen wollen, kommen Sie wieder her. Bis dahin habe ich die
Papiere fertig."
Er war wirklich ein sehr merkwürdiger Immobilienmakler. Während
des gesamten Gesprächs schien er über irgendeinen privaten Scherz zu
lachen. Misstrauisch dankte Laura ihm und ging.
Sie ging die zwei Häuserblocks bis zur Bank weiter und streckte
gerade die Hand nach der Tür aus, als sie aufgestoßen wurde und Jack
herauskam. Er erschrak, als er sie sah, und ein schuldbewusster
Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
"Bist du okay, Laura?"
"Keine Sorge, Jack. Es war falscher Alarm. Es ist alles in Ordnung mit
mir."
Er schien verwirrt. "Aber die Tür ..."
Sie verdrehte die Augen und flüsterte: "Ich habe meine Periode."
Jack zuckte zusammen. "Hast du die ,Pille danach' genommen?"
"Meine privaten Angelegenheiten gehen dich nichts an." Laura straffte
sich und stolzierte an ihm vorbei - zumindest war das ihre Absicht.
Aber Jack hielt sie zurück und drehte sie sich zu sich herum. "Hast
du?"
Sie öffnete schon den Mund zu einer scharfen Erwiderung, doch da war ein Ausdruck in seinem Gesicht, der sie veranlasste, Jack die Wahrheit zu sagen. "Nein. Ich habe sie nicht genommen." Er ließ sie los. "Entschuldige", stieß er mit zusammengekniffenen Lippen hervor, bevor er sich brüsk abwandte und Laura allein ließ mit der Frage, was das gerade zu bedeuten hatte. Wenn es ihn so interessierte, wie es ihr ging, warum hatte er sich dann nicht etwas mehr bemüht, mit ihr zu sprechen? Und warum verschwendete sie ihre Zeit damit, ihm nachzusehen? Sie hatte schließlich etwas zu erledigen. Diesmal schaffte sie es, unbehelligt durch die Tür zu kommen. Als sie das Foyer betrat und nach Mary fragte, wurde sie fast unverzüglich in das Büro der Zweigstellenleiterin geführt. Mary erhob sich, reichte Laura die Hand und bat sie lächelnd, Platz zu nehmen. "Es tut mir so Leid, Laura. Das McNair-Haus zu verlieren ist ein schwerer Schlag für die Gemeinde. Ich nehme an, du bist wegen deiner Abfindung gekommen?" "Nein. Ich bin hier, weil ich das McNair-Haus kaufen will." Mary gab einen erstickten Ton von sich. "Ah ... verstehe." "Habe ich Spinatreste in den Zähnen oder so etwas?" Laura strich mit der Zunge über ihre Vorderzähne. Mary blinzelte überrascht. "Nein, wieso?" "Überall, wo ich heute hingehe, grinsen mich die Leute so komisch an. Du, der Immobilienmakler ... Ich verstehe das nicht. Ist etwas mit meinem Haar? Oder fehlt mir ein Knopf?" Sie schaute an sich herab, aber ihre Knöpfe waren alle noch an Ort und Stelle, und ihr Reißverschluss war hochgezogen. Fragend sah sie Mary an. "Was ist los mit mir?" "Mit dir ist alles in Ordnung, Laura. Ich dachte nur an etwas anderes. Du möchtest also das McNair-Haus kaufen. Wie schön für dich. Ich wünschte, ich könnte es mir auch leisten. Ich halte es für eine ausgesprochen gute Kapitalanlage." Laura nickte. "Ich habe genug Geld für die Anzahlung, brauche aber die Zusage für eine Hypothek, bevor ich ein Angebot einreichen kann." Mary zog ihre Tastatur heran und begann zu tippen. "Der städtische Finanzausschuss trifft sich nächsten Freitag, um alle Angebote zu prüfen. Sie brauchen nicht unbedingt das höchste zu nehmen. Es liegt
in ihrem Ermessen, zu entscheiden, welches Angebot das Beste für die Stadt ist. Die Tatsache, dass du ein historisches Gebäude restaurieren willst, statt es abzureißen, wird dir sehr zugute kommen. Du könntest dir auch überlegen, ob du das Haus an bestimmten Tagen im Jahr zur Besichtigung freigeben willst. Das würde für das Komitee vielleicht den Ausschlag geben, selbst wenn die anderen Angebote höher sind." "Andere Angebote? Ich dachte, es gäbe nur eins." Mary hielt den Blick auf den Monitor gerichtet. "Rein hypothetisch natürlich nur. Ah, da ist der Antrag für die Hypothek. Ich werde dir nun einige Fragen stellen, und bis spätestens morgen Abend müsstest du dann eigentlich die Antwort haben. Genügt das, Laura?" "Ja. Danke, Mary." "Dann lass uns mit deiner Adresse beginnen."
13. KAPITEL
Laura reichte ihren Antrag auf Erwerb des McNair-Hauses am Donnerstag im Rathaus ein. Er enthielt den Preis, den sie zu zahlen bereit war, eine Liste der Verbesserungen, die sie am Haus vornehmen wollte, und einige der Skizzen, die sie für die Restaurierungsarbeiten angefertigt hatte. In einem Brief wies sie auf die historische Bedeutung des McNair-Hauses für die Gemeinde hin und erklärte sich bereit, das Haus für wohltätige Anlässe zur Verfügung zu stellen und es zur Weihnachtszeit und während der Sommersaison der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nachdem sie von der Bank zurückgekommen war, hatte sie den Entschluss gefasst, Gran vorläufig noch nichts von ihren Plänen zu erzählen. Es würde eine wunderbare Überraschung für sie sein. Laura war verblüfft, wie wenige Bedenken sie jetzt hatte, nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, das Haus zu kaufen. Wann immer sie ihre Großmutter ansah, wurde ihr warm ums Herz bei dem Gedanken, dass sie da sein würde, um sich um Gran, die sie so sehr liebte, - zu kümmern. Selbst die Aussicht, auf derselben Insel wie Jack zu leben, schreckte sie nicht mehr. Sie und Gran hatten Tage damit verbracht, Farben, neue Vorhänge und Bettzeug auszusuchen. Dann hatte Laura mit der Renovierung begonnen und Grans Schlafzimmer in einem hellen Blau gestrichen. Jack hatte sie seit Tagen nicht gesehen. Es mochte daran liegen, dass sie kaum das Haus verließ, oder vielleicht ging er ihr auch aus dem Weg. Am Freitag hängte sie Grans neue Gardinen auf und bemühte sich, die nervöse Unruhe in ihrem Magen zu ignorieren. Zwei Mal lief sie zum Treppenabsatz und rief: "War das das Telefon, Gran?" Beim zweiten Mal rief Gran: "Im Schlafzimmer ist ein Zweitanschluss. Gestern hat er noch funktioniert." Als das Schlafzimmer fertig war und Gran es gebührend bewundert hatte, blieb Laura nichts anderes mehr übrig, als zu warten und zu überlegen, wie sie Gran die guten Neuigkeiten beibringen sollte.
Als Gran zum Lunch aus dem Haus gegangen war, rief der Bürgermeister an. "Miss Kincaide? Hier spricht Edward Marks." "Guten Tag, Sir." Lauras Herz klopfte plötzlich wie wild. Nun würde ihr neues Leben beginnen. Das McNair-Haus war gerettet. "Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Antrag abgewiesen wurde." Es klang so unpersönlich wie der Wetterbericht. "Was?" Sie war sicher, sich verhört zu haben. "Es tut mir Leid, Miss Kincaide, aber Sie bekommen das Haus nicht." "Sie meinen, Sie haben es an diesen Bauunternehmer verkauft? Aber er wird es abreißen und Appartements bauen! Das dürfen Sie nicht zulassen!" "Über die Einzelheiten kann ich noch nichts sagen. Der Käufer hat das Komitee gebeten, seine Identität geheim zu halten. Sie wird erst nächste Woche bei der Ratssitzung bekannt gegeben. Guten Tag, Miss Kincaide." Der Bürgermeister legte auf, bevor sie noch etwas sagen konnte. Was hatten sie sich nur dabei gedacht? Mary hatte gesagt, sie würden andere Faktoren als nur ökonomische in Betracht ziehen. Das ergab doch keinen Sinn. Nun, vielleicht konnte sie noch einmal mit dem Bürgermeister reden und ihn zur Vernunft bringen. Außerdem hatte sie ein Recht, zu erfahren, warum ihr Antrag abgewiesen worden war. Und falls allen Ernstes es etwas damit zu tun haben sollte, dass sie eine Frau war ... Als sie zum Rathaus ging, kam ihr aus der entgegen gesetzten Richtung eine vertraute Gestalt entgegen. Am Eingang zum Rathaus stießen sie beinahe zusammen. Jack runzelte die Stirn. "Was tust du hier?" "Ich bin geschäftlich hier", entgegnete sie verärgert. Er könnte wenigstens so tun, als freute er sich, ihr zu begegnen. "Und du?" "Ebenfalls." "Nun, bei mir ist es etwas Dringendes." Sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen. "Bei mir auch." Er schob sie mit der Hüfte beiseite und schlüpfte durch die Tür. Sie blieb dicht hinter ihm. "Was fällt dir ein! Wenn Gran dich sehen würde ..."
"Es ist etwas Geschäftliches. Da gilt die Gleichberechtigung, nicht?"
Seine Züge wurden weicher, seine Augen glitzerten belustigt.
"Bitte, Jack. Es ist wirklich etwas Wichtiges."
"Wichtiger, als das McNair-Haus zu kaufen?"
Laura starrte Jack an. All die komischen Blicke und Reaktionen, als
sie ihre Absicht kundtat, das McNair-Haus zu erwerben, ergaben
plötzlich einen Sinn. Der andere Interessent war Jack! "Sag bloß, du
bist der erfolgreichere Bieter?" Er hatte ihr bereits das Herz gestohlen,
nun würde er ihr auch noch das Haus wegschnappen.
"Nein, mein Angebot wurde abgelehnt. Und ich möchte jetzt
herausfinden, warum. Wir sehen uns später." Damit ging er zum
Empfang.
Laura folgte ihm.
Er wandte sich zu ihr um. "Tut mir Leid, Laura", sagte er leise. "Ich
weiß, wie viel dir dieses Haus bedeutet, und ich gebe nicht auf. Aber
lass mich das bitte allein erledigen."
"Ich sagte doch schon, dass ich hier auch etwas zu erledigen habe
zum Beispiel herausfinden, warum mein Angebot abgelehnt wurde."
Diesmal war es Jack, der sie entgeistert anstarrte. Dann lachte er. "Wir
sind gegeneinander angetreten?"
Laura biss sich auf die Lippe und wünschte, er würde sie nicht so
ansehen. Sie vergaß darüber all die exzellenten Argumente, die sie
sich für Mr. Marks zurechtgelegt hatte. "Ja."
"Aber was ist mit deinem Leben in Seattle, und deiner Firma?"
"Wir schließen in zehn Minuten. Wenn Sie noch etwas wollen, sollten
Sie sich beeilen, Jack", sagte die Frau am Empfang.
"Hi, Linda. Wir würden Ed gern sprechen."
"Kann das nicht bis Montag warten?"
"Nein."
Nach einem kurzen Telefonat mit dem Bürgermeister teilte Linda
ihnen mit: "Mr. Marks erwartet Sie."
Laura kannte Edward Marks von der Sitzung des Komitees. Er sah
wie ein Wissenschaftler aus mit seinen dicken Brillengläsern und den
schlecht sitzenden Sportsakkos. Als Jack und sie eintraten, erschien
ein vergnügtes Funkeln in seinen Augen.
"Sie beide wissen also voneinander."
"Wir haben es eben erst herausgefunden", erwiderte Jack kurz. "Hören
Sie, Ed, etwas sehr Merkwürdiges geht hier vor. Die ganze Stadt will
das McNair-Haus retten. Sie haben zwei tadellose Angebote, eins von Laura und eins von mir. Warum, zum Teufel, verkaufen Sie also einen historisch wertvollen Besitz an einen Bauunternehmer, der das Haus abreißen wird?" Der Bürgermeister seufzte. "Ich wünschte, Sie würden bis nächste Woche warten. Ich habe Ihnen beiden doch schon erklärt, dass ich noch nichts über die Einzelheiten sagen kann." "Aber wir haben ein Recht..." "Nein, das haben Sie nicht. Das Haus wird nicht an diesem Wochenende abgerissen. Warten Sie, bis Sie alle Informationen haben, dann können Sie unternehmen, was Sie für richtig halten. Es tut mir Leid, aber bis nächste Woche kann ich nicht darüber reden." Sie argumentierten, bis sie heiser waren, aber es war sinnlos. Der Bürgermeister war nicht dazu zu bewegen, irgendetwas zu verraten. Als sie das Rathaus resigniert verließen, ging Jack mit Laura zu ihrem Wagen und wartete, bis sie ihre Mappe hineingelegt hatte. "Geh noch ein Stück mit mir", bat er dann sanft. Ihr Herz schlug schneller, als sie den bittenden Tonfall seiner Stimme hörte, und sie nickte. Er griff an ihr vorbei, um seine Aktentasche zu ihrer Mappe zu legen. Dabei streifte sein Arm ihren - flüchtig nur, aber Laura war wie elektrisiert. Jack sah sie an, und sie erkannte an seinem Blick, dass er das Gleiche spürte wie sie. Mit ernster Miene legte er ihr die Hände auf die Schultern. "Es ist noch nicht vorbei. Ich werde nächste Woche zu dieser Ratsversammlung gehen, um diese Trottel, die diese Stadt verwalten, zur Vernunft zu bringen." "Gute Nacht, Jack, Miss Kincaide." Beide fuhren herum. Edward Marks stand hinter ihnen und schloss seinen Wagen auf. "Gute Nacht, Ed." "Gute Nacht, Mr. Marks." Der Bürgermeister winkte und stieg ein. Jack fluchte leise, während Laura ihren Wagen abschloss und ein Lachen unterdrückte. Denn ihr war plötzlich die verrückte Idee gekommen, dass es vielleicht nicht nur das McNair-Haus war, auf das Jack so versessen war.
Zusammen gingen sie die stille Straße entlang, an den Läden und Restaurants vorbei, die die Promenade säumten. Laura sah Jack nicht an. Hoffnung und Furcht kämpften in ihr, während sie darauf wartete, dass er etwas sagte. Schließlich fragte er: "Warum willst du dieses Haus?" Er klang aufgeregt, und als sie sich ihm zuwandte, sah sie, dass er sie gespannt betrachtete, sein Blick war nahezu bohrend. Sie biss sich auf die Lippe und ging weiter. "Ich bin hier zu Hause. Gran lebt hier. Ich kann mein Geschäft von Whidbey aus führen. Es gibt viele historische Gebäude hier auf der Insel, und ich kann trotzdem noch in Seattle arbeiten. Es ist nicht allzu weit." Sie wollte klarstellen, dass sie nicht nur seinetwegen auf der Insel bleiben wollte. "Nachdem ich das Tagebuch gelesen hatte, konnte ich einfach nicht mehr auf das Haus verzichten", fuhr sie fort. "Danke, dass du es da hingelegt hast, wo ich es finden würde." Ihr Herz schlug fast schmerzhaft hart gegen ihre Rippen. "Und du? Wozu willst du das Haus?" "Ich hatte gehofft, dich damit zu bestechen", antwortete er nach einer langen Pause. "Was?" Verblüfft hob sie den Blick zu ihm und sah, dass Jack es ernst meinte. Er ging weiter, und sie beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten. "Ich möchte dich heiraten, Laura. Ich dachte, wenn das Haus dazugehört, würdest du es dir vielleicht überlegen. Ich weiß doch, wie viel dir daran liegt." Er schluckte. "Aber ich habe es vermasselt. Es tut mir Leid." "O Jack..." "Zuerst, als du wieder hier warst, wollte ich nur deine Freundschaft zurückgewinnen. Dann konnte ich nicht mehr aufhören, an dich zu denken. Ich wusste, dass du nach Seattle zurückgehen würdest, aber ich dachte, eine Affäre mit dir zu haben sei besser als nichts. Doch ich hatte mich geirrt. Neulich Abend habe ich gemerkt, dass ich dich liebe." "Aber, Jack ..." "Nein, lass mich ausreden." Seine Stimme klang rau. "Das mit dem vergessenen Kondom war wirklich keine Absicht. Der Himmel weiß, dass ich so etwas wie mit Cory nicht noch einmal durchmachen möchte. Aber nachdem du weggelaufen warst, bin ich heimgegangen
und habe lange nachgedacht. Schließlich wurde mir klar, dass ich mir wünschte, du wärst schwanger und dass du dir das auch wünschtest." Vor Tränen konnte Laura fast nichts mehr sehen und stolperte. Jack fing sie rechtzeitig auf und schien sie dann nicht mehr loslassen zu können. Er blickte ihr mit einer solchen Zärtlichkeit in die Augen, dass ihr das Herz überging. "Ich hätte gern ein Kind von dir", flüsterte sie. "Ich wünschte, ich wäre schwanger." Er bedeckte ihren Mund mit seinen Lippen, und lachend und weinend vor Freude erwiderte sie seinen Kuss. "Ich habe dich so vermisst, Laura, von Anfang an, nachdem du fort gegangen warst. Nachdem ich alles verdorben hatte, vermisste ich meine beste Freundin. Du ahnst gar nicht, wie oft ich dich anrufen wollte." "Wirklich?" Er nickte. "Aber die wenigen Male, als du auf der Insel warst, bist du mir immer aus dem Weg gegangen. Dann bekamen wir die Chance, zusammenzuarbeiten, und ich hoffte, wir könnten wieder Freunde werden. Ich hätte mir aber nie träumen lassen, dass das geschehen würde." Und Jack küsste sie erneut, um Laura zu zeigen, was er meinte. "Ich auch nicht." Sie legte die Hände an seine Wangen. Der Wind blies ihm das Haar in die Stirn, und liebevoll strich sie es zurück. "Du hattest Recht vor all den Jahren", sagte er. "Du warst nicht zu jung für mich. Ich war zu jung für dich." "Wir sind seitdem beide erwachsener geworden." Laura nahm seine Hand, und sie gingen weiter. "An dem Abend, an dem du das Kondom vergessen hast ..." Sie errötete. "Danach kam es mir so vor, als wolltest du mir die kalte Schulter zeigen - als wolltest du weder mich noch ein Kind mit mir." Er zog sie in die Arme und drückte sie an sich. "Ich hätte gern Kinder", sagte Laura leise. "Ich möchte auch noch mehr Kinder. Und ich denke, du wirst eine wunderbare Mutter sein. In einem Punkt hat Cory wirklich Recht: Sara braucht eine Mutter. Wärst du bereit, diese Aufgabe zu übernehmen?" Laura lächelte. "Ich mag Sara sehr. Wir werden eine glückliche Familie sein, dessen bin ich mir ganz sicher."
"Wenn Liebe und harte Arbeit genügen, glaube ich das auch." Sie seufzte und legte den Kopf an seine Schulter. "Wem sagen wir es zuerst? Gran oder Sara?" Jack grinste. "Sara ist nicht zu Hause. Sie wird diese Nacht bei einer Freundin verbringen. Ich hatte dich nämlich heute Abend mit einem Verlobungsring und dem McNair-Haus überraschen wollen und sogar schon in einem wunderbaren kleinen Restaurant einen Tisch zum Dinner reserviert." "Ganz schön anmaßend, nicht wahr?" scherzte Laura. "Sagen wir einfach ... hoffnungsvoll." Sie strich mit dem Zeigefinger über seine Oberlippe. "Gehört zu diesem wunderbaren kleinen Restaurant vielleicht auch noch ein Hotel, wo man übernachten kann?" Jack nahm ihren Finger zwischen die Lippen und liebkoste ihn mit seiner warmen Zunge. "Und wer ist jetzt anmaßend?" Nachdem er sie geküsst hatte, sagte er: "Aber da du es erwähnst - es ist durchaus möglich, dass sie auch ein Zimmer für uns reserviert haben." Der bloße Gedanke, eine ganze Nacht mit Jack zu verbringen, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hatte ihn so vermisst. Seine Hand lag warm und Besitz ergreifend um ihre Taille, und Laura konnte es kaum erwarten, sie auf ihrer nackten Haut zu spüren. "Du willst mich also wirklich heiraten." "Genau." "Ich frage mich, wie Cory darüber denken mag, dass ich ihren Platz einnehme." Er schüttelte den Kopf. "Du wirst nicht ihren Platz einnehmen. Ihre Vorstellung von einer Mutter ist, hin und wieder zu einem kurzen Besuch mit vielen Geschenken herzukommen. Das kann sie nach wie vor tun. Und Sara bekommt auch weiterhin zu ihrem Geburtstag einen Flug zu ihrer Mutter. Aber du wirst die Frau sein, die Sara im täglichen Leben unterstützt und lenkt. Das ist es, was sie wirklich braucht." "Ich werde mein Bestes tun." Jack räusperte sich. "Ich habe schon mit dem Immobilienmakler gesprochen und ihm gesagt, dass ich mein Haus verkaufen will. Wenn wir das McNair-Haus nicht bekommen, möchte ich dir ein neues Haus bauen. Am Meer, wenn du das möchtest."
Laura strahlte ihn an. "Ich wollte dich schon heiraten, als ich meinen
ersten BH bekam", gestand sie. Dann zog sie wieder seine Hand.
"Komm. Lass es uns jetzt Gran erzählen."
Wie sich herausstellte, brauchten sie Gran gar nichts zu erzählen.
Obwohl Laura und Jack sich absichtlich nicht berührten, als sie das
Haus betraten, sagte Gran nach einem kurzen Blick auf sie: "Das
wurde aber auch langsam Zeit."
"Oh, ich bin so glücklich." Laura warf die Arme um ihre zierliche
Großmutter und drückte sie an sich.
"Brich mir nicht die Rippen! Ich möchte noch auf deiner Hochzeit
tanzen." Gran schimpfte, aber ihre Augen glänzten.
Auch Jack umarmte sie. "Ich bin ein glücklicher Mann", sagte er rau.
"Ja, das bist du", stimmte Gran ihm zu. "Ihr habt beide Glück gehabt.
So viele Jahre habt ihr damit zugebracht, das Offensichtliche zu
bestreiten. Dabei wart ihr von Anfang an füreinander bestimmt. Ich
bin froh, dass ihr endlich zur Vernunft gekommen seid. Im
Kühlschrank ist Champagner, Jack."
Jack und Laura wechselten einen Blick.
"Wieso hast du Champagner im Kühlschrank, Gran?" fragte Laura.
"Erzähl mir nicht, du wärst Hellseherin."
"Sei nicht so frech, junge Dame. Mildred Aspick rief mich vor einer
Stunde aus der Seaside Boutique an. So wie du dich in aller
Öffentlichkeit mit meiner Enkelin aufgeführt hast, Jack, musst du sie
heiraten."
"Das habe ich auch vor." Jack war schon in der Küche und kümmerte
sich um den Champagner.
"Gut. Ich habe nämlich ein Hochzeitsgeschenk für euch."
Der Champagner war echter Champagner aus Frankreich. Wieder
wechselten Jack und Laura einen verblüfften Blick.
"Ich möchte einen Toast ausbringen", sagte Gran.
Jack hob sein Glas und lächelte Laura mit einer solchen Zärtlichkeit
und Liebe an, dass sie es kaum erwarten konnte, in dieses
"wunderbare kleine Restaurant" zu kommen.
"Ich wünsche euch die Art von Liebe, die mit der Zeit noch wächst.
Die Art von Liebe, für die es sich lohnt zu arbeiten - und zu kämpfen,
wenn es sein muss. Auf euch beide."
Jack hielt Lauras Blick fest, formte mit den Lippen "Auf uns!" und
nahm einen Schluck Champagner. Während Laura trank, brachte sie
einen stummen Toast auf ein anderes Paar aus, das lange vor ihnen gelebt hatte - Elizabeth und Albert McNair, die eine so glückliche Ehe geführt hatten. Gran nahm einen großen braunen Umschlag vom Tisch und überreichte ihn Laura. "Euer Hochzeitsgeschenk." Verwundert nahm Laura das einzelne Blatt aus dem Kuvert, überflog es - und sprachlos vor Schreck reichte sie das Blatt an Jack weiter. Er las laut vor: "Liebe Mrs. McMurtry, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass das Komitee Ihr Angebot bezüglich des McNairBesitzes angenommen hat ..." Jack verstummte und hob fragend seinen Blick zu Gran. "Du hast das McNair-Haus gekauft? Aber wie ...?" Offenbar wusste er nicht, wie er fortfahren sollte. "Er meint, wieso du dir das leisten konntest, Gran." Laura kniete sich neben ihre Großmutter und nahm ihre Hand. "Das ist sehr lieb von dir, aber du musst deinen gesamten Besitz verkauft haben, und das können wir nicht zulassen." Gran lachte. "Ich will bestimmt nicht prahlen, aber ich bin eine sehr wohlhabende Frau, Liebes." Sie hielt einen Moment inne und kostete Lauras und Jacks Erstaunen aus. "Ich habe schon an der Börse spekuliert, als deine Mutter noch ein Baby war." Gran nippte an ihrem Champagner. "Es war ein ausgesprochen lukratives Hobby." Als sie sah, dass ihre Zuhörer restlos verblüfft waren, fuhr sie fort: "Da ich alles habe, was ich brauche, spende ich das meiste Geld mittlerweile für wohltätige Zwecke. Aber es ist schön, seiner geliebten Enkelin und ihrem Verlobten so ein ausgefallenes Hochzeitsgeschenk machen zu können." Laura starrte ihre Großmutter an, als sähe sie sie zum ersten Mal. "Ich dachte, du hättest all das, was du mir über den Börsenmarkt erzählt hast, nur gelesen. Ich hatte keine Ahnung, dass du richtig investierst." Ihre Großmutter winkte ab. "Wo wäre da der Spaß geblieben? Das Schwierigste war, es geheim zu halten. Du weißt ja, wie in dieser Stadt geklatscht wird." Gran verdrehte die Augen, als habe sie selbst sich nie zu so etwas herabgelassen. "Also deshalb wollte Ed uns nicht verraten, wer der Käufer war", bemerkte Jack. Gran nickte. "Und niemand wird es je erfahren. Nächste Woche werdet ihr als die neuen Besitzer des McNair-Hauses angekündigt. Und das wird die reine Wahrheit sein."
"Du bist die beste Großmutter der Welt", sagte Laura. "Und die beste gute Fee", stimmte Jack mit ein. Eine sanfte morgendliche Brise weckte Laura. Sie kuschelte sich noch tiefer unter die edle alte Steppdecke und kostete das vertraute Gefühl von Jacks warmem Arm um ihren Körper aus. Seine Fingerspitzen berührten ihre Brüste. Sie bewegte sich ein wenig, bis ihre Brüste in seinen großen Händen lagen und er sanft über die Spitzen strich. Dann küsste er ihren Nacken und kitzelte sie mit seiner rauen Wange, bis sie sich lachend zu ihm umwandte. "Hast du gestern Nacht nicht genug bekommen?" neckte sie ihn. "Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass ich eine Frau geheiratet habe, die ganz wild auf Sex ist. Sag nur nicht, die Flitterwochen hätten dich kuriert." Jack tat gekränkt, während er mit den Fingern in einer Weise über ihren Körper glitt, die Laura stets erregte. Laura blickte in die Augen ihres Mannes und wusste, dass sie mit ihm lebenslanges Glück gefunden hatte. "Ich glaube nicht, dass ich von dieser Besessenheit je kuriert werde", erwiderte sie strahlend. Nachdem die gröbsten Brand- und Wasserschäden beseitigt waren, hatte Laura die Tage bis zur Hochzeit wieder auf der Leiter verbracht und Rosen nachgemalt. Jack hatte inzwischen das große Schlafzimmer perfekt wieder hergestellt. Laura kam es so vor, als wäre Elizabcth McNair bei ihnen, froh darüber, dass das Haus wieder ein Haus der Liebe war. Lächelnd blickte Laura zum Kaminsims, auf dem das Tagebuch einen Ehrenplatz bekommen hatte. Sara liebte Laura sehr und war fast so begeistert über die Heirat gewesen wie Gran. Natürlich war sie es gewesen, die das Geld für die Restaurierung bereitgestellt hatte und so dafür gesorgt hatte, dass Jack und Laura das Haus zusammen restaurierten. Aber Gran war nicht die Einzige, der Anerkennung dafür gebührte, sie wieder zusammengebracht zu haben. Stan hatte das Rosshaarsofa, das er bei der Auktion ersteigert hatte, als Hochzeitsgeschenk geschickt und ein Kärtchen dazugelegt mit den Worten: "Ich habe dir ja gleich gesagt, er ist der Richtige für dich." Laura lachte leise. "Komisch, alle haben es schon immer gewusst. Nur wir haben so lange gebraucht, um es zu erkennen." "Wichtig ist nur, dass wir es erkannt haben", flüsterte Jack.
Das große alte Bett quietschte nicht einmal, als sie sich langsam und sehr genüsslich liebten, was eine weitere glückliche Ehe in dem Haus versprach, das mit so viel Liebe erbaut worden war.
- ENDE